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Ceſchichte
des |
deulſchen Volksſchulweſens.
Von
Br. K. Herpa
Erſter Band.
Gotha.
Verlag von Friedrid) Andreas Perthes.
1858.
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Vorwort.
— — —
Die Schrift, deren erſten Band ich hiermit der Oeffentlich⸗
keit übergebe, iſt in folgender Weiſe entſtanden:
Vor einer Reihe von Jahren ſuchte ich an vielen Orten nach
handſchriftlichen Quellen zur Kirchengeſchichte des ſiebzehnten Jahr⸗
hunderts. Da fand ich unter Anderem eine Reihe von Aktenbaänden,
aus denen fich eine vollftändige Gefchichte des Dorfſchulweſens der
(etwa Hundert Pfarreien umfaßenden) kurheſſiſchen Diöcefe Allen-
dorf vom Ende des fechdzehnten bis zur Mitte des fiebzehnten
Jahrhunderts ergab. Ich verarbeitete den inhalt dieſer
Altenbände, ſah jedoch jehr bald ein, daß ih, um das Ganze
in angemeßener Weife darftellen zu können, fowol in die frühere
Zeit ald in die fpätere Entwidlung des Volksſchulweſens blicken
müfte. Ich arbeitete Daher, indem ich ale mir zugänglichen
gedrudten und handſchriftlichen Duellen ausbeutete, eine Gefchichte
des kurheſſiſchen Volksſchulweſens vor der Reformation bis in
den Anfang dieſes Sahrhundertd aus, Aber dazu mufte ich
notwendig auch die Gejchichte der jetzt mit Kurheſſen vereinigten,
früher felbftäudigen Gebiete (Fulda und Hanau) mitaufnehmen,
und fehr bald wurde mir der Gegenftand, mit dem ich mid)
beichäftigte, jo lieb, Daß ich mich entſchloß, demſelben wo möglich)
in allen deutjchen Ländern nachzugehen. Denn ich ſah ein, daß
derfelbe noch niemald einer ernftlichen und umfaßenden hiftorischen
Bearbeitung gewürdigt worden war, und daß derfelbe doch um
feiner hohen Bedeutung willen eine ſolche Bearbeitung erheijchte.
Iſt doch die Geſchichte des Volksſchulweſens in Deutfchland
nichts anderes, als die Gefchichte des allerwichtigften chriftlichen
Sulturgebieted! Die Wahrnehmung, die ich ſehr häufig machte
daß felbft ſehr gebildete Pädagogen auch nicht eine Ahnung von
dem wirklihen Urjprung und bon bem geſchichtlichen Entwidlung-
_ VI —
gang der Volksſchule hatten, feigerte meinen Eifer für die Arbeit,
die ich begonnen hatte. Aber die Duellen, aus denen ich fchöpfen
mufte, waren fchwer zu befchaffen. Meine Quellenforſchungen
über die Gefchichte des deutſchen Proteftantismus gaben mir
manche8 Material an die Hand; aber gedrudt war doch nur
wenige® und was gedrudt war, war felten zu finden. Da
wendete ich mich an die Archive, Bibliothefen und höheren Lan
besbehörden einzelner Staaten, und id wurde in Iiberalfter
Weife unterftüßt. Ueberall wurde mir zur Dispofition geftellt,
was nur da war.
Mit großer Mühe ift daher Die Arbeit nun fomeit vollendet,
daß diefer erfte Band abgefchloßen werden kann. Noch in Diefem
Jahre wird das Uebrige nadyfolgen.
Da die Duellen weder über alle Gebiete Deutfchlandg noch
auch über die einzelnen Teile des Schulweſens und über die ein-
zelnen Perioden deſſelben in einem einzelnen Gebiete mit gleicher
Bolftändigfeit vorlagen, jo konnte auch nicht alles mit gleicher
Vollftändigfeit dargeftellt werden. Indeſſen kann dieſer Uebelftand
für das Ganze der Gefchichte des deutſchen Volksſchulweſens kaum
in Betracht fommen, da dieſelbe Doch hinlänglich beleuchtet if,
wenn in der Geſchichte des einen deutschen Territoriums vorzugs⸗
weile die Gefchichte der Dorfichule, in dem andern vorzugsweiſe
die Gefchichte der Schullehrerjeminarien dargeftellt, oder wenn
bier mehr die Schulordnungen der verſchiedenen Perioden Darge-
gelegt, Dort mehr ftatiftifche Meberfichten über das Volksſchulweſen
einzelner Beitabjchnitte gegeben find.
Alle Diejenigen, welche Die vorliegenbe Arbeit zur Hand
nehmen, bitte ich jedoch zu berüdfichtigen, Daß ich nicht Paͤdagog
bin, fondern als Hiftorifer ein bis dahin gänzlich) vernachläßigtes
und der wißenfchaftlichen Darftellung nicht gewürdigtes chriſtliches
Kulturgebiet zum erften Male Darzuftellen verjucht habe.
Marburg, den 3. März 1858.
Dr. Heinrich Heppe.
Inhaltsugnzeichnis.
Erfie Abteilung.
Die Geſchichte des deutfchen Volksſchulweſens im Allgemeinen.
Erfte Periode,
Von der Reformationgzeit bis zum Ende des dreißigjährigen \
Krieges, Seite
$. 3. Die Entftehung und der urfprüngliche Begriff der Boltsfhule 1 — 30
$. 2% Die Beichaffenheit des Volksſchulweſens in diefer Beriode 30 — 38
Ä Zweite Periode.
Bon der Mitte des fiebzehnten bis zum Ende des acht⸗
ahnen Jahrhunderts.
$. Die Herftellung der Bolksfchule und die Ermeiterung des
Begriffs derfelben durch den Gpener- Brante hen Fletiemue 39 — 57
$. 2. Die Bürger und Realfhule. . 57 — 63
$. 3. Der Philanthropinismus Bafedomws . > . . 63 — 69
$ 4 Die Schule zu Nahterfätt . 69 — 76
5 5. Die Entftehung des Boltsfhulwefens im tatholiſchen
Deutfhland °. 76 — 97
$. 6. Die Reform des Schulweſen⸗ im letteilen meichoſtift
Neresheimn 97—1083
F. 7. Die Reform des Boltsfchulmefens i im Königreich Böhmen 103—106
$. 8. Die Reform des Schulweſens in Oeſterreich durch Yelbiger
und Schulſtein . . 105-117
. 9% Das öfereigiiße Boltsfhulpefen nad dem Jahre 1780 147123
_W _
6. 10. Die Schul- und Iinterrichtsreform des Domherrn Brian
Eberhard von Rodow . .
$. 11. Nachbildungen der Rochowſchen Schuleinrichtung
F. 12. Allgemeines über die weitere Geſchichte der Volkoſchul⸗
F. 13. Die Entwicklung der Lehemethode in der Volksſchule im
Allgemeinen . . . . . .
$. 14. Die Entwidlung der sr und Erziehungsmethode im
Einzelnen . . . . j .
$. 15. Die Snduftriefgulen . . . . . .
$. 16. Die Sonntagefyulen . . .
8. 17. Die Waifenerziefung . ne
6. 18. Die Bell-Lancafterfche Behrmethode . .
6. 19. Die Sculfefte
$. 20. Die Schullehrerfeminarien und andereitigen Einrichtungen
zur Ausbildung der Boltsfchullehrer .
F. 21. Wirkliche Befchaffendeit der gewöhnlichen Botfgulen und
der Volksfchullehrer um das Jahr 1800 .
Dritte Beriode.
Bom Anfange des acdhtzehnten Jahrhunderts an.
5. 1. Johann Heinrich Peſtalozzi
F. 2. Räückblick auf die verſchiednen Stadien in der Entidtung
des Volksſchulweſens
6. 3. Allgemeines über das Voltsſchulweſen in den erften. Zahr.
zehnten des neunzehnten Jahrhunderts
Zweite Abteilung.
Die Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen
Territorien Deutſchlands,
I. Kurheſſen.
Erſter Abſchnitt von 1526—1700 . ..
Zweiter Abſchnitt von 1701—1797 . . .
Dritter Abfchnitt von 1779—1805 . . oo.
. 123—173
173—177
177 —184
184—188
188—222
222 — 224
224—226
226— 228
228— 238
238— 240
240—247
247—257
258—267
267 —270
270—278
281— 307
307—325
325—342
Erſte Abteilung.
Die Geſchichte des deutſchen Volksſchulweſens
im Allgemeinen.
Erſte Veriode.
Von der Reformationszeit bis zum Ende des dreißigjährigen
Krieges.
$. 1.
Die Entflehung und der urfprüngliche Begriff der Volksſchule.
Dem chriſtlichen Mittelalter war der Begriff der eigentlichen
Volksſchule fremd; nur hin und wieder — vorab in ber Firchlichen
Sturm: und Drangperiode des vierzehnten und fünfzehnten Jahr:
hunderts — laßen ſich Ahnungen eines Bebürfniffes von dem nach—
weiſen, was bie Volksſchule gewähren fol. Schon i. 3. 1246
verordnete eine Synode zu Beziers, daß alle Knaben vom fiebten
Lebensjahre an allfonntäglich in der Kirche im Fatholifchen Glauben
unterrichtet werben follten. In demjelben Jahre gebot der eng-
liſche Bischof Richard von Chichefter auf einer Synode feines
Sprengeld allen BPrieftern, ihren Parochianen das Gebet des
Herrn, das apoftoliiche Glaubensbekenntnis und den englischen
Gruß in der Landesiprache einzuüben. Aber dieſe Synodalbefchlüße
blieben nur Wünfche, an deren Vollziehung faft Niemand dachte *).
) Rur ganz ausnahmsweife kommen im Mittelalter Spuren von Küfter-
ſchulen vor. Eine ſolche findet ſich in dem älteften Lagerbuch der weftphälifchen
Morrei Bigge, Amts Brilon vor, welches unter dem Titel „Dos ecclesiae in
Bige, Deo et sancto Martino episcopo sacra; maladictus qui violaverit®
i. J. 1270 von dem Erzbiſchof Engelbert II. von Köln beftätigt wurde. Bier
wird nämlich in Betreff des Schulmeifterd (nach einer wörtlichen Webertragung)
1
— 2 —
Als Gerſon, ſchon hochbetagt, in einer Kirche zu Lyon Kinder im
Glauben und im Gebet unterrichtete, ſtaunte die Welt ob der
ſeltſamen Neuerung.
Im fünfzehnten Jahrhundert wurden einzelne Schriften ge⸗
druckt, welche Erklaͤrungen der zwölf Artikel des chriſtlichen Glaus
bens und des Herrngebetes enthielten *); aber dieſelben waren
entweder nur zum Privatgebraud) beftimmt oder gehörten, wie der
Folgendes verordnet: „Sapungen des Küfters und Schulmeifters. Dazu
fol der Küfter vorhanden fein, feinem Paſtor, der demfelben ohne Jemandes Ein-
rede anzufegen Macht bat, in Allem den genaueiten Gehorfam zu erweifen zc.;
dabei foll er gleichermaßen verbunden fein und bleiben, wenn es der Paftor nicht
anders verordnen wird, die Kirchfpielsjugend im Schreiben und Lefen, des
Sommers Morgens von 7, des Winters von 8 — 10 Uhr, und Nachmittags des
Sommers von 1—3 oder 4, des Winters bis 3 hr, in eigner Perfon ftetö der-
geftalt zu unterrichten, daß darüber feine Klagen entftehen; widrigenfalls, wenn er,
mebhrmaliger Erinnerungen ungeachtet, unverbeßerlidh bleiben folte, ſoll er feines
Amtes entfegt, vom Paſtor ein andrer angeftellt und diefem fofort von des
Küſters Renten nad Gutdünken des Paftors, Einiges audgefondert werden, auf
daß der angehende Schulmeifter in etwas mit davon zu genießen habe. — Da—
bei follen dann auch die Kirchfpielseingefeßenen bei Strafe von 12 Mark verbun-
den fein, die Kinder nah der Schule zu fhiden, damit das nod in vielen
Herzen glimmende Heidentum dadurch gänzlih erlöfht werde,
Bumiderhandelnde follen nebft vorgejegter Strafe von jedem ihrer zurüdgehaltenen
Kinder jährlih 18 Schillinge (welder Schullohn ftetS von jedem Kinde dem Schul.
meifter kraft diejes beigelegt wird,) unnachläßlich entrichten und beibringen, — e8
wäre denn, daß die Kinder wegen Krankheit oder Unvermögenheit ihres Alters bei
dem zeitigen Baftor, der darüber fleißige Auffiht und aus den Taufbüchern die
erforderlichen Nachrichten zu gewähren hiermit für ſchuldig erfannt wird, durd der
Eltern Angaben entfchuldigt befunden würden. Auch fol der jedesmalige Schul.
meifter monatlih dem Paftor fchriftlichen Bericht darüber vorlegen, wie die Schü-
fer fid in hriftliden Sitten, Schreiben und Kefen verhalten und von
Tag zu Tag in der Gottesfurcht zunehmen, damit bei Zeiten das Böfe ver-
mieden und das Gute ferner befördert werde”. (Bgl. Seiberg, Weftphälifche
Beiträge zur deutſchen Geſchichte, B. IL. &. 404—406.) — Allerdings wird bier
die Einrichtung einer Vollsſchule zur Ausrottung des im Volke noch fort-
lebenden Heidentums ſtreng angeordnet; ob aber diefe Unordnung
jemals befolgt worden ift, wird dem fehr fraglich fein, der da weiß, wie we-
nig (unter viel günftigeren Berhältniffen!) von ähnlihen Anordnungen im 16.
und 17. Jahrhundert verwirklicht worden ift.
*) Bgl. Brüftlein, Luthers Einfluß auf das Volksſchulweſen ©. 21 ff.
— 3 _
Pauper rusticus Wikleffs und die Explicatio symboli, decalogi
et orationis dominicae den oppofitionellen Beftrebungen des fünf:
zehnten Jahrhunderts an.
Noch i. J. 1530 konnte Melanchthon in der Apologie der
Augsburgifchen Confeſſion Art. VII. jagen: Apud adversarios
nulla prorsus est catechesis puerorum.
Der Grund dieſer Erfcheinung war der, daß der mittelalter-
liche Katholizismus als foldher gar Fein Intereſſe dafür Hatte,
Volköfchulen, in denen nicht geiftliche und weltliche Gelehrte, fon-
dern Chriftenmenfchen erzogen und nicht mit lateiniſcher, fondern
mit gemeinschriftlicher Kultur verjehen wurden, einzurichten. Denn
den Katholizismus kam es nur darauf an, Die äußere Kirche und
deren Auctorität äußerlich auszubreiten. Die einzelne Seele hatte
ald ſolche für ihn keinen eigentümlichen Wert; nur in wiefern
fie fi an Die äußere Inſtitution der Kirche bingab, kam fie in
Betracht. Der Fatholifche Geift wendete darum fein ganzes In—
tereije dem äußeren Sirchentum und der Derbreitung der Firdh-
lihen Auctorität jo ausfchließlih zu, daß ihm die Erbauung des
Reiches Gotted in Den einzelnen Seelen und darum auch die
Pflanzung hriftliher Bildnng und Kultur in den einzelnen Glie⸗
bern der Kirche ald ſolchen unmefentlich und gleichgiltig war.
Der Begriff der Volföfchule Fonnte nur aus dem Geifte des
evangelifchen Proteftantigmus erwachſen; aber nicht fofort, ſondern
nur in Derfelben Allmählichkeit, in welcher der evan—
geliſche Proteſtantismus das Bedürfnis der Volks—
ſchule praktiſch an ſich ſelbſt erfuhr. Luther, Me—
lanchthon, Brenz, Bugenhagen, die unter den deutſchen
Reformatoren den maͤchtigſten Einfluß auf die Entwicklung des
Schulmejend ausübten, Fannten den Begriff eines Volksſchulweſens im
Unterjchiede von der Gelehrtenſchule eigentlich noch nicht. Insgemein
verftanden Diejelben unter der „Schule“ lediglich Die „lateinifche
Schule”, indem fie ſich den Begriff der Schule, und zwar ber
niederen wie ber höheren, in herfömmlicher Welje*) nur in Ber
*) In der Schulordnung melde i. 3. 1501 für die (Elementar-) Schule
zu Stutigart aufgefellt wurde, war dem Schulmeifter aufgegeben, tüglid) wenig.
. 1°
_ 4 —
ziehung auf die im Beſitze der Gelehrten befindliche und zur Aus⸗
übung des Staatd- und Kirchendienfted erforberlihe Iateinifche
Wißenſchaft, nicht aber in Beziehung auf die Beduͤrfniſſe des eis
gentlichen Volkes und des chriftlichen Volkslebens an und für fi
denken Eonnten. Neben diejer „lateinifchen Schule” verlangte Luther
die Einrihtung von „deutſchen Schulen” und „Mädchenſchulen“
in den Städten. Denn wie die lateinifchen Schulen nötig waren,
weil man weltliche und geiftlihe Beamte von wißenfchaftliher Bil-
duug in Staat und Kirche nötig hatte, fo waren die deutſchen und
die Mätchenfchulen nöthig, weil der Bürger für das Geſchaͤfts⸗
leben uud Die Tochter für den Beruf der Hausfrau erzogen und
mit allerlei Kenntniffen verjehen werben mufte. Luther verftand
daher unter der Schule lediglich eine ſolche Anftalt, welche ben
Einzelnen für feinen befonderen, jpäteren Lebensberuf heranbilden
jollte. Als wirkfamfted und wejentlichftes Mittel zur Erreichung
dieſes Zweckes betrachtete Luther das Erlernen (nicht der Realien,
fondern) der Sprachen. Diefe Anfchauungen treten überall ber:
vor, wo Luther von den Schulen ſpricht. An die Ehriften zu
Riga ſchrieb Luther (de Wette B. IL. ©. 595): ‚Ich babe nun
viel gepredigt und gefchrieben, daß man in Stäbten follte gute
Schulen aufrihten, Damit man gelehbrte Männer uud
Weiber aufzöge, daraus chriftlihe, gute Pfarrer, Prediger
würden und das Wort Gottes reichlih im Schwange bliebe.’
In der Schrift „an die NRatöherren aller Städte Deutſchlands,
daß fie riftliche Schulen aufrichten und halten ſollen“ (v. 1524,
bei W. B. X. S. 532— 567) erinnert Luther: „Ja, Iprichft du
abermals, ob man gleich follte und müfte Schulen haben, was ift
uns aber nüße, lateinische, griechifche nnd hebräifche Zungen und
andere freie Künfte zu lehren? Könnten wir doch wol deutſch Die
Bibel und Gottes Wort lehren, die und genugfam ift zur Selig:
feit! Antwort: Sa, ich weiß leider wol, daß wir SDeutfchen müs
ben immer Beftien und tolle Xhiere fein und bleiben, wie ung
ftens einmal in der Schule einen „Durchgang zu halten”, und diejenigen Schüler,
welche deutfch geſprochen hatten, mit ſchmaler Koft zu ftrafen. — Vgl. Sattler,
Geſch. des Herzogtums Würtemb. I. Beil. 26. ©. 76
— 5 —
denn die umliegenden Laͤnder nennen und wir auch wol verdienen.
Mir wundert aber, warum wir nicht auch einmal ſagen: „„Was
ſollen uns Seiden, Wein, Würze und der Fremden auslaͤndiſche
Waaren, ſo wir doch ſelbſt Wein, Korn, Wolle, Flachs, Holz und
Steine in deutſchen Landen nicht allein die Fülle haben zur Nah⸗
rung, fondern aud) die Kür und Wahl zu Ehren und Schmuck?““
Die Künfte und Sprachen, bie uns ohne Schaden, ja
größerer Shmud, Nutz, Ehre und Krommen find,beides
zur heil. Schrift zn verfiehen und weltlid Regiment zu
führen, wollen wir verachten, und der auslänbifchen Waaren,
bie und weder not noch nüße find, dazu uns ſchinden bis auf den
Grat, der wollen wir nicht zugeraten? Helfen bad nicht billig
deutfche Narren und Beftien %
— „Wenn nun gleich feine Seele wäre, unb man ber Schu⸗
in und Spraden gar nicht bebürfte um der Schrift und Gottes
willen, jo wäre Doch allein dieſe Urfache genugfam, die allerbeften
Schulen, beides für Knaben und Mägdlein an allen Orten aufs
richten, daß bie Welt, auch ihren weltlichen Stand äußerlich)
zu halten, doch bedarf feiner gefhidter Männer und
Srauen, daß die Männer wol regieren tönnten Land
und Leute, Die Frauen wol ziehen und halten könnten
Haus, Kinder und Befinde Nun folhe Männer müßen
aus Knaben werben und foldhe Frauen müßen aus Mägdlein wers
den; darum iſts zu thun, daß man Knäblein und Mägdlein dazu
recht lehre und aufziehe.“ —
In dem ‚„Sermon, daß man die Kinder zur Schule halten
ſolle“ (W. B. X), erflärt Quther: „Ich halte aber, daß aud) die
Obrigkeit hier ſchuldig fet, die Unterthanen zu zwingen, ihre Kin
der zur Schule zu halten. — Denn fie ift wahrlich ſchuldig, die
obgefagten Aemter und Stände zu erhalten, daß Prebi-
ger, Juriſten, Pfarrherren, Schreiber, Aerzte, Schulmeifter und
dergleichen bleiben; Denn man Fann derer nicht entbehren.“ —
— „Kehre dich nichts daran, daß jeßt der gemeine Geiz
wanft die Kunft fo hoch verachtet, und fprechen: Ha, wenn mein
Sohn deutſch fchreiben, Iefen und rechnen kann, jo kann er genug,
ih wil ihn zum Kaufmann thun. Sie follen in Kürze ſo Tree
— 6 —
werden, daß ſie einen Gelehrten gern aus der Erde zehn Ellen
tief mit den Fingern grüben; denn der Kaufmann ſoll mir nicht
lange Kaufmann ſein, wo die Predigt und das Recht fallen.“
In demſelben Sinne ſchreibt Luther am 18. Juli 1529 an
den Markgrafen Georg v. Brandenburg (W. IIL 486): „In al
len Städten und Fleden follen gute Kinderſchulen zugerichtet mer:
den, aus weldhen man nehmen Eönne und erwählen, die zur hohen
Schule tüdhtig, daraus man Männer für Land und Leute
ziehen mag‘ ”).
Auch Melanchthon Fannte Feinen andern Zweck der Schule
ald den der Erziehung von Predigern, Beamten, Aerzten u. |. w.,
weshalb in dem fog. fächlifchen Schulplan, der das lehte Kapitel
„des Unterricht8 der PVifitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürften-
tum Sachſen“ bildet, befohlen wird: „Es follen auch Die Prediger
die Leute wermahnen, ihre Kinder zur Schule zu thun, Damit
man Leute aufziehe, geſchickt zu lehren in der Kirche
und fonft zu regieren. Denn es vermeinen etliche, es fei
genug zu einem Prediger, Daß er deutſch Iefen könne. Solches
aber ift ein Schädlicher Wahn. Denn wer andre lehren foll, muß
eine große Hebung und ſonderliche Gejchidlichkeit haben; Die zu
erlangen, muß man lange und von Jugend auf lernen. — Und
jolcher gefchieter Rente bedarf man nicht allein zu der Kirche, fon-
dern auch zu dem weltlichen Regiment, das Gott audy will haben.‘
Ja Melanchthon gebietet fogar daſelbſt, daß die Schulmeifter Die
Kinder allein Tateinifch unterrichten follen, ‚nit de ut ſch ober
griechiſch oder hebräiſch“, wie etliche bisher gethan, ohne Nutzen
für Die Kinder, ja zu ihrem gröften Schaden. — Die Echule war
alfo im Sinne der Reformatoren wefentlich lateiniſche Schule,
und hatte ihrem Begriffe nad) die Beflimmung, zufünftige Be—
amte des Staats und der Kirche heranzubilden, weshalb Brenz
in der Schwäbiſch-Haller Kirchenordnung von 1543 nicht nur den
Fall erwähnt, wenn ſich auf einem Dorfe eine lateinische Schule
vorfinde, fondern in der großen Würtemberger Kirchenordnung von
*) Ausführlichere Nachweiſungen ana Luthers Schriften ſ. bei Brüftlein
„Luthers Einfluß auf das Volksſchulweſen.“ Jena 1852. ©. 45 ff.
— —
1559 bie Einrichtung von lateiniſchen Schulen in allen Dörfern
gebietet.
Hiernach Fönnte es feinen, als ob die Reformatoren auf Die
Schule gar keinen weſentlichen, umgeftaltenden oder erneuernden
Ginflup ausgeübt hätten. Denn die Notwendigkeit der Einrichtung
von lateinifchen Schulen war von der Kirche zu jeber Zeit aners
kannt; auch waren Toͤchterſchulen fowie deutſche Bürgerfchulen hin
und wieder längft begründet worden. Und dennoch hat das Schuls
weſen durch den Einfluß ber NReformatoren und der ganzen refor-
matorifchen Erhebung des Proteftantismus eine Umgeftaltung er:
fahren, durch welche ed etwas ganz anderes wurbe, als was es
bordem war.
Zunaͤchſt geſchah dieſes dadurch, daß die Schule fchlechthin
dem chriſtlichen Intereſſe dienſtbar gemacht wurde. Der Proteſtan⸗
tismus bemächtigte ſich aller Kulturbeſtrebungen des Humanismus
und beſchied den letzteren, daß er ſeinen Zweck nicht in ſich ſelbſt,
nicht in dem Cultus des Menſchengeiſtes, ſondern in der Verherr⸗
lichung Gottes, in der Aufhellung des geoffenbarten Wortes, in
dem Aufbau des Reiches Chriſti und in der Foͤrderung chriſtlichen
Lebens anerkennen müße. Der evangeliſche Proteſtantismus ſah
in den verſchiedenen Ständen des menſchlichen Geſchlechts goͤtt⸗
liche Ordnungen und würdigte dieſelben als gottgeordnete Mittel
des der Menſchheit von Gott geſetzten Lebenszweckes. Indem da⸗
ber die Reformatoren die Schule als dasjenige Inſtitut auffaſten,
worin ber Prediger, ber Richter, die geiftlihe und die weltliche
Obrigkeit, der Arzt, der Bürger, die Hausmutter u. |. w. die zur
Ausübung ihrer Memter erforberlihe Bildung gewinnen follten,
wurde die Schule von denfelben als weſentliches Organ des Rei-
ches Gottes gewürdigt. Daher erflärt fi) der eigentümliche Eifer,
mit dem die Neformatoren die Bedeutung und Notwendigkeit der
Schulen bevorworteten und der Aufſchwung, den das Schulmelen
im Bereiche des Proteftantisnius gewann. Im Allgemeinen wurde
bie Anfiht geltend gemaht, daß fi im Proteftantismus das
Schulwefen im umgefehrten Verhältnis jo zur Kirche verhalte, wie
fih im Papſtthum das Ordensweſen zur Kirche verhalten hatte.
Ein großer Teil des Kloftergutes, an manchen Orten fogar Das
— 8 —
ganze Kloſtergut, wurde daher im Intereſſe des Schulweſens ver⸗
wendet. Der Einfluß, den Melanchthon in weiteren Kreiſen,
ſowie Brenz in Schwaben und Bugenhagen in Niederdeutſch⸗
land ausübten, rief aller Orten neue lateiniſche Schulen hervor
oder verbeßerte und regelte die ſchon beſtehenden. Deutſche Schu⸗
len entſtanden allerdings ſeltener, obſchon z. B. die Hamburger
Kirchenordnung von 1539 den Küſtern gebot, Die „ganz kleinen
Kinder” zu unterrichten. Aber die Durch ganz Norddeutichland Hin
in den Städten bereits beftehenden deutſchen Schreib: und Rechen⸗
ichulen erfuhren den Segen ber religiöjen Erhebung jener Zeit
ebenjo wie die Tateinifchen Schulen, indem fie thunlichft in An-
ftalten zu religiöfer Erziehung umgewandelt wurden. So wurde
in der Pommerſchen Kirchenordnung geboten: „Es follen die ge
meinen C chreibjchulen, Die der Rat gewilligt hat, nicht verhindert
werden, aber ihnen auferlegt, deutfche Pfalmen, gute Sprüche aus
der Schrift und den Katechismus zu Ichren. — Dafür gebe man
ihnen jährlich ein redlich Gejcheuf aus dem Schapfaften. — Den
Lohn aber mögen fie von ihren Schülern nehmen.“
Mächtiger jedoch als in dem deutſchen Knabenſchulweſen
machte ſich der Einfluß der Reformation in den weiblichen Schul⸗
anftalten geltend. In der Wittenberger Kirchenordnung von 1533
finden wir einen „Jungfrauenſchulmeiſter“, der mit dem Küfter
eine „Sungfrauenfchule‘ hielt. Insbeſondere wird in allen den
zalreichen Sirchenordnungen, welche von Bugenhagen berrübren, Die
Aufrichtung von „Maͤgdleinſchulen“ in allen Städten verordnet.
Natürlich ift auch hier die Uebung im Katechismus, in der Bibel
und im Singen, wozu nod) dad Nechnen kommt, der. eigentliche
Zwed der Schule. Die heſſiſche Reformationsordunog von 1526
und die Kirchenordnung der Grafichafi Lippe von 1538 verlangen
fogar die Aufrihtung von Mädchenfchulen auf den Dörfern. Jene
it überhaupt ald der erfte Verfuch allgemeiner Begründung eines
geordneten Dorfichulwefens anzufehen; dieſe Dagegen ift als fprechen-
der Zeuge für Die in der Reformationgzeit berrfchende Identifizirung
der Stnabenfchule mit der lateinischen Schule zu betrachten, indem
in ihr Die Einrichtung von deutſchen Schulen nur für die Mäb-
hen gefordert wird. Unter dem Xitel „Bon zweierlei Schulen”
— 9 _
gebietet nemlich die Zipper Kirchenordnung (bei Richter IL S. 502):
„Im der Lehrung und Bucht Hat Gott fonderliches Wolgefallen,
daß wir gute, verfländige, gottesfürdhtige Leute mögen haben in
Kirhen- und weltlichen Aemtern. — SHierum ft nötig, in allen
Städten dieſer Grafſchaft lateiniſche Schulen anzurichten, mit gu:
tm gelehrten Schulmeiftern allerlei Künfte, fo viel möglich ift
md den Katechismus zu lehren, in Gottesfurcht und Zucht aufs
zuziehen, darzu die fächfifche Ordnung nüße und gut wäre. —
Man muß auch deutfche Schnlmeifter halten in Städten und Dör-
fern für Die jungen Mädchen, fehreiben, Iefen und den Katechismus
neben andern guten Zuchten zu lehren“. —
Die Schwierigkeiten, welche ſich der Reorganifirung unb
fefteren Begründung des Stadtſchulweſens entgegenftellten, waren
fo groß, daß an die Einrichtung von Dorffchulen in der Reforma⸗
tiongzeit nicht gedacht werden konnte. Bis in die zweite Hälfte
des ſechszehnten Jahrhunderts hinein finden wir daher überall
mr Tateinifche Stadtſchulen, neben denen noch deutſche Berufs-
ſchulen in den Städten vorkommen. Der Schüler lernte deutſch
leſen — eigentli nur, um fofort neben Bibel und Katechismus
auch die Tateinifhe Grammatik gebrauchen zu können”). In die
em Sinn verfügte 3. DB. die Landesorbnung des Herzogtums
Preußen von 1525 in Art. 4. „Von Erhaltung ber Schulen und
derſelben Vorſteher“: ‚Nachdem gemeiner Ehriftenheit zum Beften
) Bezeichnend ift folgende Gtelle des von den Straßburger Predigern für
die gebildete Sugend i. 3- 1527 herausgegebenen „Kinderberiht und Fragſtücke
don gemeinen Punkten chriftlichen Glaubens”, worin es heißt: „Frage: Mas liefeft
du fürnehmlich? Antwort: Das Reue Teftament und Titum Livium verdeutfcht.
%.: Es foll dir das Höchfte fein, was am meiften auf Bott meifet; doch magft
du, wie man fonft ein Handwerk treibt, andre Bücher auch lernen, die bringen
einen weltlichen Berftand, üben die Vernunft u. f. wm. Doc fol und muß daneben
in der 5. Schrift eine tapfere Mebung fein; darıım ſollteſt du die Sprachen, Latein,
Griehifh, Hebräiſch lernen. Antw.: Es ift mir zuviel; Latein will ich mit der
Zeit lernen; auch fagt mir mein Vater, daß ich fein Pfaff werden fol. — Frage:
kiebes Kind, du magft, foniel vonnöten ift, im Hebräifchen und Griechiſchen neben
dem Latein lernen; es fürdern die Eprachen einander und machen cinen gefunden
Berkand” u. f. w.
— 10 —
vonndten fein will, in den Städten und fonderlidh in den
großen, Schulen zu erhalten” u. ſ. m Die Hallefhe Kirchen
orbnung von 1526 machte den Pfarrern und Schulmeiftern vor
Allem zur Pfliht: „Wann nun der junge Knabe die Buchftaben
fennt und ein klein wenig des Leſens berichtet ward, muß der
Schulmeifter, Prediger oder Pfarrer fleißig Acht haben auf den
Knaben, ob er zum Latein tauglid oder nicht wäre.
Wäre er zu dem Latein tauglih, jo follte er in Dem Latein
aufgezogen werden. — Man muß bod gelehrte Leute
haben in ber Stadt, auch auf dem Lande, Pfarrer, Pres
Diger, Helfer, Schulmeifter, Schreiber und Andre. — In ber
Waldeckiſchen Kirchenordnung von 1556 wird in dem Abſchnitt
„Bon den Schulen” der Zweck derfelben fo angegeben: „Dieweil
auch die Schulen nicht allein der Kirchen, fondern auch des ges
meinen Nußend Seminaria find, Darinnen man Leute zum
Kichenamt und Regiment dienlich auferziehen muß, jo
ift vonndten, auf Diefelbigen mit Fleiß zu achten. — Sin der
(Elementar⸗) Schulordnung der Stadt Stuttgart von 1501 war
befohlen: „Und jo Iateinifch reden, fchreiben und verftehn ein
grundfeftes Fundament und Weg ift, ohne den die Schüler andere
Künfte nicht wol erlangen und überfommen mögen, fo foll der
Schulmeifter mit ſammt feinen Helfern daran und darob fein mit
dem allerhöcdhften Fleiß, Daß die Schüler alle und ein jeder beſon⸗
ders lernt Iateinifch reden, jchreiben und verftehn, und in. ber
Schule und an andern Enden, wo fie bei einander find, nichts
denn nur lateiniſcher Sprache mit einander reden”. Demgemäß
befahl daher auch Herzog Ulrih von Würtemberg i. J. 1546
„zur Ehre Gottes’ und zum Nuben bed Gemeinweſens die in
den Heinen Randftädten neben den Iateinifchen Schulen beſtehenden
deutſchen Schulen abzufchaffen, weil durch Die deutjchen „die Iatei-
nischen Schulen verderbt, und viele Knaben, jo zum Latein-Lernen
und alſo zu der Ehre Gotted durch Verwaltung eined gemeinen
Nutzens geſchickt, verfäumt werden, und aber ein jeder lateiniſche
Schüler im Latein Das Deutjch- Schreiben und — Lejen ergreift.‘
Allerdings wies fchon Die Reformationdzeit auf die demnaͤch⸗
flige Entftehung eined neuen, nemlich deutſchen Schulwefens
— 11 —
in. Schon ein Zeitgenoße Luthers, Valentin Jdelfamer,
veröffentlichte ein deutſches Leſebuch unter dem Titel: „Teutſche
Grammatica, darauß ainer von jm felb8 mag leſen vnnd befs
ſelben Orthographian mangel vnnd überfluß, auch anberm vil
mehr, zu wiffen gehört. Auch ettwas von der rechten art vnnd
Einmologie der teutjchen ſprach vnnd wörter, vnnd wie man Die
dentſchen wörter in jre filben taylen, vnnd zufamen buchſtabiren fo.
Zulentin Ickelſamer.“ Das Büchlein befteht aus fünf Bogen in 8.;
weber Jahrzal noch Drudort find angegeben. &8 enthält nicht
ſewol eine Grammatik, ald vielmehr eine Anmweifung zum richtigen
Leſen und Schreiben des Dentſchen. Indeſſen bat doch aud
YEelfamer mit feinem deutſchen Lejebuche eigentlich nichts anderes
ald das Bedürfnis der lateiniſchen Schule im Auge, in welche er
bie Einübung eines regelrechten Gebrauches der deutichen Sprache
als heilfame und unerläßliche Vorbereitung für den höheren Un⸗
teriht eingeführt fehen wollte*). Unmittelbar trug daher eben-
ſewenig Ickelſamers Grammatik ald einige andere deutſche Sprach:
ihren, welche im Laufe des fechszehnten Jahrhunderts erjchies
nen **), zur Begründung eined deutfchen Schulweſens Bei.
Die Wurzeln, aus denen dafjelbe erwuchs, lagen ganz ans
derswo. Der evangelifdh«proteftantifche Geift, der ſich in ber
Kirche erhoben hatte, war e8, der mit unmwiderftehlicher Macht zur
Begründung eined Schulweſens hindrängte, dad Dem evangeli—
ſchen Chriſten als ſolchen, — ohne alle Berüdfidhtigung eines
*) Icdelfamer fagt in Bormwort feines Büchleins: „Billig ift es allen Deut
ſchen eine Schande und Spott, daß fie anderer Sprachen Meifter wollen fein und
haben ihre eigne angeborne Mutterfprache noch nie gelernt oder berftanden. —
Ran follte erft aus dem deutfchen Schüler einen Grammaticum maden, und ihn
ehren alles, was zu einer deutfhen Orthographia, Etymologia und Syntazi dienet
md das wäre fehr nütze, fonderli denen, die etwa gemeine Schreiber follten wer- .
den, oder in den anderen Sprachen hernach wollten ftudiren, dazu fie gar leichtlich
möchten fommen, wo fie zuvor ihren Berftand in einer ſolchen deutfchen Gramma⸗
tt geubt hätten.“
») von Laurentius Albertus mit dem Zunamen Oſtrofrank („Zeutfch
Srammatit oder Eprachfunft ıc.” zu Augsburg 1573 in 8. 16 Bogan), von AL.
bert Delinger („Unterricht der bochdeutfchen Sprache ꝛc, Straßb. 1574 in 8,
14 Bogen), von Joh. Elajus (in Leipzig 1578 in & 18 Bogen) u. a.
— 12 —
zu erwählenden Lebensberufes, — das alfo aud) dem armen, ber
Gelehrtenbildung ganz fremden Landmann und dem jchlichten Bür⸗
gerdmann angehörte, und das lediglich um feinetwillen, weil er
evangelifcher Chrift und Glied der Kirche war, gefchaffen werben
mufte.
Es war ein zwiefaches Intereſſe der evangelifchen Kirche,
welches hierbei in Betracht Fam. Der Proteftantiömus, der aus
dem Drange bußfertiger Herzen nach fiherem und gewiſſem Heilss
befig hervorgegangen war, und der Fatholifchen Verherrlihung und
Wertſchätzung des aͤußeren Kircheninftituts (dem gegenüber der
einzelne Chriſt nur etwas Verjchwindendes, Gleichgültiged war,)
die evangeliiche Wertſchaͤtzung des einzelnen Chriftenmenfchen, der
einzelnen Seele entgegenfeßte, muſte e8 fi notwendig zur wefent>
lihen Aufgabe machen, feine Angehörigen durch Belehrung, welche
jeder Einzelne erhielt, zu einem gewilfen und fichern Bewuſtſein
von der im Evangelium verheißenen und in der Taufe dem Eins
zelnen verfiegelten abfoluten Gnade Gottes in Ehrifto zu erziehen ;
und fodann mußte der Proteftantismus, da der Gottesdienft nicht
mehr Verrichtung des Priefterd, ſondern Gemeindegottesdienft war
vor Allem darauf hinwirfen, Daß das Gemeindeglied zur lebendigen
Beteiligung an dem Firchlichen Cult, vor Allem an dem neuen
Gemeindegefang fowie zur fruchtbaren Anhörung Der Predigt be«
fähigt ward. Aus diefer Wurzel, d. 5. 1) aus dem evangeliſch⸗
fichlihen Glauben an die den einzelnen Gläubigen in feinem
Heilsbeſitz vollkommen ficher ftellende Onadenoffenbarung Gottes
in Chrifto oder aus dem Glauben an die Volllommenheit und
Sicherheit der Taufgnade und 2) aus dem Begriffe und Bedürf-
niffe des evangelifchen Gemeindegottesdienftes ift die eigentliche
Volksſchule erwachjen. Während Die lateinifche Schule um der
überlieferten und auf fernen Höfen einhergehenden Wißenfchaft
willen, deren die zukünftigen Diener des geiftlichen und weltlichen
Regiments bedurften, begründet war, und während bie beutfche
Rechen- und Schreibjchule nur dem Berufe des Geſchaͤftsmannes,
die deutſche Madchenſchule nur dem Berufe der Hausfrau Diente,
entftand bie Volksſchule um des Chriftenherzend, um des Glaubens
an die Onabenverheißungen Gottes und um der Freude willen,
— 13 —
welche die Ehriftengemeinde in ihren Gottesdienften und Gefängen
kund giebt.
Die erfte Anregung zur Begründung oder Vorbereitung eines
evangelifchen Volksſchulweſens gewährte Luther der Kirche dadurch,
daß er dem einzelnen Bürgerd- und Bauerdmann zur eignen Er⸗
lenung der Hauptfäße der h. Schrift Anleitung gab. Luther that
died zuerſt ın einem Schriftchen, welches i. J. 1518 unter dem Titel
erfhien: „Auslegung deutſch des Vater Unfers für die
einfältigen Laien, nit für die Gelehrten, durch D.
M. Luther, Auguſtiner“. Im Jahre 1520 veröffentlichte ſodann
Luther feine „Kurze Form, die zehn Gebote, Glauben und Vater
Unjer zu betrachten‘, und hob zugleich in dem Vorwort zu biejer
weiten Schrift hervor, „daß für den gemeinen Ehriften-
menſchen, der die Schrift nicht Iefen mag, verordnet ift, zu leh⸗
ten und zu wißen die zehn Gebote, den Glauben und dad Vater
Unfer, in weldyen dreien Stüden fürwahr Allee, was in ber
Schrift fleht und immer gepredigt werben mag, auch alles, was
einem Chriſten not zu wißen, gründlich und überflüßig begriffen
ft. — Denn drei Dinge find not einem Menfchen zu wißen, daß
er jelig werden möge: das erfte, daß er wiße, was er thun und
lagen fol; zum andern, wenn er num fiebt, daß er es nicht thun
noch laßen kann, daß er wiße, wo er's nehmen, juchen und finden
jol, Damit er dafjelbige thun und laßen möge; zum dritten, Daß
er wiße, wie er ed fuchen nnd holen fol”. Indeſſen vermochten
diefe und ähnliche Schriften Luthers doch nicht ſowol den Anfang
eined neuen eigentlichen Unterrichtöwejens, als vielmehr nur einen
höheren Eifer der Einzelnen zur Grlernung der drei Hauptftüde
bervorzurufen. Aber das Feuerzeichen zum Beginne einer ganz
neuen Thaͤtigkeit der Kirche, aus welcher die Anfänge zur Be—
gründung eines eigentlichen Volksſchulweſens notwendig hervor-
geben mufte, gab Luther im Vorwort zu feiner „Deutjchen Meife
und Ordnung des Gottesdienſtes“ von 1526. Hier verkündete
Luther klar und deutlich, was der Kirche not that, indem er er-
Märte: „Wolan in Gotted Namen, ift aufs erfte im beutfchen
Gottesdienſt ein grober, fchlechter, einfältiger, guter Katechismus
vonnöten. Catechismus aber heift ein Unterridt, Damit
— 141 —
man die Heiden, fo Chriſten werden wollen, lehret
und weifet, was fie glauben, thun, laßen und wißen
follen im EChriftentum — Dieſen Unterrit oder Unter:
weifung weiß ich nicht fchlechter oder beßer zu ftellen, denn fie
bereits ift geftellt vom Anfang der Chriftenheit und bisher geblie-
ben, nemlich die drei Städe: Die zehn Gebote, der Glaube und
das Vater Unfer. In diefen dreien Stüden ftehet es fhlecht und
furz, fast Alles, was einem Chriften zu wißen not iſt“.
„Diefer Unterricht muß nun alfo gejchehen, weil man noch
feine fonderliche Gemeinde hat, daß fie auf Der Kanzel zu etlichen
Zeiten oder täglich, wie das die Not fordert, vorgeprebigt werde,
und daheim in Häufern, des Abends und Morgens den Kindern
und Gefinde, jo man fie will zu Chriften machen, vorgefagt oder
gelefen werbe; nicht allein alſo, daß fie die Worte auswendig Ier-
nen nachreden, wie biöher geichehen ift, jondern von Stüd zu
Stück frage und fie antworten laße, was ein jegliches bedeute und
wie fie e8 verftehen. — — Solche Fragen mag man nehmen aus
unferm Betbüchlein, da die drei Stüde kurz auögelegt find, oder
jelbft ander8 machen, bis daß man Die ganze Summe bes dırift-
lichen Verftandes in zwei Stüde, als in zwei Sädlein, faße im
Herzen, welches find Glaube und Liebe‘.
Naͤchſt den Schriften, welche Luther in den allererften Jahren
der Reformation veröffentlichte, Hat kaum ein Wort deffelben Die
Gemüter jo mächtig bewegt und fo rajche Erfolge erzielt, als dieſe
Erinnerung an das Bedürfnis der Katechiömen und ber „Kinder⸗
lehre“. Schon i. J. 1527 erſchien in Straßburg der „Kinderbe⸗
richt und Fragftüd von gemeinen Punkten chriftlihen Glaubens,
und ziemlich um diejelbe Zeit arbeitete Brenz feinen Katechismus
aus, der alsbald den allgemeinften Gebraudh erhielt. Im J. 1528
folgten fodanı die Katechismen von Lachmann und Gräter für
Heilbronn und von Rürer und Altbammer für Ansbad) *),
worauf Luther i. 5. 1529 feinen großen und kleinen Katechismus
erfcheinen ließ. Letzterer Fündigte fich in der Ueberjchrift felbft als
*) Diefe drei Katechismen find als die „Aelteften Tatechetifchen Denkmale der
evangel, Kirche neuerdings (1844) ven Jul. Hartmann wieder herausgegeben,
— 1 —
eine Darftellung der chriftlichen Hauptflüde an, „wie fie ein
Hausvater feinem Befinde einfältigli vorhalten foll“,
Zalreiche Katechismen andrer Verfaßer folgten den genannten balb
nach *) und die erfte Periode des deutſchen Volksſchulweſens hatte
nm, ohne daß Luther es wufte, begonnen.
In den erften Decennien dieſer Periode war die deutſche
Volksſchule indeffen nichts anderes als eine an die Katechismus;
predigten angejchloßne Tirchliche Katechifation, welche der Pfarrer
zu beftimmter Zeit mit den Kindern, ſowie mit andern Gemeinde
gliedern, namentlih Dienftboten, in der Kirche vornahbm. Die
Katechismen hießen daher gradezu „Kinderpredigt”, „Kins
derlehre“. Schon der Unterricht der Pifitatoren an die Pfarr:
bern von 1527 ſchrieb vor, daß die Pfarrer „Sonntags Nach⸗
mittags, weil bad Gefinde und junge Volk in Die Kirchen kommt“,
die drei Hauptftüde den Kindern und dem Geſinde vorfpredhen,
erflären und einprägen follten, und das Erjcheinen der Katechis⸗
men machte die „Kinderlehre” ſchon in den nächftfolgenden Jahren
fo allgemein heimiſch, daB Melanchthou diejelbe in der Apologie
der Augsburgiſchen Confeſſion ald eine eigentümliche und von der
evangelifchen Kirche allgemein mit befondrer Sorgfalt gepflegte
Frucht des Proteftantismus hervorheben konnte. Im Jahre 1581
führte Amsdorf Die Katechefen in Goslar ein; 1532 gefchah daf-
jelbe in Heflen. Kaspar Aquila, Superintendent zu Saalfeld,
ſchrieb 1546 einen Katechismus, worin er erflärte, daß er denſel⸗
ben fchon über 20 Jahre täglich zur Vesper mit den frommen
Toͤchterlein zu Saalfeld geübt babe. Alle Kirchenordnungen, bie
in den naͤchſtfolgenden Jahren entftanden, machten den Geiftlichen
die Katechifirung der Jugend zur befondern Pflicht **). Der Rat
zu Nördlingen erhöhte i. J. 1538, nachdem eben die Reformation
eingeführt war, das Einkommen des Pfarrerd Kaspar Kautz blos
u dem Bwede, Damit Derfelbe die Jugend woͤchentlich zweimal im
Katechismus unterweiſen ſollte.
Sn den Meißner Viſitationsartikeln von 1539 wurde ver-
) Bel. Schuler, Geſch. des katechet. Religionsunterrichtes ©. 19 ff.
“) Bgl. Brüftlein, Luthers Einfluß auf das Volksſchulweſen &. 140 ff.
— 16 —
ordnet, „daß auch in allewege der kleine und große Katechismus
ſammt der Litanei in der Schuͤler und Schulmaͤgdlein Gegenwart
mit Fleiß getrieben und geführt werden ſoll, in Anſehung, daß
der ganzen Chriſtenheit ſehr viel daran gelegen“; wozu in der
Meißner oder oberſächfiſchen Kirchenordnung von 1540 noch die
Vorſchrift kam, „daß, wenn die Vesper aus iſt, ein Stück vom
Katechismus dem Volke aufs einfältigſte ausgelegt werden, und,
was man am Sonntage vorgelegt hat, man den Kindern in der
Woche auf einen Tag oder zwei, nachdem der Kinder viele oder
wenige find, wieder überhören ſoll.“ Die anderen Kirchenord⸗
nungen enthielten aͤhnliche Beſtimmungen. In manchen wurde
fogar die Katechismuspredigt und die Katechefe vor der gewöhn-
lichen Predigt faft bevorzugt. Nach der preußifchen Kirchenordnung
von 1544 follte in allen Dörfern fonntäglich eine halbe Stunde
gepredigt und darauf eine halbe Stunde der Katechismus erklärt
werben. Auf jedem der acht Dörfer des Kirchipield Travemünde
fonnte nur jeden zweiten Sonntag gepredigt werden, und dieſe
Predigt war daher jedesmal SKatechismuserflärung. Cbenfo ritt
der vierte Diaconus zu Wittenberg, „der fonderlich zu der Bauern
und Bauersfinder Katechiömo verordnet ift”, auf die Dörfer, nur
um die kirchlichen Katechejen zu halten *).
Auf den Dörfern wurden die -Eirchlichen Katecheſen zumeift
um zwölf Uhr vorgenommen; in den Städten Dagegen verwenbete
man jowol Morgen» ald Abendftunden zu denjelben. In Nord⸗
beim und in den meiften andern Städten fanden die Uebungen
im Katechismus nad dem DVespergotteöbienfte, dagegen in Bre-
men, in Hal und an andern Orten in früher Morgenftunde ftatt-
In Wittenberg war die Frühpredigt bejonders für das Gefinde
beftimmt.
Sindeffen mufte es doch ſchon Die erfte Erfahrung, welche
man an ber Firchlichen Katechefe und deren Erfolgen madıte, Elar
erweijen, Daß diefelbe für ihren Zweck nicht genügte. Man dachte
anfangs, daß Das, was die firhlichen Katechifationen und Uebun-
gen zu münfchen übrig ließen, durch den Einfluß der elterlichen
) Witt. 8-0. von 1533,
— 17 —
Erziehung bewirkt und erjeßt werben koͤnnte. Quther jelbft ver-
langte, daß die Hausväter und Hausmlütter Kinder und Geſinde
im Katechismus fleißig unterweifen follten, und die Geiſtlichen
wurden angehalten, ihren Semeindegliedern dieſe Pflicht auch von
der Kanzel herab recht Häufig einzufchärfen. Aber die Unwißen-
heit oder Gleichgültigkeit fo vieler Väter und Mütter war der
kirchlichen Wirkſamkeit eher hinderlich als förderlich. In den
Städten war allerdingd auf anderem Wege fchon Hülfe zu. be
Ihaffen, indem in den lateinifchen Schulen ganz ebenfo wie in
ben deutſchen Mädchen» und Bürgerfchulen die Einübung des
Katechismus ald Hauptaufgabe des Lehrers galt. Die kurſaͤchſi⸗
hen Generalartifel von 1557 verorbneten, daß Eltern, welche
ungelehrt wären und Niemanden im Haufe hätten, ber lejen
fönnte, einem armen Schulfnaben etwas geben follten, Damit er
ihrem Geſinde den Katechismus und die kirchlichen Geſaͤnge ein-
übe. Ueberhaupt aber jollten die Hausväter fleißig ermahnt wer-
den, ihre Finder, Knaben und — „da Sungfrauenfchulen gehalten
werden” — Maͤdchen zum Beſuch der Schule anzuhalten, wo fie
für fih und auch Andern zum Nutzen den Katechismus Iernen
önnten. Sn vielen Städten bildete fi hieraus die Sitte, Daß
der Pfarrer die „Kinderpredigt” hielt, während Die Repetition,
die eigentliche „SKinderlehre” von dem Schulmeifter mit den Kin⸗
dern, aber in der Kirche, vorgenommen wurde. In Schweinfurt
. ©. bielt Sonntage um zwölf Uhr ein Pfarrer die Katechismus:
predigt für Die Kinder, worauf der Schulmeifter an einem Wochen⸗
tage nach der Vesperpredigt katechiſirte. In Würtemberg
muften die Schulmeifter den Kindern in der Schule den Katechis⸗
mus vorbereitungsweife einüben, Damit bie Firchlichen Katechiſatio⸗
nen bes Pfarrers für Die Schüler um fo fruchtbringender werben
fönnten.
Das Alles ließ fich alfo recht gut in den Stäbten ausfuh⸗
mm, wo man Schulen und Schulmeiſter hatte; aber für die
Dörfer war nichts hiervon anwendbar, weil bier weder Schulen
noch -Schulmeifter vorhanden waren. Und doch war gerade auf
dem Lande eine Unterftügung des Pfarrers in der Erteilung des
Rıtehismmsunterrichted um jo nötiger, als der Dorkpfarter , ver
2
— 18 —
eine ganze Anzal von Ortfchaften geiftlih zu pflegen hatte, noch
weit weniger in der Lage war, allen jeinen Pfarrfindern einen
ausreichenden Unterricht zu erteilen, ald der Stadtpfarrer. Der
Pfarrer auf dem Lande bedurfte alfo eines eigentlichen Helfers
ober Dienerd, der feine Stelle vertreten und für ihn die Katechi⸗
fationen Balten konnte. Run lag e8 in ber Natur der Sache,
daß der Pfarrer diefe Hülfe zunächft bei derjenigen Perfon fuchen
mufte, welche e8 übernommen hatte, ihm in der Ausübung feines
Amtes überhaupt zur Hand zu gehen. Denn der Pfarrer beburfte
eined Dienerd, der zum Beginne der Gottesdienfte Die Glocken
läutete, ber den Kirchengejang dirigirte, die Opfergaben einſam⸗
melte, die Reinhaltung der Kirche und der Firchlichen Gefaͤße be-
jorgte, der bei der Spendung der Sacramente mancherlei vorbe⸗
veitende Handreichung that, Gircularfchreiben der geiftlichen Obern
weiter beförberte, und dgl. mehr. Zur Verrichtung diefer Dienfte
war in den Pfarreien ein Opfermann angeftellt, der auch
Küfter, Kufos, Kirchner, Meßner, Glödner, oder (in
Süddeutihland) Sigrift hieß. In der Heffifchen Kirchenordnung
von 1566 wirb fol. 36 von dieſen Opfermännern gefagt: „Es jollen
auch diefelbigen gleichwie andre Diener der Kirchen eines ehrbaren und
gottjeligen Wandels fein, keine VBoljäufer, nicht unehrliche Hand⸗
thierung treiben. Es follen aber gemeldte Opfermänner durch bie
Pfarrherren und Elteſten mit Wißen und Willen eined Superins
tendenten angenommen werben.” Sn ber fächlifchen Kirchenord⸗
nung von 1533 ift der alleinige Beruf der Kirchner diefer: „Sie
ſollen die Jugend zuweilen, fonderlih im Winter, auch Die anderen
Leute Die hriftliben Geſaͤnge lehren, und diejelben in
der Kirche zur Meſſe und vor und nach den Predigten treulid
und orbentlih helfen fingen.” — Indem nun die Verbindung
mehrerer Filialgemeinden mit einer Pfarrkirche eine gewiße jubfis
diariſche Vertretung bes Pfarrerd durch irgend einen Dazu geeigne-
ten Helfer notwendig machte, konnte der Pfarrer dieſe Hülfleiftung
zunähft nur von dem Küſter erwarten, der ihm ja überhaupt als
Diener bed Plarramtd beigegeben war. So fam ed, daß der
Opfermann nicht bloß die erwähnten Dienfte zu verrichten, ſon⸗
been auch, namentlich in größeren Pfarreien, die Nebengottesbtenfte
— 19 —
zu beforgen, und namentlih als Lector (mitunter auch in dem
Hauptgottesdienften) und ald Katechet zu fungiren hatte,
Die älteren Kirchenordnungen geben großenteild darüber
Aufſchluß, wann etwa und in weldem Sinne die Bevollmädhtis
gung der Küfter zur jubfidiariichen Ausübung des Lehr- oder Kas
techetenamtes erfolgte. In der Kirchenordnung für das Lübeder
Kandgebiet von 1531 warb verordnet: „ine jegliche Dorfkirche
ſoll beforgt fein mit einem guten Paftor und Küfter. — Ein
Dorfpfarrer ſoll Dreimal in der Woche predigen, nad) Gelegenheit
der Zeit und feines Volkes. — Den Katechismum foll er fa
fleißig dem armen Volke predigen. — Der Dorfküfter foll
aud dem jungen Volke den Katehismum helfen befon-
vers lehren, nad Befehl des Pfarrers, und foll aud
fleißig dem Volke hriftlide Befänge lehren.“ — In
der Pommerſchen Kirchenordnung von 1535 heift ed: „Auf einem
jeden Dorfe ſoll ein Pfarrherr fein, der da habe einen bejcheibnen
Küfter, Der ihm helfen könne den Katechismus lehren
in ber Kirche oder im Haufe, wo es ihm der Pfarrberr
verordnet”. — Sn der heifiihen Kirchenoronung von 1537
ward geboten: „Opfermänner foll der Superintendens mit Rat,
Wißen und Willen der Pfarrheren und Pfarrfinder jedes Orts
beftellen nach Gelegenheit. Es fol aber mit nichten gelitten wers
den, Daß die Opfermänner heimliche oder öffentliche Lehre treiben,
fie wären denn bierzu tauglih von dem Superinten-
dbenten und Synode angefehen und zum Predigen ver-
ordnet”. — Die Lippefche Kirchenordnung von 1538 verorbnete
„vom Küfteramt”: „Der Küfter Amt ift nicht allein, daß fie bie
Glocken laͤuten und Kirchen fohließen, fondern vielmehr der Ge⸗
meinde Gottes follen Dienftlich fein, daß fle die Lobgefänge, jo zum
Gottesdienſte nötig find, treulich fammeln, nemlich die zehn Gebote,
den Glauben, Jeſus Chriſtus unfer Hetland, und fonft, Daß aljo
ber lebendige Gottestempel durch Geſang geiftlicher Lobgefänge,
wie Paulus lehrt, geziert werde und gebeßert, Ephef. 5. und daß
fie auch für ihre Perjon ein ehrlich, göttlich und heilig Leben, ald
auh mit den Paftoreu ein exemplar gregis führen, auch ihren
Baftoren gebürliche Dienfte leiften”. — Sodann wirb insbeſondre
2°
— 22 —
gedruckt, unverändert vorleſen und beten lehren, auch nach Gele⸗
genheit umherfragen, was ſie daraus gelernt. Desgleichen ſollen
ſie vor und nach Verleſung und Repetirung des Catechismi ihnen,
dem jungen Volke, gute, chriſtliche deutſche Pſalmen vorſingen und
lehren, und da Filiale vorhanden, ſollen ſie ſolches wechſelsweiſe,
einmal in den Hauptpfarren, das anderemal in den Filialen alſo
halten, damit die Jugend in allen Doͤrfern diesfalls nach Notdurft
unterwieſen und ja nicht verſäumt werden möge”.
Somit erhellt, daß das Lectoren- und Catechetenamt, welches
die Küfter zu verwalten hatten, im Sinne der Kirhenordnungen,
nichts andered ald eine jubfidiarifche Vertretung des Pfarramtes
fein und ſchlechthin im Namen und Auftrag bes Pfarrerd oder ber
kirchlichen Auctorität verwaltet werden folle. Zalreiche Zeugnifle
nicht blos aus dem fechözehnten, fondern aud aus der erften
Hälfte des fiebzehnten Jahrhunderts laßen und daher den Küfter
oder Schulmeifter in feiner uranfänglichen Stellung ald unterges
ordneten Gehülfen des Pfarrerd erkennen, der ihn Darum Schule
balten und ihn katechiſiren läft, weil ber Schulmeifter tiberhaupt
dienende Organ des Pfarramtes tft.
Nach amtlichen Berichten über die YZuflände und Einrichtune
gen in ber heſſiſchen Kirche (aus der erften Hälfte des 16. Jahr⸗
hunderts) war 3. ®. der Schulmeifter zu Naftädten in der Nies
bergrafihaft Kapenelnbogen verpflichtet (1610, 1620), „baß er
den Pfarrherrn daſelbſt und auf den Filialen vertreten hilft“.
Zu Abterode in Nieberheffer, wo ber Schulmeifter fogar ben
Kelch bei der Abendmalsfeier adminiftrirte, erfchien derſelbe durdh-
aus als Kaplan des Pfarrerd. Anderswo (namentlih in Ho8pi-
tälern) finden wir den Schulmeifter fogar im Beſitz eines felbftän-
digen Lectorenamtes. Sp heiſt e8 z. B. von dem Schulmeifter
zu Grünau bei Altenberg: „Er verrichtet im Klofter Grünau
das Morgens und Abendgebet in der Kirche, wie er dann auch
aus ber Bibel, wenn die Brüder eßen, etliche Kapitel liſet“. —
Bon ber Lehrerftelle zu Struth in ber Herrſchaft Schmalkalden
erzält Geishirt in feiner Chronik: „Diefer Schuldienft ift deshalb
bor andern jo mühſam, weil der Schuldiener alle Sonntage den
Einwohnern vorlefen muß, auch ſich Feines Predigers Hülfe
— 23 —
u getröſten bat, es ſei denn, daß das h. Abendmal adminiſtrirt,
und eine Hochzeitpredigt gehalten wird, oder ein junger Student
exercitn gratia ſich hören laͤſt“.
Bon dem Schulmeiſter zu Niddawitzhauſen bei Eſchwege heiſt
eb (um 1650): „Er muß die Kinderlehre zu Niddawitzhauſen im
Sommer einen Sonntag um den andern, im Winter aber, wenn
die Tage kurz find, alle Sonntage allein halten. Die anderen
Sonntage im Sommer, wie auch in der Faftenzeit iſt der Pfarrer
ſelbſt dabei“. — Der Schulmeifter zu Schlierbady in Nieberheffen
mufte allfonntäglic in Ellnroda Betftunde halten, und zwar, ehe
daſelbſt ein Schulhaus gebaut wurde, in ber Wirtsſtube des
Wirtshauſes, wofür er 1 Alb. und einen Trunk Brantwein er
belt.
Bon dem Schulmeifter zu Ulfen heift e8, er müße „alle
vierzehn Tage (nad) Wölferode) hingehn, das Evangelium fammt
Auslegung Iefen, auch bie Kinder ben Catechismum lehren“.
Aehnlich berichtet der „Schulbiener” Georg Kaifer zu Frieda in
der Werragegend (1655) über feine bienftlihen Zunctionen: „Wenn
der Pfarrer dieſes Orts auf den Sonntag wegen anderer Bejchäfte
(denn er bißwellen in der Stadt oder auf dem Schloß predigen,
oder Doch, wie es vielmald kommt, daß etwan große Waßer wer:
den,) er felber nicht Fonımen kann, alddann muß idy den Gotteds
dienft verrichten; erftlich mit dem Belang, und dann den Eingang
md da8 Evangelium und Die ganze Predigt aus des Herrn Sus
perintendenten Theophili Neuberger Poftilla verliefen, und dann
folgends um elf Uhr die Kinderlehre halten”.
Aus dem Obigen erhellt, daß der Küfter in Gemäßheit ber
Kirhenorbnungen an der Stelle und im Namen des Pfarrers das
RKatechetenamt teilweife zu verwalten hatte. Mit Diefer Ermweites
rung bed Kirchendieneramtes war nun allerdings der Weg zur
Begründung des eigentlichen Schulmeifteramtes und zur Grrichtung
des Dorf- und Volksſchulweſens fchon mwejentlich gebahnt. Wber
eine eigentliche Schule des Küfterd war Doch noch nicht vorhanden.
Die Katechifirübungen des Küfterd waren, wennſchon fi) derjelbe
vorzugsweife mit der Jugend beichäftigte, doch weſentlich kirchliche
Grmeindefatechijationen, die in ber Kirche im Zufammenhange mit
— 14 —
den regelmäßigen Gottesdienften ebenfo von ihm wie von dem
Pfarrer vorgenommen wurden. Zur Errichtung einer eigentlichen
Schule bedurfte es eines befonderen Impulſes, und dieſer ergab
fich innerhalb der Deutfch=evangelifchen Kirche einerfeit8 durch Die
allmähliche Einführung der Sonfirmation und anbrerjeitS durch
das Auseinandergehn der Iutherifchen und reformirten Gonfeffion.
Bei der Gonfirmation follte der junge Chrift im Angefichte
Gottes und der Gemeinde ein beflimmtes und fichered Zeugnis
davon ablegen, daß er fich mit klarer Erkenntnis des neuteftament-
lichen Heiles zu Gottes Taufbunde befenne. Es ergab fich daher
das Bedürfnis, den Konfirmanden nicht allein an den gewöhnlichen
kirchlichen SKatechifirüäbungen Zeil nehmen zu laßen, fondern ihn
burch einen ganz bejonderen Gonfirmandenunterricht hierzu vorzu⸗
bereiten. j
Für die heifiihe Kirche z. B. (in welcher die Eonfirmation
Schon durch Die Kirchenordnungen von 1537 und 1539 angeordnet
war) wurde in der Agende von 1566 fol. 144 £. b. beftimmt: ‚Wenn
nun gemeldte Fefte herbeikommen, erwählen ihnen die Katedhiften,
d. i. die Lehrer der Kinder, etliche Wochen zuvor, nemlich fünf
oder ſechs, ſolche Kinder fo fie achten vor andern geſchickt fein Die
Bekenntnis des Glaubens zu thun und den Gehorfam der Kirchen
zu verſprechen. Dieſelbigen fordern fie vor fi) auf Die Tage, auf
welchen man pflegt den Katechismum fleißig zu üben, und fragen
fie fleißig in allen Hauptartifeln des gemeldten Katechismi; und
wo es ihnen etwa fehlt, unterrichtet man fie gütlih und freund»
ih, erklären ihnen auch den Brauch der Lehre, daß fie verftehn
mögen, was von ihnen gefordert, und was fie fich verfprechen follen.
In dieſer Zeit feiern die Eltern Daheim auch nicht; desgleichen,
wo Schulen find, die Schulen” *),
Sobald indeffen ein eigentlicher. Gonfirmandenunterricht (ge⸗
wöhnlid „Rinderlehre” genannt,) eingerichtet war, mufte es ſich auch
herausftellen, daß derſelbe nur dann den rechten Erfolg haben
*) Natürlich Tonnen bier unter den „Katediften” nur die Küfter, etwa mit
Einfluß der Pfarrer und Diaconen gemeint fein. Außerdem ift zu beachten, daß
die Katechiften bier von den Schulmeiftern unterfchieden werden.
— 25 —
fonnte, wenn die Kinder durch vorgängigen Unterricht im Leſen
und Schreiben, in ber Katechismus⸗ und Bibellehre, im Singen
und Beten unterwiefen waren. Denn der Confirmandenunterricht,
den der Pfarrer gewöhnlich vom Anfange der Faftenzeit an erteilte,
dauerte nur wenige Wochen. Gine Vorbereitung für den Beſuch
defielben war alfo durchaus notwendig. Gradeſo wie in den la
teiniſchen Stabtfchulen die Incipienten deutſch leſen Ternen muften,
um die lateiniſche Grammatik u. |. w. gebrauchen zu können, —
gradefo muften die Pfarrſchüler deutſch leſen Iernen, um in der
Linderlehre Bibel und Latechismus gebrauchen zu können.
Hierzu kam noch ein zweites Intereſſe, welches bie Errich⸗
Img eigentlicher Volfsfchulen oder hriftlicher Pfarrgemeindefchulen
mtwendig machte, nemlich dad confeffionelle Intereſſe. Seitdem
nemlich einerfeitö der Heidelberger Katechismus und andrer-
feitö die Soncordienformel publizirt und dieſelben in zalreichen
Territorien des evangelifchen Deutfchlands als Kirchenbefenntnifje
estorifirt waren, hatte ſich die Kirche der Augsburgiſchen Con⸗
feffion in zwei fcharf abgegrenzte und fich jchroff einander gegen-
über ftehende Kirchenkörper, nemlich in eine Iutherijche und in eine
teformirte Kirche gefpalten. Beide Kirchen hatten durch Annahme
md durch Zurückweiſung des Heidelberger Katechismus und der
Soncordienformel ihr Bekenntnis präcid und beftimmt gegeneinan-
ber außgefprochen, und jede derfelben hatte nun das Bebürfnis, ihr
Bekenntnis in den ihr angehörigen Gemeinden mehr und mehr zu
befeftigen und den Gemeinbegliedern zum Bewuſtſein zu bringen.
Diefed war aber nur durch Errichtung von Schulen möglih, in
denen ben Kindern der Katechismus frühzeitig und regelmäßig ein-
geübt wurde, und auf biefem Wege erwuchs einerjeitd aud dem
Bedürfniſſe des Gonftrmandenunterrichts , beziehungsweife aus dem
proteftantifchen Antereffe an der Lehre von ber Taufgnade, ander
terfeit8 aus dem confeflionellen Intereffe Die eigentliche Volksſchule,
deren Einrichtung natürlich niemandem anders als dem Küfter,
dem bisherigen Gehülfen des Pfarrers in der Erteilung des kirch⸗
lichen Katechismusunterrichtes, zufiel.
Am früheſten erfolgte auf dieſem Wege die Einrichtung von
Volksſchulen in demjenigen Lande, welches auch am früheſten hen
— 26 —
Iutberifch-confeflionellen Charakter repräfentirte, nemlih In Wür—
temberg. Indeſſen bejchränfen wir uns bier darauf, nur bei
den beiden bedeutendſten evangelifchen Ländern des Reich nachzus
weifen, daß ed das confeflionelle Intereſſe war, welches Die Er⸗
richtung eines der ganzen Landeskirche in allen ihren Pfarrgemein-
ben angehörigen Volksſchulweſens veranlafte; wir meinen nemlich
die beiden Kurftaaten Sachſen und die Pfalz).
in Rurfachfen waren vor dem Jahre 1580, in welchem bie
Concordienformel publigirt wurbe, eigentliche Dorfe und Volksſchu⸗
len noch nirgends vorhanden. Dieſes erhellt 3. B. aus der ns
ftruction, welche Kurfürft Auguſt von Sachfen den Superintendens
ten des Landes zur Vornahme regelmäßig wieberfehrender Viſita⸗
tionen unter dem 24. uni 1577 erteilte. Won Dorffchulen ift
hier noch Feine Rede **. Die PVifitatoren follen jeden einzelnen
Pfarrer nur fragen: „ob er auch den Katehismum Dr. Luthers,
*) Um fofort zu zeigen, daß das, was bier ın Betreff Kurfachfens und der
Kurpfalz nachgewiefen wird, auch don andern und zwar entfernteren deutfchen Lan-
den gilt, wird bier daran erinnert, daß in Preußen die Errihtung von Volksfchulen
ebendamals zuerft angeordnet wurde, als dafelbft in dem Corpus Prutenicum
das Quthertum im Gegenfab zum Melandhthonifchen Lebrbegriff Tymbolifirt worden
war. (Vgl. meine Gefchichte des deutichen Proteftantismus, B. Il. S. 232-233.)
In der preuß. K. O. von 1568 murden nemlic die Biſchöfe angewiefen, „daß
fie bei den Städten, auch ziemlichen Kirchen auf dem Lande anhalten, damit die
Schulen wol beftallt und verfehen werden” und den Bauern wurde geboten, von
jeder Hufe Landes jährlih 8 Schillinge Schulmeiftergeld zu zalen.
) Auch aus folgender Nachricht geht hervor, daß um jene Beit in Oberfady-
fen zwar von einer „Kinderlehre”, aber nicht von einer „Schule“ des Küfters die
Nede war:
Georg Dering nemlih, Pfarrer zu Großzfhelbah, im Etifte Zeiß. bat in
das der Kirche dafelhft gehörige Corpas doctrinae von Melanchthon folgendes
buchftäblich aufgezeichnet: der Kirchner aflhier, Mofes ift zu ftolz zu einem Kirchner,
Item, er ift zu viel zu einem Bauer und zu wenig zu einem Edelmann. Ich,
Georg Dering, gewefener Paftor alihier zu Zſchellbach, habe einen fieten Verräter
on ihm gehabt, der mein Amt und Perſon in Schimpf und Hohn geftürzt und
mich ftets übel und läfterlich ausgerichtet, als einen armen verlebten Mann. Id)
bin faft drey und zwanzig Iahre allhier geweſen. Sein Lebtag hat er der Jugend
nicht geachtet, noch Winter und Sommer feine Kinderlehre gehalten. Solches foll
fein Lob bleiben, von mir &. D. verzeihnet die omnium sanctorum im 3. 1572,
— 97 —
m was Zeit und mit wad Ordnung, halte, denſelbigen prebige,
und bei den Kindern und Haudgefinde, Knechten und Mägben
treibe” ; „ob er auch jährlich der Ordnung nach in den Faften mit
allen Kindern, Knechten und Mägden das Examen halte”; „ob
ie Eltern ihre Kinder und Hausgefinde nicht fleißig zu dem Ka⸗
techismo fchiden, und da etlihe Eltern unfleißig, ob er fie ber
Ordnung nad) zum Fleiß ermahne, ob er bei ihnen Nutzen ſchaffe,
und bei welchen folches nicht eriprießen wolle”. — Nur von Ia
teintichen Schulen, an denen nebenbei auch „deutſche Schulmeifter
mb custodes“ find, wird geſprochen. — Dagegen zeigt die brei
Jahre fpäter aufgeftellte kurſaͤchſiſche Kirchenorbnung, wie mit Eis
nem Male die Küfter zu Schulmeiftern wurden. Die Kirchenorb«
mung von 1580 verordnet nemlich: „es follen auch alle Custodes
md Dorflüfter Schule halten, und derjelben täglich mit allem
Fleiße vermöge der Ordnung abwarten, barinnen (follen fie) bie
Knaben lehren Iefen, ſchreiben und Kriftlide Befänge,
je in der Kirche gebrqucht werben follen, darauf der Pfarrer fein
fleißiges Aufſehen haben und das Volk mit Ernſt dazu vermahnen
ol. Wöchentlich fol jedes Schulfind 2 Pfennige Schulgeld ber
len. Bei den Kirchenvifitationen fol dem Küfter vor Allen die
Frage vorgelegt werden: „ob er vermöge unfrer Ordnung Die
Schule angeftellt und alle Tage aufs wenigfte vier Stunden
Säule halte, befonderd aber den Katechismum die Kinder mit
Fleiß in der Schule Iehre, und mit ihnen Dr. Luthers geift-
ide Befänge und Pſalmen treibe”.
In der Kurpfalz gab die Publicirung des Heidelberger
Kıtehismus und die damit zufammenhängende Kirchenreform von
1562 die erfte Veranlaßung zur Einrichtung von Volksſchulen,
durch welche in dem Herzen des Zurpfälzer Volkes der Heibelber-
ger Katechismus und deſſen Lehre heimifch gemacht werben follte.
Auf einer Synode zu Heidelberg i. 3. 1563 wurde nemlich be
ſchlohen, es follten in Zukunft mit Genehmigung der Superinten-
deuten nur folche Glöckner angeftellt werden, welche befähigt wären,
„daß fie Die Kinder den Katechismum lehren“ ; auch follte in jeder
Stadt ein Haus für eine Mägdleinfchule gebaut und für biefelbe
die nötige Dotation beſchafft werben, damit die Wägblein ben
— 28 —
neuen Katechismus lernen und in der Kirche aufſagen koör
Zugleih wurde e8 allen Obrigfeiten und Eltern zur Pflid
macht, die Kinder zum Katechismus anzuhalten. Aber freilid
gingen Decennien, ehe der Beſchluß der Synode zur Ausfü
fommen Eonnte; denn erft i. J. 1593 dachte man ernftliche
ran, wenigftens in der Stadt Heibelberg beutjche Schulen ;
richten.
Nachdem ſich nemlich Kurfürft Friedrich IV. von der
durch eine in dieſem und dem vorigen Jahre in allen Si
und Dörfern des Landes angeftellte Vifitation (in welcher
mann aus dem Katehismus examinirt und über feine Nelig
fenntniffe protocollarifch vernommen wurde,) fi) von der im
zen Volke herrjchenden Unwißenheit überzeugt, und Die Einric
außerordentlicher Fatechetifcher Uebungen für alle Pfarreien
Landes befohlen hatte, erließ derſelbe zugleich eine Reihe won
ordnungen, wodurch zuerft in Heidelberg ein eigentliches, vor
weife zur Einübung des Katechismus beftimmtes, Volksſchul
gefchaffen wurde. Er erließ nemlich in dem Abſchied, welches
Beendigung der mit der Hofdienerfhaft und der Bürgerſche
Heidelberg vorgenommenen Katechismus: Prüfung aufgeftellt
den Befehl (1. Dechr. 1593), daß fofort in jedem Quartie
Stadt eine Knaben- und eine Mägdleinfchule errichtet werben
Die Befoldungen der hierzu anzuftellenden Schulmeifter und €
frauen follten, um den Armen den Schulbefuc zu erleichtern
der Hoffaffe gezalt werden. Jedes Schulfind follte vierteljä
nur zwei Baben Schulgeld zalen. Jede Schule follte von
Pfarrer wöcentlih, von ben Sirchenräten mit Buziehung
ſtaͤdtiſchen Ratsverwandten halbjährlich vifitirt werden. Zu
wurden die Eltern ermahnt: „weil fie nicht wißen fönnen, ol
Kinder der Zeit eben an evangelifchen Dertern, wie fie jeßt,
ben fein Eönnen, fo follen fie diejelben darum befto Lieber
lernen laßen, damit auf den Fall, (daß) fie das liebe Wort
te8 derojelben Enden alsdann nicht hätten, dafjelbe Doch aus
Büchern felbft leſen könnten”.
Während indefien in der Stadt Heidelberg die erften Sı
zur Begründung eines Volksſchulweſens gejchahen, blieb das
+4
— 29 —
vorläufig noch ganz unberückſichtigt. In der Inſtruction für Die
geiftlihen Inſpectoren, welche Friedrich IV. unter dem 20. Juli
1601 zu Heidelberg publiziven ließ, wurde verorduet: „Ingleichen
ist er (der Inſpector) auf die Beitallung und Annehmung der
Blöcner auf dem Lande, da der Gemeinde ſolches Glodenamt zu
beftellen, Achtung haben, damit zu folchem Dienfte nicht unehrbare,
fondern ſolche Leute, Die eines aufrichtigen, ehrbaren Wandels,
ah dem Pfarrer in SKirchengefchäften allerdings gemwärtig und
gehorſam find, foviel möglicd) gezogen und aufgenommen werben”.
"1 — Bon einer Verpflichtung der Glödner zum Schulhalten war
I woch gar nicht die Rebe. Vielmehr mar die fatechetifche Unter-
weifung der jugend noch lediglih Den Pfarrern überlaßen. —
Er von den naͤchſtfolgenden Jahren an kamen bier und da auf
dem Lande Schulen zum Vorſchein. Das alte Kirchenbuch der
Gemeinde Sandhofen in der Kurpfalz 3. B. nennt von 1577 bis
1610 nur einen Glöckner, der dem Pfarrer und der Gemeinde
zu Dienften ftand, und bezeichnet denſelben erft von 1610 an als
Shulmeifter”).
So wie bier, wurde nun überall der Küfter, der früher nur
old untergeorbneter Gehülfe und dienender Stellvertreter des Pfar-
terd in Der Leitung der Firdhlichen Katechijationen, in der Vorbes
teitung der Gonfirmanden und in der Verſehung des Lectorenams
te8 thätig gewefen war, eigentliher Schulmeifter. Aber das
neu gewonnene Amt war nichts ald die Erweiterung des urfprüng-
lichen SKirchendieneramtes. Aus dem Bebürfniffe der Kirche, des
Pfarramtes, bes kirchlichen und gottesdienftlichen Lebens heraus
geboren, konnte das Amt des Schulmeifterd gar nicht ohne das
Amt des Pfarrers gedacht werben **). Das Pfarramt war bie
) Haug, Geſch. der Redarfchule in Heidelberg, ©. 17.
) Aus diefer wefentlihen Bufammengehörigteit von Schule und Pfarramt
ellärt es fih z. B. auch, daß die Schule des Heffen-Kaffelfhen Grenzdorfes
Gomplar bis 1787 nicht dem Marburger, fondern dem Darmſtädter Kirchenregi-
ment unterworfen war, weil fie zu der Darmſtädtiſchen Pfarrei Bromstirchen ge-
hörte, — ein Berhältnis, das fi) auch in anderen Grenzorten in ahnlicher Weiſe
— 30 —
eigentliche Lebenswurzel, aus weldher das Amt des Volksſchul⸗
meifterd als natürliche und notwendige Frucht deſſelben hervorge,
trieben war; denn die Beflimmung bed Schulmeifteramted war
feine andere, als die, Daß die Jugend durch bafjelbe für den Ge
nuß des paftoralen Natechumenenunterrichte® und zur Teilnahme
an dem gottesdienftlichen Gemeindeleben vorbereitet, alfo durch
die Kirche für die Kirche erzogen werden follte.
In vielen Gegenden gewöhnte man fich alsbald das Unter⸗
richtsinſtitut des Küſters als „Schule” zu bezeichnen. Aber im
Allgemeinen gehörte Name und Begriff der „Schule“ bis über das
erfte Viertel des fiebzehnten Jahrhunderts hinaus fo ausſchließlich
der lateinifchen Stadtjchule an, daß man den Vorbereitungsunter-
richt, den der Küfter für die Konfirmanden erteilte, weſentlich als
unter den Begriff der kirchlichen Katechifationen, nicht aber als
unter die Kategorie der Schulen gehörend betrachtete. Erſt von
ber Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts an pflegte man ben Küfter,
wenn er Schule hielt, allgemein ad Schulmeifter zu be
zeichnen.
$. 2.
Die Berhaffenheit des Volksſchulweſens in diefer Periode.
Wo in dieſer Periode deutſche Volksſchulen vorkamen, er-
ichienen Diejelben, eines in den Ginrichtungen bed Staates und
der Kirche und überhaupt in dem Organismus des öffentlichen
Gemeinweſens geficherten Beftandes noch entbehrend, weſentlich als
Verſuche, welche man machte jo gut es gehn wollte, und welde
im Gange blieben, fo lange die Gunft der Verhäliniffe ihnen fürs
derlich war. Allerdingd wurde die Zal und Einrichtung der Deuts
ſchen Schulen in den Städten überall durd die Drtdobrigfeiten
mehr und mehr geregelt; dagegen auf dem Lande Eonnten nır da
Schulen eingerichtet und im Gange erhalten werben, wo ſich ein
Küfter befand, der lefen und fchreiben konnte und ſich zum Schul:
halten bereit erflärte, und wo zugleich Die Bauern geneigt waren,
dem Küfter ihre Kinder zur Schule zu fchiden, und den Gehalt
des Küfters für die übernommene neue Mühmwaltung zu erhöhen.
— 31 —
Bar der Küfter zur Uebernahme des Schuldienfted nicht geeignet,
fo war die Frage, ob der Pfarrer des Orts, oder ob fonft Je⸗
mand geneigt war, die Kinder während der Wintermonate im Les
fen, vielleicht auch im Schreiben zu unterrichten und ihnen den
Katechismus memoriell einzuüben. Die beiden weſentlichſten Be
dingungen eines georbneten Schulweſens, nemlich dad Vorhanden-
fein von Anftalten zur Vorbereitung lebrfähiger Schulmeifter und
eine geſetzlich ausgefprochene und mit Strenge aufrecht erhaltene
Schulpflichtigfeit der Kinder fehlten. Daher laßen es die zalrei-
hen obrigfeitlihen Verorbnungen vom Ende des jechdzehnten und
vom Anfange des fiebzehnten Jahrhunderts, welche die Errichtung
von Schulen auf den Dörfern wie in den Städten geboten, in
der Regel nur allzubeutli wahrnehmen, daß fie nichts als fromme
Wünſche waren, an deren fofortige Verwirklichung die Obrigkeiten
jelbR nicht glaubten. Da, wo die Verhältnifje bejonders günftig
waren, brachte man im glüdlichften Falle ein Schulwejen zu Wege,
wie es am Ende des fechszehnten Jahrhunderts in Straßburg
beftand.
Neben den zehn Klafien der Iateinifchen Schule waren bier
beutfche Pfarrichulen für beide Geſchlechter vorhanden, in welche
bie Schulfinder mit ihrem Pfalter, Evangelienbuch und Katechis-
mus wanderten, um bei ihren „Lehrmeiftern” und „Lehrfrauen“
leſen, fingen, beten und etwa noch rechnen zu lernen. Auf dem
Lande hatten „in etlichen Flecken“ die Pfarrer felbft oder deren
Sigriften in ähnliher Weife deutiche Schulen eingerichtet. Die
Straßburger Schulordnung von 1598 giebt (unter dem Titel „Von
ben Pfarrſchulen“) über diefe Schulen in der Stadt und auf dem
Kunde folgende Nachriht: „Neben den zehn Classibus und Den
Professionibus, zu unfrer Academie gehörig, wird auch bei einer
jeden Pfarrei eine befondre Schule für junge Knäblein und Täch-
terlein gehalten, welche man nicht allein deutſch lefen und fchreiben,
wie auch bisweilen rechnen lehrt, fondern vornehmlich den Kat e⸗
chismus und hriftlide Gebete mit ihnen treibt und fie im
Kirche ngejang übt”. Die Lehrer und Lehrerinnen wurden
angewiejen, die Kinder auch außer Dem Haufe, auf den Straßen
und in der Kirche zu überwachen und fie zu einem chriſtlichew
— 32 —
Wandel zu erziehen. Die Pfarrer ſollten die Schulen fleißig viſi
tiren. — Sn Betreff der Dorfſchulen heiſt es nur: „Dieſer
Ordnung ſollen auch nachkommen die Sigriſten, welche au
dem Lande in etlichen Flecken beſondre deutſche Schulen halten
desgleichen auch die Pfarrer auf dem Lande, welche aus Mangel
tauglicher Sigriſten ſelbſt die Jugend unterweiſen und mit ihnen
Schule halten müßen.“ —
Faſt alle Schulen, welche damals entſtanden, waren nicht in
Dienſtwohnungen der Küſter (die nur in geringer Anzal vorhan—
den waren,) jondern in Privatwohnungen, — auf den Dörfern,
oft in den elendeften Hütten — domicilürt, in denen die Schul
finder enge eingepfercht mit Der Familie und mit dem Viehftant
des Schulmeifterd zufammen waren. Sin der Stadt pflegte dei
Schulmeiſter die Schulfinder auch während des Sommers in dei
Schule zu erwarten, obgleich dann nur fehr wenige Kinder kamen;
auf dem Lande Dagegen galt der Schulunterricht weſentlich nun
als Winterbefchäftigung, indem während des Sommers der Küfter
ſowol als die Schuljugend auf dem Felde, im Garten und im
Haus fi nüßlicher beſchaͤftigen zu koͤnnen glaubten,
Der Beitand der Mädchenfhulen in den größeren
Städten hing durchaus von dem Belieben der „Schulftau” oder
„Lehrfrau“ und von der Willkür der Eltern ab, die ihre Töchter
zur Schule fchiden und aus derfelben zurüdnehmen fonuten, wann
fie wollten. Ohnehin war nur in den Städten bad Bebürfnis
von Töchterfchulen fühlbar, welche für Die weibliche Jugend der
höheren Stände daſſelbe leiten follten, was die Schreib- und
Rechenſchulen, die fich aus dem Bedürfnis des bürgerlichen
DBerufölebens geftalteten, dem zufünftigen Bürgers: und Geſchaͤfts—
mann leifteten. Bugenhbagens eifrige Bemühungen, in allen
Städten Norddeutſchlands weibliche Schulanftalten ins Leben zu
“rufen, hatten nur geringen Erfolg, — weil es vor Allem an
Lehrerinnen fehlte. Da aber, wo Toͤchterſchulen beftanden, waren
Die Lehrerinnen derfelben gewöhnlich Witwen, unglüdliche Frauen,
auch wol gemwejene Nonnen, die feinen andern Weg des Broter-
werbs zu erwählen hatten. Es erklärt fich Daher, daß von Diejen
Schulfrauen nod) weniger geleiftet wurde, ald von den Schulmeiftern.
— 33 —
68 kommen Klagen darüber vor, daß bie Schulmeiſterinnen bie
Binder „unnüge, altvettelifch-beghinifche" Dinge lehrten *).
Der Begriff der Schulpflichtigfeit der noch nicht con⸗
frmirten oder noch nicht zur Communion zugelaßenen Kinder Fam
aur in derſelben Allmähligfeit auf, in welder das Inſtitut des
Lüfterd von dem Begriff der kirchlichen Katechifirübung abgelöft
und unter dem der eigentlichen Schule betrachtet wurde. Vorher
galt es als felbftverftändlich, Daß der Beſuch der deutſchen Volks⸗
ſchule den Parochianen nur in derſelben Weife zur Pflicht gemacht
werden Zönne wie der Beſuch des Gottesdienfted. Allerdings be
Rimmte fchon die würtembergijche Kirchenorbnung von 1559, daß
Eltern, deren Kinder während der Katechißmuslehre auf der Galle
oder im Felde angetroffen würden, mit einer Geldbuße von einem
oder einem halben Baben beitraft werden ſollte; ſonſt aber war
man erſt feit der Zeit der Kirchenfpaltung, wo Das Berfäumen
der Katechismuslehre den Verdacht Feberifcher Unzufriedenheit mit
der gefeßlichen Religionslehre und Kirchenordnung nahe legte, ernit-
liher Darauf bedacht, den Beſuch der Schule mit Strafandrohungen
zu erzwingen, — wennfchon diefe Drohungen auch jebt noch nicht
überall vorfamen und noch weniger überall vollzogen wurden.
Der in den Volksſchulen während dieſer Periode heimifche
Lehrftoff erhellt fchon aus dem, was über die Entftehung der
Schulen gejagt iſt. Ginübung des Katechismus und ber Kirchen
gefänge galt ald die eigentliche Aufgabe derfelben. Nur fehr ver:
eingelt wurden auch Rechenübungen angeftellt. — Schulbüder
waren natürlich nur in den Händen fehr weniger Schulkinder.
In Allgemeinen galten während des ganzen Reformationsjahrs
hunderts Geſangbuch und Katechismus ald Die einzigen Bücher,
die in die Volksſchule gehörten, neben denen nur noch etwa ein
Plelmbüchlein ober ein (aus Sirach, den Sprichwörtern ünd dem
Reuen Teft. zufammengetragenes) Sprüchbüchlein, auch wol bie
unter dem Xitel „Rosarium“ von dem berühmten Nector Tropen-
dorf herausgegebene Sammlung biblifcher Sprüche vorfamen. Doch
hatte (wie bereitd erwähnt worden ift,) ſchon i. 3. 1520 ein
) Brößlein & 129,
— 34 —
nachheriger Benoße Carlſtadts, Valentin Ickelſamer, ein
methodijches Leſebuch unter dem Titel „Bon ber rechten Weife
lefen zu lernen; auch deutſche Grammatika, daraus einer von ihm
jelbft mag lefen Iernen”, veröffentlicht. Hiernach follte das Leſen
ohne Buchitabiren gelernt werben fönnen. Auch erſchien noch vor
dem jahre 1526 ein vollftändigeres Lehrbuch für die Elementar⸗
Hafen und deutſchen Schulen, welches in biefem Jahre 1526
nochmal unter dem Titel ebirt wurde: „Gin Büchlein für Die
Kinder — gebeßert und gemehrt — der Laien Biblia“, worin
1) das Alphabet, die Lantbuchftaben und die ſtummen Buchftaben,
2) die drei Hauptitüde mit Erklärungen aus Luthers Schriften,
3) einige Bibelfprüche und die Ziffern von eins bis hundert ab-
gedrudt waren”). In einigen Schulordnungen (Pommerſche Mäd-
chenſch⸗O. von 1535, Würtemb,. S.⸗O. von 1559 und Saͤchſ.
S.O. von 1580) war auch die Ginübung des verbeutfchten Cisio-
Janus vorgefchrieben.
Bon Methode im Volföfchulunterricht war natürlich kaum
die Rebe.
Die Schulkinder ſetzten fich meiftend ebenfo regellos wie fie
famen in der ESchulftube zufammen, wo der Schulmeifter, der,
ohne daß er Anftoß erregte, während des Unterrichts zugleich fein
ehrbares Handwerk trieb, die Schüler nacheinander hervortreten
und fie einzeln anfagen ließ oder fie verhörte. Die Jaͤmmer⸗
(ichfeit Diefer Schuleinrichtung brachte es mit fi), Daß, wer etwas
lernen wollte, notwendig dem Beifpiele des nachherigen Goldberger
Rectord Tropendorf folgen mufte, — der bei dem Pfarrer Iefen
und bei dem Küſter feines Heimatsortes etwas chreiben lernte,
wobei er die innere Rinde von Birken ftatt des Papiers, flatt der
Feder ein Schilfrohr und ftatt der Dinte Kienrußwaßer gebrauchte *),
— Die zuerft in Würtemberg angeordnete Glaffifizirung der Schul-
finder in drei Haufen (buchftabirender, ſyllabirender und lejender
Schulfinder) fand faft nur in den Städten Nachahmung. Hin
und wieder fam ed vor, daß ein Pfarrer, der dem Volksunterrichte
) Bl. 2öf chke, die relig. Bildung der Jugend ıc. im 16. Jahrh. ©. 21.
"I ARupfopf, aa. O. 6. 31.
— 38 —
ein beſonderes Intereſſe zuwendete und ſich mit demſelben ſelbſt
beſchaͤftigte, ſich eine eigne Lehrmethode oder einen eignen Lehr⸗
plan erdachte, nach welchem er den Unterricht ſelbſt erteilte und
durch die Schulmeiſter erteilen ließ. So berichtet z. B. Lucas
Martini zu Nordhauſen im Vorwort feiner Epitome religionis
christianae von 1589: |
„Sb babe, ohne Ruhm zu melden, al&bald anfänglich die
jährlichen Gvangelia für mich genommen und aus jebem für's
ganze Jahr zwei Sprüdhlein, darinnen befjelbigen Evangelii Haupt-
Ihre verfaßet, in die Schulen georbnet, welche nun faft in das
Rebente Jahr getrieben, und neulich in vier Sprachen durch M.
Lonradum Reandrum publizirt worden. Auf dieſelbigen habe ich
alsbald eine große Menge der Sprüche und Grempel aus der
Bibel zufammen geſucht und in den Heinen Katechismum Qutheri
eingetheilt, damit man zugleich viele Sprüche wißen und verftehn
und unjere chriftliche Lehre Durch Diefelbigen wider alle Kebereien
und Galumnien erhalten könnte. Und als ich Villens gewejen, in
biefer mir befoblenen Pfarrkirche neben meinem Gehülfen zur
Besper den Katechismum aljo zu treiben und eingeführte Sprüche
und Exempel zu erklären, haben meine Kollegen und Mitarbeiter
im Herrn alsbald denjelben modum und methodum docendi in
ihre befohlene Pfarrkirche aufgenommen, und für gut angejehn,
daß die Fragen und Antworten des Katechismi neben den blofen
Beweisiprüchen follten aus demſelben stereomate catechetico ges
gen und der Jugend in Schulen auswendig zu lernen übergeben
werben, welches denn, Gottlob, nun in's 6. Jahr auch aljo eins
hellig geſchehn“.
„Dieweil wir aber befunden, daß die Kinder deſſen lezlich
wegen der Menge der Sprüche und ber Verbrießlichfeit des vielen
Abfchreibend etwas überdrüßig haben wollen werden, — haben
wir nicht allein das fonntäglihe Examen, da ihrer zwei nad) der
Besperprebigt den erklärten locum neben den zugehörigen Sprü-
chen durch Frage und Antwort wiederholet, eine zeitlang einftellen,
fondern auch darauf denken müßen, wie endlich biejelbigen Schul«
ſprüche im Katechismo etwas eingezogen und burdy ben Drud
publizirt werben möchten”.
3°
— 36 —
In dem „Bericht an den chriſtlichen Leſer von der Ordnung,
Art und Brauch dieſes Büchleins“ heißt es hierauf: „In den
Stadt- und Dorfſchulen und Kirchen ſoll man die Katechismus—
ſchuͤler, es ſeien gleich kleine Knaben und Mägdlein oder das ge:
meine Geſinde und Dienſtboten oder auch wol alte Manns- und
Weibsperſonen entweder im Sinn oder aber mit der That in Drei
Haufen teilen. Zum erften Haufen fol mau die referiren, bie
allererft anfahen, Die blojen Hauptftüde einfältig zu lernen, zum
andern Haufen diefe, welche die Hauptftüde können und nun Die
Auslegung Lutheri lernen, zum dritten Haufen dieſe, welche die
Auslegung fertig können und nun dad Examen mit den Sprüchen
zu lernen fürgenommen. So oft nun die Schuldiener, Kirchner
oder Prediger wollen ihre Kinderlehre halten, follen fie einem je-
den Haufen feine Lection zwier laut und langjam vorfagen und
darauf ordentlich ein jedes verhören: erftlich den ‚unterften, Dar:
nad) den. mittelften und dann den oberften Haufen und letzlich
wiederum jedem Theil. wenig aufgeben, damit er hernach in einer.
Stunde mit allen ‚fertig werden fönne, und fie es auf einmal
faßen und deſto beßer lernen mögen“. |
„Dieweil auch immerzu eine Perjon eher ein Ding faßet
und lernet ald die andre, follen fie im Jahr ihnen drei Wochen
auslefen, darinnen fie ein gemein Examen mit ihnen halten auf
Diefe Weife: Die Unterften follen fie vornehmen und einem jeden
infonderheit die blofen Hauptftüde nad) einander rezitiren, welche
es nicht fertig können, wieder laßen Binziehn, Die e8 aber fertig
rezitiren, bejonders fielen, und je zwei und zwei gegen einander
ftellen, die einander fragen und beantworten; welche da auch noch
übel beftehen, auch binlaßen wieder ziehn, und dann Die beften
promiscue bald hier eine Bitte, Dort ein Gebot, hier einen Artikel
u. ſ. w. fragen; welche alsdann darinnen richtig erfunden werben,
jol er fortpromoviren zu dem nädhften höheren Haufen. Alſo
fol er in specie auch mit denen thun, welche tie Auslegung ler-
nen, und dann desgleicdyen mit denen, die dad Examen fürgenom⸗
men; die andern aber, die. noch nicht fertig beftehn, bei ihrem
Haufen bleiben laßen, und Das folgende Jahr bei ihnen anhalten,
daß jie auch nachher fommen mögen. Damit auch die langjamen
— 37 —
angereljt werben, deſto lieber zu lernen, ſollen ſie die fleißigen
loben“.
Zur Ermunterung der Schuljugend wurden hin und wieder
eine Belohnungen an beſonders lobenswerte Schüler geſpendet,
, 2. in Würtemberg und Nördlingen ein Stüdchen Geld oder
en Semmel. In den Straßburger Landgemeinden und anderswo
waren ſolche Spenden bei den Prüfungen üblich.
Die Handhabung der Disciplin war ganz fo, wie fie in den
lateiniſchen Schulen üblih war, — denn in Diefem Stüde allein
vermochten die fchulbaltenden Küfter die Iateinifchen Präceptoren
ohne Weitered nachzuahmen, — in die Volksſchulen übergegangen.
Unaufhaltſames Prügeln, Schimpfen, Drohen, Fluchen, Vorwerfen
förperliher Gebrechen u. dgl. galt als das wirkfamfte Mittel der
Dieciplin, der Belehrung und Erziehung, weshalb die Schule in
der VBorftellung des Volkes und vor Allem der Schulkinder durch⸗
aus ald Zuchtanftalt, in der nur Brutalität und erbarmungslofe
Härte zu Haufe war, aufgefaft wurde. Ale Schulordnungen
machten ed daher — aber vergebens — den Präceptoren und
Schulhaltern zur Pflicht, fi der herkömmlichen ganz unmenjch-
lichen Disciplin zu enthalten,
Die Eßlinger Schulordnung von 1548 verfügt: „Der Lehrer
joU feine Schüler nicht an den Kopf fchlagen, fie weder mit Taßen,
Schlappen, Maultafhen und Haarrupfen, noch mit Ohrumdrehen,
Rafenfchnellen und Hirnbatzen ftrafen, feine Stöde und Kolben
zur Büchtigung brauchen, fondern — — allein ihnen das Hinder⸗
teil mit Ruthen ftreichen“. Ueber Die Lehrer zu Bafel wurde
geflagt (echter, Befchichte des Schulweſens in Bafel von 1589
bis 1733, ©. 33): „Nicht andere ald mit Schrauben, Poden,
Balgen, mit Schlägen, Zupfen, Rupfen fahren fie die Schüler au
und plagen fie”, jo Daß ihnen vorzüglid eingejchärft werden mußte,
„ch zu bezwingen, daß fie die Knaben nicht auf eine barbarijche
und henkerifche Weiſe tractiren, ja nicht, wie bisweilen gejchehen,
Löcher in den Kopf fchlagen, das Fleiſch der Beeren an ben
Zingern folchermaßen zerquetichen, daß das. Blut zwijchen den
Nägeln herausfprigt, oder Büjchel Haare ihnen ausreißen oder fie
fogar mit Füßen treten”. Die Ruthe war überhaupt das von
— 38 —
der Schuljugend mit Furcht und Schreden refpectirte Symbol ber
gefammten Schuldisciplin, und fpielte eine derartige Rolle, Daß
fie für das Bewuſtſein der Schuljugend gradezu das Symbol ber
Schule ſelbſt war. Es waren in den Schulen uralte Gebräuche
heimifch, welche beweifen, daß die Rute für bie Schule ganz bie
felbe Bedeutung Hatte, wie die Fahne für das Kriegsvolk und wie
das Scepter des Herrſchers für Die Unterthanen. Straffällig ge-
worbne Schüler muften Die Rute halten, auch wol bie Finger an
biefelbe legen oder fie Füßen*) und bei ihr als bem Hort ber
Schule und der Zucht Beßerung geloben **. Auch wurbe ber
Präceptor Durch Ueberreichung der Rute im Angeficht der verfams-
melten Schuljugend feierlich inveftirt ***).
Die Küfter und deutſchen Schulhalter in den Städten und
Dörfern abmten das ermunternde Beifpiel, welches ihnen die adht-
baren Präceptoren und Gantoren der älteren Schulen gaben, ges
treulih nad), und beeiferten fich in dieſer Weiſe tüchtige Schul
meifter und Jugenderzieher zu fein, — bis urplöglich der Sturm
des breißigjährigen Krieges Durch Die deutſchen Lande erbraufte
und die geringen Anfänge eines Volksſchulweſens, welche der re
ligiöfe und confelfionelle Geift hier und da ind Dafein gerufen
hatte, in feiner Verwüſtung begrub.
Die erfte Periode der deutſchen Volksſchule ging zu Ende,
ohne daß die zweite Periode ſogleich beginnen Eonnte.
*) Vogl. meine Schrift: „Beiträge zur Geſch. und Gtatiftit des heſſiſchen
Stadtſchulweſens im 17. Jahrh.“ ©.
») Erft unlängft hat I. Grimm in Wolfs Zeitfchrift für deutfhe Mytbolo-
gie und Sittenkunde 2. 3. aus Geiler v. Keifersberg folgende Stelle nachgewieſen,
welche bier angezogen zu werden verdient: „Wenn man ein Kind houwt, so
muoss es dann die ruoten Küssen und sprechen:
liebe ruot, trfüte ruot,
werestu (nicht), ich thet niemer guot,
Si küssent die ruot und springen darüber, io si hupfen darüber“. —
Bl. hierzu den Aufſaß von Rochholz „Die Ruthe küſſen“ in Pfeiffers Germa-
nie, 1856 ©. 134 ff.
») Ruhtopf, Eeſchichte des Echul- und Erziehungswefens in Deutichland
S. Mi.
Zweite Heriode.
Bon der Mitte des fiebzehnten bis zum Ende des achtzehnten
Jahrhunderts.
6, 1.
Die Herfiellung der Volksſchule und die Erweiterung des Begriffs derſelben durch
den Spener- Sranke’fchen Pietismus.
As die dreißig Jahre des Greuels und der Verwüſtung
zu Ende gegangen waren und der Friebe in Die deutfchen Lande
zurückkehrte, war von Volksſchulen nichts mehr zu jehen; kaum
dap noch die größeren und Fleineren lateinifchen Stabtfchulen ihr
Dafein in kümmerlichſter Weije gefriftet hatten, Die Dörfer waren
zu taufenden niedergebrannt oder verwüftet, die Küfter, welche
Schule gehalten hatten, waren geftorben oder verborben, oder
waren den Trommeln der Werber gefolgt; und das Geſchlecht,
weldhe8 Die verwüfteten Dörfer und Städte bewohnte, war in
Berwilderung und Elend aufgewachſen. Wollte man daher Volks⸗
ſchulen haben, fo muften diefelben völlig neu gefchaffen werben,
Aber ungleich fchwieriger ald die Begründung der Volksſchulen
vor dem Beginne des Krieges geweſen war, war die Herftellung
derjelben nach dem Kriege. Die Stantöregierungen hatten Sabre
lang vollauf zu thun, um Die gänzlich verwirrten Verhältnifie der
Staatseinrichtung und Landesverwaltung wieder zu regeln; die
Kirchenbehörden mühten ſich im Kampfe mit den allergröften Hin-
berniffen ab, um die frühere Firchliche Drbnung mwenigftens einiger-
maßen wieder ind Leben zu rufen, Daher konnten anfangs weder
— 40 —
die Staats⸗ noch die Kirchenbehörden der Volksſchule ihre Für⸗
forge ernftlich genug zuwenden. Hierzu kam, daß es jebt noch
Ichwieriger war, Küfter, die lefen und fehreiben konnten, zu be:
kommen, als früher, daß ferner an vielen Orten alle Nachweilun:
gen, ja felbft alle ficheren Ueberlieferungen über die Dotation der
Küfter- und Schulmeifterftellen verloren gegangen waren, und daß
einerjeit8 das unfägliche leibliche Elend, unter welchem namentlich
das Landvolk Infolge des Krieges ſchmachtete und andrerſeits Die
in Die unteren Volksklaſſen gefommene Barbarei die Gleichgültig-
feit des Volkes gegen den Segen der Schule zum mrobigſten Wi⸗
derwillen gegen dieſelbe geſteigert hatte.
Wie ein Geſtirn, das einſam, ruhig und klar am dunkeln
Himmel Teuchtet, fand damals der fromme Herzog Ernft zu
Gotha mit feinem frommen und weilen Schaffen und Thum da.
Er war der einzige Fürft, der noch während der lebten Kriegs⸗
jahre den Plan entwarf, in allen Gemeinden feines Landes ein
geordnetes Schulwejen ind Leben zu rufen und der zugleich zur
Ausführung dieſes Planes rüftig und unverzagt vorging. Herzog
Ernſt ordnete die Einrichtung von Volksfchulen gleichzeitig mit ei»
ner allgemeinen Eatechetifchen Prüfung und Unterweifung an, Die
er mit allen feinen Unterthanen vornehmen ließ. Demfelben Zweck,
den Ernft durch dieſe Fatechetifche Informirung der erwachlenen
Gemeinbeglieder erreichen wollte, follte auch die Volksſchule dienen.
Jene war gewißermaßen die Orundlage, auf welcher die Volks⸗
Schule erwachſen follte.
Damald war viel Gefpötte über die fo ganz ungewöhnlichen
Anordnungen des Herzogs zu Gotha; dafür aber war dieſer auch
der einzige evangelifche Fürft, der die Freude hatte, in feinem
Lande ein wirkliches Volksſchulweſen, wennſchon in fehr mangel-
hafter Geftalt, erblühen zu ſehen. In den übrigen evangelifchen
Zerritorien. glaubte man daflelbe durch einfache Erneuernng ber
Kirchenordnungen aus dem ſechszehnten Sahrhundert und Durch
Wiederholung früherer Vorfchriften, welche den Küftern das Schul-
halten zur Pflicht machten, zu erreichen, — aber umfonfl. Denn
es zeigte fich ſehr bald, daß die fofortige Herftellung des Schul
weſens nicht allein durch einzelue. Schwierige. Verhältniffe gehindert
— 4 --
war, fondern daß berfelben ein noch viel tiefer liegendes Uebel im
Wege fand. Der Geift, der das Volksſchulweſen im ſechszehn⸗
ten Jahrhundert ind Leben gerufen hatte, war nicht mehr da, mes
nigtend war feine Kraft verjhwunden. Jufolge der in ber
meiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eingetretenen Krhlichen
Spaltung des Proteſtantismus war der Geift der evangelifchen
Theologie "und fomit auch der Geiſt der evangelifchen Kirche all
mählih ein anderer geworben. An die Stelle bed Iebendigen,
alewege dem praftiichen, frommen Lebensbedürfniſſe zugewandten
Geiſtes, Der den Proteftantismus des ſechszehnten Jahrhunderts
haracterifirt und denfelben den Sinn aufrichtiger Wertſchaͤtzung
des einzelnen gläubigen Herzens und eifriger Kürforge für bie
einzelne Seele und für deren Heil eingegeben hatte, war ein Geift
getreten, der zunächit nichts anderes als Herrichaft einer correcten
Ortbodogie begründen und das Reich Gottes nicht fowol in den
einzelnen Seelen als in einem Kirchentum aufrichten wollte, wel:
ches vorzugsweiſe in reiner und eifrig gepflegter Nechtgläubigfeit
befand. Mit diefer Pflege reiner Kirchenlehre, oder was man
dafür hielt glaubte man, Gott den erften und hehrften Dienft zu
thun, den Bott in feinem Neiche vor Allem geleiftet haben wollte.
Daher war wenigftend Die Fruchtbarkeit und Triebkraft des Bos
dens und der Lebensluft, woraus die Volfsfchule urfprünglich ers
wachſen war, nicht mehr vorhanden. 8 zeigte fich dieſes praftifch
namentlich in der Thatfache, daß die im ſechszehnten Sahrhundert
geſchaffene Inſtitution Eirchlicher Katehismus-Lebungen im Anfange
des fiebzehnten Jahrhunderts faft völlig zu Grunde gegangen war.
Sollte daher die Volksſchule in der evangelifchen Kirche wiederum
aufblühen und wirklich gedeihen, fo mufte ſich in ber Kirche notwendig
zuvor ein Geiſt erheben, der feinen Gottesdienſt nicht Durch Auf:
Rellung eined äußeren Kirchentums, nicht durch Verherrlichung und
Serehrung einer ſymboliſirten Orthodoxie, ſondern vielmehr dadurch
zu verrichten trachtete, Daß er den einzelnen armen Seelen nad
ging, und in der heiligen Eünderliebe Chrifti dad Reich Gottes
in den Herzen der Einzelnen zu erbauen fuchte. Ueberhaupt mufte
dann Die Kirche aufs Neue von der Wahrheit ergriffen und Durch»
fäuert werben, daß dad Reich Gottes nicht mit der Außerlichen
— 2 —
Geberde kirchlich ſymboliſirter Nechtgläubigkeit kommt, daß es viel-
mehr inwendig in den wiedergeborenen Seelen iſt.
Ein ſolcher Geiſt erhob ſich damals in der evangelifchen
Kirche wirklich. Es war der Geiſt des Pietismus, ber, foweit
feine Eigentümlichfeit hier in Betracht zu ziehen tft, im Allgemeis
nen mit einer zwiefachen Tendenz hervortrat. Der Pietismus ers
bob ſich zunächft gegen den herrſchend gewordnen jcholaftifchen
Dogmatismus, melcdher forderte, Daß die Kirche, wenn fie Got
te8 Reich fein wolle, vor Allem fih in der Herrlichkeit einer
mafellofen Dogmatik darzuftellen und daß fie dieſer Herrlichkeit
bes Dogmas Dienft zu thun habe. Im Gegenfabe zu diefer Ver-
fehrtheit verlangte der Pietismus, daß fich die Kirche Die Pflege
eines praktiſchen Chriftentums zur Aufgabe mache, daß fie den
einzelnen Seelen nachgehen und in ihnen die Herrlichkeit Chrifti
aufrichten folle, und daß darum alle dogmatiſchen Säbe, welche
hierzu unbrauchbar wären, als wertlos zurüdgeftellt werden follten.
Sodann erhob ſich der Pietismus im beftimmteften Gegenfag zum
lateiniſchen Scholaſtizismus der Zeit und zu der vornehmen Stfolirt-
heit, welche der lateiniſchen, gegen die Volkscultur gänzlich abges
ſchloßenen Gelehrtenbildung eigen war *), und forderte, baß Die
Deutjch-chriftliche Bildung und Erziehung in ihrem wahren Werte
auch für die Gelehrtencultur anerkannt werde. Daher verband
der Pietismus mit feiner praktifchschriftlichen Tendenz zugleich eine
entfchiedne Hinneigung zur Pflege einer volkstümlichen Bildung.
Der hervorragendfte Repräfentant und das wirkfamfte Or-
gan dieſes Pietismus war der fromme Philipp Jacob Spener,;
und dasjenige Mittel, Durch welches derſelbe Die Regeneration der
Kirche im Sinne und Geifte des Pietismus vorzugsweife zu bes
wirfen fuchte, war die Katechifation.
) Wie der Gebrauch der deutfchen Sprache und die deutſche Eultur überhaupt
noch um die Mitte des 17. Sahrhunderts angefehen wurde, erhellt unter Anderm
aus der Frankfurter Schulordnung von 1654, worin der Gebraud der deutfchen
Sprache in der Schule mit Bottesläfterungen und Ungezogenbeiten auf Eine Linie
geftellt wird. Hier heift es nemlih: „Die anders denn latine oder etwas Unge⸗
bũrliches oder Bottesläfterliches reden, ſollen je nach Gelegenheit der Uebertretung
gezüchtigt werden“
— 43 —
Spener ſah ein, daß die Prebigt, in welcher nicht fowol zu
ber einzelnen Perſon als vielmehr zu dem Ganzen ber Gemeinde
gerebet werbe, nicht außreichen koͤnne, um den Bwed der kirchlichen
Berwaltung des Worte zu erreihen. Die Katedhifation, worin
ih ber Prediger an den Einzelnen als foldyen wenbe, ſchien hier⸗
m viel wirffamer zu fein. Spener begann daher zumähft im
—- — — —
Frankfurt a. M., wohin er, bisher Prediger und akademiſcher
Lehrer zu Straßburg, i. J. 1666 als erſter Pfarrer und Senior
des geiſtlichen Miniſteriums berufen war, Katechiſationen einzu⸗
richten. Nach längeren Beratungen mit feinen Collegen, wie bie
in Sranffurt bereits üblichen aber ſchlecht betriebenen Katechismus
übungen nüßlicher und erwedlicher gemacht werden mödten, be
wirtte Spener den Beichluß, daß in jeder Rachmittagspredigt Dies
jmige Materie entwidlelt werben follte, die in ber Darauf folgenden
Raterhifation zu behandeln wäre. Um außerdem die Katechifationen
auch durch die Morgenpredigten zu unterflüßen, Begann Spener
in ben Grordien derfelben ben Gegenſtand der Tageskatecheſe zu
beiprechen (welche &xordien i. J. 1689 auf vielfaches Begeren
unter dem Titel „Katechismuspredigten“ gedrudt wurden). And)
nahm Spener, obwol die Katechifationen lediglich den übrigen
Predigern oSlagen, fofort felbft vergleichen Uebungen an jedem
Sonntag Nachmittags war. Anfangs waren ed nur Schulkinder,
welche ſich zu denſelben einfinben muften; bald aber nahmen auch
Grwachfene, Bäter und Mütter an den Katechifationen Teil. Man
begriff e& bald, bag man von Einem Katechiömnderamen mehr
Rupen habe, ald von der Anhörung vieler Predigten. Um baber
bieje Katechiſationen, die fich in Frankfurt als fo heilfam erwie⸗
len hatteu, auch in weiteren Kreiſen heimiſch zu machen, entfchloß
fd Spener auf den Wunfch vieler Freunde i. 3. 1677 feine Ka⸗
techismusvorträge unter dem Titel zu veröffentlichen: „&infältige
&flärung der chriftlichen Lehre nach der Ordnung des Heinen
Latechismus Luthers“. Es war dieſes ein Meifter- und Mufter-
küd katechetiſcher Berglieverung des Katechismus, welches bie
Kichhe hiermit von Spener erhielt. Späterhin (1688) fügte
Spener noch feine „katechetiſchen Tabellen” (in lateiniſcher
Eprache, für Geiſtliche) hinzu, welche von feinem Amtönachfolger
— 4 —
J. ©. Pritius 1713, zugleich mit einem die Katechiſationen drin⸗
gend empfehlenden Gutachten der theologiſchen Yacultät zu Leipzig
in deutſcher Sprache nochmals Tierausgegeben wurden. Wie fremd
und nen den Geiftlichen ſelbſt dieſe (faſt überall in Abgang ge-
kommenen) Katechifationen vorkamen, erhellt aus dem beftimmt
ausgefprochenen Gedanken der „Tabellen“: „Gewißlich bat ſich
der Fatechetifchen Arbeit Niemand zu fchämen; denn ed kann feine
Arbeit jo niedrig fein, welde Chriſto Seelen zu gewinnen, in
Seiner Erkenntnis feſt zu fegen, ihnen den Geſchmack Seiner
Gnade und den Vorgefhmad Seiner Herrlichkeit zu geben gerei-
hen kann. Der Heiland fjelbft bat den Kindern nicht gewehrt zu
ihm zu kommen“ u. ſ. w. Die fatechetiiche Wirkſamkeit Speners
begann indeflen in Frankfurt wie in nahen und fernen Streifen
erft da recht augenfällig hervorzutreten, als berfelbe Leute aus
allen Ständen, die mit Ernft und Eifer. nach dem ewigen Leben
trachteten, zu beftimmten Stunden in feinem Haufe zu verfammeln
und fi) mit ihnen über gewiße religidfe Fragen nach Anleitung
ber heil. E chrift oder einzelner ascetifcher Bücher erbaulich zu un-
terreden begann. Dieje Hausverfammlungen,, weldye Spener (im
Gegenſatz zu den ſcholaſtiſch und gnoſtiſch gewordenen Gollegien
der Univerfitätstheologie) collegia pietatis nannte, gewannen un-
ter großem Widerſpruch ſehr bald einen folchen Umfang, daß ber
Magiftrat fchließlich nicht umhin fonnte, für diefelben eine Kirche
zu Öffnen. Die Schrift „Pia desideria oder herzliches Verlangen
nach goitgefälliger Beßerung der wahren evangelifchen Kirche ſammt
einigen dahin einfältig abzwedenden chriftlichen Vorfchlägen”, melde
Spener urfprünglich i. J. 1675 als Vorrede zu einer beſonderen
Ausgabe der Arnd'ſchen Poſtille gejchrieben und hernach als be
jondere Schrift hatte abdrucken laßen, erwedte aldbald in Rab
und Fern für Speners Gedanken und Beſtrebungen zalreihe Sym⸗
pathieen. Die Katechifationen Spenerd wurden zu Windsheim,
Ehlingen, Ulm, Schmalkalden und Rothenburg fofort nachgeahmt,
zu Augsburg, Marburg und Meiningen dringend begert, von Salon
in Sachſen nachdrücklichſt empfohlen und für das Herzogtum Sachſen
durch ein Geſetz angeordnet. An anderen Orten und Landen bins
berte der Fluch Intherifcher Orthodoxie das Werk gottjeligen
——— UELDL
— 5 —
Olaubens. Da trat Speners Wirkſamkeit in eine ganz nene
Bhafe ein, indem ihn ein Ruf des Kurfürften Johann Georg I.
von Sachſen i. J. 1686 zum Oberhofprediger in Dresden bes
fellte. Auch bier, in Dresden, richtete Spener in feinem Haufe
lffort eine Katechismusübung ein, zu weldyer fi) in kurzer Zeit
fo Biele einfanden, daß ihm die feiner Wohnung gegenüber lies
gende Kapelle der Kurfürftin eingeräumt werden muſte. Durch
eine Randtagspredigt, worin Spener den Segen der Katechiſatio⸗
nen darftellte, und durch Den erfreulichen Eindrud, den der Bejuch
der Katechismusübungen auf viele Landtagsmitglieder machte, bes
wirkte e8 Spener außerdem, daß Die Einführung ber Katechifatio-
nen, welche auch in- Kurſachſen längft außer Gebrauch gekommen
waren, durch einen Landtagsbeſchluß für das ganze Kurfürftentum
angeordnet wurden. Allerdings fehlte es Spenern auch in Dres⸗
den nicht an Widerfacdhern, welche wißelten, „ber Kurfürft habe
Ratt eines Dberhofpredigerd, den er gefucht, einen Schulmeifter
bekommen“. Allein Spener antwortete den Spöttern: „Ich danke
Gott, der mich gelehrt zu erkennen, daß Feine Arbeit zu einiger
Seelen Erbauung angefehn, für verächtlich oder jemandes Standes
unanftändig zu achten ſei; aljo will ich eher eine Ehre in Demjes
nigen ſuchen, was Die, fo nach der Welt zu urteilen gewohnt, faft
far Schimpflich achten“. Und wenn auch Spener nicht überall den
gewünjchten Erfolg feiner Bemühungen jehen konnte, jo ging doch
aus denjelben der im ganzen Kurfürftentum eingeführte pfarramts
liche Katechismusunterricht der Konfirmanden und die Anordnung
von Katechismusſtunden für den Nachmittagsgottesdienſt aller Dorf-
hen des Landes hervor. Bugleich machte ſich Speners Einfluß
anf die Univerfität Leipzig in wirkſamſter Weije geltend. Hier
waren ed drei feiner eifrigften Anhänger, der Privatdozent Yuguft
hermann Franke und die beiden Magifter Anton und Schade,
welche durch ihre ſog. philobiblifchen Collegien, d. 5. Durch Deutiche,
erbauliche Vorlefungen über die h. Schrift unter der ſtudirenden
Jugend eine eigentliche Schule fchufen. Aber kaum hatte ſich ber
Gegenſatz derfelben zu dem boöffärtigen und froftigen Pedantismus
der privilegirten Orthodoxie und Iatelnifhen Gelehrtentheofogte
bemextlich gemacht, als auch fofort der Kampf der lebteren neaen
— 46 —
das ihr Argerliche Weſen der frommen und deutſch⸗barbariſchen
Neuerer entbrannte. Mit Freuden nahm daher Spener einen Ruf
des Kurfürften von Brandenburg an, durch welchen er i. J. 1691
zum Propft an ber Nicolaitirche zu Berlin beftellt wurde. Die
drei Jahre fpäter (1694) erfolgende Gründung der Univerfität
Halle ermöglichte es Spenern, feiner Schule bier eine neue Heimat
und Wirkſamkeit zu ſichern. Franke, Schade und Anton
wurden nach Halle berufen, ebenjo der ganz in Speners Geifte
wirtende Breitbaupt von Erfurt. Was Spener in Halle zu
naͤchſt erreichen wollte, war vollitändig erreicht. Zugleich traten
noch andre Erfolge hervor, weldye den Geiſt der jungen Hochſchule
charakteriſtrten. Ehriftian Thomaſius, der mit Spener fonft
nichts gemein hatte, war ber erfte, ber (1688) in Halle beutjche
Vorleſungen hielt, weil er das Latein nicht verftand; andre folgten
dem gegebenen Beijpiele bald nad. Der Nimbus der lateinijchen
Sultur begann jetzt allmaͤhlich zu erbleihen. Indeſſen war das
großartigfte Werk, welches der Geiſt des Pietismus in Halle hers
vorrief, die Gründung des Waifenhaufes durch Auguft Her:
mann Franke zu Halle Wie Spener der Vater der Firchlichen
Ratechifation geworben ift, jo ift Franke der Vater des gefammten
Waifen- und Armenfchulmeiens im evangelifchen Deutſchland ge-
worden. In Franke gelangte daher Speners Geift, der durch die
Ratechifationen dem Schulwejen einen neuen Boden gejchaffen hatte,
nach dieſer Seite hin erft zu feinem wahren Biel.
Franke war den 22. März 1663 in Lübed geboren, wo
fein Vater Syndicus bei dem SDonicapitel des dortigen Stiftes
war. Sm Jahre 1666 kam Franke's Vater ald Hofs und Juſtiz⸗
rat Ernſts des Frommen nad) Gotha, flarb aber ſchon 1671.
Der verwaifte Knabe bejuchte das Gothaiſche Gymnafium und
ward bereit8 im 14. Jahre für reif erklärt. Aber erft im 16. Sabre
(1679) bezog Franke die Univerfität Erfurt und ging noch in
demjelben Jahre nad) Kiel, um feine Studien (über Moral, Phyſik,
Metaphufit, Naturgeſchichte 2c.) fortzufegen. Von Kiel begab fidh
Franke 1682 nad) Hamburg, wo er zwei Monate lang hebraͤiſch
lernte. Hierauf lebte er 15 Jahre in Gotha, in welcher Zeit er
dos hebräijche alte Teftament fiebenmal durchlas, auch franzoͤſiſch
— 41 —
mb englifch trieb. Später promovirte Kranke in Leipzig, mo er
fi audy Babilitirte. Seine wichtigfte Vorlefung war ein Collegium
philobiblicum, in welchem er (Sonntags nad) der Nachmittags⸗
predigt) ein Kapitel aus dem alten, dann eind aus dem neuen
Zetamente erklärte. Spener, damals Oberhofprebiger in Dresden,
intereffirte ſich natürlich für dieſe ſehr zalreich beſuchten Vorträge
ganz beſonders. Im Jahre 1687 ging Franke nach Lüneburg zu
dem Superintendenten Sandhagen. — Fromm erzogen hatte er
ſchon als Knabe zu Gott gebetet, daß ſein ganzes Leben ganz al⸗
lein nach Gottes Ehre hin gerichtet ſein moͤge. Als ihm aber
auf der Univerſitaͤt die Theologie nur als Gegenſtand eines herz⸗
loſen Wißens entgegentrat, ſo verließ ihn der innere Friede. In
Lineburg, wo feine Verſtimmung ſich noch ſteigerte, wurde er von
den peinlichften religiöfen Zweifeln angefochten. Sogar das An-
ſehen der Bibel wurde ihm zweifelhaft. Da follte er eine Predigt
über Die Stelle (ob. 20, 31) halten: „Dieſes aber ift gefchrie-
ben, daß ihr glaubet, Jeſus fei der Chrift, ver Sohn Gottes und
daß ihr dur den Glauben das Leben habt in feinem Ramen”.
Er wollte vom wahren und lebendigen Glauben handeln, und
fühlte, daß ihm felbft diefer Glaube fehlte. Schon wollte er die
Predigt abjagen und flehte zu Gott um Rettung aus feiner See-
lennot. Da war urploͤtzlich jein Gebet erhört. Es fiel wie Schup-
ven von feinen Augen. „sch war verjichert in meinem Herzen“,
ezält ex felbft, „der Gnade Gottes in Chriſto Jeſu. Ich Eonnte
ihm nicht allein meinen Gott, ich konnte ihn auch meinen Vater
nennen”. | |
Bon Lüneburg ging Kranke in demfelben Jahre 1687 nach
Hamburg, wo er bis Oſtern 1688 blieb. Hier errichtete er eine
kart befuchte Kinderſchule. Das Lehren brachte ihn zur Selbft-
erkenntnis; dabei lernte er Geduld, Liebe, Nachfiht üben. „Bei
Errichtung diefer Schale”, fagt er, „warb mir es immer Elarer,
wie verderbt dad gewöhnliche Schulweſen und wie hoͤchſt mangel⸗
haft die Kinderzucht fei, und dieſes bewog mich fchon damals zu
wünfchen, daß ich von Gott gewürbigt werben möchte, zur Ver⸗
beherung des Schul: und Erziehungsweſens etwas beizutragen”.
Das Rejultat jeiner Erfahrungen fafte er hernach in einer Srit
— 48 —
zuſammen: „Von Erziehung ber Kinder zur Oottſeligkeit und
chriſtlichen Klugheit”. Bu
Von Hamburg ging Franfe auf zwei Monate nad) Dresden
zu Spener, febte dann in Leipzig feine philobibliſchen Collegien
fort und ward 1690 nad Erfurt als Diaconus an die Auguflinere
firche berufen. Bald aber ſah er fich hier ald Stifter einer neuen
Secte verbächtigt, und daraufhin durch ein Kurf. Mainzijches Re-
jeript und Ratsconclufum (1691) ohne Urtel und Recht feines
Amtes entfeßt. Grade um jene Zeit wurde die Univerfität Halle
geftiftet, vornehmlih auf Spener8 Betrieb. Noch i. J. 1691
wurde Franke als Profefior der griechifchen und orientalijchen
Sprachen zu Halle defignirt und erhielt zugleich das Paftorat der
Vorftadt Glaucha übertragen. Am 7. Januar 1692 kam Franke
in Halle an, wo er fortan 35 Jahre lang bis an fein Ende lebte
und wirkte.
Der Anfang ded Jahres 1694 iſt ald die Entftehnngszeit
aller großen Franke'ſchen Stiftungen anzufehn. Sie begannen
alfo: Arme kamen jeden Donnerftag in das Pfarrhaus. Statt
ihnen vor der Thüre Brot zu reichen, ließ fie Franke in. das
Haus kommen, Fatechifirte die Jüngeren, während die Welteren
zubörten und fchloß mit einem Gebet. Bei eigner Armut entzog
er fih, um Geld für die Armen zu erübrigen, eine Yeitlang das
Abendeßen. Im Sahre 1695 befeftigte er eine Armenbüchfe in
feiner Stube. Einft fand er fieben Gulden von einer Frau Bins
eingelegt. indem er diefe in die Hand nahm, ſprach er: „Das
if ein ehrlih Kapital, davon muß man etwas Nechtes ftiften.
Ich will eine Armenjchule damit anfangen”. Un demjelben Tage
kaufte er für zwei Thaler Bücher und nahm einen armen Stuben
ten als Lehrer an, der die Kinder täglich zwei Stunden unter-
richten ſollte. Bon 27 ausgeteilten Büchern wurden jedoch nur
4 zurüdgebradht. Franke Faufte aber neue Bücher, räumte einen
Saal neben feiner Studirftube ald Schulzimmer ein und gab den
Kindern wöchentlich dreimal Almofen. Bald kamen auch Bürgerss
finder, von denen jedes wöchentlich einen Groſchen Schulgeld
brachte, jo daß nun der Lehrer beßer bezalt werden und täglich
— 4 —
fänf Unterrichtöftunden geben konnte. Schon im erſten Sonimer
Rieg die Zal der Kinder auf 60.
Bald verbreitete fi der Ruf von Franke's großer Thätig-
feit für Die Armen; und von da an firömten ihm von Nah ımb
Fern Unterftügungen zu. In dem Maße, ald diefe zunahmen, ers
weiterten fich feine Pläne. Noch öfter geſchah es aber, daß er in
teftenn Glauben kühn Großes unternahm, ohne irgend Mittel zu
haben, es auszuführen, da ihm dann dieſe Mittel. zur vechten Zeit
auf wahrhaft wunderbare Weiſe zufloßen.
Bald war feine Pfarrwohnung zu eng für die Schule; er
miethete im Nachbarhaufe eine Stube und bildete zwei Klaffen:
eine für die Armen, eine zweite für bie Bürgersfinder. Jede er-
hielt ihren eignen Lehrer. —
Bald regte ſich in Franfe der Wunſch, die Kinder nicht blog
zu unterrichten, fondern auch zu erziehen, — der Wunſch, ein
Baifenhbaus zu fliften. . Ein Freund gab ihm zu dem Ende
500 Thaler. Im November 1695 waren ſchon 9 Waiſen beis
jummen, welche bei Bürgersleuten untergebradyt wurden. Den
Studiofus der Theologie Neubauer beftellte er zum Aufjeher der⸗
klben. Für die Armenfchule kaufte er ein Haus.
In demfelben Jahre 1695 wurden an Franke Drei iunge
Mlihe übergeben, um fie. unter feiner Direction erziehen und un:
terrichten zu laßen. Dies war ber erite Anfang des nachmaligen
Büdagogiums.
Sm Sabre 1696 Faufte Franke ein weites Haus. Die
gal der Waiſenkinder, welche er in jenen zwei Haͤuſern unter⸗
brachte, ſtieg im Juni auf 52. Zugleich ſtiftete er einen Frei⸗
tih für Studenten, an welchem in demſelben Monat 42 geſpeiſt
wurden.
Da fih Die Kinder vermehrten, falte Franke den Ent
Muß, ein Waifenhaus zu bauen. Gr fehidte deshalb noch im
Jahre 1696 den Studenten Neubauer nah Holland, um bort
Erfahrungen zu fammeln. Nach feiner Rückkehr dirigirte dieſer
tee, verftändige Mann den Bau des Waiſenhauſes. Am
4. Juli 1698 wurde der Grundftein gelegt. Schon waren
4
— 50 —
es 100 Waiſenkinder; 500 Kinder genoßen bereits linters
richt *).
Aus dem Geifte Spenerd und aus der neuen Triebfraft,
weiche Die Kirche durch den Pietismus erhalten hatte, erwuchs Jos
mit ein ganz neues Schulweſen, mit welchem zugleich Die Volks⸗
Ihule einen ganz neuen und zwar lebenspolleren Umfang gewann,
ald im fechszehnten Jahrhundert. Die Volksſchule war ald Ar⸗
menfchule neu gejchaffen. Indeſſen follte fie nicht grade Armen-
ſchule im eigentlichften Sinne des Wortes fein und bleiben; viel-
mehr war fie urfprünglihd nur darum mit dDiefem Namen bezeichnet,
weil fie ihren Urfprung oder ihre Erneuerung dem Geifte ver
dankte, der um Gottes willen fih Der Armen annahm, und ber
den Segen Gotted auch denen zutrug, die ſich diefem Geifte über-
ließen, um von ihm gejegnet zu werben. Franke jelbft nannte
feine Volksſchulen hernach deutſche Bürgerſchulen. Die
Kinder wurden hier im Chriſtentum, im Leſen, Schreiben und
Rechnen, ſpaͤter auch in der Naturkunde, Geſchichte und Geogra⸗
phie unterrichtet. Die Mädchen erhielten zugleich Anweiſung zum
Anfertigen weiblicher Arbeiten. Auch wurden die Waifenfnaben
im Striden geübt. Ueber allen deutſchen Schulen ftand ein Ober-
aufſeher.
Dieſe neue Volksſchule, die Armenſchule oder die deuntſche
Bürgerſchule war mit der (nur Vorbereitung zum Beſuche
des Confirmandenunterrichtes und zur Teilnahme am gottesdienſt⸗
lichen Gemeindeleben abzwedenden) Katechismusſchule des Küfters
in ber vorigen Periode nicht grabezu identiſch. Vielmehr hatte
fi diefelbe in freierer Weife die Aufgabe geftellt, hriftliches
Leben und hriftlihe Bildung im weiteren Sinne des Wors
te8 zu pflanzen und gebildete Chriftenmenfchen zu erziehen.
Daher wurde auch jeßt zum erften Male die deutſche Volksſchule
zur lateiniſchen Gelehrtenjchule in organiſche und lebendige Be
jiehung gebracht, indem als gemeinfame Grundlage und als ge
meinfames Biel beider die Pflanzung chriftlicher Geiſtesbildung
*) Ueber Franke ift bier nah Raumer's Geld. der Pädagogik, Th. IT.
©, 134 fj. berichtet. |
— 61 —
und die Erziehnng zu chriſtlicher Lebensführung angeſehen wurde.
Seitdem der Bann lateiniſcher Gelehrtenbildung und die eherne
Mauer der Gelehrten: Welt durchbrochen war, machten ſich mehr
und mehr die Gedanken geltend, daß die geiftige Kultur auf allen
Adftufungen wejfentlih auf Einer gemeinfamen Grundlage
ruben müße, und daß grade der Arme, der durdy feine ganze
Lebensftellung weniger Begünftigte zur Teilnahme an berjelben
herangezogen werben müße.
Somit ergaben fi für die Auffaßung und Behandlung ber
Volksſchule folgende neue Gefichtöpunfte: 1. Als Zweck der Schule
ward nicht die Mitteilung von gewifjen Kenntniſſen, Unterrichtung,
Belehrung als ſolche, jondern die Erziehung angejehen, indem
alle Belehrung weſentlich eine erziehende Tendenz haben jollte.
2. Diefe Erziehung follte eine fpezifiih chriſtliche, fie follte
Erbauung des Reiches Gottes in dem Kerzen des Kindes fein.
3. Bon der Wurzel des Ghriftentums ausgehend follte die Er-
ziehung und Bildung auf allen Stufen und in allen Richtungen
ald Ein Syſtem, ald Eine Erziehung, Eine Bildung aufgefaft
werden. 4. Die Volksſchule, in welcher das für alle nachfolgenden
Stufen der Erziehung unerläßlich Nötige, nemlich Erkenntnis des
Ghriftentums, Lejen, Schreiben u. j. mw., oder die erften Elemente
einer chriſtlichen Bildung gelehrt ward, war aljo wejentlihd Ele-
mentarjähule.
Soweit Franke's Schöpfungen Anerkennung fanden, Tamen
auch Diefe Grundgedanken derſelben ohne Weiteres zur Geltung.
Weniger allgemein dagegen fand in dieſem Kreiſe der von Franfe
&enfo beftimmt bevorwortete Sab die geblirende Würdigung, daß
‚| die Schulerziehung notwendig von der häuslichen Erziehung ge-
£ | Mugen fein müße. Noch immer war man geneigt, der Schule
v| einen nur ihr zukommenden Belehrungszweck zuzuerkennen, jo daß
e| mn an Die wejentliche Bleichartigkeit des Zweckes der häuslichen
e| riehung und des Schulunterrichted nur felten dachte. Aber
m Mögeiprochen und anerfannt ward auch dieſe Wahrheit *).
IL ) Sreffend wird in der Sachſen -Wltenburgifchen Bandesordnung von 1706
' kt imere Znſammenhang ber Bolteſchule mis der häuslichen Ergichung eder tie
/ “
⸗
392 —
Es war nicht fowol die Wahrnehmung des Nußens, den DA
Franke'ſchen Inſtitutionen dem flaatlihen und kirchlichen Interefi
weientliche Identität des von der Volksſchule und der elterlichen. Erziehung zu er
ftrebenden Zieles hervorgehoben. Die Altenburgijche Landesordnung bandelt nem.
li in Tit. II. „Bon Pflanzung reiner Lehre und wahrer Gottfeligkeit in Di
Meinen Kinder, ehe fie zur Schule gefchidt werden“, und hierauf in Tit. I
„Bon Pflanzung folcyer Lehre und wahrer Gottfeligkeit in die Sugend bei dei
Dorfſchulen, auch niedrigen und deutfchen Elaffibus der Stadtſchulen“. In jenem wirt
hervorgehoben, daß das Amt der Eltern an den Kindern ſchon in der
frübften XLebensjahren derfelben beginnen muß, was das Am
des Schulmeifters hernach fortfegen und vollenden foll. Es heiß
nemlih bier: „Demnad viel daran gelegen, dab die Kinder von erfter Kindhei
an zum Guten und zur Gottesfurcht gewöhnet werden, auch, daß foldhes geſcheher
möge, den Eitern, und die an derfeiben Statt find, dpriftlicher Pflicht halber hod
obliegt, bei ſolchem zarten Alter aber wol zujufehen fein will, daß mit -der Art
und Weiſe der Anführung die Mittel-Straße gegangen, und den Saden nicht zu
wenig, nod zu viel gethan werde, daß nemlich die jungen Kinder nicht gar ohne
Unterweifung gelaßen, gleichwol aber ihre noch ſchwachen Häupterlein auch nich
überladen und dergeſtalt ermüdet und geſchwächt werden mögen: als ſoll ihnen
vor allen Dingen, wenn fie anfangen zu reden, eines und das andere furze, be
fonders. auf die Erkenntnis unfers Herrn und Heilands Jeſu Chriſti deutlich füh—
rende Sprüdjlein, als Joh. 1. Siehe, das ift Gottes Lamm u. f. w. 1 Joh. 1.
Das Blut Jeſu Chriſti u. f. f. damit fie es recht faßen mögen, oftmals vorge
fagt, und wie wir Chriſten allein um deßen theuren Berdienftes willen Bergebung
der Sünden erlangen und felig werden, auch um deflelben willen allein bei ihm
und Gott Bater und heiligen @eift in allen Nöten, ſonderlich aber in der lepten
und Zodesnot mit ganzem Vertrauen des Herzens auf Gottes Güte, Liebe und
Barmherzigkeit Hülfe und Rettung fuchen follen, aufs Deutlichſte und wie es die
Kinder am beften begreifen können, erklärt (zu welchem Ende dann etwa bei ihnen
etlihe Kupferftüde und Yiguren, welde den Kindern anmuthig zu fein pflegen,
auch auf die Lehre der heiligen Schrift und der fymbolifhen Bücher fein nad)-
weifen, zu gebrauchen wären), darauf ferner, wenn fie reden können, zu dem Ca—
tehismo Qutheri gefchritten, und in demfelben ein Hauptftüd nad dem andern
ben bloßen Worten nad), ohne Auslegung, durch öfteres Borfagen ihnen allmäplid
beigebracht, ingleihen auch kurze, andächtige Gebetlein und Pfalmen Davids: zu
lernen vorgefagt werden“. Hierauf heift es in dem folgenden Tit. III. weiter.
„Dieweil auch hiernächſt hochnötig, daß die zarte Jugend bald, wenn fie zu
Schule kommt, fonderlih zur wahren Gottesfurcht und deren Webung von den
Präzeptoren und Schulmeiſtern wol fortgeführt werde, — ats foll ſolche Jugend
bei den Dorfidulen, aud niedrigen. und deutfgen Classibus der ‚Otadtfchuien
— 83 —
bringen muſten, als vielmehr die innere Macht der religiös⸗ſittlichen
Wahrheit, welche ſich in denſelben verkörpert darftellte, was, nach⸗
dem Franke's Schöpfungen ind Leben getreten waren, fofort aller
Orten Nachbildungen derfelben hervorrief. Denn was Spener
md Franke gethan hatten, war nichts anderes, als eine religiös⸗
fitliche Nötigung des evangeltfch-proteftantifchen @eiftes, für den
1) jede einzelne Seele, die für das ewige Leben gewonnen wird,
den vollen Wert des Reiches Gottes hat, der 2) von dem Chriſten
mr ein foldyes Wißen und Erkennen der Glaubenswahrheit for:
det, das von feinem perjänlichen. Gewißen getragen ift, und ber
drum 3) Die vom Glauben getragene Bildung des Ghriften-
menschen als Baſis und Vorausſetzung aller Bildung und alles
Bipend würdigt. Darum verlangte der evangelifch - proteftan»
tie Geiſt — Erziehung des Ghriftenfindes, nicht aber bloße
Ginprägung von Kenntniſſen; und eben darum begannen im
ganzen evangelifchen Deutfchland, fobald Spenerd und Frankers
Vorte und Werke bekannt geworben waren, fofort alle Regieruns
gen dem Volksſchulweſen eine noch nie gefehene Aufmerkfamfeit
zuzuwenden und bie Ginrichtung und Leitung befjelben in bie
Sand zu nehmen. Noch zu Franke's Lebzeiten wurden faft in
allen evangelifhen Landen Armenfchulen und Waifenhäufer in
großer Zal angelegt, ed wurden Schulordnungen publizirt und
Schulbücher gedruckt und ſchon jeßt wurden bier und da auf bie
Seranbildung künftiger Voltöfchullehrer in den Waifens und Ar-
menſchulen und in den Gymnaſien Bedacht genommen. In letz⸗
terer Hinficht iſt namentlich Franke's unmittelbarer Einfluß zu be⸗
merken, indem derſelbe nicht nur zalreiche junge Männer zu Leh⸗
— — — — —
vornehmlich in dem Catechismo Lutheri ſammt den kurzen Fragen und Antworten,
weihe von D. Casselio dem Katedjismo beigefügt [Dr. Martini Casselii Praxis
tstechetica ⁊c if gemeint], Dann auch ferner die biblifhen, in dem für die Ju⸗
gend diefes Yürftentums a. 1697 im BDrud gegebenen Spruchbüchlein, dem Kate-
qhiomo nad) zufammengefepten Eprüche, etliche der vornehmften Pfalmen , wie die
kiben zu diefem Ende in jeßo erwähnten Büchern zu befinden, teil® dur das
herumiefen, teild durch Aufgebung zum Auswendiglernen den Worten nad) gelehrt,
hiernöchſt ihnen der Berfland des Katechismi nad) oelegenheit ihrer Fähigkeit er-
Härt, erläutert und wol eingebildet x. — werde",
— 64 —
rern außbildete, fondern auch teild durch mündliche Belehrung und
Unregung teild literariſch zur Entwicklung und Aufftellung eines
eigentlihen Erziehungsſyſtems Anregung gab. Franke felbft jchrieb
(wie ſchon oben bemerkt wurde) einen „Unterricht, Kinder zur
Gottſeligkeit und Klugheit anzuleiten“. Späterhin (1733) veröffent-
lichte Rambach feinen „mwolunterwiefenen Informator“ und trat in
Jena und Gießen zum erften Male mit Vorlefungen über PBäbas
gogit auf; und der Hernhutiiche Biſchof Leiritz (auch ein Schüler
der Spener⸗Franke'ſchen Schule) fhrieb 1776 feine „Betrachtungen
über die Erziehung der Kinder”. Allerdings gingen die Genann-
ten in ihren Schriften nit von wißenfchaftlichen Begriffen, ſon⸗
dern lediglich von praßtifchen Intereſſen aus; aber der Weg zur
eigentlichen Theorie war Doch bereit gebahnt.
ALS Anfang eines neuen Unterrichtsiuyftems war das Spener-
Franke'ſche Schulwefen dazn beitimmt, eine vollfommnere Ausbil⸗
dung der Erziehungsidee vorbereiten zu helfen und fomit in eine
Ipätere Periode der Volksjchule einzumünden. In feinem urfprüng-
lichen Charakter lebte dafjelbe am längften in den Brüderge-
meinden fort, in denen fehr bald nad) den Mufter der Franke‘
ſchen Schulftiftungen durchweg niedere wie höhere Schulen einges
richtet wurden *). Leider aber begann, wie der Pietismus übers
*) In der Neueften Religionsgefh. T. II. S. 53 ff. teilt M. Spangenberg
folgende Nachrichten über das Hernhutifhde Schulweſen mit: „In allen @e-
meinorten wird darauf Bedacht genommen, daß die Kinder in der Zucht und Er-
mahnung zum Herrn auferzogen werden. Es wird daher den Eltern nicht nur
diefe ihnen von Gott felbft auferlegte Pflicht treulichft empfohlen, fondern and),
wo e8 nötig ift, gehörige Anleitung dazu gegeben. Für die Kinder, fowol Anäb-
hen als Mädchen, find befondre Schulen angelegt, in welcher fie unter der Auf-
ficht des ordentlihen Lehrers und der Elteften des Ortes von Lehrern ihres @e-
ſchlechts in den Anfangsgründen menſchlicher Erkenntniffe ebenfo wie in andern
woleingerihteten Schulen unterwiefen werden. Da aber ein Hauptaugenmerk bei
der Brüderunität ift, daß die Kinder ſchon in ihren garten Jahren die rechten Ein-
deüde von dem Berderben des Menihen und dem Heil in Ehrifto Jeſu befommen,
fo werden nod außer der Schule wicht nur die Kinder, ſondern auch die Knaben
— 535 —
haupt, ſo auch das aus demſelben hervorgegangene Schulweſen
nur allzufrühe eine kraͤnkelnde, widrige Geſtalt anzunehmen. Als
maͤhlich galt die Form ſoviel als der Geiſt, d. h. mehr als der
Geiſt; und je weniger nun das Leben, welches in den Halle'ſchen
Schulen und in verwandten Anſtalten wohnte, ber urfprünglichen
Einrichtung und Tendenz entfpradh, um fo mehr diente die mit
geitlicher Hoffahrt feftgehaltne Form nur dazu, Die Hinterlaßen-
ſchaft Spenerd und Franke's in den Augen einer fpäteren Zeit
läherlich zu machen *). Die Schulen der „Frommen“ und ber
‚Stillen im Lande”, in denen fi die äußere geiftlihe Geberde
oft ſehr unnüg und thatlos ſpreizte, verlor daher in der dffent-
lichen Meinung um fo mehr, ald die Schulen der „Aufklärung“
im Gegenſatze zum Pietismus die rührigfte Thätigleit und Wirk⸗
ſamkeit zu entwickeln begannen. Hierzu Fam noch ein anderer,
und Mädchen, welche ſchon bei der Handarbeit angeftellt find, von dem Prediger
des Orts in den Grundmwahrheiten des Ebangeliums unterrichtet und darüber be-
fragt, auch ihnen diefelben fo vorgetragen, daß ihnen zugleich gezeigt wird, wie
fe zum Genuß der dur Jeſu biutige Verſöhnung erworbenen Gnade und Heils-
güter gelangen können“.
„Außer diefen in allen Gemeinen gewöhnliden Schulen und Unterricht der
Jugend gibt es auch in der Brüdermität noch befondre Erziehungsanftalten, in
welchen die Kinder derjenigen Diener des Herrn, welche den Heiden das Ebange-
linm verfündigen oder fi) doch um ihres Berufes willen bald bier bald da auf-
halten, ımd alfo der Erziehung ihrer Kinder nicht gehörig wahrnehmen Tönnen,
wicht nur äußerlich mit aller Rotdurft beforgt, fondern aud mit der gröften Gorg-
halt gepflegt, und mit älterliher Treue von dazu beftimmten Brüdern und Schweftern
erzogen werden, fowie es aud in den Gemeinorien mit den Waiſenkindern ge-
ſchieht“.
„Für diejenigen Knaben, die zu den Studiis angewieſen werden, iſt ein Pä⸗
dagogium angelegt” u. ſ. w.
*) Bgl. was F. H. C. Schwarz in den Freimüt. Jahrb. der allg. deutſchen
Ldeltoſch. B. J. ©. 8 ſagt: „Beſonders ſchlimm ſtand es mit denen (Lehrern),
welche and der Halle ſchen Schule mit pietiſtiſchen Geberden kamen. Ref. iſt der
Reinung, daß dieſe abgeſchmackten Erſcheinungen in den damaligen Schulen eine
rt Unwillen über die Religion den Knaben eingeflößt haben, und er erinnert fi
noch ſehr wol des Mitleids, womit er damals einem folchen Lehrer anſah, welder
der Spott der Schüler wegen jener frömmelnden Geberden war, und ihm doch
Achtung und Liebe durch ferne wahrhaft fromme Gefinnung abnötigte”.
— 56 —
weit fchlimmerer Nachteil, den der Spener- Frante'iche Pietismus
und ber aus Demfelben hervorgegangene Gultus der Waifen- und
Armenfchule dem religiöfen Bewuftfein und Leben des evangelifchen
Volkes brachte. Die Einrichtung oder wenigftend die Unterhaltung
der Waifenhäufer war das Werk der Milbthätigkeit Einzelner ober
der Gemeinden. Man wollte um Gottes willen thun, was man
für die Waifen that, — in ganz falfcher, unevangeliicher Weiſe
wollte man es fchließlih al8 Werk für das eigne Seelenheil
thun. Man betrachtete daher die Spenden an die Waiſen, bie
man in faljcher Weiſe als dem Heiland felbft gefpendet anſah,
gradezu ald gute Werke, die man zur Erlangung der ewigen Ses
ligkeit und zeitlichen Wolfahrt zu thun habe, und die Fürbitte ber
Waiſen wurde nollftändig fo aufgefaft, wie die Fürbitte der Klofter-
leute in der Fatholiichen Kirche"). Als befonderd wirkſam galt
*) In den „Nachrichten von dem Zuftande und Wachstum des großh. Wai⸗
fenbaufes zu Weimar 1820“ wird (E. 4.) erzält: „Im 5 gedrudten Radrichten
von den Wolthaten des Waifenhaufes zu N... von 1779 — 1783 werden unter
andern auch folgende milde Gaben aufgeführt:
1 Gr. zu fingen 671, 653, 488.
123 Häringe zu fingen 671, 653, 487, 783.
3 Gr. gab eine Preundin und verlangte, daß ihr Gott eine glüdliche
Niederkunft ſchenken wolle.
4 Gr. für einen Mann mit böſen Augen zu bitten.
1 Gr. um die Befreiung von Zahnſchmerzen.
4 Gr. Gott um beßere Nahrung zu bitten und zu fingen 49, 58.
8 Gr. bittet Gott, liebe Waiſen, wegen meiner ſündlichen Gedanken.
3 Gr. bittet Gott, daß er mich von den Lũügenmäulern errette. S. M. ©.
4 Gr. dap mid) Bott gnädig erhöre; zu fingen 1110, 1108, 1115, 38,
52, 45.
2 Gr. Hiermit erſuche ich Bott, mir doch dasjenige zu verleihen, warum id)
fo oft bete.
4 Sr. daß er mir den Blauben fchente an den Sohn Gottes“. —
Achnliches findet fi) in den Sahresberichten faft aller Maifenhäufer aus dem
18. Sahrh. vor. In dem Mechenfchaftebericht des Waifenhaufes zu Hersfeld
von 1764 ift 3. B. zu lefen: „Den 1. Sanuar (1763) ſchenkte eine vermittibte
Freundin allhier 1 Gulden zum Neuen Jahr und empfahl fi) fammt ihrem Sohn
in der Waifen Gebet. Begerte Yürbitte ift verrichtet worden“. Unter Dem
83. Sonuar 1763 empfing das Waifenhaus eine ganze Reihe von Gaben mit dem
Erfuhen um Fürbitte für die verfehiedengrtigften Dinge. Nachdem dieſelben anf.
— 57 —
darum auch die Teilnahme an den Betftunden der Waifen, in
denen die einzelnen Fürbitten, welche begert worben waren, pflicht-
mäßig perorirt wurden. — Außer dieſen „Fürbitten“ gewannen
die Waifenhäufer eine weitere, jehr ergiebige Ertragsquelle in den
Lotterien, mit denen viele derjelben audgeftattet wurden. “Die
bernhutifche Auffaßung des ron frommen Händen geworfenen „Loo⸗
ſes“ war auch außerhalb der Brüdergemeinde heimiſch geworden,
und bewirkte es daher, daß das Rotteriefpiel der Waifenhäufer für
ebenſo gottwolgefällig als gottgefegnet und glüdbringend angefehn
wurde,
6. 2.
Die Bürger- und Realſchule.
Die Franke'ſchen Schulftiftungen hatten die erfte Anregung
zu einer ſolchen Erweiterung des Begriffes der Volföfchule gege-
ben, daß derſelbe nicht blos die Katechismusſchule des Küfters,
jondern audy das, was man Bürgerfchule nannte, umfafte.
Die fchärfere Ausprägung und beftimmtere Feſtſtellung des Be-
gezeichnet find, heift ed: „Rachdem man diefe bei Begeren der Waifen - Fürbitten
dargereichten Gaben dantbarli angenommen, find alle begerten Yürbitten von den
Baifenfindern verricgtet worden. Gott wird folhe nicht allein gehört, fondern
auch erhört, ſodann das Erfprießliche verfügt haben”. — Ferner: „Den 13. Ian.
fm von unbefannter Hand 1 großer Thaler ein, nebft diefer Zufchrift: „„Eine
Berfon, welche in der Fremde unter vielen Feinden leben muß und gar feine Er-
tetumg noch Hülfe fieht, daß fie auch glaubt, Bott der Herr habe ihrer vergeßen,
(dent den Waifenkindern 1 Thaler und empfiehlt fi in derfelben Gebet“ “. —
„Den 30. Martii fam von einem ungenannten Wolthäter eine Viertel-Caroline ein
ſammt diefer Zuſchrift: „ „Ein durch Vacha Neijender empfiehlt feine zu Haufe
gelaßene ſchwangere Ehefrau in der Waifenkinder Gebet, auf daß ſolche der Höchfte
m feiner Zeit glüdlih möge laßen entbunden werden” *. —
In dem Bericht des Iutherifhen Waifenhaufes zu Marburg von 1769 ift
iu lefen: „Herr Obereinnehmer W. fchenkte dem Waifenhaufe 200 Thlr. zur Dant-
barkeit, dab ihm Gott in einer gewißen Sache reichlich gefegnet. Er ward dadurd)
nit ärmer, fondern vielmehr reicher. Denn er gewann einige Jahre hernad) durd)
einen glücklichen Zufall 9000 Thlr. Wir wollen damit nicht fagen, daß Gott alle
Gaben der Liebe ſogleich auf eben diefelbe Art wieder vergelte, aber es folgt doch
ſobiel daraus, daß es zumeilen gefchehe”,
— 838 —
griffes der Buͤrgerſchule erfolgte nun fo, daß ſich aus dem Be⸗
dürfnis des Lebens zugleich der Begriff der Realſchule aus
bildete.
Schon zu den Beiten des Dreißigjährigen Krieges hatten Die
Realien namentlih durch den Einfluß des Pädagogen Am o 8
Comenius für den Schulunterricht eine höhere Bedeutung ge-
wonnen, bie Durch die mehr und mehr ſich erweiternden Hanbels-
und PVerfehröverhältniffe und durch Die infolge deſſen zunehmende
Wertſchaͤtzung mechanischer Kunftfertigkeit noch flieg, Wan fah
allmählich ein, Daß das bürgerliche Berufsleben einen Aufſchwung
genommen hatte, der eine Pflege und Vorbereitung befjelben in
den Schulen zum unabweisbaren Bedürfnid machte. Denn Die
Zal derer, welche nicht „lateiniſch werben” wollten und welche
doch für ihren Lebensberuf Kenntniffe aus dem Gebiete der Geo⸗
metrie, Arithmetit, Phyſik, Mechanik u. |. w. nötig hatten, wuchs
mit jebem Sabre. Für fie muften Schulen gefchaffen werden,
welche in realiftiiher Hinficht Diefelbe Bedeutung hatten, welche in
linguiftifcher Hinfiht Den Gymnaſien eignete; man mufte Schulen
einrichten, welche nicht auf ber überlieferten lateiniſchen Gelehr⸗
ſamkeit, fondern auf neuen, der Gegenwart angehörenden Ent-
deckungen und auf den zunehmenden Fortfchritten der Naturwißen-
fchaften beruhten, Die es daher gar nicht mit Spradhen, ſondern
mit Sachen zu thun hatte, oder wenigftend nicht Sachen der Ge⸗
ſchichte enthüllen und darftellen, fondern Wirkungen heruorbringen
wollte, die dem Leben nüßlich waren. Die vorhandenen Deutfchen
Bürgerfchulen fonnten dann einerfeitd als Vorbereitungsfchulen für
den Befuch einer höheren realiftifchen Lehranſtalt betrachtet werben,
wie fte andrerfeit8 Diejenigen Schulen waren, in weldye der ge-
wöhnliche Bürger, der Handwerker den für ihn geniigenden Schul:
unterricht erhielt. Hiermit war der Charafter und Die Beſtimmung
der Bürgerfchule erſt wahrhaft begriffen, indem ſich mit ihr
zugleich die Realſchule — aus dem thatjächlichen Bebürfnifje des
Lebens — ausbildete *).
*) Zu denen, melde die Idee der eigentlichen Bürgerfchule zuerft ausfprachen,
gehört aud Ludwig Sedendorf, der in feinem Chriſtenſtaat (II., IX. 4.) forbertg,
— 59 —
So viel man weiß, war das Franke'ſche Schulwefen (in
welchem Die Schüler mit Drechjeln, Striden, mit ber Botanik
wa. m. beſchäftigt wurden,) der Boden, auf welchem die Real;
ſhule ald höhere Bürgerfhule erwuchs. Die erfte Nach⸗
ht über die Entſtehung der Nealjchulen gab der Juſpektor ber
deutichen Schulen Franke's, der „in mechanicis und mathemati-
a wol geübte Prediger Chriſtoph Semler zu Halle in
einer 1739 veröffentlichten Anzeige „Bon koͤnigl. preußiſcher Re
gierung des Herzogtums Magdeburg und von ber Berlinifchen
Knigl. Soctetät der Wißenfchaften approbtrte und wieder eröffnete
mathematijche, mechanifche und Sconomifhe Realfchule Bei der
Stadt Halle”.
Allerdings war darum doch Halle ebenfowenig ber Wiegenfig
des Realfchulwefens als Semler der Vater veffelben war; denn
wenn ſchon Semler Die Idee der Realfchule fchon vollkommen Har
auögefprochen hatte, fo war doch der Verſuch, den derfelbe zur
Verwirklichung diefer Idee machte, nur von geringer Dauer *).
Aber der eigentliche Begründer der Realfchule war doch von Halle
md aus dem Spenerfchen Kreife ausgegangen. Es war dieſes
der in der Geſchichte der Pädagogik hochzuftellende Gonfiftorialrat
zu Berlin Joh. Zul. Heder Im Sabre 1707 zu Werden an
der Ruhr in der Grafſchaft Mark geboren hatte berjelbe 1726 die
Univerfität Halle bezogen, wo er ſich nach Franke und Breithaupt
bildete, außer den theologiſchen Bollegien auch Vorlefungen über
Mathematik, Phyſik und Antiquitäten bejuchte und jchon frühzeitig
die Aufforderung erhielt, fi) zur Uebernahme einer Lehrerftelle an
daß ein gemeines und ein gelehrtes Schulmefen unterfchieden werde. In jenen
folte neben dem Lefen, Schreiben und Rechnen vorzugsmeife im Glauben und
chriſtlicher Sitte Unterricht erteilt werden. „Im foldyen gemeinen Schnlen follte gar
fein Latein oder dergleichen etwas gelehrt, hingegen vielmehr von der Religion
und der Gottfeligkeit und guten Sitten getrieben werden; aus foldhen gemeinen
Schulen kämen chriſtliche und nützliche untermwiefene Hauswirthe, auch Soldaten,
denn dieſen Allen iſt das wenige Latein, ſo ſie in den Schulen erſchnappen, und
darüber die Zeit mit Verſäumnis mehrer und nötiger Information in Gottes Wort
und guten Sitten verdrießlich hinbringen, nichts nütze“.
Bgl. Raumer, Geſch. der Pädagogik, T. 1. ©. 163 ff,
— 60 —
dem Pädagogium zu Halle vorzubereiten. Daneben bejchäftigte
fi Heder aud mit mebicinifhen und pharmazeutifchen Studien.
Im Jahre 1735 wurde Heder Prediger zu Potsdam und Inſpec⸗
tor des dortigen Föniglichen Waiſenhauſes. Am 19. nah Trinis
tatis 1738 muſte er in Gegenwart des koͤniglichen Haufes zu
Wufterhaufen predigen. Auf dem Schloßplage ernannte ihn hier
auf der König zum Prediger an der neugebauten Dreifaltigkeitskirche
in Berlin mit den Worten: „Er muß, wie er heute gethban, den
Leuten auf der Friedrichsſtadt den Herrn Jeſum prebigen und fid
der Jugend recht annehmen, denn daran ift Das Meifte gelegen”.
Und Heder that getreulih, was ihm ber König befohlen hatte.
Insbeſondere richtete derjelbe Frübpredigten fowie an jedem Sonn-
tag Abends Fatechetifche Uebungen ein, in denen er feine Predigten
wiederholte. Daneben entwarf Heder den Plan zu einer Schul:
anftalt, deſſen Ausführung ſchon im erften Jahre feiner Amtsfüh⸗
rung begonnen wurde. Aus dem Beichtgeld, welches er zu be
ziehen hatte, au8 einem von den Obercuratoren der Parochie ver:
willigten Teile bes SKlingelbeutelopferd und aus dem nach Been-
digung der Predigten in den SKirchenbeden gefammelten Gelbe
wurde der Aufbau des dazu erforberlihen Schulhaufes bewerfftel-
ligt, fo daß die Schule im Mai 1739 mit ſechs Lehrern eröffnet
werden Eonnte. Hecker gründete außerdem Freifchulen, die ſich in
den folgenden Jahren fo vermehrten, daß ſich faft in jeder Straße
eine Freifchule befand, in denen zufammen über 400 Kinber freien
Unterricht genopen. Im Sabre 1746 nahm Heder eine neue
Veränderung und Erweiterung mit feinen Anftalten in der Weiſe
vor, daß die Schüler in fünf theologifchen, zwei lateiniſchen, zwei
franzöftfchen und ebenfo vielen geographifchen und Hiftorifchen
Klaffen Unterricht befamen und auch mit den Anfangsgründen
der Naturlehre bekannt gemacht wurden. Seitdem nannte Heder
diefe Anftalten „Realfehule”. Im Jahre 1747 wurden aud)
die Zeichnenkunft, die Geometrie, Mechanik, Architectur, Manufac⸗
tur, Landwirthſchaft und die Wißenfchaft von Naturalien und
Kunftftüden in den Lectionsplan aufgenommen. Vielfach anges
feindet, aber auch (unter Anderen namentlich vom König) unters
ftügt erhielt die Schule als Zöniglih anerkannte Realſchule
— 61 —
i J. 1748 eine beſtimmte Organiſation und gewann in den naͤchſt⸗
folgenden Jahren an Ausdehnung wie an Anſehn uud Bedeutung *).
Diefed geſchah namentlich dadurch, daß Heder in feiner Schule
ft 1748 zugleich eine - Art von Schullehrerfeminar einrichtete,
worin er 3— 4 junge Leute zur Uebernahme von Lehrerftellen an
den Schulen des weitläufigen Pfarriprengel® der Dreifaltigfeits-
Are inſtruirte. Ginen noch wirkfameren Einfluß auf die Ent-
wicclung des Volksſchulweſens im Allgemeinen erhielt indeſſen die
Realſchule zu Berlin durch die Beziehung, in welde Johann
Friedrich Hähn zu derjelben trat.
Zu Baireuth i. J. 1710 geboren, hatte !Hähn in Jena
Theologie und Mathematik fludirt, war dann ald entjchiebner An-
hänger des Spener⸗Franke'ſchen Pietismus nach Halle gegangen,
wo er eine Lehrerſtelle am Waiſenhauſe erhielt, und war hierauf
bon dem Abte Steinmetz im Klofter Bergen, der feinen Glaubens:
eifer fchäßte, zum Lehrer an der Schule zu Klofter Bergen, fowie
Ipäter zum Klofterprediger und zum Inſpector der Schule ernannt
worden. Mit jeltner Geduld und mit der einnehmendften Freund-
lichkeit ließ fih Hahn zu feinen Schülern hinab, indem er e8 na-
mentlich als feine Aufgabe anfah, denjelben Alles, mas er vortrug,
möglichft klar und faplih.zu machen. Daneben erteilte Hahn in
den (eben erſt geftifteten) Schullehrerfeminar des Kloſters Un-
terript in der Lehrmethode. Ueber die hauptſaͤchlichſten Rechnungs⸗
arten ließ er Tabellen druden, und lehrte die Seminariften, wie
fie diefe fowie ein von ihm herausgegebenes Buchſtabir⸗ und Lehr-
büchlein zwedmäßig zu gebraudyen hätten. Indeſſen veranlafte ihn
eine BZwiftigfeit mit dem Abte das Klofter i. J. 1749 zu verlaßen
und die Stelle eines Yeldpredigerd zu Berlin anzunehmen. Hier
lernte ee Heder und deffen Realfchule fennen und begann der lep-
teren alsbald fein Tebhafteftes Intereſſe zuzuwenden. Er jchrieb
*) Bgl. „Sammlung der Nachrichten von den Schulanftalten bei der Dreifal-
tigkeitstirche auf der Friedrichsſtadt in Berlin, wie aud) ‚von der gegenmärtigen
Verfaßung derfelben, nebft anderen Beilagen. Berlin 1749. 1750; — des Ober-
confiorialsats Sadewaßer „Gedächtnispredigt auf Heder“, und Erſch und Brubers
Encehelopädie |. o. Heder. 4.
— 62 —
„Agenda scholastica ober Vorſchläge, Lehrarten und Vorteile,
welche ſowol überhaupt zur Einrichtung und Grhaltung guter
Schulanftalten als auch befonders zur Beförderung und Grleichte-
rung des Lehrend und Lernens abzielen“. (Berlin 1750 — 1752,
10 Stüde.) Sein reblidyer Eifer und feine pädagogijchen Gaben
erwarben ihm ſehr bald die Gunft der angejehenften Kamilien und
jelbft des Hofes. Daher wurde Hähn beauftragt, den Damals
fünfjährigen Prinzen Friedrih Wilhelm (Nachfolger Friedrichs IL)
ber an Schwerfälligfeit und Umnbeutlichkeit der Sprache litt, das
Leſen zu lehren. Mit Hülfe mehrerer von ihm erjonnener Kunft-
mittel (Bilder auf Papier, Modelle, Spielzeug) erreihte Hahn
jeinen Zwed in kurzer Beit und bahnte fi dadurdy den Weg zu
weiterer Beförderung. Er übernahm im Mai 1753 Die Inſpec⸗
tion ber Realſchule und wurde zugleich Hedern ald Pfarrer an
ber Dreifaltigkeitskirche adjungirt. Bei einer vieljeitigen amtlichen
Thätigfeit in Kirchen- und Schulſachen widmete er alle feine
Mufeftunden der DVerfertigung von Abbildungen der Fürften des
Hanfes Brandenburg, des Haufes Sachſen, des roͤmiſchen Reichs
unb arbeitete Supfertafeln zur Staatengefchichte, Chronologie, Ge⸗
nealogie, Heraldik und Numismatif an, indem er hierdurch Den
Schülern das Erlernen der Gejchichte und Geographie erleichtern
wollte. Außerdem fehrieb er neben vielem Anderen eine “größere
und Fleinere Glaubenslehre ſowie ein Compendium der Geometrie,
Zrigonometrie und Kriegsbaukunſt in Tabellen.
) Hähns Wirkſamkeit in Berlin dauerte bie 1759, in welchem Jahre derfelbe
zum Generalfuperintendenten der alten Mark und Priegnig nad Gtendal verfeßt
wurde. Bier Jahre fpäter (1762) wurde H. zur Würde eines Abtes des Klofters
Bergen und Generalfuperintendenten der Provinz Sachſen erhoben, aus welder
Stellung indeffen Hähn durch Cabinetsbefehl Friedrichs II. i. 3. 1771 wieder ent-
fernt wurde. Hähns Eigenfinn und Herfchfucht hatte diefe Maßnahme herbeigeführt.
Indefien wurde er auf Verwendung des Prinzen Yriedrih Wilhelm noch in dem-
felben Jahre zum Generalfuperintendenten, Gonfiftorialrat und Gymnaflaldirector
zu Aurich ernamt, wo er i. I. 1789 ftarb. — Bol. Henke's Archid für die
neuefte Kirchengeſch. B. II. ©. 156 ff. 606 ff. 8. IV. S. 59 ff. — Eine Be
fhreibung feiner Riteralmethode lieferte H. in der Schrift: „Ausführlide Abhand⸗
Img der Kiteralmethode” (Berlin 1777.).
— 63 —
Sn der Einrichtung dieſer Tabellen beftand das Gigenthüms
lihe der Lehrmeihode Haͤhns, die durch ihn zunaͤchſt in der Real«
ſchule zu Berlin eingelibt und von da aus jpäterhin in die Volks⸗
ſchulen des katholiſchen Deutſchlands verpflanzt wurde. Haͤhn
ſelbſt nannte dieſe tabellariſche Lehrmethode die Literalmethode.
Das Weſentliche derſelben beſtand darin, daß die Hauptgegenſtaͤnde
des Unterrichts nur mit den Anfangsbuchſtaben der Worte (literae
Ratt der vollen Worte) in den Schulen an der Tafel angefchrieben
ud insbefondere Die Hauptjäpe der Disciplinen tabellarijch bar-
geellt wurden. Durch dieſe Einrichtung follte das Auswendig⸗
lernen erleichtert und Gründlichkeit im Durchdenken der Sachen
befördert werben. — &8 war diejeö der erfte Verſuch, den Unter:
rt als eine Kunft zu behandeln und denſelben methodiſch zu
eteilen. Während man fich nemlich bisher allgemein der Meinung
hingegeben hatte, daß ed in ber Schule nur auf einfache nnd
tihtige Mitteilung der zu lehrenden Sachen anfomme, wurde jeßt
zum erften Male der Gedanke geltend gemacht, daß es, wenn ber
Zweck der Schule erreicht werben follte, auf das Wie? der Mit
teilung wefentlich anfomme und daß es eine Technik bes Unter⸗
richts gebe, welche nothwendig befolgt werben müfje. — Noch war
man fi) in weiteren Kreifen, in benen man von der in der
Realſchule zu Berlin eingeführten neuen Lehrweife gehört hatte,
nod völlig unklar, was unter derſelben eigentlich zu verftehen fei,
ald das neue Evangelium des methodijchen Unterrichts ploͤtzlich von
einer andern Seite her verkündigt wurde, welche al8balb die Aufs
merfjamfeit Aller auf ſich zog und Die Erörterung der Unterrichts>
frage in ganz neue Bahnen brachte.
6.8.
Der Philanthropinismus Bafedoms. N
Sp viel Segen aud der Spenerſche Pietismus dem evange-
liſchen Deutfchland brachte, fo war berjelbe doch jchlieplich weder
gefund noch flarl genug, um den unaufhaltſam herannahenden
Sturz des traditionellen ſcholaſtiſchen Glaubens und der Herrichaft
defielben über das Leben zu befchwören. Es Fam eine Zeit,
— 64 —
welche ſich der bevormundenden Macht nicht bloß der kirchlichen
Rechtglaͤubigkeit, ſondern überhaupt der chriſtlichen Froͤmmigkeit
vollſtaͤndig entwand; eine Zeit, welche eine Neugeſtaltung aller
Lebensverhältniſſe der Gegenwart ſuchte, ohne zu wißen, wo ſie
zu ſuchen und wie ſie herzuſtellen ſei, indem ſie nur darüber mit
ſich einig war, daß der Bruch mit der Geſchichte, mit der bis⸗
herigen politiſchen und ſocialen Sitte und vor allem mit dem
Chriſtentum unerläßliche Bedingung einer wahren Weltverbeßerung
ſei. Der Menſch ſollte nicht mehr auf die Barmherzigkeit Gottes
in Chriſto, nicht mehr auf die gnadenreiche Führung eines Vaters
im Himmel, ohne den kein Sperling vom Dache faͤllt, ſondern
auf fich ſelbſt verwieſen werden. Das letzte Ziel aller Erziehung
des Menſchen konnte daher nichts anderes als Selbſtverherrlichung
deſſelben, d. h. ein ſolches Freimachen aller im Menſchen ſchlum⸗
mernden geiſtigen und koͤrperlichen Fähigkeiten fein, daß der Menſch
in dem Gebraudhe und Bewuſtſein feiner eignen relativen Voll⸗
fommenbeit jeine höchſte Befriedigung fand. Es iſt begreiflich, Daß
diejer Weltbeglüdungs-Kiberalidmud fi vor Allem zur Umgeftaltung
des Erziehungsweſens berufen ſehen muſte. Uud in der That hat
berfelbe auf pädagogifchem Gebiete zwar unendlich viel Verkehrtes,
aber nichts defto weniger Bedeutendes geleiftet. Wie der Spenerjche
Pietismus die erfte Anregung zur Ansbildung einer pädagogifchen
Methode gab, fo gab der deiftifche Liberalismus Die zweite.
Unter den Vorboten der neuen Zeit und der Revolution in
Franfreih hatte Rouffeau am meiften von fi) reden gemacht.
Sein „Emil“ *) follte ein Vorbild der gefammten dur eine neue
Erziehungsmethode zu verjüngenden und beglüdenden Menjchheit
jein. Natürlich waren ed auch in Deutfchland nicht wenige, welche
ih) von den Verheißungen der neuen Weltbeglüdungsapoftel über:
wältigen ließen. Der nambaftefte Repräfentant derſelben auf
pädagogijhem Gebiete war der bekannte Sobann Bernhard
Baſedow mit feinem i. J. 1774 zu Deffau unter dem Schutze
des Fürften Franz geftifteten Philanthropinum.
Baſedow, deſſen Charakter aus Göthe's Zufammenftellung
*) Emil ou de l’Education. 1762,
— 68 —
deſſelben mit Lavater hinlaͤnglich bekannt geworden iſt, *) eröffnete
die Reihe derjenigen Paͤdagogen, welche auf dem Wege einer neuen
Etziehungsmethode eine vollſtaͤndige Verbeßerung der Welt und
die Herftellung eines paradieſiſchen BZuftandes des Menjchenges
ſchlechtes pomphaft verfündigten. Da Baſedow ald Grundbedingung
einer rechten Erziehung die Naturmäßigfeit anjah, jo bat ſich der
ſelbe um die Entwidelung der Grziehungsidee und um Belebung
bes pädagogischen Intereſſes wirkliche Verdienfte erworben, aber in
der Hauptfache trug fein Philanthropinismus den Todeskeim ſchon
von Anfang an in fi. Als die fohlimmften Gegner eined wahr
haft vernünftigen Erziehungswejend betrachtete Baſedow den auf
Univerfitäten und Schulen herrfchenden Tateinifchen und griechiichen
Humanismus und das hiſtoriſche Chriftentum. Weberhaupt wollte
Vvaſedow die. Schule nicht einem, beftimmten bürgerlichen ober
religiöfen Berufsinterefje dienſtbar willen; Die Schule follte nur
Beltbürger erziehen und zwar nicht Durch ſprachliche und kirchliche
Belehrung , fondern durch Mitteilung von Realien und 'durd Auf
Mirung. Die hauptfächlihhften Gedanfen der Baſedow'ſchen Er⸗
zehungslehre, injoweit dieſelbe namentlich in einer Geſchichte des
volksſchulweſens in Betracht kommt, find folgende: Das Ziel jeder
Etziehung muß Ausbildung des Menfchen zur Eosmopolitifchen
Sumanität fein. Während daher bisher in den Schulen nur ges
ehrt wurde, was der Fünftige Bürger und Bauer als foldyer oder
auch der Gelehrte zu jeinem Berufe nötig bat, ift vielmehr darauf
zu ſehen, dab das Kind zum Menfchen, zum Weltbürger erzogen
werde. Erſt etwa vom 15. Lebensjahre au ift der Beſuch eigent-
her Berufsſchulen zufäßig. Der Weg, der zu dem einzig wahren
Biele der Erziehung führt, ift Bildung des Verftandes oder Auf-
Härung. Diefe Aufklaͤrung wird nit durd dad Spradftubium,
ſondern durdy Mitteilung von Nealien gewonnen, für welche das
Sprahftubium nur. Mittel fein kann. Dieſe Realien find die all-
fglihen Dinge des gewöhnlichen Lebens, von denen dem Kinbe
eine dem finnlichen Object genau entjprechende Anfchauung beizu⸗
bringen iſt. Daſſelbe kann teils durch Vorführung der Dinge
RKRaumer, Geſch. der Pädagogit, B. II. ©. 246.
— 66 —
ſelbſt, teils durdh treue Abbildung gefchehen und muß dem Linde
fo leicht als möglich gemacht werden. Am Belten lernt dad Kind
im Spiel. Auch die Ausübung der Religion und des Sittenge⸗
ſetzes ift dem Kinde möglichft zu erleichtern. Daher ift bafjelbe
nur über den natürlichen Gottesbegriff zu belehren. Ohnchin find
die Kinder von Natur gut und laßen fich leicht zu Menfchenfreunden
und Weltbürgern erziehen. Die Erziehung ift durch Belohnungs⸗
und Beltrafungsmittel zu unterftügen, welche auf das natürliche
Ehrgefühl berechnet find. Insbeſondere jedoch ift die phyfiſche
Erziehung des Menſchen zu würdigen, indem bie Abhärtung des
Körpers auch zur Kräftigung des fittlihen Bewußtſeins beiträgt.
Im Kirchenglauben tft das Kind erft in fpätern Jahren zu unter
weifen, wogegen ed durchaus nötig ift, Daß das Kind über alles
der Sinnenwelt Ungebörige, aljo 3. B. über die Geheinmiſſe des
Geſchlechtslebens bei Zeiten unterrichtet wird.
Baſedow verkündete der Welt fein neues Erziehungsevangelium
i. $. 1768 mit feiner „Vorftellung an Menſchenfreunde und ver-
mögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in
die Öffentliche Wolfahrt. Mit einem Plane eines Elementarbuchs
der menjchlichen Erkenntnis. Hamburg 1768” (174 ©. 8%. Hier
auf folgten feine anderen Schriften: „das Methodenbuch für Väter
und Mütter der Familien und Völker,” fein pomphaft ange
kündigtes „Elementarwerk, ein Vorrat der beften Grfenntnifje zum
Lernen, Wiederholen und Nachdenken“ (Leipzig 1773) in 3 Bänden
mit 100 Kupfern, „Vorſchlag und Nachricht von bevorftehender
Verbeßerung des Schulwefend Durch das Elementarwerk, dur
Sculfabinette, Educationdhandlung und ein elementarifches In—⸗
ftitut” u. a. m.
Baſedows Auftreten erfuhr begreiflicher Weife jehr bald viel-
feitigen Widerfpruch, und nachdem kurze Zeit die Hoffuung Vieler,
welche teils fein Philanthropin felbit bejucht, teils dasſelbe aus ber
Ferne beobachtet, auf feinen Verheißungen und Projekten gerubt
und ihn, der alle Welt für feine Grziehungspläne um Gelb an-
bettelte, bereits im Jahre 1771 mit nicht weniger als 37,000 Rthlr.
Dazu ausgeftattet hatte, — galt ed nad) wenigen ‘Decennien als
ausgemachte Sache, daß Baſedows Grziehungsidee zwar ganz ernſt
— 87 —
gemeint, aber doch nichts als Schwindelei und Unverſtand gewefen
ſei, und es wurde ſogar vergeßen, daß ihm das unleugbare Ver⸗
dienft gebührt, das Intereſſe für Reformen im Unterrichtsweſen
weithin angeregt und namentlic der althergebrachten, trägen und
gedanfenlofen Handwerksmäßigkeit des Unterrichtes in den Schulen
wirffam entgegengearbeitet zu haben. *) — Es war ein wejentlicher
Erfolg, Den Bafebow erzielte, indem man infolge jeiner Wirk:
ſamkeit wirklich zu begreifen begann, das Unterrichten und Lehren
betehe nicht darin, daß man einem finde fuccefjiv eine Maſſe von
Wahrheiten vorjage und einpräge, jondern es fei eine Kunft, und
müße darum methodisch eingerichtet werden. Daher erhoben fich
alsbald von allen Seiten rührige Kräfte, welche es fich zur Auf.
gabe machten, dem allgemein anerkannten Bedürfniffe der Hers
ſtellung einer aͤchten Lehrmethode abzuhelfen und Die neue päbas
gogiiche Idee für alle Schichten und Klaffen des Volkes wirkſam
zu machen. Der Brofefior Trapp zu Halle (+ i. 3. 1817 als
Borfteher eines Privatinftitutes zu Wolfenbüttel) jchrieb und las
über Die neue Pädagogik, die er im Syſtem Darzuftellen ſuchte.
Becker, einer der erften Lehrer am Philanthropin in Deſſau,
lieferte eine Mafje viel gebrauchter paͤdagogiſcher Schriften, 3. B.
die Zugendzeitung, Die Deutjche Zeitung, die Nationalzeitung, den
Allgemeinen Anzeiger, das Not= und Hülfsbüchlein, Die Mildheimiſche
Liederſammlung. Campe (eine Zeit lang am Philanthropin in
Deſſau, hernach in Hamburg Vorſtand eines Crziehungsinftitutes,
T 1818 zu Defjau) war nanteutlih als überaus produftiver
Schriftfteller für Die Jugend **) thätig. Andre arbeiteten in andrer
Weile. Es war ein ehrenhaftes, ernfted Streben, was dieſe
Pädagogenwelt beſeelte. Aber was fie jchufen, Eonnte für ſich
nicht beſtehen und konnte nur als Vorbereitung und Uebergang
zu einer beßeren Geſtaltung des Erziehungsweſens in Betracht
) Es freut uns daher, daß Baſedows auf dem Friedhofe zu Magdeburg
i. 3. 1796 errichtetes aber i. 3. 1813 weggeräumtes Dentmal, zu welchem der
Herzog Karl von Braunfhweig den Marmor gegeben hatte, wieder hergeftellt
worden iſt
) ABCbuch, Robinfon, Kinderbibliothet, Sittenbüchlein x. ıc.
ph*
— 68 —
fommen. Denn der Goͤtze, dem alle fröhnten, hieß „Auffläs
rung,” worunter etwas gedacht wurbe, das nur durch völlige
Verdrängung des chriftlichen Geiſtes Raum gewinnen konnte. Mit
dieſer Aufflärungsfucht ging das Nüplichfeitsintereffe und die Rüd-
fihytnahme auf das Bedürfnis des äußeren Lebens Hand in Hand.
Im günftigften Falle brachten es daher die Sünger biejer philan-
thropinifcheweltbürgerlichen Pädagogik dahin, daß die Schulkinder an
gefundem Menfchenverftande gewannen. *) Es Tonnte daher nicht
fehlen, Daß der von Baſedow erwedte Kultus der Methode ſich
ſehr Bald jelbft zu Grunde richtete. Indem nemlich alle Welt für
„Methode” zu fchwärmen begann und indem die Methode für den
Stein der Weifen gehalten wurde, den Diejer oder jener gefunden
baben wollte oder nach der Verficherung Anderer nicht gefunden
batte, galt die „Methode” in der Meinung Bieler allmählich als
eine Xächerlichfeit und die methodiſche Schulmeifterei galt als
Gharlatanerie. — Auch dad Philanthropin zu Deffau hatte jehr
bald jeine Blütezeit überlebt. Als Campe das Guratorium der
Anftalt mit übernommen hatte, ſah man fi, genötigt, derſelben
dadurch aufzuhelfen, daß man den Namen des Philanthroping in
ben eine „Educationsinftitutes” umwandelte. Zwei Jahre
ſpäter jagte ſich Baſedow von demſelben vollftändig los, und in
der nächjftfolgenden Zeit wechjelte das Directorium fo oft, Daß
Baſedows Schöpfung das öffentliche Vertrauen mehr und mehr
verlor und i. %. 1793 als öffentliches Inſtitut gefehloßen werben
mufte. — Und wie das Philanthropin, fo verfchwanden faft alle
ihm nachgebildeten Anftalten (zu Marjchlin in Graubündten, ge
ftiftet von Ulyfjes von Salis, zu Heidesheim, geftiftet von Bahrdt,
zu Vechelde bei Braunfchweig, geftiftet von Hundeiker u. |. w.)
ſchon nad) wenigen jahren, indem es fich immer mehr heraus:
ftellte, daß dieſe Pädagogik der Weltbürgerlichkeit auf Täufchungen
*) Es war ein weit verbreiteter Gedanfe, den Käftner in folgenden Verſen
ausſprach:
„Dem Kinde bot die Hand zu meiner Zeit der Mann;
„Da ſtreckte ſich das Kind und wuchs zu ihm hinan.
„Sept Tauern hinab zum Kindlein
„Die pädagogifhen Männlein.‘
— 69 —
beruhte. Nur die aus dieſen Beſtrebungen hervorgegangene (aber
egentümlih ausgebildete) Anſtalt, welche Salzmann i.%. 1784
zu Schnepfenthal errichtete, bat fich erhalten.
$. 4.
Die Schule zu Nachterſtädt.“)
Zu den wenigen Schulanftalten, in Denen eine unmittelbare
Einwirfung der Baſedow'ſchen Pädagogik auf die Volföfchule herz
bortritt und welche in jener Zeit als erfte Anfänge und ald Normen
einer beßern Geſtaltung des Volksſchulweſens entftanden, gehört
die von dem Pfarrer Herbing zu Nachterſtaͤdt im Fürſtentum
Halberftadt (unweit Afchersleben und Duedlinburg) um 1770 bes
gründete Schule. Diejelbe entftand und entwidelte fich in folgen-
der Weife: Mehrere Jahre lang hatte ſich Herbing vergebens
bemüht, der Schule feines Kirchipield einigermaßen aufzuhbelfen.
Die Unfähigkeit feines alten Schulmeifters hinderte jeden Schritt
um Beßern. Erſt ald ihm die Bemeinde i. J. 1767 die freie
Wahl des Schulmeifters überließ, vermochte er die Reformirung
der Schule wirklich zu beginnen. Gin halbes Jahr lang unter:
richtete Herbing im Beifein des neuen Lehrers die fähigeren Knaben
der Schule, deren fi im Ganzen jährlich etwa 10 — 12 zujam-
menfanden, in ber Religion und deutſchen Sprache, in Geſchichte
und Geographie und in allerlei gemeinnügigen Kenntnilfen. Außer:
dem nahm Herbing den Lehrer an jedem Mittwoch Mittags und
Abends an Tiſch und zog ihn auch fonft möglichit in feinen Um⸗
gang, um ihn durch geeignete Anregung und Belehrung zur Aus-
übung feines Amtes mehr und mehr vorzubereiten. Nad Ablauf des
halben Jahres mufte der Lehrer den Unterricht übernehmen und
in Herbingd Gegenwart erteilen. Am Scluße der Unterrichts:
Runden machte Herbing den Lehrer auf die Mängel, die er in
*) Bergl. „Allg. Bibliothek für das Echul- und Erziehungswefen in Deutſch-
land," Nördlingen 1781. B. IX. &. 516 ff. und ‚Briefmechfel über das Erzie.
hungtinſtitut zu Rachterſtädt im Fürſtentum Halberſtadt, herausgegeben von
Perihte Hude, 1780,”
_ 0 —
der Unterrichtsweife deifelben wahrgenommen hatte, freundlich
aufmerffam. Das wurde ein halbes Jahr lang fortgejekt. Auch
ließ Herbing jebt fämmtliche Kinder im Schreiben und Rechnen
unterrichten. Denjenigen, ‚welche ſich die Schreibmaterialien nicht
anzufchaffen vermochten, wurden dieſelben von Herbing unentgeld-
ih geftellt. Gleichwol muften die Eltern zum öfteren durch ge-
richtlihen Zwang genötigt werden, ihre Kinder in den Schreib-
und Rechnenunterricht zu ſchicken. Zur Erleichterung des leßteren
ichaffte Herbing aus dem Kirchenfaften und aus eignen Mitteln
in Rahmen gefafte Schiefertafeln an. Binnen zwei jahren war
der Fortgang des Schreib- und Nechenunterrichtes in der Schule
hinlänglich gefichert,, jo daß man nun au in der Orthographie,
in der Religions- und Weltgefchichte und in den Anfangsgründen
der Geographie Unterricht geben konnte.
Da indeilen die Eltern troß aller Zwangsmaßregeln der
Obrigkeit ihre Kinder immer noch fäumig zur Schule jchidten, jo
entfchloß fi) Herbing ein öffentliches Schulesamen zu veranftalten,
zu welchem die GerichtSobrigfeit, der Richter, die Geſchworenen
und die anderen angejehenen ®emeindeglieder fowie Die benach—⸗
barten Geiſtlichen, Adlichen und Beamten eingeladen waren. Die
fleißigen Schüler wurden belobt und mit Heinen Prämien ausge:
zeichnet ; Die unfleißigen wurden öffentlich getadelt und berabgefeßt.
Um die Liebe zur Schule auch auf anderen Wegen zu eriweden,
ließ Herbing durch einzelne Schüler in Gegenwart der Eltern der⸗
jelben Eleine Rebeübungen aufführen. Diefe Rebeübungen wurden
Anfangs in der Schule, hernach aufdem Rathaufe und zuletzt (an
jedem dritten Fetertage der drei hohen Feſte) in der Kirche ges
halten. Zugleich übte Herbing etwa acht begabtere Knaben außer
den Schulftunden in der Snftrumentalmufit, und da diefelben nad
Ablauf eines Jahres einige Stüde notdürftig ſpielen Fonnten, jo
ließ er fie vor, zwilchen und nach den Redeübungen muficiren.
Regelmäßig erteilte Herbing drei Stunden in der Schule Unterricht
in Geſchichte, Geographie und Religionslehre und begann ſpaͤter⸗
bin jogar einige Schüler die Anfangsgründe der Iateinifchen und
griechiſchen Sprache ſowie allerlei anderes zu lehren. Sehr bald
— 7t —
hatte Herbing die Freude zu fehen, daß ſeine Schüler won allen
Seiten ber als Lehrlinge und Chorſaͤnger begert wurdan.
Im Jahre 1774 bat ihn ein Soldat, der ein Vater vieler
Kinder war, feinen Knaben um Gottes Willen auf ein halbes
Jahr in Koft und Unterricht zu nehmen. Herbing verwendete auf
die Ausbildung des reichbegabten Knaben allen Fleiß, fo daß er
benfelben ſchon nach anderthalb Jahren ald Hülfslehrer gebrauchen
fonnte.
Die vier in ber Inftrumentalmufif geübteften Schüler gingen
akjährlich etliche Male auf muſikaliſche Reifen, um fich mit dem
Meinen Berdienft die nötigen Bücher und Muflalien anfchaffen zu
Eönnen. Hierdurch wurbe die Anftalt zu Nachterftädt in weiteren.
Kreiien bekannt. Infolge deſſen richtete i. J. 1778 ein Artillerie
offzier an Herbing das Grfuchen, die vier muſicirenden Knaben
nad Magdeburg zu ſchicken. Herbing entfprach der Bitte und bie
vier Suaben kehrten mit Geſchenken reich beladen von Magdeburg
in die Heimat zurüd. Mit ihnen fam auch ein bisheriger Lehrer
am Paͤdagogium im Klofter Bergen, Candidat Schwarz in
Raterftäbt an, um mit Herbing den Plan zu Errichtung einer
Sriehungsanftalt für die geringeren Stände zu entwerfen und ſo⸗
fort auszuführen.
Schon vorher war Herbing von jenem preußiſchen Artillerie⸗
offigier, der mit Staunen geſehen hatte, was ſfich aus einer Dorf—
ſchule machen laße, erfucht worden, feine Schule zu einem eigents
lichen und ausgebehnteren Grziehungsinftitut umzubilden , was
Serbing, dem es nur um Hebung feiner Kirchſpielſchule zu thun
war, bisher abgelehnt hatte. Jetzt Dagegen glaubte Herbing biejen
Gedanken nicht zurückweiſen zu dürfen. Der Plan zur Errichtung
eines Inſtitutes (für welches fich der Minifter v. Zedliz in Berlin
ſehr intexeffirte,) wurde entworfen; außer Schwarz wurde noch ein
dritten Lehrer herangezogen, und die neue Anftalt blühte alsbald
fröhlich auf.
Die Einrichtung derfelben war folgende: Neben und aus
der Dorfſchule wurde zunächſt ein „Volkslehrerinſtitut“ gebildet,
welches von jener zwar völlig gefondert war, aber mit berjelben
doch infofern im Zuſammenbang ſtand, als 1) Die befähigteren Oäyller
_ 72 —
der Dorfſchule, welche zum Lehrerberufe Neigung hatten, aus der
Schule unmittelbar in das Inſtitut eintraten und als 2) die erſte
ber zwei Klaſſen der Dorfſchule einige Lehrſtunden mit dem Volks⸗
Iehrerinftitut gemeinfam Hatte. |
Sn der Dorffchule wurben die Schüler. gelehrt 1) Fertig⸗
Iefen, 2) Schönfchreiben und Nechtichreiben, womit wöchentlich
zweimal Uebungen: im Brieffchreiben verbunden wurden, 3) Rechnen,
einjchließlih der Bruchrechnung, 4) Allgemeine Geographie mit
Gebrauch ‚von Landkarten und fpecielle Befchreibung der. Bezirke
welhe um Nachterfiädt herumlagen, 5) Gefchichte, und zwar
Religions - und MWeltgefchichte, womit ein befonderer Unterricht
über allerlei gemeinnüßige Senntniffe nad) ben Lehrbüchern bes
Domherrn von Rochow verbunden wurden. Außerdem nahmen
die befäbigteren Schüler der Dorfichule, Knaben und Mädchen,
auch an den NRebeübungen Teil, welche freilich vorzugsweiſe von
den „Snftitutiften” aufgeführt und mit Gantaten und -anderen
mufifalifchen Productionen begleitet wurden. Dieſe Rebeübungen,
welche alljährlich dreimal, nemlich am dritten Fefttage der Weih⸗
nachten, Oftern und Pfingften in der Kirche öffentlich gehal«
ten wurden, beflanden in kleinen, beſonders dazu verfertigten
Dodomasinaftödon in gehunbener und ungebundener Rebe, in
Heinen Dialogen und dramatischen Sittenfpielen. Es wurden in
ihnen &reignifje der Religionsgeſchichte oder moralifche Grundſaͤtze
auf einzelne Verhältniffe des laͤndlichen Lebens applicirt. In den
Dialogen insbefondere wurde Einzelne8 aus der Naturlehre mit
religiöfer Naturbetrachtung durchwebt Dargeftellt. Unverftändiger
Weife ließ man freilich Hierbei bie Nachterſtädter Bauernlinder mit
einander reden, wie Penfionäre, die in der Treibhausfchule ihres
Inſtitutes altverfländig geworben find , zu converfiren pflegen.
Folgendes ift der Anfang eines Gefprächs, welches am dritten
Oftertage 1776 von drei Bauerumäbchen in der Kirche zu Nachter:
flädt zum Beften gegeben wurde:
— 713 —
Die Feſtkuchen.
(Ein Dorfmädcengefpräd.)
Dahlin: Sind Sie geftern Nachmittag nad geenbigtem
Gottesdienft nicht in Geſellſchaft gemefen ?
Huchin: Nein, ich befand mich nicht wol, und beſorgte,
wenn ich einen Beſuch abſtatten würde, ed möcht’ noch ſchlimmer
werben,
Dablin: Das laß ich gelten, — — wenn man nicht recht
munter ift, jo will einem auch die allerangenehmſte Geſellſchaft
nicht gefallen.
Wölffertin: DO, wenn mir fo. zu Mut iſt, daß mir
Ewas fehlt, und ich doch felbft nicht jagen kann, was es eigents
ii jei, jo geh ich am liebften zu guten Freunden, und gemeinig-
fi werd ich dann wieder gefund und munter.
Huchin: Zu gewißen Zeiten und unter gewißen Umfländen
— — will ih das mol zugeben, aber wenn der Feiertage fo
viele find, fo wird man auch die Befuche nicht jelten überdrüßig.
Dahblin: Das wüßte ich denn doch auch nicht. Es if
wirklich keine üble Gewonheit, daß gute Freunde an Feiertagen
zuſammenkommen.
Woͤlffertin. Das dädte ic auch; ich freue mich immer
darauf, wenn Fefttage kommen, weil man da fpielen, Befuche geben,
jeine beften Kleider anziehen und fpazieren gehen darf und noch
überdem in ben meiften Häufern Kuchen zu eßen befommt.
Huchin: Wie ich merke, find Sie fehr für die Kuchen ein-
genommen, und das ift bei mir eben dasjenige, was mir bie
Geſellſchaften und die Befuche an Fefttagen Iäftig macht u. f. w.
u. ſ. w. —
Das Inſtitut, welches Herbing zunaͤchſt als Schullehrer:
ſeminar eingerichtet hatte, war zugleich auch eine von auswaͤrtigen
Alumnen beſuchte Erziehungsanſtalt. Die muſicaliſchen Aufführungen
wurden jedoch nur mit den zufünftigen Schullehrern eingeübt.
Sobald nemlich ein Dorfknabe (der in der Regel das neunte Jahr
nicht uͤberſchritten hatte) als Inſtitutiſt recipirt war, wurde er ſofort
in Gebrauch der Geige und im Singen unterrichtet. Dies yeah
— 74 —
wöchentlich in drei Lehrſtunden, neben welchen noch am Nachmittag
jedes Mittwochs Uebungen. im Concert angeftellt wurden. Diefe
mufifalifchen Uebungen der jungen Seminariften gewannen fehr
Bald einen gewißen Ruf nnd es war daher nicht felten, daß bie
Schüler hierhin ober dorthin in Städte ober Doͤrfer, wohl fie
eimgefaden waren, reiften und Feine Goncerte gaben.
Die begabteften Inſtitutiſten wurden von ben Directoren
noch in bejonderen Lehrſtunden unterrichtet, wogegen fie ſich al&
Borübungslehrer ihrer jüngeren Mitfchhler verwenden laßen muften.
Sm Jahr 1780 waren in Nachterftäbt. drei ſolcher Vorübungs⸗
lehrer. Die Gegenftände, in denen fowol die eigentlichen Infli⸗
tutiften als die Penftonäre unterrichtet wurden, waren folgende:
1) Religionslehre, 2) Neligionsgefchichte, 3) die Anfänge ber
Experimentalphyſik, 4) Naturgefchichte, nach Raff's Lehrbuch,
5) Geograohie, 6) Weltgeihichte, 7) Arithmetik, 8) daS Ge:
meinnüßige aus der Mathematik, 9) einiges Gemeinnüßliche aus
der Logik: und Piychologie, 10) Rechtichreiben und Schönfchreiben.
17) deutfihe Sprachkunde („a) Cultur Der richtigen, annehmlichen
Pronuntiation, b) Interpretation der Haffifchen, deutſchen Schrifts
fteller in Poefie und Profa, c) natürliche, fachmäßige Declamation,
d) Action oder Vortrag mit Natürlichkeit der Körperftellung und
Geberden, e) Anführung zu eignen Aufjäßen von dem, was ber
Zögling gelernt, gehört und gejehen hat”), 12) franzöfifche Sprache,
13) lateinifde Sprade, 14) griechiſche Sprade („für Einige,
welche einige Luft dazun bezeigen, und fo lange fie nichts Wich⸗
tigered und Notwendigere8 dadurch vernadhläßigen.”)
Was über die in Nachterfiädpt üblihe Lehrmethode bes
richtet wird, zeigt binlänglich, daß der Begriff der Erziehung und
Bildung daſelbſt faft ganz im Baſedow'ſchen Sinne cultivirt wurde:
„Man folgt bier, wie in ber Sittenbilbung, fo im Unterricht,
lediglich. der Menfchennatur. Hiernach fucht man den ganzen
Mentchen auszubilden und Feine Seelenkraft auf often ber ans
deren zu cnftiviren, nicht etwa das Gedächtnis auf Koften des
Berftandes, die Falte Vernünftigkeit auf Koften der Einbildungs⸗
kraft, den Kopf auf Koften ber. Regfamleit der Empfindung. ober.
umgeläprt, welches obonfo fehlimm if. Man ſucht alle. Seelen
— 75 —
die unbeſtimmt im werdenden Menfchen ſchlummern, zu
en, rege zu machen und fie in ſolche Harmonie zu bringen,
eſich einander zu den beſten Zwecken unterſtützen, nicht aber
n.“
Au jedem Tage wurde der Unterricht mit einer Morgenandacht
eitet. Früh Morgend um 6 Uhr verfammelten fi ſaͤmmt⸗
mftitutiften in dem Gartenhauſe des terraffirten Pfarrgarteng,
tige Kinder ein. Toblied fangen, worauf ein Lehrer ein ans
religtöfeß Lied vorlad und erklärte und ſodann einer ber
ı Snftitutiften ein Gebet frei ſprach. Die Dischplin wurde
exer Inſtanz von den Borübungslehrern, in legter von Dis
n gehandhabt. Schülern, welche fich eines größern Vergehens
g gemacht hatten, wurde ed freigeftellt, auf einige Stunden
arcer zu gehen, oder die Anftalt zu verlaßen. Von Zeit
it wurden Gonferenzen gehalten, bei denen alle BZöglinge
ärtig waren und aufgefordert wurden, fich jelbft anzuzeigen,
fie fich eines Vergehens ſchuldig gemacht hatten. Giner der
r, welcher das Amt des Fiscals begleitete, hatte die Vers
ing, diejenigen Schüler, welde Eleinere Delicte begangen
und es unterließen, fich felbft als ſchuldig zu erflären, ans
n. Um die Zöglinge in bequemer Weife mit der franzöftfchen
ye befannt zu machen, wurde täglich eine Kleine franzöfijche
(ald faites votre devoir — quittez le jeu — soyez
il u. drgl.) als Parole ausgegeben, welche Parole jeder
g wärend Des ganzen Tages wißen und, ſobald er eines
etzten anfichtig wurde oder aud bei anderen Gelegenheiten
mufte.
Me Inſtitutiften und Penfionäre waren, und zwar auf
Herbing’3 , gleichmäßig uniformirt ; die WVorübungslehrer
ein Feines Ehrenzeichen. Der gefammte Unterrihtöplan
angelegt, daß Penfionäre vom fechften Lebensjahre aufge⸗
n ımb daß diefe, wie die zukünftigen Lehrer, Die Anftalt
rückgelegtem fünfzehnten Lebensjahre verlaßen follten. Es
für geforgt, daß die Penfionäre auf reinlihen Zimmern
n und bie erforderliche Pflege und Bedienung, hatten. Die
fficht führten Die beiden Dirertoren; bie Specalaufiägt
— 76 —
wurde von einem Vorübungslehrer ausgeübt. Die Penfionäre
jpeiften mit ben Directoren in Gemeinfchaft, früh Morgens ge-
woͤhnlich Butterbrod, Mittage Suppe, Fleiſch und Zugemüfe und
Abends Butterbrod oder was die Falte Küche bot. Als Getränt
wurde Breihan oder Bier gereicht. Die Penfionskoften waren in
folgender Weife regulirt:
1) Für Krühftüd, Mittagseßen, Abendbrot und Breihan
zum Trinfen, jäbrih . . . . . 52 Rtbr.
2) Für Licht und Holz, Wohnung nebft Aufwar⸗
tung, als Bettmachen, Stubenreinigen u. ſ. w. jaͤhrlich 12
3) Für die Waͤſche, vierteljaͤhrlich Rthr. . . 4
4) Für Kämmen und Reinigung bes Kopfes
jaͤhrlich . 2 „
5) Für ben gefammten Unterricht i in Wißenſchaſten, ,
Sprachen und Muſik, und doppelte Aufſicht, jaͤhrlich 10 ,„
Summe der Penſion 80 Rihr.
Der Einfluß, den Herbings raſtloſe Thaͤtigkeit auf die
eigentliche Dorfſchule zu Nachterſtaͤdt ausübte, war groß. Schon
aus dem Jahre 1780 wirb berichtet: *) „Es ift zu Nachterftäbt
dahin gebiehen, daß nun die Eltern ihre Kinder ohne die mins
deften Zwangsmittel aus eignem Triebe ordentlid zur Schule
halten, und das jo lange, bis die Kinder beider Befchlechter Das
vierzehnte Jahr zurüdgelegt haben und außer den übrigen Land-
volffenntniffen ziemlid, orthographifdy und fprachbeutlid ihre Ge⸗
danken aufjchreiben können und Bruchrechnungen verftehen.“ **)
$. 5.
Die Entfiehung des Volksfchulmefens im katholifhen Deutfdland.
Was bisher über die Entftehung der Volksſchulen gejagt
worden ift, gilt nur von den evangelifchen Volksſchulen; denn
auf katholiſchem Gebiete erwuchs die Volksſchule in andrer Weife.
*) Briefmechfel über das Erziehungsinftitut zu Nachterftädt. ©. 31.
») Ueber die weitere Entwidiung des Inftitutes in den nächftfolgenden
Jahren ift zu vergleichen: Rränip, öfonomifch-technologifche Encyclopädie. B. 61,
©. 898-913. on
— 17 —
Gradeſo wie die Aufſtellung eigentlicher Katechismen aus
dem Bedürfnis der evangeliſchen Kirche hervorgegangen war, und
der Hierarchie, die den Nutzen der Katechismen einſah, Veranlaßung
gab, einen Catechismus romanus und andere katechetiſche Lehr⸗
bücher auszuarbeiten, — gradeſo erwuchs die Volksſchule aus dem
Bedürfniſſe der evangeliſchen Kirche und des evangeliſchen Geiſtes
überhaupt, und gab dann erſt der Hierarchie, welche den Nutzen
der Volksſchulen wol begriff, Veranlaßung, aud auf ihrem Gebiete
Bolksfchulen aufzurichten. Die katholiſche Volksſchule geftaltete fich
daher ald Nachahmung der evangeliſchen Volksſchule.
Die erften Anfänge eines katholiſchen Volksſchulweſen wur⸗
den von den Sefuiten und zwar zu dem beftimmten Zwecke bes
gründet, an denjenigen evangelifchen Orten, an denen fie Eingang
gefunden hatten, den Katholizismus wieder herzuftellen. Die Je-
ſuiten pflegten hier Schulen einzurichten, in denen ber katholiſche
Glaube, Lejen und Schreiben für Jedermann unentgelblidy gelehrt
wurde. Dieſes geſchah z. B. in Zulda im Jahre 1572*). Solide
Schulen kamen aber andy nur da vor, wo ed den Sjefuiten gelun-
gen war, fich Eingang zu verfchaffen, und Hatten dann immer
den angegebenen beftimmten Zwed. Der katholiſche Bifchof zu
Breslau, welcher Schulen einrichten wollte, ehe die Sefuiten ans
gefommen waren, mufte i. J. 1553 proteftantifche Lehrer an-
fielen, weil er katholiſche Schulmeifter nicht finden konnte **):
Nachdem das Werk der Reftauration des Katholizismus in
allen von katholiſchen Neichsfürften regierten Territorien bis zum
Ablaufe des breißigjährigen Krieges glüdlih zu Stande gebradt
war, gingen Die deutſchen Schulen der Jeſuiten von jelbft wieder
ein, da das Intereſſe, dem diefelben ihre Begründung verbantten,
nit mehr vorhanden war. Wllerdings Jah man die Zweckmaͤßig⸗
keit der Errichtung von Pfarrjchulen recht wol ein, und in ber
zweiten Hälfte des fiebzehnten wie in der erften Hälfte bes acht⸗
*) Bgl. meine „Geſchichte der Neftauration des Katholizismus in Fulda, auf
dem Eichsfeld und in Würzburg” ©. 26. |
) Löſchke, „Die religiöfe Bildung der Jugend und der fittlihe Buſtand
der Schulen im 16 Jahrh.“ &. 37.
— 78 —
zehnten Jahrhunderts wurden auch in den meiſten katholiſchen
Ländern desfallfige Anordnungen getroffen. Dieſe Anordnungen
wurden indejlen auf katholiſchem Gebiete noch weniger befolgt, als
in proteftantiichen Ländern; und während bier der Pietismus eine
das ganze evangelifche Deutfchland ergreifende mächtige Bewegung
heroorrief und wenigftend allmählich zur wirklichen Geftaltung
eines Volksſchulweſens führte, war im katholiſchen Gebiete Alles
tobt und es gejchah bier nichts.
Da erhielt ein katholiſcher Prälat von den ganz neuen
Schuleinrichtungen Kunde, die in Berlin ſchon feit Jahren in
voller Blüte ftanden. Heimlich, auf Daß er nicht in den Verdacht
tegerifcher Neuerungsfucht komme, ging er deshalb ſelbſt nad)
Berlin, um mit eignen Augen zu jeben, was er biöher für un-
denkbar gehalten hatte. Er ſah, hörte und lernte und ging in .
feine Heimat zurüd, um aud bier Volksſchulen zu fehaffen. So
eutftand in der Fatholifchen Kirche Das erſte geordnete Volksſchul⸗
weſen, das al8bald im gefammten Fatholifchen Deutichland Mad
ahnung fand.
Johann Ignatz von Felbiger (denn dieſes war der
Prälat, der die eriten katholiſchen Volksſchulen gejchaffen bat und
darum als Vater des katholiſchen Volksſchulweſens anzufehn ift,)
war am 6. Sanuar 1724 zu Großglogau in Schlefien von Fatho-
lichen Gitern geboren. Er fudirte zu Breslau Theologie und
trat ſodann (1746) in das fürftlihe Stift Canonicorum regula-
riam Ordinis S. Augustini Congregationis Lateranensis Unferer
Lieben Frau zu Sagan in Schlefien. Im Sabre 1758 wurde
Helbiger Erzpriefter des Saganifchen Kreifed und bald nachher Abt
und Prälat. AS foldher hatte er die Aufficht über das Kirchen:
und Schulweſen der Stabt und einer dazu gehörigen Anzal von
Dörfern auszuüben. Die Ernennung des bisherigen Stadtkaplans
Benedict Straud zum Guratgeiftlihen der Stadt und zum Ges
hülfen des alten Priord gab die erfte Veranlagung, daß Felbiger
auf das Schulweſen feines Stifts ein befonderes Augenmerk rich:
tete. Strauch nemlich, der nachher zur Priorenwürde erhoben
— 1) —
werde, ſah mit eignen Augen, in welchem elenden Zuſtande fich
die Trivialſchulen zu Sagan befanden, machte deshalb bei dem
Abt Anzeige und bat um Abhülfe. Felbiger beichloß daher das
Schulweſen zu Sagan gründli zu reformiren, weshalb er für
bafielbe i. J. 1761 eine neue Schulordnung aufftelltee Da in
befien die vorhandenen Schulmeifter durchaus unfähig waren, Diefe
Schulordnung zu vollziehen, fo half dieſelbe zu gar nichts. Die
Eltern hielten ihre Kinder von der Sffentlihen Schule zurüd, in
der fie doch nichts lernten, und die wohlbabenderen unter ihnen
wiejen ihre Kinder der zu Sagan beftehenden Lutheriſchen
Säule zu. *)
Felbiger ſah fih Daher veranlaft,, fi) mit den über bie Gin,
richtung evangeliſcher Schulen publizirten Nachrichten befannt zu
mahen. Was Kelbiger hierbei über die Realjchule zu Berlin er
fuhr, geflel ihm fo jehr, daß er fich entſchloß, freilich ganz incog-
nito, im Mai 1762 in Begleitung eines feiner Freunde, bes
nachherigen Schulinfpectord Franz Sucher nach Berlin zu reifen.
Hier lernte Felbiger Die Organifation der Realſchule und nament-
ih die in allen Klaſſen derjelben eingeführte Hähn’fche Lehrart
genauer fennen. Zugleich machte er fich mit der Einrichtung bes
zu Berlin beftehenden Schullehrerjeminars vertraut, deſſen außer
ordentlicher Nupen für die Volksſchulen ihm alsbald einleuchten
mufte, weshalb Felbiger beſchloß, mit höherer Erlaubnis, aber
wiederum ganz im Stillen, einige katholifche junge Männer zum Befuche
bed Seminare nad Berlin zu ſchicken. Demgemäß gingen, ohne
dag man in Schlefien etwas davon erfuhr, noch im Jahre 1762
drei Lehrer nad) Berlin, wo fie das Seminar bejuchten und von
Felbiger mit großen Koften (die fich wegen ber damaligen Theue-
rung anf 1000 Thlr. beliefen,) unterhalten wurden. Nach ihrer
Nuckkehr wurden fie an die Stelle einiger quiedcirter Schullehrer
in deren Schuldienfte eingewiefen. Daß fich die neuen Lehrer in
Berlin ihre Berufsbildung geholt Hatten, wurfle Niemand. Da⸗
*) Bol Bald, „Reueſte Religionsgeſch.“ T. IL &. 217 — 258., Rachricht
von der Verbeßerung der römifch-fathol. Schulen in dem Herzogtum Schlefien und
der Graffdjeft Binz“. |
— 80 —
gegen gab Felbiger jelbft in einer Schrift „Vorläufige Angeige
von beßerer @inrichtung der öffentlichen. Trivialfchule zu Sagan“
i. J. 1763 von feinen die gänzliche Umgeſtaltung der Schule zu
Sagan abzwedenden Plänen öffentlich Nachricht, und erließ zugleich
eine „Verordnung, nach welcher die Schulen der zum Saganifchen
Stifte gehörigen Dörfer eingerichtet und verbeßert werben follen“,
jowie ein „Bircular”, worin er die ihm untergebenen Geiftlichen auf
die ihnen in Betreff der Schulen obliegenden. Pflichten jehr nad).
drüdlich hinwies.
Die neuen Schuleinrichtungen ſtanden unter der beſonderen
Aufſicht des Prior Strauch, der, um die begonnenen Reformen
auch auf den Sprachunterricht ausdehnen zu koͤnnen, gegen das
Ende des Jahres 1763 die Abjendung eines vierten Lehrers nad
Berlin veranlafte, der ſich dajelbft mit der dortigen Methode des
ipradylihen Unterrichts vertraut machen jollte. Bu feiner gröften
Freude fah Felbiger, daß ſich wenigftend Eine benachbarte Stabt,
Franfenftein, ſchon damals feiner Schulreform auſchloß, indem die⸗
jelbe im folgenden Jahre ihren Rector und Organiften nad Sa⸗
gan fchidte und an dem Unterridhte daſelbſt Teil nehmen ließ.
Die Zal der Schüler der nenen Trivialfehule mehrte ſich, aber es
fehlte an brauchbaren Schulbüchern. Felbiger jah fi) daher ge
nötigt, eine eigne Buchdruderei anzulegen, die unter dem 28. März
1765 von der Eöniglihen Kanımer zu Breslau einen Freiheitsbrief
erhielt, worin ihr aufgegeben wurde, von allen zu Ddrudenden
Schulbüdern das zehnte Exemplar für die Armen unentgeldlich
abzuliefern.
Einige Jahre vorher, i. 3. 1763, publizirte der König von
Preußen ein. @enerallandfchulreglement für ale Gemeinden des‘
Landes. Die Vollziehung deſſelben in den fatholifchen Gemeinden
von Scylefien war dem Weihbifhof und Vicar der Breslauer
Didcefe, Mori v. Strachwiz, übertragen. Diefer fand jedoch
teild in ber Kärglichkeit, mit welcher die Lehrerftellen dotirt waren,
teil8 in anderen Verhältniffen unüberfteigliche Hinderniffe, und
brang daher wiederholt auf angemeßene Erhöhung der Lehrerbe—
foldbungen. Da erhielt der damals in Schleflen dirigirende Mi-
nifter v. Schlaberndorf durch die von der Realfchule zu Berlin
publizirten Nachrichten zuerft von der Schulreform des Abtes zu
Sagan Kunde. Schlaberndorf nahm aldbald von den neuen Schul
bühern und Anordnungen Felbigers Einficht, und befahl, daß
defien „Bircular”, „Verordnung“ und ABCbuch neu abgedrudt
und mit den nötigen Abänderungen der Titel an alle Fatholifchen
Pfarrer und Schulmeifter der Grafſchaft Glaz ausgeteilt würden.
Außerdem trug Schlaberndorf dem Abte auf, einen Plan zur Ver⸗
beßerung aller katholiſchen Trivialfchulen des Landes zu entwerfen.
Mit Vorwißen und BZuftinmung des Weihbiſchofs erledigte fich
Felbiger dieſes Auftrags *), infolge deſſen ſodann die königliche
Kammer zu Breslau unter dem 12. Mai 1764 eine Verordnung
publigirte, welche befahl, 1) daß Schullehrerfeminarien angelegt
werden, 2) daß in Zukunft jeder Pfarrer, damit die dazu nötigen
Geldmittel aufgebracht werden koönnten, auf jeine Pfarreinfünfte
während des erften Vierteljahres nad, feiner Anftellung verzichten,
3) daß ſich die Pfarrer in den Schullehrerjeminarien mit dem
Volksſchulweſen jelbft vertraut machen, und 4) fo lange man noch
feine Seminarien habe, die Schule zu Sagan befuchen und die
von dem Abt Felbiger eingeführte Lehrweiſe ftudiren, und 5) daß
dafielbe von allen Kandidaten des geiftlihen Standes gefchehn
ſollte. — Demgemäß erließ fofort der Weihbifchof Die nötigen
Verfügungen. Die Stabtmagiftrate zu Natibor, Oppeln und
Oberglogau wurden angewiefen, daß jede der drei Städte auf
ihre Koften zwei Berfonen nach Sagan zu fehiden und ausbilden zu
laßen habe. Ebenfo wurde dem Magiftrat zu Großglogau und den
Gifterzienferklöftern Grüffau, Leubus und Rauden, welche durch ihre
Ordensregel zum Schulhalten verpflichtet waren, befohlen, daß fie
je einen Geiftlihen und zwei Schulamtscandidaten nad) Sagan
) „Pro Memoria, weldes der Saganiſche Prälat 1764 an den in Schlefien
diigirenden Minifter überreichet, nachdem derfelbe befohlen hatte, den für die Sa⸗
geriihen Schulen gemachten Entwurf auf ſämmtliche katholiſche Trivialfchulen in
Eidten und auf dem Lande einzurichten”. An den Weihbifchof richtete Felbiger
die Schrift: Gedanken und Borfchläge, wie eine allgemeine Verbeßerung der Tri-
Salltulen in der ganzen Breslauifhen Diöceſe bewerkftelligt werden könne”. —
Wr diefe und die weiter unten zu nennenden Schriften finden ſich abgedrudt in
Ih, Ignap Felbigers „Kleinen Schulfriften” ı. Bamberg und Würgburg 177%.
6
— 89 —
ſchicken ſollten. Der Weihbiſchof ſelbſt ſchickte den Hector der
Domſchule und den Rector der Nicolaiſchule zu Breslau mit zwei
Alumnen des Prieſterſeminars nach Sagan, um ſie daſelbſt in⸗
ſtruiren zu laßen, und ſehr bald war der Zuſammenfluß von Leh—⸗
rern und Geiftlihen in Sagan jo groß, daß fich Felbiger entfchloß,
die Unterweiſung derſelben felbft zu übernehmen. Allerdings war
das hierbei angewandte Unterrichtöverfahren ein jehr ſummariſches.
Felbiger ließ für feine Zuhörer eine Schrift unter dem Titel
druden: „Das Allgemeine und Wefentliche von der Verbeßerung
der Trivialſchulen in Schlefien” und richtete ſodann einen Lehrcurſus
ein, der mit dem Anfange jedes Monats begann und 2—3 Wochen
dauerte! Die Kandidaten muften daher ihre Reifen nah Sagan
fo einrichten, Daß fie mit Dem Aufange eines Monats daſelbſt eins
trafen. Die Aufgabe, welche Felbiger zu Iöfen fuchte, war bie,
Daß er den Gandidaten möglichjt kurz und bündig Far machte,
wie fie von dem, was fie in Sagan hörten und fahen, felbft Ge
braudy machen Fönnten®). Gleichzeitig war die Fönigl, Kammer
bemüht, auch die Schulen der polnischen Dörfer in die Reform
bereinzuziehen, weshalb fie Durch Felbiger eine Anzal von Schub
büchern, welche Iediglich für die polnischen Provingbezirfe beftimmt
waren, anfertigen und im Drud verbreiten ließ.
Alles dieſes geſchah im Anfange des Jahres 1765. Was
man that, wurde indefjen nur ald augenbltdlidher Notbehelf ange
ſehn, da man recht wol wuſte, daß nur die Einrichtung von
Scyullehrerfeminarien dem Schulweſen dauernde Hülfe bringen
*) Auf diefe Einrichtung beziehen ſich folgende von Felbiger verfafte Schrif-
ten: „Reglement, darnach die Seren Candidati parochiarum und des status
ecclesiastici et regularis während der Beit fi zu achten haben, als fie fi in
Sagan befinden, um dafelbft nad) dem Berlangen der königl. Kammer von der
Lehrart Kenntnis zu nehmen und fi darinnen etwas zu routiniren“. — „Plan,
nad welhem zu Bildung künftig beßerer Echulmeifter Seminaria anzulegen wä-
ren“. — „Eirculare an die Erzpriefter von Sprottau ıc., darin der Abt verlangt,
daß aus jedem Kreife feiner Iufpection ein paar Schulleute fih einfinden follen x.” —
„Vorſchläge, wie die Schufleute, die in der Lehrart unterrichtet worden find, ihre
Schulen bei ihrer Burüdkunft einrichten und in folchen jene Lehrart einführen
fönnen“.
— 83 —
koͤnnte. Aber die Leiter und Lehrer der Seminarien muften eben⸗
falls erſt herangebildet werden. Zu dieſem Behufe ſchickten bie
Klöfter Leubus, Grüſſau und Rauden fowie die Städte Ratibor
und Großglogau und der Weihbifchof jelbit einige taugliche Leute
nah Sagan, zu denen noch ein Geiftliher aus der Grafſchaft
Glaz kam. Auch ihnen fuchte Felbiger durch eine ganz ſummariſche
Beſcheidung das Nötigfte, was ein Sinfpector eine Seminars zu
wißen und zu thun hatte, beizubringen. Indeſſen fah fich Zelbiger
doch genötigt, in Begleitung desjenigen Geiftlichen, dem die Auf⸗
ficht über das in Breslau zu begründende Hauptjeminar zugebadht
war, abermals nad) Berlin und von da nad) Magdeburg zu reis
fen, um nidht nur die Realſchule zu Berlin nochmals zu infpiziren,
jondern auch die Schule im Klofter Bergen kennen zu lernen.
Rad feiner Rückkehr fuhr Felbiger fort, Die Schul- und Seminars
lehrer zu inflruiren, und nachdem Alles binlänglich vorbereitet
war, fonnten bereit3 am Ende des Jahres 1765 die Seminarien
zu Leubus, Grüffau und Rauden, fowie am 4. November das
Hauptfeminar zu Breslau eröffnet werden.
Im Unfange des folgenden Jahres wurbe das von dem
König von Preußen am 3. November 1765 zu Potsdam unters
zeichnete „Randjchulreglement für die Römifchkatholiichen in Städten
und Dörfern des jouveränen Herzogtums Schlefien und der Graf⸗
ſchaft Glaz“ im Lande bekannt gemacht. Der Entwurf deſſelben
war auf Verlangen des Ddirigirenden Minifters und der Föniglidyen
Kammer von Zelbiger ausgearbeitet worden. Der Weihbifchof
begleitete die Verbreitung des Reglements mit einem Hirtenbrief
an die Diöcefangeiftlichkeit, während der Abt an die Geiftlichen
des Stift einen ähnlichen Erlaß ausfandte, der hernady unter
dem Titel gedrudt wurde: „Birculare, damit die Bekanntmachung
des für die Satholifchen verfaften Fönigl. Generals Landfchulregle-
ments im Saganifchen Archipresbyterat begleitet worden iſt“. In
bemfelben wurde den Pfarrern befohlen, dafür zu forgen, Daß bie
Schulmeifter alljährlih, jobald das Geſinde abgezogen fei, ein
Berzeichnid aller jungen Leute von 14— 20 Jahren aufftellten.
Diefed Verzeichnis ſollte ſodann einem Kirchvater übergeben
werben, welcher, mit dem Verzeichnid in der Hand, vor Begiun
6°
— 84 —
der Kinderlehre ſeinen Platz an der Kirchenthüre zu nehmen und die
nach und nach ankommenden Leute ſich zu merken hatte. Nach
Beendigung der Kinderlehre ſollte dann der Kirchvater fein Ver:
zeichniß dem Pfarrer überbringen, damit bderjelbe daraus die Ab⸗
jenten erfehen, Die Eltern und Wirte derjelben warnen und ers
mabnen, und bie öfters und ohne genügende Entſchuldigung Feh⸗
Ienden oder deren Angehörige zur Strafe ziehen laßen koͤnnte.
Außerdem erteilte Felbiger auch Vorfchriften in Betreff regelmäßi-
ger „Wiederholungsftunden” , in welchen die erwachjene Jugend
nad ihrer Entlaßung aus der Schule noch geübt werden follte,
Diejelben waren für die Sonntage von Georgii bis Michaelis
angeordnet. Nachdem fi die Jugend nad) Beendigung des Ka⸗
techismusunterrichtes in der Schule verfammelt haben würde, foll-
ten die Namen der Einzelnen verlefen und ein Lied follte gejungen
werben, wobei der Schulmeifter Gelegenheit habe, unbefannte Me
lodieen einzuüben. Hierauf follten die Mädchen im Leſen geübt
werden, während die jungen Burjchen mit Schreiben beichäftigt
würden. Nach Entlaßung der Mädchen follten fobann auch mit
den Burjchen Uebungen im Leſen und jchließlich im Rechnen ans
geftellt werben.
Durch dieſe Verorbnungen, insbefondere durch das Reglement,
erhielten die Felbigerfhen Schulreformen zuerft ein eigentlich ges
ſetzliches Anſehn und Die nötige Garantirung ihres Yortbeftandes,
Felbiger nahm nun eine genaue PVifitation aller feiner Auf
fiht unterftellten Schulen vor und reifte hierauf nad) Breslau,
um einer von dem Minifter angeordneten Gonferenz zur Beratung
von Schulfachen beizumohnen. Aus den damald von dem Weib:
biſchof mitgeteilten Nachrichten ergab fih, Daß nad dem Willen
der Zöniglihen Kammer überhaupt 189 neue Fatholifche Schulen
im Breslauer Departement errichtet werben follten, von denen 82
bereitö völlig eingerichtet, 46 bis zur Erbauung der Schulhäufer
in gemieteten Häufern angelegt, 61 aber noch zu jchaffen waren.
Die Schulen im preußifhen Schlefien follten von 25 Schulin-
ſpectoren beauffidhtigt werden, die man vorzugsweife aus der Bal
der GErzpriefter zu wählen gedachte. Die Oberaufficht über die
Iujpectoren im Glogauer Departement follte dem Abt übertragen
_ 85 —
werden. — Nach ſeiner Rückkehr von Breslau arbeitete Felbiger
eine auf den bisher erlaßenen Schulverordnungen beruhende In⸗
ſtruction der Seminardirectoren, Schulviſitatoren, Erzprieſter, Pfar⸗
rer und Schulmeiſter aus, und begleitete gleichzeitig den dritten
oder großen ſchleſiſchen Katechismus, welcher damals an die Pfarrer
verteilt wurde, mit einem Rundſchreiben“), worin er bie Geiſtlichen
auf den großen Segen kirchlicher Katechifationen binwied.
AS Grundlagen diefer Katechifationen hatte nemlich Felbiger
in ben Saganifchen Schulen drei Katechismen eingeführt, von denen
jeber auf die Ausbildung einer ber drei Seelenkräfte Berechnet war.
Der erfte (unter dem Titel: „Römtfchlatholiicher Katechismus für.
bie Kinder der Schulen des Saganifchen Stift Can. Reg. Ord.
& Augustini Congreg. Lateran“. 1 Bogen in 8.) war allein für
die Incipienten zur memoriellen Einübung ber hauptfädhlichften
Glaubenslehren beftimmt, und wurde zugleich zu den eigentlichen
Leſeübungen gebraucht. Der zweite Katechismus (eine Erweiterung
md Erläuterung des erften,) follte von den Schülern der zweiten
Alaſſe (vom 7.— 10. Lebensjahre) gebraucht werben, um bie
fatholifche Lehre dem Verftande derfelben nahe zu bringen. Uebri⸗
gend war auch diefer Katechismus ganz kurz abgefaft, da berfelbe
namentlich auch von den Dorflindern gebraucht werden follte, Dig
nur kurze Zeit zur Schule zu kommen pflegten. Der britte, aus:
führlichere Katechismus follte insbefondre auf den Willen ber
Schäler einwirken, weshalb in bemfelben außer vielen Erläuterun-
gen und bibliſchen Belegftellen auch zalreihe Ermahnungen und
veligiög-fittlihe Motive beiprochen wurden. — Jeder der drei
Latechismen umfafte 7 Hauptftüde. Das erſte Hauptſtück (vom
Glauben) handelte in drei Lectionen 1) von Bott, von den gött-
lichen Eigenschaften, Perfonen und Werken; 2) von Chrifti Ge⸗
burt, Menfchwerbung, Leiden, Sterben, Auferftehung, Himmelfahrt
und Richteramt; 3) vom heil. Geifte und ben vier Iekten Glau⸗
bensartikeln. Das zweite Hauptftüd (von ber Hoffnung) han⸗
*) Daffelbe wurde nnter dem Titel gedrudt: „Circulare, mit welchen der
britte oder große Katechismus ıc. — den zum Saganiſchen Stift gehörigen SPfarr-
ken begleitet wurde. 1766”. |
— 86 —
belte in drei Lectionen 1) von der Hoffnung, vom Bebet und von
den drei erſten Bitten des Herrngebets; 2) von ben vier lebten
Bitten defjelben; 3) von dem englifchen Gruß. Das dritte Haupt:
ſtück handelte von der Liebe, oder von den Geboten der erften
und zweiten Tafel des Geſetzes in zwei Tafeln, von den Kirchen-
geboten; das vierte von den 7 Sacramenten, das fünfte von
den verſchiedenen Gattungen der Sünde, das ſechſte von den Tu⸗
genden, und das ſiebente Hauptſtuͤck von den vier letzten Dingen.
In der naͤchſtfolgenden Zeit war Felbiger namentlich in der
Grafſchaft Gratz thaͤtig. Auf hoͤheren Befehl reiſte Felbiger da⸗
hin, um das dafſige Schulweſen neu einzurichten. In dem zu
Habelfchwerb angelegten Seminar bemühte ſich Felbiger insbeſondre
bie Pfarrer mit feiner Uinterricätsweife vertraut zu machen. In⸗
beffen zeigte es fih, daß nur allzuoft die Gleichgältigfeit der El⸗
tern ein wirkliches Aufblühen der Schulen Hinderte, weshalb Die
Eönigl. Kammer die Verordnung erließ, Daß Fein Handwerksmeiſter
einen Lehrling ohne Gntlaßungszeugnid des Schulinfpectord ans
nehmen follte. Würden e8 befondre Umftände einem Knaben wün-
fhenswert machen, vor zurüdgelegtem dreizehnten Lebensjahre in
die Lehre treten zu können, fo follte derjelbe täglich wenigftens
zwei Stunden zur Schule gehen, bis er nad) dem Urteil des In—
ſpectors hinlänglich unterrichtet fei.
Im Jahre 1768 veifte der Abt abermals in die Sraffchaft
Gratz, wo der gleichzeitig anweſende Weihbiſchof die neuen Schul
einrichtungen zum erftenmal jah und freudig begrüßte. Bon be
jondrer Wichtigkeit waren die Vorjchriften, welche Felbiger in
diefem Jahre in Betreff der Erteilung des Neligionsunterrichtes
publizierte. Sin einer unter dem Titel „Chriftlihe Grundfäße und
Lebensregeln” herausgegebenen Schrift ordnete nemlich Felbiger an,
ber eigentliche NReligiondunterricht follte an jedem Freitag und
Feiertag von einem hierzu beftellten Katecheten erteilt werben;
die Schullehrer follten nur dafür forgen, daß die Kinder den Ka⸗
techismus genau memorirten ®).
*) Rah „Allg. Bibliothet für das Schul- und Sriehungsmefen in Deuthch
land“, Rördlingen 1776. B. IV. ©. 221 ff.
— 897 —
In den naͤchſtfolgenden Jahren gingen alle Bemühungen
Felbigers dahin, der Reform, die ſtatutariſch nun fo ziemlich voll-
endet war, in möglichft weiten Kreifen Eingang zu verichaffen,
wobei derfelbe namentlich darauf bedacht war, vor Allem die Lehr
rer zur Befolgung der Schulordnung zu befähigen. ine Schrift,
welche Felbiger zur Inſtruirung der Lehrer über die neue Lehrweife
und über Alles, was zur erfprieslichen Verwaltung Des Volfs-
ſchullehreramtes in Betradht kommt, i. %. 1772 veröffentlichte, laͤſt
die Beichaffenheit und Tendenz der Schulreformen Felbigerd am
volftändigften erkennen. Die Schrift führt den Titel:
„Eigenſchaften, Wißenfchaften und Bezeigen rechtfchaffener
Scullente, um nad) dem in Schlefien für die Römiſch⸗
katholiſchen befannt gemachten Eönigl. Generals Landjchuls
reglement in den Trivialfchulen der Städte und auf dem
Lande der Jugend nüglichen Unterricht zu geben. —
Bamberg und Würzburg 1772" (568 SS.).
An der Einleitung ftellt Felbiger dar, „mit was für Eigen-
(haften der Schulleute man bisher vorlieb genommen habe“, wos
mit derfelbe Die Beichaffenbeit der Fatholifchen Schulen vor feiner
Relorm harakterifirt: „Wenn in einer Stadt ein Menfch, der nur .
fo viel Muſik gelernt bat, daß er in der Kirche auf dem Chor
Dienſte leiften kann; wenn in einem Dorfe ein Menſch, der etwas
Weniges auf der Orgel zu jpielen und ein Lied zu fingen vermag,
fh um einen erlebigten Schuldienft meldet, und wenn er dabei
etwas zu fchreiben im Stande ift, jo halt man ins Gemein dafür,
er babe alle Eigenfchaften, die zu einem Schulmanne erfordert
werben. Aufs höchfte erforicht man, ehe fo ein Candidat zu einem
Shuldienfte in das Amt eingefegt wird, ob er etwas aus dem
Latechismo wiße. Faft immer befteht der Candidat, weil es leicht
genug ift, einen Fleinen Katechismum vor der Unterfuchung ſich
ſoweit befannt zu machen, daß einige leichte Fragen können beant:
wortet werden; öfters, wenn an folchen Leuten gleich ein ziemlicher
Wangel der Erkenntnis verjpürt wirb, hofft man, es werbe ſich
dad Nötige ſchon finden, der Kandidat werde mehrere Erkenntnis
im erlangen fich beftreben, wenn er nur erft im Amte fein wird.
Dan halt dafür: Dorflinder dürften eben ſoviel nicht wißen, in
— 88 —
der chriftlichen Lehre würden fie von dem Pfarrer oder deſſen
Caplan unterrichtet; was jener ihnen aus dem Katechismo aufgiebt,
bürften Schulmeifter fih nur auffagen laßen. Gin Bischen Leſen
und etwan was weniged Schreiben würden die Kinder wol bie
ganze lange Schulzeit über noch lernen”, Diefer bis dahin herr⸗
ſchend geweſenen Auffaßung der Schule und des Lehrerberufs ftelli
nun Felbiger vor Allem den Sa entgegen: „Es ift in den Schulen
Damit gar nichtS ausgerichtet, DaB nur das Gedächtnis der Kinder
angefüllt, und fte mit Auswendiglernen gequält werden; was Kin⸗
der lernen, müßen fie verftehn und gebrauden lernen: der
Zehrmeifter muß alfo im Stande fein, es ihnen verftändlich und
begreiflich zu machen; er muß zu erforſchen geſchickt fein, ob fie es
richtig begriffen haben, und ob fie von dem Erlernten gehörig
Gebrauch machen Fönnen”. — Hiermit ift indeffen nur Eine
formale Seite des Lehrerberufs bezeichnet; Die andre tft von glei-
cher Erheblichkeit. „Um nemlich die Wichtigkeit des Schulamtes
einzufehn, muß man bebenfen, daß Kinder in Schulen und durch
Schulleute follen tüchtig gemacht werden, nützliche Glieder
des Staatd, vernünftige Menſchen, rechtſchaffene
Shriften, d. i. Mitgenoßen zeitliher und ewiger
Glückſeligkeit zu werden”. Felbiger fügt die trefflichen Worte
hinzu: „Es ift nicht außer Acht zu Taßen, daß Schulleute an den
durch das Blut Jeſu Chrifti erfauften Seelen Der
Kleinen nebft und zugleicd mit dem ordentlichen Seelforger ar-
beiten, durch ihren Fleiß, ihre Treue und ihr Beiſpiel fehr viel
beitragen folen, Damit das Eoftbare Blut unferes Hei—
landes Schulfindern zum ewigen Leben gedeihlich
ſei. Man glaube nicht, daß bier zuviel gejagt werde. Denn
wer kann in Abrede fein, Daß nur jene Der Frucht des Leis
dens und Sterben Jeſu Chrifti teilhbaftig werden,
die Durch den Glauben und Gehorfam, d. i. durch Erkenntnis und
Erfüllung des göttlichen Willens deſſelben teilhaftig fein wollen“.
Hiernach zült Felbiger (S. 6 ff.) die Eigenfchaften eines richtigen
Scullehrerd auf: „Frömmigkeit ift Die erfte Eigenſchaft
einesSchulmannesd; er muß ein rehtfchaffener Chriſt
|
— 89 —
fein”. Sodann folgen die anderen Gigenfchaften: Liebe zu ben
Schülern, Munterkeit, Gebuld, Genuͤgſamkeit und Fleiß.
Eingangd des zweiten Hauptflüds „von der Bipenfchaft
rechtſchaffener Schulmeifter” ſtellt Felbiger nochmals eine Hinweis
ung auf den Zweck der Schule voran (S. 21): „In Schulen
weh man beflißen fein, junge Leute Dergeftalt zu ziehen, daß aus
ihnen mit der Zeit 1) rehtichaffene Shriften, 2) gute
Bürger, d. i. treue und gehorſame Unterthanen der Obrigkeit
mb 3) brauchbare Leute für das gemeine Wefen wer
ven". Zugleich hebt Felbiger hervor, daß e8 Aufgabe des Leh⸗
ms iſt, die Schüler vernünftig, arbeitfam und fittig
m machen. Um das erfte zu erreichen, foll der Lehrer die Schuͤ⸗
In anleiten, „alle Dinge, in denen er unterrichtet, deutlich zu ber
greifen und zu überlegen”. „Bu dem Ende aber ift nötig, ihnen
fe Merfmale der Dinge, bie fie begreifen follen‘, deutlich
angeben, und fie zu bemüßigen, foldhe ſich wol einzubrüden, und
af Befragen oder im Grzälen nacheinander herzuſagen“. Der
&ehrer hat daher. „beim Unterricht nicht blos aufs Gedaͤchtnis,
jondern auch und vielmehr auf den Verſtand und auf Die
veßerung des Willens, und bei Dingen, wo es auf die
Ausübung ankommt, auf die erforderlihe Fertigkeit durch
Uebung zu ſehen“. Um ven Unterricht möglichft praftiich und
nüplich einzurichten, muß der Lehrer „vier Vorteile” zur Anwen⸗
dung bringen. Diefe beftehen darin: 1) daß man die Jugend in
fentlihen Schulen nicht blos einzeln, fondern meift zufammen
mterrihtet (Bufammenunterridhten); 2) daß man burd
fleißiges Befragen unablaͤßig unterfucht, ob die Schüler den Un⸗
terricht echt begriffen haben (Ratechifiren); 3) Daß man bei
Dingen, die ind Gedächtnis follen gefaft werden, fich eines befon-
dern Vorteild bedient, den wir die Buchſtabenmethode nen-
am; 4)und endlich, daß man für Alles gewiße Tabellen braucht,
darin die zu erlernenden Sachen in gehöriger Ordnung und Deuts
lihleit auch fo ausführlich als nötig ift, zu finden find“ (Tas
sellarifiren).
Unter dem Zufammenunterridten, auf welches Fel-
biger den gröften Wert legte, verftand derſelbe, „daß alle Kinder
— 90 —
einerlei Sache zu gleicher Zeit vornehmen müßen, anftatt daß nad
dem fchulmeifterischen Kunftwort eins nach dem andern auffagt”.
Um biefes zu bewerkfielligen, follten die Lehrer darauf dringen,
1) daß die Kinder zum Buchftabiren, Lefen und Lernen einerlet
Bücher hatten; 2) wenn die Schüler etwas zu leſen oder herzu-
fagen hätten, follten fie angewöhnt werben, alle in bemfelben
Tone und In bemjelben Momente dbiefelben Wörter
zu fagen; 3) damit ſich indefien die Schulkinder nicht an Einen
Ton gewöhnten, follte der Lehrer manchmal einen anderen Ton
angeben, in welchem dann alle Kinder buchftabiren, lefen und. ants
worten möüften; 4) Kinder, welche im Allgemeinen biefelben Faͤhig⸗
teiten und Kenntniſſe Bätten, follten zu Einer Klaſſe vereinigt
werben. Eine folche Klaſſe war zuweilen noch in Unterabteilungen
von zwei ober drei Schüler geteilt. 5) In Betreff der Beſchaͤfti⸗
gung diefer einzelnen Klaſſen war der Lehrer an Feine beſtimmte
Ordnung gebunden; er konnte ſich bald an diefe, bald an jene
wenden. Nur mufte er alle jo abrichten, daß fich jede einzelne
auf ein gegebenes Zeichen, 3. B. Klopfen mit einem Schlüffel, fo-
fort zu dem anſchickte, was von ihr verlangt wurde. Dabei
wurben indeffen auch einzelne Schüler mit Namen aufgerufen.
7) Machte ein Schüler einen Fehler, fo muften alle übrigen, Die
den Fehler verbeßern konnten, Diefed durch Emporheben ber Hand
zu erkennen geben *).
Die Buchſtabenmethode Felbigerd beflanb darin, „daß
) Wie es ſcheint, fam die Gitte, daß die Schüler durch Aufheben der rechten
Hand die Fähigkeit und den Wunſch, eine vorgelegte Frage beantworten zu Tönnen,
anzeigten, erft in Felbigers Schulen auf. Wenigſtens kam diefelbe am Ende
des 18, Jahrhunderts im nördliden Deutfhland nur ausnahmsmweife vor, z. B. in
Hannover, indem Horſtig aus Büdeburg unter dem 22. Yebruar 1794 in Pe
treff der Schulanftalten zu Hannover bemerkt: „In allen diefen Schulen findet
man die befondre Gewohnheit, daß die Kinder, wenn der Lehrer mit ihnen
ſpricht, ihre rechte Hand lang vor fi) ausfireden, wodurd fie ein Beichen geben
wollen, daß fie zur Antwort bereit find. Da aber dieß von fo vielen Kindern auf
einmal gefhieht und der Lehrer fi doc nur immer an Einen wendet, der ihm
antworten foll, wobei er ſich nicht immer nach den ausgeftredten Händen richten
darf, fo ift der Borteil diefer feltfamen und auffallenden Gewohnheit fehr unbe.
troͤchtlich“. (Hente’s Archiv für die neuefte Kirchengeſch. B. II. & 50.)
— 91 —
man langfam, deutlich und ordentli in Gegenwart der Schüler
die Anfangsbuchſtaben derjenigen Wörter, die man ihnen ind Ge⸗
daͤchtnis Bringen will, an eine Tafel ſchreibt. Man muß beim
Anfchreiben die Wörter vernehmlich. ausſprechen und die Schäler
gewöhnen, fowol auf das, was gerebet, als auch auf jeben Buch—⸗
Raben, der gefchrieben wird, aufmerffam zu fein. Beim Anblide
der Buchftaben wird fih ber aufmerffame Schüler der Wörter
erinnern, bie er den Lehrer beim Anſchreiben ausſprechen hörte,
Er wirb die Wörter und folglich auch die dadurch ausgebrüdten
Sachen in eben der Orbnung feinem Gedaͤchtnis einprägen, in ber
bie Anfangsbuchftaben auf der Tafel flehn. Ein nicht ſehr geübter
und feiner Sache nicht recht gewifler Schulmann muß aber niemals
etwas auswendig, fondern allemal aus dem in ber Hand habenben
Buche auf bie Tafel ſchreiben; er möchte fonft bei der Wieder⸗
holung des Angefchriebenen vergeßen haben, was biefer oder jener
Buchſtabe bedeute. — Hernach laͤſt man die Schüler zuerft zu⸗
ſammen, dann auch einzeln den Sab ordentlich laut and deutlich
ausſprechen, bilft ihnen, wenn fie fehlen, und fährt Damit fo lange
fort, bis fie ihn im Gedaͤchtniſſe Haben. — Endlich loͤſcht man
die Buchftaben wieber weg und unterſucht, ob die Schüler ohne
fie da8 auswendig Gelernte herzufagen wißen.”
Unter dem (von Haͤhn entlehnten) Tabellarifiren oder
der Tabellenmethode verftand Felbiger den Gebrauch von
„Auflägen, dadurch man das, was Schüler Iernen follen, nad
allen Hauptftüden und Nebendingen, Abteilungen, Zufägen und
Beſtimmungen bergeftalt zufammengeordnet hat, damit Lernende
daraus nicht allein Alles, was fie von dergleichen Sachen zu
wißen nötig haben, fondern auch die Orbnung erfehen können, wie
eind auf Das andre folgt und zufammen verbunden iſt“. Felbiger
unterſchied zwei Arten von Tabellen, nemlich „1) ſolche, welche in
der Form von Stammbäumen mit Klammern eingerichtet waren,
und 2) folche, in denen Durch bloſes Ginrüden der Anfangswörter
jeder Zeile die Haupt: und Nebendinge und was zu jebem gehört”,
unterjchieben werden. In Betreff des Gebrauches diefer Tabellen
gab Felbiger folgende Regen (S. 59): „I) ber Lehrer muß fie
nad) der Buchftabenmethode ordentlich und deutlich auf eine große
— 092 —
Tafel mit Kreide anfchreiben; 2) die Schüler müßen das Ange
jhriebene, fowie andre Dinge, welche nach dieſer Lehrart auswen-
dig gelernt werden, ind Gedächtnis faßen; 3) der Lehrer muß das
Angefchriebene, wo nötig, erläutern, Darüber Fragen anftellen und
durch dieſes Mittel den Anhalt. der Tabellen der Jugend ins Ge
daͤchtnis und in den Verſtand Bringen, endlich aud) machen, daß
fie Alles deutlich einſehen; 4) die Tabellen müßen Schülern immer
eher beigebracht werben, als bie Sachen, Die fie betreffen, 3. &. ehe
Kinder zu numeriren ober zu abbiren anfangen, muß ihnen bie
Tabelle vom Numeriren oder vom Abdiren beigebracht werben” u. |. w.
Beiſpielsweiſe wird „Die Eatehetifche Tabelle, welche
alle Haupiftüde der chriſtkatholiſchen Lehre enthält“, mitgeteilt.
A. Tabelle ohne Klammern,
Erflärung. Katechismus heift bad Buch, aus dem bie
jugend die hriftliche Religion durch Fragen und Antworten erlernt.
Die hriftliche Lehre handelt man ab:
L Ueberhaupt. Hierher gehört, was jedem Chriſten
A. teild notwendig zu wißen ift:
1) daß ein Gott fei, der Alles erfchaffen hat und regiert;
2) daß Gott ein gerechter Richter fei;
3) daß in der Gottheit drei Perjonen feien, der Vater,
Sohn und Heil. Geift;
4) daß die zweite Perfon in der Gottheit Menfch gewor-
den fei, um und zu erlöfen;
5) daß Gottes Gnade zur Seligfeit notwendig fei;
6) daß die Seele des Menſchen unfterblich fei;
B. teil8 auch geboten und nüßlich ift zu wißen:
1) das apoftol. Glaubensbek.; 2) da8 Gebet des Herm;
3) der englifhe Gruß; 4) zwei Gebote der Liebe; 5)
zwei Gebote der Natur; 6) die 10 Gebote Gottes;
7) die 5 Gebote der Kirche; 8) die 7 Saframente;
9) die Hauptpflichten eines Chriſten; 10) die chriftliche
Gerechtigkeit.
IL Insbeſondre. — Hierher gehört eine beutlidhe Er⸗
kenntnis deſſen, was Ghriften
29% —
A. glauben (Chauptjächlich die 12 Glaubensartikel);
B. Boffen, die ewige Seligfeit und die Mittel, fie zu ers
langen (hauptſaͤchlich Die 7 Bitten);
C lieben, Bott über Alles und den Nächften als fich ſelbſt;
D. brauchen, die heil, Sacramente;
E meiden, die 7 Hauptfünden, Die 9 fremden Sünden,
die 6 Sünden gegen den 5. Geift, die bimmelfchreienden
Sünden;
F.üben, 1) die Zugenben:
a) die 3 göttlichen, b) die A Haupttugenden, c)
die 7 Tugenden, die den Hauptjünden ents
gegen find;
2) die 8 Seligfeiten,
3) die vornehmften 3 guten Werte:
a) Beten, b) Faften, c) Almofengeben;
4) die 3 evangelifchen Ratjchläge (nur angera⸗
ten, nicht befohlen) ; |
G. gewärtigen follen, die 4 letzten Dinge:
a) der Tod, b) das Gericht, c) die Hölle, d) das
Himmelreich. |
— 1 —
B Tabellen mit Klammern,
Erklaͤrung: Katechismus heiſt das Buch, aus dem bie
Jugend x.
Die chriſt⸗
liche Lehre
handelt
man ab.
Ueberhaupt
Hierher ge⸗
hoͤrt was je⸗
dem Chriſtenſteils notwen⸗
dig zu wißen / daß ein Gott ſei, der alles
iſt erſchaffen hat und regiert;
daß Gott ein gerechter Rich⸗
| er ſei ꝛc. ıc.
Inss lteils auch ge⸗
beſondere ſboten undſdas apoſtoliſche Glaubens⸗
Hierher gehörtinüglich ift zu)belenntnig, das Gebet bes
eine beutlichelwißen Herrn, den englifchen Gruß,
Erkenntnis ivei Gebote der Liebe ac. ıc.
defien, mas |
Chriſten glauben „was Gott geoffenbart hat
und was er durch feine Kirche
zu glauben vorftellt ꝛc. ıc.
hoffen die ewige Seligkeit ıc. ıc.
lieben Gott über alles und den
Nächten ıc. ꝛc.
brauchen [die heiligen Sacramente
meiden die Sieben Hauptfünden,
die neun fremden Süns
den ıc. ıc.
üben die drei göttlichen
Die Tu⸗ die vier Haupt:
genden \tugenden
die fieben Tugenden
die acht Seligfeiten
die vornehm- | Deten
ſten drei guten |, Faften
Werke | Almofengeben
die Drei evangelifchen Räte
gewärti-
gen ſollenldie vier legten Dinge ıc, ı.
— 9% —
C. Tabelle nad der Buchſtabenmethode.“)
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Kür den Unterricht im Leſen empfahl es Felbiger, in ber
Hnuptfache die alte Methode des Buchſtabirens beizubehalten.
Kur folte Diefelbe wirklich methodifch angewandt werben. Gr
verlangte, „daß man bie Buchflaben nicht auf einmal, ſondern
allmaͤhlich, nicht nach der gewöhnlichen alphabetifchen,, ſondern
nach ihrer genealogifchen Ordnung, — zuerſt die leichteren, Die
aus einem Striche beftehen, dann die jchwereren, aus 2 oder 8
Strihen beftehenden, — und bie ähnlichften zufammen, mit Be
merkung ihres Unterſchiedes bekannt macht; daß man fie durch
Anihreiben mit der Kreide, groß genug, um alle ihre. Teile beuts
lich vorftellen zu Pönnen, vor. den Augen ber Kinder entftehn IAft,
— auch die unterfcheidenden Merkmale durch Auslöfhen, Hinzu
hen oder Verruͤcken verändert. Doch muß man die Kinder auch
die gedruckten Buchftaben Eennen lehren, wozu man ſich dazu ein
J
*) Anz der Anfang derſelben wird hier mitgeteilt.
— 96 —
gerichteter Buchſtabentaͤfelchen, ABCbücher, und alter gedruckter
Blätter bedienen kann, auf welchen fie Buchſtaben von einer Art
mit einer Nadel ober. mit einem Bleiſtift zeichnen müßen. Sie
müßen ingleichen, um fich eines Lexici bedienen zu koͤnnen, bie
gewöhnliche Folge der Buchſtaben Tennen fernen, und neben der
Kenntniß der Buchſtaben auch zur richtigen Ausſprache derſelben
angeführt werden.“
Großen Wert legte Felbiger darauf daß die Schüler ſchon
bei dem Buchſtabiren und Leſenlernen zum Schreibenlernen vor⸗
bereitet würden. „Damit fie ſich gewöhnen, künftig bie Feder recht
zu balten, fo laße man fie beim Buchftabiren und Lefen einen
hölzernen Griffel von der Dide eines Federkiels fo Halten, wie
eine Feder gehalten werben muß. Das Buch laße man fie gerade
vor fih auf die Tafel nieberlegen, fo wie das Papier beim
Schreiben liegen muß, — nicht in die Hand nehmen, jondern mit
dem Griffel unter den Beilen hinfahren, wodurch fie ſich auch un-
vermerkt zum Gleichjchreiben gewöhnen. Man laße fie auch beim
Buchſtabiren und Lefen in der Leibesftellung figen, in der man
beim Schreiben fiten muß.” -
Wie nun der Schüler durch das Lejenlernen zum Schreiben,
fo follte derſelbe durch das Schreiben zum Erlernen ded Rechnen
vorbereitet werden. Der Schreiblehrer follte nemlich ſchon
(S. 404) „beim Unterrihte im Schreiben zugleih die Ziffern
machen Iehren”, und follte hierbei zugleich den „Wert der Ziffern
(menigftend der. einfachen) den Schülern befannt” machen. Der
Rehenmeifter follte ſodann feinen Unterricht mit dem Nume-
ziren beginnen, d. h. er follte „feine Schüler gegebene ober an-
geſchriebene Zalen richtig . ausfprechen und jede beliebige Zahl
ordentlich :anfchreiben” lehren. Als Mittel hierzu hatte Felbiger
befondere Rechentabellen druden laßen. „In dieſen ftehen
Die Regeln für jede der fogenannten 5 Rechnungsarten oder Species.
Mit Abhandlung dieſer Tabellen muß der Nechenmeifter den Anfang
feine Unterricht8 machen. So oft er eine neue Species ober
Rehnungsart zu lehren anfangen will, muß er zuerft die dazu
gehörige Tabelle abhandeln und durch fleißiges Katechifiren die
Darin enthaltenen Regeln den Schülern fowol ind Gedaͤchtniß als
— 97 —
in den Verſtand bringen. Iſt dieſes geſchehen, ſo ſchreitet er zum
Rechnen ſelbſt.“ An Betreff des beim Rechnen anzuwendenden
Berfahrense gab Felbiger folgende Vorſchriften: „Ein Rechen⸗
meifter muß wenigftend das erfte Exempel jeder Rechnungsart feinen
Schülern felbft vorrechnen und ihnen zeigen, wie fie dabei zu
verfahren haben. Er tritt zu dem Ende an die große Schultafel,
nahdem er folche fo geftellt hat, daß die Kinder alles, was er
darauf fchreibt, wol leſen können. Er jchreibt Die Zalen ordent⸗
ih an, redet dabei laut und vernehmlich, fo daß jeder Schüler
hört und fieht, was er macht und wie er verfährt. Wenn er mit
dem Exempel zu Ende ift, Löfcht er ed weg, er nimmt einen ber
beften Schüler, Dictirt ihm die Zalen des vorigen Gxempels, jene
nemlih, aus denen andere jollen gefunden werben; er erinnert
ihn, die Zalen kenntlich und ordentlich zu ſchreiben, verbeßert ihn,
wo er es unrecht gemacht bat; ſodann läft er ihn laut das Exempel
ausarbeiten und Die übrigen Schüler zufehen. — Hierbei ift erfor-
derlih, daß der Rechenmeifter beftändig auf Die Regeln zurüdweife
md feine Schüler auf das erinnere, was fie aus der Tabelle
erlernt haben.” — Das Verfahren war alfo ein weſentlich me⸗
chaniſches, welches ſich von ber gleichzeitig von Rochow aufge
brachten Methode des Rechnenunterrichtes auch dadurch unterjchieb,
daß Felbiger jede Species zunächft nur in unbenannten Balen und
et dann („fo viel ſich nemlich thun laͤſt 2 auch in benannten
Zalen eingeübt haben wollte. Ä
Die Reform des Schulweſens im katholifhen Reichsſtiſt Aeresheim.
Das Auftreten Felbigers in Schlefien war für das gejammte
katholiſche Deutfchland ein Mahnruf zu fofortigem ernften Handeln.
Dem e8 galt bier einen Segen, den, wie man fah, die evange⸗
liche Kirche ans der Hand des Allmächtigen empfangen hatte, nad)
dem Borgange Felbigers der gejammten katholiſchen Kirche des
Reiches zuzuführen. Daher gab ſich aldbald, nachdem man von
delbigers (und hernach von Schulfteind) Wirkſamkeit Kunde «x:
7
B — 93 —
balten hatte, in allen Ländern Fatholifcher Prälaten und Kürften,
in den katholiſchen Reichsſtaͤdten, Grafſchaften u. ſ. w. der regſte
Eifer für Beichaffung eines gedeihlichen Volksſchulweſens kund.
Allerdings war es nicht eigentlich der Geiſt des Joſephinis⸗
mus, der diefen Eifer zunaͤchſt erwedte; war doch Felbiger jelbft
nicht durch ihn, fondern vielmehr durch die einfache Wahrnehmung
des Segend, den eine auf proteflantiihem Gebiete erwachſene
Snftitution dem Leben brachte, zu Diefem Eifer erwedt worben.
Aber ed war auch nicht ber Geift des Katholizismus, der dieſe
DBeitrebungen ins Daſein rief. (Es ift befannt, daß Felbiger ben
fpezififch-Fatholifchen Dogmen feinen Wert beilegte und diefelben
ganz auf ſich beruhen ließ.) Vielmehr machte fich hier der Geiſt
des Chriftentums, der die Schranfen des Fatholifchen Kirchen»
tums vollftändig durchbrochen und überwunden hatte, in der goͤtt⸗
lichen Kraft feiner Wahrheit wirffam. Ueberall, wo man fich in
ber Fatholifchen Kirche erhob, um Volksſchulen in der Weije, wie
man fie auf proteftantiichem Gebiete ſah, herzuftellen, dachte man
nicht an Die Verherrlichung der Autorität ded Papſttums, oder der
Hierarchie, oder des Außeren Sircheninftituted, ſondern an das,
was dem chriftlichen Wolfe not that, damit es chriftlich und gott
felig erzogen und gebildet werde. Daher ſprach ſich in Diefen
Kreifen nicht nur im Allgemeinen, jondern grade in den Schul:
prdnungen, die man publizirte, insbejondere das entjchiedenfte
Misfallen an allem Firchlicheegclufiven Unmwefen aus; es beurfunbete
ſich zugleich ein entfchiedenes Misfallen an der bisher ausfchließlich
gepflegten mönchifch » und jefuitifch-lateinifchen Kultur und an dem vors
bandnen Ueberfluß von Klöftern und Feiertagen, die man aufhob, —
ja man ging fogar fo weit, daß man Diejenigen Dogmatifchen Lehrjäge,
die der Katholizismus mit dem Proteftantismud gemein hatte, als
die Hauptwahrheit des Chriſtentums hinftelte, und Lehrfchriften
proteftantifcher Pädagogen in katholiſchen Schulen einführt. Am
erfihtlichften tritt Diefe Thatfacye gerade in demjenigen Fatholijchen
Zerritorium hervor, in welchem man, nachdem Felbigerd Wirk:
famfeit in Schlefien befannt geworden war, den eriten Verſuch
einer Nachbildung derfelben machte, nemlih in dem (jebt zu Würs
temberg gehörenden) Reichsftift Neresheim. — Unter dem Reichs⸗
9 _
prälaten Benedikt Marin wurde bier fhon am 5. Januar 1769
eine „Inſtruction für den katholiſchen Schulmeifter zu Neresheim”
publigirt, welche auf das eigentlich Katholiſche jo wenig Rüdficht
aimmt, Daß fie grabezu für eine proteftantiihe Schulordnung ges
halten werden könnte. Die hauptjächlichften Beftimmungen ders
ſelben find wörtlich folgende: *)
1. „Da einem zeitigen Schulmeifter eine zalreidhe Jugend
anvertraut ft, welche mit der Zeit nützliche Blieder der
menihlihen Geſellſchaft werben follen, jo muß fein Bes
tragen und feine Aufführung als eines Vorgeſetzten jo eingerichtet
fein, daß bie Jugend aus berfelben eine LXehre zur Nachahmung
Ihöpfen könne. — 2. Ohne Gott den Allmächtigen, den
Alwipenden, den Belohner des Guten und Beſtrafer des Böfen
if alles Wißen, Lernen und Lehren nichts ald Stüd
wert, Er, der Schulmeifter, wird aljo Gott über alles nad
allen feinen Kräften lieben und verehren, und ſich Durch ein übeles
Betrages nicht felbft in die Notwendigkeit verfeßen, den großen
Gott zu fürchten, als welcher den nicht ftraft, der nicht böfe
handelt. — 3. Da das erfte und einzige Gebot, worauf alle
anderen gegründet find, darin befteht, daß man Gott über alles,
und feinen Naͤchſten wie ſich felbit liebe, jo wird er dieſes Gebot
bei fih in die Thätigkeit zu bringen nach allen feinen Kräften bes
fißen fein. — 4. Er wird fich aljo befleißen , die vorigen Grund⸗
läge in die genauefte Hebung zu bringen, eine wahre Religion
ohne Heuchelei zu haben, Niemandem wegen einer anderen
Religion gehäßig zu fein, und fonderheitlich fi von der Reli—
gionsperfolgung weit zu entfernen. — 5. In Rüdlicht
auf die menfchliche Geſellſchaft ſoll er der ihm vorgefegten Obrig-
fit treu und gehorſam fein, jevoh ohne Sclaverei, fo
daß ihm erlaubt wird, in den ihm übergebenen Verrichtungen vers
nänftige Vorftellungen machen zu bürfen, wobei aber der Wiber-
ſpruchsgeift weitab fein fol.” — — 8. „Die Verrichtungen eines
Schulmeiſters beziehen fi auf a) die chriftliche Lehre, b) gute
Eitten, c) die Erlernung des Lefens in der Mutterfprache, d) die
) Magazin für Schulen und Erziehung (1770) 8. IV. &. 139 .
T
”
— 10 —
Schreibfunft in eben diefer Spradhe, e) das Rechnen, f) die
Anfangsgründe der lateinischen Sprache, und endlich g) auch den
Unterriht in der Tonkunſt. — ada. Bei der hriftlihen Lehre
wird er fich der beften und grünblichften Bücher, welche man ihm
an Handen geben wird, wie auch des mündlichen Unterrichtd eines
zeitigen Herrn Pfarrers bedienen. Ueber Alles wird er ſich be
fleißigen, daß er den Kindern das Gebot: Du ſollſt Gott
über Alles und deinen Nächſten wie dich felbft lieben,
recht thätig in das Herz präge, daß er fie von Den Laftern, welche
wider dieſes Gebot hauptſaͤchtlich anſtoßen, — ernitlid verwarnen,
dahingegen bei der Jugend diejenigen Tugenden, welche
der menſchlichen Geſellſchaft am meiſten nützlich ſind,
— auf das ſorgſamſte pflanze.“ — — ad o et ad d hat ſich der
Schulmeiſter die gründlichften Bücher, wozu man ihm bie Anlei-
tung geben wird, anzufchaffen und die Schreibfunft den Kin⸗
bern fo viel als möglidh orthographifch beizubringen, Die
Faͤhigſten au manchmal eine Fabel aus dem Gellert, wos
bei er ſich aller Mährchen und abergläubifchen Erzälungen auf das
jorgfältigfte zu enthalten und nur allein der reinen Wahrheit zu
befleißen bat, auswendig lernen und fie vor andern Kindern her-
jagen, ihnen auch manchmal aus ökonomiſchen Büchern et—
was vorlefen, und dasjenige, was fie auswendig begriffen, in
einen ganz kurzen fchriftlihen Aufſatz bringen zu laßen, damit jie
auch dazu angewoͤhnt werben, und eine Fertigkeit in der reinen
Mutterſprache, und eine Liebe zu guten Büchern bekommen.“ —
„ad ©. Bei dem Rechnen wird ſich der Schulmeifter nach der Fähig-
feit der Kinder richten. Da indeffen feine Wißenfchaft, Feine
Kunft, feine Profeflion, Fein Handwerfund feine Haus—
baltung ohne die Rechenkunſt wol beftehen fann, fo wird
er ſich befleißen, Diejes den Eltern und Kindern auf das
deutlihfte begreiflid zu machen. — Bei Begreifung der
Rechenkunſt kann fi ein fähiger Kopf vorzüglich auszeichnen, und
ſolche Kinder wird aljo der Schulmeifter von Beit zu Beit bei dem
Dberamt anzeigen, damit das Weitere verfügt werben koͤnne.“
nad f. Die Begreifung der lateinifhen Sprade ift
bauptfählih nicht notwendig; fähige Kinder jedennoch
— 101 —
find dazu abzurichten, wobei ſich aber der Schulmeifter zu hüten
bat, daß er nicht alle und jebe, welche ſich dazu angeben, ohne
Borwißen des Oberamts zuzulaßen geftatte, geftalt ſonſt man
her gute Bürger, wie es bishero häufig gefhehn, Dem
Staate entzogen, und Das Geld in die Klöfter zum
gröften Nachteil des weltlihen Nahrungsſtandes —
gefhleppt werden könnte” — „adg. ift bei der Mufit
meiftend dasjenige zu wiederholen, wie bei der lateiniſchen Sprache,
jedennoch ift fie gemeinnüßiger und nicht fo ſchädlich als
dieje.“ |
„12. Ale Tage um 7 Uhr werben die Kinder in der Schule
mjammen kommen, ſodann, wenn der Gottesdienft anfängt, mit
den Schulmeifter paarweid in die Kirche geben, und nach der
Zurückkunft in der Schulftube wird der Unterricht bis 10 Uhr
abgehalten. Um 12 Uhr Rachmittags (Dienstag, Donnerstag und
Samdtag ausdgenommen,) kommen die Kinder wiederum zufammen
und der Unterricht wird bis 3 Uhr fortgeſetzt. Weil aber vers
ſchiedne "ziemlich erwachfene Kinder‘, welche auch bereit3 etwas
jiemliched erlernt, und welche fi mit Striden, Spinnen und
anderen Arbeiten nähren koͤnnen, vorhanden find, fo ift für Diele
eine fogenannte Stundfehule abzuhalten.” — „15. Kinder, die
fh in der Schule, in der riftlichen Lehre, in guten Sitten und
in der Fähigkeit etwas zu lernen vor andern auszeichnen, dieſen
bat der Schulmeifter beſondre Merkmale der Ehre, welde
man bei der Schulvifitation flufenweife an Handen geben wird, zu
erteilen.” —
Die Aufftelung diefer fehr charakteriftiichen Schulordnung
war der Anfang einer Reihe von Anordnungen und Reformen,
duch welche der Prälat das gefammte Schulwefen des Stifts
aufzubeßern oder vielmehr erft zu einem wahren Schulwejen zu
mahen ſuchte. Es wurden Sonn und Fetertagsjchulen für Kin:
der und ledige Söhne bis zum 30. Jahre angeordnet, e8 wurden
die Dotationen der Lehrerftellen erhöht, die Schullehrer geprüft
u. ſ. w. Als einige Jahre nachher die Normalfchulen im Deft:
reichſchen eingeführt wurden, ließ ber Reichspraͤlat einen Normals
lehrer. berufen, ber bie Landſchulmeiſter und 2 Kapitularen des
— 102 —
Reichsſtifts mit der neuen Lehrmethode bekannt zu machen hatte,
und die Einführung derjelben in den meiften Landſchulen bewirkte.
Befonders thätig dafür war der rühmlich bekannte P. Beda Bracher,
damals Kapitular des Reichsſtifts und Verfaßer mehrerer methos
bifher Schulbücher, die in den Schulen eingeführt worden. Sein
Nachfolger, der Schulinfpector P. Karl Nad, arbeitete auf feiner
Grundlage fort. Mit dem Jahr 1783 traten öffentliche Schul-
prüfungen aller Kinder, öffentlide Austeilungen guter Bücher
al8 Prämien, 3. B. der Bibel, guter Gebetbücher, Bederd Not:
und Hülfsbüchlein u. |. w. ein, und im J. 1790 erjchien eine ganz
neue fehr ausführliche Schulordnung, womit die Schulreformen
in Neresheim vorläufig zum Abfchluße Famen.*)
Diefelbe rührige Thätigkeit wie bier trat in allen katho—
liſchen Territorien hervor; überall fuchte man Felbigerd Schul
einrichtungen nachzuahmen und feine Tabellenmethode, die er von
Haͤhn und von der Nealjchule zu Berlin aboptirt hatte, einzu:
führen. Dabei trat der Geift des Joſephinismus, der um das
kirchliche Intereſſe unbefümmert, lediglich Aufklärung und Bürgers
liche Wolfahrt und Erziehung für die praftifchen, insbefondre auch
für die induftriellen Spntereffen des Lebens verlangte, immer ftärfer
und einflußreicher hervor. Auch da, wo fich viel Eifer für eine
hriftliche Volkserziehung fund gab, gefchah Diefes doch immer fo,
baß fich dabei Die Ueberzeugung geltend machte, das Weſen unb
bie feligmadyende Kraft des Chriſtentums fei nicht eigentlich in der
Hingabe an Rom und an die Kirche, fondern vielmehr in ver
Hingabe des Herzens an Chriſtum zu fuchen.
Sp erwuchs die Volksſchule im katholiſchen Deutfchland als
ein Kulturinftitut, welches ſich zwar äußerlich in einem ganz
wünfchenswerten Zuſammenhange mit der Kirche fortentwidelte,
aber innerlic dem Geifte des Katholizismus nicht angehörte. Darum
hatten alle Diejenigen, welchen grade der hierarchiſche Katholizis-
mus vor Allem heilig und theuer war, an elbigerd Werft und
an dem ganzen Fatholifchen Volksjchulmwefen Feine Freude, — was
namentlich Felbiger jelbft erfahren und empfinden mufte.
) Ciſenlohr, Samml. der_würtembergifhen Echulgefepe, Einleitung ©. 54
— 18 —
61
Die Ueform des Volksſchulweſens im Mönigreih Böhmen.
Bu denjenigen katholiſchen Ländern, in denen nad) Felbigers
Borgange das Volksſchulweſen am früheften eingerichtet wurde,
gehört das Königreich Böhmen.
Der Dechant zu Kaplig, Ferdinand Kindermann,
begann hier fchon in den Jahren 1768 und 1769 dem von Fel⸗
biger gegebenen Beifpiel zu folgen, indem er zunächfl feine eigne
Pfarrihule zu reformiren fuchte. Kindermann fand dieſelbe nems
ih in dem elendeften Zuftande vor; nur etwas Muſik wurde in
derfelben gelernt, während ſelbſt der Linterricht im Leſen ganz ver»
nahläßigt war. Kindermann wuſte nun feiner Schule vorläufig
nr jo zu helfen, daß er ſelbſt den Linterricht in die Hand nahm.
Aber dabei muſte große Vorfiht angewandt werben. Unmoͤglich
durfte er in der Meinung der Leute ald Neuerer erſcheinen; Flügs
ih vermied Daher Kindermann Alles, was als Aeußerung von
Unzufriedenheit mit dem bisherigen Verhalten bes Schullehrers
und ber Eltern aufgefaft werben konnte, und beſchraͤnkte ſich vor»
läufig darauf, nur diejenigen beiben Unterrichtögegenftände, welche
in der Hffentlihen Meinung allein etwas galten, nemlich Muſik
und Schreiben, zu cultiviren. Dem ıumermüblichen Gifer Kinder
mannd gelang ed hiermit auch wirklich zu einem erfreulicdhen Er⸗
folge zu gelangen. Die Eltern der Schullinder gewannen an ben
dortſchritten und Fertigkeiten berfelben allmählich Freude uud bie
Säule zu Kaplig erlangte dadurch bald in weiteren Kreifen ein
gewißes Anſehn. Nachdem fomit eine wirklihe Neugeftaltung
dr Schule ermöglicht und für dieſelbe der nötige Boden gefchaffen
ar, beſchloß Kindermann mit der Ausführung feines eigentlichen
Reformplanes vorzugehen. Die Freigebigkeit des Grundherrn zu
Rıylig, des Grafen von Buquoy, befchaffte die nötigen Schulges
tete und Schulbücher fowie den Behalt für einen zweiten Lehrer,
deſen Anftellung durchaus nötig war. Die Schule wurde daher
neh dem von Kindermann aufgeftellten Plane fofort eröffnet, und
etfreute fich alsbald eines Rufes, daß auf Befehl der Faiferlihen
Regierung ſogar brei Schulamtscandidaten aus Galizien nach Kaplig
— 104 —
famen, um ſich mit den daſigen Schuleinrichtungen bekannt zu machen
und Diefelben nad) Lemberg zu verpflanzen. Aber noch immer mufte
Kindermann mit den gröften Hinderniffen ringen, die feiner Anftalt
nachteilig waren. Namentlich ſchien es Iange Zeit faft unmöglich
zu fein, einen regelmäßigen Schulbejuch herzuftellen. Die Eltern
Ichüßten vor, fie bätten ihre Kinder während der Schulzeit zur
Berrichtung von Arbeiten nötig; im Winter Tönnten fie Diefelben
wegen Mangels wärmender Kleider nicht zur Schule ſchicken; fie
vermöchten den Schullohn nicht zu erfchwingen u. |. w. Kinder⸗
mann ſah ein, daß vor Allem die Eltern für die neuen Schulein-
richtungen ‚gewonnen werben muften. Er verteilte Daher zunächft
an Kinder und Eltern eine Anzal von Büchern, worin der Segen,
den ein georbneted Schulwefen dem Bürger und Landmann bringe,
dargeftellt war. Nachdem diefe Schriften geleſen waren, bielt fo-
dann Kindermann eine Predigt über das Gleichnis vom Säemann.
Er ftellte die Eltern als den Säemann und die Finder als den
Ader dar, hielt den erfteren vor, Gott habe ihnen die Kinder le
Diglih zu dem Zwecke anvertraut, damit dieſelben durch fie recht⸗
Ichaffene Menfchen, fromme Ghriften und gute Bürger würden,
wies auf Die traurigen Folgen einer verwahrloften Erziehung bin
und ſchloß feine Anfprache mit einer fehr lebhaften Schilderung
eined flerbenden Vaters, der wolerzogene und tugenbhafte Kinder
binterläft, fie mit heiterer Miene an fein Sterbebett ruft, mit vaͤ⸗
terlihen Händen jegnet, und Dann glüdlich und zufrieben vor ihnen
einfchläft.
Kindermanns Ansprache machte auf die verfammelte Gemeinde
den mädhtigften Eindruck und hatte daher den beften Erfolg. Die
Eltern jchidten jeßt ihre Kinder willig zur Schule, und der Mas
giſtrat jebte bei der Bürgerfchaft den Beichluß dur, daß das
Schulgeld in Zukunft aus der Gemeindecaffe bezalt werben follte.
Ja jogar auf den in der Umgegend von Kapli gelegenen Dorf:
haften wurden jetzt Kindermanns Schuleinrichtungen nachgeahmt >
daſſelbe geſchah auch an anderen, entfernter gelegenen Orten,
3. B. in Reichenberg, in Krummau u. m. a., fo daß die Reform
des Volksſchulweſens in ganz Böhmen jet ihren wirklichen Anfang
genommen hatte und der Kortgang berfelben gefichert war.
— 105 —
In den nad Kindermannd Plan eingerichteten Volksschulen
wurde Unterricht erteilt im Leſen, Schreiben, Rechnen, in der Res
ligionslehre und Religionsgeſchichte, in der Sittenlehre, Rechtſchrei⸗
bang, Muſik und in der Landwirthſchaft. In Kaplig jelbft Hatte
Kindermann außerdem eine Privatſchule eingerichtet, an welcher er
in einigen fchwierigeren Lehrgegenftänden felbft unterrichtete. Dieſe
Privatfhule war teils für ſolche erwachjenere Schüler, die einen
vollfommeneren, vielfeitigeren Unterricht verlangten, teils für zulünfs
tige Lehrer beftimmt. Auch die Anfangsgründe der Iateinifchen
und griechiſchen Sprache und der Geometrie wurben hier gelehrt.
Felbigerd Lehrmethode (namentlich das Zuſammenleſen) war teil-
weile eingeführt *).
$. 8.
Die Reform des Schulmefens in Deflerreid durch Selbiger und Sculflein.
Die Wirkfamkeit Felbigers in Schlefien war nur der Anfang
ber reformatoriichen Thaͤtigkeit deffelben. Denn einen weit groß-
artigeren Einfluß auf die Entwidlung des gejammten Fatholifchen
Schulweſens begann berfelbe feit 1774 auszuüben, in welchem
Jahre ihn die Kaiferin Maria Therefia, Die auf die überrafchenden
Erfolge feines regen Schaffens aufmerffam geworden war, nad
Vin berief, um die Reform des öfterreichifchen Schulweſens in
feine Hand zu Iegen. Felbiger. erflärte ſich bereit, der an ihn er-
gangenen Einladung zu folgen, und traf, nachdem ihm König
Sriedrich IL auf den Wunfch der Kaiferin den erforderlichen Urlaub
erteilt Hatte, alsbald in Wien ein. Der Abt begann nun bier,
wo ihm die Stelle eined Generaldirectord des Schulwejens für
die öfterreichifchen Staaten übertragen wurde, fofort Die regfte
ſchriftſtelleriſche und praktifche Thätigkeit zu entfalten. Bunächft
wurde eine von ihm ausgearbeitete Schulordnung publizirt,. welche
den Titel führte:
„Allgemeine Schulordnung für Die deutſchen Normal-, Haupts
und Trivialſchulen in fämmtlihen k. k. Erblaͤndern (d. d Wien
) Bgl Krünig, ökonomiſch technolog. Encyelopädie, B. 62. ©. 119— 129.
— 16 —
den 6. Decbr. 1774.) Wien”. (fol. 158.8.). Diefelhe war we
jentlih auf das Intereſſe der Erziehung für das chriftlich - bürger-
liche Berufsleben berechnet, weshalb es im Eingang bieß: „Diefer
Segenftand bat unfre Aufmerkſamkeit um befto mehr auf ſich ge
zogen, je gewißer von einer guten Erziehung und Leitung in ben
erſten Jahren die ganze fünftige Lebensart aller Menſchen und die
Bildung des Genies und ber Denkungsart ganzer Böls
terichaften abhängt, bie niemals kann erreicht werben, wenn nicht
durch wolgetroffene Erziehungs- und Lehranftalten bie Kinfter-
nis Der Unwißenheit aufgellärt und jedem der feinem
Stande angemefßene Unterricht erfchafft wird“.
Zur Erreihung dieſes Zieled wurden unter der Oberaufficht
und Leitung von Provinzial» Schulcommiffionen drei Arten von
deutſchen Schulen organifirt, nemlih 1) Normalſchulen in ber
Hauptftadt jeder Provinz oder am Wohnort der Schulcommiffion.
Als höhere Real- und Mufterfchulen (unter einem Director und
4— 5 Lehrern, von denen einer ein geiftlicher Katechet fein mufte,)
eingerichtet, waren fie zugleich zur Bildung Tünftiger Lehrer an
deutihen Schulen beftimmt; 2) deutſche Hauptfhulen in
größeren Städten, auch wol in einem Klofter, jo daß in jebem
Kreife der Provinz wenigſtens Eine ſolche Schule war; 3) gemeine
deutfche oder Trivialfchulen in allen Fleineren Städten, Markt
fleden und Pfarrbörfern.
In den Normalfchulen wurde gelehrt 1) Religion, nad)
dem gejeplich eingeführten Dioͤceſankatechismus ober nad) dem Ka
techismus der Normalfchule zu Wien; 2) Buchftabiren, Leſen,
Recht» und Schönfchreiben, Rechnen; 3) ſolche Wißenſchaften, in
welchen ſich der fünftige Handwerker, Künftler, Landwirth, Schreis
ber, Chirurg, Apotheker üben mufte, nemlich deutſche Sprache,
Geſchichte, Geographie, Naturlehre, die Anfangsgründe der @eo-
meirie, Mechanik u. |. w.; 4) zur Vorbereitung Fünftiger Lehrer
wurde gelehrt „von den Eigenfchaften und Pflichten rechtſchaffener
Lehrer”, Methodik, ſchulamtliche Geſchaͤftsführung u. dal.
In den Hauptfehulen mwurbe daflelbe gelehrt, was in
den Normalfchulen vorkam, jedoch nicht Bid zu demjelben Biele.
In den Trivialfchulen lehrte man 1) Religion, Religionsge⸗
— 107 —
ſchichte und Sittenlehre; 2) Leſen, Schreiben unb Rechnen; 3)
„bie für das Landvolk gehörige Anleitung zur Rechtſchaffen⸗
heit und zur Wirtfhaft nah Maßgabe des hierzu verfaften
Buͤchleins
Den Religionsunterricht erteilten in allen Schulen die Geiſt⸗
lichen. In den Normals und Hauptſchulen waren hierzu beſondre
geitliche Lehrer beftellt, welche täglich wenigftend eine Stunde zu
unterrichten, den Katechismus, die Religionsgefchiähte, die Sitten:
Iehre und die Sonntagspericopen zu erflären hatten. In ben
Zrivialſchulen muften die Pfarrer oder deren Vicare wenigftens
Einmal katechifiren. Auch muften die Ordensoberen ihre Conven⸗
tualen dahin anweifen, ſich ohne alle Remuneration in Anſpruch
nehmen, zur Katechiſation gebrauchen zu laßen. Die Katechi⸗
ſationen der Ordensleute muften indeßen vorichriftsmäßig und uns
ter Aufficht des Pfarrers flatt finden. Die Ordendoberen waren
unter Hinweiſung auf die Iandesfürftlide Machtvollkom⸗
menheit fireng bedeutet worden, diefer Anordnung ohne Wider:
rede Folge zu leiften, wibrigenfalld fie die hoͤchſte Ungnade zu ges
wöärtigen hätten. Die übrigen Lehrgegenftände konnten ebenfowol
von Weltlichen als von Geiftlichen vorgetragen werben.
Die Lehrart war die Hähn’fche Literalmethode, und zwar
ganz fo, wie Zelbiger dieſelbe bereits im katholiſchen Schleflen zur
Einführung gebracht hatte. (BZufammenlefen und Bufammenlernen,
Gebrauch der Tabellen und Buchftabenmethode). Für bie bereits
aus den Schulen entlaßene Jugend, namentlich für die Lehrjungen
und Handwerföburfchen waren an jedem Sonntag, wenigftend im
Sommer, nach Beendigung der Gottesdienfte in der Schule zwei
Wiederhbolungsftunden eingerichtet, in benen der Lehrer
unter Aufficht des Pfarrer oder Picard die Sonntagdpericopen
erklärte, die jungen Burſchen im Lefen, Schreiben und Rechnen
übte und das früher Erlernte wiederholte.
An den Städten muften die Magiftrate alljährlih um Oftern
und Michaelis dem Schullehrer Verzeichniffe aller ſchulfaͤhigen
d. h. in das fechfte Jahr getretner Kinder einliefern. Auf dem
Lande, wo der Schullehrer zugleich den niederen Kirchendienft ver»
ſah, konnte fich derſelbe dieſes Verzeichnis aus den Taufregiftern
— 108 —
ſelbſt aufitellen. Mit Benutzung dieſes Verzeichniffes mufte fidh
jeder Schullehrer ein Buch anlegen, deffen Blätter mit den Buch—
flaben des Alphabets bezeichnet waren. Jedem Buchftaben mufte
er eine Anzal Blätter widmen und auf biefelhen die Namen ber
ſchulfaͤhigen Kinder nach den Anfangsbuchftaben, das Alter, den
Tag ihres Eintrittd in die Schule und ihrer Beförderung in eine
höhere Klaſſe aufjchreiben. Ebenfo hatte der Lehrer aud dem (fo-
fort zu befchreibenden) Fleißfatalog in eben dieſes Buch einzutragen,
wie oft der Schüler in den einzelnen Monaten aus der Schule
geblieben ſei. Auch mufte der Lehrer am Schluße jedes Monats
in dieſem Buche auf einem befondern Blatte bemerken, wie oft er
Schule gehalten, und was er in derjelben gelehrt Hatte,
Ein zweites Verzeichnis, welches Der Lehrer monatlich zu
führen hatte, war der Fleißkatalog. In diefem Buche wurde
die Präjenz oder Abweſenheit der Schüler fo protocollirt, Daß fo:
mol vor⸗ ald nachmittags nach dem Gebete der Name ded Anwes
jenden mit einem Strich, und der erft nach dem Vorlefen Der
Schüler Ankommenden mit einem Punkt verfehn wurde. Aus Die-
jem Verzeichnis fertigte der Lehrer nad) einem vorgefchriebenen
Schema einen Auszug an, den er erft acht Tage nach dem Befchluße
des Schulcurfes an den Auffeher einjchidte.
An einem jeden Schulorte follten von den Obrigteiten eigne
Auffeher ernannt und der Schulcommiffion in den Schulberichten
nambaft gemacht werben. Die Aufficht über die Normal und
Hauptſchulen führte der Director; indeflen muſte auch von dem
Magiftrat des Orts ein Bürger beauftragt werden, nad) dem Zu⸗
ftand der Schule unvermutet zu jehn, und ſich zu überzeugen, ob
Lehrer und Schüler fi ordnungsmäßig verhielten. In den Heinen
Städten, Märkten und auf dem Lande war der Ortspfarrer nebft
dem Beamten und einer verftändigen Gerichtöperfon zum Auffeher
beftellt. Jeder Auffeher hatte über den Zuftand der feiner Auf-
ficht zugewiefenen Schule an den Oberaufjeher nach Oftern und
Michaelis zu berichten. Die Schulcommiffion follte nemlich darauf
Bedacht nehmen, taugliche Männer zu Oberauffehern zu Beftellen
und jedem gewiße Bezirke anzumweifen, die fie zur Prüfung und
Beauffichtigung des Schulweſens bereifen folten. Die Oberauf—
— 109 —
ſeher ſchicken Die empfangenen Berichte an die Landesregierung
ud durch diefe an Die Schulcommiffionen, wobei fie über folgende
Punkte befondere Nachricht mit vorlegen muften: „1) Wo und in
welhen Punkten gegen die Landſchulordnung von Magiftraten,
herrſchaften und Unterthanen gehandelt werde; 2) Was für Hin-
derniſſe dem guten Fortgange des Schulweſens im Wege lägen;
3) Ob oder wo etwa nicht Die nötige Erbauung oder Neparatio-
nen der Schulgebäude vorgenommen, ingleichen wo den Schulbe-
dienten ihre &ebür nicht gereicht werde; 5) Welche Pfarrer, Vi⸗
care, Ratecheten und Schulmeifter ſich durch ihren Fleiß und Eifer
um dad Schulwefen beſonders herporthäten und einer Belohnung
wirdig gemacht hätten. 6) Welche Schulmeifter ihre Pflichten
vernahläßigten oder gar unverbeßerlih und mithin zu beftrafen
oder zu entlaßen wären”.
Um eine möglichfte Förderung des Schulweſens durch Die
Beiflichen herbeizuführen, war befohlen, daß Fein Priefter zur Be-
jegung einer geiftlichen Pfründe, mit welcher Seelforge verbunden
lei, in Vorfchlag gebracht werben follte, wenn er ſich nicht durch
ein von dem Satecheten einer Normalfchule ausgeftellted Zeugnis
darüber ausweifen könnte, daß er mit den in der Schulorbnung
vorgefchriebenen Lehrgegenftänden und mit der neuen Lehrmethode
binlänglich bekannt fei. Auch follte in Zukunft, wenn das Schul-
weien ordentlich eingerichtet fein werde, außer den Laienbrüdeen
Riemand in einen geiftlichen Orden aufgenommen werden, ber
nicht ebenfalld ein derartiges Beugnis befige. Geiftlihen und Leh⸗
ven, welche ſich um das Schulweſen befonders verdient machen
wirden, war eine fichere Anmwartichaft auf Beförderung zugelagt.
In der Schulordnung waren auch mancherlei Beftimmungen
getroffen, welche Die Hebung des Standes und des Anſehens der
Bıllzjhullehrer zum Bwede hatten. Bor Allem follte ihre äußere
Lage gebefert werden. Dagegen wurde ihnen der Betrieb unwür⸗
Diger Grwerbögejchäfte, namentlich) das Halten von Schanfhäufern,
dad Yuffpielen bei Hochzeiten, Tänzen und Gelagen u. dgl. unters
lat, Die Ausübung ordentlicher und geziemender Gejchäfte follte
ihnen indeſſen nach wie vor erlaubt fein.
Natürlich war die Ausführung dieſer Schuloronung einfimel-
— 1190 —
len nur an wenigen Orten d. 5. nur da möglih, wo die dazu er:
forderlichen Lehrer und Pfarrer und wo die nötigen Gelbmittel
vorhanden waren. Zunaͤchſt mufte man fi Damit begnügen, bie
neue Schuleinrichtnng wenigftens in der Refidenzfladbt Wien her—
zuftellen, wo allerdings eine Rormalfchule jowie eine Anzal von
Hauptſchulen fofort eingerichtet und Die Trivialichulen ordnungs⸗
‚ mäßig reformirt wurden *).
Die Normalfchule zu Wien war ald Mufteranflalt fin
alle übrigen beutfchen Schulen der öfterreihiichen Monarchie er:
richtet worden. Seit dem 1. Mat 1774 war fie aus dem St.
Stephanshofe in das ehemalige Sefuitennoviziat zu Sct. Anne
verlegt, wodurch Die Aufnahme einer größeren Anzal von Schülern
ermöglicht war. Der gefammte Unterricht wurde bier unentgeldlich
erteilt. Die Schulamtscandidaten und Die zufünftigen @eiftlicher
erhielten in dem neuen Local ihren Unterricht in der Katechetik ir
befonderen Zimmern.
Hauptfhulen waren in Wien 1) im Waifenhaufe, mil
einem Director, einem Katecheten, einem die Methode Iehrende:
Oberlehrmeifter, 12 Snabenlehrern, 4 Mäbdchenlehrern und mit 1:
Lehrern der Vocal- und Inſtrumentalmuſik, welche unter der Auf
ſicht des Regens chori fanden; 2) bei den Piariften a. in be
Joſephsſtadt, wo neben dem Präfecten und Katecheten noch 5 Leh
rer beftellt waren. Die Schüler zalten nur weniges für Holz uni
für Säuberung der Schule. Wegen Menge der Schulfinder gingen
in ber zweiten Klaſſe einige derjelben nur Vormittags, andre nu
Nachmittags zur Schule; b. auf der Wieden. Neben dem Präfec
ten fungirten hier noch 4 Lehrer; c. in der Ungergaße, wo de
Präfect und 3 Lehrer thätig waren.
Trivialfehulen waren bereitd in größerer Anzal vorhan
den. In und außerhalb der Stadt beftanden vierzehn dieſer An
ftalten, jede einzelne mit einem Katecheten und 1—2 Lehrern. Di
Katecheten (welche wöchentlich zweimal in der Glaubens: und Sit
*) Bgl. „Rachricht von der gegenwärtigen Beichaffenheit der Rormalfchul
und einiger andern deutſchen Schulen in und bei der k. k. Nefidenzftadt Wien. —
Wien 1775. 8°. 62 E©.
— 11 —
tenlehre Unterricht erteilten,) waren teild Ordensleute, teild Welt⸗
priefter. In jeder diefer 14 Schulen wurden 50 arme Kinder
mentgeldlich unterrichtet und mit den nötigen Schulbüchern ver-
ſehn. Im MUebrigen wurde von den Schulfindern das übliche
Schulgeld erhoben. Die Gehalte der Lehrer waren verbeßert
worden.
Ale Lehrer der Wiener Normal- und aller deutfchen Schulen
in der Stadt und in ben Vorftädten mit Einfchluß der piariftifchen
Säulen ftanden unter der Aufficht eines Oberaufſehers, welcher
ale Monate mit dem Director und den Lehrern der Normalfchule
Edulberatungen hielt, wobei derfelbe unterfuchte, was im ver-
Rofnen Monat geleiftet worden war, und feftftellte, was im fol-
genden Monat gefchehn follte. Der Oberaufſeher ordnete bie halb-
jährigen Prüfungen am Ende der Schulfurfe an, verjeßte bie
Schüler in höhere Klaſſen oder ließ fie zurückbleiben. Bel ihm
muften ſich alle Schüler zur Aufnahme in Die Schule melden.
Der Oberauffeher fammelte bie Kataloge ver Lehrer ein, und er-
Rattete in Gemaͤßheit derjelben an bie Schulfommiffton Bericht.
Gr unterrichtete die Sandidaten des Schul und des Pfarramts in
der Lehrmethode und beſchied die Lehrer der Normaljchule, was
fe denfelben in einzelnen Unterrichtögegenfländen vorzutragen hat⸗
ten. — Der Director mufte wöchentlich wenigſtens zweimal nadys
ſehen, ob jeder Lehrer der Normalfchule feine Schuldigkeit that;
er befuchte jede Schule in der Stadt monatlich, und in den Vor⸗
Käbten wenigftens vierteljährlich einmal, wohnte den Schulberats
ſchlagungen bei, führte daſelbſt das Protocol und übergab es dem
Oberauffeher zur Aufbewahrung. Er prüfte mit Dem Oberauffeher
die Schhler fowie die in der Normalfchule vorbereiteten zukünftigen
Schullehrer. Auch vollzog er in Abwefenheit des Oberaufjehers
als, was dieſem fonft oblag, und bejorgte den Drud und Ver⸗
ſchuuß der Schulfchriften. — Die Oberbehörbe der Normalſchule
war die Schulcommiffion.
Alle Eörperlichen Strafen jollten foviel als möglich abgeichafft
ſein Der Gebrauch der fog. Patzen und des Ochſenziemers
war ganz unterfagt und außerdem durfte während der Schulftunde
niemal® eine BZüchtigung mit der Rute vorgenommen werben,
L 2
— 112 —
Wollte fih ein Schüler mit Ermahnungen und Warnungen nicht
beßern Taßen, fo mufte der Lehrer entweder den Namen befjelben
an die Schultafeln anfchreiben, oder er mufte ihn auf den
für ungehorfame Schüler beftimmten Plab ſetzen, um ihn nad)
Beendigung des Unterridht3 mit der Rute zu züchtigen. — Die
Ausftoßung aus der Schule Eonnte nur in der Schulberatichlagung
von ben Dirigirenden Perfonen befchloßen werden.
Es waren auch Schulgefeße für die Schulen der deutjchen,
namentlich der Normal: und Hauptjchulen aufgeftellt worden, welche
der „Lehrer der Sittſamkeit“ den Schülern vorlefen und erflären
muſte.
Vorlaͤufig beſchraͤnkte ſich die neue Schuleinrichtung auf
Wien und das eigentliche Oeſterreich, griff jedoch ſchon in den
nächftfolgenden Jahren auch hier und da in Böhmen Platz. Au-
Berdem juchte die Kaiferin Diefelbe auch im Militär heimifch zu
machen, wobei ihr die wolmollende Gefinnung einzelner Regiments
commanbdeure vielfach fördernd entgegenfam. Bunächft wurden 31
Unteroffiziere und Gemeine von den zu Wien garnifonirenden Re-
gimentern in der Hauptuormalichule zu Sct. Anna in Wien unter
der Aufficht eines Oberlieutenants zu Lehrern der Soldatenkinder
in den Kafernen und Standquartieren ausgebildet. Am 3. Auguft
1780 fand die feierlihe Prüfung in Gegenwart der Kaiſerin ſtatt.
Nach einer an die legtere gerichteten Anfprache wurbe eine Probe
im Singen angeftellt, ſodann muften die militäriichen Kandidaten
praftifch zeigen, wie fie vermittelt gedrudter Tafeln Kinder im
Buchſtabiren unterrichteten, muften fie mit einigen Vorteilen beim
Auswendiglernen bekannt machen, zum Gebraudye des Lefebuches
anweifen, im Schreiben und Rechnen anleiten, Begriffe von nüß-
lihen Dingen erläutern u. dgl. m. Mit dem Vortrage einer
Dankrede und einer Gantate wurde der At befchloßen. - Nas
mentlich waren e8 die Negimenter Dlivier Wallis und Ahrenberg,
welde fi um die Ausbildung ihrer Soldatenfinder fehr verdient
machten. Aber auch in andern Regimentern wurden Gafernen-
ſchulen eingerichtet. In manchen Garniſonsſtaͤdten bedienten fich
die militaͤriſchen Corps der daſelbſt beſtehenden Normal- oder
— 113 —
hauptſchulen, um Soldaten im Leſen, Schreiben und Rechnen uns
terrichten zu laßen.
Schon damals hatte die Schulreform an Ausdehnung be⸗
traͤchtlich gewonnen. In der Stadt Wien befanden ſich 11 Schu
Im mit 862 Schülern und 962 Schülerinnen; in ben Vorftädten
von Wien waren 3 Hauptichulen und 62 Trivialfchulen mit 4666
Schülern und 2286 Schülerinnen. Bon diefen 8776 Schülern
md Schülerinnen erhielten 4187 den Unterricht unentgeldlich. Aus
dem Schulfonds waren i. %. 1779 für Die armen Schüler zu
Bien für 599 fl. Schulbücher gefauft worden. — In dem Lande
unter der Ens befanden fi 4 Hauptfchulen mit 1219 Kinder, 2
Schulen englifcher Fräulein mit 118 Kindern, und 761 XTrivial-
ſchulen mit 21055 Sculfindern, wozu noch 17 NRormalfchulen
famen *). Ä
Die eifrigfte Unterftügung und Die rafchefte und allgemeinfte
Verbreitung fand indefjen Felbigerd Schulreform in Böhmen, wo
der Dechant Ferdinand Kindermann zu Kaplig, der wegen feiner
Derdienfte um das Schulwefen von der Kaiferin Maria Therefla
mit dem Namen von Schulftein in den Mbelftand erhoben
wurde, den Projekten Felbigers in trefflichfter Weife bereits vor⸗
gearbeitet Hatte und, um die neue Schulordnung um fo leichter
und wirffamer durchführen zu können, dem ganzen Unterrichtsſyſtem
einen neuen, praftiichen Charakter gab. ALS nemlich feine Schule
m Kaplitz im Jahre 1773 zu einer Normalfchule erhoben wurde,
erweiterte Schulftein Diefelbe, um ihr in ihrer Eigenjchaft als
Bürgers und Pflanzichule für künftige Lehrer eine um fo größere
Rirffamfeit zu geben, in der Weile, daß er in ihr zugleich eine
Induftriefchule einridhtete, indem er beſchloß, die induftrielle
Beihäftigung und Uebung der Schulkinder als weientlihes Mittel
zur Cinrichtung und allmählichen Vervollkommnung der Volköfchulen
) Bgl. „Beichreibung der auf den 3. Aug. 1780 vormittags um 9 Uhr an-
geordneten öffentlichen Prüfung der 31 Unteroffiziere und Gemeinen c. — Wien
1780“, fol. 6 BB. und „Wiener Schul⸗ und Ehriftenlehraimanad auf das Jahr
1780, Wien 1780“. ne. 7 BB. — Leider baben beide fehr inaltreiche Schriften
Bier nur nach den in der „Allg Bibl. für das Schul und Erziehungswefen in
Deutihland" B. IX. ©. 186 ff. gegebenen Auszügen benupt werden können.
8
— 114 —
zu gebraudhen*). Schulftein ging hierbei von dem Gedanken aı
dag durch die bisherige Einrichtung der Schulen, indem man
denfelben die Kinder nur in der Religion, im Leſen, Schreib:
Singen u. ſ. w. unterrichtet habe, der eigentliche Zwed des Sch
unterrichtes nicht erreicht werde, daß mit Den herfömmlicheu Unt
ruchtsgegenftänden und Uebungen der Schulkinder notwendig nı
eine andere Beichäftigung Dderfelben verbunden werden müße, ı
ihnen diejenige Tüchtigkeit anzubilden, welche fie in der Sc
erlangen ſollten. Schulftein hielt deshalb die Aufnahme induftri
ler Beichäftigung in Den Lectionsplan der Schulen für erforderli
indem nur durch fie den Kindern die rechte Luft und Fähigkeit }
Arbeit, durch die Abwechfelung zwifchen dem Unterricht in den h
fömmlichen Lehrgegenftänden und der induftriellen Beſchäftigur
Liebe zur Schule und Freude an derjelben beigebradyt und zugle
die Möglichkeit gegeben werden könne, fi) das zur Anjchaffu
der Schulbücher und der Schreibmaterialien erforderliche Geld
deſſen Mangel ein jo häufig vorfommender Grund zur Entſchul
gung der Schulverfäumniffe fei, — in der Schule felbft zu v'
dienen. — Sin feiner Schrift „Won der Entftehung und Verbr
tungsart der Snduftrieflaffen in den Volksſchulen des Königreic
Böhmen” giebt Schulftein ſelbſt über feine Schulreform den näl
ren Aufſchluß. Schulftein erzält hier nemlih: „Bei näherer X
trachtung der Volksſchulen nahm ich wahr, daß man in jelben I
Jugend gerade mit dem, was fie Beitlebend am meiften bedur
und brauchte, am wenigften bejchäftigte, daß man Darin viel U
nüßes, und beinah Alles auf eine verfehrte Art lernte. Sch |
hierin Die Duelle des Müßiggangs, der Armut, der Bettelei, d
feichten Religionskenntniffe, der Lauigfeit in der Ausübung ihr
Gebote und mehrere Untugenden”. — „Ich richtete Deswegen me
ganzed Augenmerk auf die Jugendjahre, ja auf Kinder richtete ı
es hin. Die Meinung, daß man aus der Jugend Alles mad
kann, ftärfte mich in meinem Vorſatze, und unterftüßte alle mei
Gründe. Ich war einmal überzeugt, daß unfre Volfsfchulen, weı
*) Ausführlicere Nachrichten hierüber fiehe in Krünig, Oelonom. - technolt
Encyelopädie, T. 62. 8. v. Landſchulen.
— 159 —
fe auch normalmäßig eingerichtet wären, ihrer Erwartung nicht
ganz entfprechen, und ihren Endzwed im gemeinen Xeben gar nicht
erreihen koͤnnen; man müfte deswegen Die Jugend in benjelben
uebft den gewönlichen Lebrgegenftänden Arbeitſamkeit bei-
bringen; man müfte darin Arbeitöclafjen anlegen, fie mit den lit-
teratiſchen Gegenftänden verbinden, und Die Schüler zur Arbeit
leiten, um fie ihnen von Kindheit her anzugewöhnen. Nur dadurch
bürfte Arbeitfamkeit und Induſtriegeiſt national werben“.
„Dazu eiferte mich noch mehr das Bewuftfein an, daß
bie arbeitfamften und induftriöfeften Leute verhältnismäßig Doch
immer bei allen Nationen die beften moralifchen Menfchen find. —
Ih jah nebft dem, daß auch die Moral und die Religion in den
Volksſchulen ihre Wirkung nicht haben“,
„Der Ausführung dieſes Gedankens, fo wichtig und woltätig
er auch in der Folge für das menfchliche Gejchledht werden dürfte,
fellte fich eine ungeheure Zal von Hinderniffen entgegen. Hier
gebrach ed der Gemeinjchule an Mitteln, Die Anlagekoften zu be-
ſtreiten; dort an ben erforderlichen Behältniffen und Zimmern, die
Induftrialclaffen anzulegen; bier dem Schulmanne an einer Gattin,
welhe die Schüler in der Handarbeit unterrichtete, dort an einem
Grunde, worin man die Landjugend zur Baumcultur und Garten-
caltır einladen Fönnte. An manchen Orten war die Menge der
Kinder viel zu groß, ald daß man auf andere, ald auf die vorge
|hriebenen Lehrgegenſtände auch noch Hätte denken Fönnen; "es
mangelte an folchen Mufterfchulen und an ſolchen Schulauffehern,
die die Jugend zur Arbeitſamkeit hätten führen können ober führen
wollen“.
„Indeßen ließ ich meinen Mut nicht finfen ; ich war einmal
fer, daß Arbeitfamfeit jedem Menfchen nüglich und daß die Jus
gend jeber Richtung fähig ift. Sch hatte es nur dahin zu bringen,
daß es die Jugend vergnügte und die Eltern interefjirte, frühzeitig
atbeitſam zu fein“.
„Das Vergnügen entftand aber für die Jugend a) aus der
Abwechslung ber Lehr- mit den Arbeitöftunden; b) aus der Ge—
ſelſchaft, in welcher fie fich felbft zur Arbeitszeit überlaßen, fich
auch nach ihrer Bequemlichkeit mit Gefprädhen und anmutigen
ge
— 116 —
Gefängen unterhalten; c) aus dem Gewinn, den fie wöchentlich
aus ihrer Arbeit ziehen; d) aus der Beſchenkung der wolmeinens
den Eltern und patriotifchen Vorgeſetzten“.
„Ih hatte nun meinen Vorſchlag nur noch interefjant für
die‘ Lehrer und Eltern zu machen, — ich zeigte dem bürftigen
Schulmann, wie er fich feine Nahrungsumftände durch Induſtrial⸗
claſſen zu verbeßern vermöchte, feine Ehegattin mit Striden, Nähen,
Spinnen, Wollefrämpeln u. ſ. f., er aber mit der Baumzucht, mit
der Gultur des Küchengartens, Seivenbaued u. Dgl. fih einen
Berdienft verjchaffen, und damit feine Nebenftunden jo nützlich als
angenehm ausfüllen könnte. Die Vorfteher der Schulanftalten
würden ihre Bemühung entweder mit einer Remuneration ober
einer Gehaltszulage bedenken, wie auch wirklich ſchon Diele des-
wegen mit Beidem in Böhmen bedacht worden find“,
„Die Vorteile, welche aus diefen Suduftriefchulen berfließen,
find groß, find beträdhtlih. Sünde und Lafter wird verhütet, und
der Wolftand der menschlichen Gefellichaft befördert. — Dedwegen
haben fidy viele Lehrer der Landichulen und Die Bandidaten zu
jelbigen aus beiden Claſſen, nemlich der Mägdlein und der Knaben,
bier an der Normaljchule ein Modell genommen und im Orte ihrer
Beſtimmung für die Schuljugend den Induſtrialunterricht einge
führt, nur mit dem Unterfchiede, daß auf dem Lande gleichwie da
Die Knaben des gemeinen Mannes ſich auch mit dem Spinnen,
Striden, Klöppeln u. ſ. f. in der Schule abgeben, die Maͤgdlein
auch die Gartenarbeit mittreiben und bejonders die Anpflangung
ber Küchengewächje erlernen”.
„Diefe Anftalt verbreitet ſich nun feit 8 Sahren an ſehr
vielen Orten, auch ohne fonderlichen Sonde, von ſich felbftl. (Man
fann dermalen in Böhmen mit Gewisheit bis 200 ſolche Schulen
angeben, welche den Snduftrialunterricht mit Dem litterarijchen blos
der angeführten Vorteile wegen verbinden und mit gutem Fort:
gange erteilen.) Wo fih an der Schule nicht 2 Lehrzimmer vor-
finden, da gibt Die Gattin des Lehrers indeflen in ihrem Wohn-
zimmer den Sjnduftrialunterriht; und wo der Schulmann fein
Feld, auch Fein Gärtchen bat, und die Gemeinde dazu auch fein
Stück Grund miethet, da miethet der Schulmann oder ber Aufs
— 117 —
jeher derſelben gegen Zins ein Stud, welchen Zins man ganz
lit von der unternommenen Gartencultur entrichten kann“.
Im Jahre 1777 war die Schule der St. Niclaspfarrei bie
erfte, in welcher für die Mädchen ein befonderer Unterricht in in⸗
duftriellen Arbeiten eingeführt ward. Kurz darauf wurden Die
Verfuche bekannt, welche der Graf von Taffe zu Elifchau und der
Lehrer der Schule zu Sct. Thomas mit dem Induſtrieunterrichte
machten. Indeſſen Eonnten diefe Verſuche jo lange feinen rechten
Forigang haben, als man feinen Fonds Hatte, der zur Anftellung
beſondrer Anduftrielehrer oder Lehrerinnen ausreichte. Da erhielt
endlih der Induſtrieunterricht auf den E. k. Cameralherrſchaften
in Böhmen, 1778 zu Podiebrad, 1779 zu Brandeis und Sbirow,
in dem für fie befonders verfaften Schulplan gefegliche Einführung,
indem verorbnet ward, Daß in den Volksfchulen Spinnmeilterinnen
angeftellt und die fleißigften Schüler belohnt werden follten. Seit
1780 begann man auch in Brandeid und auf anderen Dörfern,
aud in der Stadt Budweis das Spinnen in den Schulen heimifch
wu machen, was auf den Schulbejuch überhaupt den beften Einfluß
hatte. Außerdem wurden außer dem Spinnen auch allerlei andere
Delhäftigungen,, namentlih Seidenbau, Gartenbau, Striden,
Klöppeln u. |. w. in den Schulen eingeführt, und zwar mit fo
gutem Erfolg, daß Schulftein jeßt mit Hülfe der Behörden gradezu
dahin arbeitete, in allen Schulen Böhmens die Induftriearbeit
heimiſch zu machen und dieſe als flärkften Hebel zur Hebung bes
Schulbeſuchs und der Wirkfamkeit der Schule zu benußen *).
6.9.
Das öflerreihiihe Volksſchulweſen nad dem Sahre 1780.
AS Maria Therefia i. J. 1780 ftarb, erreichte die Wirk:
ſamkeit Felbigers fofort ihr Ende**). Der neue Kaifer, JofephIL,
— — —
) Ansführlichere Rachrichten fiehe in Krünitz, Enchelopädie B. 62. ©. 131 ff.
) J. 3. 1778, als die baieriſchen Irrungen ausbrachen, erhielt Felbiger von
Briebrih II. den Befehl, entweder nach Schlefien zurüctzukehren oder auf die Abtei
Saga zu verzichten. Um jein Jo mũhſam zu Stande gebrachtes Wert gegen \eine
— 18 —
der i. J. 1781 das Toleranzedift publizirte, die Genfur milderte,
in ben erften drei Jahren feiner Regierung 700 Kiöfter aufbob,
und Aufklärung für beßer bielt al8 allen Glauben, dachte aller:
dings ebenfalld an thunlichfte Hebung des Volksſchulweſens; abeı
einerfeit8 war die Seele des Kaiferd von dem Gedanken unt
Plane eines vollftändigen Bruches mit allem UWeberlieferten jo ge
feßelt, daß Derfelbe zu einer unbefangenen Würdigung der Schöp:
fungen Maria Thereflad und Felbigerd doch nicht gelangen Eonnte,
und andrerfeit8 war die Verwirrung, in welche Joſeph durch feiner
tyrannifchen Liberalismus feine Völker und fich ſelbſt bradhte, fr
groß, daß derſelbe mit feinem feiner Projekte zum Ziele Fam.
Gleichwol gewann das äfterreichifche Volksſchulweſen, vor
der Staatsregierung durch zalreiche neue Verordnungen mannigfad
gefördert, auch nad) 1780 an äußerem Beftand wie an innere:
Ordnung und Durchbildung. Zunächſt wurde der Einfluß dei
ToleranzediftS auf proteftantifchem Gebiete wahrnehmbar. Den
indem infolge defjelben aller Orten evangelifche Familien auftauch
ten, um zu einem Gemeindeverband zufammenzutreten und eineı
Öffentlihen Cultus in beſcheidnen Bethäufern einzurichten, wurd:
natürlich fofort auch an. die Errichtung evangelifcher Schulen ge:
dacht. Aber die Sache hatte ihre Schwierigkeit, da die Gemeinde:
glieder oft weithin zerftreut wohnten und von dem Fatholijcher
Volke in jeder nur möglichen Hinficht beläftigt wurden. Erſt fei:
1780 begann das evangelifche Volksſchulweſen in den öfterreidhi:
ſchen Landen eine georbnetere Geftalt zu gewinnen. Die für Di
zalreihen und einflußreihen Widerſacher fhügen zu können, glaubte Yelbiger dat
legtere thun zu müßen. Als Entfhädigung gab ihm die Kaiferin die Propftei zı
PFresburg und eine jährlihe Penfion von 6000 fl. Joſeph IT. zog indefien be
feinem Regierungsantritt diefe Penfion zurüd und befahl Yelbigern, fi) nach Pres
burg auf feine Propftei zu begeben und auf die Verbeßerung des Schulweſens ir
Ungarn fein Augenmerk zu richten. Felbiger that diefes auch wirklich, fand abeı
nicht die Unterftügung, die ihm unter der vorigen Regierung zur Geite geftander
batte, weshalb feine Bemühungen erfolglos blieben. Er ftarb am 17. Mai 1788
zu Presburg. — Ein voliftändiges Verzeichnis von Felbigers zalreihen Schrifter
fiehe in Meufels Legicon der von 17501800 verftorbenen deutichen Schrift
fteller, 8. III. &. 297 fi.
— 119 —
katholischen Schulen aufgeftellten Verordnungen wurden auch amf
bie evangelifchen angewendet. Die evangelifchen Schulmeifter muften
in den Normalfchulen ihren Curſus abfolviren und fih in denfelben
prüfen laßen, und ebenfo übte Die Direction der Normalfchule die
Auffiht über den Unterricht im Lefen, Schreiben und Rechnen in
den evangelifchen Schulen aus. Nur die Erteilung des Religions-
unterrichte8 wurde von ben proteflantifchen Gonfiftorien beaufſich⸗
tigt. Kür die Schulen in Defterreidh ob der Ens gab der Super-
intendent Thielifch Die Felbigerſchen Schulbücher mit den nötigen
Abänderungen heraus.
In Wien beftand feit 1794 eine Schule der beiden proteftans
tiſchen Befenntniffe. Die Schulfinder wurden hier in der evanges
liſchen Glaubens⸗- und Sittenlehre, im Lefen, Schreiben und Rechnen,
lowie in den Anfangsgrinden der Naturgefchichte, der Technologie,
der Erbbefchreibung und der Geſchichte unentgeldlid unterrichtet. -
Kermere Kinder wurden auch mit Büchern, Schreibmaterialien und
nötigenfall8 fogar mit Kleidungsftüden verfehn. Die Schule umfafte
mei Hauptklaffen, deren jede ihren eignen Lehrer hatte. Bei ber
Erteilung des Religionsunterrichtes wurde der Unterjchted der Der
fenntniffe gar nicht beachtet, vielmehr wurden bis zum Gonfirma-
tiondunterrichte fämmtliche Schulfinder von beiden Satecheten der
Iutherifchen und der reformirten Gemeinde wechſelsweiſe unterrichtet.
Ein Ausſchuß von einigen Mitgliedern beider Gemeinden bejorgte
unter dem Namen einer Schuldeputation die Leitung des geſamm⸗
ten Schulwefend. Die Superintendenten beider Confeſſionen führ:
ten die Specialaufficht über den Unterriht und die Oberaufſicht
über das Ganze war von Regierungswegen dem Inſpector jämmt-
licher Normalfchulen in Wien anvertraut. Am Ende eines jeden
Halbjahr wurden in Gegenwart des Leßtern öffentliche Schul-
prüfungen angeftellt. |
Mancherlei Erfreuliches zeigte ſich namentlih in Mähren.
Der Vicar der proteftantijchen Gemeinde zu Brünn, Wagifter
M. Zoller, ſchuf hier eine von vielen Handwerksburſchen bejuchte
Sonntagsſchule, worin Unterricht im Leſen, Schreiben, Rechnen,
in der Erdkunde und Naturfehre erteilt wurde. Unter dem 23. Sep-
tember 1802 ſetzte Jemand anonym in Mähren einen Preid von
— 120° —
100 fl. für denjenigen Geiftlihen oder Schullehrer in Städten und
auf dem Lande aus, welcher von da an bis zum 1. Januar 1804
Die befte Sonntagsfchule für erwachſene Bürger- oder
Landleute errichtet und fortgeführt haben würde.
Mit befonderem Eifer wurde unter Schulfteind noch forts
dauerndem Einfluß an der Hebung der Volksfchule in Böhmen
gearbeitet. Im Sabre 1788 wurden von Wien Mufterriße nad
Böhmen gefchidt, wonach in Zukunft alle Schufhäufer aufgebaut
und eingerichtet werden follten. Auch wurden in biefem Jahre die
Serien vom September und October auf den Juli und Auguft
verlegt, jo daß das naͤchſte Schuljahr vom Anfang des November
1786 bis zum Ende des Juni 1787, und jedes folgende vom An⸗
fang des September bis zum Ende des Juni dauerte. Zugleich
fab man die Notwehdigkeit einer firengeren Ueberwachung des
Schulbeſuches ein. Denn es zeigte ſich i. %. 1786, daß von
239424 fchulpflichtigen Kindern nur 142145 wirflid in die Schule
gingen. Daher machte das Landesgubernium befannt, daß man
demjenigen Schulaufjeher oder Lehrer, der die Zal feiner Schüler
im fommenden Jahre um ein Dritteil vermehren werde, dieſes als
ein belohnungswürbiges Verdienſt anrechnen werde. Zugleich wurbe
es den Eltern auf daß firengfte unterfagt, ihre Kinder fernerhin
zum Viehhüten zu gebrauchen. — Im folgenden Sabre 1787 wurde,
um die Lehrer zu immer größerem Fleiße und Eifer zu ermuntern,
verorbniet, „daß bei dem Vorſchlage zu den für Normaljchüler be-
flimmten Stipendien unter den Anwerbern vorzüglich auf die Söhne
geſchickter und eifriger Schullehrer Bedacht genommen werden foll,
Damit dieſen nüglichen Beamten, wo es immer thunlich ift, Er⸗
leichterung und Grmunterung zugehe“. Gin E. k, Hofdecret vom
8. Juni 1788 dehnte eine Verordnung, die ſchon in den faiferlichen
deutſchen Erbländern publizirt war, auch auf Böhmen aus. Nach
derſelben follten von jeder Hinterlaßenfchaft, die wenigſtens 300 fl.
betrage, an den Normalſchulfonds, wenn der Erblaßer von Adel
war, 4 fl., wenn er unter die fog. Honoratioren gehörte, 2 fl.,
wenn er Bürger oder Bauer war, 1 fl. abgegeben werden. —
Dieſe und Ähnliche Verordnungen waren nicht ohne Erfolg. Die
Zal der die Schule befuchenden Kinder mehrte ſich mit jedem Jahre,
— 121 —
eenfo die Zal der Schulen und der feminariftifch gebildeten
tehrer, fo daß der Zuftand des Schulweſens allmählich ein immer
afreulicherer wurde. *)
Um das Jahr 1800 zählte Böhmen 2644 öffentliche Lehr⸗
anftalten, worunter ſich 2628 Bürgerfchulen befanden. Bloßer
Glementarunterricht wurde in 2544 Triviale oder Gemeinde
ſchulen erteilt, deren jede zwei Klaſſen umfafte und einen Lehrer
hatte, dem oft noch ein Behülfe zur Seite ftand. Zur berufs⸗
mäßigen Bildung des Bürgers insbejondre dienten 54 Stadtjchulen
von je 3 Klaſſen mit 2—4 Lehrern. Neben diefen Bürgerfchulen
befanden noch 29 KHauptichulen von je 4 Klaffen, meiftens mit
einer Zeichnenjchule verbunden. Außer dem Director fungirten an
jeder der Ießteren noch 4—5 Lehrer. Die Provinzialmufterfchule
oder die eigentliche Normalichule zu Prag, an welcher 9 Lehrer
wirkten, hatte namentlidy auch die Beftimmung, Schulamtscanbis
daten, insbefondere für Stadt- und Hauptſchulen vorzubereiten.
Unter diefen 2628 Volks⸗ und Bürgerfchulen waren 39 ausjchließ-
ih für Knaben, ebenſo viele ausfchließlih für Mädchen, die
übrigen für beide Gefchlechter zugleich beftimmt. Sin confeifioneller
Hinfiht waren 2199 Schulen Fatholiih, 36 proteſtantiſch und
. 21 jüdiſch, die übrigen gemiſcht. Der vierte Teil aller Schulen
gehörte zugleich in die Rubrik der Induſtrieſchulen.
An vielen Orten war freilih das Volksſchulweſen in ben
kaiſerlichen deutſchen Erblanden noch im tiefften Verfall. Ueber
den Zuftand der Schulen in Mähren 3.8. wird aus dem J. 1799
Folgendes berichtet: **) Es ift ein trauriges Loos für unfer Vater:
Ind, daß wir feine E. Kreis-fommifläre in Schulſachen mehr
haben, und die Gefchäfte derſelben den politifchen Kommiflären
überlaßen find. So geihidt dieſe Männer in ihrem Fache fein
*) Brgl. „Hiftorifhe Nachricht von der Entftehung und der Verbreitung des
Rormalihulinftituts in Böhmen, von Ignaz Böhm, GHofcaplan nnd Echuldirector.”
Frag 1784 mit den zwei Fortſetzungen diefes Werkes von 1784 und 1785. —
Ankerdem: Krünig, Enchelopädie B. 62, &. 139— 148,
") Rerionolgeitung der Deutſchen, Jahrgang 1799, &. 560.
— 12 —
mögen, fo mangelt es ihnen doch an päbagogijhen und Fateche:
tifchen Kenntniſſen, Die zur Wufrechthaltung und zur Beförderung
des Schulweſens notwendig find. Verordnungen, von denen bis
weilen eine erjcheint, helfen wenig, ober gar nichts, befontert
wenn Obrigfeiten, Magiftrate und obrigkeitlihe Repräfentanter
fi Die Sache nicht ‚näher zu Herzen nehmen — wie es leider
nur gar zu viele gibt. Die Schulen gerathen dabei ſichtbar ir
Verfall und wenn nicht hie und da noch (beſonders junge) Geiſt
liche mit Thätigkeit Die gute Sache betrieben, fähe es noch weiı
ſchlimmer aus. Ich kann ein paar Beiſpiele davon nicht verſchwei
gen. In Hartfchendorf, eine Stunde von Neutitfchein, iſt ein
Schule, die eher einer Brechhütte ähnlich fieht, ald einem Bil
dungshauſe der Jugend. Der Regen überſchwemmt dur Die
DOeffnungen des Daches das innere Wohngebäude; Stüßen halter
es noch aufrecht. Das Schulzimmer hat kaum einen Raum vor
12 Klaftern und doch foll es täglich mehr als 70 Kinder aul
einmal faßen. Bei jebem Sturme fieht man faft feinem Sturze
entgegen, denn es ift aus Lehm und morjchem Holze gebaut; unt
ungeachtet dieſes elenden Zuſtandes erbarmt fich Die Obrigfei!
doch der Jugend nicht, ungeachtet der Vorftellungen, bie ihr ge
macht worden find. Die Kinder braten täglich, wie Häringe zu:
fammengeftopft, an der Sonne oder an der Ofenhiße im Winter
Der Unterricht wird dadurch nicht nur verleidet, fondern faft un
möglich gemadt. In Hrabin, einem Markte auf der Straß:
von Troppau auf Tefchen, war vor ein paar Monaten die Schul:
nicht beßer; der Lehrer mufte zur Zeit eined Regenwetters allı
Gefäße in feinem Wohnhaufe zufammenbringen, um nicht über
ſchwemmt zu werden. Die Obrigfeit weigerte fi, Das durch
löcherte Dach auszubeßern, weil fie, ob fie gleih Schußpatror
ift, Diefe Laſt nicht allein tragen zu müßen glaubte; und dod
gehört der Graf, der Beſitzer dieſes Gut, unter Die reicher
Savaliere Maͤhrens.“ —
— 123 —
6. 10,
Die Schul- und Unterridtereform des Domherrn
Friedrich Eberhard von Room.
Wie in Nachterftädt, fo entflanden auch an einzelnen ans
dem evangelifchen Orten, in Dörfern wie in Städten, Volks⸗
ihulen und Lehranftalten, welche das Anbrechen einer neuen Zeit
der Volksſchule ankündigten und vorbereiteten. Aber dieſe Schul-
anftalten kamen einerjeitS immer nur ganz vereinzelt vor, und
konnten, da fie nur glüdlichen Zufälligkeiten ihren Urfprung und
ihre Pflege verbankten, ebenſo wenig einen erheblichen, nachhaltig
anregenden Einfluß in weiteren Streifen gewinnen, als fie in ſich
felöft irgend welche Bürgfchaft für ihren Tängeren, das Leben
ihrer zeitweiligen Gönner und Leiter überdauernden Beftand
hatten. Außerdem beichäftigte fich ja Die neuere Pädagogif, ob⸗
Ihon fie die gefammte Volfderziehung im Auge haben wollte, doch
eigentlich nur mit den Schulen des Bürgerftandes in den Stäbten,
mb die beßeren Schulanftalten, welche bier und da auf fehr
wenigen Dörfern vorkommen, waren nichts als Nachbildungen des
ſtaͤtiſchen Bürgerſchulweſens. An die Dorfichule als foldhe war
bisher noch gar nicht ernftlich gedacht worden, menigften® Hatte
man die Grundſchäden deſſelben noch nirgends gründlich befeitigt.
Da trat in Brandenburg ein Mann auf, der zwar feine
päͤdagogiſche Bildung aber ein herzliches Erbarmen mit dem armen,
gang vernachläßigten Landvolk Hatte und ihm um Gottes Willen
zu helfen beſchloß. Es war diejes der edle Domherr Friedrich
Eberhard von Rochow, Erbherr zu Reckan bei Branden-
burg. Diefer ift der Neformator und Vater des evangelifchen
Dorfihulmefend in Deutfchland, indem er auf feinem Sitze zu
Kedan, fowie auf den benachbarten ebenfalls ihm gehörenden
Dörfern Gettin und Krane die erften wolgeorbneten Dorfichulen
einrihtete, in benfelben methodiſch unterrichten ließ und dadurch
me für lange Zeit ganz einfam ftrahlende Leuchte für das ge>
Nammte evangelifche Dorfſchulweſen Deutfchlands aufrichtete. *)
*) Außer den weiter unten angezogenen Schriften von Rochow und Riemann
iR über Rochows Schuleinrichtimgen zu vergleiden: Krüniß, ökonomiſche Ench⸗
— 124 —
Rochomw haͤtte ſich urfprünglich für den militärischen Beruf
beſtimmt und hatte demgemäß, da in demfelben weiter nichts ale
Tüchtigkeit im Dienft gefordert wurde, feine geiftige Bildung fehr
vernachläßigt. Aber mit eifernem Fleiße und mit unbeugfamer
Energie hatte er fpäter nachgeholt, was in früherer jugend ver:
fäumt worden war, fo daß Rochow zu den in Sprachen und Ge
ſchichte unterrichtetften und in praktiſchen Dingen urteildfähigften
Edelleuten des Brandenburger Landes gehörte.
. Was indeffen Rochow trieb, fi) bed armen, in geiftigem
und fittlihem Elende dahinlebenden Volkes feiner Dörfer anzu-
nehmen, war nicht ſowol das Wolgefallen, was er allmählich an
geiftiger Bildung und Kultur als foldher gewonnen Hatte, ale
vielmehr der barmherzige Siun, der gute chriftliche Geift helfender
und rettender Xiebe, der ihn befeelte.
Ueber die erfte Veranlagung zur WVerbeßerung feiner Dorfs
Schulen erzält nemlich Rochow in der Gejchichte feiner Schulen
Folgendes felbft: |
„Als in den Sahren 1771 und 1772 fehr nafle Sommer
einfielen, viel Heu und Getreide verdarb, Theurung entftand, aud)
tödtliche Krankheiten unter Menfchen und Vieh wütheten, da that
ich nach meiner Obrigfeitspflicht mein. Mögliches, den Landleuten
auf alle Weife mit Rat und That beizuftehn. Ich nahm einen
ordentlichen Arzt für die Einwohner auf meinen Gütern an, ber,
unentgeldlich von ihrer Seite, fie gegen ein jährliches Gehalt von
mir mit freier Medizin verfehn und heilen folltee Sie erbielten
ſchriftliche Anweiſung und mündlichen Rat, wie durch allerlei Vor:
fehrungen und Mittel (wobei fie freilich ihrerfeitd thätig fein
muften,) dem Fortgang der Epidemie zu fleuern ſei. Aber böfe
Vorurteile, Verwoͤhnung und Aberglauben nebft gänzliher Un-
wißenheit im 2efen und Schreiben machten faft alle meine guten
Abſichten fruchtlos. Sie empfingen zwar die Mittel, die ich be
zalte, nahmen fie aber nicht ein und fcheuten fogar die Mühe, dem
nur eine Feine Meile weit in Brandenburg wohnenden Arzte von
elopädie, B. 61. &. 914—1028 und Büfhings Beſchreibung feiner Reife von
Berlin über Potsdam nad Redahn vom 3.—5. Junj 1775,
— 125 —
dem jebesmaligen Zuftande der Patienten ⁊c. 20. Nachricht zu geben.
Die einfachften Vorkehrungen und Reinigungsanftalten, Die ich
ihnen mündlich und fchriftlid) empfahl, waren ihnen teild zu müb-
ſam, teild hatten fie ſolche vergeßen, und das Schriftliche konnten
Ne nicht Iefen. Dagegen brauchten fie heimlid die verfehrteften
Mittel, Tiefen zu Duadfalbern, Wunbderdoctoren, fogenannten Eugen
Frauen, Schäfern und Abdeckern, bezalten dort reichli und
Karben häufig dahin. In tiefer Demut möchte ich an dieſem
hmdbaren Beiſpiele den Regenten und Landesvätern der Voͤlker
ven hoben unjchägbaren Wert der Aufllärung durch befere Schu:
Im bier nochmals an das Herz legen! Schon blos von Seiten der
Finanz betrachtet, die durch Entvölferung der Länder verliert, und
ki Wolftand und Erhaltung nüßlicher Individuen gewinnt, fallen
ale Einwürfe der Auffiärungsfeinde dahin. Oder gehört etwa
ht zu jedem Thun und Laßen und Gewerbe Nachdenken und
Bordenfen, damit e8 gelinge? Der Dumme denkt aber nicht ge-
dirig weder nach noch vor, weiß fich nicht zu helfen, fann guten
Rat nicht würdigen, und wirb eben darum ein Opfer der Greig-
ufe. In bitteren Gram verfenkt über dieſe fchredlichen Folgen
de Dummheit und Unmwißenheit ſaß ich einftmal® (es war am
4, Rovember 1772) an meinem Schreibtifche und zeichnete einen.
wen, der in einem Netze verwidelt da liegt. — So, dachte ich,
legt auch Die edle kräftige Gottesgabe Vernunft, die body jeber
Renſch hat, in einem Gewebe von Vorurteilen und Unfinn der-
Maßen verftridt, Daß fie ihre Kraft jo wenig, wie hier der Löwe
die feinige, gebrauchen kann. Ach! wenn doch eine Maus da wäre,
die einige Mafchen dieſes Netzes zernagte! Vielleicht würde dann
difer Löwe feine Kraft äußern und fid) Io8 machen können! Und
mm zeichnete ich, gleichfalls als Bedankenfpiel, auch die Maus
fin, Die ſchon einige Maſchen des Nepes, worin der Löwe vers
widelt liegt, zernagt hat. Wie ein Blipftrahl fuhr mir der Ge-
danke durch die Seele: Wie, wenn bu diefe Maus würbeft? —
Und nun enthülte fi mir die ganze Kette von Urſachen und
Rirfungen, warum ber Landmann fo jei, wie er if. Er waͤchſt
uf als ein Thier und unter Thieren. Sein Unterricht kann
nichts gutes wirken. Der gröbfte Mechanismus herrſcht in feinen
— 126 —
Schulen. Sein Prediger ſpricht hoch⸗ und er plattdeutſch. 2
verftehen fich nicht. Die Predigt ift eine zufammenhängenbe 9
die er wie zur Frohne hört, weil fie ihn ermüdet, indem er
Aufmerfen und Periodenbau nicht gewöhnt, ihr nicht folgen FE
ja felbft wenn fie gut ift (und wie oft ift fie das?) das Buͤ
berjelben bei ihm nicht Ueberzeugung findet. Niemand beı
fih, Die Seelen feiner Jugend zu veredeln. Ihre Lehrer
wie Ghriftus ed nennt, blinde Leiter, und fo leidet denn
Staat bei dieſem Zuftand der Sachen, nach welchem fein
fih in einem befländigen Sriege gegen die verheerende und
ftörende Dummheit befindet, mehr Verluſt, als in ber bluti,
Schlacht. — Gott, dachte ih, muß deun das fo fein? $
der Landmann, dieſe eigentliche Stärke des Staatskoͤrpers,
auch verhältnismäßig gebildet und zu allem guten Werk ge)
gemacht werden? Wie viel tüchtige Menjchen hätte 3. B. ic
diefen Jahren nicht meinem Vaterlande gerettet, Die jept ein 9
ihrer entjeglichen Stupidität geworben find! Ja, ih will die V
fein. Gott helfe mir! Und nun fchrieb ich gleich denjelben 3
gen bie Titel der 13 Kapitel, woraus mein Schulbuh für
Lehrer ber Landleute beftehen follte, nieder, und zwar auf
andere Seite ded Blattes, worauf der Löwe, dad Nep und
Maus ftand.”
Am Nachmittag defjelben Tages teilte Rochow feinen °
feinem erft vor einem Sahre in Redan inftallirten Pfarrer Ste
Rudolph mit, der denjelben billigte und außerdem riet, die g
Angelegenheit dem Oberconfiftorialrat Xeller in Berlin zur
gutachtung vorzulegen. Teller belobte Rochows Entwurf als
meinnüßig” und erteilte zur Ausführung deſſelben allerlei nügli
Rat. So entfland denn unter mannigfachen Erwägungen,
ſprechungen und Verhandlungen Rochows erſte Literarifche Ar
welche jchon zu Oſtern 1772 erſchien:
„Verſuch eines Schulbuchs für Kinder der Landleute, ı
zum Gebraud in Dorfſchulen“. Berlin, bei Fr. Rice
(mit dem Motto: Difficile est proprie communia dic
Horat.) 1772.
In den folgenden Jahr enwurbe die Schrift, auch mit erläuterr
— 127 —
Iufäpen, öfters herausgegeben, und (was fie ihrer ganzen Anlage
nah war) auf dem Titel als „Unterricht für Lehrer in nie-
deren und Landſchulen“ bezeichnet.
Eingangs feines Vorwortd wirft fih Rochow zunädft die
frage auf: „wer mich berufen bat, mich zum Lehrer des Volkes
aufzuwerfen,“ und gibt hierauf folgende Antwort: „ch lebe unter
Landleuten, und mich jammert Des Volkes. Neben den
Mühfeligfeiten ihres Standes werben fie von der fchweren Laſt
ihrer Vorurteile gedrüdt. Ihre Unwißenheit in den nötigften
Kenntniffen beraubt fie ber Vorliebe und Erſetzungen, welche die
für ale Stände gnädige Vorjehung Gottes auch dem ihrigen ge
gönnt bat. Sie wißen weder dad, was fie haben, gut zu nußen,
moch dad, was fie nicht haben können, frob zu entbehren. Sie
find weder mit Gott noch mit der Obrigkeit zufrieben. Gott tadeln
fie dur) Murren über die Einrichtung feiner Welt, und halten
ihn für einen Stiefvater, der parteiifch mit feinen Kindern ver-
Fährt; die Obrigkeit aber ſehen fie bei jeder nötigen Einſchraͤnkung
ihrer eigermüßigen Wünfche und Handlungen al8 einen harten
Statthalter an, der das zur befohlenen Pflicht bat, ihnen das
Leben zu verbittern. Daher ift ihre Religion meiftenteild der
verderblihfte Fatalismus. Die ganze vortreffliche Sitten»
Ichte Jeſu Chrifti und feiner Apoftel liegt ihnen ganz außerhalb
Der Sphäre der Ausübung. Sie wollen zur Not wol dur
Chriſtum felig, aber niht nach Ehrifti Geboten vorher
fromm werden.“
„Die Urfachen dieſer jämmtlichen, den Staat in feinem
wichtigſten Teil zerftörenden Uebel liegt an ber vernadhläßigten
Griehung der ländlichen Jugend. Man forgt nicht dafür, ihr
die von ber ihrigen oft fehr verſchiedne Sprache des Unterrichts
u. |. w. und in berfelben richtige Begriffe und Grundfäge beizu⸗
bringen. Man bildet nicht ihre ganze Seele. Man gewöhnt
hr Gewißen nicht über ihre Urteile und ihre Handlungen zu
richten. Und fo bleibt denn andy das Landvolk unfähig, einen
moraliihen Vortrag zu verftehn, gegebene Megeln anzumenden,
begangene Fehler zur Beßerung zu nügen, fondern fie find und
_ 18 —
bleiben ſinnlich, d. i. nicht viel beßer als thieriſch und fühl
für jede Art moralifcher Slüdfeligkeit.”
„Sp fand ich das Landvolk; und nun ſah ih mid n
Hülfe um, wodurch Dieje Laſt weggefchoben werben koͤunte.“
„Außer dem Katehismus und ber Heildorbnung fand
fein Schulbuch für den Landmanız und außer dem wörtlic
Juhalt dieſer hoͤchſtens blos auswendig gelernten aber nicht ı
ftandnen Bücher keine Wißenſchaft, Die man deſſen Finder lehri
„Ich denke doch nicht (um nicht bei dieſer Sache zu wiel
holen, was Andre ſchon vortrefflih gejagt haben), daß man
Seele eines Bauernkindes für ein Ding von anderer Battı
hält, als die Seele der Kinder höherer Stände.”
„aber dann ift mir's unerflärbar, wie nach der herrſchen
Lehrart aus dieſen Leuten verfländige Menſchen und
Shriften gebildet werben follen. Sie verftehen ja, wie es
Erſahrung lehrt, nicht einmal alle die Worte des Katechism
und follen doch den Sinn faßen, und durch ihr ganzes Le
wider die ausfchweifende Sinnlichkeit wirkſam und thätig wer
laßen.”
„Da ich alfo nichts fand, was unmittelbar für den gemei
Mann und feine Kinder mir zweddienlich ſchien, fo wagte
diefen Verſuch mit dem herzlichen Wunfche, daß beßere, wei
Menſchenfreunde als Arbeiter an diefe Ernte fi) machen möch
und daß mein Verſuch bald durch Meifterftüde verdrängt v
den möge.“
„Dieſes Vorhergejagte mag zugleich dem Einwurfe begegn
„„Iſt denn aber auch dieſer Verjuch ein dienliches Mittel, m
Erleuchtung in diejen Stand zu bringen ?““
„Nun will ich mid) unmittelbar zu dem wichtigfteu Einw
wenden. Man fagt nemlih: „„Aber iſt ed denn der Ginricht
des Staates nicht nüglih, wenn der Bauer dumm bleibt; r
Ihädlih, wenn er Hug und verftändig wird?”
„Am dieſen jcheinbaren Einwurf zu widerlegen, ift ed ni
über Worte ſich zu verftehen.“
„Klug und verftändig werden, heiſt bei mir nicht argli
treulos, vebelliich, um ver eingebildeten höheren und beßern |
— 129 —
ichten wiberfprechend (raisonneur), neuerungsfüdhtig und feines
Berufes überdrüßig werden; ſondern ich nenne nur denjenigen Elug,
der die Pflichten ſeines Standes kennt, die Vorteile deſſelben zu
nupen weiß und jelbft aus Dem Uebel das damit vermiſchte Bute
herauszufinden verfteht; oder (wen bieje kürzere Erklärung beßer
gefällt,): ber in jedem Stande fi fo verhält, daß ihm feine
Lebensart Fein Hindernid zur Vollkommenheit wird. Nach dieſer
&clärung wird wol die rechte Klugheit dem Landmann nicht im
Bege fein, ein geſchickter Bauer (cultivateur), ein fleißiger Ar-
keiter,, ein treuer Dienftbote, ein tüchtiger und gehorjamer Soldat
a. |. w. zu werben.”
„Was ſchadet alfo der Unterricht in der wahren Klug-
heit dem Staat? Sollte nicht vielmehr jeder Staat unfäglich
große Vorteile Davon haben, wenn 3. B. alle Menfchen gewißen-
Bafter würden ? Aber das Gewißen gründet fi auf Religion, auf
eine Religion, bie im Verftande und Willen wirkt, und ohne gute
Etziehung und Unterweifung dem Menfchen nicht mitgeteilt werben
Tan. Wenn 3. E. das Ehriftentum in dem Verftande und Willen
Des Menfchen gegründet ift, und fein wolthätiges Licht auf jo manche
Duimkelheiten des Lebens wirft, fo giebt er Gotte recht. — Er hat
Euſt an feinen Geſetzen; man darf ihm nur die Pflicht zeigen, jo
Khut er fie um Gottes willen, der feinen Gehorſam als ein ans
genehm Opfer anfieht. — Jede Obrigkeit ift ihm dann heilig, weil
fie von Gott verordnet if. Er betet für fie noch dann, wenn er
leidet, und entfchulbigt fie, weil er weiß, daß es auch fchwerere
Pflichten giebt, je höher die Stände find. Er gehorcht den guten
Herrn und auch den wunderlichen. — Als Dienftbote ift er treu,
denn Bott fiehet dahin, wo ber Herr oft nicht binfehen kann. —
Us gedungener Arbeiter ift ex fleißig; er fucht wirklich das Beſte
eßienigen, der ihn lohnt; denn er weiß, baf ein folder Menſch
bon Bott. noch einen Gnadenlohn erwarten kann. — AS Soldat
weiß er, daß gewiße Mitgliever der Geſellſchaft jein müßen, Die
als Ausgefonderte zum allgemeinen Beften für die Sicherheit bes
Anzen wachen und ſtreiten. Er fieht aljo feinen Soldatenftand
als feinen Beruf an, und murrt nicht wider den, der ihn dazu
Ten. — Er weiß, daß ohne Gehorſam feine Ordnung erhalten
1°)
— 10 —
wird; er gehorcht alfo freimillig — Er ſieht vielleicht gar ein,
daß man, um ein guter Soldat zu werben, gewiße körperliche
Bertigfeiten erlangen müße, daß Aufmerkſamkeit auf die Befehle
des Vorgefegten unentbehrlich fei, er fucht alfo an Fertigkeit und
Aufmerffamfeit volllommen zu werden. — Gr weiß vielleicht, daß
mehr Soldaten durch Krankheiten, daran ſie felbft ſchuld find, als
dur Schlachten und Belagerungen zu Grunde gehen. Er trägt
aljo Die nötige Sorge für die Geſundheit, bamit am Tage bes
Streit er nicht zum Schaden des Staates im Lazareth liege und
in feinem Gliede fehle. — Weil er nad Gottes Befehl gefernt
bat, fih an feinem Solde zu jeder Zeit genügen zu laßen, fo
plündert und vaubt er auch im Feldzuge nicht. — Er iſt alfo
immer da, wo er fein fol, und findhtet den Tod nicht, weil ber
Tod für den rechtſchaffenen Mann auf dem Schlachtfelbe nicht
fchredlicher ift al8 auf dem Bette.“
„Wie, meine Heren, follte mit dieſen Leuten, follte mit
Soldaten, die auf dieſe Art klug wären, fich nicht gut mars
fchieren und ein Feldzug thun laßen? Ich daächte es wol.”
„Aber vieleicht will man fagen: „„Wird denn der gemeine
Mann jhon aus diefem Verſuch zum Schulunterricht Flug werben,
ohne Lehrer?"
„Nicht ohne Lehrer; denn für unmwißende Kinder tonnen
eigentlich Feine ſolche Buͤcher geſchrieben werden, indem ber Ge⸗
brauch eines ſolchen Buches Leſen und Verſtehen vorausfegt.
Wol aber für den Lehrer; denn bei dem tft das Leſen — können
und das Verſtehen des Belejenen eher zu vermuten.”
„Und wie man bei franfen Säuglingen verfährt, da man
nemlich ihren Ammen Arzneimittel verorbnet, fo tft auch Bei
diefem Berfuhe mein Plan beichaffen gewejen. Ich babe ben
Schullehrern auf dem Lande und in niedrigen Schulen einige Aus-
fihten in das Neich nüglicher Wahrheiten eröffnen und ihnen eine
nach meiner Ginficht gute Methode zeigen wollen. Wenn ed zur
Anwendung kommt, jo müßen fie noch immer ſelbſt denken
und erfinden.“
„Als ich bis auf das Haupiftüd von der Landwirtfchaft bie
erfte Hufgabe dieſes Verſuchs vollendet hatte, erhielt ich des Herrn
— 131 —
Hoftat Schloffer Katechismus für das Landvolk. Auffallend
rührte mich Die Aehnlichkeit unferer Abfichten, die ähnliche Lehr⸗
art und Sefinnungen gegen den zalreichften aber verachtetften Teil
unge Mitmenfchen. Wir find, jo dachte ich, einander völlig un⸗
belannt, und fchreiben faft zu Einer Zeit an entfernten Orten in
Deutichland über einen Vorwurf. — Vielleicht ift diefes ein Wint
ver Vorſehung; ich will ihn nicht verfennen. Und fo entſchloß ih
mich, meinen Verſuch durch den Drud bekannt zu machen.”
„Run jei ed mir erlaubt, einen furzen Aufriß und bie
Gründe meines Planes dem Lefer vorzulegen.”
„IH babe mit Uebungen der Aufmerkſamkeit und Wißbes
gierde angefangen und behaupte, Daß auf ſolche Art, weldhe nad
den Umſtaͤnden verändert werben fann, faft ein halbes Jahr lang
die Kinder geübt werden müßen. Denn haben fie erft aufs Wort
md auf Sahen merten gelernt, fo ift der Übrige Unterricht
leicht und eine Luft für Lehrer und Lernende. Wan denfe aber
nicht, Daß es eine leichte Sache fei, den flatterhaften Sinn der
Kinder dahin zu bringen. In die gute Anwendung dieſes Haupts
Rüds fege ich die ganze Kunft des Lehrers.”
„Daß ich gleich darauf von Urſache und Wirkung handle
und diefe Erkenntnis unter die nötigften zäle, davon gebe ich
folgende Gründe an: Die Lehre von Urſach und Wirkung, Mittel
und Endzweck ıc. ıc. ift zum rechten Gebrauch der Vernunft unents
behrlich Ohne fie lernt man fchwerlich richtig denken, reden und
handeln. Bei taufend Gelegenheiten braucht ein Kind von ber
Bahrheit unterrichtet zu fein, daß jede Wirkung ihre Urſache hat,
und umgekehrt, daß wer ben Endzweck will, auch die Mittel fi)
gefallen Taken müße. Man jagt, „„der Gehorfam richtet dafjelbe
aug.“⸗« Ich aber kann diefer Meinung nicht beipflichten. Denn
\hon das Kind handelt fehr oft in folhen Umftänden, die man
nicht vorausgeſehen, und aljo feine Verhaltungsbefehle gegeben
bat; und zumeilen find foldhe Handlungen von Wichtigkeit. In
manchen andern Umftänden ift felbft ein Gehorſam auch ſicherer
md wider Die Verſuchungen ftärker, wenn Einficht und Selbftliebe
Befohlene ald gut und dad Verbotne ald 558 vorftellt. End⸗
ih, der blinde Gehorſam muß ja aufhören, aber die Vernunft bleibt.“
“
— 1323 —
„In den folgenden Hauptftüden findet man einige Vor⸗
übungen des Verſtandes, ohne weldhe, wie mich bünft, der Uns
terricht in der Religion nicht in dem Grabe gelingen kann, ald ed
zu wünjchen wäre und ald es gelingen würde, wenn nicht blos
das Gedächtnis geübt, jondern wirklich für das Verftändig:
werden ıc. ıc. (Epbej.d, 17) geforgt und jede Neigung auf das
Gute gelenkt wird.”
„Wie man die abftracteften Begriffe, wenn ihre Wichtigkeit
fie nötig macht, durch finnliche Sleichniffe und Behandlung in die
Gemüter der Jugend bringen koͤnne, babe ich in einigen Haupts
ſtücken verſucht. Dieſe Verſuche find nicht leicht, denn fie find
ungewoͤhnlich, und man findet kaum einige Mufter. Ich habe auch
in dieſen Stüden viele®, was in der erflen Ausgabe war, ver-
ändert, vermehrt und, ich wünfdte es hoffen zu bürfen, ver-
beßert.“ |
„Die Ordnung der Kapitel bat mit aller meiner Mühe nicht
Inftematifch werden wollen. Vielleicht ift e8 aber doch zwedmäßige
Drdnung; nur daß fie fich bei der Behandlung erft entbedt. Ueber⸗
haupt aber feheint Die menfchliche Erkenntnis zum firengen Syftem
noch nicht veif zu fein, da unfer ganzes Wißen Stüdwerf iſt.“
„Bon dem Inhalt der Bibel fcheint mir ein kurzer Auszug
fürd Gedächtnis des gemeinen Manned ein gutes Hülfsmittel.
Eine chriſtliche Moral, nicht ein Wortregifter der Tugenden habe
ih, fowie eine natürliche Theologie auf Bitten eines Freundes
gewagt, weil ich als ein Laie mich in dieſes Fach nicht gerne eins
laßen mochte. Doch find dieje Hauptftüde nicht fo mit dem Ganzen
verbunden, daß nicht befere an ihre Stelle geſetzt werben koöͤnnten.
Inzwiſchen und weil ich meinem Buche die gröfte Gemeinnützigkeit
wünjche,, jo babe ich alles das jorgfältig vermieden, was zwifchen
den verjehiednen Gemeinen der Ghriftenheit ftreitig fein fann, und
überlaße den Lehrern in jeglicher Kirche Die Crgänzung der aus
gelaßenen Stüde mit gegründeter Bejcheidenheit.”
„Ich habe mich lange bei dem Begriffe von dem Verbältnifje
der Dinge verweilt. Denn wenn ihn die Jugend recht gefaft hat,
jo fann man von Pflicht und Klugheit weit kürzer mit ihr reden,
als fonft möglih wäre. Es ift ein ſehr methodifcher Begriff.
— 133 —
Diefed Hauptſtück ebenfomol, als das von natürlichen Dingen,
kann man fo früh als man vermuten darf, daß es die Schüler
verftehen werben, vornehmen. Ueberhaupt aber ift das Lehrbuch
ſo eingerichtet, daß es in bem langen Beitraume zwiſchen dem
6, oder 7. bis zum 14. oder 15. jahre mehr ald einmal durdy
gelehrt werden Tann, da dann die vermehrte Erkenntnis durch den
erften Unterricht auf die 2., 3. 2c. 2c. Verhandlung Licht werfen
imd mehr ergänzende VBollftändigfeit erlauben wird.”
„Wer die Landwirtſchaft verfteht, wird mit mir einftimmen,
daß in den folgenden Hauptflüden manches dem Landmanne Nuͤtz⸗
Ihe gelehrt werde. Daß aber vieles in dieſem Hauptſtücke lokal
fi, und nad der allernaͤchſten Beftimmung dieſes Buches fein
mufte "darf ich wol nicht entfchuldigen. Sollte man e8 in andern
Gegenden der Ehre des Gebrauches würdigen, jo könnte ber
geihikte Lehrer auf durchſchoßnes Papier fein Locales an biefer
Stelle in fein Exemplar eben.“
„zum Nagelfchmieden, einem der unkünftlichften Handwerke,
hält man Doch wenigftens drei Lehrjahre für nötig; tft es nicht zu
verwundern, Daß man geringer von der jo ſehr funftfähigen Land⸗
wirtſchaft zu denken fcheint, und daß man von ihr glaubt, fie
lerne der Bauer von felbft? Ja, er lernt fie, aber wie? Mit
allen rrtümern und Vorurteilen feiner Vorfahren, «und zu ber
geringften Verbeßerung durch Nachdenken und Kenntniffe unfähig
und auch unwillig. Gin Landesherr, der die wichtige Wahrheit
glaubt, daß im Aderbaue bie Grundkraft des Staates
liegt, wird mit den beften Edikten zur Verbeßerung tauben
Ohren prebigen, wenn er nicht für Die beßere Einrichtung. der
Schulen zur Bildung der Gemüter in der Jugend durch Unterricht
in den nüglichften Sfonomifchen Kenntniffen Sorge trägt.”
„Ich will kürzlich) meine Meinung fagen, was verbeßert und
wie verheßert werben muͤße:“ Ä
„i. Mit Handwerkern und unmwißenden Bebienten muß Feine
and = oder niedere Schule mehr befeßt werben, ſondern mo mögs
ich fürs erfte mit Kandidaten der Theologie, und aus ihnen würs
M etwa die Landprediger hergenommen. — Der Nußen biefer
Wünfchenswürdigen Einrichtung fallt zu ſehr in die Augen, als
— 134 —
daß ih es nötig hätte, weitläufig ihn zu entwickeln. Gollie
dieſes aber nicht angehen, doch mit geſchickten und fleißigen jungen
Leuten, die gute Schulftudia haben, und die in Ermangelung
eigner Seminarien etwa der einfichtönollere Prediger mit Diefer
Lehrart vertraut gemacht bat.”
„2. Sie müften alle wenigftens über 100 Rthlr. baares Geld
an fixem Gehalte nebft dem Kantortitel haben, ohne die übrigen
Vorteile al8 Feuerung Wohnung, Barten ıc. ıc., damit fie ſich
gern und ganz dem Schuldienfte weihen koͤnnten. Dafür aber
würben alle Kinder der Gemeinde unentgeldlich in der Schule unter;
wiefen. Könnte ein jeber Schullehrer zugleich der Küfter in feinem
Orte fein, jo würde außer dem Fleinen Vorteile, der dadurch jebem
Scähullehrer erwüchle, noch der Nußen erlangt, daß ber Küfter ın
matre, der zugleih Sculmeifter ift, nicht fo oft wegen foge
nannter Amtöverrichtungen auf andern eingepfarrten Orten feine
Schule verfäumen müße.“
„3. &8 müften Klaſſen fein, wenigſtens zwei. Die Schuls
zeit währt zur Erhaltung der Geſundheit ded Lehrers nur etwa
höchftens ſechs Stunden, und die Lectionen teilten fich nach ihrer
Nüplichkeit in Diefe Zeit, Davon etwa vier Stunden des Vormits
tags und zwei ded Nachmittags fielen.“
„4. Die Schulgebäude müften Vorzüge vor den übrigen
haben; die Stuben hell und mit nüßlichen und zwedmäßigen Bil-
dern oder Sachen und Modellen geziert fein.“
„d. Wenn mit dem Lefen und Schreiben das erfte Haupts
ftüd verbunden, auch nichts anderes gelefen und gefchrieben würde
als faßliche und gemeinnfgige Wahrheit, leichte Gefchichte, Gedenk⸗
Iprüche, Lieber u. drgl., jo erreichte man zwei wichtige Endzwecke
auf einmal und erleichterte der übrigen Lehre den Eingang.“
„Mufter und Beiſpiele Dazu find fürs erfte in ausgefuchten
Verſen vieler alten und neuen geiftlichen Lieder und in den Hi-
ftorien und Gleichniffen, fo felbft in dieſem Buche flehn, und
vielleicht bald in einem erfcheinenden Lefebuche, fo der Kinderfreumd
heift , 3c. 2c. zu finden.”
„Ihr großen und vermögenden Herrn der Erde, möchtet ihr
doch nichts gegen den zweiten und vierten Paragraphen einwenben !
— 15 —
hierauf kommt Allee an. Und welche Ausgabe wäre edler und
wärde veichere Binfen tragen? Wo fehr arme Herrſchaften find,
müßten Kirchenkaſſen, ja felbft die Untertbanen (wenn fie dazu das
Bermögen haben,) zufammenjchießen. Sonft aber fchließe ſich doch
feiner auß, hier zuzulegen! Sind wir denn blos geboren, die
Frühte der Erde zu verzehren? Sind wir nicht Haushalter Gottes ?
Sollten wir nicht Sein Reich, weldyes das Reich der Wahrheit
md Erkenntnis iſt, vermehren, und das Reich der Finfternis,
d. i. der Unwißenbeit und des baraus entfpringenden Irrtums
ud Aberglaubens , fo viel an ums tft, zerftören helfen? Gewiß;
Gott würde ſolchen Anftalten und Einrichtungen feinen Segen
nt entziehen.”
„Möchte doch dieſer edle Trieb in allen Seelen entbrennen,
md allgemeine Menfchenliebe bier keinen Stand anfehen: damit
dunch Ausbreitung einſichtsvoller Tugend in jedem Ort Blüdfelig-
fit wohnen und Gerechtigkeit und Friede fi) überall begegnen
finne.” —
Rochow wufte es ſelbſt, daß es die Stimme eines Predigerd
in ber Wuͤſte war, Die er in feinem „Schulbuche“ hatte ertönen
laßen; und mit ber Bangigfeit eines Schriftftellers, der zum erften
Mole vieljundertjährigen irrigen Traditionen entgegengetreten ift,
ewartete daher derſelbe, wie das Publicum über feine Schrift
uttellen würde. Da erhielt Rochow einen Brief von dem dama⸗
gen Chef des geiftlichen und OberjchulsDepartements (dem nach⸗
Aa Seh. Staats⸗ und Juſtizminiſter) v. Zedlitz folgenden
nhalts:
„Hochwürdiger und Hochwolgeborener ꝛ2c.! Daß ein Dom⸗
ber für Bauernfinder Lehrbücher fchreibt, tft felbft in unferm
aufgeflärten Jahrhundert eine Seltenheit, die dadurch noch einen
höhern Wert erhält, daß Kühnheit und guter Erfolg bei diefem
Unternehmen gleich groß find. Heil, Lob und Ehre alfo dem vors
trefflichen Manne, den nur die Rückſicht auf die Allgemeinheit bes
Rupens, welcher geftiftet werden Fann, zu foldhen Unternehmungen
Antreiben konnte“. |
„Ew. Hochwurden müßen von mir feinen beftimmten Dank
ewarten; er würde mit einer Sache in Seinem Verhältnis ſtehn,
— 136 —
deren Wert ganze künftige Nationen preifen müßen. Laßen Sie
mich vielmehr Sie von nun an ald einen Mann betrachten, der
zur Beförderung der großen Abfichten bes beften Königd mir in
der Verbeßerung des Unterrichtd der Landjugend jo Fräftige Bei
hülfe leiften Fann, und der Patriotismus genug dat, biejen Bei:
ftand leiſten zu wollen“.
„Sw. Hochwürden wird nicht unbewuft fein, daß des Königs
Majeftät die Intereflen eined Kapital von 100,000 Thlr. zur
Salarirung der Dorfichulmeifter in der Kurmark ausgefept haben,
und daß Höchftdiefelben vornehmlich wuͤnſchten, Schulmeifter
aus Sachſen zu diefem Behufe herüber zu befommen”. |
„Rab Ew. Hochwürden Meinung find 100 Thlr. für einen
Schulmeifter genug. Ach hatte anfänglich Feine größere Befolbung
im Sinne; allein ich glaube kaum, daß ſich diefes fo genau und
allgemein beftimmen laͤſt, weil ich es für ſehr verberblich halte,
wenn der Dorfeinwohner für den Unterricht feiner Kinder anno
ein gewißes wöchentliches Schulgeld zalen muß, inmaßen dieſes
Schulgeld, jo gering es ift, dennoch in diefen beffemmten Zeiten
ben Landmann fehr oft mit Grund abhalten Tann, feine Kinder
zur Schule zu jchiden. Vielmehr hielt ich es für gut, daß jedes
Kind vom fünften Jahre an in die Schule gehen müfte,
und daß der Prediger fein Kind zum Abendmal annehmen dürfte,
welches nicht einen zu beſtimmenden Grad von analogifcher Gelehr⸗
ſamkeit erreicht hätte”.
„Es würde dannenhero auch bie Beſoldung mit der Anzal
der Kinder eines Dorfes im Verhältnis ftehen müßen. Und da
aller Unterriht, wie Ew. Hochwuͤrden fo richtig bemerken, dahin
gehen muß, daß die Bauernfinder zu Treibung ihres Fünftigen
Gewerbes aufgeflärter gemacht und der Verſtand nad, ihrem Ber-
bältnis bearbeitet werde, fo Fällt es in Die Augen, daß ein ders
gleichen Unterricht weit mühfamer werden muß, ald wenn ber
Schulmeifter den Zungen eine Seite aus Luthers Katechismo aus⸗
wendig lernen laͤſt. Die Seele wird dadurch immer einen großen
Schritt weiter fommen, wenn wir Leute erhalten, welche Kopfes
genug haben, die Jugend nach diefer Methode zu unterrichten ;
und in voller Zuverfiht auf Ew. Hochwuͤrden rähmlichen Gifer
— 137 —
wage ich es, Diefelben zu erſuchen, ſich um einige dergleichen
Subjefte, vornehmlih aus Sachſen, zu ‚bewerben, und mir
demnähft einige Nachricht zufommen zu laßen, ob nicht vorerft
mit einem Diſtrikt um Redan herum ein Verſuch zu machen mög-
lich ſei. Diefe Leute würben offenbar, wenn fie Durch Ew. Hoch⸗
würden herübergerufen wären, auch mehr Zutrauen zu Ahnen has
fen, und es würde offenbar mehr Vorteil fein, wenn man ganze
Diſtricte mit guten Schulmeiftern auf einmal befehte, als wenn
ale zehn Meilen einer angeſetzt würbe”.
„Ew. Hochwuͤrden follen hiermit mit feinem Auftrag Belaftet
werden. Ich verpflichte mich aufs Heiligfte, von Ihnen nichts zu
ſordern, als was Ihnen felbft Ihr Eifer für das allgemeine Befte
abfordern wird. Sch erſuche Sie nur, das Talent, was Ihnen
die Vorficht gegeben bat, anzuwenden, und werde mird zur Ehre
rechnen, wenn Sie über dieſes Süjet und über bie zu treffenbe
Einrichtung mir Dero Meinung unzurüdhaltend zu eröffnen bie
Gefälligkeit haben wollten“.
„Sch bin mit einer Hochachtung, die ich auszubrüden nicht
im Stande bin, Ew. Hochmürben 20.”
Berlin, den 17. Juni 1773, Zedlitz.
Mit edler Beſcheidenheit und Selbſtverleugnung erklaͤrt Rochow
(in ber „Oeſchichte meiner Schulen”, S. 10), daß dieſer Brief
„die Grundlage zu Allem“ war, was durch ihn „in dieſem Fache
nachher geſchehn iſt“. In der durch geraume Zeit ſich fortſetzenden
Cotreſpondenz, welche dieſer Brief Zedlitzens an Rochow zur Folge
hatte, erhielt dieſer die Verſicherung, daß der König mit beſonderem
Bolgefallen von feinen Anordnungen und Bemühungen Notiz ges
ammen babe, und daß Zedlitz beauftragt worden ſei, ſaͤchſiſche
Shulmeifter ind Land zu ziehen, und die Landfchulen nach Rochows
Man zu organifiren. Gegen bie beabfichtigte Berufung fächftfcher
Schulmeiſter erklärte fich indeſſen Rochow darum auf das Beftimm-
tete, weil er diefelben wegen mangelnder Hebung im niederſaͤchfi⸗
(hen Dialect unmöglich zur Mebernahme des Lehramtes in nieber-
ſächſiſchen Gemeinden für geeignet halten Eonnte.
Glücklicherweiſe hatte ſich Rochow ben, der das Hauptwerk:
Kug zur Ausführung jeiner veformatorifchen Projekte werben follte,
— 138 —
in feinem eignen Haufe felbft erzogen. Seit ſechs Jahren wa
nemlich ein früherer Schüler aus der Domfchule zu Halberftad:
Heinrich Julius Bruns, aus dem Halberftäbtiichen Dorf
Rohrsheim gebürtig, als Lehrer der Muſik und ald Schreiber i
Rochows Haufe bejchäftigt geweſen. Rochow hatte ihm, feine
beftändigen Tiſchgenoßen, viele feiner Ideen tiber bie Verbeßerun
des Volksſchulweſens mitgeteilt, hatte ihn viele feiner darauf Bi
züglichen Aufjäße abfchreiben laßen, hatte ihm feine Bibliothek eir
für allemal geöffnet und hatte daher Gelegenheit gehabt, ſich übe
die Entwidlung feiner paͤdagogiſchen Einfichten und feiner geiflige
Bildung überhaupt zu freuen. Da wurde Bruns i. J. 1771 au
bie Stelle eines Kantord und Organiften an der Johanniskirch
zu Halberftadt berufen. Bruns nahm ben Ruf an, ſah fich inbefje
veranlaft, als er börte, daß ber alte Schulmeifter zu Redan ge
fischen war, an Rochow zu fchreiben und ſich unter ber Voraus
fegung, daß er vor Nahrungsforgen geſchützt werde, zur Weber
nahme der erledigten Stelle und zur Ausführung der Projekt
Rochows zu offeriren.
Mit gröfter Freude ging Rochow auf Das Anerbieten Brunfen:
ein. Rochow ficherte ihm einen jährlichen Gehalt von 180 Thlr
fowie mehrere Emolumente (nemlich den jährlichen Bezug von vie
Zuder Heu, Die Benutzung eined Gartens und die Erlaubnis
welche alle aderlofen Rochowſchen Untertbanen hatten, auf dei
niedrig liegenden Rochowfchen Brachaͤckern Lein, Hirfe, Kartoffeln
Mohrrüben u. dgl. ziehen zu bürfen).
In Folge deilen kam Bruns nad) Redan, wo Rochow jofor
ben Lectionsplan feiner Schule entwarf. Der oberfte Grundſatz
von bem Rochow ausging, war: „Nur das Verftehen deſſen
was gelehrt wird, macht den Unterricht nützlich“. Vor Wllen
mufte inbefien ein Leſeübungsbuch gejchaffen werden. Denn für
Leſeübungen war die gewöhnliche Nürnberger Fibel „zu abge
ſchmackt“, der Katechismus Luthers und Die Bibel aber „zu hoch“
Daher fchrieb Rochow jchleunigft ben erften Teil feines Kinder:
freundes, welcher (auf eigne Koſten des Verfaßers gebrudt,) unte
dem Titel erfchien:
„Der Kinderfreund, ein Lefebuh zum Gebrauch in
— 139 —
Landſchulen von Friebr. Eberh. v. Rochow, Erbherrn auf
Redan ıc. Ä
Im „Vorbericht“ bemerkt der DVerfaßer: „Dieſes Buch if
der Armen wegen fo wolfell. Denn ed muß in jebes Schulkinbes
hinden fein. Sonft könnten viele Sinder zugleich daraus
1, ücht Iefen lernen. — ch habe durch dieſes Buch 1) Uebungen
dr Aufmerkſamkeit dadurch, daß, wenn ein Kind laut lief, ein
mbered außer ber Reihe und oft mitten in ber Periode, zum
Iertlefen aufgerufen wird; 2) Sprahübungen, in deutlicheren und
verſtaͤndlicheren Ausbrüden; 8) einen leichten Erzaͤlungs⸗ und Ges
ſraͤchſston, unb 4) Vorbereitungen zur chriftlichen Tugend befoͤr⸗
kn wollen”. Das Büchlein (zu deſſen Gebrauch der Verfaßer
mmentlich bie Anwendung eined Erdglobus, eines Magnets umb
enes Vergrößerungsglafes empfahl,) follte „die große Lüde
1 zviſchen Fibel und Bibel ausfüllen‘, wozu e8 allerdings
orzüglich geeignet war. Den Anfang bed Buüchleins bildete ein
‚Gebet für Heine Kinder” und ein „Tiſchgebet“, beide gereimt.
bierauf folgten belehrende Meine Erzaͤlungen, welche für das Ber:
J. Rinbnie und das Gemüt des Kindes berechnet waren. In einer
FE Initeren Ausgabe bes Kinderfreundes fügte Rochow zum erften
noch einen zweiten Teil Hinzu.
Rochow und Bruns verftändigten fi alsbald darüber, daß
dad Leſen im Kinderfreunde und das Katechiſiren über das Gele
fene bie erſte und wichtigfte Schularbeit fein müße. Um indeſſen
den Kinderfreund auch richtig gebrauchen und namentlich um mer
thodiſch Tatechifiren zu Iernen, übten ſich Rochow und Bruns
täglich einige Monate lang im Katechiſiren, wobei
Bald diefer, bald jener die Rolle des Lehrers ober
die des Schulfindes übernahm.
Einftwetlen wurde nun Die Schule für die Kinder aus Redan
und aus dem nahe gelegenen Vorwerke Mesdumck auf dem ablichen
Dofe eingerichtet, wo Rochow zu dieſem Zwecke eine Stube geräumt
hatte. Bugleich beſchloß indeſſen Rochow auf feinen brei Guͤtern
drei geräumige, zwedmäßige Schulhaͤuſer aufzubauen. Zunaͤchſt
wurde das Schulhaus zu Reckan, und zwar ganz maſſiv, aufge⸗
Nie, Im Jahre 1774 konnte es Bezogen werben, Nach ber
— 140 — '
Straße bin hatte e8 die Auffchrift „Laßet die Kindlein zu mir
fommen und wehret ihnen nit. Marci 14.
Am 2. Januar 1773 follte die neue Schulordnung ins Leben
freten. Natürlich Eonnte dieſes nur kann vollkommen gefchehn,
wenn auch die Eltern der Schulkinder für Die Schulreform ge
wonnen wurben. Um dieſes zu bewirken, hatte die Gattin Rochows
ohne Vorwißen deſſelben auf den Nachmittag des Neujahr ein
Feines Feft veranftaltet, wozu alle Eltern der Schulkinder einge
laden waren. Ginige Kinder, weldhe Frau v. Rochow ausgewählt
und gekleidet hatte, führten in Gegenwart der Verfammlung tin
feines für dieſen Zweck angefertigtes Drama auf, welches bei
Kantor Bruns ihnen eingeübt hatte. Die anweſenden Väter und
Mütter weinten in großer Freude, als fie ſahen, was ihre Kinder
lernen und was fie werden könnten und erflärten dem eblen Guts⸗
herrn, daß fie ihm in allen Stüden zu Willen fein wollten.
Die Schule trat alfo nun wirklich ind Leben. Der Lehr
plan, den Rochow und Bruns für ihre Schule ausgearbeitet hatten,
wurde fpäter in folgender Form veröffentlicht: |
„Inſtruction für die Landfehulmeifter. 1778.
Allgemeine und befondere Borfhriften für einige Schullehrer
auf dem Lande
L Allgemeine.
1) In Anfehung der Außerlihen Zucht ber Finder.
Die Schullehrer müßen die Kinder frühzeitig zu alle dem
gewöhnen, was die Sittlichkeit und Wolanftändigfeit im gemeinen
Leben mit ſich Bringt, und ihnen bei aller Gelegenheit erinnerlich
machen, Daß auch der Aermfte dazu weiter nichts braucht, als
Aufmerkſamkeit auf ſich felbft, wie auf das, was ihm an andern
gefällt, und frühe Angewohnheit. Vornemlich müßen fie Diefelben
zur Reinlichkeit, Höflichkeit und Sittfamfeit anhalten; zur Rein
lichkeit, Daß fie ſich ordentlich waſchen (welches ihnen auch von
Seiten der Gefundheit wichtig gemacht werben kann), ſich nicht
im Kote herummälzen, (welches ihnen durch Vorhaltung, daß das
ſchweinartig fei, widrig zu machen if) u. dgl.; zur Höflichkeit
EEE Dei. Misere
— 141 —
gegen Die, die größer als fie find, ober ihnen fremd, oder auch
ihres Gleichen, daß fie den Hut ober die Mübe abnehmen, fich
in verjchiedenem Maße verbeugen, wobei ihnen das Hintenaus⸗
kratzen mit den Züßen, gleich einer Henne, zu unterfagen, und
überhaupt eine ordentliche Stellung des Leibe zu lehren, und
dabei zu vergleichen des Domherrn v. Rochow Schulbuh ©. 85,
Schr dienlich wirb hierzu fein, wenn Schullehrer die Sinaben beim
Gin- md Ausgang aus. der Schule zu anftändiger Verbeugung
md Entblößung des Hauptes anhalten, und denen, die ſich folgjam
oder vorzüglich artig darinnen beweifen, auch durch eignes befon-
deres freundliches Bezeigen ihre Zufriedenheit merken laßen;
m Sittſamkeit, daß fie ſich nicht necken, ſtoßen oder ſchlagen, in
dee Schule nicht nach den Fenſtern fahren, wenn ſich draußen ein
Geraͤuſch erhebt, außer derfelben nicht im Dorfe zufammenlaufen,
wenn Etwas vorfält, das ihnen nichts angeht, andere nicht bes
horchen, oder Redenden in’d Wort fallen, ober eher reden, bis fie
jefragt werben. Bei dem allen verfteht ſich's, daß die Schullehrer
niht nur in der Reinlichkeit und Höflichkeit ihnen ein gutes Exem⸗
pel geben müßen, jondern auch außer den Schulftunden mehr als
Freunde ber Kinder fih um fie befümmern, durch Befuchung der
Eltern in ihren Häufern, Auf und Niedergehen im Dorfe, und
Örgreifung beider Gelegenheiten zu gelegentlichen freundlichen Er⸗
merungen, Warnungen für Unarten, ober froher Billigung bes
Öegenfeitigen.
2) Beim Unterriht ift überhaupt Folgendes zu beobachten:
‚Die Schullehrer müßen einmal ihre Unterweifung auf das Alles
mödehnen, was im gemeinen Leben vorfällt, oder den Kindern
dereinſt in jeder Lebensart nüglich fein kann, und ihnen das faßs
ih zu machen fuchen, 3. E. die allgemeinften Gründe der Erdbe⸗
ſchteibung, die verfchiedenen Gattungen ber Thiere, Bäume und
holzarten, der Getreidearten, der Handwerker, den Gebrauch der
natürlichen Dinge zur Nahrung, Wohnung, Bekleidung, Bedeckung,
Gmirmung, Heilung u. ſ. w. und das Alles am Ende darauf
lenlen, daß ihnen Gott bei allem, was fie bereinft erwachfen in
der Natur fehen, groß und erfreulich if. Sie müßen zweitens ſich
wie ſo Tange bei einer Sache verweilen, damit die Aufmerkſamkeit
— 142 —
ber Kinder nicht ermäbdet wird, aber dafür biefelbe Sache befl
öfter wieberholen, wovon nachher noch bejondere Vorſchrift ertei
werben fol. Was fie alſo merken jollen, muß ihnen durch öftere
Leſen und Wiederholen, nicht Durch ſtrenges Auswendiglernen ein
geprägt werben. Dabei tft ihnen doch aufzugeben, daß fie, wen
fie bereits Iefen können, einige kurze Säbe aus dem nenen AB6
buch oder den Teil der Schriftlefung, Den man mit ihnen in ba
Schule tractixt Bat, zu Haufe wieber überlejen follen, und der
andern Tag erzälen, was fie behalten haben.
Anmerkung: Bei biefem Wiebererzälen muß man fie dayı
gewöhnen, baß es deutlich, kurz und ordentlich gefchehe. Mar
muß ihnen darauf helfen, fo lange fie noch nicht Dreiftigkeit oder
Berftand dazu haben, durch Fragen: Haft du nicht Das geleen‘
Auch das? die gefaften Ideen in ihnen wieder auflebend machen.
Bor allen Dingen ift aber auch darauf zu jehen, daß fe beim
Selbftlefen etwas Gutes und Nügliches für fich nebenher denken,
und Davon Rede und Antwort geben lernen.
Dazu ift dienlich, wenn man, ehe fie darin geübt find, nad:
bem fie ihre Erzälung geendigt, fragt: Was ift dir dabei einge
fallen? Bei dem Worte, bei der Sache? Das Kind bat z. €. zu
Haufe ;gelefen den erften Palm. Es foll wiebererzälen kurz, moi
es fich daraus gemerkt hat. Es antwortet: Daß man nicht war
bein fol im Rate der Gottlofen. Ich fee nun voraus, daß ifm
ſchon erklärt worden, dies fei fo viel, ald an dem Böfen, bad
Andere thun oder thun wollen, feinen Zeil nehmen, nicht mit bölen
Leuten zufammenhalten: fo koͤnnte nun gefragt werden: ft dir kei
bem Wort Rat nicht Etwas eingefallen, das gut iſt? Gibt mm
nicht auch Rat? Iſt das etwas Gutes? Wie heißen daher bi
Menfchen, die das thun? Matgeber. Bringt das auch Ehre I
ber Welt? Wie ehrt der König die, die fich darauf verftehen? E
gibt ihnen den Titel Landrat, oder Kammerrat, Kriegärat, ©
meinberat, und fo in anderen Fällen. Ingleichen, daß die Groͤß
sen einen ganz Turzen Spruch, ein gutes Sprüchmort den Kleiner
vorfagen, und fie oft daran erinnern follen. Doc muß der Spru
jo verftänblidh fein, als er nur immer Tann gefunden werben, un
kommen bergleihen genug in dem gedachten ABCbuche, in be
— 145 —
Salomoniſchen Sprüchen, Jeſus Sirach, und den nachher ausge
zeichneten Schriftteilen und Stellen vor. Es wird viertend gut
fein, wenn die Schullehrer fi, mit den in ihrem Dorfe berrichen-
den Arten des Wberglaubens befannt machen, und bei jeber Gele
genheit ihnen durch Die faßlichſten Vorftellungen bie vernuͤnftigere
Denfungsart beizubringen fuchen. Gefpenftergefchichten und alles
Geſchwaͤe von Donnerleulen, Blutregen, Beiprechungen, Anhänges
zetteln wiber das Fieber, muß man ihnen aus dem Kopfe bringen.
Und das kann leicht und kurz gefchehen, 3. E. wenn man ihnen
ſagt: Nichts, mein Kind, hat eine Kraft, Dich zu erhalten oder zu
heilen, ald was aus der Erde kommt oder ſich davon nährt.
Bürdeft du wol, wenn du hungerteft, einen Zettel Anhängen, um
hatt zu werben. Run fo fiehe, fo iſt's auch mit den Mitteln ges
ind zu werben. Endlich kann der Lehrer, wenn Etwas im SDorfe
vergefallen, das den Stinbern merkwürdig geweſen, als: Die Taufe
eines Kindes, die Beerdigung eined Todten, ober was jonft ift,
woron das ganze Dorf fpricht, Daher Gelegenheit nehmen, ben
folgenden Tag feinen Unterricht darauf zu richten, und ihnen bas
von bad zu jagen, was entweber ihren Verſtand aufklären oder
zum guts und fromm⸗ſein auf irgend eine Weiſe nußbar fein kann.
IL Befondere.
1) Die Zucht der Kinder beim Unterricht betreffend:
Damit dieſe defto beßer anjchlage, fo müßen die Lehrer vor
allen Dingen über fich ſelbſt wachen, daß fie fich keine übele Stel
lungen und Geberden in Gegenwart ber Linder erlauben, ſich
ſelbſt Beim Unterricht veinlich und orbentlich Heiden, wenn auch
nicht gleich vollftändig anziehen, während der Schulftunden feine
Rebenfachen treiben, nicht Tabak rauchen, nicht Schmähmorte oder
ſonſt manſtaͤndige Reben von fi hören laßen. Dann müßen fie
auf alle Kinder fleißig umherſehen, ob fie Acht haben, und ben
Rıhtaufmerkfamen fogleich mit einer Frage oder mit der Aufgabe,
im Leſen fortzufahren, überrafchen. Und welches hiermit zufam-
ambängt, fo find fie überhaupt zur Aufmerkfamkeit in den Lehr
handen fo zu gewöhnen, daß jedes auf ihnen vorher bekannt ges
nachte Beichen ober Wink dieſes ſogleich aufhören muß zu lefen
er zu antworten, und dann ein anderes, nach gegebenem Wink,
— 14 —
fogleih fortfahren. Jedes hörbare Auflegen der Hand auf de
Tiſch muß ihnen flatt aller Worte zum Stillfiten oder Stil
jchweigen Befehl fein. Seber, der außer der Reihe aufgerufe
wird, welches oft gefcheben muß, muß ſogleich bereit fein. Stet
müßen fie von Grmahnungen zu Verweiſen, von dieſen erfl zı
Drohungen, und dann endlich zu wirklichen Beſtrafungen über
gehen, und felbft in dem Maße von dem allen nach der Groͤß
des Vergehens fich richten. Auch müßen die Kinder gewöhnt wer
den, ſich zur rechten Zeit in der Schule einzufinden, und der el
rer, jobald der gröfte Haufe beiſammen ift, anfangen, damit :amı
daraus die Kinder feinen Exrnft erkennen. Iſt Ein’ ganz audg
blieben, fo muß der Schullehrer nad den Schulftunden fich «
nad) erkundigen, und nach Befinden Die nachläßigen Eltern, >
nicht im Beifein des Kindes, oder das nachläßige Kind ermahs
Weil endlih im Sommer dad Schulgehen am meiften verncn
läßigt wird, fo müßen Die Schullehrer fich erftlich verfihern, wei
Eltern wirklich ihre Kinder zur Felbarbeit oder Wartung der ge
Kleinen brauchen, und dann auf das Schulgehen derer, die de
fäbig find, und nicht fo nötig gebraucht werben, dringen, aud)
jo Tange, bis fie in Ordnung gebracht find, ſelbſt zur Säule ã
ſammenholen.
2) In Anſehung des Unterrichts it Folgendes zu merke
Buerft muß berfelbe zwiſchen den Kindern fo verteilt werde
daß Feind ohne Befchäftigung gelaßen wird, und Doch auch keins d⸗
andere hindert. Dies Tann gefchehen, wenn, indem der eine T
jchreibt, der andere im Buchftabiren und Leſen geübt wird, us
ein dritter, der Schon leſen Tann, inzwifchen für fich leiſe Die kurze
Säpe in dem neuen ABCbuch oder in den gleich anzuführend«
Schriftteilen Iefen muß. Mit diefem Leſen aus der Schrift Fan
etwa alle fünf oder ſechs Tage eine Lefung der kurzen Säße ar
dem ABCbuch verwechjelt werben. Aber es muß alle Tage etwx
gelefen werben, und das entweder in der erften, oder zweiten ob
dritten Stunde u. |. w., damit den Kindern durch dergleichen Et
förmigfeit die Sache nicht zum Ekel werde. Und weil ihnen Viel,
aus ber Bibel nach ihrem Alter und Fähigkeiten nicht verſtaͤndli
gemacht werden Ffann, oder fie auch nach ihren Bebürfnifien nid
— 145 —
Web zu verftchen brauchen, jo muß auch nicht Die ganze Bibel
mt ihnen burchgelefen werden. Zu dem Ende find vor der Hand
folgende Stüde für fie zureihend: 1. B. Mof. 13, 37, 39, 40,
4.— Pfalm 1, 8, 15, 19, 23, 104, 111, 119, 135, 136, 139,
11, 148. Die Sprüche Salomonid (mit Ausnahme der beiden
sten Sapitel). Jeſus Sirach. Matth. 6, 24—34. 7, 16—29.
18, 21— 36. 20, 1—16. Marci 4, 1-34. Luc. 10, 21—42.
1,1—13. 15 ganz. Sob. 1, 6—28. 17 ganz. Roͤm. 12, 13
gun. Epheſ. 4, 1-6, 15—32. 5, 1—30, 6, 1-9. Golofl.
3-4, 7. Tit. 2 ganz. 3 bi v. 8. Hebräer 9 ganz. ‘Der Brief
Jacobi. 1 oh. 2. 3. Wo aber auch hier ganze Gapitel vorger
jchrieben find, fo will man Damit nicht fagen, daß'ſie deswegen alle-
zit mit einmal müßen abgelejen werben. Nachdem, was nachher
geſagt werben ſoll, bei Dem eigentlichen Unterricht, kann auch nur
sit ein Dritteil von einem Gapitel gelefen werden, und ein allzu»
langes muß, um die Kinder nicht zu ermüden, nur felten ganz
gelejen werben. Bei dieſer Bibellefung müßen Wörter und Rede⸗
orten, Die nicht im täglichen Leben vorkommen, oder doch ohne fie
zu verfiehen gebraucht, auch wol gar unrichtig gebraucht werden,
ſogleich mit einem andern deutlichen verwechjelt, und die Kinder
nah der Reihe gefragt werben, ob fie es wißen oder verftanden
» 6. Zitum 3, 4: Leutjeligfeit jo viel als Menfchenliebe. Endlich
müßen Die Lefefähigen jedesmal alle im Lejen geübt werben, fo
dab es immer nad jedem Verſe heiße: der Folgende; und bie
Keinern müßen dabei zur Stille und zum Zuhören fleißig ange
alten werben. - Hiermit fälli alfo das fogenannte Zu-
lammenlefen ganz weg, weldes durchaus nit ge-
duldet werben muß, fo wenig, als das medhanijde
Bufammenantworten. Beim Unterricht des Schreibens ift
su merken, daß die Kinder zur Schönfchreiberei wie zur Recht⸗
ſchreibung nicht ſowol durch Regeln, die fie nicht verftehen und
ihnen die Sache nebelhaft machen, als vielmehr durch gute Vor-
\hriften müßen augeführt werben, und fo auch durch fleißige
Durhficht und Verbeßerung deſſen, was fie gefchrieben haben.
Die Rechtfchreibung kann ihnen am leichteſten beigebracht werben,
wenn bie Schullehrer ihnen ſolche Wörter am bäufigften und zu
10
wiederholten Malen vorjchreiben, die entweber von den gemeingr
Leuten falſch ausgeſprochen, und darnach faljh geichrieben werbemm,
oder die auch wol von Geübteren leicht im Schreiben verwehferr
werben, ald wir und mir; das und Daß; wider fo viel als
gegen, unb wieder fo viel ald nochmals; Heide, ein un-
gebautes und unfruchtbares Feld; Haide, ein Wald; der Heibe,
ein Unchriſt; Glück, nit Glük, weil der vorhergehende Vocal
ein erfordert; Dank, nit Dand, weil der vorhergehende
Gonfonant fein d leidet, Blitz wegen des vorhergehenden Vocal;
hingegen Excellenz, nicht Egcelleng, wegen des vorhergehen—
den Gonfonanten, Den Geübteren, die ſchon im Zuſammenh ang
Schreiben koͤnnen, müßen kurze, angenehme und nügliche Geſchicht⸗
hen oder Verſe aus den vorhin angezeigten Schriftteilen und
gleich anzuführenden Befängen vorgefchrieben werben. Und noch
müßen es die Schullehrer nicht auf die Eltern ankommen laßen,
0b und welche von ihren Kindern das Schreiben lernen ſollen.
Ale, die völlig leſen können, müßen in der Stunde, in der bie
andern, wie vorhin erinnert worden, buchftabieren, ſich mit Schrei’
ben beichäftigen. Die Kinder müßen nun auch mit Anmut und zur
gegenfeitigen Erwedung beim öffentlichen Gottesdienſt fingen lernen.
Die Schullehrer müßen ihnen alfo auch im Singen Anweifssng
geben. Für die, welche noch gar feinen Ton zu halten wien,
fann wöchentlich eine eigene Stunde dazu ausgejegt werben, doch
jo, daß die übrigen auch dabei gegenwärtig find. Zur Uebiamng
Aller und Erwedung zum Guten muß zum Anfang und beim We—
ſchluß der Schulftunde ein ober zwei kurze Verſe gefungen wabett
nad folgender Auswal:
Beim Anfang:
Vers 12. 13. des Lieds: Heut iſt des Herrn Ruhetag; PET
Vers 16. 17. deffelben. Vers 1. 4. des Lieds: In allen mein wel
Thaten. Vers 6. des Lieds: Aus meined Herzens Stunde. U ar
8. des Lieds: O Jeſu, füßes Licht. Vers 2. des Lieds: O G wohl
du frommer Gott; ober die beiden Verfe aus einem befanmten
©ellertichen Liede beim Anfang der Morgen » Lectionen:
„Gelobt feift du, o Gott der Macht,
Gelobt ſei deine Treue |
{
L
h
“
er
— 117 —
Daß ich nad) einer fauften Nacht
Mich diefed Tags erfreue. —
Laß deinen Segen auf mir ruh’n
Mich deine Wege wallen,
Und lehre du mich felber thun
Nach deinem Wolgefallen. |
Beim Beichluß: j
Vers 7. des Lieds: Wenn meine Sind mid Fräufen, oder
Bes 7. des eds: Wir Menfchen find zu dem, o Gott. Vers 8.
des ie: O Gottes Sohn, Herr Jeſu Chriſt. Verd 16. des
Ads: Du fagft, ich Bin ein Chrift. Vers 14. 15. des Lieb:
D Jeſu Ehrift, mein ſchoͤnſtes Licht. Vers 3. des Lieds: Mer
Gott vertraut, bat wol. Vers 5. 6. des Lied: Dank fei Gott
in der Höhe. Vers 17. 18. des Lieds: Ich weiß, mein Gott, daß
al’ mein. Vers 7. 8. des Lieds: Xobet den Herrn alle, die ihn
ehren, Vers 7. des Lieds: Sei Lob und Ehr dem höchften But.
as 1. 2, des Lieds: Nun danket alle Gott. Vers 2. 3. des
ds: Herzliebfter Jeſu Chrift. Oder folgende Verfe:
Sch lebe nicht auf Erden,
Um glüdlid) bier zu werben:
Die Luft der Welt vergeht.
Sch lebe hier, im Segen
Den Grund zum Glück zu legen,
Das ewig wie mein Geiſt beſteht. —
Was dieſes Gluͤck vermehret,
Sei mir von Dir gewähret,
Gott, du gewährft e8 gern:
Was dieſes Glüd verleßet,
Wenn's alle Welt auch ſchaͤtzet,
Sei, Herr mein Gott, mir ewig fern.
Aber, wie ſchon gefagt, die Schreiber müßen dieſe Verje oft
ſchreiben, damit ſie ſich dieſelbigen gelaͤufiger machen. So lange
ies ihnen fehlt, kann der Geſang ſo eingerichtet werden, daß der
chullehrer denen, die Geſchriebenes leſen Fönnen, fie in ein klei⸗
nes Buch zuſammenſchreibt, welches dann ein Jeder mitbringen
5, fo werden fie die Kleineren durch öfteres Hören auch Teen.
| 10°
— 148 —
Sind die Kinder nun etwa im Leſen gebrudter Bücher und
Selbftichreiben geübt, jo müßen fie auch das von Andern Geſchr
bene im Bufammenhang lejen lernen, und Steiner eher aus t
Schule zum Gonfirmationd = Unterricht beim Herrn Prediger eı
laßen werden, bis er in dem Allen, wie in dem Folgenden genu
ſam geübt if. Die Anfangegründe des Rechnens den Kinde
beizubringen, müßen ſich Die Schullehrer das eilfte Sapitel aus di
Rochowſchen Schulbuche bekannt machen, und ganz darnach vı
fahren. Den Schreibern Tönnen ſchon die Zahlen vorgefchriebe
und Die Lefer im Lefen und richtigen Ausſprechen berjelben, z.
Eins, nicht Ens geübt werden. Das Rechnen felbft aber muß n
denen vorgenommen werden, die bereitd im Lejen und Schreib
geübt find.
Es folgt nun
Der eigentlide Unterricht.
Buerft in allerlei gemeinnüßgigen Kenntniffen:
Die bierher gehörigen Kenntniffe felbft find oben bei b
allgemeinen Vorjehriften des Unterrichts fchon überhaupt bemei
und zum Teil angegeben worden, und müßen die Schullehrer ba
über fleißig da8 Rochowſche Schulbud vom vierzehnten Gapii
bis zu Ende zu Rathe ziehen, aber durchaus fi) hüten, etw:
Falſches zu fagen, und wenn fie fich nicht gewiß find, Die Sar
ſelbſt recht zu veritehen, lieber ganz davon fchweigen. Die 8
bes bierin zu erteilenden Unterricht? muß nicht nach befonder:
Stunden abgemeßen werden, fondern bie Gelegenheit genügt, t
die ausgezeichneten Schriftlefungen dazu geben, wie man fie de
auch in diefer Rüdficht mit gewält hat, und beim Leſen derſelb
aus biejer Urjache vorläufig erinnert, daß es nicht darauf a
komme, wie viel Verfe, oder wie wenige mit einmal gelefen we
den. Sp kommt 3. E. 18 Mof. 13, 1. die Erwähnung d
Mittagsgegend vor. Es wird Egypten, ein Land, genannt, es
bon Silber und Gold die Rede, von zwei Stäbten, Bethel uı
Ai, u. |. w. Da kann denn der Schullehrer bei dem dritten Be:
Halt machen lagen. Gr Fann jagen: Seht, ihr Kinder, Egyptı
— 149 —
wor ein Land, Bethel und Ai waren Städte in einem Lande, wie
+ &. das Branbenburgifche Land wieder feine Städte hat. Er
faın noch binzufegen: Ein Land iſt eine weitläuftige Gegend, die
viele Städte, Fleden, Dörfer in fich begreift, und in welcher die
Nenſchen nach einerlei Sitten Ieben, (welches letztere vielleicht auch
wol anfangs wegbleiben kann.). Das muß er ihnen nun ein Bis⸗
ben erläutern: Seht, ihr Kinder, fo find in unferem Lande viele
Etäbte: Berlin, Spandau, Potsdam, viele Dörfer, nicht weit von
hier iſt gleich Brig, Tempelhof, Rudow, und jo leben wir alle,
wie e8 der König will gehalten wißen. Er kann auch hinzuſetzen:
Etäbte find bald anfehnlichere, größere und volfreichere, bald klei⸗
me. Die anfehnlichfte nennt man die Hauptftadt oder, wenn Der
dandesherr darin wohnt, Refidenz, bie kleinern Lanbftäbte. Oder
a Eann Died (ſ. nachher Art des Unterricht8) auf ein andermal
verfparen, umb für diesmal beim Vieh, Silber und Gold, oder
| ad nur bei dem Reichtum, der in Vieh befteht, ſtehen bleiben,
daß er ihnen fagt: Ihr Kinder, wer reich ift, ber bat viel, was
nudere Menfchen nicht haben; und man wird es, wenn man fleißig,
F entlich und Fromm iſt, nicht fäuft, nicht fliehlt, nicht betrügt,
1 niht hurt. So ein guter rechtfchaffener Mann war Abraham.
Und der war nım reich an Vieh. Denn Alles, was große Nab-
rung bringt, und wofür man, wenn man will, viel Geld Löjen
lann, ift fo gut als Geld, und macht reich. So ift der reich, ber
sel Korn hat; auch der, der nichts auf feinem Ader unbebaut
liſt; auch der, der viel Verſtand hat; denn alle diefe Dinge
Bringen Silber und Gold ein. Ein anderes Exempel aus bem
194. Pfalm zu geben, fo wird in demfelben faft des ganzen Nas
hrreich® gedacht. Es koͤnnte alfo der Schullehrer glei zu Ans
lang das erinnern, ihnen das Wort kurz verftändlich zu machen,
daß es fo viel fei, als Alles, was Bott über der Erde und unter
der Erde gefchaffen hat; dann die Einteilung in das Pflanzen-,
Stein» und Thierreich, in dieſer Ordnung und mit einer kurzen
deutlichen Erläuterung. Ober er Tann bei dem, Wort Wind fich
aufhalten, Luft und Wind ihnen verftändlic machen, fagen,
dep aus Luft Wind entftehe; die Luft allezeit da fei, wenn man
and gleich nicht merklich fühlt, und der Menfch gleich ohne fie
— 10 —
erftiden müßte, -etwad von der Einteilung der Winde nach den
Himmelögegenden, oder der Stärfe und Schwäche binzufegen, und
dann mit Erzälung ihres Nupend, zur Bewegung des Waßers,
daß es nicht faule, zur Reinigung der Dünfte, zur Austrodnung
des zu feuchten Erdbodens, zur Schifffahrt, und wie Gott das
Alles weislich und gnädig georbnet bat, fchließen. Noch kaun er
ihnen für diesmal bei Verd 5. den Unterfchied zwiſchen Erdreich,
Erdboden und Erdart lehren, daß jenes Die ganze Gegend fei, in
der Meufchen wohnen, mit allem Gehölz, Gebüfche, Seen, Flüßen,
Thieren; das mittelfte das, worauf man geht, fährt, ſteht, pflügt,
adert u. f. w.; das lebte, die Art der Erde, da eine mehr
Ihwarz, eine andre mehr leimig, eine britte fandig, eine
vierte thonig, und eine fünfte vermiſcht iſt. ES verſteht fich nun
aber von felbft, daß Dies nur eine Anweifung für Schullehrer fein
joll, wie fie in einer Stunde bald dies, bald jenes von nüßlichen
Kenntniffen den Kindern beibringen jollen, um Die Zeit zu. fparen,
und ihnen durch Mannichfaltigkeit das Lernen angenehm zu machen,
— eine Vorftellung, danach fie nun mit eigner Beurteilungskraft
in allen ähnlichen Fällen fich zu richten haben: wobei auch fchon
Manches zur Erleichterung der Einfiht in die befle Art, dieſes
Allerlei zu tractiren, mit vorgekommen. Doch ift Davon, oder von
der Methode, nach der dieſer mannigfaltige Unterricht einzurichten,
auch noch Folgendes zu merken. Es ift nicht Die Meinung, Daß
ber Lehrer bei jedem Vers gleich mit einem Male Alles mitnehmen
ſoll, was ſich auch von andern gemeinen Kenntniffen Dabei denken
läft; auch nicht, daß eine einzelne Materie ſogleich erichöpft werben
muß: Nein! Gr hebt jedesmal nur eine und die andere Materie
heraus, fagt zuerft davon das Leichtefte, behält ſich dad Uebrige
auf eine andere Öclegenheit vor, und laͤſt Dann weiter lejen. Hat
er ein andered Mal wieder Gelegenheit, darauf zu fommen, fo
wiederholt er es, fieht, ob es die Kinder gemerkt haben, und wenn
dies nicht ift, To fagt er es ihnen noch einmal; ift ed aber, jo
feßt er von derjelben Sache nun etwas Neues hinzu, oder nimmt
eine andere Materie vor, von der er noch Nichts gejagt hatte.
So, um es mit den vorhergehenden Exempeln zu erläutern, bat
er dad eine Wal bei 1. B. Moje 13. von Städten geredet: Es
— 151 —
omınt Die Weihe der Leſung wieber an dies Sapitel, ex mwieberholt
alſo dieſen Unterricht entweder blos, oder er ſetzt hinzu, als etwas
Neues, die verjchiedenen Einteilungen der Derter, in welchen Men-
ihen in mehreren oder mwenigern Wohnungen beijammen find, als
Vorwerke, Luft: und Jagdſchloͤßer, Dörfer, Flecken, Städtchen,
woraus Provinzen, aus mehrern diefer Reiche entftehen, 3. &. das
deutſche Reich faft viele Länder in fi, wobei er ihnen noch als
ein Geſchichtchen erzälen kann: Ehemals, ihr Kinder, wohnten die
Menihen zerfireut und einzeln, aber fie haben eingefehen, Daß es
beßer iſt, jedem zuträglicher, wenn mehrere beifammen wohnten;
das gefällt auch dem lieben Gott, wenn Die Menfchen, ſich einans
der zu helfen, zufammen leben; es ift aber gleich gut, ob man in
einem Dorfe oder in einer Stabt lebt. Oder er verfpart dieſen
Zuſatz, bis etwa bei Sprüchw. 10, 15. und redet nun von Silber
md Gold; daß das Steine find, Erze, Metalle; nennt ihnen Die
geringeren Arten: Kupfer, Zinn, Eifen, und macht ihnen einen
allgemeinen Begriff vom Steinreih; ober er verfpart auch Dies
bis auf eine Lefung in Sprüchw. und redet von den Himmeldge-
genden, Mittag, Mitternacht, Morgen, Abend; oder von ben
Saupteinteilungen der Thiere, und macht vorläufig den Unterfchied
der Wörter Thier und Vieh bekannt. In diefen Unterricht muß
nun auch der bejondere Unterricht in der Religion jo weit verwebt
werden, daß ihnen in jeber Lefeftunde etwas deutlich und wichtig
gemacht wird, was zur rechten Erkenntnis Gottes oder Ghrifti,
oder ihrer felbft, oder ihrer Verbinblichkeiten gegen andere führet,
und dabei nach den vorhergehenden Regeln des Mannigfaltigen,
der Kürze, der Deutlichkeit, der gelegentlichen Wiederholung, ver:
fahten werben. Um auch bier ein Exempel zu geben: Wenn in
der zu Leſe⸗Uebungen mit vorgefchriebenen Geſchichte der Brüder
Sofephs dieſe einmal rebend eingeführt werden: Das haben wir
an unferm Bruder verjehuldet, fo kann gefragt werben: Wie
Imen fie auf dieſen ängftlichen Gedanken? Wer fagte ihnen das?
Ras war in ihnen, das ihnen das fagte? Sie antworten ober
it, fo fagt man ihnen: Das Gewißen, und nimmt daher Gele
genheit,, ihnen das als bie Stimme Gottes in und vorzuftellen,
bie und entweber vor Böfem warnen, ober bad Gute billigen,
— 192 —
oder das ſchon verübte Boͤſe an uns firafen fol. Man erläuteı
ihnen das mit Beifpielen, fagt ihnen dabei, weldhe große Sad,
eö fei, gegen fein Gewißen zu handeln, und alfo dem nahen Got
fi) zu widerjegen, und fo in andern Fällen.
Es folgt nun noch zweitens
Der ganz beſondere Unterricht in der Religion.
Wenn das gleich Vorhergehende beobachtet wird, fo koͤnner
dazu zwei Stunden in der Woche zureichen. Auch in biefen wer
ben beſonders die Größeren in Erkenntnis der Religion gelb‘
die Kleineren müßen in aller Sittfamfeit zuhören, und wird ihn
nur dann und warn etwas Weniges, das fie verftehen Finn
vorgefagt, und fie ermuntert, es fein zu behalten. Siehe >
oben vom Auswendiglernen gejagt worden. Wie ber Lehrer ©
allzeit eine zwar gejeßten aber Doch freundlichen und heitern
tragens beim Unterricht befleißigen muß, fo hat er vornehmlich
diefem wichtigen Teil deffelben fich dies zur Negel zu maden, &
e8 jo die Kinder ſchon an ihm felbft.merken können, es jet
jehr erfreuliches Gejchäft, mit ſolchen Sachen fi) bekannt
machen. Und deswegen muß er audy bierbei am wenigften du=
wirkliche Beftrafungen die Kinder von einem ſolchen Unterricht am
Ichreden. Die Religion follihnen niht eingeprügell
ſondern eingeflößt werden. So lange nun feine Büch—
zu biefem Unterricht vorhanden find, die man den Kindern zum
Leitfaden geben Tann, fo bat er folgende Sprüche der heilige
Schrift N. T. bei feinem Unterriht zum Grunde zu legen:
Bon der heiligen Schrift: Ebr. 1, 1.
Bon der Natur oder dem ganzen Umfang ber fichtbaren ge
Ichaffnen Dinge: Pfalm 19, Ap.Geſch. 14, 17.
Bon dem Gewißen: Röm. 2, 14. 15.
Bon diefen alfo, ald den Drei Erkenntnisquellen alles Wah
ren und Guten, diefe Sprüche.
Bon Jeſu Chriſto, als den, durch den ſich Bott fo herrlie
geoffenbart hat:
— 153 —
Bon feiner unfündliden Menfchheit: 1 Tim. 2, 5. Job. 7,
46, Luc. 23, 47.
Bon feiner Herkunft aus dem jübifchen Volk durch die Mas
ra: Joh- 1, 11. Luc 2, 1— 11.
Bon feiner Sendung von Bott in die Welt, als feines lies
ben Sohnes: oh. 10, 36. Koh. 5, 23. Matth. 10, 40. Sal. 4,
48 auf die Worte: Geboren von einem Weibe.
- Bon feinem Beruf auf der Welt:
«) Wann er ihn angetreten: Luc. 3, 23. vgl. Luc. 4, 14, 15.
PB) Worin er beftanden? nämlich die Menſchen von allem
voͤſen durch Lehre, Leben, Leiden und Sterben zu erlöfen: I Tim.
2,6. 1 Gorinth. 1, 30. Titum 2, 11—14. Joh. 1, 6— 12.
‘ob. 3, 16 — 21. Joh. 10, 12 — 18. Apoſt.Geſch. 2, 22. 23.
Apoſt.⸗Geſch. 10, 36. 39. Philip. 2, 6. 7. 8.
Bon feiner Erlöfung nad dem Tode: Phil. 2, 9. 10. 11.
dgl. Apoſt.⸗Geſch. 2, 24. Apoſt.-Geſch. 10, 40, 41. 1 Corinth.
15, 1— 7.
Bon Gott, der ihn gefandt hat.
‚ Wie er das Allerhöchfte ift, was man fich denken kann, der
Weiſeſte, Befte und Bütigfte, der Alles, was man fieht, und un-
endlich Vieles, das kein Menſch fehen kann, erfchaffen bat und
erhält: ApoſtGeſch. 17, 24—28. Röm. 1, 19. 20. (womit nach
— nach mehrere Stellen aus den Leſe⸗Uebungen zu vergleichen
zw). Ä
Der befonderd die Menfchen als ein Vater liebt, und alles
Be, was fie wirflich bebürfen, für fie auserfehen bat, und unter
Vie verteilt: Matth. 7, 24 — 34. 1 Petr. 5, 7.
Der mit ihren Schwachheiten und unvorfäglichen Fehlern
Sehuld Hat: 2 Petr. 3, 9. Apoſt.Geſch. 17, 30 (erfte Hälfte).
Aber auch vorfägliches Boͤſe beftraft: Röm. 2, 3. 4. 3. 8.
(die legten Worte weggelafen.).
Und deswegen will, daß fich der Menfch befern und immer
Mehr beßern fol, und dem man nie ungeftraft wiberftrebt, weil
ET Alles weiß und Fennt: Pfalm 139, 1—4. Pfalm 139, 7—12.
Bon der Welt und dem Menfchen und ber Bejelljchaft:
Wie Ale, was ift im Himmel, auf ber Erde, unter ber
— 14 —
Grde, Gottes Werk iſt; weil es fich nicht ſelbſt hat machen ki
nen, und das befte, weifefte, guädigfte Werf ift: Ebr. 11, 3. v
mit Apoſt.⸗Geſch. 17, 24—28. NRöm. 1, 19. 20. Pfalm 19 (ec
Hälfte.). |
Wie der Menfch unter den fihtbaren Geſchöpfen das v
nahmfte tft, weil er nicht nur einen Xeib, fondern auch eine v
bemfelben verfchiedene Seele hat, alle lebendigen und Ieblofen €
Ihöpfe um fi her zu-feinem Beften regieren und brauchen Faı
Vieles erfinden, das Erfundene immer mehr ausbeßern Ta
Plalm 139, 4 (notetur, da8 erkennt meine Seele wol), ]
Pſalm 8. Apoſt.Geſch. 17, 29. Anf. _
Wie mehrere Menfchen, die zufammen leben, für einan!
arbeiten und forgen, eine größere oder kleinere Geſellſchaft aı
machen; Die häusliche der Eheleute, Eltern und Kinder die Alte
für die Welt die wolthätigfte ift; Gott will, daß die Menfchen
diefe oder größere Gefelljchaften treten follen: 18. Mof. 2, 1
1, 26 — 30.
Und ein Jeder deswegen Gaben, Kräfte und Fähigkeiten h
die der Andere nicht Hat, und gegenfeitig: 1 Cor. 12, 4. 5.
7. 12 — 25.
Vom geſellſchaftlichen Wolverhalten untereinander: Cal.
2;5, 26. Ephef. 4, 1-6. Phil. 2, 1-4. 1 Theſſ. 5, 12—1
1 Betri 3, 8. 9; A, 8-10; 2, 12. 1 Tim. 2, 1, 2. Tit. 3, 1.
Bon Standes- und Berufs: Pflichten: Luc. 3, 10. 1
12. 13. 14,
Bon der Xiebe zu Gott:
Wie Gott fie von und verlangt, nicht gefürchtet, fonde
geliebt fein will: 1 Joh. 4, 18. 19.
MWie man fie erweifet; durch die Beobachtung des All
was vorher vom gejellfchaftlichen Wolverhalten und Standes: u
Berufspflichten in den angezogenen Schriftftellen vorkommt:
oh. 4, 20.
Durch Demütigung vor ihm im Gebet und Dankfagung
Haufe oder öffentlih: Pſalm 50, 14. 15. 23.
Anmerkung: Beim Gebet muß man ihnen Das Vater U
fer auf's Faßlichſte erklären, ald ein Mufter einer kurzen herzlich
— 15 —
Anrufung Gotted um alles Gute des Herzens und bes Lebens,
Aber mit dem SHerbeten defjelben muß man gleihjam rar thun,
damit fie deſto erufthaftere und größere Begriffe davon befommen.
\ Wan kann e8 etwa fo machen, Daß man den Kleinern, Die ed noch
\ dt gelernt haben, es nad) und nad) Iehrt: Erft fie den kurzen
Seufzer thun läft: Water Unfer, der du Bift im Himmel! Dann
in ndermal bie erfte Bitte: Geheiligt werde dein Name, und fo
ſott. Den Größern fagt man dabei, das Erfte fei fo viel, als
mit zwei Worten: Himmliſcher Vater! Geheiligt werde, fo viel
ad: Du feift in aller Welt Herrlich, verberrlidht. Dann fagt man
ihnen, man werde fie das Vater Unfer nad) geendigtem Schluß-
gelang beten laſſen, wenn fie fi) vecht gut und fleißig aufgeführt,
weil Bott ſonſt feinen Gefallen daran habe; Jeſus es nur foldyen
guten Menfchen, wie feinen Sjüngern vorgefchrieben: Iſt aljo
jenes, fo läft man es fie beten.
Durch Vertrauen auf ihn und Ergebenheit in feinen guten
Willen.
Von der Sünde:
Wie das Alles Sünde iſt, was der Menſch mit Ueberlegung
ODer Nachbilligung gegen die Liebe Gottes, die Standes- und
Berufspflichten, das allgemeine Wolverhalten gegen Andere thut:
alat. 5, 19—21.
Wie der Menſch immer dazu geneigter ift, als zum Guten:
Sacasi: 1, 14. 15. |
_ MWie man dabei, und fo lange man darin beharret, Gott
ıcht gefallen kann: Röm. 2, 29 vrgl. mit Gal. 5, 21.
Bon der Beßerung :
Wenn man gefündigt bat, und dem Glauben an Jeſum
Der fein Evangelium , wie er uns den Troft erworben hat, Daß
Ott bei erfolgter Beßerung und als ein Vater gnädig fein wolle:
Sm. 8, 32. 2 Corinth. 5, 19—21.
Mie das an ihn glauben heiße, oder fein Freund fein:
Joh. 15, 14. |
Sr dieſe Buße oder Beßerung bid auf Die gegenwärtigen
Zeiten ‚ dur Lehrer und Prediger, und vornemlich zuerft durch
— 166 —
feine Apoſtel verfündigen und den Menſchen anpreiſen laße.
Luk. 24, 47. Ap. Geſch. 17. 30.
Was alſo zu dieſer Buße oder Beßerung gehöre: Epheſ.! 4,
25—29. Coloſſ. 3, 8. 9.
Dom rechten Gebrauch des Lebens:
Daß Alles an ſich dem Menfchen zum Genuß da fei, wenn
er es zur rechten Zeit, mit Maß und ohne Verlegung feiner Ges
fundheit, ſeines Vermögens, der Ruhe und Yufriedenheit Anderer
gebraudt: 1 Timoth. 4, 4, 1 Gorinth. 7, 31. 2 Timoth. 3, 4.
Vom Tode und dem Zuſtand nad) dem Tode:
Daß man in fteter Bereitfchaft auf den Tob leben müße,
und bie befte Vorbereitung fei, wenn man alle Tage fi be
fleißige, da8 Seine zu thun, Bott und Menjchen gefällig zu fein;
daß er für den, der nach Gottes Willen nicht weiter leben fol,
eine Wolthat fei, wegen der größern Eräftigen Glückſeligkeit; daß
die Seele nicht ſtirbt: Matth. 10, 28.
Daß auch unfer Leib bereinft wieder fefter und dauerhafter,
herrlicher und vollfommner werben fol, weldes die Auferftehung
genennet werbe: 1 Gorinth. 15, 33.
Daß alsdann den weiſen und guten Menjchen auch außer
ordentlich Wol, ben Boͤſen hingegen außerordentlich Wehe wiber-
fahren wird: Röm.: 2, 4-9, in Vergleichung mit der Gefchichte
vom reihen Mann — dies die Seligfeit fei, da alles andere
Gute, was uns hier widerfährt, nur Gluͤckſeligkeit zu beißen
verdiene.
An dieſen Entwurf des Unterrichts in der Religion hat fich
der Schullehrer genau zu halten, fo daß er jebedmal die Haupt:
ſache mit denſelben Worten fagt, bei jeder dieſelben Beweis⸗
Iprüche braucht, ohne Das Vorhergehende und Nachfolgende Dazu
zu ziehen, wobei ihm doch frei fleht, aus den zu Lejeübungen
vorgefchriebenen Schriftteilen zuweilen einen Ausſpruch oder eine
Erzaͤlung am gehörigen Drte beizufügen. Alles deſſen muß er fich
alfo zu lehren enthalten, was nicht hier ausdrüdlich vorgefchrieben
— 117 —
MR, und dem Fünftigen Unterricht des Herren Predigerd überlaßen
werden kann. Gr muß alfo auch die Wörter Genugthuung, Grb-
fünde, Die Redensarten Gottmenſch, ewige Beugung, Vereinigung
der beiden Naturen, die ben Kindern nicht verftändlich genug find,
und mehr für den gelehrten Gebrauch find, nicht in feine Anwei⸗
fung mischen; alle das Gedächtnis beichwerenden Ginteilungen,
die in dem Vorhergehenden nicht vorkommen, fowie figürliche Aus⸗
brüde des alten Menfchen, der alten Greatur, und des neuen im
Gegenſatz, das Grgreifen des Verdienſtes Jeſu und dergleichen
durchaus vermieden werden. Alle Erläuterungen feines Vortrag
muß er aus der den Rindern vor Augen liegenden Natur, länds
lihen Verfaßungen, Sitten, Untugenden und Laſtern bernehmen,
fie immer aus ber Erfahrung ihrer Sinne auf das, was Gott
it, waß er gegen uns iſt, und wir gegen ihn fein follen, fchließen
lehren. Damit fie endlich auch das Allgemeinfte von der biblifchen
Beihichte und dem Zuftand der Völker zu den Zeiten Jeſu faßen
lernen und in einem kurzen Zuſammenhange überjehen koͤnnen, fo
haben die Schullehrer dazu fi) des 8. Kapiteld aus der Apoftel-
geſchichte bis Vers 53 zu bebienen, und aus dem Brief an Die
Römer das 1. Kapitel vom 21. bis 25. Vers und das 2. Kapitel
vom 17. bis 24. Vers dazu zu nehmen, und aus beiden zujammen
den Kindern zu erzälen, aber kurz und auf eine angenehme Weiſe:
wie zu den Beiten Jeſu die Hauptvoͤlker Juden und Heiben ober
Griechen gewefen, beide gleich verborben, jene, die Juden, auch
raeliten genannt worden, bie nun die Hauptveränderungen von
Ihrem erften Urfprung an erfahren; aus diefem Volt Jeſus her:
gelommen; von ihnen verworfen worden, ob er's gleich jo herzlich
gut mit ihnen gemeint; Dagegen feine Lehre von andern Völkern ange:
nommen, und jene dafür fehr fichtbarlich von Gott zerftreut worden.
Noch haben die Schullehrer für ſich folgende Bücher fleißig
nachzuleſen und zum Beſten der Jugend ſich mit ihrem Inhalt
efannt zu machen.
In Anfehung der deutfchen Sprache: Heinaß deutiche Sprach—⸗
lehre, Berlin 1777.
In Anſehung natürlicher Kenntniſſe: Sturm's Betrachtungen
“ber die Werke Gottes in der Natur auf alle Tage im Sahr.
18 —
In Anfehung der Religion: Außer dem Rochowſchen Schul-
buche das Sittenbüchlein für das Landvolk, Frankfurt 1743. —
Predigten für Kinder.
Alle find hier in den Buchläden zu haben.” — —
Nach diefem Lehrplan fuchten nun Rochow und Brund mit
unermüblicher Unftrengung eine Lehranftalt zu fchaffen, die mit
Recht den Namen einer Schule führen konnte. Kaum waren daher
die erften glüdlichen Schritte gethan, als fofort (namentlich infolge
der rafchen und meiten Verbreitung des Nochomfchen Kinderfreund®,
von dem fehr bald mehrere taufend Exemplare verkauft waren,)
die Kunde von der neuen, unerhörten Schuleinrichtung de8 Dom
bern v. Rochow zu Reckan nach allen Seiten hin drang und bie
allgemeinfte Aufmerkſamkeit derſelben zuwendete. Der Minifter
v. Zeblig ließ über die Beſchaffenheit der Redanfchen Schule durch
das Oberconfiftorium zu Berlin offizielle Nachricht einziehn, begab
ſich hierauf ſelbſt nad) Nedan, erſchien nach Jahresfrift aberm als
dafelbft und flellte dem Stifter der Schule über den Zuſtand, in
welchem er dieſelbe gefunden Hatte, folgendes fchriftlihe Hemd
nis ans: Ä
„Ich habe in dieſen Tagen die v. Rochowſchen Landſchu TEN
- abermald befucht, und neue Urfachen gefunden, damit zufrieden Zu
fein und zu bemerken, daß ber wichtige Unterfchied zwiſchen Th €
logie und Religion beobachtet, und nicht ſowol auf Vielwife 7“
und Auswendigiernen, ſondern darauf gehalten wird, daß &*
Kindern Alles und Jedes deutlich gemacht, und Das, was ihre “
undentlich tft, nicht durch Metaphern, durch Subftituiren ande
ihnen ebenso undeutlich jetender Ausdrücke oder bilblicher Ausdrü
fondern Durch Begriffe, die ihnen ſchon befannt fin
erflärt und überhaupt Gelegenheit gezeigt wird , das ihnen Vorg®
tragene in ihrem Leben anzuwenden, welches dann wol der einzig
wahre Weg ift, die Mbficht aller Pädagogik, nemlich beßere ur"
fürs thätige Xeben brauchbare Menſchen zu bilden, zu erreichen. —
Nedan, den 26. Mai 1779.
Zedlitz.“
Der König ſelbſt ſprach feine Anerkennung der Redanfcher —“
Schule dadurch aus, daß er dem Lehrer Bruns den Kantortite ⸗
— 159 —
und einen Sahresgehalt von 120 Rthlx. verlieh (weshalb Rochow
hm nur noch) 60 Rthlr. jährlich umd die fonftigen Emolumente zu
geben brauchte). Außerdem famen bald von allen Seiten Lehrer,
Shulamtscandidaten, Geiſtliche, Gelehrte, ſelbſt fürftliche Perſonen,
auch Katholiken und Juden in großer Anzal nad Redan, um
fd durdy längere Beobachtung und Anhörung der dortigen Lehr⸗
veife für das Lehramt felbft vorzubereiten, oder um wenigftens
ie Reckanſchen Schuleinrichtungen und deren Schöpfer kennen zu
men. Sm Laufe von zehn Jahren waren zu dieſem Ywede
enigftend 1000 Perfonen nad Redan gepilgert, jo daß ſich Ro⸗
ow genötigt ſah, um eine alzuhäufige Störung ded Unterrichts
ıd übermäßige Beläftigung des Kantor zu verhüten, in dem
orwort feined „Handbuch für Lehrer, die aufklären wollen und
fen”, die Bitte auszufprechen, Daß doch ja Niemand feine Dorf:
ule als ein Schullehrerjeminarium anſehen möchte. *)
Inzwiſchen war Rochow aud zur Reformirung der Schulen
ıf feinen beiden andern Dörfern (von denen Kranue der Pfarrort
ar,) vorgegangen. Sin dem Dorfe Gettin hatte er den alten
chulmeiſter, einen Schneidermeifter, penfionirt und einen neuen,
enfall8 in der Domfchule zu Halberftadt gebildeten Lehrer anges
Mt; und als in dem dritten Dorfe, in Krane, der Küfter ge
ben war, hatte Rochow die dafige Lehrerftelle ebenfalld einem
schüler der Domſchule zu Halberftabt übertragen. Auch diefe
iden Lehrer erhielten vom Könige den Kantortitel und 120 Rthlr.
*) GSpäterhin wurde, um den lüftigen Zudrang von Befuchern der Redanfchen
schule zu mindern, die Veröffentlichung einer genauen Beſchreibung derfelben nötig.
ieſelbe kam in folgender Weile zu Stande: Ein reformirter Candidat des Predigt-
nie, Carl Friedrich Niemann aus Züllihau im Herzogtum Croſſen, hatte ſich
uf Befehl der Schulcommiffion des großen Waifenhanfes zu Potsdam und mit
ochows Bewilligung ein halbes Iahr lang in Reckan aufgehalten und die dortige
quleinrichtung ftudirt. Die Zal derartiger „Auscultanten” in Redan war indeffen
grob und für Rochow ımd deſſen Schule fo läftig, daß fi Riemamı Vernm-
ft foh, im einer fehr eingehenden Darftellung einen „Verſuch einer Beſchrribimg
7 Redanfhen Schuleinrihtung” (melde Schrift zu Berlin und Gtettin 1781,
ad umgearbeitet 1792 erihien) zu liefern, indem diefe Relation denjenigen, welche
€ Redanfchen Schuleinrichtungen kennen lernen wollten, um fie nachzubilden, die
eiſe nach Reckan erfparen follte.
— 10 —
jährlihen Gehalt, wogegen der Echulunterriht unentgeldlich e
teilt werben mufte. Beide ftubirten fih durch fleißigen Beſuch de
Reckanſchen Schule in die dajelbft eingeführte Lehrmethode ein.
Eine widerwärtige Störung erlitt Rochow infolge der padı
gogifchen Unbeholfenheit des damaligen Superintendenten zu Braı
denburg. Bei Gelegenheit der Kirchenvifitation ließ nemlich De
jelbe die beiden neuen Kantoren mit ihren Schulfindern vor be
Altar treten, und gab dem Kantor zu Gettin, der fich erft fe
zehn Wochen im Amte befand, auf, feine Schüler nach dem dritte
Artikel des kleineren Katechismus Luthers zu katechiſtren. De
Kantor entjchuldigte fih, daß er fich in der kurzen Beit feine
Schulamtes mit feinen Schülern noch nicht bis zum dritten Artik
habe hindurcharbeiten Eönnen, indem es den Kindern an allen Vor
Eenntniffen gefehlt habe. Uber zornig klagte der Superintenden
por der ganzen Verfammlung, daß, wie er jebe, ber dritt
Artikel hier nicht mehr in Ehren gehalten werde ıc.x
Zum Blüd verhielt fi) das verfammelte Volk bei diejer empfind
lichen Anfchuldigung ganz ruhig und Rochow beſchraͤnkte fich vor
läufig Darauf, das Verfahren feines Lehrers mit Berufung au
eine von dem Oberconfiftorium zu Berlin erhaltene Inſtruction y
rechtfertigen. Um indefjen feine Schulen und Lehrer gegen ande
weitige Vexationen ficher zu fellen, berichtete Rochow über De
ärgerlihen Vorfall an das Oberconfiftorium, welches ſofort De
Superintenbenten befahl, über feine Kirchenviſitationen nicht eh
zu berichten, bis er auch bie Reckanſche Echule vifitirt hab
werde (was noch nicht gefchehen war). Der Superintenbent £
gab fih daher auch nad) Redan, vifitirte Die daſige Schule auf D-
Benauefte und verabfchiedete fi von Bruns, indem er benjelb
in der Schule brüderlih umarmte!*) |
) Was Rochow in der „Geſchichte meiner Schulen“ (Schleswig, 179
&. 18 ff. weiterhin berichtet, wird bier übergangen, ba es nit don allgemein,
Intereſſe if.
— 161 —
Die Einrichtung der Schule zu Redan war folgenbe:
Das ganz aus Steinen gebaute Haus enthielt außer den
bequem eingerichteten Wohnzimmern des Lehrers eine geräumige
und helle Schulftube. Die drei Fenfter derjelben gingen nicht nad)
der Straße, fondern nad) dem Garten des Schulhaufes. Um in
ber Schulftube immer reine Luft zu erhalten, waren in ber Höhe
der Mauer drei Zuglöcher angebracht. Zur Abwehr des Sonnen-
ſcheins waren die Fenſter mit leinenen Seitenroulleaus verjehn.
Wöchentlich zweimal muften die Schulkinder die Stube forgfältig
reinigen.
Beim Eintritt in die Schulſtube fand man links an der
Band die Knaben in zwei Reihen auf feſtgemachten Baͤnken ſitzen,
bor denen ſchraͤg abgehende Aufklapptifche ſtanden. Se zwijchen
wei Sitzen war ein Tintenfaß eingepaßt, welches nur fo weit
heworragte, daß die Schulfinder ihre Federköcher mit einer Schnur
datan hängen fonnten. Die Mäpdchen ſaßen dem Eingange grade
jgenüber in Einer Reihe. Des Anftandes halber war ihr Tifch
vorn mit Leinwand zugefchlagen, jedoch jo, daß fie unten durch⸗
langen Eonnten. Der Lehrer ſaß rechts an der Wand am Ende
re Maͤdchenbank. In einer neben feinem Pult befindlichen Spinde
Durden die Schulbücher und fonftige Schulfahen aufbewahrt.
Rorgens begann der Unterricht mit dem Glockenſchlag Sieben,
Rachmittagd mit dem Schlage Eins. Beide Male wurde kurz vor:
der mit der Glocke ein Zeichen gegeben.
Die Schule war in zwei, fireng von einander gejchiebene
klaſſen geteilt. Die erfte umfafte die Heinen und Eeinften Kinder,
welche in derfelben fertig Iefen lernen muften; Die zweite Klaſſe
umfafte Die größeren Schüler Bid zur Entlaßung aus der Schule.
Die erfte Klaffe wurde täglich Nachmittags von 1—3 ober 31/, Uhr
unterrichtet, mit Ausnahme des Mittwoch und Sonnabend, an
wilden Tagen fie von 10 — 12 Uhr die Schule befuchte. Die zweite
Alaſſe erhielt täglich von 7—11 (nur Mittwochd und Sonnabends
ben 7-0) Unterricht. | |
Die Lectionsplane der beiden Klaffen waren folgende:
41
— 162 —
Lectionsplan für die untere Klaſſe.
DU en nn ee ee ne np]
Montag | Dinstag | Mittwoch | Domens | Freitag | ©oı
Uebungen mit deniwie Mon-wie Mon-iwie Mon-Iwie Mon-jwie D
ganz Fleinenitags. tags. tags. tags.
Kindern.
Leſen im erſten
Teile des Kinder-
freundes mit den
größern Ain-
dern.
Buchſtaben un
Biffern, oder buch⸗
ftabiren. Die grö-
Beren fchreiben in
der Beit.
— wegen Kürze —
gan kleinen. der Zeit aus.
Die kleineren wer‘
den entlaken und
mit den größeren
wird über die ge- — — —
leſene Geſchichte
geſprochen.
— — — — — —— — — — 5 — ———— | EEE
Aufſchlagen Gedächtnis˖ |verfihiedene | Rechnen. Gedäch
Rechnen. im Geſang ˖ũbung. Uebungen. übung.
buch.
— 163 —
Lectionsplan für die höhere Klaſſe.
Montag Dinstag | Mittwod | Donnerstag Freitag | Sonnabend
Biederholung der) Religions. | Anweifung |Biblifhe Ge-| Religions. | Anmeifung
fomntäglihen | unterricht. zum Singen.ifhichte oder] unterricht. | zum Gingen
Raturge-
ſchichte, oder
einzelne
Vebungen.
Bredigt.
Aufſchlagen in| Ortho ⸗ Luther
zweiten Teil Erklärung der
in der vibel. graphie. | Sauptftüde, ’
"des Sinder-| aufgegebenen
Wocheuſprũche.
Leſen im Ge⸗
&efen im zweiten) ſangbugoder
* bet Kinder- nie u Dictiren. Schreiben. Dictiren.
"ne. biblifche Ge⸗
ſchichte.
— N
Leſen im eſen im Ge
Schreiben. Schreiben. Weiten Teil echnen fangbuch oder
des inder in der Bibel
freunde.
— —
Rechnen, Rechnen. Echreiben. — Schreiben.
Schon aus dem Bisherigen kann das Eigentümliche der
Redanſchen Schuleinrichtung und Lehrmethode genügend klar wers
en. Vor dem ſechſten Lebensjahre wurde nicht leicht ein Kind in
ie Schule aufgenommen. Alle Receptionen und Verſetzungen fan-
en zu Giner beftimmten Zeit, gewöhnli um Oftern, flatt. In⸗
eſſen pflegte man die zur Verſeßung beſtimmten Schulkinder Gov
ar
— 14 —
ein halbes Jahr vor der Verfeßung an jedem Mittwoch und Sonn-
abend an den Lehrftunden der zweiten Klaſſe Teil nehmen zu laßen,
damit fie ſich thunlichft für den Unterricht in derfelben vorbereiten
konnten. Natürlih war von „Sommer“ - und „Winterſchule“ nicht
die Rede.
An ſtaͤrkſten trat das Charakteriſtiſche der Redanfchen Lehr⸗
methode wol in der Aufnahme und in der erſten Unterweifung der
Sncipienten hervor. *) — Der Lehrer empfing die Kinder, welche
die Schule zum erften Male beſuchten, mit Freundlichkeit und
Liebe, um vor Allem deren Zutrauen zu gewinnen. Er begann
mit ihnen über irgend etwas, was grade nahe lag, zu ſprechen.
Er fragte z. B. Die Kinder nad) ihrem Namen, Alter, richtete dann
etwa Die Frage an fie: „Wo bift du denn jetzt?“ „Bift du Denn
gern hierher gefommen?" „Wilft du nun auch gut acht geben und
fleißig fein?” u. |. w. Nach einer jeden Antwort fuchte der Xehrer
dem Finde irgend etwas Grmunterndes zu jagen. Nachdem jodann
das Kind die Ermahnung zum Fleiß und Gehorjam durch ein Sa
oder durch Darreihung der Hand beantwortet hatte, wies ihm
ber Lehrer feinen Pla mit der Bemerkung an, Daß es denſelben
am folgenden Tage wieder einnehmen und jidy hüten follte, daß
e8 nicht etwan zur Strafe von demfelben herabgejegt würde.
Nach einem Fleinen Zwifchenraum, in welchem fich der Lehrer
mit anderen Schülern bejchäftigte, lenfte derjelbe das Gefpräd,
aufganz gewöhnliche, auch den Incipienten bekannte Dinge, etwa
auf Gegenftände, die in der Stube oder im Garten vorkommen,
von denen fie ihm der Reihe nach einzelne nennen muften, und
freute Dabei fogleich einige leichte Fragen ein, z. B.: wie viele Füße bat
der Schemel? Wer hat den Ofen, das Fenfter gemacht? — ober
er lenkte das Geſpraͤch auf Bäume, Thiere, äußere Körperteile
u. drgl. Derartige Unterhaltungen begann er entweder mit ben
Incipienten felbft oder mit einem der größeren Schüler, in welchem
legteren alle er jene zuerft auf die Angaben des leßteren aufs
merkjan machte und nachher jelbft anredete: Könnt ihr Kleinen
) Ueber das zunächſt Folgende vgl. Riemanns „Neue Beihreibung der
Reckanſchen Schule“ (Berlin und Stettin 1792) 6. 29 ff.
— 165 —
mir auch wol einen Baum oder ein Thier nennen, was vier Füße
bat? Durch die Unbefangenheit des größeren Kindes und durch
die freundliche Aufforderung, dem Beifpiele Defjelben zu folgen,
wurden bie Kleinen ermutigt und auf Die leichtefte Art zum Spre⸗
hen veranlaft. Sie nannten verfchiedene Arten von Bäumen , die
fie fonnten, und bei der Angabe derjelben trat alsbald Die erfte
Sprahberihtigung ein. Sie fprachen nemlich den Namen
ber Bäume in ihrem Patois aus, 3. DB. ein Plumbaum, ein
Resyernbaum, ein Bärenbaum u. |. w. Der Lehrer fagte ihnen
die hochdeutſche Benennung entweder felbft, oder ließ fie von einem
der größeren Schüler jagen, worauf die Kleinen diejelbe ſogleich
einigemal wieberholen muften, bis fie das fchriftdeutfche Wort
fertig ausfprechen Eonnten. — Nachdem man die Ancipienten fo
mehrere Tage bindurd) mit einer beftimmten Art von Sachen,
etwa mit den Gliedern des menjchlichen Körpers oder mit Bäumen
geübt hatte, ging der Lehrer weiter, indem er nun etwa vier⸗
fühlge Thiere, Vögel, Pflanzen, Nahrungsmittel, Kleidungsſtücke,
Hausgeräte, Steine, Dinge von Eifen, von Holz u. drgl. nennen
ließ. Der Zweck diefer Beichäftigung war zunächft nur der, daß
man die Kleinen aufmerffam und gefpräcig machte, ihr Beob⸗
achtungsvermögen weckte uud ihre Sprache verbeßerte.
Mar dieſer Zweck einigermaßen erreicht, jo machte man Die
Kinder auf die einzelnen Teile, auf die Kennzeichen und
Eigenſchaften ber Dinge aufmerffam, damit fie von denſelben
Deutliche Begriffe befämen, Die Dinge von einander unterjcheiden
lernten und ihre Sprache durch den Gebrauch der Beimörter er-
weiterten.
Maren die Kinder auch darin eine Zeit lang geuͤbt worden,
D machte man fie nun mit dem Urfprung, Nußen und Ge—
Braud ber Dinge befannt. — Diefe drei Uebungen gaben faft
dag ganze erfte Jahr hindurch binlänglichen Stoff zu Belehrungen,
die den Fähigkeiten der Kleinen angemeßen und ihnen zugleich un-
terhaltenb waren, und die zu einer fpäteren fruchtbaren Erkenntnis
Gottes den Grund Tegen follten.
Die Regel, nad) welcher diefe Uebungen angeftellt wurden,
war biefelhe, welche der Nedanfchen Lehrmethode überhaupt zu
— 166 —
Grunde lag. Sie lautete: „Der erfte Unterricht für Kinder über-
haupt, und alfo auch für Kinder der Landleute, ſei fo finnlih und
angenehm als nur möglih. Der Lehrer fange nicht fogleich und
allein mit dem Bücherunterrichte an, ſondern er unterhalte das
Kind durch Teichte, feinen Fähigkeiten angemeßene Geſpraͤche über
allerlei ihm befannte und auf Die Sinne einwirfende Gegenftände.
Er erwede und übe zu allererft die Aufmerkſamkeit der Kinder,
lehre fie ihre Sinne ordentlich gebrauchen, recht ſehen und hören,
Bieled anfchauen, und darauf merken, das Gefehene und Gehoͤrte
richtig angeben; er verbeßere glei, anfangs ihre Sprache und be⸗
Ichäftige ihr Nachdenken und ihre Wißbegierde, ohne fie zu über-
häufen, durch Mitteilung fo vieler Sachkenntniſſe, als für ihr
gegenwärtiged Alter und Faßungdvermögen gehören. Und Damit
verbinde er Die erften Anleitungen zum Leſen und Rechnen.” *)
Der Unterricht im Leſen wurde in folgender Weife erteilt:
Der Lehrer malte zuerft einige der einfachften Buchftaben, in der
Form der gedrudten, einzeln nacheinander mit Kreide an die Schul:
tafel. Er zeichnete fie etwas groß und fo, daß die unterfcheiden-
den Kennzeichen derfelben in die Augen fallen muften. Er nannte
den Namen jedes einzelnen Buchftaben und Tieß ſich denfelben
nachiprechen. In dieſer Weife wurden den Kindern alle Buchftaben
des Alphabet3 befannt gemacht. Man band fi dabei an Feine
firenge Ordnung, behielt jedoch die Uehnlichfeit der Buchftaben
im Auge, um den einen möglichft aus dem andern abzuleiten. —
Hatten die Kinder alle einzelnen Buchftaben fo Fennen gelernt, Daß
fie deren unterſcheidende Merkmale angeben konnten, jo verfammelte
man alle vor einem an die Thüre gehefteten Blatte, auf welchem
alle Buchftaben des großen und kleinen Alphabets, die Ziffern,
eine Anzal leichter einfilbiger Wörter und einige kurze Säße ge:
dDrudt waren. Hier übte man Die Kinder zunächft wieder in der
Kenntnis der Heinen Buchftaben, und ging ſodann (ohne ſich auf
Sillabiren einzulaßen) zum Buchftabiren einfilbiger Wörter über,
die auf das Blatt gedrudt waren. Der Lehrer ließ Die Kinder
die einzelnen Buchftaben des Worts langſam nennen und fprady
*) Riemenns „Reue Befchreibung der Reckanſchen Schule,“ ©. 28-9.
— 167 —
ifnen alddann das ganze Wort deutlich vor, welches fie einzeln
oder zufammen ausfprechen muften. Sobald nun die Schüler durch
biefe Hebung einige Fertigkeit im Buchſtabiren erlangt und dabei
auch gelegentlich die großen Buchftaben kennen gelernt hatten,
wurde ihnen fofort der erfte Teil des Katechismus in die Hand
gegeben. Das Buchftabiren mehrfilbiger Wörter, die bier zu
lfen waren, wurde dadurch abgekürzt, daß die vorhergehende
Sylbe bei der Ausfprache der nächftfolgenden Sylbe nicht wieber:
holt wurde. Man buchftabirte 3. B. nicht: Au⸗gen, Augen ⸗lie,
Angenlie, Augenliesder, Augenlieder, fondern: Au⸗gen⸗lie⸗-der,
Augenlieder. — Waren die Schüler im Buchftabiren hinlänglidy
geübt, jo begann man mit ihnen langjam zu lefen, wobei fie die
einzelnen Wörter im Kopfe buchftabiren und dann laut ausſprachen,
jobald fie aber einen Fehler machten, fofort wieder zum lauten
Budhfabiren ihre Zuflucht nehmen muften.
Der Unterriht im Rechnen wurde in folgender Weife bes
gonnen: Ehe man noch die Kinder mit den Ziffern befannt machte,
leitete man fie zum Zaͤlen fichtbarer Dinge an. Sie muften etwan
ihre Finger an einer, dann an beiden Händen, die Kinder, bie
auf einer Bank faßen, dann einige mehr, hernach alle Schulfin:
ber der Reihe nach, oder die Knöpfe an ihren Kleidern, die Scheiben
an den Senftern, die Bücher, die auf dem Tifche lagen u. dgl. m.
zilen lernen. Weiterhin fchrieb man ihnen auch Striche an bie
Tafel, woburd fie noch mehr geübt wurden, richtig zu fehen unb
Mu unterfheiden. Waren die Schhler jo dahin gebracht, daß fie
bis 100 ohne Anftoß zälen Eonnten, fo lehrte man fie die Behner
bis 100 zälen und gewöhnte fie zugleich an das Zurüdzälen, wor
mit bereits die erfte Uebung im Subtrahiren begonnen wurde.
Dierauf ließ man fie die graben, dann die ungraben Balen mit 2,
Bann mit 3 ‚4,5 u. f. w. abdiren und fubtrabiren. Durd eine
ſolche vom Leichteren zum Schwereren fortjchreitende Zalenübung
lernten die Kinder jhon im Kopfe addiren und fubtrahiren, che
fie noch die Ziffern kannten, womit fchon der Grund zu ben
"Päteren Uebungen im Kopfrehnen gelegt wurde,
Die Ziffern wurden den Rindern mit oder nad) den Buch⸗
Haben durch Vorzeichnung an die Tafel bekannt gemadht. Man
— 168 —
fagte ihnen noch nichts von dem Werte der Ziffern nach ihren
Stellen, ſondern begnügte fich Damit, ihnen dieſelben durch öfteres
Anfchreiben,, Vor⸗ und Nachſagen bekannt zu machen.
| In der oberen Klaſſe wurden zu den Leſeübungen der zweite
Teil des Kinderfreundes und die Bibel gebraucht. Der Lehrer las
einen geeigneten Abſchnitt aus der Bibel deutlich und mit Ausdrud
vor und lies fodann die Kinder daſſelbe nachlefen. Das Gelejene
wurbe zugleich beiprochen, Damit e8 den Kindern vollkommen ver-
ländlich und nüßlich würde. Daneben wurden auch andere Bücher,
3. B. Federſens Leben Jeſu, Eberts Naturgefchichte zum Vors und
Nachleſen und zu erflärenden Beſprechungen gebraucht.
Zur Uebung im Memoriren muften die Kleinen leichte, ver-
ſtaͤndliche Verſe aus geeigneten Liedern, oder kurze Sentenzen
3. B. aus Jeſus Sirach auswendig lernen. In der oberen Klaffe
wurden ganze Lieber oder Stellen der h. Schrift auswendig ge
lernt. Dabei ſah aber der Lehrer vor Allem darauf, daß alles,
was memorirt werden follte, vollfommen verftanden war.
Die Schüler der Oberflaffe wurden auch fleißig im Schän>
und Rechtfchreiben und im Rechnen geübt. Die Necherm:
übungen wurben niemald mit unbenannten, ſondern jederzeit mm‘
benannten Balen angeſtellt. Immer wurden Die Aufgaben (jo w—
die Erläuterungsbeifpiele in anderen Unterrichtögegenftänden) a
dem Gefichtöfreife der Rinder, in&befondere aus ihren und ihre I
Eltern Beichäftigungen genommen. — Bur Uebung im Schiw
Schreiben waren Vorſchriften angefertigt, welche allerlei nüplidB>
Wahrheiten in gebundner oder ungebundner Rebe enthielten. CHE
jedoch eine Vorjchrift zum Abfchreiben gegeben wurde, mufte de=<
Inhalt derjelben dem betreffenden Kinde forgfältig erflärt werde‘
Als eine Hauptregel für bie in dieſer Klaffe anzuwendend IJ
Unterrichtöweife galt der Grundfaß, daß wo es nur immer thunss
lich fei, mehrere Lehrzwecke mit einander verbunden und alfo of?‘
in mehreren Stüden zugleich unterrichtet werden müße. So wurde<
3. B. bei den Leſeübungen zugleich Rechtfchreibung, Naturkunde u. 5
a. m. gelehrt. Insbeſondere wurde fo viel ald möglich in jedens
Begenftand der Unterricht in der Religion mit hereingezogen.!
In der unteren Klafje begann man den Unterricht mit de
— 169 —
Meipienten nicht fofort, fondern nachdem ihr Verſtand foweit er-
wedt war, daß fie fihtbare und finnliche Dinge, die ihnen nahe
lagen, mit einiger Richtigkeit beurteilen und aus denſelben Schlüße
ziehen Eonnten. War dieſes erreiht, fo ſuchte man die Kleinen
durch Die Lehre von Urfache und Mirfung dahin zu führen, daß
ke den Gedanken an Gott gewißermaßen von felbft fanden. So
ſihrte man fie namentlich von der Betradhtung der Wolthaten, die
fe ans den Händen der Eltern empfingen, zu Ihm, als dem Ge⸗
ber aller guten und vollfommenen Gaben hinauf und lehrte fie
Gott Tebiglich als Heiligen und gnabdenreichen Vater erkennen.
Daher war der Religiondunterricht in der zweiten wie in der erften
Kaffe eigentlich nicht auf gewiße Stunden beſchraͤnkt; vielmehr
1 wurden, mit Ausnahme des Schreibens und Rechnens, alle ande-
"rm Lehrgegenftände (Bibellefen, biblifche Geſchichte, Leſen im Kin⸗
J derfreund, Wiederholung der fonntäglichen Predigt, Naturgefchichte,
4 gar Spradlehre,) als Mittel zur Förderung der Religionser⸗
Immtnid und der Religiofität behandelt. Indeſſen waren Doch aud)
wei Stunden in jeder Woche zu einem aanz beſonderen Religions»
mterrichte beftimmt, in welchem entweder ausgewählte Abſchnitte
der Bibel, oder Lieder aus dem neuen preußifchen Geſangbuch ge-
fen und erflärt wurden. Auch wurden Luthers fünf Hauptftüde
mt den in die Oberclaſſe Eingetretenen ein ganzes Jahr hindurch
Itechetifch erklärt und von bdenfelben forgfältig memorirt. Die
fttechetifche Methode, welche man hierbei wie überall anwandte,
ij Bar die, Daß man „durch Unterredungen und beſonders burdh
35 leichte fortfchreitende Fragen die Schüler auf die Gedanken und
Vorſtellungen, die man in ihnen ermeden wollte, dergeſtalt hin⸗
führte, daß fie dieſelben gröftenteild ſelbſt fanden“.
J. Die Ordnung der Schule war in jeder Hinſicht ſtreng ge⸗
tegelt. Mit dem Schlage der Uhr muſten alle Schüler der Klaſſe
J Mälent fein. Syn der Oberklaſſe wurde der Unterricht mit einem
Gebete des Lehrers, woran ſich der Gefang einiger auswendig
gelernten Geſangbuchsverſe fchloß, begonnen. Kam ein Kind wäh-
Tb bes Gefanged oder Gebetes, fo muſte e8 außerhalb des
Zimmers vor der Thür ftehn bleiben. Zum Schluß der Lehrflun-
den wurde wieberum ein Vers gefungen. — Um die Mitte der
— 170 —
Schulzeit wurden fämmtliche Schüler Vor- und Nachmittags zu
ihrer Erfriſchung für einige Minuten auf den Schulhof gelaßen;
außerdem wurde in der Negel fein Heraudgehn der Schüler ‚aus
dem Lehrzimmer geftattet. Die ſehr forgfältig geführte Abfentens
lifte wurde am Schluße jedes Tierteljahrs abgefchloßen, in ber
Schule vorgelefen und dem Gutsherrn, der die ftraffälligen Eltern
zur Verantwortung z0g, vorgelegt. — Die Strafe Eörperlicher
Züchtigung wurde nur fehr felten (memlich bei vorkommendem
Diebſtahl, bei offenbarer Widerfeblichkeit gegen den Lehrer und
bei hartnädigem Ableugnen eined begangenen Fehlerd,) und immer
nur fehr mäßig angewandt. Die Austellung eigentlicher Prämien
an fleißige Schüler war nicht üblich.
Um auf die finder auch außerhalb der Schule disciplinarifch
einzumirfen, veranlafte der Lehrer diefelben zuweilen ihre Gefchichte
etwa von einer durchlebten Woche („was fie während Diefer Zeit
gethan oder unterlaßen, was fie Gutes empfangen oder MWidriges
gelitten, mit welchen Gedanken fie dad Gute hingenommen, das
Unangenehme ertragen haben“, u. ſ. w.) aufrichtig zu erzälen.
Der Lehrer pflegte dann unter Hinweifung anf ſchon bekannte
fittliche Regeln u. dal. die Kinder zur eignen Beurteilung ihres
Verhaltens und Thuns zu führen und fo den fittlihen Sinn in
ihnen zu beleben und zu Fräftigen.
Der Kantor Bruns *) ftarb (23. September 1794) für die
Schöpfung, an der er mit Rochow zufammengearbeitet hatte, zu
frühe. „Er hatte“, jagt Rochow nad Sirach, „treulich gethan,
was ihm befohlen war, — Viele zur Gerechtigkeit geführt. —
Viel Lohn wartet feiner!” ), Rochow ließ ihm in feinem Garten
eine drei Fuß hohe Gedächtnisurne jeßen, mit der Auffchrift:
H. I. Bruns.
Sr war ein kebrer.
Neben ihm bezeichnet Rochow feinen Pfarrer Stephan
Rudolph zu Redan, als Tenjenigen, der ſich um tie Ausführung
*) Weber deflen Leben vgl. Henke's „Archiv für die nenefte Kirchengeſchichte
B. IV. ©. 133 ff.
**) „Geſchichte meiner Schulen“ v. Rochow ©. 24.
— 171 —
ser Reformen bejonders verdient gemacht habe. Denn abaefehn
on, „daß er in feinen Predigten wahrhaftig lehrte, was nütz-
b ift zur Beßerung und Heiligung, gab er fi als
Jegatus medici ordinarii die unfäglichfte Mühe mit den Sram
ı, und forgte dafür, daß die Vorfchriften des Arztes befolgt
arten“ *).
Der Segen, den Rochow von feinen Reformen erivartete,
sunte nicht ausbleiben. „In Redan war das Schulgehen der
inder im Winter und Sommer ihnen und den Eltern theuer und
ert geworden; und oft danften biefe dem edlen Gutsherrn mit
bränen, „daß fie nun ihre Kinder weit beßer regieren könnten“ 9),
atürlich Fomen auch Die materiellen Früchte, welche das neue
tziehungsweſen brachte, für die Eltern der Schulfinder fehr in
etracht, namentlich, da Frau v. Rochow eine Art von Induſtrie⸗
wie anlegte, worin eine aus Sachſen gebürtige Frau eines
ärtnerd die Mädchen im Nähen und Striden unterrichtete, in
elhen Fertigkeiten fich vorher fein Kind des Dorfes geübt hatte.
Einige Sabre ſpaͤter (1792) berichtete Niemann in feiner
Reuen Beſchreibung ter Redanfchen Schule” (S. 143 — 144):
Man bemerkt nun ſchon feit geraumer Zeit von Jahr zu Jahr
nen größeren Zuwachs von geftiftetem Nuben und fieht mit be-
bnender Freude auf die bisherige Laufbahn zurüd, auf welcher
an jenem großen Zwecke, den man nie aus den Augen verlor,
mer näher gefommen ift, obgleich Diejenigen Srwachjenen, Die
werft auf ſolche Art unterrichtet nnd gebildet wurden, noch immer
en fleinften Teil des Ganzen ausmahen. Man wird eine allge:
iinere Richtung der Gemüter auf alles Gute und mehrere Willig-
Mt dazu gewahr. Man fpürt, daß ein Geift fliller Ordnung,
Huslicher Ruhe und Sittfamfeit immer herrſchender wird und den
onft häufiger bemerften Hang zu Ausichweifungen und Unmäßig-
titen immer mehr verdrängt. Sittfamere Tugend und Befcheiden-
heit zeichnet Die jungen Leute beiderlei Geschlechts mehr ale fonft
ws, denn der Fall einer unehelichen Geburt hat ſich in tem bies
— —
. Geſcichte meiner Schulen“ v. Rochow ©, 31.
I Ebendafelbft 8. 31.
— 12 —
figen Dorfe kaum in 6 Jahren einmal ereignet. Sie beeifern fidh,
ehrerbietige und dankbare Liebe gegen ihre wolthätige Herrichaft
überall zu erkennen zu geben, und zeigen auch gegen ihren wir:
digen Prediger, ber fih nicht nur al8 Seelforger, ſondern aud
als treuer Ratgeber bei ihren häuslichen Angelegenheiten iu Freu
den und Leiden um fie verdient macht, herzliches Zutrauen. Fremd
unparteitfche Zeugniffe können naͤchſtdem beweifen, daß wenige Pro-
ceſſe unter ihnen geführt worden, und daß fie fih auch als Sol
daten in ihrem Regimente — als gehorfame, treue und ordentliche
Unterthanen beweifen”.
Auch noch in fpäteren Jahren galt Redan als der Wiegen
fit des beferen Dorfſchulweſens der neueren Zeit, und alle bie
jenigen, die nad) Redan pilgerten, um die dortigen Schuleinrid:
tungen Eennen zu lernen, freuten ſich in Rochow einen der Patriarchen
der deutfchen Volköfchule gejehn zu haben *).
*) Ein Augenzeuge aus dem Sahre 1812 berichtet über den Eindrud, den die
Begepnung mit Rochows Perfon und die Wahrnehmung feiner Wirkſamkeit auf ihm
machte (in Stephanis Baierifhem Bolksfreund 8. I. S. 102 fi): „Der Be
nah dem pädagogifhen Reckan führt von Potsdam ab dur eine mit Thälem
und Bergen gefüllte Gegend, die man das Brandenburgifhe Marsfeld nennen
fönnte, meil hier die gewöhnlichen großen Serbftmanöpres gehalten werden. Im-
feits diefer friedlichen Felder madet man wieder in den langmeiligften Saatfeldem;
und die bier und da kümmerlich hervorfheinenden Tannenmwälder geben bem Bar-
derer nur wenig Schatten. — Schon don ferne fündigen fi) die Umgebungen des
Orts durch ein befer kultivirtes Gefilde an, wie fi ſchon jedes Dörfchen durk
ein freundlicheres Aeußeres auszeichnet, in welchem fleißige Menſchen und verftön
dige Obere wohnen. Wir fahen eine Menge blühender Kinder nicht im gewöhn
lihen Müßiggange, nicht zerlumpt umherſchwärmen, fondern reinlich gefleidet d
Steine von den Aedern lefen. Die Näherftehenden boten fi ungerufen an, *
den Weg nad) ihrem Wohnorte und dem adelihen Hofe zu zeigen. Irre id #7?
fo Hatten alle diefe Kinder etwas Lebendigeres und Freundlichere in ihrer ga"
äußeren Form, als die gewöhnliche Dorfjugend, — etwas Artiged und Gefälz
welches den gemeinen Mann fo gut kleidet, fobald er eine menſchlichere Erziele
befommen hat. — Man muß diefe Kinder felbft gefehen haben, um ſich über
Wirkungen einer veredelten Erziehung zu freuen. —
Man führte und zur Wohnung des verdienftvollen Mannes: ein einfa
prunflofes aber heiteres Landgebäude. Ein junger, beſcheidner Mann, deu
wegen feines Anftandes für einen der vielen bier durdreifenden Erzieher be‘
— 1793 —
$. 11.
Wachhbildungen der Rochowſchen Schuleinrichtung.
68 konnte nicht fehlen, daß Roch ows Schöpfung, nachdem
befannt geworden war, an zalreichen Orten die lebhafteſte Nach»
erung wach hervorrief:
te uns die Thüre, — es war ein Lakah des Herrn von Rochow, — und er
te uns in das große und gefhmadvolle Studirzimmer defjelben, — ein ſchöner,
adlicher Saal nad) dem Garten hinaus, wo alle jene menfhenfreundlichen Plane
bortrefflihen Mannes zu einer beferen und zwedmäßigeren Bollserziehung
vorfen wurden. Rad wenigen Augenbliden erihien er felbft, den finnigen aber
mdlihen Ernft auf feiner Stimm, wodurch ſich fein ganzes Aeußeres ankündigte.
lag etwas Großes und Driginelles in diefer Phyfiognomie, zugleich aber auch
08 Leidendes, mas uns nur noch mehr zu ihm hinzog. — Roch eine halbe
mde des Gefprächs und wir muften ihn lieben. Rochow redete mit großer
tie von Allem, was ihn intereffirte, bisweilen etwas zu fententiös und impo-
md, aber immer mit dem ihm eignen Reichtum des gefunden logifchen Urteils. —
er fi feine ganze Ausbildung allein verdankt, fo nennt er fi felbft einen
todidaktos. — Er hatte fi in feiner Jugend als Soldat fehr vernadhjläßigt.
jenen Zeiten, fagte er, erlaubte man dem Offizier roh und unwißend zu bleiben,
ne daß er fich deshalb fhämen durfte. Aber auf einmal ermadte in ihm ein
herer Beruf; er hatte fehr viel nachzuholen, und von num an arbeitete er mit
et ſolchen Raſtlofigkeit an fich felbft, daß er fi) in fein Zimmer einſchloß, wie
I gemeiner Schüler zu decliniren und zu conjugiren anfing, und nicht eher nach⸗
I, bis er die lateinifchen Klaffifer und die neueren Sprachen ohne Anftoß ber-
m konnte“. Ä
„Rochow zeigte in feinen Ideen eine erſtaunliche Vielſeitigkeit. Seine Stants-
ufniffe waren von großem Umfang. Seine Kenntnis in der Agrilultur, der Ra-
NRorie und der Geſchichte war nicht gering, und überall ſchien der fleißige
bftdenter hervor; aber das Erziehungswefen blieb fein Lieblingsftudium. Cs
ſehr angenehm, ihn hierüber bisweilen mit einer liebenswürdigen Schwärmerei
n zu hören, da er hiervon mit fo viel lebendiger Weberzeugung fprady, und da
Größe des Gegenftandes nad feiner frommen Unfiht jenen Enthufiasmus nit
bt auffordern muſte. — Bielleiht haben die philanthropifhen Spielereien in
Nau doch aud den Nußen geftiftet, daß fie Rochows graden Sinn nad) etwas
berem zur Erziehung des Menfchen hinrichteten. Er war Baſedows Freund,
rt er war mit deffen Erziehungsmaximen nie ganz zufrieden. Beide flritten fi
ehtmals fehr lebhaft über die neuere Pädagogit, und dies veranlafte den edel.
— 174 —
So hatte 3. B. der Gutöbefißer zu Teichheim auf feir
Reifen den Domherrn v. Rochow und deſſen herrlich aufgeblül
Schule faum gejehn, ald derfelbe fofort den Entſchluß faßte, |
die Jugend feined Dorfes nad) dem Mufter der Schule zu Ned
eine Freifchule zu errichten. Er berief einen Lehrer, der ni
allein mit dem Rochowſchen Lehr- und Disciplinarfyftem volle
men befannt war, ſondern auch ein anerfanntes Lehrtalent befi
Die Schule wurde begründet und wurde in Kurzem eine eigentli
Mufterfchule. Aus vielen benachbarten Dörfern und Städten wurt
derjelben Kinder zugeführt, und von allen Seiten her kamen Predi,
und Lehrer, um die Unterrichtsweiſe in dieſer Anftalt kennen
lernen. Bald fanden fi auch Sünglinge ein, welche fich, nachd
fie den Kurſus im Seminar abfolvirt hatten, durch Hospitiren
der Schule und unter der Anleitung des Lehrers für das Lehra
noch gründlicher vorzubereiten juchten. Durch den außerorbentlid
Erfolg feiner Anftalt ‚veranlaft, vereinigte Herr von Teichhe
einige Jahre jpäter eine große Anzal von Schulfreunden der P
dentenden Rochow, ein durchaus zwedmäßigeres Inſtitut umd zwar aus rein
Abfichten anzulegen, ald das zu Deflau”.
„„Laſſet die Kindlein zu mir fommen, und wehret ihnen nicht!” “, fo laı
die Infchrift auf den Schulgebäude zu Reckan. — Das Schulgebäude felbft
ein nette , gejundes und belles Gebäude, mit einem geräumigen Saale für
Schulunterricht. — Aber vor allen Dingen ift für einen zwedmäßigen, den Fäl
teiten der Kinder angemeßenen Unterricht geforgt. Herr v. Rochow hatte ſi
Schulmeiſter felbft gebildet, fie nad) und nach an eine befere Lehrmethode gewöl
hatte in ihrer Gegenwart die Kinder felbft unterrichtet, und dadurd in diefen M
nern, fowie in feinem Prediger Rudolph eine Nadeiferung aufgewedt, die fie
wahren Meiftern ihrer Kunft machte“.
„Vernunftlehre, nicht im wißenfhaftlihen Sinne des Wortes, id |
alfo lieber fagen, Bernunftübung madt in den Rochowſchen Schulen ei
Hauptteil des Unterrichts aus, und zwar Vernunftübung in allen jenen Kenntnil
welche unmittelbar auf die Beflimmung des Landmannes, auf feine Berufsgeſchi
feine individuelle Lebensweife, auf fein häusliches Glück, auf feinen Gehorſam
Unterthan Einfluß haben können. Man lehrt die Kinder die natürlichen Urfe
und Beichaffenheiten der Dinge auffuchen,, damit ihnen die Natur in ihrer gr
Zwedmäßigteit befannt werde, man erklärt ihnen die phyſiſche Entitehung
Witterung, der Qufterfcheinungen, die Beichaffenheit der Elemente, den Bass
Thiere und Pflanzen, um fie vor ſchädlichem Uberglauben zu fihern”. —
— — — — — —— ——— an 0 ann
— 175 —
vinz zu einer Geſellſchaft, welche jich die Verbeßerung des Schul
weiend duch Wort und That angelegen fein lagen wollte, und
id vor Allem die Errichtung einer mit der Teichheimer Dorfichule
in Verbindung ftehenden Schulmeifterfehule zur Aufgabe madıte.
Auch diefe Pflanzſchule kam alsbald zu Stande, und bildete zals
reiche Sünglinge aus, die den Segen der Rochowſchen Anftalten
in weiteften Streifen verbreiteten.
Selbit über die Grenzen Deutjchlands hinaus ging Rochows
Einfluß, wie z. B. die Reform beweilt, welche das Schulweſen der
Daronie Brahbetrolleborg auf der bdänifchen Inſel Fünen
i. J. 1784 erfuhr. Diefe Baronie gehörte dem Grafen Johann
tudwig von NReventlow und Chriftiansjfande. Bis zum Schluße
des Jahres 1783 war in dem ganzen Kirchſpiel nur Eine Schule,
welhe noch dazu neben ber ganz einjam gelegenen Kirche in ber
Vohnung des Küfterd war, weshalb viele Kinder einen Schulweg
von einer halben, manche aud von einer ganzen Meile hatten.
Die Folge davon war, daß die Schule nur fehr wenig bejucht
wurde.
Da hörte der Graf, was der edle v. Rochow gethan hatte
uud beſchloß Aehnliches zu thun. Im Jahre 1783 ließ er in der
Entfernung einer Viertelmeile von der Kirche einen ganz maſſiven
Schulhausbau aufführen, der nicht nur eine geräumige Schulſtube
jondern auch eine paflende Wohnung für den Küſter oder Lehrer
enthielt. Hierauf ließ der Graf auf der andern Seite des Kirdy
Ipielö in gleicher Entfernung von der Kirche noch eine zweite ge
raͤumige Schule einrichten, und im Jahre 1785 ließ derjelbe noch
eine dritte Schule bauen, jo daß nun jede Gemeinde des Kirch⸗
Ipield ihre Kinder bequem zur Schule ſchicken konnte und mufte.
Die -verbeßerte Schuleinrichtung trat mit Dem Anfang des
Jahres 1784 für die ganze Baronie ind Leben, indem die zur
dritten Schule gehörigen Kinder angewiefen waren, eine ‚der beiden
andern Schulen ;zu befuchen. Die Schulen wurden feierlich eins
geweiht, wobei Lehrer, Eltern und Kinder über den Segen eines
regelmäßigen Schulbeſuchs belehrt wurben.
Für die Anordnung und Grteilung des Unterrichts wurde
Rochows Einrichtung und Methode recipirt. ALS Lefebücher wur
— 1716 —
den gebraucht Rochows Kinderfreund (in daͤniſcher Ueberfegung),
die Bibel, (aus welcher jedoch nur auserlefene Abfchnitte gebraucht
wurbden,) Federfend Leben Jeſu und deſſen Exempel für Kinder,
Raffs Naturgejchichte, der Katechismus von Pontopidanus. Nur
in einzelnen Punkten wurde von der Redanfchen Einrichtung ab-
gegangen. Sp wurden 5. B. die Kinder angehalten, in ihren
Antworten Die Fragen zu wiederholen, (namentlih um die Kinder
an gehörige Verbindung von Subjekt und Prädicat zu gewöhnen).
Jede Schule umfafte außerdem nur zwei Klaſſen. — Zur Beleh⸗
rung der Schulhalter hatte der Graf Niemeyerd Charakteriſtik,
die Schriften von Heß über die Bibel u. a. m. angeſchafft. Alle
nötigen Schulbücher, ſowie Papier, Feder und Dinte u, dgl. wurde
den Kindern auf Koften des Grafen angejchafft.
Allen Eltern war es zur Pflicht gemacht, ihre Kinder täglich
zur Schule zu ſchicken. Nur während der Saat- und Erndtezeit
waren Ferien. Pflichtvergeßne Eltern wurden mit Geldbußen be-
ftraft. Unbemittelte Familien wurden Dagegen jo reichlich unters
fügt, Daß fie feinen Grund mehr hatten, ihre Kinder vom Schuls
beſuch zurüdzuhalten.
Auch für angemeßene Dotirung der Xehrerftellen hatte die
Sreigebigfeit des Grafen geforgt. Während früher Der einzige
Schulhalter des Kirchſpiels jährlih höchſtens 50 Thlr. bezogen
hatte, erhielt jeßt jeber Lehrer einen Sahresgehalt von mehr als
100 Thle. und außerdem Holz, freie Hute für Kühe und Schaafe
und andere Vorteile. Einer der drei Lehrer war auf Koften bes
Örafen in dem Seminar zu Kiel ausgebildet worden.
Um nachtraͤglich auch unter den Erwachſenen einige Schul:
bildung heimiſch zu machen, wurde denjelben im Winter, vom
November bis zum März, täglih von 5—6 Uhr Abends Unter
richt. im Schreiben erteilt, wozu der Graf das Schreibmaterial
ebenfalls lieferte. Auch wurden ihnen in diefer Stunde von dem
Schulhalter Zeitungen und andre Bücher vorgelefen.
Zur Ueberwachung und Leitung der ganzen neuen Schuleins
richtung war eine Shulcommiffion gebildet, welche unter dem
Vorfig des Grafen aus dem Pfarrer, dem Verwalter, den Schule
baltern und drei verfländigen Bauern befand. Dieſe Schulcom-
— 1 —
miffion verſammelte ſich regelmäßig in jedem Monat einmal, um
bie Intereſſen der Schulen zu beiprechen und zu regeln. Nament-
ih wurden auch alle gröberen Vergehen ber Schulkinder von ihr,
nicht aber von dem Schulhalter beftraft. Körperliche Züchtigungen
wurden auf Anordnung der Schulcommijfion nicht von dem Schul
halter, jondern von einem Andern erteilt.
Somit war ein ganz neued Schulweien gejchaffen, welches
Ihon im Jahre 1784 feinen vollen ordnungsmäßigen Beftand hatte.
Aber noch mufte Vieles gefchehn, wenn eine gebeihliche Entwidlung
der neuen Schuleinrichtung gefichert werben follte. Einſtweilen bil⸗
bete daher ber Graf aus den für vorkommende Schulverfäumntile
eingehenden Strafgeldern und anderen Eleineren Gefällen, welche
den Schulen zugewiefen wurden, einen Eleinen Fonds, aus welchem
allerlei Bebürfniffe der Schule, die fich allmählich fühlbar machten,
beftritten werden follten *).
$. 12.
Allgemeines über die weitere Geſchichte der Volksſchule.
Durch das laute ruhmredige Auftreten Baſedows, durch Die
Shöpfungen Felbigers, Schulfteins und Rochows und durch den
überrajchenden Effekt, den die Schriften und die päbagogiichen
Gefolge diefer und anderer Pfleger des Volksſchulweſens hervor
brachten, wurde urplöglich ein fo allgemeines und ernſtes Intereſſe
an demfelben wachgerufen, daß fich alsbald die rüftigften Kräfte
dem eben erſt von der öffentlichen Aufmerkſamkeit gewürdigten
Lulturgebiete hingaben und es anzubauen und zu befruchten fuch
tm, Privatperſonen begannen verdiente Schullehrer mit Stipen-
di zu belohnen und Schulfinder mit Büchern, Schreibmaterialien
ud LKleidungsſtücken zu unterflüßen. Um ben Eifer der Lehrer
M beleben, wurden bier und da auch Preisaufgaben geftellt **).
— ——
Rah F. G. Reſewiß, Gedanken, Vorſchläge und Wünſche zur Verbeße⸗
zung der öffentlichen Erziehung, B. V. St. 4. S. 63 — 68.
In dem Leipziger Intelligenzblatt von 1771 wurden folgende Preisauf-
dab geftellt: „Derjenige Schulmeifter oder Kinderlehrer auf dem Lande in Kur-
der nit 40 Thaler in allem jährlih einzunehmen hat, und die meiften
13
— 178 —
Große Opfer brachten zu demjelben Zwecke bis zum Anfange be
19. Sahrhunderts einzelne Gutsherrſchaften und Territorialherr:
(welche. Subventionen fpäterhin, als die Veränderung der öffent
lichen Zuftände den bisherigen dynaſtiſchen Charafter des Abel:
aufhob, freilich faft überall wieder aufhörten). An der Stelle dei
armfeligen Hütten, die man Schulmeifterhäujer nannte, erſtanden
allmählich hier und da würdige Schulhäufer, in denen der Lehre
mit jeiner Samilie gehäbig wohnen und eine geräumige und ge
junde Schulftube einrichten fonnte*).
Mehr jedoch als hierin beurfundete fich die Energie, mit
welcher ſich Das öffentliche Intereſſe dem Volksſchulweſen zugewen=
det hatte, im literariſchen Gebiete. Mit jedem Jahre wuchs die
Literatur über Schuleinrichtungen und deren Verbeßerungen immer
maflenhafter an. Am meiften wirkte wol, durch Aufdedung alter
Schäden und Vorführung ermunternder und belehrender Beiſpiele
eines Beßeren, die biftoriographifhe und ftatiftiiche Xiteratur.
Dahin find außer der Bejchreibung und Geſchichte der v. Rochow⸗
ſchen Schulen die Schulftatiftif von A. Ch. und Kr. Borheck
Kinder von 5— 6 Jahren, die die Schule beſuchen, ohne Verſäumung der übrigen,
binnen bier und Michaelis diefes Iahres zum Leſen bringt, und überhaupt ale
Kinder von 5 — 8 Jahren fo weit fördert, daß fi) die Anzal der lefenden Kinder
zu den übrigen verhält mwie 4 zu 5, und ihnen den unangenehmen, ländlichen,
fingenden und fchreienden Ton beim Leſen abgewöhnt, — — bekommt im Intel
ligenz-Comptoir 12 Thlr. ausbezalt”. — „Derjenige, der auf die zuverläßigfte Art
darthut, daß er feine Schulkinder nicht eher zum Leſen laße, bis fie fertig budfte
biren können, auch nicht eher nad) Vorſchriften fehreiben läft, bis fie die Grundftridt,
Eilben, einzelne Worte und Zeilen gejhidt und gut nachfchreiben , befommt
8 Thlr.“ —
*) Der Oberbaucommiſſarius und Univerſitätsarchitect Borheck zu Göttingen
befehreibt in feinem „Entwurf einer Anweifung für Landbaukunſt“ (Göttingen, 17%,
6.166) das damalige Ideal eines Schulhauſes: „In gut angelegten Schul
bäufern findet man im unteren Stodwerfe auf der einen Seite der Hausflur (Oehle)
eine Wohnftube und Kammer für den Schulmeifter, und hinter diefen beiden Iim
mern die Schulſtube; auf der anderen Seite aber eine Küche und Speiſekammet
und Stallung für ein paar Kühe. Im zweiten Stodwert ift, über der unteren
Wohnung, Stube und Kammer für einen Adjuncten, über der Schulftube eine Bor-
rat6fammer und über der Küche und dem Kubftalle ein Yutterboden“.
— 179 —
1783, die Landſchulbibliothek, Berlin 1783, das Repertorium für
die Pädagogit von Heyler und Hutten, 1781 ff., teilweije
auch die Schulgefchichte Deutſchlands von Ruhkopf, 1794, u.
um. zu rechnen. — Zur Verbreitung der neueren pädagogi-
ihen Ideen waren vielerlei Schriften, namentlich die von Campe
und Salzmann wirffam. Von Salzmannd Schriften find ins⸗
beiondere zu nennen „Konrad Kiefer oder Anweiſung zu einer
vernünftigen Erziehung der Kinder” (1796), „Krebsbüdlein,
Oder Anweifung zu einer unvernünftigen Erziehung der Kinder” und
„Ameifenbüchlein oder Anweifung zu einer vernünftigen Er⸗
Hebung der Erzieher” (1806). Campes „Allgemeine Revifion des
geſammten Schuls und Grziehungswefens von einer Gefellichaft
praftiicher Erzieher“, (Braunfchweig, 1784— 1791, 14 BB.)
balf, trog der laͤcherlichen Anmaßlichkeit ihres Auftretens, doch
nicht wenig dazu, die von einzelnen tüchtigen Pädagogen entwidel-
ten Ideen zum Gemeingut eines Teiled der Lehrerwelt zu machen,
während Beders „Not= und Hülfsbüchlein” von allen Seiten
ber als willkommenes Mittel, um Lehrer und Schüler mit den
Nüglichften Kenntniſſen vertraut zu machen, begrüßt wurde. —
Ueber Volksſchulen erfchienen Schriften von Lorenz (1788),
Deyfe (1792), von der Red, Hein, über Toͤchterſchulen
don Trefurt, Schläger, Biegenbain. Eine Methodik für
Elementarſchulen lieferte Billaume in feinem „praftiichen Hands
buch für Lehrer in Bürger, Land- und Soldatenjchulen” (1781).
As Hilfsmittel zur literärifchen Bildung der Schulmeifter erjchie-
nen Moſers „Zajchenbuch für deutſche Schulmeifter”, 1786 bis
1797, der „Landſchullehrer“, die „Eleine Handbibliothek für Land⸗
Ichullehrer” von Magenau, 1799 ff., ber „deutſche Schulfreund“
don 9. ©. Zerrmaner, 1791 ff. — Die Bürgerfhule
Wurde insbeſondere von %. ©. Refewig („Erziehung des Bürs
gers zum Gebrauche des gefunden Verftande und zur gemein-
nüßigen Gefjchäftigfeit”, 2. Auflage, Kopenhagen, 1776, und
„Stagen, die bürgerliche Erziehung betreffend”, in des Verfaßers
„Gedanken, Vorjchlägen und Wuͤuſchen“ ıc., 3. IL St.3. ©. 83 ff.)
ins Yuge gefaft. Durch Reſewitz angeregt nahmen fich alsbald
auch viele andere Pädagogen der Bürgerſchule an, namentlich
| 12°
— 180 —
Horflig (Anweiſung für die Lehrer in Bürgerfähulen, Hannover
1796), Beder (Ueber Bürgerjchulen, Gotha 1794), Gedide
(Ueber den Begriff der Bürgerjchule, Berlin 1799), Natorp
(Orundriß zur Organifation allgemeiner Stabdtfchulen, Duisburg
und Eſſen 1804) und vor Allem Schmieder (in feiner Schrift:
„Weber die Errichtung höherer Bürgerſchulen“, Berlin 1809).
Unter denjenigen Schriften, welche fich über das Unterrichts
wejen im weiteren Sinne verbreiteten, machte gegen das Ende des
Jahrhunderts Feine jo viel Aufjehn, als der von dem Konfiftorial:
rat Dr. Heinrih Stephani zu Kafjel herausgegebene „rund:
riß der Staats-Erziehungswißenſchaft“ (Weißenfels
und Leipzig 1797. 168 SS. in 8°.) Der geſchichtlich ent
widelte und ausgeprägte Begriff der Volksſchule wurde hier gradeu
auf den Kopf geftelt. Die Volksſchule folte ihre Wurzel nit
in Der Kirche, fondern im Staate haben. Demgemäß wollte Ste
phani das Erziehungdwejen in allen jeinen Stufen und Richtungen
als Ein ſyſtematiſches Ganzes behandelt wißen, welches fchlechthin
vom Intereſſe des vollfommenen Staates getragen jein
jolte. Er verlangte eine umfaßende, durchgreifende „Erhebung
der gejanmten öffentlichen Erziehung als eines hoͤchſt wichtigen
Zweige der Staatdverwaltung zu einem eignen, durch zwei
mäßige, über den ganzen Staat fich erftredende Organifationen
etablirten Departement” (S. 42— 43). Stephani fagt in ber
Vorrede: „Beßere Zeiten find nicht anders möglich, als wenn die
Menjchen jelbft gebeßert werden. Was hilft e8 im Grunde, viel
zur Verbeßerung des äußern phyſiſchen und politifchen Zuſtandes
beigetragen zu haben, wenn ber innere Zuftand des Menfchen ſo
beiehaffen ift, daß er den Reichtum an Mitteln nicht richtig zu
Ihäben weiß, und ihn bloß zur Befriedigung unglüdlicyer Leiden:
Ichaften verwendet? Daher jollten alle weifen Regierungen und
wahren Menjchenfreunde fi vereinigen, um den Bweig det
Staatöverwaltung, weldyer für Diefen innern Buftand des Mer
chen zu forgen bat, — nemlich die Öffentliche Erziehung, — M
gchöriger Vollkommenheit zu bringen. Bisher fehlte e8 an einem
vom Begriff eined vollfommenen Staat? ausgehenden Syſtem bet
Staat3- Erziehungsfunde, Nur wenige wißen bis jegt nur ef,
— —
— 1831 —
nelhen Platz die öffentliche Erziehung in der Reihe der Anftalten
annimmt, die ſaͤmmtlich zur Erwirkung des Staatszwecks Beizu-
tagen haben. Man bat 518 jet noch Feine Theorie von dem,
was der Staat in Abficht auf Erziehung zu leiften habe. Alles,
mad der Staat bisher für diefelbe that oder gefchehen ließ, war
niht Frucht einer planmäßigen, das Ganze umfaßenden Ueber:
Igung, fondern dringender und einfeitiger guter Wuͤnſche“.
Als unmittelbare Folge der beregten politifchen Unmißenheit
fieht der Verfaßer den Umftand an, daß zur Zeit für biefen
Zweig der Staatöverfaßung noch Feine eigenen, von andern Zwei⸗
gen ber Aominiftration abgefonderte Organe vorhanden waren.
Vor allem eifert aber Stephani dagegen, daß die öffentliche Er⸗
ziehung und die unmittelbare Leitung des Schulwefend in den
Händen der Geiftlichkeit Tiege, welche immer einen Staat im
State bilden wolle, und in der Regel nur für ihren, mit den
wahren Menfchenintereffen jo oft contraftirenden Zweck arbeite.
Er ſchildert daher den verkehrten Zuftand der Unterrichtsanftalten
fir die erfte Jugend, der Gymnaſien und Univerfitäten, rügt das
Vernachlaͤßigen der Uebung im Denken und der Bildung des Her-
gend; den übertriebenen Zeitaufwand bei Erlernung ber todten
Sprachen auf Koften nupbarerer Kenntniffe fürs fittliche, mo⸗
talifhe und bürgerliche Leben, das Misverhältnis der bloß auf
den Stand der Gelehrten eingefchränkten Bildung in den auf bie
Elementarſchulen folgenden Lehranftalten mit gänzlicher Vernach⸗
laͤßigung aller übrigen ungleich zalreicheren Stände; dann (jagt er
S. 13) giebt e8 — „eine fehr große Schule, wo man alles ler-
nen kann, (daher Universität genannt) nur nit Morali-
tät, praftifhen Bürgerfinn und die fünftig fo nd-
tigen Amtsgeſchicklichkeiten“. Gr vermißt eben ba eine
Grenzlinie zwiſchen dem akademiſchen und gumnaflaftifchen Unter-
richt, weil beide Anftalten nicht nach Einem Plan berechnet find;
vermißt ferner einen vom Staat entworfenen Plan der Erziehung
für die einzelnen Klaſſen feiner fünftigen Beamten zum Xeitfaden
für Studierende und Lehrer. Alles dies vermogte den Verfaßer,
ben vorliegenden Grundriß zu entwerfen. Im Grundriß jelbft
weil der Verfaßer der Volksſchule ihre Stellung jo an, daß er
— 182 —
im erften Teile von dem „Stoffe der öffentlichen Grziehur
ipriht. Der erfte Teil handelt von der Erziehung des M
hen, und zwar a) ald Menjchen und b) als Bürgers. 1
zweite Teil des Grundrißes ftellt hierauf die „Form der öffe
lichen Erziehung” dar. Hierbei werden die Schulen für Die ©
gend ald Elementarſchulen, Gewerbsjchulen und ftaat3beamtli
oder Gelehrtens Schulen unterfhieden. Die Elementarſchulen
len die erften Elemente der Menſchen- und Bürger - Erzieht
überhaupt vermitteln. —
In offizieller Weife wurde dieſe ganz neue Auffaßung
Volksſchule zum erften Male in einer Relation des Oberconfil
riums zu Berlin vom 18. Juli 1799 audgefprochen, worin grad
zur „Bekaͤmpfung des nur zu ſehr verbreiteten Vorurteild” auf
fordert wurde, „ald ob die Schulen zunäcdft eine Sache einzeli
Religionsparteien wären und fein müften”. Denn es fei unle:
bar, „daß die Schulen ald Anftitute des Staates u
nicht als Anftalten einzelner Sonfeffionen zu betr
ten” wären. Darum fei auch zu wünfchen, „daß in den Schu
der Religionsunterricht blos auf die allgemeinen Wahrheiten
Religion und auf die allen Firchlichen Parteien gemeinjchaftl
Sittenlehre eingefchränft, Dagegen der jpezielle Confeſſionsunterr
blos dem Prediger bei der Vorbereitung der Katechumenen ü!
laßen werde”.
Der Rationaliömus im weiteren Sinne des Worted war
ber jeineö pofitiven Gegenfaßes zu dem Geifte, der Die Volksjd
erzeugt und Bid dahin getragen und gepflegt hatte, fich wol
wuft, gleihwol fid) der Volksfchule durch das Medium eines «
feſſionslos gedachten Staates bemächtigen und dieſelbe als
Eigentum behandeln wollte. Allerdings gelang dem rationaliftifi
Geiſte dieſes ſeltſame DBeftreben faft nirgends; aber im Einzel
gewann doch derjelbe auf die Ausbildung und Geſtaltung
Volksſchulweſens einen jehr beträchtlichen Einfluß. Denn übe
wo die Nachwirfungen des alten kirchlichen Geiftes nicht mehr «a
reichten, um der Schule zu helfen, erhob fich ſofort der Geiſt
Liberalismus, der Aufklärung, der allgemeinen Menſchenliebe
der gemeinnüßigen Intereſſen, um teilweife durch freie Ber:
— 183 —
von fehr verfchiedenartiger Einrichtung, teilweife aber und ganz
befonderd durcy dad Drgan der Freimaurer-Logen die Verforgung
des Schulwefend in die Hand zu nehmen.
Die Freimaurer:-Uniond-Loge zu Franffurt am Main errich-
tete am 12. December 1801 ein Inſtitut zur Bildung, Erziehung
nd Unterftügung der bedfirftigen Jugend. Der ganze Plan wurde
| meiner noch in demſelben Jahre erfcheinenden Drudichrift darge⸗
At: „Beftimmungsgründe für die Errichtung einer Woltätigfeitds
anſtalt“. In Wetzlar veranlafte das dringende Bedürfnid einer
gründlihen Verbeßerung der Stabtjchule die Ernennung einer be-
fonderen Ratsdeputation und ſodann den Bufammentritt einer ge-
meinnüßigen Geſellſchaft, welche den 14. März 1799 von dem
MR agiftrat beftätigt wurde und bie Erlaubnis erhielt, an der das
Schulwefen und Erziehungsweſen leitenden Schulcommiſſion Teil
tz nehmen. Die Gejellichaft umfafte 170 Mitglieder, welche Die
Ausführung eined neuen Schulplanes mit Geld umd Rat zu unter:
Türken ſuchten. Indeßen wäre die Geſellſchaft troß aller Opfer,
Die von Einzelnen gebracht wurden, nicht zum Ziele gelangt, wenn
richt die Freimaurer-Loge zu Wetzlar der neuen Erziehungsanſtalt
Die Ginfünfte ihres Ordensfonds und die Benutzung ihres Logen-
Baufes zur Mädchenfchule (zufammen ein Vermögen von mehr als
>O00 fi.) überlaßen hätte.
Sm Sahre 1801 ſchlug ein Pfarrer Giefeler zu Minden
Dem Publicum feiner Provinz zur Verherrlihung des Säcularjah-
resdie Stiftung eines Inſtitutes zur Fortbildung der Landichuls
Lehrer vor, deſſen Plan hauptfächlich darauf hinausging, Leſebib⸗
Itothefen einzurichten und monatliche Conferenzen in Gang zu
Bringen, in denen die neuerdings in Umlauf gefegten paͤdagogiſchen
Ideen gehörig verarbeitet und Preisaufgaben zur alleinigen Con⸗
Turrenz der Lehrer ausgeſetzt wurden. Um die zur Ausführung
iĩeſes Planes erforderlichen Ausgaben decken zu können, forderte
ieſeler das Publicum auf, vorerſt auf drei Jahre Geldbeitraͤge
su zeichnen. Allein der Erfolg, den dieſe Aufforderung hatte, war
"an ſo geringer, DaB der ganze Plan ficherlich unausgeführt ge-
»lieben wäre, wenn ſich nicht die Freimaurerlogen deſſelben ange⸗
ommen haͤtten. Durch Unterſtützung derſelben wurde der Fonds
— 14 —
im erften Sabre auf 150 Rthlr. gebradht, fo daß alsbald ı
Bibliothek von 100 Bänden angeſchafft werden Eonnte.
Es war der inneren Entwidlung der Volfsfchule nicht |
derlich, daß von da an zwei in unausföhnbarem Gegenſatze einan
gegenüberftehende Prinzipien, nemlich daS des Firchlichen Chrift
tums und des antikirchlichen, ja antichriftlichen Liberalismus ü
den Beftg der Schule mit einander rangen, indem jener oft
einer den Begriff der Bildung gradezu ausfchließenden Bornirtl
feftbalten wollte, was fein gejchichtliche® und genetifches , fo
wejentliche8 Eigentum war, während diefer Die Volksſchule gra
zu von ihren Lebenswurzeln loszureißen juchte, um vor Allem |
die Unabhängigkeit alle8 geiftigen Lebens und aller geiftigen 2
dung von der Macht des gefchichtlichen Chriſtentums zu verfün
und fihher zu ftellen. Lange Zeit war daher grade die Volksſch
Dazu verurteilt, fich zum Gegenftande experimentaler Dperatio
bed einen oder anderen Prinzips verurteilt zu fehn.
$. 18,
Die Entwicklung der Kehrmethode in der Volksſchule im Allgemeinen.
Ueberbliden wir Die gefchichtliche Entwidlung der Volksſch
während des achtzehnten Jahrhunderts in methodologifcher Hinfi
jo ergiebt fich, Daß dieſelbe das Beſte, was fie bis dahin gew
nen hatte, dem edlen Rochow verdanfte, und daß grade bi
ihn der Uebergang in die folgende (Peſtalozziſche) Periode vo:
reitet war. Rochow ging, wie wir bereit fahen, durchweg '
dem Grundfag aus: „Suche Kinder zuerft mit gemeinen, ihnen
die Sinne fallenden Dinge befannt zu machen und fie dari
auf eine angenehme Art zu unterhalten; Iehre fie Vieles anfcha
und darauf merfen, das fich ihnen Darbietende richtig wahrzur
men und richtig anzugeben. Verbeßere dabei ihre Spradhe, ı
teile ihnen überhaupt fo viele Kenntniffe mit, als fie jeßt brauche
Dur diefen Grundfaß wurde das unterfte Fundament der Sch
ein anderes. Denn der Schulunterricht begann nun nicht m
mit der Buchftabirclaffe, fondern mit einer Klaſſe, welche vor I
jelben und überhaupt vor dem Lernen im bisherigen ſchulmaͤßi
— 15 —
Sinne des Wortes herging, und wurde fomit von vornherein nas
türlih und naturwüchfig angelegt. Es waren biermit ſchon bie-
ſelben Wege gebahnt, Die fpäter von Peftalogzi gewiefen wurden ®).
Während Haͤhns und Felbigers Methode nur ein zwar
wolgemeinter aber mißlungener Verſuch einer zwedhnäßigen Ein-
richtung des Unterricht war, ftellt fih Daher Rochows Lehrmethode
als ein wirklicher und wefentlicher Kortfchritt der Volksſchulpaͤda⸗
gogit dar. Denn der Mechanismus, den Hahn und Felbiger
durh das Zufammenfprehen und Xabellarifiren in das Lehren
und Lernen hineinbradhten, konnte ſich zwar für eine Schulceform,
die für ganze Maſſen von Gemeinden und für große Territorien,
in denen ein georbnetes Schulmefen gewißermaßen aus Nichts auf
Sommando gefchaffen werben follte, jcheinbar empfehlen, vermochte
füch aber eben fowenig auf die Dauer zu halten, als fie zur Ausbil
Daang einer zwedimäßigen Methode Mittel und Wege an die Hand
geben konnte, — weil fie auf gänzliher Verkennung des zu un⸗
texrihtenden Objects (nemlih des Kindes,) und ebenfo auf
Sänliher Verkennung der Grundlagen (nemlidy des dem Kinde
Us folhem bereit8 angehörenden Wißens) berubte, auf
wm>elhe der Schulunterricht und die gefammte Ausbildung des Kins
Des aufgebaut werden muß. Die Hähn-Felbigerfche Methode war
Tau der Idee verfehlt, weil fie nur darauf berechnet war, alle
Erkenntniſſe dem Kinde mechaniſch und wie durch Eintrich—⸗
€ rung beizubringen; Rochows Methode dagegen, mochte fie im
einzelnen von Rochow felbft noch fo fehlerhaft oder mit fremdar⸗
Ton Beimiſchung entwidelt fein, war in der Idee richtig und Hat
Darım, weil in ihr ein wefentlicher Kortfchritt in der Entwicklung
Der Erziehungsidee vorlag, bleibenden Wert und unvergängliche
Bedeutung, fo daß ber Paͤdagog noch jetzt von Rochow Iernen
kann. Denn Rochow behandelte 1) das Kind richtig als Mens
den, dem die Kenntniffe nicht von Außen her eingetrichtert, "in
— — —
7) Wenn nemlich Riemann in feiner Beſchreibung der Reckanſchen Schul⸗
einrichtung zu dem oben mitgeteilten Grundfag Rochows in Varentheſe hinzu ſeßt:
»Bange mit den Bliedern ihres Körpers an“, fo war hiermit daffelbe gejagt, was
zzi dreißig Jahre fpäter den Müttern anempfahl.
— 186 —
welchem fie vielmehr erzeugt werben müßen; er betrachtet:
finnlihde Wahrnehmung richtig als das, woran die geifti
ſchauung, die Uebung im Denken, im Urteilen angefnüpft
müße und er würdigte 3) das religiöfe Intereſſe richtig <
eigentlihen Schwerpunkt des Volksſchulunterrichtes. Rocho
alfo den Gedanfen, daß der Unterricht weſentlich Erziehu
müße, ficher erfaft. Diejes erhellt namentlich aus dem, waß |
über fein deal einer rechten Volksſchuleinrichtung ausſprach
jelbe Dachte fih nemlih Rochow fo, daß Die Lehrer „bie
jugend in Feld und Wald führten, fie bei nüßlicher Beruf
richtig denken lehrten, und durch die Natur anfänglich fta:
Bücher, und bei Gelegenheit alles Sichtbaren, was in ihrem
Magazin unentgeldlich zu finden tft, — recht hören, vecht
aufmerfen, beobachten, vergleichen, unterfcheiden, — Dann u
rüd- und vorwärts fchließen, fie lehrten 2c., bis endlich d
danke fich gleihfam aufdringe: Gott ift der Ewige, M
Weiſe! Alles Leben iſt von ihm, — und eben ift die
Woltat. — Er liebt alfo feine Geſchöpfe. — Auch uns Mi
— denn au wir leben, — leben durch Ihn! Laſt uns al
Iteben, der uns zuerft geliebt Hat! — Sein Auffehen bi
unferen Odem. — Auch unjre Freuden an feiner ſchoͤne
bat Er veranftaltet, — unfre Sinne für Genuß geftim
Kurz, Er ift höchſt gut, und ift nicht genug zu Tieben
Ioben. — Wen man aber liebt, dem möchte man gern gefa
Ah! wie gefallen wir doch dem lieben, guten Gott ꝛc.“ — !
hoffte, daß die Kinder, wenn fie fo geführt würden, nad ı
Jahren „auch Bücherunterriht und Die ganze conventionelle
maſſe mit minderer Gefahr der Verkrüppelung Ihrer Seelen er.
würden. Wenigftens würden fie „erftaunlic, viel Realitäten den
entgegenbringen”. Indeſſen ſah Rochow recht wol ein, daß
den Lehrkräften, die ihm zu Gebote ftanden, dieſes fein Ide
verwirklichen Eonnte, und beſchraͤnkte ſich Deshalb darauf, eine
einrichtung zu fchaffen, in welcher die Kinder wenigftend d
lernen konnten *).
) Vgl. Roch ows „Geſchichte meiner Schulen” (Schleswig, 1795) ©.
— 1897 —
Es war gut, daß ſich Rochow nicht in dem Vorſatz verhär-
tete, bad, was er ſich als das Ideal eines wahren Unterrichts >
yſtens dachte, allen demſelben entgegenftehenden Hindernifen zum
Zrope ausführen zu wollen. Denn alle Erfolge, zu denen Rochow
gelangte, erzielte derfelbe nur Dadurch, daß er nur dad Erreich⸗
bare und Mögliche zu verwirklichen fuchte. Nur durch dieſe Seldft-
befhränktung wurde Rochow zu einem ber Väter des Volksſchul⸗
weiend und zu einem der ftärfften Träger der Entwidelung der
Erziehungsidee. Aber eben darum lag e8 in ber Natur der Sache,
Daf Rochows Wirkſamkeit feine in ſich abgefchloßne, fertige fein
Eomnte, daß diefelbe vielmehr notwendig eine Vorbereitung eines
TDenleren Erziehungswefend und eine Weißagung auf die Zukunft
Deieben fein mufte. Ä
Nah Rochows Syſtem war der Unterricht faſt ausfchließ-
Lach auf die Bildung des Verftandes und der Sprade be
wedne. Deshalb war bei der Unterweifung nicht allein die fo-
E atiſch⸗katecheſirende Methode eingeführt, fondern e8 waren aud)
W erſtandes⸗ und Denkübungen als befonbere Lection in den Lehre
P Lan aufgenommen. Der Plan, wonach dieſe Hebungen in fort
V Hreitender Stufenfolge methodiſch zu erteilen wären, war indeffen
D>aon Rohom nicht gezeigt worden. — Die Spradhe betrachteten
DE how und deflen Anhänger ald „das Heiligtum der Gedanken
azeıd des Gedachten.“ Denn „vermittelt der Sprache denken wir;
ar die Wörter der Sprache knüpfen wir unfre Begriffe, unfre
E inſichten, unfre Kenntniffe.” Darum wied Rochow dem Sprach—⸗
aanıteriht im Lectionsplan eine vorzügliche Stelle an. Die Lehrer
warfen den Kindern viele Wörter erklären, das Erflärte ihnen
wieder abfragen, fie durch Socratifiren zum Sprechen bringen, fie
mit den Grundregeln ber Grammatif bekannt maden u. |. f. —
Die Form des Unterrichtö betreffend, verbannte Rochow die (fpä-
terdin von Peftalogzi erneuerte und veredelte) Methode des Vors
ſprechens nnd taktmaͤßigen Nachſprechens im gehörigen Ton, und
führte flatt deren Die fofratijch »Fatechefirende Methode ein, Die
jedoch das Uebel hatte, daß ſie einerſeits zu leicht zu einem weit⸗
ſchweifigen Gefrage führte, und andrerſeits einen Teil der Schü⸗
ler zu leicht ganz unbeſchaͤftigt ließ. — Der Unterricht in der
— 18 —
Kormenlehre fehlte in Rochows Lehrſyſtem ganz, und für den Un-
terricht in der Mufif vermochte Rochow nur wenig zu thun. Ro:
how fand in den Volföfchulen faft durchgängig nur ein ſchreiendes
Herleiern der Kirchengeſäuge vor. Wie ein wahrer Kirchengeſang
in der Schule heimifch zu machen fei, war ihm indeflen nicht Klar.
Er beſchraͤnkte fich Darauf, Die Choralmelodicn mit weniger
Geſchrei fingen zu laßen und zur Beförderung eined beßern
Volksgeſanges das Singen leichter Arien und Wechfelgefänge in
den Schulen einzuführen. Von einer methodiichen Bildung der
Singorgane und des Tond und von einem methodifhen Stufen:
gang des Unterrichts war nicht die Rede.
Große Verdienfte erwarb fi Rochow dadurch, daß er deu
Grundſatz verfündete und zur Geltung brachte, der Unterrichtsftoff
müße aus dem reife der Kinderwelt entlehnt und auf eine dem
Charakter und dem Naturell der Kinderwelt angemeßene Weiſe
behandelt werden. Aber auch hier unterließ e8 Rochow, auf einen
nad pſychologiſchen Grundſätzen beftimmten angemeßenen Stufen«
gang des Unterrichts einzugehn. In feinem Kinderfreund, der als
das erſte Schulbuch Diefer Art erjchien und unzälige Nachbildungen
hervorrief, ift ein Vorrat von nuͤtzlichen Materialien, die mit einem
Herzen voll Liebe zur Jugend 'gefammelt find ; aber die Darftel-
lung eine auf beftimmt abgegrenzte Lehrkurſe gegründeten Lehr:
planes finden wir nicht.) — Was Rochow begonnen hatte,
follte wenige Decennten fpäter ein Anderer weiter führen.
6. 14.
Die Entwicklung der Lehr - und Erziehungsmethode im Einzelnen.
A. Der Lejeunterricht.
I23444N4 16646
Als die zweite Periode des deutſchen VolksſchulweſenS- be
gann, waren in Betreff der Erteilung des Unterrichts im ieſen
die drei Methoden des Buchſtabirens, des Sillabirens (inder — ſich
*) Rach Ratorps Briefwechſel B. J. ©, 40 ff.
ia
— 189 —
das Sillabiren vom Lautiren ebenfo unterſchied, wie das Bud
Rabiren,) und des Lautirens bereitd befannt. Herrichend war das
Iuhftabirende und filabirende Verfahren, weil daſſelbe der Geiſtlo⸗
figfeit des damaligen Schulunterrichtd am meiften eutſprach. Von
dem Buchftabiren unterjchied man dabei noch das eigentliche Buch»
Raben ober das Grlernen der Lautzeihen. Da wo man Die
Sache möglihft gründlich und geiflig behandeln wollte, fuchte man
gewöhnlich den Kindern begreiflich zu machen, wie der „Urftoff“
Des Buchftabens der Punft ſei, wie aus ihm die grade Linie hers
vorgehe, an welde fi) Dann verfchiedene Krümmungen, Schnörkel
12. drgl. anjeßen und fo Die verjchiebenen Buchftabengeftalten ers
geben. Nachdem fodann aud die Namen der einzelnen Buchftaben
gehörig eingeübt waren (dad „Buchſtaben“), wurde zum eigents
Lichen Budjftabiren und Sillabiren vorgejchritten.
Gleichwol war das Verfehrte dieſes Verfahrens jederzeit von
Einzelnen erfannt, und es fehlte daher nie an vielfachen Verjuchen,
Die Buchſtabirmethode durch eine andere beßere Lehr⸗ und Leſeart
ar erſetzen.
„Mit vielem Eifer, wenn gleich in großer Breite mit Witz
und Geſchmack feiner Beit” trat gegen dieſelbe zuerft Joh. Goſtt⸗
Tried Beidler*) auf. **) Beidler verfafte ein „Neu verbeßerteg,
vollommenes ABCbuch oder Schlüßel zur Lejetunft; nad na»
t ürliher Ordnung der Buchſtaben alfo eingerichtet, daß
Darinnen allerlei Art Silben, wie man fie nur erbenfen kann,
vorkommen, und jedwede Art in ihrer eigenen Klaffe anzutreffen,
Daß ein Menſch, er fei jung oder alt, wenn er nur die Bud
—_ ln
*) Beidler, der auch als Satyriker befannt ift, war geboren in der Braf-
ſWaft Mansfeld, ſtudirte in Jena Theologie, hielt in Leipzig Privatvorleſungen
Aber Mathematit, wurde feines Vaters Rachfolger im Predigtamte, legte dieſes
18dog, ‚ nachdem er es 21 Jahre verwaltet hatte, nieder und ging nad Halle, wo
er m feinen alten Tagen als Auctionator lebte und 1711 farb.
fü **) Rad) dem fehr Iehrreihen Auffag: „Verſuch einer Darftellung deffen, mas
E die Methode des Kefenlernens in Volksſchulen, befonders jeit der Reformation
15 ders geihehen iſt“ in Karftenfens Beitfchrift für das Volksſchulweſen, Kiel
SIE, B 1
— 1% —
ftaben Eennt, ohne alle Unterweijung, auch ohne alles mühjeligng.
und langweilige Buchftabiren, von fich felbft in wenigen Tagen
Alles, es ſei jo ſchwer ald ed wolle, fertig lefen könne. Halle 1700 “
(2 BB. 12). Gegen das übliche Buchftabiren wendet 3. eize:
„Wozu dients, daß man die Buchflaben (die vocales auögenorzz-
men) mit Namen nennt? Kann ich denn mit feinem Menſchen
umgeben, handeln und wandeln, ich muß denn wißen, wie fie
alle heißen? Ich Fenne ja einen Fuhrmann au der Peitſche, einen
Schneider an der Scheere, einen Schmidt am Hammer, und Darf
nicht erft fragen, ob er Oswald, Meifter Görge oder Meifter
Michel heiße.” — Die Namen der Buchftaben machen die Kinder
im Buchſtabiren nur irre; denn etliche haben den vocalem vorn,
ald: em, er, eß, ix; andre aber ihn hinten, ald: be, ce, De,
ge, ba, fa, pe, Eu, te, we. — — Und warum jagt man nicht
ba, da, wie man jagt fa? Sind denn die andern Buchſta Ben
nicht fo gut, weil fie den erften vocalem nicht haben? — Wenn
ed nun zum Buchftabiren fommt, fo müßen die Kinder Die vo
cales bald vorn, bald Hinten wegnehmen und abftrahiren, 19
ihnen viel Arbeit und Verwirrung macht. Iſt es denn m ücht
beßer, daß ich dasjenige, wo ich allegeit wegnehmen muß, fi=#8°
im Unfange weglaße und mir die Buchftaben ohne vocals iv
Bilde, 3. B. 9. wie einen Hauch? oder, wenn fie ja ein wen
Namen haben follen, fie alle auf Eine Manier taufe, oder met
fie bald vorn, bald Hinten in der Silbe ftehen, jedem Buhfta> €"
zwei Namen gebe: ba, und ab, fa und af, da und ad x. u. —
— Iſt alfo nicht nötig, daß der Buchflabe b, be heift, denn ©
beift ja wicht allenthalben be, fondern oft ba, bo, bi, ab, e!
u. drgl., nad dem er vocales vor oder hinter ſich Hat. ——
Conſonanten find ſtumme Bnchſtaben, und nichts mehr, die me“
gar nicht nennen foll von Rechtöwegen; es wird aud einem Lin -
nichts jchaden, wenn es feine Lebtage die Conſonantes nicht hr ul
nennen hören. Iſt Zeit genug ſie zu nennen, wenn man fchreibe >
lernt, oder in der Druderei u. drgl. — Summa: Die Conſ⸗ €
nanten follen mit feinem andern vocali lauten unterm Lejen, al *
der Dabei fteht, jonft kömmts ebenfo heraus, ald wenn ich einer: 8 -
zutrinfe und es einem andern gebe. — Das Budhftabiren ift ar ⸗
— 191 —
m ſelbſt albern und unnötig; das Leſen iſt ein geſchwindes Werk,
3 Buchſtabiren aber — eine ‚langweilige Lauſerei, und kommt
enſo heraus, als wenn ich wollte mit einem um die Wette
fen, und unterwegs alle Steinchen und Scherbchen aufheben;
8 würde ein jeltfamer Lauf fein. — — Sm Bucdftabiren muß
ın mehr hinwegwerfen ald man behält. Die Kinder müßen bie
cales, die zur Silbe nicht gehören, alle mitnennen, was fte irre
hen kann, Daß fie jo viele Silben nennen müßen, ald fie in
wer Silbe Buchftaben haben“. — Zeidler dachte fich alfo die Laute
e Sonfonanten als ſolche, wollte fie jedoch von dem Schüler
mer in genauer Verbindung mit dem jedesmaligen Vocale zus
nmengedacht wißen. Ueber die Zufammenfeßung der duch Buchs
ben bezeichneten Laute zu einem Worte äußert fih 3. fo: „Nun
e helfen wir denn dem Unglüd ab? Sch muß Doc fragen: Wie
ihens die Spieler, wenn fie mit den Würfeln geworfen, oder
er ein Kartenblatt audgefchlagen, oder einen Haufen Kegel ges
ßen, zälen fie erft langweilig, oder überjehen fie es flugs mit.
nem Blick? Die Würfel, Karten oder Kegel können kaum nieder⸗
Ten, fo ift das Wort heraus , wie viel es iſt. Nun, 1 machet
auch mit den Buchftaben, wie ihr fprehet : :: 9. — :: 8,
jagt auch Ba, ab u. ſ. w. Ihr fagt ja nicht 4 und 5 find
‚6 und 2 find 8, jondern ihr ſehts nur an und fprechts gleid)
ö, ohne alles Buchftabiren. Das Auge ift allezeit geſchwinder,
8 die Zunge, und ich kann ja eher neun Buchftaben in Einem
lid jehen, als neun Silben nad einander berbeten und hintens
ıh erft Eine daraus machen”. — In feinem ABCbuch ftellt 2.
ne Menge von Silben auf, und äußert ſich in dieſer Nüdjicht
ser die Damals gewöhnlichen Fibeln jo: „So iſts ein albern
ing, daß in den gemeinen ABCbüchern nur die leichteften Silben
ehn und aljo ein Kind daraus nimmermehr die ſchweren kann
ihftabiren lernen, weil fie darin gar nicht vorkommen, fondern
müßen fie erjt in andern Büchern fuchen. Das geht daun fo
per zu, ald wenn ich Einen auf der Leipziger Mefje unter fo
lem Volke oder in ganz Europa ſuchen folte. Denn es ift
zewiß, ob eine und die andere Schwere Silbe in etlichen Jahren
> in vielen Büchern ihnen einmal ins Geſicht kommt; daß alfo
— 192 —
ein Menſch, wenn er dad ABCbuch, den Katechismus, dad Evar
gelienbuch, den Pfalter und dad Neue Teftament in Schulen dDurd
gehämpelt, noch lange nicht jagen oder gewiß wißen kann, Da
er allerlei jchwere Silben buchftabirt oder gelefen hat, und mu
feine Lebtage zweifeln, ob er recht leſen könne, oder nicht, we
ihm nicht Alles vorgekommen.“
Ueber die Stufenfolge der Silben bemerkt 3. Folgendes
„Wird indgemein Feine Ordnung gehalten. Denn die Kinde
jollen die Silben leſen, wie fie nadeinander in den Bücher
ſtehn. Nun kommen oft die jchweren Silben eher vor als b
leichten, und follen die armen Kinder das fchwere Zeug mit ©:
walt lernen, ehe fie das Leichte begriffen haben. Sie jollen ba
Meiſterſtück machen, ehe fie Lehrjungen geworden find, welches eber
jo viel ift, als wenn ich eine Leiter hinauffteigen wollte, un
flugs von der Erde auf die fünfte oder jechste Sprofje hinau
zubüpfen mich bemühte, ehe ich auf die andre und dritte gefomme
wäre." — Freilich wufte Z., daß die Reform des Leſeunterricht
ebenjo jchwierig und gefährlich als hochnötig war; er fagt: „G
ift eine gemeine Art zu reden, wenn man einen Klügling bejchre
ben will, Daß man fagt: er will die ABCbücher refor
miren; womit jo viel zu verftehen gegeben wird, es verlobt
fi) entweder nit die Mühe, die ABCbücher zu verbeßern, ode
fie brauchen feine Reformation. — Sind fie denn jo wichtig, w
fommt3 denn, Daß fo viele Taufende, die doch alle in die Schul
gegangen, die ABCbücher vom Anfange bis zum Ende lange Ze
durchgegangen und ganz abgenugt, entweber gar nicht ober nid
vecht Iefen gelernt. Man halte nur Umfrage, jo wird man b
finden, Daß zwar Viele ſich Leſens berühmen, aber wenns zı
Probe kommt, nicht mehr lefen können, als mit großer Not „ei
Evangelium” (wie fie reden), fo fie ohnedem faft „auswendi
koͤnnen.“ — „Ihr Herrn Schullehrer, ich fehe wol, ihr werd
euern clericalifchen Eifer darin beweifen, daß ihr mir verarge
ih babe Gottes Wort vergeßen. Aber ih babe eö m
Fleiß gethan; denn Gottes Wort ift zu heilig Dazu, DaB es fü
jol laßen mit Griffeln zerftechen und zermartern.”
Außer Beidler traten übrigens gleichzeitig oder bald nachh
— 193 —
auch Andre auf, welche gegen die Buchftabirmethode eiferten und
die Lautmethode empfahlen. Es ift bier namentlich, eine Schrift
anzuziehen, welche i. J. 1712 unter dem Titel erfchien: „Erneuerte
Leſekunſt, oder deutlicher und auf gewißer Erfahrung gegründeter
Unterriht, wie man ohne alled gewöhnliche, langweilige, müh—⸗
felige und unvollfommene Buchſtabiren aufs allerleichtefte, geſchwin⸗
dee und vollfommenfte die Jugend zum Deutfchlefen anführen
m. Dazu gehört ein a part in Octavo gebrudtes „verbeßertes
186 - und Lejebüchlein. Weißenfeld, in Commiſſion bei dem all-
dafigen Hofbuchdruder Joh. Ehriftoph Brühle, 1712” (27 SE. in 4.)
Der ungenannte Verfaßer dieſer Schrift erzält, daß er feine Mes
thode einem gelehrten Manne verdanke, deſſen Finder er habe
unterrichten follen. Außerdem gedenft er eines Schulmannes,
Seybold, der fie ausgeübt habe, und beruft fi) daneben auf bie
„monatlichen Unterredungen vom Jahre 1693.” Nachdem er „von
der erbärmlichen Einfalt, großen Langwierigkeit, ſchrecklichen Müh-
feligfeit und handgreiflihen Unvollfommenheit des gemeinen Buch⸗
ſtabirens und Leſens“ gefprochen hat, bemerkt er ganz richtig, daß
man bisher auf den dreifachen Unterſchied, die Kigur, den
Ramen und die Kraft oder Beltung (valor) des Buchftabens
feine Rücficht genommen habe. Er teilt die Buchftaben in einfache
und zuſammengeſetzte ein. Bu den letzteren gehört z. B. ft, das
den Stillfchweigen gebietenden Laut ausdrückt. Die einfachen find
entweder Laute (vocales) oder Mitlauter (consonantes). Dieſe
lepteren teilt er ein in ganz ffumme, wozu b, c,d, f, 9, &,
dp, t, j und w gehören, und in Halblaute, die auch ohne
Vocal hörbar find, nemlich U’, m’ (Brummlaut), w, vr’ (Hunde
laut), ° (Zifchlaut). Bei den Mitlautern, insbeſondere bei den
ganz ſtummen, rät er dem Kinde auf den Mund des Lehrers acht
zu geben, Damit es jehe, wie der Mund gebildet werde. Auch
ſucht er die Bildung der Laute durch die Sprachwerkzeuge zu bes
Ihreiben, was ihm indefjen nicht recht gelingt. Der Unterricht
im Leſen foll nach feiner Meinung mit den Vocalen beginnen, von
denen das Kind täglich höchftens zwei bis drei nachiprechen lernen
ſoll. Wenn es auf dieſe Weiſe fie alle Eennen gelernt bat, fol
8 fieerft wiederholen und mit einem Mitlauter verjehen. Jedem
13
— 194 —
Buchſtaben hat er in dem ABE- und Lefeblichlein ein kleines un
zwar ganz einfaches Bild beifügen laßen. Zum Buchftaben Az. 2
ift ein Apfel abgebildet, zum D ein Obr, zum U eine Uhr, zun
B ein Baum, zum 8 ein Licht, zu Sch eine Scheer. Daran
folgen Silben von zwei=, dann von drei⸗, vier= und mehrfilbige:
Wörtern. Hierauf folgen Die Buchftaben, weldhe anders gelejei
werden, als fie von Haus aus lauten; fodann Wörter, Die einen
großen Anfangsbuchftaben haben und endlich Sprüche zur Uebung
im Lefen, fowie gefchriebene Buchflaben. „Ach Gott vergebe es
denen Schulmeiftern,, die es beßer wißen und madyen Fönnen und
doch nichts thun! Wozu noch weiter auf den Frummen und holpe
richten Wegen des Buchftabirend gar lange und mühjelig und
doch faft vergeblih die armen Kinder berumfchleppen? — —
Die Namen der Buchftaben find nicht um des Leſens wegen,
fondern um der Bezeihnung willen, 3. E. ein Eff ode
Bau zu Schreiben. Darum mufte man den Stummen —
Namen geben!”
Wie es fcheint, wurden die Erinnerungen der Genanuten
wenig beachtet und waren bald ganz vergeßen. Dagegen hatten
die Bemühungen eined Prebigerd Ernft Bogislaus Venzky a
Berlin einen jo glüdlihen Erfolg, daß derfelbe fpäterhin geradezu
ald der eigentliche Begründer der Lautmethode angejehen wurde.
Venzky trug Diefelbe zuerft iu einer Schrift vor, welche 1721 unter
dem Titel erfchien: „Erleichtertes Lefebüchlein, darinnen gezeigt
wird, wie man einem das Lejen ohne lauted Ausſprechen der
ftummen Buchſtaben und ohne Buchftabiren leicht und bald bei
bringen könne.“ Wie Venzky dazu gekommen war, bdiefer Lehr
methode „unter herzlichem Gebet” naczufpüren, und wie er ſie
hernach „durch Gottes Gnade” gefunden habe, erzält derſelbe in
einem Brief an den eifrigen Schulmann 3. J. Heder: „Dad
erleichterte Lejebüchlein habe ich durch Gottes Gnade erfunden,
als ich Rector der Stadtjchule zu Barby und zugleich Paftor zu
Wespan, dem böhmifchen Dorfe bei Barby war, Die Geleger
heit dazu gab mir der im Buchftabiren unerfahrene Schulhaltet
des Orts, ber die Jugend in etlichen Jahren nicht zum Leſen
Bringen konnte. Das ging mir fehr nahe, und weil ich in Halt
— 19 —
gelejen hatte, daB man ohne Buchitabiren koͤnnte leſen Iernen,
boch nicht Da8 Quomodo, jondern nur einen Haufen Silben fand,
jo fing ich an, unter herzlichem Gebet auf das Quomodo zu me-
bitiren.. Es ward mir bald offenbar: nemlich nur die vocales
zu behalten, das Laute von Den Consonantibus wegzulaßen und
alddann ſolche ſtumm und geichwind an die Vocales zu ftoßen.
Den Gelehrten war die Methode ganz begreiflih. Nur möchte
noch nachgedacht werben, wie fie einfältige Schulmeifter vom Pa⸗
pier ohne mündlichen Unterricht verftehen fönnten. Und das
foftete Nachſinnen und Erfahrung. Sch ſchickte den Auffag an
elihe Gelehrte; einige billigten, einige tabelten ihn. Dennoch
fahr ich fort, nicht nur in der Lieberlegung und Nachfinnen, ſon⸗
dern übte auch den Auffaß an den Meinigen, die wunderbald zum
Leſen ohne Buchftabiren kamen, Friegte auch einen jungen doch
erwachſenen Menfchen, der nie einen Buchftaben gefehen, in zwölf
Stunden zum Begriff. Ich communizirte das Werk ferner den
Gelehrten , ließ es darnach einen Schulfnaben von vierzehn Jahren,
' ab einen Handwerksgeſellen, Iejen; und da dieſe Alles vom
Papier begriffen, mir die Meinung fagten und die Buchflaben
ohne Laut, doch daß mans hören und vernehmen konnte, anzu⸗
geben wuften, jo ließ ich das Werkchen erftlich in Magdeburg auf
Meine eignen Koften dDruden, welche Exemplaria ich unter Gelehrte
Berumfchidte, welches, ni fallor, 1721 war. Etwa ein Jahr
darnach machte ich es für Lehrende deutlicher und gab es Herrn
Walther in Leipzig, der es in Erfurt druden ließ. Ich habe dieſe
Methode zu lefen bei Herrn Infpector Wegners Zeit in der großen
Waiſenhausſchule zu Potsdam, als ich nach meines fel. Vetters,
Derm Butovii , Tode dajelbft gegenwärtig war, zeigen müßen;
weiß nicht, ob fie ſchon in Potsdam geübt werde ıc. ıc.”
Der Oberconfiftorialrat Heder Hatte fih nemlih für
Venzky's Methode alsbald ganz entjchieden erklärt, weshalb Die-
\elbe 1725 in dem großen Waifenhaufe zu Potsdam eingeführt
und zwölf Jahre lang mit folchem Erfolge getrieben wurde, daß
Fähige Kinder innerhalb zweier Monate Iejen Iernten.
In einem Schulprogramme vom 7. April 1750, welches
13*
— 196 —
Heder über die Frage fehrieb: „Ob das Buchflabiren zum
Lefenlernen nötig fei,” *) ftellte derſelbe die neue Lehrmethode
jo dar:
„Sn der Venzkyſchen Methode wird die Sache am aller
leichteften angefangen und nichts von den Kindern gefordert, wozu
nicht vorher richtige principia gefaft worden find. Man lern
nach derjelben erft die fünf lauten Buchftaben a, e, i,o,n Die
ſtummen Buchftaben werden bier ftumm tractirt, jo lange fie aleiwy
und ohne einen von den lauten Buchftaben ſtehn. Man neunt te
aber ftumm nicht Deswegen, weil man gar nichts davon n der
Ausiprache vernehmen kann, fondern weil man ihnen blog den
Laut in der Ausfprache gibt, welchen fie für fich haben, um®
auch wol ein fftummer Menſch anzeigen oder angebe n
fann, wenn er entweber Die Zunge oder die Lippen in Bewegurug
feßt. WIN man nun wißen, wie man ed anzufangen, daß mann
den eigentlichen Laut der ſtummen Buchftaben herausbringe, ſo
darf man nur ein Wort deutlich fagen, welches fih aufden
Buhftaben endigt, den man amzeigen will. Alddann wird
man bald finden, daß ſolches nicht nur möglich, fondern auch
leicht fei. Sch feße, man verlangt den eigentlichen Laut des Buch
ftabens b zu hören, fo muß man ein Wort nennen, welches ſich
auf ein b endigt, 3. B. Grab oder Stab, und genau merfen,
was in dem Worte für das b übrig bleibt, wenn die drei erſten
Buchſtaben in diefen Wörtern ausgefprochen worden. — Iſt man
mit den einzelnen Worten fertig, welches in wenigen Stunden A®
ſchehen kann, fo geht man flufenmweife weiter und fegt bie ein⸗
fachen lauten Buchftaben bald vor bald nad den ftummen und
läft die Kinder Diefelben zufanmen ausſprechen. Man madıt nad)
und nach größere Silben von mehreren Buchſtaben und laͤſt alt
möglichen, einfilbigen Wörter langſam und deutlich herlefen. 5"
einem Lefebüchlein müßen zu Dem Zwecke Die Silben column e*W
weife gebrudt werben, damit die Kinder erft eine Colung u
— 3*
4
u. Au ee
a k
) Daffelbe findet fich abgedrudt in Natorps Briefmechfel einiger Shul ge
und Schulfreunde. B. 3, S. 300 ff.
— 197 —
nah ber andern von oben herunter Lefen können.
Nachher laͤſt man zeilenmweije vorwärts und hinterwärts
von der Rinken zur Rechten und von der Rechten zur Linken und
adlih bin und wieder Bald unten, bald oben, bald aus
der Mitte die kurzen einfilbigen Wörter berlefen.
Eind fie darin genugfam geübt, jo fillabirt man mit ihnen
diejenigen Wörter, welche mehrere Silben haben; und
wenn ſolches eine Zeit lang geſchehen, fo werden fie zum voll
Rändigen Leſen eined ganzes Textes aus dem Buche angeführt.
So wird Die ganze Leſekunſt den Kindern angenehm und leicht
gemacht.“
Hecker teilte zugleich iu ſeinem Programm Folgendes mit:
„Im Jahre 1750 haben zwei Mohren in Berlin, die von unſrer
Sprache fehr wenig reden und gar nicht leſen oder buchftabiren
fonnten, auch gar feinen deutfchen Buchftaben Fannten, im Monat
Sebruario und Martio in 50 Stunden, täglid eine, es foweit
gebracht, daß fie nicht nur die ſchwerſten Wörter langjam zu leſen
und deutlich auszusprechen, fondern auch aus den Zeitungen ganze
Stüde vorzulefen im Stande waren.” Späterhin gab Heder
Venzky's Schrift nochmald unter dem Titel heraus: „Kurze Ans
weiſung, das Lefen ohne Budhitabiren zu erlernen. Berlin, 1757.”
Von da an trat der Kampf gegen den Echlendrian der
Budftabirmethode immer allgemeiner und immer ftärfer hervor.
Sogar Epottgedichte wurden veröffentlicht, um der beßern Me⸗
thode Bahn zu brechen. So erjhien 3. B. 1735 zu Büdingen
eine Ehrift: „Nachſinners Leſekunſt, in welcher das hinder-
Li fallende und zornerwedente Buchſtabiren aus dem Wege ges
räumt und ein bequemer Weg zum Leſen gezeiget wird.” Es
beift hier unter Anderm:
„Dein Lefer, denke doch, wie lehrt und lernt man leſen?
Wenn man hoch Iefen will, fpricht man ba, o, ce, ba.
Dann kommt dad Wort hernach, wenn's erft confus gewefen.
Dan tönet zweimal ha, und ift doch hier fein a.
Barum nicht Tieber ho auftatt Ha, o gejprochen ?
— 198 —
. Und danı den fchwachen Ton des Stummen beigefügt!
So fordert3 die Natur, ſonſt nagt man harte Knochen,
Und madt, daß Klein und Groß am Schulton Ekel Friegt.
Er, u, ba tönet man, wenn Rub hervor fol Tommen;
Es ſcheinet, unfre Kunft fei noch aus Babel her.
Verzeihet mir dies Wort! Ich hab mir vorgenommen,
Das aus dem Weg zu thun, was ungereimt und fehwer.
Iſt Diefes eine Bier bei unferm Buchſtabiren,
Wenn man Zier lefen will, und ſpricht zed, i, e, er?
Kann man das Kind nicht gleich auf zi im Lefen führen ?
Nun aber ift zed, i mit feinem Umſchweif bier.
.. Klingt e8 nicht wunderlidy , wenn man will ſpielen fagen,
Und fömmt mit es, pe, i, e, el, e, en hervor?
Ein fo gezognes Spiel möcht mich vom Lernen jagen,
So fommt nur allzufchywer der rechte Zwed empor.
Man pflegt dem Stummen ftet3 den falfchen Laut zu geben,
Wenn ed ſpi heißen ſoll, jo jpricht man erft ed, pe.
Was taugt der Ton es, pe? i gibt hier Laut und Leben,
Wir thun mit unfer Lei’r ja nur den Ohren weh.”
Die Lautirmethode kam indeffen vorläufig noch nicht zui
allgemeinen Einführung, weil die Maſſe der Schulmeifter ga
nichts von ihr erfuhr oder zu träg war, fich mit einer Neuerung
zu befaßeu. Gradezu verworfen wurde die neue Methode jebod
nur in Baiern.
Hier trat nemlich um 1772 ein Hoflänger in Münden
Franz Zaver Hofmann (F 1804) mit einer neuen Method
auf, wonad) die Kinder angeleitet wurden, Die Conſonanten ohn
einen Mitlanter zu fprechen und hierauf Die auf Tafelchen ge
zeichneten großen und Heinen Buchſtaben aufzuſuchen, hernach zı
Silben und Wörtern zufammenzufeßen und auszusprechen. SD
der Geheimrat Freiherr v. Leiden, von den Vorzügen bdiefer Me
thode überzeugt, ſich des Erfinders angenommen und denfelbeı
dem Kurfürften empfohlen hatte, jo erteilte Diefer den Befehl, bei
Hoffänger Hofmann eine Probe mit Kindern in einem Waiſen
baufe anftellen zu laßen. Die Probe fiel überaus günftig aus;
allein die Schuldeputation, der bie Neuerung widermärtig war,
— 199 —
aklaͤrte nichtSbeftoweniger, daß fich die fragliche Methode zwar
für den Privatunterricht eigne, allein für den öffentlichen Unter⸗
richt nicht zu empfehlen fe. Um nun das Gegenteil zu beweiſen,
Bat Hofmann um Erlaubnis, mit feiner Methode auch in einer
Öffentlihen Schule einen Verfuh machen zu bürfen. Indeſſen bie
erbetene Erlaubnis wurde nicht erteilt; weshalb der Freiherr von
Leiden fih veranlaft ſah, in der Schule feiner Hofmark Affing,
Landgerichts Aichach, Hofmann eine Probe anftellen zu laßen. Hofs
az caaınd Methode bewährte fich auch hier aufs Befte; aber dennoch
war e8 nicht möglich, derfelben irgendwo in den Schulen bes Lan
be Eingang zu verfchaffen *).
Im proteftantifchen Deutfchland brach ſich inzwiſchen in den-
jernigen Kreifen, welche von Baſedow oder von Rochow angeregt,
Der neuen „methobifhen Lehrart” huldigten, die Lautmethode troß
aller Hinderniffe mehr und mehr Bahn. Man ging bier von dem
S rundſatz aus: „Kinder follen erft denken und zufammenhängend
ſPrechen lernen, ehe man anfängt, fie lefen zu lehren; fie werben
Dann mit Luft lefen lernen und das, was fie lefen, verftehen und
ia Ttzen können?) Als Bedingung eines praktiſchen Unterrichtes
wurde hierbei wenigſtens ziemlich allgemein anerkannt, daß der
Zehrer vor Allem eine jcharfe, deutliche Ausfprache bed von dem
einzelnen Buchſtaben bezeichneten eigentlimlichen Lautes fich zur
Aufgabe machen mühe, damit Die Kinder die richtige Ausſprache
Schon von den Sprachorganen des Lehrers abfehen konnten.
Als ganz befonders nüplich wurden von fehr vielen Die das
wald aufkommenden Xefekaften oder Leſemaſchinen empfob-
len. Wie e3 fcheint, wurden dieſe Möbel, in Deutſchland wenig-
ſtens, zuerft in Baſedowſchen SKreifen gebraucht. Baſedow felbft
machte auf fie aufmerffam und ſchon um 1773 machte der Bes
Sründer der Bafebomwichen Lehranftalt zu Vechelde bei Braunschweig,
9 S. Lipowskys Geſch. der Schulen in Baiern ©. 313.
*) „Berfuch einer Darftellung deffen, was für die Methode des Leſenlernens
Soitsihufen geſchehen ift“ im Carſtenſens Beitihrift für das Voltsſchulweſen,
.L 6: 45H.
ss
— 200 —
Hundeiter, von einem Xefefaften Gebrauch. Um nämlid ei
junge Schülerin das Lefen zu lehren, ließ ſich derjelbe einen vi
eigen Kaften verfertigen, deſſen innerer Raum in Feine Zell
abgeteilt war, wovon ein jedes einen Buchftaben des Alphab
auf Holz geklebt enthielt. An der inneren Ceite des Dedi
waren Leiften angebracht, um die Buchſtaben darauf zu fted
und nad Silben und Wörtern darauf zufammenzufeßen. Indeſſ
machte fpäterbin der Nector Beilchlag auf einen Pädagogen a
merfjam, der vor zwei Jahren gelebt und eine bewegliche Le
majchine angegeben hatte, die aus Streifen beftand, auf denen
Buchſtaben notirt waren. Die verjchiedenartigen Inſtrumen
welche zur Grteilung des Lefeunterrichtes in der Baſedowſch
Periode gebraudht wurden, waren jedoch von allen derarti—
Traditionen unabhängig entftanden. Die einfachfte Lefemafch
war die eines Landfchulmeifterd, der einen Conſonanten auf e
beroorftehende Leifte der Thüreinfaßung jchrieb und auf ein
fchmalen Brette die einfahen, zufammengefeßten und gedehn
Bocale mit großer, deutlicher Schrift unter einander gejchriel
hatte. Dieſes Brett hielt der Lehrer fo dicht an die Leiſte, dd
einer der Vocale immer neben dem gefchriebenen Gonfonan
fand. Sowie er fein Brett nur ein wenig höher oder niebri,
hielt, fland ein andrer Vocal neben dem Mitlauter. Doc „I
bloße bretterne Buchftabe ift”, wie Plato, der die Leſemaſchi
zu allgemeinerer Ginführung brachte, in feinen „Gedanken ül
bie gewöhnlichen ABC bücher (1796)“ bemerft, „das gering
Verdienſt bei der Erfindung; aber der geiftige, zwedmäßige €
danke derfelben, — die Erlöfung der armen, Heinen Menſchh
bon ber bisherigen Buchitabirpladerei und graufamen Lefebarbaı
bie fanfte, ſtufenweiſe, allmähliche Entwidlung ihrer Verſtand
kraͤfte“.
Die in der Leipziger Ratsfreiſchule gebrauchte Leſemaſch
beſchreibt Dolz (in ber „Katechetiſchen Anleitung zu den erfi
Denfübungen der Jugend, 1801”) fo: „Diefe Lefemafchine
nichts anderes ald eine vieredige Tafel, die der Augen wegen ı
beiten mit grüner Farbe angeftrichen wird. Vier oder fünf Leift:
6—8 Zoll von einander entfernt, laufen quer über. dieſe Ta
— 201 —
linweg, um darauf die Buchitaben und Zalzeichen anzufegen.
Unten an der Tafel ift ein Käftchen von der Länge ber Tafel mit
verfhiedenen Fächern angebracht, in welchen die Buchftaben, Zals
ud Unterſcheidungszeichen nach alphabetifcher Ordnung aufbewahrt
werden, um das fchnelle Herausfinden eines jeden Buchftabens zu
elihtern. Diefes Fachwerk ift mit einem berunterfallenden Dedel
veriehn, wodurch die Buchſtaben verfchloßen gehalten werden koͤn⸗
m. Die zum Gebraude der Lefemafchine erforberlihen Buch-
Reben müßen in die Augen fallend, von ziemlicher Größe und mit
guter Schwarzer Farbe gebrudt fein, — etwa 2— 3 Zoll lang,
af Schreibpapier. Jeder Buchftabe wird einzeln auf ein Holz
reitchen geklebt, deren jedes in die Breite grabe bie Kläche eines
| Suhftabens halten, in der Höhe und Tiefe aber etwas weißen
Kaum behalten muß, (fo daß fie genau zwifchen ben Leiften der
Uhl paßen)“.
Ein andrer Paͤdagog (Rixen) beſchreibt eine von ihm angefer-
figte Refemafchine fo): „Die Leipziger Lefemafchine war zu koſt⸗
kr. Mir fehlten die einzelnen Buchftaben, um damit die Laute
bezeichnen zu Tönnen. Au dieſem Behufe ließ ich einen Bogen
mit hinreichend großen Buchftaben druden, die ich auf Pappe zog,
einander fchnitt und fächerweife orbnete. Ich ließ mir eine
dafel mit Leiften machen, um daran Buchftaben, Sylbeu, Wörter
md einfache Säge aufftellen zu können. Endlich kam nod ein
; Degen mit kleiner Schrift Hinzu, welcher leichte Wörter und Saͤtze
8 Materialien zu Lefeübungen für Anfänger enthielt und fo ein
gerihtet war, daß er in einige 50 Taͤfelchen fonnte zerfchnitten
werden. Jedes Täfelchen war ein aus 4— 5 Zeilen beftehendes
Game, und enthielt grade das, was ich mit den Kindern kurz
verber an der Tafel eingehbt hatte. In der Zeit, wo ich mid
mit den größeren Kindern befchäftigte, bekamen die Fleineren ein
ſolches Täfelchen, um fich indeffen im Leſen üben zu Tönnen, wo-
von fie in der naͤchſten Stunde Probe ablegten. — Die Sadıe
— —
) die Veranlaßung dazu gab eine Beſchreibung eines einfachen Leſekaſtens
vm Splittegarb. Vergl. Garftenfens Zeitſchrift für das Volkeſchulweſen,
8.1.e, 202
— 202 —
ging fo gut, daß einzelne Kinder in 6— 8 Moden, faft alle
dem erften Vierteljahr fo weit famen, daß fie anfingen in Roco
Kinderfreunde zu leſen“. |
Ueber den Gebrauch und Nutzen dieſer Leſemaſchine duße
ih Dolz fo: „Erlernung der Buchſtaben, des Sillabirens u
Lefend Tann mit einander verbunden werden. Wan fegt zue
einige leichte, einfilbige Wörter an, aber nur foldhe, welche ein
finnlihen Gegenftand bezeichnen, wie dad Wort Hand. D
Lehrer ſetzt alfo, nachdem er den Sindern bie acht Vocalzeidh
befannt gemacht hat, folgende Buchſtaben an: 1) ba — und le
fie beide zufammen ausſprechen; 2) ban — nachdem fie di
neuen Buchftaben benannt haben, fprechen fie alle zufammen au
und der Lehrer fragt: ift dieſes ſchon ein verftändliches Wort
3) band — wie heift e8 nun? — 4) and? Hier wird be
Kindern bemerkbar gemacht, Daß h Hinzugefebt werden muß, wen
ed Hand lauten fol; 5) land; 6) andh. Dem Schüler win
bemerflih gemacht, daß h nicht an der rechten Stelle fteht. °
band. Nun gejhwind ausgejprocdhen! Dann macht der Lehr
die Schüler darauf aufmerffam, aus wie vielen Buchftaben D«
Wort beftehe? wie der dritte, erfte ıc. heiße? Nun benutzt er d
Wort als eine Uebung des Nachdenkens, z. B. mit andern WB
ten zu fagen, was eine Hand fei, wie viele Hände jeder geſur
Menfh habe, zu melden Verrichtungen er durch den Gebra!
der Hände gefchidt werde. — Um nun auch die Kinder nad 2
nach mit den übrigen Buchftaben befannt zu machen, wird es
land, fand, wand, rand verwandelt, in der Folge in mur
bund, Hund, rund, grund, und dabei wieder auf die vor
Art verfahren, bis endlich die Schüler alle Buchftaben in ſolch
leichten Wörtern genau fennen gelernt haben. Nun erft könn
auch mehrfilbige Wörter angefebt, und e8 kann z. B. Die einfaı
Zal der fchon dageweſenen Wörter in die Mehrzal (Hand
hunde zc.) verwandelt werden. Endlich erft folgen kurze Sät
welche anfangs mit lauter fogenannten Fleinen Buchſtaben, zum
len auch wol in ununterbrochener Reihe, angefeßt werden” u. ſ.
Außerdem wurden noch allerlei andere, zum Teil fonderb
genug audfehende Mittel und Wege verſucht, um das Leſenlern
— 203 —
zu erleihten. Baſe dow empfahl dad Buchftabiren aus dem
Ropfe vor aller Buchftabenkenntnis und vor dem Sillabiren. In
feinem Neuen Werkzeug zum Lefenlehren (Leipzig, 1787) orbnete
Bafebow die Uebungen folgendermaßen: Dan fpreche den Kindern
eigene, ein- und mehrfilbige Wörter richtig vor und laße fie von
Ihnen richtig nachfprechen; barauf verſtandne, erft kürzere, dann
lingere Säße, wobei fie die Silben und Wörter zälen. Dann
folge das mündliche Buchftabiren, erft das zufammenfeßende, dann
das auflöfende, und dann abwechfelnd das eine oder andere, je
nachdem man mehr oder weniger geübte Schüler vor ſich hat.
Run leite man bie Schüler. zur Kenntnis der Buchftabenfiguren,
eils durch Hülfe gebadener Buchſtaben, teild durch Herlets
ang bes einen von dem andern. Sept kommt man zum Buche,
- f.w. Das Merkwürdigfte war hierbei die Baſedowſche Bu ch
:abenbäderei. „Was wird denn”, fagt Bafebow In feinem
Leuen Werkzeug zum Lejenlehren S. 33, „diefe Baͤckerei Toften ?
>Shft wenig. Frühſtück müßen die Kinder haben. Man badt
Ufo die Buchftaben um einen geringen Grab woljchmedender als
&3 gewöhnliche Frühſtück, ob e8 glei aud; vom gemeinen Sem»
welteich geſchehen kann. Wir haben die Erfahrung: Mehr
ES vier Wochen bebarf Fein Kind des Buchſtabeneßens. Iſt bie
S ache im Gange, (audy dad wißen wir,) fo foftet die Formirung
Es Teiches in Buchſtaben für jedes Kind täglich, keinen halben
Sfennig, und alfo in 4 Wochen 1 Gr. So viel iſt doch wol bie
Sache wert, fo arm auch die Kinder fein mögen. Und wie, wenn
w jeder großen Stadt ein eigner Schulbäder, ober bei jedem
>äder ein eigner Korb mit Schulwaare wäre? Denn bie zehn
süffern müßen den Kindern faft ebenfo früh bekannt werben, als
a Feine deutſche Alphabet. Daher haben wir Diefelben gleich-
ms baden laßen. Und wenn nur erft ein Schulbäder angefeßt .
» erden Tann, fo wollen wir ihm fchon mehr Formen anraten, bie
Zeemmt von der Schulfache erforbert werden”.
In den öfterreihifhen Normalſchulen laſen die Kinder im
Ser; Splittegarb (Verbeßertes ABG-Spiel, Berlin 1784)
te dab a— b, ab und b — a, ba in Noten, um es den Kin⸗
»etn vorzuſingen; und ber ABC, Buchſtabir⸗ und Lefetrichter von
— 204 —
Alttorf bei Nürnberg malte die Vocale rot und die Conſonan
Schwarz, nannte jene Herrn und Diefe Knechte, und ließ zumei
die Herrn mit roten Kleidern, aber doch auch weiterhin die Knec
in ihren ſchwarzen Kleidern vorangehn. — Andre Schulmeif
fragten: „Wie heift der Buchftabe mit dem Züttel? wie ber ı
dem Bart? wie fchreit der Bauer? mie tbut Dad? (ber Leh
fneipt den Schüler ind Ohr,) 2“
Ganz neue Wege verfuchten Gedife und Haufer. £
dem Vorwort feines „Kinderbuchs zur erften Uebung im Le
ohne ABC und Buchftabiren, 1791”, fagt Gebife, daß es d
natürliche Gang des menjchlihen Geiftes, vornemlich des ſich en
widelnden Geiftes fei, von dem Ganzen zu den Teilen, von bi
Folgen zu den Gründen fortzufchreiten. Bisher habe man fi
bemüht, die Kinder durch Buchftaben die Wörter kennen zu Iehren
er wolle Durch die Wörter und zugleich mit den Wörtern bi
Buchftaben lehren. In dem Kinderbud bat jeder Buchfſtal
feine Seite, auf der er gleichſam die Hauptrolle ſpielt. Er ſtel
einzeln viermal obenan, zweimal rot, zweimal ſchwarz gebrud
An der erften Reihe find die Wörter, welche immer den Bud
ftaben, Der gelernt werden fol, enthalten, alle rot; dann komme
Reiben, in welchen er in jedem Worte allein rot, und dann ſolch
in welchen er allein ſchwarz fteht. Zuerſt ift er der erfte Bud
flabe des Worts, nachher ſteht er auch in der Mitte; die lei
Beile jeder Seite enthält diefelben Wörter, welche in der erſte
ftanden, jeboch nicht in derſelben Ordnung und alle ſchwarz g
druckt. Er verfuchte diefe Methode bei feiner Tochter, einem Möl
hen von 5 Jahren, das nach derfelben in 2 Monaten Iefen lernt
— Haufers Schrift erfehien unter dem Titel: „Methode, de
Schreiben und Lefen ohne Buhftabiren zu lehre
zur Erleichterung des erften Unterricht der. Kinder; verfaft vı
Matthias Haufer, Major nes kaiſ. Eönigl. Ingenieurkorps. Wi
1796". Der Verfaßer macht auf die Sprachwerkzeuge aufmerkfai
durch welche jeder Conſonant geformt wird. Schreiben und Leſ
will er miteinander verbunden haben. Auf ſchönes Schreib
fomme es dabei nicht an. Das Erlernen der Vocale geht vora
Dann folgt die Ginübung der Konjonanten. Sowie die Schül
— 205 —
einen ber leßteren formen gelernt haben, jo wirb er mit din Vo⸗
calen verbunden, und Die fo entftehenden Silben dictirt der Lehrer
md der Schüler jchreibt fie gleich nieder, 3. ®. na, ne, ni, no,
m, und an, en, in, on, un.
Die angeführten Unterrichtsmethoden gehörten in die große
al jener Berfuche, welche der etwa feit 1770 angeregte pädago-
gifche Reformeiter hervorgerufen und bald aud) wieder verbrängt
batte. Einen ungleich, größeren und nachhaltiger wirkenden Eindrud
Schien dagegen längere Zeit hindurch die Lehrmethode Dliviers
zu machen, der (jeit 1780 Lehrer an dem Philanthropin zu Deflau,
feit 1801 in Leipzig) anfangs ebenjofehr in Baſedows als hernadh
ira feined Landsmannes Peſtalozzi Beftrebungen vor Allem bie
Stnührung einer beßeren Methode des Leſeunterrichts gefördert
u rid gerechtfertigt fand. Namentlich feit 1800 trat Olivier mit
einer ſolchen neuen Methode hervor, Die von ihm felbft als Baſis
eines durchaus neuen Unterrichts- und Erziehungsſyſtems überhaupt
angefündigt, von den Beitgenoßen mit gefpannter Aufmerkſamkeit
Beobachtet wurde. Dlivier offenbarte Diefelbe in einer umfang-
reihen Schrift: „Ortbo=sepo-graphifhes Elementarwert
Oder Lehrbuch über die in jeder Sprache anwendbare Kunft recht:
ſprechen, leſen und rechtſchreiben zu lehren. Erſter theoretifcher
Zeil, enthaltend die Darftellung des orthosepo-graphifchen Syſtems,
Deflau 1804". — „Bweiter praftifcher Teil, enthaltend 1) fämmt-
Ude zur Anwendung der Lautmethode dienenden Hülfsmittel; 2)
ausführliche Anweifung zur Grlernung dieſer Elementar-, Leſe⸗ und
MRehtfchreibesfehrart, in welchem eine Sammlung von Beifpielen
au finden ift, die als Leitfaden bei den verfchiebnen Uebungen die—
fer Rehrmethode dienen künnen. Deffau 1806”.
Dlivier ſucht hier Die Lautmethode ald eine vollfommen
Moturgemäße und gründliche Lehrart zu entwideln. Denn
Dieſelbe ſoll nicht blos den Elementarlaut gradezu zum Namen
ſeines graphiſchen Zeichens (des Buchſtabens) erheben, ſondern ſie
ſoll zugleich als Mittel zur Entwicklung des jugendlichen Geiſtes
ienen uud fo zur gänzlichen Umänberung einer fehlerhaften Ein-
Tichtung bed erften Unterrichts mitbeitragen. Olivier zeigt, Daß
feine Methode dem natürlichen Entwidlungsgang des Kindes folgt,
— 208 —
indem fie das Spredhenlernen dem Leſen⸗ und Rechtichreibenlernen
vorangehen, und darauf erft die Laute deutlich und vollftändig
entwidelt-und zweckmaͤßig georbnet wahrnehmen läft und dann zur
Kenntnis der Buchftaben ald Zeichen Derfelben führt. Sie Ichlägt
hierbei den einfachften und fürzeften Weg ein und regt die ange
meßenen Kräfte des Findlichen Geifted dabei an; denn fie bringt
ihm den einzelnen Laut zum Tlaren Bewuftjein, und flellt nun das
chriftliche Zeichen, den Buchftaben dafür vor das Auge des Kin
des. Vom erften Anfange des Unterrichts an bringt fie alle Teile
defielben in ben engften Zufammenhang, läft eins aus dem andern
fi) gleichſam von ſelbſt entwideln, und ſucht durch Die naturges
mäßefte Stufenfolge aller der zur Vollendung ihrer Zwecke bienens
den Uebungen, jelbft den Sinn des Kindes für firenge Ordnung
und Gonfequenz in der Anwendung feiner Geiltesthätigfeit glei
von der Entfaltung des erften Keimes derjelben zu erweden. Sn
ihrem BVorbereitungsunterricht behandelt fie die Sprache als Bil
dungsmittel, indem fie den Stoff zu Hebungen ber Geifteöftaft
zwedmäßig mählt, ihn durch die im Ton, im Accent und Ausdrud
der menfchlihen Stimme liegende Kraft gehörig darbietet und zw
gleich eine reine deutliche Ausfprache, eine angenehme Abwechslung
bes Tones der Stimme und richtigen natürlichen Ausdrud befoͤr⸗
dert. Sie führt dann den Lernenden zur vollftändigen Kenntnis
aller wirklichen Laute und führt ihn endlich von Webungen zu
Uebungen dahin, geläufig und gut Iefen und richtig fehreiben zu
fönnen. Sie behandelt ferner das Leſen auf eine feiner Natur
und den Bweden des Unterrichts vollfommen gemäße Weife. Der
Stoff, den fie zu den Vorübungen nimmt, braucht fie auch zu den
erften Lefeübungen, damit der Schüler nicht blos Wörter left,
jondern auch leicht durch Diefes Leſen die bezeichneten Vorftellungen
in ihm aufgeregt werben. Ahr Buchftabiren bietet dem Gehör
gleihfam die vollkommne Laut-Melodie eines jeben Wortes dat
(ein gezogenes Ausfprechen der Worte, z. B. M—00—8) und def
Schüler verliert nie die Vorftellung,, welche das Wort bezeichnet.
Die Laute find diefer Methode ein Begenftand des Gehoͤrs und
eine Wirkung der Spradhorgane und die Buchſtaben ein Gegen
fand des Anſchauens, wie es natürlih it. — Gine volllommme
— 207 —
ichſtabenſchrift muß alle Laute und die entjprechenden Schrift:
hen vollftändig haben. Indeſſen ift die vorhandne Buchftaben-
ift ſehr unvollflommen. Daher will Dlivier eine vollftändige
utzeihen-Tabulatur entwerfen, auf welcher jeder einfache
it bie Sprache für fi) genau beitimmt und zugleic, mit feinen
ſchiednen Beichen verknüpft wird. Hierbei befämpft Olivier
ientlich das Vorurteil, daß der Gonfonantlaut feiner Natur
) fein für ſich beftehender Sprachton oder Fein Gelftlaut,
ern nur ein in jeiner Verbindung mit dem Vocallaut und
ch diefelbe vernehmlicher Mitlaut fei. —
Indeſſen war die Methode, welche Dlivier von dieſen Prin⸗
en aus ſchuf, fo complicirt und fünftlih, daß fich diefelbe in
Anwendung nicht bewährte, und daher eine allgemeinere Eins
rung nicht finden konnte. Daher gingen noch fortwährend die
i berfömmlichen Weifen des Lejeunterrichtes, Die Buchſtabir⸗
die Sillabirmethode, die beide im Gegenſatz zur Lau⸗
jethode ftanden, mit gleichem Anfehn ungeftört neben einander
Die lebtere erklärte das Herfagen der Namen der Buchftaben
ganz unzwedmäßig und begann daher mit dem Lejen der
ben. Beide aber eigneten fich ein DVerbienft an, was ihnen
t zufam; denn nicht das, was fie die Schüler thun ließen,
yern was dieſe für ſich thaten, führte zur Fertigkeit des Leſens.
: gaben den Schülern nicht den Laut jedes Buchſtabens, fon-
n überließen es der eignen Xhätigfeit des Schülers, diefen für
abzufondern. Die Buchftabirmethode (die übrigens den Namen
T Methode kaum verdiente,) machte überdies den Schülern
es Geſchaͤft gradezu möglichft jchwer, indem fie flatt der Bud»
wnlaute halbwillfürlihe Buchftabennamen nennen ließ und
uch die Aufmerkfamfeit des Schülers von der eigentlichen
Ge abzog. Die Sillabirmethode dagegen bildete faktiſch ges
jermaßen ben Mebergang zur Lautmethode, und es Iäft ji daher
Erſcheinung erklären, daß die Lautmethode allmählich gradezu an
Stelle des fillabirenden Verfahrend trat und längere Zeit hindurch
nKampf der legteren gegen die Buchftabirmethobe fortfegen mufte*).
*) Carſtenſens Beitfhrift für das Volksſchulweſen, B. 1. & 343 — 344.
— 208 —
Zu Gunſten der letzteren wurde herporgehoben, „daß Die
dem Lautzeichen zugleich einen Namen beifügt‘, woburd jene
der Seele der Kinder fefter gehalten, der Laut ihm anſchaul
gemacht und leichter reproduzirt werde, weil in den Buchſta
Namen der Laut derjelben immer feinem Gehör vortöne.
Lautirmethode Hingegen koͤnne, zumal bei den Konfonanten, we
ſtens bei mehreren derjelben, nie ganz reine Laute, Die dem Zei
(Buchftaben) richtig correspondirten, den Schülern geben und d
fie reproduziren laßen; folglich Eönne exit bei dem Verbinden
einzelnen Raute (Leſen oder Sillabiren) der reine Yaut, der
in Verbindung mit andern Lauten deutlich werde, ausgejpro:
werben. Bei der erften Mühe des Unterrichts ſei demnach
Mittel gegeben, das Lautzeichen für den Schüler feitzubalten, ı
ches Mittel die Buchftabirmethode durch den Namen des Lau!
hend gebe. Auch fei die Buchftabirmethode der Orthogray
förderliher al8 die Lautirmethode. Allerdingd mache jene ei
Umweg, während dieje den grabeften Weg gehe; aber Die Lau
methode made auf ihrem graden Wege Sprünge, die mit ei
gründlichen Unterricht unvereinbar wären, und der Umweg
Buchftabirmethode fei durchaus notwendig“ *). — Gleichwol
warn bie Rautirmethode feit dem Jahre 1802 immer weitere 3
breitung, und zwar hauptfädhlich durch den Einfluß des damal
Conſiſtorialrates und Hofpredigerd zu Gaftel, Dr. Heint
Stephbani.
Stepbani, der (abgejehn von feinen anderweitigen 3
dienften um das Volksſchulweſen) als der eigentliche Vater e
aͤcht methodifchen Lefeunterrichtes anzufehn ift, hatte durch
\orgfältige Prüfung des Unterrichtes in den Glementarfchulen
Ueberzeugung gewonnen, „daß fo lange an feine bedeutende:
beßerung derjelben zu benfen fei, ehe ‚man nicht den Lefeunterr
der die meifte Zeit in den Schulen verjchlang, auf feine einfa
*) Vgl „Ehrenrettung der Buchftabirmethode gegen die Borwürfe ne
Lefelehrer mit befondrer Beziehung auf Hr. v. Stephani's Schrift: Ausfüh
Beſchreibung meiner einfadhen Lefemethode, Erlangen 1814. Bon M. T. 6.3
Pfarrer zu Oeſchingen bei Tübingen. Zübingen 1814“. j
— 209 —
Prinzipien zurüdgeführt haben würde”. In kurzer Zeit hatte er
de Elemente der Lefekunft gefunden; die damaligen Kriegsverhaͤlt⸗
J fe verurfachten e8 indeflen, daß feine Anmeifung nebft der zu
I ir ausgearbeiteten Zibel *) erft 1802 erfchien.
Stephani bezeichnete feine Methode ald ElementarsMe-
] thode, „teil um einen Namen für fie zu haben, teild um da⸗
J durch ihren Charakter auszubrüden, der wirklich darin befteht, daß
J fie auf die beiden Elemente der Lefekunft zurüdgeht, nemlich auf
5 die Kenntnis des jedem Buchftaben eigentümlichen Laute, und
J dann auf die Fertigkeit, folche einzeln und in allen vorkommenden
J Berbindungen auszufprechen“.
Der Charakter der Methode Stephanid erhellt am beften
Baus dem, was Stephani über den Gang feiner Entdedung ber:
J ſelben bemerkt: „Alles Iaute Leſen ift ein Ueberfegen der ficht-
I Baren Gebanfenzeichen in hörbare. Die Lefekunft befteht daher
in der erworbenen Geſchicklichkeit, jede in Schriftzeichen ausgedrüdte
Rede in die hörbare überzutragen. Die Elemente der fihtbaren
Sprache find Buchſtaben; aus ihnen werben alle Beftandteile der
Rede, die Wörter, zuſammengeſetzt. Die Elemente der hörbaren
Sprache find Laute, die dur Hülfe gewißer Organe im Munde
hervorgebracht werben. Beide Elemente correspondiren einander.
Wer leſen Iernen will, muß folglich notwendig zur Fertigkeit ge-
führt werden, mit elementarifher Genauigkeit aus einer
Sprache (der fichtbaren) in die andre (die hörbare) zu über
jenen. — „Zwei Wege fönnen hierbei nur ganz allein betreten
werden: man legt den Lehrlingen entweder fogleich ganze Wörter
zum Lefen vor und führt ſie hernachmals zur elementarifchen
Kenntnis der Sprache fort; oder man macht fie zuerft mit den
einander correspondirenden Sprachzeichen und Sprachlauten be-
Kant, und führt fie hierauf zur Fertigkeit, fie in jeder in der
Sprache vorkommenden Verbindung audzufprechen. Erfterer führt
—__.n
N , Fibel oder Elementarbuch zum Lefenlernen, von Dr. 9. Stephani. Er-
Ka 1802” und „Kurzer Unterricht in der gründlichften und leichteften Methode
Kindern das Leſen zu lehren, von Dr. H. Stephani, Erlangen 1804".
14
— 210 —
zu der Fertigfeit, aus dem ganzen Umriße jedes Wort
zu wißen, wie es in bie hörbare Sprache zu überjegen i
Methode ift bei einer Sprache, wie die chinefifche, deren
aus ganzen Figuren beftehn und keineswegs aus Buch
fammengejeßt find, die einzig richtige. Bei einer Sprache
leßteren Art, jo wie Die unfrige ft, bat man den Vort
Geſchaͤft ſich unendlich zu erleichtern, daß man fich mit t
feder einzelnen Buchſtabenfigur befannt macht, und bare
Ueberfegen (Leſen) jene auf gleiche Weife fo zu Worten 3
ſetzt, wie fie dort zufammenftehn”. — Bon diefem erf
genden Bergliedern der Wörter in ihre Beftandteile
Methode den Namen analytijche erhalten.
Bweierlei war nun nody zu thun. „Erſtlich muf
Laute, deren Stellvertreter die Buchftaben find, in ihr:
einfachen Bildung auffuhen. Durch das Studium, das
vorher auf den Mechanismus der Sprachorgane teild aus
pologiihem, teils aus pädagogifchem Intereſſe (da beſor
Zaubftummen-Unterricht hierauf beruht,) aufs Fleißigfte ı
hatte, ward er in Stand geſetzt, diefen erften Teil der &
methode ſogleich ind Reine zu bringen. Er lernte bald ı
jonanten ohne Zufaß eined Vocals oder Schwa blos bu
der dazu nötigen Organe völlig rein und dem Ohre hö
porzubringen. Ebenſo leicht wird es felbft den zarteften
wenn man fie nur auf den Gebrauch der Organe at
macht. Viele Scyullehrer, die fih aus der blojen Bel
feinen richtigen Begriff hiervon machen konnten, wurbe
aufs Angenehmfte überrafcht, und befannten freudig: J
es, dieſes find die wahren Laute der bis jet für ſtumm
Buchftaben, wie wir fie wirklich in allen Wörtern ausſpr
Das Zweite, was cr zu thun hatte, war das weit m
Geichäft, den Stoff zufammenzutragen, au dem bie Fer
Lefen, d. i. im Verbinden mehrerer Laute zu Silben,
und ganzen Säßen nad) einer weiſen Stufenfolge erlern
fönnte, kurz: eine Fibel anzufertigen. Nachdem biefe
worden war, verſuchte er feine fünf Jahre alte Tocht
Lejefunft zu unterrichten, Mit dem Vergnügen, welches di
— 211 —
ki jeber richtigen Anwendung der in ihm liegenden Kräfte em⸗
pinbet, trieb fie das ſonſt von andern Pädagogen für troden ges
ultne Gejchäft des Leſenlernens, und nach fechSwöchentlichem Un⸗
rricht, der nur täglich in einer halben Stunde beftand, Fonnte
e nicht nur in ihrer Fibel Die Kleinen Fabeln und Erzaͤlungen
fen, ſondern auch mit berjelben Leichtigkeit in jedem Buche, ohne
bei weiter der Hülfe ihres Lehrers zu bebürfen, und ohne Rück⸗
bt, ob bekannte oder unbefaunte Worte darin vorkamen. Bulept
tſuchte er ed, ihr Wörter vorzufprechen, die fie in ihre einzelnen
eſtandteile zerlegen follte. Auch dies war ihr nunmehr ein Spiel,
Al fie mit allen Lauten befannt war, und nur Achtung darauf
ben durfte, aus welchen fie das nachgefprochene Wort zufammen-
He". Darauf wurde diefe Methode zuerft in eine Schule ein-
führt, in welcher 15 Kinder in 3 Monaten, täglich eine halbe
tunde, bis zu derſelben Fertigkeit gelangten.
Stephani empfahl ed, den Unterricht im Lefen Damit zu bes
nen, daß man das Kind zuerft die acht Grundlaute und deren
Sriftzeihen lehrte. Diefe find u, o, a, ö, ä, e, ü, i. Füri
t man noch zwei andre Zeichen, j und y. Darauf folgen Ue⸗
ngen im Ausſprechen der Vocalſilben, z. B. al, ay, au, äu, ei,
. Sodann folgen die Conſonanten, deren wir nur 17 aͤchte in
iſrer Sprache haben, weil f und v nur zwei verſchiedne Figuren
r Einen Laut find. — Damit die Kinder den eigentlichen
aut eines jeden Conſonanten lernen, braucht der Lehrer
m zu fagen: „Kinder, gebt Achtung, welchen Teil eueres
tundes ihr bewegen müßt, wenn ihr den Namen dieſes oder
ned Buchftabens herſagt“! Diefes fol nur zu einer vorläufi-
en Befanntfchaft mit diejen Lauten führen. Der Lehrer foll es
ch hierbei zur befondern Aufgabe machen, bie Kinder über die
btige Haltung der Sprahorgane zu belehren. Eben
eswegen gehen die Lippenlauter voran, weil es bei biefen Den
indern fühlbarer ift, wie fie die Lippen ſtellen müßen, um ihren
pentümlichen Laut hervorzubringen.
Hierauf folgt das Leſen folcher Silben, die blos aus Grund:
ten und einem Mitlauter beftehn, woran ſich das Leſen folcher
Rhrter anſchließt, welche aus den eingeübten einfachen Silben
14°
— 212 —
zufammengejeßt find. Stephani empfiehlt e8, da wo mehrere Ki
der unterrichtet werden, die Silben und Wörter tactmäßig ;
ſammenleſen zu laßen.
Nun folge Die nötige Belehrung und Hebung über die wi
aͤchten Buchftaben c, q, x, ph, ß, und ſodann über die Dehnung:
und Schärfungsdzeichen. Hieran ſchließen ſich Silben mit mehrere
Mitlautern, allmählich anwachſend, ſowie Beiſpiele der befonbere
Ausſprache des ch wie k. Darauf fommt der Schüler zu Uebun
gen im Silbenabteilen, wird alsdann mit einigen Xefezeichen be
fannt gemacht und endlich im eigentlichen Lefen, im Lefen gane
Säge geübt. Die Leſeſtücke müßen jedoch jo leicht verftänblid
fein, Daß eine Erflärung der Wörter nicht nötig ift; auch dar
die Lejelection nicht Durch Verflandesübungen unterbrochen werben
„Denn“, jagt Stephani, „den Kindern durch vorgezeigte Bilde
oder durch Unterhaltung mit andern Dingen den Unterricht ergep
licher machen, heift fie an Zerftreuung gewöhnen, und fie von
der in der erften Jugend fo nötigen Angewöhnung an anhaltend
und ununterbrochene Thätigfeit abhalten”. „Eben Deswegen”
fügt er Hinzu, „haben wir und gehütet, unfre Fibel mit Bilder
zu verunziren oder fie mit ſolchem Stoffe zu überladen, der nid)
in eine Fibel, fondern in das Elementarbud aller nötiger
Kenntniffe für Die unterfte Klaſſe gehört“ *). — Bid
neue Methode des Lefeunterrichteß gehörte übrigens weſentlich jche
der folgenden Periode des Volksſchulweſens an.
B. Der Schreibunterrigt.
Mit dem Schreibunterrichte Jah es in Den Volföfchulen, jet
dem derfelbe nach dein Anfange des 18. Sahrhunderts, wenigfte'
für die Knaben, ftändiger Unterrichtsartifel geworden war, |
aus **);
„Jedem Schüler wurden ohne die mindefte Vorbereitun
*) Vorftehende Mitteilungen über die Methode Stephanis find aus Larftenfer
Zeitfehrift für das Volksſchulweſen B.I. S. 342 ff. entlehnt. Vgl. außerdem Schne
ders „Ausführl. Unterricht in der Stephanifhen Elementarmethode ıc. Würzb. 1805
» Rah Zfchille, Elementarfchreibfehule (Leipzig 1845) ©. 3 ff.
— 213 —
men die Buchftaben in gewöhnlicher Größe und nach alphabeti-
‚ Mer Ordnung in dem einfadh Iiniirten Schreibeheft vorgefchrieben,
nelhe berjelbe Dann faft ohne alle Anleitung, fo gut als er konnte
oder wollte, nachmalte. Ganz unbeholfenen Anfängern zeichnete
hähftens der Lehrer die Buchftaben mit Bleiftift vor, um fie mit
Tinte blindlings überziehn zu laßen. Hatte das Kind die Seite
beruntergefchrieben, fo erhielt e8 mit der neuen Aufgabe Ddiefelbe
wgleih notbürftig und obenhin corrigirt. In einer oder der an-
dem Meife ging es nun fo das ganze Alphabet dur. Hierauf
wurde, jeden Buchftaben mit einem „„m““ vwerbindend, daſſelbe
wiederholt, dann zu den großen Buchftaben, zu ganzen Wörtern
ud endlich zu Vorfchriften übergegangen, welche die Schüler ſich
aiht felten ganz nach Belieben aus dem dazu beftimmten Behält-
ne nehmen durften. Häufig wuften Die Lehrer felbft nicht, was
meiner regelmäßigen und fchönen Handſchrift gehört. Mechaniſch,
wie fie es gelernt hatten, brachten fie e8 den Kindern wieder bei.
Kin Wunder, wenn dann diefelben, ohne das Vorgejchriebene fehr
m beachten , meift ins Unbeftimmte bin arbeiteten, Verftand und
Inteilöfraft aber dabei ganz leer auögingen. Um bie Sache recht
nehanifch zu machen, nahm der Lehrer wol auch ftatt aller Er-
hung und Verftändigung die Hand des Heinen Anfängers in
die feine und führte damit ftilfchweigend Hand und Feber des
Shülerd auf dem Papiere bin, bis der Buchftabe fertig war.
Andre benutzten das bereits erwähnte Vorzeichnen der Aufgabe
mit Bfeiftift nicht blos ausnahmsweiſe, fondern malten damit je-
em Anfänger faft Zeile für Zeile die Buchſtaben vor und ließen
ie oft jo gedankenlos mit Tinte Überziehn, daß das Kind nicht
inmal wufte, was für einen Buchftaben es fchreibe. Daher gab
ꝛs Chüler, welche Wörter und Säge ziemlich Teferlich nachmalten,
Ohne zu wißen noch Iefen zu können, was fie gefehrieben”.
„Auf ein richtiged Eigen des Kindes beim Schreiben nahm
Man faft ebenſo wenig al8 auf eine gehörige Haltung und Füh—⸗
Tung der Feder befondere Nüdficht. Höchftens wurde ed ihm
beim Beginne des Unterrichts gefagt und gewiefen, gemeiniglich
ber dann der Schüler ſich auch hierin ganz überlaßen. — Das
dt nebft Federn, Tinte und Lineal mufte von ben Schülern
— 214 —
jebesmal zur Schule gebracht und nad der Stunde wieber m
nad Haufe genommen werden. Daß bei einer ſolchen Einrichtun
häufig ein Teil der Schreibmaterialien vergeßen worden ober ve:
loren gegangen war, daß es an Schlägereien mit ben 2incaleı
an bintebefledten Händen und Kleidern nicht fehlte, iſt nur zı
leicht begreiflich”.
„Ebenfo betrübt ſah es mit der Ruhe und Orbnung wäh
rend der Schreibftunde aus, zumal wenn ber Lehrer den Bald
nicht tüchtig zu führen verftand. Denn ehe es zu einer Gorredı
des Gefchriebenen und zum Vorfchreiben einer neuen Aufgabe Eam,
mufte der Schüler, welcher in biefer Abſicht mit feiner herunter
gefchriebenen Seite an den Tiſch des Lehrers trat, unter eine
ziemlichen Anzal Mitfchüler, Die in gleicher Abfidht, oder wol auf
des Febercorrigivend wegen, fich daſelbſt verjammelt hatten, nict
jelten faft ftundenlang in Unthätigfeit warten. Zu den Ausnah⸗
men gehörte es fchon, wenn der Lehrer Tact genug befaß, dieſe
vielen Müßigftebenden in einer leicht zu überfehenden Reihe neben
einander fich aufftellen zu laßen. Meiſtens ftanden fie in einen
ungeordneten Trupp beifammen. WMittlerweilen fanden Plaube
rein, Zank und mutwillige Streidhe flatt, und zwar nicht blo
unter den Schreibenden felbft, welche aus Mangel an gehörige
Aufficht, oft nicht weniger müßig und unruhig als jene warer
oder doch nicht felten während der Zeit bie Arbeiten für and
Lehrſtunden fertigten”. — —
„Sin bedeutender Schritt zum Beßern gejchah, ald man bi
Buchſtaben in fehr großem Maßſtab vorjchrieb, Damit der Schüle
deutlich abnehmen könne, worauf e8 bei richtiger Nachbildung deu
felben anfomme. Dabei wurde die alphabetifche Reihenfolge gege:
eine zweckmaͤßiger geordnete vertaufcht, indem man mit den ein
fahhften und grundſtrichhohen Buchftaben anfing und die übrigen
nad) Ober⸗ und Linterlänge in verſchiedne Claſſen brachte. Rück
fihtlih der Beobachtung einer größeren Gleichmäßigfeit fuchten
Einige dem Lehrling Durch zwei Höhenlinien für die Grundſtriche
Andre wol auch, wie die Kalligraphen Roßberg und Heinrigs
noch außerdem durch zwei Grenzlinten für die langen Buchſtabe
zu Hülfe zu fommen. Dabei war e8 aber fchlimm, daß Die Zei
— 215 —
wt Bormalen und Nachmalen von Kanzleis Frakturfchrift, großen
Seitialbuchitaben und Schnörkeleien hingebracht wurde". —
„Um dem teilweifen langen Müßigfein der Kinder vorzu-
kugen, beauftragte man einen der zuverläßigften Schüler, alle
biejenigen, welche ihre Aufgabe vollendet hatten, der Reihe nad)
mnstiren, und in dieſer Ordnung einen nad) dem andern zur
Gorrectur an das erhöhte Pult des Lehrers zu rufen, wo nie
mehr als zwei flehn durften. Bevor nun ein Schüler an bie
Rebe kam, dem Lehrer die gefertigte Aufgabe vorzulegen und von
iha eine neue Vorſchrift zu erhalten, mufte er einftweilen das
geſchriebene wiederholen, oder der Lehrer fchrieb etwas an bie
mohe Wandtafel, das alle Schüler fo lange abzufchreiben Hatten,
biä fie aufgerufen wurden, mit ihrer Arbeit zum Lehrer hervorzu-
treten”.
„Bei dem gefundnen Auswege nun, Diejenigen Kinder, welche
at ihrem Penfum fertig waren, einftweilen mit ber an der Wand⸗
tafel befindlichen Aufgabe zu befchäftigen, war es leicht, Darauf
m kommen, das Worfchreiben in die einzelnen Hefte völlig bei
Seite zu fegen und dafür eine allgemeine Vorſchrift auf Die Tafel
n zeichnen. Bugleich verband man damit Bemerkungen, welche
um Bwede hatten, die Kinder mit den unterfcheidenden Merkma⸗
Im der Buchſtaben, ſowie der Verbindungsweife ihrer einzelnen
Beftanbteile oder Glemente bekannt zu machen. Um die Zuſam⸗
menfegung irgend eines Buchftaben noch mehr zu verbeutlichen,
ließen wol aud Manche zuvoͤrderſt den erften Strich deſſelben
Ane Zeit lang üben, fügten dann für eine andre Beile den zweiten
deſtandteil hinzu, und fuhren fo fort, bis der betreffende Buch⸗
Rabe feine Vollſtaͤndigkeit erreicht hatte, wozu oft vier bis ſechs
Inien verwenbet wurben“ *).
„Vermittelft dieſer methodifchen Verbeßerungen gejchah vor
Ulm der wichtigen Forderung Genüge, wie bei den übrigen Lehr-
gegenftänden, jo auch in der Schreibftunde eine ganze Klafje ohne
großen Verzug in eine gleichmäßige Gefammttätigkeit zu feßen und
*) Bemerkenswert iſt in diefer Beziehung 3. ©. 9. Müllers „Anleitung
wa Shönfhreiben 2c.” 2 Yufl. Rürnberg 1799,
— 216 —
fortdauernd darin zu erhalten. Naͤchſtdem gewann audy der IM
terricht etwas an Anfchaulichfeit und Gründlichkett. Der Lehn
fonnte, während die Slinter arbeiteten, herumgehen, die bei
Schreiben fo unerläßliche richtige Körper: und Feberhaltung un
Die gehörige Lage des Papiers beobachten” u. f. w.
„Nur blieb das richtige Nachbilden des Vorgeſchrieben
noch zu fehr einem dunkeln Gefühle des Schülerd überlaßen. €
fehlte zwar nicht an Hinweifungen, an Erklärungen, der Schül
blieb aber dabei zu unthätig. Daher ermangelte Derfelbe imm
noch einer Haren, vollftändigen Anfchauung und deutlichen Au
faßung der Vorſchrift“ — —
„Allen dieſen Korberungen weit genügender, Die richti
Kenntnis der Buchftaben durch zweckmäßiges Fragen entwideln
deshalb auch meit intereflanter geftaltete fich (Anfangs der folge
den Periode) der Schreibunterriht bei Pöhblmann, Stepha
und Andern, Die ihn zugleich mit als Verftandesübung benupte
Hauptgrundfaß ift es in Pöhlmanns durchgehends in dialogiſch
Form abgefaften Echreiblectionen: „ „ringe deinem Schrei
Schüler nicht nur das, was er thun fol, fondern auch die Art u:
Weile, wie er es thun fol, zum deutlichften Bemuftfein; gewöh
ihn, feine gemachten Züge genau nach dem ihm vorgelegten Ma
ftabe zu beurteilen, und fuche dieſes mit dem möglichften Zeitg
winne zu bewirken” ”. Gewiſſe Linearübungen bereiteten de
Schreiben zwedmäßig vor. Ju der Aufeinanderfolge der möglid
einfach gehaltenen Buchſtaben berrjchte die genetifche Abftammur
por. Faſt bei jedem Buchitaben bemerkte man deutlich Die He
leitung aus dem vorhergegangenen. Gleichzeitig drang man da
auf, fein Augenmerk vorzüglich auf die Anfangsgründe zu richt:
und feinen Schritt vorwärts thun zu laßen, wenn nicht Durch d
porhergegangene Uebung eine fihere Grundlage für die nachfo
gende gewonnen worden war. Zur Schärfung bes Beurteilung!
vermögend zeichnete ber Lehrer mehr oder minder regelwibri,
_ Figuren an die Tafel und veranlafte die Kinder, dad Fehlerhaf
davon nach den bereitd kennen gelernten und eingeübten richtig
Buchftabenformen aufzufuchen und deutlich anzugeben. Sowie b
ben Linearübungen bediente man fich auch zu den erften Verſuche
— 217 —
im Buchſtabenbilden einer Schiefertafel mit Stift oder gefpibter,
gehärteter Kreide, auf deren einer Seite Die bereits erwähnten
bier Höhenlinien eingerien waren. Begann dann fpäter das
Schreiben mit der Feder auf Papier, fo verftattete man den
Lindern au) da noch dieſe Linien, welche Pöhlmann bis auf
at vermehrte und fie zur Verbeutlihung bei dem Erklären der
Inhftabenconftructiou mit benugte. Andre hingegen bedienten ſich
Kiefer hinzugekommenen Bwifchenlinien als Maß für Die weniger
langen Buchftaben, wie d, t, 8, q, ſowie p und E, wenn fie
ohne Schleife geſchrieben werden. Damit diefe vielfachen, meift
roten Linien egal und fchnell gezogen werden fonnten, bediente
man fih eines eigens dazu gefertigten Roftrals.”
„Mm nody weitere Ausbildung diefer formalen Unterwei-
fungdart haben ſich mehrere ausgezeichnete Methobifer, ein Zer-
tenner, Natorp, Hergang, fowie der Lehrer Rieß, der
Lalligrahh &. Henning in Berlin, und vorzüglid — Zumpe
im Baußen verbient gemacht. immer mehr bemühte man fih, auch
ben Schreibunterricht den allgemeinen Unterrichtögrundfäßgen gemäß
zu behandeln und dabei einen in den Entwidlungsgefeßen der nas
tirlihen Anlagen des Kindes begründeten möglichſt Tüdenlofen
Stufengang aufzuftellen. Man leitete in gemißen Uebungen Die
Sääler an, alled Vorgezeichnete ganz beftimmt und ſcharf zu be-
trachten, ihre Aufmerkfamkeit mit einer gewißen Anftrengung des
Auges umd inneren Sinnes auf die einzelnen Buchftaben zu lenken,
ließ Die characteriftifhen Merkmale derfelben von ihnen genau
Wehrnehmen , in ihre Beftandteile zerlegen , dieſe miteinander
dergleichen , die allen oder mehreren Buchſtaben gemeinfamen
Grundzüge auffinden, befchreiben, benennen und nach ihrer Achn-
lichkeit und Gleichfoͤrmigkeit in gewiße Klaſſen ordnen. In dieſer
Oder aͤhnlicher Weiſe teils auf analytiſchem, teils ſynthetiſchem
ege ſuchte man eine vollkommen klare Einſicht der Buchſtaben⸗
formen bei den Kindern zu vermitteln.“
C. Der Rechnenunterricht.
Dis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurde das
Rechnen faft überall nur ſchriftlich und ganz mechanifch geübt.
— 218 —
Sleihwol behandelten manche Schulmeifter gerade das Rechnen a
ihr Stedenpferd und wuften für daſſelbe mehr als für Anderes ı
den Schülern einen regeren Sinn zu erweden. Wenn nach bei
Geſang und Gebet, nady der Ueberhörung ‚der zum Auswenbi;
fernen aufgegebenen Katechismus-Antworten und nad) ber Abfr:
gung ber bibliſchen Hiftorien Die größeren Knaben (denn bie MA
Ken nahmen felten Teil daran), ihre Rechentafeln und Rede
bücher hervorholten, um ihre Exempel zu rechnen und bie Tafel
voll Balen zu fehreiben, begann in manchen Schulen bie einzig
Zeit, in welder die Schüler wenigftend Etwas von Freude a
dem Aufenthalte im Schulhauſe bliden ließen. Natürlih we
bie Einübung der vier Species das höchfte, was der Schulmeifte
zu erreichen hoffen durfte. In Stabtfchulen wurde mol auch Bi
zur Regeldetri vorgegangen. Bon Alters ber, war hier namentlic
in den eigentlichen Schreib» und Rechenjchulen Balentin Hein
ſens Schatzkammer der kaufmännijchen Rechnung zu Haufe.
Erft feit Baſedow's, Felbiger's und Rochow's Einfluß i
die Schulen drang, begann man dad Rechnen weniger mechaniſc
zu betreiben und namentlid) auch das Kopfrechnen einzuführer
Bei dem lebteren nahm man auf das tägliche Leben infofern Rüd
ficht, als man die Aufgaben aus demjelben nahm und bie Vor
teile benußte und bereicherte , welche im natürlichen Rechnen angı
wandt wurden. Man lehrte 5. B., wenn eine Zal von zw
Ziffern mit 11 zu multipliciren ift, fo abdire man die beide
Biffern,, ſchiebe Die daraus entftehende Zal zwiſchen jene und ſprech
fie nun als Produkt aus (11X 45 —=49). Daher war da
Rechnen immer noch vorzugsweife eine Uebung bed Gedaͤchtniſſe
und eine mechanifche Anwendung fünftlicher Regeln; und das Kopf
rechnen unterjchieb fi vom Tafelrechnen nur dadurch, daß ma!
bie Operationen, welche man fonft fchriftlih vornahm, auf ein
beſchwerliche Weiſe im Kopfe ausführen ließ. *)
D. Der Turnunterridt.
Die Baſedowſchen Schulanftalten waren in dieſer Period
die einzigen, in denen das Turnen gepflegt wurde. NRamentlid
) Carſtenſen, Beitfeprift für das Volksſchulweſen, ®. I. ©. 334 ff
— 239 —
wir es Gutsmuts in Echnepfentbal, der teil durch Turn⸗
übungen, die er mit den Schülern anftellte, teild durch feine
Säriften (Spiele zur Uebung und Erholung bes Körpers und
Geiſtes [1802], Gymnaſtik für die Jugend [1804] und Turms
mim [1817]) das Verftänbnis und Die Wertſchaͤtzung methodiſcher
Leibesuͤbung zuerſt in weiteren Kreifen begründete. Allein in ben
eigentlichen Volksſchulen konnten diefe gymnaſtiſchen Uebungen vors
läufig noch keinen Eingang finden. Nur im Münfterer Lande fand
dad Turnweſen, wenigftens nach einer gewißen Richtung bin, ges
Birende Anerkennung. Der Zurkölnifche Minifter von Fürftenberg
ließ nemlich, um das Volk wehrhaft und ftreitbar zu machen, bie
Sagenb von früh auf in den Waffen üben, und fuchte ihr Luſt
zu dieſen Uebungen und zu Allem, was den Körper ſtark und ge
wandt macht, beizubringen. *) Außerdem wurben die Turnübuns
gen in den Seminarien bier und da namentlih nad Gutsmuts
Gymnaſtik eingeführt. In dem Seminar zu Schöneberg wurden
Gutsmuts Anweifungen zur Aufführung von Turniren verwendet.
Zugleich wurde bier, da es der Wille des Herzog war, bie
Gymnaſtik in den Cyclus des Volksunterrichts aufzunehmen, den
Seminariften nach und nach ein fhriftlicher Leitfaden gegeben, in
welhen die Stufenfolge der gymnaſtiſchen Uebungen methodiſch
vorgezeichnet war.
E. Die Schuldißciplin.
Das Prügelſyſtem, welches in den deutſchen Schulen wähs
rend des 16. und 17. Jahrhunderts geberricht hatte *"), behauptete
— —— —
) Geiberp, Wefphälifhe Beiträge zur deutſchen Geſchichte, B.L ©. 194
) Bon einem ſchwäbiſchen Schulmann Joh. Iac. Häberle wird berichtet,
daß derſelbe über die während einer einundfünfzigjährigen Amtsführung ausge-
teilten Prügel gemwißenhafteft Buch geführt hatte. Derfelbe hatte außgeteilt:
| 911,527 Stodfcläge, |
124,010 Ruthenhiebe,
20,939 Pfõtchen und Klopfe mit dem Lineal,
136,715 Handfchmiffe ,
10,235 Maulſchellen,
— 220 —
in denjelben auch während des 18. Jahrhunderts feine unumfchränften Ae
Herrschaft. Fortwährend eiferten die weltlichen wie die geiftlicherer —n
Behörden gegen dag rohe und wüſte Dreinfchlagen der Schulmeifter er
und ermahnte diejelben fich einer humanen Disciplinirung der Schul AÆ al
finder zu befleißigen. Allein dieſes barbarifche Unwefen erhielt fi _d
nichtödeftoweniger in den Schulen bis in das 19. Jahrhundert hinein -n.
Selbft noch zu den Zeiten Des Pädagogen Schwarz gab es Viele Fe,
welche ald NAugenzeugen darüber berichten fonnten **), „wie das ne
Schlagen alsbald nad) dem Morgengefang in förmlicher Executior on
wegen der Sünden des vorigen Tages Die Weihe war, womit man deu en
neuen Schultag anfing, und regelmäßig Die Beendigung der Schule — Te,
um die neuen Sünden, die während der Schulftunden hinzugefommess —en
waren, nun auch noch büßen zu laßen. Das gehörte in mancher —n
Schulen fo zur Ordnung, daß die Schüler immer zitterten une i
zagten, wenn das Amen des Morgengebetes herannahte. Deur nn
da ſah man den Lehrer ſchon fih mit Stod und Ruthe rüftleree —n
und nach einer der vorderen Bänke hinſehen, welche dazu gewähle I «ll
wurden, um vorerft Die gröberen Sünden durch fogenanntete 3
Ueberlegen abzuftrafen. Wir denfen noch mit Schaudern daran, st,
wie manchmal ein Knabe Dazu verurteilt war, Wochen lang jeder. en
Morgen mit diefer Execution (und das vielleicht entblöft!) denrer en
Zug der Heinen Miffethäter anzufangen, bisweilen auch ihn zum gu
7,905 Obrfeigen ,
1,158,800 Kopfnüffe und
22,763 Notabenes mit Bibel, Katehismus, Gefangbuh unß ermd
Srammatif.
Summa: 2,392,894 Prügel
Ferner muften
777 Kuaben auf Erbfen,
613 auf ein dreiediges Holz fnieen,
50,001 den Ejel tragen und
1,707 die Ruthe hochhalten,
wozu noch einige nicht fo gewöhnliche Strafen famen, die Häberle in Notfällen am?
dem Gteigreif erfunden Hatte. — Vrgl. Pädagogiſche Unterhaltungen für die GEBE.
jieher und das Publicum. Jahrg. 3. Quart. 4. ©. 407.
*) Sreimütige Iahrb. der allg. deutfhen Volkoſchulen I. &. 9.
— 21 —
beſchließen.“ — Die Auffaßung der Schule als eined Zuchthauſes,
worin dem Schüler nur Prügel, Drohungen und allerlei andere
Plogen geboten wurden, war daher fo allgemein, daß es in ber
Zeit der beginnenden Echulreformen notwendig zu fein ſchien, dieſer
Auffaßung durch öffentliche Belehrung entgegen zu treten. Johann
Weter Miller fchrieb Daher feine „Schule des Vergnügensd” (neun
Abhandlungen, welche vermehrt und verbeßert i. 3. 1765 erjchie-
nm) und Thieme (Mector des Lyceums zu Lübben) veröffents
Lihte eine Schrift unter dem Titel: „Ueber das vergnügte und
angenehme Leben auf Schulen.”
Allerdings gab es einzelne Schulmeifter, welche ſich ernſtlich
vornahmen, auch in der Handhabung der Schuldisciplin mit der
alten Manier zu brechen; aber gewöhnlich Tamen dann die felt-
Tamften fchulmeifterlihen Mandvres heraus. So erzält Felbiger *)
von einem ihm befannten „würdigen und beſonders frommen
Schulmeiſter,“ der, wenn er einem Schüler die ſchon angekündigte
Strafe körperlicher Züchtigung um feines Bittens und Zuſagens
ernftlicher Beßerung erließ, dieſes nie that, ohne binzuzujegen,
„daß der Menſch ohne Gottes Gnade nichts Gutes thun und fich
Beßern könne.” Gr ließ das Kind niederfnieen, führte ihm nad)
Beſchaffenheit der Sache zu Gemüte, wie auch Gott durch ſein
Vergehen ſei beleidigt worden, daß es auch fein Vergehen Gott
Abbitten, Beßerung verfprehen, und ihn um Gnade dazu Bitten
Müße „Er that ein kurzes Gebet mit dem Finde und entließ es
endlich. Niemald aber verfchonte er, wenn ein Kind nad) ders
gleichen Verheißungen abermals ſich vergangen hatte“.
„&ben dieſer Schulmeiſter,“ fo erzält Felbiger weiter, „machte
Po dem Knieen einen ganz befonderen Gebrauh. Niemals ließ
eT blos zur Strafe knieen. Wenn Kinder fich vergangen hatten,
arnungen und Drohungen in den Wind fchlugen, jo fagte er zu
ihnen: „Ich fehe wol, daß Gottes guter Beift euch verlaße, daß
Ihr zum Böfen arten Haug, vom Guten viel Abneigung habt.
Sud if nötig, von Gott Gnade zu enerer Beßerung zu erbitten‘;
— — —
) „Eigenfgaften „Wißenſchaften und Bezeigen rechtſchaffener Schulleute ‚"
— 99 —
knieet nieder und thut es.““ Er verlangte, daß fie mit lauten unl
eignen Worten es thun ſollten; er half ihnen, wenn ſie es nich
ſelbſt vermochten. Er that es mit kurzen Worten. Manchma
begnügte cr ſich blos aus dem Vater Unſer die Worte: „„Vergie
uns unjre Schuld, erlöfe uns vom Uebel““ zu braudhen. E
erinnerte fie aber, im Herzen eben das zu denken, was der Dun:
ſprach. Gr fügte oft fehr erbaulihe Worte bei, und war au’
merffam, mit welchen Geberden die Kinder dies Gebet ven
richteten.”
Faft nur in den Rocho wſchen und in den denfelben nad
gebildeten Schulen war eine wirklich fittlihe und paͤdagogiſch
Schulzucht wahrzunehmen. „Bill der Lehrer feinen Beruf erfüllem
jo darf er den Kindern fein Plagegeift jein; vielmehr muß er al
ein väterlicher Freund mit ernfter Liebe und freundlicher Würkz
unter den Schülern wohnen,” — das war Rochows Gebaufe
deſſen Berwirflihung aber in größeren Schulen natürlich eins
Schwierigkeit hatte.
| Do Zu
Die Snduftriefhunlen.
Seitdem Schulftein die” induftriele Beſchaͤftigung ber
Schulkinder in den neuen Volksſchulen Böhmend eingeführt uni
ald treffliches Mittel zur Hebung der Schulen empfohlen hatte
wurde in vielen Gegenden , namentlich in den katholiſchen Ländern
ber in den niedern Schulen erteilte Unterricht durch Ginrichtung
von jogenannten Induſtrieſchulen erweitert, d. h. ſaͤmmtliche Schul
finder oder diejenigen, welche die Induſtrieſchule aus freiem An:
triebe bejuchten, wurden in mechaniſchen und Handarbeiten, in
der Obſtzucht, in der Bartencultur und in allerlei anderen ge:
meinnügigen Dingen unterrichtet. Dieſen Unterricht erteilte ber
Schullehrer ſelbſt, oder deſſen Frau oder fonft Jemand, der bazu
geeignet und geneigt war. Die von den Schulkindern angefer
tigten Arbeiten wurden in ber Regel verfauft und von dem Grids
— 223 —
wurde ſodann Material zu meiterer Beichäftigung ber Kinder
angeſchafft.
Es handelte ſich hierbei nicht darum, die Schulkinder für
Den Gemeinde- oder Staatshaushalt nüblich zu verwenden, auch
wolte man zunaͤchſt nicht den Kindern felbft eine neue Erwerb
quelle eröffnen. Vielmehr hatte man die Abficht, Diefelben plan-
maßig an das Arbeiten zu gewöhnen und zu demjelben tüchtig
zu machen, was bei der herkömmlichen Beſchaffenheit bes Uns
terihts in den Volksſchulen allerdings durchaus notwendig war.
Denn da nad der alten Methode der Schulmeifter fih in den
Säulftunden immer nur mit Einem Kinde befchäftigte, fo lag es
in der Natur der Sache, daß während der Beichäftigung bes
Einen Schülers alle übrigen Schulkinder ihre Zeit mit Dumpfem -
Sindrüten oder mit Ungezogenheiten verbrachten. Vorzugsweiſe
Diiefem Webelftande follte durch induftriele Beſchaͤftigung der
Kinder abgeholfen,, Die Aufmerkſamkeit, die bisher in den Schulen
methodisch abgeftumpft war, follte gewedt und es follte ihnen
mehr Luft und Liebe zu nüplicher Arbeit beigebracht werden. Der
materielle Vorteil, der für Die Schüler und deren Eltern aus dieſer
Einrichtung gewonnen wurde, galt nur als Nebenſache.
Im evangelifchen Deutfchland war der verdienftvolle Pfarrer
Ludwig Gerhard Wagemann zu Göttingen der erfte, der (zu
Dricaeli 1784 in der Marten Pfarrjchule dafelbft) die erfte In⸗
duſtrieſchule einrichtete. Schon in den nächftfolgenden Jahren
Wurden in vielen Dörfern der Umgegend vor Göttingen ähnliche
Auftalten ind Reben gerufen und auch in andern Ländern fand das
neue Inſtitut der Induſtrieſchule bald Nadyahmung. *) Indeſſen
erhielt dieſelbe im proteftantiichen Deutſchland niemals eine fo
allgemeine Pflege wie in den Fatholifchen Ländern.
*) Ausführligere Rachrichten hierüber Rebe bei Krüniß, ökonomiſch⸗techno ˖
logfihe Cuchclopädie B. 62, ©. 59—101. Bgl. auch Lachmann (Pfarrer zu
Bramihweig): „Das Induftriefhulwefen, ein weſentliches und erreichbares Be-
dürfuis aller Bürger und Landfchulen, 1802.”
— 224 —
8. 16.
Die Sonntagsſchulen.
Eine zweite Erweiterung der Volksſchule war die Son
ſchule, die den Zweck hatte, einerſeits den durch haͤuslich
ſchaͤftigung von einem regelmäßigen Schulbeſuche abgeh:
Kindern den erforberlichften Schulunterricht zu gewähren, a
feit8 die bereits confirmirte oder zur Communion zugelaßen
gend zu einer zwedmäßigen Wiederholung des in der Schul
lernten an veranlaßen.
Gewöhnlich wird die Einrichtung von Sonntagsjd
al8 ein zuerft in England verfuchtes und von da nah D
land verpflanztes Inſtitut betrachtet *). Indeſſen kamen Son
*) So heift e8 3.8. in Rr. 65 der allgemeinen Schulzeitung vom Jahr
„Unter den Inftituten, welde Brivatperfonen ihr Dafein zu danten habeı
dienen die Sonntagsfchulen in England die erfte Stelle. Raickes, eu
druder in Glouceſter, ſah in den Straßen der Stadt an einem Sonnta
einige ungezogene Gtraßenjungen. Es jammerte ihn, daß diefe Burfche,
in der Woche ihren Eltern mit Arbeiten an die Hand gehen muften, gi
Unterrichts entbehren follten, und er kam auf den Gedanken, fie in einer
tagsſchule zu verfammeln und zu unterrichten. Das Mufter fand Beifall
glei war in London eine Gefellfchaft geftiftet, um die Errichtung der St
ſchulen, d. h. folder, worin blos des Sonntags arme Kinder im Lefen
den Anfangögründen der Religion unterrichtet werden, dur das ganze $
befördern. Dan wendete fi) zuoörderft an den edlen Menfchenfreund {
welcher fogleih duch Wort und That eifrigft mitwirkte, weil er erkann
ſchädlich es ſei, daß arme Kinder an Sonntagen fo müßig berumfchweife
wufte, wie ſchwer, ja wie unmöglid es ift, beim Müßiggange feine Sitten
zu erhalten; was für Ausfchweifungen ſogar die Kinder diefer Klaffe beginn
welde fchredlihen Folgen diefe Gewöhnung für das künftige Leben haben
wie aber eine beßere Bildung in den Sonntagsfchulen diefe Uebel hemmen
&o gering diefer Anfang war, fo waren doch in einer Beit von 3 Jah
Sonntagsfhulen ſchon in allen Gegenden des Königreichs zu finden, fo d
am 10. Detober 1785 ſchon über 50,000 Kinder zälte, welde in diefen
und guten Anftalten unterrichtet wurden, und feit diefer Zeit ift die Zal t
der auf mehrere 100,000 angewachſen. Man will aud ſchon die vortre
Folgen davon bemerken, indem ein Schriftfteller verfihert, daß feit Er
diefer Inftitute der Diebereien weniger geworden jeien, daß man im dei
— 228 —
len ſchon im 16. Jahrhundert in den Niederlanden vor, wo
8 allgemein herrichende induftrielle Leben die Kinder während
er Werktage nit zur Schule kommen ließ und daher dad Be⸗
Krfnid der Einrihtung von Sonntagsjchulen am früheften fühlbar
aachte. So heift e3 in einem Beichluffe der Synode zu Käm-
merich (Cambray) vom Jahre 1567 (Tit. 5, Cap. 1): Sub ipsa
item vesperarum hora scholis praesint dominicalibus ipsi pa-
rochi aut eorum substituti“ Die drei Jahre fpäter, i. I. 1570
gehaltene Provinzialiunode zu Mecheln erflärte: „Fit de schola
; dominicali, — quum non omnes scholas quotidianas frequentare
meint, sed multi per hebdomadam artificiis aut aliis domesti-
ci occupationibus destinentur, quorum tamen parentes ad in-
sütuendas proles suas idonei sunt; ideo ad satisfaciendum decreto
| Coeili Tridentini curent Episcopi, praeter quotidianas scholas
etiam dominicales in omni parochia institui, in quibus una aut
‚illera pars, diebus dominicis et festivis lingua vernacula bene
& distincte omnes prima principia religionis.... edoceantur
alite per pastorem aut sacellum facili et qualem illa aetas
aduittit, explicatione ad gustum intelligentiae etc.“ Aber aud)
Anderes, als die Landesſprache und die Religionslehre fol in den
Ednuntagsſchulen behandelt werten: Cap. 2: Etsi hae scholae non
; Proprie instituantur ad litteras discendas aut artem scribendi
&legendi, poterit nihilominus iuventus in illis doceri, postquam
in praedictis utcumque instituta fuerit, und zwar in der Regel
außerhalb der Kirche, in der Kirche daher nur ausnahmöweife. Cap. 4:
E nisi aptior locus inveniatur, poterunt hae scholae in templis
Mtitni Endlich wird fogar die weltliche Obrigkeit gegen bie
| Irfäumnis ſolcher Schulen zu Hülfe gerufen. Cap. 6: Ut autem
kholae illae non frustra institutae videantur, sed cum fructu
femententur, ineunda erit magistratibus loci cuiusque ratio,
— — —
biafſchaften, wo Sonntagsſchulen gehalten werden, mit mehrerer Sicherheit reife,
“nd dab die Lerker nicht mehr mit fo vielen Verbrechern angefüllt feien. In Ror-
IS gehen auch erwachſene Berfonen in die Sonntagsſchule. Dieſem Beifpiele find
| * diele andere Staaten gefolgt, und haben dieſe Inſtttute einen glücklichen
mg“ |
15
— 226 —
a parentibus obtinendi, ut iuveutus has scholas diligenter
quentet;.... idque sub certa mulcta a parentibus, si mon
proles suas ad scholam venire non curent, exigenda.“ *)
In Würtemberg waren Sonntagsſchulen ſchon im Jahr It
angeordnet worden. Späterhin, im Jahr 1739, wurde die 6
richtung derfelben nochmals verordnet. — Im Tatholifchen Deut!
land wurden jonntäglide „Wiederbolungsfchulen“ zu
dur) den Abt Felbiger zu Sagan im preußifchen Schlefien u
feit 1574 in ganz Oeſterreich, fowie ſpaͤter auch in andern Fatl
liſchen Ländern eingeführt. |
$. 17.
Die Waifenerziehung.
Ein ganz neues Syſtem machte fi) allmählich in der 6
richtung der Waifenerziehung geltend. Schon früher hatte fid |
einige Waifenhäufer eine Abänderung ihrer DOrganifation infoft
ergeben, als dieſelben nicht mehr als „Zucht- und Arbeitshäuft
betradytet und behandelt wurden (was früher wenigftens in,Bet
einzelner Waifenhäufer der Fall geweſen war). Weit wichti
jedoch war es, daß man allmählich hier und da auf den Gedau
fam, die Waijenhäufer als geſchloßne Inſtitute aufzulöfen und
Waiſen gegen Vergütung in Familien erziehen zu laßen.
zeigte fih nemlih, daß faft in allen Wailenhäufern die Kin
fortwährend von Hautkrankheiten geplagt wurden, und man
ein, daß nur Die enge Clauſur der Wailen in den meiftend ſ
engen Räumen der Waijenhäufer der Grund dieſes Uebels u
In Dillenburg, Kopenhagen, Pforzheim und Gotha wurden
ber die Waifenhäufer gejchlogen und die Waifen wurden in
milien untergebradht. Auch an anderen Orten wurde dasſe
beabfichtigt, namentlih in Hamburg und Weinar. Ju Hamb
*) Amthor, Beiträge zu Coburgs und Gothas Annalen, ©. 104.
— 227 —
fhrieb die daſelbſt beftehende „Geſellſchaft zur Beförderung ber
| Kinfte und müßlihen Gewerbe” die Preidaufgabe aus: „Die
dergleichung der Erziehung der Waiſen, entweder in einem
gewöhnlichen Waiſenhauſe oder durch Beköftigung in oder außer:
3 halb der Stadt, wo fie ihrem Stande gemäß auferzogen und
unterrichtet würden, einerjeit8 in Anfehung der Koften und audrer:
leitd in Anfehung der Kinder felbft, und der Abficht des Staates,
wvrelcher Fünftigen Nußen davon erwartet, etwas ausführlid und
A ahrungsmäßig darzulegen.” Unter den eingefandten Abhand-
lungen erhielten zwei, von denen die eine von dem Licentiaten
Starf zu Frankfurt a. M., die andere von dem Stiftöprediger
Haun zu Gotha verfaft war, den ausgejchriebenen Preis, weshalb
beide i. $. 1780 zu Hamburg im Drud veröffentlicht wurden.
In beiden Abhandlungen wurde faſt mit denfelben Gründen die
Privatverpflegung der Waifen in Rüdficht der Griparnis, der
Geſundheit der Kinder und des Gewinnes für den Staat befür-
J vwortet und der öffentlichen Erziehung in Watfenhäujern vorge-
gen. Daneben wurden auch andere Stimmen laut, welche die
Scließung der Waifenhäufer forderten. Uber fiber bie Frage,
J vie die Privatverpflegung einzurichten fei, waren Die Anfichten
J geil. Ginige meinten, daß man die Kinder teils in der Statt,
J Nil auf dem Lande unterzubringen habe; andere wollten, daß
| Me Waifen aufs Land verteilt würden; wiederum andere wuͤnſch—
|; tm, daß man die Waifen in Einem Landftädtchen in einzeluen
| Familien placiren und fie unter die Aufficht Eines Inſpektors und
Cines Arztes ftellen möchte, oder daß die einzelnen Waifen an
den Orten, an welden fie geboren und erzogen waren, in Ver-
| Megung gegeben würden. Aber auch das Syftem der Privater:
' bung felbft wurde hin und wieder im Princip befämpft, und
Mar mit jo gutem Erfolg, daß felbft zu Hamburg am 30. No-
uber 1780 befchloßen wurde, die bisherige Art der Waifener-
Webung beizubehalten, „weil man von der neuen Einrichtung und
Privatverpflegung der Waifen nicht mit Gewißheit auf beßere Er-
Nebung und Verforgung derfelben rechnen Fönne.“ Dagegen in
Beimar wurde das Waifenhaus nach reiflichfter Erwägung aller
15°
— 228 —
für und wider dad Syſtem privater Erziehung der
tend gemachter Gründe imJahr 1784 gejchloßen. *)
6, 18.
Die Bell - Lancafterfche Cehrmethode.
Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurde
land von England ber die von dem bifchöflichen Ge
Aufſeher einer Waifenfchule zu Egmore bei Madras ]
Bell (um 1790 bi8 1796) und von Joſeph Lanc
Sohn eined Siebmachers und Quäkers zu London) ve
thode bekannt, welche in Franfreich den Namen der 1
wechfeljeitigen (mutuel) Unterricht erhielt. Indeſſen
eigentliche Idee dieſer Methode darin, daß der Lehrer
durch (bereit unterrichtete) Schüler unterrichten ließ, ı
als Hülfslehrer gebraudte. Die Methode empfahl |
e8 galt, große Maſſen von Schülern, für deren info
gewöhnlichen Stil man feine ausreichenden Lehrkräfte
wo zugleich die zur Beſoldung von Lehrern und Ein
Schulhäufern nötigen Geldmittel fehlten, zu informiren
als praftiich, wurde aldbald durch Einführung des Com
in die Schule und eines nur für Maflen berechneten V
der Bewegung militärijch weitergebildet und wegen ihı
beit vielfeitig gerühmt. Tilgenfamp (Bell's Schulmeth:
burg 1808) und Natorp (Lancafter, einziger Schulm
taujend Kindern. Ebendaſ. 1808) waren die Erften,
neue Unterrichtöweife ald eine von England hHerübe
Lehrmethode in Deutjchland befannt machten.
Indeſſen war dieſe Unterrichtöweife in Deutfd
durchaus neu; vielmehr war Diefelbe, lange ehe man a
Tancafter Dachte, bier und da in einzelnen Schulanftaltı
*) Brgl. „Verſuch einer Geſchichte der herzoglichen Waifenanftali
in Henkes Archiv jür die neuefte Kirchengefchichte, B. IL. S. 20
Günther, „die Waifen in Großh. Sachſen Weimar." Weimar 1
— 229 —
ih auch ſchon um 1792 auf dem Seminar zu Kiel eingeführt
porden. *)
Der damalige Kanzler Kramer nemlich, durch welchen die
Gründung des Seminars veranlaft war, hatte in Abficht, durch
tasfelbe zugleich auf die fiudirenden Theologen einzuwirken. Es
folte eine mit der Univerfität in Verbindung ftehende, und Diefer
F um Vorteil gereichende Anftalt fein; darum wurde es in Kiel
I michtet. Die Seele des Seminar war Cramer. Derjelbe be-
wirkte e8, daß das von Muhlius geftiftete Waifenhaus mit dem:
eben in Verbindung fam, daß Lehrer angeftellt wurden und Daß
fh junge Leute zum Beſuche des Seminars einfanden. Der Uns
trriht war von Anfang an wechlelfeitig. Cramer inſtruirte und
] mterrichtete die Lehrer, welche einige Seminariften unterrichteten
J und durch Diefe wieder andere Seminariften inftruiren und beaufs
7 fhtigen ließen. Außerdem erteilten die befähigteren Seminariften
unter Anleitung ihrer Lehrer auch im Waiſenhauſe Unterricht.
Gleichwol gelang es dieſer Methode eigentlich nur in Schledwig-
holſtein heimifch zu werden. Allerbingd kamen Verſuche, dieſelbe
nahzuahmen , bin und wieder (z. B. in Würtemberg) vor; aber
nur in ſehr wenigen Schulen wurde Diefelbe genau und ftreng
durchgeführt. Außerdem ift zu beachten, Daß da, wo diefe Lehr:
methode in deutfchen Volksſchulen Eingang gefunden hatte, Diefelbe
in der Regel nicht als Nachahmung des englifchen Lehrfuftems
borfam, fondern fi aus dem Bebürfnis der Schule von jelbft
gebildet hatte. Dieſes zeigt fich z.B. iu der Schule des preußifchen
Dorfes Kley, wo im Jahr 1804 der damalige Lehrer Stab das
Bejentlichfte der Lancaſterſchen Methode recipirt hatte, ehe er von
kancaſters Einrichtungen etwas wufte. Der Notfland der Schule
und eigned Nachdenken des Lehrers hatten bier von felbft, ohne
daß von einer Nachahmung die Rede fein konnte, zu denſelben
Snfitutionen geführt, Die in England mit Lancafterd Namen be-
zeichnet wurden. Es war biefes in folgender Weife gefommen.
Als nemlich der Lehrer diefer Schule i. 3.1804 feine Stelle
zu Kley antrat, fand derſelbe etwa 70 Kinder in der Schule,
— — —
) Earftenfen, BSeitſchrift für das Volksſchulweſen, 8. II, ©. 199 ff.
— 230 —
welche unter der Sorgloöſigkeit feines abgeſetzten Vorgängers
verwahrloft waren. Der neue Lehrer gab fi alle Mühe,
verloren gegangene Ordnung berzuftellen, und ſehr bald I
derjelbe das Vertrauen der Gemeinde gewonnen. Schon |
Anfange des folgenden Halbjahres flieg die Zal der Sch
auf 100. Da dad Scuichalten zu Kley wie anderwaͤrts
freies Gewerbe angejehen wurde, fo hatten fi in den le
Jahren daſelbſt zwei Winfeljchulmeifter angefiedelt, welche un
eher ihr Beſtehen fanden, als fie bei der ſchlechten Beſchaffer
der Pfarrichule zu Kley eine Menge Kinder an fi Ioden kon
Diefe Klippfchulen fingen an, allmählich, fowie die öffentliche ©ı
in den Augen der Gemeinde fi) bob, in fich felbft zu zerfa
Der Ortspfarrer erklärte fich bereit, den etwa erforderlichen
terricht im Franzoͤſiſchen und in den höheren gemeinnüßigen Ke
niffen felbft zu erteilen und dazu täglich anderthalb Stunde
verwenden. Dieje Erklärung machte dem Unfug der Klippich
mit Ginem Male ein Ende. Die Pfarrjchule umfafte jegt |
mehr ald 150 Schüler. Die Gemeinde, welche über dieſes
blühen der Schule ihre gröfte Freude hatte, ließ das Schulzin
um das Doppelte erweitern und nad der Borfchrift des Leh
neues Schulgeräte anfertigen, Das Bimmer bildete nun ein |
liches Viereck, welches von drei Seiten her Licht erhielt. An
einen ſchmalen Seite des Bimmerd war der Sit des Lehrers
ein freier Raum. An der andern ſchmalen und den beiden br
Seiten ging rings herum ein um einen Fuß erhöhter Sik
einem Bulte für die Klaſſe der geübteren Schüler. In
Mittelparfe ftanden die niedrigen Sike und Pulte für die u
Schulklaſſe. An der Wand hinter dem Lehrer und zu den bi
Seiten defjelben hingen die ſchwarze Tofel und die übrigen W
tafeln und Tabellen. Der freie Raum vor dem Sitze des Let
war jo groß, Daß derſelbe eine Abteilung der Schüler nadı
andern, allenfalls zwanzig zuſammen, vortreten laßen konnte
Als die Schule auf einmal fo überaus zalreich gewo
war, wäre die Anftellung eines zweiten Lehrers am wünjd
werteften gewejen. Da dieſe indeffen nicht zu ermöglichen
jo blieb dem Lehrer nichtd anderes übrig, als mit angeftren
— 91 —
ı die Laſt allein zu tragen und mancherlei disciplinariſche
üttel zur Regierung uud Unterweifung der finder anzu>
. Der Lehrer führte daher eine etwas firengere Schulzucht
handhabte diefelbe mit Bonfequenz und Ernſt. Dadurch
fte er fih Stille und äußere Ordnung. Um dann
ıh eine regelmäßige, anhaltende Befhäftigung
inder zu bewirken, führte der Lehrer ſolche Lehrmittel ein,
yelhe er jedesmal eine ganze Abteilung von Schülern gleich
nterweifen oder für fi in Thaͤtigkeit feßen Eonnte. Gr
jte nemlich für die ABCſchüler eine Buchftabentabelle, für
änger im Lejen einige Sillabirtabellen, für die Rechenjchitler
Itabellen, alle in großem Formate mit Buchftaben und Bif-
n ber Höhe eined Zolles. Wenn eine Klaffe vortrat, wurde
‚belle an der Wand aufgerichtet, und an der Tabelle wurde
htet. Für Die eignen Uebungen der Schüler bediente fidh
wer beim falligraphifchen Unterricht der Jäck'ſchen Vor—
„ beim Unterricht im Rechnen der Junker'ſchen Exempel-
und bei den Uebungen im fchriftlichen Austrud einer Samm-
on Borlegeblättern, welche er ſich felbft verfertigt Hatte.
fen Ießteren ftanden Aufgaben und kurze Skizzen, ungefähr
faft, wie die in den fpäter (1810) erfchienenen „orthos
chen Borlegeblättern” Baumgartend. Das alles ging, als
al im Bleife war, ganz gut, und ließ den glüdlichften
tand ber jungen Einrichtung hoffen, fo lange der Lehrer
mit jugendlicher Kraft werde beherrfchen können. Aber
ſehr die Frage, ob auch der alternde Lehrer dazu im
fein werde. Da las berjelbe (1808) in einem öffentlichen
die Nachricht: „Zu London fei ein Schullehrer Namens
Lancafter aufgetreten, der als einziger Schulmeifter unter
Kindern in Einer Schule ftehe.. Es herrſche in dieſer
ber Geift der Stille und der pünktlichflen Ordnung. Die
tte der Schüler im Lejen, Schreiben und Rechnen feien
merfbar und fo groß, Daß fie es hierin in einem einzigen
weiter brädhten, ald in den gewöhnlichen Schulen während
janzen Eurfus von 5—6 Sjahren der Fall zu fein pflege,
eſes werde einzig und allein durch die eingeführte Schul⸗
— 232 —
dDisciplin und Unterweifungsmethode bewirkt. Ein fa
kundiger Deutfcher habe diefe Schule in London befucht, und ei
ausführliche Befchreibung derfelben von Lancaſter jelbft fei in eit
deutfchen Ueberſetzung erfchtenen.” *)
Der Lehrer eilte, fich Die Meberfeßung der Schrift Lancaſte
zu verichaffen, und gewann aus berjelben fehr bald die Ueb
zeugung, daß es zur Disciplinirung einer fo fehllerreichen Anft
al8 die feinige war, mit der Ordnung nicht genug fei, Daß
berfelben vielmehr noch Die firengfte Pünktlichkeit hin
tommen müße. Diefe war es, die er in feiner Eule fof
einführt. Mit Allem, was in der Schule angeordnet und
trieben wurde, fing es der Lehrer an, im höchſten Bra
genau zu geben. Die Kinder muften ibm nicht blos ungefk
zur rechten Zeit in der Schule erfcheinen, fondern auf d
Glockenſchlag. Nicht genug, daß fie reinlich, ordentlich
wafchen, gefämmt und ordentlich angezogen erjchienen: es dun
auch nicht Die allergeringſte Unordentlichkeit an ihı
gefunden werben; aud bei dem Armften Kinde hielt ber Leh
darauf, daß es felbft in feinen Lumpen vollfommen orbent:
und rein fein mufte. Für Kinder, die auf einem weiten Wege
nafler Witterung beſchmutzt herankamen, ftand nahe an der Sch
eine Waßerpumpe, und an der Schulthüre ein Schabeifen. W
dem Glockenſchlag begannen und endigten Die Tectionen. AU
was befohlen wurde, mufle auf den leifeften Wint ı
fogleid auf der Stelle geſchehn. Alle Schüler muften,
wie der Lehrer in die Schule trat, vor ihm langſam vorüberzie
und die Mufterung pafliren. Ein Jeder hatte feinen ang
wiefenen, mit einer Nummer bezgeihneten und n
) Diefe Bemerkung bezieht fi auf die Schriften: „Ein einziger Schulme
unter taufend Kindern in Einer Schule; ein Beitrag zur Verbeßerung der %
methode und Schuldisciplin in niederen Boltsfchulen von 3. Lancafter Ant
Englifchen ins Deutſche überfegt und mit Anmerkungen begleitet von B. C L. Rat
Duisburg und Effen 1808;" und „D. A. Bell's Schulmethodus; ein Beitrag
Berbeßerung der Lehrmethode und Schuldisciplin in niederen Volksſchulen.
dem Englifchen überfept von Tilgenfamp. Duisburg und Eflen, 1808.“
— 233 —
mei Striden abgemeßenen Plaß; nur auf diejen durfte
er fih ſetzen. Kein Tiſch, Feine Banf, feine Tafel, feine Tabelle
durfte nur im Geringften verrüdt werben. Sein Buch, Feine
Shreibtafel, kein Tintenfaß ac. 2c. durfte anderswo angetroffen
werden, als auf der ihnen ein für allemal angewiefenen Stelle.
Die Schulgeſetze muften vom Gröften bis zum Kleinften aufs
Genamefte befolgt werden ; auch die allergeringfte Uebertretung
wurde fogleich bemerklich gemacht und gerügt.
Im Bedränge der Arbeit und Zeit hatte der Lehrer in feiner
Schule bisweilen einen Schüler der oberften Abteilung mit einer
mteren Abteilnug an die Buchftabentabelle, um fie daran zu üben,
oder wie man ſich auszudrüden pflegte, um fie anfagen zu laßen,
geſtellt, während er fich in der andern Ede des Schulzimmers mit
einer anderen Abteilung befchäftigtee Dieſes war zunaͤchſt ein
Rotbehelf. Bon Lancafter lernte er indeflen aus dieſem Not-
behelf eine Regel, aus der Not eine Tugend zu machen. Bei
einer jeden Abteilung der Schule ftellte er einen gelibteren Schüler
ald feinen Meinen Untermeifter (oder Monitor, wie ihn Lan-
tafter nannte,) an. Diefe Eleinen Untermeifter muften ihm nicht
allein bei der Handhabung der Außeren Ordnung, fondern auch bei
der Unterweifung ber übrigen Schiller Hand- und Spanndienfte
thun. Sie muften darauf achten, daß die ihrer Untermeifterei
übergebenen Schüler ihre Bücher, Schiefertafeln, Schreibmateria-
lien ıc. ıc. vorjchriftSmäßig bet fich hatten, mit denfelben gut um-
Bingen, ordentlich und rein erjchienen und blieben. Sie muften die
Bücher und Schiefertafeln, wenn fie grade gebraucht merben follten,
auf ein gegebened Signal aus dem Schulfchraufe holen, herum⸗
reichen, wieder einfammeln und in den Schranf zurückbringen. Sie
Muften die aus ihrer Abteilung ausgebliebenen Schüler notiren,
am fie nachher in Die Abfentenlifte eintragen zu laßen, wozu ein
be ſonderer Untermeiſter beſtellt war; ſie muſten, wenn der Lehrer
ihre Abteilung oben an der Wandtafel oder an ſeinem Tiſche
Untermies, mitzugegen fein und den von ihm mit der Abteilung
behandelten Gegenſtand mit denſelben repetiren. Die Penſa, in
welche der Unterricht eingeteilt war, waren ſehr kurz; das „Vor:
machen“ ober Die von dem Lehrer erteilte Anweifung zum Grlernen
— 234 —
eines Penfumd dauerte jedesmal nur wenige Minuten, und ums.
war danı Sache der Untermeifter, dieſes Penfum auf die Weil —«,
wie es ihnen vorgemadht war, mit den Schülern durchzulernemen
und einzuüben. Wenn die eine Abteilung mit ihrem Untermeiftummmer
inftruirt und zum Nachüben entlaßen war, trat eine andre Abte—
lung vor. Diefed Durchlernen, Ginüben, Nachmachen, Repetivemmmı,
Nachexerciren ber Untermeifter mit ihren Schülern mufte von ihneme=n
jo ftile und leife ald möglich betrieben werden, damit das dam di ;:;
unvermeidliche Gemurmel und Geſumſe nicht in ein gellendes & +;
Ichrei ausarte. Sämmtliche Untermeifter wurden von dem Lehr ar
zu ihrem Afliftenzgeichäft von Zeit zu Zeit in bejonderen Lectioneme=n
vorbereitet und abgerichtet. Jeder Untermeifter erhielt feine > #
fondre Synftruction über dag, was er mit der ihm anvertrautemmen
Abteilung zu thun, wie er fie zu befchäftigen und in welder Oor —⸗
nung und Folge er dieſes zu thun babe, fo daß Fein einzig —
Schüler auch nur einen Augenblid ganz müßig blieb. Ein Unte
meifter aber befleidete dieſes Amt nur für einen einzigen Lech —”
gegenftand. Wurde ein neuer Lehrgegenftand vorgenommen, — 1
trat eine neue Glaffification der Schüler ein.
Die früheren brei Abteilungen (der ABEfchüler, der Amel’
fänger im Leſen und der geübteren Lefer,) aus denen nad althee =‘
kömmlicher Weile Die Schule beftanden hatte, waren alſo (une!)
das hatte fich der Lehrer aus Lancafterd Einrichtungen angeeignet, ")
in zwei Hauptklaffen umgewandelt, nemlich in die Klaffe der Ges ”
übteren, welche rings herum auf erhöhten Bänfen ſaß, und iu
die Klaffe der Anfänger, welche im Mittelpunfte der Schulftube rt
ihren Sig hatte. Während die letztere von dem Lehrer angeleitex et!
und von den Untermeiftern examinirt wurde, befchäftigte fich Ye 2 2,
erftere mit Uebungen im Schönfchreiben, im Rechnen, in der Ver— ’
fertigung fchriftlicher Aufjäge, im Auswendiglernen vorgelegter — =
Aufgaben u. ſ. f. Diefe Geübteren, die in einer Biertelftunde > :
jo viel gelehrt werden Eonnten, daß fie eine Stunde daran zu
lernen und zu arbeiten hatten (während die Kleinen unter ftiller
Aufficht ihrer Untermeifter ohne alles Geräufch mit Mebungen im |
Zeichnen und Schreiben oder auch durch gumnaftifche Uebungen ze
auf dem Schulplaße beichäftigt wurden,) hatten natürlicd feine F*
— 235 —
Eintermeifter, da dieje vielmehr aus ihnen genommen wurden. So
lange fi) der Lehrer mit ten Geübteren befchäftigte, durfte ſchlech⸗
terdings fein Wort geiprochen, fein Geräufch gehört werben. Es
; war alsdann jo file in der Schule, Daß man das Gekritzel der
FWecdern hörte. Es waren auch einzelne Pehrftunden angeorbnet,
wos überhaupt gar nicht, weder von dem Lehrer noch von den
| Schuͤlern geſprochen, fondern von einem jeden Schüler in ber
1
'
Stile gearbeitet wurde. Der Lehrer ging dabei leife auf und ab,
Jah die Arbeiten nach und Leiftete in aller Stille, wo es not that,
Nahhülfe. Diefe Stunden hießen das Silentium. Daneben
kamen aber auch einzelne Stunden vor, wo Alles laut mit und
dircheinander lernte.
Die Klaffe der Behbteren fonnte mechanifch geläufig lejen,
Ichreiben und rechnen; die andere Klaffe konnte dieſes noch nicht,
ſondern lernte ed. Jene, die Beübteren, ließ der Lehrer leſen
amd ſchreiben, nicht mehr um ihnen den Mechanismus des Lejens
und Schreibens anzueignen, fondern um durch Leſen und Schreis
ben ihnen Einfichten, Kenntniffe und Geſchicklichkeiten beizubringen.
Die zweite Klaſſe war nach den verſchiednen LTehrgegenftänden in
Einzelne Abteilungen claffifizirt. Dieſe Glaffification war durch die
einzelnen Stufen des Lehrcurfus beftimmt. In der Abteilung der
Leſeſchüler z. B. waren (mit Zugrundlegung der Stephaniſchen
Leſelehrmethode) nach den Stufen des Unterrichtscurſus fünf Un⸗
terabteilungen gebildet, deren jede auch ihre beſonderen Baͤnke und
Untermeiſter hatte. Die Schuͤler der unterſten Abteilung (Vorbe⸗
reitungsclaſſe) wurden auf das Leſenlernen durch Sprechenlernen
vorbereitet, und geübt, ihre Organe richtig zu gebrauchen, und die
einzelnen Sprachlaute, Silben, Wörter, kurzen Säge richtig und
geläufig auszuſprechen. Die zweite Claſſe (Vocalclaffe) lernte bie
Scale kennen; die dritte (Diphthongenclaſſe) die Vocalfilben;
Die vierte (Sillabirclaffe) Ternte die Conſonanten mit fämmtlichen
Bocalen und Diphthongen verjchiebentlih zufammengefeßt aus⸗
ſprechen. Die fünfte (Lefehbungsclaffe) übte ſich im zuſammen⸗
Hängenden Lefen. Auf ähnliche Weiſe waren auch die Schreibe
ſchüler und bie Rechenſchüler nad) den Stufen des feftgefeßten
Lehrcurſus in mehrere Abteilungen geteilt. Kein Schüler rüdte
.!
t
N
H
N
7
— 236 —
in die nächftfolgende Abteilung hinauf, wenn er nicht de
ber vorhergehenden Abteilung durchgeübt und völlig gel
Da die Eurje fo beflimmt abgemeßen, die Stufen fo ;
gegeben und Die Penfen einer jeden Lehrftufe fo klein w
fühlten fih die Schüler zum Lernen, Ueben und Wei
lebhaft ermuntert. Sie fonnten fi ihrer Fortſchritte
wujt werden, und mwuften, mo fie grade fanden, weld
fie hinter fi), welche fie vor fi hatten. Manche Kind
nur einen einzigen Tag in einer Abteilung fihen. — I
vielem Andern, jo erhob ſich die Schule über LTancafteri
tung dadurch, daß in ihr (in der Klaffe der Geübteren)
hanifche Leſen, Schreiben nicht als ſchlechthinniges Ziel
zugleich als Mittel zur Erreichung des eigentlichen höher
nemlich der Aneignung von Kenntniffen und Gefchidlich
gejehn wurde.®).
Gine trefflihe Einrichtung war e8, daß der Lehrer,
in anderen Schulen für eine Mafle von Lehrgegenftänd
graphie, Naturkunde, Gejchichte, Technologie, Gefundheiti
in jeder Woche einzelne Tehrftunden angeordnet waren, it
einen einzigen Lehrgegenftand auf ber Tagesordnung bi
nicht eher zu einem andern Fache überging, bis jenes fo
das Lehrbuch führte, binlänglich gefaft worden war. Di
Einrihtung verhütete der Lehrer jene heillofe Berfplitte
Unterrichts, durch welche den Echülern das Lernen erfchı
Fortſchreiten unficher, ihre Aufmerkfamkeit zerfireut und i
oberflächlih wird. — Monatlich zweimal teilte der 8
Schülern in der für den Unterricht in gemeinmüßigen Di
gejegten Stunde einzelnes Wichtige aus den Zeitungen m
eine große Wandkarte von Europa gebraucht wurbe.
Da das ganze Syftem der Schule vorzugämeije
fefte Disciplin gegründet war, fo hatte es der Lehrer
gefunden, fich mit einem Ausſchuß aus der Mitte der S
umgeben. Dr. Bell hatte in feiner Schule zu &gmore bei
in Oſtindien eine Jury von Schülern errichtet, welche u
*, Nah Natorps Briefmechfel einiger Schullehrer und Schulfre
©. 102 — 121.
— 237 —
Bert Fraͤfidium des Schulmeifters über die Befolgung der Schul-
geſeze wachten und über die Uebertreter derſelben das Urteil
ſprachen. Bell fagte von Diefem Gerichte, es gebe dem Schul-
meifter gleichfam die hundert Hände des Briareus, die hundert
Augen ded Argus und die Flügel des Mercurius, Nah Bells
4 Bergang hatte daher der Lehrer ein eigued Schulgericht angeord-
4 net. Daſſelbe beftand aus ben ſechs oberften Schülern der Klaſſe
{ia der Geübteren, wenn biefe von ihren Mitfchülern felbft wegen ihr
4 res Fleißes und Betragens als die ſechs oberften anerkannt wor-
den waren. In der legten Schulftunde jeder Woche unterfuchte
dad Schulgericht Die Uebertretungen des Geſetzes und die Klagen
der Untermeifter. Die Strafen, welche fie beftimmen fonnten, wa⸗
in Degradation, Schularreft und Notirung im Genfurbuche, aus
welchem jährlich bei Gelegenheit des öffentlihen Examens für je
den Schüler die Genfurzettel gejchrieben wurden. Körperliche Züch-
tigung wurden in der Regel als unftatthaft angejehn. In einem
einigen Notfalle, der im Laufe von zwei Jahren vorfam, wurde
Erperliche Züchtigung von dem Lehrer allein verordnet. Uebrigend
wurde Alles, was Lancafter über Prämien, Ehrenbezeigungen und
Strafen beftimmt hatte, von der Schule fern gehalten, indem e8
der Lehrer ald Grundſatz fefthielt, daß Belohnungen und Strafen
in der Schule überflüßig, und daß Schüler nicht mit der Macht
des Armes, fondern mit der Uebermacht des Geiſtes vegiert wer-
den müßen.
AS Ergebnis aller dieſer mit der allergröften Sorgfalt übers
machten Ginrichtungen berichtete der Lehrer Stab am 16. Februar
1809 an einen Freund: „Es wird vielleicht auffallen, wie ich fo
Diele Zeit finden fann, um den angegebenen Kurjus in gemein-
nũtzigen Kenntniffen und den biblischen Kurjus mit meinen Schü-
lern zu machen; da man doch gemeiniglich fehon feine liebe Not
Bat, die Kinder während der Echuljahre zum Lefen und Schreiben
ar) zum Auswendigwißen des Katechismus zu bringen. Einzig
und allein die beßere Lehrmethode und Disciplin macht mir dieſes
masglih. Diejenigen Kinder, welche regelmäßig zur Schule fom-
‚ men, gejunde Fähigkeiten haben und ſich in die eingeführte Schul-
Ordnung willig fügen, erlernen das Lefen und Schreiben bis zu
— 238 —
einer ziemlichen Gelaͤufigkeit in Einem Jahre, und daher
mir wenigſtens 3— 4 Schuljahre übrig, um meinen Kur
ihnen zu machen. Der Schulbefuh ift aber im Ganzen |
dentlich; die Kinder lernen durch meine und der Schule O
felbft die Ordnung lieb gewinnen; fie fürchten Das Abjenzbi
Degradation, das Zurüdbleiben Hinter ihren Kameraden,
Unwillen, die Tage des Examens und den Pfarrer, weld
jchlecht vorbereiteten Kinder unerbittlih vom Katechumene
richte und von der Konfirmation gewißenhaft zurüdweift; ı
ber laßen fie ſich jelten Schulverfäumnifje zu Schulden komm
$. 19.
Sdhulfeke
Aus den Tateinifhen Schulen ging in einzelnen G—
das Gregoriusfeft auch in die Volfsfchulen über. Die Sci
feierten den Tag mit öffentlichen DBeluftigungen und mit
und erfreuten fi) an den Brezzeln und anderen Dingen, di
auf Gemeindefoften gereicht wurden. Außerdem famen h
da einzelne Schulfefte vor, die rein Iocaler Art waren. (
ches jährlich wieberfehrende® Schulkinderfeft war 3.8. zu
leben im Herzogtum Gotha üblih. Dafjelbe fol nach Beer
des Dreißigjährigen Krieges entftanden ſein. Es wurde all
auf den 2. Pfingfttag nad) dem Nachmittagsgottesbienfte v
Schulfnaben begangen und in der Mitte des vorigen Yahrb:
folgendermaßen bejchrieben: Nachden ſich Die Schulfnaben fä:
mit verjchiedenen Bändern gepußt, Die Röde aufgefchlagen
die Hüte rundum mit weißer Verzierung, ftatt der Treffen,
haben, verjammeln fie ſich mitten im Dorfe auf dem foger
Lindenhügel, wo fie von den älteften Schulfnaben in O
geftellt werden. Darauf beginnt der Zug auf Buntge'
Stedenpferden. Der Erftere, der ihn führt, trägt eine lan
Weideuftange, welche cbenfalld bunt gejchält ift, und an
noch einige Zweige hat. Zuerſt reiten fie nad) Der Waßer
) Natorp, Briefwechfel, 8. III. 6. 136.
— 239 —
wo fie, nebft einigen Ergoͤtzlichkeiten, einen trodenen Kuchen, der
in bie Zweige der Stange eingebunden und noch überdieß von den
Schulmädchen mit Bändern geziert wird, erhalten. Von da reiten fie
im ordentlichen Zuge unter dem freudigen Rufen: Vivat die Iufti-
gen Bfingftreiter hoch! nad) des Schultheißen Behaufung, darauf
im die Adjuncturwohnung und alddann vor das Gantorat. An
diefen drei Orten erhalten fie ebenfalld eine &rgöglichfeit und
einige ganze Kuchen. Auch wirb ihnen von dem jebeömaligen
Lehntraͤger des Witzlebiſchen Erblehnguted ein Kuchen verabreicht,
den die ſaͤmmtlichen Beſitzer defjelben dem Lehnträger aus ihrer
gemeinfchaftlichen Gafle vergüten. Bon da geben fie mit einem
anhaltenden Freudenruf: Es Ieben die Pfingftreiter hoch! nad
dem gemeinen Springbrunn, fonft Hauptbrunn genannt, um wel
hen fie einmal herumreiten, und ſodann nad dem Badhaufe, wo
fie nody einen Kuchen befommen, welcher zugleich, nebft den andern
geſchenkten Kuchen, in Stüden gefchnitten und unter fämmtliche
Knaben verteilt wird. Nun zerichlagen fie dajelbft ihre Steden-
pferde, Buntjchäde genannt, und begeben fi, jeder Knabe mit
einen Schulmädchen an der Hand, auf den Tanzboden, wo fie
fi fo lange beluftigen, als es ihnen erlaubt wird. Diefed Kin⸗
derfeft zieht von den benachbarten Ortfchaften viele Zufchauer her-
bei, und ermuntert die Eltern, ihren Kindern die Schule angenehm
du machen, erwedt auch die Kinder, um nicht von Diejer ländlichen
Kinderfreude etwa wegen Unfleißes zurüdgewiefen zu werden, bie
Schulzeit wol anzuwenden.”
An manchen "Orten hatten fogar Faſtnachtspoſſen in den
Säulen Eingang gefunden. So war es in vielen Dörfern
Baiernd Sitte, daß die Kinder am Faſtnachtstage auf folgende
Art zur Schule binausgeprügelt wurden: Der Lehrer febte ſich
unweit der Thüre auf eine Bank, breitete feine Süße weit aus,
und hielt einen Bafel in der Hand. Die Kinder muften nun hin-
durchſchlüͤpfen, um zur Thür hinaus zu kommen, und wer nicht
Techt geſchwind war, befam tüchtige Hiebe auf den Hinteren. Da
Alles diefes nur ein Schwanf fein, und dem Lehrer ein Faſtnachts⸗
Seſchenk eintragen follte, jo erlaubten ſich die Kinder auch hierbei,
Dem Lehrer in die Waden zu fneipen, ober ihn wol auch mit der
— 40 —
Bank, zu allgemeiner Beluſtigung, umzuwerfen. — Seit dem —
fange des neunzehnten Jahrhunderts wurde indeſſen Diefe Fam
nachtspoſſe faſt überall abgeſchafft *).
Auch in Marburg waren unter den Schülern eigentümli
Bewohnheiten zur Zeit der Faftnachten üblih. In der Pres
teralfigung der reformirten Gemeinde daſelbſt am 25. Febr. 168
wird nemlich gellagt, „Daß bei Anfang der Faſtnacht die Kine
von den Dörfern mit ihren Schulmeiftern, und zwar die Kind:
in weißen Hemden, umgegangen und gejungen, welches einem Kal
nachtsfpiele ähnlich und nicht zu dulden fei.” **)
$. 20.
Die Schullehrerfeminarien und anderweitigen Einrichtungen zur Ausbildung @
Dolkefchullehrer.
Der Gedanke, dab wenn man das Volksſchulweſen he—
wolle, notwendig auch auf die Vorbereitung zukünftiger Volfejde =
lehrer Bedacht genommen werben müße, war zuerft von U.
Sranfe in Halle ernfllidy erwogen worden, der feine Schulen e 4
gerichtet hatte, um fich feine Lehrer in benfelben felbft heranzuc®
ben. Heder, der aus Frankes Schule hervorgegangen war, ri =
tete Daher in feiner Realjchule zu Berlin i. J. 1748 ein wirklich
Schullehrerfeminar (auch „Schulmeifter-" oder „Küfterfemina—
genannt) ein. Der Wert einer ſolchen Einrichtung wurde aldba
allgemein anerfannt und von allen Seiten her wurden daher Stir—
men laut, welde die Einrihtung von Schullehrerjeminarien fo -
derten. Schon Baſedow hatte fi in feinem Methodenbud vo
1771 (S. 8) energisch ausgeſprochen. Rochow bezeichnete e⸗
im Vorwort zu Riemannd Beichreibung der Reckanſchen Schule
ald das „einzig Notwendige, daß ein VBoltsjchullehrerjeminariuns
angelegt werde, worin chriftlich gefinnte gefchiete junge Männes
auf Koften des Staatd von einem mufterhaft chriftlichen d. i. edv
*, Etephanis Baierifher Schulfreund, B. 25, &. 136.
+) Nach dem Protocolbud der reformirten Gemeinde zu Marburg.
— 241 —
ulenden Manne zu Volkslehrern gebildet würden“. Noch eifriger
ng Herder (gefammelte Schriften, T. 22. S. 17. 39.) dars
„ daß endlich dieſes allerwefentlidhfte Bedürfnis der Volks⸗
le berüdfichtigt werde. Reiche Privaten opferten Summen,
dad, was die Ebdelften der Zeit ald unabweisbares Bedürfnis
Volkes erkannten, verwirklichen zu helfen. Niemand aber
hte dem Intereſſe der Schule ſolche Opfer, wie der Graf
ſtav von Shlabrendorf (F 1824), der dem evangelifchen
ninar zu Breslau auf eine Reihe von Ssahren eine jährliche
ibende von 1250 Thlrn. auszalen ließ, und außerdem 100,000
x. zur Grrichtung eines anderen Seminars in Schlefien tefla-
ntariſch ausſetzte *).
Aus dieſem ganz allgemein gefühlten Bedürfnis und überall
dgegebenen Verlangen erwuchs im Laufe des 18. Jahrhunderts
e große Anzal von Schullehrerſeminarien, deren Wirkſamkeit
e beßere Zukunft der Volksſchule hoffen ließ. Es entſtanden
mgeliſche Seminarien zu Hannover (1757), zu Breslau (1767,
ven dem ſchon 1765 daſelbſt gegründeten Fatholifchen Seminar),
*) Briefe Schlabrendorfs, weiche derfelbe auf feinen Reifen au Heidelberg,
fd, Gtraßburg u. f. w. in den Jahren 1780 und 1781 gefchrieben, beurtun-
‚ wie eifrig fi) der edle Graf mit dem Gedanken befcäftigte, nad) feiner Rüd-
ein die Seimat (die leider nicht erfolgte, indem er in fremder Erde begraben
,) eine pädagogifche Anftalt zu begründen. In einem diefer Briefe findet fi
gender (in der „Beitfchrift für Proteftantismus und Kirche” 1839, &. 67 nad
n Original abgedrudter) Entwurf einer Yundationsurfunde vor:
„Boltsfullehrerfeminar. Wer zweifelt an der unbefcreiblihen Wichtigkeit ?
augenfcheinlichen Bedürfnis ? Meinem Herzen unter Allem das Theuerſte.
ifichfter Ort auf dem Lande. Ratürlih flumpfe, träge, ohne Kinderliebe, kalte
uldriften ganz unfähig zur Aufnahme. Anzal etwa zwölf. Nicht über feche-
', daß nicht gar Schlendrian eindränge und Menfhen wie Staare gezogen
den, Dorffchule mit dem Seminar verbunden. Lehrer zugleich Auffeher über
Seminariften. Kinder zahlen nichts. Kommen mit Luft. Eltern fchiden fie
L Unfhidlid zum Lefenlernen find Katechismus und Bibel. Ehrmürbiges Buch,
mt als Wolthat in die Hände. Mittelpunkt alles Schulunterrichtes: Beßerung
Serzens und Wandels durd die Lehre Jeſu. Sol aufs ganze Leben, Denten,
ıdein wirken. Nicht Gedächtnislaſt. Auch nicht Erkenntnis ohne Liebe und Aus-
mg. Bibel einzige, erfte und fihere Duelle Muß alfo gekannt und verftanden
‚den, fofern fie Religion enthält.
16
— 2492 —
zu Meiningen (1778, teild dur Die Freigebigkeit ded Hei
teil8 durch Beiträge der dortigen Freimaurerloge,)*), zu |
(1779), zu Kiel (1781, unter Ghriftian VIL auf Betreibei
Kanzlers Cramer und des Staatöminifter8 Grafen von Bern
jowie der jchleswigsholfteinifchen Nitterfchaft, welche ein bebe
bed Geſchenk Dazu gab,), zu Gotha (1783), Dresden (1'
Dehringen im Hohenlohifchen (1788), Weißenfels (1794),
burgbaufen (1797), und ziemlich um diefelbe Zeit zu Det:
Halberftadt, Minden, Idſtein, Sleindexen (in Preußen) 8
Glatz, Oberglogau, Freiberg, Plauen u. f. w.
Leider litten indeffen alle diefe Anftalten an dem Hau
ler, daß fie nicht als felbftftändige Inſtitute beftanden, ſo
nur als Anhängjel von Gymnaſien, Realſchulen (in Berlin),
ſenhäuſern und anderen Schulanftalten eine ganz prefäre,
mütterlih gepflegte Exiſtenz hatten. Banden fib auf ı
Gymnaſium einige Schüler, welche, weil fie nicht höher b
ftreben fonnten, geneigt. waren, Volksſchullehrer zu werden, |
‚man fie neben dem gewöhnlichen Gymnaftalunterricht noch
befondere Lehrſtunden in Paͤdagogik, Katechetik, Muſik aud
Agricultur, Obſtzucht u. dgl. beſuchen, gab ihnen einen Geiſt
zum Inſpector, geſtattete ihnen ſich durch Privatunterricht in |
lien und durch Currentſingen auf den Straßen noch einiges Ge
verdienen, verwilligte außerdem für einige Alumnen Stiper
Freitifche u. Dgl., — und man nannte dann das Ganze ein €
lehrerfeminar. Während daher die Volksſchule Lehrer bebı
die ihrem Amte mit ganzem Herzen zugethan und für ba
wirklich und ernftlich vorbereitet waren, recrutirte fich derj
Teil des Lehrerſtandes, welcher als das eigentliche Salz deſſ
gelten follte, aus verfommenen Gymnaflaften, die nicht unte
fünftigen Volksſchullehrern, ſondern unter zukünftigen Stud
aufgewachjen und ebenſo wenig zu einer pädagogijchen ale
claſſiſchen Bildung gefördert waren.
Um diefem jedermann einleuchtenden Uebelftande abzuh
rihtete man Gonvicte, beßere Lehrplane und Seminarordnu
*) Sutsmuts, Neue Bibliothek für Pädagegit, Imnius 1818, ©. 1
— 243 —
ı und behandelte die Seminarien mehr und mehr als ſelbſtſtaͤn⸗
je, von anderen Lehranftalten unabhängige Inſtitute. Aber auch
erbei zeigte es fich, daß jelbft Die jo verbeßerte Einrichtung von
;eminarien, in denen immer nur eine jehr geringe Anzal von
Wolingen unterrichtet wurde, zu dem wirklichen Bedürfnifje Der
zollsſchule in gar feinem Verhältnifje ftand. Bereitete ſich Doch
mmer noch die größere Anzal von zukünftigen Lehrern fortwährend
hhne Aufficht und geordnete Anleitung im Gejellendienfte bei ein-
einen alten oder gar untauglichen Schulmeiftern für das Lehramt
or, Notwendig muſte man daher, als das Intereſſe für ein
eßeres Volksſchulweſen lebendiger angeregt war, darauf bedacht
in, die Maſſe der ſchon angeftellten Schullehrer zur Befolgung
md Vollziehbung der neuen Schulordnungen zu befähigen. An
nanchen Drten (3. B. in Felbigerd Wirfungsfreis) wurden die
Säulmeifter eines beftimmten Bezirks irgendwohin befchieden, wo
ie mehrere Wochen hindurch inftruirt wurden. Un anderen Orten
daten die Pfarrer beauftragt, ihre Schulmeifter zu bejcheiben und
inufchulen. Hin und wieber wurden zu dieſem Behuf Lejevereine
md Konferenzen angeordnet. Eine ganz eigentümliche Anftalt zur
Bildung der WVolksjchullehrer wurde noch vor dem Jahre 1800
ondem Pfarrer Goes zu Külsheim bei Baireuth errichtet*). „Die
Mitglieder der Anftalt waren in zwei Zirkel geteilt. Die entfernt
vohnenden Mitglieder, welche den Lefezirfel bildeten (und einftweilen
M gegen 20 Individuen faften), konnten natürlicherweife nur durch
Geiftlihe Belehrung Fortfchritte in ihrer Ausbildung machen. Zur
Berichtigung umd Erweiterung ihrer Keuntniffe erhielten fie daher
vom Pfarrer Goes bei jeder Sendung 3 Lefebücher franfirt, Die
Sntereffe für den Lehrer an Bürger: und Landfchulen hatten, und
die jie nach Verlauf dreier Monate portofrei zurückſenden muften,
% fie dann wieder neue auf eben jo lange Zeit und fo von
Uvortal zu Quartal fort erhielten. Damit aber die Leſebücher
m jo mehr mit Bedacht gelefen und ftudirt, die Mitglieder aber
auch zugleich im Stil geübt wurden, fo war es unnachläßliche Ber
— — —
*) Bgl. die „Bibliothek der pädagogiſchen Literatur” B. III. St8. ©. 214 ff,
we Goes feine Anftalt felbft befchreibt.
16°
— 24 —
dingung des Inſtituts, wenigftend über eine der mitgeteilten Schri
ten eine Recenſion oder ein Gutachten und zwar nach nachfolgen
den drei Nummern zu fertigen und dem Vorſteher zur Correctun
zu überjenden, der fie dann mit feinen Bemerkungen begleitet ent
weder dem PVerfaßer wieder zurüdichidte, oder zu feiner Zeit, war
ed anders ein gut gelungenes Product, mit den übrigen Acten des
Inſtituts dem Königl. Sonfiftorium zu Ansbach einlieferte. Zuerſt
mufte nämlich der Inhalt des Buches nach deſſen Hauptrubriken,
dann das Gute und Zwedmäßige, und zuleßt das Ueberſpannte,
Unzuläßige oder Schlechte angegeben und darüber, fo gut man
fonnte, räfonnirt und reflectirt werden. In der Lehrmethode ſuchte
man die Mitglieder dieſes Zirkels teild durch Mitteilung hierauf
fich beziehender Schriften, teil& durch fchriftliche Urteile darüber,
ſowie Durch Katecheſen, die fie beide ausarbeiteten und von letzteren
jedes Semefter wenigftens eine dem Vorfteher übergeben muften,
mehr zu vervollfommnen. Der andere Zirfel begriff die dem Ver⸗
ſammlungsorte zunähft wohnenden Mitglieder, gegenwärtig 15 an
der Zahl, und bildete den fogenannten Seffiongzirfel. Man ver
ſammelte ſich nemli im Sommerhalbjahre alle 14 Tage und im
Winter von 3 Wochen zu 3 Wochen Mittwochs in dem Schul
baufe zu Kühlsheim, und fiel gerade an diefem Tage üble Witte:
rung ein, jo wurde die Sißung auf den nädftfolgenden Son"
abend verlegt. Die Mitglieder erhielten nebft der fchriftlichen Be
lehrung durch zweckmaͤßige Lefebücher, über die fie Recenſionen wit
die Mitglieder des Lejezirfeld fertigen muften, auch mündliche Be
lehrungen von dem Vorfteher. Denn nicht nur beurteilte er in je
der Seffion eine und die andere ihm eingereichte fchriftliche Arbei
jondern bielt zugleich über gemeinnüßgige Lehrgegenftände ſowol 3°
Erweiterung ihrer Kenntniſſe ald zur WVerbeßerung ihrer Lehre
Vorträge in Dialogifcher Manier. Ueber foldhe Katechiſirübung
wurde jederzeit von der Verfammlung auf eine urbane Art ei:
Discuffion angeftellt, wobei der Vorfteher feine Meinung über &
ven Wert zuleßt äußerte. Auch die Lefeblicher wurden ihm bei d+
Seffionen von den Mitgliedern wieder eingehändigt und neue u‘
ter fie ausgegeben, die dann, um Unordbnungen vorzubeugen, ve
dem Kopiften in einem bejonderen Manual mit dem Namen ba
— 246 —
kinpfaͤngers notirt, und worin überhaupt alle Arbeiten des Vor⸗
Jkehers und ber Mitglieder eingetragen wurden. An ſolchen Ver:
kmmlungstagen kamen ebenfalld öfters intereflante Gegenftände
8 der Schulpolizei und Disciplin, oder auch andere in das
Shulwefen greifende Fragpunce zur Sprache, und vorzüglich)
Inhte der Vorfteher die Mitglieder darauf aufmerffam zu maden,
ob und inwiefern Die in den umlaufenden Schriften geäußerten
Rünfhe und Vorfchläge zur Verbeßerung des Landſchulweſens
nad Zeit und Ort eine Anwendung zuließen, zu welchen Bemer⸗
fingen und Reflexionen ihm die eingereichten Recenfionen vorzüg-
ih Gelegenheit dDarboten. Damit aber Ruhe und Ordnung wäh:
ind der Seffion bewahrt und überhaupt das zum Beſtande des
Inſtituts abjolut notwendige gute Vernehmen unter den Mitglie-
dern erhalten würde, durfte weder leidenfchaftlich Disputirt, noch
gend ein Mitglied wegen gegebener Blöße perfiflirt werben; hin⸗
gegen wurbe ein wechjeljeitiges humaned und gefitteted Betragen
den Mitgliedern zur Pflicht gemacht. Am Ende einer jeden Seſſion,
die gewöhnlich 3 Stunden dauerte, wurde auf Befehl des Eonfifto-
ums zu Ansbach ein Protocol über das dabei Verhandelte mit
der Namensunterzeichnung des Vorfteher und der Mitglieder auf-
genommen. Die Protocolle nebft den übrigen Acten wurden in
halbjährigen Terminen der benachbarten Dberbehörbe zur Revifion
Ängereicht. Außer pädagogijchen Schriften wurde auch allerlei
gemeinnügige Literatur in Umlauf gefeßt. Von periodifchen Blät-
ten wurbe die Nationalzeitung und Berrennerd Schulfreund ge
halten. Die Gefellichaft hatte feinen andern Fonds als Die Bei-
träge ded Vorfteherd und der Mitglieder, von denen jedes jährlid
fl. rheiniſcher Währung zalte”.
Aehnliche Einrichtungen entftanden auch an anderen Orten
und brachten überall den Volksſchulen der nächften Umgegend in
meht als Einer Hinficht reichen Segen. Denn man überzeugte
N hierbei bald, daß die zufünftigen Lehrer während ihres Auf:
nthaltes in den Seminarien notwendig mit der Volksſchule mehr
vertraut gemacht und durch praktiſche Uebungen in berjelben für
ihren Beruf vorbereitet werden müſten. Daneben hatte man laͤngſt
eingeſehen, daß die Disciplin unter den Seminariſten, die als Ge⸗
— 246 —
noßen der Öymnafiaften nur zu gewöhnlih ganz unbeadhtet
laßen wurden, eine andre werden müße.. Mehr und mehr ne
man daher darauf Bedacht, den Seminarien eine ſolche Einricht
zu geben, daß die Seminariften praktiſch ausgebildet und di
fich felbft — was ohnehin durch die convictorifhe Einrichtung ı
durch den gewöhnlichen Mangel an LXehrerperfonal zur Notweni
feit gemaht war, — in Zucht erhalten würden. Man Iı
daher bei den Seminarien Freifchulen, Armenfchulen an o
brachte fie wieder mit Waifenhäufern oder andern Anftalten,
denen die Seminariften lehrend lernen follten, in Zuſamm
bang, und ordnete Anfpectionen unter den Seminariften an. '
Einzelnen waren dieſe Cinrichtungen fehr verjchiedenartig. |
den Seminar zu Schöneberg, welches freilich erſt in der folgen
Periode, nemlich 1. J. 1807 gefchaffen wurde, hatte man eine Norn
\chule verbunden. Diefe beftand aus einer Auswahl einzelner A
lungen von Schülern, welche aus ten Schulen des Orts genomi
wurden. Den Unterricht erteilten die Lehrer des Seminars ſel
aber im Beifein einzelner Abteilungen der Seminariften. Zuwe
wurde die Normalfchule auch als eine vollftändige, aus a
Schülerklaſſen beftehende Volksſchule conftituirt, wie fie Die 9
paranden fpäterhin in Der Regel auf dem Lande und in Flein
Städten vorfanden. In der Regel mufte Die Abteilung der
minariften, welche eben erft in ver Methodik irgend eines Leh
genftandes unterrichtet waren, denjenigen Lehrftunden der Nor
ſchule, in denen dieſer Gegenſtand behandelt wurde, beiwohr
Sleichzeitig war ein Teil der übrigen Seminariften in die Sch
des Orts verteilt, um Dafelbfi den Unterricht mit anzuhören ı
auch felbft aushülfgweife zu unterrichten. — Um die Aufredht
tung der Disciplin und Hausordnung zu erleichtern, hatte ma:
fünf Seminariften zu einem Sobdalitium unter einem Senior '
einigt, welcher eine brüderlicye Aufficht führte, für die Handhab
der äußeren Ordnung forgte und feine Sotalen bei ihren Ar
ten unterftüßte. Die Senioren waren mit einer bejonderen
ftruction über ihre Amtsverwaltung verjehen, genoßen auch befor
Deneficien und wurden zur Beſetzung der beßeren Schulſteller
Vorſchlag gebracht. Zum Behufe praktifcher. Uebungen conftituin
— 247 —
ih bisweilen einzelne oder mehrere Sodalitien zu einer Schule, in
gelber balb der eine, bald der andere Seminarift den Lehrmeiſter
nachte. — Um die neue jeminariftiiche Bildung einigermaßen auch uns
ter bie ältern Schulmeifter zu bringen, veranftaltete man im Seminar
Kihrlih einen dreimöchentlichen Lehrcurſus, zu welchem der Gene
talfuperintendent jedesmal 12 — 20 Schullehrer auf Koften der
J undesſchulkaſſe einberief. An dieſen Lehrkurſen nahmen auch nicht
klin Sandidaten und Prediger der Stadt und der Umgegend un:
aufgefordert Teil”).
| Als ein fehr unnüger Ballaft fehleppte fih in vielen Semi-
$ sarien der Unterricht in der Iateinifchen und franzöfifchen, wol gar
J auch der griechiichen Sprache fort. An der folgenden Periode
wurden indeflen Die Seminarien von dieſer den ganzen Lectionsplan
Rörenden Beigabe befreit.
$. 21.
Wrklide VBefchaffenheit der gemähnlihen Volksfchulen und der Volksſchullehrer
um d. 3. 1800.
Wer die Schulordnungen lieft, welche im Laufe des 18. Jahr⸗
hunderts in allen deutſchen Ländern und Städten publizirt und
immer von Neuem verbeßert und wiederholt wurben; wer von den
Anfrengungen hört, die aller Orten gemacht wurden, um bem
Volksſchulweſen aufzuhelfen, ber follte wol denken, daß bis zum
Ende des Jahrhunderts hin überall wenigftend ein erträglicher Zu:
Mand der Volksſchulen erzielt worden ſei. Indeſſen war dem nicht
fo. Diejenigen Schulen, welche wie die Rochowſchen oder wie bie
Wufterfchulen Felbigers einer wirklich geordneten Verfaßung fich
erfreuten, erſchienen wie Dafen in der Wüfte. Friedrich Gabriel
Reſewitz erzält (in feinen Gedanken, Vorſchlaͤgen und Wünfchen
tur Verbeßerung der öffentlichen Erziehung, B.5. St.4. ©. 14):
Verbeßerte Schulen für das Landvolk werde ich in meinem
Gefichtskreiſe nur wenige gewahr. Es giebt nur Einen Rochow,
der fih mit warmem und ausdauerndem Eifer der Aufklärung
dieſes großen Teils der Menſchheit angenommen hat: aber ſo
— ———
) Ratorp. Briefwecfel einiger Schullehrer und Schulfreunde, 28. Brief,
— 248 —
viel Senfation er auch gemacht, fo viel Einfluß er auch nahe um
fern auf Ideen und Verfuche zur Verbeßerung des Landſchulweſenn
gehabt hat, jo viel Gutes durch ihn vorgearbeitet, fo viel wahre
Nupen durch ihn geftiftet oder veranlaft worden; fo ift Doch alles
bisher nur Erfolg und Wirkung eines woldenkenden Privatmannes
gewefen, fofern er auf andere Privatmänner, Patrone, Geiſftliche,
Schullehrer n. |. w. Eindrud gemacht hat. Iſt bisher eine Lands
Schule in guter Verfaßung geweſen, erreicht fie einigermaßen einen
vernünftigen Zweck, jo ift e8 faft immer das Werk eines eifrigen
und verftändigen Predigerd oder eines gutgefinnten Batrons. Abe
allgemeine und zwedmäßige Anftalten find meines Wißens noch in
feinem deutſchen Lande getroffen worden, das gefammte Lanbvolt,
das zum allgemeinen Beften jeßo mehr als fonft leiften kann und
fol, durch Erziehung und Unterricht verftändiger, Flüger und be
treibjamer in feinem Fache zu machen, als es von jeher geweſen
ift. Großenteils ftehen untüchtige und ftümperhafte Menfchen noch
immer den Landfchulen als Lehrer vor: und es Tann auch nid
anders fein, fo lange Fein ehrliche Brod und Ausfommen damit
verfnüpft ift; fo lange auf die Verforgung des Hirten mehr, ald
auf die des SKindererziehers gefehen wird. Traͤge und. unmwißendt
Prediger führen die Aufficht über diefe Schule, und mer biete
auch noch gut führen will, findet felten gehörige und Fräftige Um
terftügung. Es liegt den Unterobrigfeiten felten am Herzen, ba}
ihre Bauern auch Menjchen werden”.
Man kann daher gradezu fagen, daß die Volksſchulen in
diefer Periode faft durchweg das Gegenteil von dem waren, wa’
‚fie fein folten. „Es gab nicht leicht eine grobe Unart, welt
nicht in dieſen Schulen gelernt wurde. Lehrer und Schüler ware
wader daran, fich gegenfeitig zu peinigen und zu verberben. Die
Eltern und Schulaufjeher unterliegen es auch nicht ihrerfeits. Da
wurde bald von den Lehrern verlangt, fie follten alles Boͤſe ber
Jugend verantworten, und fie dürften e8 nicht an Züchtigungen
fehlen laßen. Bald wurden fie überlaufen und verflagt, weil ft
den Knaben zuviel gethan hätten, Wundärzte wurden zur Beſich
tigung herbeigeholt; dann wurde tüchtig vor den Kindern auf ben
armen Lehrer gefchimpft, wo nicht ihm noch mit etwas Derberem
— 249 —
nbroht; ober, dic von feinerer Xebensart fein wollten, felbft manch⸗
ml Schußpatrone!, ſetzten jene geplagteften aller Arbeiter durch
Spötterein herab” *).
Der traurige Zuftand der Volksfchulen war daher nicht al-
lin durch die Unfähigkeit der Schulmeifter und durch die Gleich⸗
gältigleit der Pfarrer gegen ihre Schulen verurfadht. Auch die
Somirtheit und Boͤswilligkeit einerfeitß der jogenannten höheren
Stände, in&befondere fo vieler Mitglieder des Landadeld und
andrerfeit8 ber Gemeinden fepte dem Gedeihen der Volksfchule
haft unüberfteigliche Schwierigkeiten entgegen. In erfterer Hinficht
mufe jelbft Roch ow die Erfahrung machen, „daß ein ganz acht⸗
barer Teil des Publicums noch fortfuhr, zweifelhaft zu fein oder
Kheinen zu wollen, ob bei der fittlichen Aufklärung des Volkes
bie Menfchheit gewinne” *). Man befürchtete, daß am Ende bie
willmlofe Folgſamkeit des Bauern und des Hinterfaßen aufhören
möhte, wenu berjelbe zu klug werde. Daneben beurfundeten die
Bauern fehr oft das aͤrgſte Mißtrauen gegen die neue Kultur,
wit der fie behelligt werden jollten. Als die Töchter der
Bauern nicht nur den Katechismus, jondern auch Schreiben
lernen follten, gerieten faft alle Gemeinden in Aufruhr, da fie
den Schreibunterricht der Töchter nur ald Verführung zum Schrei-
ben von Liebeöbriefen, zum Anfpinnen von Liebeshändeln und zur
Verrüdung derjenigen Stellung anſahen, melde die Hausfrau uns
ter dem Hausherrn einzunehmen habe ***). Außerdem war jede neue
Schulorbnung, welche publizirt wurbe, für bie Gemeinden von
orn herein ein Begenftand der gründlichften Beargmähnung ****), —
) Schwarz in den Freimüt. Jahrb. des allgemeinen deutfhen Boltsfchul-
eſens 9. 1. ©. 12.
») Rochows Bormwort zu Riemanns „Berfud einer Befchreibung der Redan-
ven Schuleinrich tung“ (1781) ©. IX.
Im 3. 1772 ſchrieb ein alter Schulmeifter: „Bei den virginibus iſt das
reiben nur ein vehiculum zur Lüderlichteit“. |
“) Bol. z. B. was die „Rationalzeitung der Deutfchen“ 1797 den 31 Ang.
5.747) erzält: „Bei der Einführung einer neuen Echulverordnung in einem thü-
mgiiden Dorfe berief der Schulze N. N in R. N. die Gemeinde zufammen, und
nachte ihr befannt , daß diefe Nerordnung etwas Nenes fei und alfo nicht ange-
rommen werden folte. Zugleich wurde der Gantor vor die Gemeinde gefordert
— 2150 —
und zwar ſchon aus dem Grunde, weil die Einführung new
Schulordnungen in der Regel neue, wenn audy noch fo unerhel
liche, Geldopfer oder neue, wenn auch noch fo notwendige unl
heilfame, Befchränfungen ihrer althergebrachten Willführ zur Folge
hatte.
Die Berichte, welche über den Zuſtand der gewoͤhnlichen
Volksſchulen um 1800 vorliegen, ſtellen uns daher die Schule in
der allertraurigſten und troſtloſeſten Verfaßung dar.
Hoͤren wir einige dieſer Berichte! — In einer Schilderung
des Schulweſens aus dem Jahre 1804 wird geklagt *):
„Alles, was fih dem nur einigermaßen aufmerkjamen
Beobachter in den meiften der jegt vorhandenen Land
ſchulen darftellt, ift unbefchreiblih elend, widerjin
nig, verderblich in feinem Ginfluß auf die Graiehung bei
Jugend. Elende, enge, niedrige Schulzgimmer, dei
nicht ſelten iſt das Haus des Schulmeifterd das fchlechtefte t
Dorfe, eine verborbene, verpeftete Luft, ber höchfte Grab BI
Unreinlichkeit, der nicht felten dadurch, daß die Schulftube zuglei
und ihm angedeutet, daß er von diefer Verordnung feinen Gebraud machen, $
dern in allen Stücken bei dem Alten bleiben follte. Der Cantor, der den Schu!
mehr refpectirte, als das. Confiftorium, gehorchte. Der wadere Prediger daf®
Orts, der von der Güte diefer Verordnung überzeugt, fi thätig dafür verwe
hatte, berichtete dieſe Unordnung dem Confiftorium. Bei Vernehmung des Schu
und des Cantors wurden Beide gefragt: Ob es wahr fei, daß fie die neue CL
berordnung nicht annehmen wollten, welches fie bejahten. — Warum? Beil
neu fei und einen neuen Glauben einzuführen drohe. — Woher fie das mwüft «
Beil neue Bücher darin vorgefchrieben wären. — Ob fie denn diefe Bücher gel «
hätten? Rein — Wie fie alfo davon urteilen könnten? Hierauf verftummten
Beide wurden alfo mit einem nahdrüdlihen Verweiſe und mit der Bedeut-
entlaßen, fich diefer Verordnung, deren Wohltätigkeit ihnen einleuchtend vorgeſẽ
wurde, nicht ferner zu widerfegen, fondern ſich ihr gebührend zu unterwerfen. E
fern aber der Gantor bei dem einen oder andern Puncte der chriſtlichen Lehre .®
denten fände, fo follte er zu feinem .Prebiger gehen und fidh belehren lagen, m
wenn er ſich dabei nicht beruhigen könnte; meitere Belehrung darüber bei de
Superintendenten ſuchen“.
*) dv. Türd, Ueber zweckmäßige Cinridhtung der öffentlichen Schul. und U
terrichtsanſtalten. Neu - Strelig, 1804. ©. 4,
— 251 —
Bobnzimmer, Werkftätte und Stall für das Feder,
vieb it, herbeigeführt wird. — Unwißende, ungefittete, unrein«
lihe Schulmeifter, welche Die Schule als einen notwendigen Res
benbehelf, die Betreibung ihres Handwerks als die Hauptſache
jetrachten, und dieſes leider nur zu oft thun müßen, wenn fie
icht ungern wollen. — Man verfjege fi) nur einmal in eine
olche Schule. Eine verpeftete Luft kommt und gleich beim
Antritt entgegen; der Schulmeifter, der elende, aͤrmliche, uns
ißende Menſch, dem Neinlichkeit, wahre Zucht und Drbnung,
em die Gefühle der Menjchheit fremd find, auf deffen Geficht
ch der Widerwille und Die Langeweile feines Gejchäftes mit uns
erkennbaren Zügen darftellen, mit der Nabel oder wol gar mit
m Webeſtuhle befchäftigt, Täft nun die Kinder buchflabiren, —
lat fie lefen. Unſer Obr wird beleidigt, unfer Innerſtes em,
tt fih gegen ein ſolches Leſen. Vergebens fuchen wir in ben
ugen der Kinder auch nur eine Spur der Freude an biefem
nterrichte, in dem Gefichte des Schulmeifterd auch nur einen
ug ber Teilnahme an dem Kortfchreiten feiner Zöglinge”.
Ein anderer ziemlich gleichzeitiger Bericht jchildert und noch
Üftändiger und anfchaulicher, wie es damals in einer gewöhn»
jen Volksſchule berging, wie in berjelben unterrichtet wurbe,
d wie es in ihr überhaupt ausfah. Der Berichterftatter erzält*):
Der Schulmeifter, welcher ein Schneider gewejen und nad
ndherlei Streifz nnd Duerzügen, ohne irgend eine Vorbereitung
n Amte, der Himmel weiß wie, blo8 um des Broderwerbs
len Schulmeifter geworben war, ergriff, ſowie er in die Schule
t, den Hafelftaudenfcepter und ftellte fich, denjelben zwiſchen ben
alteten Händen haltend, die Mütze unterm Arm, vor feinen
ch hin. Dies war das Signal zur Morgenandacht, welche das
müt der Kinder erheben und zu einer religidfen Stille ſammeln
lte. Und worin beſtand die Morgenandadht? Zehn oder zwölf
nder fehnatterten, eins nach dem andern, in einem Odem ohne
es Nachdenken einige für fie und wie ich glaube auch für den
Aulmeifter ganz unverftänbliche uralte Gebetsformeln, einige
") Ratorp, Briefwechfel, 8. I. 6. 172— 175,
— 292 —
unpafjende bibliſche Sprüche und zulegt alle zuſammen eine Lite
daher. Hiernächft wurben zwei Strophen aus einem für bie |
ber wirklich finnlofen Geſange hergeleiert, wobei es zugleidy
ein Baar Knaben, welche nicht derb und gellend genug fan
eine Maulſchelle abſetzte. Mit dieſer Morgenandacht, bie |
ſchlechterdings feinen vernünftigen Zweck hatte, ging nun fi
gleich zum Anfange die erfte halbe Stunde verloren. Sept
gannen die Lectionen. Es wurden zuerft Die fogenannten $
ſchuler aufgerufen. Einer flieg nad) dem andern über Tifche
Baͤnke herüber und trat an den Tiſch des Schulmeifterd Bin,
wie e8 bieß, aufzufagen. Ein Seder las fein Penfum, dies
aus dem Propheten Daniel, der eine leiernd, der andre flotte:
der dritte rabebrechend daher; und wenn er audgelejen hatte, |
terte er auf feinen Plaß wieder zurüd, um dem folgenden Sch
am Tiſche Plab zu machen. Dieſes Mandvure mochte etwa T
biertelftunden währen; auf jeden der zwanzig Leſeſchüler Ta
24 Minuten. Bon Dreiviertelftunden wurben folglid) 423 Mim
von jedem Schüler in Müßiggang zugebracht. Daß während
ſes Auffagenlaßend bei jo vielen müßigen Kindern nicht die g
rige Stille fein fonnte, und daß der Schulmeifter von Zeil
Zeit mit einem Schlag auf den Tiſch Stille gebot, bisweilen ı
mit dem Ecepter dazwijchen fuhr, verfteht fi von ſelbſt. N
dem alle Lefefchiiler abjolvirt waren, wurden die Sillabirfchi
welche bis dahin zwar mit ihren Katechismen in der Hand, ı
doch unbejchäftigt gejeßen hatten, hervorgerufen. Mit Diefer Kl—
ging ed nun grade, wie mit der erften. Gin Schüler fillal
nad) dem andern einige Zeilen aus dem Katechismus baber,
zwar diesmal aus dem Abfchnitt von dem Amt der Schü
Dies dauerte eine ftarfe halbe Stunde. — — Nun fam
Reibe an die Buchftabirfchüler, welche paarweiſe mit ihren |
merlichen AB&büchern einmal vorwärts und einmal rückwaͤrts
nennen muften, wobei ed denn auch nicht ohne Keifen und €
fen herging. Dies dauerte ebenfalld wieder ungefähr eine 5
Stunde, von welcher auf jedes Kind etwa 3 Minuten fom
mochten. Und Hiebei wurden alfo wieder 27 Minuten eingel
Die Klaffe der Leſeſchüler ſaß, während die Sillabirer und B
— 253 —
Rabirer vorgenommen wurden, am Schreibtiſche, fich felbft über-
laßen. Einige fchrieben die ihnen in ihren Schreibbüchern vorges
fhriebenen Zeilen nad, und etwa fünf oder ſechs rechneten aus
einem alten gefchriebenen Rechenbuche ein Rechenegempel aus und
Ichrieben es demnaͤchſt, fie mochten die Aufgabe gelöft haben oder
niht, auß dem gejchriebenen Rechenbuche, welches dem Schullehrer
gehörte, in einem eignen ähnlihen ab. Nachdem nun fämmtliche
Shüler einzeln überhört waren, wurde zum Katechisſmus gerufen,
und biemit follte der Religionsunterricht beginnen. Die Buchſta⸗
Birs und Sillabirfchüler konnten hieran. nit Teil nehmen, fie
muften ftille figen und ihre Bücher demütig in den Händen halten.
Die Lefefchäler legten ihre Federn nieder und fliegen mit ihren
Kıtehismen hervor. Gin Jeder hatte fein beſonderes Penfum.
Dieſes hatte er zu Haufe auswendig lernen müßen, - und der
Schulmeiſter hatte nichts weiter dabei zu thun, als dad auswen⸗
dig Gelernte auffagen zu laßen. Darin beftand der ganze Reli
giondunterricht. Wer fein Penſum nicht mufte, befam Prügel und
mufte nach beendigter Schule fißen bleiben, um nachzuexerciren.
Bit dieſem Katechismusüberhören ging wieder beinahe eine halbe
Stunde bin. In der legten WViertelftunde brachten die Schreib-
Ihäler ihre Schreibbücher herbei und der Schulmeifter ſchrieb einem
Jeden fo ſchnell als möglich eine neue Zeile zum Nachſchreiben
fir den Rachmittag vor. Hiemit wäre nun der Schulunterricht
geendigt geweien, wenn nicht der Schulmeifter, vermutlih uns
fremden Gaͤſten zu Ehren, noch eine Viertelftunde zugefeßt hätte.
E ſchien fein Meiſterſtück machen und feine Schüler zur Parade
aufftellen zu wollen. Ale Schüler muften aufftehen, die Hände
falten und die Blicke nieberfchlagen. Auch er faltete die Hände
und fragte den Schülern ihre höhern Kenntniffe ab. Wie viele
Goͤtter giebt e8? Wie viele Perfonen find in der Gottheit? Wer
dat uns erichaffen? Wer hat und erlöfet? Wer hat uns geheili⸗
get? Was ſehen wir am Himmel? Was fehen wir auf ber Erde?
Wie heißen die drei Reiche der Natur? Müßen wir aud fleißig
beten? Wie lautet das Gebet bes Herrn? Wie viel find Sacra-
mente? — Dies waren die Hauptfragen, die er hinwarf. Die
Kinder plapperten alle zufammen wie mit Einem Munde die ihnen
— 254 —
eingeprägten Antworten daher. Und den Beſchluß machte m
die Herfagung ded Einmal⸗Eins“. — —
58 gab taufende von Dorf- und Stadtfchulen, die die
Schilderungen genau entfpradhen, indem in ihnen nichts ande
als die roheſte Stupibität, Gedankenlofigkeit und Verrottung wa
zunehmen war. Daneben fanden ſich allerdings auch Schulen x
in denen die Schulmeifter fi und ihre Schüler auf8 Dent
zu verlegen fuchten, was dann aber fehr oft in ſourriler W
geſchah, daß es ſich kaum fagen ließ, welche Art von Schu
die fchlechtere war. *)
So war der Buftand der Schulen noch am Ende die
Periode und fo mufte er fein, weil fich in ihm nur der Charal
der Schulmeifter der damaligen Zeit abfpiegeln konnte. Diefell
ſahen gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Allgemeinen n
grade fo aus, wie fie Hundert Jahre vorher ausgefehen hatten.
Denn da bi8 über die Mitte des 18. Sahrhunderts 1
einer Öffentlich überwachten Vorbereitung der zukünftigen Sch
meifter nicht die Rebe war, fo lag es in der Natur der Sa
baß verfommene Handwerker, entlaßene Soldaten, verborb
Gymnaſiaſten, Schreiber u. f. w. als durch ihre Lebensgeſch
auf die Schulmeifter-Garriere verwiefen ohne weitered angel‘
wurden. *) Meldete fich ein derartiges Individuum um eine e
*) Schwarz berichtet (im feiner Geſchichte der Schulperbegerungen in Deu
land) über einen Lehrer an einer Stadtfhule, der Damals für vorzüglich gefe
im Katechifiren galt und, um dem vifitirenden SInfpeltor feine Kunft darzule:
nad Hübners biblifhen Hiftorien die Schüler der Meibe nach fragte: „Was ſ
Abraham feinen Bäften vor” ? Antwort (mit zitternder Stimme): „Kalbfleiſch,
hen.” — Ein Rotabene mit dem Stod ließ den armen Jungen fühlen, daß
"die Gerichte fi beßer hätte merken ſollen. Es kam zum zweiten, der ı
mehr zitterte, und dem es nod ärger erging; fo der dritte u. f. w. und
ſchluchzten, ehe fie noch die Gerichte der Mahlzeit Herzälten. — Die Bergliederun
methode hatte die Lehrer zu den wunderlichſten Geſchmacklloſigkeiten verleitet.
») „Denn Einer if,“ ſagt Shuppius, „der nirgend fortlommen fa
und weder zu fieden noch zu braten tauget, fo fagen die großen Bolitici, er n
— 25 —
digte Schukmeifterftelle, jo wurde dasfelbe vielleicht von dem
Piorrer oder dem Superintendenten geprüft, galt indefjen in der
Kegel ſchon in dem Falle als zur Uebernahme einer Xehrerftelle
volfommen befähigt, wenn ed neben Kundgebung der grandiofeften
Unwißenheit nur das Verſprechen gab, fich die für einen Schul:
halter erforderlichen Kenntniſſe, um welche fich zu befümmern e8
biher Feine Veranlaßung gehabt habe, von jetzt an mit allem
Heiße ameignen zu wollen. War nun die Schulftelle glüdlich ers
langt, fo freute ſich der neue Schulmeifter, jeßt fein Handwerk
oder irgend ein anderes Gewerbe mit um fo größerer Ruhe be-
treiben zu können. Denn die Ausübung des Nebengewerbes galt
dem Schulmeifter ald fein Haupterwerbözweig. Allerdings ergaben
ih deshalb für den jchulmeifternden Schneider, Leineweber, Schus
fer u. ſ. w. nicht felten ärgerliche Gollifionen mit den neidiſchen
Zunftangehoͤrigen. Aber bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
wurden Die Schulmeifter in der Ausübung ihres Nebengewerbes
bon den Landesbehoͤrden jederzeit bejchüßt. *)
id behelfen; er muß einen Schuldienft annehmen, bis man fiehet, wie man ihm
weiter helfe” und „dag fich heutigen Tages fein generofes und tugendreiches In-
gerium zum Gchulmeifter will brauchen laßen, rührt daher, daß man den Scul-
bedienten Beifigenfutter gibt und Eſelsarbeit auflegt.” Daher Magt Seckendorf
in feinem Ghriftenftaat: „Die meiften Lehrer führen ihr Amt mit großer Unge-
ſchiclichteit, weil fie felber nicht beßer gezogen worden, wißen nichts als poltern,
ſchelten, aushöhnen, ſchlagen und ftrafen, zeigen keine hriftliche und natürliche
Liebe und erbauliche Treuherzigfeit, leben teild wegen ſchlechten Unterhalts in Rot
and Beratung, fuchen mit Nebenarbeit und Verfäumung ihres eigentlichen Berufs
ihre Nahrung zu verbeßern, thun nichts umfonft, deren zu geſchweigen, die mit
böfem Reben ihre Schüler felbft ärgern.“ |
Die Schuſterzunft zu Altenburg hatte dem dafigen Konfiflorium Befchwerde
führend angezeigt, daß der Schulmeifter zu Göllnig „ihrer Innung zuwider fid
wterfange, nicht allein feine Schufterarbeit zu treiben, fondern aud die Märkte
zu beſuchen“, und hatte gebeten, den Schulmeifter in die gehörigen Schranten zu
derweiſen. Im Folge einer landesherrlihen Entſchließung eröffnete das Confi
Rorium den Beihwerdeführern, dab fie, da die Gchuldiener in der Regel eine
Mau geringe Befoldung hätten, diefelben an der Ausübung ihres Gewerbes nicht
wm hindern hätten. Dagegen follten die Schulmeifter ihr Handwerk „nit außer-
halb auf den Höfen oder ſonſt, ſondern allein daheim in ihren Häuſern zur Not-
für nicht zu feilen Kauf, den umliegenden Städten und Meiftern defielben
dandwerts zum Nachteil, treiben.“
— 2856 —
| Da, wo die Schulmeifter als Nebenftelle regelmäßig die
Bemeindefchreiberei verfahen, betrachteten Diejelben dieſe Nebenftelle
als ihren Stolz.
In Würtemberg waren die Schulmeifter in der Regel aud
Schultheißen; daher ſetzten diefelben in ihren Unterjchriften ben
Titel: „Schultheiß” dem „Schullehrer” voran. Die Feder hinter
dem Ohr nebft dem Dreimafter war Daher das fichere Abzeichen
der fchulmeifterlihen Würde. An anderen Orten fungirten bie
Schulmeifter zugleih als „gemeine Wieger,” indem fie die ber
ganzen Gemeinde gehörende Wage (die „Mehlwage”) verwalteten
Faſt überall unterfchied man unter den Schulmeiftern dreũ
Klafien, nemlih: 1) die eigentlihen Schulmeifter, wei
ordentlich angeftellt und daher auch während des Sommers Schul
zu balten verpflichtet waren; 2) die Geſellen oder Steleue =
treter und Gehülfen derfelben, weldhe (in Würtemberg Provi =
foren, in Baiern Adftanten genannt) zuden Shulmeifer u
durchaus im Verhältnis der Geſellen ftanden, und daher auch
gradejo wie Handwerksburſchen fechtend das Land durchwandetum,
um ſich bei irgend einem Schulmeifter Arbeit zu fuhen; 3) ShulE -
halter, d. 5. Bauern, TQTagelöhner oder Handwerker, die nur
dadurch ihr Leben zu friften wuften, daß fie fi von einer &e*
meinde, bie feinen eigentlichen Schulmeifter hatte, für einen Wiss-
ter als Winterfchulmeifter accordiren ließen, und im Sommer id
als Gemeindehirten, Schnitter oder Knechte auf Baueruhöfen ver
dingten. Sehr oft mufte ein folder Echulhalter mit feiner Schule
wochenweife von einem Bauernbofe (in dem er dann auch jeinent
„Umgang,“ d. h. feinen Tiſch hatte,) zum andern ziehen. — Das
Elend der Schulmeifterei trat bier in feiner abſchreckendften Ge⸗
ftalt hervor.
Bon den wirklichen Bauern wurde der Schulmeifter mit Te!
gröften Geringſchaͤtzung angefehen. Denn der Schulmeifter muſte
ja bei Hochzeiten, Kindtaufen und ſonſtigen Schmauſereien Die
Speiſen auftragen, mit der Geige zum Tanze aufſpielen oder pie
Geſellſchaft ſonſt mit Späßen unterhalten. Dabei fchägte ſich De
Schulmeifter glüdlih, wenn er fette Broden von der Mahlzeit mit
— 257 —
nah Haufe nehmen konnte.“) — Allerdings gab es audy im Ans
fange diefer Periode einzelne Schulmeifter, Die fromm und ehrbar
im Leben mit eifrigem, ernflem Sinne ihrem Berufe lebten und
darum von ihren Gemeinden in Ehren gehalten wurden; aber erft
ald das Ende des Jahrhunderts herannahte, begann fidy die Zal
derielben zu mehren.
\Ritzfch erzält in feiner Anweiſung zur Paftoralllugheit für Tünftige
„Landpfarrer“ (Beipzig, 1791) S. 114: „Ich kenne einen Gchulmeifter fehr ge-
non, don welchem alle feine Bauern wißen, daß er dur den Endvers, melden
er bei hochzeiten, Kindtaufen u. f. m. nach gefchloßener Mahlzeit anftimmt, wie
duch ein Cenſuredikt aufs Genauefte entfcheidet, ob die Mahlzeit gut oder fchlecht
won Bos das fchlimmfte ift, auch die Bauern wißen dieſes, daß ein „alfo
; wollt allegeit nähren,” auf eine reihlihe Mahlzeit abziele.
Dritte Vexiode.
Vom Anfange des achtzehnten Jahrhundert an.
$.1.
Zohann Yeinrih Peflalozi.
Unter den Wetterfchlägen der beginnenden neueren Gejdicte,
welche Europa erbeben machten, begann fid) in aller Stille ud
der Anfang einer ganz neuen Periode des Erziehungsweſens zu
geftalten, — und zwar durch den Einfluß des Züricherd Johann
Heinrich Peftalozzi. Ohne von der Beichaffenheit des deut⸗
ſchen Unterrichtöwejensd feiner ober einer früheren Zeit etwas zu
wißen, wurde Peftalozzi Schulmeifter, weniger weil ihn Rouffeaud
„Emil“ angeregt, als vielmehr weil der Anblid des Elendes, in
welchem er das arme Volk fchmachten ſah, ihm ans Herz grif—
und in feinem von unerjchöpflicher Liebe bewegten tiefen Geile
alsbald die Idee eines ganz neuen, nemlich eines foldyen Unter
richtsweſens erzeugte, welches naturgemäße Erziehung des Kindes
zum geiftig und leiblich entwidelten Menfchen fein ſollte. Die
Tiefe und Wärme des Gemüted und die edle Begeifterung und
Hoffnungsfreudigkeit, mit welcher Peſtalozzi feine paädagogiſchen
Seen, alle bisherigen Crziehungsweifen ignorirend , verfintelt:
machte fofort alle Welt auf ihn aufmerfjam und veranlafte es
daß die ange fehenften Gelehrten und Staatsmänner in Schaaren 3
— 259 —
fm pilgerten *) um ‚ihn und namentlich feine Schule in Sferten
Eennen zu lernen. Seine zalreihen Schriften, (namentlich „Liens
barb und Gertrud ,” 1781 — 1789; „Chriſtoph und Elfe,” 1782;
„Nachforſchungen über den Bang der Natur in Den Entwidlungen
des Menſchengeſchlechts,“ 1797; „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt,“
1801, „Buch für Mütter ,“ 1803; „Anfchauungslehre der Maß-
und Zalenverhältniſſe,“ 1803— 1804, und Selbfibiographie) und
die zalreichen von ihm eingerichteten Unterrichtsanftalten (Stanz,
Burgdorf, MünchensBuchjee, Iferten [Yverbün, wo eine Zeit
lang auch Fellenberg war, der hernach in Hofwyl ein praktiſch⸗
dtonomiſches Inſtitut begründete] gewanuen ihm, nachdem er Ans
fange al8 Sonderling verlacht worden war, bald einen weit ver-
breiteten Anhang, durch den er zum Vater des gefammten neueren
Eiziehungsweſens wurde. Ä
Die eigentliche Aufgabe der Erziehung fand P. darin, daß
die Erziehung den Menfchen recht zu fich felbft kommen laße, daß
fe in ifm das Bewuftfein des Maßes erwede, durch welches ber
Nenſch aus ſich heraus richtig wollen, richtig urteilen und richtig
handeln koͤnne. Diefes follte aber nicht nur auf dem finnlichen,
ſondern auch auf dem geiftigen, ja dem fittlichen und dem reli-
giſſen Bebiete der Fall fein. In dem Menfchen (das war P’s.
Gedanfe,) müße jeder Sinn für die richtige und reine Form fo
mtbunden werben, daß dieſe Formrichtigkeit und Mapliebe au
dry das fittliche Urteil hindurchleuchte und eine wahre Entwids
lung des geiftigen Lebens aus ſich heraus ermögliche.
Das Großartigfte und Belangreichfte, was Peftalozzi hier⸗
duch für die Erziehungswißenſchaft gewann, beftand darin, Daß
Meine eigentliche und wirklihe Elementarbildung nachwies,
welhe Die elementare Grundlage aller Bildung fein konnte und
aufe Sin feinem „Schwanengefang” (Peſtalozzis Werke B. 13,
&. 1) gibt P. hierüber folgende Erklärung: „Die Idee der Ele—
mentarbildung ift nichts anderes, als die dee der Naturgemäß-
— ——
) Die Namen einzelner derſelben fiehe bei Harniſſch, „der jepige Stand-
"at des gefammten preußiſchen Volkeſchulweſens,“ S. 4—6.
17°
— 2160 —
beit in der Entfaltung und Ausbildung der Anlagen und Kräf
des Menjchengefchlehts. Die wahre Natur des Menfchen ab
oder das Weſen der Menſchennatur befteht nicht in denjenig
Anlagen und Kräften, welche der Menſch mit den Thieren geme
bat, fondern in denjenigen, wodurd er ſich von denfelben unt«
ſcheidet. Jene Naturgemäßheit fordert daher eine Unterordnu
der erfteren unter die leßteren und eine harmoniſche Entfaltung ıx
Ausbildung der Anlagen des Herzens, des Geiftes und der menſ
lichen Kunftkraft.” Die Elemente (diefer Elementarbildur
jelbft waren aber für P. die Keime alles Wißend und Können
welche in uns, nicht außer und liegen. Diefe Elemente, welc
ſchon bei tem Säugling in Betracht kommen, find der Anfaı
aller Bildung und bleiben das fortwährende Mittel derjelbe
Schon dur die Natur uud das Leben felbft fuchen ſich dieſe I
mente kraft ihres inftinctartigen Selbfttriebes auszubilden. Ab
eine harmonische Ausbildung aller Kräfte ded Menjchen kar
nur Durch die Glementarbildung erzielt werden, welche (Merl
B. 13, ©. 125) nichts anderes, als ein pſychologiſch und m
Sorgfalt bearbeiteter Kunftzufag zu dem Gange der Natur in D
Entfaltung und Ausbildung unfrer fittlichen,, geiftigen und pb'
fifchen Kräfte und eine pfychologifc begründete Nachhuͤlfe ihr!
diesfälligen, guten Thuns felbft ift.
Hieraus ergaben ſich für P. folgende Grundfäge feiner &
ziehungslehre, welche am vollftändigften aus feiner Schrift „ZB
Gertrud ihre Kinder lehrt” gefammelt werden koͤnnen. Peftalei
verwarf die bißherigen Unterrichtsweifen zunächſt darum, weil D!
felben den Elementarunterricht durchaus principlos behandelte
von einer innern und wefentlichen Beziehung beffelben zu D
höheren Stufen des Unterrichts nichts wuften und namentlih v
einem Unterricht, weldyer naturgemäße Entwidlung des Menſch
fei und das Kind in und aus fidh felbft zur höhern Stufe a?
fteigen laße, nicht8 ahnen ließen. Er fagt von dem herkoömmlich
Schulunterriht (deſſen geſchichtliche Entwidlung ihm freilid ge
fremd war): „So weit, als ich ihn Fannte, Fam er mir wie «
großes Haus vor, deſſen oberfted Stodwerf zwar in hoher volle
derer Kunft flrablt, aber nur von wenigen Menfchen bewohnt €
— 261 —
in dem mittleren wohnen denn ſchon mehrere, aber es mangelt an
Treppen, auf denen fie auf eine menſchliche Weife in das
Obere hinauffteigen könnten; — — — im dritten wohnt dann eine
zahlloſe Menſchenheerde, die für Sonnenfchein und gefunde Luft
bollends mit ben oberen das gleiche Recht Hat, aber fie wird
nicht nur im efelhaften Dunkel fenfterlofer Köcher ſich ſelbſt über-
laßen,, fondern man bohrt in demfelben noch denen, die auch nur
den Kopf aufzuheben wagen, um zu dem Glanze des oberften
Stockwerks binanfzuguden , gewaltfam die Augen aus.“ Um
Diefen Mangel zu befeitigen, wollte Peſtalozzi „Natur und Kunft
im VolfSunterricht fo innig vereinigen, als fie jeßt gewaltfam in
demfelben getrennt find,” denn „bie Natur allein führt und unbe
ſtechlich und unerfchüttert zur Wahrheit und Weisheit.” Aber bie
Ratur gibt ihre Belehrungen durch die Anſchauung in Feiner Ord⸗
nung. Der Zufall herrſcht darin; das Kind wird dadurch oft
mehr verwirrt als entwidelt und lernt nicht das Bufällige vom
Weſentlichen unterſcheiden. Die Kunft muß daher dem Gange
der Natur zu Hülfe kommen; die Anſchauung muß durch beftimmte
vpſychologiſch geordriete Uebungen zur Anfhanungsfunft er
boden werben, die fi) auf moralifche und Afthetifche Anfchauungen
nicht weniger, als auf intellectuelle bezieht. — Unter „Anſchanen“
verftand aber P., was wol zu beachten ift, nicht ein leidenbes
Aufnehmen der Eindrüde, fondern eine zum fiheren Urteil führende
Selbſtthaͤtigkeit. Auch wollte B., daß das Kind durch die An-
Hauungskunft immer auf das Wefen der Dinge Bingewiefen
werde, indem vor Allem die Verwirrung verhütet werden follte,
welhe in dem nod) wenig entwidelten Faßungsvermögen entfteht,
wenn Unveränderliches und Zufällige zugleich gezeigt wird.
Demgemäß verlangte B. 1) man follte im Kinde den Kreis
ber Anfhauungen im naturgemäßen Fortſchritt erweitern; 2) bie
Ihnen zum Bewuſtſein gebrachten Anjchauungen unverwirrt einprä-
gm und 3) follte man ihnen für die gewonnenen Anjchauungen
bie entſprechende Sprachkenntnis geben. Als erftes Mittel zur
Erreichung des erſten Zieles gibt Peſtalozzi den Müttern (denn
bom dieſen fol der Unterricht ausgehen, weil ber Unterricht natur⸗
gemaͤße Bildung des ganzen Menfchen und Erziehung fein foll)
— 262 —
nicht ſowohl Bilderbücher, *) als vielmehr ein AB& der Aı
fhauung in die Hand. Dur diefes ABE der Anſchauu
will Peſtalozzi „Die Basis fihern, auf welde die übr
gen Unterrihtsmittel alle gegründet werben müßen
Dafjelbe ift „eine gleichförmige Abteilung des gleichfeitigen Vierer
zu beftimmten Ausmeßungsformen und erfordert weſentlich ei
genaue Kenntnis des Ursprungs derfelben, der geraden Linien,
ihrer liegenden und ſtehenden Richtung.” Peftalozzi hofft nun, d
Die vermittelft eines folchen ABCbuchs „entwidelte Ausmeßungskre
das fchweifende Anfchauungsvermögen unferer Natur zu einer E
flimmten Regeln unterworfenen Kunſtkraft erhebt, woraus dar
die richtige Beurteilungsfraft der Verhältnifje aller Kornen en
ſpringt.“ Dieſes ift Peſtalozzi's Anſchauungskunſt. Da
nun, worin die Anſchauung des Kindes entwickelt werden ſol
oder die drei Elementarmittel des Unterrichts ſind Schall
Form und Zal. Die Sprachlehre, welche ſich aus dem erſte
Elementarmittel ergibt, gewinnt bei Peſtalozzi einen eigentuͤmliche
Charakter. Peſtalozzi fagt: „Meine Unterrichtsweife zeichnet fid
vorzüglich hierin aus, daß fie von der Sprache ald Mittel, dei
Kind von Dunkeln Anfchauungen zu deutlichen Begriffen zu erheben
einen größeren Gebrauch macht, als bisher gefchehen ift, fo wi
fie fih ebenfalls in Rüdfiht auf den Grundfag auszeichnet, all
wirklide Sprachkenntnis vorausſetzende Wörterzufammenfegunge
vom erften Elementarunterricht auszuſchließen. Wer eingefteht, di
Natur führe nur durch die Klarheit des Einzelnen zur Deutlichkei
des Ganzen, der gefteht ebenfalld ein: „die Worte müßen ben
Kinde einzeln Har fein, ehe fie ihm im Bufammenhange deutlid
gemacht werben koͤnnen.“ Gleichwol fteht die Sprachlehre I
Peſtalozzis Erziehungsfuften doch erft in zweiter Linie. Peftaloz!
will, daß das Find vor Allem deutliche und vollftändige Anfchar
ungen und Gindrüde gewinne und dadurch Die entfprechenbe
Worte verfiehn und gebrauchen lerne. Der Erzieher muß De
*) Peſtalozzi's Anfhauungsmeife unterfchied fich gerade dadurch von der d
Comenius und Baſedow, daß er flatt der Bilderbücher wirflihe Raturgegenftärt!
gebraucht wißen mollte. |
— 263 —
Rind fprechen lehren, darf aber nicht Die Kenntnis der Sprache
vraußjegen. „Wenn mir ein Dritter die Worte in den Mund
Int, wodurch ein Anderer, dem Die Sache klar war, biefelbe
!enten von feinem Schlage deutlich macht, fo ift fie um
deßwillen mir noch nicht deutlich, ſondern fie ift und bleibt infos
weit Die deutliche Sache ded Andern und nit die meinige,
als die Worte dieſes Andern das für mich nicht fein Fönnen,
wos fie für ihn find: der beflimmte Ausdrud der vollendeten
Klarheit feines Begriffs“ „Darum ,” ſagt Peſtalozzi, „it es
äußerft wichtig, um Verwirrung, LTüden und Oberflächlichkeit zu
berhüten, die Anfangseindrüde der wefentlichften Gegenftände uns
ſerer Erkenntnis den Kindern bei ihrer erften Anjchauung jo be-
Rimmt , fo richtig und fo umfaßend vor die Seele zu bringen,
ald nur immer möglich ift.” Auf einem foldhen Wege gewinnt
dad Kind dad, was das Biel aller Erziehung und alles Unter-
richts iſt, nemlich Bildung. Was es fpricht, find wahre Erfennt-
niſſe und feine Kenntnifje find wahre Fertigkeiten in ihm; und
das, was das Kind in Folge des erhaltenen Unterrichts in fich
bat, muß die Bafis fein, auf welcher e8 zu weiteren Erfenntnifjen
zu führen ift.
Demgemäß behandelt denn Peſtalozzi auch den Religions⸗
unteriht. Er jagt: „Die Gefühle der Liebe, des Vertrauens,
des Dankes müßen in mir entwidelt fein, ehe ich fie auf Gott an-
wenden kann. Sch muß Menfchen Lieben; ich muß Menfchen trauen,
ebe ich mich dahin erheben kann, Gott zu lieben.” Die Grund»
lage des Religiondunterrihtd muß darum das Verhältnis des Kin⸗
deö zur Mutter fein, denn „ich finde,” fagt Peſtalozzi, „baß diefe
Grfühle hauptſaͤchlich von dem Verhältnis ausgehen, das zwifchen
dem unmündigen Kinde und feiner Mutter Statt hat.” Peſtalozzi
ſchliſt daher: „Der erfte Unterricht des Kindes fei nie die Sache
des Kopfes, er fei nie Die Sache der Vernunft, er fei ewig, ewig
die Sache der Sinne (natürlich auch des innern Sinns), er fei
ewig die Sache des Herzens, die Sache der Mütter.”
Diefe Gedanken, welche Peftalozzi in den genannten Schrifs
ten entwickelte und auf bie verſchiedenen Zweige des Unterrichts:
weſens applicirte, waren fo überraſchend neu, daß es alsbald
— 264 —
zalreiche Freunde des Erziehungsweſens gab, die den Anbru
einer neuen Periode defjelben ahnten. Man begriff jetzt, welch«
bie eigentliche Bedeutung des Clementarunterricht3 fei. Ein Be
fannter Paͤdagog (F. 9. C. Schwarz) ſchrieb im Anfange diefe
Jahrhunderts): „Lange glaubte man, es werde zum Unterricht
der ABCſchüler Doc, wenig erfordert; endlich fingen gelehrte Män
ner an, den Slementarunterricht beßer zu würdigen, und Peftalogi
ſpricht nun die Wichtigkeit defjelben fo ſtark aus, daß wir, bie
wir und lange mit dem Lehrweſen befchäftigten, uns doch ver
pflichtet fühlen, bei ihm noch in die Schule zu gehen. Und en»
lich werben wir und doch von dem Weſen Iosreißen müßen, daß
die Ordnung in vem Kopfe des Lehrers nicht die fei, wonach fid
das Wißen des Schülerd entwidelt.“
Freilich waren ed Viele, welche teils an dem Cynismus
der ganzen äußern Erſcheinung P’3., teild an feinem unpraktiſchen
und ihn felber in endlofe Verlegenheiten bringenden Idealismus
oder an dem Abjonderlichen feiner Schuleinrichtungen fich ftoßend,
über Peftalozzi urteilten, wie etwa der Profeffor der Gtlüdfelig
feitslehre Steinbart in Frankfurt, Der im J. 1808 mit gat
freundlichem Lächeln lehrte"): „Auch ift da ein Mann in der
Schweiz aufgetreten und hat die Pädagogik reformiren wollen; et
beift Peſtalozzi und fcheint ein extravaganter Kopf zu fein. Ich
fann Ihnen aber, meine Herren, die Verficherung geben , fie fir
den in meinen Dictaten Allee, was fie über die Pädagogik zu
wißen nötig haben.” Auch in der Schweiz war Peſtalozzi, ald
man fah, wie er in der Scheune ſaß und die Kinder armer Leute
unterrichtete, ein Gegenftand des Spotted, ja der Verfolgung.
Hin und wieder gabs auch Ginzelne, welche an ihm rügten, daß
feine Erziehungsmethode nicht direct auf das Ghriftentum gegründet
fei, und weiſſagten, daß Peſtalozzis weltberühmte Schule 3
Iferten untergehen werde, wie Baſedows Philanthropin unterge
gangen fei, während Frankes Glaubensfchöpfungen immer her!
) Peſtalozzis Methode und ihre Anwendung in Voltsfculen. Bremen, 180°
») Sarnifd, a. a. Ort. & 6, ‘
— 265 —
er erblühten. Viele ſprachen es andy, durch Erfahrung belehrt,
Tadel aus, daß Peſtalozzis Methode für die Volksfchule Direct
: in der fogenannten Formen⸗ und Größenlehre und im Kopf:
men eingeführt werden fönne, und wandten ihr den Rüden zu.
vere hielten an Peftalozzi feft und wollten das gefammte Er-
ungsweſen nach deſſen Principien umgeftaltet wißen, vermochten
r diefe Principien nur als ein möchaniser l’education aufzu-
n und ließen darum von dem Geifte Peſtalozzis gar wenig
nehmen. Aber dennoch war deffen Wirken das Anbrechen
8 neuen Morgenrots-für das geſammte Erziehungswefen. Denn
alozzi hatte, wie fein Anderer vor ihm, die Gedanfen erfaft
durchgeführt, daß der Unterricht fchlechthin Erziehung und
widlung des Kindes zum Menjchen fein müße, daß die rein
Ihliche Bildung etwas ungleich höheres jet als die bloße Berufs⸗
ung, daß die Fertigkeit mehr Wert habe ald alles bloße Wißen,
daß auch die höchfte GBeiftesbildung auf denjelben elemen-
en Örundlagen ruhen müße, auf die auch das Armfte Kind
sruch zu machen habe. Ebenſo muß anerkannt werden, daß dieje
anfen von P. infofern in dem rechten Geifte und Sinne gepflegt
verfolgt wurden, ale es der Geift barmherziger, Dienender, nur
Andere lebender Liebe war, der Peftalozzid ganzes Herz und
ein Diäten und Trachten durchdrang und beſeelte; und P.
e auch, daß dieſer Geift, der Die Kinder liebt, in dem Sohne
ted nach feiner ganzen Wahrheit und Külle erfchienen war.
n ſchon daher P. e8 nicht vermochte, fein Werf ganz unter
Ecepter Chriſti und des heiligen Geiſtes zu ftellen und es
n zu Ghrifti Ehre auszuführen, jo bleibt Doc wahr, was
umer fo treffend über P. jagt *): „Wer Darf gegen ihn einen
in aufheben ? Wer darf ihn verdammen? Ihm iſt viel vergeben,
rer bat viel geliebt!”
„Sa, eine Xiebe zieht ſich Durch fein ganzes mühevolles
en, eine Sehnſucht, dem armen verlaßenen Volke zu belfen.
ne Liebe war feines Herzens Leidenſchaft; ihr euer entzünbete
— —
I Um Schluße der Geſchichte der Pädagogik.
— 266 —
in ihm einen flarfen Zorn gegen Alle, die feinem Liebesſtreben in
ben Weg traten.“
„Freilich war er fich felbft vorzüglich im Wege. Bei Gott
ift beides, Rat und That, bei Menfchen ift nur zu oft ratloſe
That oder thatlojer Nat. So fahen wir Peſtalozzi bei Harfter
Kenntnis der Menfchen unfähig, fie zu behandeln und zu regieren;
bei den liebenswürdigften Sdealen blind, wenn er den Weg zu
biefen Idealen zeigen follte. Ya, oft ergreift er das feinen großen
Gedanken Entgegengefebtefte und Widerſtrebendfte, um dieſe Ge⸗
danken zu verwirklichen.“
„Niemand war ferner von einer zeinlichen, haushaͤlteriſchen
Exiſtenz als er; aber Niemand ſehnte ſich mehr nach einer ſolchen,
ihren ganzen Wert fürs Leben anerfennend. Die Schilderungen
der Haushaltung Gertruds beweifen, daß ein Dichter nicht bloß
das vortrefflich darzuftellen verfteht, was er in vollem Maße be
ſitzt, ſondern auch das, wonad) er fi) deshalb von ganzem Herzen
ſehnt, weil es ihm in vollem Maße mangelt.”
„Den gröften Teil feines Lebens brachte er in brüdende
Armut zu, fo konnte ihm dad wahre ungefuchte Mitleiven mit den
Armen und Verlaßnen kaum fehlen. — An beßeren Tagen war fl
aus Grundſatz cyniſch, wenn er es in böfen Tagen aus Not wat.
Dem leiblihen Cynismus entfprach in ihm etwas, was ich niht
geiftige Armut, fondern geiftigen Cynismus nennen möchte: ein
Widerwille gegen die Ariftofratie der Bildung. Und dennohh,
wie fein Charakter fo voller Widerſprüche ift, dennoch fühlte ei
fi) berufen, dem hoben Gebäude dieſer Bildung ftatt der alten
fchadhaften neue Fundamente unterzulegen. Er wollte dad obelt
Stod des Gebäudes flügen, ohne ſich um dieſes Stod zu befüm
mern. Nühmte er ſich doch, feit 30 Jahren fein Buch geleſen
au haben!“
„Daher machte er fo viele den Autodibakten gewöhnlich!
Mißgriffe. Es fehlte ihm das Hifkorifche Fundament; was AD!
längft hatten, erjcheint ihm ganz neu, wenn es ihm oder ein«
feiner Lehrer in die Gedanken kömmt.“ — — „Uber tieffins €
Gedanken, welche eine heilige Liebe unter fchweren Wehen gebo
u — 207 —
ht, fie find Gedanken des ewigen Lebens und hören, wie die
ee, nimmer auf” *).
Es gab viele hervorragende Pädagogen, welche fi von
eſtalozzis Ideen mit Begeifterung erfüllen ließen, namentlich
adomus, Himly, Plamann, Goͤrung, Trapp, Schultheiß, Tillich,
Türk, und viele Andere. Manche unter ihnen glaubten Peſta⸗
His Methode gradezu ald die abfolute Methode begrüßen
müßen. Plamann richtete: feine Privatanftalt zu Berlin voll:
indig nach derfelben ein. Den mädhtigften Einfluß übte indeſſen
eftalozzi zunaͤchſt auf Das Volksſchulweſen in Preußen aus, zu
fin Reorgantfation, nachdem die preußifche Regierung ſchon vor-
rt mehrere Lehrer zu Peftalozzi gefandt hatte, um diefelbe mit
fen Erziehungsſyſtem vertraut zu maden, i. J. 1809 Karl
uguft Zeller nady Königöberg berufen wurde.
Erſt durch die ganz neue und eigentümlicdye Bereicherung,
ehe Die wißenſchaftliche Einfiht in das Erziehungsweſen und
ar in die elementaren Grundlagen aller geiftigen Bildung
ch Peſtalozzi und durch vielfeitige Verarbeitung der Gedanken
fielben erhielt, kam die Volksſchule zu ihrem wahren Begriff,
dem die Stelle derfelben in dem einheitlichen Ganzen des ge
mmten Unterrichts und Erziehungsweſens erfannt wurde **).
$. 2.
ühblik auf die verfchiednen Stadien in der Entwicklung des Volksfchulmefens.
Erſt vom Gefichtspunft der Peſtalozziſchen Erziehungsidee
us ift ein umfaßender Ueberblid über die innere Entwidlung der
R Bgl. außerdem über Peſtalozzi; Niederer über „Peſtalozzis Erziehungs.
temehmen im Verhältnis zur Zeiteultur“, Iferten 1812, und Niemeyers Schrift:
leber Peſtalozzis Grundfäge und Methoden“, Halle und Berlin 1810.
”) Inter den Schriften, welche fih auf die Ausmittelung und Abgrenzung
N Eniehungsbegriffes vorzugsweife beziehen, find zu nennen Stephani (Syſtem
R öffentlichen Erziehung, 1805), Niethbammer (Streit des Philanthropinismus
ad Humanismus 1808). Niemeyer (Srundfäge der Erziehung und des Unter-
ichu) und Schwarz (Erziehungsiehre, 1802 — 1806, Eompendium der Erzieb-
mg. und Unterrichtswißenfchaft, 1817, Pealoggis Methode und ihre Anwendung
a volltſchulen, 1803).
— 268 —
Volksſchule und eine allfeitige Feftftelung des Begriffes
moͤglich.
Die Ausprägung der Idee der Volksſchule Bat |
folgende fünf Entwicklungsſtadien verlaufen: 1) Zunaͤch
dDiefelbe aus dem Geifte und dem unmittelbaren Lebens
des evangelifchen Proteftantigmus überhaupt geboren. S
teftantifche Geift wollte das gefammte religiöfe Leben des
auf den Glauben an die Taufgnade und auf Dad Bew
von dem Beſitze der Taufgnade gründen. Das Inten
Proteſtantismus hing nicht an der Außeren Snftitution de
fondern an der Perſon des einzelnen Kirchenglieded. Es
daher alled daran, nit daß der Einzelne nur ein An
ber äußeren Kirche fei und nur als folder in Betracht
wolle, — fondern daß in dem Herzen des Einzelnen, i
Bewuftfein und feinem Gewißen das Neih Gottes g
werde. Das Erfte, was der Proteftantimus anftrebte, ı
in dem einzelnen Chriſten ein ſicheres perfönliches Bew
von der ihm für feine PBerfon (nicht blos der Kirche
gemeinen) gegebenen Gnade, d. b. von der Taufgnade alı
lage feines gefammten Lebens gejchaffen werde. Der prote
Geiſt erfannte ſomit in allen Gliedern der Gemeinde gem
Dedürfnis klarer Erfenntnid des Heiled an, waßn
einen für den Chriftenmenfchen als foldyen eingerichteten
richt gewährt werden konnte. Hiezu Fam Die Bedeut
Konfirmation, welche ganz eigend Dazu angeordnet vı
der junge evangeliſche Chrift von der Hoffnung, Die in i
öffentlich Rechenfchaft geben und in Die Zal der mündi
dem gefammten gottesdienftlichen Xeben der Gemeinde tet
den ®emeindeglieder eintreten follte. Der Pfarrer follte bi
Katechumenen bierzu vorbereiten, Eonnte Died aber nicht thı
biefelben nicht vorher im Leſen, in der biblifhen Geſchi
Singen der Kirchenlieder u. |. w. unterrichtet waren.
mufte der SKüfter eine Schule einridhten, worin Die zu
Ratechumenen des Pfarrers für den Beſuch des Confirm
terrichte8 und zur Teilnahme an dem Firdhlichen Kultus!
Gemeinde vorbereitet wurden. —
— 2369 —
So erwuchs der Begriff einer Schule, worin nicht einzelne,
durch BVerbältnifie Begünftigte zu lateinifchen Gelehrten und zu⸗
künftigen Staats⸗ und Kirchenbeamten, jondern worin bie Kinder
des chriſtlichen Volfed zu mündigen Chriſten und Gemeindegliedern
erzogen und mit denjenigen Kenntniffen auögeftattet wurden, welche
dem Ghriftenmenjchen als ſolchem nötig find.
2. Indeſſen zeigte es fich, daß ein Schulunterricht, der nur
Boraußfegung der pfarramtlihen „Kinderlehre” und der Teilnahme
an dem Kultus der Gemeinde war, doch nicht genügte. Daher
hate Die fpätere Zeit zu Den gemein- proteftantifchen Factoren
des Volksſchulweſens den Gedanken hinzu, daß für den ganzen
Griieherberuf der Kirche das Katechifiren, mit welchem fich der
Prediger nicht an Die Gemeinde, fondern an das einzelne Gemeinde⸗
glied wende, noch wichtiger und wirkſamer fei als das Predigen.
Und erft durch dieſe energijche Hochftellung der Katechifation ges
wann der Lehrer eine in der chriſtlichen Erziehungsidee begrün-
dete eigentümliche Stellung neben dem Prediger, und erft hierdurch
wurde es möglich, den eigentümlihen Beruf der Schule d. 5.
der Volksſchule zu begreifen. — Es war diefes die Frucht
bed Geiſtes des Pietismus. — 3. Indem jebodh die zunächſt
ducch den Pietismus regenerirte Volksſchule ihre Aufgabe ernftlich
m löfen fuchte, ftellte es fich fofort heraus, Daß es der gute Wille
alen und der nur auf vollfländige Mitteilung der zu lehrenden
Wahrheiten berechnete Unterricht doch nicht that. Man fah ein,
daß das Unterrichten eine Kunft fei, daß dafjelbe methodiſch
fein müße, wenn e8 Erfolg haben ſolle. Man begriff daher, daß
die Volksſchule ein Inſtitut fei, worin das einzelne Kind plan-
maßig und nach einer beftimmten Lehrmethode behandelt wers
dm müße, wenn ihm die Schule wirklich das gewähren folle, wozu
fe da fei. — 4. Hierzu kam, daß das Beduͤrfnis des Lebens bie
Aufgabe der Schule allmaͤhlich erweiterte. Bisher hatte die Volks⸗
ſchule nur dem kirchlichen Berufe gedient; aber man fah ein, daß
dab Lehen überhaupt berechtigt ſei, an die Volksſchule Anforbes
tungen zu flellen, und daß dieſelbe demgemäß eine Schule für das
Lehen des chrifklichen Bürgerd und Bauern in feiner Ganz⸗
heit fein müße, wobei anerfannt wurde, daß die Grundlage
— 10 —
des Lebens das Ghriftentum fein müße. So geftaltete fi d
Begriff hriftlider Volksbildung, zu deren Pflege und Be:
breitung die chriftliche Volksſchule beftimmt ſei. — 5. Aber auc
biermit war die Aufgabe der Volfsfchule noch nicht vollfomme
gewürdigt. Denn es war noch feftzuftellen, wie die Methode, nac
welcher den Schulfindern hriftliche Volksbildung angeeignet wer
den ſollte, bejchaffen fein müße. Peſtalozzi beantwortete die
Frage jo, daß er 1) in der Methodik den Begriff des Menſche
nad) feinem ganzen Umfange geltend madte, und daß er 2) a
die Stelle des Begriff eines Unterricht, der nur Wahrheite
von außen ber in das Schulkind hineinträgt, um es allmählic
mit einer für einen Äußeren Zweck ausreichenden Summe vo
Kenntnifjen zu füllen, — den Begriff einer Ausbildung und 6
ziehung ftellte, welche an die in dem Menfchen bereit vorhand«
nen, dem Menjchen als ſolchem angehörenden Anlagen, Kräfte un
Wahrheiten anfnüpfte und lediglich harmonische Entwidlung un
Ausbildung des Menfchen anftrebte.
§. 3.
Allgemeines über das Volksſchulweſen in den erſten Bahrzehnten des
neunzehnten Bahrhunderts.
Rochow war der Vorläufer Peftalogzts gewefen, hatte al
nicht den Grfolg oder die Gelebrität wie Diejer gewonnen, w
ihm in feiner Zeit zunaͤchſt nur Die Aufgabe zufallen Eonnte, du
Aufftelung ermunternder Vorbilder georpnete Schulen ins Lei
zu rufen, überhaupt den Segen einer nicht bloß auf dem Pap
porgefchriebenen, fondern aud in der That verwirklichten Sch
ordnung wahrnehmbar zu machen, die Ausbildung zukünftig
Volksſchullehrer zu veranlaßen und erft den Boden zu befchafft
in weldyen Die von Peftalozzi entwidelte Erziehungsidee hinein;
legt werden konnte, um in bemfelben zu gedeihen und Frucht
bringen. Daher wor Peſtalozzis Erfolg entjcheidender, augenfi
liger, man möchte jagen geiftiger, als die Refultate, welche Rocht
erzielte; und Daher geſchah es, Daß Rochows Name vergeß
;
£
|
— 271 —
wurde, als Peſtalozzis geiftige Schoͤpfung aufzublühen und groß
m werben begann. Aber die Arbeit, die der Eine gethan hat, tft
wugleih auch des Anderen Werk. Beide find die wirkfamften Be-
gründer der gegenwärtigen Volksſchule.
Die Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen Län-
ben zeigt, wie feit dem Anfange des neuen Jahrhunderts von
allen Seiten her die regften Beflrebungen und die rüftigften
Kräfte zufammentrafen, um dem Volksſchulweſen einen neuen Le:
bendhauch einzuathmen und dafjelbe innerlich wie äußerlich zu he
ben. Es wurden bejondere Behörden zur Leitung des Volksſchul⸗
weſens eingefeßt, an Die Schulamtöcandidaten wurden in ben
Prüfungen immer höhere Anforderungen geftellt, regelmäßige und
frenge Schulvifitationen wurden angeordnet, ein regelmäßiger
Schulbeſuch aller Tchulpflichtigen Kinder wurde von den Staats⸗
behörden immer mehr mit unerbittlidher Strenge überwacht, und
mgleih gab ſich ſowol in den Staatöbehörden als von Seiten
zalreicher Freunde des Volksſchulweſens der freudigfte Eifer zur
Deberung des eigentlichen Schulunterriht8, der Methode und der
Schulerziehung Eund.
Im Allgemeinen zeigte es ſich hierbei, daß Peftalozzid Gin-
fluß nach drei Seiten bin nachhaltig wirffam wurde, nemlidh 1)
inſofern derfelbe den Schulmännern Veranlaßung gegeben hatte,
dad Banze ihrer Aufgabe von einem durchaus neuen Gefichtspunft
aus forgfältig ind Auge zu faßen, und fi) dem pädagogifchen
derufe mit neuer Sreudigfeit und Begeifterung hinzugeben; 2) in-
ſofern der Unterricht jegt mehr und mehr als Erziehung, der
Schüler alfo nicht mehr nach der früheren hanbwerfsmäßigen
Denkweiſe als Lehrling, ſondern als Zoͤgling angeſehn und bes
handelt ward, und 3) inſofern der Unterricht im Rechnen jetzt
eine neue Bedeutung und ganz neue Behandlung erhielt. Denn
unter den einzelnen Unterrichtsgegenfländen war eigentlich der
Nehnenunterridt der einzige, worin ſich Peftalozzis Methodik auf
Die Dauer behauptete (während im übrigen biefelbe eigentlich wer
Niger Einfluß auf die Behandlung der Unterrichtsfachen als viel-
Mehr auf Die Behandlung der Schüler ausübte), Das Gigen-
— 272 —
tümlidye in Peſtalozzis Methode des Rechnenunterrichts ergiebi
aus Folgendem:
Peftalozzi ließ feine Schüler Die Zalen und die ein
ften Verhältniffe (etwa bis 20) zunädft durch finnliche Anſchat
an Fingern, Würfeln, Bohnen, Nüffen ꝛc. kennen lernen,
führte dieſelben jodann zu feiner inheitentabelle, jowie jpäte
ben Bruchtabellen, wo der Schüler die Zalenverhältniffe anſch
und fchauend zufanımenfaßen konnte. Jede dieſer Tabellen ent
100 Felder, je 10 neben einander. In der Einheitentabelle
hielt jedes Feld der erften Reihe einen Strih, in der zw
zwei u. ſ. f. bis auf zehn Striche, wodurd die Menge ber
beiten, aus denen jede ganze Zal befteht, dem Kinde imme
anſchaulich dargeftellt werden follte. Die Tabelle für die einfe
Brüche enthielt in der erflen Reihe zehn Quadrate, in der zw
ebenſo viele, die durch eine ſenkrechte Linie halbirt waren un
fort bis zur zehnten Reihe, worin die zehn Quadrate wied:
zehn gleiche Teile geteilt waren. Die Tabelle für Die dopp
Brüche teilte ebenjo die Duadrate durch horizontale und jenk
Linien, jo daß das letzte Quadrat in 100 Teile geteilt war.
Schüler mufte nun zunächſt an der Einheitentabelle die }
vergleichen, durch Multiplication und Divifion Zalenverhäl
bilden und auflöfen und in einem durch ein Geſetz beflimmt v
zeichneten Gange bis zu den zuſammengeſetzten und ſchwie
Verhältniffen fortfchreiten. Peſtalozzi unterfchied hierbei acht
Ichiedne Functionen des Schülers: Nach den an finnlichen ®&
ftänden angeftellten Vorübungen follte er 1) ſich auf der Tı
prientiren, indem er Die Einer, Zweier 2c., Zehner in ihren R
genau ind Auge fafte;, 2) bildete er zehn Zweier aus zw
Einheiten, zehn Dreier aus dreißig Einheiten ıc., zehn 3
aus hundert Einheiten und Löfte dann die Zweier 2c., wen
gebildet waren, wieder in die Einheiten auf; 3) verwandel
bie Zweier in Dreier und umgekehrt, die Dreier in Vierer,
Neuner in BZehner, Die Zehner in Neuner; 4) nahm er von £
die fi in 2, 3, 4 2c. 10 gleiche Teile teilen laßen, einen Ba
dritten, zehnten Zeil, 2, 3, 4 ıc. 10mal und beflimmte dan
daraus bervorgehende Summe der Einheiten, 3. B. 2ma!
— 273 —
finfte Teil von 25 ift 2mal 5, 2mal 5 tft 10, d. 5. er gebrauchte
has Einmaleins; 5) bildete er einfache Zalenverhältnifie; 6) ſtei⸗
erte er diefe Uebung; 7) bildete er zuſammengeſetzte Verhältnifie
der Proportionen, und lernte die vierte Zal finden, welche ſich
giebt, wenn ein Verhältnis und eine Zal von einem andern Ber-
iltnis gegeben iſt; 8) jeßte er dieſe Hebung fort *).
Sn der Grteilung des Lejeunterriht8 wurde Die Lautirmes
ode immer allgemeiner üblich. — Der Schreibunterricht wurbe
mentlih nach Anleitung Stepbanis und Pöhlmanns im
er mehr in Gemäßheit der neueren Unterrichtsprinzipien behans
9), — Der Zurnunterriht kam auch in dieſer Periode nur
oradiſch in der Volksfchule vor. Namentlich in Schlefien, wo
is Zurnerleben einen Hauptliß in Breslau hatte *%*), wurbe der
umunterriht mit dem Unterricht im Singen als wefentlicher
ehrgegenftand der Volksſchule gewürdigt. Uebrigens lag auch der
helangunterricht faft durchweg noch fehr Darnieder. In den meiften
Säulen verftand man unter Geſang nichts anderes als ein lautes,
reiſchendes Ableiern der Kirchenmelodien. An die Einübung von
3olföliedern und an eine methobifche Behandlung des Befanges
surde leider nicht gebacht ****).
— — —
*) Ueber die Abweichungen, welche Stephani von Peſtalozzis Methode vor-
ihm, dergleiche man den trefflichen Aufſaß von Pfr. Hagen „Vergleichung der
tephanifchen und Peſtalozziſchen Methode des Elementarrechnens“ in Gtephanis
Kerifhem Schulfreund B. V.
) Siehe oben S. 212 ff.
») Raumer, Geſch. der Pädag. III. &. 238.
““) Bol. Freimũt. Jahrb. der allgemeinen deutfhen Volksſch. 1826 ©. 113
eferent ift mit mehreren hundert Schulen fehr genau bekannt, und darunter
d nur etwa ein Dupend, in welchen ihn der Gefangunterricht befriedigte ; in dem
heren Xeile derfelben ift er fogar recht ſchlecht beftelt. Im den meiften
dulen wißen die Kinder keine Kirchenmelodie nach Noten oder nach Ziffern zu
Rn, Was fie können, haben fie mechaniſch auswendig gelernt, ſchreien oft dabei,
I einem Sören und Gehen vergeht, verzerren die Gefichter auf eine empörenbe
Sife, und vermögen noch nicht einmal von den erften Anfangsgründen des Ge-
ges Rechenſchaft zu geben. Daß auch fchöne Bolksgefänge gelehrt werden
iBen, das wißen viele Kehrer noch ganz und gar nicht“.
18
— 274 —
Unter dem 31. Juli 1818 publizirte nemlich das ERonfifl
rium zu Breslau einen Erlaß an die Kreisräte, Superintendente
Pfarrer und ftädtifchen Behörden der Provinz Schlefien, wor
ed zur eifrigften Förderung der Turnkunſt ald eines weſentliche
Teiles der Volkserziehung auffordert. Das Konfiftorium ho
insbefondere hervor: „Die Geſanglehre und die TZurnkunfl
womit die Gegenftände des öffentlichen Unterrichts und der Ju
gendbbildung feit einigen Jahren vermehrt find, haben einen ſi
wolthätigen Einfluß auf das heranwachjende Gefchleht, daß miı
e8 und zu einer bejondern Angelegenheit machen, nach der Abſich
ber höheren Staatsbehörden die allgemeine Aufmerkſamkeit und
Zeilnahme der Provinz darauf binzulenfen. — Wir empfehlen bie
Turnübungen ald einen wejentlichen Gegenftand der allgemeinen
Voltshildung, und wünfchen, Daß fich zu ihrer weiteren Verbrei⸗
tung Alle mit uns vereinigen, Die ſich überzeugt haben, daß eine
gejunde Seele auch gern in einem gefunden Körper wohnt, daf
es zur volllommnen Bildung des Menſchen gehört, nicht in
Schlaffheit und MWeichlichfeit erfunden zu werben, ſondern auf
feiner leiblichen Kraft vertrauen zu dürfen, und daß wir bei
funftvole ®ebilde, womit der Schöpfer unjern Geift umgeben
bat, auch in feiner eigentümlihen Schönheit und QTüchtigfeit vor
ibm darſtellen. Befonderd fordern wir die Herrn Sreislandräke,
Superintendenten, Pfarrer und ftädtifche Behörden auf, vielen
Segenftand mit Exrnft zu betreiben, und auch dadurch das Belt
ber aufwachjenden Generation zu befördern, wobei wir nod be
merken, daß wer eine gründliche Belehrung darüber wünfcht, folde
in der Schrift finden wird: „„Die deutſche Turnkunft von Yahı
und Eiſelen““.
Für die Handhabung der Disciplin in den Schulen hatt
die neuere Pädagogik von Peftalozzi gar nichts gewinnen koͤnnen.
Hier galten Rochows Vorfchriften als der neueren Schule aller
würdig. Uber die Verwirklichung berjelben in größeren Schula®
falten hatte ihre Schwierigkeit, und man fragte lange, wie M
Rochows Grundfägen die Gedanken Lancafterd über Erziehung !
vermitteln jeien. Es wurde viel herüber und hinüber geftritte!
aber das Beſte, was aus Diefer Discuffion hervorging, war jene
— 275 —
wis Zellers „Schulmeifterfchule oder Anleitung für Landſchul⸗
lehrer zur geſchickten Verwaltung ihres Amtes in Aragen und
Antworten, Gleichniſſen, Geſchichten und Geſprächen“ (Zürich),
1807.). Seller zeigte ebenfalld, daß die Schule notwendig Fami⸗
limerziehungsanftalt fein müße. Die Disciplin müße daher jo
gehandhabt werben, daß ein Schüler des anderen Bruder und
Schweſter, und der Lehrer der freundlich ernfte, väterliche Freund
ale Schüler fe. So ſuchte Zeller das von Bell und Lancafter
4 eingeführte Untermeifterfyftem und das Inſtitut des Schulgerichts
in das Rochowſche Disciplinarſyſtem innerlich und organiſch auf-
4 ymehmen und durch den Geiſt derſelben zu veredeln.
Vieles geſchah in dieſer Zeit zur Aufbeßerung der Lehrerge⸗
=4 halte, Die namentlich auf dem Lande ein dringendes Bedürfnis
ei war. In Baiern wurde i. J. 1811 einftweilen der reine Ertrag
4 einer jeden Lehrerftele auf dem Lande auf ein Minimum von
MR. fixirt; in Naffau erhielten nach landesherrlichem Edikt
vom 24. März 1817 die Lehrer an den Glementarfchulen einen
4 jhtlihen Gehalt von 200-500 fl. Am Großherzogtum Sachſen⸗
4 Beimar wurde durch Iandesherrliche Verordnung vom 28. Februar
24 in Minimalgehalt der Schullehrer von 100 Thlr. feftgejeßt. Auch
; den Herzogtümern Sachjen-Meiningen und Sachſen⸗-Hildburg⸗
EB haufen (in welchem letzteren ſich nur 29 Stellen mit einem Gehalt
von 150 fl. und 9 Stellen mit 60 — 100 fl. vorfanden) wurden
4 die Gehalte der Dorfichullehrer erhöht. In Lippe wurde das
jährliche Dienſteinkommen fämmtlicher Schullehrer auf ein Mini-
iJ mm von 110 Thlr. (jpäter, i. J. 1821, fogar auf 150 Thlr.)
befimmt. — Auch in Deftreich that man Manches. Zur Ermun-
| fung der Lehrer an deutſchen Volksſchulen im Kaifertum Oeft-
4 wurbe verorbnet, daß bie Gemeinden, in deren Mitte ein
ſelher Lehrer wenigftens drei Jahre geftanden, der Witwe täglich
6 Kreuzer und jevem Waifen täglich 2 Kreuzer in vierteljährlichen
driſten, mithin der erſteren 38 fl. 30 fr. und den letzteren 12 fl.
0 fr. jährlich durch den Pfarrer oder Beamten des Orts zuftels
5 im follten. Hatte Der Lehrer zehn Jahre fungirt, fo follte die
J Bite täglich 8 Kreuzer (aljo 48 fl. 40 Fr. jährlich) erhalten.
| 18°
— 276 —
Würden die Gemeinden dieſe Zalung nicht leiſten koͤnnen, fo
follten die LZandesftellen einen Fonds dazu ausmitteln *).
In anderen Ländern dagegen fah e8 freilich mit der äufße-
ren Lage der Schullehrer noch im hoͤchſten Grade beflagendwert
aus. Im großherzoglichen Oberheifen bezog (nah Eigenbrods
Handbuch der großh. heſſ. Verordnungen vom Jahre 1803 an,
8. OL S. 358) nur 4 der Lehrer über 100 fl., 4 derſelben
zwifchen 50 und 100 fl. und 4 weniger als 50 fl. Beſoldung.
Im Königreih Hannover hatten viele Lehrer jährlich nur 15 bis
30 Thlr. Dienfteinfommen. In Meflenburg gab ed, namentlid
auf den freiherrlichen Befigungen, viele Lehrerſtellen, Die außet
einer Wohnung und einem Gärtchen, etwas Holz und wöchentlid
einem Dreier Schulgeld von einem Kinde, jährlih nur vier Tl.
eintrugen.
Allerdings dauerte e8 lange, bis die große Maffe der un
fähigen und unverbeßerlichen Schulmeifter, die noch aus der frühe
ren Periode herſtammte, ausftarb und bis ſich ein wirklich inteli
genter, feines Berufes fi) bewujter und demfelben wirklich lebende
*) $reimüt. Jahrb. der allg. deutfchen Volksſch. B. I. S. 449.
**) Man lefe z. B. folgenden Brief, den eine Buchhandlung i. I. 1825 vom
einem katholiſchen Schullehrer in Rheinpreußen erhielt:
Den 24. Rovember 1825.
Hoch die felben wollen zu Ehren halten mein weniges ſchreiben an eine hoch
Buch Sandlung und Buch Druderey.
Da mir jep bie Gröfte gelegenheit feld, möchte ich doch gefälligft bitten, m!
doch) ein Buch zu überfenden, mit dem überbringer dieſes Briefs welches den Ziltt
führd Chriftofels Buch nebft Beſchwörungen defelben, oder das Aroma Bud
Beſchwörungen oder den drugen Höllenzwang, follte diefe fo vorbenannden Bud
jeß unter einer anderer Zittel ftehen, mögte ic) doch bitten, das fie mir ein Be
ſchicken thätte, womit man etwas verborgenes Erheben Tann.
Wen der überbringer den preis des Buches erlegt hatt. Bitte ich den ſelk
zu befdeinigen und das Bud nebft den felben zu verfiegeln und den felbers
übergeben.
Grüße fie mit Hochachtung
Der fatholifhe Lehrer N.
in N. in Rhein-Preußen.
— 277 —
»d bienender Lehrerſtand gebildet hatte. Denn felbft im dritten
keennium des neuen Kahrhundert3 gab es Schulmeifter, die felbft
er Schulbildung durchaus haar und Iedig waren. Aber nichtöbefto-
miger war doch allmählich der geiftige und fittliche Zuftand ein
brer geworden. Man hatte jetzt in allen Landen eine Anzal
n Schulmeiftern, die mit Recht als Volksſchullehrer bezeichnet
den konnten, die mit Luft und Liebe in ihren Schulen arbeite:
ı und durch Teilnahme an freien Vereinen zur eignen Fortbil
ng, an Leſezirkeln, periodifchen Conferenzen, durch Anfchaffung
b fleißige Benutzung pädagogijcher Literatur ihres hehren Bes
feö fich immer würbiger zu machen fuchten. Auch war es gut,
i die Lehrer fih zur Erteilung des Schulunterrichtes durch⸗
ig der ſchriftdeutſchen Sprache bedienten. Blieb darum auch
Wirkſamkeit der Volksſchule noch lange Zeit hindurch eine
er mangelhafte und unzureichende *), jo war doch wenigftens
e wabrnehmbare Wirkſamkeit der Volksſchule im deutſchen Volke
lich vorhanden. Die Volksſchule war zu einer geiftigen Macht
worden, deren Beftand in dem von dem Volke erfannten Bes
tfnis und in den Synftitutionen des Staates und der Kirche
fhert war und von deren Segen das geiftige, veligiöfe, fittliche
d phyfiſche Leben des Volkes mehr und mehr durchdrungen und
nährt ward.
Als daher der franzöflihe Profellor der Philoſophie und
taatsrat Couſin im Auftrage des franzöftfchen Minifters des
entlichen Unterrichts und des Gultus, des Grafen Montalivet,
Mai 1831 nad) Deutichland Fam, um das deutjche Unterrichts-
fen zu ſtudiren und über die Anwendbarkeit der deutjchen Schul-
Ktutionen auf Frankreich zu berichten, ftaunte derfelbe, als er jah,
B in dem Volksſchulweſen ein Nationalſchatz des deutſchen Volkes
thanden war, an dem jede, auch die Feinfte Gemeinde, parti-
) Im Königreih Sachſen wurde i. 3. 1831 (oder 1830?) eine Prüfung
115 Recruten angeftellt, welche in ein Regiment eingereiht werden follten.
n diefen konnten 30 gar nicht lefen, 42 gar nicht fehreiben, 36 nur höchſt not-
flig leſen und ſchreiben, und nur 6 beftanden wie alle hätten beftehn follen!
hebhanis Baieriſch er Volksfreund B. 25. &. 136.)
— 2178 —
zipirte *). Er ſah in der Volföfchule ein Anftitut, welches recht
eigentlich dem deutſchen Geiſte, dem beutfchen Ernſt und der beut-
chen Froͤmmigkeit angehöre und er erkannte richtig, Daß das
Chriftentum die Grundlage fei, auf der die Volksſchule einer
chriſtlichen Nation ſtehen und gepflegt werben müße.
) Eoufins Berichte an den Minifter erfchienen 1833 und 1833 in deut-
her Ueberfeguug unter dem Titel: „Bericht des Herrn M. 8. Eoufin über den
Buftand des öffentlichen Unterrichts in einigen Ländern Deutichlands und befonders
in Preußen, — überfegt von Dr. Kröger, Kateheten am Waifenhaufe in Ham
burg“, 2 BL.
) Eoufin fogt (Kröger II. &. 336): „Um zu beflimmen, was ein gutes
Seminar fei, muß man wißen, was eine einfache Elementar-, eine arme Dorfſchule
fein fo. Die Voltsfhulen einer Nation follen durchdrungen fein
von dem religiöfen Sinne diefes Volks“. — „Deswegen muß in dem
Geminarunterricht die Neligionslehre den erften Plap einnehmen, d. 5. rein heraus
gefagt: Der Unterriht im Chriftentum“. —
Zweite Abteilung.
Die Geſchichte des Volksſchulweſens in den
| einzelnen Territorien Deutſchlands.
Kurheſſen.
Erſter Abſchnitt. Von 1526 — 1700.
Do ejenige deutſche Land, in welchem die Errichtung von
Elementarſchulen fuͤr beide Geſchlechter in Staͤdten und Doͤrfern
am früheſten beſchloßen wurde, iſt Heſſen. In der Reformations⸗
ordnung nemlich, welche von der zu Homberg i. J. 1526 ver⸗
fammelten heſſiſchen Nationalfynode aufgeftellt wurde, warb (in
Gap. 30: „von den Snabenfchulen“ und Gap. 31: „von den
Mädchenfchulen”) verordnet:
„Sn allen größeren ſowol als kleineren Städten und in den
Dörfern follen Schulen fein, in welchen die Knaben in den Ele
mentarlehren (rudimenta) und im Schreiben fo lange un-
terrichtet werden, bis Die, welche es wollen, zum Stubium in
Marburg befähigt, dorthin zur höheren Ausbildung fich begeben.
Und wenn bier und da in den Landfchulen ein vollftändiger Ele
mentarunterricyt (omnia rudimenta) unmöglich ift, jo follen we
nigftens die Bifchöfe (d. h. die Ortspfarrer) oder ihre Behülfen
den Unterriht im Lefen und Schreiben erteilen. Die Ge
meinden jollen aber nur taugliche Leute zu dieſem Gefchäft ers
wählen, nemlich folche, welche die Knaben auch zu guter Geſittung
und zu wißenfchaftlihem Streben mit Erfolg anzuhalten vermögen.
Dagegen ſoll auch für ihr völlige Auskommen gejorgt werben,
— 232 —
damit fte fich diefen Berufe ganz ungehindert wibmen koͤnnen, und
die Vifltatoren und Biſchöfe follen darüber wachen, da nicht wes
nig, fondern gar viel darauf ankommt, daß Die Jugend der Gläus
bigen guten Unterricht erhält. — In den Schulen felbft follen
aber von fett an Vormittags und Nachmittags ein, zwei oder
drei Pfalmen nad dem Ermeßen des Lehrer, und zwar las
teinifch gefungen und dabei foll Die Reihenfolge der Pjalmen
eingehalten werden. Dann fol Einer ein Kapitel, Vormit⸗
tags aus dem alten, Nachmittags aus dem neuen
Teftam. lefen; und außer den Palmen und Einem Kapitel fol
nicht8 weiter (aus der Bibel) vorgenommen werden. Auf foldhe
Weiſe follen die Knaben allmäblih mit der H. Schrift
vertraut gemacht werden. Vormittags fol der Unterridt
damit begonnen, Nachmittags damit gejchloßen werden”.
„Außerdem follen in den großen und den Fleinen Städten,
wo möglich auch in den Dörfern, Mädchenfchulen eingerichtet
werden, unter der Leitung gebildeter, in den Jahren vorgerüdter
und frommer Frauen, welche die Mädchen nicht blos in den
Hauptftüden der Religionslehre, fondern auch im Leſen, Nähen
(nere) und Stiden (operari acu) hinlaͤnglich unterrichten und
zur Pünktlichkeit und Geſchaͤftigkeit anhalten follen, damit fie ſpaͤ⸗
terhin tüchtige Hausfrauen feten. Außerdem wollen wir, Daß au
bie Mädchen Vor⸗ und Nachmittags in der H. Schrift geübt wer-
den, Daß fie einen Palm gemeinschaftlich und daß eind von ihnen
ein Kapitel Iefe, wie wir e8 oben in Betreff der Knaben beftimmt
haben. Sie jollen aber dieſes in der Landesfpradhe leſen“.
Diefes find die Beflimmungen der Homberger Reformation
ordnung, mit deren Publicirung indeſſen die Gefchichte der Volk
ſchule in Kurheſſen noch nicht ihren Anfang nahm. Denn abgefehn
davon, daß in diefen Beftimmungen ber urjprüngliche Begriff der
Volksſchule, wie ſich derfelbe hiſtoriſch geftaltet hat, nicht in voller
X
—
Reinheit dargeſtellt ift, find bekanntlich die Homberger Synodab =
befchlüße faſt ſaͤmmtlich nie zur Ausführung gekommen. GErſt ee
ber zweiten Haͤlfte des 16. und in ben erſten Decennien de—
17. Jahrhunderts begannen hier und da in Heffen Volksſchule —
zu entſtehn. In einem kirchlichen General-Bifitationsberiht v —
— 2383 —
1556 *) werben neben den Pfarrern auf dem Lande nur Opfer⸗
männer genannt, und wo von Schulmeiftern die Rebe if,
fab lediglich die Lehrer an ben Iateinifchen Stabtfchulen gemeint.
Im ganz Nieberhefien fanden fi) damals nur in etwa fieben Döw—
fern (namentlic in Kaufungen, Morſchen, Ulfen und Abterobe)
Läferfulen vor. — Auf der Generalfynode des Jahres 1569
Beridhtete der Superintendent zu Kaſſel, Die Schulen wären in dem
Städten, und foweit ed gehn wollte, auch auf dem Lande
wol beftelt **). In der Grafſchaft Kapenellenbogen beftanben in
jemem Jahre nur vier, und in der Herrſchaft Eppftein nur zwei
Schalen, die „ziemlich beftellt“ waren. Diefe Schulen waren jes
Boch nur Stadtſchulen; man unterrichtete bier die Schüler im
Dionat, Kato und Aefop. Im Jahre 1620 dagegen finden
> &r bereits in allen Pfarreien jener beiden Landes
te üle Schulen eingeridtet.
Schon diefe Thatfache weift beitinnnter auf den Beitraum
Hera, in welchem die erflen Anfänge eines eigentlichen Volksſchul⸗
Deiend auffeimten. Es geſchah diefes in den drei erſten Dezem
nen des 17. Jahrhunderts, d. h. in der Periobe ber heififchen
Sure, in welde die Einführung der Verbeßerungspunkte bes
au ndgrafen Morig und die Spaltung Heflend in eine reformirte
Kun in eine Iutherifche Kirchefällt. In HeflensKaffel wurden nemlich
EN. Kicchenbiener, welche gegen die Einführung ber Verbeßerungs-
P ugıfte renitirten und ſich zugleich zum Lehrerdienfte unbrauchbar
Wieſen, (3. B. die Opfermänner zu Amdnau, Rosphe, Sterz⸗
x uſen, die weder leſen noch ſchreiben konnten), von ihren Stellen
Teamoirt, und durch geeignetere Leute erſetzt. Der Schulmeiſter
sum Obereiſenhaus, der ſich ebenfalls in die Kirchenreform nicht
Flagen wollte ‚ ging nah Dautphe und übernahm dajelbit den
ft eines Gemeindeſchreibers. In Breitenbach) wurde ber re
veesiende Schulmeifter zwar in feinem Küfterbienft gelaßen; aber
Die Schule wurde einem lediglich für den Schuldienft angeftellten
— ——
”) Derfelbe wird in dem vormaligen Regierungtarchid zu Kaſſel aufbewahrt.
”*) BgL meine Geſchichte der heſſiſchen Generalfgnoden, ®. I. ©. 51 ff.
— 284 —
reformirten Schulmeiſter uͤberlaßen. In anderen Doͤrfern geſche
Aehnliches. — |
An vielen Orten waren es die Pfarrer oder bie Supert:
tendenten, welche die erfte Ginrichtung der Schulen bewirkten; «
andern Orten wurde von den Gemeinden bie erfte Anregung g
geben, 3. B. zu Robenhaufen, wie aus einem Bericht des Pfarrer
zu Kirchvers i. J. 1624 erhellt, in welchem der Pfarrer feine
Superintendenten mitteilt: „— — als verfüge ih Ew. Ehrwuͤrde
zu wißen, wie daß die Rodenhäufer Gemeinde mich neulicher Ze
erfucht, daß ich ihnen wolle Hülfe und Vorſchub thun, bamit ei
Schul- und Zuchthaus für ihre blühende und angehende Jugen
möge angeftellt werden; und aber, weil biejer ihr Opfermann a’
und unvermöglich, auch weder fehreiben noch recht leſen kann, ge
beten, daß ſie mit einer andern Dazu dienlichen Perſon — mög
verjehn werden. Denn ed ihnen gar bejchwerlich fei, Diele
ihren alten länger zu behalten, alldieweil er nicht ſoviel koͤnn
daß er ihnen Fönnte irgend eine gejchriebene Zeile oder etliche Iı
fen, und fie deswegen in die benachbarten Dorfſchaften Taufe
müßen und erft Iefen laßen, welches ihnen fchimpflic und Bi
ſchwerlich ſei“.
Auch in Kirchvers ſelbſt war um dieſe Zeit (1624) no
keine Schule vorhanden, wie aus dem Schluſſe des eben angeyı
genen Berichted an den Superintendenten hervorgeht. Der Pfarr
zu Kirchvers Flagte nemlih: „Die Schule dieſes Ortes belangen!
fo habe ich noch zur Zeit Diefelbige nicht aufrichten koͤnnen, wege
Halsftarrigkeit der Einwohner dieſes Orts, Die nicht den gerin,
ften Pfennig Gott zu Ehren und zur Wolfahrt ihrer Kinder da
zugeben gedenken, will gejchweigen, daß fie jollten ein Schulhar
aufrihten. — — Will derowegen Ew. Ehrw. dienſtlich gebetı
haben, mir hierin Hülfreihe Hand zu Bieten, damit zu der EB
Gottes, — bier ein Schul- und Zuchthaus möge angeftellt we
ben, jonft kommt es eher, jo zu fagen, ein Jahr vergehet, dahiı
daß ich und der Opfermann Die meifte Zeit müßen in der hrif
lichen Kirche ſchier allein fingen”.
Noch deutlicher als aus den bisher mitgeteilten Nachrichte
erhellt aus den über die Küfterftelle zu Boringhaufen in Obe
— 285 —
befien aud dem Sabre 1624 vorliegenden Akten, wie ber Küfter
allmählich zum Schulmeifter wurde. Die Patronin der Pfarrei
empfiehlt nemlich bier (7. Septbr. 1624) dem Superintendenten
einen Sachjenhäufer Bürger zur einflweiligen Befeßung ber Stelle,
‚daß er fo Lange, biß man einen Andern haben möchte, das
Geſaͤnge verwahre”. Sn einem fpäteren Schreiben (11. Ok⸗
& tiber 1624) weißt die Patronin ben Superintenbenten nochmals
* auf Hin, wie nötig es fei, „daß bie Kirche allhier wiederum
* meinem Opfermann gebürlic beftellt werde, ſonderlich weil
: lich Betftunde gehalten wird, und Niemand vorhanden, der
die Gemeinde durch bie Gloden zufammenruft, fon-
' dern der Pfarrer jedesmal Jemanden aus dem Dorfe
dazu bitten muß“. Nur in der Bittſchrift der Gemeinde Horing-
daufen an ben Superintenbenten (19. Oktober 1624) wirb auf
das Lehramt des Opfermanns hingewiefen, indem die Gemeinde
um Gewährung eines „Opfermanns und Kirchendieners” bittet,
der „Fromm und guten Gerühts, auch zum Singen und Kin»
de rlehren ber Gemeinde allhier nüßlich und dienlich“.
Sin der Werragegend finden wir den Schulmeifter noch in
»en Jahren 1630 — 1650 an vielen Orten durchaus auf den
Binfterdienft beſchraͤnkt. Bon Dettmannshaufen z. B. heiſt es:
Ein Schulmeiſter wird an dieſem Orte nicht gehalten, denn keine
Seſoldung von den Kirchen für ihn geordnet, welches dann einem
Zfarrer von wegen des Singens deſto mehr Mühe giebt; ſondern
S ift nur ein Opfermann ba, der zur Kirche, auch Morgens und
Bends, und den Nachbarn zu ihren Verfammlungen laͤutet“. —
Dücht viel beßer fland es zu Mutterode, wo man um biefelbe Zeit
aux Errichtung einer Schule nur ſchwache Anfänge gemacht hatte:
weil fein Schulhaus dar, und die Beſoldung gering ift, daß
Pick feiner davon halten kann, iſt davon nicht groß rühmen.
Sof, wer da läutet Morgend, Mittags und Abends, durch
den Glockenſchlag zum Gebet vermahnet, befommt von jebem
Dauſe, deren nur vierzehn bewohnt, eine Mege Korn und ein
Brot, und wenn er zum Begräbnis läutet, auch ein Brot”.
Gigentümlicher Art waren die Verhältniffe zu Langenhain in
Aederheſſen. Hier hatte man nemlich zwar eine Schule eingerichtet;
— 286 —
aber dennoch war der Kirchendiener (Mitte des 17. Jahrhunderts)
auf feine Küfter « und Lectorenftelung bejchränkt geblieben, indem
bier der Pfarrer von Anfang an ſelbſt Schule hielt.
An andern Orten übernahmen es einzelne Bauern aus der
Gemeinde flatt des Küfterd die Kinder, fo gut ed gehen wollte,
zu unterrichten.
In welcher Weife fich etwa aus folchen Zuftänden ein georbne
te8 Schulweſen allmählich bildete, . wird aus den Nachrichten über -
bie Entftehung der Schule zu Datterode (aud dem Jahre 1636 Yu
erfichtlih. Hier Heift es nemlih: „Vor fünfzig Jahren ungefäh—
oder drüber ift allhier Fein befländiger und gewißer Schuldiene
gewefen, ſondern einer ober der andere Nachbar (d. 5. Bauer) mm
der Gemeinde Hat fi zum Schuldienft gebrauchen laßen. Dem—
jelbigen ift feine jährliche Pfarr» und Kirchen zin ſe erlaßerummm
und von der Gemeinde mit einem und dem andern befreit u
verehrt worden. Nachdem aber der Pfarrer und die Gemeind —
eined Schuldieners hochbedürftig geweſen, nicht allein die Juge
zu unterrichten, jondern auch auf den Wert der verfauften Häufer —
und Güter wegen des Leihegeldes zu merken, — fodann auch die =
Rüge in’d Gericht allbier einzulegen, *) zu fchreiben und wa -
jonft in der Gemeinde nötig, aufzuzeichnen; als bat Die Gemeinde =
mit Bewilligung des Pfarrers ein Haus im Dorf am Kirchthor —
zum Schulhaus erfauft. Diefes hat der Pfarrer in Pfarrzinſe
und Dienften, und die Gemeinde in andrer Dorfbeichwerung gan, —
befreit. Darbeneben bat Die Gemeinde zur Schule eine beftändige
Beſoldung verehrt.”
In Richelsdorf war die Einrichtung getroffen, daß jede
Schulkind dem Lehrer wöchentlich ſechs Pfennige und zweimal Soil;
*) Bur Erläuterung diene folgende Notiz über Datterode aus Landaus Beſhrei
bung des Kurf. Heſſen &. 318: „Der biefige Pfarrer beſaß ehedem die hohe umuard
niedere Jagd- und Yifchereigerechtigfeit in der ganzen Yeldmark, die Berechtigung
zur Schäferei und ein Lehengeld nebft gemwiffen Nealabgaben und Dienſten. Der
felbe übte auch die freiwillige Gerichtsbarkeit über alle der Kirchen und Part
dienft-, Iehn- und zinspflihtigen Güter aus, umd beftätigte die darüber Ar
ſchloßnen Verträge mit dem Kirchenflegel.“
— 287 —
gab. Auch follte der Lehrer von jedem Manne des Orts jährlich
wei Brote beziehn und mehrere andere Gmolumente genießen.
Aber die Schule war in Folge der Verwüftungen des breißigjäh-
rigen Krieges bier wie an fo vielen andern Orten ohne Lehrer.
Aus den Nachrichten über Die erften Anfänge bes Volksſchul⸗
weiens, welche bis dahin mitgeteilt find, erhellt, in welder
Weiſe dasjelbe uranfänglih aus dem Bebürfniffe des Pfarramts
und aus dem Bebürfniffe, welches der hriftlichen Gemeinde ald
ſolcher eignet, erwachjen if. Daher bildeten ſich allmählich aud)
le einzelnen Beziehungen, und Verhältniffe der Volksſchule fo auß,
daß bie Schule durchaus ald Accejlorium ber Kirche und das Volks⸗
ſch ullehreramt als Acceſſorium des Pfarramtes erſchien. Dieſes er⸗
giebt ſich aus den Nachrichten, welche über die weitere Begründung
der Schülen, überdie Obliegenbeiten, über die Form der Anſtel⸗
ung und Beaufjichtigung der Schulmeifter und über die Dotation
er Lehrerftellen vorliegen.
Die Begründung der Schulen betreffend, nehmen wir nem⸗
ich im 17. Jahrhundert eine zwiefache Erſcheinung wahr, in
er fih das Schulmeifteramt durchaus ald Accefjorium des
Bfarramts darftelt: 1) In Parochieen nemlich, welche mehrere
Süliolgemeinden umfaßen, findet fich faft durchweg nur Gin Schuls
zaeifter und nur Eine Schule, und zwar am Orte der Mutterkirche
>» 2) Erhaͤlt eine Filialgemeinde ein eigened Pfarramt, jo
trütt neben dem Pfarrer auch fofort ein dem Orte angehörenber
SF üfer mit einer eignen Parochialjhule auf. Die Einwohner zu
Dages in der Grafſchaft Schmalfalden z. B. muften anfangs ihre
Kinder nach Viernau zur Schule ſchicken. „Nachdem aber (fo er-
Zählt Geishirt in feiner Chronik von Schmalkalden) Herges
i. J. 1628 feinen eigenen Pfarrer erlangt, wurde bier auch ein
Befonderer Schuldiener conftitwirt.” Daher lag ed auch in ber
Natur der Sache, daß wenn Filialgemeinden die Einrichtung einer
eigenen Schule begerten, dieſes nur mit Genehmigung der geiftlichen
Dbern geſchehn konnte. „Das Dorf Schnellbach hatte“, wie eben⸗
— 288 —
falls Beishirt in feiner Schmalfalder Chronik erzält, „vor Zei
ten weder Kirche noch Schulhaus, fondern mufte in Seligentha
den Sacris beimohnen. Nachdem fich aber der Ort gemehrt, nahn
die Gemeinde auf Conceſſion der Inſpection zu Schmalfalden eine
eigenen Schulbedienten an.“
Ebenfo Har zeigt es fih in der Art, wie die amtlidyen
Pflichten des Schullehrerd aufgefaft wurden, daß man bat
Schulmeifteramt durchaus als ein Firchlices Amt anſah. Mi
großer Beftimmtheit werben nemlidy bei jeder einzelnen Xehrerftell
die verjchiedenen Obliegenheiten des Küfter- und Lectorendienftei
hervorgehoben, während Die Ausübung des eigentlichen Qehreramtes
mehr ald von äußern Umftänden abhängig erjcheint. Sehr häufig
wird die Verpflichtung des Schulmeifterd zum Schulbalten erfi
hinter den Funktionen des Küfterdienftes erwähnt, und in der Rege
wird dieſelbe jo ausgeſprochen, Daß fie dem Schulmeifter nur in:
foweit auferlegt wird, als er nicht durch Die Gleichgültigfeit ode
Armut der Eltern feiner Schuljugend oder durch feine Firchliche
Dienftverrichtungen gehindert ift.
Sin den Sompetenzen der Schulftellen tritt Darum auch faf
durchweg die Befoldung für den Küfter- und SKatechetenbienft alı
das Bedeutendſte oder wenigftens urfprünglichfte Dienftenolumen
hervor. Die Dotation der Lehrerftelle zu Weidenhaujen in Nieder
heilen 3. B. bildete fih auf folgende Weiſe: Urfprünglich bezo
der Schullebrer als Küfter jährlih 17 fl. aus dem Kirchenfafter
fowie anderthalb Malter Korn und ein Malter Hafer vom Kir
hengute. Diefe Einnahme ward jodann dur die Zinſen eine
ber Lehrerftelle vermachten Legates von 50 fl. um den jährliche
Bezug von 21/, fl. erhöht. Später verwilligte der Ortsvorſtan
aus der Gemeindefaffe noch 5 fl. und verpflichtete jeden Man
bes Orts zu einer jährlichen Lieferung von Korn an den Schu!
lehrer. Xebtere beiden Emolumente bezog der Schulmeifter für da
Schulhalten, ebenfo wie die 7 alb., die ihm jedes die Schul
befuchende Kind jährlich als Holzgeld zu entrichten hatte. — De
Schulmeifter zu Hohenftein in der Niedergrafichaft Kapenellenboge
bezog urſprünglich als Küfter 25 fl. und 6 Malter Korn au
dem Stift St. Goar, wozu fpäterhin, al8 die Schule eingericht:
4
— 289 —
ward, noch 10 fl. aus der Gemeindekaſſe kamen. Ueber die Bes
ſoldung des „Opfermanns“ oder „Gloͤckners“ zu Mengsberg in
der Grafſchaft Ziegenhein wird im Sabre 1658 berichtet: „Be⸗
fommt jährlich von einem jeglichen Haufe 3 Brote; vom Gottes-
Zaften 21/, Mött Korn und 5 R.; von einem jeglichen Kinde, das
in die Schule geht, alle Wochen 1 Alb.; hat eine Wieſe ungefähr
au zwei Haufen Heues; befommt vom Begräbnifje eines Alten
2 Brote, vom Begräbniffe eines Kindes 1 Brot; vom Waßer bei
Der Taufe aufzutragen 1 Brot. — Hiergegen mufte er des
WE orgens, Mittags und Abend Iäuten und die Uhr
Rellen.”
Nur felten erfcheinen die aus nichtfirchlichen Mitteln rele⸗
Doürenden Stüde des Dienfteinfommend als der Hauptbeftandteil
Defielben. In der Regel laßen fich vielmehr die von der Ge
mwreinde für das Schulbalten verwilligten Vergütungen von dem
war ſprüglichen und bedeutenderen Küftergehalt ganz beftimmt ab»
Jondern.*) Jene Vergütungen beflanden meiſtens in einer be
fl ümmten Geldbeſoldung aud ber Gemeindefaffe, in einer beftimm-
ten Naturallieferung, in einem „Umgang Brot” und in Schulgeld.
Doch kamen Daneben au Fälle vor, daß die Schule mit
Er Tchlichen Mitteln fundirt war. So bezog 3. B. ber Küfter zu
eier in der Niedergrafichaft als Schulmeifter des Orts jährlid
> fl. aus dem Kirchenkaſten. Die Schulmeifterftelle zu Somplar
wear bis auf '/, Klafter Holz ganz aus dem Kirchenfaften zu
2 xomsfirchen dotirt. Zu Wollmar in Oberheffen warb ber Schul
Haslter der Winterfchule aus dem Kirchenkaſten befolbet.
Ebenſo beftimmt zeigte fich die rein kirchliche Stellung der
Sdulmeifter in der ganz und gar von der Kirche abhängigen
Adminiſtration der Schule. Allerdings Eonnten wol die Ortövor-
Wände darum, weil der Lehrer einen Teil feiner Befoldung aus
©eneindemitteln bezog, zur Praͤſentation eined Candidaten Bitt-
*) Der Schulmeifter zu Frankershauſen 3. B. bezog für das Gchulhalten und
Örgelfpielen (mas beides erft fpäter mit feinem urfprünglichen Kircheudienſt ver-
bunden war) 17 fl. aus der Gemeindekaſſe. Außerdem empfing er neben dem
ſogenannten Holzgeld noch 7 Alb. aus dem Kirchenkaſten und ebenſoviel aus der
Semeindetaſſe zur Anſchaffung von Baumöl für die Uhr u. drgl.
19
— 290 —
weije mitwirken. Hin und wieder findet fi) daher in den Aftı
die Bemerfung, daß Lehrer ihre Stellen auf den Vorſchlag d
Gemeinden erhalten hätten. So wird z. B. von einem Schu
meifter zu Breittau berichtet, er fei „von der Gemeinde präfe
tirt;“ ein Schulmeifter zu Reichenſachſen berichtet, daß er in frı
beren Jahren „zu Burſchla von der Gemeinde zu ihrem Schu
meifter begert” und Darauf auf Befehl des Superintendenten vo
dem Pfarrer zu Wanfried der Gemeinde vorgeftellt fei; und vo
dem „Opfermann” zu Wiera heift e8 i. J. 1658, denfelben „bi
beu Pfarrer und Gemeinde zu jeder Zeit angeſetzt, aber bisweile
mit Rat des Herrn Metropolitani zu Treyfa, wie die Wierijche
berichten, geſchehn.“
Auch die Amtleute feheinen zuweilen auf die Beſetzung di
Lehrerftellen den bedeutendften Einfluß ausgeübt zu haben. Lebt
einen Schulmeifter zu Diebenberga in ber Niedergrafichaft ve
1621 wird in einem Berichte jeined Pfarrers gradezu gejagt, ı
fei „vom Amtmann angeorbnet worden.”
Aber dennoch kann nicht behauptet werben, daß Die Präjen
tation des Schulmeifterd mit Umgehung der Autorität des Pfarren
einfeitig durch die Gemeinden oder Die weltlichen Beamten vol
zogen worden fei. Nur die Berufung und „Accordirung“ ds
„Sthulhalter” für die temporären Winterfchulen an Orten, w
fich keine ftändige Schule befand, ftand ausfchließlich den Gemein
den zu. Sin Betreff der eigentlichen Schulmeifter dagegen, welch
zugleich den Kirchendienft verjahen, war e8 Ordnung, Daß b
Präfentation des anzuftellenden Lehrers durch den Pfarrer und b
Beftätigung durch den Superintendenten erfolgte. Ueber die „Gola
tur des Schuldienftes” zu Reichenbach 3.8. wird berichtet: „Wen
der Schuldienft erledigt, jo wird durch den Pfarrherrn dem Herr
Superintendenten eine Perſon präfentirt, und, da felbige tüchtig
von felbigem confirmirt und dem Pfarrherrn anbefohlen, de
Gemeinden den neuen Schulmeifter anzufündigen und anzubefeblen.
In ähnlicher Weije wurden faft überall Pfarrer und Superintender
ald die alleinigen Gollatoren der Xehrerftellen hervorgehoben. Do«
wird zuweilen neben dem Pfarrer noch ausdrüdlich die Gemeind
erwähnt. So heift ed z. B. in Betreff der Schulen im Kirchipi
— 291 —
Üterode: „Ind Gemein wirds mit Beſtellung der Schulen alfo
gehalten, daß, wann ber Dienfte einer oder ber andere ledig,
dee Pfarrer und die Gemeinden dem Herrn Superintens
benten eine andre Perſon präjentiven, ber fie examinirt und auf
genugfame Befindung der Qualitäten annimmt und an den Pfarrer
und die Bemeinde für einen Schuldiener verjchreibt.“
Die Beauffihtigung der Schulen und der Schulmeifter lag
darum auch durchaus in den Händen der Kirche. Nach der Con⸗
ventöordnung von 1656 follte der Metropolitan bei Eröffnung
der Gonvente mit den zuerft anfommenden Pfarrern „alle Schüler
neben dem Schulmeifter vorfordern, und fleißig nachforfchen, ob
und wie fie unterrichtet, auch wie weit fie gebradht worden.”
Nach der Kirchenordnung von 1657 mufte der Superintendent bie
Pfarrer und Elteften in Betreff der „Kirchendiener“ fragen, „ob
diefelben ihr Amt mit Lauten, Uhrftellen, Auf» und BZufchließen
der Kirchen, Beftellung und Zurichtung der Taufe und des
Tifches des Herrn, Sauber» und Reinhaltung der Kirchen, Schuls
halten auf Dörfern und Unterrichtung der Jugend im Katechismus,
auch Lejen und Schreiben und anderen ihnen obliegenden Dingen
der Gebür ein Genüge thun; ob fie dem Pfarrer ihren gebüs
renden Reſpekt und Gehorjam leiften, oder ob an ihnen in einem
Der dem Andern Mangel verfpürt werde.” — Dagegen follte
der „Rirchendiener” befragt werben, „ob er auch von dem Prebiger
mit unnstigen in fein Fach nicht laufenden Gejchäften bejchwert
werde.“
Die disciplinariſche Beaufſichtigung der Schulmeiſter wurde
lediglich von den Superintendenten und dem Conſiſtorium ausgeübt.
Ueber den Unterrichtsplan und die Lectionen in den
D orſſchulen liegen nur ganz dürftige Nachrichten vor. Einzelne
Lehrer waren verpflichtet, Die Kinder nur mährend der Winters
Monate zu unterrichten, während andre Lehrer durch das ganze
Jahr bin Schule halten ſollten. Der Schulmeiſter zu Frieda be
recHtet i. 3. 1655: „Was nun anlangt die Schulen, habe ich fie,
| lange ih an dem Ort gewohnt, durch das ganze Jahr gehalten,
UNTd niemals fein Kind heißen daheim bleiben. Wann es aber
kommt um die Erntezeit, jo behalten die Eltern (ihre Kinder) viel
19
— 292 —
daheim, dieweil fie der Kinder nicht mißen fönnen wegen ib
Arbeit. Wie ich aber nun die Schule halte? — Um 10 L
wird mit den Kindern der Katechismus gebetet, auf den Abe
aber etliche Pfalmen aus dem Pfalter, Den Mittmod und So
abend wird mit ihnen gefungen, Pjalmen und geiftliche Fick
beneben dem Gebet und Katechismus.” Die labores des Sch
meifter8 zu Breittau beftanden darin, „Daß er des Winters |
Tage fünf Stunden hält, Morgend drei und Nachmittags zı
Stunden.” Der Schulmeifter zu Herleshauſen berichtete 168
„Ss die Kinder werden in Die Schule geſchickt, halte ih Somm:
und Winterd Schule, Vor= und Nachmittags, inftituire fie fleif
im Leſen, Schreiben, Beten; und wenn Knaben vorhanden, 1
lateinisch lernen, jo wende ich allen möglichen Fleiß an bei be
ſelben.“
Die einzige Dorfſchule der Dioͤceſe Allendorf, in welcher E
Anfänge des Lateiniichen regelmäßig gelehrt wurden und welc
jomit zu den Particular » oder lateinifchen Schulen in den Städt:
im Verhaͤltnis land, war die zu Abterode. In allen übrig:
Schulen wurde nur dasjenige gelehrt, was eben im (firchlid:
unmittelbaren) Zwede der Schule lag, weshalb faſt nirgends
den Akten eine ausbrüdlihe Erwähnung der einzelnen (fich vı
ſelbſt verftehenden) Lectionen vorfommt. Meiftens heift ed, w
in Betreff des Lehrers zu Weidenhaufen: „Seine Amtsverrichtu
ift, daß er durch das ganze Jahr Schule halten muß, wenn ih
nur die Kinder geſchickt werden.“
Da von Schulpflidtigfeit der Kinder noch Feine Re
war, fo konnte der Beſuch der Schule, und fomit der Einfı
berjelben auf das Volk nur ein fehr geringer fein. Die Schu
batte uud behielt nur infofern für das Wolf Bedeutung, ald t
Kinder der kirchlichen Gonfirmation bedurften. Sollten die Kind
in der Schule noch etwas mehr ald die Katechismußlehre lerne
ſollten fie fih dur anhaltenderen Schulbefudy auch einige Ferti
feit im Lefen und Schreiben aneignen, fo hing diefed nad ale
mein herrſchender Anficht lediglich von dem Willen der Gitern a
welche ihre Kinder vom Beſuche der Schule abhielten, fo oft
Luſt hatten. Ueber den Schulmeifter zu Rapenellenbogen bericht
— 293 —
Der Superintendent i. %. 1621: „Die Zuhörer haben nun in das
Dritte Mal bei ben gehaltnen visitationibus über feinen Unfleiß
geklagt, und bitten, daß ihnen ein anderer möge angeordnet wer⸗
Den ; und weil er feinen favorem populi bat, ſchicken fie ihm Feine
Kinder, obſchon der Pfarrherr auf meinen Befehl fie oftmals von
Den Kanzeln dazu ermahnt, wie ich dann aud) felbft gethan habe,“
Zur deutliheren Veranſchaulichung des Schulmeifteramtes
um bie Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts folgen hier aftenmäßige
Verzeichniſſe der mit dreien Lehrerftellen verbundenen „labores.“
1. Reichenbach
(in Riederhefien).
„Sthulmeifter8 labores ordinarii.”
1. Muß er des Sonntags dreimal in die Kirche läuten, und
ben Gefang vor und nad) der Predigt verrichten.
2. Muß er des Sonntags um elf Uhr in die Kirche laͤuten,
ben Gefang verrichten und die Jugend aus der heffiichen Cate-
chesi examiniren helfen.
3. Muß er des Mittwochs Morgend dreimal in die Kirche
läuten, vor und nad) der Predigt den Gefang verrichten.
4. Muß er, ausgenommen wenn hohe Feſte find, des Don⸗
herftags Morgens gen Widersrode, Freitags gen Hupfelda, Sonn-
abennds Morgens gen Hollftein mit dem Pfarrer gehen, an jedem
Orte dreimal in Die Kirche läuten, vor und nach der Predigt
Ingen, und nad) gehaltener Predigt an jebem Orte ex Catechesi
die Jugend examiniren.
5. Die Tage vor Chriſttag, Oſtern, Pfingſten und dann um
Michaelis , wenn bed Heren Abendbmal gehalten werben ſoll, gehet
er morgens frühe mit dem Pfarrherrn gen Hollftein und Hupfelba,
autet an jevem Orte dreimal in die Kirhe, und finget vor ber
Praeparatoria concione, jo bajelbft vom Pfarrer gehalten wird,
vie ingleichen des Abends in der Muiterkirche. Ä
— 294 —
6. Auf die hohen Fefttage als Chrifttag, Oftern, Pfingften
und um Michaelid muß er um 2 Uhr des Morgend mit bem
Pfarrherrn gen Hollftein und Hupfelda gehn, an jedem Orte drei⸗
mal läuten, vor und nach der Predigt bet währender Kommunion
den Gefang verrichten, und dann in der Pfarrlirhe, ausgenommen
wenn um Michaelis dajelbft Das Abendmal des Herrn gehalten
wird, zweimal, Morgens um 7 Ubr biß auf 8 Uhr, und Mittags
von 12 Biß auf 1 Uhr, jedeömal drei Male zur Kirche leuten,
vor und nach der Predigt und bei der Communion fingen. Auf
bie Chriſt⸗, Ofter- und Pfingfimontage gebt er Morgens um
3 Uhr mit dem Pfarrer gen Widersrode, Teutet dreimal zur Kirche
und fingt vor und nach der Predigt und bei der Kommunion.
7. Sp ift er verobligiert Die Schule fleißig zu halten und
bie Jugend, jo ihm aus den vier Dorfichaften gefhidt wird, Mon⸗
tage, Dinstags, Donnerstags und Freitagg Morgens drei und
Nachmittags drei Stunden, Mittwochs und Sonnabends Morgens
vier Stunden zu unterrichten.
8. Er muß die Uhr ftellen und Morgens, Mittags um die
Vesperzeit und Abends und dann des Sonnabend um 1 Uhr
Nachmittags laͤuten.
9. Muß er alle vierzehn Tage Sonnabends in die Weiß-
mühle gehn und dem Müller das gewöhnliche fonntäglihe Evans
gelium mit ber Auslegung vorlejen.
labores extraordinarü: |
1) Wenn Hochzeiten find, muß er dreimal Iäuten und den
Geſang verrichten.
2. Wenn Begräbniffe find, muß er läuten und fingen zu
Reichenbach, Widersrode und Hupfelda — Hollftein hat feine
eignen Begräbniffe und muß bie Todten gen Reichenbach Bringen.
3) In die Betftunden zu Mittags muß er jedesmal zweimal
läuten und den Geſang verrichten.
4) Wenn Kindlein zu taufen, muß er das Taufwaßer in Die
Kirche tragen.
5) Zu den allgemeinen Buß⸗, Bets und Faſttagen muß er
Morgens zweimal und Mittags zweimal Iiuten und‘ alsdann ben
Geſang verrichten,
— 295 —
6) Wenn Kirchengerichte gehalten werben, muß er jederzeit
warten,“
2. Abterode.
I) Muß der Schulmeifter durchs Jahr fleißig Schule Halten,
md die Snaben im Lejen, Schreiben, Beten und Singen fleißig
ind treulich unterichten; auch, da welche zum Studiren tüchtig
ind geneigt wären, die Rudimenta, Grammaticam und andere
hierzu dienliche Bücher tractiren, auch wol ihre exercitia verlefen
ind ſie felbige ins Latein überfegen laßen, die vitia darin treulich
“gen und corrigiren, und fie fo wie zur Gottesfurcht, alfo aud)
onderlich zur lateiniſchen Sprache alſo führen, daß ſie nicht erſt
It haben, die erften fundamenta zu Allendorf, Eſchwege ober
andern Schulen allererft zu legen, fondern deren Derter deſto eher
höhern lectionibus admittirt werden können. Und muß er Mons
38, Dinstage, Donnerstags und Freitagg 6 Stunden mit
ien halten, Vormittags 3 und Nachmittage auch 3. Mittwochs
d Sonnabend aber hält er nur des Morgens mit ihnen drei
unden.
2) Nach dieſem muß ter Schulmeiſter nicht allein zum Got:
dienft, als Predigten, Leichenbeftattung, Kindtaufen und Bet-
nden läuten, fondern auch in der Kirche der Gemeinde, wie
5 bei den Begräbniffen über die Straßen mit Singen der Teiche
gehn, auf die Feſt- und Sonntage die gewöhnlichen Epifteln
der Predigt ablefen, und die hohen Fefte über dem Pfarrer
e Predigt (gemeiniglicy zur Vesperzeit ded Montags oder des
Eten Tags) abnehmen; endlich auch wie allbier Herkommens,
der Communion den Kelch reichen, und dad Alles nicht allein
der Mutterfirhe Abterode, fondern auch (das Läuten abge-
teden) in dem Filial Wellingeroda, allda er auch über „Died
Les die Knderlehre alle Sonntage halten muß.
3) Muß er des Winters vor Tage mit dem Pfarrer nad)
>derode (allda er deswegen 1 fl. 18 alb. befömmt), ihm bie
uchte vorzutragen, durch das ganze Jahr aber, Winterd und
ommerd, mit ihm nach Wellingeroda gehen, und ihn in ber
farrbehauſung anfprechen,
— 296 —
5) Endlih muß er die Uhr ftellen und fleißig in Acht neh⸗
men, ingleihen des Winters zu Morgen um 4 Uhr, fonft aber
durch das ganze Jahr alle Tage erft zu Mittag um 11 Uhr, hernach
um 3 Uhr und endlich gegen Abend zur Dämmerungszeit die
Glocken ziehn und läuten, wie denn auch auf die hoben Feſte biß—
her des Morgend um 4 Uhr faft eine ganze Stunde läuten muß.*)”
3. Boderode
„I. Mit Schulehalten, Läuten und Singen muß es ber
Schulmeifter dem zu Abterode gleich halten, ohne daß er die
Knaben allein zum Leſen, Schreiben und Beten anführt. Die
aber etwas zu ftudiren gedenken, müßen nach Abterode gejchidt
werden. |
2) Die Epiftel Tieft er vor der Predigt ab allein vor die
hoben Feſte; derengleichen er auch jeberweile ded andern Tags,
weil der Pfarrer des andern Filiald und andrer Gefchäfte halber
allhier nicht fein Fann, das Evangelium ſammt deilen Auslegung
aus des Herrn Sculteti Poftille vorlefen, die Kinderlehre aber
alle Sonntage fleißig halten und üben muß.
3. Ferner muß er die Uhren in guter Obacht haben und
fielen (u. ſ. w.)
4) Endlich die täglichen Betftunden muß er auf die Dinstage
und Freitage halten und ein Kapitel aus der 5. Schrift fammt
dem verordneten Gebet ablefen. Dagegen ihm 3 fl. zugelegt find.”
Die Cebensverhältniſſe der Schulmeifler jener Beit.
Die Küfter und Schulmeifter waren faft jämmtli Hands
werfer, weil bie Schulmeifterftellen faft durchgängig mit Handwerfern
befeßt und weil fie viel zu jchlecht Dotirt waren, als daß Die Schul-
meifter auf die Ausübung ihres Handwerks Verzicht leiften durften.
Unter den Unterftüßungen, welche i. J. 1652 aus dem Kirchenfaften
zu Meißenhafel an „Arme“ gejpendet waren, wurden au 7 Alb.
verrechnet, „dem Schulmeifter gefteuert, als er fich in die Zunft
*) Bemerkt wird noch, daß das Abendläuten vom Volke Ave Maria genannt
wurde.
— 297 —
fen wollen.” — Diele wurden von ganz anderen Berufsarten
durch ein wechſelvolles, abenteuerliches Leben in die Schub
ifterei geführt. Ueber den Schulmeifter zu Kemel z. B. berichtet
* Superintendent der Niedergrafichaft i. J. 1621: „Er ift auf
jeres gnädigen Fürften und Herrn Befehl, da er zuvor auf
einfels ein Gärtner gewejen, gen Kemel verordnet worden, wo
dann von Ihrer Fürftl. Gnaden zu einem politifchen Dienfte
xtröftung bat.”
Aber ein nicht geringer Teil der Schulmeifter hatte ſich doch
nen Beruf von Jugend auf erwählt,namentlich wenn ſchon der
ıter dem gleichen Berufe gedient hatte, und die Schulmeifter-
He wie ein väterliche8 Erbe auf den Sohn überging. Verhält-
zmäßig finden fih nur wenige Schulmeifter in jener Zeit, bie
mals eine (lateinifhe) Stabtjchule befucht Hatten. Sn der
edergrafihaft Kagenellenbogen und in der Herrſchaft Eppftein
tten ſogar manche Schulmeifter Hochichulen befuht. So heiſt
3. B. (1620) von dem Lehrer zu Naftätten: „er hat ftubirt
Hersfeld, Bremen und Marburg”; von dem zu Rhens: „bat
ıdirt zu Neuhauſen und Heidelberg”; von dem zu Laufenfelden:
yat fludirt zu Mainz, zu Köln am Rhein und zu Herborn”,
Mitunter fam ed auch vor, daß ein als untüchtig befundener
farrer eine Schulmeifterftelle übernehmen muſte. So fand fi}
DB. im Jahre 1621 ein früherer Pfarrer von Diementhal bei
daſſau als Schulmeifter zu Meilingen vor. — Ginzelne Schul:
neifter waren früher Klofterleute gewefen. — Zur Gharafterifi-
tung des damaligen Schulmeifterftandes mögen folgende akten⸗
mäßige Nachrichten über die Lebensſchickſale einzelner Lehrer dienen:
Von dem Schulmeifter zu Reichenfachfen Otto Sülchenmoͤller
(1640) wird erzält, daß er von Großenburfchla gebürtig war,
wolelbft fein Water 21 Jahre Pfarcherr gewefen. Seine Stu-
bien erftredten fi) nicht weiter, al8 daß er zu Eſchwege primam
erreicht, zur Zeit als fein Water Rector Dafelbft geweſen.
Beil aber fein Vater nach Burſchla befördert, ift er 14 Jahr Bei
dern Herrn Superintendenten Reinmann zu Tiſch gegangen, und
eſſen Privatinſtitution gebraucht. Und weil er die Unkoſten nicht
ter ertragen wollen, iſt er ein halbes Jahr daſelbſt zur Rechen⸗
— 298 —
fchule gegangen, und bat zu Mühlbaufen das Wollentuchmadher:
handwerk gelernt. Darauf er in die fieben Jahre gereifet, und
ſolche Reifen in Sranfreih, Schweiz, Baterland und dergleichen
obige Länder erftredt. Hernachmals hat er fi zu Vacha ehelich
niebergelaßen, fein bürgerliche8 Leben und Handwerk daſelbſt ſtark
getrieben. Nachdem er aber, durch übermäßige Ginguartirung vieler
“hohen Offiziere ausgejchöpfet, daß er weggehen müßen, iſt er zu
Borfehla von der Gemeinde zu ihrem Schulmeifter begert, auf |
auf des Herrin Superintendenten Fabronii Befehl von dem Pfar- }
rer zu Wanfried der Gemeinde vorgeftellt und eingeführt worden. ;
Und als er von der Darmftäbtifchen Regierung abgefeßt, und ?
lange Zeit im Elend ſitzen müßen, ift er auf des Herrn Zabronü °
Befehl durch den Pfarrer zu Eſchwege allbier vorgeftellt und ein ')
geführt worden”.
Ueber den Schulmeifter zu Vockerode wird berichtet: „Zu
Voderode ift jeßo (1636) Schulmeifter Joh. Horn, jo unter fer
nem Bater Klaus Horn vor 45 Jahren in Diefem Schulamt ge
folgt; bat Hin und ber etliche Particularfchulen beſucht, aber kei⸗
nen Verlag gehabt, etwas fonberlihes zu profiziren, fondern fi
zeitig nach Haufe zu feinem Water, der auch vierzig Jahre im
Schuldienft gewejen, begeben müßen, biß er ihm endlich an ber
Schule fuccedirt”.
Der damalige Schulmeifter zu Abterode hieß Job. Heiſe
aus Allendorf, „jo Anfangs zu Allendorf zur Schule angeführt
worden, hernach auch etliche Jahre zu Hersfeld frequentirt und
jomeit gefonmen, daß er zu Marburg ad publicas lectiones hätte
abmittirt werden können, wie er denn auch felbft fich hinzubegeben
willend gewejen, enbli aber aus Mangel Verlag von wegen
einfallenden Kriegsweſens daran gehindert worden. Darum e
eine Beit lang zu Wibenhaufen etliche Kinder privatim inftituir,
biß er endlich 1624 anhero befördert“.
Ueber den Schulmeifter Wilhelm GAjareus zu Beerſtadt
wird -berichtet: „Er bat zu Göln ftubirt im Collegio Laurentir
norum, folgends in einen Moͤnchsorden bei Andernach ſich begeben,
welchen Drden er verlaßen, eine Witwe von Siberich gefreit, und
PZN
— 2199 —
diefelbe zu Rhens durch den Pfarrheren ehelich vertrauen
na”. \
Herzbewegend find die Nachrichten, die über die äußere öko:
ifche Lage der Schulmeifter in jener Zeit vorliegen. Die
Iende Sorge um das tägliche Brot erftidte in den Lehrern alle
t und Freudigkeit zu ihrem ſchweren Amte. Bon dem Schul⸗
ſter zu Reichenfachfen wirb (1640) erzält: „Seinen Lohn muß
betteln, und mit vielem Zank von den Leuten ausprefien, da
, vor dieſes jegigen Ankunft die Vorſteher der Gemeinde dem
yulmeifter ſolches ſammeln und ihm liefern müßen, geftalt fie
n noch dem Schweinehirten thun, welchem fie unter der Glocke
en Lohn im Rathaus fammeln, und ihn ohne feine Mühe und
rge in's Hirtenhaus liefern“.
In der bürgerlichen Gefellichaft nahm der Dorffchulmeifter
allerfläglichfte Stellung ein. Mufte er doch bei größeren Hoch⸗
sfeften und Kindtaufsfchmaußen faft überall die Speifen aufs
gen und fonftige Dienfte leiften, und Dabei noch froh fein, daß
für ſich und feine Frau competenzmäßig freie Zeche hatte! Für
‚Bauer war darum ber Schulmeifter die gewöhnliche Zielfcheibe
er Witzluſt. Manche Lehrer Tannte man auf dem Lande nur
b dem Spottnamen, den ihnen die Laune des Volkes gegeben
te. So war 3.8. in Schmalkalden der Schulmeifter zu Seligenthal
ie Beishirt mitteilt) nur unter bem Namen Lügenhbanns, und
anderer zu Weidenbrunn nur als Schulfrig befannt. Den
wer Volkmar Schellhaß zu Kleinjchmalfalden nannte man, weil
fh beſonders durch beißige Zankſucht infignirte, weit und breit
H anders ald Doctor Merrettig.
Freilich hatte Die traurige Stellung, die die Schulmeifter im
ben einnahmen , teilweife darin ihren Grund, daß es fo vielen
felben an aller fittliher Haltung fehlte. Im Sabre 1697
sten Bürgermeifter und Rat ſammt der ganzen Bürgerjchaft zu
anfenau bei dem Konfiftorium zu Marburg über ihren Schul
fer Johannes Schmidt, der ihnen „fehr zumiberlebe”, obgleich
ber Oberfchultheiß Ghrift und Bürgermeiſter und Rat oft und
mald in Güte und Emft ermahnt hätten, ſich zu beßern.
zenn wir Eltern”, erklären Die Veichwerbeführer, „pie Kinder
— 30 —
zu Haufe im Catechismo und anders fingen laßen und im Bel
egaminiren, müßen wir mit Schmerzen vernehmen und anhoͤre
daß fie wenig können, und gar ſchlecht in ihrem Ghriftentum un
ſonſt informirt find”. Der ausbrüdlichen Verordnung des Supe
intendenten, in der Kirche nicht in feinem Stand zu ftehen, foı
bern heraus vor den Pult zu treten und mit den Schülern ;
fingen, komme er ſchlecht nach, fondern „gehet unter dem Geſaͤug
bald hin und wieder, bald in feinen Stand, bald wieder bei di
Kinder und Schüler, läßet fie dorthin in die Welt fingen, wie fi
wollen, fo daß er oft und vielmals nicht weiß, ob er vorn oda
hinten im Gefänge ift, und alfo die Zuhörer mehr ald Gr da
Geſaͤnge führen und aushalten müßen. Die verordneten Gejäng
an die dazu gemachten Tafeln, den Zuhörern zur Nachricht, a
zufchreiben,, unterläft er”. Er beauffichtige die Kinder in be
Kirche nicht, und laße fie unter, vor und nad) der Predigt nad
ihrem Gefallen aus⸗ und eingehen, und ihren Mutwillen auf dem
Kirchhof üben und treiben. Wenn er zuweilen ftrafe, jo geſchehe
es mit Unvernunft, und „müßen die Köpfe herhalten, wenn #
Ruthe an einem andern Orte follte gebraucht werben“. De:
Stellen der Uhr beforge er fehr nadläßig, indem er bie
meiftend contra ſchlagen laße.
Ueber den Schulmeifter und Opfermann Fett zu Mind
haufen warb i. %. 1681 bei dem Marburger Confiftorium geklagt:
Er verfäume bie Kinder, laße fie figen, fahre unterdeffen in’s Hal
oder drefche, gehe Morgens zum Branntwein, fomme toll und vol
nad Haufe und treibe Dann Poflen zum Verwundern. So flug
er zuweilen die Schüler alle über einen Haufen. Einmal babe e
„einen großen eifernen Krappen, fo voll Muß geweſen, bin
Feuer abgenommen, und einem geringen fleinen Knaben an der
Hals gehängt." Außerdem hänge er ihnen Pflugräber ober groß
Klöße an, oder laße fie auf Einem Beine ftehen u. dgl.
Ueberhaupt beweifen die wunderlichen päbdagogifchen un
disciplinarifchen Manöver, welche viele Schulmeifter mit ihre
Schulkindern vornahmen,, daß ihnen durchaus alle gefunde pädı
gogiſche Einfiht fehlte. Ein Schulmeifter zu Erksdorf pfleg
— 501 —
kraffällige Kinder mit aufgehobener Hand vor der Ruthe bie
Borte nachſprechen zu laßen:
„Ab du liebe Ruth’
„Mach' Du mich gut,
„Mac du mid fromm,
„Daß ich nicht zum Henker komm'!“ —
Deutfche -, Löcher -, Privat- und Waifenfhulen in den Städten.
Während die Volfsfchule in der Dorf- oder Katechumenen⸗
ſchule der Pfarrei ald in ihrer eigentlichen Geburtsftätte erwuchs,
ging in dem Schulweſen der Städte eine Entwidlung vor fich,
welche der Volksſchule auch hier eine neue Heimat anwies.
In den allermeiften Städten beftanden die Schulen aus
"zwei Klaſſen, aus einer Iateinifhen Ober-, und einer beutfchen
Unterklafſe. In jener unterrichtete der acabemifch gebildete Rector,
tm diefer der deutſche Schulmeifter, der zugleih Cantor, Organift
ober Opfermann war. Allerdings war die deutſche Schule zu-
naͤchſt nur als Vorbereitungsanſtalt für Den Beſuch der lateiniſchen
Rectorenklaſſe eingerichtet. Allein das Fürſichbeſtehen einer deut⸗
ſchen Klaſſe, in welcher der Unterricht in der Bibel⸗ und Kate⸗
| chismuskunde ald Mittelpunkt des ganzen Unterrichts erjchien, und
die Leitung dieſer Klaſſe durch den Kirchendiener mufte allmählich,
von jelbft dahin führen, daß die deutihe Gantorenflaffe durchaus
als Analogon der Dorfichule und im Gegenſatze zur Iateinifchen
Schule des Rectors betrachtet ward. Was zunächft innerhalb der
Dorfpfarrei und für die Bebürfniffe der Dorfgemeinde erwachen
wvar, wurde nun auch in der Stadt, innerhalb des Stadtfchulmes
fſens vorgefunden, und man begann bie Gattungseinheit der Dorfs
und der deutſchen Stadtſchule im Unterfchiede von der Gattungs⸗
einheit des Lateinischen Rectorats und der höheren Gelehrtenjchule
m ahnen, namentlidy da ſich allmählicdy noch andere Schulanftalten
bibeten, welche von felber der Kategorie der deutſchen Schulen zus
fallen muften, nemlich die Mägdleinſchulen“ der Schulfrauen
— 802 —
und die „Nebenſchulen“ oder „Schützenſchulen“,
einigen Staͤdten, namentlich in Kaſſel, Marburg, Eſchwege,
Neukirchen und Wolfhagen entſtanden.
Im Jahre 1655 beſtanden zu Eſchwege „vier Nebenſ
in welchen die Maͤgdlein beneben etlichen Knaben im Beten,
und teils auch im Schreiben und Rechnen unterrichtet we
Allein dieſe Nebenſchulen, welche gewoͤhnlich mit privaten T
ſchulen verbunden waren, wirkten auf das Schulweſen übe
eher nachteilig als foͤrderlich ein, indem die Privatlehrer fo
rend darauf ausgingen, aus den oͤffentlichen Lehranſtalten m
viele Schüler an ſich zu ziehen *).
Bei der Kirchenvifitation, welche i. J. 1628 zu M
*) Am ärgerlichſten zeigte fi) das Treiben der Privatichullehrer in 9
wo neben der eigentlichen Bürgerjchule noch viele einzelne Winkelſchulen
den. — Hier hatte nemlich der Magiftrat feinem Nechnenmeifter Hermanı
ı. 3. 1611 geftattet, Kinder im Leſen, Schreiben und Rechnen zu umtı
Mehrere Iahre fpäter (1627) ermächtigte die Regierung zu Marburg einen
Lehrer, Joh. Koch, dafelbft eine freie öffentliche Schreib- und Rechnenſchul
richten. Aber kaum war die letere Schule in's Leben getreten, als Rod, |
1628) bei der Regierung Tlagte, daß viele Eltern, ohne das fällige Schul
zalt zu haben, ihre Kinder aus feiner Schule nähmen, und in die des Wi
bers führten, wo fie ein geringeres Schulgeld zu zalen hätten. — Mörth,
Regierung zur Suftification gezogen, erwiderte: Die Klage Kochs gebe e
nit ihn, fondern die Eltern an, melde das Schulgeld ‚nicht entrichtet hättı
dermann ftehe es frei, feine Kinder in eine Schule zu ſchicken, die ihm
Bielen unbezalten Schullohn habe auch er noch zu fordern, Kod könne il
nachſagen, daß er Schüler von ihm abgeführt habe. „Und möchte er au
gebeten und begert haben, weil der Schulen gar zu viele, und feine Disc
balten werde, daß den Handwerksleuten und Weibern, die zum Schulhalt
tühtig, auch nicht angenommen, fondern von felbft entftanden wären (we
Kindern allen Mutwillen geftatten, fie dadurdh in ihre Schulen zu zieh
ihre Schulen abgeſchafft, oder ihnen zum wenigften verboten werde, fein A
einer Schule anzımehmen, voriger Schulmeifter fei denn zuvor bezalt“.
Die hierauf erfolgende Nefolution der Regierung ſchärfte beiden Schul
ein, daß „Einer des andern Schüler nicht annehmen und entführen folle,
erftere zuvor des Gchulgeldes wegen contentirt fei”. — Bgl. außerdem
„Beiträge zur Geſchichte und Gtatiftit des heſſiſchen Schulwefens im 17.
©. 28 — 29.
— 808 —
in ber ganzen Landgrafſchaft Heflen - Darmftabt vorgenommen
de, ergab es fich, daß faft in allen Gaßen dafelbft Nebenfchulen,
jämmtlidy in ber traurigftien Verfaßung, — beftanden. Die
itationscommijfion verordnete Daher, alle dieſe Nebenfchulen mit
snahme der „deutſchen und zuvor von den Aufſehern erlaußten
chnen⸗ und Schreibſchulen“ abzuſchaffen. Alle Knaben, welche
8 achte Lebensjahr zurückgelegt hätten, ſollten „in Die gemeine
mgerjehule gehen und jederzeit in der Kirche dem GBefänge beis
bnen.” Um jedody den jüngeren Knaben den Schulbeſuch nicht
erfchweren, follten mit Genehmigung des Superintendenten für
jelben zwei Schulen, die eine am Steinweg, und die andre
weit der Weidenhäufer Brüde errichtet werden.
In Betreff der Bürgerfchule ward durch den Viſitationsab⸗
ied angeordnet: „Weil vor diefem in der Bürgerſchule Die
wica figuralis egercirt, und zum wenigften bie principia Der
ıgend beigebradyt, dieſelbe auch hernach im Pädagogio weiter
geführt worden, fo follen inskünftig und jeßo alsbald Die prae-
ptores civici die _praecepta mit der Jugend tractiren, auch ad
axin fchreiten, damit fie beim nächſten examine und alfo in-
tig jederzeit ein Stüd, zwei oder drei figuraliter fingen und
Probe thun können”.
In Gemaäͤßheit diefer Beichlüffe geftattete der Superintendent
erdenius einem Bürger zu Marburg, Heinrich Gießler, eine
utſche Schule zu gründen, in welder er Kindern unter adht
ihren Unterricht im Lejen, Schreiben und Rechnen erteilen jollte.
ver Schon im März 1640 klagte der Superintendent bei der Re-
zung zu Marburg, daß Gießler troß wiederholter Verbote Kin-
er von 9, 10 und 11 Sjahren in feine Nebenjchule aufnehme,
d dadurch der Stadtſchule zu Marburg großen Abbrudy thue.
Es war für die verwaltenden Behörden nicht leicht, Die viel-
hen Berwidlungen und Störungen, weldye ſich aus dem gaͤnzlich
geordneten Zuſtand des Privatſchulweſens ergaben, zu befeitigen,
3 endlich die Schulordnung des jahres 1656 wenigftend einige Ab-
fe brachte. Um nemlid der Willfür und Planlofigfeit, mit
Icher die Privatlehrer in den Nebenjchulen verfuhren, ein Ende
machen, ward in der Schulordnung in Betreff Der Nebenfchulen
— 304 —
feftgejeßt *): „1. Erftlih, Daß Niemand einige Nebenjchule, deutjd
ober lateinifch, oder fonft zu Rechnen oder zu Schreiben ohn
Vorbewuft und Bewilligung des Ministerii und der Obrigfeit zi
halten erlaubt fei. 2. Darnach, daß in foldhen Schulen Die Prae
ceptores fowol als auch die Schüler des Rectors der Stadtſchulen
Sinfpection und Examinibus unterworfen fein follen“, wozu fie fih
bei Eröffnung ihrer Schulen mit handgegebener Treue verpflichten
jollten. 3. In diefen Schulen follten zur Erteilung des Religions
unterrichted nur ſolche Bücher gebraucht werden, die auch in bei
öffentlichen Stadtſchulen gebräudhlih, und zur Vorbereitung fü
ben Beſuch derſelben geeignet wären. 4A. Seinem Privatlehre
jollte e8 geftattet fein, einen wegen verweigerter Disciplin obe
wegen unbezalten Schulgeldes aus der Stadtſchule entlaufene
Schüler aufzunehmen. 5. Vor Allem aber follten die Privatlehre
ihre Schüler zum fleißigen Kirchenbeſuch anhalten, „und bajelb
ein Auge auf fie haben; fie aud in guter Disciplin halten, ba
fie nicht ärgerlich noch mutwillig leben, die Stadtſchüler nicht bi
leidigen noch verführen, noch in Streit und Balgerei mit ihne
geraten, fondern zu gleicher Zeit zum Katechismus und ander
Mebungen der Gottfeligfeit angeführt und zu chriftlicher Einträd
tigfeit ermahnt werben”. 6. Außerdem follten Prediger und Obrig
feit des Drted Darauf jehen, daß die Privatlehrer von ben Elter
ihrer Schüler Fein ungebürlicy hohes Schulgeld in Anſpruch nähmet
jondern ſich „mit einer billigen Recompens, in Hoffnung ber reihe
Vergeltung von Gott” Begnügten.
Es gab in Hefjen-Kaffel einzelne, der Jurisdiction adlich
Familien unterworfene Bezirke, in denen Die adliche Herrſchaft D
Volksſchule ihre Fürjorge zuwandte und Diefelbe zu heben ſucht
aber unter den Städten des Landes war Shweinsberg E
*) Weber, Geſchichte der ftädtifhen Gelehrtenfchule zu SKaffel, Beil ME
&. 71. — Ueber die Privatfchulen, welche zu Kaffel während des dreikigjähri- «
Krieges entitanden, fiehe ebendaf. ©. 125.
— 305 —
ige, in welcher neben den Iandesherrlihen Verordnungen zus
eih Die adliche Territorialherrfchaft auf die Entwidlung des
zolksſchulweſens einen in Betracht fommenden Einfluß ausübte *).
) Im 3. 1684 publizirten die Schenfe zu Schweinsberg folgende Schul⸗
ordnung:
„Demnad uns den fämmtlihen Schenken zu Schweinsberg, reſp. Erbſchenken
der beiden Fürftentümer Heffen als chriſtlicher Obrigkeit hiefigen Orts, tragenden
Ant halber gebüren will, gute Obfiht zu haben, daß die chriſtliche Jugend nicht
mutwilig verfäumt, fondern in @ottesfurdt, notwendiger Lehre und guter Dis-
“lin unterwiefen werde, und wir mit fonderbarer Mipfälligfeit vernommen, daß
die Jugend von unfern Unterthanen fehr unfleißig zur Kirche und Schule geſchickt
wird: als werden von uns und in Kraft dieſer unſrer Verordnung alle Eltern
hiermit eruftlich befehligt, alle ihre Kinder, fo tauglich, zur Schule find, zum we⸗
aften von 8. Michaelis archangeli Tag an bis auf Oftern oder Pfingften
tontinuielich und unnachläßlich zur Schule zu ſchicken, welche aber nad) beftimmter
deit ihre Kinder einer oder andern Feldarbeit halber nicht länger im Jahre bei
der Schule halten, denen ſoll hiermit frei ftehn und erlaubt fein, ihre zur Feld⸗
arbeit tauglihen Kinder aus der Schule zu behalten und derofelben Hülfe beim
Aderbau und Feldarbeit zu genießen, doch mit diefem Vorbehalt, daß fürs Erfte
diejenigen Knaben, fo fi) einmal bei die Mufit begeben, die von dem Cantore
angeſeßte Mufikftunde das ganze Sahr hindurch unausbleiblich befuchen,; darnach
fir andere, daß gleichwol kein Kind gar aus der Schule bleibe und von feinen
Ütern gänzlich daheim gelaßen werde, es habe denn zuvor nicht allein im Drud,
ſondern auch in Briefen wol lefen gelernt und genugfam in den fünf Hauptftüden
anferes Catechismi informirt, und follen felbige nicht eher als auf befchehenes
kramen und Erkenntnis, daß fie genugfam im Lefen, Schreiben und Gatechismo
iterrihtet, aus der Schule egimirt und losgezälet werden“.
„Weihe Eltern aber ihre Kinder ald Gehülfen an Haus- und Feldarbeit nicht
bedürfen und lieber fehen, daß ihre Kinder Jahr ein und Jahr aus zur Schule
eben möchten, denfelben fol hiermit unfre freie Schule allezeit offen ftehn, und
Mögen fih derfelben das ganze Jahr hindurch, bis fie wol unterrichtet find, ge
rauhen, wobei der Schulmeifter fein Amt fleißig verrichten fol”.
„Demnad auch Ihre Durchlaucht, unfer allerfeits gnädigfter Fürſt und Herr
ad) dei allen feinen Schulen introducirt, daß ein jeder Water von einem Kinde,
o in die Schule geht 4 Jahr, zwei Kafller Abus geben fol, fo fol es aud all.
"er alſo gehalten werden, jedod der Präzeptor dahin angewiefen fein, daß er bei
M Kindern auch fleißiger fei und mit unordentlihem Leben den Kindern fein
etgernis gebe. Wofern aber Jemand fo arm wäre, daß er auch die zwei Kafller
bug nicht geben könnte, ſoll der Präzeptor diefelbigen Kinder dennoch umfonft
lehren ſchuldig fein“.
20
— 306 —
Die Errihtung eined „Armen und Waifenhaufes‘ zu Kaflel, 2 -
melde i. 3. 1690 erfolgte, war für die Gefchichte der Volfsjhule 7,
zunaͤchſt ohne wejentliche Bedeutung, da dieſes Waifenhaus eigene „
ld nur zur Abjhaffung des Straßenbetteld geftiftet war und bee.
ber ald Schulanftalt vorläufig kaum in Betracht Fam.
„Nachdem wir auch vernommen, daß die Männer auf den Borlauben fi WE. '
ſchweren, wie fie von den Jungen aus den Ständen getrieben, allerhand Mutwz_ We
bon denfelben unter währender Predigt geübt werde, fo befehlen wir auch hiermit
zugleih und wollen haben, daß die Eltern ihre noch minderjährigen Anaben in
dem Chor bei der Kantorei ftehen lapen follen”.
„Im widrigen alle fih nun Iemand von unfern Unterthanen diefer um Ba
gemachten Edul- und Kirhenordnung widerfegen und mit Sintanfegung des {hd muml-
digen Gehorfams diefelbige verachten würde, follen diefelbigen entweder zu einm «t
Geldftrafe condemnirt oder fonft mit dem Gefängnis geftraft werden. Damit amd
Niemand mit einer Unmwißenheit fi zu behelfen Anlaß haben möge, fol um#e
Pfarrherr felbige publiziren und öffentli von der Kanzel ablefen, wornach fi ein
jeder zu achten“.
„Geſchehen Echweinsberg den 15. Yebruarii Anno 1684.
(L. 8.) Sämtlide Shenten
zu Schweinsberg“.
In einer von dem Pfarrer Conrad Schend zu Schweinsberg vollzogen Et
Urkunde über die Beftallung eines Schulmeifters dafelbft i. 3. 1689 werden ie #t
Verpflichtungen des Lehrers zu Schmweinsberg fo angegeben: Daß derfelbe „few!
anbefohlenen Schüler in der wahren Gottesfurcht anführen, Ddiefelbigen fomol An
moribus als literis der Gebür unterrichten, vornehmlid in den Hauptſtücken ie Er
chriſtlichen Lehre nad) Inhalt des Catechismi Lutheri und der Augsburgiſch En
Confeifion, der Schuljugend mit unärgerlihem Leben und gutem Czempel vorgehen,
dem Gottesdienft allezeit fleißig beimohnen, gute Schul- und Kirdendisciplin halte= =,
den Choral an gewöhnlihem Ort und zu gebürlicher Zeit führen, aud zu gemifp =!
Beit auf die Sonntage und fonft eine Yiguralmufit anftellen, und zu den Ende Te ie
Knaben nicht allein in den Choralgefängen, welche in unfern lutherifchen Geſangbũche ee"
begriffen, fondern aud; in musica theoretica unterweifen und das exercitiu EP
musicum mit den alten Mufitanten zu gelegener Beit fleißig treiben, ohne Erlaubum@)
feinen Kirchen. und Schuldienft nicht verfäumen, mir, dem Pfarrer, in Verrichuc 8
des GBottesdienftes nicht zumiderhandeln, fondern fid) deffelbigen Anordnung na
jederzeit in feinem Amt bezeigen und gebürlihe Folge leiften“ folle.
Die Mebung des Sefanges und der Mufit, insbefondre des Figuralgefonge =?
galt fo fehr als weſentliches Offizium des Edjulmeifterd zu Schweinsberg, FE?
derfelbe in Refcripten ganz gewöhnlich als „Schulprägeptor und Director muice
— 307 —
Zweiter Abfchnitt. Bon 1701 — 1779.
Durch das ganze fiebzehnte Jahrhundert hindurch war bie
Dorfſchule wejentlih Schule der Pfarrei geweſen. Wollten bie
vewohner der Filialdörfer ihre Kinder im Leſen, Schreiben, Singen
und in ber Bibellehre unterrichten laßen, fo muften fie biejelben
in das Pfarrdorf zur Schule fchiden. Man wuſte von der Schule
nicht anders, als daß fie bei der Pfarrei fein müße; von einer
Säule, Die zur Ortögemeinde al folder gehöre, war noch feine
Rebe,
Erſt das Jahr 1701 gewährte auch den Filialgemeinden Der
Pfarreien, alfo den Ortögemeinden als folhen, die Möglichkeit,
eine eigne Schule zu gewinnen. Veranlaßung hierzu gab die Fi—
lalgemeinde Vockerode unweit Spangenberg.
Wie überall, fo unterrichtete auch hier der Schulmeifter der
Nutterficche (zu Weidelbach) die Kinder des Filialdorfes (Vode
tode), Da jedoch der Schulmeifter Oftwald wegen vorgerüdten
Alters zur Unterrichtung einer größern Anzal Schüler nicht mehr
Mm Stande war, fo orbneten der Superintendent und der Pfarrer
von Weidelbach für Vockerode einen eignen Schulmeifter an. Kurz
darauf ftarh Dftwald, und der für ihn beftellte Nachfolger nahm
nun auch Die Schuleinkünfte von Voderode für fih in Anſpruch.
Um Daher nicht zwei Schulmeifter unterhalten zu müßen, fam die
Bemeinde Voderode bei dem Landgrafen um Aufhebung des Schul:
verbandes mit der Mutterkirche und der Abgabenpflichtigfeit an
den Schulmeifter derfelben ein. Das Geſuch der Filialgemeinde
ward fogleih (15. Februar 1701) durch Iandesherrlihe Ent—
\Hließung genehmigt, und der Gemeinde Vockerode die Zuficherung
erteilt, „Daß Diefelbe, fo lange fie ihren eignen Schulmeifter bat,
bezeihnet wurde Es kam vor, daß die Schweinsberger Schulmeifterftelle einem
Eludiofus der Theologie übertragen wurde. Indeſſen galt diefelbe nicht als Nel-
at; vielmehr wurde fie als eigentliche Volksſchullehrerſtelle betrachtet, und zwar
“ug nod) nad) dem Jahre 1727, wo es zur Sprache kam, daß es angemeßen fei,
‚Men Literatus, der predigen kann“, in Schweinsberg als Lehrer anzuftellen.
2°
— 308 —
von weiterem Beitrag für den Weibelbacher Schulmeifter verfcho
und befreit bleiben möge“.
Das Beifpiel der Gemeinde zu Vockerode rief bald in viel
anderen Filialgemeinden des Landes, 3. B. zu Moßheim, Röhre
furth, Ellnrode und an anderen Orten eigne Schulen in's Dafei
und für Die Entwidlung des Dorfſchulweſens ſelbſt Fündigte fi
hiermit eine neue, wichtige Periode an. Zu Florsheim, eine
Filialdorf in der Grafſchaft Ziegenhain, wo i. %. 1658 nur e
„Glöckner“ war, von welchem berichtet wird: „Den Glödner |
Florsheim fegen an die Nachbarn deſſelben Orts, geben ihm vı
dem Shrigen, was fie wollen, und weil fie alle Jahre einen a
dern Contract mit ihm aufrichten, kann von defjelben Befoldur
nicht8 hier fpezifizirt werden; thut auch nichts in Kirchenſache
als daß er nur in die Kirche Läutet”, — findet fih i. J. 170
ein „Schuldiener” vor, dem die Gemeinde ſchon vor Jahren fi
das Schulhalten mehrere wüfte Aeder überlaßen hatte. Allerding
blieb die Schule auch jegt noch meiftens in derſelben Elägliche
Berfaßung, in welcher wir fie während des fiebzehnten Jahrhur
bertö fanden. Die Kinder ließen fi nur während der Winters
zeit im Schulhauſe ſehn, um einige Verſuche zum Lefenlernen 3
machen, die während des folgenden Sommers bei der Arbeit ir
Haufe und auf dem Felde wie felbftverftändlich hinmwegfielen. De
man außerdem ben Zmwed der Schule noch immer in der Vorbe
reitung der Kinder zum Bejuche des Sonfirmandenunterrichts fand
fo fam es, daß die Knaben wie Die Mädchen meift nur Eurze Zei
vor dem Beginne Des legteren zur Schule geſchickt wurden, —
zur Freude des Schulmeifterd, der dann fein Handwerk um fi
ungeftörter treiben Efonnte. Denn mit dem Begriffe Des Schu-
meiſters blieb der des Handwerfers auch in Diefer Periode une-
trennlih verbunden, und es war nicht felten der Fall, daß de
Schulmeifter Dur die Ausübung feines Handwerks mit der im
ruföverwandten Zunft der nädıften Stadt in arge Collifion geri—
wie 3. B. der Schulmeifter zu Rosbach i. 3. 1725, feines S
werks ein Drechsler, dem Die auf ihre Privilegien pocyende Dre
lerzunft von Wißenhaufen mit dem Gerichtödiener und zw «
Soldaten in’8 Haus drang, feine Drechſelbank zerichlug md m
— 809 —
Handwerksgeraͤt mit fortnahm. Aber dennoch begann fi) das
Schulweſen feit dem Anfange des 18. Jahrhunderts immer frifcher
und freudiger zu geftalten, indem jegt die Landesregierung
ihr Augenmerk auf bie Pflege defjelben zu richten anfing. So
mächtig indeffen auch Der Einfluß war, den diefe von jet an auf
das Dorffchulwefen auszuüben begann, jo war Died doch nur ders
ſelbe Einfluß, den die landesherrliche Gewalt in Firchlichen Dingen
überhaupt bethätigte. Die Dorfihule ward auch von ihr durch—
aus ala kirchliche Inſtitution behandelt.
Dies zeigte ſich vor Allem in der erften Gonfiftorialverord-
nung, welche zur Regelung des Dorfſchulweſens erſchien. Es war
diefes die Verordnung vom 1. Februar 1726, Durch welche der
Heidelberger Katechismus als Lehrſchrift der reformirten Kirche
Hefiens für alle reformirten Schulen des Landes ausdrücklich auc⸗
torifirt wurde. In derfelben ward Folgendes verordnet: 1) Alle
Eltern follten gehalten fein, ihre Kinder nicht kurz vor der Con⸗
frmation, fondern fpäteftend nach zurückgelegtem fiebten Lebens
jahre und fo lange zur Schule zu ſchicken, bis dieſelben nad) zus
rüdgelegtem vierzehnten Lebensjahre confirmirt werben Fönnten,
widrigenfall8 Die ſaͤumigen Eltern nichtödeftoweniger zur Entrich⸗
tung des Schulgeldes von den Beamten genötigt werben follten.
2) Da man in den meiften Dorfichaften nurr während des Win-
ters Schule zu halten pflege und daher „bie wenigften gemeinen
Weibsleute recht leſen, die Mannsperfonen aber nicht fchreiben
können, mithin zu einem Greben- oder Vorſteheramte wenige
mebr capabel gefunden werben”, fo follte in Zufunft auch waͤh⸗
tend des Sommers, entweder täglic, oder wo Dies nicht auszu-
führen fei, wenigftend 2— 3 Tage in jeder Woche Morgenfchule
gehalten und den Schulmeiſtern dafür der dritte Teil ihres Ein-
fommens von ber Winterjchule ſeitens der Eltern zugelegt werben.
— Diefe Verordnung follte den Gemeinden befannt gemacht und
ſtreng befolgt werden. Die Geiftlichen follten Die Schulen fleißig
vifttiren, in dem Pfarrdorfe wöchentlich wenigftens zweimal, in
den Filialen aber wenigftend alle vierzehn Tage, und bei dieſen
Vifitationen follten fie namentlidy darauf achten, „ob Die Schul:
Meifter ihr Amt treulich verrichten, mithin die Kinder im
— 310 —
Beten und Catechismo gebürend unterweifen, ı
ihnen mit einem exemplarifchen guten Wandel vorleuchten“. U
Sollten die Geiftlichen ihren Schulmeiftern den modum im Inf
miren vorjchreiben, die an der Schule wahrgenommenen Män
abftellen und über diefelben, wo es nötig fei, an den Superint
denten oder das Gonfiftorium berichten. Außerbem follten
Pfarrer dahin fehen, „Daß die Schulmeifter ſich des Spielens ı
Hochzeiten, Kirchmeflen u. ſ. w. gänzlich enthielten, und ihr
lerntes Handwerk (wofern fie vom Schuldienft nicht allein f
fiftiren fönnten) zu ſolchen Stunden trieben, wo feine Sch
gehalten”. Das Kaftenmeifteramt follte dem Schulmeifter niem
tbertragen werben.
Aber kaum hatte Die Landesregierung dem bis dahin t
ihr ganz vernachläßigten Volksſchulweſen ihre Aufmerkſamkeit
gewendet, fo traten auch alsbald die großen Gebrechen deffell
in auffallendfter Weiſe hervor. Es zeigte fih, daß noch imr
einzelne Opfermänner in erträglicher Weile weder Iejen noch fchı
ben fonnten, alſo zum Lehramt ganz untauglich waren; daß
Ueberfüllung der Parochialjchulen, und die mitunter vorfommeı
Beichäftigung zweier Lehrer in Einem Schulzimmer einen erfpri
lihen Unterricht unmoͤglich machte, und daß der Rechnenunterri:
der nur bin und wieder in Privatfchulen erteilt ward, in t
Lectionsplan der" Dorfichulen noch gar Feine Aufnahme gefun!
hatte. Das Eonfiftorium zu Kaflel erließ daher am 10. Ofto
1738 eine neue Verordnung, worin beftimmt wurde: 1) D
jolle nirgends einen Opfermann annehmen, der die Kinder n
im Lefen und Schreiben unterrichten koͤnnte. 2) Da, mo bi8
zwei Lehrer in einer Schulftube unterrichtet hätten, follte man
zweite® Schulzimmer zu bejchaffen ſuchen. 3) Für jede SE
jollte man ein beftimmtes Ziel feſtſetzen, und follten zugleich
Pfarrer und Scholarchen darauf fehn, daß kein Schüler in e
höhere Klaſſe befördert werde, bevor er Das Biel der unteren
Lob erreicht Habe. 4) Man follte von jet an in den Dorfs '
in den Stabtfchulen wöchentlich zweimal Rechnen- und Schrei
unterriht gratis erteilen, und deshalb feinen Schulmei‘
anftellen , der hierzu nicht tauglich fei. — Andrerſeits wurde
— 311 —
Igenten Sabre in der Grebenortnung vom 6. November 1739
t. 16. 3 verorinet: „Müßen die Eltern und Vormünder ihre
mder und Pflegebefohlenen annoch abjonderlid und mit behören-
t Sorgfalt zur Echule und Kinderlehre ſchicken, auch fie, fo
1 thunli, im Lefen, Schreiben, Rechnen unterweifen
im, Predigern, Schulbedienten und LXehrmeiftern aber hierfür
8 Berorbnete richtig abführen”.
Es konnte nicht fehlen, daß Die Fürſorge, weldye jebt Die
ndesregterung für dad Dorfichulmefen bethätigte, auch in den
meinden ein regeres Intereſſe für ihre Schulen hervorrief. Dies
m wir 3. B. an der Gemeinde Großallmerode, welde-
e Schule i. %. 1736 ald Freiſchule ganz nen einrichtete.
hatte fih bier nemlih, wie in der GStiftungsurfunde vom
mntag nach Neujahr 1736 ausdrüdlich erflärt wird, herausge⸗
It, daß die notwendige Zalung des Schulgeldes (in einer jähr-
vn Abgabe von 26 Alb. von jedem Kinde beitehend) bisher
le arme Eltern abgehalten hatte, ihre Kinder zur Schule zu
iden. Auf Anregung des damaligen Greben Rüppel und mit
ſtimmung aller Samilienhäupter der Stadt bejchloß Daher der Ortes
Hand von Großalmerode die Zalung des Schulgelded ganz abzu-
affen und das Einkommen der beiden Schulmeifter des Dorfes,
Ihe vorher ihre Zuftimmung hierzu erflärt hatten, in ber Weiſe
yuftellen, daß jeder Lehrer außer dem von den Schulfindern nad)
e vor zu beziehenden Holzgelde, von dem Greben jährlich eine
weifung auf 40 Thlr. an den Pachter ded Gemeindewirths⸗
uſes erhielt*). Als Hauptzweck ber neu errichteten Schule
td in der Etiftungsurktunde die Körberung der Jugend in ber
tenntnis der göttlichen Geheimnifle, als der mwefentlichen Orund:
je eined guten Gemeinwefens, angegeben. Die Edyule follte
her auch in ihrer neuen Ginrichtung unter der Aufficht und
titung des Ortöpfarrers bleiben, und ber Gemeindevorftand er-
ürte ausbrüdlich, daß er das Recht, die angeftellten Schulmeifter
eliebig wieder abzufegen, nicht in Anfpruch nehme. Dagegen
—— 0
) Die Yacht des Gaſthauſes betrug damals 230 Thle.
— 312 —
warb allen Vorftehern des Gemeinweiend für alle Zukunft zume- zr
Pfliht gemacht, die Schule gegen das Eindringen unchriſtliche —
falſcher Lehren zu ſchützen.
Bon großer Wichtigkeit für die Entwicklung des Schur 21,
wefend war auch Die unter dem 13. Dectober 1729 für de—
Iutherifche Oberfürftentum erlaßene landesherrlihe Verordnung 29,
„daß in den Dorfihaften bin und wieder, wo eine Anzal Refee— r-
mirte, welche fi nach und nach ziemlich vermehrt, vorhanden,
Schulmeifter angenommen würden, und zu deren Unterhaltung in
Ermangelung anderer Mittel Die (bei dem Marburger Gonfiftoriumme- m
einlaufenden) Dispenſations- und verfallenden Succumbenzgelde— er,
ald woraus bereit8$ dem einen und anderen Schulbedienten e —in
Gewißes gnädigft affignirt, fomeit folche anreichig, zu einem ribe
ftändigen Fonds unmaßgeblich determinirt werden koͤnnten.“
Diefe Verordnung des Landgrafen Karl war wichtig, we— “il
ſie den kirchlichen und confeffionellen Charakter der Volksſchule auf u?
Neue garantirte, und weil fie von felbft zu einer erheblichen Ber — r⸗
mehrung ber Schulen des Landes führen mufte. Allerdings konnte— =!
fich nicht alle reformirten Gemeinden Oberhefiens fofort entſchließerc —N
fi) eigne Schulen zu gründen, und die reformirte Gemeinte zS özu
Josbach wollte noch i. 3. 1756, wo bie Begründung einer eigne —e""
Schule bei ihr angeregt war, ihre Kinder lieber nad) wie vor ir S in
bas nahe gelegene Wolferode zur Schule ſchicken, als die zu
Errichtung einer Lokalſchule erforderlichen Opfer Bringen. Andr er"
Gemeinden geigten fi) dagegen um fo bereitwilliger, den Wbfichtese —n
ber Landesregierung zu entjprechen. So ließen 3. B. die zwoͤlt EZ
reformirten Familien, die i. J. 1754 zu Halsborf wohnten, = 6
ihren Pfarrer dem Gonfiftorium zu Marburg vorftellen, daß fiew gi
bisher ihre Kinder bis zum eilften Lebensjahr in die Iutheriihe <a
Ortsſchule, und hernach in die reformirte Schule zu Wohra ge = —
ſchickt hätten, wo dieſelben aber weder im Lefen noch im Schreiben SE
ordentlich unterrichtet würden, weshalb es ihre Abficht fei, fich N u
einen eignen Schulmeifter zu accordiren,, der zugleich die fonntäge —
lichen Betftunden halten könnte. Sie erklärten, daß fie bereit 4
wären, einem Schulmeifter aus ihrem Mittel jährlich) zwei Mött
Korn und von jedem Rinde, das die Schule befuchte, !/, fi.
—
— 313 —
Igeld zu entrichten, woneben ſich der Lanbjeker Leonhäufer
e, dem Schulmeifter in feinem Wohnhaus fo lange, bis man
eſonderes Schulhaus erbauen Fönne, ein Duartier einzus
en, in Hoffnung, daß hochfürftliches Regierungsconfiftorium
ſanze Dorf von beiderlei Religionsverwandten dazu anhalten
‚ ihm jährlich 4 fl. Hauszind zu entrichten, was ber luthe⸗
Bemeinde um fo weniger fremd vorfommen koͤnnte, da bie
trten Familien mit derjelben das Iutherifche Schulhaus jeder⸗
ı Bau und Beßerung erhielten, und dieſes auch fernerhin
gerlich tbun wollten. Auch bat die reformirte Gemeinde, das
torium möge ihrem anzunehmenden Schulmeifter „zu obigem
ı Gehalt auch etwa wie den übrigen Schulmeiftern im bie:
Amt alljährlih 10 — 12 Rthlr. aus den Geldern ad pios
wie auch, daß Serenissimi hochfürftlihe Durchlaucht ihm
Klaftern forftfreied Brennholz auf fein unterthäniged Ge⸗
nädigft accordiren würben.”
Der Antrag der Gemeinde ward natürlic genehmigt, und
näß wurde zu Michaeli8 1756 ein reformirter Schulmeifter
[8dorf angeftellt.
Am auffallendften aber zeigte fi) um dieſe Zeit der raſche
mung des niederen Schulmefens in der Stadt Kaffel. Hier
emli das Verlangen des Volkes, feinen Kindern, auch
fie fi) nicht einem wißenjchaftlichen Berufe widmen wollten,
maßen zu einer elementaren Schulbildung zu verhelfen, fo
ervor, daß fich bis zum Sabre 1738 auf der franzöfifchen
dt zehn franzöfifche Schulen, und in den übrigen Teilen ber
vierunddreißig Privatjchulen bilden konnten, von denen jech-
urch weibliche Vorfteherinnen geleitet wurden. Freilich war
eje „Weiberfchulen” der Name einer Schule faum zu ge
en, und namentlich von Schreibunterricht war in denfelben
ar feine Rede. Auch waren die Knabenſchulen meift nur
rliche Nachbildungen der ftädtifchen NRectorenfchulen, indem
allen die Anfangdgründe der Tateinifchen Sprache behandelt
a, und nur wenige ſich auf den Unterricht im Leſen, Schreis
Rechnen und Katechismus befchränften. Auch ließ es fich gar
verfennen,, daß dieſe Nebenfchulen, welche allen trägen und
— 314 —
ımtauglichen Schülern der Iateintfchen LXehranftalten einen fehr ers
wünſchten Rüdzug boten, auf das öffentliche Schulwefen den nad;
teiligften Einfluß ausübten. *) Aber dennoch mar in diefen Win-
kelſchulen ſchon jeßt ein neues Clement gefchaffen, aus dem fidh
eine wejentliche Bereicherung des Volksſchulweſens allmählich heran:
bilden konnte, namentlid da dasſelbe fchon früher durch Errich⸗
tung des reformirten Waifenhbaufes zu Marburg une
eben damald Durch Begründung der Iutherifhen Waifen-
bäufer zu Kaffel und Marburg eine neue Erweiterung
erhielt.
Die Errichtung eines reformirten Waifenhaufes für Obe—
heffen war von dem Profeflor der Theologie Hottinger jchon im
April 1711 in Marburg verfuht worden. Man hatte damal
mehrere Waijen einer ehrbaren Wittwe zur Pflege und Erziehung
übergeben. Kurz darauf, al fi auch das geiftlihe Minifteriun —-ı
dieſes Fleinen Penfionats annahm, wurde für dasſelbe au ein
bejondrer Lehrer beftellt, und im Auguft 1712 fah man fi be —
reits veranlaft, um der immer mehr anwachfenden Zal der Wale
willen ein befonderes Haus zu mieten, inn welches die Waifen up
genommen und verpflegt und wo fie unterrichtet wurden. Dura
Refolution vom 9. Auguft 1712 genehmigte Raudgraf Karl die jung —
Stiftung, indem diefelbe mit einigen Privilegien verfehn und unter
die Aufficht eines Mitgliedes der Regierung zu Marburg gefteült
wurde. Außerdem wurde verfügt, daß auch Iutherifche Waifen car
der Anftalt Aufnahme finden follten. Aber die Einrichtung derſelbe m
war eine ſehr ärmlidye und befchränfte, da die vorhandenen Ritt el
nicht ausreichten, um den Waifen die erforderliche Pflege urn d
Erziehung gewähren zu können. Da erbarnte fi ein frommer
und bemittelter Bädermeifter zu Marburg, Johann Ebert Nau⸗
— — — — —
*) In einer Eingabe Stephan Beits an den Landgrafen Karl wird als
Urfache des Verfalles der Stadiſchulen namentlich hervorgehoben: „Die alzuge® ®
Bicenz der fchnurftrad® einer fehr weiſen Schulordnung zumider überhäuften, ‘
Geſeße lofen Winkelſchulen, als melde eine fihere Retirade aller derjen ĩ O
discipulorum find, die ſich in unverantwortlicher Blindheit ihrer Eltern der =“
ziemenden Anhaltung zum Bleiß und zu der Disciplin entziehen wollen.“
— 315 —
mann, ber armen Waifen, indem er denfelben fein ganzes Ver⸗
c mögen überließ. Zufolge einer am 29. November 1712 vollzoges
zen Donationsurfunde ſchenkte nemlicy derfelbe den Waifen 1) fein
em Lahnthor ftehendes Wohnhaus mit Stallung, Scheuer, Gra⸗
bengarten und allem Zubehör, 2) eine Anzal von Wieſen, die
bor ber „Mannsſieche“ hinter Weidenhaufen lagen, 3) zwei „auf
denm Reibgraben in der philofophiichen Gaſſe“ gelegene Gärten
und 4) feine gejammte fahrende Habe. Da nun dad Waijenhaus
don in den nächftfolgenden Jahren auch mit vielen anberweitigen
Schenkungen und Vermächtnifien bedacht wurde, fo Blühte bafjelbe
raſch auf. Außer dem Lehrer, welcher in der Religion, im Lefen,
Schreiben und Rechnen unterrichtete, wurde im März 1713 ber
damalige Schulmeifter zu Gemünden , feines Gewerks, ein Soden-
er, in das Haus aufgenommen, um die Waifen in der Ver-
arB eitung der Wolle, namentlih im Sodenftriden zu unterrichten,
Mars allen Orten Oberheflens wurden reformirte Waifen aufgenom-
Rer; Dagegen jcheiterte der Plan des reformirten Minifteriums
md der Regierung, nad) welchem die Anftalt als gemeinfchaft-
ich es Waifenhaus beider Gonfeffionen behandelt werden follte, an
em Widerftreben des Iutherifchen geiftlihen Minifteriums der
Stat. Nach mehrfacher Erörterung der Sache erflärte nemlich
Aſsſelbe am 17. September 1717 die Einrichtung einer vereinigten
Baifenanftalt ald mit dem Intereſſe confejfionell - religiöfer Kinder:
TAiehung unverträglich.
An die Verforgung der Iutherifchen Waiſen in Marburg
>xurde daher erft mehrere Decennien fpäter ernitlich gedacht.
In Folge der Drangfale, welche der fiebenjährige Krieg auch
Marburg gebracht hatte, waren nemlicy viele Familien da⸗
"pt verarmt; außerdem hatte die in den Jahren 1759 und 1760
® berheflen graffirende Seuche vielen Kindern ihre Eltern und
= wenährer geraubt. Diefes und Die Unzulänglichkeit der zur Ver⸗
Egung ber Armen vorhandenen Mittel gab dem Iutherifchen geift-
then Minifterium zu Marburg *) die erfte Veranlaßung, die
) Damals werden in Marburg 200 Arme (außer denen aber noch etwa
ED Yerfonen ihr Drot erbettelten), Öffentlich unterftüpt. Außer den geringen
5 Eiffungen, welche die eingelnen Kirchen gu biefem Irede befapen, tormte jedoch
— 316 —
Gründung eines Waifenhaufes zu verfuhen. Das Minifteriz
legte daher zunächft dem Landgrafen die Bitte vor, Die erford
lihe Genehmigung erteilen zu wollen. Diefelbe erfolgte ohn
Weiteres. Gin Refeript des Gonfiftoriumd zu Marburg von
3. September 1765 gab dem geiftlichen Minifterium hiervon Nach⸗
riht Bon der Bürgerfchaft zu Marburg wurde das Unternehmen
alsbald mit Freuden begrüft. Acht MWolthäter der Armen über
nahmen es, jeder ein Waiſenkind völlig zu kleiden. Außerdem
trat ein Verein zuſammen, der es ſich zur Aufgabe machte, bie
Waiſen mit einer geeigneten Hauskleidung von grauem Tuche zu
verjehn. Gleichzeitig gab ein Kaufmann Riegelmann das zu feinem
in der Untergaffe, unweit des Lahnthors gelegenem Haufe geht
rende Nebengebäude mit Ausnahme Einer Stube zur einftweiligen
Aufnahme der Waifen ber. Das Gonfiftorium verwilligte der
Anftalt das Jonntägliche Vesperopfer; wolhabende Bürger fügten
von Zeit zu Zeit Gaben hinzu, und Die wolthätige Anftalt Eonntt
daher alsbald unter den verhältnismäßig glüdlichften Umftänden
eröffnet werden.
Die Einrichtung derfelben war urjprünglic folgende: Untt
ber Oberauffiht der Regierung zu Marburg wurde das Waife!
baus von dem Superintendenten mit Auziehung des Iutherijch
geiftlihen Minifteriums zu Marburg abminiftrirt. Die Haushe
tung leitete ein beftellter Vorfteher: die unmittelbare Verpfleg!
der Kinder war einer Wittme ald Waifenmutter übertrage
— Unterridt wurde (von einem Predigtamtscandidaten und ein €
Glemeutarlehrer) Morgens 7—10 Uhr, Nachmittags 1-3 UE
im Katechismus, im Beten, in derbiblifhen Gefhidh 4
im Leſen und Schreiben erteilt. In Der zweiten amtlich
Nachricht über Die Anftalt (von 1767) wird insbeſondere mitg
teilt: „Obgleich Das Nötige auswendig gelernt wird, fo ſucht me
Doch mehr die Sachen ihnen begreiflidh zu macheu und te
Gottfeligfeit and Herz zu reden, als ihren Kopf mit übe-
— —
zur Pflege der Armen me daR Wenige verwendet werden, was wöchentlich dur⸗
die Armenbüchſe unter Lutheranern und Neformirten eingefammelt wurde. Durch
ſchnittlich kamen durch diefe Sammlungen in jeder Woche 8—9 Rtihlr. ein.
— 31T —
füßigem Memoriren zu martern. Beſonders werben fie fleißig im
Oehet geübt. — Morgens und Abends wird außer den Tifchges
beten zu Mittag von den Kindern ein gemeinfchaftliches und zwar
von jedem ein beſonderes Gebet verrichtet. Um 10 Uhr Morgens
nd Rachmittagde um 2 Uhr gehen die Alteften zur Katechismus⸗
the, des Sommerd geben fie um 5, des Winterd um 3 Uhr
narweife zur Betflunde und des Sonutagd auf eben biefelbe
Beife Dreimal zur Kirche. Hier figen jie vor dem Altar auf der
nen eingeräumten Bank. Außerdem wird jeden Sonntag Abends
m 5 Uhr eine Betftunde im Haufe gehalten. In verfelben
id mit einem Gefange angefangen; ein Knabe fingt vor. Darauf
id von einem Waiſenkinde ein Kapitel gelefen, dieſes wird kurz
araphrafirt und erbaulid angewendet. Hernach verrichten alle
inder und jedes bejonders ihr Gebet, welches Bitte, Gebet,
ürbitte und Dankſagung enthält. Endlich wird mit Geſang bes
bloßen und die Kinder jagen ihre behaltenen Sprüche auf. Dieſer
ietftunde haben bisher audy andere Ghriften beigewohnt. Sie
wert eine Stunde. Die übrige Zeit bringen fie für ſich mit
en und Beten zu. Nach der legten Kirche wird ihnen von
—5 Uhr erlaubt, ızu ihren Freunden in die Stadt zu gehen.“
- Um die Waifen frühzeitig an Arbeit zu gewöhnen, wurden Die
daͤdchen im Striden und Spinnen geübt. Am Spinnen der
3olle nahmen in dem Haufe eines Strumpffabrifanten mit den
Laͤdchen auch die Knaben Teil.
Zu den acht Waifen, welche man zuerft aufgenommen hatte,
aren jehr bald noch vier andere hinzugefommen, jo Daß die Ans
alt i. %. 1767 zwölf Pfleglinge, 6 Knaben und 6 Mädchen,
nfafte. Jedes Gefchlecht hatte fein bejonderes Schlafzimmer mit
drei Betten, indem in jedem Bette zwei Kinder zujfammenjchlie-
n. — Die „erfte” (bebere) Kleidung der vier Knaben beftand
einem Rod und Kamiſol von blauem Tudy mit Auffchlägen und
tagen, 2 Paar Beinkleidern und Strümpfen, Hüten, Halsbinden,
helzhandſchuhen, Schuhen mit Schnallen, Hemden mit Knöpfen,
Shnupftüchern ,‚ Haarkämmen und SHaarbändern; die Der vier
Nidchen beftand in einer Müße mit Kragen von Plüſch, Ober:
tod von blauem Tuch, halbwollenem Unterrod, ſaͤchſiſ hen Hauben
— 3183 —
von feinem blauen Tuch, mit feidenem Band eingefaft, Halstüche
von Kattun, Schleiern für die Nacht, ſchwarzen Schürzen, Schuk
mit Schnallen, Pelzhandſchuhen, Hemden mit Knöpfen und Schnur
tüchern. Zur Alltagskleidung der Knaben gehörte ein graues $
mifol mit blauen Aufjchlägen und Kragen, ein Unterfamijol, ı
Beinkleiv, Strümpfe, eine wollene Müpe und zwei Halsbindı
Die Altagskleidung der Mädchen beftand in grauen Müben n
blauen Kragen, blauen Röden nebft geftreiften Unterröden u
Schürzen, blauen ſächſiſchen Hauben mit fchwarzen Stirnlapp
und ſchwarzen Spigen, ſchwarzen Halsbinden, Haldtüchern v
Rattun und Nachtjchleiern.
Da der Glaube an die bejondre Gottwolgefälligfeit der
Waifenhäufer gefchenkten Gaben noch nicht erlojchen war, fo |
freute fich die Anftalt fortwährend der Unterftüßung vieler Goͤnt
und MWolthätr. Eine Frau von Fledenbühl genan
Bürgel zu Weplar fchenkte dem Waifenhaufe ihren Pachthof
Anzefahr, der damals jährlih 6 Mött Korn, 6 Mött Haf
3 Mött Gerfte, 1 Mefte Leinfaat nebſt Fuhren, 2 Hühn
2 Hahne, 1 Rthle. für ein dazu gehöriges Fifchwaßer, und
jedem neunten Jahre 4 Rthlr. Leihgeld einbrachte. Gin andı
MWolthäter ſchenkte die haare Summe von 300 Louisdor. Ai
fpielten Ginzelne zum Vorteile des Waifenhaufes mit Glück in I
Lotterie zu Kaffe. Andere, und zwar fehr zalreihe Saben, '
hielt das Waifenhaus als Dankopfer von Solchen, Die von ſchu
ven Krankheiten genefen oder aus andern Nöten erlöft warı
Auch die Fürbitten der Waifenfinder brachten ein Betraͤchtlich
ein. Am 28. Sanuar 1768 3. B. erhielt das Waiſenhaus «
Mött Korn mit der Nachricht: „Ein blindes Kind, weld
eine Augenkur anfangen will, erſucht die Waiſen um ein andäı
tige8 Gebet und überreicht eine Anweifung auf 1 Mött Korn
Späterhin (i. J. 1779) hatte das Waiſenhaus das Glück, db.
es von einer wolhabenden Wittwe ald Univerfalerbin ihres ganz
Vermögens eingejeßt wurbe, welches nad) Abzug einiger Lege
über 3000 fl. betrug,
Dieſe reichen Unterftügungen machten e8 daher möglich, d
die Anftalt bis zum Sahr 1792 Die Zal ihrer Pfleglinge (un!
— 319 —
benen ſich auch Richt-Marburger befanden) auf zwanzig erhöhen
fonnte,
Das Iutberifche Waiſenhaus zu Kaſſel wurde durch die Kreis
gebigfeit ber Wittwe des Kammerpräfidenten von Frankenberg
Maria Amalie Juliane geb. von Bernhold zu Eſchau geftiftet,
nelhe i. 3. 1762 ein Kapital von 10,000 Thl. zu einer Witwen
tafle der beiden lutheriſchen Prediger, 4000 Thlr. zu einem Sti⸗
yendium für ftudirende Lutheraner, 3000 Thlr. zum Ankauf des
weiten Pfarrhauſes der Iutherifchen Gemeinde und ihr gefammtes
übriged Vermögen zur Stiftung des Iutherifchen Armen- und
Bailenhaufes vermachte, wozu das ehemalige Hausmann ifche
Haus in der oberften Gaße gekauft wurde. —
Sn den amtlichen Obliegenheiten des Schulmeifterd ward,
übgefehen von der jegt angeorbneten Einführung des Rechnenun-
terricht 8 nichts geändert. Nur machte die Verordnung vom
I, Februar 1726 den Schulmeiftern ausdrücklich zur Pflicht, auf
den Filialen wöchentlich wenigftend zweimal, und zwar an den
Zogen, auf welche die Wochenpredigten fielen, in der Kirche zu
latechiſtren. Dagegen wurde es den Schulmeiftern unterfagt, fers
nerhin als Notare oder Winkelfchreiber zu fungiren, indem in der
Örebenordnung vom 6. November 1739 ausbrüdlic verordnet
Bar, daß alle von Schulmeiftern verfertigten Kontracte und Ver:
ſchreibungen bei den Gerichten ald ungültig zurückgewieſen wer⸗
den follten.
Das Nangverhältnis der Dorfichulmeifter zu den Lehrern
der Stadtſchulen ward fo feftgefept, daß jene nach Beſchluß des
Geheimerats vom 10. Auguft 1713 ihr forum in civilibus Bei den
Juſtizbeamten des Landes, diefe dagegen dasſelbe mit den Geiſt—⸗
üben bei der Regierung erhielten.
Den Superintendenten ſtand nad wie vor das Recht der
Suöpenfion, nicht aber das der Nemotion der Schulmeifter zu.
Ad der Superintendent zu Allendorf i. 3. 1739 den Schulmeifter
Mm Röhrenfurth abgejegt hatte und biefer dagegen bei dem Kon⸗
Morium Berufung einlegte, erließ basfelbe an den Superinten
benten den Beſcheid, daß er feine Befugniſſe überjchritten habe.
In Betreff ber Anftellung der Echulmeifter blieb e8 bei der
— 320 —
Regel, daß der Pfarrer zu präfentiren und der Superintend:
zu beftätigen hatte. Nur ward in Folge des Landtagsabjchiei
von 1731 durch Gonfiftorialausfchreiben vom 24. Januar 17
den ablihen Kirchenpatronen die Präfentation der Schulmeifter
dem Falle geftattet, „Daß fie folches Recht nicht neuerlich ſuch
Sondern entweder von undenklihen Zeiten hergebracht, oder a'
den Schulmeifter falariren, mithin felbige Patroni injofern jeb
mal ein ehrbares Subject von gutem Leben und Wandel ein
zeitigen Superintendenten ad examinandum et confirmandı
präjentiren mögen.” Dagegen war es ben ablihen Patros
fireng unterfagt, Die auf ihre Präfentation hin angeftellten Sch
meiſter willfürlich zu verſetzen.
Aehnlich wie die Prediger muſten ſeit dem Jahr 1737 a
die Schulmeiſter vor ihrem Amtsantritt einen Reinigungseid
legen *); die hierbei gebrauchte Formel lautete: „Sch ſchw
einen leiblichen Eid zu Gott dem Allmäcdhtigen, daß ich für Die
haltene Scuibedienung zu N. N. fein Gelb oder Geldeöwe
weber als eine Lehnware, oder ald ein honorarium sponte «
latum , oder wie dergleichen Geſchenk immer genannt werben m-
weder durch mich, noch andre gegeben und entrichtet, noch aı
dergleichen nach erhaltenem Dienft, unter was für einem Prät
e8 auch fein möchte; zu entrichten verſprochen. Dafern aber at
dergleichen etwa wider mein Wißen von jemand anders geſcheh
fein follte, ich folches, jobald es zu meiner Notiz fommen wiı
dem (Königlichen) Hocfürftlichen Gonfiftorium jofort anzeigen wi
Ingleichen, daß ic, dieſe Bedienung unter dem Beding eine Weil
perjon zu ehelichen, Teineswegd erhalten, ſondern Diejelbe oh
alle verbotne Simonie rechtmäßiger Weife erlangt babe. — ©
wahr mir Gott helfe durch Seinen Sohn Jeſum Ehriftum ı
jern Herrn.
Die Hebung des Dorfſchulweſens überhaupt mufte notwen!
*) In einer Verordnung vom 29. November 1734 heift e8 außerdem: Di
nah die Erfahrung gelehrt, Daß auch viele von Schulbedienten durdy verbo
Wege zu ihren Bedingungen fi einzudringen gefucht.
\
— 321 —
auch zur Beßerung der äußeren oͤkonomiſchen Lage der Schulmeifter
führen, weshalb denſelben feit dem Anfange des 18. Jahrhunderts
manderlei Rechte und Emolumente zugewendbet wurden. Schon in
der Forfts und Holzordnung vom 1. Dezember 1682 waren bie
Schulmeiſter wie die Pfarrer von der Verpflichtung zur Abgabe
bon Forftaccidenzien egimirt worden. Im Sahr 1739 wurden die
Lehrer auch von den Jagbdienften befreit. Doch muften fie von
ihren etwaigen Gütern einen Mann für fi) in Dienft ftellen.
Kuh ward den Wittwen der Schullehrer feit 1737 der Bezug
eines Önabenquartald von dem Dienfteinfommen des verftorbenen
Chemannes zugefichert. Die Koften für das Weißen der Schulftuben
wurde 1738 von ben Kirchenkaſten übernommen, Am 16. Octo-
der 1764 warb die Steuerfreiheit derjenigen Schulgüter, „jo vor
bin zu feinem Catastro gezogen,” beftätigt. Ein Gonfiftorialaus-
ſchreiben vom 28. Februar 1766 garantirte ($. 9) das herge
brachte Dienſteinkommen der Schulmeifter an Mutterficchen, indem
es verfügte,
dab „in den Fällen, wo eine Gemeinde einen eignen Schuls
meifter anzunehmen die Grlaubnis erhält, dem Schul
meifter an der Mutterfirhe gar nichts entzogen werden
darf, fondern der neue Schulmeifter mit dem Schulgeld,
auch wo wirkliche Filialkirdyen vorhanden, mit den Acci⸗
denzien und dem ihm etwa neuerlich ausgeworfenen Gehalt
fi) begnügen, und dagegen Alles, was dem Schulmeifter
an der Mutterfirche zu verrichten obgelegen, beſonders
die Begleitung des Pfarrers, an deſſen Statt zu ver
richten ſchuldig fein fol; als wohin Die in Anno 1701
ergangene Refolution hierdurch erläutert wird,”
Aud erließ Das Gonfiftorium in den Jahren 1766 und 1777
Mehrere Beflimmungen, woburd bie Unterhaltung der Schulbäufer
ſet tens der Gemeinden geregelt und geſichert ward.) Im
— —
*) Im Jahr 1770 wurde eine aus drei Räten beſtehende Commiſſion niedergeſeßt,
Deide die Meform des Schulmefend im ganzen Lande verſuchen follte Die
wnmiffion gab daher (4. Dec. 1770) den Eonfiftorien auf: „Zuvörderſt von den
ulm im Lande einen voliftändigen Etat einzufordern, wie die Schullehrer bei
21
— 32 —
Sabre 1773 wurden die Kaftenmeifter, um das vorhandene Sch
einfommen möglichft ficher zu ftellen, beauftragt von dem Inven
der Sculhäufer und den Gompetenzeinfünften der Lehrer genc
Derzeichniffe anzufertigen. Auch ward durch Eonfiftorialausfchreit
vom 11. Februar 1777 den Schullehrern wie den Geiftlichen |
ftattet, wenn es mit Vorteil geſchehn Zönnte, ihre Ländereien
vererbleihen. Dagegen wurde den Pfarrern und Schulmeiftı
(14. Februar 1777) unterfagt, ihre Pfründenfreibeit auf !
Hute desjenigen Viehed auszudehnen, welches fie auf ihren in I
Gemeinde gekauften oder gemeierten Aeckern bielten. Auch w
den Schulmeiftern verboten, von notoriſch armen Schulkinde
Schulgeld in Anfpruch zu nehmen ober es ſich aus dem Kirche
Faften auszalen zu laßen.
Allein troß aller Diefer Anordnungen und troß aller %
firengungen der Landesbehörden war ed bid zum Ablaufe t
Jahrhunderts dennoch nicht möglidy, das Volksſchulweſen in Hefic
Kaſſel auch nur einigermaßen in eine erfreuliche Verfaßung
bringen, indem dem Aufblühen der Volksſchule von allen Seit
ber die jchwierigften Hinderniffe entgegenftanden. Dahin gehoͤr
die Gleichgültigfeit der Gemeinden gegen die von den Schul
ausgehende Kultur, der Mangel beftimmter Vorfchriften über ı
thodiſche Einrichtung des Unterricht, die immer noch allzu Eär
liche Ginnahme der Lehrer und vor Allen der Mangel einer Ve
bereitungs= und Ausbildungsanftalt derſelben. Den erften Pur
betreffend, Elagte die Nitterfchaft auf dem Landtage zu Hombe
i. J. 1744, daß die Ginrihtung von Sommerfchulen faft nirgen
durchzuſetzen ſei; und i. J. 1756 ſah fich das Gonfiflorium vera
laft, ald Die Klagen der Ritterfchaft Durch Die fpäteren Kirchen
fitationg-Relationen der Superintendenten beftätigt wurden, unt
dem 4. December ein Ausjchreiben zu erlaßen, worin den Schi
meiſtern die fofortige und ftridtefte Befolgung der Verordnu
hohen und niederen Echulen in ihren Befoldungen und Emolumentis ftehn, w
fi für fundationes zum Schulwefen jedes Orts finden, auch ob nicht einy
Schulen eingehen und andere dadurch verbeßert werden können.”
— 323 —
don 1726 zur Pflicht gemacht, und den Pfarrern aufgegeben warb,
falls die Greben und Gemeindevorfteher hierbei Schwierigkeiten in
den Weg legen, oder falld fid, die Beamten und adlichen us
ſtiticrien in Beitreibung des Schulgelded von den Eltern der nicht
jur Schule kommenden Kinder ſäumig zeigen jollten, ſofort An⸗
Zeige zu machen, damit das Bonfiftorium gegen die Betreffenden
mit den nötigen Strafmitteln vorfchreiten koͤnnte. Indeſſen hatten
einftweilen dieſe Anordnungen ebenjo wenig Erfolg, als die Be-
mũhungen der Regierung, eine beßere Lehrmethode in den Schulen
einzuführen.
Schon im Jahre 1738 forderte nemlich das Conſiſtorium zu
Kaſſel den Bibliothekar und Nat Schminke auf, „einen Methodus,
die Jugend in Schulen zu unterrichten, zu begreifen, und nebft
einem Catalogo der nützlichſten Schulbücher” zur Nevifion und
Weiteren Verordnung einzufenden; und als zwei Jahre fpäter der
Pfarrer Biber zu Obernkirchen dem Kaſſeler Gonfiftorium feine
Notamina über das Schulwejen zur Prüfung vorlegte, warb
Schminke unter Zufendung der Biberfchen Anträge nochmals auf-
Beforbert, fi über die Einrichtung der Schulen in Städten und
Dörfern gutachtlich zu äußern. — Schminke lieferte jeßt fein Gut⸗
Achten mit Beziehung auf Bibers Vorjchläge ein, allein die Ent-
wicklung der jetzt zum erften Male angeregten Idee des Volksſchul⸗
weſens unterblieb, weil die Zeit zur reineren Auffaßung derfelben
überhaupt noch nicht gekommen war.
Dies zeigte fid) namentlih, als Die Landesregierung einige
Jahrzehnte fpäter (1774) nochmals den Verſuch machte, eine ben
Bedürfniſſen des eigentlichen Volkslebens entſprechende Umgeſtal⸗
tung der niederen Schulen vorzunehmen.
Es wurden damals von den geiſtlichen Inſpectoren Robert
zu Marburg und Schirmer zu Hersfeld Gutachten eingefordert,
Welde das Kaffeler Eonfiftorium dem fehr angefehenen Conrector
Richter zu Kaffel zur Prüfung mitteilte. Aber es ergab jich hier-
bei, daß man unter einen Volksſchulweſen kaum etwas anderes
als eine den modernen Bafebowfchen Aufklärungstendenzen ent
Prechende Verderbung der alten lateiniſchen Schule verſtehen
konnte. Robert meinte , man möge die erſte Viertelſtunde jedes
21°
— 3524 —
Morgens und jedes Nachmittags mit dem Unterricht in der nati
lichen Religion, wohin er die Betrachtung Gottes in der Nat
und die Nachweifung der Exiſtenz und der Eigenſchaften Gott
vechnete, ausfüllen, weil der „Unterricht der chriftlichen Religi
gar nicht in die Schulen gehöre." Man habe daher nur diejenig
Kinder, welche demnähft den Gonfirmandenunterricht beſuch
würden, in bejonderen Nebenftunden Unterricht in der Bbiblifch
Geſchichte zu erteilen. Vor Allem möge man die Aufmerkſamk
(durch den Gebrauh von Zalen und Pappfiguren) und das E
daͤchtnis der Inzipienten zu jhärfen ſuchen, — und dieſelben zu
Genuß des lateinischen Sprachunterricht genügend vorbereiten.
Dem Eonrector Richter gab das Gonfiftortum fogar Die au
drüdliche Weifung, in feinen Vorſchlaͤgen namentlich die Bebür
nifje der höheren lateiniſchen Schulen zu berüdfichtigen.. An db
Verbeßerung der Dorfichulen wurde gar nicht mehr gedacht. Ni
die Vereinigung der reformirten und Iutherifchen Schulen, weld
fi) nebeneinander an Einem Orte vorfanden, ward in Grwägu
gezogen.
Die ſchlimmſten Schäden, an denen das Volksſchulweſ
litt, waren indeßen die abjolute Untüchtigfeit der Lehrer und t
noch immer unzureichende Dotation der Xehrerftellen. Zur Bel
tigung dieſer Hebelftände war im Laufe Diefer Periode ſchon ma
ches geſchehen; es waren den Schullehrern mancherlei Vortei
gewährt worden. Man hatte für Oberheflen eine Zehntpfennig
oder Iutherifche arme Schuldienerfaffe gegründet, welche aus d
bi8 zum Jahre 1776 in Marburg beftandenen Kaftenüberichußfa]
gebildet war, und den zehnten Zeil von jedem bei dem Gon|
forium eingehenden Kaſtenüberſchuß als Kapitaleinnahme erhie
Auch Hatte das Konfiftorium zu Kaffel, um die Uebertragung vı
Lehrerftellen an ganz unfähige Subjecte zu verhindern, Durch Au
Schreiben vom 10. März 1738 befohlen, daß jeder, der fih u
eine Rehrerftelle bewerbe, im Leſen, Echreiben und Rechnen orben
lich geprüft werden follte. Aber eine gründliche Abhülfe konn
nur durch eine gänzliche Umgeftaltung der Verhältniffe bewir
werden. Diefe Reform des Schulmefens erfolgte erft in der fo
genden Periode. Doc begann man nod vor dem Jahre 177
— 32 —
Den cinen Punkt, die Ermöglidhung einer genügenden Vorbereitung
ber zukünftigen Schulmeifter für ihren Beruf in Erwägung
air ziehen.
Durch Beichluß vom 3. April 1778 gab nemlich die Landes⸗
regierung dem Conſiſtorium zu Kafjel auf, zu berichten: „ob bei
Ernftiger Beſtellung ber Schulmeifter nicht darauf beſonders Rüd--
fücht zu nehmen fei, daß diefelben vor ihrer Beftellung jcharf exa-
minirt und nicht eher admittirt würden, bi8 man von ihrer Fähig-
keit, der Jugend Unterricht zu geben, verfichert fei; und ob nicht
um den Zudrang allzu junger Leute zum Lehramt abzufchneiden,
gewiße Jahre feftzufegen; Desgleichen, ob Diejenigen, welche Schul-
mreifter werden wollten, nicht anzuweifen wären, fich in den nädhften
Städten zu dergleichen Stellen binlänglich zu qualifiziren.
Die durch den Geheimeratsbeſchluß veranlaften Erwägungen
des Gonfiftoriumsd und der Superintendenten, welchen derfelbe
ebenfalls zur gutachtlichen Weußerung mitgeteilt war, führten
zu der Ueberzeugung, daß durch die vorbandnen Mittel und unter
ben vorliegenden Verhältniffen unmöglic die Abſicht der Regierung
erreicht werden koͤnne. Namentlich wies der Superintendent zu
Allendorf darauf hin, daß der Beſuch der Stabtfchulen in ihrer
Dermaligen ganz mangelhaften Verfaßung den Fünftigen Lehrern
unmöglich die erforderliche Vorbereitung für ihr Amt gewähren
könne. Auch erinnerte der Superintendent, baß bie meiften von
Denen, welche fich etwa zum Schulmeifteramt beflimmen möchten,
ſchon darum nichts für ihre Ausbildung thun Fönnten, weil fie zu
früpe zum Militärdienft gezogen würden.
Der Krebsichaden des Schulwefend Eonnte nur auf Einem
ege geheilt werden, den das Gonfiftorium richtig erfannte, ins
em es dem Geheimerat die beßere Dotirung der LXehrerftellen und
Die Errichtung eines Schullehrerfeminars empfahl.
Dritter Abfchnitt von 1779 — 1805.
Unter ben zallofen Uebelftänden, mit denen das Dorfichuls
Wegen zu ringen hatte, war wol der gröfte ber, daß es Bis dahin
— 326 —
‚ganz dem Zufall überlaßen war, ob ſich zur Befeßung der erK —Ile
digten Schulmeifterftellen taugliche Leute vorfanden oder nickiint.
An die Heranbildung von Schullehrern hatte noch Niemand gedac —ht.
Es war daher für das gefammte Dorfichulwelen ein une er
meßlicher Gewinn, ald Landgraf Friedrich i. J. 1779, in welchen
er die alte Iateinifche Schule zu Kaffel zum Lyceum erhoben hat —te,
verorbnete,. Daß in demjelben acht junge Leute, die fich für d—as
Amt cined Volfsfchullehrerd vorbereiten wollten, Aufnahme ſind —en
und „unter der nötigen Aufficht allen für einen Schulmeif er
nötigen Unterricht, Wohnung mit Holz und Licht und wöchentlL id
12 ggr. zum nötigen Unterhalt” frei erhalten follten. Zugle- id
wurde befannt gemacht, daß wenn fich über Diefe Zal hinaus nnd)
mehrere junge Leute, Die fi zum Schuldienft vorbereiten wollten,
finden würden, Diefelben wenigftens freien Unterricht und wo may
lich auch Wohnung im Lyceum erhalten folten. „Bebürftige Jo—
wol als Andre von der legten Art hätten fi aljo vorerft Aut
Schriftlich zu melden,” und zwar fo, daß fie „von ber Obrig Seit
des Orts und ihrem Prediger den Taufichein und Zeugniſſe — on
ihren Olüddumftänden, Talenten, Aufführung und dem, was ſie
allenfalls ſchon können und wißen, unter der Adreſſe: „An ="
bochfürftlihe Directorium des Lycei Fridericiani” einſchickt m".
Befonters wünſche man, „daß die Vorftellung dur die Hand —er
jungen Leute felbft geichrieben würde.“ So wurde daß erfte Schul
lehrerjeminar in Helfen als affiliirte Anftalt des SKafjeler yes?
begründet.
Indeſſen ftellte es fich bald heraus, daß das Seminar, we un
es den Bedürfniffen des Landes einigermaßen entjprechen foll- 1
notwendig in eine mehr jelbftändige Anftalt umgewandelt werd —
müße. Landgraf Friedrich ließ daher ein hinter dem Lyceum
legenes Haus nebft dazu gehörigem Garten für das Lyceum am
faufen, welches ebenſo wie dieſes von allen bürgerlichen Laft ;
und Abgaben befreit wurde, und errichtete in Demjelben i. J. ır E* i
ein neues größeres Seminar für 24 Zöglinge. Zur Hebung
Anftalt wurde derfelben 2 Jahre fpäter ein Kapital von 1145 Rth _
10 Alb. als Ueberſchuß des Kriegsjchuldentilgungsfonde überwiefe
Zugleich wurde feitend der Landesregierung Alles anfgeboten, vl
u?
en
— 327 —
dem gefammten Dorfſchulweſen des Landes durch das Seminar
Mmöglidft bald einen neuen Charakter zu geben.
Schon im Jahre 1782 war verordnet worden, „daß ein
Seminarift, welcher feiner Tüchtigkeit halber vom Directorium des
Lyceums ein testimonium sub sigillo vorzugeigen hat, bei der Praͤ⸗
fentation zu einem Gantor- oder Schulmeifterdienft feinem weitern
Egamen unterworfen fein, auch vor andern jedesmal den Vorzug
Haben ſolle.“ Da aber viele Pfarrer nichtöbeftoweniger fortfuhren,
flatt der Seminariften, weldye ſich meldeten, Leute ohne alle Bil-
Dung und Vorbereitung zu erledigten Lehrerftellen zu präfentiren,
fo wurde diefe Verordnung zwei Jahre fpäter mit der weiteren Bes
fimmung erneuert, daß die Pfarrer bei jeder eintretenden Va⸗
canz einer Lehrerftelle vor der Präfentation an das Eonfiftorium zu
Kaſſel berichten und demſelben die Gompetentenlifte einreichen follten.
Welchen großen Einfluß die jet von jebem neu anzuftellen»
den Lehrer geforderte ſeminariſtiſche Bildung für das gefammte
Sſchulweſen und für den Stand der Schulmeifter als ſolchen haben
muſte, leuchtet ein. Die uranfängliche Vorbereitungsanfalt für
den Sonfirmandenunterricht wurde jepf erft zur eigentlichen Schule,
und der Küſter, der nur aushülfsweife den Pfarrer vertrat, war
iegt eigentlicher Lehrer geworden. Nichtödeftoweniger trat in der
Armıtlihen Stellung des Schulmeifterd durchaus Feine Veränderung
ein. Der Schulmeifter zu Friedewald, der ed für gut gefunden
Batte, dem Pfarrer in allerlei Dingen feine Dienfte zu verfagen,
Wurde durch Gonfiftorialrefeript vom 30. Juni 1783 befchieden, er
Babe nad wie vor „ben Prediger bei Verrihtung der b. Taufe
und des h. Abendmald in deſſen Kirchipiel zu begleiten, und bie
Nahtmald- und Lie zur Einrichtung der Taufe erforderlichen Geräte,
ingleihen den Mantel des Predigerd zu tragen, ſodann ſowol
Jederzeit in der Kirche, als bei den Taufhaudlungen in ben Häus
— 328 —
fern den Altar zu deden und das Taufbeden und Taufwaßer auf-
zutragen, auch ohne Erlaubnis des Prediger fo wenig zu ver⸗
reifen, als ohne ſolchen die Haltung der Betflunden und Kin⸗
derlehren zu Herfa und Lautenhauſen dem dortigen Schulhalter
aufzutragen, ſondern felbige vielmehr felbft zu verrichten; weniger
nicht die vor das Presbyterium geforderten Perfonen felbft zu ci⸗
tiren und für die gehörige Gröffnung und Verſchließung der Kirde
Sorge zu tragen; endlich aud des Unterrichts und der Aufficht
über die Schulkinder fich bei Vermeidung der Gaffation nicht nux
angelegen fein zu laßen, fondern auch die Speziftcation der ki
Schule verfäumten Kinder in Gemäßheit der Ordnung jedesr c
einzureichen und die bei BVifitation der Schule vom Prediger
angezeigten Gebrechen ſofort abzuftellen.” — Die Ausübung > -
jenigen Profeffionen, „deren Betreibung auf den Dörfern nad D d —
BZunftreglement an und für ſich nicht verboten” war, wurde —
Schulmeiſtern (1783) ausdrüdlich geftattet. Nur die Winters
advocatur, der fih die Schulmeifter mit befondrer Vorliee -
bingaben, wurde benjelben nochmals (1782) unterfagt. Auch
hielten jetzt diejenigen Schullehrer, welche Feine Handthierung tr —
ben, ihren Gerichtöftand vor der Regierung.
In der Nefidenzftadt Kaffel gewann das BVoltsfhulmer e
in Folge der Errichtung des Seminars aldbald eine ganz ner =
Bafis, namentlich feit dem Jahre 1791. In diefem Jahre DB
ſtanden nemlich dafelbft, wie eine dDamald vorgenommene Reviſic⸗
des Privatjchulwefens ergab, in Kafjel 32 Privatfchulen, Die tre
aller jeit geraumer Zeit gegen die Winfelfchulen erlaßnen Verboß “
von 882 Kindern beiderlei Geſchlechts Bejucht wurden”), Des
‘
*) Unter den damaligen Privatlehrem zu Kaffel befand fi) auch der Iuthen «
riſche Kantor Schwarz, der ſchon vor mehr ald 40 Jahren durch wiederholte Be⸗
fehle des Konfiftoriums angemwiefen war, feine Iutherifhe Schule zu jchließen, abe
diefelbe dennoch fortgeführt hatte, und fi jeht mit der Erklärung rechtfertigte, e⸗
müße die Kinder informiren, um fie zum Chorfingen gebrauchen zu können. WoltF
er fie num bloß im Gingen unterrichten, fo werde. ihm Niemand fommen. €
müße deshalb and im Lefen, Rechnen und Schreiben Unterricht erteilen. — Erf
im folgenden Iahre 1792 unterließ es die Regierung, die Schließung der ut
rifhen Schule zu verlangen. |
— 329 —
Zuftand dieſer Anftalten konnte nur ein fehr mangelhafter fein,
namentlich der der zalreichen franzöflfchen Schulen, welche, wie
ſich [hen damals ergab, auf die religiäfe Entwidlung der Kinder
überaus nachteilig einwirkten. Bugleich ergab ſich aber auch, daß
top der vielen Privatfchulen ein großer Teil der Kinder Aärmerer
Eltern dennoch ohne allen Schulunterricht war.
Durch Iandeöherrliche Verordnung vom 24. Mai 1791 wurbe
daher die Gründung von ſechs Freifchulen mit ſechs Lehrern
' du Kaffel angeordnet. Vier Schulftuben, in denen vier Lehrer
Unterricht erteilen follten, wurden für die Oberneuftadt, Freiheit
und Altftadbt in dem Hallengebäude am Koͤnigsplatz, und zwei
andre Schulftuben für die Unterneuftabt wurden in dem ehemali-
gen Findelhaufe eingerichtet. Jedem der ſechs Lehrer wurde eine
Jährliche Beſoldung von 100 Thlr. zugefihert, welche zur Hälfte
aus der Kriegd-, zur Hälfte aus der fürftlichen Kammerkaſſe gezalt
werden follten. |
Die Direction diefer Freifchulen wurde einer Schulcom⸗
miffion übertragen, die aus dem Polizeidirector, dem Superin-
teudenten, fowie dem Gonful und Gommifjarius der Oberneuftabt
Beftand. Den Lehrern wurde aufgegeben, genaue Abfentenliften zu
führen, und die in ben Schuiftunden fehlenden Kinder am Ende
jeber Woche der Schulcommiſſion anzuzeigen, damit diefe fofort
Begen die Eltern der Abfenten einfchreiten könne.
Damit aber auch die Kinder vermögender Eltern zum regel-
mäßigen Schulbefuch angehalten würden, wurde den Duartiercom:
mifferien die Weifung erteilt, quartaliter von allen Lehrern Zeug⸗
nifſe über den Schulbeſuch ihrer Schüler und Echälerinnen einzu
techn, und diefe der Gommiffion vorzulegen. Diejenigen Eltern,
Deren Kinder fih dann im Schulbeſuch ſaͤumig zeigen würben, ſoll⸗
ten das erſte Mal in 1 Gfl., das andre Mal in 2 Gfl. Gelb-,
Oder in eine entjprechende Gefängnisftrafe genommen werden. Zus
Sleich wurde beftimmt, daß die eingehenden Strafgelder zur Ans
Ichaffung der nötigen Schulbücher für die aͤrmſten Kinder verwen⸗
Det werben follten.
Noch ernftliher aber als bisher nahm die Landesregierung
ſeit dem Jahre 1794 die Reform des Schulwefens in die Hand.
!
— 330 —
In dieſem Sabre erhielt nemlich das Konfiftortum zu Kaffel de
Auftrag, über den damaligen AZuftand der Schulen, fo wie üb
die Mittel zur beieren Einrichtung derfelben und zur Beßerun
der Lehrergehalte ausführlich zu berichten. Das Konfiftorium foi
derte die beiden Superintententen von Niederheflen zur gutacht
lichen Yeußerung auf und erfuchte außerdem dad Konfiftorium z
Marburg ihm feine Anfichten über die Mittel zur gründlichen Re
form des Schulwefend mitzuteilen.
Ale Behörden, denen die Frage der Landesregierung vor
gelegt war, die Superintendenten wie die Konliftorien von Nieder
und von Oberhefien waren in ber Ueberzeugung einig, Daß vet
Allem eine reichliche Aufbeßerung der Lehrergehalte, Vermehrung
der Lehrerfräfte, die Einführung einer beßeren Lehrmethode und
beßerer Schulbücher, eine beftimmte Klafjeneinteilung und ftrenge
Beauffichtigung der Schulen feitend der Geiftlichen Not thue.
Leider war aber die Grundanſchauung, von welcher die Behörden
in der Beurteilung des Schulweſens ausgingen, Die des damaligen
Schalen Rationalismus. In einem Gutachten wurden die beiden
Landesfatechismen, der Heidelberger und der Darmftäbter (fog.
Lutherifche) Katechismus ganz entjchieden darım desavouirt, wei
diejelben den Kindern unrichtige Begriffe über das Weſen und
den Willen Gottes und über die Beftimmung des Menfchen kei
brachten !
Das Marburger Sonfiftorium, welches ſchon i. J. 1782 bie
Gründung eines oberheffiihen Schullchrerfeminare zu Wetter ers
wogen batte, wies namentlid, Darauf bin, daß die Befchaffung
tüdytiger Lehrer für die oberheſſiſchen Echulen nicht möglich fein
werde, fo lange man nidht in Marburg ein Iutherifches Seminar
errichte.
Die Beratungen der Behörden über die Ausführung der
Reform des Schulweſens jegten fi durch die folgenden Jahre,
— in denen der eifrige VBeförderer des Volksſchulweſens Profeſſor
Dr. Münſcher zu Marburg, um bemfelben in den zufünftiger
Dienern der Kirche Hülfe zu Schaffen (feit 1799) feine Vorlefunger
über Pädagogik begann, und (feit 1802) fein „Magazin für tat
— 331 —
Kirchen: und Schulmefen“ *) erjcheinen ließ, — fort, bis endlich im
Jahre 1803 die NRefultate derfelben publigirt wurben.
Zunächſt wurden neue Beftimmungen über Die Zeitdauer der
Säulpflichtigkeit der Kinder getroffen. Dur Verorinung vom
6 April 1772 war nemlich geftattet worden, Diejenigen Kinder,
wvelche die nötigen Religio nskenntniſſe erlangt hätten, ſchon „nad
\ ‚müdgelegtem 13. Jahre und einigen Monaten zur Gonfirmation
zuzulaßen. Da nun hierdurch der Schulbefud, beeinträchtigt wurde,
ſo hatte das Kaſſler Conſiſtorium mit landesherrlicher Zuftimmung
ch duch Beſchluß vom 20. Sanuar 1795 feftgefegt, daß jedes Kind
x4 dom fechften Lebensjahre an zum Schulbefuch verpflichtet fein
jolte. Indeſſen wurden fpäterhin die früheren Bellimmungen
über die Zulaßung zur Gonfirmation erneuert, weshalb fi das
Conſiſtorium veranlaft fah, durch Ausfchreiben vom 14. Februar
1803 zu verordnen, daß die ältere Verordnung, wonad) die Kin-
der vom 7. bis zum 14. Lebensjahre zum regelmäßigen Schulbes
lud anzubalten wären, wieber in Kraft treten follte.
Für die Kinder der Soldaten wurde damald (1803) eine
erweiterte Garniſonsſchule gegründet, und zu biefem
Zwecke das hinter dem Marftalle gelegene geräumige v. Mopijche
Haus angefauft, in welchem auch der Garnifonsprediger feine
Wohnung erhielt.
Sodann wurde den Pfarrern durch Eonfiftorialausfchreiben
vom 23. Dezbr. 1803 mit Hinweifung auf die einfchlägigen aͤlte⸗
ten Verordnungen eingefchärft, zur Aufbeßerung des Volksſchul⸗
weſens „jelbft Hand an's Werk zu legen, die Methode der Schul-
lehrer zu Teiten und zu bilden, die bemerften Fehler zu verbeßern,
beſonders aber (bei den Pifitationen) jedesmal mit ber oberen
Klafie eine Katechifation über die Neligionswahrheiten zu balten.
Ueber dies Alles und wie fie die Schulen gefunden hätten, was
bei den Echulbejuchen gefcheben fei, und was zur Abftellung der
Angetroffenen Mängel gethan worden, follten fie ein bejonderes
Schulprotocoll führen, weldyes jedesmal mit den übrigen Firchlichen
— — —
*) Indeſſen erſchienen von demſelben wegen Mangel an Abſaßg nur vier Hefte,
don denen drei dem Schulweſen gewidmet waren.
— 332 —
Protocollen dem Superintendenten oder Inſpector bei der Kirchen:
vifitation vorgelegt werben ſollte“. Insbeſondere follten aber die
Glafjenconvente der Geiftlihen ein Mittel zur Körberung bes
Schulwefend abgeben. In dem Regulativ, welches über die Ein
richtung der Gonvente unter dem 16. Auguft 1805 erſchien, wurbe
Daher verordnet: „Es fol zuerft die Unterfuhung der Schule
mittelft Prüfung der Kenntniffe der Schulfinder fowol als der
Fähigkeit des Schullehrerd und Erforſchung der Amtsführung und
des fittliden Verhaltens defjelben geſchehen. Diefe BVifitation ſoll
jedoch nicht nad) einer herkömmlichen Reihenfolge unter fämmts F
lichen Predigern der Klaffe abmwechfeln, jondern jedesmal vom No |}.
tropolitan denjenigen unter ihnen, weldhe des Schulwefend am |
Fundigften find, aufgetragen werden. Um einer Täufchung vorzw
beugen und zu verhindern, daß die Echuljugend nicht über folde :
Materien gefragt werde, worauf fie vorbereitet worden, haben jene
Prediger dem Lehrer gewiße Gegenftände der Religion und Moral
aufzugeben, um darüber in ihrer Gegenwart zu Tatechifiren, we |
durch fie zugleich in den Stand gejeßt werden, dad Talent und
die Methode des Lehrers zu bemerfen. Es dürfen jebod bie
Prediger Hierbei nicht ftehn bleiben, fondern es ift ihre Pflicht,
auch felbft zu prüfen und nachzufragen. Die etwa nötigen Zu
rechtweifungen fo wie das etwa zu erteilende Lob follen auf bie
von den PVifitatoren über den Befund der Schule genau und ge
wißenhaft dem Gonvente abzuftattende Relation von der ganzen
Berfammlung durch den Präfes erfolgen.”
Mit diefen Anordnungen der Regierung, welche Die Hebung
der Schulen felbft zum Zwecke hatten, erfolgten auch zaltiht 4
neue Verordnungen, durch welche bie Landesherrſchaft Die aͤufere
Lage der Schulmeifter zu erleichtern fuchtee Schon i. 3. 118 R;
war den Schulmeiftern durch ein Gonftftorialrefeript vom 15. Zeit.
geftattet worden, ſich „bie Bezalung des Schulgeldes für arm ML,
Kinder aus den Legatis für Arme (nicht aber aus den Hospital® J.
oder Sonderfiechenhausreventien)” audzalen zu laßen. “Die wid
tigfte desfalfige Beftimmung war das Iandesherrliche Reſcript po"
13. Zuli 1803, woburd die Errichtung einer Kaffe zur Aufbe vᷣ
rung ber Lehrerſtellen bewirkt werben ſollte. In dieſe Kaſſe je
— 333 —
en folgende Gelber fließen: 1) der Ueberſchuß ber ſog. Dispens
ſations- und Zehnten⸗-Pfennigskaſſe; 2) der Ueberfhuß der Roten-
burger Stiftscanonicate; 3) die Hälfte der Dispenfationsgelder
bei Geſuchen um Befreiung von SHeirat$proclamationen; 4) die
Hälfte von allen Juden Dispenfationsgeldern; 5) ein Impoſt von
4 Thr. von jeder Ohm Wein; 6) ein Viertel der Sabbaths⸗
bußen; 7) die Strafen, welche wegen Vergehung gegen die Garn⸗
und Linnenordnung erfaunt werden. Aus Diefer Kaffe follten alle
tier Zulage würdigen und bebürftigen Lehrer mit Ausnahme derer
in den Grafſchaften Hanau und Schaumburg Bulagen erhalten,
m welhem Ende die geiftlichen Spnfpectoren und Metropolitane im
September jedes Jahres von den Beamten genaue Verzeichniſſe
md Angaben über die mit den einzelnen Xehrerftellen verbundnen
Einfünfte an das Konfiftorium einfenden follten. Außerdem follte
don jeßt an jedem Lehrer, nur Die in der Rotenburger Quart und
in den adlichen Dörfern wohnenden ausgenommen, ein Stüd
Rottland und jährlich eine Klafter Waldholz zugewiefen werben.
Zu Bunften der Schulmeifter im Fürftentum Fritzlar ward durch
Geheimeratsbeſchluß vom 1. Mai 1804 angeordnet, daß die von
den Wirthen für das Mufithalten an Sonn» und Fefttagen zu
etlegenden Dispenfationsgebüren zur Hälfte zur Werbeßerung ber
&chrergehalte verwendet werben follten. Auch wurden nad) Ges
heimeratsbeſchluß vom 3. Juni 1802 die aus GCollateralerbfchaften
iingehenden Abzugsgelder zur Verbeßerung der Schullehrergehalte
befimmt. Andere Verordnungen, welche in den nädhftfolgenden
Jahren erfchienen, verorbneten,, daß auch von Brantwein, Arrac,
um-und Gongac zu Bunften der Schullehrerfaffe Impoſt erhoben
werden Sollte. Nur der Befoldungswein und der ins Ausland gehende
Bein follte impoftfrei fein. Auch wurden die Weinbauern und
Beinhändler , nicht aber die Weinwirthe der Niedergrafichaft
Rapenelnbogen von der Impoſtpflichtigkeit befreit.
Die fo beichaffte Kaffe war endlich im jahre 1805 jo weit
Indirt, daß vom Sommer diefes Jahres an zwei Drittel ber
iingelaufenen Gelder zur Unterftügung der dürftigften Lehrer ver-
wendet werben konnten. Das übrige Drittel wurde ald Kapital
angelegt. Zugleich wurbe aber jeßt durch landesherrlichen Befehl
— 354 —
vom 27. Juni 1805 ein befonderer Schulrat ernannt, der aus einer
weltlichen Director, aus zwei (jpäterhin drei) geiftlicyen und zwe
weltlichen Räten beftehend und dem Landesherrn unmittelbar unterge
ordnet, für angemeßene Verwendung des Fonds und für möglichft
Verbeßerung des Unterrichtd in den Stadt- und Landſchulen Sorg
tragen follte*). Die Mitglieder diefer Behörde, welche in jeden
Monate wentgftend zu Giner Sitzung zufammentreten follten, er:
bielten als folche Feine Bejoldung ; nur der Rechnungsführer, ber
zugleid; die Secretariats-, Repofitur- und Expeditionsgefchäfte zu
beforgen hatte, erhielt von allen Einfünften der Kaffe fünf Prozente.
Der Oberfchulrat verfammelte ſich zum erften Male am
3. Juli 1805 im Directorialzgimmer des Lyceums zu Kaffel, wer
derfelbe von da an feine orbdentlihen Sigungen am erften Mitte
woc jedes Monats bielt.
Zugleich erfolgte in demfelben fahre auch die Begrünbun <
eines Schullehrerfeminard zu Marburg.
Im Jahre 1801 hatten vier lutheriſche Geiftliche aus Ober:
befien dem Marburger Conſiſtorium eine Eingabe überreicht, worin
fie mit Hinweifung auf den troftlofen Zuſtand des Volksſchulwe⸗
ſens die Einrichtung eines Schullehrerfeminard für das Oberfür⸗
ftentum beantragten. Der Antrag fand zwar bei dem damaligen
lutheriſchen Superintendenten zu Marburg (Hermann Ruppers⸗
berg) Widerfpruch, wurde jedoch von dem daſigen Konfiftorium
approbirt, und mit geeigneten Vorfchlägen Über eine angemeßnt
Einrihtung und Dotirung eines Seminard dem Landesherrn vor
gelegt. Indeſſen war der Bericht, welden die Staatsregierung
ber den Antrag ded Marburger Konfiftoriums von der Direct!
des Kaſſeler Seminars einzog, bdemfelben nicht günftig, und !
bedurfte daher noch einer ganz neuen, die Ausführung des J2"
jected erleichternden Anregung, ebe Die Staatöregierung an
Begründung eines Seminars ernftlich denken Fonnte. Diefe F
tegung erfolgte, als der penfionirte Oberft v. Schuyler i. J. 1
mit Hinterlaßung einer leßtwilligen Anordnung farb, durch we —
*) Nur diejenigen Echulen waren ausgenommen, für welde eine Spezi —
rection beftand.
— 335 —
er für den Fall, daß innerhalb der drei erften Jahre nach feinem
ode ein Seminar zu Marburg errichtet werben follte, zum Beften
defielben Die Summe von 2000 fl. vermadt hatte. Das Konfifto-
rum zu Marburg wiederholte deshalb jept feinen früher geftellten
Antrag, und wies zugleich darauf hin, daß man in dem zu errich-
tenten Seminar nicht bloß lutherifche und reformirte, fondern aud)
(für die in Den legten Jahren nit Kurheſſen vereinigten Tatholi-
ſchen Landesteile) katholiſche Volksſchullehrer heranbilden koönne.
Jeßt eudlich erflärte ſich die Staatsregierung bereit, auf den An⸗
trag des Konſiſtoriums einzugehn, indem fie i. J. 1805 die Stif—
tungsurkunde zur Errichtung der neuen Anſtalt ausfertigte. So
trat denn dieſelbe am 1. Mai 1806 mit 19 Zöglingen in einem
Dietdlocale zu Marburg ins Leben.
Zuland des heſſiſchen Volksſchulweſens uns Bahr 1805, namentlich in Oberheſſen.
Man unterſchied eigentliche Schulmeiſter, die auf Em⸗
pfehlung des Pfarrers und der Gemeinde von dem Superinten⸗
denten präfentirt und von dem Regierungsconfiftorium ober einem
Vatrone beftätigt waren, und Schulhalter, melde von den
| Gemeinden — gewöhnlich von Michaelis bis Pfingften — ac-
Cordirt und von dem Superintendenten bewilligt wurden.
Leßtere hatten gewoͤhnlich nur waͤhrend des Winters Schule zu
halten. Die Gemeinde Wehrshauſen in Oberheſſen z. B. pflegte
ihte Kinder zur Sommerszeit nach Ellenhauſen in die Pfarrſchule
zu ſchicken, und nur für den Winter einen eignen Schulhalter zu
ingen.
Ein Leſe- und Fortbildungdverein oberheffifcher Schullehrer
War durdy zwei Pfarrer zu Rauiſchholzhauſen und Caldern geftiftet
und mit Genehmigung des Konfiftoriums zu Marburg am 27. Dez.
1797 zu Caldern eröffnet worden. Es wurden Aufjäße, Fatechetifche
Verſuche u. dgl. vorgeleſen und recenſirt, auch wurden paͤdagogiſche
— 336 —
Schriften in Umlauf gefegt und gelefen *), Aber im Allgen
war von wißenjchaftlicher Vorbereitung ber Lehrer auch jeßt
faft nirgends die Rebe. Hin und wieder hatte allerdingı
Schulmeifter einige Jahre bindurh ein Gymnaſium oder fonfi
lateinifche Schule beſucht. Aber Die meiften waren, indem f
Schulmeifterei als väterliche8 Erbe antraten, nur von ihren 7
notbürftig präparirt. Einzelne hatten auf befonderen Wegen ı
Fertigkeit im Lefen, Schreiben, Rechnen und andern Dinge
langt; fo wird z. B. von dem Schulmeifter zu Geißma:
Franfenberg i. J. 1805 berichtet, daß er feine Erubition al£
dienter des Profeſſors Wittenbad) zu Marburg erlangt habe. U
hatten ſich als LUnteroffiziere einige Bildung angeeignet und ı
jo ins Lehramt gekommen. Wander Schulmeifter war ſche
15. oder 16. Lebensjahre zu einer Stelle gelangt. Das SKircher
ment mufte e8 daher den Pfarrern überlaßen, fi der Schuln
anzunehmen und ihre Fortbildung in geeigneter Weile zu I
In der Niedergrafihaft KRapenellenbogen ware
Kirchſpielsſchulen im Ganzen gut dotirt; Dagegen war
Dinglebrern, welde fi die Filialdörfer wegen der n
Entfernungen von dem WMutterort halten muften, ein jpär
Brot zugefchnitten. Die Väter bildeten ihre Söhne zu ihren !
*) Ueber den Zweck der hier begründeten Schullehrerconferenzen heiſt
den Geſeßen, welde der Berein aufftellte: „Die Abfiht der Conferenzen
meinfhaftlihe Belehrung über das, was die Mitglieder gelefen, bemerft, ı
ihren Schulen ſchon mit Nußen angewandt haben, indem fie fi in fdril
Auffügen oder mündlichen Bemerkungen daffelbe einander mitteilen und fic
über unterreden, um fo zur Prüfung und zum Nachdenken erwedt zu u
denn das ift der Weg, auf welchem man der Wahrheit immer näher 1
Daraus ergibt fi, daß Alles, was auf Schule und Erziehungsweien Bezu
zu den Conferenzen gehörige Begenftände find. So nötig es ift ſich über das
die Materie des Unterrichts betrifft, bei unfern Bufammentünften zu befpredi
fol doch auch die Form des Unterrichts und Kehrmethode der Gegenftand u
gemeinf&aftlihen Forſchung fein. Da mol oft die Beit nicht hinreicht, alle,
ferten Wuffäge in der Conferenz zu beurteilen, fo follen diejenigen, bei meldt
nicht geſchehen Tann, in der Geſellſchaft umlaufen ; die Mitglieder fchreiben ihr
merkungen darüber nieder, und leſen fie in der folgenden Conferenz vor“.
— 537° —
folgern und man fand nicht felten Die dritte Generation auf der⸗
jelben Schulftelle. Doc hatten einige Lehrer das Seminar zu
Idſtein beſucht. Auch verdient rühmlichft erwähnt zu werben,
da fi) bereit3 im Dftober 1768 fämmtliche Schullehrer der Nie-
dergrafichaft zur Stiftung einer Wittwen- und Waiſenkaſſe verei-
aigten, deren Statuten von dem stonfiftorium zu Kaffel beftätigt
waren. Unter einer guten Verwaltung wuchs der Kapitalfonds
ſo an, daß im Jahre 1816 eine Wittwe 14 Mainzer Malter Korn
und 15 fl. baar erhielt. Der jährliche Beitrag eines Mitglieds
Betrug 4 Malter Korn und 45 Er.
Das wejentlichfte Hindernis, welches alle geiftigen Beftre-
Beangen der Schulmeifter niederhalten mufte, war die unerträgliche
Axmut derjelben, die ihnen vor Allem die Anfchaffung von Büchern
fa ſt ganz unmöglih machte. Mancher Schulmeifter hatte nicht ein
einniged Buch in feinem Beſitze. Rieſen's Anweifung für Schul-
Le hHrer, Seiler’3 Leſebuch und deſſen Leben Jeſu, Rochow's Stinder-
Fremd, Fauſt's Geſundheitskatechismus, Fedderſen's Leben Jeſu,
Becer's Not- und Hülfsbüͤchlein, Bergen's Religionsunterricht,
Scherer's Religionsgeſchichte, Beutler's Sittenlehre und Klugheits—
Tegeln in Verſen, Zerrenner's Schulfreund, Roſenmüller's bibliſche
Diſtorien, das alte Marburger und das neue Kaſſeler ABCbuch,
Der Berliner Brieffteller u. dgl.
Die Hauptbeichäftigung Der Schulmeifter war und blieb die
Ausübung ihres Handwerks, das Häufig auch in der Schulftube
während des Unterrichts getrieben ward. Am meiften Neigung
Bezeugten die Schulmeifter zum Schneiderhandwerf. Außerdem
beidäftigten fi) dieſelben am liebften mit Leinweberei, oder mit
der Buchbinder⸗, der Schuhflider- und Sädlerprofeffion, oder aud)
mit der Thierarzneikunde. |
Die Schulhäufer waren meiftens im elendeften Zuftand, und
die Schulftuben, die nicht felten zugleih ald Wohn: und Schlaf:
Ruben für die Familie des SchulmeifterS gebraucht wurden, waren
Benähnlich fo eng, Daß die Pfarrer in ihren Berichten nicht felten
ben unerträglichen Dunft in dem Schulzimmer ald Grund angas
ben, weshalb jie die Schule unmöglich mit der nötigen Sorgfalt
Difitiren koönnten. An denjenigen Orten, wo die Gemeinde nur
22
— 335 —
aceordirte Schulhalter hatte, war ein Schulhaus gewöhnlid ge—
nicht vorhanden, und die Schule wanderte Dann mit den Schu
meifter von Haus zu Haus. Zu MWehrshaufen z. B. war DyF
Schule „tour & tour in dem Haufe jedes Kindes je zwei Tage“
in den meiften Schulen, aber nicht in allen, faßen Knaben
und Mädchen getrennt. Die Klaffenabteilung war gegen den Wi.
derjpruch der meiften Gemeinden, welcye die Neuerung mi Mip
trauen anjehn, durchgeſetzt. Faſt durchweg waren die Schulen in
drei Klaffen geteilt, in weldyer die im Leſen geübteren Schüler
die dritte und die gänzlich ungeübten die erite Klaſſe bildeten. Yu
Sranfenau hatte man flatt der Klafjen= die früher in den Stadt:
ſchulen übliche Nottenabteilung eingeführt, indem man ABG-,
Katechismus, Palmen: und Bibel- oder Teftamentsrotten unter:
ſchied. Während des Winters, d. h. von Michaelis bis Pfingſten,
ward der Ordnung nad täglich von 8-11 und von 12—3 Ubr,
im Sommer Dagegen wöchentlih nur an Drei Tagen oder aud
aar nicht Schule gehalten.
Zur Veranſchaulichung der in den Schulen üblichen Lections—
ordnung möge folgender „Lehr: und Lectiongplan der Schule zu
Kaldern” vom Jahr 1805 dienen:
„Montag. Pornittags: Gefang, Morgengebet, und Ab-
fragung des jedesmal Tags vorher aufgegebenen Liedes, das zu
gleich Fatechetifch durchgefragt wird. Gleich darauf werden bie
Schreibebücher vorgezeigt (ob jolche alle da find), in welchen dann
na Endigung der Schule abwechjelnd heute den Knaben und
morgen den Mädchen vorgefchrieben wird. An den Zwiſchentagen
Ichreiben jolhe aus dem Kopfe Briefe, Duittungen u. Del. —
Bon 8—9 Uhr ift in der 2. Klaffe Lefen in Hübner's Hiftorien
oder den Pjalmen, und wird zugleich über das Gelefene gefragt.
Mährend dieſer Uebung jchreibt und rechnet die 3. Klaſſe. —
Bon 9— 10 Uhr ift in der dritten Klaſſe Leſen, abwechſelnd im
A. oder im N. Teftament, auch wird zugleich über das Gelefene
gefragt.” Hierauf wird aus Luthers kleinem Katechismus ein
Hauptftüd abgefragt. — Beſchluß: Gefang und Gebet.
Montag. Nachmittags: Gefang und Gebet. 1. Klafe:
Buchſtabenkenntnis, Buchftabir- und Leſeübung; 2. und 3, Klaſſe:
— 339 —
beſen gefchriebener Aufjäge und Briefe, wobei zugleich in ber
1. Kaffe die, welche noch feine Schreibebücher haben, in gefchrie=
benen Buchftaben Unterricht erhalten. Die 2. und 3. Klaſſe lieſt
wieder im Geſangbuch. Nachher werden etliche Palmen gebetet.
Schluß: Abentgebet, Gefang.
Dienstag. Vormittags: 1. Stunde: Gefang und Gebet
Dei Tags vorher aufgegebenen Liedes, das zugleich abgefragt wird.
Die Mädchen zeigen ihre Schreibebücher vor. Die 1. Klaſſe:
Buhftabirkenntnis, Buchſtabir- und Leſeübung. Won 8— 9 Uhr
Lieft die 2. Klaffe in Rochow's SKinderfreund, und wird ihnen das
Seleſene verftändlich gemacht. Die Kl. IIL Tieft im Not- und
Hülfsbuch und wird darüber gefragt. Von 9 — 10 Uhr Reli
gionsunterricht.
Nachmittags: Gebet. Kl. I Buchftabir- und Leſeübung.
Full. und II. lieft in Hübners Hiftorien, und wird zugleich über
Dad Gelefene gefragt. Die am Ende ftehenden gottfeligen Ge-
Danfen müßen auswendig gelernt werden. Nun wird KL. IIL noch
im Brieflejen vorgenommen. Zum Schluß werden etliche Pjalmen
gebetet; dann Gefang und Abendgebet.
Mittwoch. Vormittags: Gefang und Gebet. In Kl. J.
Buchftabiren. In der 2. Stunde Kl. II. und IIL werben auß-
wendig Buchftabirt erſt vorgefagte Worte, hernach Zeilen und kurze
Säge. Uebung im Auffchlagen der Sprüche. An der dritten Klaſſe
wird das am Dinftag gehabte Religionsftüd nochmals durchkate⸗
chiſirt und nebft den dazu gehabten Sprüchen und Liederverſen
Tepetirt. Beichluß: Geſang und Gebet.
Nachmittags: Gebet. In der erften Stunde werden in Ki.L
Die Ziffern verftändlich gemacht; Kl. IL. wird in Zahlen und Auf:
ſchlagung der Lieder geübt. Kl. III. wird in Ausſprechung größe-
Fer Balenreihen unterrichtet. Es wird fomol mit der Feder als
Mit der Kreide gerechnet; außerdem Kopfrechnen. Sn Kt. IIL Ue-
Bung des fleinen und großen Einmaleind. Schluß: Gejang.
Donnerstag wie am Montag; Freitag wie am Din
ſtag; Sonnabend wie am Mittwoch, außer daß Nachmittags,
wann Al. L und I. entlaßen find, den Knaben zum Schreiben
Tiefe, Ouittungen, Schuld» und Handelsfcheine bictirt werben”,
— 340 —
Für die Schulen zu Schiffelbach und Langendorf legte der —
Pfarrer zu Gemünden i. 9. 1805 folgende Regeln vor:
„1) Jede Morgenichule fängt mit Gefang und Gebet an, =
und endigt damit. Die Nachmittags > Lehrftunden fangen mit Ge⸗—
bet an, und endigen mit Gebet und Gejang.
2) Da e8 einige Schullehrer mit dem Singen übertreiben
und mandymal beim Anfang einer Schule ein Lieb von 8— I _
Verfen fingen und dabei noch ein Snftrument fpielen, fo folle —
vor den Lehrfiunden nicht mehr ald 2—3 Verſe gejungen werde m
-und zum Beſchluß 1—2 Berfe.
3) Montags wird gefragt, was die Kinder aud der Previgge-
behalten haben.
4) Ohne Vorwißen des Predigers ſetzt Fein Schullehrer eim :
Kind in eine andre Klaſſe.
5) Während die oberften Klaffen anfagen, leſen die Kleinen —
Buchſtaben und Zalen an der Tafel, wobei jedesmal einer de —
geübteften Schüler geftellt wird. Wenn die Kleinen anfagen, fe %
rechnen und jchreiben die Größeren, 'oder lernen einige Sprüde
aus der Bibel ausmendig.
6) Bei jeder Gelegenheit müßen den Kindern gute Sitter—
beigebracht werden. Ungefämmt und ungemwafchen darf fein Kin
in die Schule kommen.
7) So lange die Sommerfchulen dauern, werden die Kinder”
nur im Leſen und Buchftabiren und in der Religion geübt”. —
Die Methode des Schulunterrichtd war natürlich fo geiftlos S
ald möglich. Unter hundert Lehrern ftrebte faum Einer etwas S
mehr als gebanfenlofe Volpfropfung des Gedächtniſſes der Schi. =
ler an. Da ſich der Lehrer mit dem einzelnen Kind immer nur 7
wenige Minuten befchäftigte, jo trieben fich die Kinder faſt for- °
während unbefchäftigt in der Schulftube umher. Schulbücher was
ren felten in den Händen der finder. Nur fehr wenige brachten
den Heidelberger Katechismus, oder Die Latechismen von Herder,
Breidenbach oder Pfeifer mit zur Schule.
Von den Büchern der H. Schrift pflegte man in manchen
Schulen ſonderbarer Weiſe Jahr aus Jahr ein immer ein und
— 341 —
daſſelbe zu Iefen, natürlich fo gedankenlos als möglih. So las
man ;z. DB. zu Niederasphe nur die fünf Bücher Mofe.
ABEhbücher kamen erft ganz am Ende diefer Periode in
Sebrauch. Man bucftabirte in der Bibel und im Katechismus,
rad oft wurde das Kind jahrelang damit geplagt, die Buchſta⸗
Ben zu Silben und Worten zuſammenöetzen zu lernen. Erſt i. J.
2785 wurde dem Schulmeifter Hartmann zu Malsfeld auf fein
De stollfiged Nachjuchen feitens des Konfiftoriums zu Kaflel geftattet
Fürr die Lefeübungen in feiner Schule Rochows Kinberfreund ein-
Zarführen.
Der Rehnenunterricht befchränkte fi) häufig nur auf
Wlebungen im Zalenfchreiben. Doch wurden in vielen Schulen bie
og. fünf Spezies eingeübt. inzelne Lehrer fuchten fogar weiter
Zur geben. — Uebungen im SKopfrechnen wurden nur von ganz
u enigen Lehrern auf Geheiß ihrer Pfarrer angeftellt.
Große Schwierigkeit hatte noch immer in vielen Dörfern die
ESinführung de8 Schreibunterridhts bei den Mädchen, indem
Das Volk hierin wie in der Einführung von Shulbüdern
gradezu eine Verführung der Kinder fah. — Zu Geismar in
Dierheffen war es i. 3. 1805 troß aller angewandten Zwangs⸗
mrittel noch nicht durchgefeßt, daß fich Die Mädchen zum Schreiben-
Lern bequemten. Geſtochene Vorfchriften waren in Oberhefien
ar zu Amödnau, Beidmar, Rengeröhaufen und Raufchenberg üblich.
In allen übrigen oberheffifchen Schulen ſchrieb ober malte ber
Schulmeiſter den Kindern die Vorfchrift felbft vor.
ODeffentliche Schulprüfungen waren in Oberheffen nur in
einem einzigen Dorfe, nemlich zu Josbach eingeführt.
In einigen Schulen pflegte der Schulmeifter die Kinder mit
der Geſindeordnung befannt zu machen.
Zur Erzielung eines regelmäßigen Schulbefuches wurden be-
reits faft in allen Schulen des Landes Abfentenliften geführt, aber
Ohne fonderlichen Erfolg, da die Beamten, wenn ibnen die Schul⸗
Meifter Die Abſenten zur Anzeige brachten, nur ſehr felten die Eltern
derſelben zur Leiſtung der geſetzlichen Geldſtrafe herbeizogen.
Geſhſetzliche Dispenſation der Kinder armer Eltern von Ent—
Achtung des Schulgeldes fand nicht ſtatt. Aber yon vielen Kindern
— 342 —
befam der Schulmeifter im ganzen Sahre keinen Heller, und mı
an wenigen Orten ward demſelben die Hälfte des fich auf dieſe
Wege ergebenden Ausfalld an feinem competenzmäßigen Dienftei
fommen durch den Kirchenfaften gededt.
In manden Dörfern, 3. B. zu Halsdorf, Albshaufen u
Eruſthauſen befaß die Schule Vermächtniffe zur Anfchaffung v
Papier oder. zur Verteilung von MWeden unter die Kinder an =
wißen Tagen.
Verſuche zur Anlegung von Spnduftriefehulen waren in N
derheffen in Milhelm&haufen, in der Umgegend von Immenhauſ-
in Oberhefjen zu Josbach, aber mit geringem Erfolge gema
worden. In Josbach gedachte der dafige Pfarrer durch Die
weiblichen Arbeiten wolerfahrene ältefte Tochter des Schulmeifte
bie Älteren Mädchen im Nähen und Striden unterrichten zu lafe
Als aber die Bauern hörten, Daß dieſer Unterricht nur gegen Ca
richtung eines beftimmten (wennfchon fehr geringen) Schulgelte
erteilt werben follte, fo mufte fi) der Pfarrer aldbald von ds
Unansführbarfeit ſeines Planes überzeugen. — Einen einigermaßs
günftigeren Boden Hatte Die Induſtrieſchule in Wilhelmshaufı
gefunden. In dem von dem Pfarrer Martin dafelbft für Die Jı
duſtrieſchule aufgeftellten Negulativ *) wurde als „Hauptanfid
*) Daffelbe enthielt folgende Beftimmungen:
„Regeln zur vorfihtigen Nachahmung für den Schulmeifter.
1. Was die Aufnahme der Kinder in die Arbeitsfchule betrifft, fo ift keir
unter diefe Zahl aufzunehmen, welches nicht den Unterricht in nüßlichen Arbei—
und die Gelegenheit zum erften eigenen Berdienft, ald eine Wohlthat anfieht, u
diefes Urtheil muß bei den Kindern durch fanfte Behandlung auf das forgfam
unterhalten werden.
2. Sollte ein Kind, welches ſchon unter den Arbeitenden ift, in der Religion
ſchule nadläffig werden, fo muß,- nachdem gute Ermahnungen nicht helfen woll
demfelben die Erlaubnis in die Arbeitsſchule zu gehen, fo lange verjagt werd
bis es fi zu neuem Fleiß ermuntern läßt. Auf die Art muß man die Kini
zum Lernen durch die Hoffnung aufmuntern, daß fie arbeiten follen.
3. Um die Zeit gehörig zu benutzen, ift e8 nötig, daß die Schulfinder, wel
in drei Claffen getheilet werden, nähmlich Buchftaben., Buchftabir- und Leſeſchül
fich a) bei dem gewöhnlichen mit der Glocke gegebenen Zeichen verfammelt, u
\ — 243 —
ı man den Unterricht in müßlichen Kenntniffen und Uebung
ertigfeit in gewißen Arbeiten mit dem NReligionsunterricht
Det”, die bezeichnet, „Daß die Kinder von zartefter Jugend
-
fange und Gebete in der Schulftube beiwohnen; dann b) gehen die arbei-
Kinder aus der 2ten und Iten Claffe zu ihrem Gefchäfte in das Arbeits.
‚ und die erfte Claſſe bekommt Unterricht in der Lehrſchule. Iſt c) die
mit der erften Claſſe völlig geendigt, jo kommt die zweite zum Meligions-
„t herunter, und die aus der erften, zur Arbeitsfchule gehörigen gehen hin-
) Rad) diefen folgt die dritte Elaffe; und beim Scluffe des Sculunter-
ſammeln fi) alle Kinder wieder zun Gebet in der Lehrſchule, und merden
entlaßen.”
Anmweifung für die Lehrerin in der Arbeitsſchule.
. In diefer Schule ift ebenfalls, wie in der Lehrſchule, eine gewifle Ab-
der Kinder, jowohl nad der Art ihrer Arbeit, ald auch nad der Bolltom-
: in derfelben, zu halten, fo, daß die Spinnenden, Strideuden, Rähenden ıc,
inander und unter fid) wieder in der Ordnung fißen, welche durch ihre Be-
feit und gutes Betragen beftimmt wird.
Die Lehrerin übernimmt nicht nur die Anmweifung zur Arbeit, fondern auch
‚emeine Sorge für Ruhe und Ordnung. Zur beßern Beförderung der guten
ſt drei einfichtsvollen und angejehenen Männern der Gemeinde, unter Lei-
es Predigers die Aufficht übertragen, deren einer das befondere Geſchäft
nmen hat, 1) die rohen Materialien zu verwahren, und fie von Zeit zu
rT Lehrerin zu überliefern; Ddiefe wiegt dann jedem Kinde fein Theil zu,
ıpfängt fie verarbeitet von denfelben wieder gewogen zurüd. 2) Mit dem
eder Woche erhält der Rechnung führende Aufjeher die fämmtlihen in diefer
verarbeiteten Producte, und theilt die rohen Materialien für die folgende
aus, forgt ſodann für die BVerfilberung der fertigen Sachen, und für Die
ung der für Lohn gemadten Arbeiten, und giebt dem Prediger darüber mit
Bode einen Etat; der die Materialien und Producte, fo aufs und dom Lager
zen find, und die Geldbeträge enthält, und die Bafis zur jährlichen Rechnung
. Sat die Lehrerin forgfältig dahin zu fehen daß jede Arbeit nicht nur
) treu, gut und dauerhaft verfertigt werde, fondern daß aud von den Mo-
em nichts verloren gehe.
4. Den Kindern, welche die Materialien aus dem Inftitute geliefert bekommen,
nit erlaubt werden, die Arbeit mit nach Haufe zu nehmen, welches nur denen
Reht, die ihre eigenen Materialien mitbringen.
». dur Verhütung aller Unorduungen und Gelage ift es nicht erlaubt, daß
"d aus dem Dorfe mit feiner Arbeit hierher komme und verweile.
— 34 —
an die Befhäftigfeit in ihrem irdifhen Berufe für
einen notwendigen Teil der Ausübung ber Religion
halten lernen und dadurch zu nüßlichen Mitgliedern der Geſellſchaft
erzogen werben, dann au, daß durch die Abwechſelung dieſer
verfchiebnen Beichäftigungen ihre Aufmerkſamkeit beftändig
lebhaft erhalten werde”. |
Bon Wilhelmshaufen wurde dieſe Einrichtung auch in die
benachbarten Dörfer Obervellmar und Ihringshauſen verpflanzt *).
6. Am Schluſſe jeder Woche wird von dem Auffeher genaue Erfumdigung
über das erhalten der Kinder eingezogen, und bei den Namen derer, welche
dur Fleiß und Folgſamkeit in dieſer Woche ſich vorzüglicd ausgezeichnet haben,
ein Ehrenzeichen gemacht, fo wie bei den Namen derer, welche nicht fleißig oder
artig waren, ein Beichen der Beftrafung gefept wird. Bier ſolche Ehrenzeichen
binter einander maden, daß bei den Ramen ein vergoldeter Kagel eingefchlagen
wird, der aber wieder weggenommen werden muß, wenn das Kind einmal das
Beichen der Beftrafung verdient. Sechs goldene Nägel mahen, daß der Name
des Kindes auf ein loſes Blatt in das Buch der guten Kinder gefchrieben wird;
und beftätigt fi die gute Aufführung des Kindes durch die ganze Zeit feiner
Schuljahre, fo wird fein Name auf ein feftes Blatt in diefes Buch gefchrieben,
welches Buch in der Kirche in einem verſchloßenen Schranke zum immerwährenden
Undenten aufbewahrt wird. Auch die Kinder, welche nie das Beichen der Beitre-
fung verdienten, ob fie gleich nicht durch auszeichnende Vorzüge Ehrenzeichen er-
hielten, werden in diefes Buch gefchrieben. Die ftrengfte Bewißenhaftigkeit ift bei
der Beflimmung der Ehren- und Strafzeihen anzuwenden“.
) Bol. Wagemann's Göpttingifhes Magazin für Imduftrie- und Armen
pflege 8. I. Heft I. &. 35 ff. und Krünig, ökonomifch-tedmolog. Encyelopädie,
8. 62. &, 60 — 66.
—
(Die Geſchichte des Bolksfchulmelens in der Grafſchaft Hanau und im fäculari-
firten Fürftentum $ulda wird im folgenden Bande mitgeteilt werden.)
Schnellprefſeudruck von Yob. Aug. Koch in Marburg.
Geſchichte
des
ꝛu kſchen Vollksſchulweſens.
Von
2.3 Feppe.
Zweiter Band.
Gotha.
Verlag von Friedrich Andreas Perthes.
1858,
Inhaltsvgnzeighnis.
Hortjeßung der Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen
Territorien Deutſchlands,
N Die vorhinnige Grafſchaft Hanau-Münzenberg
DL Das Säcularifirte Fürftentum Fulda .
IV. Das Großherzogtum Heffen:Darmftadt
V. Das fAcularifirte Kurfürftentum Mainz und Fürften-
tum Worms . . . t
VL Die großherzoglich heſſiſche Provinz A b ei n h e ie en.
VI Das Königreid Würtemberg ur
VOL Das Königreid Sachſen
IK. Das Herzogtum Sadhfjen:Botha . .
X. Das Großherzogtum Sadhfen-Weimar- Sifenad
XL Das Fürftentum Walded . .
Geite
1
12
26
79
103
121
176
2
270
. 352
I.
Die vorhinnige Grafſchaft Hanau-Münzenberg.
Früher als in manchem andern deutjchen Lande entwidelte
fih das Volksſchulweſen in der Grafſchaft Hanau-Münzenberg.
Die Landesregierung wendete demſelben hier zum erften
Male im Sabre 1561 ihr Augenmerk zu, indem der Graf Johann
zu Naſſau⸗Katzenellenbogen, der mit dem Grafen Philipp zu Hanau-
Lichtenberg die Vormundfchaft über den minderjährigen Grafen
Philipp Ludwig führte, im Sommer dieſes Jahres eine allgemeine
Kirchen- und Schulvifitation anorbnete, bei welcher allen Pfar-
tern des Landes unter audern Die Fragen vorgelegt werben:
„1) Ob Schulen vorhanden, wie der Schulmeifter fein Amt ver-
richte und fi) fonft im Leben verbalte; alſo auch von der Schul:
meifterin. 2) Da feine Schulen vorhanden, und doch die Not-
durft wäre eine anzurichten, was er für Vorſchlaͤge thue, und was
e Gemeinde dabei thun koͤnne und wolle.” Freilich waren bie
Berichte der Pifitationdcommilfton nicht ſehr günftig; denn es zeigte
ſich aus denfelben, daß die Volksſchulen erft noch gejchaffen wer-
M muſten. Nur in der Stadt Hanau hatte man eine deutſche
Part. Zu Wahenbuchen ließen einige Eltern ihre Kinder
urch die Kinder des Pfarrers im Katechismus unterrichten. Von
ner: Dorfichulwejen war noch feine Spur vorhanden, denn faft
Be, Boftsiäulweien, 2. 1
— 2 —
kein „Glöckner“ konnte leſen. Es dauerte daher noch meh
Decennien, bis die Mehrzal der Pfarreien des Landes mit Sch
verjehen waren, bie von jebt an ganz vereinzelt eingerichtet n
den. Wir finden 3. B. daß ein gewejener Fuldiſcher Geiftlic
Joſt Thomas, weldyer Proteftant geworden war, in einem Geſi
vom 14. Mai 1575 Die Regierung bittet, ihm das „Blodaı
zu Biſchofsheim zu übertragen, da der Pfarrer zu Biſchofsh
„den Gloöckner Dafelbft feiner Ungeſchicklichkeit halber zu ver
lauben ihm vorgenommen; denn er nicht allein im Geſang in
Kirche, Jondern auch die chriftliche Sugend in der Schule in €
tesfurcht, Leſen und Schreiben zu unterrichten ganz ungeſchickt
funden wird”. |
Bei einer Kirchenvifitation, die Graf Philipp Ludwig L
Mai des Jahres 1577 vornehmen ließ, ergab es ſich, daß fe
bin und wieder einige Schulen beftanden, Die teilweife freilich n
von den Ölödnern, jondern von den Pfarrern errichtet waı
wie 3. B. aus folgenden Notizen im Vifitationsbericht hervorgt
„Keſſelſtadt. — Der Kapları hat angefangen Schule anzurich!
und allbereitS etliche Schüler, Die den Katechismum ziemlich wif
— Ölödner hat eine geringe Belodung, und iſt nichts frohnfi
bittet ihn der Frohn zu erlaßen.“ — „Hochſtädt. — Sch
meiſter hat ungefaͤhrlich 27 fl.; rührt vom Glockamt her,
ferner nichts.“ — Auch an anderen Orten befanden fih Schu
3. B. zu Ortenburg. Dagegen lauteten die Berichte von
meiften Orten äbnlid wie von Mittelbuhen: „Schule hal
zeigen fie (die Ortsbeamten) an, daß der Glödner die Schule
halten, thut8 aber nicht, wartet jeined Handels“.
Wie es fcheint, blieb dieſe Kirchenvifitation für die Entm
lung des Schulwefend ziemlich bedeutungslod. Die Bifitato
berührten daſſelbe in ihrem Viſitationsabſchied eigentlich nur
Betreff der Schulen zu Hanau, indem fie vorjchlugen, man m
den Glödnern an ihrer Belohnung nichts abgehn laßen, „da
man Taugliche befommen fönute, jo ben Pastoribus helfen :
Catechismum treiben”. Außerdem wiejen fie auf die Notweni
feit eines fleißigen Befuches der kirchlichen Katechifirübungen feit:
der Jugend bin, weshalb fie den Nat gaben: „damit das juı
— 3 —
Volk zum Catechismo komme, müßen die Buͤrgermeiſter ihre Bürger
dermabnen, daß fie ihre Jugend hierzu anhalten wollen, und ber;
dalben Ordnung machen, daß man fehen möge, welche barinnen
nachlaͤßig find”.
Die Begründung des Dorfichulwejend ald einer dem ger
Jammten Lande angehörenden Inſtitution erfolgte hier, wie im
Übrigen evangelifchen Deutſchland, als vie Grafſchaft Hanau⸗Mün—⸗
3enberg in den dogmatiſchen Zerwürfniffen, welche die deutſch—
dangelifche Kirche heimfuchten, eine beftimmte polemifch-confefjionelle
Stellung einnahm. Die Grafen zu Hanau fchloßen ſich nament-
lid) feit dem Jahre 1595 an die reformirte Kirche der Kurpfalz
an, und erkannten es jehr bald, daß jekt eine forgfältigere Pflan-
gung des Firchlihen Bekenntniſſes in der Jugend not thue. Graf
Philipp Ludwig ordnete daher i. 3. 1597 abermals eine allge-
meine Kircyenvifitation an und befahl den Vifitatoren, namentlid
Dafür Sorge zu tragen, „daß mit der gefunden und reinen Lehre
Alte und Zunge nicht allein Sommers, fondern auch Wintergzeit
ſowol in den Hauptkirchen als auch in andern Dörfern, den Ga-
pellen, mit Zuthun der Schulmeifter fo forthin in allen
anſehnlichen Fleden angenommen werden follen, —
treulich und fleißig verfehn werden“. Zugleich wurde befohlen:
"Wann dann audy die tägliche Erfahrung lehrt, daß die Eltern,
Derm und Frauen ihre Kinder und Gefinde in Unwißenheit und
Sottlofigfeit zum merflichen ihrer ſelbſt Unheil, auch Abbruch des
Reiches Ehrifti aufwachfen laßen und dieſelbigen fahrläßig zur
Kinder! ehre ſchicken, als ift abermals unfer Befehl und Mei-
Nung, daß alle und jede Kinder, fo der Lehre und Unterweiſung
fähig find, von jedes Orts Predigern aufgezeichnet und durch eine
gewiße Perſon in jedem Dorf dem Pfarrherrn dargeftellt, und daß
die, fo ohne wichtige und billige jcheinbare Urfachen die Jugend
und Rinder daheim behalten, zur gejeßten Strafe durch den Schul-
theißen oder Gentgrafen gezogen werben follen“.
Somit war jegt wenigftend für Die größeren Ortfchaften
die Anftellung von Schulmeiftern befohlen worden, während in ber
Mehrzal der Dörfer die Jugend nur in der „Kinderlehre“, d. h.
n den firchlihen, gottestienftlichen Satechifationen unterrichtet
4
_ 4 —
ward. Noch immer kamen Dorfſchulen nur ſehr vereinzelt x
oder beftanden nur vorübergehend, und gerade die Firchlichen —
formen, welche am Schluß des 16. Jahrhunderts in der Grafſch
eingeführt wurden, und in deren Intereſſe die Landesregierung
Einrihtung von deutfchen Schulen betrieb, war dem Auffomrı
derfelben im höchſten Orade hinderlich. In gar vielen GOegend
in denen das Volk in dem Beſtande der überlieferten Kultus]
men den Beſtand ſeiner überlieferten Religion fah, hatten die €
meinden nur wiberftrebend Die veformirte Kultusreform hingen =
men und jammerten Darüber, daß ihnen ihre bisherige kirchl
Weile genommen war. Die Dorfihulen, die man (mit Re«
nur zur Ginübung des Heidelberger Katechismus eingerichtet glau ”
wurden daher von dem Wolfe gemieden, und an gar mandE
Orte, wo eine Schule begründet war, weigerten ſich die Elite
ihre Kinder in Diefelbe zu ſchicken, oder zur Unterhaltung
Schulmeifterd auch nur das Geringfte beizutragen *).
Ein großes Hindernis für das Aufblühen des Schulweſ
war natürlich auch die Unmwißenheit der Glöckner, deren noch imm
viele gar nicht leſen konnten. Ein Pfarrer zu Roßdorf 5. B.,
i. J. 1613 eine Schule einrichten wollte, mufte, um dies bewir-
*, In weldem Buftand das kirchliche eben und in welcher Lage das Ei
wefen der Grafihaft damals war, geht zur Genüge aus dem Berichte einer Ca
miffion hervor, die über eine in Steinau und in der Obergraffhaft vorgenomm
Kirhenpifitation am 15. April 1600 an das Konfiftorium zu Hanau berichtete:
„Kierneben follen den Herrn wir ferner nicht verhalten, daß auch an den —
hörern gemeldtes Orts wir nicht geringen Mangel befunden, indem Riemand »
einiges Kind zur Schule hält, Riemand will auch fein Kind den Decalogum ga:
lernen laßen. — Auf den Dörfern, da man Kubh- und Sauhirten lohnen far
will Niemand etwas zur Befoldung der Schulmeifter geben, und liegen die Schul
wüſt. — Anderswo ift großer Mangel an den Eltern, die die Kinder zur Schi
nicht fhiden wollen. Zudem merden die catechisationes et conciones eccl
siasticae von Jung und Alt fehr verfäumt. — Bei den Catechiſationen werd
die Ministri von den Kindern, die anweſend find (mwiewol ih-er viele diefelbi
beradhten,) mit Stillſchweigen, böfeu Worten oder Verlachen verächtlich abgeferti,
Biele der Unterthanen laufen in fremde Herrfdaften zur Predigt und Communic
und gehet allenthalben fo barbarifh zu, daß einer lieber todt fein follte, de
diefem jämmerlichen Zuſtand länger zufehen.”
— 5 —
yp ünnen, vor Allem feinen damaligen Glödner, einen Schneider,
der weder Iefen noch fingen Eonnte, fortfchiden. Hierzu Fam, daß
diejenigen Gloͤckner, welche wirflih Schule hielten, dieſes faft
durchgängig ohne eigentlichen inneren Beruf und ohne Liebe tha-
ien, indem fie bier wie überall aus den heterogenften Berufsarten
in die Echulmeifterei eintraten und die neue Laft nur notgedrungen
übernahmen. Es Fam daher wol häufig genug vor, was ein
Pfarrer zu Bifchofsheim i. J. 1622 in Betreff des Schulmeifters
zu Rumpenheim Tlagte, daß derfelbe, um frei umherlaufen zu koͤn⸗
nen, „jeine verwegenen und mutwilligen Sinaben die Schule halten
laße, jo mit den Schulfindern nur Mutwillen, Lederei und un:
Mätige Poffen treiben”. Am allernadteiligften jedoch wirkte bie
. Anfägliche Laſt der unmürdigften Dienftverrichtungen, die fehr oft
dem armen Glödner aufgebürdet wurden*). Und felbft Diejenigen
Gloͤckner, welche nicht mit unziemlihen Zumutungen geplagt wur-
den, waren doch von einzelnen Nebenämtern, die durchgängig als
weientliche8 Zubehör des Glödneramtes betrachtet wurden, jo in
Anfpruch genommen, daß fie fi mit der Schulmeifterei kaum noch
befaßen Eonnten. Namentlich war jeder Glöcdner mit dem Amte
eineg emeindefhreibers und GemeindeMehlwiegers
— — —
*) Man höre z. B. folgende Klage eines Schulmeiſters oder Glöckners zu
Rumpenheim i. 3. 1596: „Unfre Gemeinde allhier zu Rumpenheim hat bis daher
diefen Gebrauch gehabt, daß fie jährlich auf Michaelis einen Glödner, doch in
fein und Bewilligung ihres Prediger annehmen, mit diefer Condition, daß er
Pfarrherrn neben den Bemeindefrohndienften nad alter Gewohnheit etliche
Arbeit berrichte, mit Heu und Grummet zu machen, Garten zu graben, Kraut
du feken, umd mas es mehr mag fein, darvon der don Neuem angenommene
Slöcner, der Gemeinde zum Beften, giebt ein Viertel Wein, einen Laib Brot und
men Käſe. Dieſes Glodamt habe ih nun 16 Jahre verſehn. — Nun aber find
mir gram und aufläßig um der Religion willen und wollen mich abfegen, und
ingen hart auf mid) mit Gemeindeämtern und Arbeiten (ich geſchweige der Frohn-
„enfte, fo.unferm gnädigen Herrn gefchehen) mit Hüten und Wachen und andern
N der Gemeinde vorfallenden Sachen, daß ich oftmals, wenn id) in der Kirche
Meines Amtes pflegen oder fonft dem Pfarrherrn die gebürliche obgedachte Arbeit
verrichten fol, zugleich auch an der Pforte hüten, oder fonft die Säne hüten im
deld oder im Wald, oder fonft ein Gemeindegeſchäft zu verrichten, oder foll andre
an meiner ftatt und in meiner Koft und Lohn darftellen” u, f. w.
66 —
bedacht *), woraus noch ein anderer Webelftand hervorging. T
nemlich faft in allen Dörfern der Grafſchaft die Gemeinden >
Recht der Präfentation des Glöckners ausübten, fo war es natk
lich, daß dieſelben nichts als die Brauchbarkeit des anzuftellent=
Glöckners für die Verwaltung der Mehlwage und für den Schw
berdienft im Auge hatten und gar nicht danach fragten, ob D
felbe zum Echulhalten tauglich ſei oder nicht **).
Die abermalige Erſchütterung, welche das Firchliche Leber
der Grafſchaft erfuhr, als Diefelbe nach dem Ausfterben des ES
fengefchleht8 von Hanau- Münzenberg i. 3%. 1642 unter Die =
gierung des lutheriſchen Grafen Kriedrih Kafimir von Hank
Lichtenberg Fam, der al3bald auf möglichfte Beſchränkung des
formirten Kultus und auf Ginführung des Luthertums be
war, konnte dem Aufblühen des Volksſchulweſens ebenfalls u
fehr förderlich fein. Doch war es immerhin ein Gewinn, %
Friedrich Gafimir in der i. J. 1659 publizierten (Iutherifchen
chenordnung zugleich eine beftimmte Schulordnung aufftellte, rm
der ebenfo die Iutherifchen Volksſchulen als das lutheriſche Gm
*) So wird 3. B. über den Glödner und Schulmeifter zu Mittelbude
3. 1599 getlagt, daß er „mit der gemeinen Mehlmwage, die fih ftünd- und au—
blieflich zutrüge, beſchwert, auch mit der gemeinen Schreiberei, deren er fid
geringem Ruben der Nachbarn und Gemeinde als ein Unerfahrener bisher un—
nommen, vielfältig zu thun babe“.
*) Wie die Anftellung eines Glödnerd bewirkt wurde, erhellt aus fol
dem Bericht, den der Gemeindevorftand zu Moßdorf i. I. 1609 über die dan—
erledigte Glöcnerftelle an das Konfiftorium zu Marburg einfandte: „Demnad —
alten Jahren hero es allhier alfo gehalten worden, daß mann ein gemein“
Wieger und zugleih auch Gemeindefhreiber (d. h. Glödner) ToF
verfahren, daß derjenige, fo um die ledige Stelle angehalten, fi) bei den Radbe=
angeben müßen; und fo diefelben mit folder Perfon zufrieden geweſen, al habe
darauf fie ihn bei unferes gnädigen Herrn auweſenden Herr Räten und Befeh
babern bittlich angezeigt, daß nemlich ehrengedachte Herrn Räte ihren Conſens (E
denen e8, wie auch noch, allezeit geftanden) auch dazu geben wollten; und das
Adam Pfeifer ein Nachbar alihier, (welcher bisher bei Tebzeiten des nächft abg
ftorbenen Glöckners das Geſänge mehrenteils in der Kirche, fodann auch unterweile
der Gemeinde Sachen verrichtet,) fi ebenmäßig geftrigen Tages nach verrichtets
Predigt bei der Gemeindeverfammlung angegeben, auf vorige angezeigte Condition
eine ganze Gemeinde mit ihm zufrieden wäre” u. f. m.
— 1 _
um des Refidenzorted Buchsweiler im Elſaß geregelt werben
te. Es war ein Mangel der neuen Schulordnung, daß Die für
ateiniſche und deutſche Schulen giltigen Beftimmungen durchein⸗
mder geworfen waren; aber e8 war ein hoher Vorzug berfelben,
daß auch für das Oymnafium als Hauptziel alles Strebens die
Sriftliche Erziehung der Jugend geltend gemacht ward. Es wird
n der Schulorbnung vorgejchrieben, daß jede Schule unter einen
Lorſtand, beftehend aus dem Pfarser, dem Schultheiß, Kirchen-
dafuer, Bürgermeifter und andern Beamten des Orts, geftellt
verden fol. Täglich fol fünf Stunden, Morgens im Winter von
—10, im Sommer von 7—9 Uhr und Nachmittags von 12—3
Ihr Unterricht erteilt, und zwar fol der Unterricht Morgens
nd Mittage mit Gebet begonnen und gefchloßen werden.
Sonnabends follen die beiden Morgenftunden Iediglich zur Uebung
e8 Gebet und des Katechismus verwendet werden. Außerdem
iebd verordnet: „Es follen die Praeceptores felbft in Perſon alle
age, daran Schule gehalten wird, den Discipeln beimohnen und
e unterweifen und hören, nicht nachläßiger Weiſe, wie vielfältig
rgeht, Diejelben allein den Schulfrauen oder auch den Schul⸗
ndern, jo im Lejen und Schreiben am geübteften find, zu hören
ttergeben und überlaßen, es fei denn, daß es jeweilen wegen
aumgänglicher Not, ald von wegen zunehmender Menge der Kiu-
ex und Didcipeln oder aus andern hochwichtigen Urſachen ge-
heben müße.” — „Dieweil auch der Misbrauch in den Schulen,
mderlih an Orten, da fein Schulgeld gegeben wird, wie 3. ©.
a Buchsweiler, ſich ereignet und befindet, daß bie Eltern oft ihre
ar jungen und der Lehre noch unfähigen Kinder mit den andern
ı die Lehrftuben fchiden, damit fie derjelbigen daheim zu Haufe
bfommen und ihren Geſchaͤften deſto befer abwarten mögen, —
18 wird den ludi moderatoribus hiermit angezeigt, daß fie nicht
chuldig feien, dergleichen einige Kinder, Knaben oder Mägplein
n ihre Schulen anzunehmen, die nody nicht das fünfte oder ſechſte
Jahr ihres Alters völlig und complet erreicht haben“. Als Stra-
em jollen angewendet werben „Öffentliche Vorſtellung mit dem
Ffel oder der Ruthe, Abſetzung auf die Erbe mitten in der Schul:
ube auf eine Stunde oder mehrere”; außerdem Ruthenftreiche,
— 8 —
Auch ungegründete Schulverſaͤumnis ſoll beſtraft werden. „D
deutſchen Lehrkinder ſollen nach Gelegenheit ihres Alters die
woͤhnlichen Stunden buchſtabiren, das Namenbüchlein, den Ka
chismus Lutheri, das Evangelienbuch, Jeſus Sirach, Pfalter T
vids, das Alte und Neue Teſtament (Lutheri Verſion), auch deutf-
Pfalmen anfagen, die Rechnenkunſt üben, mit dem Gebet —
allewegen anfangen und fchließen, und dann am Sonntage
Kinderlehre in der Kirche bejuchen.”
Es erhellt aus der Kirchenordnung, daß man auch in I
Dörfern der Grafihaft Hanau = Lichtenberg eben erft anfing,
erftien Verſuche zur Einrichtung von Schulen zu machen. =
Küfter, welche bier Sigriften, aeditui, beißen, werben noch -
nicht aufgefordert, fich zum Schulhalten anzuſchicken. Es heift x
ihnen lediglich: „Die Sigriften follen in ihren Amt bei der Kira
als mit Glodenzeihen geben, Uhr richten, Kirchen fäubern ı
Begleitung des Pfarrer zur Neichung der heiligen Sacrame
bei Kranken in der Not und auch fonft in billigen Dingen ms
Möglichkeit ihren vorgejegten Pfarrern treu und Dienftlich fein ı
alle Jahre auf den Tagen, wann die öffentlichen Aemter in ”
Gemeinde wieder bejeßt werden, vor Amt erjcheinen, die Kirch
ichlüßel der Obrigkeit, die fie beftellt, darlegen und um Gor
nuation und Behaltung ihrer Dienfte demütig anhalten.”
Nur bin und wieder fcheinen „Schulhalter” vorhanden |
wefen zu fein, die von den Gemeinden für die Winterzeit gemietl
und dann wieder entlaßen wurden. Dagegen nehmen wir 5
(in der Hanau-Fichtenbergifchen Kircyenordnung) die eigentümli:
Erſcheinung wahr, daß nicht den Küftern, fondern den Pfarre
das Schulhalten zur Pflicht gemacht wurde, und Daß vielleicht |
Mehrzal aller im Lande beftehenden Schulen von Pfarrern geh
ten ‚wurde. Die Kirchenordnung machte e8 daher den Pfarrei
welche zugleich Schulmelfter waren, zur Pflicht, den Beftimmung
über die Zal der täglich zu erteilenden LUnterrichtöftunden gen
nachaufoınmen, indem in ihr verordnet ward: „welches infonderh
auch den Pfarrern in Dörfern, da feine befonderen Schulbal
find, gefagt ift, als die ebenfo viele Stunden ded Morgens u
Nachmittags Schule halten follen und müßen, von Michaelis ol
9 —
erbieit an bis auf Faſtnacht oder Ofterzeit. Jedoch ift um
Uige Belohnung, und wie der Pfarrer mit den Zuhörern, nem-
h mit denen, die gern fehen, daß ihre Kinder das ganze Jahr
irch in der Schule zum Gebet, Lejen und Schreiben unterrichtet
irden, fann übereinfommen, einem Seelforger und Pfarrer nicht
wehrt noch verboten, daß er nicht dürfte Schule halten das
nze Jahr durch, wann er will, fondern es. wird vielmehr an
emf Pfarrer, der es auf Begeren oder ſonſt für fich fleißig thut,
: ein unfehlbares Zeichen und Zeugnis feiner bejonderen Amts⸗
ne in Acht genommen und naͤchſt Gott von hoher Obrigkeit mit
genehmer Gnadenbeweiſung und Förderung, auch ohne ihr Wißen
d Begeren remunerirt werben.”
Diefe Schulordnung konnte in der Graffchaft Hanau Müns
iberg natürlich nur da Bedeutung gewinnen, wo es gelang,
heriſche Schulen einzurichten. Die reformirten Schulen beftan-
a in ihrer bisherigen Weife fort, und ſelbſt die rveformirte
Janauifche Kirchen, Disciplin- und Elteften » Ordnung”, melde
3.1688 von dem (Iutherifchen) Grafen Philipp Reinhard publis
t ward, änderte an dem Beftand des Schulweſens nicht das
indefte. Daffelbe wurde in der reformirten Kicchenordnung nur
ofern berührt, als in ihr eine beflimmte Form der „Schuldie-
"beftallung” vorgeichrieben ward. Die Hauptftelle dieſes Re⸗
es, den Die Schulmeifter von da an zu unterzeichnen hatten,
tete: „Ich ſoll und will nicht allein für mich felbft mich aller
sttesfurdht und Treue befleißigen, fondern audy die mir anvers
ute und befohlene liebe Jugend in aller Sanftmut, Freundlich⸗
t und Holdfeligleit, fonderlidd aber zu dem lieben Gebet an-
ifen, Daß fie vor Allem Gott lernen lieben, der Ehrbarkeit ſich
Heipigen und die Lafter haßen, auch fi) demnach die Funda⸗
»nte hriftlicher Religion, wie folche in unjerem chriftlichen Gas
bismo.*) verfaft, nach Gelegenheit der mir anverorbnneten Jugend
it treulichem Fleiße Iehren, denfelben ihnen wol einbilden, auch
inen andern Katechismum oder fonft Nebenfrageftüce oder anderes
exgleichen außerhalb der verorbneten, in meiner Schule einführen,”
— — —
*, In der Kirchenordnung ift der Heidelberger Katechismus abgedruckt.
— 10 —
Bon hoher Wichtigkeit war für Die weitere Entwidlung D
Volksſchulweſens die Anftellung eines Mädchenlehrerd zu Harıc
i. J. 1691*), dem in dem Beftallungsrevers zur Pfliht gemad
wurde, „daß er zuvoͤrderſt ein nüchternes, maͤßiges und egemypHe
riſches Leben führen, ſodann gedachte Mägdlein im Leſen wmt
Schreiben täglih (außer des Sonntage, auch Mittwochs und
Samftagd Nachmittags, da feriae find,) zu gewöhnlichen Früh
und Nachmittagsſtunden getreulih und fleißig informiren, fie zu
aller Gottesfurcht, ſonderlich auch zum Gebet und Gefang, und
bevorab zur Lernung des Katechismus, Buß⸗ und andrer ſchönen
Pfalmen, auch lehr⸗ und troftreihen Sprüde der H. Schrift, wie
nicht weniger zu aller Zucht und Ehrbarkeit ernftlich anhalten,
auch ohne Vorbewuſt und Erlaubnis des Rectoris feine Schul
ftunden verabfäumen, dabei auch im Dociren und Lehren fi all
Sanftmut, zumal aber auch in den Reden aller Beicheidenheit ge
brauchen follte, damit die Mägdlein ihrem Geflecht nach micht
etwa geärgert, oder auch fonft ing Gemein einige Klage mit Beftand
wider ihn geführt werden möge. So foll er auch zu Sommergzeiten,
wenn Sonntags Nachmittags die Kinderlehre gehalten wird, td
allein die Mägblein dazu fleißig anmahnen, fondern au ſe Ibf
diefelbige ordentlich befuchen, und das Examen, jo ed von D*
Herrn Superintendenten begert wird, mit vornehmen und veresd
ten helfen. Und damit auch die Kinder in der Lehre, fonder Fi
aber in ihrem Chriftentum defto mehr wachſen und zunehm
mögen, fo ift ihm erlaubt, nach vollendeten ordinären Stun
auch noch einige extraordinäre Privatftunden, jedoch dergeftalt
halten, daß das bisher gewöhnliche Privatgeld nicht uͤberſtie—
und die Eltern deswegen zur Ungebür befchwert werden möger=#
Da die Grafihaft Hanau: Münzenberg nad) dem Tode &5*
Grafen Johann Reinhard i. %. 1736, mit dem dad Geſchleck
deffelben erlofch, an Heſſen-Kaſſel fiel, fo war von da an
Entwidlung des Volksſchulweſens im Ganzen diefelbe, wie in db =
übrigen Heſſen-Kaſſelſchen Landen, und es ift daher nur Wenig =!
*; Der damals angeftellte Lehrer mar zugleih Präfenzer, d. 5. Almoſe
pfleger.
— 1 —
hervorzuheben, was der Geſchichte der Hanauer Dorfichulen eigen:
timlih angehört.
Eine firengere Beauffichtigung des Schulbeſuchs warb in
Hanau im Jahre 1748 eingeführt, indem damals durch eine Vers
ordnung der Konfiftorien, die an alle Pfarrer und Beamte erging,
; jede ungegründete Schulverfäunnis mit einer Geldftrafe von einem
‚ Ortögulden bedroht und den Schulmeiftern aufgegeben murbe,
von Zeit zu Zeit genaue Abfentenliften mit Angabe der bereits
beigetriebenen oder noch beigutreibenden Strafen an die Confi⸗
Rorien einzufenden. Indeſſen wurde dieſe Verordnung ſchon nad
wenigen jahren jo fehr vergeßen, daß die Landesregierung fich
1.3.1763 abermald genötigt Jah, den ununterbrochenen Fortgang
der Winterfchule vom 1. Oktober bis zum Ende ded April und
den Beſuch der Firchlichen Katechifationen für das männliche Ges
ſchlecht bis nach zurüdgelegtem achtzehnten und für das weibliche
Geſchlecht bis nach erreichtem fünfundzwanzigften Lebensjahre Durch
eine neue Verordnung einzufchärfen. Jede Verfäumnis der Schule
oder der Katechiſation follte mit einer Strafe von einem Kreuzer
geahndet werden. Den Schulmeiftern wurde die forgfältigfte Füh⸗
Tung der Abjentenliften zur Pflicht gemacht.
Sm Jahre 1766 erfolgte in der Stadt Hanau die Errich⸗
tung einer Armenfchule.
In den nädftfolgenden Jahren ward auch in Hanau wie im
übrigen Heflen die Einführung der Sommerjchulen verſucht. Der
teformirte Superintendent machte nemlich im Anfange des Jahres
1768 das reformirte Gonfiftorium darauf aufmerffam, daß das
Schulweſen auf dem Lande nicht eher werde wahre Frucht
bringen Zönnen, bis man den Schulfindern auch im Sommer einen
Tegelmäßigen Unterricht gewähre. Hierdurch veranlaft gab daher
das reformirte Gonfiftorium allen ihm untergebenen Pfarrern des
Landes auf, darüber zu berichten, ob in ihren Pfarreien auch
Sommerſchulen gehalten würden. — Die hierauf bei dem Gon>
ſiſtorinm einlaufenden Berichte zeigten, wie vieles noch zur Auf-
beßerung des Schulweſens gefchehen mufte. Die meiften Pfarrer
litten, Sommerfchulen würden wol gehalten, aber gewöhnlich
nur au drei ober. vier Tagen der Woche, und an biefen nur zwei
— 12 —
Stunden lang, etwa von 10 — 12 Uhr. Oefter kämen jebod
längere Unterbrechungen vor, und die finder Fämen im Sommer
noch unregelmäßiger zur Schule ald im Winter, weshalb es nicht
befremden Eönnte, wenn die Kinder das Wenige, was fie etwa im
Winter gelernt, hätten, im Sommer wieder verlernten. Nach
längerer Erwägung der Sache erließ hierauf das reformirte Gon-
fiftorium unter dem 18. Juli 1770 eine Verordnung, worin be-
fohlen ward: Ueberall follten Sommerjchulen in der Weiſe ein-
gerichtet werden, daß vom Anfange ded Monats Mai bis zum
Ende des September wöchentlih an drei Tagen Morgens zwei
Stunden und in der Erndtezeit wenigftend Eine Stunde Schule j
gehalten würde. Auch follten die Schulmeifter während diefer |
Zeit an jedem Sonntage vor dem Nachmittagsgottesdienft, fo wie |’
an Bettagen vor der Predigt eine Stunde Unterricht erteilen und j
dann mit den Kindern in Proceffion zur Kirche ziehen. — Außer: ]'
dem wurde den Pfarrern aufgegeben, die Schulen an den Mutter f''
kirchen wöchentlich, und die auf den Filialdörfern monatlid zu vis [7
fitiren und über das Ergebnis der Vilitafionen an das Conſiſtorium [
zu berichten.
7 — — —
III.
Das ſäculariſirte Fürſtentum Fulda.
Noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts war dad
Schulweſen im Fuldiſchen Lande in derſelben übelen Verfaßung,
wie um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, d. h. Volksſchulen
beitanden, namentlich auf dem Lande, eigentlich nur dem Namen |
nad. Eine allgemeine Schulpflichtigfeit aller Kinder wurde ef
i. J. 1723 anerkannt, indem das hochfürſtliche Fuldifche Gone
forium, veranlaft durch die Klagen der Pfarrer über den allge
mein wahrzunehmenden fdhlechten Schulbefuch, in dieſem Sahıt
unter dem 20. December eine Verordnung erließ, in welcher allen
Eltern und Erziehern zur Pflicht gemacht wurde, bei Meibung
einer Strafe von 1 Pfund Wachs ihre Kinder zur Schule zu
— 13 —
Ihiden. Zugleich wurden die Pfarrer, und namentlich alle Stifts⸗
md Landdechanten angewiejen, für Befolgung dieſer Vorſchrift
Sorge zu tragen und die Schulen fleißig zu vifltiren. Die Ver⸗
ordnung des Gonfiftoriums blieb jedoch ohne fonderlichen Erfolg,
da in derfelben feine nähere Beftimmung des fchulpflichtigen Al⸗
ter8 angegeben war. Um diefem Mangel abzuhelfen, verordnete
daher der Fürftabt Adolph am 22. December 1733, daß alle
Eltern verpflichtet fein jollten, ihre Kinder vom fünften bis zum
jehnten Tebensjahre zur Schule zu jchiden, und zwar in den
Städten das ganze Jahr hindurch, auf dem Lande nur während
der Winterzeit.
Sp beftand das Schulwejen in dem Fuldiſchen Lande we—
jeutlich in feiner alten überlieferten Weife bis zur Regierungszeit
J des Bifchofs*) und Fürften Heinrich von Bibra (1759— 1788), der
fich die gänzliche Umgeftaltung veffelben nad) dem in Felbigers
Schuleinrichtungen gegebenen Vorbilde zur Aufgabe machte. Der
Fürſtbiſchof Heinrich begann feine reformatorifche Thätigkeit, indem
er an ſaͤmmtliche Schulmeifter, um dieſe ſelbſt thunlichſt vorzube-
reiten und über das, was demnädhft von ihnen verlangt werden
ſollte, zu unterrichten, i. 3. 1773 Felbigerd Schrift über „Eigen-
haften, Wißenfchaften und Bezeigen rechtſchaffner Schulleute*
berteilen ließ. Zugleich wurde in demfelben Jahre der Plan zur
Umpgeftaltung des „hohen, mittleren und niederen“ Schulweſens
entworfen, und am Ende des Jahres 1774 im Drud publizirt.
Indeſſen war der in Betreff der Einrichtung der niederen Schulen
entworfene Plan zunaͤchſt nur für die Reſidenzſtadt Fulda berechnet,
wo dieſelben ſchon im Anfange des Jahres 1775 in drei Klaffen,
jede aus mehreren Unterabteilungen beftehend, eingerichtet wurden,
Sugteid veröffentlichte Die Regierung des Biſchofs eine Reihe von
Beftimmungen, durch welche die Ausführung der neuen Schulord-
Rung erleichtert und gefichert werden follte.e Es wurde befannt
gemaht, Daß der Unterricht durchaus unentgeldlich erteilt werben
ſollte. Dagegen wurde allen Stadteinwohnern, Vormündern und
Dandwerfsmeiftern der Reſidenz befohlen, „ihre eignen, ober aud)
— .
*) Durch eine Bulle Benedictd XIV. vom 27. November 1752 war die
Abtei Fulda zu einem Bistum erhoben worden.
s
_
- 14 —
nur pflegbefohlenen und in der Lehre jtehenden Kinder männliche,
Geſchlechts vom fünften bis zum vollendeten dreizehnten Sabre“
ununterbrodhen zur Schule zu ſchicken. Auch jollten die Eltern
die Wirkſamkeit der Lehrer durch ftrenge Ueberwachung der Kin
der außer der Schule unterflüßen, ſollten den Kindern Liebe zur
Schule einflößen, ihnen die in den Klaſſen vorgefchriebenen Schul-
bücher anfchaffen u. f. w. Kindern notorifch armer Eltern, deren
Unfäbigfeit zur Anſchaffung der Schulbücher durd das Stadt
und Polizeigericht feitgeftellt ſei, folten dieſelben unentgeldlich,
jedoch unter dem Vorbehalt zugeliefert werden, „Daß die Buͤcher
nicht mutwillig verborben oder verloren, ſondern nach geendigter
Klaffe wieder getreulich zurüdgeftelt würden, damit fie anderen
Kindern zu gleichem Gebrauche wieder dargereicht werden Eönnten.*)
Su der „Allgemeinen Inſtruction an die Lehrer in den nie
deren Schulen der hiefigen Refidenzftabt”, welche von der „Ho
fürftlichen zur Schuleinrichtung gnädigft verordneten Commiſſion
zu Fulda unter dem 3. Januar 1775 veröffentlicht ward, wurde
den Lehrern eingefchärft, daß, „um den großen Endzwed des Un
terricht8, Die Aufklärung des Verftandes, bei der verbeßerten Schub
einrichtung defto ficherer zu erreichen”, eine „gute, den Seelen
fräften der Kinder angemeßene Methode beobachtet werden” müßt.
Man begnüge fi, vorläufig, „dieſen einzigen, und bei der Enie
bung hoͤchſt wichtigen Grundfaß anzuführen: man gehe bei bem
Unterriht immer vom Leichten zum Schwereren, vom Ginfaden
zum Bufammengefebten fort. Dies ift die Ordnung der Natur
jelbft, deren Geſetze man nicht vernachläßigen kann, ohne auf Ab
wege zu geraten.” Unter den bejonderen Vorfjchriften, welche vor
den Lehrern beobachtet werden follten, wurde namentlich hervor
gehoben: Jede Schulftunde follte mit einem vorgefchriebenen Gr
bete begonnen und geſchloßen werben. Die Lehrer follten ihre
Kinder täglich um halb zehn Uhr zur Kirche führen, und an
|
jedem Sonn» und Fefttag in den Schulftuben von halb adıt bis
acht Uhr ihren Schülern das Evangelium des Tages erklären und
fie dann in das hohe Amt führen. Auch follten die Lehrer den
*) Regierungsausſchreiben d. d. Fulda den 3. Januar 1775.
— 15 —
ern öfters Die Megeln der Höflichfeit und einer feinen Lebens⸗
löäten, fie durch Lobſprüche Dazu ermuntern und überhaupt
trieb einer wahren Ehre in ihnen erregen.” _Nad den
isverzeichniſſen, welche für Die Drei Klafien veröffentlicht
n, follten Die drei Abteilungen der erften Klafje im Katechis⸗
m Leſen, Schreiben, in der Zalenfenntnid und „in der Ölaus
re und Betrachtung der Erdkugel wechſelweiſe“ unterrichtet
. Die beiden Abteilungen der erften Klaſſe, in denen Uns
; in Geographie, Mathematik, in der Anwendung der Koͤr⸗
e auf verjchiedene Künfte, im Beichnen u. Dgl. erteilt warb,
urchaus ald Realſchule eingerichtet. — Der Religionsunter-
cat in allen drei Klafjen ſehr zurüd. Gefangunterricht war
Lectiondtabellen gar nidht erwähnt.
Reben biejen „niederen“ Knabenjchulen wurde einige Sabre
für die Stadt Fulda aud eine große Toͤchterſchule mit
Lehrerinnen begründet, deren Einrichtung in Dem Herbitprü-
uch des Sahres 1778 befannt gemadyt wurbe.
Während nun in der angegebenen Weife die Reorganijation
olksſchulweſens in der Refidenzftabt bewirft wurde, that ber
ſchof gleichzeitig die nötigen Schritte, um auch auf den Dör-
em Schulweſen aufzubelfen. Vor Allem ſchien bier bie
ildung eines tüchtigen Lehrerftandes Not zu thun. Da ein
ehrerjeminar nody nicht vorhanden war, auch nicht jo geſchwind
tet werden Eonnte, jo beichloß Heinrih von Bibra, in
vorläufig eine Mufterfchule einzurichten, in welcher Die
neifter in den wichtigften paͤdagogiſchen Fächern unterrichtet
ſollten. Schon i. 3. 1774 wurde diefe „Mufterjchule“
irt, und alle Xehrer, jowol die der Hauptitadt, als Die der
ädte und Dorfichaften wurden zum Beſuche derjelben einbe-
Außerdem wurden auch ſolche Sünglinge, Die fih, ohne
Lehrer gewefen zu jein, für Den Xebrerberuf vorbereiten
I, zum Beſuche der Anftalt aufgefordert. Zugleich muften
ndesherrlichen Befehl von Seiten der Univerfität zu Fulda
ungen Über Pädagogik und verwandte Fächer gehalten wer-
eren Anhörung namentlich den Lehrern der niederen Stadt:
ı anempfoblen wurde,
— 16 —
Um auch die äußere Lage der Dorfſchulmeiſter einigermapez
zu verbeßern, befahl Heinrid von Bibra im folgenden Jahre, Die
übliche, aber jehr jchlecht eingehende Brotabgabe an die Schu
meifter in eine ®eldabgabe umzuwandeln, indem er unter dem
21. November 1775 verordnete:
„Demnach Uns die befhwerende Anzeige der Landſchul⸗
meifter vorgefommen, daß, wo ihnen von den eingepfarrten Un»
tertbanen jährlih in partem Salarii ein Laib Brot herfomnlich
abgereichet werden müße, Diejes teild im ungleichem Gewichte ge⸗
ſchehe, auch oft zur Zeit, wo das Brod felbften im Baden ver
dorben und unfpeisbar geworden ift, verabreichet wurde, teild auch
dieſes Brot den Unterthanen oft abgebettelt, oft abgezanft wer
den müße, dieſem unleidentlihen Unfug aber Wir Tänger nachzu⸗
ſehen nicht gemeinet find; ald verordnen und gebieten Wir am |
durch gnädigft, daß
1) Unfere Ober» und Beamte allen und jeden Unterthanen, |
welchen dieſe Brotabgabe herkoͤmmlich oblieget, anzubefehlen haben,
ſolches den Schulmeiftern nicht mehr in natura, jondern,
2) weil der Laib Brod fonft 6 Pfund Hat wiegen folen,
hierzu aber nad) Erkenntnis des Baͤckerhandwerks 3 Köpfchen od
25 Theil eined Maaß Kornd von mittelmäßiger Gattung erfor⸗
derlich find, fo viel Korn, wie e8 in jeder Gegend wächft, jede*
mal den Tag nad Martini, 1776 anzufangen, bei fchärffter Ein
ficht abzugeben haben; wozu
3) die Beamten eine richtige Lifte Der ſchuldigen Unterthanen
zu führen, und die Abgabe durch den Actuarius oder Amtödient
mit allenfalfigem Executionszwang auf das pünftlichfte zu beſor⸗
gen haben jollen.”
Dagegen wurde den Lehrern zwei Jahre fpäter eingefchärft,
daß fie ibrerfeits Alles aufzubieten hätten, um durch würdiges
Verhalten die Ehre ihres Amtes zu heben, weshalb ihnen Ye
Allem das Aufſpielen bei dffentlihen Tänzen unterfagt wurde.
Wichtiger jedoch als dieſe VBeftimmungen, war eine Verord
nung, welche aus der feit mehreren Jahren beftehenden „hochfürk
lichen Schulfommiffion” unter dem 21. December 1776 erſchien.
In derfelben wurde nemlich befohlen, daß alle Pfarrer mit Zugiehund
_ 17 —
ber Amtleute in ihren Pfarreien Schuldeputirte ernennen
ſollten, und zwar für den Pfarrort zwei, ebenjo für jedes Filial-
dorf zwei, Dagegen für jedes eingepfarrte Dorf nur einen. Diefe
Shuldeputirten follten „reblihe Männer fein, die wegen ihrer
guten Aufführung Anfehn in der Gemeinde” Hätten. In der
Stadt Fulda follten zwei Mitglieder des Stadtrates mit dieſem
Amte betraut werden, die Schuldeputirten follten, während die
Ueberwachung des eigentlichen Unterrichte8 der Schulfommiljion
und den Pfarrern verblieb, nur darauf fehn, daß die Schulftunden
tihtig gehalten würden, weshalb fie die Echulen ihrer Gemeinden
wöhentlich wenigftend einmal beſuchen follten. Auch follten die
&ehrer den Schuldeputirten in jeder Woche die Abfentenlifte aus
der verfloßnen Woche einreichen. Für jede Stunde, welde, nach
dem Ermeßen des Lehrers ohne genügenden Grund, von einem
Rinde verfäumt werde, follte in den Städten 6, auf den Dörfern
I Rreuzer Strafe gezalt werden. Dieſe Strafgelder follten von
den Schuldeputirten, nötigenfalld mit Hülfe der Amtleute eincaj-
frt, und zur Anfchaffung von Schulbüdyern für arme Schüler vers
wendet werben. Schulpflichtig jollten alle Kinder vom fechften
biß zum vierzehnten Tebensjahre fein. - Das Schulgeld follten die
Deputirten vierteljährlicy erheben und an das Amt abliefern, wo
es dem Schullehrer ausgezalt werben ſollte. —
Durch dieſe Verordnungen war Die eigentliche Reorganijas
ton des Volksſchulweſens, welche in den nächften Jahren erfolgen
ſolte, hinlänglich vorbereitet. Nachdem man daher auf landes+
herrlichen Befehl, um das Dienfteinfommen und die bienftlichen
Berhältniffe der Lehrer binlänglich zu fihern, i. I. 1779 von
len Lehrerſtellen die genauefte ſtatiſtiſche Beſchreibung bergeftellt
datte, war das Jahr 1781 dazu beftimmt, die neue Schulordnung
ins Reben treten zu laßen. Diefelbe erjchien unter dem Titel
Allgemeine Ordnung für die niederen Schulen des
Bistums und Fürftentums Fulda,” und war troß ihrer
vielfachen Mängel, die fih aus dem Schaden der Zeit begreifen
laßen, jedenfalls die trefflichſte und umfaßendſte aller bisher für
die katholiſchen Volksſchulen außerhalb des unmittelbaren Wir⸗
kungskreiſes Felbigers aufgeſtellten Ordnungen.
done, Vollsſchulweſen, 2. 2
— 15 —
Der Fortbeftand der zur Heranbildung tüchtiger Lehrer B
gründeten Mufterfehule wurde in derfelben mit der weiteren Wi
ſtimmung garantirt, daß die Mufterjchule ſowol von bereit8 a
geftellten Lehrern, als von LXehrantsaspiranten befucht werd.
jolte. Sn Betreff der erfterern wurden folgende Beſtimmung —
getroffen: „I. Der Director ift der Mufterjchule vorgefeßt, urzi
beforgt den Unterriht. 2. Die wirklichen Lehrer werden während
ihrer Lernzeit auf Landeskoſten unterhalten. 3. Es werden auf
einmal nicht über ſechszehn Perfonen berufen, und jedesmal foldye,
die einerlei Fähigkeiten haben. 4. Der Unterricht ift in drei Ab-
Schnitte zerteilt: Eine Anzal von Perſonen wird auf eine unbe
ftimnte Beit jo lange geübt, biß fie die im erften Abjchnitt vor-
tommenden Sachen binlänglich verftehn; nun werden diefe einfl-
weilen entlaßen, und es folgen andre, biß man durch Das ganze
Bistum jeden einmal vorgehabt hat. Ebenjo wird im zweiten
und dritten Abjchnitt verfahren. 5. Am Ende werben fie vor bet
— zur Schuleinridhtung verordneten Commiſſion öffentlich gepräft,
die tauglichen — beftätigt, und die untauglidhen entlaßen. 6. Ale
Lehrer, die ſich in der Mufterfchule nicht gut verwendet haben,
und doch auf die Bedingnis, das Verfäumte nachzubolen, find Be
ftätigt worden, — müßen, fo oft man fie zu fordern für nötig
findet, erfcheinen, und ſich aufs neue und zwar auf eigne Koſt en
unterrichten laßen.“
In Betreff der eigentlihen Kandidaten des Lehramtes ward
feftgefeßt, daß dieſelben bei ihrer Aufnahme in die Mufterjchrslt
nicht unter 16 und nicht über 26 Jahre alt fein durften, um)
daß fie für ihren Unterhalt jelbft zu forgen hätten. Auch wurD!
beftimmt, daß in Zukunft Niemand anders „ald nad) vorgehen D*"
öffentlicher Prüfung vor der Schulkommiſſion“ zum Lehrer erna
werden follte.
Die Anfhauung von dem Charakter und Wefen der Bote
ihule, von der man in der Schulordnung ausging, wurden
den vier erften SS. Derjelben „von der Beftimmung Der nieder"
Schulen” ausgeſprochen: „Geſunder Menjchenverftand , gründtzeh*
Erkenntnis Gottes und der Religion, nützliche Kenntniffe un
Wißenſchaften, richtige Begriffe der Standespflichten und gu
— 19 —
tn find bie Dinge, zu denen die Jugend muß angeführt wers
Diefe Dinge find einem jeden nötig, dem Bauer, dem
flex, dem Gelehrten, dem Staatdmanne, — — auf fie grün⸗
ih das allgemeine und das bejondre Wol jeded einzelnen
gliedes der menjchlichen Geſellſchaft. Doc können fie bei ei-
n eingefchräuft, und bei andern müßen fie ausgebreitet jein.
es bedingen die verfchiebnen Stände, woraus ein Staat be
Eben diefe Stände veranlaßen Die Einteilung des Lehram:
in verſchiedne Schulen, in die niedern, mittleren und
en. — Die niederen Schulen — find zu einer boppelten
bt beftimmt: 1) fie find die Grundlage zu allen Dingen, die
, die Erziehung etwas zur menfchlichen Glückſeligkeit beitragen,
die Vorbereitung zu böheren Wißenfchaften, daß man ohne
ernid zu ihnen übergehen könne; 2) fol in benfelben der
tjame und gejchäftige Bürger, der Fünftige Handwerker,
er, Künftler und Kaufmann erzogen, und in ben ihm nüpß-
a Stüden zur Vollkommenheit gebradht werben. — ‘Der
id dieſer Bürger ift in Anfehung ihrer Beichäftigung zweier⸗
Der eine giebt fi) ab mit dem Wderbau ober Hanbwerf,
andre mit Künften ober Handelſchaft. Dieje legtern bedürfen
en Geſchaͤften und zu ihrer Lebensart mehrere und manig-
jere Kenntniffe als jene. So teilen ſich dieſe Schulen auch
vei Öattungen, in Die Land- und in die Stadtſchulen.“
„88 kann nicht gleichgültig fein, was man in dieſen Schu-
lehren wolle; es kömmt darauf an, Daß man dasjenige lehre,
ber Bögling bedarf, und ihn fo weit bringe, daß er fähig
e, in dem Stande, wozu er erzogen wird, das Seinige zum
meinen Beften beizutragen. Von unfrer Urgroßväter Zeiten
bat man in den öffentlichen Schulen nebft der Glaubens:
te etwas Leſen und Schreiben gelehrt; hiermit war der
jerftand abgefertigt. Wie unzulänglidh dieſes fei,
f heute nicht weitläufig bewiejen werden. Ge
‚ man fordert von dem Landmann, er foll vernünftig und
ig denken und handeln, die Religion und feine Stanbespflich-
kennen, fie burtig und mit Freude auszuüben lernen; er ſoll
feiner angeerbten Unwißenheit und gedankenlofen Finfternis
g*
— 20 —
herausgerißen, von feinen falſchen Vorurteilen und verkehrten €
wohnbeiten in feinen Verrichtungen abgezogen, von dem Wei
feines Gejchäftes überzeugt, kurz er fol ein verftändig:
Mann, ein guter Chrift, ein tühtiger Bauer werd:
Von dem Bürger in der Stadt fordert man eben dieſes; x
anftatt des Landwirte joll er ein erfahrener Kaufma
oder Künftler und gefhicdter Arbeiter werden. Auch 9
len einige aus dem bürgerlichen zum gelehrten Stande übergeh
Das weibliche Geſchlecht aber ſoll einftens den häuslichen Yaı
legenbeiten und der erften Grziehung der Kinder vorftehn,
unter defjen der Mann ſorgenlos fein Gefchäft betreibt. WW «
den nun Katehismus, Leſen und Schreiben dief
großen Haufen von Bürgern zu fo mannigfaltig
Ubfihten gehörig vorbereiten Eönnen? Gew
nit." — J
Dieſes waren die Grundanſchauungen, nach denen X
Volksſchulweſen im Bistum Fulda reorganifirt wurde. Die Vol
ichule ſollte nicht mehr ein ausſchließlich kirchliches Inſtitut Je
welches den Chriſtenmenſchen als ſolchen erziehen, ihm das 2
Ausübung des chriftlihen und gottesdienftlichen Lebens in 1
Gemeinde Nötige gewähren follte; vielmehr follte die Pfarrſch
jegt zu einer von Kriftlidem Geifte getragenen Rec
und Bürgerfchule werden.
Aber um die bißherigen, in ber allertraurigften Verfaßs:
beftanpnen Pfarrfchulen zu tühtigen Bürgerjchulen umzu
ftalten, wurden im Bistum Zulda damals Die umfidhtigften, cor"
quenteften und durchgreifendften Anordnungen getroffen.
Die erfte Verordnung nemlid, weldhe im Bufammenhes
mit diefen Erläuterungen in der Schulordnung veröffentlicht wur?
beftimmte, daß alle Kinder des Landes fchulpflichtig fein, und d
— auch zur Grteilung des Privatunterriht8 — nur geprüf
Lehrer zugelaßen werden follten. — Die in den Landſchulen be
der Geſchlechter zu behandelnden Lehrgegenftände find: Religion:
lehre und chriſtliche Sittenlehre, Leſen, Briefſchreiben, Schönfchre
ben, Rechnen bis zur Geſellſchaftsrechnung, Anleitung zur Land
wirtfchaft, Erbbeichreibung und Vaterlandsgeſchichte — Zu de
— 1 —
Schulen ber Landftädte ſollten dieſelben Gegenſtände, nur ums
foßender, und außer ihnen ſollten auch die Anfänge der Natur⸗
lehre und der Mathematif gelehrt werden. Die Echüler der Re
fdenzftabt follten außerdem noch in Phyſik, höherer Mathematif,
Algebra, Arzneikunde, Baufunft u. ſ. w. Unterricht erhalten. Für
die Mädchen in den Städten war ber Unterricht nur auf bie
Sächer beſchraͤnkt, welche in den Landſchulen gelehrt wurden; ftatt
des Unterricht8 in der Landwirtſchaft follte ihnen Anleitung zur
Führung des Haushalte, zum Nähen, Striden und zum Lefen
guter Bücher gegeben werden. Ä
Die Schulordnung enthielt die detaillirteften und umfichtig-
fen Beflimmungen, um den Befuch des Unterrichted für alle
Wdulpflichtigen Kinder möglichft zu erleichtern. So wurde 3. ©.
angeordnet, „damit die Kinder von auswärtigen Orten bei kothich-
ter, ftürmifcher und Ealter Witterung einen Beiftand hätten, auch
Ionft gegen Ausfchweifungen gefichert wären, follte fie täglich einer
inter den Vätern abwechjelnd wenigftens bis an den Schulort
begleiten, und fie des Abends wieder abholen. Wenn aber die
Bitterung zu rauh fei, fo daß folche Kinder, befonders die Heinen,
nicht erfcheinen könnten, — jo follten die Nebenjchullehrer diejelben
m Zeiten in ihren Orten bejuchen, und da Unterricht geben.”
Die Ausdehnung der „Schulzeit“ betreffend wurde beftimmt,
dak neben den Winter- auch Sommerjchulen beftehen follten. Doch
ſollte in den leßteren täglich, nur zwei Stunden lang, von 11 bis
1 Uhr unterrichtet werden. Um den Erfolg des Schulunterrichtes
m fihern, wurde verordnet, „daß die Jugend männlichen Ge
ſchlechts vom 14. biß an das 20. Jahr ihres Alterd auf allen
Harreien, befonders die Lehrjungen und einheimifchen Handwerks—
burſchen in den Landſtädten alle Sonntage fogleid nach der Ghri-
Renlehre in ber gewöhnlichen Schule zufammenfommen, und fi
dom Lehrer anderthalbe Stunden lang unterrichten laßen, wo ſie
das Schönſchreiben, Briefſchreiben, Rechnen, Geſchichte und Land⸗
wirtſchaft üben, auffriſchen, im Gedaͤchtnis erhalten, zur Fertigkeit
und Vollkommenheit bringen.” Dieſe Sonntagsübungen wurden
(nach Zelbigerd Vorgang) ald Wiederholungsſtunden
eichnet.
— 2 —
Ganz eigentümlich find der Schulordnung die Beftimmi
welche in derfelben zur Hebung des Anfehens ber Lehrer gei
werden. Gewis war die Klage berfelben begründet: „Deffe
Schullehrer dürfen ſich weder Nechnung auf ruhige und be
liche Tage machen, noch weniger haben fie Ausficht zu Belce
gen, die fi bei andern Ständen zeigen. Ihr gewißefter Le
jederzeit Unbanf, Ueberdies Ieben fie im Stande der Unbe
lichkeit wie der geringfte Bürger, in dem Stande der allger
Verachtung, wie aus Vorurteil Gerichtödiener, Die man al
wendige Uebel anfteht. Der Vornehmere glaubt ſich zu er
gen, wenn er freundfchaftlic mit ihnen umgehe; der Bauen
fie hier und da Dingt, und auch nad) Gefallen wieder ab|
begegnet ihnen weit geringfchäßiger, al dem Schüler,
Kinde.” Um nun diefem Grundſchaden, an dem die ganze
lung der Lehrer litt, zu befeitigen, wurden in der Schulor
folgende, in damaliger Zeit teilweife unerbörte Beſtimm
publizirt: „1) Keine Gemeinde fann in Zukunft eigenmächtt
Schule errichten. 2) Keine Gemeinde — fol in Zukunft
Lehrer annehmen, noch weniger abfchaffen. 3) Der Rang
die Ehrenftufe, deren ſich die Schullehrer bei öffentlichen Zei
feiten bedienen koͤnnen und follen, ift in den Landftädten umı
bar nach den Magiftratsperfonen, und auf dem Lande naı
Amtsichreibern. 4) Die Pfarrer follen Die Lehrer nicht zu ı
trächtigen Dienften gebrauchen. 5) Die Lehrer find nicht
halten, den Meßwein von andern Orten abzuholen; biefes ı
die Kirchenvorfteher Heiligenmeifter beforgen. 6) Auch fol
in dem Orte den Meßwein nicht aus dem MWirtshaufe und
rend der Schulzeit nicht aus dem Pfarrhaufe abholen; Dies
ein erwachfener Schulfnabe thun. 7) Weder follen fidh die £
jet e8 in ihren eignen oder andern Pfarreien, in Wirtsh,
jehen laßen, noch bei öffentlichen Zechen erjcheinen, am allerı
ften aber mit dem Hute unter dem Arme die Zeche ausl
oder anfagen, das Geld einfammeln und die Dankſagung abfl
8) Wo aber dieſe freien Zechen für die Tauf⸗, Begräbnis
Kopulationdgebüren gelten, und die Lehrer ald Kirchendiener
nicht8 bekommen, fol denfelben abgegeben werden, was
— 23 —
Ke& wordnung von 1779 in Anſehung der Kirchen⸗, Pfarr⸗ und
Schulbeſchreibung biefiger Didcefe bei jeder abgefonderten Schul.
Bedienung dermalen ſchon beftimmt ift oder noch feftgefeßt wird.
9) 63 ift ſchon (Verordnung von 1777) verboten, daß kein Lehrer
bei öffentlichen Tänzen Muſik machen fol; dieſes wird hiermit ber
ftaätigt. Doch find hiervon die Gandidaten ausgenommen , die
wicrklich bei feiner Schule angeftellt find. 10) Alle, von Denen
man weiß, Daß ihre mit ben Gemeinden biß zur Gleichgültigkeit
oDer gar zur Verachtung gelommene Befanntfchaft Dem Anfehen,
und folglih dem Lehramte ſchaͤdlich ift, follen an andre Plaͤtze
gefest werden. 11) Keiner fol in Zukunft ohne wichtige und
Dräingende Urſache an dem Orte, wo er geboren iſt oder feine An-
verwandten hat, als Lehrer angeftellt werben. jene, die fid
wirklich an ſolchen Drten befinden, follen verfeßt werben. 12)
UNe follen fi) beßer ald der gemeine Landmann, und zwar gleich-
förmig in braunem oder grauem Tuche, ſchwarzen Beinkleidern
und Strümpfen Eleiden. 13) — Kein Lehrer jol fi ohne von
ber hochf. geiftl. Regierung erhaltne Erlaubnis verheiraten.” —
Mehr noch als in diefen Beftimmungen trat das außeror-
Dentliche Intereſſe, welches der Fürftbifchof an dem Volksſchulweſen
nahm, in den Verordnungen über Die Dotirung der Lehrerftellen
hervor. Es wurde nemlich feftgefeßt, daß der Minimalgehalt je-
Des Lehrers in der Nefidenz 250 fl, in den Landſtaͤdten 200 fl.,
auf den Landpfarreien 150fl., auf den eigentlichen Filialen 100 fl.
und auf den Nebenfchulen 75 fl. betragen follte. „Wo an diejer
Beſoldung noch fehlt, werben die Pfarreien, Gemeinden und Ort:
Ichaften angehalten, fie zu ergänzen.” Außerdem wurden ben
Tehrern noch die erheblichften Emolumente andrer Art zugefichert.
Auch für Herftellung gut eingerichteter Schulbäufer war ber
Fürſtbiſchof bedacht, und auch hier wurden die großartigſten An⸗
ſtrengungen beſchloßen. Allerdings thaten dieſelben not, da ſich
te Schulordnung ſelbſt darüber ausſpricht, in welcher klaͤglichen
eſchaffenheit die Schullocale waren: „Die Nebenſchulen haben
dum Teil gar keine ſtaͤndigen Schulhaͤuſer; man fuͤhrt die Kinder
Schenweiſe von einem zum andern Haufe. Bei den Pfarreien
Recken fie zum Teil in finftern Winkeln, gleichen Gefängnijlen,
—_ 24 —
Wohnungen der Durftigkeit und Freiſtätten der Bettelei; zum
Teil find fie nicht gut eingerichtet, und es fehlt an den nötige
Gerätfchaften. Hier ift die Schulftube zu klein und faßet diw
Kinder nicht, oder wird vom Hausgeräte des Lehrers, der fie zu=
glei zur MWohnftube macht, verfperrt. Dort unterbrechen bir
häuslichen Gejchäfte der Frau, der Kinder, der Dienftperfonen,
auch oft das Vieh, Hunde und Haben den Unterricht, oder ziehen
wenigftens die Aufmerkſamkeit der Schüler an ſich. Bald fehlt
es an einem Stalle, wo die Lehrer etliche Stüde Vieh unterhalten,
bald an einer Scheuer, wo er Stroh und Futter verwahren, bald
an einem Keller, wo er fein Gemüße und andre Notwendigkeiten
unterbringen koͤnne.“ — Um diefen großen Uebelftand von Grund
aus zu befeitigen, wurden in der Schulordnung die detaillirteften
Beftimmungen erlaßen, von denen hier nur einige folgen: 1. Wo
eine Schule ift, fol aud ein Schulhaus fein. 2. Bei jedem
Schulhauſe follen mwenigftend eine abgejonderte Schulftube, eine
Stube zur Wohnung des Lehrers, eine Kammer für bie Kinder,
Kühe, Keller, Stall für einige Stüde Vieh, nötige Behaͤltnis
für Futter und Stroh, und ein Ahtritt mit einer Thür in oder
an dem Haufe fein. 3. So viele Lehrer bei einer Schule find,
jo viele abgefonderte Schulftuben follen auch fein. 4. Die Schul
ftuben follen unbewohnt, von Betten, Webeftühlen, Hobelbänten
und anderem Haudgeräte frei, hingegen mit Baͤnken, die zugleid
zum Schreiben eingerichtet find, mit einem etwas erhöheten Tiſche
für den Lehrer, daß er die Kinder in der ganzen Schule überfehen
fönne, einem zu verfchließenden Schranfe zu den Schulbüchern und
andern Scjulerforderniffen verjehen fein. 5. Die Schul« und
MWohnftube, obſchon fie Ein Dfen zugleich heizt, ſollen Feine ge
meinfchaftliche Thür, fondern jede ihre beſondre haben, daß weder
die Schüler durch das Wohnzimmer, noch der Lehrer ober die
Seinigen durdy die Schulftube gehen dürfen.
Wir übergehen die übrigen Beftimmungen der Schulordnung
über die firchliche Beauffichtigung der Schule, über die Schub
pflichtigfeit der Kinder, über die Handhabung der Schuldisciplin,
u. f. w., da das bißher Mitgeteilte genügt, um den Gharafte
— 28 —
bieſes Statuts, welches durchaus auf Felbigers Ideen beruhte.
mb bie Bebeutung deſſelben ind Klare zu feßen.
Die Energie, mit welcher die Landesherrſchaft die Vollzieh⸗
img ber Schulordnung betrieb, bewirkte es, daß fich fehr bald in
illen Pfarreien des Landes ein Schulwefen erhob, welches mit
ven früheren Schuleinrichtungen Faum verglichen werben konnte.
ber zwei Beflimmungen der Schulordnung ließen fi nur burd)
vieberholte Verfügungen der Behörden zur Ausführung bringen,
iemlich die Anordnung der Wieberholungsftunden und das gegen
He bisherige Teilnahme der Schulmeifter an Zechen und Gelagen
rlaßne Verbot. Denn immer noch erfchienen die Schulmeifter in
en Wirtöhäufern, um zum Tanze aufzufpielen, immer noch nah⸗
nen fie mit ihren Frauen an Kindtaufs- und Hochzeitsfchmaufe-
eien Teil, um bafelbft aufzumarten und ihr gebürenbes Teil als
ohn davon zu tragen, nnd immer noch wollte e8 weder ben
Schnlmeiftern noch der erwachjenen Jugend einleuchten,, daß fie
ch um die Wieberholungsftunden zu befümmern brauchten. Ein
Insfchreiben der geiftlihen Regierung vom 17. März 1783 ver-
tes daher Die Echulmeifter in die ordnungsmäßigen Schranken
nd bedrohte die Verfäumung der Wiederholungsftunden mit ver:
härften Strafen. Gin fpätered Ausſchreiben der Regierung vom
4. Januar 1791 orbnete an, baß die Oberämter „bie herge-
-achten Zechen, bet welchen zeither die Schullehrer erfchtenen, an
eld anfchlagen und die unter ihre Gerichtsbarkeit gehörigen Ge⸗
einheiten dahin vermögen follten, daß jedesmal flatt der freien
echen das verhältnismäßig angefchlagene Geld an die Lehrer ab-
Beben werde." Außerdem wurde noch in demfelben Jahre unter
m 16. September von der Regierung verfügt, daß neben den
farrern auch die Memter die Sonntags- oder Wiederholungs-
zulen überwachen, „diefelben durch beſonders von Amts wegen
Läuftellende rechtfchaffene Auffeher vifitiren und demnach die Hart-
ickigen oder Strafmäßigen mit angemeßener Strafe, boch ohne
eld, züchtigen” follte. — Aber die Vergütung betreffend, welche
rı Schullehrern wegen des ihnen unterfagten Beſuchs der Zechen
ı entrichten war, mufte die Regierung unter dem 16. Mai 1794
erordnen: „Weil den Schullehrern bei Ehrenzechen zu erfcheinen.
überhaupt verboten, und dieſer nebft feinem Eheweibe bisher Lei
Ehrenzechen frei gehalten worben ift, al8 hat jebe implorantifge
Gemeinde dem Lehrer von jeder Ehrenzeche ſechs Kreuzer zu zalen,
und fol deſſen Eheweib Fünftighin bei feiner Ehrenzeche frei
fein.” —
Aus der |päteren Zeit iſt nur noch zu erwähnen, daß (nad
der Säcularifation des. Bistums) durch eine Verordnung des Erb⸗
prinzen Wilhelm Friedrih von Oranien-Naffau vom 1. Februar
1805 die Errichtung eines eigentlichen Schullehrerfeminars und
eine nochmalige Aufbeßerung der LTehrergehalte decretirt wurde.
Das Großherzogtum Heſſen⸗Darmſtadt.
Als nach dem Tode des Landgrafen Philipp (1567) deſſen
dritter Sohn als Landgraf Georg I. die Regierung von Heflew
Darmſtadt übernahm, war der Zuftand der deutſchen Schulen hier
und in dem Giejener Zeil von Oberheffen, der fpäterhin mit
Hefien- Darmftadt vereinigt wurde, ganz berfelbe wie in Nieder
heſſen. Als eigentlicher Beruf der Küfter galt nur die Verrichtung
des niederen Kirchendienites, und ed war daher eine fehr feltne
Ausnahme, wenn bier ober da ein Küfter ſich mit dem Unterrichte
ber Jugend befaßen Eonnte und wollte. Nur in den Städten gab
es ftändige deutſche Schulen, auch Mädchenfchulen *). Aflerbingd
+) Für Grünberg in Oberbeflen verfügten Statthalter und Räte zu
Marburg durch Erlap vom 12. Rovember 1579 die Errichtung einer Mädger
ſchule mit den Worten: „Diemweil aud in Grünberg eine gute Zeit her feit
Schule für die jungen Maidlein gemwefen und dann in Städten faft nüßlich, da}
eine ehrliche alte Matrone, fo die jungen Maidlein den Katechismum, Gottesfurdt.
auch Lefen und Schreiben lerne, damit fie darnächft, wenn fie zu ihrem li
tommen, ihre Sinder fo viel defto befer in Gottesfurcht und der chriſtlichen
Meligion erziehen und ihr Hausgefinde gottfelig regieren können, fo if für ge
— 1 _
fah ber fromme Landgraf Georg L die Beförderung des Schul:
weſens als eine feiner allerernfteften Regentenpflichten an, wes⸗
halb er Binnen zehn Sahren dreizehn neue Landfchulen ftiftete.
Ar das eigentliche Volksſchulweſen gewann damit immer noch
keinen rechten Anfang. Nur auf einem Punkte kam die unermüb>
liche Thaͤtigkeit Georgs der Volköfchule zu Gute, — worin ders
jäbe aber auch feiner Zeit weit voraus eilte, — indem nemlich
Georg noch in feinen lebten Lebensjahren in Darmfladt das
fe Waifenhbaus in Heffen, und in Verbindung mit dem⸗
ſelben eine Armenfchule ſchuf.
Ueber die Einrichtung dieſes Inſtituts gibt folgende „Schuls
nung und Beftallung Andrei Hermanns als verorbneten Prä-
ceptoris der armen und älternlofen Knaben” Auskunft. Dieſelbe
lautet nämlich :
„Wir Georg von Gottes Gnaden ıc. ıc. thun Fund hiermit
bekennend, al8 wir eine Zeit ber gefpürt, daß hin und wieber
in anferm Ort Landes je bisweilen die Kinder entweder daher,
daß fie elternlos, oder auch wegen ihrer Armut und Mangels
notdürftiger Hülfe oder Handbietung nicht zur Schule gehalten
und alfo verfäumt werben: ob dann wol bin und wieder in un-
jem Städten und Fleden allbereit3 ber Notdurft nach Schulen
angeordnet, fo haben wir doch bedacht, daß es fonderlich folder
daterlofen und armen Kinder Thun nicht ift, Denfelbigen
Säulen nachzuziehen, und ſich darin fo Tange aufzuhalten, Bis fie
die Inteinifche Sprache oder je fonft ſoviel als ihnen Inkünftig zu
den Handthierungen, bazu fte fortan befördert und gebraucht
werden, vonndten, Iernen möchten. Daher wird bann für bie
ſchigen Rnaben eine fonderbare Schule, darin fie
allein deutſch Tefen, fchreiben und rechnen lernen
kinnen, angeorbnet, daß wir demnach unferen lieben, getrenen
ermannum zu einem Schulmeifter in ſolche Schule
—
—
engeſehen, daß ein ehrbarer Mat und Stadt Grünberg eine ſolche ehrliche Frau
emehmen folle.” — Diefes geſchah auch wirklich, und noch i. 3. 1608 war eine
RüdGenfgule unter einer Schulmeifterin in Grünberg vorhanden. Bgl. ei afer
ge zur Geſchichte der Stadt Grünberg. ©. 137, '
— 28 —
über die Knaben, fo wir jetzo darin haben, und hiernaͤchſt weite
annehmen ' werben, verorbnet, beftellt und angenommen haben, be
fielen und nehmen ihn auch darzu auf und an hiermit und ü
Kraft dieſes Beftallungsbriefes Ddergeftalt und alfo, daß er üi
ſolcher Schule unfer beftellter Schulmeifter und Diener fein, um
die Knaben, fo ihm untergeben werden, feinem dußerften unt
beften Vermögen und Verſtand nach zuvörberft zur Gottes:
furcht, Danebft zu ehbrbaren, guten Sitten und Tu:
genden, und dann auch, wie obgemeldt, zum Leſen, Schrei:
ben und Rechnen fleißig inftituiren, unterweifen und anhalten
und fonderlich fich Diefer unfrer Ordnung gemäß verhalten folk.
Nemlich und erftlich jo er fie vor allen Dingen zur Gottes
furcht und. dem Gebet fleißig anweifen und fonderlich alle unt
jeden Morgen, wann fie vom Schlaf aufgeftanden, ihre Kleider
und Schuhe gepußt, auch fich, wie hernach vermeldet, gewaſchen,
fie anhalten, daß fie ihr Morgengebet ſprechen, darauf er dann
den Katechismus mit ihnen repetiren und fie folgends ein ober
mehre Kapitel aus der Bibel lefen lagen fol.
Darnächft follen fie au) den Tag über beides Morgens und
Nachmittags, wenn die Lectiones, fo ihnen aufgegeben, expedttt,
auch jedesmal nad) gehaltner Mahlzeit, Pfalmen, Lobgefänge und
geiftliche Lieder fingen und fonderlih die Gefänge auf:
wendig lernen, damit fie allezeit der Bücher dabei
bedürfen.
Desgleihen wann fie zu und von dem Tifch gehen, bie
gewöhnlichen Tifchgebete, auch etliche Palmen unb Sprüche aus
der heiligen Schrift, fo fi darzu accommodiren, beten.
Auch folgends ehe und zuvor fie fchlafen gehen, wieder eind
oder mehre Kapitel in der Bibel Iefen, ihre Abenbgebete und
Pſalmen beten, und fi) darauf fchlafen legen.
Ferner ſoll er fie neben diefem auch anhalten, daß fie alt
und jeden Sonntag die Evangelia auswendig lernen und ibm
recitiren, andy fortan fie gemeldte Eonn- wie auch andre Pre
Digttage in unjre Hofcapelle führen und darin mit ihnen fing
helfen, und nad) gehaltener Predigt einen jeden infonbetheit v0!
nehmen und egaminiren, was er aus ber Predigt behalten, ı#
— 9 —
kan einer oder mehre nichts zu erzählen wißen, dem oder den⸗
Iben ſoll ers das erfte mal mit Worten ernftlicdy -verweifen, und
o fie das andere mal wieder alſo fommen und nicht behalten
iben, alsdann mit Ruten ftreihen, damit fie folgends deſto
eißiger Achtung auf die Predigt geben. |
Würden fi) auch einer oder mehre zur, Öottesläfterung oder
dern Sünden und Laſtern anlagen, ald etwa zum Fluchen und
Awören oder Lügen, es feien gleich Eleine oder große Lügen,
er aber zum Stehlen, oder ſich zur Unzucht begeben und den
kichtigen Weibern nachlaufen ober fonft fih mit unzüchtigen
orten ober Geberden vernehmen laßen , den= oder diefelben joll
‚ 10 oft es ſich zuträgt oder von ihnen gehört und vermerkt
md, wol mit Ruten ftreichen und fie aljo mit allem Ernft davon
halten. Da dann ſolches je auch nicht8 helfen wollte, ſoll erd uns
yeigen, Damit wir beöwegen ferner Verordnung thun können. —
Soviel fürs andre die Anftitution in guten Sitten und Tugenden
langt, fol er erftlich die Kuaben alle Morgen dahin anhalten,
B fie, fobald fie vom Schlaf aufgeftanden „ ehe und zuvor fie
m Gebet gehen, ihre Kleider und Schuhe pugen, fich anziehen
d folgend8 die Hände und unterm Angeficht wachen und den
und jpülen. Deögleichen fol er fie anweifen, wenn fie zum
jen gehen, es fei morgens oder abends, daß fie ihre Hände
iſchen, und weldyer das nicht thun wird, denfelben fol er nicht
n Efien zulaßen; und wenn fie deflen einmal avifirt find, und
auf einer oder mehre mit ungewafchenen Händen zum Tiſche
fen würde, benfelben nicht allein wie gemeldt, abweifen, ſon⸗
a audy darzu mit Ruten ftreichen,
tem, er fol darauf fehen, daß fie zum wenigften in Der
he Einmal die Nägel abjchneiden und je zu A Wochen ind
d gehen und die Haare abfehneiden laßen.
Auch daß fie alle Sonntage ihre weijen Hemden anziehen,
» fih aljo beides am Leib als auch in Kleidern fauber und
ih halten; welcher aber ſich oder feine Kleider nicht folcher
ahen fauber und rein halten würde, denfelben fol er darum,
oft er ed befinden wird, mit Ruten ftreichen.
Was dann zum Dritten die Lehre betrifft, da wollen wir,
— 80 —
daß er die Knaben ins Gemein erſtlich zum Leſen, darna
Schreiben allein in deutſcher Sprache, und dar
Rechnen anmeifen, gleichwol darin einen Unterjchieb haltı
daß er diefenigen, jo etwas mehr ald die anderen profic
das Schreiben und Leſen zur Notdurft gefaft, nicht etwa n
geringeren aufbalte, fondern mit benfelben fortfahre, und |
Rechnen unterweife, und ſolches fowol auch das Schreiben
mit ihnen exercire und übe; und vornehmlich ſoll er darunt
gewißen horas halten und die lectiones nicht confundiren, }
biefelben alfo austeilen, daß Die Knaben zu gewißen und
ſchiednen Zeiten und Stunden, nemlid jeßo in der Bib
andern nüßlihen Büchern, dann im Hiftorienlefen,
Singen und fih im Schreiben und Rechnen exereire
Und damit fie fih um fo viel mehr guter leferlicher
ſchrift befleißigen, jo fol ihnen aus unjerer Kanzlei oder
wir e8 fonft verordnen werden, eine leferlide Schrif
gemalt werben, dazu fie Diefelbige fo viel immer mög
imitiren von ihm dem Praeceptore angehalten werden ſoll
Hierzu und zu mehrer Beförderung folder Studien
ihnen nachfolgende Bücher in die Schule verordnet und ein
werden, nemlih: Das ABCbuch, der Catechismus Luthe
Biblia, die Civilitas morum ‚der Grobianus, die Cosmog:
Rechnenbücher und was wir fonft mehr nad) ®elegenheit de
jonen und ihres Progressus für notwendig erachten werden
Schreibzeug, notwendige Papier, Feder und Tinte.
Und fol ein jeder Knabe alle und jedes Vierteljahr ein Sı
buch von 25 Bogen in folio machen, unb barin des Tage
ein Blatt und aljo Vormittags eine und Nachmittags die
Seite bejchreiben.
Damit fie auch des Tags über ihre recreationes zu q
Beiten haben mögen, jo fol ihnen eine Stunde nad
Abendeſſen Vacanz gegönnt werben, doch daß er, di
ceptor , feinen biejelbige Zeit über feines Gefallens ſpaziere
ſonſt anders wohin geben laße, er jei denn entweber felbft
oder gejchehe mit feinem Vorwißen und Erlaubnis, wie eı
dann nicht Teichtlich ohne erhebliche Urſachen erlauben foll.
— 31 —
Wenn fie auh Spieltage haben, fol er ihnen zulaßen,
fi mit dem Puff- oder Schlagball oder ſonſt Furzweiligen Spies
In zu mehrer Bewegung des Leibes zu üben, biergegen aber mit
allem Fleiß zufehen, daß fie nicht mit Würfeln oder Karten ober
enden dergleichen ſchaͤdlichen Spielen um Geld fpielen, fintemal
fe darüber zu andern Laftern Urſache gewinnen, und da er einen
oder mehre darüber betreten würde, alsdann ben» ober dieſelben
mit Ruten züchtigen und davon abhalten.
Und was fonft insgemein mehr, jo zu guter Disciplin und
heißiger Education der Jugend dienlich fein möchte, darin fol er
an feinem möglichen Fleiß nichts ermangeln Iaßen, und darneben
md. treu, hold, gehorfam und gewärtig fein, unjern Schaden
jdergeit warnen, jelbft feinen zufügen, unfer Frommen und Beſtes
frbern und werben und alles dasjenige thun, was einem froms
men und aufrichtigen Schulmeifter und Diener gebürt und. er
gegen Gott und männiglih mit gutem Gewißen zu verantworten
gedenkt, inmaßen er und ſolches mit handgebenden Treuen an
Eides ſtatt gelobt und zugefagt und deswegen feinen Reveröbrief
übergeben bat.
Dahingegen und von ſolches feines Dienfles wegen follen
ud wollen wir ihm alle und jedes Jahres, beſonders fo lange
er in ſolchem Dienft fein uud diefe Beftallnng währen wird, erft-
ih 20 fl. (jeden zu 26 Alb.) zur Befoldung durch unfern Kam⸗
merſchreiber, deögleichen des Jahres zweimal die gewöhnliche Hof:
Reidung, nemlich jedesmal 6 Ellen Lündifh Tuch fammt dazu
gehörigem Barchent und Futtertuch, oder aber fo viel an Gelb,
a8 wir andern unfern Dienern dafür zu geben pflegen; und dann
die Koft von Hof, wie wir biefelbige für ihn und die Knaben
verordnet, geben und entrichten laßen, ohne Gefährbe.”
Zu diefer Hauss und Schulordnung erließ der Landgraf
no eine Verfügung in Betreff der in die Armenfchule aufzuneb-
menden Knaben:
„1) Erftlich ſollen's frommer und ehrlicher Leute Kinder fein,
die eines guten Geruches find, und nicht etwa Diebftahld, Baus
berei und andrer böfen Thaten argwoͤnig und verbächtig find,
Denn daß folcher Lofer Leute ihrer Kinder in folder Schule er
— 312 —
zogen werden follten, das find Se. fürftlide Gnaden nic
gemeint, |
Fürs Andere follen fie gefundes Leibes und Gliedmaßen fein
und nicht etwa mit ber jchweren Krankheit ober anderer anfteden
den Schwadheit, noch audy mit Ausfaß und anderer böjer Räu—
digfeit behaftet jein. ‘Denn man in folder Schule Niemanden
baben, viel weniger darauf halten kann, jo auf Die Kranken
warten möge.
So foll auch feiner angenommen werden, er fei benn zehn
Jahre alt, damit fie fich felbft an= und ausziehen koͤnnen. Denn
wie gemelbt, Niemand gehalten werden kann, fo auf fie warte.
So follen aud Feine anderen, als diejenigen, jo vecht arm,
auch entweder vater- oder mutterlos find, und fonft Feine Hand
bietung oder Hülfe haben koͤnnen, und bei denen zumal Fein Ver
mögen ift, eingenommen werden.
Da da etwa Leute wären, bie ihre Kinder fonft felbft er
ziehen könnten, und fie gleich nicht ded Vermögens, daß fie fie
zur Schule halten Eönnten, dieſelben ſollen nicht aufgenommen
werben, r
Solche Knaben follen 5 Jahre in derjelben Schule fein, und
dann zu Ausgang derfelben Zeit, und fofern fie auch zuvor im
Leſen, Schreiben ſich wol geübt, jollen fie alsdann zu ehrlichen
Handwerkern oder andern Handthierungen, mozu fie Luſt haben,
und ſich wol ſchicken befördert werden.“
Unter der Regierung Ludwigs V. (1597 — 1626) erfolgte
bie Kataftrophe, durch welche ſich Die gefammte Landgraficaft
Hefjen-Darmftadt, im Gegenſatz zu der reformirten Kirchenreform
bes Landgrafen Morig von Heſſen-Kaſſel, gradezu den Charafter
eines Iutherifchen Territoriums anneignete. Das confeffionelt
Intereſſe, welches die Landesregierung repräfentirte, veranlafte es
daher, daß eine Reihe von Verordnungen in Betreff der Volle
Schulen publizirt wurde, indem es ratbjam erjchien, das neue
lutherifche Bekenntnis namentlih durch das Medium des Volk
fchulunterrichts im Herzen des Volkes zu befeftigen. Namentlid
wurbe (i. 3. 1619) verordnet, dab auch auf dem Lande all
Kinder zur Schule geſchickt, widrigenfalld die Eltern nicht allein
— 33 —
ntrihtung des Schulgeldes angehalten, ſondern auch mit
tafen belegt werden ſollten. Unter dem 31. October 1626
verfügt, alle Kirchen- und Schulbedienten ſollten, ehe ſie
r Anſtellung gelangten, einen Religionsrevers unterzeichnen.
it wichtiger jedoch war, was in Betreff des Schulweſens
ı Sabre 1628 geſchah, wobei zu beachten ift, daß Die da-
‚n der Hefjen = Darmftädtiichen Landesregierung getroffenen
ingen auch in dem refornirten Marburgijchen Teile von
fen (der damald von Heflen- Darmftadt occupirt war),
Sführung gebracht wurden. Indem es daher jeßt galt,
lksſchule eine ſolche Wirkſamkeit zu geben, daß durch
der reformirte Glaube im Herzen des Volkes ausgerottet
i8 lutheriſche Bekenntnis in demſelben befeſtigt werde,
Landgraf Georg DI. i. J. 1628 eine allgemeine Kirchen⸗
ı an, durch welde namentlich auch die Ginrichtung
nel zuverläßiger lutheriſcher Parochialſchulen bewirkt
follte. Daher erhielten die Viſitatoren den Auftrag,
eff des Schulwejens in einer jeden Parochie, Die fie vifl-
den Pfarrer zu fragen: 1) „wie ſich die Schulmeifter,
srfteher, Opfermänner oder Glödner in ihrem Amt und
erhalten, ob fie unfrer reinen Lehre zugethan, auch fleißig
mn jeien; 2) ob die Schulmeifter die Disciplin mit väter
toderation halten; 3) ob fie in Kirchen und Schulen die
en Gejänge gebürlic verrichten und ob auch die Weibs-
| in der Kirche mitfingen; 4) weldye Eltern ihre Kinder
e Schule ſchicken; 5) wann und wie oft fie die Examina
und was ihre Befoldiing und Lehrgeld ſei; 6) ob fie
8 Pfarrers Erlaubnis verreifen, ob fie in Kirchen und
des Pfarrers Anordnung im Singen und jonft nachleben..“
odann jollte der Schulmeifter, oder wenn ihrer mehrere
Schule waren, diefe ſämmtlich befragt werden:
) „Ob er ein Xeftimonium ſeines Berufe, und ob und
T feinen Religionsreverd übergeben habe, 2) ob er in
vahren Religion scrupulos habe; 3) qua methodo er die
den Katechismus, jonderlic, aber die Knaben artes, linguas
rer jeden Stadt» oder Dorfichule Gelegenheit Iehre; („da
Volloſchulweſen, 2. 3
dann unfere Visitatores die Schulen felbft vifitiren, und jo
thunlich, die Kuaben und Mägdlein verhören, Die fleißigen Lok
die unfleißigen ftrafen — werden”); 4) was an den Schul
bäuden für Mängel; 5) welche Leute ihre Kinder zur Sch
nicht ſchicken, und ob Diejenigen, deren Kinder er informirt, i
auch fein gebürendes Lehrgeld entrichten; 6) ob er an dem Pfarı
einem oder dem audern, aud an feinen Collegen, fo er de
etliche hatte, an Weib und Kindern, an den Nachbarn, an |
Zuhörern Mängel und Gebrechen wüſte; 7) ob er in der T
ciplin väterliche Mäßigung halte, und Doc auch den Knaben ı
Mägdlein ihren Mutwillen nicht laße; („da dann unfre Visitato
alle Schuldiener mit Ernft ſollen ermahnen, daß fie die wa
Gottesfurcht in den zarten Herzen der lernenden Jugend wol e
bringen”) ; 8) ob er fi mit dem Prediger des Geſangs ball
zeitlich vergleiche; 9) ob er Irrenden in der Lehre, die ihre K
der bei andern irrigen Leuten unterhielten, item Hurer, Chebred
Läfterer, Zauberer, Kriftallenjeher, Bejchwörer,, Säufer, Fref
Balger, Flucher und dergleichen wiße.“
Hierauf wurden Die Beamten und Gemeindevorſtaͤnde
Orts gefragt:
1) „ob der Schulmeifter unfrer Religion zugethan geſchi
fleißig und unärgerlidh fei, den Katechismus und die Gottesfu
der Jugend emſig inculcire, fie ſchreiben, lefen und rechnen let
in der Disciplin einer Beſcheidenheit fich gebrauhe, ob er a
Gewerbe und weltliche Händel treibe; ob er dadurch die Zug:
verjäume; ob er den Leuten advocire und fehreibe, Diefelben
dereinander verheße, ſich ber Practica in der Artznei gebraud
wie er fein Weib, Kinder und Gefinde halte, wie diejelben
gegen Jedermann erzeigen, wie er die jugend in den chriftlid
Gejängen und Gebeten unterrichte, wie er das Gefänge in
Kirchen verübe; welche Leute ihre Kinder nicht zur Schule jhid
und, wenn fie biefelbe darein fchiden, was fie für Lehrg
geben; ob der Schulmeifter pflege oft und zwar ohne des Pfarr
Erlaubnis zu verreifen, und dadurch die Jugend in der Sch
und den Geſang in ber Kirche zu verjäunen; wer fein Subfiftu
pflege zu fein; ob der Pfarrer oder Diaconus ober die Sein,
den Schulmeifter allzuviel bemühen; ob er auch die Leute ver:
mahne, daß fie die Kinder zur Schule ſchicken.“
Die in der Inftruktion für die Vifitatoren vorgefchriebenen
Fragen beweifen indeſſen nebenbei, wie durchaus unbefannt der
bandesregierung noch der Begriff einer Volksſchule war. Denn
ed war wejentlich derſelbe Gefichtspunft, von dem aus man die,
lateiniſche Stadt- und die Dorfichule betrachtete, und das Ideal
der legteren fand man immer in den für die erfteren beftehenden
Ordnungen gegeben.
| Leider geben die in Folge der Vifitationen in den einzelnen
Barreien aufgenommenen Abfchieve über die Schulen derſelben
ft gar feinen Aufſchluß. In der Regel finden ſich nur Beftim-
mungen über Die Ausbeßerung der Schulhäufer und über Dotations-
verhaͤltniße der Küfterftellen vor. Won mehreren Pfarreien wird
gemeldet, daß Schulen in benfelben entweder noch gar nicht be⸗
' gründet, ober daß Die früher eingerichteten Schulen wieder einge-
gangen waren. In dem Bifitationdabfchied der Stadt Raufchenberg
fndet fich Die Nachricht: „Die Mägdlein werden aus Mangel einer
Shulmeifterin verfäumt, und ift nötig, daß man einer ehrlichen
Stau, fo der Schulhaltung ſich unternehmen möchte, ein Deputat,
was von einem jeden Kind jährlich jollte gegeben werden, ihr
verordnet, auch dazu, wie vor Alterd gewejen, der Kaften ’/, Dal:
ter Kon und 1 fl. Geld Befoldung zulegte. Derentwegen die
Parrheren um eine foldhe Perſon fih umhören, und mit bes
Superintendenten Rat ein Gewißes verordnen ſollen.“ — Uebrigeng
flirt fi das Schweigen der Vifitationsherichte über die Be:
ſhaffenheit der Dorfichulen aus dem Umftande, daß ausweislich
der in Folge diefer Kirchenvifitation von dem Landgrafen Georg
ü J. 1629 erlaßnen Verorbnungen in Heffen- Darmftadt Damals
noch eine beträchtliche Anzal von Opfermännern vorhanden war,
die noch Feine Schule eingerichtet hatten, d. h. daß es noch Paro-
Sim ohne Schule gab. Während nemlich in den Verordnungen
R.48, 49 u. 50 die wefentlichften der in den proponirten Fragen
der Rifitatoreninftruftion enthaltenen Säße ald neue Verordnungen
für das Schulweſen in Stadt und Sand publigirt wurden, bezog
ſich die Berordnung 47 lediglich auf die Küfter, indem es hieß:
ge
— 36 —
„Dieweil die Glödner und Opfermänner einen fehr geringen,
wol, wenn fie die Freiheit nicht hätten, feinen Lohn haben:
follen fie der gehenden Dienfte geübrigt fein; hätten fie aber ı
Güter, fo follen fie davon außer dem gehenden Dienft und a
Frohnbefreiung eines einigen Pferdes alled was fie jchuldig g
Andern präftiren.”
Ein eigentliche zum Begriffe der Pfarrgemeinde weſer
gehöriges Volksſchulweſen mufte daher in Hellen : Darmftabt
noch gefchaffen werben. Es gejchah dieſes (wenigſtens verji
weile) durch Die „Ordnung von fleißiger Uebung des Slate
mus,‘ die Landgraf Georg i. 3. 1534 publizirte. Diefelbe
bielt nemlih die heilfamften Regeln über die Begründung, '
richtung und Leitung der Schulen, und ftellte zugleich an der S
derjelben, — zum erflen Male in Hefien, — den Begriff e
wirklichen deutjchen Volksſchulweſens für Stadt und Land
weldyed lediglich nur Die chriftlich-firdhliche Erziehung der Ki
zum Bmwede habe.
Nachdem nemlih in der Katechifationdordnung die Notn
Digfeit einer forgfältigen Belehrung des Volkes über Die el
des Katechismus beiprochen ift, wird zur Einleitung der über
Sinrihtung deutſcher Volksſchulen erteilten Vorfchriften Folger
hervorgehoben: „Dieſen Zwed defto beßer zu erreichen, und
Erkenntnis der hriftlihen Lehre, auch Gottesfurcht und Liebe
allen Tugenden in Die Herzen der Pfarrfinder zu bı
gen, will bejonderd nötig jein, daß vor allen Dingen von
Superintendenten und Pfarrherrn jedes Orts dahin gejehen
getrachtet, auch Vorſchläge und Erinnerung gethan werden,
bin und wieder nicht allein in den Städten, fondern auch auf
Dörfern gute deutfche Schulen teild angerichtet, teild erhalten
gebeßert werden; zu ſolchem Ende ihnen danı hiermit auf ı
theure Pfliht, Seele und Gewißen eingebunden wird, ſich
allem möglichen Fleiß nach frommen, gottesfürchtigen, gewif
baftigen, unverbroßenen,, vechtgläubigen Schulmeiftern und Sd
meifterinnen , die ſich der Jugend mit chriftlihen Eifer und &
annehmen, umzuſehn, und an ihrer Außerften, zu Erreichung Die
Scopi gerichteten Sorgfalt, dießfalls ja nichts ermangeln zu lafle
— 37 —
Hierauf folgen die erften Beſtimmungen über eine allgemeine
Schulpflichtigkeit der Kinder:
„Diefem nach follen alle Knaben und Mägblein, niemanden
aussgenommen, fie feien arm oder reich, die nur das Alter erreicht
baten, taß fir etwas faßen und behalten können, zum wenigften
ſo lange, bis fie lefen und fehreiben können, in die Schule gehen,
es wäre denn, daß einer bei feinen Kindern einen privatum prae-
>eptorem hielte, der, eben das verrichtete, was in der Schule ges
zandelt wird, welches ihnen mol vergönnt if. Doch ſoll folcher
>rivatus praeceptor, ehe er zu folder Paͤdagogie oder Kinder⸗
ıntterweifung angenommen wird, von unfern Theologis zu Mar:
»urg, oder von unferm Superintendenten oder Pfarrherrn, unter
efien Anfpection der Ort der Pädagogie gehört, ein Beugnis
yaben und vorzeigen, daß er in der Lehre richtig, und fonft alfo
seihaffen fei, daß ihm die Jugend ohne Befahr ficherlich anzus
Jertrauen. "
Ueber die kirchliche Beauffichtigung der Schulen wird Fol—
jendes verorbnet:
„Es haben nicht allein die Pfarrherrn, fondern auch bie
Senioren — fonderlih darauf Acht zu geben. Und wenn fie aus
ihrem Catalogo befinden, daß finder in einem Haufe zu ben
Jahren fommen, follen fie alfobald nachforfchen, ob und was fie
für Privatpräceptoren haben, oder ob und bei wem fie in die
Säule gehen. Und da fie vermerken werden, baß die Eltern,
Oder die, fo an der Eltern ftatt find, fi) nachläßig erzeigen, follen
fie diefelben unverlängt, befcheidentlich und herzrührig vermahnen,
die Kinder zur Schule zu halten; wenn foldyes aber nichts vers
faͤngt, es dem Prediger anſagen, der ſoll ſie beſchicken und aber⸗
mals ihres Amtes und Schuldigkeit, und daß die zur Schulhal«
tung und das fleißige Unterrichten ihrer Kinder jo nützlich, ja viel
notwendiger fei, als Ehen und Trinken, erinnern, auch darauf fie
ın einen gewißen Lehrmeifter oder Lehrfrau verweilen, dem ober
er fie auch das Lehrgeld zu gewißer Zeit erlegen follen, wenn
© ſchon die Kinder durch ihre eigne Verurfacdhung aus der Schule
Halten wolten.” — Sodann wird bemerkt, daß wenn alle güts
en Ermahnungen, die Kinder zur Schule zu ſchicken, fruchtlos
— 38 —
bleiben ſollen, die Beamten ermächtigt find, zur Vollziehung dieſ
Verordnung Zwangsmittel anzuwenden,
Wenn nun „durch foldye Anordnung eine ziemliche Men
Kinder in den Schulen fich einftellen wird,” fo ſollen die Zell
‚meifter oder Xehrfrauen die Schule in der Weile organiftren, d
fie „jolche Kinder in gewiße Klaffen oder Bänke nad Gelegenk
abteilen. In der erften follen die Süngften fein, die noch nä
lefen können. Mit denen follen fie morgens, etwa eine ba
Stunde den Katechismus, und zwar die bloßen fünf Hauptftü
fammt Morgen: und Abendgebetlein üben, und mögen fie ihr
dDiefelben dergeftalt beibringen, daß fie ihnen erftlih ein Stüdl:
des Katechismi, 3. E. das erfte Gebot, etlihemal fein Deut!
vorfagen; darnach einen oder andern aus ihrem Mittel, fo x
andern gutes ingenii tft oder am erften ein Ding faßen fax
(welches dann die Lehrmeiſter mit Fleiß in Acht nehmen foll«
und darnach auch die Fleinen Kinder collociren und feßen,) ſolch
wiederholen , und folgends die Kinder alle nacheinander nachſag
laßen, Biß fie Alles recht begriffen und ohne Anftoßen wie1
nachreden können. Darauf fol er dann das andre Gebot gl
‘ hermaßen ihnen vorfagen und wiederholen laßen, biß fie es am
recht behalten; alsdann das erfte und andre Gebot zufammen E
Kindern vorfagen, (u. ſ. mw.) biß das halbe Stünblein vorüb
Darauf mögen fie zu ihrem Buchftabiren und Leſen fich wende
Wenn fie aber darnach wieder in die Schule fommen, fol all
das, welches fie zuvor gelernt haben, wiederholt, und alsbaı
gleichergeftalt zu den folgenden Stüdlein des Katechismi gefchritt
werden, biß die Kinder ihn ganz recitiren Fönnen.”
„In der andern Claſſe folen diejenigen fein, melde nu
mehr die Hauptftüde ohne die Auslegung fertig herjagen könne
Die follen ſolche Stüde alle Morgen vom Anfang biß zum En!
recitiren; und wenn fie noch nicht fertig lefen und aus di
Büchern auswendig Iernen Fönnen, jo fol die Auslegung d
Hauptitüde gleichergeftalt ihnen vorgetragen und von ihnen repo:
eirt und wieder angehört werden.” — —
„su der dritten Claſſe oder Bank befinden fi Die, weld
die Hauptftüde fammt der Auslegung wol wißen. Und Damit f
\
_ 39 —
ſolche nicht wieder vergeßen, jollen fie Morgens und Abends reci-
tiren und auswendig berfprechen ein Hauptſtück ſammt der Aus-
legung ; darnach etliche gewiße, auf die Hauptftüde des Katechis-
mus gerichtete Frageftüde von den vornehmften Punkten der chrift-
lichen Religion, da dieſelbigen mit gewißen Sprüdyen der heiligen
Särift bewährt werden; darneben etliche feine Sprüche der heil.
Särift, vornehmlih die ernftlihen Drohungen wider alle und
jede Laſter, — wie auch die in beiliger Schrift befindlichen Wer:
mahnungen zur Zugend und Ehrbarkeit; fodann Palmen und
Gebete.“ —
Würden die Knaben oder Mädchen ungehorfam fein, fo fol-
Ien die Lehrer den Inhalt des Katechismus auf fie anwenden und
inen zeigen, wie fie gegen dieſes oder jenes Gebot gehandelt, wie
fie den Bund der Taufe gebrochen, fich des Herru Tiſches unwür⸗
dig gemacht, und daß fie Gott nicht würdig anrufen könnten,
wenn fie fich nicht vor ſolchen Sünden hüteten.
Damit nun die Lehrmeifter und Lehrfrauen dem allen mit
um jo größerem Fleiße nachkommen, ſollen die Pfarrer allmöchent-
ih „zwar unverſehens, jebody zu gelegener Zeit” ſich in Die
Schulen verfügen, Die Lehrmethobe der Schulmeifter beobachten
und die Kinder im Buchftabiren, Syllabiren, Lejen, Schreiben und
namentlich im Katechismus felbft egaminiren. —
Es lag in der Natur der Sache, Daß mit den gefteigerten
Anforberungen ,‚ welde an die Küfter geftellt wurden, auch eine
Verbeßerung ihrer äußeren Lage eintrat. Es wurbe daher ver:
Ordnet, daß den Lehrern „von einem jeden Kinde alle Duartale
ein gewißes verbeßertes Lehrgeld, als etwa ein halbes Kopfſtück
Über das, fo fie zuvorgehabt, ohnfehlbar gegeben werde.” Würden
fich Die Eltern oder deren Stellvertreter weigern, den Lehrern
diefe Vergütung zu entrichten, fo follten Die Beamten verpflichtet
lein, diefelbe zwangsweiſe beizutreiben. Für die Kinder ganz un—
bemittelter Eltern ſollte das Schulgeld aus dem Kirchenkaſten be-
alt, oder „da der Gottesfaften auch nichts vermöchte, deswegen
von den beßer begüterten Gingepfarrten eine geringe Steuer ge
ſammelt werben.” Dagegen follten diejenigen Armen, bie ihre
Kinder nicht zur Schule ſchickten, das Schulgeld in jedem alle
— 40 —
felbft bezalen und außerdem noch mit befondern Strafen gemaf- =:
regelt werden,
Wie es fcheint, hatten dieſe Verordnungen wirflid den Er
folg, daß in allen Parochieen des Landes Schulen eingerichtete =
wurden. Indeſſen über die Beichaffenheit diefer Schulen ift au
den amtlichen Erlaßen der nächftfolgenden Decennien nicht3 zu ent= 7
nehmen.
Erft unter der Regierung Ludwigs VL (1661—1678) wurde >
dem Volksſchulweſen in Heffen-Darmftadt wieder eine ernftere Be >
achtung zugewendet. Ums Jahr 1670 wurde nemlich unter dem =
Titel „Extract der Suftruction für die Praeceptores =
und Schulmeifter in fleinen Städten und Dörfern“ '
zunaͤchſt ein neues NRegulativ aufgeftellt, nad) weldyem für alle =
Volksſchulen des Landes Folgendes verordnet ward: „l. Erſtlich «
ſollen die Schulmeifter fanımt den ihrigen ein filled, eingezogen —
Leben führen und anderer ihrem Amte nicht wolanftändiger un 7
demjelben verhinderlicher Handthierungen fich allerdings enthalten, .
Damit fie beneben der Lehre auch mit dem Wandel der Jugend <
und jedermänniglich gut Exempel geben.
„2. Sollen fie des Winter Vormittags zwei Stunden und <
Nachmittags drei Stunden, den Sommer aber Vormittags zwei #=
und Nachmittags eine Stunde Schule halten. Und follen ale]
Kinder, die über 5 und unter zwölf Jahre alt find, in die Shue>7
gehalten, und bei befindender Wiederjeplichkeit der Eltern Hilfe
bei den fürftlichen Beamten durch die Pfarrherrn gefucht, udn,
‚alle halbe Jahre der Katalogus der Schulkinder jamt dem Ve
zeichniß der Lectionen, fo mit ihnen alle Schulftunden gerri,
worden, dem Superintendenten eingeſchickt werden.
„3. Die Schüler follen fie alfo teilen, daß die Knaben &e:
ſonders und die Mägdlein auch befonders jigen.
„4. Und unter den fämtlichen Kindern eine ſolche Ordnung
machen, daß diejenigen beifammen fißen, welche einerlei Lectione
haben.
— 41 -— —
„>. Im Leſenlehren follen fie gute Achtung geben auf das
Vuchſtabiren, daß damit recht verfahren, und alle Silben jedes
Worts fein Deutlich ausgeſprochen werben. |
„6. Ehe und bevor aber die Kinder zum Buchftabiren und
!efen angeführt werben, müßen fie das Water unfer und den
Glauben auswendig gelehrt werben durch oftmaliges deutliches
Ausfprechen, und mit befonderm Fleiß auf das ausdrüdliche Nach:
Iprehen in allen Silben acht gegeben werben.
„7. Der Anfang des Buchftabirend wird mit der ABGtafel
und dem Namenbuch gemacht, von welchem hernach zum Katechis-
mus fortgefchritten wird, in welchem zugleich mit dem Leſen das
Auswendiglernen getrieben werben muß. |
„8. Und alfo fürter8 im Pfalter und Neuen QTeftament, bei
melden Büchern man es bleiben laßen Fann.
„9. Jedoch Daß nebft dem Catechismo und etlichen ans:
Rewählten Palmen Herrn M. Mogii ſel. Spruchblichlein zum Aus-
Imendiglernen folgents hinzu gethan werde.
„10. Bei dem Gebet, fo vor und nah der Schule fleißig
Az halten und dabei gleichwie zuvoͤrderſt auf feine andaͤchtige Ge⸗
Bern alfo auch auf die deutliche und Tangfame Ausrede aufs
MM eibigfte gefehen werden muß, ſoll jedesmal ein Gefang geführt
aurad darbei ſich dahin bearbeitet werben, daß die Kinder fein zier-
Lich fingen lernen, und fonderlich nicht allzulaut fehreien, auch den
on nicht fo lang ziehen, fondern eine wolflingende und richtige
enfur gehalten werde.
„Il. Nachdem die Kinder einen ziemlihen Anfang zum
Leſen haben, ſollen ſie vermittelſt deutlicher Vorſchriften zum
Screiben angeführt werden auf die Art, wie ſie auch zum Leſen
angeführt worden, nemlich daß fie erſtlich das ABC, darnach die
einzelnen Silben und endlich ganze Wörter und Zeilen aus ber
Vorſchrift lernen nachmachen.
„12. Zu ſolchen Vorſchriften ſollen auserleſene Sprüche der
Bibel gebraucht und einem jeden ſeine Schrift corrigirt und die
jedesmal begangenen Fehler gezeigt werden.
413. Und wann fie einen ziemlichen Anfang haben aus der
Vorſchrift zu ſchreiben, ſollen ſie hernach aus dem Kopf das Vater
4
— 42 —
unfer, den Glauben und Sprüche, die fie auswendig gelernt, zu
Schreiben angewiefen und dahin angehalten werden, daß ein Schi
Ier des andern Schrift ablefe, damit fie zeitlich zum Schriftlefen
angeführt werben.
„14. Sm Schreiben (wie auch beim Xefen in Acht zu neh
men,) follen fie lernen gute Achtung auf Die Zeichen (,) (:) (5)
(.) (7) CD, daß fie wißen, wo fie im Lefen fowol ein menig oder
lange ftil halten, al8 au, wo im Schreiben ſolche Zeichen zu
machen und was fie bedeuten.
„15. Bei denen, die im Lefen und Schreiben nun ziemlid
fertig find, fol aud das Rechnen in feiner Ordnung nicht ver
geßen, fondern fo viel möglich getrieben, und das Ginmaleins fer-
tig gelernt und oft wiederholt werden.
„16. Wo Praeceptores find, welche Iateinifche Schüler
haben, die follen fie in dem Donat und Fleinen Grammatica mit
Fleiß anführen und das Vestibulum Comeniüi mit ihnen tractiren,
und daraus etliche Zeilen jeweils anftatt eined Arguments aus
ben Deutfchen ind Latein und aus dem Latein wieder ins Deutſche
verjegen laßen, auch ſoviel möglich in der Vocalmuſik fie unter
richten, damit fie ſoweit gebracht werben, daß fie demnaͤchſt in
den Paedagogiüis zu Gießen oder Darmſtadt fortlommen Fönnen.
„IT. Die Disciplin und gute Zucht ſoll mit fonderbarem
Fleiß und Ernſt geführt, und darauf nicht allein in der Säule
und Kirche, fondern auch auf den öffentlichen Pläßen und Straßen
fleißigfte Acht gegeben und die Beftrafung der mutwilligen Jugend
wol wahrgenommen werden, doch daß die Praeceptores und Schul
meifter als vernünftige Väter mit ihren Kindern umgehen unb de
ehrenrührigen Scheltens, zumal des unbarmherzigen Haarraufend,
Schlagens mit der Kauft und auf die Köpfe der Schüler fih al⸗
lerdings enthalten, hingegen aber der Rute ziemlich und gebirlid
gebrauchen.
„18. In allem diefem haben die Praeceptores und Schub
meifter, gleichwie ſonſt in ihrem Amt ihrer Pfarrherrn Auffiht,
Schulvifitationen und Erinnerungen ſich gebürlich zu untergeben,
als welche hierüber eben wol pflicytmäßige Nechenfchaft zu geben
unb allemal nach den jetzo verorbneten Examinjbus catechetis®
— 43 —
om Zuſtand der Schule an den Metropolitanum zu berichten und
Te halbe Jahre die droben Nr. 2. vermeldeten Verzeichniſſe ber
chüler und Lectionen vom Schulmeifter abzufordern und einzu⸗
yiden haben.” —
Wie wenig indeſſen diefe Verordnung fruchtete, zeigte fidh,
B Landgraf Ludwig den Superintendenten des Lantes, welchen
» Oberauffiht über die Schulen zuftand, unter dem 15. Mai
74 aufgab, ihm darüber zu berichten, „wie der Methodus die-
Zeit in den Schulen im Schwange gehe, welche Bücher zum
jen und Auswendiglernen, desgleichen was für Stunden vors
d nachmittags in Sommers: und Winterszeit gebraucht würden,
d was fie dabei verbeßert zu werden für gut anfähen.” Aller:
ags berichteten die Superintendenten, daß der Unterricht überall
nlihft nach der in der Inſtruction gegebenen Vorſchrift einge:
btet fei, und daß in Oberheflen täglich fogar in drei Morgen-
nden, nemlich von 7 — 10 Uhr Winterd und Sommerd unters
btet werde, während in der Inſtruction nur zwei Morgenftun-
n vorgefchrieben waren ; aber dennoch erhellte aus den Berichten
e Superintenbenten, daß die Volksſchulen überall noch im Fläg-
‚fen Zuſtand waren, indem viele Eltern, um das Schulgeld zu
ıren, ihre Kinder gar nicht zur Schule ſchickten, und außerdem
: Sommerfchulen faft nirgends zu Stande gebracht werden
mten, weshalb die Gemahlin Ludwigs VL, die Landgräfin
liſabeth Dorothea, die nad) dem Tode bed leßteren und
m Bald darauf erfolgten Ableben des Erbprinzen Ludwig VO.
: ihren zweiten Sohn Craft Ludwig die vormundſchaftliche Re⸗
tung führte, unter dem 19. Dechr. 1697 verordnete, daß alle
tern, welche ihre fchulfähigen Kinder nicht zur Schule fdhidten,
dt nur zur Bezalung des Schullohns, fondern auch zu gebüren-
e Strafe gezogen werben follten. Alle Beamten des Landes
irden angewieſen, diefe Verordnung in allen Fällen unnachſicht⸗
h zu vollziehen, und durch Verordnung vom 31. März 1702
de fogar verfügt, daß Handwerks- und andere ungen, die
cht in Die Schule gingen, in der Kirche ihren befonderen Stand
ben follten. Aber nichts deſto weniger bot die Volksſchule zu
ang des 18. Jahrhunderts, zu welcher Beit das Intereſſe für
— 44 —
diefelbe auch in Heflen- Darmftabt neu angeregt ward, benfelbe
Anblid wie fünfzig Jahre früher. Ein Bericht, den zwei Geifl
liche zu Darmftadt über ein mit einem Schulamtdaspiranten as
geftellte8 Eramen unter dem 18. Anguft 1707 an da8 Konfifs
rium zu Darmftadt erftatteten,, beweift, wie die Schulmeifter d«
mals befchaffen waren. Der Bericht Iautet nemlih fo: „Ar
gnädigen Befehl hochfürſtl. Gonfiftorii d. d. 11. Aug. 1707 habe
wir, alfobald wir foldyen befommen, den Schulmeifter Schröte
der um den Schuldienft zu Oberramftabt nachgeſucht, vor um
befchteden und ihn egaminirt, und im Examine alfo befunden, da
er 1) eine feine Hand zum Schreiben hat; 2) die Stimme zur
Singen ift auch nicht uneben, nur daß er nod) etlicher Liebe
Weiſe (ald: „Auf Diefen Tag bedenken wir ,”) nicht Tann; e
fagte aber, er wolle die Weifen wol lernen, es fei bisher fein
Profeffion nicht gewefen; 3) in Erkenntnis der chriftlichen Lehr
gehet e8 noch dünne her bei ihm, maßen ihm fehr unbefannt, wi
das Gefeg und von wem es gehalten werde unb wie fern, ml
wie ed biergegen nicht gehalten werde. Vom Glauben, vom Un
terichied des Geſetzes und Evangelii und anderem ift er ned
wenig unterrichtet; er fagte aber, er wolle hinführo fich bee
exereiren. 4) Im Auffchlagen der heil. Schrift fand er das von
ihm verlangte fünfte Buch Moſis; aber den Propheten Nahum
item die erfte Epiftel Sct. Johannis konnte er nicht finden
Souften ift er fehr arm.”
Der allen Kultur» SIntereffen mit warmem Herzen ergebent
Landgraf Ernft Ludwig (} 1749) befchloß, daß ed anders werden
jollte. Vor allen Dingen war die Aufftellung einer neuen, um
faßenden Schulordnung für das Volksſchulweſen nötig. Schon
i. J. 1707 wurden drei Geiftliche aufgefordert, desfalls Vorſchläge
zu machen; aber erft i. J. 1733 kam die Arbeit zu Ende. Die
neue Schulordnung war folgende*):
m — —
) Diefe für die Geſchichte des Volksſchulweſens in Heſſen - Darmſtadt fehr
wichtige Schulordnung wird hier darum vollftändig abgedrudt, weil diefelbe nach
einer Mitteilung der hofbibliothek Direction zu Darmſtadt (fo viel bis jept bekannt
ift,) nur noch in einem einzigen Exemplar egiftirt.
— 45 —
„HeilensDarmftädtifhde Schulordnung für die deut-
den Schulen im Oberfürftentum, auf hochfürſtl. Bes
fehlpublicirt den 14. Auguft 1733. (Gießen, gebrudt bei Jos
hann Chriſtoph Schröder, Fürftl. Heſſ. Kanzlei-Buchdruder 1773). *)
„Bon Gottes Gnaden Ernft Ludwig Landgraf zu Heffen ıc.
— BWürdige, Liebe, Getreuel Dbwol es eine allgemeine Pflicht
chriſtlicher Eltern ift, daß fie ihre Kinder fleißig zur Kirche und
Echule halten, damit fie Gott und feinen Willen erkennen lernen,
im Leſen, Schreiben, Singen, Rechnen und Katechismo unterrichtet
md fonften zu allem Gutem angehalten werden, jo hat body die
biäherige Srfahrung zu unferem ungnädigften Mißfallen gelehrt,
daß viele Eltern, jonderlic auf den Dörfern diefe ihnen obliegende
tree Pflicht gar Jchlecht beobachtet, und unter dem Vorwande,
dap fie ihre Kinder zur Viehzucht, Ackerbau und andrer Feld- und
Suusarbeit nötig brauchten, fie unverantwortlic verwildern und
in großer Unwißenheit aufwachfen laßen, daraus dann nachgehends
niht8 anderes als böfe Chriften und böſe Unterthanen werben
Kinnen; infonderheit ift bisher angemeldet worden:
1) Daß mande Eltern ihre Kinder bis ing achte, neunte
daht von der Schule zurüd gehalten, fo daß die Bosheit bei
ihnen erft recht zu Kräften gefommen, ehe ihnen etwas Gutes
beigebracht werben mögen.
2) Daß diejenigen Kinder, welche die Schulen zu bejuchen
angefangen, fich darin fehr unfleißig und unordentlich bewiejen
und gleichwol hernach die Eltern zur Confirmation mit ihnen ge
let, und ſich's verdrießen laßen wollen, wenn ihnen in ſolchem
unbilligen Begeren nicht gewillfahrt werden Eönnen.
3) Daß an mandyen Orten, fonderlich im Vogelsberge und
da herum, die Schulen im Sommer gänzlich eingeftellt, ja wol
ar die Kinder allererfi um Martini hineingefchidt und um Pe
erötag fchon wieder heraus genommen worden, da es aljo nicht
mders fein Eönnen, als daß fie in den üßrigen acht Monaten
leg wieder ſchandiich vergeßen, was ſie etwa in dieſen vier Mo⸗
aten gelernt und begriffen haben.
— —
*) Epäterer Abdruck der ©. DO.
— 46 —
Sleihwie nun, was erwähnte Gonfirmation betrifft, berei
von unferm uns nachgefeßten fürftl. Gonfiftorio zu Gießen desfal
Verordnung geſchehn, wobei es auch fernerhin fein Bewenden be
daß nemlich fein Kind, bevor ed das 14. Jahr völlig zurüdgeler
ordentlicher Weife, und wenn bejondre Unftände wegen bes 4
ganges am erforderlichen Alter obhanden wären, ohne von erja
tem unſerm Conſiſtorio erhaltne Dispenſation confirmirt werd
jol: aljo haben wir für nötig befunden, denen Gebrechen u
Mißbräuchen, die fich bei dem Schulgehn bisher geäußert habe
hierdurch gleichfalld abzuhelfen, und zum Beften der aufwachſend
Jugend aus landeöväterlicher Sorgfalt für das Heil unfrer Unt«
thanen folgende Verordnung zu machen, mit angehängtem gnäbı
ſtem, doc ernftlihem Befehl, daß darüber nachbrüdlich gehalt
werde.
1. Ein jedes Kind ſoll laͤngſtens mit dem Antritt des
Jahres in die Schule gejchidt werden. Wollte aber jemand jet:
Kinder eher hinein jenden, damit fie der Sittjamfeit und gui
Ordnung bei Beiten gewohnt würden, jo fol er bis zum 7. Ja
nur die Hälfte des gewöhnlichen Schullobnd davon zu bezall
ihuldig fein. Diejenigen Eltern aber, die ihre Kinder nad da
Eintritt in das 7. Jahr länger von der Schule zurüd halten, U
jollen von folder Zeit an dennoch den orbentlihen Schullohn E
zalen, nicht anders, als ob die Kinder wirklich der Informatis
genoßen hätten. Die Kinder aber follen fo viel jpäter nach be
14. Jahre zur Gonfirmation gelaßen werden, als fie jpäter d
Schule zu befuhhen angefangen haben.
2. Damit nun diefe Ordnung überall in Schwaug fomm
fo follen nach Publication derjelben alle zum Schulgehen tüchtig
Kinder von dem Praeceptore oder Schulmeifter in Gegenwart di
Pfarrerd und ein oder anderer Kirchenälteften aufgefchrieben, u
bei eines jeden Namen aus dem Kirchenbuche fein wahres Alt
beigefeßt, auch Diejenigen, Die Das 6. Jahr zurüdgelegt und no
nicht zur Schule gefommen find, diefer Verordnung gemäß alfofo
zur Schule augewiefen werden. Diejer Catalogus fol alle Jah
in der Oſterwoche erneuert, und Diejenigen, die in der Zeit hera
gewachjen find, darin nachgetragen werben.
—_ 41 —
3, Diejenigen, die nach zurüdgelegtem 14. Jahre confirmirt
| werden, wo fie an bemjelben Orte bleiben, follen wenigitend noch
ti halbes Jahr Die Schule ordentlich mitbejuchen, und nachgehends
no drei Jahre alle monatliche Bettage in einer befonders dazu
auszuſetzenden Stunde fi im Schulhauſe unausbleiblid einfinden
und bafelbft aus dem Katechismo examinirt werden, auch etwas,
dad fie den Monat über gefchrieben und gerechnet haben, ald eine
Probe ihres fortgejegten Fleißes mitbringen und dem Schulmeifter
aufweifen.
4. Mit den Sculfindern fol die Schule im Sommer
ſowol al8 im Winter unausgefegt an allen Orten, wo
ordentlihe Schulmeifter find, täglih Drei Stunden Vor—
mittags und drei Stunden Nahmittags gehalten werden
und auch in ber Erntezeit von Johannis bis Michaeliß nicht gänz-
lich ceffiren, fondern wenigftens alsdaun täglich zwei Stunden von
den erwachfenen Kindern, von den Heineren aber, die bei folcher
Arbeit noch nichts helfen können, wie ſonſt ordentlich beſucht
werden.
5. Für jede Stunde, die ein geſundes Kind die Schule
verſaumt, ſollen die Eltern oder Vorgeſetzten deſſelben einen Kreu⸗
zer erlegen, welches Gelb zu Ende eines jeden Monats unnach⸗
lͤßlich eingetrieben, von dem Kaſtenmeiſter jedes Orts in Rech—
nung genommen und dafür neue Teftamente und Gejangbücher
gekauft und den armen Kindern, die fleißig zur Schule gehen,
ausgeteilt, auch wol zum Schulgeld für arme elternloje Kinder
Mgewendet werben fol.
6. Ein jeder Praeceptor oder Sculmeifter foll ein beſonder
duch halten, in weldyem die Namen aller feiner Schulkinder nebft
dem Alter und dem Anfange ihres Schulgehend aufgezeichnet ftehe;
und außerdem nody ein ander Bud), in welches die Abweſenden,
Welche ohne Not und vorhergegangene Anzeige bei dem Schul:
Meifter die Schule verfäumt haben, alle Tage forgfältig notirt
werden.
7. Wenn aber ein geſundes Kind nicht nur Stunden, ſon⸗
dern ganze Tage und Wochen aus der Schule bleibt, fo ſoll die
gamze Zeit feiner Abweſenheit die Jahre hindurch, da es zur
x
— 48 —
Schule gegangen, von Monaten zu Monaten zufammengeredine
und fo viel es zufammenträgt, jo viele Monate oder Jahre länge er
von der Gonfirmation zurüdgehalten werben.
8. Wenn aber ein Praeceptor oder Scyulmeifter ih aur-
terfteht, ohne Vorwißen jemes Pfarverd die Schule auszufegen
und unerlaubte Ferien zu geben, jo jollen ihm das erite Mal für
eine jede Stunde zwei Albus, dad andre Mal noch einmal jo wie
von feiner Beftallung durch den Pfarrer, der darauf forgfältisg zu
jeben bat, abgezogen und zur Erkaufung nüßlicher Schulbũ der
angewendet werben.
9. In der Woche darf die Schule nie als Mittwochs, wo
es fo gebräudlich ift, und Sonnabends Nachmittags, jodanzu in
der Weihnachts⸗, Ofter- und Pfingftwoche ausgefegt werben. Im
Mebrigen aber follen die vielen unnötigen und fchädlihen Fer ien,
al8 zur Faſtnachtzeit, an Markt: und Kirmestagen und Martini,
wie auch auf die Nachmittage der Apoftel- und monatlichen Wet
tage gänzlich hiermit abgefchafft und aufgehoben fein. So fol
au um der Leichen und Hochzeiten willen die Säule nicht auf
geſetzt werben.
10. Ale Jahre jolen in allen deutjchen Stadt, Dorf und
Landſchulen in Gegenwart des Pfarrers und der Kirchenälteften,
auch wol eined Beamten ein oder nach Befinden auch wol zwei
Examina vor der Ofter- und Michaeliswoche gehalten und dabei
die faulen Kinder befehämt, die fleißigen aber zu fernerem Fleiß
aufgemuntert, auch die von den Strafgeldern erkauften Bücher
den fleißigen ausgeteilt werben.
11. &8 follen aber die Eltern auch außer den SchulftunDen
dahin fehn, daß ihre Kinder etwas Nügliched vornehmen und ds
was fie in der Schule gelernt, zu Haufe wiederholen, auch ihm!
mit gutem Exempel vorgehn, und fie über ihren Unarten un
Ernft und Liebe, nicht aber auf eine tyrannifche Art’ unter Sc
ten, Fluchen und gräulichen Verwünfchungen beftrafen. Wert!
fie entweder jo undriftlic mit ihren Kindern umgehn, oder al Aen
Frevel und Mutwillen, inſonderheit aber bie ſchändlichen Wal- d⸗
Felde oder Gartendiebereien denſelben ungeftraft verſtatten, ſo
— 4 —
ie wegen ſolcher boͤſen Kinderzucht vor dem Amts: Kirchen⸗
nachdrücklich beſtraft werden.
2. Sollte fi) Vater oder Mutter unterſtehn, den Praͤcep⸗
er Schulmeifter, der ihr Kind in der Schule um eines
hend willen geftraft bat, im Grimm zu überlaufen, ihn zu
oder zu bedrohen, fo ſoll derfelbe Water oder diejelbe
von dem Amtöfirchenconvent, welchem e8 der Schulmeifter
zen bat, mit einem halben oder nach Befinden ganzen
‚ beftraft und ſolches Geld mit zur Grlaufung der Schul:
angewandt werben.
3. Dieſe Verordnung jol alle Jahre den Sonntag nad
von ber Kanzel abgelefen, und Dabei die Gemeinde von
tugen des Schulgehend und Schaden der Nachlaͤßigkeit
ich unterrichtet, auch Eltern und Finder beweglich dazu er-
werben.
Ibfonderlih wollen wir euch, den Metropolitanid und Pfar⸗
iermit auf euer Gewißen gebunden haben, über diefer Vers
g enfllih zu halten, Nicht minder wird auch zugleich
Beamten hierdurch gnädigft anbefohlen, daß fie den Kaften-
n in Grbringung der Strafgelder hülflihe Hand zu bieten,
n Schulmeiftern zu ihrem fauer verdienten Schullohn, wenn
derfelbe von undankbaren Eltern vorenthalten wird, zu ver-
ih niemals weigern ſollen.
Damit aber unſre wolgemeinte Intention deſto gewißer er:
werde und die. Kinder von ihrem Schulgehen auch einen
Nutzen haben mögen, jo finden wir für nötig, nachfolgende
rdnung für die Praeceptores und Schulmeifter felbft bei-
1;
. Soll ein jeder Schuldiener Gott von Herzen fürchten
eſtaͤndig vor Augen haben, fih eined chriftlihen und un-
en Wandels befleißigen und der anvertrauten Jugend ein
Grempel geben, folglich das Fluchen, liederlihe Schwören,
n, Spielen, Zanken, Schlagen, Laſtern, wie auch zue Leicht⸗
Bolksſchulweſen, 2.
— 50 —
fertigkeit, Betrug, Wucher und andere Lafter und grobe €
bei Strafe der gänzlihen Abjegung vermeiden, hingegen mi
nem ganzen Haufe ſich der Gottjeligfeit befleißigen, Gottes
und der Kinder Beſtes fuchen, auch gegen feinen Pfarrer e
bietig und befcheiden fich bezeigen, fich feines Rated bei j
Schularbeit fleißig bedienen und zwifchen dem Pfarrer und
hörern durch Plaudereien Feine Uneinigfeit fliften. — Hing
ſoll auch fein Landpfarrer ſich unterftehn, feinen Schuldiener
bespotifch zu tractiren, ihn in Gegenwart (der) Eltern und K
zu proftituiren oder ihm gar eine gewiße Art der Frohnd
abzuzwingen, fondern er ſoll fi chriftlich gegen ihn verh:
ihm bei feinen Schulverrichtungen mit gutem Nat beiftehn
wenn er fehlt, ihn mit janftmütigem Geifte zurechtweijen.
2. Kein Schulbedienter fol fich in ein fremdes Amt
andere Händel mengen, fondern ſeines Amtes, dafür er
Rechenjchaft zu geben hat, fleißig und treulicdy abwarten,
um Segen dazu inbrünftig anrufen und fi der jugend
Ernft und Eifer annehmen, alfo, daß er von feinen gej
Schulftunden auch eine BViertelftunde mutwillig verjäume,
die Kinder ohne Auffiht allein fipen laße, nicht ab- und zu
auch, wenn er eine andre ehrliche Profeffion bei feinem €
dienfte treibt, (welches ihm unverwehrt ift,) Feine andre 4
unter den Schulftunden darneben verrichte, ſondern ſtets bei i
bleibe, fie forgfältig und gründlich unterrichte, und die Zeit
mit Schwägen, Erzälung fremder Dinge und andern allotrüs
bringe, fi nicht durch Spielen, Lachen und Scherzen mit i
gemein mache, noch den Seinigen verftatte, Die Information |
allerlei Unruhe” zu flören. Ein jeder fol auch fein anbefohl
Amt jelber verrichten, nicht aber je zuweilen aus Bequemli—
feine Stelle durch fein Weib oder wol gar dur die ält
jelbft noch unter der Disciplin ftehenden Kinder in feiner A
fenheit vertreten Iaßen.
3. Einem jeden Schulbedienten follen alle Kinder
thbeuere, durch Ehrifti Blut erfaufte und zum
mel berufene Seelen gleidy fein, und fol er unter ihnen
Gabe und Geſchenks willen oder um Freund» oder Feindſchaft
—_ 51 —
den Eltern willen feinen böfen Unterſchied machen, fo daß er eins
dem anbern vorziehen oder eins hart tractiren und dem andern
allen Mutwillen nachjehen wollte: Vielmehr fol er mit allem
Exnſt und Eifer ſuchen, wie er ein jedes Kind dem Herrn
& Hıiflo zuführe.
4 Des Sonntags, abjonderlich zu Sommerszeiten, fol er
Le jeine Schulkinder eine viertel oder halbe Stunde vor Der
TS wühpredigt in der Schule verfammeln, fie das fonntägliche Evans
g dium und Epiftel aus der Bibel oder neuen Teftament, welches
Tee alle mit ſich bringen müßen, lejen laßen, andädtig mil ihnen
beiten, auch fie zur ftilen Anhörung des Wortes Gottes und
Er aadlichen Ehrfurdt vor der heiligen Ullgegenwart Gottes ermah-
wen, und fie darauf paarweije aus der Schule in die Kirche füh-
ren. In der Kirche fol er beitändig ein wachſames Auge auf die
SE under haben, fein Schwägen nody andern Mutwillen ihnen ver-
Fczttien, fondern die Widerjpänftigen aufzeichnen und den folgenden
ag in der Schule abftrafen, aud dahin jehen, daß dad Geſaͤnge
Don ihnen langjam und andädhtig geführt werde. Aus ber Nach—
muittogspredigt oder Betſtunde des Sonntags foll er fie wieder
O X VDentlich und paarweife in die Schule führen, die Predigten mit
iHren kürzlich) durch Frage und Antwort wiederholen und einen
DDer anderen Spruch ihnen weiter einfchärfen und mit berzlicyen
Srmahnungen auf ihren Zuftand appliziren. Damit diefes an den
Dtten, wo ed bisher nody nicht gejchehn, in Schwang komme und
| Darin erhalten werde, dafür foll der Pfarrer eined jeden Orts
| Treulid forgen, und fich zuweilen bei ſolchen Wiederholungen mit
einfinden. Die Schulkinder, die fich dabei nicht einſtellen, ſollen
jedesmal mit einem Albus beſtraft werden.
5. Es hat aber auch ein jeder Schuldiener dahin zu ſehen,
daß auch in der Woche dad wahre Chriſtentum ernſtlich von ihm
getrieben werde. Gr joll zu dem Ende die Finder inſonder—
beit fleißig auf ihren Taufbund, darin fie dem Satan ab:
geſagt und dem dreieinigen Gott Treue, Liebe und Gehorfam
zugeſagt haben, weilen, fie öfterd an die Allwißenheit und Allge-
genwart Gotted erinnern und ihnen tief einprägen, daß er das
Öute nicht unbelohnt, und das Böfe nicht ungeftraft laße.. Er
4°
— 52 —
ſoll ſie vor allen Sünden, ſonderlich denen, dazu die Jugend am
meiſten geneigt iſt, als Eigenſinn, Trotz, Ungehorſam, Unluſt zum
Guten, Lügen, Leugnen, Stehlen, Fluchen, Mißbrauch des Namens
Gottes ꝛc. treulich warnen und zum Guten vaͤterlich ermahnen.
6. Die Schule fol er allezeit mit Geſang und andaͤchtigem
Gebet anfangen und befchließen. Bei dem Gebet foll er darauf
jehn, daß die Kinder dafjelbe ehrerbietig mit gefaltenen und erbo-
benen Händen langjam und andächtig verrichten. Bei dem Singen
aber hat er fie dazu anzuhalten, daß fie weder zu geſchwind nod)
zu langfaın die Worte ausfprehen, auch, damit fie fidf nicht ge
wöhnen, falſch zu fingen, ihre Geſangbücher in den Händen haben.
- &8 fol auch Feine Woche vorübergehen, darin bie Schulfinder
nicht wenigflend eine oder zwei Melodieen der Lieder durch öfteres
Vorfingen accurat lernen.
7. Wegen tes Leſens Fönnen die Kinder in drei Ordnungen
geteilt werden. Die erſte Ordnung lernt die Buchftaben durch
Öftered Fragen, aud außer der Ordnung, fennen und Ddeutlid
ausfprehen. Die andre Ordnung lernt Die Buchftaben zufammen-
jegen oder Buchſtabiren. Die dritte Ordnung wird ferner geübt,
daß fie deutlich und nach den Unterjcheidungszeichen, den punctis,
commatibus etc. lejen lerne. Es follen aber die Schuldiener
hierin nicht zu jehr eilen und die Kinder nicht eher zum Buchfta-
biren laßen, bis fie die Buchſtaben fertig Eönnen, und nicht eher
zum Leſen mit ihnen jchreiten, bis fie ohne Anftoß buchftabiren
und die Worte recht teilen können. &leichergeftalt können dieje
nigen, Die jchreiben lernen, in Drei Ordnungen geteilt werben, jo
daß einige Die einzelnen Buchftaben, Die man ihnen anfänglich mit =
einem Bleiſtift vormahlen und mit Tinte überziehen laßen fann.
andere aber Silben und Wörter, die übrigen nad) Vorjchriftem-
ſchreiben. Es ift aber auch nicht zu vergeßen, daß die Kinder zum
Lefung gejchriebener Briefe angeführt und nebft dem im Redhnemcy
notdürftig informirt werden.
8 Weil bei Kindern das Gedaͤchtnis am fähigften ift, Vo
jollen die Schuldiener dahin fehen, daß außer dem Katechismo
wie auch Tiſchgebeten, Morgen- und Abendfegen x. ein
guter Schag von ſchönen Kernſprüchen heiliger Schrift, von
— 83 —
Pfolmen und geiſtlichen Liedern durch öfteres Herleſen und
Wiederholen denſelben eingeprägt, aber auch der Verſtand derſelben
Drarch kurze Fragen ihnen beigebracht werde. Nebſt den Sprüchen
aber follen die Schulmeifter ihnen auch die bibliſchen Ge—⸗
F AHihten des A. und N. Teftaments befannt machen und Durch
> erausziehung ein und anderer nügliher Lehren ihnen zeigen, wie
Fe fih ſolche zu Nutze machen follen; darzu des Johann Hüb-
m rd bibliſche Hiftorien gebraucht werden können und jollen.
DU DIE Sonnabend foll die legte Schulftunde dazu ausgefeßt werben,
D Ea ß; die Kinder dasjenige, was fie die Woche über auswendig
ge Xemt, wiederholen und nochmals auffagen. Darauf fol der
SS qyuldiener ein Lied mit ihnen fingen und fie mit guten Ermah⸗
ve am ngen zur chriftlichen Zubereitung auf den Sonntag nach Haufe
ge Han laßen.
9. Auf den Katehismum ſoll infonderheit gefehn werden,
D<a$ folder alle Tage tractirt werde. Den Kleinſten müßen zu:
oe xderft die fünf Hauptftüde ohne Lutheri Auslegung durch öfteres
TE wDrfagen beigebracht werden. Darauf läft man fie auch Qutheri
MW uxslegung lernen und fucht ihnen den Verftand ber Worte bei
ZR= Bringen, aud) nach und nach die Sprüche heiliger Schrift, die
Um mn Beweis dienen, ihnen befannt zu machen und zu erklären.
Sl: die Kleineren muß der Schuldiener bie Fragen alfo einrichten,
dag fie meift mit Ya und Nein darauf antworten Finnen, und
DE ihnen die Antwort gleichlam in den Mund gelegt werde.
Maxhmuß er das Geſagte mit aller Freundlichfeit öfters wieber-
Dom und fi jeberzeit nach ihrem ſchwachen Begriff richten. Für
Die Erwachſenen und Geübteren aber werden bie Fragen alfo ein-
Beridtet, daß fie nachdenken lernen und alfo in der Erkenntnis
zunehmen. Doch muß bei Tractirung des Katechismi nicht Blog
auf das Gedaͤchtnis und auf den Verftand gefehen, fondern
aud das Gewißen durch eingeftreute Prüfungsfragen mit ge:
rührt, und der Wille durch liebreiche Ermahnungen, die recht
bon Herzen gehn und alfo wieder zu Herzen dringen, zum Guten
gelenkt und zu einer wahren Liebe des Herrn Jeſu geneigt
werden.
10. Nebft der wahren Gottjeligkeit ſollen die Schuldiener
— 54 —
die Jugend auch zur Ehrbarkeit und Höflichfeit anweiſen und
ihnen darin mit gutem Grempel vorgehen. Sie follen daher feine
groben Sitten an ihnen dulden, fondern fle darüber mit Worten
beftrafen und fie fleißig unterrichten, wie fie in der Kirche, in ber
Schule, auf den Gaßen, zu Haufe, bei dem Ehen, bei dem Auf:
ftehen und Schlafengehen fi) wolanftändiger Sitten befleißigen,
die Leute ehrerbietig grüßen, fich reinlich wajchen, Niemandem grob
und unbejcheiden antworten, ihre Bücher fauber halten, auf der
Gaße fittfam gehen, ſchamhaftig fein, und was fonft der Wolftand
erfordert, beobachten follen.
11. Weil mande Kinder ohne Strafen und Züchtigungen
fich nicht in Ordnung halten Taßen, fo wird den Praeceptoribus
und Schulmeiftern nicht gewehrt die Ruthe, und bei Erwachſenen
den Stod zu gebrauchen. Doc follen fie diejenigen, Die Strafe
verbient haben, vorher aus Gottes Wort und dem Katehismo «
von ihrem Begangenen Unrecht überzeugen und fie zur Beßerung —
ermahnen, wenn ſolches nichts Hilft, fie eins und andermal warnen =
und mit der Strafe bedrohen, und wenn auch diefes nicht helfen
will, endlich mit erbarmender Liebe ohne Zorn und Erbitterunges |
zu einer mäßigen Züchtigung ſchreiten. Bei folder Züchtigunz a
aber follen fie von allen Spottreden, Flüchen, groben Scheltwor —
ten und fohimpflichen Beinamen, die den Kindern nachgebende —
öfters ihr Leben lang anhängen, fich gänzlich enthalten, aud di
Kinder nicht bei den Armen herumfchleudern oder bei den Haare —⸗
herumziehen, oder ihnen ein Buch oder ſonſt etwas an den or
werfen, oder fie barbariſch mit Füßen treten, noch durch Ohrfeige —
und andere Echläge an den Kopf ihrer Gefunbheit und Gh;
Schaden zufügen, oder fie blau und blutig fchlagen, dadurch ⸗— i
Rindern ſowol als Eltern nichts als Grbitterungen und Klage 7
veranlaſt werden. Ein dummes und langfames Kind follen fie em
des Lernens willen nicht noch dümmer ſchlagen, fondern vielmE>T
Frevel, Ungehorfam, Lügen, Stehlen und andre Bosheiten befran
fen, am meiften aber durch väterliche Ermahnungen und Lorftel- |
lungen, Daß fie Gott, ihren Schöpfer und GErlöfer durdy ihr ibe:
les Verhalten beleidigten, ihren Taufbund übertreten, den heiligen
Geiſt betrüben ꝛc., bei ihnen auszurichten fuchen.
12, Kein Schulmeifter ſoll ſich unterftehn, die Kinder unter
ben Schulftunden zu feinen häuslichen Geſchaͤften, zum Kinder
Fragen, Grads und Waßer-bolen, zum Graben und dergleichen
Dingen zu gebrauchen, oder auch über Feld zu ſchicken; fondern
er ſoll fie in der Schule, dahin fie von ihren Eltern geſchickt wer-
Den, ruhig und ungehindert bleiben lafen.
13. Gleichwie ein Pfarrer nie wegzureijen hat, er habe es
Dem zuvor dem Metropolitano, zu deflen Gonvent er gehört, und
> er acht Tage außen bleibt, feinem Superintendenten oder dem
& snfiftorio angezeigt, damit man wißen fönne, wie indeflen das
DU amt beftellt fei: alfo fol kein Schuldiener ſich unterftehn, ohne
23 wrwißen feines Pfarrers einen Tag Über Feld zu gehn, und, wo
er im Notfall einige Tage ausbleiben müfte, ihm zugleih Fund
zszcahen, wie die Schule indeſſen beftellt fei.
14. Wo ein Schuldiener diefe von uns wolbebädhtig ver-
Farfte Ordnung nicht beobachtete, oder fonft feinen Pflichten nicht
i cachkaͤmne und er nad) gejchehener Warnung von feinem vorgejeß-
ten Pfarrer ſich nicht befierte, fo fol foldhes der Pfarrer dem
Mletropolitano anzeigen und, wenn er fidh auch auf beffen Ermah—
m uang nicht änderte, fol biefer ſolches an feinen vorgefegten Su-
Perintendenten gelangen laßen und weitere Verordnung wegen
eines ſolchen faulen, unordentlichen und ärgerlich lebenden Schul«
Dienerd erwarten.
15. Wie nun nach diefer Verordnung alle deutſchen Schul»
m eiſter und (wo dergleichen find,) Schulmeifterinnen ſich zu achten
Haben, alfo follen auch die Praeceptores bei den Iateinifchen
Säulen die vorhergehenden Punkte genau beobachten und fich in
ihrem Amt gleichfalls chriſtlich, egemplarifch und fleißig verhalten,
damit nicht Klage über fie und PVerantwortung ihnen entftehe,
Vondern fie vielmehr durd ihr chriftliches Wolverhalten und ers
wieſene Treue zu fernerer Beförderung ſich recommandiren.
Damit nun diefe unfre Schulordnung in Gang und Hebung
tomme, fo fol ein jeder Präceptor und Schulmeifter, der entweder
ſchon * im Amt ſteht, oder noch kuͤnftig dazu gelangen moͤchte,
Ad) dieſelbe recht bekannt machen und fie beſtaͤndig als eine Regel
md Richtſchnur ſeines Amtes vor Augen haben, Befehlen anbe-
.- “om —
. “=, . PR a, 24 1.
2 I Fr - -
neben gnädigft, jedoch ernftlichft, Daß folder in allen Städe
wie e8 ein jeder vor dem Richter alles Fleifches, der die S
der Kinder durch fein theueres Blut erlöft bat, zu verantwe
gedenft, aufs gewißenhaftefte treu und gehorfamft nachgelebt.
den folle. Verſehen's uns und find euch mit Gnaden wı
wogen.
Darmftadt den 28. Juli 1733.
Ernft Ludwig, Landgraf zu Hefien.
—
Soweit es möglid war, ſuchten die Landesbehörden bie
Schulordnung zur Einführung zu bringen; aber wie überall
zeigte es ſich aud) in Heſſen-Darmſtadt, daß die beiden une
lihen Borbedingungen eines geordneten Volksſchulweſens, ne
tüchtige Lehrer und Gemeinden, welche den Wert der Volksſa
zu fchägen wuften, nod nicht vorhanden waren. Daher if
wirkliche Bejchaffenheit der Volksſchulen damaliger Zeit nicht |
aus der Schulordnung von 1733 als aus anderweitigen Beri
zu erſehen, weldye über den Buftand einzelner Schulen der 8
grafichaft Heflen- Darmftadt vorliegen. Das Wefentlichkte,
fih hieraus ergiebt, ift Folgendes:
Bis über das Jahr 1730 Hinaus wurden die Dorf
meifter in Hellen-Darmftadt allein von den Superintendenten
nannt. Späterhin wurde den Superintendenten aufgegeben ,
artige Ernennungen nur mit Vorwißen und Zuftimmung des
fiftoriumd vorzunehmen; und gegen Ende des Jahres 1743 w
verordnet, daß die Bewerber um Schullehrerftellen von dem
finitoriun geprüft, und daß fodann die Ergebniffe der Pri
mit den nötigen fonftigen Beugniffen durch das Gonfiftoriun
den Landesherrn eingefhidt und die Betätigung des Worgel
genen von dieſem erwartet werben jollte.
Man unterjchied zwijchen Kirchſpiels- oder orbentl
Schulmeiftern und Filialſchulmeiſtern. Die letzteren kamen
mentlich in folchen Filialdörfern vor, von denen aus der Pfaı
nur mit großer Beſchwerde erreicht werden konnte, z. B. in
— 81 —
Fillaldoörfern der bergigen oberheſſiſchen Aemter Ulrichftein, Bie-
D entopf, Blantenftein, Grund Breitenbach, Schotten und Nidda,
Kin ließ fi irgend ein Gemeindeangehöriger, der die Buchftaben
Fante, und in Not war, von den übrigen Bauern des Ortes
Benit finden, gegen eine Vergütung von 10, 12, oder 20 fl. und
gegen eine in den Häufern wechjelnde tägliche Malzeit, mitunter
and, wenn der gemietete Schulmeifter ein Auswärtiger war, ges
gen eine mit der Malzeit wechjelnde Wohnung in den verſchiednen
Bauernhaͤuſern, von Michaelis bis Dftern oder Pfingften Schule
zu halten. Diefe Filtalfehulmeifter wurden ohne Prüfung auch
Tpiterhin nur von dem Superintendenten concejfionirt. Einzelne
Derielben, die Neigung und Gelegenheit hatten, fih zum Schul:
meiſterberuf auszubilden, machten päterhin die Definitorialpräfung
und gingen dann in bie Klaffe der ordentlichen Schulmeifter über.
Die meiften Schulmeifter waren Handwerker, und hatten bie
Schulmeifterei mit dem Handwerk von dem Pater: erlernt. Der
Säulmeifter war entweder Weber, oder Schneider oder Schuh-
flider oder Leinweber u. dgl. m. Daneben waren viele Schul:
meifter ausgediente Soldaten; einzelne wenige waren Studiofen
oder gar Bandidaten der Theologie geweſen. Die äußere Lage
und Stellung der meiften war entjeßlih. Allerdings waren bie
Säulmeifter in den Jahren 1718, 1720, 1721 und 1733 mit
Manderlei Exemtionen begnadigt und i. J. 1759 namentlich von
Um Schanzarbeiten befreit worden; aber der i. J. 1757 zu
Allendorf bei Gießen ftehende Schulmeifter hatte neben dem Webes
Inod den Bettel in der ganzen Umgegend, wovon er lebte.
Viele, die im Winter fchulmeifterten, waren im Sommer als
Topelöhner beichäftigt, die bis zum Herbſt mit der Senſe und
em Flegel arbeiteten, um jodann fich wieder nach einer Filial-
ſchulmeiſterſtelle umzuſehen. Wie im Allgemeinen die Schulmeifter
beſchaffen waren, mag aus folgendem Bericht erhellen, den ber
Plorrer zu Kirchlotheim am A. Oktober 1757 über die Schul
weiter feines Kirchſpiels an feinen Metropolitan erftattete. Der
Varrer Herichtet nemlich über dieſe vier Schulmeifter Folgendes:
»l) Job. Geiersbach zu Kirchlotheim, von Rofenthal im Fürften-
km Heſſen⸗Caſſel gebürtig, hat erft zu Wöhle als Adjunctus ger
— 588 —
ſtanden. Dieſer koͤnnte wol, wenn er fleißiger waͤre, noch ein
ziemlichen deutſchen Schulmeiſter an einem geringeren Ort, wo
nicht manchmal Betſtunde und Kinderlehre zu halten hätte, u
hier, abgeben, maßen ſein ſtotterndes Leſen zu vielem Geſpoͤ
Anlaß giebt; zum Organiſten aber iſt er gar miſerable, ſonſt
Mann, der wegen feines Hochmuts, welchen er auch fchon |
zweien Pfarrern vor mir erwiefen, ganz unerträglich, der demna
auch von Feiner Suborbination etwas wißen will, meint, er |
Herr für fi, daher er die Schule ausfeßt oder hält nach Bel:
ben, auch feinen Pfarrer bei defjen Zuhörern läftert. — 2) Se
Schäffer zu Buchenberg fol nad) eingezogener Erkundigung fleil
ger, abfonderlih die Sommerjchule Halten, ift auch beugſam⸗
zumal wo er nicht den Geierdbach zum Kührer annimmt, fol for
dem Trunk in etwas ergeben fein. 3) ob. Henri Zöllzer
Hertzhauſen iſt erftlih ein Soldat geweſen, bernach mit eine
Spieltifch auf den Märkten herumgezogen, fodann sub fama pe
sima aus dem Lande gewichen, nad) feiner retour auf die Gru
nach Itter gegangen, endlich mich, pastorem, der ich de vita an
acta nichts gewuft, berebdet, indem er wol ausſiehet und ein g
Mundwerk hat, das ihn an weiland Ihre Hochwürden Hl. Sup
intendent Dr. Lieberfnecht recommendirt, da dann derjelbe refcribi
ih ſolle ihn, Böllgern, interim zu einem Filialfchulmeifter
Hertzenh. vorftellen, er, Hl. Superint., wolle für befien Den
forgen, welches ich auch in anno 1747 getban, Ihre Hochw. ab
find darüber feel. verfchieden, und das Decret ift außgebliehe
jo fonft dem Vernehmen nad) die Schule ziemlich fleißig Halte
obwol die Kinder jehr fchlecht find, ift aber die Brutalität ſelb
fo daß ich mich fürchte, feine Schule zu beſuchen. 4) Joh. Pet
Möbus zu Altenlotheim wünſcht nichts mehr, als daß nur t
Kinder fleißiger fommen mögen, ſchickt Feind unverhört weg uı
thut fein Amt nah Vermögen; ift auch wol zu hoffen, er wer!
ein tüchtiger Schulmeifter werden, wenn zumal die vielleicht no
in etwas anflebende Soldatenart vergehen follte; erkennt eiı
Subordination an und Iäßet fich weiſen, ift anbei ein guter O
ganift und führt ein gutes Gefänge.”
58 war üblich, daß die Schulmeifter vor ihrem Amtsantri
— 59 —
einen Revers unterzeichneten, für den es jeboch Feine gejegliche For:
mulitung gab. In einem am 13. Mai 1727 zu Gießen andge-
Rellten Revers gelobt ein Schulmeifter, „daß ich zuvörderſt hoch⸗
gedachten meinem gnädigften Kürften und Herrn ſtets unterthänigft
und getreu fein, mid, in meinem Amt und Unterricht der Jugend
an Gottes Wort und den evangelifch > Iutheriichen Katechismus
Balten und folchen nebft den Sprüchen heiliger Schrift treulich in
Die Herzen pflanzen, in ber Kirche, was zum Gefang, Orgel-
ſchlagen und übrigen Gottesdienften gehört, wol in Acht nehmen,
aud in meinem Leben gottfelig und frieblich, allegeit erweifen und
verhalten will.” |
Eine generelle Revifion des gefammten Volksſchulweſens
Dberhefiend ordnete Landgraf Ludwig VIIL im Jahr 1758 an,
indem er dem Gonfiftorium zu Gießen aufgab, darüber zu be-
richten, wie viele Schulmeifter im Oberfürftentum vorhanden
wären, wie lange jeber einzelne berfelben im Amte ſtehe und wie
er fih bisher verhalten habe. Außerdem follte das Gonfiftorium
bon einem jeden Schulmeifter fein Beftallungsrefcript einziehen. Das
Conſiſtorium ließ ſich fofort durch die Pfarrer die verlangten Nady-
richten einfenden und ſchickte biefelben unter dem 27. October 1758
an den Landgraf nad Darmſtadt ab.
als fich ſpaͤterhin auch in Heflen-Darmftabt die Aufmerffam-
feit der Landesregierung mit Iebhafterem Intereſſe dem Schul
weſen zuzuwenden begonnen, wurde zur Darmftabt im November
1776 auf Veranlaßung bes Präfidenten und Kanzler dv. Mofer
eine befondere Erziehungscommiffion angeorbnet. Von da an be
gann fich die Volfsfchule in Heflen-Darmftadt immer fräftiger und
friſcher zu erheben. Eine landesherrliche Verordnung, welche im
ſolgenden Jahre (unter dem 11. Juni 1777) publizirt wurde,
ſowie bie „Inſpectionsordnung des Fürſtentums Darmſtadt“ vom
4. Auguſt 1777 erneuerten und vervollſtaͤndigten, was durch die
Schulgeſetzgebung des Landes bisher feſtgeſtellt und angeordnet
war. In der letzteren (durch welche der Titel der Metropolitane
In pen der Sinfpectoren umgewandelt und Die Amtsbefugniß der
Tußpectoren geregelt warb), wurde den Infpectoren „die Auf-
Nat über das gefammte oͤffentliche Schul- und Erziehungsweſen
— 60 ° —
ihres Bezirks ganz befonders aufgetragen,” indem diefelben naments
lich dafür Sorge tragen follten, „daß nicht nur Die feftgefeßten
Lehrftunden richtig gehalten, Die nach einer eignen Vorjchrift ver-
ordneten Rectionen und dazu gut gefundne Lehrart forgfältig Be
achtet, die fehulbaren Kinder zeitig und ununterbrochen zur Schule
geſchickt und darin bis auf Die beftinmten Jahre unterrichtet, nich
weniger auch die vorgefchriebeue Schulzucht gehandhabt werde. +
Zu dieſem Amede follte der Inſpector „eine vollftändige Lifliii
der fämmtlichen Schulen und deren Kinder mit Bemerkung demper
Jahre und der Namen der Eltern, ingleichen die Orbnung, wozu
fie gehören und des Fleißed und Aufführung, fo fie zeigen, halte.
„Damit auch der Inſpector nicht zu fpät Diefen oder jenen Mi
brauch gewahr werde, vielmehr den wahren Zuftand und Fortgare 9
des Schulweſens gleichfam beftändig vor Augen habe, fo foltem 1
die Pfarrer, Kirchen» und Schuldiener an denfelben alle Vierte 1
jahre einen gemeinſchaftlichen Schulbericht einfchiden und in deie
jelben die wahre Verfaßung der Schule nach allen Erfordenifje"
begreifen.” Diefe Schulberichte follten von den Inſpectoren ame
Ende jedes Jahres an das Gonfiftorium eingefandt werben.
In den Städten follten die Infpectoren jaͤhrlich zwimc
(im Frühjahr und Herbft), auf dem Lande nur einmal (im Frü
jahr) ein Hffentliches Schuleramen anftellen. Außerdem folte —
aber auch außerorbentliche und in feiner Weiſe vorher angezeigte
Schulvifitationen veranftaltet werden. Die Iffentlihen Prüfunge” —
jollten nicht mehr wie bisher in der Schulftube, fondern in de!
Kirche, und wo eine Kirche nicht vorhanden fei, in dem ge
räumtgften Lokal des Ortes gehalten, und Sonntags zuvor folte ——
alle Gemeindegliever , insbefondere jedoch die Eltern und Por
münber der Kirche zum Beſuche berfelben von der Kanzel hera F
eingeladen werden. — Einen jeden neu angeftellten Schulleiter?
follte der betreffende Anfpector der verfammelten Gemeinde um
ber dabei verfammelten Schulfugend vorftellen, „zu dem Ende uch
die Schuljugend hervortreten laßen und ihn gehöriger Maßen in
fein erhaltenes Schulamt einführen.” Außerdem wurde es den
Inſpectoren zur befondern Pflicht gemacht, daß fie die begabteren
— 61 —
Rraben, wenn fie die Schule verließen, ermuntern follten, fi
dem Lehrerberufe zu widmen.
In eigentümlicher Weiſe wurde dad Schulmejen zu Bup-
Bad in Oberheffen fo organifirt, daß Die daſigen Schulen
weſentlich ald Volksſchulen eingerichtet und zugleich Doch zur Vor⸗
bereitung auf die ©elehrten-Studien verwendet wurden. Bisher
nemlich beftanden daſelbſt vier Schulen mit vier Lehrern, worunter
fich nach alter Weife eine lateinische Schule mit einem theologifch
gebildeten Rector befand. Zu Diefen vier Schulen fam nun im
Jahr 1777 noch eine fünfte Schule, die dem Glödner, der jept
zum erften Male ald Schulmeifter fungirte, überwiejen wurbe,
Der für Jedermann freigegebene Unterricht in Gymnafial⸗Sprach⸗
Rardien und in der Mufif wurde nun mit den übrigen Lehrſtunden,
zua deren Beſuch alle jchulpflichtigen Kinder gezwungen waren, jo
Dexbunden, daß für denſelben drei befondere Schulen mit täglich
Süiner Stunde Unterricht, weldyer nad) den ordnungsmäßigen übrl-
ze a Lehrftunden erteilt wurde, eingerichtet waren. Die Schul⸗
>rDnung vom 13. September 1777 *), dur welche dieſe Reors
za nijation publizirt wurde, enthält manches Trefflihe, was ihr
iĩ gentümlich war, 3. B. die Herftellung eines gewißen Zufammens
a ngd der Schule mit der Erziehung der Kinder im elterlichen
> auie,
Einige Sabre jpäter (um 1784) wurde von dem Gonfiftorium
ar Darmftadt die Errichtung einer Anftalt für Ausbildung der
S chullehrer als ein wefentliches Tandesbebürfniß bei der Staatd-
-@ gierung zur Sprache gebracht. Landgraf Ludwig IX. geftattete
mrad wirflih, Daß die Errichtung eined Seminars in Erwägung
Bezogen wurde, und namentlich war der für das Schulweſen uns
erwidlih thätige Gymnaſialdirektor und Conſiſtorialrath Wenk
Tür moͤglichſt baldige Einrichtung defjelben bemüht. Indeßen
Der Mangel der nötigen Fonds und andere Schwierigkeiten hin
derte die Ausführung bes fchon entworfenen Planes, weshalb fich
Die Landesregierung darauf bejchränfen mufte, dem Volksſchulweſen
— __
*) „Erneuerte Schul- Ordnung für die fämmtlihen öffentlihen Schulen in
der Stadt Bupbad. Darmftadt. 1777“ (fol.).
— 62 —
einftweilen auf anderen Wegen aufzuhelfen. Daher wurde z. E
durch Verordnung vom 2. März 1787 befoblen, daß überall fin
ganz arme Schulkinder die Schreibmaterialien zur Hälfte am
dem FKirchenfaften, zur Hälfte aus der Gemeindefafje bezahlt wer
den follten. Insbeſondere ſuchte man das Schulwejen der Reſiden
ſtadt zu heben. In derſelben beitanden damals fünf Schule
unter denen fich eine Mädchenfchule mit einer Frequenz von LE
bi8 200 Schülerinnen auszeichnet. Auch errichtete der nad
berige Landgraf Ludwig X. noch ald Erbpring im Jahre 17€
eine Garnifonsfchule zu Darmftabt mit zwei Lehrern. Sämmtlicd
Soldatenfinder erhielten in derjelben freien Unterricht, indem D
Landgraf die beiden Lehrer jelbft beſoldete.
Vieled trug zur Verbeßerung des Volksſchulweſens in D«
jen- Darmftadt auch die liberale Wolthätigkeit einzelner Privat
bei.) Als i. J. 1801 die für einen Lehrer zu zalreich <<
worbne Bürgertöchterfchule zu Darmftadt geteilt werden mufte, X
Aufrihtung einer zweiten Schule an dem Unzureichenden D
disponibeln Mittel zu feheitern drohte, überfandte der damal iü
Kirchenrat und erfte Stadtpfarrer zu Darmftadt, Friedrihd CHR
ſtoph Kyrig (ein BZögling des Halliihen Waiſenhauſes) D>«
Konfiftorium zur Ausführung dieſes Planes 1000 fl., wodurch #
Einrichtung der zweiten Töchterfchule möglid wurde. 3. J. 154
kaufte berjelbe Wolthäter der Darmftädtiihen Schuljugenn F
bie erfte Töchterfchule , Die fich in ihrer fehr ungeeigneten Behce
jung nicht länger halten Eonnte, für die Summe von 6004
das bisherige Stabthofpitalgebäude an; und in feinem Teftamer
beftimmte derſelbe feine ganze Berlaßenfchaft im Betrage vs
51,093 ff. 41 fr. zur Unterftügung von Lehrern, Schulfindern us
zu anderen Wolthätigfeitszweden. — Der großherzogliche Oberforftr—
Chriſtoph Nungeſſer vermachte fein Vermögen (über 20,000 fl.) ze
Hälfte dem Waifenhaufe, zur Hälfte der Stadt-Armenfchule zu Darım
ſtadt, und der großherzogliche Regierungsrat Georg Ludwi
May fegte (im Jahr 1808) als Univerfalerben feines geſammte
Vermoͤgens, im Betrage von etwa 130,000 fl., alle Schullehre‘
*) Freimütige Jahrb. der allgem. deutfchen Volksſchulen B. I. S. 200 ff.
— 63 —
der fieben erften Diöcefen oder des altheifiichen Teiles des Fürftens
tumd Starfenburg, deren Befoldung noch nicht 300 fl. betrüge,
ein, und zwar mit der näheren Beftimmung, daß denſelben jähr-
lich die Zinfen des nach Abzug verſchiedner Legate, feines Wohn:
hauſes und einiger andern beftimmten Ausgaben übrig bleibenden
Bermögen zu gleichen Teilen als Gehaltszulage gegeben würde.
Dagegens follten fie in jedem Jahre an feinem Sterbetage zur
Erweckung und Pflege religiös » fittlicher Gefühle eine angemeßene
Säulfeier mit ihren BZöglingen begehn, ſich die moraliſche Bil⸗
Dung der Jugend vorzüglich angelegen fein laſſen und es fich zur
beiondern Pflicht machen, derjelben immer felbft mit gutem Bei⸗
ſpiel voranzugehen. Wenn aber der eine oder der andere nit
einen untabelhaften Lebenswandel führen, oder fi gar dem Trunf
und Spiel ergeben würde, jo follte demfelben fein aus dem
Stiftungsfonds zu beziehender Anteil zu Gunften ber übrigen
Lehrer fo lange entzogen werben, bis er ſich befere. Der Grb-
Lafer fprach zugleich die Hoffnung aus, daß hiernach in ber Folge
ber Eingangs erwähnten Diöceſen, wofelbft ſich noch unftändige
Säullehrer befänden, mo möglich ftändige Lehrer angeftellt würden,
indem nur dieſe an der von ihm verorbneten Unterftüßung Anteil
Haben follten.
Sein Wohnhaus, eined der geräumigften und beſten Häujer
der Stabt, mit Nebengebäuben, Garten und einem ornithologijchen
Ceabinet Beftimmte May der zweiten Maͤdchenſchule, die ſich bis—
ber mit einer Meinen, düftern und niedrigen Stube hatte begnügen
mißen. An feinem Sterbetage follte bier jährlich nach Abfingung
des auch für die Landſchulen an dieſem Tage vorgeſchriebenen
Kirchenlieds „hab Acht auf Gott in aller Not,“ unter die ſechs
fleißigſten und ſittſamſten Mädchen eine Prämie von 15 fl. ent⸗
weder in baarem Gelb oder in geeigneten Sachen auögeteilt werben.
Den jährlihen Gehalt des Lehrerd vermehrte May mit 150 fl.
aus der Stiftungskaſſe.
Außerdem wurden noch ausgeſetzt: 50 fl. jährliche Zulage
die reformirte Pfarrei und Schule zu Darmſtadt, und zwar
lener 20 fl., Diefer 30 fl.; 50 fl. jährlich als Beifteuer für Die
Bedürftigften Hausarmen zu D., am Sterbetage des Stifterd aus:
— 64 —
zuteilen; 25 fl. jährlich für die Kinder im Waiſenhauſe zu D.
einem feftlichen Abend am 20. Mai jeden Sahres. Sollten i
been dieſe Kinder über kurz oder lang unter Familien auf de
Lande verteilt werden, und aljo die Mahlzeit nicht mehr gemeinja
genießen Eönnen, fo follten dieſe legirten 25 fl. die Sträfliu
im Stod- und Zuchthauſe am 20. Mai alfährlic erhalte
ferner 25 fl. jährlich für den Kirchhof; 300 fl. als jährlicher &
halt nebft freier Wohnung und Heizung für eine alte rechtichaffe
Wirtichafterin des Erblaßers, welche beide Spenden nad den
Ableben dem Stiftungsfonds wieder zufallen jollten.
Etlihe und achtzig Schullehrer, deren Bejoldung noch nt
300 fl. betrug, feierten am 25. Juli 1809 das Andenken K
hochherzigen Stifter mit ihren Kindern, und empfingen zum erfl
Male, ſowie ſeitdem alljährlid an bdemfelben Jahrestage, ı
feder eine Gehaltszulage von 40 fl.
Gine der zwedmäßigfien und wirkſamſten Verordnung
wurde unter dem 17. uni 1802 publizirt, durch welde-
1) jedem Pfarrer zur Pflicht gemacht wurde, für die Schul
feines Kirchſpiels zu Haften, fo daß der ſich etwa entbeden
ſchlechte Zuſtand derſelben fo lange ald fein eigned Verſchuld
angefehn werde, als er nicht erwiefen habe, daß er erft all
Mögliche getban, um die Mängel zu befeitigen, und daß er in
befondere jeinem Firchlichen Dberen diefelben angezeigt und a
Remedur gedrungen babe; 2) follten zufolge diejer Verordnu
alle Pfarrer der Landgrafichaft angewieſen werben, „mwöchentli
in der Schule zwei ganze Stunden hindurch, namentlich Monte;
und Donnerstags Morgend von 9—11 Uhr, und zwar gerade
Lehren, welche die Erwedung rechtichaffener, wahrhaft chriftlich
GSefinnungen zunädhft angehen, in Gegenwart des Schullehre
Unterriht zu erteilen, auch dieſe Stunden unter Feinerlei Vorwal
auszuſetzen, fondern im Falle fie etwa an einer derſelben dur
unvermeidliche Amtsaktus verhindert werden follten, fie noch
der nemlihen Woche nachzuholen. In Orten, wo zwei Schul
wären, hätten fie in jeder derjelben wöchentlich zwei Stunden
halten; und im Sale, daß mit einer Pfarrkirche eine ober t
andere beträchtliche Filialſchule verbunden fei, follten fie zuweil
ine von den beiden feftgejeßten Stunden auf diefe Filialjchule
ermenden.* *)
Unter demjelben Datum wurde aud eine „Schulorbnung für
e Stadtſchulen in Darmſtadt“ publiziert, welche unter anderm
e Borfchrift enthielt, daß der Superintendent halbjährlicy in ber
ohe vor dem Examen mit fämmtlicdyen Lehrern einen Schul
nvent halten follte, welchem auch die Stabtpfarrer beizumohnen
tten. Auf dieſem Konvente jollte Die Verfeßung der Kinder aus
n niederen in die höheren Klaffen und Schulen, Die Verteilung
*) Die Gründe zu diefer Verfügung werden in folgender landesherrlichen
merinnerung angegeben: „Uns ift vorgetragen worden, daß, wenigſtens in man-
n Gegenden unfrer fürftlichen Lande teild durch die ſchädliche Einwirkung des
rgangenen Krieges, teild durch den verdorbenen Geift der Beiten und einen
raus entftandenen verführerifhen Leichtfinn und Gleichgültigkeit gegen die beil-
nen Vorjchriften der Religion und Tugend die guten Sitten unter unferm Land-
MM merklich nachzulaßen und von der edlen Einfalt abzuweichen angefangen
ben, die jenen Stand fonft doppelt ehrenwert madte. Diefe Radricht mufte
form Iandesväterlichen Herzen fo viel empfindlicher fein, je mehr wir überzeugt
d, daß mit der Moralität des Volles im Denken und Handeln das Glück aller
zelnen Familien, und eben dadurch der Wolftand des ganzen Landes aufs
rigſte verbunden find. Eben diefe Weberzeugung madt e8 uns zugleich zur
gelegenften Pflicht, jenem Berderben auf alle Art entgegen zu arbeiten, und da
x unter den Mitteln, die dazu führen können, keins für wirkſamer halten, ale
un derbeferten Unterricht und die Erziehung der Jugend, auf diefen Zeil unferer
mdesväterlihen Fürſorge unfre Aufmerkſamkeit fo viel vorzüglicher zu richten.
inen guten Zeil diefer Arbeit glauben wir fhon dadurd zu erreihen, weun wir
e Prediger mit den Landfhulen in nähere Verbindung brin-
n und fie dadurh in den Stand feßen ihren näheren Einfluß auf die mora-
qhe Bildung der Jugend, nicht erft auf die Konfirmandenftunden erfparen zu
en. Run find zwar die Prediger ihrem Amte nad) ſchon ohnehin zur genaueften
uffiht über die ihnen zunächft untergebenen Landſchulen verbuuden; aber gefept
ich, daß fi) bei aflen die ftrengfte Beobachtung diefer fo mefentlichen Pflicht
»raußjegen ließe, fo können doch, wie die Erfahrung gelehrt, bloße Schulbefuche
eh nit hinreihen. Es läft fich von Predigern als ausgebildeten Lehrern der
Elgion und Moralität, wenn fie an dem Unterricht der Jugend unmittelbar felbft
eil nehmen, hierin nicht mur ungleich) mehr als von gewöhnlichen Schullehrern
Warten, fondern es ift auch diefen Schullehrern ein Beifpiel und Mufter nötig,
⸗ Re es anzufangen haben, um ihren Unterricht noch weit mehr für das Herz
far das Gedächtnis wirkjam zu machen ıc. ıc.“ |
Depye, Boltsigulweien, 2. 5
— 66 —
der Prämien, die Anſchaffung von Büchern, Landkarten, Vo
ſchriften u. ſ. f. für die Schulbibliothek beſprochen und überhau
Alles, was zur Verbeßerung der Schulen dienen koͤnnte, in &
wägung gezogen werben.
Inzwiſchen hatte Hefien-Darmftadt infolge der Revolution
friege jener Zeit viele feiner bisherigen @ebietsteile verloren ws:
andere dafür erhalten. Zugleich hatte der Geift des Rationalismı
der fi) mit dem Ueberlieferten wenig vertragen fonnte, in allı
Schichten des Volfed Aufnahme gefunden und hatte fich insbeſo
dere der Negierungsorgane bemädtigt. Das in Folge deffen fd
ganz allgemein kundgebende Verlangen nad) gründlicher Reformirun;
und Uniformirung aller Verhaͤltniße des Staatd und der Kirdi
fam der Volksſchule wenigſtens infofern zu Statten, als dieſelbe
jegt mit immer größerem Snterefje beachtet wurde. Namentlid
ging das eifrigfte Bemühen der Behörden dahin, endlich einen
regelmäßigen Schulbeſuch herzuftellen. Das Konfiftorium zu Giehen
befahl (durch Ausfchreiben vom 29. Januar und 16. Aug. 180%)
bie forgfältigfte Führung von Abfentenliften und die frengfte Be
ftrafung der Säumigen. Ebenso fuchte das Konfiftorium zn Gicht
(durch Ausjchreiben vom 24. juni 1803) dem Uebelftande #
fteuern, „daß durch die auf dem Lande gewöhnlich Nachmittag!
gehalten werdenden öffentlichen Leichenbegängniffe im Winter, all
grade in der Hauptſchulzeit, für die Landkinder vielfältige Schu
verfäumniffe verurſacht wurden. *)
Für die Fatholifchen Landesteile wurde im Jahr 1804 dal
Schullebrerjfeminar zu Bensheim eröffnet, indem me
bafelbft einen Normallehrer anftellte, welcher zugleich einige
Unterricht am dafigen Gymnaſium erteilte, wogegen einzelne Gym
nafiallehrer die Schulamtscandidaten in "gewißen Fächern unte!
richteten. Cine lanbesherrlihe Verordnung vom 13. Juli 180
vegelte den zu erteilenden Normalunterricht, der alljährlich im Frü
jahr begonnen wurde und fünf Monate lang dauerte.
*) Hauptquelle für die Periode von 1803 — 1807 ift das „Handbud
großherzoglich heflifhen Verordnungen vom Jahre 1803 an, vom 8. G. Gig
drodt, Darmft. 1817.“
— 67 —
In demſelben jahre wurde für die fatholifchen Schulen auch
in neues ABCbuch („der ABE-Schüler, Darmftadt 1804") ver-
fentlicht. Aber die katholiſchen Gemeinden fügten fi nur mit
Biderftreben in bie Neuerung, weshalb der ausjchließliche Gebrauch
3 neuen ABCbuches durch Ausſchreiben der fatholifchen Depu-
tion des Kirchen- und Schulrates zu Darmftadt (vom 24. Octo⸗
t 1806) allen Schullehrern nochmals fireng befohlen werben
uſte. — Die Regierung %erfuhr bier dasjelbe, was fie mit einer
nlihen Neuerung an den proteftantifchen Gemeinden des Landes
lebte. Durch Iandesherrliche Verordnung vom 1. Novbr. 1804
u nemlih auch für die evangelifchen Gemeinden ein von dem
uperintendenten Schulz und dem Garnifonsprediger Wagner
$gearbeiteted neues „IBC⸗-, Buchftabir- und Leſebuch“ einge:
hrt worden. Aber den Gemeinden war das alte Buchſtabir⸗
hlein and Herz gewachjen, weshalb von demfelben noch in ben
Ihren 1805 und 1806 Nachdrücke erſchienen, welche von ben
tern gefauft, und von den Kindern mit in die Schule gebracht
ırden. Im Jahr 1807 mufte e8 daher der Kirchen» und Schul
t allen Infpectoren, Pfarrern und Schullehrern auf das ftrengite
r Pflicht machen, das alte ABCbuch in feinem Fall mehr in
n Schulen zu dulden.
Im Jahre 1806 erfolgte die Umwandlung der alten Land:
aſſchaft in ein fouveränes, bedeutend vergrößerted Großherzog:
m Heſſen.
Das neue Leben, welches in Folge deſſen in allen Zweigen
t Öffentlichen Verwaltung des neuen Staates hervortrat, mufte
ipendig auch jofort die umfaßendften Reformen im Gebiete bed
ollsſchulweſens hervorrufen. Dabei war ed gut, daß Diefelben
Uwährend im Anſchluß an die aus früherer Zeit herrührenden
jeglichen Beſtimmungen erfolgte. Unter dem 15. Januar 1807
itde zunächft die landeöherrliche Verordnung vom 17. Juni 1802,
Ihe es den ©eiftlichen zur Pflicht machte, wöchentlich zwei volle
unden in der Schule Unterricht zu erteilen, erneuert. Die
arıer follten über den von ihnen erteilten Unterricht ein genaues
5°
— 68 —
Diarium führen. Zugleich wurde den Schullehrern aufge:
auch über ihre Thätigkeit „Schulmanualien“ zu führen, in w
nicht nur die Tage und Die Stunden, fondern auch die Mo
des vor= und nachmittaͤgigen Unterrichts nach ihrer Ordnung
Aufeinanderfolge aufgezeichnet würden. Auch wurde noch in
jelben : jahre die Begründung von Schulbibliot!hefen
pfohlen. — Zwei Jahre fpäter (24. Juli 1809) wurde
proteflantiichen Snfpectoren und Pfarrern des Großherzog
aufgegeben, jährlih ene Schulpredigt zu balten, !
namentlih die Eltern der fchulpflichtigen Kinder über den €
ber Schule belehrt werben follten. Dieſe Schulpredigt fol
wechſelnd an drei verjchiedenen Sonntagen, nemlich im erften |
an dem Sonntage, an weldem der Beginn der Winterfchuli
gezeigt werde, im folgenden Jahre am zweiten Sonntage
Oſtern, und im dritten Jahre am erften Sonntage nach Ep
nien gehalten werben. Allerdings bewirkte es Der ſich i
mächtiger erbebende Geift des Rationalismus, daß (i. J. 1
die althergebradyten Katechismen durch neuere Machwerke
Nofenmüller und Snell) verdrängt wurden; aber der
liche Charafter und Beruf der Volksſchule wurde Doch feitgeh
Die Schullehrer wurden 3. B. (i. 3. 1812) ausdrücklich
wiefen, an allen Sonn= und Fefttagen die Schulkinder vor
Beginn des Gortesdienfte8 in der Schule zu verfammeln
ihnen nach Verrichtung eines Gebet das in der Kirche zu fin
Lied fingen, das Evangelium und die Epiftel lefen zu laßen u
ſodann paarweiſe zur Kirche zu geleiten. Eine Verordnung
1. Mai 1812 regelte aufd neue den Beginn der Sommer:
Winterſchule und die für den täglichen Unterricht zu gebraud)
Stunden und erneuerte die älteren Beftimmungen über Schul:
tigkeit. Dazu famen noch andere Verordnungen, welche die
ftellung eines allgemeinen und regelmäßigen Schulbeſuches
Bwede hatten Auch fuchte man es jet endlich durchzuſetzen
fi Die Eltern dazu bequemten, ihre Töchter fhreiben |
zu lagen Unter dem 25. März 1813 wurde nemlich vor
Kichen- und Schulrat zu Gießen an alle ZJuftizbeamten und |
lichen in Altheffen veferibirt: „Da der Unverftand mandyer G
— 69 —
berzüglih auf dem Lande, fo weit geht, daß fie ihre Kinder,
namentlich Die Töchter bindern, in den Schulen jchreiben zu
lernen, und ihnen in biefer Abficht das nötige Papier verweigern,
jo wird ben Geiftlichen aufgegeben, Fein Mädchen zur Gon-
firmation zugulaßen, weldes nicht wenigftens feinen
Namen vichtig und Teferlih ſchreiben könne.“ Aus
gleich (21. April 1814) wurde e8 den Lehrern unterfagt, bie
Finder im Schreibunterricht fernerbin mit Fraktur- und Kanzlei:
Ihrift zu plagen und im Rechnen in die Fächer der höhern Arith-
methif auszufchweifen. In jenem follten fi Die Lehrer 1) auf
die einfache Kurrentfchrift beſchraͤnken, 2) alle Verzierungen und
Schnörkeleien der großen Buchftaben fern Halten und 3) nur eine
einige und zwar die leichtefte Form der großen Buchftaben ge
brauchen. Im Rechnenunterricht follten fie nicht über Die vier
Species und die Regeldetri in ganzen und gebrochenen Zalen
hinausgehn und das Kopfrechnen fleißiger uͤben.
Die wefentlihfte Förderung jedoch, welche das großherzog-
lich heſſiſche Volksſchulweſen erhielt, wurde demſelben durch Er⸗
richung des Schullehrerſeminars zu Friedberg zu Teil.
Schon im Jahre 1809 brachte der Kirchen» und Schulrat
Bagner zu Darmftadt die Gründung eines Schullehrerfeminars
ur Sprache. Um die nötigen Fonds aufzubringen, beantragte
Bogner, von der damals erledigten Pfarrftelle zu Reinheim, deren
Ertrag übermäßig hoch war, 500 bis 600 fl. für eine zu errich⸗
tende Schullehrerfchule zu beftimmen. Diefem von dem Kirdjen-
und Schulrathe unterftügten Vorfchlag wurde die höchfte Gench-
migung zu Teil; von der Reinheimer Pfarrbefoldung famen jährlich)
300 fl. zu gedachtem Zweck in Abzug und unter befondere Ver:
waltung.
Einige Zeit fpäter, im Jahr 1811, übergab der damalige
Rector der lateinifchen Schule zu Friedberg, Roth, dem Staats⸗
Minifterium einen Plan zur Errichtung eines Schullehrerfeminars
U Friedberg. Nach demſelben follte ein um einen fehr mäßigen
Preis zum Verkauf angetragened geräumige Gebäude zu Fried-
berg, welches früher dem Klofter Arndburg gehört hatte, ange»
lauft und zum Seminargebäude eingerichtet werben. Der Unter-
— 70 —
richt am Seminar ſollte von den Lehrern an der lateiniſch
Schule und dem Geiſtlichen zu Friedberg erteilt, und die Stal
fchulen follten mit dem Seminar in genaue Verbindung gebra,
„ werden. Nachdem Ddiefer Antrag von den beiden Kirchen⸗ u
Schulräten zu Darmftadbt und Gießen fehr günftig begutacht
worden war, wurde von dem Großherzog i. J. 1811 die Errit
tung einer evangelifchen Schullehrerfchule und der Ankauf d
bezeichneten Gebäudes zu Friedberg genehmigt. Die Ausführu
biefer Verfügung unterblieb jedoch, weil die nötigen Mittel ;
Einrichtung des Haufes und zur Befoldung der Lehrer noch fehlt
und weil ſich die Behörden über die der Anftalt zu gebende 2
faßung nicht zu vereinigen vermocdhten. Erſt im Jahr 1818, a
der Nector Roth einen Ruf als Profeffor der Gefchichte in e
ausländifches Gymnaſium erhielt, wurde die Errichtung ein
Schullehrerſchule von dem Staatsmintfterium wiederum lebh
und mit größerem Erfolge als früher aufgenommen. Roth wur
zum Director der zu eröffnenden Anftalt ernannt. Auf die d
malige Hoheitöcaffe zu Friedberg wurde ein jährliher Beitn
von 2000 fl. und auf die Gentralcaffe zu Mainz eine glei
Summe zur Gründung der Anftalt angewiefen. Die drei Re
renten ber drei Provinzialfcehulbehörden zu Darmftadt, Gießen u
Mainz erhielten den Auftrag, in Friedberg zufammenzutreten, m
dem Director den Plan zu entwerfen und zur höchften Genehn
gung vorzulegen. Das ſchon früher für das Seminar angefuf
jogenannte Kloftergebäude wurde nun bei näherer Prüfung de
vorliegenden Zwecke nicht vollfommen entfprechend gefunden. Ti
ber brachte man ein fehr geräumiges Gebäude in der Bu
welches früher zur Ganzlei der aufgehobenen Juſtiz- und Verne
tungsbehörben der Burggrafichaft gedient hatte, für das Semin
in Vorfchlag. Der Großherzog genehmigte ven desfalls geftelle
Antrag und demgemäß wurde das Seminar in der Burg erriäte
Ueber die Innere Einrichtung desſelben erſchien bie af
öffentliche Bekanntmachung *) unter dem 9. September 1817. Au
weislich derielben war die Einrichtung des Seminars folgende:
*) Diefelbe wurde officiell von der Großherzoglichen Conmiſfion für „ und
fung und Reitung des ebangeliſchen Schuflehrerfeminars zu friedberg“ pablhit
— 1 —
Die Zöglinge empfingen unentgeltlich 2 Jahre hindurch eine
hrem wichtigen Beruf angemeßene Erziehung und Bildung , ver-
unden mit dem Unterricht in allen zu bemjelben erforderlichen
enntnigeu und Fertigkeiten, und praktiſche Anmeifung zu deren
ebrauch bei der Jugendbildung; fie erhielten Dabei freie Wohnung
Gebäude ber Anftalt, nebft freier Heizung Licht und den haupt:
hlihften Teilen des nötigen Bettwerks; fie wurden nach vollen-
en Bildungsjahren als Hülfslehrer an öffentlichen oder als
mentarlehrer an Vorbereitungsichulen auf Filialen vorzugsweiſe
jenommen und verjorgt; fie erhielten nach zurüdgelegtem zwan⸗
Ren Lebensjahre bei erprobter Rechtichaffenheit und Tüchtigkeit
fichere Ausficht auf Anftelung in Schulämtern, wobei die ge
geren Stellen in ihrem Ertrage bei Grlebigungsfällen nad
Öglichkeit verbeßert und mit vollftändig gebildeten und erproßten
glingen der allgemeinen Schullebrerfchule bejegt werden follten,
ıe baburdy andere würdige Schullehrer von wol verdienter Be
derung und Verbeßerung im Geringften auszufchließen. Da⸗
ſen hatten Diejenigen, welche in die Anftalt aufgenommen zu
erden wünfchten, folgende Bedingungen zu erfüllen: Sie hatten
ch beglaubigte Scheine ihr Alter, welches, zur Aufnahme, auf
3 vollendete 16. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre als Regel
'gefept war, ihr Vaterland und ihre Confeſſion zu beweifen; fie
kten verjchloßene, unentgeltlich auszuftellende Zeugniffe beizu-
ngen von ihren ehemaligen Schullehrern, fowie von ihren Orts-
ſtlichen, die fie confirmirt hatten, über ihre natürlichen An⸗
jen, ihre Gemuͤts⸗ und fittliche Befchaffenheit, über ihre elter-
ve Erziehung, bisherige Aufführung und ihre Kenntniſſe und
nfihten im Allgemeinen, von ihren geiftlichen Inſpectoren, über
e, in einer mit ihnen vorzunehmenden Prüfung über dargethanene
antniffe und Fertigkeiten im richtigen Sprechen, Leſen, Schreiben,
pe und Tafelrechnen, im Chriftentum, im Gefang, im Clavier⸗
er Orgelſpiel. Diejenigen Inſpectoren, welche die Anlage zum
ang, gutes Organ, bildfame Stimmen und empfängliches Ohr,
d die nötigften muflfalifchen Vorkenntniffe nicht felbft hinreichend
imteilen Eonnten, hatten hierüber das Urteil von Sachverſtaͤn⸗
jen einzuholen, und von dem Arzte über ihre Geſundheit und
— 713 —
förperliche Beſchaffenheit. Dieſe Zeugniffe waren in der Provim
Oberheſſen an den Großberzogl.-geiftlichen Geheimerat Dr. Schmiks
zu Gießen, und von denen, welchen Friedberg näher lag, am
den Director der Anftalt, Großherzogl. Profeffor Roth dafelbig
in der Provinz Starfenburg an den Großherzogl. Kirchen um
Schulrat Wagner zu Darmftadt und in den überrheinifchen Land—
an den Großherzogl. Regierungscommiffär Hafle zu Mainz einzg
jenden. Bei dem Eintritt hatte Jeder mitzubringen: die heilx
Schrift, das Landesgefangbuch, eine reinliche Kleidung fir Wer
tage, eine beßere für den Sonntag, mwenigftend 4 Hemden, ſech
Paar Strümpfe, 2 Baar Schuhe, 4 Schnupftücher, drei Ham
tücher, 3-Betttücher nebft einem Kiffen, eine Bürfte, einen blecherrze
oder zinnernen Eßlöffel, ein Meßer und eine Gabel. Auglei
wird angefügt, daß in Betreff der Mittagsfoft die Einrichtun
getroffen war, daß die Yöglinge ſolche hinreichend für den Pre
von 12 fr. täglich und wol demnädhft noch billiger erhalten wurd €
Für ihr Frühftüd und Abendbrod hatten fie felbft zu forgen.
Der Snduftrieunterridht gewann im Großherzogti—
Heffen erft feit 1808 Eingang. In den beiden Induſtrieſchule
welche ſchon einige Jahre früher in König und Wimpfe
eingerichtet waren, wurde nur die weibliche Jugend beichäftie
ohne daß diefe Einrihtung Nachahmung fand. Indeſſen gewahe
man den großen Aufihwung, den dad Induſtrialſchulweſen
dem damals mit dem Großherzogtum vereinigten vormals fu
Fölnifchen Herzogtum Weftphalen genommen hatte, und die Staats
regierung bejchloß dasſelbe auch in dem Großherzogtum heimiſ⸗
zu machen. Durch Refeript vom 20. Mai 1808 forderte dahe
das Staatöminifterium die Kirhen- und Schulräte zu Darmftat
und Gießen auf, zwar nicht in allen Schulen des Landes bes
Sinduftrialunterricht einzuführen, aber doch unter denfelben. „di.
eine oder die andere aufzufuchen, wg die meifte Leichtigfeit, ein⸗
ſolche Anftalt zu treffen, vorbanden fei, wo ein thätiger, an bei
Sache teilnehmender Pfarrer und ein gebilbeter, Die Obſtzucht
— 173 —
nder Schullehrer fich vorfänden, wo ein Schulgarten *) ent-
: vorhanden fei ober Leicht erhalten werben Eönne und mo
als die Frau des Schullehrer8 gegen eine mäßige Vergütung
Interricät in weiblichen Arbeiten zu erteilen im Stande fei.”
nahm nemlih an, daß, wenn erft eine mol eingerichtete
triefchule vorhanden fei, Diefelbe fofort vielfache Nachahmung
werde.
Der Kirchen⸗ und Schulrat zu Gießen ſowie die Eatholifche
tation Des Kirchen- und Schulrates zu Darmftabt machten
Pfarrern den Inhalt diefes: Minifterialrefeript8 noch im
: 1808 befannt. Noch eindringlicher jedoch legte Die protes
he Deputation des Kirchen» und Schulrats zu Darmftabt
Erlaß vom 17. Auguft 1809) die Einrichtung von Indu⸗
wilen den Inſpectoren ihre® Bezirks and Herz, indem fie
rbob: „Nachdem man fchon im vorigen Jahre in Wolf
en bie erfte Anordnung der Art unter der thätigen und ein-
ollen Mitwirkung des Beamten und Geiftlichen mit Succeß
ndet, nachdem fich feitbem mehrere wuͤrdige geiftliche und
he Behörden zu ähnlichen Anftalten bereitwillig gezeigt, in
jedenen Diöcefen auch ſchon, unaufgefordert, bei der weib-
Jugend der Induſtrialunterricht nad oder abwechſelnd
den Lehrſtunden in den Schulen eingeführt worden, in
g und Wimpfen aber fchon mehrere Jahre weibliche In⸗
fchulen mit großem Nuben beftänden, erwarte man von
gutachtliche Vorjchläge, ob nicht in einem ober dem andern
ihrer Inſpection eine gleiche Anordnung getroffen werben
&8 komme vor der Hand hauptfächlich bei den Mädchen
tlernung und Uebung der gemeinnüpigften weiblichen Hand⸗
en, jowie bei den Knaben auf die Baumkunde, Pflanzung
ereblung durch Oculiren ac. ıc. an, und diejenigen Orte
ı vorzüglich zu berüdfichtigen, — wo ein thätiger, an ber
e teilnehmender Pfarrer, und ein gebildeter, Die Obſtzucht
— —
I Unter Schulgärten wurden bier nicht die Beſoldungsgärten der Lehrer
den. j
Au nn
— — — — —
-
— — .
— — ——
— 74 —
kennender Schullehrer ſich vorfaͤnden; wo ein zum Induſtriega
ſchicklicher Platz entweder leicht auszumitteln und wo allenfalls
Frau des Schullehrers oder eine andere brave Perſon gegen
mäßige Vergütung den Unterricht in weiblichen Arbeiten zu erte
im Stande fei. Zunaächſt aber hätten fie anzuordnen, daß 1)
“ allen den Schulftunden, wo eine Mäbchenklaffe entweder gar n
befchäftigt fei oder Die Aufmerffamfeit auf den Schulunterrl
wie 3. B. beim Kopfrechnen, Herfagen ıc. ıc. nicht leide, dieſt
zugleich ihre Stridzeuge betreibe; 2) daß ſich Die Schullehrer
wichtigften praftifchen Kenntniffe der Baumzucht, wo fie foldhe n
nicht hätten, zu erwerben fuchten; 3) den Schulkandidaten befa
zu machen, daß dieſelben in Zukunft fich bei den mit ihnen v
zunehmenden Prüfungen durch ein von einem ſachverſtaͤndi
Manne auögeftellte Zeugnis über ihre Kenntniße in der Baı
zucht ausweifen müften.
Infolge diefer Aufforderungen entftanden auch wirflidy f
und da einzelne Anduftrie-Anftalten; nirgends aber erlangten
jelben ſolche Blüte wie in der Grafſchaft Erbach.
Die Entftehung und Einrichtung der weiblichen Lehr—
Arbeitöfchulen zu Erbach und Michelftabt war folgende: *)
Die weiblihe Induftrieanftalt zur Erbach wurde i. J. 1
von der edlen Gräfin Charlotte zu Erbach (geborene Gr
v. Wartenberg) unter treuer Mitwirkung ihres Gemahls,
Grafen Franz zu Erbach geftiftet. Der Unterricht, welcher
zunächft über Striden, Nähen und andere gewöhnliche Arbei
Dann über feinere und fünftlichere Arbeiten verbreitete , wurde
einem geräumigen, hellen, mit einem Kabinet verjehenen Arbe
faale, und zwar den legten Wochentag ausgenommen, täglich
Nachmittags 1 Uhr bis Abends 6 Uhr an eine bedeutende Xı
von Mädchen, Die ſich Bald auf 130 — 150 belief, unentgell
erteilt, wobei man jedoch die Kinder ärmerer Eltern, weldye
Koften der Gräftn nicht nur völlig gekleidet, fondern auch t
föftigt und in Kranfheitsfällen mit ärztlicher Hülfe verfehen wurk
*) Nach den freimüt. Iahrb. der allg. deutichen Volksſchulen B. VI, Ab—
©. 56 fi. — Bergl. außerdem 8. J. ©. 457 ff.
- *
ae, enden fr
— 75 —
ganz beſonders im Auge hatte. Der Gräfin zur Seite ſtand ein
Srauenverein zu Erbach, welcher Gaben ſpendete. Seit 1818
lamen auch beträchtliche Beifteuern des Großherzogs und der Groß:
berzogin von Heflen Hinzu. An die Spike der Anftalt wurbe
Iäterhin eine mit 300 fl. beſoldete Dberlehrerin geftellt.
Die Anftalt zu Michelftadt entftand um dieſelbe Zeit wie
die zu Erbach. Im Frühling 1817 entſchloß fih die Fürftin
Emilie, Gemahlin des Grafen Albert zu Erbach - Fürftenau, zur
Erleichterung der die ärmeren Klaffen immer nnerträglicher drücken⸗
den Not, in Michelftabt eine Arbeitöfchule für ärmere Töchter der
Stadt und des benachbarten Steinbachs zu ftiften. Ein Frauen-
verein, Der fich infolge höherer Aufforderung zur Förderung Diefes
Unternehmens bildete, wählte aus ſich felbft einen Ausfchuß von
LVieren, welcher unter der Oberleitung der Fürftin die Anftalt
einrihtete. Am 10. Auguft 1817 wurde diefelbe eröffnet. Aus den
Schulliften waren 60 arme Mädchen von 6—14 jahren zu Pflege-
töhtern der Anftalt ausgewählt, und zugleich war beflimmt wor:
den, daß Die Austretenden immer wieder Durch neue erjeßt werben
ſollten. Die Mädchen wurden geprüft und in zwei Klaffen geteilt.
Die meiften verftanden von weiblicher Handarbeit eigentlich noch
gar nichts.
Der (unentgeltliche) Unterricht beftand anfangs bauptjächlich
nur im Striden und Nähen, und wurde mit Ausnahme des erften
nd letzten MWochentages täglih von 2—6 Uhr erteilt. Der Por:
feherin, welcher zwei Lehrerinnen untergeben waren, flanden ans
ſangs auch zwei Frauen des Vereins zur Seite, welche täglich
wechſelten. Da fich indeffen dieſe Einrichtung unpraftifch erwies,
jo wurde dieſelbe fpäterhin aufgegeben.
Der erfte Fonds der Anftalt beftand in 333 fl., weldhe der
Ahnenverein zu Michelftadt zur Dispofition ftellte. Hlerzu famen
ve Spenden der gräflichen Herrfchaft und anderer Wolthäter ber
nftalt.
Begonnen wurde bie Arbeit mit Geräten und Materialien
welde fämmtlich gefchenft waren. Letztere beftanden in Garn zum
Striden und in mandherlei Zeug zu Kleidungsftüden für Mädchen.
Die Größeren und Fähigeren lernten hieran nähen, bie meiften
— 76 —
erſt ſtricken. Die Vorſteherin machte es ſich ſogleich zur Pflic
genau darauf zu ſehen, daß feine Arbeit unbrauchbar würde. 3
jedem erheblichen Fehler mufte daher die Arbeit wieder von va
begonnen werden. Diefed fchärfte jehr bald die Aufmerkſamk
und ein das Ganze befördernder Wetteifer machte fich unter I
Kindern wahrnehmbar. Auch wurden Diejenigen, welche fich du
Fleiß und Gefchidlichkeit auszeichneten, von der Fürftin und an
ren Wolthätern Der Anftalt belohnt, und zwar meiftensd dabur
daß Die erften fertigen Arbeiten gefauft und ihnen geſchenkt wı
den. Auf den augenblidlichen Bedarf war Alles berechnet.
Am erften Monat nad) der Eröffnung der Anftalt wur
eine Verfteigerung gehalten, auf welcher teil alle von den Kinde
verfertigten und noch nicht verkauften Arbeiten, teils mancher
der Anftalt zu diefem Zwecke gemachte Gefchenfe, teils enbli
mehrere Arbeiten ausgeboten wurden, welche einzelne Mitgliet
des Vereins, durch die Vorfteherin dazu aufgefordert, aus d'
Material der Anftalt, ſowol in der Schule felbft ald in der Wı
nung der Vorſteherin mit fröhlichen Eifer verfertigt hatten.
Als zu Ende des Jahres 1817 die Rechnungen abgefchloßen m
den, fand fih das urfprüngliche Kapital um 115 fl. vermel
indem e8 nunmehr 448 fl. betrug.
Erſt Furze Zeit hatte die Anftalt beftanden, al8 zu den |
den Klaffen, in welche die Pflegefinder eingeteilt waren, noch «
dritte hinzugefügt wurde, welche aus Töchtern der Beamten ı
vermögenderer Bürger beftand, deren jede täglich nicht mehr
einen Kreuzer zalte. Dieſe Klaſſe erhielt, ſowie die beiden an
ren, ihre befonderen Lehrerinnen und ihr bejonderes Arbeitszimn
Die Schülerinnen diefer Klaſſe brachten ihre Arbeiten von H«
mit und arbeiteten für fih, wogegen die Pflegefinder in den |
den anderen Klaflen dad Arbeitdmaterial von der Anftalt gelief
erhielten. Jedes diefer Ießteren Kinder hatte ein Feines Buch,
welches die von ihm vollendete Arbeit notirt wurde. Sobald :
Verdienſt fo viel betrug, daß dafür dem Finde felbft oder ſei
Angehörigen ein nötiges Kleidungsftüd, Schulbuch oder ande
Beduͤrfnis angefchafft werden Fonnte, fo war bie Vorſtehe
j
{
— 77 —
verpflichtet, Die zweckmäßigſte und billigſte Anſchaffung zu be
ſorgen.
Anfangs ſchoß Graf Albert von Erbach-Fürſtenau ein Kapi⸗
tal von 400 fl. vor, wovon die Materialien zur vollftändigen
vekleidung der 60 Pflegefinder angejchafft wurden. “Die meiften
dieſer Kleidungsftüde wurden von den Kindern in der Anſtalt
ſelbſt verfertigt, und als das erfte jahr verfloßen war, hatte
fi bereit8 jedes Kind einen vollftändigen Anzug felbft verdient.
Ehe ſich aber dafjelbe diefen Anzug ganz verdient hatte, war es
ihm nicht verftattet, fich etwas Anderes für feinen Verdienft zu
wählen.
Während der Arbeit wurden von Zeit zu Zeit pafjende
Finderjchriften vorgelefen oder es wurden lehrreich unterhaltende
und fittlichy Bildende Geſchichtchen erzätt. — So lange die Theue-
fung währte, wurde unter die armen Kinder täglich Brot verteilt.
Die unmittelbare Leitung der Anftalt wurde fpäter unter
eine Vorfteherin (mit 150 fl. Gehalt aus der Kaffe der Fürftin)
und Dberlehrerin (mit 100 fl. Gehalt) geftelt. Die Geſchaͤfte
der Vorfteherin waren: genaue Aufficht über Die ganze Anftalt
und Aufrechthaltung der beftehenden Ordnung (daher häufige Be-
luche in allen Sculzimmern), Beforgung der Beitellungen, welche
an die Arbeitsjchule eingingen, Führung der Borreöpondenz, Ans
ſchaffung und Verwaltung des Materials, Beftimmung des Preifes
einer jeden von einem Pflegefinde verfertigten Arbeit und Eintra-
gung derjelben in das Bücheldhen des Kindes, und Berichterftat-
tung über alles in der Anftalt Vorkommende an die Fürftin.
Die Oberlehrerin war täglih von Anfang bis zu Ende ber
Arbeitöftunden in der Schule, achtete darauf, daß die Unterlehre-
finnen im Unterricht und in der Behandlung der Kinder ihre
Pflicht erfülten und fand ihnen hierin bei, wenn es nötig war,
gab jedem Pflegefinde jeine Arbeit auf, wog ihm das dazu nötige
Material zu, prüfte, was fertig geworden, trug, was die Probe
befand, im eine Lifte ein, welche die Vorfteherin zu Ende jeder
Woche erhielt und führte diejenigen Kinder, welche ſich etwas
verdient hatten, Samſtags zu der Fürftin, welche den Kindern
Ihre Saden außteilte.
— 78 —
Das Local der Anſtalt enthielt 4 zuſammenhaͤngende u
gefunde Zimmer (nemlich eins für jede der 3 Klaſſen und ei
für die Oberlehrerin) und ein dte8 kleineres zur Aufbewahrı
der Vorräte von Arbeit3materialien. In den Schulzgimmern war
Schränke angebradt, in denen nicht nur die Arbeitsmufl
aufbewahrt wurden, fondern ſich auch für jedes Pflegefind ein :
deſſen Namen bezeichnete bejonderes Gefach zur Anfbewahrı
bed Materiald zu den noch nicht ganz beendigten Arbeiten befa
| Die Hausmiete fowie eine Quantität Holz und Victual
zur Bejoldung der Lehrerinnen zalte und lieferte der Graf. 9
Neft der Befoldungen und andern Ausgaben wurden teild \
ben jährlichen Beiträgen des Vereins, teild von dem Xehrge
der Kinder in der zuleßt errichteten Klaffe, teild aus zufällig e
laufenden Geſchenken beftritten.
Sm Jahre 1820 wurde für 720 fl. Arbeit fertig. 2
Vorräte in der Kafje betrugen mit den Vorräten an Arbeitämai
rialien und an fertigen Arbeiten 1,680 fl. 28 fr., die Sum
fämmtliher Ausgaben 1,089 fl.; ‚der Anftalt verblieb mithin t
Aktivrezeß von 591 fl. 21 Er. (63 fl. 59 Er. mehr als im Jal
1819).
Alljaͤhrlich teilte Die edle Fürftin im Januar unter die Sd
lerinnen der zalenden Klaffe 12 Prämien aus, welche bald
kleinem Schmude, bald in wnüßlichen Büchern beftanden. Seh
Pflegefinde der beiden anderen Klaſſen ſchenkte dieſelbe bei fei
Gonfirmation Zeug zu einem nötigen Kleidungsſtück. Außert
gab fie jaͤhrlich ſaͤmmtlichen Schülerinnen der Anftalt im Schl
garten zu Fürftenau oder anderswo im Freien ein Feft, auf v
ches ſich Alle ſchon im Voraus zu freuen pflegten.
Der Segen diefer wolthätigen Anftalt machte fich jehr 6
fühlbar. Die Güte und der Billige Preid der verfertigten Arbe
verjchafften denjelben jchnellen Abfab und es gingen mehr Bel
lungen ein, ald angenommen werden fonnten. Die Qumpen
armen Kinder verwandelten ſich in reinlicye, ordentliche Kleidu
ungeachtet des Drudes der Zeit. Die Pflegekinder der Arbe
ſchule wurden vorzugsweife in Dienft gefucht, teild weil fie
ſchickter und fleißiger arbeiteten, teild weil nügliche Beſchaͤftigi
fe vor mandherlei Untugenden bewahrt batten, zu welche ber
Mipiggang jo leicht verleitet.
V.
Das ſäcularifirte Kurfürſtentum Mainz und
Fürftentum Worms,
Von Alters her waren in allen Gemeinden ded Mainzer
Yandes fowie in dem jeit 1663 mit Kurmainz vereinigten Bistum
Worms kirchliche Katechifationen üblich, Die der Ortöpfarrer oder
(namentlich auf den Filialen) der Kapları veranftaltete. Nach ber
unter dem 18. Septbr. 1669 publizirten kurmainziſchen Kirchen:
ordnung jollten diefelben an jedem Sonntag Nachmittags um ein
Uhr in der Kirche, während des Winters auch wol in der Schul:
Rube oder auf dem Nathaufe gehalten werden. Außer den Kin-
dern jollte auch „alles junge Gefinde, fo noch unter 24 Sahren
begriffen iſt, (jedoch daß Diefe legteren gleichwol nicht eben wie
die feinen Kinder egaminirt werben, fondern allein zuhören follen,)*
bei diefen SKatechifationen erfcheinen. — Daneben wurde auch auf
Neißigen Befuch der Schulen gebrungen; eine Verordnung vom
12. Novbr. 1682 erflärte alle Kinder vom 6.— 12. Jahre für
ſchulpflichtig. Aber da, wo Volksſchulen wirklich beftanden, wur-
ben biefelben nur im Winter, und auch dann nur ganz ordnungs⸗
los gehalten und beſucht. In den Landſtaͤdten und größeren Ort⸗
ſchaften des Landes (Hohheim, Bensheim, Heppenheim, Aſchaffen⸗
burg) beſtanden Bürgerſchulen, an denen ſog. Schulrectoren an⸗
stellt waren. Hier hatte man die Geſchlechter in der Weiſe
beſondert ‚ daß der Schulrector die Knaben, der Glöckner die
Maͤd chen unterrichtete. Im Jahre 1752 wurde dieſe Abſonderung
auch für Dieburg angeordnet, indem dem Generalvicariat darüber
berichtet war, daß Dafelbit „in der Gloͤcknerſchule zwifchen Kindern
beid erlei Geſchlechts ſolche scandala vorgegangen, welche man von
erwachſenen Zwanzigjährigen nicht hätte befürchten können.“
— 80 —
Aber erſt i. J. 1758 ſchritt die kurfürſtliche Regierung geg
das in den Volksſchulen auch in andrer Hinſicht grajfirende U
wefen eruftlih ein. Kurf. Johann Friedrih Karl (Gr
von Dftein) publizirte unter dem 12. Auguft 1758 eine Ve
ordnung, in weldher er befahl: „1) Es follen alle unfre Pfarr
und Seelforger ihres Drtes, nicht allein Die fleißige Haltung E
hriftlichen Lehre auf die beſtimmten Tage fidy angelegen fein laß⸗
fondern au alle Monate in einer Predigt die Eltern
gebürender Beobachtung der Zucht, ſodann die Kinder zur Gotte
furcht, chriftlichen Lehre und Gehorſam, mithin beide zur Ob
genheit unfehlbar anweijen. 2) Nächſtdem, daß die Eltern ım
Kinder fothanen Predigten fleißig beizumohnen, jo follen auch
Handwerfömeifter ihre Lehrjungen dazu anhalten und von d
Mutwillen und fträflichen Beginnen auf den Straßen beßer <
bisher geſchehn, bei Vermeidung herrjchaftlicher Beſtrafung abh
ten. — 3) Unfere Beamten werden hiermit angewiefen, daß
an ung alljährlicd, in dem Januar eine genaue Lifte der in jed
Amtsorte befindlichen Zugend vom 7. bis 13. Sabre, wobei ]
Kinder der Schultheißen und Gerichtöperfonen nicht ausgenomm«
ingleichen die von unjern Pfarrern alle Duartale erhalten
Verzeichniſſe der ohne erhebliche Urſache nicht in die Schule u
gebürende Lehre gegangenen Kinder nebft den Namen berjelb
Eltern anber einzufchiden hatten, wo dann Die vermögenden Elte
wegen ihrer Saumjeligfeit mit einer proportionirten Geldftr:
belegt werden, Die unvermögenden aber mit Frohnden oder Thur
ftrafe abbüßen jollen. — Und da 4) viele Bürger und Eingeſeß
ihre Kinder mehrenteild nur Winterd Zeit in die Schule ſchick
die übrige Jahreszeit aber blos allein zu allerhand Arbeit an
halten pflegen, mithin was fie den Winter in der Schule erler
die übrige Jahreszeit hindurch wieder vergeßen, als follen ing Kü
tige die Eltern und Vormünder die Kinder und zwar vom 7.
13. Jahre ausjchließlih der Samftage und an jedem Orte E
kömmlicher Erndte- oder Herbftzeit in die Schule ſchicken, ı
jollen die ſolches unterlaßenden Eltern mit 2 Thaler Strafe bei
und demnad zu Bezalung des Schulgeldes mitangehalten wert
— Wo aber 5) bei den Schulmeiftern in Haltung der Schu
_ 8 —
eine Saumjeligkeit oder fonft erheblicher Anftand in Befolgung
unfrer gnaͤdigſten Willensmeinung fi äußern follte, ein folches
hätten Schultheißen und Gerichte bei jedem Amte fchriftlich zu.
weiterer Berichterftattung anzuzeigen.”
Indeſſen hatte doch auch Diele Maßnahme nur jehr geringen,
Erfolg, indem fie faft nirgends beobachtet wurde. Aber ſchon
war die Zeit gefommen, wo ed mit dem Volksſchulweſen in Moin
und Worms beßer werden follte.
Der Kurfürſt Emmerich Joſeph (von Breitenbad) «Bur-
tesheim) (1763 — 1774) war ed, der im Kurfürftentum Mainz
das Schulwefen, und insbefondre das Volksfchulwefen aus feinen
Todesbanden erlöfte und ihm mit einem ganz neuen Geiſte auch
einen neuen Xeib verlich. Natürlich ging auch hier, wie in allen
fatholiichen Landen die eigentliche Anregung von dem Geifte des
| Iofephinismus und von Felbiger auß*). Emmerich Joſeph bes
gann feine Reformen mit der Grrichtung einer „ſum Schul:
weien verordneten Commiſſion“, welde aus einem Präfl-
| denten und vier Commiſſarien beftand, und einer Schullehrer-
bildungsanſtalt“, welde am 1. Mai 1771 eröffnet wurde.
J Die Ieptere führte die Bezeihung „Kurf. Mainziihe Schulleh:
T kerakademie.“ Die Beftimmung der Schullehrer-Academie war,
daß in ihr „alle künftigen Stadt: und Landſchullehrer ſelbſt jene
Ehren empfangen follen, welche fie nachhin der ihnen anzuver⸗
trauenden Jugend nach jener auf die Seelenfräfte be-
gründeten, fanften und deutlihen Methode mitzuteilen
aben, welche den vorzüglichften aber auch ſchwerſten Gegenſtand
ieſer Academie ausmadıt, und diefelbe von allen anderen,
Oben und niederen Schuldisciplinen wefentlid uns.
terſcheidet.“ Die gröfte Schwierigkeit, welche man bei der
inrichtung der Schullehrer-Academie überwinden mufte, war nur
— —
”) Ueber die Reorganifation des kurmainziſchen Schulmefend unter Emmerich
oſeph iſt zu vergleihen:“ „Sammlung aller Schriften der verbeßerten öffentlichen
Ulen in den kurmainziſchen Landen - - unter der Megierung Emmerich Doſephs.
toctholm 1776.”
pe, Bolloſchulweſen, 2 6
— 82 —
türlich die Auftizität der „acabemiichen Bandidaten”, wie man fı
Die Schulamtsafpiranten nannte. Der Unterriht follte nad a
bemifchem Stil in der Form von Vorlefungen erteilt werden; m
mufte e8 daher darauf anfommen laßen, wie viel Die neuen A
bemifer faßen konnten. Die Religionslehre wurde Montags, M
wochs und Freitags von 9—10 Uhr Morgens und die Sittenle
wurde. Dienftagd und Donnerflagd um biefelbe Zeit von d
Piarrer des St. Rochushospitald in dem Pfarrhaufe befiell
vorgetragen. Ein Regierungs-Ingroſſiſt unterrichtete täglich (R
Donnerflag aufgenommen) Morgens von 8—9 Uhr im acader
Shen Saale im Schönfchreiben. Ein Oberftlieutenant trug
jeiner- Wohnung täglid von 10 — 12 Uhr die mathematifch
Wißenfchaften vor. Im Ghoral- Spiel und Gefang unterridhte
ein anderer Lehrer im academifchen Saale täglih von 3—4 Uhr
Der Director der Academie endlich, welcher täglich ebenbafelb|
von 4— 7 Uhr feine Vorträge hielt, teilte die ihm zugewiefene
Unterrichtögegenftände fo ein, daß er im Laufe eines academiſcher
Jahres Die Uebungen im Anfertigen ſchriftlicher Auffäp
und die „Eritifhen Anmerfungen” über diefelben jowie de
Unterrigt in der Weltgejhichte das ganze Jahr bindurd
fortfepte, dagegen der „Rejfetunft“, ven „Örundfägen dei
Mutterfprache”, 4 Monate, der Natur- und Kunſtge
Thihte 2 Monate, der Naturlehre und der Theori
bes Feldbaues 2 Monate widmete, und fi mit Erläutt
zung der Lehrer-Zuftruction und mit Methodik 4 Monate beihd
tigte — Zur Uebung eines methodifchen Lefeunterrichtes wur!
gebraucht „Entwurf der Kunft zu Leſen zum vorbereitenden Unte
richte der Lehrer der Lejefchulen in den kurmainziſchen Land
nebft dazu gehörigen 6 fyftematifchen Tabellen auf höchiten Befe
herausgegeben von ber furmainz. Schullehreracademie. 1772.
Nachdem fo für Heranbildung brauchbarer „acabemijck
Lehrer” geforgt war, jchritten der Kurfürft und die Schulcomm
fion zur Reorganifation der Schulen und zwar zunädft der Sch
len in ber Refidenzftabt vor. Man bejchloß vor Allem in da
Schulweſen Spftem und Zufammenhang zu bringen, und zwar ß
daß man drei Klafien von Lehranftalten unterfchied, nemlich
|
|
|
i
f
— 83 —
Trivial- und Realſchulen, die aus den bisherigen Parochialſchulen,
2) Wittelſchulen, die aus ben bisherigen lateiniſchen Schulen ge-
bildet wurden und 3) die hohe Schule oder Die Univerfität. ‘Der
„Entwurf, nad welchem die Trivial- und Realſchulen in ben
Biarreien der Kurf. Reſidenzſtadt Mainz werben eingerichtet wer
den“, erfchien unter dem 17. April 1773. Der Organifationd-
plan, den die Schulcommiſſion entworfen hatte, wurde hierin voll-
Rändig dargelegt. ES wird zunächft auf die bisherigen Gebrechen
des Schulweſens hingewieſen: „eine zu große Zal der Schulkinder;
zu wenige und noch zugleich mit der Kirche befchäftigte, Dabei
meiftens unbeſoldete Schulmeifter; der Mangel einer Achten Me-
thode; Die unbeftimmte Wal der Gegenftändbe, welche gelehrt wer:
den ſollten; der Mangel an Schulbüchern; das Ausbleiben ber
Schüler, der Abgang einer mit Nachdruck zu vollziehenden Schul:
ordnung u. ſ. w.“ — Die Schule hat den Zwed „rehtihaf
fene Chriſten und braudbare Bürger“ zu erziehen; fie
dat alfo einen zweifachen Zwei. Bisher wurde in den Pfarrei-
Schulen nur Religion, Leſen und Schreiben gelehrt, und zwar
nur jehr mangelhaft, jehr oft ohne die mindefte Wirkung. Allein
außer den genannten Gegenftänden müfen Kinder, welche fich
einem bürgerlichen Berufe widmen, in den Schulen auch anderes
lernen, wofür Bisher gar nicht geforgt war; d. 5. es find Real⸗
Idulen nötig, „worin alle Knaben, welche nicht Qandlente wer-
den follen, vom 8. bis zum 14. Jahre zu jeber künftigen Leben®-
beftimmung vorbereitet werben. Ohne dergleihen Pflanzſchu—⸗
len brauchbarer und zum Erwerbe eigner Olüd-
ſeligkeit faͤhiger Bürger bleibt es immer ſchwer, ſich
einen woleingerichteten Staat auch nur in Gedanken vorzubilden.”
dede Bürgerſchule muß alſo eine Trivial- und wenigſtens
Ane Realklaffe nmfaßen. In jene gehen die Schüler vom
bi8 zum 8., in Diefe vom 8. bis zum 14. Jahre. „Ale
aben empfangen den ununterbrochenen Unterricht in der drift-
eHolifchen Religion (2 Tage wöchentlich) und in der Sittenlehre
Tage wöchentlih). Die Trivialfchüler werden insbe
ſon dere im Leſen und Schreiben, und dann die Realſchüler
mer im Rechtſchreiben der deutſchen Sprache, im Briefichreiken,
&*
— 84 —
im Verfaßen anderer kleiner, deutſcher Aufſätze, im Rechnen, i
den Kenntniſſen des Weſentlichſten und Brauchbarſten aus Ze
Naturlehre, aus der Natur und Kunftgefhichte, aus der Me———
kunſt, Mechanik und Baufunft, in den praftifchen Begriffen eiı mer
guten Stabtwirtfchaft und des bürgerlichen Gewerbes und endl 6
in den Hauptteilen der Weltgefchichte und in jener des Vaterlummmn:
des unterwieſen.“
Unerläßlie Bedingung eines gebeihlihen Schulwefens f
die Trennung des niederen Kirchendienfted vom Schuldienſte. Du
allen Pfarreien wird daher ein befonderer Tiener angenomm—En,
„der dem Pfarrer in den erforderlichen Verrichtungen zu Gebote
fteht, den Glodendienft beforgt und fid) nur mit diefem befchäfti ei,
mit der Schule und dem Unterrichte aber gar feine Verbindiue 19
bat.” „Eine jede Knabenſchule wird mit fo vielen in der fm =.
Schullehrer-Akademie — gefähigten Lehrern beftellt, — daß a uf
100 Kinder Ein Lehrer angeordnet wird. Gin jeder Leh art
wird einen Tag wie den andern (die Sonntage und die nicht > er
legten Feiertage allein ausgenommen,) ſechs Stunden b Wr
durch Schule halten, und ein jedes Kind wird einen tä 2°
lihen Unterrihtvon zwei Stunden empfangen, am m%
jchließlich der Zeit, welde täglih zur andächtigen Anhörung Eet
heil. Meſſe in der Pfarrkirche und zu den in der Schule zu v El
fertigenden Aufgaben und ftillen Uebungen noch außer den geba =,
ten zwei Stunden erforberli ifl. Der Lehrer teilt alfo die (ESM
anvertrauten 100 Kinder in drei Gefellfhaften, je de
von etlichen und dreißig Köpfen, und hat niemals mehr als dieſ —an
dritten Teil zugleich unter jeiner Aufjiht und mündlichen Bele— Y
rung. Kine jede diefer drei Geſellſchaften wird ſodann wieber i
eine Unterabteilung von 3 Klaffen, jede von ungefii®
8, 10 bis 12 Köpfen nad) der Gleichheit ihres Alters und de
bereits hinreichend gefaften Unterrichts getrennt.” — Die Leh——
weife, wonach unterrichtet wird, ift „in fol einer natürlide—
Ordnung auf die Kräfte des menfchlichen Verftandes gegründe—
nach welcher ein jeder weſentliche Lehrgrund dem Lernenden je
in die Sinne fällt, und jede Kenntnid durch den unme
licdyen Uebergang vom Leihten zum Schweren gleihfam wi
— 85 —
durch ergetzende Selbſterfindung von dem Schüler
erworben, und endlich der Zuſammenhang jeder Sache
bon Grund zu Grund, von Folge zu Folge von ihm felbft
überfehen,, erkannt und in allen Zeilen beutlih begriffen
wird.“
Schulpflichtig ſind alle Knaben vom 5. bis zum Ende des
13. Lebensjahres. Die Stufenfolge des Unterrichts iſt dieſe:
„Die Schüler lernen vom 5. — 6. Jahre den Katechismus und
die altteſtamentliche Geſchichte, die Buchſtaben, das Buchſtabiren,
beides anfaͤnglich an der ſchwarzen Tafel, nachher aus dem ge⸗
ſtochenen Täfelchen und aus dem ABCbuche; vom 6.— 7. Jahre
den Katehismus wie oben, das Lejen aus dem ABCbuche und
aus dem Katechismus nebft den Tabellen über die Kunſt zu lefen;
vom 7. — 8. Jahre den Katechismus wie oben, ſetzen die Lejefunft
fort, fangen das Schönfchreiben an; vom 8.— 9. Jahre. den Ka⸗
techismus und die Tehre des neuen Teftaments, die Natur» und
Kunftgefchichte; vom 9. — 10. Jahre den Katechismus wie oben,
Rechnen, Fortfegung der Natur: und Kunſtgeſchichte; vom 10. bis
11. Jahre Katechismus wie oben, fortgefeßtes Nechnen, Natur
lehre, Zeichnen; vom 11. bis 12, Jahre Katechismus und Eitten-
Iehre, Geometrie und Mechanik, die Regeln der deutſchen Sprache
und den Anfang in Verfaßung Eleiner jchriftlicher deutſcher Aufjäge
mit Anwendung der erlernten Sprachgründe. Fortfegung im Zeich⸗
nen; vom 12. — 13. Jahre Katechismus und Eittenlehre, Unter
richt in den Gründen der Stadtwirtſchaft und der Handlung,
“ Sortfeßung der Uebungen in deutfchen Aufſätzen; vom 13. — 14.
Sabre Katechismus und Eittenlehre, fortgefeßte Uebung im Brief
ſchreiben und anderen ſchriftlichen Auffägen, Die Hauptmerkwürdig⸗
teiten der Vaterlandsgeſchichte, verbunden mit der vaterländifchen
Geographie, einen ſynchroniſtiſchen Inbegriff der allgemeinen geift-
lichen und weltlichen Geſchichte ·“·
Die Heckenſchulen und das Treiben der Stundens
Täceptoren, weldhe zu den Kindern in die Häufer kommen,
(Winfelprägeptoren) hören von jetzt an auf. —
Der neue Schulplan wurde zuerſt mit der Parochialfchule
a St. Duintin in Mainz zur Ausführung gebracht ‚, indem Dies
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ſelbe im Mai 1773 in eine „Trivial⸗ und Real:Pfarrfchule” um
gewandelt und als Vorbild für Die übrigen demnädft neu einz-
richtenden Pfarrſchulen organifirt ward. Balreiche Beſuche, well
die Anftalt erhielt, bewieſen Die außerordentliche Aufmerkjamfe-
welche die neue Schuleinrichtung erregte. Natürlich Fonnte M
Eröffnung der Schule nicht fofort Der ganze Schulplan auf dm
felbe zur Anwendung gebracht werden. Im erſten Schuljail
war „nur der Triviallehrer vermögend, mit einem Teile feimm
Schuljugend das Stufenmäßige der vorgefchriebenen Methode z
Anwendung zu bringen; den Reallehrern der 2. und 8. Kl
aber blieb nichts anderes übrig, als mit jeber ihrer Klaſſen gr
bei jenen Gegenfländen anzufangen, für welche ihr angewiejen
Fach nach den Lehrftufen des Entwurfes beftimmt war." $
Kunſtgeſchichte, Naturlehre, daS Zeichnen, die Geometrie und BI
hanif, die Stabtwirtihaft, Handlung und die vaterländifche S
jchichte blieben vorläufig ganz unberüdfichtigt. In welchen I3«
bältnis die drei Klaſſen namentlih in Betreff der Erteilung T
Religiondunterrichted zu einander ftanden, erhellt aus folgnD
Prüfungsjägen, welde im Programm der erften Prüfung i.
1774 aufgeftelt waren. „Prüfungsſätze der Trivim
[hüler I Die Glaubenslehre. Während des Prüfungs
Ichäftes werben bie nachftehenden Puncte durch mweitläufigere E3
widlung im Fragen aufgelöft und von den Schülern beantwor
werben: 1) Was die Beftimmung des Fatholifchen Ehriften ww!
defien wahre Kennzeichen feien; 2) was einem Ghriften zur Sei
feit zu wißen notwendig ift, und wovon er fich alfo die vorzi®
lichſten Kenntniffe zu erwerben hat; 3) worin die Beftimmu 2
bes Dafeind und der Gigenfchaften Gottes und 4) dad Wert d
göttlichen Grlöfung des Menfchen beftehn; 5) worauf fih de
Weſen und die Wirkungen der drei göttlichen QTugenden gründer
6) was und wie vielfadh die Sünde fei; 7) worin die vier legte
Dinge des Menſchen beftehn; 8) was die Beichte fei und was z
ihrer Gültigkeit erfordert werde.” — „Brüfungsfägede
erfien Realflaffe. L Glaubenslehre: 1) Was die Religios
überhaupt und bie wahre insbefondere fei; 2) worin der Urfprunz
ber verichiebnen Religionen beftehe, 3) wer ein Fatholifcher Chrif
fl; was dieſer als Chriſt glauben und wißen muͤße; 4) was
Glauben überhaupt und der wahre Glaube insbeſondere fei; 5)
wie die 12 Artikel des apoftol. Glaubensbekenntniſſes zu erklären,
und jeder insbefondre durch kurze Geſchichten aus dem alten und
neuen Bunde zu beleuchten fei; 6) was Hoffen überhaupt und Die
Zugenb der Hoffnung insbefondre, und was überhaupt eine Tus
gend ſei; 7) was die Hoffnung für Grade Babe und was ein
Chriſt hoffen fol; worin überhaupt das Gebet beftehe, und in
was für verjchiebne Arten es fich teile; 9) welches der Inhalt
bes Gchetes bes Herrn und feiner 7 Bitten jei; auch worin bie
Teile des engliichen Grußes beftehen; 10) was noch von andern
in der Kirche üblichen Gebeten zu merken fei; 11) was bie Tu:
gend der Liebe fei, wen und wie ein Chriſt lieben fol; 12) von
ben 10 Geboten überhaupt und dem erflen insbefondre.“ — Noch
mehr erweitert waren die Prüfungsfäbe ber legten
Realklaſſe. „L Glaubenslehre: 1) was die Religion über
haupt fei; 2) wie viele Hauptreligionen es gebe; 3) weldye unter
dieſen die wahre fei; 4) worin Die Kennzeichen, Beweife und Be
Rätigung derjelben beftehen,; 5) was einem Tatholifchen Ghriften
su wißen notwendig, geboten und nützlich fei; 6) was
Der Glaube und was man zu glauben ſchuldig fei; 7) worauf ſich
Der Glaube gründe, und ob man nicht auch nebft der heil. Schrift
Die Tradition annehmen müße; 8) was unter dem Namen Kirche
Derftanden werbe; ob dieſe Gewalt habe, Gebote zu geben und
oB man diefelben zu halten verbunden fei” u. ſ. w.
. Unter den Lehrbühern, weldye in der neuen Schule einge
führt waren, befanden ſich viele von proteftantifchen Verfaßern,
3- B. von Gellert, Rabener, Gottſched.
Nachdem die erfte Trivia und Realpfarrichule in der Reſi⸗
ben; errichtet war, wurbe fofort auch zur Reorganijation ber Land⸗
ſchulen vorgefchritten. |
Zu diefem Behufe wurde von der Schulcommilfion mit Bes
Rußung der Schriften Felbigers eine „allgemeine Ins
Taction für die dffentlihen Lehrer der Trivials,
e al- und Mittelfhulen in den kurmainziſchen
© a den“ ausgearbeitet und unter bem 9. October 1773 publi⸗
— 8 —
eirt. Diefelbe zerfällt in 2 Abfchnitte, deren erfterer von den be
fondern Eigenfchaften eines Lehrers, der andre von ber Lehrme
thode handelt. Für den Lehrer werben die igenjchaften der
Frömmigkeit, Geduld, Liebe zu feinen Schülern, der Froͤhlichkei
des Gemütes, des Fleißes und der Genügſamkeit gefordert. Die
Methode wurde auf den Satz gegründet, „baß die Seele ih
meiften Gebanfen und Die daraus entfpringenden Begriffe durch
das Mittel der Sinne empfängt, hierdurch die Einbildungstkreft
belebt und das Gedächtnis ohne Zwang bereichert.” Jede Er
fenntnis iſt ‚entweder anfchaulich oder figürlih. Figürlich iſt bie
Erkenntnis, „wenn man fich die Sache nicht ſelbſt, ſondern durd 4
Beiden vorſtellt.“ „Unter die LBeichen gehören vorzüglich bie |
Wörter. Sorgfältig muß aber verhütet werden, daß man die
Mörter, dieſe Zeichen, nicht für die Sache felbft nehme, und alle
leere Wörter ftatt wirkliche Begriffe fammle.” Der Verftand if
das Vermögen, fih ein Weſen und deßen Zeichen deutlich vorzw
ftellen und den völligen Begriff derfelben der Vernunft zu über:
liefern. Dur das deutliche Vorftellungsvermögen erreicht mar '
die Kenntnis der Vollkommenheit einer Sache, welche Erkenntnis
dann die Luft zum Genuße der für vollfommen erfannten Sade, |
erregt. Die Deutlichfeit muß alſo vorzüglich in jeder Worftellung
berrichen, und das Weſen, welches dauerhaft begriffen werben joll,
nicht nur dem Verftande, fondern auch dem Auge auf bie finn
lichſte Weiſe vorftellen.. Dahin gehört das Ausſchreiben der Lehr:
flüde an eine ſchwarze Tafel, Die Vorlegung und Darftellung der
Kupferftihe. Ebenſo muß eine auf den äußeren Stun berechnete
Lehrart dem Gedaͤchtniſſe zu Hülfe kommen, um, wenn die körper |
lichen Zeichen des Gegenftandes dem Auge nach und nach entzogen
werden, einen bleibenden Eindrud des Geſchauten zu begründen.
Dieſes gefchieht durh die Buhftabenmethode, welde ii
Folgenden befteht: „Man jchreibt den Satz, weldyer in das Ge
daͤchtnis des Schülers eindringen fol, dergeftalt an die Tafel an,
daß (gegen die fonft unverlegliche Regel der Rechtfchreibung) jede?
Wort einen großen Anfangsbuchftaben habe, 5. B.: „Ich Blaue
An Gott Vater, Allmächtigen Schöpfer, Himmels Und Der Erde’
Diefen Sag läßt alsdann der Lehrer einigemal ablefen. SR
*
%
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ſolches geſchehen, fo loͤſcht er entweder felbft, ober (weldyes noch
vorteilhafter iſt) Täßt einen der Schüler erftend an dem Worte
Ih das ch auslöfchen, und nur bag große J unausgelöſcht ftehen.
Alddann wird der Satz abermals gelefen. Und e8 gefchieht nadh-
bin das Nämlihe mit dem folgenden Worte Glaube, wovon
Die nach dem großen & ftehenden Buchftaben ebenmäßig aufge
löfht werden. Der ganze Sa wird hierauf abermals vorgefagt,
und bei dem J Ich, und bei dem © glaube, auegeiprocdhen, als
wenn die Worte noch ganz unausgelöfcht angefchrieben ftänben.
Und auf dieſe Weife wird mit einem Worte nach dem andern
verfahren, bis am Ende nur allein die eilf Anfangsbuchftaben an:
geihrieben fiehen. Haben endlih die Schüler den ganzen Sat
über die Anfangebudyftaben mehrmals hergeſagt, fo werben aud)
Diele an der Tafel ausgelöfcht, und auf einen befonderen Bogen
zur Wiederholung aufgezeichnet, die Schliler aber ermuntert, nun-
mehr, ohne weiteres Anfchauen der angefchriebenen Zeichen, die
Sache aus dem Gedaͤchtniſſe herzufagen.” Das dritte Mittel
eines deutlichen Unterrichtes ift die Erleichterung der Beurteilungs-
kraft ober des Vermögens, den Zuſammenhang der Dinge einzu:
ſehen. Hierzu dient der Gebrauh der Tabellen d. h. der
Gebrauch von „Auffägen, dadurch man das, was Schliler lernen
ſo len, nach allen Hauptſtücken und Nebendingen, Abteilungen, Bu:
ätzen und Beftimmungen dergeftalt zufammengeordnet hat, damit
*ernende daraus nicht allein Alles, fo fie zu wißen nötig haben,
Ondern auch die Orbnung erſehen Eönnen, wie Eins auf das
ludre folgt und zuſammen verbunden iſt.“ — „Die Tabellen
»erden nun entweder mit Linien oder Klammern geteilt ober
urch bloßes Abdrücken ter Anfangswörter unterfchieden. Ein
beifpiel der erften Art ift folgende:
Einfadye laute Buchſtaben.
Sie Buch: | (ante Buchſtaben Zuſammengeſetzte laute Buchſtaben.
aben find | Einfache ftumme Budjftaben.
ſtumme Buchſtaben | 53 ſtumme Buchſtaben.
bon der zweiten Art iſt nachſtehende:
Die wahre Lehrart muß ſein
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deutlich
durch ſinnliche Vorſtellungen zum Begriffe,
durch Erleichterung des Gedaͤchtniſſes ꝛc.,
durch Erkenntnis des Zuſammenhangs der Dinge
ordentlich ꝛc,
„Der Kunſtgriff des Lehrers bei dem Tabellariſiren bef?
nun in folgenden Hauptpuncten: 1) Der Lehrer fchreibt die 2
belle nach der Buchftabenmethode auf eine große Tafel mit Kreil
an, erläutert das Angejchriebene und belebt die Aufmerkfamkei
der Schüler Durch feinen erflärenden Vortrag alfo, daß von ben
felben dentlih erfaunt und eingejehen wird, was die Tabelle und
was die Sache jelbft begreift. 2) Diefe faßen baffelbe, fo wi
andere Dinge, welche nach diefer Lehrart auswendig gelernt wer
den, in das Gedächtnis, und zwar joviel die Haupt-, Ab⸗ und Gin
teilung betrifft, noch eher, al zur Erlernung der Sache im Ein
zelnen gejchritten wird. Jedoch verfteht es fich von felbft, dah
Solches nad) der Fähigkeit der Schüler gefehehen müße. 3) Die
Schüler lernen die Tabellen, welche an ſich ſelbſt das Ganze um
faßen, immer ftüdweife, das ift, fo viel, als ihnen für jeden Zeit
punft zu wißen notwendig ift; Doch fo, daß bei der Fortſezung
der Tabellen das Vorhergehende immer wieberholt wird. 4) Der
Lehrer muß diefelben beftändig auf die in der Tabelle enthaltenen
Regeln zurüdführen, und zwar nicht allein, wenn fie dawider fe
len, fondern auch manchesmal, wenn fie richtige Begriffe zeigen."
Die Ordnung im Lehren ift die zweite Haupteigenjdaft
einer guten Methode und befteht darin, daß man erſtens imme
vom Leichteren zum Schwereren übergeht, das Kolgende auft
Vorhergehende gründet und drittens von der praktijchen Seite ar
fange und jo zur theoretiſchen führe.
Das dritte Haupterfordernid einer richtigen Lehrart iſt d
Gründlichkeit. Dieſe erhält man durch das Katedil
ten über vorgetragene Lehrfäße und dDurdy Fuge Zergliederu !
ihres Bufammenhangs.
Die vierte Haupteigenfchaft der ächten Lehrart ift das A
genehme. „Es befteht 1) in der Geſchicklichkeit, durch die Le
jelbft zu vergnügen und 2) Zeit und Mühe zu erſparen. >
q
— 91 —
Mittel hierzu find 1) daß man gleichzeitig mehrere Schüler unter⸗
richte und diefelben in angemeßene Abteilungen gruppirt, und 2)
dab man die Schüler unvermutet frage, wodurch unter denfelben
Wettelfer und Aufmerkſamkeit erwedt wird.
Indeßen ift ed nicht genug, daß der Pehrer alle dieſe Erfor-
dernifje einer richtigen Methode beobachtet; derſelbe muß ſich auch
auf jede einzelne Unterrichtöftunde forgfältig vorbereiten, damit er
bei den Schülern nicht au Anjehn verliere und er Die Aufmerkſam⸗
keit derfelben ficher feßeln könne.
Das Mittel zur Aufrehthaltung einer wahren Schulzucht
befteht in einer richtigen Beurteilung der Gemütsart, des Talentes
und der fittlichen Neigungen der Kinder. Daneben muß aber der
Sehrer vor Allem fein Anſehen feft zu begründen wißen. Die
Strafmittel find nady gewißen Abflufungen zur Anwendung zu
bringen, fo daß der Lehrer einem ftraffällig geworden Schüler
mnächft Liebreiche Ermahnungen, dann Verweiſe, hernach Wars
nungen, Drohungen, geichärfte Drohungen und erft „wenn alle
diefe Strafmittel fruchtlos erjchöpft find, koͤrperliche Züchtigung
erteilt. Iſt auch dieſes Letzte fruchtlos, jo ift zur Eutlaßung des
Shülerd vorzufchreiten.” —
Nach diefer Inſtruction wurde nun ſofort Die Reorganifation
ded Schulwefend im ganzen Lande begonnen und ununterbrochen
mit der gröften Energie betrieben. Leider farb Kurf. Emmerich
Jofeph ſchon i. J. 1774; aber was er begonnen, wurde von feie
um Nachfolger, — dem lebten Kurfürften und Grabifchof zu
Nainz — Friedrih Karl Joſeph (von Erthal) mit glei
Gem Eifer fortgefekt.
Kurf. Friedrih Karl Joſeph erkannte es richtig, Daß alle
Reorganifationen im Volksſchulweſen erfolglos bleiben müften,
wenn nicht Die äußere Lage der Schulmeifter gebebert würde.
Verichte, welche über die Gompetenzen der Lehrerftellen eingezogen
Waren, ftellten die Thatjache feft, Daß Die allzu geringe Bejoldung
ber Schulmeifter eine der Haupturfachen war, weshalb diefelben
N namentlich im Sommer um die Schulen gar nicht befümmern .
md auch im Winter irgend einen andern Erwerbszweig als ihren
eigentlichen Rebensberuf fefthalten muften. Unter dem 20. Juli 1778
— 9 —
ließ daher der Kurfürft durch die Kanzlei den Befehl
„bätten die Eurfürftlicden Beamten an jenen Orten, wı
derliche Unterhalt eines Schulmeifterd abgeht, den ur
ernftlihen Bedacht dahin zu nehmen, daß für die Sch
binreichender Unterhalt für das ganze Jahr verfchafft,
die beftthunlichften Mittel und Wege ausfindig gema«
fofort hierüber ihre gutachtlichen WVorfchläge, . befonde
gleich wie den Unterthanen auf den Filialortichaften ,
Sommer hindurch gar feine Schule haben, hierzu ebe
füglih zu helfen und wie überhaupt Die Sommerfcdhule:
lichften einzurichten fein möchten” einzufenden. — Um
von dem Erfolg diefer und früherer Anordnungen zu
beſchloß der Kurfürft zwei Sabre fpäter über den n
Beſtand aller Volksfchulen des Landes ſich genaue ur
liche Berichte vorlegen zu laßen. Unter dem 4. Nove
erließ die Kurf. Kanzlei zu Mainz an alle Keller des
Befehl, „ungefäumt ein tabellarifches Verzeichnis all
Kellerei- Ortichaften ſich befindenden Echulmeifter nebft
des Namens, Alters, Geburtsortd, Sitten und Faͤhig
halts, fodann des Präfentationg- und Beltätigungsred
Ihulmäßigen Jugend zu verfertigen und unfehlbar binn
einzufchiden, demfelben auch einen gutachtlichen Bericht
wie berjelben Gehalt allenfalls verbeßert werben Fönnte
ww.
Außerdem wendete der Kurfürft feine befondre 2
feit den Volksjchulen des Bistums Worms zu. Hie
nicht blos katholiſche, fondern auch proteftantifche Schul:
Anzal der Gemeinden reformirter Gonfeffion war; aber
len beider Gonfeffionen befanden fi) noch im traurigfte
Ueber den Zuftand des Volksſchulweſens in ben
formirten Inſpecturen des Stifted Worms berichtete d
Inſpector Duprs zu. Raumersheim am 3. Novbr. 17'
Kanzler der Regierung zu Worms Folgendes: „Die €
Meformirten werben eingeteilt in Die Sommer- und
— 93 —
ſchule. Die letzte iſt die vornehmſte; ſie dauert ein halbes
Jahr und fängt den 2. Novbr. an. Die Sommerſchule beſteht
nur aud wenigen Kindern. Die Armut der Unterthanen ift fo
groß, daß fie ihre Kinder frühzeitig zur Arbeit mit ſich ind Feld
nehmen. — Die Unterweilung in dieſen Schulen befteht darin,
daß den Kindern im Leſen, Schreiben, Singen, Rechnen und
Ghriftentum Unterricht gegeben wird. Zu dem Ende find die Kin⸗
der in gewiße Ordnungen abgeteilt, fo daß diejenigen, welche ein-
ander gleich find, allemal zujammen genommen und gelehrt werben.
Die Unartigen, oder die ihre Schuldigfeit nicht erfüllen, werden
entweder mit dem Steden gezüchtigt oder müßen zur Strafe in
der Schule fiben bleiben. Der Pfarrer bejucht alle 8 oder 14
Tage die Schule und unterjucht, ob die Kinder fleißig erfcheinen,
vie fie im Lernen zunehmen, und ob der Schulmeifter fein Amt
jehörig verwaltet. — Die Befoldung der Schullehrer ift bei ung
jar zu gering. Außer ihrem Fixo haben fie von jedem Kind für
Ne Winterſchule 30 fr., für die Sommerſchule 15 fr., und fo
ange die Kälte dauert, muß ein Kind täglidy ein Flein Stüdlein
Yolz mitbringen. So gering dieſes Geld ift, fo wenig wird es
och bezalt. Wanı das Halbjahr beendet ift, daun koſtet e8 große
Mühe, etwas von den Bauern herandzuprefien.” Daneben werben
10h folgende Mängel des Schulweſens hervorgehoben: „1) daß
ie meiften Eltern ihre Kinder nicht eher zur Schule jhiden, als
zis gegen das Chriftfeft, da eine ftrenge Kälte einfällt und feine
Arbeit im Felde gethan werben fann; und fobald im März die
Some einige warme DBlide von fi wirft, fo verlieren ſich bie
Kinder wieder ohne ihren cursum zu vollenden. 2) Es giebt
Stern, die, um das Schulgeld zu erjparen, ihre Kinder nicht zur
Schule anhalten, fondern ihnen zu Haufe felbft Unterricht geben,
der aber auch erbärmlich genug ausfällt. 3) Es giebt fo verkehrte
Stern, daß fie ihre Kinder aus der Schule laßeu, wenn ſolche
erdienter Maßen nachdrücklich gezüchtigt werden.” Das in allen
Schulen ausfchließlich gebrauchte Buchſtabir— und Leſebuch war der
deidelberger Katechismus.
Schon gegen das Ende des Jahres 1770 hatte der In⸗
*ctor Duprô auf den traurigen Zuftand ber reformirten Schulen
— 94 —
aufmerkſam gemacht und auf feinen Autrag war von ber Regie
rung zu Worms am 29. Novenber 1770 verfügt worden, „daß
die Eltern ihre Kinder vom 6. bis 13. Jahre wenigftend den
ganzen Winter hindurch in die Schule [hiden, entgegenftehenden
Fals aber dennod dem Schulmeifter die Gebühr zu entrihten
baben ſollten.“ Diefe Verordnung war in allen Pfarrkirchen ber
beiden Inſpecturen von der Kanzel herab verkündet worden, is
deßen, wie Dupr6 i. J. 1777 berichtete, „ohne ſonderliche Bir
fung. Ehe der Schuldiener die Eltern vor Amt belangt, läpe
er alles gehen, wie ed gehet. Denn die Bosheit der Landleute
ift in unfern Zeiten unglaublid hoch geftiegen.”
Dupr6 war daher von der Regierung aufgefordert worden,
fich darüber zu äußern, wie nad) feiner Anficht dem Schulweſen
aufgeholfen werden fönnte. Infolge dieſer Aufforderung legte
berfelbe der Regierung die Lineamente einer Schulorbnung det,
wobei derfelbe auf Einen Punkt aufmerffam machte, der bis do
bin noch nirgend ernft beachtet worden war, und ber body mil
dem innerften Intereſſe und mit allen Verhältnipen der Säule
im wejentlichften Zuſammenhang fand. Dupré war nemlid ber
richtigen Anficht, daß die Volksſchule, die im Leben des Volles
ihren Sproß babe und Daher vom Leben und Geifte des Volkes
getragen und genährt fein müße, nur dann gehoben werden könnt,
wenn in das Wolf felbft mehr Zucht, edlere Gefittung und ei
beßerer Sinn gebracht werde. Daher bob Dupré in feinem Be
richt über die Ausarbeitung einer Schulordnung hervor: „DA
‚viele Eltern fo faumfelig find, ihre Kinder zur Schule zu ſchicken,
und das jo geringe Schulgeld zu bezahlen, daran ift das liebe!’
liche Leben ſchuld. Wie gut wäre e8 daher, wenn den Einwohne
etlihe jehr unnötige Ausgaben abgefchnitten würden, und pa®
dadurch erjparte Geld Fönnte fünftig zu Bezalung herrſchaftlich?
Abgaben und des Schulgeldes nützlich verwendet werden. Hieh“
zaͤle ich 1) das ungebürliche Freßen und Saufen bei Kindtaufe?
Hochzeiten und Leichenbegängnißen. Ich babe einen Ueberſchl
gemadt, Daß bei dem Taufakt gegen 10 fl., bei Begräbuife®
gegen 15 fl., bei Hochzeiten öfters gegen 30 fl. verſchwend
werden. Die Obrigkeit könnte bier Hülfe fchaffen und befehless
— 16 —
daß bei einer Taufe nicht mehr als zwei Weiber erſcheinen und
‚fein Gaſtmahl gehalten werden dürfte, und ebenſo bei Hochzeiten
und Leihen. Der Mittelmann will e8 dem Reichen gleich thun
in feinem großen Schaden. Manche find jo unmäßig, daß fie fi)
kei ſolchen Anlaͤßen krank eßen oder trinken. Wäre es nicht beßer,
dab die Herrichaft dergleichen Verſchwendung einfchränfte, und
daß der Unterthan einen gejunden Leib und das Geld zu nötigen
Fällen im Sad behielte? — 2) Hierher gehören die Kirchweihen
md Jahrmärkte. Es ift unglaublid), was dabei aufgeht. Sollen
nicht Die fremden Spielleute, die Spieltifche, Die verjchwenderijchen
daftmähler verboten werben? Man könnte befehlen, daß der-
leihen Fefte nur einen QTag währten, da das Spielen, Tanzen
md Springen oft eine Woche dauert. Die Arbeit bleibt indeffen
kgen; das Geld wird durchgebracht; die Kinder beftehlen ihre
kitern, damit fie Geld haben — zum Rafen. Und wie viel Un:
uht wird dabei getrieben! — Die Einkünfte der Kammer werben
runter etwas leiden, aber der Verluft wird reichlich erjeßt. —
Der Grundſatz ift gewiß: An der Erziehung der Jugend ift dem
Ötaate alles gelegen. Aber es ift nicht genug, daß Schulen beßer
ingerichtet werben; es ift auch eine beßere Polizei nötig.
ie häusliche Kinderzucht muß aud anders werden.
Ne Kinder hören in der Schule lauter Gutes; fie fommen nach
aufe und hören nichts ald Boͤſes. Hier ift ein trunkener Vater,
T flucht und tobt, jchlägt Frau unb Kinder zufammen, taumelt
is einer Ede in die andere; wel eine üble Wirkung auf junge
emüter! Man follte das Lafter der Trunfenheit ſcharf beftrafen,
eil folches unter dem Landvolk gar zu ftarf eingerißen iſt. Seine
der follten in die Wirtshäufer gehen dürfen, um den Spiel-
sten und dem Lärmen zuzufehen. Die Wirtshäujer find hier
e Derter, wo daS Vermögen und die guten Sitten der Ein-
ohner Schiffbruch leiden. — Der Felddiebſtahl hat feit einiger
eit im Lande mehr als fonft zugenommen. Woher kommt dieſes
abeil ? Daher, daß die Leute ihr Vermögen verpraffen und in
Fmut geraten. Nun fangen fie an zu ftehlen und führen aud
re Rinder dazu an. Man dürfte nur der Ueppigleit Einhalt
en und etliche Exempel ftatuiren. Diefes Lafter würde bald
— 96 —
wieder verſchwinden. — 3) Die Ortichaften haben fchöne geme:
Einkünfte. Schultheiß und Gerichte wißen aber ſolche jo
verwalten, daß auf jeder Gemeinde noch anjehnlihe Schuld:
haften. Hier wäre viel zu verbeßern. Mean Fönnte aus der &ı
meinde jedem Schulmeifter eine Zulage geben und die Dieten beı
Schultheißen und Gerichte beßer ftreihen, Die doch meiſtens durch
die Gurgel gejagt werden. Dieſe Leute find hauptſaͤchlich Schuld
an dem Verderben. Im Saufen gehen fie andern vor. Sie
übertreien die Polizeigejege, die fie aufrecht halten follten. Für
ein Viertel Wein wird zu Beiten das befte Zeugnis ausgeferkigt,
jo fehr es der Wahrheit zuwider iſt. Unſere Polizeigefege find
vortrefflich; aber fie werden nicht beobachtet. — Schlieplich
muß ich nochmald wiederholen: Es ift nicht hinreichend,
daß die Schulen verbeßert werden; die häusliche
Erziehung und die Polizei muß mitverbunden fein.
Die ernften Vorftellungen Dupré's hatten zur Folge, dab
die von dem Kurfürſten ſchon unter dem 17. September 1711
befohlene Ausarbeitung einer Echulordnung fofort ausgeführt um
ſchon im April 1778 demſelben zur Prüfung vorgelegt wurde
Der katholiſche Kurfürft fand jedoch an der reformirten Schub
ordnung mandyerlei auszujegen. Die Autorität der bh. Schrih
überhaupt die Grundzüge der Bibliologie waren bier im Sinn
der reformirten Kirche entwidelt und außerdem war die reform ix
Volksſchule ziemlich beftimmt als ein wejentlidy dem Intereſſe D
reformirten Bekenntniſſes und Gemeindelebens dienendes Anfti$
aufgefaft. Das Concept der Schulordnung wurde daher auf W
fehl des Kurfürften zu Mainz unter dem 12. April 1778 an Z
Regierung zu Worms mit dem Beſchluß zurüd gejhidt: Remit-
tur ad regimen, und finden Se. Kurf. Gnaden den numerum
pag. 7, die ganze pag. 38 wie aud) die $$. VI. u. VII u2
mehrere die reformirte Religion betreffende Stellen dieſer Hoͤch!
jelbft Durchgejehenen veformirten Landſchulordnung anftößig, Fa
eine fürſtbiſchöfliche Landesregierung den reformirten Unterthane
öffentlich zu erlaßen nicht ſchicklich, und eine jolhe, nur Lejes
Schreiben, Rechnen und Weltfenntnijje lehren jo
lende reformirte Landſchulordnung nicht gehörig, ma
— 97 —
dem Befehl, dieſe und alle dergleichen die Religion ber Refor-
mitten auch nur von Weiten berührende Stellen und Ausdrüde
er förberfamft durch den Verfaßer daraus ausmerzen zu laßen
ud dann fie wieder zur weiteren Prüfung ad Eminentissimum
einzuſchicken.“
Inzwiſchen hatte der Kurfürſt auch dem katholiſchen Schul⸗
weſen im Hochſtiſt Worms ſeine Aufmerkſamkeit zugewendet, und
unter dem 11. Dezember 1777 der Regierung aufgegeben, ſich
gutachtlich Darüber zu Außern, „ob und wie 1) alle katholischen
Ihulmäßigen Kinder bis zum 14. Jahr im ganzen Hochſtift und
bon Ort zu Ort in Tabellen gebradht, folche dem Amt und von
da ad regimen nebft Bericht eingefchidt, und damit von Monat
u Monat mit Bemerkung des Ab- und Zuganges fünftig ftets
fortgefahren, diefem vorgängig 2) alle ſchulmaͤßig katholiſche Schuls
fngend in jedem Ort Jahr aus Jahr ein zur unaudgefepten Be-
ſuchung der Schulen unter gemeinfamer Aufſicht das Amtes, Pfar⸗
ter? und Ortsvorftandes angewiejen, wibrigenfall8 aber 3) die
Eltern für jedesmaliges Ausbleiben ihres Schulfindes mit 4 fr.
Strafe belegt, dieſe Strafgelder 4) am Ende des Monats exe-
Cutive eingetrieben, vom Ortsvorſtand berechnet, der baare Bes
trag den obigen Tabellen mit beigefügt, and Amt und von da
ad regimen eingefchidt, von hieraus aber 5) eine Kaffe zum
Schulfonds und beßeren Gehalt der gar nicht oder doch nicht hin—⸗
länglich beſoldeten katholiſchen Landſchulmeiſter, zur Anfchaffung
der nötigen Schulbücher für arme Schulkinder und ber Yahres-
Prämien der fleißigft Lernenden errichtet und endlich 6) hierüber
Mm Ende des jahres die Generalberehnung und Ausweis der
borhabenden Verwendung Eminentissimo unterthänigft vorgelegt
werden könne. Und um diefen erfprießlichen Endzweck gänzlich zu
erreichen, jo wollten Se. Kurfürftlihe Gnaden weiter gnädigft,
daß regimen auch in dieſem feinem Gutachten 7) den forderjamiten
Bedacht dahin nehmen follte, daß in allen Ortfchaften des Hoch-
Rifts wie im Winter fo im Sommer ftändige Schule gehalten
werde, über alles dieſes aber 8) und über die hierzu fehieklichen
Mittel , auch über die dem Acker- und Weinbau, dann der Land⸗
virtſchaft des Landmanues unjchäblihe Ginrichtung der Schul:
VDeype, Bolloſchulweſen, 2. | 7
— 98 —
lehreſtunden ſelbſt Sommers- und Winterszeit follte regimen sw/
dem biſchoͤflichen Vicariat ebenfals communiziren, fofort 9) ar /
biefen Schulgegenftand wie auch über alle hierzu einfchlagenden
“2
|.
-
Greigniffe in Zukunft durch Neferenten in pleno eigens referint
bi,
werden.“ |
Um das zur Ausarbeitung des befohlenen Gutachtens er rt
forderlihe Material zu gewinnen, teilte die Regierung fofort dem
GSeneralvicariat zu Wormd und den Aemtern des Hochftiftd das = 8
nötige mit, umd überzeugte fi) aus den hierauf eingehenden Be: Ka
richten der legteren, daß die beabfichtigten Anordnungen des fur Ir
fürften recht wol vollzogen werden Eönuten. Das Amt Nauhauſen ——
hatte bereits einige Schulſtrafgelder eiugezogen. Nur die Eintich⸗ [” "
tung der Sommerjchulen hatte ihre Schwierigkeiten. Um daher Es
das Intereſſe der Schule mit den Bebürfniffen der ärmeren Klaſſen = ‘
der ländlichen Bevölkerung möglihft in Einklang zu bringen, ſchlug [
die Regierung zu Worms vor, man möge aus den Schulfinder® 1 B:
drei Klaffen bilden; denn „Rinder, die ſchon im Felde mitarbeiten —*
fönnten, wären gewöhnlidy jo weit, Daß fie in die Dritte gie Fr
gehörten, und mit dieſen müfte ſich der Schulmeifter währeeed | u
ihrer Stunde allein bejhäftigen, und auf dieſe Art würden diett f* -
Kinder doc gewiß das im Winter Gelernte nicht vergeßen.“ Die 1”
ſelben könnten daber von ber Verpflichtung zum Befuche der usw 1 I
merfchulen entbunden werden, während die jüngeren Kinder, bie #1 5°
der Feldarbeit noch feine weſentlichen Dienfte leiften könnten, es? T' '
Befuche derjelben unnachfichtlich angehalten werden müften. — IB" b
Semäßheit diefed Regierungsantrags wurde hierauf von dem hs ⸗ ji
fürften eine namentlich die Beſtrafung aller Schulverfäumitt Pr
anordnende Verfügung erläßen und Außerdem wurde bem Benercaa 1
picariat die Aufftellung einer fatholifchen Schulordnung befohle 9-
Außer den mitgeteilten Anträgen legte Die Regierung F- Su
Worms zugleich das Concept eines landesherrlihen Grlaßes vn #»
mit welchem die Schulordnung für die reformirten Scyuien d
Hochſtiftes Worms publicirt werden koͤnnte. Es war dieſes = E
cept den für die katholiſchen Schulen erlapenen Beſtimmug e*
durchaus nachgebildet. Dafjelbe lautete: Den für das „ee ®
Wol der getreueften Stiftsunterthanen unermüdlich) wachenben a3 M
pe
:
N
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t
— 9 —
des Kurfürſten könne das Schulweſen als die Grundlage alles
Gluͤckes nicht entgehen. Derjelbe habe daher guädigft geruht,
beifolgende Schulortuung für Die reformirten Schulen ded Hoch—
Hits entwerfen zu laßen, welche den Inſpectoren zu dem Zwecke
zugehe, Damit dieſe dieſelbe unter fämmtlichen reformirten Schul:
meiftern circuliren und abjchreiben ließen. Zur Vollziehung ver
Schulordnung befehle der Kurfürft außerdem: daß 1) alle refor-
mirten Kinder vom Anfange des 6. bis zum Ende des 14. Jahres
die Schulen beſuchen, 2) alle foicherlei ſchulmaͤßigen Kinder von
Ort zu Ort von den Schulmeiftern in Tabellen gebracht, fofort
dem Inſpector von der fürftlichen Regierung nebft Bericht einge
Ihidt, und damit von Monat zu Monat mit Bemerkung des Ab-
und Zugangs der Kinder Fünftig ftetd fortgefahren, diefem vors
gängig 3) alle jchulmäßige reformirte Jugend in jedem Ort Jahr
ein Jahr aus zu unausgejegter Bejuchung der Schulen, und zwar
den Winter durch vom 2. November bis Oftern, alle ohne Auss
nahme, den Sommer über von Oſtern bis Michaelid aber Die
Kinder der dritten Klaſſe eine Stunde vor- und eine nachmittags,
deren Auswahl und Beitimmung dem Pfarrer und Lirchenälteften
jeden Orts überlaßen werde, unter gemeinfamer Aufjicht des Sins
ſpectors, Pfarrers und Kirchenälteften angewiefen, widrigenfalld
und wenn die Eltern auf vorgegangene liebreihe Ermahnungen
des Schulmeifterd und des Pfarrers ihre Kinder zur Schüle ge
börig nicht ſchickten, für jedesmaliged Ausbleiben ihres Schul:
iindeg mit 4 fr. Strafe belegt, dieſe Strafgelder 4) am Ende
des Monats executive eingetrieben, von ben Stirchenälteften be
technet, der baare Betrag den obigen Tabellen beigelegt, an den
Infpector und von da au fürftliche Regierung eingeſchickt, aus
denſelben aber 5) eine Stafje zum Schulfonds und beßeren Gehalt der
gar nicht oder doch nicht hinlänglich befoldeten reformirten Schul:
meifter, zur Anfchaffung der nötigen Schulbücher für arme Schuls
finder uud Sahres- Prämien für die fleißigft Lernenden errichtet
Werde. Uebrigens habe es 6) bei dem bisherigen Schulgeld zu 30 fr.
MT den Sommer au fernerhin fein Bewenden dergeftalt, Daß
ſolch es am Anfang des vierten Monats dem Schulmeifter um fo
GERD üffer bezalt werden müße, als anjonft die nicht zalenden Eltern
— 100 —
durch den einfchlagenden Beamten auf bloße Anzeige des Schu⸗
meifter8 ſogleich executive dazu angehalten werden follten.
Ter Antrag der Negierung wurde am 28. März 1778 in
Mainz genehmigt und als landesherrlicher Befehl mit der inzwiſchen
überarbeiteten und genehmigten proteftantiihen Schulordnung unter
dem 19. Juni 1778 publicirt. Dieſelbe erſchien unter dem Titel;
Schulverordnungen, wie unter Gottes Beiſtand
die Jugend der reformirten Gemeinden in dem libr
lien Fürftentum Worms in dem was zu ihrer woh
ren Ölüdjeligfeit und des Landes Wolfahrt gerev
hen möge, unterrihtet werden jollen, nad ben
befterfaunten uud leichteften Methoden auf aller
gnädigften furfürftlihen Befehl aufgeſetzt.“ Da
ganze Werk umfafte 14 Kapitel, in denen gehandelt wurde 1) von
dem Zwed der Erziehung; 2) von den Eigenjchaften und Pflichten
eines Schullehrers; 3) von der Art und Weife eines leichten und
nüglichen Schulunterricht überhaupt, wozu gehört a. eine genaue
Prüfung der eigentümlichen Jndividualität der Kinder, b. weislich
angebrachte Ermahnungen, Warnungen und Strafen, 4) von be
Einteilung und Beſchäftigung der Kinder in drei Klaſſen buch⸗
ſtabirende, ſillabirende und leſende Kinder); 5) vom nützlichen
Auswendiglernen; 6) vom Katechiſiren; 7) vom Singen und Beten,
8) vom Schreiben (a. Schönfchreiben, b. Rechtſchreiben und
c) freies Aufzeichnen eigner Gedanken); 9) vom Rechnen; 10) von
guter Zucht und Ordnung; 11) Erinnerung an die Herrn Edul
meifter,, die gewißenhafte Vollziehung dieſer Schulordnung beitet
fend; 12) von aller möglichen Uuterftüßung der Schulen und
Handhabung diefer Verordnung durd) Die Herrn Inſpectoren, Platt
berrn und DObrigfeiten jedes Orts; 13) von den öffentlichen Fri:
fungen; 14) zwei Tabellen zur leichten Erlernung der Drud— und
ES chreibebuchftaben. — Im Allgemeinen enthielt die Schulordnung
wenig Eigentümlicdyes. Die methodologiſchen Vorjchriften waren
ſo gut, als man ſie damals geben konnte. So ſollten z. B. die
gedruckten Buchſtaben den Kindern jo bekannt gemacht werden,
daß man ihnen die Entſtehung derſelben aus dem graden EM
nachwies. Die Disciplin betreffend wurden mehrere geeignete
— 101 —
hriften gegeben. Es wurde verboten, einzelne Schüler als
her über Die anderen zu beftellen, und ftraffällig gewordene
ler durch Anhängung von Gfelsbildern oder überbanpt in
t Weiſe zu beftrafen, daß fie zu einem lächerlihen Schaufpiel
en. Als Hauptziel Des Schulunterrichts war die Einpflanzung
er Gotteöfurdt in den Herzen der Kinder bezeichnet.
Von den Jnſpectoren und Beamten der reformirten Bezirke.
nun fofort zur Volziehung der neuen Verordnungen vors
itten. Namentlicy wurde die ordnungsmäßige Einrichtung der
nerjchulen verfucht, was auch meiftens gelang. Die Schul:
re wurden insbefondere angehalten, QTabellen über alle Schul⸗
mniffe anzulegen und dieſelben am Ende jedes Monats an
eamten einzufenden. Auch wurden Die von den Echulmeiftern
rften Strafgelder, fo weit e8 gehen wollte, wirklich einges
. Aber hierbei ftellten ſich der Vollzichung der Schulord:
alsbald unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Am
uni 1782 beridytete der Inſpector Dupre an die Regierung:
gröfte Mangel in Befolgung der neuen Schulordnung äußert
ı Dirmftein und Lampertheim. Die nadjläßigen Eltern find
tt und gepfändet worden, aber ohne Wirkung. In jedem
gibt ed ganz arme Unterthanen, von denen nichts heraus⸗
ht werden kann und Die nicht einmal die öffentlichen Abgaben
‚ten; bei dieſen ift die Execution vergeblid. Es gibt andre,
ıchr Vermögen Befiten, aber doch ſich mit harter Arbeit
ren müßen. Dieſe ſchicken ihre Kinder früh und fpät auf
jeld, um ein wenig Gras für ihr Vieh zu fammeln. Sie
fih pfänden, fie laßen die Pfänder unausgelöft, und wenn
len verfteigert werben, findet ſich fein Menſch ein, Der
f bietet, weil er ſich dadurd einem allgemeinen Haß bloß»
ı würde. An Lampertheim hat ed eine bejondere Bewandtnis.
Ort ift fehr lang. Im Winter, wenn es ſchneit oder regnet,
m fih die Eltern, ihre fünfjährigen Kinder den weiten Weg
: Schule zu fenden; und im Sommer [pannen viele Bauern
Sonnenaufgang ihren Wagen an, laden Frau und Kinder
f, und fahren I auch 2 Stunden hinunter in das Burger:
ind kehren erft mit dem Abend wieder zurüd, — In Dirme
— 102 —
flein, welches nad) Lampertheim der gröfte Ort ift, äu
ſich, do in minderm Maße, diefelben Hinderniffe. Hier ber
bei dem gröften Teil der Einwohner eine bittre Armut.
Leute fteden in großen Schulden. Da fehlt Brot für Die Faı
und Futterung für die Thiere. Weder Ermahnungen nody 5
hungen wollen etwas helfen.” Die Regierung wollte nichts d
weniger mit ihren Pfändungen rückſichtslos durchgreifen, rief
beffen in den armen Gemeinden einen ſolchen Jammer hervor,
Dupr& fich veranlaft ſah, dieſelbe (17. November 1782) fleh
hr zu Bitten mit feinen armen Pfarrfindern „nicht nad)
völligen Strenge des Geſetzes zu handeln, fondern der Armut
menſchlichen Unvolllommenheit etwas nachzuſehen.“ Belief
doch in den erſten 4 Jahren allein in Dirmftein das rüdftän
Sculftrafgeld auf die Summe von 130 fl.!
Es zeigte fi daher, daß das Volksſchulweſen im Bis
Worms wie im eigentlihen Mainzer Lande nur allmaͤhlich b
werben konnte. Un manchen Orten fam man den Beftrebur
der Landesregierung freudig entgegen, 3. B. im Kirchſpiel
ſteinnach. Hier hatten die zwölf Filialorte , welche teilmeife 2
Stunden von dem Pfarrdorfe entfernt waren und daher
Kinder nicht zur Kirchfpielsfchule ſchicken konnten, bisher in jı
Winter Schulhalter angenommen, welche „mit der fehlechten Baı
foft und einigeu Gulden den Winter hindurch” befolder wın
Im Sabre 1776 gab daher dad Generalvicariat den Beamte
Heppenheim auf, fid) darüber zu Außern, wie diefe Mißftänd
dem Schnlweſen jener Filialorte zu befeitigen wären, worau
Mehrzal der Ortdangehörigen fich alsbald bereit erklärte, die
Unterhaltung ftändiger Lehrer erforderlichen Laſten zu überneh
— Sn anderen Orten dagegen fanden die Beftrebungen der
gierung den beharrlichften Widerftand; fo 3. B. in ver fr
fehr Fleinen Gemeinde Oberhambach. Hier hatte die Gem
früher „nach ihrem Gutbünfen einen Sculbalter angenom
der jährlich mit 8— 10 fl. an Geld und wöcentlih von e
Haufe znm andern abwechjelnder Koft und Logis fid) begnügen |
In den Jahren 1781—1782 indefjen hatte die Gemeinte „f
unfähige Bauersbuben ald Schulhalter angeftellt, welche
“ — 108: —
Pproßirt werden konnten.“ Es wurde daher von Seiten der
Regierung ber Gemeinde aufgegeben, ihre Schulkinder entweder
ah dem allerdings fehr entlegenen Unterhambach zur Schule zu
hiden, oder zur Unterhaltung eined ordentlichen Lehrers einen
ihrlihen Gehalt von 70 fl. mit freier Wohnung zu verwilligen.
dein die Gemeinde wollte fich weder zu dem einen noch zu dem
ndern Vorſchlag verftehen.
Große Schwierigkeiten machte der Regierung die Einführung
7 allgemeinen Schulpflichtigfeit, weshalb durch ein Mainzer
egierungsausſchreiben vom 27. Detober 1780 verfügt werden
ufte, „daß bei 10 Rthlr. unnadyläßiger und dem Schulfonds
tfalener Strafe von nun an die Vorfteher aller Zünfte in den
tädten ſowol als auch auf den Lande feinen Tehrjungen eins
reiben folkten, welcher nicht mit einem fchriftlichen Entlaßungs⸗
eine von der Turfürftliden Echulfommiffion, oder mo deren
ine wären, des Ecjuldirectoriums oder des Ortöpfarrerd und
chullehrers verſehn fei und dadurch hinlänglich beweiſen könne,
8 er die für feinen künftigen Stand nötigen Kenntniffe fich eigen
macht habe.“
Als aber mit dem Ende des Jahrhundert? auch daß, Ende
8 alten Kurfürftentums herankam, war durch die energijche Wirks
mkeit der beiden legten Kurfürften wenigftend das erreicht, daß
e Schulen des biäherigen Mainzer Landes durchweg beßer eins
rihtet und daß die Echullehrer rühriger, berufstüchtiger und
ich beßer beſoldet waren als in irgend einem benachbarten Lande.
— —— — — *
vu
Die greoßherzoglich-heifiiche Provinz
Hheinhefjen. *)
Bis zum Jahre 1798 war das Laud, welches. feit 1815
Provinz Rheinheffen zum Großherzogthum Heflen gehört unter
* Da die Gefdichte der Volksſchule in diefer Provinz des Großherzogtums
Kar big zum Jahre 1815, in weldem diefelbe mit Heflen-Darmftadt vereinigt
— 14 — —
viele Herrſchaften verteilt. Den gröſten Teil deſſelben beſaß pr
pfalz; zu Kurmainz gehörte die Statt Mainz mit der Umgege s7
und Bingen. Worms, obgleid, Reichäftadt und hauptſächlich wor
Qutberanern bewohnt, war zugleich Hauptftadt eines bifchöflicgen
Fürftentums, welches aus mehreren auf der rechten und linfen
Nheinfeite gelegenen Orten beftand. Die übrigen Gemeinden dis
Landes gehörten reich3unmittelbaren Fürſten, Grafen, Freiherrn,
geiftlihen Stiftern und ritterfchaftlihen Gorporatiouen an. —
Seit 1798 bildete Rheinheſſen einen Beftandteil des franzöflichen
Departementd vom Donnerdberg, wovon i. J. 1816 der größert,
etwa 2/, umfaßende Teil mit dem Königreiche Baiern verbunden
wurde.
In den Eurpfälzifchen und in den ritterfchaftlichen Orten
befanden ſich die Volksſchulen bis zum Ablauf des 18. Jahrhun⸗
derts in dem traurigften Zuftand. Ein verhältnismäßig fehr wol
beftellte8 Schulwefen fand ſich Dagegen in den Furmänzifchen Ort:
\haften vor, wo gebildete Schullehrer, geordnete Schulen, gut
eingerichtete Schulhäufer und gut dotirte Tehrerftellen Feine Selten
beit waren.
Auch in der Faiferlihen Graffchaft Falkenftein (von der ein
Zeil mit Rheinheffen vereinigt wurde), ſah es im Ganzen mit dem
Volsſchulweſen Teidlid aus. Kaiſer Joſeph, der dieſer enfernt
liegenden Befigung feine befondere Aufmerffankeit zugewendet,
hatte eine Bildungsſchule für die Lehrer feiner Grafſchaft geftiftet,
hatte auch für zwedmäßige Ginrichtung der Echulhäufer und
für Einführung eines methodifchen Unterrichts in den Schul
gejorgt.
Unter den beftändigen Wechjeln des Kriegs und ber balt
franzöfifchen bald deutſchen Verwaltung bis 1798 muften Wi
murde, mit der Geſchichte des Heflen - Darmftädtifchen Volksſchulweſens in ’
feinem Zuſammenhaug fteht, und da mir über die erftere (abgeſehen von ei 4
mir anderweitig zugegangenen Notizen) nur Wagners „Darſtellung des gu
ſchulweſens in Rheinheſſen (in den Freimütigen Sahrbüchern der Allg. deu
Bolfsfhulen,” Jahrg. 1824, ©. 24 ff.) als Quelle vorliegt, fo teile ih
Wagners Darftelung mit einigen Abänderungen und Bufägen faſt wörtlich m
— 105 —
en in allen Beziehungen Not leiden. Die durch die Ver
ng des Landes mit Frankreich berbeigeführte Veränderung
bgabefyftems traf befonderd hart die Lehrer, indem bie
en, welche in den meiften Gemeinden einen jehr mwejentlichen
idteil der Lehrergehalte ausmachten, ohne Entjchädigung
e Schullehrer erlaßen wurden. Außerdem muften die Lehrer
anderen, beinahe eben fo bedeutenden Teil der Befoldungen,
zrundrenten, darum entbehren,, weil viele Mentpflichtige
dem Vorwand, diefe Gefälle feien feubaler Natur, deren
Hung verweigerten, und die Lehrer außer Stand waren,
r fie unerfhwinglichen Koften, welche mit der gerichtlichen
gung folder Schuldner verfuüpft waren, aufzubringen. Auch
das Heidelberger Adminiftrationg- Vermögen für Staatd-
um erflärt, wodurd die Zufchüße zu den Schulgehalten
pfälzifchen Orten von felbft verloren gingen. Die meiſten
ehrer waren daher faſt ausfchließlich auf den Bezug des an
ringen Schulgelde8 und auf die Nubnießung ihrer wenigen
äder beichräntt. Das Schulgeld ertrug jedoch, namentlich
ı Eleineren Gemeinden, fehr wenig, weil die Eltern nicht
chtet waren. Inter folchen Umftänden muften daher die
nad) andern Erwerbömitteln fuchen, was wiederum ben
il hatte, Daß diefelben hierdurch gendtigt wurden, nun ihren
dient noch mehr als fonft zu vernachlaͤßigen. — Viele
meifter wurden Steuer und ©emeindeeinnehmer , andere
ten die DBürgermeiftereifchreibereien, woburd fie mit den
ürgern häufig in gehäffige Verhältniffe verwidelt wurden.
Vom Jahre 1798 an zeigte das franzöfifche Gouvernement
Aufmerkfamfeit für das Schulmwefen, Unter dem 9. Floreal
ahres VI der Republik wurde nemlich von dem Regierungs-
ſſär Rudler zu Mainz die Errichtung von Primär: , Ben-
und Spezialfehulen in den mit Frankreich vereinigten ehemals
en Landen auf dem linken Rheinufer, weldye die Departes
vom Donneröberg, von der Saar, Rhein und Mofel, und
ver bildeten, angeordnet.
Die Primärfchulen follten in Knaben: und Mädchenfchulen
it und in denſelben follte Leſen, Sihreiben, Sittenlehre
— 106 —
und franzöfifche Sprache, aber Teine confeffionelle Religiondich,
gelehrt werden. |
Das Geſetz von 11 Floreal X. Jahres, durch weldes De;
öffentliche Unterricht in Frankreich organifirt wird, teilt die öffent:
lien Unterrichtsanftalten in 1) Primärjchulen, 2) Sefundär-
Ihulen, 3) Lyceen und Specialjchulen.
Die unter 1 und 2 angegebenen Schulen follten auf Koften
der Gemeinde, die unter 3 bezeichneten dagegen auf Koften der
Staatdcaffe errichtet werden.
Nach den näheren Beftimmungen dieſes Geſetzes werden bie
Lehrer der Primärfchulen durch die Maired und Municipalräte
gewält. Ihre Befoldung beftandb in einer Wohnung, welche die
bürgerliche Gemeinde ftelte, und in einem von den Munizipal:
räten vorzufchlagenden, der Genehmigung des Präfekten zu unter
legenden Gehalt, welchen die Eltern der Schulfinder zu bezalen
hatten. |
Das Faiferlihe Dekret vom 17. März 1808 handelt von
der Errichtung der Faiferlihen Univerfität zu Paris und deren
Beziehung zu fämmtlichen Unterrihtsanftalten Franfreichd. Durch
$. 107 wurde ber Univerfität die Verpflichtung auferlegt, bafüt
zu forgen, daß in den PBrimärfchulen gute Methoden für den
Leſe-, Schreib- und Nechnenunterricht eingeführt, und zu dieſem
Zweck Normarklaffen zur Bildung der Primärlehrer mit den %
ceen verbunden werben.
Die andern nachfolgenden Dekrete vom 11. Dez. 1808
und 4. Juni 1809 betrafen nur bie faiferliche Univerfität. In
dem Zaijerlichen Dekret vom 15. November 1811 dagegen waren
in 6. 192 binfichtlich der Primaͤrſchulen nachfolgende Beſtimmungen
gegeben: So lange durd den Kaifer die Mittel, ben Glementa”
unterricht in der ganzen Ausdehnung des Reichs zu verbeßern und
ficher zu ftellen, noch nicht beftimmt worden wären, hätten DI
Präfekten, Unterpräfeften und Maires die Aufficht über die Schul!"
zu führen und ihre Berichte über diefelben an die ihnen vord*
jeßten Behörden zu richten.
Die ‚Anftelung der Lehrer henge vom Großmeifter pe
Univerfität ab, und die Inſpektoren der Akademie hätten vorziẽs
— 107 —
lich darauf zu fehen, daß die Schullehrer ihren Unterricht nicht
über dad Leſen, Schreiben und Rechnen ausdehnten, und daß fie
die hierauf Bezug habenden Vorfchriften beobachteten. In Bes
mäßheit diefer Gefege wurde zu Mainz ein Lyceum und zu Worms
ine Sefundärjchule errichtet.
Für die Primärfchulen und den Slementarunterricht Dagegen
geſchah gar nichts. Eine Normarfchule zur Ausbildung zukünftiger
Lehrer wurde nicht errichtet. Die diefem Stande fi) widmenden
leute konnten fich daher nur notdürftig und mangelhaft für Ihren
Beruf vorbereiten.
Eben fo wenig war man darauf bedacht, die Gehalte zu
verbeßern und feft zu ftellen, woburd die Lehrer in der klaͤg⸗
lichſten Abhängigleit von den Gemeinden erhalten wurden.
Es beftand Feine Anordnung, welche die Eltern verpflichtete,
ihre Kinder die öffentliche Schule befuchen zu laßen. Der ärmere
Teil der Bewohner entzog daher in der Regel, um das Schulgeld
zu erfparen, feine Kinder dem Schulbefuh. — Diefer Zuftand
dauerte bis 1815. Die Trennung des Landes von Frankreich
durch den Friedensſchluß von 1814 führte zugleich Aenderungen
den bis zu dieſem Zeitpunkt beſtandenen Schuleinrichtungen
erbei.
Das Lyceum zu Mainz war während der Blokade von 1814
beinahe aufgelöft, weil die meiften Lehrer, geborene Franzofen, die
Stadt vor Beginn der Belagerung verlaßen und fich ind Innere
von Franfreich begeben hatten. Bald nad) dem Abzug der frans
zöͤfiſchen Truppen von Mainz wurde daſelbſt ein proviforifches
Gymnaſium errichtet; die Gehalte der Lehrer wurden auf bie
Einkünfte des ehemaligen Mainzer. Univerfitätsfonds angewieſen.
Der Generalgonverneur vom Mittelrhein, Yuftus Gruner,
nannte im Jahr 1814 ben Hofrath Jung und ben ehemaligen
Rector der Akademie von Mainz, Butenfchön, zu Inſpektoren
iber ſaͤmmtliche öffentliche UnterrichtSanftalten feines Verwaltungs:
bezirkes. In einer ſpaͤteren Verordnung wurde von dem General»
ſouverneur beftimmt, daß die Schullehrer auf dem Lande nad
M Vorschlag des Ortspfarrerd und Buͤrgermeiſters und nach vor-
ingiger Prüfung der Lehrer der Normalſchule (welche im De
— 108 —
partement vom Donneräberg jedoch nicht beftand) von ben Ce m
vernementöfommiffären ernannt, daß die Ginfammlung der Si a
gelder nicht durch den Schullehrer, fondern dur den Ort
ftand geſchehen follte und daß der Pfarrer jedes Orts ad D
natürliche Vorftand und Auffeher der Schule zu betrachten fei.
An der Stelle ded Generalgouvernements vom Mittelrhein
traten den 16. Juli 1814 für die Stadt Mainz eine dafelbit ein-
gerichtete öfterreihifche Aominiftration und für die übrigen Teile
des Departementd vom Donnerdberg und einige anderer Bezirke
des Rheind- und Moſel- und des Saardepartements eine ver
einigte öfterreichifche und baierifche Adminiftration,, welche zuerfl
ihren Sig zu Kreuznach, jpäter zu Worms hatte. Die leptere
übertfug die Aufſicht über die öffentlichen Unterrichtsanſtalten
ihres Bezirts den Inſpectoren Yung und Butenjchön und die um
mittelbare Beauffichtigung der katholiſchen Schulen den Kantond
pfarrern, die der proteftantifhen Echulen den proteſtantiſchen
Lokalfonfiftorien. Faktiſch kamen jedoch vorgenanute Verfügungen
nie vollftändig zum Vollzug. — Durch die Verorbnung der far
desabminiftration vom 9. September wurden die Lofalkonfiftorien
aufgehoben und die Verfaßung der proteftantifchen Kirche durchaus
verändert. Man errichtete zu Worms ein der Landesadmini⸗
ftration untergeorbnetes Generalfonfiftorium , welches aus drei
weltlichen und zwei geiftlichen Mitgliedern beftehen follte. An
die Stelle der Lofalconfiftorien traten geiftliche DiftriftsinfpeftoreN-
Obgleich diefe Einrichtungen feinen Beifall, fondern Widerſpruch
bei der Mehrzahl der proteſtantiſchen Geiſtlichen fanden, fo mi!’
ben fie doch aufrecht erhalten
In der Verordnung über die Organifirung der gedachten
Behörden wurde denſelben jedody durchaus feine Einwirkung auf
das Schulweſen eingeräumt, ſondern bemerkt, daß der amtlich
Einfluß des Generalconſiſtoriums auf das untere Schulweſen bis?
eine befondere Verordnung beflimmt werben folle; welde WE
ordnung jedoch nicht erlaßen worden ift.
Die vereinigten Adminiftrationen hörten auf, ald im So"
mer 1816 das. Departement vom Donnersberg, mit Ausnah #°"
bes Kreifeg Mainz und der Gantone Wormd und Pfedderäher #7
— 109 —
: Stone Baiern übergeben und die übrigen Landesteile mit
r Stadt Mainz dem Großherzogtum Heſſen einverleibt wurden.
Alsbald wurde für dieſelben zu Mainz eine Regierungs-
mmiffion für jämmtlihe Zweige der Verwaltung proviforifch
ingefegt. Als diefe Behörde im Frühjahr 1818 zu einer defini-
iven Regierung der Provinz Rheinheſſen umgeftaltet wurde, bes
ielt fie Die Amtdattributionen der Regierungscommiffion, ‘Die
!eitung des öffentlichen Unterrichts der Provinz nach den früher
wähnten gejeglihen Beflimmungen, unter der oberen Aufſicht
‚ed Minifteriumd des Innern und der Juſtiz, gehörte zu den
vefentlichiten Verwaltungszweigen dieſer Provinzialregierung.
Sn den meiften Gemeinden beftanden die Schulen nach den
verfhiedenen Religionsgenoßenfchaften getrennt. Die meiften Leb-
er waren faft nur auf den Bezug der geringen Schulgelder an»
jeiwiejen , welche nod) dazu von vielen Eltern verweigert wurden.
Außerdem hatten die Schullehrer in Natur Blodengarben und
Brot für die Beforgung des Läutens zu empfangen. Ginige
‘chrerftellen waren mit Grundbefiß dotirt. Man kann annehmen,
a8 die meiften Gehalte Faum über 100 fl. betrugen und daß
eren Bezug die Lehrer oft in Die unangenehmften Zwiftigfeiten
it den Beitragspflichtigen verwidelte. In mehreren Heinen Ge
einden beftanden brei Schulen, von denen jede ihrem Lehrer
um 60 fl. einbrachte.
Betrug die Zal der jchulfähigen Kinder einer Religionsge⸗
zenſchaft über 150, fo hatte der Lehrer derfelben ein erträg-
es Ausfommen, während der Lehrer der anderen Gonfeffion
einer Schule von 10 bis 20 Kindern und bei einer Ginnahme
T 40 fl. als Taglöhner fein Xeben notdürftig friften mufte.
Gewöhnlich bildeten in den ehemals Furpfälzifchen Orten die
formirten die Mehrzal und die Fatholifchen Schulen waren da-
° in dem jammervollften Zuftand.
Die Kirchenfonds, durch den Verluſt vieler Einkünfte in
Rn pfälziichen Orten auf geringe Almofenfonds befchränkt, in
N übrigen Gemeinden durch die Verweigerung der Grundzinfen
d unregelmäßige Verwaltung gefehwächt , reichten nicht hin, um
Ausgaben für den Gottesdienſt zu beftreiten. Die Unterhals
— 110 —
tung der firchlichen Gebäude wurde daher eine brüdende X
die bürgerlichen Gemeinden, welche fi) nun um fo fühlbarer &ı
weil während der franzöfiihen Verwaltung wenig für bie I
tung und Verbeßerung der Firchlichen Gebäude geſchah, inde
Ueberſchüße der Gemeindekaſſen in die Dienftkafle zu Paris
liefert werden muften, und deren Rüdbezug mit vielen Hinden
und Schwierigfeiten für die betheiligten Gemeinden verbunden
Die Gehalte, welche die Lehrer ald Drganiften und fi
diener zu beziehen hatten, waren daher ſehr unbedeutend, un
Ichränften ſich meiſtens auf den Ertrag der Kaſualien.
Daun wurde der Eläglicye Zuftand der meiften Schulge
bei der vorangegangenen langjährigen Vernachläßigung der
und’ der bei der außerordentlihen Zunahme der Bevölkeru
ben legten 30 Jahren beinahe verboppelten Zahl der Schul
nun um fo auffallender. Ueberhaupt war ed Ddringendes B
nis, daß viele Schulhäufer von Grund auf neu erbaut, unl
nahe alle übrigen erweitert und verbeßert wurden.
Nicht minder Eäglid war der innere Zuftand der Sd
Man beiehränfte ſich auf Den Unterricht im Lejen, Schreiben
auf memoriele Einübung des Katechismus. Diefe Gegen
wurden in ganz mechanischer Weife in der Schule getrieben,
der Stod dabei in der Regel fleißig angewandt. Das med
Rechnen, hoͤchſtens einſchließlich der Regeldetri, lehrte man gei
Ih im Winter in Abendſtunden, die bejonders bezalt w
‚muften, wodurd die Mehrzal der Kinder von der Teilnahn
dieſem Unterricht ſich ausgeſchloßen ſah.
In vielen Gemeinden war es gewöhnlidy, daß die Mi
nicht jchreiben lernten.
Eben fo wenig fand man zwedimäßige Bücher in den
len eingeführt, wodurch eine ftufenmweife Entwidlung des €
‚hätte mitgefördert werden fönnen. In den Fatholifhen S
war gemwöhnlid eine furze, notbürftige bibliſche Geſchichte,
ABCBuch und der Mainziiche Katechismus eingeführt, u
wenigen fand man eine Ueberſetzung der Evangelien vor. J
proteftantiihen Schulen jah es nicht beßer aus. Ein ABC
eine Sammlung einiger Pfalmen, der Heidelberger Kate
— 11 —
in Den reformirten, der Fleine Iutherifche in den lutheriſchen Schu:
Im, und ein böchft fehlerhaft gebrudted neues Teftament waren die
Bücher, welche in diefen Schulen gebräudhlid waren. Gewöhnlich)
mdigte die Winterfchule vor Oſtern. Während des Sommers
hörte in beinahe allen Drten der Unterricht auf, und nahm im
November erft wieder feinen Anfang.
'Der einzige Zwed des Unterrichtd ſchien in beinahe allen
Schulen der zu fein: die Kinder jahrelang mit dem Buchſtabiren
u quälen, fie dann einige jahre mit dem Lejen in den Palmen
und dem Teftament binzubalten, damit fie den Katechismus und
einige geiftliche Lieder mit Hülfe des Stodd auswendig lernen und
dann nad vorhergegangenem 6 wöchigen Konfirmandenunterricht
durch den Geiftlichen zur Konfirmation zugelaßen werden konuten.
Man darf fih nit wundern, daß bei einem folchen beinahe
ſtarr gewordenen Zuſtand der Schulen felbft talentvolle Lehrer in
dem hergebrachten Schlendrian ſich ohne Ahnung ihres wahrhaf-
ten Berufs bewegten, daß die meiften Bewohner ded Landes dad
Vebürfnid für eine wolthätige Umgeftaltung der Schulen nicht
fühlten, ja fogar einen Wiberwillen dagegen empfanden, und baß
diele Geiftliche zufrieden waren, wenn die ihren Konfirmandenuns
terricht bejuchenden Kinder fertig lefen, und den Katechismus ohne
Stoden herſagen konnten.
Ein nicht minder bedeutendes Hindernis für die Verbeßerung
der Schulen beſtand in dem gänzlichen Mangel an gut vorberei-
teten Scullandidaten. Höchſt jelten widmete fi ein mit den
erfo rderlichen Eigenſchaften begabter junger Mann diefem Beruf,
dee weder ehrende Anerkennung noch ein gegen die naͤchſten Les
ben sbedürfniſſe ſicherndes Auskommen verſprach. Gewoͤhnlich hiel—
ten fich dergleichen Leure eine Zeit lang bei einem Schullehrer als
GSe huͤlfen auf, und der ihnen erteilte Unterricht beſtand darin, daß
fie die Kinder im Leſen üben halfen, fie den Katechismus herſagen
liefen, und im Orgelfpiel notdürftige Gewandtheit ſich anzueignen
ſuchten. Lenntniſſe in den einfachſten Grundregeln der Mutter⸗
ſprache und der Rechtſchreibung, in den Aufangsgründen der Form⸗
und Zahlenlehre, des Geſangs, Bekauntſchaft mit der bibliſchen
eſchichte war beinahe allen Schulcandidaten gänzlich fremd.
— 112 —
Die heffifche Negierungscommiffion war bei dem Beglı
ihrer Verwaltung mit dem innern Zuſtand der Schulen unbefant
Sie konnte in dem erften Jahr auf diefen wichtigen GBegenftaı
wenig ihre Sorge richten, weil die mit jeder Landesveränderun
verbundenen Auseinanderfeßgungen, der Uebergang in einen ander
Buftand aus dem vorhergegangenen zunähft ihre Thätigkeit
Anfpruch nehmen mufte. In den Jahren 1817 bi 1818 w
außerdem die Regelung des während der Kriegsjahre in Unox
nung gerathenen Gemeindehaushalts, die Tilgung der Gemeint
fchulden und die Sorge für Die bei den damals hohen Frud
preißen notleidende ärmfte Claſſe der Bewohner jchreiender ızı
näber liegend als die Verbeßerung der Schulen, welche, was der
finanziellen Teil betrifft, von der Feftftellung des @emeinbehaus
halts im Wefentlichften abhängig war. Gleichwol fuchte man fid
durch eine genaue Aufnahme der Schulbejoldungen und der Schul
gebäude wenigftend über das Aeußere der Schulen die nötigen
Kenntniffe zu erwerben. Im Laufe der naͤchſten Jahre wurden
fodann alle Schulen des Landes von einem Mitglied der Regie
rung unter Buziehung der Ortsgeiftlihden und Bürgermeifter be
ſucht und über deren Zuftand, den Fleiß, die Kenntniffe der Lehrer
wurden detaillirte Beſchreibungen entworfen.
Man verſuchte die Sommerjchulen allgemein einzuführen.
Da aber eine Verordnung fehlte, wodurch die Eltern mittelft ge
ringer Geldftrafen verpflichtet werden konnten, ihre Kinder ohnt
bejondere Erlaubnis dem Beſuch der öffentlichen Schule nicht zu
entziehen, jo mufte bei dem leider zu fehr verbreiteten Stumpffim!
gegen die Verbeßerung des Unterrichts dieſe woltätige Masreg'
in vielen Gemeinden von ſchwachem Erfolg bleiben. Es lag auß
der Amtöbefugnis der Provinzialregierung eine ſolche Anorbnugs
für den Schulbeſuch zu treffen, weil dieſe nach den beftehend‘
Geſetzen von ber oberften Staatsbehörde ausgehen mufte.
Nicht minder war die Thätigfeit der Verwaltung dahin g
richtet, die Schulgebäude in beßern Stand feßen, neue, dauerhaß
Häufer in den Orten, wo die Not am gröften war, aufführen 3
laßen, die Schulbefoldungen ficher zu ftellen und fie, wo es de
Kräfte der Gemeinden irgend geftatteten, zu erhöhen, bie Raturas
— 113 —
behandteite, Brote, Glodengarben und dergleichen in Geld zu ver-
wandeln, die Echullehrer von der Erhebung ihrer Befoldungen zu
befreien, diefe den Ginnehmer zu übertragen, und den Gehalt in
monatlihen Raten an den Lehrer ausbezalen zu laßen.
Um e8 zu verhindern, daß aͤrmere Bürger die Kinder wegen
der Bezalung des für fie zu drüdenden Schulgeld8 vom Scyulbe-
ſuch zurückhielten, verfügte men, daß das Schulgeld für ſolche
: Rinder, ſo wie die für fie nötigen Bücher, Papier, Schiefertafeln
a. dgl. aus den Gemeindekaſſen angefchafft werben follten. Bu-
; gleich verfuchte es die Regierung in den weltlichen Ortsvorftänden
dadurch mehr Teilnahme für das Wohl der Schule zn erweden,
dab fie es denſelben zur Pflicht machte, die Schulen ihrer Ge⸗
meinden fleißig zu beſuchen, darauf zu ſehen, daß Ferien über die
gefepliche Vorjchrift nicht ausgedehnt und die Schulen nicht ver-
fäumt würden. Diefe Anordnung wurde von manchen @eiftlichen
leider in irriger Anficht aufgenommen , indem fie Daraus folgern
wollten, daß der Bürgermeifter zum alleinigen Auffeher der Schule
befimmt fei, während die Regierung fich Doch ftetS beftrebte, die
Beiflichen für die Schulen zu intereffiren, und diejenigen, welche
denſelben ſich mit Gifer wibmeten, möglichft hierbei unterftüßte
! und förberte.
t Der Mangel an gutgebildeten Schulcandidaten machte —
wie ſchon früher bemerkt — eine durchgreifende Verbeßerung des
Unterrichts unmöglich. Obgleich die diefem Stand fi Widmenden
bei der in Mainz errichteten Prüfungsbehörbe ſich einer Prüfung
uesgiehen muften,, jo überzeugte man fi doch bald, daß man
die Sorderungen hinfichtlich der Kenntniffe und Berufsbildung dieſer
Leute ſehr tief herabzuſtimmen habe. So konnte es auch nicht
dermieden werden, daß in den erſten Jahren manche ganz unfähige
Individuen als Lehrer angeftellt wurden.
Die fihere Ausfiht auf eine neue beßere Geftaltung der
egufen eröffnete ſich erſt Damals, als im Herbſt 1817 das Schul:
lehrerſeminar für Zöglinge evangeliſcher Confeſſion zu Friedberg
degründet wurde, und als ſpäter die früher zu Bensheim beſtandene
5 Ormaljchule für Lehrer katholiſcher Gonfeffion eine der Fried⸗
erger Anftalt analoge Einrichtung und Ausdehnung erhielt. —
Deppe, Boltsigulweien, 2. ð
| ee nn RT
— 114 —
Bugleih gewann damals die Volksſchule in Mainz ;einen
neuen, überaus fruchtbaren Boden. Es geſchah Dies infolge
außerorbentlihen Not, weldye in den Jahren 1816 — 1817
Armeren Klaffen in den Etädten drüdte.
Mit der fleigenden Theuerung aller Bebürfnifje flieg daı
die Bettelei zu Mainz zu einem fchredenerregenden Grade. ©ı
ren zerlumpter Kinder baten jeden Vorübergehenden auf der Ei
um Wlmofen, und die vermögenderen Einwohner fonnten fü
ihren Wohnungen faum bes Andrange der Bettler erwel
Wenn unter Diefen fich auch viele wahrhaft Nothleidende befan
jo war es doch eben fo gewis, daß arbeitsjchened lüberlicdyes
findel dieſen Vorwand gierig benußte, um ſich dem Müßig
um fo mehr zu überlaßen und die Mildthätigleit vermöge
Bürger um fo ftärfer in Anfprucd zu nehmen. Die Provin
regierung theilte daher dem Stadtrat) von Mainz ein Project
eine durchgreifende Verbeßerung des Armenweſens mit, wel
von dieſem mit Dank angenommen und ſofort zur Ausführ
gebracht wurde. Man ſchuf eine Centralarmencommiſſ
mit einzelnen Armenvorftänden, deren Thätigfeit darauf geric
war, ben wahrhaft hülfsbebürftigen Hausarmen beizuftehen,
die Urfachen ihrer Verarmung zu entfernen. Deshalb fanden
Arme unentgeltliche Arztlihe Hülfe und Arzneimittel, Sie wu
in Bezalung ihres Hauszinfes, bei Ankauf des Holzes und
Wintervorräte unterftüßt. Burüdgelommenen Handwerkern le
man Vorſchüße, damit fie ihr Gewerbe betreiben Efonnten. V
tätig gefinnte Frauen unterftüßten zugleich dieſe Behörden d
Beiträge an Geld, Nahrungsmitteln, Weißzeug und ihre ©
- für arme Wöchnerinnen. Allein der wefentlichfte Zwed der ga
Unternehmung war auf die beßere Erziehung der Kinder jo
armen Familien gerichtet. Daher wurde, fobald ſich die mit
Leitung des Armenweſens beauftragten MBehörden eine ge
Kenntnis von dem Zuſtand der bebürftigen Yamilien verjc
hatten, eine Knaben- und eine Mädchenfchule für die Kü
weldhe dem Müßiggang und der Bettelei am meiften fich hinge
in einem ber Statt gehörigen Gebäude eingerichtet, und d
gejorgt, daß die Kinder von Morgens 8 Uhr bis Abende 7
— 15 —
in der Schule unter Auffiht blieben. Sie erhielten ihr Morgen⸗
Brot, Mittags eine gefunde nahrhafte Suppe mit Brot, und gegen
Abend abermals Brot.
Für die Knaben wurde ein waderer junger Lehrer und für
die Mädchen eine tüchtige Grzieherin angenommen. Die woltätigen
Wirkungen dieſer Schule zeigten ſich bald auf eine fehr erfreuliche
Weile. Die Schaar von Bettellindern war durch diefe Anftalt
verihwunden. Es dauerte nicht lange, fo entwidelte ſich unter
diefen, früher fo vernachläßigten Kindern Sinn für Ordnung,
Reinlichkeit und Fleiß. Den armen Eltern widerfuhr eine große
Boltat, indem fie beinahe aller Sorge für ihre Kinder überhoben
waren. Diejenigen, weldje in ihrer häuslichen Umgebung fein
guted Beiſpiel fahen, waren den nachteiligen Wirkungen biefes
Beiipield wenig mehr ausgeſetzt. Auch bejchränkte ſich die Sorge
der Armentommiffion nicht nur auf ben Unterricht und die Ver⸗
öfigung der Kinder, ſondern umfafte zugleich ihre Bekleidung
und, nach zurüdgelegten Schuljahren, die Unterbringung der Kna⸗
ben bei braven Meiftern, die der Mädchen bei zuverläßigen Fa—
milien. Beide Schulen zählten zufammen 300 Kinder.
Ginen ſehr wichtigen Einfluß auf die Verbeßerung der Schul:
Ioffale der Dörfer übte die gegen dad Ende ded Jahres 1819
folgende Gründung eined Fonds für die Verbeßerung der Kir-
chen⸗, Pfarr: und Schulgebäude der Provinz Rheinheffen aus. Nach
dem Yon ber franzöfiichen Regierung unter dem 15. Septbr. 1807
erlaßenen Geſetz follten 10 Procent von den Einkünften des Grund⸗
vermögens der Gemeinden abgezogen werden, um hieraus einen
gemeinschaftlichen Fonds zur Unterftüßung der Gemeinden bei dem
Daun und der Unterhaltung von Kirchen und Pfarrhäufern zu
gtünden. Später, als bie Gemeindegüter im Jahr 1813 zur
Veräußerung famen, wurde verfügt, daß den Gemeinden eine dem
tinen Ertrag gleihkommende, von dem Staatdrat zu beftimmende
te aus der franzdfifhen Tilgungsfaffe bezalt werben jolle,
Worauf nad dem kaiſerlichen Decret vom November 1813, 10
Pro cent zur Bildung gedachter Renten von den Steigſchillingen
er veraͤußerten Güter in Abzug gebracht werben ſollten. Da nun
iefe gejeglichen Beſtimmungen durch keine ſpaͤtere Verordnung
8
— 16 +
aufgehoben waren, und es eine Ungerechtigkeit gegen bie ı
Bemeindevermögen befigenden Communen gewejen wäre, jie
Bezalung der 10 Procent anzuhalten, während die übrigen,
das ihrige veräußert hatten, von diefer Abgabe freigeblieben, ı
da bei dem dur die im Gefolge der politijchen Aenderung
ſehr gefchwächten Kirchen- und Gemeindevermögen Die ärme
Bcmeinden nicht im Stande waren, ihre kirchlichen und Sch
gebäude zu unterhalten, fo wurde von dem Großherzog Ludr
verordnet, daß
1) in Gemäßheit und analoger Anwendung ber bejtehen!
Bejepgebung zum Behuf der Bildung eines der Provinz Rh
heſſen ausfchließlic, eigenen allgemeinen Kirchen- und Schulfor
für die drei hriftlichen Confeſſionen von dem Erlös aller in die
Provinz feit dem Jahre 1813 bis jeßt verkauften und noch kün|
zu verfaufenden Gemeindegüter 10 Procent erhoben, und
Großh. Beneralfaße verzinslch angelegt werben;
2) daß der Betrag der auf fünf Procent feitzufegen!
Binfen aus dem hierdurch gebildeten Kapital zur Grhaltung ı
Kirchen, Pfarr» und Echulgebäuden verwendet werden;
3) daß, um diefen Fonds jo fchnell wie möglidy und ol
befondere Belaftung der dazu pflichtigen Gemeinden zu bild
der von der Regierung feftzufegende Beitrag einer jeden von |
noch nicht angewieſenen Beträgen entnommen werden jollte, wel
denjelben Gemeinden in der franzöfiichen Liquidation: Averfior
maſſe zuftändig wären; |
4) daß Diejenigen Gemeinden, welde aus vorgebachter Mi
weniger erhielten, ald der für ihre verkauften Gemeindegüter ſch
dige Beitrag zum allgemeinen Kirchen: und Schulfond ausma
den Reſt des Beitrags aus ihrem Patrimonialvermögen ein
ſchließen gehalten fein follten;
5) daß jedoch Diejenigen unter den im vorerwähnten %
fich befindenden Gemeinden, welche fein gemeinheitlicyes Vermö
mehr beſäßen und den ganzen Erlög ihrer verfauften Güter ber
zur Edyuldentilgung verwendet hätten, nicht gehalten jein fol
das Sehlende ihres Beitrags durch Umlage aufzubringen, font
daß ihnen geftattet werde, dieſen fchuldigen Reſt mit jährlich |
— 117 —
Procent zu verzinfen und den Betrag biefer jedesmal in das
Budget zu begreifenden Binfen jährlih an den Cinnehmer des
allgemeinen Kirchen- und Schulfonds abzuliefern, und daß dieſe
Binfen glei) jenen aus ber Generalfaffe ihrer Beftimmung gemäß
verwendet werben jollten;
6) Daß zu demjelben Zweck fernerhin wie bisher Diejenigen
Gemeinden, welche noch unveräußertes Grundeigentum hätten, den
zehnten Teil der davon fallenden Einkünfte an den allgemeinen
Kirchen und Schulfonds entrichten follten.
Der jo gebildete Baufonds befaß infolge Ddiefer Anordnung
gegen dad Ende 1823 ein Kapitalvermögen von nahe an 250,000 fl.
Die hiervon jährlich fallenden Zinſen brachten natürlich zur Ver:
beßerung der früher fo fehr vernachläßigten Kirchen, Pfarr- und
Schulgebäude den wefentlichften Nutzen.
Auch die im Jahr 1819 errichtete Schullehrerwittwen-
und Waifenanftalt war eine der gröften Wolthaten, welche
die Staatsregierung allen Gliedern des Lehrerftands erwies.
Nah den Statuten dieſer Auftalt *) hatte jeder Teilnehmer
bei feinem Eintritt in Diefelbe fünf vom Hundert, und an jähr-
lichen Beiträgen eins vom Hundert feiner Befoldung zu entrichten.
Betrug ter Gehalt unter 200 fl., jo war die Gemeinde verpflidh-
tet, aus ihrer Kaffe fowol die Eintrittögelder als den jährlichen
Beitrag zu leiften. '
Dem Wittwenfonds waren zugleich aus anderen Kaffen und
tinigen wolftehenden Kirchenfonds regelmäßige jährliche Zuſchüße,
und ein zu dieſem Zweck ſchon früher gebildeted Kapital von
6000 fl. überwiefen worden. Die den Wittwen und Waiſen be-
willigten Benfionen- betrugen für die der erften Klaſſe 75 fl., für
die der zweiten 50 fl. jährlid). Jeder definitiv angeftellte Schul-
lehrer war zum Gintritt in die Geſellſchaft verpflichtet. |
Von dem Herbft 1819 an, wo die erften Böglinge aus der
Friedberger Anſtalt nach zweijährigem Aufenthalt daſelbſt entlaſſen
— —
keh 5) Dieſelben finden ſich abgedruckt in dem Freim. Jahrb. der allgem. deut-
en Koltsfhulen B. I. ©. 450 ff.
— 118 —
wurden, begann Die neuefte und zugleich wichtigfte Epoche für bi:
Verbeßerung der Schulen in Rheinheffen. Es wurden damalt
fünf Zöglinge des Seminars angeftelt. Tiefelben hatten in
Anfang mit nicht geringen Vorurteilen ſchon um deswillen zı
fämpfen, weil jede Aenderung in langhergebrachtem Schlendria:
des Unterrichtd als eine gefährliche Neuerung erfcheint. Nament
li) wurde das Lefen nady der Lautirmethode, der Glementarge
fangunterriht nah Ziffern, das Bemühen der Lehrer eine rein
Sprache den Kindern anzugewöhnen und fie mit den Regeln ber
felben vertraut zu machen, in den erften Monaten, wenn nid
gradezu als Xollheit, doch immer als höchſt gefährliche Nenerun;
aufgenommen. Doch verſchwanden dieſe Vorurteile, als die Elter:
nach kurzer Zeit von den auffallenden, bis dahin in den Schule
ungewöhnlichen Fortjehritten ihrer Kinder fich überzeugen mufter
Auch wirkte der in ſolchen Schulen eingeführte mehrftimmige Ge
fang fehr gut auf die Gemeinden. Gedachte Vorurteile verjchwar
den daher fehr bald, und die Bewohner foldyer Orte, wo neu
Lehrer wirkten, wurden ftolz darauf, eine Schule nach der neue
Lehre — fo benannte man den verbeßerten Unterriht — zu br
figen.
Bei der Anftellung ber Lehrer befolgte die Regierung feitben
folgendes Verfahren: der Lehrer wurde nach vorgängiger Prüfum
provijorifch während eines Beitraumd von ein bis zwei Jahre
angeftellt. Während dieſer Zeit wurde feine Schule ein-, wo mög
lich zweimal von dem Referenten in Schulfadyen bei der Provin
zialregierung genau unterſucht. Fiel dieſe Unterfuchung zum Vor
teile des Lehrers aus, jo wurde derjelbe gegen Ablauf der Probe
zeit von der Prüfungscommilfion zu Mainz in Gegenwart de:
Referenten geprüft, wobei er zugleidh einige ihm vorher aufgege
bene pädagogifche Arbeiten liefern mufte. Dann wurde der Geift
liche und Ortsvorftand zum VBericht über die Aufführung des Leh
rers aufgefordert. Wenn dieſe ihm ein genügendes Zeugnis er
teilten, und die legte Prüfung günftig für ihn ſprach, fo erbiel
er alddann feine definitive Anftellung.
Die Unterrichtögegenftände- in Den neuen verbeßerten Schulen
waren folgende:
— 119 —
ibliſche Geſchichte des alten und neuen Teftaments nad
's Anleitung; 2) Religionslehre; 3) Katechismus; 4)
pradhlehre; 5) Formen⸗ und Zahlenlehre, Ichtere ver-
t Kopfrechnen; 6) Erbbeichreibung in allgemeinen Zügen,
uropa ausführlicher, die von Deutfchland am ausführs
) das Wiffenswürdigfte aud der Naturlehre und Natur:
8) Lautiren, Leſen, Schoͤn⸗ und NRichtigichreiben; 9)
jefanglehre, zulegt mehrftimmiger Geſang; 10) die Haupts
er vaterländifchen Geſchichte.
jyei wurde ſtets beobachtet, daß bei früher verwahrloften
ı dem erften Sabre zunächft auf Die Verbeßerung des
nen, Schreib: und Geſangunterrichts gewirkt, und bie
terrichtögegenflände mit Vorjicht allmählich eingeführt
Einfluß der jüngeren Lehrer befchräntte ſich nicht allein
ven übergebenen Schulen, fondern auch auf viele andere
ı Lehrern geführte. Wehrere derfelben fanden fid, nun
ihren jüngeren Amtsbrüdern nachzueifern. Sie bejucdhten
n derfelben, ſchloßen ſich in Freundſchaft an dieſe an,
n bei ihnen ſelbſt Unterricht in der Pädagogik.
die Gmpfänglicykeit der Gemeinden und vieler Geiſt—⸗
die Verbeßerung der Schulen nahm in den legten Jah⸗
fallender Weife zu. Manche Gemeinden Tlagten über
ten Zuſtand ihrer Schule. Sie erboten fi die unfähis
zu penfioniren und die Gehalte unter der Bedingung,
geichicdte junge Lehrer gegeben würden, zu erhöhen.
geftaltete die Stadt Alzei im Verlauf eined Jahres
lobenswürdigfte Anftrengung ihre im tiefen Verfall bes
Schulen durd bedeutende Anftrengungen von Grund
en, deren Schulen in fehr ſchlechtem Zuftand gefunden
ren, feßte man einen Termin, gewöhnlich von mindeftens
r, um ihre Schule zu beßern, zugleich gab man denſel⸗
Rittel Hierzu zu gelangen an. Erſt wenn man genau
atte, daß diefe mwolgemeinten Ratjchläge ohne Erfolg
wurde der Weg ber Strenge gegen fie cingejchlagen.
l-
— 120 —
Solche Individuen wurden ſodann nach vorhergegangener contr
dictoriſcher Unterſuchung durch einen alle Motive ausführlich en
haltenden Beſchluß von ihrem Amt entfernt. Alle Verfügung
diefer Art erhielten bei den dagegen bei dem Staatöminifteriu
eingelegten Berufungen die hoͤchſte Beſtätigung.
Einen mefentlichen Einfluß auf bie Förderung tes Schu
wefens in Rheinhefien hatte nicht minder die Verwendung der ve
den Ständen des Großherzogtumd von 1821 an jährli verm
ligten 10,000 fl. zur Verbeßerung der Landſchulen des ganz
Großherzogtum.
Der von diefer Summe der Provinz Rheinheflen zukommen
Anteil wurde zur ftändigen Verbeßerung der gering dotirten SIE
len in den Fleineren ärmeren Gemeinden, und zu Gratificatiora
für Schullehrer verwendet.
An Gratificationen waren bis 1823 über 3000 fl. w
biefer Summe ausgeteilt worden. Man folgte bei deren Verd
ung hauptfächtlicy der Anficht, den größeren Betrag derjelben D
älteren Lehrern anzuweiſen, welche fich durch vorzüglichen Fla
und das Beftreben ihren Unterricht zu verbeßern auszeichnet«
Den Heineren Teil der Gratificationen erhielten hingegen die «
geringften befoldeten Lehrer, welche zugleich durch eine tabell ı
Aufführung fich auszeichneten.
Im Frühjahr 1823 wurden die erften Zöglinge aus d«
fatholifhen Schullehrerjeminar zu Bensheim entlaßen. Sehe a
Rheinheſſen gebürtige Sünglinge kehrten nach anderthalbjährige
Aufenthalt aus dieſer Anftalt zurüd und wurden nach vorherg
gangener Prüfung proviforiich angeſtellt. Im Sommer 182
wurde auch eine allgemeine Lejegefelichaft für die Echullehrer d
Provinz Rheinhefjen errichtet, und hierdurch einem Tang gefühlte
Bedürfnis der nach weiterer Ausbildung ftrebenden Lehrer ai
geholfen. |
Somit hatte man aljo in den legten Jahren zur Hebun
des Volksſchulweſens in Rheinheſſen Vieles gethan; aber w
Vieles erſt noch gethan werden muſte, erhellt daraus, da
man noch im Jahre 1821 über die Schulen in Rheinheſſe
— 121 —
klagte ). „Noch immer berrfcht im Allgemeinen das alte Unweſen
In feiner ganzen Häßlichkeit, noch immer wachfen hunderte, ja
tanfende von Kindern ohne Unterricht auf, weil weder Verordnung
noch Borftand fie zur Schule anhält; noch immer fehmachtet ein
großer Teil der Landfchullehrer ohne Gehalt, währendbem andere
durch förende, ihrem Dienfte nicht angemeßene Gewerbe, als
Botengaͤnger, Kirchweihgeiger,, Kleinhändler, Branbweinfchenter
u. |. w. ihr notbürftiged Brot zu verdienen fid) gezwungen fahen,
eBrgeizigere aber fi) als Schreiber bei Bürgermeiftern und Nota⸗
ven verdingen und ihre Schulen durch unberufene, unfähige Knaben
veriehen laßen; reichere endlich den Aderbau ind Größere treiben,
wodurch auch fie an treuer Erfüllung ihrer Pflicht verhindert wer-
den. Noch immer ſchmeckt der Unterricht felbft, wol bei weitem
an den meiften Orten, nad) dem Sauerteige des Aberglaubens,
der Unmwißenheit, der Rohheit, ja gänzlicher Ammoralität; noch
immer ftößt man nirgends auf ein Lehr- oder Leſebuch, das auf
Entwicklung des Verſtandes und auf Grheiterung bed Gemütes
binwirkte; faft nirgends auf eine vernünftige Methode des Unter
richts; noch immer find die meiften Schulhäufer der Sig der Un-
fauberkeit, der Unordnung und Peftgruben für die Gefundheit ber
darin fiber die Gebühr zufammengepfropften Kinder.“
VII.
Das Königreich Würtemberg“.
Dasjenige Land, in welchem ein eigentlihes Volksſchulweſen
n frühften gejchaffen wurde und deſſen Einrichtungen daher für
— —
) „Bollksbildung im Geiſte und nad) den Bedürfniſſen unſrer Zeit, in frei⸗
u tigen Bemerkungen über die Boltebildung überhaupt und über das Landſchul⸗
"fen der Provinz Mheinheflen insbefondere“ von G. 8. Schneidler, Hoftath
D Director des Gymnafiums zu Worms. 1821.
) Hauptquelle ift die „Sammlung der mwürtembergifhen Schulgeſeße“ von
i Tenlohr in Reyſchers Sammlung der würtemb. @efepe.“
— 12 —
die Geftaltung der Volksſchule in vielen deutſchen Territum
muftergültig geworden find, ift Würtemberg. Aber auch hiecı
folgte die Begründung der Volksſchule nicht in der eigentii
Reformationgperiode; Herzog Ulrich hatte vielmehr im 9-
1546 alle deutſchen Schulen, welche hin und wieder in den ke
ftädten, neben den Jateinifchen Schulen vorfamen, fchließen la’
damit die lateinische Bildung nicht Schaden leide. Der «
wiürtembergifche, und der erfte deutſche Landesfürft, der den
griff der Volksſchule klar und ficher erfafte, und zur Verwirkich
beffelben alsbald vorfchritt, war der edle Herzog Chriſtoph.
Wie es fcheint, gab das Vorhandenfein einzelner deutj«
Schulen und Teutfcher, elementarer Schulflaffen,, neben den bö
ren lateinischen Echnlen in den Städten zum Aufbau eines eige
lichen Volksſchulweſens die naͤchſte Veranlaßung. Es hatte |
die Thatfache feftgeftelt, daß für gewiſſe Schichten der Bevoͤl
rung, welche der lateinischen Bildung nicht beburften, Die „deutſ
Schule” dennoch Bedürfnid war. Auch in andern Ländern ha
ſich daſſelbe Bedürfnis bereits thatfächlich herausgeſtellt; al
Würtemberg war das erſte Land, worin das Schulweſen, weld
aus dem Bedürfnis des Volkslebens faktiſch erwachſen war,
eigentümliches „Volksſchulweſen“ begriffen wurde. Im Einga
des Abſchnittes „von den Schulen“ wurde naͤmlich in der „gro
Kirchenordnung“ von 1559, nachdem von den lateinifchen Schw
gehandelt war, erklärt:
„Al wir auch etliche nambafte und volfreidhe Fleden
unferem Fürftentum und gemeinlich hart fchaffende Untertha
haben, jo ihrer Urbeit halber nicht alle Zeit, wie Roth, ı
Kinder jelbft unterrichten und weifen fönnten, damit dann
diefelben arbeitenden Sinder in ihrer Jugend nicht verfäumt, '
nehmlid) aber mit dem Gebet und Catechismo, und dane
Schreibens und Leſens ihren ſelbs und gemeinen Nugen we:
beögleihen mit Pjalmen fingen befter baß Unterricht und cırifl
auferzogen,, wollen wir, wo bis anher in foldhen Fleden Mei
reien gewejen, Daß daſelbſt deutiche Schulen mit den Meßner
zufammen angerichtet, und barauf zur Verſehung der beutfi
Schulen und Meßnereien, von unfern verorbneten Slirchenrät
— 123 —
Fe und zwar eraminirte Perjonen, fo Schreibens und Leſens
geht berichtet, auch die Jugend im Catechismo und Kirchengeſang
antettichten könnten, verordnet werben.“
In dieſem Sinne wurde in der Kirchenordnung unter den
Vieln „von den deutſchen Schulen“ und „von den Schreibern“
und ‚Rechenſchülern“ Die erſte Schulorduung für die würtember-
giſhen Volksſchulen aufgeftellt. Diefelbe lautete fo:
| „Bon deutfhen Schulen.
„Damit auch die Jugend in und bei unfern deutfchen Schu:
Im mit ver Furcht Gottes, rechter Lehre und guter
| Zucht wol unterrichtet und erzogen und bierunter Gleichheit fei,
jo wollen wir, daß in Solchem folgende Ordnung gehalten werbe:
Bom Unterfhied der Schulkinder:
Und demnach in etlichen deutfchen Schulen nicht allein die
Knaben fondern auch Töchterlein zur Schule geſchickt, wollen wir,
daf in ſolchen Schulen die Kinder abgefondert, die Knaben allein
und die Töchterlein auch befonders gefebt und gelehrt werden, und
der Schulmeifter Eeineswegs geftatte unter einander zu laufen ober
mit einander unorbentlihe Gemeinichaft zu haben und zufammen
zu fließen.
Bon der Lehre:
So dann der Schulmeifter die Schullinder mit Nupen leh-
ren will, fo fol er die in 8 Häuflein teilen:
dad eine, darin Diejenigen gefeßt, fo erft anfangen zu buch⸗
aben;
| das andere, die fo anfahen die Syllaben zujammen zu
chlahen;
das dritte, welche anfangen leſen und ſchreiben.
Desgleichen unter jedem Häuflein ſondere Rotten
nachen, alſo daß diejenigen, ſo einander in jedem Häuflein zum
Neicheften zuſammengeſetzt, damit werden die Kinder zum Fleiß
Mgereizt, und den Schulmeiftern bie Arbeit geringert.
Die Schulmeifter follen auch Die Kinder nicht übereilen ober
— 14 —
mit ihnen fortfahren, fie haben denn dasjenige, fo ibrzen dr
Ordnung nad vorgegeben, wol und eigentlich gelernt;
Auch mit Fleiß darauf fehen, daß fie Anfangs die Bud
ftaben recht lernen können, derhalben dann die Ordnung de
Alphabets zuweilen brechen, und mit Verbebung der andern unter
ſchiedlich etlicher Buchftaben halben, wie die heißen, bad Kind
fragen; | |
zeigen, üben;
Und daran fein, daß fie ihm allewegen die Buchftaben reht
nennen, die Syllaben deutlih ausſprechen und im Xepten die
Wörtern syllabatim unterſchiedlich und verftändlicy pronunziten,
auch die legten Syllaben im Mund nicht verjchlagen ;
So dann das Kind ziemlich wol lefen kann, alsdann dat
felbe nit Echreiben unterrichten, und Vorſchriften in ein ſonder
Büchlein, jo das Kind dazu haben fol, ihm vorzeigen, und ſich
befleißigen , gute deutſche Buchſtaben zu machen,
und darob halten, daß die Kinder zu ihren Schriften fondert
Büchlein haben, und viefelben ihnen mit Fleiß examiniren, mas
für Mängel an der Form der Buchftaben, Zufammenfeßung un
Anhängung derjelben u. drgl. ihnen tugendlich unterfagen und
freundlich desſelben berichten, und wie es fich darin beßern fol
anzeigen, und in ſolchem unterweilen die Hand führen.
Und dieweil die Kinder vor allen Dingen in der fur!
Gottes gezogen werben follen, jo wollen wir hiermit auch, daß
die Schulmeiſter keinem Kinde geſtatten, einige aͤrgerliche, ſchaͤnd⸗
liche, ſektireriſche Buͤcher oder ſonſtige unnütze Fabelſchriften in
ihrem Lernen zu gebrauchen, ſondern daran fein, wenn fie ge
druckte Bücher gebrauchen würden, damit fie in chriftlichen Bid’
lein als die Tafel, darin der Statehismus, Pſalmenbuͤhlein,
Spruhbücdlein, Salomonis, Jeſus Sirachs, Neuen Teftamente!
u. dgl. lernen.
Befonders aber ift unfre Meinung, daß der Ka techiſsmus
wie derſelbe in unfrer Kirchenordnung begriffen, auf daß alſo eine
gleiche Form gehalten, den Kindern eingebildet und fie dahin 9"
\ Desgleichen die, fo buchftaben, gleicher Geftalt mit Befragung
der Buchftaben, Namen, und da fie ihm diefelben im Alphabet
— — Da ur Ze Ze se
Lo —
— —
— 115 —
| werben, damit fie denfelbigen auswendig lernen, üben und
verftehn und begreifen thun: zu ſolchem follen die Schul⸗
tin der Woche einen gewißen Tag und Stunde desjelben
vornehmen , und den Katechismus aljo mit ihnen üben und
en, auch einfältiglich desſelben unterrichten und ihnen ver-
h expliciren;
luch die Kinder in der Schule je Paar und Paar, Snaben
tnaben,, Mägdlein gegen Mägdlein gegeneinander aufftellen,
agen und Antworten des Katehismud unter ihnen ergehn
jitiren laßen, damit fie gewöhnt werden, benjelben in ber
zu der Zeit des Katechismus auch öffentlich vor der Ge⸗
aufzufagen.
Desgleichen die Knaben zu gewißen Tagen und Stunden
Woche zum Kirchengeſang gewöhnen, desſelben unter-
und mit ihnen üben;
Ind zu etlihen Tagen in der Woche nach Gelegenheit auf
ewiße Zeit ihnen ein Stüd nad) den andern außer dem
en Gifion vorgeben und fie desſelben zu unterrichten.
Zucht.
Die Schulmeiſter ſollen von ihren Schulkindern nicht leiden
edulden Gotteslaͤſterung, ſchaͤndliche leichtfertige Reden, viel⸗
r ärgerliche Sachen und Handlungen,
Die Ordnung auch unter den Kindern halten; damit ſie
ich zu der Zeit, wenn der Katechismus in der Kirche ges
vor dem Zujfammenläuten alle in der Schule erjcheinen,
immtli von dem Schulmeifter zur Kirche geführt werben;
arob halten, daß fie darin bleiben und dem fleißig zuhören;
Darzu jedeömal davor etliche paar beftimmen , welche den⸗
in der Kirche aufſagen;
Dedgleichen ermahnen, auf die Auslegung des Katechismus -
ißiges Aufmerkens zu haben, damit fie ihm hernach etwas
} erzälen Eönnten;
Wie er denn nad Ende der Predigt fie daraus fragen und
iren joll;
— 126 —
Mit den Knaben aber follen fie den Sirchengefang
Maß bei einer jeden Schule verordnet , verrichten;
Auch vor Mittag vor dem Auslagen, wann fie beim
Tiſch jollen gehn, Das Gebet mit ihnen halten und ſonderlich
vornehmften Stüde des chriftlichen Glaubens, das Vater Unj
den Glauben und die zehn Gebote auffagen und erzälen laßen,
Ahnen gar nicht geftatten, in der Schule zu vagiren, um
laufen oder ohne ihr Erlauben heimzugehn, ſondern darob fein, dap
jede Stunde zu rechter Zeit fommen, und bis zum gemeinen Au
laßen verharren; auch ob ihren Tafeln oder Büchlein ftil fie
| Derhalben er ihnen fein Geſchrei oder Geſchwätz verftatt
jondern bei ihnen abhalten foll und nach dem Auslaßen die Or
nung tbun, und deshalb heimliche Aufmerker unter ihn
beſtellen, damit fie ftrads auch züchtiglidy Heimgangen, und ihn
fein Unweis, jo er die erführe, nachgeben.
Alſo auch mit Ernft fie anhalten, mit einander frieblid u
Ihiedlih zu fein und gegen einander ſich alles Verſpotten
Schmähens und Widerwillend zu enthalten, die Weberfahrend
der Gebür nach ftrafen.
Deögleichen nicht ungeftraft hingehen laßen, da eines de
andern etwas nehme, zerbreche ober verwüſte.
Und in moͤglichem Wege Fleiß verwenden, daß jie fi ge
tesfürchtig, züchtig, ehrbar, friedlich, fchiedlich und fromm halt
und ermeifen.
Es follen aber die Schulmeifter in dem Zuͤchtigen die Ruthe
gebürlich gebrauchen, die Kinder nicht poldern, bei dem ha
ziehen, um bie Köpfe jchlagen, Tolle geben oder dergleiche
fondern in dem Strafen ziemliches Maß zur Beßerung der Kinte
und nicht Abſchreckung von der Echule halten.
Die Schulmeifter follen auch ſchuldig fein nad) dem Kal
chismus Sommers Zeit in der Kirche, Winterd Zeit in der Sf
ftube mit der andern Jugend in den Fleden, fo ni!
feine Schulfinder find, den Katechismus und gemeinen €
fang zu üben, und die darin mit Fleiß zu unterrichten, wie |
des jeder Zeit von den Pfarrherrn beſchieden 4
ihnen befohlen wird,
k
Ä
a
|
— 127 —
Da auch der deutſchen Schule die Meßnerei anbinge, wollen
wir, daß die Schulmeifter zugleih andern Weßnern mit den
Pfarrherrn zu den Kranken, wenn fie verjehen follen werben,
gangen, ven Kelch tragen, auch ſolchem actu beimohnen.
Damit dann bie Schulmeifter foviel der Echule defto fleißiger
obliegen mögen, jollen die Büttel- und Scüßendienfte an ven
Orten, da fie der Meßnerei bisher angehangen, wo ſolche Meß-
nerei und Schulen zujammengeftoßen, fürohin davon abgefondert
fein. Wo aber die Gemeinden Büttel- oder Feldjchügen bedürfen,
mögen fie auf des gemeinen Fledens Koften fondre Perfonen dazu
erhalten.
Bie und von wen die deutfchen Schulmeifter aufgenommen
und eraminirt follen werden.
AS auch gemeinlich die Fleden unferes Fürſtentums Die
deutihen Schulen bei ihnen zu verleihen gehabt; wollen wir ihnen
nochmals zulaßen und dieſe ihre alten Gerechtſame nicht entziehen.
Deromwegen wo fürohin einige deutſche Schulen alfo vaciert
würden, mögen fie fi wol um einen andern Schulmeifter be-
werben, doch denfelben zu der Schule mit nichten für ſich felbft
betätigen, fondern zuvor unfern verordneten Kirchenräten prä-
ſentiren.
Die haben Befehl, einen jeden, ſo ihnen dermaßen zuge⸗
ſchikt, zu examiniren und zu erlernen, ob er ſelbiger Schule vor⸗
Reben möge, und mit Nußen und Wolfahrt der Schuljungen zus
gelogen fei oder nicht,
Und feinen confirmiren,, er lege denn zuvor feine gute Kund⸗
ſchaft und Bengnis feiner Geburt, ehrlichen Lebens und Wandels vor,
Sei auch in Religiond Sachen nicht irrig, feftirerifch oder
abergläubifch, fondern der reinen, wahren , chriftlichen, der Augs⸗
urgischen und unferer Gonfeffion,
Verftünde den Katechismus und wiße denfelben der Jugend
derſtaͤndlich vorzugeben und fie darin einfältiglich zu unterweiſen,
Und habe guten Verſtand und Bericht, die Kinder mit
— 1283 —
Buchſtaben und Syllabiren, Lefen und Rechnen genugfamli u
nüglidy zu lehren,
Dazu made eine ziemliche, leſerliche Handſchrift, koͤrnm,
auch diefelbe der Jugend mit Nugen vorgeben.
In welchen allem gedachte unfre Kirchenräthe einen jeden
vermöge von und habenden Befehld examiniren, und jo fie feinen
Mangel befinden, allererfi approbiren und denſelben anzunehmen
geftatten ſollen.
Am Falle dann in einigen oder mehr Fleden die Schulen
vaciren und unsre Unterthanen feinen zu überfommen wüften, md
gen unfre Kirchenräte, wo fie einen tauglichen als vorgejeßt hätten,
denjelben den Gerichten zufchiden, Die auch ſchuldig fein folen,
ihn in den locum vacantem anzunehmen, und Die verordnete
Bejoldung verfolgen zu laßen.
Sie unfre Kirchenräte haben von und auch Befehl, er
zeit Auftellung "zu thun, damit die Schulen mit notwendigen
Bejoldungen bedacht und die Schulmeifter ihre Unterhaltung ge
haben mögen, „inmaflen dann jr Staat weitterd mitbringen.“
Mit dem Schulgeld wollen wir, daß folgender Unterſchied
gehalten werde, nemlich:
Wo die deutſchen Schulen den lateinischen anhangen, da
joU es bei voriger unfrer Verordnung , bei den Particularſchulen
begriffen, bleiben; nemlich daß ein Knabe, fo latine lernt, nicht
über 4 fr., aber einer jo deutjch lernen will, jede Frohnfaſten,
5 Schilling zu Schulgeld gebe.
Da aber allein deutjche Schulen, ald in den Eleinen Dörfern
und Fleden find, da fol es bei dem gewöhnlichen Schulgeld, wie
von Alters ber, ungefteigert bleiben.
Dod mögen unfre Kirchenräte jederzeit nach Gelegenheit der
Saden dad mehren oder mindern, darin Beſcheid geben und
ferner Verordnung thun. Teögleichen follen unfre SKirchenräft
in allewege barob und daran fein, damit den Schulmeiftern ihre
Beſoldung und Schulgeld richtiglich gegeben und gereicht werbe-
— 19 —
zotauf ein jeder deutſcher Schulmeiſter, der keine lateiniſche
Schule anhangen hat, Promiſſion und Pflicht thun ſoll.
Erſtlich, daß er ſich dieſer unſerer Ordnung und ſeines
Amtes jederzeit fleißig und zum Beſten erinnern und berichten,
bas ihm in allewege zu thun oder zu laßen ſei.
Und dann, daß er auch ſolle und wolle vermittelſt goͤttlicher
Inaden die ihm befohlene Schule und untergebenen Schulkinder
it allem treuen Fleiß regiren und der Jugend mit züchtigem,
rbarem, nüchternem Leben vorſtehen.
Keine Stunde in der Schule gefährlich oder ohne erhebliche
ſache unterlaßen, fondern felbft zu vechter Zeit in ber Schule
n und alles jenige mit Lehren und in andern Wegen, wie ihm
‘ Ordnung auferlegt, mit Fleiß verrichten;
In dem Strafen fein Uebermaß oder Born gebraudyen,
dern mit Maß und wie die Ordination ausweift, die Kinder
n Lernen und zur Disciplin anhalten.
Den Katechismus, Kirchengefang und das Gebet mit allen
euen und Eifer der Jugend einbilden, mit ihnen üben und fie
Ten unterrichten;
Auch feines Dienftes wegen feinen verordneten Superinten-
wien, Pfarrherrn, Amtmann und Gericht als ein getreuer
iener gewärtig und gehorfam fein, unfern und des Flecken, auch
er) Schule Nutzen und Frommen mit allem Fleiß fördern,
haden und Nachteil feines Vermögens warnen und wenden;
Und fo fi in Zeit feiner Dienfte einige Irrung zwiſchen
m und unfern Untertbanen oder Zugewandten zutrüge, wohin
von und befchieden würde, Recht geben und nehmen, und ſich
echts in unferm Fürftentum Sättigen und benügen laßen ohne
ner Appelliren ;
Auch von der Schule nicht verreifen oder gar abkommen
e Grlaubnid des Gerichts und Superattendenten ;
Da er auch von feinem Dienfte abftehn wollte, ſolchen ein
rteil Jahres darvor abkünden, damit man bei Zeiten einen
exn befommen möge;
Bxpe, Volloſchulweſen, 2. | 9
— 130 —
Auch ſich nicht Hintanthun, er babe denn unfre Untertbpanen,
weldyen ex fchuldig worden, bezalt, oder zur Benüge fonfl ver
fiyert und den Willen gemacht ;
Und in allıveg der Ordination und was er von unfertwegen
durch die Superintendenten und Pfarrherrn befchieden , demſelben
geleben und nachſetzen.
Darauf fol er dem Amtmann in Beifein des Pfarrherm
und Gerichts bei handgegebner Treue ſolches Alles zu halten un |
dem naczufommen, an Eides ftatt promittiren und Pflicht thun, :
getreulich und ungefährlid). N
Soviel dann die Schulmeifter belangt, fo auch latine lehren, J
laßen wir es bei felbiger Pflicht bleiben. |
Bon der Superattendenz der deutſchen Schulen.
Damit auch die Schulmeifter, ſo deutſch lehren, nicht ihred
Sefallend handeln, fondern alle Sachen diefer unfrer Ordnung
gemäß anrichten, und der armen Jugend Wolfahrt gänzlich be
dacht, fo wollen wir hiermit, daß in denjenigen deutſchen Schulen,
denen die lateinischen annectirt, Die daſelbſt bei den Particularſchulen
verfafte Inſpection durdy* die verordneten Perſonen nicht al :
auf die lateinifche Schulverrichtung, fondern aud) die beutihen
verftanden, und zugleich der andern, alfo auch dieſerhalb, de
Deputirten aber diefe Ordnung halten, und daß deren von dan |
praeceptoribus gelebt und nachgefegt, mit Ernft daran fein wol |
Wo aber allein deutfch gelehrt und gelernt, da follen die
Pfarrherrn jelbiger Orten die Superattendenten fein, aud al
wegen in 8 oder 14 Tagen unverſehens, doch zu gelegener Zi
fi) in die Schule verfügen, fehen und acht nehmen, wie fih de
SE chulmeifter gegen die Echuljungen mit Lehre und Disciplin halt,
auch jelber etliche darunter im Katechismus, Buchſtaben, Sikabittt,
Lefen auch Echreiben egaminiren, damit er erkundigen möge, of
der Edyulmeifter fleißig, und was er Frucht bei den Kindern ſchafe;
Desgleichen in der Kirche bei dem Geſang, auch Katehiäm |
Aufmerkens haben, ob der Echulmeifter die Kinder fleißig I
führe, und was er für Fehle und Mängel befinde, jedesmal Mr
felben unterftehen abzuftellen; wo es dann nicht verfahen wolk
— 131 —
Iches mit allen guten Umftänden unfern Spezialen zur Beit ihrer
ziſitation anzeigen ober fchriftlich zuftellen, damit ſolches folgendes
niter Superintendenz noch ferner gelangt, und gebürliches, zeit-
iches Cinſehens beſchehen möge, wie dann wir bavon in anderem
Beg fernere Verordnung und Befehl tyun.“
Bon den deutichen Schreiberei- und Rechnenfchülern.
„Dieweil an guten LZandfchreibern und Rechnern bei unfrer
andſchaft, Städten und Stadtjchreibereien nicht Kleiner Mangel,
ad dennoh und und dem gemeinen Nutzen, aud guter Haus⸗
altung nicht wenig daran gelegen fein will, demnach fo verorbnen
ad wollen wir, daß von unfern verorbneten Räten drei fromme,
riftliche , gotteseifrige deutſche Schulmeifter, die von ber Hand
ste Mobiften und Schreiber, aud mit ber Feder und auf der
inie rechnen zu lehren gefchidt und fleißig feien, verorbnet werben
Uen; nemlid, den einen gen Stuttgart, den andern gen Tübingen
nd den dritten gen Urach, an dieſen Orten ihre Schulen mit
uter Ordnung, die ihnen bierum zugeftellt und gegeben ſollen
erden, anrichten. Und damit man defto gejchidtere ſolche Mäns
er allbier bringen und baß erhalten möge, fo wollen wir zulaßen,
aß ihnen jedes Jahres außer dem gemeinen Kirchenfaften eine
Steuer neben dem verorbneten Schulgeld gereicht, und auch hier-
‚eben bei gemeldten diefen Städten ihnen Behaufungen einzugeben
ngehalten werben.”
Diefe erfte Schulorbnung eines deutſchen Volksſchulweſens
tellte indefjen nur das Ideal dar, auf deſſen Verwirklichung im
echszehnten Jahrhundert erft gehofft wurde. Won einer eigent-
ichen in allen Ortfchaften des Landes beftehenden oder zu be
Tündenden Volksſchule konnte vorläufig fehon darum feine Rede
in, weil von keiner Schulflpichtigfeit der Kinder die Rebe war.
lach der Kirhenordnung von 1559 war, worauf aud Die in
erſelben enthaltene Schulordnung hinwies, nur eine Verpflichtung
ar Beſuche der fonntägigen Katechismus⸗Uebungen feftgeftellt, —
d wie überall, fo ftellen ſich auch in Würtemberg diefe Kates
Smussllebungen als der eigentliche Anfang der Volksſchule dar.
te Kirchenorbuung von 1559 ſchreibt über diefelben folgendes vor:
—*
— 132 —
„Damit der Katechismus von unfern Kicchendienern alle
dings vermöge unfrer Kirchen- und Superintendenz= Ordnung ge
halten werde , Dazu die Eltern ihre Kinder zu foviel deſtt me
fligener führen und befördern, auch defto weniger jenen geftatt- «en,
diefelbige Zeit auf der Gaße oder im Feld umzulaufen, dadur 14
dann ihnen in ihrer Jugend zu allerhand Ucppigfeit Urfade ge
geben wird, fo Befehlen wir, daß die Seneraljuperintendenten zit
Fleiß verjehn und darob halten wollen, daß von unfern Kirdgen
dienern der Katechismus mit Verlefen, Expliziren und der Exp lo⸗
ration unfrer Deshalb gegebenen Kirchen» und Viſitationsordu uug
nad) keines Sonntage noch Feiertags erlaßen, ſondern derfellbige
mit allem möglichen Fleiß getrieben, aud die Eltern in ih ren
Predigten ihre Kinder und fich felber zu dem Katechismus als zu
einer gar nüglichen Predigt zu befördern ernftlih ermahnen, De
mit fie ihre Kinder und auch jich ſelber deſto baß diefer rechten
chriſtlichen notdürftigen Lchre berichten mögen, und neben Dem,
daß fie, die Kircyendicner, die Kinder fo nicht der Ordnung nad
mit der Frage aufgeftellt, jährlich and) privatim examiniren. Wo
Daun mut folder Szamination ein Kirchendiener bei einem oder
mehr Kindern eine Ungeſchicklichkeit und Unfleiß, oder Die nicht zu
dım Katechismus kemmen, befindet, alsdann er, Kirchendiener,
ihre Gltern vor fid) beſchicken und fie ihrer Kinder halber zu
mehrerim Fleiß feinem Predigtamt nad) mit ernftlicher Bedräuung
vermahnen und warnen. Und damit die ungen erftlich® ohne
tchten Bericht nicht zum Nachtmal des Herrn laufen, fo wollen
wir auch, daß unfre Kirchendiener feine Jungen zum Nachtmal
des Herrn laßen, fie feien denn zuvor von ihm egaminirt und
dahin tauglich, was aber eins oder mehr nicht tauglich, ſondern
ungefhidt und des Katechismi nicht genugfam Bericht gefunden,
joldyes ihren Eltern privatim, wie fi) dem Predigtamt nad ge
bürt, nit Ernft anzeigen und ermahnen, ihre Kinder mit mehreren
Fleiß zu Dem Katechismus zu befördern, aud) fie felber als from
men chriſtlichen Eltern gebürt, zu unterrrichten. — Und damit
dann Die Eltern neben folder des Kirchendienerd Ermahnung deſto
mehr ihrer Kinder halber getrieben werden mögen, fo haben wit
Befehl gethan, daß unfre Amtleute, jeder in feinem Amt, in der
!
— 133 —
t und felbigen Amtöfleden, den Stabt-, Dorf» und Feld—
'en bei ihren Pflichten auferlegen und Befehlen wollen, alle
tage und Keiertage unter dem Katehismo in Gaßen und
m Aufmerfend zu haben, und wo fie Kinder, fo ihren
ind erreicht, unter dem Katechismo auf ber Gaße oder auf
Feld befunden, dieſelben alsbald ihnen, den Amtleuten,
ringen ; alddann follen die Amtleute von den Eltern, weldyer
d und gefährlier Fahrläßigfeit halber die Kinder alfo den
ismus ohne erhebliche Urfachen verfäumt und fie ihre Kinder
darum nicht firafen würden, ihrer Verfäumnid wegen nem-
von jedem Kind, jo in ter Buße der Zeit erariffen, einen
t Bagen, und die, fo im Feld ergriffen, jedes wegen einen
ı in den Armenfaften zur Strafe zu geben erfordern und
hlaͤßig einziehen.
Würden aber Eltern erfunden, die bierüber ihre Kinder
oilliger und veräcdhtlicher Weife nicht zu dem Katechismus
n, ſondern daheim behalten, follen diejelbigen Eltern von
Brediger nad feinem Amt erſtlich privatim ermahnt; mo
einer ober mehr hierüber verharren wollte, alsdann der Kirs
ener folches ad partem und nad) Belegenheit dem Amtmann
Grfahrung und Erfundigung vermöge feines Amtes darüber
elen und Einſehens vorzunehmen, — — folgende der
ann hierüber, oder wo er es für ſich felber gewahr würde
welches dann ihrer jeber andy fein getreues und fleißig Aufs
ns in allweg haben und machen foll), Diefelbigen Eltern auch
renft anhalten, wo das auch nicht erfchießen, alsdann hat
mtmann Befehl, Ddiefelben mit der Thurmftraf nach Geftalt
sachen dahin zu treiben, damit die Kinder von ihren Eltern
alfo halsſtarriger und verächtliher Weile an der rechten,
Lehre und chriftlicher, ehrbarer Zudt in ihrer blühenden
ıd verhindert werben.”
So bildete fih in Würtemberg das Volksſchulweſen von
zwiefachen Anfange aus, nemlich einerjeitd aus den deutſchen
klaſſen, welche als Vorfchule zu den lateiniſchen Klafjen mit
letzteren nicht blos in den Etädten, ſondern auch auf dem
hier und da vorkommen, und andrerſeits aus dem Kate⸗
— 134 —
chismus⸗Unterricht. Auf Die Lehrer an den beutichen Klafl
lateiniſchen Schulen ift e8 Daher wol zu beziehen, wenn ü
Verordnung vom 4. Auguft 1590 gerügt wurde, daß Die be
Schulmeifter auf den Dörfern nichts auf die Pfarrer gäben.
auch die Dorffchulmeifter fcheinen in Damaliger Zeit zu den P
in feiner fehr engen Beziehung geftanden und ſich viel me
die Gemeinde, der fie dienten, als um den Pfarrer beki
zu haben, indem die Dorffchulmeifter felbft ihren Schi
immer nur als Nebenjache betrachteten und ihren eigentlichen
in ihrer dienftlichen Beziehung zur bürgerlichen Gemeinde
Orts fahen. Denn in der Regel war der Sch ulmeif:
dem Lande zugleih Gerihtsfchreiber, und in ben ‘
1562 und 1569 mufte daher verfügt werben, daß Schulr
welche Gerichtsfchreiber wären, Die Schule nicht verfäumen '
und daß die Gerichte Die Arbeit, wo möglich, nicht auf bie
ftunden richten oder fie (die Schulmeifter) zum wenigften ei
Stündlein in die Schule gehen laßen follten. Durch St
bejchluß von 1599 wurde verfügt, die Schulmeifter in den D
ſollten nicht Heiligens oder Waifenrechnungen ftellen,, |
dieſes Geſchaͤft den Stabtichreibern überlaßen. Die Wirt
ber Volksſchule war daher eine überaus geringe. Im €
wurde nur an wenigen Orten Schule gehalten. Eine Vero
von 1588 verfügte, bie Dorfichulmeifter follten mit Ern
mahnt werden, daß wo möglih aud die Sommerfchulen
‚richtet würden, damit, was die Jugend im Winter gelerı
Sommer nicht wieder vergeben werde und damit ber Kit
fang und der Katehismus nicht wieder in Abgang fomme.
Indeſſen blieb die Sitte, die Kinder nur im Wint
Schule zu jchiden, doc lange Zeit hindurch fo allgemein
man durchweg die Schulmeifter in ordentlihe und Wi
jhulmeifter teilte. Nah einem Synodalbeichluß von
jollten die Winterfchulmeifter nicht vor der Kanzlei, ſonde
vom Generalfuperattendenten egaminirt werden.
Wie überall, fo ging indefien auch in Würtemberg fall
was im 16. Jahrhundert zur Begründung eines Volksſchu
gethan war, in ber Verwüftung des 30 jährigen Krieges zu (
⸗
— 1358 —
Eine Verfügung vom 30. September 1631 gebot, daß Pfarrer,
Schultheiß und Gericht in den Dorffchaften „den Unfleiß in Halt
und Beſuchung der Schulen alsbald abjchaffen, und die Schul:
ordnung alled Fleißes in Acht nehmen follen.“
Der mwolgemeinte Befehl war indeffen kaum zu vollziehen,
da auf dem Lande faft nirgends Schulmeifter und Schulhäufer.
vorhanden waren, und da das Elend, weldyes auf dem Volke
lag, an die Schule nicht denken ließ. Gleichwol wurde der Wie-
deraufbau des Volksſchulweſens noch vor dem Ende bes Kriegs-
begonnen. Durch eine Verordnung von 1641, bie i. J. 1646
wiederholt ward, wurde befohlen: „wo möglich und nötig follen
die vagirenden deutſchen und Lateinischen Schuldienfte wieder bes
Relt werden, wo aber etliche Orte zuſammen geftoßen, felbige
benachbarte Gemeinden um ihrer lieben Kinder willen einen ges
meinfamen Schulmeifter miteinander halten und denfelben am be:
qemften Ort feßen. Wo es aber audy dieſes Ortes anftehen
wolte, follen die Pfarrer in den Predigten die Eltern beweglich
etinnern, ihre Kinder in die nächftgelegenen Städte ober Dörfer
m Schule zu ſchicken.“ Gin Synodalbeſchluß von 1644 ver-
fügte, in jeder Pfarrei follte der Kirchenkonvent darauf Achtung
geben, „daß die Augend zum Katechismus gefchidt und zum Ges
lang geftellt, summariter die wahre Gottesfurdyt bei Zungen und
Alten gepflanzt, die Schulen aufgerichtet, die Waifen und unver:
möglihen Kinder ſowol als die vermöglichen zu den Schulen an:
und vom Müßiggang abgehalten, endlich auch die Schulgebäude
und deren anhängige Heiligen (d. h. Kirchen- oder Kirchenfaften-
Stiftungen) wieder in beftändige Aufnahme geftellt würden.“
Aber erft die Ruhe, welche nach dem Jahre 1648 in Die deutfchen
Lande zurückkehrte, machte e8 ben Behörden möglich, die Voll—
ziehung ihrer Beſchlüſſe zu fichern. Die Generalſynode des Jah:
tes 1649 wendete ihr beſonderes Augenmerk dem Volksſchulweſen
zu, deſſen Herftellung fie fi zur Hauptaufgabe machte. Zum
ten Male wurde eine eigentlihe Schulpflidhtigfeit aller
ind er anerkannt, womit das weſentlichſte Beduͤrfnis des Volks⸗
du Ivweſens gewürdigt war. Die Generalſynode verfügte nemlich
Eünem an alle Generalſuperintendenten erlaßenen Reſcript vom
— 136 —
10. Anguft 1649: „Demnad an deutfchen nicht weniger ald
lateinifhen Schulen und merklich gelegen, dieweil die gemei
unftudirten Leute den größeren Teil der Kirche und Polizei
madyen, als ift, dieweil fowol Gotte8 Ehre ald der Kirchen
Polizei Wolfahrt es fordern, daß man ſich der deutſchen Sc
mit mehrerem Ernft, al& bisher gefchehen, annehme; berentwi
unfer ernftliher Befehl, ihr wollt eifrig daran fein, daß
deutfhen Echulen indgemein mit tauglichen Schulmeiftern verſt
den Echulmeiftern aber ihr gebürender Unterhalt verjchafft,
den Eltern feineswegd freigeftellt werde, Daß fie ihre Kinder
die Schule ſchicken mögen oder nit, oder um geringer Haut
jchäfte willen daheim behalten, fondern die Eltern zu dem, ı
Gottes Ehre, der Kirhen und Polizei Wolftaud, auch der Kin
Nutzen und zeitliches und emiges Heil erheifhet, mit St
nötigen.” Aber welche Schwierigkeiten dem Aufblühen der Bo
ſchule im Wege ftanden, beweift eine Verordnung von 16
„Weil die Eltern vieler Orten ihre Kinder fehr fahrläßig
Schule ſchicken, und an manchen Orten allein von Martini
gegen Faſtnacht oder Mitfaften Schule gehalten wird, und
angehenden Frühlings - und Feldgefchäften die Eltern die Küı
wieder zu Haufe behalten, jo fol den Eltern in den Predig
jonderlih in Denen in der großen Kirchenorbnung fol. 216
ffimmten zwei Echulpredigten wie auch bei den Kirchenconpen
ernſtlich zugeſprochen werden, ihre unfchuldigen Kinder nid)
underantwortlicdy zu verfänmen, fondern den ganzen Winter |
es ſich füglich thun und einführen läſt,) wenigftens alle Vor
tage fleißig zur Schule zu ſchicken, Damit fie in Gottesfurdt
allen chriftlihen Tugenden unterwiefen und auferzogen we
mögen. Da aber je wegen Ungelegenheit der Beiten und $
und weil die Eltern im Sommer ihre Kinder zu den Haus⸗
Feldgeſchäften wegen erfcheinenden Mangeld — bedürfen, ed ı
geichehen könnte, ſollte doc, den hievor vielfältig ergangenen
feripten gemäß die Sache dur Pfarrer, Schultheiß und Ge
alfo angeordnet werden, daß die Knaben, fo im MWinter in
Schule gegangen, den Sommer alle Sonn⸗- und Feiertage, R
man das erjte oder andere Zeichen läutet, auch in ber We
— 137 —
wenn ed etwa Regentage ober Unwetter gibt, in die Schule
tommen , damit die Schulmeifter fie des Katechismi und gelernter
Pſalmen, Sprüche und Gebete halber in Uebung behalten, und
im Prozeß in die Kirche führen mögen.”
Naͤchfſt der Anerkennung allgemeiner Schulpflichtigfeit aller
Kinder bis zur erſten Kommunion derjelben that dem Schulwejen
nihts fo fehr not als die Sicherfiellung und Befreiung des Lehr.
amtes von der Willkür ber Gemeinden und von ben Nebengefchäften,
welhe die Schulmeifter gewöhnlich (und zwar nur allzu gern) zu
treiben pflegten. Denn noch war e8 ganz gewöhnlih, daß die
Gemeinden, den Schulmeifter als Gemeindediener anjehend, von
demfelben verlangten, daß er ſich nach Ablauf eines jeden Jahres
bei dem Gemeindevorſtand um neue Beftätigung in feinem Schul«
dienft bewerben follte. Die Epezialfuperintendenten wurben baber
durch Refeript vom 27. Juli 1652 angewiefen, biefem Unfug ein
für allemal ein Ende zu machen und die Gemeinden insbeſondere
iu bebeuten, daß nicht ihnen, fonbern allein dem Landesherrn
das Recht zuftehe, Schulmeifter von ihren Stellen zu entlaßen.
Andrerfeitd waren die Schulmeifter durch die Not gezwungen,
entweder als Spielleute, die zur Tanzbeluftigung auffpielten, oder
ald Gaſtwirthe und Dorfſchützen ober als befolvete Knechte bes
Vfarrers, die auf dem Pfarrhof Holz fpalten, drefchen, oder dem
Marrer Schulden eintreiben und andere Gefchäfte verrichten muften,
zu figuriren, weshalb die Schulmeifter ganz gewöhnlich ihren
Schuldienſt durch ihre Frauen und Kinder verrichten ließen. Durch
fine Reihe von Verordnungen aus den Jahren 16654, 1659 und
662 fuchten Behörden und Synoden auch diefem Unwefen zu
feuern. Am Ichwierigften war hierbei die &mancipation ber
Sch ulmeiſter vom Schreiberdienſt, weshalb unter dem 17. Mai 1654
ver üngt wurde: die Schulmeifter follten „nicht mehr dem Rathaus
als der Schule abwarten und die Kinder allein durch ihre Weiber
der untüchtige Knaben verfehen laßen , fondern den bievorigen
US gegangenen rescriptis gemäß follen bie Gerichtsarbeiten fo ans
ser ent werden, bamit die Schulmeifter ihre ordentlichen Schul-
weben, wo nicht allemal gänzlich, jedoch meiftenteild zuvor ver:
ben mögen. Da man aber an einem ober dem anderen Ort auf
— 18 —
dem Rathaus des Schulmeifters als Gerichtsſchreibers nicht enk
bebren koͤnnte, folle er einen tauglichen provisorem mit VBorwißen
und vorgehender Gramination des Specialis (d. h. des Spezgial
fuperintendenten) auf feine Koften Balten.”
Gleichzeitig war Die Regierung auch auf thunlichfte Auf
beßerung ber Lehrerbeſoldungen bedadht. Nachdem ber Krieg an
jo vielen Orten die Schulen zerftört hatte, waren auch bie Gin-
fünfte der Schulen verfommen. Die Kapitalien der Etiftungen,
aud denen die Echulmeifter einen Teil ihrer Einnahmen beziehn
jolten, waren großenteild verfhwunden; der Grundbefip der
Schulen war verwüftet oder war faktiih das Beſitztum ander
Gemeindeangehöriger geworden. Vor Allem fuchte daher das
Gonftftorium den urfprünglichen Beſitz der Dorfichulen dadurch
berzuftellen, daß es aus den noch vorhandenen Documenten eine
möglichft genaue Angabe der Gompetenz einer jeden Schulſtelle
ermittelte. Schon früher (7. Febr. 1646) war verfügt worden,
Daß die Lage derjenigen Schulmeifter, welche allein auf eine garız
geringe Dienftbefoldung angewiejen wären, von den Gemeinden
in geeigneter Weiſe gebeßert werden follte. Auch wurde verordnet,
daß, da die Schulmeifter vor ihrer definitiven Anftellung ord⸗
nungsmäßig eine Zeit lang zur Probe fungiren müſten, dieſe
Probezeit nicht über zwei Monate ausgebehnt werben ſollte.
Außerdem wurden die Schulmeifter (durch Synodalbeſchluß von
1661) „des Schießens und der Legegelder befreit,” mit dem Zu⸗
fag: „es fei denn, daß fie gern ſchießen;“ fie wurden von alen
perſoͤnlichen Frohndienſten eximirt und in ben Befiß aller den
Geiftlichen zuftehenden Privilegien gefeßt; insbejondere wurden fie
auch von der Militärdienftpflicht befreit. Daneben wurde abet
auch den Spezialfuperintendenten zur Pflicht gemacht, daß fie „sei
den deutfchen Schulen den eingerißenen methodum docendi (d@
den Kindern unleferliche Namen und Katechismusbüchlein vorge“
ſchrieben, oder untaugliche Briefe ehe und denn fie einigen rehf
formirten gebrudten Buchſtaben erfennen, zu lernen vorgegebes®
werben), abfchaffen und dagegen befehlen follten, daß der Jugend
die im Lande gedrudten Namen und Katechismusbüchlein vorge”
geben würden, bamit fie fonberli ben Katechismum nicht wiE
— 19 —
ı Hörenfagen corrupt und unverſtaͤndlich, ſondern aus dem
hlein felber recht gründlich erlernen möchten.” — Derartige
jelftände, welche durch Die Schuld der Schulmeifter in das
julweſen famen, ließen fi zur Rot befeitigen; ein zur Zeit
h unüberwinbliches Hindernis, welches dem Gebeihen besfelben
Wege ftand, war jeboch die Gleichgültigkeit ber Eltern, welche
: Kinder im Winter nur beliebig und im Sommer. gar nicht
Schule fchidten. In den Sahren 1670, 1672 und 1879
rde durch eine ganze Reihe von Verfügungen die Pflichtigkeit
t fchulfähigen Kinder zum Schulbefuch wiederholt eingefchärft,
» e8 wurde den Pfarrern und Superintendenten aufgegeben, °
mige Eltern durch die Voͤgte zur Erfüllung ihrer Pflicht zwangs⸗
fe anhalten -zu laßen; aber i. %. 1672 war es erft an einigen
ten dahin gebracht, daß im Sommer wödhentlih an einem
7 zweien Tagen Schule gehalten werden konnte, wofür bie
reffenden Schulmeifter eine Vergütung „aus dem Heiligen” er.
tn. Um die fehlenden Sommerfchulen einigermaßen zu er
en, wurde durch Generalſynodalreſcript vom 8. Mai 1695 ver
t, daß, „wo wenige Sommerfchulen gehalten würden, follten
: Sonnabend wie auch an Sonn: und Feiertagen eine Stunde
der Predigt der Katechismus, Pfalmen, Sprücde mit den
bern repetirt werben.” Durch ein fpäteres Generalſynodal⸗
Fipt vom 1. Dez. 1711 wurde verordnet, daß das Schulgeld
Kinder ganz armer Eltern, um denfelben jeden Vorwand zur
Hönigung der Schulverfäumnid zu entziehen, aus dem Hei⸗
ı bezalt werben follte. Aber Das einzige, was dDurdy alle dieſe
Ichriften oder vielmehr durch die Damals von dem Pietismus
gehende Erregung der evangeliſchen Kirche erreicht wurde, war
Ginrihtung fonntägiger Katehifationen, an denen
die erwachjenere jugend Teil zu nehmen pflegte. Man nannte
» Einrichtung, die zunächft namentlich in ben Didcefen Tü-
en und Herrenberg beimifh wurde, Sonntagsfhulen
erweiterte ihre. Beſtimmung jchon frühzeitig, indem in ihnen
öhnlich auch Mebungen im Schreiben vorgenommen wurden.
Generalfynodalrefcript vom 13. Januar 1739 legte den Spe⸗
ſuperintendenten dieſe Sonntagsichulen ganz beſonders ans
— 140 —
Herz und erteilte Vorſchriften über die zwedmäßigfte Einrichtung
berjelben: „Die Sonn» und Feiertagsſchnlen follen eine gute
Schulanftalt und Gontinuation der in der Schule gefaften Lehre
fein, da Diejenigen jungen Leute, welche ſchon zur Confirmation
und Gottestifch gelangt find, bis zu ihrer Verheiratung in der
Schule, und zwar alternatim das eine Mal die ledigen Manns,
dad andre Mal die ledigen Wetbsperfonen an Sonn - und feier
tagen nach verrichtetem öffentlichen Gottesdienſt zuſammenkommen,
und damit fie das in der Schule Erlernte nicht fo leicht wieder
vergeßen, noch die übrige Zeit an Sonn- und. Feiertagen fon
liederlih oder gar fündlich zubringen, unter der Anleitung des
Schulmeifterd oder Schulfrau ein geiftlich Lied fingen, in der
Bibel lefen, ihre Sprüche und Pfalmen repetiren, auch jedesmal ein
Hauptftüd aus dem Katehismus recitiren, ihre Schriften aufweiſen
einen Brief lefen und ſodann mit Gebet und Segen fchließen ſollen.“
Inzwiſchen war jedoch für das würtembergiſche Volksſchul
weien eine neue Gntwidlungsperiode durch die treffliche „Er:
neute Ordnung für die deutfhen Schulen des Her
zogtums Würtemberg“ begründet. Diefelbe wurte i. ).
‚1730 auf Befehl des Herzogs Eberhard Ludwig im Drud, fo wie
in allen Kirchen des Landes von der Kanzel herab veröffentlicht,
und giebt eben fo fehr fiber ben faktiſchen Zuftand der Schulen m
18. Jahrhundert die wünfchenswerteften Auffchlüffe, als fie zugleid
die vollfommenfte Anffaßung und Würdigung der eigentlichen Auf
gabe und Beftimmung der Volksſchule erkennen laͤſt und den Höhe
punft bezeichnet, auf den fidh die Schulgefeßgebung bis über die
Mitte des Jahrhunderts hinaus im proteftantifchen Deutſchland
überhaupt erhoben hat. An die Echulorbnung von 1559 fd
anfchließend enthielt daS neue Regulativ zunaͤchſt Beſtimmungen
über die Befeitigung von allerlei Mißftänden im Schulweſen und al-
gemeine Vorfchriften über die Beßerung befielben, worauf ein
Reihe von 24 „Schulgefeten, welde den Kindern in den
deutfchen Echulen vorzulefen” und fodann eine „Epezialinftructen
für die deutſchen Schulbedienten“ folgte. Den Kindern wurde vor
Allem eingeſchaͤrft: „Frömmer zu werben fol ihr Hauptwerk fen,
follen deswegen immerzu ben lieben Gott vor Augen haben“ ; und
— 141 —
In demſelben Sinue wurde den Lehrern vor Allem vorgehalten.
„Schulen find der Vorhof des Heiligtums; ſchicket ſich demnad)
nicht, dag fi) in die Schulen ein Lehrer wage, der nach Gottes
nd der Menfchen Urteil für profan zu halten ift, fo wenig als
ergleihen Leute in das Heiligtum felbft, d. i. in die Kirche ge
ören. Darum foll ſich feiner unterftehn, in die Echulen einzus
sten, wenn er nicht einer ehrlichen Geburt und guten Leumundes
t* Ferner über die Beſtimmung der Schule: „Das Chriftentum
! das Hauptwerk. Scuien find nicht anzufehn als eine bloſe
kreitung zum bürgerlichen Leben, fonden als Werkſtätten
ed heiligen Geiſtes.“ — Für jede Schule fol eine Biber
ws dem Heiligen” angefchafft werden. Zum Schreiben follen
wol Mädchen als Knaben angehalten werben, jedoch „nicht allzu
üh.“ Dabei aber hat der Lehrer immer im Auge zu behalten,
ih „auch dieſes einen flattlichen Vorſchub in Erleruung der chrift-
ven Lehre geben kann, wenn bei den Kindern auch ihr übriges
tnen im Leſen und Schreiben auf das Ghriftentum eingerichte
rd.“
Die Sonntagsſchulen, welche überhaupt in Würtem⸗
tg zuerſt eingerichtet wurden, erhielten Durch Beſchluß der Sy⸗
te von 1739 eine neue Beſtimmung, indem fie nicht mehr als
urrogat für die nicht zu Staude fommende Sommerſchule, ſon⸗
in als Fortbildungsanſtalt für Die confirmirte Jugend dienen
lte. Dur F. 10 des ©. R.s von 1739 wurbe nemlid) ver-
dnet: „Da es und auch zu fonderbarem gnädigften Gefallen ger
bt, daß in einigen Diöcefen, ald Tübingen und Herrenberg,
» Sonn: und Feiertagsfchulen oder geiftlihen Uebungen mit ers
jenen und ledigen Leuten loͤblich eingeführt worden, ald wollen
e diefelben auch in Zukunft beibehalten wißen. Wo folche aber
ch nicht angerichtet wären, habt ihr auch euere Orts allen
Sglihen Fleiß anzuwenden, damit ihr ſolche Sonntagsfchulen
'ichermaßen in den Stand bringen und darin erhalten möget.“
I diefem F. wurbe folgende Erläuterung gegeben: „Soviel den
10 unfered ©. R.s anbelangt, jo hat es damit nicht die Meis
ng, ald ob ein neuer cultus publicus der Kirche durch Die
Nistros ecclesiae müfte abgehalten werben; ſondern es ift und
— 142 —
bleibt eine gute Schulanftalt und Gontinuation der in der Sch
gefaften Lehre, da Diejenigen jungen Leute, welche jchon zur Co
firmation und Gottestifch gelangt find, bis zu ihrer Verheiratun
in der Schule, und zwar alternatim das eine Mal bie Iedige
Manns, das andre Wal die ledigen Weibsperfonen an Sonn
und Feiertagen nach verrichtetem Gottesdienft zufammen kommen,
und damit fie das in der Schule Erlernte nicht fo leicht wieder
vergeßen, noch die übrige Zeit an Sonn- und Zeiertagen fo lie
derlih oder gar ſündlich zubringen, unter der Anleitung bei
Schulmeifters oder Schulfrau ein geiftlich Lied fin
gen, in der Bibel lefen, einen Pfalm repetiren, auf
jedesmal ein Hauptflüd aus dem Catechismo rei
tiren, ihre Schrift aufweijen, einen Brief leſen un
jodann mit Gebet und Segen ſchließen follen.“
Die Synode von 1759 fügte noch die Beſtimmung hinzu,
daß die Sonntagsfhulen, wenn es nicht burch außerordentlich
Kälte oder durch befonderen Holzmangel unmöglich gemacht werde,
aud im Winter gehalten, daß in denfelben nur das, was ü
früheren Reſcripten vorgefchrieben fei, tractirt werden follte, un
daß die Gemeinden den Schulmeiftern hierfür die gebürende Re
muneration unweigerlich zu entrichten hätten.
Bleichzeitig erfolgten neue Anordnungen zur Beßerung de
äußeren Lage der Schulmeifter. Durch Generalrefeript vom 1E
Nov. 1738 wurde ihnen Quartierfreiheit zuerfannt. Ein Referig
vom 13. Januar 1739 verfügte, die Eintreibung des Schul un
Holzgeldes betreffend, es follte in allen Dörfern und Flecken da
Schulgeld durch das VBürgermeifteramt „auf die bei Eintreibun
anderer praestandorum gewöhnliche Weije, jedoch umentgelbli
einfaflirt und den Schulbedienten, welche desfalls ſich gehörig 3
melden und eine ordentliche Spezification ihres Duartalverbienfe
zu übergeben wißen werden, quartaliter richtig nnd ohne Rlog
geliefert, nicht minder auch felbige in Aufehung der für ih
Schulftuben benötigten Bezahlung von den Gommunen Klage
geftellt werben.” Außerdem wurde angeorbnet, es jollten „de
Kirchen- und Schuldiener Wittwen und Kinder, es mögen felbig
fih) auch, wo fie wollen, im Lande aufhalten, die privilegia cine
— 143 —
den Orts unweigerlich geftattet, und felbige mit dem Beifig
und Wachtgeld nicht beichwert, auch mit feinen weiteren oneribus,
außer wo fie eigne, mit Steuern behaftete Güter befäßen, belegt
werden, welch leßteren Falles fie gleichwol mit feinen wirklichen
Ginguartierungen zu beladen find, jondern ftatt deren den Belauf
mit Geld zu entrichten haben.” Bon großer Wichtigkeit war «8,
daß einige Jahre Später (durch Ben.-Syn.-Refcript vom 9. Octbr.
1144) audy die „Schulmeifter- Wahlen“ geregelt wurden, inbem
namentlich auf den Dörfern, wo die Bemeinde das Recht ber
Eolatur Für fi in Anfpruh nahm und wo gewöhnlich die Pros
oiioren aller benachbarten Schulen als Competenten auftraten und
natürlich Die werfchiedenartigften Mittel gebrauchten, um fich den
Bauern annehmlich zu machen, die Wiederbeſetzung einer erlebigten
!chrerftelle gewöhnlich unter den ärgerlichften Auftritten erfolgte.
dur Befeitigung dieſer Uebelſtaͤnde wurde daher folgende ſehr
mftändliche Ordnung der Schulmeifterwahl publizirt:
„Vörderft berichtet Paftor mit dem Schultheiß alfo gleich
en Abgang eined Schulmeifterd an den Superintendenten und
gt dem Berichte bei, wie die Schule bis zu Wiederbefekung des
Dienftes beftellt werden könne, erjucht benebenft den Herrn Spe-
Galem, wein die Nomination bei dem fürftl. Konfiftorio fteht, die
Srledigung . des Dienftes dahin unterthänigft zu berichten, oder
meldet anderen Falls, wenn die Kommune das ius nominandi
vergebracht hat, daß dieſelbe hiernaͤchſt mit einer ordnungsmäßigen
Vahl vorgehen und um die gnädigfte Bonfirmation bei dem hoch⸗
fürſtl. Konfiftorio unterthänigft einfommen werde, welches dann
in Specialis abwartet, weil der Oberbeamte, fowol geiftlicher als
Deltliher mit den Schulmeifterwahlen auf den Dörfern nichts zu
thun hat, ald wenn Unordnung entfteht und deswegen ihre Inter⸗
pofition vonnöten ift.”
„Hat die Kommune dag Recht zu nominiren, jo kann, wenn.
Bihtige Urfachen gegen den Aufſchub vorhanden find, ungefäumt
und ohne Beitverluft eine Wahl vor Gericht in Gegenwart bes
Paſtors und mit Buziehung der KommuneDeputirten angeftellt,
auch allenfalls ein einiges vorhin bekanntes Subjekt in die Wahl
genommen werben, ob ſolches, weil e8 feinen Gaben nad) für
— 14 —
tüchtig und feiner Aufführung nad) für würdig zu halten, de
bochfüritl. Konfiftorio zur Confirmation fogleich präfentirt ob
aber mehre Competenten abgewartet und nach abgelegten Prob:
mit in die Wahl gezogen werben koͤnnen, wiewol es allezeit beß
ift, wenn eine Wahl aus mehreren angeftellt werden kann, au
bei nanıhaften und zalreichen Echulen vonnöten, fi um Perſone
die beſonders gute Qualitäten haben, zu erkundigen, welches b
dem fürftl. Konfiftorio, dem die meiften Kompetenten nad ur
nach bekannt werden, unter der Hand und ohne Nachteil di
Wahlrechts am füglichften geſchehn kann, obwol nichts deswegt
anbefohlen wird.”
„Sind legteren Falls fo viele Kompetenten beifammen, da
man glaubt eine genugfame Wahl zu haben, fo verfammelt fi
das Gericht auf Requijition des Paftord an einem zwiſchen beide
abgerebeten Tage, und ter Schultheiß verfündigt vorher der Gi
meinde, daß Diefelbe ihre deputatos nad) eigenem Belieben untı
ih zu erwählen und auf den beflimmten Tag zur Wahl abyı
ichien habe. Iſt die Gemeinde groß, fo können 6 oder 8 dep!
tati genommen werden, ift es aber eine geringere Gemeinde, |
mag ed an 3 oder 4 deputatis genug fein. Hingegen ift an ge
geringen Orten ober Filialen, wo oft feine oder nur brei od:
vier Richter find, nötig, daß man von der Gemeinde fo vi
Männer dazu ziehe, bis jo viele, als fonft zu einem ordentliche
Berichte gehören, zuſammenkommen.“
„Die Zufammenkunft gefchieht anfänglicd in der Kirche, u
bes Geſanges und an mehreren Orten auch um bed Drgelidle
gens willen, kann auch wol als ein heiliged Werk an Sonn un
Feiertagen vor den Augen und Ohren der ganzen Gemeinde g
ſchehn. Wenn dieſes vorbei, fo verfügt man fih auf das Ka!
haus ,,. und Paftor macht, fo bald ſich das Gericht gefept, de
Anfang mit einem herzlichen Wunſch, Daß gegenwärtige Zuſammen
funft und vorhabende Verfammlung zu Gottes Ghren und de
Schule auch mitfolglih zu der Kirche und gemeinen Weſen
Beſtem ausfchlagen möge, und daß Gott eines Jeden Herz au
den wahren Zwed des Beſten lenken, allen ſchaͤdlichen Abſichte!
wehren, auch geſammte bier anweſende Vorfteher zu Werkzeuzen
— 145 —
feiner Gnade an der Schuljugend und ganzen Gemeinde machen
wolle."
„Hierauf werden die Sompetenten vorgeforbert und die fer-
neren Proben mit ihnen angeftellt, nicht nur allein im Buchſtabi⸗
ven, Leſen, Auswendig- und Briefichreiben, Brieflefen und Rech⸗
nen, jondern auch mit Befragung der Feldordnung, ob fie davon
aus ihrem Verſtand Nechenfchaft geben können, und nicht Blog
Ihren Katechismum, Gonfirmationsbüchlein auswendig gelernt has
ben, wobei fich aber Paſtor gleichwol hüten wird, daß er nicht
unnötige, hohe Fragen auf Die Bahn bringe, vielweniger aus
Barteilichfeit den einen fchwerer ald ben andern frage, fondern
bei den Hauptflüden einfältig und ohne ſchwere Einwendungen
bleibe, von Gott Vater, Sohn und heil. Geift, von der Schöpfung
und leidigem Sünbenfall, von der Erlöfung durch Chriſtum, von
der Bueignung feines Verdienftes durch Buße und Glauben in der
Kraft des heil. Beiftes, von den Gnadenmitteln und ihrem rechten
Gebrauch, dadurch der heil. Geift den Glauben erwedt und ftärkt,
davon fie die Hauptſprüche, wo nicht felber anziehen, doch wo
ihnen darauf geholfen wird, auswendig koͤnnen ſollen.“
„Wenn dieſes vorbei und die Examinati abgetreten, jo
mat Paftor feinen Vortrag an das Geriht, wie nunmehr bie
Wahl angeftellt werden folle, und erinnert dafjelbe nicht nur an
die Wichtigfeit der Sache, da an rechter Beftellung des Schuls
weſens fo viel gelegen, und jo große Verantwortung von Hintan-
gung defjelben zu gewarten fei, fondern auch die theuern Pflicy-
ten, nach welchen lauterlich auf die Ehre Gottes und das gemeine
Beſte folle gefehn, allen Anz und Nebenabfichten aber kein Plag
gegeben werde; wobei er infonderheit den Irrtum benimmt, in
welchem viele fteden, daß fie mit ihren voto nad) Wolgefallen
dandeln,. und dieſem oder jenem ohne weiteres Bedenken Gutes
damit thun können; im Gegenteil aber den Unterricht giebt, daß
ich Die Macht der Wählenden nicht weiter erftrede, als auf ſolche
Berfonen, welche fi) zu dem Zwed fchiden und vermutlich vor
em Hochfürftl. Konfiftorio genugfame Tüchtigkeit zeigen werben,
uch feinen in ben bochfürftl. Verordnungen verbotnen Vorwurf
ıben, worauf dann ein jeglicher in feinem voto fehen jolle.”
deppe, Volloſchulweſen, 2. 10
— 146 —
„Weil aber infonderheit auch zu einer unpartetifchen Wa
gehört, daß von den Votirenden Diejenigen abgefondert werde
welche entweder unter fi) oder mit einem der vorhandnen Goı
petenten in allzu naher Verwandtichaft ſtehen, dieſe auch fih f
eine Wohlthat rechnen jolen, wenn fie der Verſuchung von Inn
und der übelen Nachrede von Außen überhoben fein Eönnen,
erfundigt ſich Paſtor, ob einige unter dem Gericht und der Go:
mune» Deputirten oder mit einem der vorhandnen Gompetent
jolchergeftalt verwandt fei, Daß fie nad) der Landesordnung u
dem darin enthaltnen Nichtereid nicht votiren könnten, welches vı
denen, die bis auf den vierten Grad der Blutsfreundjchaft ur
Schwägerſchaft inclufive verwandt find, gejagt ift. — Giebt ſich nu
daß einige Votirende unter fid) verwandt, fo wird der eine Teil erjud
abzutreten; oder fteht einer oder der andere mit einem ober der
anderen Gompetenten in dergleichen Verwandtichaft, fo wird er en!
weder gleichfall8 abzutreten, oder auf denjenigen, mit dem t
verwandt ift, nicht zu votiren veranlaft. Steht Paſtor oder Schult
heiß jelber in folder Verwandtſchaft unter ſich oder gegen ein
Kompetenten, oder find gar beide einem Kompetenten allzu nad
verwandt, fo treten fie felber beide oder einer von ihnen ol
nachdem die Verwandtſchaft ift, bleiben audy nicht einmal m
dem Vorbehalt figen, daß fie auf ihre Verwandten nicht votire
wollen, weil ihre bloße Auwefenheit und Auctprität ſchon D
Sache einen befondern Ausjchlag geben kann.“
„Sind diejenigen, weldye bei der Wahl nicht fißen könne
abgefondert, fo geht dann Die erfte Deliberation dahin, ob vi
den vorhandnen Kompetenten nicht einer oder der andre fei, P
nicht in die Wahl Fönnte gezogen werden. — — Hat es dal
and) mit den Perfonen, weldye in die Wahl kommen £önnen, jet!
völlige Nichtigkeit, jo fragt Paftor oder der Vorfigenbe, wer
Paſtor hätte abtreten müßen, von einem jeden Kompetenten, wi
er für rationes für fid) habe, welches auch Paftor noch vor de
Abtreten jelber thun kann, wenn der Vorfigende feine genugſan
Buben zum Proponiren haben follte, und fragt daher zuerft de
Schultheiß oder nädyften Richter, welchem er nunmehr unter dieſt
porgeftellten Perfonen das Votum geben wolle; hernach in di
— 1417 —
| fort bis durch das Bericht hinaus, ſodann auch die
edeputirten einen nach dem andern; erft zulegt aber, da⸗
it feiner Auctorität Niemandem vorgreife, giebt er fein
otum ad protocollum. Iſt das Votiren vorbei, jo wer:
rota abgelefen (wobei Pfarrer und Schultheiß, wenn fie
treten müßen, wieder zugegen fein follen,) und wenn ein
ört bat, daß fein votum richtig ad protocollum genom⸗
den, fo werben ſolche abgezält, auch die Gemeinbebepu-
e vota nicht nur für eins zufammen, fondern jedes be-
jerechnet, und wofern es paria wären, Dem pastori übers
ie maiora zu machen, ohne daß er durch die Verwandt⸗
ner eingejchränkt werde. — Nach diefem Allen wird das
n und. wer die maiora erhalten bat, ad protocollum
ı, und Das protoc. von allen Votirenden unterjchricben.
en nun, der Die maiora erhalten bat, kann Das conclu-
met und angekündigt werden, daß ihm auf die beftimmte
: Abfertigung der Nomination halber an den Decan und
jen an das hochfürſtl. Konfiftorium folle gegeben werben.
; aber abgeredet worden fein, einen nur auf eine Probe
en, jo fol die Probe nicht allzulang währen, ſondern
tl. Ordnung in einer ober längftens zwei Monat Frift
nation ad examen et confirmationem geſchickt werben.”
amit aber auch in Ausftellung der Nomination feine
wie vielfältig geſchieht, vorgehn, — jo wird Die Sade
nder Weiſe behandelt und eingerichtet: Es wird im Na-
Pfarrers, Schultheißen, Richters und Kommunendeputirten
ırial ad Serenissimum an das hochfürſtl. Konfiftorium
des nachfolgenden Inhalts: — — Diefed Memorial wird
ht ald — nomine collectivo unterfehrieben, Hingegen eine
des ganzen Wahlprotocolld, wie e8 geführt und ſubſeri⸗
den, in daſſelbige bineingelegt unb ſolches mit einem
lante, damit der Spezial feinen Beibericht dazu thun
erjehn,, hernach wird es dem Nominirten, jedod nicht
‚alt, Daß er damit hinlaufen fann wo er will, ſondern in
eiberiht an das Spezialatamt, welchen Pfarrer und
ß unterfchrieben und verjchließen kann, zugeſtellt.“ —
40°
jugit wen pewvwern vis ovesuyeany wire unjugen
ftrengfte.
Aber fo trefflich nun auch für das Schulweſen bu
ordnungen aller Art geforgt war, fo beburften dieſelben t
fortwährenden Erneuerung, um bie beftehende Schulordnu
lich zur Durchführung zu bringen. Es mufte (16. Octb
den Pfarrern die fleißige Vifitiruug ber Schulen und die
nung der Abjenten in Tabellen eingefhärft, und den Schu
mufte es zur Pflicht gemadyt werden, bie Sonntagsſchu
im Winter („wo nicht außerordentliche Kälte oder befond
mangel ift") zu halten. Es mufte (10. Dechr. 1772)
werben, bie Schulgefege bei den üblichen Prüfungen zu
und Georgii den verjammelten Schulfindern vorzulefe
mufte (23. Dechr. 1773) in ftrengfter Weile an die St
tigteit aller Kinder vom fechften Lebensjahre an erinne
(7. December 1778) die Schulmeifter nochmals ermahne
Rechnen ald etwas Notwendiged in allen Schulen, |
Knaben ald Mägdlein beſtens in Bang zu bringen;“ bis
endlich nötig fand, die Schulordnung von 1730 mit ei
ringen Abänderungen unter dem 18. December 1787 noe
publiziren,
Erſt von dieſer Zeit an begann ſich das Volksſchul
dem, was e8 fein follte, zu entwideln und geficherten Vef
Einfluß auf das Volk zu gewinnen, fo daß ſich erft von
ein Bild des Volksſchulweſens in Würtemberg neben laͤſt,
— 149 —
Eule aufgeklärt werben follten. — Schulpflichtig waren
alle Rinder vom fechften bis zum vierzehnten lebens:
jahre an. Nur nady einem wenigftens ahtjährigen Schul-
beſuch follten die Kinder von ber Schule „losgeſprochen“ wer:
den; indeſſen Fam eine fo genaue Befolgung der gefeglichen Vor⸗
fhriften nur felten vor, da die Schulmeifter fortwährend bars
über Klage führten, daß die Kinder von ihren Eltern zum Vieh⸗
hüten oder anderen Dingen gebraucht würden, daß fich dieſelben
noh vor dem 14. Jahre in andre Häufer vermietheten u. f. w.
Um diefen Uebelftand wenigften® allmählich zu Befeitigen, waren
die Schulmeifter verpflichtet, genaue Abjentenliften zu führen und
diefelben dem Pfarrer vor jedem monatlichen Bußtag einzureichen,
damit der Pfarrer diefe Liften dem an jedem Bußtag zu haltenden
Kirhenconvent vorlegen und deſſen Einfchreiten gegen die fäumigen
Gltern veranlaßen Eonnte. Nach einem Gen.-Eyn.-Refcript vom
12, Dechr. 1793 muften die Pfarrer, da manche Schulmeifter aus
Furcht vor den Eltern oder aus anderen Gründen die Schulver:
läumniffe nicht immer notirten, bei jedem Schulbefuche die „Neglec-
ten-Tabelle“ ſich vorlegen laßen und biefelbe forgfältig prüfen.
Sonntagsfhulen waren in allen Gemeinden des Landes
eingerichtet, ließen aber freilich mitunter Vieles zu wünſchen übrig.
Da biejelben an vielen Orten nur eine halbe Stunde dauerten,
lo wurde durch Gen.-Eyn.-Refeript vom 3. Dechr. 1801 verord-
net, daß die Sonntagsjchule „das ganze Jahr hindurch je eine
volle Stunde gehalten werden folle.” Große Schwierigkeit batte
8, die Sonntagsfchulen auch im Winter in Gang zu bringen, ba
ih viele Gemeinden hartnädig weigerten, das nötige Holz zur
beizung der Schulftube für den Sonntag zu liefern. Auf Befehl
des Konſiſtoriums muſten daher jämmtlihe Decane bei den Kir-
henviſitationen des Jahres 1804 die Gemeinden über den großen
Rußen der Sonntagsſchulen nochmals belehren und ihnen bie Lie
ung des geringen Holzbedarfes nochmals und ernftlichft zur
Nicht machen. Daneben war ed (durch Gen.-Syn.-Refcript vom
December 1795) allen Pfarrern dringend anbefohlen, fich ber
mntagsſchulen, durch welche Die Jugend im Befige bes in ber
Hufe Gelernten befeftigt werben follte, in jeber Weiſe anzu
— 150 —
nehmen, dieſelben, jo weit es ihre fonftigen Amtsgeichäfte erlauzı
ten, zu bejuchen und den Schulmeiftern mit Rat und That an Hy,
Hand zu gehen. Beſonders follten fie darauf fehen, „Daß beszen
welhe ſchwach aus der Schule gefommen, mehr Aufmerkſamkeit
gewidmet und überhaupt ja nicht geftattet werde, daß bie jungen
Leute die Eprühe, Gejänge u. dgl. heimlich aus den Büchern
berandlefen und folchergeftalt ihre Unmwißenbeit und Linfleiß be
mänteln.” Damit es aud in den Sonntagsschulen nicht „an der
erforderlichen Ernfthaftigfeit, Stille und Ordnung fehle,” burften
biefelben „niemald von jungen Proviforen, fondern allezeit von
den Echulmeiftern felbit, oder allenfalld auch von den consiste
rialiter egaminirten Proviforen gehalten werden.” Außerdem war
beftimmt (3. Dechr. 1795), „daß die Geſchlechter getrennt, und
die ledigen Burfchen und Mädchen abmwechjelungsweife zur Sonn
tagsfchule gezogen werden jollten.”
Auch das innere des Schulwefens, Plan und Methode dei
Unterricht war durd die vorhandnen Beſtimmungen genau gere
gelt. Die Aufnahme von Schülern fand (nad Gen.-Syn.-Lefr.
"vom 3. December 1795) nur zu Georgi und Martini, wo de
Sommer- und der Wintercurfus begannen, ftatt. Um ber übe:
lieferten fchlimmen Sitte, nach welcher die Schüler nur zu einem
gebanfenlofen Syllabiren, Lejen und Memoriren angehalten wur
den, ein Ende zu machen, und um die ‘Denfthätigfeit berfelben
wenigftend infoweit zu weden, daß fie das Erlernte bewahren
könnten, war ſchon durch Gen.-Syn.-Refeript vom 10. November
1784 verfügt worden: „Wir finden befonders nötig, daß die Jr
gend fchon von ben erften Jahren an auf kluge und chriftliche Art
angeführt werde, das Wort des Herrn zu bewahren, das ihre
Seelen felig machen kann. Wir wollen daher, — daß nicht mut
von den Baftoren felbft bei ihren wöchentlichen Schulbeſuchen,
fondern auch vornehmlich von jedem Schulmeifter des andern
Taged nad) dem Gotteödienft mit der Schuljugend bie gehörte
Predigt nochmals durchgegangen, und zwar, ohne daß felbige an
gehalten würden, die Dispofition und Einleitung einer Predigt
mühjam herzufagen blos über das, was fie daraus für Sprit
md Lehren zu ihrer Erbauung behalten hätten, befragt werben
ollen.“
Um nun aber überhaupt eine beßere Methode in den Unter⸗
cht zu bringen, von der zur Zeit noch die wenigſten Lehrer einen
egriff hatten, muſte dreierlei geſchehn: die Pfarrer muſten den
chulmeiſtern mit Der nötigen Auweiſung an die Hand gehen, bie
Aulmeifter muften eruftlih an ihre eigne Ausbildung denken,
d den Schülern muften gute Schulbücher an die Hand gegeben
tden. Daher wurde durh Gen.Syn.-Reſcript von 28. Nov,
87 verordnet: Die Pfarrer follten es „nicht blos bei dem anbes
Henen wöchentlihen einmaligen Schulbeſuch bewenten laßeı,
idern die Schulen mehrers beſuchen, auch bei diefem Beſuch
ht nur die Kinder felbft in allen in den Schulen eingeführten
asis nad) und nach prüfen, das Gelernte wiederholen, ihnen
ches verftändlih machen und gewißenhaft erklären, und Dabei
h Durch gute Lehren und Ermahnungen aufmuntern, fonbern
h ihr Augenmerk ebenfowol auf den Sculmeifter felbft und
ae Lehrmethode, und ob er befonders die Kinder richtig und
itlich leſen, ausſprechen und fchreiben Lehre, richten und diefem,
nn Da oder dort ein Mangel erfunden würde, Die nötige Aus
Yung durch felbftiges Lehren in der Schule, aud durch eine
te Wahl der Schreibvorjähriften, worin gute Religions- und
ttenlehren angebracht, erteilen.” — — „Insbeſondre werden
ch diejenigen Scullehrer, welche jelbft nody in den nötigen
nntniffen, wie bejonderd vom Rechnen uud Schreiben — zurüd
d, — erinnert, durch Anfchaffung der gedrudten Vorfchriften,
d im Rechnen durdy die vorhandnen fo vielen guten Rechnen»
der, wohin 3. E. die Shmalzriedifhen beiderlei Res
enbücher, je nad) dem Unterjchiede der Schüler gehören, und
f andre Weiſe fi) mehr zu habilitiren. Wie man fid) dann
thaupt verjieht, daß zumal die jüngeren Schuldiener ſich wers
angelegen jein laßen, nicht Bloß bei dem alten allgemeinen
lendrian ftehn zu bleiben, fondern fi) auch durch Leſung nüß»
T Schulfchriften innmer weiter und beßer zu bilden; und wer
ihnen auch diesfalls ſowol decani als pastores mit nuͤtzlichem
wegen der Wahl ſolcherlei Buͤcher — an Handen zu gehen
— 192 —
wißen, ſowie auch erftern bei den jährlichen Kirchenvifitationen fi
mitzuerkundigen und davon Einſicht zu nehmen haben, waß für
Schulbücher von Schulmeiftern und Provisoribus zu ihrer zwel:
mäßigen Bildung fi) angefchafft und gelefen würden.” So kamen
jegt zum erftenmale eigentlihe Schulbüder in die Hände ba
Kinder. Nach Gen. «Syn. -Refcript vom 6. Decbr. 1791 follten
diefeiben aus den piis corporibus angefchafft werben. Fuͤr bie
Leſeübungen wurden ABCbücher und für den Unterricht im Echtes
ben gedrudte Vorfchriften eingeführt. ALS Leitfaden zur Ertellung
des Religionsunterrichted wurde durch Gen. - Syn. - Refcript vom
26. November 1792 der Braunfchweiger Katechismus approbitt,
ber fir die Schulmeifter „vorerft zu ihrer eigenen Bildung md
dann zum Unterricht der ihnen anvertrauten Echuljugend” au
Öffentlichen Kaffen angefchafft werden follte. Zugleich bildeten ſich
unter den Schulmeiftern Lefegefellfhaften mit Schulbib’
fiothefen. Zu den Uebungen im Slirchengefang wurbe bat
unter dem 20. Juni 1791 publizirte neue Würtemb. Gefangbub
gebraucht, was indeffen nur ganz allmählich in den Schulen Ein
gang fand. Das Bedürfnis einer anhaltenden Hebung der Chi’
ler nicht nur im Schönfchreiben, fondern auch imNRechtfchreiben
wurde zuerft in einem Gen.-Syn.-Refeript vom 1. Dechr. 1790
ausdrüdlich hervorgehoben. Falls die Schulmeifter im Rechtiärei‘
ben nicht unterrichtet wären, follten ihnen (nad) Gen.⸗Syn.⸗Reſcr.
vom 3. Dechr. 1795) die Pfarrer den nötigen Unterricht erteiler
und ihnen aud) in der Schule felbft an die Hand gehen. Zugleick
wurde in der Verfügung vom 3. Dechr. 1795 verorbnet, „daf
bie Bußpfalmen, weil darin der Faßungskraft der Kinder fr
manches nicht Angemeßene vorkommt, den Eleinen nicht mehr, for’
dern höchftens den größeren, in reiferem Alter ftehenden SKinderr
zum Auswendiglernen aufgegeben und — gehörig erflärt werden.”
Außerdem follte der Pfarrer für jeden Tag die Abfchnitte hei
Bibel, weldye in der Schule zu leſen wären, beſtimmen. Ginelnt
Lehrer machten, wie es ſich bei den Schulvifitationen i. X. 179
zeigte, den Verfuch, den Kindern „Eurze moraliihe Auffäge zu er
zälen und vorzulefen, und fie alsdann von den Kindern zu Papie
bringen zu lafen.” Die Generalſynode dieſes Jahres Bilfigte de
— 153 —
Verſuch und gab zugleich allen deutſchen Schulmeiftern auf, „ba
on einer richtigen LXehrmethode fo viele® gelegen“ fei, „eine um«
tänblihe Beſchreibung ihrer Methode im Unterricht und vorzügs
ih der Religion” einzuliefern. Die eingefandten Berichte gaben
er Generalſynode des folgenden Jahres Veranlaßung, durch Re
ript vom 16. Januar 1799 die erften genauen Vorjchriften über
ie im Schulunterricht anzumwendende Methode zu geben. Die
deneralfynobe publizirte nemlich: |
„Es ift
a) die Religionslehre bisher nicht allgemein ihrem großen
mede gemäß behandelt worden. Durch fie folte Gottesfurcht
nd Tugend in die Herzen ber Schüler gepflanzt werben, und
an bat fie gewöhnlich zur Sache des Gedächtniſſes gemacht
nd berabgewürbigt. So gewiß es nun ft, daß das nie eine
leibende religiöfe Geſinnung bewirken Fanı, was man in ber
teligion nicht verfteht, wobei man nichtd-oder etwas nur dunkel
mit, fo ift e8 auch notwendig, daß der Tehrer bei dem Religions⸗
nterricht feine Bemühung dahin richte, nicht nur den Verftand
es Schülers von der Wahrheit der chriftlichen Religion zu übers
ugen, fondern auch fein Herz für die Lehren derjelben empfäng-
d zu machen.
b) Es ift daher die Pflicht der Lehrer (mworunter wir auch
' Beiftlichen jedes Orts immer verftanden haben wollen,) und
m wiederholt hiermit ernftlichft den fchon oft an fie gejchehenen
fruf, daß fie den Unterricht in der chriftlichen Religion nad)
len Grunbjägen einrichten. Sie follen dabei praftifche Religion
r chriſtliche Sittenlehre zum hauptſaͤchlichſten Gegenſtand neh⸗
t, weil teils dem Herzen der Schüler dadurch, daß fie Die Be—
ung der geoffenbarten Religion anf ein moralifch richtiges Leben
eben lernen, Liebe zur Tugend und Sittlichkeit defto mehr ein-
rägt wird, teil die Dogmen für das unreifere Alter der
hüler noch nicht ganz zweckmaͤßig find.
c) Was die Vernunft über Gegenftände der Religion aus
Irfcheinlichen Gründen, befonderd aus den Merken der Schöpfs
ſchließt, iſt in ben chriftlichen Neligionsvortrag ebenfalls auf:
ehmen; und fol der Lehrer Vernunft und geoffenbarte Religion
— 14 —
nicht getrennt von einander vortragen, fondern beide genau mit
einander verbinden, die Gründe der Vernunft für bie Wahrheit
der chriſtlichen Religion den Schülern zwar mitteilen, hingegen die
Auctorität der leßteren aus der höheren und ſichern Duelle der
göttlichen Offenbarung herleiten, damit diefe Die Grundlage ihre
Religionskenntniffe und ihres Glaubend werde.
d) Um dieſe Abficht wegen des Religiondunterrichtes deſto
gewißer zu erreichen, haben wir bereits in dem Gen.Syn.Reſcripi
von 1792 Nr. 14 die deutichen Schullehrer aufgerufen, neben der
würtembergifchen Kinderlehre den Braunfchweigifchen Katechismus
dabei zum Grunde zu legen. Nun Haben wir zwar aus den Bi
fitations-Relationen bisher erjehen, daß mehrere Schullehrer den
jelben teild zu ihrer eignen Bildung, teil zum Unterricht der
Jugend benußt haben; weil wir aber nicht überzeugt worden find,
ob fie auch befonders den biftorifchen Teil deſſelben benußen, fo
verordnien wir hiermit ausbrüdlih, daß auf die Stellen, die im
Auszug der Religionsgefchichte im Braunfchweigiichen Katechismus
unten angeführt find, vorzüglic, Rüdficht genommen werben fol,
und ift und nicht entgegen, wenn die Lehrer die Religionsgeſchichte
nah den Fragen von Watermaier über den Braunfcweig
Katehismus den Kindern beibringen wollen. Wobei es fid übt
gend von felbft verfteht, daß die Pfarrer, wie ſchon bemerkt wor
den, fich angelegen fein Iaßen werden, den fehwächeren Schulleh⸗
rern Die erforderliche Belehrung und Anweiſung zu erteilen. —
Uebrigens wiederholen wir,
e) daß bei dem Religionsunterricht Die Uebung des Gedächt⸗
niffes nicht ganz zu vernadjläßigen fei. Vielmehr follen die Shk
ler die biblischen Sprüche (Hauptiprüche) ſowol der Glaubenslehre
als der Lebenspflichten, und die jchiklichften Lieder aus dem neuen
würtembergifchen Geſangbuch memoriren. Nur erfläre der Lehre
fie zuvor den Schülern, damit fie verftehn, was fie ihrem Gedaͤcht⸗
nis einprägen follen, und damit dad Gelernte befto eher auf bad
Herz zurückwirke. Zu diefem Ende verorbnen wir hiermit in Hit
ficht auf die Mittel und Gelegenheit zum NReligion®
unterricht, daß, |
&) wenn die Schullehrer die Kinder ein auswendig gelerhieh
— 195 —
order erlärted Gebet, Spruch, Befang ac. ıc herſagen ober fie
ı ber Bibel leſen laßen, wozu wir vorzüglid die Sprüche Sa⸗
mos in Rüdfiht auf die Pflichten der Kinder empfehlen wollen,
er wenn fie ihnen eine Zabel oder moralifche Geſchichte vor⸗
jen ober diktiren, fie die Kinder, wenn es nach ihren Faßungs⸗
äften ift, angewöhnen follen, daß fie den Haupffinn-, die darin
tbaltene Lehre, Glaubens» oder Lebenspflicht, felbft heraus
den. Alsdann aber follen fie ihnen die Sache noch einmal
th Exempel erklären und ihnen die rechte Anwendung auf ihr
ened Leben zeigen; wodurch Der gedoppelte Vorteil erreicht wird,
3 nicht nur die Kinder den wahren Verſtand des Gelefenen
rt Öelernten behalten lernen, ſondern nuch das Gelernte befto
ter auf das Herz zurückwirken kann.
b) follen die Schullehrer, und wenn diefe nicht im Stande
d, die Pfarrer den Schulfindern Anleitung geben, wie fie es
jreifen müßen, um ben wefentlichen Inhalt einer Predigt auf-
en und leichter begreifen zu Fönnen.
Sind nun die Schulkinder einmal. darin etwas geübt, fo
nicht nur in der Sonntagsfchule, fondern auch — in der
entlihen Schule den Tag nach gehaltner Predigt zuverläßig
> der Predigt egaminirt und die Anwendung Daraus nach den
dürfniffen der Zuhörer gemacht werden. Da aud
c) nichts geeigneter ift, das Herz zu erheben und zu reli
jen Empfindungen aufzufchließen, als ein fchöner harmoniſcher
hengefang , fo ift nötig, daß hierauf mehr Sorgfalt gewendet
de, als bisher geſchehen if. Weil nun die Schullehrer mit
en Schullindern den Kirchengefang hauptjählih Führen und
en müßen ; und Daher erforberlih ift, daß die Schulfinder
yn vorher mit der Melodie des Geſanges bekannt find, jo ver:
nen wir, daß die Pfarrer und Vicarii denjenigen Gejang, wels
R fie bei dem nächſt zu haltenden Gottesdienfte fingen laßen
Um, einige Tage vorher dem Schulmeifter bekannt machen
en, damit diefe nicht nur ſolchen ihren Schulfindern gehörig
lien, und fie vorher noch in der Schule mit der Melodie des
langes, befonderd wenn e8 eine neue ift, befannt machen und
Singen üben können.
— 156 —
Wir verfeben und aber, daß die Decane bei den Kirdgen
viſitationen vorzüglich aud auf den geführten Kirchengefang Ach
tung geben, und deſſen in der Relation, wie es bereits einige
beobachten, bei der Beurteilung Des gehaltenen Gottesdienftes
Erwähnung thun werden. Wie wir denn auch den Echulmeiflern
hiermit aufgegeben haben wollen, Fünftig in den Schultabellen
anzuzeigen, ob und wie viele neue Melodieen gelernt worden
feien. Was nun
3) den Schulunterricht in ben übrigen im gemeinen Leben
unentbehrlichen Kenntniſſen betrifft, jo wollen wir bier nur einiger
Teile derfelben Erwähnung thun, indem wir annehmen, daß in
Anfehung der übrigen die vorhandenen Vorfchriften und Anwei⸗
fungen genau werben befolgt werden. Wir haben nemlich wahr:
genommen, daß
a) in vielen Orten de8 Sommers das Rechnen gar nicht
getrieben wird. Da wir nun diefes für fehr notwendig halten,
und befonders der künftige Landmann folches fehr nötig hat, da’
mit er nicht bei der Verwertung feiner Felderzeugniffe Betrügereien
ausgefeßt bleibe, fo verorbnen wir hiermit, daB auf das Rechnen
in ber Schule ernftlicher gebrungen und des Sommers wenigfen®
einmal in der Woche oder doch wenigftens alle vierzehn Tage
darin zuverläßig Unterricht gegeben werben folle. Es ift «bet
hierbei nicht unfre Meinung, daß nur das Rechnen auf bes
Papier getrieben werben folle, indem grade der Landmann azMl
wenigften in den Kal kommt, davon Gebrauch machen zu koͤnnent
Die Schullehrer haben daher mit gleichem Gifer auf das Rene
im Kopf zu dringen, fich felbft mit den dabei zu benügenden Bor”
teilen befannt zu machen, und den Kindern die nötige Anleitung
Dazu zu geben.
b) Iſt uns fehr daran gelegen, daß auf das Diktirt: us P
Auswendigfchreiben mehr gebrungen werde. Wir haben Urſache
zu vermuten, baß biefer Teil bed Unterrichts im Schreiben nichkẽ
aller Orten mit dem gehörigen Nachdruck getrieben werbe. 60
gar haben wir wahrgenommen, daß öfter die von ben Decanz®
bei den Schulvifitationen zum Schreiben biktirten Materien det
Religiondfragen nicht in originali, wie fie von ben Kindern 35
— 157 —
hrieben werben, eingeſchickt, ſondern vorher noch abgefchriehen
vrden. Da wir aber dadurch Feine Ueberzeugung von den Fort⸗
dritten im Diktirſchreiben erhalten, jo verjehen wir und zuver⸗
Big, daß folches nicht mehr vorfommen werde, und wollen den
ecanis visitatoribus hiermit aufgegeben haben, die Schreibe
oben gleich nady geendigtem Dictiren einzufammeln, mitzunehmen
id jo unverändert einzufchiden.“
Zur Grmunterung ihres Fleißes erhielten zuweilen tadellofe
inder und Lehrer aus der Gemeindekaſſe Fleine Belohnungen;
ideſſen hielt e8 die Generaliynode von 1795 für angemeßener, für
inder an die Stelle der Belohnungen nur Belobungen treten zu
ben, weshalb fie durch Nefeript vom 3. Dez. verfügte, daß bie
hulmeifter, „um gefittete und fleipige Kinder defto mehr ins
ht zu fielen, und die unartigen und unfleißigen zu befchämen,
hd ein beſonderes Bud, halten, die Namen der fleißigen und
Meißigen Schüler in dasfelbe einfchreiben, nad Verfluß einer
zoche ſowohl diefe als jene öffentlich ablefen, und dieſes Buch
n Bfarrern bei ihren Schulbefuchen, bejonderd aber bei den
fentlichen Frühlings⸗ und Herbftvifitationen vorlegen follen.”
Banz befonderen Wert Iegten die Behörden auf die Schul-
uche der Pfarrer, weshalb durch Generalfynodalrefeript vom
Dez. 1795 verordnet wurde, „daß die Pfarrer und Bicare
It nur das Datum ihres jedesmaligen Schulbeſuches, fondern
h ihre Verrichtung in das Schuldiarium felbft noch in ber
Jule einfchreiben, zu welchem Ende ihnen die Schulmeifter fols
° Diarium vorlegen, nachher aber in der Schule verwahren
dem Decano visitatori bei der Kirchenpifitation zuftellen
en.“ Die Decane follten bei ihren Bifitationen Schreibübmigen _
mehmen laßen und das unter ihren Augen Gefchriebene an die
erbehörbe einjenden.
Ueber alled dad, was orbnungsmäßig in den Schulen
Bachtet werden follte, gibt am vollftändigften das Schema
Füchluß, welches durch Beneralfynobalrefcript vom 1. Febr. 1798
die Baftoralrelationen über Die Schule vorgefchrieben war. -
„Die Schule befindet ih in — — — Buftand; die Kinder
Ehen — — — Fortfchritte, bejonders find fie im fertigen und.
— 158 —
correcten Leſen, auch mit Ausdruck des Accentd und Wbfepen, Er
Auswenbiglernen und Gorrectichreiben, im “Rechnen, in eigener
Anffäpen, in Erkenntnis der Heildordnung vor fih gekommen
(oder bier und da, welches beftimmt anzugeben, zurüd); bie
meiften ober wenigften find in Beobachtung der Ordnung, Stile
und Neinlichkeit folgfam (oder widerjpenftig); kein (oder einige
nominatim) incorrigibles Kind, das ſich durch Bosheit, Hal&
ftarrigkeit, Faulheit, Ungehorſam, Rohheit beſonders auszeichnete,
ift in der Schule; für Arme wird das Schulgeld ex pio corpore
(oder — —) bezalt; die Verſaͤumniſſe find nach Ausweis der
Schultabellen des Sommers (Winters) ſtark, gemäßigt, gering;
fie find laut Protocolli kirchenconventlich gerügt (oder nicht ge
rügt,) und die angefepte Strafe eingezogen worden (ober nidt).
Dad Verbingen der Schullinder während der Schuljahre wird
nicht geftattet (ober zu verhüten gejucht), und auf welche Art?
Es geſchieht nur mit Vorwißen oder Ginwilligung des Pfarramte
(oder ohne deſſen Vorwißen). Die gedrudte Schulorbnung ifl
vorhanden und wirb fammt den neuen Schulordnungen und Re
zeſſen beobachtet. Die gnädigft verorbneten Schulbücher, Abc⸗
Spruch⸗, neues Geſangbuch und Sinderlehre werden durchgängig
gebraucht; Braunfchweigifcher Katechismus wird benutzt, von dem
neuen Geſangbuch find — Gremplarien in der Schule; die ei
nicht "befißen, werben zum Abſchreiben der aufgegebenen Lieden
angehalten; das anbefohlene Schulreceßbuch, Schul⸗ und Kirden
diarium, Sittenregifter, Hefte, Neglektenzettel find eins und fort:
geführt (oder nicht, und warum?) ; der legtere wird alle Monatt
zum Kirchenconvent übergeben (oder nicht); auswendig buchſta⸗
biren, Deutlich abgejeßt und mit gehörigem Accent leſen, bicirt,
auswendig correct fehreiben, das Erzälte oder Vorgelejene von
moralifchen Gefchichten, guten und ſchlimmen Beiſpielen, oder
auch Iehrreiche Fabeln ſelbſt zu Papier bringen, Rechnen, We
moriren der vornehmften Sprüche, des Katechismus, der neue
Geſaͤnge, Vorbereitung auf bie naͤchſte Lection ber —
Katechiſation ſind in Uebung (oder nicht, und warum 9); da⸗
Vorhergegebene wird erklaͤrt, über die Heilswahrheiten katechiſtt,
die Predigten, zu deren Nachfchreibung in der Kirche bie älteſer
— 19 —
mgehalten werden, am — — — examinirt, auch bie
um Gebet aus dem Herzen angeleitet. Die wider das
efen und Schreiben gemachten Fehler werden (Angabe
corrigirt; die fleißigen, gehorfamen und ordentlichen
erben Öffentlich gelobt, und wo Prämien audgeteilt wer:
ohnt; Die unfleißigen, ungehorfamen und unordentlichen
, beihämt, beftraft; Die mutwillig unfleißigen von ber
tion zurüdgewiefen. Die Kinder werben gleich nach zu-
em ſechsten Jahre zur Schule gefhidt und nicht eher
enommen, als bis der Pfarrer fie frei ſpricht. Sonns
iſt Sommer und Winter separato sexu im Gange,
> — Stunden lang gehalten. Zu Prämien find — fl.
ario, oder eine befondere Stiftung oder außerordentliche
fimmt. Eine befondere Spinnanftalt ift gemacht, wäre
)raͤtlich, oder iſt ganz überflüßig, unnötig oder unmög⸗
n — — —.
r Hebung des Schulweſens hatte i. J. 1797 ein wüͤrtem⸗
Pfarrer unter den Schulmeiſtern ſeiner Nachbarſchaft
ig wiederkehrende Conferenzen veranſtaltet, in denen
Intereſſen der Volksſchule unter ſeiner Leitung beſprochen
Die Kirchenbehoͤrde ſah das Heilſame dieſes Verſuches
in, und machte durch Reſcript vom 1. Febr. 1798 die
n Darauf aufmerffam, „daß es für das Schulwefen jehr
t wäre, wenn fin jeder Diöcefe nad) deren Größe eine
rere Schulmeifters&onferenzen veranftaltet werden fönnten,
en fie fich über Verbeßerung des Schulweſens miteinander
: Direction eines Pfarrerd zu befprechen, erprobte Vor⸗
ver Lehrmethode und Schulzucht wie überhaupt gemachte
he Erfahrungen fi) mitzuteilen und einer den anderen
zu belehren hätte.“ Die Decane jollten daher unter
ication mit den Pfarrern und Schulmeiftern ihrer Diö-
h vor Michaelis dem Konfiftorium Vorſchlaͤge darüber
‚ „ob und wie folche Schulmeifter-Bonferenzen in ihren
einzuführen wären.”
tichzeitig war das Kirchenregiment unabläßig bemüht, Die
der Schulmeifter und die äußere Lage der Schule felbft
— 160 —
zu einer moͤglichſt würdigen zu machen. Daher wurden die Pfarrugm
und Vicare durch Generalfynodalrefcript vom 3. Dez. 1795 any.
gewiejen: „Daß fie die notwendige Subordination der Schullehrer
über die Gebür nicht ausdehnen, ihnen, die ja ebenſowol wie fie
in ihrem Gebiete an der Bildung des Menjchen und bejonderd
der Jugend arbeiten, mit aller Schonung und Achtung begeguen,
vor der Schuljugend felbft ihnen nie eine Weifung geben und am
wenigften fie, bejonder8 in ben Schulftunden, zu unſchicklichen
Privatgejchäften gebrauden werden.” — Schon i. J. 1780 war
verordnet worden, „daß die Schuldiener glei) den Paſtoren,
wenn fie vor das Konfiftorium gerufen, oder um etwas zu ſuchen
nad Stuttgart kommen, wofern fie nicht etwa bei einem nahen
Verwandten ihren Abftand nehmen, in der geiftlihen Her
berge dermalen zum Bären logiren follen.“ *) In demſelben
Sinn ſuchte dad Kirchenregiment auch die Schulftuben und die
Einkünfte des Schulmeifters thunlichft zu beßern, was indefen
feine großen Schwierigkeiten hatte. Durch Generalfynodalrefeript
vom 3. Dez. 1795 war verfügt worden: „wenn die Pfarrer jehen, |
daß für die Zal der Schulkinder die Schulftube zu eng if, — |
fo haben fie foldyes gleihbald ihren Decanis anzuzeigen, damit
biefe unter Communication mit den weltlichen Ober⸗ und Stabe
ämtern auf die benötigte Grweiterung der Schulftube bringen
mögen; follten aber irgendwo öfonomifche Umſtände ſolches nicht
gleich geftatten, fo wollen wir eine Probe guädigft gejchehen lapen,
daß, wenn es die Localverhältniffe des Orts nicht hindern, die
Kinder inzwijchen in ſchicklichen Abteilungen unterrichtet, und nad
jochen die jüngeren Kinder Vor- und Nachmittags entwedei
Ipäter zur Scyule fommen oder bälder daraus entlaßen werden
dürfen.” Uber die Synode bed Jahres 1798 bezeichnete hd
eine große Anzal von Orten, wo gar feine Schulftuben vorha®
den waren, und in einer Beilage wies dieſelbe 100 engräumigt
und beinahe unbrauchbare Schulhäufer nach. **)
Noch ſchrecklicher als der Zuſtand der Schulhäufer war
*) Brgl. Dente’s Archiv für die neuefte Kirchengeſchichte B. 4. 6. #
»9 Eichenlohr S. L.
— 161 —
nch immer die äußere Lage ber Schulmeifter ſelbſt. Aller-
war gegen dad Ende der Regierung des Herzogs Karl
93) Die Lage der Schulmeifter im fogenannten Unterlande
Erhöhung des Schulgeldes wefentlicy gebehert, allein noch
1795 wurden in Würtemberg 957 Schulmeifter und 366
oren, alſo zufammen 1323 Lehrer aufgezält, „bie gröftens
m Hungertuche nagten.“ Cine Wolthat für den ganzen
der Schulmeifter war ed, daß um 1795 in der Dioöceſe
gen eine Schulmeiſter⸗Witwen⸗-Kaſſe begründet wurde, welche
tung, namentlidy ald das Kirchenregiment durch Gen. Syn.:
vom 1. Febr. 1798 Diefelbe dringend empfohlen hatte, als⸗
a vielen Didcefen Nachahmung fand.
Ratürli) war die Lage der Provijoren noch trauriger als
r eigentlichen Schulmeifter, was freilich mit Der ganz unges
rn Weile der Vorbereitung zum ESchuldienft in Zufammenhang
Deffentlihe Praparandenanftalten oder Seminarien waren
orhanden. Der Schulmeifter nahm Lehrlinge an, die ihm
muften,, wa8 der Meifter in der Schule that. Seit 1791
freilich fein Schulmeifter einen Lehrling ohne Genehmigung
ecansd annehmen und durfte nody weniger, was ausbrüd-
rboten war, feinen Sohn oder einen anderen Lehrling als
or in der Schule fungiren zu laßen. Späterhin (28. No⸗
1794) wurde verfügt, daß ein jeder Proviſor wenigſtens
jahre bei einem tüchtigen Schulmeifter in der Lehre gewefen
Me. Waren Lie Lehrlinge „losgeſprochen,“ jo traten fie
dem Titel „PBrovijoren” als Gejellen auf, die in Lande
jogen, und fürzere oder längere Zeit da blieben, wo fie
7 Schule Arbeit fanden. Erſt durd ein Gen.:Syn.:Refer,
8. Nov. 1794 wurden die Decane angewiejen, „dieſes bes
je Wantern von einem Ort und von einer Schule zur an—⸗
' was für dus Echulwejen tie nachteiligften Folgen habe,
Träften zu verhindern, womit zugleich befohlen wurde, „Daß
rhabenden Veränderungen mit den Proviforen nebſt ihren
en den Decanen jedesmal angezeigt werben follten.” Da
toviſoren von den Schulmeiftern ganz und gar abhängig
, fo waren diefelben in der Regel Bilder des entjeglichiten
: Bollsfhulweien, 2. 11
Jammers. In einem Gen.Refer. vom 30. Januar 1792 wur
die Geiftlihen auf diefe traurige Erſcheinung aufmerkſam gemac
„daß die Proviforen von den Schulmeiftern gröftenteils ſehr fehle
falarirt würden, bierdurdy aber denfelben alle Ermunterung zı
Fleiß und Treue in ihrem Dienft genommen und fie öfters ein
wahrhaft widrigen Schickſal ausgefegt würden.” Aber zur Bel
rung ibrer Lage geſchah einftweilen gar nichts; nur eine for
fältigere Gontrolirung der Broviforen wurde verfügt (30. Jan. 1793
Alle Diejenigen, welde ein Schulproviforat zum erften Male nad
ſuchten, muften wie bisher ſich zuvor von dem Decan prüfe
laßen. Die bis dahin bei jeder Proviforatsveränderung übli
gewejenen wieterholten Prüfungen wurden allerdings abgeftell
dagegen follte fein PBrovifor zu einer Schulmeifterftelle gemäh
werden können, der fid) nicht von Dem Konfiftorium babe prüft
lagen, und zu dieſer Konſiſtorialprüfung ſollte Fein Provifor ve
zurüdgelegtem 22. Lebensjahre zugelaßen werden.
Einen erfreulichen Aublid bot das ſchon im Anfange d
Jahrhunderts geftiftete Waifenhbans dar. Bereits in D
Jahren 1705—1707 hatte Die Generalfynode Vorſchläge zur X
gründung eines Waiſenhauſes ausgearbeitet. Man hatte be—
tragt, ed möchte eine beſondere Commiſſion, der auch ein las
ſchaftliches Mitglied beizugeben fei, den Gegenſtand in Grwägn
ziehn. Der Geheimrat genehmigte den Vorſchlag und feßte dal
jofort eine Commiſſion nieder, weldye die Ausführung der Sad
namentlich Die Frage, wie die nötigen Mittel zu befchaffen jeir
beraten follte. Am 28. November 1709 legte die Sonmmiffion i
Gutachten vor, *) nad) welchen das Waiſenhaus fofort ein;
richtet wurde, und zwar in Verbindung mit einem „Zucht⸗ u
Arbeitshauſe,“ in welches teild Arme, die ohne ihre Echuld
*) Unter den in Borfdjlag gebrachten Hülfemitteln wird auch angegef
„das Kulenderprivilegium,” „Abſchaffung aller fremden und inländijcyen Zeitung
und alleinige Einführung Eines im Waiſenhauſe gedrudten wödentlidien do
nal8 :” auch wären berühmte Medici zu bitten, dem Waiſenhauſe ein oder andei
geheimed Necept zu verchren und nach dem Beilpiel von Sale die BVerfertige
und den Verkauf dem Waijendaufe zu überlaßen.”
— 163 —
Rot gefommen waren und nicht mehr arbeiten konnten, teild „gott:
oje, ungeratene Kinder, Nachtſchwaͤrmer, Vaganten, Trunken⸗
olde, Spieler, ungehorfame und boshafte Eheleute, Knechte,
kägde, fanatiſche Schwärmer und all’ anderes liederliched Ger
idel, jo mit beftäubiger Hintanfeßung Gottes und aller Beße⸗
ngömittel das Predigtamt und die weltliche Obrigkeit toller
eife verachten,” aufgenommen werben folten. Zur Fundation
t Anftalt trug der Kirchenrat nad) dem Verhältnis des landr
aftlichen Beitrag 3 — A000 fl. bei, unter Verwahrung gegen
' Behauptung der Landichaft, daß ihm „fundationsmäßig obs
ge, zu dergleichen Bweden vorzugsweije und dem gröften Teile
ch beizutragen.” Die fehlenden Gelder wurben von ber Rents
nmer gezalt und das Ganze gedieh fo glücklich, daß Das Wai-
ihaus fchon i. J. 1716 eingeweiht und daß 76 Kinder in das⸗
be aufgenommen werben Fonnten,
Späterhin (1775) gründete ein Privatverein zu Göppingen
ı Haus zur Grziehung armer, verlaßener Kinder (eined der
fen Rettungshäufer Deutfchlands).
Die erfte Induſtrieſchule erhielt Würtemberg in der Ge-
einde Birkach bei Hohenheim, wo 1. J. 1795 mit Unterflüßung
$ Herzogs Karl eine Spinnanftalt für die Schuljugend einges
tet wurde. Ein zur Verteilung an die Pfarrer beftimmtes
chriftchen „Spinnanftalt zu Birkach — zum Beften armer Kin
*, Stuttg. 1795” gab über die Organifation derjelben Nachricht;
meralvefcripte von 1795 und 1796 forderten dringend zur Rad
mung biefer Auftalt auf, und bald war daher. in vielen Bes
'inden eine ähnliche induftrielle Beſchaͤftigung der Schuljugend
geführt. *)
— —
*) Ramentlich trat der Eifer für Errichtung don Induſtrieſchulen in
Ttemberg feit 1797 hervor, in weldem Sahre fi auch. die würtembergifche
derverſammlung dieſer Angelegenheit annahm, indem fie durch Beſchluß vom
Rov. 1797 den Bfarrer Kohler zu Birkach zu einer möglichſt voflftändigen
Atwortung der ragen aufforderte: „wie und in wie weit die Einführung der
mftriefhulen in unferem Vaterlande ausführbar fei, welche Hinderniſſe der
richtung derfelben mehr oder weniger allgemein im Wege ftehen, befonders in
11°
—
— 164 —
Eine neue Periode der Entwidlung des würtembergiſche
Volksſchulweſens begann mit Dem 1. San. 1803, an welder
Tage in dem nunmehrigen Kurfürftentum Würtemberg ein Mani
feft proflamirt wurde, weldye8 eine wefentlihe Umgeftaltung de
Schulwefens anfüntigte. Alle geiftlihen und Schulangelegeuheite
wurden dem zu Heilbronn errichteten Oberconfiftorium untergeben
Bugleid wurde das Wahlrecht zur Beſetzung der Schullehrer
fielen, weldyes bisher vielen Gemeinden geeignet hatte, aufge
boben, indem fich der Kurfürft in der Inſtruktion für dad Ober
couſiſtorium vom 25. uni 1804 „die Beſetzung ſämmtlicher —
— Schullehrerſtellen — — unmittelbar” vorbehielt. Außerder
wurde in dieſer Inſtruktion, das Schulwefen betreffend, ang«
ordnet: „F 15. Wir übertragen unſerem SOberconfiftorium d
höhere Aufjiht und Leitung über den Unſrer landesväterlide
Sorgfalt fo nahe liegenden Orgenftand des ganzen Schuls um
Erzichungswefens in Unferen neuen Landen, mit dem ernftlihe
Auftrag, alle dermalen noch darin vorkommenden Mängel um
Mißbräuche genau zu erforfhen, ihnen vor der Hand und ung
jäumt jo viel möglich in Einzelnen abzubelfen, dagegen die fra
willige Einführung möglicher Verbeßerungen, 3. B. Realbürge
Ihulen in Etätten und auf Dem Lande einzuleiten, eine ſtrenge
und thätigere Aufficht der Decane und Pfarrer über das Schu
weſen und deren eigne thunliche Mitwirkung beim Schulunterric?
anzuordnen, und auf Diefe Art das nötige und dringende W
dürfnis einer allgemeinen Schulreform und den Entwurf eim«
planmäßigen Edyulorganifation und Ordnung in unjeren neue
melden Gegenden ded Landes und an welchen Orten ISuduftriefhulen am leitet‘
zu Etande gebracht werden können, welden Aufwand jede derfelben und D
Leitung ded Ganzen erfordere u. f. w.“ — In Folge diefer Aufforderung arbeite
Kohler mit unmfichtiger Benupung feiner eigenen Erfahrungen und der über ©
Induſtrieſchulen bereits vorhandenen Literatur feine „Gedanken über Cinführsz
der Induſtrie ſchulen auf Begeren der würtembergiihen allgemeinen Landen
ſammlung aufgefegt und übergeben,“ welche fo vieifeitige Unertennung- fander
daß fi der Verfaßer veranlaft ſah, feinen fehr ausjüprlichen Auffag i. 3. 130
im Druch zu veröffentlichen.
— =
“
4
—
*
m
—
7
—
—
— 166 —
Landen vorbereitend zu befördern. — An Erledigungsfällen von
Stadt⸗ und Landfchullehrerftellen erwarten wir bie Anzeige un:
ſeres Dberconfiftoriumd. Die Gompetenten find jedoch vorher
einer firengen Prüfung zu unterwerfen, welche genau nad) ten
Bedürfnifſen derjenigen Schule abzumeßen ift, wo fie angeftellt
m werden wünſchen. Tie Prüfung der — — zu deutſchen und
Landſchullehrern beftimmten Subjekte fol vor einer niederzuſetzenden
Sonfiftorialdeputation vorgenommen, hierüber aber durchaus ein
genaues Protocol mit anzuhängendem Urteil der Examinatoren
geführt, und defien Hauptinhalt dem an und zu erflattenden un«
terthänigen Bericht beigeſetzt werden.“
Allerdings war es ſchlimm, Daß der gewöhnliche Weg zum
kehramt noch immer durd die Hanbwerfäftube ging, oder daß
wenigften® Die Vorbereitung zum Lebrerberuf ganz handwerksmäßig
behandelt wurde. Kin Eynodalrezeß von 1807 befahl: „daß fein
dem Schulfach ſich wibmender Spuzipient früher als nach zurück⸗
gelegtem 14. jahre in die Lehre aufgenommen werden uud nicht
eher ald nady drei Jahren in die Lehre treten folle.” Aber man
begann doch bereitd an einzelnen Orten für cine planmäßige
Vorbereitung der Schulamtscandidaten wenigftend im Kleinen
Eorge zu tragen. Zu Heilbronn lich das Staatdminifterium
i. J. 1809 durch den Echulinfpeftor C. A. Zeller einen paͤdago⸗
giſchen Kurjus eröffnen, zu deſſen Beſuche die ſchon angeftellten
Lhrer aufgefordert wurten. 25 cvangeliihe und 12 Eatholifche
Imen infolge deſſen nach Heilbronn, um ſich vorjchriftsinäßig
inſtruiren zu laßen. Bon da an begann ſich der Zuftand des
Volksſchulweſens nach allen Seiten Hin raſch zu beßern, — nas
Mentlich unter dem gefegneten Einfluße des (titulirten) Prälaten
don Denzel.”)
Eine katholiſche Schulorduung war ſchon 1. J. 1808 er.
ſchienen; eine evangeliihe Schulordnung folgte i. J. 1810 nad).
Durch beide wurden wenigftens die äußern Verhältniffe des Schul⸗
weſens geregelter, und mittelbar wirkte dieſes auch günftig auf
Un
neber das Leben und Mirten deffelben vgl. „Blätter aus Süddeutſchland
für doe Volkserziehungs · und Bolksunterrichtsweien.” Jahrg. Ul. Heft 4.
— 166 —
das Innere defjelben ein; wenn gleih manche Beftimmun
Schulordnungen unaudgeführt blieben. Immer mehr wu
nun an auf die Vermehrung der Schulen Bedacht gen
denn auch der Fleinfte Ort. im Lande follte wenigfter
Filialſchule Haben und ohne den Segen des Schulunterrich
fein Kind im Lande mehr aufwachſen. Der Grundſatz bes
zwanges wurde immer firenger und conjequenter durch
Daher die firengen Normen für Beftrafung der Schulverfä
Tägliher Schulbeſuch auch während des Sommers wurde
dem dieß in dem evangelifchen Landesteile ſchon feit 181
war , fpäter auch in den Fatholifchen Gemeinden zum Gefi
Schulpflichtigkeit dauerte vom ſechſten bis zum vie
Jahre; und die Leiftungen der Schule wurden durch im
nauere Prüfungen controlirt. Was die Unterrichtögegenftä
die Unterrichtömethode betrifft, jo erfreute ſich Peftaloz
thode, die namentlich durch C. A. Zeller zu Heilbronn ı
wurde, anfangs der entjchiedenften Begünftigung; allein fi
wurbe biefelbe aus Würtemberg geradezu verbannt, indem
in einer Föniglichen Rejolution verfündigt wurde, daß b
Lehrplane Alles, was auf Die Peftalozziiche Methode,
wir nun ein für allemal in öffentlichen AYuftituten nicht ei
wißen wollen,” hindeuten würde, durchaus zu vermel
Dagegen drang nad mandyem Kampfe, den die Vorur
Volfed hervorriefen, und felbft Schulvorfteher nährten, |
phanifche Tehrmethode beinahe überall dur; der Rechn
richt erfuhr daneben den umbildenden Einfluß Peftaloz;
deutfchen Spradunterriht begann man als eines der w
Unterriptöfächer aufmerffam zu werden, man dachte an
rung ded Nealienunterriht3 und der Beichnen- und For
u. |. w. Mit befonderer Energie und befonderem Erfolg
in ben proteftantiihen Schulen auf. Ausbildung des Gefaı
gearbeitet, und damit zugleich die Entftehung von Gefang
unter den Schullehrern und von erwachjenen Gliedern
meinde gefördert. Mit Auszeichnung find als Beförberer
gemeinen Gefangbildung die Namen von Wolbold, Sik
Kocher zu nennen,
—
— 197° —
Auch die Einführung des Bell:Tancanfterfchen Unterrichts
Voftemd wurde verfucht. Die erfte Probe wurde im Stuttyarter
Wailenhanfe vom 26.—31. Mai 1817 dinch einen durchreiſenden
-polnishen Lehrer aus Warſchau, Krainsky, welcher in Paris
2 Sahre lang den gegenfeitigen Unterricht ſtudirt und betrieben
batte, vorgenommen; fie bejchränfte fich jedoch blos auf die Dars
ftellung einer folhen Schule in der Anfchauung und auf eine
kurze Anleitung, welche Krainsky vor feiner Abreife einigen
Lehrern zur Ausübung der Methode erteilte. Im Frühjahr des
folgenden Jahres befahl der König, daß die Referenten in Schuls
ſachen bei dem evangelifchen Konfiftorium, Prälat d'Autel, und
bei dem katholiſchen Kirchenrat, Dberfirchenrat v. Werkmeiſter
zujammentreten und ihr Gutachten über die Dell = Lancafterfche
Unterridhtömethode, ihren Wert an fi), und ob und unter wels
Ken Beftimmungen diefelbe in den Glementarfchulen des Landes
einzuführen fein möchtet, erftatten follten. Zu gleicher Zeit wurde
aud der Studienrat zum Bericht hierüber aufgefordert. In Yolge
ber Anträge wurde unter dem 9. Mai 1819 genehmigt, daß
förderjamft eine Probe mit einer mobificirten und bezichungaweife
verbeßerten Anwendung der einzelnen Vorteile dieſer Schuleinrich⸗
tung veranftaltet und die Leitung und Beobachtung tiefes Ver:
ſuchs den erwähnten Referenten übertragen werde follte. Es wurde
nun fogleich in demjelben Jahre Die Anwendung der tabellarijchen
Formen in der erften Elementarklaſſe des Stuttgarter Waijens
hauſes unter der Aufficht Des Schulinſpektors Zeller .und unter
leitung eines bejonders hierzu anfgeftellten Lehrers uud in einigen
andern Echulen verfucht. — Ungefähr zu gleicher Zeit wurde
dieſe Methode bei dem erften Reiterregiment zu Ludwigsburg durch
defien damaligen Commandanten, Oberft von Neinhartt, einges
ührt, und ſoll „ganz erfreuliche Refultate gewährt haben.“ Am
18, Nov. 1822 wurde ſodann verordnet, daß, bevor dieſe Unters
Atethode allgemein in ten Volksſchulen eingeführt werde, fie
Die Bisher in der Schule des Waiſenhauſes, den ftäbtijchen
dulen zu Stuttgart und in der Mufterfchule zu Eßlingen in
Wertung zu bringen fei. Die Refultate der während des Wins
ns I822,,, noch weiter ausgedehnten Verſuche follen gewejen fein,
— 168 —
„daß man der Bellstancafterichen Schuleinrichtung zweckmaͤ
Belebungsmittel des Unterrichts und verbeßerte Schulzucht verbai
Leider geſchah für zwei wefentliche Vorausfegungen ı
tüchtigen Volksſchulweſens, — nemlich für Hebung der Bil
und für die Beßerung der äußeren Lage der Scullehrer
immer zu wenig. Im Sabre 1810 gab es in Würtemberg
Lehrlinge des evangeliſchen Schulftandes. Der gröfte Teil
felben war aus den niederen Ständen entfproßen und in U
erzogen. Diele waren Söhne von Schulmeiflern, nur ganz wı
gehörten den höheren Ständen an. Die Bildung diefer Lehr!
des Schulamted war faft ausſchließlich in die Hände der ©
lehrer gelegt. Zwar follte Fein Schulmeifter ohne Vorwißen
Decans einen Lehrling annehmen, und die Decane follten
erprobten Echulmeiftern dieſe Erlaubnis erteilen. Untüd
Schulmeifter ſollten nit einmal ihre eignen Söhne als Lehrl
annehmen dürfen. Allein fchon die Verfchiedenheit der Anfic
über die Tanglichkeit der einzelnen Schullehrer, die Gleichgü
feit, womit mehrere Decane dieſe amtliche Obliegenheit behanbel
die geringen Anforderungen, die man vormals an ben &ı
ſchullehrer gemacht hatte, Die verfchiedenen Rüdfichten,, welche
die Erteilung diefer Erlaubnis bin und wieder einwirften, ve
laften e8, daß der größere Teil der Schullehrer, denen die
dung der „Schulincipienten” anvertraut war, ſich dieſem Geld
in höchſt unberufener Weife unterzogen. Als i. J. 1809
Dberconfiftorium zu Stuttgart von ſämmtlichen Schulmeifl
welche Lehrlinge unterrichteten, Berichte über ihre Unterrichtev
einforderte,. ergaben fi die traurigften Refultate. Viele
ftanden die Aufgabe gar nicht und lieferten nichts als einen
talog der Materien, die fie ihren Böglingen beizubringen fud
aber das Wie? mußten fie nicht zu beſchreiben. Giner wa
aufrichtig zu geftehen, „daß er felbft nicht eigentlich jagen fd
nach welcher Methode er feinen Incipienten unterrichte ‚” ein
derer fagte, „er gebe dem Lehrling möglihft nügliche Bi
in die Hände und nötige ihn, fte fo ſchnell als möglich bur
lefen, oder er Tape ihn fingen und finge mit ihm, um ihm
einfache Schreien abzugewöhnen” ober „er laße ihn .im Sı
— 169 —
ſchreiben fih üben durch eine ſelbſt gefchnittene gute Feder.“
„Das Wie? in ber Frage, behauptete ein Anderer, würbe eine
allzulange Beſchreibung erfordern, weil ein Lehrer bei den meiften
Imeipienten täglih neue Umftände und Vorfallenheiten entdeden
muß, genug! bisher bat, Bott fei Dank, bei mir die Hoffnung
der Erwartung entiprochen.” Nach gewißenhafter Prüfung der
von den Schulmeiftern gelieferten Relationen über ihre Unterrichts-
methode mufte dad Refultat audgefprochen werden: „daß es bei
den Meiften mehr ein Abrichten, als eigentliches Bilden zu ihrem
Derufe fei, Daß die Böglinge mehr tie äußere Praxis des Schul-
meifter8 im gewönlichen Sinme mechaniſch lernen, als daß fie für
ihre Praxis Gründe anzugeben wüften; daß meiftens gar fein
Plan der Unterweifung des Incipienten zu Grunde Tiege, — öfter
felbſt nicht einmal tägliche beftimmte Stunden dafür ausgeſetzt
fein, fondern diefer Unterrichtöftunden Zal von dem Mangel
an häuslichen oder Feld-Geſchäͤften des Schulmeifterd ab-
Hänge“ u. ſ. w.
Außer den Echulmeiftern, welche fi) der Bildung von Lehr:
lingen des Schulftandes wibmeten, waren noch einige Heine In—
Ritute im Lande, welche ebenfall® Lehrlinge annahmen. Dazu
gehörten
1) Das Stuttgarter Waiſenhaus. Schon im Jahre 1797
war in dem für das deutjche Schulwefen zu Stuttgart entworfer
nen Verbeberungsplan des Gonfiftoriums bei Gelegenheit des Vor⸗
hlags, einen Inſpector für die deutſchen Schulen aufzuſtellen,
der Gedanke geäußert worden, es könnte die nach jenem Plane
als notwendig dargeftellte Anzal von 12 deutſchen Schullehrern
die befte ®elegenheit zur Bildung eines fleinen Schulfeminars
unter ber Leitung des neuen Schulinfpector8 barbieten; auch
wurde in der barauf erlaßenen Geheimen-Rats⸗Reſolution befohlen,
Meer Gommunication mit dem damaligen Kirchenrat auf bie Rea⸗
— —
) Das zunachtt Folgende if meiſtens mörtli nad) d'Auteldie Anſtalten
Bildung künftiger Volksſchullehrer evangeliſcher Konfeffion im KRönigreiche
Dre genberg,“ in den „freimütigen Sohtbüdern der allgemeinen deutſchen Wolts-
Garen] 6. 127 ff. mitgeteilt
— 170 —
liſirung dieſes Vorſchlags Bedacht zu nehmen. Allein da jen
Schnulplan nicht praftiich geworden war, jo hatte auch von Seit
des Staates für die Realifirung dieſes zwedmäßigen Vorſchlag
nichts geichehen können. Indeßen hatte der für Verbeßerung bi
deutſchen Schulwefend unermüdete thätige Schulinfpector und Wa
fenpfarrer M. Riede diefen Plan der Erridytung eines kleine
Schullehrerſeminars dadurch zu verwirklichen begonnen, daß ı
Lehrlinge gegen ein jährliches Koftgeld, das fie dem Waiſenhau
bezalten und welches endlich bis auf 140 Gulden gefteigert wurd
in Wohnung, Koft und Unterricht nahm, fie teild felbft unterrid
tete, teild von feinen Schullehrern unterweifen und in fein
Schule in der beßern Lehrmethode praktiſch üben lief. Ale
diefe Anftalt konnte ſchon ihrer ganzen Anlage nad feine grof
Frequenz haben; zwölf bis fünfzehn Zöglinge konnten für de
Ganze des Volksſchulweſens im Lande nicht viel wirken; au
mufte den Lehrlingen durch die Notwendigkeit, fich ihr Koftge-
durch Privatunterricht wieder verdienen zu müßen, nidyt nur d
für die Pflege ihrer eigentlichen Bildung erforderliche Zeit E
Ihränkt, fondern auch Kraft und Luft zum eignen Studium me
oder minder geſchwächt werden. Gleichwol, gingen Doch mehre
gut gebildete Lehrer aus diefer Anftalt hervor, die außerdem ıc
jentlich Dazu beitrug, daß das Bebürfnid eined Volksſchullehrs
feminars allmählih mehr und mehr fühlbar wurde,
2) Das Scullehrerfeminar zu Dehringen. Dafjelbe ve
dankte fein Entftehen der Wolthätigfeit des Fürften Ludwig Frie
rich Carl zu Hohenlohe »Debringen «Neuenftein,, der unter de
19. Juni 1788 ein Capital von 10000 fl. ftiftete, aus bep:
Binfen jederzeit 3 Schulamtecandidaten zu Dehringen freie Ko
Wohnung und umentgeltlichen Unterricht erhielten. In der Reg
wurden in dieſes Seminar Schulproviſoren zu ihrer weiteren Au
* Bildung aufgenommen. Der ganze Lehrceurfus dauerte 3 Jahr
3) Tas Eßlinger Alumneum. Dafjelbe erzog jährlid u
gefaͤhr 10 arme junge Leute und zwar gröftenteild für den Lehre
ftand. Der Fonds, aus welchem fle in Wohnung, Koft und Wi
terricht ganz frei erhalten wurden, war nicht unbedeutend. De
Mector des (lateinifchen) Paͤdagogiums war jedesmal Yufjeper Di
— 11 —
ed Inſtituts, deſſen Local felbft in einigen Zimmern des Paͤda⸗
gogiums beftand. Urfprünglich waren diefe Alumnen für die Kir
chenmuſik beftimmt; gleichwol bildeten fie ſich meiftens zu Iateini.
ſchen ober deutſchen Schullehrern aus, obgleich die Anftalt für
dieſen Zweck nicht beftimmt war.
4) Das Gontubernium zu Hall hatte ganz denjelben Urs
ſprung, dieſelbe Anlage, dieſelbe Beſtimmung und Aufficht und
Lieferte ebenfalls in Einzelnen feiner Böglinge gelegentlich Candi⸗
Daten des Schullehrerftandes.
5) Das Tübinger Pauperat beftand aus 2 Präfecten und
5 Echülern. Diefe Pauperes fangen wöchentlich) vor den Häufern
und wurden auch bei dem Sirchengefange gebraucht. Mehrere
von ihnen widmeten fi) dem deutſchen Schullebrerftande und
wurden zu Tübingen zu dieſer Beflimmung weiter ausgebildet.
Allein alle dieſe Anftalten lieferten jährlich höchftens 30
Zöglinge für den deutſchen Schullehrerftand und auch bei ihnen
konnte von einer methodischen Berufsbildung feine Rede fein. Die
in jedem Jahre wiederkehrende Zahl von 200 Schulincipienten
war fomit den präparirenden Händen der deutſchen Schulmeifter
überlaßen.
Um den Anfang zu einer methodiſchen Ausbildung der
Schulmeifter zu madyen, eröffnete die Staatsregierung im Jahre
1809 zu Heilbronn den (ſchon oben erwähnten) päbagogifchen
Curſus. Aber man überzeugte fih, daß ein ordentliche Schul⸗
lehrerſeminar nicht mehr zu entbehren ſei. Die Generalſchulver⸗
ord nung von 1810 befahl: „Die Incipienten des Schullehrerſtan⸗
des ſollen Fünftig die zu ihrer Lehrzeit beſtimmten 3 Jahre (von
erfo Igter Confirmation bis zum 17. Jahre ihres Alters) nur allein
Meinem öffentlichen Schullehrerſeminar, oder in einer vom K.
Berconfiftorium genehmigten Privatbildungsanftalt eines im paͤ⸗
da gogiſchen Face ſich auszeichnenden Geiſtlichen, oder bei einem
“au ausdrücklich legitimirten, vorzüglich tuͤchtigen Schullehrer zu-
Fürzgen.“ |
Zugleich wurde die fofortige Einrichtung eined Seminars zu
Lingen an der Stelle des aufzuhebenden Alumneums daſelbſt
— 1172 —
angeordnet, neben welchem Hauptfeminar jedoch das Seminar '
Debringen und die Lehranftalt im Stuttgarter Waifenbaufe no
fortbeftehen follten.
Die Eröffnung des Seminars zu Eßlingen (in welde
der Prälat von Denzel mit nnermüblichem Eifer thätig war,) €
folgte am Tage Georgü 1811 und zwar mit einer Anzal von 7
bis 80 Böglingen. Erft i. J. 1824/25 wurde ein zweites Sem
nar für den Fatholifchen Tandesteil zu Gmünd errichtet. — Di
neben entftand eine Reihe von Privatbildungsanftalten, geleit
von Geiftlihen. Die große Anzal von Sculamtöpräparanbeı
welche in dieſen Anftalten Feine Aufnahme fanden, war freiliı
immer noch genötigt, fich einzelnen Schullehrern zur Präpartrun
zu übergeben. Indeſſen wurde doch jetzt mit Grteilung der Geı
ceffion zur Annahme von Präparanden umfichtiger und firenge
verfahren.
Um unter den fchon im Amte ftehenden Lehrern all
mählich ein regeres Leben und Streben zu erweden, ware
die fchon durch Generalverorduung von 1793 der gejammte
Beiftlichkeit empfohlenen Schullehrerconferenzen durcht
Schulordnung von 1810 für das ganze Land angeordnet um
durch zalreiche nachfolgende Verordnungen geregelt worben. Us
es zeigte ſich alsbald, daß es kein wirkfamered Mittel gab, =
in Predigern wie in Lehrern das Intereſſe für Volfserziehur
wad zu erhalten und die Erkfenntniffe und Erfahrungen Einzeln
zum Gemeingute Vieler zu machen, ald eben dieſe Conferenze
ber Schullehrer. Daher war die neue Einrichtung fehr ba}
durch das ganze Land Hin verbreitet. Um das Jahr 1820 we
diefelbe folgende *):
In jedem der 50 Delanate des Königreich beftanden — na«
Masgabe der ocalität — eine bis vier foldher Gonferenzgeiel
“ fchaften. Es waren im Ganzen deren jetzt etliche und neumig
Der Ort der Bufammenkünfte war für jebe vom königl. Obe:
conſiſtorium auf erhaltene defanatamtliche Berichte Beftimmt. %
*) Rach den freimütigen Jahrbüchern der gllgemieinen deutſchen Volktſchale
1882, ©. 389 fi.
— 1713 —
der Spige jeder ſolchen Gefellichaft fand, mit dem Namen Gon-
ferengdizector, ein vom fönigl. Defanatanıt vorgefchlagener,, vom
fönigl.' Oberconfiftorium ernannter Geiftliher. An mehreren Or
ten führten auch zwei gemeinichaftli das Geſchaͤft. In Krank
heitöfällen war, auf Verlangen des Directors, jeder Geiſtliche der
Didcefe verbunden, feine Gefchäfte zu übernehmen. Die Jüngern
folten ihn überhaupt auf fein Begehren unterftügen. Der Gons
ferenzdirector war nicht befoldet. Nur, wenn die Konferenz außer:
bald ſeines Wohnorts gehalten wurbe, erhielt er für feine Aus
lagen eine tägliche Remuneration von 4 fl. aus den Stiftungs⸗
kaſſen der betreffenden Bezirksorte. Uebrigens wies die Verord⸗
nung von 1816 8. 10 auf bejondere Berüdfichtigung eifriger Con⸗
Terenzdirectoren bei eigenen VBeförderungsgefuchen bin. Dem Aufs
trage, die Direction einer Gonferenz zu uͤbernehmen, durfte ſich
fein Geiftlicher ohne genügende Gründe entziehen. Nur ein Alter
über 60 Jahre dispenfirte. Die übrigen Geiſtlichen der Diöcefe
Waren Mitglieder der Gonferenz und — follten fi mit dem Dis
tector über die Bedürfniffe ihrer Schulen in Gorrejpondenz fegen.
Jeder der 1400 Schullehrer und 562 Proviforen des Königreichs
— mit Ausjchluß der Incipienten — war zu Einer diejer Gefell-
haften eingeteili und dem Director derfelben für die Zwecke der
Anfkalt untergeordnet. Nur der Director konnte ihn von perjöns
lich en Erfcheinen bei der Gonferenz, ober von Grfüllung anderer
Bliegenheiten dispenſiren, wobei nur erwiefene Krankheits⸗ oder
andere dringende Fälle ald gültige Entfchuldigungsgründe anges
nomamen wurden. Bei Veränderung feiner Stelle hatte Jeder ſich bei
enn Director des neuen Bezirkes, in den er eintrat, zu präfentiren;
bei Bewerbung um Anftellung oder Beförderung war ein Zeugnis
vom Director beizubringen. Die Gonferenzen wurden überall
KBxid viermal gehalten. Es wurde dazu ein Mittwoch beftimmt,
Deig an diefem Tage ohnehin überall Nachmittags’ Vakanz Statt
ſanr D und bie Schulen mithin nur den Vormittag an Zeit verloren.
Le Beftimmung des Termins zu den Bufammenkünften fand der
Di Tection zu, welche übrigens darauf ſah, Daß fie nie zu nahe
zu cammenfielen. Die Verhandlung begann, am feftgefegten Tage,
in Der Schule oder auf dem Rathaufe des Gonferenzortes fo früh
4
— 11 —
als möglich und wurde auch Nachmittag fortgefegt. Es wın
ein Protocol geführt. — Der Director bediente fi) da
der Schullehrer. In dem Protocol wurden bejonders auch d
jenden und abwejenden Mitglieder genannt. Ueber jed
ferenzbezirt wurde nad Abſchluß des Jahres vom Direct:
das Dekanat ein allgemeiner Bericht an die königl. Sy:
ftattet, die Fleißigen oder Unfleißigen Darin bezeichnet ,
gelungenften unter den eingefommenen Abhandlungen 5
Sn befonderen Fallen wandte ſich der Director mit bei
Anfragen und Bitten durch den Defan an das fönigl. X
fiftorium. Die Fleißigen erhielten nah DBejchaffenheit d
fände Belohnungen, Die Unfleißigen Monitionen von ber
Behörde, weldye überhaupt über Erreihung der Zwede Di
ftalt wachte. Jeder Lehrer erhielt aus den öffentlichen
feines Wohnortes eine angemeſſene Remuneration für fei
lagen. Hauptthema waren bei jeder Konferenz eine ober
vom Director vorgelegte pädagogifche oder didactiſche Frageı
Director ordnete die Gejchäfte nach einem beftimmten
machte auf die Wichtigkeit ded fraglichen Gegenftandes ı
fam ꝛc., beurteilte die eingefommenen Arbeiten öffentlich
Mottos oder Nummern, ohne Namensbenennung, berichtig
Anfichten, hob das Beßere "heraus, mit beftändiger Berückſi
bes Stils. Er ftellte Die Refultate aus den eingefommei
beiten zufammen, verglich fie, ließ über ihre Anwenbbarf
Nichtanwentbarkeit abftimmen, verband damit Belehrung
neuere Methoden u. |. f. und Ermahnungen in Betreff nı
bandener Mängel u. ſ. w., knüpfte daran mündliche Verh
ber fich daraus ergebenden Fragen über tie vorliegende o
damit genau verwandte Materie, fafte die ausgefprochenen
ten zufammen und führte fie zu einem Beſchluß. Auch
er einzelne Mitglieder, beſonders auch feine anweſenden gı
Gollegen, auf, Erfahrungen, Fragen, Wünjche u. dgl. vorz
deren Grörterung er alsdann leitete, trug Anfichten aus
pädagogiichen Echriften zur Prüfung und "Beurteilung vo
ließ Einzelne vortragen, was ihnen aufgefallen. Er machte
ber neueften pädagogijchen Literatur befannt und brachte di
— 15 —
der päbagogifchen Lefegefellfchaft zur Sprache, ftellte praktijche Uebun⸗
gen im Dociren, Vorlefen, mündlichen Vortrag, Singen u. dgl. an.
machte die Lehrer mit den neueften vaterländifchen Verordnungen
im Schulweſen, fo wie mit anderen wichtigen Ereigniſſen in der
püdagogiichen Welt befannt und begann das Thema der nächften
Conferenz mit Nennung der Schriften, die etwa darüber nachge⸗
lejen werden Eönnten. Auch wurden Nügen über Fehltritte auß-
Beiprohen, die gegen die Würde des Standes waren und dem:
Velden die Achtung bei anderen Ständen benahmen.
Somit waren feit 1810 mandherlei Einrichtungen getroffen,
welche allmählich wenigftens eine der Aufgabe des Volksſchullehrer⸗
amtes entſprechende Bildung unter den Schullehrern beimifch
machen muften; aber die Wirkſamkeit diefer Einrichtungen wurde
in hohem Grade dadurd gehindert, daß noch immer faft alle
Lehrer von der Sorge um das tägliche Brot gequält waren. Die
Säeularifirung des Kirchengutes (2. Januar 1806) und die Aus—
gaben, welche feit 1806 und 1809 der Krieg verurfachte, hatten
den Lehrern für lange Zeit alle Hoffnung auf eine Beßerung ihrer
äußeren Page genommen. Die katholiſche Schulordnung von 1808
beftimmte über dad Minimum der Schullehrergehalte gar nichts,
und wenn die evangelifhe Schulordnung von 1810 beftimmte, daß
jede Lehrerftelle wenigftend 150 fl. einbringen folte, fo war dieſe
Veftimmung doch gar zu ungenügend. Namentlich blich das Loos
der Filiallehrer ein höchſt trauriges.
Zur Leitung ded nen geordneten Volksſchulweſens wurden
im katholiſchen Landesteil bejondere Schulinſpectoren aufgeftellt,
unter denen jened einen fehr erfreulihen Auffhwung nahm. Der
kane und Schulinfpectoren controlirten ſich gegenfeitig. — In der
höheren Behörde vereinigte ſich aber auch hier Kirchliche und Schul-
Aufficht.
Im evangeliſchen Landesteile blieb die alte Ordnung, daß
die kirchlichen Aufſichtsbeamten zugleich Bezirks-Schulaufſeher wa-
ten, wie denn auch das evangeliſche Conſiſtorium die Oberfchul:
behörde bildete. Doch wurde bereits die Trage: „Ob es zwed-
mäßig fei, befondere Schulinfpectoren in Würtemberg aufzuftellen,“
auf derjchiedene Weife beantwortet.
— 116 —
Ein zweites Waiſenhaus wurde i. 3. 1810 in Ludwigsburg
gegründet, aber hernach (1825) nach Weingarten verlegt.
VIII.
Das Königreich Sachien.
Nachdem bereitd in den kurſächſiſchen &eneralartifeln vom
1557 die Verpflichtung der Küfter zur Uuterflüßung der Pfaere-
in der Verwaltung des Katechetenamted audgefprochen und dem,
jelben die Einrichtung regelmäßiger Katechijationen aufgegeben
war, erfolgte die erfte Begründung eines eigentlichen Volksſchul⸗
weſens in Kurſachſen durch die große Kirchenorbnung von 1580,
In derfelben wurde nemlich nicht nur der Befehl erteilt, daß bie
Küfter in allen Dörfern mit Rat der Erb- oder Gerichtöhern
und mit Zuſtimmung des betr. Bifitatord und der £urfürftlicen
Beamten Schulen einrichten und daß in Zukunft Küftereien nur
an ſolche Perfonen verliehen werden follten, welche leſen und
Schreiben Fönnten, fondern e8 wurde auch in dem Abſchnitt „von
deufchen Schulen in Dörfern und Flecken“ die erfte Volksfhul
ordnung publizirt. Diefelbe war mit ganz geringen, unweſentlichen
Aenderungen, welche faft nur den Ausbrud betrafen, aus da
würtembergifchen Kirchenordnung von 1559 entlehnt. Auch bie in
der Iepteren enthaltne Dienftinftruction der Schulmeifter war mi
aufgenommen.
Auf der Grundlage diefer Schulordnung baute fich num bad
Volksſchulweſen allmählich auf, das jedoch vorläufig nur in feht
vereinzelt vorfommenden und faft nur von Knaben befuchten Wir
terfchulen beftand. Vielleicht war grade die Dürftigfeit des ba
maligen Volksſchulweſens der Grund, weshalb bis zum Anfangt
des folgenden Jahrhunderts durchaus Leine neue Verfügung übe
dafjelbe erjchien. Nur in der PVifitationsinftruction, welche de
Bormund und Adminiftrator des Kurfürftentums, Herzog Friedrich
Wilhelm, nach ber glücklich bewirkten Ausrottung des Philipps
— 117 —
ms in Kurſachſen i. J. 1596 erließ, wurde der Dorfichulen und
ihrer Schulmeifter gedacht. In derfelben wurden nenlich die Viſi⸗
Ittoren angewiejen, die Pfarrer auf den Dörfern zu befragen, ob
ber Küfter Schule halte, ob er in derfelben vornehmlich ten Ka⸗
fechiämus Luthers, die Plalmen und Lutherd Lieder einübe; ob er
auch öffentlich in der Kirche den Katechismus vorlefe, und ſodann
Die Schulfinder in guter Ordnung egaminire, um auch Die übrigen
F under zur Grlernung des Katechismus anzureizen u. |. w.
Auch die erfte Hälfte des 17. Jahrhunderts verlief, ohne in
Dem Volksſchulweſen des Landes irgend weldye Veränderung bes
Wirkt zu haben. Allerdings war es für die Dorfichulen immerhin
ein Gewinn, daß Kurfürft Georg L bei Gelegenheit einer im
Fahre 1617 veranftalteten Generalvifitation aller Pfarreien des
Landes auch von den Schulmeifterftellen ein genaues Verzeichnis
aller mit denfelben verbundnen Einkünfte, Nugen und Gerechtſame
anfertigen und zur Abftellung der von den Vifitatoren wahrgenoms
menen Mängel eine Commiſſion von geiftlihen und weltlichen
Räten zufammentreten ließ. Dagegen jcheiterte die Vollziehung
des von diefer Sommiffion ausgearbeiteten und i. 3. 1624 publi-
zirten „ſynodaliſchen Generaldecrets” an dem Widerſpruch der
Stände, die an dem Entwurfe allerlei Ausftelungen zu machen
hatten. Indeſſen wurden ter Entwurf und die Defiderien der
Stände fpäterhin in nochmalige Beratung genommen, und unter
dem 15. Scptember 1673 als „revidirted ſynodaliſches Decret“
don dem Kurfürſten Johann Georg II. publizivrt. Die in deme
ſelben enthaltnen Beftimmungen, welche fi) auf das Schulmefen
bezogen, waren folgende: Es follte durchaus fein Küfter und
Schuldiener fein Amt eher antreten, als er auf Stoften der Kirche
von dem Konfiftoriun geprüft und beftätigt fei, — eine Beftim-
Mung, welche i. $. 1700 den Pfarrern nodmald eingefchärft wer⸗
den mufte. Namentlich ſollte der Schulmeifter „eine Probe thun
Mm Buchſtabiren fchwerer Worte, im Schreiben: ob er auch felbft
en Verftand davon habe, oder nur als ein Papagei die Worte
Önne herſagen.“ Die Schuldiener ſollten ihr Amt fleißig vers
alten und eine vernünftige Disciplin handhaben. Auch folten
e niemals ohne Genehmigung des Superintendenten und Pfarrers
deppe, Boltsjgulweien, 2. 13
u 5—5—5—— 1
— 1718 —
Ferien machen. Dagegen follten die Untertbanen ermahnt werde
ihre Kinder fleißig zur Edyule zu jchiden, die Schulmeiſter
Ehren zu halten und denjelben den gebürenden Lohn zufomm
zu laßen.
Sm Sahre 1688 wurde der „Dresdner Katechismus“ '
publizirt, Der, eine Bergliederung des Katechismus Qutherd ir
Sinne der Concordienformel, nad cingeholtem Gutachten der fur
lächfifchen theologiichen Facultäten und mit Zuftimmung der Stände,
fortan in allen Stadt- und Landſchulen gebraucht werden follte.
— Als Hierauf das Furfächfiihe Haus (1697) zur römijhen
Kirche übertrat, Fam Lie oberfte Leitung des Volksſchulweſens in
die Hände de jeit 1574 beftchenden evangeliſchen Geheimerati⸗
collegii.
Aber noch immer waren die Dorfſchulen in einem Zuſtand,
daß von Früchten derfelben gar wenig geſehn werben konnt.
Sommerſchulen wurden nicht gehalten, und Die Winterfäulen
wurden möglid;ft abgekürzt. Kür die Märchen ſchien die Dorf
ſchule nody gar nicht beftimmit zu fein. Die Schulmeifter iufp
nirten ſich durch Unwißenheit und Pahrläßigkeit, überließen jet
häufig die Echule ihren Frauen, während fie ihren eignen Or
Ichäften nachgingen, oder geftatteten den Kindern während dei
Schulftunden die Ausübung des frechften Mutwillens.
Veranlaft durch die Klagen der Landftände, welche auf di
traurige Verfaßung der Dorfichulen hingewieſen hatten, erließ dr
ber der Kurfürft Friedrich Auguft i. J. 1713 unter dem 22. Roi
eine Verortnung, worin befohlen warb: die Pfarrer follten ir!
Edyulen fleißiger, als e8 biöher gefchehen fei, vilitiren und darau
ſehn, daß die Kinder nicht bloß zum Auswendiglernen angehalten,
ſondern zum Verſtändnis deſſen, was fie lernten, geführt würde
baß ihnen auch mandjerlei allgemeine Greenntniffe, 3. B. die
Wahrheiten von der Beſtimmung des Menſchen und ber Be
beigebracht würden. Alle Pfarrer des Landes ſollten aud übel
ihre Schulen ſich berichtlich äußern, wie in denfelben bie Egub
*) Da. der Katechismus von den an der Kreuzkirche dienenden Veiflicher
ausgearbeitet war, fo wurde derſelbe gewöhnlich der „Kreuztatehismus“ gen
— 179 —
befolgt werde, ſollten, wenn ed Not thue, den katecheti⸗
terriht in den Schulen jelbft übernehmen, den Schul-
ihre Fehler, jedoch nicht in Beiſein der Schulkinder,
vorbalten, und fie darauf binweifen, wie viel ihnen in
en der Kinder anvertraut fei, die Chriftus mit jeinem
löft babe. — Noch in demjelben Jahre erjchien eine
erorbnung (vom 1. Septbr.), durch weldye Die kirchlichen
ionen für Alt und Yung neu geregelt und zugleich bie
g erlaßen wurde, daß auf dem Lande alle Kinder im
wöchentlich wenigftend vier Stunden zur Schule gejchidt
ten.
defien ergab fi) aus den von den Pfarrern eingefandten
‚ daB das Sculwejen, wenn ihm überhaupt geholfen
ollte, einer umfaßendern Neorganijation bedurfte. Kur-
edrih Auguſt befahl daher mit Benußung der in ber
dung von 1580 enthaltnen Beftimmungen eine ganz neue
nung audzuarbeiten, weldye unter den 20. Novbr. 1724
wurde.
r Gharafter diefer Schulordnung, in weldyer zum erften
r Kurſachſen die Einrichtung ordentlider Sommerjchulen
Schulpflicätigfeit der weiblichen Jugend geboten wurde,
h in den drei erften Paragraphen derfelben aus: „1. Ein
7 die Jugend zu informiren beftellt und berufen ift, fol
id ernftlich bedenken, auch öfter wiederholen und fi zu
führen, daß ihm etwas fehr wichtiges auf die Seele ge-
ei, nemlich die durch Chriſti Blut erlöften und zur Ewig⸗
ıffnen Seelen jo vieler Chriftenfinder. — 2. Er hat fid)
fen zu befcheiden, daß Feine menfchlihe Kunft und Ge
it, gefchweige denn die feinige, an und für ſich zulänglich
Jugend in dem, was zu ihrem Seelenheil gehört, genug⸗
interrichten und anzuführen. Weöwegen er fi) mit Gebet
biger Zuverfiht an den Geber allee Guten halten, und
fowol die nötigen Gaben ald audy Das Gedeihen zu jei-
inzen erbitten und ſich täglich bemühen ſoll, feine Infor⸗
nit noch mehrerer Treue — zu verrichten. 3. Er wird
— erinnert, daß er die gejegten Scyulftunden als vor
AR*
— 180 —
Gottes Angeficht emfig abwarten, die Kinder zum Gebet um
Singen anbalten, den Katehismum mit ihnen fleißig treiben, %;
im Buchſtabiren, Leſen, Echreiben und Rechnen tüchtig unterräcg
ten, ihnen nichts Boͤſes geftatten, auch ſeines Euperintendenten
und Pfarrers gute Gorrection und Erinnerung annehmen und ihnen
folgen folle.“ |
Die Klafjeneinteilung war im Wefentlichen dieſelbe (trei
Klafjen) wie in der früheren Schulordnung. Ueber das Verhält
nis, weldyes zwilchen den Lectionen der drei Klafjjen ftattfinden
jollte, war beftimmt: „Die Lectionen follen in allen drei Klafien,
ſoviel e8 moͤglich ift, einerlei fein, alfo daß wenn die Oberſten
ein Stüd lejen, die Mittleren ebendaſſelbe buchftabiren, und die
Kleiniten hernach aus folhem das ABC aufjagen. Wenn die
Oberſten rechnen, follen Die Mittleren darauf numeriren und die
Kleinften die Zalen auffagen. Wenn mit den Großen der Dres
denjche Katechismus getrieben wird, follen die Mittleren den Auß
zug und Die Stieinften den kleinen Katechismus Lutheri vorhaben.
Wenn aber geſchrieben wird, follen die Kleinen ihre Sprüche au%
wendig lernen.“ N
Die detaillirteften Vorſchriften wurden über Die religiölt
Erziehung der Kinder crieilt. Im Wllgemeinen folte wenigfend |
ber Dritte Teil aller Schulftunden dem Religionsunterridht gewid⸗
met werden. Bibelleſen, Katechiſationen, Einübung der Sprüche,
und Leſen im Pfalter ſollte, jedes für ſich, in beſondern Etus
den getrieben werden. In Betreff der Disciplin wurben die db
teren BVeftimmungen wiederholt. Mit befonderem Fleiße foltt
der Schulmeiſter die Kinder im Gebete üben. Wuch follte er ft
anhalten, fich bei dem Gebete mit dem Zeichen des Heil. Kreugd
zu feguen, „entweder auf die Stirn, auf den Mund und auf die
Bruft, oder auch alle zufammen, und zwar auf die Bruft, #
bezeigen ihren Glauben an den gefreuzigten Sefum, auf dei
Mund, anzuzeigen, daß fie den gefreuzigten Jeſum bekennen, auf
die Stirn, anzuzeigen, daß fie Troß bieten allen Teufeln.’ —
Bei den Worten „das malte Gott Vater, Sohn und Heilige
Geiſt“ find fie zu erinnern ihres Taufbundes, den fie Morgen?
und Abends Dadurdy erneuern, und joviel jagen wollen: „Es bleibt,
— 181 —
er Gott, bei meinem Taufbunde, was meine PBathen an mei—
Statt angelobt, daß ich nemlid den Tag (die Nacht) über
ven will an Did) Gott Vater, Sohn und Heiliger Geift und
ZTeufeld-MWerf und Weſen meiden.“
Eigentümliche Vorſchriften erteilte Die Echulordnung über
igentlicdy praftifchen Uebungen der Echulfinder im Ehriftens
Es wurde nemlich angeordnet: „Damit die Schuifinder
‘ Anleitung zur Uebung ihres Chriftentums haben, fol Mitt:
; Vormittags eine Ucbungsftunde ausgeſetzt fein. In der.
; fol der Lehrmeifter Die fähigen Echulfinder angewöhnen,
Seufzer oder kurzes Gebet wegen der allgemeinen Not, jes
ohne Affectation und unnüged Plappern zu machen, und
der Präceptor ihre Mitjchüler wegen begangener Eünden
ft, felbige ihres Unrechts brüderlid aus einem biblischen
he zu erinnern. Diejenigen, fo fih an andern verfündigt
„ſollen es ihnen alddann öffentlich abbitten, oder fol ein
liches Lied gefungen und erklärt werden.“
In Betreff der Sommerſchnlen wurde verordnet, daß die
n Schulkinder, weldye bisher nur die Winterfchulen befucht
ı, nötigenfald Durch die Obrigkeit zu zwingen wären, im
mer, die Erndtezeit ausgenommen, fi täglich wenigftens für
Stunde in der Schule einzufinden, wo ſich dann der Schul«
7 mit ihnen ausjchließlid, zu beichäftigen, und fie lediglich
atehismus, im Evangelium und im Pſalter zu unterrichten
— Der Dienftreverd der Schulmeifter blieb nady der neuen
ordnung derſelbe wie früher.
Durch diefe Schulordnung wäre dem Schulwefen in Kurs
m jedenfalld geholfen gewefen, wenn das Volk ſich hätte ents
Ben Eönnen, ferne Kinder auch ordentlich zur Schule zu fchiden.
noch muften viele Jahrzehnte vergehen, ehe das Volf dahin
igte, daß es in der Echulerziehung der Kinder ein wirkliches
weientliches Erfordernis der Erziehung erfaunte. Als daher
Stände i. J. 1763 darauf hinwieſen, daß der Schulbeſuch
endig durch ftrengere Maßregeln erzwungen werden miüße,
3 der Kurfürft Friedrich Auguſt ſechs Jahre fpäter unter
— 182 —
dem 24. Juli 1769 ein Generale, worin befohlen wurbe*):
Kinder des Landes follten ununterbrochen vom fünften Bis
vierzehnten Lebensjahre jo gewißlich zur Schule gefchidt werben
die darwider handelnden Eltern jonft in namhafte Strafe genon
würden. Nur während der Erndtezeit follte der Schulunte
vier Wochen lang ausgeſetzt werben dürfen. Kinder, welde
Erreichung Des vierzehnten Lebensjahres in Dienfte vermi
würden, follten auf Koften ihrer Dienftherrfchaft im Winter
lich wenigftens zwei Stunden lang die Schule beſuchen. Fin
toriich Arme follte das Schulgeld von den Gemeinden eingeb
werden.
Das fiebte Jahrzehent des achtzehnten Jahrhunderts
gründete, wie faft für alle deutſchen Länder, fo auch für Kuı
jen eine neue Periode in der Entwidlung feines Volksſchulwe
Zunächſt wurde für die Schulen der Oberlaufig eine neue S
ordnung eingeführt, weldye von den Ständen der Oberlaufig
gearbeitet, von dem Kurfürften durch Reſcript vom 15. Fel
1770 genehmigt und unter dem 27. April deffelben jahres y
zirt war,
Diefe neue, fehr umftändlihe Sculordnung ”*) ch
terifirt fih durch mancherlei Cigentümlichkeiten, vor 1
aber dadurch, daß fie die alte Auffaßung der Dorf» und
deutfchen Stadt: und Maͤdchenſchule als einer ſchlechthin zur
terweifung der Jugend im Chriftentum beftimmten Anftalt
einer Treue und Umficht fefthält, die nicht in allen Schulordnu
jener Zeit wahrzunehmen tft. — Unter den einzelnen Beftimmu
der Schulordnung find folgende hervorzuheben: Alle Winkelſd
find zu fchließen. Die Pfarrer follen die Schulen forgfältig
wachen, wöchentlich vifitiren und vierteljährlih Relationen
den Zuſtand der Schule an die Patrone verjelben oder aı
Gerichtsherrn des Ortes einfenden. Auch follen die Pfarre:
Sculmeifter monatlid Einmal in ihr Haus fordern und i
*) Daffelbe findet fi) abgedrudt in den Nova acta hist. ecel. vol
6. 615—619. |
») Ebendafelbfi vol. X. &. 616-660.
— 1853 —
über die Sinrichtung des Unterrichts, Aber die im Laufe des Mor
nats zu tractirenden biblifchen Abjchnitte u. dgl. Die nötigen Vors
ſchtiften erteilen. Aljährlic ſollen die Pfarrer zwei Schulpredigten
halten, die eine am Sonntage Misericordias Domini, die andre
den 18. Sonntag Trinitatis, und in denfelben die Pflicht, Die
Kinder zum Schulbeſuche anzuhalten, dem Wolfe einjchärfen.
Schulpflichtig find alle Kinder vom fünften bis zum dreizehn—
ten Lebensjahre. Den Schulmeiftern wird das Brantweinfchänfen,
dad Auffpielen in den Wirtshänfern und ähnliche Hantthierung
unterfagt; dagegen bleibt ihnen geftattet, den Dienft der Gerichts»
Ihreiber zu verfehn. Ale, weldye aus der Schule entlaßen find,
jollen die fonntäglichen Katechifationen in den Kirchen und außer
dem noch im Sommer befondre MWiederholungsftunden befuchen,
welche der Echulmeifter nach dem Nadymittagsgottesdienft zu bals
tn bat. — Demmnaͤchſt fol zur Heranbildung tüchtiger Lehrer
ein Seminar errichtet werden. Zur Unterftügung armer Schul⸗
Inder und etwa auch des Schulmeifters ift eine Schulfaffe zu
ſchaffen, für welche jährlich zweimal collectirt werden fol. Die
in der Schule zu gebraudyenden Lehrbücher follen fein 1) ber
feine Katechismus Luther (auch als Buchſtabirbuch), 2) die
Bibel, 3) das Gefangbudh. ALS Hauptaufgabe der Schulmeifter
ward hingeftellt, daß fie die Kinder im GChriftentum, im Gebet
und Gefang üben follten.
Drei Jahre fpäter, unter dem 17. März 1773, erfolgte
auch für die übrigen kurſächſiſchen Lande die Publication einer
neuen Schulordnung, durch welche eine totale Reorganijation des
gefammten höheren, mittleren und niederen Unterrichtöwejend ans
geordnet ward. Der erfte Teil diefer Schulordnung war für bie
FSürften: und Landichulen, der zweite für die lateiniichen Stadts
ſchulen, der dritte für Die deutſchen Stadt- und Dorfſchulen ber
ſtimmt. Die beiden erften Teile waren von dem Profefjor ber
Theologie und Berebjamfeit Dr. Joh. Aug. Ernefti zu Leipzig,
der dritte von dem Superintendenten Chriſtohh Haymann zu
eiffen ausgearbeitet.
Die „Erneuerte Schulordnung für die deutfchen Stadt» und
Dorfſchulen der kurſächſiſchen Lande” repräfentirte bereits ein ganz
— 134 —
neues Stadium der innerer Gefchichte des Volksſchulweſens, ig
dem fie von den Schulmeiftern verlangte, Daß fie Die Kinder nie
nur im Blauben, Lefen, Echreiben, Rechnen und Singen unt &
richten, fondern ihnen auch allerlei Nüplihes aus der Erdbeidir ei
bung, Weltgeichichte, Naturkunde und Wirtfchaftölehre, vom Be
brauche des Kalenders, der Zeitungen und Autelligenzblätter ber
bringen follten; dabei aber erfannte die Schulordnung den eigent:
lihen und eigentümlihen Beruf der Volksſchule vollfommen an,
Denn der leitende Grundgedanke, auf welchen die ganze Edhul:
ordnung aufgebaut wurde, war die Anerkennung des inneren Zu:
Sammenhanges der dhriftlichen Volksſchule und der chriftlichen Fa—
milienerziehbung, indem der erfte Saß der Echulordnung lautete:
„Ale chriſtlichen Eltern find fchuldig, jobald ein von ®ott ihnen
gefchenkted und anvertrautes Kind feinen Verſtand einigermaßen
zu gebrauchen und Die Mutterfprache zu verftehen anfängt, zu
defjen Unterweifung in der Erkenntnis Gottes den Grund zu le
gen, auf dem in Schulen Fünftig fol gebaut werden. Auch ſind
nächft den Eltern, und wenn dieſe zeitlich verftorben, Die Vormin⸗
der, Verwandten, und in deren aller Ermangelung, die Pathen
oder Taufzeugen, folches zu thun oder dafür zu forgen verbunden,
— daß das getaufte Kind, was zur Seligfeit zu wißen und zu
glauben vonnöten ift, gelehrt werde.” Hierauf heift es in der
Schulordnung weiter: „Weil aber die wenigſten Eltern in dem
Stande find, die Unterweifung und Anführung ihrer Kinder auf
gehörige Art felbft zu beforgen, fo erfordert die Notdurft, daß ale
Kinder in Städten und Törfern” vom 5. oder 6. Lebensjahre an
zur Schule gefchicdt werden.
Die einzelnen Beftimmungen der Schulordnung find in 2]
Kapiteln in folgender Weiſe zufammengeftellt: L „Won ber von
Eltern und denen, tie an ihrer ftatt find, zu beforgenden erften
Unterweifung und guten Anführung der Kinder.” — IL. „Von
dem Schulgehen und Schulgelde.” — Die Kinder follten teild
vom 5. teil8 vom 6. bis zum 14. Xahre zur Schule gehen. In
der Schule foll ein Buch gehalten werden, in welches der Schul
finder Verhalten und Cenſuren wöchentlich einzufchreiben find, da
mit man bejonders bei den Schulprüfungen davon Gebrauch machen
— 1865 —
. Bei offenbarer Armut der Eltern ſoll die Gemeinde das
ılgeld entrichten. Bei jeder Kirchengemeinde fol ein Verzeich⸗
aller Kinder von 5 Bid 14 Jahren gehalten werden, Damit
Stern, die ihre Kinder aus der Schule zurüickbehalten, der
gfeit angezeigt und wegen des Schulgeldes, auch fonft, gehörig
eben werden. — IN. „Bon Einrichtung des Schulunterrichts
hriſtentum.“ Die Schulfinder find in 3 Klaffen zu verteilen,
fol in der unterften Klaffe der Fleine Katechismus den Kin⸗
beigebracht und erklärt werden. Auch ift ihnen Die geoffen-
Heildlehre nach Anleitung der bibliſchen Gejchichte bekannt
ahen, und find Dabei furze Sprüche gehörig zu gebrauchen.
er mittleren Klaſſe ift der Hauptinhalt der Bibel, befonders
Reue Teftament nebft dem Auszuge aus dem Dresdner Kate⸗
us und den Hauptiprücen befannt zu machen. In der ober-
klaſſe fol den Kindern der Inhalt, die Göttlidyfeit und der
ı der biblischen Bücher genauer gezeigt, Die Erklärung der
flüde für die, fo zum Sacramente des h. Abendmald gehen
ı, ingleihen des Dresdner Katechismus erteilt werden. —
Bon der Unterweifung der Kinder im Lefen, Schreiben, Red)
md andern Künften und Wißenfchaften.” — V. „Bon or-
her Einrihtung der Klaſſen und Echulftunden.” — VI „Von
etung des öffentlichen Gottesdienftes, befonderd der Katechis-
ungen und Leichenbegängniffe.” — VI. „Bon Scyulfeier-
"(Ferien und Feier des Gregoringfeftes). — VII „Von
fung nötiger Schulbücher. — IX. — XI. „Von anzuftellen-
Schulvifitationen.” — „Bon Grmahnung der Eltern und Kin⸗
urch die Prediger, wie auch von den zu haltenden Schulpres
.“ — „Bon den öffentlihen Schulprüfungen.” — XI. „Von
Schulfinder Vorbereitung zum heil. Abendmal, und von Der
rmation vor deſſen erftmaligem Genuffe.” (Die Kinder, die
tftenal zum heil. Abendmal gehn wollen, find dazu vorzube-
und von dem Pfarrer zu prüfen. Unfähige find davon aus⸗
eßen und ferner zur Schule anzuhalten. Die Gonfirmation
Mentlicy verrichtet werden. Diejenigen, welche zum h. Abend-
ugelaßen worden, find ferner zur Uebung im Chriftentum
Bihellefen anzuhalten. Die öffentlichen Kirchen-, Faftens und
— 186 —
Beichtprüfungen find, befonderd von jungen Leuten, nicht |
fäumen.) — XII. „Bon Zubereitung tüchtiger Lehrer.” (€
bei guten Stadtſchulen in der oberiten Klaffe, unter ber $
und Anleitung des Superintendenten oder Pfarrerd von de
tor und Kantor foldye Perfonen, die zu Lehrern vorbereitet |
fönnen, auszufuchen. Diefe können von dem Nector oder
andern Schulcollegen täglich in einigen Privatftunden für di
rerberuf vorbereitet werden. Auch können fich Diejenigen, |
demfelben widmen wollen, von geſchickten Schulmeiftern inf
laßen. Die Prüfung baben die Bewerber um Schullehre
vor den Superintendenten zu beftehn. Weber ihre Xehrerbefä
erhalten fie vom Superintendenten und Pfarrer Beugniffe
ftelt. Säbrlich einmal müßen Die Lehramtsaspiranten vo
Superintendenten erjcheinen. Winkelſchulen find unterfag
XIV. „Bon der Befegung erledigter Schuldienfte.” (Die J
haben auf die geprüften Lehranıtdaspiranten vorzugsweiſe R
zu nehmen. Der berufene und beftätigte Schullehrer ift ve
Pfarrer jedes Orts der Schuljugend vorzuftellen, und zur
achtung feiner Pflichten anzubalten.) — „XV. Von dem erba
Wandel der Schullehrer”. (Verbot jeder unanftändigen Ha
zung.) — XVI. „Bon dem Bezeigen der Schullehrer ger
Kinder, wie auch deren Züchtigung.“ — XVL — XL.
Abftellung der Befchwerden über die Schullehrer.” — „Bo:
ſtellenden Schulunterredungen.” — „Von dem Beiftande der $
patrone und Obrigkeiten.“ — XX. „Von befondern Schulge
(Es follen kurze Schulgefeße, wo dergleichen nicht ſchon vor
find, abgefaſt, und in der Schulftube aufgehängt werde
AXL „Bon Belauntmahung und Beobachtung diefer ern
Schulordnung.” (Sie foll den Eltern von den Pfarrern
Schulpredigten und bei fonftiger Gelegenheit befannt gema«
erläutert werden.)
Die Zeit und Zal der Schulftunden betreffend wirt
orpnet, daß „die drei vormittägigen öffentlihen Schulftund
Oſtern bis Michaelis bei der unteren Klaſſe der Stadtfnaber
von 6 — 9 Uhr, in den Mägdleins und Dorfſchulen ab
7— 10 Uhr, desgleichen von Michaelis bis Dftern bei ge
— 187 —
Kaffe der Stadtlnabenfchulen von 7—10 Uhr, und in den Mägb»
fün- und Dorfſchulen von 8— 11 Uhr, jeboch mit billiger Beur⸗
teilung Des Alters” und des Wetterd gehalten werden follten.”
„Bei dem Unfange der erften Schulftimde wirb nach einer
in wenigen Worten geſchehenen Ermunterung zur Andacht einetlei
Morgenlied ein paar Tage nacheinander von dem Lehrer mit den
größeren anwefenden Kindern gefungen, ein Morgen - und Schals
gebet, Montags von dem Lehrer und Die folgenden Tage don
einem Kinde, das fertig leſen Tann, aus einem nüßlichen Buche
— vorgelefen.” Hierauf folgt Leſung und Fatechetifche und pard:
netifche Erklärung eines Bibelabſchnitts, welche mit einem dem
Inhalte des Vorgeleſenen entiprechenden Bebete beſchloſſen wird.
„Diejenigen größeren Kinder, welche nach bereits gefungenem
Morgenliede erft ankommen, müßen bei der Thüre in der Schul-
ſtube ſtill ftehen Bleiben, und werden nad) geendigtem Gebet um
die Urfache des fpäten Ankommens befragt” u. f. w. — „Zum
Anfange der andern vormittägigen Schulftunde wird den Beinen
Kindern ber Morgenjegen Lutheri vorgefprocdhen. Hierauf wird
ben zu fpät gekommenen Kindern befohlen, das gelefene bibliſche
Kapitel heimlich nachzulefen, den Kleinen Kindern aber ein Stüd
aus dem Fleinen Katechismus, von dem Lehrer vorgefagt, kuͤrzlich
erflärt. — Gleicherweife werden aud der mittleren Klaſſe nebſt
der Haudtafel einige Fragen des Auszugs aus dem Dresbner
Katechismus erflärt und vorgegeben. Indem alfo beide unteren
Klaſſen damit befchäftigt find, wird mit den Oberften Montags,
desgleichen an einem jeben auf ein Feſt folgenden Tage bie
Tages zuvor angehörte Predigt auf katechetiſche Weife kurz wieder ⸗
holt. An den übrigen Wochentagen werden die Frageftüde zu
Ende des Heinen Katechismi — erläutert; biernächft werben bie
U Der Katechismuserflärung andgezeichneten wichtigften Fragen
Pi Antworten gelefen, erklärt und einige derſelben, vornehmlich,
h5 er ein jeber wichtige und erflärte Beweisſpruch, zum Auswens
ole en aufgegeben, auch die Sprüche im Gebete zu gebrauchen
* Vonft in Abſicht auf den Glauben und einen unſtraͤflichen
Der Swanbel nüglid anzuwenden, Anweiſung erteilt. Sodann
= den zwei unterften Klafjen die Buchſtaben ımb bus Buchs
4
— 18 —
ftabtren beigebracht und beide Klaffen darinnen geübt, BiE Tummmpy,
Schüler der oberiten Klaffe die aufgegebenen Hauptfragen umm-ıb
Sprüche auswendig herfagen können.“
In der drittew Vormittagsftunde „wird den größeren Schmml;
findern Montage, Dinstags, Donnerstag und Freitage En
weifung zum Schreiben und Rechnen, wie auch Federſchneiden we nd
Briefftellen,, desgleichen Geſchriebenes zu lefen, fonderlich aber zw ır
Rechtichreibung und dem Nachfchreiben gegeben; Mittwoh ae
eine und die andere Lebens- und GSittenregel (aus Ramba chi
Handbüchlein), und Sonnabends (jowie an jedem Feftfonnaberw?)
das Evangelium und die Epiftel des folgenden Sonn- oder get
tages Fürzlich erklärt.” — Zum Schluß der Lectionen wird in
Gebet gefprochen. |
In den nadhmittägigen Schulftunden von 12—3 Uhr fol ten
die erwachjenen Schüler ebenfalls vorzugsweife im Katechism zb,
in der bibliſchen Gefchichte, daneben aber auch im Rechnen geuxit
und mit der Welt- und Kirchengefchichte und mit .dem Inha Eie
der Augsburgifchen Gonfeffion befannt gemacht werden. Dit
legte Stunde (2—3 Uhr) war vorzugsweile zur Wiederholu m
der Tageslectionen beftimmt.
Das Auftreten der neuen Schulorbnung bezeichnet den Fur
fang des allgemeinften und regſten Strebens für eine gründlich
Beßerung Des gefammten kurſächſiſchen Schulweſens. Denn zei
Diefelbe Zeit begann man in Dresden zalreihe Armen:, Wajer
und Freifchulen zu begründen oder zu reorganifiren ;*) in Leip Ziß
wurden die Verhältniffe der Schulen, namentlich der Winkelſchu Len
durch eine Ratsverordnung vom 18. Dechr. 1767 **) neu gergeli
und zugleich begann an vielen Orten die Patronatsherrſchaft, ©
Reform des Schulmefens in ihren Gebieten mit gröftem Eifer 3"
betreiben.
Indeſſen wurde die neue Schulordnung erft von der Zeit af
durchführbar, wo man zur Vorbereitung der fünftigen Lehre!
*) Bol. Bormerts Geſchichte und Verfaßung des Dresdener Ehulmdgert
**, Deifelbe findet fi) abgedrudt in den Nova acta h. e. VIII. &. 618 fi-
Die Verordnung gebot namentlih auch, daß jebe Privatfhule entweder zwT
Anaben. oder nur Mädshenfchule fein follte.
en a Ge
TE
— 189 —
Seminare gründete, was zuerft i. I. 1785 geſchah. Allerdings
war jhon i. J. 1764 in Dresden der Verſuch gemacht worden,
ein Inſtitut zur Heranbildung Fünftiger Volksfchullehrer zu be
gründen. Allein das erfte Dresdner Schullehrerjeminar, von Garl
Friedrich Nicolai begründet, war lediglih Privatanftalt ohne ers
beblihe Bedeutung. „Unterdefjen war jedoch auch, bejonders
auf Anregung des um das Schulwefen vielfach verdienten Ober-
confiftorialratd Dr. Rädler, vom Oberconfiftorium und Kirchenrat
ſowol 1766 als auch 1769 die Errichtung eined Landſchullehrer⸗
ſeminars beantragt und 1774 genehmigt worden. Da aber wegen
ber damaligen höchſt ungünftigen Zeitumftände das Schulmefen
zu Friedrichsſtadt noch nicht organifirt werben fonnte, fo vers
jögerte fich die Anlegung eined Seminars bis zum 1. Nov. 1786,
in welchem Jahre jhon unter dem 10, Nov. mittelft böshften Re⸗
jcriptes den Böglingen Diefer Anftalt die Anwartſchaft auf landes⸗
herrliche Schuiftelen zugefagt wurde. Aber noch fehlten bie
nötigen Mittel zur Anſtellung eines Directors, weshalb eine
interimiftifche Orbnung eingeführt werden mufte, weldye darin
beſtand, daB der Kantor die Spezialaufjicht über die Seminariften
führte, welcher auch mit den Geiftlihen zu Friedrichsſtadt, den
übrigen Lehrern der dafigen Stabtichulen und dem Kanzliften
Roßberg den Unterricht beforgten, welder leptere, ein ausge⸗
jtichneter Kalligraph, die Seminariften in der Schönfchreibekunft
wöchentlich einige Stunden unterwied, — Die Zal der Semina-
üften war damals auf zwölf feftgefeßt, welche Koft und freie
Wohnung erhielten, wozu bie zweite Stage des Hauptgebäubes
1788 eingerichtet wurde. — Der Aufwand des Seminard wurde
teils aus den Kafjen des Oberconfiftoriumg , teild aus dem ges
heimen Finanzeollegium beftritten, bi8 am 26. Juni 1788 von
dem Vermögen des aufgehobenen Gymnaſiums zu Weißenfeld ein
Teil zur Unterhaltung des Seminars zu Dresden-Friedricheftadt
beſtimmt wurde. — Nicht. minder ftiftete auch Die Nitterjchaft des
Meißner Kreifes daſelbſt zwei Freiſtellen, wofür jährlih 100 Thlr.
an das Seminar gezalt wurden.” *)
— —
d Wortlich entlehnt aus Vorwerk's Geſchichte und Verfaßung des Dres-
ner Schulweſens S. 9—100. -
— 190 —
Neun Jahre fpdäter wurde das Schullehbrerjemim gr
zu Weißenfels gegründet, welches vorzugsweiſe mit den Sin,
fünften des aufgehobenen Gymnaſiums zu Weißenfeld Dotirt wurde |
Der Unterriht wurde am 7. Januar 1796 begonnen. Beauf
fihtigt wurde das Inſtitut von dem Oberconfiftorium und da
Schullehrerfeminariencommiffion zu Dresden. Die unmittelbar
Inſpektion übte der Superiutendent zu Weißenfeld und ein bafiger
Subdiacon aus, der zugleich Lehrer des Seminard war. Außet
dem Leßteren waren noch ein Rector, ein Bantor und ein Schreib,
Nechnen- und Beichnenmeifter am Seminar befchäftigt. Die Hal
der wirklichen Seminariften (Ulumnen oder Stipendiaten) wat
auf 12 feftgefeßt. Jeder derjelben erhielt außer freiem Unterriät
monatlih 2 Rthlr. 12 Ggr., jowie 6 Rthlr. jährlichen Miethind. I
Außer diefen Stipendiaten wurden auch noch einige Extranei od 1
Exipectanten aufgenommen, welche ebenfalls freien Unterricht ge 1
noßen, im MUebrigen aber für fi ſelbſt forgen muften. De
Unterricht erftredte fih auf Religion (Rofenmüllers Lehrbuch)—
Katechetik, deutfche Sprache und Lefeübungen, Anfangsgründe DE
franzöfifchen Sprache, Methodologie und Pädagogik, Gemein⸗
nüßige8 aus der Gejchichte, Geographie, Naturlehre, aus DM
Geſetzen und der Verfaßung des Vaterlandes, aus der Technolo⸗
gie, Diätetif u. |. w., welche Kenntniſſe zum Teil gelegentlich bei
den Leſe⸗ und Schreibeübungen den Schülern beigebracht wurb en!
Aufangsgründe der lateinifchen Sprache, Vokal: und Inſtrument eal
muſik, Schreiben und Rechnen, Einzelnes aus der Geometrie
Architectur und Mechanik, „foweit das Alles für Bauern, Bürgs®‘
und Handwerker nüglid und notwendig iſt.“ Da ein Semines!
gebäude nicht vorhanden war, fo hatte der Rat zu Weißen!
einen geräumigen Saal auf dem dafigen Armenhaufe dem Ser?
nar unentgeltlich eingeräumt, wo nicht nur die Lehrftunden S
halten wurben, ſondern wo fi) auch die Seminariften den groͤſt —
Zeil des Tages aufhielten.
Die beiden Seminarien zu Freiburg und Blaue
welche um dieſelbe Zeit ald Privatanftalteu eingerichtet ware
erhielten ſehr Bald eine neue Verfaßung, indem jenes i. J. 179
dieſes (nachdem die Stände i. 3. 1799 zur Unterhaltung de
— 191 —
Echullehrerfeminarien einen jährlihen Zuſchuß von 500 Rthlr.
verwilligt hatten), i. J. 1800 zu öffentlichen Suftituten erhoben
wurden.
Allerdings konnte der rveformirende Einfluß, den die Wirk
lamfeit der Seminarien auf das Volköfchulwefen allmählich aus⸗
üben mufte, nicht fofort in allen Gegenden des Landes hervors
treten. Vielmehr befand ſich die Volksſchule in den meiften Ber
zirken um 1800 nod immer im troftlojeften Zuftand, z. B. in
der Oberlauſitz (über welde um dieſe Zeit Folgendes bes
richtet wird): „Die Schulorbuung, welche bier im Sahre
1770 publiziert war, wurde von den wenigflen Orten beachtet.
Wenige Gerichtöherrichaften und Prediger handelten darnach;
und die Kolgen davon — waren für die Schullehrer traurig,
frauriger noch für das arme Voll. Kaum vierteljährig einmal
befuchte der Prediger die Schule, und ging wieder nad) Haufe,
ohne daran zu denfen, den bemerkften oder nicht bemerften Män-
geln derſelben abzubelfen. Am wenigſten fahen die meiften Herr:
ſchaften darauf, daß die Kinder die in der Schulordnung feſtgeſetzte
Zeit über in die Schule kamen. Man fand in ziemlich volkreichen
Dörfern des Sommers 3 bis 4 Kinder darin. Der Schulmeifter
durfte es nicht wagen, ſich zu befchweren, wenn er nicht feine
ohnehin geringen und der Willkür der Bauern überlaßenen Ein⸗
künfte noch mehr verfürzt fehen wollte. Denn an fehr wenigen
Orten befamen die Schullehrer das in genannter Schulordnung
beftimmte Schulgeld. Denen, die das kümmerliche Leben dieſer
armen Leute ſahen und ihm abhelfen fonnten, fiel es nicht ein,
und der Bürger und Bauer zalte für fein Kind nicht mehr, als
ein Vater, Großvater, Urvater u. ſ. f. für ihre Kinder gezalt
hatten, ungeachtet fie ſich für ihre Effeften wol 3 bis 4 mal mehr
bezalen liegen, als vor 40 bis 50 Jahren bezalt wurde. Drei
Pfennige woͤchentlich Schulgeld für ein Kind war noch viel; es
gab Orte, wo die Eltern dem Schullehrer vierteljährlid 2 ger.
Oder 1 ggr. 6 pf. Für täglich Hftündigen Unterricht ihres Kindes
zu Fchiden ſich nicht ſchaͤmten.“
Man hatte allerdings den Verſuch gemacht, ein Schullehrer⸗
ſem inarium einzurichten; aber der Verſuch hatte wenig geholfen.
— 192 —
Die erforderlichen Geldmittel fuchte man in der Weife zu beichaffe- -
daß man dem Zucht» und Armenhaufe in Ludau eine Lotte.
geftattete, aud deren Einfünften die Direction des Haufed wm
1796 an nah und nad) ein Seminar zu Stande zu bringen Judy
Schon in dem genannten Jahre war ed möglid, 4 Seminariften
die vollfommen freies Unterfommen erhielten, aufzunehmen. Der
Unterricht, welcher von dem Zuchthausprediger und einem bejonders
Dazu angeftellten Lehrer erteilt wurde, verbreitete ficy über Reli
gion und Bibelfunde, „mit eingewebter Naturgejchichte und Ge
ſundheits- auch Naturlehre und Wiederholung der Predigt,“
Lefen, Deklamiren, Anfertigen fehriftliher Aufſätze, Crlernung
der in den Landesgejegen vorfommenden lateinischen und Kanzles
wörter, Papier: und Stopfrechnen, Recht- und Schönfcpreiben,
Muſik, Anweiſung zum Katechifiren und Dociren, Zergliederung
der Begriffe und Allgemeines aus der Geographie, Geometrie,
Aſtronomie und Landwirtfhaft. Um ſich auch praktiſch zu üben,
muften die Seminariften mit den Züchtlingen und Armen im Hault
Katerhifationen anftellen. Nach der Inſtruktion follten die Semv
nariften auch zum Bücherheften und Binden, zum Drechſeln um
Heiner ZTifchlerarbeit angehalten werden. Dem Seminar fehl!
es an aller eigentlidyen Organijation und darum war der Bean
deſſelben für die Volksſchule der Oberlaufig fo bedeutungslos, pai
für diefen Bezirk i. 3. 1811 zu Budiffin ein ganz nes es
Seminar erridytet werden mufte. *) |
Dagegen gelang e8 einzelnen Freunden des Volksſchulweſe S
in Kurſachſen, dafjelbe Hier und da zu einer Blüte zu bringe "
die früher Niemand für möglich gehalten hatte. Es entſtand *
Schulen, welche alsbald weit und breit ald Mufterfchulen galt |
jo 3. B. die Schule zu Miltig bei Meißen, die ihre forgfältz 8
Drganifation faft allein dem kurſächſiſchen Kammerherrn und Be 3
bauptmann von Heynig zu danfen hatte, und die ald muftergültit J
Anftalt felbft von Staatömännern bejuht und bewundert wur %
aa
— — — — —
*) Zu den ſchon beſtehenden königlich ˖ ſächſiſchen Seminarien kam i. 3. 12*2
noch das aus der freiherrlich v. Fletzſeherſchen Privatſtiftung zu Dresden her or
gegangene Inſtitut zur Vorbereitung künftiger Landſchullehrer.
— 193 —
benfo die von dem Kammerrat v. Breitenbauh und von dem
Superintendenten v. Brauſe eingerichtete Schule zu Bucha in der
Inſpektion Eckartsberga. Auch entftanden Sonntagsſchulen für
dinder an Fabrikorten, welche an den Wochentagen in Fabriken
irbeiteten. Unter denſelben kam die durch den Arzt Dr. Stöller
n Laugenſalza eingerichtete Schule ſchon frühzeitig zu einer ſehr
oirfjamen Entwidlung. Freilich waren alle diefe Anftalten Kinder
ed Geiſtes ihrer Beit, und gewährten das, worauf fich die
Bildung eines chriſtlichen Volkes gründen fol, zum großen
Leil nicht; aber für eine fpätere beßere Entwidlung des Volks⸗
chulweſens waren fie doch bahnbrechend und waren darum ein
Dewinn für Die Volksſchule.
Su Berihten aus dem Jahre 1800 *) werben die erfte
md die legte der genannten Schulen in folgender Weife ber
hrieben :
Bis zum Jahre 1792 war die Schule zu Miltig wie alle
ndern Schulen des Meißner Landes bejchaffen: „Man madıte
ie Bibel zum Leſebuch, und begnügte fi die Bußpfalmen und
auptftüde herbeten zu laden; man marterte dad Gedaͤchtnis Der
inder, die das Schulgehen für ihre gröfte Plage hielten, mit
m Auswendiglernen unerflärter und für fie fchwer zu verftehen-
r Sprüdhe und Katechismusftellen. Stod und Ruthe waren bie
Tzüglichften pädagogischen Kleinode. Die Knaben und Mädchen
Ben in zwei Reihen durdeinander an einer langen Tafel, fo
B der Lehrer der einen Reihe gar nicht ins Geficht fehen konute.
te Familie des Lehrers wohnte, ſpann, wuſch u. |. w. in ber
emlichen Schulftube, und Winters mufte diefe, mit Kindern über
iden, feucht und folglich ungefund fein.” — Da lernte ber
drundherr des Orts einen von einem Pfarrer gut vorbereiteten
Schulamtscandidaten kennen, mit deſſen Hülfe er feine Schule
ju dem, was fie nach feinem Plane werden follte, glaubte umges
talten zu können. Der edle Kammerberr ließ den jungen Mann
0 einige Zeit das Schullehrerfeminar zu Dresden beſuchen und
— —
* In Möllers „Taſchenbuch für teutſche Schullehrer auf das Jahr 1800
2 ii
PPE SvBolts qulweſen, 2. 13
— 14 —
übertrug ihm hierauf i. J. 1792 die Stelle eines Lehrers ſeines
Dorfes. Die Liberalität des Grundherrn, Die Fein Opfer ſcheute,
welches der Schule nützlich war, ſowie der Eifer des jungen
Lehrers, dem der Rat und die Hülfe des Ortspfarrers getreulich
zur Seite ſtand, bewirkten es bald, daß die Schule nach dem
ſchon vorher entworfenen Plane in kurzer Zeit voͤllig nen geſchaffen
wurde. Für die Bebürfniffe des Lehrers, der Schulkinder und
der Eltern derjelben wurde eine Bibliothek angefauft; eine Schub
falle (die i. J. 1800 20 Rthlr enthielt) war durch Beiträge
des Grundherrn und einiger auderen MWolthäter der Schule ge
gründet und wurde durch eine in der Schule befefligte Spar⸗
büchfe vermehrt. Das Schulhaus wurde umgebaut, daß det
Lehrer neben einer geräumigen Schulftube die nötigen Localitäten
zum Wohnen u. f. m. hatte. In der Schulftube faßen die Kinder,
nach den Gefchlechtern getrennt, an fieben Tafeln mit dem Geſicht
nach dem Lehrer gekehrt. Der Gehalt des Lehrers wurde jehr
beträchtlich erhöht. — Im Winter wurde die Schule von ewa
60 Kindern befucht; im Sommer war die Frequenz eine geringere,
weshalb in der Erndtezeit täglih nur vier Unterrichtsſtunden
(von 8—410 und von 1—3 Uhr) erteilt wurden. Eröffnet wurbe
der Unterricht an jedem Tage mit Gebet. Nach Beendigung det
erften Lehrſtunde tummelten ſich die Kinder eine Viertelftunde lars 9
auf dem vor dem Schulhauſe geebneten Plage.
Als Lehrbücher wurden gebraucht Thiemens erfte Nahrurag
des gefunden Menjchenverftandee, Gutmann oder der Sid
fiihe Kinderfreund, ein Lefebuch für Schulen, Roch o ws KLinde F
freund, Beders Not= und Hülfsbüchlein, Fauſts Geſundheits
Katehismus, Seilers Lefebuh, Rofenmüllers und de *”
mand Lehrbudy der Religion, Fedderfens biblifche Erzählunges®,
BZerrenners biblifher Unterriht, Campens Seelenlehre,
Raffs, Sanders Naturgefchichte, Schlezens Richard mad
Schlaghart, von Richards Methode feine Zöglinge in der Nas
turgeſchichte, Naturiehre, Gefundheitöpflege u. f. w. zu unter?
rihten, nebft M. Göffels Auszüge aus der Naturlehre Ten
Echreibunterricht erleichterten brei in der Schulſtube aufgehingt*
ſchwarze Tafeln, wobei der Stoff zu Vorſchriften aus Obligatione#,
u ——
— 105 —
Onittungen, Atteftaten, Pällen, Pachtlontraften, Landwirtſchafts⸗
md Geſundheitsregeln, Sittenfprüchen, Erzählungen, Raͤtſeln nnd
Rechnungen gewählt wurde. — Das Rechnen wurde im Kopf und
in der Tafel geübt. Auch in den verfchiednen Arten der Vered⸗
ung der Bäume wurde Unterricht erteilt. Einige Male in der
Boche wurden befondre „Uebungen im Nachdenken“ angeftellt,
oobei man namentlich das Wahrnehmungsvermögen in der Beob⸗
Stung ſinnlicher Dinge zu fchärfen fuchte. — Zur Handhabung
er Disciplin wurde der Stod gar nicht, und die Ruthe, welde
er Herr Paftor in feiner Wohnung aufbewahrte, nur im dußer-
en Rotfalle gebraucht, und zwar jo, daß das ftrafbare Kind fie
Inf abholen und dem Lehrer überbringen mufte. Dagegen waren,
n die Schulfinder vor Fehlern abzuhalten, vier Tafeln in der
Aulftube, die Schandtafel, die Tafel der Faulen, der Schwäßer
Id der Unreinlichen. Wer dreimal an der Schandtafel gejtanden
ıtte, deſſen Name murde in das ſchwarze Buch eingetragen.
m Schluſſe der Woche wurden die an den Kindern bemerften
ehler gerügt, fowie auch des Rühmlichen, das man an ihnen
abrgenommen hatte, gedacht wurde. Jedem finde notirte der
hrer eine Note ind Cenſurbuch, welches dieſelben den Eltern
erbrachten. ”
Bur Pflege und Uebung des Sinnes für Arbeit wurde im
‚ahr 1793 eine Arbeitsjchule (in melcher die Kinder namentlic)
a der Baummolljpinnerei geübt wurden, angelegt. Außerdem
yurden zu demſelben Bwede, und um in den Eltern wie in den
kindern wahre Freude an der Schule zu erweden, feit 1792 von
Zeit zu Zeit unter der Proteftion des Gutsherrn öffentliche
Schulfefte veranftaltet. *)
a — —
) Das erſte Schulfeſt zu Miltiz (1792) wird in folgender Weiſe beſchrieben
„Die Gerichtsherrſchaft, der Gerichtsdirektor zu Freiberg, alle Einheimifchen:
d eine große Zal fremder Perſonen waren dabei zugegen. Der Gerichtsherr
, nachdem ein Lied angeftimmt worden war, an fämmtlihe Miltiper Einwod-
" @ine Rede, die ganz geeignet war, alle Anweſenden von der Wichtigkeit der
Tbegerung des Schul- und Erziehungsweſens für die Iugend zu überzengen-
dann hielten zwei Knaben ein Gefprädy über die Abficht und den Zweck biefes
Ar
— 16 —
Die Sonntagsfhule zu Langenfalza war im Friigg
jahr 1795 von dem Arzt Dr. Stöller zu Langenjalza gefifx
Ueber die Entftehung und Einrichtung der Eule wird Folgen n,,
berichtet: „Die erfte und eigentliche Abficht des Stifters ging de—
bin, einer großen Anzal Knaben unbemittelter Eltern, die fdhon
vom 7.— 8. Jahre ihres Alterd an in den Seiden- und Wollen
fabrifen zu Yangenfalza, ‚oder auch in den väterlichen Käufern
die ganze Woche hindurch zur Arbeit angeftellt wurden, oder auch
nad einem ſehr fpärlichen und jchlechten Unterrichte aus der
Schule ind bürgerliche Leben übergingen, Unterricht in ben fir
den Menfchen und Bürger unentbehrlichen Kenntniffen zu erteilen
und durch Fatechetifchen Vortrag ihr Nachdenken zu weden und zu
üben. Allein Diefer Entwurf, bei deſſen Ausführung dem Stifter
zwei junge Gandidaten beiſtanden, mufte bald verändert und er⸗
weitert werden. Schon in der erften Stunde fanden fi fo viele
Schul. und Freudenfeftes, nad deflen Ende auch der Lehrer über die Wichtigleit
des Erziehungsgefhäfts eine Rede hielt, welche zugleih die Cinleitung zu de
darauf folgenden Prüfung der Echuljugend war, bei der jedes Kind cine Meine
Geſchichte erzälte, deren Stoff teils aus der biblifhen Gefchichte, teils aus dem
gemeinen Leben genommen war. Dam ward gejchrieben, man ſah die eigren
Auffüge der Kinder durch, und ließ eine Prüfung im Kopfrechnen anftellen, worauf
diejenigen — die ſich durch Fleiß und gute Sitten den meiſten Beifall und die
gröſte Liebe erworben hatten, mit Namen genannt wurden. Nachdem man mil
einigen Piederverjen geſchloßen hatte, wurden zwar an fänmtliche Kinder Geſchenke
verteilt, doc) erhielten jene auegezeichneten, deren 6 waren, feidene Bänder al
Ehrenzeichen, mit der Auffchrift: Bleib, Geſchicklichkeit, Sittlichkeit, am Schulfeſtt
zu Miltitz 1792, welche letztere die Frau Kammerherrin von Heynip den Kinder
perfönlih um den linken Arın band , die fie an hohen efttagen in der Kirht
öffentlih) tragen. Sämmtliche Kinder genoßen die Ehre mit der Yamilie ihred
edein Herrn zu tanzen, wobei die aus Freiberg geholten Berghautboiften die
Mufit machten, die Knaben ſchlugen den Topf, ſchoßen nad der Scyeibe, amd
die beiten Schũtzen erhielten Belohnungen, wobei fie auf Koſten der Herrſchon
bewirtet wurden. Im hohen Gefühle der Freude hob ein Kind das Glas empot
und rief der Herrſchaft ein freudiges Bivat, in welches alle Aumefenden mit eine®
berzligden: ja das wünſchen wir alle harmoniſch einftimmten. Cine Eimjort*
machte den Echluß diefed für alle Anmejende, am meiften aber für die Kinde!
höchſt freudenreihen Tages.“
— 197 —
eine Kinder, Lehrlinge, Gandwerfögefellen und Bürger ein, Daß
; unmöglicy war, allen einen und denſelben Unterricht zu erteilen.
‘aber wurden verjchiedene Abteilungen gemacht, mehrere Lehrers
ellen begründet (für welche ſich Die oberften Schüler der Stadt:
hulen zu Langenfalza freiwillig erboten,) und fonady die Fleinften
Schiler im Lejen, andre im Deflamiren leicht zu verftehender
stellen aus Rochows Kinderfreund, Roſenmüllers erftem Unter:
iht m. |. w. geübt, wobei ihnen auf Sofratifche Art Alles foviel
18 möglich begreiflicd gemadht wurde. Ju einer andern Abteilung
suede Die Gejundheitslehre nach Fauſts Katechismus vorgetragen.
der Lehrer lad aus demfelben ein Stüd vor, ließ ed auch andre
eſen und Fatechifirte Darüber. Hernach trat Dr. Stöller, der bei
len Vorträgen gegenwärtig war, ſelbſt auf und fprady über
ieſes Stud als Arzt ſowol nad) der Faßung der Jugend als der
er älteren Bürger. Auch einzelne Materien, 3. B. Gewitter,
rieg, Ratswechſel u. f. w., nach Dolzens Manier behandelt,
iben fchicliche Gelegenheit zum Unterrihte. So verging das
fte Jahr, in welchem auch eine befondere Echreibe- und Nech:
enftunde Mittags von 12 — 1 Uhr in verfchiedenen Abteilungen
halten ward.”
„Sm zweiten Jahre ward der Unterricht mit den Kleinen auf
ie nemliche Art fortgefeßt, da immer wieder neue hinzukamen,
nd in der oberften Abteilung, welche die Bürger noch fleißiger
eſuchten, wurde von einem ber Lehrer jedesinal in ber erften
Yilfte ter Stunde der NReligionsunterriht nad) Rojenmüllerd
ehrbuche, und dann von dem Stifter des Inſtituts die Anweifung
r Glückſeligkeit beſonders des Bürgerd, durch Erhaltung und
förderung der Gefundheit Des Körpers und der Seele nah
nem eignen Gntwurfe, darauf die Lehre von den Pflichten des
ürgerd nach Anleitung der Bahrdtichen Moral vorgetragen.”
„Im dritten Jahre wurden bei noch zalreicherem Beſuche
achſener Juͤnglinge und Bürger, deren Zal ım Winterhalben«
e gemöhnlid) 300—400 betrug, von dem Stifter ganz allein
Utliche Zuhörer in der Meberzeugung gegründet, daß der Menſch,
a er glüclich fein und werden will, an Leib und Seele ges
Fein, beider Kräfte kennen und gehörig benugen müße, und
— 18 —
jo ward ihnen eine faßliche Anthropologie und Diätetif, |
das Nötigfte und Begreiflichfte aus der Seelenlehre und banr
Moral für den Bürger vorgetragen. Und da diefer Vortrag
mer zwedmäßiger war, aud der muntern Jugend fo viel
möglich angepaft ward, fo blieb die VBerfammlung fehr oft,
dem lauten Wunfche aller Anwefenden, noch über die gefehte.
beifammen.” |
„In den verfchiedenen Abteilungen wurbe der Unterricht
Kindern in der oben angezeigten Weile ferner erteilt und
leßtern der Neligiongunterricht nach Rofenmüller, fowie eine fi
Naturgeſchichte des Menfchen, nach Voigts Grundfenntniffen ı
getragen. So wurden auch die Schreib⸗ und Rechnenſtun
fortgeſetzt. Die für den Unterricht in den unterſten Abteilun
erforderlichen Bücher und Schreibmaterialien wurden, wenigſt
für die bedürftigeren Kinder, von Dr. Stöller ſelbſt angeſche
der außerdem aus eignen Mitteln eine Auzal von Volksſchri
anfaufte, die teild zum Vorleſen beftimmt , teild zur Snftruin
der Lehrer brauchbar waren.”
Auf mehreren benachbarten Dörfern fand das zu Langen]
geichaffene Inſtitut jehr bald Nachahmung.
— — u
Wichtiger jedoch als die an den genannten Orten au
führte Schulreform war die Umgeſtaltung des Schulweſens in
Graffhaft Stollberg-Roßla, meil die bafelbft von
gräflihen Territorialherrfchaft angeordneten Neformen im Si
wejen eine größere Ausdehnung und darum einen wirkſam
Einflup hatten *)
*) Die Schulen der Braffhaft Stollberg -Rokla wurden von dem zu 8
beftehenden Konfiftorium beauffichtigt, welches als ſolches i. 3. 1732 von
DOberconfiftorium zu Dresden approbirt und anerkannt worden war. - - Die
über das Stollberg-Roflacr Schulmefen mitgeteilten Nachrichten find aus %
lers „Taſchenbuch für deutſche Schuflehrer auf das Jahr 1800" ©. 73-
entnomnien.
— 19 —
Als unzmweifelhafte Norm hatten hiebei der Graf und das
Konfikorium zu Roßla die in den Schriften des Kirchenrates
Dr. Seiler zu Erlangen niebergelegten Ideen angefehn. Daher
war nicht allein Seilerd Katechismus in allen Schulen der Graf:
ſchaft eingeführt, fondern es waren auch in allen Schulen Biblio
ihefen angelegt, in denen man namentlih Seiler Schriften zur
Inſtruirung der Lehrer aufgeitellt Hatte. Jede einzelne dieſer
Ehulbibliothefen ftand unter der Aufjicht des betreffenden Kans
tor8 und wurde alljährlich einmal von dem Kantor und hernach
bei der jährlichen Schulvifitation von dem Superintendenten revis
dit. Zur Unterhaltung diefer Schulbibliothet war in jeder Pfarrei
beziehungsweiſe Gemeinde eine Schulfaffe begründet, in welche
jedes Kirchenärarium vorjchriitsmäßig Drei Thaler oder wenigſtens
einen Thaler zalte. Außerdem wurden Beiträge für viefelbe bei
Hochzeits⸗ und Kindtaufsſchmäuſen in verfchlogenen Büchfen, fowie
an den hohen Feſttagen in ben Kirchen Nachmittags im Klingel:
beutel eingefammelt. Daneben floßen in dieſe Kaffe auch andere
Gelber, durch welche es derfelben ermöglicht wurde, für arme
Schulkinder Die nötigen Schulbücher und für beſonders lobens⸗
verte Ratechumenen, welche aus der Schule entlaßen wurden,
Heine filberne Belohnungsmuͤnzen anzufhaffen.*) — Um den
lirchlichen Oberen die Beauffihtigung der Schulen zu erleichtern,
mußte jeder Schullehrer am Ende jedes Jahres fehr genau ausge:
übrte Echultabellen einliefern. — Jeder Schulmeifter der Braf-
haft, der ein von feinem Pfarrer ausgeftelltes gänftige® Zeugnis
elbrachte, erhielt halbjährlich aus der gräflichen Kammerkaſſe
0 Rthlr. Zulage.
Schon nad wenigen Jahren war daher in allen Schulen
er Grafſchaft eine Planmäßigkeit, eine Ordnung und Regſamkeit
Abrnehmbar, von der man früherhin nichts geahnt hatte. —
— —
) Auf dem Abers dieſer Belohnungsmüngen fah man einen Genius mit dem
Thom in der Hand ftehen, gelehnt an einen Tiſch, auf welchem ein Bienen
mit zalreich einziehend en fleißigen Binnen ftand. Die Umſchrift lautete:
ete md arbeite.” Auf dem Mevers fah man einen Rautenkranz mit den Wor.
= fo wirb dich Gott ſegnen.“
— 20 —
Leider aber waren ed auch nur wenige Orte und Gegenden &—
ſachſens, worin ſich die Anfänge eines beßeren Volksſchulweſ ge
nachweifen ließen. "In den meiften Gemeinden Fonnte die Wr
famfeit der Seminarien nur in derjelben Allmählichfeit bemer Ba
werben, in welcher ſich nicht nur die Bildung und das Berufsbe
wuftfein, ſondern auch die ganze Lebensftelung der Schullehrer
(und dadurch das Anſehn der Schule felbft) hob. In erſterer
Hinficht boten die legten Jahre des achtzehnten Jahrhunderts al;
lerdings mancherlei erfreuliche Erſcheinungen dar, indem fid bier
und da namentlid Xefegefellfhaften und Konferenzen
bildeten, durch welche ſich die Lehrer gegenjeitig zu fördern und
zu beben ſuchten. So wurde i. 3. 1795 zu Gleina im Stift
Raumburg- Zeig eine Leſegeſellſchaft für Landjchullehrer geftifte.
Anfangs nahmen zwölf, i. J. 1799 aber ſchon zwanzig Lehrer an
derfelben Teil. Im Jahre "1796 wurde auch zu Conſtappel bei
Dresden ein Lejeverein für zwölf Landſchullehrer eingerichtet. Drei
Sabre fpäter, am 13. April 1799, wurde zu Dermsdorf in der
Didcefe Weißenfee von adıt Dorffchullehrern die erfte periodiſche
Schulconferenz begründet, deren Zweck gemeinſchaftliche
Erörterung gewilfer Schulfachen war, namentlich der Lehrmethode und
ber Schuldisciplin und gegenfeitiger Austaufch der im Gebiete dei
Schulweſens gefammelten Erfahrungen und Kenntniffe.
Auch zur Beßerung ber äußeren Lage der Schullehrer th
bie Staatsregierung um biefe Zeit manches. In den Volksſchulen
des Stift8 Naumburg-Zeig wurden alljährlich an wuͤrdige Schu
Diener, geprüfte Schulhalter und Kinderlehrer zwei Prämien, ein
größere von zwölf Thlr., und eine Eleinere von 8 Thlr. verteilt
Auch in der Didcefe Weißenfee wurden zu gewiffen Beiten Br
mien ausgegeben. — Un bie Aufbeßerung der Lehrergehalte ſel HR
wurde indeffen erft i. J. 1799 ernftlich gedacht.
Auf landesherrlichen Befehl wurde nemlich i. 3. 1799 ſaͤmm?
lichen kurſächſiſchen Landſchullehrern aufgegeben, ihren vorgejegte"
Superintendenten und Inſpectoren ben Betrag ihrer Ginfünff
nad einer durchſchnittlichen Berechnung mehrerer Jahre zu übe
reihen. Die Anfpectoren und Superintendenten follten diefe Au⸗
gaben in eine tabellarijche Ueberſicht zufammenftelen und zugleick
— 201 —
bemerken, wie viel aufgewenvet werben müße, um den Ertrag einer
Lehrerftelle, Die noch nicht 80 Thlr. einbringe, auf 80—100 Thlr.
zu erhöhen. Außerdem follten diefelben darüber berichten, welche
Lehrer insbefondre einer Unterftügung und Aufmunterung bedürfs
ten, und an weldyen Orten unb mit welchem Aufmande nod)
Schulen zu errichten wären. — Um dem Notftande jo vieler
Lehrerfamilien, der in Folge dieſes Andfchreibens zur Sprade
km, einiger Maßen abzubelfen, wurde nody in demfelben Jahre
1799 eine Schullehrerbejoldungsfaffe gebiltet, in welche namentlich
ein Teil der jährlihen Bußtagscollette und Die Binfen der zur
Unterftügung hülfsbedürftiger kurfürſtlicher Schullehrer geftifteten
Vermaͤchtniſſe fließen follten; und da diefe Kaffe ihren Zwecke
noch nicht entfprach, jo wurde i. %. 1805 mit ftändifcher Zu⸗
ſtinmung eine neue Schullehrerbefoldungsfaffe begründet,
die mit einem Kapital von 10,000 Thlr. und mit einem jährlichen
Zufhuß von 1000 Thlr. dotirt ward. Unter dem 17. December
1804 erließ der Kirchenrat zu Dresden ein Reſcript an die Kon-
fftorien wegen Anfchaffung des zur Heigung der Schulftuben nö-
tigen Holzes, das in Zukunft von den Gemeindeleuten unentgeld-
ich angefahren werden follte; und unter dem 17. Juni 1805 er:
ie der Kirchenrat ein anderes Reſcript wegen Verbeßerung des
Dfenfteintommens der weniger ald 80 Thlr. einbringenden Lehrer⸗
ellen.
Wichtiger aber noch als dieſe Verfügungen war das Regu⸗
atin vom 4. März 1805, das Anhalten der Kinder zur Schule
md die Bezalung des Schulgeldes betreffend, durch welches ben
Eltern, von deren Willtür der Schulbefucd noch immer ſehr ab-
Yängig geweſen war, das Anhalten der Kinder zur Echule zur
bürgerlichen Zwangspflicht gemacht, zugleich die Lage der Schul:
lehrer durch Regulirung des an den meiften Orten höchft unver:
haͤltnismäßig und unordentlich entrichteten Schulgeldes nach dem
ißherigen höchſten Sag verbeßert, und diefelben damit auch des
läftigen und mit vielen Inconvenienzen verbundnen Geſchäfts der
Agnen Erhebung und intreibung dieſes Schulgeldes enthoben
wurden. Erſt hierdurch wurde die Unabhängigkeit der Schule und
es Schullehrers von der Willfür der Eltern promulgirt und for
— 202 —
mit dad Gedeihen der Schule wahrhaft gefihert. Tas Regulawy
welches Kurfürft Friebrih Augufl von Sachſen ald Anhang an
zweiten Kapitel der kurſächſiſchen Schulordnung von 1773 unter
dem 4. März 1805 publiziren ließ, lautete:
„1) Die Unterweifung der Kinder in den Schulen foll Bei
beiden Gefchlechtern mit dem Eintritt in das fechfte Lebensjahr
ihren Anfang nehmen, und bis zur Erfüllung des vierzehnten Jah
res ununterbrochen fortgefeßt werben. Nur dann, wenn an bem
Orte des Aufenthalts der Kinder feine Schule vorhanden, und die
Schule, an die fie in Anſehung des Unterrichts gewiefen find, über
eine halbe Stunde davon entfernt, oder in einer unwegjamen Ge
gend gelegen ift, darf der Schulbeſuch bis zum Eintritt in bed
fiebente Lebensjahr ausgejeßt bleiben. Wenn bei der Vorbereitung
eined Kindes zu dem Genuſſe des heiligen Abendmals fi finde,
daß es ihm noch an einer richtigen und fruchtbaren Kenntnis der
evangeliſchen Wahrheiten, oder auch an der Fertigkeit im Lee
fehle, jo muß mit dem Schulunterrichte über das vierzehnte Jahr
hinaus fo lange fortgefahren werden, bis dieſen Mängeln, nad
der gewißenhaften Beurteilung des die Konfirmation verrichtenden
Seelforgers, abgeholfen worden ift.
Die Pfarrer haben fi, bei Vermeidung der Suspenfion,
bierunter gegen feinen Katechumenen, ohne Anſehn der Perſon unt
des Standes, nachfichtig zu beweiſen; auch ift es Pflicht der Ew
perintendenten, darauf Acht zu haben, daß dieſer Vorſchrift nit
entgegen gehandelt werde.
2) Ale Eltern und Vormünder find verbunden, ihre Kinder
und Pflegebefohlene binnen der vorher beftimmten Zeit bie öffen”
liche Schule ihres Wohnorts, oder an Orten auf dem Lande, wo
feine Schulen find, diejenige Schule, zu der ihr Aufenthaltsort
geihlagen iſt, beſuchen zu laßen. Hiervon bleiben nur diejenige®
audgenommen, welchen in den Landeögejegen das Halten eigne!
Haußlehrer geftattet ift, oder welche ihre Kinder in einer anber®"
öffentlichen Schule, wo fie mehr erlernen fönnen, oder in ein®
mit Genehmigung des Superintendenten und der Obrigfeit 9*
ſtehenden Privatfchulanftalt unterrichten Iafen, und daß ſolches w®'
Vorwißen bes Pfarrers und ber Gerichtsohrigkeit ihres Aufer
— 203 —
altsorts gefchehe, beizubringen vermögen; inmaßen ohne dergleichen
zewilligungszeugnis Fein Kind in einer anderen öffentlichen ober
Irinatanftalt angenommen werben fol.
3) Sollten Kinder vor beendigten Schuljahren und erfolgter
ionfirmation in @efindebienfte treten, oder zu Grlernung einer
zrofeſſion ober Kunft An die Lehre gethan werden, fo find bie
Renſt⸗ ober Lehrherren ſchuldig, ſie auf die noch übrige Dauer
er Schulzeit, und nach deren Ende bis nach der von ihnen ord⸗
ungsmaͤßig zu beſorgenden Confirmation, taͤglich wenigſtens zwo
stunden in die Schule ſowie in den Vorbereitungsunterricht
im erftmaligen Genuß des heiligen Abendmals zu fchiden.
4) Damit die Befolgung diefer Vorfchriften defto zuverläßiger
: überfehen fein möge, fo ift an jedem Orte, in Städten und
orftädten von den Viertelsmeiſtern oder Gemeinderichtern, auf
m Lande von den Dorfrichtern, bei dem Anfange jeden Viertel⸗
bres d. i. am 1. Januar, 1. April, 1. Suli, und 1. October,
te richtige und vollftändige Specification fämmtlicher dafelbft
findlicher fchulfähiger Kinder, bei einer Strafe von zwei Thalern
t jede hierbei zu Schulden gebrachte Nachlaͤßigkeit, in zwei uns
tgeltlich zu fertigenden Exemplarien, dem unten verorbneten
Hulgelder - Einnehmer und dem Schullehrer felbft zu übergeben.
5) Jeder Schullehrer ift verpflichtet, nach Anleitung des
n qugeftellten Verzeichniſſes täglih, von welchen der von ihm
unterrichtenden Kinder die Schule verfäumt worden fei, ohne
hfiht und Anfehen der Perſonen, forgfältigft anzumerken, und
Verzeichni aller im Laufe jeden Vierteljahrs vorgefallenen
jäumniffe, acht Tage nach Ablauf defjelben, dem Pfarrer zu
ergeben. |
Die hierbei von den Schullehrern zu beobachtende Benauig-
E gehört zu ihren wichtigften Amtöpflichten, und es haben bie-
tigen, welche aus Trägheit, Menfchenfurdt, Gefälligkeit, Eigen:
8 oder fonft, ſich einiger Pflichtvergeßenheit hierunter ſchuldig
hen, daß bei DVerfegungen oder jonft von ihnen gewünfchten
Tbeßerungen, auf ihre desfalls bei der Behörde angebrachten
fuche keine Rücficht werde genommen werben, auch nad Ber
sen fonflige Ahndung, zu gewarten.
— 204 —
6) Der Pfarrer bat das ihm zugeftellte Verzeichnis tag,
zugehen, die Strafiwürdigfeit oder Werzeiblichfeit der Darimen ar
gezeigten VBerjänmniffe zu prüfen, und es ſodann, mit fegzuen
Erinnerungen und feiner Unterjchrift verſehen, der Obrigfeit mit
möglicyfter Befchleunigung zu überlicfern.
7) Bei Vermeidung des erufteften Einſehens haben Die Obrig:
feiten gegen Eltern, Vormünder, Dienft-" und Lehrherrn, welde
ichulfähige Kinder ohne hinreichende Urſache die Schule verjäumen
laßen, mit gefeßlichem Zwange zu verfahren, und fie, wenn das
von ihnen zur Schule anzuhaltende Kind im Laufe eines Dnartald
über acht Tage hintereinander, ohne hinlängliche Eutjchuldigunge
urfache, außengeblieben ift, das erftemal mit Dreitägigem, in jetem
Wiederholungsfalle aber mit fehstägigem Gefängniffe, unnachſiht—
lich zu belegen; wobei ſich von felbft verfteht, daß das Schulgeld
wegen des Ausbleibens ſchlechterdings nicht zurückgehalten, oder
verkürzt werden darf.
8) Nur Krankheit oder Abweſenheit des Kindes, wenn Ber
des zur Genüge befcheiniget, oder fonft befannt ift, und diejenigen
Gründe, welde der Pfarrer und die Obrigfeit in einzelnen Fällen
für zureichend ermeßen werden, find als hinlängliche Entſchuldi⸗
gungsurfachen wegen vorgefallener Schulverfäumniffe anzuſehen.
9) Damit aber den Eltern oder anderen Perfonen, welcht
Ichulfähige Kinder bei fich haben, die ihnen etwa nötige Beihilfe
erwachjener Kinder thunlichfterinaßen gegönnet werde, fo fol überal
auf dem Lande, wo es die Localverhältniffe nur immer geftatten
wollen, die Schuljugend nach ihren Käbigfeiten in zwei Klaſſen
abgefondert, und einer jeden Kaffe in befonteren Stunden M
ihren Fähigkeiten angemeßene Unterricht erteilt werden.
10) Zur Erndtezeit ift auf dem Lande der Unterricht dere
nigen Kinder, welche das 10. Jahr ihres Alters erfüllt haben,
zwar vier Wochen lang auszuſetzen, jedoch find bergleichen Kind!
während diefer Zeit nicht ganz ohne Unterricht zu laßen, ſondern
fie haben wöchentlich einige Stunden lang die Schule zu befuche!
Dagegen gebt der Unterricht der unter 10 Jahre alten Ki
der während der Erndtezeit unausgefegt täglich fort.
11) Da es überdies geſchehen kann, daß Eltern ober Pfley“
— 205 —
tern erwachjener Echulfinder auch außer der Erntte des Bei⸗
indes derfelben nicht entbehren Fönnen, fo fol zwar in dringenden
allen diefer Art, wenn folche zur Genüge bejcheinigt worden find,
18 Außenbleiben der Kinder aus den anfonft von ihnen zu be
chenden Schulfiunden, nad dem Ermeßen des Pfarrerd und ber
ſbrigkeit, ald entjchuldigt angefehen werden: jedoch müßen ſolche
inder auch während dieſer Zeit nicht ohne allen Unterricht ges
ieben, fondern täglich eine Stunde, oder wenigftend wöchentlich
nige Stunden lang, in die Schule geſchickt worden fein.
12) Ale die Schule befucyenden Kinder find im Ehriftentum,
ı Kejen, Schreiben und Rechnen zu unterweifen.
Auch der Unterricht im Schreiben , ingleichen in der Zalen⸗
nntnis und der Erlernung des Ein mal Eins, ald der Vorbe-
tung zum Rechnen, nimmt bald nad) dem Eintritte des Kindes
die Schule feinen Anfang.
Ob ein Kind die zum Rechnen erforderliche Fähigkeit babe,
rüber bat nur der Echullehrer und, nach Befinden, der Pfarrer
urteilen; mithin haben Eltern, VBormünder, Lehr- und Dieuft:
tn ſich aller desfallfigen Einmiſchung zu enthalten.
13) Bon der erften Woche des Schulunterrichtes an bis
n Eude der Schuljahre müßen Eltern, Vormünder, Dienft- und
rherrn für die von ihnen zur Schule zu ſchickenden Kinder das
: den Unterricht im Chriftentum, im Leſen, Schreiben und Rech⸗
1, jeden Ortes gewöhnliche oder vorgejchriebene Schulgeld, ohne
terſchied, ob das Kind zur Schule gefonmen jei, oder nicht,
er ob fein Außenbleiben durch Krankheit, Abwefenheit und fonft
entfchuldigen fei, oder nicht, bezalın. Kür arme Kinder tft es
3 der Armenkaſſe zu entnehmen, oder von der Gemeinde, Die
deren Verforgung verbunden ift, einzubringen. Nur Diejenigen
eiben von Erledigung des Schulgeldes überhaupt befreit, welche,
ie oben $. 2 erwähnt ift, nach den Yandesgefepen Hauslehrer
halten befugt find; oder die ihre Kinder zur Erlernung alter
Prachen und höherer Wißenjchaften in fogenannte gelchrte Schu—
, nachdem fie bereit die erften Elemente der nötigen Kenntniffe
den Schulen ihrer Wohnorte erlernt haben, mit Genehmigung
Juſpection, und nad) vorgängiger Prüfung der Kinder durd)
— 206 —
den Superintendenten, bringen wollen, nicht aber diejenigen, .
außerdem zu Entnehmung der Kinder aus der Ortd- Schule m
§. 2 bejondere Conceſſion erhalten.
14) In jeder Stadt, oder Dorfgemeinde ift zur Ginnahm
des Schulgeldes ein eigener Einnehmer von dem Superintendente
und der Gerichts-Obrigkeit zu beftellen und zu verpflichten; meh
tere Fleine, zu einem gemeinfchaftlichen Kirchipiele gehörige, un
einander nahe gelegene Orte Eönnen einen gemeinjchaftlichen Gin
nehmer haben.
15. Bei der Auswal deſſelben ift auf Leute von bekannte
Redlichkeit, und vorzüglich auf diejenigen Perfonen Rüdfiht y
nehmen, die die Almofenfammlung bejorgen. Ohne hinreichend
Entfehuldigungsgründe darf Niemand, dem dieſes Amt aufgetrage
wird, es zu überuehmen, verweigern. Die Beurteilung der Gut
Ichuldigungsgründe bleibt dem Ermeßen des Superintendenten unl
der Gerichtsobrigkeit vorbehalten.
In Abſicht auf die damit verbundenen Verrichtungen if ba
Sculgelder-Einnehmer der geiftlihen Gerichtsbarkeit unterworfen
16) Eltern, Vormünder, Dienft- und Lehrherrn ſollen hin
fünftig das für die von ihnen zur Schule anzuhaltenden Kinde
dem Schullehrer zufommende Schulgeld an den jeden Orts be
ftellten Schulgelder-Einnehmer von Woche zu Woche bezalen. 20
denen, bie e8 wöchentlich nicht abtragen, hat e8 der Schulgeldet
Einnehmer, nady Anleitung des ihm von den Viertelsmeißfterr
Dorf» oder Gemeinderichtern zugeftellten Verzeichnifjes ber ſchu
fähigen Kinder, am Schluß eines jeden Monats, nach Art un
Weile des Almojens einzufammeln; die verbleibenden Reſte abe
acht Tage nah dem Ablaufe eines jeglichen BVierteljahres de
Obrigkeit anzuzeigen.
17) Die Obrigfeiten find verpflichtet, fpäteftens 8 Tage
nachdem ihnen das Verzeichnis der rüdftändigen Schulgelder vo
dem Ginnehmer übergeben worden ift, die Reftanten, daß fie ihr
Nefte binnen drei Wochen bezalen follen, bei Vermeidung de
Auspfänbung, gerichtlich bedeuten zu laßen, auch davon, daß ſo
ches geſchehen jei, dem Schulgelder-Einnehmer Nachricht zu gebt‘
Segen die, welche der erhaltenen Bedeutung feine Folge lei!
— 207 —
if auf Die fernere Anzeige des Schulgelder- Einnehmers, welche
diefer nacy Ablauf der ihnen vergönnten Friſt ohne Verzug zu
bewirken bat, mit der Auspfändung ohne Aufjhub und Nachſicht
iu verfahren.
18) Den Schullehrern ſelbſt wird die eigene Eincaſſirung
des Schulgeldes bei zehn Thaler Geldbuße oder vierwöchentlicher
Befängnisftrafe verboten. Es bat aber der Schulgelder-&innehmer
über das eingehende Schulgeld orbentlihe Rechnung zu führen,
und e8 dem Schullehrer, nach Abzug von zwei Groſchen für jeden
eingenommenen Thaler, ald welche ihm für die dabei habende
Mühewaltung überlaßen bleiben, monatlich zu übergeben.
19) Die Superintendenten haben bei den ihnen obliegenden
Sdulvifitationen fi) nad dem Verhalten der Givil- Obrigfeiten, -
in Anſehung des Beſtrafens der Schulverjäumniffe und der Exac⸗
tion der Schulgelberrefte, forgfältig zu erkundigen, und die Died
told vorkommenden Bejchwerden, wenn fie gegründet, auch auf ihr
freundichaftliche8 Erinnern nicht abgeftellt werben, den Conſiſtoriis
anzuzeigen.“
Das Regulativ von 1805 ift daher ebenfo als Anfang der
neueren wie als Abſchluß der älteren Gelchichte des Volksſchulwe⸗
ſens in dem nunmehrigen Königreich Sachſen anzufehn.
— — —
IX.
Das Serzogtum Sachſen⸗Gotha.
Bis zum Ablaufe des breißigjährigen Krieges war der Cha⸗
itter des Volksſchulweſens in allen ſaächſiſchen Herzogtümern ein
id Derjelbe, d. h. es war zwar den Küftern zur Pflicht gemacht,
B fie Schule halten folten, aber nur jehr wenige Küfter famen
ex Verpflichtung nah, und als eigentliched Dienftoffizium ders
ben galt daher neben der Verrichtung des niederen Kirchendienftes
"Die Unterflügung des Pfarrer? in der Vornahme der Firchlichen
ate chiſationen. — Am vollftändigften erhellt biefes Verhältnis
— 208 —
aus der Kirchenordnung, welche der Herzog Johann Gafimr ge
Coburg unter dem 17. Bebr. 1626 publiziren ließ. In derſelben
wird nemlich in Betreff der Küfter und deren Dienftobliegenheiten
Folgendes beſtimmt:
Die Kirchner oder Glöckner follen „von Richtern, Kirchvätern
und Xelteften aus der Gemeinde, mit Vorwißen des Erb⸗ und
Lehusherrn, auch des Pfarrers gewählt und fürders dem Konfifle
rium präfentirt und zugeſchickt werden, weldye ihn verbören, und
da er im Examine gefchidt befunden, zum Amt confirmiren un
beftätigen jollen. Demnach foll wider des Pfarrers Willen feine
angenommen oder eingebrungen werben, in Betrachtung daß ft
bei einander fein und einander helfen müßen, auch ein jeder Pfar
rer ohnedem jeinem Glödner zu gebieten und zu befehlen bat.’ —
Die Pfarrer follen jedoch ihre Gloͤckner nicht mit Botenlaufen und
andern Dienften beſchweren. Jeder neu angeftellte Küfter ſoll mit
feinem Haushalt auf Koften der Kirche, wofern es dieſer möglid,
oder der Gemeinde in feinem Wohnort eingeholt werden.
| Der Küfter bat dem Pfarrer in allen dienftlicdyen Vemich
tungen zur Seite zu ftehn. Außerdem „ſoll auch ein jeder Dorf
füfter verpflichtet fein, alle Sonntage Nachmittags, und in de
Woche auf einen gewilfen Tag die Kinder den Katechiemum md
hriftliche Deutsche Gefäuge Dr. Luthers mit Fleiß und deutlich zu
lehren, und nachmals in den vorgefprochenen oder vorgelejenen
Artikeln des Katechismi wiederum zu verhören und zu egaminiren.‘
Neben diefen firhlihen Katechiſationen follen abe
auch „alle Custodes und Dorffüfter Schule halten, — darinnen
die Kinder Lefen, Schreiben und hriftlide Geſänge, 10
in der Kirche gebraudht werden follen, lehren.” Die äuperen
Verhältniſſe der Küfter betreffend wurde verfügt, daß dieſelben
fi) alles Procurirens und Advoeirens enthalten, feine gebrannfe
Weinfhänfen, auch in ihren Wohnungen Feine Miethsleute auf?
nehmen follten. Dagegen wurde zum Schutze der Küfter gege®
unbillige Forderungen der Gemeinden verordnet: „Nachdem art
etlichen Orten die Custodes unbillich bejchwert worden find, indees®
fie wegen des Botfornd oder Leihfaufs jährlich von ihrem Di
zween, drei oder vier Echeffel Korn, auch etwa einen Gulden der
nn an
— 209 —
tmeinde haben geben müßen, und ſolches im Namen und Schein,
3 jollte der Custos von Neuem gemietet werben, welche Abzüge
mad die Gemeinde verjoffen, als ſoll hiermit folche unchriftliche
Schinderei durchaus abgeſchafft und verboten fein, und fein
stos der Gemeinde forthin dad Weringfte zu Botkorn oder Leib:
uf reichen oder geben, ohne das erflcmal, wenn er angenommen
d mit Fuhre geholt ift, alsdaun mag er, fi) mit den Nachbarn
fannt zu machen, etliche Groſchen der Dorfichaft zu vertrinfen
ben; jedoch daß auch in ſolchem ein Maß gehalten und ber
ıstos nicht über ſechs Groſchen zu geben gebrungen werde.” —
a wo die Bauern dad Vieh um die Beche hüten, fol der
ter wie der Pfarrer von der Zechhute völlig befreit und doch
tehtigt fein, ihr Vieh mit dem der Gemeinde forttreiben zu
zen. Wo jedoch die Gemeinde einen Hirten gedungen hat, fols
ı Küfter und Pfarrer Die Laften jedes Gemeindemannes teilen.
Die Ausübung eines Handwerks wurde den Küftern mit
gender eigentümlichen Bemerkung geftattet: „Als auch die Gloͤck⸗
: gemeiniglidy geringe Beſoldung haben, — jonft auch die Kirche
d Bemeinde einen Müßiggänger auf foldem Dienft
erhalten, gemeiniglidy zu unvermöglih, — jo laßen wir
mit nach, daß die Kirchner auf den Dörfern, weldye Handwerke
nen, biefelben allein daheim in ihren Häufern und außer ben
Aulftunden zur Notdurft, aber nicht auf den Herrenhöfen oder
af außerhalb, auch nicht zum feilen Kaufe, den umliegenden
tödten und Meiftern vefjelbigen Handwerks zum Nachteil treis
n.“ Das übliche Umgangsbrot ſoll den Küftern volwichtig im
Ierte von 2 Bapen geliefert werden, widrigenfalld dieſelben bes
chtigt fein follen, die Zalung von 2 Batzen zu verlangen. „Und
U verichienener Zeit gebräuchlich gewefen, daß man den Kirch⸗
Mm auf den Dörfern den Gründonnerftag Oftereier, desgleichen
ı bh. Abend oder Neujahr, fo fie den Sprengfeflel oder geweihte
Ber umtragen, nun aber, weil ſolches weggefallen, dafjelbe auch
t mehr geben wollen, — fo achten wir für gut und billich,
I ihnen ſolches nachmals gutwillig gegeben werde.“
Aus allen diefen Beſtimmungen ergiebt fich aljo, daß bie
in ein eigentliches Dorfſchulweſen noch nicht beſtand, indem ber
Cpye, Bolkaſchulwejen, 2. \&
— 210 —
Küfter vorzugsweiſe als Kirchendiener und nur nebenbei als &d
meifter in Betracht Fam. Indeſſen lag ed doch im Sinne
Kirchenordriung, daß die Küfter dad Lehramt jetzt als integriren
Beftandteil ihres Küfteramtes betrachten: jollten, weshalb jogar
foblen wurde, daß die Küfter und deren Frauen üb
Mägdleinfhulen zu errichten hätten, wofür ihnen aus
Kirchen oder Gemeindefaften eine Ergeplichkeit zugewenbet weı
follte. Auch follten die Superintendenten bei den Kirchenvifite
nen ermitteln, „ob der Pfarrer die Schule vermöge der Kird
ordnung fleißig vifitire und die Eingepfarrten vermahne, bei:
ders um des Katehismi willen, ihre Kinder zur St
zu halten, ob der Schulmeifter täglich wenigftend vier Stu
lang Unterricht erteile, Die Kinder namentlich im Katechismus
Fleiß unterrichte, und ihnen Luthers geiftliche Lieder einübe” a.
Aber ein eigentliches Volksſchulweſen erwuchs doc dan
nur in demjenigen fächlifchen Lande, über welchem die fegn:
Hand des frömmften aller jächfijchen Fürften des fiebzehnten J
hunderts waltete, — im Herzogtum Gotha. Der mit R
al8 „der Fromme” bezeichnete Herzog Ernft L von Sad
Gotha ift der Vater der Volksſchule in den herzoglich⸗ſächſiſ
Landen.
Nachdem nemlich Herzog Eruft am 24. October 1640
Tenneberg aus feinen feierlihen Cinzug in die Stadt Gotha
halten hatte, entwidelte derfelbe fofort bie rührigfte Thaͤtig
um die Verwaltung feined Landes zu ordnen. Zunaͤchſt a
Ernft eine an alle feine Unterthanen geiftlihen und weltli
Standes gerichtete Bekanntmachung, worin er denjelben eröfft
daß er entjchloßen fei, fobald als möglich eine allgemeine Kird
und Landesvifitation anftelen zu laßen, damit er die Mängel
Gebrechen des Landes und dadurch die Mittel kennen lerne,
jeinen Unterthanen durch heilfame Geſetze und Ginrichtungen
fen zu können. Diefer Bekanntmachung fügte Ernft ein Ber
nid einiger Wrtifel bei, welche die Pfarrer und Beamten
Fürſtentums Gotha vorher beantworten ſollten. Sindefien |
dieſe beabfichtigte General-Bifitation einftweilen nicht zur Audf
zung, da von dem Generalfuperintendenten zu Weimar und ı
— 211 —
einigen Profefjoren zu Jena gegen biefelbe fehr ernfte Einwen-
dungen erhoben wurden. Um fo rüftiger frhritt der Herzog un-
verweilt zur Ausführung der beabfichtigten Reform der Schulen
feines Landes und zwar zunächft des Gymnaſiums zu Gotha vor.
Um einen tüchtigen Rat in Schulfachen zur Seite zu haben, berief
Ernft den damaligen Rector Reyher zu Schleuffingen als Rector
des Gymnaſiums nach Gotha. Durch ihn ließ Ernſt eine Anzal
neuer Lehrbücher für die niederen Schulen, ein ABE- und Sylla⸗
birbüchlein, Lejebüchlein, Xefeubung, Pfalterium, Evangelienbüchlein,
Rehenbüchlein und unter dem Titel „Schulmethodus” eine neue
Schulordnung ausarbeiten. Zur Beförderung des Drudes biejer
Schulſchriften errichtete der Herzog eine eigene Buchbruderei in
Gotha. Hierauf orbnete Eruft eine Bifitation aller Schulen des
Landes an, indem er durch Reſcript vom 13. October 1641 den
Superintendenten und Adjuncten befahl, bie ihrer Aufficht unters
Rellten Schulen zu vifitiven, die Pfarrer, Schuldiener und Elteften
der Gemeinden über gewiße Fragepunfte zu vernehmen und über
dad Ergebnis der Vifitation bei Einfendung der Protocolle Bericht
wu erftatten. Da aus den zur Superintendentur Gotha gehörigen
Ortſchaften die meiften Perfonen nebft ihren Kindern und ihren
Predigern ſich wegen der damaligen Kriegsunruhen in der Refl-
denzftabt Gotha aufhielten, jo wurde die Schulvifitation mit ihnen
in der zweiten Klaffe des daſigen Gymnafiums vorgenommen.
Als die Schulvifitation beendigt war, machte der Herzog
unter dem 12. Novbr. 1641 befannt, daß nunmehr eine Generals
viſttation fämmtlicher Kirchen und Gemeinden im Lande vor fich
gehen und ein Jeder fih zu berjelben bereit halten follte. Die
ur Vollziehung der Bifitation ernannten Commiſſare waren ber
Con ſiſtorialrat Strauß, der Generalſuperintendent Salomon Glaſſ,
der Hofprediger Brumhorſt und ein Hofjunker von Miltiz. Am
18. November nahm die Viſitation ihren Anfang. Zu Folge der
en erteilten Inſtruction ſollten die Commiſſare jedesmal den
verichtsherrn oder Pfarrer von ihrer Ankunft ſchriftlich benach⸗
rich tügen , alsdann die Eingepfarrten durch den Glockenſchlag in
E Kirche fordern und fie von dem Pfarrer in Ordnung ſtellen
Ben, nad) Verleſung ded Kommifjoriald das ECxamen aus dem
| 10
— 212 —
Katehismus und der Bibel mit ihnen vornehmen, daranf zu
Schulegamen fchreiten, (wobei auch die Kinder der Adlichen n
ihren Brivatlehrern zu erjcheinen und legtere über ihre Metho:
Nede und Antwort zu geben gehalten fein follten,) vor Entlaßur
der Gemeinde einen Ausfhuß der Welteften derſelben, in de
Etädten die Bürgermeifter und in den Dörfern die Schultheiße
und Altariften mit Zuziehung bed Pfarrerd benennen und jold
an einen beliebigen Ort zur Vernehmung über die der Inftructig
beigefügten Fragpunfte bejcheiden, vor dem Verhör aber mit de:
Pfarrer eine freundliche Conferenz halten und erforfchen, wie «
in lectione biblica, libris symbolicis und libris theologicis 5
Ihaffen fei, ob er cognitionem historiae ecclesiasticae et lingua
rum orientalium babe und wie er in practicis fundirt fei, aue
ob er feine Predigten zur Erbauung der Zuhörer wol einridt
Die übrigen Fragpunkte an die-Pfarrer, Schuldiener, Superin
tendenten, Adjuncten, und an den erwähnten Ausſchuß ber Gi
meinde erftredten ſich auf Gegenftände in Kirchen, Schul, drif
lichen Discipline und Polizeifachen, wobei das Hleinfte Detail nid
unberührt blieb. Weber die Beantwortung derſelben mufte ein g
naues Protocol geführt und in Fällen, welche feinen Aufihe
litten und einer fchleunigen Nemebur beburften, befonderer Berid
erftattet werden.
Diefe Vifitation, welche 5 Jahre dauerte und nachher
veränderter Ginrichtung wiederholt wurde, war die Baſis, m
welcher das gefammte Schulunterrichtswejen des Landes feine G
ſtaltung erhielt.
Die Unwißenbeit und Verwilderung, welche die Commiſſic
im Volfe wahrnahm, war arg. Die meiften der Schule entwac
ſenen Leute wuften von dem Inhalte des Katechismus gar Rip!
und Diejenigen, welche die Worte der 5 Hauptftüde teilmeije re
tiren konnten, hatten ſich diefelben Doch nur ganz gedankenlos «a1
geeignet. Auf die von den Gommifjaren desfalls erftatteten W
richte erteilte daher Herzog Eruft Schon im Sabre 1642 an de
KSonfiftorium den Befehl, den Superintendenten zu Wangenheiss
die Adjuncten im Lande und die drei Diaconen zu Gotha vor:
bejcheiden, um mit ihnen zu überlegen, wie der allgemein mi
— 213 —
genommenen argen Unmißenheit abzuhelfen fein möchte. Zugleich
ſchrieb er ihnen acht Punkte zur Beratfchlagung vor, als 1) ob
ed nötig fei, daß dieſe Unwißenheit getilgt werde und mwelcherge:
Halt es am füglichften gefchehen könne; 2) ob nicht aus den vor-
handenen Seclenregiftern in jeder Gemeinde von den Pfarrern,
ohne Anfehn der Perſon ein Extract folder Unwißenden zu machen
und berfelbe den Euperintendenten und Adjuncten jedes Orts zu
übergeben fei; 3) ob nicht ſolche Perjonen zu gewißen Zeiten
wöhentlicd) in einer namhaften Anzal vorzufordern und in dem
Katechismus dergeftalt zu informiren feien, daß nächſt den Worten
ihnen der Verftand und Gebrauch, wo nicht gänzlich, doch in ben
notwendigften Stüden beigebracht werde; 4) ob nicht zu folrhem
dvehuf aus ter allbereitd aufgeſetzten Katechismuserklärung ein
Model ſolcher nötigen Stüde zu ziehen und auf vorhergehende
anderweite Teliberation zu folder vorhabenden Intention zu ges
brauhen; 5) was für Etunden in der Woche zu deputiren, daß
weder der ordinäre Gottesdienft dadurch verbindert, noch auch bie
Leute allzufehr von ihrer Hausarbeit und Nahrung abgehalten,
ſowol auch den Pfarrern ihre Arbeit nicht zu ſchwer gemacht werbe;
6) ob für diefe ordentlichen Informationsſtunden nicht noch andere
Vorſchläge zu thun, dadurch die Erreichung dieſes scopi befördert
werden möchte; 7) weil man bisher erfahren, daß die Leute, fo
beichten wollen, ſich fehr langfam und erft nad) abgelejener Vers
Mahnung zur Beichte einftellen, welcdergeftalt diesfalls Aenderuug
zu treffen, daß fie fich ftrads Anfangs nach dem Ausläuten in der
firche einfänden, ingleihen, ob nicht foldye Vermahnung an andern
Ten, wo fie noch im Gebraud) fei, auch eingeführt werden Könnte;
8) weil vermuthlic Viele von den Unwißenden auf geichehene Gr;
BED erung nicht erfcheinen möchten, durch was für Mittel dieſelben
zu ſolcher Information und Uebung zu bringen wären?
Die Commiffion Hielt darauf am 19. und 20. Juli 1642
N Der Gonfiftorialftube zwei Sigungen und vereinigte ſich zu ber
klärung, daß die von dem Herzog in Vorfchlag gebrachte Bene
x nformation der Erwachſenen durchaus nötig und nützlich fei.
Rrerdem jchlug Die Gommiffion vor, man möge auf ben Dörfern
e uformation fo vorbereiten, „daß vorher eine gewiße Czami—
— 214 —
nation und Erforfhung, was Einer oder der Andere von dew
Worten und dem Verftand des Catechismi wüſte, angeftellt und
nach Befinden diejenigen, jo den obangedeuteten Verftand ziemlid
inne hätten, von den Pfarrern allmählich übergangen, die Andern
aber bei der angeftellten Information weiter behalten, und ben
alfo Dimittirten und Uebergangenen nichts deſto minder freigeftellt
werden follte, ob fie zu deſto beßerer Beftätigung ihrer allbereit
erlangten Wißenfchaft den angeordneten Informationsftunden ber
wohnen wollten. Zum Andern, daß in den Städten gleicher Pro—
ceß mit den gemeinen Bürgersleuten zu halten, Die Honoratiores
‚aber (das ift Amts- oder fonft ehrbare und geehrte Perfonen) ſo
wol, auch jonft Andere, von welchen man zuverläßige Nadriät
haben fönne, daß fie Die notwendigen Stüde unferer chriftlihen
Lehre verftehen, mit folcher Information zu verfchonen, doch, ſofern
auch wider ben Einen ober ben Andern and ben Honoratioribus
ftarfe Vermutungen der Unwißenheit vorhanden wären, daß dieſel⸗
bigen nicht minder in einem abfonderlichen Orte auf gewiße Zeit
mit zu unterrichten.” Um dieſe Information mit befonderem Rupen
fortfegen zu können, jei e8 nötig, daß man zuvor aus dem Heine
ren Katechismus Luthers einen Furzen Begriff der chriftlicyen Lehre
in Kragen und Antworten anfertigen laße. In den Stäbten und
polkreichern Dörfern fönnten wöchentlich drei, in den Eleinern Ort:
Ichaften dagegen nur zwei Stunden zur Vornahme diefer Infor⸗
mation genommen werden. Diefelbe müße regelmäßig in ber Kirche
ftattfinden und auf den Dörfern, wo nur ein Pfarrer fei, könne
der Schulmeifter zur Einübung der Worte des Katechismus, na“
mentlich des Sonntags, mit gebraucht werben. „Und weil bisher
die Kinderlehre mit der Jugend in den Kirchen von den Pfarrers?
zu gewißen Stunden wöchentlich gehalten, aber nichts Anderes al *
nuc dasjenige wiederholt, was vorhin in der Schule getridest
worden, und folche Wiederholung gar füglich in der Schule zu8
verrichten fei, fo Fönnten die Pfarrer flatt der Kinderlehre dE€
Unterrichtung der alten Unwißenden vor die Hand nehmen, un
ſolche Stunden dazu gebrauchen; doch daß diejelbigen ſonderlic
an den Orten, wo die Kinderlehre etwa Nachmittags um zwei > Zu
gehalten werde, in den Mittag verlegt, — und die Leute an ihre x
— 215 —
‚beit defto weniger verhindert werden möchten. Solchergeftalt
arde den Pfarrern feine neue Bemühung zumachen, fondern nur
? Berfonen würden umgemwechjelt werden. Damit aber an den
onn= oder Feftiagen dem ordentlichen Gottesdienft fein Lauf ges
zen werde, jo Fönnte an denfelbigen Tagen die informations
inde bald nach der Vesper angeftellt werden.” Und da fowol
ben Städten ald auf dem Lande mehrere Betftunden gehalten
irden, fo fei zu diefer Information die eine in der Weiſe mits
verwenden, daß man fie etwas einzöge, und darauf fofort die
formation folgen ließe, wobei Darauf zu jehn fei, daß diejenigen
fonen, deren man in der Woche. (3. B. Knechte und andre,
e mit dem Ader zu thun haben,) nicht habhaft werben koönne,
e Sonntagd-jnformationsftunde gezogen würden. Wo auf dem
inde Filiale wären, könnte in denfelben die Ginübung der Worte
8 Katechismus der Schulmeifter, dagegen ıdie Grlernung des
innes der Worte der Pfarrer jolchergeftalt treiben, daß die is
litten einmal in die Hauptfirche zu dem Pfarrer, und das andres
al der Pfarrer zu den Filialiften fäme, und die Information in
r Filialkirche verrichte, in den Filialen dagegen, in benen nicht
lonntäglih, fondern nur dann, wenn man dad Umt ober das
jendmal halte, gepredigt werde, regelmäßig in ber Hauptkirche
onntags vornehme.
Um die Wirkfamfeit diefer Informationsſtunden zu unters
Ben, jchlug die Commiſſion außerdem vor: 4) Vor den Kate⸗
zmuspredigten möge man ftatt des Eingangs die ſechs Haupts
Te des Katechismus nach ihrem einfachen Wortlaut, ohne ers
cende Zujäge, und nach dem Vater Unfer möge man den aus
x Katechismus entlehnten Text fowol beim Gingange, ald nach
n Schluß der Predigt dreimal deutlich vorlefen. 2) Wenn die
kechismuspredigt verrichtet und der Pfarrer von ber Kanzel
abgegangen fei, möge ein Abjchnitt aus dem „Kurzen Begriff”
v einem Schulfnaben Taut und deutlich vorgelefen werben, wes⸗
.b der Pfarrer die Katechismuspredigt etwas abzufürzen habe.
:8 Eönnte auch über Diefed Anordnung gefchehen, daß in allen
ebigten, fo das ganze Jahr über bei ordentlichem Gottesdienfte
yalten werben, zu berjelbigen Endung von dem Prediger ange⸗
— 216 —
zeigt werben follte, in welches Stüd des Catechismi ber Text,
der abgehandelt worden, gehöre, worauf eine furze Grflärung
beffelbigen Stücks mitanzubängen, Alles zu dem Ende, Damit durch
fo vielfältige Wiederholung des heil. Catechismi die Leute beflek ,
bigen entweder befto eher fähig werden, oder, die davon fhomz
MWißenfchaft haben, defto mehr darin und in ihrem ganzen Ghriften _
tum befräftigt werden mögen.” Ferner wurde vorgefchlagen, dag
alle diejenigen, welche beichten wollten, fich drei Tage zuvor durch
den Kirchner bei ihrem Beichtuater anmelden laßen follten, damit
diefer Gelegenheit erhalte, diejenigen, Die ihm in den Grundlehren
des Chriſtentums nicht Hinlänglich unterrichtet zu fein fchienen,
vorzufordern und fie zu egploriren und zu informiren. ud fol
ten alle Brautleute vor dem Beginne des Aufgebotes vworgeforbert
und namentlich fiber den Cheftand geprüft und belehrt werben.
Würde Jemand fi gegen diefe Anordnung widerfeglich erzeigen,
„So jollte der oder diejenige, fo viel erftlich die chriftliche Infor
mation belangt, für feine rechten Ghriften gehalten, und daher je
lange, bis fie fich gehorſamlich bei den Informationsſtunden eis
ftellten, zu Eeiner Gevatterfchaft oder fonft anderem chriſtlichen
Ehrenwerfe gelaßen werden.”
Herzog Ernft unterzeichnete die Anträge der Commiſſion am
31. October 1642, ließ diefelben im Drud*) und außerdem durch
eine öffentliche Abkünbigung von allen Kanzeln im ganzen Lande
befannt machen, und gab den Superintendenten und Adjuncten
die gewifjenhaftefte Vollziehung der publizirten Befehle auf.
So begann das Ynformationswerf in den Gothaifchen Lan
den, welches ungeachtet vielfacher Spöttereien und Hinderniſſe dem
Volke den reichften Segen brachte und welches vor Allem zur Be—
gründung eines wahren Volksſchulweſens führte.
Die Einrichtung defjelben erfolgte, ſoweit die vorhandnen
Mittel und Kräfte e8 ermöglichten, Überall nach der neuen Schub
*) „Fürſtliches Sächſiſches Ausſchreiben, wegen angeordneter chriftlicher Infor
mation und Unterrichtung der ermachfenen Unmißenden in den notwendigften Gtüden
der Kriftlihen Lehr, fo in dem Catechismo Lutheri begriffen, im Pürfentum
Gotha, nedrudt im Jahre 1642,"
— 217° —
ordnung, die zunächft unter dem Titel erfchlen: „Spezial- und
fonderbarer Bericht, wie naͤchſt göttlicher Verleihung bie
Knaben und Mägdlein auf den Dorffchaften unb in den Stäbten
die unter dem unterften Haufen der Echuljugend begriffene Kinder
im Fürftentum Gotha kürz und nuͤtzlich unterrichtet werben koͤnnen
und follen. Auf gnädigen Fürftl. Vefehl aufgefegt und gebrudt
zu Gotha bei Peter Schmieden i. 3. 1642.” Diefe erſte Schul-
ordnung wurde in den nächftfolgenden Fahren *) mehrfach geän-
bert, bis endlich der berühmte „Schulmethodus“ mit dazu gehoͤ⸗
rigen monatlichen und jährlihen Schultabellen zu Stande kam.
Derjelbe führte den Titel: „Methodus oder Bericht, wie
nächft göttliher Verleihung die Knaben und Mägdlein auf den
Dorfichaften und in den Städten die unterfte Classes ber Schuls
jugend im Fürftentum Gotha kürz- und nützlich unterrichtet wers
den können und follen. Auf gnäbigften Fürftl. Befehl aufgefebt.“
Der Methodus umfaft 13 Gapitel: 1) Von dem, was ins-
gemein bei der Schule zu beobachten ift; 2) die Unterweifung ber
unterften Glafjen; 3) die Unterweifung der Mittleren; 4) die
Unterweifung der oberen Claſſe; 5) die Einteilung der Lectionen
in den Schulftunden; 6) die Art und Weife, den Verftand bes
Katechismus und was dazu gehört, zu treiben; 7) Anmweifung, wie
die Predigt zu egaminiren; 8) wie die natürlichen und anderen
Wißenſchaften au treiben; 9) von Pflanzung und Uebung chriſt⸗
licher Zucht und Gottfeligkeit; 10) von der Schuldigkeit der Kin⸗
der; 11) von der Präceptoren Gebühr, 12) von der Eltern und
Anderer, die an Eltern Statt find, obliegenden Pflicht; 13) vom
Schulexamen. — Als Zwei der Schule wird angegeben, daß
alle Kinder des Landes, Knaben und Mägdlein, „im Gatechismo
und deffen Verſtande, auserlefenen biblifchen Sprüchen, Pfalmen
und Gebetlein, wie auch im Lefen, Schreiben, Singen, Rechnen,
und wo man mehr als einen Praeceptorem hat, in Wißenfchaft
licher nüßlicher teil natürlicher, teils weltlidher und anderer
— —
N Diefes geſchah in den Jahren 1648, 1652, 1662, 1672 und 1685. Hier
* Die Ausgabe des Methodus benuztzt, welche ſich in dem Abdrucke ber Kirchen.
ung des Herzogs Ernſt von 1685 vorfindet.
— 218 —
Dinge, in guter Ordnung nach und nach unterrichtet, und di
zu chriſtlicher Zucht und guten. Sitten angeführt werben m
— Jedes Kind fol, jobald es das fünfte Lebensjahr zurür
bat‘, nach der nächftfolgenden Erndte auf gefchehene Abkün
von der Kanzel zur Schule geſchickt, zu einem ununterbr:
Schulbeſuch, ſowol im Sommer ald im Winter, angehalt
fol von dem Lehrer nicht eher „Iosgezält” werden, bis ei
deutſch Iefen kann, den Katechismus Luthers völlig gefaft 5
im Rechnen und Schreiben, im Choral- und Figuralgefaı
laͤnglich geübt if. Der Schulunterriht ift taͤglich Morge
Stunden und Nachmittags drei Etunden hindurch zu ı
Nur Mittwochs und Sonnabend Nachmittags und in der
zeit fällt der Unterricht aus. — „Es fol wie der Präce
auch jedes Schulkind, fein eigenes Bud) haben, und zwa
andern, als die vorgefchriebenen, nemlich das Silben-, und |
Leſe-, wie auch Evangelienbüdhlein, neben der fogenannte
übung, darin auch die Pfalmen, welche gelernt werden, b
find, das Geſang- und NRechenbüchlein gebraucht werben;
jol in jede Schule die Fleine Poſtille und Sterbefunft, wi
wenn fih die Koften jo weit erftreden, eine Bibel, ob:
Wenigften Die ausgezogenen bibliſchen Hiftorien gefchafft um
zuweilen die größeren Kinder wechjelweije im Lejen geübt w
— Zede Schule ift in herfömmlicdher Weife in drei Cla
teilen. — Um die Aufmerkſamkeit zu erweden, bat ſich ber
mit den Kindern nicht der Reihe nah, fondern bald mit
bald mit jenem zu befchäftigen. — Alle 14 Tage, nötigenfal
an jedem Freitag, find Repetitionen anzuftellen. — Als Ve
ten zur Uebung im Schöns und Rechtjchreiben find Säge a
Katehismus und hernach aus den natürlichen und gemeint
Wißenſchaften zu gebrauchen. „Wenn ein Bweifel vorfäll
welchem Buchſtaben ein Wort zu fchreiben fei, fol der Pr
darüber den Pfarrer fragen ober das Xejebüchlein und ſor
bie deutſche Bibel laßen Richter fein.” — Am Rechnen fi
4 Specied, die Regeldetri und, mo möglih, auch bie:
einzuüben. Ueberhaupt ift Der Unterricht nach folgendem
einzurichten:
— 219 —
Stunden: Tabelle.
ang wird gefungen, nad dem 2. $. Cap. V. unb barauf gebetet, nach bem 4. $. Cap. V
e Wicher-
— Wi Wie Predi alb zu Sprü
‚io e redigt, u
H bi Montage. | Montags. ober, Den u ’% r —*
on ÖR>
Wo bie edigtjmit d. Pe en.
ni ve sule alb —
Funde —5* wie Mittleren zu ih⸗
nnerflag®, ren en enn.
Mittleren hören
bee Sälfe leien die iu
“her obern Glaffe.
Sopangelien und
goif. lei eien bei»
die Mitt- Wie 3 Obere ee
55 bie Wie am Montage. Montage. Ss Iacı u Meimase
)beren. beten u. e·
—. &
um&ate-1Halb Gprüde und
3 mit den pda du Epräg: olmen mit &
even: und|den Wittleren. den Mittleren 3
F duro Halb Gprüde Erlernung d. *
eineln. Pſalmen mit Worte des Ca⸗
l — der unterſten Wie techismi mit Wie
Be⸗ Claſſe. Diontags. |den Unterſten. ” Montags
griff. Die Oberen 2
ut "Crlernung der Worte reiben ober &
echismi mit den Unterften. ernen aus⸗ 8
Oberen [reiben oder ler⸗ wenbig.
nen auswendig.
um Ausgang wird wieber gefungen und gebetet, nach bem 5. 9. des V. Oap.
Eine Biertelftunde
iben bie Reden | bie | zum Ghoralfingen,
eren nad Obere wo nidt urirt
leitung, Die Mittleren wird, und drei Bier⸗
Iberen fürjfchreiben, wenn teftunbe ra
fig. fie? Tönnen. rirt
wir, nt zum
Schreiben.
ne Biertelfiunde leſen die Mittleren.
Biertelſtundn zu UBE und Epliabiren
mit den Unterften.
Wie Diontags.
"824013393 « abvꝝaↄuuo 214
ung und Bplabiren mit ben | Wie Montage.
ı Ausgang wird gefungen, wie 5. 9. Cap. V. befohlen, und gebetet, wie daſelbſt
erinnert.
— 220 —
Die Schullehrer felbſt werden angewieſen, ſich eines ſtill
eingezogenen und frommen Lebens zu befleißigen, in allen Stüc
der Jugend mit gutem Beiſpiel voranzugehen, dem vorgejeß
Superintendenten, Adjunkten und Pfarrer gebührende Folge
leiſten, ohne Erlaubnis bes Letzteren Feine Stunde zu verfäum
viel weniger zu vereifen, mit dem Glockenſchlag in der Schule
fein, über fämmtliche Kinder ein richtiges Verzeichnid zu führe
mit Bemerkung derjenigen Schulkinder, welche etwa zum Studi
oder zur Erlernung mechanischer Künfte Anlage hätten, die Kind
nach ihren Fähigkeiten und Fortjchritten gehörig zu Haffificire
in Anfehung der Disciplin nicht ſtürmiſch zu fein oder Die Kinde
übel anzufahren,, fondern mit ihnen freundlich und vwäterlih um
zugehn, in Beftrafung ihrer Vergehungen nach vorhergegangenen
Warnungen nur die Ruthe mit väterlicher Moderation zu gebrau:
hen, fih aller Schimpfunamen durchaus zu enthalten, auch fie zur
äußerlihen Höflichkeit, Anftändigfeit und Reinlichkeit fleißig zu
gewöhnen, wobei der Methodus endlich auch noch den vorgefepten
Pfarrern, Superintentendenten oder Adjunften und Beamten, wit
auch den Eltern ihre Obliegenheiten gegen die Lehrer und Kinder
in dieſer Schulordnung nahdrüdlich einfchärfte.
In Betreff der jährlichen Schulprüfungen waren folgen?
Beftimmungen vorgefchrieben: „1) &8 jollte alle Jahre nad) jede
Orts Gelegenheit acht Tage vor der Schnittererndte in jeb!
Superintendentur oder Adjunktur ein Generalfchulegamen mit allı
Schülern gehalten werben, und zwar folder Geftalt: Die gei
lichen Untergerichte (welche diefen Examinibus auch beizuwohn
bätten), ſollten foldhe Eramina zum Wenigften 8 Tage vorh
ausjchreiben und den Pfarrern und Gemeindevorftehern anzeige
welchen Tag und au welchem Orte fie mit der Schuljugent «
ſcheinen folten. — 2) Darauf follten die Schulmeifter dem S
perintenbenten ober Adjuncto die auögefertigte Tabelle oder Sche
verzeichniß, nad) dem Modell, wie ed am Ende angefügt fi
zweifach drei ober vier Tage vor dem Gramen einfchiden, we
viel fie nemlich Schulkinder in jeder Klaffe hätten, wie fie hieße
wie alt fie feien, was fie für ingenia hätten, wie viele Stund
des Jahrs über fie verfäumt hätten, wie weit fie im Katediseı
— 21 —
gekommen wären, im Kurzen Begriff und in Chriſtlichen Lehrpunkten,
was für Sprüche und Palmen fie könnten, wie weit fie im
Syllabiren, Lefen, Schreiben, Singen, Rechnen und andern vers
ordneten Stüden gekommen jeien , ob fie Mangel hätten an
Büchern, Papier, Federn, Dinte u. drgl., und darin beſonders
den Gatalog der ncipienten mit Namen und nad ihrem Alter
beifügen. — 3) Diefe Tabellen follte der Superintendent ober
Adjunkt mit denen, welche im vorigen Jahr eingegeben worden
fein, collationiren, und arbitriren, wie weit die Kinder biejes
Jahr über gebracht worden feien, und wo etwa Mangel wäre,
und befondere, wenn nicht alle Titel Dazu gebracht feien, ober
fonft etwas, was notwendig hineingehörte, ausgelaßen worden
jei, jo follte er folche bei Zeiten nad) dem folgenden Modell
ändern und recht einrichten laßen. — 4) Sie follten auch die an
jedem Ort im Schulegamen befundenen Mängel an die Tabelle
verzeichnen, wie auch zugleich‘ bei Den verzeichneten Mängeln nad)
dem Methodus mit Benennung der Kapitel und Baragraphen dazu
jegen, wie dieſelben zu heilen feien, und beim Pfarrer hinterlaßen,
daß er vier Wochen nad) wieder angefangener Schule feinen Bes
tiht auf alle Punkte richtig thun ſollte. — 5) Damit man aud
der Schulkinder Schriften defto beßer probiren könnte, follte jebes
Rind beim Examen ein vollgefchriebenes Blatt mit ſich bringen
und dem Superintendenten oder Adjunfto übergeben , welcher bie
dettel, fo im vorigen Jahr eingegeben worden feien, bei ſich haben,
dieſelben mit ben jeßigen collationiven und betrachten follte, ob
fe fih merklih das Jahr über gebeßert hätten oder nicht, und
ſon derlich, ob fie auch orthograpbifch fehreiben lernten. Gr ſollte
aber nicht nur Die damals befchriebenen Blätter, fondern auch die
Sch reibbücher (welches auch in den andern Vifitationen zu beob⸗
ach den fei) anfehen und dabei wahrnehmen, ob und wie die Schrif⸗
ten corrigirt ſeien, ob die Correction, wie auch das Schreiben
KT: nad) der vorgefchriebenen Art gefchehen fei. — 6) Welche
ander auch im Rechnen angeführt feien, follte Jeder ein Exempel
Ten, was er gelernt habe, verfertigen und auf dem gefchriebenen
Öl extte übergeben. — 7) In dem Examen follten die Kinder nach
een Klaffen durch alle Lectionen erforfcht und bin und wieder
ein Verſuch gethan werben, ob der Bericht, den Die Schuln
in ihren Tabellen gethan hätten, mit der Wahrheit übereinft
wobei jedoch, um Zeit zu gewinnen, nicht eine jede Lection
durch mit allen Individuen zu egaminiren fei. — 8) Damil
die Laft des Examinirens dem Superintendenten ober Adj
nicht zu groß würde, follte er je zuweilen den Schulmeifter
wol nach Gelegenheit den Pfarrer fragen lagen, und er u
Materie, wad man fragen fol, benennen. — 9) Wenn fid
gute ingenia fänden, follten dieſelben aufgezeichnet, und be
Buftand und Beichaffenheit hernach dem Gonfiftorium an
werden. — 10) Wenn Kinder vorhanden wären, fo ab
wollten, ſollten biefelben in dieſem Examen in Gegenwa
Eltern vor Andern fleißig durch alle Lectionen erforfcht u
ob fie nemlich fertig deutſch, ſowol Gedrucktes (aus einem
fannten Buch) ald Gefchriebened, wie au, wo Knaben |
Die man dazu angeführt hätte, etwas lateiniſch lefen, not
ſchreiben, fingen und rechnen, besgleichen den Katechismui
Sprüde, Pfalmen und andere vorgejchriebene Stüde können
den notwendigen Verſtand der chriftlihen Lehre inne habı
11) Wenn fie nun zur Dimiffion tücdhtig befunden würden,
ih die Eltern und Kinder gegen das geiftliche Linterg
Pfarrer und Schulmeifter für gejchehene Unterrichtung bei
und erklären, was die Kinder nun anfangen, ob fie weite
dieren, Handwerke lernen oder fonft ehrliche Handtbierunge
fangen follten. — 12) Der Superintendent oder Adjuukt
hierauf eine Vermahnung an Die „Rodgezälten” thun, Daß fie
fie gelernt hätten, nicht wieder vergeßen, ſondern ftetig ü
daͤchtnis und Uebung behalten, bejonders fich nach ihrem Ka
mus, furzem Begriff und chriftlihen Lehrpunkten gebüprlid
balten, der wahren Gottesfurcht und guter Sitten fich beflei
vor Müßiggang, Saufen, Spielen, Lügen, XTrügen und
Geſellſchaft hüten, der Obrigkeit, den Eltern und andern X
jeßten, ald Herrn, Frauen, Handmerkömeiftern und Andern,
fie dienten, gebührenden Gehorfam leiften, und ihren Beruf
lich verrichten, und was ihnen befohlen ift, fo eilig, ald es
fann , ausrichten follten. — 13) Wobei nichts weniger ben 6
y*
— 223 —
zuzureden fei, daß fie Die Kinder zu dem, was ihnen vorgefagt fei,
erntlih anhalten follten. — 14) Und follten hierauf Beides,
Eltern und Kinder, durch einen Handſchlag angeloben.”
Die Einführung diefer Schulordnung und die Fortfegung
ver Seneralvifitation und der „Information der erwachjenen Un⸗
wipenden” gingen Hand in Hand. Jene wurde eingeführt, damit
die letztere allmaͤhlich überflüßig werde, denn die Schule und Die
Schulordnung jollten feinem andern ald dem Zwede dienen, daß
ein Hriftlihes Volk erzogen und Daß das Volk in der Er⸗
kenntnis der chriftlichen Wahrheit befefligt werbe.
Zum Abſchluſſe der Beneralvifitation berief der Herzog im
Juni 1645 die Superintendenten und Adjuncte, fowie einige
Pfarrer aus dem Lande nad Gotha, wo diefelben mit den Mit-
gliedern bes Conſiſtoriums und einigen landesherrlichen Bevoll⸗
mädtigten zu einer Synode zufammentraten,, um Alles, was fich
in Folge der Generalvifitation als ber Abänderung bebürftig her⸗
auögeftellt. hatte, zu ändern und zu beßern. Am 18. Aug. 1645
wurde der Rezeß der Synode unter dem Titel beftätigt: „Syno-
dal⸗Schluß, weldyer nach der in dem Fürftentum Gotha gehaltenen
General. Kicchen- und Landesvifitation auf fürftliche Verordnung
durch Die dazu deputirte und befchriebene Gonfiftorialräthe, Superin-
tendenten, Adjuncten und Pfarrer aufgefegt, und vou fürftlicher
Herrſchaft ratificirt worden. Im Jahr Chriſti 1645.” In Be
eff der Schulen wurde bier nur an die Notwendigkeit eines
ſtrengen Einſchreitens gegen Diejenigen Eltern erinnert, welche ihre
Kinder nicht zu einem ununterbrochenen Schulbefuch anbielten,
und außerdem wurbe Die Krage erwogen, ob das Öregorfeftan
derjenigen Orten, an welden ed biöher nicht gefeiert worden,
eingeführt werben follte. Die Frage wurde verneint. Nur da,
Do das Keft herkoͤmmlich fei, follte die Fortjegung befjelben ge-
Rattet werden, „doch daß alle Ueppigfeit und übriged Prangen,
auch dabei vorgehendes Mummen, Freßen und Saufen, jo einges
larıgtem Bericht nad an etlichen Orten ſich merklich ereignet,
gänzlich abgefchafft werde. Und ift dabei für nüglich gehalten,
daß, wo ſolch' Schulfeft nicht gebräuchlich, hingegen bei gehaltenen
S chulexaminibus den kleineren Knaben, welche ſonderlich vor
— 224 —
Andern wol beflanden,, zu mehrerer Aufmunterung und Anteizung
ihreö Fleißes etwas ausgeteilt werde, fo nach Gelegenheit he
Orts in den Unter⸗Gerichten determinirt werden jolle.“
Auch an die Errichtung eines. „Bulhts und Waifenhaufe‘
zu Gotha dachte der fromme Herzog ganz ernftlich, indem berjelkt
bereits i. J. 1639 *) mit zwei Kaufleuten zu Erfurt einen Bew
trag dahin ſchloß, Daß fie, gegen Verfiherung eines bequemen
Aufenthaltd zu Gotha, armen Kindern Dajelbfi Arbeit geben follten,
jowie er feinerjeit8 für ihren Unterricht forgen wollte. Die Aub
führung der Sache verzögerte fih, bis endlich der in ber Ne
denzſtadt Gotha 1. J. 1646 ausbrechende große Brand das gank
Projekt vergeßen machte. Indeſſen war Herzog Eruft für dasjelk
jo eingenommen , daß er bei Gelegenheit des einige Jahre ſpo
ter erfolgenden weftpbälifchen Friedensſchlußes zum Zeichen je
ner Dankbarkeit für die von der göttlichen Vorſehung feinem
Baterlande dadurch erwiefenen großen Wolthat, außer anden
milden Stiftungen auch ein Kapital von 20,000 Rthlr. zu einem
Zucht⸗ und Waifenhaufe bei der eben von ihm zu fundirende
„Milden-Kaſſe“ niederlegte.e Auf dem i. 9. 1651 gehaltenen
Landtage ließ Eruſt den Landftänden über die Beſtimmung dieft
Summe Vorlage machen. Allein, obgleich die Stände ebenfall
al8 ein Merkmal ihres danfbaren Herzens für den wiedererlangta
Frieden Drei ganze Steuern zu andern milden Sachen und zu
Befriedigung der übrigen Bebürfniffe des Landes vermwilligten,
auch auf die Verforgung der Armen jeded Orts Bedacht p
nehmen verjprachen, fo fanden fie doch in dem durch Krieg uf
Brand erjchöpften Vermögen der Landſchaft und der Unterthana
binlänglichen Grund, dem Herzoge zur Zeit noch die Ausführng
ſeines Projekts zu widerrathen.
Unter dieſen Umftänden ſtand H. Ernſt zwar von dem Ber
haben eines zu erbauenden Zucht⸗ und Waifenhaufes ab, empfel
*) &o wird in der „Hinlänglihen Nachricht vom Waifenhaufe zu Gt
melde i. 3. 1715 im Drud veröffentlicht wurde, erzält, obwol dagegen eriwen
werden kann, daß der Brüdervergleich, durch welche H. Ernft die Gothaiſche de
desportion zugewiefen erhielt, erft i. 3. 1640 abgefchloßen wurde.
— 225 —
ber dieſe Angelegenheit feinen Söhnen und Nachfolgern ſehr
ringend und ſchenkte auch außerdem dem Iutherifchen Watfenhaufe
u Erfurt nicht nur Das Bauholz zur Aufführung des Haufes,
ondern audy mittelft einer Stiftung vom 22. Yuli 1671 ein Ka-
pital von 20000 M.sfl., defien Zinjen jährlich bei der Herzoglichen
Rammer zu Gotha erhoben und zum Beften armer lutherifcher
Waiſenkinder verwendet werben follten.
Auf den von dem Herzog Ernft gelegten Grundlagen und
nah den von ihm aufgeftellten Normen wurde nun die Volks⸗
Ihule des Landes bis zum Jahre 1779audgebaut, ohne daß Dies
ſelbe in dieſer Zeit von irgend einer Seite ber eine neue und
eigentümliche Anregung oder Influenzirung erhielt. Allerdings
wurde das Volksſchulweſen des Gothaer Landes infofern erweitert,
ald man wirklich Waifenhäufer errichtete und Ginrichtungen traf,
welhe ein bis zum Jahr 1779 fehlendes Schullehrerfeminar ers
legen follten; aber aud für dieſe neuen Inſtitutionen galt ber
Schulmethodus und überhaupt die Hinterlaffenfchaft Ernſt's des
Frommen ald die Grundlage, auf welcher diefelben aufgerichtet
und in welche fie eingefügt wurden.
Die Errichtung eined Waifenhaufes zu Gotha erfolgte unter
der Regierung des Herzogs Friebrih I. Schon i. J. 1702
wurde diefelbe in Erwägung gezogen. Aber no wufte man nicht,
wie der eine oder der andere der proponirten Pläne ausgeführt
werden könnte, als fich ein gewißer Jakob Graͤtzel, welcher, feinem
Vorgeben nad, fih mit verfchiedenen Armenanftalten zu Dresden,
und an andern Orten befannt gemacht hatte, Das profefticte
Waiſenhaus einzurichten erbot. *) Das Erbieten wurde angenommen
und Graͤtzel mufte mit 20 armen Kindern die Probe machen, wozu
ihm das in der großen Erfurter Gaſſe gelegene Glaſſiſche Haus,
— —
N Das zunächſt Folgende wird nah Gelbke, Kirchen und Schulverfaßung
Derzogtums Gotha, Zeil I, ©. 242 bis 245 mitgeteilt.
Dep Boltsſchulweſen, 2. 15
— 26 —
te drei Schweinskoͤpfe genannt, angewiefen wurde. Dieſe fi
zur Zufriedenheit aus. Die Kinder, denen Graͤtzel nun als orden
licher Waiſenvater vorgeſetzt wurde, und deren Anzal ſehr bald b
traͤchtlich wuchs, wurden jetzt als Angehörige eines ordentliche
Waiſenhauſes behandelt und tägli 2 Stunden lang unterrichte
"Das ganze Yuftitut aber wurde, unter der Oberaufficht des &
beimen Rats⸗Collegiums und des Gonfikoriums, einer befonde
Inſpection anvertraut. Auf diefe Weife nahm aljo Die wm
H. Ernft projektirte Verforgung und Unterweifung armer elter
lofer Kinder nunmehro wirklid ihren Anfang. Allein noch febz
es dem erfauften Glaſſiſchen Haufe an innerer Einrichtung unl
an Mitteln zur Beftreitung der dazu erforberlihen Koften. Dan
ſchlug eine auf das Erndtefeſt durchs ganze Land anzuftellende
Gollefte vor. Der Herzog genehmigte diefelbe; der Ertrag belief
fih auf 1241 Rthir. 8 gar. 5%, pf. — Außer Graͤtzel nahm fid
bejonderd der damalige Generalfuperintendent Fergen des Waiſer
baujes eifrigft an. Wie und wo Fergen nur wufte und Tonne,
fuchte er demſelben etwas zuzuwenden. So gab er z. ®. einf
einem Neifenden ein in ſchwarzen Sammt gebundenes Buch, of
deſſen erfte Blätter er eine Menge frommer Sprüche und Ermah⸗
nungen zur Barmherzigkeit geichrieben hatte, mit auf bie Reiſfe,
um mittelft Ddefjelben für das Waiſenhaus collectiren zu laßen.
Die Summe diefer Collecte betrug 134 Rthlr. Außerdem ermahrtt
Fergen in allen feinen Predigten die Zuhörer um fo mehr ut
Unterftügung des Waifenhaufes, ald dasſelbe i. J. 1704 neh
immer jo dürftig war, daß der Herzog dem Haufe 40 Malter Kom
als ein Darlehen aus dem Vorfteheramte vorftreden mufte. BU
dahin war nemlich dad Waiſenhaus in den Genuß der für bat
jelbe fundirten 20,000 M.-fl. noch nicht eingetreten. Die Waifen
baus:njpection juchte Daher jegt bei der Kammer um die Auszalun
ber Jntereſſen dieſes Kapitald, welche anfänglich zur Erbaunn
und Grhaltung eined Bald darauf wieber in Verfall gefomment
Zucht- und Waifenhaufes auf dem Schloffe Wachfenburg verwe'
bet worden waren, nad. Der Antrag der Inſpection wurde g
nehmigt, indem die Kammer zugleih (1707) verfügte, dap E
Intereſſen des Kapitald teilweife in Raturalien geliefert werd⸗
En * a. 4
— 227 —
ſollten. Demgemäß bezog das Waiſenhaus jährlich 75 Malter
Kom, 75 Malter Gerfte und 700 Rthlr. aus der Trankfteuer-
Einnahme. Um dieſe Zeit erhielt dad Waiſenhaus auch bie
Brauereigerechtigfeit.. Am Jahr 1708 ließ ſodann der Herzog
nicht nur eine abermalige Gollecte zum Beften des Waifenhaufes
veranftalten, fondern ließ auch im folgenden Jahre die Intraden
des vor Sonneborn gelegenen und vom Jahr 1667 an in gaͤnz⸗
lihen Abgang gerathenen Hoſpitals St. Cyriaci mittelft eine dem
Waiſenhauſe darüber ausgeftellten Ceſſionsſcheines, jedoch mit dem
Vorbehalt zuweilen, daß der damalige Generalstieutenant Joſt
Melchior von Wangenheim und feine männlichen Defcendenten
wei Stellen im Waifenhaufe mit armen Waifenkindern aus dem
Dorfe Sonneborn oder andern Dorfichaften Wangenheimijchen
Gerichts Winterfteinifchen Stammes zu beſetzen das Recht haben
ſollten. Als indeifen alle dieſe Unterflügungen immer noch nicht
ausrichten, um die Bebürfuiffe des Waifenhaufes zu deden, fo
erließ der Herzog, mittelft Ausjchreibend vom 10. Febr. 1710,
vom 1. Nov. 1711 und vom 27. Juni 1712 die Verordnung,
daß nicht nur die fonft gewöhnliche Abgabe der fjogenannten
Öottespfennige von jeder Verkaufung und Vertauſchung liegender
Gründe, wie auch das fünfte Procent von jeder Gollatteral-Erb-
haft, zur Hälfte an die Ortskirche, und zur andern Hälfte an
dad Waifenhaus entrichtet, fondern auch das Klingelbeutelopfer
der Kirchen des ganzen Landes jährlich ſechsmal, nemlich an den
beiden großen Bußtagen, am lebten Feiertag der drei hohen Feſte
und am Grndtefeft zum Beften des Waifenhaufes eingefammelt
und an dasfelbe eingefchidt werben follte. Jedoch wurben bie
Kirchen zu Volkenroda, Oberhof, Stutzhaus und Schwarzwald
Wegen des geringen Ertrags der Gymbelgelder und weil diefelben
U Volkenroda einen Teil der Pfarrbefoldung ausmachten, von
dieſer Verpflichtung ausgenommen. Gleichzeitig erging auch un—
em 11. Juli 1711 an alle Aemter, Städte und Gerichte der
defehl, daß fie auf Requiſition der Waiſen⸗-Inſpektoren bei den
M ihren refp. Bezirken befindlichen Handwerkern für das Unter-
men der ihnen empfohlenen Waiſenkinder gehörige Sorge tra-
gen sollten.
— 238 —
Indeſſen machte das zunchmente Wachstum des Haufed L 7
bald Erweiterungen der AUnftalt und neue Unterſtützungen N,
Es mufte ein Waifenhausprediger angeftellt und eine Biblio yy
gefammelt werden. Bur Salarirung des jedesmaligen Sta fr
oder Waiſenhauspredigers fchenkte daher der Herzog dem Watfen
baufe i. 3. 1713 ein Kapital von 4000 Rthlr. Zwei are
Ipäter ließ der Herzog eine Befchreibung des Waiſenhauſes as
faßen und unter dem Titel „Hinlängliche Nachrichten vom Waifes
baufe zu Gotha” in 4. den 12. September 1715 mittelft He
jeriptd vom 20. Mai 1719 allen Aemtern, Städten und Gerichten
zur Nachachtung zufertigen. Um dem Waijenhaufe Die Einrichtung
einer Bibliothek zu ermöglichen, wurde nicht nur unterm 7. und
14. Dez. 1723 verorbnet, daß der Klingelbeutel in den Stadt
firchen auch bei deu Wochenpredigten, jo oft Kommunion gehalten
werde, zum Beſten bes Waiſenhauſes berumgetragen werden
jollte, fondern ed wurde auch in dem nämlidhen Jahre zu dem
felben Zwecke ber achte Teil des jedesmaligen Klingelbeuteld auf
einige Beit verwilligt. Der Geiftlichfeit in der Etabt und af
dem Lande wurde fobann unter dem 3. März 1727 ein gebrudted
Model, und den 9. April 1733 ein „Reglement, wie es mit
Colligir- und Atteflirung der für das Waiſenhaus deftinirten
Klingelbeutels- oder Cymbelgelder auf die drei hohen Feſt⸗, mei
jolennen Falls, Buß- und Bettage und das Erndtefeft im ganzen
Land zu halten, und wie foldhe einzuſchicken,“ zugefertiget, ſo
wie auch unter dem nämlichen 9. April 1735 ein bejondere®
„Reglement, wie es in ben Aemtern, Städten und Gerichten des
Fürftentums Gotha mit den Gottespfennigen bei Kauf-, Tauſch =
und dergleihen Gontracten ſowol, ald auch der Abgabe von de #
an Gollaterals Erben oder andere Extraneos fommenden Bar“
laßenjchaften überall zu halten,” abermals befannt gemacht.
Leider erlitt dad Waifenhaus fpäterhin (1756) in Folge einer de
fehlten induftriellen Speculation fehr empfindliche Verlufte und wir*
vielleicht ganz zu Grunde gegangen, wenn ihm nicht H. Friedrid
durch Geftattung eines Lotto und durch) andere Subventionen
wieder aufgeholfen hätte. — Im Jahr 1759 wurde nah A
hebung der bisherigen Waiſenhausinſpection die Verwaltung
— 229 —
titut3 einer Commiſſion über das Waiſen⸗, Armens, Ars
8: und Zuchthaus übertragen.
Wichtiger jedoch als diefe Veränderung in der Verwaltung
Waiſenhauſes, war die volftändige Umgeftaltung, welche die
ammte Waijenerziehung 1. J. 1773 dadurch erfuhr, Daß das
aiſenhaus zu Gotha gefchloßen und die Waifenkinder in Fa⸗
lien auf dem Lande untergebracht wurden. Veranlaſt war dieſe
aßnahme Durch den Umftand , daß gewöhnlich eine größere An⸗
| der Waifen mit Ausfchlag behaftet und franf war. Die Ber:
lung der Waifenfinder geſchah nun in folgender Weile. Zu:
tderſt muften alle diejenigen Landwirte und Landleute, welche
neigt waren, ein folches Kind zu fich ins Haus zu nehmen,
) durch Vorzeigung eined pfarramtlichen Zeugniſſes über ihre
taliſche Intregitaͤt ausweiſen. Hatte nun die Commiſſion Des
aiſen- und Zuchthauſes Fein andermweitige8 Bedenken, jo wurde
n Betreffenden das Kind mit neuer Kleidung und Wäfche, fowie
einigen Büchern übergeben, und es wurde ihm zugleich ſowol
e desfallfige gedrudte Specification, als auch ein von beiden
iten unterfchriebener Contract ausgehändigt. Nach diefem Con⸗
cte machte ſich ein folcher Landwirt anheifchig, das ihm ans
traute Kind in der Koft, Wälche, Betten und vorzüglich in
Reinlichfeit ald fein eigned Kind zu pflegen und zu warten,
zur Gottesfurcht und zur Schule fleißig anzühalten und fpäter-
zu ſolchen Tandwirtjchaftlichen Verrichtungen anzumeifen, Die
en Jahren und Fähigkeiten angemeßen wären, es auch alljähr-
Sonnabends nad Johannis vor die Waifenhauscommilfton
bringen und nad) Verlauf von 8 Tagen von da wieder abzu>
n. Dagegen verjprach die Waifenhauscommilfton, für ein
‚ed Kind jährlich zu bezalen |
2 Rthlr. für Koft.
2 , für das Bette vorzubalten. |
l ,„ die Wäfche zu wajchen und zu fliden.
„ 16 Ggr. für Schneider: und Schuſter⸗Flicklohn.
— 4 „ zu ein Baar Schuhſolen und
1 — Schulgeld, und alſo
6 Kihi. 20 Bar. Summa.
— 230 —
Die Errichtung eines zweiten Waifenhaufes in dem ein
Stunden von Gotha entlegenen Friedrihswerth war U
Werk eines großbritannifhen und Eurbraunfchweigifch-Lüneburgiiel
Legationdrates und Droſtes, Otto Chriftop Schulz, und
Ehegattin desjelben, Dorothea Margaretha geb. Fiſcher. Bei
kauften zwei Bauernhöfe in Friedrichswerth mit dem daran liege
den Gärten und Ländereien und ließen fodann auf den erfauft
Grund und Boden ein geräumiges Wohnhaus von Stein und eine
Garten anlegen. Die Grundfteinlegung erfolgte i. $. 1712. Wi
der Aufnahme der Waifen indeffen konnte erft i. J. 1726 be
Anfang gemacht werden, nachdem die Fundation und Berfaßun
- de8 Waifenhaufes am 6. Febr. 1723 landesherrlich beftätigt wor
den war. In dem neuen Waiſenhauſe follten nad) Der Stiftung
12 Knaben und 4 arme Wittiwen unterhalten werben, für melde
Zwed ein Kapital von 24,000 Rthlr. angewiefen war. Da fi
indeffen diefe Summe durch eine gute Adminiſtration fpäterhi
faft um die Hälfte vermehrte, fo glaubte man in gleichem 2er
bältniffe auch die Anzal der Waifenfnaben erhöhen zu können
Statt.der 4 Wittwen wurden jeit 1741 2 Hausmägbe gehalte
welche mit dem Hausknecht die gröbere Arbeit im Waifenhau
verrichten muften.
—— — — I
Die urſprüngliche Seminar-Einrichtung, welche m
in Gotha verſuchte, beſtand darin, daß man die zehn gefchictefl
Schulmeifter ded Landes, nemlich Die zu Friemar, Eſchenber
Ichtershauſen, Wölfis, Leina, Tambach, Sättelftädt, Erfa (Fri
richswerth), Wangenheim und Granichfeld beaufragte, Diejenig
jungen Leute aus ben benachbarten Ortjchaften, welche fi d
Lehrerberufe widmen wollten, in Gemäsheit der ihnen unter d
20, Detober 1698 mitgeteilten Verordnung und einer an fie
laßenen Inſtruktion für Das Lehramt vorzubereiten. *) Wie Ian
dieſes Seminarium scholasticum (deſſen Lehrer nad den 10 &
*) Ausfchreiben wegen Errichtung der Seminariorum scholasticorum »
20. October 1698 und Snftruttion für die Moderatores circulorum semina
scholastici 16%,
— 2331 —
rilungen Der Ortichaften des Landes als Moderatores cirtulorma
ed Seminarii scholastici zu Friemar, Gfchenberge u. f. w. Se
jeichnet wurden) beitanden haben und aus welchen Urfachen fie
wieder eingegangen find, laͤſt fi nicht fagen. Späterhin, im
Jahre 1741, wurde von Regierungswegen darauf gebrungen,
daß Niemand ohne die erforderlichen Eigenfchaften zu einem Schul⸗
bienfte gelangen und daß in jeder Diöcefe ein tüchtiger Lehrer
für diejenigen, welche fich für das Lehramt beftimmt hätten, ans
gefellt werben follte.*) Allein die Anftellung folder Schul⸗
meitter-Qehrer unterblieb ; und in der nächftfolgenden Zeit ſah fich
bie Regierung nur infofern veranlaft, die Vorbereitung zufünf-
iger Schulmeifter zu beachten, als fie, um dem übermäßigen
Andrange gänzlich unberufener und unbefugter Subjekte zum Lehr
amte zu fteuern, i. J. 1750 allen Schulmeiftern in Städten und
Dörfern bei Strafe unterfagte, innerhalb der naͤchſten zwanzig
Jahre irgend Jemanden, der Schuldiener werden wollte und die
ganze Echuldienerwißenfchaft allein auf. Erlernung der Muſik bes
Ihränten wollte, in Information zu nehmen.
Alein auch diefe Anordnung war durchaus erfolglos, Ver⸗
lommene Handwerker und Bauern und ausgediente Soldaten fahen
lederzeit Die Uebernahme einer Schullehrerftele als felbftverftänds
iche und fichere Zuflucht an, welche fie gegen die aͤußerſte Not
icher ſtellte. Vermochte Jemand eine leibliche Hand zu ſchreiben
md hatte er außerdem noch einige mufitalifche Kenntniffe, jo galt
ie Anwartſchaft auf eine Schulmeifterei troß der Anordnungen
on 1750 als unzweifelhaft. Man brauchte fi) nur der Gunſt
verer, welche bei Beſetzung der Lehrerftelle ein Wort mit zu fpres
) Herzogl. P. S. daß zu guter Einrichtung des Informations-Werkes auch
’ei den Kindern auf dem Lande auf den selectum ingeniorum gefehen und bei
ven Bifitationen nicht geftattet werden ſoll, dab Diejenigen, welche ihre Dimiffion
us der Schule erhalten und auf einen Schuldienft ſich appliciren wollen, ohne
orhergegangene Anzeige bei den Bifitatoren und Erforfhung ihrer Fähigkeiten
8 enennung eines tüchtigen Echulmeifters fih dazu widmen dürfen, 31. Ian. 1741.
Circular P. 8. an die Infpectionen in ihrer Diöces einen tüchtigen Schul⸗
fter für junge Leute, die fi dem Schulamte widmen wollen, auszuſuchen
’ angefchiette und unfähige Knaben davon abzuweifen, 11. Gept. 1741. —
Derholung des vorſtehenden Circulare P. S., Al. Det. 1746,
— 232 —
hen hatten, in irgend einer Weife zu verfichern,, und Die Erlen
gung einer Xehrerftelle galt dann als gewiß. Um nun bifem
läftigen Zubrang der unfähigften Subjekte zu Lehrerftellen werd
um dem Gouverniren der Gönnerſchaft ein Ende zu machen, wurde
i. 3. 1779 dem Herzog der Entwurf einer Einrichtung vorgelegt,
wonach alle Willkür bei Beſetzung der Schullehrerftellen aufhören
jollte.*) Am 1. Juli 1779 wurde der vorgelegte Plan vom
Herzog genehmigt. Demgemäß wurden alle Schulftellen auf dem
Lande, welche (mit Ausnahme der Patronatsftellen) vom Ober
confiftorium vergeben wurden, in zwei Klaſſen geteilt, nemlid
erftend in ſolche, welche weniger, und zweitens in folche, welde
mehr ald 70 M.-fl. eintrugen. Dabet wurde feftgeftellt, daß fein
Schuldienft der höhern Klafje anders als durch Verſetzung eined
Schuldienerd aus der erften befegt werden follte. Bei ber vor
zunehmenden Verſetzung aber follte vorzüglich auf die Anal der
Dienftjahre Rüdficht genommen werden. Die Anzal der Semi
nariften ward auf 12. feftgejegt und ebenfo die der Exſpectanten.
Seminariften und Exipectanten jollten nach dem Alter ihrer Auf
nahme in den Schuldienft einrhiden. Die 12 Seminariften, welche
in der Stadt wohnen müften, follten von einem @eiftlichen oder
Candidaten wöchentlich 4 Stunden Unterricht erhalten. Ueber den
Fortgang dieſes Unterrichtd follte vierteljährig durch den Lehrer
dem Generaljuperintendenten Bericht erftattet, und außerdem ſollte
ein eingehender Sjahresberiht an das Gonfiftorium eingeliefert
werben.
Nah) Neujahr 1780 trat das Seminar wirklich ins Leben,
nachdem der Dazu nötige Fonds durch Beiträge aus den Kirden
kaſſen des Landes beſchafft worden war. Die Anftalt gebieh bald
und fand in dem Chef des Oberconfiftoriums, Freiherrn von Ziege
far, einen eifrigen Befchüger. Im Jahr 1783 wurde die dal
ber Seminariften bis auf 18 vermehrt und ein befonbrer Schrei
meifter angeftellt. Gleichzeitig wurde dem als Seminarlehrer fun
girenden Waifenhausprebiger Haun mit dem Titel eines Landſchulen⸗
) Das zunächft Folgende ift nad der Biographie Emft II. von Dr. Bed
©. 181 ff. mitgeteilt. .
— 233 —
\peftor und dem Range eines Ephorus, die Aufficht über
nmtlihe Schulen auf dem Lande übertragen, nachdem berfelbe
m Oberconfiftorium vorgeftellt hatte, wieder auch aufs Beſte er-
lte Unterriht im Seminar doch nicht den gehörigen Erfolg
ben könne, weil die Seminariften nad ihrer Anftellung nicht
hr unter der Aufficht und Leitung desjenigen verblieben, ber
im Seminar unterrichtet hätte. Damit aber auch die Semis
riften Gelegenheit hätten, fich zu ihrem Berufe praktiſch vorzu-
teiten, wurde zu Johannis 1784 mit dem Seminar eine befon:
re Schule verbunden. Mehr und mehr gewann jet dad Se⸗
nar an fiherem Beſtand und an Einfluß auf das gefamnte
lksſchulweſen des Landes. Die Schule ded Seminars erfrente
y eine erwünjchten Gedeihens. Die Landftände verwilligten
e Unterhaltung des Seminar aus der Landfchaftsfaffe einen
zrlichen Beitrag von 400 Rthlr. Eine Seminarbibliothef Fonnte
gelegt werden. So wuchs da8 Seminar und gewann thatjäch-
) eine Ausdehnung, daß ed nötig erfchien, die Organifation
Bjelben durch ein neues Statut forgfältiger zu ordnen. Unter
m 19. Mai 1786 wurde daher eine Seminarordnung
blizirt, in welcher e8 freilich gradezu ausgeſprochen wurde,
ß die bisherige lediglich für den Zweck chriſtlicher und kirchlicher
lkserziehung beftimmte Volksfchule in eine vorzugsweife dem
tereffe der Aufklärung und des bürgerlichen Berufes dienende
alt umgewandelt werben ſollte. Das Seminar erhielt nemlich
gende Einrichtung : *)
J. Schuldiener-Seminarium. |
„Das Schuldiener-Seminarium beftand aus 24 Seminariften
db 12 Gxfpectanten, mithin aus 36 Perfonen. Unter biefen
tden 30 vom Oberconfiftorio recipirt, die 6 übrigen präfentirte
Landſchaft durch ihren jedesmaligen Syndicus. Der Praesen-
18 erhielt zuvörderit eine Exſpectantenſtelle und rüdte nachher
einer Reihe fort. Wenn ein Seminarift abging (durch Be:
rung, Nieberlegen feiner Stellen, Ubfterben u. f. f.,) ſo
— —
Rach Gelbke, %.1. ©. 58 ff.
— 2341 —
rüdte der ältefte Exipectant in die erledigte Stelle. Ehe rw
- unter die Exſpectanten aufgenommen werden fonnte, muſte er zu:
vörderft vom Oberconfiftsorium, wenn er vorher demfelben ein von |;
dem Landſchulen⸗Inſpector und Mufifmeifter ausgeftelltes Zeugnis,
daß es ihm fowol an natürlichen Anlagen zum Singen und Or:
gelfpielen nicht fehle, als auch, daß er bereits in beiden einige
Kenntnis und Fertigkeit fi) erworben habe, überreicht Hatte, ent
weder öffentlich während der Sellion, oder im Verhinderungsfal
im bejonderen Auftrag beöfelben, vom zeitigen &eneralfuperinten
denten privatim geprüft werben. Bei dieſer Prüfung wurde jedoch
nicht fowol auf fehon vorhandene viele Kenntniffe, als vorzäglid
darauf geſehen, ob die Competenten fo viel Seelenfräfte zu be
fitzen ſchienen, daß fie des Unterrichtö im Seminario wirklich fähig
waren. Wurden mehrere Gompetenten zu gleicher Zeit geprüft
und tüchtia befunden, fo wurde ohne Unterfhied, ob es lan
ichaftliche Praesentati oder heim Oberconfiftorium ſich gemeldet
babende Gompetenten waren, einem jeden die Anciennetät lediglich
nach den Maßſtab feiner Fähigkeiten angewiefen. Die fämmt
lichen 24 Seminariften waren ſchlechterdings und undispenfirlid
verbunden , in der Stadt Gotha fich aufzuhalten. Bei den zwäll
Expectanten hingegen wurde zwar dieſes nicht al8 eine Roter
digkeit erfordert, indeſſen wurde doch in Abficht der Gonfiftoriak
Exipectantenftellen unter zwei gleichwürdigen Gompetenten , wovon
ber eine außerhalb, ber andere in Gotha wohnhaft war, jede#
mal ber Legtere Zum Examen vorbeſchieden. Der lebige Etand
war eine der hauptfächlichften Erforderniſſe der Aufnahme eine
Exſpectanten. Jeder, der unter die Erpectanten aufgenommen
wurde, zalte 1 Rthlr., und der unter die Seminariften einrüdte,
2 Rthlr. zur Seminarkaffe. Der jedesmalige Landſchulen⸗Inſpectol
war allezeit,, vermöge feines Amtes, erfter Lehrer und Aufſehet
im Seminar. Naͤchſt demfelben aber war noch ein Lehrer IM
Rechnen und der den Bedürfniffen des Landmannes angemepene®
mathematifchen und phyſiſchen SKenntniffe, ein Mufitmeifter m
ein Schreibmeifter dabei angeftelt. Doch waren diefe der Aufficht
bes Landſchulen-Inſpectors untergeordnet, und wurden daher ven
Zeit zu Zeit in ihren Unterrichtsſtunden von ihm beſuchet. DEF
— 235 —
andſchulen⸗Inſpektor erteilte an die 24 Seminariften wöchentlich
I Stunden Unterricht, deſſen Hauptteile nachftehende waren:
&) Zwedmäßige Unterweifung in der Religion und zwar fo,
daß nicht allein das in den Schulen des Landes eingeführte Leſe⸗
buch Sag für Sag genau und praktiſch erflärt, fondern auch zu⸗
gleih das neue Teftamient nad der Drdnung der Bücher gelefen
und jede dunfle Stelle desfelben durch Furze und treffende An⸗
merfungen erläutert, bei allen diefen Erklärungen aber alle blos
dogmatifche und vorzüglid alle polemifche Subtilitäten forgfältig
dermieden werden.
b) Anweifung zu der von einem Schullehrer zu beobachten»
den Lehrart überhaupt, vorzüglic, in Ruͤckſicht auf den in biefigen
Landen eingeführten Schulmethodus.
c) Anweifung zum Kactechiſiren insbeſondere, wobei die
12 Seminariften zugleich praktiſch mit Katechiſirung einiger aus
ter Seminarfchule dazu zu wählenden Kinder geübt wurden.
d) Unterricht in demjenigen, was einem Jeden, auch aus
ven geringften Volksklaſſen, im gemeinen Leben, felbft zum vers
tändigen Leſen der Zeitungen, des Kalenders und anderer Volks⸗
hriften, von der Hiftorie, Geographie, Kenntnid der Produkte
md des Handels, befonders der hiefigen und benachbarten Lande,
glich fein konnte.
e) Praktiſche Ausarbeitungen über verjchiebene vorzufchrei«
bende den Kenntniffen der Seminariften und ibrer künftigen Bes
fnmung angemeßene Materien, als 3. B. Briefe, Zeugniffe,
bensläufe, ‚Heine Anreden an die Schulkinder, Katechifationen
ber gewiſſe aufgegebene Stellen der h. Schrift oder des Katechis⸗
nus u. drgl. Was aber die Verbeferung dieſer Auffäße- betrifft,
o geſchah Diefe zur Erſparung der Zeit nur in Abficht der zwölf
teten Seminariften mit vollfommener Strenge und Genauigkeit,
en 12 jüngeren hingegen wurden blos die orthographiſchen und
Ndere dergleichen zu ſehr auffallende Hauptfehler bemerklich
macht.
f) Anweiſung zum Predigtnachſchreiben, ingleichen Durch⸗
Yung und Berbeßerung des Nachgefchriebenen, wie nicht weniger
iterricht, wie diefelben .einft als Schullehrer die von dem Pfarzer
— 236 —
gehaltenen Predigten den Kindern in einem populären und fr fi
faglihen Ton wiederholen muften.
8) Bekanntmachung und zwedmäßige Erklärung aller fomo!
fchon vorhandener, ald auch von Zeit zu Zeit ferner erjcheinenden
Tandesgefeße, Die auf irgend eine Art den Landmann angingen
und von ihm zur vernünftigen Einrichtung feines Betragens in
allen feinen Verbältniffen gekannt und richtig verſtanden werden
muften , und
h) Anweifung und Uebung im richtigen, deutlichen und an-
genehmen Leſen.
Um aber bei allen diefen verfchiedenen Arten des Unterriäts
ficher zu fein, Daß folder wirflih von den Seminariften mit dem
Verftand und Gedächtnis richtig gefaft worden, muſte der Lehre
dasjenige, was er vorgetragen hatte, entweder fogleich am Ende
einer jeden einzelnen Lection, oder doch wenigftend im Teßten Bier:
tel der ganzen Stunde durch Examiniren fleißig mit ihnen wieer
holen. Vor allen Dingen aber mufte er dieſen feinen Unterricht
immer aus dem unverrüdten GefichtSpunfte erteilen, daß die
Schule eine Vorbereitung zum praftifchen, bürger
lichen Leben fei, und Daß die Abficht bei dem Inſtitut gar
nicht dahin ging, Gelehrte oder Theologen, jondern blos Schul
biener auf dem Lande und dabei aufgeflärte, arbeit
ame und fromme Menſchen zu bilden. Den Gxfpectanten
erteilte der Lehrer zwar in der Regel feinen Unterricht; wünſchte
jedoch der eine oder andere berfelben bei dem Unterrichte de?
Seminariften zuzuhören, fo ftand ihm folches frei. Uebrigens lad
dem Lehrer ob, alle Exfpectanten anzumweifen, wie fie fich währen”
ihrer Grfpectantenzeit zum Fünftigen Unterricht im Seminar 3%
Haufe am zweckdienlichſten vorbereiten koͤnnten. Der Lehrer det
Rechnenkunſt und der den Bebürfniffen des Landmanns angemepene Tt
mathematijchen und phufifchen Kenntniffe hatte wöchentlich 3 Stust °
den Unterricht zu geben, nemlih 2 Stunden im Rechnen, weihe®
die in Gotha ſich aufhaltenden Erfpectanten eben ſowol, al DT
Seminariften felbft beiwohnen muften, und eine Stunde über d E
kleinere Voigtiſche Lehrbuch, welche Bloß die Seminariften zu P'
juchen verbunden waren, bie Exſpectanten hingegen nad ih —
— 237 —
Willkür befuchen und auch nicht befuchen Eonnten. Bei den
enftunden wurden die fämmtlichen zu unterrichtenden Per⸗
nah ihren Fähigkeiten in zwei Klaſſen eingeteilt, jo daß
ede Klaſſe nur eine Stunde mwöchentlidy Unterricht erbielt.
r zweiten und untern Klaſſe wurden getrieben a) die vier
ipecie8 der Nechnenfunft und b) die NRegeldetri. In der
und obern Klaſſe aber a) die Bruchrechnung, b) einige
jögründe zur weljchen Praftif und Geſellſchaftsrechnung,
e zwedmäßige praftifche Anweiſung zum Rechnungsweſen
vorzüglich aber zur Führung und Ausarbeitung einer Kirch-,
nde = und Vormundſchafts-⸗Rechnung. Bei der Erklärung
sigtifchen Lehrbuchs, welche alle zu unterweifenden Perſonen
iher Zeit genoßen, wurden hauptjächlich die im gemeinen
am meiften nötigen mathematifchen, phyſiſchen, . naturge-
tlichen und ökonomiſchen Kenntniſſe, fo viel es der Zeitraum
e, benfelben beigebracht. Dahin gehörte eine zwedmäßige
ung der gewöhnlichen mathematifchen Figuren und Hand⸗
erätjchaften, der am meiſten im gemeinen Leben vorfom-
ı Mafchinen, der Wettergläjer, der Lufterfcheinungen , be-
3 des Gewitterd, der Electricitaͤt, des Magnets, vorzüglich
des Kalender als eined fo gemeinnüßigen Volksbuchs;
einiger Unterriht von ven befannteften Arten der vier
ı Thiere, Vögel, Fiſche und Inſekten, wobei unter anderen
ächlidy die Befchaffenheit der Bienen und des Seidenwurms,
die Bienenzucht und der Seidenbau felbft auf eine folche
färt wurden, Daß die Seminariften dadurd in den Stand
wurden, dereinſt als Schuldiener diefen fo nüßlichen Nahs
weig auf dem Lande allgemeiner zu madyen; und endlich
nterweifung in derjenigen Art ökonomiſcher und landwirt-
her Kenntniſſe, welche nicht bereit8 allgemein befannt find,
on denen alfo nicht zu vermuten ftand, Daß folde den
ariften ſchon hinlaͤnglich geläufig waren. Bei allem diefem
iht wurde jedoch ein ſyſtematiſcher und wißenjchaftlicher,
ähigfeiten der Seminariften nicht angemeßener Vortrag vers
Damit aber auch der Lehrer überzeugt würbe, in wie
r feinen Zuhörern Alles vollfommen faplid gemacht hatte,
— 138 —
fo muſte er von einer jeden ſolchen Stunde nur die erflerzr Apr
Viertel zum Dociren felbft und das legte Viertel hingegen Zei
mal zum Examiniren verwenden. Da die Schuldiener bei der
ihnen ;obliegenden Direction des Kirchengeſanges durch Vorfingen
ſowol, ald Spielen der Orgel, zur Erreichung der bei dem Ge
brauch der Kirchenlieder zum Grunde liegenden Abficht , vorzüglid
beitragen zu können, und daher die Vorbereitung derſelben zu
diefem Teil ihrer künftigen Beftimmung ebenfalld zu dem Haupb
zwed des Seminarii gehörte, fo war bei benfjelben ein eigene
Lehrer der Muſik angeftellt worden, an befien Unterricht im Sir
gen und Orgeljpielen fämmtlicye Seminariften, die nicht über ihre
in beiden Gattungen mufifalifcher Kenntniffe bereits erworben
Geſchicklichkeit ein fchriftliches Zeugnis des Lehrers der Mufit ber
zubringen im Stande waren, Anteil zu nehmen gehalten waren.
Bei dieſem Unterrichte, der wöchentlih 3 Stunden, in jeder
Stunde einem Teile der Seminariften in der Waifenhausfirdt
gegeben wurde, mufte der Lehrer vorzüglich darauf fehen, dab
die Seminariften zuvörderft über den Urfprung und bad in
einem einfachen von allen Wuszierungen entblöften Gelang
‚beftehende Weſen des Ghorald fowol, als über deſſen leip
lich auf fanfte Rührung, Andacht, file und ruhige Vetradr
Rtung gerichteten Abficht zweckmäßig belehrt, ihnen die Kraft eined
zwedmäßigen Geſangs auf den Singenden felbft und Andere
möglichft fühlbar gemacht, biernächft Die Regeln des guten Br
trags und infonderheit des die Harmonie der Muſik begrünbdenden
Generalbaßes gehörig erläutert, daraus ber eigentliche Unterricht
in der Kunſt des Singens hergeleitet, und dieſer durch fleißige
unter feiner Aufſicht anzuftelende Singübungen jelbft anwendbar
gemacht; endlich auch von der Uebereinftimmung der metriſchen
und rythmiſchen Befchaffenheit der Melodie mit derjenigen, die
im Text enthalten ift, Die allgemeinften Hauptgrundfäße ihnen mid
geteilt wurden. Und da die Orgel hauptjächlicy dazu diene
folte, um die Wirkung des Geſangs durch barmonifchen un?
melodischen Ausdrud zu unterftügen, fo mufte der Unterricht we
gen des Gebrauchs der Orgel vorzüglih auf Bewirfung eines
guten Temperaments berfelben und auf forgfältige Vermeidung
— 239 —
figurirten, mit geräufchuollen ausfchweifenden Läufen ange
ı und mit der oorberührten Abficht des Chorals nicht über:
nmenden Spielart gerichtet wurden. Den Unterricht des
ibmeiſters genoßen die zu Gotha gegenwärtigen Exſpectanten
jo wol, als die Seminariften felbft, in dem Maße, daß
wöchentlih 4 Schreibftunden gehalten, jedoch die ſaͤmmt⸗
zu Unterrichtenden in 2 Klaffen abgeteilt, uud jeder Klaſſe
Bochen nur 2 Stunden gegeben wurden. Der Unterricht bes
vorzüglich tu Folgendem:
&) in der deutſchen Current- und Kanzleifchrift, wobei zu
hriften, nach der jedesmaligen Anweifung des Landfchulen»
ctord blos ſolche Dinge gewählt werden muften, die einem
Idiener nüglicy fein koͤnnen, als Kirchenatteſtate, Beſoldungs⸗
Intereffen-Ouittungen, Abfündigungsformeln u. drgl.;
b) in ber Iateinifhen Schrift, jedoh wurden dazu nur
bejondere Vorfchriften gegeben und gröftenteild nur diejenigen
chen Worte gewählt, welche in den deutſchen Vorſchriften
nd da mit vorkommen ;
c) in der Frakturſchrift, wobei bauptfäckhlic dahin gejehen
n mufte, Daß Die zu Unterrichtenden die gedrudten Buchftaben
nachahmen lernten, weil fie ſolche den Schulfindern in der
beim Buchſtaben⸗Unterricht an der Tafel vormalen muften;
d) im Schreiben der Zalen, und zwar der römifchen ſowol,
er arabijchen, wobei nad) der Anmweifung des Landſchulen⸗
ctord lauter praktifche Vorfchriften, als z. B. Bruchftüde
Bemeinde- uud Kirchrechnungen u. drgl. gewählt werben
n;
e) im Federſchneiden;
f) in Angebung der leichteften Methode, wie alle dieſe Dinge
rum den Kindern beigebracht werden können.
Derjenige unter den Seminariften, welcher, noch ehe ihn
teibe der Beförderung zu einem Schuldienft traf, ſich fo
smmen in der Schreibfunft gemacht hatte, daß ihn ber
eibmeifter fchlechterdings nichts mehr zu lehren im Stande
wurde auf ein von dem leßteren und dem Landſchulen⸗In⸗
— 240 —
ſpector audgeftelltes Atteftat durch das Oberconfiftorium von 2%
terer Beſuchung der Schreibftunden bispenfirt.“
I Seminarienfchule.
„Die Seminarienfchule, welche ebenfalls in der Seminaren
flube gehalten wurde, beftand aus 50 Kindern. Die Rinder
jelbft wurden in 4 Klaſſen, als Superiores, Medios, Inferiore
und Incipienten abgeteilt und empfingen täglicy 6 Stunden, Bor
mittags im Sommer von 7—10, im Winter von 8—11 und Rad
mittags zu allen Jahreszeiten von 1— 4 Unterriht. Gin jedes
Kind, welches in dieſer Schule unterrichtet wurbe, bezalte von
der Zeit feiner Aufnahme an bis zur Zeit jeined Abgangs, ob
Unterfchied , ob ſolches die Schule in ber Zwiſchenzeit wirklik
bejucht hatte oder nicht, an Schulgeld zur Seminarienfafle wöcent
lid 2 Ggr. und außerdem noch den drei lehrenden Seminariften
zufammen 8 Ggr. beim Eintritte, ebenfo viel bei ber Dimiſſion
und jährlid) eben fo viel zum neuen Jahr. Die Abficht der
Seminarienfchule beftand zwar vorzüglid in der den Semins
riften zur praftiihen Lehrübung zu verjchaffenden Gelegenheit,
fie war aber auch zugleich nicht wentger dahin mit gerichtet, dah
biefelbe als eine wirkliche Mufter- und Normalſchule für alle übrigen
Schulen im Lande angefehen werden follte. Wenn baher das Ober
confiftorium in einem oder dem anderen Stüd eine neue Unter
richtungsart einführen wollte, jo wurbe vorher in ber Seminars
Ichule Die Probe damit gemadht, und erft alsdann, wenn das Pre
ject wirklich als gut, nützlich und ausführbar durch die biesfalfige
Erfahrung beftätigt worden war, in den übrigen Schulen des Law
bed eingeführt. Nach Diefer doppelten Abficht fielen die gewöhr
lichen Schulferien darin völlig weg, und wurde Daher nur alein
an folgenden Nachmittagen, ald a) alle Mittwochen und Sons
abende im Jahr, welche ohnhin im ganzen Lande von der Säule
frei find, b) des Tages vor dem erften Weihnachtöfeiertage und
c) eines von dem Landſchulen⸗Inſpector wüllfürlich zu wählenden
Tages an jedem der drei Jahrmaͤrkte und an nachftehenden ganM
Tagen, ald: a) am Tage nady den drei hohen Faften, b) an
Grünendonnerstage und c) am Charfreitage, die Schule ausgeſeß—,
— 241 —
llen übrigen Werktagen ded ganzen Jahres hingegen wurde
e ununterbrochen Vor⸗ und Nachmittags gehalten. Zu Lehrern
:Seminarienfchule wurden nicht alle Seminariften, fonbern blog
gen gebraucht, weldhe zu einer ganz vorzüglichen Geſchicklich—
jelangt waren. Bon biefen fidy bejonders auszeichnenden Se-
riften num wurden jederzeit die drei älteften unter dem Na:
der Katecheten, nach jedesmaligem von dem Landſchulen⸗In⸗
r an das Oberconfiftorium zu erftattenden Bericht, zu Leh⸗
bei der Seminarienfchule angeftellt. Diefe drei Katecheten
n zwar in allen Schulftunden gegenwärtig fein, es unterrichteten
nuv die zwei Alteften Davon wirflih, und zwar fo, daß dem
en derjelben die drei eriteren, und dem Erſteren die drei
ten Wochentage angewiefen waren. Der dritte hingegen war bei
n Unterrichte hauptjächlidy nur um deswillen zugegen, damit
e Lehrmethode erlernen follte, und hatte übrigens die Incum—
die Linien in die Schreibbücher zu ziehen, den beiden unterften
en vorzufchreiben , die fehlenden Kinder anzumerken, und fo
möglich diejenigen Claſſen, welche nicht an dem Unterrichte
telbar Zeil nahmen, nüglich zu bejchäftigen. Sobald aber
ber beiden älteſten Katecheten verhindert war, vicarirte er
enjelben und rüdte hiernächſt fofort ein, wenn einer unter
gänzlich abging. Einem jeden Lehrer in der Seminarien:
aber wurde vermöge Rejol. v. 21. Sept. 1787 bei feiner
hme zur Bedingung gemacht, daß wenn er die gefafte Hoff-
nicht erfüllen und ſich in feinem Amte nicht vorzüglich aus:
en würde, er fi alsdann gefallen laßen müße, von feiner
e abzugeben, und gleich einem andern Seminariften zu einem
Idienfte von der unterften Klaffe befördert zu werden. Ueber⸗
t muften die unterrichtenden Katecheten zufanmen völlig und
alle Ausnahme alles dasjenige, was ein jeder gewöhnlicher
ıldiener bei feiner Schule zu beobachten hatte, bei der Semi:
njchule ebenfalls verjeben, und daher den Schulfindern nicht
in der Buchſtabenkenntnis, dem Buchftabiren und Lefen, dem
nen und Schreiben, und andern in ihrem Tünftigen Leben
ı nüglichen Dingen (wohin hauptſächlichsöder Kalender mit
hnet wurde,) Unterricht erteilen, fondern auch die Bibel und
pe, Volksſchulweſen, 2. 16
— 42 —
beſonders das neue Teſtament, ingleichen das gemöhnlicdhe
buch und das in den Schulen eingerührte Eleinere Voigtiſche
buch gehörig erklären, vorzüglich aber durch fleißiges zwecdm:
Katechifiren den Kindern die Wahrheit der Religion auf ein
liche und deutliche Art verftändlich machen. Dabei war ven
hen, um fie von Plauderhaftigkeit und einem unruhigen 9
abzuhalten, auch fie frübzeitig zum Kleiße zu gewöhnen, m
Refolution an den Tandfchulen-Infpector vom 15. Dez. 1786
ftattet worden, in den mäßigen Zeitpunkten ji mit St
Seidezupfen und anderen weiblichen Arbeiten zu befchäftigen. 1
Alles, was an jedem Tage in der Schule getrieben worden,
fonft darin Merkwürdiges vorgefallen war, mufte von denje
ber beiden älteften Satecyeten, an welchem an folchem Xage
die Neihe des Unterrichts ftand, ein genaues Protokoll ge
und dasfelbe von ihm ſowol, ald dem wirklichen Lehrer des
ges unterjchrieben werden. Der Landfchulen- Infpector war
bunden, nicht nur überhaupt eine genaue Aufficht auf diefe u
richtenden Seminariften oder Katecheten zu führen, und babe:
Beit zu Beit, wenigftend aber dreimal in der Woche, die €
narienfchule zu beſuchen, ingleihen dabei allemal das von
Katecyeten geführte Schulprotofol genau durchzugehen, un
Sall er bei dem Einen oder Anderen etwas Fehlerhaftes verjy
den Fehlenden, jedoch nie in Gegenwart ber Kinder, zured
weiſen. Uebrigens war die Seminarienfchule ebenfo, wie all
deren Schulen der Refidenzftadt Gotha, der jährlichen Bifit
de8 jedesmaligen Generaljuperintendenten unterworfen, weldy
die neuen Lectionen allezeit ſchon unmittelbar nach Oftern angii
noch vor Dftern bewirft werden mufte. Außerdem lag aber
dem Generaljuperintendenten vermöge feiner Auftruftion ob,
Seminarienfchule nody beſonders von Zeit zu Beit und zwaı
porhergefehen zu bejudyen. In Unfehung der Beförderung
Scminariften war zu bedenfen, daß alle von dem Oberconfil
unmittelbar zu vergebenden Schuldienfte im Lande nad ihren
joldungsanjdylägen in 3 Klaſſen eingeteilt waren. Die €
bienfte der erften Malle, deren Gehalt über 100 M.=fl. be
wurden blos durch Translocirung alter, ſchon erfahrner Schuld
— “
mu
7T
F
—
7
— 243 —
Besfest. Nur der einzige Fall war davon ausgenommen, wenn ein
SE atehet, der wegen feiner Geſchicklichkeit jährlich 100 MA. Ber
ſD Ldung erhalten hätte, weiter befördert werben follte, indem alle
SE axteheten diefer Art zu ihrer Aufmunterung und Belohnung jederzeit
S chulſtellen der erften Klaffe zu gewarten hatten. Die Schuldienfte
Zweiter Klafle, welche 100 M.-fl. und Darunter, jedoch mehr als
TOM.f. eintrugen, wurden lediglih nad) dem Ermeßen bes
=Doberconfiftorii entweder an einen jchon erfahrenen, alten Schuls
Diener, ober an ben älteften der drei gewöhnlichen Katecheten
vergeben, und nur alddann fland einem dieſer leßteren auf eine
Dergleihhen fich erledigende Stelle ein wirkliches Necht zu, wenn
er ſchon drei volle Jahre als Katechet angeftellt. gewejen war.
Wenn hingegen ein Schuldienft der britten Klaſſe, welcher 70 M.<fl.
und darunter abwarf, aufging, jo wurde folcher nie anders als
durch den älteften derjenigen Seminariften beſetzt, welche zwar
nicht bis zu den Fähigkeiten eines Satecheten und Lehrers an ber
Seminarienfchule gelangt waren, doch aber jonft Die zu einem
gewöhnlichen Schuldiener auf dem Lande nötigen Kenntniffe bins
reihend fi erworben hatten. Ein zu beförbernder Seminarift
diefer Art aber war gehalten, wenigftend einen vollen Monat
dor dem wirklichen Antritt feines Dienfted ale Tage ununter-
drohen dem Unterricht der Katecheten in der Seminarienfchule
bejuwohnen,, und daß ſolches gejchehen, vor feiner Verpflichtung
bei dem Oberconfiftorio burd ein Atteflat des Landſchulen⸗-In⸗
ſpectors darzuthun. In Abficht der Beförderung der Seminariften
zu den erwähnten Oberconfiftorial = Schuldienften durfte nicht der
Mindefte Unterfchied unter denen, die von dem Oberconſiſtorio
gefegt und denen, die von der Landſchaft präfentirt waren, ges
macht werben. Jeder Seminarift, der von dem OÖberconfiltorio
Meiner Schulftelle befördert, oder auch von einem Patron dazu
Päfentirt wurde, war ſchuldig, bei feinem Abgang einen Beitrag
U Seminarienbibliothef zu thun und foldhen dem Landſchulen⸗
Nſpector zu überliefern. Die Größe dieſes Beitrags ſtand zwar
ledig Lich in der Willkür des Abgehenden, jedoch durfte derſelbe
A einer Beförderung in die zweite Klaſſe mnicht unter 1 Rthlr.,
ün die erfte Klaſſe nicht unter 2 Rthlrn. betragen. Die ſo⸗
. 16°
— 24 —
wol hieraus ald auch aus demjenigen Quanto von 20 Rtblrmzy
welches jährlich dem Landſchulen-Inſpector zum Anfauf nüglides
Bücher zu verwenden geftattet war, nach und nad erwachler m
Seminarienbibliothef blicb unter dem Beſchluß des Landichul_g
Inſpectors, welcher Davon, nach jeinem Grnießen, den Seminari'gs
Bücher, jedoch jedesmal blos auf eine beftimmte Beit und gem,
Einlegung eines Scheins, zu leihen die Erlaubnis hatte.”
TITTEN —ñ—
Kaum gibt es ein anderes deutjches Land, in welchen bie
Entwillung das Volksſchulweſens fo lange in denfelben Spuren
fortging, als das Herzogtum Gotha. Faſt Alles, was feit Gruft
dem Frommen zur Hebung der Volksſchule geſchah, beftand nur
in einzelnen Maßnahmen, durch welche man die Anordnungen
beffelben zur wirklichen Ausführung bringen oder moͤglichſt wirk
fam zu maden ſuchte. Im Allgemeinen ftellte ſich daher dad
Gothaer Volköfchulweien gegen das Ende des 18. Jahrhundert
in demjelben Bilde dar, wie um die Mitte des 17. Jahrhunderts,
d. h. man fuchte, fo weit es gehen wollte, den wirklichen Zuftand
der Schulen mit dem in dem Schulmethodus enthaltnen Bor
Ichriften in Einklang zu bringen, ohne daß man body zu einer
allfeitigen Verwirklichung der alten Schulorduung kommen fonte-
Hierzu fam, daß in demjelben Maße, in welchem ver Geift der
Aufklärung in den fächliichen Landen Eingang fand, nur auf den
Fortbeftand des Aeußeren der überlieferten Schuleinrichtung Dr
dacht genommen wurde, Mehr und mehr ging daher das Ver’
ſtaͤndnis und fomit auch die Wertſchätzung des Schulmethodus
verloren, fo daß derjelbe ſchließlich als Antiquität ganz vergeßen
wurde. Geſetzlich ſtand dabei aber immer noch die Auctorität des
Schulmethodns für die deutjchen Schulen des Landes feft. Auch
ſollten nicht allein diejenigen „Erinnerungspunkte,“ welche Herzo S
Ernſt ſowol für die Schuldiener, als für die Inſpectoren ist
Jabre 1660 im Drud erlaßen, und die wegen der im Schulsst“
thodus vorgefchriebenen Sprüche und Pfalmen ergangene Vero F
nung, fondern aud die im Jahre 1698 zufanmengetrage ”
— 245 —
zunkte nad) der in den Erneftinifchen Verordnungen befindlichen
‚ota in Obacht genommen, und die monatlihen Schultabellen,
ermöge Ausfchreibend vom 7. März 1701 in guter Ordnung ge:
alten werden. Nach Vorſchrift des Schulmethodus follten alle
"inder, Knaben und Mädchen, fowol in Dörfern als in Städten
nter Vorausſetzung, Daß vorher die Eltern nach Anweifung der
briftliden Hauszucht ihre fchuldige Pflicht Bei denfelben von
hrer zarten Kindheit an beobachtet hatten, im fünften Jahre ihres
Ilterd, zugleih und auf einmal, nad) der Erndte auf die von
ver Kanzel deshalb gefchehene Ankündigung in Die Schule geſchickt
ind von den Schuldienern eined jeden Ort in unterjchiebenen
klaſſen in den vorgefchriebenen Lectionen unterrichtet werben. Zur
Erlernung des ABE und des Buchſtabirens bediente man fich
des i. %. 1789 verbeßerten und vermehrten ABC- und Silbens
büchleins, zur Uebung im Lefen aber des fogenannten „deutſchen
Leſebüchleins.“ Dieſes Ießtere begriff anfänglich nur den
Katehismus Qutheri, des D. Rofini Fragftüde auf die hohen
Sefttage, Die Haustafeln und die vornehmften Sprüche der eis
ligen Schrift über jeden Glaubensartifel, dad Nicänifche und
Athanafiſche Glaubensbekenntnis und einige Gebete in fih. In
der Folge aber kamen noch die zwölf Lehrpunfte hinzu. Im
Jahre 1656 erſchien es unter dem Titel: „Deutſches Tefebüchlein,
darinnen zu finden a) der Katehismus Qutheri, fammt der Aus:
gung; b) ver kurze Begriff, aus dem Katechismus Lutheri ge:
gen; c) der kurze Begriff von etlichen Lehrpunkten, aus
dem Hausfirhbüchlein genommen; d) etliche biblifche Sprüche, in
ſewiſſe Kapitel eingeteilt; e) die Feftfragen D. Bartholgmäi Ro-
ni; f) die drei Hauptfombola neben zweien Kindergebetlein ;
) Der Abdrud unterfchiedlicher ABC, zu nüglicher Schreibends
ung zu gebrauchen, ſammt dem Ginmaleins, für die Schulen
N Bürftentum Gotha. Gebrudt durch Joſ. Michael Schalln.
Mm Sabre 1656” (in 89. 14 Bog.).
Späterhin (1786) ließ man bei einer neuen Ausgabe des
uches die S. 225— 266 befindlichen Frageftüde, ſowie die brei
Up-Symbola und Gebete um Schutz und Schirm Gottes für
NDer in Sterbengzeiten und den ©. 286 und 287 enthaltenen.
— 246 —
Abdruck unterjchiebliher ABE weg und fügte dagegen nad) ber.
Einmaleind demfelben den in der Leje-Fibel des Paftor Blaibe m.
zu Oldenburg im Kurbraunfchweigifchen befindlichen Unterridt
einigen nützlichen Dingen, mit einigen Abänderungen als Anba-
bei. Schließlich hatte man außerdem bei einer i. J. 1788 ab er.
mals erfolgten neuen Auflage dieſes Lefebüchleins einerfeitd D⸗
für zu ſchwer oder überflüßig gehaltenen Stellen beffelben 4
Klammern gefegt, um damit anzuzeigen, daß diefelben in De
Schulen nicht mehr auswendig gelernt werben follten, und andrer
ſeits an die Stelle der alten Reimgebete einzelne erbauliche Stro
phen, meiftenteild aus Liedern des neueren Gothaiſchen Belang
buchs, unter dem allgemeinen Namen: „Liebergebete” eingerüdt.
Auch waren einzelne Pjalmen ausgelafen. Da aber durd biee
- Einrichtung in die von den Kindern nach ber Folge der Klaflen
zu erlernenden Lectionen eine große Ungleichheit gekommen wat,
fo wurde nicht nur die bisherige mittlere Klaſſe aufgehoben und
eine jede niedere Schule von unten in die L II. IIL IV. Ktaf
abgeteilt, ſondern auch eine neue Lectionstabelle aufgeſetzt, und
biefelbe nebſt einer ausführlichen Anweiſung dazu und einigen
. anderen Vorſchriften für die Schuldiener, unter dem 15. Septbt.
1788 zum Drud befördert und mittelft Ausfchreiben vom 29. Okto⸗
ber 1788 in den niederen Schulen des Herzogtums eingeführt. *)
Diejenigen Kinder, welche das Lejebüichlein zwar abjolvirt, abe!
es doc, zu Feiner Fertigkeit im Leſen gebracht hatten, muften (nad
Ausichreiben vom 21. Dezember 1643) anfänglich zur Uebung iM
Lefen den mit den Summarien D. Daniel Cramers gebrudtet
Plalter, welden die armen Kinder feit 1644 umfonft bekamen,
gebrauchen. Im Sabre 1662 führte man flatt diefes Biatter?
ein anderes Büchelhen ein, welches nicht nur diejenigen Pfalmer!"
weldye die Kinder in der Schule auswendig lernen muften, fonde«"*
en,
*) „Anweifung für die Schuldiener des Herzogtums Gotha, wie fie das a⸗
Jahr 1788 neu abgedrudte und mit einigen Abänderungen verſehene fo "
Teutſche Lefebüchlein und die mitangefügte Rectionstabelle bei dem Unterricht 3 “
Schuljugend gebrauden follen, nebſt einigen andern Borfchriften für dieſel⸗ —
15. Sept. 1788." .
— 247 —
sch verjchiedene nad) allen Hauptftüden eingerichtete Gebete ent-
ielt. Diefed Buch, welches zum Unterfchied des vorerwähnten
efebüchleind „Die Lefensübung” genannt wurde, ‚mufte feit 1664 von
Ten Schulfindern ber obern und mittlern Klaſſe angefchafft wers
en. Den Urmen wurde es (zufolge eines Ausfchreibens vom
0. Auguft 1669) umfonft geliefert. Dabei wurde aud (unter
em 30. Januar 1663) verordnet, daß die in dem Lefebüchlein
efindlihen Lehrpunkte von der obern Klaffe wöchentlich wenigftens
ine Stunde gelejen werben follten. Zur Beibringung bes kurzen
Beriht8 von den fünf Lehrpunkten wurde 1654 und 1655 ein
ejonderer Methodus nebft Fragen zu den übrigen unter dem
Litel „Methodus, wonach die Praeceptores in Beibringung des
urzen Berichts von den V. Lehrpunften, auch Erforſchung durch
achgefepte Fragen fi) zu richten; im Fürftentum Gotha 1564”
urch den Drud bekannt gemacht. Sowol die Silben» als Leſe⸗
ücher wurden nach Verordnung vom 22. September 1659 einem
den Schulfinde zum erften Mal unentgeltlicy verabreicht. Diefe
Bolthat erftredte fid) auch auf diejenigen Schulen außer Landes,
yelhe nad dem Bothaifchen Schul: Methodus unterrichtet wurden,
. B. auf die Schulen der beiden Erfurtiichen Sinfpectionen, Ton:
'orf und Mühlberg, und einiger anderen Erfurtiichen Dorffchaften,
benfo auf die Schulen der Eiſenachiſchen Inſpection Greienberg,
vie auch auf die Stadt- und Landſchulen der Römbildiihen In⸗
pection. Jedoch muften die Schultabellen von diefen Ortjchaften,
o oft um Berabfolgung der Silben- und Leſebücher nachgeſucht
urde, an das Oberconfiftorium auf Friedenftein zugleich mit ein-
eſchickt werben.
Um in den Schulen auch einige Kenntnis von dem Unter>
Ned der Iutherifchen und katholiſchen Gonfeffion zu verbreiten,
urde mittelft Ausfchreibend vom 11. Juli 1726 befohlen, daß das
Nn Dr. SHoen herausgegebene evangeliihe Handbüchlein bis⸗
Uen zur Leſeübung in den Schulen gebraucht werben follte.
Eine Verordnung welche im Jahre 1786 publigirt wurde,
te den Zwei, eine zeitige Verbreitung der gefeglichen Schul-
Ber in den Schulen des Landes zu bewirken. Durch dieſelbe
"de nemlicy verfügt, daß die erforderlichen Schulbücher mit Dem
— 248 —
erſten September eines jeden Jahres von den Buchbindern an !
Oberconfiftorinm abgeliefert und von demſelben an die Ephor
befördert, die Verzeichniffe der erforderlichen Schulbücher aber ı
Sommer -Bifitationsberichten in den Monaten Zuli und Aug
eingejchidt werden jollten. Jedoch durften die Buchbinder |
nefeßte Taxe, welche anfängli” 1 Gar. von einem Leſebuche u
6 Pig. von einem Syllabirbuche betrug, feit 1761 aber auf rej
15 Pig. und 8 Pfg. erhöht wurde, nicht überfchreiten. T
Buchbinder in Waltershaufen und Ohrdruf hatten die Erlaubni
die benötigten Schulbücher für die Waltershäufer und Ohrdrul
Didcefe zu binden. Zur Anfertigung der bölzernen Tafeln au &
Schulbüchern wurde, vermöge der an das Forftamt auf Tennebe
erlaßenen Herzogl. Kammerverordnung von 21. Juli 1761,
jebem Jahre eine Buche oder fo viel Werkholz als erforderl
war an die Buchbinder abgegeben.
Außer dem Unterridht in der Religion, im Rechnen, Schr
ben und der Muſik mufte früberbin das im Schul-Methodus vore
fchriebene Buch: „Kurzer Unterriht 1) von natürlichen Ding «
2) von etlihen Wißenfchaften, 3) von geiftlichen und weltlidg
Tandesjachen, 4) von etlihen nützlichen Hausregeln“ (von 165
nebft einigen anderen Anleitungen fehr fleißig in den Schulen
trieben, und zur Erklärung befjelben ein Lineal, ein Zirkel, ei
Bleiwage, ein Paar Stridrollen u. ſ. w. allenthalben angeſcha
werden. Späterhin trat indeffen an Die Stelle defjelben das vı
dem Profefjor Voigt zu Jena i. J. 1782 abgefafte Lehrbus
„Erſter Unterricht vom Menſchen und den vornehmften auf il
ſich beziehenden Dingen.” Auch wurde für die Schule jed
Drts ein Exemplar des von demjelben Berfaßer herausgegeben:
größeren Werkes: „Grundkenntniſſe vom Menſchen,“ aus Kirde
mitteln angelchafft.
Die Entlaßung der oberen Schüler aus den Schulen betre
fend, wurde die im Schulmethodus Gap. 1$.11 darauf bezüglid
Stelle mittelft Gircularrefcript vom 13. Mai 1784 dahin erläuter
daß diefe Entlaßung nur im Außerften Notfall und vorzüglid a
GErndtezeit, keineswegs aber allen Superioren ohne Ausnahme g
ftattet fein ſollte, auch lediglich nur Diejenigen Kinder, deren Elter
— 249 —
fh nah einen von dem Schultheiß des Orts auszuftellenden
Zeugniſſe in fehr dürftigen Umftänden befänden, von Befuchung
der Scyule zur Sommergzeit und zwar in den Maße, daß fie
ihre Lection wöchentlih einmal bei dem Schuldiener anfzufagen
verbunden ſeien, Dispenfirt werden fönnten. Die eigentliche
Entlagung aus der Schule, d. h. Die Entlaßung derjenigen Kin-
der, welche zum erften Mal dad Abentmal genoßen, fand regel:
mäßig nad) gehaltenem Examen bei der Sommervifitation ftatt.
Die Anftelung der Schulmeifter betreffend, war die früber
üblih gewefene Unfitte, daß diefelben jährlich bei der Gemeinde
um ihren Dienft aufs Neue werben oder nachfuchen muften, und
dann durch Leihfauf von einigen Grofchen oder einem Batzen von
‚derfelben aufs Neue dazu verpflichtet wurden, ſchon von H. Ernft
dem Frommen (1646) abgejchafft worden, dagegen wurde fpäter-
bin (i. 3. 1659) die Einrichtung getroffen, daß die Schuldiener
nach gefchehener Beftellung von jede8 Orts Superintendenten,
Oder wenn drei oder mehrere Schuldiener an einem Orte vorhan-
den waren, die beiden unterften von dem Superintendenten , die
oberften aber jedesmal von dem Gonfiftorinm definitiv confirmiret
werten follten.
An ihrer Amtsführung lag den Schulmeiftern ob, die Schul:
finder ſowol in als außer den gewöhnlichen Schulftunden zur
defolgung der in ber 1654 gedrndten und 1720 ernenerten Anz
leitung erteilten Vorfchriften oder Schulgefeße anzuhalten, ſich auch
ihres Orts nach den i. J. 1651 vorgejchriebenen Punkten zu
tichten, das Rechnen und Schreiben nad) Anmweifung des Schul:
Methodus und Ausjchreibend vom 23. Sept. 1651 fleißig zu trei-
ben und zwar Erſteres nach der eingeführten (i. J. 1646 ge:
drucdten) Arithmetik, oder wofern ſie ſelbſt noch nicht genug darin
gelabt wären, ſich entweder durch eigenen Fleiß oder durch Anwei—
ſung bei den Pfarrern oder auch bei andern benachbarten Schul-
meiftern nachzuhelfen, nicht minder die Knaben zur Muſik anzu:
führen, des Neujahrsfingens aber außer ihren Dörfern ſich zu
en chalten (Verordnung vom 28. Dezbr. 1665), übrigens aber
all enthalben nad) den wegen der Schulverfäumniffe und wegen
verrichtung des Geläuted ergangenen Verordnungen ſich ſtrecklich
— 250 —
zu richten, nidyt ohne Erlaubnis des Pfarrers zwei Stunden weit
außer der Flur ihres Orts zu verreifen, und in feinem Stüd die
den Pfarrern fchuldige Ehrerbietung aus den Augen zu feßen.
In Betreff der bei dem Ableben der Schullehrer hinterblies
benen Wittwen und unverforgten Kinder beftand bie Einrichtung,
daß diefelben außer der Gnadenzeit noch aus dem vom Herz
Ernft dem Frommen i. J. 1662 mit großer Tiberalität geftiftet „
Schulmwittmen-Fiscus auf ihre Lebenszeit einige Unterftügung erbfez
ten. Die Leges Fisci hatte Herzog Friedrich IL. zum Drud bringen
und Herzog Friedrich) II. 1750 unter dem Titel: „Revidirte Leges
und fernerweitige Einrichtung des Schulwittwen - Fisci“ nochmals
publiciren Iaßen. Diefer Fiscus wurde von ber Inſpection dei
Pfarrfiscus mit verwaltet.
Die Beanffihtigung der Schulen wurde teild von dem Land
Schulen» Sinfpector (dem die Aufficht über fämmtliche Schulen bed
ganzen Landes übertragen war), teild von den Unterconfifterien,
geiftlichen Untergerichten, Superintendenten, Adjuncten und von dm
DOrtöpfarrern ausgeübt. Die lekteren waren insbefondre (nad
Ausfchreiben vom 28. Auguft 1647 und vom 26. September 1656)
verpflichtet, Darauf zu fehen, daß die zum Beten der Echulen ge
troffenen Einrichtungen erhalten, die Schulen zu rechter Zeit von
den Kindern befucht, diefe aber von ihren Eltern fleißig dazu am
gehalten und nicht eher, als bis fie in den Hauptftüden der ri
lichen Religion und im Lefen und Schreiben hinlänglich unterriätt
worden waren, daraus genommen wurden. Kür den Kal, ba
Eltern hierin ihre Schuldigfeit verfäumten, ja wol gar ihre Kind
mit Fleiß vom Beſuche der Schule abhielten, und die von den
Pfarrern ihnen deshalb gegebenen VBermahnungen fruchtlos blieben,
jollten die Pfarrer darüber dem geiftlichen Untergerichte, rejp. bem
Unter= Gonfiftorium und nad) Befinden dem Herzogl. Gonfiftorium
jelbft Bericht erftatten. — Diejenigen Kinder aber, melde von
Privatlehrern unterrichtet wurden, waren ebenfall® verpflichtet, bei
den jährlichen Bifitationen fich einer Prüfung mit zu unterwerfen. —
Die Erndteferien durften niemals länger ald 6 Wochen bauer
und daher nicht eher, als bis die Erndte nach Beſchaffenheit amd
Rage eines jeden Orts in vollen Gang fam, angehen. — pi
— 2351 —
Superintendenten und Adjuncten aber waren gehalten, jährlih ein
von den Pfarrern ihrer Inſpection zu verfertigendbes Verzeichnis
über die Tage und Stunden, an welchen während der Erndteferien
an jedem Ort Schule gehalten wurde, dem Oberconfiftorium ein-
aureihen, damit fi) der Landfchulen= nfpector bei feinen Schul-
Beſuchen darnach richten Eonnte.
Die Einführung eined Induſtrieunterrichtes war zunächft mit
den Mädchen verfucht worden, indem man diefelben bier und da
mit Striden, Seidezupfen und andern weiblichen Arbeiten beichäf-
tigte. Seit dem Jahre 1787 ſuchte man dieſe Einrichtung allge-
meiner einzuführen.
Den unteren Stadtſchulen und überhaupt dem eigentlichen
Volksſchulweſen zu Gotha wendete Herzog Ernft IL namentlidy
ſeit 1784 feine Aufmerkfamfeit zu. Unter jenen verftand man
1) die 4 unteren Klaſſen des (im Auguftinerflofter befindlichen)
Gymnafiums, und 2) die obere und untere Töchterfchule. Diefe
Säulen muften zufolge eines in Betreff der Stabtfchulen, der
Garniſonsſchule und der Schule vor dem Erfurter Thore publi-
zirten Regulativd von allen in der Stabt und vor den Thoren
wohnenden Kindern des Eivilftandes, fowie nach Vorfchrift einer
Verfügung vom 9. Februar 1785 von den Kindern aller bei ber
herzogl. Leibgarde dienenden Väter befucht werben. Indeſſen ſollte
diefe letztere Verfügung auf diejenigen Kinder, deren Eltern vor
dem Erfurter Thore wohnten, ſowie auf Diefenigen Soldatenfinder,
ne die Garniſonsſchule befuchen muften, feine Anwendung er:
en.
Sin der 4. Klaſſe des Gymnafiumd wurben wöchentlich 30
Unterrichtsftunden erteilt, in denen man folgende Gegenftänbe be-
handelte: Chriſtliche Religionslehre 6 St., Geſchichte 2 St., Geo⸗
Happie 1 St., Naturgefchichte 1 St., die Grundbegriffe ber Meß⸗
ſt, Mechanik, Phyſik und Oekonomie 2 St., Rechnen 2 St.,
Hreiben 8 St., Singen nad der Scala 1 St., deutſch und
— 252 —
Iateinifch Iefen 2 St., lateiniſch decliniren und conjugiren IS /.
Iateinifhe Grammatif 4 St., fonftige Uebungen im Latein 2 &
griechifch Iefen und decliniren 1 St.
Sn der 5. Klaſſe wurden die Knaben im Katechismus, m
Lefen, im Auffchlagen biblifcher Stellen, im Singen der Gen: PT
buch8lieder fowie im Rechnen und Schreiben unterrichtet. I-
Die Lectionen der 6. Klaffe waren: Leſen, Katechismus Ir
thers, biblifche Geſchichte, Erdbeſchreibung und Hebung im „Kuren J
Begriff.“
In der 7. Klaſſe wurden wöchentlich gelehrt: 8 Stuntn J
Buchftabenfenntnis, Syllabiren, Leſen, 2 St. Buchftabiren vorge
fagter Wörter, 2 St. Kopfrechnen, Numeriren und Addiren an
der Tafel, 2 St. Schreiben, Grundftriche und Buchftaben, 6 Et.
Herfagung und Erklärung der vorgefchriebenen Stüde des Leer f
buchs, 2 St. Erklärung angefchriebener Wörter, 2 St. Unterridt
in den vorzüglichften Dingen der Naturgefchichte und Geographie,
2 St. Grzälung moraliicher Gefchichtcyen und Unterredung barübe. #
| In der obern QTöchterfchule waren die Lectionen dieſelben J
wie in der 5. Klaſſe.
In der untern Töchterfchule wurde gelehrt: 6 St. Buch
ftabenfenntnig und Syllabiren, 6 St. Leſen mit deutfchen mn
lateinifhen Lettern, 4 St. die vorgefchriebene Lection zu erklären, —i
anzufagen und abzufragen, 2 St. angefchriebene Wörter zu erfl& }:
ren, 2 St. Buchftabiren vorgefagter Wörter, 2 St. Schreiben,
2 St. Zalenkenntnis, Rechnen an der Tafel und aus dem Kopf, |
2 St. Erzälung moralifcher Gefchicktchen und Erklärung darüben
Auch das Privatfchulmefen in Gotha wurde i. %. 1784 dıml ix
ein „Reglement in Anfehung der Privat- oder fog. Winkeljhula
der Stadt Gotha (10. Mai 1784)" zum erſten Male gereadlt‘)
Es beftanden nemlich damald in Gotha elf fogen. Winfeljhule
weldye unter gar feiner Aufſicht ftanden und großenteild ve
unberufenen, unfähigen Menſchen geleitet wurden. Die unkm
Lehrer des Gymnafiums führten daher Befchwerde, daß ide
*) Das zunächſt Folgende ift nach der Biographie Ernft II. von Dr. Re
S. 186 u. ff. mitgeteilt. | |
— 263 — -
durch diefe Winfelfehulen viele Schüler, fowie ein Teil ihrer Ein-
fünfte entzogen würden, und baten, gegen die Winkelſchulen einzus
Ichreiten. Daher erließ der Herzog unter dem 10. Mai 1784 ein
befonderes Reglement, nach weldem in Zukunft nur 6 wirflid
examinirte Predigtamts- Kandidaten als Privatijchullehrer in der
Stadt geduldet werden follten. Keine dieſer Winkelſchnlen follte
mehr ald 30 Kinder aufnehmen dürfen und die Aufficht über Die-
ſelben follte der jedesmalige Generalfuperintendent führen.
Als eine weſentliche Verbeßerung der untern Stadtfchulen
founte die am 20. April 1792 anbefohlene Bejegung der Lehrer:
Hellen au den untern Knabenſchulen, jobald fie zur Erledigung
famen, mit 2 Kandidaten des Prebigtamtd gegen die damit vers
bundenen Bejoldungsftüde zu gleichen Teilen angejehen werden.
Vorher war nemlidy nur ein Lehrer gewefen, der den ganzen Tag
allein unterrichtete.
Der Kandidat und nachmalige Pfarrer, Georg Heinrich
Kirften, hatte am 1. Juli 1791 ein Erziehungsinftitut für Kinder,
die zur Aufnahme in das Gymnaſium noch zu jung waren, ge
gründet und fich in dieſer Abjicht mit noch ſechs anderen Lehrern
verbunden. Die Anftalt hatte den Zwed, nicht blos Unterricht zu
erteilen, ſondern fie gewährte aud) einen Vorteil, den Die öffent
liche Stadtſchule nie gewähren fann, nemlid) den, daß die Kinder
den ganzen Tag unter einer beftändigen Aufſicht, jelbft bei ihren
Erholungen und Spielen, erhalten wurden. Die Idee fand bei
dem Publicum großen Anklang, und gar bald wufte fich Diefe
Privatanftalt einen ſolchen Ruf zu verfchaffen, daß ihr eine große
Anzal Kinder anvertraut wurde. Kirſten bat um Begünftigung
lines Unternehmens (1791), und ber Herzog ſagte ihm nicht
alein diefelbe zu, ſondern unterftügte es auch durch eine Verwil-
gung von 8 Klaftern Holz und 150 Thlr. Geld alljährlid. Zu:
Bleich jollte der jedesmalige Generalfuperintendent bei den allge:
meinen jährlichen Bifitationen des Gymnaſiums und der übrigen
Stadhſchulen auch diefe Auſtalt beſuchen und über fie die Aufficht
führen, Indeßen fo viel nun auch durch Herzog Eruft zur Hebung
des Volksunterrichtes geſchah, ſo traten an den Schulen doch noch
NET neue Mängel hervor, deren Abſtellung notwendig war. Bei
— 254 —
den angeftellten Sjufpectionen der Schulen ergab es ſich nem
daß die Kinder der ärmeren Klafjen die Schulen entweder
nicht, ober doch nur unregelmäßig bejuchten. Wurden auf
mahnungen und Strafen bei den Kindern angewandt, fo wo
dDiefelben doch gewöhnlich erfolglos, und härtere Beſtrafung
Eltern, etwa mit Gelbbußen, war wegen bitlterer Armut
Meiften faum anwendbar und hatte nicht felten für ben Lech
ber feiner Pflicht durch Anzeige der Schulverfäumnifie nachgek
men war, die unangenehmften Folgen. Sa ‘in den meiften 4
würde die Anwendung von Strafen ald die rüdfichtölofefte Hı
erſchienen fein, weil die Eltern nachwielen, daß ihre Kinder ih
zum Erwerbe ihres Unterhalted wirklich unentbehrlich waren.
Um daher das Intereſſe hülfsbebürftiger Eltern mit bem
Schule möglihft in Einklang zu bringen, brachte der Gene
. fuperintendent Löffler am 16. October 1798 in einer Sigung
berzoglichen Armencommifflon die Errichtung einer Arbeits- und |
werbsſchule in Vorſchlag, in welcher die armen Kinder nicht nur
entgeltlich unterrichtet, fondern auch nach Erledigung des Unterri
zu Arbeiten angeführt wurden, deren Ertrag den Kindern und de
Eltern zu Gute Täme. Bei einer folchen Einrichtung falle n
nur der gewöhnliche und wichtigfte Grund der Schulverjäumm
daß nemlich die Kinder etwas zu Haufe verdienen müften, hinn
fondern e8 würde auch dem müßigen Umherlaufen, ber Bett
und dem Stehlen der Kinder nach den Schulftunden am ficher
vorgebeugt, indem ſie alsdann den ganzen Tag unter Aufl
fänden und zu einer regelmäßigen Arbeitfamfeit angehalten würt
Die herzogliche Armencommiffion exrflärte ſich jogleich bereit, Al
was die Kräfte der Almofencafje nur irgend erlauben würden,
Vergnügen beitragen zu wollen, um eine jo gemeinnüßige Sc
ausführen zu helfen. Vom Oberconfiftorium beauftragt, die €
werfung eines Planes zu einer Arbeitsſchule zu fertigen, überrei
Löffler einen folhen am 12. Februar 1799 zur Prüfung und ı
teren Entſchließung. Nach gehöriger Beratung warb berjelbe v
Herzoge, wie Dies von feiner landespäterlichen Befinnung ni
anderd zu erwarten war, mit großem Wolgefallen aufgene
men und am 25. April 1800 durchgehends genehmigt. Dal
— 255 —
ib der Herzog der Schule den Namen einer Freiſchule und er⸗
‚Arte zugleich feine Bereitwilligfeit, Diejenigen Koften, welche ſowol
ur erften Einrichtung ald auch zur ferneren dauerhaften Erhaltung
iner fo nützlichen Anftalt nötig waren, infoweit die Kräfte Der
Umojenkaffe nicht ausreichen würden, felbft beftreiten zu wollen,
5 verwilligte auch fogleih für jeden der beiden anzuftellenden
tehrer ein jährliches Deputat von A Klaftern Holz, 3 Maltern
torn und 3 Maltern Gerfte, und um fowol die nad) dem Plane
uf 58 Thlr. jährlich ausgeworfene baare Beſoldung eines jeden
ver beiden anzuftellenden Lehrer, ald auch Die für die erfte Eins
ihtung des Inſtituts nötigen Koften beftreiten zu können, ließ er
tejenigen 400 Thlr., welche der Commiſſionsrath Gttinger für bie
Frlaubnid zu Haltung zweier Bücherlotterien zu zalen hatte, abs
eben. Sodann beflimmte er der Anftalt ald fortbauernde Ein-
thme die Ueberſchüße von Den Gonceffionsgeldern der Klafjenlot-
erien, welche Damals 160 Thlr. 16 Sgr. betrugen, in ber Folge
ber bedeutend fliegen. Es follten diefelben zur Anfammlung eines
Sapitaled dienen, wovon in der Folge die Koften beftritten werben
Önnten. Später bei der Vermählung des Erbprinzen Auguft
henkte der Herzog Ernſt zu einer befondern milden Kaffe für die
reifchule 500 Thle. Nach fo bereitwillig dargebotenen Unter-
ügungen wurbe bie Freifchule am 20. Mai 1800 in dem vom
tadtrate dazu bergegebenen Werkhaufe am Neunarkte (wo zus
eich auch der erfte Lehrer eine freie Wohnung erhalten follte)
tex ihrem erften Lehrer, dem Candidaten und nachmaligen Pfar-
zu Tüttleben, Ortlieb, mit 16 Kindern eröffnet,
Für den Schulunterricht und für Die Arbeiten der Kinder
Ten zwei gejonderte Säle angewiejen. Sjm Sommer vom 1. April
zum legten September verfammelten fich Die Kinder Morgens
7, im Winter um 8 Uhr und blieben bis 11 Uhr zufammen.
chmittags dauerte die Schule von 1 bis 6 Uhr. Alle Schul-
Der waren in 2 Klaffen geteilt, von denen. die eine in dem
Beitöfanle arbeitete, während die andere im Lehrſaale Unterricht
tel, Die Unterrichtögegenftände waren wie in allen Volks⸗
iz len Glaubens und Sittenlehre, Lefen, Schreiben, Rechnen, ein
ırig Geographie, Beſchreibung des menfchlichen Körperd und
— 26 —
andere gemeinnüßliche Dinge. Sonntage um 11 Uhr verjammel;
ten fich die Kinder zu einer Erbauungsftunde. Zur Erteilung deg
Unterricht waren zwei Lehrer angeftellt, ein Oberlehrer und e—
Unterlehrer. Der Gritere, der in dem Schulhauje feine Wohnu —
batte, erteilte den Hauptunterricht und beauflichtigte dag garr,
Inftitut, der Zweite erteilte den Glementarunterriht im Leer,
Schreiben und Rechnen. In dem Arbeitsfaale war ein Werfnieifzer
angeftellt, der die Kinder zu ihren Arbeiten anwies, ihnen das
nötige Material reichte, die gefertigten Arbeiten annahm und ben
Arbeitslohn auszalte. Die Menge der Schüler machte ſehr bald
die Anftellung eined zweiten Werkmeiſters nötig. Die Arbeiten,
mit denen die Kinder befchäftigt wurden, waren hauptfächlid Spin
nen von Flachs, Wolle, Baumwolle, Ziegenhaaren, rein oder mit
Wolle gemifſcht, Striden von Strümpfen und GStiefeln, Flechten
von Haarjchuhen und Bandmacen. Es fam vor, daß fich arkeit-
fame Kinder wöchentlich 12 — 16 Ggr. verdienten. Die Zal der
in diefe Schule aufzunehmenden Kinder war Anfangs auf era
60 berechnet, aber ſchon im Jahr 1802 umfafte die Schule fat
100 Schüler. Der Eintritt in die Anftalt war übrigens nicht je
dem Kinde gejtattet. Ohne Weitered wurden nur Diejenigen Kir
der aufgenommen, weldye ihrer befannten Armut halber aus ber
Almoſenkaſſe Unterftügung erhielten, außerdem alle diejenigen,
deren Armut für die Vorfteher der Armut motorische Thatſache
war. Jusbeſondere jollten alle diejenigen Kinder dieſer Schule
zugewiefen werben, weldye unter dem gegründeten oder angebliden
Grunde der Armut die öffentlidhen Schulen verfäumten und von
der Polizei auf den Straßen beim Betteln betroffen wurden.
Außerdem durften ſich auch andere Kinder, welche ſich Durch einen
vorgezeigten Schein über ihren regelmäßigen Beſuch einer der dr
fentlihyen Schulen auszumeifen vermochten, nah Endigung ihrer
Schulſtunden in der Anftalt einfinden, um an den Arbeiten in der
jelben Teil zu nehmen. Die Aufficht über die ganze Anftalt führtt
eine bejondere Deputation des Dberconfiftoriums und der Almo⸗
fencommifjion, zu denen jpäterhin noch ein Stadtgeiftlider md
einige Glieder des Stadtrated und der Bürgerſchaft hinzukamen.
———— — — — NEN
Ibn
a a DE Van ;
— 257 —
Für den Unterriht der Soldatenfinder beftand ſchon ſeit
längerer Beit in Gotha eine bejondre Garnifonsschule. Bis zum
Sabre 1715 wurde Diefelbe in den Barafen in einer Dazu einge⸗
rigteten Stube gehalten. Erft in diefem Jahre (1715) wurde
für die Garnifonsfchule ein bejonderes auf dem Walle zwifchen
dem Brühler- und Erfurter Thore gelegened Gebäude hergegeben.
Im Jahre 1721 wurde die Schule, als ſich die Zahl der Knaben
auf 61, Die der Mädchen auf 62 erhöht hatte, in zwei Schulen
abgeteilt. Gegen dad Ende des 18. Jahrhunderts umfaften dieſe
beiden Schulen 4 Klaffen. |
Sin der erften und zweiten Klaffe, welche, ſowie die andere
Säule von Knaben und Mädchen befucht wurden, unterrichtete
der Hofcantor,, in der dritten und vierten Klaffe der Garnifons-
cantor, und zwar im Sommer Vormittags von 7 bi8 9 Uhr, im
Winter von 8 bis 10 Uhr, und Nachmittags zu allen Jahreszeiten
bon 12 bis 2 Uhr. In der Erndtezeit wurde 6 Wochen hindurch
nur jeden Montag Vormittag Schule gehalten. Das jährliche
Examen hielt im Frühjahr der Superintendent in Gegenwart eines
Mitgliedes des Kriegscolegiums, eines Stabsoffiziers und bes
Garniſonspredigers, welcher Letztere mit der fpeciellen Beauffichti-
gung der Schule beauftragt war. Nach Beendigung des Examens
erhielt jedes Schulfind (vermöge landesherrlichen Reſcripts vom
25. September 1725) aus der Kriegskaſſe einen Grofchen, jeder
Lehrer zwei Thaler und der Garniſonsprediger ſechs Thaler. Auch
wurden den Schulkindern aus der Krigskaſſe ABC- und Leſebücher,
neue Teftamente, Tinte und Papier angejchafft.
Für die Vorftadt vor dem Erfurter Thor beftand feit 1734
eine Sculanftalt, welche von allen Kindern, deren Eltern in dieſer
Vorſtadt wohnten und nicht zur Garniſonsgemeinde gehörten, beſucht
werden mufte. — In ben übrigen Städten und größeren Fleden
des Landes hatten von Alters her lateiniſche Schulanſtalten be:
ſtanden, die indeſſen fpäterhin faſt ſämmtlich in einfache Buͤrger⸗
chulen umgewandelt worden waren. In der Stadt Waltershauſen
war dieſes im Jahre 1784 geſchehen. Früherhin hatte man hier
Latein und Griechiſch gelehrt; ſeit 1784 wurde nur in ber
Religten, im Lefen, Rechnen und Schreiben, in Geographie, Ge
Depp Vollsſchulweſen, 2. a |
— 258 —
fhichte, Naturlehre und in ten Anfangsgründen der Geomet
Arithmetik und Technologie Unterricht erteilt. Eine ähnliche U
geftaltung war i. 5. 1785 mit der Schule zu Themar vorgen
men: Der Unterricht in der griechiſchen Sprache war ganz befek7j,
und der in der lateinischen Sprache war von 8 Stunden auf 4
Stunden reducirt worden, in melden weiter Nichts als lateiniſq
Lefen und Schreiben, Decliniren und Gonjugiren gelehrt werden
durfte. Diejenigen Schüler, weldye den lateinifchen Unterricht nit
bejuchen wollten, wurden in den betreffenden Stunden mit Schreib
übungen bejchäftigt. Die übrigen A Stunden, weldye früher für
den lateinifchen Unterricht beſtimmt waren, wurden jeßt zur Uebung
der Schüler im Anfertigen von Aufjäßen und Briefen, fowie zum
Geſchichtsunterricht verwendet.
In den meilten größeren Ortichaften waren die Schulen
ähnlich eingerichtet, wie 3. B. zu Tonna. Diefelbe wird in fol:
gender Weiſe beichrieben: „In den Schulen arbeiten 4 Lehrer.
Der Diaconus unterrichtet als Rector scholae in 8 Stunden
wöchentlich die 3. und 4. Klaſſe der Knaben. Die Lectionen fnb: |
Katechetiiche Erklaͤrung der für alle 4 Klafjen vorgefchriebenen |
Monatslection, Daß fie mit jedem Monat geendigt wird, biblide
und Religionsgeſchichte, Aufjagen und Aufichlagen der Bibel, Leſen
auserleſener Stellen der Bibel mit curjorifcher Erklärung derſelben,
Lejen und Grflären des Evangelii oder der Epiftel, ein Jahr umt
das audere jedes, lateiniſch Leſen, technijche Wörter, welde wo
möglich in Hinficht auf Die an dem Tage eben vorkfommenden Ras
terien von der Erdbeſchreibung, der bürgerlichen und Religionsge⸗
ſchichte, aus dem Voigtiſchen Lehrbuche, dem Kalender oder best
Landesgefegen gewählt, an die Tafel gefchrieben und von dess
Kindern in ein bejonderes Büchlein eingetragen werben mühts,
das für tie Kinder Jutereſſanteſte aus der natürlichen und polit>
Ihen Erdbejchreibung eines Landes, in Verbindung mit der jepigens®
Geſchichte defjelben und den Nötigiten aus der vergangenen Zi8-
Das Vaterland wird umftändlicher behandelt; Gorrectur der voTt
ben- Katechumenen zu Haufe verfertigten Aufjäße; Grflärung te?
Voigtiſchen Lehrbuchs und der Meßkunft, des Kalenders, oder inet
Landesgeſetzes, beſonders eines eben erjchienenen oder eines VON
4
i
\
— 289 —
ältern vorzüglich intereflauteften Geſetzen. Der Cantor unter:
fet eben dieſe Klafje in den übrigen im Schul: Methodo und
onderd in der neuen Anweilung für. die Schuldiener vom
‚, September 1788 vorgejchriebenen Punkten, und nad ſolchen
den Rector und Gantor entworfenen Schultabelle; ber Kirch⸗
t die erfte Klaſſe der Mägdlein und der Organift bie zweite
d dritte Klaſſe der Knaben und Mägplein.” — „In den ältern
iten verſah eine Weibsperſon, und zwar des Organiften Ehefrau
: Mägdlein- Schule. Nachdem aber diefed zu manchen Unbes
emlichfeiten Gelegenheit gab, jo wurbe dieſes Geſchaͤft zuvoͤrderſt
jer ledigen Mannsperſon im Orte Namens Nicol Schäfern an-
ttraut, bis endlich dieſe Juformation von einem beftellten Mägd⸗
nihuldiener wieder verjehen werden konnte“ *).
. mm LAT NT
Die neue Periode des Gothaiſchen Volksſchulweſens, weldye
t ber Gründung des Schullehrerfeminard begann, war zunächft
demjenigen Wanne repräfentirt, der als der eigentliche Schöpfer
' Seminard anzufehn ift, nemlich in dem Landichuleninfpector
bann GErnſt Chriſtian Haun, der fi) des Gegenſatzes feiner
faßung der Volksſchule zu der in dem Schulmethobus Ernſts
zgeſprochenen Beilimmung der Schule fo vollfommen bemwuft
r, Daß fich derſelbe veranlaft ſah, an der Stelle des alten einen
en, von ihm auögearbeiteten Schulmethodus ald Grundlage
«8 neuen Schulweſens aufzuftellen. In dem Vorwort dieſes
ort näher zu charafterifirenden „neuen Methodus“ erzält Haun
BR:
aus ihm i. 3. 1779 die Einrichtung eines „Schuldienerfe
nars“ und einige Beit nachher das infpectorat über alle Go—
niſchen Landſchulen übertragen wurde, fuchte er fi) vor Allem
Frage zu beantworten, „was für allgemeine Kenntniſſe
d)Geſchicklichkeiten find einem Bürger des Staats
möten; wie weit müßen und Eönnen fie demjelben in öffentlichen
— —
) Gelbke, Kirchen und Schulverfaßuug, Zeil U. Bd. 2. ©. 442
17°
— 260 —
Schulen beigebracht und vorbereitet werden; was möchten wol dE
Wege fein, auf welchen ſolches am eheſten, leichteſten und bez
bewirkt werden Fönnte?” Haun mufte hierbei fein Hauptaugenmeurf
zuuachſt auf den Echulmethodus Ernſts des Frommen richten, der
nody immer gefegliche Geltung hatte. Während Daher Haun ferne
jährlichen Schulvifitationen anzuftellen beganu, machte fih dere
zugleich mit dem alten Schulmethodus (den man längft nicht meh x
berüdfichtigt und gelefen batte,) befannt, wobei fih Haun über-
zeugte, daß der Schulmethodus „nie ganz zur Ausführung gebradpt
und noch weniger nach feiner Tendenz fortgeführt worden, da ®
gar mandes darin Enthaltene niht mehr zudem
neueren Ginfidhten paſſe, — fur, daß in Öemäßpher t
ber Umftände nichts ſchicklicheres und beilfameres zu thun wire,
als nah dem Beifte derfelben ihn auf Deu neuere m
Wegen zu entwideln, und ohne Geräufh und noch werget
mit gänzlicher Ummälzung der vorhandenen Ordnung ihn feineum
Biele entgegen zu führen.“
Die Landesregierung genehmigte aldbald die Reformen, weldiipt
Haun infolge deflen beantragte, weshalb letzterer bis zum Ablau Ft
des Jahrhunderts eine große Anzal von Schulen nad feinen ef
über Schuleinrichtung und Lehrmethode umgeftalten konnte. Nach⸗
dem fomit die Schulreform Hinlänglich gefichert war, entwarf
Haun eine ausführlihe Beſchreibung und Begründung berjelbert,
welche er unter dem Titel veröffentlichte:
„Allgemeiner Schul-Methodus ober praktiſhe
Anweifung für Aufſeher und Lehrer niederer Schulen je
der Art, wie au für Privatlehrer zur leichteren und
nüglicheren Führung ihres Amtes nad) den mancherlei
Verrichtungen defjelben in Verbindung mit genau darſtel⸗
enden Tabellen entworfen von Johann Ernſt Chriftiast
Haun, Landſchulen-Inſpector, erfter Lehrer des Schul⸗
meifterjeminars, wie auch GtiftSprebiger zu Gotha. —
— Erfurt 1801.” (340 SS. in 8°.)
Ueber den Inhalt feiner Schrift fagt Haun im Vorwort: „Die
Beichreibung der Methoden, nach welchen die hiefigen Säulen
— 261 —
groͤſtenteils unterrichtet werben, macht den Anhalt dieſes
dus aus, den ich hierdurch öffentlich bekannt mache.”
In welchem Sinne und Geifte die neue Schuleinrichtung
ührt war, erhellt fchon aus dem, was er in dem neuen Me
über die nötige Dualification des Schullehrers vorfchreibt.
rd nemlih (S. 13) gefordert, „daß ſolcher einen gefitteten
ommen Wandel führe, einen guten Verftand, Gegenwart
eiftes, einen fanften aber dabei thätigen und gejeßten Cha⸗
und was das Vorzüglichfte ift, Die Lehr: und Katechi—
be befiße; daß er eine genaue Bekanntſchaft mit dem ein-
en Schul: Methodo, gehörige Einficht in die Neligion und
ih in die Sittenlehre babe; daß er Gedrucktes und Ge
ned gut und richtig leſen, wo nicht fchön, doch leſerlich
n, fertig aus dem Kopf und auf Dem Papier rechnen könne,
was von der Meßkunſt, und wo ed nötig if, Mufit
e, und die in feinem Amte und in feinen Verhältniffen vor⸗
ıden Auffäge verfertigen Eönne; daß er einige Wißenjchaft
r Erd: und Sternfunde, von Handwerfen, Künften, dem
|, ber Naturlehre, der Natur», BVölfer: und Religiondge-
babe und vorzüglich theoretiſche und praftifche Keuntniffe
m Feld-, Hopfen: und Gartenbau, der Seidenwürmer- und
pflege, der Viehzucht u. dgl. befige.” Dagegen follte ber
ehrer „mit einer hinreichenden Befoldung verfehn und von
erniedrigenden Gejchäft, 3. B. dem Glodenläuten, dem Eins
‚ einzelner Befoldungsftüde, dem Hochzeitbitten“ u. dergl.
fein. — Gigentümlih waren die Mittel, welche zur Er⸗
; der LXehrerbejoldungen empfohlen waren, nemlich „Hopfenz,
: and Honigbau, Baum- und Gemüfezudht ſammt dem
eihbandel, die Behandlung einiger Weder nach Gartenart,
iner Handel, bejonderd mit Schreibmaterialien, auch mit
wiemen zum Scärfen der Feder- und Rafiermeßer, und dem
en biefer ſelbſt; Bücherbinden oder Heften, Papparbeiten,
‚piren von Noten und anderen Schriften, Verfertigung von
efen, Unterricht in der Mufif u. dergl.” Auch war es als
iglich empfohlen, „wenn an einem Orte mehrere Handwerker
olche Perſonen ſich befänden, weldye einmal einen Kleinen
— 262 —
Handel treiben, die Jagd, die Gaͤrtnerei u. ſ. w. erlernen wollten,
und der Schullehrer den in der Schule erhaltnen oder auch ver:
abjäumten Unterricht im Schreiben, Rechnen, in der Technologie
u. f. w. — mit denfelben in Privatitunden fortzufeßen fi be
ſtrebte.“ Außerdem galt es aber audy (wenn dieſe Erwerbsquellen
nicht ermöglicht werben konnten,) als zuläßig, daß der Schuldienft
gradezu „einem dazu geſchickten Handwerksmann, einem Buchbin⸗
der, einem Schneider, Weber, Uhrmacher, Knopfmacher u. dergl.
anvertraut werde!”
In Uebereinftimmung mit diefer Auffaßung bes Boltsfchuls
lehreramte® wurde unter der Schulerziehung (S. 49) „pie
jenige Behandlungsart der Kinder verftanden, durch welche fie zu
guten Bejinnungen und Handlungsweifen Hingeleitet
werben,” — mit der näheren &rläuterung: „Das Gute, zu wel
hem die Schulkinder angeführt werben follen, tft Luft zur Schule,
Stille in derjelben, Fleiß und Ordnung in ihren Geſchäften, Ach
tung, Liebe und Folgfamfeit gegen den Lehrer, Liebe und Ber
träglichfeit gegen die Mitjchüler, Beobachtung der Geſetze, fon,
überhaupt jede gute Geſinnung und Handlungsart.“ i
Im Allgemeinen war für alle Landichulen folgender woche/
liche Lectionsplan aufgeſtellt:
Montag Dinstag Mittwoch
—— — — — ——— — ———
Bormittage.
1) €. IH. IV. Wiederbo-
lung einer Monatslection
2) Gu. III. IV. Sections |), ud IV. Yuffagen
aufgabe oder Uebung im], .
1. |Brieflegen und Eiegeln — uͤ a in
mit den Katecyumenen. Brieflegen und Eicgeln
während der Erlernung des it den Katechumenen u
Monatsliedes, indeflen die *
andern Kinder ihre Lection] "
lefen und lernen.
Wie Dinstage.
EL I, wen fie fon
zugegen ift, wird mitunter
im Eyllabiren aus dem
Kopfe geübt, und EL II. .
wenn fie ſchon da iſt. bereitet * A 1 mit aber,
ſich auf ihre Lection vor |. ugchlofe Sandarbeit 8
1) €. IV. Wiederholung] imten oder lefen tem ver.
ber Predigt u. Gorrechurly, GL TIL. rechnet an der dadie. |
96 IV d Tafel. 5 IM. IV. ——
=) SI. IV. rechnet am beriz) GL. IV, rechuet im Buche Rechnen aus dem opfe.
Zafel u. ſ. f.
3) Cl. III rechnet im
Buche oder auf einer
1) Cl. TV. Galender oder
1) EL III. IV. Ertl
rung und Leſen einer
Rection in der Enchelo-
TI.
nad Boridriften. nah Borfchriften.
2) CI. J. 11. Auffagen einer?) EI 1. II. Auffagen der
Monutslection. Rection,
3) €. I. oder I. Eyfla-)3) Gl. I. oder II. Sylla-
biren der an der Xafelibiren der an der Tafel
fiebenden Wörter und Er-Iftehenden Wörter u. Er-
Härung derfelben. klärung derfelben.
4) &L UL IV. trägt dielt) Ei. III. IV. trägt die
on der Tafel ertlärtenian der Tafel erklärten
BVörter in ihre Büchelchen Wörter in ihre Büchelchen
T
u Nie Dinstags.
n. ein.
3) €. I. lernt in der erften>) Cl. I. Iernt in der erften
eit einen Buchſtaben und|3eit einen Buchftaben und
fylabirt aus dem Kopfe.liyllabirt aus dem Kopfe,
in der Folge aber im Buche.lin der Folge aber ım Bude,
Freitag Sonn:
Donnerstag
wqung
Bormittags.
, 41) El. IM.
fagen der u
\ a: 2) &. I.
Wie Dinstags. Wie Dinstags. holung derð
3) Aufgabe
wu
aan — —
rer 1) EL IV. Auffagen, Auf-
unb Feligionsgeicigte m fchlagen und Lefen in derjl) El. II.
; Bibel oder im Leſebuche. des Evangel
Lefen in der Bibel oderlo, GL TIL Xefen im Refe-/Epiftel ode
n. Landcharten. buche. fangbuche.
Zedr V. rechnet an Derig, GL. II. rechnet an deri2) CL. I.
\ LCafel. tiſches Rechn
3) El. IM. rechnet im, GL IV. rechnet imſRtopfe.
Bude. Bude
1) Cl IM.
nach Vorſchr
2) €. 1. ]
der Tages-
lection.
3) Cl. I. od
biren der aı
ftehenden W
tlärung derfi
des mit ihnen
menden Lan
4) &. IM. 1
an der Xal
Wörter in
den ein.
5) EL. LI
erften Zeit.
ftaben u. folla
Ropfe, in der
im Bude.
u. Wie Dinstags. Wie Dinstags.
Montag Dinstag Nittmod
Rachmittags.
1) Cl III. IV. Leſen im Leſebuche.
2) Cl. III. fchreibt.
3) EL IV. ſchreibt. die dom 1. -
Sabre nad) Vorfchriften, Die vom2.
V. die vom 1.u. 2. Jahre Jahre nah Gedrudtem,, und
nach Borichriften. die vom die übrigen etwas auswendig Vacat.
lefen Gefcpriebenes ſowie
chumenen dergleichen co- Gelerntes, das fie fi) wechſel
bi TOR? itig corrigiren.
ch im Federſchneiden üben. Iet
N. fchreibt. 4) Cl. III. IV. Correctur.
5) &. IV. Erklärung u. Ein-
Il. IV. Correctur. tragung einiger techniſchen Wörter.
IV. falls fie in der Schule
siederholt die noch nicht
mug gelernten Lectionen,
erften Claſſe imBuchftaben-
md Syllabiren und derjl) El. I. II. Auffagen der
Claſſe im Schreiben bei. Lection.
tatechumenen verfertigen 2) Cl. IL. II. »ectioneaufgobe.
‚ der Tafel geübt.
ıffäge. 3) ©. I. lernt Buchſtaben in] Vacat.
. II. wiederholt nodhmals|Berbindung mit Zalen, buchſta
natslection. birt, ſyllabirt oder lieſt.
. 1. Lectionsaufgabe. 4) EL. II. lieſt.
.lernt Buchſtaben in Ber-
mit Balen, buchſtabirt,
oder lieft.
T. lieſt.
IV. falls fiein der Schule
viederholt die noch nicht
ug erlerntenkectionen, fteht
Slaffe imBuchftabenlernen
yiren, und der zweiten@laffe
ben bei. Die Katechumenen
m eigene Aufſätze.
. Schreiben und Eorrectur.
Zalenkenntnis, Rumeriren
afel bis in die Hunderte,
5i8 100 dor- u. rüdmwärte. mie Montage, Vacat.
n Aufſchlagen im ABC.
: Il. lernt die 4 Spezies
Kopfe, wobei befonders
11 auch rüdwärts getrieben
:4 mal 3 ift 12)u.numerirt
afel biß in die Tauſende.
Wiederholung der neu auf.
n Lection.
Donnerstag Freitag Sonnabend
uaqung
eb SSL zT Tu
Rahmittage.
1) &. IV. Die Katechu-
menen fchreiben Dictirtes,
das fie fih jelbft wechfel-
feitig corrigiren, die vom
1. Sabre nach Vorſchriften
und die vom 2. und 3.
1. Wie Montags Sabre nad) Gedrudtem. Varat.
2) El. IV. Die Katechu-
menen üben fi im Lefen
fremder Hände.
3) ©. DI. ſchreibt.
4) €. II. und IV.
ſchreibt.
I Wie Dinstags.
!
|
In. | Wie Möntapt. Wie Montags. Varat.
ol
— 267 —
Diefem Lectionsplan war alfo eine Schuleinteilung von 4
Lofien zu Grunde gelegt, wobei zugleich beftimmt war, baß ber
>ehüler die El. L vom 5.—6. Jahre, El. IL vom 6.—7. Jahre,
L[. OL vom 7.— 9. Jahre und EI. IV. vom 9.—13. Jahre be
chen ſollte. Ratürlid war jedod nur in den wenigften Schulen
rae folche Klafjeneinteilung möglich; Die meiften derſelben umfaften,
nachdem die Schule ein höheres oder niedered Biel erreichen
Ute, nur zwei, böchftend drei Claſſen. |
Die methodologifchen Vorfchriften, welche in Betreff der Ber
ındlung Der einzelnen Lehrgegenftände gegeben wurden, ließen
n den Fortjchritten der neueren Erziekungswißenfchaften noch
enig erfennen. Für den Unterricht im Leſen empfahl der neue
dethodus (S. 118 ff.) folgendes Verfahren: „S.1. Nachdem ver
Hrer einige Tage lang mit den Sincipienten über Materien, welche
sen angenehm und befannt find, ſich in Unterredungen eingelaßen
+, um fie zum Sprechen und zum BZutrauen gegen ihn zu ges
Shnen, fo macht er mit dem auflöjfenden Buchſtabiren
a8 dem Kopfe (ad Ba—n—d, Band, wo der Lehrer fi
Den einzelnen Buchitaben, und zuleßt dad ganze Wort nachſagen
R,) den Anfang, und benußt mit Dazu die eben au der Tafel
Hhenden und von der 2. Claſſe vorbuchftabirten Wörter.” —
5. 2. Mit der 2. Woche nimmt das Buchftabenlernen
inen Anfang, wo der Lehrer die Sjncipienten in einem halben
wid, in deren Mitte er jelbft ſteht, um die Tafel treten IAft,
wien das A zu verſchiednen Malen recht deutlich in einem feinen
on vorſagt, und von jedem Incipienten bis zur möglichen Voll;
unmenheit nachjagen laͤſt.“ — ,„$. 3. Nach dieſer Hebung in
ꝛx Ausſprache, wodurch der Buchſtabe in Anfehung des Gehörs
ad der Zunge den Kindern bekannt und geläufig gemacht worden,
hreibt der Lehrer das A in einer dem gebrudten ähnlichen Geftalt
IT die Augen ber Kinder mehrmald an die Tafel, und nennt und
ſchreibt zugleich bie Beftandteile, aus welchen er befteht, und
ſt ſich diefelben mit wiederholter Ausfprache des A wieder bes
reiben.“ — „$. 4. Nachdem folches genugſam geübt worden,
Bt der Lehrer den Incipienten ſolches A in dem jogenannten
2C, mo ein jeber Buchftabe bie ganze Querlinie hindurch wol
— 268 —
neun bis zehn mal abgedrudt ift, und lAft ihn beim Daraufzeig
mit einem ftumpfen Griffel, der durch ein Band oder eine Schn
an die Fibel befeftigt ift, jorgfältig nachiprechen, und in zwei a
deren Alphabeten, von welden das eine in einer größeren, d
andere in einer Fleineren Form, mit veränderter Ordnung d
Buchſtaben, abgedrudt ift, aufjuchen.” — „$. 5. Am folgend,
Tage wird das A wiederholt und die Zal 1 Hinzugefügt, um dir
BZalenfenntnis Damit zu verbinden” — Nachdem in
dieſer Weiſe alle Vocale eingeübt find, macht der Lehrer die Kin
der mit den Konfonanten befannt und übt dieſelben, zunächft dad
b mit den einzelnen Vocalen zufammenzufprechen. Auf diefe Wale
wird überhaupt das Buchftabiren und das Syllabiren geübt, wer:
auf die Hebung im Leſen mehrjilbiger Wörter folgt. „F. 27. Ar
fänglich werden die mehrfilbigen Wörter, nach buchftabirten ſaͤmm—
lihen Silben, wiederholt, als: Le, Le; fe, fe: buch, buch
Leſebuch. Nach einiger hierin erlangter Fertigkeit aber, und je
bald im Zufammenhang ftehende Wörter jyllabirt werben, fült
auch diefes nachgeholte Ausfprechen des ganzen Wortes weg, und
wird nur jede Silbe anfänglich laut, hernach aber ftill buchftahitt,
Daß auf diefe Art das fertige Syllabiren and langfamt
Lefen grenzt, und zu legterem den Uebergang macht, jo daß
endlih das Syllabiren unnötig wird." —
Auch Die Vorfchriften, welche (S. 156 ff.) in Betreff der
„Mebung der Lörperlihen Sinne, der Verftandeskräfte und dr
fittlichen Gefühle” gegeben wurden, waren bölzern und fchledt
Beßer Dagegen waren die Anweifungen zur Erteilung des Unter
richts im „Rechnen aus dem Kopf und an der Tafel“ (S. 219.)
Der Unterricht im „Zälen aus dem Kopfe“ follte in der Weit
begonnen werden, „daß der Lehrer 5 Bohnen oder andre Erst
nicht wegrollende Körper auf den Tiſch legt, und fie den Inc
pienten einigemal mit deutlicher Benennung der Zalen vorzält, —
bis die Kleinen felbft folches zu verjuchen Luft befommen und F
thun vermögen. Können fie die Bohnen zälen, fo müßen fie do
Zaälen auch an den Fingern, an den Knöpfen ihrer Kleider, a
den Fenfterjchetben u. |. w. fortfegen, und es zulegt ganz aus bei
Kopfe, ohne Hülfe äußerer Körper, mit lauter und feiter Stims
— 269 —
ben” — „Sn jeder folgenden Woche wird ein Fortſchritt von
> Balen gemacht.“ — — „Die Zalen felbft lernen die Kinder
wf folgende Art kennen: Haben fie an einem Tage das 4 erlernt,
jo ſchreibt es der Lehrer am naͤchſten Tage an einen beftimmten
Ort hin, wo er und jeder der folgenden Buchftaben bis zum Ende
des Schuljahres ungeftört ftehen bleiben kann, feßt daneben die 1,
und jagt dabei, indem er auf Die 1 weift: Sehet, lieben Kinder,
Ginen Buchftaben habt ihr nun gelernt, und zeigt ihnen bie 1
au in der Fibel, im Verzeichniſſe der Zalen und auf ber Seite
1ſelbſt. WVerfährt er damit bei allen einfachen und zujammenges
ieten Selbft- und Mitlautern, wie nicht weniger mit den großen
Anfangsbuchftaben auf gleiche Art, — fo wird das Zaͤlen an der
Tafel bis 100 fehr leicht bewirkt werden koönnen.“
Außerdem enthält der neue Methodus umftändliche Beleh⸗
tungen über den Unterricht in der Meßkunſt, in der Bibel und
Religiondgefchichte, über Beckers Not- und Hülfsbüchlein, über bie
Eandeögefege, über den Kalender, über Sonntags. und Induſtrie⸗
ſchulen, auch über den Unterricht in der lateinifchen Sprache, „ſo
weit diefelbe in gewiſſen Verbältniffen zum bürgerlichen Leben im
Etwas erforderlich iſt,“ u. ſ. w.
Aus der nächftfolgenden Zeit ift nur noch zu erwähnen, daß
die erfte Sonntagsſchule in Gotha durch den i. 3. 1805 verſtor⸗
benen Ratskaͤmmerer Dürfeld geftiftet wurde. In Ermangelung der
nötigen Aufficht war die Schule in den Jahren 1806 bis 1811 fehr
in Verfall gefommen. Indeſſen nahm fi i. 3. 1811 eine Freiin
von Frankenberg der Sonntagsſchule an, indem fie für Diefelbe
namentlich ein Kapital von 500 Thlr. Iegirte. Im J. 1821 über:
nahm der Gewerböverein die Beauflichtigung und Leitung der
Schule, wodurch dieſelbe erft zu rechtem Gedeihen kam.
Anduftriefchulen wurden in Herzogtum Gotha jehr jpät,
nemlich exft feit dem jahre 1834 zu Wölfis, Friedrichroda, Ohr⸗
druf und Ruhla eingerichtet. Der eigentliche Schöpfer derſelben
Bar der Polizeirat Eberhard zu Gotha.
— — — — — —
na ITLGUYZIUNE n 2 UURERNT KU RW
Intereſſe für das Volksſchulweſen zuerſt durch den Herz
den Frommen zu Gotha erwedt, der nachdem er die 3
in feinem eignen Lande neu begründet hatte, von 1654
Fürforge au dem Waimarifchen Lande zuzumenden beg
dem er dem. Herzog Wilhelm zu Weimar Abjchriften (
ihm in Betreff der Volksſchulen erlaßenen Verorbnungen
und ihn erjuchte, dieſelben zur Herftellung einer „Gonfo—
Kirhens und Schulfachen“ zu berüdfichtigen. Wllerbin
Herzog Wilhelm (1662), ohne daß bei feinen Xebzeiter
Volköjchule etwas gethan war. Seine vier Söhne jedod
fi) in das Land teilten, und von denen der ältefte Sohn, ©
Ernft IL, für fih und Namens der Brüder die Regierun
publizirten jchon i. %. 1664 eine Kirchenorduung , worin
richtung eines geordneten Volksſchulweſens ganz in derfelb
wie ed im Herzogtum Gotha gejchehn war, vorgezeichne
Hier wie dort wurde die kirchliche Katechifation, De
lihbe Gemeindeunterridht, den die Pfarrer in a
meinden mit Alt und Yung anzuftellen hatten, als B
Volksſchule geltend gemacht. — Es heiſt nemlich in der
ordnung in Betreff des Fleinen Katechismus Qutheri: „De
jelbige Sedermann gemein und wolbefannt werde, jollen |
rer in Dörfern alle Sonntage nady Mittag den ganzen
— 271 —
Vorgefprohen wird, heimlich nachzufprechen und zu behalten.“
Zu bemfelben Zwede follte auf allen Dörfern allfonntäglic ein
Katechismusexamen angeftellt und einen Sonntag um den andern
dollte ein ganzes oder wenigftend ein halbes Hauptftüd des Ka⸗
techismus erflärt werden. Wer eine Gemeinde oder ein Kirchfpiel
\o groß, daß der Pfarrer ohne Hülfe das Katechismusexamen
wiht mit Allen vornehmen konnte, jo waren „die Schulmeifter
oder Kirchner ihnen hierin Beiftand zu leiften ſchuldig.“ Auch
war in der Kirchenorbnung vorgejchrieben: „Damit das Gefinde
beten lernt, follen die Eltern etlihe Stunden in der Woche jelbft,
beionderd aber, wenn fie vom Eßen gehen, oder ehe fie fi
ihlafen legen, ihnen die Stüde des Katechismi vorfprechen, oder
die es in der Schule gelernt, den Andern vorjprecdhen laßen.“
Außerdem war ed den Hausvätern zur Pflicht gemacht, „daß fie
ihre Finder, Knaben und Mägdlein (da Maͤgdleinſchulen vors
banden,) fleißig zur Echule halten, darin fie unter anderm auch
den Katechismus für fi) auswendig lernen und denfelben hernach
Andern auch vorlejen koͤnnen.“
Schon in früherer Zeit war ed im ganzen Lande Sitte ge
worden, daß während der Yaftenzeit mit allen &emeindegliedern,
namentli mit den Erwachſenen und Alten, ein Katechismus⸗
ezamen angeftellt wurde. Hin und wieder waren diefe Examina
in Abgang gekommen, da dieſelben oft zu Nedereien Berans
laßung gegeben hatten, und ältere Männer und Frauen es
ſehr laͤſtig fanden, ſich öffentlich) prüfen zu laßen. In der Kirchen⸗
ordnung wurde jedoch Die Herftellung dieſes Faſtenexamens in allen
Städten und Dörfern, wo dasſelbe in Abgang gefonmen ſei, auf
dag ſtreugfte vorgejchrieben. In dem Kapitel „Won dem jährs
lichen Univerjalegamen des Katechismi, fo in der Faften gehalten
Bird “ wurden über die Einrichtung desjelben folgende Bors
Ihriften gegeben:
„Demnach wir und berichten lapen, daß das jährliche
da ften examen bisher in etlichen Städten und Dörfern, mit
Ko Fem Rachteil der Eingepfarrten, fonderlic der Jugend gaͤnz⸗
unterlaßen worden, jo ſoll binführo folche Fahrläßigfeit aller⸗
din g⸗ abgeſchafft werden, und befehlen darauf vor uns und unſere
— 272 —
freundlich geliebte Brüder L. L. 2b. ernftlih, daß in aller
Städten, Flecken und Dörfern mit berühmten Examine cateche,
tico unnahläßli verfahren, und folches um Feinerlei Urſacn
wegen unterlagen werden ſolle. Damit auch eine gewilje Gleiwez
beit aller Oerter fein möge, jo jol Hinfüro in allen Kiıdyer
durchaus einerlei Ordnung nachfolgender Geftalt gehalten, arm
diefelbe feineswegs , außerhalb einhelligem Bedenken und Verord-
nung des Gonfiftorii, verändert werden, dadurch nicht allein
allerhand Confuſion verhindert, fondern auch Männigliche, fon
derlich des Gefindes Wolfahrt gefördert wird, damit dasſelbe,
weil es nicht allezeit an einem Orte bleibt, fich deſto beßer in
das Examen, wenn dasjelbe an einem Orte wie am andern gleid,
förmig gehalten wird, Ichiden lerne.
Erſtlich ſollen in den Städten die Superattendenten ober
die Pfarrer und Adjuncti von dem Rat ein Verzeichnid der Bürger
und Einwohner der Stadt fordern, wie Diefelbigen in vier Teile
ausgeteilt worden , die ihnen auch jede Orts der Rat unweiger
lich mitteilen fol.
Zum Andern fol der Pfarrer auf den Sonntag Esto mil
der Gemeine verfündigen, daß binfüro auf die Sonntage in der
Faften nach der Mittagsprebigt mit dem allgemeinen Katechismus
egamen dem Herkommen gemäß wiederum verfahren werben folk,
deswegen fich Die eingepfarrten Hausväter und Hausmütter jamml
ihren Kindern und Gefinde dazu jchiden und zu rechter Zeit eur
ftellen würden.
Zum dritten, damit aber folches mit guter Ordnung ge
ſchehen möge, jollen diejelbigen nicht alle auf einen Sonnta),
jondern wie jeder Stadt Bürger in ihr Vierteil ausgeteilet,
alfo auch ein jedes Vierteil oder nach Gelegenheit ein Teil de
jelben ordentlih und abfonderlich verhötet, die ganze Gemeinde
aber alfo eingeteilt werden, damit das Examen zu rerhter Jet
jeine Endſchaft erlange. Auf den Dörfern aber, da wenig Leute
vorhanden, ift das Gramen, wenn ed einmal abfolvirt, zu wie
derholen, und find Diejenigen, mit welchen zuvor der Anfang gr
macht worden, hernach bis zum Ende zu verſparen, damit fe
nicht allemal auf eine Frage verhoͤrt werden.
— 273 —
Zum Vierten, weil nidyt wenig von diefem Iixarnine abge:
tedt, daß an etlidhen Orten die Kirchendiener das Volf, wenn
nicht gleich auf alle Fragen antworten kann, bejonders Knechte
d Mägde, mit harten Morten anfahren und vor dem Volke
zmachen, desgleichen auch etliche Pfarrer und Stirchendiener zu
iten hohe, und oftmals nicht allein den Jungen, jondern auch
ı Alten ſelbſt unbekannte Kragen vorhalten, Darauf ihnen zu
worten unmöglich, als follen die Superintendenten die Pfarrer
den Städten und Dörfern eruftlidd vermahnen, daß fie, wie
h droben lib. 1. c: 9 und in vorftchennem Kapitel $. 5 ver:
net, dem Volk freundlich, väterlih, mit aller Sanftmut und
Icheidenheit zujprechen, Damit fie nicht von Diefem heilfamen
) bochnüßlichen Examine abgefchredt, ſondern eine herzlicye
t und Freude dazı gewinnen, und Durch Die Eltern, Herren
> Frauen defto leichter dazu angehalten werden mögen.
Man fol auch dem Volke vornemlich die Fragen vorhalten,
he in D. Luthers Katechismo und des Roſinus Büchlein bes
fen, auch foldye noch ferner erklären und den rechten Verftand
allem Fleiß beibringen, unnötige Fragen aber meiden.
So aber Leute vorhanden, welche niemald zur Schule ges
ten, und Die Auslegung des Katechismi nicht gelernt hätten,
unter den Zaglöhnern und Banersvolfe dergleichen wol anges
en werden Eöunen, jo follen viefelben doch gefragt werden,
fie das Vater Unfer, den chriftlihen Glauben, Die zehn Ger
e, die Worte der Einjegung der heiligen Taufe, Abjolution
» des heiligen Abendmals wißen, wie joldye alle Sonn⸗ und Feier:
e ihnen in der Kirche öffentlic) von dem Wolfe ausgeſprochen
‘den,
Nachmals fie auch väterlih, mit linden, fanften Worten
mahnen, daß fie von den Stindern, jo zur Schule gehalten,
Bragftüde und Auslegung des Katechismi lernen, dazu fie ein
13 Sahr haben, und da fie einen Fleiß darauf legen wollen,
U begreifen können.“
Die äußere Einrichtung des Faftenegamens betreffend war
'geichrieben: „Der Pfarrer follte nach einem von ihm aufges
Iten Verzeichnis der einzelnen Familien durch den Kirchendiener
Seppe, Volksſchulweſen, 2. 18
— 274 —
und ein Hausgeſinde nach dem andern vor ſich in den Chor ag
den befondern Ort erfordern und obgedachter Weile mit ihn.
das Examen ordentlich vornehmen. Da aber Die Gemeine gr,
und der Klirchendiener viel, follen fie fich im Chor an unterjdie;
lichen Orten alfo austeilen, daß Keiner den Andern hören, dän
. oder das vorgeftellte Haußgefinbe irre machen oder demſelben in
Examine verhinderlich ſein moͤge.“
Der Zweck dieſer mannigfachen Katechismusinſtitutionen war
auch der Zweck der Volksſchule. Durch dieſelbe ſollte das Volk
zur Erkenntnis der Grundwahrheiten und Grundlehren des Chris
ſtentums geführt werden. Ale Beftimmungen, welche in ber
Kirchenorbnung (in dem Kapitel „Von den Dorfküſtern, wie ſie
angenommen, beftätigt und entjegt werben jollen”) in Betreff der
Sculmeifter und des Amtes derjelben getroffen waren, wien
daher jämmtlich darauf bin, Daß der Volksſchullehrer nichts an
dered, als ein dienendes Organ des Predigtamtes fein fol. Die
- Unftelung der Schulmeifter betreffend, war verordnet: GEs folten
„die Kirchner oder Glöckner von Richtern, Kirchvätern und Al
teften aus der Gemeinde, mit VBorwißen des Lehnheren, auch dei
Pfarrer gewählet und fürder dem Gonfiftorio präfentirt und je
gefchickt werden, welche ihn verbören und, da er im Examine
geichidt befunden, zum Amt confirmiren und beftätigen folen.
Und weil Die Pfarrer und Kirchner oder Schulmeifer
in Verrichtung der Kirhenämter bei einander ji
müßen, auch ein jeder Pfarrer in dem feinem Gloͤd—
ner zu gebieten und zu befehlen bat, als foll wider dei
Pfarrers Willen Keiner angenommen oder eingezwungen werd.
Da aud an dem Kirchner im Kirchendienft einige Verfäumnis ode!
Unfleiß befunden, und ob er gleih vom Pfarrer hierum geftraft,
derjelbe doch nicht folgen, noch fi) beßern, fondern feines eigene
Kopfes leben wollte, fo jol fi der Pfarrer erftlich gegen feinen
Superintendenten beflagen, und da feine Beßerung folget, auch
die gradus admonitionum bei ihnen nichts fruchten, iſt er ſeines
Dienſtes auf Verordnung des Conſiſtorii zu entſetzen und ein am’
derer gehorſamer und fleißiger an feine Stelle obangezeigte
Mapen zu verorduen.” Die Pfarrer folen den Glödner nich
r, als e8 der Kirchendienft mit ſich bringt, mit Botenlaufen
andern Geſchäften befchweren. Wird fein Küfter von andern
n berberufen, jo fol derfelbe von der Gemeinde auf deren
fen mit feinem Geräte und Gefinde abgeholt werden. Iſt
Pfarrer verhindert, die Kinderlehre zu halten, jo bat der
ılmeifter die Stelle des Pfarrerd zu verſehen. Auch follte '
jeder Dorftüfter verflichtet fein, alle Tage in ber Woche
Wenigften 4 Stunden Schule zu Halten und die Kinder im
ı und Schreiben, daneben aber auch fürnemlich den Katechid-
und chriftliche Gefänge D. Luther mit Fleiß und deutlich
bren. Da, wo mehrere Filialdörfer zur Pfarrei gehörten,
: der Schulmeifter „in jolchem Lehren mit Rat feined Pastoris
aßen abwechjeln, daß die Jugend in allen Dörfern nad) Nots
: im Katechismo unterwiefen und ja nicht verfäumt werde.“
bei follten fi die Schulmeifter insbeſondere befleißigen den
ern die Gebete ganz fo wie fie im Katechismus abgedrudt
n, Far und deutlich, unverändert und unverfürzt vorzufagen.
Pfarrer follten die Parochianen anhalten, ihre Kinder zur
ıle zu ſchicken. Die widerjpenftigen Eltern follten fie bei den
erintendenten zur Anzeige bringen. Den Schulmeiftern follte
ı Procuriren und Advociren und namentlich das Auffpielen
Hochzeiten unterfagt fein. Auch jollten die Schulmeifter nicht
tsleute in ihre Küftereibehaufung nehmen, auch feinen ge-
nten Wein fchänfen. Dagegen follte ihnen geftattet fein, ihr
dwerf, — nur nicht außerhalb ihres eignen Hauſes und nicht
en Schulſtunden — zu treiben. Auch folten die Parochianen
halten werden, dem Schulmeifter das ihm Gebührende uns
erlich und unverkürzt zu entrichten.
In Betreff der zu errichtenden Mädchenfchulen wurde in der
yenorbnung befohlen: „Weil auch in den Visitationibus be-
en worden, daß auf etlichen Dörfern Feine Mägdleinfchulen
Iten, als follen die Kirchner und ihre Weiber ange
mn werben, folhe Maͤgdleinſchulen anzuftellen. Deswegen
n dann entweder aus dem Kaften oder aus der ©emeinde
n dem Schulgeld, fo die Kinder geben, eine Ergetzlichkeit zu
rdnen.” Den Gemeinden wurde ed zur Pflicht gemacht, den
18
jeyt opt ım een gvamıaı geuejeri wurven, ſo wurve weg
daß Fein derartiges Brot einen geringeren Wert als ben
3 Ggr. haben dürfte. Den „Schulmeiftern auf den Dö
welche Handwerfe können,“ wurde es nachgelaßen, daß fit
Hantwerfe „jedoch allein daheim in ihren Häufern und aufe
Schulſtunden zur Notdurft, aber nicht auf den Herrnhöfen
fonft außerhalb treiben mögen. Da aber zwiſchen St
Dörfern oder derfelben Erbherrn fonderlihe Verträge, wie
Meifter eines Handwerks jebes Orts gebuldet werben ft
aufgerichtet, jo fol e8 bei des Gonfiftorii Ermeßung ftehen
der Schulmeifter in diefelbige Zal zu nehmen ſei.“
Die Einrihtung von Volksſchulen war jomit für bie ein,
Weimar : Eifenadifchen Landesteile zwar beflimmt genug bef
aber die Ausführung diefer Anordnungen blieb Gier foweit
der Gefeggebung zurüd, daß bis zum Ablaufe des Jahrhum
von einem eigentlichen Volksſchulweſen tu Weimar-Eifenad)
etwas zu fehn war.
Erft im folgenden Jahrhundert wurde die Organifatic
Volksſchule mit beßerem Erfolge verfucht, nachdem inzwiſche
dritte Sohn des Herzogs Wilhelm, Johann Georg I. i. 3.
die Nebenlinie zu Eiſenach Heftiftet hatte. Allerdings fie
Fürſtentum Eiſenach ſchon i. 3. 1741 durch Außfterben ı
ganz an Weimar zurüd; indeffen behielt daſſelbe auch nad
— 27 —
A.
Sahfen-Eifenad.
ie erfte Reform des Volksſchulweſens im Fürftentum
Sifenach erfolgte in derſelben Zeit, in welcher der Spener-
e Pietismus im ganzen Bereiche der evangelifchen Kirche
zher noch nie gejehenen Eifer für Volfserziehung wach
gejchah dieſes nemlich im Anfange des achtzehnten Jahr⸗
und zwar durch Aufftellung und Publizirung einer Schul—
. welche, auf Iandesherrlichen Befehl von dem General:
identen Zerbft zu Eiſenach ausgearbeitet, über alle
fe. der Volksſchule und des Volksfchulunterrichts , über
tigkeit und Lehrmethode, über die Stellung der Schule
lie und zur Kirche und Aberhanpt über den Lebenöberuf
sſchule in jener frühen Zeit jo Detaillirte Beſtimmungen
ß fie zu den wictigften und wefentlichften Urkunden Der
e des Volköfchulwefend gehört. Die Schulordnung (von
utete:
ftruction und Verordnung vor die deutſchen Schulen
Lande in dem Fürftentum Eiſenach, Wie die Information
bei Kuaben und Mädchen anzuftellen,
derbaren fürftlicher Herrichaft Befehl abgefaft und zum
Drud gebracht Anno 1705.
Eiſenach, drudts Michael Urban, Fürſtlich—
Sächflfcher Hofbuchdruder.
In nomine Jesu.
1. Nachdem bei gehaltner Bifitation auf dem Lande
ommen worden, daß in den Schulen ſich viel Mängel
welchen notwenbig abgeholfen werden muß, wofern nicht
Jugend eine unverantiwortliche Ignoranz und Bosheit
fol: als ift dieſe Verordnung und Inſtruction wegen
chen Schulen mit Verleihung göttlicher Gnade abgefalt
Drud gegeben worden.
2. Denn obwol einige Schulmeifter in der Information
d das Ihrige fo gethan, daß der Nupen fich bei ihren
— 278 —
Schulfindern wol gezeigt, jo find doch deren unterjhiefid.
welche ohne richtige Ordnung in ihrer Echularbeit verfahren, und
bald dieſe bald jene Lehrart führen, und dadurch Die irgend
nicht wenig gehindert wird.
$. 3. Nun liegt zwar jede Orts Pfarrern zupörderft od,
durch fleißige Aufficht, wie in der Inveſtitur ihnen thener einge
bunden wird, daran zu fein, daß nichts bei den Kindern verfäumt,
fondern fte in allen Stüden wol angeführt werben, zu weldem
Ende dann felbige die Schulen wöchentlich zu befuchen und zur:
fehen, daß in der Information und Disciplin gefchehe, was zu
guter Auferziehung der Kinder zuträglich, wie nicht weniger au
die Eltern ihre Sorgfalt in fleißiger Nachforſchung, was die Sin
der in der Schule lernen, wie fie Iefen und fehreiben können, zu
beweifen haben. Doch müßen die Schulbiener vornehmlich darauf
jeben, daß fie ihrem Schulamte recht vorftehen und ihr Gewißen
darin verwahren.
$. 4. Und zwar follen die Schulmeifter ein richtiges Ver:
zeichnid aller Schulkinder, ihrer Elteru, und wie alt Die Kinder
find, wie fie fih halten und was fie gelernt haben, und bei den
Eltern Erinnerung thun, daß alle Kinder vom 5., längſt dem
6. Jahre ihres Alters in die Schule gefchicdt werden, ed wäre
denn, daß felbige über Feld von den Filialen in die Schule ge
ben müßen, welchen Falles ihnen etwas weiter nachzuſehn; geſchieht
auch die Einführung folder Kinder billig auf einen gewißen Tag
nach Michaelid zugleih, damit Die Pectioned mit ihnen ange⸗
fangen und ordentlidy fortgeführt werden fönnen.
$. 5. Die Schule wird von Michaelis bis zu Johamis
völig Vor- und Nachmittags gehalten, und ift im folder Zeit
feine Stunde ohne Erlaubnis und erhebliche Urfache zu verfäumes >
‚und wo ja Eltern Armuts- und vieler Arbeit halber Kinder, Fe
etwas erwachſen, nicht wol entbehren können, foll, Doc, mit dor”
wißen und auf Erkenntnis des Pfarrers, ſelbigen erlaubt Kir
wenn fie frühmorgens beim Gebet und eine Stunde in der She
gewefen, fich ihrer zu gebrauchen. Wo es auch Herkommens, da
die Kinder das ganze Jahr, außer 6 Wochen in der Erndte det
vierwöchentlichen Ferien in die Schule gehen, hats babei [met
— 279 —
venden und werben die, fo die Schule mutwillig ver-
billig zur Strafe gezogen und zwar, wo die Eltern
daran, ‚haben diefelben den verfäumten Tag mit einem
ı zu büßen, den halben mit 6 Pfg., wo es aber die
ür ſich thun, find ſie deswegen von dem Schulmeifter zu
6. Alle Tage die Woche durch wird zweimal Schule ger
Morgens, Sommerszeit von 6 bis 9 Uhr, Herbft und
zeit von 7 bi8 10 Uhr, Nachmittags aber von 12 bis
Mittwoch und Sonnabend find Nachmittags Ferien, mie
o ein Feiertag in der Woche einfällt, auf ben [heiligen
7. Wenn die Schulfinder beifammen, die ſich nicht Win-
und bei der Kälte vor der Schulftube oder auf der Bafle
mmeln, wie deshalb einiger Orten geklagt worden, fon-
yald und wie fie fommen, in die Schulftube zu laßen, fol
ıng mit den Morgenjegen und einem geiftlichden Morgen:
deren Gefang gemacht, und darauf ein Kapitel aus der
elefen und zum Beichluß nach den lectionibus wiederum
Im und das Vater Unfer ⁊c. 2c., auch wöchentlich die Litanei
ald Montags und Donnerstags knieend gebetet werden.
mc ebenfalls Nachmittags zum Anfang gebetet, wechſel⸗
n Palm oder „Erhalte und Herr bei ac. 2c.,” ober auch
er Reüngebrtlein, und zum Beſchluß der Nachınittagsfchule
itel aus dem neuen Teftament gelefen, ein geiftlicher Ge—
jungen und der Abendfegen mit dem Vater Unfer ıc. ıc.
en. Auch ift darauf zu fehen, daß Alles langſam, deutlidy
ächtig gefchehe und von den andern fleißig Darauf gemerkt
hgebetet, unter dem Gebet aber nicht der geringfte Mut:
Herumgaffen oder Geplauder geftattet werde. Wo es bis-
räuchlich, daß die Finder das Gebet zugleich laut jprechen,
im Eingang und Ausgang der Echulen ed auch dabei fein
en haben.
8. Die Abteilung der Kinder in gewiſſe Classes ift gut
I faft nötig fein, abjonderlid wo der Kinder eine große
md nicht wol in allen lectionibus und Uebungen im
— 280 —
Schreiben, Rechnen und andern auf ein jegliches kann gemrez,
und dasfelbige verhört werden, wiewol doch folchenfalld der Schyr
meifter darauf zu fehen, daß die er diesmal nicht eigentlich ver
hören und mitnehmen könuen, diefelbigen ein audermal frage umd
vernehme, und alfo Feind, es fei armer oder reicher Leute Kind,
verfänmt werde, jondern er von einem jeglichen wiße, wie meit
ed in jediveder Lection gekommen fei. Wo aber auf mandem
Filial der Kinder gar zu wenig, ift der Schulmeifter an bie
Classes und Stundeneinteilung der Lectionen halber fo eigentlih
nicht gebunden, indem er fie mebr verhören, üben und fertige
machen kann, daß fie es öftermal denen in der Haupkkirche
vorthun.
$. 9. In die unterfte Klaffe und Ordnung gehören die An
fänger, und ift mit ihnen folgendergeftalt zu verfahren, daß ihm
die Fürzeften biblifchen Lehr-, Troſt- und Feſtſprüchlein aus dem
Eiſenachiſchen Katechismo langſam und deutlich vorgefagt werden
und fie felbige nachſagen müßen; weldes dann gleichfalls mit den
befannteften Palmen gejchieht als dem 1. 6. 23. 100. 117, M
ein oder zwei Verslein vorgejagt werben, ingleichen Die Textworte
des Katechismi ohne alle Auslegungen. Und wird mit dielen
Lectionibus die Tage in der Woche über fo abgewechſelt, dab
doch in einer jeglichen Lection was begriffen und ſolches zu Ente
der Woche repetirt werden kann. Ingleichen müßen Die Kinder .
in dieſer Klaffe Die Buchftaben lernen fönnen, und zu dem Gute
nicht nur das ABE vor- und rüdwärtd herſagen, fondern Vo-
cales und Consonantes unterjchiedlich, auch außer dem ABE
bemerfen und gefragt werden, und mag ihnen wol auch ein und
anderer Buchftab au die Tafel, dergleichen in einer jeglichen Schule
anzujchaffen, augemalt, und fie denſelben zu lernen und in ihren
ABCbüchern zu zeigen angewiefen werden. Zum Buchſtabiren
oder die Buchftaben, wenn fie Diefelbigen Fennen, zuſammenzuſeßen,
müßen fie nicht allein Das A—b ab herfagen, ſondern mehrere
Buchftaben zujammenfegen und ausfprechen lernen, auch wol, daB
außer dem, was fie im Buch vor ſich haben, der Sthulmeifer
etliche Buchftaben vorfage und folche heiße zufammenfegen, al?
„ſchwartz,“ „kraft,“ umd wenns ihnen zu ſchwer fallen will, ſol⸗
4—
— 2831 —
1 Buchftaben abbreche und frage, wie zufammen heiße „ſchwa,“
er „ſchwar“ und dann das B aud dazu thun; welches Fra⸗
' den Nuben haben kann, daß die Kinder dabei aufmerkfam
den und ein jegliches bei fich bedenke, wie es ſolche Buchftaben
immen ausfprechen wolle. ft auch bei dem Buchftabiren nötig,
die Kinder in dem Buchftabiren die Buchftaben nicht heimlich
bei fi, fondern ſobald laut fagen und daranf zufammen-
n, auch in einem Wort von vielen Silben nicht allezeit die
gen Silben wiederholen, fondern im Buchitabiren fortfahren,
aber, che fie recht fertig buchftabiren können, zum Leſen
: admittirt werden. Und muß im Buchftabiren der Schul:
ter fleißig darauf merken, daß die Kinder zu rechter Zeit abs
1, nicht buchftabiren „liebzen,” „gehzen,” fondern „lie:
" „ge-hen,“ obgleih nad einiger Erinnerung in den
nter laufenden fremden Wörtern nicht alled fo genau zu neh—
bei buchſtabirenden Kindern, wenn fie nicht accurat abjeßen
buchftabiren als „Pra⸗-ktiken“ oder „Prak-tiken“ u. dgl.
8. 10. In der andern Klaſſe oder Ordnung werben mehr
Ihe Sprüche gelernt, Die, wo fie vom Buchdruder nicht von
Ichwereren durch eine Signatur nuterſchieden, der Pfarrer in
Schulmeifterd Exemplar könnte zeichnen und Diefer nach dem⸗
ı den Kindern aufgeben, Nächſt dieſen ift der Katechismus
ri zu treiben, und die jogenannten Fragſtücke: „Slaubft du,
du ein Sünder bift 2” ꝛc. 2c. neben der Haustafel, dann auch
. 2. 3. 4. 8. 12. 13. 15. 24, 30. 46. 51. 100. 110. 127.
133. Palm. Und werden diefe Kinder zum Leſen ge:
r und wechſeln ab mit dem Eiſenachiſchen Katechismo, Sirach
Pfalmen,, nachdem diefelben können angefchafft werben, doc
joviel möglich, fie einerlei bei biefigem Hofbuchdruder ge⸗
e Bücher haben und im Lefen gebrauchen, machen überdieß
Anfang im Schreiben, und werden ihnen nit allein an
afel Die Buchftaben,, Die eine Conveniens miteinander haben,
m. n., item c. 0. g. a. q., fernerr. p. v. w. x. y. fondern
die ihre eignen Züge baden, als b. d. e. f. ff. h. EL. ſ.
t. z. vorgemahlt, dann auch in ihren Schreibebüchlein vor:
ieben, Silben zuſammen und Woͤrter etwas von einander
— 282 —
gefegt, und wo es die Notdurft erfordert, einem und ander
Kinde anfangs die Hand geführt, auch Linien gezogen oder Dil
Striche gemacht, die unter dad Blatt, darauf gejchrieben werd
fol, untergelegt. Die Schreibebücher, wo der Kinder viel fi,
müßen wechjelmeife Durchgejehen, Die einmal zurüdbleiben, we;
andermal vorgenommen, und wo geirrt, corrigirt, abjondeeyg
darauf gefehen werden, daß unnötige Züge an den Buchflaben
unterbleiben. Es ift audy ein Anfang mit den Ziffern zu machen,
was 1. 2. 3, A. 5. 6. 7. 8. 9. bedeute, und wie mit Zufag eine
Null jedwede Zal fih mit zehn, zwanzig nady dem Vorſaz ver
mehre, ald 10. 20. 30 u. |. w.
$. 11. In der dritten und obern Klafle werden durchgehend
Lehr⸗, Trofts und Feſtſprüche, und bei diefen auch Rofini get:
fragen von denen, Die fähig (denn die andern fie nur fleibig
lefen), wie die Feſte einfallen, erlernt, dann auch zu ben in de
vorigen Klaſſe gejeßten der 5. 7. 14. 16. 22. 25. 27. 32. 38.
42. 47. 63. 65. 67. 73. 84. 85. 90. 91. 102. 103. 111. 118.
126. 128, 139. 143. 150. Pfalm, wie nicht weniger ber fege
nannte „kurze Begriff” in dem Eiſenachiſchen Katechismus und
Spruchbüchlein, und wenn diefer wol gefaft und Durch die neben?
gefeßten Fragen die Hauptantwort zergliedert, und dadurch ver⸗
fändliche Antwort zu geben die Kinder geübt, werben die Lehr
punfte nach) und nach aufgegeben, und durch beigeſetzte Fragen
getrieben. Doch daß alwege zum Fundament behalten werde der
Katechismus Rutheri, wie dann täglich ordentlich, ehe die ander!
Lectiones angehen, ein Hauptflüd nad dem andern aus dem
Katechismo Lutheri zu recitiren, und mag, daß jedwedes KinD
defto fleißiger aufmerfe, aus der unterften Ordnung von eine@t
der Text, aus der andern und dritten Ordnung ber Schulmeiftt?
die Auslegung herfagen lagen, doch daß in jegliches Kind eir
ganzes Gebot, Artikel, Bitte oder andre Autwort auf die Ftas
bete, damit die Connexio und wie ed aufeinander folgt, bei diefe
Uebung immer beßer befannt werde; und koͤnnen alle 14 Ta£
Sonnabends, wenn in ſelbiger Woche Freitags vorher de
5. und 6. Hauptſtuͤck zuſammen genommen die Frageſtücke, ar‘
alle act Wochen die Haustafel recitirt werben. Das Lejen 3
— 283 —
ſieht in biefer erften Klaſſe aus der Bibel, davon in jedweder
cchule ein Exemplar der hiefig gebrudten Bibel zu fchaffen. Es
erden auch gefchriebene Briefe gelefen, abfonderli von den
naben, das Rechnen durch Die Species traftirt, wenn vorher
18 Einmaleind gelernt und immer mitunter getrieben wird. Im
schreiben muß nicht allein die Vorſchrift Ieferlich und zierlich in
n gewiſſes Büchlein gemacht, und die Nachſchrift von einem
um andern nach und nad) durchjehen und corrigirt, und wie die
Juchftabenzüge zu verbeßern gewiejen, fondern aud, die Evange⸗
en und Epiftelii gejchrieben, wie auch zu gewiller Zeit biblifche
sprüche biktirt werden. Welches Alles zur Fertigkeit im Schrei-
en helfen wird, und daß die Kinder mit der Zeit gejchidt werben,
ie vornehmften Stüde und Sprüche aus einer Predigt nachzu⸗
hreiben. Sind auch die Knaben in diefer Ordnung zur Figural⸗
ufif anzuführen, daß fie nicht allein Claves, Zaft und Paufen
fliehen lernen, fondern auch mit der Zeit eine Zuge, Motette
id Goncert mit abfingen können, wie dann hierzu Montags,
instags und Donnerstags die Stunde 12 — 1 Uhr zu Mittag,
eſelbe Stunde aber Freitags zum Nechnen anzuwenden, und
mittelft die in den andern Klaſſen ihre Lectiones überfehen oder
reiben können.
6. 12. Wo Knaben und Mägdlein in einer Schule zugleich
Ormirt werden, bleibt es mit beiden in den Lectionibus den
aflen nach wie gımeldet, ohne daß unter dem Singen und
chnen die Mägdlein ihre anderen Lectiones vor fi nehmen.
28 Schreiben aber muß mit den Mägdlein ſowol ald mit den
aben getrieben werden, und ift. durchaus den Eltern nicht zu
Matten, daß fie ihre Töchter unter einigem Vorwand, als
itften Diefelben das Schreiben zu was Böſem ats
enden, davon abhalten wollten; vielmehr können fie ſich durch
8 Schreiben in Aufzeichnung biblifcher Sprüche und Predigten
>auen, zugefchweigen, daß es auch fonft bei ihnen in folgenden
hren Nugen haben kann.
Werden aber an einem und anderem Ort beſondre Mägblein-
len gehalten, find die Lectiones gleichfalls mit ihnen einzur
ten, und ift in ber Schule in allen mit ihnen es zu halten,
deutlich, daß wo ein Komma ein wenig, wo aber Doppel
ober Punkt, was länger inne gehalten, bie Stimme nah
was zu lefen, erhoben ober niedergelaßen, oder wo (7) ur
fragt, wie abgebrochen werbe; wie denn ber Schulmeifter
je zuweilen mit jo abgewechjelter Stimme ein Stüd vorlefen,
wenn die Schulfinder leſen, fleißig drauf merken, und n
vonndten, Erinnerung thun fol. Die in der andern Klaſſe
ans dem Ratehismo, Pfalter oder Sirach, und zwar eine g
Lection. Die in der 3. Klaffe zälen ihre Buchftaben und
ftabiren, und wird dabei was droben erinnert, in Acht gene
Und diefes geſchieht Die erfte Stunde, ba dann freilich, wen
Kinder allzuviel in einer Kaffe, nicht alle können verhört w
Der Schulmeifter hat alfo zu merken, daß welche er Borm
nicht hören kann, er diefelbigen Nachmittags oder folgenden
höre. Hierauf werben in der andern Stunde bie bibliſchen S
durch alle Classes, wie vorgeſchrieben, aufgefagt, und jet
was von Sprüchen aufgegeben, vorher beutlih von einen
dem andern in den obern Klafjen des Tags vorher gelefen. :
in der untern Klaffe muß ed von dem Schulmeifter vor
werben, und fagens bie Kinder nad, bis fie es für fih ze
tönnen; und fo wirds auch die 3. Stunde mit dem „kurze
griff," Lehrpunften, Lutheri Katechismo und den Textworten
alle 3 Classes aebalten.
— 285 —
elii anzudeuten, wovon bauptjächlicdy in folchem Evangelio gehan—
elt werde, dadurch die Schulfinder zu beßerer Attention in der
ünftigen Sonntags = oder Feſtpredigt aufzumuntern ; wie fie denn
edesmal auf den Montag oder Tags darauf, was fie aus der
Predigt gemerkt, zu examiniren find.
8. 14. Nachmittags auf die Montag, Dinstag, Donnerstag
md Freitag iſt die erfte Stunde, wie dreben allbereit gedacht,
um Singen und Rechnen gejeßt, unter weldyen die beiden unteren
Haffen ihre Lectiones überjehen. In der anderen Stunde gefchieht
as Auffagen, und mag mit den Unterften der Anfang gemacht,
nd danu Die beiden oberen Klafjen in ihrem Lejen gehört werden.
die 3. Stunde werden Montags und Donnerstags die Pfalmen
ecitirt, wie fie vorher aufgegeben, und von etlichen, gleich den
ibliiden Sprüchen, deutlich vorgelefen worden, und zwar etliche
wenige Verſe. Dinstagd und Freitags wird was gejchrieben in
er lebten Stunde aufgewiefen, und die Schulkinder im Schreiben
kiter geübt.
G. 15. Und damit, was die Schulfinder fo nad) und nach
bionderlih in ihrem Ghriftentum erlernen und begreifen, das -
sierteljahr über von Sjohannid bis Michaelis, da an manchen -
Irten fie in feine Schule kommen, oder au in Erndtens und
mderen Ferien nicht vergeßen und ausjchwißen, follen nicht allein
ie Schulmeifter gehalten fein, auf der Eltern Begeren ihre Kinder
edes Tags die Woche durch ein oder paar Stunden, doc, gegen
ine Erkenntlichkeit, weil mehrenteils ihre Dienfte gering und fie
'onft der Arbeit nachgehen müßen, zu informiren, fonden über
dad, daß auf die Schulfinder fleißige Auflicht zu halten, daß fie
Vor: und Nachmittags Sonntags in die Kirche kommen, mitfingen,
auf die Predigt und angeftellte Katehismuslehre merken, foll der
Schulmeifter feine Schulfinder entweder nach geendigtem Gottes:
dienft in der Kirche oder im Schulhaufe ein Hauptftüd aus dem
Ratehismo Rutheri, den Kurzen Begriff und ein und ander Kapitel
us den Lehrpunkten, ein paar Sprüche und Palmen laßen beten,
md fie mit guter Ermahnung, die Woche über fromm zu fein, für
ich zu beten, die Betflunden und Vesper zu befuchen, wiederum
on fih laßen. Ä
— 256 —
F. 16. Wie oben gemeldet, find die Kinder von 5 bi
Fahren in die Schule zu führen und dem Schulmeifter in key
Aufficht zu geben, follten aber aus der Schule nicht eher dimkssr
werden, bis fie die Hauptftüde chriftlicher Lehre aus ihrem Kate
hismo und derfelben Auslegung und weitere Erklärung aus bem
Kurzen Begriff und Lehrpunften wie au die bibliſchen Spriüche,
Pialmen nebft fertigem Lefen und Schreiben erlernt, welches denn
nicht auf ihrer Eltern Erkenntnis anfommen fol, und ihnen re
ftehen, nach ihrem Belieben die Kinder aus der Schule zu behak
ten; jondern es fol der Pfarrer mit Zuziehung der Obrigfeit im
Dorf, Kirchenfenioren oder Elteften dieſelbigen verhören und in
allen ihren Lectionibus wol prüfen und darauf nad) Befinden ſie
aus der Schule Dimittiren, doch mit der nachdrücklichen Bedeutung,
daß fie ferner ihnen ihr Chriſtentum ſollen laßen eifrig angelegen
fein, inmaßen er der Pfarrer ein wachſames Auge auf fie haben
und fie durchgehende aus dem, waß fie aus dem Katechismo,
Kurzen Begriff, Lehrpunften, Sprüchen und Palmen erlernt, in
den öffentlichen Examinibus fünftig fragen werde, welches dam
auch notwendig gefchehen muß, wenn die bimittirte Jugend im
- Kleiß erhalten, in Erkenutnis wachſen, und bei ihr nichts verjäumt
werden fol. |
$. 17. Eltern, die Armuts halber ihre Kinder, nachdem ft
aus der Schule dimittirt, nicht bei fich behalten können, fondern
fie andern Leuten vermieten müßen, find zu ermahnen, daß fie ihre
Kinder nicht zu andern Religionsverwandten,, fondern fo viel an
ihnen iſt, zu chriftlichen Leuten thun, von denen fie das Vertrauen,
daß fie diefelbigen zum Gebet, Kirchengehen und gottfeligen Leben
anhalten werden. Diejenigen Eltern aber, die vermögend ud
ihre Kinder bei fi) behalten können, follen fie, ob fie es aud in
der Fertigkeit im Gebet und fonft den andern gleich thun moͤchten,
nicht fobald aus der Schule nehmen, ſondern fie drinnen laßen,
damit jie deſto fefter und gewißer werden. Denn doch in foldem
zarten Alter flüchtige Gemüter leicht wieder fahren laßen und ver
geben, was fie erlerut haben, wie fich ſolches in der Bifitation
allenthalben befunden, und daher eine fchlechte Anzeigung geweſen,
dap Die älteften Knaben, in der Schule etwa 11, 12 Bis 13 Jahre
— 287° —.
weien, da fie biebevor ven 14, 15, 16 Jahren no in die
e gegangen und nun bei dergleichen zu ſehen, daß ihr bie
ged Anhalten in der Schule nicht umfonft gewefen, da im
steil viele Der jungen Leute, jo zu bald aus der Schule ge-
a, ſchlecht beftanden.
$. 18. Weil auch heutige Taged von den Schulmeiftern
nteil8 will erfordert werden, Daß fie in der Mufif wol ers
ı find, obwol hierinnen weder an den Gemeinden zu billigen,
ie in der Wahl eines Schulmeifterd auf dieſes mehr zu ſehen
n ald® auf dad Hauptwerk, nod an andern Schulmeiftern,
ie jo viele Zeit auf Zuſammenſchreibung und Herbeifchaffung
Stüde wenden, bei dem Gottesdienft allzuviel und lang
ven, und oft eitel Ruhm mit ihren Adjuvanten dabei fuchen:
l doch der Schulmeifter Die Jugend in den gejegten Stunden
e Muſik treuli und fundamentaliter anführen, und mit fer
Idjuvanten, mit Vorwißen und Genehmhaltung des Pfarrers
Zeiten exercitia musica anftellen, wobei fie insgefammt
; erjcheinen und ohne Gejöff und andere Ueppigfeit einander
yerjtehen lernen, und dann zu Gottes Ehre und Aufmunterung
emeinde in öffentlicher Verſammlung mit vernehmlicher Stimme
deutlicher Auslegung geiftlicher und bequemer Texte fidy hören
jollen. Und ift bier dieſes ſonderlich noch zu erinnern, daß
der Schulmeifter mit manchen Knaben in der Schule viele
e gehabt der Mufif halber, es gar nicht recht noch von dem
er zuzulaßen jei, daß ſolche Kuaben, da fie aus der Schule
tirt, von der Mufit abgehen und auf dem Chor nicht mehr
ie Stimneu treten wollen; vielmehr ſollen fich ſolche. Kuaben
ı den Schulmeifter ferner ehrerbietig erzeigen, und nicht allein
dem Chor, fondern auh in anderm ihren Gehorſam und
barkeit gegen denfelbigen beweiſen. |
$. 19. Und nachdem ein treuer Sculmeifter nicht allein in
Information der anvertrauten Schulkinder fi gewißenhaft
en und im geringften nichts vorfäßlich dabei verfäumen fol,
tm auch auf Gottjeligkeit, Zucht und Ehrbarkeit zu jehen,
Jiefelbige der Jugend möge eingepflanzt werben, hat er mit
chem Gebet bei Gott täglicd anzuhalten, daß derjelbige ihn
— 288 —
in feinem Amt regieren, erleuchten und durch feinen H. Geiſt 4
führen wolle, damit al fein Thun in Lehr und Leben gefegnr
fein möge. Wobei er dann ein fleißiged Aufſehens haben joy,
daß die Finder Liebe zu Gott und feinem Wort, abjonderlid
Chriftum, das ewige Heil, recht zu erkennen, in jeinen Fußtapfen
einherzugehen, ja als Zweige an ihm, dem Baum des Lebens zu
wachjen, gewinnen, und bei aller Gelegenheit ihnen vorftellen, da}
fie, wad driftlich ift, dem aubangen, ſich allenthalben ehrbar auf
führen, alte Leute in Ehren halten, vor dieſen, abfonderlich jrem
den Leuten den Hut abziehen, von aller Ungerechtigkeit, Lügen,
Stehlen, Mutwillen, Spotten, Fluchen, Schwören, garftigen, ur
fläthigen Worten und Reden fih abthun, weil dadurch Chriſtus
verloren, der H. Geift betrübt und die guten Engel verjagt wir:
den, und ſolches nicht allein in der Schule, fondern auch zu Haut,
auf dem Felde und allenthalben bedeufen, und Daß fich Feind jo
heimlich verbergen Fünne, Daß ed Gott nicht ſehe, Gott auch einf
alle Werfe vor Gericht bringen werde, der auch ſolche böfe Kinder
im Alten Teſtament zu fleinigen befohlen, feinen Zorn und ge
rechted Gericht nicht nur an Abjalon ſehen laßen, jondern ba
auch die Kinder, Die den Eltern ungehorfam, mitmachten uud er
füllten die legten gräulichen Zeiten, da im Gegenteil fromme un
gehorfame Kinder und Die ihren Eltern unterthan zum Vorgänge
hätten den Herrn Chriftum jelbft, der auch die, jo ihm getreulid
nachfolgten, mit zeitlihem und ewigem Segen erfreuen werde ald
ber rechte Samen Abrahä, Durdy welchen geſegnet werden alt
Völfer auf Erden. Weldye und andre Vorftellungen, Die öfter,
doch in aller Kürze gefchehen jollen, nachdem es der Züſtand und
vorfallende Begebenheit erfordert, um jo viel mehr Fräftig fein
werben, wenn der Schulmeifter felbige mit feinem eignen egempla
riſchen Leben beleuchtet, Feinem Saufen, Spielen, Fluchen, Zoten⸗
reißen oder ſonſt Argerlichen Leben ergeben, nicht in Bierhäufern
ſitzt, zum Tanz fidelt und Dergleichen unanftändige Dinge vor-
nimmt, fjondern Gott und fein Wort liebt, die Wolthaten Jeſu
rühmt, geduldig, fanftmütig, wahrhaftig und ehrbar fi allent⸗
halben finden laͤſt. Und obwol die Jugend nicht durchgehend mif
Worten fi gewinnen laͤſt, und zu Zeiten feharfe Correctins®®
— 289 —
ſchehen müßen, wobei aber der Schulmeiſter alles Fluchen,
zünſchen, laͤſterliche Reden, ſchimpfliches Zunamen, anzügliches
inführen der Eltern, der Kinder Leibesgebrechen und alle Bitter⸗
eit zu vermeiden. Ja wo auch gar Steden und Ruthe die Thors
it, die dem Knaben im Herzen ftedt, zu vertreiben gebraudt
berden muß, bat dennoch der Schulmeifter ſich fo zu mäßigen,
ap es nicht eine henkerifche, fondern eine väterliche Züdtigung
ei, und bald wieber fpüren zu laßen, daß er ungern an ſolche
Schärfe gehn, und lieber fehen wollte, man ließe fich in ber Güte
ewinnen, auch all fein Vornehmen dahin zu richten, baß er bei
en Kindern Liebe_und Furcht erhalte, wozu nicht wenig bienen
ann, Daß nicht allezeit Schläge, fondern auch bisweilen andre
Nittel abmittirt werden, als einen gewiffen Pfalm oder Geſang
uswendig zu lernen, auf den Knieen zu fißen u. dgl.
6. 20. Sol aber der Sculmeifter in feinem Amt wol
tehn und das, was ihm theuer anbefohlen ift, fo verrichten, daß
fen Nupen in ber Kirche Gottes ſich erzeige, muß nicht allein
er Pfarrer jedes Orts ihm hülfliche Hand leiften, von der Kanzel
ute Ermahnung der Schule halber thun, dieſelbe wöchentlich bes
hen, die Kinder zum Gehorſam gegen ihren Schulmeifter mit
llem Ernft anhalten, den Eltern zureden, daß fie dankbar und
ufthätig gegen den Schulmeifter fein, das gebürende Schulgeld,
ed im Salario mitftedt, entrichten, und wo gar zu arme Leute
nd, daß folches aus dem aerario ecclesiastico oder der Gemeinde
infommen für der Armen Kinder gereicht werde. Wie denn auch
© chriftliche Obrigkeit auf gefchehenes Anfuchen behülflich fein
rd, daß die Eltern die Kinder fleißig zur Schule ſchicken und
ejelbige nicht fo Liederlich verfjäumen laßen, auch dem Schul
eifter feinen fauer verdienten Lohn abftatten, ober daß Mittel
tr Gompenfation in der Gemeinde gemadyt werden.
$. 21. Schließlich, daß auf die Jugend an allen Orten
n genaue Auge zu haben und in alle dem, was zu ihrer zeit-
hen, zuförderſt ewigen Wolfahrt dienlich fein kann, nichts zu
Tabfäumen , erinnert und die Heil. Schrift allenthalben. "Gott
d, was Abraham für eine Zucht haben werde, und daß in der⸗
ben vornehmlich auf Gottesfurcht werde gejehen werden. Der
eppe Bollsigulweien, 2. W
— 0 —
Herr weiſt die Kinder ſelbſt in feinem Geſetz an, daß fie ie
Eltern und die diefe Stelle vertreten, ehren ſollen, und ift das
bad erite Gebot, Das Verheißung bat. Gottes Sohn, da a
Meuſch geworden, ging nicht allein in feiner zarten Kindheit allen
Kindern vor in Gehorfam, Unterthänigkeit und Gnade, fondem
da er fein heil. Predigtamt führte, ſprach er: Laßet Die Kinblen
zu mir fommen und wehret ihnen nicht, denn folcher ift das Hin⸗
melreih. Seine Apoftel binden den Eltern eruftlih ein, daß fe
die Kinder auferziehen in der Zucht und Vermahnung zum Herm.
Sohaunes fchreibt, daß die Kinder den Vater kennen, 1. Joh. 2,
14, und wo wir wollen in Himmel fommen, müßen wir den fis
bern gleih werben. "Wehe denen, die den Schmud von de
Kindern nehmen, den fie in der heil. Taufe befonmen, Mid. 2, 9,
wol aber denen, die Kinder chriftlich erziehen, und mit ihnen Kir
ber des lebendigen Gottes find, Hof. 1, 10. Das helfe und dad
beilige Kind Gottes, Jeſus. Amen.” —
ILL LH DS ID — —
Die Schulordnung war in befter Korm unter Iandesherclider
Auctorität publizirt worden und hätte den Anfang einer glüdlihen
Periode des Volksſchulweſens im Fürftentum Weimar begründen
fönnen, — wenn fie wirklich vollzogen worden wäre. Leider waren
aber die Schulmeifter ebenjowenig fähig, Diefelbe zu vollziehen, ald
die Gemeinden geneigt waren, derjelben nachzuleben. Cine allge
meine Kirchen⸗ uud Eculvifitation, welche i. 3. 1716 angefel!
wurde, bewies, Daß von dem, was die Schulorbnung vorjarie,
wur gar weniges befolgt wurde; uud alle Verordnungen, welche
erlagen wurden, um die Schulorduung wirkffam zu macheu!),
*) In einem Auszug aus der Generalvifitations-Verordnung von 1722 wurde
daher verfügt: Da ed „fonderlic zu beklagen, daß die Kinder die Schule allzuft
verfäunsen, auch deren viele ſich folder gar entziehen, und dadurch zum fündlühess
Müßiggang und ruchlofen, gottlofen, in den Abgrund der Hölle fürzenden bölt
Leben gebradyt worden, welches deren Eltern, oder wer fonft daran mehr ſqald
dermaleinft an dem zukünftigen großen Gerichtötag fehr ſchwer zu deran twocire
— 291 —
ohne Erfolg, weil die Vorbedingungen ihrer Ausführbarkeit
Es erklärt ſich daher, daß das Volksſchulweſen des Eiſe—⸗
Landes ſelbſt im Anfang der zweiten Hälfte des 18. Jahr⸗
ts noch lange nicht das war, was es zufolge der Schul
ıg fein ſollte.
Der damalige Zuftand der Eiſenacher Volksſchulen erhellt
tlih aus den ftatiftilchen Berichten über die einzelnen
n, welche das Oberconfiftorium zu Eiſenach durch Reſcript
IT. October 1768 aud allen Ephorieen bes Landes einzog.
nftellung der Schulmeifter, welche in der Regel zugleich
eindefchreiber waren, erfolgte fo, daß der zu einem
ımt Präfentirte, in der Kirche, an welche er fich gemelbet
im Leſen, Singen und Orgelfpiel geprüft wurde; hatte er
tüfung beftanden, fo wurde die Praäjentation vom ©eneral-
ıtendenten confirmirt, der ihn dem Adjunften (Spezials
intendenten) zuwies und fodann dur ben betreffenden
farrer in das Schulamt einführen ließ.
Die „Verpflichtung zur Gemeinde-Schreiberei” gejchah durch das
be Amt. Bei den Mädchen-Schulmeiftern fiel die Prüfung
. Die Bejoldung der Schulmeifter war fehr verjchieden.
ren an größeren Gemeinden hatten bin und wieder mehr
0 Thlr. jährliche Einnahme; dagegen brachten viele andere
ftellen jährlih Taum 30 Thlr. ein, fo Daß die Inhaber
en gendtigt waren, irgend ein Gewerbe, zuweilen gegen
— — —
als werden hierdurch die Eltern und diejenigen, ſo an deren ſtatt ſind,
angewieſen, daß ſie ihre Kinder hinkünftig fleißiger als bis anhero ge⸗
und zwar von Michaelis bis Johannis ungausgeſetzt zur rechten Beit des
über, von Iohannis bis - Michaelis alle Wochen nur zwei Stunden zur
ion, und daß fie dasjenige, mas fie erlernt, nicht vergeben, zur Schule
‚, und daraus ohne des Pfarrers Erlaubnis nicht nehmen, auch mit ihren
zu Haufe felbft fleißig beten, und felbige in aller Bottesfurcht und chriſt
Tugenden, und nicht wie leider bei etlichen gefchieht, zum Fluchen und
| groben und ärgerlihen Sünden Anlaß geben. Diejenigen Eltern nun,
em Decret zuwider leben, follen zum erftenmal gütlih ermahnt, zum
mal mit einem Tage Gefängnis belegt, bei fernerem Ungehorſam aber mit
ärterer umd fchimpfliherer Strafe angefehen werden.“ "
19°
— 292 —
Tagelohn, als Haupterwerbszweig zu betreiben *). Als Shulge,
hatte der Scyulmeifter von jedem Schulkinde jährlih etwa 4 — 8
Gyr. zu beziehen, konnte es aber nicht immer beitreiben. Orb
nungsmäßig follte der Ortspfarrer feine Echulen wöchentlid
- wenigfteng zweimal vifitiren, was indeffen namentlich von denjenigen
Pfarrern, die zugleih Filialkirchen hatten, nicht immer gejchah.
Die üblihen Schulbücher (über deren zu hoben Verkaufspreis und
mangelhafte Verbreitung geklagt wurde,) waren: ein ABE + Bud,
der Heine Katechismus Luthers, eine Ausgabe des Sirach, dei
Pfalters, der Evangelien, Des Neuen -TeftamentS oder ber ganyen
Bibel, das Eifenacyer Geſangbuch, Hübners Biblische Hiftorien und
Günthers Himmeldweg. An einzelnen Schulen wurde ber Unter:
richt nad) feitftehenden Lectionspläuen erteilt **); in anderen dage
gen war die Unterrichtöweije völlig planlos. An manchen Orten
wurden ganz armen Kindern die notwendigften Schulbücher aus
*) Noch in einem Beriht vom 21. Eeptember 1768 ftellte einer dr 6
fenadhifhen Geiſtlichen dem Oberconfiftorium vor: „Was werden alle gute
Verordnungen und Borfchriften ausrichten, wenn der Schulmeifter an den mein
Orten unferes Landes fein Brot mit Tagelohn uud Schneiden in der Endit
auch wol außer der Edyule mit Strumpfmahen, Scuhausbeßern, mufilaliſche
Inftrumente zu verfertigen, Hansgeräte und Geſchirre für die Landleute zu machen,
fuhen und wol gar im äußerften Notfall Anderer Mitleid anflehen oder erbetteln
muß, wodurd) er in Beratung kommt.“
**) Beifpielsweife wird hier folgende „Ansführlide Anmweifung“ mie de
neue Schulmeiſter Hieronymus Meifter die Mädchenſchule zu balten (aus d. 9.
1760) mitgeteilt:
„I. Die Kinder werden insgefammt iu 3 Elaffen eingeteilt. Zur erhen
Claſſe gehören diejenigen Kinder, welche 5 — 7 Winter in die Eule gehen, &—
zweiten Claſſe gehören die Kinder, fo 3 — 4 Winter in die Schule gehen; uw
dritten Claffe gehören diejenigen Kinder, fo den erften oder andern Winter indie
Edyule gehen.“
„I. Rad diefen verihiedenen Claſſen werden auch die Lectionen eingeteilt,
und zwar
1) Die Hauptftüde :
a) die in der erften Claſſe jagen das Hauptftüd ganz ber, nebſt den daze
gehörigen Sprüchen und Lehrpunften ;
b) die in der zweiten Claſſe fagen nur das Hauptftücd nebſt den dazu I
hörigen Sprüchen;
— 2193 —
Amenftiftungen, auch wol aus kirchlichen Mitteln angefchafft.
Fruͤherhin war auch ein Teil des bei Hochzeits- und Kindtauf&
— — —
c) die erſten in der dritten Claſſe ſagen nur das eine und das andere
Stüd her. und den unterſten wird etwas davon vorgefproden ımd die Kinder
agen es nad, bis fie es ind Gedächtnis faßen.
2) Das Lefen und der Anfang dazı:
a; in der erften Elaffe leſen die Oberſten in der Bibel ein Kapitel, ein
md 2— 4 Berfe, die anderen lefen im Neuen Teftament 1 — 3 Berfe.
b) die im der zweiten Elaffe lejen entweder im Palm oder Eirach oder
' Evangelienbuch ; .
c) die in der dritten Clafle fangen entweder an im Lefen im Katechismus
er buchſtabiren noch. Die Kleinften lernen die Buchftaben im UBE-Budh und
ıgen hiernach auch an zu budhftubiren ; j
d) dabei ‘aber ift noch zu merken, daß 4 — 6 Kinder auf einmal mitein-
ver dortreten, und menn eins anfogt, fo müßen die anderen in ihrem Buche
auf weifen und alfo fortgchen:
e) die kleinen Kinder dürfen nicht eher zum Lefen angeführt werden , als
fie recht buchftabiren können.
3) Die Eprüde:
a) die in der erften Glaffe müßen nah und 1a alle Eprüce lernen, die
Katechismo ftehen unter dem Namen der Lehr und Zroftfprüdhe. Die Keft-
üche werden furz vor den Feſttagen gelernt und wird ihnen den Tag vorher
Spruch aufgegeben. den fie den folgenden Tag herfagen follen, und wenn fie
ganzes Kapitel hinaus gelernt haben, fo wird ihnen das ganze Kapitel noch
mal aufgegeben, daB fie es den folgenden Tag auf einmal hHerfagen, ein
e8 einen Spruh;
bi die in der zweiten Klaffe lernen auch die meiften Sprüche, fonderlich
mit einem Kreuz im Katediiemo bezeichnet find; und wird es ebeufo mit dem
men gehalten, wie bei der erften Claſſe. Denen in der dritten Glaffe ſpricht
n ein leichtes Sprüchlein vor, fo lange bis fie e& fönnen, und dann nimmt
n ein anderes.
4) Die Pfalmen:
a) don den Pfalmen köunen auswendig gelernt werden
1) die Bußpfalmen, Pf. 6. 32. 38. 51. 102. 130 und 143.
2) nebft denen nod folgende: Pf. 1. 23. 100. 103. 117. 139;
b) mit diefen wird e8 ebenfo gehalten al® mit den Sprüchen.
5) Die Fragfüde Lutheri und die Haustafel werden nur mit der erften
€ getrieben.
a) bei den Fragftüden treten 2 Mädchen auf, die eine fragt und bie
"© antwortet;
— 294 —
ſchmäußen gefammelten Geldes zu dieſem Zwecke verwandt worden.
Indeſſen waren die leßteren gefeplich abgefchafft worden und die
b) in der Haustafel wird nur eine Lection auf einmal genommen, hemsd
die andere und fofort.
6) Die biblifhen Hiftorien:
a) dieſe gehören auch nur für die erfte Claſſe und wird alle Nachmittag
eine genommen, Montag und Dinstag an jedem Tage eine aus dem Alten Tefe-
ment, Donnerftag und Freitag einen Tag eine aus dem Neuen Teftament;
b) da pflegt dann ein Mädchen das andere die Hiftorie zu befragen, und
fönnen die Mädchen mit einander abmwechfeln, wie fie nad) der Ordnung folgen;
c) die gottfeligen Gedanken, die in Werfen verfaft, müßen fie aus-
wendig lernen.
7) Das Schreiben:
a) die Mädchen in der erften Elaffe müßen nad der fürftlL &chulordmung
alle fchreiben lernen;
b) daher müßen fie fich kleine Schreibebücher machen von 2 Bogen Papier;
c) den Anfängern werden die Buchftaben die Seite lang herunter vorge:
fchrieben, welche fie, fo gut fie können, nachmachen, und wird ihnen eima Des
Schuldiener oder fonft jemand zu Haufe ihnen anfänglid die Hand führen;
d) wenn fie die Buchftaben fchreiben können, fo werden ihnen oben que!
über Sprüce vorgeſchrieben, welche fie herlefen müßen.
8) Das Balen: |
a) es werden ihnen zuerft die Hauptzalen bekannt gemadt (1 — 9);
b) hernach wie viel es ift, wenn eine Rull bei den Hauptzalen fteht (10-90):
c) wenn 2 Zalen bei einander ftehn, fo werden fie rüdwärts gelefn;
d) wenn 3 Zalen ftehn, fo bedeutet die erfte fo viele Hundert al D*
Bal ausdrüdt;
e) Wenn 4 Zalen ftehen, fo bedeutet die erfte Taufend, die andere (uber,
die dritte foviel Zehn, und die vierte, was fie ausdrückt.
9) Die Reimgebetlein im Katechismus,
Diefe müßen fie Alle lernen, nur mit dem Unterſchied, daß den Mist
Kindern zuerft die leichten und kurzen vorgefagt werden.
10) Die Sefänge:
a) die Kinder, fonderlid in der oberen Claſſe, müßen Geſangbücher ie
und ſolche allegeit mit in die Schule bringen, und wenn ein Gefang gm
wird, fo müßen fie ſolchen felbft auffuchen lernen;
b) die Kinder müßen aud) einige Gefänge auswendig lernen
1) einige von den Morgen- und Abendgebeten ;
2) einige von den Buß- und anderen Liedern,
3) einige von den Feftliedern,
— 290 —
fleren famen nur noch felten vor. Drbnungsmäßig ſollte das
mze Jahr hindurch Schule gehalten werben. Indeſſen war es
den meiſten Gemeinden durchaus unmoͤglich, die Sommerſchule
regelmaͤßigen Gang zu bringen. Nur von Michaelis bis
fern wurde Vormittags 3 Stunden und Nachmittags 3 Stunden
ng, von Dftern bis Johannis nur Vormittags Schule gehalten.
n einigen Orten wurbe die Echule von Johannis bi8 Michaelis
n den Wochenkirchtagen, Dinstags und Freitags Vormittags,
ber nur von fehr wenigen Kindern beſucht. An anderen Orten
Negten die Pfarrer in diefem BVierteljahre, um einigermaßen den
nterbrochenen Schulunterricht zu erfeßen, Sonntags öffentliche
atechismusexamina zu halten, ober der Schulmeifter verfammelte
Sonntage um 12 — 1 Uhr die Schulkinder in der Kirche, um
it ihnen den Katechismus, die Sprüche und die Reimgebetlein
II Außerdem bat der Schuldiener noch dahin zu fehen:
1) daß die Kinder in der Schule ftille fipen, fein unordentliches Geräuſch
ıhen, wenn eins auffagt, die andern nicht laut nachſprechen oder dem fehlenden
fen und verbeßern mollen, fondern nur aufmerffam und in der Gtifle ihre
tion lernen, nicht mit einander plaudern, noch fi zanfen oder drangen;
2) Daß wenn die Schule aus ift, die Kinder ordentlih aus der Schule
ſen, die Heinften zuerft, hernach die andern und dann zuiegt die größeren, auf
Gaße ftille ftehen und fich alles Schreiens enthalten ;
3) daß wenn in der Woche in der Kirche Betftunde gehalten wird, fie aus
Schule insgefammt iu die Kirche gehen, den Gefang mitfingen, das Kapitel
nadjlefen und dann das Bebet auf den Knicen verrichten;
4) daß fie auch die Sonntage in die Kirche gehen, ihre Geſangbücher
rehmen, die Lieder auffhlagen und mitſingen, auf die Predigt fleibig Achtung
m, fi die Sprüche und angeführten Berfe aus den Gefängen merken, und
e zu Haufe nadhfchlagen, damit fie ſolche bei den öffentlihen Examen berfagen
ten. Und wenn fein öffentlid) Eramen gehalten wird, fo kaun der Schuldiener
Den Montag die Predigt kurz egaminiren, wenn die anderen Lectionen
ei find;
5) daß die Kinder im Beten, Lefen und Herſagen der Hauptſtücke, Sprüche,
en ıc. angewöhnt werden, langfam und deutlich zu reden, aud die Silben
! ausfprechen, nichts hineinfegen nocd die Worte verändern.
IV. Siernädft hat auch der Schuldiener alljährlich ein Verzeichnis ber
»Er, mer ihre Eltern, wie viel mal eins im Winter die Schule verfäunt, und
Diele Winter ed im die Schule gegangen, zu verfertigen.“
— 296 —
zu wiederholen. — Im Jahre 1766 machte das Oberconflftor-g,
zu Eiſenach den Verſuch, einen ununterbrochenen Schhulbefuh dxyz,
den ganzen Sommer hindurch bis zu Michaelis durchzufegen, zu
zog deshalb aus allen Diöcefen Berichte über die in den einzelnen
Gemeinden vorhandne Einrichtung und Dauer der Sommerſqule
und über die Gründe ein, weshalb Diefelbe nicht ordnungsmäßig
gehalten werde. Aus den hierauf einlaufenden Berichten ber
Pfarrer ergab es fi, daß Die große Not des armen Landvolles,
welches feine Kinder jo früh als möglidy zur Arbeit, namentlich
zum Viehhüten (denn &emeindehirten waren nicht vorbanden,)
gebrauchen muften, die Völlziehung ver Schulorbuung im Sommer
unmöglihd machte. Es galt als uralted Recht, daß die Eltern
ihre Kinder, fobald der Mai fam, der Schule entziehen und für
fich verwenden fonnten. Es war daher ganz umfonft, daß had
Oberconfiftorium zu Eiſenach durch Refcript vom 21. März 1768
die Schule wenigftens bis zu Johannis unausgejeßt zu halten und
zu bejuchen befahl: die Schulmeifter entfchuldigten die Nichlbe—
folgung dieſes Befehle mit dem „Wegbleiben der Kinder, die
Kinder mit dem Befehle ihrer Eltern, die Eltern mit den fchlimmen
Zeiten und der nötigen Arbeit.” Die Pfarrer wuſten daher dem
Oberconfiftorium nichts beßered vorzufchlagen, als daß man es
mit den Sommerjchulen gehen laße, wie es gehen wollte, und
daß man zufrieden fein möge, wenn die Schulen nur nicht gamı
eingingen.
Die alte Eifenachifche Schulordnung von 1705 war überall
längft vergeßen und nirgends befolgt. Da machte zuerft ber
Dberconfiftorial- und Hofrat Erdmann zu Eifenady das Ober
confiftorium daſelbſt in einer Eingabe vom 19. Mai 1751 af
die alte Schulordnung wieder aufmerffam und bat, Diefelbe mit
zeitgemäßen Modificationen zu erneuern. Der Generalfuperinten
dent Meißenborn zu Eiſenach billigte den Antrag vollfommen und
ließ fih von Erdmann eins der wenigen noch vorhandnen
Exemplare der Schulorduung mit den Verbeßerungsvorfchlägen
besfelben vorlegen. Indeſſen blieb die Sache liegen, weshalb
Erdmann ſechszehn Jahre fpäter, i. 3. 1767, feinen früher ge
ftellten Antrag bei dem Oberconfiftorium erneuerte, Sept endlich
— 297 —
bm bdasfelbe Die allerdings wegen des beflagenswerten Buftan-
8 der Volksſchulen unaufſchiebbare Sache ernftlich in die Hand,
beauftragte im Februar 1768 den damaligen Beneralfuperin>
ndenten Köhler und den Oberconfiftorials Affeffor und Archidi a⸗
‚nud Petri zu Eiſenach, den Entwinf einer neuen Schulorbnung
aözuarbeiten und einzufenden. Der erftere veranlafte es, daß
ah der (in der Realſchule zu Berlin üblichen) „Berliner Un-
rrichtsmethode,“ der Plan einer gleichzeitigen Beichäftigung aller
chulkinder in allen Lehrftunden feftgehalten wurde. Außerdem .
bielten Erdmanns Vorfchläge jowie die Braunfchweigiihe Schul-
dnung billige Berüdfichtigung. Als Bafid des Entwurfs wurbe
e Schulordnung von 1705 verwendet. Die eigentliche Conci-
Fung der Arbeit übernahm Petri, der diefelbe am 7. Sept. 1768
das Oberconfiftorium zu Weimar einjandte und zugleich auf
8 Bedürfniß der Errichtung eines Schullehrerfeminard aufmerk⸗
m machte. Zwei Sabre lang beichäftigte ſich das Oberconſi⸗
'rium mit der Prüfung und Ueberarbeitung des Entwurfs, bie
dlich derfelbe der Herzogin Anna Amalia (ald regierenden Bor:
inderin des Erbprinzen Karl Auguft) vorgelegt, von dieſer
a 16. März 1770 beftätigt und im Drud verbreitet wurbe,
Das neue Statut umfafte unter dem Xitel „Erueuerte
chulordnung für Die deutfchen Schulen auf dem Lande im Für-
ntum Eiſennach“ 6. Kapitel, von deren Inhalt Folgendes her⸗
tzuheben ift: Kap. I. „Bon "der Aufficht der Pfarrer über Die
hulen ihrer Gemeinden:“ $. 1. „Iſt es an dem, daß das Heil
e Kinder unferm Erzhirten Chriſto Jeſu eben fo ſehr als die
olfahrt der Erwachſenen am Herzen liege, hat er feinen Apofteln
d allen ihren Nachfolgern im Predigtamte befohlen, nicht nur
ie Schafe, fondern auch feine Lämmer zu weiden, jo haben
Prediger bie große Pflicht auf fih, mit eben der Wachſam⸗
und Treue zu forgen, baß die Kinder ihrer Gemeinden nicht
zu nühlihen Mitgliedern des gemeinen Weſens erzogen, fon-
N auch zu Chriſto Jeſu geführt werden. Und da in unfern
ageliſchen Landen durch die überall angelegten Schulen die
trefflichſten Anftalten zu dieſem Bwede vorhanden find, fo
Ben fie ihr Augenmerk ganz beſonders barauf richten, daß bie
— 298 —
Schulen ſowol in Anſehung der Unterweiſungen der Kinde
ber Zucht in einem guten Zuſtand erhalten uud immer mehr
beßert werden.” — 8.2. „Zu dem Ende muß ein jeder Pfarrez ;
feinen Predigten mehrmald Belegenheit nehmen, von dem gene
Nugen der Schulen und der Wolthaten, die dadurch von Got |
ben Menfchen erwieſen werden, zu reden, auch Eltern und Kindern |
ihre Pflichten in Anſehung der Schulen nachdrücklichſt ans gen
zu legen. Auf den Michaelistag, an weldhem der Aufang
ber völligen Schule von der Kanzel obzufündigen ift, fol er eine
Predigt halten, Die allein auf das Schulmwefen ge:
richtet if.” — F. 7. „Wenn der Schulmeifter Krankheit oder
‚einer nötigen Reife wegen die Schule nicht felbft Halten Kann, fo
wird ein treuer Prediger beforgt fein, daß indeffen bie Säule
in feine Unordnung gerate. Zu dem Ende wird er, fo lange der
Schulmeifter in der Schule nicht zugegen fein kann, täglid bie
Schule beſuchen, oder wenn es feine übrigen Amtsverrichtungen
zulaßen, lieber jelbft Schule halten, follte es auch täglih eine
oder ein paar Stunden weniger, ald ed gewoͤhnlich ift, geſchehen
können.“ — ($. 10. Schulpflichtigkeit aller Kinder vom 5.-13-
Lebensjahre.) — $. 11. „Endlich fol der Pfarrer jährlid int
der Woche vor Kohannis ein Schulegamen anftellen, und basllbe
Sonntags vorher von der Kanzel abkündigen. Zu bdenjdben
ſollen fi die im Orte wohnenden Gerichtsobrigkeiten, Schulere,
Gerichtöjchöffen, Gemeindeälteften und Heiligenmeifter einfindes -
wie denn auch den Eltern der Schulkinder freifteht, bei demielbes®
gegenwärtig zu fein.” — — Kap. I. „Bon den Pflichten de?
Schulmeifters.” 6. 13. „Ein jeder Schulmeifter hat wol zu be
benfen, daß fein Amt in der Kirche Gottes und dem Staat me
ber wichtigften, daß fein Verhalten auf das Wol und Wehe wie®
Seelen und auf den guten und fhlechten Zuftand des gemenes®
Weſens großen Einfluß babe. Er wird fi) deswegen — ie
wahren und ungeheuchelten Chriſtentums und einer aufridtigen®
Gottſeligkeit befleißigen, damit er alle feine Pflichten mit Freudig⸗
feit bed Geiſtes und wahrer Treue erfülle und fi babe Ir®
göttlichen Beiftandes und Segens verfichern könne. Gr wird IP
überdem ehrbar aufführen und guter anftändiger Sitten befleilig®-
— 299 —
— Seine Frau, Kinder und Geſinde muß er ebenfalls zur Goi⸗
teßfurcht anhalten und dahin fehen, daß in feinem ganzen Haufe
Alles ordentlich und ehrbar zugehe. Er darf deswegen das Schuls
haus durchaus nicht zu Sauf- und Tanzgelagen mißbrauchen
lagen. Die Achtung und Liebe der Gemeinde fol er nicht durch
Zehen und Spielen mit den Einwohnern in Schänfen, Wirtd
häufern und andern Orten, Auffpielen bei Tänzen, auch nicht
durch Poſſen und Narrenteidung, dergleichen leider von einigen
bei Ehrenmahlen und andern Zufammenkünften getrieben werben,
jondern durch Gottſeligkeit, Tugend, Höflichkeit und Treue in
einem Amte zu erwerben ſuchen.“ — $. 15. „Die Schule wird
on Michaelis bis Johannis mit den fämmtlichen zur Schule ge
yörigen Kindern Vormittags 3 Stunden und Nachmittags 3 Stum
er gehalten. Keine von dieſen Stunden datf ohne Hinlänglicdhe
Irfache und ohne Vorwißen und Erlaubnis des Pfarrers ausge⸗
etzt werden. — Alle Tage der Woche wird Schule gehalten,
Sommeräzeit frühe von 6—9 Uhr, Winterszeit von 7—10 Uhr.
Die Nachmittagsfchule geht im Winter und Sommer um 12 Uhr
n und währet bi8 3 Uhr. Mittwochs und Sonnabends ‚Nach:
rüttags find Ferien, wie denn auch die Nachmittagsjchule den
Ag dor einem einfallenden Fefte eingeftellt wird. Wo aber das
rue oder andere Felt an einem Orte nicht gefeiert würde, Darf
uch feine Schule weder an dem Tage des an andern Orten
ı feiernden Feftes, noch den Tag vorher ausgefeßt werben.” —
- 16. „Damit aber die Kinder durch dreimonatliche Ferien nicht
dieder vergeben , was« fie in 9 Monaten mit vieler Mühe des
Schulmeifterö gelernt haben und hernach jedesmal von vorn an:
fangen müßen, fo fol in den &erien wöchentlich 2 Stunden
Schule gehalten werben, denen ſich keins von den Schulfindern
bei nachdrücklicher Strafe entziehen darf. Der Pfarrer und Schul:
nefter jeded Orts werden miteinander überlegen, welden Tag
der Wochen uud welche Stunden des Tages an ihrem Orte hier:
4 Die bequemften find. — Da aber an einigen Orten dieſes
!fkentumd wegen Mangeld eines gemeinen Viehhirten oder einer
Meinen Weide ein jeder Hauswirt fein Vieh felbft hüten muß,
au dieſer Verrichtung mehrenteild feine Kinder braucht, —
— 300 —
fo fol es Fünftig an diefen Orten alfo gehalten werben: 1) Ep,
follen das Vieh zu ber Zeit, wenn ihre Kinder in der S yy,
fein müßen, entweder felbft hüten oder jemanden dazu in Die
nehmen. 2) Wenn Eltern notwendiger Arbeit und Armut wege
ihr Vieh nicht felbft hüten oder dazu Jemanden Dingen fönnen,
aber 2 oder mehrere Kinder haben, Die zu dieſer Verrichtung ge
braucht werden koͤnnen, follen dieſe Kinder von der Zeit an, da
das Viehhüten angeht, mit der Schule dergeftalt abwechfeln, dah,
indem das eine die drei erften Tage der Woche das Vieh hüte,
das andere Kind diefelbigen Tage Vor- und Nachmittags unauk
bleiblih zur Schule gehe. Die drei letzten Wochentage hütd
dasſelbe das Vieh, fo die erfteren Wochentage in der Schule ge
weſen, das andere findet fih in der Schule ein. 3) An der Zeit
von Johannis bis Michaelis Bleibt ed mit fämmtlichen Sul
findern bei dem, was $. 16 verorbnet ift, indem durch zwei
Stunden in der Woche wenig oder nichts beim Wiehhüten ver
fäumt wird. 4) Wo in einem Haufe nur ein Kind ift, das zum
Viehhüten gebraucht werben kaun, — fo fol den Eltern nad
porgängigem Bericht des Pfarrerd — erlaubt werden, ein ſolches
Kind des Tags nur einmal zur Schule zu fchiden, eine Wodt
des Vormittagd , Die andere Woche des Nachmittags." —
$. 21. „Die Kinder werben in 4 Rlaffen geteilt; wo der Kinder
nur eine Fleine Anzal ift, werden 3 Slaffen gemacht. In die
erfte gehören Die fertigen Leſer, in die andre Die Anfänger im
Lejen, in die dritte die Buchftabirfinder und in die vierte die
ABCſchuͤler. Diefe Kinder werden in ber Erlernung der Bud
ftaben, im Buchſtabiren, Leſen, Schreiben, Rechnen,
Chriftentum und einige in der Muſik unterrichtet. Die
Ordhung der Lectionen und die babei zu gebrauchende Lehrart f
folgende:
Montag.
Erfte Vormittagsſtunde.
1) Wird ein Lied, und wenn es zu lang iſt, bie Hilfte
gefungen,, welches ber Schulmeifter Iaut und deutlich vorfagt md
— 301 —
yarauf mit fämmtlichen Kindern nachfingt. Alle Monate wird ein
ed, das der Pfarrer entweder ganz oder ftüdweife aufgibt, ers
wählt, damit es Große und Kleine durch das öftere Singen
lernen. Die Kinder dürfen dabei fein Gefangbuch brauden, da⸗
mit fie nicht durch Blättern in demfelben fich zerftreuen und das
ed nicht lernen. 2) Hierauf wird gebetet, welches langfam und
deutlich gefchieht. Ein Knabe Liefet den monatlichen Pfalm, und
mit dem Gebet des Herrn wird gejchloßen. 3) Wird die Sonns
tageprebigt wiederholt. Der Schulmeifter laͤſt fi von etlichen -
Rindern jagen, was fie für einen Spruch oder Lehre aus ber
Predigt behalten haben, und. wendet alles mit wenigen Worten
ur Grbauung der Kinder an. Die Faͤhigern werben von ihnen
angewiefen, wie fie erft den Hauptinhalt einer Predigt, die Pro-
oftion und Ginleitung anmerken; und wo fie dieſes gefaft, wird
hnen Anleitung gegeben, wie fie ben ganzen Inhalt einer fonft
tdentlichen Predigt notiren und dem Gebächtnis einverleiben
Önnen.
Andre Bormittagsftunde.
1) In der erſten halben Stunde leſen die fertigen Leſer
nige Kapitel aus der Bibel alten oder neuen Teftamentd, bald
le zugleih, bald diefer, bald jener, welcher vom Schulmeifter
zu aufgerufen wird. Bald buchftabiren fie alle zugleich, bald
ıB einer und ber andere damit fortfahren. Während dieſer
"bung wird den Anfängern im Lefen und den eigentlihen Buch⸗
birkindern ihr Wochenſpruch etliche Mal deutlich vorgefagt, Doch
bt cher, bis fie den Wochenfprucdy der unterften Klaſſe wißen.
Sin der andern halben Stunde Buchftabiren die Anfänger im
jen und die eigentlichen Buchſtabirkinder bald alle zufammen,
[D immer allein, der von dem Schulmeifter aufgefordert wird.
um Schluffe diefer Arbeit werden die Anfänger im Leſen zum
len angewiejen und barin geübt. Unter diefer Arbeit aber
:cden die Großen im Aufichlagen der Bibel geübt, lernen ihre
Ohenfprüche, doch nicht eher, bis fie den Spruch der mittleren
-aflen wißen. Zuweilen machen fie ſich die Namen ber biblifchen
ücher nach der Reihe befannt. — Die ABCſchüler lernen täglich
— 302 —
einen ober zwei Buchftaben nicht nad der Reihe. Sie Mey
dabei vor der größeren Tafel und haben ihre ABCbücher vor fg
aufgefchlagen.. Der Schulmeifter mahlt einen Buchflaben ar
Kreide an die Tafel oder auf ein Papier, das er an die Zafel
hängt, zeigt ihnen die Geftalt und Züge des Buchftaben und läf
fih fodanı Ddenfelben in ihren Büchern zeigen. ‘Damit fährt a
fort, bis fie den Buchſtaben alle kennen. Gr gebt jobann zu
einem andern fort, von ben einfachen Selbftlautern zu den Dop
pellautern und ftummen Buchftaben. Dieje Hebung nimmt er vor .
zwifchen dem Leſen und Buchftabiren der übrigen Kinder. ©%
bald fie die Buchftaben völlig kennen, werben fie unter bie eigenl
lihen Buchftabirkinder gefept.
Dritte Bormittagsftunde.
1) Su der erften halben Stunde fchreiben Die größeren,
und in der andern halben Stunde wird ihnen das Geſchriebene
mit roter Dinte corrigirt. Kein Kind wird in der Gore
übergangen. — Was an dem einen Tage corrigirt worden, ſchreibt
bad Kind den folgenden Tag noch einmal nad) der Gorrectur. —
2) Indem die Größeren fchreiben, werden die Anfänger im Lem,
die Buchſtabir⸗ und ABCkinder vorgenommen. Die erfteren wer
den jowol im Buchſtabiren als Leſen, die andern blos im Buch⸗
flabiren, und die ganz Eleinen in Erlernung der Buchftaben auf
bie oben angezeigte Weife geübt. — Zum Beichluß wird dr
monatliche Pſalm gelefen, und das Vater Unſer gebetet, aud mi
einem Berfe aus dem monatlichen Liebe gejchloßen. Zuweilen
wird flatt des Pfalms das monatliche Lieb gefungen.
Montags Nahmittags.
Erfte Stunde.
1. Werden einige Verſe aus dem monatlichen Liede geſungen,
ber monatliche Pfalm vorgelefen und das Vater unfer, auch „HT
lehre mich thun“ ac. oder ein anderes kurzes Gebet gebetet. ©
dann lernen die Kinder ein Stud aus dem Katechismus. Diele?
Stüd liefet ihnen der Schulmeifter etlichemal nad) einander las‘
Jam und beutlid, vor. Die Leſekinder leſen dabei in ihrem af’
— 303 —
ſchlagenen Katehismo in der Stille nad. Darauf lefen bie
fefinder dieſes Stück alle zugleih und die übrigen hören fill
d aufmerffam zu. Darauf fagt der Schulmeifter von dieſem
tüd ein Comma nad) dem andern den Kindern vor, und läft es
n ihnen nachfprechen, bis fie es Lönnen. Dann nimmt er 2,
4 Commata und endlid das ganze Stud vor. Lernen fie ſol⸗
8 den einen Tag nicht, jo wird es den andern Tag wiederholt.
ie biblifchen Worte des Katechismus lernen alle Kinder, die
islegung aber des Katechidmus wird von den größeren bloß
xch oͤfteres Herlefen gelernt. Endlich jagt eine jede Klafje ihren
ochenſpruch, die Großen einen längereh, die Mittleren einen
tzeren und die Kleinen einen aus wenigen Worten beftehenden
pruh. So lernen die Kinder wöchentli ein Stüd aus dem
techismud, drei Sprüche, monatlidy aber einen Pfalm und ein
d.
Andere Stunde.
1. Sn der erften halben Stunde lejen die fertigen Leſer
erft, Dann werden bie Anfänger im Leſen, fowol im Buchſtabiren
3 im Leſen vorgenommen. 2, In der andern halben Stunde
den die Buchftabirkinder im Buchſtabiren und zugleich bie
BCkinder wieder in Erlernung der Buchftaben geübt. Während
fer Uebung werden zugleich die oberen Slafjen zuweilen zum
jen und Buchftabiren aufgerufen, damit alle zugleich in der Aufs
erkſamkeit erhalten werben.
Dritte Stunde.
1. In der erften halben Stunde wird teild gejchrieben teils
vehnet. Den Faͤhigeren wird etwas Ddictirt, auch werden fie
Mm Briefichreiben angewiefen. Die Worte, fo fie falfch gefchrie-
a, werden angemerkt, den folgenden Tag corrigirt und richtig
die Tafel gejchrieben, damit zugleich die übrigen davon Nutzen
ben. Unter dem Schreiben und Rechnen werden bald die Buch
Bir-, bald die ABCkinder aufgefordert etwas zu buchftabiren
er ihre Buchftaben zu zeigen. 2. In der legten halben Stunde
rd bibliſche Hiſtorie erjtlich von dem Schulmeifter, fobann von
— 304 —
einigen fertigen Leſern etlichemal langfam und Taut vorgelefen, Ay
zu lernende Stüd bed Katechismi wird vorgelefen, dann gemZu
und mit einem oder etlichen Verjen aus einem Liebe der Schuf
gemadht.
Diustags, Donnerdtags und Freitags wird es ebenfo ge
halten, nur daß an denfelben ſtatt der montäglichen Wieberholug |
der Sonntagspredigt ein Stud aus dem Katechismo zergliedert,
furz erklärt und zugleih an das Herz ber Kinder gelegt wit.
Die Schulmeifter bedienen ſich hierzu Löſekens zergliederten Kate
chismus Lutheri. Diefes haben fie alfo einzurichten, daß ber Av
techismus vierteljährlich zu Ende gebracht wird.
Mittwochs werden eben die Lectionen vorgenommen, wie an
ben übrigen Tagen. Statt ber Erklärung des Katechismus wirt
die vorher zwei Tage vorgelefene bibliſche Hiftorie noch einmal
vorgelefen, und von dem Schulmeifter werden die Kinder au
derfelben egaminirt, auch die Probe gemacht, ob eins ober dal
andere dieſe Hiftorie, obgleich mit anderen Worten, erzälen fan
Des Sonnabends werden zuerft die Sprüche, Pfalmen und
Lieder wiederholt. Darauf wird, wie am Mittwoch, eine bibliſche
Hiftorie, die Donnerstags und Freitags vorgelefen worben, aber
mals vorgelefen und durchgefragt. Dann werden die Sonntage
evangelien und Epifteln gelefen, und, fo einige größere fie zu
Haufe auswendig gelernt, von denfelben hergefagt. Ferner werben
bie Kinder in der Orthographie alfo geübt, daß einer ein od
etliche Worte, die ihm der Schulmeifter fagt, an die Tafel ſchreibt,
welche denn hernach corrigirt werden. Und da teild zur Uebung
der Schulkinder teild zur Erinnerung und Erwedung der Emo
fenen die gute Einrichtung auf dem Lande ift, daß des Sonntage
Nachmittags ein Hauptflüd aus dem Katechismus Rutheri, Fefttag?
aber Rofini Fragftüde von zwei Schulfindern in ber Kirche vor
Öffentlicher Verſammlung hergefagt werden, fo muß ber Edul
meifter des Sonnabends die Kinder, fo den Sonntag auftreten
follen , verhoͤren, damit fie nicht anftoßen und durch ihre Vewir⸗
rung den daburch gefuchten Endzweck hindern. — Der Beſchluß
wird unter berzlidher Ermahnung, den bevorftehenden Somtag
heilfamlich zu feiern, mit Gebet und Gefang gemacht.“
— 306 —
inf folgen Kap. UL „Von dem Verhalten der Schuls
tap. IV. „Von der Pfliht der Eltern und Vormünder
ig der Schulen.” ($. 51: „Sollten Eltern durch die
mut in die Notwendigkeit gefeßt werden, ein Kind
Sndigung feiner Schuljahre zu vermieten, follen fie jol-
dem Pfarrer ald ihrer Obrigfeit gebührend anzeigen,
n nad) gefchehener genauer Unterfuchung und erfannter
totwendigfeit Die Erlaubnis dazu zu geben. Doch foll
e folgenden Einfchränkungen gejchehen: Ein ſolches Kind
ı feinem Hirten vermietet werden, weil es fonft faft
ile des Jahrs weder zur Kirche noch zur Schule kom⸗
Es darf 2) nicht aus dem Lande oder zu fremden
rwanbten vermietet werden. Es muß 3) ohne Lohn
um den Unterhalt dienen. Und 4) der Dienftherr ift
daſſelbe täglich zwei Stunden, wie audy in den Kerien
:ordnieten Stunden jeder Mode zur Schule zu ſchicken.
chulmeiſter aber ift fchuldig, daſſelbige Kind, wo Nies
is bezalen kann, ohne Echulgeldb zu unterrichten.”
Bon dem Amt der Superintendenten, Snfpectoren und
m bei dem Schulwefen.” (Schlußparagraph 64: „Die
jedes Orts fol veranftalten, daß diefe Schulordnung
am Michaelistage [heiligen Abend] der Gemeinde un-
) vorgelefen werde.) — —
neue Schulordnung wurde ordnungsmäßig publizirt und
Irten den Geiftlihen und Schullehrern zur Nachachtung
aber es ging ihr nicht beßer als der alten Schulorb-
1705. Schon im Mai 1781 mufte das Oberconfifto-
inem Generale alle Pfarrer und Schulmeifter darüber
Ichaft ziehen, daß Die Schulordnung an vielen Orten
fgeftellt fei, und daß faft überall nur von Michaelis
ı Schule gehalten werde. MUeberhaupt ſah man ein,
Schulweſen noch auf ganz anderen Wegen aufgeholfen
üße, als durch die - Aufftellung einer Schulordnung.
re erachtete man vor Allem für nötig, daß in den Ge-
ie in den Schullehrern erft der Sinn für geiftige Bil⸗
dt und daß die äußere Lage ber leßteren gebeßert wer⸗
gfchu lweſen, 2.
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den müße, wenn die Volksſchule gedeihen ſollte. Hierzu wzru
die Ginrihtung von Sonntagsſchulen, die Organifirung eine
Schullehrerfeminard und die Errichtung einer Generalſchullaſe
für nötig befunden. |
Die Einrihtung von Sonntagsſchulen erfolgte i. J. 17%.
Unter dem 8. Oktober 1790 wurbe nemlich von dem Obercon⸗
ſiſtoruum zu Eifenach verordnet, daB ale jungen Mannsperſonen
vom 14. bis 20. Jahre Sonntags nad) geendigtem Gotteöbienfe
fi in der Schule ihres Orts unter Aufficht eines oder mehrer
Gemeindevorſteher einfinden, daſelbſt eine Vorlefung des Edul
meifter8 aus Seiler Lefebucdy anhören und ſich über den {nhall
der Vorlefung von dem Schulmeifter befragen laßen follten. Auch
erfchien unter demfelben Datum eine gedrudte JInſtruction übe
die Art und Weife, nach welcher Prediger und Lehrer im Fürften
tum Eiſenach das Leſebuch Seilerd gebrauchen follten. Yür jet
Schule wurden zwei Exemplare der Verordnung angeſchafft. Bald
darauf wurde von dem Inſpector Wilda aus Großrudeftedt ar
gefragt, wie er fich zu verhalten habe, wenn, was voraudzujehe
jei, die jungen Burſchen ſich weigern würden, die Sonntagsſchulen
zu bejuchen. Wilda erhielt den Bejcheid, die jungen Burſchen zu
bedeuten, daß fie ohnfehlbar zwangsweiſe zum Beſuche der Eonw
tagsjchulen angehalten werden würden, wenn fie biefelben nidt
gutwillig bejuchten, daß jedoch von Johannis bis Michaelis die
Sonntagsſchulen überall ansgejeßt werden jollten.
Indeſſen Fam fofort ein andrer Punkt zur Spradye, nemlich
die Frage, wer den für die Sonntagsfchulen erforderlichen Auf
wand an Holz und Licht tragen, und ob die Echulmeifter für die
ihnen aufgebürdete neue Mühe eine Vergütung erhalten jollten-
Die letztere wurde den Echulmtiftern abgefchlagen, weil fie ſich
durch das Norlefen in der Sonntagsichule zugleich ſelbſt beichrten >
dagegen wurden die Gemeinden angewiefen, das erforderliche His“
und Brennmaterial aus ihren eignen Mitteln zu beichaffen und
ih deshalb mit den Schulmeiftern abzufinden.
Demgemäß wurden die Sonntagsſchulen überall eingerihte®r
fanden aber faft nirgends in den Gemeinden dauernd Anklang-
weshalb fi der Generaljuperintendent Schneider veranlaf je»
— 301 —
en Beiftlichen des Fürftentums darüber Bericht einzuziehen,
mit den Sonntagsſchulen und mit ber Ginführung bes
ben Leſebuches ſtehe. Alle Berichte, welche infolge deſſen
n, flimmten darin überein, daß die Sonntagsfchulen an«
eißig beſucht, aber nach Verlauf eines Vierteljahres immer
eworden waren. Wurde den Bauern darüber Vorhalt ges
o entjhuldigten fi biefelben mit der Antwort, daß in
Lefebuch vieles ftehe, was fie ebenſo gut und zum Teil
per wüften. Sie fähen nicht ein, warum fie fich dieſes
‚ten vorleſen laßen; denn da e8 wegen feiner Leichtfaßs
‚einer Erläuterung bebürfe, jo fönnten fie e8 zu bequeme-
ſelbſt lefen. Andere meinten, der Unterricht in der Geo-
Himmelsfunde, Zeitrechnung u. dergl. fei für fie eben fo
ch, al& er für ihre Eltern entbehrlich geweſen fet, hätten
nem Sonntag den Gottesdienft zweimal bejucht; jo hätten
tiefen Tag „gute Sachen genug gethan.“ Die Sonntags
drohten daher fait überall wieder einzugehen, Da Die jungen
ı fih in Ddenjelben entweder gar nicht jehen ließen, oder
ver Abfidht kamen, um Pollen zu treiben.
as Dberconfiftorium erließ deshalb einen neuen Befehl an
fiftorialämter, wonach es den Gemeindevorftehern ernfts
r Pfliht gemacht werden follte, den Vorleſungen beizus
Ale jungen Burfchen, weldye diejelben verfäumten oder
fen ftörten, follten notirt und zur Strafe gezogen werben.
wendete fich die Gemeinde zu Kaltennorbheim in einer
iteingabe unter dem 28. November 1792 an den Landes-
ıd bat um Abftellung der Lefeftunden, da in dem Seiler
jebucye die Geographie zu unvollſtaͤndig, die Sittenlehre,
er Heil. Schrift deutlih und eindringlich genug gelehrt
entbehrlich fei, und da die Öconomijchen Regeln jo fehler-
ehrt würden, daß die Befolgung derjelben in kurzer Zeit
n des Landes herbeiführen müfte. Allerdings wurde bie
e Kaltennordheim, da das bafige Gonfiftorialamt eine
ihe Widerlegung ihrer Eingabe einfandte, abjchlägig ber
; indeffen in Ruhla wurde die Sonntagsſchule am 28. Nov.
it Bewilligung des Oberconfiftoriumd geſchloßen, weil mehr
| 90°
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vere Einwohner zu Ruhla ſich Seilerd Leſebuch felbft angejdeeny
hätten oder an den zu Eiſenach beftchenden Lejegefellichaften er,
nähmen oder des Handeld wegen oft auf Reifen fein müften, und
weil die Vorlefungen mit dem Examen, welche nach geendigten
Nachmittagsgottesdienft gehalten würden, in Gollifion kämen. —
Bon Ddiefer Zeit an fcheint man die ˖ Sonntagsſchulen wegen un
aufhörlicher Widerjeglichfeit der Gemeinden anfgegeben zu haben.
Nur aus dem Amte Großenrudeftedt liefen noch Berichte über den
Fortbeftand der Sonntagsjchulen ein, welde indefjen von 1799
an ebenfalld ausblieben.
Bur Begründung einer Generaljhulfajje wurde i. J.
1784 Anregung gegeben, indem durch landesherrliche Entjchliepung
zur Beichaffung eined Fonds ein jährlicher Beitrag von 50 lt.
aus der Landſchaftskaſſe Des Fürſtentums Eiſenach verwilligt wor
den war. Nach einer von dem Oberconfiftorium zu Gifenad un
ter dem 14. Januar 1785 beantragten Anordnung *) follte nun
der fo begründete Fonds in der Weife vermehrt werden, dab
1) an den Sonntagen, an welchen die Schulpredigt gehalten und
das Echulegamen angekündigt werde, Gollecten erhoben, 2) von
allen Hageftolzen und von jolhen Ehepaaren, weldye bereits übe
6 Jahre in der Ehe gelebt und feine Kınder haben, freiwilig
jährliche Beiträge erhoben werden; daß 3) für Die Erlangung
der Grlaubnis zur Beranftaltung öffentlicher Tänze an Son,
Feſt- und Werktagen (mit Ausnahme der Hochzeitstänze) eine
Abgabe erhoben und 4) bemittelte Perfonen , die feine nowewn
digen Erben hätten, bei ſich darbietender Gelegenheit von den
Geiſtlichen erinnert werden follten , daß fie „durch Worjorge und
Schenkungen zum Beften der Schulfafje einen beliebigen Teil ihre
Vermögens verwenden möchten.” Sobald nun Die Schulfaffe auf
Diefe Weife jo weit angewachjen fein würde, daß ihre jährliden
*) Diefelbe findet ſich abgedrudt in den Acta hist. eccles. T. XI. 6. 42
bis 155.
|
— 5309 —
efien 100 Thlr. betrügen, fo follten diefe 100 Thlr. fo ver-
werden, daß die Ginnahme derjenigen Schulmeifter, Die wer
ald 30 Thlr. Gehalt hätten, auf 50 Kaiſergulden und bie
dung derjenigen, welche jährlich weniger ald 40 Thlr. einzu-
en hätten, auf 60 Kaifergulden erhöht würde. Durch geeig-
Verwaltung der Kaffe hoffte man indeſſen die Einnahmen der:
ı allmählicy fo zu erhöhen, daß’ der Gehalt jedes Schulmei—
bis auf 50 Thlr. aufgebeßert werden Fönnte.
Ein fogenannte® Seminar war allerdings ſchon Damals in
ach vorhanden. Dieſes beitand jedoch nur darin, daß denen,
e Schulmeifter werden wollten, geftattet war, bie ihnen er-
lichen Lebrftunden im Oymnafium zu Eifenady zu beſuchen.
debrigen wurde ſich un diefe „Seminariften,” Die auch Gym⸗
ten genannt wurden, gar nicht befümmert. Die ganze Ein-
ng war daher nicht allein faft völlig unnütz, fondern auch
zu verderblid, indem die Seminariften, welche weit weniger
ie andern Gymnaſiaſten beichäftigt waren, fich einem müßigen
leichtfertigen Leben ergaben. Da gab ein Scandal, welder
n Eiſenach zutrug, den Behörden Veranlagung, auf die Ab-
ag dieſes Uebelftandes Vedaht zu nehmen. Der Generalſu—
tendent Schneider zu Eifenady zeigte im Februar 1783 dem
confiftorium an, daß ein verdorbener Seminarift eine. Wittwe
vängert babe, und wies darauf hin, daß die zukünftigen
Imeifter notwendig mehr bejchäftigt und Durch einen lediglich
ie beftimmten Unterricht für ihren Beruf beßer vorbereitet
m müßten. Infolge deſſen ftellte das Oberconfiftorium bei
Herzog den Antrag, für die zufünftigen Volksſchullehrer,
en fie nun Gymnaſiaſten fein oder nicht, einen befonderen
richt in der Katechetif anzuordnen. Der Herzog genehmigte
Antrag (4. März 1783) und vermwilligte dem Diaconus Zwez
iſenach, der die Erteilung dieſes Unterrichtd übernehmen zu
n bereit erflärt hatte, für biefelbe eine jährliche Vergütung
50 Thlr. Zugleich erhielt Zwez folgende Inſtruction:
„.. Sol er überhaupt fein Geſchäft dahin gerichtet fein
1, daß er alle mögliche anwende, damit die Präparanden
nur Gejchidlichkeit erlangen, mit gutem Erfolg die ihnen ans
— 310 —
zuvertrauenden Schulfinder in demjenigen zu unterweilen, aos
ihnen als Chriftenfindern und nad den Umftänden, in welchen
fie leben, zu wißen unentbehrlich nötig ift, fondern auch Damiz die
Präparanden angeführt werben, eine foldye Gefinnung anzunehmen
und ſich alfo zu verhalten, daß man hoffen kann, daß fie Fünftig
ihr Amt mit aller Treue und Gewißenhaftigfeit unverdroßen und
mit willigem freudigem Herzen ausrichten werden.
2. Gr fol daher nit nur Diejenigen Gymnaſiaſten der
zwei oberen Klaffen, welche fich zu Verwaltung der Schulbienfe
wollen vorbereiten laßen, fondern auch andere ſchickliche Subjekt,
welche eben dieſen Zweck haben, in dieſes Anftitut aufnehmen.
Wie aber folches blog für die Eiſenachiſchen eingeborenen Landes⸗
finder errichtet ift, jo ſoll es mit Aufnahme derfelben alfo gehab |
ten werben, daß alle Diejenigen, welche an dem Unterrichte el |
nehmen wollen, fi) bei dem Herrn Oberconfiftorialrat und Gene |
raljuperintendenten, unter defjen bejondrer Aufficht das Inſtint
ſteht, und an weldem der Lehrer der Präparanden fowol dd :
diefe bei allen vorkommenden Fällen ſich zuerft wenden ſollen,
anzumelden, ihren Geburtsort, Eltern und Alter anzugeben habe,
welches derſelbe nicht nur in ein beſonderes dazu zu baltenbed
Buch einzuzeichnen, fondern fie auch, wofern er feine Bebenklickeit
dabei findet, an den Diaconns Zwez zur Aufnahme und orbent
lihen Einführung mittelft eines ihnen zu erteilenden Scheines zu
weifen hat. Diefee ſoll jodanı wöchentlih zwo Stunden
in einer Schulftube des hieſigen Gymnaſii, melde
ihm Dazu eingeräumt werden fol, dieſe Präparanden zu dem
. anweijen, was ihnen zu ihrem Amte nötig ifl.
3. Was die Unterweijung felbft betrifft, fol er
&) die Präparanden zu guter, richtiger und gegruͤndete
Erkenntnis der chriftlichen Glaubens⸗ und Lebenslehren zu bringen
ſuchen; | |
b) ihnen die Vorteile zeigen, durch welche deren Hülfe und
gute Anwendung fie die Keuntnis der Buchftaben, Die Zufanmm
jegung derſelben oder das Buchſtabiren, das Lefen, Schreiben
und Rechnen den Kindern erleichtern, Die im ihrer Schule ſein
werben;
— — m
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sorzüglich darauf jehen, daß die Präparanden Iernen Die
e Unterweifung jo anzuftellen, daß die Schulkinder das
yt blos nady dem Gedaͤchtnis faßen, fondern auch richtig
mögen und einfehen, wie fie Davon einen beilfamen ®es
achen follen. Zur Beförderung diefer Abſicht hat er
jelbft die Präparanden in jeder Stunde in einem Stüd
hen Lehre fatechetifch zu unterweifen und ſich dabei zu
der Zeit aller weitläufigen Dictatorum zu enthalten,
e audy anzuhalten, dasjenige, was in jeder Stunde von
wchfatechifirt worden, zu Haufe in einem dazu zu hal
uche jchriftlich zu verfaßen und ihm foldyes zu Anfang
gen Stnude vorzuzeigen, wie auch ſodann ſich felbft uns
er über foldye8 Stüd aus dem Gedächtnis zu katechiſi⸗
t der ihnen erteilte Unterricht fogleich ad praxin gebracht
nd der Lehrer ihnen, wenn fie fich felbft untereinander
ı, die Vorteile im Katechiſiren zeigen und fie zur Ver⸗
der an ihnen bemerkten Fehler anführen könne;
ihnen zeigen, wie fie Die Schulfinder überzeugend beleh--
die heilfame Lehre der göttlichen Offenbarung und bes
nicht als bejchwerliche Laſt, fondern als eine fehr herr⸗
that Gottes, als ein bewährtes Mittel zu ihrer wahren
n Blüdjeligfeit, als eine zuverläßige Anleitung zur gött-
ade und deren BVerficherung zur wahren Zufriedenheit
n Hoffnung einer ewigen Glüdfeligfeit anzufehen ſei,
Schulkinder die hriftliche Xehre nicht aus Zwang, fons
fehnlichem Verlangen lernen und deſto begieriger auf
richt in derſelben merfen mögen;
jelbige erinnern, wie dieſes auch in feiner Art bei allen
des Schulunterrichte8 gewißermaßen ftattfinde, daß Bei
n Sache den Kindern gezeigt werde, warum und wozu
a8 fie lernen follen, zu lernen haben, was für ein großer
raus erwachfe, wenn man einen jeden Teil der Lectionen
Er foll den Präparanden Unterricht geben, wie fe mit
Hindern väterlih, liebreich, Elüglih und ernfthaft um⸗
ch am Teichteften die Schulkinder geneigt und folgjam
— 312 —
machen, wie fie die Liebe derfelben gegen fich erhalten und befefi.
gen und fich fo Bei ihnen aufführen, daß die Kinder fie als ihre
treumeinenden Väter und Wolthäter achten und ehren, Damit fie
nicht nötig haben, diefelben mit allzu großer Härte zu behandeln,
und damit ſich dadurd die Schulmeifter felbft die Mühjeligfeit
und Beichwerlichfeit ihres Amted am ficherften erleichtern mögen,
jedoch auch nicht vergeßen, widerftrebende und ſehr unartige Kin
der mit Klugheit und Ernſt zu ftrafen, wenn fie fich durch Liebe
‘und Güte nicht von dem Böfen abhalten lagen wollen, bei alkt
Herablaßung und Freundlichkeit immer in gehörigem Anfehen bei
den Schulfindern ſich zu erhalten.
5. Soll der Tiaconus Zwez bei diefem Geſchäft nicht um
terlaßen, den Präparanden zu zeigen, wie fie einen nötigen fohrift:
lihen Auffaß verfertigen, als einen Bericht, Kaufbrief, Rechnung,
Lebenslauf, Duittung ıc. ihnen dergleichen wirklich verfertigen, und
fih joldye, um das darin noch fehlende zu fuppliren oder abändern
zu Tönnen, vorzeigen zu laßen. Auch fol er den Präparanten
eignen Unterricht geben, was aus ber Naturlehre zu wißen vor
andern nötig, Damit irrige, fchäbliche Meinungen von verſchiednen
Dingen, Aberglauben u. dgl. bei Schulmeiftern, Schulkindern und
Einwohnern jedes Orts fo viel möglich, binweggeräumt werde.
6. Soll der Diaconud Zwez auf diejenigen Gymmafiaflen
und andre, die in feiner Unterweifung und Aufficht ftehen, ver:
züglich ein Augenmerk haben, um ihren Wantel und Aufführung
zu beobachten, damit wo er etwas bemerkt, Das, dem Endzwece
der Präparation zuwider, er den Präparanden Vorftellung thun,
fie ermahnen und warnen, wofern aber einer oder der andere am
baltend widerfpenftig fein und fich nicht dem Chriſtentum und ſei⸗
ner Beftimmung gemäß aufführen, auch Warnung und Vorſtellung
nicht annehmen wollte, ſoll er folden dem Herrn Oberconfifterial”
rat und Generalfuperintendenten befannt machen, welder ihn
nochmals ernftlich zu ermahnen, auch zu warnen, und wofern auch
diefe Ermahnungen und Warnungen fruchtlos fein follten, ihn
dem fürftlichen Oberconfiftorium als einen ſolchen anzuzeigen bat,
weldyer zu einem fünftigen Schulamte fich nicht qualifiziren will,
— 313° —
nit er von der Präparation und Anwartichaft auf einen Schul
nft ganz ausgefchloßen werde.
7. Hat der Diaconud Zwez vier Wochen vor Michaelis
ı Verzeichnis der jämmtlichen Präparanden nebft Bemerkung
er Talente, Fleißed und Aufführung dem Herrn Generaljuper-
endenten zu übergeben, welcher ſolches mit Bericht an fürftl.
berconfiftorium einreichen wird.
8 8 fol aud jährlich in der Woche nach Michaelis von
n Diaconus Zwez in Gegenwart des Herrn Generalfuperinten-
ıten und der übrigen geiftlichen Herrn Räte des fürftt. Ober-
fiflorii an einem von dem Herrn Generalfuperintendenten zu
kimmenden Tage ein Examen der fämmtlichen Präparanden
yalten und nach Vollendung defjelben diejenigen Subjefte, weldye
vorzüglich dabei exhibirt haben, von dem Herrn ®eneraljupers
endenten dem fürftl. Oberconfiftorium berichtlich angezeigt wer⸗
, damit auf foldye bei Beſetzung der vacant werdenden Schul:
nfte vorzüglich veflectirt werden koͤnne.
9. Bei Eröffnung des Instituti fol von dem Herrn Gene:
juperintendenten der Diaconus Zwez den ſaͤmmtlichen Präpa-
ıden vorgeftellt und diefelben angewiejen werben, ihn als ihrem
entlichen Lehrer bei der Hand zu verfprechen, daß fie fich ehrer-
tig, gehorfam, willig und gefällig und überhaupt wie es ſich
üret, ermweifen wollen. In Anfehung der Fünftigen Reception
ſich meldenden Präparanden wird es, wie oben vorgefchrieben
rden, gehalten.
10. Wie wir nun zu dem Diaconus Zwez das Vertrauen
ben, er werde gegenwärtige SInftruction in allen Punkten genau
olgen und allen Fleiß und Treue in Unterweifung der Präpar
den anwenden: fo fol er zur Vergeltung für diefe Bemühung
rlich 50 Kfl., nemlih 25 Kl. aus fürftl. Kammer und 25 Kfl.
fürſtl. Landſchaftskaſſe alhier erhalten, auch ihm von jebem,
in die Präparation aufgenommen wird, 12— 16 gar. pro re-
one ein für allemal entrichtet werben. Endlich hat ein Je⸗
welcher aus diefem Inſtituto zu einem Schulamt befördert
d, 6— 8 gar. bei feinem Abgang zu erlegen, welches lehtere
—
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Eintommen zur Anſchaffung einer Schulbibliothek angewendet
werben fol. |
Urkundlich iſt dieſe Inſtruction ⁊. ıc.
Eiſenach, den '25. April 1783.
Eonfiftorium.
Dur amtlihe Verkündigung vom 25. April 1783 <= -
Eiſenacher Wochenblatt wurde die al8baldige Eröffnung dr A =
ftalt mit dem Bemerfen befannt gemacht, daB fi alle, wel
diefelbe befuchen wollten, in der Woche nach Miseric. Dom. ua!
in der Folgezeit jedesmal vier Wochen vor Oſtern oder Michael Ts
zu melden hätten.
Somit war wenigftend eine Anftalt gejchaffen, welche levüg-
lich zur Heranbildung Fünftiger Volfsfchullehrer beftimmt war.
Aber freilich war diefelbe fo dürftig und ihrem Zwede fo wenig
entfprechend,, daß fich alsbald das Bebürfnis einer Reform und
Erweiterung des Jnſtituts bemerklich machen mufte. Wiederholt
wurde dafjelbe zur Sprache gebracht. Der Generalfuperintendent
Voigt zu Eifenady bewirkte es fogar, daß fih i 3. 1800 die
Mehrzal der Beiftlichen und anderer Freunde der Volkserziehung
zu Eiſenach bereit erklärten, ohne‘ alle Remuneration einen plan
mäßigen und gegliederten Lehrcurfus für die Seminariften ze
eröffnen. Indeſſen blieb das Ganze in einer fo traurigen
Verfaßung, daß der Generalfuperintendent Haberfeld zu Eiſenach
noch i. J. 1808 berichtete: „Unſer Schullehrerjeminarium ift weder
in wißenfchaftlicher noch moralifcher Hinficht das, was es fen
follte. Den mehrften (Seminariften) fehlen noch gar fehr die fir
ihren kuͤnftigen Beruf unentbehrlichen Kenntnifje; vorzüglich find
fie in der Religionskenntnis fo weit zurüd, daß fie von manden
Katechumenen übertroffen werben, und ftatt Methodik vortragen
zu Eönnen, muß ich fie erft in dem unterrichten, worauf die
Methodik anwendbar tft.”
Erſt im Jahre 1816 wurde zur Umgeftaltung des Seminar?
zu Gifenach ernftlich vorgefchritten, nachdem der Oberconfiforiel
rat Boppel auf das desfalls vorliegende Bedurfnis die Aufmerb
jamteit der Staatsregierung gelenkt hatte, Auf höchften Befehl
_ 38 —
- warf ber Generalfuperintendent Nebe den Plan eines in Eiſe—
nach nen zu organifirenden und mit einer Freiſchule zu verbindenden
Seminars, wozu fich derfelbe die von Voppel in einem hierüber
(oncipirten Auffag ausgefprochenen Gedanken vollftändig aneignete.
Am 29. November 1816 erhielt diefer Plan die landesherrliche
Veftätigung ; indeffen verzögerte fich die Eröffnung des Seminars
bis zum 19. Januar 1818, Es war ein Gewinn für die Ans
Halt, daß auch die letzte loſe Beziehung, in welche tiefelbe nad)
den ursprünglichen Plane zum Gymnaſium ftehen follte, fofort
aufgehoben wurde, indem die Stelle eines Collaboratord am Gym⸗
nfium, welche von dem Seminarinfpector ald Nebenftelle verjehen
werben follte, von der Inſpectur des Seminars abgetrennt wurde.
Sachien-Weimar (Eiſenach).
Auch in dem Fürftentum Weimar gefhah es erft im Ans
lange des achtzehnten Jahrhunderts, daß an die Pflege des
Volksſchulweſens ernftlicher gedacht wurde. Und zwar war bier
die Einführung der Sonfirmation der Katechumenen das In⸗
tereffe, von dem aus die Landesregierung dem Volksſchulweſen
ihre Aufmerkſamkeit zuwendete. Im Jahre 1698 erfchien nemlich
die „Verordnung, wie es ins künftige mit der Belehrung der
Catechumenorum ober derjenigen Kinder, fo zum erftenmal das
heilige Abendmal gebrauchen wollen, und darauf folgenden chriſt⸗
lichen Confirmation in den fürftl. ſaͤchſ.⸗weimariſchen Kirchen ges
halten werben fol, auf gu. fürftl. Vefehl zum Drud befördert.”
NL derfelben wurde verfügt: „Demnach nun auch ind Tünftige
diefer löbliche und nügliche Gebrauch der chriſtlichen Konfirmation
M Biefiges Fürftentums Kirchen eingeführt und binfort unverrüdt
beibe halten werden ſoll, damit die getaufte Jugend vor erſtmaliger
Enpfahung des heil. Nachtmals in den Hauptſtücken des Catechismi
wol unterrichtet und ſodann durch andaͤchtiges Gebet nach vorher:
heg angenem oͤffentlichem Glaubensbekenntnis dem lieben Gott
— 316 —
vorgetragen werben kann, als iſt ſolche chriſtliche Handlung au
folgende Weife vorzunehmen und ind Werk zu richten: Erfllv.
follen die Kinder glei anfangs zu Haus von den Eltern, Herm
und Frauen, fodann von den Praeceptoribus und Eculmeifte-
in. den Stadt:, Land- und Dorffchulen mit allem Fleiß und Ef
zur Grlernung des Catechismi angehalten und ihnen fowol >
Haupt: al8 notwendigen Frageftüde des fel. Vaterd Lutheri un
anderer geiftreihen Männer beigebracht werben, wobei Giterr
Praeceptores, Schulmeifter und Schulmeifterinnen Feine Arbei
noch Mühe zu fparen, fondern dahin zu traten haben, daß bie
Kinder mit den Worten zugleich den Verftand des Grundes ihre
Glaubens faßen, auch durch oftmaliged Wiederholen fich in ber
jelben immer mehr und mehr befeftigen, follen auch folde aus
den Schulen nidyt nehmen noch laßen, bevor fie von dem ganzen
Catechismo eine fattfame Wißenfchaft erlangt und auf Befragen
gute Antwort erteilen können: wiewol viele unbedachtfame und
unchriſtliche Eltern ihre Kinder allzufrühzeitig den Schnlen ent
ziehen und zur Arbeit angewöhnen, auch viele ſorgloſe und un
verftäntige Kinder, wenn fie nun einmal zu des Herrn Tiſche
gelaßen worden, nachgehends Die Schule nicht ferner beſuchen
wollen, darüber fie aber das in den erften Jahren Erlernte aljı
frübgeitig wieber vergeßen, zumal fie ohnedem nachgehends Bei
Öffentlichen Kinderlehren zu erjcheinen, oder auch auf Befragen
aus ihrem Catechismo Rede und Antwort zu geben faft fi für
verächtlich halten wollen.”
Indeſſen fcheint es doch nicht, daß die Vollziehung dieſer
Verordnung mit ſonderlichem Ernſte überwacht wurde. Die Bor
firmation der Katechumenen wurde allerdings in allen Pfarreiti
üblich ; aber der Schulbeſuch und die Wirkſamkeit der Volksſchule
Icheint durch Die Einführung derjelben im Kürftentum Weimar
nicht fehr gefördert worben zu fein. Aus ber näcyftfolgenden Zei
fann daher, die Geſchichte der Volksſchule betreffend, nur berichtet
werben, daß unter dem Herzog Wilhelm Ernſt ein Waiſenhaue
zu Weimar erbaut, i. J. 1713 eingeweiht, mit einem Stamm
fapital von 5650 Rthlr. (wozu indeſſen noch andere Revenuͤen
— 8317 —
tamıen,) ausgeftattet und i. 3. 1727 mit Aufnahme von zwölf
Zöglingen eröffnet wurde. *)
Erſt die Errichtung eined Schullehrerfeminars in Weimar,
welche gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts erfolgte,
führte zu einer durchgängigen Verbeßerung der eigentlichen
Volksſchule.
Schon i. J. 1771 hatte die Herzogin Anna Amalie als
regierende Vormünderin des Erbprinzen Carl Auguſt den Ent⸗
ſchluß gefaſt, eine praktiſche Vorbereitungsanſtalt für künftige
Schullehrer in Weimar zu ſchaffen, oder wenigſtens für dieſen
Zweck irgend Etwas zu thun. Su einem Erlaß vom 17. Juli 1771,
worin die Herzogin dem Gonfiftorium zu Weimar diefen ihren
Entſchluß eröffnete, erklärte fie felbft, daß fie die Urfache des
gegenwärtigen traurigen Zuſtandes der niedern Schulen vorzugs⸗
weile „in der Unfähigkeit und Unfittlichfeit der zeithero zu Schul
meiftern gebrauchten Subjecte finde” und dadurch veranlaft fei,
„auf eine Anftalt zu denken, in weldyer junge Leute in Zeiten auf
eine praftiiche Art zu dem von ihnen in der Folge zu begleitenden,
ganz nicht unbedeutenden Amte eined Schulmeifterd oder Kinder⸗
lehrerd angezogen und vorbereitet werden könnten.” Nachdem das
ber die Herzogin über die Organifation der hier und da beftehenden
Schullehrerſeminarien hatte Erkundigungen einziehen laßen, berief
diejelbe einen ehr empfohlenen Cantor und Schulmeifter aus der
Oberlauſitz, Johann Georg Herz, nah Weimar, damit derfelbe
„teild eine ihm zu ſolchem Ende zu geſtattende Freijchule jelbft
nad der ihm vorgejchriebenen Methode unterrichte, teild den ihm
luccefive zu furnirenden Seminariften nach felbiger praftifchen
Unterricht erteile und fie zu ihrer Fünftigen Beſtimmung vorbereite.”
Die Oberauffiht über die neue Auftalt wurde einftweilen dem
Geheimerath von Fritih und dem Oberconfiftorialpräfidenten von
Lyuker übertragen. Herz kam nach Weimar und richtete daſelbſt
die projectirte Freiſchule wirklich ein, wurde auch ſpaͤter (1774)
ätner des Waiſenhauſes zu Weimar, in welches er mit feiner
— —
Vrgl. „Geſchichte der Waiſenanſtalt zu Weimar“ in Henkes Archiv für
die neueſte Kirchengeſchichte B. 2. ©. 215.
— 318 —
Sreifchule einzog. Dagegen zur Errichtung eines Schullehr,
ſeminars fam es vorläufig nicht, Da einerjeitd Herz ald Bor —
bed Waiſenhauſes und Lehrer der Sreifchule vollftändig beihäizz,
und da andrerfeits ein zur Errichtung eined Seminars zu pe;
wendender Fonds nicht vorhanden war.
Nahdem Herzog Karl Auguft zur Regierung gekommen
war, fam die Einrichtung eined Seminars ſchon auf dem erften
Seneralausjchußtage, Den Der junge Herzog im Juli 1777 bielt,
aufs Neue zur Sprade. Das Gonfiftorium zu Weimar hatte ed
veraulaft, daB der Ausſchuß um Verwilligung eines jährlihen
Fonds zur Errichtung eined Seminars angegangen wurbe. Die
Stände waren nicht abgencigt, dieſen Antrag zu genehmigen, der
langten jedoch, daß ihnen zuvor der Plan des zu errichteuden
Seminard vorgelegt werde. Am 10. Dez. 1777 erteilte daher
dag Obercoufiftorium dem Generalfuperintendenten Herder de
Auftrag, einen folchen Plan zu entwerfen. Mehrere Jahre lang
war Herder mit der Erledigung dieſes Auftrages befchäftigt. Von
allen Seiten ber über die Einrichtungen der hier und da bereilt
eingerichteten Schullehrerfeminarien Nachrichten einziehend , gewann
Herder aus denfelben die Ueberzeugung, daß ein Lehrerjeminat
1) möglichſt eng an andere in ihrem Beftehen ſchon geficherte Juſte
tute angefchloßen werden und daß bei feiner Einrichtung 2) lediglich
der Zwei des Seminars, nicht aber die Nüdficht auf ein zuſäb—
liges , lofale8 VBerhältuis entfcheidend fein müße. *)
*) Herder erklärte in Betreff des von ihm ausgearbeiteten Entwurfes jeht
„Als mir die Entwerfung eines Planes zum Seminario der Lehrer für Landſquler
von Fürftlihem Obereonfiftorium ganz ohne mein Begehren aufgetragen mar.
hielt ichs für Pflicht, diefen Plan mit Suziehung vieler Notizen von ähnlih®
Infituten an anderen Orten fo einfach und rein, zugleich auch fo verſchränkt ud
verbunden mit anderen SInftituten bierfelbft zu machen, al® mir möglich mi-
Jenes, weil man bei einem Plane, der dauern foll, nicht auf einzelne Beil
bindungen, lebende Perſonen oder folde, die fie hieher gebracht haben, ſehen
muß, fondern auf die Sache felbft und ihre Einrichtung. Schicken fi eine
Perſonen zu derjelben, wolan! fo werden fie gebraudt, fie werden Eubjertt IM
den im Plane angezeigten Zwecken und Arbeiten. Schicken fie ſich nicht dur
fo kann es die Intention feines Monarchen in der Welt fein, daß man ME
— 319 —
Erſt i. 3. 1780 wurde Herder mit feiner Arbeit fertig, in⸗
bem er dem Oberconfiftorium folgenden Concept vorlegte:
Entwurf
eines Seminarii zu £ehrern für £andfculen.
1. Der Zwed dieſes Seminari it . |
nicht 1) jungen Leuten, die ſich zu Landſchulen vorbereiten,
ine Art von Literatur und Aufklärung zu geben, bie ihnen und
hren küuftigen Lehrlingen, falls fie folche anwenden wollten, eher
haͤdlich als nützlich wäre. Zu viel Klarheit und Räfonnement
ı. Ständen, wo fie nicht bingehören, ift gewiß eher jchädlich als
üglich.
auch nicht 2) ihnen im Seminario eine bequeme Subfiftenz
ı verfchaffen, die ihnen nachher arme Schulftellen, wie fie mei—
end in Diefem Lande find, ungefällig und zur Laſt machte;
jondern 1) ihnen Unterricht in dem Notwendigen und Nüß«
hen ihres Fünftigen Amts zu verjchaffen, und
2) da die befte Zubereitung dazu Fleiß und eigne Uebung
t, ihnen unter einer guten Aufficht folche vorbereitende Uebung
ar Pflicht zu machen: denn warlih, die Wißenjchaft, die zu
ieſen Stellen gehört, ift fo groß und jchwer nicht. Die befte
rkenntnis und Wißenſchaft eines Lehrerd, fo wie feine befte
Kethode zu lehren, wird nur durch Treue und Uebung.
2. Mittel biezu find «) teild ſchon da in einigen älteren
Sblihen Anftalten, teild des Gymnasiü , teild der Katechefe bei
er Stabtfirdye, teild ift in andern Anftalten 3. ®. bei Errichtung
Han, der fürs ganze Land dauern foll, nad einzelnen Subjekten einrihte und
Equeme; und es bieße, die Kirche oder das Haus nah dem Bratipieß bauen,
sem ich ſolche kleine Nüdfichten hätte nehmen wollen, Das Bmeite, daß ich
emlih dies Inſtitut mit fo vielerlei Sachen als möglich zum Exempel Kateche ten ⸗
‚le, Gymnafio, Ezamine und fo fort zu. verbinden fuchte, that ich deswegen,
deil ih überzeugt bin, daß alle ifolirten Plane und Aufträge nichts Helfen‘; fie
Treiben felten ihre Wirkung oder verfallen im kurzer Zeit. Dahingegen ein In-
Aut, das feine Wurzeln in und um allerlei Inftitute fchlingt und ihnen nüßzlich
"rd, mit diefen Allen beftehen muß.”
— 320 —
der Herzifchen Freifchule auf fie Rüdficht genommen worte.
Diefe Mittel find des Neuen wegen nicht wegzuwerfen, fondem |
zufammenzulegceen und wo ſich etwa der Roft der Zeit angeieft
bätte, zu reinigen, und
8) alfo iſt eine Anftalt nötig, Die, was jene nicht leiften
konnten, oder nicht geleiftet haben, ergänge, und fo viel möglih,
ein Ganzes aus ihnen ordne:
3. Hierzu gebört
a) die Wahl guter subjectorum zum Schulſtande;
4) eine tüchtige Einteilung derjelben teild zum Unterricht |
teild zur Uebung; r
y) guter Unterricht und Uebung felbft nebft einer genaum F
Auffiht Darüber;
d) angemefene Aufmunterungen für die, die lehren un f
lernen. Nach welden Stüden ih alſo den Plan bi
Seminarii faßen”werbe. |
L Die Wahl guter subjectorum ift äußerft nötig, weil jont
alle Mühe vergebend angewandt wird, und die beiten Anftalte
mit diefem inmwendigen Kreb8 und Moder verloren gehen müpen
Es ift ein verberblicher, jchädlicher Grundfag vieler Väter unire
Landeskinder, daß, was nicht zum Pfluge taugt, zum Lehrftande
tauge. Damit wird ber Lehrftand ſowol in Kirchen als Schule
zum fchlechteften aller Stände. Gr befommt den Ausſchuß oda FE
bie colluviem aller andern Stände, fobald der Eigenfinn oder da f
Bauernftolz eines Vaters feinen Sohn zu diefem Amte wert hält
Folglich iſt eine feharfe Prüfung nötig, ehe Jemand ind Semi
narium tritt; und aud in der Folge müßen Unfähige oder Ruh
loſe, falls fie ſich auch eingefchlichen hätten, ohne Barmperzigfet
ausgeftoßen werden Fönnen.
Die Prüfnng hierüber hätte 1) der Generalfuperintenden,
dem das Examen ber Lehrer des Landes Amtöpflicht ift, unpar |
teiifch und gewifjenhaft zu thun, und müfte er Die Macht bad
ohne weitere Anzeige zurüdzuweifen, was nicht dahin gehoͤn.
Sobald den Supplicanten Seitenwege erlaubt würden, bleibt N
Thüre zum Schafitalle nit mehr rein. 2) Die Subjecte, M
fi melden, müßen Zeugniſſe von ihren Lehrern beibringen, Zu’
— 321 —
miffe ihrer bewieſenen Fähigkeiten, erlangten profectuum und
“.w.Ittenn!
guter Sitten. Diefe Zeugniffe müßen unparteiiſch, folglich auch
sanentgeltlih ausgeſtellt werben, weil fie eo ipso unvermerkt par⸗
teiifch werden und zwar
a) vom praeceptore gymnasii, deſſen Klaſſe fie befucht;
6) von Katecheten ber Stadtkirche, aus deſſen Etunden;
y) vom Stadtcantor wie auch vom Schreib» und Rechnen»
meifter in Anfehung ihrer Arbeiten mit denfelben.
3. Bar zu junge Subjecte werden vom Juftitut ausge,
ſchloßen; fie müßen wenigftens 14 Sabre alt, secundae oder
tertige classis fein, und in den Schulftubien gute Anfangsgründe
gelegt haben,
I Einteilung der Subiectorum. Angezeigte, ges
Prüfte Subjecta teilen fi im Seminar in zwo Klaſſen: die eine
lernt blos und nimmt Unterricht; Die zweite lernt und übt
ſich zugleich im Unterrichte. Die Anzal jener kann unbe⸗
ſtimmt bleiben; die Anzal dieſer dürfte ſechs fein, aus Gründen,
die fih in der Folge ergeben werden. Die erften haben vom
Seminario keinen Vorteil ald — Unterricht, Bildung, ein Vorteil
für fie aufs ganze Leben. Die zweite, höhere Klaſſe befommt
einigen Zuſchub, nicht weil fie Glieder des Seminarit find, fons
dern weil fie durch ihre Uebung im Lehren dem Staate Dieufte
leiten. Als angehende Lehrer, nicht als Lehrlinge werben fie
belohnt.
DL Unterricht, den die Seminariſten empfan-
gen. 1) Vom Katecheten der Stadtkirche teild in der Montagds
kunde um 10 Uhr nach der Wilhelm-Erneftinifchen Stiftung, teile
in einer andern Stunde, die er, wie auch fjeßt ſchon gewöhnlich,
mit ihnen zu Haufe hält. In jener hören fie ihn katechiſiren, in
Diefer katechiſirt oder übt er fie ſelbſt.
2. Bon einem gejhidten Kandidaten, der ber eigentliche
Lehrer des Seminarii wird. Diefer gibt den Seminariften in
ierzu zu beſtimmenden Stunden Unterricht,
a) in der Religion und der bibliſchen Geſchichte nach einem
vorzufchlagenden Lehrbuch,
8) ſtellt er mancherlei Uebungen in Aufjäben, Briefen, Gr
Dexpe Bollsiguiefen, 2 21
— 3522 —
zälungen u. f. f. an, damit der Schullehrer
lih austrüden lerne;
y) unterrichtet er in den erflen Anfangdgründen
graphie, Geſchichte, Naturgejchichte, jofern
notwendigften menfchlichen Kenntniffen gehören,
vorzujchlagenden Lehrbuch,
I) übt er fie im richtigen Lefen und Vorlefen t
graphie, einer guten Methode des Buchftabi
befucht fleißig Die praktiſchen Uebungen de
Klaffe, um die Anwendung feiner Lehrart zu
zu beßern. Alles weither geholte, unnüge Phi
das in den neueren Methoden des Unterrid
vorkommt, jchlieft er völlig aus.
3. Der Schreib» und NRechnenmeifter des Gym
Lehrer der Mufif u. ſ. f. jeßen ihre Stunden fleißig u:
fouderer Aufmerfjamfeit auf die Seminariften fort.
untern Klaffe bleiben Ecyüler des Gymnaſii nach wie
die Etunden,, wo fie fich zum Lehrer begeben, werben
zeichnet. Nur Die ſechs erften Eeminariiten, die felbf
geben, hören auf Schüler des GEymnaſii zu fein, find
vom Schulgeld frei; fie bleiben aber im Chor und
vom Beneficio deſſelben, doch jo, daß fie mit unndti
flunden verfchont werben.
IV. Uebung im Unterricht für die ſechs erften Se
Da, wie gejagt, beim Unterricht der Landjdyüler
auf Gelehrſamkeit und weither gejuchte Theorie , fo
Uebung, Fleiß und Treue ankommt, ohne weldye au
minario bei einiger Wiederholung defjelben Unterricht® j
vor Ekel bald mehr vergeßen als lernen, fo iſt diefe
Uebung unter öfterer Aufſicht ihrer Vorgeſetzter hoch ı
geben alfo
@) die zwei erften Seminariften im Gymnaſio
boratores der unterften Klaffen (ob fie wol diefen N
fübren,) Unterridyt, wie auch fchon bisher von zwei Sc
ſchehn. Und iſt dieſe Beihülfe den Lehrern und Sch
wendig, weil dieſe Klaffen jo flark bejegt find,
— 323 —
B) Zwei dociren in der Mägbleinfchule, wo ein einziger
hrer unmöglich die große Menge Kinder mit Unterricht und ge
tiger Uebung beftreiten fann. Um bier alle Goncurrenz zu ver⸗
den, wird die Schule geteilt: den Seminariften werben in
er eignen Stube ihre Kinder und Arbeiten angewiefen, fo
B der Mägdleinfchulmeifter mit ihnen weiter nichts zu fchaffen
t, jein Schulgeld aber nad wie vor ziehet. Allein ſchon durch
te Einrichtung diefer Schule belohnte ſich das Seminarium dem
aate und der Stadt reichlih. Denn die jegige Anſtalt der
ägdleinfchule unter Einem Lehrer ift völlig unverbeßerlih und
iberfehbar gewefen. |
y) Die zwei andern Seminariften fönnten etwa mit ihren
bungen in ber Garnifonsfchule und der Harzifchen Freiſchule
geftellt werden, jo daß ihnen Arbeiten, Stunden und Aufficht
Hmmt würde. |
V. Diefe Auffiht über das Seminarium wäre vielleicht fols
dergeftalt am beften einzurichten.
1) Die Oberauffiht hat das fürftliche Oberconfiftorium, Das
dem öffentlichen Examine in einer eigentlich hierzu angeftellten
ung am legten Tage des Examinis die profectus fämmtlicher
eber fiehet, die Würdigften mit Lob, Beförderung, auch etwa
imien ermuntert, dem der Generalfuperintendent bie beften ber
ern Klaſſe zur Kortrüdung in die höhere vorſchlaͤgt und an
ches er jährlich einmal vor dem Examine den gefammten Zus
id des Seminarii berichtet.
2) Die Direction des Seminarii hätte der Beneral-Superin-
yent, der die Subjecte, die fich melden, prüft, aufnimmt oder
heweifet, unter dem Inſpector und Lehrer fiehen, an ihn
teljährig Berichte über profectus und Sitten der Seminariften
atten, der bie Stunden der Lehrenden und Lernenden mit.
iehung des Inspectoris einrichtet, fie bejucht, dem fürftlichen
erconfiftorio zu einer vacanten höheren Stelle oder zu vacanten
mlftellen den tüchtigſten des Seminarü vorſchlägt und jährlich
nal über den gefammten Zuftand desjelben berichtet.
3) Die Inſpection könnte, wenn, wie jept, der Katechet
Stabtfirche fih zu dieſer Function qualificirt, dieſen haben,
21°
— 324 —
weil ſeine Arbeiten mit dem Zweck des Inſtituts genau v
den ſind und es gut iſt, daß der Inſpector ſeinem Amt m
ſehen vorſtehen könne. Doch müfte fein eigentliches Band zr
beiten Stellen vorausgeſetzt werden. Denn ſobald der
prediger fein guter Katechet wäre oder ſich ſonſt nicht zur 9
des Seminarii jchidte, fo bleiben ihm zwar feine amtepflü
Stunden, es würde aber vom fürftlichen Oberconfiftorio
andern Geiſtlichen ober dem Lehrer des Seminarü felbft di
ſpection aufgetragen. — Der Snfpector hätte außer feinen
Stunden den fleißigen Befuch der .Xectionen, wo Semin
lehren oder lernen, und Die öftere Uebung berjelben zur '
und gibt in Mängeln, denen er jelbft nicht abhelfen kann,
Directori fleißige Nachricht.
Außer dieſen und den Lehrern der Seminariften (je
ſeiner Maße) hätte Niemand mit denfelben zu fchaffen, au
Lehrer nicht, in deren Echule oder Klaſſe fie arbeiten.
dieje Unordnungen bemerken, zeigen fie fie der Direction <
VL Belohnungen der Arbeiten des Seminarii.
1) Der Gencralfuperintendent wird zum Lohn mol nie
verlangen, als daß er die Aufnahme des Iuſtituts fehe,
fürſtlichen Oberconfiftorio viele gute Subjecte vorjchlagen
und durch tiefe viel Gutes erlebe.
2) Der Inſpector wäre mit einem Gratial, das id
beſtimme, oder falls es der Stiftsprediger ift, vielleicht mil
furzung anderer nuß!ojeren Arbeiten, als 3. B. die völlig
ſuchten Frühpredigten find, wenigſtens für Holz und Mühe
108 zu halten.
3) Der eigentlich angeftellte Lehrer erhielt etwa
4) die ſechs lehrenden Seminariften für ihren Unterr
den Edyulen — — —, welde Eumme nad Proportion
Stunden einzuteilen wäre.
5) Sollten die lernenden Seminariften im Examine
eine oder 2 Prämien erhalten Fönnen, fo würde vieieict
rühmlicher Wetteiter unter ihnen befördert. — Sonach wä
Aufwand auf dieſes Inſtitut eine Sleinigkeit gegen den 9
der für Stadt und Yand Daher zu hoffen ftünde,
— 325 —
VII. Schlußanmerfungen: 1) Da in der Mägbleinfchule die
Kinder, die ohnedem eine Stube nicht faßen kann, geteilt werben
müßen, fo ift notwentig, daß das obere Quartier, das des
Organiften Der Stadtfchule geweſen und jept dem Mägdleinfchul:
meifter zur Ausmietung überlaßen ift, zum Seminario gefchlagen
und dem jeßigen ſowol als künftigen Oryaniiten feine Wohnung
in Gelde gutgethan werte. Durch tiefen Fleinen Aufwand ber
kommen nicht blos die Kinder der Mägleinfchule, Die jegt gar
nicht Raum haben, auch nicht wol überjehen, gefchweige gut uns
terrichtet werden können, Platz, fondern auch das Seminarium
durch diefe Verbindung mit ber Mãagdleinſchule feſte und nuͤtzliche
Dauer.
2) Vielleicht Fönnte künftig einmal dem Seminario durch
Lerbindung desſelben mit audern, z. E. des Hofcautoris, Gans
oris an der Jacobskirche Stellen und ſonſt Erleichterung und
zermehrung ſeines Fonds verſchafft werden. Da dieſe Anmerkung
d aber nur auf die ungewiſſe Zukunft erſtreckt, fo gehört fie
HE mit zu meinem Plane und ftcht hier nur verloren da.
Mebrigend überlaße ich diefen Entwurf der Verbeßerung
@ 8 eben, der etwas Beßeres weiß, am meiflen aber der thäts
Em Unterflüßung feines rühmlichen und nüglichen Zweces und
rn Glücke einer treuen Verwaltung.
Weimar den 31. October 1780.
Joh. GBottfr. Herder.” —
Die Mitglieder des Gonfiftoriums ſchenkten zwar dem Ent»
Te Herderd ihren volltommenften Beifall, äußerten indefjen
Vüchtiich einzelner Punkte mandyerlei Wünfhe, weldye Herder
Tanlagung gaben, fein Concept mannigfach zu überarbeiten und
“ erweitern. Unter dem 2. Mai 1786 legte Herder feinen
eisen „Entwurf eines Seminar zu Yehrern für Landſchulen“
IT, worin namentlih auch die Finanzfrage der neuen Auftalt
rürdfichtigt wurde. Der nene Entwurf Herterd wurde hödhiten
Orts gebilligt > die erforderlichen donts wurden von den Staͤn⸗
) Rur die Jenaiſche Landfhaft hatte an Herders Entwurf zu deſideriren dab
— 326 —
den und zwar 200 Rthlr. von ber Weimarifchen und 66 Riblr. _ —
16 Gar. jährlid von ber Jenaiſchen Laudſchaft verwilligt, fo daß u
Montags nach Quasimodogeniti .ben 31. März 1788 die Anflalte zer.
feierlich eröffnet werden konnte. Dem General: Superintendentere —ye,
Herder war das Amt eines Directord des Seminariums über er,
tragen, kraft befien er bie zur Aufnahme in das Seminar fin 4
Anmeldenden zu prüfen, bie Anftalt nah allen Seiten bin zum
überwachen und über den Zuſtand vderfelben nad) gebalteneme-—m
"jährlihen Examen an das Oberconfiftorium zu berichten hatt- —e.
Unter der Direction des General Superintendenten wurde er —in
Seminarinſpector angeftellt, dem die Verpflichtung oblag, d— ie
Seminariften wöchentlid in drei Stunden zu unterridten, fie —in
der Katechetik nnd Methodik auszubilden und dem Unterriht, wel
chen die Seminariften erteilten, fleißig beizuwohnen. Als zweit—
eigentliher „Docent” wurde ein im Unterrichten bereitd geübteer
Candidat angeftellt.e Der den Seminariften zu erteilende Unte—:
richt bezog fih 1) auf die Methode eines richtigen Lefens und
Vorleſens, 2) auf Orthographie und Kalligraphie, 3) Anfertigung
von - Aufjägen, Briefen, Graälungen u. dgl., 4) gemeinnüpiggemms!
Kenntniffe, 3. B. die Anfangsgründe der Geographie und Natucce⸗
gefchichte, die erften Begriffe der Naturlehre, der Weltgeſchicht —e
u. dgl., 5) das Rechnungswefen, 6) Religion , biblifche Geſchichee,
biblifche Altertümer und Gefchichte der Reformation. — Dit
Seminariften wurden eingeteilt in lernendbe und Lehrende !
Aus den Geübteſten waren nemlich 6 auserwält, welche in der =!
unterflen Klaffen des Gymnaſiums, fowie in ber Garniſons⸗ un =?
Maͤdchenſchule unter der Aufficht des Directors und Inſpectore
als Lehrer verwendet wurben. Cine Klaffeneinteilung der Sen
nariften war nicht vorhanden. Gin amtlicher Bericht des nahe”
herigen Inſpectors Horn teilt über das erfte Decennimn bed Se-—
minard mit: „Das alfo begründete und eingeriäftele Semin—
wirkte nun ohne Geraͤuſch, machte Fein Auffehen , lieh fein Da——
in demfelben aud über den den Seminariften zu erteilenden Unterricht in dark
Muſil des Roͤtige beſtimmt werden möchte.
— 327 —
ſein in Feiner gelehrten Zeitihrift ausrufen, jondern bemühte fich,
fein @utes durch tücdhtige Erziehung der Lehrer des Landvolkes im
Stifen auszubreiten.” Unter der Auflicht und Direction Herder
fand und wuchs e8 bis zum Ende bed Jahres 1803, wo biefer
edle Mann der Erde und ihren Anftalten entnommen wurde. Das -
Seminar war, fo zu fagen, fein Liebling und nichts erfreute ihn
mebr, als wenn er ſah, wie in ihm das Geiltige Raum und
Sewalt befam und das Mechanifche vertrieb oder beherrſchte.
Rur jelten konnte er in den Stunden, wo die Seminariften bes
Ichxt wurden oder lehrten, erfcheinen ; aber jedesmal, wenn er
ankam, war feine Gegewart belehrend, anregend, ermunternd und
erfreuend.” —
Neben dem Seminar war eg zugleih Die Freifchule zu
Weimar, deren Begründung und Ausbildung die neue Zeit, welche
für das Volksſchulweſen des Landes gefommen war, repräfentirte.
Bor dem Jahre 1771 gab es nemlih in Weimar feine
TFreiſchule. Das Schulgeld für Schulkinder ganz unbemittelter
Eltern wurde teild aus der Almofenkaffe bezalt, teild für Einzelne
aus milden Stiftungen beftritten, teild von den Lehrern gejchentt.
Da wurde i. J. 1771 zur Einrichtung eines Seminars der Lehrer
Der; nah Weimar berufen. Zum Gedeihen des Seminars fchien
aber aud eine mit bemfelben verbundne Kreifchule durchaus ers
forderlich zu fein, damit Herz die Seminariften ın derfelben prak—
tisch fi üben Lagen könne. So trat die erfte Freifchule zu Weimar
unbemerkt und faft ganz von felbft ind Leben. Im Jahr 1774
wurde Herz Inſpector des Waifenhaufes und hielt feine Schule,
Die er urfprünglich in feinem Haufe eingerichtet hatte, von da an
in dieſem Locale und zwar in Verbindung mit der Waifenhans-
ſchule. — Als i. J. 1784 das Waifenhaus geſchloßen und das
Syſtem der Privaterziehung der Waifenfinder in Familien einges
führt wurde, war die Waifenhausicule entbehrlich geworken ;
dagegen die Herziſche Freifchule ſowie die Garniſonsſchule bes
Randen fort, indem nad einem landesherrlihen Rejcripte vom
12, April 1787 die erfte fortgeführt und mit dem Seminar wies
erum combinirt werben ſollte. Doch verminderte ſich der Befuch
ber Freiſchule merklich, die ebenſo wie die Garniſonsſchule laͤngere
— 328 —
Zeit hindurch feine bleibende Stätte finden Tonnte, indem &
Stadt jeden Vorfchlag, der Freifchule ein Local gegen Miete
überlaßen, zurückwies. Da fand fid) endlich in dem ehemalimg «
Maifen- und nachherigen Irrenhauſe ein Local, in welches Di
. Kreifchule einziehen konnte. Mit dem 1788 errichteten Semi er
kam fie nicht in Verbindung, weil Herz wegen feines hoben Alters
zur Begleitung einer Lehrerftele am Seminar nicht für qualifizir
erachtet wurde. Im Sabre 1788 wurde demfelben auf fein bes
fallſiges Nachſuchen die Schularbeit abgenommen; der Unterridt
an ter Freiichule wurde zweien Seminariften übertragen. Im
Jahr 1800 ftarb Herz. Herder erftattete Bericht und trug ber
auf an, daß die Freifchule mit dem Seminar in Verbindung ge
bradyt werden möchte, wozu er für nötig eradhtete, daß die Frei⸗
ſchule mit ter Garnifonsfchule im Grimmftein vereinigt und da
außerdem mit beiden Echulen eine Induftriefchule verbunden wer.
Der Oberconfiftorialrat Weber entwarf auch wirklich einen Plan
zur Ausführung diefer Vorfchläge. Indeſſen Fam die Induſtie⸗
ſchule wegen Mangeld eines ſchicklichen Locals und der erforder
lichen Fonds nicht zu Stande; andrerfeit3 ſchmolz die Freifäule
aus Mangel eined eignen Lehrers mehr und mehr zufammen und
es war zu befürchten, daß fie bald ganz eingehen würde. Auf
mit der Garnifonsfchule fland es nicht zum Beſten. In ihrem
bisherigen Local (in der unteren Stube des Brimmfteins) Tonnte
fie nicht länger gehalten werben, weil Die tiber ihr mwohnenden
Arbeiter allzu großen Lärm machten. Daher genehmigte der far
desherr einen Vorſchlag, die Garniſonsſchule in einen Seitenflägl
des ehemaligen Waifenhaufes zu verlegen und diefelbe mit de
Freifchule zu verbinden, ließ aud das zur Helzung ber 3 einge
richteten Lehrfäle erforderliche Holz anweifen. Außer dem Zucht
hausprediger, der zugleich Lehrer der Garnifonsfchule war, wurden
noch vier Seminariften als Lehrer angeftellt, wozu fehr bald n
ein finfter Lehrer fam. Von da an bob fich die vereinigte Ir
ſtalt zu neuer Blüthe. Auch eine Inbuftriefchule wurbe angelegb
indem ein Mann aus ber Gegend von Dresden berufen wurd,
der die Kinder im Anfertigen feiner Strohfledhtarbeiten unterrich
ten ſollte. Indeſſen dauerte dieſe Induftrieanftalt nur bis 1819,
— — —— — — — —
— 329 —
welhem Jahre das Local derfelben zur Aufbewahrung der La:
etutenfilien geräumt werden mufte und der Lehrer mit ins
ld ging. Dagegen die eigentliche Frei- und Garnifonsfchule
teute fi) eines mehr und mehr wachfenden Befuches und einer
sehmenden Vervollkommnung ihrer Einrichtungen.
Indeſſen war die Begründung ber Freifchule zu Weimar
bt ber einzige Gewinn, den der Gedanke an die Errichtung
es Seminars dem Volksſchulweſen brachte. Noch weit wichtiger
d folgenreicher war es, daß hierdurch zugleich eine ſehr weſent⸗
e Anfbeßerung der Lehrergehalte herbeigeführt wurde.
Urfprünglih waren nemlich aud im Herzogtum Weimar bie.
\oldungen der Schulmeifter in den Landftädten und Dörfern fo
ing, daß diefelben nur als Nebeneinnahme eines Handwerkers
ten fonnten, der nebenbei auch Schule hielt. Zwar wurde
»n 1760 verfügt, daß jährlid) 200 Thlr. ans der herzoglichen
mmer zur Vermehrung des Gehaltes einzelner Schullehrer und
Unterftäßung der dürftigften Wittwen ausgezalt werden follten.
eje Belder wurden unter den Namen ver „milden Kaſſe“ von
n Oberconfiftorium verwaltet. Indeſſen konnten damit doch
: in wenigen Fällen Unterftüßungen gegeben werben. Die Er.
tung des Schullehrerfeminars i. J. 1787 veranlafte ed, daß
Bedürfnis einer Aufbeßerung der Lehrerbeſoldungen ernftlicher
ogen wurde. Die Landftände erklärten fich bereit, Die nötigen
Ider zu verwilligen. Das Oberconfiftorium ließ daher eine
ellarifche Meberficht der LXehrerbefoldungen im Lande aufftellen,
raus ſich ergab, daß mehrere Stellen jährlich kaum 24 bis
Thlr. eintrugen, und daß, wenn diefe nur bis auf 50 Xhlr.
wacht werden follten, ein jährliher Zufchuß von 700 Thlr. er-
derlich war. Nach dem Vorſchlag des Oberconfiftorinms ſollten
eflen auch mehrere Stellen mit 55 bis 60 Thlr., und Die in
‚ Heinen Landftädten mit 70 Thlr. dotirt werden. Die hierzu
>rderlihen Mittel wurden auf verjchiednen Wegen beichafft.
8 der herzoglichen Kammerkaſſe wurden für jedes Jahr (außer
en 200 Thle.) 100 Thlr. verwilligt; die Stände des Weima⸗
Ken Landes und der Senaifchen Qandesportion erklärten ſich
eit, jährlich) 410 Thlr. beizutragen, Auch genehmigte ber Her:
— 330 —
zog die von dem Sberconfiftorium beantragte Einziehung wer
Predigerftellen.. Cine derjelben wurde audy wirklich aufgehobe 7,
bei der anderen indeſſen ergaben fich jo viele Schwierigkeiten, def
nur ein Teil der zu derjelben gehörigen Zinsfrüchte eingeygen
und zu den Einkünften des zu errichtenden Landſchulfond⸗
gezogen werben fonnte. So wurde es möglich, daß bie geringften
Lehrerftellen auf 50 Thlr., einige auf 55 Thlr. und andre auf
60 Thlr. erhöht werden konnten. Judeſſen wuchs der Landſchub
fonds in den nächſten Jahren um ein Beträchtliches, indem bem
jelben durch Iandesherrliche Verfügung mancherlei neue Hülfsquel⸗
Ien (3. B. die Diöpenfationdgelder bei Eheicheidungen) eröffnet
wurden. Daber Eonnte jehr bald zu einer abermaligen BVerbefe
rung der Lehrerbefoldungen vorgeſchritten werden. Nachdem die
genaueften Berichte über Die Gompetenzen aller Lehrerſtellen ein
gezogen waren, wurden biefelben in 5 Klaffen von 50-—200 Thlr.
eingeteilt, worauf ſchon am Schlufie des Jahres 1803 eine durd«
gehende Verbeßerung der Gehalte angeorbnet, die letzte Klaſſe biö
zur vierten erhöht und die geringfte Befoldung bie auf 60 Thlr.
gebracht wurde. Zugleich gaben aller Orten fowol einzelne Pri
vatleute, ald auch PBatrone und Gemeinden den lebhafteften Eifer
Fund, den Schulen und Schulmeiftern zu helfen, fo daß i. J. 1811
faft alle Stellen Bis auf 70 Thlr. jährlicher Einnahmen gebradt
waren *). ber ein ſchwerer Verluft war es für die Schulehrer
bes Landes, als ihnen in diefem Jahre die Acciöfreiheit entzogen
wurde. Die 222 Lehrer des alten Landes verloren dadurch jähr
lich mehr als 400 Thlr., — aljo mehr als die Stände im Jahre
1794 dem Schulfonds verwilligt hatten. Und zwar wurbe biefe
Berluft durch den ftatt der Accife aufgelegten Impoſt noch drüden:
ber gemasht, indem hierdurch (vorausgefept, daß jeder Schullehret
die ehedem frei zu brauenden 10 Scheffel Gerſte verbraute,) dit
*) Bergl. „Nachrichten von dem Buftande des herzogl. Waifeninftituted =
Weimar und Jena i. 3. 1811, denen ein Verzeichnis der für die Berbeperung der
Landſchulen in diefem Jahre gemachten milden Gtiftungen beigefügt RK, m
es, .
— 331 —
dichaftskaſſe außer jenen 400 Thlm. noch mehr als 500 Thlr.
N den färglichen Schullehrerbefoldungen an fich z0g.
un wm Wr — — —
Aus der nächftfolgenden Zeit ift nur zu erwähnen, daß im
lahre 1804 öffentliche Schulprüfungen in allen Schulen bes Lans
es eingeführt wurden. Bid dahin waren nemlich öffentliche
Shulprüfungen vor den GErndteferien nur in den Städten üblidy.
ſurch Ausſchreiben des Oberconfiftoriums zu Weimar vom 17. Juli
304 wurden diefelben jedoch aud für die Dorfichulen angeorbnet
t des Beſtimmung, „daß 1) die öffentliche Prüfung entweder in
r Kirche, Sonntags nad geendigtem Nachmittags » Eottesbienft
er, wo folches wegen ber Filiale nicht thunlich fein follte, an
em beliebigen Wochentage in Beijein ber Ortsobrigkeit, ber
richtöperfonen und Gemeindevorfteher des Orts geſchehe, wel:
von den Kanzeln bekannt zu machen und die Gemeinde dazu
zuladen fei; 2) das Examen vom Paftor mit einer furzen Rede
ffnet werde, worauf ſaͤmmtliche dies Jahr getriebenen Lectionen
8 vom Schuldiener, teild vom Paftor Durchgegangen und Die
hreib⸗ und Nechenbücher öffentlich vorgezeigt würden; 3) bie
hultabellen mit Bemerkung der von jedem Kinde verjäumten
dulen jedem Anwejenden vorgelegt würden, zur Rechtfertigung
) Lehrers und zur Beichämung der nachläßigen Eltern; 4) je:
n Rinde feine Genfur öffentlich erteilt und hierauf die Hand⸗
ig mit einem guten Wunſch befchloßen werde; 5) über das
amen jelbft jeder Paftor mit Beilegung der Schultabellen an
3 SO:berconfiftorium berichte und zugleich anzeige, ob an feinem
te ſchon ein Fonds vorhanden fei, daraus den fleißigen Schul«
bern Prämien gegeben werden könnten.”
Erft nachdem der Staat i. J. 1809 als fouveränes Herzog:
n new eingerichtet, durch den Wiener Gongreß i. J. 1815 er-
tert und zum Großherzogtum erhoben und i. %. 1816 durch
blizirung einer neuen flänbifchen Verfaßung vollftändig organis
| war, wendete die Staatsregierung (unter der noch immer
tauernden, gejegneten Regierung Karl Augufts) in Gemein:
— 332 —
ſchaft mit den Ständen des Landes aud dem Zolteid
eine größere Fürſorge zu.
Die nächfte Anregung hierzu gab ein edler Menſche
der Legationsrat Falk zu Weimar. Die Wahrnehmung
jeglichen Zerrüttung, mweldye teild der moderne Libertinisn
die Zeit beherrjchte, teild auch die Einwirkung franzöſiſch
und Lebensweiſe in das Leben des Volkes gebracht hatte,
namentlich in einer zalreichen gänzlich vermwahrloften Jug
vortrat, hatte nemlich denſelben veranlaft, in Weimar ei
bungss und Rettungsanftalt für verwahrlofte Kinder ein
Der Segen, den die Anftalt ſchon im erften Jahre i
ſtehens brachte, war augenfällig; aber die Mittel, weld
berzige Menfchenliebe zu ihrer Unterhaltung hergegebe
waren kaum ausreihend, und außerdem war für andr
des Landes die Einrichtung ähnlicher Anftalten ebenfo 5
als für Weimar. In einem Schreiben, welches daß ı
Elend der untern Schichten des Volkes in den lebhaftefte
ſchilderte, wendete fi) daher Falk an die „ftändifche D
aller drei Kreife der alten Rande” und bat um Abhü
ftändifche Deputation eignete fih den Antrag Falls |
und ftellte daher im April 1816 bei der Landesregier
Reihe von Anträgen, welche überhaupt die Hebung der V
und des Volkes zum Zwecke hatte.
Der Großherzog ließ den Antrag der ftändiichen T
den beiden Oberconfiftorien des Landes zur berichtlichen 9
zugeben und erhielt durdy die infolge deſſen aufgeftel
Beranlaßung,, die ganze Angelegenheit dem nächftfolgent
tage vorzulegen. Zur Erledigung der betreffenden la
lichen Propofition überreichten die Tandftände hierauf ei
rungsfchrift, welche der Großherzog durch Erlaß (vom
1817) an die beiden Oberconfiftorien genehmigte. Das
rium zu Eiſenach ging fofort über die Ausführung der ff
Anträge zu Rathe, ſchickte feine Abftimmungen an den G
ein, weldye von demſelben in der Hauptfache genehmigt
Ein Publicandıum vom 26. Juni 1817, weldyes in das (
— 333 —
Wochenblatt eingerücdt wurde, war das Nefultat der Verhandlun⸗
gen des Oberconfiftoriums mit dem Großherzog. Daffelbe lautete:
„A: Wegen der Gonfirmation der Kinder, wovon die Ent:
laßung aus der Schule nad) den befonderen Geſetzen abhängig iſt, ftehet
1) die Regel feft, Daß Kuaben nad) vollendetem 14., Maͤd⸗
hen nach vollendetem 13. Jahre confirmirt werden. Nur in dem
Falle, wo das Kind vor dem 1. October des vorhergehenden
Jahre reſp. das 13. oder das 12. Jahr überfchritten hat, iſt
eine Ausnahme von der Regel geſetzlich ausgefprochen worden.
Diöpenfationen dürfen fchlechterdings nicht ftattfinden.
2) Hingefehen auf die kirchliche Bedeutung der Zeit werben,
nah dem Antrage der getreuen Landftände, die Tage zwijchen
Palmarum und Pfingften ald die fchidlichften zur Confirmation
beſtimmt. Die Konfirmation ift deshalb in den Städten zu
Pfingften, auf dem Lande am Palnfountage, der erfte Genuß des
Abendmald in den Städten am Sonntage nah Pfingften, auf
em Lande am grünen Donnerstage anzuorbnen. Nur audnahms- .
peile foll in größeren Städten, weun die Zal der Konfirmanden
3 notwendig macht, eine Trennung flattfinden, und die Gonfir-
nation der einen Hälfte zu Oftern, und die der andern Hälfte
u Pfingften zugelaßen werben.
Als hoͤchſt wünfchenswert werden hiernädhft
B. die Sonntagsſchulen empfohlen, weldhe von den Kindern
der obern Schulktaflen und noch ein Jahr von denjenigen bejucht
werden müßen, bie aus den Schulen entlaßen worben find, bei
Berantwortlichfeit der Eltern, der Lehrherrn und der Dienftherrn.
Es wird den Geiftlichen die Haltung diefer Schulen, bei Filialen,
abwechfelnd zwifchen der Mutter: und der Tochterfirche, und zwar
entweder von ihnen jelbft, oder wenn fte von einer Nachmittags-
Predigt zu angegriffen fein follten, Durch den Schullehrer in ihrer
Gegenwart zur Pflicht gemacht. Es foll auch bei dem Unterrichte
acht blos auf die kirchlichen Blaubenslehren, fondern neben ber
Erweckung und Befeſtigung eines wahrhaft religiöſen Sinnes auch
uf das Erkennen der wichtigſten Obliegenheiten des bürgerlichen
kebens in feinen verjchiedenen Beziehungen Rüdficht genommen
erden. Wird diefer Unterricht, wie es al8 Regel 'anzuorbnen
— 8341 —
ift, in der Kirche erteilt, jo werden auch Erwachjenere daran Zei
nehmen, und es wird eine Abkürzung des fogenannten Rad
tags⸗Gottesdienſtes gerechtfertiget werben koͤnnen. Bon ſelbſt vr
ftebt e8 fih aber, daß dieſe neue Ginrichtung nur an denjenigen
Orten zu treffen iſt, wo nicht ältere örtliche Ginrichtungen für
den aufgefaften Zwed ſchon jept mehr leiften.
Kerner follen
C. nach dem gleichmäßigen Antrage der getreuen Landſtinde
1) die Schullehrer eine genaue Amtsvorſchrift für alle Zelt
ihrer Obliegenbeiten erhalten.
2) In Anfehung ihrer Sittlichfeit wird auch fürohin "
gröfte Strenge gehandhabt werben; denn Schonung bed Ginylem
ift auch bier Vergehen gegen dad Sanze.
8) Es iſt gefeglich angeorbnet, daß bie Geiftlichen in da
ihnen anvertrauten Schulen, und zwar wenn einem Geiftiihe
mehrere Schulen anvertraut find, abwechſelnd, woͤchentlich du
Stunden Unterricht zu erteilen haben, wobei, was die Gen
fände des Unterrichts anlanget, dasjenige zu beberzigen if, *
eben über den Unterricht in den Sonntagsſchulen angedeutet wer
den iſt. Die Grinnerung, daß fein Schullehrer den firdlide
Verrichtungen, welche ihm bisher obgelegen haben, und zu welden
an vielen Orten auch das Läuten am Morgen und Abend geht,
entzogen werden möchte, ift von den getreuen Landfländen m
deswillen nicht unterblieben, weil die Klagen über das
ziehen von jenen DBerrichtungen bier und da laut geworben
und Diefed zu mandyer Unzufriedenheit, jelbft zur Störung de
guten Verhaͤltniſſes mit den Gemeinden die Veranlagung gi
Den Schulkinderu darf das Läuten nad) den wieberholt erg
nen Berfügungen ohnehin niemals allein überlaßen werden,
hiervon nach ſchon gemachten Erfahrungen Unglüd zu fürdte #
Zur Erläuterung einiger diefer gefeglicher Vorſchriften wird mi
der, auf weitern unterthänigften Vortrag eingegangenen |
Refolution vom 15. April d. I. zur genaueften Nachachtung WW
zugefügt:
„ad A. Daf für die anzuorbnende Gonfirmationsfeierihie'
überall die vormittägige gottesdienſtliche Beit ganz beftimmt werk
— 355 —
wobei den Pfarrern ausdrücklich zur Pflicht gemadt wird, dahin
zu feben, daß die Prüfung der Gatechumenen nicht zu weit außs
gedbehnt, der Gonfirmationsact jelbft aber mit Vermeidung alles
leeren Scheind durchgängig einfach und mit Acht religidfer Würde
in Gegenwart der Gemeinde vollzogen werbe.
ad B. Haben in der ıRegel Pfarrer und Schullehrer abs
wehjelnd die Sonntagsſchulen zu halten, auch, we die Filiale
nicht allzuweit find, die Jugend von dort in der Mutterkirche fich
miteinzufinden; in Filialen, Die über eine gute Stunde von ber
Hauptkirche entfernt liegen, der Schullehrer die dortigen Sonn
tageſchulen, und nur einmal in dem Monat der Pfarrer zu hals
ten, und zwar an dem Sonntage, wo er ohnedies auf dem Filiale
zu predigen bat, und Nachmittags. in der Mutterfirche frei ift.
Die Rachmittagspredigt kann au dem Sonntage, wo der Pfarrer
die Sonntagsjchule hält, ganz ausfallen und in eine Bibellection
verwandelt werben. Die Dauer der Sonntagsſchule ift zu einer,
bis höchftens anderthalb Stunden feftzufeßen. Der Lehrplan ift
vorzüglich auf Religion, praktiſche und religiöfe Lebensklugheit,
richtige Ginficht in bie bürgerlichen Verhältniffe und Gejege zu
beihränken und durchaus nicht auf ein mehreres auszubehnen.
ad C. 2. Die Geiſtlichen werden der ihnen hierdurch neu
aufgelegten Teilnahme an dem Unterrichte der Schule um jo bes
reitwilliger fi) unterziehen, weil, ob es wol eine neue und nicht
unbedeutende, ihnen aufgelegt werdende Arbeit ift, Doch ber edle
Zwech, die Vervollkommnung der ihm mitanvertrauten Schulen,
wozu fie dadurch wefentlicdy beitragen koͤnnen, fie ermuntern und
belehren wird. Insbeſondre iſt der Geiſtliche auf die Zeit feines
zu erteilenden GSonfirmanbenunterricht8 von dem Schulunterricht
freijufprechen. Wo er nur Gine’Kirchfpielsfchule bat, iſt wöchents
lich und zwar in den drei erften Wochentagen, damit die Vorbe⸗
teitung auf die Sonntagsarbeiten nidyt darunter leide, der plans
mäßige Unterricht Darin zu erteilen, und ihm blos im Notfall
Rachzugeben, fogleich zwei Stunden nad) einander zu halten, weil
es aus leicht abzufehenden Gründen beßer ift, wenn ber Pfarrer
Mehrmals in der Woche in ber Schule erjcheint. Wo er eine
oder mehrere Filialfchulen bat, ift ihm erlaubt, in Diefen Schulen
— 336 —
zu wechleln und darin an Einem Tage zwei Stunden zu unters
richten, die dritte aber in der Schule des Mutterortd zu erteilen.
Ueberall Hat der Echullehrer dem Unterrichte des Pfarrers beuw
wohnen und den Gegenftand defjelben in ein beſonderes Tagebuch
einzutragen.”
Schon vorher hatte das Oberconſiſtorium zu Weimar ein
landesherrlicy genehmigtes Publicandum ausgearbeitet, welches im
Regierungsblatt in folgender Form veröffentlicht wurbe:
„Se. Königl. Hoheit der Großherzog hatten in Die lande%
fürftlihde Propofition vom 2. Februar d J. unter anderen auf
die von Höchftdero Dberconfiftorien gejchehenen Anträge zu Ge
beßerung des religiöjen und fittlihen Zuſtandes im Volt, wm
derer, die für Diefen wichtigen Zwed aus Amtspflicht arbeiten,
mit aufzunehmen und ſolche Der einfichtSpollen Berüdfichtigung
und wirfjamen Teilnahme des getreuen Landtags ganz bejonbers
zu empfehlen gerubet. -
Der Landtag hat fih hierauf über einen Teil Diefer Anträge
in feiner unterthänigften Erklaͤrungsſchrift vom 22. Febr. pflich⸗
mäßig ausgefprocdhen, und Se. Königl. Hoheit haben, in Gemiß⸗
beit der landftändifchen Anfichten, an das unterzeichnete Obercor
fiftorium verfügt, welches Daher nicht anfteht, hiermit Folgendes,
zum Teil ald allgemeine, fofort gültige Vorſchrift befannt ju
machen:
1) Die Gebräudhe, wodurch fich das Ghriftentum von as
deren Glaubensformen unterfcheidet und auf welchen ein groß
Teil feiner Wirkfamfeit berubet, bedürfen einer zeitgemäßen Br |
lebung. Nicht ohne höhere Beziehung knüpfen fie fi an de
Hauptereigniffe des Lebens, welche eben durch fie erft die wahr
Bedeutung und die rechte Weihe erhalten. Deshalb foll
A. bei der Taufe
a) jeder Prediger auf dem Lande mit denen, die zum er
mal Gevatter ſtehen, in der Sacriftei oder auf ber Pfarrei ein
vorgängige belehrende Unterrebung pflegen und fie auf den Ind
und die Wichtigkeit ded zu übernehmenden frommen Geſchaͤſti
machen.
b) Kinder, Die noch nicht confirmirt find, mithin ihr Glas
‘
— 337 —
aöbefenntnis noch nicht öffentlidy abgelegt haben, können zur
stbenftelle überall nicht zugelaßen, auch ins Kirchenbuch als
ıthe nicht eingezeichnet werben.
c) &8 wird hiermit wiederholt eingefchärft, daß eine Heb-
me, außer im Fall der Nottaufe, durchaus fein Kind aus der
wufe heben fol, und wird es übrigens das unterzeichnete Ober:
aſiſtorium mit Wolgefallen bemerken, wenn
d) die Kindtaufsväter zu defto größerer Erbauung jedesmal
sjönlih der Taufhandlung mitbeiwohnen. Auch follen
e) die MWöchnerinnen nicht gehindert fein, bei dem erften
rchgang ihr gewöhnliches ſtilles Danfgebet in der Nähe des
tard zu verrichten, in welchem Fall der Geiftlihe darauf gefaft
n wird, der Dankenden einige erbauliche und troftreiche Worte
zuſprechen. |
Die Sitte unter a), d) ımde) ift bereit in mehreren Ort-
aften gebräuchlich und bat fich ald heilfam bewährt.
B. Die Goufirmation ſoll fünftig, nämlid vom Sabre
18 an
&) auf dem Lande zu Palmarum oder zu Pfingften,
b) in den Städten aber blos zu Pfingften vorgenommen
ꝛrden, und zwar
9 find die Mädchen alsdann confirmationsfähig, wenn fie
n dem 1. October des jahres, in weldyem fie mitconfirmirt
tden wollen, da8 13. Lebensjahr erfüllen,
d) von den Knaben aber wird verlangt, daß fie vor dem
October des Sahres, in welchem fie coufirmirt werden wollen,
: 14. Lebensjahr zurüdlegen.
e) Dispenfationdgefuche find gänzlich verboten.
f) Der erfte Genuß des Abendmald für die Konfirmanden
cd für das kommende Jahr und für die Zukunft in den Städten
f den Sonntag nach Pfingften, auf dem Laube aber, wenn bie
ufirmation zu Palmarum flattgefunden bat, auf den grünen
onnerstag feſtgeſetzt.
6) Das Schulgeld wird von den mitconfirmirten Mädchen
3 zu ihrem erfüllten 13. Jahre, von den mitconfirmirten Kuaben
3 zu ihrem erfüllten 14. Jahre an den Schullehrer entrichtet.
Heppe, Bolloſchulweſen, 2. 22
er
— 333 —
h) Die Kinder aber, die einmal confirmirt find, treten and
der Schule heraus, und find nicht verbunden, dieſelbe nod bis
nad) Ablauf ihres 13. und bezüglich 14. Lebensjahres au bejuden,
ed wäre denn, daß fie ed aus eignem Antrieb thun wollten, um
in den Schul» und Religionsfenntniffen noch möglichft forte
Schreiten.
i) Wegen des Schulgelded von Zeit der erfolgten Genfer
mation bis zum zurüdgelegten 13. oder 14. jahre gelten die [hen
vorhandenen allgemeinen Vorſchriften über die Erhebung und Ein
bringung deſſelben.
C. Was das heilige Abendmal betrifft, jo wird daffelbe al
ein von dem hohen Stifter unferer Religion felbft eingefegted Or
bädytnismahl ſeines Todes von allen wahren Ghriften zu ale
Beit als eine heilige Sache behandelt werden, und die Ehrfurdt
und Danfbarfeit gegen Jeſum Chriſtum wird ihnen die würdigt
Feier defjelben zum innern Bedürfnis machen. &8 ift eined von
den beiden Sacramenten, die auch Die evangelifche Kirche antt:
fennt, und in welchem fie nicht blos ein Außeres Zeichen bed
Shriftentum®, fondern auch eine heilfame Belebung chrifligen
Sinned und eine Stärkung des Glaubens findet. Es würde dr
ber höchſt erfreulich fein, wenn zur Erwedung und Befeftigung
tugendhafter Grundfäge und Achter Neligiofität der Sinn für eint
allgemeinere, durch alle Stände verbreitete Feier des Abentmald
nach und nad in den Herzen aller duriftlihen Einwohner did
Landes aufginge, zumal grade das laufende Jahr und an bie
Fromme Achtung, mit welcher Luther das Abendmal des Hem
anſah und empfahl, eruftlich erinnert. So möchte auch bie He
und da ſchon beobachtete Sitte, daß nämlich die Verlobten, ot
Braut und Bräutigam, in der nächften Zeit vor ihrer Trauund
und als fromme Vorbereitung dazu, gemeinschaftlich Das heilig‘
Abendmal genießen, wohl verdienen, daß fie auf dem Lande al⸗
gemeiner würde.
2) Hiernaͤchſt hängt allerdings ſehr Vieles im Hinſicht auf
Herbeiführung eines fittlicheren,, veligiöferen Zuftandes von DE
Predigern und Edjullehrern felbft ab. Es gereicht dem geiſtlichen
Stande zur Beruhigung und Aufrichtung, daß der getreue Landlod
— 339 —
fen ftaatstümlichen Wert der Neligionslehrer ausdrüdlich aner⸗
ınt bat, und um deswillen muß es ihnen willfommen fein, daß
Gelegenheit finden jollen, ihre nützliche Wirkſamkeit vielfältiger
üben. Zu dem Ende find
A. fofort nah Pfingften d. %. in allen Ortjchaften des
nded Sonntagsfchulen zu errichten.
a) Diefe Sonntagsſchulen find in der Negel in der Kirche,
Snahmsweife in der Schulwohnung zu halten. Im erjteren
De können aud Erwachſene entweder zuhören oder daran Teil
men. Es wird alddann nad) Befinden eine zwedmäßige Ab⸗
(zung des fonntägigen Nachmittags - Gottesdienftes ftattfinden
anen.
b) Sn der Regel aber werden die Sonntagsfchulen nur von
dern der oberen Schulklaffen, alfo von 11, 12 und 13 ab:
1, und noch ein Jahr lang auch von denjenigen beſucht, Die
ch erfolgter Confirmation aus der Schule entlaßen worden find,
| Verantwortlichfeit der Eltern, der Lehrherrn und der Dienft-
ren. Die weltliche Obrigfeit verfügt auf Anzeige des Geiſt-
yen wie bei Schulverfäumnifjen ſofort mit zwedmäßiger Strenge.
c) Die Sonntagsjchulen werden von den Predigern gehal-
1, bei Filialen abwechjelnd zwifchen der Mutter» und der Toch⸗
fire, und zwar entweder von dem Pfarrer felbft, oder, wenn
durch Predigten oder andre Amtsarbeiten zu angegriffen fein follte,
th den Schullehrer in des Pfarrerd Gegenwart.
d) Bei-dem Unterriht in den Sonntagsjchulen ift nicht
08 auf die kirchlichen Glaubenslehren, jondern neben der Er:
dung und Befeftigung eined wahrhaft religiöfen Sinne aud)
das Erkennen der wichtigften Obliegenheiten des bürgerlichen
bens in feinen verjchiednen Beziehungen Rückſicht zu nehmen.
e) Die Herftelung von Sonntagsſchulen findet jedoh nur
denjenigen Orten flatt, wo nicht ältere Einrichtungen der Art
den bezeichneten Zweck fchon jetzt mehr leiften.
B. Ebenſo Haben die Prediger in den ihnen untergebenen
dulen wöchentlich drei Stunden Unterricht zu erteilen:
a) Was die Gegenftände dieſes von den Ortögeiftlichen zu
22°
— 340 —
beforgenden SchulunterrichtS betrifft, jo gilt bier daſſelbe, mr ad
vorhin bei den Sonntagsjchulen (A., d.) angedeutet worden Ef.
b) Wenn mehrere Schulen zu einer Pfarrei gehören, ſo
geſchieht der wöchentliche breiftündige Unterricht abwechſelnd, Die
eine Woche in diefer Schule, Die folgende Woche in der nern
Schule.
c) Es ſteht dem Geiſtlichen frei, entweder ſelbſt zu lehren,
oder den Scullehrer in feiner Gegenwart lehren zu laden. Dei
Schullehrer muß in den Lehrftunden des Pfarrers zugegen jein.
C. Sodann ift nötig, daß jowol Prediger als Scullirei
in ihrem amtlichen und bürgerlichen Leben die gröfte Pflihtmisigr
feit und Schidlicdyfeit beobachten. Deshalb wird
a) in Bezug auf Die Kleidung der Geiftlihen außer ren
Amtsverrihtungen der Gircularbefehl vom 1. April 1794 hierm it
erneuert, und deſſen frengfte Befolgung anbefohlen.
b) Die Schullehrer haben fih in ihrem Schulami der 2%
Berften Pünktlichkeit und in ihrem Wandel der gemwißenhaftfte*
Sittlichfeit zu befleißigen. Einem jeden von ihnen wird in De!
Kürze eine befondre Amtsvorfchrift zugeftellt werden, welde ©
allen ihren Punkten genau zu befolgen ift. Ginftweilen wird ve!
ſchon beftehende Verbot, nicht durch Schulkinder läuten zu Tape Ei,
für Diejenigen, weldye es angeht, hiermit eruftlich wiederholt.
c) Diejenigen, die fih auf Echulen zum Echullehrerftuniis-!
vorbereiten, haben darauf zu jehen, Daß fie ihre Sitten rein ur
einfacy bewahren, und von allem ftädtifchen Unweſen frei e 7
halten,
D. Dagegen ift das unterzeichnete Oberconfiftorium > *
jeder Gelegenheit bedacht gewejen und wird es ferner fein, ® *
Befoldung der Schullehrer nicht blo8 zu erhalten, fondern mi
licht zu vermehren, Die geringfte Dienfteinnahme eines She 4
lehrers fol künftig 100 Thlr. betragen. Diefe Summe zu e —
reichen und baldigft berzuftellen wird jo eben mit großh. Lande =
direction Unterhandlung gepflogen. Da aber einftweilen eine Hülf S⸗
kaſſe für gering beſoldete Echullehrer errichtet werden fol, welck⸗
zunächſt auf gewiſſe mit Oſtern des Jahres von freudigen hir S⸗
lichen Ereigniſſen zu erhebende Abgaben gegründet iſt, jo werd eri
— 341 —
\immtliche Geiftliche hiermit befchligt, gedachte Abgaben, nemlich
a) bei Trauungen |
eines Häudlerd . . 2 2 202.4 Bar.
eine Bürger8 oder Bauerd . . .„ 8 gr.
eined Vormehmeren . . 2... 1Xhe.
eines wirklichen Rats oder Beiſitzers bei
den Landesbehörden und weiterhinauf 2 Thlr.
b) Bei Kindtaufen 1 Ggr., 2 Ggr., 8 Ggr., 16 Gyr. nad) der-
ſelben Stufenfolge zu dem bezeichneten wolthätigen Behuf von
Dftern des Jahres an erheben zu laßen, und halbjährig, mithin
zu Michaelis d. %. zum erften Mal an ihren vorgefegten Diöceſan
nach einem genauen Verzeichnis einzufenden. Der Diöcefan wird
ſodann die Einfendung der gefammten Beiträge feiner Diöcefe an
das Oberconfiftorium ungefäumt bewirken. Bon der pflichtinäßigen
Geſiunung fowol der Geiftlichfeit als auch der Landeseinwohner
überhaupt darf erwartet werden, daß fie dieſen Vorfchriften allent-
halben pünftlicy nachgehen und die dabei ausgeſprochenen Wünfche,
ein jeder fo viel an ihm ift, möglichft berüdfichtigen. Daun wird
ein Grund gelegt fein, auf welchem Fürft und Staat fiher ruhen,
und einer gebeihlichen Zukunft entgegenfeben können.” —
Indem die Verordnungen der beiden Oberconfiftorien jofort
ur Vollziehung gebracht wurden, war hiermit allerdings eine
überaus heiljame Reform des gefammten Volksſchulweſens begon:
nen; aber immer von Neuem trat ein Uebelftand hervor, der ein
wirkliches Aufblühen deffelben unmöglich machte, nemlich die Un:
tegelmäßigfeit im Beſuche der Schule feitens der fehulpflichtigen
Kinder. Schon früher waren manderlei Anordnungen getroffen,
durch welche man den häufigen Schulverſäumniſſen entgegenwirken
wollte. Namentlih hatte man zu dieſem Zwecke in einzelnen
Städten des Landes Schulecommiffionen gebildet; aber es
War alles umfonft gewefen.
. Die Zal der Abjenten blieb nach wie vor eine ganz unver:
hältnismäßige. Die Urfachen diefes traurigen Mißſtandes waren
(wie die Schulcommijfion zu Eiſenach unter dem 21. März und
noch mals unter dem 18. November 1818 an das Oberconfiftorium
daſe Ibft berichtete,) „teils Mangel an Kleidung und Schuhen, teils
— 342 —
Mangel an Schulbüchern, zu deren Anſchaffung mit Audnahmeve |
Bibeln bei denjenigen Kindern, die weder Soldatenfinder warn, |
noch Waifenpenfion befamen, fein Fonds vorhanden war, teils
Krankheit, die gewöhnlich im Gefolge des Mangeld und Elendes
ift, teild endlich aud) Schulgeldrefte, welche die Eltern in der lep 1
ten drüdenden Zeit hatten auflaufen Iaßen, und die fie nun u
berichtigen nicht im Stande waren.” Auch im folgenden Jahte
1819 hörte der Generalfuperintendent Nebe bei einer Bifitatin |
der deutſchen Stadtſchulen zu Eifenady „überall Elagen über mangeb
haftes Schulgehen der Kinder, wie auch darüber, daß ſich mehrer
Kinder eigenmächtig gewiljen Unterrichtszweigen, namentlid tem |
Rechnen, Schreiben und der Drthographie, entzögen“ — mai
teilweife freilih Daher Fam, daß viele Gymnaſiaſten und Sdul
(ehrerfeminariften einzelnen fchulpflichtigen Kindern Privatunterrigt
erteilten. Nebe [chlug daher vor, man möge, um dieſen Uebelſtand
wirkjamer befämpfen zu fönnen, die Snftruction der für die Stadt
Oſtheim am 8. Januar 1819 organifirten Schulcommiffion auh
für die Schulcommiſſion zu Eifenach betätigen und diefe nad) jene |
reorganifiren. Der Antrag Nebes wurde fowol vom Oberconfite
rium ald vom Großherzog genehmigt, und es wurde demgemif in
Eiſenach eine neue Schulcommiffion gebildet, welche aus den beiden
jüngften Diaconen, aus einem Mitgliede des Stadtrates, einem,
Juſtizbeamten und einigen deutſchen Schullehrern und unteren de
vern des Gymnaſiums (die beiden Iegteren jedody wechjelnd) be
ftand. Ueber den Zwed und die Gejchäftsverwaltung der Sul
commifjion wurde inäfder unter dem 5. Novbr. 1819 publigirtes
Snftruction Folgendes beftimmt:
„3. Der Bwed der Schulcommilfion iR. nicht nur alle die
Punkte, welche zur äußeren Schulorduung und Wirkſamkeit get
ven, überhaupt ind Auge zu faßen, fondern auch und ganz ver
züglic die Negelmäßigkeit des Schulbeſuchs, von der alles Birke
der Schule abhängt, Fräftiger zu befördern.
4. Die Sculcommiffion hält ihre Sigungen ohne Une
brechung au dem erften Mittwoch jeden Monats, des Nadmittt P
um 2 Uhr. |
5. Die Dauer der Sipung richtet ſich nach dem Upmjatzt
— 3435 —
der jedesmal vgrliegenden Verhandlung und nad) den Erforder-
nifen gründlicher Unterfuchung und Beſchlußnahme.
6. Der Ort für die Sigungen ift Das bisherige Focal auf
dem Rathaufe und hat hier der Ratödiener, wie bisher, die jedes-
Maligen Vorkehrungen zu treffen, auch während der Seſſion nahe
zu fein, um die nötigen Gitationen und fonft zu beforgen ıc.
7. Sämmtlide deutihe Scyullehrer, fowie die Lehrer von
IVta, Vta und Vlta des Gymnaſii werden von der Echulconmif-
on genau angewiefen, die monatlich einzureichenden Auszüge aus
ben Abfentenliften (nad) $. 20 ter Schulordunng), in welche alle
Diejenigen Kinder nebft dem Namen ihrer Eltern eisızutragen find,
welche ohne genügende Urjache, Eutfchuldigung die Schule ver:
ſäumt haben, mit Anzabe der Anzal der verfäunten ganzen oder
halben Schultage gewißenhaft und ordentlich zu fertigen, mit dem
Schluß des Monats aber, und zwar von IVta, fodann der Müller:
Ichen, Vogtſchen, Kollenbachſchen, Finkſchen Schule an den Herrn
Dberconfiftorialafjeffor Kühn, von Vta und Vlta, jodaun der
Silben, Brauhardtſchen und Stephanusſchen Schule an Herrn
Diakonus Hahn pünktlich) abzugeben, auch in den Liſten die aller-
nadläßigften und gegen den Schulbeſuch widerjpenftigften Kinder
rot vorzuftreichen. |
8 Zu der Tagesorbuung für die Schulcommiffion gehört
alsdann die genaue Durchgehung diefer Auszüge aus den Abfen-
tenliften.
9. Die Eltern der jänmigen Schulkinder, welche überall
für die Verfäumnis ihrer Kinder allein verantwortlid zu machen
find, werden ohne Unterjchied vor die Kommijjion gefordert, und
war zuerft diejenigen, welche ſich am allernachläßigften bewiefen
haben. Zum erften Male empfangen fie die nachdrüdlichfte Ver-
Warnung unter fünftighin im Nichtbeßerungsfalle unausbleiblich
erfolgender Beftrafung ihrer Pflicht beBer nachzukommen und ihre
Kinder fünftighin nnausgeſetzt zur Schule zu jchiden.
10. Denjenigen Eltern, welche gleichwol bei nädjfter Seſ⸗
Non abermals als nachläßige und widerfpeuftige durch Die vorlies
genden Abſenten-Auszüge erjcheinen, werden von der Schulfom-
— 344 —
miffion die nad) der Schulordnung gebürenden Strafen um al
bleiblicy zuerkannt.
11. Diefe Strafen werden nad Prüfung und Beſchaffen ⸗ eit
der Umſtaͤnde durch Geld oder Gefängnis von ber Schullomms iſ
ſion ſogleich in Ausübung geſetzt.
12. Die aufgelegten und erhobenen Geldſtrafen werden v On
den Dazu Beauftragten, etwa dem Stadtſchreiber vierteljährlid m
die Schulfommiffion abgeliefert, weldye Diejelben nach dem ang *
zogenen $. 62 zur Anfchaffung von Büchern und Papier für ag!
Schulfinder verwendet und berechnet.
13. Bor Eintritt der Wirkſamkeit der Schulkommiſſion w*
bierbei das Nötige ſowol in öffentlicher Kirchgemeinde von DE!
fleinen Kanzel ald auch in dem Wochenblatt und fonft ber Bürge =
Schaft durch den Stadtrat in kurzer Nachricht und mit nachdrüc—
licher Verwarnung befannt zu machen; wobei zu hoffen fteht, dh
der Sinn für Pflicht bei den beferen Eltern mehr erwachen us we)
es minder nötig fein werde, zu Strafen zu fchreiten.
14. Die Mitglieder der Schulfommiffion werden fowie cam
andern Orten auch hier ihr verdienftvolles Gefchäft ex oflicio u!
übernehmen und frei zu bejorgen nicht erft der Aufforderung >
dürfen.
15. Daß während der Sommerfchule die Yunction d ET
Schulcommiffion fortdauere und auf den regelmäßigen Beſuch de =
jelben zunächft für die Schule zu Fifchbady nad) der zuletzt unt i
dem 28. Yuni 1818 ergangenen Anordnung und NRegulativ g *
| drungen werden müße, ift noch beſonders zu bemerfen.
16. Halbjährig, zu Oftern und Michaelis jeden Jahres, E- 1
von der Schulfommiffion Bericht anher zu erftatten über den E =:
folg ihrer Bemühungen mit etwa nötigen Vorſchlagen zu Verme
rung ihrer Wirkſamkeit.“ —
Die neue Schulcommiſſion nahm die ihr übertragene Arber ®!
raſch und rüftig in die Hand, indem fte es ſich vor Allem zus!
Aufgabe machte, „den Schulverfäumniffen und dem Unterblidet
des Schuleinführend zu fteuern.” Aus den von den Schullehrer?
eingereichten Abfentenliften wurden Daher Diejenigen Schullinder,
deren Verfäumnis am auffallentften war, notirt und die betrefen⸗
— 345 —
ven Eltern ernftlih an ihre Pflicht ermahnt. Bis zum 18. Juni
1821 war noch Niemand um Geld und nur eine einzige Frau mit
einftündigem Gefängnis „auf der gelben Stube“ beftraft. Um bie
nicht eingeführten Kinder zu ermitteln, wurden aus den Geburts-
liſten die Geborenen der betreffenden Jahre ausgezogen, die Namen
mit den der Schultabellen verglichen und den fehlenden wurde
nachgefpürt, wo fich dann manches nicht eingeführte und doch
längft einführungsfähige Kind entdedte, zu deſſen Einführung als-
bald die nötige Vorkehrung getroffen wurde. Bei weitem bie
meiften Namen fanden fich indeffen — befonders bei den Kindern
uneheliher Geburt, — in veränderter Geftalt unter den Schul:
Findern dennoch vor. — Zur Beichönigung der Schulverfäumnie
wurden hauptfächlich folgende Entfchuldigungen gebraudt: 1) das
Kind habe den Ausfchlag gehabt; 2) das Kind müße als das
einzige größere bei den vielen Fleineren Gefchwiftern zu Haufe
bleiben, wenn Vater und Mutter an die Arbeit oder ind Lefeholz
gingen; 3) der Zunge müße an den Holztagen mit in den Wald
gehen, um das nötige Winterholz eintragen zu helfen. Hin und
wieder brachten die Eltern, um die Schulverfäumniffe ihrer Kinder
zu entjchuldigen, Klagen über die Lehrer vor: Der Lehrer N. fei
dem Trunfe ergeben, N. misbrauche die Kinder oft zu häuslichen
Berrichtungen, N. ſei zu alt und ſchwach.
Zu ihrem großen Leidweſen ſah die Commiſſion, daß ihre
Wirkſamkeit ebenſowenig bei den reicheren Bürgern als bei den
Lehrern Anklang fand. Jene ſtraͤubten ſich, ihre Kinder in die
deutſchen Volksſchulen zu ſchicken, und zwar aus dem Grunde,
weil die ſogen. Honoratioren dieſes auch nicht thaten; und dieſe
klagten, daß durch die Schulcommiſſion ihnen nur die Kinder der
Armen, die kein Schulgeld bezalten, zugeführt würden, während
Lie Wolhabenderen, von denen ein Durch Gefchenfe erhöhtes Schul:
geld zu erwarten ftehe, ihre Kinder in Privatlehranftalten gehen
liegen. Außerdem Elagten die Xehrer, daß wenn fie die Verfäum:
niſſe der Finder anzeigten, und die Eltern deshalb vor die Schul-
com miſſion geladen würden, dieſe es den Lehrer entgelten ließen,
Indem fie ihm bie freiwilligen Geſchenke entzögen.
Schon in dem erften Berichte, welchen die Schulcommiffion
f
u —
ie.
gehörig organifirte und förmlich Dirigirte Schulanftalt gel
diefe in Klaffen geteilt, und wenigſtens in den höheren Klafi
Geſchlechter getrennt würden, jene Klafjenabteilungen aber
nady dem Alter, fondern nach den Fähigkeiten eingerichtet, ü
höheren Klaſſen nächft der Religion vorzüglich auch auf den
terricht Bedacht genommen würde, den die Eltern jegt in P
anftalten fuchten, jo daß es für die Kinder geringen Standes
erlaubt wäre, aus der 2. und 3. Klaffe die Schule zu verl
— 0 lange werde auch den Klagen der Lehrer, den Beſchw
der Eltern und dem incoufequenten Vorſchreiten desfalfiger
aufjehender Behörden nicht abgeholfen werden.”
Unter den Verordnungen, weldhe zur weiteren Regelung
Bolksjchulwefens in den Jahren 1819 — 1822 erſchienen, i
erwähnen der „Nachtrag zu der Fuldaiſchen Schulverordnung
Fahr 1781 für die katholiſchen Schulen der großh. ſächſ.-we
eilenachifchen Aemter Geifa und Dermbach (1819), welde
früherhin Fuldiſchen Aemter neuerdings mit dem Großherzo
Sachſen-Weimar vereinigt worden waren. In Diefem „Nacht
wurde die Herftellung des ſchon in der Fuldiſchen Schulord
angeordneten Inſtituts der „Schuldeputirten,” welche die SA
regelmäßig vifitiren und überwachen follten, befohlen, und a
dem wurden die vorhandnen Beftimmungen über, Schulpflicti
Frhulontiahuına &Arhullaorion &Srhıflnortäummiliio &Ahuldiarı
— 347° —
Gewiffermaßen ten Abſchluß der Organifftionen , welche
unter der Regierung Karl Auguſts mit dem Volksſchulweſen des
Örofherzogtums vorgenommen wurden, vepäfentirt die „Wllge-
meine Dienftinftruction für die Landſchullehrer“
bom 28. März 1822.
Treffend wird in ber „Vorerinnerung“ berfelben das Amt
bes Schullehrerd charakterifirt: „Das Amt des Schullehrerd gehört
zu den wichtigften im Staate, denn der Zweck desjelben ift reli-
giöſe und fittliche Bildung des Volkes, worin die ftaatSbürgerliche,
joweit Solche in Schulen möglih, mit enthalten if. Wer ein
ſolches Amt übernimmt, weiht fi) ganz eigentlih dem Dienft
Gottes und Jeſu EChrifti, dem Dienfte des Vaterlandes und der
Menſchheit.“ — Hierauf folgen die einzelnen Beftimmungen ber
Dienftinftruftion:
„F. 1. Die geringfte Leiftung des Schulunterrichtd wird an
ben vier Wochentagen, Montage, Dinstags, Donnerstags und
Breitags, auf fünf Stunden täglih, Mittwochs und Sonnabends
aber auf drei Stunden feftgefeßt. Wo mithin an jenen vier
Wohentagen 6 Stunden berfömmlich find, da bleibt es dabei;
hingegen, wo weniger ald 5 Stunden gehalten wurden, da find
ſolche bis auf diefe Zal zu erhöhen. Die Bal von fieben
Schulſtunden taͤglich wird überall, wo ſie ſich noch findet, hier⸗
mit abgeſchafft und auf 6 Stunden gemindert. Bei dem nach—
mittaͤgigen Schulunterricht wird jedesmal eine halbe Stunde dem -
Unterricht und ber Uebung im Singen gewidmet. $. 2. Außer
den gefeglichen Ferien ift Die geordnete Zal Schulftunden ohne
usnahme zu halten. $. 3. Den Unterricht erteilt der Schul-
ehrer nad, einem, von dem Ortöpfarrer genehmigten, Lections⸗
plan; weshalb fich der erftere jebesmal nach dem Erndteegamen
ME Dem Iebteren zu beiprechen hat. $. 4. Der Schullehrer hat
ein Aufnahme: und Entlaßungsbuch fürdfeine Schulkinder zu führen,
und solches in gehöriger Ordnung zu erhalten. $. 5. Ebenſo hat
er eine Tabelle über die vorfommenden Schulverfäumniffe zu führen,
und ruͤckſichtlich der ſtrafbaren Schulverſäumniſſe fih genau an Die
iefen Begenftand betreffende Verordnung vom 15. Mai vorigen
Jahrs zu halten. $. 6. Bor dem jaͤhrlichen Schulexamen hat er
— 348 —
eine Lections- "und Genfurtabelle zu fertigen und fie tem OrEs
pfarrer zeitig zu übergeben. $. 7. Gr hat für die Schule alt
Lehranftalt ein Inventar zu halten und ſolches jährlih be dem
öffentlichen Schuleramen dem Dorfpfarrer zur Durdfiht und Re
vifion vorzulegen. $. 8. In befonderd wichtigen die Schulucht
betreffenden Fällen hat er dem Pfarrer Anzeige zu thun, che er
die Beftrafung vornimmt. $. 9. Er darf Feine Schule ausjegen,
ohne fi) vorher von dem Ortspfarrer die Erlaubnis dazu anf
eine geziemende Weife perjönlich erbeten und fie erlangt zu haben.
Es ift demnach dem Schullehrer nicht geftattet,, dem Ortöpfarter
blos fchriftlidy anzuzeigen, daß er 3. B. verreifen, ober wegen
einer andern Urfache eine Schule ausfeßen wolle, fondern er darf
das Schulausfegen nicht eher vornehmen, bis er um bie beöfal:
fige Erlaubnis, infofern er mit dem Pfarrer an einem und dem
ſelben Orte wohnt, perfönlich bei demfelben nachgeſucht und fe
erhalten bat. Dem Schullehrer eines Filialorts ift es vergönt,
fih in dieſer Angelegenheit fchriftlih an feinen Pfarrer zu menden
jedoch ebenfalls nicht blos anzeigend , fondern um Grlaubnis Mi
tend. SKraufheitsfälle machen eine Ausnahme, jedoch if M
Pfarrer fofort in Kenntnis zu feßen. $. 10. Während der Schub
zeit bat der Lehrer fein fremdartiges Gefchäft zu treiben, jondem
fi blos mit den Echulfindern und der vorgefchriebenen Lecien
zu bejchäftigen, auch die Schulkinder während der Tehrftunden j
feinem fremdartigen Gefchäft in feiner Wirtfchaft oder font M
gebraudyen. $. 11. Nicht weniger fol der Schullehrer währen?
der Schulftunden geziemend gekleidet fein, und Alles, was jeint
Lehrerwürde Eintrag thun würde, geflifjentlich von ſich entfernen
$. 12. Bor dem Gottesdienft fol der Schullehrer in ſeiner
Schwarzen Amtskleidung zum Pfarrer gehen, um von ihm bie Ar
zeige der Lieder, die gefungen werden follen, — es wäre denn,
daß er diefe Anzeige jchon früher von demjelben erhalten hatte, —
zu vernehmen und um zu hören, ob ihm berfelbe rückjichtli der
Einrichtung des Gottesdienftes etwas zu fagen babe. In ber
Kirche während des Gottesdienſtes erfcheint er gleichfalls in ſchwarze
Amtskleidung. $. 13. Der Schullehrer beforgt das Anfteden ot!
Anschreiben der Lieder felbft oder laͤſt e8 durch beſonders daM
— 349 —
enommene rechtlicdye Leute bejorgen, und er bat vorfichtig zu
meiden, auf dem Shore die Tafel mit den Nummern der Lie⸗
t durch Schulfuaben aufhängen zu laßen. $. 14. Er leitet den
thengefang und hat, wo fein bejonderer Organift angeftellt ift,
ih die Orgel zu fpielen, und zwar nicht auf eine weltliche, un-
Hlihe Art, fondern mit geiftlihem Sinn, auf daß die Ge-
einde Dadurdy erbaut werde. $. 15. Er führt die Kirchenmufif
fund bat das vorhandene Chor unter feiner Leitung. — Iſt
ben ihm ein befonderer Organift angeftellt, jo hat diejer mit
t Orgel die Kirchenmufif zu unterftügen. $. 16. Während bes
sttesdienftes führt er firenge Aufjicht über die Schulfinder,
17, Wo ihm nach Oertlichkeit und Obſervanz noch eine und
: andere ſonſtige geiftlihe oder kirchliche Verrichtung obliegt,
ter ſolche gehörig zu erfüllen, bei feierlichen Ehrentagen aber,
er amtshalber zugegen ift, fich fo zu betragen, wie es feiner
ttdeigenfchaft und feinem Stande gemäß iſt. $. 18. Bei Kranz
's oder Privatlommunionen muß der Schullehrer gleichfalls in
er Amtökleidung erſcheinen. $. 19. Rückſichtlich der Aufficht
rt die heiligen Gefäße, über die kirchlichen Gerätjchaften und über
3 Kirchengebäude im Allgemeinen und Beſonderen, hat jicdy jeder
hullehrer, wenn foldye nicht |peciel dritten Perjonen übertragen
an Das im Ort Herfömmliche zu halten; jedenfalld hat er Alles,
8 fi) auf Erhaltung des Kirchengebäudes bezieht, fortwährend
Obacht zu nehmen. $. 20. Er führt Die Auflicht über Die
gel und erhält fie, fo weit es ihm möglich ift, in ber Stim⸗
ing, injofern nicht ein bejonderer Organiſt angeftellt iſt.
21. Wo ihm das Stellen und Aufziehen der Seigeruhr her-
hmlidy obliegt, da hat er dieſe Pflicht treulich zu erfüllen, auch
B Gefchäft nicht durch der Sache unfundige Perſonen bejorgen
lagen. $. 22. Das matrifel- oder vertragsmäßige Laͤuten be-
3t der Schullehrer, bis entweder durch ein allgemeines Geſetz
T durd eine, von ber geiftlichen Dberbehörde, auf Antrag,
ſchen dem Echullehrer und der Kirchengemeinde des Orts bes
kte Uebereinkunft bierin eine Abänderung getroffen fein wird,
23, Alles, was er bei der Kirche in Anfehung der Schreiberei
E ded Rechnungsweſens, ingleichen der Führung des Kirchens
%
— 350 —
buchs, zu beſorgen hat, iſt von ihm aufs Pünftlicfte u wer
richten. $. 24. Eben diefe Treue und Pflichtmäßigfeit hat er Bei
den ihm in Bezug auf die Gemeindefchreiberei obliegenden Ar
beiten zu beobachten. $. 25. Der Schullehrer foll unter den Ar-
beiten bei der Gemeindejchreiberei feine Schule nicht leiden laßen,
namentlich während der Schulzeit fich nicht mit dergleichen Schrei—
bereien beichäftigen, Diejenigen Perfonen, welche in @emeinde
angelegenheiten zu ihm fommen, auf die Zeit, wo die Säule
geendigt ift, vermeifen, und nur in den dringendften Fällen, und
nie ander8 als mit Genehmigung des Pfarrers, der Gemeinde
fchreiberei halber eine Schule verfäumen. $. 26. Am Sthluß
jedes Vierteljahrs hat er über die Pfleglinge des Waifen-Znftituts
in Bezug auf den Schulbefuh, den Fleiß und das Vetragen
derfelben pflichtmäßige Zeugniffe an das Directorium jenes Jnftr
tut8 unentgeltlih auszuftellen, auch fie überhaupt in genaue
Aufficht zu halten. $. 27. Die zur Hülfskaffe für die Echullehttt
beftimmten Abgaben von Taufen und Hochzeiten bat der Schul
lehrer einzufordern, fie zu berechnen und balbjährig an den Orte
pfarrer abzugeben. $. 28. Ueberhaupt bat der Schullehrer Alles,
was ibm in Bezug auf die örtlichen und Parochialverhältnifie
fonft noch obliegt, und auf einem vernünftigen und zweckmäͤßigen
Herfommen beruht, unverweigerlich und gewißenhaft zu verrichten.”
Mit dieſen durchgreifenden Reformen ftanden zalreiche ander’ |
mweitige Anordnungen der Staatsregierung und der Behörden im!
Bufammenhang, welche die Abſtellung mannigfacher Schäden der
Volksſchule abzwedten und wenigftens fo viel bewirkten, daß da®
Volksſchulweſen des Großherzogtums Weimar nach dem Jahre 182 2
bereit8 den erfreulichften Anblid darbot. Das Seminar zu Bei’
mar war feit 1820 vom Gymnafium getrennt und mit eins
neuen Lehrplan in das Bürgerfchulgebäude verpflanzt. Die Je
ſpektion der Auftalt wurde mit dem Directorium der Bürgerigu# '
vereinigt. Nach den neuen Gejeßen, weldye das Seminar is
‚Jahr 1823 erhielt, follten jederzeit 12 Schulamtscaudidatn @ F
der Wohnung des Scminarinfpector8 unter der bejondern Auffic
und Leitung deſſelben gebildet worden. Von aller Dienftleiftu®3
im Theater (i. 3. 1817) befreit, wurden die Seminariften 7
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— 351 —
um fo eifriger in der Bürgerfchufe praftifch geübt. Für die Ers
teilung des Unterrichtd im Orgeljpiel wurde ein befonberer Lehrer
beftelt. Die Einrihtung einer Gentralbaumfchule gab außerdem
auch Gelegenheit, die Seminariften mit der Baumzucht befannt
zu machen. Die Frequenz des Seminars bob fid) von Jahr zu
Jahr fo, daß bald alle Schullehrerftellen mit Zoͤglingen defjelben
bejeßt waren. |
Auch in den Volksſchulen felbft trat die belebende Einwir-
fung Herders überall unverkennbar hervor. Durch die Verord-
nungen der Jahre 1817— 1822, durch Einrichtungen von Local:
Schulvorftänden aus der Mitte der Kirchfahrten, durch Einführung
litbographirter Lectionspläne- für ganze und geteilte Schulen, durch
das jährliche öffentliche Examen in Gegenwart ber Ortsvorfteher,
durch die dem Pfarrer, dem Schulauffichts-Adjuncten, dem Epho⸗
tus übertragene Fürforge für jede einzelne Schule, durch deren
an das Dberconfiftorium gelangende, von den Falligraphifchen
und orthographifchen Schreibeproben der Schulfinder begleiteten
jährlichen Defundberichte wurde der Unterricht immer gleichförmiger,
metbodiicher und wirkſamer. Nicht weniger trug zur Hebung des
Schulweſens eine neue Adjuncturorbnung vom Jahr 1822 Bei,
durch welche mehrere Schulaufſichtsbezirke in jeder Diöcefe abge-
grenzt wurden, fowie die Beſtimmung eines reiferen Alters ber
Konfirmanden und bie Einrihtung von Leſe- und Fortbildungs-
bereinen der Schullehrer, wobei auch Bücher über Landwirtichaft,
Uber Obſt⸗ und Bienenzucht, fowie Orgel: und andere Mufik
Rüde mitumliefen. Durd die jehr beträchtlichen Geldmittel, weldye
dem Schulfonde von 1784 zugewendet und namentlich jeit dem
Landtage von 1817 erhöht wurden, war es moͤglich, weſentliche
"Angel des Schulwefens zu befeitigen, die früher ald unvermeid⸗
lich gegolten hatten. Durch fie war es ermöglicht Schullehrer⸗
Subſtitute anzuſtellen, alte und untauglich gewordene Lehrer zu
penſioniren und von Unglüd betroffene zu unterſtützen. Daber
Wurde die ganze äußere Lage der Lehrer eine andere, teild durch
höhung ber geringeren Schulbefoldungen bis zu einem Normal-
Minimum von 100 Thlen. auf den Dörfern, von 125—150 Thlrn.
in den Städten, teils durch Erleichterung des Gloöcknergeſchäftes
4
— 352 —
oder gänzlihe Befreiung von demjelben, durch Sicherung des
Schulgeldes mittelft jubjidiärer Haftung der Gemeinde - Aerarien,
durch Herftellung abgefonderter Lehrftuben in den Schulhäufern,
durch Errichtung neuer oder zwedmäßige Einrichtung und Ber-
größerung alter Lehrermohnungen, durch Befreiung der Lehrer
von unfchidlichen Dienftleiftungen bei Ehrengelagen, beim Neu⸗
jabrfingen, beim Erheben mander Bejoldungsftüde, durch Au |
faufung von Gärten, Wieſen, Krautländern und andern Grund x,
ftüden ſowie durch Errichtung eines allgemeinen Schullehre⸗⸗
Wittwen-Fiskus mit Verſorgung der Schullehrer-Waiſen im. ;
Waifeninftitut.
XL
Das Fürftentum WBalded, *)
Im Anfange des 16. Jahrhunderts beftanden in den Städt ı
und Flecken der Grafſchaft Waldeck einzelne Schulen, weldhe de er
wie überall in damaliger Zeit nur die Beftimmung hatten, m =
für den Dienft des Staates und der Kirche nötigen ſtudirten
Leute beranzubilden. In der Unruhe der erften Jahre der Refo =:
mation famen dieje lateinischen Schulen in Verfall, weshalb > Et
Grafen Philipp der Yeltere und Philipp der Jüngere von 1525 (FJ
verordneten: „Nachdem wir erkennen, daß auf Fünftige Jah
wicht geringer Unrat und Mangel gelehrter Leute halben, D #!
man zu göttlihen und zeitlihen Dingen braude ®
möchte, erwachſen mag, Dieweil bei unfern Zeiten die Kine
ſchulen fo gänzlich verfallen und abgeftellt werben, fo wollen we #,
daß Bürgermeifter und Rat in unfern Städten und Fleden, DO‘
man zuvor Schule gehalten hat, daran feien, daß dieſelbigen « &*
geftellten Schulen wiederum aufgerichtet und mit frommen, gelehrt
Budtmeiftern beftellt werden, damit die Jugend zu Goſtes
*) Hauptquelle ift die Schulgefeßgebung des Yürftentums Walded DM
C. Eur.
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* var rennen. nn green u Ma ie =
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— 353 —
DoOb und Ehre und chriſtlicher Ehrbarkeit erzogen werde. Darauf
Dann auch wir bedacht wollen fein, daß dieſelbigen Kinder-
ırı e ifter mit gebürlicher Beſoldung verfehn werben.” “Der erfte
SFeim zur Ausbildung eines eigentlichen Volksſchulweſens wurde
ı. 5%. 1533 zu Wildungen gelegt, wo man einen Katechismus:
urterricht in folgender Weiſe einrichtete: „Man hat allwege dreierlei
Finder im Katehismo: die erften fahen an zu lernen, daß fie die
sehn Gebote, Vater Unfer 2c. fchlecht aufjagen; die andern find
etwas weiter gefommen, daß fie auf Die Frage des Katechismi zu
antworten beginnen; der dritte Haufe find die Catechumeni, welche
nun im Katechismo berichtet und wie zukünftige Gliedmaßen der
Kirche zugerüftet und bewahrt werden. Mit dem Katechisno hält
mans alfo, daß er alle Jahre auf den Michaelis Abend zu vier
(Hr) angefangen wird, und man lieft den Kindern eins oder
zwei aus den ‘zehn Geboten vor, Desgleihen aus dem Glauben
und Vater Unfer, wie ein jedes die Ordnung bringt; und was
man jegund gelehrt bat, dafjelbige repetirt man auf den folgenden
Samstag unter den erften zweien Haufen, und zum Beſchluß laͤſt
man zween Knaben und zwei Mägblein von den Catechumenis
lich einander auf eins von Den Hauptftüden des Katechismi bes
fragen, und lehret fie darnach ein Stüd fortan. Dieweil man
aber über einem Stüd des Katechismi lehrt, verordnet man alle-
Mal der geringften Kinder eins, auf den naͤchſten Feierabend auf-
Wagen das Stüdlein, jo am fleißigften (2) gelehrt iſt, und
dazu den Hauptſpruch, Darauf dieſe Lehre geht, ald die zehn
Gebote, den Glauben, das Vater Unſer ꝛc. nach dem Buchſtaben,
und beſchlieſt endlich mit einem Lobgeſang, der Zeit gemäß. Und
ieje Ordnung hält man bis Walpurgis. Aber fortan über Som:
Mer, dieweil das Volk und bevorab das Gefinde Arbeits halber
sum Katechismo nicht kommen mag, derhalben legt man ihn auf
den Feiertag nach der andern Predigt, alſo Daß er nur repetirt
werde und im Schwange bleibe, bis wieder auf den Winter, und
Bet einen Knaben bie zehn Gebote jchlecht aufjagen, und bar:
nach zween Knaben einander fragen in den zehn Geboten. Auf
An ander Mal thun derfelbigen gleichen auch Die Mägpdlein im
Glauben oder was die Ordnung giebt. Im Advent hält man deu
Depye, Boltsjchulwejen, 2. 23
— 354 —
Katechismum drei Tage in der Woche, nemlich am Dinstag,
Donuerstag und Sonnabend nach der Weiſe wie man auf die
Sonnabende pfleget. Dieweil aber die Zeit nicht erleiden mag,
Knaben und Mägdlein allemal von beiden Teilen zu verhören,
damit fie nun nicht verfäumt werden, jo verbört man fie einen
Tag um den andern, jegund nur Die Knaben, dann nur bie
Mägdlein. Vom Sonntag Esto mihi bi8 auf den grünen Mitt:
woch hält man täglich Katechismum, aber auf den Montag, Mitt .
wod und Freitag beftellt man zwei Baare, jegund Knaben, dann
Mägdlein, Die fih einander in drei Stüden des Katechismi bes
fragen, ein Paar in den zehn Geboten, das andre Paar im
Glauben, das dritte im Water Unſer. Dieweil aber durd dr
Faften gemeiniglich audy Die Alten zum Katechigmo fommen, Damm
num biefelbigen nicht vergebens fommen , jo giebt man ihnen ein:
Section aud der Haustafel, welche zur Beßerung der Ariflidewn
Gemeinde in 24 Kapitel geftellt ift, Deren man alle Abend eines
oder zwei dem Volke vorlieft. ‘Die Catechumenos zeichnet ma m
auf mit Namen, damit man die Ordnung mit ihnen könnte halten
in der Beftelung zur Frage und Antwort, und läßet fie auch üzm
Katecyumenenregifter bleiben, bis fie zur Che beftattet werdert,
es wären denn Urſachen vorhanden, darum fie Aergernis halbet
nicht zum offenen Gefpräcd vor der Gemeinde zugelaßen wären-*
Es war dieſes aljo der erfte mit Benugung der würtess®
bergifchen Unterfcheidung von drei Haufen ausgeführte Verſuſch
einer methodijchen Einübung des Katechismus und des Lejend zum
Katechismus; und zwar war diefer Leſe- und Katechismusunte €”
richt im Zuſammenhange und im Intereſſe des Firchlichen Konfe’
mandenunterrichtes entftanden. Einen anderen Gefichtepunft, ver
dem aus das Volk im Lefen zu unterweifen fei, kannte man nidp#-
Indeſſen [cheint der in Wildungen gemachte Verfud in de’!
näcdhften Decennien noch Feine Nachahmung im Lande gefunte 2!
zu haben. Denn die Waldedifche Kirhenordnung von 1556 u”
hält zwar allerlei Beftimmungen über die Einrichtung lateiniſch E*F
Stadtſchulen, ſchweigt aber von deutſchen Volksfchulen ganz)
Dagegen zeigt fie den Keim, aus dem fidy diefelben erft noch ers ⸗
wideln follten, indem fie bejiimmt, „Daß ein jeglicher Hausvat e
— 38 —
172 Hausmuttter ihr Hausgefinde und Kinder dazu halten
Cole), daß fie zum göttlihen Wort, gemeinem Gebet und
Scatramenten auf folhe Sonntage und Feiertage fleißig in die
Hürde gehn, ihre Knechte und Mägde auf die Beiten nicht mit
kEn e chtiſchen Werken und Arbeit zuviel befchweren,, jondern zum
Worte Gottes treiben, und biefelben mit beilfamer Lehre unter:
weifen lagen, auch bie Kinder und Gefinde Diefelbige Zeit
von leihtfertigen Spielen zum Katechismus anhalten und
treiben follen.” — Die Landordnung von 1581 machte es allen
Un terthanen zur Pflicht, bei Meidung einer Geldſtrafe von 1 Thlr.,
ihre Rinder und ihr Geſinde in die Kinderlehre zu fchiden.
Aus diefen Anfängen, d. h. aus dem Intereſſe der Konfir-
mation und der firdlichen Erziehung erwuchs bier wie überall die
Lo Uksſchule. Die Kirche legte dieſe erziehende und belehrende
. Frrforge in die Hand der Eltern, des Pfarrers und beziehungs-
weiſſe des Küſters als des dienenden Gehülfen des Pfarrers.
Diefes erhellt vor allem aus der Kirchenorbnung von 1640, in
welcher die Fatechetiiche Unterweifung der Jugend noch durchaus
vera Eltern, den Pfarrern und aushülfsweife den Küftern, bie
ber hierzu von der Synode geprüft und autorifirt fein müßen,
tg ewielen und in welcher zugleich der erfte Befehl zur Einrichtung
vor Dorfichulen gegeben wird. Die in erfterer Hinficht in Be⸗
barcht kommende Stelle der Kirchenorbnung lautet: „Es follen
ie Pfarrherrn und Kirchendiener fi) befleißigen, daß fie den
Cechismum ftetigd auf Eine Form und Weiſe tractiren und im
Le H ren befielben nicht weit davon ausſchweifen; — — dazu bie
Paasstores in Städten und Dörfern befonder8 das junge Volk, bie
Kiander, Knechte und Mägde forbern, und die Eltern, Herren
um D Frauen ernftlich vermahnen follen, daß fie diefelbigen fleißig
zu ſolcher Kinderlehre und Auslegung des Catechismi ſchicken und
bei ernftlicher Strafe ſolche nicht verfäumen; und da ihnen ein
Stüd des Catechismi vorgehalten und ausgelegt worden, die
El tern „ Herren oder Frauen fie daheim befragen, was fie Daraus
gelernt und behalten haben, dadurch fie gleich von Kindheit an
aufgemuntert und gewöhnt werden, fleißig auf Die Predigt zu
merken.“
— 3556 —
— — „Da aber in den Dörfern zum Examine
des Catechismi befonder8 in den Filialen, oder dba
fonft fo viel Volks in eine Pfarre gewidmet, daß es
dem Pfarrherrn Alles zu verrihten unmöglid, fol»
bes den Küftern oder Kirchnern zu halten befehlen
(welches doch anders nit geſchehen ſoll, denn da
fie zuvor durch ein ernflli vorgehbend Examen, bei
dem Synodo gehalten, hierzu tüdtig erfaunt,) und
joll ihnen gleidhergeftalt eingebunden werden, daß
fie den Catechismum fleißig treiben, und in Be:
fragung und Verhörung der Jugend gleihmäßige
Beſcheidenheit gebrauden.“
Zugleich wurde in derjelben Kirchenordnung (Kap. 15) be
foblen: „Weil auch der gütige Gott indgemein durch den Mund
der jungen Kinder und Säuglinge fein Rei bauet und dann
eben jo wol auf Dörfern als Städten gute Auferziehung und
Unterricht der Jugend böhft nötig, als follen überdies in
. Städten deutfhe Schulen für die Mägdlein ver
ordnet, desgleichen auf den Dörfern tüdhtige, gottes—
fürdtige Custodes beftellt werden, bei welchen bie Knaben
und vornehmlich armer Hausleute Kinder im Beten, Leſen,
Schreiben, auch guten Künften einen Anfang legen mögen.”
Schließlich wurde den Superintendenten (Kap. 16) aufgegeben,
bei ihren Vifitationen darauf zu fehen, ob etwa „der Pfarrer den
Küfter zu feiner täglichen Arbeit oder Botenlaufen gebrauche und
aljo an dem Schulhalten verhindere.“
Hiermit war die erfte beftimmte Vorfchrift über Ginrichtung
von Volksſchulen gegeben, die freilich einftweilen nur hier und
da wirklich ind Leben treten Eonnte, indem bie wenigften Küfter
im Stande waren, im Leſen oder gar im Schreiben zu unter =
richten, weshalb die Landesherrſchaft (1654 am 11. September) €
an die Kanzlei den Befehl erließ, fänmtliche Pfarrer zu ermahnen, mr
daß fie „tüchtige Küfter annehmen” jollten, „damit die Zuge”
auf den Dorffchaften im Lefen und Schreiben informirt werde. —
Auch jollte Die Kanzlei nicht allein alle „Beamten und Landrichte
anweifen, die Hanb hierüber zu halten, fondern auch neben jr
— 357 —
Bäggen anf Mittel bedacht zu fein, wie in allen Dörfern die ohnfehl-
Bare Anftalt zu mahen,, damit die Jugend des Leſens und
SS cHreibend möge erfahren werden.” Den Pfarrern war fchon
Tr dizher aufgegeben, das Volk über den Segen des Sculbe
Jas Hos alljährlich Durch zwei „Schulpredigten“ zu belehren. — Von
Da an galt e8 als felbftverfländlih, daß in allen Pfarreien der
örfer wie der Städte deutſche Schulen, welche von den Küftern
geBpalten wurden, beftehn muften, fowie daß dieſelben ald wefentliche
Zau Behör zur Pfarrei zu betrachten waren. Daher wurben bie
Inm tereſſen der Volksſchulen auf allen Synoden in derſelben Weiſe
wie die rein firdhlihen Dinge behandelt. Seit 1678 galt als
SrDentlihe Behörde der Schulen das in diefem Jahre zu Menge
rin ghauſen errichtete Gonfiftorium. Seit 1679 war eine auf Be:
feBHT der Regierung veranftaltete Bearbeitung des Heinen Katechis-
mus® Luthers das in allen Volksſchulen gejeplich eingeführte und
neBft der Bibel ausſchließlich geltende Leſebuch.
Aber obſchon die Landesherrfchaft, die Kanzlei, das Con»
fift Orium und die Synoden die Hebung der Schulen fortwährend
im Auge hatten, fo gelang e8 benfelben doch nur ganz allmählich,
AUS den Küftern wirkliche Schulmeifter zu machen und einen nur
ein igermaßen regelmäßigen Schulbefuch durchzufegen. Viele Eltern
ließen lieber ihre Kinder nie eine Schule befuchen, ehe fie dem
Fünfter das geringe Schulgeld bezalten, weshalb Die Synode von
1663 verfügte, es follten in Zukunft „diejenigen, weldye aus
ſo icher Conſideration ihre Kinder aus den Schulen laßen, doch
er Küſter feinen Lohn, als wenn ihre Kinder in die Schule
Sirrggen, zalen.” Daneben wurben die Küfter von den Pfarrern,
te fie al8 Botengänger und Knechte, und von den Gemeinden,
te fie nicht felten zum Viehhüten gebrauchten, fo fehr in Anſpruch
Zen ommen, daß diefelben an ihr Schulamt faum denken konnten.
aber ließ fih die Kanzlei i. J. 1676 von den Vifitatoren über
AU gKüfter des Landes berichten, „was jelbige füe Dualitäten,
ch wie und welder Geftalt fie ihre Subfiftenz haben,“ uud
efoAhl „dahin zu ſehen, damit die Küſter von den Pfarrern zu
irren Privatdienften inskünftige gebraucht” würden. Zwei Sjahre
Püter erließ die Kanzlei an die Vifitatoren den Befehl, e8 ferner:
— 358 —
bin nicht mehr zu dulden, daß die Pfarrer ihre Küſter willführl
ein- und abfjeßten, da dieſes nur mit Vorwißen der Kanzlei u
des zeitigen Superintendenten gefchehen dürfe, und befahl zugle
jedem Pfarrer aufzugeben, „daß er bei feinen priefterlichen Chr
ohne einiged Nebenabſehen die Dualitäten feines Schulmeifte
und Küfterd und ob derjelbe mit Lehre und Leben der Zugeı
nüglich vorſtehe,“ fchriftlich einzuberichten, auch deſſen „Handſchri
und Unterfchreibung feines Tauf> und Zunamens“ beizulegen. ©
Folge der hierdurch gewonnenen Grmittlungen beſchloß nun d
Landeöherrichaft ein- für allemal nur Iehrfähige Küfter in de
Pfarreien zu dulden. Der Synode zu Corbach i. %. 1683 lin
diefelbe eröffnen, „daß Feine Küfter, Dpfermänner oder Schu
meifter binfüro angenommen werben follten, fie produzirten ber
zuvörderſt von ihrem Leben und Wandel ein gute® Zeugnid, um
würden dann von den Superintendenten oder ſonſt von bene
fo es zufömmt und gebüret, examinirt und für tüchtig erfannt
Noch in demfelben Jahre vifitirte eine landesherrlihe Commiſſi⸗
ſäämmtliche Schulen des Amtes Eifendberg um zu.notiren, weld
Mängel fi) in denfelben vorfänden, und um an die Stelle d
unbraudhbaren und wibderfpenftigen Küfter tüchtige Schulmeifl
einzuſetzen. Zwei Jahre fpäter (1685) erhielten ſaͤmmtliche Vi
tatoren (zu Wildungen, Walded und Landau) den Befehl, al
Sculmeifter in den Städten und Dörfern des Landes zu prüfe
und zu erfundigen, „wie fie fich bisher in ihrer information us
ſonſt verhalten, ob fie auch zu folhem Amt tüchtig, was fie anb
für Handthierung treiben und wie viel fie an Bejoldung babe
was fie bid dato bei der Jugend gethan, und wie weit fie felbi
in ber Pietät, Mufit, Schreiben, Lejen und Rechnen gebracht.“
Allein wenn auch durch diefe Anordnungen eine der alle
weſentlichſten Bedingungen "eines beßeren Gedeihens der Polls
ichulen verwirklicht wurde, indem bie Zal ber durchaus unbraud
baren Küfter verringert wurde, jo muſten die Schulen doch daru-
noch immer in ber traurigften Verfaßung bleiben, weil fie en
weder gar nicht ober nur ganz unregelmäßig befucht wurden
Die Synode von 1701 berichtete, daß „auf ben Dörfern >
Eltern ihre Kinder aus Armut nicht önnten in die Schule ſchicke
— 359 —
arı Dre aud) ihre Kinder zum PViehhüten hielten.” Graf Ehriftian
Xarmwig befahl daher, Daß in Arolfen aus dem Slingelbeutel da-
jet Bft „den armen Kindern zu Behuf Schulgelded und Erfaufung
nDtiger Bücher nad Vermögen an Hand gegangen — und daß
anzch in jeder Gemeinde aud dem Armenfaften zu dieſem Behufe
fa ce currirt werden” ſollte. Wo diefed nicht möglich fei, jollten Die
S cHulmeiſter die Kinder umfouft unterrichten und fich der reichen
Vergeltung Gotted getröften. Dagegen follten diejenigen Eltern,
welde ihre Kinder zum Hüten des Viehes gebrauchten und da⸗
user von der Schule zurücdhielten, dem Pfarrer und dem Kon:
ſift Orinm zur Anzeige gebracht werben.
Zugleich wurde damals ein Waifenhaus für die Grafichaft
errichtet. Sn dem Ausjchreiben vom 14. Novbr. 1702, womit Die
Kanzlei die Fundation defjelben befannt machte, wurde hervorge-
hoben: Der Graf habe es fi zu Herzen gehn laßen, daß jo
viele Waifen und fonft hülfloje Kinder des Landes in höchſter
Verpflegung und Erziehung herumgingen und weder in der Er:
fenntnis und Furcht Gottes, noch auch zu Erlernung eines ehr:
lichen Handwerks genugfame Anleitung und Gelegenheit haben.
Er Habe ſich daher aus landesväterlicher Fürforge und Liebe zu
einen getreuen Untertbanen in Gotted Namen entjchloßen, ein
Waiſenhaus zu ſtiften und dabei ſolche Anſtalten zu machen, daß
Diejenigen Kinder, fo elterulo® oder fonft hülflos, ſoweit es Die
Einkünfte der Anſtalt zuließen, dahin aufgenonmen und nicht
allein mit notdürftiger Speife, Trank und Kleidung verjorgt,
ſondern auch zu wahrer Gottesfurcht und Erkenntnis angewieſen
und ihnen endlich zur Erlernung eines ehrlichen Handwerks oder
Aner andern Profeſſion geholfen werden möchte. Wie nun dieſe
uſtalt zu Gottes Ehren und des ganzen Landes Beſten augen:
ein lich gereiche, ſo hege der Graf von feinen getreuen Unter:
yaneı die Erwartung, Daß dieſelben fämmtlih, namentlich aber
ob« wohlhabenderen „durch einen erklecklichen Beitrag an Geld
zu ET Getreide ihre Liebe zu der armen und fonft verlaßenen Jugend
Ex weijen, und denjenigen, fo zur Gollectirung ſolchen Beitrags
bo EÜt werden follten, willfährig erfcheinen würden.” Außerdem
© der Graf, Daß Die Unterthanen „auch binfünftig bei etwaiger
— 360 —
Auffeßung dero legten Willens oder anderen Gelegenheiten, da
von Gott eine fonderbare Wolthat empfangen hätten,” der arm ey
Waiſen gedenken würden.
Es war eben die Zeit, wo der Geift und die Wirkfamkeit
eined Epener und Franfe auch in Waldeck viele empfänglide
Herzen zu entzünden begann, und wo demgemäß in Walded die
Ueberzeugung heimifch wurde, daß nicht an der Ausbreitung und
Verherrlichung der äußeren Kirche, jondern an der Belehrung ud
Bekehrung der einzelnen Seelen Alles gelegen fei, daß aber mu
folhe Hirten und Lehrer die Seelen Anderer für den Glauben |
und das ewige Leben zu gewinnen vermöchten, welche nicht bio?
Erfenntni® des Evangeliums, fondern dad Evangelium jelbft im
Herzen beſäßen und wirklich wiedergeborene Chriſten wären.
Daher begann mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhun—
derts in Der Grafſchaft Walde mie in den meiften andern deut
ſchen Landen eine neue, beßere Periode des Volksſchulweſens.
Im Sahre 1704 wurde in der Perfon des Inſpectors zu Fledt
dorf ein Vifitator für alle Schulen ernannt, der dieſelben jährlid
wenigftens viermal befuchen folte. Zugleich gefchahen jept die
eriten ernftlihen Schritte zur Aufbeßerung der Küfterbejoldungen.
Auch erließ das Konfiftorium eine Generale (vom 30. Mai 1704),
worin alle Eltern noch firenger und beftimmter als früher auf die
Schulpflichtigfeit ihrer Kinder hingewiefen wurden. Daſſelbe lau
tete nemlih: „Demnach man mißfällig vernommen, was geftalt
einige Eltern nicht allein ihre Kinder gar unfleißig zur Schule
ſchicken, ſondern audy auf Nachfragen der Schulmeifter fid ver:
nehmen laßen, daß fie Diefelben bald unter dieſem, bald untel
jenem Vorwand nicht zur Schule halten Fönnen; uud aber die
Erziehung und Unterweifung der Kinder in der Furcht Gottes
und chriftlichen Lehre allen andern Gejchäften billig vorzuziehen,
und Diejenigen Eltern, fo darin nachläßig ſich erzeigen, für feine
Shriften, fondern Heiden und Ungläubige zu halten, jo wir
Namens guädigfter Herrichaft hiermit verordnet, daß die Kindet,
ohne von den Schulmeifter erbaltne Erlaubnis nicht aus der Schule
bleiben, auch nicht eher, als bis fie von ihren PVfarrherm für
genugfam in der hriftlichen Lehre gegründet erkannt werben, auf
— 361 —
Schule genommen werden follen. Wofern fih nun Eltern
erftehen würden, ihre Kinder, es fei unter wad Vorwand es
le, ohne obgedadhte Erlaubnis die Schule verſäu—
n zu laßen, oder fie gar, ehe fie losgeſprochen, aus
Schule ganz wegnehmen, fo follen fie nicht allein auf
8 doppelte Schulgeld (davon ein Teil an das Watfenhaus zu
ibungen verwendet werden ſoll,) exequirt, ſondern auch nad
finden ald Unchriften vom heil. Abendmal abgewiefen werden.
ı dem Ende dann die Schulmeifter eine ordentlihe Tabelle
Iten und darin die Kinder, fo mit oder ohne Urlaub ausbleiben,
rzeichnen, auch ſolche Negifter alle Monat den Predigern, und
fe, bie Prediger, dem Konfiftorio einfchiden follen.”
Die wichtigfte Anordnung indeffen, melde in Betreff des
hulwejens i. J. 1704 erfolgte, war die @inführung einer
Shulordnung für die Schulen in der Grafſchaft Waldeck,“ welche
ter dem 14. Juni 1704 von den Grafen Ehriftian Ludwig und
iebrich Anton Ulrich publigirt wurde. *) Durch diefelbe wurben
m erften Male alle Verhältnilfe der Volksſchnle volftändig ge⸗
jelt. Die einzelnen auf das Volksſchulweſen bezüglichen Be—⸗
nmungen der Schulordnung find folgende: Alle Kinder, Knaben
d Mägdlein, in Städten und auf Dörfern find vom fünften
bengjahre an für Sommers: und Winteräzeit zu einem ununter:
shenen Schulbeſuch jo lange verpflichtet, bis fie von ihren
hrern entlaßen werden. Und zwar follen fie nicht eher entlaßen
den, „bis fie nebit erlerntem fertigen Leſen, Schreiben und
nen (wenigftend jo viel die vier Spezies anlangt,) in ihrem
tehismo fo weit gefommen, daß fie von der chriftlichen Glau⸗
Wlehre und Lebenspflichten genugjame, nicht nur dem Buch:
ben nach und wie fie es auswendig gelernt, fondern auch bem
ande nach und aus ihrem Herzen fließende Rede und Ant-
rt geben können.” — „Damit fid Niemand damit entjchuldigen
ne, daß er aus Armut die Schulbücher nicht anschaffen oder
3 Schulgeld nicht bezalen Fönne,” fo follen „diejenigen, jo fid
*) Diefelbe bezieht fih ſowol auf das lateinische als auf das Boltsfchulmefen.
werden nur die das leßtere betreffenden Beftimmungen berüdfichtigt.
— 362 —
verheirathen, es wären denn ganz Arme, die auch dem Pfarrer
nicht8 geben fönnten, in Städten einen halben, auf den Dörfer
einen Ortötbaler dem Kirchenprovifor des Orts, da fie fi häm
lich niederlaßen, vor der Gopulation erlegen, und von fothar,
gefammelten Geldern oder, wenn felbige nicht zureichen, aus Der
Kirchen-Reventen und. Einkünften denjenigen, deren Armut not
rich, oder von dem Pfarrer ded Orts atteftirt wird, bie nötigen
Bücher angefchafft werden.” Auf den Dörfern iſt dieſes jebed
nur vom Katechismus, vom Neuen Zeftament, vom Gejangs ut
Rechenbuch und etwa noch von Johann Arndt Paradiesgärlian
zu verftehn. Die Lehrer follen aber darauf Acht geben, „vi
die armen Schüler die gefchenkten Bücher nicht verderben oder
gar verfaufen, fondern bei den Examinibus aufweifen, ud
wenn fie Diefelben nicht mehr brauchen, wieder überliefern
müßen.“
Die Zalung des Schulgeldes betreffend, „jollen alle un |
jede praeceptores ſowol in Städten als Dörfern, wenn fie ir
notdürftiged Auskommen haben, ſchuldig und gehalten fein, die
nigen Kinder, deren Armut notoriſch oder fonft durch des Predi-
gerd wie auch der Obrigkeit in Städten und der Vorfteher inte
Dörfern Atteſte befannt ift, um Gottes willen und umjouf #
informiren, dagegen fie defto reichere Belohnung und andermweitign
Segen von Gott zu gewarten.” Da wo bad (Sinfommen M
Schulmeifter unzureichend ift, fol verorbnet werben, daß die be
treffende Gemeinde „entweder eine beftändige, binlängliche Ye
dung an Aedern, Wiejen und Gärten conftituire, oder aber mt
teift einer Gollecte in der Gemeinde und anderer Mittel verjchaft
daß der Schulmeifter ſich ehrlich ernähren könne.” Hinſichtlich de
zum Schulmeifterant erforderlichen Dualification {ft leicht zu @
achten, „daß ein unbetehrter Menſch, der in di
Selbftverleugnung nnd wahren Liebe noch Fein gut
Dament gelegt, niht ohne Murren und Wipderjpet
figfeit zu diefem Liebeswerk, die armen Kindt!
umfonft zu informiren, werde zu bringen fein‘ W
rum follen nur wahre Ghriften zu Schulmeiftern angenommen m
ben. — Eltern, welche ihre Kinder nichts deftoweniger niht PT |
— 363 —
ſchicken, follen von den Eltern dem Pfarrer, durch biejen
nfiftorium angezeigt, und zur Zalung des doppelten (teils
ın das Waiſenhaus einzuliefernden) Schulgeldes und zu
Strafen verurteilt werden. — Zu Oftern wie zu Michae⸗
nur je 14 Tage Ferien geftattet. An jedem Tage find
8 drei und Nachmittags drei Schulftunden zu halten, mit
me des Mittwoch und Sonnabend, wo die Mittagsfchule
e Stunde zu beichränften if. Bon Oftern bis Michaelis
der Unterriht Morgend um ſechs, von Michaelis bis
Morgens um fieben Uhr. Alle Lectionen find nach 14
in Beifein des Schulvorftandes zu wiederholen.
Jie Lehrer follen jederzeit der Bedeutung ihres Amtes wol
ik fein; fie follen unabläßig Bott bitten, „Daß er ihnen ein
äterlih Herz und aufrichtige Liebe zu den anvertrauten
ı geben wolle. Alddann werden fie auch wie Väter mit
ımgehen, und im Gebet und leben für fie wachen und
daß ihre Seelen Gott geheiligt und fie bei ſtetem Wachs⸗
der Erfenntnid und Liebe Gottes erhalten werden mögen,
ser Präzeptor dermaleinft fagen fönne: Herr, bie bin ich
: Kinder, die du mir gegeben haft.” Hat der Lehrer ein
rlich liebreiches Herz, jo wird e8 ihm nicht ſchwer fallen,
Herzen der Kinder Gegenliebe und Vertrauen zu erweden.
ieſes Vertrauen ber Kinder bindert, muß der Lehrer mit
Sorgfalt vermeiden. Daher jollen die Lehrer „nicht mür-
gen die Schüler fein, fie nicht ſchelten, — fie nicht Schelme,
Teufelskinder, Schindhunde u. dgl. tituliven.” Namentlich)
ie Schulmeifter fi in der Anwendung körperlicher Züchti⸗
näßigen und ſich nicht dem Wahne hingeben, als könne
irch Prügel Luft und Liebe zum Lernen hervorrufen. —
Ye Schulordnung war publizirt und ihre pünktlichfte Be⸗
wurde durch eine Reihe von Verordnungen und Synodab
en nachdrücklichſt befohlen. Aber Jahre und Jahrzehnte
en, obne daß das Volksſchulweſen des Landes dem in ber
rbnung gezeichneten Bilde auch nur einigermaßen entſprach.
ne Beftimmung über confirmationsfähiges Alter vorhanden
o ließen viele Eltern ihre Kinder ſchon im dreizehnten Le⸗
— 364 —
bensjahre confirmiren, womit der Schulbeſuch von ſelbſt aufhö —
Durch Refeript vom 2. Novbr. 1706 verordnete daher das Lamp,
fiftorium, daß in Zukunft nur foldye Kinder zur Konfirmation 42
zulaßen wären, die „nicht allein von dem Katechismo einen dee
Sinne fowol ald Worten nad) genugfamen Begriff, fondern ad ;
genugjame Kennzeichen einer wahren Aenderung bes Herzens un
Bekehrung zu Gott von fi fpüren ließen.“ Schlimmer an
noch war, daß fo viele Eltern ihre Kinder gar nicht ober nur pw
weilen zur Schule fchidten, daß fo viele Schulmeifter um ih
Schulamt ganz unbefümmert waren, daß fo viele Pfarrer an ein
ordnungsmäßige Beauffichtigung der Schule gar nicht dachten,
und daß es den Schulmeiftern an vielen Orten gar nicht möglid
war, das ihnen zufländige Schulgeld beizutreiben. Daher mufen
die Landesherrſchaft, Die Kanzlei, das Konfiftorium und die Ey |
noden unabläßig neue Verordnungen erlaßen, um auf die Vol—
ziehung der Schulordnung zu dringen, und um einzelne im Laufe de
Zeit bervortretende Webelftände zu bejeitigen. Es wurde vermb
net (14. Mai 1708), daß das Schulgeld nicht mehr von da
Schulmeiftern ſelbſt, ſondern „von den Vorftehern und Erhebem
. in jeder Gemeinde beigetrieben und dem Schulmeifter gereiht'
werden follte; e8 wurde, da auf den Dörfern Die Kinder währe
des Sommerd gar nicht zur Schule famen, befohlen (24. Wei
1708), „daß Hinfünftig auf Dörfern nur Einmal Ferien und zwar
zu der Zeit, da die meifte Arbeit ift, follten geftattet, die übrige
Zeit aber ſowol Sommers ald Winterd die Kinder befländig zn
Schule gehalten, oder die Eltern nicht allein aufs doppelte Schub
geld ezequirt, fondern auch nach dem diesfalld von der Kanyıl
publizirten Edikt mit den Eltern verfahren werben” follte Um
die Beftimmung der Schulordnung über die mit dem fünften !e
bensjahre beginnende Schulpflichtigfeit wirkffam zu machen, wurt |
vom Konfiftorium angeordnet (17. Juli 1709), „daß bie Pastors
in Städten und Dörfern aus den Kirchenbüchern die Kinder, I
das fünfte Jahr erreicht haben und diefelben mit Namen md
nebft Benennung ihrer Eltern des Jahre zweimal, nemlid m |
Sonntag nad DOftern und am Sonntag nach Michaelis von de
Kanzel ablefen, dabei auch den Eltern andeuten follten, daß M
— 365 —
8 folgenden Tages fi mit ihren Kindern, fobald die Schule
mgehet, in derſelben einfinden ſollen, da dann die Paftoresd den
Eltern nötige Erinnerungen zu geben, daß fie ihre Kinder fleißig
jur Schule halten und zur Gotteöfurcht aufziehen, auch ihnen mit
zemplarifchem Leben und Wandel vorgehen follten.” Indeſſen
ud diefe Verordnung hatte nicht den gewünfchten Erfolg. In
edem Sabre liefen bei dem Konfiftorium Klagen der Pfarrer dar-
Iber ein, daß viele Eltern ihre Kinder entweder gar nicht ober
och nur fehr jelten zur Schule ſchickten, ungeachtet fie das jchul-
flichtige Alter längft erreicht hätten, weshalb das Konfiftorium
mter dem 17. October 1723 den Schulmeiftern die forgfältigfte
sühbrung und Ginreichung der Abjentenliften einjchärfte. Insbe⸗
ondre hatte die Durchführung der Sommerſchulen ſolche Schwies
igfeiten, daß das Konfiftorium ſich i. 9.1725 genötigt ſah, durch
tejeript vom 6. April die Sommerjchule auf Eine Etunde an
dem Tag ausdrüdlich zu bejchränfen. Die gröften Schwierig:
eiten hatte ed jedoch, die Mädchen zum Beſuche des Schreibun:
errichted zu veranlaßen, indem auch bier die Abneigung der EI-
ern gegen das Vertrautwerden ihrer Töchter mit der Schreibkunft
en Anordnungen ber Behörden den hartnädigften Widerſtand
ntgegenftellte. Dur Gonfiftorialrefcript vom 5. Juni 1707
wurde daher den Viſitatoren befohlen, „bie Gemeinden ernftlich
nuhalten, daß die Eltern die Mädchen auch im Schreiben unter-
ichten und jede Widerjeglichfeit in dieſem Falle mit einer Geld-
rafe von 12 Gr. (die zur Anichaffung von Papier und Büchern
it arme Kinder zu verwenden fei,) ahnden follten.
Allerdings hatte ed die Regierung endlich dahin gebracht,
aß an die Stelle der früheren durchaus unwißenden Küfter eine
Tt Lehrerfland getreten war, der zum Unterrichten einigermaßen
braucht werben konnte. Auch die äußere Lage der Schulmeifter
ar teilweife eine beßere geworden. Im Sabre 1720 (20. März)
urde allen Schulmeiftern volle Befreiung von der Geträuf- und
chrote⸗Acciſe erteilt, und i. J. 1724 wurben biefelben „von ben
egen ihrer Güter jonft gewöhnlichen Handdienſten“ befreit. Aber
um hatten fi) Die Schulmeifter den erften Anfang einer Berufs:
dung angeeignet, als fich auch fofort grade hieraus ein neues
— 366 —
Hindernis für das Gedeihen des Dorfſchulweſens ergab. S
nemlich Schule zu halten, beſchaͤftigten ſich die Schulmeiſter
Anfertigen von Bittſchriften, Teſtamenten und mit ſonſtiger B
keladvocatur, weshalb dieſes Treiben den Schulmeiſtern i. J. l'
(12. Mai) nahdrüdlichft unterfagt werden muſte. Zugleich wu
in eben biefem Jahre 1723 unter dem 17. October den Su
intendenten und Bifitatoren aufgegeben: Da „über Die neglige
und fchlecdhte Information der Schulmeifter, auch daß dieſel
ohne Haltung gewißer Stunden die Kinder zur Schule fom
und weggehen ließen, viele Beſchwerden eingekommen,“ fo fol
fie den Schulmeiftern einfchärfen, „Die Schulftunden au denjeni
Orten, wo Uhren wären, präci8 mit dem Blodenfchlag anzufan
und damit fo lange, bi8 die Informationsſtunden wären, zu t
tinuixen, und während folder Stunden feine Privat-, Handwei
und Hausgefchäfte zu treiben, jondern der SJuformation fe
bloßerdings abzuwarten, an denjenigen Orten aber, wo !
Schlaguhren wären, nad einer Sanduhr, wenn vorher mit
Dorfglode ein Zeichen zur Schule: zu kommen gegeben wor
jet, zu verrichten.” Allein derartige lagen, daß die Schulme
die Schulftunden moͤglichſt ſaͤumig eröffneten ober während
jelben ihr Handwerk trieben oder andre Geſchaͤfte verrichte
liefen immer wieder ein, weshalb das Konfiftorium i. J. 1
befahl, in allen denjenigen Dörfern, wo feine Uhr fei, für
Schule eine Sanduhr aus dem Kirchenvermögen anzufchaffen,
fünf Jahre fpäter (31. Mai 1736) ſich veranlaft fah, den St
meiftern ihr ärgerliches Treiben und das wegen defjelben jo |
barnieber liegende Schulweſen ernftlichft vorzubalten. Das |
fiftorium ließ nemlich den Schulmeiftern eröffnen: „Wan |
verfchiedentlich zu bejonderem Mipfallen wahrnehmen müßen,
viele der Küfter und Schulmeifter, beides in Städten und 9
fern, anftatt fie ihres Amtes und Incumbenz in ftillem, ft
nüchternem, friedfertig eingezgogenem und unärgerlichem Leben
Wandel und mit gebürender Treue und Gmfigfeit verrichten,
nebft auch ihren vorgefeßten Predigern in den. von Amts m
an fie gefchehenden Erinnerungen eine ſchuldige Ehrerbietigkeit !
Folge leiften follten, diefelbigen hingegen ein rohes Leben führ
— 367 —
in Öffentlichen Gelagen und fonft dem Saufe nachhängen, allerlei
Gezänt und Plauderei anrichten, die Schulftunden nicht zu rechter
Zeit noch der Schulorbuung gemäß abwarten, die Schulftunden
über entweder ihre Handgefchäfte treiben oder unterbeflen .auslaus
fen, mithin die Information der auf ihre Seelen und Gewißen
gebundnen Schulkinder nicht fo, wie es die Pflicht eines rechts
ſchaffnen Schulmeiſters erfordert, verrichten, ſondern bierunter
gröblih faul und nadläßig fein, weniger nicht bie Kinder mit
Beinamen fehelten und excessive ſchlagen, zur Ungebir mißhan-
dein, ihnen gar fluchen, desgleichen jonder Vorwißen und Erlaub⸗
nis ihrer Pastorum über Feld zu gehn fi) anmaßen, denfelben in
Grmahnungen und Geheiß das Amt betreffend ungehorſam, unbe:
Iheiden, widerſetzlich, ftörrig und fchnöde begegnen, und was der⸗
gleihen unachtbaren Bott und Menfchen mißfälligen,, ärgerlichen
Beginnens bei ein und andern mehr if. Wodurch dann zu ihrer
eignen Scham und Schande die leidigen Früchte erfolgen, daß die
Schulkinder überhaupt, wenn fie zum Unterricht der Gonfirmation.
lommen, nicht einft fertig lefen können, und in den Gründen
des Ehriftentums, auch den bloßen Worten des Katechismus
nach, fremd und unerfahren, gejchweige daß einiger Fleiß etwas
Tüchtige8 zu ſchreiben oder rechnen, item Uebung im fer-
tigen Aufſchlagen der Sprüche des neuen Teftaments
md Pſalters an denfelben follte geſchehn fein.“
Die flrengere Disciplinirung der Schulmeifter, welche die
Regierung ſich jet zur Aufgabe machte, mag immerhin zur Folge
gehabt haben, Daß wefentliche Hinderniffe, welche der Entwidlung
des Schulweſens im Wege flanden, bejeitigt wurden; allein
biele wejentliche Uebelftände waren einftweilen trog aller Anftren-
Jungen der Behörden nicht zu beſeitigen. Namentlih in den
itmeren Stlaffen war der Schulbeſuch noch immer ein überaus
Nangelbafter, und es half wenig, daß das Konfiftorium i. J. 1726
erordnete, es follten in allen Pfarreien (was hin und wieder
chon vorher verſucht war,) den Kindern armer Eltern aus den
lingelbentelgeldern und jonftigen kirchlichen Ginfünften Papier
m Schreiben gekauft und einige Pfennige zur Anjchaffung von
inte gegeben werden, wogegen bie frühere Beftimmung, daß jes
— 3568 — —
des Brautpaar bei feiner Verheiratung in den Städten 18 Mg,
in den Aemtern 9 Mor. zur Anſchaffung von Schulbüdern >
ärmere Kinder zu zalen habe, (i. J. 1731) wieder aufgeboiiS ,
wurde. Die Schulverjäumniffe blieben nad) wie vor, und azg
die Verfügung, daß diefelben mit Zalung des doppelten Schur
geldes beftraft werden jollten, war nicht zur Ausführung zu br»
gen, weshalb dieſe Verfügung i. 3. 1731 wiederholt werden
muſte. Auch die früher angeordnete Veitreibung des Schulgeldes
durch den Gemeindevorftand unterblieb faft aller Orten, und an
manchen nahmen die Gemeindevorfteher für ihre Mühwaltung von
den Schulmeiftern unerjchwingliche Sporteln in Anſpruch. Nor
mentlidy in den jahren 1741 und 1742 erließ das Koufiftorum
die gemeßenften Beftimmungen über die Führung der Abſenten⸗
liften, über die Beftrafung der Eltern jäumiger Kinder, u. |. ®.,
wozu i. 3. 1746 noch die Verordnung fam, daß Kinder erft nad
zurüdgelegtem breizgehnten Lebensjahr confirmirt, und daß es deu
Eltern nicht geftattet fein follte, „unconfirmirte Kinder außer Lan
des oder Kirdyjpield und Gemeinde zu vermieten.” Aber die Ans
ftrenguugen des Kouſiſtoriums, einen ordnungsmäßigen Schule
ſuch in Gang zu bringen, hatten einen fo geringen Grfolg, daß
das Konfiftorium, wie eg fcheint, felbft an der Möglichkeit, fein
Biel zu erreichen, verzweifelte, und daher mehrere Decennien hir
durch die Schulpflichtigkeit der Kinder in feinem Erlaß zur Sprade
brachte.
Eine neue Periode begann für die Entwidlung des Bells
jchulwejens mit den Jahren 1770 — 1780. Im Jahre 1771 ev
folgte die erfte landesherrliche Verordnung, worin die Anwendung
einer zwedmäßigen Methode beim Unterricht beiprochen wurtt.
Die Pfarrer follten in Städten und Dörfern wöchentlich wenig
ſtens einmal die Schule vifitiren, auf die Lehrart des Schulmeifer
wol Acht haben, diejelbe prüfen, und „im Falle fie daran mi
Grund etwas auszujeßen und zu verbeßern fänden, den Lehr
ind Geheim zurecht weifen und ihm einen fchidlicheren Weg M
Drdnung und Deutlichkeit zeigen.” Im Jahre 1780 wurde Mt
die Schulen auf den Dörfern und in den Fleineren Städten zum
erften Male die Einführung öffentlicyer Prüfungen und zugleih |
|
|
— 39 —
ne Abänderung der Ferien angeordnet. Alljaͤhrlich ſollte am er⸗
m Montag des Auguft ein Examen, und zwar in den Dörfern,
o man feine geräumige Schulftube habe, in der Kirche gehalten
erben. „In diefer Abſicht follten die Kinder des Morgens um
ht Uhr durch den Schulmeifter dahin geführt und dafelbft in
legenwart des Richters, Vorftehers, Kirchenprovifors, der Eltern
id Aller, welche zuhören wollen, im Leſen, Schreiben, Rechnen,
eligionserfenntnis, biblifchen Hiftorie, Singen ꝛc. vom Schul:
eifter und auch vom Pfarrer geprüft, und nach geendigtem Exa⸗
en die Schulferien auf vier Wochen bis auf den erften Montag
tonat8 September gegeben, fodann auch von dieſem Montag an
n Rindern noch vierzehn Tage weiter nur des Vormittags Un-
richt erteilt, außer Diefen Erndteferien auch noch vierzehn Tage
der Heuerndte geftattet, Dagegen aber die vorbinnigen Oſter⸗
id Michaelis-, fowie auch Weihnachtöferien aufgehoben fein joll-
a.“ Auch follte e8 nicht den Schulmeiftern überlaßen fein, wos
a fie egaminiren wollten,’ vielmehr follte von dem Pfarrer und
ar erft am Tage der Prüfung jelbft ein gewiſſes Penfum ans-
waͤhlt und die Jugend darüber egaminirt werden. Auch war
zt zum erften Male von der Uebung des Schönjchreibend in
n Schulen die Rede, indem der Landesherr Exemplare der „vorzüg-
Jen Dettmolder Vorfchriften an diejenigen Lehrer erteilen ließ,
Iche bisher „bie beften Beweiſe ihres Fleißes und ihrer Gefchid-
Eeit im Borfchreiben gegeben.” Bei den Schulvifitationen und
ı Öffentlihen Prüfungen follte darauf gejehn werden, ob fidh
wiſchen „die Hände der Jugend und ihres Schulmeifterd” nad
len Vorſchriften verbeßert hätten. Die früheren Beftimmungen
x den Beginn der Schulpflichtigleit wurden um dieſelbe Zeit
ch einen Gonftftorialbefhluß vom 24. Mai 1784 infofern mo:
Airt, ats hierdurch der Eintritt in das fechfte Lebensjahr als
atritt in das fchulpflichtige Alter beftimmt wurde, fo daß die
Bulmeifter „bei eintretendem diefem Alter ohne Rüdficht auf die
Breßzeit oder das Schulegamen von den faumfeligen Eltern has
Bulgeld allenfals mittelft obrigkeitlichen Zwanges einzufordern
ugt fein follten.” Späterhin (45. Juni 1810) wurde (auf
deppe, Bollejäulmeien, 2. 2A
— 3719 —
Grund der Erfahrung, „daß die zu frühe Anftrengung der Jugend
zum Edyulunterricht nicht nur keineswegs dazu geeignet fei, ein
vollfommnere Ausbildung und die Erlangung grünblicyerer, au%
gebreiteterer Kenntniffe zu bewirfen, fondern vielmehr öfters —
nur Ueberdruß und Abneigung zum Lernen errege,) die Chur
pflichtigfeit fogar erft für den Beginn des fiebten Lebensjahte
feftgejegt, womit zugleich ftatt des dreizehnten das vierzehnte Jahr
ald das zur Konfirmation erforderliche Alter beftinmt wurde.
Das Waifenhaus zu Nieder Wildungen (dejfen Frequenz ſich
pon 30 — 40 Kindern in den legten Jahren bi8 auf 70 Kinder
gehoben batte,) erlitt in jofern eine wejentliche Veränderung, alb
i. 3. 1787 das Waiſenhaus gejchloßen und die Waifenfinder un
ter die Bürgersfamilien in Die Stadt verteilt wurden.
Die Nüplicyfeitsintereffen wurden in dem Schulweſen des
Landes ziemlid um dieſelbe Zeit heimisch, in welcher Diefelben
in den Volksſchulen überhaupt Eingang fanden. Beders Not
und Hülfsbüdjlein wurde im September 1788 den Pfarren in
einer Anzal von Exemplaren mit der Weifung zugefandt, „daß
der Inhalt den Unterthbanen entweder durch Vorlefung des Schul
meifter8 oder auch dadurch, daß man das Bud, ordentlichen Haus
pätern zum Durchleſen anvertraue, befannt werde, Jedoch habe
der Schulmeiſter dafür Sorge zu tragen, daß Dafjelbe in die
Schulen zurüdgeliefert und dafelbft aufbewahrt werde.”
Das Bedürfnis eines Echullehrerjeminard wurde wieberbolt
zur Epradye gebradyt und e8 wurden Pläne entworfen, Die jedod
nicht ausführbar waren, da es au den erforberlihen Gelbmitteln
fehlte.
Die einzige erhebliche Verbeßerung, weldhe das Walbedijche
Volksſchulweſen bis zur Publication ter „Schulordnung für die
Hürftentümer Walded und Pyrmont“ von 1846 erfuhr, war bie
durch Gonfiftorialverordnung vom 20. März 1806 eingeführte
Klaffeneinteilung, wodurd „der von verfchiebnen Pfarrern gethane
Vorſchlag, die älteren Echüler in den Dorfſchulen von den jün-
gern trennen, und eine Klaffe Des Morgens, Die andere aber be?
Nachmittags, jede aljo beſonders unterrichten zu laßen,“ genehmigt
— 371 —
Wurde, — Die wolthätigfte Anregung und Förderung erhielt die
Volksſchule des Waldecker Landes ſeit 1834 von dem leider zu
frühe verſtorbenen Konfiftorialrat Carl Curtze“).
*) Bgl. „Carl Curtze, ein Lebensbild von Carl Bed. Mengeringhauſen,
66 S. ↄ ff.
E&neliprefiendrud von Joh. Aug. Koh in Marburg.
Geſchichte
des
deukſchen Volksſchulweſens.
Von
Br. B. Feppe.
Dritter Band.
Gotha.
Verlag von Friedrich Andreas Perthes.
1858,
Inhaltsugnzeighnis.
— —— 2
Fortſetzung der Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen
Territorien Deutſchlands. Seite
XII. Das Königreich Preußen . . . . 1
XII. Rheinpreußen (von 1802— 1816) . . . 155
XIV. Die vorbinnige Grafſchaft Wittgenftein . . 186
XV. Das fäcularifirte Fürftentum Münfter . . . 192
XVI. Das fäcularifirte Fürftentum Paderborn . . 202
XVIL Das vorhbinn. Eurcölnifche Herzogtum W ern alen 207
XVIL Das Königreih Hannover . 212
XVOL Das Herzogtum Braunfhweig . . . 235
ZI. Das Herzogtum Naffau . . . . 262
XX. Das Fürftentum gippe-Detmolb . . 304
XXL Das Fürftentum Shaumburgstippe . . 319
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x.
Das Königreich Preußen.
In der Kurmark und in allen denjenigen Landen, welche
ben Kurſtaat Brandenburg umgrenzten und allmählid mit dem⸗
felben vereinigt wurben, war bie ältere Gefchichte des Volksſchul⸗
wejend eine und biefelbe.
Su der Kurmark waren, foviel aus den vorliegenden
Nachrichten zu entnehmen tft, vor dem Ablaufe des ſechszehnten
Jahrhunderts nirgends eigentliche Volksſchulen eingerichtet worden.
Die i. 9. 1573 von Kurfürft Johann Georg publizirte kur⸗
märfiiche Viſitations- und onfiftorialordnung handelt allerdings
m einem bejondern Abjchnitt „von den Echulen, auch Schulmeiftern
und ihren Geſellen,“ und gebietet, „weil der Scyhulmeifter und
ihre Geſellen auftatt der Eltern find, follen fie fi) der Jugend
aufs treulichfle annehmen und fie im Katechis mo und fonft in
guten Künften mit Fleiß inftruiren und wol lehren, auch die
Selänge in der. Kirche — zu gebürlicher Zeit mit Fleiß halten
und fingen.” Allein die Gonfiftorialorbnung ſpricht doch in dem
ganzen Kapitel nur von den lateinifchen Schulen und fehärft darum
Den Schulmeiftern ein, den Schülern vor Allem die regulas gram-
Maticae lat. einzuprägen. Auf ben Dörfern befanden ſich da—
mals noch nirgends Echulen, und in der Conſiſtorialordnung wird
Te Einrichtung derfelben auch noch gar nicht geboten. Gleichwol laͤſt
ie Gonfiftorialorbnung die erften Anfänge und Keime erfennen,
Dr pp Bolls hulweſen, 8. 1
— 2 —
aus denen ſich Die Volksſchulen ſpäterhin entwickeln ſollten,
fie es den Küſtern zur Pflicht macht, daß fie „auf den 9
alle Sonntage Nachmittags oder in der Wode
mit Nat des Pfarrers den Leuten, fonderlich aber d
dern und Befinde den Heinen Katechismum Ruth
unverändert vorlefen und beten lehren, auch nach Gel
umberfragen, was fie daraus gelernt. Desgleichen fi
vor und nad PVerlefung und Nepetirung des Katechismi
dem jungen Volke, gute chriftliche deutſche Pjalmen v
gen und lehren; und da Filiale vorhanden, follen fie
wechjelmeife, einmal in der Hauptpfarre, das anderemal
Filialen alſo halten, Damit die Jugend in allen Dörfern I
nach Notdurft unterwiefen, und ja nicht verfäumt werben
Nur für die Mädchen wurde die Begründung eigentlidyer
ſchulen angeordnet, indem ed in der Gonfiftorialordnun
„Die Sungfrauenfchulen find jehr nüglih und wol erdacht,
folen die Bürger ihre Töchter darinnen Leſen, Schr
Beten und hriftlide Geſänge lernen lagen und zu
tung derjelbigen Schulen den VBorwaltern ihren Lohn treu!
underzüglic geben. So jollen audy die Räte in Städten
Gelegenheit mit freien Wohnungen und etlihem Holz
und mit feinen Schoßen belegen, auch fonft ihnen alle
Förderung widerfahren laßen.”
Das ſechszehnte Jahrhundert verging indefjen, ot
man an die Einrichtung eigentliher Dorfſchulen dachte, u
war zufrieden, wenn wenigftens annäherungsweile erreicht
fonnte, was der Kurfürft Johann Georg in feiner für d
Eichen Lande i. J. 1572 aufgeftellten Kirchenordnung
hatte: „Dieweil auch zu Erhaltung duriftlicher Religion un
Polizei aufs höchfte vonnöten, daß die Jugend in ben
unterweifet werde, und die Echulen etliche Zeit ber in m
Abfall kommen, wollen wir, daß die in allen Städt:
Märkten wieberum angerichtet, veformirt, gebeßert u
bürftiglich verjehn und erhalten werden.” Im Jahre 16
ordnete Kurfürft Joachim Friedrich in einer Kirchenvif
Iuftruction vom 9. Febr., daß die PVifitatoren in Betre
— 3 —
chule ermitteln ſollten: 1) wie und mit wie vielen Schulgeſellen
e Schule beſtellt; 2) ob und wie oft jaͤhrlich Examen gehalten,
D welchergeftalt; 3) wie ſich die Schulgejellen in ihrem Amt
D Leben verhalten; 4) was fie für einen ordinem lectionum
ten; 5) ob fie auch mit notdürftigem Unterhalt, Wohnungen
D Tiſchen verfehen. Indeſſen bezog fich dieſe Verordnung offen-
r auf die (lateinifchen) Stadtſchulen. Auch im Anfange des
baehnten Jahrhunderts war im Kurfürftentum Brandenburg von
UEsſchulen noch nicht Die Rede. Ja felbit ald die Verwüftung
) dreißigjährigen Krieges ihr Ende erreicht hatte und die adht-
ID terzigjährige Regierung des großen Kurfürften Friedrih Wil-
ma begann, wurde an alles andere, nur nicht an die Volks⸗
len gedacht. Indeſſen wurden Doc jet wenigftend einige
zure wahrnehmbar, weldhe auf den Anfang eines Volksſchul⸗
ers im Lande hindeuteten. Unter dem 20. Mai 1662 befahl
große Kurfürft, „daß die Kirchen und Gemeinden allen Fleiß
Denden follten, daß bin und wieder, fowol in Dörfern, Flecken
> _ GStäbten wolbeftellte Schulen angeordnet würden,“ und un:
Dem 1. März 1683 verordnete derjelbe, daß in den Rejidenz-
er Nachmittags nach der Predigt Fatechifirt werben follte. Auch
tete die erfte Gemahlin des Kurfürften das Waiſenhaus zu
ta nienburg. Weiter aber fonnte das Volksſchulweſen in dem
ern Kurfürftentum nicht kommen.
In den meiften derjenigen Territorien, welche fpäterhin dem
Audenburgiſchen Fürftenhaufe zufielen, war es mit der Volks⸗
uLe nicht beßer beftellt.
In Pommern erfolgte die Errichtung von Volksſchulen
ag Spät. Allerdings ift es als Eigentümlichkeit der älteren
n merſchen Kirchenorbnung von 1563 anzufehen, daß in ihr das
fteramt in nody engere Beziehung als es fonft gejchieht, zum
A yamt geftellt wird, — indem fie dem Küfter einen eigentlichen
x eonendienft unveift, denfelben als geiftliche Perſon binftellt
demgemäß von ſolchen Küftern fpricht, „bei denen Hoffnung
Zum Predigtamt ;” dagegen von einer Verpflichtung ber Küfter
m Schuldienft weiß die Kirchenordnung faft gar nichts. Es
CD wol geſagt, „alfo Fönnen wol in Städten gejchidte Küfter
4
— 4 —
angenommen werden, die da koͤnnen mit in der Schule helfen,
oder in der Kirche lectiones halten;“ damit find jedoch Preigt
amtsfandidaten gemeint, welde in den Stadtfchulen aushülfs⸗
weiſe verwendet werden follen.
Die Pommerſche Kirchenordnung fennt noch gar Feine Dort
fhule. In dem Abjchnitt derjelben, welcher „von ben Säulen“
handelt, werden neben den lateinischen Echulen nur „deutſch
Schreibſchulen“ und „Sungfrauenfchulen” erwähnt, welche in de!
Städten eingerichtet werden follen. In Betreff der letzteren wiz
beftimmt: „Die Zungfrauen ſollen des Werfetags vier Stunden #1
die Schule gehen; die andere Zeit follen fie bei den Eltern leme:
baushalten. Vor allen Dingen follen fie im Katechismo, in Pia
men, chriftlicden Geſängen, Sprüchen aus der h. Schrift fleibz:
unterrichtet, aucy zum Gebet und zur Predigt gehalten werden °
Die deutſchen Schulſchreiber follten „vom Rat beftellt un?
mit Wohnung von dem Kaften verjorgt werden. So fie run
find und dem Paftori nicht widerwillig, mag man ihnen aus dem
Kaften ein Geſchenk geben. Befoldung aber nehmen fie von ihre
Schülern; die follen fie lehren lefen, recht und wol fehreiben un?
rechnen, und follen fie zum Katechismus und zu den Predigte =
halten, wie ihnen biervon mit Nat des Paſtoris eine Form jo M
vorgefchrichen werben.”
Im Erzftiftslande Magdeburg wurde erſt nad eE
breißigjährigen Kriege durdy den Adminiftrator Auguft der det
ſuch gemacht, die Grundlagen eines evangelischen Volksfchulweler®
zu fchaffen.
Um tie in der troſtloſeſten Verwüſtung darniederliegender
kirchlichen Zuſtände des Landes einigermaßen zu regeln, publizir
Auguſt zunächſt i. J. 1652 eine Kirchenordnung, in welcher d ũ
dienſtlichen Verhältniſſe der Küſter genau nach den in den UF
und herzoglich-ſächſiſchen Landen geltenden Beftimmungen normi c
wurden. Die Küſter wurden angewieſen, den Pfarrer in ale
dienftlihen Verrihtungen gehorfamlih zur Seite zu ftehen, und
„die Knaben und Maͤgdlein leſen und ſchreiben lehren, mi
auch den Katech ismus und die chriſtlichen Kirchengeſänge,
worauf die Prediger mit Fleiß ſollen Achtung geben, auch da
— 5—
olk, ihre Kinder in die Schule zu ſchicken, ernſtlich ermahnen.“
ei den Kirchenviſitationen ſollten die Superintendenten darauf
ren, „ob die Schulmeiſter vor allen Dingen den Katechismus
bſt den Kirchengefängen mit täglichem Fleiß treiben ,” — aud
b Mägdleinfchulen feien, wer die Schulmeifterin annehme, und
‚her fie befoldet, auch was fie zur Befoldung babe, ingleichen
fie vorher von dem Pfarrer ihres Chriſtentums befragt werde.”
Indeſſen ſah der Adminiftrator ein, daß die Aufftellung der
chenordnung allein noch feine fonderliche Frucht bringen könne;
im gar vieles von dem, was in der Kirchenordnung vorausge⸗
t wurde, mufte erft gefchaffen werden. Auguft ordnete daher
t BZuftimmung des Domfapiteld und der Landfchaft Die Vor⸗
IJme einer allgemeinen Kirchenvifitation an, durch welche er
It nur den wirklihen BZuftand der Landesfirhe nach allen
iten bin ermitteln, fondern auch die Vollziehung und wirklide
nführung der Kirchenordnung befördern wollte.
Aber die Ergebniffe der Vifitation waren über alle Maßen
urtig. Nur an wenigen Orten waren Knabenſchulen eingerichtet;
zelne Mädchenfchulen, die früher bin und wieder beſtanden
Ten, waren ganz verfchwunden. Die Küfter waren nur teil»
Ve ves Leſens und Schreibens kundig, ſahen neben dem Küſter⸗
E die Ausübung irgends eines Handwerks als ihren eigentlichen
Sufan, wurden von ben Bauern lediglich als gedungene Ges
Eandebiener behandelt, und daher bei dem Antritt ihred Dienſtes
Zalung eined Leihkaufes gezwungen. An manden Orten
en nicht einmal ftändige Küfter vorhanden, indem ſich mehrere
rer von Einem fogenannten Zauffüfter bedienen ließen, der
U einem Dorf zum andern lief.
Um dieſe Uebelftände thunlichft zu befeitigen, verordnete
E Adminiftrator in dem am 29. Mai 1656 publizirten „Bill
Kong = Deeret und Abſchied:“ in Zukunft follte der Pfarrer,
enn er einen Küfter anzuftellen hätte, denfelben zuvor fleißig
tüfen, „ob er die capita pietatis wiße und verftehe, ingleichen
b er tüchtig fei, in der Kirche aufzumwarten und die Kinder in
er Leſe- und Schreibekunft zu unterrichten.” Jeder Küfter follte
n feinem Ort eine Schule einrichten, und der Pfarrer follte die
— 6 —
Schule wöchentlich wenigſtens zweimal inſpiziren. Die Eltern
folten ermahnt werden, ihre Kinder frübzeitig und fleißig zu
Schule zu fhiden, und fein Schulkind follte aus der Schule ent
laßen werben, fo lange es nicht gedrudte und gefchriebene Särit
leſen, notbürftig fchreiben und den Katechismus, die üblichen Br
bete und die Palmen auswendig herfagen koͤnne. Sind Eltem
genötigt, ihre Kinder während der Erndte dem Schulbefuh zu
entzichen,, fo fol der Schulmeifter mit denſelben an den Sons
und Feiertagen das Verfäumte nachholen.
Indeſſen geht Ihon aus der Schulordnung hervor, welde
Auguft i. J. 1658 nicht blos für die lateiniſchen Stadt⸗, fondern
auch für die Dorfichulen erließ, daß auf dem Lande die Einrid;
tung von Schulen immer noch nicht allgemein durchgeſetzt werden
konnte. In der Schulordnung wurde nemlich beftimmt: „Dieweil
auch Die Notwendigkeit erfordert und an fich felbft recht und
Hriftlih ift, Daß die Kinder auf den Dörfern ebenfalls auft
wenigfte jchreiben und lejen lernen, fo follen, fo viel möglid,
anf allen Dörfern in unferm Graftift Schulen gehalten, und die
Kinder durch die Küfter und Schulmeifter mit Fleiß unterridte
werden.” Außerdem wurden Die bereit in dem Vifitationd-Derrd
gegebenen Beftimmungen wiederholt. Namentlich wurde verordnet,
daß die Kinder, „jobald ſichs Alter und der Sprache halber
redyt fügen will, jowol vor- ald nachmittags” zur Schule gejhidt
werden follten. Säumige Eltern follten von der Ortsobrigkeit
mit allem Ernft zur Erfüllung ihrer Pflicht angetrieben werben.
Dieſes waren die Normen, weldye bis zum Ende des Jahr:
hunderts für das Volksſchulweſen des Landes galten. Die Magde—
burger Kirchenordnung von 1685 befahl nur: Die Küfter folten
„auf den Dörfern fleißig Schule halten und die Knaben und
Mägdlein lefen und fchreiben lehren, wie auch den Katechiämuns
und die hriftlichen Kirchengefänge, worauf die Prediger mit Fleiß
follen Achtung geben, auch das Volk ihre Finder in die Schule
zu ſchicken, ernftlih anmahnen.”
— 7 —
eigentliche Geſchichte des preußiſchen Volksſchulweſens
t der Geſchichte der preußiſchen Monarchie ſelbſt.
ih wendete König Friedrich J., der zuerſt die Zus
8 Haufes ahnte und die Pflege und Vertretung aller
ntereffen als die Grundlage derfelben erkannte, anfangs
orge faft nur dem höhern Unterrichtöwefen zu. Er
Univerfität Halle, zog Reibniß in feine Umgebung,
ur) denjelben Die Academie der Wißenfchaften, fchuf
rt a. d. O. die Friedrihsfchule, in Königsberg das
Fridericianum, in Halle das Gymnasium illustre
num, in Berlin die Nitteracademie , beftätigte das
um regium zu Halle durd ein Privilegium u. |. w.
ber königlichen Munifizenz Friedrichs vereinte fich bald
‚den Auguſt Hermann Franke durd feine Stif
Waiſenhauſes zu Halle in das öffentlihe Erziehungs
jungen Königreiches brachte. Es war eine Frucht der
Birkfamfeit Frankes, daß fi tief in das Herz des
Gouvernements der Gedanke einpflanzte, die Obrigkeit
um Gottes Willen vor Allem ded armen Volkes ans
d müße Dabei zum Mittelpunkt der WVolkderziehung das
n machen. Raſch entitand daher eine ganze Reihe von
, die Frankes Geift durch die Hand des Königs ing
f. Sriebrich begründete das Waiſenhaus zu Königsberg
ür die Schweizer- und Drange:Goloniften beftimmten
und Orange- Stiftungen, legte Den Mons pietatis an,
n die Einrichtung des großen Waifenhaufes zu Berlin,
deffen erſt unter feinem Nachfolger zur Vollendung
an die eigentliche Volksſchule Dachte der edle König,
n dem „Edikt wegen der Generalvilitation Der Kirchen,
nd Dabei zu beachtenden Fragen” vom 16. April 1710
inde zu fragen befahl: 1) ob ein Schulmeifter in einem
Yorfe vorhanden, der die Knaben im Lefen, Schreiben
ſismo untermeife; 2) ob er die zu feinem Umte erfors
tigkeit und Fleiß babe; 3) ob er gutes Leben und
hre. Freilich war das auch alles, was der König für
— 8 —
die Dorfſchule that, Die bis zu ſeinem Tode in derſelbigen trau
rigen Verfaßung blieb, wie im ganzen fiebzehnten abrhundett,
indem fie faum exiftirte. Aber das war der Segen, ben die
Regierung des erften Königs von Preußen dem preußifchen Voll
jchulwefen brachte, daß der Geift einer edlen, chriftlichen Hw
manität, Der die pflegende Mutter der Volksfchule werden folte,
durch fie entwidelt und in dem öffentlichen Leben bes Staates
heimifch gemacht wurde.
Erſt unter Friedrih Wilhelm I, dem eigentlichen Va⸗
ter Des Volfsfhulmwefend der preußifhen Monar:
hie, Fam zur Verwirklichung, was bisher nur vorbereitet war
Wie Eläglich es bei feinem NRegierungsantritt in den Lanudſchulen
ausfah, erhellt aus der „Anftruction vom 5. März 1715, wonad
die Superintendenten, Pröpfte und Inspectores der Kurmark Brarı
denburg, ein jeder in feiner Dioecesi, die Localvifitation anzas
ſtellen und zu verrichten habe.” *) Die erfte Verordnung, welch
das eigentliche Vollsſchulweſen betraf , war indeſſen das iz
Jahre 1716 publizirte Edift, worin befohlen wurde: Die Pröpfk
follten fi) der Präparation tüchtiger Schulmeifter entweder jelb!
oder unter ihrer Leitung Durch geſchickte Schulcollegen und fromma
Studiofen annehmen. Wer gute Schulmeifter wiße, oder wez
joldye fehlten, der follte e8 dem Propfte anzeigen. Kinder vo
5— 6 Sahren, welde über Feld zur Schule zu geben hättez
jollten wenigftend Die Sommerfchule regelmäßig beſuchen; die &7
wachfenen Dagegen follten auch zum Beſuche der Winterſchu
verpflichtet fein. Mit den Kleinen könne das, was fie im Sorm
mer erlernt, durch einen geübten Knaben in Gegenwart eines ve1
fländigen Mannes wiederholt werden, wofür die Prediger 3
forgen bätten. Der Schulbeſuch follte fo lange fortgefeßt werden
bis die Kinder im Lefen, im Katechismus Luthers, in ben Haupf:
und Kernſprüchen, in der bibliihen Gefchichte, im Singen,
Schreiben und Rechnen binlänglic unterrichtet wären.
Zu diefen und andern Beltimmungen des Edikts, , welde
jpäter durdy einen neuen Erlaß des Könige vom 6. Juli 17%
) Brgl. Bededorff, Iahrbüher B. II. S. 29,
— 9 —
derholt ward, wurde in Den beiden naͤchſtfolgenden Jahren
h eine Reihe von Verordnungen erlaßen, wodurch einzelne Der:
tniffe des Schulweſens noch ihre nähere Beftimmung erhielten.
wurde 3. B. verfügt (1717): Im Winter follten die Schul
der (gegen zwei Dreier wöchentlichen Schulgelde8 von jedem
hüler) täglih, im Sommer wöchentlih wenigftend zweimal
" Schule fommen. Für arme Kinder jollte das Schulgeld aus
n Almofenfaften eine jeden Orts bezalt werden. Bierteljähr:
ſollte in Beifein des Pfarrers, des Magiftratd und etlicher
3 der Gemeinde (auf dem Lande mit Hinzuziehung des Schulzen
) der Kirchenväter) ein gemeined und jährlich ein feierliche®
amen ftattfinden. Diejenigen Knaben, welche ſich bei dieſen
üfungen auszeichneten, follten belohnt werden. Auch wurde
fügt (30. Septbr. 1718), daß alle Küfter vor ihrer Anftellung
n Beneraljuperintendenten anzuzeigen, und von dieſem, jedoch
entgeltlih , zu examiniren wären. — Einige Jahre fpäter
J. Novbr. 1722) wurde hierzu noch verordnet, daß zu Küftern
d Schulmeiftern auf dem platten Lande feine andern Hand:
ter ald Schneider, Xeineweber, Schmiede, Rad—⸗
her und Bimmerdleute angenommen werden follten.
(ch wurde fpäterhin (2. Mai 1736) den Dorflüftern und Schul:
iftern, weldye das Schneiberhandwerf als Meifter trieben, zur
licht gemacht, nicht mehr ald zwei Geſellen zu halten und
ne andern ald Bauernfleider zu verfertigen. Dagegen
Iten auch (nad) Verordnung vom 17. Septbr. 1738) auf dem
itten Sande nur Küfter und Schulmeifter ald Schneider gebuldet
d alle andern Schneider follten in die Städte verwiefen werben.
Um die in dem Verwaltungdbezirt der Mindenſchen Kammer
rgefommenen, bei der Beftellung der Küfter und Schulmeifter
Örgenommenen Mipftände abzuftellen, verfügte der König in
em Erlaß an die Mindenjche Kammer vom 4. Novbr. 1733,
aß wenn in den dortigen Provinzen und deren Aemtern einige,
heiniglich auf dem Lande combinirte Küfter- und Schulmeifter-
Ien vacant werden, von dem Beamten und Pastor loci zwei
drei Perfonen, fo dazu die gefchiefteften, dem Gonfiftorio in
tfchlag gebracht und präfentirt werben follen, damit. basjelbe
— 10 —
nach vorhergegangener Eramination den dazu geſchickteſten und befin
Ariftliches Leben und ehrbarer Wandel befannt ift, Davon nehmen
möge; daß die Introductiones der Schulmeifter aber von dem
Conſiſtorio geſchehe, wird nicht nötig, fondern genug fein, wenn
bon den Beamten und Predigern des Orts die Schulmeifter p
ihrer Function, zugleich auch von felbigen Die Unterthanen ange
iwiefen werden, ihre Kinder zur Schule zu fchiden, damit fie m
Ehriftentum unterwiefen und zum Guten angeführt werben
können.“
Indeſſen beſchraͤnkte fi der König nicht auf das Erlaße
von Verordnungen, fondern legte rüftig die Hand an, um wirflid
ind Leben zu rufen und zu fchaffen, was fich fchaffen ließ. &
vollendete den Aufbau des großen Waifenhaufes zu Berlin, grün
dete und dotirte i. X. 1722 mit fürftlicher Xiberalität bad ned
großartiger angelegte Waiſenhaus zu Potsdam für 2500 Kinde
beiderlei Geſchlechts, unterflügte i. 3. 1729 die Einrichtung dei
Waiſenhauſes der franzöfiichen Goloniften, ſchenkte für die Schula
der in Preußen aufgenommenen Salzburger auf Einmal die Sumnt
von 150,000 Rthl. und gründete i. 3. 1735 in der Laſtadie—
hen Stiftung zu Stettin das ältefte Schullehrerfeminar ia
preußifchen Monarchie. *)
*) Die Nachrichten, welhe Schulrat Bernhardt zu Gtettim über Mt
Stiftung und die Schidfale diefer Anftalt in Bededorffs Jahrb. B. VI. &. 57
bis 66 mitgeteilt hat, find fo interefant, daß ich es für nötig halte, diefelbe
bier vollftändig aufzunehmen:
„Die Schule, welche von ihrer Lage auf der Laftadie und wegen des Gene
Königlihen Majeftät darüber zuftehenden Collations Mechtes gewöhnlich da
Namen der laftadifhen Königlihen Schule führt, wurde im Jahr 1732 geftiftd,
und war urfprünglihd ein Waifenhaus. Ihr Gtifter war der damalige zmeilt
Prediger an der Johanniskirche, Johann Chriſtoph Schienmeher, der Bo
des als Schriftfteller nicht unbelannten Beneral-Superintendenten Schienmept!
in Lübed. Er hatte in Halle fludirt, das dortige große Waifenhaus in fee
erften, fehönften Blüte und Aug. Herrmann Franke in feiner frommen Bege
fterung für die Erziehung und den Unterricht der Jugend geſehen, und fo de
Gedanken in fih ausgebildet, wie in Züflihau, Bunzlau, Langendorf, Poudan
Berlin, Königsberg ıc. jo auch in und für Bommern ein Waiſenhau #
Kleinen anzulegen,
— 1 —
eichzeitig nahm Die Kandesregierung jeßt auch allen Eruftes
zedacht, die äußere Lage der Schulmeifter zu beßern und
n Zweck, wie er ibn felbft in der erften Nachricht von feinen Anftalten
fi Effenbart 1732. ©. 31) angiebt, war „die Beförderung der Ehre
) der Seligteit der Menſchen.“ Er wollte, „auf Antrieb Gottes und
ißens der entfeglihen IUnmißenheit unter Jungen und Alten fteuern“
5 an des Könige Majeftät vom 13. Dezember 1731), und wie in
‚aifenhäufern gefchieht, arme vater- und mutterlofe Kinder aufnehmen,
erziehen und unterrichten; dabei eine Schule für andere Kinder aus der
en, und ein Seminarium für fünftige Küfter und Schullehrer in den
ıd Heinen Städten anlegen, welche in der Anftalt Wohnung, Koft und
erhalten und zur Auffiht und Erhaltung guter Ordnung der Kinder
verden follten.” Beine Idee war alfo die der Krantifchen Stiftungen:
r zu verforgen, die bürgerlihe Bildung mit der chriftlichen,, die Erzie-
dem Unterrichte zu verbinden und die künftigen Lehrer in der Gchule
ie Schule vorzubereiten. Der König Friedrich Wilhelm 1. erteilte
talten unter dem 27. Mai 1732 eine Stiftungsurfunde und mande
eutende Begünftigungen 3. B. dad Recht einen eigenen Prediger anzu-
ıderei und Buchhandel, Brauerei und Bäderei anzulegen, milde Beiträge
ı des Waifenhaufes zu fammeln, die Acciſefreiheit ꝛc. Gr ſchenkte zur
des Haufes die nöthigen Baumaterialien und eine Beihülffumme, deren
ſt bekannt geworden iſt; und bemilligte außerdem ein Deputatholz von
aus der Stadtheide. Der Prediger Schienmeyer wurde zum Di-
Barfenhaufes ernannt, und als folder dem Hofe unmittelbar unterge-
r erhielt die Befugnie, feinen Nachfolger in diefem Amte, fo wie die
| Lehrer bei feinen Anftalten felbft zu ermwählen, und war von dem
» Confiftorio ſowohl ald von dem @eneralfuperiniendentn in allen
n unabhängig.
der Kabinetsordre vom 5. Dezember 1732 wurde ihm zur befonderen
nacht: „alles Ernftes bemüht zu feyn, daß bei dem Waiſenhauſe allezeit
ſar von einigen jungen Leuten angetroffen werde, aus weldem man
‚chulmeifter und Küfter nehmen kann, und dadurd er einen gnädigen
Rönig befommen werde;“ und fo blieb das Geminarium — eines der
Deutſchland — immer ein Sauptgegenftand feiner Fürſorge. Im Jahre
nden fi in demfelben 24 Präparanden, und in dem Waifenhaufe 24
Ye Schule beftand aus ſechs Klaffen und hatte im Wefentlichen mit den
schulen in dem Hallefhen Waifenhaufe, welche damals in Deutfchland
ſchulen galten, gleiche Einrichtung.
waren neun Lehrer angeftellt; und unter ihnen befanden fich fünf
des Predigtamtes, welche fich hier zu dem Lehramte, in der Schule
yule, praktiſch vorbildeten,
.
MIN TITTEN IR m
Feen Arge
—
un
Bies alles hatte Cin Mann geiler, dem „per klagliche DUf
Kirche und die Noth und Gefahr fo vieler tauſend Seelen, in und a
Stadt, dergeftalt zu Herzen ging, daß es ihm mandyen Seufzer und
getoftet hat; der das Merk getroft auf Gott und deſſen Allmacht, Güte un
beit anfing, und dem es genug war, wenn er durch afle Arbeit, Kofter
und Sorge nur eine einzige Eeele reiten und Gott zuführen konnte.“ (
©. 25 und 26.) Als er in der Vernehmung am 27. März 1732 gefragt
woher er die Koften zur Erbauung des Haufes nehmen wolle? antwortete
Glauben an die herzlentende Kraft Bottes kurz: aus Bottes Beut
fing an zu bauen.
Es fehlte feinen Anftalten audy nit an Gegnern, und er mufte, |
edle Menfchen, durch gute und böfe Gerüchte gehen.
Sein erſter Plan, in dem ftädtifhen Waifenhaufe eine Am
anzulegen, welden er in einer freimütig und kräftig abgefaften Borfte
den Magiftrat, vom 13. Dezember 730 darlegte, hatte fhon großen ®i
gefunden und kam nicht zur Ausführung. Aus allen feinen Berichten ſr
Mann, dem das Eine was Noth thut, und alſo auch die befere Bir
Jugend wirklich am Herzen liegt und deffen Eifer, wenn er audy bier um
beftehenden Berhältniffe überfah, und dann und wann zu raſch war, doch
in jener Zeit, wo das Schulwefen jo wenig öffentlihe Teilnahme und Inte
fand, fehr achtungswerth erfcheint.
Der damalige General-Superintendent Hornejus und die übrigen @
der Stadt fahen e8 ungern, daß das neue Waifenhaus der Aufficht der
zialbehörden entzogen war, und daß ein einzelner Mann fi) das Berdienfl
das Schulwefen der Stadt von Grund aus zu verbefern. Dan befdult
der Eitelteit, des Eigennußes, „der Neuerungen gegen die pommerfcde Ki
nung,“ der Begünftigung des Separatismus, welchen er durch feine Erl
— 13 _
urde unter dem 18. Septbr. 1737 verordnet: 1) Die bisher
ter den Bauern verteilt geweſenen Gemeinde⸗- oder Gildewieſen,
a übrigen Schulen der Stadt Stettin gleihfam combinirt werden fol.“ Uber
ch dem Abgong ihres thätigen Stifters hörten die Interftüßungen faft ganz auf,
d die Anftalten Tamen mehr und mehr in Berfal. Mehrere Lehrer muften aus
angel an dem nötigen Unterhalte entlapen und zwei dem Waifenhaufe zugehö-
e Häufer verfauft werden, um die Anftalt von der drüdenden Schuldenlaft zu
teien und dem Stifter die 1720 Rthlr., die er aus eigenen Mitteln hergegeben
te, wieder zu erftatten. Auch der Fürftengarten konnte ihr nicht erhalten werden.
Die Stadt hatte außer ihren beiden Gelehrtenfchulen damals keine öffent-
en Bürgerfehulen, und für den Unterridt der unteren Volksklaſſen war in den
en Alipp- und den Winkelſchulen fchlecht geforgt.
Der Prediger Schienmeyer hatte in einer kleinen Schulfchrift („von
1 Berderben der fogenannten Wintelfhulen”) diefe Mängel Träftig zur Sprache
taht, und durd feine Waifenhausfchule den Weg gebahnt. Sämmiliche Geift-
e der Stadt vereinigten fi, dem allgemein gefühlten Bedürfniffe einer guten
tgerihule abzuhelfen. Der Prediger Schienmeyer hatte in dem fogenannten
m’shen Haufe in der Königftraße „für diejenigen Kinder in der Stadt, denen
zu weit in die laftadifche Echule hinauszugehen ift, und die folder Gelegenheit
bedienen wollen,“ eine befondere Schule angelegt. Diefer „deutſchen Schule“
m fi) das geiftlihe Minifterium der Etadt, nad) dem Abgange des Schien-
her, thätig an, erweiterte diefelbe zu drei Klaſſen und teilte fi) in die
fficht. Das ift die fogenannte „Minifterialfchule,” bei welcher einige ehemalige
wer der laftadifhen Schule wieder eine Anftellung fanden, und die, als eine
»chliche Stiftung im eigentlihen Sinne des Worts und als ein Zweig der
ifenhausfchule auf der Laftadie noch jept im Segen fortwirtt.
Der General- Superintendent Nothe, der nah dem Tode des G. ©.
tnejus die Oberauffiht über die laftadifhe Schule und das Gchullehrer.
minar übernahm, ließ ſich zwar angelegen fein, beiden Anftalten wieder aufzu-
m; aber die Schulfaffe war erfhöpft und das hölzerne aus Fachwerk befte-
de Gebäude feinem Einfturze nahe. Während des fiebenjährigen Krieges wurde
Eule in ein Lazareth verwandelt, und was der Glaube und die Xiebe ge-
det hatte, fhien nun dem Untergange geweiht zu fein!
In diefem traurigen Zuftande fand der General-Superintendent Böhring
Anftalt, als ihm im Sahre 1784 ihre Leitung übertragen wurde. Er verband
einer richtigen Einficht in das Schulweſen einen thätigen Eifer, wenn er auch
überall mit der nötigen Ruhe und Befonnenheit zu Werke gegangen fein
e. Bu feinen großen Verdienften um die Anftalt gehörte namentlih, daß er
ie Stelle des alten ein neues, gröftenteil® maffives Schulgebäude aufführte ;
Die Neue- und Oberwiet und für Srabom neue Schulhäufer erbaute; die
tſchule auf der Laftadie durch eine dritte (Werk) Klaffe erweiterte und bei
— 4 —
welche nicht verſteuert würden, ſollten an den Meiſtbietende
pachtet und das Geld ſollte zur Unterhaltung der Schul
derſelben einen beſonderen Uuterricht in weiblichen Handarbeiten einfüh
Steuermannsſchule anlegte; die Anzal der Seminariſten vermehrte umd f
Unterweifung in der Baumzuht und dem Seidenbau forgte Auch auf |
gung einer Kleinen Schulbibliothet nahm er Bedacht, und hatte noch mand
zeitgemäße Verbeßerungen vorbereitet, al6 ihn im Jahre 1791 der Tod
Er hinterließ die Schule feinem Nachfolger, dem General Superiniendent
geltaube, zwar in einem im Ganzen verbeßerten Zuftande, aber aud
Schuld von beinahe 3000 Rthlr. belaftet.
Glücklicher Weife hatte er ſchon früher einen Mann für die Anftal
nen, der ſich durch feine vieljährige, forgfältige Verwaltung unftreitig d
Berdienft um diefelbe ermorben hat, und mit Recht ihr zweiter Gtifte
werden Tann.
Der Prediger Nitfhmann befaß alle Eigenfhaften, um die vor
Mittel zu der Verbeßerung iyres äußeren Zuftandes flug zu benußen,
geregelte, ftrenge Ordnung in das Kaffenwefen einzuführen Die ſpezielle
über die Schule und die Verwaltung ihres Vermögens war ihm ausfchlü
vertraut, und er hat fie, beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch, mit ı
fiht und Treue geführt, welche dankbare Anerfennung verdient und auch
bat. Mag er aud, befönders in den letzten Sahren, über der Gorge
Dekonomiſche die wichtigere für die Verbeßerung des innern Zuſtand
Schulen in Etwas verfäumt haben: er war doch, von feinem Stantpu
auch in diejer Beziehung. nicht unthätig, und ed verdient gewiß Entſch
daß er hierin mit der Zeit nicht mehr gleihen Schritt halten Tonnte, un
alten, liebgewordenen Formen des Unterrichtes fefthielt. Wenn er aud,
gebrachten zugethan, in einem und dem andern jungen Lehrer dadurd Di
Kraft niederhielt und fie bei der Anwendung der „neuen Lehrart“ zu
bewachte, fo ift doch feine wmohlthätige Einwirkung auf die Jugend und:
Möchten nur alle Lehrer nod am fpäten Abend ihres Lebens mit diefer
Treue und Hingebnng für das Befte ihrer Schule arbeiten‘, und, wie (
mũde werden!“
Das Hauptverdienft des feeligen Ritfhmann befteht in feiner
tungstunft und in der fihern Begründung des äußern Beftehens feiner '
Wenn er gleich die Neben. oder Filialfhulen in Grabow, Neu und Unte
foldhe, und mit ihnen mande Einnahme der Schultaffe aufhören, das ©ı
Seminar und fpäterhin auch die Steuermannefhule aus dem Schulverbi
ſcheiden, und nad) der bewirkten Verbeßerung und Erweiterung der Schul—
Stadt die feinigen in Abnahme kommen ſah; wenn aud das Badıtgel
fogenannte Plantage nie regelmäßig eingieng, und die Schule dadurd in
nehme Gtreitigteiten verwidelt wurde: fo hatte er doch die große Freude
— 15 —
angewandt werben. 2) Von den enibehrlihen Kırchenreventien
ſollte einiges den Schullehrern zu Gute fommen. 3) Für den
Kal, daß font fein ausreichender Fonds vorhanden jet, follten bie
Batrone jährlich drei Scheffel Roggen für den Scyulmeifter aus⸗
werfen, da ihnen doch vor Allem daran gelegen jein müfte, daß
Untertyanen al8 gute Chriften erzogen würden. 4) Würden diefe
Mittel zur Unterhaltung des Schulmeifterd nicht ausreichen, fo
ſollten dieſelben vierteljährlih ein Beden zur Ginfammlung von
milden Gaben vor die Kirchenthüren feßen. 5) Uebrigens verftehe
es ih von felbft, daß bemittelte Elteru das übliche Schulgeld
nah wie vor zu zalen hätten. Auch follten folde Leute
als Shulmeifter angenommen werden, welde neben
ihrer Amtsverrihtung arbeiten und ſich etwas ver-
dienen Eönnten, damit fie den Gemeinden niht ganz
und gar zur Laſt fielen.
Somit war wenigftens der Anfang eines Volksſchulweſens
geihaffen, welches fich entwideln konnte; und zwar war das Alles
der Erbauung des fogenannten Sternbergifchen Haufes eine neue ergiebige Quelle
der Einnahme zu eröffnen. Die Geſchichte diefes Haufes hängt nıit der laftadifchen
Edule genau zufammen, und ift gewiffermaßen ein Zwei derjelben, weshalb fie
bier nicht unerwähnt bleiben Tann.
Ein Seifenfieder, Michgel Gottfried Sternberg, befaß in der Rähe
der Schule und des Fürftengartens ein Haus, welches er im Iahre 1752 der gan-
In Rarftadie mit der Bedingung vermachte, daß der untere Stock zu einer Echule
md Vehrermohnung beftimmt fein und bleiben, aber „wieder an feine Erben
urũckfallen fole, wenn ſich fein Schulpalter findet, der darin wohnt und zwölf
me Kinder unentgeltlich unterrichtet.” Außerdem verfchrieb er die Zinfen von 200
lern, zu demfelben wohlthätigen Zwecke, und zwar zunächſt „zur Anfchaffung
ME gulbügern, für arme Kinder, welche jene Schulen beſuchen.“ Einige Jahre
lee ein alter Lehrer jene Bedingung; nad deffen Tode (i. 3. 1794) hatten
* Erben die Abfiht, das Haus zurüdzunehmen. Da erklärte der Prediger
u Tchmann den Erben, denen für dad Haus 1400 Rthlr. geboten waren: „fie
üch ten ihm zu Gunſten feiner Schulanſtalten daſſelbe für 1000 Rthlr. überlaßen;
tig enfalld er einen Seminariften, der die verlangte Bedingung zu erfüllen
it wäre, in Vorſchlag bringen, und dadurch den Verlauf des Haufes verhindern
ID e_« Die Erben mwilligten ein, und fo fam das erwähnte Haus, durch einen
Minen gerichtlich abgefchlogenen und vollzogenen Kontrakt (dom 12. Mai 1801)
M Die laſtadiſche Schule. Der Prediger Ritfymann ließ hierauf — mit @e-
— 16 —
durch den frommen und landesvaͤterlichen Sinn Friedrich Wilhelnr®
ind Leben gerufen. Seine bejondere Sorgfalt wendete indefjest
derſelbe dem eigentlichen alten Preußenlande und der Refi-
denzftabt Berlin zu.
- Sn jenem legte Friedrih Wilhelm den erften Grund zu
einem wirklichen Volksſchulweſen durch Aufftellung und Gine
führung eined Generalſchulplans, der auf den Antrag der
Minifter v. Görme, v. Kunheim und v. Bülov durch eine
königliche Ordre d. d. Königsberg den 1. Auguft 1736
publizirt wurde”). Sn diefem Sculplan wurde verfügt:
1. Das Schulgebäude errichten und unterhalten die aſſocür⸗
ten Gemeinden auf dem Fuß wie die Priefter- und Küſter⸗
bäufer. — 2. Der König giebt freied Bauholz; Thüren, Fenſter
und Kachelofen werden von den SKollektengeldern angeſchafft. —
3. Der König giebt auch das freie Brennholz, welches die Gr
meinden anfahren. — 4. Jede Kirche, ſowol in den Städten, ald
nehmigung der damaligen königl. Negierung — das alte baufällige Haus nieder
reißen, und erbaute an deffen Stelle ein neues, aus drei Stockwerken beftehentt
Gebäude. Der Ban wurde unter feiner Leitung ausgeführt, und er ſchoß daw
aus eigenen Mitteln zu 5 pCt. 2000 Rthir. vor, die er ſich nach und nad al
der Schulkaſſe wieder zurüctzalen ließ, fo daß nunmehr die laſtadiſche Schule di
einzige, rechtmäßige Beſitzerin jenes Hauſes ifl. Die Anftalt gewann durd diet
Erwerbung die Miete für drei Lehrer und für ſechs Seninariften, und außerden
noch die Miete für die übrigen darin angelegten fleinen Wohnungen , zufammt
etatsnäßig 209 Rthlr., fomit ſchon weit über die Zinfen der 2600 Rthlr. weit
der ganze Bau koſtete. Im dem untern Stode bat die fogenannte Stern
berg’ihe Schule, die jetzt zu einer Armenfchule beftimmt ift, ihr Qehrzimmer, und
das mittlere Stockwerk ift an die königl. Edyifffahrtfchule vorteithaft vermiefl
Schade, daß diefes Haus aus ſechs zu Fleinen Abteilungen, die zu eben fonie
Familieuwohnungen eingerichtet find, befteht, und darum zu einem Schulhauſe hä
nit eignet! Der zu den eigentlichen Sculhaufe gehörige arten hat ſcho
durch den verftorbenen General-Superintendenten Göhring manche Berbebert
erhelten, und ift fpäterhin duch den Prediger Nitſchmann mod; bedeuten?
erhöhet, und in eine große Baumfchule umgewandelt worden. Aber das Ham
jelbft, fo wie das daran ftoßende ift in Innern durdaus verfallen; die Edal
ftuben’ find eng und feucht, und eine Sauptreparatur, wo nicht der Neubau eis
ganzen Ylügels, ift dringend nothwendig.“ —
) Vgl. Neigebaur, „das Schulmwefen in.den preußiſchen Staaten“
— 17 —
dem Lande, zalt zum Unterhalt der Schulmeifter jährlich
Zhaler. Dagegen hält der Ortspfarrer die Ecyulmeifter dahin
‚ daß fie den Kirchendienft mitverrichten helfen. Die Praecep-
es haben an diefen 4 Thalern feinen Anteil, vielmehr werden
jelben Iediglich zum Unterhalt der Echulmeifter verwendet. —
‚Sollten einige Kirchen jo arm fein, daß fie diefe 4 Thaler
wich aufzubringen nicht im Stande wären, fo zalt dieſelben der
thenpatron. — 6. Zu feinem Unterhalt wird dem Schulmeifter
ie Kuh und ein Kalb, ein paar Edyweine und etwas Federvieh
auf Der Weide gehalten, und zwei Fuder Heu und zwei Fuder
troh geliefert. — 7. Hiezu bekommt er von dem König einen
torgen Land, der überall hinter dem Schulhauſe anzuweifen ift.
ie eingepfarrten Dorfichaften ftellen diefen Morgen aus und
lten ihn im Gehege. — 8. Der Sculmeifter befommt von
len Bauern feined Diftrictd p. Hufe 4 Roggen und 2 Mepen
erfte. Geht der Roggen über 4 Winfpel, fo werden bie Por⸗
nen der Bauern kleiner; bleibt er darunter, fo legen fie zu. —
Jedes Schulkind von 5—12 Jahren inclus. giebt ihm jährlich),
' gebe zur Schule oder nidt, 15 Gr. prß. oder 4 Ggr. —
I. Iſt der Echulmeifter ein Handwerker, fo fann er ſich ſchon
näbren; ift er es nicht, fo wird ihm erlaubt, in der Erndtezeit
hs Wochen lang auf Tagelohn zu geben. — 11.. Der Schul⸗
ifter ift frei von Kopf: und Hornſchoß fowie vom Schußgeld. —
. Im Fall, daß ein Bauer oder Inſtmann mehr als zwei ſchul⸗
bige Kinder hat, wird der Ueberreft des Schulgeldes von den
ıterefjen der 50,000 Thlr. bezalt. — 13. Der zweite Klingel-
tel ift für die Schulmeiſter — 14. Wo Göllmer wohnen,
ben diefelben wie die Bauern zwei Mepen Gerfte und 4 Roggen.
eil diefelben aber in beßerer Lage find als die Bauern, jo zalen
für jedes Kind jährlid 6 Gyr. Echulgeld. Aus dem Bonds
- 50,000 Thlr. wird ihnen nichts zugefchoßen. — 15. Die Ber
ten find zwar frei, ſchicken fie aber ihre Kinder zur Schule, fo
en fie für das Kind monatli 2 Ggr. Alle übrigen Amtsbe⸗
Nten zalen wie die Göllmer p. Kind 6 Ggr. jährlich. Forftbe-
ten zalen wie die Beamten, Warthen wie die Bauern. —
. Jedes Schulkind zalt dem ESchulmeifter, wenn es confirmirt
Deppe, Vollsſchulweſen, 8. 2
— 18 —
wird, 6 Ggr. — 17. Aller Orten, wo unüberwindliche impeli-
menta find, fo daß hinlängliche Societäten nicht zuſammengebrach
werden koͤnnen, 3. B. da wo Waſſer oder Waldung ſtarke Al
Schnitte machen, wird der Zufchuß aus dem zweiten Klingelbent:
gegeben; und weil diefer nicht weit hinreichen wird, kann für jet
Hochzeit von dem Ortspfarrer 30 pri. oder 8 Ggr. zur Sul
fiſtenz der Echulmeifter gefordert und zum Zuſchub an folde
Orten angewandt werden, damit der föniglihe Fonds ber 500C
Thlr. nicht bejchwert werde. — 18. Jedem Schulmeifter iſt m
mittelbar Hinter feinem Haufe ein Gartenplag anzumeijen. -
19. Ter Adel bat fi) nad diefen Vorfchriften zu richten, ur
wird zur Einridytung der Schulen bülfreiche Hand bieten. Au
bat jeder Pfarrer die Vollziehung Diefer Stiftung zu überwade
und die Saumfeligen jofort bei der Kriegd- und Domänenfomm:
anzuzeigen, die ſodann, wenn ber Beamte längftens binnen 3
Tagen das volftändige Echulgeld nicht befchafft, Die Beamte
dazu anzubhalten, und das Geld allenfalld von der Lieferung a
zuzieben bat.
Bur Ergänzung und Grläuterung dieſer Ordre erließ d
König zwei Jahre fpäter eine neue Verordnung vom 28. Apr
1738, worin befohlen wurde: 1. Der Getreidebetrag, den b:
Edyulmeifter zu beziehn hat, fol jährlich durch die Schulzen zu
ſammengebracht, das Echulgeld aber bei der Decemseinnahme b
zalt werden. Der Prediger giebt dem Schulmeifter das Seinig
praenumerfando auf ein halbes Jahr, und e8 muß beides, Getreil
und Echulgeld, bei jeder jährlichen Kirchenpifitation von dem Er
priefter auf einem befondern Bogen berechnet, und won demſelbe
bi8 auf weitere Verfügung unterjchrieben werden. — 2. GEs folle
tüchtige Eubjecte zu Schulmeiftern angenommen werben, und, E
fie vom Erzpriefter und Prediger zu beftellen, fo haben fie au
in allen des Lehramt und dad Leben angehenden Fällen die Ar
fit über dieſelben. Im MUebrigen dagegen ftehn fie unter de
Jurisdiction des Hauptamts. Was aber die Schulmeifter ba
Adlichen betrifft, jo übt zwar der Patron die Gerichtsbarkeit übe
biefelben aus, jedoch bergeftalt, daß mit dem Erzprieſter und Pr
diger bed Orts bei jeder Bejegung einer Schulmeiſterſtelle ib
die Fähigkeit des Bewerbers conferirt werde. „Was aber feine
Kapazität, Lehre, Amt und Aufführung bei der Schule anlangt,
ſo bleibt e8 dabei, daß ber Erzpriefter und Prediger über ihn die
Aufficht Haben, und, wenn es daran fehlt, dahin ſehn müßen, daß
er abgejchafft werde.” — 3. Was Diejenigen Gelder betrifft, jo
um Zeil aus dem Kirchenpermögen, zum Teil auß dem Klingel⸗
läfel, deögleihen von der Konfirmation der Kinder und non ben
Zrauungen jährlich für den Echulmeifter gezalt werden, fo ſoll
der Prediger jedes Orts dieſelben einfammeln und beſonders auf-
bewahren. Und damit diefe Gelder auch blos für den Schulmeifter
verwendet werben, joll der Prediger über diejelben ordentliche
Rechnung führen, Diefe Rechnungen dem Erzprieſter bei den jähr-
lichen Kirchenvifitationen vorzeigen und fie von demfelben unter
ſchreiben laßen.
Noch in ſeinem letzten Lebensjahre bewies der Koͤnig, wie
viel ihm grade an der Hebung des Schulweſens in Oſtpreußen
und in Litthauen gelegen war, indem er ſich bei feiner legten An-
wejenheit in Preußen am 9. Auguft 1739 mit ber dortigen Kir
chenkommiſſion darüber berebete, und ſich erbot, alle Mittel fofort
zu Beſchaffen, welche etwa erforderlid wären, um die Zal ber
Schulen zu vermehren, um Bibeln und Geſangbücher an das
Volk zu verteilen und die Bildung des Volkes überhaupt zu
heben *).
Für die „deutſchen Privatfchulen in deu Städten und Vor⸗
Rädten Berlin“ publizirte der König am 16. Oftober 1738 auf
den Antrag bed Magiftrats zu Berlin ein von den oberften Kirchen⸗
beh Sxden dajelbft approbirtes Reglement, welches bie vollkommenſte
Auff fung und Organifation der Volksſchule in ſtaͤdtiſchen Ver⸗
UL zT riſſen barftellt, welche aus jener Zeit überhaupt vorliegt. Das
Reg U ement lautet woͤrtlich:
— — —
_ *) Rad einem zuverläßigen Bericht hatte es der König Dahin gebradit, „Daß
üglü ug, 1300 arme Kinder durd 65 studiosos theologiae im Chriſtentum unter-
ht u 800 Arme gefpeift und in den Kirchen unterrichtet, daß 40000 Rogafi’ihe
Gehen an gbicher binnen’ 3 Bohren unter das Volk verteitt, eine poliuſche Bibel ge-
Bu wurde” m. ſ. v Bol. Jatob ſon, Mehicte dee Duckleu des omangel.
KH, eures der Provinzen Preußen und Poſen. ©; 106. *
— 20 —
„I. Von Beſtellung der Schulmeiſter.
F. 1. Es muß ſich Niemand des Schulhaltens eigenmäätig
anmaßen, fondern ein jeder bei dem Inspectore und den Prediger
des Kirchipiels, wo er Schule halten will, ſich melden, won ihnen
fämmtlid) egaminirt werden, und wenn er tüchtig befunden, auch
deshalb ein ſchriftliches Testimonium erhalten, refpective ſich dem
evang.sreformirten Kirchen-Directorio und Magiftrat allhier ſiſtiren
und Confirmation ſuchen. Ohne ſolch Testimonium des Minifterti
wird keiner angenommen.
6. 2. Gleichergeſtalt wird es auch mit den Schulmeiſterinnen
gehalten, die mit ben Schulmeiftern darin zwar gleiches Rech!
haben, daß fie Kinder beiderlei Bejchlechted annehmen dürfen, wo
nicht aparte Mädchen: und Knabenfchulen find oder auch angerich*
tet werden koͤnnen; doch mit dem Unterfchied, daß wenn die Kna⸗
ben leſen können und etwa Das fichte oder achte Jahr erreicht, fie
von ihnen genommen und einem Schulmeifter übergeben werdest-
Die Mädchen aber bleiben bei ihnen, voraus wenn fie zum Naͤhen
oder anderer Frauenarbeit zugleich angeführt werben, fo lange es
ben Eltern gefällt.
6. 3. Hat eine Echulmeifterin Conceſſion in ihrem ledig eu
Stande erhalten, fie heiratet aber hernach, fo Darf fi der Marıl
des Schulhaltens nicht anmaßen unter dem Prätext, daß die Frost
Gonceffion hat, fondern er ift fchuldig fich oben Kerührter Me”
ordentlich zu melden, egaminiren und confirmiren zu laßen, ehe €"
fi der Schule annehmen darf. Wird er nicht tüchtig befunde?
jo muß er mit der Schule nichts zu thun haben. Wäre er g#
im Leben ärgerlih, daß die Kinder an ihm ein böfes Eremp
nehmen, ſo bat die Frau, wo er nicht zu beßern ift, fid ihr —
Conceſſion verluftig gemadht.
:$. 4. Diejenigen Echulmeifter und Schulmeifterinnen ade =
jo jetzo wirklich ſchon da find, haben ſich a dato dieſer Veror @
nung an bei dem Minifterio, worunter fie ftehn, zu melden, bar
fie entweder nad) Befinden aufgenommen uud beftätigt, oder abags-“
wiefe werden können. Die fi nicht melden, denen wirb —7
Ungehorſamen das Schulhalten gelegt werden.
— . 211 —
6. 5. Wenn ein Schulmeifter, fo auch Schulmeifterin recis
pirt wird, ſteht ihnen nicht völlig frei, fich in eine Gaße oder
Gegend zu fegen, wo fie wollen, jontern wo fie nötig thun. Da-
ber fie mit den Predigern des Kirchſpiels zu überlegen haben, wo
fie e8 gut finden, Daß fie fich niederlaßen möchten; welches auch
geihehen muß, wenn.fie ihre fchon einmal betretene Wohnung
wieder zu ändern und eine andre zu beziehen nötig finden. Dieſe
aber werben dahin fehen, daß foviel es thunlich und nad jeder.
Stadt Umftänden möglich, in allen Gaßen oder Gegenden den
Eltern Gelegenheit gegeben werde, ihre Kinder zur Schule ſchicken
zu Eönnen. Wo an einem Ort zu viele und am andern gar feine
Schulen find, entfteht aus beiden Unordnung.
G. 6. Ob zwar feine gewiſſe Anzal der Schulen in jeder
Stadt fo feft gefegt werben fann, daß davon nicht abzumweichen,
ſo ift doch zu verhüten, daß, wie fr nicht an Schulen fehlen muß,
alſo Hingegen fie nicht gar zu Häufig angelegt werden müßen:
denn unter andern Inconvenientien, daraus den publiquen Schu⸗
Im ein Nachteil erwachjen würde, welches zu präcaniren zugleich
den BPrivatfchulmeiftern aufgegeben wird, daß fie ſich des lateinis
ſchen Informirens nicht weiter ald bis aufs Decliniven und Con⸗
jugiren, und zwar dieſes nad) dem Gutfinden der Prediger eines
glichen Diſtricts anmaßen follen.
l Bon der Tüdhtigfeit und nötigen Gigenfgaften
der Shulmeifter.
$. 1. Bor allen Dingen müßen fowol die Echulmeifter als
Schulmeiſterinnen das Zeugnis einer wahren und ungeheuchelten
Öottfeligkeit haben, und mit einem egemplarifhen Chriftenwandel
in Der Schule, bei öffentlichem Gottesdienſt und überall ihren
en vorgehen, ja gegen jedermann fich unſtraͤflich zu beweiſen
u en
82. Und da fie folder Geftalt die Erfenntntd der Wahrs
ett in reinem Gewißen zu bewahren trachten follen, fo müßen fie
vor allen unnügen und der Gottjeligkeit hinderlichen Nebens
nungen und Irrtümern hüten, hingegen bei den heilfamen
or ten unferes Herrn Jeſu Chriſti und bei ber
_9 —
Lehre von der Gottſeligkeit forgfältig bleiben, damit fe
ihre Kinder auf den Grund lauterlich führen und Bauen koͤnnen,
den fie jelbft legen.
8. 3. Hiernaͤchſt müßen fie im Buchftabiren, Leſen, Shm
Ben und Rechnen die erforderliche Tüchtigkeit, auch eine beutliät
Methode andere zu lehren beſitzen; ingleichen im Singen wenig
ſtens eine ſolche Babe haben, daß fie den Kindern Die Melodien
von den Pſalmen und orbinären Liedern beibringen können.
8. 4. Und da bei der Information ein Vieles baran gele-
gen, daß die Kinder in guter Ordnung und Yufmerffamfeit er-
halten werden, auch gegen ihre Lehrenden Furcht und Liebe haben,
fo müßen fie fi ſonderlich vor Leichtfinnigkeit und übereilendem
Zorn hüten, daß fie den Kindern weber in ihren Unarten (vorau®
wenn fie unter der Information unachtſam find und Mutwillen
treiben,) nachſehen, noch auch mit unvorfichtiger Härte fie beftrafen.
Sie haben daher gegen die Informationdftunden mit inbrünz
ſtigem Gebet ſich allemal zugubereiten und Bott anzurufen, daß
er ihnen Gnade gebe, mit einem gejeßten und fanftmütigen Geifte
an der Jugend fo zu arbeiten, daß fie fi) weder auf ber einen
noch anderen Seite bei ihrer Arbeit verjündigen mögen.
DL Von ben Pflihten der Schulmeifter.
$. 1. In der Information jelbft müßen fie ihren Haupt-
zwed immer vor Augen haben. Diefer ift, daß fie ihre auver-
trauten Kinder, ald Kinder der Ewigkeit anjehen, fie Chriſt ©
zuführen und dahin befümmert find, daß fie nach Seinem Vor⸗
bilde an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menfhert
wachen und zunehmen.
$. 2. Zu dem Ende haben fie nicht allein für ibrefim-
ber herzlich zu beten, daß Gott ihre Arbeit dahin an ihnes®
jegnen wolle, fondern fie fangen auch billih ihre Schulftunden je
desmal mit Gebet und Geſang an und jchließen fie bamit, Tapes
bie Lefung der H. Schrift das Vornehmfte fein, und fuchen dur”
tägliches Katechifiren der Jugend die erften Gründe des Chris
tums Deutlich und ordentlich beizubringen, doch fo, daß fie beit
Beten und Singen die Kinder dahin führen, daß fie Gott Inf®
— 3 —
GSeiſt und in der Wahrheit anbeten lernen, alles Bibelleſen zur
Erbanung anwenden und den Kindern zeigen, wie ſie das, was
ſie geleſen, zur Lehre, zur Strafe, zur Beßerung oder zum Troſt
ich zu Nutze machen, und bei dem Katechiſiren eine jede Wahrheit
ur Gottſeligkeit an ihren Herzen Bringen.
$. 3. Bei der Katechifation aber muß nicht ein jeder Schuls
neifter eine Erklärung des rejpectiven Heidelbergifchen und Lutheri
Satehiämi einführen nach feinem Gefallen, fondern der Juſtruction
er Prediger, worunter er flebt, hierin folgen.
6. 4. Und weil die Prediger Fünftighin richt allein bie
Schulen fleißig befuchen, fondern auch monatlid oder wenn fie es
on nötig und thunlich finden, eine Gonferenz mit deu Schul⸗
yaltern anftellen werden, darin fie Das Befte der Kinder beforgen,
wie die Lectiones am füglichften einzurichten, verabreden, die Desi-
deria der Schulmeifter anhören und auf alle Weile das Aufneh⸗
men der Schulen zu befördern fuchen merden, jo muß foldye Con⸗
eng ein jeder Schulmeifter unweigerlich und bei Strafe ber
Caſſation mit beiwohnen, demjenigen, was in derſelben ſowol als
ei Beſuch der Schulen für gut gefunden und verabredet worden,
dh conformiren und zu dem Eude jedesmal das Nötige aus ber
on feren; in einem befonderen Buche fich merken und aufzeichnen.
8. 5. Wenn audy öffentliche Examina gehalten werben, find
e Sculmeifter ſchuldig, die Kinder nicht allein zuvor Dazu zu
üpariren und die Lection, fo in demfelben vorfommt, nady der
rdung des Catechismi mit ihnen vorher vorzunchmen, ſondern
zmüßen auch die Kinder felbft in guter Ordnung über bie
Eoufe nad der Kirche führen und beim Examine in der Kirche
Zeit gegenwärtig fein, damit die Kinder in gehöriger Zucht und
D zung fönnen erhalten werben, fie felbft auch Ieruen, wie fie
ra Dlich und erbaulich katechiſiren jollen.
8. 6. Fallen Sonns, Feſt- und Bußtage ein, fo haben fie
Binder von dem Zwecke folcher Feier zu unterrichten, fie mit
—lichen Grmahnungen und Reizungen zu präpariren und beim
⁊Weggehn ihnen nachbrüdlich einzufchärfen, daß Feind, fonderlich
den größeften, vom öffentlichen Gottesdienft zurüdbleibe, unter
Predigt auf den Kirchhoͤfen oder ſonſtwo Mutwillen treiben,
— 94 —
fondern alle den ganzen Tag oͤffentlich und beſonders zu
Erbauung anwenden müßen. Daher fie auch des Montags,
wenn die Schularbeit am erften ihren Anfang "wieder nimmt,
zufragen haben, was die Kinder aus den Predigten behalten
wenn fie vorgeben, Daß fie zu Haus bleiben müßen, bei den
fih erfundigen, ob fih8 in der That alfo verhalte Air
überhaupt gut fein wird, wenn Die Informatores zuweil
Eltern befuchen und ihrer Kinder Verhaltens wegen Erkun
einziehen. Wenn auch des Mittmochd und Sonnabends 9
tags die Kinder dimittirt werben, find fie gleichfall zu vern
daß fie, wie feine Kreiftunden, alfo befonders dieſe Nacın
ftunden nicht auf den Gaßen oder an foldhen Orten, wo '
fahr laufen können, mit fündlichem Lärmen und anderen
nungen zubringen jollen.
$. 7. Sn der Schule, welche Vormittags, und 3
Sommer von 7 — 10, im Winter von 8 — 11, des Nach
aber Winterd und Sommerd von 1— 3 (Uhr) zu hal
müßen die Schulmeifter alle Treue und möglichiten Fleiß
den, daß fie ihren Kindern in Allem (fie bringen ihnen Dir
ftaben bei, oder laßen fie buchftabiren, lefen, fchreiben,
den Batehismum, einen Spruch oder Pfalmen lernen,) auft
lihfte und Leichtefte forthelfen, Damit fie nicht ohne Not
halten und verfäumt werden; Daher fie auch ihre Schu
ordentlich abwarten, Feine ausfeßen, noch unter denfelben
anderes, jo ihres Berufes nicht ift, vornehmen müßen, nı
unter den Schulftunden ausgehn und ihre Frau fo lange
halten laßen; fie find auch nicht befugt, auswärtige Rei)
Borwißen der Prediger vorzunehmen und ohne Jemand
Schule anzuvertrauen, der fie gehörig in Ordnung halter
$. 8. Kein Schulmeifter muß endlich die Kinder dı
erlaubte Wege (daß er 3. &. herumlaufe und die Eltern ı
fen und jenen Berfprechungen gewinnen wolle, oder ander:
matores verunglimpfen und vergl.) an fih zu ziehen
Bringen ihm aber die Eltern ihre Kinder aus eigenem Tr
fann er nachfragen, ob fie fehon zuvor in eine Schule ge
und wo, und darüber einen ordentlichen Catalogum ball
it
— 25 —
welchem er ſowol die Namen ſeiner Kinder als auch die Zeit,
wenn ein jedes angekommen, und wo es zuvor geweſen, auch wie
es ſich verhalten, wenn es wieder abgegangen, verzeichnet. Finden
fich hierbei dubia, fo fönnen fie in der naͤchſten Conferenz erörtert
und abgethan werben.
G. 9. Wie denn, was bier fonft noch zu orbnen wäre,
glei chfalls den Konferenzen der Prediger anheim geftellt wird, da
nackſ vorfommenden Umftänden, was nötig, weiter fann regulirt
wer Den.
IV. Vom Gehalt der Schulmeiſter.
$. 1. Was das ordentliche Schulgeld betrifft, fo bleibts
bei Mer eingeführten Gewohnheit, ba ind Gemein wöchentlich ge-
geben wird: für ein Kind, das die Buchſtaben lernt und zält,
6 — 9 Pf, das Buchſtabiren und Leſen lernt: 1 Groſchen, das
hreißt: 1 Gr. 6 Pf.; das zugleich rechnet: 2 Or. NB. Bringen
abe die Schulmeiſterinnen den Mädchen zugleich das Nähen und
anDere Arbeit bei, können fie ſich deshalb mit den Eltern bejon-
vers vergleichen. Und überdies dürfen die Schulmeifter nichts
for Dern. Den Eltern aber bleibt frei, wenn fie der Echulmeifter
Irenie und Fleiß ſehen und e8 vermögen, ein Mehreres aus freiem
Wi Men zu geben.
6. 2. Holz: und Sahrmarktsgeld aber, wo ed eingeführt
iſt, bleibt; doch werden die Schulhalter hierin mit dem zufrieden
RR „ was die Eltern aufbringen können, da vielleicht bemittelte
En das erfeßen werden, was aͤrmere nicht geben fönnen.
V. Bon dem Verhalten der Eltern.
F. 1. Weil die beften Schulanftalten unzulänglic find, wo
nid, audy die Eltern dad Ihre thun, fo werden alle Eltern hier-
bei nachdrüdlich vermahnt, ihre Kinder bei Zeiten zur Schule zu
ſchã en, und fie nicht erſt in aller Bosheit aufwachſen und wol
SM ohne Information wie das dumme Vieh hingehn zu laßen, wor-
m ihnen eine ſchwere Verantwortung vor Gott, dem gemeinen
=> Ten, eine dem Namen Ehrifti Höhft ärgerlide Ver—
te Xhnie in allen Ständen, und den Predigern, die dergleichen
— 26 —
verfäumte Kinder hernach zur Präparation zum h. Abendmal te
fommen, eine unerträgliche Laft und Drud des Gewißens m
wächft.
8. 2. Erwählen denn aber Eltern einen chriftlichen Infor
mator für ihre Kinder, jo müßen fie die Kinder ordentlich ſchicen,
auch in den Wochen, wo Feſt- und Bußtage einfallen, und nicht
um deßwillen, daß ein oder etlihe Tage ausgehen, die Kinder bie
ganze Moche zu Haus behalten, weil daraus gleich ein Verfäum-
nis und Schaden für die Kinder entfleht. Viel weniger müßen
die Eltern eine oder paar Wochen die Kinder fchiden, und dann
wieder etliche Wochen zu Haufe behalten, auf die Weile fie un⸗
möglid was gründliches lernen Fönnen. Auch müßen die Kinder
nicht eher au der Schule genommen werben, bis fie fertig leſen,
den Katechismus koͤnnen, und wenigftend zur Not fehreiben gelernk ;
alsdann haben die Eltern dahin Sorge zu tragen, daß die Kinder
zu Haus nicht wieder vergeßen, was fie in der Schule gelermf
haben, und bei der Präparation zum Abendmal mit ihnen nidy®
wieder von vorn angefangen werben müße.
6. 3. Und da fihs während der information zutrages®
follte, daß die Eltern wider den Schulmeiſter Klage hätten, ode
die Kinder wider ihn was anbrädten, fo thun verftändige Glterzs®
wol, daß fie ihren Kindern nicht Alles glauben, fondern nachfrages®
und mit dem Schulmeifter in Liebe ſich beſprechen. Wie dens®
überhaupt fehr dienlich ift, daß die Eltern mit den Schulmeifteres
in gutem Vernehmen ftehn, ihnen ihrer Kinder Unarten aufrihtigg
entdeden und gern fehn, wenn fie deshalb Nachfrage haltem—
Könnten fie aber eine gegründete Klage mit den Schulmeifterss
nicht abtbun, haben fie felbige den Predigern zu. entdeden, nicht
aber um beßwillen die Kinder gleich aus der Schule zu nehmen
und zu einem andern Schulmeifter zu thun. Wie dann das ofl>
malige Verändern der Schule den Kindern überhaupt fchäblic if,
und Eltern nicht zu raten. Am wenigften müßen fie um be
willen die Kinder von einem zu dem andern ſchicken, weil fie bad
Schulgeld dem erfteren ſchuldig geblieben und damit ihm a
wifchen wollen. Ein Arbeiter ift feines Lohnes wert, und es if
feine geringe Sünde, wenn man folchen Lohn zurüdhält,
— 1 —
5. 4. Wären aber Eltern fo arm, daß fie das Schulgeld
nicht aufbringen koͤnnten, fo baben fie fidy bei den Predigern zu
melden, die alle mögliche Sorge tragen werden, daß die Kinder
dem ungeadhtet zur Schule gehalten werden können.
F. 5. Schließlich iſt aller chriſtlichen Eltern Pfliht, für
ihre Kinder zu beten, ihnen mit erbaulihem Wandel vorzu-
gehen, fie vom Müßiggang und von der Gaße abzuhalten, hin⸗
gegera zu allem Guten, abfonderlih zum Gebet und Gehorfam
ggen ihre Lehrer anzumahnen, nach dem, was fie in der Schule
gelewnt, nachzufragen, den Katechismum und bie gelernten Sprüche
mit ihnen zu wiederholen und alfo den Schulmeiftern zu Hülfe
u Eommen. Thun fie diefes, fo ift fein Zweifel, ihre Kinder
werden Gott zu Ehren, dem gemeinen Weſen zum Beften und
men zur Freude erwachfen oder fie wenigftens ihre Seelen
an ihnen erretten,” |
—— — — *
König Friedrich IL ſah das von feinem königlichen Vater
beg Tuündete Volksſchulweſen als ein theueres Erbe an, daß feiner
beſo andern Fürforge anvertraut war. Daher beftätigte er jofort
nad feinem Regierungsantritt durch Edikt d. d. Ruppin ben
13. Oktober 1740 „ale von feines in Gott rubenden Herrn
Vaters Majeität in Schulfachen erlaßenen Befehle und Regle⸗
mena Es, daß felbige in der völligen Kraft, Autorität und Verbind-
lid) FT eit fein und bleiben Sollten.” Indeſſen überzeugte fich Fried⸗
rich alsbald ‚ daß die Schulordnung von 1736 in einer großen
Mal von Parochieen feines Landes, nemlich in faft allen adlichen
DOoxffgaften noch faft gar nicht vollzogen war. Die meiften
ED elleute fanden es ebenjo läftig als koſtſpielig, für die Einrich⸗
wng von Schulen in ihren Dörfern Sorge zu tragen und dachten
dar nicht daran, ihre Bauern mit der neuen Bultur zu behelligen.
Durch Nefeript vom 29. October 1741 erließ baher der König
an die Regierung zu Berlin und Königdberg den Befehl, alle
&belleute des Landes durch die Amtshauptleute anzubalten, daß
„fie ſich die Schuleinrichtung in ihren Dörfern mit Gifer ange
_ 28 —
legen fein ließen, mithin folche baldmöglichft zu Stande und |, ur
Endſchaft bringen würden ;” und zwar follten „in Zeit von einem
halben Sabre die nötigen Schulen in den adlihen Dürfen ge
baut fein.” Dabei follte e8 „den Edelleuten zwar freiftehn, den
Unterhalt der Schulmeifter nach eigenem Gefallen, doch derge-
ftalt zu reguliren, daß der Schulmeifter von den oneribus frei
fein und auf einige Stüde Vieh die Weidefreiheit zu geniegen
hätte. Es müfte audy jedem ein Stud NAder, zwölf Scheffel
Getreide und 10 Rtbir. Schulgeld fammt dem nötigen Brennholz
und Futter für fein Vieh ausgemacht werden, damit die Schul-
meifter den nötigen Unterhalt haben und im Winter fowol als
im Sommer, wie in den Wemterjchulen, Die Jugend unterrihtet
und zur Erkenntnis Gotted und feines Morted gebradt werden
fönne.” Zu diefem Zwecke jollten die Hauptämter „von einezmi
jeden unter fie gehörigen von Adel eine specifique Nachricht, wa
der Schulmeifter feines Orts zum jährlichen Unterhalt nebft eine?
eignen Schulmohnung befommen folle, erfordern und foldhe Nach⸗
richten in Zeit von vier Wochen einfenden.” Würde nun wü—
der alles Verhoffen der eine oder andere Adliche diefem Befehle
nicht nachkommen, fo follten die Aıntshauptleute die Saͤumigent,
„wofern nemlich derfelben Güter bdergeftalt fituirt, daß daſelb N
eine Schule unumgänglich nötig ſei, ohne Die geringſte weite €
Nachricht mit Ernft anhalten.” Da aber, wo die adlihen Die
mit den Föniglichen Amtsbörfern zufammen Tagen, follte verfügg*
werden, „daß die Eigentümer oder Befiger derfelben dem gemeis® =
Ihaftlihen Unterhalt der Schulen ohne ferneren Verzug beitreten -
Leider fam es in den nächftfolgenden Jahren und Ja
zehnten nur zu oft vor, daß die Beamten des Königs von dert
ihnen in dieſem Refcript erteilten Vollmacht Gebrauch machen us
die Edelleute zur Befolgung des Königlichen Willend in ernſteſte? #
Weife anhalten muften. Aber eben jo, wie die Edelleute, be
durften auch die Schulmeifter felbft einer unausgefehten Zur —
weıfung und Grmahnung zur Erfüllung ihrer Pflichten, weshal
Friedrich denjelben dur; das Edikt „von Verbeferung des Shu>
wejens“ vom 23. Oftober 1742 einfchärfen lie: Da die Shul-
meifter und ihre Gefellen ftatt der Eltern find, fo follen fie ſich
— 9% —
Jugend aufs treulichſte annehmen, und fie im Katechismus
anderen guten Künſten mit Fleiß unterrichten, auch die Ge⸗
e in den Kirchen vermöge der Kirchenordnung zur gebürlichen
nach der Pfarrer Rat mit Fleiß halten. Aus dem Katechis—
und der h. Schrift fol nur dasjenige zu lernen aufgegeben
ven, was auf die Gründung des Ghriftentumd am meiften
elt. Diejenigen handeln aber ganz verkehrt, welche meinen,
Augend fei mit dem Auswendiglernen fo viel ald möglich zu
onen. Don demjenigen, was gelernt wird, muß der nots
tige Verfland der Worte und der darin enthaltuen Lehren nad)
nach erklärt werden. Hierbei ift vor Allem das Gewißen
Buß> und Glaubensprüfung,, zur Erneuerung des Tauf⸗
des und zur Furcht Gotted zu führen. Die Pfarrer follen.
zu wie zu allem Uebrigen den Schulmeiftern die nötige Ans
jung erteilen.
Im folgenden Sahre 1743 jah ſich der König veranlaft, die
dauernde Gültigkeit der früher publizirten Schulgefeße nod-
8 erinnerlich zu machen und zu gewährleiften, indem er in
I „Reglement wegen Erhaltung des auf dem platten Lande in
ußen eingerichteten Schulwefens” vom 2. Januar 1743 be:
l, „daß es bei dem einmal feftgefeßten Schulenplan und der
y demfelben gemachten Einrichtung beftändig fein Verbleiben
en und dawider feine Veränderung, unter welcherlei Vorwand
auch fein möchte, vorgenommen oder gemacht werden fol.“
Vebrigen machten ed die politifchen Unruhen und die krie—
ſchen Greigniffe, weldye damals eintraten, dem König bis
Jahre 1763 unmöglidh, dem Volksſchulweſen eine bejondere
fgfalt zuzumenden. Zu bemerken ift nur, daß Minden und
vensberg unter dem 6. April 1754 eine Landſchulord—
ng erhielten, daß namentlich i. %. 1759 in Schlefien einzelnes
Beßerung der Dorfſchulen geſchah, und daß in Altpreußen
Schaden, den der Krieg dem Schulmwefen zufügte, teilweife
der fremden Kriegsmacht, weldye das Land bejekt hatte,
der bejeitigt wurde. *)
*) Bgl. was in den Nova acta hist. eccl. IV. S. 1115 — 1116 erält
: „Obgleich die Landfchulanftalten im Königreich) Preußen antanglih , inlon-
— BB —
Um fo bebeutender war dagegen um biefe Beit die Wirle-
jamfeit eine8 Mannes, der mit zu den Vätern des preußiige =
Volksſchulweſens zu zälen if. Es war dieſes der eifrige Paͤdago g
Johann Julius Heder, der ſchon feit 1730 in Berlin Die
erfte Realſchule Deutſchlands und mit derſelben zugleih eüm
Schulmeiſterſeminarium errichtet hatte, *) und jegt dadurch men
noch bedeutenderen Einfluß auf das Volksſchulweſen ded Landes
erhielt , daß alle Inſpectoren angewiejen wurden, ihm von jeber
in einem königlichem Amte vorlommenden Vacanz einer Küfer->
uud Scyulmeifterftelle fofort Anzeige zu machen und über die Deo:
derheit in den Hanptämtern Memel, Tilfit, Ragnit und Infterburg und einigen
angrenzenden Orten einen ziemlich harten Stoß befommen, und durd die imegu-
lären feindlihen Truppen viele Schulhäuſer ruiniert, aud die Gchulmeifter ſehr
mitgenommen worden und das ihrige eingebüft hatten: fo bat doch die göttlüge
Vorfehung und Güte es bald zu ändern gewuſt, indem der damals en che!
commandirende ruffifch-faiferliche General, Reichsgraf v. Fermor, auf Vorfiefliuy
der Epezialfhulcommiffion die Reſolution nicht nur erteilt, Daß die guten Cinrih
tungen des Schulweſens im Königreich Preußen nad wie vor im guten Etandk
erhalten und darauf aller Fleiß und Mühe verwendet werden folle, jondern auf
zugleich nachgegeben bat, daß die ſchon vorhin zur Wiederherftellung der verungludter
Schulmeifter und abgebrannten Schulhäufer angeordnete aber nicht zu Steande
gefommene Collecte zur Wirklichkeit gebracht werden follte. Hierbei ifts nidt g-
blieben, fondern es bat auch nachher, da das Schulweſen im Memelfchen Til!
dur die Kriegsunruhen in Verfall geraten, der damalige Gouverneur zu König
berg (d Korff) nit nur aus einem außerortentlihen Fonds die erforderlihen
Belder zum Unterhalt der armen Schulmeifter an den (Erzpriefter zu Memd
auszalen, fondern aud zur Aufrechthaltung des Schulweſens die nadydrüdlicken
Befehle ergehen laffen, und unter Anderm auch anbefohlen, die zurüdgebliebenen
Einkünfte an Getreide beizubringen und den Schulmeiftern zuzuſtellen. Und dt
nachher bei den Durchmärfchen der ruffifhen Truppen die Schulen bier und de
mit Einquartirungen beläftigt worden, fo ift auf geſchehene Anzeige fofort von
dem kaiſ. Gouvernement Befehl an die Beamten ind Land ergangen, daß dk
Schulen mit inquartirungen und die Schnlmeifter mit Youragelieferungen der
ſchont bleiben follten. Bei diefen fo günftigen Umftänden für das Schulweſen ins
geihehn, daß felbft unter den Anruhen im Lande in unterfchiedenen Hauptämien
noch neue Schulen angelegt und dadurd die vorige Anzal der Landſchulen, Mt
fi) vor ſechs Jahren ſchon über 1770 erftredte, ziemlich vermiehrt worden“ —
) Vgl oben B. I 6. 59,
— 831 —
n der erledigten Stelle Nachricht zu geben, damit ſodann die
üften Seminariften auf die geeigneten Stellen befördert wer⸗
könnten. Auch wurde den Predigern aufgegeben, jeden Schul-
er nicht anderd ald mit Vorwißen des Propfted und nad
egung eined Zeugniffes über feine Lehrtüchtigkeit auzuftellen.
entlich durh ein Reſcript an alle Kriegs- und Domänen-
nern vom 8. April 1750 ſowie durch ein anderes Refcript
25. September 1752 an die Regierung und das Conſiſtorium
Stettin und an das Gonfiftorium zu &öslin, und durch Gir-
verorbnung vom 1. Dectbr. 1753 wurde das Hederfche Se-
r zum Mittelpunkt des geſammten Volksſchulweſens erhoben,
ı namentlidy verfügt wurde, daß alle zur Grlebigung kom—⸗
en Eöniglichen Küfter- und Schullehrerftellen möglidhft mit
jecten aus dieſem Seminar bejeßt werden follten. Hecker
wurde zum vortragenden Rat im geiftlichen Departement
zum Mitglied des Dbereonfiftoriums ernannt. Dem Seminar
der König zur Unterhaltung von 12 Seminariften eine jähr-
Unterftügung von 600 Rthlr. zu. Als daher das fieben-
ge Kriegsgetümmel endlidy verftummte und Friede und Ruhe
e preußifchen und deutſchen Lande zurüdfehrte, war einer ber
erſten Gedanken des Königs der, das Volksſchulweſen der
ardhie von dem neuen Mittelpunfte aus, den es in Heders
inar gewonnen batte, vollftändig zu reformiren. Schon
!: dem 8. Febr. 1763, aljo fieben Tage vor dem Abfchluß
Qubertsburger Friedens, erließ der König von Leipzig aus
en Eurmärkifchen Kammerdireftor Groschopp eine Ordre, worin
tmfelben eröffnete: „daß bei der bald und mit Nächftem her⸗
enden öffentlichen Ruhe er fein Augenmerf mit darauf ges
t babe, daß die vorhin und bisher fo gar fchlecht Beftellten
len auf dem Lande nady aller Moͤglichkeit verbeßert und folche
nicht fo gar unerfahrenen Leuten weiter-befegt werden müften.
jet gefonnen, hiermit zuvörderfi den Anfang in den Amts-
rn der gefammten Kurmark zu machen und wolle, daß zu
Imeiftern darin feine andern als Diejenigen genommen würden,
e der K. R. Heder dazu vorgejchlagen oder wenigftend exami⸗
und genugjam tüchtig befunden habe, mithin die Veamken
— 32 —
mit Beſtelluug der Dorfſchulmeiſter ſich nicht mehr abgeben, ſo ra⸗
dern dieſe von der Kammer geſchehn ſollte.“
Das Volksſchulweſen war hiermit zum erſten Male unter
die ordentliche Auffiht und Leitung einer Behörde geftellt. Zus:
glei) war der Xehrerberuf, indem für denſelben ſeminariſtiſche
Vorbildung gefordert wurde (wenigſtens für die Zukunft), von
dem Handwerk emanzipirt — und als eigentümlicher Beruf aner⸗
kannt und gewürdigt. Indeſſen genügte der Einfluß des Hederijhen
Seminare doch nicht, um dem noch ganz im Argen liegenden
Volksſchulweſen aufzuhelfen. König Friedrich brachte daher aus
Kurſachſen acht Schulmeifter mit nad) Brandenburg, von denen
vier in EZöniglichen Amtsdärfern der Kurmark, und vier in koͤnig⸗
lichen Amtsdörfern Hinterpommernd ald Muſterlehrer angeſtellt
wurden. Durch Erlaß vom 12. Febr. 1763 erteilte Friedrid dem
Staatöminifter v. Danfelmann den Befehl dafür Sorge zu trageıt,
daß diefe acht Lehrer „alles dasjenige, fo fie bier (in Kurſachſen)
an Gehalt und Emolumenten jährlidy gehabt, bei ihrem dortigen
Gtabliffement wieder befommen und nichts deshalb verlieren ſollen,“
indem er binzufegte, daß die Landſchulmeiſter in der Kurmarf une
Pommern „gemeiniglich fchleht im Gehalt und dergleichen feden-“
Noch wichtiger jedoch, als diefe Anordnungen, war Die
Publizirung einer neuen Schulordnung, welche der König beihlo B-
Friedrich erließ nemlicdy unter dem 1. April 1763 an den Staats⸗
minifter v. Danfelmann den Befehl, ein Reglement für das Lan D⸗
Ichulwefen der gejammten Monarchie ausarbeiten zu laßen, indez#t
er zugleich Die Gefichtspunfte, nad) denen das Reglement aufge”
ftellt werden folte, jelbft angab. Die Vollziehung diefes Befeh 18
übertrug der Minifter dem Rat Heder, der am 23. Juni beit
Entwurf eines Reglements demfelben vorlegte. Der Minifter lief
bierauf die Arbeit Hederd dem Oberconfiftorium zur Begutachtung
zugehn, von welchem diejelbe, mit einigen Abänderungen verlehn,
durch den Minifter unter dem 12. Auguft dem Könige zur Prüfung
eingefandt wurde. Am 23. Septbr. 1763 wurde das Reglement
vom König unterzeichnet und hierauf durch Girfularrefcript vom
2. Octbr. 1763 allen Regierungen und Sonfiftorien zur Publication
zugejandt. |
Yiefed neue, beziehungsweife erfte Generallandſchul—⸗
sent der preußifhen Monarchie war die ausführlichfte
faßendſte aller bisher erjchienenen proteftantiichen Schuls
en, Die traditionelle firdyliche Auffaßung der Volksſchule
3 Schulmeifteramted war in derjelben ftreng feftgehalten
feiner Weije war den aufflärerifchen Theorieen der dar
Beit irgend weldyer Einfluß auf das Reglement geftattet.
x wurde in demjelben verlangt, daß das Volk lediglich
n, Beten, Singen, im Schreiben und Rechnen, im States
und in der bibliichen Geſchichte unterrichtet und chriſtlich
werben follte.
as preuß. Schulreglement ift jo ausführlich, daß bier, da es
zu wiederholten Malen abgedrudt ift, (3.8. bei Neigebauer
(8) nur folgente Stellen aus demjelben mitgeteilt werden, in
ade der Charakter diefer jo wichtigen Schulordnung hervortritt.
le Eltern und Pflegeeltern follen ihre Kinder, „Knaben
ädchen, wo nicht eher, doc höchſtens vom fünften
ihres Alters an in die Schule ſchicken, audy- Damit
b bis ins dreizehnte und vierzehnte Jahr
ren, und fie fo lange zur Schule halten, bis fie nicht nur
ötigfte vom Chriftentum gefaft haben und fertig -
d fchreiben, fondern auch von demjenigen Rede und Ant
ben Eönnen, was ihnen nad den von den Gonfiftoriis
sten und approbirten Lehrbüchern beigebracht werden fol.“
n Betreff der Sommer: und Winterfchulen wurde bes
„daß die Winterfchulen an allen Wochentagen Vormittags
-11 Uhr, und Nachmittags, den Mittwod) und Sonnabend
mmen, von 1—4 Uhr gehalten werden follen. Die Wins
geht von Michaelis bis Oſtern unausgefegt fort. Die
richulen aber follen nur des Vormittagd oder nad, den
ven des Orts Nachmittags in drei Stunden alle Tage
he gehalten werden. Um weldye Stunden des Tags aber
terricht feinen Anfang nehmen fol, ſolches werden die
r nad den Umſtänden ihres Orts beftend zu beſtimmen
zurichten wißen. Keine Ferien werden verftattet, jondern
ı der Erndte müßen die Echulen. auf vorgedachte Art ge⸗
Boltsſchulweſen, 8.
— 34 —
halten werden; doch mit dem Unterſchied, daß im Winter =
jede Section eine ganze Stunde, Dagegen im Sommer uur ek
halbe Etunde darauf gewentet werben fol.“
Die Küfter und Schulmeifter und deren Anjtellung betreffer
wurde hefohlen:
„Es muß ein Schulmeifter nicht nur hinlaͤngliche Geſchic
lichkeit haben, Kinder in den nötigen Stüden zu unterrichten
fondern auch dahin trachten, Daß er in feinem ganzen Verhalte
ein Vorbild der Heerde fei, uud mit jeinem Wandel nicht wiederum
nieberreiße, was er durch feine Xehre gebaut hat. Daher ſollen
ſich Edyulmeifter mehr ald Andere der wahren Gottfeligfeit befleipign
und alles dasjenige verhüten, wodurch fie den Eltern und Kindern
anftößig werben können. Vor allen Dingen müßen fie ih fr
fümmern ym bie rechte Erkenutnis Gottes und Ghrifti, dani,
wenn dadurch der rund zum rechtſchaffnen Wejen und wahre
Shriftentum gelegt ift, fie ihr Amt vor Gott in der Nachfolge vb
Heilandes führen, und alfo darinnen durch Fleiß und gutes Exemyel
die Kinder nicht nur auf Das gegenwärtige Leben glücklich machen
fondern auch zur ewigen Seligfeit mitzubereiten helfen.“
„Es müßen aber überhaupt auf dem Lande feine Küft‘
und Echulmeifter ind Amt eingewieſen und angeſetzt werden, el
und bevor fie von den Inspectoribus egaminivt, im Examı
tüchtig befunden und ihnen cin Zeugnis der Tüchtigkeit mitgegeb:
worten. &8 fol aljo Fein Prediger befugt fein, einen als Küft
und Echulmeifter zur Kirhen> und Schularbeit zu abmittire
wenn er nicht gedachtes Zeugnid des Examinis und daß
darinnen wol beftauden,, beigebradyt.” (Kür die Landſchule in d
Kurmark wurde die ſchon früher erlaßene Verordnung wiederhol
„daß Feine zu Edulmeiftern und Küftern angenommen werk
jollen, als weldye in dem furmärfiicen Küfter- und Echuljem
nario zu Berlin eine Zeit lang gewejen, und darin den Seidenba
jowol als die vorteilhafte, und bei den deutſchen Schulen di
Dreifaltigfeitöfire eingeführte Methode des Schulhaltens gefa
baben.“)
Die „CS chularbeit” betreffend, wurden die Küfter und Schu
meifter „vor allen Dingen eruftlich erinnert, ſich jebesmal zu
— BB —
Information durch herzliches Gebet für fih vorzubereiten, und
von dem Geber aller guten Gaben zu ihren Verrichtungen und
Berufsarbeit göttlichen Segen, Weitheit und Geduld zu erbitten;
infonderheit den Herrn aufleben, daß er ihnen ein väterlich ges
finntes, mit Ernſt und Liebe temperirtes Herz gegen die auvers
trauten Kinder verleihe, damit fie alles willig und ohne Verdruß
verrichten, was ihnen ald Lehrern zu thun obliegt, eingedenf, daß
fie ohne den göttlichen Beiftaud des großen Kinderfreundes Jeſu
unD feines Geifted nichts auszurichten vermögen, auch der Kinder
Herzen nicht gewinnen Fönnen. Unter der Information felbft
baben fie nicht weniger aus Herzend Grund zu feufzen; damit fie
nicht allein felbft ein wolgefafted® Gemüt behalten, fondern audy,
daß Gott ihren Fleiß fegnen und zu ihrem Pflanzen und Begießen
ſein guädiges Gedeihen von Oben geben wolle, weil alles wahre
Bute dur die Gnade Botted und die Wirkung Seines Geiſtes
in Den Kindern muß gewirkt werben.“
Um die Vollziehung und VBefolgung dieſes Generallandidjulr
reglements thunlichft zu fichern,, wurde al8 Nachtrag zu demfelben
unter dem 1. März 1764 ein „Circulare an die Inspe-
Stores, die Shulpifitationen betreffend“ publizirk,
worin den Inſpectoren aufgegeben wurde, alle Schulen ihres
Bezirks alljährlidy in der Beit zwiſchen Oftern und der Erndte zu
ifitiren und dabei über folgende „Schulvifitationsfragen“
ürkundigung einzuziehen: *)
„1) Wie der Schulmeifter heiße und ob er Die nötige Ges
hicklicyfeit zum gehörigen Unterricht der Jugend beige; 2) ob er
ie Schulſtunden nad Vorſchrift des Generallandfchulreglements
ebörig abwarte, und ob die im Neglement befannt gemachten
Achulbücher in der Schule vorhanden und bei den Kindern ges
Auıdyt werben; 3) ob ein Inventarium von Schulbüdern für
me Schulfinder in der Schule vorhanden und was für melde
> ſeien; 4) ob ſowol der Schulcatalogus vorſchriftsmäßig vor«
Amden als auch das monatliche Verzeichnis der vorhandnen Schul⸗
inder richtig geführt werde; 5) ob der Schulmeiſter auch bes
— —
) Bel. Nova acta hist. eccl. V. &. 335— 341.
ge.
— 3 —
Sonntags tie Schulkinder ordentlich in die Kirche hinein: us)
wieter herausführe; 6) ob die Küſter und Schulmeiſter Pe$
Eonntags in der Schule eine Wiederholungsftunde halten, ussd
fih Darin die unverheirateten Perfonen im Leſen und Schreiben
üben; 7) ob an ten Orten, wo die Küfter und Schulmeifter mit
den Predigern tie Filiale nicht bereifen Dürfen, felbige mit dem
Kindern nah ber Predigt audy in der Kirche fingen und fie den
Katechismus herſagen laßen; 8) ob in der Gemeinde erhebliche
und gegründete Klagen vorhanden, daß der Echulmeifter in der
Zucht der Kinder nicht weislid, verfahre, und ob in Fällen, we
nahdrüdlichere Beſtrafungen erforderlidy geweſen, derjelbe auch
des Rats des Predigerd ſich bedient habe; 9) ob alle Kinder,
die über fünf Jahre alt find, zur Schule gehalten werden; 10) ©E
auch feine Kinder vor ihrem vierzgehnten Jahre aus der Schule
genommen werden, ohne Daß zuvor der Jujpector auf vorgängiges
Zeugnis des Ecyulmeifterd und Predigerd einen Erlaßſchein er»
teilt babe; 11) ob aud die Eltern und Vormünder die Kinder
nad) Vorfchrift des Landfchulreglementd zur gehörigen Zeit des
Minters und Eommerd zur Schule anhalten; 12) ob diejenige
in der Gemeinde, die hierin ſäumig find, von dem Prediger und
Edyulmeifter der Obrigkeit angezeigt werden, und ob von te
Obrigkeit felbige auch durch Zwangsmittel zu ihrer Schuldigkeit
angehalten und alenfalld die gefegten 16 Gr. Strafgelder beize
trieben und dem Inſpector zur weiteren Beſorgung zugeftellt wor
den; 13) ob der Prediger alle Woche die Schule dem Laudfdul
reglement gemäß beſuche und fi den Ecyulcatalogum vorzeigen
laße, um, wo ed nötig, Die finder durch dienlicye Grinnerunge
zu beßern ; 14) ob audy Die Prediger des Sonntags Katechifationk
und Wiederholungsſtunden in der Kirche halten; 15) ob monatlid
in der Pfarrwohnung mit den Edyulmeiftern in matre und dm
Silialen Scyulconferenz gehalten und nach Vorſchrift des Rand
ſchulreglements $. 25 das Nötige regulirt werde; 16) ob auf
bie Prediger am Michaelisſonntag die fogenannte Schulpredigt
gehörig gehalten und das eingefommene Geld dem nfpecter
überfandt haben; 17) ob die Küfter und Schulmeifter einen aw
fändigen Wandel führen und weder Eltern noch Kindern in de
— 37 —
chule und außer derſelben ein Aergernis geben; 18) ob das
Aulgeld ordentlich, auch für die armen Kinder, und aus wel
em Fonds entrichtet werde.“ —
Allein ſo vortrefflich auch die neuen Verordnungen waren,
war es doch kaum möglich, dieſelben zur Ausführung zu brin⸗
ı, — weil weder Die Gerichtsherrſchaften, noch Die Gemeinden,
ch tie Schulmeifter derſelben nachleben wollten. Namentlid) fah
>) die Regierung in den adlichen Törfern faft nach allen Eeiten
ı gehemmt *); denn Die meiften ablichen Patrone wollten gar
ht, Daß das Schulreglement vollzogen werde, weil fie befürchtes
„ daß die flupide Folgfamkeit ihrer Bauern in den Schulen zu _
-unde gehn möchte. — Andrerſeits feßten Die Gemeinden na⸗
ntlih der Einrichtung der Sommerſchulen den hartnädigften
iderſtand entgegen. In Pommern muften ſich desfalls bie
ſtlichen Behörden in der fonderbarften Weife mit den Gemein-
ı abfinden und an einzelnen Drten die Sommerfcyulen für Die
it von 5— 8 Uhr, an andern von 10 oder 11—1 Uhr, a
Sen Abends von 5— 8 Uhr anordnen. — Auch die in dem
Bulreglement befohlene Erhöhung des Schulgeldes war nur an
Die Drten durchzuſetzen. — Das jchwierigfte Hindernis fans
n indeffen Die Konfiftorien in den Küftern, die in Umwißenbeit
d Rohheit aufgewachfen, zur Vefolgung der Schulordnung ganz
— — ——
*), Ein Geiſtlicher berichtete damals (3. Januar 1764) an Hecker zu Berlin:
ie meiften Unterobrigkeiten und Patrone befümmern fid gang und
: nicht um das Schulweſen. Weil viele von ihnen Bott felbft nicht kennen, fo
en fie es nicht einmal gern, daß ihre Untergebenen eine Erkenntnis von Gott
ven. Denn fie müßen fich ſchämen, wenn ihre Unterthanen hierin klüger wären
fi. — Biele halten eine vernünftige und hriftlide Erziehung
rer Unterthbanen für überflüßig und unnötig Wenn der Bauer nur
gen, mähen und drefchen kann, dann ift er fhon ein guter Bauer, er mag
'igens wißen, ob ein Gott fei oder nit. Ja folten Em. ıc. mol glauben,
6 viele Unterobriglfeiten eine anftändige Erziehung ihrer Un-
:thanen ihrem Intereffe zuwider halten? Man glaubt. je dümmer
Untertdan ift, defto eher wird er fih Alles mie ein Biel gefallen laßen.
mm wenn der Bauer nicht fehreiben fann und ohne des Edelmanns Wißen auch
yt verreiſen darf, fo bleibt die in unſerem Lande befindliche Barbarei noch am
yerften verborgen.” —
— 38 —
unfähig waren. Dazu kam, daß die Schulmeiſter in Folge ihre!
jämmerlichen Beſoldungen gradezu gezwungen waren, ihr Gewer De
als ihren hauptſächlichſten Beruf zu betreiben. Daher liefen Em
Berlin von allen Seiten ber Klagen über die Unausführbartett
des Meglements ein. Die Regierung und das Gonfiftorium det
Neumark ftellte den traurigen Zuftand der Schulen dieſes Bezir Es
vor: „Nirgends feftes Gehalt, allenthalben Hirten oder Han D>
werfer, bie kaum lejen, gefchweige fchreiben, viel weniger Reik +
gionsunterricht erteilen fonnten; fchlechte oder gar feine Schu
bäufer, und Aemter und Patrone, Die ihr Unvermögen vorſchük—
ten *).“ — Aus dem Magdeburgifchen wurde in anonymen Brit
fen geflagt, daB das Reglement die Bauern auffäßig mache, inte —M
fie den Schulmeiftern ihre Fixa entziehen wollten, wenn diefe —
höhtes Schulgeld forderten. „Auf Nachfrage bei der Magdebu ——
giſchen Regierung und dem Confiftorium zeigte fi) auch die Wahz
heit diefer Auflagen, jedody waren von dieſem Gollegio berei"?
ſehr verftäntige und befonnene Maßregeln ergriffen worden. —
Die Mintenfhe Kammer berichtete an das Generaldirecteriurm
unter dem 9. Juni 1764, daß fie zwar dad Reglement den Land
und Steuerräten, Beamten, Magiftraten, Gerichtd-Obrigkeiten und
Fiscalen mit dem Befehl, ed publiziren zu Taßen, zugefertigt, dap
aber die Regierung und das Confiftorium die Publication inhibirt
und nad) Hofe berichtet babe, damit es bei der Schulordnung
- vom 6. April 1754 belaßen werde. — Das Oberconfiftorium zu
Breslau brachte ftatt des Reglements eine abgeänderte und durch
Hinzunahme der Beftimmungen vom 15. Dechr. 1759 modifiirte
Schulordnung in Vorfchlag, deren Entwurf auch im Oberconfifte
rium ſehr zmwedmäßig befunden wurde. — Durch alles dieſes
wurde nicht allein Die allgemeine und nachdrückliche Durchführung
der neuen Beftimmungen verzögert und gelähmt, fondern ed wur
den audy mancherlei Abänderungen, Declarationen und Modifica
tionen notwendig. Zuerſt wurde der $. 7 für Magdeburg, nad
mald auch durch ein Refcript an dad Oberconfiftorium zu Verlin
und an dad Gonfitorium zu Minden dahin erfärt, daß, wenn ber
*) Bededorff IL. ©. 40.
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A.
141 em
7
— 39 —
zulmeiſter außerdem durch fixirtes Einkommen oder Accidenzien
länglich geſichert ſei, die Erhöhung des Schulgeldes wegfallen
nte; für Minden und Ravensberg aber ward das neue Regle⸗
nt mit der älteren Schulordnung zufemmengefchmölzen; und im
gemeinen ward Die angeordnete jährlidhe Schulvifitation durch
Anfpectoren (die für die ihnen zugemutete Mühwaltung ange:
zene Remmneration verlangt hatten,) wieder aufgehoben und
t deſſen feftgefeßt, daß über jede Landfchule gewiſſe Catalogi
ahrt und jährlich) zweimal an das Konfiftorium eingefandt wers
jollten *).” Außerdem wurde den Beiftlihen in Pommern
ch ein Regierungsausfchreiben befohlen, daß fie fich nicht allein
armen Scyulfugend felbft annehmen, fontern auch „bie unwißen:
Küfter und Schulmeifter zu ihrem Dienfte beftmöglichft zus
eiten und zu folhem Ende im Frühjahr, Sommer und Herbft
Hentlid, zwei Tage beftimmen und an denſelben die Schnl
ter jeglihen Taged auf zwo Stunden zu fidy beicheiten, und
ıen nicht nur im Lefen, Echreiben und Rechnen Lectiones, fon
m auch eine Anmweifung zum Satechifiren nnd einer beutlicheren
brart geben, auch damit einige Jahre fortfahren” follten.
An den Inſpector des lutheriſchen Miniftertums zu Eleve
ließ der König durch die Regierung zu Gleve die Verordnung
. Septbr. 1769), „1) daß fünftig Die Prediger in der Erndte
ht mehr denn 4 Wochen Serien geftatten und die Echulmeifter
weifen müßen, binnen folder Zeit, bejonderd an Sonn⸗ und
iertagen die Wieberholungsftunden fleißig abzuwarten. 2) Haben
: Prediger auch dahin zu fehen, daß die Jugend fo zur Com⸗
mion gehen will, bad Leſen und Schreiben ſattſam gefaft habe,
D daß dazu Feine jungen Leute zugelaßen werben, weldye nicht
nigftend das Lefen verftehen. 3) Iſt den Prebigern das fleißige
techifiren nochmals ernftlich einzubinden, und müßet ihr und Die
bdelegati darauf Die exactefte Aufficht nehmen. 4) Habt ihr
bt lüaftig bei Prüfung der Kandidaten des Predigtamtes auf
Geſchicklichkeit im Katechiſiren vornehmlich eure Aufmerkfamkeit
tzurichten, und die darin untüchtig befunden worben abzuwelfen.
*) Cbendaſ. G. 40- 41.
— 49 —
5) Iſt es Fünftig mit den Fleinen fog. deutſchen Stabtfhr-
len, worin feine anderen Lectiones als über das Chriftentum,
Lefen, Rehnen und Schreiben gefhehen, auf gleichem Fuß
wie mit den Landſchulen in Anfehung der jährlichen Echulfataloge
zu balten.”
Um die Stadtſchulen der Kurmarf zu Heben, befahl
der König dem Oberconfiftorium , den Zuſtand Derjelben genau ju
unterfuchen und alle unwürdigen und unbrauchbaren Echulmeifter
aus denſelben fofort zu entfernen, indem in Zukunft Fein fäbt
Scher Lehrer in der Kurmark ohne Genehmigung des Oberconfite
rium3 angeftelt werden follte. Die fpezielle Beaufjichtigung de
Stadtfchulen wurde den VBürgermeiftern anvertraut.
Mit befonverem Eifer war ber König inzwifchen für te
Schulmweien in den fatholifhen Teilen Schlefiens thaäti
wo eben damals die reformatoriihe Wirffamfeit Felbigers br
gonnen hatte. Schon im jahre 1764 publizirte Friedrich ein
Reihe von Beflimmungen *), welche die Reformirung des Fatholr
ſchen Volksſchulweſens in Echlefien und in der Grafſchaft Olaf
zum Ywede hatten.
In der Inſtruction vom 30. Juni 1764, „nach welder Ne
fatholifhen Dorfſchulen in Ober: und Nicderfchlefien, wie auf
ber Grafihaft Glatz eingerichtet und verbeßert werten ſollen,
wird die Schulpflichtigfeit aller Kinder vom vollendeten 5. bil
zum 13. oder 14. jahre angeordnet. Der Echulmeifter foll „von
Martini bis Georgii jeden Tag der Woche, an den fein biöper
firter Feiertag einfällt, zweimal, und zwar frühe von 9 bis Mt
tags um 12, Nachmittagd aber von 1 bis 3 Uhr Schule halten.‘
Damit aber auch „jene Kinter, tie von. ihren Eltern in M
Sommerszeit zum Hüten nicht gebraucht werden, und die Kleine
en, jo Dazu noch nicht tüchtig find, — worunter alle zu verftehe,
bie das achte Jahr noch nicht erreicht haben, — während de}
Sommers das im Winter Erlernte nicht wieder vergeßen, fo fül
auch von Georgii bis Martini, aber nur Vormittags, und zwar
*) Eiche diefelben im Anfange zu Menzels Schrift „Die drei föniglid
preußifhen Schulreglements.“
— 41 —
3 Michaelis von 8 — 11, von Michaelid aber bis Martini von
— 12 Uhr Schule gehalten werden.” — Jede Schule ſoll in
ei Klaffen geteilt werden. In ber unterften Klaffe werden bie
einen Fragen des Katechismus und die Buchftaben gelehrt. Die
hüler der mittleren Klaffe werden in ben fog. Artifelöfragen
8 Katechismus, im Lefen und im Schreiben unterrichtet. „In
e obere Klaſſe gehören die Kinder, Die im Katechismo von den
tifeld= zu Erlernung der fog. Sacramentsfragen geführt werben
nnen; fie müßen foldye ziemlich fertig lefen, ſich im Schreiben
ch großen Vorjchriften üben, und das Rechnen treiben. — Die
Hulmeifter wurden, um jede Störung des Schulunterrichtes zu
"hüten, von ber Pflicht des Gurrendentragens (was von jetzt
von den Gemeinden durdy fog. Zechboten bejorgt werden follte,)
'penfirt, und den Pfarrern wurde zur Pflicht gemacht, die Schu-
' fleißig zu vifitiren.
Gleichzeitig erbielten die Pfarrer der Provinz die gemeßen-
a Inſtructionen über die Beanffichtigung der Schulen umd
Bulmeifter; und durch Lönigliches Nefcerivt d. d. Breslau den
- uni und Glogau den 12. Inli 1764 wurden alle Landräte
' Provinz angewiefen, Die für die Landesfchulen angefertigten
I& +, Buchftabir- und Leſebüchlein zu verteilen, die Einrichtung
Schulen in Gemäßheit der neuen Schnlordnung zu bewirken,
» fi bei Bereifung ihrer Sreife über die Vollziehung des
en Reglements zu erkundigen. Auch wurde den Grundherr-
ften zur Pflicht gemacht, darauf zu halten, daß die Kinder
5 bis 13 oder 14 Jahren ordentlih in die Schule gefchidt,
dag an den Orten, wo die Schulmeilter nur polnifch fprechen
ten, andre geeignete Lehrer angeftellt würden, Die zugleich ber
Fichen Sprache mächtig wären. Das Generalvicariat zu Bres:
und Die Decane der Prager, Ollmützer und Krakauer Diöcefe
elten diefe Inſtructionen zugefertigt, und wurden zugleich an-
üeſen, ſich des Schulwefens anzunehmen, und Die nötigen
ulviſitatoren anzuftellen. Außerdem forgte der König auch für
„Heranbildung tüchtiger Lehrer und Schulinfpectoren. Er ver-
te nemlich, daß für Nieverfchlefien die Schule des Breslauer
mcapiteld zu St. Johann, die Schulen der Gifterzieuferflöfter
— 92 —
Leubus und Grüſſau und des Auguftinerftifts zu Sagan, fir
Dberjchlefien die Schulen zu Natibor und im Gifterzienferflofer
Rauden, und für die Grafſchaft Glatz tie Schule der EStadt
Habelfchwerd als Normaljchulen gelten folten. Da indefjen die
im jahre 1764 erlaßnen Verordnungen zur vollftäntigen Refer—
mirung des Volksſchulweſens noch nicht ausreichend zu fan
Ichienen, jo publizirte der König unter dem 3. Novbr. 1765 ein
neucd Schulreglement,, welches die detaillirteften Vorſchriften über
die Vorbereitung und Auftellung der Schulmeifter, über die Gir
rihtung der Schulen, über die dieuftlihde Stellung der Säub
meifter, über die Beauffichtigung der Schulen durch die Pfamer
u. ſ. w. enthielt. Es wurde verfügt, daß nur ordentlich geprüft
und mit Zeugniffen über ihre Lehrfähigkeit verjehene Lehrer auge:
ftellt werden ſollten; daß alle angehenden Geiftlichen, um fid die
zur Beauffichtigung der Schulen erforderlichen pädagogifchen Kennt:
niffe zu gewinnen, das Seminar zu Breslau befuchen, und da}
olle Ichulpflichtigen Kinder zum Schulbejudy disciplinariſch ange
balten werden follten. Der „Lectionscatalogus für die Dörfer‘
war folgender:
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— 44 —
Der König hatte allen geiſtlichen und weltlichen Beamter
die pünftliche Vollziehung des neuen Neglements zur Pflicht ge
macht; aber wie überall fo ftand auch bier die allzu Fürglike
Dotation der Schulmeifterftellen und die Abneigung der Baum
gegen jede Peiftung zu Gunften des Echulmeifterd der Aufbeperun
des Schulweſens im Wege. Xiele Eltern jchidten ihre Kinte
lediglih darum nit zur Schule, weil fie fichy nicht entſchließen
fonnten, oder nicht im Stande waren, das gefeßliche Schulgdt
zu bezalen. Der König befchloß daher Die äußere Stellung de
Schulmeifter ein für allemal dadurch zu fichern, daß er das Sdıl-
geld als ſolches aufhob, und ftatt deſſen den Echullehrern eine
fihere, von den Communen zu leiftende Rente zumies. Demgemiß
wurden durch Verordnung d. d. Breslau den 31. Decbr. 1168
und Glogau den 17. Januar 1769 alle Landräte der Provinz
Schlefien angewiefen, den Dominiid und Gemeinden aufzugeben,
„ein ſolches Geldquantum, als ımgefähr das von fämmtlide
Ihulfähigen Kindern jedes Orts nah dem Schulreglement zu mt
richtende Schulgeld betragen wird, auf ſämmtliche (Hans-) Wirte
der Gemeinden nach gewiffen Sätzen zu repartiren, folches in ne
natlichen Raten einzuheben, und quartaliter dem Echufmeifet
ftatt des Schulgeldes auszuzalen.“ —
Das erfte eigentümliche Seminar erbielt die Volksſchnle det
fatholifchen Echlefiens i. 3. 1764 zu Habelfchwertt. Zur Unter
haltung deſſelben wurde auf Befehl der Kriegd- und Domäne
fammer zu Breslau von jedem neu angeftellten Pfarrer eine I
gabe im Betrage bes vierteljährlihen Ginfommens der Rforrel
erhoben, welche Abgabe indefjen fpäterhin in jährliche, von alm
Pfarrern, Kaplänen und Lehrern zu zalende Beiträge umgewantel!
wurde. Aus diefen Beiträgen ſowie aus einer Collecte und ein
fehr beträchtlichen Beiſteuer des Erzbiſchofs von Prag entftand dr
Seminarfonds *).
Groß waren die Opfer, die der König zur Aufbeßerung BF
*, Späterhin änderte das Seminar feine Heimat mehrmale. 3.2. 1m
wurde e8 nad Glatz, i. 3. 1807 nach Neuneißbach und endlich i. 3. 1808 (M
Hecbr.) nad) Schlegel verlegt.
1
— 46 —
ergebalte brachte. Für die Kurmark wies der König im Jahr
| jährlich A000 Thaler Zinfen von einem Kapital von 100000
er mit dem Bemerfen an: „Die Erziehung der Jugend, ber
erd auf dem Lande, ift bis daher noch ganz vernachläßigt
ven, und aljo höchſt notwendig, daß Die ſchlechten Schulmeifter
und tüchtige, brauchbare Leute Dagegen angefchafft würden.“
für Bommern wurden große Summen beftimmt. Indeſſen
der Plan, fo wie ihn der König entworfen hatte, nicht zur
übrung. Nur mit einer Zal von Landfchullehrerftellen wurde
veßeres Einkommen verbunden, wogegen den Inhabern derjels
die Verpflichtung auferlegt wurde, unentgeltlichen Unterricht
rteilen. Daher die fogenannten Gnadenjchulen, deren
ration indeffen gar nicht in dem urfprünglichen Plane Des
g8 gelegen hatte *).“
Ueberbhaupt jcheint dem ‚König Die Aufrichtigfeit und der
e Wille der Behörden nicht immer helfend zur Seite geftan-
zu haben. „Es findet fi) wenigftend eine merkwürdige Cor⸗
udenz zwifchen dem geiftlichen Departement und dem Direc-
ed Conſiſtoriums zu Stettin vor, worin unter den Fuß ge
ı wird, die Echulverbeßerungen hauptjächli auf der Straße
mehmen, weldye der König zu den Revücn zu nehmen pflege,
bier die Dörfer, wo umgelpannt werde, und die im Bezirk
halben Stunde umbergelegenen bejonderd zu berüdijichtt-
**)1!“ Außerdem ſcheint ed, daß der König in der fo überaus
erigen Ausführung feiner Reformprojefte allmählich ermüdete,
tie Anforderungen, die er an die Volksſchule ftellte, um ein
utendes herabftinmte. Denn während er i. J. 1758 durch
Iution vom 9. Juli verordnet hatte, daß Schulmeifter- unb
erſtellen nicht zu Den mit Invaliden zu bejeßenden kleinen
ienungen gerechnet werden follten, verfügte derjelbe ein und
izig Jahre fpäter unter dem 31. Juli 1779 dur Ordre an
Departement der geiftlichen Sachen: „daß, wenn unter den
) L. ©. Striez, Bericht über das Schullehrerfeminar in Potsdam.
») Bededorff, II. ©. 43.
— 46 —
Invaliden fi welche fänden, die leſen, rechnen und jchreiken
fönuten und fih zu Schulmeiftern auf dem Lande und fonften
gut jchidten, fie dazu bejonders an den Orten, wo der König die
Schulmeifter falarire, employirt werden follten, andy das geiftlike
Departement darüber mit dem Generalmajor v. d. Schulendur
zu correöpondiren habe, welcher die Leute, die ſich zu Schulme:
meiftern jchidten, anzeigen werde.”
Der König mufte eben erfahren, was alle Regierungen un
Behörden jener Zeit, die ed mit der Volksſchule wolmeinten, m
fuhren, daß Maßregeln, Anordnungen und felbft große Op
noch nicht ausreichten, um die Volföfchule zu derjenigen Bolten:
menbeit zu erheben, welde ihr zugedacht war. Zu jenen Wer:
men muſte notwendig der Segen binzufommen, den die perfönlid
unmittelbare Wirkſamkeit einzelner edler Freunde der Volksſchule,
wie jened Domherrn von Rochow, ausübte, der damals af
feinem Gute zu Redan eine Mufterfchule gründete, welche für dad
ganze Land eine Leuchte war.
Insbeſondre aber muften die einzelnen Pflanzfchulen fFünftt:
ger Volksſchullehrer, welche um jene Zeit bier und da erriätt
wurden, erft wirfjam werden, Damit die Saat, welcdye gejäet wat,
feimen, aufblühen und wirkliche Früchte bringen konnte. — Eme
folhe Anftalt war i. 3. 1778 zu Halberftadt von dem dafigen
Domcapitel gegründet und am 13. Juli in Gegenwart des Tom
dechanten Spiegel zum Defenberg eingeweiht worden *). — TI
Brivatanftalt Des Pfarrer Herbing zu Nachterftädt im Yürftentum
Halberftadt, weldhe i. 3. 1779 die Anerkennung der Staatsregie
rung erhalten hatte, fuchte zufünftige Volksfchullehrer von ihren
KRuabenalter an auszubilden **). — Für das Fürftentum Minden
und die Grafſchaft Navenäberg ftiftete der Staatöninifter vor
der Ned ein Schullehrerfeminar zu Minden i. 3. 1776)
Zu Wefel war ſchon i. 3. 1687 die Begründung einer Pfarr
*) Ausführlichere Nachrichten über das Seminar zu Halberftadt f. in Kin
Enchelopädie B. 61 ©. 693— 703.
») S. oben B. 1. ©. 69 ff.
"*) Krünig, B. 61. ©. 704.
——— —
— 411 —
ſchule für Echulmeifter unter dem Namen eined Kontuberniums
verfucht worden; i. J. 1786 wurde hieraus infolge einer von ber
Cleviſchen Eynode gegebenen Anregung ein eigentliches Schulleb-
terjeminar geichaffen. Der für bafjelbe berufene Juſpector Schehl
mufte ji) vor feinem Amtsantritt nad Redan begeben, um fi
nit der Schuleinrichtung und Lehrmethode Rochows bekannt zu
sachen *).
Die Regierung Friedrih Wilhelms IL, der im Jahre
786 den Thron des großen Königs beftieg, fiel grade in jene
jeit, in welcher der Einfluß des englifchen und franzoͤſiſchen Deis⸗
aus in Deutfchland herporzutreten und alle chriftliche Cultur und
Heſittung zu zernagen begann. Erft in einer fpäteren Beit kounte
es möglich fein zu begreifen, daß auch Die Todtengräberarbeit ber
Apoftel der „Aufklärung,“ welche damals den Glauben der Kirche
ein für allemal aus der Welt zu fchaffen bofften, dem Reiche
Gottes zum Beſten dienen mufte. Aber diejenigen, welche in je
nen Tagen das Evangelium noch lieb hatten und den zunehmen:
en Abfall mit eignen Augen fahen, muften ed ald eine von Gott
ebot ene Pflicht erachten, dem Geiſte der Zeit zum Trotz über dem
heilig tum der Kirche zu wachen und zu wehren.
In diefem Sinne beſchloß Friedrih Wilhelm I. fih nament:
id die Tflege des Volksſchulweſens feines Neiches angelegen fein
N laßen; denn namentlich hier glaubte derfelbe dem Gößen ber
Aufklaͤrung“ die Wege verſchließen und den Glauben der Väter
ufs Neue befefligen zu müßen. Hierzu ſchien vor Allem die
ollftändigſte Centraliſation der Verwaltung des Unterrichtsweſens
forderlich zu fein, damit von Einer Centralbehörde aus Ein
eiſt allen Schulen eingehaucht und in denfelben erhalten werden
ante, Noch che daher Friedrich Wilhelm auf Angeben des Ge
{men Dberfinanzrates v. Wöllner das Religionsedift vom 9. Juli
— —
*) Ebendaf. S. 704 ff
— 48 —
1788 erließ, in welchem berjelbe der „Aufklärung“ Fühn und ur
erichroden entgegentrat und dem unveräußerlichen Rechte des fir.
lien Glaubens das Wort redete, brachte der König (1787) das
geſammte Unterrichtswejen des Reiches in eine neue Berfafung,
indem er ale Schulen, hohe wie niedere, Gelehrten= wie Boll
Schulen unter Eine von ihm gejchaffene Behörde ftellte, weiche nur
von ihm felbft abhängig war. Diejelbe beitand ald „O berſchul—
sollegium” aus dem Staatsminifter v. Zedlig, Dem Geheimen
Oberfinangrat v. Wöllner, dem Kanzler der Univerfität Halle und
drei geiſtlichen Räten. Zufolge der Suftruction vom 22. Febr.
1787 war dieſes Oberſchulcollegium Dazu beitimmt, „Das gejammte
Schulweſen in Unjern (des Königs) Landen auf das Zwedmäigke
einzurichten und nach den Umftänden der Zeit und der Beſchaffen⸗
heit der Schulen inmer zu verbeßern.” CS follte darauf jeher,
„DaB überall zwedmäßige Schulbücher gebraucht und eingeführt,
und wo ſolche maugeln, durch tüchtige Männer nach Bejchaffenhrit
der Umftände und nad) den Fähigkeiten der Schüler angefertigt,
— und daß die beiten Lehrmethoden beobachtet werden. Seiner
Oberaufficht ſollten unterftellt fein „alle Univerfitäten, Gymuafien,
Nitter-Akademieen, Stadt» und Laudjchulen, Waiſenhäuſer, ale
. Erziehungs- und Penfiondanftalten ohne Ausnahme oder Unter
Ichied der Religion. Jedoch follten davon die militärischen Schw
len, au die Schulen der franzöfiichen Golonie und der jüdiſchen
Nation ausgefchloßen bleiben, als weldye auf eignen bejondern
Verfaßungen berubten.” Um indefjen den Zweck des Unterridt
weſens zu erreichen, fei e8 durchaus notwendig, „daß hinfort Nie
mand mehr als Lehrer, weder bei einer Stadt- nody einer jo
Gnadenſchule, wo das Gehalt aus unfern Kaffen bezalt wit,
angejeßt werden oder in eine höhere Schulftelle hinaufrüden dürft,
der nicht wegen feiner ZTüchtigfeit ein Zeugnis von dieſem Ober
jhulcollegium aufzuweijen habe. Selbit wenn ein Prediger eb
weder Rector oder Schullehrer zugleich werde, müße er ein ſolchet
Zeugnis aufweifen. — Es verftehe fih aljo von felbft, da
fünftig Feine Kriegs: und Domänenfammer, fein Eönigliched Amt,
fein Magiftrat und fonftiger Patron in Städten oder Gnader
ſchulen einen Lehrer beftellen dürfe, der fich nicht Durch ein foldel
— 49 —
Zeugnis legitimiren könne.” Bon dieſer Pflicht ſich examiniren
zu laßen ſollten nur „alle Profeſſoren auf Univerſitäten“ und Dies
jenigen ausgenommen ſein, „welche das Oberſchulcollegium ſchon
als bewährte Lehrer zu erforſchen Gelegenheit gehabt habe." Das
mit es nun in Zukunft an tauglichen Lehrern nicht fehle, werde
der König auf feine Koften an gelegenen Orten Seminarien ers
richten laßen; und „damit dad Oberjchulcollegium deſto mehr in
ben Stand geſetzt werde, ſich Der Verbeßerung des Schulwejens
auf die wirkfjamjte Weiſe anzunehmen”, erhalte dafjelbe Die Ver
fugnid, „an alle Landesregierungen und Gonfiftorien, auch an das
oftpreußiihe Staatöminifterium Reſcripte und Befehle zu erlaßen,
weshalb ed auch alle Verfügungen in Unferm (te Königs) Na
mer ad mandatum speciale und Unterfchrift bes Minifterd expes
diren zu laßen habe.” Außerdem erhalte das Golleg für alle
Dienftjahen hiermit Voftfreiheit und Stempeffreiheit.
Nur kurze Zeit ftand dem Oberfchulcolleg der Minifter von
Ze dlitz vor, an teffen Stelle fehr bald von Wöllner in der
Ab ſicht trat, um die kirchliche Reaction gegen den modernen Geiſt
na mentlich in den Volksſchulen mit eiferner Energie zur Durdy
füh rung zu bringen. Schon vorher hatte Die von dem Oberamts—
KRegierungspräfidenten von Seidliß ausgegangene Stiftung eines
Lan dſchullehrerſeminars zu Breslau dem König Veraulaßung ge:
geben, die Grundfäge, welche er in ter Verwaltung des Schul⸗
wefensd befolgt haben wollte, hervorzuheben. In der Cabinets⸗
ord re vom 26. Juli 1787, durch weldye der König dieſe Stiftung
mit dem ihm vorgelegten Organijationsplan *) der Anftalt geneh:
miggte, erklärte nemlich derſelbe: „Ich bin mit euch,“ fchrieb der
Köırig, „vollfommen der Meinung, daß die Grundjäge des Chri⸗
fferutums vornehmlich jungen Gemütern mit Sorgfalt eingeprägt
werden müßen, damit fie bei reiferen Jahren einen feften Grund
ihres Glaubens baben, und nicht durch Die jebt leider fo ſehr
üBerban genommenen fog. Aufklärer irre geführt, und in ihrer
eligion wanfend gemacht werben. Ich haße zwar allen Gewißens-
— —— |
“) Vgl „Alten, Urkunden und Nachrichten zur neueften Kirchengefchichte" B. J
S. 87 gu.40 ff
Deppe Bollsjpulwefen, 8. 4
— 90 —
zwang und laße einen jeden bei feiner Ueberzengung; das abe
werde ich nie leiten, daß man in meinem Lande die Religion Yein
untergrabe, dem Volfe tie Bibel verächtlich mache und das Panier
des Unglaubens, des Deismus und Naturaliemus öffentlich af
pflanze. Diefe meine fefte Gefinnung fönnt ihr zur Richtihnur
bei euern Schulanftalten nehmen.“
Die widhtigfte Anordnung, welche unter Wöllnerd mahge
bendem Einfluß getroffen wurde, war außer der Einführung eine
neuen „lutheriſchen Landeskatechismus“ für ſämmtliche lutheriſchen
Schulen der Monarchie (deſſen ausſchließlicher Gebrauch in einen
Reſcript des geiſtlichen Departements an die Conſiſtorien vom
3. April 1794 eingeſchaͤrft wurde,) — die Aufftellung einer neum
Volksſchulordnung, weldhe unter dem Titel:
„Anweifung für die Schullehrer in den Tand- und nie
deren Stadtfchulen zu zwedmäßiger Beſorgung des Un
terriht8 der ihnen anvertrauten Jugend. Berlin dem
16. Ecptbr. 1794”
im Druck veröffentlicht und allen Volksſchullehrern zugefchiekt wurde
Diefe „Anweiſung“ ift darum von befonderer Bedeutung,
weil fie ſich ſelbſt als Ausführung der im Religionsedikt von 1789
präconifirten Grundſätze im Gebiete des Volksſchulweſens verfün
Digt und daher Die firdylich-reactionäre Tendenz ganz beftinmt er
fennen läft. Bugleidy enthält dieſelbe in methodologiſcher Hinidt
allerlei Eigentümliches. Der vollſtändige Wortlaut der „Anmer
fung“ (durch weldye übrigens das Generallandfcdyulreglement nidt
aufachoben, fontern vielmehr näher erläutert und vervolitäudigl
werben follte,) ift folgender:
„Sinleitung. Seder chriftlich gefinnte Unterthan wir
aus dem im Jahr 1783 den 9. Juli erfchienenen Religiong-Grik
und aus ten nachmaligen DVeranftaltungen mit freudigem Dart
erfaunt haben, daß «8 Seiner Königlichen Majeftät, unfres ales
gnätigften Heren, ernftlicher und unabänderlicyer Wille ift, jo viel
Monarchen dazu thun Fönnen, in feinen Lande wahre Grfenntnis
Gottes in Ehrifto und Achte Oottfeligfeit auszubreiten.
Beſonders müßen alle dhriftlichen Eltern ihren Landeshern
jegnen, wenn fie fehen, wie ſehr es ihm anliegt, daß ihre Rinde
— 61 —
von der zarteften Tugend an ſowol zu den für ihren Stand and
deruf nötigen Kenntniffen angeführt, als auch vorzüglich mit der
eiligen Schrift und dem in derjelben enthaltenen einzigen Weg
ı ihrem wahren Heil hinlänglidy befannt gemacht, und alfo nicht
ır zu nüßlicyen Gliedern der menſchlichen Geſellſchaft, ſondern
ich zu Mitgenoffen der durd Chriftum erworbenen ewigen Seligr
it erzogen werden.
Eben dieje wahrhaft landesvaͤterliche Gefinnung ift ed, welche
rn Monarchen bewogen hat, die bier folgende nähere Anwei-
ing für die Xehrer in fämmtlidhen evangeliſch lu—
e riſchen Land» und niedern Stadt:Schulen, zu
pedmäßiger Beſorgung des Unterrichts abfaßen zu
Ben; in welcher ihnen diejenigen Mittel an die Hand gegeben
erben, die fie anwenden müßen, um die ihnen anvertraute Jugend
wol fiherer und in kürzerer Zeit zu den nötigften Kenutnifjen
ı Bringen, ald auch ihre Schule immer in Zucht und guter Ord⸗
ung zu halten.
Vorläufig aber ift Folgendes zu bemerfen:
1. Es ift feineswegs die Abficht, Daß durch Diefe. nähere
nweifung das im Jahr 1763 den 12. Auguft erfchienene Generals
and: Schul- Reglement als nidyt mehr gültig aufgehoben werden
’Ue. Vielmehr werden fämmtlihe Scullehrer auf letzteres, in
bſicht alles deſſen, was bier nicht entweder im Ginzelnen abge-
ndert ober doch näher beftimmt worden, hiermit aufs neue au:
rücklich angewieſen, und ihnen vorzüglich die $. $. 12. 13. 16.
7. 22. 23. 24. zur fleißigen Beherzigung empfohlen.
2. Ta vorauszujehen ift, daß einige der gegebenen Vor⸗
riften an manchen Orten entweder gar nicht oder doch nicht
ileich ausgeführt werben können; fo wird ein für allemal bier
lärt, daß in diefem Fall nach der Abficht des Monarchen nur
3 verlangt werde, was und wie weit ed möglid zu machen
So fanı natürlicher Weife in einer allzu Fleinen und engen
uUbe das, was von der notwendigen Abjonderung der Knaben
> Mädchen, der größeren und fleineren, leſenden und buchſta—
en den Finder vorgejchrieben wird, nicht jo ganz befolgt werden,
ün einer geräumigeren Schulftube. Berner kann in mancher
4"
Schule, aus mehreren Gründen, dad Schreiben und Rechnen niät
in jedem halben Jahr nach der bier gegebenen Vorjchrift getrieben
werden (und dergleichen mehr).
Dean führt dieſes bier ein für allemal an, und wird es der
Klugheit und Treue der Inſpectoren, Prediger und ES chulaufieher
überlaßen, Die Intention Seiner Königl. Majeſtät Jo auszuführen,
daß bei näherer Unterſuchung ſich zeige, es fei alles geſchehen, wal
nach den Umſtäuden des Orts und der Schule geſchehen kounte.
3. Die Erfahrung bat hinlänglicdy gezeigt, Daß es unter den
Schulhaltern, befonders auf dem Lande, viele gibt, Denen es nicht
an gatım Willen und an reblicher Oefinnung, wol aber an Keunt:
nis einer zweckmäßigen Lehrmethode und verjchtedener Eleiner Vor—
teile fehlt, um Aufmerffamkeit und Ordnung in ihrer Schule zu
erhalten. Tiefen gutgefinnten, aber nicht gehörig unterrichteten
Schullehrern hauptſaͤchlich zu Liebe find die hier gegebenen Bor
ſchriften zum Teil bis auf das Einzelne und Heinfte Detail be
ſtimmt worden.
8. 1. Wahrer Religionsunterridht, im weldem die
Kinder zur Erkenntnis deffen, was zu ihrer Celigfeit und zur
chriſtlichen Uebung ihrer Pflichten in den Verhältuiffen dieſes Le
bens gehört, hinlänglich angeleitet und zur Benußung diefer Gr
Eenntnis in ihren Geſinnungen und Handlungen gebildet werden,
ift Die eigentliche Hauptjadye des Unterrichts in niedern Schulen
auf Tem Lante und in den Städten. Der Prediger muß die
Kinder aus der Edyule in feinen näheren Unterricht nehmen. Sie
müßen Daher aus erfterer folgende Arten der Tüchtigfeit mitbringen:
a) Sertigfeit im rihtig und deutlich Leſen. Hieran
fehlt c8 bieher, allgemein genommen, mehr, als man denfen jolte.
b) Hinlänglidhe Ucbung in tem Meinen Katechismus
Lutheri, den fie fertig answendig gelernt haben müßen.
ce) Bekanntschaft mit den Hauptfäßen der Glaubens⸗ mb
Lebenslehre, fo wie fie in dem allgemeinen Katechismus)
dergefragen und aus der heiligen Schrift erwicjen find.
*) Peiläufig wird hier angemerkt, daß in allen Schulen, befonders aber #
denen, wo noch nicht ale Kinder den neuen Katechismus haben, darauf gejeher
— 5 —
d) Gehorige Bekanntſchaft mit der Bibel, fo, daß fie bie
Sauptftellen zur Erklärung und zum Beweis der Grundwährheiten
auswendig anführen können. Auch müßen fie geübt fein, jede ihnen
aufgegebene Stelle in ten bibliſchen Büchern ſogleich aufzuichlagen.
. e) Einen Vorrat auswendig gelernter guter Lieder, das
mit ihnen im ganzen Leben Erweckungen zur Sottfeligkeit, Abs
ratungen vom Böſen und Ermunterungen zum Guten im Gemüt
bleiben.
Außer dieſen fünf Punkten müßen fie ferner: |
f) Einige Bertigfeit, leferlih und orthographiſch zu
ſchreiben und .
g) einige Uebung in den gemeinften zum Hausweſen nötigen
Rechnungen erlangt haben.
6 2. Demzufolge müßen in jeder Lands und niedern Stadts
ſchule die hier genannten Punkte als Hauptſache getrieben werden,
und durchaus Feinen anderen Nebenarten des Unterrichts nachſtehen.
Am wenigiten aber wird den Echullehrern geftattet, mit Burüde
jeßung oder nur nachläßiger Betreibung dieſer Hauptitüde Gegen⸗
fände der Naturgeichichte, Geographie u. f. w. mit den Stindern
vorzunehmen. |
Dagegen wird höchſten Orts für ein Schulbuch gejorgt wers
ben‘, weldyes alles Dasjenige enthält, was aus den vorgenannten
Punften da, wo die übrigen Umftände der Schule es zulaßen, mit
ben Größeren und Geübteren vorgenommen werben fann.
8.3. Wie nun die $. 1 angeführten Punkte den Lehrern
in allen niedern Ecyulen auf dem Lande und in den Städten als
ber eigentliche Gegenftand ihres Unterrichts angezeigt worden, jo
es aud) der Wille Er. Majeftät, daß in allen dieſen Schulen,
ſo vier als moͤglich, eine gleichförnige Lehrart beobachtet werde,
Bu tiefem Behuf werden den Schullchrern in den folgenden $. $.
Hinlängiiche Vorſchriften gegeben, was fie L in Abfiht der alls
gemeinen Befhäftigung mit den Schulkindern, im Anfang
und Schluß der Lehrftunden ($. A), IL in Abſicht des Unter⸗
werden muß, daß „enigftens jedes neuanfommende Kind, das nicht zu den ganz
armen gehört, denſelben mit bringe.
;
— 54 —
richts ſelbſt (F. 5) und OL in Abſicht der Zucht und Or;
nung zu thun haben.
5.4 Was L die allgemeine Befhäftigung beit,
jo find:
1. in Anfehung der Vorbereitung zur Lehrftunde
folgende Punkte genau zu beobachten:
a) Der Schullehrer (der fih zur gehörigen Zeit in br
Schulſtube einfinden muß) ſucht die ſich bei ihm verfammelnde
Jugend fogleih in Ordnung zu bringen und fieht darauf, def
jedes Kind ſich an feinen Ort ruhig hinfege*); daß eine allge
meine Stille herrfhe und daß ein jedes Kind feine Schulbüde
bei fich habe. |
b) Er ficht danach, ob die Kinder vollzälig find und merlt
die Fehlenden an, um fi) nach dem Grund ihres Außenbleibend
erkundigen, und wenn dieſer unftatthaft ift, bei feiner Behörde
Anzeige machen zu Eönnen.
c) Der Lehrer muß feinen Schulunterridyt nicht cher am
fangen, als bis er Die genauefte Stille und Ordnung unter jeinen
Kindern bemerft bat und beim Ucherfchauen mit einem ernfthaften
geſetzten Blick nichts mehr findet, was den Unterricht aufhalten
fann.
2. Der Anfang der Lehrftunden geſchieht mit Geſang
und Öchet und eben fo der Schluß.
In Abficht Des Geſanges find folgende Negeln zu beobadten:
a) Das für jeden Monat in dem allgemeinen Landes-Kate
chismus angegebene Lied muß, je nadydeni es lang oder fur iſ,
in mehrere Teile (auch nach dem JInhalt der Verje) geteilt wer
den, damit e8 in den Vor⸗ und Nachmittagsftunden beim Anfanze
und Schluß der Lection in ein oder zwei Tagen gefungen werden
könne, und alſo die Kinder ed auf Diefe Art fertig auswendig
lernen. Diefer Zwed wird um fo leichter erreicht werdep, wenn
ber Schulhalter dann und wann das gelernte Lied auffagen läſt
—
—
*) Und zwar muß da, wo die Knaben und Mädchen zuſammen unterrichtet
werben, wenn es nur irgend möglich ift, die Einrichtung gemacht werden, daß Bit
Anaben und Mädchen abgefondert fipen.
— 55 —
und bald dieſen bald jenen Vers, in und außer der Ordnung, den
Kindern abfrägt.
b) Der Echullehrer ſelbſt oder einer von den Alteften Kna⸗
bern ſpricht jede Zeile, Die gefungen werden fol, (oder wenn ber
Verſtand es erfordert, mehrere Zeilen) langfam und vernehmlich vor.
c) Die Kinder müßen nur leife fingen, und ber Schuläulter,
beffen Stimme allein vorfchallen muß, darf nie leiten, daß ein
Kind vorſchreie. Denn bei einem wüſten und lauten Geſchrei
lerıren die Kinder nie gehörig fingen. Wenn eind oder mehrere
falfch fingen, fo gibt der Schulhalter ein Zeichen, daß alle eins
halten follen, und hilft ſodann den Falichfingenden in den ‚rechten
zon ein. Diejed alles wird um fo leichter gehen, je mehr der
Sſchullehrer darauf hält, daß langfam und mit gemäßigter
Stimme gefungen wird,
Bei dem Gebet muß der Lehrer a) vor allen Dingen
darauf ſehen, daß er durch fein eignes DVeifpiel die Kinder zur
wahren Ehrfurdt und Andacht ermede, da er fonft durch das
Gegenteil an ihrer Zerftreuung, Leichtſinn und Gedanfenlojigfeit
bei der Gebetsübung Schuld wird.
b) Das Gebet felbft muß Eurz fein, und hauptſaͤchlich die
Bitte enthalten: daß der himmlijche Vater um Jeſu Chriſti feines
Sohnes willen die Kinder guädig anfehen, fie unter ker Leitung
DES heiligen Geiſtes in ihrer Schularbeit fegnen und zu Menfchen
Bilden möchte, die in feinem Onadenbund ftehen, Ihm wolgefällig
und dem Naächſten in dem von Gott ihnen angewiefenen Beruf
Nüplih werden, damit ihr ganzes Leben eine Vorbereitung zur
ſeligen Ewigfeit fei.
c) Im Sclußgebet dankt er im Namen der Kinder für Die
Gnade des chriftlichen Unterrichts, erbittet für alle Verſündigungen
durch Leichtfinn, Ungehorfam u. |. w. die väterlihe Vergebung
durch Chriſtum und empfiehlt die Kinder der Aufſicht des Geiſtes
Gottes auch außer der Schule, damit fie die Freude ihrer Eltern
werden und an Gnade bei Gott und den Menfchen zunehmen
mögen. .
3. Bei dom Ausmwendiglernen der monatlich aufgege-
benen Palmen und Hauptfprüche zum Beweiſe der im Katechismus
— 56 —
vorgetragenen Lehren (wozu auch am Sonnabend das Leien der
evangeliichen und epiftoliihen Texte fommen kann) iſt folgendet
zu beobachten : |
8) Der Schulhalter ſpricht entweder felbft von Vers yı
Verd (oder nad den Hauptabjchnitten des Verſes) den Plain
oder Spruch vor, oder er läft dieſes von einem der fertigen
Knaben thun, und zwar bald von diefem, bald von jenem; dd |:
auf diefe Art vorgefprodene müßen fämmtliche Kinder fogled, |
nicht allzulaut, aber tod) verftändlich nachiprechen; wobei bar
zu ſehen ift, Daß feines ftillfchweigt, oder Wörter vwerjchludt.
b) Der Echullehrer muß allen Fleiß daran wenden, Mi
ſowol Bei dem Vorſprechen, ald bei dem Nachiprechen ſämmtlihe
Kinder Ton nnd Nahdrud auf die Worte gelegt werben, al
welche ed ankommt, damit der äußerft widrige, fingende und nr
förmige, mit weldem die Kinder gewöhnlich eine bibliſche Ste
herſagen, fi aus den Echulen verliere. *)
c. Pſalmen, längere Eprüche, evangeliſche und epiftolik
Texte werden cben fo, mie die Lieder, in mehrere Abjchnitte vr:
teilt, damit es den Kindern leichter werde, fie auswendig 7
lernen. |
d) Wenn der Schullehrer glaubt, daß die Kinder ben af
gegebenen Pfalm u. ſ. w. wißen £önnen, fo läft er ihn, wie mr
ber bei den Liedern angemerkt worden, von den Kindern eine
berfagen. Desgleichen läſt er diejenigen, welche leſen könne,
ben Pialm oder die Stelle in der Bibel laut vorlefen ; wobei ii
übrigen zuhörenden Kinder aufmerken, ob ber Vorleſer übel
den Ton recht gejept hat, auch wol, wenn hierin gefehlt worte,
dieſes jogleich ſelbſt mit deutlicher Stimme, jedoch ohne Belht
verbeßern müßen.
4. In den allgemeinen Grmahnungen: im Anfang eM
*) Prediger und Infpectores müßen, foviel fie immer können, ihre Ede
ehrer dazu anführen, daß fie eine völlige Fertigkeit erlangen, bibfifde Erl®
nach ihrem Inhalt und Einn herzufagen. Eben fo müßen fie bei ihrem 6 J
befuch darauf fehen, daß das fin. und verftandlofe Herfagen und der den Kirk!
am Ende felbft efelhafte Ton gänzlich abgeitellt werde,
— 57 —
der Lehrſtunden ftellt ber Schullehrer den Kindern herz»
liebreih, aber kurz vor: „welche Ehrfurdt, Liebe und
m fie dem Vater im Himmel jchuldig find, der feinen
ir fie Menfch werden ließ und in den Tod dahin gab;
jei allen ihren Unarten und Verfündigungen liebt, ernährt
det; der fie in feinem Wort unterrichten und zu Mitges
ver unbegreiflichen Herrlichkeit des Fünftigen Lebens er-
iſt.“
e fucht den Kindern einzuprägen: „wie unendlich werth
efus, ihr Heiland, fein müße, der ihre Sünden und deren
auf fi genemmen, und ihnen mehr erworben habe, als
ı oder verftehen können, da fie alle zeitliche und ewige
gfeit nur deswegen erwarten koͤnnen, weil er am Kreuz
jeftorben; daß ihnen alfo Feine Pflicht Heiliger fein müße,
daß fie diefen ihren Heiland aufs herzlichfte lieb haben,
ilich darnach trachten, ihre Liebe durch willigen Gehorfam
ine Gebote zu beweiſen.“
e ftellt ihnen dringend vor, „daß fie den Geiſt Gotied be>
md ihm wiberftreben, wenn fie ohne an Gott zu denken,
ben, wenn fie das Gebet vernadjläßigen,, ihre Eltern
ngehorfam, Müßiggang, Lügen, Zanffucht und Mutwillen
n, und daß ed das gröfte Unglüd fei, wenn ®ott feinen
n ihnen nehmen muß.”
n treuer Schullehrer, der das Chriftentum fich für feine
fon zur Hauptſache macht, und das wahre Heil der ihm
uten Kinder auf feinem Herzen trägt, wird gern und mit
eue die Gelegenheit benugen, wo er auf dieje Art einen
n die Seelen der Finder legen Fann.
agegen ein Schullehrer, dem dieſes ſchwer fiele, eben da⸗
veifen würde, Daß er weder für feine eigene Seele forgt,
erfte und wichtigfte Pflicht ſeines Lehramts kennt.
5. Was nun I. den eigentlihen Unterricht
trifft, fo ift zuvörderfi überhaupt folgendes anzumerken:
Der Schullehrer muß feinen Zeil deſſelben für gering-
(ten und etwa nur oben hin treiben. Er bat nichts
— 88 —
gethan, wenn er nicht in einer jeden Art des Unterrich
geleiſtet hat, was geleiſtet werden konnte.
b) Eben fo wenig muß eine Art des Unterrichts dei
weil etwa mit erwachſenen Kindern eben jeßt eine andere
nehmen ift, zurüdgejegt oder auch nur vernadyläßiget werdeı
Lehrer muß fi zu gewöhnen fuchen, feine Aufmerkſamk
alle gleich zu verteilen, jo verjchieden ihre Schularbeil
mögen, und ein jedes Kind in Dem, was es thun muß,
zu beſchaͤftigen.
8. 6. Der Unterriht in der Buchſtabenkenntn
im Buchſtabiren erfordert vorzüglidhen Fleiß, Unverdri
und pünktliche Beoachtung der Vorſchriften, durch weld
Schleppende und Unzweckmäßige, welches dieſen Teil des
richts bisher verdarb und ohne Not in bie Laͤnge zog,
abgeſtellt wrd. Mau kann mit Recht gewiſſermaßen ſagei
der Schullehrer bei dieſer erſten und gewoͤhnlich verachtet
ſchäftigung entſcheidende Proben ſeiner Tüchtigkeit und
Fleißes ablegt, wenn er bie Kinder in ein paar Monatı
es in der That in manchen Schulen geleiftet worden), im
flabiren zu einer hinlänglichen Fertigkeit bringt, um herna
viele Mühe Iefen zu lernen.
Höchſt unzweckmäßig und ſchädlich hingegen ift es
der Schullehrer kleine Kinder unbeſchäftigt daſitzen läſt, ur
dann und wann eines nach dem andern aufruft, um (mw
e8 nennt) aufzujfagen: indem Died nur felten herum
und alfo die Kinder in langer Zeit müßig bleiben unt
lernen. Anftatt dieſes in fo vielen Schulen üblichen nad
Ganges, werben hiermit folgende Vorfchriften empfohlen:
1. Sin jeder zu dieſem Unterricht beftimmten Sc
muß, wo möglid), eine große fchwarze Tafel an ber
hängen, und zwar fo, daß fie von allen Kindern, we
Buchſtaben kennen lernen follen, völlig gejehen wird, u
der Schullehrer nicht in die Höhe fteigen darf, um etr
Diefelbe zu fchreiben. *)
*) Sehr gut ifts, wenn auf der Zafel durch mehrere Falzen ler
— 59 —
2. Auf dieſe Tafel ſchreibt nun der Lehrer (oder wenn ſie,
unten angezeigt iſt, zum Einſchieben der Tafelchen eingerichtet
Ihiebt er) einen Buchſtaben, wi er gedrudt ausfieht, nebſt
Zal die ihn im Alphabet bezeichnet und den ihM gleichgeltene
gefchriebenen Buchftaben.
Alsdann verfammelt er die Kinder, weldhe ben Buchſtaben
en ſollen, läft fie in ihren ABCbüchern denjenigen Buchftaben
uhen, ber eben fo ausfieht, wie ber angelchriebene. Gr ers
ıtert diejenigen, die ihn bald finden, zeigt den andern, bie
faljch angeben, ihren Irrtum, und verfucht ob einige unter
m ben Unterjchied der Figur des Falſchen von dem Wahren
eben Eönnen ; läft dieſe Zeichen von mehreren, fonderlid aber
dem irrenden Finde, wiederholen, bis alle denſelben Buchs
en haben. Run nennt cr ihn laut, laͤfſt biefen Namen bald
allen zuſammen, bald von einem jeden beſonders fo lange
derholen, bis Die Kinder ihn hinlänglich kennen. Hierauf laͤſt
die Bücher zumachen, verdedt mit der Hand den Buchftaben
ber Tafel, frägt nad) dem Namen besfelben , läft jodann die
der alle wegjehen, jchreibt oder ſchiebt einen andern hin,
it den vorigen und fragt, obs derjelbe fei u. |. w. Auf eben
e Art macht er den Kindern die Zal bekannt; und hiernächft
t er ihnen in einem Schreibebuche den auf der Tafel neben
Zal flehenden Echreib-Buchftaben, bis jedes einzelne Kind
) diefen gehörig Fennen gelernt hat. Bei diefer Methode wird
Lehrer zuverläßig in fehr kurzer Zeit auch die kleinſten Kins
‚ durdy Das gemeinfchaftliche Anfehen, Benennen und Erraten
den Buchſtaben und Ziffern hinlänglich befannt machen.
3. Sobald das gejchehen , fängt er an, irgend einen Budj-
en, der mit mehrern einige Aehnlichkeit bat (3. E. a, c, &,
, ferner n, m u. ſ. w.) langjam zu jehreiben, und lAft, wenn
in welde kleine, ebenfalls ſchwarze Quadrattäfelchen eingeſchoben werden
n. Auf jedes diefer Täfelhen muß ein Buchſtabe des gedrudten Alphabet,
demfelben eine Zal und neben diefer der obenftehende Buchſtabe, ſowie er
Mt ausfiehet, alles diefes hinlänglich groß und leferlich mit weißer Farbe
t fein, |
— 60 —
er ben erften Zug gemacht hat, die Kinter erraten, welder Bud
ftabe das wol werden würde? wobei er Gelegenheit hat, die Uns
terfcheidungsfennzeichen eines®jeben zu wiederholen, um vie Kinder
dahin zu bringen, daß fie beim erften Anblid den Buchftaben je
gleich kennen.
4. Endlich laͤſt er diejenigen Kinder, weldye alles am rriten
und beften gefaft haben, vortreten, gibt ihnen Kreide, und führt
ihnen die Hand an der Tafel, um einen Buchftaben, welchen fie
wollen , hernach einen andern, den er ihnen aufgibt, und jo mit
ker Zeit alle zu fchreiben; wobei er auch falſch fchreiben und die
andern raten und verbeßern laßen kaun.
5. Sobald die Kinder die Buchitaben fertig kennen, fe
der Lehrer Vocal und Confonanten zu Silben zufammen (wozu
in ben ABCbüchern Anleitung genug ift), läſt die Kinder wiede
die Buchftaben raten und neunen, Die angefchriebenen Sitben in
ihren ABCbüchern aufſuchen, und hernad) zufammen ausjpreden.
Diefe Uebung wird fo lange fortgefegt, bis jedes Kind alle ihm
vorgelegten Eilben ſogleich kennt und ausſprechen kann. Uud
auch dann müßen dieſe Uebungen, wärs auch nur jedesmal einige
Minuten, erſt täglich, und hernach bei zunehmender Fertigkeit der
Lernenden, wöchentlich einige Mal wiederholt werden.
6. Alddann ift e8 Zeit, die Kinder zuerft in ihrem ABGbuh
und hernach in der Bibel, im Katechismus, Geſangbuch u. |. w.
im Buchſtabiren zu üben. Diefes gefchiehet auf folgende At:
a) Ale Kinder ſchlagen eine und dieſelbe Stelle in ihrem
Buche auf.
b) Der Lehrer teilt die buchftabirenden Kinder in drei
Abteilungen. Die eine muß die Buchftaben, welche eine Silbe
ausmachen, nennen. Die zweite muß anzeigen, ob ale mw
jammengehörende Buchftaben genannt find, oder ob einer fält,
oder zuviel ift? und alfo die Eilbe beftimmen. Die dritte
muß die Silbe ausſprechen.
c) Diefe Befchäftigung muß wechfeln, fo daß jede Abteilung
der Kinder zum Anzeigen der Buchftaben, Beftimmen dr
Siben und Ausſprechen fommt. Ein andermal Fann ein Kind
aufgerufen werben, welches die Buchftaben nennt; ein anberd,
ni
3
— 61 —
welches Die Silben beſtimmt; ein drittes, weldes fie auß-
ipridt.
Durch öfteres und mannigfaltiges Abwechſeln bei dieſer
debung erhält der Lehrer den großen Vorteil, daß ein jedes Sind
'eftändig aufmerkt, indem e8 nie weiß, ob es wieber aufgerufen
verde.
Der Lehrer muß aber genau darauf halten, daß keins von
en Kindern gar nicht ins Buch, oder auf eine fremde Silbe ſehe.
7. Eine hoͤchſt nötige und oft zu wiederholende Uebung iſt
as ſogenannte Buchſtabiren aus dem Kopf; da der Schuls
brer eine Eilbe, in der Folge mehrere und endlidy ganze, auch
ugere und jchwere Wörter ausſpricht, und beruach eine Abtei:
ug der Kinder Die zu diefer Silbe oder dieſem Wort gehören-
vn Buchſtaben erraten, die zweite die Silbe beſtimmen, und
SDaun alle zufammen fie ausjprechen IAft.
Zu Tiefen Mebungen können in der Folge vorzüglich ſchwere
amen, etwa aus dem 12. und folgenden Kapiteln des Buchs
Ofua und aus Matth. I. und Luc. 3 genommen werben, wodurch
u Kindern das nachmalige Leſen in der Bibel um fo mehr ers
ichtert wird.
Der Lehrer kann auch die Buchſtaben, welche ihm die Kin—
T zu folden Silben und Wörtern angeben, fo wie fie gefchries
N werden, an die Tafel malen, bamit ſich Diefe Figuren den
dern um jo mehr einprägen, welches ihnen in der Folge, wenn
ſelbſt fchreiben lernen, fehr zu ftatten kommen wird,
, 8. Zuletzt iſt noch anzumerfen, daß Die größeren Schulfinder
ihrend der Zeit, da der Schulhalter fi mit den Kleinen auf
le Art beihäftigt, ihre Schreibübungen vornehmen müßen,
U fie in diefer Art der Arbeit weder von den Buchſtabirenden
T&rt werden, ned auch ihnen Etörung verurfachen koͤnnen.
$. 7. Weil die Kinder gewöhnlih im Frühjahr und Herbft
U erjtenmal zur Schule geſchickt werden, fo ift mehrenteils der
Fang im Buchſtabiren und Lefen für jeden halbjährigen Zuwachs
T Ecdyule gleih, und können Tiefe neuangefommenen Kinder
zwei Monaten (vieleicht noch früher, wenn fie ordentlich
die Schule beſuchen und der Lehrer wahren Fleiß anmwendet,) |
gleich und zufammen zum Leſen angeführt werden.
Der Unterridht im Leſen muß nad folgender Bor
fchrift gegeben werben:
1. Alle Schulkinder, die größern fowie die kleinen, mühn
einerlei Stüd, weldyes gelefen werben fol Canfänglid m
ABCbuch, nad) einigen Wochen in der Bibel, und zwar die aus
wendig zu lernenden Sprüde, nach weitern Kortjcritn
im Gefangbud und Katehismus) aufſchlagen. Diefes Aufſchlage
muß jo lange geübt werden, bis fie nad) einer angegebenen Payin
alles ohne Zeitverluft finden koͤnnen; wobei ihnen die Kennt
ber Balen, die fie (nah $. 6) zugleich mit der Buchftabenkent
nis empfingen, jehr zu flatten fommt.
2. Nun wird aus dem Buch, weldhes alle Kinder habe,
(alio zuerft aus dem ABCbuch, als welches alle, auch die gröfem,
in der Zeit, da Die Lefeübung angefangen wird, mitbringen
müßen) eine gewählte Etelle, anfänglid, wie $. 5 vorgefchrice,
von ſaͤmmtlichen in Klaſſen eingeteilten Schulfindern buchſtabirt; wa
das geſchehen, teilt eine Klafje jedes Wort in feine Silben d |
(bei einfübigen Wörtern fagen die Kinder nichts weiter, ab:
ganz; bei mehrfilbigen 3. €. von A—L; von LS u. |. m),
und alle übrigen ſprechen dad ganze Wort aus.
3. Iſt das ganze Stüd fo durchbuchſtabirt, fo liefet da J.
Lehrer laut, langſam und mit gehöriger Tonfegung, und ele
Kinder ſprechen es ihm leife, doc verftändlich nach (mie bei
Singen 8. 4).
4. Hiebei muß der Lehrer darauf fehen, daß ein jedes Kit
gerade das Wort, welches jeßt ausgejprochen wird, anfieht, m
zu dem Ende Bald dieſes, bald jenes auf das Wort binzeigt
laßen.
|
5. Alsdann ſchweigt der Lehrer und laͤſt die Kinder jünt J
lich allein leſen (jedoch immer dasſelbe Stüd); gibt aber #
jedem Falſchleſen, Verſchlucken der Silben, bei faljcher fon’ J.
tifcher Abteilung und unrechter Tonfegung fogleich ein Zudt Mi.
daß eingehalten werden fol: fragt Dabei nad der urſa
warum er einhalten laßen; verbeßert ſogleich den W
— 63 —
gangenen Fehler, wenn diejenigen Kinder, welche ihn gefunden
haben, ihn nicht ſelbſt gehörig verbeßern koͤnnen, und laͤſt nun
das Vorhergeleſene noch einmal leſen, bis alles richtig wird.
6. Eben dasſelbe Stück laͤſt der Lehrer nun von einem
Kinde der erſten, zweiten oder dritten Abteilung leſen, ruft ſo⸗
gleich die andern bald einzeln, bald alle auf, um fort zu fahren;
dadurch erreicht er auch hier den Zweck, daß ſämmtliche Schul⸗
finder zur ununterbrochenen Aufmerkſamkeit gewöhnt werben.
T. Run nimmt der Schullehrer nad) Belieben einen Keil
des gelefenen Stücks, fängt an, ihn an die Tafel zu fchreiben
und laͤſt die kleinen Kinder erft raten, welcher Teil e8 fei; ſodann
laͤſt er fih von ihnen dictiren, fchreibt falſch, laͤſt Worte aus
u. ſ. w. und fragt: ob es vecht ift oder nicht? laͤſt auch von den⸗
jeniggen Kintern, weldye ſchreiben können, dieſe Uebung wiederholen.
8. Endlich folgt die Ücbung im Gefhwindlefen. Der
Lehrer fängt an, das vorbergelefene Stück gefchwinder zu lefen,
ald gewöhnlich, und bemerkt genau jedes Kind, welches im Buche
zurüũck bleibt. Nun macht er 1) aus denen, die nicht zurüds
Bleiben, 2) die nit völlig mit fort kamen und 3) die den
Bufammenhang ganz verloren, verjchiedene Abteilungen, läft Die
Kinder einer jeden berjelben fo geſchwind lefen, als fie Fönnen,
Da Dann dasjenige, welches zurüd blieb, in die nächit untere
Bteitung fommt u. ſ. w. |
Eben dieſe Uebung laͤſt er die Kinder unter einander ans
ſtellen; da Eins, welches fertig lieſet, ſeine Stelle vertreten muß,
bis ers dadurch ſo weit bringt, daß alle das geleſene Stück ge⸗
hwinder, als gewöhnlich ableſen können; welches bei fortgeſetzter
ebung feinen Nutzen bald zeigen wird.
9. Eobald alle Kinder wenigftens richtig (wenn auch nicht
8le th geſchwind) lefen können, wird diefe Art von Uebung
wõch entlich nur einige Mal vorgenommen.
Q Dagegen muß das Leſen des Fleinen Katechismus
WE heri, wie auch das Auswendigherfagen deſſelben
leig;, fortgejegt und wiederholt werden, damit alle Kinder den⸗
I ben fertig lernen.
10. Zulegt wird der Schullehrer jehr wol thun, wenn ex
— 64 —
die Eltern der Kinder zu bewegen ſucht, Daß fie ſich von lehzem
das monatliche Lied, den Pſalm oder die in der Schule gelejenen
Hauptiprüde zu Haufe vorlefen laßen. Den größern und fetig
Lefenden kann er ein Kapitel aus der Bibel, (etwa eine Geſchichte
enthaltend, 3. E. 1 Mof. 22) ganz oter Stüdweije aufgeben,
welches fie den Eltern vorlefen und fich ſelbſt bekannt machen
müßen, damit er e8 hernach in der Schule bei der Katechijation
zum Grunde legen fönne.
8. 8. Die Katehifation ift das vorzüglidyfte, was da
Schullehrer in feinem Religionsunterricht thun kann. So leicht
manchem dieſe Beſchäſtigung ſcheinen mag, jo viel gehört dazu,
wenn fie mit wahren Nußen getrieben werden fol. Gin nidt
genug gefannter und gejchäßter Vorteil, den daher fein Schul
lehrer aus der Acht laßen muß, ift dieſer: daß er für feine Per
fon fih aufs allerbefte mit der heil. Schrift befannt
made. Denn da auch der gelebrtefte und geübtefte Prediger
ohne gründliche Bekanntſchaft mit der h. Schrift feinen wahren
Unterrigt im Ghriftentum geben, noch denfelben den Sindern
durchs Katechiſiren hinlänglich nußbar und faßlich machen
kann; ſo läſt ſich dieſes von einem unſtudirten und im Denken
nicht genugſam geübten Manu noch weit weniger erwarten, wenn
ihm die Wahrheit nicht aus dem göͤttlichen Wort fo bekannt ge
worden ift, daß fie ihm in der Art, wie fie in der Bibel vorge
tragen wird, immer vorfchwebt. Dagegen lehrt die Grfahrung,
daß auch Ungelehrte, wenn ihnen das göttlihe Wort im
Munde und Herzen nahe ift (Rom. 10. V. 8) und fe
Demfelben in treuem Gehorfam folgen, mit vielem Segen andere
im Chriftentum unterrichten und erbauen fönnen. Es wird daher
allen Schullehrern das fleißige und andächtige Bibelleſen als hei:
lige Pflihyt and Herz gelegt, und werben zugleich Synfpectored
und Prediger ermahnt, ihre Schullehrer bei jeder fchicklichen Ge
legenheit dringend dazu anzuhalten: indem ganz unleugbar unter
mebrern Schullehrern von jonft gleichen Gaben und Fähigkeiten
derjenige zum Religionsunterricht der tüchtigfte ift, ber dieſe Pflicht
vorzüglich beobachtet hat.
$. 9. Nähft dem, was bier vom Bibelleſen überhaupt
|
— 65 —
ſagt worden, muß ſich der Schullehrer auf den Religionsunter⸗
ht des folgenden Tages durch Nachſchlagen der im Katechismus
geführten Schriftfſtellen hinlänglich vorbereiten. Kann er eine
zliſche Geſchichte finden, die mit dem, was im Katechismus
gt, in Verbindung ſteht (z. E. bei der Lehre von der All⸗
acht Gottes, den Durchgang der Kinder Israels durchs
He Meer; bei der Lehre von der Gottheit Chriſti, feine
ttlichen Wunder, die Sättigung der 5000 Mann, die Aufer-
dung Lazari ꝛc. x., bei dem vierten Gebot die Gefchichte der
babiten u. ſ. w.), jo kann er dergleichen Stellen den Kindern,
e 6. 7 angezeigt worden, zum Durchlefen in Gegenwart ber
tern aufgeben. Diefe Stellen läjt er hernach in der Schule
en, wobei er jeden Umftand, der erzält wird, den Kindern ab»
gt; die ihm dann ſehr leicht antworten werben, wenn er feine
:agen fo einridhtet, als wiße er niht, was vorge—
;ngen, oder als vermute er dad, was ein jeder
rmuten müfte, dem die Grzälung der Bibel nicht ‚bekannt
re; beögleihen, wenn er in feinen Fragen das Gegen
il von dem, was erzält wird, vortägt x. x. Bei
itger Hebung und bei dem redlichen Einn nützlich zu werben.
rd ihn Die Willigfeit der Kinder, ihn über feine Fragen zu be-
Iren, bald zu einer Fertigkeit bringen, Die er vielleicht nie zu
langen glaubte. Auch wird er Gelegenheit genug haben, bei
lchen Unterredungen fi auf andre ähnliche Schriftftellen zu be
ben, einige Verſe ans guten Liedern anzuführen, den Kindern
Jagen, wie er zu Gott gebetet haben würde, wenn er die er-
te Gefchichte erlebt hätte (3. E. wenn er unter den 5000
ännern gewejen wäre, die im Außerften Hunger doch immer bei
ſu ausharrten, um von ihm Worte bed ewigen Lebens zu
Ten u. f. w.). Diefed wird zugleidy unvermerft eine Anw eis
ng zum Beten fein, die gewiß nicht ohne Nugen bleibt.
Endlih kann der Lehrer bei folchen Gelegenheiten manche
te Ermahnung anbringen, welche die Kinder um fo weniger
ild vergeßen werben, weil fie mit der ihnen lebhaften darge—
ellten Geſchichte verbunden war.
1) Da die heil. Echrift, fonderlih im Alten Xeflament,
Sepp, Bollsfgußuchen, 8 \ ð
— 6 —
und in den Goangeliften, mweldye Dad Leben und die Thaten Jeſu
erzälen,, jo viele merfwürtige Geſchichten enthält, fo wird nicht
leicht eine Neligionswahrheit übrig bleiben, zu deren Gxlernung
die Kinder nicht Durd) irgend eine biblijche Geſchichte ſehr nüplig
vorbereitet werden koͤnnten.
2) Von dieſer Art der Betrachtung muß Dann ber Lehre
zu den im Katechismus enthaltenen Lehren fchreiten; wobei et
folgente8 zu bimerfen bat:
1. Gr ſelbſt liefet Die Frage und die Kinder leſen fogleid
Die zu derſelben gehörige Antwort.
2. Nun füngt er an die Antwort in ihre mwejentlihe Be
ftandteile zu zerlegen, 3. E. „die hriftliche Lehre ift ein:
Unterweifung zur Seligfeit durch den Olauben a
Jeſum Chriftum.” Hier liegen folgende Säße:
a) Die chriſtliche Lehre gebt dahin, daß der Maik
felig *) werten fell.
b) Der Meufh weiß von felbft nicht, wie er ſeli S
werden cl.
ce) Er muß alfo Dazu angemwiejen werden; e mu"
ihm gejagt werden, was zu feiner Eeligfeit nötig it, nd —
zu Diefem Zweck thun nnd was er meiden fol; wie er fi dt
Hülfe, Lie ibm dazu angeboten wird, zu Nuße machen fol.
d) Die Seligfeit fann nur durh Zefum Chr °
tum erlaugt werden.
ec) An den foll der Menſch glauben. Er fol die Selig⸗
feit nicht bei fi) oder andern fuchen und erwarten, ſondern Jeſus
Chriſtus ſoll ihm die einzige Urſache der ewigen Seligkeit je
(Chr. 5).
*) Hier wird hauptſächlich ber wahre ächte biblifhe Begriff des MWorts Er'
ligkeit und der Unterfhied zwifhen felig fein und glüdlic fein det
lid gemacht, und gezeigt: daß Seligkeit lediglich den Zuſtand der Eeele be
treffe; daß ein Menſch, der von der Welt glücklich genannt wird, fehr unfelig
und umgefchrt ein vor der Welt fehr unglüdlicher ein feliger Menſch fen
tönne. Dieſes wırd aus der biblifhen Erzälung vom reihen Hanne w
armen Lazarus (Luc. 16) erläutert,
— 61 —
e mehr der Lehrer auf dieſe Art felbft über jeden Saß
echismus nachdenft, je beßer wird ihm diefe von fo vielen
ı jchwer ausgegebene Arbeit von flatten geben, und je
ird der Zweck feines Religiondunterrichts bei den Kindern
werben, |
Um die auf ſolche Art Stüdweije vorgelegte Antwort
dern deſto mehr einzuprägen, ift ed gut, wenn er zuweilen
genteil fragt; 3. &.: Geht Die chriftliche Xehre dahin, Daß
nich reich werben fol? oder geehrt? oder daß er ohne
ten, gute Tage auf der Welt haben könne? Yerner:
ht der reihe Mann (Luc. 16) ein recht feliger, und
ein recht glüdlicher Menſch? u. |. w.
ie Autworten der Kinder werden ihm fogleich zeigen, ob
Sache verftanden haben oder nicht.
Er muß die im Katechismus angeführten biblifchen Be⸗
len immer gleich zu Hülfe nehmen, und was auswenbig
n aufgegeben war, ſich herfagen laßen, vorzüglich aber
ber auf diejenigen Worte aufmerffam maden, welche
b dad, was in der Antwort ftand, bemeifen.
jet fleißig fortgefeßter Arbeit diefer Art werben bie Kinder
erft mit der heiligen Schrift jo befannt geworden fein, daß
eich weiter fortfahren können, wenn der Lehrer eine aͤhn⸗
blifche Stelle mit ihren Anfangsworten anführt. Uub wol
hullehrer, der auf diefe Art einen Schatz von Wahrheiten
Herz der Kinder gelegt bat, die ihnen noch im. fpäten
um Troſt und zur Erweckung dienen und ein Segen für
ıd Ewigkeit fein koͤnnen.
. Das Wefentlidhfte von dem, was bei jeder Frage
twor auf dieſe Weiſe abgehandeit worden, muß ſogleich
rholt werden. Der Lehrer laͤſt die Kinder ihr Buch zus
‚ und befragt bald Einen, bald Mehrere, bald Ale über
as vorgetragen war.
Im folgenden Tage wird dieſe Wiederholung nochmals fe
vie möglich, erneuert. Wie denn ber Schullehrer überhaupt
darauf merfen muß, daß er bei jeder neu vorfomuenden
v
— 8 —
Lehre das Vorige, welches ſich auf dieſe bezieht, nicht aus der
Acht lade.
6. 10. Der Unterricht im Schreiben wird auch den Fein
ften Anfängern um fo faßlicher fein, je forgfältiger Der Lehre
das, was $. 6 beim Buchſtabiren feſtgeſetzt ift, beobachtet hatte.
Es kömmt hierbei nur noch auf folgende Punkte an, nach welchen
der Edyullchrer ſich in diefer Beichäftigung richten muß:
1) Die Kinder, welche ſchreiben lernen, müßen mehr, ald
bisher in den meiften Schulen geſchehen, beſchäftiget werden.
Das gewöhnliche einförmige Vorjchreiben der einzelnen Buchftaben,
welches oft Schon allein ſogenanute Schreibebücher von mehreren
Bogen erfordert, verleitet fie nur allzuleicht zur Nachläßigkeit und
zum Müßigfein. Der Lehrer muß gleich mit Buchftaben, Silben
und Wörtern, auch Ziffern wechſeln und das Verſprechen hinzu
fügen, daß wenn die vorgefchriebenen Buchſtaben u. f. w. nad
gemacht worden, ihnen alsdann bald ganze Zeilen vorgefchrieben
werden. follen.
2) Es muß forgfältig darauf gefehen werben, daß die Kin-
der jetesmal auch wirklicdy fchreiben, weil ohne dieſe genaue Auf
ſicht gewöhnlich allerlei Ungezogenheiten aus Langeweile einreißen.
3) Wenn einige vorgefchriebene Beilen erträglid lejer
lid und mit fichtbarem Fleiß nachgemacht find, fo legt de
Schulhalter den Kindern eine biblijhe Stelle zum Abſchreiben
vor. Eo lange aber noch unreinlid) und nachläßig gefchrieben
wird, muß die erfte Vorfchrift immer aufs neue nachgemacht werden,
bis Die Kinder zur Ordnung gewöhnt find.
4) Das fogenannte Gorrigiren heiſt gar nichts, wenn
ber Edyullehrer, wie in den meiften Schulen gefchieht, fich blos
die Echreibebüdyer geben läft, bie und da einen Buchſtaben aus
ſtreicht und ändert, und forann den Kindern ihre Bücher zurid-
gibt, ohne fie über ihre Fehler und deren Verbeßerung binfänglıd
belehrt zu haben. Tas, was offenbar nachläßig gejchrieben wor:
ben, muß ohne weiteres Corrigiren durchgeftrichen werden. Das
- Gorrigiren muß blos eine Belohnung fein für Diejenigen Kins
ber, welche tie gehörige Sorgfalt auf ihre Arbeit gewandt haben
Dieſe kaun der Lehrer einzeln vornehmen, fie felbjt erraten laßen,
—— leur nr
— 9 —
welche Buchſtaben und auf welche Art ſie fehlerhaft ſind, und
nun erſt ändert er dieſe. Die Kinder ſchreiben alsdann die ge
änderten Buchſtaben aufs neue nad, bis ihnen Die Züge geläufig
werten. Zuweilen Tann der Schulmeifter diefes Gorrigiren auch
den geübtern und fertigern Kindern, jedoch unter feiner Aufſicht
übertragen, nachdem er felbft ten Nadyläßigefn ihren Fehler ges
zeigt hat; weldye8 für jene Geübtern eine Art von Grmunterung
und Belohnung if.
5) Eobald einige Kinder (find es alle, fo gebt es defto.
leichter) fo weit gefommen find, daß fie das Vorgefchrichene reits
ih und Leferlih nachmachen, auch aus der Bibel vorgelegte
Stelen richtig abfchreiben: muß der Lehrer ſolchen Kindern zuerſt
einzelne Wörter, ſodann nach einiger Uebung mehrere und: end :
li ganze Sätze dictiren. Hauptſächlich fommt es hiebei darauf
an, daß er ſich von den Kinder ſelbſt die Buchſtaben ſagen laße,
welche zu tem Worte gehören; wozu vorzüglich ſolche Wörter zu
wählen find, die bei ganz oder body beinahe gleichem Klang fich
nur dur die Buchftaben unterfcheiden, 3. E Pflug, Fluch,
Flug u. ſ. w., bier muß er fehr genau nachſehen, ob die Kinder
bei dem Hinfchreiben den von ihnen felbft bemerkten Unterſchied
beobadıten oder vernadhläßigen. Denn das Echreiben ift eine
Arbeit, bei welcher man die Kinder vorzüglidh zur
Oenauigfeit und Drdnung in allen ihren Hands»
lungen gewöhnen fann. | .
6) Nach einiger Zeit kann der Lehrer ben Kinbern Heine
Briefe dictiren, bei weldyen zugleich auf die Snterpunktion
und auf das Shönidreiben gejehen wird.
8. 11. Der Unterricht im Rechnen laͤſt fi tur bie
Beobachtung folgender Vorſchriften weit kürzer und vorteilhafter
einrichten , als in fehr vielen Schulen bisher geſchehen ift.
a) Alle Uchung in den fogenannten fünf Speciebus muß fo
lange an ber Tafel vorgenemmen werden, bis ein jedes Kind
Fertigkeit genug hat, das ibm Vorgejchriebene auf dem Papier
richtig auszuarbeiten.
b) Bei dem fogenannten Numeriren wirb nad folgendem
Schema verfahren.
— 70 —
No. 8. | Ne. 7. ı No. 6. | No. 5. | No. 4. } No. 3. | No. 2. | No. I.
Behn.- |Million- | Hmmdert- | Zehntan- | Taufend-| Hundert- | Zehnmal| Einmal
Million- | mal. | taufend- |fendmal.| mal. mal.
mal mal.
2 19 9 9 9 9 9 9
Diefes Echema fchreibt der Lehrer an die Tafel, zeigt den
Rindern, daß eine jebe Zal, wenn fie in der Reihe No. 1 fteht,
ihren Werth Einmal hat, daß fie in der folgenden ihren Wert
zehnfach empfängt u. |. w.
Tiefes macht er den Kindern zuerft Durch Die in die Reiben
gefchriebene Zal 9 Deutlich; fehreibt nun unter die 9 Die Yal 8;
unter dieſe die Bal 7 u. ſ. w., fragt die Kinder, was ci
Bal 8, 7,6 u. f. w. in der erften und zweiten Etelle bedeute!
Was in der fünften und dritten u. f. w.? Wenn fie das fertig
gefaft haben, Iäft er Die ganze Reihe ausſprechen; fodann ve:
ändert er die Zalen, fehreibt in jede Reihe verfchiedene und läl
fie wieder ansprechen. Nun gibt er erft Fleinere, Dann immer
größere Summen auf, z. E. Sehstaufend und Vier; frag:
in welche Stelle die Sechstauſend gehören? und in melde bie
Vier? fchreibt dieſe zwei Zalen bin uud füllt die leeren Plaͤße
mit Nullen, wodurch er zugleich den Kindern den Sab beibringt:
daß jede eigentlihe Zal in ihre Stelle, und in die leeren Pläpe
Nullen gefegt werden müften.
Auf dieſe Art werden die Kinder ed mit weniger Mühe in
furzer Zeit zu einer binlänglicyen Sertigfeit bringen.
6) Gleich bei diefem Numeriren fann bie erfte Anleitung
zum Addiren und Subtrahiren angebracht werden, und
zwar auf folgende Art: Wenn der Lehrer eine Reihe Yalen an
bie Tafel gejchrieben, und fid) durch gehörige8 Hecumfragen ver
fiyert hat, Daß die Kinder jede Zal nach dem Wert, den ihr
ihre Stelle gibt, genau zu beftimmen wißen, jo verlangt er, dah
10,100, etlihe Zaufend u. |. w. weniger genommen und bad
übrigbleibende durch Veränterung der angefchriebenen Zal beftimmt
werte. Gben fo gibt er 10,100,1000 u. ſ. w. mehr und IM
gleichfalls darnach Die Zal verändern.
Wenn dergleichen Uebungen zuerft mit Heinen, dann mit
— 1 —
ern Zalen, oft und mit allen mögliden Veränderungen ans
lt werben, fo haben die Kinder fchon vorläufiyg das Wefents
der Addition und Subtraction ohne ed zu wißen
nt: weldye8 ihnen bernady die Regeln diefer Epecierum deſto
erleichtern wird. Auch werden fie vorzüglich dadurch geübt,
topf zu rechnen.
d) Bei dem eigentlichen Vortrag der fogenannten Specierum,
such der Regelde Tri, verflehet es ſich von felbft, Daß vors
ch nur Exempel mit benannten Zalen und zwar, fowie fie
ausweſen ded Landmanns und des gemeinen Bürgerd am meiften
ımmen, gebt werden müßen u. |. w. Der Lehrer muß durch
fleine Ggempel in allen Speciebus die Kinder zum Reſch⸗
im Kopf’gewöhnen und diefe Hebung muß mit dem Rech⸗
auf dem Papier in gleicher Art fortgehen. Sonderlidy kann
a8 Corrigiren der den Kindern aufgegebenen Redynencgempel
diefe Art nüglih machen, wenn er dad Exempel an der
I vornehmen läft, und nun jedem finde auf dem Papier
,‚ oder es ſelbſt aufjuchen läft, wo es gefehlt bat.
Bulegt kann der Schulhalter den gehbteren Kindern ein ers
etes Haushaltungebudy geben, in weldhem er auf der einen
e die Sinnahme für allerlei Produkte und Babrifate ſpecifi⸗
auf der andern Seite Ausgaben hinſetzt und nun die Kinder
jet, die Summe zu ziehen und Ausgabe und Einnahme zu
neiren. Dergleichen erdichtete Exempel werden die Kinder
ach bald in wirkliche verwandeln können und dadurch unvers
t im Stande fein, die Heinen Hausrechnungen ihrer Eltern
Ihren.
6. 12. Die Anordnung aller diefer verfchiedenen Schul⸗
den muß der Einſicht der Prediger und Inſpectoren um fo
' überlaßen werden, da ſich nidt an allen Orten einerlci
wng einführen läft. Außerdem was ſchon in dem Gencrals
Ireglement in Abficht diefer Sache vorgeichricben it, muß
meifte biebei durch Die befondern Umftände einer jeden Schule
nmt werden. Nur wird cd den Schulhaltern hiedurch foͤrm⸗
unterjagt, ohne Vorwißen des Predigerd und Inſpectors
d etwas willfürlidy einzurichten oder abzuändern,
8. 13. Was enblih IIL die Schulzucht betrifft: jo was
ben zunörberft fämmtlihe Schullehrer auf die in dem General
Sandfchulreglement ihnen gegebenen Vorſchriften vermwiejen. Und
wird ihnen beſonders hiemit von neuem eingejchärft, daß fi
fchlechihin ſich weder Heftigfeit und übertriebene Härte, noch auf
irgend eine Parteilichfeit, aus welcher Abficht ed immer fein mag,
erlauben dürfen. Außerdem aber find folgende nähere Anweijungen
um fo zwedinäßiger und nötiger, je mehr die Erfahrung lehtt,
wie wenig fich viele Echjullehrer in Abficht der Mittel, Zucht und
Drdnung zu erhalten, und infonderheit in Abficht der Arten und
Etufen der Beftrafung zu belfen wißen.
8) Die Hauptkunft befteht darin, daß der Lehrer Berge
bungen zu verhüten wiße. Es iſt höchſt unrecht, wenn Lehrer
nur aufs beftrafen denken. Eie werden Schuld an den Un
orbnungen, wenn fie nicht alles ihrige gethan haben, um biejelben
zu verbüten.
Wenn der Lehrer dasjenige treu beobachtet, was in $. 4
von der Ordnung, in weldye er die Kinder vor dem Anfang des
Unterricht8 bringen muß, gejagt ift, und wenn er fie überall in
jeder Lchrftunde gehörig zu beichäftigen weiß, fo Daß ihnen feine
lange Weile übrig bleiben kann, fo wird gewiß ſchon dadurch
fehr viele8 vermieden, 3. E. Plautern, Banken, Nedereien, un
gebührliche Leibesftelungen, Unachtfamkeit u. |. w.. was fonft bei
noch fo oftmaliger Beftrafung immer wieder fommt. In da
That ift die Schule, in welcher viel und oft geflraft werben muß,
ein Beweis von Ungefchidlichkeit des Lehrers.
b) Vergehungen, die außer der Schule, befonderd unter:
wegs, wenn die Kinder in Die Schule fommen und wieber nah
Haufe gehen, vorgefallen find, können, wenn fie dem Schulmeifer
befannt werden (und eigentlich fol er auf die gefammte Auffüh
rung der Kinder, fo viel ihm möglich ift, aufmerkfam fein) mi
Nugen dadurch beftraft werden, daß die ſchuldigen Kinder, ald
unwert unter den andern zu figen, eine befondere Stelle haben,
bis fie ihr Vergehen eruftlich bereuen und dieſes durch ein vor
züglich ftiles und aufmerkjames Betragen in der Lehrftunde be
— 173 —
weiſen. Die Schullehrer thun wol, ſich Darüber mit den Eltern
des fchuldigen Kindes auf eine gute Art zu beiprechen.
c) Jedes Vergeben in der Schulftunde wird zum erften
Mal dadurch gerügt, daß der Schulhalter ftillfchweigt, aud
die Kinder im Lefen u. ſ. w. einhalten läſt und alddann fagt:
8 fei Eins unter ihnen, welches jene Unordnung begehe. Zum
jweiten Mal behält er das Kind zurüd und ermahnt es priva-
im aufs ernftlichfte; zum dritten Mal läft ers um eind ober
inige herunter rüden; geht e8 weiter, fo läft ers an die Thüre
teten; bilft das nicht, fo gibt er Eleinern einige Streiche mit
ver Rute auf die Hand, und den Grdßern, fonderlid bei
Boöheiten, Beleidigungen anbrer u, |. w. einige Stockſchläge.
Die fchwerfte Strafe, wenn entweder das Verbrechen in Beſchaͤ⸗
Yigung Anderer oder offenbar vorfäßlichen Störungen befteht und
ene Mittel nicht Helfen wollen, würde fein: daß ein folches Kind
‚umgern müfte, und alfo zu Mittage nicht nad Haufe gelaßen
vürde. Wäre alles dieſes vergeblich), jo muß das nicht in Ord⸗
wng zu bringende Sind dem Prediger angezeigt werden, welcher
8, wenn ed aud fonft Fähigkeiten hätte, in Gegenwart feiner
SItern mit der Ausfchließung von feinem Unterricht bedroht,
m Sal es fich nicht in einer beftimmten Zeit beßert.
d) Sowie die fittfamen und fleißigen Kinder den ungezo>
jenen und nachläßigen überhaupt bei jeder Gelegenheit vorgezogen
verben müßen, jo muß ber Schulbalter die Erftern auch insbe—⸗
ondere dem Prediger bei deſſen Schulbeſuch vorftellen, deſſen
Srmahnung zum Fortfahren auf dem guten Wege mandyen von
en Andern zur Nacheiferung anfpornen wird.
e) Bor allen Dingen aber wird den Echullebrern wol zu
edenten gegeben, Daß ihr eigned Vetragen auf das Betragen ber
kinder einen unglaublichen Einfluß hat; Daß fie durch ein geſetztes,
enſtes und zugleich liebevolles Weſen vielen Ungezogenheiten und
Zergehungen der Kinder zuvorfommen und alfo viele Beftrafungen
riparen koͤnnen; da hingegen fie bei einer leichtfinnigen, oder
iürriſchen Behandlung der Kinder durd alles Grmahnen und
Strafen nichts ausrichten werden. Mancher treuer und gefchidter
—chulhalter hat es fo weit gebracht, daß die Beftrafung mit
— 74 —
Aute, Stock, Hunger u. ſ. w. gar nicht mehr vorkam, weile
durch Beobachtung alles deffen, was in diefem Paragraph vorge
tragen worden, hauptſächlich aber durch fein geſetztes und gottes⸗
fürchtiges , Liebe und Würde zeigendes Betragen den Ton ber
Ehrerbietung, der Ordnung und Sittſamkeit in feiner Schule
berrichend zu machen wulfte.
F. 14. Schließlih haben Sr. Majeftät fo wol zu den Ja⸗
ipectoren (Eraprieftern, Präpofiten) ald zu den Predigern bad
guädigfte Vertrauen, daß jie, ihrer Pflicht gemäß, um fo wiliger
die ihnen untergebenen Schullehrer zur Befolgung der bier ev
teilten Vorfchriften anhalten und ihnen in allen Fällen, wo fie
deflen bedürfen, durch Nat und Anleitung zu Hülfe kommen wers
den, je ſchmerzlicher es ihnen felbft fein muß, in ihren Diözelen
und Gemeinden eine vernachläßigte, unwißende und gottlofe Jugend
heranwachſen zu feben.
Sämmtlihe Schullehrer aber in den Land» und niederm
Stabtfhulen werden hiedurch ernftlich und dringend ermahnt, nicht
nur überhaupt den Zwed und die großen Fflichten ihres Amtes
vor Augen zu haben, fondern auch infonderheit die ihmen in bieler
näheren Anmeifung vorgelegten Punkte wol zu beherzigen und
mit willigem Gehorfam zu befolgen. Einem jeden Schullehrer
wird die Wichtigkeit feines Amtes und feine künftige ſchwere Ter:
anfwortung gewiß in die Augen leuchten, wenn er bedenkt, daß
Jeſus Chriſtus bei feiner Ieten Unterretung mit dem von ihm
begnadigten Petrus die Worte zu ihm fprah: „Haft du mid
tieb, jo weide meine Lämmer;” wenn er bedeuft, daß er der
jenige ift, den der Herr vorzüglich Dazu brauchen will, aus dem
Munde der Unmündigen fih ein Lob und eine
Macht zu bereiten, daß von feiner Erziehung oft das ganz
Leben und Verhalten bed Landmanns und gemeinen Bürgers ab
bängt, Daß er alfo weit mehr Gutes ftiften, und weit met
Boͤſes abwehren kann, als er fi vorzuftellen im Stande if;
und endlich, daß der Herr, welcher gejagt bat: Laſſet die
Kindlein zu mir fommen, ihn fhägt und Ticht und ihn
ſegnen und belohnen wird, wenn er auß Liebe zu Ihm das feinige
thut, damit bie ihm anvertrauten Kinder ſowol nfgliche und
higefittete Witglieder des Staats als infonderbeit Pflanzen
m Herrn zum Preife und Bäume der Öeredtigkeit
rden.“
Schon Friedrich Wilhelm IL hatte es erfahren müßen,
} der Lauf der Dinge mächtiger war, als fein noch fo beharr⸗
feftgehaltner königlicher Wille, und daß das Zufammenbrecdhen
bisherigen morſch gowordnen Stüßen der Kultur nicht mehr
zuhalten fei. Die Stürme der Revolution waren erbrauft und
Mindeten wie mit den Pofaunen des Gerichts, daß eine neue
it gefommen fei, in welcher vor Allem die Pflege der Kultur⸗
ereffen auf anderen Wegen verfucht werben müße als bisher.
iedrih Wilhelm II. trat daher nad dem Tode feines
ter8 am 16. November 1797 die Regierung mit der Abſicht
‚ die bisher üblich gewefene NRegierungsweife in jehr weſent⸗
en Punkten zu ändern. Mit dem Wöllnerjchen Religionsebift
rde auch Wöllner felbft befeitigt. An der Stelle des letzteren
rde der Präfident der Pommerſchen Regierung, v. Maſſov,
Staatdminifter mit der Leitung des Oberfchulcollegiums und
geſammten Unterrichtöwejens betraut. Die Wahl war in fo-
t eine glüdlihe, ald Maflov zu denjenigen Staatdmännern in
eußen gehörte, welche bie Förderung des Erziehungsweſens als
allerwejentlichfte Wufgabe des Gouvernementd betrachteten.
ch hielt derfelbe noch immer daran feft, daß die Schule jo viel
möglih auf kirchlicher Baſis aufgebaut werben müße. Es
ft eine fehr umfangreiche Abhandlung vor, weldye Mafjov nod)
Sommer 1797, alfo noch in Pommern, über die in dieſem
hre erjchienene Schrift des Gonfiftorialrated Stephani zu
ſtel „Grundriß der Staats: Erziehungs: Wißenfchaft" ausgear-
tet bat. Maſſov weift nad, daß die Schule ihrem Begriffe
d ihrem Intereſſe nad), mwenigftend in der Gegenwart, nur im
ſammenhange mit dem Sintereffe der Kirche und des Ghriften-
19 gedacht werden koͤnne. Aber Stephani's Name repräfentirt
— 78 —
doch das ganz neue Prinzip, welches für die Volksſchule geltend
gemacht wurde. J
Den erſten Schritt zur Hebung bes Schulweſens that Fride |
rich Wilhelm IIL, indem er unter dem 3. Juli 1798 an tn \
Staatsminiſter v. Maflov ein Refeript erließ, worin er erklärte:
Das Schulweſen fei ein Gegenftand, der die gröfte Aufmerkſamkeit
und Fürforge der Staatöregierung verdiene. Insbeſondre fei je
doch für eine zwedmäßige Erziehung ber Kinder von Bürgern mb
Bauern zu forgen. In den Schulen der neuen Provinzen müle
der Unterricht in der deutſchen Sprache eingeführt, und abgeſehn
von der Verfchiedenheit des Religionsunterrichtes müften alle Edu⸗
len ganz aleichförmig eingerichtet werben. Die Anſchaffung zwed-
mäßiger Schulbücher fei durchaus notwendig. Auch fei der gegen—
wärtige Zuftand der Schulen genau zu unterfuchen, Damit die Ark
und Weife ihrer Reform ermittelt werben könne. Viele ſog. ge
lehrten Schulen wären in Bürgerfchulen umzugeftalten. Die um
den Reformen erforberlichen Koften würden fi aus tem Edul—
gelbe, aus fixirten Beiträgen der Kämmereien und Gutöherm, >
wie aus Staatömitteln gewinnen Taßen.
Die Berichte über den damaligen Buftand ber Schulen,
welche infolge defien von den Behörden eingezogen wurden, ber
kunden, wie wenig alle zur Hebung der Volksſchulen in Preußm |
gemachten Anftrengungen bisber gefruchtet hatten. Syn ber im
mark befanden fi} damals 242 ftäbtifche, lutheriſche, und 1650 1
Dorffchulen. Unter den ftädtifchen waren nur 8 eigentliche gelehrte
Schulen, 6 Mittelfchulen, 55 teils höhere, teils niebere Bürar |
Schulen und 173 Glementarfchulen, „welche Ießteren in ihrer Ein
richtung und Beftimmung ſich in nicht® von den Dorfſchulen m
terfcheiden.” Die Zal der tiber 100 Thaler eintranenden Land⸗
fchulftellen belief fih nur auf 195 (worunter 90 koͤnigliche,), ſo
daß alfo 1455 Dorffhulftellen übrig blieben, und unter dieſen
befanden fi 861, deren Ertrag fi) noch nicht auf 40 Thal
belief! — Daneben beitanden in der Kurmark noch 43 reformirtt
Landſchulen. Eine einzige ausgenommen waren alle FLönigliden
Patronats. Von diefen 42 bezogen 5 Schulbalter eine jährlidkt
Einnahme von 100 — 140 Thlr.; eine Lehrerſtelle dagegen tra
{ 77
,
noch nicht 20 Thlr. ein, und 30 Lehrer bezogen weniger als 80
Thaler Gehalt. In einigen adliyen Dörfern, insbejondre in der
Altmark, hatte der Schulmeifter gar nichts, ald was ihm die
Barmberzigfeit der Bauern zufließen ließ. Sein ganzes Einkom⸗
men beftand bier in einigen wenigen Thalern, wobei er, jo lange
er in der MWinterdzeit die Kinder unterrichtete, der Reihe nad) von
den Bauern gejpeift wurde, und zugleih, wenn es auch an
einem Schulhaufe fehlte, in irgend einem Winkel, der ihm einge
raumt war, jchlief und ſeine Handtbierung trieb"). In dieſem
Falle unterwied der gemietete Schulhalter die Kinder bald hier
bald dort in den Wohnftuben der Bauern. In fehr vielen Schul-
häuſern war nur eine einzige Stube vorhanden; in derjelben
wohnte der Schulmeifter mit feiner Familie ynd mit feinen Hüb-
nern; in derfelben trieb er feine Schneiderei und Weberei u. dgl!
und in berjelben mufte er unter dem Lärm und Schmuß feiner
Daushaltung fünfzig oder ſechszig Kinder unterrichten, die teilweife
unter den Tiſchen und Bänken Pla zu nehmen genötigt waren.
— An manden Orten waren Hirten und Nachtwächter im Beſitze
des Schulamts. — In einzelnen Dörfern war allerdings die Lage
des Schulmeiſters eine beßere; hin und wieder gab es auch Schul⸗
halter, welche in einzelnen Dingen wirklich Unterricht zu erteilen
dermochten; aber dennoch war der Zuftand, der Beſuch und der
Erfolg der Schulen faft überall ein gleich ſchlechter. „Der Som-
merichulen wurde an vielen Orten gar nicht gedacht; — jo gab
ed auch im Winter, d. h. von Martini bis Oitern, der Verſäum⸗
nifje jehr viele. Die Eltern geftatteten oder geboten ihren Kindern
nidyt allein Tage, ſondern auch Wochen lang aus der Schule zu
bleiben. Hierzu fam, daß in einigen Gegenden Die Eltern alles
Schulgehn ihrer Kinder, fobald Diejelben das elfte oder zwölfte
Jahr erreicht hatten, und bei ihnen nur einiger Maßen Knechte⸗
oder Mügdedienfte thun Fonuten, ganz aufhören ließen **).“
*) Bergl. die offizielle Darftellung des Oberfonfiftorialrat® Sad in deffen
Schrift „Ucher die Verbeßerung des Landfchulmeiens, vornemlich in der Kurmark
Brandenburg. Berlin 1799" ©. 8. ff.
”) Sad, ©. 35—36.
— 78 —
Am vollftändigften erhellt der damalige Zuſtand der kurmis
tischen Volksſchulen aus den Relationen, welde das Oberkonifs
rium der Kurmark (unter dem 28. Febr. 1799) an das Ober
ſchulcolleg einfandte*). Das Oberconfiftorium berichtete nemlid:
„li. Bei weiten die gröfte Zal ter Landjchullehrer befinde fih in
einer höchft bebauernswerten Lage. Sehr viele Etellen hätten
faum ein Einfommen von 5 — 10 Thalern. Die meiften Stellen
wären von der Art, daß fie nur zwilchen 20 und 30 Thaler ein
trügen, und daß der Schulhalter, der Feine Profeflion gelernt |
babe, — gar nicht dabei exiftiren könne, ohne ſich recht eigeutid
zur Bettelei zu erniebrigen. Stellen, welde 100 Xihaler und
mehr eintrügen, wären höchft felten. Bei der im Jahr 1771
gejchehenen Stiftung der fogenannten koͤnigl. Gnadenſchulen
"hatte man angenommen, daß einem Landſchullehrer wenigftend ein
Einkommen von 120 Thalern gefihert werden müße. Wenn aber
jest auch nur 100 Thaler ald das Minimum angenommen wir
ben, fo laße fi, doc abjehen, daß, um bloß die auf königlichen
Dörfern befindlihen Schulbalter bi8 dahin zu verbeßern, ein
jährlihe Summe von wenigftend 24000 Thalern in der Kurmarl
erfordert werden würde. Dazu fomme, daß viele Dörfer gar
feinen eignen Schulhalter haben, fondern entweder mit großer
DBeichwerde und Gefahr ihre Kinder weit über Selb nach einem
andern Dorfe jchiden, oder fi) Damit begnügen müßen, bloß im
Winter für das geringe Schulgeld zum Schulhalten irgend ein
Subjekt zu miethen, dem es gewöhnlich felbft an den notwendig
ſten Kenntniſſen fehle.
2. Sn vielen auch Fönigl. Dörfern fehle es entweder gan
an einem eignen Schulbauje, oder es fei von ber fchlechteften
Beichaffenheit. Billig follte jedes Schulhaus doch wenigftend
außer einer geräumigen Schulftube eine befondere Wohnftube en
halten, damit nicht durch die Familie des Schulhaltere und durch
die häuslichen Gefchäfte der Unterricht geftört würde. Leider
*) Siehe diefe und andre dazu gehörende Aktenſtücke, welche hier bemupi
find, in Friedrih Gedike's Annalen des preußiihen Schul- und Rirdeme
ſens, 1800. ©. 1. deft 1.
— 7191 —
hätten intefjen die wenigften Echulhäufer mehr als eine Stube,
die noch dazu fo enge fei, daß fie oft die Bal der fchulfähigen
Kinder gar nicht zu faßen im Stande fei, oder doc ihrer Ge
ſundheit höchſt nachteilig werden müße. Cine Hauptverbeßerung
würbe daher der allmähliche Aufbau beßerer und zweckmaͤßig einge:
richteter Schulbhänjer fein.
3. Den meiſten Schulhaltern fehle e8 an Brennholz zu
Heizung der Schulftube. Die Klagen darüber nehmen von Jahr
zu Sahr zu und die Gemeinden jeien felten im Stande oder ge
neigt, diefem Bebürfniffe abzuhelfen. Sollte, wie gewoͤhnlich ver-
langt werde, der Schulhalter ſich felbft in den Haiden Raff⸗ und
Lefeholz fammeln und zufammenfarren, fo jei der Nachteil für die
Schule, die darüber verfäumt werde, in die Augen fallend. Ohne⸗
bin ſei felbft das Naff- und Lefeholz nicht überall zu haben. Welch
eine erwünjchte, ja Turdaus notwendige Verbeßerung wäre es
Daher, wenn ed dahin gebracht werben Fönnte, daß jedem Schul
balter ein gewiſſes Deputat an Holz ausgefegt würde, das ihm
von der Gemeinde angefahren werden müfte.
4. Mit einigen Landjchulftellen fei zwar die Nußung einiges
Wicjen- oder Gartenlandes verbunden. Indeſſen fei deren doch
nur eine ſehr Fleine Zal. Und doch wäre zu wuüͤnſchen, daß jeder
Schulhalter fi wenigftend die notwendigften Kücyengewächle ſelbſt
zuziehen und eine Kuh futtern könnte. Wielleicht wäre Died wer
nigftend bie und da ohne beträchtlichen Verluſt von den Pertinen-
zien der fönigl. Domänen oder auch des Kirchenlandes möglich zu
machen. Doch werde eine Verbeßerung aus dem Kirchenvermögen
bei den ſchlechten Wermögensumftänden der meiften Kirchen nur an
wenigen Orten möglid, immer doch aber nicht jo beträchtlich fein
können, daß dadurch auch nur für einzelne Stellen andre Quellen
entbehrlich würden.
Auf die Erhöhung des durch das Generallandjchulreglement
von 1763 feftgejegten Schulgeldes fei nicht zu rechnen. Sie
würde um fo größere Schwierigkeiten haben, da jchon jept bie
faumfelige oder verfümmernde Entrichtung deſſelben faft überall
die Schulhalter zu Beſchwerden veranlaße. Es würde Daher eine
wefentliche Verbeßerung für fie fein, wenn Fünftig dad geſetzmäßige
— 80 —
Schulgeld nicht unmittelbar an fie jelbft, jondern an die Dorkge
richte bezalt würde, die es nachher dem Schulhalter im Ganz
auszuzalen hätten, und wenn ed Dabei den Eltern nicht verfatte
würde, willfürliche Abzüge zu machen, ſondern fie vielmehr ange
halten würden, auch dann, wie bereit8 zwar vorgefchrieben, aber
nur felten von den Aemtern zur Ausführung gebracht worden,
das Schulgeld zu bezalen, wenn die Kinder nicht zur Schule ge
fommen, da fie jet die Kinder blos Darum mehrere Tage ober
Wochen nicht zur Schule fchidten, um das Schulgeld erjparen
oder Abzüge davon machen zu können. Man fei nicht der Anlict,
daß bei der Verbeßerung der Landjchulen blo8 auf unmittelbare
önigliche Zujchüße zu rechnen fei, weil dazu eine zu große Summe
erfordert werben würde.
Man mache daher vorläufig den allgemeinen Vorfchlag, auf
manchen koͤnigl. Dörfern mit der Zeit die Schulhalterftellen ganz
- einzuziehen und bei Anfeßung eines neuen Predigers biejen zugleich
zum eigentlichen Lehrer der Schule zu mahen und ihm dafür bie
bisherigen Einkünfte der Schulhalterſtelle mit beizulegen.
Diefer Vorſchlag werde ſich indefjen freilich nur da ausfüh
ren laßen, wo ber Prediger entweder nur ein einziges Dorf cder
wenigftens Fein ſehr entferntes Filial zu beforgen habe. Umgekehrt
werde Fünftig auf manchen Dörfern Die Predigerftelle durch Koms
binationen einiger Pfarren eingezogen werden koͤnnen und dadurch
nicht nur eine Verbeßerung mancher jchlechten Predigerftelle, fon
bern auch die Anjegung eines tüchtigen Katecheten möglich werden,
der auch zumeilen des Sonntags die Stelle des Predigers, ſei es
durch eignen Vortrag oder durch zwedmäßiges Ableſen, vertreten
koͤnnte.“ — |
In einem zweiten Bericht vom 18. Juli 1799 vervollftän
dDigte das Gonfiftorium feine Relation über den Beſtand dei
Schulweſens in der Kurmark und über die Mittel zur Hebung
befjelben: „Zur beßeren Aufjicht über die Schulen in den Stäbten
werde in jeder Stadt ein eigned Scholarchat nötig fein, das außer
dem Juſpector noch aus einem ober zweien Mitgliedern bed Mr
giſtrats beftünde, weil nicht zu erwarten fei, daß alle Mitglieder
— 8 —
ce Magiftrate ſich für die Schiele gehörig zu intereſſiren geneigt
d geihidt wären.
Auh in Anfehung der Landſchulen würbe e8 ſehr nüßlicy
, den Sufpeftoren einige der geſchickteſten und verdienteften
nbprebiger zu Affiftenten in der Aufjicht über die Landſchulen
jegen, jo daß jeder diefer Alliftenten eine beſtimmte Anzal von
orfichulen unter feiner Aufficht hätte, Die jedoch höchſtens zwei
eilen von feinem Aufenthalt entfernt fein müſten, Damit er ſolche
n öftern vifitiren könnte. Cine ſolche Einrichtung und Anftels
ig mehrerer dem Kreisinſpektor untergeordneten Schulinfpektoren
ırde bejonders bei jehr ausgedehnten Inſpektionen, wie 3. B.
c Berliniſchen, Frankfurtiſchen, Prenzlauifchen u. ſ. w. von
oem Nußen ſein.
Deffentlide Prüfungen würden nur in den menigften
tädten gehalten und fie erregten mehrenteil® zu weniges Jutereſſe.
ennoch würde ed gut fein, foldhe allgemein zu verordnen, und,
a die Teilnehmung zu vermehren, feftzujeßen, daß folche in den
inen Städten jedesmal an einem Sonntage und zwar in der
rche gehalten würden.
Selbſt auf den Dörfern wuͤrde eine ſolche jaͤhrliche an
tem Sonntage und in der Kirche angeftellte Prüfung von großem
ißen ſein.
Auf dem Lande könnte in der Regel von den Predigern viel
zr für die Schulen geſchehen. Wo der Prediger nur. ein ein:
8 Dorf zu beforgen habe, würde der im erſten Bericht
ame Borihlag, den Prediger zugleih zum Schullehrer
nahen, am erften auszuführen fein. Das Wenigſte, was je-
ſchon jegt und vor einer neuen Beſetzung geſchehen Fönnte
müfte, wäre, daß ein jeder folcher Prediger täglid Cine
inde dem Schulunterricht widmete. Am zwednäßigften würde
Vein, wenn er täglich die Größeren in einer Stunde in feinem
ufe unterrichtete, während zu gleicher Zeit der Schulhalter Die
Inere Jugend in den erften Elementen unterwiefe.
Die völligen Freiſchulen hatten bisher nicht den Nutzen
Miftet, den man fich bei ihrer Anlegung verjproden. Der ge
eine Mann und vornehmlich der Bauer fei nun einmal gencigt,
Heppe, Boltöigulweien, 3. 6
— 82 —
nur das zu ſchätzen, was ihm etwas koſtet. Man winde alle
. mehr dafür fein, die bisherigen Freiſchulen nad) und nach eingehen
zu laßen, als ihre Zal zu vermehren, es fei denn an ſolchen Or⸗
ten, wo tie Totalität der Sinwohner aus armen Spinnen oder
Taglöhnern beftebe.
Die Schulbalter auf den Filialen wären in ex
Regel in der fchlechteften Lage, und doch wäre zu wünfden, daß
grade auf den Filialen am erften ein recht brauchbarer Schulhal⸗
ter fein möchte, weil bier am wenigften auf Miwirkung de
Predigers zu rechnen fei. Zu wünjcen wäre daher, daß die
Schulhalter auf den Filialen zugleih überall die Küfterge —
ſchäfte und Küftereinfünfte erhalten möchten. Bisher hab
indefjen das Gefuch der Filialgemeinden, ihren Schulhalter zuglediilt
zum Küfter zu machen, um nicht wieder die Ginfünfte des SduE—-
balters im Mutterdorfe zu ſehr zu deterioriren, feinen Erfolg erzieli
Die Sommerjhule habe bisher nur in den wenige
Anfpektionen Fortgang gehabt, und es fei nicht zu leugnen, da —
derfelben faft unüberwindiihe Schwierigkeiten im Wege flüubermmm
Um fo mehr fei zu wünjchen, daß wenigftens überall eine & on mm
tagsſchule während des Sommers eingerichtet werde. Da de
audy bisher die Winterfchule an fehr vielen Orten ungebühricHl
abgekürzt worten, jo ſei ed durchaus notwendig, daß der terminn-8
a quo und ad quem genauer feftgefeßt werde. Bisher ſei Exz
vielen Gegenden kaum ein ganzes Vierteljahr im Winter Schule gehalten
worden. Das MWenigfte, was gefchehen könnte und müfte, wäre,
daß die Minterfchule ununterbrochen von Michaelis over bed
Martini an bis Oſtern gehalten‘ würde. Kür die Heinern Kinde
Eönnte jedoch audy während des Sommers eine Stunde täglid
zum Unterridt ausgefeßt werben, wogegen die größern zur Be
ſuchung ter Sonntagsſchulen angehalten werten müften. Ohr
Eräftige Mitwirkung der GerichtSobrigfeiten ‚werde indeffen nie en
ordentlihen Schulbefudy zu rechnen fein. Daß diefe jedoch bin
bisher überbaupt zu faumfelig in diefer Rückficht uud zu nachfich
tig gegen folhe Eltern, denen die Ausbildung ihrer Kinder gleich
gültig jei, gewejen wären, bewieſen die häufigen lagen der Predige
in den Epecialtabellen.
— 8 —
In mehrern felbft kleinern Städten fei neben ter Iutherifchen
Schule auch eine deutſchreformirte, oft auch noch eine,
frauzöfifh reformirte Schule. Selbft auf manchen Tör-
fern fei außer einem lutheriſchen Schulbalter au ein reformirter.
Diefe Mehrheit der Schulen fei eher ſchädlich als nützlich und es
fönnte für die allgemeine Schulverbeßerung viel gewonnen werben,
wenn es möglih wäre, diefe mehreren Schulen zufammen zu
Ichmelzen, da denn oft mehrere ſchlechte Schulen zu einer einzigen
guten umgejchaffen werden fönnten.
Der Ausführung dieſes Wunfches ftünden freilich ſehr große
Schwierigkeiten im Wege, weil e8 bier auf Bekämpfung und Bes
flegung des nur zu ſehr verbreiteten Vorurteils ankomme, als ob
Die Schulen zunädft eine Sade einzelner Religions
Parteien wären und fein müften. Es ſei jedoch unleugbar,
Daß die Schulen ald Inftitute des Staats und nicht als
Anſtalten einzelner Konfeffionen zu betrachten feien. Wenigſtens
ſei es gewiß eine unſeres Zeitalters und unſerer Regierung wür⸗
dige Idee, dahin zu arbeiten, daß die Schulen immer mehr lieber
arıS jenem als aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet würden. Man
trage daher fogar Fein Bedenken, den PVorfchlag zu thun,
Das auf manchen Dörfern, wo zugleich ein reformirter Schul⸗
h alter angefegt fei, die Iutberifhe Schulftelle lieber
Jganz eingezogen werde, um mit ihren Ginfünften eine an-
dere Stelle zu verbeßern.
Kein Teil der öffentlichen Erziehung fei bisher mehr zurüd-
Hefept worden, ald die Unterweifung des weibliden Ge—
ſchlechts. An zwedmäßigen Töchterjchnien fehle ed faft überall.
In den meiften Städten fei die Einrichtung, daß blod der Küfter,
der oft nur fehr geringe Gefchirklichkeit habe, die Töchterfchule
halte, wo dann die Fleinern und größern Mädchen durcheinander
ohne eine zweckmaͤßige Abfonderung nach dem Alter und ben Fort
‚Schritten einen mechaniſchen Unterricht genößen, den fie obenein
noch häufig mit den Fleinern Kuaben, die der Küfter zur Vermeh—
rung feiner Einfünfte mit aufuchme, teilen müften. Zu gehöriger
Anweifung zu weiblichen Arbeiten jei faft nirgends Gelegenheit,
obwol dies durch Die Ehefrauen der Küfter oder aud ber andern
Ce
— 84 —
Schullehrer leicht zu bewirken ſein würde, wenn nur zu deren
Aufmunterung und Belohnung ein Fonds ausgemittelt werden
könnte.
Die Aufſicht über die Privatſchulen in den größeren
Städten, vornehmlich aber in Berlin, wo fie immer häufiger wir:
den, fei noch gar nicht beftimmt genug organifirt. Beſonders ja
diefer Punkt in Berlin von großer Wichtigkeit, wo eine Meng
Privatichulen wären und täglidy eutftünden, die ſich aller Aufficht
entzögen oder ihre Grenzen jo jehr erweiterten, daß das oft zu
blindling8 vertrauende Publikum bei der Grziehung der Kinder
von mehr als einer Seite gefährdet werde. Wornehmlich verbien-
ten die Misbräucde und Unordnungen, Die dus der überhäuften
und regellofen Anal von franzöſiſchen Schulhaltern ent:
ftänden, ernitlihe Erwägung.”
Zur Einrichtung von Induſtrieſchulen war chen damalf
der erfte Verſuch gemacht. Echon i. J. 1793 hatte das Generel
direftorium (v. Voß) die Aufmerkjamfeit des Oberſchulcollegs au
zwei derartige Anftalten gelenft, welche von Dim Prediger Tapı
zu Klein-⸗Schönebeck im Amte Alt-Landesberg und von dem Schul
infpeftor Riedel zu Göritz im Amte Srauendorf, wo mit dee
Schulunterricht allerlei nüglihe Bejchäftigungen der Edulfute
verbunden wurden, eingerichtet waren. Die Unterhaltung
foften der erfteren betrugen jährlih 61 Thlr. 8 Gr., te
ber Icgteren 92 Thlr. 9 Gr., welde Summen einftweile:
aus einem erjparten Fonds an Spinnpräniengeldern be
ftritten wurden. Auch bier hatte, wie es ſcheint, das Mogajim
für Induſtrie und Armenpflege des Göttinger Predigerd Wuge-
mann die erfte Anregung gegeben. Der Bwed war, die Kinder
frühzeitig au Urbeitelicbe und Arbeitsgeſchicklichkeit zu gewöhnen
Indiſſen blieb die Sache einjtweilen auf ſich beruhen, bis endlid
unter Friedrich Wilhelm III die Einrihtung von Induſtrieſchulen
befohlen wurde. Auf den Grund cined von dem Nfarrer Tapr
zu Klein-Schoönebeck fhon i. J. 1796 eingezogenen Butachten?
(„Gedanken und Vorſchläge, Pie Einrichtung einer Induſtrieſchule
in dem Alt⸗Landsbergiſchen Amtsdorfe Klein-Schönebeck betreffend”),
machte nemlich dad General: Directorium in einer Eingabe vom
— g5 —
. Decbr. 1798 den König auf das Bedürfnis derſelben aufmerk⸗
am. Das Generaldirectorium ſtellte dem König insbeſondre vor:
„Noch mehr als in den kleinern Stadtſchulen iſt bisher der
Schulunterricht auf Dem platten Lande vernachläßigt worden. Da
es hierbei nicht blos auf den Unterricht in der Religion und ans
tern dem bäuerlichen Etande notwendigen und nüßlichen Kennt⸗
niſſen ankommt, jondern aud Darauf Bedacht genemmen werden
muß, die Dorfjugend in Zeiten zum gefchäftigen Leben zu gemöhs
nen und in den für ihre fünftige Beſtimmung nützlichen Beſchäfti⸗
gungen, ald Spinnen, Striden, Nähen, Baumzudt,
Gärtnerei, Seidenbau x. zn unterrichten und zu üben, fo
haben wir fchon feit einigen Jahren die Anlegung der Arbeitds
und Induſtrieſchnlen auf dem platten Lande ber hiefigen Provinz,
ald eine auch für Die Landespolizei heilfame Cinrichtung, zu einem
Begenftande unfrer befontern Aufmerkſamkeit gemacht. Da wir
indeffen hierzu feine Fonds haben, fo haben wir und darauf eins
Ihränfen müßen, mit einem erfparten Fonds an Epinnprämiens
geldern, welcher aber auch bald aufgeräumt fein wird, zu Göritz
nd Klein⸗Schönebeck dergleichen Schulen einrichten zu laßen.
Diefe zeigen einen überaus erwinfchten Kortgang, da die dortigen
zrediger fi) die Sorge für diefe neuen Schulanftalten eifrigft an-
elegen fein laßen, und es ift daher fehr zu wünfchen, daß auch
I andern Dörfern dergleichen Induſtrieſchulen mögen angelegt
erden können, da diefe das wirfjanfte Mittel find, den Müpig-
ang bei den Leuten bänerliden Standes audzurotten und ber
serarmung berfelben vorzubeugen. Ob Ew. königl. Majeftät:
ierzu einen jährlichen etatsmäßigen Fonds von ungefähr 1000 -
chalern aus ten Weberfchüffen der Städtekaſſe ausjegen zu lagen
Uergnädigft genehmigen wollen, müßen wir, da wir feinen andern
lerzu geeigneten Fonds vorzufchlagen wißen, Allerhöchſtdero Ent-
chließung anheim ftellen.”
Schon am 8. Decbr. 1798 verfügte der König, daß „von
en zur Verbeßerung der Buͤrger- und Landſchulen in der Kurmark
eftimmten jährlichen Ueberſchüſſen in der Stäbtefaffe 1000 Thlr.
ihrlich beſonders für anzulegende Induſtrieſchulen“ verwendet
erben follten. Mit dieſer Summe glaubte das Oberſchulcolle⸗
— 86 —
glum in etwa fünfzehn Ortfchaften der Kurmark Induſtrieſchulen
einrichten oder unterhalten zu koͤnnen. Indeſſen eröffnete daſſelbe
dem Generaldirectorium (8. Sanuar 1799), daß hierbei folgende
Punkte zu beachten wären:
„1) Daß die Auduftriefchulen nur allein auf königl. Amts⸗
dörfern angelegt werden, weil alsdann am zuverläßigften ſowol
bei Anftellung des Predigerd als Schullehrers auf ſolche Subjekte
Rüdfiht genommen werden faun, wie fie die zwedmäßige Dis
rection und Ginrihtung der Sinduftriefchulen erfordert, und zwar
2) in folchen Eönigl. Dörfern, die nicht eine gar zu geringe
Bevölferung haben, fondern wo die größere Zal der fchulfähigen
Kinder die Anlegung einer folchen Induſtrieſchule Doppelt wolthätig
macht.
3) Nicht auf Filialdoͤrfern, um dieſe Schulen immer unter
unmittelbare Auflicht der Prediger zu jegen.
4) Möglihft in der Nähe von Städten, weil daburd für
den etwaigen Abſatz der verfertigten Arbeiten, wie auch in ande
rer Rüdjicht mancherlei Erleichterung gewonnen werden dürfte.
5) Nicht zu ſehr auf einem Flede, fondern vielmehr in einer
gewiffen Entfernung von einander, und in mehrern reifen de
Kurmark, jo Daß dieſe Induſtrieſchulen gleihfam zu Normalfchulen
für die in der Folge zu errichtenden dienen, und den wolthätigen
Geiſt der Induſtrie in einem größern Umfang zu verbreiten helfen
fönnen.
6) Endlih nur in folden Dörfern, wo das Schulhaus eine
ſolche Einrichtung begünftigt, und wenigftens zwei Stuben hat,
ober Doch ſolche durch etwaigen Anbau leicht noch erhalten
kann.“
Indeſſen war die Einrichtung von Induſtrieſchulen doc nicht
jo leicht durchführbar, als es anfangs ſchien. Dem kurmaͤrkiſchen
Oberconſiſtorium ſtellten ſich nemlich, als es die Ausführung dei
von dem Oberſchulcolleg desfalls erlaßenen Beſchluſſes verſuchte,
Schwierigkeiten entgegen, an welche vorher noch Niemand gedacht
hatte. Das Oberconfiftorium berichtete Daher (13. Juni 1799) au dad
Oberſchulcolleg, „daß nach den von ben dazu aufgeforderten Zu
\pectoren eingegangenen Berichten bie Einführung ber Induſtrie⸗
— 87 —
ſchulen auf Lem eigentlichen platten Lande in vielen Gegenden
jehr erhebliche Schwierigkeiten findet, indem in vielen Inſpectionen
gar fein qualificirteg Dorf auszumitteln ift, in manchen aber die
Gemeine ſchwerlich fogleih von der Vorteilhaftigkeit eines folchen
Inſtituts und von der Nichtigkeit ihrer Vorurteile dagegen zu
überzeugen fein möchte. Ueberdies ift grade auf den Dörfern die
ganze Einrichtung höchſt prefär, weil fie an das Leben des gegens
wärtigen Sculhalterd und deſſen Ehefrau geknüpft ift; daher
denn zu fürchten ift, daß durch den Tod des einen oder der ans
bern die ganze Ginrihtung wieder ind Stoden geraten kann.
Wir fönnen und daher nidyt enthalten, dem von vielen Inſpekto⸗
ren in ihrem Bericht geäußerten Wunſch beizutreten, daß der Plan
nicht einzig und allein auf Dörfer bejchränft, fondern vielmehr
auch auf ſolche Fleine Landſtaͤdte zugleich mit ausgedehnt werden
möge, beren Hauptnahrung in der Aderwirtfchaft befteht, und
die fowol hierin als in anderer Rüdfiht den Dörfern an die
Seite zu ſetzen find, wie denn auch mehrere dergleichen Fleine
Städte von den Inſpektoren mit, als vorzüglich zu einer folchen
Anlage qualificirt, vorgejchlagen worden. So viel fällt wenigftens
in die Augen, daß in dieſen Heinen Stäbten die Anlegung der
Induſtrieſchulen nicht nur überhaupt noch notwentiger ift, als in
Dörfern, teil wegen der größern Menge der Kinder, teild weil
es in den Etäbten weit mehr ganz arme Kinder gicht, die in
Ermangelung einer Anweifung zu nüßlichen Arbeiten auf Bettelci
verfallen, dagegen die Kinder auf den Dörfern in der Regel weit
früher und fortdauernder von ihren Eltern zu allerlei wein gleich
fehr einfachen Arbeiten angewieſen und angehalten werben, fonts
dern, daß auch die ganze Einrichtung in den kleinen Etädten uns
gleich weniger Schwierigfeiten findet, indem teild leichter geſchickte
Lehrer und Lehrerinnen zu haben find, teils eine genauere und
vielfacyere Aufficht möglich ift, teil8 der Verkauf Der in den In⸗
duftriefchulen verfertigten Arbeiten leichter zu bewirken ift, teil®
endlich nicht zu befürchten fteht, daß die Induſtrieſchule, gleich
dem übrigen Unterricht, wo nicht den ganzen Sommer, doch den
größten Teil deſſelben hindurch fill ftehen werde, wie dies doch
faſt auf allen Dörfern ber Fall fein wird, dagegen in ben Heinen
— 8 —
Städten doch auch für Die Sommerſchule immer noch mehrere
Kinder übrig bleiben. Es find namentlidy folgende Städte in
Vorſchlag gekommen: |
Dranienburg,
tiebenwalde,
Arneburg,
- Zoſſen,
Charlottenburg,
Hiezu ſind noch folgende Dörfer als beſonders qualificirt empfoh⸗
len worden:
Friedrichsfelde,
Schönerlinde,
Bornim,
Letſchin,
Bechlin,
Vehlefanz.“
Außerdem war das Oberconſiſtorium der Meinung, „daß
die Induſtrieſchulen auf den ausgewählten Dörfern nur vor der
Hand auf etwa drei Jahre zur Probe anzulegen fein möchten.‘
Auch werde es „gut fein, wenn man nicht auf einmal über den
ganzen Fonds der 1000 Thaler disponirte,” und daher vorläufig
„etwa nur zehn Ddergleihen Schulen errichtete.” Die innere Ein
richtung der Induſtrieſchulen betreffend bemerkte das Dberconfilte
rium, daß nicht blog in Spinnen, Striden und Nahen zu
unterrichten, fondern daß der Unterricht „für die männliche Jugend
auch auf andere Gegenftände, befonders auf Baumzucht auszudeh
nen fei, wozu freilich Die Beichaffung eine Raumes zur Anlegung
einer Baumſchule für jede Anftalt nötig wäre.”
Die Erfahrung zeigte jedoh, daß der ganze Plan einf:
weilen noch nicht durchzuführen war, und zwar haupfſaͤchlich
darım, weil Die geeigneten Lehrer und Die erforderliden
Mittel zur Ausführung bdefjelben fehlten. Nur wo bie Pri-
vatwoltbätigfeit den Wünfchen der. Staatöregierung zu Hülfe fam,
wie zu Ellrid in der Grafſchaft Hohenftein, wo ein nah Eng
land ausgewanderter früherer Schüler der dafigen Ecyule, Johann
Engelbert Biegenbein, gen. Liebenrood (zu Profpect= Hill in der
— 89 —
engliſchen Grafſchaft Reading) den Lehrern derſelben i. J. 1799
eine jaͤhrliche Zulage von 80 Pfund Sterling, und wo deſſen
Gattin eine jährliche Epende von 20 Pid. Sterling *) zur Ber
gründung einer Indnuſtrieſchule für Töchter ded8 Orts legirte, war
8 möglich, den Abfichten der Regierung entſprechende Erfolge zu
erzielen.
In Berlin entitanden feit dem Jahre 1793 nach und nad
ſechs Erwerbſchulen, die ſich bis 1800 noch um zwei Lehran⸗
ſtalten vermehrten. Der Hauptzweck dieſer Schulen war der, daß
In denſelben arme Kinder der Reſidenzbewohner in der Religions⸗
lehre, im Leſen, Schreiben, Rechnen und Singen, auch wol in ber
Geſchichte, Geographie und Naturgefchichte, im Anfertigen fehrift-
licher Auffäße und im Zeichnen unterrichtet und außerdem durch
eine ihren Kräften und Fähigkeiten angemeßene Beichäftigung an
Thätigfeit und Arbeit gewöhnt würden. Nach beendigten Schul
befusch wurden fie bei zuverläßigen Lehrherrn oder Herrichaften
untergebracht, wo fie zuweilen duch noch, wenn es die Mittel der
Schulen erlaubten, mit Kleidungsftüden unterftügt wurden. Der
Unterriht wurde an allen MWochentagen Vor⸗ und Nachmittags
erteilt; nur an den Nachmittagen des Mittwoch und Sonnabend
wurde berjelbe ausgeſetzt. Aufnahme konnten alle Kinder vom
7. bis 14. Lebensjahre finden. Dad Direetorium der Schulen
beftand aus 13 Perfonen. Sche Schule hatte ihren Vorfteher
und Auffeher, welche die Schule von Zeit zu Zeit befuchten, im
Anfange eines jeden Monats die angefertigten Arbeiten nachſahen
und diefelben nebft Angabe der Taxe oder des verdienten Arbeitd-
Iohnes in die Negifter eintrugen. Nach Verlauf eines Quartals
wurde den Sindern das verdiente Geld ausgezalt, über befjen
richtige Ablieferung an die Eltern die letztern in einem Gonto:
) Rad einer Relation aus dem Jahre 1787 betrug damals zu Ellrich die
jährlihe Ginnahme des ftudirten Rectors 116 Thlr., die des ebenfalls ftudirten
Conrectors 91 Thlr. und die der übrigen Lehrer (die Einnahmen für das Neu-
jahrfingen mitgerechnet,) 171 Thle. 20 Gr. Durch die Siegenbeiniſche Stiftung
mar die Einnahme der Sehrer jährlih von 378 Thlr. 20 Sr. auf 1028 Thlr.
20 Gr. erhöht.
— 90 —
buche, welches die Anftalt aufbewahrte, quittiren muften. Die
verfertigten Arbeiten wurden teild in einem Kaufladen, teils in
einer Verfteigerung an die Meiftbietenden verfauft. Die Aufiehe
wachten über Regelmäßigfeit im Schulbefuch, über Reinlidfei
der Kinder und der Schulzimmer, führten Rechnung über bie ver
brauchten Materialien (Garn, Flachs, Zwirn ıc.), und die Auf
ſeherinnen unterrichteten die Kinder ftufenweife im Striden, Spin
nen, Nähen ıc. und halfen in den Arbeitsftunden nad. Jede
Scyule hatte einen Lehrer, der wöchentlich zwei Stunden zu uw
terrichten verpflichtet war und oft von einem anderen Lehrer ober
Candidaten freiwillig unterftüßt ward. Späterhin wurden in bie
fen acht Erwerbszweigen gewöhnlidy 600 Kinder unterrichtet, nem
lih 150—160 Knaben und 440—460 Mädchen. Durchſchnittlich
verdienten diefelben in jedem Sabre 1100 Thlr. Arbeitslohn. Die
Unterrichts⸗ und Unterhaltungskoſten, welche durch freiwillige Bei
träge aufgebracht wurden, und wozu feit 1810 der König, jpäter
bin auch der Kronprinz und die Kronprinzeflin anjehnliche Beiträge
gaben, betrugen an 5500 Thlr. Jaͤhrlich fand eine öffentliche
Prüfung ftatt, bei welcher die fleißigften Schüler und Schülerinnen,
welche ben Religionsunterricht ihrer reſp. Prediger befuchten, mit
Bibeln befchenkt wurden. Nach der Prüfung wurben die Edub
finder in einem Garten geſpeiſt *).
Das von Heder begründete Schullehrerjfeminar zu
Berlin hatte feit 1770 unter der Direction des Oberconfiftorial
rated Silberſchlag den glüdlichften Fortgang gehabt. Bon ba
Hähnfchen Literalmethode war daſſelbe wieder erlöft worben; be
gegen waren der Anftalt bie erforderlichen Geldmittel zugewendet
worden, welche die Aufnahme einer größeren Anzal von Yöglingen
ermöglichten. Diefelben zerfielen in die Abteilung ber Präpas
randen und in die der Seminariften. Indeſſen befuchten
*) Krünig, ökonomiſch ˖technologiſche Enchclopädie B. 149 ©. 329 BL
— 91 —
zeide benjelben Unterricht und unterſchieden fi) nur dadurch, daß
ene nur den Unterricht des Seminard genoßen, während biefe
n bemjelben zugleich verköftigt und unterhalten wurden. Die
Bräparanden waren gröftenteild Handwerker oder Bedienten, die
ich mit ſchlechten Stellen begnügen muften und dad Seminar oft
mr einige Monate hindurch befuchten. Bei ihrer Aufnahme fah
nan allein darauf, daß fie nicht zu alt waren, nicht durch auffal-
lende Gebrechen oder unmwirfches und allzurohes Wefen der Jugend
inftößig werden möchten und daß fie jo viel Verftand Hatten, um
den Unterricht im Seminar mit Nußen befuchen zu fönnen. Bei
ben Seminariften wurde ſchon eine größere Befähigung vorausges
ſetzt. Wurden fie in der unteren Klafje der deutſchen Schule zur
Aushülfe in der Grteilung bes Unterrichtes verwendet, fo erhielten
fie Dafür eine entfprechende Vergütung. — Die im Seminar übs
lichen Lehrgegenftände waren: 1) Religion (Bibellefen, Erklärung
des Katechismus Luthers, Wiederholung der Predigten, Erflärung
der Kirchenlieder,), 2) Lefen, 3) deutſche Sprache und Anfertigen
von Auffäßen, 4) Schreiben, 5) Rechnen, 6) Geographie und
Statiftif, 7) Geſchichte, 8) Naturgefchichte, 9) praktiſche An-
weifungen zum Lehren, 10) Pädagogik und Methodologie, 11) Vo⸗
calmuſik, 12) chriſtliche Sittenlehre, 13) praktiſche Mathematik,
14) Gartenbau, Baumzucht, Seidenbau. — Aus einem offiziellen
Bericht über das Seminar vom Jahre 1788 geht hervor, daß
Dafielbe Damald vom Könige eine jährlihe Subvention von 1000
Thalern erhielt und daß e8 von 60 Präparanden befucht wurde. Ges
Hagt wurde, „daß Rohheit, Stumpfheit, Mangel an Vorkennt⸗
niffen, Armut, notwendige Brotarbeiten der PBräparanden die Fort
ſchritte des Seminarii aufhielten *).”
Die berühmteſte Lehranſtalt zu Berlin war die von Hecker
geſtiftete „Königliche Realſchule“ (auch Dreifaltigkeitſchule
genannt). Sie umfaſte drei Abteilungen: 1) die Penſionsanſtalt
oder das Pädagogium, 2) die Kunſtſchule, und 3) die deutſche
Schule. Nur die letzte war als Volksſchule eingerichtet. Die
) Kräüniz, ökonomiſch⸗ technologiſche Encyclopädie, B. 61 &. 670 — 671,
— 92 —
hier eingeführten Lehrgegenſtände waren: Religionslehre, Leſen,
Schreiben und Rechnen. Auch war die Handlungsklaſſe dieſer Ab:
teilung einverleibt. Qalentvollere Schüler konnten auch im Yeidr
nen Unterricht erhalten. Xroß aller Berühmtheit, weldye die Ar
ftalt erlangt hatte, wurde indeſſen über Die Mangelhaftigfeit des
katechetiſchen Unterrichtes ſehr geflaat *).
Einen großartigen Umfang hatten die Waifen- und Armen
erziehungsanftalten zu Berlin erlangt. In den großen Fried—
rihshospital zu Berlin wurden durchſchnittlich über dreibun
dert elternlofe Kinder von beiden Gefcledhtern erzogen. Der Uns
terriht und die Erziehung dieſer Kinder war in folgender Weile
geordnet: Ein reformirter und ein Intherifcher Geiſtlicher führten
die Oberaufjiht über die Anſtalt. Sie muften die Lehrſtunden
vifitiren, Die Lehrmethode, den Fleiß und die Amtstreue der Lehre
und den Fleiß ſowie das fittliche Verhalten der Kinder überwaden,
fie erteilten den Religionsunterricht, hielten öffentliche Katedjifatie
nen in der Kirche u. f. w. Die Erteilung des übrigen Unterrid-
*) Ein Augenzeuge, der i. 3. 1778 einer öffentlichen f. g. Erbauungtſtunde
der Nealfhüler beigewohnt hatte, berichtet über feine Dabei gemachten Wabrnehmungen
(Allg. Biblioth. für das gefammte Scul- und Erziehungsmefen in Deuticlen,
2. VIII. Nördlingen 1780. ©. 224): „Defto betrübter war mir die öffentliche
Prüfung der Schuljugend, die am Mittmod in der Preifaltigkeitäfirche angefelt
wurde. Ih muß es Ihnen frei fagen, fo erbärmliche Katecheten, als die Schul
meifter (oder wie fie Namen haben mögen,) der Mealfchule find, hätte ih m
Berlin nicht erwartet. Es fei fern. daß ich Her Silberſchlag die Schuld bei
meffen ſollte; dazu mögen viele Urſachen beitragen!“ —
„Die Iugend wird truppmeife von den Schulmeiſtern in die Kirche ge
führt. — Als die Cötus der Iungen und Mädchen verfammelt waren, fing det
ſ. g. Ratechismusegamen mit einem Gefange an. Hieranf fehritt man zur Eade
felbft. Aus dem kleinen Buche (ip glanbe, es heift Ordnung des Heilt,)
beriaß.der Lehrer eine Frage, und auf 30 — 40 muften auf einmal eine au
wendig gelernte Antwort herfagen. Es ift zum Weinen, mie die ehrwür-
digften Dinge in dem Munde diefer Kinder gemißhandelt wurden. Ich will Wet
berwetten, was ich habe, waren unter diefen 4N Kindern drei, die die Frage und
die Antiwort, die fie hörten und herbeten muften, nerftanden haben. — Herr
Eilberfhlag frug nun zwar verfchiedene von den Meinen Katechumenen, aber all
feine ragen waren ihnen böhmifhe Dörfer“ u. f. w.
— 93 —
3 und die unmittelbare Beauffichtigung der Kinder lag in Den
inden einer Anzal reformirter und lutherifcyer Candidaten. Die
‚alle der Schüler und Schülerinnen war in Klaffen geteilt. In
e unterften Ternten fie Einiges aus der biblischen Gefchichte,
jen und Echreiben, in der folgenden auch Einiges aus der Ge—
icyte und Geographie. Dieſer Unterricht wurde fo erteilt, daß
e Lehrer Stellen aus einem Buche vorlafen und Anleitung zur
htigen Auffaßung und Beurteilung des Vorgelefenen gaben. Ein
hrer übte die unmittelbare Aufficht über die Hausordnung aus.
if Spaziergängen und zum Kirchgang wurden bie Kinder von
ei Lehrern begleitet. Die Mädchen wurden von einer bazu
ftellten Srau aud im Gold- und Silberftiden, die Knaben im
pinnen unterrichtet. Jedes Waiſenkind war blau gefleivet und
ag einen Schild am Arm.
Das Schindlerifhe Waiſenhaus zu Berlin hatte
(gende Einrihtung: Ein Kuabe, der in die Anftalt aufgenommen
den follte, mufte wenigftend fieben Sahre alt fein. War er
eipirt, jo konnte er jo lange in dem Haufe bleiben, bis er im
tande war, ein Haudwerk zu erlernen oder ſich für irgend einen
deren Beruf vorzubereiten. Diejenigen Zözlinge der Anftalt,
elche jpäterhin ftudiren wollten, wurden während ihres Aufent-
lte8 auf dem Gymnaſium und der Univerfität aus der Echind-
rischen Stiftung unterfiüßt. Auch erhielten diefelben vor ihrem
intritt in das Gymnaſium in dem Waifenhaus felbft Den nötigen
pmnafialunterricht. Diejenigen Knaben, welde ein Handwerk
er Gejchäft erlernen wollten, wurden im Zeichnen und in der
anzöfiichen Sprache befonderd unterrichtet und erhielten auch
äterbin mannigfache Unterftügungen. Bon 12 Knaben, für
elhe die Stiftung urſprünglich beftimmt war, hatte fih, da
ehrfache Vermächtniffe zum Stiftungsfonds Hinzugefommen wa-
n, die Anzal der Zöglinge almählih auf 22 gefteigert. All-
brlih wurde zu DOftern und Michaelis mit den Zöglingen in
egenwart der Guratoren und Prediger der Nicolaikirche ein dfr
ntliche8 Examen angeftellt *).
— nn >
*) Die Begründer diefer Stiftung waren der Geheimerat Severi
— 94 —
Außer diefen Anftalten find noch zwei Schulen zu Ben
zu bemerfen, die von Zedlitz ganz nach dem Rochowſchen Blau
eingerichtet hatte. Demgemäß umfafte jede Derjelben zwei Klaſſen
eine Klaffe der Inzipienten, welche Nachmittags, und eine Ob:
Elaffe, welche Vormittags unterrichtet wurde. Die eine biefer
Schulen war für Bürgers-, die andre für Soldatenkinder beftimmt.
Die leptere war ald Garniſonsſchule des von dem General von
Pfuhl commandirten Regimentes. organifirt worden.
Ueberhaupt hatte fi) in der zweiten Hälfte des Yabrkum
bertö der eben erwachte Eifer für das Volksſchulweſen namentlid
auch dem Bebürfniffe des Soldatenftanded zugewendet *). Ink
befondere war das große Föniglihbe Waifenhauß zu
Potsdam für daffelbe beftimmt. Daſſelbe beſtand aus drei
Häufern., Das erfte war das Knabenwaiſenhaus, welde
eine große Anzal, oft über taufend arme Eoldatenfinder aus da
ganzen Armee umfafte. Diefelben wurden auf Koften des jeht
reich dotirten Waiſenhauſes nicht nur gefleidet und verköftigt, jew
dern auch je nad dem Befenntnifje der Eltern oder Kinder i
den reformirten oder in den Intherifchen Schulen des Haufes (im
denen 3 reformirte und 14 lutberifche Lehrer beftellt waren,) im
Ehriftentum, im Leſen, Schreiben und Rechnen unterrichtet. Nag
ihrer Confirmation wurden die Kinder (mit einer Bibel und einen
Geſangbuche) zu einem in dem Waifenhaufe oder in der Statt
wohnenden Handwerker in die Lehre gebracht. Die Lehrer de
Schindler, welcher 1734 das drei Meilen von Berlin entfernte Dorf Schöneicht
kaufte, wo er zur Unterhaltung und Erziehung zwölf armer vater- und mutterlefe
Knaben Iutherifcher Eonfeffion ein Waifenhaus bauen ließ, und deſſen MWittwe,
weihe das Waifenhaus i. 3. 1741 zum Erben faft ihres ganzen bedeutenden
Vermögens einſetzte. Die Euratoren der Anftalt haben fpäterhin Schöneiche ver-
fauft und das Waifenhaus, um es befer beauffichtigen zu können, nady Berlin verlegt.
») Daher erfchienen damals auch mehrere Schulbücher, welche lediglich für
Soldatenfchulen geichrieben waren. So gab € D. Küfter zu Etendal 17%
einen befouderen „Soldatenkatechismus.“ Bu Beeslau erfhien 1785 ein „Lehr
buch zum Beften der Garnifonsfchulfinder in Breslau,” wozu fpäterhin (1798)
no ein „Lehrbuch für Soldatenfhulen“ kam.
1 —
Watfenhausjchulen genoßen c 199 einem jährlichen Gehalte freie
Wohnung und Epeifung in vem Haufe. Die Kirche (in welche
auch das Mädchenwaifenhaus :und das Lazarethaus eingepfarrt
waren,) befand fih auf diefem Knabenwailenhaufe. Zwei Predi-
ger, ein lutheriſcher und ein reformirter, übten die Mitaufficht
über die Schulen des Waifenhaufes aus.
Das zweite Haus der Potsdamer Waifenanftalt war das
Mäpdhenwaifenhbaus, in welches alle armen Soldaten-
töchter and allen Regimentern der Armee aufgenommen werben
fonnten. Gewöhnlich umfafte Dasjelbe gegen 600 Mädchen, welche
in den Iutherifchen oder reformirten Schulen des Haufes Reli
gionsunterricht, Leſen, Schreiben und Rechnen lernten und außers
dem von den Faktoreſſen, welche in dem Waijenhaufe angeftellt
waren, in allerlei Yuduftriearbeiten geübt wurden, Bur Unter
weilung der Mädchen im Spibenfnöppeln war eine Lehrerin aus
Brüffel berufen. Nach der Konfirmation wurden die Mädchen mit
ganz neuer Kleidung uud einigen Senden , fowie mit einer Bibel
und einem Geſangbuche entlaßen.
Das dritte Haus der Anftalt war das Lazarethaus
in welchem ein Arzt und ein Felpfcheerer die ärztliche Behandlung
und ein lutheriſcher Xehrer die fittliche Beauffichtigung der Franken
Waiſenkinder ausübte. |
In einzelnen Garnifonsftädten der Provinz war für Das
Bebürfnid der Soldatenfinder durch Einrichtung von GBarnifonds
ſchulen geforgt. So beſaß das Kleiftfche Infanterieregiment zu
Brandenburg eine Schule, welche durch Beiträge der Offiziere des
Regimentd (vom General bis zum jüngften Kapitän herab) unter-
halten wurde. Auch mufte jeder Soldat, der fid verheiratete,
zu Gunſten der Schule 2 Rthlr. zalen. Bon diefen Geldern
wurde eine monatliche Honorirung des Garniſonsküſters (der mi
dem Feltprediger den Unterricht erteilte,) ſowie die Anichaffung des
Holzes zur Heizung der Schulftube, die Anfchaffung der Bücher
und der Echreibmaterialen, fowie ber Kleidung für die Armften
Kinder und eine Subvention für Eltern, die viele Kinder hatten,
beftritten. Uuterrichtet wurden die Kinder in der Religionslehre,
im Lefen, Schreiben und Rechnen.
Um in die einzelnen Garniſons- und Regimentsſchulen met
Planmäßigkeit und uniforme Ordnung zu bringen, publigirte
Friedrih Wilhelm i. 3. 1799 eine Gircularverorduung, welche
am Earften darlegt, was fi der König unter einer Garnijons
Schule und unter der Volksſchule überhaupt Dachte und nad) wel
hen Geſichtspunkten er dieſelben eingerichtet haben wollte. Da
alte Begriff der Volksſchule war völlig aufgegeben; die Schule
follte lediglicdy den Ywed haben, den zukünftigen Soldaten, Hant
werfämann und Bauern ald Menſchen, als Untertban und für
feinen Beruf zu bilden und ihn in leßterer Hinficht möglihk
brauchbar und mit fich felbft und feiner Lebensftellung zufrieden
zu machen. Demgemäß war der Unterridyt in den zehn Geboten
die Hauptjache des (übrigens ſehr bei Seite geftellten) Religions
unterrichtes. Die Gircularverordnung lautete wie folgt:
„Königliche Gircular - Verordnung an fämmtlide
Regimenter und Bataillons, die Oarnifon » Schulen kr
treffend.
Ich habe mit vieler Zufriedenheit wahrgenommen , das die
meiften NRegimenter und Bataillons, Meinen Wünfchen gemäf,
bemüht find, ihre Garnifonsjchulen zu verbeßern und ihnen eine
dauerhafte Eziftenz zu verichaffen. Verjchiedene Negimenter haben
bierin fo anſehnliche Fortichritte gemadyt, daß Ich das Bergnügen
nicht verfagen Fann, ihnen für die Sorgfalt, womit fie dag Bel
der Fünftigen Generationen zu gründen fuchen, meine lebhaftekt
Grfenntlichfeit zu bezeigen und fie aufzumuntern, der gröpem
Bervolfommnung ihrer Schulanftalten fernerhin ihre Kräfte p
widmen. Bon denjenigen Chefs aber, welche mit dieſer wichtigen |
Angelegenheit noch zurüd find, hatte Ich Mich überzeugt, dgj
der Grund davon nicht in ihrem geringen Eifer, fondern nur |
dem Mangel weniger günftiger Umftände liege, welchem ab
helfen fie fich zur ftrengften Pflicht machen werden. Anden M Mi
Mich damit bejchäftige, die innere Einrichtung einiger Garnijenr
Schulen näher kennen zu lernen, finde Ich jedoch, daß ſich man J
ein Biel vorgeftedt haben, welches zu erreichen mit greis WM
Schwierigkeiten verbunden’ ift und welches zu weit außer de
Graͤnzen einer Garniſonsſchule liegt. Wenn nun gleich jene hu
— 97 —
fie durch ausdauernden Eifer und einige Aufopferungen zu
ı wären, jo kaun der praftiihe Menfchenfenner nicht gleich
z gegen die Folgen fein, welche mit allen Extremen verbun-
ind und bei einer zu weiten Ausdehnung des Volfsunterrichts
als irgendwo nachteilig auf dad Wol des Ganzen wirken
en. Wahre Aufflärung, fo viel zu feinem eignen
zum allgemeinen Beften erfordert wird, beſitzt
reitig derjenige, der in dem Kreije, worin ihn
Schidfal verſetzt hat, feine Verhältniſſe und
ten genau kennt und die Fähigkeiten hat,
n zu genügen. Auf diefen Zwed ſollte daber
Anterridht inallen Volksſchulen eing eſchränkt
den. Die Zeit, welche man darin auf den oberflaͤchlichen
richt in Wißenſchaften verwendet, von welchen der gemeine
u in feiner Ephäre feinen Gebrauch machen kann, iſt gröftens
verloren. Er vergift Das gehörte fehr bald, und was noch
inem &edächtuiffe bleibt , find unvollftändige Begriffe, aus
en falſche Scylüffe und ſolche Neigungen entjtehen, Deren
edigung fein Stand ihm nicht geftattet und welche ihn nur
rgnügt und unglüdlidd maden. Da der Hauptzwed der
niſonsſchulen die Bildung Fünftiger Soldaten
9 braucht in ihnen nicht mehr gelchrt zu werben, ald dem
nen Maun, Unteroffizier und Feldwebel zu wißen nötig ift,
hre Stellen ald brauchbare und zufriedene Menjchen auszu⸗
. So gering diefe Forderung ſcheint, fo ift fie es in der
doch nicht, wenn ihr ganz genüget werden fol. Zur geis
Aunsbildung eines Soldaten erfordere Sch, Daß derſelbe
Ffliht ale Menſch, als Unterthban md ald Soldat
ı Eenut; daß er von den verfchiedenen Erwerbsarten, welche
n Stande angemepen find, und von den Mitteln, ſolche aufs
zu benugen, fo unterrichtet worden, daß er zu feinen fünf
Nebenverdienft Diejenigen auswälen kann, welche mit feinen
zfeiten und Neigungen am Beſten übereinftimmen und daß
wol zur Führung feiner eignen Angelegenheiten, als auch um
iſt zum Unteroffizier oder Feldwebel zu avanciren, gut leſen,
ben und rechnen kann und von den einem Profeſſioniſten
pe Bolläigulwejen, & [
— 98 —
nüßlichen Wißenſchaften die nötigen Kenntniſſe beſitzt. Gin mit
dieſen Eigenſchaften audgerüfteter Soldat wird auf feinem Play
gewiß ein brauchbarer Diener des Staats und zugleich ein glüf-
licher Menfd fein, wenn Niemand das Beftreben nady böhern
Dingen in ihm zu erweden ſucht. Der Keim zur Unzufriedenheit
mit feinem Stande wird fich aber in cben Dem Maabe entwideln,
in weldyem man feinen wißenfchaftlichen Unterridyt weiter ausdehnt.
Kur wenige Menfchen der untern Volksklaſſe find von ber Ratıt
jo fehr verwahrloft, daß fie nicht die Fähigkeit haben follte,
etwas mehr zu leiften als ihr Stand erfordert und fidy datum
auf irgend einem Wege über benjelben zu erheben. Gin zu wei
ausgedehnter Unterriht wird das Gefühl foldyer Fähigkeiren in
ihnen rege machen, durch deren Anwendung fie fich leicht ein
günftigeree Schickſal, ald das eined gemeinen Soldaten ift, wir:
den verschaffen fönnen. Daher kömmt es, daß die oberflädlichfe
Bekanutſchaft mit den Wißenjchaften gewöhnlich eine Abneigung
gegen Erlernung einer Profeffion einflöf. Die unzäligen Beweiſe,
welche die größeren Schulen davon liefern, find meiner Aufmerk
ſamkeit nicht entgangen. Sch weiß ſehr wol, Daß die meiften
Hantiwerfsjöhne, welche jene Schulen befudyen, wenn fie aud nur
nmittelmäßige Fähigkeiten haben, licher deu mühjamen und un
fihern Weg eines Halbgelehrten wälen, ald die einträglicten
Etabliſſements ihrer Väter annehmen, in welche fie ohne Mühe
eintreten und bei welden fie ihre erlangten Keuntniffe jomel zu
ihrem eigenen als zum Beſten des Publikums fehr gut benupen
könnten. Stolz, igentünfel und Abneigung gegen koͤrperliche
Arbeiten find gewöhnlidy die Quellen ſolcher thörichten Entichlüft,
welche unter denſelben Umftänden immer dieſelbe Wirkung hervor
bringen. Wenn gleich dem Eoldatenfohn Die Wal feines fünfrigen
Standes mehr befchränft ift, fo muß er fih doch unglüdlich fühlen,
wenn jene Leidenichaften einmal in ibm gewedt werben und er
ſolche nicht bejriodigen fann. Die Lehrer einiger Garniſonſchulen
find in ihrem gut gemeinten Gifer fo weit gegangen, daß fie ihren
Unterricht auf allgemeine Länderfenntnis und felbft auf die Ar
fangsgründe der mathematischen Geographie, Weltgeſchichte, Et
tiſtik, Verhältnis der Staaten gegen einander, ihrer Hantelebi
— 99 —
lanzen u. ſ. f. ausdehnen wollen. Dieſer Unterricht mag fo ober:
flählich fein, wie er wolle, der gröfte Teil davon gehört Doc,
wie ich fchon gejagt habe, verloren und dient nur dazu, bei
öffentlichen Prüfungen damit zu prablen. Es wird immer beßer
fein, wenn der Knabe Die dazu nötige Zeit in der Induſtrieſchule
zubringt und fi, dort etwad Geld erwirbt, womit er den Eltern
feinen Unterricht erleichtert und feine Pertigfeiten in nüßlichen
Handarbeiten vermehrt. Soldaten und Unteroffiziere
werden ihre Tagemärſche vollenden, ohne die Länge:
und Breite der Derter zu wißen, und was fie im ger
meinen Leben von fremden Ländern erfahren, wird ihnen den
abgegangenen Unterricht in der Geographie hinlänglicdy erjegen.
Zu welchem Zwecke will man denen, weldye, wenn fie zum Marſch
beordert werden, nicht einmal fragen Dürfen: warum? und wohin ?
von den PVerhältniffen der Staaten gegen einander Uuterricht
geben? Und was foll e8 dem Soldatenfohne, der in feiner Eünfe
tigen Beitimmung von geringem Solde und mühſam erworbenem
Nebenverdienfte leben muß, was foll e8 dem helfen, daß man ihm
die Mittel und Wege zeigt, wodurch er fi als Kaufmann mit
leicht gewwonnenem Gelde und ohne eigentliche Arbeit den höchften
Lebensgenuß würde verjchaffen können? Der Geiſt der Zeit bat
Ihon ohnedies unter allen Menſchenklaſſen ein unaufhörliche Ber
fireben rege gemacht, fich über ihren Stand zu erheben, oder
wenigftens die Forderung befjelben immer höher zu jpannen. Ich
rechne fehr gerne dasjenige ab, was man ald eine notwendige
Folge des höher geftiegenen Wertes der Dinge annehmen muß.
Das Uebel liegt aber tiefer nnd e8 muß demjelben mit Gruft
entgegengearbeitet werben, wenn nicht zuleßt alle Verhaͤltniſſe
zerftört werben follen. Ich werde Daher mein bejondereöd
Augenmerk darauf rihten, daß bei allen Volks—
Schulen folder Unterricht eingeführt werde, welder
der jungen Generation mehr Liebe und Achtung für
den Stand ihrer Eltern einflöf. Sämmtliden Militärz
Chef3 made ich aber hiermit beſonders zur Pflicht, bei ihren
Barnifonsfchulen diefen Geſichtspunkt nie zu verlieren. Der Sol⸗
Datenfohn muß von den Rechten, welche der Etaat auf jeine
7°
— 10 —
Dienſte bat, von feinen Pflichten und Verhältniffen und von ten
Vorteilen, worauf er Dagegen Anſpruch machen Darf,» jo genau
unterrichtet werden, Daß ihn fein eigenes Urteil zur Zufriedenheit
mit feinem Stande leitet und er jo viel ald maglich aufhört, mit
Neid und geheimen Haß an Höhere hinaufzufehen. Wer ti
Fähigkeiten befigt, ein auf dieſen Zweck gerichtetes Lehrbud zu
ſchreiben, kann ſich dadurch ein großes Verdienft um das Fünftige
Glück der Soldatenföhne erwerben und meiner Ichbafteften Gr-
kenntlichkeit verjichert fein. Ich wünfche, Daß der Religion«
unterricht damit verwebt würde, und Daß nad Abhand-
Iung der 10 Gebote auf alle im bürgerlichen Leben
verbotene Handlungen und der Darauf gejeßten Stra
fen in katechetiſcher Form fo kurz ale möglich audein
andergefeßt würden. Ein ſolches Bud würde felbft dem
alten Soldaten eine nüßlidhere Lectüre als alle Er
bauungsbüder fein und ihm vollfommen den Mangel aler
Volksſchriften und Volkszeitungen erjegen, wo man auf jedem
Blatte mehr tie Spekulation der Herausgeber, als den Vorteil
des Publikums wahrnimmt und wodurd nur eine fchädliche Leje
wut unter dem gemeinen Wanne verbreitet wird. Da indefien
zur Berfertigung eines foldyen Lehrbuchs mehr eigenes Nachdeuken
und Zeit erfordert wird, als zur Compilirung aller bisherigen
Lehr= und Leſebücher, fo kann ich Den Wunfch nicht untertrüden,
Daß fid nur Männer von annerfannter Popularität und praftijcher
Menſchenkeuntnis an tiefe Arbeit machen und Dabei fo auf dad
Allgemeine ſehen mögen, Laß dieſes Lehrbuch nidyt allein für
Garniſonsſchulen, welche zugleich fünftige Bürger und Bauern,
fondern auch für die VBürger- und Bauernſchulen, welche zugleih
fünftige Soldaten bilten müßen, braud;bar werte. Ich habe
ber Geſchichte nch nicht erwähnt und will alfo nur bemerken,
daß der Unterricht darin ſich lediglich auf die wichtigften Greig
nifje Des Vaterlandes einfchränten und Eeinen andern Zweck haben
bürfe, als Liche und Anhänglicykeit für dasſelbe, Stolz auf bie
Thaten unferer Vorfahren und Die Begierde zur Nachahmung der
ſelben zu erweden. Cine befondere Auszeichnung der fähigften
Schüler, wie 3. B. in einigen Schulen eine Glite aus ber erſten
\
— 11 —
Klaffe ift, finde ich bei einer Garniſonsſchule nicht zweckmäßig,
noch weniger, Daß man den jungen Leuten dadurch eine beftimnte
Ausfiht zum Avancement eröffnen will. Ohne Leſen, Schreiben
und Rechnen gebörig gelernt zu haben, ſollte eigentlich Keiner
emancipirt werten; man muß Daher feinem den Mahn laßen, daß
er dieſerbalb eine befontere Aufmerkjamfeit verdiene. Die Gars
nifonsfchulen würden nur fchlechte Früchte tragen, wenn die Anzal
folder Soldaten, weldye Die gemeinen Fertigkeiten befißen,, in
der Folgezeit nicht größer fein ſollte, als Gelegenheit vorhanden
fein wird, fie alle zu Unteroffizieren und Seldwebeln zu avanciren.
Man würde Daher, wenn man einigen ausgezeichneten Zöglingen
ein Vorzugsrecht zur Beförderung geben wollte, nur einen Ehr⸗
geiz in ihnen anfachen, weldyer zu ſpät oder nie befriedigt werben
und ihnen das Unglüd fehlgeichlagener Hoffnungen in feiner ganzen
Staͤrke fühlbar madyen würde Mit weit günftigeren Grfolge
würde man Dem fleißigften Schüler ein feinen Faähigkeiten ents
ſprechendes Buch zur Belohnung jchenfen können. Ich fordere daher
jeden einfichtsvollen Patrioten, der meine gute Abficht beherzigt,
bejonders aber Difiziere und Feldprediger auf, nach diefen Grunds
fägen einen Unterrihtsplan zu entwerfen, weldyer wo möglıd)
allen Garniſons-, Bürger: und Bauernſchulen zur Norm dienen
fönne; dasjenige, wodurch ſich legtere von den beiden erfteren
unterſcheiden, wird ſich dann leicht ergeben. So widhtig indeſſen
die Einrichtung der Garniſonsſchulen ift, jo würde doch der Nugen
derjelben nur unvollkommen fein, wenn wicht zugleich Induſtrie⸗
Schulen tamit verbunden würden, worin tie Soldatenfinder ihre
fünftigen Erwerbömittel lernen und in den Stand gejegt werden,
ihre Eltern für die Beit, welche fie in der Garniſonsſchule zus
bringen müßen, durdy einen Geldverdienſt zu entihädigen. Die
von dem Oberften von Tſchammer beim Regiment Prinz Ferdinand
eingerichtete Induſtrieſchule, in welder die Kinder, ob fie
gleich Die Hälfte des Tages in der Garniſonsſchule zubringen
müßen, dennoch, nad Masgabe ihrer Kräfte und Fertigkeit, mo⸗
natlih 2, 3, A, ja fogar 5 Rthlr. und darüber durch ihre Arbeit
verdienen , Teiftet Alles, was man von einer ſolchen Anftalt er⸗
warten ann; weshalb ich ſolche allen Regimentern und Bataillond
zur Radyahmung beftend empfehle.
Sharlottenburg, den 31. Auguft 1799.
Friedr. Wilhelm.
Die Volksſchulen des GKonfiftorialbezirfed Frankfurt ad.
Dder hatte der aufgeflärte Frankfurter Profeflor Steinbart
zu reformiren gejucht, aber fein Bemühen war ohne Grfolg ge
weſen. Cteinbart hatte, ald die Staatöregierung die Aufmerb
ſamkeit der Landesbehörden auf die dringende Notwendigfeit einer
gründlichen Hebung des Volksſchulweſens zu lenken begann, be
Antrag geftellt, daß man vor Allem neue Schulbücher anfertigen
möge, worin die Kinder ftatt übernatürlicher Religionslehren ganz
vernünftige Nealfenntnifje, die fie zu verftändigen Landwirten
machten, lernen könnten. Derartige Dinge würden die Schul
meifter ſchon in geeigneter Weife behandeln und Ichren koͤnnen;
ben Religionsunterricht Fönne man alsdann den Pfarrern, tie
dazu namentlich im Winter überflüßige Mufe hätten, überlapen.
— Sn Folge dieſes Antrags wurde Eteinbart von dem Etautk
miniſter von Münchhauſen aufgefordert, die nötigen Schulbücher
andzuarbeiten. Steinbart fehrieb Daher nicht nur einige ergentlide
Schulbücher, jondern auch ein Methodenbuch für Schulbalter.
Um ſich darüber zu vergewißern, daß dagjelbe auch recht ver
ſtändlich abgefaft fei, ließ Steinbart in jeder Woche einige Schul:
halter zu ſich fommen und las denſelben einige Abfchnitte feines
Manuſcripts vor. Nachdem fo eine Zeit lang Die mühjeligten
Sgperimente und in Folge deſſen vielfache Abänterungen vorge
nommen waren, hatte Steinbart endlich einige Bogen zu Wege
gebradyt, die den Echulmeiftern verftändlich waren. Um indefien
mit feiner Sache ganz ſicher zu geben, ſchickte Steinbart feine
Bogen aud) nach Pommern und Weſtphalen und ließ fie bafelbft
mehreren Schulmeiftern mitteilen. Allein man fchrieb ihm zurüd,
daß die dortigen Küfter faum den zehnten Teil des Gefchriebenen
recht veritehen fönnten.
Steinbart entwarf daher ein neues Projekt; er hoffte in
allen Gegenden „helldenfende und patriotifche Prediger“ zu finden,
— 1 —
he die Mühe übernehmen würden, einerfeitS feine Schulbücher
mzuarbeiten, daß fie in ihren Schulen Eingang finden könnten,
andrerjeit8 die Echulmeifter anzuweifen, wie fie dieſelben
"auchen müften.
Anzwifchen hatte der König die Verwaltung des geiftlichen
sartementd dem Minifter Zedlig übertragen. Diefer ermunz
>» Steinbart zur Fortſetzung feiner Schulverbeßerungsarbeiten
ihidte ihm mehrere dieſen Gegenftand betreffende Entwürfe
Vorſchlaͤge, welche bei dem Minifterium eingegangen waren,
Benußung zu. Zur Grleidhterung feiner Arbeiten erhielt
inbart auf fein Anfuchen auch Poftfreiheit zugefichert. Gleich.
blieb Alles, was Steinbart bis dahin ausgeklügelt hatte,
todtgeborne Frucht. Es kam zu gar nichts.
Sn Bommern zälte man damals etwa 1250 Küfter und
diehulen, Die indeffen nur mit dem allergröjten Unrecht fo
ınnt wurden. Faft nirgends war für den Schulhalter ein
r Gehalt und nur an wenigen Orten waren Schulhäufer
handen. Daher gab es auch auf dem Lande nur Winter:
len, indem die Gemeinde denjenigen für die MWintermonate
Schulhalten Dingte, der dafür am wenigften forderte. Ganz
öhnlich war der Kuhhirte, der das Vieh der Bauern im Som—
auf die Weide trieb, derfelbe, der im Winter die Schul:
er — ind Hirtenhaus trieb, wo in der Regel die „Schule“
lirt wurde. Das Gonfiftorium der Provinz hatte ſchon man—
lei verfudt, um dieſem Elende ein Gute zu machen. Auf
ehl des Königs hatte man die Einnahmen verbeßert, jo daß
icher Lehrer 40 Rthlr., mancher fogar 80 Rthlr. erhielt. Aber
für jedes Jahr desfalls zur Dispofition geftellte Summe von
O0 Rthlr. reichte nicht aus, um den armen Küftern nur dag
rnotdürftigfte zu gewähren und Die Verbeßerung, Die das Con⸗
rium an den Schulmeiftern ſelbſt (durch Anordnung von Prü—
zen derfelben, Entlaßung der gänzlih Unbraudybaren u. |. w.)
zunehmen verjudhte, führte auch zu nichts.
Erft mit dem Jahre 1791 begann für die Volksſchulen in
nmern eine beßere Zeit anzubredhen, indem in PDiefem Sabre
erfte Verſuch mit Errichtung eines Schulmeijterfeminard ges
— 10141 —
macht wurde. Die Kirhen in Pommern und Rügen, mit An
nabme derer zu Etralfund und Greifswalde, gaben die dazu er
forderlihen Fonds her. Indeſſen beftand die ganze Einrichtung
nur darin, Daß einige junge Leute, welche man Seminariften
nannte, bei einem Stadtgeiſtlichen zu Greifswalde wöchentlidy
vier Stunden Religiondunterriht und bei den Küftern der Ricolai>
und Marienkirche Unterriht im Schreiben und Rechnen erhielten.
Um aud für gänzlicdy Unbemittelte den Genuß dieſes Unterrichts
zu ermöglichen, war für ficben Seminariften eine monatliche Un>
terftüßung von 2 bis 3 Rthlr. audgeworfen. Um fidy für ihrem
Beruf auch praftiich auszubilden, erteilten die Seminariften unter
Auffiht ihres Lehrers felbit arnen Kindern unentgeltlihen Un⸗
terricht.
Um dieſelbe Zeit wurde auch auf der Inſel Rügen die
erfte Schule cingerichtet, in der ein methodilcher Unterricht erteilt
ward, indem ber Prediger Piper zu Guftow auf Rügen einen
Lehrer aus dem Halberftädter Seminar berief und dadurch nit
allein feiner Gemeinde, fondern aud den Predigern und Lehrern
ber Inſel zum erften Male zeigte, was unter einem methodiſchen
Schulunterricht zu verftchen fei.
Sn der Stadt Greifswalde erhielt dad Armenfchulmeen
eben tamals eine fehr erhebliche Erweiterung. Ecyon. früher
war daſelbſt durch einen Amtsmeifter der Maurer (Göpel) ver
finderlo8 geftorben war, eine Armenfchule gegründet worben,
indem derſelbe 800 Rthlr. dazu ausgeſetzt hatte, daß arme Bür
gerslinter, namentlid) Die aus der Maurerzunft, von ben Küftern
ber Nicolai» und Marienfirde unentgeltlichen Unterricht in ber
Religion, im Schreiben und Rechnen erhalten follten. Weit be
beutender war jedoch Die von tem i. J. 1790 verftorbenen Pre
feffor ter morgentäudifhen Sprachen zu Greifswalde Oberkam—
in dem Nicolaifchen Kirchfpiel geftiftete Anſtal. In der Ober
fampifchen Armens und Freiſchule ſollten nach der Stiftungsurkunde
15 bi8 16 Stabtfinder, teild Knaben, teild Mädchen, wenn fie
das 7. oder 8. Jahr erreicht hätten und fertig leſen Fönnten, im
Ehriftentum, im Schreiben, Rechnen und in gemeinnügigen Kennt,
niſſen täglich drei Etunden Vormittags und drei Etunden Nach—
—
— 105 —
tags drei bis fünf Jahre lang unentgeltlich unterrichtet werben.
’eflen follte nur eine Stunde Vormittags und eine Stunde
Hmittagd zum Schreiben und Red;nen verwendet werden. Für
Defoldung des Lehrers, Heizung des Schulzimmers, fowie
Die Beihaffung der Schulbficher und ſelbſt der Kleidungsftüde
einzelne ganz arme Kinder waren in dem Teſtamente bes
fters die nötigen Mittel angewiefen. Die Gefammtfumme,
He derjelbe für die Anftalt gefchenkt hatte, betrug 4800 Rthlr.
t Michaelid 1800 begann aud der Magiftrat zu Stralfund
die Erziehung der Armen feiner Stadt fein Augenmerk zu
“en, Die Einrichtung einer Arbeitsfchule wurde als dringendes
ürfnis angefehen. Es wurde daher ein beſonderes Gebäude
Sinrihtung einer Induftriefchule gekauft und ausgebaut und for
ıı wurden die nötigen Materialien und Werkzeuge angeſchafft.
a Lehrer und Auffeher der Auftalt unter der Dirertion einer
den Mitgliedern des Magiftrats und einem Prediger beftehen-
Schulfommiffion, wurde der Bandidat Piper, ein Bruder des
Digerd zu Guſtow, gemwält. Außer ihm wurbe eine Lehrerin
Leitung der Arbeitäftunden angeftellt. Binnen Jahresfriſt
e fih die Schülerzal um das Doppelte vermehrt. Die erfte
Ne, die fich in den Lehrftunden mit Buchftabiren und Lefen,
flandesübungen, Erlernung der Zalen und Kopfrechnen be:
ftigte, hatte täglich 2'/, Stunden Unterricht und 2 Arbeits:
iden. Die zweite Klaffe, die außerdem im Schreiben geübt
rde, hatte 3 Stunden Unterricht und 3 Arbeitöftunden. Die
te Klaſſe, die in der Religion und gemeinnügigen Kenntnifjen
' der Geographie, Naturgefchichte, Technologie und Geſund⸗
Slehre unterrichtet wurde, hatte 3'/, Stunden Unterricht und
, Arbeitöftunden. In den legteren wurden die Schüler über:
pt im Striden, Spinnen, Garnwideln und Nähen bejchäftigt.
» Kinder armer Eltern wurden mit Kleidungsftüden verjorgt.
k großer Strenge wurde von Allen ein ununterbrochener Be:
ı der Schulen gefordert.
In Halle war das weltberühmte Waifenhaud fjchon im
ı 1740 zu einer folhen Blüte gelangt, Daß die Zal der auf-
ehmenden Waifen auf 200 (150 Knaben und 50 Mädchen)
— 106 --
erhöht werden konnte. Die Knaben trugen ſchwarzgraue Röle
mit meffingnen Anöpfen und Iederne Hofen und Strümpfe von
derjelben Farbe. Sie wohnten in verfchiednen Zimmern, ſchliefen
aber alle in einem Saale unter Aufficht einiger Lehrer, Der
Unterricht war der in den beßeren Volksſchulen gewöhnliche. Die
Mädchen wurden auch in weiblicdyen Arbeiten geübt. — Die Yand
Ichulen in der Umgegend von Halle waren im elendeften Zuſtande.
Der erfte Verfuch zur geiftigen Hebung der Schullehrer ſelbſ
batte bier der Gonfiftorialrat Senff zu Halle durch Kinrichtung
einer Leſegeſellſchaft unter den Schullehrern feiner Inſpection im
Jahr 1789 gemadıt. *) |
WViel Erfreuliches war dagegen im Magdeburger Lande
wahrzunehmen. In Magdeburg felbft batte ſich die große Etadt
Ihule, ein ehemaliges Franziskanerkloſter, der Stadt und ber
umliegenden Gegend fehr nüglid) gemacht. Der Altftädter Mayr
ftrat, weldyer Patron der Schule war, hatte feit einer Reihe von
Fahren die Verbeßerung der Schule betrichen und namentlich anf
die kümmerlichen Befoldungen ber Lehrer einigermaßen erböbt
Diefe Stadtfhule und die Domfchule unterhielten einen gut ge
übten Singchor. — Audy die Neuftäbtifche Schule, an welde
ein Rektor und drei Schulcollegen wirkten, war großenteild nut
eine deutjche Schule, erfreute fi) jevody (unter dem Patronat dei
dafigen Stiftes und Magiftrats) nicht der beften Verfaßung. —
An der walloniſchen reformirten Gemeinde waren 3 @lementar
lehrer bejchäftigt, von denen einer in der Stadt, einer in be
Neuftadt und einer auf Dem gemeinfchaftlichen deutſchen und wal⸗
loniſchen Waiſenhauſe wohnte. — Für die Töchter der deutſchen
und mwallonifchen Gemeinde war eine Mätchenfchulbalterin beftclt-
Die franzöfifche Gemeinde unterhielt einen Echulmeifter in def
Stadt und einen in ihren Waiſenhauſe. Außerdem waren in
jeder Barochie einige fogenannte Winfelfchulen, welche, verhaͤlt⸗
nismäßig ganz gut eingerichtet, von dem Stadtjenior und eu
Pfarrer des betreffenden Kirchfpield beauffichtigt wurden. Au
5) Vrgl. Krünig, ökonomiſch technologiſche Encyclopädie B. 61, ©. 743 #-
— 107 —
befanden eine von dem Abt des Klofterd Bergen, Steinmeß, bes
gründete Trivialarmenfchule, die ſich mit Recht eines guten Rufes
erfreute, und fir Die Beſatzung eine Garniſonsſchule. — Für Die
fatholifchen Kinder war von den Aebtiſſinnen des Neuftädtifchen
Jungfrauenklofter8 eine vortreffliche kleine Trivialfchule angelegt
worden, worin nach Felbigers Methode unterrichtet wurde.
Auch die Dorffchulen waren im Magdeburgifchen weit. beßer
beſtellt, ald in den meiften andern preußifchen Landen. Denn
ie meiften Echulmeilter hatten ihre ausreichende Ginnahme, konn⸗
en ſich ihrem Amte wirklich bingeben und auf der einmal erlangten
stelle bleiben. Einige Dörfer hatten fogar zwei Lehrer, einen
T Die Knaben und einen für die Töchter. Unter den adlichen
am ilien jener Gegend hatten fi namentlich Die von Alvensleben
Dundisburg und die von Mündhaufen zu Leizfau um das
Ayıslwejen ihrer Ortſchaften verdient gemadht. *)
Im katholiſchen Schlefien rang Felbigerd Reformgeift
ich fortwährend mit den Hinderniffen, die fi ihm in taufend-
her Geftalt entgegenftellten. Aber dennoch war die Saganifche
form in der öffentlihen Meinung zu entfchiedner Anerkennung
ekommen und war binlänglich gefichert, indem nicht nur eine
eträchtlihe Anzal von Schulen nach derjelben eingerichtet war,
»ndern aud die neueren fchulrechtlichen VBeftimmungen und ber
sinfluß Der eben erft begründeten Seminarien das alte Echulun-
vejen notwendig mehr und mehr zu Grabe tragen muften.
En weit Felbigerd Reform reichte, jah man es überall als
lufgabe der Schule an, das Gedächtnis der Schüler nicht blos
it Worten, fondern aud mit Sadyen und wirflich verftandnen
egriffen zu üben und den Menſchen wirflid auszubilden.
inſichtlich der Sachen, welche gelehrt wurden, unterſchieden ſich
e deutſchen Etabiſchulen von den Dorfſchulen. Auf den Dörfern
"ten die Schüler Die Religions- und Pflichtenlehre, das Singen
Kirchenlieder, dad Buchftabiren und Lefen der deutfchen (in
— —
5) Vorſtehende Nachrichten find namentlich aus den Relationen „über den
AMD des Edul- und Erziehungsmwefens in den preußifchen Staaten“ in der
3. Bibliothek für das Schul⸗ und Erziehungswefen für Deutfpland“ ® . VIII
Umgen 1780) geſchöpft.
— 108 —
Dberfählefien auch der polnischen) gedrudten und gejchriebenen
Schrift, Schönſchreiben und Rechnen bis zur Regeldetri. In den
Städten wurde die Religions» und Pflichtenlehre ausführlige
und im Zufammenhange mit der Religionsgejchichte vorgetragen.
Man lehrte die Kinder nicht blos leſen, fondern auch mit da
erforderlichen Stimme leſen; außerdem übte man fie aud) im Pen
ber üblichen frangöfifchen und Iateinifhen Ausbrüde. Der Schreib
lehrer Ichrte die Schüler die Kanzleis und Frafturfchrift, übte fe
im Scyreiben des Lateinischen, in der Orthographie, im Brid
fchreiben, im Nachfchreiben von Diftaten u. drgl. Der Unter
richt im Rechnen war erweitert, Geographie, Geſchichte und Mu
fit wurde gelehrt und felbft aus der lateinifchen und franzoöͤſiſchen
Sprache wurde das gelehrt, was nötig war, um Die aus be
felben in die deutſche Verkehrsfprache aufgenommenen Ausdridt
Elar machen zu Eönnen.
Die übliche Lehrart berubte auf den Grundregeln der Ne
thode Felbigers: Zufammenlehren, AZufammenlernen, Buchftabiten,
Tabellarifiren und Katechiſiren.
Zur Erteilung des Religionsunterrichte waren drei Katehi
men eingeführt. Der erfte derfelben, welcher nur aus kurzen Sägen
ohne Fragen umd Antworten beftand und nur zur memorielen
Einübung beftimmt war, wurde von hen Incipienten gebrandt.
Auch der zweite Katechismus wurde (mit Kindern von 7— 10
Jahren) eigentlich mr zum Auswendiglernen benupt. Der
dritte, ſehr ausführliche (aber auch ohne Fragen und Antworten
zujammengeftellte) Katechismus wurde nicht auswendig gelernt,
aber fleißig gelefen, indem berfelbe dazu dienen follte, „ältere
Kinder von der Wahrheit ter Fatholifchen Lehre zu überzeugen‘
und „ihren Willen zu bewegen.” Außerdem wurden Felbigert
„Srundfäge der Eittenlehre” und ein Lehrbuch der biblijcen
Geſchichte erläutert und durchkatechifirt. — Zur Förderung ber
Religionskenntnis waren daneben zwei Einrichtungen getroffen.
Die Pfarrer muften nemlich allmöchentlich zweimal, einmal in der
Schule an einem von ihnen zu beftimmenden Tage, und jodann
Sonntags in der Kirche die Schulkinder katechiſiren; und Die aus
ber Schule entlaßene Jugend war bis zum 20. Lebensjahre ver
— 109 —
ichtet, die für jeden Sonntag nah Beendigung des Gottes .
nfted angeordneten „Wiederbolungsftunden“ zu beſu⸗
n, in denen, diefelbe indeffen nicht blos in der Religionslehre
iter unterrichtet, fondern auch noch im Schreiben und Rechuen
übt wurde.
Um tüchtige Schullehrer zu erziehen, waren an mehreren
rten Seminarien angelegt. Ueberall, in Klöftern wie in Städten,
iren mit denfelben Ecdyulen verbunden. Indeſſen follten durch
fe Anftalten nicht blos die zufünftigen Schullehrer, fondern
h die Pfarrer ald Schulinfpeltoren informirt werden. Als
chtigſtes Lehrbuch wurde in allen Seminarien’ Felbigerd Schrift
Sigenichaften der Schulleute x. 2.” behandelt. Die Candidaten
3 geiftlihen Stande wurden von den Directoren angewiefen,
bt nur das Amt eines Schulinfpectord erfprieslich zu verwalten,
dern auch einen methodischen Religiondunterricht zu erteilen und
: von den Pfarrern zu liefernden Berichte über den Zuſtand der
hulen anzufertigen. Deshalb waren auch die geiftlichen Candi⸗
ten bei den Katechifationen des Directord gegemwärtig und übten
, in den Seminarien jelbft im Katechiſiren.
Die Oberanfjicht über dad Schulweſen übten bie koniglichen
omänenkammern und das biſchoöfliche Generalvicariatsamt zu
zeslau aus, welches letztere alle halbe Jahre an die erſteren
richt erftatten mufte. Die bejondere Beaufjihtigung und Leis
19 der Volksſchulen war auf die Echullehrer felbft, auf Die
arrer, Erzpriefter und Sculinfpectoren verteilt. — Die Schul⸗
hrer muften Verzeichniffe aller Echulfinder führen, monatliche
Yulcataloge anfertigen, fie muften es notiren, wenn der Pfarrer
ehifirt hatte u. drgl. m. Die Pfarrer, muften dafür Sorge
ıgen, daß die jchulpflichtigen Kinder die Schulen und fpäterhin
: MWiederholungsjtunden ordentlich bejuchten; fie waren ver:
ichtet, alljäbrlih am erften Sonntag nah dem Feſt der Er-
einung Chriſti und am zwölften Sonntag nad Pfingften über
: Pflichten der Kinderzucht und der Barmherzigkeit gegen arme
hüler zu predigen, an denſelben Tagen Collecten zu verans
ten, um für arme Schüler das Edyulgeld und die zur An-
Mung von Büchern und Echreibmaterialien erforderliden Mit:
— 110 —
tel aufbringen zu koͤnnen. Sie muſten die Ortsobrigfeiten zur
Abſchaffung der Winfelfhulen anhalten, Die Hauslehrer, welche
fid) einzelne Familien hielten, prüfen und waren außerdem ver
pflichtet, 1) während der Edulftunden den Schullehrer nicht
zur Afjiftenz bei Krankenbeſuchen rufen zu laßen, 2) ihre Schul
meifter zu unterrichten und die Schulen in ihrem Pfarrorte we
chentlich, auf den Filialen und eingepfarrten Ortſchaften wenigſten
alle vierzehn Tage einmal zu vifitiren, 3) wöchentlich einmal in
der Schule und allfonntäglid in der Kirdye Religionsunterricht |
erteilen und 4) alle halbe Jahre über den Zuftand ihrer Schule
an den Erzpriefter zu berichten und einen Auszug der Schultabellen
einzufchifen. — Die Erzpriefter hatten die WBilitationen zu
vollziehen, die nad) einer beftimmten Vorjehrift nach Faſtnacht an |
geftellt wurden und fich auf Pfarrer, Eltern, Herrn, Schulmeiſte
und Schüler, ja felbit auf Diejenigen Kinder erftredten, weihe
von Hauslehrern unterrichtet wurden. — Die Sculinfpel: |
toren, die aus ben höheren Geiftlichen gewählt wurben, hatten
bauptfächlicy tie Volziehung der Schulordnung in den ihrer Ober:
aufficht zugewiejenen Kreifen zu überwachen. Außerdem muften
fie die Schulen der Erzpriefter und nad Befinden wol aucd, einige
von den Schulen der dieſen untergebenen Priefter vifitiren, bie
balbjährigen Berichte der Erzpriefter empfangen und muften aus
biefen Berichten und aus dem Bifitationsprotocol, wenn fie zu
Didcefe Breslau gehörten, an das dafige Generalvicariatsamt,
wenn fie aber unter anderen Bifchöfen ftanden, an die Domänen
fammern Bericht erftatten.
Zufolge der neueren Verordnungen wurde fein Schulmeifter
und aud fein Pfarrer mehr beftellt , der ſich nicht einige Zeit in
einem Schullehrerjeminar hatte inftrniren laßen. Cine jede Schule
mufte ihre eigene Schulftube haben. Den Schulmeiftern war es
verboten, Handel und Wirtfchaft zu treiben, in den Wirtsbäujern
und bei Feftlichfeiten mit Muſik aufzuwarten. Dagegen wat
ihnen die Ausübung eines Handwerks außer den Schulftunden
erlaubt und das Gurrendentragen war ihnen erlaßen. *)
) Rach „Allg. Bibliothek für das Schul- und Erziehungswefen in Deuiid-
land, Nordlingen” 1776, B. 4. ©. 234 ff.
— 11 —
Es gab Schulen, namentlicdy in der Umgegend von Sagan,
in welden ſich alle tiefe durch Die Reform Felbigers herbeige-
führten Anorduungen verwirklicht fanden und die Darum Treffliches
leifteten; aber im Allgemeinen lieg doch aud in katholiſchen
Schlefien das Volksſchulweſen noch Vieles zu wiünfchen übrig.
Audy hier war die Unfähigkeit der meiften Echulmeifter und Die
Unmöglidyfeit einer ſtrikten Durchführung der gejeglichen Beftim-
mungen die hauptjächlichite Wurzel des Uebeld. Denn die anges
ftrengteften Bemühungen Felbigerd und die bisherige Wirkſamkeit
der jungen Scminare hatte Tod nur auf eine gar Kleine Anzal
von Lehrern beßer einwirken fönnen. Noch immer tauchten „Schul:
adjunfkten” auf, die niemald ein Seminar beſucht hatten, auch
niemals von einem mit der neuen Lehrart vertrauten Lehrer unters
richtet worden waren und dennoch Lehrerftellen erhielten. ‘Daher
fam es vor, daß wolhabende Eltern ihre Kinder lieber von
einigermaßen inftruirten gemeinen Soldaten unterrichten ließen,
als daß fie diejelben in Die öffentliche Schule ſchickten, wo fie bei
dem gänzlich unwißenten Schulmeifter doch nichts lernten. Schon
hieraus erklärt es ſich, daß die vorjchriftSmäßige Inſpection der
Schulen faum möglih ober von irgend weldyer Bedeutung fein
konnte. Dem Schulreglement zufolge jollten die Inſpektoren in
ihren Berichten die unfleißigen jowie die eifrigen Schullehrer nam-
haft machen, damit jene gemaßregelt und nötigenfalls entlaßen,
diefe Dagegen mit Beförderung belohnt werden könnten. Indeſſen
nahmen die Inſpektoren von biefer ihrer Verpflichtung gar feine
Notiz. Daneben war ed nur an wenigen Orten möglich, die
Eltern der Schulkinder zur Befolgung der Schulordnung zu nöti-
gen. Manche ſchickten ihre Kinder zur Schule, ehe fie jchulfähig
- waren, d. h. vor dem fechsten Jahre, — nicht um fie unterrichten
zu laßen, ſondern weil fie Diejelben täglid einige Stunden lang
ans dem Haufe jchaffen wollten. Nach zwei Jahren hieß es dann
doch: „Die Kinder gehen ſchon jo lange in die Schule und wißen
wenig oder gar nichts;,“ man nahm alfo an, daß ber Lehrer
nichts tauge. Andere ſchickten ihre Kinder zu fpät zur Schule,
die Mädchen überhaupt nur des Morgens, die Knaben oft längere
Zeit gar nicht. Jene jollten das Schreiben nicht lernen, damit
— 112 —
fie nicht zu frühzeitig Liebesbriefe jchreiben lernten. Konnten fe
im neunten Jahre im Gebetbuche Iefen, jo hatten fie für ih
ganzes Leben audgelernt. Es gab Eltern, weldye nady der alten
Lehrart eben nichts gelernt hatten, und ed deshalb nicht gern
ſahen, daß ihre Kinder klüger werden follten, als fie ſelbſt. Die
Anfchaffung der neuen Echulbüher war nur bei wenigen Gltem
durchzuſetzen, weshalb ed Schulen gab, in denen man eben jo
viele Arten von Schulbüchern antraf, als Schüler da waren.
Ebenjo fehlte ed faſt überall au dem nötigen Echulgerät. Zwar
follte zur Anſchaffung defjelben nad dem Scuireglement jährlih
eine Bollecte eingefammelt werden, aber an manchen Orten war
nah zehn Jahren noch Fein Groſchen erhoben. Allgemein Hlagte
das Volk über die unerträglichen Laſten, die ihm durch die neue
Schuleinrichtungen aufgebürbet wären. Die Kinder konnten nicht
mehr, wie früher, zur Arbeit im Haufe und auf dem Felde ge
braucht werden, während Schule gehalten wurde. Hierzu Fame
die Opfer, weldye für den Aufbau von Sculbäufern gebradt
werben muften. Am Neiffifchen war daher der Aerger über die
jungen in den Seminarien gebildeten Schullehrer fo groß, da}
man dieſelben den zur Recrutirung gekommenen Difizieren am
zeigte, um fie als Recruten wegnehmen zu laßen. Freiwillig
Deiträge zur Dedung der Schulbedürfnifje Famen felten vor.
Vom Beginne der Schulreform bis zum Jahre 1768 hatte im
ganzen Fatholifchen Scylefien nur eine alte Frau 500 Rthlr. zum
Beften der Schulen vermacht und von zweien Geiftlichen in de
Grafſchaft Glaz hatte der eine 50 Thlr., der audere 60 |.
gefchenft. *) |
An Altpreußen hatten die zu Gunften der Volksſchulen
getroffenen Anordnungen noch fehr wenig gefruchtet. Namentlich
befanden fid, diefelben in Südpreußen im tiefften Verfall.
Ein Bericdhterftatter aus dem Jahre 1802 referirte: „Um
das allgemeine Schulweſen in Südpreußen fieht es noch immer
gar jehr traurig aus und wird nody lange fo ausjehen, wenn die
) Nach „Allg. Bibliothek für das Schul- und Erziehungsweſen.“ Rör-
lingen 1774. 8. 11. ©. 109 ff.
— 02
— 113 —
on von Stanidlaus zum Schulfonds beftimmten Nationalgüiter
n Sculwejen nicht wieder gegeben werden. Was Eönnen alle
terfuchungen, Verordnungen und neue Lehrbücher helfen, wenn
ı Fonds da. ift? Noch immer hoffen wir, daß fid) der für dieſes
% jo fehr interejfirende König ded erbarmungswürdigen Scul-
end von Eüdpreußen annehmen und ihm feine Güter wieder
en wird! Vorzüglich Davon hängt der Gewinn ab, ben die
niſchheit in Diefem Lande fi) von der preußifchen Bejignahme
ſprechen darf. — Ehedem hatten aud die Biſchöfe noch die
-pflidtung, für den Unterriht und Die Erziehung einer gewiſſen
‚al von Knaben ihrer Didcefen zu ſorgen; jegt hat auch dies
Jehoͤrt, feitdem allen Geiftlidyen und auch ihnen die Güter ab-
Ommen wurden, worauf dieſe Verpflichtung lag. Und fo ift
2r Schulwejen bisher noch fchlechter geworden, als es ehedem
zı war. Millionen Menfchen, die polnischen Bauern, wachſen
Z jo auf, wie ihr Vieh, und erhalten nicht den mindeften Uns
ücht.“) Ihre ganze Religionskenntnis befteht darin, daß fie
Pater noster und Ave Maria beten, einige firchliche Gebräuche
Kmiachen und gewißenhaft falten koͤnnen.“
ALS Anfang einer beßern Geftaltung des Dorfſchulweſens
den Damals die Stiftungen des in der Mitte des Jahres 1798
Danzig verftorbenen polnischen Kammerherrn Carl Friedrich
an Conradi begrüft. Unter anderen Vermächtniffen,, die in
m nad feinem Tode geöffneten Teftamente vorgefunden wurden,
ar auch eins, welches die Schulen betraf. Von den Binjen
ned Sapitald von 200,000 Rthlrn. follten nemlid 1) zwei
ndfchulen errichtet werben, Die eine in Nafjenhuben, einem eine
sine Meile fübliy von Danzig gelegenen Dorfe, die andere auf
anfau, einem anderthalb Meile ſüdweſtlich von Danzig ent>
mten Bute. Beide Orte waren nebft mehreren andern Gütern
8 Verftorbenen Eigentum gewejen. jede Schule follte mit zwei
htigen Lehrern verſehen fein, von denen Jeder außer freier
zohnung und Garten jährlidy einen Gehalt von 150 Rthlrn. zu
ziehen hatte und von denen der Cine reformirten, der Anbere
Rationalzeitung der Deutfhen. 1802. &. 807.
OHeppe, Bolloſchulweſen, 8. | 8
— 14 —
lutheriſchen Befenntniffes fein muſte. Indeſſen ſollten ſich die
Lehrer aller Bekenntnisſtreitigkeiten enthalten. Für jede Säule
war ein Fonds von 200 Rthlr. jährliher Einkünfte zur Unter
ftügung hülfsbedürftiger Kinder ausgeſetzt. Der jeweilige Pre
diger in Naſſenhuben ſollte Juſpektor beider Schulen fein.
2) Eine Provinzialſchule, weldye zur weitern Ausbildung ber in
den eriten Vorkenntniſſen unterrichteten Schüler der eben genannten
oder auch anderer Schulen dergeftalt beftimmt war, Daß der gröft
Teil zu erfahrenen Landwirten, Handwerkern und Schullehrem
vorbereitet, bejouders begabte Schüler zum Beſuche eines Gym
naſiums oder einer Academie befähigt würden. Zu den Yant-
ſchulen ſollten alle Kinder (männlichen und weiblichen Geſchlechts)
aus den Gütern des Erblaßerd, außerdem auch die Kinder and
angrenzenden Dörfern Zutritt haben. Die Oberaufjicht über
das ganze Inſtitut ſollte die weftpreußifche Landesregierung führen.
Die Errichtung der projectirten Lehranftalten erfolgte einige
Jahre nach Tem Tode des Erblaßers. Die Schule zu Banfan
wurde i J. 1800 eröffnet; das höhere Erziehungsinftirut fam
erft im Herbit 1802 zu Stande. Als Hauptzweck Diefer Anflalten
wurde in der offiziellen „Nachricht an das Publikum von den
Conradiſchen Erziehungs und Schulanftalten“ bezeichnet, daß man
Menjchen bilden wollte, „welche in allen Verhältniſſen ihres Lebens
aus ſelbſt erfannten Gründen den Vorjchriften der Religion un
Vernunft gemäß handeln.” Ale Schüler wurden Daher ohne Rüd:
fidytnabme auf ihre künftige Beſtimmung tbunlichit in allen den:
jenigen Dingen unterrichtet, Deren Erkenntnis als für jeden Meufchen
unentbehrlich angejehn wurde. Das Grziehungsinftitut war in te
Entfernung einer Meile von Danzig in Jenkau errichtet. Zwei
und fünfzig Schüler founten in Die Anftalt aufgenommen werten,
teild gegen baare Bezalung einer Benfion von wenigſtens 200 Athlr.,
teils unentgeltlich oder gegen eine geringere Vergütung. Die
Sreiftellen waren den Eingeborenen des weftpreußifchen Regierung
Departements vorbehalten. Der Unterricht wurde von dem Tirecter
des Juſtituts, einem Oberlehrer und fünf Unterlehrern erteilt
Die beiden erſteren hatten außerdem die Ausbildung von Sew—
narijten übernommen,
— 15 —
Aus keinem Teile der Monarchie lagen damals über das
Tesfchulw.fen jo günftige Berichte vor, als aus der Inſpektion
enen in der Grafſchaft Tecklenburg. Der damalige Juſpektor
wethlage teilte nemlih um 1799 (Jahrbuch Der preußiichen
onarchie, Nov. Stüd, S. 288) ald Ergebnis einer fehr ſorg—
tig ausgeführten Haußvifitation mit: „1) daß allen, auch ten
nften Sitern, nichts mehr am Herzen liege, als daß ihre Kinder
> Nötige lernen, weil fie diejes mit Recht ald deren beſtes
bteil anfehen, und fürdten, daß nad ihrem etwaigen Tode
re fie damit nicht gehörig außflatten werden; 2) daß faft gar
ie Eltern mehr gefunden werden, die ihre Kinder mit den,
3Cbuch zur Schule ſchicken. Sie fehen es ein, daß die Schul:
ter, die 70 — 80 Kinder zu unterrichten haben, bei ſolchen
nen Kindern, die ſich felbit noch ger nicht zu helfen wißen,
nig oder gar nichts wirken fönnen; und Daher bringen fie ſelbſt
jelben des Winter in ihren Epinuftuben bis zum. Lejen;
daß in allen Häufern die Kinder von 5—6 Jahren durch:
ngig, die von 7-8 Jahren alle ſchon recht gut lejen konnten ;
DaB es Geſetz in allen Häuferu ift, Daß alle kleinen Kinder
Sommer nad) Dem WMittagseßen vor ihren Eltern oder andern
wachſenen eine Stunde lejen müßen, damit fie Das im Winter
lernte nicht wieder verlernen und etwas weiter fommen. 5) Ge⸗
ı dann die Kinder zum Viehhüten heraus, fo nehmen fie alleut-
ben ihr Buch mit. Und jo ſehe und höre ich fie in der ganzen
meinde, wobin ich fomme, in den Wieſen und Kämpen mit
en Büchern gehen und lefen, und wo mehrere zufanımen find,
‚ einander aufpaßen und corrigiren. 6) Ein großer Teil der
der gebt nur etwa zwei Winter zur Scyule, weil fie nidyt eber
: Schule kommen, als bis fie bereits fertig lefen fünnen. In
ı jegt von mir vifitirten drei Bauerfchaften Holhaufen, Medel-
ge und Kottervenne wird feine Seele gefunden über 10 oder
Sabre, die nicht das Nötige gelernt hätte. Und fo verhält
ſich auch ungefähr in allen übrigen Gemeinden meiner {ns
ftion. Gehen gleich Die Kinder, felbft im Winter, der Armut,
ilte und weiten Wege halber bei weitem nicht alle ordentlich)
e Schule, fo lernen fie Doch alle das Nötige von Kindesbeinen
ð
— 115 —
an. Die Eltern forgen dafür fo gut und aͤngſtlich, daß man
nicht8 mehr fordern kann. Eben daher kann man nun aber auf
fo viele arme und betriebjame Eltern nicht mit der Bezalung dei
Schulgeldes ftrafen laßen, wenn fie ihre Kinder in den im Schul:
veglement beftimmten Jahren nicht zur Schule ſchicken. Der
Schaden davon fällt nur auf den Schulhalter zurück. Daß ühri-
gend die Winterfchulen doc, fleißig befucht werden, weiſen bi
Kataloge nah. So ift auch durchgängig, außer Ladbergen,
mit den Sommerſchulen ein guter, weiterer Fortgang auf de
Bauerjchaften gemacht worden; denn von den Haupt: oder Mutter:
Schulen verfteht es fich von felbft, Daß darin des Sommers mit
des Winters Schule gehalten werde. So oft ich jährlich bei de
Viſitationen zu Ladbergen auf Sommerfchulen dringe, befomme
it) vom Presbyterium zur Antwort: Sommerfchulen feien bier
aus dem bejonderen Grund nicht in Gang zu bringen, weil aus
diefer Gemeinde felbft alle erwachjenen jungen Leute von Oftern
bis Sacobi nah Ofte und Weſtfriesland zum Brasmähen und
Torfmachen reijeten und dann alle zu Haufe bleibenden Kinder
den Eltern zum Spulen, Weiden, Viehhüten und Kirberwarten
ganz unentbehrlidy wären.“
Bon Beders Not: und Hülfsbüchlein waren In
jener Gegend an einzelnen Orten viele Exemplare mit dem Auf:
trag verteilt worden, daß dasſelbe an gewiffen Wochentagen alö
Leſebuch gebraudt und von dem Schulmeifter erläutert werden
follte. Mehrere neue Schulen waren in den legten Jahren erbaut
worden; namentlid) war in der Bauerjchaft Medelmege eine folde
nad) Felbigerd Anweifung errichtet. Der Gang ging mitten durch
bie Schulftube, der Ofen ftand gleichfall® mitten in derſelben
neben dem Gange. Der Schulmeifter faß auf einer Fleinen Gr
höhung, die Kinder faßen hinter fortlaufenden Pulten, unter
denen Schichten angebracht waren, Die zur Aufbewahrung be
Bücher und Schreibmaterialien bienten. Alle Site und Pulte
erhoben fi), je weiter fie vom Schulmeifter entfernt waren, fe
daß die hinten Sigenden über die vordern hinwegjahen.
Aber es gab doch nur wenige Bezirke, über welche in fe
befriedigenber Weile, wie über die Dorffchulen ber Inſpektion
— 117 —
Lienen. ober ber Doͤrfer des Herrn von Rochow berichtet werben
konnte. Faſt überall mufte die Staatöregierung immer von Neuem
durch Derordnungen und Maßregeln nachhelfen, um vorläufig
wenigftend den äußeren Beſtand der Volköfchule im ganzen Be
reihe der Monarchie zu fihern. So publizirte der. König 3. B.
unter dem 18, Mai 1801, um dem Schulweſen in Echlefien und
in ber Grafſchaft Glatz aufzubelfen, ein neues Schulreglement,
durch weldyes zu den jchon vorhandenen Verordnungen vielerlei
neue Beſtimmungen binzufamen.. Es wurde in demfelben die
Art und Weife der Unterhaltung der Schulen beflimmter geregelt
und ben Sculmeiftern ein angemeßened Einkommen zugewielen;
die Stellung des Schulmeifterd zum Pfarrer wurde ganau vorges
Ichrieben; den Landräten wurde aufgegeben, dahin zu wirken, daß
auf den Dörfern das Einzelhüten des Viehed, wodurd die Kinder
vom Schulbefuche abgehalten würden, aufhöre. Sn jedem Dorfe,
wo eine Fatholifhe Schule beftehe, follten von der Gemeinde
zwei Schulvorfieher gewält werben. Dieſe follten die fäumigen
Kinder zur Schule anhalten, die obrigkeitliche Eintreibung der
Strafgelder für vorgefommene Schulverfäumnis beforgen, wenige
fiend alle 14 Tage die Schule befuchen und nachſehen, ob bie
Ausftattung der Schule und ded Sculhaufes in Ordnung ſei
u. f. w. — Schließlich enthielt dDa8 Reglement auch Beftimmungen
fiber die Einrichtung von weiblichen Snduftriefchulen, welche nas
mentlich den Zweck haben follten, die Mädchen zu tüchtigen Haus
frauen beranzubilden.
Die moderne Auffaßung der Volksfchule als eines lediglich
zur Erziehung für den bürgerlichen Beruf beftimmten Inſtituts
batte in dem neuen Reglement den beftimmteiten Ausdruck ers
halten.
Die Beftimmungen, welche das durch Patent vom 5. April 1794
publizirte und durch Patent vom 1. April 1803 für alle preuß.
Staaten ald Geſetzbuch fanctionitte preußiſche Landrecht
über dad Schulwefen enthielt, betrafen nur die äußeren Verhälts
niffe deſſelben. Um den Beſtand der Volksfchulen und die Sub
filtenz des Lehrers auf einer neuen Baſis zu fihern, war Beftimmt,
bie Unterhaltung der Schule und des Schullehrers ſollte den
— 118 —
fämmtlichen Hausvätern des Orts, möchten fle nun fchulfähige
Kinder haben oder nicht, „nach Verhältutd ihrer Beſitzungen und
Nahrungen“ obliegen. ALS fchulpflichtig wurden alle Kinder
des Landes vom fünften Jahre an bezeichnet. Zum Beften ber
jenigen Kinder, welche wegen häuslicher Beichäfte die gewöhnliche
Schulſtunden „zu gewiffer notwendiger Arbeit gewidmeten Jahrei⸗
zeit” nicht befuchen können, fol am Sonntage, in den Feierftunden
zwifchen der Arbeit und zu anderen ſchicklichen Zeiten befondere
Unterricht erteilt werden. — Wie aber die Verfaßer über dm
eigentlichen Beruf ber Volksſchule dachten, ergibt ſich aus ber
Beftimmung, daß jedes Kind fo lange zum Beſuche der Schale
verpflichtet fein fol, bi8 ed nach dem Urteile feines Seelſorgen
die einem jeden vernünftigen Menfchen feines Standes notwendigen
Kenntniffe gewonnen babe. Bon einer Beſtimmung der Schule
zur religiöfen, chriſtlich-kirchlichen Erziehung des Volkes ift in dem
Landrechte Feine Rede.
Eomit war zwar in der lebten Zeit das Gerüft des Volks
ſchulweſens und alles, was zu den Außeren Einrichtungen gehört,
vielfadh weiter ausgebaut; aber der Geiſt, der die Erziehung
eines chriftlichen Volkes tragen fell, war vergeßen und war mb
wichen. Da Fam die Beit der Erniebrigung und der Buße für
König und Volk; und Diefe Zeit war eine Zeit des Helles. Da
König und alle Edleren unter feinen Getreuen erfannten ed, dab
nur eine gottwolgefällige Selbftbeßerung des Volkes dem preuf.
Namen eine neue Zukunft fichern koͤnnte. Man mufte zurüd
ehren zum Glauben der Väter; vor allem aber, das leuchtete
dem König und deſſen Räten ein, mufte die Volksſchule als eine
Planzftätte chriftlicher Frömmigkeit und chriftlicher Lebenszucht
hergeftellt werden. *) Aber es konnte nichts fruchten, wenn, bie
*) In dieſem Einne ſchrieb z. B. der edle und lebensfriſche Freiherr ».
Stein in feinem Sendſchreiben an die oberfte Negierungsbehörde des Königreich
Preußen vom 24. Roveniber 1808: „Damit aber alle diefe Gtantseinridtungen
— 119 —
olksſchule, wie es früher gejchehen war, nur als Mittel zur Ver-
eitung von chriſtlichen und anderen Lehren und Kenntniffen be-
ndelt wurde. Cine eigentlihe Erziehung des Volkes that
t. Peſtalozzi hatte eben damals gezeigt, daß und wie bie
chule als Mittel der Erziehung eingerichtet werben müße, damit
irflihe3 Leben gepflegt werde. Um daher die pädagogifche
höpfung Peftalozzis in Preußen beimifh zu machen, that man
nächit zweierlei: 1) Man fandte eine Anzal junger Leute, großen:
18 Theologen, teild nad) fferten zu Peſtalozzi, teild an Die
if Peſtalozzis Grundſätze gegründete Plamannſche Anftalt, von
o ſie als Pflänzlinge eines neu zu bauenden Erziehungsweſens
die Heimat zurückkehrten; 2) man berief (i. J. 1809) den
zürtemberger Pädagogen C. A. Zeller nach Königsberg. Aller⸗
ngd war Zellers Auftreten in Königsberg nicht immer das tact-
fe und ſehr bald ſah fich Das preußifcdhe Gouvernement vers
Haft, Zeller wieder zu entlaßen; aber fo mächtig war ſein Ein-
8, den er bier und dort durch Organifirung von Seminarien
id Schulen ſowie durch Erweckung pädagegilcher Talente aus⸗
te, daß feine Wirkſamkeit eine Epoche des geſammten preußiſchen
⁊ Staats organiſation) ihren Zweck, die innere Entwicklung des Volks vollſtändig
chen und Treue und Glauben, Liebe zum König und Vaterland in der That
eihen, fo muß der religiöfe Sinn des Volkes neu belebt werden
rſchriften und Anordnungen allein können dieſes nicht bewirken. Doch liegt es
Regierung ob, mit Ernft diefe wichtigen Angelegenheiten zu beberzigen, durch
fernung unmürdiger Geiſtlichen, Abweiſung leidytfinniger und unwißender
ididaten und Verbeßerung der theologiſchen Vorbereitungtanſtalten, die Würde
geiſilichen Standes wieder herzuſtellen, auch durch eine angemeßene Einrichtung
Pfarrabgaben und durch Vorſorge für anſtändige Feierlichkeir des äußeren
ttesdienſtes die Anhänglichkeit an die kirchlichen Anftalten zu befördern. Am
ften aber hierbei wie im Ganzen ift von der Erziehung und dem Unterricht
- Zugend zu erwarten. Wird durd eine auf die innere Ratıır des Menſchen
ründete Methode jede Geifteskraft von innen heraus entwidelt, und jedes edle
ensprinzip angereist und genährt, alle einfeitine Bildung vernieden, und werden
bisher oft mit höchſter Gleichgültigkeit vernadjläßigten Triebe, auf denen Die
ft und Würde des Menſchen beruht, Liebe zu Bott, König und Vaterland
fältig gepflegt, fo können wir hoffen, ein phyfiih und moraliſch träftige®
chlecht aufwachſen und eine bepere Zukunft fi eröffnen zu ſehn.“
— 120 —
Unterrichtsweſens begründete. *) 8 bildete fich jebt in Preußen
eine eigentümliche paͤdagogiſche Schule aus, welche die Grundan
) W. Harniſch („der jehine Standpunkt des geſammten preußiſchen
Volksſchulweſens“ S. 9 ff.) ſagt über Zellers Berufung nach Preußen: „1.
Zeller war damals ein junger Theolog, der fi) ganz in Peſtalozzis Ideen hinein
gearbeitet und hineingelebt hatte, einen regen XThatengeift befaß, darum im Rür-
tembergiſchen Schullehrer, felbft in Sceunen, verfammelt und fie für Peftaloyi
und eine beßere Noltserziehung befeelt hatte. Peſtalozzi felbft foll die preukiide
Regierung auf ihn hingewiefen haben, und er ward unter den allervorteilhaftehen
Bedingungen nad Königsberg (namentlih 1000 Rthir. Benfion, mern man feise
nicht mehr bedürfte,) berufen. In Königsberg maren mehrere für ibn gem
begeiftert. — Schon am Thore erwartete man feiner, und da gerade der groß
Tonkünſtler, Göthes Freund, Prof Belter in der Zeit auch nad) Königeberg
kam, fo erhielt derfelbe in einem fehr hohen Haufe eine auetgezeichnete Aufnahme,
die man dem mürtemberger Pädagogen zugedacht hatte Die Madre am Thor
hatte nemlich Belter und Zeller verwechſelt. Beller fam aber bald darauf wirtlid,
und empfahl fi von mehreren Seiten. Er lehrte unter Anderen and den Ober:
trommlern, wie fie methodifh das Trommeln lehren müften, und feine Anweiſung
fol fi vortrefflidd bewährt haben. Zeller ward felbft den allerhöchften Herricaften
vorgeftellt und genoß die gröſten Auszeichnungen. Als nächfter Wirkungstreit
ward ihm das Königsberger Waiſenhaus angemwiefen. und es fehlte Zeller
nicht an Geſchick, durd eine neu erfhaffene Welt die alte zu verdrängen. Außerdem
hielt er Borlefungen, melde von Etaatsmännern, höhern und niedern Geil:
lichen, Lehrern und Leuten aus allen Ständen gefucht wurden. In diefen, wie m
feiner Wirkfamteit im WWaifenhaufe, legte Zeller feine &enialität vielfach an der
Tag. Er regte die Gemüter an, und fprady viele zeitgemäße Wahrheiten aus, wit
dies auch die bald darauf folgenden neuen Auflagen feiner Schriften zeigten, von
denen die „Schulmeifterfhule“ immer einen bleibenden Wert bebalten
wird. Weil Zeller genial lehrte, Tebte und wirkte, fo fäete er oft Unkraut mi
Waizen aus, rip zuviel ein, indem er neu baute, mar überhaupt feiner Sache niät
mächtig genug und konnte fie nicht würdig durchführen. Wenn er z. B. in fee
erften Vorleſung, worin Männer waren, die Minifter, Generale, Prinzen, Räte und
Präfidenten erzogen hatten, fagte, fie hätten bisher alle Thiere erzogen, indem
er ihnen die durch Peſtalozzi erfundene Kunft Menſchen zu erziehen und za
bilden erft lehren wolle: fo warf eine ſolche Aeußerung einen großen Schanen
auf feine Urteilskraft. Wenn er fpäterhin beim Unterrichte im Chriftentum die
Kinder felbft praftifch durch das Heidentum und Iudentum zu Chriftus führte, wem
er bei der Lehre von Gottes Allmacht mit rollenden Augen den Donner und mit
Kolophonium den Blih darftellte, wenn er anſchaulich die Kreuzigung unſere⸗
Bleifches durch Aushauung eines durch das Loos gewählten Knaben zur eier del
— 121 —
ſchauung Peſtalozzis, daß die Schule entwideln und erziehen
müße, was im Schüler als Lebenskeim vorhanden fei, mit dem
in der Erhebung des preußifchen Volkes erwachten chriftlichreli-
giöfen und patriotifhen Sinn erfafte und weldhe fomit, die Päda-
gogik Peſtalozzis eigentuͤmlich mobdifizirend, die Mutter des neuen
Unterrichtsweſens der gefammten Monarchie geworden ift. Als
einer der verdienflvollften Vertreter und Pfleger beffelben ift ber
frühere Seminardirector und nachherige Landprediger Dr. theol.
Wilhelm Harnifh*) zu nennen. Gine Anzal pädagogifcher
Charfreitags machte, wenn er einen vollftändigen methodifchen Unterricht im Schnei⸗
dern aufftellte; wenn er einen ganzen Anftoltägarten für den Winter in tleine
Quadrate in der Abficht teilen ließ, damit jeder Zögling alle Morgen ein Quadrat-
chen bedüngte. und fo die Abtritte entbehrlih machte, fo waren das allerdings
bedeutende Berirrungen in der Beurteilungsfraft diefes genialen Mannes und zogen
denen, welche ihn nad Königsberg berufen hatten, mande wBerlegenheiten zu.
Allein es wäre unrecht, über ſolche Auswüchſe den Keru zu verkennen; es fteht
feft, daß Zeller in Preußen viele dur die Zeitumftände für alles Neue fehr
empfänglihe Männer zur Thatkraft außerordentlih anregte, und mach dem Urteil
von wahrhaft Sachkundigen — verdankt die Provinz Preußen doch Zeller ihren
erften pädagogifchen Aufſchwung. Ganz richtiger Weife ließ man Zeller nicht lange
an einem Orte, er mufte mehrere Anftalten neu organifiren.” —
„Unentfchieden muß es bier bleiben, — ob es gut war nad furzer Wirt-
famteit Zeller ganz außer Thätigkeit zu ſezen. So weit es aus der ferne ſich
beurteilen läft, hatte der gewiß parteiifche Bericht eines Schweizer Pädagogen, dem
man biel zu viel vertraute, (wie fi) nachher thatſächlich bewieſen und defien Ramen
ich bier feiner Eünden wegen nicht nennen will,) die Behörde dazu bewogen, Beller
zu entlagen. — Gr zog fi aus Preußen, nachdem er eine Zeit lang auf einem
Landgut, das er ald Penſion erhalten, gelebt hatte, mol in fich zerfallen, an den
Khein zurüd, umd trat wieder, nad vieljährigem Schweigen, vor einigen SIahren
im Würtembergifchen mit Schriften und Thaten auf, wovon die erften zeigen, daß
er im Innern fi) tiefer begründet hat, äußerlich aber nody auf dem alten pädago-
giſchen Standpuntte ſteht — Er ift wieder auch im Würtembergifhen von feinen
neuen Schöpfungen gefhieden.” —
) Harniſch charakterifirt die Peſtalozziſche Schule in Preußen (a. a. O.
© 22 — 23) fo: „Es lag in der Natur der Sache, daß dieſe Peſtalozziſche
Schule im Preußifhen, mie fle einmal der Kürze wegen genannt werden mag,
(obgleich fie nur von Peftal. ausging, aber teineswegs bei Peſtal. ftehen blieb,
fondern fi) geiftig und volkstümlich weiter ausbildete,) fi) alles deffen bemächtigte
— 12 —
Beitfchriften und Lehrbücher, welche von Freunden des preußiſch
Peſtalozziſchen Syſtems herausgegeben wurden, trug Dazu bei,
die anfangs nur in engeren Kreijen gepflegten Ideen mehr und
mehr zum Gemeingut aller Gebildeten zu machen. Unter ben
Erjcheinungen der periodifchen Literatur ift namentlich zu nennen
„der Erziehungs- und Schulrat a. d. Oder“ und „vie Roſſelſche
Monatsſchrift,“ wozu fpäterhin die „rheinifchen Blätter,“ dad
„Schulblart für die Provinz Brandenburg” und namentlih Bede
dorfs „Jahrbücher des preußiichen Volksſchulweſens“ Tamen.
Als daher nad den Schlachten von Leipzig und Waterloo
der Friede Europas und durd ihn die fo ſchwer heimgeludte
preußifche Monarchie wieder bergeftellt worden, war der DBoben,
auf dem das gejammte Volksſchulweſen in verfüngter Geftalt
aufblüben follte, bereits in trefflichfter Weiſe vorbereitet. Au
gleich vermochte die Staatdregierung erft jekt die mannigfaden
Maßnahmen , die fie in Betreff der Volksſchulen in Abfidyt hatte,
zur Ausführung zu bringen. — Namentlicdy bemühte man fid,
Pädagogen von Ruf aus dem Auslande nad Preußen zu berufen.
Am Jahre 1817 wurde Dinter aus dem Königreich Sachſen
als Gonfiftorialrat und Schulrat nad) Königsberg vocirt und
von Türd aus Meiningen (früher ein eifriger Anhänger Peſta—
oder vielniehr fi) mit allem dem in Berührung febte, mas ihre Richtung förderte.
Hierzu gehört unter Andern 4) die Beachtung alles Vaterländiſchen, darum der
deutfchen Epradhe, — fowie der heimifchen Welttunde; 2) Beachtung des Gejang
weens als eined Belebunysmittels für die Gemeinſchaften; — 3) Beachtung de
Zeichnenunterricht; — 4) Beachtung der tieferen mufitalifhen Bildung; — 9)
Aufnahnıe einer vollftändigen Reibesbildung.” —
„Die preußifch - Peſtalozziſche Schule war innerlid religiös und pofitis
Hrifilicher, als die Peſtalozziſche Schule überhaupt; doch von verfdiedener Färbung
des Glaubens. Es fehlte in diefer Beziehung den Beten auch nod viel: abe
die preußifch-Peftal. Schule war im Ganzen religiöfer als ihr Zeitalter. Die Ehre
gebührt nicht ihr. Teilweiſe hatte Peftalozzis tiefes Gemüt viele Seelen religiöt
angeregt, teilmeife ging der Ernft des Berufes die Seelen ordentlidy an, teilmeife
wirkten Männer wie Nicolodius und Süvern, Schleiermader, Reimer
Gaß und Andere auf die Wortführer diefer Schule ein, teilweife batten fie von
Haus aus einen guten Grund in fi; genug, es fehlte in dieſer Hinficht dad
Rötige nicht, wenn gleich im Einzelnen noch viel fehlte.” —
— 13 —
Lozzis) wurde mit ber Stellung eines Schul- und Regierungsrates
au Potsdam betraut, wo bis bahin der Oberconfiftorialrat Nas
torp die eifrigfte Thätigfeit zur Verbeßerung bed Schulweſens
Der Provinz Brandenburg entfaltet hatte. Die i. J. 1816 ge:
Drudte Verfügung (der Regierung diejer Provinz) über die Schul:
Berichte bes vorhergegangenen Jahres bewiefen, daß in dem brans
Denburgiſchen Volksſchulweſen fchon Vieles beßer geworben war.
Die Mutterfprahe wurde immer allgemeiner als eins ber wid
tigften Bildungsmittel anerkannt. Nur barüber wurde geklagt,
daß noch in vielen Schulen ein zu großer Teil der Schulzeit mit
Lefenlehren hingebracht warb und daß einige Lehrer nody bei ber
mechaniſchen Buchftabirmethode beharrten. In der neueren Rech⸗
nenmethobe fowie in der Formen » und Mafßverbältnisiehre hatten
viele Lehrer glüdliche Kortichritte gemadt. In den meiften Schu:
ten wurbe ber Unterriht im Schreiben nad der genetiſchen
Lehrweiſe erteilt. Hin und wieder war es gelungen, aus ben
geübteren Schülern einen Sängerchor zu bilden und mit dem Ges
meindegefang in Verbindung zu feßen. Bereits waren Chor⸗ und
Wechſelgeſaͤnge an vielen Orten in den Kirchen eingeführt. „Der
Unterricht felbft ift Fein gewöhnliche, mechaniſches Abrichten ge:
wefen, wobei ber Lehrer den Schülern die Belänge vorfingt und
fie diefe fo lange nachſingen Iäft, bis fie biefelben nad dem Ge⸗
bör aufgefaft haben.” Einige Pfarrer hatten den für viele Schul:
Ichrer zu ſchweren Religionsunterricht felbft übernommen und
viele FKortbildungsvorftände machten ſich ein Verdienſt daraus, die
Schullehrer felbft in dieſem Face gründlicher zu unterrichten.
An eine beftimmtere Auswahl des Gemeinnüßigften und Bildendften
aus dem Fache der fogenannten gemeinnüßgigen Kenntniſſe hatte
man nur in wenigen Schulen ernftlih gedacht. „Die Zurns
übungen folten dem Schuiunterriht zur Seite gehen, um die
Ginjeitigkeit der gewöhnlichen Erziehung aufzuheben und die förper>
liche Kraft und Gewandtheit zu erhöhen.” — „Ueber die immer
allgemeiner ſich verbeßernde Schulzucht enthalten die Jahresberichte
viele erfreuliche Anzeigen.” — Schon damals beſtauden in der.
Provinz Brandenburg 103 Schullebrerconferenzgefells:
ſchaften. In einigen berjelben waren methodologiſche Lehrcurje
mit dem glüdlichften Erfolge erteilt worden. Auch die in mehreren
Diöcefen errichteten Leſezirkel waren ſowol den Pfarrern ald
den Schullehrern fehr nützlich geweſen.
Durch eine im Druck publizirte Verfügung vom 4. Juli 1817
ward für den Potsdamer Regierungsbezirk den Schulconferenp
gejellfchaften ein feiter Plan vorgezeichnet, nach welchem die
Nahbildung der damals vorhandenen Schullehre
in den nächſten drei Jahren vollendet fein ſollte. — Die Eins
führung geeigneter Reformen in den Schuljfeminarien war chen
früher mehrfach erwogen worden. Indeſſen wurde e3 für unthur
li befunden , diejelben namentlich in dem Seminar zu Berlin
einzuführen, weshalb man feit 1812 an die Errichtung eines neuen
Seminars im Dom Havelberg dahte. Da jedoch) dad für
die Anftalt gewünfchte Local daſelbſt nicht jo bald zu gewinnen
war, auch mehrere inmittelft noch vorgenommene Verbeßerungs
verſuche des Seminariums zu Berlin eben jo wenig, .wie bie
früheren, ein befriedigendes Nefultat ergeben hatten, fo wurde
i. 3. 1815 befchloßen, einftweilen, und bis über das Havelberger
Local verfügt werden fönne, das neue Seminar in Potstam er
zurichten, wozu unter dem 26. Januar 1816 nicht nur die Ge
nehmigung, fondern auch Die Anweiſung der nötigen Geldmittel
von Seiten des Föniglichen Minifteriumd des Innern erfolgte.
Die wirklihe Ausführung des Plans aber verjpätete fih aus
mannigfaltigen Gründen big zum Jahre 1817 und fo Fam bie
Einrichtung der Anftalt, deren Unterbringung in den Gebäuden
des Amts Bornftädt bei Potsdam inzwiſchen auch projectirt aber
nicht genehmigt war, erft auf Michaelid tes gedachten Jahres
in Potsdam felbft zu Stande. Das kurmärkiſche Landſchullehret⸗
und Küfterfeminar zu Berlin wurde aufgehoben, feine Fonds
gingen an das neue Seminar zu Potsdam über und die beperen
Böglinge feiner aufgelöften Anftalt bildeten den erften Stamm
von Zöglingen des neu errichteten Inſtituts.
Als Anſtaltslocal acquirirte die Regierung ein ehemaliged
Sabrifgebäude zu Potsdam, weldyes am 13. Detober 1817 dem
Seminar, vorläufig gegen Entrichtung eines jährlichen Mietzinſes
— 15 —
hergeben , in Folge höherer Genehmigung vom 23. Dee. 1819
jedoch als Eigentum überlaßen wurde.
Die Seminariften jolten zwar Wohnung und Beföftigung
in der Anftalt felbft erhalten, indeffen war der hohe Betrag des
zu entrichtenden Koſtgeldes und die geringe Zal der Kreiftellen
(e8 waren ihrer nur 8 ganze und 8 halbe) Urjadhe, daß nad)
und nach viele Zöglinge an diefe Einrichtung nicht gebunden wur—⸗
den. Vorſchriftsmaͤßig follte der Curſus aller Zöglinge im Se:
minar 3 Jahre dauern; da es aber an hinreichenden Xehrerfräften
fehlte, um 3 Klaffen zu bilden und jährlid Aufnahme und Ab-
gang einer Klaſſe von Seminariften Statt finden zu laßen, jo
mufte man fih mit 2 Klaffen und anderthalbjährlicher Aufnahme
und Entlaßung begnügen. Zur Uebungsjchule für die Seminariften
diente Die von der Regierung felbft etablirte Bürgerjchule. Da
fie fid) aber nicht im Seminargebäubde felbft befand, fo war bie
Anleitung der Seminarzöglinge in diefer Schule mit manchen
Schwierigkeiten verknüpft. Zur Unterweifung der Seminariften
im Gartenbau und in der Baumzuht wurde i. 5%. 1821 ein
früherer. Begräbniöplaß vor dem Nauener Thore gemietet. Zur
Grlernung des Schwimmend bot die von dem Regierungs- und
Schulrat von Zürl nah Pfuhlſchen Grundfäßen eingerichtete
Schmwimmanftalt vor dem Berliner Thore bald die befte Gelegen:
heit dar. Die Zal ver Zöglinge betrug bis Michaelig 1824 im
Durchſchnitt gewönlich über 60 und es wurden, mit Einfchluß
der auf Michaelid 1824 entlaßenen Seminariften, mehr als eins
hundert bier gebildete Lehrer in der Provinz angeftellt.
In dem näcdftfolgenden Jahre erfuhr Die Verfaßung des
Seminard mannigfache Abänderungen. Statt der biöherigen ans
bertbalbjährlichen Aufnahme und Entlaßung einer Abteilung von
Zöglingen wurde eine jährliche eingeführt, und zugleich wurde
noch eine dritte Klafje errichtet. Die Zal der Seminariften wurde
erhöht, da die Auflöfung des zu Groß-Bänitz beftandenen Hülfe-
Seminariums bald zu erwarten war. Hinſichts des von den
Zöglingen zu entrichtenden Koftgelbes trat eine bedeutende Er—
mäßigung ein. Die Dekonomie der Anftalt und die Verpflegung
der jungen Leute erhielt eine andere Einrihtung. Die Beneficien
— 126 —
wurben vermehrt und alle Zöglinge verpflichtet, in der Ankalt
zu wohnen, fidh beföftigen zu laßen und drei volle jahre in der
felben zu verbleiben. Die Disciplin und das Lehrmweien nahme
eine hoͤchſten Orts genau bezeichnete Richtung. Durch bie im
Seminargebäude vorgenommenen baulichen Einrichtungen wurde
nicht nur die Möglichfeit herbeigeführt, die Zal der Yöglinge,
wie oben bemerkt, anſehnlich zu vermehren und allen Lehren
Wohnung im Haufe zu gewähren, fondern auch in bemfelben eine
eigene Schule von vier Klaſſen, behufd der Uebung und prak
tifhen Bildung der jungen Seminariften einzurichten. Endlich
wurde das Sinventarium der Anftalt an Mobilien, Utenfilien,
Lehrapparaten u. |. w. teild fehr bereichert, teils zwednäßiger
geftaltet und e8 entging überhaupt kein Zweig des JInſtituts der
ſorgſamen Berüdfihtigung und thätigen Fürforge der Behörden.“)
Für die 18 Kreiſe des Regierungsbezirk Frankfurt ad.
Dder war eine Schullehbrer- Wittwen⸗ und Waifenfocietät er
richtet und dadurch einem der dringendften Bebürfnifie abgeholfen.
Bon Münfter in Weftphalen aus fuchte Natorp (der de
bin in fein Vaterland zurüdgefehrt war), eine größere National
fraft in der heranwachſenden Generation zu entwideln; und in
den überrheinifchen preußiichen Provinzen zeigte fich der von dem
Präfidenten v. Sad angeregte Geiſt nody immer für denſelben
hohen Zweck thätig. Ebenſo wurde aud im Königreiche Preupen
und in Echlefien an der Verbeßerung des Volksſchulweſens thätig
fortgearbeitet. In Breslau entftanden i. J. 1817 fünf nee
Elementarſchulen. Dabei fam die Hochherzigkeit einzelner Privab
perjonen den Intentionen der Behörden vielfach unterftügend ent
gegen. So hatte 3. ®. der Qutöbefiger zu Crunern in Schlefien,
ber als Chemiker bekannte Director Achard mit Beihülfe feiner
Gemeinde eine eigene Echule errichtet. Zwei Dorfgemeinden in
ber Neumark, zu Kammendorf und Jenkwitz hatten aus eigenem
Antriebe den Gehalt der Lehrer fo verbeßert, daß derſelbe bie
gejeglihe Summe erreichte. Auf dem Gute Müdendorf in be
Pıovinz Sachſen hatten die benachbarten Prediger die Ginrichtusg
*) Rod Kröger, Beriht des x. x. Goufin, U. 6. 282 fi.
— 17 —
getroffen, Laß fie fih nad der Neihe alle vier Wochen bei einer
Schule des Gutsbezirks verfammelten, um ſich praktiſch und theos
retiſch im Lehrfach zu vervollfommnen. *)
Allerdings gab es noch immer nicht nur einzelne Doͤrfer,
ſondern ſogar ganze Diſtrikte, in denen die Schulen ſich faſt in
demſelben verrotteten Zuftand befanden, welcher dreißig Sabre
früher faft in allen Schulen wahrzunehmen geweſen war. So
mufte 3. B. das Gonfiftorium zu Magdeburg noch i. 3. 1816
(unter Dem 1. October) für die Provinz Sachſen folgende Ver⸗
ordnung erlaßen: „Um dem Unfuge, der mit dem Schulweſen
bisher, bejonders in folchen Orten getrieben tft, in denen ſich
weder ein Schulhaus noch ein angefteilter Schul:
lehrer findet, und die Gemeinde ſich in Winter für einige Zeit
nah Wılfür irgend ein Eubjeft zum Unterricht ihrer Kinder
mietete, bis die fo hoͤchſt nötige Echulreform eintritt, wenigfteng
in etwas zu fleuern, wird hiermit angeordnet: 1) Es fol durchs
aus feine Gemeinde befugt fein, irgend Jemandem den Unterricht
ihrer Kinder zu übertragen, ber nicht zuvor von dem Superinten-
denten geprüft und braudbar befunden if. 2) Es follen die
Gemeinden mit folcyen Lehrern vor dem Superintendenten ber
Diöces einen chriftlihen Contract wenigftens auf ein halbes Jahr
Schließen uud nicht befugt fein, vor Ablauf der feftgefegten Zeit
den Lehrer ohne Bewilligung der obern Schulbehörde der Provinz
zu entlaßen. 3) Diejenigen, welde auf diefe Art den Schul⸗
unterricht übernehmen, müßen fich verpflichten, während ber Lehr:
ftunden ihre etwaige Hantwerfsarbeiten ruhen zu laßen und in
Begenftänden, die ihr Verhältnis als Echullehrer betreffen, den
Vorſchriften des Euperintendeuten der Didced und des Ortspre-
Digerd pünktliche Folge zu leiften. — Es wird den Herrn Superins
tendenten aufgegeben, auf das Strengfte auf Die pünftliche Bes
folgung dieſer VBorfchriften zu achten und in jedem Uebertretungs-
falle fofort Bericht zu erftatten.” — Aber dem gefammten Ent:
widlungsgange des Schulwejend der Monarchie gegenüber ftellten
fi) ſolche Erſcheinungen doch nur noch al8 Ausnahmen dar, Die
*) Rah Stephani im baieriſchen Schulfreund Yahrg. 1818, ©. 127 ff.
— 1383 —
im Verſchwinden begriffen waren. Denn was der ernftliche Wil:
ber Staatöregierung anftrebte, war längft aud das entſchiedne
Verlangen der Nation geworden, deren Gemeinden faft überall
die gröfte Opferwilligfeit bethätigten, wenn ed ſich darum hanbelt,
den Volksſchulen Die entfprechende Wirkſamkeit zu ermöglichen und
zu fichern. *)
Eine Ueberficht über den äußeren Beftand des Schulweiens
wurde im Anfang der zwanziger Jahre auf amtlihem Wege vers
anftaltet.**) Im April 1819 befahl nemlih das Minifterium dei
Innern Jämmtlichen Kreisregierungen gerichtlich beftätigte Tabellen
über alle beitehenden Schulen ihrer Kreife in Städten und af
dem Lande einzuliefern. Diefe Tabellen, welche erft im Februar 1821
beendigt und auf Vefehl des Minifteriumd des Innern in Bede
dorfs Sahrbüchern veröffentlicht wurden, bewiejen, daß damals
in der ganzen Monarchie 2462 Stadtſchulen mit 3745 Lehrem
und 17,623 Dorffchulen. mit 18,140 Lehrern vorhanden waren. **)
— —
*) Im Landratsamt Heiligenſtadt z. B. wurden (um 1820) 34 ſchlecht de-
tirte Lehrerftelen von den betreffenden Gemeinden verbepert. Dieje Berbeperungen
beftanden gröftenteild in Anweifung von Ader- und Gartenland, im Bermebrung
des bisherigen Brennholzes und freien Anfuhr defleiben, weniger aber in baaren
Bulagen (Freim. Jahrbücher der allgemeinen deutſchen Volksſchulen B. III. 6.191).
) Das zunächſt Yolgende, namentlid) die hier mitgeteilten tabellarifden
Veberfihten find aus Couſins Bericht über den Zuſtand des öffentlichen Unter-
richts in einigen Ländern Deutfchlands (überfept von Kröger) ®. II. ©. 164 |.
entlehnt.
»5) Ueber die Fortſchritte des preußiſchen Volksſchulweſens in .den nüdhf-
folgenden Iahren teilt Eoufin (8. I. ©. 164— 166) Folgendes mit:
„Am Ende des Jahres 1825 ließ der Miniſter des öffentlichen Unterricht
wie 1819, eine neue Bälung der Anfangsfchulen und ihrer Lehrer anftellen. Dieie
neue Arbeit umfafte einen Grundbeftandteil, der in der erſten fehlte: die Zal der
ſchulbeſuchenden Kinder; er unterfheidet Elemientar- und Bürgerfchulen, läft aber
einen wichtigen Zeil weg, melcher 1821 aufgenommen wurde, die Einnahme der
Lehrer. Die Erfolge diefer neuen Etatiftit hat die Berliner-Etantszeitung Rr. 79,
29. März 1823 veröffentliht. Hier ein Auszug dieſes Artikels:“
„„Nach der Zälung, Ende des Jahres 1825, redinete man in der ganzen
preußifhen Monardie 12,256,725 Einwohner, unter diefen waren 4,487,461 Ki
ber unter 14 Iahren, folglich 366 Kinder unter 1000 Einwohner, aljo j} de
— 129 —
Vie diefe Schulen auf die einzelnen Regierung&bezirfe verteilt
waren, erhellt aus folgenden Zabellen:
Ration. Rehmen wirnun an, daß der Echulunterricht mit dem vollendeten fiebenten
Lebensjahre beginnt, fo kann man volle drei Giebentel der Bevölkerung rechnen,
welche die Schule zu befuchen im Stande find, und würden demnad für die ganze
Preugifche Monarchie 1,923,200 Kinder zu rechnen fein, welche im Stande find,
die Wohlthaten des Unterrichts zu genießen. Ende 1825 gab es im Königreidhe:
Etadt - und Land - Elementarfchulen, gröften-
teild für beide Gefhlehterr . -. . - -. 20,887
Bürger- oder Mittelfhulen I. — Br 736
ur a
21,623 Schulen.
it 22,261 Lehrer, 704 Lehrerinnen — 22,%655 wozu nod 2024 Unterlehrer
nd Unterlehrerinnen gerechnet werden müßen.
Schüler derfelben:
Elementarfhüleer = 822,077)
b \ — 871,246
Knaben gürherſchäler — 49,169] |
. Elementarfhülerr = 755,922
Mid ’ — 792,972
ädhen | nurgerfgüle = 37.050
zufammen — 1,664,218 Kinder,“ “
Heppe Bollsihulweien, 5. 9
Nr.
Regierungsbezirk.
4| Königsberg 97
2| Sumbinnen 52
3| Danzig 49
4| Warienwerder 57
5) Pofen 80
6| Bromberg 26
7| Berlin 101
8 Potädam 131
9| Frankfurt a.d.D.| 155
10| Stettin 75
11) Cöslin 35
12| Stralfund 34
13| Breslau 58
14| Oppeln 16
15| Reichenbach 33
16) Liegniß 83
17| Magdeburg 142
18) Merjeburg 158
19] Erfurt 67
20| Münfter 10
21) Minden 21
22| Arendberg 89
23| Köln 5
24, Düſſeldorf 36
25| Gleve - 37
26 Coblenz 29
27, Trier 10
28 Aachen 10
Summa: | 1696 | 766 | 2462
Einnahme der Eule
16 | 1:3 28
78
53
57
81
151
62
102
132
157
75
35
35
103
58
66
108
149
159
8
102
34
150
67
71
69
72
3
88
—
>
Kathol.
Proteſt. :
Kathol.
Proteſt.
Kathol.
Proteſt.
INathol.
Proteft.
Kathol.
Proteft.
Katbol.
im Durdfenitt.
Thlr.
186.
119.
270.
273.
201.
132,
148.
218.
190.
177.
*) Unter diefen 36 Echulen waren 13 Eimultan-Schulen, d. h. folde, weil |
proteſtantiſche und katholiſche Lehrer und Schüler enthalten.
131
rungsbezirk.
berg
nnen
werder
erg
m
irt a. d. O.
ind
u
|
ibach
burg
urg
er
n
erg
dorf
Summa:
Landſchulen
ER 3
2 |52| 73
ar|iSr| 8
1026 1121
921 924
227 417
461 700
250 446
205 318
1329 1329
1188 1199
917 917
847 847
257 257
661 852] |
635
340 608
603 709] }
871 880
1008 1008
4086
331
466
626
351
183
375
786
566] |
369
12809] 4814 |17623
e diefen 113 waren 37 Simultan-Schulen.
im Burdfchnitt-
Einnahme der Echullehrer
Thlr. Gr. Pf.
63. 7.4
109. 4.4
98. 4.8
80. 8.9
50. 2.8
44. 11.7
9. 7.1
80. 11. 4
71. 5.
30. 18. 3
53. 2.
Protefl. 90. 3.
Kathol. 107. 10.
66. 6,
9. 1.
Proteft. 144. 1.
Kathol. 95.
113. 20. 3
117.
95.48
49.
119. 19.
91. 12.
152. 16.
80.
73. 22.
77. 16.
Proteft. 106. 2.
Kathol. 65. 11.
61. 16.
132° —
Die damaligen Gehaltsverhältniffe der Schullehrer ergeben
fi) aus folgenden beiden Tabellen:
Stadtfhullehrer.
Ar. Gehalt der Schullehrer. Proteft. Kathol. —
| unter 50 Thlr. 68 54 122
2 | zwilchen 50 u. 100 298 195 493
3| „100 „ 1450 447 295 742
4 „ 150 „ 200 506 188 694
5 „200 „ 250 443 113 556
6 „ 250 „ 300 344 48 392
7 „ 300 „ 350 237 24 261
8 „ 350 „ 400 139 19 158
9 „ 400 „ 450 108 6 114
10 „ 450 „ 500 50 9 59
11 „ 500 „ 550 35 2 37
12 „ 550 „ 600 102 2 104
13 „ 600 „ 650 7 — 7
14 „ 650 , 700 3 — _
15 „ 700 „ 1200 3 — 3
Vchrerftellen : 2790 955 3745
Die Unterhaltungstoften aller Etabt
796,523 Thl. ti. Ör.,
ſowol in Geld, als Holz
ſchulen betrugen jährlik
wozu der Staat 69,3.9 Thlr. 19 Gr.
und andern Naturalien bergab.
— 133 —
Landſchulen.
Re. | Gehalt. der Schullehrer Brote. | Mathor. | Befammtgal
| unter 10 Thlr. 263 323
2 | zwilhen 10 u. 20 641 857
3 , 20 „ 40| 1682 2287
4 , 40 „ 60 2002 2826
5 „ 60 „ 80| 2116 2957
6 „80 „ 100 | 1807 2833
7 „ 100 „130 | 1652 2418
8 „ 130 „150 869 1152
9 „150 „ 180 794 1086
10 „180 „ 200 333 424
11 „200 „ 220 209 256
12 „220 „ 250 222 253
13 „30 „ 300 221 244
11 „ 300 „ 350 124 132
15 „30 „ 400 82 84
16 „ 400 „ 450 12 12
17 „450 , 500 6 6
Lehrerſtellen: 13 ,005 18,140
Die Unterhaltungskoften aller Landſchulen betrugen jährlich
1,556,229 Thlr., wozu der Staat 79,048 Thlr. jowol in Geld,
als Holz und andern Naturalien herab, |
Sin welchem Umfange die Zal der Seminarien und zwar ber
von dem Staate beauflichtigten Hanptjeininarien in den letzten
Decennien geftiegen war, erhellt aus folgender Tabelle, die im
Jahr 1826 angefertigt wurde und in den verfchiedenen Provinzen
28 Hauptfeminare aufzälte. *)
*) Weber die zalreihen Hülfsfeminarien, welche meben bdemfelben in der
preußifhen Monarchie beftanden, gibt Bededorf in feinen Jahrbüchern von 1827
8. VL Heft 1 Rachricht.
Jahr der
Ort —2
gounigsberg 1701
Waiſenhaus reorgani⸗
u. Seminar,| firt 1809
evangeliſch. |
2 | Raralene, 1811
Erziehungs:
Anftalt und
Seminar
evangelifch.
3 |Rlein-Degen 1772
evangelifch.
4 |Braunsberg| 1810
Seminar u.
Erziehungs⸗
Inſt., kath.
5] Jenkau, 1798
Conradiſches/ geſtiftet
Schul⸗Inſti⸗/ vor dem
tut und Se⸗ Kammer:
minar, berru von
fimultan. | Gonrabi.
— 134 —
über ſämmtliche PBreugifge
—
Einkünfte.
6497 Thlr.
14 jg.7 Pf.
(3166 Thlr.
11 ſg. aus
Kön. Kaffe.)
6644 Thlr.
8 fg. 10 Pf.
(5984 Thlr.
8 ſg. 10 Pf.
a. Staatsk.)
2828 Thlr.
23 fg. 5 Pf.
(2250 Thlr.
aus Staats⸗
fafjen.)
4100 Thlr.
aus
Staats⸗
kaſſen.
15158 Thlr.
22143j0J1n&
gun 291095
239 08
dm
Ta
L Di
Bundaog
239 108
uoloiu
23q I0g
[2]
=
33 Semi-|? Abs
nariften. teilun⸗
39 Bög:| gen.
linge.
44
12 Semi-
nariften
und 10
Böglinge.
MM. Be:
38 GSe| In
minas |meh
riften |reren
Lektio⸗
nen
und
an⸗
dern
4Rlaf
jen.
" — 135° —
elle
yaupt-Seminarien.
reußen.
Ev Zal der Freiſtellen
85 und Angabe Bemerkungen.
&z der Interftüßungen.
unbe: 30 Freiftellen.
ſtimmt | -
Jahr |25 ganze Freiftellen Die Anftalt war auf dem Lande
und ffür Seminariften undlund hatte ihre eignen Gebäude und
Jahr |25 drgl. für Böglinge.leine Dorfſchule zur Webungsfchule.
Sahr | 32 Königl. Koftl- | Yon den 2 Jahren bed Aufent-
gänger. halts waren 18 Monate vorzüglich
dem tbeoretifchen Unterricht, Die
übrigen den praftiichen Webungen
gewidmet. Die Anftalt hatte ihre
eigenen ®ebäude auf dem Lande
und zur Hebung die Dorffchule.
20 Freiftellen. Die Anftalt Hatte Feine eigene
Uebungsſchule; einige Zöglinge wohn:
ten außerhalb des Hauſes.
reußen.
unbe⸗ Die Seminariſten/ Die Anſtalt lag abgeſondert auf
timmt jerhieltenlinterftügung, dem Lande und bildete eine Fleine
welche teild in ganz Kolonie. Sin der legten Zeit waren
freier , teild in halbſvorzugsweiſe Fatholiihe Semina-
freier Koft und in deririften aufgenommen, obgleich die
Beihülfe zu Kleidung Lehrer evangeliiy waren. Die
u. Schreibmaterialien|lebungsjchule wurde von den Fin:
beitand, dern des nahen Dorfes befucht. Auch
angeftellte Schullehrer erhielten bier
nachhelfende Unterweifung. Gewoͤhn⸗
lich waren ihrer 6 dort.
— 136 —
LTE ——— —
Jahr der 538 * 838
N. Ort. Einfünfte. 227 —52 15”
Stiftung. S22 Es 72
ftung BER 2423
6| Marien- 3033 Thlr.| 6 56 3
burg, 10 for. flie-
fimultan. Ben aus
Staats⸗
Kaſſen.
7 Graudenz, 1817 2000 Thlr. 4 | 6o 3
ſimultan. 16 far. 8Pf. und
fließen aus Darüber
Staats⸗
Kaſſen.
EI. Brau
8| Neuzelle, Im Jahreſ8356 Thir| 7 90 3
Seminar u.|1817 wur⸗2 ſgr. 6 Pf.
Waiſenhaus, den die Se-l(5509 Thlr.
evaugeliſch. minare zu2 for. 6 Bf.
Luckau und) aus
Zullihau Staats⸗
vereinigt Kaſſen.)
und nach
Neuzelle
verlegt.
Zal der Freiftellen
und Angabe
der Wnterftügungen.
Bemerkungen.
"Hvdzwanz
939 1000
3 Jahr | Zu Unterftügungen) Direktor war der Prediger und
waren 1256 Thlr. be) Schulinfpeftor Häbler, dem die
flinmt, die nahjAnftalt ihr Dafein verdanfte. Außer
5 Abftufungen anſihm waren 5 Lehrer thätig, welche
46 Zöglinge verteiltiaber nicht der Anſtalt ausschließlich
wurden.
Unter 50 Böglingen des vorigen
Jahres waren 12 Fatholifche, welche
von dem Fathol. Drtd-Pfarrer den
Religiondunterricht erhielten. Die un⸗
tere Klaſſe diente der obern zur
Uebung, die obere nahm an dem
Unterricht in der Stadtſchule Anteil.
3 Sahr | 40 Seminariften| Die Anftalt hatte ein eigenes,
erhielten jährlich einelgeräumiges Gebäude, das ehemalige
Unterftüßung vonSefuitercollegium, und fland mit einer
1160 Thlr. Etadtfchule in Verbindung. Der
Director und 40 Böglinge wohnten
im Haufe. Der Aufenthalt follte
3 Sabre dauern, war aber meift
abgefürgt worden, um dad Bebürf-
nis der Provinz zu befriedigen.
Benburg.
-3 Sahr | 24 Seminariften| Die Anftalt war in den geräu-
hatten ganze und 22 migen Öebäuden eines aufgehobenen
balbe Freiſtellen. Kloſters, wo alle Lehrer und Zoͤg⸗
linge wohnten. Uebungsſchule war
dad mit dem Seminar verbundene
Waiſenhaus.
Jahr der
N. Ort Stiftung.
9 | Potsdam, 1817
evangeliſch.
10 [Alt-Stettin,| 1735
evangeliſch.
111 Göslin, 1816
evangeliſch.
12 Greifswald/ 1791
evangeliſch.
5428 Thlr.
25 ſgr.
2909 Thlr.
2516 Thlr.,
(2436 Thir.
aus
Staats⸗
Kaſſen.)
266 Thlr.
toſgr. 4Pf.
—— .
SgE| Se
58 | 88 FH
—.
6 63 3
IV
5 32 2
4 34 2
2 5 unbe
fimmt
Bal der Freiftellen
und Angabe
der Unterftügungen.
Bemerkungen.
099 200
Jahr 10 Seminariften]| Die Anftalt war urjprünglidy eine
hatten ganze und eben|Privatftiftung des O. Konfiftorial-
fo viele hatten halbelRat Heder zu Berlin, und wurde
Freiſtellen. Außer⸗ſdaſelbſt 1748 errichtet, 1753 als
dem ward noch einelöffentliche Anftalt eingerichtet; 1817
nicht genau zu beftim-|mit Vermehrung ihrer Fonds nad)
mende Summe injPotddam verlegt. Zur Uebungs⸗
außerordenilichen Un⸗ſſchule diente eine Freiſchule. Die
terftügungen verteilt. Anftalt hatte ihr eigenes Gebäude,
worin auch die Seminariften wohn
ten und beföftigt wurden.
mmern.
Yahr | Zur Unterſtützung— Das Inſtitut war bis jetzt in
waren jährl. 600 Thl. ſeinem gemieteten Haufe , jollte aber
im Etat ausgeſetzt. bald ein eigenes erhalten, die Ses
minariften hatten dort freie Woh⸗
nung. |
Zahr | Fürs Seminariften| Die Anftalt Hatte ein eigenes
waren 36 Thlr., für®ebäude, welches aber von Grund
17 waren 24 Thlr.ſaus erweitert werden mufte. Die
und für 17 anderelSeminariften wohnten im Haufe,
Seminariften 12 Thlr.|beköftigten ſich aber in der Stadt.
jährliche Unterftügung Zur MUebungsfchule diente Die
im tat beftimmt. |Iftäbtifche Elementarfchule.
Ibee | Zur Unterftüßung| Dieſer Anftalt ftand eine gänz«
nmt. der Seminariften wa⸗liche Reorganijation bevor, um fo
ren 128 Thlr. 9 fgr.Imehr, weil Die Anlegung eined neuen
1 Pf. ausgefept. Seminars für Pommern zu Sammin
noch verfchoben werden muſte, weil
die dazu beftimmten Fonds aus den
Sütern des ehemaligen hohen Stifts
Cammin noch nicht liguidirt waren,
— 140 —
2: aD
N. Sabe der | gintünfte. | 3 | 3 [3°
Srrne gs8 | $F A
13 | Bredlau, | 1768 15038 Thlr.| 6 und 80 2
evangeliſch. (3400 Thlr. bei der
aus J Semi⸗
f Staate- £ narjehule
Kaſſen.)
14 | Bunzlau, 1744 |3700 Thlr.| 15 5 |2
Seminar u. das Semi: | fürd Se- | welde
Waiſenhaus, nar feit minar, jaudh teils
evangeliſch. 1816 (63300 Thlr. beim
and dem Waiſen⸗
Sakſchen Ibaufe be
Fond.) | fchäftigt
wurden.
15 | Breslau, 1765 13137 Thlr. 6 83
katholiſch. (786 Thlr.
aus
Staats⸗
Kaſſen.)
— 141 —
Tefien.
* Zal der Freiſtellen
3 und Angabe Bemerkungen.
3 der Unterſtütungen.
zahr
Jahr
Jahr
Zu 44 Freiftelen| Das Gebäude wurde durch Ans
waren jährl. 829 Thl.|fauf eined Nachbarhauſes erweitert.
21 jgr. Pf. beftimmt.\ Das Seminar hatte feine eigene
Nach dem Bedürfniffellebungsfchule und noch eine bejon-
wurden ganze u. halbeldere Präparandenklaſſe. Zwei Lehrer
Freiftelen gewährt.wohnten ſchon jegt im Haufe; leßtere
Außerdem feßte derſwurden auch Darin beföftigt.
Stat noh 26 Thlr.
8 for. 7 PR zu
außerordentlichen
Geldunterftügungen
aus,
Für 19 fchlefiihe Die Anftalt hatte anfehnliche
Seminariften war eine Gebände und eigene Ländereien.
jaͤhrl. Unterftüßung Zur Uebung diente die ftädtifche
v. 36 Thlr., u. für 22|Sreifichule Die Anſtalt war ur
andere eine bergleicheliprünglidy Privatftiftung des Mau-
von 18 Thlr. auöge:irermeifter Zahn in Bunzlau; fie
jegt. 12 Lauſitzer aberſbegann als Armenjchule 1744 ehr
erhielten jaͤhrlichſklein, wurde 1753 als Waiſenhaus
36 Thlr. Dieſe Un-ſbeſtätigt, erhielt 1805 Vermehrung
terſtützung erhieltenſſeines Fonds und wurde 1816 zu:
ie in NaturalsVer:igleih Seminar.
pflegung bei der Wai:
jenhaugs-Anftalt durd)
ganze und halbe Koft:
ſtellen.
Der Etat feßte zul Im Seminargebaͤude, worin auch
einem Mittagstiſchſdie Uebungsſchule war, wohnten der
für 31 Seminariften] Director, ein Hauptlehrer und
584 Thlr. 17 fg. 2 Pr.,liämmtliche Zoͤglinge, Die audy dort
und zu außerordent |beföftigt wurden.
lihen Geld : Unter:
ftügungen 65 Thlr.
12 fgr. 10 Pf. aus.
— 142 —
Stiftung. Einkünfte.
u⸗olorv
23Qq 19€
16| Ober: 1801 1|2628 The) 4 67
Glogau, 1 far. 5Pf.
katholiſch. (325 Thlr.
aus der
Provinz.
Geiſtl. u.
Schulkaſſe
zu Oppeln
und 2300
Thlr. aus
"dem Neuzel⸗
ler Fond.)
VI.
17 | Bromberg,| 1819 12638 Thlr.| 4 si |2
bis jeßt ©i- 10 fer. |
multan = Ans
ftalt, fünftig
rein evangel.
18 | Pofen, 1804 14205 hl 5 40
bis jeßt aus ber
fimultan, Provinz
fünftig rein Schul⸗
kathol. Fondskaſſe
zu Poſen.
VII.
19 |Magbeburg,| 1790 vorläufig 12 70 2
evangeliſch. Reorgani- auf
ſirt im 13607 Thlr.
Jahr 1824.12 ſgr. 6Pf.
ange⸗
nommen.
— 13 —
und Angabe Bemerkungen.
der Unterſtũßungen.
—XXL
4 Zal der Freiftellen
8
Jahr | Zur Verpflegung) Die Anſtalt hatte ein eigenes
von 36 Seminariften®chäude, und eine ftädtifche Schule
waren 1080 Thlr. im|diente zur Uebung.
Stat ausgefegt, in der
legten Beit hatten je
doch 52 Seminariften
biervon Mittagstijch
erhalten koͤnnen.
fen.
Jahr | Zu Seminariften| Für ein eigened Gebäude follte
Stipendien und Unsigeforgt werden, da das jetzige ges
terftüßungen warenimietet war. Ä
518 Thlr. 10 Ser.
jährlich ausgeſetzt.
Yahr | 18 freie Koſtſtellen. Das Seminar hatte fein eigenes
Gebäude, auch eine Uebungsſchule
mit 3 Klaffen und 200 Schulfindern.
ıhfen.
Sahr | 24 Seminariften| Außer dem Director waren nur 2Reb-
erhielten freien Mit-|rer ausſchließlich für das Seminar an⸗
tagstifch. geſtellt, die übrigen waren als Hülfs⸗
lehrer zu betrachten und groͤſtenteils
Lehrer an Stadtſchulen, mit denen
die Anſtalt in eine ſehr zweckmaͤßige
Verbindung geſetzt war. Das Ses
minar batte fein eigened Gebäude,
worin die Seiinariften wohnten
und beföftigt wurden, und feine
eigene Uebungsſchule.
— 14 —
Jahr d
N. Ort. nur Det Einkünfte. 23
Stiftung. 8
20 Halberſtadt, 1778 12145 8hle.6f]| 4
evangelifch. | Reorganis |1PI. H100EHL
et im | 2 I 6,0
| J aus der ,
Jahr 1822, Klofter - Ber-
geih. Stiftung,
317 Thlr. 3 fgr
7 Bf. aus
Staatskafſen.)
21 Weißenfels, 1794 un 6
evangelijch. Reorgani⸗ aus Stontstaff
firt im und 1266 Tplr.
Jahr 1822.77 gr. 6 Bf. aus
der Königlich.
Sächſiſchen
Schullehrer⸗
Seminarien⸗
Hauptkaſſe zu
Dresden.)
13
22| Erfurt, beſteht ſeit
Simultan⸗1820 pro⸗
Seminar.viſoriſch.
220 og
Bundgg
12q 1v8
En
we
119
im Sabr
1824;
80 fol
die
Normal:
"uallurgg
zal fein.
aaQq 10g
2
— 145 —
Bel der Freiſtell en
und Angabe Bemerkungen.
der Unterftügungen.
br | Bur Unterfüßung) Die erfte LXehrerftele war nur
für 12 Seminariftenlinterimiftifhy beſetzt. Die An-
waren 360 Thlr besiftalt hatte ihr eigenes Gebäude in
ftimmt. einer ehemaligen Domherrn - Gurie,
wo der Director, zwei Lehrer und
die Böglinge wohnten, und fand
mit zwei Schulen in Verbindung.
8 ftädtifche Stipen:| Die Anftalt hatte ihre eigenen
bien jedes zu 30 Thlr. Gebaͤude und. große Gärten, follte
4 alte Königl. Stipen-|aber aus der Vorflabt in das
dien zu 30 Thlr. DiefelClara » Kloftergebäude kommen; Die
12 Stipendiaten er-|Seminariften wohnten in der An-
bielten noch außerdemiftalt und wurden dort beföftigt.
2 Thlr. Papiergeld.|Eine zalreiche vorſtaͤdtiſche Schule
11 neue Koͤnigl. Sti⸗ſin demſelben Lokal diente zur Ue-
pendien, jedes zuibung.
24 Thlr. und ein
ritterfchaftlihe® zu
24 Thlr. Ä
ıhr Feſte Einkünfte fehlten bis jetzt;
nur ein Lehrer war als Inſpektor
eigens für dad Seminar beflimmt,
die übrigen flanden zugleich in an-
dern Verhältniffen. Ginige unter-
richteten unentgeltlich, andere für
eine geringe Vergütung. Das Lokal
war bis jegt das Auguſtinerkloſter.
> Es ftanden mehrere Anftalten mit
diefer in Verbindung: eine Mufter-
fchule, eine Handwerksſchule, eine
oͤhere Töchterfchule, eine Taub⸗
ummen-Anftalt. Nach Verlegung
in ein andere Gebäude follte es
organifirt und vereinfacht werden.
pe, Vollsſchulweſen, 3. 10
1823 Staats⸗
kaſſen.
vo. Bet
Tel se
N. Ort —2 Einkünfte. € 2 * & m { 7
23) Soeft, Das Se⸗- |3070 Thlr.| 3 57 ?
evangeliſch.ſiminar war (2506 Thlr.
früher in aus
MWejel, es Staats: | |
wurde je | Kaffen.)
doch nad
Decupation
diefer Stadt
durch Die
Franzoſen
nach Soeſt
verlegt.
24 | Büren, 1825 ungefähr 3 50 | 2
kathol. 4000 Thir.
IX. und X. Re
25 | Neuwied, | 1818, |2999 Thr| 4 38 | 2
epangelifch.| definitiv [17 jgr. 6 Pf.
organifirt aus
— 147 —
Ep Bal der Freiftellen S
83 und Angabe Bemerkungen.
z der Unterftügungen.
Jahr | 1100 Thlr. waren) Die Anftalt erhielt 1818 den
zu 36 Stipendien versigröften Zeil eines aufgehobenen
teilt. 16 Stipendiaten Kloſters. Die Schule ded Stadt-
erhielten 25 Xchlr.,jvierteld war jeit 1819 Webung®-
10 andere 30 Thlr.iihule, 44 Seminariften wohnten
und 10:40 Thlr.imit dem Director und Muſiklehrer
jährlich. in der Anftalt und beföftigten ſich
außerhalb.
Jahr Ein Teil des ehemaligen Jeſuiten⸗
Seminar⸗Gebaͤudes war der Anſtalt
überwieſen; in demſelben war auch
eine Uebungsſchule eingerichtet wor⸗
den. Die Eröffnung des Seminars
ftand bevor.
ifhe Provinzen.
Sahr| 1130 Thle, waren; Die Anftalt hatte ihr eigenes
zu 30 Seminariften:|Gebäude, worin ber Director, Der
Stipendien in der Artlerfte Lehrer und die Seminariften
beftimmt, daß 3 Se:|wohnten. Diejenigen von ihnen,
minariften jaͤhrlichſwelche 80 Thlr. Stipendien erhiel«
80 Thlr. 4:50 Thir.,\ten, waren verpflichtet, Dafür im
5:40 Thl, 8:30 Thl.\ Seminar Unterricht an jüngere Se
und 10:25 Thlr. ersiminariften zu erteilen.
bielten,
10°
— 148 —
— S 8
Esw| Zu 38
N, Stiftung. Einkünfte. zen == |,
Ss: | 83 |#
26| Mörs, 1820 [3000 Thlr.) 3 | 30 ?
evangeliich. | definitiv 12 ſg. 6 Pf.
organiſirt aus Staats:
1823 Fallen.
27 | Brühl, 1823 6661 Thlr. 5 100 | 2
katholiſch. 10 far. nad)
(6599 Thlr.| dem
10 for. Gtat.
ans Stuat-
kaſſen.)
28 St. Mathias 1810 |753 Thlr.2 45
bei Trier, | Während aus Staate-
katholiſch. der Kriegs- kaſſen.
jahre 1813
u. 1814 war
ed aufgelöft
und wurde
erft im
Sabre 1816!
wieder er—
richtet.
— 149 —
Zal der Freiftellen
und Angabe Bemerkungen.
der Unterſtützungen.
br) So wie bei Neu] Eignes Gebäude, eigne Uebungs—
wied waren auch bieriichule. Director, Lehrer und Ges
1130 Thlr. zu 3Ojminariften wohnten im Haufe und
Seminariften-Stipenz|tegtere wurden auch darin beföftigt.
dien und zwar in ber-|Die, welche 80 Thlr. erhielten, hat-
jelben Art beftinmt.iten Ddiefelbe Verpflichtung zum Un:
terrichten wie in Neuwied.
hr | 3150 Thlr. waren] Das Gebäude, worin ſämmtliche
zu 87 Stipendien be⸗Lehrer und Yöglinge wohnten, war
fimmt. Davon erxz|jonft ein Franziskaner-Kloſter. Die
hielten 6 Seminariften] Stipendiaten zu 80 Thlr. muften
jährlid 80 Thlr.,jebenfalld den jüngern Seminariften
12 andere 50 Thlr.,|Unterricht erteilen. Bis jept waren
15 zu 40 Thlr., 24nur 4 Lehrer bejchäftigt.
zu 30 Thlr. und end»
(ih 30 Seminariften
jährlich 25 Thlr.
ıbr | Zur Unterftügung) Die Seminariften wohnten bei
b der Seminariften war|den Bürgern von Trier oder in den
ihr [nichts beftimmt. zur Vorftadt gehörenden Ortfchaften.
Der Unterriht wurde in einem
Saale des Pfarrhanjed erteilt.
— 10 —
Die gejeglihe PVerfaßung des Volksſchulweſens in der
preußiſchen Monarchie war um dieſe Zeit (1824) folgende:*)
Zunächſt fanden den einzelnen Schulen die @eiftlichen vor,
denen der Schulvorftand, in Städten die Schuldeputation beige
geben war. Die Schulen einer Superintendentur flanden unte
dem Superintendenten, welcher das Werfzeug der Regierung war
Derjelbe führte die Aufficht über das geſammte Elementarſchul⸗
wejen.
Ale fchulpflichtigen Kinder, ohne Unterſchied des Glaubens—⸗
bekenntniſſes, gehörten zu derjenigen Schule, in deren Sprengel
fie wohnten. Indeſſen Eonnte ein Vater, der Bedenken trug, feine
Kinder in die Ortsfchule zu ſchicken, welche etwa nicht zu feiner
Slaubenspartei gehörte, fi Die Erlaubnis erbitten , diefelben die
naͤchſte Schule feiner Glaubensgenoſſen befuchen zu laßen.
Die Schule war in die Wochentags- und Sonntagsſchule
abgeteilt.
In der Wochentagsfchule wurde bie Jugend vom Austritt
aus ber zarteren Kintheit bis zum Uebergang in die kirchliche
Geſellſchaft gebildet. In dieſer Schule wurde täglid 8 Stunden
lang Unterricht erteilt, Mittwochs und Sonnabends Nachmittag
dagegen fiel der Unterricht aus. Den Eommer über wurde für
die obern Klafjen nur einige Stunden Unterricht erteilt, damit
Eltern und Herridaften ihre Kinder und Dienftboten die übrige
Zeit ungehindert zur Arbeit brauchen konnten.
Alle Kinder, weldye das ſechsſte Jahr erreicht Hatten, waren
ſchulpflichiig. Ihre Aufnahme gefchah des Jahres zweimal, nem
lid) zu Dftern und zu Michaelis. Das fchulpflichtige Kind war
verpflichtet, Die Schule ohne Unterbrechung zu befuchen.-
Von jedem Wochentagsſchüler hatte der Schullehrer nad
*) Rad einem Auszug aus der 1824 zu Liegniß erfhienenen Schrift: „Ueber:
fit der preußifchen Volksſchulverfaßung, bearbeitet und geordnet nach den Bor-
fhriften des allgemeinen Landrechts, des General - Landfchulen - Reglements in den
erſchienenen Amtsblait-Verordnungen zum Gebraud für Schullehrer und Edel.
vorflände von F. A. W. Schmalz“ — in den Freimütigen Jahrbüchern der
allg deutſchen Volksſchulen. 1825. ©. 15 ff.
— 1511 —
ben verfchiedenen Klaffen 6, 9 und 12 Pfenntge Schulgeld zu
beziehen, falls dasſelbe nicht in einen fizen Betrag verwandelt
worden war. Der Unterrit in der Wochentagsſchule durfte von
dem Lehrer nicht willfürlich angeordnet werden, fondern mufte ſich
Im Ganzen nad) dem vorgefähriebenen Lectiondplane richten, wel:
her mit Genehmigung des Reviford den Ortsverhältuiffen einer
jeden Schule angepaft wurde. In jeder Schule follte ein Lections—
plan oder Stundenverzeichnid vorhanden fein, an welches fich der
Lehrer genau halten mufte.
Der Unterricht ſelbſt erftredte fi auf Lefen, Kopf- und
fhriftliched Rechnen, Schreiben, Sitten: und Religionslehre , ge
meinnüßige Kenntniſſe aus dem Gebiete der Natur und Kuuft,
Geographie und Geſchichte, Denk- und Sprehübungen.
Ale drei Klaffen nahmen entweder am Unterrichte gleich⸗
zeitig Teil, ober wo die Beichaffenheit des Lehrftoffed dieſes nicht
geftattete, wurde eine der Klaffen zu nüßlichen Beſchäftigungen
unter Aufſicht des Lehrers angeleitet.
Die ſaͤmmtliche Wochentagsſchuljugend wurde in drei Klaſſen
eingeteilt: die oberſte umfaſte die Schüler und Schülerinnen, welche
fi in allen Unterrichtögegenftänden eine vorzügliche Fertigkeit .
erworben hatten; die zweite alle diejenigen, welche fertig mecha—
niſch leſen konnten und fich im Schreiben und fchriftlichen Nechnen
übten; in der dritten faßen alle Anfänger.
Die Schulzucht Tag dem Lehrer zunähft ob, der dieſelbe
mit dem gehörigen Ernſte und mit der erforderlihen Milde aus:
üben ſollte. Sie durfte niemald bis zu Mißhandlungen, weldye
der Gefundheit der Kinder auch nur auf entfernte Art ſchaͤdlich
werben konnten, ausgebehnt werben.
Blaubte der Schullehrer , daß durch geringere Züchtigungen
der eingemwurzelten Unart eined Kindes oder dem überwiegenden
Hange defjelben zu Laftern und Ausſchweifungen nicht binlänglich
gefteuert werden koͤnnte, fo mufte er der Obrigkeit und dem geiſt⸗
lichen Schulvorftande davon Anzeige machen. Diefe ergriffen dann
nady näherer Prüfung der Sache die zmwedmäßigften Beßerungs⸗
mittel.
Um öffentlich Beweiſe von dem Fleiße der Lehrer und Korte
— 152 —
fchreiten der Schüler zu geben, mufte jeder Lehrer jährli und
zwar zu Dftern eine Prüfung veranftalten. Wo es die Schul⸗
fafje erlaubte, wurden Bei dieſen Prüfungen Preiſe öffentlid, aus:
geteilt. Diefe beftanden meiftenteild aus Schulbüchern.
Schulferien fanden an hohen Feften und in der Woche bes
Mittwochs und Sonnabends Nachmittags ſtatt. Desgleichen wurde
an jedem erften Tage eined Monated der Unterricht außgejekt,
weil da der Lehrer den angeorbneten monatlichen Konferenzen in
der Pfarrwohnung beimohnte.
In einem Buche fand man außer Der Angabe des Namen
und des Alterd der Schulfinder, Ded Namend und ‘Standes dei
Baterd, und des Tages, an welchem das Kind in die Schule
eingetreten war, auch eine Schilderung jedes einzelnen Schülers
nach feiner Geiftesfähigfeit, Fleiß und fittlichem Betragen ver
zeichnet. Dieſes Buch mufte regelmäßig fortgeführt werben.
Ein Grundbuch enthielt 1) eine kurze Gefchichte der Schule
von ihrem Entftehen an bis auf den Tag der Anlegung be
Grundbuchs; 2) Angabe der zu dieſer Schule gehörigen Ort
ſchaften und der darin befindlichen zu einem Schulfyfteme geh&
rigen Poſſeſſionen.
Jede Schule wurde monatlich zweimal von dem Reviſor vi
fitirt, wobei dieſer feine Aufmerfjamfeit auf alles richtete, was
die Schule anging. Die Entlaßung aus der Wochentagsſchule
gefhah mit der Konfirmation. Nur diejenigen Kinder, welche zur
Zufriedenheit des Lehrerd nnd des Schulrevifors in der hoͤchſten
Klaſſe beftanden, wurden zum Katecyunenenunterrichfe angenommen
und mit einem vom Paftor ausgeftellten Dimiffioriale verjehen.
Die Sonntagsfchule, welde alle Sonn= und Feiertage, die
hoben Fefte und das Kirchweihfeft ausgenommen , gehalten wurde,
nahm alle aus der Wochentagsſchule Entlafjenen, ſelbſt auch Er
wachjene auf.
Das Biel derfelben war Belehrung der reiferen Jugend
über mancherlei Gegenftände ihres Berufs, teild zur Verhütung
des Schadens und Unglüds, teild zur Erzielung gewifjer bürger
licher Wohlfahrt über die wichtigften Wahrheiten ber Religion,
über Die Vorzüge der vaterländifchen Staatöverfaßung, über Lan
— 193 —
desgeſetze und obrigfeitliche Verordnungen, deren Zweck und Not:
wendigfeit über die Pflichten und PVerhältniffe gegen das Vater:
land, den König und die Staatsbehörden.
Am erften Tage jedes Monatd wurde von dem Prediger
mit den feiner Aufficht anvertranten Schullehrern in feiner Pfarr:
wohnung eine Schulconferenz gehalten. Gegenftände der Ber-
handlung bei dieſen Gonferenzen war alles, was fih auf Un:
terriht, Methode und Schulzeit bezog.
Zur Uuterweifung der Jugend in der Obftbaumzucht follte
wo möglich bei jeder Schule ein Garten angelegt und auf Koften
der Gemeinde umzäumt und urbar gemacht werden.
Aecker, Wiefen, Holsflede n. f. w. wurden dem Schullehrer
von dem Schulvorfiande gehörig angewiefen. Das zur Heizung
bes Lehrzimmers erforderliche Holz wurde von der Gemeinde des
Schulfprengeld angefahren.
Bei jeder Schule follte eine Schulfafje beftehen, von wel:
her alle Binfünfte des Schullehrers eingenommen und veraus—
gabt werden jollten.
Am Ende eined Etats-Jahres wurde eine Rechnung über
Einnahme und Ausgabe der Schulfafle gefertiget, welche von dem
Schulvorftande revidirt wurde. Dieſe revidirte Rechnung wurde
fodann unter Zuziehung des Schulvorftandes abgehört und von
allen Mitgliedern besfelben unterjchrieben.. Der Scyullehrer be:
forgte gewöhnlich die Aufftellung der Rechnung.
Der Schulfaffen-Rechnung war am Schluſſe ein Inventarium
über alles der Schule zugehörige unbewegliche und bewegliche
Eigentum angehängt, in welchem alle Ab⸗ und Zugänge ſorg⸗
fältig angemerkt werden muften. Für alles, was das Inven⸗
tarium enthielt, hatte der Schullehrer zu haften.
Jedes Jahr wurde von dem Reviſor ein Bericht über den
Buftand der Schule, eine Gharafteriftift des Schullehrerd mit
Angabe von Münfcen und Vorfchlägen zur Verbeßerung der
Schule, an den Superintendenten eingefandt, welcher denfelben
mit einem begleitenden Berichte über das Schulweſen des ganzen
Sprengeld an die Regierung einfandtee
Der Schullehrer war von der Gemeinde durchaus unabhän:
— 154 —
gig. Die Gemeinde durfte denjelben nicht als einen Lobhndiener,
Sondern mufte ihn als einen Mann betrachten, der die Pflichten
auf ſich hatte, den Eltern gute Kinder erziehen zu Helfen,
Die Beftallung der Echullehrer Fam in der Regel der Gr:
rihtöobrigfeit zu. Durch wen Diefe Befugnis in Anjchung der
auf Domänen oder andern Königl. Gütern zu beftallenden Schul:
meifter auszuüben fei, war in den Verfaffungdurfunden einer jeden
Provinz angegeben.
Die Volksſchullehrer hatten feinen privilegirten Gerichtsſtand,
fondern waren der ordentlichen Gerichtsobrigfeit des Orts unter:
worfen. |
Die Gemeinden waren in der Regel verbunden, den Schul
lehrer nebft den zu feiner Familie gehörigen Perfonen und was
derfelbe an Kleidung, Wäfche u. drgl. mitbracdhte, herbei zu holen.
Die Unterhaltung des Lehrers lag den fämmtlichen Haus
vätern jedes Orts ob. Hierbei waren aber die Gutsherrſchaften
verpflichtet, ihre Gemeinde mit Beiträgen fräftig zu unterftüben.
An der Regel waren die Schullehrer, bejonderd auf dem Lande,
auch Gantoren, Organiften und Küfter, und wurden als folde
mit verpflichtet. Auch waren fie Gerichtsſchreiber, wofür ihnen
eine verhältnigmäßige NRemuneration zugefichert war. Dagegen
war ihnen das Aufwarten bei Hochzeiten und Tänzen ganz unter
fagt. Selbft das Pathens und Hochzeitbitten galt als unſchid⸗
ih, wie denn auch alle Brotumgänge überall abgejchafft werben
- folten. Bon allen öffentlichen Laften und Abgaben waren bie
Schullehrer frei.
Scullehrer, welche fi von ihrem Schulort entfernen wollten,
hatten jedesmal vorher von dem Revifor Erlaubnis einzuholen.
Urlaub auf adıt Tage fonnte nur der betreffende Superintendent
gewähren. |
Sämmtlidye Gerichtöbehörden follten die Schullehrer nidt
während der Schulftunden vor Gericht erfcheinen laßen. Bar
diefes aber dennoch notwendig, jo mufte der Revifor jederzeit von
ber citirenden Gerichtöftelle davon in Kenntnis gefegt werben.
Es follten Fortbildungsanftalten aus einer Berfammkmg
von Schullehrern beftehen welche ale Monate zufammen Samen,
— 1565 —
um ſich gegenfeitig tiber alles, was. ber Schule Not that, im All⸗
gemeinen fowol ald im Beſondern zu beraten.
Junge Leute, welche Schullehrer zu werden wünfchten, muften
ch dazu beſonders vorbereiten laßen. Wer in eind der Schul
lehrerfeminarien eintreten wollte, mufte das 17. Jahr zurüdgelegt
haben, audy mufte er fich einer Prüfung unterwerfen; diejenigen,
welche fih nicht durch gute Geiſtesgaben und untablige Sittlichkeit
auszeichneten, wurden zurüdgewiefen. Der Unterricht im Seminar
dauerte 2 Jahre, und fchloß mit einer Prüfung, nach weldyer dem
Präparanden ein Zeugnis zugeftellt wurde.
Jeder Präparand war nad den beftehenden Gejegen ver-
Bunten, feine Militärbienftpflicht zu erfüllen; indeſſen war ihnen
ber Eintritt in das Heer als Freiwillige auf ein Jahr geſtattet.
XIII.
Nheinpreußen
(von 1802—1816).
Als das linke Rheinufer im Anfange dieſes Jahrhunderts
unter franzoͤſiſche Herrſchaft Fam, wurde natürlid; auch das Volks⸗
ſchulweſen daſelbſt nad der modernen franzöfifchen Geſetzgebung
umgemobelt, Der neusfränfifche Geift Eonnte von einem innern
Bulammenhang des Schulweſens und der Kirche nichts wißen.
Das Geſetz fiber den Hffentlichen Unterricht vom eilften Florial X
(1. Mai 1802) ordnete als öffentliche Unterrichtsanftalten a) Pris
maͤrſchulen, b) Secundärfchulen, c) Lyceen, d) Specialfchulen an
(d. 5. Volks⸗, Bürger, lateinifhe und Berufsſchulen des ges
lehrten Staatsdienfte8), welche jämmtlid außer aller Beziehung
zu den kirchlichen Behörden ftanden, und von denen namentlich bie
Primaͤrſchulen ausſchließlich dem Auffihtsrecht der Präfekten unter:
ftellt waren. Aber dem dejpotifchen Principe des neuen Kaiſer⸗
reichs ſagte dieſe Einrichtung noch nicht vollftändig zu. Ihm war
ed Bedürfnis, in dem gefammten höheren und niederen Unterricht:
weſen Einen Willen herrſchen und dasſelbe ald Eine monardifche
Gliederung geftaltet zu fehen. Auf dem Schlachtfeld zu Aufterlig
entwarf Napoleon zuerft den Plan, der i. J. 1808 zur Aus:
führung gebracht wurde. Als Gentralbehiörde des gefammten Ust‘
terrichts- und Erziehungswefend wurde die „Eaiferlidhe nz *
verfität” eingerichtet, deren Verwaltung zu Baris war. Tre
Facultäten der Berufswißenfchaften waren unter dem Titel voFl
Afademieen in den Provinzen verteilt. Die philoſophiſchen Facul⸗
täten hatte man jedoch unter dem Titel der Lyceen von denſelben
losgerißen. Dad Ganze war militärisch organifirt, der Beginn
der Unterrichtsftunden ward durch die Trommel verfündet. Der
Unterricht in der Religion und in der Moral follte nad dem
i. J. 1806 publizirten Katechismus des Kaiferreich8 erteilt werden.
Bur vollen Verwirklichung kam indeſſen der beabfichtigte Organik
mus nie. In Frankreich wollte e8 mit den Secundärfchulen nicht
vorwärts gehen und Primärfchulen kamen faft nirgends zu Stande,
In Deutichland, auf dem Linfen Nheinufer, blieben die Volk
Schulen im Ganzen in demſelben Zuftande wie früher, fie waren
allerdings der nächften Academie und den Statuten der Faller
lichen Univerfität unterworfen; allein die völlige Lostrennung ber
Volksſchule von der Kirche konnte nicht zur Durchführung ge
bracht werden. Erft i. %. 1812 wurde die Verfaßung der Pfarr
ſchule und die Stellung derjelben zum Staat und zur Kirche durd
den Oberconfiftorialpräfidenten Jacobi zu Aachen definitiv geregelt.
Unter dem 15. Juli 1812 erließ nemlich derjelbe folgendes Cir—
cular:*)
„Nach gefchehener pflichtmäßiger Ueberſendung meines Circu—
lärd vom 20. Februar jüngfthin an ihre Excellenzen den Gultus:
minifter und den Großmeifter der Univerfität, geruhten Lepterer
mir in böchft Dero beiden Schreiben vom 28. März u. 31. Mai
zu bemerfen: Daß die bei proteftantifchen Gemeinen zu Lehrern an
den untern Schulen anzuftellenden Subjecte zwar allerdings durch
die Gonfiftorien vorzufhlagen wären, dieſe denſelben
eingeräumte Befugnis inzwifchen die Befolgung der Kormalität
nicht hindern müße, welcher alle Vorfchläge dieſer Art ohne Aus
— —
*) Jacobfon, Urfundenfammlung von bisher ungedrudten Geſeßen
nebft Weberfichten gedrudter Verordnungen für die evangeliſche Kirche von Rhem-
land und Weftphalen, Königsberg 1844.
— 157 —
Inne unterworfen wären; nemlich Diefelbe mit dem Gutachten
8 Maire und des Gemeinderaths an den Nector der
ademie gelangen zu InBen, unter deſſen Bezirk der Schulort
)ött.
Diefer hoben Verfügung gemäß erleidet mein gedachtes Cir—
lar folgende Motification: Der Präfident des Local-Conſiſtoriums
verichickt mir das darin begehrte Gertificat der guten Aufführung
x Schullehrer-Candidaten, ferner die Propofitionglifte, weldye
ie Vor- und Bunamen und das Alter derfelben enthalten muß,
dann den Verbal-Prozeß über dad Examen und endlich den Be—
MDungs:-Etat. Aus dieſen Stüden werde ich alddann einen Pro-
ofitiond-Etat verfertigen und dem Herrn Präfecten mit der Bitte
erfenden, den Maire des Ortes, wo fih Die erledigte Schulftelle
findet, zu aurorifiren, den Gemeinderat zujfammen zu berufen,
ı das begehrte Gutachten darunter zu jeßen und mir demnaͤchſt
8 Stück wieder zufommen zu laßen, num ed an den Nector der
tschlägigen NAcademie gelangen laßen zu können. Wenn Die
rfegung eines Schullehrers. von einer Gemeine in eine andere
gehrt wird, jo ift erforderlich, Daß den übrigen Stüden eine
eclaration desjenigen Maire beigefügt werde, in deſſen Mairie
r abgehen wollende Schullehrer fteht, woraus erhellt, Daß der—
be vertragsmäßig jeinen damaligen Poften aufgefündigt habe,
ver Daß überhanpt nichts feiner Verfeßung entgegen ſtehe. Nach:
m nun auf diefe Weiſe alles dasjenige geordnet ift, was Die
iſtellung unferer Pfarr = Schullehrer betrifft, jo bleibt mir nod)
rig, einige Worte über die mit denfelben zu fchließenden Wer:
ige und über ihre Pflichten gegen die geiftlichen Behörden zu
zen.
Was den erften Punft anbelangt, fo verfteht es ſich von
bit, daß Fein Vertrag mit einem Pfarr -Schullehrer dag Min-
fte enthalten dürfe, was dem Text der Statuten und Verord-
ngen der Faiferlichen Univerfität entgegen wäre, wobei beſonders
bemerken ift, Daß Fein Proteftant Anftoß an dem 38. Artifel
8 Faiferliden DecretS vom 17. März 1808 nehmen muß, laut
elchem die Fatholifche Neligion die Baſis des Unterrichts in
ten Schulen der Univerfität fein fol. ft es überſehen
— 158 —
worden, der Proteftanten bier zu gedenken, fo ift kein Yweild,
Daß es fpäterhin noch gefchehen werde; welches ſchon daraus er
heilt, daß die Proteftanten von den öffentlichen Lehranftalten nit
ausgefchloßen find, und man ihnen audy nichts zumutet, was
ihrer Gewißenäfreiheit entgegen wäre. Ueberdies haben bes Herm
Großmeifters Excellenz fich ſchon verſchiedentlich über dieſen Punkt
auf eine für die Proteftanten beruhigende Weife zu erklären
geruht.
Im Uebrigen müßen die Vorträge von dem Ortspfarrer,
mit Zuziehung des Kirchenvorſtandes, aufgeſetzt werden; und da,
wo die Municipalkaſſe zum Unterhalt des Schullehrers beitraͤgt,
muß man keine ſchuldige Rückſicht gegen die Municipalbeamten
und Räte außer Acht laffen, welche zur Erhaltung und Vermehrung
ſolcher Beiträge dienen fanın, und überhaupt des Spruches: Habt
Srieden unter einander, ſtets eingedenk fein. Keiner be
gehre mehr Gewalt zu befiken als er Recht bat, und Seiner
ftemme fich gegen die auf Recht gegründete Gewalt.
Der Pfarrfchullehrer fei nun zugleich Küfter und Organiſt,
oder eines von beiden, oder auch blos Schullehrer, fo darf in
dem Vertrag, den die Kirchengemeine mit ihm fchlieft, die Clauſel
nie fehlen, daB er verjpriht: Die Kinder der Pfarrgemeine, wo
bei er angeftellt ift, in den Grundfäßen des evangelifchen Chriſten⸗
tums zu erziehen, ihnen durch feinen eigenen Lebenswandel darin
unaudgefeßt zum Wufter zu dienen, die Autorität der geiftlichen
Behörden und des Ortöpfarrerd in dieſer Hinficht anzuerkennen
und feine religiöfe Vorübungen als folche, die den kirchlichen Die
ciplinargefeßen gemäß von den obgedachten Behörden verordnet
oder genehmigt find, mit feinen Schülern vorzunehmen, in bem
Choralgefang fie fleißig zu unterrichten und auf Anftand beim
Singen, Beten und dem Herfagen biblifher Sprüche zu halten.
Es ift ein faft unbegreiflicher Irrwahn einiger Pfarrſchub
lehrer, zu glauben, daß fie feit der Errichtung der Faiferlichen
Univerfität Feine Verbindung mit den geiftlichen Behörden, noch
Verpflichtungen gegen biefelben mehr hätten. Unſerm allergn&
bigften Monarchen verdanken wir bie gefegliche Anerkennung un
ſeres religiöfen Glaubensſyſtems und den Schuß bei der freien
— 159 —
Ausübung unfers Gultus. Niemald waren Kirchen und Schulen
bei den Proteftanten von einander getrennt, fondern vielmehr
waren die Pfarrichulen (welches die Volksſchulen find) ſtets
notwendig mit der Kirche verbunden und der Grund dieſer
Notwendigkeit liegt am Tage. — Der proteftantifche Cultus Fennt
feinen Geremonienzwang. — Umwandlung des ftet8 mehr
zum Böſen wie zum Guten geneigten Menschen, laut
den Vorſchriften Jeſu Chriſti, ift Die Religion der evan-
geliichen Ghriften oder fogenannten Proteftanten. Die Vorberei⸗
tung zu dieſer Umwandlung ift aber jchwerer wie das Grlernen
und Befolgen vieler Gebräuhe und Geremonien; und frühzeitig
muß darum die Jugend die Bibel ald das Buch aller Bücher vers
ehren und den Juhalt derjelben mit den zunehmenden jahren alls
mäblich kennen lernen. In den Schulen muß fie Kernſprüche daraus,
ſowie geiftliche Lieder auswendig Iernen; indem hierdurch das Bes
dürfnis der täglichen häuslichen Andachten erwedet wird, und weil
joldye Sprüde und Lieder dem religidd erzogenen Menſchen fpä«
terbin das ganze Leben hindurch zu Wegweifern, Leuchtthürmen
und Notanfern dienen und ihn fanft in eine beßere Welt hinüber
leiten. Die religiöfe Erziehung ift demnach bei den Proteftanten
mit der fittlichen ganz identiſch, und der wißenfchaftlichen auf Feine
Art und Weije entgegen oder binderlih, vielmehr förderlich und
nüglih. — Wer nicht Gott gibt, was Gottes ift, der wird auch
dem Kaiſer nicht geben, was bed Kaiſers if. — Würde man auf:
bören, die proteftantijche Jugend auf die herkömmliche Weiſe zu
bilden, jo würde fie jehr bald in einen Bufland Der völligen
Öleichgültigfeit gegen alle Religion verfallen, weder Gott nody.
jein Gebot mehr achten, das hoͤchſte Gut, Glauben, Hoffs
nung und Liebe entbehren, und nichts weiter Tennen und
ſcheuen, als die ftrafende Geredtigfeit.
Die wißenſchaftliche Bildung der Jugend in allen
öffentlichen Lehranftalten ift allein dasjenige, worüber die Faifer-
liche Univerfität die ausfchließliche Leitung erhalten bat, und
eben darum ift auch in ihren Statuten von Religion nie anders
die Rede (dem einzigen oben angeführten 38. Artikel des Decretd
vom 17. März 1808 ausgenommen), als inſofern fie als eine zu
— 160 —
erlernende Wißenſchaft betrachtet wird, und als ſolche ift fie and
von jeher erft auf höheren Schulen gelehrt worden ; FTeineswegs
ift e8 aber je die Meinung unfered glorreichen Monarchen ge
weien, die Gewißensfreiheit dur Störung der religidfen
Lehrfreiheit zu bejchränfen.
Je größer nun die Pflichten der Dankbarkeit find, die wir
gegen unjeren Kaifer und Herrn ald den großmütigen und mid
tigen Befchüger unferer Religion haben, deſto mehr müßen wir
trachten, dieſe Pflichten durch ein fortgefeßtes Streben zu erfüllen,
foldye Lehrer in unfern Volköfchulen zu erhalten, die fähig fin,
eine Generation zu bilden, wie ein weifer Regent fie mit froben
Hoffnungen kann aufwachfen jehen. — Tapferkeit, Großmut, de
rechtigfeit und allgemeines Wolwollen find Tugenden, welche jedem
Menfcyen adeln, er befenne fich zu welcher Religion er wolle, und
in diefem Sinn und Geift müßen unfere Schullehrer wirken.” —
Indeſſen hatte das Gircular für Die Hebung des Volksſchub
wejend durchaus feinen Erfolg, und zwar hauptjächlid darım,
weil e8 dem franzöjifchen Gouvernement gar nicht ernſtlich darım
zu thun war, ben Volfsfchulen zu helfen. Das gejammte Gle
mentarslinterrichtöwefen Fam daher in den rheinischen Tepartemente
unter der franzöfiichen Herrichaft in den allertiefften Verfall. *)
Nicht blos Die zwedmäßigften, den Ortöverhältnifjen ange
meßenften Vorſchläge von Privatperfonen, jobald fie dieſen Gegew
ftand betrafen, wurden bei Seite gelegt, auch die ſchon eingeler
teten, auf dieſe Verbeßerung abzwedenden Maßregeln beßer ge
finnter Landes- und Kreis-Behörden wurden abfichtlicy gehemmt
und unterdrückt, wozu auch in den rheinifchen Departements Be
lege ſich vorfinden.
Doc zeigte fi) der Mangel au gutem Willen weniger in
biefer Directen Gegenwirfung, wozu fi) nur bin und wieber un
*) Da mir für die Gefchichte des Schulweſens am Mhein im dieſer Bere
nur Neigebaurs trefflide Schrift: „Pie Verwaltung des öffentlichen Unit
richts am Rhein nach Vertreibung der Franzoſen“ (abgedrudt in den reimäfigts
Sahrbüchern der allg. dentſchen Volksſchulen, Sahrg. 1822, &. 255 ff.) als Out
zu Gebote fteht, fo teile ich hier aus derfelben mwörtliche Anazüge mit.
— 161 —
felten einmal eine Gelegenheit darbot, mehr noch zeigte ſich der⸗
ſelbe indirect durch Unterlaßung aller fräftigen Maßregeln, welche
die Regierung zur Verbeßerung des Volksſchulweſens hätte treffen
koͤnnen. Nur die auffallendften Belege dazu wollen wir kurz be-
rühren.
Weder die nähere noch bie entferntere Aufſicht über Die
Primaͤrſchulen war im geringften geeignet, einen beßeren Geiſt in
denfelben zu erregen ober zu erhalten. Jene war von den Geift-
lihen, denen fie in mehrfacher Beziehung gebührte, auf die Bür-
germeifter übergegangen, die zum Teil bei einer ‚gänzlichen: Un⸗
funde in allem, was zum Wejen des Glementarunterrichts gehörte,
und bei einer Menge anderer fie zerfireuender, häuslicher und
öffentliher Geſchaͤfte, fih um ihre Schulen in der Regel wenig
oder gar nicht befümmerten, und fehr zufrieden waren, wenn fie
mit Klagen von diejer Seite gar nicht behelligt wurden, Wo ja
ein folher von der Regierung autorifirtee Schulauffeher glaubte
diefer Pflicht genügen zu müßen und audy genügen zu Eönnen, da
fand er nur zu oft in dem Pfarrer, der dieſe Kränkung feiner
Rechte nur mit Unwillen ertrug, einen offenen oder verftedten
Widerſacher und durch ein wiederholtes wolberechnetes Mißlingen
feiner Verbeßerungspläne der Luft und des Mutes beraubt, ließ er
bie ganze Sache liegen, ohne fich weiter in Diefelbe zu mifchen.
Der Pfarrer hingegen, der fich in der Regel mit diefer indirecten
Einwirkung begnügen mufte, fand auch zu wenig feflen Grund,
auf dem er felbft die vollen Zügel hätte ergreifen können, und fo
bebielt der Schullehrer einen freien Spielraum, in welchem feine
Unwißenheit, feine Bequemlichkeit, fein Eigendünfel fih nach Will
für geben ließ, und oft zu den unangenehmften Gonflikten Veran⸗
laßung gab.
Am häufigften zeigte fich Diefe Spannung zwilchen dem Schul-
lehrer und dem Pfarrer, gegen welchen der erftere aller Verbind⸗
lichkeit glaubte frei gefprochen zu fein. Auch machte die franzd-
fiſche Communal » Verfaßung den Pfarrer gar oft abhängig von
dem Lehrer, wenn biefer ald Beigeorbneter ober ald Sekretär des
Bürgermeifterd fungirte, in welchem Verhältniffe vielleicht ein Vier⸗
teil der Lehrer, wenigftend die beßeren, überall fanden ,‚ denn
Deppe, Bolkeſqqulweſen, &.
— 162 —
ſelten fand ſich in der Gemeinde ein anderer Mann, der den Be
richten und Tabellen, welche Die Bürgermeiſter einzureichen hatten,
die einzige von den Behörden geforderte Eigenfchaft, die kall⸗
graphifche Vollkommenheit hätte geben Fönnen. Durch dieſe Zer—
ftreuung des Lehrers wurde die Schule, die überall in den Hin
tergrund trat, ganz vernacdhläßigt, und was dem Lehrer nod an
Luft und Liebe für fein Fach, was ihm an moralifchem Gefühl
geblieben war, ging in dieſem Schlamme eined dem Eigennuß und
anderen Heinlichen Rüdfichten dienenden Geſchaͤftslebens völlig zu
Grunde. Mittel-Behörden, welche ihn in nähere und anhaltende
Auffigt hätten nehmen Fönnen, gab ed nit. Der Inſpettor für
das ganze NRoer-Departement hatte zu Lüttich, der für das Rhein
und Mofel » Departement zu Wainz feinen Sit. Beide, geborene
Franzoſen, ohne alle Kenntnis des Deutfchen, konnten nicht Auf
feher über deutſche Schulen, konnten nicht Ratgeber für deutſche
Lehrer fein. Sie waren nur Vifitatoren für Die außer dem oben
bezeichneten Trivium etwa eingefchwärzten Gontrebande , fie waren
nur die Zuthat aller der Lehrer, denen es fchwer fiel, noch in
ihrem Alter die franzöftiiche Sprache zu lernen und in derjelben
zu lehren. Auf ihren jährlihen Rundreiſen fpielten fie eine ver-
bafte, oft auch eine fehr laͤcherliche Rolle.
Daß die franzöfiiche Regierung das Emporkommen ber Gle
mentarjchule in Feiner Art wollte, ergibt fich endlich auch aus dem
gänzlihen Mangel an Unterftüßung, durd welche fie jowol aus
Staatöfafien, als durch die Gemeinen ihnen hätte aufhelfen
fönnen. Von den erfteren findet fich gar Fein Beiſpiel, eben jo
wenig, als auch nur in einem ihrer Decrete ben Gemeinen dide
Verpflichtung wäre nahe gelegt worden. Ja, was noch mehr if,
fie nahm felbft diefen Schulen ungejcheut Die vorhandenen Mitte,
jobald dieſe nur irgend unter einem Titel als ehemaliges Klofter:
oder als Kirchengut angejehen werden konnten, und indem fie die
auf biefe Art beraubten Schulen an die Gemeinen verwies, war
ed ihr gleichgültig, ob biefe den ihnen übertragenen Verpflichtungen
genügten oder nicht. — Was endlich dieſer verderblichen Ginmir-
fung ber Napoleonifchen Regierung auf die Schulen ber Rheiniſchen
Provinzen die Krone auffepte, war die geiftige Douanerie, bie
— 183 —
literariſche Rheinſperre, wodurch alle geiftige Berührung der beiden
Rheinufer aufgehoben wurde, um den Zweck der Entdeutjchung
der Provinzen um fo leichter zu erreichen. Auf die Elementar-
ſchulen bat Diefe Gejchiedenheit von dem jenfeitigen Deutfchlande
einen um ſo nadhteiligeren Einfluß gehabt, weil gerade in der
Epoche ihrer Dauer die mächtigen Kortjchritte in der neuern Me⸗
thodik des Elementarunterrichts gemacht find, wovon diesſeits
nicht8 oder nur einzelne Fragmente bekannt wurden, aus Denen
fih Fein Ganzes zuſammenſetzen ließ. — Dad Ganze war freilich
über alle Bejchreibung ſchlecht und entſprach vollfommen den
Grundfäßen, aus deuen e8 hervorgegangen war. Viele Gemeinen
waren ohne allen oͤffentlichen Unterricht. Zum Teil hielt die Armut
und ber Drud des Krieges fie Davon zurüd, zum Teil fühlten fie
auch das Bedürfnis nicht. An vielen Orten, wo der Vicarius
zugleih zum Schulhalten verpflichtet war, fehlte- diefer entweder
ganz, oder feine Verpflichtung war in Vergeßenheit geraten. In
die Stelle des mangelnden öffentlichen Lehrers zog dann, etwa im
November, von einigen Kamilien gedungen, ein wandernder Schul-
meifter ein, eröffnete jeine Bude auf irgend einer Scheuntenne,
wo denn abwechjelnd bald Korn, bald Kinder gedrofchen wurden,
und feßte, jedoch mit Zurüdlaßung feiner Heerde, beim Anbruch
des Frühlings feinen Nomadenftab weiter. Acht Monate im Sabre
übte fi die Hoffnungsvolle Jugend im glüdlichen Vergeßen des
Belernten und erwartete gegen den Winter einen neuen Hirten,
der fie wieder auf eine andere Weide führte Das ift ein treues
Bild der Dingfchulen, wo fie in den ärmlichen Gegenden der Eiffel,
des Hundrüdd und der Ardennen faft überall gefunden wurden.
Nicht viel erfreuliher war der Anblid der ftehbenden Schulen in
den weniger armen Gegenden. Auch in ihnen ward nur etwa
5 Monate im Jahre unterrichtet, auch in ihnen zog der Lehrer
von Haus zu Haus, oder wenn er ja ein eignes Schulhaus be⸗
ſaß, jo trieb er in einem engen, niedrigen, dumpfen, faſt vers
pefteten Zimmer bie Kinder des Dorfs mit feinen eignen zufammen ;
jedes vertrieb fich, fo gut es Fonnte, Die Zeit, und ging, wenn Die
Schule vorüber war, wieder zu Haufe; dann war es zur Schule ges
weien. — Daß nicht alle Schulen diefer Provinzen, Daß nicht
11*
— 164 —
alle Lehrer derſelben biefem Bilde entſprachen, Tag in der Natur
der Sache und in mancherlei günftigen Verhältniffen, die ſich an
dem einen Orte mehr, an dem andern weniger fanden.
In dem Generalgouvernement des Niederrheing waren auf
eine Bevölkerung von 1,129,000 Seelen etwa 180,000 ſchul⸗
fähige Kinder zu rechnen. Dieſe hätten, mit Ausſchluß aller höheren
und Specialfehulen, wenigftend 1800 &lementarfchulen bedurft;
dennoch gab es der leßteren im ganzen Gouvernement nur 1270
und nur etwa 7200 Kinder befuchten wirklich den öffentlichen Un:
terriht. An Gollegien des zweiten Grades wurden 12, des erften
Grades 2 gezält. Außerdem beftand zu Lüttich ein Lyceum und
eine Jogenannte Academie. Un Kunſt- und anderen Specialjhulen
fand fih, außer einer Handlungsjchule zu Brühl bei Göln, in
dieſem Gouvernement nichts vor; ein Privat-Taubftummeninftitut
von 3 BZöglingen war zu Greveld. In dem Generals®ouvernement
des Mittelrheins betrug die Bevölkerung gegen 500,000 Seelen
mit etwa 80,000 jchulfähigen Kindern. Anftatt der für dieſe er
forderlihen 800 Elementarjchulen wurden nur etwa 570 gezält,
in allen Schulen zuſammen Taum 32,000 Kinder. Gollegien dei
zweiten Grades fanden fi 3, des eriten Grades 2; das Lyceum
zu Bonn war nad Frankreich gewandert und ein Gollegium an
feine Stelle getreten. Spuren einer Academie zeigten fidh in der
Rechtsſchule zu Coblenz. Alle dieſe Anftalten litten mehr oder
weniger an großen Gebredhen. Zu deren Abftellung eilte der
Beneralgouverneur den Plan zu entwerfen, Die dee anzugeben
und wälte zu ihrer Ausführung Männer von erprobter Umfidt,
Sachkenntnis und Thätigkeit. Dieſe zu gewinnen war feine erſte
Sorge. Für das Gouvernement des Mittelrheind Hatte er den,
von feinem Vorgänger in der Verwaltung, dem Generalgouver⸗
neur Gruner, bereits angejtellten Director des öffentlichen Unter
richts, den Dr. Görres zu Goblenz übernommen, und in biejer
Eigenſchaft beftätigt. Auch für das Gouvernement vom Nieder
Rhein fand er einen, dem Geſchäfte vorzüglich gemachjenen Mann
in der Perfon eines Dr. Grashoff , der 20 Jahre ang in den
altpreußifchen Provinzen als Schulmann gedient hatte, zulept ald
Rector des Gymnaſiums zu Prenzlau zugleich mit feinen erwachlenen
Böglingen dem Rufe des Vaterlandes gefolgt war, und jebt mit
dem Hauptquartier ded Dritten Armeecorp8 durch das Rheinland
zurüdtehrte. Der Generalgouverneur nahm feine ihm angebotenen
Dienfte an und ernannte ihn zum proviforifchen Director des
öffentlichen Unterricht3 für die Provinzen des Niederrheind. Beide
Ernennungen brachte er in einer Bekanntmachung v. 24. Juli 1814
zur Kenntnis des Publikums, in der zugleich jedem der Directoren
fein Geſchaͤftskreis überhaupt und Die nächften Verpflichtungen an
denſelben insbeſondere angewieſen wurden.
Die in eben dieſer Bekanntmachuug verheißenen Schul⸗
inſpectoren wurden ſpäterhin, und wo es während des Laufes
dieſer Periode der Gehülfen bedurfte, durch Diätarien erſetzt, da
e8 fchwer hielt, Männer zu finden, denen mit einigem echte Die
Ausfiht auf eine Fünftige definitive Anftelung in dieſem Fache
gegeben werben konnte, am wenigften im Generalgouvernement des
Niederrheind, wo neben dem proteflantijchen Director notwendig
ein katholiſcher Inſpektor hätte ftehen müßen. Im Gouvernement
des Mittelrheind, defjen Bezirt nur etwa Die Hälfte von jenem
umfafte, wurde die Notwendigkeit eines Inſpektors weniger drin⸗
gend gefühlt.
Die nächfte Aufficht über die Elementarjchulen wurde zwar
den Ortsbürgermeiſtern nicht genommen, jedoch wurde, indem ber
Beneralgouverneur den Pfarrern gleiche Rechte eincäumte und
diefe öfters und in fpeciellen Fällen zu Vollftredern feines Willens
machte, zwiſchen beiden Behörden die Verteilung dieſes Einfluſſes
allmählich dahin eingeleitet, daß jenen mehr die Sorge für die
äußeren, dieſen mehr die Sorge für die inneren Verhältniffe der
Schule blieb. Durdy eine eigentliche Verordnung konnte indeſſen
diefe Abficht noch nicht allgemein ausgefprochen werden, weil fie
nicht überall anwendbar war, und die nähere Inſtruction Darüber
einer allgemeinen Schulordnung für das ganze Land vorbehalten
werden mufte Für die höheren Unterrichtsanftalten beftanden
zum Teil noch aus der früheren Periode Schulverwaltungen, deren
Begenftand jedoch mehr die Äußeren Verhältnifje, ald das Wißen⸗
Schaftliche der Anftalten betraf. In dieſer Beſchränkung wurden
fie auch beibehalten, jedoch an den meiften Orten entweder teils
— 16 —
weife oder ganz umgefchaffen. Das innere Diefer Schulen nahmen
die genannten beiden Directoren unter ihre unmittelbare Aufſich.
Mittelbehörden konnten in dieſer Periode weder für bie
höheren noch niederen Schulen eingerichtet werden, Da der ihnen
anzumweifende Wirfungsfreis erft mit der Feſtſetzung allgemeine
Reorganifationggrundfäße eine eigentliche Bedeutſamkeit erhielt und
fie bi8 dahin nur unnüß Ddageftanden haben würden. Zur Rege
lung der zeitlichen Verhältniffe der Schulen wurden Die allge
meinen Kreid- und Kantonsverwaltungsbehörden als ſolche benußt,
indem man diefe in vorfommenden Fällen mit der Ausführung
allgemeiner Maßregeln beauftragte.
Sin zweiter wefentliher Punkt, der nad Feftftellung der
oberen Schulbehörden berüdfichtigt werden mufte, um burd ihn
eine fefte Grundlage der beabfichtigten Reorganifation der Schulen
zu gewinnen, war die Erwerbung einer möglichft genauen und vol;
ftändigen Kenntnis von dem Zuftande der Schulen, der Beſchaffen⸗
beit der Xehrer, der vorhandenen Hinderniffe der Schulverbeßerung,
ihrer Beförderungsmittel u. |. w. Dieje war auf einem doppelten
Wege zu erlangen, fchriftlih und mündlich, durch Berichte und
durch eigene Anficht. Der erftere Weg fonnte zwar eine geordnetere
und vollftändigere Ueberficht in Ffürzerer Zeit gewähren, allein et
war dafür in vielen Fällen weniger ficher und mufte, allein ge
nommen, notwendig zu Srrtümern führen. Es wurde baburd
notwendig beide Wege zugleich einzufchlagen, und nur durdy ihte
Verbindung war ein möglichft fichered Reſultat zu gewinnen.
Dies veranlafte daher den Generalgouverneur in der Be
fanntmachung von 24. Juli im Allgemeinen und Durch) eigene
Schriftliche Suftruftionen im Bejonderen die beiden Directoren bei
öffentlichen Unterrichtd fowol mit der Entwerfung allgemeiner, dad
Schulweſen betreffender Fragen, durch deren Beantwortung eine
genaue und vollftäudige Ueberficht von dem Zuſtande ſämmtlicher
Schulen des Landes gewonnen werden konnte, als auch mit der
Erwerbung einer eigenen Anficht und Kenntnis des von ihnen ju
bearbeitenben Bodens durch Bereifung der wichtigften Orte ihrer
Directionsbezirfe zu beauftragen. — Tie auf diefem Wege a®
wonnenen tabellarifchen Ueberfichten dienten zugleich zum Belege
— 167 —
er.im Ganzen fehr traurigen Lage des Schulwefens diefer Pro-
ingen. Sie zeigten, Daß: von der zum minbeften erforderlichen
‚al der &lementarfchulen, auf je 100 jchulfähige Kinder eine
schule gerechnet, nur etwa ?2/; wirklich befanden, Daß daher
enigftend '/; der Gemeinden gar Feine öffentlichen Schulen hatte;
aß von den vorhandenen fehulfähigen Kindern vom 6. bis 14. Jahre
ar %/, eine Öffentliche Schule bejuchten, %, aber von einem wan-
enden oder einem Winfellebrer abgerichtet wurden, oder ganz
5 aufwuchſen; daß nur wenige als volllommen tüchtig, dagegen
ele als geiftig ſchwach und unbrauchbar angejehen werden Eonn-
n, und daß unter den vollkommen brauchbaren wenigftend %,,
roteftanten waren. Sie zeigten ferner, Daß nur etwa 7/,, der
ftehenden Schulftellen einer Wohnung fich erfreuten, von Denen
zerdies noch ein großer Teil mehr dem Küfter- ald dem Schul-
nte angehörte, daß nur etwa 4/, derjelben mit irgend einem ge-
öhnlich ganz unbedeutenden figen Gehalte dotirt war und Daß
ıf 1000 Schulen nur etwa 60 ald abgejonderte Mädchenjchulen
rechnet werden fonnten.
Auch der zweite, den beiden Directoren gegebene Auftrag,
re Diftricte zu bereifen und Durch eigene Anſicht Stoff zur Be⸗
;beitung für ihre Zwecke zu fammeln, wurde zum Teil noch in
mjelben Jahre erledigt. — Nachdem nun auf dieſem doppelten
jege eine genauere Kenntnis des zu bearbeitenden Stoffes ge-
onnen, ein großer Teil der Materialien für den neuen Bau be
it3 gefammelt war, kam es darauf an, einen den Localverhälts
fen angemeßenen Plan zu entwerfen, um wenigftens Das Funs
ıment bald möglichft legen zu Eönnen. Auch Died Gejchäft wurde
m Director des Niederrheind übertragen, in deſſen Händen Die
eiften Materialien dazu fi) gefammelt fanden. Um jedoch ſowol
infeitigfeit zu vermeiden, ald auch den, aus Unkunde des Bo-
nd etwa zu befürchtenden Mißgriffen vorzubeugen, gab ber
jeneralgouverneur demſelben auf feinen Antrag 5 Gehülfen ale
titglieder einer Kommilfton, Die unter feiner Leitung arbeiten,
ıd nach gemeinfamer Beratung den verlangten Plan anfertigen
Üten. Als Mitglieder dieſer Kommijfion waren zwei Fatholijche
eiftlihe aus dem Bergiſchen herüberberufen, wo das Schulmelen
— 168 —
ſchon früher einen höheren Grad der Volllommenheit gewonnen
hatte, als auf dem linken Rheinufer. Der Generalgouverneu
glaubte zugleich auf diefem Wege durch Verſchmelzung der auf den
beiden Rheinufern herrjchenden Grziehungsgrundfäße den Grund
zu einer Verſchmelzung der beiden Nationen felbft zu legen, bie
fünftig, wie es damals immer wahrfcheinlich war, unter einen
Reiche vereinigt werben jollten.
Die Kommiffion fing ihre Verhandlungen am 19. December
an, und reichte dad Protocol derfelben ſchon unter dem 30. em,
in welchem die Hauptgrundjäße einer Reorganifation des Elm
tarfchulwefend diefer Provinzen fi) entwidelt fanden. Man hatte
darin vorzüglich die zunaͤchſt zu berüdfichtigenden äußeren Berbält
-niffe ind Auge gefaft, Die inneren nur furz berührt, und ber
Auseinanderfegung fünftigen Verhandlungen vorbehalten, wenn die
Schulen felbft erft äußerlich begründet fein würden. Nur dad
Elementarjchulwejen jollte Gegenftand der Beratfchlagung für biek
Kommilfion fein, nur dieſes ganz rein, ohne Vermiſchung mit
Fremdartigem , dargeftellt zu jeben, darauf war auch ſelbſt die
Wahl der Mitglieder berechnet. — Gleich die erfte Bekann—
madhung vom 16. Juli 1814, in welcher der Generalgouvernen |
zwifchen napoleonifchen und deutſchen Grziehungsgrundfägen bie
Parallele zog, in welcher er feine Abſicht — die Schulverbeßerung
— zuerft zur Kunde des Publikums brachte, in welcher er alk
eblen und aufgeflärten Männer des Volks zur Unterflügung auf
forderte, gab einen höchft erfreulichen Beweis von dem, was er
leiften wollte," und Die gute Aufnahme diefer Bekanntmachung
zeigte, weldy einen fruchtbaren Boden der ausgeſtreute Samen
gefunden Hatte,
Bon allen Seiten her, vorzüglich aber aus dem Roerdepar
tement, am allerwenigften aus den wallonifchen Provinzen, ge
langten Dankffagungen an ihn für diefes tröftende Wort und mir
unter vol reiner Gutmütigkeit und ebler Freimütigkeit. — Doqh
konnte der Verfolg im Laufe diefer Periode den Grwartungen,
welche der Anfang erregte, weniger entfpredyen, und ſelbſt der
Eifer der Behörden wie die Teilnahme des Volkes muften er
falten. Denn wenn die Natur eines pro viſoriſchen Zuſtandes on
— 169 —
fi) ſchon allen den Verbeßerungen ungünftig erfcheint, wobei ed
auf Gefinnung, wobei e8 auf den guten Willen des Volkes an-
fommt: fo muften die Beichen immer ungünftiger, der Einfluß
immer nachteiliger werden, je mehr Die Umftände eine lange Dauer
dieſes Zuftandes geboten! ja die Arbeit mufte ganz in ihrem Laufe
til ftehen, als auf einmal die Fadel des Krieges fich wieder
entzündete, den Kern des Volkes zu den Waffen rief, und an
der endlichen Erſcheinung des lang erjehnten, feften, ruhigen Zu⸗
ftandes der Dinge faft verzweifeln ließ. — Der den Pfarrern
wiebergegebene,, wiewol durch den Staat gehörig begrenzte Ein-
fluß auf ihre Schulen wirkte fehr wolthätig auf ihre Befinnung,
wovon ber Generalgouverneur, zumal ſpaäterhin, jehr viele und
unzweideutige Beweije erhielt. Am meiften fand er jedoch Unter:
ftüßung bei den Pfarrern auf dem Lande und in foldhen Städten,
wo nur ein Pfarrer allein fand. In den größeren Städten, in
den Paftoralcollegien bildete fich leichter ein widerftrebender Cor⸗
porationdgeift, der es einzelnen wolgefinnten Mitgliedern nicht
geftattete, fich öffentlich für Die gute Sache zu befennen. Doch
ward ein folder Widerftand durch Bebarrlichkeit auf einem als
richtig anerkannten Grundſatze bald überwunden. Es hatte nems
lid der Misbrauch des Lateinlehrens felbft in den kleinſten Ele
mentarjchulen, woburd die Begenftände bes eigentlichen Elemen-
tarunterrihtd ganz aus denſelben verbannt und Eingriffe in bie
Rechte der höheren Schulen verurfacht wurden, die Veranlaßung
gegeben, diefen Unterricht in den niederen Schulen der drei größern
Städte Coͤln, Lüttich und Aachen, welche bereit neue und gute
Gymnaſien erhalten hatten, ganz zu verbieten. Das Collegium
ber Pfarrer einer dieſer Städte wendete dagegen die ihnen ge
bührenden und nur durch Dig franzöfifche Herrichaft ihnen gewalt-
fam entrißenen Rechte ein, nicht allein die Elementarfchulen zu
befegen, ſondern auch deren Lectionsplan einzurichten, aus welchem
fie das Latein ungern verdrängt fehen würden. Dagegen wurbe
ihnen bewiefen, daß die Anmweifung des Jugendunterrichts an bie
Fürforge des Staated eines der wolthätigften Zeichen der Zeit fei,
und daß gerade ber preußifche Staat dieſes Recht am wenigften
veräußeren, noch weniger mißbrauchen werde, wie dies wol unter
— 1710 —
einer früheren Regierung gefchehen fein Tönne. Das Verfügte
blieb in feiner Kraft und von feiner Seite find Dagegen femere
Einwendungen erfolgt. — Hinfihtlih der wirklichen Verbeßerung
des Elementarſchulweſens Tonnte vorläufig natürlich nur wenig
gefhehen. Mehrere Fonnte nur im Plane aufgefaft und vorbe
reitet werden. Die äußeren temporellen Berhältniffe dieſer Schulen
betreffend ift dahin zu rechnen eine unter dem 26. Januar 1815
an ſaͤmmtliche Gouvernementsfommilläre erlaffene Verordnung, bei
der Revifion der Gemeinde Buchöts überall, wo und inwieweit
es die Umftände nur irgend erlaubten, auf ein dem Scullehre
auszumerfendes fixes Gehalt Rüdficht zu nehmen; auch darauf zu
jehen, daß jeder derfelben eine Wohnung und einen Gartenplap
erhalte. Der Generalgouverneur glaubte. dieſe Angelegenheit um
jo eifriger betreiben und um fo dringender empfehlen zu müßen,
al8 gerade der einzige fihere Grund zu allen innern Schulver
beßerungen zu fuchen war, und die Abficht, das herrfchenbe Uebel
mit der Wurzel zu vertilgen, nur auf diefem Wege erreicht wer
den konnte. Als der Generalgouverneur diefe Verordnung erließ,
ahnete er noch nicht, daß der Krieg für dieſes Jahr alle fein
auf die Bereitwilligkeit der Gemeinden berechneten Pläne vereiteln
folte. — Mehrere Anträge einzelner Schulen, welde bie durch
Einztehung der Klöfter- und Kirchengüter unter franzöfifcher Re
gierung verlorenen Einfünffe reflamirten, oder die Aufhebung des
faiferlichen Decretö verlangten, Durch welches den Gemeinden alle
Rapitalien, welche fie an ihre wolthätigen Anftalten und Schulen
verfchuldeten,, erlaßen wurden, wie auch alle Geſuche reformirte
Lehrer aus den chemaligen preußijchen Provinzen dieſes Gouverne⸗
ments, welche Unterftügungen aus ber Kaſſe des montis pietatis
oder aus andern Staatsfaffen gezogen hatten, muften an eine
fünftige definitive Organifation diefer Provinzen verwiejen wer:
den, da die Natur eines proviforifchen Zuftandes nicht dazu ge
eignet war, fie zu erledigen. Nur in einzelnen Fällen war es
erlaubt, dem bdrüdendften Elende unter den Lehrern durch Unter
flügung aus Landeskaſſen beizufpringen. Mehr als für das Aeupere
wurde damals, auch felbft während der Kriegsrüftungen , für dad
Innere der Elementarſchulen, für die Nachhülfe der beftehenden,
— 171 —
für den Unterricht der angehenden Lehrer geleifte. Der durch
mehrere dahin abzwedende Verordnungen erregte Siun für das
Beßere konnte auch feine Einwirkung auf dieſe nicht verfehlen;
fie wurden auf fich felbft aufmerfjam gemacht, mehrere Pfarrer
nahmen fi ihrer und der Schulen an, und fo kehrte wenigftens
eine gewifje Ordnung und Regelmäßigfeit in biefelben zurüd, die
bis dahin fo gut als verſchwunden war.
An einer eigentlihen Bildungsanftalt für Glementarfchul-
lehrer fehlte e& faft überall; nur das Rhein» und Moſeldeparte⸗
ment batte eine fogenannte Normalſchule, auf 45 Böglinge be-
rechnet; allein diefe reichte für dieſes Departement nicht hin, aud
zeigte fi) in ihr wenig Bekanntſchaft mit den Fortſchritten der
neuen Methodit. Im Wälderbepartement fehlte eine foldye Anftalt
ganz; auch war nicht abzufehen, durch wen dort auch nur einiger
Erſatz für dieſen Mangel hätte bejchafft werben können. Im Roer⸗
bepartement bot fih eine günftige Gelegenheit dar, wenigſtens für
ben Kreis Cöln und fpäterhin auch für den Kreis Aachen 4 bis
6 wöchentliche Uebungscurfus zu eröffnen, Deren Abficht vorzüglich
dahin ging, die beftehenden jchwächeren Lehrer mit Den beßeren
Methoden im Leſen, Rechnen und Schreiben wie mit Dem eigents
lich Elementarifchen des Unterrichts überhaupt bekannt zu machen,
Der fehr wadere Vorfteher der Handlungsfchule zu Brühl
bei Coͤln und drei feiner Gehülfen erboten fich mit einer rühm-
lichen Uneigennüßigfeit für dergleichen Uebungscurſe einen Zeil
ihrer Beit und ihrer Kraft zu verwenden; weshalb die Bekannt⸗
mahung vom 18, Auguft und 7. November 1814 teild die Uns
fündigung diefer Curſe, teild die Nefultate der erfteren und die
Fortjegung und Erweiterung derſelben lieferten.
Am Laufe der nächftfolgenden Jahre wurden brei folche Curſe
zu Brühl gehalten und in ihnen 73 Lehrer, gröftenteild von
Landſchulen, mit mehr oder minder glüdlichem Erfolg unterrichtet.
MWenigftens wurde in ihnen Allen die Heberzeugung gegründet, Daß
ed außer dem, was fie bisher in ihren Schulen allein für Unters
richt gehalten hatten, noch etwas Anderes und Beßered gebe,
welches erftrebt zu werben verdiene. Jeder von ihnen trug ein
Samenkorn dieſes Beßeren mit fich zurüd in jeine Umgebung.
— 172 —
Durch zweckmaͤßige Schulbücher, welche den Teilnehmern an digen
Mebungscurjen aus der Staatöfaffe zur Aufmunterung bewilligt
wurden, wurde das Bebeihen der Schulen noch mehr befördert.
Durch diefes Inſtitut wurde Die Bahn gebrochen, und wenn
auch einzelne Gemeinden mit ber neuen, von ihnen jogenannten
preußifhen Lehrart fi) wegen mandherlei Vorurteile nidt
befreunden Eonnten, fo freuten fich Dagegen Andere des guten Er
folgs, und aus den nördlichen Kreifen wenbeten fich Pfarrer und
Gemeinden an das Gouvernement mit dem Geſuch, aud ihre
Lehrer an diefen Orten Teil nehmen zu laßen. Se mehr bie
ganze Sache eine Angelegenheit des Volkes wurde, um fo mehr
durfte auf Die Teilnahme desſelben bei einer allgemeinen Reorgani
fation des Schulweſens gerechnet werden, und dahin war bie ganje
Abficht gerichtet.
Indeſſen mufte es in biefer Periode bei dem, mas biete
Mebungscurfe bewirkt hatten, Bleiben; — an eine weitere Aus⸗
dehnung war bei dem wieder angefangenen Kriege nicht zu denken
und die Errichtung bleibender Seminarien durfte keineswegs über:
eilt werben. Gben fo wenig konnte man jegt ſchon daran denken,
den Glementarfchullehrern eine ausführliche Inſtruktion vor
fchreiben, für deren Anorbnung nur wenige unter ihnen rei
genug waren.
"Mit vorzüglicher Anerkennung ift noch eine, feit dem Un
fange des Jahres 1815 in Goblenz entflandene Peſtalozziſche
Lehranftalt zu erwähnen, die freilich anfangs mit vielen Vorur
teilen zu kämpfen hatte, aber durch bie Beharrlichkeit ihres Um
ternehmerd und durch den binnen Kurzem fich zeigenden Gontraf
in den Nefultaten dieſer und anderer dortiger Schulen bald dad
Butrauen des Publitums gewann und fehon nach) wenigen Jahren
in voller Blüte fand.
Als nah den blutigen Tagen von Belle Alliance und
Waterloo der Friede abermals hergeftellt war, wurbe ber Umfang
beider rheinischen Gouvernementd bedeutend vermindert. Gin
Strich an der Maas hinauf und das ganze wallonifche Land nebt
einem beutfchen Anteil des MWälberbepartements ging an Belgien
verloren, und nur etwa ein Dritteil des Verlorengegangenen wurde
— 173 —
auf dem rechten Mofelufer wieder gewonnen. Außer dieſem neuen
Beftandteile blieb von dem vormaligen Umfange nur das ehema-
lige Roerdepartement mit 720,000 Seelen; auf diefe kamen etwa
120,000 jchulfähige Kinder, von denen aber nur 50,000 den
öffentlichen Unterricht befuchten, für welchen 820 Glementarfchulen,
8 Gollegien und 2 Öpymnafien gezält wurden. Die beiden De-
partenıent3 der Saar und Rhein und Mofel hatten fchon unter
franzoͤſiſcher Herrichaft über 1000 Elementarſchulen, 5 Gollegien
bed zweiten, 2 bed erften Grades und ein Lyceum; Doch mögen
in der Zal der Elementarſchulen wol alle Diejenigen mitgerechnet
worden fein, welche als öffentliche Schulen gar nicht anerkannt
werben konnten. |
Was nun die zur Verbeßerung des Schulwefens im Allge⸗
meinen in dieſer Periode getroffenen Weranftaltungen betrifft, fo
gehört dahin zupörberft die Anordnung von Lofalfchulbehörden,
welche dag Schulweſen der einzelnen Gemeinden an Ort und
Stelle zu leiten und die wolthätigen Abfichten der Regierung nach
den Ortöverhäliniffen in Ausführung zu bringen beftimmt waren.
Sie hatten zuerft nur im Roerdepartement eingerichtet werben
fönnen. Die Einleitungen zur weiteren Vorbereitung waren zwar
ſchon früher getroffen worden, indefjen verzögerte die Wahl brauch-
bärer Kommiffarien, welche unter der Leitung des Directors Kleinere
Diftritte bearbeiten und daſelbſt die Vorftände zwedmäßig ein-
richten konnten, die Ausführung, und erft unter dem 10, Dec. 1815
konnte in einer Bekanntmachung das Publitum officiel davon in
Kenntnis gefeßt werden, indem folgende
Snftruftion für die
Schulorganifations-Kommiffarien zur Einrichtung
der Lofalfhulvorftände
publizirt wurde:
„Nachdem bis zur definitiven Organifation des gefammten
Schulweſens dieſer Lande für jeden der jeßt beftehenden Kreiſe
des Roerdepartements ein fatholifcher ſowol als proteftantijcher
Schulorganifationsfommifjarius ernannt und jedem berjelben eine,
den Umftänden nad) ermäßigte Anzal von Behülfen beigegeben ift,
— 14 —
haben alle dieſe Kommifjarien, außer den von ber Oberbehoͤrde
ihnen noch beſonders aufzutragenden Geſchaͤften, zunächft und vor
züglih auf eine zwedmäßige Einrichtung der Lokalſchulvorſtaͤnde
ihr Augenmerk zu richten, wobei ihnen folgende Grundfäge zu
Richtſchnur geftellt werben:
1) Seder Hauptlommilfartus verteilt den ihm übertragenen
Kreis zwilchen fi und feinen Gehülfen, wobei möglichft zu ver
meiden ift, daß weder die Bürgermeiftereien noch die Pfarreien
zerfchnitten werden. Auch ift die Trennung nad) den Fünftigen
Regierungsbezirken ſchon jetzt überall zu berüdfichtigen.
2) Für die Leitung und Ausführung des ganzen Geſchäftes
bleibt der Hauptlommifjarius jelbft verantwortlich, ohne daß je
doch das Verhältnid zu feinen Gehülfen ein anderes fei, als eine?
primi inter pares.
3) Alle höheren Schulen, ebenfo alle Städte von ober über
5000 Einwohner bleiben von dem Organiſationsgeſchaͤfte dieſer
Kommifjarien ausgeſchloßen. Die gedachten Städte erhalten ihre
bejonderen Schulfonmiffionen.
4) Nachdem die Verteilung gejchehen und einzelne Bezirke
gehörig abgegrenzt find, entwirft jeder Kommifjarius ſich zunaͤchſt
ein genaues Verzeichnis aller Schulen feines Bezirks und feiner
Konfeffion, wohin denn auch alle die Derter zu ziehen find, welde
noch feine Schule haben, aber nach ihrer Größe und Lage fie
haben müßen. Bei jedem Orte muß bemerkt fein, zu welde
Pfarri und zu welcher Bürgermeifterei er gehöre.
5) Ueber die Verhältniffe eines jeden Orts und einer jeder
Schule feined Bezirks fucht der Kommifjarius fi) durch mündlide
und jchriftliche Verhandlungen mit anerkannt rechtlichen , einfidt%
vollen und unparteiifchen Männern in genaue Kenntnis zu jegen,
auch vorzüglich der Gefinnungen und der Teilnahme aller dera
fich zu verfichern, von denen die meifte örtliche Ginwirkung anf
die Schulen zu erwarten ift.
6) In allen Dingen, worüber die refpeftiven Kantondtom
miffarien und Bürgermeifter nad) der ihnen beimohnenden Kenntaid
dem Kommiffarius die ficherfte Auskunft geben können, darf er
auf deren DBereitwiligfeit und Mitwirkung rechnen, auch ei
— 175 —
Gleiches von feinen reipeftiven Amtsbrüdern, den Ortöpfarrern
erwarten,
7) Nachdem der Kommiſſarius von den in ſeinem Bezirk
liegenden Schulen genaue Kenntnis eingezogen bat, ſchreitet der⸗
jelbe zu der Wahl der Lofalfehulvorftände nach den in folgenden,
Paragraphen enthaltenen Grundjägen.
8) Ueberall, wo der Sitz eined Pfarred oder eines Bicarius
ft, wird aud ein Schulvorfland erwält, unter deſſen unmittel-
barer Auffiht alle Schulen derjelben Konfeſſion, die zu dieſer
Pfarrei oder Vicarie gehören, ftehen.
9) Diefer Schulvorftand wird auch felbft dann an dem ge-
nannten Orte erwält, wenn derjelbe noch Feine Schule haben follte;
es müfte denn fein, daß er wegen jeines zu geringen Umfanges
auch feine erhalten Eönnte und Die Schulen fid) auf einem Filial-
oder eingepfarrten Orte befänden. In Diefem Falle ift der Si
des Schulvorftandes an-diefem Schulorte. |
10) Hat ein Drt mehrere Pfarrer derjelben Konfejfion, fo
behält er deswegen Doch nur Einen Schulvorftand.
11) Hat ein Ort mehrere Pfarrer verſchiedener Konfeſſion,
aber nicht für jede Confeſſion eine befondere Schule, jo haben
fie auch nur einen gemeinfchaftlichen Schulvorftand, wenn nicht
etwa $. 9 auf Die eine oder andere Konfeſſion anwendbar ift.
12) Hat ein Drt mehrere Pfarrer und Schulen verfchiedener
Konfeffion, jo erhält in der Regel jede Konfeſſion ihren befonderen
Schulvorftand unter der Leitung eines bejonderen Kommiſſarius.
Sollte aber eine Vereinigung unter demjelben Vorſtande von bei-
ben Seiten gewünjcht werden, jo haben die beiden dahin gehörigen
Kommiſſarien fich Darüber mit einander zu benehmen und die Ein-
leitung gemeinschaftlich zu treffen. Die erften Anträge gejchehen
von dem Komifjarius derjenigen Konfefjion, weldhe an dem Ort
die meiften Schüler oder jchulfähigen Kinder bat. Die Vorjchläge
bei der obern Behörde müßen aber von beiden Kommiljarien uns
terzeichnet fein.
13) Wejentlihe Mitglieder eines jeden Schulvorftandes find
1. der Pfarrrr des Orts oder der PVicarius desſelben. 2. der
DBürgermeifter oder an jeiner Stelle ein Mitglied des Gemeinde-
— 1716 —
rats. 3. Ein Familienvater für jebe unter dieſem Borftande fe
bende Schule, der aus dem Orte, wo dieſe Schule ift, und aus
der Konfeifion, weldyer fie — wenn dies überhaupt der Fall if
— ausfchließend angehört, genommen jein muß.
14) Gehoͤrt ein Ort, der eine Schule, aber feinen eigenen
Schulvorftand bat, unter eine andere Bürgermeifterei, als ber
Ort, wo ber Schulvorftand ift, jo muß jeder, außer einem Fe
milienvater, auch noch ein Mitglied feines Gemeinderates zu bem
Sculvorftande ſenden; doch Fönnen beide in einer Perſon ver
einigt fein.
15) An einem Orte, der eine Schule, aber feinen Schul
vorftand Bat, bildet der zum Schulvorflande ermwälte Deputirte
einen Untervorftand für Diefe Schule, der in dringenden Fällen,
nach den ihm befannten Brundfägen des Obervorftandes , in An
gelegenheiten feiner Schule entjcheibet. Zu Diefem Ende werben
ihm noch zwei Beifiger aus der Zal der Familienvaͤter gegeben,
die aber feinen Sig im Oberſchulvorſtande haben.
16) Andere, in dem Bezirke des Schulvorflandes mwohnende,
aber unter feinem der vorigen Titel Dazu gehörigen Perjonen,
welche fi) durch Kenntnis des Schulweſens und Durch Teilnahme
an den Fortjchritten desſelben auszeichnen, koͤnnen von dem Schub
vorftande in vorkommenden Fällen zu Rate gezogen, auch ald
Ehrenmitglieder zu den Sigungen eingeladen werben. Wo aber
dergleichen Männer unter einem ber obigen Titel in den Schulb
vorfland eintreten können, ba werben die Kommifjarien beſonders
auf fie ihr Augenmerk richten.
17) Sind an dem Orte mehrere Pfarrer derfelben Kon
feifion, fo treten fie als Mitglieder in benfelben Schulvorſtand,
und derjenige unter ihnen, welcher am längften im Amte ift, hat
den Vorrang.
18) Wenn die verſchiedenen Konfeffionen an einem und dew
felben Orte nur Einen Schulvorftand haben, jo gehören aud ihre
refpectiven Pfarrer, als ſolche, zu demfelben; ber Vorrang wedlel
jedoch unter den älteften Pfarrern der verfchiebenen Konfeffionen.
19) Sind an einem Orte mehrere Schulvorftände verſchie
dener Konfeffion, fo treten fie doch in allen Fällen, wo von Ar
— 1717 —
gelegenbeiten der ganzen Gemeinde die Rede ift, zufammen, ober
enden ihre Deputirten zu einer bejondern Beratjchlagung.
20) Sämmtlihe Mitglieder des Schulvorftandes befleiden
diefe Stelle als Ehrenamt; der Pfarrer oder Vicarius, jo lange
er, als folher, am Orte iſt; die übrigen Mitglieder verpflichten
fi auf mwenigftens drei Jahre, nad) deren Verlauf fie durch an-
dere erjeßt werden Fönnen.
21) Unter den eigentlihen und wefentlihen Mitgliedern
des Schulvorftanded wird von Seiten der Kommillarien einer als
Dirigent in Vorjchlag gebracht, doch aber zugleich ein zweiter nächft
ihm bezeichnet, der im Verhinderungsfalle des erfteren eintritt.
Der Dirigent verfieht fein Amt ein Jahr lang, worauf eine neue
Wal flatt hat.
22) Jeder Schulvorſtand wält aus feiner Mitte einen Ges
Eretär, und es Tann auch dieſes Amt jährlich wechjeln.
23) Der Polizeidiener des Orts, oder einer derſelben, dient
dem Schulvorftande zur Aufwartung und zu den nötigen Verſen⸗
dungen; innerhalb des Schulbezirfed werben Boten auf Koften der
Bemeinden genommen.
24) Ueber den eigentlichen und regelmäßigen Beichäftögang
der Schulvorftände wird eine beſondere Snftruftion bearbeitet und
denfelben zur Nachachtung zugeftellt werden.
25) Die Kommifjarien werden ſich bemühen, die erforder-
lichen Notizen aus den zu ihrem Bezirk gehörenden Orten jo bald
als möglich einzuziehen, um ihre Vorjchläge über die Zujammens
ſetzung der Schulvorftände wenigftend gegen die Mitte ded Janu⸗
ars 1816 einreichen zu koͤnnen, doch werden die Kommifjarien vor
Einreichung der Vorfchläge ſich möglichft zu vergewißern juchen,
daß die vorgejchlagenen Mitglieder zur Uebernahme des Amtes
auch wirklich geneigt und bereit find.
26) In zweifelhaften Fälen wendet fich jeder Kommiſſarius
unmittelbar an die Direction des öffentlichen Unterrichts.
27) Jeder Kommiljarius entwirft dieſe Vorfchläge in tabel-
Larifcher Form, wozu ihm die Schemata gedrudt mitgeteilt werden
und fendet fie mit feinen Bemerkungen gegen Mitte des Januar 1816
an den Hauptfommiffarius, welcher fie zufammen, gegen dad Ende
Heppe, Boltsigulweien, 5. 12
— 178 —
veffelben Monats, an die Direction des öffentlichen Unterrichts
einjchict, von der fie an bie Departementöbehörden und von dieſen
an mich zur Betätigung gehen.
Aachen, den 10. ‘Dezember 1815.
| Der geheime Staatsrat und Oberpräfident der
Königlich Preußifhen Provinzen am Rhein.
Sad.
Somwol um die Arbeit jelbft zu beichleunigen, als auch, um
mehrere Arbeiter zu prüfen, auf deren Thätigfeit bei einer bevor:
ftehenden definitiven Organifation des Schulwejend vorzüglich ge
rechnet werben Fönnte, endlich auch, um durch einen ehrenden
Auftrag Diefer Art die würdigften unter den Geiftlichen für de
Sache felbft zu gewinnen und fo möglichft viele Anregungspunkte
für das Beßere in verfchiedenen Richtungen aufzuftellen, wurden
diefer Schulorganifationstommiffarien mehr ernannt, ald es derm
unter andern Umftänden beburft hätte. Es waren 37 katholiſche,
9 veformirte und 2 Iutherijche Geiftliche, welche mit biejer Arbeit
beauftragt wurden.
Für die acht größeren Städte dieſes Gouvernement wurde
an die Stelle der ifolirt ſtehenden Kommifjarien eine Bereinigung
mehrerer, durch Einſicht gleich geachteter, Männer für dienlich
erfannt, welcher als einer das Geſchäft im Allgemeinen leitenden
Schulfommiffion der Stadt die Einrichtung und Befchäftigung der
einzelnen Schulvorftände übertragen werden könnte. Auch dafür
wurde unterm 4. Januar 1816 eine Inftruktion folgenden Inhalts
erlaßen, worauf die Sache felbft in den meiften dieſer Städte
wirklich bald im vollen Gange war.
Anftruftion für Die
Schulfommiffionen in den größeren Städten
des Gouvernements.
„An die Stelle der Schulorganifationsfommiflarien treten
in den Städten, welche an 5000 Einwohner und darüber haben,
Schulorganifationsfommiffionen, welche ebenfalls zuwörderft mit ber
Einrichtung der unmittelbaren Schulvorftände beauftragt fit.
Dieſe Kommiffionen beftehen
— 19 —
1. Aus dem erften Bürgerimeifter der Stadt.
2. Aus dem erften fatholifchen und dem erften proteftan-
tiſchen Geiſtlichen derſelben.
3. Aus dem Director des Gymnaſiums daſelbſt, oder,
wenn kein ſolches da iſt, aus einem angeſehenen und
um dad Schulweſen verdienten Schulfreunde.
4. Aus noch einem andern erfahrnen Schulmanne, Der
zugleich die jchriftliche Verhandlung führt und die
Beſchlüͤſſe vollzieht.
Eines unter diefen Mitgliedern führt das Praͤſidium, worüber
oberfte Behörde der Provinz entſcheidet. Zu den Städten,
Ihe eine Schulkommiſſion erhalten, gehören im Umfange des
erbepartements: Köln, Aachen, Gleve, Grefeld, Neuß, Düren,
pen und Malmedy.
In dieſen genannten Städten treten die unter den obigen
i erften Männern bezeichneten Mitglieder der Schullommilfion
leich zufammen, um das noch fehlende Mitglied Nr. 4 durch
timmenmehrbeit zu wälen und Die getroffene Wal bei dem Ober-
äſidium zur Beftätigung ſofort einzureihen. Sie machen in-
iſchen, bis Dieje erfolgt, Die nötigen Vorbereitungen zur Ein-
htung der Schulvorftände ihres Orts.
Der Wirkungskreis diefer Schulkommiſſionen erftredt ſich
f alle niederen und mittleren Schulen der Stadt.
Die Gymnaſien, im Sinn des $. 3 der Snftruftion vom
. Dezember, ftehen in Hinficht des Innern, Wißenjchaftlichen
r unter der Auffiht der Direction des öffentlichen Unterrichts,
Hinfiht der äußern, temporellen Verhältniffe unter der Auf—
t der Departementalbehörbe, an deren Stelle künftig die Kon⸗
torien und Regierungen treten. Die Aufficht über Die mittleren
chulen führen die Schullommiffionen unmittelbar, jo weit Die
ben überhaupt zum Gefchäftskreife der Mittelbehörden gehörten,
rüber Fünftig Snftruftiouen für Schullommiffionen und Schul
ſpektoren das Nähere beftimmen werben.
Für alle niederen Schulen der Stadt beftehen als
chſte Behörden die Schulvorftände, deren Bufammenjegung
zt von den Schulfommiffionen nach folgenden Grundſätzen zu
12°
— 10 —
entwerfen und bei dem Oberpräfibium zur Beflätigung ein
zureichen if.
1) Hat eine Stadt nit mehr ald hoͤchſtens fünf Pfarre
zirke derſelben oder verſchiedener Konfeffion, fo erhält fie nur einen
Schulvorſtand.
2) In dieſem Falle conſtituirt ſich die Schulkommiſſfion
ſelbſt zu einem ſolchen Schulvorſtande, indem fie die erſten Geif⸗
lichen eines jeden Pfarrbezirks und außerdem noch eine der Zel
der Pfarrbezirke gleiche Anzal ſachkundiger Männer, die teils aus
den Mitgliedern des Gemeinderats, teils aus den Familienvätern
genommen werden, zu ſich heranzieht.
3) Bei der Wal ter letzteren, die von der Schulkommiſſior
böbheren Orts in Borfchlag gebracht werben, ift Darauf zu fehen,
daß von jeder Konfejfion nad) Dem gegenjeitigen Bergättnife ihrer
Schulen geeignete Männer eintreten.
4) Der Prafident der Schulkommiſſion führt das Prafidium
aud in dem Schulvorftande.
5) Die Schullommiffion felbft bildet jedoch immer den engeren
Ausſchuß des Schulvorflandes und an fie bleiben die Verfügungen
der obern Behörden gerichtet; ſowie auch umgekehrt von ihr and
bie Berichte an die obere Behörde gehen.
6) Jeder zu dieſem Schulvorftande gehörige Pfarrer bilde
wiederum für feinen Pfarrbezirf einen Unteroorfland mit Zuzie⸗
bung jo vieler Zamilienväter dieſes Bezirks, ald Schulen in dem
jelben unter feiner naͤchſten Aufficht ftehen, jo daß jede Schule
ihren bejonderen Vertreter erhält.
7) Dieſe Familienväter, die von der Konfeffion fein müpen,
welder die Schulen angehören, werden von dem Schulvorſtande
gewält und von der Schulfommiffion beftätigt, find aber nift
Mitglieder des erften.
8) Hat eine Stadt mehr als fünf Pfarrbezirke, wohin alſo
unter den oben genannten Städten Köln und Aachen gehören, ſo
befommt fie für jede Section einen beſonderen Schulvorftand, je
doch jo, daß die Pfarrbezirke nicht dadurch zerfchnitten werben.
9) Zn einen folden Schulvorftand treten mit Ausnahme
derer, bie ſchon zur Kommiffion gehören,
— 181 —
1) Ale Pfarrer der Section.
2) Zwei Mitglieder des Magiftrates oder Gemeinderates,
3) Eine Anzal von Familienvätern dieſer Section, welche
gleich Eommt der, in berjelben befindlichen und zu dem
Schulvorftande gehörigen Zal der Pfarrer.
10) Erfordern e8 die Verhältnifie, worüber die Schulfom-
iffion ihr Urteil gehörig motiviren wird, fo erhalten die prote-
intifchen Schulen ihren eigenen Schulvorftand,, der dann auf
mliche Art, wie im $. 9, aus proteftantifchen Mitgliedern, viel-
icht mit nur einer Magiftratöperfon zufammengefeßt fein muß.
11) In Hinficht der Zufammenfegung der Unter: Schulvor-
inde für jeden Pfarrbezirt gelten auch bier die Beftimmungen
ı 6. 6 und 7.
12) Sämmtliche Mitglieder der Schulfommiffion befleiden
efe Stelle ald ein Ehrenamt, fo lange ihre oben angegebenen
irgerlichen oder geiftlichen Aemter fie dazu verpflichten und es
nn höchſtens der unter Nr. 4 genannte Gejchäftsführer auf eine
ıgemeßene Entfhädigung für feine Arbeit aus der ftädtifchen Kaffe
nfpruch maden.
13) Zu ihren Sigungen muß ein bejonderes Zimmer des
jemeindehaufes beftimmt werden, welches auch ihre Regiftratur
thaͤlt.
14) Sänmmtliche Mitglieder der Schulvorſtände bekleiden
eſe Stelle als ein Ehrenamt, die Geiſtlichen, ſo lange ſie als
lche dazu gehoͤren; die übrigen verpflichten ſich auf drei Jahre,
ich deren Verlauf fie durch andere erſetzt werden koönnen.
15) In jedem Schulvorftande führt ein Mitglied das Prä-
yium auf ein Jahr, und wird Diejes jet von der Schulkom⸗
iffion in Vorfchlag ‚gebracht, künftig aber von Mitgliedern des
‚hulvorftandes jelbft gewält.
16) Jeder ES chulvorftand wält aus feiner Mitte einen Se⸗
etär, der fein Amt ein Jahr lang verfieht und alsdann durch
nen andern erjeßt werden fann.
17) Jedem Schulvorftande wird ein Polizeidiener in ben
igungen fowol, ald den Dirigenten außer den Sigungen zum
Yienft angewiefen,
— 132 —
18) Jede Schulkommiſſion der oben genannten 8 Städte des
Roerdepartements reicht nun ihre Borfchläge über Die Yufammen-
jegung der Schulvorflände gegen Ende des Januars in der nad
beiliegendem Schema eingerichteten tabellarifhen Form an bie
Direction des öffentlichen Unterricht3 ein, durch melde fie an bie
Devartementalbehörde und von diefer an mich zur Beflätigung
gehen.
Aachen, den 4. Januar 1816.
Der geheime Staatsrat und Oberpräfident be
Königlich Preußifchen Provinzen am Rhein.
Sad.“
Wenn aud diefe ganze Anordnung der Local-Schulbehörben
mehr die &lementarfchulen befonders , ald das Schulweſen im
Allgemeinen anging, jo war fie Doch auch auf das letztere nit
ohne allen Einfluß, und namentlich gehörten alle mittlexen oder
allgemeinen Stadtſchulen, wenn fie nicht Gymnaſien waren, zum
Reſſort derfelben. Die eigentliche unmittelbare Leitung ber Gym
nafien blieb auch jebt den Directoren felbft vorbehalten.
Die Kenntnis des vorhandenen Stoffes, deflen Bearbeitung
ein Gegenftand der oberen und unteren Schulbehörben fein follte,
wurde zum Teil durch Ergänzung der früher gelieferten Berichte,
zum Teil durch fortgejeßle Reifen der Directoren vervollkäntigt.
Was Die früher niedergefehte Kommiffion an Materialien
für eine Schulorganifation dieſer Provinzen gefammelt hatte, wurde
zum Zeil durch Die, aus näherer Bekanntſchaft gewonnenen neuen
Anfichten, zum Teil durch beſondere minifterielle Verfügungen,
vorzüglich aber durch Mitteilung ter wefentlichften Artikel einer,
für alle preußifchen Lande künftig zu publizireuden , allgemeinen
Schulordnung ergänzt und berichtigt und diente jo als leitende
Prinzip für die oberen Schulbehörden in einzelnen Fällen, welde
ſchon jeßt eine foldye Anwendung erlaubten. Zu einer allgemeinen
Reform war Die Zeit der Reife noch nicht eingetreten.
Wie das Publikum im Allgemeinen, wie die beim Schul⸗
wejen am meiften intereffirten Perfonen, Gltern und ehren,
wie auch die Geiftlichfeit aller Konfeffionen in Diefer Periode fort
— 13 —
auernd den lebhafteften Anteil an allem nahmen, was in ber:
Iben in Beziehung auf Schulverbeßerung geſchah, Davon wurden
ie erfreulichften und unzweideutigften Beweiſe überall fichtbar.
Jie wiederkehrende Ruhe, die erhöhte Achtung für den Geift und
ie Kraft einer Nation, welche der Welt diefe Ruhe wiedergab,
nD Die Gerechtigkeit der Regierung wirkten zur Erweckung diefer
Ügemeinen Teilnahme zufammen.” Die richtigeren Begriffe, die
elleren Anfihten von dem, was die Schulen eigentlich Teiften
ollen, gewannen den ebleren Teil des Volkes für die Sadıe.
Die Achtung , welche die Regierung felbft den Lehrern zollte und
on dem Publikum für fie verlangte, gab diefen die Achtung für
bren Stand und für ihr Gejchäft wieder; ber Einfluß, welder
en PBfarrern überhaupt auf ihre Schulen, welcher den Würdigiten
inter ihnen auf Die obere Leitung des Schulweſens eingeräumt
vurde, zog den ganzen Glerus, mit Ausnahme weniger finfterer
Sanatifer, in das Intereſſe der Regierung. — Selbft da, wo ein
olcher dem Beßern widerftrebender Geift bei dem einen oder dem
ındern Pfarrer noch im Hinterhalte lag, wagte man doch nie,
eradezu einen Angriff auf die von der Regierung aufgeitellten
Srundjäße der Erziehung und des öffentlichen Unterrichts.
Merfwürdig war e8 nur, daß gegen einzelne in den Fatho-
iſchen Schulen eingeführte Lehrbücher, felbft gegen ſolche, bie
inter einer andern bilchöflichen Cenſur gedrudt und mit der Er-
aubnis geiſtlicher Obern eingeführt waren, Einwendungen gemacht
vurden.
In den Elementarſchulen felbft hatten die jeit 1813 getrof-
enen DVeranftaltungen ſchon manche erfreuliche Frucht getragen.
— Die Einritung neuer dffentliher Schulen an Orten, wo ed
deren bis dahin feine gab, die Miederbefeßung lang erledigter
ind vernachläßigter Schulftellen hatte Die Aufmerkjamfeit des Gou-
syernement3 unausgefeßt bejchäftigt und die Bemühungen deſſelben
waren nicht ohne glüdlihen Erfolg geblieben. Ernſte und nach⸗
rüdlihe Maßregeln erforderte die ftrafbare Gleichgültigkeit gegen
ven Unterricht der Jugend in Fabrikörtern. Mannigfache Ver:
bandlungen waren barüber mit den Magiftraten, den Hanbels-
fammern, den gemerbyerftändigen Zabritunternehmern und den
— 184 —
Pfarrern gepflogen worden. Zu allgemeinen Refultaten Tonnte
man nicht gelangen: fowol über die Beſtimmung der Zeit de
Unterricht8 für die Kinder, mweldhe in den Fabriken arbeiteten, old
über die Beifchaffung der Fonds waren Differenzen geblieben, ber
Löſung eine der erften und wichtigften Arbeiten der OrtdsScul
vorftände und der ſtädtiſchen Schulfommilfionen fein follte.
Das Annere des Elementarſchulweſens machte jebt chen
bedeutende Fortfchritte. — Die Normalfchule zu Koblenz befand
fort; auf die Miederherftellung einer ehemals in Trier beftehenen
Normalſchule wurde gegen das Ende des Jahres 1815 angetragen;
für den nördlichen Teil des Roerdepartements follte ein Schul
Iehrerfeminarium in Cleve errichtet werden. Der Antrag dazu war
bereit8 höheren Orts genehmigt, ald die Errichtung einer Regie
rung zu Gleve und die Verlegung eined Obexrlandesgerichts dahin
die Disponiblen Gebäude dafelbft in Anfpruh nahmen und ber
Ausführung des erften Planes in den Weg traten. Ehe nod die
Mal eined andern zwedmäßigen Ortes getroffen werden konnte,
fam das Ende des Jahres immer näher und mit ihm wuchs bie
Hoffnung, den überall bemmenden proviforifhen BZuftand bald in
einen dauernden übergehen zu jehen, fo daß ed am ratfamften
war, die Vorjihläge über Ort und Art der Einrichtung eine
Lehrerfeminard der Fünftigen Regierung dieſer Provinz zu über
laßen.
Der Uebungscurfus in Brühl wurden vom Wieberbeginn
bes Krieges an bis zur Vereinigung des Landes mit der preuf.
Monarchie in dieſer Periode zwei gehalten, denen zufammen 78
Schullehrer aus dem füblichen Teile des Roerdepartements bei:
wohnten. Als Refultat aller 5 Brühler Curſe ift anzuführen, daf
dur fie in 80 Schulen des Roerdepartementd die Stephaniſche
Lehrmethode und in einigen 20 die Natorp’fhe Geſangmethode
eingeführt wurden, welche Methoden in feiner diefer Schulen vor
her auch nur dem Namen nad) befannt waren.
Da für den nördlichen Teil des Roerdepartements bis dahin
in dieſer Hinficht noch nichts hatte gefchehen Eöunen, fo wurde im
Auguft und September 1815 auf PVeranlaßung einiger wadern
Pfarrer der veformirten und Fatholifchen Konfeſſion ein zweimonat
— 185 —
licher Lehrcurſus für 20 rveformirte und 14 katholiſche Schullebrer
zu Meurs eröffnet, der teild durch feine längere Dauer, teild durch
die Teilnahme eben dieſer Pfarrer an der Erteilung des Unterrichts
vorzüglich fruchtbar war.
Auch für Die Stadt Aachen, wo das Elementarfchulweien
noch in einem tiefen Verfalle lag, fowie für die nädhften Umge:
bungen der Stadt, hatte der reformirte Lehrer zu Burtfcheid einen
methodologijchen Lehrcurſus bereitö im Juli 1815 eröffnet. Dreißig
katholiſche Lehrer dieſer Gegend befuchten diefen Curſus regelmäßig
und mit glüdlichem Erfolg.
Einen ganz andern, nicht minder erfreulichen Bang nahm
das Streben nad Bervollfommnung für ihr Zach unter deu Ele:
mentarfchulen in Eöln. Diefe bildeten unter fih eine Kon⸗
ferenzgefellfhaft, in welcher Vorträge über Lehrgegenftände
gehalten, pädagogifche Schriften gelefen und die darin enthaltenen
Ideen verhandelt, Meinungen ausgetaufcht, alte und neue Me-
thoden forgfältig verglichen und die Reſultate dieſer Vergleichung
zu Veränderungen in der Lehrmethode einzelner Schulen benutzt
wurden. Diefer Verein hatte das Charakteriftifche, daß ſich in
ihm das Beßere von innen heraus bildete und geftaltete, und daß
in ihm weniger gelehrt als gedacht und gefprodhen wurde. Nach
dem Mufter dieſer Konferenzgefellfchaft bildete fich eine ähnliche in
Grefeld, welche denjelben Plan mit Liebe ergriff und treu befolgte.
Außerdem entftanden im Gefolge des allgemeinen und Eräftig
aufgeregten Beiftes aus dem Uebungscurfus zu Meurs ſechs Schul:
meifterfchulen, drei proteftantifche und drei Fatholifche, in denen
durch leitende Vorfteher der Unterricht der Lehrer nach dem Plane
jene Curſus in wöchentlichen Zufammenfünften fortgefeßt wurde.
Eine ähnliche Schule ging aus dem Brühler Inſtitut hervor und
an den Burtſcheider Curſus ſchloß fi) ein gleicher Verein zur
Fortjegung des angefangenen Werkes unter der Leitung ber beiden
brüderlich vereinten Schulorganifationsfommifjarien dieſes Kan:
tond an.
Bon diefen glüdlichen Refultaten eines regen Strebend un:
ter den Schulbehörben, Pfarrern und Lehrern ward in einer Be⸗
kanntmachung vom 20. November das Publikum in Kenntnis ges
— 186 —
jebt; fowie in einer zweiten vom 13, Januar 1816 von dem aus
der Coͤlner Konferenzgefellichaft hervorgegangenen Verein zur Bil
dung und Vorbereitung angehender flädtifcher Elementarlehrer
hauptfächlid, in Beziehung auf die Stadt Göln felbft.
Die Peſtalozziſche Schule in Coblenz ſchlug durch die Aus:
dauer ihres Lehrers Rößler, wie durch die ihr gewidmete Aufs
merkjamfeit des Directord vom Mittelrhein, des freilinnigen
Goͤrres, und Durch die Unterftüßung bed Gouvernements in dieſem
Zeitraum immer tiefere Wurzeln und erfeßte den Mangel eine?
guten BorbereitungdunterrichtS in dem und für das Gymnafium
daſelbſt. In ihr hatten auch auf dieſer Rheinfeite Die Turnübungen
den beften Fortgang.
XIV.
Die vorhinnige Grafichaft Wittgenftein.
In der Graffchaft Wittgenftein, die i. 3. 1607 in bie beis
den Grafſchaften Wittgenftein-Berleburg und Wittgenftein-Wittgen
ftein geteilt wurde, konnte es bei der Armut des Landes nur ſehr
ſpät zur Organifation eines eigentlichen Volksſchulweſens kommen.
Im ganzen fiebzehnten Jahrhundert werden nur Winterfchulen er-
wähnt und die Küfter galten durchweg nur als eigentliche Pfarrei
Diener, die fi nur gelegentlich zur Einrichtung einer Schule be
quemten. Auch mufte die Kirche, wollte fie ander8 nur die Wins
terfchulen ind Leben rufen, wol häufig den Küfter für das Schul
halten aus ihren eignen Mitteln befolden. — Wie das Verhältnis
bes Küfter- und des Schulmeifteramtes aufgefaft wurde und mie
unficher noch der Beſtand der Dorffchulen war, erhellt 3. B. aus
dem Berichte des Pfarrers zu Feidingen i. J. 1646, worin der
jelbe den firchlichen Dberen anzeigt, er habe einem ihm zur An
ſtellung zugeſchickten Schulmeifter vorgeftelt, daß er zwei Aemter
zu verrichten habe, „das Opferamt, da er dann frühe und fpät,
wennd nötig, in Die Kirche zu läuten, das Gejänge zu führen,
die Kirche zu fäubern und rein zu halten, das Sädlein umzu⸗
Fragen, bei der Taufe Waßer zu tragen, die Uhr zu verforgen,
— 187 —
wann eine Leiche vorhanden, zu laͤuten, zu gewiſſer Zeit im Som⸗
mer — Mittag zu läuten, des Sonnabends um 4 Uhr Nachmit-
tags ein Zeichen zu geben und was deſſen mehr bei dad Opfer:
amt gehörig. Hiergegen gibt das Kirchiptel hiefigen Orts jeder:
mann ein Mefte Opferhafer und auf Chrifttag einen Laib Brod
und auf Oftern einen Laib dito; von einer Leiche einen Laib,
wann ein Kind getauft wird 2 Pfund. — Hierzu muß er die
Schule verfehen, davon die Kirche ihm gibt 5 fl,
von der Gemeinde aber hat er nichts, der er doch dient; darüber
ich mich heftig beſchwere, denn unfere Kirche Baufällig, und mit
ihren Renten nicht länger kann noch fol felbige der Gemeinde
einen Schnimeifter halten; ift noch quaestonis, ob dazu die Kirche
ſchuldig, denn es feine Stiftung von Alters if.” —
Bis in die erfien Decennien des 18. Jahrhunderts blieb
daher das Wittgenfteiner Volksſchulweſen in der traurigften Ver:
faßung. Denn noch zur Zeit ald Graf Gafimir in Berleburg
regierte (F 1741), waren feſt angeftellte Lehrer in dieſer
Grafſchaft noch eine Seltenheit. „Nur in den Wintermonaten
wurde Schule gehalten von einem vom Konfiftorium als fähig
dazu erflärten Manne, gewoͤhnlich dem Kuhhirten. Der Graf
hielt zwar mit Strenge darauf, daß die Winterfchule zur rechten
Zeit angefangen und fleißig bejucht wurde. iner Gemeinde,
welche ſich nachläßig gezeigt hatte, mufte der „„Ehrn. Pfarrer
fothanen, zur Verfäumung der unmwißenden jugend gereichenden
Verzug ernftlich verteilen, daneben auch andeuten, daß fie ohne
Anftand zu Verfehung der Schule fo viel möglich tüchtige Per:
fonen auserfehen, mithin dieſe am naͤchſtkommenden Dindtag bei
Sräfl. Konfiftorio präfentiren follen, alfo daß am Mittwoch dar-
auf der Unterriht unfehlbar feinen Anfang nehmen konne.““
(Verordnung vom 12. November 1735). Nur in dem größeren
Filialdorfe Berghaufen war ein Lehrer angeftellt, weldyer auch im
Sommer Schule zu halten verpflichtet war; felbft hier aber war
beftändige Klage über Vernadhläßigung der Sommerfchule, mobei
die Gemeinde die Schuld dem Lehrer, und dieſer umgefehrt Der
Gemeinde zufchob.” *) |
) Entlehnt aus J. W. Windels „Aus dem Leben Cafimirs,“ S. 106.
— 1718 —
beffelben Monats, an bie Direction des Öffentlichen Unterriäts
einfchiet, von der fie an die Departementöbehörden und von dielen
an mich zur Beftätigung gehen.
Aachen, den 10. Dezember 1815.
Der geheime Staatsrat und DOberpräfident der
Königliche Preußischen Provinzen am Rhein.
Sad.
Sowol um die Arbeit felbft zu befchleunigen, als auch, um
mehrere Arbeiter zu prüfen, auf deren Thätigfeit bei einer bevor
ftehenden definitiven Organtfation des Schulweſens vorzüglid ge
rechnet werden könnte, endlich) auch, um durch einen ehrenden
Auftrag Diefer Art die würdigſten unter den Geiftlichen für de
Sache jelbft zu gewinnen und fo möglichft viele Anregungspunkte
für das Beßere in verjchiedenen Richtungen aufzuftelen, wurden
diefer Schulorganifationsfommiffarien mehr ernannt, als es berm
unter andern Umftänden bedurft hätte. Es waren 37 katholiſche,
9 reformirte und 2 Iutherifche Geiſtliche, welche mit dieſer Arbeit
beauftragt wurden.
Für Die acht größeren Städte dieſes Gouvernements wurd
an die Stelle der ifolirt ftehenden Kommifjarien eine Vereinigung
mehrerer, durch Einficht gleich geachteter, Männer für dienlid
erfannt, welcher als einer das Gejchäft im Allgemeinen leitenden
Schulkommiſſion der Stadt die Einrichtung und Beichäftigung de
einzelnen Schulvorftände übertragen werden fünute. Aud, dafür
wurde unterm 4. Januar 1816 eine Inftruktion folgenden Inhalt?
erlaßen, worauf die Sache felbft in den meiften dieſer Städte
wirklich bald im vollen Gange war.
Inſtruktion für die
Schulflommiffionen in den größeren Städten
bes Gouvernements.
„An die Stelle der Schulorganifationsfommifjarien treten
in den Städten, welche an 5000 Einwohner und darüber haben,
Schulorganifationsfommiffionen, welche ebenfalls zuvoͤrderſt mit der
Einrichtung der unmittelbaren Schulvorftände beauftragt ſiud.
Dieje Kommiffionen beftehen
— 179 —
1. Aus dem erſten Bürgermeifter der Stadt.
2. Aus dem erften katholiſchen und dem erften proteitan-
tiſchen Geiftlichen derſelben.
3. Aus dem Director des Gymnaſiums daſelbſt, oder,
wenn kein ſolches da iſt, aus einem angeſehenen und
um das Schulweſen verdienten Schulfreunde.
4. Aus noch einem andern erfahrnen Schulmanne, der
zugleich die ſchriftliche Verhandlung führt und die
Beſchlüſſe vollzieht.
Eines unter dieſen Mitgliedern führt das Praͤſidium, worüber
? oberfte Behörde der Provinz entjcheidet. Yu den Städten,
Ihe eine Schulkommiſſion erhalten, gehören im Umfange des
verdepartements: Göln, Aachen, Cleve, Grefeld, Neuß, Düren,
upen und Malmeby.
In dieſen genannten Städten treten die unter den obigen
ei erſten Mäunern bezeichneten Mitglieder der Schulfommilfion
gleich zufammen, um das noch fehlende Mitglied Nr. 4 dur
stimmenmehrheit zu wälen und Die getroffene Wal bei dem Ober-
räſidium zur Betätigung fofort einzureihen. Sie machen in-
oiſchen, bis Diefe erfolgt, die nötigen Vorbereitungen zur Ein-
tung der Schulvorftände ihres Orts.
Der Wirkungsfreis diefer Schulkommiſſionen erftredt fich
af alle niederen und mittleren Schulen der Stadt.
Die Gymnaſien, im Sinn des $. 3 der Inftruftion vom
D. Dezember, ftehen in Hinficht des Innern, Wißenfchaftlichen
ur unter der Auffiht der Direction des öffentlichen Unterrichts,
Hinſicht der äußern, temporellen Verhältniffe unter der Aufs
ht der Departementalbehörde, an deren Stelle fünftig Die Kon⸗
Korien und Regierungen treten. Die Aufſicht über Die mittleren
Schulen führen die Schulfommiffionen unmittelbar, jo weit Dies
ben überhaupt zum Geſchaͤftskreiſe der Mittelbehörden gehörten,
orüber Fünftig Inftruftiouen für Schullommiffionen und Schul
iſpektoren das Nähere beftimmen werben.
Für alle niederen Schulen der Stadt beitehen ale
ächfte Behörden die Schulvorftände, deren Bufammenjegung
eBt von den Schulfommiffionen nad folgenden Grundfäßen zu
AR*
— 1% —
deſſen verfügt wurbe, daß die Gemeindéleute und Aelteſten, welche
dieſes Verlangen Tundgegeben hätten, fofort angeben follten, wie
viel fie zur Unterhaltung eines ftändigen Schulmeifterd aufzuwen⸗
den gebächten, wibrigenfalld der Inſpektor zu Raasphe felbit be
rechnen follte, wie viel Gehalt einem Schullehrer zu Dem, was
er für die Winterfchule befomme, zuzulegen ſei, — fo mochten
fi) Doch die Gemeinden faft nirgends entjchließen, für ihre Schulen
auch nur das geringfte Opfer zu bringen. Bei einer i. 3. 1753
vorgenommenen Slirchenvifitation wurbe angezeigt, „Daß zu Puder
bach der Schulmeifter nach DOftern abgegangen, zu Niederlaasphe
auch abgehen müßen, weil die Leute ihm bereitd in 14 Tagen
feine Koſt gereicht noch ein einziges Kind geſchickt hätten. Zu
Laasphe wurden auch wenige Kinder den Sommer über in die
Schule geſchickt. Die Gemeinde Rüchftein habe ohne Vorbewuſt
des Pfarrers und der Xelteften ihren Schulmeifter abgeſchaftt,
„welcher dermalen das Wild auf dem Hülshof hütet.“ Nirgendd
wurden Sommerfjchulmeifter eingerichtet und da daher jede Gr
meinde zu Oftern ihren Schulmeifter entließ, um zu Michaelis
einen. andern zu Dingen, jo war ed natürlich, Daß bag Schulweſen
nach wie vor im elendeſten Zuſtande blieb.
Das gräflihe Konſiſtorium zu Laasphe erließ daher im
Iandesherrlichen Auftrag — wahrfcheinlih i. J. 1777 — ein
Verfügung, worin Die Vollziehung der Schulorduung von 1746
mit der weitern Beftimmung nochmals eingejchärft wurde: 1) Am
Zukunft follte in allen Gemeinden durch das ganze Jahr hin Schule
gehalten werden. 2) Diejenigen Kinder, welche von ihren Eltern
zu häuslichen Verrichtungen notwendig verwendet werden müften,
jolten den Schulunterricht wenigftend teilweife befuchen. 3) Du
wo noch Fein Schulhaus vorhanden fei, jollte wenigftens, um das
Umberziehen der Schule abzuftellen, ein beſonderes Schulzimmer
gemietet werden. 4) „Damit auch die Gemeinde mit der Zeit
eine völlig freie Schule befomme und des beſchwerlichen Unter:
haltens der Schule überhoben werde, follten bei jeder Hochzeit
Braut und Bräutigam etwas zur Schule fteuern, die vermögenden
1 Rthlr., Die geringeren aber weniger, doch nicht unter !/, Rihlr.;
Jo fol auch von den Hochzeitsgaͤſten eine freiwillige Steuer ein
— 191 —
geſammelt, nicht weniger bei jedem &rbfall einer ledigen Perfon,
wenn diejelbe die Schule mit einem freien Legat felbit nicht be
dacht, der zehnte Pfennig der Verlaßenfchaft in fo lange hierzu
abgegeben werden , bis ein folches Kapital zuſammengebracht wor:
den, daß ein Schulmeifter davon jubfiftiren Fan.” 5) Bid dahin
„müßen alfo die Schulmeifter gemeinſam verjorgt werben, und ift
denjelben der Lohn geringer nicht als monatlich 1 Rthlr. zu be-
ftimmen, wobei der Schulmeifter außer den geſetzten Schulftunden
entweder mit befonderer Unterrihtung oder auf andere Art fidh
noch etwas zu verdienen beftreben muß." (Hierauf folgen nod
Beftimmungen über den Betrag des Schulgelded, das für noto>
riih Arme aus dem Sirchenfaften gezalt werden fol, und über
andere Emolumente der Schulmeifter.)
Es Tiegen nun fehr ſpaͤrliche Nachrichten über den Erfolg
diefer neuen Verordnungen vor, welche damals von allen Kanzeln
in den Kirchen der Grafſchaft Wittgenflein-Wittgenftein vorgelejen
wurden. Aber wenn berichtet wird, daß i. J. 1791 nur zwei
Dörfer der Graffchaft, Fendingen und Erudtebrüd, Sommer:
Schulen hatten, und daß um dieſe Zeit in Niederlaadphe der
Schullehrer mit dem Kuhhirten und deſſen Yamilie in Einer Stube
wohnte, jo ift deutlich genug zu erjehen, daß das Schulwefen da-
jelbft am Ende des 18. Jahrhunderts nod ganz im Argen lag.
Und jelbft zu Anfang des neuen Jahrhunderts war das Schul:
wejen im Wittgenftein’fhen noch nicht befer. Unter dem 13. Juni
1802 ließ der Graf Ludwig zu Wittgenftein in allen Kirchen des
Landes eine Schul» und Erziehüngspredigt über 1. Sammel 3,
11—13 halten, worin die Prediger die verderblichen Folgen einer
ſchlechten häuslichen Erziehung und eined Mangels an nötiger
Schulbildung Darftellten. Die Gemeinde Schammeder im Kirdh-
fpiel Erndtebrüd ging den übrigen Dörfern mit einem loben$-
werten Beifpiel voran, indem fie noch vor der landeöherrlichen
Verordnung einen geſchickten Lehrer zu ihrem fländigen Winter:
und Sommerfchulmeifter aus eignem Antriebe annahm. Aber in
allen andern Gemeinden dauerte ed noch lange, bis dieſelben ftäns.
Dige und ordnungsmäßig eingerichtete Schulen erhielten. — Erft
ald das Wittgenfteiner Land mit der preußifchen Monarchie
— 192 —
vereinigt wurde, konnte eine glüdlichere Periode des Dafigen Volt
Ichulwejend beginnen.
xV,
Das ſaͤculariſirte Fürftentum Münſter.
Die erften Anfänge des Volksſchulweſens im Münfterer Lande
batiren (abgejehen von dem, was hier und da ſchon vor dem
breißigjährigen Kriege befanden hatte und in demſelben zu Grunde
gegangen war,) aus der Regierungszeit des (in der Gejchichte feiner
Beit freilich mehr als weltlichen Herrn, Politikers und Kriegsmannes,
denn als geiftlihen Herrn bekannten) Fürſtbiſchofs Chriſtoph
Dernhbard (von Balen, 1650—1678).*) In dem unter dem
Namen Constitutio Bernardina befannten Synodaldecret, welded
berfelbe i. 3. 1655 publiziven ließ, wurde nemlich in Betreff des
Schulweſens beftimmt: „Es follen keine Schullehrer und Schul⸗
lehrerinnen zugelaßen werden, als katholiſche; fie jollen auch nur
katholiſche Bücher leſen und vorlefen laßen; insbeſondere fein neues
Teftament nad) der Ueberſetzung der Jrrgläubigen gebrauchen.
Sie follen ihre Schüler zu einer gründlichen Frömmigkeit anleiten,
fie zu den fatechetifchen Lectionen führen, und bei denſelben fe
durch ihre Gegenwart in Sittſamkeit und Ordnung halten. Sie
jollen eifrig Dahin wirken, Daß diejelben Die Art und Weiſe zu beten
und recht zu beichten lernen; und wo es immer gefchehen Tann, follen
die Schulen der Knaben und Mädchen von einander getrennt wer
den. — Die Pfarrer werden die Gemeinden ermahnen, daß fie
das Schulgeld für ihre Kinder defto freigebiger feftjegen, damit
die Armen, welche Fein Schulgeld zalen können, von dem notwer
digen Unterrichte nicht ausgefchloßen werden. — Wir empfehlen
diefe Sache auf das angelegentlicdhfte unfern Archidiakonen, und
befehlen gnädigft, daß unſere Beamten dazu mitwirken,”
Auch die Synodalabſchiede der nächftfolgenden Jahre ent
*) Bgl. Münfterifhe Monatsblätter für Latholifches Unterrichts. und Er-
jiehungswefen. Heft X. ©. 320 ff.
— 193 —
hielten zalreihe Beftimmungen, wodurch einzelne Verhältniffe des
Volksſchulweſens geregelt wurden. Namentlich ward durch bie
Spynodalverordnung vom 23. März 1675 beftimmt, es follten „Die
in den Städten, Fleden, Dörfern und andern Orten für Kinder
beiderlei Geſchlechts früher errichteten deutfchen Schulen gepflegt
und gehoben, da, wo fie in Verfall geraten, ohne Verzug wieber
hergeftellt, da, wo nie weldye beftanden, beſonders audy in den
entfernteren Bauerjhhaften an einem den Gingefeßenen bequemen
Plage mit allem Eifer und aller Sorgfalt fobald ala moͤglich er-
richtet werden.” Werner warb verordnet: „Da mitunter große
Mißbraͤuche entftehen, wenn Knaben und Mädchen unter demjelben
Lehrer und in demfelben Locale zufammen unterrichtet werden, fo
wollen wir, daß da, wo die Gemeinde und die Jugend zalreicher
ift, beiondere Lehrerinnen für die Mädchen angeflellt werden, und
wo dieſes noch nicht zu erreichen ift, DaB da die Knaben und Die
Mädchen wenigftens örtlid durch eine zwijchengeitellte Wand ge-
fondert fiten und unterrichtet werden. Sämmtlidye Kinder follen
von den Eltern zur Schule gejchidt werden, und Damit den Armen
fein Anlaß gegeben werde, fich ihrer Armut wegen zu beflagen,
oder die Kinder von der Schule abzuhalten, jo beftlimmen wir,
daß die Dürftigen unentgeldlic unterrichtet werden; Damit aber
den Schullehrern von dem Schulgelde derjelben nichts entgehe, fo
ſollen denſelben die anderweit für fie feitgefeßten Gehalte, oder in
deren Grmangelung eine beftimmte Summe aus den allgemeinen
Armenftiftungen angewiejen werben. Diejenigen Eltern, welde
ihre Kinder zur Schule zu ſchicken verfäumen, follen, auch wenn
fie dürftig find, geftraft werden; find fie aber vermögend, fo follen
fie überdies nody das doppelte Schulgeld den Schullehrern zalen.
Damit aber für die Schulen und die Schulfinder um jo beßer
gejorgt und das Hier Beftimmte um jo gewiſſer zur Ausführung
gebracht werde, follen die Pfarrer und Kapläne die Schulen
wöchentlicy wenigftend Einmal beſuchen und über ihren Buftand,
Fortgang und Erhaltung, über die Anzal der Schüler u. |. w.
einige Male im Jahre genauen Bericht abftatten. Die Schullehrer
und Schullehrerinnen follen eine durchaus ungejchränfte Simmunität
genießen, und follen von unfern Beamten oder den Ortsmagiftraten
Sepve, Boltsigulmeien, 3. 13
— 194 —
mit feinen öffentlichen Laften, fei e8 auch unter welchem Borwante,
belegt werden. Damit die Jugend mit defto größerem Gifer bie
notwendigen Glaubenswahrheiten erlernen, follen die Pfarrer ober
andere Geiftliche in ihrem Auftrage ſich durchaus nicht unterfangen,
Brautleute zu trauen, wenn Diefelben nicht in einer vorberge
gangenen Prüfung in den Glaubensfachen, weldye zu wißen und
zu befolgen zur Seligfeit notwendig find, gehörig unterridtet be
funden worden find.”
Diefe und ähnliche Verordnungen blieben allerdings formel
jelbft noch damals in Gültigkeit, al8 der Fürftbiichof von Münfter
und Kurfürft von Köln, Maximilian Friedrich, oder vielmehr
deſſen unumſchränkt regierender Domberr und Minifter Kriedrid
Wilhelm Franz, Freiherr von Fürftenberg, eine neue
Schulordnung i. 3. 1770 ausarbeitete und i. J. 1776 publizirte,
welche zunächit nur für die höheren Schulen berechnet war, aber
auch für die Volksſchulen infofern Bedeutung hatte, als fie den
ganz veränderten Geſichtspunkt beurfundete, von dem aus dad
geiftige Leben des Volkes jebt gepflegt werben follte.
Allerdings führte dieſe Schulordnung den Titel: „Verord⸗
nung, die Lehrart in den unteren Schulen des Hod;
Rift Münfter betreffend”; indeffen war diefelbe doch haupt
ſaͤchlich für die lateiniſchen Schulen des Landes beftimmt. Der
Geiſt, in welchem die Schulordnung verfaft war, erhellt am beften
aus der Einleitung derjelben, weldye ſo lautet:
„Die Erfahrung, welchen Einfluß die Begriffe und Gewohr
beiten, die der Menſch in der früheren Jugend zu Triebfedern
feiner Fünftigen Handlungen fammelt, auf die Glückſeligkeit feines
Lebens und auf das Wol der Menfchheit haben, veranlafte Gr
ziehungsanftalten, und wenn man auch bei dem Entwurfe derſelben
an einigen Orten glüdlich genug gewejen wäre, ihren Endzwed
völlig zu erreichen, jo blieben doch die näheren Beftimmungen, die
Beit und Ort bier den allgemeinen Bedürfniffen geben, immer
noch wichtig genug, nach den mandyerlei Verordnungen diefer Art
auch noch Die gegenwärtige nötig zu machen. Die allgemeiwe
Wolthat, die der Menjch feiner Erziehung fol zu danlen haben,
iſt, daß ihm die Sphäre feiner Thätigfeit erweitert
— 19% —
und Die Art, fie zu befhäftigen, nah ihrem Werte
beftinmt werde Sie foll feinen Verſtand mit reellen
Kenntniſſen, diefe ven ganzen Umfang jeiner Pflid-
ten umfaßen, und fein Herz fühlen lehren, daß nur ihre Erfül-
lung wahre Glüdfeligfeit it, Damit ibm Pfliht zur Nei—
gung und Tugend zur Gewohnheit werde“
„aber die Natur macht der Erziehung dieſes Geſetz ſchwer,
da fie Wefen mit fo verjchiedenen Graden von Fähigkeiten liefert:
Weſen, auf die jelbft ihre Abfichten jo aͤußerſt verjchieden find.
Die erſte Vorforge bei der Unterweifung jet alfo diefe, daß kei⸗
ner Art von Schülern das Nötige zu ihrem Berufe
entgehbe, daß mit dem Ueberflüßigen Feine Zeit verborben werde,
und daß ohne das beßere Talent im Kortgange aufzuhalten, auch
das mittelmäßige den Unterricht vollftändig genieße.“
„Der Öffentliche Unterricht fol dem Schüler Begriffe und
Kenntniffe von Bott, von fih und feinen Pflichten,
von den Wefen um ihn ber und von den Schidfalen der
Menſchheit verſchaffen; er fol ihn feine Begriffe prüfen,
vergleihen und bezeichnen lehren. Der Begenftand des—
felben ud alfo Religion, Sittenlebre, Pſychologie, Nas
turkunde, Matbematif, Geſchichte, Logik, Sprad-
kunde, Redekunſt und Dichtkunſt.“
„Alle dieſe Wißenſchaften ſollen in einer genauen Verbin⸗
dung bearbeitet werden, ſodaß von dem erſten Schuljahre an bis
zu dem letzten der Unterricht eines jeden Jahres die Lehren des
folgenden vorbereite, und unter ſich ſelbſt eine jede Wißenſchaft
der andern die Hand biete, damit die Erkenntnis des Schülers
von ihren erften Gründen an durch eine allmähliche Entwicklung
bis zur Vollkändigkeit und Anwendung fortjchreite.”
Bon dem Religionsunterrichte wurde in der Schulorbnung
ganz im Geiſte des damaligen Geiftes der Fatholifchen Kirche ge:
rebet, d. h. die Religion wird fo ziemlich nur als Sittenlehre und
als ein Gegenftand in Betracht gezogen, der andemonftrirt werben
Bönne. Mit pomphaften Phrafen wird der Wert einer feft bes
gründeten Religionstiberzeugung und Religionsempfindung verfündet,
dagegen vom fpezififchen Chriftentum ift faum andeutungsweiſe die
1°
— 196 —
Nede. Es heiſt: „Die Pflichten der Religion und Sittenlehre
muß der Schüler in ihrem ganzen Umfange Tennen. Der Lehre
bemühe ſich alfo, in diefem Teile des Unterrichts fo Deutlich, ſo
faßlich und vollftänbig zu fein, als möglid. Gr arbeite mit der
Ueberzeugung, daß nirgends im ganzen Gebiete menfchlicyer Kennt
nifje eine Lüde, ein ſchwankender Begriff oder Mangel an Gründen
von fchädlicheren Folgen if. Die Religion fol nad) Vorſchrift
des fatechetifchen Unterrichts gelehrt werden, und mit den Beweiſen
ihrer Wahrheiten rüde der Lehrer in gleichem Maße mit der 5%
bigkeit der Schüler vor”, u. f. w. Trefflich find Dagegen bie
hinſichtlich der meiften anderen Unterrichtögegenftände gegebenen
Vorſchriften, in denen bereits einzelne der beften Gedanken Peſta⸗
103318 anticipirt werden. Den Unterricht in der Pſychologie be
treffend wird der Lehrer angewiejen: „Allee was er hier da
Schüler durch Terminologie, bei der er fich nichts vorftellte, nichts
empfand, lehren wollte, das hat er ihn gar nicht oder zu feinem
Nachteil gelehrt. Jeden Begriff muß diefer felbft empfinden, jede
Wahrheit, jedes Geſetz muß hier Erfahrung fein. Statt ein
Menge theoretifcher Säge führe der Lehrer ihn zu@rfcheinungen,
bei denen er beobachten und erfahren, und von denen er die Gründe
finden und angeben kann. Den Anfang mache ber Lehrer mit den
Erſcheinungen, bie die geringfte Anftrengung ber Aufmerkjam
feit fordern. Mit dem, was die Sinne angeht, muß er ihn hin
länglich befannt gemacht haben, ehe er ihn zur Einbildungskraft
fortführt, und fo muß er erft das ganze ſinnliche Erkenntnisver⸗
mögen zergliedert haben, ehe er ihn auch das abftrahirende kennen
lehrt.“ In dem naturgefhichtlichen Unterricht „gehe der Lehrer
feinen Schritt über das Sinnliche hinaus; alled fei Natur oda
Bild”. In dem mathematifchen Unterricht ift neben dem prafti
ſchen nod ein höherer Nugen ins Auge zu faßen. „Dur die .
genauefte Verbindung, die ihr (dev Mathematik) eigen ift, durch
die Evidenz, mit der fie jede ihrer Wahrheiten dem Verſtande
darbeut, ſoll der Lehrer das Gefühl des Wahren bei bem
Schüler jhärfen, daß er auch Bei anderen Wahrheiten fich nicht
mehr mit bem Ungewiſſen berubige, daß er in den Gang feines
Nachdenkens und in die Entwidlung feiner Vegriffe Deutlichkeit
— 17 —
und Zufammenhang bringe, und in feinen Schlüßen und Beweifen
von ſich felbft Strenge und Gründlichfeit zu fordern lerne.“ Noch
beftimmter wird bie eigentliche Erziehungsidee der Schulorbnung
in den Vorſchriften über die „Anfangsgründe einer praftifchen
Logik" dargelegt: „Der Lehrer dringe dem Schüler feine Wörter
auf, die ihm Bloß Wörter bleiben müßen; er fol ihn empfinden
und denken lehren. Die Begriffe, die der Menſch durch bie
äußeren Sinne erhalten muß, fol er dem Schüler durch Vorzei⸗
gung der Sache felbft oder im Bilde, und jene, die für den in« |
neren Sinn gehören, durch Aufmerkſamkeit auf das, was in feiner
Seele vorgeht, verjchaffen, und bei abftracten Begriffen dem Bang
bed DVerftandes nachfolgen, wie er fie von den finnlichen abzog.
Hier überzeuge er ſich felbft, Daß es einem endlichen Verftande
nicht vergönnt ift, eine große Menge bildlicyer Begriffe auf ein»
mal zu faßen und zu bearbeiten, daß feine Schwäche ihm bie
Verfürzung feiner Operationen durch Abftraction nötig machte;
— daß aber aud die Abftraction nie ihren Urfprung verleugnen
darf, damit fie nicht in leeres Wortſpiel ausarte, dem in ber
Seele nichts reelled mehr entjpricht, daß das Bildliche, das An⸗
jchauende der Erkenntnis zur Wirkſamkeit Xeben und Kraft geben
muß, daß ed unter die jchädlichften Mißverftändniffe des Erziehers
gehört, ein herrſchendes Seelenvermögen zu unterdrüden oder zu
ſchwaͤchen“ u. ſ. w. „Zur Richtigkeit im Schließen führe er ihn
dadurch an, daß er ihn felbft Wahrheiten aus Erfahrungen fols
gern lehre.“ Hinſichtlich des Spracdunterrihts wird beftimmt:
„Schon die Ausſprache ſoll der Lehrer zur Reinigkeit und Wahr⸗
heit zu bilden ſuchen; ſie ſei frei von Provinzialfehlern und deut⸗
lich, daß der Schüler auch das Harte und Starke, nicht blos das
Sanfte unfrer Sprache, ſchon bei der erften Zuſammenſetzung ber
Töne in Silben und Wörtern fühlen lerne. Gr lehre ihn richtig
Iefen mit der Tonbildung nach Zeit und Empfindung, daß er fein
Ohr ſchon früh an Tonmaß, Wolklang und Ausdrud
gewöhne. Bu dem Endzwed wäle er auch fchon gleich anfangs
leichtere Verſe.“ Hierzu noch die Bemerkung: „Die Bezeichnung
feiner (des Lehrers) Gedanken fei im Einzelnen richtig, aber auch
in der Zufammenjeßung deutſch, Damit er früh den Vorteil ers
— 1% —
halte, daß einft in feinen Reden und Schriften ähter dentſcher
Geist wehe.“
Indeſſen waren es nicht blos Die unteren lateinijchen, fon
dern auch die eigentlihen Volksſchulen, denen Fürſtenberg, von
dem unermüdlichen Eifer des Pfarrerd Overberg unterflügt, feine
Fürforge zumendete. Fürftenberg ſchuf eine Gentralverwals
hungsbehörde für das gefammte Unterrichtsweſen des Landes,
gründete eine Normaljchule und ein Schullehrerfeminar, *) woz
die Landftände i. J. 1790 die erforderlide Summe bewilligten,)
baute Schulhäufer, erhöhte das Dienfteinfommen der Lehrer,
forgte für Ausbildung von Lehrerinnen u. drgl.*) Außerden
publizirte Fürftenberg unter dem 2. September 1801 audy eine
Schulordnung für die Volksfchulen des Hochſtifts, welche zur Zeit
ihres Erſcheinens ald Mufter einer vollfommenen Organifation des
Schulweſens galt, weldye wegen der außerorbentlichen Ueberſicht
und Sorgfalt, mit der alle Berhältuiße des Schulweſens berüd:
fichtigt wurden, und wegen der mannigfachen Gigentümlichkeiten,
*) Urfprünglid war das Seminar nichte anderes als Rormalſchule, d. h. ein
methodologifcher Lehrcurſus, den die ſchon angeftellten Lehrer zu beſuchen ver
pflitet waren. Bis 1801, in welchem Jahre aud) die Lehrerinnen zum Veſuche
der Normalfchule genötigt wurden, hatte diefelbe nır Einen Lehrer, der zugleich
Euratgeiftliher war, nemlich den Konfiftorialrat Overberg. Seitdem kam uod din
zweiter Geiftlicher in die Anftalt.
**) Indeſſen gilt es doch mehr von den Berdienften Yürftenberge um die
Stadt-, ald um die Dorffhulen, was in der topogr. hiſtor. ftatift. Befchreibung
der Stadt Münfter (1836) gerühmt wird: „Dem großen Fürftenberg wear e
vorbehalten , die fchmwierige Aufgabe einer Verbeherung der Schulen zu loöſen.
Der, Bollsunterriht war im Wüniterlande in einer fo traurigen Befdhaffenbeit,
daß man faft fagen kann, ed gab gar keinen. Gchullehrer muften gebildet,
Schulen gebaut, Befoldungen für die Lehrer ausgemittelt und die Eltern bewogen
und angehalten werden , ihre Kinder in die geöffneten Schulen zu fenden. Hätte
Fürftenberg gar kein anderes Berdienft, als dab er der Verbeßerer des Volke
unterricht8 war, die Rormalfchule gründete und den Lehrer der Lehrer, Over-
berg, aus der Verborgenheit feiner Kaplanei zum Lehrer der Normalſchule be
rief, fo würde es ſchon ſchwer fein, den Gegen zu fchildern, der fi) aus dieſer
Stiftung in taufend Strömen über das Rand verbreitet hat.”
— 199 —
bie fie darbietet, immerhin eine bejondere Bertdfichtigung ver:
dient, weshalb fe bier in einem moͤglichſt voltändigen Auszug
mitgeteilt wird.
Ihre wejentlichiten Beftimmungen waren: folgende: *)
$. 1. Alle Kinder follen vom 6. bis zum 14. Lebensjahre
die Schule beſuchen, wenn fie nicht ein pfarramtliches Zeugnis
darüber beibringen, daß es ihnen fo frühe nicht möglich iſt, ober
daß fie der Schule früher wieder zu entnehmen find. Handeln
Eltern gegen dieſe Beftimmung, jo müßen fie nicht3 defto weniger
das Schulgeld bezalen, und die ärmeren unter ihnen werben bei
der Almofenverteilung übergangen. Außerdem follen zuwiderhan⸗
deinde Eltern mit den nötigen Zwangsmitteln zur Befolgung der
Schulordnung angehalten werden. — Diejenigen Slinder, welche
in Dienfte geben, find ebenfall8 zur Zalung des Schulgeldes ver-
pflichtet,, und die Brodherrn find nötigenfalls durch Strafen anzus
halten, Daß fie die in ihren Dienften ftehenden Kinder zur Schule
Ihiden. Auch in Anfehung derjenigen, die aus fremden Kirch:
Ipielen gebürtig und in Dienften find, bat der Pfarrer dafür zu
forgen, Daß fie zur Schule gehen, oder er bat, wenn fie aus er:
beblicyen Urſachen dDispenfirt werben, durch eignen Privatunterricht
oder auf andere Art für deren Religionsunterricht zu forgen. Ohne
Vorwißen des Pfarrerd fol Fein Kind in dem zum Schulgehen
beitimmten Alter in ein auswärtiged Kirchjpiel in Dienft gehen.
Auch Hat der Pfarrer des Kirchſpiels, aus weldhem das Kind
wegzieht, den Pfarrer desjenigen Kirchipield, in welches es zieht,
davon zu benachrichtigen.
$. 2. Unter die Lehrgegenftände ift auch aufzunehmen bie
Uebung im Aufſetzen eines deutſchen Briefe, einer Rechnung,
Quittung oder eines ſonſtigen Aufſatzes. Auch in den erften
Orundfäpen des Aderbaues und der Landwirtfchaft fol (nach An:
leitung der von dem Kanonikus Bruckhauſen darüber angefertigten
Schrift, welche den Schulmeiftern mitgeteilt wurde ,) Unterricht
) Der Inhalt der Schulorduung wird hier nad) dem Auszuge aus derfelben
mitgeteilt, der fih in Schlegels Schrift über Schulpflichtigkeit und Schulzwang
S. 140-146 vorfindet.
— 200 —
erteilt werden. So viel als möglich find in den Schulen a
Uebungen in Induſtrie- und Handarbeiten anzuftellen.
Durch Prämien werden die dazu fähigen Lehrer ermunter,
denjenigen Schülern, welche dazu Muße und Fähigkeit haben,
einen zmwedmäßigen Unterricht in der höheren Anwendung ber
Rechenkunſt, in den Anfangsgründen der Geometrie und Medanit,
wie auch vorzüglich in der Seelenlehre zu geben, jedoch jo, daß
dadurch der Allen zu erteilende Unterricht nicht verabjäumt werde,
worauf auch die Pfarrer zu feben haben.
$. 3—6. Rein Schullehrer darf ein Nebengewerbe treiben;
jeder muß vor feiner Anftelung von der Schulkommiſſion geprüft
werden, auch zuvor einen Curſus in der Normalfchule oder in
dem Seminar zu Münfter durchgemacht haben. Iſt ihm über
feine Fähigkeit ein Zeugnis von der Schulfommiffion erteilt, je
erhält er auf drei Jahre eine Zulage, nad) deren Ablauf er ſich
zur neuen Prüfung melden muß, wobei aber auch auf fein fitt-
liche8 Verhalten Rüdficht genommen wird. Auch Diejenigen Schul
lehrer, weldye Feine Zulage genießen, müßen alle drei Jahre von
der Schulfommilfion geprüft und nad Befinden an die Normal
ſchule veriwiefen werben.
$. 7. Diejenigen Schullehrer oder Schullehrerinnen, welde
die Normalſchule aus eignem Antriebe oder auf Anweifung frequen
tiren , erhalten aus derſelben zu ihrem Unterhalt 11 Rthlr.; wer:
den fie aber zum zweiten Mal dahin verwiejen, jo baben fie fih
auf eigne Koften zu unterhalten.
$. 8. Nach Ablauf eines jeden Halbjahre® wird eine öffent:
lihe Schulprüfung in der Kirche gehalten, wo die ſich auszeich—
enden Kinder öffentlich namhaft gemacht und am Ende des Jahres,
wenn dazu Mittel vorhanden find, belohnt werden.
$. 9. Wo es ausführbar ift, follen bejondere Mädchen:
Ihulen errichtet werben.
$. 10. Da den Schullehrern und Schullehrerinnen Fünftig:
bin audy für den Sommercurs Schulgeld bezalt werben fol, jo
find fie auch verpflichtet, in den Sommermonaten Schule zu balten.
Sind die Kinder mit Arbeiten bejchäftigt, fo haben fie die Som
merjchule mwenigftens an einigen MWochentagen zu befuchen, und es
— 201 —
fol dann die Schule zu derjenigen Tageszeit gehalten werden, mo
fie am füglichften abfommen können. Wo aber unüberwindliche
Hinderniffe vorliegen, müßen auch jelbft Die Fleineren fchulfähigen
Kinder die Sonn- und Fefttagsichulen befuchen.
8. 12. Die Kinder haben auch während des erften ober
der beiten erften Jahre nach der erften Zulaßung zur Communion
die Kinderlehre in der Kirche und die Sonntagsfchule zu befuchen
und müßen fi) vor jeder neuen Communion prüfen laßen. Auch
haben fih alle vor der Eingehung der Ehe einer Prüfung zu
unterwerfen.
6. 13. „Die Präceptoren oder Lehrerinnen, welche hin und
wieder von dem Schulzen oder den Bauern gehalten werden, follen
nur mit Erlaubnis und unter Aufficht des Pfarrerd gehalten
werden dürfen.”
6. 14. Die Küfter, welche zugleich Schullehrer find, müßen,
wenn während der Schulzeit Küftergeichäfte vorfallen , diejelben
allenfalls einem andern auftragen, wibrigenfalls ihm ein Subfti-
tut gefegt werden fol, der Diele SKüftergefchäfte auf feine Koften
verrichtet.
6. 15. Die Schullehrer dürfen ſich keine Subftituten halten,
fie müften denn durch Alter und Krankheit an eigner Verwaltung
bes Dienftes gehindert fein.
6. 21. Kinder, welche von einer Kirchipielsfchule nicht be
trächtlich weiter entfernt wohnen, ald von einer Nebenfchule, jollen
ſich zur Kirchſpielsſchule halten. Muſten fie fich jebody wegen der
Lage ihres Wohnorts in Die Schule eines fremden Kirchipiels
einweifen Iaßen, fo fol dahin gejehen werben, daß fie vom 12.
bis zum 14. Jahre in die Kirchfpielsfchule gefchict werben.
6. 22. Sollte eine Gemeinheit mwünjchen, ihre Kinder in
eine bequemer gelegene Schule zu fchiden, jo fol ihr dies nur
unter der Bedingung erlaubt jein, wenn ber Ardidiafonus auf
den erftatteten Bericht des Predigerd nicht? dagegen zu erinnern
bat, und wenn fie fernerhin die Finder einige Male im Jahre
ihrem Pfarrer mit einem Zeugnis des Schnllehrerd und des aus⸗
wärtigen Pfarrer zum Examen ftellen, Dasfelbe fol auch Bei
— 208 —
einzelnen Rindern geſchehen, welche cine auswärtige Schule be
ſuchen wollen.
F. 28-32. Jeder für lehrfähig erklärte Schullehrer erhält
eine Zulage von 30 Rthlr., und die vorzüglicheren daneben noch
eine Belohnung von 10 oder 20 Rthlr. Die für fähig erflärten
Schullehrer erhalten eine Zulage von 10 Rthlr. Die für fähig
erflärten Schullehrerinnen erhalten eine Zulage von 20 Rihlr.
Die zu Diefen Zulagen und Belohnungen erforderlichen Gelder
werden durch eine Steuer aufgebradht.
$. 35—36. Das Schulgeld beträgt halbjährlich für jedes
Kind 6 Ggr., wofern nicht ein höheres Schulgeld hergebracht if.
Die Befreiten bezalen jährlid für jedes Kind !/, fl. mehr als das
gewöhnliche Schulgeld.
G. 37. Das Schulgeld foll auch für diejenigen Schulen
und Bauernkinder fowie für alle übrigen nicht für die höheren
Studien beftimmten Kinder bezalt werden, welche von eignen
Präceptoren Unterricht erhalten.
6. 39. Das Schulgeld wird nicht von dem Schullehre
jelbft,, fondern auf Grund eined von dem Pfarrer balbjährig ge
nehmigtes Verzeichnis der fchulpflichtigen Kinder vou dem Orte:
veceptor erhoben.
Schon im folgenden Jahre 1802 wurde Münfter von preuß.
Truppen bejeßt und der Gefchichte des HochftiftS hiermit ein Ende
gemacht.
XVI.
Das ſacularifirte Fürſtentum Paderborn.
Die geringen Anſätze, welche zur Ausbildung eines geord⸗
neten Schulweſens in den Städten des Paderborner Fürſtentums
im Anfange des 17. Jahrhunderts gewonnen waren, hatte der
dreißigjaͤhrige Krieg ſaͤmmtlich vernichtet, und der allen hoͤheren
Intereſſen rühmlichſt ergebene Fürftbifhof Fer dinaud IL
(v. Fürftenberg), der i. J. 1661 zur Regierung kam, ſah fich
daher genoͤtigt, die Schulen des Landes geradezu von Neuem zu
— 203 —
Ichaffen. Indeſſen wollte ſich der Biſchof nicht auf Die Herftellung
der Stadtſchulen beichränfen; er wollte auch dem chriftlichen Land⸗
volfe Die Mittel gewähren, Die zur chriftlihen Erziehung der
Jugend und zur Förderung derjelben in der Erkenntnis der Heils⸗
lehre notwendig waren. Kerdinand erließ Daher unter dem 30. Octo⸗
ber 1668 eine Neihe von Verordnungen, worin er den Bfarrern
zur Pflicht machte, felbft oder durch einen andern Geiſtlichen an
jedem Sonntag Nachmittags, auf den Zilialdörfern an den Feft:
tagen, Alt und Jung im Katechiſsmus zu unterrichten. Auf den
entfernter gelegenen eingepfarrten Dörfern jollte der Pfarrer dieſen
Unterricht durch einen feiner Sacellane erteilen laßen. Das Bolt
jolte daran erinnert werben, daß diefer linterricht nicht blos für
die Jugend, fondern auch für die Srwachlenen beftimmt ſei. Da
aber , wo man fehon eigentliche Schulen gehabt habe, jollten die
verwüfteten Schulhäufer wieder aufgebaut und fromme Tatholifche
Schulmeifter und Schulmeifterinnen angeftellt werden, und alle
Kinder unter zwölf Jahren, „welche zu anderer Arbeit. oder
einem Handwerk noch nicht tauglich find,” follten zum Beſuche der
Schulen angehalten werben.
Somit waren die erften Keime, aus denen das Dorfſchul⸗
weſen hervorgehen ſollte, geſchaffen worden, indem die Pfarrer
beauftragt waren, beſondere katechetiſche Lehrſtunden einzurichten,
oder dieſelben durch ihre Sacellane einrichten zu laßen. Aber
nachdem der Verſuch gemacht war, dieſe Einrichtung ins Leben
treten zu laßen, muſte es ſich alsbald herausſtellen, daß dem Be⸗
dürfnifje, welche in der angegebenen Weiſe befriedigt werden ſollte,
nur durch wirflide Schulen genügt werben konnte. Der Nach⸗
folger Ferdinands, der Biihof Hermann Werner, Freiherr
von Wolfe Metternich zur Grat, der i. 3. 1683 zur Regierung
fam, publizirte daher unter dem 6. September 1686 eine neue
Kirhenordnung, worin er, die Grlafle feines Vorgängers beſtaͤ⸗
tigend, verordnete: „Die Schulmeifter und Schulmeifterinnen
follen Die unfchuldigen Kinder vor Allem zur Andacht, Oottes⸗
furcht und zum Beten fleißig anführen, auch Biefelben in den
rudimentis fidei und im Catechismo wol inftruiren,
damit, wenn fie bes Sonntags in dem Catechismo von bem
— 204 —
Paſtor oder Catechista aufgefortert und befragt werden, darinnen
beſtehen fönnen; follen auch alle Wochen mit ihren unſchuldigen
Kindern dreimal den heiligen Rojenfranz mit den Geheimniſſen,
entweder in der Kirche unter der Meſſe, oder in der Schule, wann
fie geendigt, beten; und alfo die blühende Jugend zu allem Gu-
ten anreizen, und zu foldem Ende lieber die Schule und Lehre
etwas früher abbredyen, als ſolches unterlagen.” Wuch follten die
Lehrer oder Lehrerinnen mit den Kindern „in guter Ordnung alle
Samstag Nachmittags, wenn das Zeichen zur Vesper gegeben,
nach den Kirchen gehen, und allda (nachdem die Vesper abjolvirt
ift,) die Litanias Lauretanas auf lateinijch ober deutſch fingen und
demnächſt die Kinder nad, Haufe gehen laßen.“
Was Biſchof Hermanı Werner verorbnet hatte, wurbe burd
die Beichlüße einer am 10. Juni 1688. 3u Paderborn gehaltenen
Discefanfynode wiederholt und beftätigt. Die Synode fchärfte es
nochmals allen Pfarrern ein, daß fie felbft oder durch ihre Kate
hiften Die fonntäglichen Katechifationen mit gröftem Fleiße zu
halten, auch das Volk zu bejcheiden hätten, daß in Zukunft Kie
mand zum Genuffe des Altarſakraments zugelaßen auch Niemand
getraut werben follte, der nicht mit dem Katechismus vertraut fei.
Außerdem follten aber auch überall Schulen eingerichtet und we
ſie bereits beftanden, hergeftellt werben, doch in ber Regel in
jeder Parodhie nur Eine Die Schüler follten im katholiſchen
Glauben unterrichtet und mit dem Gebet des Herrn, dem Engel&
gruß, dem apoftoliihen Glaubensbekenntnis, dem Decalog und
der Defenntnisformel (von Trident) befannt gemadt werben. Die
Geſchlechter follten in den Schulen getrennt fiben und die Mädchen
jollten von einer befondern Lehrerin unterrichtet werben. Wo
noch feine Schulen beftünden, follten Die Pfarrer Die Begründung
derfelben mit den DOrtövorftänden und Behörden in &rwägung
ziehen. Die Schulen follten von den dazu bevollmäcdhtigen Schul:
vorftänden fleißig vifitirt werden. Die Pfarrer follten von den
Kanzeln herab alle Eltern ihrer Gemeinden ermahnen, daß fie
ihre Kinder zur Schule ſchickten. Die Schullocale follten we
möglid immer unweit der Kirche eingerichtet werden. Die Pr&
jentation der Schulmeifter follte von den Pfarrern und Orte
— 205 —
obrigkeiten, die Beftätigung derfelben von den Archidiakonen ab-
hängen u. f. w.
Bon diefen Verordnungen Fam indeflen nur jo viel zur Aus⸗
führung , als die Neigung der Pfarrer und der Gemeinden und
die Fähigkeit der Küfter ermöglihte, — d. b. ed kam von den⸗
jelben nur Weniged zum Vollzug. Erſt unter den beiden lepten
Fürftbiichöfen von Paderborn Frie drich Wilhelm (von Wefts
phalen) und Franz Egon (von Färftenderg) konnte die Aufr
beßerung des Schulwejend mit beßerem Grfolg betrieben werben.
Der erftere wies durch eine Verordnung vom 31. Auguft 1788
auf die Wichtigkeit des Volksſchulunterrichts hin, erklärte alle
Kinder vom 6.— 14. Lebensjahre für fchulpflichtig und fegte eine
bejondere Kommiffion nieder, welche mit der Beauffichtigung des
gefammten Unterrichtöwejens betraut wurde. *) — Indeſſen war
Friedrich Wilhelmd Regierung von zu kurzer Dauer, ald daß
biejelbe zu einer umfaßenden und durchgreifenden Schulreform füh⸗
ren fonnte, Als Franz Egon (1789) Die Regierung antrat, waren
daher die Dorfichulen des Landes noch immer in der fchlecdhteften
Verfaßung. Allerdings ftellte Kranz Egon zur Belehrung ber
Schulmeiſter und zur Verbeßerung der Landſchulen in der Haupts
ftadt einen Normallehrer an, und allen Landſchullehrern war es
zur Pflicht gemacht, während einer gewißen Zeit im Jahre den
Unterricht defjelben zu bejuchen. Allein Damit war der Volksſchule
noch gar nichts genügt, denn der Normallehrer war in der Regel
ein mit dem Schulwejen wenig vertrauter Franzisfanermönd und
die Schulmeifter waren jo arm, daß fie fih nur ganz furze Zeit
in der Hauptftadt aufhalten fonnten.
In der Stadt Paderborn jelbft gab es bis zum Ende des
18. Jahrhunderts, abgejehen von ben drei beftehenden Mädchen,
ſchulen, gar feine Volksſchule. Alle drei in Paderborn eingerich⸗
teten Knabenſchulen waren lateinifche Lehranftalten. Da es aljo
für die Kinder der Armeren Volksklaſſen Feine Schule gab, fo
legten fich dieſelben von ihren erften Lebensjahren an auf die
— —
) G. 3. Beſſen, Geſchichte des Bistums Paderborn, B. Il. G. 377.
— 206 —
Bettelei und ſchwaͤrmten ſchaarenweiſe auf den Straßen umher,
um ſich von Vorübergehenden Almoſen zu erpreßen. Da unte:
nahm es ein würdiger Geiſtlicher, der Pfarrer Fechteler an der
Univerfitätäfirche, eine eigene Schule zu errichten, worin die Kin
der aus den Armften Volksklafſſen diejenige Bildung erhalten
tönnten, die ibnen als fünftigen Handwerkern, Dienftboten u. dgl.
notwendig wäre. Fechteler befchäftigte fi) lange Zeit mit diejem
Plane, der Manchen auch in der Hinficht abgeichredt haben würde,
weil es durchaus an einem Fonds fehlte, woraus Die mit einem
foichen Unternehmen verbundenen großen Koften hätten beftritten
werben koͤnnen. Fechteler legte feinen reicheren Mitbürgern, fowie
auch dem Landesheren feinen Plan vor, und es gelang ihm,
Menichenfreunde zu finden, Die ſich zu jährlichen freiwilligen Beis
trägen zur Unterftügung der Schule erboten. Dieſe Beiträge
wuchjen bald jo jehr an, daß der edle Manı in den Stand ge
jet wurde, ein Bürgerhaus zur Ginrichtung der Schule an
kaufen und einen Lehrer zu beſolden. Das was von den jähr:
lichen Beiträgen übrig blieb, wurde zu bleibenden Kapitalien au
gelegt, damit die Schule nad) und nad, ein für fich felbft beſte⸗
bendes Inſtitut werden koͤnnte. Die Obrigkeit begünftigte ben
Fortgang der guten Sache vorzüglich dadurch, daß fie alle ärmeren
Eltern anhielt, ihre Kinder unausgefept zur Schule zu fchiden,
widrigenfalld fie feine Anfprüche auf Unterflügung aus der öffent.
lichen Armenkaſſe haben ſollten. Dieſes und die öffentliche, herz⸗
liche Aufforderung, die Fechteler vor der Eröffnung der Schule
an alle arme Eltern ergehen ließ, wirkte jo viel, Daß Die Schule
Ihon im erften Jahre von 100 armen Kindern beſucht wurde und
kurz darauf ungefähr 150- Schüler zälte.
Die Einrichtung det’ Schule war folgende: Da fie ihrem
Endzwede nad) ein Inſtitut fein follte, worin arme Kinder den⸗
jenigen Unterricht erhielten, deflen fie in Anfehung ihrer fünftigen
Beftimmung zunächft beburften, jo hatte der eigentlihe Schul
unterricht nur Die gemeinnügigften und einem Jeden notwendiger
Kenntniffe zum Gegenftande, nemlich Religions⸗ und Sittenlehre,
fertige Lefen, Schönfehreiben, Rechnen, Geichäftsftil und das
Bemeinnügigfte aus der Geſchichte und Naturgefhichte. Den Un
— 207 —
terricht genoßen fämmtliche Kinder unentgeltlih, da dem Lehrer
ein fizer Gehalt zugefihert war. Eben jo wenig brauchten die
Eltern auch in anderer Hinficht für ihre Kinder Auslagen zu mas
hen, da diefen Bücher, Papier, Federn, Tinte und fonftige
Schulgerätjchaften unentgeltlich verabreicht wurden.
Die fegensreihen Wirkungen dieſer erften Bürgerjchule Pa-
derborus waren Schon im erften Jahre ihres Eutftehend unverkennbar
wahrzunehmen; diefelbe war aber auch Die einzige wol eingerichtete
Volksſchule, welche fi im Hochftift Paderborn vorfand, als die
jeibe i. 3. 1802 mit der preußiſchen Monarchie vereinigt wurde.
XVII.
Das vorhinnige kurcolniſche Herzogtum
Weſtphalen.“)
Die erſten ſichern Nachrichten aͤber die Pflege des Volks⸗
ſchulweſens in dem Kurfürſtentum Cölu und in dem zu demſelbigen
gehörigen Herzogtum Weſtphalen liegen aus der Regierungszeit
des Kurfürften und Erzbiſchosfs Magimilian Heinrid
(1650—1688) vor. Durch Ausjchreiben vom 12. October 1656
verordnete nemlich der Kurfürft, jedoch nur ganz im Allgemeinen,
daß überall die nötigen Schulen angelegt und den Schulmeiftern
der erforderliche Unterhalt gereicht werden ſollte. Indeſſen hatte
dieſe Verordnung ſchwerlich einen erheblichen Erfolg, inden noch
im Anfang des folgenden Jahrhunderts fortwährend über den
Mangel woleingerichteter Schulen von allen Seiten her Klagen
laut wurden. Joſeph Clemens, des Vorigen Nachfolger,
fuchte, nachdem er in Folge feiner unglüdlihen Verbindung mit
Frankreich längere Zeit hindurdy von feinem Lande getrennt war,
nad feiner Rückkehr in dasſelbe i. 3. 1715 wirklich zur Aus:
führung zu bringen, was fein Vorgänger beabfichtigt hatte. Er
*) Nah Seiberp, weftphäliiche Beiträge zur deutſchen Gedichte. B. 11.
©. 393—438.
— 208 —
verorbnete nemlich, 1) daß die zum Schulhalten verbundenen Beif:
lichen diefer ihrer Pflicht auf das Pünftlichfte nachkommen , widrigen-
falls ihnen auf ihre Koften Subftitute beigegeben werben jolten,
2) daß die weltlichen Schullehrer immer amovibel bleiben und bei
fahrläßiger Vewaltung ihres Amtes jofort abgejeßt werden ſollten;
au follten ihre Stellen von den betreffenden Patronen binnen
Monatsfrift jo gewiß wieder befeßt werden, als ſonſt für Diesmal
der Erzbiſchoff oder defjen Vicariat dafür Sorge tragen würde;
3) daß an allen Orten, wo bisher aus Mangel an Fonds fein
Scyulmeifter gehalten worden fei, vorläufig durch offizielle Col⸗
lecten für deſſen Unterhalt geforgt werden ſollte. Dieje PVerord:
nungen des Kurfürften bewirkften es, daß wirflidy eine Anzal von
neuen Sculen entftand; aber obgleich der Kurfürft Glemend
Auguft (1723 — 1761) die Verordnung feined Vorgängers von
1715 durch ein Patent vom 15. Februar 1740 erneuerte, jo fam
ein einigermaßen geordnetes Volksſchulweſen doch nur in dem weis
phäliihen Süderland zur Ggiftenz. Einzelne Dörfer in demſelben
namentlid) das Kirchjpiel Wenden im Amisbezirk Dipe lieferten
für das ganze umliegende Land, wo man nur Winterjchulen hatte,
eine große Anzal wandernder Lehrer, welche gegen freie Beköftigung
von Seiten der Eltern, deren Kinder fie unterrichteten, und gegen
ein fehr geringed Schulgeld den Winter hindurch Schule hielten,
während fie im Sommer irgend eine Handtierung trieben oder bei den
Bauern tagelohnten. Die Beauffichtigung des Schulwefend lag
im ganzen Kurfürftentum in den Händen der Geiftlichfeit. Der
Pfarrer allein prüfte Die Bewerber um erledigte LXebrerftellen, ftellte
den Lehrer an und übte ohne Mitwirkung einer andern Behörde
die Aufficht über feine Dienftführung aus. ‘Die Oberaufjicht war
den Decanen und weiterhin dem Generalvicar des Erzbiſchofs vor
behalten, von denen auch vorkommende Streitigfeiten unterjudt
und geregelt wurden. Schulvijitationen fanden nur bei Belegen
heit der Kirchenvilitationen Statt. Außer dem Karehismus waren
feine beftimmten Lehrbücher, außer Religionslehre, Leſen und
Schreiben feine Unterrichtöfächer vorgejchrieben; nur Verbote ein
zelner Bücher und Lehrobjecte waren daneben vorhanden.
Erf unter der Regierung Magimilian Friedrichs,
— 209 —
Grafen von Königsegg-Rothenfels (1761—1784), weldhe in der
Keriode der Felbigerſchen Schulreform fiel, nahm für das Wolfe:
ſchulweſen des Kurfürftentums eine neue glüdlichere Zeit ihren
Anfang. Natürlich zeigte fi) auch hier der Geift, von dem die
Reformthätigkeit im Fatholifchen Deutjchland überhaupt ausging,
in feiner vollen Gigentümlicyfeit wirkſam. Zunächſt wurde durch
Verordnung vom 14. Juli 1764 den betreffenden Geiftlichen Die
Abhaltung von Kirchen» und Schulvifitationen eingefhärft. Am
11. Mai 1770 wurden die kurz vorher vom Erzbiſchof abgefchafften
Feiertage ganz bejonders für Scyultage erklärt. Am 20. uni 1778
wurden Die Schulhäufer in die allgemeine Brandfocietät aufge⸗
nommen und durch eine Verordnung vom 19. December 1783
wurde befohlen, daß jeder neu angeftellte Yehrer vor feinen Amts⸗
antritt fi) von dem Wcademierat prüfen und fi) durch eine
von demjelben zu erwirfende Bejcheinigung zur Uebernahme feines
Amtes qualificiren laßen ſollte. Für das Herzogtum Weftphalen war
ſchon i. 3. 1781 eine befondere Schulfommiffion angeordnet worden.
AS Maximilian Friedrih i. 3. 1784 ftarb, überzeugte fich
deſſen Nachfolger Maximilian Franz (Erzherzog von Defter-
reih, 1784—1801) alsbald, daß von den Verordnungen feines
Vorgängers leider noch wenig zur Ausführung gekommen war.
Er verordnete daher am 24. November 1787 von Neuem, daß
fein Schullehrer mehr angeftellt werden follte, der nicht vorber
von der Schulfommilftion zu Bonn geprüft und fähig befunden
ſei. Zugleich fügte er Hinzu, daß dafelbft in den Monaten Mai,
uni, Juli, Auguft und September befondere unentgeltliche Vor:
lefungen zur Befähigung der Schullehrer gehalten werden follten,
und Iud alle Schulamtöcandidaten ein, dieſe Vorlefungen zu be-
Juden. Hiermit war der erfte Anfang zur Begründung einer Nor-
maljcyule für das Kurfürftentum gemacht. Indeſſen konnten doch
diefe Anordnungen dem Schulwefen nicht viel helfen. Selbſt die
zu Bonn gebildeten Schulamtscandidaten leifteten bei Weitem das
nicht, was von ihnen erwartet war, und zwar hauptſaͤchlich darum,
weil es dem Unterrichte in der Normaljchule an aller methodiſchen
Drdnung fehlte. Außerdem ſah man ein, daß für dad Herzog—
tum Weftphalen die Einrichtung einer mit allen Localverhältuiffen
Heppe, Boltsfhulweien, 8. 14
— 210 —
vertrauten Provinzialichulbehörte dringendes Bedürfnis war. Mari;
milian Sranz ſchuf daber am 9. Mai 1791 für das Herzogtum
MWeftphalen eine neue von den Schulbehörden in Bonn ganz un:
abhängige Schulkommiſſion. Zugleich wurde für Die Verwaltung
der Schulangelegenheiten ein beftimmter Geſchäftsgang vorgeſchrie⸗
ben, der Beſuch der Normaljchule in Bonn wurde i. J. 1792
den Schulcandidaten des Herzogtums ausdrüdlich zur Pflicht ge
macht ‚und zwei Jahre jpäter wurde für das Herzogtum ein be
jonderer Normallehrer beſtellt. Im Jahr 1797 wurde verfügt,
daß das Generalvicariat einem Geiftlichen, mit deſſen Beneficium
eine Schule verbunden fei, nur dann die Inveſtitur erteilen folte,
wenn ſich derſelbe durch ein Zeugni der Schulfommilfion über
feine Fähigkeit zum Schulhalten ausgewiefen habe. In den nächſt—
folgenden Jahren publizirte der Kurfürft eine Reihe treffliher
Verordnungen, durch welche dem Schulwefen nad) den verſchie⸗
denften Seiten hin aufgeholfen wurde. So wurden am 19.Maärz 1798
die Schulbefuche der Pfarrer, die Vifitationen der Schulen durch
die geiftlichen Sonferenzen und deren Berichtderftattung verordnet;
am 26. Detober 1799 wurden diejenigen Gemeinden, weldye eigene
Schulgebäude unterhielten, von der Verbindlidyfeit zum Pfarr
ſchulbau entbunden; am 5. April 1800 wurde vorgefchrieben, daß
die Gemeinden , welche neue Schulgebäude errichten oder an alten
bedeutende Reparaturen vornehmen wollten, darüber zuvor einen
Bauriß zur Prüfung an die Schulfommifjion einjenden ſollten;
am 15. December 1800 wurden in einem , auf befonderen Befehl
des Kurfürften erlaffenen Vicariatscirculare die Gegenftände und
die Methode des Schulunterricht3 beftimmt; durch den Meſcheder
Bifitationsreceß vom 23. Juni 1800 wurden genauere Vorſchriften
über den Pfarrgottesdienft, das Pfarramt, NMufficht über bie
Sitten, Armenpflege, Unterricht der Jugend und über das Kr
henvermögen gegeben. Das Induſtrieſchulweſen war jeit dem
Jahr 1769 im Lande heimifch geworden und verbreitete fid
jehr bald von der erften zu Hönkhauſen errichteten Suduftrie
ſchule über die meiften Schulen des Herzogtums.*)
) Nach den Verzeichniffen der Schulinduflrieprodnfte, die fpäterhin der Kirden-
und Schulrat jährlid bekannt machte, betrug i. 3. 1808 die Zal der Schulm
— 2ll —
Durch den Lüneviller Frieden, 1801, wurde das Erzftift
fäcularifirt: Der auf dem linken Rheinufer befjelben gelegene Teil
fiel an Franfreich, während das Herzogtum Weftphalen an Heſſen⸗
Darmftadt und die übrigen Refte des Erzftiftes an verſchiedene
Herren famen. An die Stelle der früheren Eurfürftlichen Schul-
fommiffion zu Arnsberg trat jet ein beffifcher Kirchen- und
Schulrat dafelbft, und der rege Eifer, mit dem die Heſſen-Darm⸗
ſtaͤdtiſche Landesregierung das Schulweſen in allen Teilen ihres
Landes zu heben fuchte, Fam natürlidy auch den Volksschulen des
Herzogtumd zu Gute. Der Attendorner - Vijitationsreceß vom
14. April 1804; die Beitätigung des jährlichen ſchon feit 1795
von Sauer durchgeführten Normalcurfes durch die Verord⸗
nung vom 3. Mai 1804; die Vorfehrift vom 17. Septr. 1804
über die jährlichen Prüfungen der Schullehbrer und Kandidaten;
die Einführung der jährlichen tabellarifchen Weberfichten über die
Kirhen und Schulen vom 6. December 1804; Die Anordnung
vom 3. October 1805, daß jährlich eine allgemeine Weberficht
jämmtlicher Induſtrieprodukte der Landesſchulen gedrudt und aus:
geteilt werden folle; die Vorjchrift vom 30. Januar 1806, daß
Lehrer und Lehrerinnen ihre Stellen nicht ohne Dienftentlaßungs-
gefuch und erfolgte Genehmigung verlaßen follten; die Ausfchließung
der Ausländer von Pfarr: und Schuldienften vom 18. April 1807
und noch mehrere fpätere Verordnungen, welche ſowol die immer
fortjchreitende Bildung des Lehrerperſonals, als deſſen anftändige
Verſorgung zum Zwede hatten, lieferten biefür Die ſprechendſten
Beweiſe.
Als daher das Herzogtum Weſtphalen durch den Wiener
Frieden, 1815, vom Großherzogtum Heſſen-Darmſtadt getrennt
und dem Königreich Preußen einverleibt wurde, fand ſich in allen
Teilen des Landes ein mit großem Segen wirkendes Volksſchul⸗
weſen vor. In den 119 Pfarreien des Herzogtums beſtanden
(mit Einſchluß von etwa 17 Mädchenfchulen) 271 Lehranſtalten
worin Induftrie getrieben wurde (im ehemaligen Herzogtum Weftphalen) 156, die
Bat der arbeitenden Kinder 5591 und der Wert der gefertigten Arbeiten
11,756 Thlr. In jedem der folgenden Jahre fteigerten fich diefe Balen.
Ar
— 212 —
mit ftändigen im Normalcurs unterrichteten Lehrern und Xehrerinnen,
Alle Kinder waren im Schulorte vom 6. und außer vdemfelben
vom 7. bis 14. Lebensjahre ſchulpflichtig. Alle muften mit den
gejeglih eingeführten Lehrbüchern zur Schule kommen, welche das
ganze Jahr hindurch, im Sommer wie im Winter, gehalten wurde.
Gelehrt wurde nicht blos Religion, ſondern audy andere Gegen:
ftände, als „Erziehungslehre in phyſiſcher und moralifcher Hinſicht,
Lefen nad) Sprachregeln, Schön», Recht- und Gefchwindfchreiben,
Schriftliche Auffäße fürs Leben, Briefe, Duittungen, Rechnungen
u. drgl., ſchriftliches und Kopfrechnen, allgemeine Moral uud be
fondere Glaubenslehre, bibliſche Geſchichte mit Nutzanwendungen,
Sinn des Gebets, und als Nebengegeuftände in Zwiſchenſtunden
die Vorkenntniſſe von Naturgeſchichte, Erdbeſchreibung, Geſund⸗
heits- und Hoͤflichkeitslehre, Haus- und Landwirtſchaft; wiewol
der Unterricht in dieſen Gegenſtänden, je nach Bedeutung der
Schule, mehr oder minder vollfommen ift.” Kirchen, Schulen: und
Volkzlieder wurden nad) der Methode der Gefangesubung mit
Ziffern in den Schulen eingeübt. Neben der Beichäftigung mit
induftriellen Arbeiten wurden auch gumnaftifche Uebungen veran
faltet. Einzelne Schulen befaßen eigne Fonds aus Gemeinde
mitteln oder Privatgefchenfen. An der Stelle der früheren elenden
Hütten, in denen der Schulmeifter mit feiner Schule gehauft hatte,
waren zwedmäßige Schulhäufer aufgeführt und durch die Cr
rihtung von Schuldiftriften war erft in Die Verwaltung unb
Beauffichtigung des Schulweſens die erforderliche Gliederung und
Ordnung gekommen.
XVII.
Das Königreich Hannover.
Die ältefte Beitimmung über die Einrihtung von Dorf
ſchulen in den jet zum Königreid) Hannover gehörenden Landen
enthält Die von dem Herzoge Julius i. J. 1569 für den Wolfen:
büttler Landesteil aufgeftelte, aber feit 1593 auch in dem
Fürſtentum Kalenberg und Göttingen eingeführte Kirchenorbnung.
— 213 —
Diefelbe beflehlt, daß, da die Eltern oft nicht Zeit genug hätten,
um ihre Kinder ſelbſt zu unterrichten, auf den volfreicheren Dör-
fern von den Küftern deutſche Schulen eingerichtet werden follten.
Indeſſen blieb dieſe Verordnung, wie alle derartigen Vorfchriften in
jener Zeit, ohne Erfolg, und die nächften Nachfolger des Herzog
Julius jcheinen an die Vollziehung derſelben wenig gedacht zu
haben. Als dagegen das Fürftentum Kalenberg und Böt-
tingen nad dem Erlöjchen des Wolfenbütteler Haufes dem Her-
zoge Georg von der Tüneburger Linie zufiel, begann fich in
demfelben allmählich, ein Volksſchulweſen aufzubauen. Die eigent-
liche Anregung zur Begründung der erften Anfänge des Volks⸗
ſchulweſens gab indeſſen der damals in Helmftädt durch Georg
Galizt erwedte eigentümliche Geift, der in ähnlicher Weiſe wie
der fpätere Pietismus chriftliche Frömmigkeit für höher Haltend
als confeflionelle Rechtglaͤubigkeit auch in ähnlicher Weiſe wie der
Pietismus den kirchlichen Katechifationen feine bejondere Fürjorge
zuwendete. Einer der treueften Anhänger Calixts, der nach⸗
herige Gonfiftorialrat Dr. Juſtus Befenius*), gab damals
(1631) eine im ®eifte Caligtd ausgeführte Bearbeitung des Ka⸗
tehismus Luthers ald „Katechismusſchule“ Heraus, durch
welche er das Wefentliche der Katechismuslehre nicht blos dem
Gedaͤchtnis, fondern auch dem Verftändnis und dem Herzen ber
Einzelnen näher bringen wollte. Um das Büchlein noch praftifcher
einzurichten, veranftaltete Gefenius i. J. 1635 aus Demfelben einen
„kurzen Auszug, darin die bloßen Fragen und Antworten zujam-
mengezogen find für Diejenigen, fo fih im Katechismo unterweifen
laßen”, worauf derfelbe im jahre 1639 noch eine zweite revibirte
Auflage des Auszugs folgen ließ. Zugleich verordnete jetzt das
Konfiftorium durch Ausfchreiben vom 29. Aug. 1639 gegen den
Widerſpruch der orthobor-Iutherifchen Theologen, daß dieſes Büch—
lein für Prediger und Schullehrer auf Koften der Kirchen ange-
ſchafft und daß in den Heinen Städten und auf dem Lande ftatt
der bisherigen Nahmittagspredigten mit Ausnahme
*) Späterhin murde Geſenius Generalfuperintendent und Oberhofprediger
zu Hannover. |
— 214 —
der Fefttage, die Jugend in der Kirche, ſo wie aud in
den Schulen darnach unterrichtet und auf deren Beſuch
nötigenfall® mit Gelbftrafen gebrungen werden follte.*) €»
entftanden daher jebt infolge der inneren geiftigen Befrudtung,
welche die Kirche im Kreiſe Calixts erhalten Hatte, einzelne Kate:
chismusſchulen, die indeflen faft nur im Minter (von Kindern,
von der erwachjenen Jugend und auch wol vom Gefinde) beſucht
wurden. — Die Einrihtung von Sommerfchulen gebot zuerft
Herzog Chriftian Ludwig unter Dem 12. Mai 1646; indefien
wurde von denjenigen Eltern, welche ihre Kinder zur Sommer!
zeit bei der Arbeit nicht gut entbehren Fönnten, nur gefordert,
daß fie Diefelben wo möglich Sonnabends Nachmittags, in jedem
Falle aber Sonntags vor oder nach dem mittägigen Gottesbienfte
eine Stunde lang zur Schule ſchicken follten.
Aber noch immer fehlte den Schulen des Fürſtentums Ka:
lenberg eine beftimmte Regel ihrer Einrichtung. Um dieſem
Mangel abzuhelfen, erließ der Herzog Georg Wilhelm unter dem
9. October 1650 eine Schulordnung, welche eine Neibe von De
“flimmungen über Schulpflichtigkeit, Beſuch Der Sommerſchulen,
Entrichtung des Schulgeldes, Schulvifitation, Schulzucht und
Erteilung des Fatechetifchen Unterrichts enthielt. Es wurde ver
ordnet, daß alle Kinder vom ſechſten Jahre an bis zum zwölften
oder wenigftens fo lange die Schule befuchen follten, Bis fie den
Katechismus ordentlich gelernt hätten. Täglich follte der Lehrer
Morgens und Nachmittags je drei Stunden lang im Lefen, Schrei⸗
ben und im Katechismus unterrichten, an jedem Morgen follte die
erfte Stunde mit Geſang und Gebet eröffnet werben.
*) Brgl. Hente, „Georg Caliztus und feine Zeit“ B. IT. S 116 u. 184;
Schlegel, „SKirdhengefhidte von Hannover,“ ® I. ©. 524 und Cherbep.
„Geſchichte der Gefeniusfhen Katehismusfragen” in dem Braunſchweigiſchen Magazin,
1856. S. 53— 379. — Diefer caligtinifche Katechismus, gegen das Wider
ftreben der ftreng Iutherifchen Gegner Galigts Büſcher in Hannover, Mid. Walther
in Celle (Berfaffer eines andern Katechismus) von der Regierung eingeführt, wird
n Kliefoths kirchlicher Zeitfehrift Jahrg. 1856 durch ein Noftoder Rechtegutochten
(Mejers) vom 25. Februar 1856, S. 341—360 als der allein zu Recht beſtehende
lutheriſche Katechismus gegen eine Reihe anderer auf dieſelbe Weiſe von der Re
gierung eingeführten Katechismen vertheidigt.
— 215 —
Natürlich waren alle damals beftehenden Schulen in ben
Pfarrdörfern errichtet, weil die Einrichtung derjelben Sache ber
Küfter war. Jedoch wurde ſchon in der am 14. October 1656
landesherrlich beftätigen Kalenbergifchen Superintendentenordnung
(Rap. 2, $. 4—6) geftattet, daß auf folchen Dörfern, welche
vom Pfarrdorfe weit entlegen wären, eigene Lehrmeifterinnen oder
auch Scyulmeifter angenommen werden dürften. Indeſſen ſollten
die Kinder nur bis zu ihrem neunten Lebensjahre dieſe Neben-
Ichulen beſuchen dürfen, und die Gemeinden follten nach wie vor
verpflichtet fein, zur Unterhaltung der Pfarrfchule beizufteuern.
Die Schulordnung von 1650 wurde fpäterhin zu wieder:
holten Malen in neuen Ausgaben publiziert, zunächft von dem
Herzoge Johann Friedrih unter dem 14. Dezember 1676 und
von dem Herzoge Ernft Auguft unter dem 9. Dftober 1681. Die
Abänderungen, welche Die alte Schulordnung in dieſen neuen
Ausgaben erlitt, betrafen eigentlicd nur die Beſtimmungen über
die Handhabung der Didciplin und über die Entrichtung des
Schulgelded. In Betreff der erfteren wurde angeordnet, Daß jede
Berabjäumung der kirchlichen Katechifationen (jeitend Erwachſener)
mit 1 ©gr. Strafe geahndet werden follte Für Schulverfäums
niſſe, deren Schuld Die Eltern trügen, follten dieſelben willfürlich
und nach Beichaffenheit der Umstände geftraft werden. Von den
eingehenden Strafgeldern follte '/, dem Kirchenärar, ?/, der Obrig-
feit, '/, dem Schulmeifter oder Küfter '/; demjenigen, durch wel:
chen die Obrigkeit jedes Orts die Strafe vollzieht, zufallen. —
Die Entrichtung des Schulgeldes betreffend wurde beftinmt, daß
dasfelbe von den Eltern der Schulkinder quartalweije gezalt wer:
den jollte.
Für das Fürftentum Lüneburg wurde zuerft durch Die
Polizei- und Kirchenordnung des Herzogs Chriftian von Braun⸗
ſchweig von 1619 die Einrichtung von Volksſchulen angeordnet.
In der Polizeiordnung wurde nemlih (S. 9) befohlen: Da es
leider „hell am Tage, daß die Jugend faft ind Gemein jehr
verabfäumt, und Gott den Allmächtigen erfennen zu
lernen aus Mangel der Schulen nicht recht unterwiejen werde,“
fo habe das Konfiftorium Dafür zu jorgen, Daß ſoviel immer
— 214 —
der Fefttage, die Jugend in der Kirche, fowieaudin
den Schulen darnad unterrichtet und auf deren Beſuch
nötigenfall® mit ©eldftrafen gedrungen werden follte*) Co
entftanden Daher jeßt infolge der inneren geiftigen Befruchtung,
welche die Kirche im Kreiſe Galixtd erhalten hatte, einzelne Kate:
chismusſchulen, die indeſſen faft nur im Minter (von Kindern,
von der erwachſenen Jugend und auch wol vom Gefinde) beſucht
wurden. — Die Einrihtung von Sommerſchulen gebot zuerf
Herzog Ehriftian Ludwig unter dem 12. Mai 1646; indeſſen
wurde von denjenigen Eltern, weldye ihre Kinder zur Sommer
zeit bei der Arbeit nicht gut entbehren Fönnten, nur gefordert,
daß fie diefelben wo möglich Sonnabends Nachmittags, in jebem
Falle aber Sonntage vor ober nad) dem mittägigen Gottesdienfte
eine Stunde lang zur Schule ſchicken follten.
Aber noch immer fehlte den Schulen des Fürftentumd Ka—
lenberg eine beitimmte Regel ihrer Einrichtung. Um dieſem
Mangel abzubelfen, erließ der Herzog Georg Wilhelm unter dem
9. October 1650 eine Schulordnung, welche eine Reihe von Bes
ſtimmungen über Sculpflichtigkeit, Beſuch der Sommerſchulen,
Entrihtung des Schulgeldes, Schulvifitation, Schulzucht und
Erteilung des Fatechetilchen Unterrichts enthielt. Es wurde ver
ordnet, daß alle Kinder vom fechsten Jahre an bis zum zwölften
oder wenigftend jo lange Die Schule befuchen follten, bis fie den
Katechismus ordentlich gelernt hätten. Täglich follte der Lehrer
Morgend und Nachmittags je drei Stunden lang im Lefen, Schrei⸗
ben und im Katechismus unterrichten, an jedem Morgen follte die
erfte Stunde mit Geſang und Gebet eröffnet werden.
) Vrgl. Henke, „Georg Galirtus und feine Zeit“ 3. II. & 116 u. 1%;
Schlegel, „Kirhengefhidte von Hannover,“ ® I. ©. 524 und Oberbev.
„Geſchichte der Gefeniusfhen Katehismusfragen” in dem Braunſchweigiſchen Magazin,
1856. S. 53—379. — Diefer caligtinifche Katechismus, gegen das Mile:
ftreben der ftreng Iutherifchen Gegner Calizts Büfcher in Hannover, Mid. Walther
in Celle (Verfaſſer eines andern Katechismus) von der Megierung eingeführt, wird
n Kliefoths kirchlicher Zeitfchrift Sahrg. 1856 durch ein Roſtocker Rechtsgutachten
(Mejers) vom 25. Februar 1856, S. 341—360 als der allein zu Recht beftehende
lutheriſche Katechismus gegen eine Reihe anderer auf diefelbe Weife von der Re
gierung eingeführten Katechismen vertheidigt.
— 215 —
Natürlih waren alle damald beftehenden Schulen in den
Pfarrdörfern errichtet, weil Die Einrichtung derſelben Sache der
Küfter war. Jedoch wurde ſchon in der am 14. October 1656
landesherrlich beftätigen Kalenbergifchen Superintendentenordnung
(Rap. 2, $. 4—6) geftattet, daß auf ſolchen Dörfern, welche
vom Pfarrdorfe weit entlegen wären, eigene Lehrmeifterinnen ober
auch Schulmeifter angenommen werden bürften. Indeſſen follten
die Kinder nur bis zu ihrem neunten Lebensjahre diefe Neben-
Ichulen bejuchen dürfen, und die Gemeinden follten nad) wie vor
verpflichtet fein, zur Unterhaltung der Pfarrjchule beizufteuern.
Die Schulorbnung von 1650 wurde fpäterhin zu wieber-
holten Malen in neuen Ausgaben publizirt, zundchft von dem
Herzoge Johann Friedrih unter dem 14. Dezember 1676 und
von dem Herzoge Ernft Auguft unter dem 9. Oftober 1681. Die
Abänderungen, welche die alte Schulordnung in dieſen neuen
Ausgaben erlitt, betrafen eigentlidy nur die Beſtimmungen über
die Handhabung der Diöciplin und über Die Entrichtung des
Schulgeldes. In Betreff der erfteren wurbe angeordnet, daß jede
Berabjänmung der Eirchlihen Katechifationen (jeitend Erwachfener)
mit 1 Ggr. Strafe geahndet werden follte Für Schulverfäums
niffe, deren Schuld die Eltern trügen, follten dieſelben willfürlich
und nad) Bejchaffenheit der Umftände geftraft werben. Bon den
eingehenden Strafgeldern follte 1/, dem Kirchenärar, 1/, der Obrig-
feit, 1/, dem Schulmeifter oder Küfter !/; demjenigen, durch wel:
hen die Obrigkeit jedes Orts die Strafe vollzieht, zufallen. —
Die Entrihtung des Schulgeldes betreffend wurde beftimmt, daß
dasjelbe von den Eltern der Schulkinder quartalmeije gezalt wer⸗
den follte. |
Für das Fürftentum Lüneburg wurde zuerſt Durch Die
Polizei und Kirchenordnung des Herzogs Ghriftian von Braun
fchweig von 1619 die Einrichtung von Volksſchulen angeordnet.
In der Polizeiordnung wurde nemlih (S. 9) befohlen: Da e8
leider „bel am Tage, daß die Jugend faft ind Gemein jehr
verabfäumt, und Gott den Allmädtigen erfennen zu
lernen aus Mangel der Schulen nicht recht unterwiefen werde,“
fo habe das Ktonfiftorium dafür zu forgen, Daß ſoviel immer
— 216 —
möglich bei allen und jeden Pfarreien auf dem Lande Schu
len gehalten, auch die Prediger und Küfter die Jugend zu
untermweifen und die Hauswirte ihre Kinder, wenn fie zum längften
fünf oder ſechs Jahre alt find, die Schulen fleißig zu be
juchen, darin lefen, Jhreiben und beten zu lernen, nad
eines jeden Gelegenheit und Vermögen angehalten werben.” Kit
diefe Mühe follen Diejenigen, „Die ed im Vermögen haben,
den Präceptoren die Gebür mildiglich entrichten;” wogegen die
Armen mit gleiher Sorgfalt wie Die MWolhabendern unentgeldlih
unterrichtet werden follen. — Wo jedoch ein Filialdorf von dem
Pfarrdorf und deffen Schule zu weit entfernt ift, follen die Ein
wohner „Io viel contribuiren, daß ein Schulmeifter oder Schul:
meifterin, die Jugend zu unterweifen, Davon unterhalten werten
koͤnne.“
Den Küſtern wurde daher gleichzeitig in ihre Inſtruktion
geſchrieben: „Auf den Dörfern, da Knaben und Kinder zu lehren
vorhanden, und keine andre Schulen und Schulmeiſter ſind, da
ſollen die Custodes nach jedes Orts Gelegenheit Schulen anrichten,
die Kinder Beten, Leſen, Schreiben und Rechnen lehren,
den Katechis mum und Sprüche üben und der Jugend flär-
lich inkulkiren.“
Die Verordnungen, welche Die Landesregierung in ben
Jahren 1653 und 1654 erließ, beweifen jedoch, daß die Dorf
füfter die ihnen in der Polizei und Kirchenordnung auferlegten
Verpflichtungen wenig oder gar nicht beachtet hatten. Damals
hatte der Generaliffimus zu Lüneburg, Dr. Michael Malter,
eine Bearbeitung des Eleinen Katechismus Luthers ®) edirt, die um
ihrer correcten Vertretung des Lehrbegriff der Koncorbienformel
willen in orthodox Iutherifchen Kreifen um jo höher geſchätzt wart,
ald man in dem Katechismus des Dr. Geſenius nichts anteres al
eine den Iutherifchen Gemeinden böchft verberblicdye Bevorwortung
des Galixtinifchen Eyneretismud oder Indifferentismus zu finden
vermochte. Durch Verordnung vom 25. Mai 1653 wurde dieler
*) Schlegel, Kirchengefhihte von Hannover, B. IT. ©. 11.
— 217 —
Katechismus in dem Fürſtentum Lüneburg, Gellefchen und Gruben:
hagenſchen Teils und dazu gehörenden Graf- und Herrſchaften
mit der an die Superintendenten erlaßenen Vorſchrift publizirt,
daß fie die Prediger hierauf verweilen, auch bei den dreijährigen
Bifitationen und jährlihen Synoden auf die Befolgung dieſer
Verordnung achten oder über Die fich etwa vorfindenden Hinderniffe
berichten, wie Denn auch Der Generalfuperintenbent bei Den General:
vifitationen jeine Aufmerkſamkeit darauf richten follte. Es war die
Abficht der Verordnung, daß diefer Katechismus zum Nugen nicht
nur der finder, jondern auc der Erwachjenen gebraucht werden
follte. Aud war den Beamten, um der Verordnung mehr Nach—⸗
drud zu geben, befohlen worden, den Firchlichen Katechifationen
regelmäßig beizumwohnen, oder wenigftens , wenn fie durch erheb⸗
liche Verhinderungen davon abgehalten würden, ihre Kinder und
ihr Geſinde dahin zu ſchicken. Auch wurde bei Diefer Gelegenheit
den Eltern ſelbſt eingefchärft, ihre Kinder fleißiger zur Schule zu
ſchicken, da dieſe nicht eher zum Genuſſe des heiligen Abendmales
zugelaßen werben follten, bis fie gehörig unterrichtet wären.
Indeſſen hatten diefe Maßnahmen der Landesregierung fo
geringen Erfolg, Daß diefelbe durch Ausfchreiben v. 14. Juli 1654
allen Beamten befehlen mufte, den Predigern zur Ausführung Der
Verordnung vom 25. Mai 1653 eifrigft zu Hülfe zu kommen,
wobei zugleich vorgefchrieben wurde, daß die Eltern ihre Finder
im Sommer wöchentlich wenigftend zweimal, nemlic Montags und
Freitags Vormittags, zur Schule ſchicken und inzwifchen das Vieh-
hüten durch das Gefinde verrichten laßen follten.
Sm Stift Verden datiren die eriten Anfänge des Volks—
ſchulweſens aus dem Jahre 1606. Allerdings war für die Stadt
Verden ſchon i. J. 1578 die Einrichtung einer „Kinderſchule“ mit
einem Rector, Conrector, Bantor und Infimus angeordnet; allein
diefe Schule war, wie ſchon aus der Zufammenjeßung des Lehrer:
perfonals erhellt, nicht eine Volks =, ſondern eine lateinifche Schule.
Die Kirchenordnung, welche der poftulirte Biſchof der Stifte
Denabrüd und Verden unter dem 18. Januar 1605 publizirte,
gab die erfte Anregung zur Einrichtung eines eigentlichen Wolfe:
ſchulweſens. Es wurde nemlich in derfelben den Küftern zur Pflicht
— 218 —
gemacht, fie follten „in Flecken und auf den Dörfern Kinderfchulen
halten und die Kinder im Leſen, Schreiben z2c. untermweilen,
vornehmlich aber follten fie den tenellulisanimis
den heiligen Katehismum wol einbilden, und den;
felben ohne Unterlaß und Aufbören fleißig trei-
ben.” — Natürlich fonnte man zunächft nur daran deufen, für jede
einzelne Pfarrei (nicht für jedes Dorf) Pfarrfchulen zu errichten,
weshalb zur näheren Crläuterung der angegebenen Beftimmung
nod) verordnet wurde: „daß in den Dörfern des Stifts Verden,
da Kirchen find, die Küſter Schule halten, und der einge
pfarrten Leute Kinder fleißig und treulich ihren Gaben und Ber
mögen nach untermeifen jollen, Daß fie lefen, deutſche Pjalmen
fingen und fein fertig den Katechismus recitiren lernen. Es jollen
aud) die Eltern ihre Kinder nicht müßig gehen laßen, jondern ernft-
lich und unverfäumt zur Schule halten, dazu follen fie Die Pastores
pro concione ihre8 tragenden Amtes halber ernſtlich und niit Fleiß
vermahnen.”
Dieſes waren die Dürftigen Beſtimmungen, welche vie Kir
chenordnung über die Einrichtung der Volfsfchulen enthielt, wäh:
rend in Derfelben in Betreff der lateiniſchen Schule zu Verden
eine ziemlich ausführliche Schulordnung aufgeftellt wurde.
Indeſſen vermochte Diefe für das Gtift Verden erlaßene
Kirchenordnung ebenfowenig als die in den hannöverſchen Yanden
publizirte Verordnung dem Volksſchulweſen aufzubelfen. Das gröfte
Hindernis aller Schulreformen lag im Stift Verden wie in ben
bannöverfchen Landen in der Eläglichen Yage und in der Rohheit
der Echulmeifter ſelbſt. Iun Der Hoyaiſchen Kirdyenordnung von
1581 S. 31 und 32 war über die Küſter geklagt worden: „Alt
man denn unter den Küftern zu Zeiten wol ungetrene Gejellen
findet, welche mehr mit Schalfen und Buben fidy unterjchleifen
und fich zu denfelben gefellen, als daß fie ihrem Pastori in jeinem
Amt — — beiftehen follten 2c. 2c.,“ worauf die Verordnung folgte:
„daß fich Die Küfter der unförmlichen landsknechtiſchen, reiteriſchen
Hofen, Wämmſer, furzen Kappen, Kolben und dergleichen Klei⸗
dungen, fo Kirchendienern nicht anftehen, enthalten ſollen, und
feine fchlechte Hofen, Wämmſe und lange Mäntel und NRöde tra
— 219 —
gen — — Sollen.” Die meiften Schulmeifter trieben auch hier
vorzugöweile ihr Handwerk und nebenbei die Schulmeifterei.
„Trieben fie aber fein Handwerk, fo muften fie fich durch Feld:
arbeit ihren notdürftigen Unterhalt erwerben, wozu fie oft die
Schuljugend zu Hülfe nahmen. Hatten fie fein eignes Land oder
feing in Pacht, fo verdingten fie fid) im Sonmer als Taglöhner
bei den Bauern, gewöhnlid, im Lüneburgiſchen als VBienenwärter,
im Kalenbergifchen zur Felbarbeit oder zum Torfſtich. Im Hoyaifchen
gingen fie wol auf einige Monate als fogenannte Hollandsgänger
nach Holland, wo dann die Sommerjchule von jelbft hinwegfiel.”*)
Am Fürftentum Lüneburg führte der i. J. 1665 erfolgende
Tod des Herzogs Chriftian Ludwig und der dadurch über den
Befitz des Fürftentums herbeigeführte Streit Der beiden älteften
Brüder desselben nad) vorgängig getroffener Ausgleichung desſelben
zur Thronbefteigung des Herzogd Georg Wilhelm von Kalenberg
der fofort zur Regelung der kirchlichen Verhältniffe eine Generals
vifitation anordnete, Die Dem Dberjuperintendenten Dr. Hilde-
brand unter dem Beiftande der Beamten jedes Orts übertragen
wurde. Diefe Generalvifitation, welche im Fürftentum Lüneburg
in den Jahren 1667—1669 ftatt fand, zeigte indeſſen nur allzu
deutlich, daß das Volksſchulweſen des Landes kaum dem Namen
nad exiftirte. Die meilten Schullebrer waren nicht nur zugleich
Küfter, fondern auch zugleich Krüger (d. 5. Bierfchänfer), Schnei⸗
ber, Tiichler, Glafer oder Aderleute., Daher überließen die meiften
Schullehrer Die Schulmeifterei ihren Kindern (3. B. in Hermanns
burg und Elding) oder ihren Frauen (3. B. in Ramelsloch). In
Molzen war damald ein junger Burſche Schullehrer, der nod)
nicht zum 5. Abendmal zugelaßen war, der aber doch, wie man
erzälte, ganz gut unterrichtete. Der Schullehrer zu Thönfen im
Kirchfpiel Molzen pflegte im Sommer die Kälber zu hüten und im
Winter Schule zu halten. In manchen Orten oder Außenbörfern
) Vrgl. 3. 8 % Schlegel: Leber Schulpflichtigkeit und Schulzwang,
©. 36. — Noch in dem Bifitationsdirectorium von 1734 wurde die Frage ange-
merkt: „ob der Echulmeifter während der Kehrftunden Zabad raue, einen Bier-
trug oder eine Branntmweinflafhe vor fih ftehen habe.“
— 220 —
3. D. in Nienhagen, in denen man noch Fein Schulhaus hatte,
beftand nur eine Reiſeſchule, weshalb daſelbſt der Pfarrer,
weil man nie wufte, wo die Echule zu finden war, nicht einmal
eine Schulvifitation zu halten vermochte. Insgemein begnägten
fi) die Schullehrer damit, den Kindern nur die Worte des Ra
techismus beizubringen, indem fie die Erflärung des Katechismus,
oder wie man damals fagte, den „Verſtand“ desfelben dem Pre
diger in der Katechismuslehre überließen. Schreiben Eonnten fie
nicht immer, und rechnen nur felten, wenigftend nicht mit ber
Feder, da 3. B. der Schulmeifter zu Iſenbüttel mit Balpfennigen
zu rechnen oder rechnen zu lehren verjudhte. Größere Schulen,
3. B. die zu Sülfeld und Ilten, waren in drei Klaffen geteilt;
in die erfte Klafje gehörten diejenigen, welche laſen und Luthers
Katechismus lernten, in Die zweite Die, welche daneben die Frage
ftüde auswendig lernten, und in die dritte diejenigen, welche ten
„Verſtand“ wißen follten. Nah einer ſolchen Klafjeneinteilung
richtete fich zuweilen auch dad Schulgeld. In Plate muften bie,
welche blos in der Bibel lafen, einen Deut, die im Katechismus
lajen, 1 jgr., und die fehreiben lernten, 1 ggr. bezalen. — Die
Verordnung von 1654, weldye auch für den Sommer einen regel
mäßigen Schulbeſuch verlangte, war nirgends durchzufegen. In
den über Müden an der Derze aufgenommenen Protokoll findet
fi) bemerkt, „der Amtsvogt habe Die Leute zwingen wollen, bie
Kinder auch des Sommers zur Schule zu fchiden; da dieſes aber
vor das Landgericht gekommen, habe der vorige Großvogt gejagt,
man folle es bleiben laßen, man folle es nicht praftiziren.” Wan
war Daher zufrieden, wenn Die Kinder im Sommer nur am
Freitag zum Sermon und zur Katechismuslehre famen. Aber auf
im Winter wurde die Schule fait von feinem Finde regelmäßig
befucht. Daneben war in vielen Gegenden die Winterjchule auf
die Zeit von Weihnacht bis Faftnacht beſchränkt. An manden
Drten, 3. B. zu Oberdhagen und Müden an der Derze wurden
die Kinder jchon im zehnten oder eilften Jahre gradezu wieber aus
der Schule genommen, während fie an andern Orten, z. ©. zu
Himbergen, erft von zwölften Jahre an in die Schule gejdidt
wurden. Sn der ganzen Inſpection Bardowieck gingen die Kinder
— 21 —
faft gar nicht zur Schule. Die Einwohner des Fleckens Bardo⸗
wie fhüßten vor, fie hätten früberhin bei dem daſigen Kapitel
freie Schule gehabt, und die Armenfinder wären außerdem von
dem Kapitel mit Büchern und Papier und mit Tuch zur Kleidung
verjehen worden. Um dieſem Unmwefen zu fteuern, wurde jet für
das ganze Fürftentum verordnet, Daß alle Eltern, fie möchten ihre
Kinder zur Schule ſchicken oder nicht, für jedes Winterhalbjahr
ein Schulgeld von 18 Ngr. bezalen follten.
Sn dem Dannenbergifhen Anteil des Fürftentums
Lüneburg, welcher feit 1569 feine jelbftändige Regierung gehabt
hatte, aber i. 3. 1671 dem Herzog Georg Wilhelm zufiel, ſah
es noch ungleih trauriger aud.*) Auf dem Lande waren fait
nirgends Schulen, auf ben Nebenbörfern überall nicht, auch nicht
einmal in allen Kirchorten, 3. B. in Ribrau. Wo fich indeſſen
Schulen befanden, wurden diefelben nicht beſucht, was von den
Eltern mitunter mit den feltfamften Vorwänden befchönigt wurde.
In Krummafel 3. B. wollte Jemand feinen Sohn nicht zur Schule
ſchicken, weil er heiraten follte und ihn die andern auslachen wür-
ben. Auf Befragen gab er an, daß der Sohn 14 Jahre alt fei.
Ein anderer wollte fein Kind nicht zur Schule gehen laßen, weil
ed noch unmündig und erft 9 jahre alt fei. Als der Oberfuperin:
tendent Dr. Hildebrand die auch bier veranftaltete Kirchenvifitation
beendet hatte, berichtete derjelbe: Die Unwißenheit fei jo groß,
daß Viele nicht einmal das Vater Unfer recht hätten beten Eönnen,
noch weniger ein Tiſchz⸗, Morgen oder Abendgebet. Diele wüſten
nicht einmal, wer fie erjchaffen habe und wie viele Götter wären,
warum fie zur Beichte gingen und was fie im Abendmal emyfingen.
Die Prediger hätten ſich wegen des unterlaßenen Fatechetifchen
Examens damit entjhuldigt, daß fie dazu außer Stande wären,
da die Kinder nit zur Schule kaͤmen und daher auch den Ka-
techismus nicht Iernten. Viele Eltern hätten fi wegen Burüd-
baltung ihrer Kinder von der Schule mit ihrer Armut entfchuldigt,
obgleic) fie zum Saufen Geld finden könnten. Andere behaupteten,
daß fie die Kinder zum PViehhüten und im Haushalt gebrauchen
NR Schlegel, II. ©. 139 ff.
— 222 —
müften. Sa „viele glaubten Gott einen Dienft damit zu than,
wenn fie die Kinder nichts lernen ließen, indem fie fagten: Unfre
Boreltern baben auch nicht beten können und bo
mehr Brod gehabt als wir: mein Sohn foll fein
Doctor werden.“
Im Jahr 1673 wurde dem Oberfuperintendenten Hildebrand
andy die Vifitation der Grafſchaft Hoya übertragen, wo es mit
dem Schulweſen im Ganzen beßer ftand.*) Indeſſen kam auch
hier bei einigen älteren Leuten eine entſetzliche Unwißenheit vor.
In Wechold z. B. wuſte man nicht, ob Knechte und Maͤgde
ſelig würden, — weil es nicht im Katechismus ſtehe. Auf die
Frage des Oberſuperintendenten, „ob nicht, da doch Alles, was
lebe, ſterblich ſei, Gott auch ſterben müße,“ gab ein alter Bauer
zur Antwort: „Ja, Herr, be is wol old, endlich motte
ofwoldran!“
Uebrigend war die unermüdliche Thaͤtigkeit, welche Hilde:
brand in den fünf Jahren, während welder er feine Kirchen⸗
vifitationen ausführte, entfaltete, für das Schulwefen nicht ohne
fegensreiche Folgen. *%) Namentlich gelang e8 ihm wenigftens für
die Winterzeit einen regelmäßigen Schulbeſuch herzuftellen. Da:
gegen war ed zur Zeit noch unmöglih, den Sommerſchulen zu
helfen. In allen Dörfern fand die Schule während des Som
mers ganz verlaßen, wenn nicht etwa in ber @eineinde einige
ganz Heine Kinder vorhanden waren, mit denen bie Eltern weder
im Haufe noch im Felde etwas anfangen Fonnten. In Alten-Gelle
wurde das Verhältnis der Sommer: und Winterfchulen von dem
Schullehrer fo angegeben, daß er im Sommer 5, im Winter
88 Schulkinder habe. An Wienhauſen hatte der ftudirte Schul⸗
lehrer im Winter 8SO— 90, im Sommer kaum 10 Kinder. In⸗
befien pflegten dody die lernbegierigen Kinder im Sommer ihren
Katechismus mit ind Feld zu nehmen, weshalb der Gemeinde
Bergen angedeutet wurde, „fie jollten bei der feinen Gewohnheit
bleiben ihre Katechismusbücher mit ind Feld zu nehmen, ober ge
) Schlegel, Il. ©. 152—-159.
») Ebendaf. ©. 168.
— 23 —
ftraft werden.” — Aus Mangel an Edulen und Filtalfchulen
hatte man es bisher gefchehen laßen, daß die Bauern in Filial-
dörfern nach vorgängiger Anzeige bei dem Pfarrer für den Min-
ter fich einen Schulmeifter mieteten, den fie im Frühjahr wieder
entließen.. Zur Abftellung dieſes Uebelſtandes veranlafte Hilde-
brand an vielen Orten die Einrichtung ftändiger Gemeindeschulen.
Das wichtigfte Nefultat, zu weldem die Bifitationen Hilde
brands in Betreff des Schulweſens führten, war indefjen Die
Publizirung neuer Schulordnungen. Im Jahr 1686 ftellten nem—
li die Stände den Antrag, der Herzog möge zur endlichen und
gründlichen VBefeitigung der Mängel, an denen das Schulweſen
leide, eine volftändige Schulordnung aufftellen. Der Herzog
ging alsbald auf den Antrag der Stände ein, und publizirte ſchon
i. 3. 1687 eine zunädhft nur für die Grafſchaft Dannenberg
beftimmte Schulordnung, weldye über alle Verhältniffe der Schule
und des Lehrers ziemlich vollftändige Vorfchriften enthielt. Auch
die Einrihtung von Sommerfcdyulen wurde befohlen, jelbft für
den Fall, daß ſich nur wenige Kinder zu derſelben einfinden wür-
den. Doc follte e8 den Aderleuten, welche ihrer Kinder zur Ar:
beit nicht entraten Könnten, frei ftehen, die erwachlenen (nicht
aber die Heinen) Kinder während des Sommers zu Haufe zur
Arbeit zu behalten, und fie nur an Regentagen, wenn nichtd jon-
derliches zu thun wäre, zur Schule zu ſchicken. Dagegen follten
fie die ewachfenen Kinder während des Sommers alle Sonntage
Nachmittags, oder wo dieſes nicht anginge, Vormittags in Die
kirchlichen Katechifationen fchiden, und die Schulmeifter follten
dann entweder am Sonntage Morgens oder Freitags eine Nepe-
tition der Katechifationen anftellen.
Unter die Lehrgegenftände wurde in der Dannenbergifchen
Schulordnung auch das Rechnen aufgenommen.
In Betreff der Entrihtung des Schulgelded wurde in der
Schulordnung beftimmt, daß jeder Hauswirt, der ein oder mehrere
Kinder habe, Die über 6 Jahr alt wären, ed möchten nun Dies
jelben in die Schule gehen oder widerrechtlich zurüdbehalten werben,
Schulgeld zu zalen babe. Der Betrag desjelben jollte ſich dar-
nad) richten, ob der Schullchrer and) Küfter ſei oder nicht; erfteren
— 24 —
Falls folten außer den jonft beftimmten Gebüren jährlih 12 Bar.,
in leßteren 16 Ggr. bezalt werden. Die Zalung des Schulgeldes
follte fi) alfo nicht nach der Zal der Kinder, fondern nad de
der Häufer richten, in welchen fich jchulfähige Kinder vorfänden.
Außer dieſer Schulordnung publizirte Georg Wilhelm unter
dem 22. März 1689 eine Verordnung über Einrichtung der Got-
tesdienfte und des Schulweſens in der Stadt Selle und deren
Umgegend, in welcher ebenfalld das Rechnen unter Die Unterrichts⸗
gegenftände aufgenommen, aber in Betreff der Sommerſchulen
angeordnet wurde, daß von Dftern bi8 Michaelis woͤcheutlich nur
an Sinem Tage Schule gehalten werben follte. — Um indefien
dem Schulweſen des ganzen Lüneburger Landes eine möglichſt
conforme Geftalt zu geben, wurde durch Regiminalausfchreiben
vom 11. Juli 1692 und vom 5. November 1696 befohlen, alle
Schulen des Landes fo viel ald thunli nad der Dannenber-
gifchen Schulordnung einzurichten. Zugleich wurde in dem erſt⸗
genannten Ausfchreiben verordnet: 1) An den Orten, wo noch
feine Schulen wären, wo man diejelben jedoch nötig finde, follten
alsbald Schulen errichtet werden, 2) die Kinder follten vom
ſechſten jahre an ununterbrochen fo lange die Schule befuchen,
bis fie auf den Bericht des Pfarrers von dem Superintendenten
geprüft uud confirmirt wären; 3) fein Schulmeifter follte ohne
Vormwißen des Spezialfuperintendenten angeftellt werben; 4) bie
Jugend follte unter dem Vorwande des Viehhütens fo wenig von
dem Beſuche der Schule ald des Katechismusunterrichts in ber
Kirche abgehalten werben; deshalb follten 5) die Gemeinden,
welche die Hütung des Viehes bisher den Kindern überlaßen
hätten, Gemeindehirten annehmen.
Die wefentlihften Umgeftaltungen erfuhr das Schulweien,
ſeitdem (1705) alle Braunfchweigifch = lüneburgifchen Lande wieder
unter Einer Herrſchaft vereinigt waren. Im jahre 1734 veran⸗
ftaltete der König Georg eine neue Ausgabe der älteren Kalen⸗
bergifchen Echulordnung , und erließ zugleih eine neue Schulord⸗
nung für das Fürftentum Lüneburg (mit Ausfchluß der Grafſchaft
Dannenberg) und für Die Dber- und Niedergrafihaft Hoya. Die
in derjelben enthaltenen Beftimmungen über den Beſuch ber
— 25 —
Schulorduung waren noch immer fehr lager Art. &8 wurde nems
lich allen Eltern freigelaßen, in dem Quartal von Johannis bis
Michaelis, wenn fie ihre Kinder zur Arbeit nötig hätten, Diejelben
nach vorgängiger Anzeige bei dem Pfarrer vom Schulbejuche zu-
rüdzubalten, und fie ftatt deifen nur an Sonn: und Fefttagen in
die, kirchlichen Katechifationen, und zweimal in der Woche, nemlich
zu einer Stunde nach beendigter Katechifation und zu einer ſonſtigen
Stunde an einem Wochentage zur Schule zu ſchicken.
Aber gerade jetzt, wo die Landesregierung mit Ernſt und
Nachdruck auf ordentliche Einrichtung der Volksſchulen drang, er⸗
gab es ſich, daß bisher von den publizirten Schulordnungen nur
ſehr wenig zur Ausführung gekommen war. Als z. B. das Kon⸗
fiftorium zu Hannover unter dem 31. Auguſt 1736 zwei Aus—
fchreiben erließ, worin den Beßeren neben Anderem auch die Er⸗
teilung des Rechnen- und Schreibunterrichtes eingejchärft wurde,
ftellte e8& fi) heraus, Daß viele Schulmeifter bisher noch gar feinen
Schreibunterriht erteilt Hatten und deshalb jebt eine bejondere
Vergütung für denſelben beanspruchten.
Unter den einzelnen Beftimmungen, welche die beiden ange-
gebenen Konfiftorialausfchreiben mitteilten , find folgende hervor⸗
zubeben: 1) Den ärmeren Hauswirten, welchen es zu jchwer fallen
jollte, ihre Kinder Bid zum 14. Jahr zu ernähren, follte e8 nach⸗
gelaßen werben, daß jelbige, wenn fie bejcheinigen Eönnten, daß fie
die Schule vom 6. bis zum 12. Jahre regelmäßig beſucht hätten,
in einen Dienſt eintreten bürften. Doc jollte ihre Dienftherrichaft
verpflichtet fein, fie von Oftern bis Michaelid wöchentlich wenig-
fiend zweimal, und von Michaelis bis Dftern viermal zur Schule,
an allen Sonn= und Fefttagen in die firdhlichen Katechifationen
und wenigftend ein halbes Jahr vor der Konfirmation ununter-
broden zur Schule zu fchiden. — 2) Den Schulmeiftern jollte
es nicht geftattet fein, die Schulkinder zu ihrer Haus⸗ und Felds
arbeit zu gebrauhen, den Unterriht durch ihre Frauen erteilen
zu laßen, ober die Unterrichtsftunden wegen vorfallender Begräb-
niffe und Tranungen zu verabfäumen. — 3) Wöchentlich jollen
von den Schulmeiftern den Pfarrern Abjentenliften eingereicht, und
wenn fein genügender Grund zur Schulverjäumnis vorliegt, an
Heppe, RVoltsfhulweien, 8. 15
— 26 —
die Beamten abgegeben werden. — 4) Die Schulmeifter jollten
regelmäßig den von den Pfarrern in der Mutterkirche zu halten
den öffentlichen Katechiſationen beimohnen. Nur denjenigen, welde
auf zu weit entlegenen Filialdörfern wohnten, jollte es nachgeſehen
werden, daß fie nur alle 3 oder 4 Wochen mit ihren Schulfindern
in der Mutterfirche erjchienen. ‘Dagegen jollten diefelben an den
übrigen Sonntagen, weunn fie dazu geſchickt wären, in der Kapelle
oder im Schulhaufe eine öffentliche Katechifation Halten.
Zur Vervollftändigung. der neuen Lüneburgiſchen Schulord⸗
nung wurde zwei Jahre jpäter (1. Juli 1738) eine Declaration
erlaßen, worin einzelne Beſtimmungen berjelben modifizirt wurden.
Namentlich wurde verordnet: 1) Denjenigen Gemeinden ober
Eltern, welche die Kinder wegen des Viehhütend oder der Wirt
Schaft nicht entbehren Fönnten, ober welche genötigt wären, bie
jelben in beiden Sommervierteljahren in Dienft zu geben, jollte es
erlaubt fein, ihre Kinder während des Duartald von Oftern bie
Johannis nur für zwei Stunden in der Woche zur Schule zu jchiden.
Doch jollten jene Umftände vorher durch eine glaubhafte obrigkeitliche
Beicheinigung Documentirt, und in Betreff der Kinder jollte Darauf ge
fehen werden, ob fie ſchon Iefen und fomit ihre Mufe bei dem Vieh—
hüten angemeßen beuugen Eönnten. — 2) Rechnen unterridt
jollte erteilt werden, wenn es die Eltern wünfchen würden. — 3) Die
Eltern der Schulkinder jollten fowol in Predigten von den Pfarren,
als in Vifitationdreden von den Superintendenten ermahnt werden,
die Kinder zum fleißigen Schulbefuch anzuhalten, und den Lehrern
in ihrem mühfamen Amte die ſchuldige Achtung und Ehre zu vw
weifen. — 4) Die Eltern derjenigen Kinder, welche nicht zur
Schule oder zur Kirche kommen würden, follten für jede Verſaͤum⸗
nis mit 1 Nor. beftraft werben.
Hiermit war die Periode der erften Einrichtung deutſcher
Volksſchulen beendet, und in den nächftfolgenden Decennien , wo
(1739) die Dannenbergifhe Schulordnung von 1687 für bie
Grafſchaft Dannenberg nochmals beftätigt und durch wieberholte
Erlafje der Landesregierung (1746 und 1748) allen Schulmeiftern
die genauefte Befolgung der beftehenden Schulorbnungen zur Pflicht
gemacht wurde, begann das Schulweſen allmählich eine geordnete
— 27 —
Verfaßung anzunehmen. Insbeſondere wurde auch in Betreff Der
Beſetzung erledigter Schullehrerftellen, welche bisher ganz den
Superintendenten überlaßen war, verordnet, daß in jedem ein-
zelnen Falle dem Konfiftorium zwei Bewerber mit Hinzufügung
einiger Proben ihrer Gejchidlichfeit zur Betätigung empfohlen
werben follten. Freilich warf der fiebenjährige Krieg wiederum
Vieles nieder, was eben erft ins Dajein gerufen war, und wie
ſchwierig noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die
Einrihtung von Sommerſchulen war, zeigt das Konfiftorialaus-
Ichreiben vom 16. Dftober 1764, worin befohlen wurde, die
durch den Krieg in Abgang gekommenen Sommerfchulen herzu:
ftellen, und in denjenigen außerorbentlichen Fällen, wo auch das
Wenige, was in Anjehung der Sommerjchulen verordnet fei, nicht
ausgeführt werden Eönnte, an das Konfiftorium zu berichten und
darüber Anträge zu ftellen, wie ſolchen Kindern allenfalls durch
ein von dem Schulmeifter ihnen allein, gegen eine Vergütung aus
der Armenkaſſe, zu erteilende bequemere Stunde zu helfen wäre.
Zugleich wurde befohlen, die im Sommer beftändig zur Schule
fommenden Kinder von den feltner erjcheinenden abzufondern,
mit legtern nur das im Winter Erlernte zu wiederholen, und
überhaupt beim Zurüdbleiben der Größern auf Die Kleinen im
Sommer den meiften Fleiß, fowie im Winter auf jene zu wenben.
Eine neue Periode der Entwidlung trat für das Volksſchul⸗
weſen im Kurfürftentum Hannover wie überall mit dem Ende des
18. Jahrhunderts ein. Es brach ſich auch Hier die Anfchauung
Bahn, daß die Volksſchule, ohne ihren eigentlichen Charakter als
kirchlicher Erziehungdanftalt zu verleugnen, doch wejentlih zur
Verbreitung der im Berufsleben des Landmanns und Bürgers
unentbehrlihen Kenntniſſe beftimmt fein müße. Auch ſah man
allmählich ein, daß das Schulweſen nur dann zu wirklicher Blüte
gelangen Fönnte, wenn man tüchtig vorbereitete Lehrer habe, und
für deren Vorbereitung und fernere Ausbildung Sorge trage. Es
war Daher ein Segen für das Hannöveriche Land, als die Muni-
figenz des Kaufmanns Ernft Chriftoph Böttcher der Staats-
regierung i. J. 1751 die Errichtung eines Schullehrerfeminars zu
15*
— 228 —
Hannover ermöglichte. Böttcher *) ſchenkte nemlich zu dieſem Zwede
drei von ihm felbft erbaute Häufer auf der Aegidien-Neuftadt, damit
darin eine Freifchule gehalten werde und in berjelben ein ge
ſchickter, von ihm jelbft falarirter Candidat Unterricht erteilen könne,
den auch angehende Schullehrer, um ſich in der Methodik aus
zubilden, anhören koͤnnten. In diefer befchränften Weiſe wurde
das Inſtitut am d. Januar 1751 eröffnet, von der Landesregie⸗
rung autorifirt und unter die Oberauffiht des Konfiftoriumd
geftellt. Schon i. J. 1754 wurde der Seminarfouds beträdhtlid
erhöht, indem zu den fortdauernden Zuſchüſſen Böttcher damals
noch ein anſehnliches Vermächtnis des Konfiftorialbirectors Toppen,
fowie ein Beitrag der Kalenbergiſchen Landſchaft und Tpäterhin
einzelne Schenkungen, namentlich von König Georg II, binzw
famen. Daber konnte das Inſtitut allmählidy erweitert und man
nigfach vervollfommnet werden. **)
Zugleich erließ die Staatdregierung eine Reihe von Verord⸗
nungen , welche den Zwed hatten, die Wirkſamkeit des Seminars
nach allen Seiten hin zu unterflügen und zu ſteigern. Durd ein
Poftfeript zu dem Ausfchreiben vom 16. October 1764 wurde
verordnet, daß, injomeit es möglich fei, nicht gar zu jugenblide
Subjefte zur Befeßung von Lehrerftellen präjentirt werben follten.
Durch Univerfalverordnung vom 11. April 1769 wurde es den
Predigern zur Pflicht gemacht, an jedem Sonntag mit allen
Schullehrern ihres Kirchſpiels Konferenzen zu halten, um dieſelben
über die Einrichtung und Erteilung des Unterrichts zu belehren.
Auch wurde e8 jebt, da man ganz andere Anforderungen an einen
Lehrer ftellte, al& früher, für angemeßen befunden, durch koͤnig⸗
liche Verordnung vom 1. Mai 1770 diejenigen Lehrer, welche ben
Unterricht zu ihrer Hauptbejchäftigung machten, Der Gerichtsbar⸗
feit der Untergerichte zu entziehen und fie in allen Perfonalpre
zeſſen unter die Gerichtöbarfeit der Gonfiftorien zu flellen. Im
*) Eine Biographie Böttchers findet fih in Salfelds Beiträgen des Kirchen
und Schulweſens 3. 4. Heft I.
*) Brgl. Salfelds „Geſchichte des Töniglichen Schulmeifterfeminors zu
Saunover und deffen Freifchule.“ ’
— 229 —
folgenden Sabre, 1771, wurden Göttend „Grundfäße der Anwei⸗
fung fünftiger Tehrmeifter in deutfchen Schulen“ im Drud veröffent-
licht, damit die Schullehrer Gelegenheit haben follten, ſich über
die Vorausſetzungen eines tüchtigen Unterricht8 felbft zu belehren.
Die Fortfchritte, welche von nun an das Volksſchulweſen
im ganzen Sande machte, ftellten fi am erfichtlichften in ber
Hauptftadt Ddesfelben heraus. Die Gelehrtenfchule, welche auf
der Neuftadt zu Hannover beftand, wurde in den jahren 1795 —
1801 in eine aus zwei abgefonderten Anftalten beftehende Bürger-
Ichule für Söhne und Töchter der Neuftädter Bürger umgewans
belt. Mit der Töchterfchule wurde auch eine Induſtrieſchule vers
bunden. Außerdem beftanten bei jeder Pfarrkirche bejondere Pas
rochialfehulen, welche von den betreffenden Pfarrern beauffichtigt
wurden. Auch war in dem von Johann Duwe i. %. 1643 ger
ftifteten Armen-Waifenhbaufe eine Waiſenſchule, fowie
i. J. 1779 in einem außerhalb des Steinthores gelegenen Arbeits⸗
und Werfhaus eine zweite Schule für verwaifte und arme Kinder
errichtet worden. Zu diefen Schulanftalten Fam ti. J. 1800 noch
eine mit einer Arbeitsanftalt verbundene Garniſonsſchule
Hinzu, beftimmt für die Kinder der Soldaten und Invaliden vom
Feldwebel abwärts.
Ihr eigentliches Gentrum hatten alle diefe Schulen in dem
Seminar und in der mit derjelben verbundenen Freifchule.
In dem erfteren erhielten (um 1796) etlihe und dreißig Semis
nariften völlig Eoftenfreien Aufenthalt und Unterricht; in den Neben«
gebäuden der Anftalt wurden außerdem die Landſchullehrer beher:
bergt, weldhe im Sommer einige Wochen hindurch das Seminar
befuchten, um fi mit der neueren Unterrichtöweife befannt zu
machen. Seder, der Seminarift werden wollte, mufte die im
Seminar erteilten Unterrihtöftunden vor feiner Aufnahme in dass
felbe ein oder zwei Vierteljahre lang ald „Exſpectant“ beſuchen.
Nur diejenigen Exſpectanten, welche zu guten Hoffnungen berech>
tigten , wurden in das Seminar wirklich recipirt. *)
*) Brgl Horſtigs „Nachrichten von den vortrefflichen Schulanftalten in Han-
nover” in Henkes Archiv für die neueſte Kirchengefchichte. B. II. &. 42—51.
— 230 —
Die Freifhule des Seminard war nad) der Berfchiebenkeit
des Alterd und der Kenntniffe der Schüler in verfchiedene Klaflen
geteilt, in deren jeder Kuaben und Mädchen zufammenfaßen und
zwar „jene auf ber einen, dieſe auf der andern Selte auf ge
räumigen Bänfen, die ſich ftufenweife über einander erhoben. Sie
faßen in einer doppelten Ordnung: hintereinander waren fie nad
ihren Fähigkeiten und nebeneinander nach ihrer Sittlichfeit ge
ordnet. Jede Bank Hatte ihren Aufjeber oder ihre Aufjeherin,
welche von den Kindern ſelbſt gewält wurden. An den Seiten
der Bänfe hatten die Seminariften, von denen immer eine gewiſſe
Anzal bei den Stunden gegenwärtig fein mufte, ihre abgejonderten
Standpläße. Jede Bank hatte ihre befonderd numerirten Sige.
An der Thüre des Unterrichtäzimmerd waren die Schulgefege, mit
großen Lettern gedrudt, aufgehängt. In jedem Lehrzimmer waren
verfchiedene Sittentafeln aufgehängt, weldhe die Namen vorzügli
fleißiger oder nachläßiger Kinder enthielten. Mitten im Zimmer
der oberften Klaſſe ftand ein Flügel, auf welchem einer der Se
minariften den Gejang der Kinder zu begleiten pflegte.” — Ueber
den innern Buftand der Schule berichtet Horftig: „Unter allen
Kindern wird man Fein einziges bemerken, welches nicht Durch fein
guted Aeußere, bejonderd durch eine forgfältige Reinlichkeit und
Anftändigkeit in Körper und Kleidung den beften Eindruck auf
jeden Zufchauer made. — Die Behandlung der Lehrer ift muſter⸗
haft. Der jchmeichelnde BZuruf „liebe, gute Kinder, liebe Töchter,
liebe Söhne” Taft die Jugend Feinen Augenblid vergeßen, daf ihr
Vater mit ihnen ſpricht. Hier ift an Fein hartes Wort, an feine
Drohung, an Fein Schelten zu denken. Jede Bank wird von
ihrem Auffeher in Ordnung gehalten. Was der Lehrer fagt, ges
ſchieht augenblidlih, und an Unarten läft man die Kinder gar
nicht denfen , weil fie jeden Augenblid auf die angenehmfte Weile
beihäftigt werden. Ueberdies ift jedes Kind fo frei Hingeftellt,
daß es nicht Die Eleinfte Bewegung machen kann, die nicht ſogleich
in die Augen fiele. Auch find Die gegenwärtigen Seminariften,
die an der Seite ftehn, ebenjo viele Aufjeher auf das Verhalten
der Kinder. — Lefen lernen die Kinder beinahe vom Hören; unb
fie leſen alle ohne Ausnahme muſterhaft. Es ift eine Freude zu
— 2311 —
hören, mit welchem natürlihen Ausdrud in Ton und Miene fie
jedes Wort begleiten. Für Abwechſelung iſt durd die Mannig-
faltigfeit im Unterricht geforgt, worunter beſonders ber fehöne
Geſang der Kinder eine Hauptrolle ſpielt. Unvermutet fingen die
Kinder einige Volkslieder, nicht einftimmig allein, ſondern viel-
ſtimmig, jo rein, weich und fanft, daß die Seele bewegt wird.
Die Berwunderung fteigt, wenn man bemerkt, daß die Kinder
fein Wort weber leſen noch fingen, was fie nicht verftehen und
fühlen. Dazu dienen beſonders die traulichen Unterredungen der
Lehrer mit den Schülern. — Ahr Gedächtnis wird auf Feine
Weife geplagt, und doch find fie im Stande, faft alle Lieder und
Sprüde im Hanndver/jhen Katechismus auswendig herzufagen,
die fie vom bloßen Hören durch Wiederholung gelernt haben.”
Die Bücher und Schreibmaterialien der Kinder wurben in
der Schule aufbewahrt und denjelben von den Banfaufjehern zus
geteilt. Die, Schreibebücher wurden den Kindern von den Semis
nariften (welche ſich nicht blos mit Barten- und Obftcultur, Sei:
bens und Bienenzucht, jondern auch mit Buchbinden befchäftigten,)
ſaͤuberlich eingebunden.
Die Früchte, welche das Seminar zu Hannover für das Volfs-
ſchulweſen der Hauptftadt jelbft brachte, veranlafte es, daß fehr
bald noch zwei andere Seminare zu Grefeld und zu Stade
(feit 1794), ſowie (1806) zu Salzdetfurt (i. J. 1809 nad)
Alfeld verlegt,) und zu Dsnabrüd (letzteres durch den Kon⸗
fiftorialrat Dr. Bradmann) errichtet wurden. Denn das Bes
dürfnis, wo mögli alle Schulen des Landes nur foldhen Lehrern
anzuvertrauen, die wenigftend einige paͤdagogiſche Bildung erlangt
hätten, wurde ſehr bald fo fühlbar, daß das Konfiftorium zu
Hannover unter dem 12. November 1799 befahl, folche junge
Leute von 16—20 fahren, welche zur einftweiligen Annahme der
geringften Schulftellen Luft hätten, auf den Vorfchlag der Superin-
tendenten für die Drei erften Monate jedes Jahres in das Semi-
nar aufzunehmen, um fie für ihren Beruf thunlichft zu präpariren.
In Betreff der in den Schulen zu behandelnden Unterrichts-
gegenftände befahl das Konfiftorium durch Ausfchreiben von
T. April 1785, daß fünftighin in allen Schulen auf dem platten
— 232 —
Lande wenigſtens die vier Spezied des Rechnens, aud das Schrel⸗
ben der Buchftaben, Silben, Wörter und Reiben öffentlih und
unentgeltlich gelehrt werden follte Kür die Kinder unbemittelter
Eltern follte das zum Schreiben nötige Papier, fowie nach einem
Konfiftorialrefeript vom 30. Januar 1776auch Rechnentafeln unentgelt:
lich geliefert werden. — Um außerdem den Lehrern tie Möglid-
feit zu gewähren, den Schulfindern auch anderweitige müplice
Kenntniffe beizubringen, follte für Die Lehrer nach einem Konf:
ſtorialausſchreiben vom 18. November 1788 Fröbings Bürgerjchule
und nad einem Konfiftorialrefeript vom 16. Dezember 1802 Weite
manns Verfuch einer kurzen Darftellung der gemeinen Rechte und
Landesverordnungen auf often der Kirchenkaſſen angefchafft wer:
den. Gine fehr einflußreiche Thätigfeit entfaltete damals der Se
minarbirector Dr. Salfeld, der feit 1800 eine Zeitjchrift unter
dem Titel „Beiträge zur Kenntnis und Verbeßerung des Kirchen:
und Schulweſens in den Eönigl. Braunfchweigifch = Küneburgijchen
- Kurlanden” berausgab.
Die Einrihtung von Induftriefhulen, weldhe in Har-
nover fchon i. J. 1785 verfucht war, wurde namentlich feit 1790
allgemeiner , indem das Konfiftorium durch Ausfchreiben v. 14 De
zember 1790 den Kirchenfommillarien der Provinzen Kalenberg,
Göttingen und Grubenhagen befahl, bei Einrichtung von Induſtrie⸗
Schulen ihre Aufmerkjamfeit auf die Einführung des Wolleſpinnens
und infonderheit des Spinnen der feinen Kammmolle zu richten.
— Als Mufterfchule wurde die Snduftrieanftalt Wagemannd
zu Göttingen von der Staatsregierung vorzugsmweife begünftigt. *)
An die Aufbeßerung der über alle Maßen geringen Lehrerge⸗
halte **) war erſt feit 1769 ernftlich gedacht worden. Als Damals
das Konfiftorium zu Hannover über die Dotationsverbältnifle der
Lehrerftellen Bericht einzog, ergab es fi), daß in dem Konfiftorial
bezirt Hannover über 700 Lehrer vorhanden waren, die jährlich
*) &. oben B. I. ©. 223,
») Meber die allmählih bewirkte Dotirung der Küfter- und Lehrerfielen m
den Hannoverfhen Landen vrgl. Schlegels Kurhannöver’fches Kirchenrecht 8. V.
S. 15—D. -
\
— 233 —
nicht über 30 Rthlr. einnahmen, und darunter befanden fich viele,
die jährlich noch nicht 10 Rthlr. zu beziehen hatten! Im Jahr 1756
verwilligte daher König Georg III. den ärmften Schulmeiftern
ein jährliches Onadengefchenf von 1000 Rthlr., wovon 800 Athir.
durch das Konfiftorium zu Hannover, 140 Rthlr. Durch das
Bremifhe und 60 Rthlr. durch Tas Lauenburgiſche Konfiftorium
verteilt werden follten.*) Hierzu kamen fpäterhin noch einzelne
wolthätige Stiftungen, welche die Aufbeßerung einiger Tehrerftellen
ermöglichten. *) Im Lüneburgifchen wurde namentlich Durch die
Gemeinbeitsteilungsorduung von 1802 die Erhöhung der Schul:
ftellendotationen ausbrüdlich berüdfichtigt.
Indeſſen blieb doch immer Die Lage der meiften Schullehrer
im Rurfürftentum und in dem fpäteren Königreih Hannover fo
elend, wie faum in irgend einem Lande, Namentlich war biefes
in den Heidegegenden des Fürftentumd Lüneburg und des Herzog.
tums Bremen und Verden der Fall. Es gab dafelbft bis zum
Sabre 1815 viele Landfchullehrer, Deren jährlihes Einkommen
nicht mehr als 10, 20 bis 30 Rthlr. betrug; eine Landſchullehrer⸗
ftelle, die 80 bis 100 Rthlr. einbrachte, gehörte daſelbſt "zu den
beßeren und nur fehr wenige hatten ein jährlihes Einkommen
von 150 bi8 200 Rthlr. 8 fehlte daſelbſt nit an Schulge-
meinden, wo nicht einmal ein Schulhaus vorhanden war, wo der.
Schullehrer wochenweiſe von Haus zu Haus wanderte und da,
wo er für diesmal einquartirt war, auch Schule hielt.
In dem fühlichen Teil des Königreih8, in den Fürſten⸗
tümern Kalenberg, Göttingen und Grubenhagen, wo der Boden
den Aderbauern günftiger ift, wo deshalb auch größere Gemeinden
find, ſah es in dieſer Hinficht etwas beßer aus, obgleich auch hier
Schuldienfte von 20 bis 25 Rthlr. Einnahme nicht felten waren
und wohl wenige zu finden fein mochten, die ein jährliches Ein-
fommen von 150 bis 200 Rrtbl. gaben.
Auch in dem Fürftentume Hildesheim war es fo, bis im
Sabre 1815 durch die Fürforge des königl. Kabinetsminifteriume
*) Vrgl. Acta hist. eccles. vol. IN. Weimar. 1776, 5. 585—691.
**) Ausführlichere Nachrichten fiehe bi Schlegel III. ©. 491 ff.
— 234 —
zu Hannover eine Verbeßerung der gering dotirten Schulen ver-
fügt wurde. Die Abficht diefer Behörde ging dahin, daß das
geringfte Einfommen eines Landjchullehrerd mit Einſchluß des
Schulgeldes 100 Rthlr. betragen follte. Zufolge diefer Verfügung
(vom 26. October 1815) wurden die Dienfteinfünfte der Land-
fchullehrer nach einem billigen Maßſtabe veranfchlagt, und wurden
unter beinahe 200 Schulftellen evang. Konfeffion, 121 Schullehrern,
deren jährliches Einkommen nit 100 Rthlr. betrug, zum Teil
bedeutende Zulagen gegeben. Eben diejer Begünftigung hatten in
derfelben Art fih auch Die Fatholiichen Landſchulen des Fürften
tumd zu erfreuen; dahingegen wurden die geringen evangelischen
Schuldienfte in den Eleinen Landftädten ganz unberüdfichtigt ge
laßen, während doch den Opferleuten der Stadt Hildesheim bei
ziemlich guten Ginfünften eine jährlihe Zulage von 100 Rthlr.
jedem verwilliget wurde. Auch wurde ebenfalld für das, freilid
ſchon feit einigen Jahren beftehende, aber undotirte evangelifche
Schulmeifter-Seminar zu Alfeld gejorgt.
Es wurde nun aber auch den Schullehrern, deren Dienft:
einnabme verbeßert wurde, zur Pflicht gemacht, den öffentlichen
Schreibunterricht, welcher jonft beſonders vergütet wurde, künftig⸗
bin allgemein unentgeltlich zu erteilen, wodurd dann bier und da
mancher Echullehrer das wieder einbüfte, was er durch die Zu:
lage gewann, und wodurch die Gemeinden, deren Schulftellen an
diefer Wolthat feinen Teil nehmen konnten, und daher den Schreib
unterricht noch immer bezalen muften, gegen jene Gemeinden zu
rüdgefegt wurden, und bie und da die Lehrer in ſolchen Gemein
den nur mit Mühe die herfömmliche Bezalung für den Schreib:
unterricht erhalten Fonnten, indem diefe fi) auf Die begünftigten
Gemeinden zu berufen pflegten. Noch auffallender war biejes
Mipverhältnis in den Gemeinden, wo zwei Schulftellen waren,
von denen nur eine verbeßert wurde, die andere aber nicht, wo
der eine Schullehrer daher den Schreibunterricht unentgeldlich ers
teilte, der andere aber ihn fich bezalen laßen mufte, wenn er
nicht an feiner, der Regel nach doch noch immer geringen Dienf-
einnahme verlieren wollte. Hier waren unangenehme Auftritte
zwilchen Eltern und Lehrern faft unvermeidlich.
— 235 —
Zu gleicher Zeit erhielt das Schulweſen des Fürſtentums
auch dadurch eine bedeutend verbeßerte Einrichtung, daß Die bis⸗
ber beftandene Obſervanz, nach welcher der gröfte Teil der Ge⸗
meinden ihre Schullehrer felbft wählte und dem Tandes-Konfiftorium
präfentirte, durch eine Konftftorialverordnung vom 26. Mai 1815
aufgehoben wurde. *)
XVIII.
Das Herzogtum Braunſchweig.
Als Herzog Julius zu Wolfenbüttel ſeit 1669 in ſeinem
Fürſtentum die Reformation einführte, dachte weder dieſer ſelbſt
noch deſſen geiſtlicher Rat und Helfer, der Tübinger Propſt Dr.
Jacob Andrä, an die Errichtung deutſcher Volksſchulen. Eifrigft
bemühten ſich beide dafür, durch Reformirung der Klöfter und
Einrichtung von Klofterfchulen dem Lande den Segen lateinischer
©elehrtenbildung zu fihern; Dagegen von deutfchen Schulen, die
einer chriftlichen Volkserziehung dienen jollten, war nicht die Rede.
Nur die Schulen in den Frauenklöftern geftalteten fi), was in
der Natur der Sache lag und fich von jelbit ergab, als weibliche
Volksſchulen, mit denen zugleich Snduftriefhulen verbunden wur⸗
den, indem bier nicht blos im Katechismus, im Leſen und Schreis
ben, fondern auch im Spinnen, Weben und Nähen Unterricht
erteilt wurde.
Den erften eruftlichen Verſuch, neben den gelehrten lateiniſchen
auch deutfche Volksſchulen für beide Gefchlechter einzurichten, machte
der Magiftrat der von der fürftlihen Landesregierung zu Wolfen:
büttel unabhängigen, faft reichöfreien Stadt Braunſchweig.“
Und zwar wurde dieſer Verſuch hier fchon lange vor dem Regie
rungsantritt des Herzogs Julius, nemlidy bereits i. %. 1531 durch
die von Bugenhagen aufgeftellte Kirhenorbnung gemacht, welche
*) Das Lepte ift nad den Freimüt. Iahrbühern der allgemeinen deutfchen
Bolfsihulen, 1819, ©. 425 ff. mitgeteilt.
— 236 —
zugleich beweift, Daß die eigentümliche Wurzel, aus welder bie
Volksſchule erwuchs, und das Intereſſe, in welchem fie gepflegt
wurbe, nichts anderes als die proteftantifche Lehre von der
Tanfe und von der Taufgnade war.
In dem betreffenden Stattut („der ehrbaren Stadt Braun:
ſchweig Kriftlihe Ordnung dur Joh. Bugenbagen 1531”)
heift es nenlid) :
„Don den Schulen”:
„Es iſt Billig und chriftlich recht, daß wir unſre Kindlein
Chriſto zur Taufe bringen; aber, ach leider, wenn fie aufwachlen
und Die Zeit fommt, daß man fie lehren fol, fo ift Niemand
daheim, niemand erbarmt fich über die armen Kinder, Daß mans
alfo lehrte, daß fie möchten bei Chrifto bleiben, dem fie in der
Taufe geopfert find. Niemand verfäumt gern den Kindern bie
Taufe, als auch recht ift: aber wiederum Niemand gedenkt, daß
ung nicht allein befohlen ift, die Kinder zu taufen, fondern
auch, wenn die Zeit fommt, zu lehren, als gefchrieben ift zw
vor von ber Taufe. Die getauften Kindblein leben in der Gnade
Gotte, ald Adam und Eva vor der Sünde im Paradied, wipen
nichts Gutes noch Böſes, wiewol fie von unfrer jündlichen Natur
wegen zu Zorn und zum Böfen geneigt find. Sie haben die Zu-
fage Chriſti: Solchen ift Tas Reich Gottes. Wenn aber Die Zeit
fommt, daß fie vernünftig beginnen zu werden, fo fommt auf
die Schlange als zu Adam und Eva und beginnt Die Kinder zu
lehren alle Untugend und dazu die Vernunft dahin leiten, daß fie
läftern die Artikel des chriftlichen Glauben und verachten den
Bund mit Chrifto, gemadt in der Taufe. Dann if es
Zeit, dann wird von uns gefordert, daß man fie lehren fol;
aber leider, man hält fie nicht dazu, Daß fie Gottes Wort hören
und lernen. Man lehrt fie auch nicht in den Häufern Gottes
Furt und Gebote, man achtet nicht, daß fie das heilige Evan
gelium Chrifti Ternen, daß fie alfo möchten bleiben bei Chriſto,
dem fie zuvor in der Taufe geopfert find, — — So
gehet e8 denn, daß gottlofe Eltern aufziehen gottlofe Kinder; ald
fie von ihren Eltern gehalten find, jo halten fie ihre Kinder fortan,
— 237 —
Boͤſes Ei, böfe Junge, daß ja alfo des Teufeld Regiment, der
ein Fürft der Welt von Chriſto genannt wird, ftarf und mächtig
bleibe." — — Ä |
„Alle dieſe genannten Unglüde fommen daher, daß wir ver-
geßen, ja auch nicht wißen Den Bund, den wir gemadt
baben mit Ehrifto in der Taufe, da wir gewafchen find
mit Chriſti Blut. — — Darum ift bier zu Braunfhmweig
Durch den ehrbaren Rat und die ganze Gemeinde vor
allen andern Dingen für nötig angefehen gute
Schulen aufzurichten, — darinnen die arme unwißende Jugend
möge züchtig gehalten werden, lernen die zehn Gebote Gottes, den
Blauben, das Vater Unſer, die Sacramente Chrifti mit der Ausle⸗
gung, jo viel ald Kindern dient, item lernen fingen lateiniſche
Pfalmen, lefen aus der Schrift, Iateinifche Lectionen alle Tage, dazu
die Echulfünfte, daraus man lerne ſolches verftehen, und nicht allein
Das , jondern auch daraus mit der Beit mögen werben gute
Schulmeifter,, gute Prediger, gute Rechtsverftändige, gute Herzte,
gute, gottesfürchtige, züchtige, ehrliche, redliche, gehorſame, freund:
liche, gelehrte, friedſame, nicht wilde, fondern fröhliche Bürger,
die auch fo fortan ihre Kinder zum Beten mögen halten, und fo
fortan Kindes Kind. Solches will Gott von uns haben; er wird
auch bei und fein mit feiner Gnade, daß ſolches wol gedeihe und
fortgehe.” — Nachdem nun zunächft in Betreff der Iateinifchen
Schulen das Nötige gejagt ift, heiſt es weiter:
„Von den deutſchen Schulen:” „Bei den Deutfchen
Sculmeiftern, von dem ehrbaren Rat angenommen, ſoll man des
Jahres aus dem gemeinen Kaften Geſchenk geben. Dafür follen
fie jchuldig fein, ihre Jungen zu etlichen Zeiten was Gutes zu
lehren aus dem Worte Gottes, die zehn Gebote,
den Blauben, das Vater Unfer, von beiden von
Chriſto eingejegten Sacramenten mit kurzer Deu—
tung und hriftliden Gefängen. Sonft follen die Zungen,
die fie lehren, ihnen den Sold und Lohn für ihre Arbeit geben
defto reichliher und mehr, dieweil fie nicht fo lange dürfen lehren
als die lateinifchen, auch darum, daß ſolche Meifter feinen andern
Sold haben.“
— 238 —
Hierauf wird in Betreff der „Jungfrauſchulen“ vers
ordnet: „Vier Jungfrauſchulen follen gehalten werben an vier
Drten der ganzen Stadt wol gelegen, darum daß die Zungfrauen
nicht fern von ihren Eltern jollen gehen. Die Schulmeifterinnen
will ein ehrbarer Rat verfchaffen und annehmen, die in dem Gvaw
gelio verftändig find und von gutem Gerücht. Dann fol man
auch einer jeglichen von dem gemeinen Schaßfaften Geſchenk geben,
und fie laßen feine Not leiden, ald der ganzen Stadt chriftlide
Dienerinnen. Dafür follen fie wißen, daß fie der Stadt mit ſol⸗
hem ihrem Dienft verpflichtet find.”
„Den Sold aber und den Lohn für ihre Arbeit follen bie
Eltern der Jungfrauen, fo fie vermögend find, deſto mehr und
reichlicher geben und bezalen, ale Jahre, und einen Zeil be
Jahrlohns alle Vierteljahr und zu Zeiten etwas in die Küche,
dieweil folche Lehre Mühe und Arbeit bei fi hat, und wirb doch
in geringer Zeit ausgerichtet. Denn die Sungfrauen Dürfen allein
lehren lernen und hören etlihe Deutungen über bie
zehn Gebote Gottes, auch den Ölauben und Pater
Unſer und was die Taufe ift und Sacrament des Leis
bes und Blutes Chrifti und lernen auswendig auffagen
etlihe Sprüde aus dem Neuen Teftament von dem
Glauben, von der Liebe und Geduld oder Kreuz und
etliche heilige den Jungfrauen dienende Hiftorien oder
Geſchichten zur Uebung ihrer Memorien oder Gedächtnis, auf
mit jolcher Weife einzubilden dag Evangelium Ghrifti, day
auch chriſtliche Geſaͤnge lernen. Solches können fie in einem
Jahre oder zum höchften in zweien Jahren lernen. Darum ge
denken die Eltern au, daß fie den Meifterinnen nicht zu ein ge
ringes geben für jolche Arbeit, wiewol in kurzer Zeit gethan.“
„And die Jungfrauen follen nur eine Stunde oder zum
höchſten zwo Stunden des Tages in die Schule gehen.
Die andere Beit follen fie überlefen, item den Eltern dienen und
lernen baushalten und zuſehen.“
Bid über den dreißigjährigen Krieg hinaus verblieb das
Schulweſen in der Stadt Braunfchweig wie in dem gefammten
Wolfenbüttlerlande in der Verfaßung, welche ihm durch die ange
— 239 —
gebenen Verordnungen verliehen war. ine Gefchichte erlebte das⸗
jelbe in diefer Zeit nur infofern, als der dreißigjährige Krieg auch
bier zerftörte, was in beßerer Zeit gejchaffen war. Erſt nad der
Herftellung des Friedens wendete Herzog Auguft dem Schulwejen
feine Fürjorge zu, indem er (Allg. Landesordnung Art. 2) befahl,
DaB an jedem Sonntag vor und nad) dem Nachmittagsgottesdienft
Katehismusfchule gehalten werden follte, aud unter dem
24. Febr. 1651 eine Schulordnung publizirte und durch fpätere
Verordnungen (vom 15. Auguft und 20. September 1651) deren
pünttlihe Befolgung einjchärfte.
Sn der Stadt Braunfchweig bejchränfte man fich Darauf,
die Beſtimmungen der Kirchenordnung von 1534 thunlichſt wieder
ing Leben zu rufen. Zugleich aber nötigte das über jo viele Fa⸗
milien gefommene Elend, auch an die Einrichtung eigentlicher
Armenjchulen zu denken.
Eins der älteften Hospitalien der Stadt, zugleich das reichite
derjelben, war das der heiligen Jungfrau gewibmete, an ber
langen Brüde gelegene Hospital. Das aus zalreihen Schen⸗
tungen und Zufchüflen der Bürgerfchaft erwachjene Vermögen der
Stiftung war bis zum Jahre 1671 ale eigentliher Armenfonds
angejehen worben, indem aus demſelben reichliche Almofen gefpendet
und Hülfsbebürftige und Gebrechliche aller Art in dem Hoöpitale
beatae virginis Mariae untergebracht wurden. Bald nad} jenem jahre
gab man -indefjen der Stiftung eine andere Beftimmung. Die
darin verpflegten Perfonen wurden auf andere Wolthätigfeitdan-
anftalten augewiefen, und nachdem unter der Leitung einiger Mit-
glieder des Magiftratd dad Hospital in dem Zeitraum von 1676
bis 1678 mit neuen Gebäuden verfehen war, wurde basjelbe zu
einem Armen-, Waifen-, Zucht: und Werfhbaufe einge
richtet, in welchem man auch eine Schule anlegte. *) Dieſe wurde
bei den zu Gebote ftehenden bedeutenden Fonds in der Folge ers
weitert und fpäter mit der Aegidienfchule vereinigt. Nach dem
Ableben des legten Nectord dieſer vormaligen Klofterjchule wurde
*) „Ordnung des Armen», Waifen-, Zucht ˖ und Werkhauſes der Stadt
Braunfchweig von 1677“. Kap. 10 u, 11.
— 240 —
nemlich die erfte Klaſſe derjelben und der Singchor im Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Martineum verbunden. *)
Die Negidienfchule beftand darnach anfangs als eine für Die Magni⸗
und Negidiengemeinde beftimmte Bürgerſchule fort, wurde aber
dann mit der Waifenhausfchule vereinigt.
Bu einer andern Unterrichtsanftalt für Kinder armer Gltemn
dienten nach und nah auch die Surrenden. Diejelben waren
zu St. Martin, St. Katharinen und St. Yegidien zur Zeit der
Reformation, um dem Firchengefang eine Stüße zu geben, er
richtet. Auch waren die Surrendarien verbunden, an gemillen
Tagen auf den Straßen zu fingen, wofür fie Brot und andere
Almofen einfammelten. Zur Erhaltung der Inſtitute waren von
dem Rate und einzelnen Bürgern nicht unbedeutende Fonds ge
bildet, deren zwedmäßige Verwendung der Stabtfuperintendent
Martin Chemnitz i. 3. 1570 geordnet hatte Später wurden
indeſſen auch dieſe urfprünglichen Singſchulen überflüßig. Die
Melodieen der Kirchenlieder waren den Gemeinden geläufig ge
worden und der Geſang auf den Straßen war nicht jehr erbaulid,
weshalb dann, nachdem früher fehon die Martini= und Katharinen-
Currenden zufammengezogen waren, i. J. 1791 alle zu einer Frei
ſchule umgeftaltet wurden. **)
Indeſſen begann die eigentliche Gejchichte eines Das ganze
Volt umfapenden Volksſchulweſens wie überall, jo auch im Braun
ſchweigerlande, erft mit Dem Anfange des achtzehnten Jahrhundertt.
Erft i. J. 1709 wurde die erfte Verordnung publizirt, welche,
nachdem auf den Dörfern bisher nur audnahmsweife Schulen
vorgefommen waren, biefelben in allen Ortfchaften einzurichten be
fahl. Nachdem nemlich durch ein an alle Generalfuperintendenten
bes Landes gerichtetes Ausſchreiben des Konfiftoriums zu Wolfen⸗
büttel unter dem 31. Dftober 1708 angeordnet war, daß auf
allen Dörfern auch während des ganzen Sommers, mit Ausnahme
*) Mandat, das Hectorat an der Aegidienfchule betreffend, vom 30. Dezen
ber 1708.
) Beitrag zu der Geſchichte der Unterrichtsanftalten befonders der Bürger
ſchulen der Stadt Braunfchweig vom Wagiftratsdireltor Dr. Bode,
— 241 —
ber Erndtezeit die Eltern ihre Kinder „alle Tage wenigftens nur
zwei Stunden gegen Entrichtung des halben Schulgeldes unnach⸗
laͤßig zur Schule, auch im Uebrigen fleißig in die Katechismus:
tehre ſchicken“ ſollten, „Damit fie um jo viel eher im Ghriftenthum,
auch jonft im Lefen und Schreiben unterrichtet würden,” — ers
Schien im folgenden Sabre 1709 auf Befehl des Herzogs Anton
Ulrich die neue Braunfchweiger Kirchenorduung, worin die das
mals noch jehr Dürftigen gejeglichen Beftimmungen, welche in Be⸗
treff des Volköfchulwejend vorhanden waren, zufammengefaft und
auch auf die Dorfichaften angewandt wurden. &8 wurde nemlich
in der Kirchenordnung (Kap. 18) angeordnet, Daß auf den Dörfern,
wo feine beſonders angeftellten Schulmeifter feien, die Küfter nach
jedes Orts Gelegenheit die Schulen halten, die Kinder im Beten,
Leſen, Schreiben, auch im Rechnen fowol im Sommer ald im
Winter fleißig informiren, Diefelben den Katechismus und die dazu
gehörigen Sprüche wol auswendig lernen und die gewöhnlichen
Kirchenlieder langſam und deutlich fingen Iaflen follten. Hierfür
follte von einem jeden Kinde ein billige Schulgeld, jowie es an
einem jeden Orte bräuchlich fei, entrichtet werben. Sei die Be⸗
foldung gar zu gering, fo ſollten die Vifitatoren darauf Bedacht
nehmen, wie man dieſelbe ohne merfliche Befchwerung der Ges
meinden aufbeßern könnte. ALS befonderes Emolument wurde den
Schulmeiftern noch bewilligt, daß fie auf den Filialdörfern zur
Maftzeit „gleich einem Kothſaßen der Maftung zu genießen haben
jollten.“
Aber ebenfo wie auf dem Lande, mar die Beßerung des
Schulweſens in der (jeit 1671 den Herzögen zu Wolfenbüttel voll-
ftändig unterworfenen) Stadt Braunfchweig dringend notwendig.
Die alten fieben Gemeindeſchulen waren Längft nicht mehr hin⸗
reichend, weshalb die Bürgerfchaft fich teilmeife mit Privatjchulen
behelfen muſte. Dagegen ergingen nun ſcharfe Strafmandate.
Auf höheren Befehl vom 25. Septbr. 1703 wurden alle Winfel-
Schulen geſchloßen. Späterhin (12. Auguft 1723) wurde die Zal
der conceffionirten Lehrer auf 40 figirt, obwol e8 bei dein Mangel
an Öffentlichen Schulgebäuden vorzüglih von dem Umfange ber
mietweife zu erlangenden Schulzimmer abhing, in wie vielen Ab⸗
Heppe, Bolteihulweien, 3. 16
— 242 —
teilungen die Kinder unterrichtet werden konnten, und wie wiele Kons
zejfioniften erforberlih waren. Die vielfach fi Außernde Un:
friedenbeit der Bürgerfchaft über den mangelhaften Zuftand ihre
Schulen veranlafte Daher i. J. 1743 eine an das geiftliche Gericht
gelangenbe Aufforderung, Vorſchlaͤge zu einer zwedmäßigeren Gin
richtung der Schulen hoͤchſten Orts einzureihen. Der verlangte
Bericht wurde zwar erft nad Verlauf von 5 Jahren vorgelegt,
indeffen hatte man inmittelft den bei dem Werfbaufe angeftellten
Prediger Uthenius und bald darauf auch defien Nachfolger Zwid
mit der fpeziellen Beauffihtigung diefer Schulen und mit be
Abfagung eined Planes zur Verbeßerung berjelben beauftragt, und
Zwick vorzüglih nahm ſich der Angelegenheit mit Eifer an. Rad
feinen Vorjchlägen wurde feftgejegt, Daß nur in Den Elementar⸗
klaſſen Knaben und Mädchen zufammen unterrichtet, die erwachjenen
Kinder aber in drei Stufenflaffen für Knaben und zwei Stufen
Hafen für Töchter unterwiefen, die Verfegungen in höhere Klafen
nur nach der Anordnung des Inſpektors geſchehen und tauglide
Lehrer aus dem damals ſchon errichteten Seminar gezogen werben
jollten. Späterhin ordnete man noch an, daß Fein Kind zur Kow
firmation zugulaßen fei, welches nicht in der höchften Klaſſe den
Unterricht genoßen habe (31. Auguft 1752), daß die Schulverjäum
niffe von den Lehrern zur Anzeige gebracht werben follten (18. Ro
vember 1752), daß eine jede Anftalt, worin mehr als 6 Kinder zufammen
privatim unterrichtet würden, als verbotne Privatfchule anzujehen
jet (12. Febr. 1754), und daß alle fehulfähigen Kinder von ben
Dpferleuten, bei Einziehung des Duatembergeldes, verzeichnet und
daß die Verzeichnige der in höhere Klafien verfegten Schulkinder
durch den Drud bekannt gemacht werden follten (13. Nov. 1754). *)
Das durch den Pietismus erwedte JIntereſſe für Waiſen⸗
und Armenfchulen führte auch in Braunfchweig i. 3. 1742 zu
vollftändigen Umgeftaltung der Armenanftalten und zur Ginrichtung
einzelner neuer Armenfchulen. So wurde 3. B. zu Helmfteit
i. J. 17365 von einem früheren Kaufmannsdiener, der aus Herzen
*) Beitrag zur Gedichte der Unterrichtsanftalten ꝛc. ꝛc. von Dr. Bode
©. 13— 14,
— 243. —
drang fi) der Armen» und Waifenerziehung gewidmet hatte, mit
Genehmigung des Magiftrats eine Armenſchule errichtet, worin
bie Finder im „Beten, Leſen, auch fonft in der Gottesfurcht und
chriſtlichen Tugenden privatim, jedoch ohne Entgeld“ unterrichtet
werden ſollten. Gin amtlicher Bericht vom 27. Dechr. 1735 teilt
über dieſe Schule mit: „Auf erfolgte Eonceffion des Magiftratg,
auch Approbation des hiefigen Minifterii, mit welchem man es
ebenfall8 vorher communizirt hatte, iſt die vorgejchlagene Armen-
kinderſchule den 1. Juni (den Tag gleich nach dem erften Pfingft-
feiertage) mit Gott wirklich angefangen und mit Gebet und Ge-
fang eingeweiht worden. Zum Grund der Erbauung wurde ges
legt 1. Petri 5, 2—11 und daraus vorgeftellt Die Pfliht und der
Lohn der Lehrenden und Lernenden. Bei dem Anfange waren
10 arme Kinder angenommen, jeßo aber find 32 darinnen, bie
nicht allein in Allem, was zur Schule, als Bücher, Federn, Tinte,
Papier , Rechnentafeln, Schulgeld gehört, frei gehalten werden,
jondern auch noch alle Sonnabende ein Elein Almoſen an Geld
befommen, um fie dadurch zu befto mehrer Luft und Fleiß im
Lernen aufzumuntern, welches aud Bid daher nicht ohne gute
Wirkung geweſen ift. — Wöchentlich halte ich dreimal, als Mon-
tage, Mittwoch und Sonnabends Kinderlehre und Betſtunde.
Den Tag vor Weihnachten ift einem jeden ein zu MWernigeroda
gebrudtes Neues Teftament, Pjalter, Sirach, Katechismus Lutheri
und Geſangbuch, in Einem Band nebft einem Wede und etwas
Geld verehrt worden. Den Kindern kann ich überhaupt das
Zeugnis geben, daß fie nicht allein gern zur Schule gehen , fon-
dern auch in ihrem Lernen, Thun und Aufführung ſich fo ver:
halten, daß man mit ihnen zufrieden fein und ald man von der⸗
gleichen Kindern fordern kann, und babe ich e8 mir vorher nicht fo
gut vorgeftellt. Denn weil fie ſehen und überzeugt find, daß man
nicht das Seinige bei ihnen, jondern blos ihr Beſtes ſucht, fie
herzlich liebt, und ihnen noch Liebe und Wolthat erweift, jo find
fie defto williger und lieben ung wiederum , wodurdy man mehr.
bei ihnen ausrichtet und erhält, ald mit aller jonft gewöhnlichen
Schärfe, Strenge und Strafen.”
16°
— 244 —
Eine neue Periode der Geſchichte des Volksſchulweſens be
gann mit dem Aufange der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr⸗
bundert8 unter der Regierung des Herzogs Karl, der feine Re
fidenz von Wolfenbüttel nah Braunſchweig verlegte und zwar
durch unmäßigen militärischen und andermeitigen Luxus das Land
in unerhörte Schulden ftürzte, aber auch zur Hebung der wirt
lichen Volksbildung in wirkſamſter Weife thätig war. Bunädft
wurde die Waifenhausjchule, in welcher bisher der gewähnlide
Schulunterricht (Katechismus, Leſen, Schreiben und Rechnen) in
ben verjchiedenen Klaffen von vier Lehrern erteilt worden war, zu
einer höheren NRealjchule, in welcher man faft alle technifchen Lehr⸗
gegenftände behandelte, erweitert, beziehungsweife in ein mit einem
von vielen Schülern aus der Stadt bejuchten technifchen Inſtitut,
mit welchem auch ein Penfionat verbunden war, umgewandelt. ®)
— Sodann ließ Karl von 1750 an in der Druderei des großen
Waifenhaufes zu Braunfchweig eine Reihe neuer Schulbüder
drucken, welde in allen Schulen des Landes eingeführt werben
jollten, nemlid eine Schrift unter dem Titel „Unterricht, wie dad
Buchſtabiren und Leſen auch der zarteften Jugend leicht und gründ»
li) beizubringen,” eine „&inleitung in die Bücher und Gedichte
der heil. Schrift" mit einen Vorwort über die Methode, nad
welchem dieje „Einleitung“ zu gebrauchen fei, und eine Ausgabe
des Buches Sirach, des Pſalters, des Roͤmerbriefes und ber
Evangelien. Unter dem 18. Mai 1752 erließ ſodann Herzog
Karl eine Verordnung, durch welche er befahl, „daß an
jedweden Orte hiefiger Lande nach Beichaffenheit und Größe der
Schulen eine gewiſſe Anzal von vorgedachten Schulbüchern ange
Ihafft, der Vorfhuß dazu von den Armenanftalten genoınmen,
und aus ſolchen den Kindern armer Leute gedachte Bücher, fowie
fie deren bedürfen, umfonft gereicht, denen aber, welche jolche zu
bezalen vermögend, gegen den gejeßten Preis verabfolgt und ben
Armenanftalten berechnet werben follten.” Zugleich wurden in
) 3wick, Vorläufige Rachricht von der gegenwärtigen Verfaßung der
Säule im hochfürſt großen Waiſenhauſe zu Braunſchweig 1754 und Acta hist.
eccles. von 1754, ©. 364—379,
— 245 —
diefer Verordnung die erften allgemeinften Vorfchriften über die
Einrichtung des Schulunterricht8 gegeben, indem die Prediger ans
gewiejen wurden, den Schulmeiftern ihrer Gemeinden die desfalls
nötige Anleitung zu geben und dafür Sorge zu tragen, „daß die
Schulen in gewiſſe Klaffen, oder wo foldyes nicht thunlich, doch
in gewifle Bänke nach der Fähigkeit ber Kinder eingeteilt” wuͤr⸗
den. Die Pfarrer follten ihre Schulen wöchentlich wenigſtens
Einmal vifltiren, und alle Ober- und Unterbeamte des Landes
folten darüber wachen, daß Diefe Verordnung, welche jährlich
zweimal von ben Kanzeln herab zu verlefen ſei, puͤnktlich voll⸗
zogen werde. u
Indeſſen follte diefe Verordnung nur zur Vorbereitung der
fundamentalen Reform dienen, weldye Die Landesregierung für das
gefammte Unterrichtöwefen des Landes, indbejondere für die Volks⸗
ſchulen bereit beichloßen hatte. Diefelbe wurde durch Verkündi⸗
gung der erften eigentlihen und vollftändigen Volksſchulordnung
begonnen, welche i. J. 1753 unter dem Titel erſchien: „Ords
nung für die Schulen auf dem Lande in dem Herzog
tum Braunfhweigs Wolfenbüttel und Fürftentum
Blankenburg. Braunfchweig, den 22. September 1753.”
Die hauptſaͤchlichſten Beftimmungen biefer (für die Geſchichte
des Volksſchulweſens ſehr wichtigen) Schulorbnung find folgende:
Ray. I.
Bon den Schülern oder den Kindern, welche die
Schule befuchen.
F. 1. „Unter den Schulen jelbft ift zwar ein großer Unter:
fhied; darin aber fommen fie indgefammt überein, daß in den:
felben die Jugend in ſolchen Dingen, Künften und Wipenfchaften
unterrichtet wird, Die zu ihrer entweder Außeren und zeitlichen
oder geiftlichen und ewigen Wolfahrt gehören. Die Landſchulen,
auf welche diefe Ordnung injonderheit gebt, zielen iusgemein nur
darauf ab, daß die Jugend im Leſen, Schreiben, Rechnen,
Ehriftentum und einigen andern Landleuten zu wißen nötigen
Dingen unterwiefen merbe.”
— 2146 —
$. 3. „Ob nun aber glei die Fähigkeit der Kinder jehr
verfchieden tft, — fo kann man aber doch gewiß annehmen, dahß
Kinder, die A Jahre alt find, in Die Schule geſchickt werben mühen,
und daß vor dem 14. Jahre Eltern nicht viel Haus- und Land:
arbeit von ihnen fordern koͤnnen.“ — „Die Jahre zwilchen dem
4. und 14. Jahre müßen alfo inſonderheit auf den Unterricht ber
Jugend verwendet werben, obgleich nicht gefordert wird, daß
Eltern diefe Zeit hindurch ihre Kinder den ganzen Tag in bie
Schule lagen und fie zu ſonſt Feiner Verrichtung gebrauchen ſollen.“
— „Es iſt inzwijchen ein nicht feltner Einwurf der Eltern, die mit
vielen Kindern gefegnet find, daß fie Diefelben nicht alle ernähren
könnten, und daher die älteften Davon bei Andern vermieten müften.
— Um audy bierunter zu Hülfe zu kommen, wird foldhen armen
Eltern die Vermietung ihrer Kinder jedoch mit folgender Ein⸗
Ichränfung geftattet: a) Sollen die Eltern ſolches dem Prediger
anzeigen. b) Muß das Kind fo vermietet werden, Daß es ohne
Lohn, nur ums Brod dient. c) Dahingegen joll es fein Brob-
herr täglich wenigftend 2 Stunden in die Schule ſchicken und dem
Schulmeifter das halbe Schulgeld bezalen. d) Die Gemeinde ifl
zu ermahnen, für die Kleidung folder Kinder aus chriftlicher Liebe
zu forgen, allenfall® aber ſolche aus den Armenanflalten zu be
ſtreiten. e) Wenn ber Vater vorgäbe, daß er Feine Gelegenheit
wüfte, fein Kind auf eine ſolche Art zu vermieten, muß der Pre
Diger ſichs angelegen fein und durch den Wltariften dafür forgen
laßen.”
$. 4. Alle Kinder find alfo vom 4. bis zum 14. Lebens:
jahre ſchulpflichig. „Säumige und unverantwortlich gleichgültige
und nadläßige Eltern follen durd Straf» und Zwangmittel zu
ihrer Schuldigfeit angeftrengt werden.” — „Damit aud die Eltern
das Alter ihrer Kinder gegen den Pfarrer nicht verleugnen können,
fo fol dieſer ein ordentliches paftoraliiches Kinderverzeichnis halten.“
Rap. I.
Don den Schulmeiftern.
$. 5. „Der Schulmeifter ift diejenige Perjon, der auf bem
Lande der Unterricht der Jugend anvertraut wird, er muß dahet
— 247 —
nicht nur die dazu erforderliche Gefchidlichkeit haben, fondern auch
in feinem ganzen Verhalten fidh jo bezeigen, daß er ein Vorbild
der Heerde fein kann, die ihm anvertraut ift und für bie er einft
dem Herrn Rechenfchaft geben muß.”
F. 6. „Die Schulmeifter haben aljo injonderheit ſich eines
gottfeligen Wandels zu befleißigen und ſich vor alle dem forgfäl-
tig zu hüten, was die Frucht ihres Amtes Hindert und fie bei
ihren Schülern fowol als den Eltern derſelben anftößig machen
könnte; hingegen ſich deſſen aus allen Kräften und nad) allem
Vermögen zu befleißigen,, daß Diejenigen, welche von ihnen unters
richtet werden, das an ihnen felbft jehen mögen, was fie nad
Anleitung des göttlihen Worted und des daraus genommenen
Katechismi von ihnen forbern.”
($. 7 — $. 11. Pflihten der Schulmeifter gegen andere
Menichen, gegen die Obrigkeit, gegen ihren Superintendenten,
gegen ihren Prediger und gegen die Schulfinder, welche fie nicht
mit Fluchen und Schimpfwörtern und mit Schlägen an den Kopf
und an Die Schienbeine tractiren follen. )
F. 12. „Die Treue ift die vornehmfte Eigenfchaft eines
Schulmeiſters, und er bewährt diefelbe, wenn er alle feine Kräfte
und jeine Zeit dazn anwendet, daß die Abſicht feines Amtes er-
reiht und die ihm anvertraute Jugend wol unterrichtet werde.
Er muß daher nicht nur die ganze Beit, die zum Schulhalten be:
flimmt ift, zum Unterrichte der ihm anvertrauten Jugend wirklich
anwenden und brauchen, ondern auch dieſelbe auf die vorteil
baftefte Art einzuteilen fuchen. Die Schulmeifter follen daher bei
Berluft ihres Dienftes nicht nur die Schule mit dem Schlage der
Stunde, da fie anzufangen ift, wirklich anfangen, und nicht eher
als bis die Zeit wirklich verfloßen ift, befchließen , ſondern auch
feine Stunde ohne dringende Notwendigkeit und ohne daß fie
dieſes vorher wenigftens ihrem Prediger angezeigt haben und von
demfelben entjchuldigt worden find, ausfallen laßen, und während
der Schulzeit fi nie weder von ihren Kindern entfernen und den
Unterricht derfelben ihren Frauen oder jonft Jemandem auftragen,
noch and fonft in der Kinder Gegenwart einiged Gewerbe und
ihre etwa gelernte Handthierung treiben, auch Alles vermeiden,
— 245 —
wodurch Die Aufmerkſamkeit der Kinder geftört und ihr Zunehmen
verhindert werden Fönnte.“
$. 14. „Auf dem Lande find Winter- und Sommerſchulen
zu unterfcheiden. Die Winterfhulen werden von Michaelis bi
Dftern und die Sommerfähulen von Oftern bis Michaelis gehalten.
Beide kommen zwar, was Die Hauptfache ift, mit einander überein,
jedoch wird in Abficht auf die Sommerſchulen den Bifitatoribus
frei gelaßen, nach den Umftänden jedes Orts zu beftimmen, mie
viele Tage dem Schulmeifter in der Erndtezeit zur Erndte frei ze
lagen find.”
$. 15. „Die Winterfchulen follen täglich Morgend von 8-
11 Uhr und Nachmittags von 1—3 Uhr pünktlich gehalten wers
den. Sind um 8 und 1 Uhr die Kinder noch nicht fämmtlid
verfammelt, jo bat der Schulmeifter nichts deſto weniger ben
Unterricht mit den Anwejenden zu beginnen und Die Säumigen oder
Abjenten aufzuzeichnen.”
8. 16. „Der Unterricht in den Schulen wird ſowol im Win
ter ald Sommer, ſowol Vor⸗- ald Nachmittags mit Gefang und
Gebet angefangen und beſchloßen. Die Superintendenten haben
den Schulmeiftern in ihren Inſpectionen alle Vierteljahre eine
Vorjehrift zu geben, was an jeglihem Tage aus der Bibel zu
lefen und welche Gejänge, ganze oder halbe, oder auch, welde
Verſe Daraus gejungen werben follen. Der Schulmeifter laͤßet
alfo diejenigen Gefänge oder Verfe fingen, welche in der Vorſchrift
auf jeden Tag geordnet find. Er bat fih auch dahin zu befleißigen,
daß er die nicht gar zu bekannten Melodieen zuvörderft ſelbſt
lerne, und ſie darauf auch den Kindern wieder bekannt made,
damit alle Lieder unſeres Geſangbuchs ohne Unterfchieb in ben
Kirchen gefungen werden fönnen. Und damit alle Kinder, auch
die, welche noch nicht leſen, doch mitfingen können , fo lieſet ber
Sculmeifter einen ganzen oder halben Verd deutlich und laut
vor, und finget das Vorgelefene gleich darauf mit den Kindern.
Wenn das Lieb oder ein Stüd defjelben _gefungen iſt, läßet er
die Kinder den Morgenjegen und einige andere Gebete beten, und
die Größeren darauf ein Kapitel aus der Bibel vorlefen, che er
jeine Lection wirklih anfängt. Bei Vorlefung der Kapitel aus
— 249 —
der Bibel folget der Schulmeifter der ihm von dem Superinten-
denten erteilten Vorfchrift, was auf jeden Tag im Jahre zu lefen
ift. Bei dem Befchluffe der Schule Iäft er abermals beten, und
Darauf einen oder einige Verſe aus einem Liebe fingen. Nach—
mittags fängt er entweder mit einem Tiſch⸗ oder Lobgefange,
oder einigen Verſen aus einem ſolchen Liebe an und befchlieft die
Schule mit Gefang und Gebet. Des Morgens läft er gleich nad
dem Bibellefen ein Hauptftüd bes Kleinen Katechismi entweder
Deutlich auswendig berfagen oder vorlefen, damit die Größeren
Dadurch den Heinen Katechismus beftändig wiederholen, die Kleinen
aber nach und nach durch das beftändige Hören ohne Mühe aus⸗
wendig lernen.”
6. 17. „Da auch Vielen daran gelegen ift, daß Die Kinder
bei Zeiten lernen, wie fie eine Predigt brauchen follen, fo hat
ber Schulmeifter die Kinder nicht nur dazu anzuweiſen, fondern
fie auch dahin anzuhalten, daß fie fi etwas aus der Predigt
merfen und diefelbe den Montag früh gleich nach dem Gebet wies
derholen müßen. Gr kann dieſes leicht erhalten, wenn er einige
von den größeften Kindern in der Kirche nahe bei fich fißen läft,
und fie durch ein Zeichen erinnert, wenn fie das eben Vorkommende
merfen follen. Wenn er auch felbft das Wichtigfte und Merkwür-
digfte aus der Predigt aufjchreibt und Dies bei der am Montage
Darauf vorzunehmenden Wiederholung zu Hülfe nimmt, fo wird
er es auch hierin in kurzer Zeit weiter bringen, al8 mancher dent.
Er thut wol, wenn er bei diefer Wiederholung Die Kinder anweiſt,
wie fie das Gehörte ſich zueigen und fonft eine gehörte Predigt
recht gebrauchen jollen, welches in einigen Minuten gefchehen kann
und einen fehr großen Nuben bat. Diejenigen Kinder, welche
Schreiben können, müßen etwas, und zwar das Wichtigſte aus der
Predigt unter feiner Anweifung auffchreiben, die übrigen aber
etwas, einen Spruch und dergleichen, behalten. Und damit dieſes
um jo beßer gejchehen könne und möge, fo follen fich die ſaͤmmt⸗
lichen Schulkinder, nur bie Heinften, welche die Buchftaben und
das Buchftabiren noch lernen, al8 welche man der Aufficht der
Eltern überläft, ausgenommen, in dem Schulhaufe vor der Pre-
digt verfammeln, und darauf von dem Schulmeifter ordentlich in
— 250 —
Die Kirche geführt und an ihrer Stelle zur Ruhe und Stile ge
bracht werden, ehe der Bottesdienft angeht.” — (Dawiderhandelnde
find zu beftrafen.)
F. 18. „Was aber den Unterricht jelbft betrifft, fo iſt es da⸗
mit in allen Landſchulen folgendergeftalt zu halten: Wenn die Schule
früh um 8 Uhr angeht, jo muß das Singen, Lejen und Bibellefen
nicht über eine halbe Stunde, alfo nicht laͤnger, al& bis 84 Uhr
währen; die übrige Hälfte dieſer erſten Stunde wird darauf ver:
wendet, daß diejenigen, welche bereit3 leſen fönnen, ſich mit Leſen
und Aufichlagen üben, bei welcher Uebumg ſich der Schulmeiſter
nach dem zu richten und das zu beobachten hat, was in dem
dritten Kapitel des zu Braunfchweig im großen Waifenhaus ge
drudten Unterrichts, wie der Jugend das Buchſtabiren
und Leſen leiht und gründlih beizubringen, vorge
fchrieben worden if. Er nimmt zu Diefer Webung entweder
das Evangelienbuch , welches naͤchſtens zum Gebrauch der Schulen
diejes Landes in dem Waiſenhaus zu Braunfchweig herauskommen
wird oder den Sirach, Pfalter und Epiftel an die Römer, welde
zu dieſem Zwecke bereit bejonderd gebrudt und in gebadhtem
Waifenhaus zu haben find oder bie Bibel felbft, wenn die Kinder
damit verfehen find. Mit dem Schlage Neun oder doc gleich
Darauf Hört dieſe Uebung auf und diejenigen, Die fie gehabt,
Schreiben entweder oder rechnen oder lernen den Katechismus aus⸗
wendig und muß der Schulmeifter durchaus dahin fehen, Daß keins
von ihnen müßig fei. Gr geht darauf zu den Mittleren fort und
übt fie im Buchftabiren und Zuſammenleſen — bald einzeln, bald
ihrer Einige, bald an der Tabelle, bald in den Buchſtabirbüchern.
Wenn dies an der Tabelle gefchieht, fo läft er auch die, welde
noch die Buchftaben lernen, dabei zufehen, weil fie Dadurch bald
diefen, bald jenen Buchftaben fennen lernen. — Wenn er fie auf
diefe Art eine halbe Stunde geübet hat, fo nimmt er Die, melde
Buchftabiren und Buchſtaben lernen, zufammen, Iäßet von einigen
der Größeften einen Spruch oder Vers aus einem Liebe, welchen
die Kinder Die Woche lernen, herfagen und ſpricht ihnen darauf
ein Komma nad dem andern laut und deutlich vor, und Iäßet es bie
Kinder fo lange nachfagen, bis fte e8 auswendig können. Wem
— 251 —
er darauf alle Vormittage eine Halbe Stunde wendet, fo werben
die Kinder gewis wöchentlich einige Sprüche ober einige Verfe aus
einem Gejange oder einen kurzen Geſang auswendig lernen. Mit
den fünf Hauptftüden machet er es ebenjo und gehet von einem
Hauptftüde zum andern nicht eher fort, bis fie das vorige können,
welches er auch bei dem Anfange der folgenden Lection jedesmal
repetiret. &r kann mit ben Sprüchen oder Liedern und dem Ca⸗
techismo abwechſeln, und einen Tag um den andern eins davon
nehmen, bei dem Gatechismo aber die Erflärungen fo lange weg⸗
lagen, bis fie” die eigentlichen Worte deſſelben erft einmal durch⸗
gelernet haben. Um zehn Uhr oder gleih darauf nimmt er Dies
jenigen, welche die Buchftaben lernen, vor. Wenn es halb eilf
gefchlagen hat, flieht er das Gejchriebene derer, die gejchrieben
haben, dur und befchließt mit Beten und Singen. Der Schul-
meifter aber muß für Diejenigen, welche das Schreiben lernen,
entweber ſchon Vorſchriften fertig haben ober ihnen außer den
Schulſtunden in ihren Büchern Etwas vorfchreiben, das von ihnen
Gefchriebene aber in ihrer Gegenwart durchſehen, ihnen die ge
machten Fehler zeigen und Darauf corrigiren. — Und damit man
um fo viel beßer ſehen koͤnne, ob der Schulmeifter in diefem Stüd
feiner Pflicht ein Genüge leifte, jo ſoll er auf jeder Seite unten
den Tag anmerken, da er fie corrigirt hat. — Des Nachmittags
muß er dahin fehen, daß er mit dem Singen und Beten in der
erften Viertelftunde fertig werde. Wenn diefes gefchehn ift, Taft
er ein Kapitel aus dem alten Teftamente, fowie Vormittags aus
dem neuen Teflamente von den Groͤßeren vorlefen, und nimmt
darauf einige ſchwere Wörter aus demjelben, fchreibt fie an Die
Tafel und läßt fie von den Groͤßeren und Mittleren buchſtabiren
und ordentlih nah den Silben abteilen. — Diefes muß nicht
länger bis nad halb zwei währen. Wenn diefes geſchehen ft,
rechnen, fchreiben oder lernen die Örößerenauswendig und er übt
die Mittleren bis um zwei Uhr im Buchftabiren wie Vormittags,
und läft diefe Hebung auch von denen mit vornehmen, die noch
nicht vollfommen lefen koͤnnen. Von zwei bis gegen halb drei übt
“er die Allerfleinften in der Erkenntnis der Buchſtaben; er IAft
darauf von den Größeren das aus dem Katechismus berjagen,
-- 262 —
was ſie den Tag über gelernt haben, und beſchlieſt die Schule
mit Gebet und Geſang. Auf dieſe Art kann er den Montag,
Dinstag, Donnerstag und Freitag halten. Am Mittwoch und
Sonnabend foll er die Vormittagsftunden etwas anders einteilen.
Nach geendigtem Gebete und Bibellefen nimmt er bis um 9 Uhr
ein Stüd aus der zu Braunfchweig im Waifenhaufe gebrudten
Einleitung in die Büher und Geſchichte der heil
Schrift nad der in der Vorrede vorgejchriebenen Art vor, frägt
infonderheit die Großen und laͤſt alle übrigen mit zubören. Um
9 Uhr nimmt er bis um zehn diejenigen vor, die entweder wirt
lich rechnen oder den Anfang dazu machen wollen. Er fieht zuerf
die Exempel, die in den vorigen Tagen gerechnet find, durch und
corrigirt fie Dernächft, fchreibt darauf einige Zalen an die Tafel
und ſucht diefelben den Kindern befannt zu machen, wobei all
übrigen zuſehen Fönnen. Sodann feßt er mehrere Zalen zufam-
men und zeigt, wie dieſelben ausgefprocdhen werden müßen und üßt
die Kinder darin. Wenn diefes geſchehn ift, nimmt er die Red>
nungsart infonderheit, in der feine Schüler ſtehn oder zu der fie
fortgehn wollen, und macht an die Tafel, dergleichen in allen
Schulen diejes Landes fein follen, ein oder einige Exempel den
Kindern vor, oder läft fie von einem Schüler, den er zurechtweiſt,
vormachen, die andern aber nachſchreiben, und lehrt fie dadurch,
wie fie" e8 in andern, ähnlichen Fällen zu machen haben. Zuleßt
Schreibt er einige Exempel vor, welche jeine Rechenjchüler in den
folgenden Tagen in der Zeit, da er ſich mit den Kleinen beichäl-
tigt, zu machen haben. Von 10 Uhr bis gegen elf führt er bie
Kleinen zum Buchſtabiren und zur Erfenntnid der Buchſtaben an
und fchlieft mit Geſang und Gebet. Des Sonnabends Iäf a
von 11 Uhr an die Gebete, Sprüde oder Verſe indgefammt wie
derholen, welche die Kinder in der zu Ende gehenden Woche ge
lernt haben.” In allen Landjchulen follen daber Drei Claſſen
eingerichtet werden, von denen die erfte Die, welche den Katehik
mud, Rechnen und Schreiben lernen, die zweite Die, welche Leſen
lernen, die dritte die, weldye das Buchftabiren und das Buchſta⸗
benlernen zu umfaßen hat. Die Kinder jeder Claſſe follen bei⸗
jammen figen.
— 253 —
6. 19. „Ein jeder Schulmeifter fol eine Tabelle in feiner
Schule an einem bequemen Orte anheften, auf welcher genau ans
gezeigt wird, wie und womit er fi in jeder Stunde bejchäftige,
und er muß fich bei der in der Tabelle auf eine jede Beit gejeßten
Beihäftigung zu der Zeit (von den Bifitatoren) jedesmal ans
treffen laßen.“ |
8. 20. „Ob man nun aber wol von den Schulmeiftern nicht
fordern kann, daß fie den Kindern, die fie unterrichten, den Kate⸗
chismum erklären jollen, Died auch von ihnen gar nicht verlanget,
jo muß doch der Schulmeifter wenigftend fo viel Gefchiclichkeit
haben, daß er die weitläufigen Antworten deſſelben in mehrere
fürzere zergliedern, auch die Fragen in mehrere verwandeln Fönne.
Er thut dieſes daher auch billig, und fiehet überhaupt jo viel, als
möglich ift, dahin, daß die Kinder das, was fie auswendig lernen,
auch verftehen mögen. Er fann, ob ſie dieſes verftehen, bald
merken, wenn er die Krage in eine Antwort, und die Antwort in
eine Frage verwandelt, aus einer Frage mehrere madyet, und aljo
auch aus einer Antwort mehrere machen laͤſt, ohne fich dabei in
Erklaͤrungen, derer er fich vielmehr zu enthalten hat, einzulaßen.“
6. 21. „Weil auch die Kinder, wenn fie fchreiben zu lernen
anfangen, viel Papier verderben, ehe fie noch die Buchſtaben einiger-
maßen ſchicklich machen gelernt haben, joll er Die Buchftaben entwe-
der auf einer ſchwarzen Tafel mit zugelpißter Kreide, oder auf einer
Schiefertafel mit einem Stifte vorzeichnen und fie Darauf: die
Kinder nachmachen lagen. Und Damit Diejes defto füglicher ge-
ſchehen Eönne, fo ſollen für eine jede Schule einige ſolche Tafeln,
derer fi) auch die Kinder zum Rechnen bedienen Können, vorerft
von den Mitteln der Kirchen angeſchaffet und demnaͤchſt von den
Strafgeldern, welche nachläßige und fäumige Eltern erlegen müßen,
und die von eines jeden Orts Obrigkeit eingetrieben werben,
wieder bezalet, die Tafeln aber zum Inventario der Schule ges
rechnet werben.” \
F. 22. „Die Sommerfchulen, welche wenigftend an einigen
Drten des Landes entweder ganz oder doch beinahe eingegangen
find, follen Durch das ganze Land wieder bergeftellt werben.”
$. 23. „In der Zeit von Oftern bis Johanni dürfen bie
— 24 —
Eltern ihre Kinder nur, wenn diefelben zu dringender Arbeit zu
verwenden find, dann und wann auf einige Stunden aus ber
Schule nehmen. Jedoch muß in diefem Falle dem Echulmeifter
jedesmal ein von dem Pfarrer gejchriebener Entichuldigungszettel
vorgelegt werden. Andrerſeits ift dem Schulmeifter für diejes
Vierteljahr geftattet, die Schule früher ald im Winter, nämlid
um 6 oder 7 Uhr anzufangen und aljo um 9 oder 40 Uhr zu
Schließen.”
8. 25. „In den Sommerſchulen, d. 5. in dem Vierteljahr
von Johannis bis Michaelis nimmt der Schulmeifter die größeren
Kinder und welche die Eltern nach diesfalls erhaltener jchriftlicer
Erlaubnis bei ihrer Feldarbeit gebrauchen dürfen, jedesmal jzuerft
por und widmet ihnen die erfte Stunde lediglich und bergeftalt,
daß fie fi) bald im Leſen, bald im Schreiben, bald im Rechnen
ben, je nachdem es ihre bereitd erhaltene Fertigfeit erfordert
und zuläft, bald aber aud den Katechismus wiederholen. Gr kann
die Woche fo einteilen, daß er in dieſer erften Schulftunde bald
dieſes, bald jenes mit den größeren beſonders treibt und dadurch
ihr Abnehmen und Burüdgehen in allen Stüden verhütet. “Die
Kinder aber, welche noch nicht 8 Jahre alt find, bleiben in biejem
Duartale wie in dem vorigen in der Schule, und fangen, obgleich
die größeren zuerſt allein vorgenommen werden, ordentlich mit an,
weil fie jelbft aus dem Zuhören und durch daſſelbe Manches ler-
nen können und wirklich lernen.”
$. 27, „Die Prediger werben ſich, fo viel es immer möglid
ift, (mit ihren pfarramtlichen Verrichtungen) fo einzurichten juchen,
dad fie die Schulmeifter felten und nie ohne Not, und wenn bie
Handlung, bei weldyer der Opfermann nötig ift, vor oder nad
der Schule geſchehn Fan, von der Schule abhalten. Die Girar-
Iarbriefe der Superintendenten aber follen von Der Gemeinde nad
ber Reihe von einem Drt zum andern gebracht werden.”
$. 28. Die Schulmeifter follen ein doppelte Verzeichnis
halten, 1) ein Verzeichnis der Abfenten und 2) ein Verzeichnis
über die Fortichritte der Schulfinder. „Die erfte Tabelle wird
ale Monate erneuert, und am Ende eined jeden Monats wird
eine Abjchrift davon den Beamten und eine andere dem Prediger
— 205 —
zugeftellt, Damit letzterer den nachläßigen und pflichtvergeßenen
Eltern zureden, erftere aber fie befundenen Umftänden nach be-
firafen und zur Beobachtung ihrerPfliht anhalten koͤnnen.“
„Die andre Tabelle übergiebt er an dem Ende eines jeden
Halbjahres bei dem in feiner Schule anzuftellenden Examen dem
Superintendenten, Paftor und Beamten, und führt in Derfelben
nicht nur das Alter eines jeden Kindes an, fondern berichtet auch,
wie weit ein jedes Kind jego wirklich in allem dem gefommen jei,
was in feiner Schule gelehrt wird, damit weltliche und geiftlidhe
Viſitatoren defto beßer jehen können, ob er die gehörige Treue und
den rechten Fleiß bewiejen habe.“
8. 10. „Der Schulmeifter empfängt für ein Kind, welches
im Ghriftentum und Schreiben, auch Rechnen unterrichtet wird,
wöchentlich 1 Mgr., für ein Kind aber, welches das Leſen Iernt,
woͤchentlich 6 Pf., und für die Kleinften, bis fie zufammenlejen,
4 Pf.” Nötigenfalld iſt das Schulgeld dur die Ortsobrigkeit
beizutreiben. „Diejenigen Kinder, welche in dem Duartal von
Johanni bis Michaeli Die Schule nur eine Stunde täglich bejuchen,
bezalen für dieſes Duartal überhaupt 3 Gr. Diejenigen Eltern
aber, die das Schulgeld aus wahrer Armut nicht aufbringen kön⸗
nen, haben fi) deshalb bei den Armenfafjen zu melden und von
denſelben alle Hülfe zu erwarten,
Cap. DL
Bon den Predigern und ihrem Verhalten gegen die Schulen.
Gap. IV.
Don den Superintendenten und ihrem Verhalten gegen
ihre Schulen.
8. 41. Bon Beit zu Beit ift in den Landſchulen eine Art
öffentliher Unterfuhung in folgender Weile anzuftellen,
und zwar um Oſtern und Michaelis: „Der Superintendent ſetzt
nad vorher gehaltener Rückſprache mit dem Amt oder Der Obrig-
feit jedes Orts den Tag zu dieſer Unterfuhung an und macht
denjelben dem Prediger des Orts jo früh befannt, daß dieſer es
— 256 —
den Sonntag vorber von der Kauzel abfündigen und Die Obrigs
feit ſowol ald die Eltern einladen könne. Die Obrigkeit wird
dabei, wenn ed irgend möglich ift, der Superintendent und Pre
diger aber unauöbleiblich gegenwärtig fein; und damit auch bie
Eltern diejer Unterſuchung beimohnen können, fo fol dieſe öffent
liche Unterfuchung in der Kirche jedes Orts angeftellt werden, der
Superintendent oder Prediger fängt diefelbe mit einer Eleinen An
rede an Gltern und Kinder an und vermahnt fie darin zur Dank
barfeit gegen Gott und die Obrigkeit für die durch die gute Gin
richtung der Schulen ihnen erzeigte Woltbat und zur Beobachtung
ihrer Pflicht in dieſer Abficht. Wenn dieſes gejchehen ift, übergibt
der Schulmeifter die Tabelle von den profectibus der Kiuber,
weldhe der Superintendent und Paſtor fodann mit der vom vo
rigen halben Jahre nicht nur zu vergleichen haben, um zu jeben,
ob und inwiefern die Kinder wirklich zugenommen haben, jondern
beide müßen auch darauf merken, ob Die Finder wirklich jo weit
gefommen find, al8 der Schulmeifter in der Tabelle angegeben bat.
Der Schulmeifter nimmt darauf alle vorhin befchriebenen Uebungen
mit feinen Kindern nach und nach vor, woran dann auch der Su
perintendent und Paftor fowol Teil nehmen, als Die Schreib- und
Rechnenbücher der Kinder burchfehen jollen. Einer von ihnen be
ſchließt darauf d ieſe Unterſuchung mit einer Keinen Anrede und
der Superintendent ſchickt einen fpecifiquen und umfländlichen Be
richt unausbleiblich alle halbe Jahr an feinen Generalfuperintens
benten ein, fowie diefer ſolchen dem Fürftlichen Conſiſtorio darauf
erftattet.” „ine gleiche Art des öffentlihen Schulegamens, bei
welchem gleichwol der Superintendent, wenn er nicht will, nicht
gegenwärtig fein darf, wird den zweiten Nachmittag in den drei
hoben Feten, mit Einftelung des fonften an demjelben gewöhn-
lichen Gottesdienftes, von dem Prediger und Schulmeifter folgen:
der Geftalt gehalten: 1) verfammeln fi die Kinder mit ihren
Eltern, dem Prediger und Echulmeifter des Nachmittagd um 1 Uhr
in der Kirche; 2) der Prediger Hält eine Furze Anrede an bie
Eltern von ihrer Pflicht, die Kinder wol zu erziehen; 3) der
Schulmeijter examinirt die Kinder aus dem Ghriftentum und im
Deten, Lejen, Schreiben und Rechnen; 4) der Prediger unterbridt
diefe Arbeit dann und wann Durch eigened Fragen. 5) Nach ges
endigter Prüfung wird das Verzeichnid der Gltern, die der Schul:
ordnung gehorſam oder nicht gehorjan geweſen, öffentlich abgelefen ;
jene werden gelobt, dieſe aber liebreich zur Beßerung ermahnt.
6) Die Brotherrn und Wolthäter der armen Kinder werben df-
fentlicy genannt, gelobt und zur Beftändigfeit im Wolthun ermabnt.
7) Darauf werben die Kinder, die das vierte Jahr erreicht haben,
abgelejen und für jchulfähig erklärt. 8) Den Schulmeiftern wird
das Verzeichnid davon Durch den Prediger öffentlich zugeftellt. 9)
An dem zweiten Weihnachtstage werden endlich mit dem Beichluß
des Examens die Kinder genannt, die im Fünftigen Jahre zum
Tiſche des Herrn zugelaßen werden follen; und was von den
eingefommenen Strafgeldern nah angeſchafften Schulbedürfnifjen
etwa übrig geblieben ift, ſolches wird unter die Kinder, die wol
beftanden haben, verteilt. 10) Das Gramen wird mit dem Ge:
fange „„Hilf Gott, daß ja die Kinderzucht““ ꝛc. gejchloßen.
Rap. V.
Bon der Obrigkeit und deren Verhalten gegen die Schulen.
F. 47. „Die Beamten werden dahin jehen, Daß die Schul-
fluben in gutem Stand erhalten werden, und joldhe, wo ed mög-
lich ift, jo einrichten, Daß der Schulmeifter mit feinen Schulkindern
allein fein koͤnne und durch die Gegenwart feiner Familie und
übrigen Hausgenoßen und Das daher entſtehende Geraufch nicht
gekört werde. Zu weldhem Ende eigne Schulftuben an dem
Orte, wo fie ermangeln, aus dem Vorrat der Kirchen zu erbauen
find, wozu gleihwol die Gemeinden die nötigen Fuhren und Hand-
arbeiten leiften müßen. Was zur Einrichtung der Schulen auf
dem -befohlenen Fuß an Bänken, Tifchen, ſchwarzen Tafeln erfordert
wird, ift aus dem Vorrate der Kirchen anzujchaffen und demnaͤchſt
das dafür verfchoßene Geld den Kirchen von den von nacdjläßigen
Eltern beigetriebenen Strafgeldern wieder zu bezalen.“
Daß mit der Durchführung diefer Schulordnung wirklich
Ernſt gemacht wurde, beweifen die nachträglichen Beftimmungen,
welche als „Anhang zur Erläuterung einiger Punkte der Land⸗
Heppe, Bolleſchulweſen, 3.
— 258 —
Schulordnung” unter dem 19. November und dem 10. Dezember
1754 publizirt wurden. Die Erfahrung lehrte, daß man die Ber:
fügungen über den Beſuch der Sommerfchule ermäßigen mufe,
indem die über 8 Jahre alten Kinder in den Monaten Suli,
Auguft und September wöhentlih nur am Dinstag und Freitag
Vormittags in der Schule zu erjcheinen verpflichtet wurden, wo
gegen aber auch zumiderhandelnde Eltern mit den gemeßenften
Strafen, eventuell mit Einferferung im Hundelody bei Waßer un)
Brot bedroht wurden. Ebenſo ſah man fi) genötigt, Die übe
die Entrichtung des Schulgelded gegebenen Verordnungen zu Bunften
unbemittelter Eltern mannigfady zu modifiziren. Außerdem wurde
verfügt (19. Februar 1754), daß Opferleute und Schulmeiſter
vor jeder Beförderung auf eine befere Stelle jorgfältig geprüft,
und wenn das Nejultat Ddiefer Prüfung ein ungenügendes fein
würde, entweder nicht befördert oder aus dem Schulmeifter
dienfte gänzlich entlaßen werden follten.
Gleichzeitig wurde aud die Umgeftaltung des gejammten
Schulweſens zu Helmftedt in vielfache Erwägung und Beratung
gezogen, als deren Refultat der Herzog unter dem 18. Juli 1755
eine „Schulordnung für die Stadt Helmſtedt“ veröffentlichen ließ.
Zufolge derfelben ſollten in Helmftedt außer den für fi befteben-
den Armen: und Waiſenhausſchulen unter der Aufficht eines be
jonderen Inſpectors wenigftend noch 4 kleine Winkelſchulen fort
geführt werden. Jede derjelben wurde in zwei Klafjen geteilt,
von denen die untere ihre Schüler jo lange zurüdhielt, bis die
jelben lefen und die fünf Hauptitüde des Katehismus auswendig
berjagen founten. Die Geſchlechter wurden nach Baͤnken gejondert.
Für diejenigen Schüler, welche entweder das Pädagogium befucen
oder einen höheren realiftiichen Unterricht genießen wollten, dienten
diefe Winfelfchulen al8 Vorbereitung einerjeitd für den Beſuch der
Realſchule, andererfeitd für den der lateinifchen Trivis
alfyule In der Realſchule wurde anfangs nur im Schreiben,
Rechnen, Zeichnen und in den Elementen der Mathematik Unter
richt erteilt, welcher Unterricht teilweife auch von Geſellen und
Lehrlingen der Handwerker und Kunftverwandten ſowie (jedoch nur
in befonderen Privatftunden) von Mädchen bejucht werben Fonnte.
— 259 —
In der Trivial⸗ ober lateinischen Schule erteilten drei Schul⸗
collegen, ein Rector, Gonrector und Gantor in allen Gymnafial-
Disciplinen Unterricht.
Die legte allgemeine Verfügung in Schulfachen, welche von
H. Garl publiztrt wurde, war die „Inſtruction für dieje—
nigen, jo fih zu Shuldienften aufdemplatten Xaude
melden“ vom 5. Kebruar 1767. Die Erfahrung hatte nemlich
gelehrt, „daß die zu Schuldienften auf dem Lande ſich angebenden
oder von Patronen präjentirten Subjecte die Schulordnung ent:
weder gar nicht gelejen, oder Doch, was eigentlich von ihnen ges
fordert werde, wenn fie ihrem Amte ein Genüge thun wollten,
nicht binlänglich begriffen hatten, wie danı auch öfters ſelbſt
Diejenigen, die Luft und Fähigkeiten zu Schuldienften auf dem
Lande bejaßen, nicht wuften, wie fie ed anzufangen hatten, um
das zu erlernen, was in dieſer Abficht von ihnen erfordert wurde.”
Auf Vorftellung des Konfiitoriums ließ daher H. Carl die er-
wähnte Sinftruction ausgehen, um „in der Kürze zu zeigen, teils
was ein Schulmeifter auf dem Lande eigentlich wien müße, teils
aber auch durch was für Mittel er zu diefer Wißenjchaft gelangen
fönne.” ‘Demgemäß enthielt die Anftruction ein Verzeichniß Der
wefentlichften Beftinmungen der Sculordnung von 1753 fowie
die Weifung, daß diejenigen, welche Luft und Fähigkeit zur Ueber⸗
nahme eines Schuldienfte auf dem Lande bejäßen, zu ihrer Vor⸗
bereitung „ſich entweder bei den MWolfenbüttelfchen oder Braun-
ſchweigiſchen Schulanftalten melden, oder wofern ihnen der Auf-
enthalt bei dieſen beiden Schulanftalten ſollte zu Eoftbar fallen,
fih zu einem Schulmeifter auf dem Lande, der in den gedachten
beiden Schulanftalten Seminarift gewejen fei, zum Unterricht
begeben“ Tönnten. ”)
In den nächſten Decennien nad) Carls Tod (1780) wurde
in den Verbältnifien des braunfchmweigifchen Schulweiend nur We:
niged geändert. Gin durch die Landtage von 1768 und 1775
veranlafter Verſuch der Herzogs Karl Wilhelm Yerdinand, das
gejammte Unterrichtäwejen durch ein beſonderes „Schuldirectorium“
*) Bsl. Nova geta hist, eceles. vol. VII. &. 526 — 532.
—X
— 260 —
abminiftriren zu Taßen, Damit „ale Schulen, von der unterſten
an, in eine zur gemeinfchaftlichen Erhaltung und Aufnahme ge:
reichende Verbindung gejegt werden möchten,” mißlang. Zufolge
einer landeöherrlichen Verordnung vom 12. Juni 1786 trat dieſes,
dem Herzog unmittelbar untergebene „Schuldirectorium‘
zu Michaelis 1786 in Thätigkeit. Nur einige Schulen (nemlic
die dem geiftlichen Gericht zu Braunfchweig untergebenen Stadts
ſchulen daſelbſt, Die Klofterfchule zu Holzmünden und die Schub
anftalten zu Helmftädt) waren von dem Directorium eximirt.
Indeſſen entjprad) „das Vertrauen des Publicums“ dieſer neuen
Einrichtung fo wenig, daß man ſich 4 Jahre fpäter genötigt fab,
die Verordnung vom 12. Juni 1786 zu fuspendiren. ine neue
Verordnung des Herzogs vom 6. April 1790 wies daher alle
Schulſachen wiederum den Gonfiftorien zu Wolfenbüttel und Blan-
fendburg zu. Außerdem erlieg Herzog Karl Wilhelm Ferdinand
noch einzelne andere Verordnungen, Die jedoch nur eine leichtere
und fichere Ausführung der Landſchulordnung von 1753 zum Zwecke
hatten. So wurde durch Gonfiftorialausjchreiben vom 22. Nov.
1796 verordnet, daß in Zukunft alle Schulkinder ohne Unterſchied
des Alters in den Monaten Juli, Auguft und September nur
Morgens von 6 — 8 Uhr zur Schule fommen, dieſe beiden Lehr:
ftunden aber unausgeſetzt beſuchen follen. An denjenigen Orten,
wo mehrere Schulen wären, die aus mehr ald 40 Sculfindern
beftänden, follte jede derjelben in der Weiſe in zwei Claſſen ab
geteilt werden, daß die größeren Schulkinder nur Vormittags, bie
Heineren dagegen, welche erſt Das Buchftabiren lernten, nur Rad;
mittags die Echule beſuchten. Zur Erläuterung des $. 47 ber
Landfehulordnung verortnete der Herzog unter dem 6. Augufl
1802, „daß derjelben gemäß nach wie vor Die Anlegung beſon—
derer Schulftuben in ſolchen Schulhäufern auf dem Lande, in
welchen fie annoch ermangelten, aus den Mitteln der Kirchen, weun
diefe des Vermögens wären, bejchafft werden follte, daß aber,
wenn diefe Vorrichtung einmal gefchehen, fodann die in ber
Kirhenordnung am angezogenen Orte beftimmte Verbindlichkeit der
Gemeinden zur Erhaltung des ganzen Echulhaufes , deffen Teil
bie foldyergeftalt vorgerichtete Schulftube ausmache, wieder eintrett,
— 261 —
mithin eine jede Gemeinde auch für Die Sinftanderhaltung ober
etwa erforderlide Grweiterung folder Schulftuben zu forgen
ſchuldig fei.”
Allerdingd war zu Anfange des neuen Jahrhunderts von
einer erheblichen Ginwirfung der Volksſchulen auf die Bildung
des Volkes noch wenig wahrzunehmen; aber die Volfsjchulen hatten
doch nunmehr in allen Gemeinden des Landes ihren geficherten
DBeftand. Schullehrerjfeminarien waren zu Wolfenbüttel,
Helmftädt und Braunſchweig in Verbindung mit den dafigen
Waifenhäufern errichtet. Unter ihnen war das Seminar zu
Wolfenbüttel das bedeutendftee Die Anftalt zu Helmftädt war
mit Iandesherrliher Genehmigung von dem Dberhofprediger und
Abt Dr. Hafjel zu Klofter Marienthal errichtet, um in berfelben
Knaben für den Beſuch der Seminarien zu Braunfchweig und
Wolfenbüttel vorzubereiten, und war nach deſſen Tode nach Helm>
fädt verlegt worden. In der Stadt Braunfchweig hatte ſich die
Zal der Volksfchulen, nachdem die Stadt eine bedeutende Garni-
jon erhalten hatte und neue Schulanftalten für Kinder hülfsbe-
bürftiger Eltern erforderlich geworden waren, durch Anlegung von
Sarnifonsfhulen vermehrt. Die LXocale derjelben waren
anfang® gemietet; indefjen wurden dieſe einzelnen Garnifons-
jchulen im Sahre 1792 in ein geräumiged nnd zwedmäßig einge
richteted Gebäude zu Giner aus mehreren Klaffen beftehenden
trefflichen Lehranftalt zufammengezogen.
Auch einzelne Induſtrieſchulen waren in Braunfchweig
entftanden. In den Kahren 1792 und 1794 Hatte man nemlid
den Verſuch gemadt, derartige Anftalten mit Den Armenfchulen
der Katharinen- und Andreadgemeinde zu verbinden, *) wodurch
diefe Armenfchulen felbft wejentlidy gehoben wurden. Eine ihrem
Zwecke wahrhaft entiprechende Einrichtung erlangten indeffen die Ar-
men= und Freifchulen zu Braunfchweig erft infolge der völligen Umge-
ftaltung, weldye die Armenanftalten dafelbft i. J. 1804 erfuhren,
indem die Stadt bezüglih des Armenſchulweſens in Bezirke
geteilt, in den verfchiedenen Schulen Stufenflaffen geordnet, auch
*) „Kurze Nachrichten von der Imduftriefchule hinter der Burgmühle zu
Braunfhweig.“
— 262 —
für Abendſchulen geforgt und das Ganze unter die fpezielle Auf
ficht der Armendirection, der Sugendpfleger, auch einer aus Bürgern
beftehenden Schuldeputation geftellt wurde. *)
Die Kinder römiſch-katholiſcher Eltern zu Braunfchweig wurden
in einer daſelbſt beftehenden katholiſchen Schule unterrichtet, in
Betreff deren jedoch Folgendes beftimmt war: Kinder, die aus
einer gemijchten Ehe hervorgegangen waren, wurden gemäß ber
bei der Verlobung getroffenen Abrede in der für fie beftimmten
Confeſſion jo lange unterrichtet, bis fie die Unterfcheidungsjahre
erreicht Hatten. In dem Falle, daß keine desfallſige Abrede ftatt
gefunden hatte, durften nur die Söhne des Fatholifchen Waters
die katholiſche Schule beſuchen.“») Diefe Schule war von bem
Beauflichtigungsreht der Braunſchweigiſchen Schulinfpection bie
auf Weitered eximirt worden. Damit jedoch nicht etwa Kinder
evangelifcher Eltern ohne deren beiderfeitige Zuftimmnug in dieſelbe
aufgenommen würden, war e& den Fatholifchen Geiftlichen zur Pflicht
gemacht, alle Vierteljahre ein Verzeichnis ihrer Schulkinder an
daß geiftliche Gericht einzufchiden, und diejenigen zu bemerken,
deren Eltern verfchiedener Gonfejfion waren. ***)
xIX.
Das Herzogtum Naſſau.P)
In der Geſchichte des Volksſchulweſens der Naſſauiſchen
Lande find die beiden in ſich wiederum unzäligemal geteilten und
*) Beitrag zur Geſchichte der Unterridhtsanftalten x. von Dr. Bode,
S. 17.
**) Reglement vom 9. April 1768, $. 6. 8.
») Reſer. vom 26. Septbr. 1760. — 2gl. Stübners hiſtor. Beidre-
bung der Kirchenverfaßung in den Braunſchw. Lüneb. Landen feit der Reformation,
Th. II. ©. 448 — 449.
+) Als Hauptquelle ift außer „Steubings Kirchen und Reformationsgefdictt
der Oranien-Raff. Lande” die trefflide „Geſchichte des Volksſchulweſens im Her-
zogtum Naſſau“ in den Freimütigen Iahrbüchern der allgemeinen deutſchen Bollt
Schulen (redigirt von Schwarz, Wagner, d’Autel, Schellenberg), und zwar in du
— 263 —
wiederum vereinigten Dynaſtien des Hauſes Naffau, nämlich die
Ottoniſche und die Walramifche Linie zu unterſcheiden.
Jene befaß die rechts von der Lahn und diefe die links von der
Lahn gelegenen Lande.
I. In dem Ottonifchen Naffau fand die Reformation früh:
zeitig Eingang. Bis zum Sahre 1552 war die Mefje allenthalben
abgeſchafft, aus den Einkünften der aufgehobenen Stifte und Klöfter
Dietz, Gnadenthal, Dirftein, Thron wurden Fonds zu fronmen
Stiftungen, zur Aufbefjerung einzelner Pfarrei- und Schuldota⸗
tionen und zur Unterftüßung Studirender gebildet; aber das Alles
fam nur der lateinifchen Gelehrtenbildung zu Gut. An die Ein-
rihtung von Volksſchulen wurde vorläufig noch gar nicht gedacht,
Erft auf einem Convente zu Dieß im Jahre 1582 wurde beraten,
ob man nicht neben den lateinifchen Schulen auch deutſche errichten
folle. Es wurde auf diefem Gonvente berichtet, DaB an zweien
Orten, zu Hahbnftetten und Flacht, deutſche Schulen beitänden,
daß jedoch der Lehrer der lekteren feine Schüler auch in den
lateinifchen Declinationen und Conjugationen unterrichten wolle.
Dad gröfte Hindernis, welches der Einrichtung der deutſchen
Schulen entgegenftand, war der Mangel an Lehrern. Die Glöd-
ner auf den Dörfern waren faft fammtlidy des Leſens unkundig.
Zu Dauborn war allerdings ein Glödner, der das Leſen verftand,
dieſer hatte aber Feine Luſt, eine Schule einzurichten. Daher erboten
fih die Pfarrer zu Weyer, Dauborn und Obermeyijen felbft
Schule zu halten; und 8 Jahre fpäter wurde durch Generalviſi⸗
tationg-Abjchied vom 11. Zuli 1590 für die Grafihaft Dietz ver-
orbnet: „Wo es der Dieuft leidet, follen Paſtors gegen bie
Blödnergebühren de utſche Knaben⸗ und Mädchenjchulen anftellen
und halten, als zu Hirdberg, Eggenrod, Flat, Rotzenhain.“
Zugleich wurde verordnet, daß die Schüler von den Pfarrern zum
Predigtfchreiben verwendet werben ſollten. Demgemäß übernahm
3. DB. der Pfarrer zu Flacht zugleich den Scuidienft in feinem
Kirchipiele gegen eine jährliche Belohnung von 10 Gulden, Flagte
aber jpäter, daß er, ob er gleich die Schule treu gehalten, den
Regel mwörtlih benugt. Biefelbe ift verfaft von dem verdienten Raff. Kirchen und
Oberſchultat Dr. Schellenberg.
— 4 —
Gloͤcknerdienſt reblich verjehen und feit 20 Jahren bei Leichen,
Hochzeiten und in der Kirche vorgefungen babe, dennody feine
ſauer verdiente Befoldung nicht ordentlich erhalten Fönne. — In
den beiden geiftlihen Inſpecturen Dillenburg und Herborn wurden
in den Jahren 1588 — 1594 an folgenden Orten Schulen einge
rihtet: Marienberg, Gmridhenhain, Liebenſcheid, Drieborf,
Mengerskirchen, Beilftein, Schoͤnbach, Breitſcheid, Selbach, Biden,
Eiſenrod, Oberſcheld, Hirzenhain, Eibelshauſen, Ebersbach, Frohn⸗
haufen, Oberroßbach, Sechshelden, Holzhauſen, Langenaubad,
Drefſelndorf und Burbach. Madchenſchulen wurden gleichzeitig in
Herborn, Dillenburg und Haiger errichtet. Im folgenden Jahre
1595 entſtanden deutſche Schulen zu Ockersdorf, Merkenbach und
Fleißbach. |
Auch die Zal der Maͤdchenſchulen mehrte fi, allmählig, wenn
auch nicht in gleichem Schritt mit der Erridtung von Knaben
Ihulen. Im Jahre 1617 wurde in Dieß eine Schulfrau mit 20
Gulden und 3 Malter Korn jährliher Befoldung angeftellt. Zu
Beit des Dreißigjährigen Kriege wird eine gewiffe Katharina
Mohr ald Lehrerin gerühmt, welde 25 Jahre in verfchiedenen
Dörfern an der Aar mit großem Beifall die Jugend unterrichtet
babe. Schon früher hatte die Gräfin Sohannette von Sapn,
Mutter des Grafen Johann Ludwig von Hadamar, 50 Gulden
gejchenft, Damit eine eigene Mädchenfchule errichtet werde, indem
die fämmtlihe Jugend bisher nur Cine Schule befucht Hatte.
Die Sache wollte feinen Fortgang gewinnen, bis fich die Gräfin
Ursula von der Rippe, Gemahlin des Grafen Johann Ludwig,
entſchloß, in einer Schentungsurfunde unter dem 16. October
1626 noch 50 Reichsthaler auzulegen. Die Mädchenfchule Fam auf
1627 wirklih zu Stande, Doch mufte jedes Kind auf Martin
noch 2 Meften Korn beitragen.
Die erfte Verordnung, in welcher fich die Qandesregierung
in Naffau-Siegen des Schulmejend annahm, erfolgte im J.
1621, indem der Graf Johann der Aeltere befahl: „Daß zu
beiferer Erbauung des Reiches Chriſti die Eltern ihre
Kinder, jo fie Daheim zu ihrer Arbeit nicht notwendig gebrauden
und zum wenigften diejenigen, fo noch nicht das fiebte oder adıte
— 265 —
Jahr ihres Alterd erreicht haben, au des Sommers über
zur Schule ſchicken“ folten. Indeſſen blieb diefe Anordnung
ohne Bedeutung, indem die Pfarrer bei den Vifitationen fortwäh-
rend Flagten, daß die Kinder faum im Winter, gefchweige denn
im Sommer zur Schule zu bringen wären. Namentlich glaubten
die auf den Filialdörfern wohnenden Eltern geradezu ein Recht
auf Zurüdhaltung ihrer Kinder von dem Beſuche der Schule des
entfernt gelegenen Pfarrdorfes zu haben.
Als Hanptzwed der Schule galt aud in den Nafjauifchen
Landen Die kirchliche Erziehung der Jugend. Aber Decennien
vergingen, ehe der Segen des Volksſchulweſens hier wahrnehmbar
werben fonnte, indem die Gemeinden, jebed neue Opfer jcheuend,
lieber ihre Kinder vom Schulbefuche zurückhielten, als das ange-
ordnete Schulgeld bezalten.. Die Gemeinde Hilgenbadh in der
Grafſchaft Siegen 5.8. beſchwerte ſich bei Gelegenheit einer Kirchenvifi⸗
tation am 17. November 1611 „über die zwei Gulden Schulgeld, wes⸗
halb viele Leute die Kinder aus der Schule ließen und baten, Die
24 Malter Hafer, welche dem Pfarrer zugeordnet worden wären,
wieder an die Schule zu geben, damit das Schulgeld frei kaͤme.“
Die Lebensverhältniffe der Küfter oder Schulmeifter waren
in den Naflauifhen Grafjchaften natürlich wie in allen Orten.
Ale trieben, um ihr trauriged Dafein zu friften, irgend ein
Bewerbe. Ein Schulmeifter in Ferndorf, über ben bei einer
Kirchenvifitation 1612 geklagt wurde, hatte Branntwein und
Krämerwaren feil. — Bon einer berufsmäßigen Vorbildung der
Lehrer war natürlid, Feine Rede; im günftigften Falle richtete der
Bater feinen Sohn zum Schulmeiftergefchäfte ab, indem er ihn
buchſta biren, leſen, notdürftig fchreiben, rechnen in den 4 Specieß,
den Katechismus und Die Kirchenmelodien nady dem Gehöre fingen
lehrte. Auch gab ed wol einige Schulmeifter von bejonderer
Gelebrität, denen Afpiranten zugefandt wurden, um ſich von ihnen
ein halbes Jahr lang zuftugen zu laßen und fodann als Bewerber
um Winterfchulen auftreten zu ſehen. Wiederholt wurde verord-
net, daß Fein Schullehrer ohne Anzeige bei dem Conſiſtorium und
ohne defien Erlaubnis dürfte angenommen und abgedankt werben
und in manchen Dörfern waren fländige Schullehrer vorhanden ;
— 26 —
aber in vielen Gemeinden wurden nur für einen Winter fogenannte
Dinglehrer gemiethet, weldye von Martini bis zum 1. Mai Schule
hielten und Dafür von den Eltern der jchulfähigen Kinder die
Umgangsfoft und einen fehr geringen Lohn erhielten. Die Be
foldung der ftändigen Lehrer beftand in den Einkünften von dem
Kirchen und Kapellandienft und einer Abgabe von Mangfrudt
(Serfte und Hafer), welche nad) den Köpfen der Kinder beredinet
war und von dem Schulmeifter, mit dem Sade unter dem Arme,
in den Häufern erhoben wurde. Wenige Scuiftellen in den
Aemtern Dillenburg und Herborn hatten ein jährliches Einkommen
von 200 Gulden, doch audy wenige unter 100 Gulden. In den
Aemtern Marienberg, Rennerod und Hadamar waren einige befier
Dotirte Kirchipielfchulen; die übrigen aber, und befonders die Ding:
jchulen hatten ein fehr geringes Einfommen. Die Scuiftuben
befanden ſich Häufig in der eigenen Wohnung des Lehrers. Wo
dies nicht der Fall war, waren diefelben in dem Gemeindehaus, entweder
über dem Badofen, der Schmiede, Dem Behältnis der Fenerfprigen oder
neben der Berfammlungsftube der Gemeinde, bäufig auch neben
dem Hirten. Nicht felten fand man die Schulftube auch in der
Kapelle, wo dann dad Glodenfeil in ihr herabhing, um von dem
Lehrer jederzeit bequem gezogen werden zu fünnen. Die Ding
fchulen hatten in der Regel Feine eigentliche Schulftube, jondern
zogen mit ihrer Schule im Dorfe herum von Haus zu Hand.
Das Wenige, was zur Begründung eines Volksſchulweſens
bisher gefchehen war, ging in der Verwüftung des breißigjährigen
Krieges faft überall raſch zu Grabe, denn gerade die Naſſauiſchen
Lande gehörten zu denjenigen, weldye Durdy die wilde Roheit ent-
menjchter Kriegshorden, durch Plünderung und Brandichapung,
Durch Feuer und Schwert am meiften zu leiden Hatten. Auch
ber Uebertritt des Fürften Johann Ludwig von Hadamar
(1630) zur Eatholifchen Kirche und die gewaltſame SHerftellung
des fatholifchen Cultus in zalreichen Gemeinden war wenig ge
eignet, eine ruhige und georbnete Pflege der Gulturverhältnifje im
Lande zu begünftigen. Daher erfolgte gerade in den Raffaw
Oraniſchen Landen die Neftauration des Volksſchulweſens ziemlich
ſpaͤt, und murbe eigentlich erft, ald der Spenerſche Pietismus
— 267 —
feinen Einfluß weithin auszuüben begann, ernftlih in Angriff ges
nommen. In Naffau- Siegen publizirte Johann Morig unter
dem 21. Januar 1664 die erfte Schulverordnung, indem er befahl,
daß die Pfarrer, damit die Jugend in den Lehren des Ghriften-
tum gehörig unterrichtet werde, die Schulen fleißig vifltiren, und
fi Halbjährlih Verzeichniße der fchulpflichtigen Knaben und
Mädchen einliefern laßen follten. Auch folten fie die kleinen Kinder, Die
zur Arbeit noch untüchtig wären, zum Beſuche der Sommerjchulen
anhalten. Alle Nebenfchulen follten geichloßen werden; dagegen
jollte e8 den von dem Pfarrborf entfernt wohnenden Bauernichafs
ten geftattet fein, mit Genehmigung des Pfarrerd und unter dem
Vorbehalt, daß fie dem Echulmeifter des Pfarrdorfes feinen gebü-
renden Schullohn zalten, fich eine eigene Schule einzurichten. Auch
jollten alle Diejenigen Eltern, weldye ihre Kinder nicht vom fünften
Lebensjahre derſelben an die Schule beſuchen ließen, nichtsdeſto⸗
weniger zur Balung des Schulgeldes herbeigezogen werben.
Außerdem wurde noch verordnet, „die Schulmeifter und Schulfrauen
folten vier oder fünf Knaben und Mägdlein, jo die Woche vorher
in der Schule geübt, allemal, wann die SKinderlehre verrichtet
wird, vorftellen, fo ihre Specimina in dem Katechismo vor andern
ablegen, und damit folle nach der Ordnung der Kinder an den
Katechiömentagen verfahren werben.”
Diefe Verordnung bildete die Grundlage für die Geftaltung
bes Dorfſchulweſens bis in Die Mitte des 18. Jahrhunderts. Syn
Detreff der Ddeutfchen Knaben und Mädchenfchuien zu Siegen
machte e8 der Fürft Johann Morig in feiner am 28. Juni 1669
publizirten Kirchenordnung dem geiftlichen Inſpector zu Siegen zur
Pflicht, Diefelben wenigftend alle acht Wochen zu vifitiren, bie
Sculmeifter auf die Mängel ihrer Lehrweiſe aufmerkfam zu machen,
die balbjährigen Prüfungen ordentlicdy zu halten und nach Kräften
dafür Sorge zu tragen, „daß die Jugend zeitig in reiner Lehre
und gottjeligem Leben wol angeführt werde.”
Sn Betreff der Mädchenſchulen zu Dieß traf die
Fürſtin Albertine zu NaffausDieß im Jahre 1672 die Anorbnung,
daß dieſelbe nad, Ablauf des Jahres männliche Lehrer erhielt,
welche Die Mädchen im Leſen und Schreiben beßer unterrichten
— 268 —
follten, als ed bisher geſchehen war. Zugleich erließ die Fürſtin
neue Verordnungen, durch welche die Firchlichen Katechifationen
beftimmter geregelt wurden.
Aber alle diefe Befehle und Anorönungen waren doch nicht
im Stande, einen geregelten Schulbeſuch zu erwirfen, indem in
einzelnen Gemeinden nicht nur während des Sommers, jonden
auch zur Winterszeit Die meiften Kinder gar nicht zur Schule
famen, jo daß fih das Gonfiftorium zu Siegen im März 1709
veranlaft ſah, namentlich die Gemeinde Crombach deshalb mit
Strafen zu bedrohen, weil fie „ihre Kinder entweder unfleißig oder
gar nicht zur Schule ſchicke, fondern Tieber umherlaufen und mit
dem Viehe gehen laße.“
Sleidyzeitig fuchte das Gonfiftorium zu Siegen das Schul
weſen bed Landes auch dadurch zu heben, daß es feine Fürforge
der äußeren Lage der Schulmeifter zuwendete. Das Gonfiftorium
befahl nemlich, um vorläufig wenigften® jede Schmälerung der
Scyulmeiftercompetenzen zu verhindern, genaue Kompetenzverzeid-
niffe der einzelnen Lehrerftellen anzufertigen, welche in einer Aub
fertigung in der Konfiftorialrepofitur, in einer andern in den
Schulhäuſern deponirt wurden.
Ebenſo erließ auch das Bonfiftorium zu Dieg eine Reihe
von Verordnungen, wodurch die wejentlichften Mängel des Schul:
weſens befeitigt werben follten. Zu diefen Mängeln gehörte ei
namentlich, daß die Schulmeifter ganz beliebig ihre Stellen auf
gaben, wenn ihnen die Schulmeifterei nicht mehr zufagte, oder daß
fie von den Gemeinden, die den Lehrer nur als ihren Miethling
betrachteten, ganz willfürlic, entlaßen wurden. Das Konfiftorium
zu Dieß verorbnete daher im Juni 1739, daß „Fein Schulmeifer
ohne Vorwiffen feines Pfarrers die Zeit des Schulhaltens nad
feinem oder der Leute Gefallen ändern, und noch viel weniger fid
einen Tag von feiner Schule entfernen, fondern ein jeder das eine
ſowol ald das andere, wenn er erhebliche Urjachen Dazu hat,
feinem Pfarrer vorher gebürend anzeigen, auch demfelben all
Monate eine fchriftliche Nachricht, wie die Kinder zur Schule gingen
ober ſolche verfäumt haben, übergeben fol.” Bugleich wurde
— 269 —
befohlen, daß ſich die Schulmeifler während der Unterrichtöftunden
aller andern Beſchaͤftigung enthalten follten. |
Außer diefen allgemeinen Verordnungen wurde um Diele
Zeit (1731) aud eine fpecielle Inſtruction für die Lehrer der
Bürgerſchule zu Herborn publizirt; nach derſelben jollen Die
Lehrer täglich Morgens zwei und des Nachmittags drei Stunden lang
Schule halten, ausgenommen Mittwochs und Sonnabend Nach—⸗
mittage, wo von 12 — 1 Uhr Rechnen und Muſik gelehrt wird;
fie jollen mit dem Glockenſchlage in die Schule eintreten und Dies
felbe niemald vor dem Glodenfchlage verlaßen. Der Unterricht
ift mit vorgefchriebenen Gebeten anzufangen und zu fchließen;
die Kinder follen zur Andacht bei dem Gebete angehalten werben,
damit fie fein Gefpötte treiben; der Heidelberger Katehismus ift
fleißig zu üben und es ift darauf zu ſehen, Daß alle Kinder ben:
jelben nicht nur auswendig lernen, fondern auch von den religiöjen
Wahrheiten einen Begriff befommen; auch follen die Kinder aus⸗
erlefene Pfalmen, ald Pf. 8, 19, 25, 34, 51, 130 u. a., ferner
Ichöne Lieder, Morgen: und Abendgefänge, vorzüglih Die Nean-
drifchen auswendig lernen. Das fleißige Lejen der biblifchen
Bücher, und zwar nad einer beftimmten Reihenfolge, ift zu em⸗
pfehlen. Das Buchſtabiren ald Grundlage des Unterrichts im
Lejen ift möglichft lange zu treiben, auch find die Kinder im Lefen
von Briefen zu üben, weil foldyes den Profeffioniften ſehr nützlich
if. Es jollen beſonders die Knaben angewieſen werden, eine feine
Hand zu ſchreiben; zu diefem Zwecke find zierliche Vorfchriften zu
fertigen und das Nachgefchriebene ift füglich zu corrigiren. Syn
dem Singen nad) Noten follen die Kinder Mittwochd und Sonn
abends dergeſtalt geübt werben, daß alle Tage nach gefchloßener
Arbeit ein Knabe nach dem andern einen jchiclichen Werd anzu-
fangen und den Anderen vorzufingen befähigt ſei; im Rechnen
jollen die Kinder wenigftens Die 4 Spezies verftehen; in Anſehung
der Zucht find die Kinder bei Zeiten vom Fluchen und von garftigen
Reden abzuhalten, dagegen zu guten Maniren, Chrerbietigfeit
gegen alle Menfchen auf den Straßen, mit Hutabziehen, Vorbüden
und ſonſt zur Ehrbarfeit zu gewöhnen, abjonderlih zur Stille,
und zwar vor Allem in der Kirche, weshalb den PBräceptoren
— 270 —
geftattet wird, die Mutwilligen vor der ganzen Gemeinde mit
einem Stod über den Budel zu zücdtigen, damit Andere ein
Exempel daran nehmen. Der Bräceptor, weldyer den Gejang
führt, jol alle Zeit in einen Mantel vor dem Pulte ftehen, wie
überhaupt beide Präceptoren ſchwarz gekleidet mit einem Mantel
in der Kirche erfcheinen follen. Neben jenem eriten Präceptor ſollen
nicht nur die Knaben ftehen welche die Schule beſuchen, fondern
auch die, welche daraus entlaßen find und eine gute Stimme
haben, damit ein guter Geſang ausgeführt werde; firenge Aufficht
ft namentlich audy bei den Leichenbegängnifien auszuüben; und
weil überhaupt an der Zucht gar viel gelegen ift, fo follen die
Präceptoren diejelbe fireng handhaben, die Straffälligen ohne An-
jehen der Perſon züchtigen, doch alle Zeit mit Verſchonung des
Kopfes, auch follen fie die Schulverfäumniffe gehörigen Orts an
zeigen, damit jaumfelige Eltern zwangsweije zur Erfüllung ihrer
Pflicht angehalten werden koͤnnen. Endlich jollen fie ihren Schülern
mit einem guten nüchternen Wandel vorangehen und ihr Amt fo
thun, wie fie es hoffen vor Gott und ihren Vorgeſetzten verant⸗
worten zu fönnen.
Eine umfaßendere Schulordnung publizirte das Gonfiftorium
zu Dieß unter dem 10. Februar 1736. Eiugangs derjelben wird
über den Verfall der Schulen bitter geklagt. Die Pfarrer jollen
daher ihre Schulen wöchentlich mwenigftens einmal bejuchen, genau
infpieiren und die Lehrer anweijen. Lebtere jollen aber auch durd
guten Wandel die Schuljugend erbauen, die Kirche jelbft fleibig
beſuchen und die Schulkinder zum regelmäßigen Bejuche ber Kirche
anhalten. Im Sommer ift Morgens von 7 — 9, im Winter von
8— 10 und Nadymittagg von 1— 3 Uhr und zwar pünltlid
Säule zu halten. Während des Unterrichtes fol der Lehrer fein
andere® Geſchaͤft treiben, auch fich nicht Durch einen Schüler ver-
treten laßen; bei Strafe eined Guldens für jeden Tag darf fein
Lehrer ohne Genehmigung feined Inſpectors verreifen oder bie
Schule ausfeken. Alle Lehrer follen fich über die Methode und
die Xehrbücher, nach denen fie Unterricht erteilen, berichtlich äußern;
fie haben die Schüler anzuhalten, daß fie laut und deutlich ſprechen
und haben das Gelernte mit ihren Schülern oft zu wieberbolen.
— 271 —
Die Lehrer follen ihre Schliler wöchentlich einmal im Rechnen und
Schönfhreiben üben und follen unter jede gejchriebene Seite das
Datum feben laßen. Jede Schulverfäumnis ift zu vermerfen,
damit faumfelige Eltern geftraft werden können. Die Ferien find
nicht wie bisher auszudehnen. Nur während der Hundstage und
zu 2 Tagen vor den Hauptfeften find Ferien geftattet; vor ben
Hundstagsferien ift die jährliche Prüfung zu halten. Am Schluße
heift e8: „Da die Schuljugend fo äuſerſt verwildert, die Bosheit
ſchier auf die höchſte Staffel geftiegen ift und Die Bosheit das
Alter jelbft übertrifft, jo follen die Schullehrer beßere Aufficht
über Die Jugend führen, fie ernftlicher ermahnen, fie ftrenger zur
Gottesfurdht und guten Sitten, zur Ehrerbietung gegen Eltern
und Vorgejeßte, zur Ordnung und Stille auf der Straße und in
der Kirche anhalten. Nad) beendigtem Gottesdienft ift über Die ge-
hörte Predigt eine Prüfung anzuftellen. Unter den Schülern follen
Einzelne ald Wächter über die Andern beftellt werden. “Die
Presbyterien haben die Eltern ftreng anzubalten, Daß fie die Kinder
zur Schule ſchicken und zur Gottesfurdht erziehen.
Dur den im Sjahre 1739 erfolgten Tod des Fürften
Shriftian zu Dillenburg wurde das Dillenburger Land mit Naſſau⸗
Dieß vereinigt; dad Conſiſtorium zu Dillenburg wurde zum Ober-
conjiftorium des ganzen Fürftentumsd Oranien⸗Naſſau erhoben und
mit der Beauffichtigung des geſammten Landesſchulweſens beaufs
tragt. Die von dem Oberconſiſtorium eingezogenen Berichte
über den Zuftand der Schulen im Siegenfchen ergaben, daß dafelbft
die Gemeinden fi) noch immer das Recht anmaften, den Schul:
meiftern beliebig den Dienft kündigen zu dürfen. Das Oberconfiftorium
erließ Daher alsbald (22. November 1745) den Befehl, „daß hinfüro
fein Schuldiener in dortigen Landen ohne Vorwißen des Fürftl.
Confiſtoriums zu Siegen angenommen oder abgejchafft werden
follte.” Mehr aber noch als diefe Anmaßung der Gemeinden,
bie von einer würdigen Selbftändigfeit des Lehramtes nichts wißen
wollten, war dem Aufblühen der Schulen die durch alle vorhan⸗
denen Geſetze noch nicht überwundene Gleichgültigkeit derjelben
gegen den Schulunterricht hinderlich, weshalb dad Dberconfiftorium
zu Dillenburg durch ein Ausſchreiben vom 5. October 1761
— 272 —
befahl, daß in Zukunft „diejenigen Kinder, welche ohne erheblide
Urſache aus der Schule bleiben würden, von jedem Tage 1 Ar.
ad pios usus erlegen” follten.
Wie e8 fcheint, gelang es jegt den Behörden, einen regel-
mäßigen Beſuch der Schulen zu erwirken. Wenigftens findet fih
in den Gonfiftorialverordnungen des nächftfolgenden Jahrzehntes
feine Klage über fernere Widerfeplichfeit der Gemeinden, dagegen
ſah fih die Dranien-Naffauifhe Landesregierung i. J. 1773 ges
nötigt, durch Erlaß vom 7. Dezember die „Dienftfreibeit” der
Sculmeifter gegen die Zumutungen der Gemeinden in Schuß zu
nehmen, freilich zugleich aud), um ungebürlichen Anmaßungen ber
Sculmeifter zu begegnen, die Grenzen der den Lehrern zuftehenden
Dienftfreiheit zu beftimmen. Die Regierung befahl nemlich: „1)
daß ein Schulmeifter an dem Orte, wo er Schule hält, er may
dajelbft wohnhaft fein oder nicht, Die Freiheit für feine Perſon,
jowol von allen berrichaftlihen ald &emeinde:Handdienften und
Frohnen genießen; dagegen aber 2) ein Schuldiener, der an dem
Orte, wo er Schule hält, nicht zu Haufe ift, deshalb in feinem
Wohnorte Feine Freiheit verlangen folle; 3) von den Spanndienften
und dem Zugviehe bat Fein Schuldiener einige Freiheit zu begeren;
indeffen wird ihm nachgelaßen ſowol die herrſchaftlichen als Ge—
meindsdienfte mit Geld zu bezalen; übrigens verfteht es ſich hier
nähft von ſelbſt, Daß mehrbefagte Schulmeifter den gemeinen
Nutzen am Waidgange, Losholz und was für Vorteile ſonſt ein
Gemeindsmann genieft, ungejchmälert zu ziehen haben, und ihnen
nicht weiter ftreitig gemacht werden ſollen.“ — Außerdem wurden
in den Jahren 1777 und 1781 noch andere Verordnungen er
laßen, welche die Beßerung der Tage der Schulmeifter zum Zwede
hatte. Es wurde verfügt, daß die Fruchtbefoldung nicht mehr
von Haus zu Haus von dem Scullehrer eingefammelt, fonbern
von ben einzelnen Gemeindegliedern in des Heimbergers (Schulzen)
Haus gebracht, Dafelbft befichtigt und alsdann im Ganzen an
ben Lehrer abgeliefert werden ſolle. Die Schulfinder- follen aud
die Schulſcheiter nicht einzeln zujammentragen, fondern das zum
Heizen der Schulftube erforderliche Holz follte von den Gemeinden
angeihafft und vor das Schulhaus gejchafft werden.
— 273 —
Bon anderer Seite her wurde um diefelbe Zeit auch Die
geiftige Hebung des Lehrerſtandes berüdjichtigt. ‘Der Juſtizrat
Stühl von Lilienftern brachte im Jahre 1779 im ATten Stüd des
Dillenburger Jutelligenzblattes die Errichtung einer Bibliothef zur
Fortbildung der Glementarlehrer in Vorſchlag; er forderte wieder:
bolt die Freunde des Schulwejens auf, zur Ausführung feines
Planes zwedmäßige Bücher oder auch Geldbeiträge zu ſchenken.
Der Vorfchlag fand Beifall und Unterſtützung. Schon am 1.
Februar 1780 konnte an jeden Schullehrer ein nützliches Buch
auf 4 Wochen zum Lejen abgegeben werden, und in wenigen
Jahren war die Bücherfammlung auf einige hundert Bände
angewachſen.
Aber noch fehlte dem Lande Naſſau-Oranien die weſentlichſte
Bedingung eines glücklicheren Fortſchrittes des Volksſchulweſens,
naͤmlich en Schullehrerſeminar. Die Gründung deſſelben
wurde allerdings im Jahre 1775 angeregt, konnte jedoch ſobald
noch nicht zur Verwirklihung gelangen. Als nämlih Wilhelm V
unter dem 13. Juli 1775 ein Gnadengeſchenk von 1500 Reichs⸗
thalerı ad pios usus angewiefen hatte, fragte Die Yandesregierung
bei dem Gonfiftorium an, auf welde Weile dieſe Summe am
beften verwendet werden koͤnne. Das Eonfiftorium war der Mei-
nung, daß die angewiefene Summe wol am zwedmäßigften als
Fonds für ein zu errichtendes Schullehrerjeminar anzulegen fei.
Die Regierung wünjchte daher fofort einen Plan zur Einrichtung
einer foldyen Anftalt zu baben, überzeugte fich jedoch, ald der
Plan ihr vorgelegt wurde, daß die Zinfen des Fonds zur Do:
tation eine8 Seminars bei weitem nicht ausreichten, weshalb man
beichloß, das Gapital einftweilen anzulegen und die Zinfen zur
Unterftügung folder jungen Leute zu verwenden, welche befondere
Fähigkeiten für den Lehrerberuf zeigten. In der Folge wurde der
Plan des Naſſau⸗Uſingiſchen Seminars in Idſtein eingeholt und
dem academijchen Senate in Herborn zur Begutachtung vorgelegt.
Auf Grund der Vorſchlaͤge, weldye der Senat einfandte, entwarf
hierauf das Bonfiftorium einen neuen Plan zur Errichtung eines
Seminars, der jedoch auch nicht zur Ausführung fam.
Heppe, Bollsiulweien, 3. W
N 5
— 2714 —
Unter dem 10. Zuli 3781 beflimmte der Geheime Kath
Winter in Oranienftein eine MWechfelforderung von 2000 @ulten
nebft 80 Bulden rüdftäntiger Zinſen zur Verbefjerung der niederen
reformirten Schulen in den Oraniſch-Naſſauiſchen Landen, bebieit
fih aber die Binfen dieſes erſt einzuflagenden Gapitald Ichen®-
länglih vor. Durch einen Vergleih unter dem 27. März 1783
gingen dem Capital 5 Procent und die rüdftändigen Zinſen verloren,
und als im Jahre 1789 Winter ftarb, betrug der Kapitalfonds
nur 1041 Gulden, weldye8 fpäter Durch dad Hinzukommen der
Binfen auf 1588 Gulden anwuchs. Hierzu kam nody das von ber
Holländiſchen Oſtindiſchen Compagnie für geftattete Werbung be
zalte Conceſſionsgeld mit 2846 Gulden 6 Sreuzer, weldye dem
Seminarfonds zufloßen, der daber im Jahre 1783 aus 7616 fi.
beftand. Im Sabre 1785 wurde weiter dazu bewilligt Der zwan-
zigjährige Genuß der geöffneten und heimgefallenen überrheinijchen
Mohr von Waldifchen Kirdhengütern, welche zwar 1794 von
ber franzöfiichen Regierung eingezogen wurden, jedoch bis dahin
7800 Gulden betragen hatten, ſodaß der Fonts im Sabre 1795
auf 15424 Gulden angewachſen war. Die Zinfen dieſes Capitals
wurden teild für fähige Aſpiranten des Schullebrerftandes, teild
zu Öratificationen für Pfarrer, Pfarrpicare und Schulmeifter ver-
wendet, welche fi um Die Bildung angeftellter oder zukünftiger
Lehrer beſondere Derdienfte erworben hatten. Hin und wieder
machten ſich nämlich einzelne Pfarrer und Gandidaten die Ausbil:
Dung zukünftiger Volfsfchullehrer zur befonderen Aufgabe und
errichteten jomit in ihren Häufern Kleine Scullebrerjeminare.
Unter diefen um die Entwidlung des Naſſauiſchen Volksſchulwe⸗
ſens Hochverdienten Pfarrern ift zu nennen Georg Wilhelm
Jüngſt, der ald Pfarrer zu Niederdrefjelndorf, wohin er im
Sabre 1794 berufen war, zunädft um die Schullehrer feine
Kirchſpiels mit einer beßeren Lehrmethode bekannt zu machen
ſuchte. Da jedoch feine Bemühungen nicht den gehofften Erfolg
hatten, fo nahm er den Sohn eined dafigen Schulmeifters und
noch einen andern Knaben in eigentlichen Unterricht. Allmähliz
entwidelte fih nun bei ihm der Gedanke, ſich den Echullehrem
ſeines Vaterlandes überhaupt nüglid) zu machen. in Plan, ben
— 2715 —
er desfalls dem Gonfiftorium vorlegte, wurde von demjelben ges
nehmigt. Im Jahre 1797 eröffnete daher Juͤngſt feine Schul:
meifterfchule, die von der Regierung bis zum Jahre 1806 reichlich
unterftügt, al8bald in erfreulichfter Weile aufblühte und auch noch,
als die Unterfügungen ausblieben, mit einer geringeren Anzal
von Zöglingen fortbeftand, bis endli der Tod ihred Gründers
im Sabre 1809 auch ihr ein Ende machte. Unfänglich hatte
Jüngſt den Unterricht in allen Lehrgegenftänden allein in feinem
Pfarrhaufe erteilt; nur der Unterricht in der Muſik war einem
benadybarten Schullehrer übertragen. Sin der Folge jedoch nahm
Jüngſt noch einen Gehilfen an, miethete bejondere Lehrzimmer
und Ichaffte einen eigenen Lehrapparat an, wofür die Koften
jänımtlid, aus dem Seminarienfonds beftritten wurden. Da Juͤngſt
die befähigten Jünglinge möglidhft bald als Gehilfen verwenden
wollte und mufte, jo war er in der Auswal und Aufnahme der:
jelben beſonders vorſichtig; viele Zöglinge erhielten Stipendien,
welche fie jedoch, wenn fie einen andern Beruf wälten, wieberer-
ftatten muften. Die Koften waren nicht fehr bedeutend, weil
mehrere BZöglinge ded Abends in das elterlihe Haus zurüdtehrten,
andere dieſes wöchentlich wenigſtens ein- oder zweimal thun
konnten. Der Lehrkurſus war auf 3 Jahre beſtimmt. Die Lehr⸗
gegenftände waren: Die deutſche und franzoͤſiſche Sprache, Welt⸗
geſchichte, bibliſche Geſchichte mit Religionslehre, Kopf- und Tafel
rechnen, Schönfchreiben, Methodenlehre, Clavierſpielen und Geſang⸗
lehre. Die Fähigeren wurden auch in der reinen und angewandten
Geometrie, in der lateiniſchen und ſelbſt in der griechiſchen Sprache
unterrichtet.
Große Verdieuſte erwarb ſich um die Ausbildung zukünftiger
Schullehrer auch der Lehrer Johann Auguft Steub. Nachdem
er 14 Jahre lang in mehreren Eleinen Dorfichulen fungirt hatte,
wurde er im Sabre 1771 zum Glementarlehrer nad) Dillenburg
berufen. Hier wirkte Steub 41 Yahre lang mit rührigfter Ihä-
tigfeit, erhob feine Schule zu einer Muſterſchule und bildete 40
junge Leute für den Lehrerberuf aus.
Für die Vorbildung der Schullehrer in den drei Fatholifchen
Aemtern wurde von Staats wegen eine mehr öffentliche Anftalt
18°
-- 276 —
begründet. Am Sabre 1787 wurde nämlih in Hadamar ein
Lehrer, Joſeph Schneider, beauftragt, fowol den bereits ange
ftellten katholiſchen Schulmeiftern al8 den Sculamtsafpiranten
befonderen Unterricht zu erteilen. ‘Die geringe Beſoldung des
Lehrers, kaum 100 Gulden betragend, jowie die Nebenkoſten
wurden aus dem Hadamarſchen Schulfonds beftritten, doch ftand
die ganze Anſtalt mit dem dortigen Gymnafium nie in näherem
Bufammenhange. An dem Stiftungsjahre waren fämmtliche an⸗
geftellte Schullehrer einfchlieslih der Dinglehrer aufgefordert
worden, fih in Hadamar für ihren Beruf beßer inftruiren zu
laflen; zugleich wurde befannt gemacht, daß in Zukunft fein fa
tholifcher Lehrer angeftellt werben follte, der nicht in Hadamar
geprüft und für fähig erklärt worden fei. Der Unterricht wurde
nur während des Sommers erteilt, denn die Lehrlinge kamen des
Morgens in die Stadt und Eehrten des Abends nach Haufe zurüd.
Deswegen wurbe au den von Hadamar entfernt wohnenden
Schulmeiftern und Afpiranten freigeftellt, bei dem ſehr gebildeten
damaligen Lehrer Heinrich Klein in die Xehre zu gehen, Die Prü-
fung mufte in Hadamar gefchehen. Sehr dürftige und fleipige
Schüler erhielten zuweilen Unterflügungen und Prämien aus dem
Schulfonds. Die Fatholifchen Lehrer im Siegner Lande entbehrten
jelbft diefes geringen Vorteild. Nach den Verordnungen der Regierung
vom 11. März 1784 und vom 14. Februar 1786, in denen über
ben traurigen Zuſtand der dortigen Schulen ſehr ernft geklagt
wurde, erhielten die Schulweifter die Weiſung, daß fie zur Gr
lernung einer beßeren Methode alle Sonn: und Feiertage nad
dem ©ottesdienfte zu ihren Pfarrern gehen, über ihre Schulen
Bericht erftatten und ſich Belehrung holen follten. Zumwiderhan
delude follten mit Strafen belegt werden. In jebem Pfarrorte
jolten alle 8 oder wenigftend 14 Tage, und au Filialorten jeden
Monat die Schulen genau vifitirt werden, wobei die Pfarrer ind
befondere darauf ſehen follten, daß das gedankenlofe Auswendig-
lernen und Herplappern aufhöre, daß die Kinder Gebrudtes und
Geſchriebenes erſt richtig Buchftabiren, dann leſen lernten, und daß
Knaben und Mädchen im Schön: und Rechtichreiben und Rechnen unter
richtet würden. Die Schulmeifter ſollten Meyers Feldbaukatechismus
— 277 —
in den Schulen erflären und die Sittlichkeit zu heben fuchen.
Alle Kinder follten vom 6. bis zum 12. Jahre fchulpflichtig fein,
für jede Verfäumnis follte auf dem Lande 1, in der Stadt 4
Kreuzer bezalt werden, die Strafe von 5 verfäumten Tagen follte
jedoh durch 1 Tag Öffentliche Arbeit abgetragen werden können.
Die Winterfchule folte von Martini bis zum 1. Mai dauern und
zwar tägli 8 oder wenigftend 6 Stunden lang; über die Ein-
richtung der Sommerfchulen follte noch das Nötige verfügt werben.
Der Pfarrer follte den betreffenden Schullehrer vor feiner Anftel-
lung prüfen und einen ausführlichen Bericht nebft beizulegenden
Proben feiner Fertigkeit im Schreiben und Rechnen an die höhere
Behörde einjenden.
Bid zum Anfange des 19. Jahrhunderts blieb das Volks—⸗
ſchulweſen im Oraniſchen Naffau wejentlih in derjelben Faßung,
welche es etwa bis zum Sabre 1770 erhalten hatte Eine Er-
weiterung und neue Anregung erhielt Dafjelbe nur dur das auch
in Naſſau frühzeitig erwedte Intereſſe für Induſtrieſchulen.
Die erfte Anregung zur Begründung derfelben gab die Gemahlin
Wilhelms I, welche die Snduftriefchulen in Hannover und Braun-
ichweig Fennen gelernt hatte. Einen Mann, durch den ji
Aehnliches auch in Naffau herftellen Lich, fuchte und fand Die
Zürftin in dem dritten Pfarrer zu Herborn, Johann Kaspar Dörr,
ber auf Koften der Fürftin nach Braunfchweig und Hannover
reifte, um ſich mit den dortigen Induftriefehulen genau befannt zu
machen. Nach feiner Rückkehr entwarf Dörr einen Plan zur
Induſtrieſchule, zu deffen Ausführung die Fürftin in Dieg alsbald
vorzugehen beſchloß. Nachdem die Fürftin ein geräumiges Haus
mit Zubehör in Dieß gekauft und die (freilich nicht ausreichenden)
Binfen eined Capitals von 5000 Gulden zur Unterhaltung der
Anftalt angewiefen Hatte, wurde Diefelbe am 30. Juli 1805 in
Begenwart des ganzen Hofes feierlich eröffnet. Worläufig waren
nur 22 Knaben und 23 Mädchen, fämmtlich von ehelicher Geburt,
welche zuvor von Kopf bis zu den Füßen reinlich gefleidet waren,
aufgenommen worben; fpäterhin flieg die Zal der Schulkinder
anf 40 Knaben und 40 Mädchen. Die Kinder wohnten jämmtlich
bei ihren Eltern, bei denen fie auch Unterhalt und Pflege hatten;
— 178 —
in Srankheitäfällen wurden jedoch der Arzt und die Arzneien aus
dem Fonds bezalt. Die Unterrihtögegenftände waren: Leſen,
Schön, und Rechtſchreiben, Kopf: und Tafelrechnen, Singen nad
dem Gehöre ohne Noten, natürliche und chriftliche Religions und
Sittenlehre, Denkübungen, allgemeine Erdbeſchreibung und das
wichtigfte aus der biblifchen und Weltgefchichte. Die Handarbeiten
beflanden in Nähen, Striden, Stopfen, Wollens, Flachs⸗ und
Baumwollenfpinnen, Kragen und Schlumpen, Dupliren, Ywirnen,
Netzzemachen, Flechten, Sodenmachen, Schnur: und Schnürriemen:
weben, Klöppeln, Berfertigung ter Bfeifendedel aus Drath x.
Welche Arbeiten für beide Gejchlechter und welche nur für Eins
anwendbar waren, darüber entfchied das Verhältnis, das Bebürf-
nis und die Perfönlichkeit der Kinder. Den Unterricht in den
eigentlichen weiblichen Arbeiten bejorgte die Lehrerin, in den
übrigen ter Lehrer, oder man mufte durch Probiren nach Muftern
fertig zu werben ſuchen. In der Kolge wurde ein Kind ber
Lehrmeifter des andern. Epäterhin wollte man die Grenzen er
weitern und eine Strumpfweberei damit verbinden, wurde aber
bald mit Schaden dad Unzweckmäßige gewahr. Der eigentliche
Sculunterriht und die Uebung in den Handarbeiten wurden zwar,
da die Kinder in Claſſen verteilt waren, abwechjelnd und in ver:
Schiedenen Zimmern erteilt und getrieben, aber dennoch muften bei
erfteren auch ſolche Handarbeiten, die fein Geräufch verurjachten
und zur gehörigen Kertigfeit gebracht wurden, mitgetrieben werten.
Die feftgefeßte Schulzeit war das ganze Jahr hindurch von Morgens
8 bis 11 Uhr und Nachmittags von 1 bis 5 Uhr. Nur des Sonn-
abends war der Nachmittag ganz frei.
Die Deconomie, das Nechnungswejen, das Unfchaffen ter
Materialien, der Werkzeuge und deren Verwahrung, der Vertrieb
der im Inſtitut verfertigten MWaaren 2c. mufte von bem Lehrer
beforgt werden. Der Ankauf der Materialien fowie der Arbeits
lohn wurden aus dem Fonds beftritten, wohin auch der &rlös für
die verkauften Waaren zurüdfloß. Jedes Kind hatte ein beſonderes
Bücheldyen, in welches jedesmal feine verfertigte Arbeit mit dem Betrag
des Arbeitölohnes aufgezeichnet wurbe, und wonach e8 am Ende
jeden Quartals feinen Verdienft ausbezahlt erhielt, den es feinen
— 279 —
armen Eltern zur Unterftübung brachte. Die neuen Kleider
wurden aus dem Fonds angefchafft, aber für das Ausbehern wurde
nicht8 vergütet. Am Ende des Jahres mufte der Lehrer als
Rehnungsführer über die ganze Wirtfchaft eine genaue Rechnung
ftellen, folche der eigendd dazu ernannten Commiſſion zur Revifion
und zum Abjchluß vorlegen. Das Inſtitut bewährte fid) als zweck⸗
mäßig und wolthätig befonderd für das meibliche Geſchlecht und
erbielt fi unter dem Schuhe jeiner großmütigen Stifterin felbft
über das Jahr 1806 hinaus, bis es fich endlich mit dem Schluße
des Jahres 1808 auflöfte.
Die Lehrbücher, welche in den Schulen des Landes gebraucht
wurden, waren 1) die Bibel, von welder im Sabre 1590 zu
Herborn eine Ausgabe unter dem Titel veranftaltet: „Biblia,”
das ift die ganze heilige Schrift; deutſch Dr. Martin Lutber.
Mit den Summarien, Chronologie, auch unterjchiedenen Regiftern
der Hiftorien und SHauptlehren, endlich dem Gefangbuche und
Catechismo verbeßert und, geziert.“ Man hatte die
lutheriſche Ueberſetzung nicht aus der Wittenberger, ſondern aus
der Frankfurter Ausgabe unverändert gelaßen, aber den Inhalt
der bibliſchen Bücher und Capitel und die Abteilung der Verſe
hinzugefügt, angehängt waren die Pſalmen von Lobwaſſer und der
Heidelberger Catechismus. Trotz des Verdammungsurteiles, welches
dieſe Bibelausgabe in Wittenberg erfuhr, wurde dieſelbe in Kirchen
und Schulen eingeführt und in Herborn fünfmal in 80 und drei⸗
mal in 40 aufgelegt. 2) Der Heidelberger Catechismus, deffen
Einführung von der Dillenburger Synode im Jahre 1582 be
ſchloßen wurde, während vorher Luthers Catechismen ziemlich ver:
breitet gewejen waren, die auch fpäterhin noch (und neben ihnen
der Wittenbergifche Catechismus von 1572 fowie die Fragftüde
von Zegger) von einzelnen Pfarrern gebraudyt wurden, bis das
Kirchenregiment im Jahre 1611 die ausfchliesliche Geltung des
Heidelberger Catechismus verfügte. Im Auguſt 1691 wurde bes
fohlen, daß in allen Schulen ſtatt des groͤßeren Heidelbergers
künftig nur der kleine Heidelberger Katechismus gebraucht werden
ſollte, und Fürſt Heinrich bedrohte jeden Zuwiderhandelnden mit
einer ſtrengen Strafe. Spaͤterhin (im Jahre 1750) gab der
— 280 —
Sonfiftorialrat Salomon Morff zu Herborn tenfelben mit Erfiö-
rungen heraus, von welcher Bearbeitung im Sahre 1793 die 8.
Auflage erfchien. Indeſſen begannen ſchon damals einzelne
Pfarrer und Lehrer ftatt des Firchlihen Catechismus allerlei Pr
vatcatechismen ihrem Unterrichte zu Grunde zu legen. 3) Das
Geſangbuch. Seit 1582 bediente man ſich der Lobwaſſerſchen
Pfalmen. Am Jahre 1654 erfchien zu Herborn ein neued Ge
fangbuch, welches außer den Lobwaſſerſchen Palmen bie 10 Ge
Bote, den apoftoliihen Glauben und das Gebet des Her in
Liedern und dann noch in einem Anbange auf 10 Blättern Ge
fänge auf verfchiedene Zeitumftände und Tebensverbältniffe enthielt.
Im Jahre 1708 wurde in Herborn das neue vollftändige Naſſau⸗
Dillenburgifche Geſangbuch gebrudt, welches die älteren Pfalmen
und Liederfammlung durch Hinzufügung mehrerer neuer Lieber
bereicherte. Daffelbe wurbe im 18. Jahrhundert noch ſechsmal
aufgelegt, bis es durch das anf Befehl des Prinzen Wilhelm V
mit Benußung des Berliner und anderer neuer Geſangbücher ent
ftandene nene Geſangbuch, welches im Jahre 1786 zu Herborn
erichien, verbrängt wurde. 4) Die Fibeln oder ABCbücher wur
den von den Schulmeiftern oder Pfarrern nach ihrem Gutdünken
ausgemwält und in den Schulen eingeführt.
In Folge der Ereigniffe des Jahres 1806 wurden alle anf
der rechten Lahnſeite gelegenen Naffanifchen Lande dem neugebil-
deten Großherzogtum Berg einverleibt und erhielten die franzoöͤſiſche
Verfaßung. Demgemäß wurde das Gonfiftorium in Dillenburg,
unter deffen Anfficht die Schulen bisher geftanden hatten, am 25.
Januar 1809 aufgelöft. Die Prüfung und Anftelung der Schul:
lehrer wurde der Generaldirection des öffentlichen Unterricht zu
gewiefen. Die Primär oder Glementarfchulen der einzelnen
Gemeinden wurden der Aufficht der Maires überlaßen, welche über
biefelben an den Unterpräfecten zu berichten hatten. Den Pfarr
geiftlichen wurde anempfohlen, die Schulen wöchentlich zu beſuchen
und Die Lehrer anzuweifen. Das Eieg-Departement erhielt an
dem Präfeeten Schmids einen Vorſtand, dem die Schule und das
Erziehungsweſen am Herzen lag. Um den Seminarfonds feiner
Beſtimmung näher zu bringen, entwarf derjelbe eine Studienordnung
— 2831 —
für Schulamtsafpiranten, welcher der Plan zu Grunde Tag, daß
für diefelben ein ſechswoͤchentlicher Lehrcurſus eröffnet und Jedem,
der daran Teil nehmen würde, aus diefem Fonds täglich 24 Ar.
Koftgeld bezalt werden follte Allein der nad Düffeldorf über:
ſchickte Plan kam nicht wieder zurüd, weil man Damit umging,
diefen wie andere Fonts zur Dotation einer Univerfität in Düf-
feldorf zu verwenden. Kür die Katholischen Schullehrer in dem
Hadamariſchen wurde indeſſen ein ganz ähnlicher Plan wirklich zur ,
Ausführung gebracht. Die jüngeren Lehrer erhielten den Befehl,
zur Abfjolvirung eines Lehrcurſes bei dem Dberfchulinfpector Hirſch
nad Düffeldorf zu reifen, wofür ihnen von der Mimicipalität 30
Kr. Diäten gezalt werden muften.
Unter dem 17. December 1811 wurde das die Organifation
des öffentlihen Unterrichts im Großherzogtum Berg betreffente
Decret erlaßen. Diefem zufolge wurben die Fonds der hohen
Schule zu Herborn, des Gymnaſiums zu Hadamar und anderer
Anftalten zur Dotation der Univerfität zu Düffeldorf überwieſen.
Nady Herborn, Hadamar und Dillenburg follten Secundärjchulen
fommen. Für je 80 Kinder follte eine Primärjchule eingerichtet
werben, und der Schulort wo möglich in der Mitte liegen, fo daß
ein Kind nicht über eine halbe Stunde zur Schule zu gehen habe.
Die Unterhaltung ver lebteren Anftalt follte der Commune zur
Laft fallen. Man wünfchte hierbei von feiten der Präfectur jedem
Drte Gelegenheit zu verfchaffen,, feine Kinder im Winter und
Sommer unterrihten zu laßen. Allein der Mangel an Schul
häufern und beſonders an Fonds zur Dotirung der Lehrerftellen
jeßte einer durchgreifenden Verwirklichung dieſes Planes die gröften
Hinderniffe in den Weg, weshalb man mit der Bildung der Schul:
diftricte nicht ind Reine fommen fonnte.
Im Juni 1812 erließ daher der Minifter des Innern, Graf
Neffelrode, eine Verfügung des Inhalts: Jeder Schulbiftrict follte
hundert Kinder umfaßen. Bei feiner Bildung fönnte man zwar
die Mairie und den Kirchſpielsverband nicht ganz unverlegt bei:
behalten, doch fei nur im höchften Notfall davon abzuweichen. Die
Entfernung von dem Schulorte dürfte nur im aͤußerſten alle
breißig Minuten betragen. Jede Confeſſion follte eine Brimärjchule
— 232 —
haben. Wo die Anzal der Kinder groß und zwei Lehrer erforder⸗
lich waͤren, ſollte der auch geringeren Anzal von Kindern einer
andern Confeſſion Durch einen Lehrer der ihrigen Religiondunter:
richt erteilt werden. Die Unterhaltung der Primärfchulen folte
der Mairie zur Laft fallen. — Die Localfond8 wurden demgemäß
zur Communalcaſſe eingezogen. Der geringfte Gehalt eined Gle
mentarlehrerd wurde außer einer freien Wohnung auf 250 Yrancd
feftgefebt, das Schulgeld auf dem Lande im @eringften auf 40
Centimes, in den Städten auf 50 Sentimes, welches für Die Armen
aus dem Armenfonds bezalt wurde.
Mit dem Ende des Jahres 1813 erreichte Die franzöfifce
Herrihaft ihr Ende, noch che die Traugferirung der öffentlichen
Schulfonds nah Düffeltorf ausgeführt werden Eonnte. Zwei
Jahre Später wurben die Länder der Ottonifchen Linie dem Wal:
ramifchen Haufe übergeben, infolge deffen die Schulverhältmifi
jener fich durchaus nach der neuen Organifation des Schulweſens
Naſſaus unter der neuen berzoglichen Regierung geftalteten.
DO, Ueber die Geſchichte Des Volksſchulweſens in den Yanden
der Walramifchen Linie liegen bis zum Ende des fiebzehnter
Jahrhunderts nur wenige Nachrichten vor. — Bon dem Beil;
burger Lande wißen wir, daß für daſſelbe i. J. 1602 verordnet
wurde, wo Schulen von den Einkünften des Glöckneramtes unt
anderen Gefällen errichtet wären, dafelbft follte Das Pfarrvoll
mit Zuthnun der Filiale bequeme Schulhänfer für Schulmeifter und
ihre Rinder mit fehuldiger Dankbarkeit erbauen und im Bau et:
halten. Weiterhin wird erzält, daß in den erften jahren des
dreißigjährigen Srieges die Gemeinden Allendorf und Mehrenberz
baten, ihnen Die 48 Qulden, mweldye aus dem Kirchenkaften auf
ein Haus bypothecirt feien, das fie zum einem Schulhaus ankaufen
wollten, gejchenkt werden möchten, indem fie den Reſt auf die
Gemeindefaffen übernehmen wollten. Um in der Stadt Weilburg
die Schulfinder nad) dem Geflecht jondern zu können, made
um dieſe Beit die Gemahlin des Grafen Ludwig, Anna Maria,
eine Stiftung zur Unterhaltung eined Mätchenlehrerd. Bon dieſen
Mädchenlehrer wird berichtet, daß derſelbe Die fchredtlichften Kriege
— 283 —
drangſale und die Peſt überlebte, während ihm aus der Stiftung
nur ein Gulden und drei Albus ausbezalt werden fonnten.
| Erſt feit dem Anfange des 18. Jahrhunderts waren in den
meiften Bfarrorten des Amtes Weilburg einige Schullehrer ange:
ftellt, welche zugleich die Küſter- und Organiftenftellen verjahen.
Der Unterricht beftand in mechanifchem Leſen, wobei man fich des
ABCbuches, der Palmen, ded Neuen Teftamentd und der ganzen
Bibel bediente (dieſe Lehrbücher beſtimmten die Claſſeneinteilung
der Schulkinder); ferner im Ausmendiglernen und Abfragen des
Iutberifchen Katechismus, in etwas wenigem Rechnen und im Ein-
üben der Firchenmelodien nad) dem Gehör. Das Schreiben wurde
meiftens im Privatunterricht gelehrt. Der Unterricht dauerte nur
ben Winter hindurch und fiel während des Sommers ganz weg,
bi8 eine landesherrliche Verordnung befahl, daß auch im Sommer
wenigftend an zwei Tagen follte Schule gehalten werden. Als
die Anzal der Schulkinder in den Filialorten immer größer wurde,
nahm man für den Winter Dinglehrer an.
Während ber Regierung des Fürften Karl (1754 — 1788)
wurde beſonders für Kirchen ımd Schulen fowie für die Armen
Vieles gethan. In feinen Bemühungen für Hebung des Schulwes
ſens wurde der Fürft namentlid von feinem Prafidenten Botzheim
unterftügt. Leßterer nahm an der von zwei Inſpectoren bejorgten
Ausarbeitung eined ABCbuches oder einer Tchrfibel für Die unterfte
Schülerflaffe jelbft Anteil. Der Titel diefe8 merhvürdig gewor⸗
denen Buches ift folgender: „ABE-, Buchſtabir- und Leſebuch zum
Gebrauch in den proteftantifchen Schulen der fürftlichen Naffau:
MWeilburgiichen Lande. Aus gnädigftem Befehl herausgegeben von
der gemeinfchaftlihen Grziehungsanftalt zu Kirchheimbolanden.
Worms, 1776." — Diejes Büchelchen (in Klein 8.) füllt mit dem
Titelblatte nur zehn unpaginirte Blätter. Die drei erften Blätter
enthalten Buchftaben, Silben und Wörter, Die übrigen nur Eurze
moraliſche Erzählungen in Rrofa, ſodann ein Kinderlicd und zwei
fleine Gedichte vom Nugen der Frömmigkeit und vom „Vorſatz“.
Auf der letzten Seite fteht das Einmaleins. — Kaum war diejes
Büchlein im Drud erjchienen und follte in den Schulen der
Herrſchaft Kirchheim eingeführt werden, als das Volk in die gröfte
— 234 —
Bewegung geriet, indem ed den vaterländifchen Glauben als ent:
ehrt und bedroht anfah, weil man weder die zehn Gebote noch
ben Glauben und das Gebet des Herrn darin aufgenommen habe.
Man befürchtete ernfte Auftritte, weshalb der Fürft fich in feiner
Refidenz nicht mehr für ficher hielt, und bei Kurpfalz Hülfe fuchte.
Es rücten daher 800 Mann Eurpfälziiche Truppen bis Albißheim
ein. Späterhin fam ed zum Prozeß vor dem Reichskammergericht
in Weplar, bis man endlich nachgab, daß das Büchlein nicht in
den Schulen eingeführt werden follte. Dieſer AS · arie ſoll an
60,000 Gulden Koſten verurſacht haben. *)
Ein Schullehrerſeminar hat im Weilburgiſchen nie beſtanden;
indeſſen wurde doch einiges wenigſtens für die Bildung Fünftiger
Bolksfchullehrer getban. Der Lehrer Georg Peter Sartorius
in Weilmünfter erteilte feit 1776 den Aſpiranten des Lehrerftandes
in manchen Rehrgegenftänden, befonders auch in der Mufif, Unter
richt; und die Superintendenten zu Weilburg unterrichteten eine
Reihe von Yahren die der Stadt näher wohnenden Yünglinge
alwöchentlich an zwei Tagen, worauf diejelben nach überftandener
Prüfung zuerft auswärts, und vorzüglid im Weſterburgiſchen
Dingfchulen übernahmen und alddann, auch praktiſch gebildet, in
da8 Vaterland zurüdkehrten.
Noch verdient bemerkt zu werden, daß im Weilburgiſchen,
früher ald anderswo eine Wittwen- und Waifenfafle für Volke
Ichullehrer geftiftet wurde. Die erfte Anregung zu einer folden
Stiftung gab der Superintendent Gramer, der zu dieſem Zwede
ein kleines Gapital legirte. Alsbald bejchloß der Fürft Karl eine
joldde Stiftung ins Leben zu rufen, indem er und feine Gemahlin
namhafte Summen zu bderfelben jchenften. Unter dem 18. Februar
1777 wurde der Plan publizirt. Die Einrihtung war im Ve
jentlihen folgende: Wer die Eintrittöfumme von 10 fl. und als
jährlichen Beitrag 1 fl. 30 &r. zalte, war Mitglied der erfim
Glaffe; wer von beiden Beiträgen die Hälfte zalte, gehörte zu
zweiten Claſſe. Zwei Dritteile der Sapitalzinfen unb zwei Dritteile
) Ausführlide Nachrichten über diefe Händel find in den „Religiomsbege
benheiten” von 1778 mitgeteilt.
— 285 —
der Beträge wurden jährlich unter die Wittwen und Waifen der
verfchiedenen Glafjen verteilt, und ein Dritteil wurde ald Capital
angelegt. Im Jahre 1816 erhielt eine Wittwe der erften Claſſe
14 fl. 37 &r., in der zweiten Glafje die Hälfte.
Auch in den übrigen Landen der Walramiſchen Linie wurde
den Volksſchulen erft in der Zeit des Epenerjchen Pietismus eine
größere Aufmerkfamteit zugewandt. In der Grafihaft Ufingen
wurde uun 1624 durch den Fürſten Walrad verordnet, daß in
volfreichen Gemeinden Sommers und Winters ſolle Schule gehalten
werden. Alle jchulfähigen Kinder follten zum Schulbefuche mit
Strenge angehalten, im Unterlaffungsfalle in den Schulen koͤrper⸗
lich gezüchtigt,, und die Eltern follten für jeden verfäumten Tag
mit 5 Albus beftraft werden, welche Strafe fie jedoch durch öf-
fentliche Arbeit abverdienen könnten. Im jahre 1700 wurde ein-
geſchärſt, daß mit den Schulfindern die Sonntagspredigt zu
wiederholen fei, Dagegen follten die Schulmeilter dad Auswendig⸗
lernen der Kinder beichränfen und Diefelben nicht blos nach der
Seelenkraft des Gedächtniffes ſetzen. Im Jahre 1702 wurde
den Lehrern aufgegeben, ihren Schülern bejonderd Gehorjam gegen
die Obrigkeit, jowie überhaupt gegen ihre Vorgefeßten zu em⸗
pfehlen. Wie Häglih Die Außere Tage im Amte Ufingen war,
erhellt aus Folgendem: Als 1744 in der Stadt Uſingen flatt des
bisherigen Gonrectord ein Mädchenjchulmeifter angeftellt werben
follte, wurde diefe Stelle dem dafigen Bürger und Schuhmacher:
meifter Henkel übertragen und ihm dafür eine Befoldung von 84
Achtel Korn, 4 Klafter Holz, fowie freier Wohnung und Benutzung
eines Gaͤrtchens zugelihert. Im folgenden Jahre wurde er Glöck⸗
ner an der Stadtkirche und erhielt dafür 9 Gulden baar und bie
Accidenzien, die er wegen Verlegung der Reſidenz jährlich zwilchen
8— 10 Gulden anſchlug; von diefer feiner Beſoldung hatte ber
Mädcheniehrer an den Orgelbalkentreter jährlich einen Reichsthaler
und fo oft er ihm Die große Glocke läuten haff, freie Verköftigung
zu geben. Als nun der Schul: und Schuhmachermeifter fpäter um
eine Zulage anhielt, weil damit Weib und Kind nicht leben könne:
und feine Profejlion verfäumen müffe, fo erhielt er den Beſcheid,
daß feinem Geſuch Nicht gewillfahrt werben koͤnne, weil er jetzt
— 286 —
durch die Glöcknerei eine ziemliche Beſoldung erhielte. Doch
wirkte dieſer Mann mit vieler Treue 15 Jahre lang und feine
Befoldung wurde fpäter mit 9 Gulden und 4 Achtel Korn ver
mehrt. — Erft nah dem Jahre 1778 wurden die Schulmeifter
im. Amte Ufingen befjer geftellt.
Sn den Idſteiniſchen und Wiesbadenſchen Landen
fonnte bei den ergiebigen. Hilfßquellen für die Volksſchulen ſchon
mehr gethban werden. Das GEymnaſium in Idſtein hatte auf bie
Bildung der Schulafpiranten großen Einfluß; denn bier waren
neben den gelehrten Schulmännern auch tüchtige Unterlehrer an:
geftellt, Die meiftend aus dem Auslande berufen und gejdidte
Mufiter waren. Wennjchon daher der Kantor in Sdftein erft im
Jahre 1724 lediglich auf die deutihe Sprache beſchränkt wurde,
fo fanden doch manche junge Leute ſchon früher Gelegenheit, fid
unter Leitung der Unterlehrer dafelbft für den Lehrerberuf befonders
in der Muſik vorzubereiten. — Su den volfreichen Gemeinden des
Amtes Wiesbaden, in deren Kirchen ſich Orgeln befanden, wurde
die Auftellung beſonderer Schullehrer früher ein Bedürfnis, ale
in den Spfteinifchen , wojeldft lange Zeit felbit die Pfarrer das
Schulamt verwalteten und fpäter auch Dingjchullehrer angeftelt
wurden. Sn den meiflen Schulorten wurde jedoch aud) während
des Sommers, wenn auch nur an einzelnen Tagen, Schule ge:
halten. Mit großem Gegen wirkten der Generalfuperin,
tendent und Scholar Dr. Lange zu Spftein (1722 Bis
1756) und der Hofprediger und erſte Stabtpfarrer Egid
Sünther Hellmund zu Wiesbaden für die Verbeßerung des Bolt:
ſchulweſens. Der letztere ift der Begründer des erſten
Naſſauiſchen Schullehrerſeminars. Angeregt durch den von Spener
in der Kirche erwedten Geift hatte nämlidy die Fürſtin Henriette
Dorothee im November 1721 wenige Wochen nach dem Tode
ihres Gemahles, des Fürften Georg Auguft, in Wiesbaden ein
Waiſenhaus gegründet, mit deſſen DBeaufjihtigung und Leitung
Hellmund betraut wurde. Mir diefem Waiſenhauſe verband nun
Helmund im Sahre 1734 ein Schullebrerjeminar, über deflen
Einrichtung ſich Hellmund in feinen Nachrichten von dem Waiſen⸗
bauje zu Wiesbaden unter den 2. Januar 1735 in folgender
— 2897 —
Weiſe ausſpricht: „Da leider! gar felten ſolche Leute oder Subjecte
zu deutihen Schulen vorhanden find, welche Die allernöthigite,
allervornehmſte und allerbefte Eigenſchaft wirklich befigen, bie zur
Auferziehbung der Schulfinder in der wahren Got—
tesfurcht erfordert wird, nämlich die eigene Hebung
und Erfahrung in Derfelben; indem ed gemeiniglich genug
ift, wenn ein folder Menſch lefen, Jchreiben, rechnen, fingen und
die Orgel jchlagen kann, oder zu allem weiteren Ueberfluß aud)
noch äußerlich einen ehrlihen Wandel vor der Welt führt, oder
wol gar nur einige Hoffnung zu feiner Beßerung
von feinem fündlihen Leben und Wandel verjpridt,
übrigend aber nicht darnach gefragt wird, ob er felbft ein
wahrer Chriſt und gefhidt fei, Die Kinder zum wah—
ren Chriftentum anzguführen und aufzuweden ıc., ob
er die Gabe des Vortrags, der Aufmunterung, der
Prüfung, des Gebetes und einen geiftlihen, göttliden
und chriſtlichen Sinn babe? welches dann obuftreitig die
allervornehmfte Haupturfach des allgemeinen Verderbens an allen
Drten in der Chriftenheit ift, indem dadurch Die Jugend im Beften
verfäumt wird, und hernach ungeſchickt ift, fich das öffentliche
Lehramt in der Kirche zu Nug zu machen, wie die Erfahrung
allenthalben augenjcheinlich Iehrt, und felten vom Prediger
in der Kirche wieder gebeßert wird, was vom Schul:
meifterinder Schuleverjäuamt oder verdorbenworden
if. Wenn dann aus der Schuljugend allenthalben die fünftige
Bemeinde befteht, mithin Durch beßere Beftellung der Schulen und
Auferziehung der Kinder in furzer Zeit alle Gemeinden gebeßert
werden Eönnten, welches außerdem den gröften Potentaten in ber
Welt ohnmöglih ift, fo wäre ja nichts nöthiger, nüßlicher und
billiger, noch zur allgemeinen Beßerung leichter, als daß, nach dem
Willen Gottes, auch in diefem Stüde Die Aemter mehr mit
Leuten als Die Leute mit Aemtern verfehen, und bei
den Beftellungen der deutſchen Schulen alle Nebenqualitäten oder
Künſte der Hauptjache nacdhgefeßt würden.” — „Und wiewol heu-
tiges Tages, zumablen bei der gewöhnlichen indiscreten Anhaltung
zum Studiren, viele Literati oder Studirten aus Noth aud
— 288 —
deutſche Kinderfehulen fuchen und annehmen, auch einige von ihnen
Gott fürchten, und alle nöthigen Gigenfchaften dazu befißen, fo
find ihrer doch, der Erfahrung nad), jehr wenige, Die nicht entweder
zu der groben Diät und Lebensart bei ſolchen armen Schuldienften
von Natur untüdhtig, oder, der faft auf allen Dörfern eingeführ-
ten Mufif und des Claviers unerfahren, oder dem Leibe nad zu
der täglihen Schularbeit, abſonderlich bei vielen Kindern, zu
ſchwach, gleih auch der mit gemeinen Schuldienften insgemein
verbundene Glodendienft und nöthige Aufwartung beim Pfarramt
fich nicht wol für folche ſchicken, worunter in ſolchen Fällen die
Pfarrer und Gemeinden leiden müſſen: daher dergleichen Praͤcep⸗
toren ihre Schuldienfte, wiemohl aus menfchliher Schwadhheit,
gemeiniglich für ein großes Kreuz halten und wünjchen, daß
fie davon bald wieder erlöjet würden, welched aber mannichmabl,
gewilfer Umftände wegen, entweder gar nicht oder Doch jehr ſpaͤt
erfolgt, weöwegen fie dem ſchwachen Fleiſche nach ihr Amt nicht
mit Luft fondern mit Ungeduld verrichten; daher denn bei den
Gemeinden allerhand Mißhelligfeiten entftehen, mithin cin Illiteratus
oder gejchicdter Deutfcher Schulmeifter zu folchen Dienften viel
nutzlicher iſt. — „Weil nun mit Votirung oder Beiſtimmung zu
untüchtigen Schulmeiftern in effectu, oder wegen der wirklichen
und ewigen, wiewohl unverminderten Berwabrlofung Jo
vieler Seelen, ald der Schulkinder find, eine größere
Sünde begangen werden faun, als alle leibliden Uebels
tbaten in der Welt find, man fi) auch die zumahl wiſſent⸗
liche Unterlaßung defjen, was zur Steuerung dieſes allergröften
Uebel in der Welt uöthig, nützlich, möglich und bekannt if,
mehr ald hundert Blutfchulden über den Hals zieht, jo Habe fon
berlih das vergangene Jahr her Feine Ruhe in meinem Gewiſſen
gehabt, bis der Schluß wegen obengedadhten Schulſeminars mit
Gott gefaffet, und von der Sache felbft ein, wiewohl nody zur
Beit geringer, Anfang gemacht worden ift.”
Die Worte Helmunds beweilen, daß es der Achte Geiſt
Speners war, der dad Waiſenhaus und das Schullehrerfeminar
zu Wiesbaden gefchaffen und in demjelben eine Pflanzftätte ge
funden hatte. Das Seminar war mit dem Waiſenhauſe ſo
— 289 —
verbunden, daß der befähigten Waiſenknaben oft 3 — 4 zugleich
in jener aufgenommen wurden. Diefe wurden danıı nicht wie Die
Mebrigen nach zurüdgelegtem 14ten Lebensjahre entlaßen, jondern
blieben noch 2 oder mehrere jahre in der Anftalt, wo fie dann
von dem Director und dem angeftellten Lehrer forgfältiger in den
nötigen Senntniffen, auch in Gefang und Muſik unterrichtet wurden
und den legten zugleich in feinem Amte unterftüßten.
Indeſſen Fonnte doch das Inſtitut zu Wiesbaden für Die
Bedürfniffe der Volksſchulen des Landes nicht ausreichen. Man
erkannte es allmählich, daß für die Vorbildung zufünftiger Schul-
lehrer noch umfaßender gejorgt werden müße. Da brachte der
damalige Nector des Gymnaſiums zu Idſtein, Wagner, in Erfah-
rung, daß zu Karlsruhe ein Schullehrerjeminar im Zuſammenhang
mit dem dortigen Gymnasium illustre errichtet ſei, und erbat ſich
über dafjelbe zu Karlsruhe im Sommer des Jahres 1776 fehrift-
lihe Auskunft. Die officiele Benachrichtigung , weldhe Wagner
hierauf erhielt, ſchickte derſelbe mit einem ausführlichen Berichte
an das Gonfiftorium ein und ftellte den Antrag, Daß man zu Id⸗
ftein in Verbindung mit dem daſigen Oymnafium ein Schullehrer-
feminar erridhten möge. Der Fürft wie die Behörden befjelben
gingen mit Freuden auf den Vorſchlag Wagners ein, und ſchon
im Anfang des Jahres 1777 war der Beichluß gefaft, Daß in
Verbindung mit dem Gymnafium zu Idſtein ein Schullehrerfeninar
errichtet werden folle. Ein bejonderer Director jollte Das Ganze
leiten, und ein Lehrer jollte die im Gymnaſium nicht vorgetragenen
Lehrgegenftände für die Seminariften ausjchlieslich lehren. Indeſſen
fonnte der Lehrplan nody nicht feftgeftellt werden; auch wegen der
Localitäten traten Schwierigkeiten hervor. ALS indeffen im Früh—
jahre 1777 der Superintendent Doorfte in Idſtein, der Ickte
Scholarch des dafigen Gymnaſiums, ftarb und fich in Folge defjen
in Beſetzung der Pfarrerftellen und in der Verwendung der ein-
zelnen Rocalitäten Manches änderte, jo konnte nun zur Ausführung
des Planes vorgefchritten werben. Aber dennody verzögerte ſich
diefelbe bi8 zum Sahre 1779. |
Dieje Verzögerung wurde von dem edlen Fürften Karl Wilhelm
veranlaft, der von dem Gedanken ausging, daß, wenn man ein
Heppe, Bolfsfhulwefen, 3. “
— 290 —
Seminar fhhaffen wollte, welches in das gefammte Volksſchulweſen
eingreifen jollte, notwendig dieſes felbft erft organifirt werben
müfle. Gr meinte, man müße notwendig erft eine eigentliche
Schulordnung für das Elementarunterrichtsweſen entwerfen, damit
man ein feftes Ziel babe, dem man mit dem Seminar entgegen
firebe und damit man wiße, welde Kenntniſſe ſich der zukünftige
Lehrer anzueignen babe. Außerdem fei, da durch Einführung der
Sommerſchulen ſich die Arbeit der Lehrer vermehre und ein Le
ver, der Zeit und Vermögen auf feine Ausbildung verwendet habe,
auch auf eine angemeßene Befoldung Anfprüce machen koͤnne, vor
Allem auf Verbeßerung der LXehrerbefoldungen, namentlich an den
Drten, wo bisher Dinglehrer geftanden hätten, Bedacht zu
nehmen. Erſt wenn dieſes Alles geordnet fei, fönne an die Gin
richtung eines Seninard gedacht werden.
Mit rührigem Eifer wurde jofort i. J. 1773 zur Ausführung
der Projekte des Fürften vorgejchritten, durch welche eine neue
Periode der- Entwidlung des Naſſauiſchen Volksſchulweſens be
gründet wurde. Zunächſt wurde über die Ausarbeitung einer neuen
Schulordung beraten. Bisher hatte man in den deutfchen Schulen
des Ufingifchen und auch des Idſteiniſchen Landes Die von dem
Pfarrer Löjede in Plauen verfafte Schrift: „Anweifung und
Unterricht für Schulmeifter” (in Idſtein öfters, zuleßt 1747 ab
gedrudt) befolgt. An deren Stelle trat nun die i. 3. 1778
publizirte „Naffauifhe Schulordnung,” welde im Wejent-
lichen bis 1817 gültig blieb. SDiejelbe fchreibt in 89 Paragraphen
Folgendes vor:
Lehrgegenftände. Leſen und Schreiben in der Mutter⸗
ſprache. Die hriftlihe Glaubenslehre, die natürliche und chriftliche
Moral, bibliihe Gejchichte, Singen und Beten, Auswendiglemen
außerlejener Lieder und der Bußpfalmen. Elemente der Landwirt:
ſchaft. Rechnen. Practiiche Anweifung zu practifchen Auffäpen
für das bürgerliche Leben.
Shulbüder Ein ABCbuch. Luthers Kleiner Katechis⸗
mus. Seilers evangeliſche Glaubens- und Sittenlehre. Die
Halliſche Bibel oder doch das neue Teſtament mit den Pfalmen.
Dad neue Naſſau-Uſingiſche Geſangbuch. Hübners bibliſche
— 291 —
Hiftorien. Die Lehrbücher von der natürlichen Sittenlehre und
von der Landwirtjchaft
Bücher für die Lehrer „Unterriht, wie das Buchſta⸗
biren und Lefen der zarteften jugend leicht und gründlich kann
beigebracht werden. Braunfchweig 1752.” Mahlers „Kurzer
und deutlicher Unterriht im Rechnen, 1777." Gin Ghoralbud.
Ginteilung der Lehrgegenftände Im Winter
(Michaelis bis Pfingften) fol wöchentlih 32 Stunden lang unter
richtet werben, Vormittags 3 und Nachmittagg 3 Stunden, mit
Ausnahme ded Sonnabend und Mittwochs, mo Nachmittags nur
Eine Stunde Unterricht ift. Für Geſang, Gebet, Lieder, Palmen,
chriſtliche Glaubens⸗ und Sittenlehre wöchentlih 10, für ABC,
Buchſtabiren und Leſen 9, für Seilerd Ginleitung in die biblische
Geſchichte, Hübners bibliſche Hiftorie, natürliche Sittenlehre 2, für
Schreiben 3, für Rechnen 2, für Landwirtichaft 2, für praftifche
Anweiſung zu Jchriftlichen Auffäßen 2 Stunden feftgejegt.
Ginteilung der Schüler. Es befteben drei Klaffen;
in der unterftien das ABC, Buchſtabiren einzelner Sylben.
Diefe Kinder lernen noch nicht auswendig, e8 fei Denn, daß fie es
vom Hörenjfagen behalten. Daher follen fie während des Unter⸗
richts der höheren Klafje ftil zuhören. Die mittlere Klaſſe
lieft im Katechismus, lernt den Fleinen Katechismus Luthers,
Seilerd Heildordnung und die dahin gehörigen Bibelſprüche auss
wendig, madt den Anfang mit Schreiben, lernt die Zalen und
das Einmaleins, fängt an die Kirchenmelodien nad) dem Gehör
mitzufingen. .
Die oberfte Klaffe lieft die Palmen, das Neue und
Alte Teftament mit Verftand und Ausdrud, jchreibt Zalen, lernt
fremde Hände Iejen, lernt Lieder des Geſangbuchs, Die Bußpfals
men, Seilerd Sittenlehre mit den Bibeljprühen auswendig, und
die übrigen Lehrgegenftände werden diefer Abteilung erklärt, wobei
die beiden andern Klaſſen Zuhörer find.
Sm Sommer fjollen an allen Schulorten jämmtlihe Schul:
finder wöchentlih an zwei Tagen zwei Stunden lang unterrichtet
werden, damit fie das Erlernte nicht vergeßen. Sonntage vor der
Frühkirche fingen fie in der Schule die Lieder, welche während
19*
des Gotteödienfted gejungen werden; und vor dem nachmittägigen
Öotteödienft jagen fie das Hauptftüd her, weldyes in der Kate
chismuslehre erklärt wird.
Methode. Während der Lehrer vorjchreibt oder Aufjäpe
eorrigirt, beforgen Die fähigeren Knaben Das Auffagen des ABE
und Syllabiren bei den Anfängern. Bei dem Herjagen des Auf
wendiggelernten werden die Befähigteren zuerft aufgerufen. Bei
dem Leſen ift auf Deutliche Ausſprache zu ſehen, und falſch aus:
geſprochene Wörter müßen fogleich buchftabirt werden. Auch wird
ber Lehrer mitten im Wort ein anderes Kind weiter lefen lapen,
damit Die Aufmerfjamkeit erhalten und alle Kinder befchäftigt
werden. Jeden Sonnabend wird das, was die Kinder während
ber Woche auswendig gelernt haben, wiederholt. Jede Schulzeit
wird mit Geſang angefangen und gefchloßen. Dabei wird mit
den Melodien abgewechſelt, damit ſaͤmmtliche Melodien ded Ge
ſangbuches allmählich eingeübt werden. Bevor die Kinder einen
Abſchnitt auswendig lernen, jol er ihnen erklärt werden. Auf
das Memoriren der Lieder, der Buß⸗ und anderer Pfalmen ift
befonderd zu dringen. Die Lehrer jollen fi) bei der Wiederholung
der biblifchen Gejchichte der in den Lehrbüchern von Seiler uud‘
Hübner unterlegten Fragen bedienen. Das Schreiben ift Gegen
ftand bes Unterrichts für beide Gefchlechter in Beiden oberen
Klaffen; in der oberften Klafje jol auch Anweiſung im Yeber-
Ichneiden erteilt werden. Den Anfängern wird mit Bleiftift vors
gefchrieben, damit fie das Vorgefchriebene mit Tinte überfahren.
DasRechnen fol mehr mechanijch ald mathematiſch gelehrt werben.
Das Biel ift: Erleruung der 4 Spezies, auch der Regel de Tri.
Weitere Belehrung kann nur Durch Privatunterricht erlangt werben.
Doc follen die Schüler auch mit den römischen Ziffern befaunt
gemacht werden. Bon der Laudwirtfchaft ift jedem Kinde eine
biftorifche Kenutnid nötig. Die praftifche Anweifung zu fchriftlichen
Aufſätzen bat noch den Nebenzwed, die Orthographie einzuüben,
welche mehr aus Beiſpielen ald nach Regeln erlernt werden ſoll.
Nach den ortbographifchen Fehlern wird in der oberften Klaſſe
certirt. Briefe, Quittungen, Rechnungen werden dictirt, fobann
eorrigirt und zu Haufe rein abgefchrieben,
— 293 —
Pflidten der Ediullehrer. Amtstreue, gottfeliger
Wandel, pünktliches Abwarten der Lehrftunden. Die Lehrer follen
während der Echulzeit Feine fremde Arbeit vornehmen, nicht aus
der Schule gehen und dann einen Schuͤler an feine Stelle fegen,
welches nur in feiner Gegenwart geftattet ift. Auch darf der Lehrer kein
Kind zu feinen häuslichen Arbeiten gebrauhen. Die Schulverfäums
nifje der Kinder find von ihm genau aufzuzeichnen, und das Verzeich-
nis ift jeden Sonnabend dem Pfarrer einzureichen. Wo möglich follen
die Lehrer während des Unterrichtes Feine Hunde und Katzen in
der Schulftube halten. Der Lehrer fol ein väterliches Herz gegen
alle Kinder haben, und fie unparteiifch behandeln, nichts von ben
Kindern verlangen, was über ihre Kräfte ift, feinem feine Eörper-
lichen Gebrechen vorwerfen, wie die ihm von den Eltern zugefüz-
ten Beleidigungen an den Kindern rächen, nicht von häuslichen
Angelegenheiten anderer Familien in der Schule reden. Ter
Wettftreit unter den Kindern tft möglichit zu befördern. Der Lehrer
darf Die Kinder nidyt ermuntern, ihm die gewöhnlichen Gefchenfe
zu Martini, Neujahr, Faſtnacht oder an feinem Geburtstage zu
bringen, oder wol gar zu Haufe etwas heimlich zu entwenden.
Er ſoll nicht zu gelinde, aber im Strafen auch nicht zu ftreng
jein. Wegen des Lernens darf Feine koͤrperliche Zuͤchtigung ftatt
finden, fein AZurjchandeftellen, Fein Snieen, andy fein Aufgeben
größerer Lectionen zum Auswendiglernen. Der Stod gehört für
den Rüden und den Hinteren, nicht aber für die Fingerfpißen.
Rein Kind fol zu lange und blutrünftig gefchlagen werden. Die
Ruthe auf den entblöften Hinteren Darf nnr dann gebraucht werden,
wenn fich jämmtliche Kinder von der Seite, wohin das zu beftra-
fende Kind ſich wendet, entfernt haben. Der Lehrer firafe nie
leichtfinnig und nie höhnend.
In feinem Haufe joll der Lehrer durch feine eigene Kinder:
zucht ein gutes Beifpiel geben; er foll gegen feine Vorgeſetzten
befcheiden und geborfam fein. Die aus dem Seminarium Ent-
laßenen follen die älteren Lehrer nicht verfleineren und fich nicht
über diefelben erheben. Die Lehrer jollen bejonderd Höflich und
dienfifertig fein, ſich nicht felbft rächen und nicht Die Advocaten
und Mäfler fpielen.
— 294 —
Pflihten der Schüler. Dom 6ten Bid zum I4ten Jahr
oder bis zur Konfirmation müßen alle Kinder die Schule fleikig
beſuchen, pünftli in der Schule erfcheinen, und ſtill, gehorſam
und aufmerffam fein. Sie follen paarweile aus der Schule und
ftill über Die Straße geben, u. |. w.
Während dieſe Schulorbnung ausgearbeitet wurde, gingen
die Behörden zu gleicher Zeit auch über die Ausmittelung eines
Fonds zur Verbeßerung der Lehrerftellen zu Rate. Da nemlich für
die Zufunft in allen Schulen auch während des Sommers wenigftend
an einigen Tagen Unterricht erteilt werben follte, wodurch ſich die
Arbeiten der Lehrer vermehrten; da ferner die Dingſchulen abgefchafft
werden und den feminariftifch gebildeten Xehrern eine jährliche
Bejoldung nicht unter 100 fl. zugefichert worden war, fo muften neue
Hülfsquellen entdedt werden. Man machte mancherlei Vorſchlaͤge;
man proponirte eine Anleihe von einer halben Million Gulden zu
3 Procent und die Bezalung der Kriegsſchulden gegen 44 Procent,
wodurd dem Schulfonds eine jährliche Rente von 7500 fl. zu
flöße; ein Privilegium zu einem Lotto, deſſen Ertrag am Beſten
zu guten Zwecken verwendet werde; die bei der neuen Vermeßung
des Landes überfchießenden Grundſtücke, beſonders Triſche den
Schullehrern zur Rottung und Benußung zu überlaßen. Die Schul
lehrer jollten zur WVerbeßerung ihrer Tage nebenbei ein Handwerk
lernen, welches fie in Teinem Falle mit dem Landmann in Berüh—⸗
rung bringe und bei den Kindern verächtlich made. Daher fei
eine Manufactur von Leinene und Baummollenzeugen anzulegen,
für welche die Schullehrer aber nur während des Sommers fpin-
nen und weben fönnten; Anpflanzungen von Maulbeerbäumen und
Einführung des Seidenbaues; Anftellung der Echullehrer als vers
eidigte Zehnterheber u. |. w.
Indeſſen erhielten dieſe Vorſchläge die Genehmigung des
Fürften nicht. Derſelbe beabfichtigte den Lehrern in anderer und
einfacherer Weife zu helfen. Es waren von Frankreich für bie
im fiebenjährigen Kriege gelieferte Sourage 20,000 fl. ausbezalt
worden, wovon die einzelnen Greditoren gar nicht oder nur äuferfl
Ihwierig konnten aufgefunden werden. Zu biefer Summe Iegte
Karl Wilhelm aus der Hoffammerreceptur noch baar 10,000 fl. hinzu,
.— 295 —
fo daß eine Obligation zu 30,000 fl. üiberwiefen wurde, wovon
die jährlichen Intereſſen zum Beften der deutſchen Schulen follten
verwendet werden. Auch follten in Zukunft alle Vermächtniffe zu
milden Stiftungen nach authentiicher Auslegung in diefen Fonds
fließen. Die Verwaltung deffelben wurde unter Aufficht des Con⸗
filtoriums der Präjenz (d. h. Stiftöverwaltung) in Idſtein über-
tragen. Dieſe wichtige Schenkung wurde unter dem 13. April
1780 vollzogen.
Nun wurden die Convente in den Aemtern Wiesbaden, Id—⸗
ftein, Ufingen, Wehen, Burſchwalbach und Lahr aufgefordert, ge:
naue DVerzeichniffe der Competenzen ſaͤmmtlicher deutſchen Schulen
aufzuftellen, dabei aber weder Wohnung noch Die Schulfcheiter und
das Holz in Anfchlag zu Bringen. Dem Scullehrer fjollten in
billigem Anſchlag nur zwei Morgen Wiefen und ein Morgen
Aderland belaßen, ver Mehrbetrag an Feldgütern hingegen vers
fauft werden, weil der Fürft ſchlechterdings den Schullehrer nicht
wollte verbauern laßen. Die Veräußerung unterblieb jedoch, weil
nur wenige Schulftellen einen bedeutenden Weberfchuß hatten. Auch
follte fie erft nad) Erledigung dergleihen Stellen eintreten.
Nachdem die Aufnahme mit möglichfter Genauigkeit vorge-
nommen worden war, wurden ſaͤmmtliche deutſche Schullehreritellen
in vier Klaffen geteilt. In der eriten Klaffe befanden fich alle
- Schulen, welde ein jährlihes Einfommen von 150 fl. wirklich
hatten, (die meiften in den Städten,) 15 an der Bal; in der
zweiten die, welche über 70 Schulkinder zälten, mit 150 fl. Be-
foldung, 17 an der Zal; in der dritten Klafje Die, welche von
50 — 70 Kindern bejucht wurden, mit 120 fl., ihrer waren 14;
zur vierten Klaſſe gehörten alle diejenigen, welche weniger als 50
Kinder zälten und 100 fl. erhielten; deren waren 30. Es befan⸗
den ſich alfo im Fürftentum Naffau:Ufingen 76 Schullehrer. Bon
ben vorgefundenen 17 Dingfchulen wurden 9 in Die vierte Klaſſe
aufgenommen; die übrigen 8 aufgelöft, und ihre ohnehin geringe
Kinderzal den nädyften Schulen zugewiefen. Der jährliche Zufchuß,
welcher erforderlich war, um die Normalbejoldungen aufzubringen,
betrug 2140 fl., wovon 660 fl. allein für die 9 früheren Ding-
Schulen aufgingen. Da indefjen die Auszalung der Normalbejoldung
— 296 —
mit der Anſtellung der im Seminar gebildeten Lehrer und bei
deren künftiger Beförderung ihren Anfang nehmen ſollte, jo unter
ftellte man mit Recht, daß erft nach einer Reihe von Jahren der
ganze Zufchuß erfordert und unterbeflen das Kapital fich vermehren
werde.
Nachdem fomit der Plan einer allfeitigen Reorganifiation
des Schulweſens feftgeftellt war, Fonnte auch der Plan zur Ein
rihtung de8 Seminars gründlid entworfen werden, wobei der
Plan des Karlsruher Seminars zum Grunde gelegt wurde. Tod
wurde er erweitert, weil auch bier der Fürft ein Kapital von
9480 fl., welches während der Sequeftration von den Mieler
heimer Behntgefällen ausgeliehen worden war, zum Fonds für das
Seminar ftiftete. Schon i. 3. 1778 Hatte der Baufchreiber Koch
zu Idſtein in Die projeftirte Anftalt 40 fl. Iegirt, Hatte indeſſen
keinen Nachfolger gefunden. Nun konnte auch ein befonderer Lehrer
oder Collaborator angeftellt werden. Das Iandesherrlicdhe Ebikt,
die Gründung eines Scullehrerfeminars in Idſtein betreffend, ift
von dem Fürften Karl Wilhelm zu Biberich den 2. Januar 1779
unterzeichnet. Am 1. Mai wurde die Anftalt von 4 Zoͤglingen
eröffnet,
Die wichtigften Beftimmungen des über die Einrichtung des
Seminars aufgeftellten Regulativs find folgende: $. 1. Lehr:
gegenftände: Der Katechismus nebft einer weiteren Ausführung '
der chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehre und bibliſchen Gefchichte;
Lefen der lateinischen Sprade und die Anfangdgründe der Ety⸗
mologie; die Grundfäße der natürlihen Moral und der Landwirt
ſchaft; Schreiben und Rechnen; Singen; Glavier-, Drgel- und
Biolinfpiel; Unterriht über die Pflichten und über Die nötige
Amtsflugheit des Schulmeifterd, und praftiiche Anleitung zum
Schulhalten und Katechifiren. — $. 2. Aller Unterricht, außer dem
in der Inſtrumentalmuſik, wird unentgeldlidy erteilt. — F. 3. Die
in $. 1 angegebenen Gegenftände ift jeder Seminarift zu erlernen
verpflichtet; Dagegen ſteht es ihm frei, Die Lehrſtunden in der
Geographie, Geſchichte und Geometrie im Gymnaſium zu be
ſuchen. — $. 4. As Unterftüßung ſollen ſtets 4 Drbinarien
(d. h. ordentliche Seminariften), welde auf Einer Stube wohnen,
— 297° —
freie Logis, Bett, Holz und Licht nebft der halben Koft erhalten;
das Uebrige an Lebensmitteln, Kleidung, Leinwand, Büchern,
Schreibmaterialien müßen fie auf ihre Koften anfchaffen, auch den
Privatunterricht in der Muſik Bezalen. — 8. 5. Die Befähigung
zur Aufnahme giebt ein Alter nicht unter 18 und nicht über 25
Jahren, fertiged Leſen und Schreiben, memorielled Herſagen des
Katechismus, einige Uebung im Glavierfpiel und ein Vermögen,
das zur Beſtreitung der im$.4 angeführten Auslagen hinreicht. —
6. 6. Jedes Jahr, 4 Wochen vor Oftern, haben ſich die Adſpi—
ranten des Schulftandes bei dem Director des Seminars zu
melden, ihre Tauficheine und Beugniffe von dem Ortögeiftlichen
vorzulegen und nach vorgenommener Prüfung die höhere Entfchei-
dung über ihre Aufnahme abzuwarten. — $. 7. Die nicht ordi-
nären Böglinge, deren Zal vorläufig ebenfalls auf 4 feſtgeſetzt
wird, müßen alle Koften, bis auf den Unterricht in Sprachen und
MWißenfchaften, aus eigenen Mitteln beftreiten. — $. 8. Die Zeit
des Aufenthaltes im Seminar ift auf 2 Jahre feftgefegt. Wer
aber nicht fleißig ift, muß ein halbes, ja ein ganzes Jahr Länger
in demſelben verbleiben. — $. 9. Der ald befähigt aus der An⸗
ftalt Entlaßene fol bei der erften Vacanz zum Schuldienft bes
fördert werden. Im Falle, daß die Stelle nicht 100 fl. eintragen
würde, fol Ddiefelbe aus dem Schulverbeßerungsfonds bis auf
diefe Summe erhöht werden. — $. 10. Künftig fol Niemand
als Volfsfchullehrer angeftellt werden, der nicht vorher das Se⸗
minar zu Idſtein befucht Hat und für befähigt erklärt worden
ift. — $. 11. Diejenigen Dingfchullehrer, weldye das 25. Lebens⸗
jahr noch nicht überfchritten haben und noch unverheiratet find,
werden in dad Seminar aufgenommen.
In den näcftfolgenden Jahren bis zur Organifation des
gefammten Schulwefens im Herzogtum Naffau erfuhr das Seminar
in feinen Einrichtungen mannigfache Reformen. Die Bonds und
die Zal der Lehrer fo wie die Zal der ordentlihen und außer:
ordentlihen Seminariften mehrten fi, neben ben evangelifchen
fanden fpäter auch Fatholifche Schulamtsafpiranten Aufnahme, Die
Verbindung des Seminars mit dem Gymnaſium wurbe aufgehoben
und der Lectionsplan wurde mehrfach verbeßert. — Wichtiger
— 298 —
indeſſen als dieſe fpäteren Reformen des Seminard waren für bie
Geſchichte des naffauischen Volksſchulweſens die Veränderungen
und Erweiterungen, welche die Ereigniffe diefer Zeit für den Ter⸗
ritorialumfang des Fürftentumsd und nachherigen Herzogtums her-
beiführten. Außer den beutfchen Naſſau-Oraniſchen Landen erhielt
nemlich das verjüngte Naffau Teile der Erzftifter Mainz und Trier,
ber Grafichaften Wied, Neuwied und Runkel, Sayn-Hachenburg
und Anhalt-Schaumburg, ſowie des Kurfürftentums und bed Groß:
berzogtums Heſſen.
Zum vormaligen Grabistum Mainz gehörte der gröfle
Zeil der naffauifchen Aemter Königftein, Höchft, Hochheim, Eltville,
Rüdesheim und Braubah. Die legten Kurfürften des Graftifte
hatten fi) durch ihre Fürforge für das Schulwefen rühmlichſt
ausgezeichnet. Die in Mainz eingerichtete Normalfchule bildete viele
tüchtige Lehrer. Man führte eine beſſere Methode ein und forgte
für zwedmäßige Lehrbücher. In den meiften Orten waren fländige
Schullehrer; Dinglehrer kamen felten vor. Diele Lehrer waren
muſikaliſch gut gebildet, da man namentlih im Rheingau von dem
Lehrer verlangte, daß er nicht nur einen Choral zu fpielen, fondern
auch eine Kirchenmufif zu dirigiren und Glavierunterricht zu erteilen
verftebe. In volfreichen Gemeinden waren die Schulkinder häufig
nach den Gefchlechtern getrennt und neben dem Knabenlehrer war
ein Mädchenlehrer angeftellt.
Zum Kurfürftentum Trier gehörten die Aemter Montabaur,
Maudt, Herfchbach, Limburg und der zum Amt Idſtein gezogene
Gamberger Grund. Der Zuftand der dafigen Schulen war mit
dem in den Mainzifhen Dorfjchulen kaum zu vergleichen. Die
Scyulmeifter waren unwißend und arm, trieben daher ihr Hand»
wert weit mehr ald die Schulmeifterei. Erſt als die genannten
Aemter i. 3. 1803 mit Nafjfau-Weilburg vereinigt wurden, wurde
ber Zuftand der Schulen daſelbſt allmählich ein beßerer. Der
Fürft Friedrih Wilhelm von Naffau-Weilburg befchloß nemlid
fofort den beträchtlichen Fonds der Eurtrierifchen Gelehrtenſchule
zur Errichtung eines Gymnafiums und einer damit verbundenen
Normalſchule in Montabaur zu verwenden. Die Oberauffiät
über jämmtliche katholiſche Schulanftalten des Regierungsbezirkes
— 29 —
Ehrenbreitenſtein wurde einer beſonderen Schulcommiſſion über⸗
geben, welche aus einem Director und drei ordentlichen Mitgliedern
beſtand. Die Lehrgegenftände der Normalſchule zu Mon⸗
tabaur (die von dem Director des dafigen Gymnafiums geleitet
wurde,) waren Vernunft: und chriftfiche Religion und Sittenlehre,
deutſche Sprache, Anleitung zu den im gemeinen Leben vorkom-
menden fchriftlichen Aufſätzen, Schönjchreiben, Bifferrechnen mit
häufigem SKopfrechnen, die gemeine Feldmeßkunſt, eine gedrängte
Körper: und Seelenlehre, Erdbeſchreibung, Geſchichte, vorzüglich
bie bibliſche mit einer tabellarifchen Weberficht über die allgemeine
Weltgefchichte, Das Wißenswürbigfte aus der Naturgejchichte und
Naturlehre, Methodik, Katechetif und Geſanglehre. — Bei Erridy
tung dieſer Normaljchule wurde verordnet, daß alle angeftellten
Glementarlehrer Fatholiicher Religion im Regierungsbezirk Chrens
breitenftein jährlih von den Lehrern der Normalfchule geprüft
werden, und daß die nicht gehörig Befähigten noch auf etliche Zeit
in der Anftalt zurüdgehalten werden follten. In Zukunft follte
fein katholiſcher Volksſchullehrer angeftellt werben, der nicht den
Unterricht in Montabaur genoßen oder von den dortigen Lehrern
geprüft und für befähigt erflärt worden fei. Die Bedingungen
zur Aufnahme waren: ein Alter von wenigftend 15 Jahren, För-
perlihe Fehlloſigkeit, die Kenntniffe eines befähigten &lementare
Ihüferd und ein Zeugnis über Wolverhalten, von Beamten und
Pfarrern ausgefertigt. In Grmangelung bejonderer Realfchulen
wurde auch andern jungen Leuten, welche fich nicht dem Lehrers
beruf gewidmet hatten, der Beſuch der Lehrftunden in der Nor-
malfchule geftattet. Der Curſus war balbjährig, fo daß im
Frühjahr und im Herbft neue Ajpiranten eintreten Eonnten.
Bon der Graffhaft Neumied erhielt Naffau das Amt
Selterd mit ſechs Pfarrgemeinden. Der Fürft Friedrich Alexander
that in feiner fünf und vierzigen Regierung Vieles zur Hebung
der Schulen. Im Jahre 1779 fchidte er zwei junge Männer auf
feine Koften nad Deſſau, wo ſich Diefelben in Baſedows Philan-
thropin mit der neuen Didaktik und Methodik befannt machen
ſollten. Als einer derjelben, Eder, nach einiger Zeit in die Hei-
mat zurüdfehrte, wurde er Schulmeifter zu Heddersdorf, einem
— 300 —
nabe bei Neuwied gelegenen Dorfe. Daſelbſt richtete Eder eine
Sculmeifterfchule ein, welche von den in den 13 Kirchſpielsſchulen
angeftellten Lehrern fowie von den Dinglehrern und Schulamtk
afpiranten befucht wurde. Der Fürft und deſſen trefflide Ge
mahlin wohnten oͤfters dem Unterriht und den Prüfungen bei,
und ermunterten aufs thätigfte Lehrer und Schüler.
In den Grafihaften Wied, Runkel und Hadhenburg
waren die Volksſchulen in der traurigften Verfaßung. Die meiften
Orte hatten nur Dinglehrer, von denen das Echulamt als gele
gentliche8 Nebengemwerbe betrachtet wurde. Indeſſen wurde nad
dem jahre 1790 aus einer urfprünglih von dem nachherigen
großherzoglich heffifchen Kirchen: und Echulrat Fr. 8. Wagner zu
Hachenburg geftifteten Privatlehranftalt allmählich eine Pflanzfchule
für fünftige Lehrer geftiftet. Der nachherige Vorftand diefer An
ftalt Koh. Juſt. Schulz übernahm nemlich gegen einen ihm vom
Staate verwilligten firen Gehalt die Verpflichtung, den Schulleh
rern und Schulamtscandidaten der umliegenden Gegend Unterridt
zu erteilen, welchen zwei unentgelblich, die übrigen jeder für einen
halben Reich&thaler monatlich benugen fonnten. Der bafige Cantor
hatte Die Lehrer im Singen zu unterrichten, wofür derſelbe eine
Heine Gratification erhielt. Die Schullehrer Famen wöchentlich
zweimal frühmorgens in die Stadt, beſuchten Die Unterrichtsftunden
und Tehrten Abends in die Heimat zurüd, Die Anftalt, welde
Ipäterhin noch vervollfommmet wurde, erlofch, als Die neue herzoglich
Naſſauiſche Schulordnung ind Leben trat.
Erfreulicher als in den zuleßt genannten Territorien ents
widelte fih das Volksſchulweſen feit 1779 in dem Fürftentum
Naffau-Ufingen. Die zugefiherten Bejoldungserhböhungen wurden
nah und nad) in Vollzug geſetzt, und durch die Vermehrung des
Schulverbegerungsfonds konnten in der Folge Die geringeren
Schuldotationen auf 125 fl. erhöht werden. Abgeſehen von eins
zelnen Berhältniffen, welche durch fpätere Verordnungen geändert
wurden, blieb die Schulordnung bis zum Anfang Des neuen
Jahrhunderts in Geltung. Als i. J. 1803 das Fürftentum einen
Zuwachs von Territorien erhalten hatte, deren Gemeinden meiftens
ber Fatholifchen Religion zugetban waren, wurden die Schulen
— 301 — -
berjelben fo wie deren äußere kirchlichen Verhaͤltniſſe der eigens
hierfür errichteten Adminiftrationscommiffion, und nach deren Aufs
löſung i. 3. 1808 der berzoglichen Landesregierung untergeordnet.
Die evangelifchen Schulanftalten blieben unter der Aufficht des
Confiſtoriums. Die Unficherheit und der fortdauernde Wechfel
der politiichen und territorialen Verhaͤltniſſe verftatteten es nicht,
eine Reform des Schulweſens vorzunehmen, obgleich dieſelbe öfters
angeregt wurde. Endlich wurde höheren Ort3 bejchloßen, eine
Gentralftelle für das Schul» und Erziehungswejen im Herzogtum
zu errichten, Damit in Die bisher von verfchiedenen Behörden vers
walteten einzelnen Xeile des Unterrichtöwejend Ginheit, Plans
mäßigfeit und fyftematifcher Zufammenhang fäme. Zu Anfang des
Jahres 1813 wurde daher C. U. Schellenberg, welder 24
Sabre ald Pfarrer und 14 Jahre ald Vorfteher einer blühenden
Erziehungsanftalt in Neuwied gewirkt hatte, in fein Waterland
zurüdgerufen, und zum zweiten Stadtpfarrer in Wiesbaden, ſowie
zum Referenten bei der Minifteriallanzlei in Schulfachen ernannt.
Die Eriegeriihen Unruhen in diefem und in den beiben
zunächftfolgenden Jahren und der Länderwechſel, welcher erft 1816
aufbörte, ließen Pläne, die nur in Frieden und bei feftem Beftand
der Dinge gedeihen können, nicht zur Ausführung fommen. Doc
gewann man Zeit, um einen jo wichtigen Gegenftand ruhig und
allfeitig zn prüfen. Nachdem daher das wichtige landesherrliche
Edikt, Die Verwaltungs- Drganifation des Herzogtums betreffend,
unter dem 9. und 11. September 1815 erjchlenen und in ber
Landesregierung eine eigne Section fir das gefammte Schul» und
Erziehungswefen eingerichtet war, auch andere Verordnungen außs
geführt waren, welche einer beßeren Schulverfaßung den Weg
babnten; nachdem durch den Inſpektor des Schullehrerfeminars
Denzel zu Eplingen im Nachſommer und Herbſt 1816 ein Lehr⸗
kurſus für die Schullehrer zu Idſtein gehalten und dadurch im Kreiſe der
Lehrer ein neues Leben und Streben erwedt worden war, jo fonnte nun
nach reiflicher Erwägung zur Aufftellung einer neuen Schulordnung *)
gefchritten werden, welche unter dem 24. März 1817 publizirt wurbe.
*) Diefelbe findet fi abgedrudt in den freimütigen Jahrbüchern der all-
gemeinen deutfhen Volksſchulen, B. I.
— 302 —
Ein offizieller Bericht”) vom Jahre 1819 teilte über bie
Entwidlung des Volksſchulweſens in Naſſau mit: „Die Eintid-
tung der Volksſchulen nad) Maßgabe der vorliegenden landesherr⸗
lichen Edicte fchreitet fort. 618 Schulbezirfe find gebildet worden,
in welchen fi 828 einzelne Schulen befinden, in welchen ber Un
terricht durch 12 Reale, 677 Glementarlehrer und 136 Gehülfen
oder Stellvertretern erteilt wird. Der Gehalt dieſer Lehrer nähert
fih 200,000 fl. und bat aus Beiträgen aus dem Kirchenfonds
und den Gemeindefaffen um mehr ald 4 Theil, ben beftehenden
Verordnungen gemäß, erhöht werden koͤnnen. Nur in einigen
jeltenen Fällen wird ein Beitrag aus der Landesſteuerkaſſe, der
2000 fl. nicht erreicht, zur Beſoldung der &lementarlehrer in An
ſpruch genommen werben müßen.
Regelmäßige Glementarjchulen find an die Stelle der joge:
nannten Ding- oder Winterjchulen in den ärmeren Gebirgägegen-
den getreten. 65,000 Sinder beiderlei Geſchlechts erhalten in
diefen Schulen den Elementarunterricht.
87 neue Schulhäufer werben erbaut, und 279 nen einge
richtet oder erweitert. Die Bildungsanftalt der Schullehrer zu
Idſtein hat einen erwünfjchten Fortgang. 160 nach ber neu ein-
geführten Lehrmethode gebildete Lehrer find bereits zur Beſetzung ber
Schulen aus dieſer Anftalt entlaffen worden; ihre Anzahl wird
fich bald vermehren.
Das neue Gebäude, dad zu Idſtein hat für Die Bildungs
anftalt der Schullehrer aufgeführt werben müßen, ift feiner Vol
lendung nahe und wird im Fünftigen Sommer ſchon zu feinem
Zweck benußt werben können.”
Auf die Pflege der Baum- und Snduftriefchulen wurde
faum anderswo ein folcher Wert gelegt als in Naſſau. Die
Böglinge des Schullehrerfeminars zu Idſtein wurden in der Land:
wirtichaft, und vorzüglich in der Baumzucht theoretisch und praf:
tifch unterrichtet. An jedem Schulorte war, wo möglich in der
Nähe des Schulhaufes, eine Baumſchule angelegt, welche auf
*) Vortrag des Staatsminiftere v. Marfchall in der Ständefammer zu
Wisbaden am 20. Februar 1819.
— 3083 —
Koften der Gemeinde angelegt und umzäumt und mit Sternen
befäet oder mit wilden Seßlingen bepflanzt war. Die Baumfchule
fand unter der Aufficht und ferneren Beforgung ded Schullehrers,
der dabei von den größeren Schulfnaben unterflügt ward. Un
freien Nachmittagen erteilte der Schullehrer den älteren Schul
fnaben Unterricht im Oculiren, Pfropfen, Gopuliren, im Beſchneiden
und überhaupt in der Behandlung der Bäume. Won dem Erlös
der veredeiten Stämmchen bezog der Schullehrer den vierten Teil.
Wie die Baumfchulen, -fo hatten auch die Induſtrieſchulen
den erwünfchten Fortgang. Im Sabre 1825 waren an allen 689
Schulorten eben jo viele Anduftrielehrerinnen angeftellt. Diefelben
batten die Verpflichtung, au den beiden freien Nachmittagen,
Mittwochs und Sonnabends, jedesmal 3 Stunden die weiblichen
Schulkinder im Striden, Nähen, Fliden u. dgl. zu unterrichten.
Ihre Befoldung, Die auf dem Lande jährlich zwifchen 12 und 30
fl. betrug, erhielten fie aus der Gemeindekaſſe. Das Vorurteil,
mit welchen früher viele Mütter gegen die Induſtrieſchulen einge-
nommen waren, war allmählich einer beßeren Einficht gewichen.
Die Mütter befuchten fleißig die öffentlichen Prüfungen, an deren
Schluß die weiblihen Handarbeiten vorgezeigt wurden, und Die
erwachjeneren Mädchen fuchten an mehreren Orten einen befon-
deren Stolz darin, in gleichfarbigen Miedern und Säden, wozu
fie die Wolle gejponnen und hernach geftridt Hatten, auf ber
Prüfung zu erjcheinen. In den 12 Schulorten ded Amtes Wied,
baden, in denen die Induſtrieſchulen von 568 Mädchen befucht
wurden, waren im Sculjahre 1824 verfertigt: 1199 Paar
Strümpfe für Erwachjene, 1155 Paar für Kinder, 128 Mübchen,
84 Wämje, 62 Paar Handſchuhe, 95 Hofenträger, 98 Paar
Strumpfbänder, 3 Hofen, 1 ganzes Kleid, 26 Paar Soden, 1
Kappe; 469 Paar Strümpfe waren angeftridt; an Näharbeiten
waren verfertigt 209 Hemden, 124 Schürzen, 22 Leibchen, 72
Halstücher, 98 Sadtüher, 67 Hauben; 44 Kinderkleidchen; 203
Stüde wurden geflidt, 46 Paar Strümpfe geftopft und 69 Stüde
wurden gezeichnet. Geſponnen wurden 2 Pfund Wolle, 2554
Pfund Hanf und 123 Pfund Werg.
— 304 —
Schwierig war in den ärmeren Gemeinden das Herbeiſchaffen
des Materiald zur Arbeit, während in den Städten die Frauen
vereine Unterftügung leifteten. Die Amtsarmencommilfionen hatten
daher den ärmeren Gemeinden ein Fleines Betriebsfapital ange
wiejen, wovon Material angefauft und der Arbeitölohn bezahlt
wurde. — Der Unterricht durfte fih nur vom Striden bis zum
Schneiden und Nähen eined Hemdes erfireden, indem alle feineren
Arbeiten einem anderweitigen Unterrichte vorbehalten waren. Den
Knaben war e8 freigeftellt, die Snduftriefchulen zu befuchen, was
indefjen nur an wenigen Orten geſchah. Gleichwol erblickte man
in den Dörfern nicht felten Knaben mit Stridarbeiten in ben
Händen, während die Schaaren beitelnder Kinder, welche früher
von Ort zu Ort zu wandern pflegten, faft überall verfchwunden
waren.
X,
Das Fürftentum Lippe-Detmom.
Die Kirchenordnung, weldhe die Grafen Hermann Simon
und Simon zu Lippe i. J. 1571 (20. April) für die Grafichaften
Lippe, Spiegelberg und Pyrmont erließen, beweift, daß um
diefe Zeit in den genannten Territorien Dorfſchulen noch nire
gends beftanden und auch nicht beftehen konnten. Denn «8
wird in der Kirchenorbnung geflagt, daß „die Leute” Bisher
zum Verdruß der Pfarrer „ihres Gefallend ungefchidite, leichte
fertige, ärgerliche, frevelhafte, mutwillige und gottlofe Buben“
zu Küftern angenommen bätten, und Daß dieſe „ſich hernach der
Ihwarzen Kunſt, Wahrfagens, Segenſprechens, ftetigen Bolljaufens,
Schatzgrabens oder Geldſuchens ober anderer abergläubifchen zaus
beriichen Narrenteidungen — zum höchften geflißen und gebraudt.“
Unter jo traurigen Verhältniffen fonnten die Grafen nicht daran
denken, den Küftern die Einrichtung von Schulen zu befehlen; fie
wollten nur, daß ber Küfter den Kirchengefang ordentlich leite und
den Pfarrer in den fonntägigen Katechifationen einigermaßen un
terflüße. Sie verordneten daher in der Kirchenordnung, daß in
— 305 —
Zukunft Feine Küfter anders als durch den Pfarrer und die Be-
amten des Orts angeftellt, und daß jeder darüber geprüft werden
jollte, „ob er auch jehreiben und Iefen könne, auch die Hauptftüde
der dhriftlichen Lehre, aus der H. Schrift alten und neuen Teſta⸗
mentd gezogen und im Heinen Kinderfatehismus kürzlich verfaft
und begriffen, ziemlicher Maßen verftehe und ftudirt Habe, damit
er die Kirchengefänge felbft lefen, recht fingen und andere Laien
lehren möge, auch den heiligen Katechismus bei der jugend (mie
denn von Alterd ber in der Gemeinde Gottes der Küfter Amt
gewejen ift,) des Sonntags neben dem Paftor oder
Kaplan, nah den Gaben fo ihnen Gott der Herr verliehen,
lehren und treiben Eönne.” Zugleich wurde befohlen, um dem
unter den Küftern im Schwange gehenden Unwejen augenblidlich
zu fleuern, daß jeder Klüfter, der noch „mit gottlofem Teufelsfegen
und Arznei umgehe und (wie auf etlihen Dörfern gejchieht)- St.
Johannis⸗Evangelium fchreibe, den Leuten an die Hälfe hänge für
allerlei Krankheit und Zauberei, oder der noch öffentliche Wein⸗
und Bierfrüge und Schänfe halte oder ſonſt unehrliche Handthie⸗
rung übe, item ein ruchlos, Argerlih Leben führe mit Saufen,
Spielen, Zanken, Doppel oder anderem — gottesläfterlichen Wandel“
fofort von feiner Stelle entjegt werden ſollte.
Erft im 17. Jahrhundert entftanden in ber Graffchaft Lippe
die erften Volksſchulen; und Die erfte Schulordnung, nach welcher
diefelben eingerichtet werben follten, erfchien unter dem 4. Septbr.
1665, auf den Antrag des Generalconfiftoriumd und mit Geneh-
migung des Grafen Hermann Adolph.
In vortreffliher Weile wird in dieſer Schulordnung Die
Volksſchule ald ein lediglich zur Erziehung des Volkes in chrift-
licher Gottfeligfeit beftimmted Inſtitut charakterifirt, das Dazu
dienen folle, der überhand nehmenden Gottlofigfeit zu wehren und
Gottes Zorn von dem Lande abzuwenden. Die Volksſchule wird
durchaus nur im Zufammenhange mit der kirchlichen und mit
der häuslichen Erziehung aufgefaſt. Es wird daher verordnet,
„daß alle und jede dieſes Landes Unterthanen ihre Kinder, ſo⸗
bald fie zur Sprade kommen, in aller Gottesfurdt,
Ehrbarfeit, Zucht and Tugend auferziehen, und biefelbigen
Heppe, Boltsfgulwefen, 8. 20
— 306 , —
zu dieſem Behufe nicht Iypäter als im fiebten Jahre ihres
Alters dem Schulmeiſter liefern und anbefehlen, und nach der
Hand fleißig zur Schule ſchicken und darin zu aller heilſamen Gr:
kenntnis und chriftlihen Tugend anführen laßen follen“. Kinder,
welche von ihren Eltern bei den häuslichen Arbeiten nicht entbehrt
werden Fönnen, follen täglich mwenigftend zwei Stunden zur Schule
Eommen und fi) im Lefen, Singen und Beten unterrichten laßen.
An den fonntägigen Katechifationen in der Kirche foll neben den
Kindern auch das Gefinde des ganzen Kirchipield Teil nehmen.
Die Eltern, weldhe ihre Kinder nicht zur Schule jchiden , follen
bei den Bifitationen angezeigt werben. Als Mufter zur Einrich⸗
tung der Lectionen ift das für Die Landſchule zu Detmold befte
hende Regulativ anzufehn.
Die nächſte Verordnung, welche in Betreff der Schulen er:
laßen wurde, zeigt, Daß die Anordnungen des Grafen Hermann
Adolph nicht ohne Erfolg geblieben waren. In der Kirchenord⸗
nung nemlich, welche die Gräfin Auna Memilie durch den Super
intendenten zu Detmold Johann Jacob Zeller aus Zürich ausar-
beiten und i. J. 1684 befaunt machen ließ, wurbe bereits bie
Errichtung von Filialſchulen geflatter und die ganze Organijation
des Schulweſens beſtimmter geordnet. Das gefammte Schulweſen
des Landes wurde nemlich unter Die Dberaufficht des Konfiftoriums
geftellt, und demgemäß verordnet, daß in Zufuuft Niemand ohne
Genehmigung des Konfiftoriumd eine Schule einrihten, und daß
Niemand zu einem Schuldienft angenommen werden follte, ber
nicht vom SKonfiftorium mit Buziehung eines Superintendenten
gehörig geprüft und im Lefen, Schreiben, Rechnen, Singen und
vor Allem in der Erkenntnis der chriftlichen Lehre tüchtig befunden
fei. Der Beginn der Schhulpflichtigfeit ward (nicht für das fie
bente, fondern) für das achte Lebensjahr feftgejeßt. Den vereinzelt
und vom Pfarrjige entfernt wohnenden Bauerjchaften warb ges
ftattet, ih mit Vorwißen des Superintendenten einen bejonderen
examinirten Schulmeifter zu halten. Doc fjollten fie nichts deko
weniger, wenn es not thue, verpflichtet fein, für Die Bebürfnifle
der Bfarrjchulftelle zu contribuiren. Den Pfarrern wurde ed zur
Pflicht gemacht, die Schulen fleißig zu vifitiren. Ueber die Anite
— 307 —
pflihten der Schulmeifter und über die Einrichtung des Unter:
richtes enthielt die Schulordnung die gewöhnlichen Beftimmungen.
Beſondere Fürforge befahl die Kirchenordnung den armen Kindern
zuzuwenden, die aus Mangel an Kleidern und weil fie das Schul:
geld nicht zalen koͤnnten, die Schule verjäumten.
Diefe Verordnungen blieben bis in die zweite Hälfte des
18. Jahrhunderts die Grundlage, auf der ſich die Volksfchule in
dem Lippifchen Lande aufbaute. Cine Verordnung, welche der
Graf Simon Heinrich Adolph unter dem 16. September 1723
über den Gebrauch des Heidelberger Katechismus und über den
Beſuch der Sommerfjchulen erließ, änderte an der beftehenden
Ordnung nur fehr Unwefentlihes. Dagegen war die „Schulord-
nung fürs platte Land“ des Grafen Simon Auguft vom 28. März
1767 von größerer Bedeutung. In derjelben wurden die in der
Kirhenordnung von 1684 enthaltenen Beftimmungen über das
Schulwesen beftätigt und außerdem verordnet: Im Sommer follte
in der Mittagszeit wenigftensd zwei oder drei Stunden lang Schule
gehalten werben. Das in der Kirchenordnung beftimmte Schul-
geld follte im Winter ganz, im Sommer zur Hälfte bezalt werben.
„Jedoch werden diejenigen Eltern, welche aus Liebe zu Gott und
feinem Wort ihre Kinder des Sommers ſowol als ded Winters
Bor und Nachmittags zur Schule fchiden, das völlige Schulgeld
zu bezalen fich nicht entfagen.” Auch Diejenigen Eltern, die ihre
Kinder nicht zur Schule ſchickten, jollten zur Zalung des Schule
geldes angehalten und außerden noch bejtraft werden. „Diejenigen
Kinder Hingegen, welche wegen Außerfter Armut ihrer Eltern das
tägliche Brot zu verdienen fi) des Sommers bei andre Leute in
Dienft begeben müften, und dadurch jo weit von der Schule ent-
fernt würden, daß ſie von ihren Dienftheren Feine Erlaubnis nad)
der Schule zu gehen erlangen könnten, follten von Bezalung des
Sommerjchulgeldes zwar befreit fein; Dagegen jollte aber aud)
Niemandem leicht verftattet werben, feine Kinder,’ ehe fie zum 5.
Abendmal gelapen, ohne Vorwißen des Predigerd in andre Ge—
meinden und Kirchſpiele in Dienfte zu bringen.” Kinder aus
anderen Gemeinden follten nur mit Zuftimmung ihres Sceelforgers
von einem anderen Pfarrer zur Confirmation angenommen, und
2Q*
— 308 —
fein Kind follte vor dem vierzehnten Jahre confirnirt werben.
Kein Küfter oder Schulmeifter ſoll feine Schule ohne erhebliche
Urſachen verabjäumen, oder dieſelbe „Durch feine Ehefrau und
Kinder, wie öfters gejchieht”, verwalten laßen. In wirklichen Ber:
binderungsfällen follte feine Stelle von geeigneten Leuten verfeben
werben. Nur Mittwoch und Sonnabends nach Mittag follte die
Schule geſchloßen fein. Das Schulgeld jollte der Schulmeifter
halbjährlich oder alle Sahre erheben. Würde dagegen ein Schul:
meifter fein Schulgeld über das Jahr hinaus ftehn laßen, fo fol
er mit einer Klage, Die er etwa erheben dürfte, abgewiefen werben.
Die Pfarrer fjollen die Schulen wenigftend monatlich vifitiren,
Diefe Schulordnung fol alle Jahre am Sonntage nad) dem halb⸗
jährlichen Bettage vor Michaelis von den Kanzeln herab vorge
lefen werben.
Eine weſentliche Veränderung ihrer ganzen Stellung erlitt
die Volksſchule durch Die unter der vormundjchaftlichen Regierung
bes Grafen Ludwig Heinrid) Adolph unter dem 23. Septbr. 1783
erlaßene Verordnung „wegen der Schulgelder aufm Lande".
Bisher hatte nemlich Die Schule mit der Pfarrei zufammengebört,
und das Volf war genötigt, feine Kinder iu die Schule des eignen
Kirchipield zu jchiden. Für Die ſehr zerftreut wohnenden Bauer
familien des Landes verurfacdhte Dies den Uebelftand, daß Gitern
oft genötigt wurden, ihre Kinder in die fehr weit entfernte Schule
ihres Kirchſpiels zu ſchicken, während fie die Schule einer andern
Pfarrei ganz in der Nähe hatten. In einzelnen Fällen war es
allerdings vom Konfiftorium bereit3 geftattet worden , daß Eltern
mit Umgehung ihrer Pfarrfchule Kinder in eine andre Pfarrfchule
Ihidten. Aber in Diefem Falle war ed den Eltern immer zur
Pflicht gemacht, auch dem Küfter ihres Pfarrer das Schulgeld zu
zalen. Als daher die bei dem Konfiftorium zu Detmold über ben
befteheuden Sculzwang einlaufenden Bejchwerden ſich mehrten,
fam dieſes felbft auf den Gedanken, den Zufammenhang der Schule
mit der Pfarrei grabezu aufzulöfen und die Wahl der Schulen
für jedermann völlig frei zu geben. Der Graf Ludwig Heinrid
Adolph genehmigte den Antrag des Konfiftoriumd und verordnete
Dengemäß unter dem 23. Sptbr, 1783, daß „vom 1. Januar 1784
— 309 —
an alle Eltern die Freiheit haben follten, ihre Kinder, ohne dop⸗
pelte8 Schulgeld zu erlegen, demjenigen Schulmeifter, es fei in
oder außer ihrem Kirchſpiel, zu fchiden, zu dem fie das meifte
Vertrauen haben”. Natürlich machte Diefe fundamentale Umge-
ftaltung der beftehenden Verbältniffe eine Abänderung aller der-
jenigen Beftimmungen notwendig, welche lediglich mit Beziehung
auf die bisherige Stellung der Schule zur Pfarrei getroffen waren.
68 wurde daher in der Verordnung vom 23. September 1783
weiterhin verfügt: 1) Alles Schulgeld follte quartalweife von den
ordentlihen Rendanten erhoben und an den SKonfiftorialfecretar,
der den Schulmeiftern nach Maßgabe der Zal ihrer Schulkinder
das objervanzmäßige Schulgeld auszuzalen habe, abgeliefert werden.
2) Damit fein Schullehres fi) durch Habfucht verleiten laße,
mehr Schulkinder anzunehmen, ald er in den ordnungsmäßigen
Schulftunden unterrichten könne, fo follte feinem derſelben für
mehr al8 60 Schulkinder Schulgeld gezalt werten. 3) Die Schul⸗
meifter follten nicht nur in der bisherigen Weiſe alle Vierteljahre
Liſten über den Schulbefuh und Fleiß aller Schulkinder einfenden,
Sondern follten auch über die Schuler, welche aus anderen Scul-
diftrieten zu ihnen fämen, an die betreffenden Pfarrer berichten.
3) Seder Pfarrer habe zwar die Schulen feines Kirchſpiels nad)
wie vor ausfchließlich zu überwachen; doc follte es auch anderen
Pfarrern, deren Kirchſpielsangehörige die Schule befuchten, unver:
wehrt fein, auf die Kinder aus ihrem Kirchjpiel zu fehen.
Sin der fpäteren Zeit änderten fich die Verhältniffe des Lips
pifhen Volfsfchulwefens nur in fofern, als aud bier durch Be-
gründung eines Schullehrerfeminars für Heranbildung eines tüdhs
tigen Lehrerſtandes geforgt und außerdem dem Schulmeifter auf-
gegeben ward, fi in der Schule und außer derjelben Durch Ver⸗
breitung allerlei nüßlicher Kenntniffe und Künfte möglichft nuͤtzlich
zu machen.
Nach vielfeitigen Beratungen, weldhe i. J. 1780 über bie
Einrichtung eined Seminars angeftellt waren, wurde endlich bes
fhloßen:*) dad Seminar fei in Verbindung mit dem fchon
*) Das Nähftfolgende ift nach der Schrift „Leber die Elementarſchulen im
Fürſtentum Lippe, im biftorifchen Bericht‘ von Wert (1810) mitgeteilt.
— 310 —
beftebenden Waifenhaufe zu organifiren. Einem der Seminar
lehrer, der zugleich die Seminariften zu beauffichtigen babe, fowie
denjenigen Seminariften, welche vom Staate durchaus unentgeltlich
zu unterhalten wären, habe man in dem Waiſenhauſe Wohnungen
anzuweifen. Aud würden fih im Waifenhaufe Wohnungen aus
findig machen laßen. Es fei ganz ſchicklich, daß Die Waiſenhaus—
ſchule zugleich Uebungsſchule für die Seminariſten ſei. Ein Gym⸗
naſiallehrer ſolle den Unterricht in der Religion und Methodik
erteilen. Außerdem koͤnne man noch einen geſchickten Predigtamts⸗
candidaten auf 3—4 Jahre an das Seminar heranziehen. Wenn
nach mehreren Jahren ein im Seminar gebildeter junger Mann
vorhanden ſei, der ſich auszeichne, jo konne dieſer als Gehülfe
angeſtellt werden. Zum Hauptlehrer ſei der Gymnaſiallehrer zu
ernennen, der Die Schule zu Red und das Seminar zu Hannover
befucht und kennen gelernt habe. Der in den genannten Lehran-
ftalten gebräuchliche Unterrichtsplan folle auch für Das zu erric:
tende Seminar, jedoch mit Modificationen, Die das Land und bie
Confeſſion erforberten, adoptirt werben. Zur Beltreitung der Koften
müften die Landſtände um eine ausreichende Bewilligung augegan
gen werden, und ſobald Dieje erfolgt fei, babe.man die Ausführung
des Planes in Gotted Namen zu beginnen.
Die Waifenhauscommiffion Tieß ſich willig finden, in dem
MWaifenhaufe die zur Aufnahme des Seminarlehrer8 und der Se
minariften erforderlichen Beränderungen vorzunehmen. Zwei Lehrer
wurden ernannt, die Statuten des Seminars wurden ausgearbeitet,
die Landrenterei gab, da die Landftäude durch Beitverbältnifle
gehindert waren, Die nötigen Summen zu verwilligen, Die zur
erften Einrichtung nötigen Geldmittel her, fo daß das Seminar
am 30. November 1781 feierlich eingeweiht und am folgenden
Zage eröffnet werden konnte. Die Unterrichtögegenftände waren:
1) Religionslehre nady der Bibel und dem Heidelberger Katechis⸗
mus, 2) Lefen, Schreiben, Rechnen, 3) Geographie, 4) Natur
gefchichte, 5) Gemeinnügige Kenntniſſe, Yandwirtfchaft, Bienenzucht
nad) Rochows Lehrbuch, 6) Methodif, 7) Mufil. — Die Semi-
nariften, welde an Dem MUnterrichte Teil nahmen, waren teil
junge Leute, die ſich erft. zu einem Amte vorbereiten wollten, teild
— 311 —
ſchon angeftellte Schullehrer, die nur in gemwißen Wochen, in denen
ihre Schulen faft gar nicht befucht wurden, vorübergehend den
Unterriht anhörten. Der erfteren waren es anfänglich zwölf, von
denen vier unentgeltlich Wohnung, Koſt, Kleidung, Waſche,
Feuer, Licht und Schreibmaterialien erhielten. Außer dieſen 4
jog. „freien Seminariften” hatten noch einige andere freie Woh-
nung, muften fich jedoch im Uebrigen felbft unterhalten. Mehreren
wurde dieſes damals nicht ſchwer, „ba fie ald Bedienten bei
einem ber Sonoratioren Logis und Tiſch frei hatten.” Keiner
wurde aufgenommen, wenn er nicht vorher von dem Prediger und
Beamten feines Wohnort? ein Zeugnis feined guten Betragens
und feiner Befähigung zum Lehrerberufe beigebracht hatte. Jeder
wurde indeffen nur auf Probe angenommen und erft fpäterhin in
das Regifter der Seminariften eingetragen.
Es war damals noch Feine beſtimmte Zeit des Aufenthaltes
im Seminar feftgefeßt. Der Seminarift wurbe entlaßen, wenn
derfelbe eine gewiße Reife erhalten zu haben jchien und wenn eine
Lehrerſtelle vacant wurde.
In den nächftfolgenden Decennien erfuhr das Seminar
mannichfache Veränderungen. Da das urfprüngliche Gebäude des
Waifenhaufes eine anderweite Beftimmung erhielt, fo wurde i. J.
1801 ein anderes geräumiges Haus gekauft, welches nicht nur Die
Waifen und den Waifenvater mit defjen Familie aufnehmen konnte,
fondern au für eine Erwerbsſchule Raum gab, und dem
Seminar zwei Unterrihtäftuben fowie 12 Seminariften freie
Wohnung gewährte. Die Erwerbsfchule wurde von 120 Kindern
aus der Stadt befucht, die nicht nur zu Handarbeiten fondern
auch zu allen den Fertigkeiten und SKenntniffen Anleitung erhielten,
welde in Glementarjchulen gelehrt zu werden pflegten. Den Un⸗
terricht in der Religionslehre erteilte der erfte Lehrer des Seminars
in ®egenwart der Seminariften, und unter feiner und Des zweiten
Lehrers Leitung wurde von den älteren Seminariften in verjchies
denen Klaſſen unterrichtet, jo daß es Feines befonderen Lehrers für
diefelben bedurfte.
Anfangs, fo lange es an einer Klaffeneinteilung fehlte und
alle Seminariften gemeinfchaftlih an einem und demfelben Unter:
— 312 —
richt Zeil nahmen, wurden Afpiranten zu jeber beliebigen Zeit in
das Seminar aufgenommen. Späterhin wurde immer nur eine
ganze Klaffe recipirt. Sämmtliche Seminariften wurben nemlid
in zwei Klaſſen geteilt, Die nur einige gemeinjchaftliche Unterricht
ftunden hatten. Der Curſus wurde auf3 Jahre beredhnet. Die
gereifteften Seminariften wurden mit dem Beginn der Winterfchulen
entweder ald Scyullehrer irgendwo angeftellt oder wurden als
Gehülfen in der Stadt und auf dem Lande verwendet.
Im Sahre 1810 zälte dad Seminar 20 Zöglinge, von denen
12 in der fog. Pflegeanftalt, in der fi) aud das Maifenhaus be
fand, wohnten. Giner, der aus der Stadt gebürtig war, wohnte
bei feinen Eltern. Für die übrigen 7 war in der Nähe des Se
minars eine Wohnung gemietet, Die fie unentgeltlich benußten.
Seder hatte fein eigenes Bett; Diejenigen, welche nicht ganz frei
gehalten wurden, muften es von Haufe mitbringen. Die wenigften
Seminariften waren in der Lage, ſich drei Jahre lang felbft ver
föftigen zu koöͤnnen. Die mildthätigen Bewohner Detmolds ge
währten Daher den meiften Seminariften tägliche Umgangsfofl.
Ein Hauptaugenmerk hatte die Landesregierung darauf ges
richtet, Daß durch das Seminar namentli auch das zur Zeit
der Begründung defjelben angeregte Jutereſſe für Snduftrie-
ſchulen gewedt und gefördert werben ſollte. Daher wurbe durch
Verordnung vom 20. Februar 1786 den Schulmeiftern und Se—
minariften aufgegeben, ſich die Verbeßerung der Obſtzucht und
die Anlegung von Baumſchulen angelegen fein zu laßen und fi
desfals vom Gonfiftorium Sinftructionen einzuholen. Wenn ein
Seminarift zum Schuldienft befördert werde, fo follte derfelbe „in
feinem Garten — oder jonft auf einem dazu bequemen Platze auf
der Gemeinheit eine Baumſchule anlegen und ihn nicht nur zur
praktiſchen Anweifung feiner Mitjchüler dafür nugen, fonderu auf
daraus verpflanzbare Stämme den Einwohnern in feiner Schul
gemeinde zum Anpflanzen gegen billige Vergütung überlaßen“ u. |. w.
Die erften Verfuche einer Einrichtung von Induſtrieſchulen
wurden i. J. 1788 zu Varenholz, hernach auch zu Lage gemadt,
mißalüdten jedoch. Erft ſeit 1799 gelang ed, AInduftriefchulen
im Lande wirklich heimisch zu machen. Einige Jahre ſpaͤter
— 313 —
(i. 3. 1801) ſchuf die Fürftin Pauline in Detmold ein größeres
Anftitut, die „PBflegeanftalt”, durch welche die Fürftin den
Gewinn der Anduftriefchule auch der Armeren Bevölferung der
Refidenzftadt zu gewähren und dem Volksſchulweſen in berjelben
zugleih eine neue Grundlage zu geben ſuchte. In dieſer Pflege:
anftalt befand ſich nemlich außer vielen Mildthätigfeitsanftalten
(Krantenhaus, Arbeitszimmer für Perfonen beiderlei Geſchlechts,
Suppenanftalt, Kleinkinderbewahrungsanftalt) auh eine Frei-
ſchule, welche zugleich Erwerb⸗ oder Induſtrieſchule war. — Die
Errichtung planmäßig eingerichteter Schulhäufer wurbe i. J. 1795
begonnen.
Es konnte nicht fehlen, daß das Schulwelen des Landes
nach einigen Decennien den von dem Seminar auögehenden Ein-
fluß merfli erkennen ließ. Wie überall, fo war freilich auch hier
die Bleihgültigkeit der Eltern ein ſchlimmes Hindernis aller derer,
weldhe das Schulweſen zu heben fuchten. Im Jahre 1798 übers
zeugte ſich die Regierung aus den ihr von dem Konfiftorium über:
jandten General: Schulberichten, „daß der Echulfleiß der Kinder
faft überall jährlih mehr ab: als zunahm, und daß befonderd im
Sommer die meiften faft gar nicht zur Schule famen und darüber
wieder vergaßen, was fie im Winter gelernt hatten. Daher wurde
unter dem 5. März 1799 allen Droften und Beamten des Landes
eingefchärft, „Daß fie auf Die ergangenen Schulordnungen genau
balten, beſonders auch bei jeder fich ihnen fo oft darbietenden Ge⸗
legenheit die pflichtvergeßenen Eltern zum fleißigeren Schulichiden
ihrer Kinder ernſtlich ermahnen, Diejenigen aber, die es dennoch
ohne gültige Entjchultigung aus träger Bleichgültigfeit oder aus
widerfpenftigem Cigenfinn unterliegen, dazu durch Zwangsmittel
anhalten, dabei ihre Beftrafung am Gaugericht befördern, auch Die
Namen der dur unverantwortlihde Schuld folder Eltern die
Schule verfäumenden Kinder, zur Beichämung jener, von Zeit zu
Zeit Öffentlih von ber Kanzel verlefen laßen“ follten. Da man
außerdem wufte, daß eine „Haupturfadye der Schulverjäumnig im
Sommer in dem Privathüten des Viehes durch die fehulfähigen
Kinder” Tag, indem „dieſe verberbliche Eitte noch an mehreren
Drten herrfchte, wo nad) einer Iandeöherrlihen Verordnung vom
— 314 —
4. December 1770 gemeine Hirten gehalten werden follten und
fönnten“, jo wurde den Droften und Beamten insbejondere aud
aufgegeben, „nicht nur ihre bejondere Aufmerkſamkeit auf Die beßere
Beachtung dieſes heilfamen Geſetzes zu richten, ſondern auch ihre
gutachtlichen Vorjchläge, wie ſich das Gemeinhüten, wo ed nur
irgend die Rocalität erlaube, noch allgemeiner einführen und das
Privathüten noch mehr einfchränfen laße, einzufenden, wo aber
letzteres fchlechterdings nicht abzufchaffen ſtehe, doch die Eltern
und Dienftherrn nachdrüdlichit anzubalten, Daß fie die Hirten:
finder in bie für dieſe beftimmten Mittag 8ſchulen ſchickten.“
Zugleid wurde den Beamten bemerklich gemacht, Daß man ed gern
jehe, wenn diejelben „die Beförderung der gemeinnügigen Induſtrie⸗
Anfltalten, wofür. jchon in einigen Schulen wolthätig gewirkt werde,
ſich beſtens angelegen fein ließen.“
Im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts war der YZuftand
des Lippiſchen Volksſchulweſens folgender: Außer einer Gelehrten⸗
ſchule und einer Bürgerſchule zu Detmold waren 110 Glementars
Schulen im Lande vorhanden. In denſelben wurde gelehrt: Lefen,
Schreiben, Kopf- und Zafelrechnen, Religion und gemeinnüßige
Kenntniffe. Von Beit zu Zeit wurde den Kindern aus einer für
fie intereffanten Schrift, 3. DB. au8 Salzmanns Gittenlehre,
vorgelejen. In allen Schulen war fchon feit den 1790er Jahren
durch den Generalfuperintendenten Ewald eine Leſemaſchine
eingeführt. In einigen Schulen war die Böhlmann’fche oder
die. Stephani'ſche Wandfibel üblich; in den meiften wurde bie
Fibel und das Lefebücdjlein von Holthaus in Schwelm, aud
wol die Trefurter Fibel gebraucht. Eines befonderen Anſehens
erfreute fich außer den Lefebüchern von Ewald und v. Gölln
der Kinderfreund Rochows. Der Heibelberger Katechismus
war von vielen Schulmeiſtern zurückgelegt.
Schulpflichtig waren alle Kinder vom fiebenten bis zum
vierzehnten LTebensjahre. Bon den 3 Klaſſen, in welche jede
Schule eingeteilt war, umfafte die erfte diejenigen Schüler, melde
die Buchftaben erft kennen lernten, bie zweite diejenigen, welde
Anfänger im Lefen waren, und die dritte die, welche ſchon mit
einiger Fertigkeit Iafen.. Im Winter. wurden. Vormittags 3 und
— 315 —
Nachmittags 2 Schulftunden gehalten. Im Sommer kamen an
ben meiften Orten die Kinder nur von 12 — 2 Uhr zur Schule.
Indeſſen nahmen die meilten Kinder au dem Sommerunterricht
nur fehr unregelmäßig Teil. Auch wurden die Nachmittagsſtunden
im Winter weit nachlaͤßiger befucht ald die Morgenftunden, indem
namentlich entfernt wohnende Kinder, die fi Tein Mittagsbret
mit zur Schule bringen Fonnten, zur Nachmittagsfchule gar nicht
famen. Manche Lehrer pflegten daher den Morgenunterricht um
eine Stunde zu verlängern.
Die unmittelbare Beauffichtigung der Schule übte der Pfarrer
aus. Jeder Prediger war nemlicy verpflichtet, feine Schule mo-
natlich einmal zu bejuchen und in einem alle halbe Jahre an feinen
Slaffical = Superintendenten einzuliefernden Berichte zu bemerken,
wann er in ber Schule war, wie viele Kinder er in berfelben
fand, und womit und wie bie Kinder befchäftigt wurden. Da für
jede Schule halbjährig von dem Schullehrer ein Unterrichtsplan
dem Prediger zur Reviſion eingereicht wurde, den man nachher in
der Schule aufhing, fo. war es für den Prediger leicht, den Schuls
meifter zu controliren. Säͤmmtliche Schulberichte wurden dem
Beneralfuperintendenten zugejchict, der fie mit feinen Bemerkungen
dem Konfiftorium übergab, von wo fie an die Regierung und in
die höchften Hände Famen. Durch diefe Schulberichte wurden
regelmäßig allerlei Rejcripte an Prediger und Schullehrer verans
laſt. Bemerkungen von allgemeinerer Wichtigkeit, wozu Die Schul-
berichte Gelegenheit gaben, wurden den Predigern in einen Gire
cularjchreiben mitgeteilt. — Außerdem wurde jede Schule alle drei
Jahre von dem Generalfuperintendenten vifitirt.
Zum Zwede gegenfeitiger Anregung und Fortbildung hatten
fih die Schullehrer bin und wieder zu Schullebrerconfes
renzen vereinigt. Die Einrichtung dieſer Konferenzen war ver:
ſchieden; alle aber hatten das gemeinfam , daß in ihnen Arbeiten
über verjchiedene Unterrichtögegenftände vorgelegt und beurteilt
wurden. Audy wurde wol von den Predigern den Schullehrern
über Ginzelned Unterricht erteilt. Außerdem beftand eine „Lefe-
fabinet“, welches faft ausſchließlich als Bibliothek der Schullehrer
eingerichtet war. In der Regel ließen ſich Die Schullehrer einzelne
— .316 —
Bücher aus demfelben an den Tagen geben, an welden fie ihr
Duarta-Scyulgeld abholten.
Im Sabre 1807 machte die edle Fürftin Pauline den erften
Verfuh, die Schullehrer fi über Fragen ihres Berufed nad
eignem Urteil ausfprechen zu lagen, indem fie jeden derſelben durch
das Konfiftorium auffordern ließ, über feine Schule, über Lehr⸗
gegenftände, Lehrmethode, über die Hinderniffe ihrer Wirkjamteit
u. ſ. w. felbft zu berichten. Sim Jahre 1808 wurden für fämmt-
liche Schullehrer ded Landes zwei Preisfragen geftellt, eine für
die älteren Lehrer über die Hinderniffe einer gefegneten Wirkfam:
feit des Schullehrerd im Allgemeinen und binfichtlich der Gegent,
in welcher der Verfaßer lebte, und eine andere für jüngere Lehrer
über die Frage: „Wie bat ein Schullehrer, der im Seminar nad
Vorſchrift feinen Curſus gemacht hat, fih, wenn er angeftellt
worden ift, weiter auszubilden 2! Für die befte Abhandlung der
älteren Lehrer war ein Preis von 6, für die befte Abhandlung ber
jüngeren Lehrer 3 Louisd'or, für das Acceffit ded erfleren 2, für
das Acceſſit des letzteren 1 Louisd'or beftimmt. Außerbem be:
mühte fi) Die Regierung, auf jedem nur möglichen Wege die
Schullehrer und die Schulen mehr und mehr zu heben. “Die
jährlihen Prüfungen der Seminariften wurden mit großer
Feierlichfeit eingerichtet; die höheren Beamten, bie Geiſtlichkeit
und felbit die Regentin wohnten benfelben thätig bei. Zur
Ermunterung der Schulfinder wurden nad) dem Vorgange de3
Pfarrers Dietrih v. Coͤlln in Derlinghaujen Hier und da Schul:
fefte veranftaltet.
Der Schulbeſuch war leider noch immer ein fehr mangel-
bafter. Man nannte ein Kind auf dem Lande fleißig, wenn cd
wenigftend zwei Drittel der Schulftunden in einem Semefter be
Sucht hatte. In jeder Schule wurden Fleißliften geführt, die
balbjährig mit den Schulberidten von dem Pfarrer an das Kon-
fiftorium eingefandt werden muften. Uber dieſe Fleipliften ergaben
die traurigften Refultate. Im Sommer arbeiteten die Schulkinder
während der Echulzeit faft jämmtlich auf den Feldern oder hüteten
Vieh. E3 kamen hier Iocale Verhältniffe in Betracht, Die vorläufig
gar nicht zu überwinten waren. Die Stalfütterung war im Lande
— 317 —
noch nicht eingeführt. Allerdings war den Gemeinden aufgegeben,
Gemeindehirten anzunehmen; allein an vielen Orten war dieſes
noch gar nicht gefchehen, und da, wo man Gemeindehirten hatte,
machten nicht alle Dorfbewohner von denfelben Gebrauch, indem
viele Leute einzelne ihnen eigentümlich gehörige Diftrifte befaßen, Die
fie nicht abweiden laßen Fonnten, wenn ihr Vieh fich immer bei
der großen Heerde befand, der ed auf den Gemeindehuten nicht
felten an Futter gebrach. Außerdem war e8 dei zerftreut Tiegen-
den Golonaten, die zu einem Schuldiftrift gehörten, gradezu uns
möglich, ſich einen gemeinfchaftlichen Hirten zu halten. Man mufte
fid) daher, da ein ganz regelmäßiger Schulbefuch nicht zu erzwingen
war, darauf bejchränfen, Die Prediger anzumeifen, daß fie nach
Pflicht und Gewißen nur das Mögliche durchzuſetzen fuchen follten.
Halbjährig follten fie die ſaͤumigen Eltern zur Rede ftelen. Wenn
diefelben auf Erfordern nicht erfchienen, jo war der Pfarrer er-
mächtigt, die Nenitenten Durch den Untervogt citiren zu laßen,
was, da für die Gitation eine Gebür zu zalen war, als Strafe
gelten Fonnte.
Die Induſtrieſchulen wurden im Tippifchen nicht fowol
ald Mittel zur Uebung der Arbeitsluft und Arbeitstüchtigfeit, ſon⸗
dern vielmehr ald Auftalten betrachtet, in denen fich die Kinder
ſchon während ihrer Schulzeit etwas verdienen follten. Die Schul-
finder lernten bier Flachs und Wolle fpinnen, ftriden, nähen,
fliden. Eine Lehrerin unterrichtete fie, reichte ihnen, wenn fie Fein
Material von Haufe mitgebracht hatten, das Nötige, nahm nachher
die gefertigte Arbeit zurüd und zalte den Arbeitslohn. Die
Lehrerin war gewöhnlich des Schullehrers Frau, Mutter ober
Schweſter oder irgend eine andere Perfon, die ſich, bevor fie an:
geftellt war, in einer Prüfung über ihre Gefchidlichfeit ausgewieſen
hatte. Bot fih in einer Gemeinde, wo eine Sinduftriefchule anges
legt werden follte, Niemand an, der bie erforderliche Befähigung
befaß, fo wurde von dem Pfarrer oder Schullehrer eine Perjon
aufgefucht, Die zu einer Induſtrielehrerin fich ausbilden zu wollen
Neigung hatte. Diefe ging dann nach Detmold und eignete fich
in der dafigen Erwerbfehule unter der. Anleitung der beiden Leh⸗
rerinnen nicht nur die ihr noch fehlende Fertigkeit in den gemöhns
— 318 —
lichen Handarbeiten an, fondern ließ fi auch mit dem ganzen
Mechanismus einer Anduftriefchule näher befannt madyen. ine
jede angeftellte Lehrerin erhielt jährlich 15 Rthlr. Befoldung. —
Da in vielen Schulen die Kinder von Haufe gar Fein Arbeits
material mitbracdhten, jo wurden alljährlich für Rechnung der In—
duftriefchulfaffe 8— 10 Gentner Wolle gekauft, in Detmold zu
Garn verarbeitet und an die LXehrerinnen nad Bebürfnis verteilt.
Bon dieſen erhielt der Waifenvater zu Detmold, der als Aufſeher
der Induſtrieſchulen diefelben im Winter ein- oder zweimal viſi⸗
tirte, das Fabricat zugeliefert, für welches er den Arbeitslohn
vergütete. Auf ſolche Weife verdiente ſich manches Kind während
feiner Schulzeit 20 — 30 Rthlr.; ein im Frühjahr 1809 aus der
Erwerbſchule zu Detmold entlapened Mädchen hatte fich währen
feiner Schulzeit fogar 78 Rthlr. erarbeitet. — Im Jahre 1809
beftanden in Lippe 26 Induſtrieſchulen, faft alle mit zwei Stuben,
nemlich mit einer Arbeitsftube und einer Lehrſtube eingerichtet.
Es gab wenige Tandesregierungen, welche zur Hebung be
Volksſchulweſens jo bedeutende materielle Opfer brachten, wie die
Lippiſche. Das Schulgeld war gering (gewöhnli 1 Rthlr. und
einige Groſchen jährlich) und war daher nur ein untergeordnete
Dienftemolument der Schulmeifter, welches ihm jedoch ſehr bequem
jo behändigt wurde, daß der Beamte, welcher Verzeichnifje aller
Ichulfähigen Kinder aus den Kirchenbüchern extrahirt und zugefandt
erhielt, das Schulgeld Durch den Untervogt eintreiben ließ. Bier
teljäbrlih wurde e3 dann von dem Beamten an den Rendanten
eingefandt, bei dem es die Schulmeifter abholten oder abholen
ließen. Den Abzug von 4 Procent, der dem Rendanten zu Gute
fam, ließen fi) die Schulmeifter gern gefallen. Für ganz arme
Kinder wurde das Schulgeld jo bezalt, daß die Regierung jährlid
500 Rthlr. nach einem gewiſſen Verhältnid unter Die Lehrer ver:
teilen ließ. Ebenſo waren jährlih 80 Rthlr. zur Anfchaffung der
nötigen Schuls und Schreibebücher für ganz arme Kinder beftimmt,
welche Summe indefjen durch anderweite Zufchüße (auch aus dem
Kirchenärar) noch erhöht werben nıufte. — Große Anftrengungen
wurden auch gemacht, um überall geeignete Schufhäufer herzu⸗
ftellen. Sn dem Zeitraum von 1780—1809 wurden nicht weniger
— 319 —
ald 24 neue Schulhäufer gebaut; in den letzten 11 Jahren dieſes
BZeitraumd wurden zu Bauten und Reparaturen 12329 Rthlr.
verwendet. — Demgemäß waren. auch die Bejoldungen der Schul:
lehrer beßer als irgendwo. Mit weniger ald 60 Rthlr. war fein
Lehrer bejoldet; die meiften Lehrerftellen trugen jedoch weit mehr
ein, nemlich 59 Etellen hatten eine Sompetenz von 60— 100 Rthlr.,
24 Stellen 100 — 150 Rthlr., 15 Stellen 150 — 200 Rthlr., 12
Etellen 200—400 Rthlr. — Die erften Bulagen zu den urjprüng-
lien Gompetenzen waren 1. %. 1796 verwilligt worden, und zwar
im Betrage von 117 Rthlr. 20 Gr. 54 Pf. In den folgenden
jahren wurden dieſe Zufchüße indeſſen fortwährend fo gefteigert,
daß diejelben im Jahre 1809. über 880 Rthlr. betrugen. — Eine
große Grleichterung wurde ben neu angeftellten Xehrern auch da⸗
durch gewährt, daß fie zu ihrer erften Ginrichtung von ber
Leihekaſſe-Commiſſion einen unverzinslichen Vorſchuß erhielten, den
fie erfi dann in gewilfen Terminen zurüdzuzalen hatten, wenn fie
eine Befoldung von wenigftend 120 Rthlr. erhielten. Sechs junge
Leute, welche i. 3. 1809 dad Seminar verließen, wurden fo (zu⸗
fammen) mit einer Summe von 426 Rthlr. audgeftattet.
XXI.
Das Fürftentum Schaumburg · Lippe.*)
Soviel aus der Kirchenordnung zu entnehmen iſt, welche
Graf Ernſt zu Holſtein und Schaumburg (1601 — 1622) i. J.
1614 für die Graffchaft Schaumburg publizirte, waren in derfel-
ben Dorffchulen noch nirgends vorhanden, In dieſer Kirchenord⸗
nung wird nemlich nur verordnet: „Inſonderheit fol in der Viſi⸗
tation Befehl geihehn, daß in allen Städten und Dörfern
die Pastores und Diaconi am Sonntage zur Vesper
die Kinder ordentlid unterweifen im Catechismo, alſo
daß fie die Kinder nadheinander fragen und öffentlich
*) Sauptquelle: Schaumburg-Rippifche Laudesverordnungen, 3 Bde. Büde-
burg, 1804,
— 320 —
in der Kite Antwort von ihnen anhören. Und foll
den Hausvätern Dur die Vifitatoren ernſtlich gebo-
ten werden, daß fie ihren Kindern zu dDiefem VBerbör
des Catehismi alle Sonntage zu fommen gebieten.” —
Statt der Schule finden wir aljo hier nur den fonntäglidhen Ka⸗
techismusunterricht des Pfarrers in der Kirche, zu deſſen Beſuche
die Kinder durch die Hausväter angehalten werden follten.
Wie es fcheint, wurde die Errichtung von Pfarreifchulen erft
nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges verfucht; wenigftens
gehört die ältefte Verordnung, welche über die Einrichtung von
Volksſchulen in der Grafſchaft Schaumburg-Tippe vorliegt, erft dem
Sabre 1653 an. Diefelbe beweift, daß die Begründung eines
Volksſchulweſens bier ebenfo fehwierig war, wie anderswo. Die
Verordnung, welche Graf Philipp unter dem 9. Juni 1653 publi⸗
zirte, lautet nemlich:
„Wir mögen euch hiermit nicht verhalten, wie wir in glaub-
bafte Erfahrung kommen, daß unfre Unterthanen auf dem Lande
ihre Kinder ſehr nachläßig zur Schule und chriftlichen Erziehung
anhalten, auch für fich jelbft zum Teil von den Viſitationen ab-
jentiren follen. Wann uns dann nicht gebüren will, ſolchem länger
nachzufehen, fondern vielmehr obliegen thut, alles Ernſtes darüber
zu halten, damit fowol die Jugend zur Gottesfurcht angemahnt
und unterwiefen, al8 auch die Alten in ihrer Wißenſchaft von
Chriſti Lehre und Glauben beftätigt werden, als befehlen wir euch
hiermit gnädig, den Pfarrern eures befohlenen Amtes foldyes an-
zubeuten und durch diefelben von den Kanzeln publiziren zu laßen,
daß ein jeder Unterthan unausbleiblich feine Kinder zur Schule
\hiden und halten, oder in BVerbleibung deſſen gleichwol dem
Schulmeiſter jeinen Lohn, als wenn die Kinder zur Schule kommen,
unmeigerlih entrichten, und wegen des Ungehorſams uns alle
Quartale, darin er die Kinder nicht zur Schule fendet, 1 Rthlr.
in Strafe verfallen fei.”
Somit war der erfte ernftliche Schritt gethan, um im Lande
Schaumburg » Lippe den Segen eines hriftlichen Volksſchulweſens
heimiſch zu machen, indem jebt die Schulpflichtigkeit aller
Kinder gejeglich ausgefprochen war. Aber die Hinberniffe, welde
— 321 —
der Durchführung diejed Geſetzes im Wege flandeı, waren fo groß,
daß Graf Philipp fi vier Jahre jpäter genötigt ſah, zur Unter-
ſtützung befielben eine neue Verordnung (unter dem 29. Dechr.
1657) zu erlaßen, worin derſelbe die Vernachläßigung des Schul-
befuches mit noch härteren Strafen bedrohte und zugleich auf das
Beftimmteite ausſprach, daß die Volfsfchule Lediglich den Zweck
babe, die chriftliche Kugend zum Genuße der Kommunion vorzus
bereiten. Die Verordnung lautete: — „Wann aber Gott, foviel
die menſchliche Schwachheit zuläft, recht zu erkennen, ein jeder
Menſch ſich befleißigen fol, und zu dem Ende die Schulen funs
dirt, und in den Kirchen die Katechismuslehren angeordnet, und
dieſes beides unfrer Verordnung nach nicht wird beachtet, ald be:
fehlen wir hiermit ernftli, daß Junge und Alte bei der Katechis⸗
muslehre ſich einftellen und auf die vortragenden Fragen Achtung
geben, die Prediger auch nicht allein die Jungen, fondern die Alten
fragen, — die Eltern aber ihre Kinder zu den Schulen, ſowol im
Winter ald im Sommer anhalten, und ohne Vorwißen der Pre⸗
Diger nicht herausnehmen, jedoch mit der Moderation, daß dafern
den Eltern ihre Kinder gänzlich zu entraten unmöglid, die Pre-
diger gegen Bufage, nad) verfloßner Zeit fie wieder zu ftellen,
aus den Schulen auf eine Zeitlang zu nehmen, wenn fie mit
unfern Superintendenten hierüber communizirt, ihnen erlauben;
inmittelft der Schulmeifter alle Duartale den völligen Lohn zu
erheben hat, und unſre Beamten ‘Diejenigen, weldye die Kinder in
die Schule zu bringen mutwilliger Weife unterlaßen, und von ben
Predigern und Schulmeiftern ihnen defignirt werden, mit 2 Thlr.
zum Brüche anfeben follen; die Prediger aber ſowol bei ben
ungen, ehe und bevor fie felbige zu der Communion zulaßen, ob
fie dasjenige, was ein Ghrift notwendig wißen muß, wißen, fich
erkundigen, und bei verfpürendem Mangel fie abweifen, jedoch fie
jelbft oder durch Die Schulmeifter unterweifen jollen, damit fie von
den notwendigen Fragen gebürend unterrichtet, zur Communion
fich einfinden.”
Für die reformirte Hofgemeinde zu Büdeburg wurde das
mald (um 1664) eine Parochialſchule eingerichtet; aber für bag
eigentliche Landesſchulweſen blieb au die Verordnung von 1657
Geppe, Boltefäulmeien, 3. 21
— 322 —
ohne allen Erfolg, hauptjächlich wol darum, weil es die Regierung
verabfäumt hatte, die Mittel zur Erleichterung des Schulbeſuches
und zur wirklichen Pflege des Schulweſens an die Hand zu geben.
Diefem Mangel juchte das Landesconfiftorium zu Bückeburg durd
ein Ausjchreiben vom 4. October 1681 an alle Pfarrer abzuhelfen,
indem es biefelben Darauf hinwies, daß e8 vor Allem Pflicht fei,
dafür Sorge zu tragen, „daß die Jugend zur Gottesfurcht ange
führt und in dem Grunde des GChriftentumd wol unterrichtet
werde, ehe und bevor der liebe Gott nach feinem allweiſen Rat
um der Menſchen Bosheit willen, wie wol zu beforgen ftehe, neue
Kriegdnot verhänge,” worauf e8 den Pfarrern zur Pflicht made
1) darauf zu ſehen, daß die Schulen von allen Kindern ihrer
betr. Gemeinden regelmäßig bejucht würden; 2) follten fie „die
Leute, die darin ſäumig fein möchten, privatim mit Woritellung
ihrer Pflichten getreuli vermahnen, und wenn in den nächften
acht Tagen nicht gejpürt werde, daß die Erinnerung etwas ge
fruchtet, (desfalls von dem Schulmeifter gehöriger Bericht zu
fordern,) aljofort dem Amtmann Diejelben denunziren.“ Zugleich
wurden an die Amtleute die nötigen Befehle über die Art und
Weiſe erlaßen, in der fie gegen Eltern jchulfäumiger Kinder ver-
fahren follten. Um aud den Kindern armer Leute den Schulbe⸗
fuch zu ermöglihen, wurden die Pfarrer angewiefen, Xiften der
wirflih armen Familien an den Amtmann einzuliefern, der fie at-
teftirt dem Gonfiftorium vorlegen jollte, damit dafjelbe nad Ber:
mögen der betreffenden Armenfaffen Unterftügungen verwilligen
fönnte. Außerdem follten die Pfarrer ihre Schulen allwöcheutlich
pifitiren, in jedem Monat mit den Schullindern eine Prüfung aw
ftellen und darauf ſehen, daß der Schulmeifter getreulich feine
Staatspfliht erfülle.
Aber die große Reihe landesherrliher Verordnungen, welde
in Betreff ded Schulweſens bid in das dritte Jahrzehnt des ad:
zehnten Jahrhunderts publizirt wurden, bewies, Daß es immer
noch nicht möglich war, die Volksſchulen zu einem fichern Beſtand
und zu fräftigem Gedeihen zu bringen. Namentlich ließ Graf
Friedrih Chriftian dur Verordnung vom 20. Juli 1692 alle
Pfarrer des Landes anweiſen, den Unterthanen von der Kanzel
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die Pflicht, ihre Kinder zur Schule zu fchiden, nochmals einzu=
Schärfen. Außerdem verorbnete Graf Friedrich Chriſtian (unter
dem 29. Aug. 1713), da es häufig vorfomme, daß die Eltern
ihre Kinder confirmirt haben wollten, „da fie dody nicht allein
ſpät und unfleißig zur Schule fommen, fondern auch ihr Chriſten⸗
tum nicht verfiehn, jo gar daß fie Feine Zeile recht lefen, noch
einen Geſang, damit fie in der Gemeinde Gott loben, auffchlagen
fönnen,” — „daß die Kinder, fo nah Erfüllung des fechften
Jahres zur Schule fommen, wenn fie zwölf Sabre alt, und ihr
Berftand ed zuläft — (zur Gonfirmation) abmittirt werden moͤ⸗
gen; diejenigen aber, welche fieben Jahre alt von ihren Eltern zur
Schule gejandt werden, nach angeführten Umftänden, wenn fie
das 13. Jahr erfüllt, und Die fo acht Jahre alt erft zur Schule
gefandt worden, gleichfalls, wenn fie beftändig darin gegangen
und Die ſechs Schulfahre ausgehalten, im 14ten Jahre; diejenigen
aber, fo von acht oder mehr Jahren find und von ihren Eltern
dennoch von der Schule zurüdgehalten werben, follen die Schuls
diener den Beamten, auch Bürgermeifter und Rat in den Städten
anzeigen, und deren Hülfe und Beiftand erwarten.”
Eine neue Periode begann für die Entwidlung des Schul-
weiend in Schaumburgstippe mit dem Ende des Jahres 1733, in
weldem unter dem 23. December der Graf Albrecht Wolfgang
die erſte „Laudſchulordnung“ publizirte In derjelben wurde
zwar über die innere Einrichtung der Schulen nur weniges feft-
geftelt; dagegen wurden die genaueften Beftimmungen über die
äußeren Verhältniffe des Schulmejend erlaßen. Als Zweck der
Volksſchule wurde bezeichnet, daß die Unterthanen „nicht allein ale
Menſchen, fondern auch vornehmlich als Ghriften erzogen” werden
jollten. Die Integrität der urfprünglichen Katechismusſchule wurde
daher vollfommen erhalten. Doch wurde es jebt zuerft beftimmt
außgefprocdhen, Daß die Schulkinder im Leſen und Schreiben, und,
wenigftens die Knaben, im Rechnen unterrichtet werben follten.
Auch ſollte der Unterriht im Sommer fortgefegt werden. Syn
Betreff derjenigen Kinder, welche bei der Feldarbeit unabkömmlich
wären, wurde feftgefeßt, Daß dieſelben während des Sommers
wöchentlich mwenigftend zweimal die Schule zu befuchen hätten. In
21°
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fremde Dienfte follten Kinder nur Dann gegeben werben, wenn fie
„zum wenigften leſen und notdürftig fchreiben könnten und aus
dem Katechismus den Grund ihres Glaubens zur Genüge gefaft,
oder fonft der Dienftherr fie noch zu ſolchem Ende zur Schule zu
halten fich anheiſchig machen und verfprechen wollte.” Damit bie
Kinder nicht durch Viehhüten von der Schule abgehalten würden,
follten in allen Gemeinden Viehhirten beftellt werden. Gegen
Eltern und VBormünder, welche die Kinder nicht zum Schulbeſuche
anhalten würden, follten die Beamten mit Zwangsmaßregeln vor:
ſchreiten. Wohlhabende Väter unehelich geborner Kinder follten
gezwungen fein, das Schulgeld für diefelben zu zalen. Geſuche
um Erlaß des Schulgeldes follten bei dem Superintendenten. ein
gereicht und von Diefem mit den erforderlichen Armutszeugnifien
an das Gonfiftorium eingefandt werden. Dann follte das Gonfis
ftorium über die eingegangenen Geſuche an den Landesherrn be
richten, der eventuell das Schulgeld aus den landesherrlichen
Gnadengeldern auszalen Taßen werde. „Sollte nun von den ein
mal in foldhe Anzal (der Gratuiten) aufgenommenen Kindern eins
oder mehrere aud der Schule dimittirt werben oder fonft abgehen,
jo bat der Paftor — fothane Veränderung dem Superintendenten
Sofort, diefer aber ad Cameram davon zu berichten.“
An Betreff der Schulmeifter wurde verordnet, dieſelben folls
ten „jammt ihren Angehörigen und Hansgenoßen der wahren
Gottesfurdt und eined eingezogenen und friedfertigen Lebens und
Wandels fich befleißigen, Die ihnen amvertraute Jugend zu ber
wahren Glaubenslehre Augsburgiſcher Confeſſion, zur beftändigen
Gottfeligfeit, guten Sitten und nötiger Wißenfchaft treulich an-
führen, insbeſondere Diejeiben nach der vorgefchriebenen Lehrart im
Catechismo, auch Lejen, Schreiben und Rechnen täglich, zur
Winters: und Sommerszeit, Vor: und Nachmittags, fleißig und
unverdroßen unterweifen.” Die bis dahin üblichen Ferien follten
auf ein Minimum für die heißen Sommertage zurüdtgeführt werben.
Die Schulmeifter follten fi aller Nebengefhhäfte enthalten und
ohne Erlaubnis des Pfarrers auch nicht auf einen halben Tag
verreifen. Das Schulgeld follte vierteljährlich entrichtet und noͤ—
tigenfalld Durdy die Beamten eingetrieben werden. Jeder Schul⸗
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meifter follte ein Verzeichnis aller Kinder feines Orts vom fechften
bis zum zwölften Sabre aufftellen und fortführen: In der Kirche
jollten die Schullinder Elafjenweife an einem befonderen Ort
fitzen. Die Bewerber um Lehrerftellen follten ſich bei dem
Superintendenten anmelden und ſich von demſelben prüfen laßen.
Die Pfarrer follten die Schulen ihrer Gemeinden fleißig inſpizi⸗
ren, zu Anfang jeden Quartals Prüfungen anftellen und über das
Ergebnis derfelben an den Superintendenten berichten. Die in
auswärtige Kirchen eingepfarrten Echulen betreffend follte der je-
desmalige Pfarrer zu Steinbergen die Schule zu Luhden und
Hiefen, der Pfarrer zu Sülbeck die Schule zu Gelldorf und der
Pfarrer zu Vehlen die Echule zu Bergkrug infpiziren. — Außer⸗
dem enthielt die Echulordnung mehrere Beftimmungen über bie
an Schulamtscandidaten zu ftellenden Anforderungen (wobei Fer:
tigfeit im Lefen, Schreiben, Rechnen und „eine gründliche und
herzliche Erkenntnis und Furt Gottes“ gefordert wurde,) und
über den Modus der Beſetzung erledigter Lehrerſtellen. Namentlich
wurde verordnet, daß bei eintretender Vacanz das Conſiſtorium
aus der von dem Superintendenten vorzulegenden Candidatenliſte
den @®eeignetften erwählen und dem Landesherrn zur Beftätigung
vorſchlagen follte. |
Auf Grundlage diefer Schulordnung wurbe nun das Volks⸗
ſchulweſen der Grafſchaft allmählich reorganifirt. In den naͤchſt⸗
folgenden Decennien begegnen wir daher nur ſehr wenigen, die
Dorfſchulen betreffenden, neuen Verordnungen. Nur eine noch⸗
malige Grinnerung an die Ginricdytung der Sommerfchulen und
deren Beſuch wurde i. J. 1749 vom Gonfiftorium zu Büdeburg
den Pfarrern infinuirt. Bon der i. J. 1766 publizirten neuen
Schulordnung wurben die Volksſchulen gar nicht berührt, da fich
biefelbe nur auf die lateinifchen Schulen des Landes zu Büde-
burg und Stabthagen bezog. Indeſſen ift zu bemerken, daß
nach dieſer Schulorbnung die unteren Klaſſen der beiden Schulen
ganz im Geifte der Volksſchulen eingerichtet wurden, indem in
denjelben die Schüler vorzugsweiſe in der Glaubenslehre, in ber
Dibel, im Katehismus und in den Kirchenliedern unterrichtet
werden follten.
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Inzwiſchen Hatte jedoch die Baſedowſche Auffaßung ter
Volksſchule, wonach diefelbe nicht mehr Katechismus⸗ fondern bür:
gerliche Berufsschule fein follte, auch in dad Echaumburger Land
Eingang gefunden, wo fie alsbald als untrügliches Mittel ber
Volksbeglückung praktiſch gemacht werben folltee Demgemäß
publizirte Graf Wilhelm unter dem 8. Januar 1777 eine neue
Schulordnung, welche dieſer modernen Auffaßung der Volksſchule
genau entſprach, indem fie dieſelbe, und zwar in exemplariſcher
Weiſe, lediglich als Bildungs: und Nüplichkeitsinftitut hinſtellte.
Die Hauptftellen dieſer Schulordnung find folgende:
„Es ift ſchaͤdlicher Irrtum, wenn geglaubt wird, daß der
Landmann, entweber weil er hauptfächlich mit ſchwerer Handarbeit
ih zu befchäftigen beftimmt ift, oder anderer Urſachen wegen,
denjenigen Unterricht entbehren müße, wodurd in andern Ständen
bei der erften Schulerziehung jedem wenigftend bie Mittel an bie
Hand gegeben werben, nad) Gelegenheit, gutem Willen und Um:
ftänden fich auszubilden, und eigne Kenntniffe durch Hülfe einigee
Leſens, mit Erfahrungen, Kenntniffen und Früchten des Nachden⸗
kens Anderer zu erweitern, und mit Einem Wort, die wichtigften
Vorteile einer wolgeleiteten Vernunft, als der ächteften Duelle
aller moralifcd) guten als fonft nüglichen Handlungen der Men:
hen, zu ihrer eigenen und Anderer Wolfahrt und Verbeßerung
teilhaftig zu werden.“
„Wir glauben, daß es Pflicht fei, auf die Erziehung der
Jugend auf dem Rande etwas mehr Aufmerkjamfeit wie bisher zu
wenden, damit der zalreihe-und fo nügliche Stand des Landmann
hierin nicht verabfäumt und aus Mangel von Einfidhten, bei vie
len Gelegenheiten der Gefahr, nad Blinden Vorurteilen, Gewohn⸗
heiten, — oder gar nad Aberglauben zu handeln überlaßen
werde." — —
„Holgende Befehle find den bißherigen Einrichtungen, die
Landſchulen betreffend, beizufügen und zu befolgen:“
„8. 1. Es fol der Unterriht im Leſen fo eingerichtet
werben, daß die Rehrlinge nicht bloß mechanisch eine Neihe von
gebrudten oder gejchriebenen Worten laut nachiprechen lernen,
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iondern daß der Sinn von dem, was fie gelejen haben, von dem
Berftande begriffen werde." — —
„5. 2. Das Schreiben fol auch fo gelehrt werden, daß
die Lehrlinge nicht allein deutlih in Anfehung der Zeichnung
Schreiben, ſondern auch ihre Gedanken fchriftlich auszudrüden lernen.
Im Rechnen follen fie die fünf Spezies lernen, und ihnen ber
Augen des Rechnens zu einer ordentlichen Haushaltung praftifch
gelehrt werden.”
„$. 3. Außer den bereits $. 1 erwähnten allgemeinen wichs
tigen Endzweden wird durd etwas mehr Unterricht wie bißher ein
ebenmäßig wichtiger, nemlih die genaue Befolgung der
Landesgeſetze befördert werben. Die Erfahrung lehrt nur
gar zu oft, daß täglich Verordnungen übertreten werben, und bie
Uebertreter fich entweder mit Unwißenheit der Geſetze ober mit
Einfalt und Unvermögen, dieſelben zu verſtehen, entjchuldigen.
Es jollen desfalls“
„$. 4. diejenigen Verordnungen, welche den Landmann an⸗
gehen und zur beſtaͤndigen Befolgung beſtimmt ſind, in Büchern
geſammelt, bei den Schulen aufbehalten, und die Jugend davon
ſo frühzeitig, fortdauernd und ſorgfältig unterrichtet werden, daß
ſolche in dem Gedaͤchtnis feſt eingeprägt und nad dem wahren
Sinn verſtanden werden.“ — —
„8S. 5. Wir werden die Küfter und Schulmeiſter mit nuͤtz⸗
lichen Iandwirtjchaftlihen und andern, zu einer bier erwähnten
Abfichten gemäßen Erziehung dienlichen Büchern und Aufjägen
verjehen laßen, woraus die fähigften der Lehrlinge aud das No-
tigfte zu ihrem Gebrauche entweder fich jelbft abjchreiben Fönnen,
um zu Haufe bei müßigen Stunden nacdjzulefen, oder es werden
ihnen Abjchriften davon mitgeteilt.”
„Ss. 6. Jahrlich follen einmal in jeder Landſchule Examina
in Gegenwart der dazu von Uns express committirten Perfonen
und Beamten gehalten werden, wie weit die Lehrlinge in An⸗
jehbung des Lejens, Schreibens und Rechnens und
Erlernung der Berordnungen*) nah oben fiehenden Pa-
ragraphen gekommen.”
*) Bon Katechismus, Bibel und Geſangbuch ift Feine Rede.
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(Hierauf folgen dann noch drei GG. über Belohnungen ver
dienter „Lehrer“ und „Lehrlinge.”)
Die Schulordnung, welche i. 3. 1794 für das Gymnafium
zu Büdeburg aufgeftellt wurde, kam für das Volksſchulweſen ins
jofern einigermaßen in Betracht, als die zwei unteren Klaſſen
biefer (aus fünf Klaffen beftehenden) Anftalt als Bürgerſchule
eingerichtet waren. — Seit 1783 wurde mit dem Gymnaſium zu
Büdeburg auch ein Schullehrerfeminar verbunden, deſſen Zoͤglinge,
die aus einem zu dieſem Bwede gegründeten Fonds Stipenbien
erhielten, da8 Gymnaſium befuchten und Daneben von einem eigens
dazu beftellten Lehrer (gewöhnlich einem der lutheriſchen Prediger
der Stadt) in Katechetit und Methodik, ſowie von einem Mufit
lehrer im Orgeljpiel unterrichtet wurden. Die Ginrichtung einer
Aufnahme und Entlafungsprüfung der Seminariften ift leider bis
auf diefen Tag verabfäumt worden.
Sc ELFTT-
Gänelpreflendend von Ich. Ming. Kol in Marburg.