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Full text of "Geschichte des deutschen volksschulwesens"

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Ceſchichte 
des | 


deulſchen Volksſchulweſens. 


Von 


Br. K. Herpa 


Erſter Band. 


Gotha. 


Verlag von Friedrid) Andreas Perthes. 


1858. 








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Vorwort. 


— — — 


Die Schrift, deren erſten Band ich hiermit der Oeffentlich⸗ 
keit übergebe, iſt in folgender Weiſe entſtanden: 

Vor einer Reihe von Jahren ſuchte ich an vielen Orten nach 
handſchriftlichen Quellen zur Kirchengeſchichte des ſiebzehnten Jahr⸗ 
hunderts. Da fand ich unter Anderem eine Reihe von Aktenbaänden, 
aus denen fich eine vollftändige Gefchichte des Dorfſchulweſens der 
(etwa Hundert Pfarreien umfaßenden) kurheſſiſchen Diöcefe Allen- 
dorf vom Ende des fechdzehnten bis zur Mitte des fiebzehnten 
Jahrhunderts ergab. Ich verarbeitete den inhalt dieſer 
Altenbände, ſah jedoch jehr bald ein, daß ih, um das Ganze 
in angemeßener Weife darftellen zu können, fowol in die frühere 
Zeit ald in die fpätere Entwidlung des Volksſchulweſens blicken 
müfte. Ich arbeitete Daher, indem ich ale mir zugänglichen 
gedrudten und handſchriftlichen Duellen ausbeutete, eine Gefchichte 
des kurheſſiſchen Volksſchulweſens vor der Reformation bis in 
den Anfang dieſes Sahrhundertd aus, Aber dazu mufte ich 
notwendig auch die Gejchichte der jetzt mit Kurheſſen vereinigten, 
früher felbftäudigen Gebiete (Fulda und Hanau) mitaufnehmen, 
und fehr bald wurde mir der Gegenftand, mit dem ich mid) 
beichäftigte, jo lieb, Daß ich mich entſchloß, demſelben wo möglich) 
in allen deutjchen Ländern nachzugehen. Denn ich ſah ein, daß 
derfelbe noch niemald einer ernftlichen und umfaßenden hiftorischen 
Bearbeitung gewürdigt worden war, und daß derfelbe doch um 
feiner hohen Bedeutung willen eine ſolche Bearbeitung erheijchte. 
Iſt doch die Geſchichte des Volksſchulweſens in Deutfchland 
nichts anderes, als die Gefchichte des allerwichtigften chriftlichen 
Sulturgebieted! Die Wahrnehmung, die ich ſehr häufig machte 
daß felbft ſehr gebildete Pädagogen auch nicht eine Ahnung von 
dem wirklihen Urjprung und bon bem geſchichtlichen Entwidlung- 


_ VI — 


gang der Volksſchule hatten, feigerte meinen Eifer für die Arbeit, 
die ich begonnen hatte. Aber die Duellen, aus denen ich fchöpfen 
mufte, waren fchwer zu befchaffen. Meine Quellenforſchungen 
über die Gefchichte des deutſchen Proteftantismus gaben mir 
manche8 Material an die Hand; aber gedrudt war doch nur 
wenige® und was gedrudt war, war felten zu finden. Da 
wendete ich mich an die Archive, Bibliothefen und höheren Lan 
besbehörden einzelner Staaten, und id wurde in Iiberalfter 
Weife unterftüßt. Ueberall wurde mir zur Dispofition geftellt, 
was nur da war. 

Mit großer Mühe ift daher Die Arbeit nun fomeit vollendet, 
daß diefer erfte Band abgefchloßen werden kann. Noch in Diefem 
Jahre wird das Uebrige nadyfolgen. 

Da die Duellen weder über alle Gebiete Deutfchlandg noch 
auch über die einzelnen Teile des Schulweſens und über die ein- 
zelnen Perioden deſſelben in einem einzelnen Gebiete mit gleicher 
Bolftändigfeit vorlagen, jo konnte auch nicht alles mit gleicher 
Vollftändigfeit dargeftellt werden. Indeſſen kann dieſer Uebelftand 
für das Ganze der Gefchichte des deutſchen Volksſchulweſens kaum 
in Betracht fommen, da dieſelbe Doch hinlänglich beleuchtet if, 
wenn in der Geſchichte des einen deutschen Territoriums vorzugs⸗ 
weile die Gefchichte der Dorfichule, in dem andern vorzugsweiſe 
die Gefchichte der Schullehrerjeminarien dargeftellt, oder wenn 
bier mehr die Schulordnungen der verſchiedenen Perioden Darge- 
gelegt, Dort mehr ftatiftifche Meberfichten über das Volksſchulweſen 
einzelner Beitabjchnitte gegeben find. 

Alle Diejenigen, welche Die vorliegenbe Arbeit zur Hand 
nehmen, bitte ich jedoch zu berüdfichtigen, Daß ich nicht Paͤdagog 
bin, fondern als Hiftorifer ein bis dahin gänzlich) vernachläßigtes 
und der wißenfchaftlichen Darftellung nicht gewürdigtes chriſtliches 
Kulturgebiet zum erften Male Darzuftellen verjucht habe. 


Marburg, den 3. März 1858. 
Dr. Heinrich Heppe. 


Inhaltsugnzeichnis. 


Erfie Abteilung. 
Die Geſchichte des deutfchen Volksſchulweſens im Allgemeinen. 
Erfte Periode, 
Von der Reformationgzeit bis zum Ende des dreißigjährigen \ 
Krieges, Seite 
$. 3. Die Entftehung und der urfprüngliche Begriff der Boltsfhule 1 — 30 
$. 2% Die Beichaffenheit des Volksſchulweſens in diefer Beriode 30 — 38 
Ä Zweite Periode. 
Bon der Mitte des fiebzehnten bis zum Ende des acht⸗ 
ahnen Jahrhunderts. 


$. Die Herftellung der Bolksfchule und die Ermeiterung des 

Begriffs derfelben durch den Gpener- Brante hen Fletiemue 39 — 57 
$. 2. Die Bürger und Realfhule. . 57 — 63 
$. 3. Der Philanthropinismus Bafedomws . > . . 63 — 69 
$ 4 Die Schule zu Nahterfätt . 69 — 76 
5 5. Die Entftehung des Boltsfhulwefens im tatholiſchen 

Deutfhland °. 76 — 97 
$. 6. Die Reform des Schulweſen⸗ im letteilen meichoſtift 

Neresheimn 97—1083 
F. 7. Die Reform des Boltsfchulmefens i im Königreich Böhmen 103—106 
$. 8. Die Reform des Schulweſens in Oeſterreich durch Yelbiger 


und Schulſtein . . 105-117 
. 9% Das öfereigiiße Boltsfhulpefen nad dem Jahre 1780 147123 








_W _ 


6. 10. Die Schul- und Iinterrichtsreform des Domherrn Brian 
Eberhard von Rodow . . 

$. 11. Nachbildungen der Rochowſchen Schuleinrichtung 

F. 12. Allgemeines über die weitere Geſchichte der Volkoſchul⸗ 

F. 13. Die Entwicklung der Lehemethode in der Volksſchule im 
Allgemeinen . . . . . . 

$. 14. Die Entwidlung der sr und Erziehungsmethode im 
Einzelnen . . . . j . 

$. 15. Die Snduftriefgulen . . . . . . 

$. 16. Die Sonntagefyulen . . . 

8. 17. Die Waifenerziefung . ne 

6. 18. Die Bell-Lancafterfche Behrmethode . . 

6. 19. Die Sculfefte 

$. 20. Die Schullehrerfeminarien und andereitigen Einrichtungen 
zur Ausbildung der Boltsfchullehrer . 

F. 21. Wirkliche Befchaffendeit der gewöhnlichen Botfgulen und 
der Volksfchullehrer um das Jahr 1800 . 


Dritte Beriode. 
Bom Anfange des acdhtzehnten Jahrhunderts an. 
5. 1. Johann Heinrich Peſtalozzi 
F. 2. Räückblick auf die verſchiednen Stadien in der Entidtung 
des Volksſchulweſens 
6. 3. Allgemeines über das Voltsſchulweſen in den erften. Zahr. 
zehnten des neunzehnten Jahrhunderts 


Zweite Abteilung. 


Die Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen 
Territorien Deutſchlands, 
I. Kurheſſen. 
Erſter Abſchnitt von 1526—1700 . .. 
Zweiter Abſchnitt von 1701—1797 . . . 
Dritter Abfchnitt von 1779—1805 . . oo. 


. 123—173 


173—177 
177 —184 


184—188 
188—222 
222 — 224 
224—226 
226— 228 
228— 238 
238— 240 
240—247 


247—257 


258—267 


267 —270 


270—278 


281— 307 
307—325 
325—342 


Erſte Abteilung. 


Die Geſchichte des deutſchen Volksſchulweſens 
im Allgemeinen. 





Erſte Veriode. 


Von der Reformationszeit bis zum Ende des dreißigjährigen 
Krieges. 


$. 1. 


Die Entflehung und der urfprüngliche Begriff der Volksſchule. 


Dem chriſtlichen Mittelalter war der Begriff der eigentlichen 
Volksſchule fremd; nur hin und wieder — vorab in ber Firchlichen 
Sturm: und Drangperiode des vierzehnten und fünfzehnten Jahr: 
hunderts — laßen ſich Ahnungen eines Bebürfniffes von dem nach— 
weiſen, was bie Volksſchule gewähren fol. Schon i. 3. 1246 
verordnete eine Synode zu Beziers, daß alle Knaben vom fiebten 
Lebensjahre an allfonntäglich in der Kirche im Fatholifchen Glauben 
unterrichtet werben follten. In demjelben Jahre gebot der eng- 
liſche Bischof Richard von Chichefter auf einer Synode feines 
Sprengeld allen BPrieftern, ihren Parochianen das Gebet des 
Herrn, das apoftoliiche Glaubensbekenntnis und den englischen 
Gruß in der Landesiprache einzuüben. Aber dieſe Synodalbefchlüße 
blieben nur Wünfche, an deren Vollziehung faft Niemand dachte *). 





) Rur ganz ausnahmsweife kommen im Mittelalter Spuren von Küfter- 
ſchulen vor. Eine ſolche findet ſich in dem älteften Lagerbuch der weftphälifchen 
Morrei Bigge, Amts Brilon vor, welches unter dem Titel „Dos ecclesiae in 
Bige, Deo et sancto Martino episcopo sacra; maladictus qui violaverit® 
i. J. 1270 von dem Erzbiſchof Engelbert II. von Köln beftätigt wurde. Bier 
wird nämlich in Betreff des Schulmeifterd (nach einer wörtlichen Webertragung) 

1 





— 2 — 


Als Gerſon, ſchon hochbetagt, in einer Kirche zu Lyon Kinder im 
Glauben und im Gebet unterrichtete, ſtaunte die Welt ob der 
ſeltſamen Neuerung. 

Im fünfzehnten Jahrhundert wurden einzelne Schriften ge⸗ 
druckt, welche Erklaͤrungen der zwölf Artikel des chriſtlichen Glaus 
bens und des Herrngebetes enthielten *); aber dieſelben waren 
entweder nur zum Privatgebraud) beftimmt oder gehörten, wie der 


Folgendes verordnet: „Sapungen des Küfters und Schulmeifters. Dazu 
fol der Küfter vorhanden fein, feinem Paſtor, der demfelben ohne Jemandes Ein- 
rede anzufegen Macht bat, in Allem den genaueiten Gehorfam zu erweifen zc.; 
dabei foll er gleichermaßen verbunden fein und bleiben, wenn es der Paftor nicht 
anders verordnen wird, die Kirchfpielsjugend im Schreiben und Lefen, des 
Sommers Morgens von 7, des Winters von 8 — 10 Uhr, und Nachmittags des 
Sommers von 1—3 oder 4, des Winters bis 3 hr, in eigner Perfon ftetö der- 
geftalt zu unterrichten, daß darüber feine Klagen entftehen; widrigenfalls, wenn er, 
mebhrmaliger Erinnerungen ungeachtet, unverbeßerlidh bleiben folte, ſoll er feines 
Amtes entfegt, vom Paſtor ein andrer angeftellt und diefem fofort von des 
Küſters Renten nad Gutdünken des Paftors, Einiges audgefondert werden, auf 
daß der angehende Schulmeifter in etwas mit davon zu genießen habe. — Da— 
bei follen dann auch die Kirchfpielseingefeßenen bei Strafe von 12 Mark verbun- 
den fein, die Kinder nah der Schule zu fhiden, damit das nod in vielen 
Herzen glimmende Heidentum dadurch gänzlih erlöfht werde, 
Bumiderhandelnde follen nebft vorgejegter Strafe von jedem ihrer zurüdgehaltenen 
Kinder jährlih 18 Schillinge (welder Schullohn ftetS von jedem Kinde dem Schul. 
meifter kraft diejes beigelegt wird,) unnachläßlich entrichten und beibringen, — e8 
wäre denn, daß die Kinder wegen Krankheit oder Unvermögenheit ihres Alters bei 
dem zeitigen Baftor, der darüber fleißige Auffiht und aus den Taufbüchern die 
erforderlichen Nachrichten zu gewähren hiermit für ſchuldig erfannt wird, durd der 
Eltern Angaben entfchuldigt befunden würden. Auch fol der jedesmalige Schul. 
meifter monatlih dem Paftor fchriftlichen Bericht darüber vorlegen, wie die Schü- 
fer fid in hriftliden Sitten, Schreiben und Kefen verhalten und von 
Tag zu Tag in der Gottesfurcht zunehmen, damit bei Zeiten das Böfe ver- 
mieden und das Gute ferner befördert werde”. (Bgl. Seiberg, Weftphälifche 
Beiträge zur deutſchen Geſchichte, B. IL. &. 404—406.) — Allerdings wird bier 
die Einrichtung einer Vollsſchule zur Ausrottung des im Volke noch fort- 
lebenden Heidentums ſtreng angeordnet; ob aber diefe Unordnung 
jemals befolgt worden ift, wird dem fehr fraglich fein, der da weiß, wie we- 
nig (unter viel günftigeren Berhältniffen!) von ähnlihen Anordnungen im 16. 
und 17. Jahrhundert verwirklicht worden ift. 
*) Bgl. Brüftlein, Luthers Einfluß auf das Volksſchulweſen ©. 21 ff. 


— 3 _ 


Pauper rusticus Wikleffs und die Explicatio symboli, decalogi 
et orationis dominicae den oppofitionellen Beftrebungen des fünf: 
zehnten Jahrhunderts an. 

Noch i. J. 1530 konnte Melanchthon in der Apologie der 
Augsburgifchen Confeſſion Art. VII. jagen: Apud adversarios 
nulla prorsus est catechesis puerorum. 

Der Grund dieſer Erfcheinung war der, daß der mittelalter- 
liche Katholizismus als foldher gar Fein Intereſſe dafür Hatte, 
Volköfchulen, in denen nicht geiftliche und weltliche Gelehrte, fon- 
dern Chriftenmenfchen erzogen und nicht mit lateiniſcher, fondern 
mit gemeinschriftlicher Kultur verjehen wurden, einzurichten. Denn 
den Katholizismus kam es nur darauf an, Die äußere Kirche und 
deren Auctorität äußerlich auszubreiten. Die einzelne Seele hatte 
ald ſolche für ihn keinen eigentümlichen Wert; nur in wiefern 
fie fi an Die äußere Inſtitution der Kirche bingab, kam fie in 
Betracht. Der Fatholifche Geift wendete darum fein ganzes In— 
tereije dem äußeren Sirchentum und der Derbreitung der Firdh- 
lihen Auctorität jo ausfchließlih zu, daß ihm die Erbauung des 
Reiches Gotted in Den einzelnen Seelen und darum auch die 
Pflanzung hriftliher Bildnng und Kultur in den einzelnen Glie⸗ 
bern der Kirche ald ſolchen unmefentlich und gleichgiltig war. 

Der Begriff der Volföfchule Fonnte nur aus dem Geifte des 
evangelifchen Proteftantigmus erwachſen; aber nicht fofort, ſondern 
nur in Derfelben Allmählichkeit, in welcher der evan— 
geliſche Proteſtantismus das Bedürfnis der Volks— 
ſchule praktiſch an ſich ſelbſt erfuhr. Luther, Me— 
lanchthon, Brenz, Bugenhagen, die unter den deutſchen 
Reformatoren den maͤchtigſten Einfluß auf die Entwicklung des 
Schulmejend ausübten, Fannten den Begriff eines Volksſchulweſens im 
Unterjchiede von der Gelehrtenſchule eigentlich noch nicht. Insgemein 
verftanden Diejelben unter der „Schule“ lediglich Die „lateinifche 
Schule”, indem fie ſich den Begriff der Schule, und zwar ber 
niederen wie ber höheren, in herfömmlicher Welje*) nur in Ber 


*) In der Schulordnung melde i. 3. 1501 für die (Elementar-) Schule 
zu Stutigart aufgefellt wurde, war dem Schulmeifter aufgegeben, tüglid) wenig. 
. 1° 


_ 4 — 


ziehung auf die im Beſitze der Gelehrten befindliche und zur Aus⸗ 
übung des Staatd- und Kirchendienfted erforberlihe Iateinifche 
Wißenſchaft, nicht aber in Beziehung auf die Beduͤrfniſſe des eis 
gentlichen Volkes und des chriftlichen Volkslebens an und für fi 
denken Eonnten. Neben diejer „lateinifchen Schule” verlangte Luther 
die Einrihtung von „deutſchen Schulen” und „Mädchenſchulen“ 
in den Städten. Denn wie die lateinifchen Schulen nötig waren, 
weil man weltliche und geiftlihe Beamte von wißenfchaftliher Bil- 
duug in Staat und Kirche nötig hatte, fo waren die deutſchen und 
die Mätchenfchulen nöthig, weil der Bürger für das Geſchaͤfts⸗ 
leben uud Die Tochter für den Beruf der Hausfrau erzogen und 
mit allerlei Kenntniffen verjehen werben mufte. Luther verftand 
daher unter der Schule lediglich eine ſolche Anftalt, welche ben 
Einzelnen für feinen befonderen, jpäteren Lebensberuf heranbilden 
jollte. Als wirkfamfted und wejentlichftes Mittel zur Erreichung 
dieſes Zweckes betrachtete Luther das Erlernen (nicht der Realien, 
fondern) der Sprachen. Diefe Anfchauungen treten überall ber: 
vor, wo Luther von den Schulen ſpricht. An die Ehriften zu 
Riga ſchrieb Luther (de Wette B. IL. ©. 595): ‚Ich babe nun 
viel gepredigt und gefchrieben, daß man in Stäbten follte gute 
Schulen aufrihten, Damit man gelehbrte Männer uud 
Weiber aufzöge, daraus chriftlihe, gute Pfarrer, Prediger 
würden und das Wort Gottes reichlih im Schwange bliebe.’ 
In der Schrift „an die NRatöherren aller Städte Deutſchlands, 
daß fie riftliche Schulen aufrichten und halten ſollen“ (v. 1524, 
bei W. B. X. S. 532— 567) erinnert Luther: „Ja, Iprichft du 
abermals, ob man gleich follte und müfte Schulen haben, was ift 
uns aber nüße, lateinische, griechifche nnd hebräifche Zungen und 
andere freie Künfte zu lehren? Könnten wir doch wol deutſch Die 
Bibel und Gottes Wort lehren, die und genugfam ift zur Selig: 
feit! Antwort: Sa, ich weiß leider wol, daß wir SDeutfchen müs 
ben immer Beftien und tolle Xhiere fein und bleiben, wie ung 


ftens einmal in der Schule einen „Durchgang zu halten”, und diejenigen Schüler, 
welche deutfch geſprochen hatten, mit ſchmaler Koft zu ftrafen. — Vgl. Sattler, 
Geſch. des Herzogtums Würtemb. I. Beil. 26. ©. 76 


— 5 — 


denn die umliegenden Laͤnder nennen und wir auch wol verdienen. 
Mir wundert aber, warum wir nicht auch einmal ſagen: „„Was 
ſollen uns Seiden, Wein, Würze und der Fremden auslaͤndiſche 
Waaren, ſo wir doch ſelbſt Wein, Korn, Wolle, Flachs, Holz und 
Steine in deutſchen Landen nicht allein die Fülle haben zur Nah⸗ 
rung, fondern aud) die Kür und Wahl zu Ehren und Schmuck?““ 
Die Künfte und Sprachen, bie uns ohne Schaden, ja 
größerer Shmud, Nutz, Ehre und Krommen find,beides 
zur heil. Schrift zn verfiehen und weltlid Regiment zu 
führen, wollen wir verachten, und der auslänbifchen Waaren, 
bie und weder not noch nüße find, dazu uns ſchinden bis auf den 
Grat, der wollen wir nicht zugeraten? Helfen bad nicht billig 
deutfche Narren und Beftien % 

— „Wenn nun gleich feine Seele wäre, unb man ber Schu⸗ 
in und Spraden gar nicht bebürfte um der Schrift und Gottes 
willen, jo wäre Doch allein dieſe Urfache genugfam, die allerbeften 
Schulen, beides für Knaben und Mägdlein an allen Orten aufs 
richten, daß bie Welt, auch ihren weltlichen Stand äußerlich) 
zu halten, doch bedarf feiner gefhidter Männer und 
Srauen, daß die Männer wol regieren tönnten Land 
und Leute, Die Frauen wol ziehen und halten könnten 
Haus, Kinder und Befinde Nun folhe Männer müßen 
aus Knaben werben und foldhe Frauen müßen aus Mägdlein wers 
den; darum iſts zu thun, daß man Knäblein und Mägdlein dazu 
recht lehre und aufziehe.“ — 

In dem ‚„Sermon, daß man die Kinder zur Schule halten 
ſolle“ (W. B. X), erflärt Quther: „Ich halte aber, daß aud) die 
Obrigkeit hier ſchuldig fet, die Unterthanen zu zwingen, ihre Kin 
der zur Schule zu halten. — Denn fie ift wahrlich ſchuldig, die 
obgefagten Aemter und Stände zu erhalten, daß Prebi- 
ger, Juriſten, Pfarrherren, Schreiber, Aerzte, Schulmeifter und 
dergleichen bleiben; Denn man Fann derer nicht entbehren.“ — 

— „Kehre dich nichts daran, daß jeßt der gemeine Geiz 
wanft die Kunft fo hoch verachtet, und fprechen: Ha, wenn mein 
Sohn deutſch fchreiben, Iefen und rechnen kann, jo kann er genug, 
ih wil ihn zum Kaufmann thun. Sie follen in Kürze ſo Tree 





— 6 — 


werden, daß ſie einen Gelehrten gern aus der Erde zehn Ellen 
tief mit den Fingern grüben; denn der Kaufmann ſoll mir nicht 
lange Kaufmann ſein, wo die Predigt und das Recht fallen.“ 

In demſelben Sinne ſchreibt Luther am 18. Juli 1529 an 
den Markgrafen Georg v. Brandenburg (W. IIL 486): „In al 
len Städten und Fleden follen gute Kinderſchulen zugerichtet mer: 
den, aus weldhen man nehmen Eönne und erwählen, die zur hohen 
Schule tüdhtig, daraus man Männer für Land und Leute 
ziehen mag‘ ”). 

Auch Melanchthon Fannte Feinen andern Zweck der Schule 
ald den der Erziehung von Predigern, Beamten, Aerzten u. |. w., 
weshalb in dem fog. fächlifchen Schulplan, der das lehte Kapitel 
„des Unterricht8 der PVifitatoren an die Pfarrherrn im Kurfürften- 
tum Sachſen“ bildet, befohlen wird: „Es follen auch Die Prediger 
die Leute wermahnen, ihre Kinder zur Schule zu thun, Damit 
man Leute aufziehe, geſchickt zu lehren in der Kirche 
und fonft zu regieren. Denn es vermeinen etliche, es fei 
genug zu einem Prediger, Daß er deutſch Iefen könne. Solches 
aber ift ein Schädlicher Wahn. Denn wer andre lehren foll, muß 
eine große Hebung und ſonderliche Gejchidlichkeit haben; Die zu 
erlangen, muß man lange und von Jugend auf lernen. — Und 
jolcher gefchieter Rente bedarf man nicht allein zu der Kirche, fon- 
dern auch zu dem weltlichen Regiment, das Gott audy will haben.‘ 
Ja Melanchthon gebietet fogar daſelbſt, daß die Schulmeifter Die 
Kinder allein Tateinifch unterrichten follen, ‚nit de ut ſch ober 
griechiſch oder hebräiſch“, wie etliche bisher gethan, ohne Nutzen 
für Die Kinder, ja zu ihrem gröften Schaden. — Die Echule war 
alfo im Sinne der Reformatoren wefentlich lateiniſche Schule, 
und hatte ihrem Begriffe nad) die Beflimmung, zufünftige Be— 
amte des Staats und der Kirche heranzubilden, weshalb Brenz 
in der Schwäbiſch-Haller Kirchenordnung von 1543 nicht nur den 
Fall erwähnt, wenn ſich auf einem Dorfe eine lateinische Schule 
vorfinde, fondern in der großen Würtemberger Kirchenordnung von 


*) Ausführlichere Nachweiſungen ana Luthers Schriften ſ. bei Brüftlein 
„Luthers Einfluß auf das Volksſchulweſen.“ Jena 1852. ©. 45 ff. 


— — 


1559 bie Einrichtung von lateiniſchen Schulen in allen Dörfern 
gebietet. 

Hiernach Fönnte es feinen, als ob die Reformatoren auf Die 
Schule gar keinen weſentlichen, umgeftaltenden oder erneuernden 
Ginflup ausgeübt hätten. Denn die Notwendigkeit der Einrichtung 
von lateinifchen Schulen war von der Kirche zu jeber Zeit aners 
kannt; auch waren Toͤchterſchulen fowie deutſche Bürgerfchulen hin 
und wieder längft begründet worden. Und dennoch hat das Schuls 
weſen durch den Einfluß ber NReformatoren und der ganzen refor- 
matorifchen Erhebung des Proteftantismus eine Umgeftaltung er: 
fahren, durch welche ed etwas ganz anderes wurbe, als was es 
bordem war. 

Zunaͤchſt geſchah dieſes dadurch, daß die Schule fchlechthin 
dem chriſtlichen Intereſſe dienſtbar gemacht wurde. Der Proteſtan⸗ 
tismus bemächtigte ſich aller Kulturbeſtrebungen des Humanismus 
und beſchied den letzteren, daß er ſeinen Zweck nicht in ſich ſelbſt, 
nicht in dem Cultus des Menſchengeiſtes, ſondern in der Verherr⸗ 
lichung Gottes, in der Aufhellung des geoffenbarten Wortes, in 
dem Aufbau des Reiches Chriſti und in der Foͤrderung chriſtlichen 
Lebens anerkennen müße. Der evangeliſche Proteſtantismus ſah 
in den verſchiedenen Ständen des menſchlichen Geſchlechts goͤtt⸗ 
liche Ordnungen und würdigte dieſelben als gottgeordnete Mittel 
des der Menſchheit von Gott geſetzten Lebenszweckes. Indem da⸗ 
ber die Reformatoren die Schule als dasjenige Inſtitut auffaſten, 
worin ber Prediger, ber Richter, die geiftlihe und die weltliche 
Obrigkeit, der Arzt, der Bürger, die Hausmutter u. |. w. die zur 
Ausübung ihrer Memter erforberlihe Bildung gewinnen follten, 
wurde die Schule von denfelben als weſentliches Organ des Rei- 
ches Gottes gewürdigt. Daher erflärt fi) der eigentümliche Eifer, 
mit dem die Neformatoren die Bedeutung und Notwendigkeit der 
Schulen bevorworteten und der Aufſchwung, den das Schulmelen 
im Bereiche des Proteftantisnius gewann. Im Allgemeinen wurde 
bie Anfiht geltend gemaht, daß fi im Proteftantismus das 
Schulwefen im umgefehrten Verhältnis jo zur Kirche verhalte, wie 
fih im Papſtthum das Ordensweſen zur Kirche verhalten hatte. 
Ein großer Teil des Kloftergutes, an manchen Orten fogar Das 





— 8 — 


ganze Kloſtergut, wurde daher im Intereſſe des Schulweſens ver⸗ 
wendet. Der Einfluß, den Melanchthon in weiteren Kreiſen, 
ſowie Brenz in Schwaben und Bugenhagen in Niederdeutſch⸗ 
land ausübten, rief aller Orten neue lateiniſche Schulen hervor 
oder verbeßerte und regelte die ſchon beſtehenden. Deutſche Schu⸗ 
len entſtanden allerdings ſeltener, obſchon z. B. die Hamburger 
Kirchenordnung von 1539 den Küſtern gebot, Die „ganz kleinen 
Kinder” zu unterrichten. Aber die Durch ganz Norddeutichland Hin 
in den Städten bereits beftehenden deutſchen Schreib: und Rechen⸗ 
ichulen erfuhren den Segen ber religiöjen Erhebung jener Zeit 
ebenjo wie die Tateinifchen Schulen, indem fie thunlichft in An- 
ftalten zu religiöfer Erziehung umgewandelt wurden. So wurde 
in der Pommerſchen Kirchenordnung geboten: „Es follen die ge 
meinen C chreibjchulen, Die der Rat gewilligt hat, nicht verhindert 
werden, aber ihnen auferlegt, deutfche Pfalmen, gute Sprüche aus 
der Schrift und den Katechismus zu Ichren. — Dafür gebe man 
ihnen jährlich ein redlich Gejcheuf aus dem Schapfaften. — Den 
Lohn aber mögen fie von ihren Schülern nehmen.“ 

Mächtiger jedoch als in dem deutſchen Knabenſchulweſen 
machte ſich der Einfluß der Reformation in den weiblichen Schul⸗ 
anftalten geltend. In der Wittenberger Kirchenordnung von 1533 
finden wir einen „Jungfrauenſchulmeiſter“, der mit dem Küfter 
eine „Sungfrauenfchule‘ hielt. Insbeſondere wird in allen den 
zalreichen Sirchenordnungen, welche von Bugenhagen berrübren, Die 
Aufrichtung von „Maͤgdleinſchulen“ in allen Städten verordnet. 
Natürlich ift auch hier die Uebung im Katechismus, in der Bibel 
und im Singen, wozu nod) dad Nechnen kommt, der. eigentliche 
Zwed der Schule. Die heſſiſche Reformationsordunog von 1526 
und die Kirchenordnung der Grafichafi Lippe von 1538 verlangen 
fogar die Aufrihtung von Mädchenfchulen auf den Dörfern. Jene 
it überhaupt ald der erfte Verfuch allgemeiner Begründung eines 
geordneten Dorfichulwefens anzufehen; dieſe Dagegen ift als fprechen- 
der Zeuge für Die in der Reformationgzeit berrfchende Identifizirung 
der Stnabenfchule mit der lateinischen Schule zu betrachten, indem 
in ihr Die Einrichtung von deutſchen Schulen nur für die Mäb- 
hen gefordert wird. Unter dem Xitel „Bon zweierlei Schulen” 


— 9 _ 


gebietet nemlich die Zipper Kirchenordnung (bei Richter IL S. 502): 
„Im der Lehrung und Bucht Hat Gott fonderliches Wolgefallen, 
daß wir gute, verfländige, gottesfürdhtige Leute mögen haben in 
Kirhen- und weltlichen Aemtern. — SHierum ft nötig, in allen 
Städten dieſer Grafſchaft lateiniſche Schulen anzurichten, mit gu: 
tm gelehrten Schulmeiftern allerlei Künfte, fo viel möglich ift 
md den Katechismus zu lehren, in Gottesfurcht und Zucht aufs 
zuziehen, darzu die fächfifche Ordnung nüße und gut wäre. — 
Man muß auch deutfche Schnlmeifter halten in Städten und Dör- 
fern für Die jungen Mädchen, fehreiben, Iefen und den Katechismus 
neben andern guten Zuchten zu lehren“. — 

Die Schwierigkeiten, welche ſich der Reorganifirung unb 
fefteren Begründung des Stadtſchulweſens entgegenftellten, waren 
fo groß, daß an die Einrichtung von Dorffchulen in der Reforma⸗ 
tiongzeit nicht gedacht werden konnte. Bis in die zweite Hälfte 
des ſechszehnten Jahrhunderts hinein finden wir daher überall 
mr Tateinifche Stadtſchulen, neben denen noch deutſche Berufs- 
ſchulen in den Städten vorkommen. Der Schüler lernte deutſch 
leſen — eigentli nur, um fofort neben Bibel und Katechismus 
auch die Tateinifhe Grammatik gebrauchen zu können”). In die 
em Sinn verfügte 3. DB. die Landesorbnung des Herzogtums 
Preußen von 1525 in Art. 4. „Von Erhaltung ber Schulen und 
derſelben Vorſteher“: ‚Nachdem gemeiner Ehriftenheit zum Beften 


) Bezeichnend ift folgende Gtelle des von den Straßburger Predigern für 
die gebildete Sugend i. 3- 1527 herausgegebenen „Kinderberiht und Fragſtücke 
don gemeinen Punkten chriftlichen Glaubens”, worin es heißt: „Frage: Mas liefeft 
du fürnehmlich? Antwort: Das Reue Teftament und Titum Livium verdeutfcht. 
%.: Es foll dir das Höchfte fein, was am meiften auf Bott meifet; doch magft 
du, wie man fonft ein Handwerk treibt, andre Bücher auch lernen, die bringen 
einen weltlichen Berftand, üben die Vernunft u. f. wm. Doc fol und muß daneben 
in der 5. Schrift eine tapfere Mebung fein; darıım ſollteſt du die Sprachen, Latein, 
Griehifh, Hebräiſch lernen. Antw.: Es ift mir zuviel; Latein will ich mit der 
Zeit lernen; auch fagt mir mein Vater, daß ich fein Pfaff werden fol. — Frage: 
kiebes Kind, du magft, foniel vonnöten ift, im Hebräifchen und Griechiſchen neben 
dem Latein lernen; es fürdern die Eprachen einander und machen cinen gefunden 


Berkand” u. f. w. 








— 10 — 


vonndten fein will, in den Städten und fonderlidh in den 
großen, Schulen zu erhalten” u. ſ. m Die Hallefhe Kirchen 
orbnung von 1526 machte den Pfarrern und Schulmeiftern vor 
Allem zur Pfliht: „Wann nun der junge Knabe die Buchftaben 
fennt und ein klein wenig des Leſens berichtet ward, muß der 
Schulmeifter, Prediger oder Pfarrer fleißig Acht haben auf den 
Knaben, ob er zum Latein tauglid oder nicht wäre. 
Wäre er zu dem Latein tauglih, jo follte er in Dem Latein 
aufgezogen werden. — Man muß bod gelehrte Leute 
haben in ber Stadt, auch auf dem Lande, Pfarrer, Pres 
Diger, Helfer, Schulmeifter, Schreiber und Andre. — In ber 
Waldeckiſchen Kirchenordnung von 1556 wird in dem Abſchnitt 
„Bon den Schulen” der Zweck derfelben fo angegeben: „Dieweil 
auch die Schulen nicht allein der Kirchen, fondern auch des ges 
meinen Nußend Seminaria find, Darinnen man Leute zum 
Kichenamt und Regiment dienlich auferziehen muß, jo 
ift vonndten, auf Diefelbigen mit Fleiß zu achten. — Sin der 
(Elementar⸗) Schulordnung der Stadt Stuttgart von 1501 war 
befohlen: „Und jo Iateinifch reden, fchreiben und verftehn ein 
grundfeftes Fundament und Weg ift, ohne den die Schüler andere 
Künfte nicht wol erlangen und überfommen mögen, fo foll der 
Schulmeifter mit ſammt feinen Helfern daran und darob fein mit 
dem allerhöcdhften Fleiß, Daß die Schüler alle und ein jeder beſon⸗ 
ders lernt Iateinifch reden, jchreiben und verftehn, und in. ber 
Schule und an andern Enden, wo fie bei einander find, nichts 
denn nur lateiniſcher Sprache mit einander reden”. Demgemäß 
befahl daher auch Herzog Ulrih von Würtemberg i. J. 1546 
„zur Ehre Gottes’ und zum Nuben bed Gemeinweſens die in 
den Heinen Randftädten neben den Iateinifchen Schulen beſtehenden 
deutſchen Schulen abzufchaffen, weil durch Die deutjchen „die Iatei- 
nischen Schulen verderbt, und viele Knaben, jo zum Latein-Lernen 
und alſo zu der Ehre Gotted durch Verwaltung eined gemeinen 
Nutzens geſchickt, verfäumt werden, und aber ein jeder lateiniſche 
Schüler im Latein Das Deutjch- Schreiben und — Lejen ergreift.‘ 
Allerdings wies fchon Die Reformationdzeit auf die demnaͤch⸗ 
flige Entftehung eined neuen, nemlich deutſchen Schulwefens 


— 11 — 


in. Schon ein Zeitgenoße Luthers, Valentin Jdelfamer, 
veröffentlichte ein deutſches Leſebuch unter dem Titel: „Teutſche 
Grammatica, darauß ainer von jm felb8 mag leſen vnnd befs 
ſelben Orthographian mangel vnnd überfluß, auch anberm vil 
mehr, zu wiffen gehört. Auch ettwas von der rechten art vnnd 
Einmologie der teutjchen ſprach vnnd wörter, vnnd wie man Die 
dentſchen wörter in jre filben taylen, vnnd zufamen buchſtabiren fo. 
Zulentin Ickelſamer.“ Das Büchlein befteht aus fünf Bogen in 8.; 
weber Jahrzal noch Drudort find angegeben. &8 enthält nicht 
ſewol eine Grammatik, ald vielmehr eine Anmweifung zum richtigen 
Leſen und Schreiben des Dentſchen. Indeſſen bat doch aud 
YEelfamer mit feinem deutſchen Lejebuche eigentlich nichts anderes 
ald das Bedürfnis der lateiniſchen Schule im Auge, in welche er 
bie Einübung eines regelrechten Gebrauches der deutichen Sprache 
als heilfame und unerläßliche Vorbereitung für den höheren Un⸗ 
teriht eingeführt fehen wollte*). Unmittelbar trug daher eben- 
ſewenig Ickelſamers Grammatik ald einige andere deutſche Sprach: 
ihren, welche im Laufe des fechszehnten Jahrhunderts erjchies 
nen **), zur Begründung eined deutfchen Schulweſens Bei. 

Die Wurzeln, aus denen dafjelbe erwuchs, lagen ganz ans 
derswo. Der evangelifdh«proteftantifche Geift, der ſich in ber 
Kirche erhoben hatte, war e8, der mit unmwiderftehlicher Macht zur 
Begründung eined Schulweſens hindrängte, dad Dem evangeli— 
ſchen Chriſten als ſolchen, — ohne alle Berüdfidhtigung eines 


*) Icdelfamer fagt in Bormwort feines Büchleins: „Billig ift es allen Deut 
ſchen eine Schande und Spott, daß fie anderer Sprachen Meifter wollen fein und 
haben ihre eigne angeborne Mutterfprache noch nie gelernt oder berftanden. — 
Ran follte erft aus dem deutfchen Schüler einen Grammaticum maden, und ihn 
ehren alles, was zu einer deutfhen Orthographia, Etymologia und Syntazi dienet 
md das wäre fehr nütze, fonderli denen, die etwa gemeine Schreiber follten wer- . 
den, oder in den anderen Sprachen hernach wollten ftudiren, dazu fie gar leichtlich 
möchten fommen, wo fie zuvor ihren Berftand in einer ſolchen deutfchen Gramma⸗ 
tt geubt hätten.“ 

») von Laurentius Albertus mit dem Zunamen Oſtrofrank („Zeutfch 
Srammatit oder Eprachfunft ıc.” zu Augsburg 1573 in 8. 16 Bogan), von AL. 
bert Delinger („Unterricht der bochdeutfchen Sprache ꝛc, Straßb. 1574 in 8, 
14 Bogen), von Joh. Elajus (in Leipzig 1578 in & 18 Bogen) u. a. 





— 12 — 


zu erwählenden Lebensberufes, — das alfo aud) dem armen, ber 
Gelehrtenbildung ganz fremden Landmann und dem jchlichten Bür⸗ 
gerdmann angehörte, und das lediglich um feinetwillen, weil er 
evangelifcher Chrift und Glied der Kirche war, gefchaffen werben 
mufte. 

Es war ein zwiefaches Intereſſe der evangelifchen Kirche, 
welches hierbei in Betracht Fam. Der Proteftantiömus, der aus 
dem Drange bußfertiger Herzen nach fiherem und gewiſſem Heilss 
befig hervorgegangen war, und der Fatholifchen Verherrlihung und 
Wertſchätzung des aͤußeren Kircheninftituts (dem gegenüber der 
einzelne Chriſt nur etwas Verjchwindendes, Gleichgültiged war,) 
die evangeliiche Wertſchaͤtzung des einzelnen Chriftenmenfchen, der 
einzelnen Seele entgegenfeßte, muſte e8 fi notwendig zur wefent> 
lihen Aufgabe machen, feine Angehörigen durch Belehrung, welche 
jeder Einzelne erhielt, zu einem gewilfen und fichern Bewuſtſein 
von der im Evangelium verheißenen und in der Taufe dem Eins 
zelnen verfiegelten abfoluten Gnade Gottes in Ehrifto zu erziehen ; 
und fodann mußte der Proteftantismus, da der Gottesdienft nicht 
mehr Verrichtung des Priefterd, ſondern Gemeindegottesdienft war 
vor Allem darauf hinwirfen, Daß das Gemeindeglied zur lebendigen 
Beteiligung an dem Firchlichen Cult, vor Allem an dem neuen 
Gemeindegefang fowie zur fruchtbaren Anhörung Der Predigt be« 
fähigt ward. Aus diefer Wurzel, d. 5. 1) aus dem evangeliſch⸗ 
fichlihen Glauben an die den einzelnen Gläubigen in feinem 
Heilsbeſitz vollkommen ficher ftellende Onadenoffenbarung Gottes 
in Chrifto oder aus dem Glauben an die Volllommenheit und 
Sicherheit der Taufgnade und 2) aus dem Begriffe und Bedürf- 
niffe des evangelifchen Gemeindegottesdienftes ift die eigentliche 
Volksſchule erwachjen. Während Die lateinifche Schule um der 
überlieferten und auf fernen Höfen einhergehenden Wißenfchaft 
willen, deren die zukünftigen Diener des geiftlichen und weltlichen 
Regiments bedurften, begründet war, und während bie beutfche 
Rechen- und Schreibjchule nur dem Berufe des Geſchaͤftsmannes, 
die deutſche Madchenſchule nur dem Berufe der Hausfrau Diente, 
entftand bie Volksſchule um des Chriftenherzend, um des Glaubens 
an die Onabenverheißungen Gottes und um der Freude willen, 


— 13 — 


welche die Ehriftengemeinde in ihren Gottesdienften und Gefängen 
kund giebt. 

Die erfte Anregung zur Begründung oder Vorbereitung eines 
evangelifchen Volksſchulweſens gewährte Luther der Kirche dadurch, 
daß er dem einzelnen Bürgerd- und Bauerdmann zur eignen Er⸗ 
lenung der Hauptfäße der h. Schrift Anleitung gab. Luther that 
died zuerſt ın einem Schriftchen, welches i. J. 1518 unter dem Titel 
erfhien: „Auslegung deutſch des Vater Unfers für die 
einfältigen Laien, nit für die Gelehrten, durch D. 
M. Luther, Auguſtiner“. Im Jahre 1520 veröffentlichte ſodann 
Luther feine „Kurze Form, die zehn Gebote, Glauben und Vater 
Unjer zu betrachten‘, und hob zugleich in dem Vorwort zu biejer 
weiten Schrift hervor, „daß für den gemeinen Ehriften- 
menſchen, der die Schrift nicht Iefen mag, verordnet ift, zu leh⸗ 
ten und zu wißen die zehn Gebote, den Glauben und dad Vater 
Unfer, in weldyen dreien Stüden fürwahr Allee, was in ber 
Schrift fleht und immer gepredigt werben mag, auch alles, was 
einem Chriſten not zu wißen, gründlich und überflüßig begriffen 
ft. — Denn drei Dinge find not einem Menfchen zu wißen, daß 
er jelig werden möge: das erfte, daß er wiße, was er thun und 
lagen fol; zum andern, wenn er num fiebt, daß er es nicht thun 
noch laßen kann, daß er wiße, wo er's nehmen, juchen und finden 
jol, Damit er dafjelbige thun und laßen möge; zum dritten, Daß 
er wiße, wie er ed fuchen nnd holen fol”. Indeſſen vermochten 
diefe und ähnliche Schriften Luthers doch nicht ſowol den Anfang 
eined neuen eigentlichen Unterrichtöwejens, als vielmehr nur einen 
höheren Eifer der Einzelnen zur Grlernung der drei Hauptftüde 
bervorzurufen. Aber das Feuerzeichen zum Beginne einer ganz 
neuen Thaͤtigkeit der Kirche, aus welcher die Anfänge zur Be— 
gründung eines eigentlichen Volksſchulweſens notwendig hervor- 
geben mufte, gab Luther im Vorwort zu feiner „Deutjchen Meife 
und Ordnung des Gottesdienſtes“ von 1526. Hier verkündete 
Luther klar und deutlich, was der Kirche not that, indem er er- 
Märte: „Wolan in Gotted Namen, ift aufs erfte im beutfchen 
Gottesdienſt ein grober, fchlechter, einfältiger, guter Katechismus 
vonnöten. Catechismus aber heift ein Unterridt, Damit 





— 141 — 


man die Heiden, fo Chriſten werden wollen, lehret 
und weifet, was fie glauben, thun, laßen und wißen 
follen im EChriftentum — Dieſen Unterrit oder Unter: 
weifung weiß ich nicht fchlechter oder beßer zu ftellen, denn fie 
bereits ift geftellt vom Anfang der Chriftenheit und bisher geblie- 
ben, nemlich die drei Städe: Die zehn Gebote, der Glaube und 
das Vater Unfer. In diefen dreien Stüden ftehet es fhlecht und 
furz, fast Alles, was einem Chriften zu wißen not iſt“. 

„Diefer Unterricht muß nun alfo gejchehen, weil man noch 
feine fonderliche Gemeinde hat, daß fie auf Der Kanzel zu etlichen 
Zeiten oder täglich, wie das die Not fordert, vorgeprebigt werde, 
und daheim in Häufern, des Abends und Morgens den Kindern 
und Gefinde, jo man fie will zu Chriften machen, vorgefagt oder 
gelefen werbe; nicht allein alſo, daß fie die Worte auswendig Ier- 
nen nachreden, wie biöher geichehen ift, jondern von Stüd zu 
Stück frage und fie antworten laße, was ein jegliches bedeute und 
wie fie e8 verftehen. — — Solche Fragen mag man nehmen aus 
unferm Betbüchlein, da die drei Stüde kurz auögelegt find, oder 
jelbft ander8 machen, bis daß man Die ganze Summe bes dırift- 
lichen Verftandes in zwei Stüde, als in zwei Sädlein, faße im 
Herzen, welches find Glaube und Liebe‘. 

Naͤchſt den Schriften, welche Luther in den allererften Jahren 
der Reformation veröffentlichte, Hat kaum ein Wort deffelben Die 
Gemüter jo mächtig bewegt und fo rajche Erfolge erzielt, als dieſe 
Erinnerung an das Bedürfnis der Katechiömen und ber „Kinder⸗ 
lehre“. Schon i. J. 1527 erſchien in Straßburg der „Kinderbe⸗ 
richt und Fragftüd von gemeinen Punkten chriftlihen Glaubens, 
und ziemlich um diejelbe Zeit arbeitete Brenz feinen Katechismus 
aus, der alsbald den allgemeinften Gebraudh erhielt. Im J. 1528 
folgten fodanı die Katechismen von Lachmann und Gräter für 
Heilbronn und von Rürer und Altbammer für Ansbad) *), 
worauf Luther i. 5. 1529 feinen großen und kleinen Katechismus 
erfcheinen ließ. Letzterer Fündigte fich in der Ueberjchrift felbft als 


*) Diefe drei Katechismen find als die „Aelteften Tatechetifchen Denkmale der 
evangel, Kirche neuerdings (1844) ven Jul. Hartmann wieder herausgegeben, 


— 1 — 


eine Darftellung der chriftlichen Hauptflüde an, „wie fie ein 
Hausvater feinem Befinde einfältigli vorhalten foll“, 
Zalreiche Katechismen andrer Verfaßer folgten den genannten balb 
nach *) und die erfte Periode des deutſchen Volksſchulweſens hatte 
nm, ohne daß Luther es wufte, begonnen. 

In den erften Decennien dieſer Periode war die deutſche 
Volksſchule indeffen nichts anderes als eine an die Katechismus; 
predigten angejchloßne Tirchliche Katechifation, welche der Pfarrer 
zu beftimmter Zeit mit den Kindern, ſowie mit andern Gemeinde 
gliedern, namentlih Dienftboten, in der Kirche vornahbm. Die 
Katechismen hießen daher gradezu „Kinderpredigt”, „Kins 
derlehre“. Schon der Unterricht der Pifitatoren an die Pfarr: 
bern von 1527 ſchrieb vor, daß die Pfarrer „Sonntags Nach⸗ 
mittags, weil bad Gefinde und junge Volk in Die Kirchen kommt“, 
die drei Hauptftüde den Kindern und dem Geſinde vorfpredhen, 
erflären und einprägen follten, und das Erjcheinen der Katechis⸗ 
men machte die „Kinderlehre” ſchon in den nächftfolgenden Jahren 
fo allgemein heimiſch, daB Melanchthou diejelbe in der Apologie 
der Augsburgiſchen Confeſſion ald eine eigentümliche und von der 
evangelifchen Kirche allgemein mit befondrer Sorgfalt gepflegte 
Frucht des Proteftantismus hervorheben konnte. Im Jahre 1581 
führte Amsdorf Die Katechefen in Goslar ein; 1532 gefchah daf- 
jelbe in Heflen. Kaspar Aquila, Superintendent zu Saalfeld, 
ſchrieb 1546 einen Katechismus, worin er erflärte, daß er denſel⸗ 
ben fchon über 20 Jahre täglich zur Vesper mit den frommen 
Toͤchterlein zu Saalfeld geübt babe. Alle Kirchenordnungen, bie 
in den naͤchſtfolgenden Jahren entftanden, machten den Geiftlichen 
die Katechifirung der Jugend zur befondern Pflicht **). Der Rat 
zu Nördlingen erhöhte i. J. 1538, nachdem eben die Reformation 
eingeführt war, das Einkommen des Pfarrerd Kaspar Kautz blos 
u dem Bwede, Damit Derfelbe die Jugend woͤchentlich zweimal im 
Katechismus unterweiſen ſollte. 

Sn den Meißner Viſitationsartikeln von 1539 wurde ver- 


) Bel. Schuler, Geſch. des katechet. Religionsunterrichtes ©. 19 ff. 
“) Bgl. Brüftlein, Luthers Einfluß auf das Volksſchulweſen &. 140 ff. 





— 16 — 


ordnet, „daß auch in allewege der kleine und große Katechismus 
ſammt der Litanei in der Schuͤler und Schulmaͤgdlein Gegenwart 
mit Fleiß getrieben und geführt werden ſoll, in Anſehung, daß 
der ganzen Chriſtenheit ſehr viel daran gelegen“; wozu in der 
Meißner oder oberſächfiſchen Kirchenordnung von 1540 noch die 
Vorſchrift kam, „daß, wenn die Vesper aus iſt, ein Stück vom 
Katechismus dem Volke aufs einfältigſte ausgelegt werden, und, 
was man am Sonntage vorgelegt hat, man den Kindern in der 
Woche auf einen Tag oder zwei, nachdem der Kinder viele oder 
wenige find, wieder überhören ſoll.“ Die anderen Kirchenord⸗ 
nungen enthielten aͤhnliche Beſtimmungen. In manchen wurde 
fogar die Katechismuspredigt und die Katechefe vor der gewöhn- 
lichen Predigt faft bevorzugt. Nach der preußifchen Kirchenordnung 
von 1544 follte in allen Dörfern fonntäglich eine halbe Stunde 
gepredigt und darauf eine halbe Stunde der Katechismus erklärt 
werben. Auf jedem der acht Dörfer des Kirchipield Travemünde 
fonnte nur jeden zweiten Sonntag gepredigt werden, und dieſe 
Predigt war daher jedesmal SKatechismuserflärung. Cbenfo ritt 
der vierte Diaconus zu Wittenberg, „der fonderlich zu der Bauern 
und Bauersfinder Katechiömo verordnet ift”, auf die Dörfer, nur 
um die kirchlichen Katechejen zu halten *). 

Auf den Dörfern wurden die -Eirchlichen Katecheſen zumeift 
um zwölf Uhr vorgenommen; in den Städten Dagegen verwenbete 
man jowol Morgen» ald Abendftunden zu denjelben. In Nord⸗ 
beim und in den meiften andern Städten fanden die Uebungen 
im Katechismus nad dem DVespergotteöbienfte, dagegen in Bre- 
men, in Hal und an andern Orten in früher Morgenftunde ftatt- 
In Wittenberg war die Frühpredigt bejonders für das Gefinde 
beftimmt. 

Sindeffen mufte es doch ſchon Die erfte Erfahrung, welche 
man an ber Firchlichen Katechefe und deren Erfolgen madıte, Elar 
erweijen, Daß diefelbe für ihren Zweck nicht genügte. Man dachte 
anfangs, daß Das, was die firhlichen Katechifationen und Uebun- 
gen zu münfchen übrig ließen, durch den Einfluß der elterlichen 





) Witt. 8-0. von 1533, 


— 17 — 


Erziehung bewirkt und erjeßt werben koͤnnte. Quther jelbft ver- 
langte, daß die Hausväter und Hausmlütter Kinder und Geſinde 
im Katechismus fleißig unterweifen follten, und die Geiſtlichen 
wurden angehalten, ihren Semeindegliedern dieſe Pflicht auch von 
der Kanzel herab recht Häufig einzufchärfen. Aber die Unwißen- 
heit oder Gleichgültigkeit fo vieler Väter und Mütter war der 
kirchlichen Wirkſamkeit eher hinderlich als förderlich. In den 
Städten war allerdingd auf anderem Wege fchon Hülfe zu. be 
Ihaffen, indem in den lateinifchen Schulen ganz ebenfo wie in 
ben deutſchen Mädchen» und Bürgerfchulen die Einübung des 
Katechismus ald Hauptaufgabe des Lehrers galt. Die kurſaͤchſi⸗ 
hen Generalartifel von 1557 verorbneten, daß Eltern, welche 
ungelehrt wären und Niemanden im Haufe hätten, ber lejen 
fönnte, einem armen Schulfnaben etwas geben follten, Damit er 
ihrem Geſinde den Katechismus und die kirchlichen Geſaͤnge ein- 
übe. Ueberhaupt aber jollten die Hausväter fleißig ermahnt wer- 
den, ihre Finder, Knaben und — „da Sungfrauenfchulen gehalten 
werden” — Maͤdchen zum Beſuch der Schule anzuhalten, wo fie 
für fih und auch Andern zum Nutzen den Katechismus Iernen 
önnten. Sn vielen Städten bildete fi hieraus die Sitte, Daß 
der Pfarrer die „Kinderpredigt” hielt, während Die Repetition, 
die eigentliche „SKinderlehre” von dem Schulmeifter mit den Kin⸗ 
dern, aber in der Kirche, vorgenommen wurde. In Schweinfurt 
. ©. bielt Sonntage um zwölf Uhr ein Pfarrer die Katechismus: 
predigt für Die Kinder, worauf der Schulmeifter an einem Wochen⸗ 
tage nach der Vesperpredigt katechiſirte. In Würtemberg 
muften die Schulmeifter den Kindern in der Schule den Katechis⸗ 
mus vorbereitungsweife einüben, Damit bie Firchlichen Katechiſatio⸗ 
nen bes Pfarrers für Die Schüler um fo fruchtbringender werben 
fönnten. 

Das Alles ließ fich alfo recht gut in den Stäbten ausfuh⸗ 
mm, wo man Schulen und Schulmeiſter hatte; aber für die 
Dörfer war nichts hiervon anwendbar, weil bier weder Schulen 
noch -Schulmeifter vorhanden waren. Und doch war gerade auf 
dem Lande eine Unterftügung des Pfarrers in der Erteilung des 
Rıtehismmsunterrichted um jo nötiger, als der Dorkpfarter , ver 

2 


— 18 — 


eine ganze Anzal von Ortfchaften geiftlih zu pflegen hatte, noch 
weit weniger in der Lage war, allen jeinen Pfarrfindern einen 
ausreichenden Unterricht zu erteilen, ald der Stadtpfarrer. Der 
Pfarrer auf dem Lande bedurfte alfo eines eigentlichen Helfers 
ober Dienerd, der feine Stelle vertreten und für ihn die Katechi⸗ 
fationen Balten konnte. Run lag e8 in ber Natur der Sache, 
daß der Pfarrer diefe Hülfe zunächft bei derjenigen Perfon fuchen 
mufte, welche e8 übernommen hatte, ihm in der Ausübung feines 
Amtes überhaupt zur Hand zu gehen. Denn der Pfarrer beburfte 
eined Dienerd, der zum Beginne der Gottesdienfte Die Glocken 
läutete, ber den Kirchengejang dirigirte, die Opfergaben einſam⸗ 
melte, die Reinhaltung der Kirche und der Firchlichen Gefaͤße be- 
jorgte, der bei der Spendung der Sacramente mancherlei vorbe⸗ 
veitende Handreichung that, Gircularfchreiben der geiftlichen Obern 
weiter beförberte, und dgl. mehr. Zur Verrichtung diefer Dienfte 
war in den Pfarreien ein Opfermann angeftellt, der auch 
Küfter, Kufos, Kirchner, Meßner, Glödner, oder (in 
Süddeutihland) Sigrift hieß. In der Heffifchen Kirchenordnung 
von 1566 wirb fol. 36 von dieſen Opfermännern gefagt: „Es jollen 
auch diefelbigen gleichwie andre Diener der Kirchen eines ehrbaren und 
gottjeligen Wandels fein, keine VBoljäufer, nicht unehrliche Hand⸗ 
thierung treiben. Es follen aber gemeldte Opfermänner durch bie 
Pfarrherren und Elteſten mit Wißen und Willen eined Superins 
tendenten angenommen werben.” Sn ber fächlifchen Kirchenord⸗ 
nung von 1533 ift der alleinige Beruf der Kirchner diefer: „Sie 
ſollen die Jugend zuweilen, fonderlih im Winter, auch Die anderen 
Leute Die hriftliben Geſaͤnge lehren, und diejelben in 
der Kirche zur Meſſe und vor und nach den Predigten treulid 
und orbentlih helfen fingen.” — Indem nun die Verbindung 
mehrerer Filialgemeinden mit einer Pfarrkirche eine gewiße jubfis 
diariſche Vertretung bes Pfarrerd durch irgend einen Dazu geeigne- 
ten Helfer notwendig machte, konnte der Pfarrer dieſe Hülfleiftung 
zunähft nur von dem Küſter erwarten, der ihm ja überhaupt als 
Diener bed Plarramtd beigegeben war. So fam ed, daß der 
Opfermann nicht bloß die erwähnten Dienfte zu verrichten, ſon⸗ 
been auch, namentlich in größeren Pfarreien, die Nebengottesbtenfte 


— 19 — 


zu beforgen, und namentlih als Lector (mitunter auch in dem 
Hauptgottesdienften) und ald Katechet zu fungiren hatte, 

Die älteren Kirchenordnungen geben großenteild darüber 
Aufſchluß, wann etwa und in weldem Sinne die Bevollmädhtis 
gung der Küfter zur jubfidiariichen Ausübung des Lehr- oder Kas 
techetenamtes erfolgte. In der Kirchenordnung für das Lübeder 
Kandgebiet von 1531 warb verordnet: „ine jegliche Dorfkirche 
ſoll beforgt fein mit einem guten Paftor und Küfter. — Ein 
Dorfpfarrer ſoll Dreimal in der Woche predigen, nad) Gelegenheit 
der Zeit und feines Volkes. — Den Katechismum foll er fa 
fleißig dem armen Volke predigen. — Der Dorfküfter foll 
aud dem jungen Volke den Katehismum helfen befon- 
vers lehren, nad Befehl des Pfarrers, und foll aud 
fleißig dem Volke hriftlide Befänge lehren.“ — In 
der Pommerſchen Kirchenordnung von 1535 heift ed: „Auf einem 
jeden Dorfe ſoll ein Pfarrherr fein, der da habe einen bejcheibnen 
Küfter, Der ihm helfen könne den Katechismus lehren 
in ber Kirche oder im Haufe, wo es ihm der Pfarrberr 
verordnet”. — Sn der heifiihen Kirchenoronung von 1537 
ward geboten: „Opfermänner foll der Superintendens mit Rat, 
Wißen und Willen der Pfarrheren und Pfarrfinder jedes Orts 
beftellen nach Gelegenheit. Es fol aber mit nichten gelitten wers 
den, Daß die Opfermänner heimliche oder öffentliche Lehre treiben, 
fie wären denn bierzu tauglih von dem Superinten- 
dbenten und Synode angefehen und zum Predigen ver- 
ordnet”. — Die Lippefche Kirchenordnung von 1538 verorbnete 
„vom Küfteramt”: „Der Küfter Amt ift nicht allein, daß fie bie 
Glocken laͤuten und Kirchen fohließen, fondern vielmehr der Ge⸗ 
meinde Gottes follen Dienftlich fein, daß fle die Lobgefänge, jo zum 
Gottesdienſte nötig find, treulich fammeln, nemlich die zehn Gebote, 
den Glauben, Jeſus Chriſtus unfer Hetland, und fonft, Daß aljo 
ber lebendige Gottestempel durch Geſang geiftlicher Lobgefänge, 
wie Paulus lehrt, geziert werde und gebeßert, Ephef. 5. und daß 
fie auch für ihre Perjon ein ehrlich, göttlich und heilig Leben, ald 
auh mit den Paftoreu ein exemplar gregis führen, auch ihren 
Baftoren gebürliche Dienfte leiften”. — Sodann wirb insbeſondre 

2° 





— 22 — 


gedruckt, unverändert vorleſen und beten lehren, auch nach Gele⸗ 
genheit umherfragen, was ſie daraus gelernt. Desgleichen ſollen 
ſie vor und nach Verleſung und Repetirung des Catechismi ihnen, 
dem jungen Volke, gute, chriſtliche deutſche Pſalmen vorſingen und 
lehren, und da Filiale vorhanden, ſollen ſie ſolches wechſelsweiſe, 
einmal in den Hauptpfarren, das anderemal in den Filialen alſo 
halten, damit die Jugend in allen Doͤrfern diesfalls nach Notdurft 
unterwieſen und ja nicht verſäumt werden möge”. 

Somit erhellt, daß das Lectoren- und Catechetenamt, welches 
die Küfter zu verwalten hatten, im Sinne der Kirhenordnungen, 
nichts andered ald eine jubfidiarifche Vertretung des Pfarramtes 
fein und ſchlechthin im Namen und Auftrag bes Pfarrerd oder ber 
kirchlichen Auctorität verwaltet werden folle. Zalreiche Zeugnifle 
nicht blos aus dem fechözehnten, fondern aud aus der erften 
Hälfte des fiebzehnten Jahrhunderts laßen und daher den Küfter 
oder Schulmeifter in feiner uranfänglichen Stellung ald unterges 
ordneten Gehülfen des Pfarrerd erkennen, der ihn Darum Schule 
balten und ihn katechiſiren läft, weil ber Schulmeifter tiberhaupt 
dienende Organ des Pfarramtes tft. 

Nach amtlichen Berichten über die YZuflände und Einrichtune 
gen in ber heſſiſchen Kirche (aus der erften Hälfte des 16. Jahr⸗ 
hunderts) war 3. ®. der Schulmeifter zu Naftädten in der Nies 
bergrafihaft Kapenelnbogen verpflichtet (1610, 1620), „baß er 
den Pfarrherrn daſelbſt und auf den Filialen vertreten hilft“. 
Zu Abterode in Nieberheffer, wo ber Schulmeifter fogar ben 
Kelch bei der Abendmalsfeier adminiftrirte, erfchien derſelbe durdh- 
aus als Kaplan des Pfarrerd. Anderswo (namentlih in Ho8pi- 
tälern) finden wir den Schulmeifter fogar im Beſitz eines felbftän- 
digen Lectorenamtes. Sp heiſt e8 z. B. von dem Schulmeifter 
zu Grünau bei Altenberg: „Er verrichtet im Klofter Grünau 
das Morgens und Abendgebet in der Kirche, wie er dann auch 
aus ber Bibel, wenn die Brüder eßen, etliche Kapitel liſet“. — 
Bon ber Lehrerftelle zu Struth in ber Herrſchaft Schmalkalden 
erzält Geishirt in feiner Chronik: „Diefer Schuldienft ift deshalb 
bor andern jo mühſam, weil der Schuldiener alle Sonntage den 
Einwohnern vorlefen muß, auch ſich Feines Predigers Hülfe 


— 23 — 


u getröſten bat, es ſei denn, daß das h. Abendmal adminiſtrirt, 
und eine Hochzeitpredigt gehalten wird, oder ein junger Student 
exercitn gratia ſich hören laͤſt“. 

Bon dem Schulmeiſter zu Niddawitzhauſen bei Eſchwege heiſt 
eb (um 1650): „Er muß die Kinderlehre zu Niddawitzhauſen im 
Sommer einen Sonntag um den andern, im Winter aber, wenn 
die Tage kurz find, alle Sonntage allein halten. Die anderen 
Sonntage im Sommer, wie auch in der Faftenzeit iſt der Pfarrer 
ſelbſt dabei“. — Der Schulmeifter zu Schlierbady in Nieberheffen 
mufte allfonntäglic in Ellnroda Betftunde halten, und zwar, ehe 
daſelbſt ein Schulhaus gebaut wurde, in ber Wirtsſtube des 
Wirtshauſes, wofür er 1 Alb. und einen Trunk Brantwein er 
belt. 

Bon dem Schulmeifter zu Ulfen heift e8, er müße „alle 
vierzehn Tage (nad) Wölferode) hingehn, das Evangelium fammt 
Auslegung Iefen, auch bie Kinder ben Catechismum lehren“. 
Aehnlich berichtet der „Schulbiener” Georg Kaifer zu Frieda in 
der Werragegend (1655) über feine bienftlihen Zunctionen: „Wenn 
der Pfarrer dieſes Orts auf den Sonntag wegen anderer Bejchäfte 
(denn er bißwellen in der Stadt oder auf dem Schloß predigen, 
oder Doch, wie es vielmald kommt, daß etwan große Waßer wer: 
den,) er felber nicht Fonımen kann, alddann muß idy den Gotteds 
dienft verrichten; erftlich mit dem Belang, und dann den Eingang 
md da8 Evangelium und Die ganze Predigt aus des Herrn Sus 
perintendenten Theophili Neuberger Poftilla verliefen, und dann 
folgends um elf Uhr die Kinderlehre halten”. 

Aus dem Obigen erhellt, daß der Küfter in Gemäßheit ber 
Kirhenorbnungen an der Stelle und im Namen des Pfarrers das 
RKatechetenamt teilweife zu verwalten hatte. Mit Diefer Ermweites 
rung bed Kirchendieneramtes war nun allerdings der Weg zur 
Begründung des eigentlichen Schulmeifteramtes und zur Grrichtung 
des Dorf- und Volksſchulweſens fchon mwejentlich gebahnt. Wber 
eine eigentliche Schule des Küfterd war Doch noch nicht vorhanden. 
Die Katechifirübungen des Küfterd waren, wennſchon fi) derjelbe 
vorzugsweife mit der Jugend beichäftigte, doch weſentlich kirchliche 
Grmeindefatechijationen, die in ber Kirche im Zufammenhange mit 





— 14 — 


den regelmäßigen Gottesdienften ebenfo von ihm wie von dem 
Pfarrer vorgenommen wurden. Zur Errichtung einer eigentlichen 
Schule bedurfte es eines befonderen Impulſes, und dieſer ergab 
fich innerhalb der Deutfch=evangelifchen Kirche einerfeit8 durch Die 
allmähliche Einführung der Sonfirmation und anbrerjeitS durch 
das Auseinandergehn der Iutherifchen und reformirten Gonfeffion. 

Bei der Gonfirmation follte der junge Chrift im Angefichte 
Gottes und der Gemeinde ein beflimmtes und fichered Zeugnis 
davon ablegen, daß er fich mit klarer Erkenntnis des neuteftament- 
lichen Heiles zu Gottes Taufbunde befenne. Es ergab fich daher 
das Bedürfnis, den Konfirmanden nicht allein an den gewöhnlichen 
kirchlichen SKatechifirüäbungen Zeil nehmen zu laßen, fondern ihn 
burch einen ganz bejonderen Gonfirmandenunterricht hierzu vorzu⸗ 
bereiten. j 

Für die heifiihe Kirche z. B. (in welcher die Eonfirmation 
Schon durch Die Kirchenordnungen von 1537 und 1539 angeordnet 
war) wurde in der Agende von 1566 fol. 144 £. b. beftimmt: ‚Wenn 
nun gemeldte Fefte herbeikommen, erwählen ihnen die Katedhiften, 
d. i. die Lehrer der Kinder, etliche Wochen zuvor, nemlich fünf 
oder ſechs, ſolche Kinder fo fie achten vor andern geſchickt fein Die 
Bekenntnis des Glaubens zu thun und den Gehorfam der Kirchen 
zu verſprechen. Dieſelbigen fordern fie vor fi) auf Die Tage, auf 
welchen man pflegt den Katechismum fleißig zu üben, und fragen 
fie fleißig in allen Hauptartifeln des gemeldten Katechismi; und 
wo es ihnen etwa fehlt, unterrichtet man fie gütlih und freund» 
ih, erklären ihnen auch den Brauch der Lehre, daß fie verftehn 
mögen, was von ihnen gefordert, und was fie fich verfprechen follen. 
In dieſer Zeit feiern die Eltern Daheim auch nicht; desgleichen, 
wo Schulen find, die Schulen” *), 

Sobald indeffen ein eigentlicher. Gonfirmandenunterricht (ge⸗ 
wöhnlid „Rinderlehre” genannt,) eingerichtet war, mufte es ſich auch 
herausftellen, daß derſelbe nur dann den rechten Erfolg haben 


*) Natürlich Tonnen bier unter den „Katediften” nur die Küfter, etwa mit 
Einfluß der Pfarrer und Diaconen gemeint fein. Außerdem ift zu beachten, daß 
die Katechiften bier von den Schulmeiftern unterfchieden werden. 


— 25 — 


fonnte, wenn die Kinder durch vorgängigen Unterricht im Leſen 
und Schreiben, in ber Katechismus⸗ und Bibellehre, im Singen 
und Beten unterwiefen waren. Denn der Confirmandenunterricht, 
den der Pfarrer gewöhnlich vom Anfange der Faftenzeit an erteilte, 
dauerte nur wenige Wochen. Gine Vorbereitung für den Beſuch 
defielben war alfo durchaus notwendig. Gradeſo wie in den la 
teiniſchen Stabtfchulen die Incipienten deutſch leſen Ternen muften, 
um die lateiniſche Grammatik u. |. w. gebrauchen zu können, — 
gradefo muften die Pfarrſchüler deutſch leſen Iernen, um in der 
Linderlehre Bibel und Latechismus gebrauchen zu können. 

Hierzu kam noch ein zweites Intereſſe, welches bie Errich⸗ 
Img eigentlicher Volfsfchulen oder hriftlicher Pfarrgemeindefchulen 
mtwendig machte, nemlich dad confeffionelle Intereſſe. Seitdem 
nemlich einerfeitö der Heidelberger Katechismus und andrer- 
feitö die Soncordienformel publizirt und dieſelben in zalreichen 
Territorien des evangelifchen Deutfchlands als Kirchenbefenntnifje 
estorifirt waren, hatte ſich die Kirche der Augsburgiſchen Con⸗ 
feffion in zwei fcharf abgegrenzte und fich jchroff einander gegen- 
über ftehende Kirchenkörper, nemlich in eine Iutherijche und in eine 
teformirte Kirche gefpalten. Beide Kirchen hatten durch Annahme 
md durch Zurückweiſung des Heidelberger Katechismus und der 
Soncordienformel ihr Bekenntnis präcid und beftimmt gegeneinan- 
ber außgefprochen, und jede derfelben hatte nun das Bebürfnis, ihr 
Bekenntnis in den ihr angehörigen Gemeinden mehr und mehr zu 
befeftigen und den Gemeinbegliedern zum Bewuſtſein zu bringen. 
Diefed war aber nur durch Errichtung von Schulen möglih, in 
denen ben Kindern der Katechismus frühzeitig und regelmäßig ein- 
geübt wurde, und auf biefem Wege erwuchs einerjeitd aud dem 
Bedürfniſſe des Gonftrmandenunterrichts , beziehungsweife aus dem 
proteftantifchen Antereffe an der Lehre von ber Taufgnade, ander 
terfeit8 aus dem confeflionellen Intereffe Die eigentliche Volksſchule, 
deren Einrichtung natürlich niemandem anders als dem Küfter, 
dem bisherigen Gehülfen des Pfarrers in der Erteilung des kirch⸗ 
lichen Katechismusunterrichtes, zufiel. 

Am früheſten erfolgte auf dieſem Wege die Einrichtung von 
Volksſchulen in demjenigen Lande, welches auch am früheſten hen 


— 26 — 


Iutberifch-confeflionellen Charakter repräfentirte, nemlih In Wür— 
temberg. Indeſſen bejchränfen wir uns bier darauf, nur bei 
den beiden bedeutendſten evangelifchen Ländern des Reich nachzus 
weifen, daß ed das confeflionelle Intereſſe war, welches Die Er⸗ 
richtung eines der ganzen Landeskirche in allen ihren Pfarrgemein- 
ben angehörigen Volksſchulweſens veranlafte; wir meinen nemlich 
die beiden Kurftaaten Sachſen und die Pfalz). 

in Rurfachfen waren vor dem Jahre 1580, in welchem bie 
Concordienformel publigirt wurbe, eigentliche Dorfe und Volksſchu⸗ 
len noch nirgends vorhanden. Dieſes erhellt 3. B. aus der ns 
ftruction, welche Kurfürft Auguſt von Sachfen den Superintendens 
ten des Landes zur Vornahme regelmäßig wieberfehrender Viſita⸗ 
tionen unter dem 24. uni 1577 erteilte. Won Dorffchulen ift 
hier noch Feine Rede **. Die PVifitatoren follen jeden einzelnen 
Pfarrer nur fragen: „ob er auch den Katehismum Dr. Luthers, 


*) Um fofort zu zeigen, daß das, was bier ın Betreff Kurfachfens und der 
Kurpfalz nachgewiefen wird, auch don andern und zwar entfernteren deutfchen Lan- 
den gilt, wird bier daran erinnert, daß in Preußen die Errihtung von Volksfchulen 
ebendamals zuerft angeordnet wurde, als dafelbft in dem Corpus Prutenicum 
das Quthertum im Gegenfab zum Melandhthonifchen Lebrbegriff Tymbolifirt worden 
war. (Vgl. meine Gefchichte des deutichen Proteftantismus, B. Il. S. 232-233.) 
In der preuß. K. O. von 1568 murden nemlic die Biſchöfe angewiefen, „daß 
fie bei den Städten, auch ziemlichen Kirchen auf dem Lande anhalten, damit die 
Schulen wol beftallt und verfehen werden” und den Bauern wurde geboten, von 
jeder Hufe Landes jährlih 8 Schillinge Schulmeiftergeld zu zalen. 

) Auch aus folgender Nachricht geht hervor, daß um jene Beit in Oberfady- 
fen zwar von einer „Kinderlehre”, aber nicht von einer „Schule“ des Küfters die 
Nede war: 

Georg Dering nemlih, Pfarrer zu Großzfhelbah, im Etifte Zeiß. bat in 
das der Kirche dafelhft gehörige Corpas doctrinae von Melanchthon folgendes 
buchftäblich aufgezeichnet: der Kirchner aflhier, Mofes ift zu ftolz zu einem Kirchner, 
Item, er ift zu viel zu einem Bauer und zu wenig zu einem Edelmann. Ich, 
Georg Dering, gewefener Paftor alihier zu Zſchellbach, habe einen fieten Verräter 
on ihm gehabt, der mein Amt und Perſon in Schimpf und Hohn geftürzt und 
mich ftets übel und läfterlich ausgerichtet, als einen armen verlebten Mann. Id) 
bin faft drey und zwanzig Iahre allhier geweſen. Sein Lebtag hat er der Jugend 
nicht geachtet, noch Winter und Sommer feine Kinderlehre gehalten. Solches foll 
fein Lob bleiben, von mir &. D. verzeihnet die omnium sanctorum im 3. 1572, 


— 97 — 


m was Zeit und mit wad Ordnung, halte, denſelbigen prebige, 
und bei den Kindern und Haudgefinde, Knechten und Mägben 
treibe” ; „ob er auch jährlich der Ordnung nach in den Faften mit 
allen Kindern, Knechten und Mägden das Examen halte”; „ob 
ie Eltern ihre Kinder und Hausgefinde nicht fleißig zu dem Ka⸗ 
techismo fchiden, und da etlihe Eltern unfleißig, ob er fie ber 
Ordnung nad) zum Fleiß ermahne, ob er bei ihnen Nutzen ſchaffe, 
und bei welchen folches nicht eriprießen wolle”. — Nur von Ia 
teintichen Schulen, an denen nebenbei auch „deutſche Schulmeifter 
mb custodes“ find, wird geſprochen. — Dagegen zeigt die brei 
Jahre fpäter aufgeftellte kurſaͤchſiſche Kirchenorbnung, wie mit Eis 
nem Male die Küfter zu Schulmeiftern wurden. Die Kirchenorb« 
mung von 1580 verordnet nemlich: „es follen auch alle Custodes 
md Dorflüfter Schule halten, und derjelben täglich mit allem 
Fleiße vermöge der Ordnung abwarten, barinnen (follen fie) bie 
Knaben lehren Iefen, ſchreiben und Kriftlide Befänge, 
je in der Kirche gebrqucht werben follen, darauf der Pfarrer fein 
fleißiges Aufſehen haben und das Volk mit Ernſt dazu vermahnen 
ol. Wöchentlich fol jedes Schulfind 2 Pfennige Schulgeld ber 
len. Bei den Kirchenvifitationen fol dem Küfter vor Allen die 
Frage vorgelegt werden: „ob er vermöge unfrer Ordnung Die 
Schule angeftellt und alle Tage aufs wenigfte vier Stunden 
Säule halte, befonderd aber den Katechismum die Kinder mit 
Fleiß in der Schule Iehre, und mit ihnen Dr. Luthers geift- 
ide Befänge und Pſalmen treibe”. 

In der Kurpfalz gab die Publicirung des Heidelberger 
Kıtehismus und die damit zufammenhängende Kirchenreform von 
1562 die erfte Veranlaßung zur Einrichtung von Volksſchulen, 
durch welche in dem Herzen des Zurpfälzer Volkes der Heibelber- 
ger Katechismus und deſſen Lehre heimifch gemacht werben follte. 
Auf einer Synode zu Heidelberg i. 3. 1563 wurde nemlich be 
ſchlohen, es follten in Zukunft mit Genehmigung der Superinten- 
deuten nur folche Glöckner angeftellt werden, welche befähigt wären, 
„daß fie Die Kinder den Katechismum lehren“ ; auch follte in jeder 
Stadt ein Haus für eine Mägdleinfchule gebaut und für biefelbe 
die nötige Dotation beſchafft werben, damit die Wägblein ben 


— 28 — 


neuen Katechismus lernen und in der Kirche aufſagen koör 
Zugleih wurde e8 allen Obrigfeiten und Eltern zur Pflid 
macht, die Kinder zum Katechismus anzuhalten. Aber freilid 
gingen Decennien, ehe der Beſchluß der Synode zur Ausfü 
fommen Eonnte; denn erft i. J. 1593 dachte man ernftliche 
ran, wenigftens in der Stadt Heibelberg beutjche Schulen ; 
richten. 

Nachdem ſich nemlich Kurfürft Friedrich IV. von der 
durch eine in dieſem und dem vorigen Jahre in allen Si 
und Dörfern des Landes angeftellte Vifitation (in welcher 
mann aus dem Katehismus examinirt und über feine Nelig 
fenntniffe protocollarifch vernommen wurde,) fi) von der im 
zen Volke herrjchenden Unwißenheit überzeugt, und Die Einric 
außerordentlicher Fatechetifcher Uebungen für alle Pfarreien 
Landes befohlen hatte, erließ derſelbe zugleich eine Reihe won 
ordnungen, wodurch zuerft in Heidelberg ein eigentliches, vor 
weife zur Einübung des Katechismus beftimmtes, Volksſchul 
gefchaffen wurde. Er erließ nemlich in dem Abſchied, welches 
Beendigung der mit der Hofdienerfhaft und der Bürgerſche 
Heidelberg vorgenommenen Katechismus: Prüfung aufgeftellt 
den Befehl (1. Dechr. 1593), daß fofort in jedem Quartie 
Stadt eine Knaben- und eine Mägdleinfchule errichtet werben 
Die Befoldungen der hierzu anzuftellenden Schulmeifter und € 
frauen follten, um den Armen den Schulbefuc zu erleichtern 
der Hoffaffe gezalt werden. Jedes Schulfind follte vierteljä 
nur zwei Baben Schulgeld zalen. Jede Schule follte von 
Pfarrer wöcentlih, von ben Sirchenräten mit Buziehung 
ſtaͤdtiſchen Ratsverwandten halbjährlich vifitirt werden. Zu 
wurden die Eltern ermahnt: „weil fie nicht wißen fönnen, ol 
Kinder der Zeit eben an evangelifchen Dertern, wie fie jeßt, 
ben fein Eönnen, fo follen fie diejelben darum befto Lieber 
lernen laßen, damit auf den Fall, (daß) fie das liebe Wort 
te8 derojelben Enden alsdann nicht hätten, dafjelbe Doch aus 
Büchern felbft leſen könnten”. 

Während indefien in der Stadt Heidelberg die erften Sı 
zur Begründung eines Volksſchulweſens gejchahen, blieb das 


+4 





— 29 — 


vorläufig noch ganz unberückſichtigt. In der Inſtruction für Die 
geiftlihen Inſpectoren, welche Friedrich IV. unter dem 20. Juli 
1601 zu Heidelberg publiziven ließ, wurde verorduet: „Ingleichen 
ist er (der Inſpector) auf die Beitallung und Annehmung der 
Blöcner auf dem Lande, da der Gemeinde ſolches Glodenamt zu 
beftellen, Achtung haben, damit zu folchem Dienfte nicht unehrbare, 
fondern ſolche Leute, Die eines aufrichtigen, ehrbaren Wandels, 
ah dem Pfarrer in SKirchengefchäften allerdings gemwärtig und 
gehorſam find, foviel möglicd) gezogen und aufgenommen werben”. 
"1 — Bon einer Verpflichtung der Glödner zum Schulhalten war 
I woch gar nicht die Rebe. Vielmehr mar die fatechetifche Unter- 
weifung der jugend noch lediglih Den Pfarrern überlaßen. — 
Er von den naͤchſtfolgenden Jahren an kamen bier und da auf 
dem Lande Schulen zum Vorſchein. Das alte Kirchenbuch der 
Gemeinde Sandhofen in der Kurpfalz 3. B. nennt von 1577 bis 
1610 nur einen Glöckner, der dem Pfarrer und der Gemeinde 
zu Dienften ftand, und bezeichnet denſelben erft von 1610 an als 
Shulmeifter”). 

So wie bier, wurde nun überall der Küfter, der früher nur 
old untergeorbneter Gehülfe und dienender Stellvertreter des Pfar- 
terd in Der Leitung der Firdhlichen Katechijationen, in der Vorbes 
teitung der Gonfirmanden und in der Verſehung des Lectorenams 
te8 thätig gewefen war, eigentliher Schulmeifter. Aber das 
neu gewonnene Amt war nichts ald die Erweiterung des urfprüng- 
lichen SKirchendieneramtes. Aus dem Bebürfniffe der Kirche, des 
Pfarramtes, bes kirchlichen und gottesdienftlichen Lebens heraus 
geboren, konnte das Amt des Schulmeifterd gar nicht ohne das 
Amt des Pfarrers gedacht werben **). Das Pfarramt war bie 


) Haug, Geſch. der Redarfchule in Heidelberg, ©. 17. 

) Aus diefer wefentlihen Bufammengehörigteit von Schule und Pfarramt 
ellärt es fih z. B. auch, daß die Schule des Heffen-Kaffelfhen Grenzdorfes 
Gomplar bis 1787 nicht dem Marburger, fondern dem Darmſtädter Kirchenregi- 
ment unterworfen war, weil fie zu der Darmſtädtiſchen Pfarrei Bromstirchen ge- 
hörte, — ein Berhältnis, das fi) auch in anderen Grenzorten in ahnlicher Weiſe 


— 30 — 


eigentliche Lebenswurzel, aus weldher das Amt des Volksſchul⸗ 
meifterd als natürliche und notwendige Frucht deſſelben hervorge, 
trieben war; denn die Beflimmung bed Schulmeifteramted war 
feine andere, als die, Daß die Jugend durch bafjelbe für den Ge 
nuß des paftoralen Natechumenenunterrichte® und zur Teilnahme 
an dem gottesdienftlichen Gemeindeleben vorbereitet, alfo durch 
die Kirche für die Kirche erzogen werden follte. 

In vielen Gegenden gewöhnte man fich alsbald das Unter⸗ 
richtsinſtitut des Küſters als „Schule” zu bezeichnen. Aber im 
Allgemeinen gehörte Name und Begriff der „Schule“ bis über das 
erfte Viertel des fiebzehnten Jahrhunderts hinaus fo ausſchließlich 
der lateinifchen Stadtjchule an, daß man den Vorbereitungsunter- 
richt, den der Küfter für die Konfirmanden erteilte, weſentlich als 
unter den Begriff der kirchlichen Katechifationen, nicht aber als 
unter die Kategorie der Schulen gehörend betrachtete. Erſt von 
ber Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts an pflegte man ben Küfter, 
wenn er Schule hielt, allgemein ad Schulmeifter zu be 
zeichnen. 


$. 2. 
Die Berhaffenheit des Volksſchulweſens in diefer Periode. 


Wo in dieſer Periode deutſche Volksſchulen vorkamen, er- 
ichienen Diejelben, eines in den Ginrichtungen bed Staates und 
der Kirche und überhaupt in dem Organismus des öffentlichen 
Gemeinweſens geficherten Beftandes noch entbehrend, weſentlich als 
Verſuche, welche man machte jo gut es gehn wollte, und welde 
im Gange blieben, fo lange die Gunft der Verhäliniffe ihnen fürs 
derlich war. Allerdingd wurde die Zal und Einrichtung der Deuts 
ſchen Schulen in den Städten überall durd die Drtdobrigfeiten 
mehr und mehr geregelt; dagegen auf dem Lande Eonnten nır da 
Schulen eingerichtet und im Gange erhalten werben, wo ſich ein 
Küfter befand, der lefen und fchreiben konnte und ſich zum Schul: 
halten bereit erflärte, und wo zugleich Die Bauern geneigt waren, 
dem Küfter ihre Kinder zur Schule zu fchiden, und den Gehalt 
des Küfters für die übernommene neue Mühmwaltung zu erhöhen. 


— 31 — 


Bar der Küfter zur Uebernahme des Schuldienfted nicht geeignet, 
fo war die Frage, ob der Pfarrer des Orts, oder ob fonft Je⸗ 
mand geneigt war, die Kinder während der Wintermonate im Les 
fen, vielleicht auch im Schreiben zu unterrichten und ihnen den 
Katechismus memoriell einzuüben. Die beiden weſentlichſten Be 
dingungen eines georbneten Schulweſens, nemlich dad Vorhanden- 
fein von Anftalten zur Vorbereitung lebrfähiger Schulmeifter und 
eine geſetzlich ausgefprochene und mit Strenge aufrecht erhaltene 
Schulpflichtigfeit der Kinder fehlten. Daher laßen es die zalrei- 
hen obrigfeitlihen Verorbnungen vom Ende des jechdzehnten und 
vom Anfange des fiebzehnten Jahrhunderts, welche die Errichtung 
von Schulen auf den Dörfern wie in den Städten geboten, in 
der Regel nur allzubeutli wahrnehmen, daß fie nichts als fromme 
Wünſche waren, an deren fofortige Verwirklichung die Obrigkeiten 
jelbR nicht glaubten. Da, wo die Verhältnifje bejonders günftig 
waren, brachte man im glüdlichften Falle ein Schulwejen zu Wege, 
wie es am Ende des fechszehnten Jahrhunderts in Straßburg 
beftand. 

Neben den zehn Klafien der Iateinifchen Schule waren bier 
beutfche Pfarrichulen für beide Geſchlechter vorhanden, in welche 
bie Schulfinder mit ihrem Pfalter, Evangelienbuch und Katechis- 
mus wanderten, um bei ihren „Lehrmeiftern” und „Lehrfrauen“ 
leſen, fingen, beten und etwa noch rechnen zu lernen. Auf dem 
Lande hatten „in etlichen Flecken“ die Pfarrer felbft oder deren 
Sigriften in ähnliher Weife deutiche Schulen eingerichtet. Die 
Straßburger Schulordnung von 1598 giebt (unter dem Titel „Von 
ben Pfarrſchulen“) über diefe Schulen in der Stadt und auf dem 
Kunde folgende Nachriht: „Neben den zehn Classibus und Den 
Professionibus, zu unfrer Academie gehörig, wird auch bei einer 
jeden Pfarrei eine befondre Schule für junge Knäblein und Täch- 
terlein gehalten, welche man nicht allein deutſch lefen und fchreiben, 
wie auch bisweilen rechnen lehrt, fondern vornehmlich den Kat e⸗ 
chismus und hriftlide Gebete mit ihnen treibt und fie im 
Kirche ngejang übt”. Die Lehrer und Lehrerinnen wurden 
angewiejen, die Kinder auch außer Dem Haufe, auf den Straßen 
und in der Kirche zu überwachen und fie zu einem chriſtlichew 


— 32 — 
Wandel zu erziehen. Die Pfarrer ſollten die Schulen fleißig viſi 
tiren. — Sn Betreff der Dorfſchulen heiſt es nur: „Dieſer 
Ordnung ſollen auch nachkommen die Sigriſten, welche au 
dem Lande in etlichen Flecken beſondre deutſche Schulen halten 
desgleichen auch die Pfarrer auf dem Lande, welche aus Mangel 
tauglicher Sigriſten ſelbſt die Jugend unterweiſen und mit ihnen 
Schule halten müßen.“ — 

Faſt alle Schulen, welche damals entſtanden, waren nicht in 
Dienſtwohnungen der Küſter (die nur in geringer Anzal vorhan— 
den waren,) jondern in Privatwohnungen, — auf den Dörfern, 
oft in den elendeften Hütten — domicilürt, in denen die Schul 
finder enge eingepfercht mit Der Familie und mit dem Viehftant 
des Schulmeifterd zufammen waren. Sin der Stadt pflegte dei 
Schulmeiſter die Schulfinder auch während des Sommers in dei 
Schule zu erwarten, obgleich dann nur fehr wenige Kinder kamen; 
auf dem Lande Dagegen galt der Schulunterricht weſentlich nun 
als Winterbefchäftigung, indem während des Sommers der Küfter 
ſowol als die Schuljugend auf dem Felde, im Garten und im 
Haus fi nüßlicher beſchaͤftigen zu koͤnnen glaubten, 

Der Beitand der Mädchenfhulen in den größeren 
Städten hing durchaus von dem Belieben der „Schulftau” oder 
„Lehrfrau“ und von der Willkür der Eltern ab, die ihre Töchter 
zur Schule fchiden und aus derfelben zurüdnehmen fonuten, wann 
fie wollten. Ohnehin war nur in den Städten bad Bebürfnis 
von Töchterfchulen fühlbar, welche für Die weibliche Jugend der 
höheren Stände daſſelbe leiten follten, was die Schreib- und 
Rechenſchulen, die fich aus dem Bedürfnis des bürgerlichen 
DBerufölebens geftalteten, dem zufünftigen Bürgers: und Geſchaͤfts— 
mann leifteten. Bugenhbagens eifrige Bemühungen, in allen 
Städten Norddeutſchlands weibliche Schulanftalten ins Leben zu 
“rufen, hatten nur geringen Erfolg, — weil es vor Allem an 
Lehrerinnen fehlte. Da aber, wo Toͤchterſchulen beftanden, waren 
Die Lehrerinnen derfelben gewöhnlich Witwen, unglüdliche Frauen, 
auch wol gemwejene Nonnen, die feinen andern Weg des Broter- 
werbs zu erwählen hatten. Es erklärt fich Daher, daß von Diejen 
Schulfrauen nod) weniger geleiftet wurde, ald von den Schulmeiftern. 


— 33 — 


68 kommen Klagen darüber vor, daß bie Schulmeiſterinnen bie 
Binder „unnüge, altvettelifch-beghinifche" Dinge lehrten *). 

Der Begriff der Schulpflichtigfeit der noch nicht con⸗ 
frmirten oder noch nicht zur Communion zugelaßenen Kinder Fam 
aur in derſelben Allmähligfeit auf, in welder das Inſtitut des 
Lüfterd von dem Begriff der kirchlichen Katechifirübung abgelöft 
und unter dem der eigentlichen Schule betrachtet wurde. Vorher 
galt es als felbftverftändlich, Daß der Beſuch der deutſchen Volks⸗ 
ſchule den Parochianen nur in derſelben Weife zur Pflicht gemacht 
werden Zönne wie der Beſuch des Gottesdienfted. Allerdings be 
Rimmte fchon die würtembergijche Kirchenorbnung von 1559, daß 
Eltern, deren Kinder während der Katechißmuslehre auf der Galle 
oder im Felde angetroffen würden, mit einer Geldbuße von einem 
oder einem halben Baben beitraft werden ſollte; ſonſt aber war 
man erſt feit der Zeit der Kirchenfpaltung, wo Das Berfäumen 
der Katechismuslehre den Verdacht Feberifcher Unzufriedenheit mit 
der gefeßlichen Religionslehre und Kirchenordnung nahe legte, ernit- 
liher Darauf bedacht, den Beſuch der Schule mit Strafandrohungen 
zu erzwingen, — wennfchon diefe Drohungen auch jebt noch nicht 
überall vorfamen und noch weniger überall vollzogen wurden. 

Der in den Volksſchulen während dieſer Periode heimifche 
Lehrftoff erhellt fchon aus dem, was über die Entftehung der 
Schulen gejagt iſt. Ginübung des Katechismus und ber Kirchen 
gefänge galt ald die eigentliche Aufgabe derfelben. Nur fehr ver: 
eingelt wurden auch Rechenübungen angeftellt. — Schulbüder 
waren natürlich nur in den Händen fehr weniger Schulkinder. 
In Allgemeinen galten während des ganzen Reformationsjahrs 
hunderts Geſangbuch und Katechismus ald Die einzigen Bücher, 
die in die Volksſchule gehörten, neben denen nur noch etwa ein 
Plelmbüchlein ober ein (aus Sirach, den Sprichwörtern ünd dem 
Reuen Teft. zufammengetragenes) Sprüchbüchlein, auch wol bie 
unter dem Xitel „Rosarium“ von dem berühmten Nector Tropen- 
dorf herausgegebene Sammlung biblifcher Sprüche vorfamen. Doch 
hatte (wie bereitd erwähnt worden ift,) ſchon i. 3. 1520 ein 





) Brößlein & 129, 


— 34 — 


nachheriger Benoße Carlſtadts, Valentin Ickelſamer, ein 
methodijches Leſebuch unter dem Titel „Bon ber rechten Weife 
lefen zu lernen; auch deutſche Grammatika, daraus einer von ihm 
jelbft mag lefen Iernen”, veröffentlicht. Hiernach follte das Leſen 
ohne Buchitabiren gelernt werben fönnen. Auch erſchien noch vor 
dem jahre 1526 ein vollftändigeres Lehrbuch für die Elementar⸗ 
Hafen und deutſchen Schulen, welches in biefem Jahre 1526 
nochmal unter dem Titel ebirt wurde: „Gin Büchlein für Die 
Kinder — gebeßert und gemehrt — der Laien Biblia“, worin 
1) das Alphabet, die Lantbuchftaben und die ſtummen Buchftaben, 
2) die drei Hauptitüde mit Erklärungen aus Luthers Schriften, 
3) einige Bibelfprüche und die Ziffern von eins bis hundert ab- 
gedrudt waren”). In einigen Schulordnungen (Pommerſche Mäd- 
chenſch⸗O. von 1535, Würtemb,. S.⸗O. von 1559 und Saͤchſ. 
S.O. von 1580) war auch die Ginübung des verbeutfchten Cisio- 
Janus vorgefchrieben. 

Bon Methode im Volföfchulunterricht war natürlich kaum 
die Rebe. 

Die Schulkinder ſetzten fich meiftend ebenfo regellos wie fie 
famen in der ESchulftube zufammen, wo der Schulmeifter, der, 
ohne daß er Anftoß erregte, während des Unterrichts zugleich fein 
ehrbares Handwerk trieb, die Schüler nacheinander hervortreten 
und fie einzeln anfagen ließ oder fie verhörte. Die Jaͤmmer⸗ 
(ichfeit Diefer Schuleinrichtung brachte es mit fi), Daß, wer etwas 
lernen wollte, notwendig dem Beifpiele des nachherigen Goldberger 
Rectord Tropendorf folgen mufte, — der bei dem Pfarrer Iefen 
und bei dem Küſter feines Heimatsortes etwas chreiben lernte, 
wobei er die innere Rinde von Birken ftatt des Papiers, flatt der 
Feder ein Schilfrohr und ftatt der Dinte Kienrußwaßer gebrauchte *), 
— Die zuerft in Würtemberg angeordnete Glaffifizirung der Schul- 
finder in drei Haufen (buchftabirender, ſyllabirender und lejender 
Schulfinder) fand faft nur in den Städten Nachahmung. Hin 
und wieder fam ed vor, daß ein Pfarrer, der dem Volksunterrichte 


) Bl. 2öf chke, die relig. Bildung der Jugend ıc. im 16. Jahrh. ©. 21. 
"I ARupfopf, aa. O. 6. 31. 


— 38 — 


ein beſonderes Intereſſe zuwendete und ſich mit demſelben ſelbſt 
beſchaͤftigte, ſich eine eigne Lehrmethode oder einen eignen Lehr⸗ 
plan erdachte, nach welchem er den Unterricht ſelbſt erteilte und 
durch die Schulmeiſter erteilen ließ. So berichtet z. B. Lucas 
Martini zu Nordhauſen im Vorwort feiner Epitome religionis 
christianae von 1589: | 

„Sb babe, ohne Ruhm zu melden, al&bald anfänglich die 
jährlichen Gvangelia für mich genommen und aus jebem für's 
ganze Jahr zwei Sprüdhlein, darinnen befjelbigen Evangelii Haupt- 
Ihre verfaßet, in die Schulen georbnet, welche nun faft in das 
Rebente Jahr getrieben, und neulich in vier Sprachen durch M. 
Lonradum Reandrum publizirt worden. Auf dieſelbigen habe ich 
alsbald eine große Menge der Sprüche und Grempel aus der 
Bibel zufammen geſucht und in den Heinen Katechismum Qutheri 
eingetheilt, damit man zugleich viele Sprüche wißen und verftehn 
und unjere chriftliche Lehre Durch Diefelbigen wider alle Kebereien 
und Galumnien erhalten könnte. Und als ich Villens gewejen, in 
biefer mir befoblenen Pfarrkirche neben meinem Gehülfen zur 
Besper den Katechismum aljo zu treiben und eingeführte Sprüche 
und Exempel zu erklären, haben meine Kollegen und Mitarbeiter 
im Herrn alsbald denjelben modum und methodum docendi in 
ihre befohlene Pfarrkirche aufgenommen, und für gut angejehn, 
daß die Fragen und Antworten des Katechismi neben den blofen 
Beweisiprüchen follten aus demſelben stereomate catechetico ges 
gen und der Jugend in Schulen auswendig zu lernen übergeben 
werben, welches denn, Gottlob, nun in's 6. Jahr auch aljo eins 
hellig geſchehn“. 

„Dieweil wir aber befunden, daß die Kinder deſſen lezlich 
wegen der Menge der Sprüche und ber Verbrießlichfeit des vielen 
Abfchreibend etwas überdrüßig haben wollen werden, — haben 
wir nicht allein das fonntäglihe Examen, da ihrer zwei nad) der 
Besperprebigt den erklärten locum neben den zugehörigen Sprü- 
chen durch Frage und Antwort wiederholet, eine zeitlang einftellen, 
fondern auch darauf denken müßen, wie endlich biejelbigen Schul« 
ſprüche im Katechismo etwas eingezogen und burdy ben Drud 
publizirt werben möchten”. 

3° 


— 36 — 


In dem „Bericht an den chriſtlichen Leſer von der Ordnung, 
Art und Brauch dieſes Büchleins“ heißt es hierauf: „In den 
Stadt- und Dorfſchulen und Kirchen ſoll man die Katechismus— 
ſchuͤler, es ſeien gleich kleine Knaben und Mägdlein oder das ge: 
meine Geſinde und Dienſtboten oder auch wol alte Manns- und 
Weibsperſonen entweder im Sinn oder aber mit der That in Drei 
Haufen teilen. Zum erften Haufen fol mau die referiren, bie 
allererft anfahen, Die blojen Hauptftüde einfältig zu lernen, zum 
andern Haufen diefe, welche die Hauptftüde können und nun Die 
Auslegung Lutheri lernen, zum dritten Haufen dieſe, welche die 
Auslegung fertig können und nun dad Examen mit den Sprüchen 
zu lernen fürgenommen. So oft nun die Schuldiener, Kirchner 
oder Prediger wollen ihre Kinderlehre halten, follen fie einem je- 
den Haufen feine Lection zwier laut und langjam vorfagen und 
darauf ordentlich ein jedes verhören: erftlich den ‚unterften, Dar: 
nad) den. mittelften und dann den oberften Haufen und letzlich 
wiederum jedem Theil. wenig aufgeben, damit er hernach in einer. 
Stunde mit allen ‚fertig werden fönne, und fie es auf einmal 
faßen und deſto beßer lernen mögen“. | 

„Dieweil auch immerzu eine Perjon eher ein Ding faßet 
und lernet ald die andre, follen fie im Jahr ihnen drei Wochen 
auslefen, darinnen fie ein gemein Examen mit ihnen halten auf 
Diefe Weife: Die Unterften follen fie vornehmen und einem jeden 
infonderheit die blofen Hauptftüde nad) einander rezitiren, welche 
es nicht fertig können, wieder laßen Binziehn, Die e8 aber fertig 
rezitiren, bejonders fielen, und je zwei und zwei gegen einander 
ftellen, die einander fragen und beantworten; welche da auch noch 
übel beftehen, auch binlaßen wieder ziehn, und dann Die beften 
promiscue bald hier eine Bitte, Dort ein Gebot, hier einen Artikel 
u. ſ. w. fragen; welche alsdann darinnen richtig erfunden werben, 
jol er fortpromoviren zu dem nädhften höheren Haufen. Alſo 
fol er in specie auch mit denen thun, welche tie Auslegung ler- 
nen, und dann desgleicdyen mit denen, die dad Examen fürgenom⸗ 
men; die andern aber, die. noch nicht fertig beftehn, bei ihrem 
Haufen bleiben laßen, und Das folgende Jahr bei ihnen anhalten, 
daß jie auch nachher fommen mögen. Damit auch die langjamen 


— 37 — 


angereljt werben, deſto lieber zu lernen, ſollen ſie die fleißigen 
loben“. 

Zur Ermunterung der Schuljugend wurden hin und wieder 
eine Belohnungen an beſonders lobenswerte Schüler geſpendet, 
, 2. in Würtemberg und Nördlingen ein Stüdchen Geld oder 
en Semmel. In den Straßburger Landgemeinden und anderswo 
waren ſolche Spenden bei den Prüfungen üblich. 

Die Handhabung der Disciplin war ganz fo, wie fie in den 
lateiniſchen Schulen üblih war, — denn in Diefem Stüde allein 
vermochten die fchulbaltenden Küfter die Iateinifchen Präceptoren 
ohne Weitered nachzuahmen, — in die Volksſchulen übergegangen. 
Unaufhaltſames Prügeln, Schimpfen, Drohen, Fluchen, Vorwerfen 
förperliher Gebrechen u. dgl. galt als das wirkfamfte Mittel der 
Dieciplin, der Belehrung und Erziehung, weshalb die Schule in 
der VBorftellung des Volkes und vor Allem der Schulkinder durch⸗ 
aus ald Zuchtanftalt, in der nur Brutalität und erbarmungslofe 
Härte zu Haufe war, aufgefaft wurde. Ale Schulordnungen 
machten ed daher — aber vergebens — den Präceptoren und 
Schulhaltern zur Pflicht, fi der herkömmlichen ganz unmenjch- 
lichen Disciplin zu enthalten, 

Die Eßlinger Schulordnung von 1548 verfügt: „Der Lehrer 
joU feine Schüler nicht an den Kopf fchlagen, fie weder mit Taßen, 
Schlappen, Maultafhen und Haarrupfen, noch mit Ohrumdrehen, 
Rafenfchnellen und Hirnbatzen ftrafen, feine Stöde und Kolben 
zur Büchtigung brauchen, fondern — — allein ihnen das Hinder⸗ 
teil mit Ruthen ftreichen“. Ueber Die Lehrer zu Bafel wurde 
geflagt (echter, Befchichte des Schulweſens in Bafel von 1589 
bis 1733, ©. 33): „Nicht andere ald mit Schrauben, Poden, 
Balgen, mit Schlägen, Zupfen, Rupfen fahren fie die Schüler au 
und plagen fie”, jo Daß ihnen vorzüglid eingejchärft werden mußte, 
„ch zu bezwingen, daß fie die Knaben nicht auf eine barbarijche 
und henkerifche Weiſe tractiren, ja nicht, wie bisweilen gejchehen, 
Löcher in den Kopf fchlagen, das Fleiſch der Beeren an ben 
Zingern folchermaßen zerquetichen, daß das. Blut zwijchen den 
Nägeln herausfprigt, oder Büjchel Haare ihnen ausreißen oder fie 
fogar mit Füßen treten”. Die Ruthe war überhaupt das von 





— 38 — 


der Schuljugend mit Furcht und Schreden refpectirte Symbol ber 
gefammten Schuldisciplin, und fpielte eine derartige Rolle, Daß 
fie für das Bewuſtſein der Schuljugend gradezu das Symbol ber 
Schule ſelbſt war. Es waren in den Schulen uralte Gebräuche 
heimifch, welche beweifen, daß die Rute für bie Schule ganz bie 
felbe Bedeutung Hatte, wie die Fahne für das Kriegsvolk und wie 
das Scepter des Herrſchers für Die Unterthanen. Straffällig ge- 
worbne Schüler muften Die Rute halten, auch wol bie Finger an 
biefelbe legen oder fie Füßen*) und bei ihr als bem Hort ber 
Schule und der Zucht Beßerung geloben **. Auch wurbe ber 
Präceptor Durch Ueberreichung der Rute im Angeficht der verfams- 
melten Schuljugend feierlich inveftirt ***). 

Die Küfter und deutſchen Schulhalter in den Städten und 
Dörfern abmten das ermunternde Beifpiel, welches ihnen die adht- 
baren Präceptoren und Gantoren der älteren Schulen gaben, ges 
treulih nad), und beeiferten fich in dieſer Weiſe tüchtige Schul 
meifter und Jugenderzieher zu fein, — bis urplöglich der Sturm 
des breißigjährigen Krieges Durch Die deutſchen Lande erbraufte 
und die geringen Anfänge eines Volksſchulweſens, welche der re 
ligiöfe und confelfionelle Geift hier und da ind Dafein gerufen 
hatte, in feiner Verwüſtung begrub. 

Die erfte Periode der deutſchen Volksſchule ging zu Ende, 
ohne daß die zweite Periode ſogleich beginnen Eonnte. 


*) Vogl. meine Schrift: „Beiträge zur Geſch. und Gtatiftit des heſſiſchen 
Stadtſchulweſens im 17. Jahrh.“ ©. 

») Erft unlängft hat I. Grimm in Wolfs Zeitfchrift für deutfhe Mytbolo- 
gie und Sittenkunde 2. 3. aus Geiler v. Keifersberg folgende Stelle nachgewieſen, 
welche bier angezogen zu werden verdient: „Wenn man ein Kind houwt, so 
muoss es dann die ruoten Küssen und sprechen: 

liebe ruot, trfüte ruot, 

werestu (nicht), ich thet niemer guot, 
Si küssent die ruot und springen darüber, io si hupfen darüber“. — 
Bl. hierzu den Aufſaß von Rochholz „Die Ruthe küſſen“ in Pfeiffers Germa- 
nie, 1856 ©. 134 ff. 

») Ruhtopf, Eeſchichte des Echul- und Erziehungswefens in Deutichland 
S. Mi. 


Zweite Heriode. 


Bon der Mitte des fiebzehnten bis zum Ende des achtzehnten 
Jahrhunderts. 


6, 1. 
Die Herfiellung der Volksſchule und die Erweiterung des Begriffs derſelben durch 
den Spener- Sranke’fchen Pietismus. 


As die dreißig Jahre des Greuels und der Verwüſtung 
zu Ende gegangen waren und der Friebe in Die deutfchen Lande 
zurückkehrte, war von Volksſchulen nichts mehr zu jehen; kaum 
dap noch die größeren und Fleineren lateinifchen Stabtfchulen ihr 
Dafein in kümmerlichſter Weije gefriftet hatten, Die Dörfer waren 
zu taufenden niedergebrannt oder verwüftet, die Küfter, welche 
Schule gehalten hatten, waren geftorben oder verborben, oder 
waren den Trommeln der Werber gefolgt; und das Geſchlecht, 
weldhe8 Die verwüfteten Dörfer und Städte bewohnte, war in 
Berwilderung und Elend aufgewachſen. Wollte man daher Volks⸗ 
ſchulen haben, fo muften diefelben völlig neu gefchaffen werben, 
Aber ungleich fchwieriger ald die Begründung der Volksſchulen 
vor dem Beginne des Krieges geweſen war, war die Herftellung 
derjelben nach dem Kriege. Die Stantöregierungen hatten Sabre 
lang vollauf zu thun, um Die gänzlich verwirrten Verhältnifie der 
Staatseinrichtung und Landesverwaltung wieder zu regeln; die 
Kirchenbehörden mühten ſich im Kampfe mit den allergröften Hin- 
berniffen ab, um die frühere Firchliche Drbnung mwenigftens einiger- 
maßen wieder ind Leben zu rufen, Daher konnten anfangs weder 


— 40 — 


die Staats⸗ noch die Kirchenbehörden der Volksſchule ihre Für⸗ 
forge ernftlich genug zuwenden. Hierzu kam, daß es jebt noch 
Ichwieriger war, Küfter, die lefen und fehreiben konnten, zu be: 
kommen, als früher, daß ferner an vielen Orten alle Nachweilun: 
gen, ja felbft alle ficheren Ueberlieferungen über die Dotation der 
Küfter- und Schulmeifterftellen verloren gegangen waren, und daß 
einerjeit8 das unfägliche leibliche Elend, unter welchem namentlich 
das Landvolk Infolge des Krieges ſchmachtete und andrerſeits Die 
in Die unteren Volksklaſſen gefommene Barbarei die Gleichgültig- 
feit des Volkes gegen den Segen der Schule zum mrobigſten Wi⸗ 
derwillen gegen dieſelbe geſteigert hatte. 

Wie ein Geſtirn, das einſam, ruhig und klar am dunkeln 
Himmel Teuchtet, fand damals der fromme Herzog Ernft zu 
Gotha mit feinem frommen und weilen Schaffen und Thum da. 
Er war der einzige Fürft, der noch während der lebten Kriegs⸗ 
jahre den Plan entwarf, in allen Gemeinden feines Landes ein 
geordnetes Schulwejen ind Leben zu rufen und der zugleich zur 
Ausführung dieſes Planes rüftig und unverzagt vorging. Herzog 
Ernſt ordnete die Einrichtung von Volksfchulen gleichzeitig mit ei» 
ner allgemeinen Eatechetifchen Prüfung und Unterweifung an, Die 
er mit allen feinen Unterthanen vornehmen ließ. Demfelben Zweck, 
den Ernft durch dieſe Fatechetifche Informirung der erwachlenen 
Gemeinbeglieder erreichen wollte, follte auch die Volksſchule dienen. 
Jene war gewißermaßen die Orundlage, auf welcher die Volks⸗ 
Schule erwachſen follte. 

Damald war viel Gefpötte über die fo ganz ungewöhnlichen 
Anordnungen des Herzogs zu Gotha; dafür aber war dieſer auch 
der einzige evangelifche Fürft, der die Freude hatte, in feinem 
Lande ein wirkliches Volksſchulweſen, wennſchon in fehr mangel- 
hafter Geftalt, erblühen zu ſehen. In den übrigen evangelifchen 
Zerritorien. glaubte man daflelbe durch einfache Erneuernng ber 
Kirchenordnungen aus dem ſechszehnten Sahrhundert und Durch 
Wiederholung früherer Vorfchriften, welche den Küftern das Schul- 
halten zur Pflicht machten, zu erreichen, — aber umfonfl. Denn 
es zeigte fich ſehr bald, daß die fofortige Herftellung des Schul 
weſens nicht allein durch einzelue. Schwierige. Verhältniffe gehindert 


— 4 -- 


war, fondern daß berfelben ein noch viel tiefer liegendes Uebel im 
Wege fand. Der Geift, der das Volksſchulweſen im ſechszehn⸗ 
ten Jahrhundert ind Leben gerufen hatte, war nicht mehr da, mes 
nigtend war feine Kraft verjhwunden. Jufolge der in ber 
meiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eingetretenen Krhlichen 
Spaltung des Proteſtantismus war der Geift der evangelifchen 
Theologie "und fomit auch der Geiſt der evangelifchen Kirche all 
mählih ein anderer geworben. An die Stelle bed Iebendigen, 
alewege dem praftiichen, frommen Lebensbedürfniſſe zugewandten 
Geiſtes, Der den Proteftantismus des ſechszehnten Jahrhunderts 
haracterifirt und denfelben den Sinn aufrichtiger Wertſchaͤtzung 
des einzelnen gläubigen Herzens und eifriger Kürforge für bie 
einzelne Seele und für deren Heil eingegeben hatte, war ein Geift 
getreten, der zunächit nichts anderes als Herrichaft einer correcten 
Ortbodogie begründen und das Reich Gottes nicht fowol in den 
einzelnen Seelen als in einem Kirchentum aufrichten wollte, wel: 
ches vorzugsweiſe in reiner und eifrig gepflegter Nechtgläubigfeit 
befand. Mit diefer Pflege reiner Kirchenlehre, oder was man 
dafür hielt glaubte man, Gott den erften und hehrften Dienft zu 
thun, den Bott in feinem Neiche vor Allem geleiftet haben wollte. 
Daher war wenigftend Die Fruchtbarkeit und Triebkraft des Bos 
dens und der Lebensluft, woraus die Volfsfchule urfprünglich ers 
wachſen war, nicht mehr vorhanden. 8 zeigte fich dieſes praftifch 
namentlich in der Thatfache, daß die im ſechszehnten Sahrhundert 
geſchaffene Inſtitution Eirchlicher Katehismus-Lebungen im Anfange 
des fiebzehnten Jahrhunderts faft völlig zu Grunde gegangen war. 
Sollte daher die Volksſchule in der evangelifchen Kirche wiederum 
aufblühen und wirklich gedeihen, fo mufte ſich in ber Kirche notwendig 
zuvor ein Geiſt erheben, der feinen Gottesdienſt nicht Durch Auf: 
Rellung eined äußeren Kirchentums, nicht durch Verherrlichung und 
Serehrung einer ſymboliſirten Orthodoxie, ſondern vielmehr dadurch 
zu verrichten trachtete, Daß er den einzelnen armen Seelen nad 
ging, und in der heiligen Eünderliebe Chrifti dad Reich Gottes 
in den Herzen der Einzelnen zu erbauen fuchte. Ueberhaupt mufte 
dann Die Kirche aufs Neue von der Wahrheit ergriffen und Durch» 
fäuert werben, daß dad Reich Gottes nicht mit der Außerlichen 





— 2 — 


Geberde kirchlich ſymboliſirter Nechtgläubigkeit kommt, daß es viel- 
mehr inwendig in den wiedergeborenen Seelen iſt. 

Ein ſolcher Geiſt erhob ſich damals in der evangelifchen 
Kirche wirklich. Es war der Geiſt des Pietismus, ber, foweit 
feine Eigentümlichfeit hier in Betracht zu ziehen tft, im Allgemeis 
nen mit einer zwiefachen Tendenz hervortrat. Der Pietismus ers 
bob ſich zunächft gegen den herrſchend gewordnen jcholaftifchen 
Dogmatismus, melcdher forderte, Daß die Kirche, wenn fie Got 
te8 Reich fein wolle, vor Allem fih in der Herrlichkeit einer 
mafellofen Dogmatik darzuftellen und daß fie dieſer Herrlichkeit 
bes Dogmas Dienft zu thun habe. Im Gegenfabe zu diefer Ver- 
fehrtheit verlangte der Pietismus, daß fich die Kirche Die Pflege 
eines praktiſchen Chriftentums zur Aufgabe mache, daß fie den 
einzelnen Seelen nachgehen und in ihnen die Herrlichkeit Chrifti 
aufrichten folle, und daß darum alle dogmatiſchen Säbe, welche 
hierzu unbrauchbar wären, als wertlos zurüdgeftellt werden follten. 
Sodann erhob ſich der Pietismus im beftimmteften Gegenfag zum 
lateiniſchen Scholaſtizismus der Zeit und zu der vornehmen Stfolirt- 
heit, welche der lateiniſchen, gegen die Volkscultur gänzlich abges 
ſchloßenen Gelehrtenbildung eigen war *), und forderte, baß Die 
Deutjch-chriftliche Bildung und Erziehung in ihrem wahren Werte 
auch für die Gelehrtencultur anerkannt werde. Daher verband 
der Pietismus mit feiner praktifchschriftlichen Tendenz zugleich eine 
entfchiedne Hinneigung zur Pflege einer volkstümlichen Bildung. 

Der hervorragendfte Repräfentant und das wirkfamfte Or- 
gan dieſes Pietismus war der fromme Philipp Jacob Spener,; 
und dasjenige Mittel, Durch welches derſelbe Die Regeneration der 
Kirche im Sinne und Geifte des Pietismus vorzugsweife zu bes 
wirfen fuchte, war die Katechifation. 


) Wie der Gebrauch der deutfchen Sprache und die deutſche Eultur überhaupt 
noch um die Mitte des 17. Sahrhunderts angefehen wurde, erhellt unter Anderm 
aus der Frankfurter Schulordnung von 1654, worin der Gebraud der deutfchen 
Sprache in der Schule mit Bottesläfterungen und Ungezogenbeiten auf Eine Linie 
geftellt wird. Hier heift es nemlih: „Die anders denn latine oder etwas Unge⸗ 
bũrliches oder Bottesläfterliches reden, ſollen je nach Gelegenheit der Uebertretung 
gezüchtigt werden“ 


— 43 — 


Spener ſah ein, daß die Prebigt, in welcher nicht fowol zu 
ber einzelnen Perſon als vielmehr zu dem Ganzen ber Gemeinde 
gerebet werbe, nicht außreichen koͤnne, um den Bwed der kirchlichen 
Berwaltung des Worte zu erreihen. Die Katedhifation, worin 
ih ber Prediger an den Einzelnen als foldyen wenbe, ſchien hier⸗ 


m viel wirffamer zu fein. Spener begann daher zumähft im 





—- — — — 


Frankfurt a. M., wohin er, bisher Prediger und akademiſcher 
Lehrer zu Straßburg, i. J. 1666 als erſter Pfarrer und Senior 
des geiſtlichen Miniſteriums berufen war, Katechiſationen einzu⸗ 
richten. Nach längeren Beratungen mit feinen Collegen, wie bie 
in Sranffurt bereits üblichen aber ſchlecht betriebenen Katechismus 
übungen nüßlicher und erwedlicher gemacht werden mödten, be 
wirtte Spener den Beichluß, daß in jeder Rachmittagspredigt Dies 
jmige Materie entwidlelt werben follte, die in ber Darauf folgenden 
Raterhifation zu behandeln wäre. Um außerdem die Katechifationen 
auch durch die Morgenpredigten zu unterflüßen, Begann Spener 
in ben Grordien derfelben ben Gegenſtand der Tageskatecheſe zu 
beiprechen (welche &xordien i. J. 1689 auf vielfaches Begeren 
unter dem Titel „Katechismuspredigten“ gedrudt wurden). And) 
nahm Spener, obwol die Katechifationen lediglich den übrigen 
Predigern oSlagen, fofort felbft vergleichen Uebungen an jedem 
Sonntag Nachmittags war. Anfangs waren ed nur Schulkinder, 
welche ſich zu denſelben einfinben muften; bald aber nahmen auch 
Grwachfene, Bäter und Mütter an den Katechifationen Teil. Man 
begriff e& bald, bag man von Einem Katechiömnderamen mehr 
Rupen habe, ald von der Anhörung vieler Predigten. Um baber 
bieje Katechiſationen, die fich in Frankfurt als fo heilfam erwie⸗ 
len hatteu, auch in weiteren Kreiſen heimiſch zu machen, entfchloß 
fd Spener auf den Wunfch vieler Freunde i. 3. 1677 feine Ka⸗ 
techismusvorträge unter dem Titel zu veröffentlichen: „&infältige 
&flärung der chriftlichen Lehre nach der Ordnung des Heinen 
Latechismus Luthers“. Es war dieſes ein Meifter- und Mufter- 
küd katechetiſcher Berglieverung des Katechismus, welches bie 
Kichhe hiermit von Spener erhielt. Späterhin (1688) fügte 
Spener noch feine „katechetiſchen Tabellen” (in lateiniſcher 
Eprache, für Geiſtliche) hinzu, welche von feinem Amtönachfolger 








— 4 — 


J. ©. Pritius 1713, zugleich mit einem die Katechiſationen drin⸗ 
gend empfehlenden Gutachten der theologiſchen Yacultät zu Leipzig 
in deutſcher Sprache nochmals Tierausgegeben wurden. Wie fremd 
und nen den Geiftlichen ſelbſt dieſe (faſt überall in Abgang ge- 
kommenen) Katechifationen vorkamen, erhellt aus dem beftimmt 
ausgefprochenen Gedanken der „Tabellen“: „Gewißlich bat ſich 
der Fatechetifchen Arbeit Niemand zu fchämen; denn ed kann feine 
Arbeit jo niedrig fein, welde Chriſto Seelen zu gewinnen, in 
Seiner Erkenntnis feſt zu fegen, ihnen den Geſchmack Seiner 
Gnade und den Vorgefhmad Seiner Herrlichkeit zu geben gerei- 
hen kann. Der Heiland fjelbft bat den Kindern nicht gewehrt zu 
ihm zu kommen“ u. ſ. w. Die fatechetiiche Wirkſamkeit Speners 
begann indeflen in Frankfurt wie in nahen und fernen Streifen 
erft da recht augenfällig hervorzutreten, als berfelbe Leute aus 
allen Ständen, die mit Ernft und Eifer. nach dem ewigen Leben 
trachteten, zu beftimmten Stunden in feinem Haufe zu verfammeln 
und fi) mit ihnen über gewiße religidfe Fragen nach Anleitung 
ber heil. E chrift oder einzelner ascetifcher Bücher erbaulich zu un- 
terreden begann. Dieje Hausverfammlungen,, weldye Spener (im 
Gegenſatz zu den ſcholaſtiſch und gnoſtiſch gewordenen Gollegien 
der Univerfitätstheologie) collegia pietatis nannte, gewannen un- 
ter großem Widerſpruch ſehr bald einen folchen Umfang, daß ber 
Magiftrat fchließlich nicht umhin fonnte, für diefelben eine Kirche 
zu Öffnen. Die Schrift „Pia desideria oder herzliches Verlangen 
nach goitgefälliger Beßerung der wahren evangelifchen Kirche ſammt 
einigen dahin einfältig abzwedenden chriftlichen Vorfchlägen”, melde 
Spener urfprünglich i. J. 1675 als Vorrede zu einer beſonderen 
Ausgabe der Arnd'ſchen Poſtille gejchrieben und hernach als be 
jondere Schrift hatte abdrucken laßen, erwedte aldbald in Rab 
und Fern für Speners Gedanken und Beſtrebungen zalreihe Sym⸗ 
pathieen. Die Katechifationen Spenerd wurden zu Windsheim, 
Ehlingen, Ulm, Schmalkalden und Rothenburg fofort nachgeahmt, 
zu Augsburg, Marburg und Meiningen dringend begert, von Salon 
in Sachſen nachdrücklichſt empfohlen und für das Herzogtum Sachſen 
durch ein Geſetz angeordnet. An anderen Orten und Landen bins 
berte der Fluch Intherifcher Orthodoxie das Werk gottjeligen 


——— UELDL 


— 5 — 


Olaubens. Da trat Speners Wirkſamkeit in eine ganz nene 
Bhafe ein, indem ihn ein Ruf des Kurfürften Johann Georg I. 
von Sachſen i. J. 1686 zum Oberhofprediger in Dresden bes 
fellte. Auch bier, in Dresden, richtete Spener in feinem Haufe 
lffort eine Katechismusübung ein, zu weldyer fi) in kurzer Zeit 
fo Biele einfanden, daß ihm die feiner Wohnung gegenüber lies 
gende Kapelle der Kurfürftin eingeräumt werden muſte. Durch 
eine Randtagspredigt, worin Spener den Segen der Katechiſatio⸗ 
nen darftellte, und durch Den erfreulichen Eindrud, den der Bejuch 
der Katechismusübungen auf viele Landtagsmitglieder machte, bes 
wirkte e8 Spener außerdem, daß Die Einführung ber Katechifatio- 
nen, welche auch in- Kurſachſen längft außer Gebrauch gekommen 
waren, durch einen Landtagsbeſchluß für das ganze Kurfürftentum 
angeordnet wurden. Allerdings fehlte es Spenern auch in Dres⸗ 
den nicht an Widerfacdhern, welche wißelten, „ber Kurfürft habe 
Ratt eines Dberhofpredigerd, den er gefucht, einen Schulmeifter 
bekommen“. Allein Spener antwortete den Spöttern: „Ich danke 
Gott, der mich gelehrt zu erkennen, daß Feine Arbeit zu einiger 
Seelen Erbauung angefehn, für verächtlich oder jemandes Standes 
unanftändig zu achten ſei; aljo will ich eher eine Ehre in Demjes 
nigen ſuchen, was Die, fo nach der Welt zu urteilen gewohnt, faft 
far Schimpflich achten“. Und wenn auch Spener nicht überall den 
gewünjchten Erfolg feiner Bemühungen jehen konnte, jo ging doch 
aus denjelben der im ganzen Kurfürftentum eingeführte pfarramts 
liche Katechismusunterricht der Konfirmanden und die Anordnung 
von Katechismusſtunden für den Nachmittagsgottesdienſt aller Dorf- 
hen des Landes hervor. Bugleich machte ſich Speners Einfluß 
anf die Univerfität Leipzig in wirkſamſter Weije geltend. Hier 
waren ed drei feiner eifrigften Anhänger, der Privatdozent Yuguft 
hermann Franke und die beiden Magifter Anton und Schade, 
welche durch ihre ſog. philobiblifchen Collegien, d. 5. Durch Deutiche, 
erbauliche Vorlefungen über die h. Schrift unter der ſtudirenden 
Jugend eine eigentliche Schule fchufen. Aber kaum hatte ſich ber 
Gegenſatz derfelben zu dem boöffärtigen und froftigen Pedantismus 
der privilegirten Orthodoxie und Iatelnifhen Gelehrtentheofogte 
bemextlich gemacht, als auch fofort der Kampf der lebteren neaen 


— 46 — 


das ihr Argerliche Weſen der frommen und deutſch⸗barbariſchen 
Neuerer entbrannte. Mit Freuden nahm daher Spener einen Ruf 
des Kurfürften von Brandenburg an, durch welchen er i. J. 1691 
zum Propft an ber Nicolaitirche zu Berlin beftellt wurde. Die 
drei Jahre fpäter (1694) erfolgende Gründung der Univerfität 
Halle ermöglichte es Spenern, feiner Schule bier eine neue Heimat 
und Wirkſamkeit zu ſichern. Franke, Schade und Anton 
wurden nach Halle berufen, ebenjo der ganz in Speners Geifte 
wirtende Breitbaupt von Erfurt. Was Spener in Halle zu 
naͤchſt erreichen wollte, war vollitändig erreicht. Zugleich traten 
noch andre Erfolge hervor, weldye den Geiſt der jungen Hochſchule 
charakteriſtrten. Ehriftian Thomaſius, der mit Spener fonft 
nichts gemein hatte, war ber erfte, ber (1688) in Halle beutjche 
Vorleſungen hielt, weil er das Latein nicht verftand; andre folgten 
dem gegebenen Beijpiele bald nad. Der Nimbus der lateinijchen 
Sultur begann jetzt allmaͤhlich zu erbleihen. Indeſſen war das 
großartigfte Werk, welches der Geiſt des Pietismus in Halle hers 
vorrief, die Gründung des Waifenhaufes durch Auguft Her: 
mann Franke zu Halle Wie Spener der Vater der Firchlichen 
Ratechifation geworben ift, jo ift Franke der Vater des gefammten 
Waifen- und Armenfchulmeiens im evangelifchen Deutſchland ge- 
worden. In Franke gelangte daher Speners Geift, der durch die 
Ratechifationen dem Schulwejen einen neuen Boden gejchaffen hatte, 
nach dieſer Seite hin erft zu feinem wahren Biel. 

Franke war den 22. März 1663 in Lübed geboren, wo 
fein Vater Syndicus bei dem SDonicapitel des dortigen Stiftes 
war. Sm Jahre 1666 kam Franke's Vater ald Hofs und Juſtiz⸗ 
rat Ernſts des Frommen nad) Gotha, flarb aber ſchon 1671. 
Der verwaifte Knabe bejuchte das Gothaiſche Gymnafium und 
ward bereit8 im 14. Jahre für reif erklärt. Aber erft im 16. Sabre 
(1679) bezog Franke die Univerfität Erfurt und ging noch in 
demjelben Jahre nad) Kiel, um feine Studien (über Moral, Phyſik, 
Metaphufit, Naturgeſchichte 2c.) fortzufegen. Von Kiel begab fidh 
Franke 1682 nad) Hamburg, wo er zwei Monate lang hebraͤiſch 
lernte. Hierauf lebte er 15 Jahre in Gotha, in welcher Zeit er 
dos hebräijche alte Teftament fiebenmal durchlas, auch franzoͤſiſch 


— 41 — 


mb englifch trieb. Später promovirte Kranke in Leipzig, mo er 
fi audy Babilitirte. Seine wichtigfte Vorlefung war ein Collegium 
philobiblicum, in welchem er (Sonntags nad) der Nachmittags⸗ 
predigt) ein Kapitel aus dem alten, dann eind aus dem neuen 
Zetamente erklärte. Spener, damals Oberhofprebiger in Dresden, 
intereffirte ſich natürlich für dieſe ſehr zalreich beſuchten Vorträge 
ganz beſonders. Im Jahre 1687 ging Franke nach Lüneburg zu 
dem Superintendenten Sandhagen. — Fromm erzogen hatte er 
ſchon als Knabe zu Gott gebetet, daß ſein ganzes Leben ganz al⸗ 
lein nach Gottes Ehre hin gerichtet ſein moͤge. Als ihm aber 
auf der Univerſitaͤt die Theologie nur als Gegenſtand eines herz⸗ 
loſen Wißens entgegentrat, ſo verließ ihn der innere Friede. In 
Lineburg, wo feine Verſtimmung ſich noch ſteigerte, wurde er von 
den peinlichften religiöfen Zweifeln angefochten. Sogar das An- 
ſehen der Bibel wurde ihm zweifelhaft. Da follte er eine Predigt 
über Die Stelle (ob. 20, 31) halten: „Dieſes aber ift gefchrie- 
ben, daß ihr glaubet, Jeſus fei der Chrift, ver Sohn Gottes und 
daß ihr dur den Glauben das Leben habt in feinem Ramen”. 
Er wollte vom wahren und lebendigen Glauben handeln, und 
fühlte, daß ihm felbft diefer Glaube fehlte. Schon wollte er die 
Predigt abjagen und flehte zu Gott um Rettung aus feiner See- 
lennot. Da war urploͤtzlich jein Gebet erhört. Es fiel wie Schup- 
ven von feinen Augen. „sch war verjichert in meinem Herzen“, 
ezält ex felbft, „der Gnade Gottes in Chriſto Jeſu. Ich Eonnte 
ihm nicht allein meinen Gott, ich konnte ihn auch meinen Vater 
nennen”. | | 
Bon Lüneburg ging Kranke in demfelben Jahre 1687 nach 
Hamburg, wo er bis Oſtern 1688 blieb. Hier errichtete er eine 
kart befuchte Kinderſchule. Das Lehren brachte ihn zur Selbft- 
erkenntnis; dabei lernte er Geduld, Liebe, Nachfiht üben. „Bei 
Errichtung diefer Schale”, fagt er, „warb mir es immer Elarer, 
wie verderbt dad gewöhnliche Schulweſen und wie hoͤchſt mangel⸗ 
haft die Kinderzucht fei, und dieſes bewog mich fchon damals zu 
wünfchen, daß ich von Gott gewürbigt werben möchte, zur Ver⸗ 
beherung des Schul: und Erziehungsweſens etwas beizutragen”. 

Das Rejultat jeiner Erfahrungen fafte er hernach in einer Srit 


— 48 — 


zuſammen: „Von Erziehung ber Kinder zur Oottſeligkeit und 
chriſtlichen Klugheit”. Bu 

Von Hamburg ging Franfe auf zwei Monate nad) Dresden 
zu Spener, febte dann in Leipzig feine philobibliſchen Collegien 
fort und ward 1690 nad Erfurt als Diaconus an die Auguflinere 
firche berufen. Bald aber ſah er fich hier ald Stifter einer neuen 
Secte verbächtigt, und daraufhin durch ein Kurf. Mainzijches Re- 
jeript und Ratsconclufum (1691) ohne Urtel und Recht feines 
Amtes entfeßt. Grade um jene Zeit wurde die Univerfität Halle 
geftiftet, vornehmlih auf Spener8 Betrieb. Noch i. J. 1691 
wurde Franke als Profefior der griechifchen und orientalijchen 
Sprachen zu Halle defignirt und erhielt zugleich das Paftorat der 
Vorftadt Glaucha übertragen. Am 7. Januar 1692 kam Franke 
in Halle an, wo er fortan 35 Jahre lang bis an fein Ende lebte 
und wirkte. 

Der Anfang ded Jahres 1694 iſt ald die Entftehnngszeit 
aller großen Franke'ſchen Stiftungen anzufehn. Sie begannen 
alfo: Arme kamen jeden Donnerftag in das Pfarrhaus. Statt 
ihnen vor der Thüre Brot zu reichen, ließ fie Franke in. das 
Haus kommen, Fatechifirte die Jüngeren, während die Welteren 
zubörten und fchloß mit einem Gebet. Bei eigner Armut entzog 
er fih, um Geld für die Armen zu erübrigen, eine Yeitlang das 
Abendeßen. Im Sahre 1695 befeftigte er eine Armenbüchfe in 
feiner Stube. Einft fand er fieben Gulden von einer Frau Bins 
eingelegt. indem er diefe in die Hand nahm, ſprach er: „Das 
if ein ehrlih Kapital, davon muß man etwas Nechtes ftiften. 
Ich will eine Armenjchule damit anfangen”. Un demjelben Tage 
kaufte er für zwei Thaler Bücher und nahm einen armen Stuben 
ten als Lehrer an, der die Kinder täglich zwei Stunden unter- 
richten ſollte. Bon 27 ausgeteilten Büchern wurden jedoch nur 
4 zurüdgebradht. Franke Faufte aber neue Bücher, räumte einen 
Saal neben feiner Studirftube ald Schulzimmer ein und gab den 
Kindern wöchentlich dreimal Almofen. Bald kamen auch Bürgerss 
finder, von denen jedes wöchentlich einen Groſchen Schulgeld 
brachte, jo daß nun der Lehrer beßer bezalt werden und täglich 





— 4 — 


fänf Unterrichtöftunden geben konnte. Schon im erſten Sonimer 
Rieg die Zal der Kinder auf 60. 

Bald verbreitete fi der Ruf von Franke's großer Thätig- 
feit für Die Armen; und von da an firömten ihm von Nah ımb 
Fern Unterftügungen zu. In dem Maße, ald diefe zunahmen, ers 
weiterten fich feine Pläne. Noch öfter geſchah es aber, daß er in 
teftenn Glauben kühn Großes unternahm, ohne irgend Mittel zu 
haben, es auszuführen, da ihm dann dieſe Mittel. zur vechten Zeit 
auf wahrhaft wunderbare Weiſe zufloßen. 

Bald war feine Pfarrwohnung zu eng für die Schule; er 
miethete im Nachbarhaufe eine Stube und bildete zwei Klaffen: 
eine für die Armen, eine zweite für bie Bürgersfinder. Jede er- 
hielt ihren eignen Lehrer. — 

Bald regte ſich in Franfe der Wunſch, die Kinder nicht blog 
zu unterrichten, fondern auch zu erziehen, — der Wunſch, ein 
Baifenhbaus zu fliften. . Ein Freund gab ihm zu dem Ende 
500 Thaler. Im November 1695 waren ſchon 9 Waiſen beis 
jummen, welche bei Bürgersleuten untergebradyt wurden. Den 
Studiofus der Theologie Neubauer beftellte er zum Aufjeher der⸗ 
klben. Für die Armenfchule kaufte er ein Haus. 

In demfelben Jahre 1695 wurden an Franke Drei iunge 
Mlihe übergeben, um fie. unter feiner Direction erziehen und un: 
terrichten zu laßen. Dies war ber erite Anfang des nachmaligen 
Büdagogiums. 

Sm Sabre 1696 Faufte Franke ein weites Haus. Die 
gal der Waiſenkinder, welche er in jenen zwei Haͤuſern unter⸗ 
brachte, ſtieg im Juni auf 52. Zugleich ſtiftete er einen Frei⸗ 
tih für Studenten, an welchem in demſelben Monat 42 geſpeiſt 
wurden. 

Da fih Die Kinder vermehrten, falte Franke den Ent 
Muß, ein Waifenhaus zu bauen. Gr fehidte deshalb noch im 
Jahre 1696 den Studenten Neubauer nah Holland, um bort 
Erfahrungen zu fammeln. Nach feiner Rückkehr dirigirte dieſer 
tee, verftändige Mann den Bau des Waiſenhauſes. Am 
4. Juli 1698 wurde der Grundftein gelegt. Schon waren 

4 


— 50 — 


es 100 Waiſenkinder; 500 Kinder genoßen bereits linters 
richt *). 

Aus dem Geifte Spenerd und aus der neuen Triebfraft, 
weiche Die Kirche durch den Pietismus erhalten hatte, erwuchs Jos 
mit ein ganz neues Schulweſen, mit welchem zugleich Die Volks⸗ 
Ihule einen ganz neuen und zwar lebenspolleren Umfang gewann, 
ald im fechszehnten Jahrhundert. Die Volksſchule war ald Ar⸗ 
menfchule neu gejchaffen. Indeſſen follte fie nicht grade Armen- 
ſchule im eigentlichften Sinne des Wortes fein und bleiben; viel- 
mehr war fie urfprünglihd nur darum mit dDiefem Namen bezeichnet, 
weil fie ihren Urfprung oder ihre Erneuerung dem Geifte ver 
dankte, der um Gottes willen fih Der Armen annahm, und ber 
den Segen Gotted auch denen zutrug, die ſich diefem Geifte über- 
ließen, um von ihm gejegnet zu werben. Franke jelbft nannte 
feine Volksſchulen hernach deutſche Bürgerſchulen. Die 
Kinder wurden hier im Chriſtentum, im Leſen, Schreiben und 
Rechnen, ſpaͤter auch in der Naturkunde, Geſchichte und Geogra⸗ 
phie unterrichtet. Die Mädchen erhielten zugleich Anweiſung zum 
Anfertigen weiblicher Arbeiten. Auch wurden die Waifenfnaben 
im Striden geübt. Ueber allen deutſchen Schulen ftand ein Ober- 
aufſeher. 

Dieſe neue Volksſchule, die Armenſchule oder die deuntſche 
Bürgerſchule war mit der (nur Vorbereitung zum Beſuche 
des Confirmandenunterrichtes und zur Teilnahme am gottesdienſt⸗ 
lichen Gemeindeleben abzwedenden) Katechismusſchule des Küfters 
in ber vorigen Periode nicht grabezu identiſch. Vielmehr hatte 
fi diefelbe in freierer Weife die Aufgabe geftellt, hriftliches 
Leben und hriftlihe Bildung im weiteren Sinne des Wors 
te8 zu pflanzen und gebildete Chriftenmenfchen zu erziehen. 
Daher wurde auch jeßt zum erften Male die deutſche Volksſchule 
zur lateiniſchen Gelehrtenjchule in organiſche und lebendige Be 
jiehung gebracht, indem als gemeinfame Grundlage und als ge 
meinfames Biel beider die Pflanzung chriftlicher Geiſtesbildung 


*) Ueber Franke ift bier nah Raumer's Geld. der Pädagogik, Th. IT. 
©, 134 fj. berichtet. | 


— 61 — 


und die Erziehnng zu chriſtlicher Lebensführung angeſehen wurde. 
Seitdem der Bann lateiniſcher Gelehrtenbildung und die eherne 
Mauer der Gelehrten: Welt durchbrochen war, machten ſich mehr 
und mehr die Gedanken geltend, daß die geiftige Kultur auf allen 
Adftufungen wejfentlih auf Einer gemeinfamen Grundlage 
ruben müße, und daß grade der Arme, der durdy feine ganze 
Lebensftellung weniger Begünftigte zur Teilnahme an berjelben 
herangezogen werben müße. 

Somit ergaben fi für die Auffaßung und Behandlung ber 
Volksſchule folgende neue Gefichtöpunfte: 1. Als Zweck der Schule 
ward nicht die Mitteilung von gewifjen Kenntniſſen, Unterrichtung, 
Belehrung als ſolche, jondern die Erziehung angejehen, indem 
alle Belehrung weſentlich eine erziehende Tendenz haben jollte. 
2. Diefe Erziehung follte eine fpezifiih chriſtliche, fie follte 
Erbauung des Reiches Gottes in dem Kerzen des Kindes fein. 
3. Bon der Wurzel des Ghriftentums ausgehend follte die Er- 
ziehung und Bildung auf allen Stufen und in allen Richtungen 
ald Ein Syſtem, ald Eine Erziehung, Eine Bildung aufgefaft 
werden. 4. Die Volksſchule, in welcher das für alle nachfolgenden 
Stufen der Erziehung unerläßlich Nötige, nemlich Erkenntnis des 
Ghriftentums, Lejen, Schreiben u. j. mw., oder die erften Elemente 
einer chriſtlichen Bildung gelehrt ward, war aljo wejentlihd Ele- 
mentarjähule. 

Soweit Franke's Schöpfungen Anerkennung fanden, Tamen 
auch Diefe Grundgedanken derſelben ohne Weiteres zur Geltung. 
Weniger allgemein dagegen fand in dieſem Kreiſe der von Franfe 
&enfo beftimmt bevorwortete Sab die geblirende Würdigung, daß 

‚| die Schulerziehung notwendig von der häuslichen Erziehung ge- 
£ | Mugen fein müße. Noch immer war man geneigt, der Schule 
v| einen nur ihr zukommenden Belehrungszweck zuzuerkennen, jo daß 
e| mn an Die wejentliche Bleichartigkeit des Zweckes der häuslichen 
e| riehung und des Schulunterrichted nur felten dachte. Aber 
m Mögeiprochen und anerfannt ward auch dieſe Wahrheit *). 





IL ) Sreffend wird in der Sachſen -Wltenburgifchen Bandesordnung von 1706 
' kt imere Znſammenhang ber Bolteſchule mis der häuslichen Ergichung eder tie 


/ “ 


⸗ 


392 — 


Es war nicht fowol die Wahrnehmung des Nußens, den DA 
Franke'ſchen Inſtitutionen dem flaatlihen und kirchlichen Interefi 


weientliche Identität des von der Volksſchule und der elterlichen. Erziehung zu er 
ftrebenden Zieles hervorgehoben. Die Altenburgijche Landesordnung bandelt nem. 
li in Tit. II. „Bon Pflanzung reiner Lehre und wahrer Gottfeligkeit in Di 
Meinen Kinder, ehe fie zur Schule gefchidt werden“, und hierauf in Tit. I 
„Bon Pflanzung folcyer Lehre und wahrer Gottfeligkeit in die Sugend bei dei 
Dorfſchulen, auch niedrigen und deutfchen Elaffibus der Stadtſchulen“. In jenem wirt 
hervorgehoben, daß das Amt der Eltern an den Kindern ſchon in der 
frübften XLebensjahren derfelben beginnen muß, was das Am 
des Schulmeifters hernach fortfegen und vollenden foll. Es heiß 
nemlih bier: „Demnad viel daran gelegen, dab die Kinder von erfter Kindhei 
an zum Guten und zur Gottesfurcht gewöhnet werden, auch, daß foldhes geſcheher 
möge, den Eitern, und die an derfeiben Statt find, dpriftlicher Pflicht halber hod 
obliegt, bei ſolchem zarten Alter aber wol zujufehen fein will, daß mit -der Art 
und Weiſe der Anführung die Mittel-Straße gegangen, und den Saden nicht zu 
wenig, nod zu viel gethan werde, daß nemlich die jungen Kinder nicht gar ohne 
Unterweifung gelaßen, gleichwol aber ihre noch ſchwachen Häupterlein auch nich 
überladen und dergeſtalt ermüdet und geſchwächt werden mögen: als ſoll ihnen 
vor allen Dingen, wenn fie anfangen zu reden, eines und das andere furze, be 
fonders. auf die Erkenntnis unfers Herrn und Heilands Jeſu Chriſti deutlich füh— 
rende Sprüdjlein, als Joh. 1. Siehe, das ift Gottes Lamm u. f. w. 1 Joh. 1. 
Das Blut Jeſu Chriſti u. f. f. damit fie es recht faßen mögen, oftmals vorge 
fagt, und wie wir Chriſten allein um deßen theuren Berdienftes willen Bergebung 
der Sünden erlangen und felig werden, auch um deflelben willen allein bei ihm 
und Gott Bater und heiligen @eift in allen Nöten, ſonderlich aber in der lepten 
und Zodesnot mit ganzem Vertrauen des Herzens auf Gottes Güte, Liebe und 
Barmherzigkeit Hülfe und Rettung fuchen follen, aufs Deutlichſte und wie es die 
Kinder am beften begreifen können, erklärt (zu welchem Ende dann etwa bei ihnen 
etlihe Kupferftüde und Yiguren, welde den Kindern anmuthig zu fein pflegen, 
auch auf die Lehre der heiligen Schrift und der fymbolifhen Bücher fein nad)- 
weifen, zu gebrauchen wären), darauf ferner, wenn fie reden können, zu dem Ca— 
tehismo Qutheri gefchritten, und in demfelben ein Hauptftüd nad dem andern 
ben bloßen Worten nad), ohne Auslegung, durch öfteres Borfagen ihnen allmäplid 
beigebracht, ingleihen auch kurze, andächtige Gebetlein und Pfalmen Davids: zu 
lernen vorgefagt werden“. Hierauf heift es in dem folgenden Tit. III. weiter. 
„Dieweil auch hiernächſt hochnötig, daß die zarte Jugend bald, wenn fie zu 
Schule kommt, fonderlih zur wahren Gottesfurcht und deren Webung von den 
Präzeptoren und Schulmeiſtern wol fortgeführt werde, — ats foll ſolche Jugend 
bei den Dorfidulen, aud niedrigen. und deutfgen Classibus der ‚Otadtfchuien 





— 83 — 


bringen muſten, als vielmehr die innere Macht der religiös⸗ſittlichen 
Wahrheit, welche ſich in denſelben verkörpert darftellte, was, nach⸗ 
dem Franke's Schöpfungen ind Leben getreten waren, fofort aller 
Orten Nachbildungen derfelben hervorrief. Denn was Spener 
md Franke gethan hatten, war nichts anderes, als eine religiös⸗ 
fitliche Nötigung des evangeltfch-proteftantifchen @eiftes, für den 
1) jede einzelne Seele, die für das ewige Leben gewonnen wird, 
den vollen Wert des Reiches Gottes hat, der 2) von dem Chriſten 
mr ein foldyes Wißen und Erkennen der Glaubenswahrheit for: 
det, das von feinem perjänlichen. Gewißen getragen ift, und ber 
drum 3) Die vom Glauben getragene Bildung des Ghriften- 
menschen als Baſis und Vorausſetzung aller Bildung und alles 
Bipend würdigt. Darum verlangte der evangelifch - proteftan» 
tie Geiſt — Erziehung des Ghriftenfindes, nicht aber bloße 
Ginprägung von Kenntniſſen; und eben darum begannen im 
ganzen evangelifchen Deutfchland, fobald Spenerd und Frankers 
Vorte und Werke bekannt geworben waren, fofort alle Regieruns 
gen dem Volksſchulweſen eine noch nie gefehene Aufmerkfamfeit 
zuzuwenden und bie Ginrichtung und Leitung befjelben in bie 
Sand zu nehmen. Noch zu Franke's Lebzeiten wurden faft in 
allen evangelifhen Landen Armenfchulen und Waifenhäufer in 
großer Zal angelegt, ed wurden Schulordnungen publizirt und 
Schulbücher gedruckt und ſchon jeßt wurden bier und da auf bie 
Seranbildung künftiger Voltöfchullehrer in den Waifens und Ar- 
menſchulen und in den Gymnaſien Bedacht genommen. In letz⸗ 
terer Hinficht iſt namentlich Franke's unmittelbarer Einfluß zu be⸗ 
merken, indem derſelbe nicht nur zalreiche junge Männer zu Leh⸗ 


— — — — — 


vornehmlich in dem Catechismo Lutheri ſammt den kurzen Fragen und Antworten, 
weihe von D. Casselio dem Katedjismo beigefügt [Dr. Martini Casselii Praxis 
tstechetica ⁊c if gemeint], Dann auch ferner die biblifhen, in dem für die Ju⸗ 
gend diefes Yürftentums a. 1697 im BDrud gegebenen Spruchbüchlein, dem Kate- 
qhiomo nad) zufammengefepten Eprüche, etliche der vornehmften Pfalmen , wie die 
kiben zu diefem Ende in jeßo erwähnten Büchern zu befinden, teil® dur das 
herumiefen, teild durch Aufgebung zum Auswendiglernen den Worten nad) gelehrt, 
hiernöchſt ihnen der Berfland des Katechismi nad) oelegenheit ihrer Fähigkeit er- 
Härt, erläutert und wol eingebildet x. — werde", 


— 64 — 


rern außbildete, fondern auch teild durch mündliche Belehrung und 
Unregung teild literariſch zur Entwicklung und Aufftellung eines 
eigentlihen Erziehungsſyſtems Anregung gab. Franke felbft jchrieb 
(wie ſchon oben bemerkt wurde) einen „Unterricht, Kinder zur 
Gottſeligkeit und Klugheit anzuleiten“. Späterhin (1733) veröffent- 
lichte Rambach feinen „mwolunterwiefenen Informator“ und trat in 
Jena und Gießen zum erften Male mit Vorlefungen über PBäbas 
gogit auf; und der Hernhutiiche Biſchof Leiritz (auch ein Schüler 
der Spener⸗Franke'ſchen Schule) fhrieb 1776 feine „Betrachtungen 
über die Erziehung der Kinder”. Allerdings gingen die Genann- 
ten in ihren Schriften nit von wißenfchaftlichen Begriffen, ſon⸗ 
dern lediglich von praßtifchen Intereſſen aus; aber der Weg zur 
eigentlichen Theorie war Doch bereit gebahnt. 


ALS Anfang eines neuen Unterrichtsiuyftems war das Spener- 
Franke'ſche Schulwefen dazn beitimmt, eine vollfommnere Ausbil⸗ 
dung der Erziehungsidee vorbereiten zu helfen und fomit in eine 
Ipätere Periode der Volksjchule einzumünden. In feinem urfprüng- 
lichen Charakter lebte dafjelbe am längften in den Brüderge- 
meinden fort, in denen fehr bald nad) den Mufter der Franke‘ 
ſchen Schulftiftungen durchweg niedere wie höhere Schulen einges 
richtet wurden *). Leider aber begann, wie der Pietismus übers 


*) In der Neueften Religionsgefh. T. II. S. 53 ff. teilt M. Spangenberg 
folgende Nachrichten über das Hernhutifhde Schulweſen mit: „In allen @e- 
meinorten wird darauf Bedacht genommen, daß die Kinder in der Zucht und Er- 
mahnung zum Herrn auferzogen werden. Es wird daher den Eltern nicht nur 
diefe ihnen von Gott felbft auferlegte Pflicht treulichft empfohlen, fondern and), 
wo e8 nötig ift, gehörige Anleitung dazu gegeben. Für die Kinder, fowol Anäb- 
hen als Mädchen, find befondre Schulen angelegt, in welcher fie unter der Auf- 
ficht des ordentlihen Lehrers und der Elteften des Ortes von Lehrern ihres @e- 
ſchlechts in den Anfangsgründen menſchlicher Erkenntniffe ebenfo wie in andern 
woleingerihteten Schulen unterwiefen werden. Da aber ein Hauptaugenmerk bei 
der Brüderunität ift, daß die Kinder ſchon in ihren garten Jahren die rechten Ein- 
deüde von dem Berderben des Menihen und dem Heil in Ehrifto Jeſu befommen, 
fo werden nod außer der Schule wicht nur die Kinder, ſondern auch die Knaben 


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haupt, ſo auch das aus demſelben hervorgegangene Schulweſen 
nur allzufrühe eine kraͤnkelnde, widrige Geſtalt anzunehmen. Als 
maͤhlich galt die Form ſoviel als der Geiſt, d. h. mehr als der 
Geiſt; und je weniger nun das Leben, welches in den Halle'ſchen 
Schulen und in verwandten Anſtalten wohnte, ber urfprünglichen 
Einrichtung und Tendenz entfpradh, um fo mehr diente die mit 
geitlicher Hoffahrt feftgehaltne Form nur dazu, Die Hinterlaßen- 
ſchaft Spenerd und Franke's in den Augen einer fpäteren Zeit 
läherlich zu machen *). Die Schulen der „Frommen“ und ber 
‚Stillen im Lande”, in denen fi die äußere geiftlihe Geberde 
oft ſehr unnüg und thatlos ſpreizte, verlor daher in der dffent- 
lichen Meinung um fo mehr, ald die Schulen der „Aufklärung“ 
im Gegenſatze zum Pietismus die rührigfte Thätigleit und Wirk⸗ 
ſamkeit zu entwickeln begannen. Hierzu Fam noch ein anderer, 


und Mädchen, welche ſchon bei der Handarbeit angeftellt find, von dem Prediger 
des Orts in den Grundmwahrheiten des Ebangeliums unterrichtet und darüber be- 
fragt, auch ihnen diefelben fo vorgetragen, daß ihnen zugleich gezeigt wird, wie 
fe zum Genuß der dur Jeſu biutige Verſöhnung erworbenen Gnade und Heils- 
güter gelangen können“. 

„Außer diefen in allen Gemeinen gewöhnliden Schulen und Unterricht der 
Jugend gibt es auch in der Brüdermität noch befondre Erziehungsanftalten, in 
welchen die Kinder derjenigen Diener des Herrn, welche den Heiden das Ebange- 
linm verfündigen oder fi) doch um ihres Berufes willen bald bier bald da auf- 
halten, ımd alfo der Erziehung ihrer Kinder nicht gehörig wahrnehmen Tönnen, 
wicht nur äußerlich mit aller Rotdurft beforgt, fondern aud mit der gröften Gorg- 
halt gepflegt, und mit älterliher Treue von dazu beftimmten Brüdern und Schweftern 
erzogen werden, fowie es aud in den Gemeinorien mit den Waiſenkindern ge- 
ſchieht“. 
„Für diejenigen Knaben, die zu den Studiis angewieſen werden, iſt ein Pä⸗ 
dagogium angelegt” u. ſ. w. 

*) Bgl. was F. H. C. Schwarz in den Freimüt. Jahrb. der allg. deutſchen 
Ldeltoſch. B. J. ©. 8 ſagt: „Beſonders ſchlimm ſtand es mit denen (Lehrern), 
welche and der Halle ſchen Schule mit pietiſtiſchen Geberden kamen. Ref. iſt der 
Reinung, daß dieſe abgeſchmackten Erſcheinungen in den damaligen Schulen eine 
rt Unwillen über die Religion den Knaben eingeflößt haben, und er erinnert fi 
noch ſehr wol des Mitleids, womit er damals einem folchen Lehrer anſah, welder 
der Spott der Schüler wegen jener frömmelnden Geberden war, und ihm doch 
Achtung und Liebe durch ferne wahrhaft fromme Gefinnung abnötigte”. 





— 56 — 


weit fchlimmerer Nachteil, den der Spener- Frante'iche Pietismus 
und ber aus Demfelben hervorgegangene Gultus der Waifen- und 
Armenfchule dem religiöfen Bewuftfein und Leben des evangelifchen 
Volkes brachte. Die Einrichtung oder wenigftend die Unterhaltung 
der Waifenhäufer war das Werk der Milbthätigkeit Einzelner ober 
der Gemeinden. Man wollte um Gottes willen thun, was man 
für die Waifen that, — in ganz falfcher, unevangeliicher Weiſe 
wollte man es fchließlih al8 Werk für das eigne Seelenheil 
thun. Man betrachtete daher die Spenden an die Waiſen, bie 
man in faljcher Weiſe als dem Heiland felbft gefpendet anſah, 
gradezu ald gute Werke, die man zur Erlangung der ewigen Ses 
ligkeit und zeitlichen Wolfahrt zu thun habe, und die Fürbitte ber 
Waiſen wurde nollftändig fo aufgefaft, wie die Fürbitte der Klofter- 
leute in der Fatholiichen Kirche"). Als befonderd wirkſam galt 


*) In den „Nachrichten von dem Zuftande und Wachstum des großh. Wai⸗ 
fenbaufes zu Weimar 1820“ wird (E. 4.) erzält: „Im 5 gedrudten Radrichten 
von den Wolthaten des Waifenhaufes zu N... von 1779 — 1783 werden unter 
andern auch folgende milde Gaben aufgeführt: 

1 Gr. zu fingen 671, 653, 488. 

123 Häringe zu fingen 671, 653, 487, 783. 

3 Gr. gab eine Preundin und verlangte, daß ihr Gott eine glüdliche 
Niederkunft ſchenken wolle. 

4 Gr. für einen Mann mit böſen Augen zu bitten. 

1 Gr. um die Befreiung von Zahnſchmerzen. 

4 Gr. Gott um beßere Nahrung zu bitten und zu fingen 49, 58. 

8 Gr. bittet Gott, liebe Waiſen, wegen meiner ſündlichen Gedanken. 

3 Gr. bittet Gott, daß er mich von den Lũügenmäulern errette. S. M. ©. 

4 Gr. dap mid) Bott gnädig erhöre; zu fingen 1110, 1108, 1115, 38, 
52, 45. 

2 Gr. Hiermit erſuche ich Bott, mir doch dasjenige zu verleihen, warum id) 
fo oft bete. 

4 Sr. daß er mir den Blauben fchente an den Sohn Gottes“. — 

Achnliches findet fi) in den Sahresberichten faft aller Maifenhäufer aus dem 
18. Sahrh. vor. In dem Mechenfchaftebericht des Waifenhaufes zu Hersfeld 
von 1764 ift 3. B. zu lefen: „Den 1. Sanuar (1763) ſchenkte eine vermittibte 
Freundin allhier 1 Gulden zum Neuen Jahr und empfahl fi) fammt ihrem Sohn 
in der Waifen Gebet. Begerte Yürbitte ift verrichtet worden“. Unter Dem 
83. Sonuar 1763 empfing das Waifenhaus eine ganze Reihe von Gaben mit dem 
Erfuhen um Fürbitte für die verfehiedengrtigften Dinge. Nachdem dieſelben anf. 


— 57 — 


darum auch die Teilnahme an den Betftunden der Waifen, in 
denen die einzelnen Fürbitten, welche begert worben waren, pflicht- 
mäßig perorirt wurden. — Außer dieſen „Fürbitten“ gewannen 
die Waifenhäufer eine weitere, jehr ergiebige Ertragsquelle in den 
Lotterien, mit denen viele derjelben audgeftattet wurden. “Die 
bernhutifche Auffaßung des ron frommen Händen geworfenen „Loo⸗ 
ſes“ war auch außerhalb der Brüdergemeinde heimiſch geworden, 
und bewirkte es daher, daß das Rotteriefpiel der Waifenhäufer für 
ebenſo gottwolgefällig als gottgefegnet und glüdbringend angefehn 
wurde, 


6. 2. 
Die Bürger- und Realſchule. 


Die Franke'ſchen Schulftiftungen hatten die erfte Anregung 
zu einer ſolchen Erweiterung des Begriffes der Volföfchule gege- 
ben, daß derſelbe nicht blos die Katechismusſchule des Küfters, 
jondern audy das, was man Bürgerfchule nannte, umfafte. 
Die fchärfere Ausprägung und beftimmtere Feſtſtellung des Be- 


gezeichnet find, heift ed: „Rachdem man diefe bei Begeren der Waifen - Fürbitten 
dargereichten Gaben dantbarli angenommen, find alle begerten Yürbitten von den 
Baifenfindern verricgtet worden. Gott wird folhe nicht allein gehört, fondern 
auch erhört, ſodann das Erfprießliche verfügt haben”. — Ferner: „Den 13. Ian. 
fm von unbefannter Hand 1 großer Thaler ein, nebft diefer Zufchrift: „„Eine 
Berfon, welche in der Fremde unter vielen Feinden leben muß und gar feine Er- 
tetumg noch Hülfe fieht, daß fie auch glaubt, Bott der Herr habe ihrer vergeßen, 
(dent den Waifenkindern 1 Thaler und empfiehlt fi in derfelben Gebet“ “. — 
„Den 30. Martii fam von einem ungenannten Wolthäter eine Viertel-Caroline ein 
ſammt diefer Zuſchrift: „ „Ein durch Vacha Neijender empfiehlt feine zu Haufe 
gelaßene ſchwangere Ehefrau in der Waifenkinder Gebet, auf daß ſolche der Höchfte 
m feiner Zeit glüdlih möge laßen entbunden werden” *. — 

In dem Bericht des Iutherifhen Waifenhaufes zu Marburg von 1769 ift 
iu lefen: „Herr Obereinnehmer W. fchenkte dem Waifenhaufe 200 Thlr. zur Dant- 
barkeit, dab ihm Gott in einer gewißen Sache reichlich gefegnet. Er ward dadurd) 
nit ärmer, fondern vielmehr reicher. Denn er gewann einige Jahre hernad) durd) 
einen glücklichen Zufall 9000 Thlr. Wir wollen damit nicht fagen, daß Gott alle 
Gaben der Liebe ſogleich auf eben diefelbe Art wieder vergelte, aber es folgt doch 
ſobiel daraus, daß es zumeilen gefchehe”, 


— 838 — 


griffes der Buͤrgerſchule erfolgte nun fo, daß ſich aus dem Be⸗ 
dürfnis des Lebens zugleich der Begriff der Realſchule aus 
bildete. 

Schon zu den Beiten des Dreißigjährigen Krieges hatten Die 
Realien namentlih durch den Einfluß des Pädagogen Am o 8 
Comenius für den Schulunterricht eine höhere Bedeutung ge- 
wonnen, bie Durch die mehr und mehr ſich erweiternden Hanbels- 
und PVerfehröverhältniffe und durch Die infolge deſſen zunehmende 
Wertſchaͤtzung mechanischer Kunftfertigkeit noch flieg, Wan fah 
allmählich ein, Daß das bürgerliche Berufsleben einen Aufſchwung 
genommen hatte, der eine Pflege und Vorbereitung befjelben in 
den Schulen zum unabweisbaren Bedürfnid machte. Denn Die 
Zal derer, welche nicht „lateiniſch werben” wollten und welche 
doch für ihren Lebensberuf Kenntniffe aus dem Gebiete der Geo⸗ 
metrie, Arithmetit, Phyſik, Mechanik u. |. w. nötig hatten, wuchs 
mit jebem Sabre. Für fie muften Schulen gefchaffen werden, 
welche in realiftiiher Hinficht Diefelbe Bedeutung hatten, welche in 
linguiftifcher Hinfiht Den Gymnaſien eignete; man mufte Schulen 
einrichten, welche nicht auf ber überlieferten lateiniſchen Gelehr⸗ 
ſamkeit, fondern auf neuen, der Gegenwart angehörenden Ent- 
deckungen und auf den zunehmenden Fortfchritten der Naturwißen- 
fchaften beruhten, Die es daher gar nicht mit Spradhen, ſondern 
mit Sachen zu thun hatte, oder wenigftend nicht Sachen der Ge⸗ 
ſchichte enthüllen und darftellen, fondern Wirkungen heruorbringen 
wollte, die dem Leben nüßlich waren. Die vorhandenen Deutfchen 
Bürgerfchulen fonnten dann einerfeitd als Vorbereitungsfchulen für 
den Befuch einer höheren realiftifchen Lehranſtalt betrachtet werben, 
wie fte andrerfeit8 Diejenigen Schulen waren, in weldye der ge- 
wöhnliche Bürger, der Handwerker den für ihn geniigenden Schul: 
unterricht erhielt. Hiermit war der Charafter und Die Beſtimmung 
der Bürgerfchule erſt wahrhaft begriffen, indem ſich mit ihr 
zugleich die Realſchule — aus dem thatjächlichen Bebürfnifje des 
Lebens — ausbildete *). 


*) Zu denen, melde die Idee der eigentlichen Bürgerfchule zuerft ausfprachen, 
gehört aud Ludwig Sedendorf, der in feinem Chriſtenſtaat (II., IX. 4.) forbertg, 


— 59 — 


So viel man weiß, war das Franke'ſche Schulwefen (in 
welchem Die Schüler mit Drechjeln, Striden, mit ber Botanik 
wa. m. beſchäftigt wurden,) der Boden, auf welchem die Real; 
ſhule ald höhere Bürgerfhule erwuchs. Die erfte Nach⸗ 
ht über die Entſtehung der Nealjchulen gab der Juſpektor ber 
deutichen Schulen Franke's, der „in mechanicis und mathemati- 
a wol geübte Prediger Chriſtoph Semler zu Halle in 
einer 1739 veröffentlichten Anzeige „Bon koͤnigl. preußiſcher Re 
gierung des Herzogtums Magdeburg und von ber Berlinifchen 
Knigl. Soctetät der Wißenfchaften approbtrte und wieder eröffnete 
mathematijche, mechanifche und Sconomifhe Realfchule Bei der 
Stadt Halle”. 

Allerdings war darum doch Halle ebenfowenig ber Wiegenfig 
des Realfchulwefens als Semler der Vater veffelben war; denn 
wenn ſchon Semler Die Idee der Realfchule fchon vollkommen Har 
auögefprochen hatte, fo war doch der Verſuch, den derfelbe zur 
Verwirklichung diefer Idee machte, nur von geringer Dauer *). 
Aber der eigentliche Begründer der Realfchule war doch von Halle 
md aus dem Spenerfchen Kreife ausgegangen. Es war dieſes 
der in der Geſchichte der Pädagogik hochzuftellende Gonfiftorialrat 
zu Berlin Joh. Zul. Heder Im Sabre 1707 zu Werden an 
der Ruhr in der Grafſchaft Mark geboren hatte berjelbe 1726 die 
Univerfität Halle bezogen, wo er ſich nach Franke und Breithaupt 
bildete, außer den theologiſchen Bollegien auch Vorlefungen über 
Mathematik, Phyſik und Antiquitäten bejuchte und jchon frühzeitig 
die Aufforderung erhielt, fi) zur Uebernahme einer Lehrerftelle an 


daß ein gemeines und ein gelehrtes Schulmefen unterfchieden werde. In jenen 
folte neben dem Lefen, Schreiben und Rechnen vorzugsmeife im Glauben und 
chriſtlicher Sitte Unterricht erteilt werden. „Im foldyen gemeinen Schnlen follte gar 
fein Latein oder dergleichen etwas gelehrt, hingegen vielmehr von der Religion 
und der Gottfeligkeit und guten Sitten getrieben werden; aus foldhen gemeinen 
Schulen kämen chriſtliche und nützliche untermwiefene Hauswirthe, auch Soldaten, 
denn dieſen Allen iſt das wenige Latein, ſo ſie in den Schulen erſchnappen, und 
darüber die Zeit mit Verſäumnis mehrer und nötiger Information in Gottes Wort 
und guten Sitten verdrießlich hinbringen, nichts nütze“. 
Bgl. Raumer, Geſch. der Pädagogik, T. 1. ©. 163 ff, 


— 60 — 


dem Pädagogium zu Halle vorzubereiten. Daneben bejchäftigte 
fi Heder aud mit mebicinifhen und pharmazeutifchen Studien. 
Im Jahre 1735 wurde Heder Prediger zu Potsdam und Inſpec⸗ 
tor des dortigen Föniglichen Waiſenhauſes. Am 19. nah Trinis 
tatis 1738 muſte er in Gegenwart des koͤniglichen Haufes zu 

Wufterhaufen predigen. Auf dem Schloßplage ernannte ihn hier 
auf der König zum Prediger an der neugebauten Dreifaltigkeitskirche 
in Berlin mit den Worten: „Er muß, wie er heute gethban, den 
Leuten auf der Friedrichsſtadt den Herrn Jeſum prebigen und fid 
der Jugend recht annehmen, denn daran ift Das Meifte gelegen”. 
Und Heder that getreulih, was ihm ber König befohlen hatte. 
Insbeſondere richtete derjelbe Frübpredigten fowie an jedem Sonn- 
tag Abends Fatechetifche Uebungen ein, in denen er feine Predigten 
wiederholte. Daneben entwarf Heder den Plan zu einer Schul: 
anftalt, deſſen Ausführung ſchon im erften Jahre feiner Amtsfüh⸗ 
rung begonnen wurde. Aus dem Beichtgeld, welches er zu be 
ziehen hatte, au8 einem von den Obercuratoren der Parochie ver: 
willigten Teile bes SKlingelbeutelopferd und aus dem nach Been- 
digung der Predigten in den SKirchenbeden gefammelten Gelbe 
wurde der Aufbau des dazu erforberlihen Schulhaufes bewerfftel- 
ligt, fo daß die Schule im Mai 1739 mit ſechs Lehrern eröffnet 
werden Eonnte. Hecker gründete außerdem Freifchulen, die ſich in 
den folgenden Jahren fo vermehrten, daß ſich faft in jeder Straße 
eine Freifchule befand, in denen zufammen über 400 Kinber freien 
Unterricht genopen. Im Sabre 1746 nahm Heder eine neue 
Veränderung und Erweiterung mit feinen Anftalten in der Weiſe 
vor, daß die Schüler in fünf theologifchen, zwei lateiniſchen, zwei 
franzöftfchen und ebenfo vielen geographifchen und Hiftorifchen 
Klaffen Unterricht befamen und auch mit den Anfangsgründen 
der Naturlehre bekannt gemacht wurden. Seitdem nannte Heder 
diefe Anftalten „Realfehule”. Im Jahre 1747 wurden aud) 
die Zeichnenkunft, die Geometrie, Mechanik, Architectur, Manufac⸗ 
tur, Landwirthſchaft und die Wißenfchaft von Naturalien und 
Kunftftüden in den Lectionsplan aufgenommen. Vielfach anges 
feindet, aber auch (unter Anderen namentlich vom König) unters 
ftügt erhielt die Schule als Zöniglih anerkannte Realſchule 


— 61 — 


i J. 1748 eine beſtimmte Organiſation und gewann in den naͤchſt⸗ 
folgenden Jahren an Ausdehnung wie an Anſehn uud Bedeutung *). 
Diefed geſchah namentlich dadurch, daß Heder in feiner Schule 
ft 1748 zugleich eine - Art von Schullehrerfeminar einrichtete, 
worin er 3— 4 junge Leute zur Uebernahme von Lehrerftellen an 
den Schulen des weitläufigen Pfarriprengel® der Dreifaltigfeits- 
Are inſtruirte. Ginen noch wirkfameren Einfluß auf die Ent- 
wicclung des Volksſchulweſens im Allgemeinen erhielt indeſſen die 
Realſchule zu Berlin durch die Beziehung, in welde Johann 
Friedrich Hähn zu derjelben trat. 

Zu Baireuth i. J. 1710 geboren, hatte !Hähn in Jena 
Theologie und Mathematik fludirt, war dann ald entjchiebner An- 
hänger des Spener⸗Franke'ſchen Pietismus nach Halle gegangen, 
wo er eine Lehrerſtelle am Waiſenhauſe erhielt, und war hierauf 
bon dem Abte Steinmetz im Klofter Bergen, der feinen Glaubens: 
eifer fchäßte, zum Lehrer an der Schule zu Klofter Bergen, fowie 
Ipäter zum Klofterprediger und zum Inſpector der Schule ernannt 
worden. Mit jeltner Geduld und mit der einnehmendften Freund- 
lichkeit ließ fih Hahn zu feinen Schülern hinab, indem er e8 na- 
mentlich als feine Aufgabe anfah, denjelben Alles, mas er vortrug, 
möglichft klar und faplih.zu machen. Daneben erteilte Hahn in 
den (eben erſt geftifteten) Schullehrerfeminar des Kloſters Un- 
terript in der Lehrmethode. Ueber die hauptſaͤchlichſten Rechnungs⸗ 
arten ließ er Tabellen druden, und lehrte die Seminariften, wie 
fie diefe fowie ein von ihm herausgegebenes Buchſtabir⸗ und Lehr- 
büchlein zwedmäßig zu gebraudyen hätten. Indeſſen veranlafte ihn 
eine BZwiftigfeit mit dem Abte das Klofter i. J. 1749 zu verlaßen 
und die Stelle eines Yeldpredigerd zu Berlin anzunehmen. Hier 
lernte ee Heder und deffen Realfchule fennen und begann der lep- 
teren alsbald fein Tebhafteftes Intereſſe zuzuwenden. Er jchrieb 


*) Bgl. „Sammlung der Nachrichten von den Schulanftalten bei der Dreifal- 
tigkeitstirche auf der Friedrichsſtadt in Berlin, wie aud) ‚von der gegenmärtigen 
Verfaßung derfelben, nebft anderen Beilagen. Berlin 1749. 1750; — des Ober- 
confiorialsats Sadewaßer „Gedächtnispredigt auf Heder“, und Erſch und Brubers 
Encehelopädie |. o. Heder. 4. 








— 62 — 


„Agenda scholastica ober Vorſchläge, Lehrarten und Vorteile, 
welche ſowol überhaupt zur Einrichtung und Grhaltung guter 
Schulanftalten als auch befonders zur Beförderung und Grleichte- 
rung des Lehrend und Lernens abzielen“. (Berlin 1750 — 1752, 
10 Stüde.) Sein reblidyer Eifer und feine pädagogijchen Gaben 
erwarben ihm ſehr bald die Gunft der angejehenften Kamilien und 
jelbft des Hofes. Daher wurde Hähn beauftragt, den Damals 
fünfjährigen Prinzen Friedrih Wilhelm (Nachfolger Friedrichs IL) 
ber an Schwerfälligfeit und Umnbeutlichkeit der Sprache litt, das 
Leſen zu lehren. Mit Hülfe mehrerer von ihm erjonnener Kunft- 
mittel (Bilder auf Papier, Modelle, Spielzeug) erreihte Hahn 
jeinen Zwed in kurzer Beit und bahnte fi dadurdy den Weg zu 
weiterer Beförderung. Er übernahm im Mai 1753 Die Inſpec⸗ 
tion ber Realſchule und wurde zugleich Hedern ald Pfarrer an 
ber Dreifaltigkeitskirche adjungirt. Bei einer vieljeitigen amtlichen 
Thätigfeit in Kirchen- und Schulſachen widmete er alle feine 
Mufeftunden der DVerfertigung von Abbildungen der Fürften des 
Hanfes Brandenburg, des Haufes Sachſen, des roͤmiſchen Reichs 
unb arbeitete Supfertafeln zur Staatengefchichte, Chronologie, Ge⸗ 
nealogie, Heraldik und Numismatif an, indem er hierdurch Den 
Schülern das Erlernen der Gejchichte und Geographie erleichtern 
wollte. Außerdem fehrieb er neben vielem Anderen eine “größere 
und Fleinere Glaubenslehre ſowie ein Compendium der Geometrie, 
Zrigonometrie und Kriegsbaukunſt in Tabellen. 


) Hähns Wirkſamkeit in Berlin dauerte bie 1759, in welchem Jahre derfelbe 
zum Generalfuperintendenten der alten Mark und Priegnig nad Gtendal verfeßt 
wurde. Bier Jahre fpäter (1762) wurde H. zur Würde eines Abtes des Klofters 
Bergen und Generalfuperintendenten der Provinz Sachſen erhoben, aus welder 
Stellung indeffen Hähn durch Cabinetsbefehl Friedrichs II. i. 3. 1771 wieder ent- 
fernt wurde. Hähns Eigenfinn und Herfchfucht hatte diefe Maßnahme herbeigeführt. 
Indefien wurde er auf Verwendung des Prinzen Yriedrih Wilhelm noch in dem- 
felben Jahre zum Generalfuperintendenten, Gonfiftorialrat und Gymnaflaldirector 
zu Aurich ernamt, wo er i. I. 1789 ftarb. — Bol. Henke's Archid für die 
neuefte Kirchengeſch. B. II. ©. 156 ff. 606 ff. 8. IV. S. 59 ff. — Eine Be 
fhreibung feiner Riteralmethode lieferte H. in der Schrift: „Ausführlide Abhand⸗ 
Img der Kiteralmethode” (Berlin 1777.). 


— 63 — 


Sn der Einrichtung dieſer Tabellen beftand das Gigenthüms 
lihe der Lehrmeihode Haͤhns, die durch ihn zunaͤchſt in der Real« 
ſchule zu Berlin eingelibt und von da aus jpäterhin in die Volks⸗ 
ſchulen des katholiſchen Deutſchlands verpflanzt wurde. Haͤhn 
ſelbſt nannte dieſe tabellariſche Lehrmethode die Literalmethode. 
Das Weſentliche derſelben beſtand darin, daß die Hauptgegenſtaͤnde 
des Unterrichts nur mit den Anfangsbuchſtaben der Worte (literae 
Ratt der vollen Worte) in den Schulen an der Tafel angefchrieben 
ud insbefondere Die Hauptjäpe der Disciplinen tabellarijch bar- 
geellt wurden. Durch dieſe Einrichtung follte das Auswendig⸗ 
lernen erleichtert und Gründlichkeit im Durchdenken der Sachen 
befördert werben. — &8 war diejeö der erfte Verſuch, den Unter: 
rt als eine Kunft zu behandeln und denſelben methodiſch zu 
eteilen. Während man fich nemlich bisher allgemein der Meinung 
hingegeben hatte, daß ed in ber Schule nur auf einfache nnd 
tihtige Mitteilung der zu lehrenden Sachen anfomme, wurde jeßt 
zum erften Male der Gedanke geltend gemacht, daß es, wenn ber 
Zweck der Schule erreicht werben follte, auf das Wie? der Mit 
teilung wefentlich anfomme und daß es eine Technik bes Unter⸗ 
richts gebe, welche nothwendig befolgt werben müfje. — Noch war 
man fi) in weiteren Kreifen, in benen man von der in der 
Realſchule zu Berlin eingeführten neuen Lehrweife gehört hatte, 
nod völlig unklar, was unter derſelben eigentlich zu verftehen fei, 
ald das neue Evangelium des methodijchen Unterrichts ploͤtzlich von 
einer andern Seite her verkündigt wurde, welche al8balb die Aufs 
merfjamfeit Aller auf ſich zog und Die Erörterung der Unterrichts> 
frage in ganz neue Bahnen brachte. 


6.8. 


Der Philanthropinismus Bafedoms. N 


Sp viel Segen aud der Spenerſche Pietismus dem evange- 
liſchen Deutfchland brachte, fo war berjelbe doch jchlieplich weder 
gefund noch flarl genug, um den unaufhaltſam herannahenden 
Sturz des traditionellen ſcholaſtiſchen Glaubens und der Herrichaft 
defielben über das Leben zu befchwören. Es Fam eine Zeit, 





— 64 — 


welche ſich der bevormundenden Macht nicht bloß der kirchlichen 
Rechtglaͤubigkeit, ſondern überhaupt der chriſtlichen Froͤmmigkeit 
vollſtaͤndig entwand; eine Zeit, welche eine Neugeſtaltung aller 
Lebensverhältniſſe der Gegenwart ſuchte, ohne zu wißen, wo ſie 
zu ſuchen und wie ſie herzuſtellen ſei, indem ſie nur darüber mit 
ſich einig war, daß der Bruch mit der Geſchichte, mit der bis⸗ 
herigen politiſchen und ſocialen Sitte und vor allem mit dem 
Chriſtentum unerläßliche Bedingung einer wahren Weltverbeßerung 
ſei. Der Menſch ſollte nicht mehr auf die Barmherzigkeit Gottes 
in Chriſto, nicht mehr auf die gnadenreiche Führung eines Vaters 
im Himmel, ohne den kein Sperling vom Dache faͤllt, ſondern 
auf fich ſelbſt verwieſen werden. Das letzte Ziel aller Erziehung 
des Menſchen konnte daher nichts anderes als Selbſtverherrlichung 
deſſelben, d. h. ein ſolches Freimachen aller im Menſchen ſchlum⸗ 
mernden geiſtigen und koͤrperlichen Fähigkeiten fein, daß der Menſch 
in dem Gebraudhe und Bewuſtſein feiner eignen relativen Voll⸗ 
fommenbeit jeine höchſte Befriedigung fand. Es iſt begreiflich, Daß 
diejer Weltbeglüdungs-Kiberalidmud fi vor Allem zur Umgeftaltung 
des Erziehungsweſens berufen ſehen muſte. Uud in der That hat 
berfelbe auf pädagogifchem Gebiete zwar unendlich viel Verkehrtes, 
aber nichts defto weniger Bedeutendes geleiftet. Wie der Spenerjche 
Pietismus die erfte Anregung zur Ansbildung einer pädagogifchen 
Methode gab, fo gab der deiftifche Liberalismus Die zweite. 

Unter den Vorboten der neuen Zeit und der Revolution in 
Franfreih hatte Rouffeau am meiften von fi) reden gemacht. 
Sein „Emil“ *) follte ein Vorbild der gefammten dur eine neue 
Erziehungsmethode zu verjüngenden und beglüdenden Menjchheit 
jein. Natürlich waren ed auch in Deutfchland nicht wenige, welche 
ih) von den Verheißungen der neuen Weltbeglüdungsapoftel über: 
wältigen ließen. Der nambaftefte Repräfentant derſelben auf 
pädagogijhem Gebiete war der bekannte Sobann Bernhard 
Baſedow mit feinem i. J. 1774 zu Deffau unter dem Schutze 
des Fürften Franz geftifteten Philanthropinum. 

Baſedow, deſſen Charakter aus Göthe's Zufammenftellung 


*) Emil ou de l’Education. 1762, 





— 68 — 


deſſelben mit Lavater hinlaͤnglich bekannt geworden iſt, *) eröffnete 
die Reihe derjenigen Paͤdagogen, welche auf dem Wege einer neuen 
Etziehungsmethode eine vollſtaͤndige Verbeßerung der Welt und 
die Herftellung eines paradieſiſchen BZuftandes des Menjchenges 
ſchlechtes pomphaft verfündigten. Da Baſedow ald Grundbedingung 
einer rechten Erziehung die Naturmäßigfeit anjah, jo bat ſich der 
ſelbe um die Entwidelung der Grziehungsidee und um Belebung 
bes pädagogischen Intereſſes wirkliche Verdienfte erworben, aber in 
der Hauptfache trug fein Philanthropinismus den Todeskeim ſchon 
von Anfang an in fi. Als die fohlimmften Gegner eined wahr 
haft vernünftigen Erziehungswejend betrachtete Baſedow den auf 
Univerfitäten und Schulen herrfchenden Tateinifchen und griechiichen 
Humanismus und das hiſtoriſche Chriftentum. Weberhaupt wollte 
Vvaſedow die. Schule nicht einem, beftimmten bürgerlichen ober 
religiöfen Berufsinterefje dienſtbar willen; Die Schule follte nur 
Beltbürger erziehen und zwar nicht Durch ſprachliche und kirchliche 
Belehrung , fondern durch Mitteilung von Realien und 'durd Auf 
Mirung. Die hauptfächlihhften Gedanfen der Baſedow'ſchen Er⸗ 
zehungslehre, injoweit dieſelbe namentlich in einer Geſchichte des 
volksſchulweſens in Betracht kommt, find folgende: Das Ziel jeder 
Etziehung muß Ausbildung des Menfchen zur Eosmopolitifchen 
Sumanität fein. Während daher bisher in den Schulen nur ges 
ehrt wurde, was der Fünftige Bürger und Bauer als foldyer oder 
auch der Gelehrte zu jeinem Berufe nötig bat, ift vielmehr darauf 
zu ſehen, dab das Kind zum Menfchen, zum Weltbürger erzogen 
werde. Erſt etwa vom 15. Lebensjahre au ift der Beſuch eigent- 
her Berufsſchulen zufäßig. Der Weg, der zu dem einzig wahren 
Biele der Erziehung führt, ift Bildung des Verftandes oder Auf- 
Härung. Diefe Aufklaͤrung wird nit durd dad Spradftubium, 
ſondern durdy Mitteilung von Nealien gewonnen, für welche das 
Sprahftubium nur. Mittel fein kann. Dieſe Realien find die all- 
fglihen Dinge des gewöhnlichen Lebens, von denen dem Kinbe 
eine dem finnlichen Object genau entjprechende Anfchauung beizu⸗ 
bringen iſt. Daſſelbe kann teils durch Vorführung der Dinge 


RKRaumer, Geſch. der Pädagogit, B. II. ©. 246. 





— 66 — 


ſelbſt, teils durdh treue Abbildung gefchehen und muß dem Linde 
fo leicht als möglich gemacht werden. Am Belten lernt dad Kind 
im Spiel. Auch die Ausübung der Religion und des Sittenge⸗ 
ſetzes ift dem Kinde möglichft zu erleichtern. Daher ift bafjelbe 
nur über den natürlichen Gottesbegriff zu belehren. Ohnchin find 
die Kinder von Natur gut und laßen fich leicht zu Menfchenfreunden 
und Weltbürgern erziehen. Die Erziehung ift durch Belohnungs⸗ 
und Beltrafungsmittel zu unterftügen, welche auf das natürliche 
Ehrgefühl berechnet find. Insbeſondere jedoch ift die phyfiſche 
Erziehung des Menſchen zu würdigen, indem bie Abhärtung des 
Körpers auch zur Kräftigung des fittlihen Bewußtſeins beiträgt. 
Im Kirchenglauben tft das Kind erft in fpätern Jahren zu unter 
weifen, wogegen ed durchaus nötig ift, Daß das Kind über alles 
der Sinnenwelt Ungebörige, aljo 3. B. über die Geheinmiſſe des 
Geſchlechtslebens bei Zeiten unterrichtet wird. 

Baſedow verkündete der Welt fein neues Erziehungsevangelium 
i. $. 1768 mit feiner „Vorftellung an Menſchenfreunde und ver- 
mögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in 
die Öffentliche Wolfahrt. Mit einem Plane eines Elementarbuchs 
der menjchlichen Erkenntnis. Hamburg 1768” (174 ©. 8%. Hier 
auf folgten feine anderen Schriften: „das Methodenbuch für Väter 
und Mütter der Familien und Völker,” fein pomphaft ange 
kündigtes „Elementarwerk, ein Vorrat der beften Grfenntnifje zum 
Lernen, Wiederholen und Nachdenken“ (Leipzig 1773) in 3 Bänden 
mit 100 Kupfern, „Vorſchlag und Nachricht von bevorftehender 
Verbeßerung des Schulwefend Durch das Elementarwerk, dur 
Sculfabinette, Educationdhandlung und ein elementarifches In—⸗ 
ftitut” u. a. m. 

Baſedows Auftreten erfuhr begreiflicher Weife jehr bald viel- 
feitigen Widerfpruch, und nachdem kurze Zeit die Hoffuung Vieler, 
welche teils fein Philanthropin felbit bejucht, teils dasſelbe aus ber 
Ferne beobachtet, auf feinen Verheißungen und Projekten gerubt 
und ihn, der alle Welt für feine Grziehungspläne um Gelb an- 
bettelte, bereits im Jahre 1771 mit nicht weniger als 37,000 Rthlr. 
Dazu ausgeftattet hatte, — galt ed nad) wenigen ‘Decennien als 
ausgemachte Sache, daß Baſedows Grziehungsidee zwar ganz ernſt 


— 87 — 


gemeint, aber doch nichts als Schwindelei und Unverſtand gewefen 
ſei, und es wurde ſogar vergeßen, daß ihm das unleugbare Ver⸗ 
dienft gebührt, das Intereſſe für Reformen im Unterrichtsweſen 
weithin angeregt und namentlic der althergebrachten, trägen und 
gedanfenlofen Handwerksmäßigkeit des Unterrichtes in den Schulen 
wirffam entgegengearbeitet zu haben. *) — Es war ein wejentlicher 
Erfolg, Den Bafebow erzielte, indem man infolge jeiner Wirk: 
ſamkeit wirklich zu begreifen begann, das Unterrichten und Lehren 
betehe nicht darin, daß man einem finde fuccefjiv eine Maſſe von 
Wahrheiten vorjage und einpräge, jondern es fei eine Kunft, und 
müße darum methodisch eingerichtet werden. Daher erhoben fich 
alsbald von allen Seiten rührige Kräfte, welche es fich zur Auf. 
gabe machten, dem allgemein anerkannten Bedürfniffe der Hers 
ſtellung einer aͤchten Lehrmethode abzuhelfen und Die neue päbas 
gogiiche Idee für alle Schichten und Klaffen des Volkes wirkſam 
zu machen. Der Brofefior Trapp zu Halle (+ i. 3. 1817 als 
Borfteher eines Privatinftitutes zu Wolfenbüttel) jchrieb und las 
über Die neue Pädagogik, die er im Syſtem Darzuftellen ſuchte. 
Becker, einer der erften Lehrer am Philanthropin in Deſſau, 
lieferte eine Mafje viel gebrauchter paͤdagogiſcher Schriften, 3. B. 
die Zugendzeitung, Die Deutjche Zeitung, die Nationalzeitung, den 
Allgemeinen Anzeiger, das Not= und Hülfsbüchlein, Die Mildheimiſche 
Liederſammlung. Campe (eine Zeit lang am Philanthropin in 
Deſſau, hernach in Hamburg Vorſtand eines Crziehungsinftitutes, 
T 1818 zu Defjau) war nanteutlih als überaus produftiver 
Schriftfteller für Die Jugend **) thätig. Andre arbeiteten in andrer 
Weile. Es war ein ehrenhaftes, ernfted Streben, was dieſe 
Pädagogenwelt beſeelte. Aber was fie jchufen, Eonnte für ſich 
nicht beſtehen und konnte nur als Vorbereitung und Uebergang 
zu einer beßeren Geſtaltung des Erziehungsweſens in Betracht 


) Es freut uns daher, daß Baſedows auf dem Friedhofe zu Magdeburg 
i. 3. 1796 errichtetes aber i. 3. 1813 weggeräumtes Dentmal, zu welchem der 
Herzog Karl von Braunfhweig den Marmor gegeben hatte, wieder hergeftellt 
worden iſt 


) ABCbuch, Robinfon, Kinderbibliothet, Sittenbüchlein x. ıc. 
ph* 





— 68 — 


fommen. Denn der Goͤtze, dem alle fröhnten, hieß „Auffläs 
rung,” worunter etwas gedacht wurbe, das nur durch völlige 
Verdrängung des chriftlichen Geiſtes Raum gewinnen konnte. Mit 
dieſer Aufflärungsfucht ging das Nüplichfeitsintereffe und die Rüd- 
fihytnahme auf das Bedürfnis des äußeren Lebens Hand in Hand. 
Im günftigften Falle brachten es daher die Sünger biejer philan- 
thropinifcheweltbürgerlichen Pädagogik dahin, daß die Schulkinder an 
gefundem Menfchenverftande gewannen. *) Es Tonnte daher nicht 
fehlen, Daß der von Baſedow erwedte Kultus der Methode ſich 
ſehr Bald jelbft zu Grunde richtete. Indem nemlich alle Welt für 
„Methode” zu fchwärmen begann und indem die Methode für den 
Stein der Weifen gehalten wurde, den Diejer oder jener gefunden 
baben wollte oder nach der Verficherung Anderer nicht gefunden 
batte, galt die „Methode” in der Meinung Bieler allmählich als 
eine Xächerlichfeit und die methodiſche Schulmeifterei galt als 
Gharlatanerie. — Auch dad Philanthropin zu Deffau hatte jehr 
bald jeine Blütezeit überlebt. Als Campe das Guratorium der 
Anftalt mit übernommen hatte, ſah man fi, genötigt, derſelben 
dadurch aufzuhelfen, daß man den Namen des Philanthroping in 
ben eine „Educationsinftitutes” umwandelte. Zwei Jahre 
ſpäter jagte ſich Baſedow von demſelben vollftändig los, und in 
der nächjftfolgenden Zeit wechjelte das Directorium fo oft, Daß 
Baſedows Schöpfung das öffentliche Vertrauen mehr und mehr 
verlor und i. %. 1793 als öffentliches Inſtitut gefehloßen werben 
mufte. — Und wie das Philanthropin, fo verfchwanden faft alle 
ihm nachgebildeten Anftalten (zu Marjchlin in Graubündten, ge 
ftiftet von Ulyfjes von Salis, zu Heidesheim, geftiftet von Bahrdt, 
zu Vechelde bei Braunfchweig, geftiftet von Hundeiker u. |. w.) 
ſchon nad) wenigen jahren, indem es fich immer mehr heraus: 
ftellte, daß dieſe Pädagogik der Weltbürgerlichkeit auf Täufchungen 


*) Es war ein weit verbreiteter Gedanfe, den Käftner in folgenden Verſen 
ausſprach: 
„Dem Kinde bot die Hand zu meiner Zeit der Mann; 
„Da ſtreckte ſich das Kind und wuchs zu ihm hinan. 
„Sept Tauern hinab zum Kindlein 
„Die pädagogifhen Männlein.‘ 


— 69 — 


beruhte. Nur die aus dieſen Beſtrebungen hervorgegangene (aber 
egentümlih ausgebildete) Anſtalt, welche Salzmann i.%. 1784 
zu Schnepfenthal errichtete, bat fich erhalten. 


$. 4. 
Die Schule zu Nachterſtädt.“) 


Zu den wenigen Schulanftalten, in Denen eine unmittelbare 
Einwirfung der Baſedow'ſchen Pädagogik auf die Volföfchule herz 
bortritt und welche in jener Zeit als erfte Anfänge und ald Normen 
einer beßern Geſtaltung des Volksſchulweſens entftanden, gehört 
die von dem Pfarrer Herbing zu Nachterſtaͤdt im Fürſtentum 
Halberftadt (unweit Afchersleben und Duedlinburg) um 1770 bes 
gründete Schule. Diejelbe entftand und entwidelte fich in folgen- 
der Weife: Mehrere Jahre lang hatte ſich Herbing vergebens 
bemüht, der Schule feines Kirchipield einigermaßen aufzuhbelfen. 
Die Unfähigkeit feines alten Schulmeifters hinderte jeden Schritt 
um Beßern. Erſt ald ihm die Bemeinde i. J. 1767 die freie 
Wahl des Schulmeifters überließ, vermochte er die Reformirung 
der Schule wirklich zu beginnen. Gin halbes Jahr lang unter: 
richtete Herbing im Beifein des neuen Lehrers die fähigeren Knaben 
der Schule, deren fi im Ganzen jährlich etwa 10 — 12 zujam- 
menfanden, in ber Religion und deutſchen Sprache, in Geſchichte 
und Geographie und in allerlei gemeinnügigen Kenntnilfen. Außer: 
dem nahm Herbing den Lehrer an jedem Mittwoch Mittags und 
Abends an Tiſch und zog ihn auch fonft möglichit in feinen Um⸗ 
gang, um ihn durch geeignete Anregung und Belehrung zur Aus- 
übung feines Amtes mehr und mehr vorzubereiten. Nad Ablauf des 
halben Jahres mufte der Lehrer den Unterricht übernehmen und 
in Herbingd Gegenwart erteilen. Am Scluße der Unterrichts: 
Runden machte Herbing den Lehrer auf die Mängel, die er in 





*) Bergl. „Allg. Bibliothek für das Echul- und Erziehungswefen in Deutſch- 
land," Nördlingen 1781. B. IX. &. 516 ff. und ‚Briefmechfel über das Erzie. 
hungtinſtitut zu Rachterſtädt im Fürſtentum Halberſtadt, herausgegeben von 
Perihte Hude, 1780,” 





_ 0 — 


der Unterrichtsweife deifelben wahrgenommen hatte, freundlich 
aufmerffam. Das wurde ein halbes Jahr lang fortgejekt. Auch 
ließ Herbing jebt fämmtliche Kinder im Schreiben und Rechnen 
unterrichten. Denjenigen, ‚welche ſich die Schreibmaterialien nicht 
anzufchaffen vermochten, wurden dieſelben von Herbing unentgeld- 
ih geftellt. Gleichwol muften die Eltern zum öfteren durch ge- 
richtlihen Zwang genötigt werden, ihre Kinder in den Schreib- 
und Rechnenunterricht zu ſchicken. Zur Erleichterung des leßteren 
ichaffte Herbing aus dem Kirchenfaften und aus eignen Mitteln 
in Rahmen gefafte Schiefertafeln an. Binnen zwei jahren war 
der Fortgang des Schreib- und Nechenunterrichtes in der Schule 
hinlänglich gefichert,, jo daß man nun au in der Orthographie, 
in der Religions- und Weltgefchichte und in den Anfangsgründen 
der Geographie Unterricht geben konnte. 

Da indeilen die Eltern troß aller Zwangsmaßregeln der 
Obrigkeit ihre Kinder immer noch fäumig zur Schule jchidten, jo 
entfchloß fi) Herbing ein öffentliches Schulesamen zu veranftalten, 
zu welchem die GerichtSobrigfeit, der Richter, die Geſchworenen 
und die anderen angejehenen ®emeindeglieder fowie Die benach—⸗ 
barten Geiſtlichen, Adlichen und Beamten eingeladen waren. Die 
fleißigen Schüler wurden belobt und mit Heinen Prämien ausge: 
zeichnet ; Die unfleißigen wurden öffentlich getadelt und berabgefeßt. 
Um die Liebe zur Schule auch auf anderen Wegen zu eriweden, 
ließ Herbing durch einzelne Schüler in Gegenwart der Eltern der⸗ 
jelben Eleine Rebeübungen aufführen. Diefe Rebeübungen wurden 
Anfangs in der Schule, hernach aufdem Rathaufe und zuletzt (an 
jedem dritten Fetertage der drei hohen Feſte) in der Kirche ges 
halten. Zugleich übte Herbing etwa acht begabtere Knaben außer 
den Schulftunden in der Snftrumentalmufit, und da diefelben nad 
Ablauf eines Jahres einige Stüde notdürftig ſpielen Fonnten, jo 
ließ er fie vor, zwilchen und nach den Redeübungen muficiren. 
Regelmäßig erteilte Herbing drei Stunden in der Schule Unterricht 
in Geſchichte, Geographie und Religionslehre und begann ſpaͤter⸗ 
bin jogar einige Schüler die Anfangsgründe der Iateinifchen und 
griechiſchen Sprache ſowie allerlei anderes zu lehren. Sehr bald 


— 7t — 


hatte Herbing die Freude zu fehen, daß ſeine Schüler won allen 
Seiten ber als Lehrlinge und Chorſaͤnger begert wurdan. 

Im Jahre 1774 bat ihn ein Soldat, der ein Vater vieler 
Kinder war, feinen Knaben um Gottes Willen auf ein halbes 
Jahr in Koft und Unterricht zu nehmen. Herbing verwendete auf 
die Ausbildung des reichbegabten Knaben allen Fleiß, fo daß er 
benfelben ſchon nach anderthalb Jahren ald Hülfslehrer gebrauchen 
fonnte. 

Die vier in ber Inftrumentalmufif geübteften Schüler gingen 
akjährlich etliche Male auf muſikaliſche Reifen, um fich mit dem 
Meinen Berdienft die nötigen Bücher und Muflalien anfchaffen zu 
Eönnen. Hierdurch wurbe die Anftalt zu Nachterftädt in weiteren. 
Kreiien bekannt. Infolge deſſen richtete i. J. 1778 ein Artillerie 
offzier an Herbing das Grfuchen, die vier muſicirenden Knaben 
nad Magdeburg zu ſchicken. Herbing entfprach der Bitte und bie 
vier Suaben kehrten mit Geſchenken reich beladen von Magdeburg 
in die Heimat zurüd. Mit ihnen fam auch ein bisheriger Lehrer 
am Paͤdagogium im Klofter Bergen, Candidat Schwarz in 
Raterftäbt an, um mit Herbing den Plan zu Errichtung einer 
Sriehungsanftalt für die geringeren Stände zu entwerfen und ſo⸗ 
fort auszuführen. 

Schon vorher war Herbing von jenem preußiſchen Artillerie⸗ 
offigier, der mit Staunen geſehen hatte, was ſfich aus einer Dorf— 
ſchule machen laße, erfucht worden, feine Schule zu einem eigents 
lichen und ausgebehnteren Grziehungsinftitut umzubilden , was 
Serbing, dem es nur um Hebung feiner Kirchſpielſchule zu thun 
war, bisher abgelehnt hatte. Jetzt Dagegen glaubte Herbing biejen 
Gedanken nicht zurückweiſen zu dürfen. Der Plan zur Errichtung 
eines Inſtitutes (für welches fich der Minifter v. Zedliz in Berlin 
ſehr intexeffirte,) wurde entworfen; außer Schwarz wurde noch ein 
dritten Lehrer herangezogen, und die neue Anftalt blühte alsbald 
fröhlich auf. 

Die Einrichtung derfelben war folgende: Neben und aus 
der Dorfſchule wurde zunächſt ein „Volkslehrerinſtitut“ gebildet, 
welches von jener zwar völlig gefondert war, aber mit berjelben 
doch infofern im Zuſammenbang ſtand, als 1) Die befähigteren Oäyller 


_ 72 — 


der Dorfſchule, welche zum Lehrerberufe Neigung hatten, aus der 
Schule unmittelbar in das Inſtitut eintraten und als 2) die erſte 
ber zwei Klaſſen der Dorfſchule einige Lehrſtunden mit dem Volks⸗ 
Iehrerinftitut gemeinfam Hatte. | 

Sn der Dorffchule wurben die Schüler. gelehrt 1) Fertig⸗ 
Iefen, 2) Schönfchreiben und Nechtichreiben, womit wöchentlich 
zweimal Uebungen: im Brieffchreiben verbunden wurden, 3) Rechnen, 
einjchließlih der Bruchrechnung, 4) Allgemeine Geographie mit 
Gebrauch ‚von Landkarten und fpecielle Befchreibung der. Bezirke 
welhe um Nachterfiädt herumlagen, 5) Gefchichte, und zwar 
Religions - und MWeltgefchichte, womit ein befonderer Unterricht 
über allerlei gemeinnüßige Senntniffe nad) ben Lehrbüchern bes 
Domherrn von Rochow verbunden wurden. Außerdem nahmen 
die befäbigteren Schüler der Dorfichule, Knaben und Mädchen, 
auch an den NRebeübungen Teil, welche freilich vorzugsweiſe von 
den „Snftitutiften” aufgeführt und mit Gantaten und -anderen 
mufifalifchen Productionen begleitet wurden. Dieſe Rebeübungen, 
welche alljährlich dreimal, nemlich am dritten Fefttage der Weih⸗ 
nachten, Oftern und Pfingften in der Kirche öffentlich gehal« 
ten wurden, beflanden in kleinen, beſonders dazu verfertigten 
Dodomasinaftödon in gehunbener und ungebundener Rebe, in 
Heinen Dialogen und dramatischen Sittenfpielen. Es wurden in 
ihnen &reignifje der Religionsgeſchichte oder moralifche Grundſaͤtze 
auf einzelne Verhältniffe des laͤndlichen Lebens applicirt. In den 
Dialogen insbefondere wurde Einzelne8 aus der Naturlehre mit 
religiöfer Naturbetrachtung durchwebt Dargeftellt. Unverftändiger 
Weife ließ man freilich Hierbei bie Nachterſtädter Bauernlinder mit 
einander reden, wie Penfionäre, die in der Treibhausfchule ihres 
Inſtitutes altverfländig geworben find , zu converfiren pflegen. 
Folgendes ift der Anfang eines Gefprächs, welches am dritten 
Oftertage 1776 von drei Bauerumäbchen in der Kirche zu Nachter: 
flädt zum Beften gegeben wurde: 


— 713 — 
Die Feſtkuchen. 


(Ein Dorfmädcengefpräd.) 


Dahlin: Sind Sie geftern Nachmittag nad geenbigtem 
Gottesdienft nicht in Geſellſchaft gemefen ? 

Huchin: Nein, ich befand mich nicht wol, und beſorgte, 
wenn ich einen Beſuch abſtatten würde, ed möcht’ noch ſchlimmer 
werben, 

Dablin: Das laß ich gelten, — — wenn man nicht recht 
munter ift, jo will einem auch die allerangenehmſte Geſellſchaft 
nicht gefallen. 

Wölffertin: DO, wenn mir fo. zu Mut iſt, daß mir 
Ewas fehlt, und ich doch felbft nicht jagen kann, was es eigents 
ii jei, jo geh ich am liebften zu guten Freunden, und gemeinig- 
fi werd ich dann wieder gefund und munter. 

Huchin: Zu gewißen Zeiten und unter gewißen Umfländen 
— — will ih das mol zugeben, aber wenn der Feiertage fo 
viele find, fo wird man auch die Befuche nicht jelten überdrüßig. 

Dahblin: Das wüßte ich denn doch auch nicht. Es if 
wirklich keine üble Gewonheit, daß gute Freunde an Feiertagen 
zuſammenkommen. 

Woͤlffertin. Das dädte ic auch; ich freue mich immer 
darauf, wenn Fefttage kommen, weil man da fpielen, Befuche geben, 
jeine beften Kleider anziehen und fpazieren gehen darf und noch 
überdem in ben meiften Häufern Kuchen zu eßen befommt. 

Huchin: Wie ich merke, find Sie fehr für die Kuchen ein- 
genommen, und das ift bei mir eben dasjenige, was mir bie 
Geſellſchaften und die Befuche an Fefttagen Iäftig macht u. f. w. 
u. ſ. w. — 

Das Inſtitut, welches Herbing zunaͤchſt als Schullehrer: 
ſeminar eingerichtet hatte, war zugleich auch eine von auswaͤrtigen 
Alumnen beſuchte Erziehungsanſtalt. Die muſicaliſchen Aufführungen 
wurden jedoch nur mit den zufünftigen Schullehrern eingeübt. 
Sobald nemlich ein Dorfknabe (der in der Regel das neunte Jahr 
nicht uͤberſchritten hatte) als Inſtitutiſt recipirt war, wurde er ſofort 
in Gebrauch der Geige und im Singen unterrichtet. Dies yeah 





— 74 — 


wöchentlich in drei Lehrſtunden, neben welchen noch am Nachmittag 
jedes Mittwochs Uebungen. im Concert angeftellt wurden. Diefe 
mufifalifchen Uebungen der jungen Seminariften gewannen fehr 
Bald einen gewißen Ruf nnd es war daher nicht felten, daß bie 
Schüler hierhin ober dorthin in Städte ober Doͤrfer, wohl fie 
eimgefaden waren, reiften und Feine Goncerte gaben. 

Die begabteften Inſtitutiſten wurden von ben Directoren 
noch in bejonderen Lehrſtunden unterrichtet, wogegen fie ſich al& 
Borübungslehrer ihrer jüngeren Mitfchhler verwenden laßen muften. 
Sm Jahr 1780 waren in Nachterftäbt. drei ſolcher Vorübungs⸗ 
lehrer. Die Gegenftände, in denen fowol die eigentlichen Infli⸗ 
tutiften als die Penftonäre unterrichtet wurden, waren folgende: 
1) Religionslehre, 2) Neligionsgefchichte, 3) die Anfänge ber 
Experimentalphyſik, 4) Naturgefchichte, nach Raff's Lehrbuch, 
5) Geograohie, 6) Weltgeihichte, 7) Arithmetik, 8) daS Ge: 
meinnüßige aus der Mathematik, 9) einiges Gemeinnüßliche aus 
der Logik: und Piychologie, 10) Rechtichreiben und Schönfchreiben. 
17) deutfihe Sprachkunde („a) Cultur Der richtigen, annehmlichen 
Pronuntiation, b) Interpretation der Haffifchen, deutſchen Schrifts 
fteller in Poefie und Profa, c) natürliche, fachmäßige Declamation, 
d) Action oder Vortrag mit Natürlichkeit der Körperftellung und 
Geberden, e) Anführung zu eignen Aufjäßen von dem, was ber 
Zögling gelernt, gehört und gejehen hat”), 12) franzöfifche Sprache, 
13) lateinifde Sprade, 14) griechiſche Sprade („für Einige, 
welche einige Luft dazun bezeigen, und fo lange fie nichts Wich⸗ 
tigered und Notwendigere8 dadurch vernadhläßigen.”) 

Was über die in Nachterfiädpt üblihe Lehrmethode bes 
richtet wird, zeigt binlänglich, daß der Begriff der Erziehung und 
Bildung daſelbſt faft ganz im Baſedow'ſchen Sinne cultivirt wurde: 
„Man folgt bier, wie in ber Sittenbilbung, fo im Unterricht, 
lediglich. der Menfchennatur. Hiernach fucht man den ganzen 
Mentchen auszubilden und Feine Seelenkraft auf often ber ans 
deren zu cnftiviren, nicht etwa das Gedächtnis auf Koften des 
Berftandes, die Falte Vernünftigkeit auf Koften der Einbildungs⸗ 
kraft, den Kopf auf Koften ber. Regfamleit der Empfindung. ober. 
umgeläprt, welches obonfo fehlimm if. Man ſucht alle. Seelen 


— 75 — 


die unbeſtimmt im werdenden Menfchen ſchlummern, zu 
en, rege zu machen und fie in ſolche Harmonie zu bringen, 
eſich einander zu den beſten Zwecken unterſtützen, nicht aber 
n.“ 
Au jedem Tage wurde der Unterricht mit einer Morgenandacht 
eitet. Früh Morgend um 6 Uhr verfammelten fi ſaͤmmt⸗ 
mftitutiften in dem Gartenhauſe des terraffirten Pfarrgarteng, 
tige Kinder ein. Toblied fangen, worauf ein Lehrer ein ans 
religtöfeß Lied vorlad und erklärte und ſodann einer ber 
ı Snftitutiften ein Gebet frei ſprach. Die Dischplin wurde 
exer Inſtanz von den Borübungslehrern, in legter von Dis 
n gehandhabt. Schülern, welche fich eines größern Vergehens 
g gemacht hatten, wurde ed freigeftellt, auf einige Stunden 
arcer zu gehen, oder die Anftalt zu verlaßen. Von Zeit 
it wurden Gonferenzen gehalten, bei denen alle BZöglinge 
ärtig waren und aufgefordert wurden, fich jelbft anzuzeigen, 
fie fich eines Vergehens ſchuldig gemacht hatten. Giner der 
r, welcher das Amt des Fiscals begleitete, hatte die Vers 
ing, diejenigen Schüler, welde Eleinere Delicte begangen 
und es unterließen, fich felbft als ſchuldig zu erflären, ans 
n. Um die Zöglinge in bequemer Weife mit der franzöftfchen 
ye befannt zu machen, wurde täglich eine Kleine franzöfijche 
(ald faites votre devoir — quittez le jeu — soyez 
il u. drgl.) als Parole ausgegeben, welche Parole jeder 
g wärend Des ganzen Tages wißen und, ſobald er eines 
etzten anfichtig wurde oder aud bei anderen Gelegenheiten 
mufte. 
Me Inſtitutiften und Penfionäre waren, und zwar auf 
Herbing’3 , gleichmäßig uniformirt ; die WVorübungslehrer 
ein Feines Ehrenzeichen. Der gefammte Unterrihtöplan 
angelegt, daß Penfionäre vom fechften Lebensjahre aufge⸗ 
n ımb daß diefe, wie die zukünftigen Lehrer, Die Anftalt 
rückgelegtem fünfzehnten Lebensjahre verlaßen follten. Es 
für geforgt, daß die Penfionäre auf reinlihen Zimmern 
n und bie erforderliche Pflege und Bedienung, hatten. Die 
fficht führten Die beiden Dirertoren; bie Specalaufiägt 


— 76 — 


wurde von einem Vorübungslehrer ausgeübt. Die Penfionäre 
jpeiften mit ben Directoren in Gemeinfchaft, früh Morgens ge- 
woͤhnlich Butterbrod, Mittage Suppe, Fleiſch und Zugemüfe und 
Abends Butterbrod oder was die Falte Küche bot. Als Getränt 
wurde Breihan oder Bier gereicht. Die Penfionskoften waren in 
folgender Weife regulirt: 
1) Für Krühftüd, Mittagseßen, Abendbrot und Breihan 
zum Trinfen, jäbrih . . . . . 52 Rtbr. 
2) Für Licht und Holz, Wohnung nebft Aufwar⸗ 
tung, als Bettmachen, Stubenreinigen u. ſ. w. jaͤhrlich 12 
3) Für die Waͤſche, vierteljaͤhrlich Rthr. . . 4 
4) Für Kämmen und Reinigung bes Kopfes 
jaͤhrlich . 2 „ 
5) Für ben gefammten Unterricht i in Wißenſchaſten, , 
Sprachen und Muſik, und doppelte Aufſicht, jaͤhrlich 10 ,„ 
Summe der Penſion 80 Rihr. 
Der Einfluß, den Herbings raſtloſe Thaͤtigkeit auf die 
eigentliche Dorfſchule zu Nachterſtaͤdt ausübte, war groß. Schon 
aus dem Jahre 1780 wirb berichtet: *) „Es ift zu Nachterftäbt 
dahin gebiehen, daß nun die Eltern ihre Kinder ohne die mins 
deften Zwangsmittel aus eignem Triebe ordentlid zur Schule 
halten, und das jo lange, bis die Kinder beider Befchlechter Das 
vierzehnte Jahr zurüdgelegt haben und außer den übrigen Land- 
volffenntniffen ziemlid, orthographifdy und fprachbeutlid ihre Ge⸗ 
danken aufjchreiben können und Bruchrechnungen verftehen.“ **) 


$. 5. 


Die Entfiehung des Volksfchulmefens im katholifhen Deutfdland. 


Was bisher über die Entftehung der Volksſchulen gejagt 
worden ift, gilt nur von den evangelifchen Volksſchulen; denn 
auf katholiſchem Gebiete erwuchs die Volksſchule in andrer Weife. 








*) Briefmechfel über das Erziehungsinftitut zu Nachterftädt. ©. 31. 

») Ueber die weitere Entwidiung des Inftitutes in den nächftfolgenden 
Jahren ift zu vergleichen: Rränip, öfonomifch-technologifche Encyclopädie. B. 61, 
©. 898-913. on 


— 17 — 


Gradeſo wie die Aufſtellung eigentlicher Katechismen aus 
dem Bedürfnis der evangeliſchen Kirche hervorgegangen war, und 
der Hierarchie, die den Nutzen der Katechismen einſah, Veranlaßung 
gab, einen Catechismus romanus und andere katechetiſche Lehr⸗ 
bücher auszuarbeiten, — gradeſo erwuchs die Volksſchule aus dem 
Bedürfniſſe der evangeliſchen Kirche und des evangeliſchen Geiſtes 
überhaupt, und gab dann erſt der Hierarchie, welche den Nutzen 
der Volksſchulen wol begriff, Veranlaßung, aud auf ihrem Gebiete 
Bolksfchulen aufzurichten. Die katholiſche Volksſchule geftaltete fich 
daher ald Nachahmung der evangeliſchen Volksſchule. 

Die erften Anfänge eines katholiſchen Volksſchulweſen wur⸗ 
den von den Sefuiten und zwar zu dem beftimmten Zwecke bes 
gründet, an denjenigen evangelifchen Orten, an denen fie Eingang 
gefunden hatten, den Katholizismus wieder herzuftellen. Die Je- 
ſuiten pflegten hier Schulen einzurichten, in denen ber katholiſche 
Glaube, Lejen und Schreiben für Jedermann unentgelblidy gelehrt 
wurde. Dieſes geſchah z. B. in Zulda im Jahre 1572*). Solide 
Schulen kamen aber andy nur da vor, wo ed den Sjefuiten gelun- 
gen war, fich Eingang zu verfchaffen, und Hatten dann immer 
den angegebenen beftimmten Zwed. Der katholiſche Bifchof zu 
Breslau, welcher Schulen einrichten wollte, ehe die Sefuiten ans 
gefommen waren, mufte i. J. 1553 proteftantifche Lehrer an- 
fielen, weil er katholiſche Schulmeifter nicht finden konnte **): 

Nachdem das Werk der Reftauration des Katholizismus in 
allen von katholiſchen Neichsfürften regierten Territorien bis zum 
Ablaufe des breißigjährigen Krieges glüdlih zu Stande gebradt 
war, gingen Die deutſchen Schulen der Jeſuiten von jelbft wieder 
ein, da das Intereſſe, dem diefelben ihre Begründung verbantten, 
nit mehr vorhanden war. Wllerdings Jah man die Zweckmaͤßig⸗ 
keit der Errichtung von Pfarrjchulen recht wol ein, und in ber 
zweiten Hälfte des fiebzehnten wie in der erften Hälfte bes acht⸗ 





*) Bgl. meine „Geſchichte der Neftauration des Katholizismus in Fulda, auf 
dem Eichsfeld und in Würzburg” ©. 26. | 

) Löſchke, „Die religiöfe Bildung der Jugend und der fittlihe Buſtand 
der Schulen im 16 Jahrh.“ &. 37. 





— 78 — 


zehnten Jahrhunderts wurden auch in den meiſten katholiſchen 
Ländern desfallfige Anordnungen getroffen. Dieſe Anordnungen 
wurden indejlen auf katholiſchem Gebiete noch weniger befolgt, als 
in proteftantiichen Ländern; und während bier der Pietismus eine 
das ganze evangelifche Deutfchland ergreifende mächtige Bewegung 
heroorrief und wenigftend allmählich zur wirklichen Geftaltung 
eines Volksſchulweſens führte, war im katholiſchen Gebiete Alles 
tobt und es gejchah bier nichts. 

Da erhielt ein katholiſcher Prälat von den ganz neuen 
Schuleinrichtungen Kunde, die in Berlin ſchon feit Jahren in 
voller Blüte ftanden. Heimlich, auf Daß er nicht in den Verdacht 
tegerifcher Neuerungsfucht komme, ging er deshalb ſelbſt nad) 
Berlin, um mit eignen Augen zu jeben, was er biöher für un- 
denkbar gehalten hatte. Er ſah, hörte und lernte und ging in . 
feine Heimat zurüd, um aud bier Volksſchulen zu fehaffen. So 
eutftand in der Fatholifchen Kirche Das erſte geordnete Volksſchul⸗ 
weſen, das al8bald im gefammten Fatholifchen Deutichland Mad 
ahnung fand. 


Johann Ignatz von Felbiger (denn dieſes war der 
Prälat, der die eriten katholiſchen Volksſchulen gejchaffen bat und 
darum als Vater des katholiſchen Volksſchulweſens anzufehn ift,) 
war am 6. Sanuar 1724 zu Großglogau in Schlefien von Fatho- 
lichen Gitern geboren. Er fudirte zu Breslau Theologie und 
trat ſodann (1746) in das fürftlihe Stift Canonicorum regula- 
riam Ordinis S. Augustini Congregationis Lateranensis Unferer 
Lieben Frau zu Sagan in Schlefien. Im Sabre 1758 wurde 
Helbiger Erzpriefter des Saganifchen Kreifed und bald nachher Abt 
und Prälat. AS foldher hatte er die Aufficht über das Kirchen: 
und Schulweſen der Stabt und einer dazu gehörigen Anzal von 
Dörfern auszuüben. Die Ernennung des bisherigen Stadtkaplans 
Benedict Straud zum Guratgeiftlihen der Stadt und zum Ges 
hülfen des alten Priord gab die erfte Veranlagung, daß Felbiger 
auf das Schulweſen feines Stifts ein befonderes Augenmerk rich: 
tete. Strauch nemlich, der nachher zur Priorenwürde erhoben 


— 1) — 


werde, ſah mit eignen Augen, in welchem elenden Zuſtande fich 
die Trivialſchulen zu Sagan befanden, machte deshalb bei dem 
Abt Anzeige und bat um Abhülfe. Felbiger beichloß daher das 
Schulweſen zu Sagan gründli zu reformiren, weshalb er für 
bafielbe i. J. 1761 eine neue Schulordnung aufftelltee Da in 
befien die vorhandenen Schulmeifter durchaus unfähig waren, Diefe 
Schulordnung zu vollziehen, fo half dieſelbe zu gar nichts. Die 
Eltern hielten ihre Kinder von der Sffentlihen Schule zurüd, in 
der fie doch nichts lernten, und die wohlbabenderen unter ihnen 
wiejen ihre Kinder der zu Sagan beftehenden Lutheriſchen 
Säule zu. *) 

Felbiger ſah fih Daher veranlaft,, fi) mit den über bie Gin, 
richtung evangeliſcher Schulen publizirten Nachrichten befannt zu 
mahen. Was Kelbiger hierbei über die Realjchule zu Berlin er 
fuhr, geflel ihm fo jehr, daß er fich entſchloß, freilich ganz incog- 
nito, im Mai 1762 in Begleitung eines feiner Freunde, bes 
nachherigen Schulinfpectord Franz Sucher nach Berlin zu reifen. 
Hier lernte Felbiger Die Organifation der Realſchule und nament- 
ih die in allen Klaſſen derjelben eingeführte Hähn’fche Lehrart 
genauer fennen. Zugleich machte er fich mit der Einrichtung bes 
zu Berlin beftehenden Schullehrerjeminars vertraut, deſſen außer 
ordentlicher Nupen für die Volksſchulen ihm alsbald einleuchten 
mufte, weshalb Felbiger beſchloß, mit höherer Erlaubnis, aber 
wiederum ganz im Stillen, einige katholifche junge Männer zum Befuche 
bed Seminare nad Berlin zu ſchicken. Demgemäß gingen, ohne 
dag man in Schlefien etwas davon erfuhr, noch im Jahre 1762 
drei Lehrer nad) Berlin, wo fie das Seminar bejuchten und von 
Felbiger mit großen Koften (die fich wegen ber damaligen Theue- 
rung anf 1000 Thlr. beliefen,) unterhalten wurden. Nach ihrer 
Nuckkehr wurden fie an die Stelle einiger quiedcirter Schullehrer 
in deren Schuldienfte eingewiefen. Daß fich die neuen Lehrer in 
Berlin ihre Berufsbildung geholt Hatten, wurfle Niemand. Da⸗ 


*) Bol Bald, „Reueſte Religionsgeſch.“ T. IL &. 217 — 258., Rachricht 
von der Verbeßerung der römifch-fathol. Schulen in dem Herzogtum Schlefien und 
der Graffdjeft Binz“. | 








— 80 — 


gegen gab Felbiger jelbft in einer Schrift „Vorläufige Angeige 
von beßerer @inrichtung der öffentlichen. Trivialfchule zu Sagan“ 
i. J. 1763 von feinen die gänzliche Umgeſtaltung der Schule zu 
Sagan abzwedenden Plänen öffentlich Nachricht, und erließ zugleich 
eine „Verordnung, nach welcher die Schulen der zum Saganifchen 
Stifte gehörigen Dörfer eingerichtet und verbeßert werben follen“, 
jowie ein „Bircular”, worin er die ihm untergebenen Geiftlichen auf 
die ihnen in Betreff der Schulen obliegenden. Pflichten jehr nad). 
drüdlich hinwies. 

Die neuen Schuleinrichtungen ſtanden unter der beſonderen 
Aufſicht des Prior Strauch, der, um die begonnenen Reformen 
auch auf den Sprachunterricht ausdehnen zu koͤnnen, gegen das 
Ende des Jahres 1763 die Abjendung eines vierten Lehrers nad 
Berlin veranlafte, der ſich dajelbft mit der dortigen Methode des 
ipradylihen Unterrichts vertraut machen jollte. Bu feiner gröften 
Freude fah Felbiger, daß ſich wenigftend Eine benachbarte Stabt, 
Franfenftein, ſchon damals feiner Schulreform auſchloß, indem die⸗ 
jelbe im folgenden Jahre ihren Rector und Organiften nad Sa⸗ 
gan fchidte und an dem Unterridhte daſelbſt Teil nehmen ließ. 
Die Zal der Schüler der nenen Trivialfehule mehrte ſich, aber es 
fehlte an brauchbaren Schulbüchern. Felbiger jah fi) daher ge 
nötigt, eine eigne Buchdruderei anzulegen, die unter dem 28. März 
1765 von der Eöniglihen Kanımer zu Breslau einen Freiheitsbrief 
erhielt, worin ihr aufgegeben wurde, von allen zu Ddrudenden 
Schulbüdern das zehnte Exemplar für die Armen unentgeldlich 
abzuliefern. 

Einige Jahre vorher, i. 3. 1763, publizirte der König von 
Preußen ein. @enerallandfchulreglement für ale Gemeinden des‘ 
Landes. Die Vollziehung deſſelben in den fatholifchen Gemeinden 
von Scylefien war dem Weihbifhof und Vicar der Breslauer 
Didcefe, Mori v. Strachwiz, übertragen. Diefer fand jedoch 
teild in ber Kärglichkeit, mit welcher die Lehrerftellen dotirt waren, 
teil8 in anderen Verhältniffen unüberfteigliche Hinderniffe, und 
brang daher wiederholt auf angemeßene Erhöhung der Lehrerbe— 
foldbungen. Da erhielt der damals in Schleflen dirigirende Mi- 
nifter v. Schlaberndorf durch die von der Realfchule zu Berlin 


publizirten Nachrichten zuerft von der Schulreform des Abtes zu 
Sagan Kunde. Schlaberndorf nahm aldbald von den neuen Schul 
bühern und Anordnungen Felbigers Einficht, und befahl, daß 
defien „Bircular”, „Verordnung“ und ABCbuch neu abgedrudt 
und mit den nötigen Abänderungen der Titel an alle Fatholifchen 
Pfarrer und Schulmeifter der Grafſchaft Glaz ausgeteilt würden. 
Außerdem trug Schlaberndorf dem Abte auf, einen Plan zur Ver⸗ 
beßerung aller katholiſchen Trivialfchulen des Landes zu entwerfen. 
Mit Vorwißen und BZuftinmung des Weihbiſchofs erledigte fich 
Felbiger dieſes Auftrags *), infolge deſſen ſodann die königliche 
Kammer zu Breslau unter dem 12. Mai 1764 eine Verordnung 
publigirte, welche befahl, 1) daß Schullehrerfeminarien angelegt 
werden, 2) daß in Zukunft jeder Pfarrer, damit die dazu nötigen 
Geldmittel aufgebracht werden koönnten, auf jeine Pfarreinfünfte 
während des erften Vierteljahres nad, feiner Anftellung verzichten, 
3) daß ſich die Pfarrer in den Schullehrerjeminarien mit dem 
Volksſchulweſen jelbft vertraut machen, und 4) fo lange man noch 
feine Seminarien habe, die Schule zu Sagan befuchen und die 
von dem Abt Felbiger eingeführte Lehrweiſe ftudiren, und 5) daß 
dafielbe von allen Kandidaten des geiftlihen Standes gefchehn 
ſollte. — Demgemäß erließ fofort der Weihbifchof Die nötigen 
Verfügungen. Die Stabtmagiftrate zu Natibor, Oppeln und 
Oberglogau wurden angewiefen, daß jede der drei Städte auf 
ihre Koften zwei Berfonen nach Sagan zu fehiden und ausbilden zu 
laßen habe. Ebenfo wurde dem Magiftrat zu Großglogau und den 
Gifterzienferklöftern Grüffau, Leubus und Rauden, welche durch ihre 
Ordensregel zum Schulhalten verpflichtet waren, befohlen, daß fie 
je einen Geiftlihen und zwei Schulamtscandidaten nad) Sagan 





) „Pro Memoria, weldes der Saganiſche Prälat 1764 an den in Schlefien 
diigirenden Minifter überreichet, nachdem derfelbe befohlen hatte, den für die Sa⸗ 
geriihen Schulen gemachten Entwurf auf ſämmtliche katholiſche Trivialfchulen in 
Eidten und auf dem Lande einzurichten”. An den Weihbifchof richtete Felbiger 
die Schrift: Gedanken und Borfchläge, wie eine allgemeine Verbeßerung der Tri- 
Salltulen in der ganzen Breslauifhen Diöceſe bewerkftelligt werden könne”. — 
Wr diefe und die weiter unten zu nennenden Schriften finden ſich abgedrudt in 
Ih, Ignap Felbigers „Kleinen Schulfriften” ı. Bamberg und Würgburg 177%. 

6 





— 89 — 


ſchicken ſollten. Der Weihbiſchof ſelbſt ſchickte den Hector der 
Domſchule und den Rector der Nicolaiſchule zu Breslau mit zwei 
Alumnen des Prieſterſeminars nach Sagan, um ſie daſelbſt in⸗ 
ſtruiren zu laßen, und ſehr bald war der Zuſammenfluß von Leh—⸗ 
rern und Geiftlihen in Sagan jo groß, daß fich Felbiger entfchloß, 
die Unterweiſung derſelben felbft zu übernehmen. Allerdings war 
das hierbei angewandte Unterrichtöverfahren ein jehr ſummariſches. 
Felbiger ließ für feine Zuhörer eine Schrift unter dem Titel 
druden: „Das Allgemeine und Wefentliche von der Verbeßerung 
der Trivialſchulen in Schlefien” und richtete ſodann einen Lehrcurſus 
ein, der mit dem Anfange jedes Monats begann und 2—3 Wochen 
dauerte! Die Kandidaten muften daher ihre Reifen nah Sagan 
fo einrichten, Daß fie mit Dem Aufange eines Monats daſelbſt eins 
trafen. Die Aufgabe, welche Felbiger zu Iöfen fuchte, war bie, 
Daß er den Gandidaten möglichjt kurz und bündig Far machte, 
wie fie von dem, was fie in Sagan hörten und fahen, felbft Ge 
braudy machen Fönnten®). Gleichzeitig war die Fönigl, Kammer 
bemüht, auch die Schulen der polnischen Dörfer in die Reform 
bereinzuziehen, weshalb fie Durch Felbiger eine Anzal von Schub 
büchern, welche Iediglich für die polnischen Provingbezirfe beftimmt 
waren, anfertigen und im Drud verbreiten ließ. 

Alles dieſes geſchah im Anfange des Jahres 1765. Was 
man that, wurde indefjen nur ald augenbltdlidher Notbehelf ange 
ſehn, da man recht wol wuſte, daß nur die Einrichtung von 
Scyullehrerfeminarien dem Schulweſen dauernde Hülfe bringen 


*) Auf diefe Einrichtung beziehen ſich folgende von Felbiger verfafte Schrif- 
ten: „Reglement, darnach die Seren Candidati parochiarum und des status 
ecclesiastici et regularis während der Beit fi zu achten haben, als fie fi in 
Sagan befinden, um dafelbft nad) dem Berlangen der königl. Kammer von der 
Lehrart Kenntnis zu nehmen und fi darinnen etwas zu routiniren“. — „Plan, 
nad welhem zu Bildung künftig beßerer Echulmeifter Seminaria anzulegen wä- 
ren“. — „Eirculare an die Erzpriefter von Sprottau ıc., darin der Abt verlangt, 
daß aus jedem Kreife feiner Iufpection ein paar Schulleute fih einfinden follen x.” — 
„Vorſchläge, wie die Schufleute, die in der Lehrart unterrichtet worden find, ihre 
Schulen bei ihrer Burüdkunft einrichten und in folchen jene Lehrart einführen 
fönnen“. 


— 83 — 


koͤnnte. Aber die Leiter und Lehrer der Seminarien muften eben⸗ 
falls erſt herangebildet werden. Zu dieſem Behufe ſchickten bie 
Klöfter Leubus, Grüſſau und Rauden fowie die Städte Ratibor 
und Großglogau und der Weihbifchof jelbit einige taugliche Leute 
nah Sagan, zu denen noch ein Geiftliher aus der Grafſchaft 
Glaz kam. Auch ihnen fuchte Felbiger durch eine ganz ſummariſche 
Beſcheidung das Nötigfte, was ein Sinfpector eine Seminars zu 
wißen und zu thun hatte, beizubringen. Indeſſen fah fich Zelbiger 
doch genötigt, in Begleitung desjenigen Geiftlichen, dem die Auf⸗ 
ficht über das in Breslau zu begründende Hauptjeminar zugebadht 
war, abermals nad) Berlin und von da nad) Magdeburg zu reis 
fen, um nidht nur die Realſchule zu Berlin nochmals zu infpiziren, 
jondern auch die Schule im Klofter Bergen kennen zu lernen. 
Rad feiner Rückkehr fuhr Felbiger fort, Die Schul- und Seminars 
lehrer zu inflruiren, und nachdem Alles binlänglich vorbereitet 
war, fonnten bereit3 am Ende des Jahres 1765 die Seminarien 
zu Leubus, Grüffau und Rauden, fowie am 4. November das 
Hauptfeminar zu Breslau eröffnet werden. 

Im Unfange des folgenden Jahres wurbe das von dem 
König von Preußen am 3. November 1765 zu Potsdam unters 
zeichnete „Randjchulreglement für die Römifchkatholiichen in Städten 
und Dörfern des jouveränen Herzogtums Schlefien und der Graf⸗ 
ſchaft Glaz“ im Lande bekannt gemacht. Der Entwurf deſſelben 
war auf Verlangen des Ddirigirenden Minifters und der Föniglidyen 
Kammer von Zelbiger ausgearbeitet worden. Der Weihbifchof 
begleitete die Verbreitung des Reglements mit einem Hirtenbrief 
an die Diöcefangeiftlichkeit, während der Abt an die Geiftlichen 
des Stift einen ähnlichen Erlaß ausfandte, der hernady unter 
dem Titel gedrudt wurde: „Birculare, damit die Bekanntmachung 
des für die Satholifchen verfaften Fönigl. Generals Landfchulregle- 
ments im Saganifchen Archipresbyterat begleitet worden iſt“. In 
bemfelben wurde den Pfarrern befohlen, dafür zu forgen, Daß bie 
Schulmeifter alljährlih, jobald das Geſinde abgezogen fei, ein 
Berzeichnid aller jungen Leute von 14— 20 Jahren aufftellten. 
Diefed Verzeichnis ſollte ſodann einem Kirchvater übergeben 
werben, welcher, mit dem Verzeichnid in der Hand, vor Begiun 

6° 


— 84 — 


der Kinderlehre ſeinen Platz an der Kirchenthüre zu nehmen und die 
nach und nach ankommenden Leute ſich zu merken hatte. Nach 
Beendigung der Kinderlehre ſollte dann der Kirchvater fein Ver: 
zeichniß dem Pfarrer überbringen, damit bderjelbe daraus die Ab⸗ 
jenten erfehen, Die Eltern und Wirte derjelben warnen und ers 
mabnen, und bie öfters und ohne genügende Entſchuldigung Feh⸗ 
Ienden oder deren Angehörige zur Strafe ziehen laßen koͤnnte. 
Außerdem erteilte Felbiger auch Vorfchriften in Betreff regelmäßi- 
ger „Wiederholungsftunden” , in welchen die erwachjene Jugend 
nad ihrer Entlaßung aus der Schule noch geübt werden follte, 
Diejelben waren für die Sonntage von Georgii bis Michaelis 
angeordnet. Nachdem fi die Jugend nad) Beendigung des Ka⸗ 
techismusunterrichtes in der Schule verfammelt haben würde, foll- 
ten die Namen der Einzelnen verlefen und ein Lied follte gejungen 
werben, wobei der Schulmeifter Gelegenheit habe, unbefannte Me 
lodieen einzuüben. Hierauf follten die Mädchen im Leſen geübt 
werden, während die jungen Burjchen mit Schreiben beichäftigt 
würden. Nach Entlaßung der Mädchen follten fobann auch mit 
den Burjchen Uebungen im Leſen und jchließlich im Rechnen ans 
geftellt werben. 

Durch dieſe Verorbnungen, insbefondere durch das Reglement, 
erhielten die Felbigerfhen Schulreformen zuerft ein eigentlich ges 
ſetzliches Anſehn und Die nötige Garantirung ihres Yortbeftandes, 

Felbiger nahm nun eine genaue PVifitation aller feiner Auf 
fiht unterftellten Schulen vor und reifte hierauf nad) Breslau, 
um einer von dem Minifter angeordneten Gonferenz zur Beratung 
von Schulfachen beizumohnen. Aus den damald von dem Weib: 
biſchof mitgeteilten Nachrichten ergab fih, Daß nad dem Willen 
der Zöniglihen Kammer überhaupt 189 neue Fatholifche Schulen 
im Breslauer Departement errichtet werben follten, von denen 82 
bereitö völlig eingerichtet, 46 bis zur Erbauung der Schulhäufer 
in gemieteten Häufern angelegt, 61 aber noch zu jchaffen waren. 
Die Schulen im preußifhen Schlefien follten von 25 Schulin- 
ſpectoren beauffidhtigt werden, die man vorzugsweife aus der Bal 
der GErzpriefter zu wählen gedachte. Die Oberaufficht über die 
Iujpectoren im Glogauer Departement follte dem Abt übertragen 


_ 85 — 


werden. — Nach ſeiner Rückkehr von Breslau arbeitete Felbiger 
eine auf den bisher erlaßenen Schulverordnungen beruhende In⸗ 
ſtruction der Seminardirectoren, Schulviſitatoren, Erzprieſter, Pfar⸗ 
rer und Schulmeiſter aus, und begleitete gleichzeitig den dritten 
oder großen ſchleſiſchen Katechismus, welcher damals an die Pfarrer 
verteilt wurde, mit einem Rundſchreiben“), worin er bie Geiſtlichen 
auf den großen Segen kirchlicher Katechifationen binwied. 
AS Grundlagen diefer Katechifationen hatte nemlich Felbiger 
in ben Saganifchen Schulen drei Katechismen eingeführt, von denen 
jeber auf die Ausbildung einer ber drei Seelenkräfte Berechnet war. 
Der erfte (unter dem Titel: „Römtfchlatholiicher Katechismus für. 
bie Kinder der Schulen des Saganifchen Stift Can. Reg. Ord. 
& Augustini Congreg. Lateran“. 1 Bogen in 8.) war allein für 
die Incipienten zur memoriellen Einübung ber hauptfädhlichften 
Glaubenslehren beftimmt, und wurde zugleich zu den eigentlichen 
Leſeübungen gebraucht. Der zweite Katechismus (eine Erweiterung 
md Erläuterung des erften,) follte von den Schülern der zweiten 
Alaſſe (vom 7.— 10. Lebensjahre) gebraucht werben, um bie 
fatholifche Lehre dem Verftande derfelben nahe zu bringen. Uebri⸗ 
gend war auch diefer Katechismus ganz kurz abgefaft, da berfelbe 
namentlich auch von den Dorflindern gebraucht werden follte, Dig 
nur kurze Zeit zur Schule zu kommen pflegten. Der britte, aus: 
führlichere Katechismus follte insbefondre auf den Willen ber 
Schäler einwirken, weshalb in bemfelben außer vielen Erläuterun- 
gen und bibliſchen Belegftellen auch zalreihe Ermahnungen und 
veligiög-fittlihe Motive beiprochen wurden. — Jeder der drei 
Latechismen umfafte 7 Hauptftüde. Das erſte Hauptſtück (vom 
Glauben) handelte in drei Lectionen 1) von Bott, von den gött- 
lichen Eigenschaften, Perfonen und Werken; 2) von Chrifti Ge⸗ 
burt, Menfchwerbung, Leiden, Sterben, Auferftehung, Himmelfahrt 
und Richteramt; 3) vom heil. Geifte und ben vier Iekten Glau⸗ 
bensartikeln. Das zweite Hauptftüd (von ber Hoffnung) han⸗ 





*) Daffelbe wurde nnter dem Titel gedrudt: „Circulare, mit welchen der 
britte oder große Katechismus ıc. — den zum Saganiſchen Stift gehörigen SPfarr- 
ken begleitet wurde. 1766”. | 





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belte in drei Lectionen 1) von der Hoffnung, vom Bebet und von 
den drei erſten Bitten des Herrngebets; 2) von ben vier lebten 
Bitten defjelben; 3) von dem englifchen Gruß. Das dritte Haupt: 
ſtück handelte von der Liebe, oder von den Geboten der erften 
und zweiten Tafel des Geſetzes in zwei Tafeln, von den Kirchen- 
geboten; das vierte von den 7 Sacramenten, das fünfte von 
den verſchiedenen Gattungen der Sünde, das ſechſte von den Tu⸗ 
genden, und das ſiebente Hauptſtuͤck von den vier letzten Dingen. 

In der naͤchſtfolgenden Zeit war Felbiger namentlich in der 
Grafſchaft Gratz thaͤtig. Auf hoͤheren Befehl reiſte Felbiger da⸗ 
hin, um das dafſige Schulweſen neu einzurichten. In dem zu 
Habelfchwerb angelegten Seminar bemühte ſich Felbiger insbeſondre 
bie Pfarrer mit feiner Uinterricätsweife vertraut zu machen. In⸗ 
beffen zeigte es fih, daß nur allzuoft die Gleichgältigfeit der El⸗ 
tern ein wirkliches Aufblühen der Schulen Hinderte, weshalb Die 
Eönigl. Kammer die Verordnung erließ, Daß Fein Handwerksmeiſter 
einen Lehrling ohne Gntlaßungszeugnid des Schulinfpectord ans 
nehmen follte. Würden e8 befondre Umftände einem Knaben wün- 
fhenswert machen, vor zurüdgelegtem dreizehnten Lebensjahre in 
die Lehre treten zu können, fo follte derjelbe täglich wenigftens 
zwei Stunden zur Schule gehen, bis er nad) dem Urteil des In— 
ſpectors hinlänglich unterrichtet fei. 

Im Jahre 1768 veifte der Abt abermals in die Sraffchaft 
Gratz, wo der gleichzeitig anweſende Weihbiſchof die neuen Schul 
einrichtungen zum erftenmal jah und freudig begrüßte. Bon be 
jondrer Wichtigkeit waren die Vorjchriften, welche Felbiger in 
diefem Jahre in Betreff der Erteilung des Neligionsunterrichtes 
publizierte. Sin einer unter dem Titel „Chriftlihe Grundfäße und 
Lebensregeln” herausgegebenen Schrift ordnete nemlich Felbiger an, 
ber eigentliche NReligiondunterricht follte an jedem Freitag und 
Feiertag von einem hierzu beftellten Katecheten erteilt werben; 
die Schullehrer follten nur dafür forgen, daß die Kinder den Ka⸗ 
techismus genau memorirten ®). 


*) Rah „Allg. Bibliothet für das Schul- und Sriehungsmefen in Deuthch 
land“, Rördlingen 1776. B. IV. ©. 221 ff. 


— 897 — 


In den naͤchſtfolgenden Jahren gingen alle Bemühungen 
Felbigers dahin, der Reform, die ſtatutariſch nun fo ziemlich voll- 
endet war, in möglichft weiten Kreifen Eingang zu verichaffen, 
wobei derfelbe namentlich darauf bedacht war, vor Allem die Lehr 
rer zur Befolgung der Schulordnung zu befähigen. ine Schrift, 
welche Felbiger zur Inſtruirung der Lehrer über die neue Lehrweife 
und über Alles, was zur erfprieslichen Verwaltung Des Volfs- 
ſchullehreramtes in Betradht kommt, i. %. 1772 veröffentlichte, laͤſt 
die Beichaffenheit und Tendenz der Schulreformen Felbigerd am 
volftändigften erkennen. Die Schrift führt den Titel: 

„Eigenſchaften, Wißenfchaften und Bezeigen rechtfchaffener 
Scullente, um nad) dem in Schlefien für die Römiſch⸗ 
katholiſchen befannt gemachten Eönigl. Generals Landjchuls 
reglement in den Trivialfchulen der Städte und auf dem 
Lande der Jugend nüglichen Unterricht zu geben. — 
Bamberg und Würzburg 1772" (568 SS.). 

An der Einleitung ftellt Felbiger dar, „mit was für Eigen- 
(haften der Schulleute man bisher vorlieb genommen habe“, wos 
mit derfelbe Die Beichaffenbeit der Fatholifchen Schulen vor feiner 
Relorm harakterifirt: „Wenn in einer Stadt ein Menfch, der nur . 
fo viel Muſik gelernt bat, daß er in der Kirche auf dem Chor 
Dienſte leiften kann; wenn in einem Dorfe ein Menſch, der etwas 
Weniges auf der Orgel zu jpielen und ein Lied zu fingen vermag, 
fh um einen erlebigten Schuldienft meldet, und wenn er dabei 
etwas zu fchreiben im Stande ift, jo halt man ins Gemein dafür, 
er babe alle Eigenfchaften, die zu einem Schulmanne erfordert 
werben. Aufs höchfte erforicht man, ehe fo ein Candidat zu einem 
Shuldienfte in das Amt eingefegt wird, ob er etwas aus dem 
Latechismo wiße. Faft immer befteht der Candidat, weil es leicht 
genug ift, einen Fleinen Katechismum vor der Unterfuchung ſich 
ſoweit befannt zu machen, daß einige leichte Fragen können beant: 
wortet werden; öfters, wenn an folchen Leuten gleich ein ziemlicher 
Wangel der Erkenntnis verjpürt wirb, hofft man, es werbe ſich 
dad Nötige ſchon finden, der Kandidat werde mehrere Erkenntnis 
im erlangen fich beftreben, wenn er nur erft im Amte fein wird. 
Dan halt dafür: Dorflinder dürften eben ſoviel nicht wißen, in 


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der chriftlichen Lehre würden fie von dem Pfarrer oder deſſen 
Caplan unterrichtet; was jener ihnen aus dem Katechismo aufgiebt, 
bürften Schulmeifter fih nur auffagen laßen. Gin Bischen Leſen 
und etwan was weniged Schreiben würden die Kinder wol bie 
ganze lange Schulzeit über noch lernen”, Diefer bis dahin herr⸗ 
ſchend geweſenen Auffaßung der Schule und des Lehrerberufs ftelli 
nun Felbiger vor Allem den Sa entgegen: „Es ift in den Schulen 
Damit gar nichtS ausgerichtet, DaB nur das Gedächtnis der Kinder 
angefüllt, und fte mit Auswendiglernen gequält werden; was Kin⸗ 
der lernen, müßen fie verftehn und gebrauden lernen: der 
Zehrmeifter muß alfo im Stande fein, es ihnen verftändlich und 
begreiflich zu machen; er muß zu erforſchen geſchickt fein, ob fie es 
richtig begriffen haben, und ob fie von dem Erlernten gehörig 
Gebrauch machen Fönnen”. — Hiermit ift indeffen nur Eine 
formale Seite des Lehrerberufs bezeichnet; Die andre tft von glei- 
cher Erheblichkeit. „Um nemlich die Wichtigkeit des Schulamtes 
einzufehn, muß man bebenfen, daß Kinder in Schulen und durch 
Schulleute follen tüchtig gemacht werden, nützliche Glieder 
des Staatd, vernünftige Menſchen, rechtſchaffene 
Shriften, d. i. Mitgenoßen zeitliher und ewiger 
Glückſeligkeit zu werden”. Felbiger fügt die trefflichen Worte 
hinzu: „Es ift nicht außer Acht zu Taßen, daß Schulleute an den 
durch das Blut Jeſu Chrifti erfauften Seelen Der 
Kleinen nebft und zugleicd mit dem ordentlichen Seelforger ar- 
beiten, durch ihren Fleiß, ihre Treue und ihr Beiſpiel fehr viel 
beitragen folen, Damit das Eoftbare Blut unferes Hei— 
landes Schulfindern zum ewigen Leben gedeihlich 
ſei. Man glaube nicht, daß bier zuviel gejagt werde. Denn 
wer kann in Abrede fein, Daß nur jene Der Frucht des Leis 
dens und Sterben Jeſu Chrifti teilhbaftig werden, 
die Durch den Glauben und Gehorfam, d. i. durch Erkenntnis und 
Erfüllung des göttlichen Willens deſſelben teilhaftig fein wollen“. 
Hiernach zült Felbiger (S. 6 ff.) die Eigenfchaften eines richtigen 
Scullehrerd auf: „Frömmigkeit ift Die erfte Eigenſchaft 
einesSchulmannesd; er muß ein rehtfchaffener Chriſt 


| 





— 89 — 


fein”. Sodann folgen die anderen Gigenfchaften: Liebe zu ben 
Schülern, Munterkeit, Gebuld, Genuͤgſamkeit und Fleiß. 

Eingangd des zweiten Hauptflüds „von der Bipenfchaft 
rechtſchaffener Schulmeifter” ſtellt Felbiger nochmals eine Hinweis 
ung auf den Zweck der Schule voran (S. 21): „In Schulen 
weh man beflißen fein, junge Leute Dergeftalt zu ziehen, daß aus 
ihnen mit der Zeit 1) rehtichaffene Shriften, 2) gute 
Bürger, d. i. treue und gehorſame Unterthanen der Obrigkeit 
mb 3) brauchbare Leute für das gemeine Wefen wer 
ven". Zugleich hebt Felbiger hervor, daß e8 Aufgabe des Leh⸗ 
ms iſt, die Schüler vernünftig, arbeitfam und fittig 
m machen. Um das erfte zu erreichen, foll der Lehrer die Schuͤ⸗ 
In anleiten, „alle Dinge, in denen er unterrichtet, deutlich zu ber 
greifen und zu überlegen”. „Bu dem Ende aber ift nötig, ihnen 
fe Merfmale der Dinge, bie fie begreifen follen‘, deutlich 
angeben, und fie zu bemüßigen, foldhe ſich wol einzubrüden, und 
af Befragen oder im Grzälen nacheinander herzuſagen“. Der 
&ehrer hat daher. „beim Unterricht nicht blos aufs Gedaͤchtnis, 
jondern auch und vielmehr auf den Verſtand und auf Die 
veßerung des Willens, und bei Dingen, wo es auf die 
Ausübung ankommt, auf die erforderlihe Fertigkeit durch 
Uebung zu ſehen“. Um ven Unterricht möglichft praftiich und 
nüplich einzurichten, muß der Lehrer „vier Vorteile” zur Anwen⸗ 
dung bringen. Diefe beftehen darin: 1) daß man die Jugend in 
fentlihen Schulen nicht blos einzeln, fondern meift zufammen 
mterrihtet (Bufammenunterridhten); 2) daß man burd 
fleißiges Befragen unablaͤßig unterfucht, ob die Schüler den Un⸗ 
terricht echt begriffen haben (Ratechifiren); 3) Daß man bei 
Dingen, die ind Gedächtnis follen gefaft werden, fich eines befon- 
dern Vorteild bedient, den wir die Buchſtabenmethode nen- 
am; 4)und endlich, daß man für Alles gewiße Tabellen braucht, 
darin die zu erlernenden Sachen in gehöriger Ordnung und Deuts 
lihleit auch fo ausführlich als nötig ift, zu finden find“ (Tas 
sellarifiren). 

Unter dem Zufammenunterridten, auf welches Fel- 
biger den gröften Wert legte, verftand derſelbe, „daß alle Kinder 


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einerlei Sache zu gleicher Zeit vornehmen müßen, anftatt daß nad 
dem fchulmeifterischen Kunftwort eins nach dem andern auffagt”. 
Um biefes zu bewerkfielligen, follten die Lehrer darauf dringen, 
1) daß die Kinder zum Buchftabiren, Lefen und Lernen einerlet 
Bücher hatten; 2) wenn die Schüler etwas zu leſen oder herzu- 
fagen hätten, follten fie angewöhnt werben, alle in bemfelben 
Tone und In bemjelben Momente dbiefelben Wörter 
zu fagen; 3) damit ſich indefien die Schulkinder nicht an Einen 
Ton gewöhnten, follte der Lehrer manchmal einen anderen Ton 
angeben, in welchem dann alle Kinder buchftabiren, lefen und. ants 
worten möüften; 4) Kinder, welche im Allgemeinen biefelben Faͤhig⸗ 
teiten und Kenntniſſe Bätten, follten zu Einer Klaſſe vereinigt 
werben. Eine folche Klaſſe war zuweilen noch in Unterabteilungen 
von zwei ober drei Schüler geteilt. 5) In Betreff der Beſchaͤfti⸗ 
gung diefer einzelnen Klaſſen war der Lehrer an Feine beſtimmte 
Ordnung gebunden; er konnte ſich bald an diefe, bald an jene 
wenden. Nur mufte er alle jo abrichten, daß fich jede einzelne 
auf ein gegebenes Zeichen, 3. B. Klopfen mit einem Schlüffel, fo- 
fort zu dem anſchickte, was von ihr verlangt wurde. Dabei 
wurben indeffen auch einzelne Schüler mit Namen aufgerufen. 
7) Machte ein Schüler einen Fehler, fo muften alle übrigen, Die 
den Fehler verbeßern konnten, Diefed durch Emporheben ber Hand 
zu erkennen geben *). 

Die Buchſtabenmethode Felbigerd beflanb darin, „daß 


) Wie es ſcheint, fam die Gitte, daß die Schüler durch Aufheben der rechten 
Hand die Fähigkeit und den Wunſch, eine vorgelegte Frage beantworten zu Tönnen, 
anzeigten, erft in Felbigers Schulen auf. Wenigſtens kam diefelbe am Ende 
des 18, Jahrhunderts im nördliden Deutfhland nur ausnahmsmweife vor, z. B. in 
Hannover, indem Horſtig aus Büdeburg unter dem 22. Yebruar 1794 in Pe 
treff der Schulanftalten zu Hannover bemerkt: „In allen diefen Schulen findet 
man die befondre Gewohnheit, daß die Kinder, wenn der Lehrer mit ihnen 
ſpricht, ihre rechte Hand lang vor fi) ausfireden, wodurd fie ein Beichen geben 
wollen, daß fie zur Antwort bereit find. Da aber dieß von fo vielen Kindern auf 
einmal gefhieht und der Lehrer fi doc nur immer an Einen wendet, der ihm 
antworten foll, wobei er ſich nicht immer nach den ausgeftredten Händen richten 
darf, fo ift der Borteil diefer feltfamen und auffallenden Gewohnheit fehr unbe. 
troͤchtlich“. (Hente’s Archiv für die neuefte Kirchengeſch. B. II. & 50.) 


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man langfam, deutlich und ordentli in Gegenwart der Schüler 
die Anfangsbuchſtaben derjenigen Wörter, die man ihnen ind Ge⸗ 
daͤchtnis Bringen will, an eine Tafel ſchreibt. Man muß beim 
Anfchreiben die Wörter vernehmlich. ausſprechen und die Schäler 
gewöhnen, fowol auf das, was gerebet, als auch auf jeben Buch—⸗ 
Raben, der gefchrieben wird, aufmerffam zu fein. Beim Anblide 
der Buchftaben wird fih ber aufmerffame Schüler der Wörter 
erinnern, bie er den Lehrer beim Anſchreiben ausſprechen hörte, 
Er wirb die Wörter und folglich auch die dadurch ausgebrüdten 
Sachen in eben der Orbnung feinem Gedaͤchtnis einprägen, in ber 
bie Anfangsbuchftaben auf der Tafel flehn. Ein nicht ſehr geübter 
und feiner Sache nicht recht gewifler Schulmann muß aber niemals 
etwas auswendig, fondern allemal aus dem in ber Hand habenben 
Buche auf bie Tafel ſchreiben; er möchte fonft bei der Wieder⸗ 
holung des Angefchriebenen vergeßen haben, was biefer oder jener 
Buchſtabe bedeute. — Hernach laͤſt man die Schüler zuerft zu⸗ 
ſammen, dann auch einzeln den Sab ordentlich laut and deutlich 
ausſprechen, bilft ihnen, wenn fie fehlen, und fährt Damit fo lange 
fort, bis fie ihn im Gedaͤchtniſſe Haben. — Endlich loͤſcht man 
die Buchftaben wieber weg und unterſucht, ob die Schüler ohne 
fie da8 auswendig Gelernte herzufagen wißen.” 

Unter dem (von Haͤhn entlehnten) Tabellarifiren oder 
der Tabellenmethode verftand Felbiger den Gebrauch von 
„Auflägen, dadurch man das, was Schüler Iernen follen, nad 
allen Hauptftüden und Nebendingen, Abteilungen, Zufägen und 
Beſtimmungen bergeftalt zufammengeordnet hat, damit Lernende 
daraus nicht allein Alles, was fie von dergleichen Sachen zu 
wißen nötig haben, fondern auch die Orbnung erfehen können, wie 
eind auf Das andre folgt und zufammen verbunden iſt“. Felbiger 
unterſchied zwei Arten von Tabellen, nemlich „1) ſolche, welche in 
der Form von Stammbäumen mit Klammern eingerichtet waren, 
und 2) folche, in denen Durch bloſes Ginrüden der Anfangswörter 
jeder Zeile die Haupt: und Nebendinge und was zu jebem gehört”, 
unterjchieben werden. In Betreff des Gebrauches diefer Tabellen 
gab Felbiger folgende Regen (S. 59): „I) ber Lehrer muß fie 
nad) der Buchftabenmethode ordentlich und deutlich auf eine große 


— 092 — 


Tafel mit Kreide anfchreiben; 2) die Schüler müßen das Ange 
jhriebene, fowie andre Dinge, welche nach dieſer Lehrart auswen- 
dig gelernt werden, ind Gedächtnis faßen; 3) der Lehrer muß das 
Angefchriebene, wo nötig, erläutern, Darüber Fragen anftellen und 
durch dieſes Mittel den Anhalt. der Tabellen der Jugend ins Ge 
daͤchtnis und in den Verſtand Bringen, endlich aud) machen, daß 
fie Alles deutlich einſehen; 4) die Tabellen müßen Schülern immer 
eher beigebracht werben, als bie Sachen, Die fie betreffen, 3. &. ehe 
Kinder zu numeriren ober zu abbiren anfangen, muß ihnen bie 
Tabelle vom Numeriren oder vom Abdiren beigebracht werben” u. |. w. 
Beiſpielsweiſe wird „Die Eatehetifche Tabelle, welche 
alle Haupiftüde der chriſtkatholiſchen Lehre enthält“, mitgeteilt. 


A. Tabelle ohne Klammern, 


Erflärung. Katechismus heift bad Buch, aus dem bie 
jugend die hriftliche Religion durch Fragen und Antworten erlernt. 

Die hriftliche Lehre handelt man ab: 

L Ueberhaupt. Hierher gehört, was jedem Chriſten 

A. teild notwendig zu wißen ift: 

1) daß ein Gott fei, der Alles erfchaffen hat und regiert; 

2) daß Gott ein gerechter Richter fei; 

3) daß in der Gottheit drei Perjonen feien, der Vater, 
Sohn und Heil. Geift; 

4) daß die zweite Perfon in der Gottheit Menfch gewor- 
den fei, um und zu erlöfen; 

5) daß Gottes Gnade zur Seligfeit notwendig fei; 

6) daß die Seele des Menſchen unfterblich fei; 

B. teil8 auch geboten und nüßlich ift zu wißen: 

1) das apoftol. Glaubensbek.; 2) da8 Gebet des Herm; 
3) der englifhe Gruß; 4) zwei Gebote der Liebe; 5) 
zwei Gebote der Natur; 6) die 10 Gebote Gottes; 
7) die 5 Gebote der Kirche; 8) die 7 Saframente; 
9) die Hauptpflichten eines Chriſten; 10) die chriftliche 
Gerechtigkeit. 

IL Insbeſondre. — Hierher gehört eine beutlidhe Er⸗ 
kenntnis deſſen, was Ghriften 


29% — 


A. glauben (Chauptjächlich die 12 Glaubensartikel); 

B. Boffen, die ewige Seligfeit und die Mittel, fie zu ers 
langen (hauptſaͤchlich Die 7 Bitten); 

C lieben, Bott über Alles und den Nächften als fich ſelbſt; 

D. brauchen, die heil, Sacramente; 

E meiden, die 7 Hauptfünden, Die 9 fremden Sünden, 
die 6 Sünden gegen den 5. Geift, die bimmelfchreienden 
Sünden; 

F.üben, 1) die Zugenben: 

a) die 3 göttlichen, b) die A Haupttugenden, c) 
die 7 Tugenden, die den Hauptjünden ents 
gegen find; 

2) die 8 Seligfeiten, 
3) die vornehmften 3 guten Werte: 

a) Beten, b) Faften, c) Almofengeben; 

4) die 3 evangelifchen Ratjchläge (nur angera⸗ 
ten, nicht befohlen) ; | 

G. gewärtigen follen, die 4 letzten Dinge: 

a) der Tod, b) das Gericht, c) die Hölle, d) das 
Himmelreich. | 


— 1 — 


B Tabellen mit Klammern, 
Erklaͤrung: Katechismus heiſt das Buch, aus dem bie 


Jugend x. 

Die chriſt⸗ 

liche Lehre 

handelt 

man ab. 
Ueberhaupt 
Hierher ge⸗ 


hoͤrt was je⸗ 
dem Chriſtenſteils notwen⸗ 
dig zu wißen / daß ein Gott ſei, der alles 
iſt erſchaffen hat und regiert; 
daß Gott ein gerechter Rich⸗ 
| er ſei ꝛc. ıc. 
Inss lteils auch ge⸗ 
beſondere ſboten undſdas apoſtoliſche Glaubens⸗ 
Hierher gehörtinüglich ift zu)belenntnig, das Gebet bes 
eine beutlichelwißen Herrn, den englifchen Gruß, 
Erkenntnis ivei Gebote der Liebe ac. ıc. 
defien, mas | 
Chriſten glauben „was Gott geoffenbart hat 
und was er durch feine Kirche 
zu glauben vorftellt ꝛc. ıc. 
hoffen die ewige Seligkeit ıc. ıc. 
lieben Gott über alles und den 
Nächten ıc. ꝛc. 
brauchen [die heiligen Sacramente 
meiden die Sieben Hauptfünden, 
die neun fremden Süns 
den ıc. ıc. 
üben die drei göttlichen 
Die Tu⸗ die vier Haupt: 
genden \tugenden 
die fieben Tugenden 


die acht Seligfeiten 
die vornehm- | Deten 
ſten drei guten |, Faften 
Werke | Almofengeben 
die Drei evangelifchen Räte 
gewärti- 
gen ſollenldie vier legten Dinge ıc, ı. 


— 9% — 
C. Tabelle nad der Buchſtabenmethode.“) 


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Kür den Unterricht im Leſen empfahl es Felbiger, in ber 
Hnuptfache die alte Methode des Buchſtabirens beizubehalten. 
Kur folte Diefelbe wirklich methodifch angewandt werben. Gr 
verlangte, „daß man bie Buchflaben nicht auf einmal, ſondern 
allmaͤhlich, nicht nach der gewöhnlichen alphabetifchen,, ſondern 
nach ihrer genealogifchen Ordnung, — zuerſt die leichteren, Die 
aus einem Striche beftehen, dann die jchwereren, aus 2 oder 8 
Strihen beftehenden, — und bie ähnlichften zufammen, mit Be 
merkung ihres Unterſchiedes bekannt macht; daß man fie durch 
Anihreiben mit der Kreide, groß genug, um alle ihre. Teile beuts 
lich vorftellen zu Pönnen, vor. den Augen ber Kinder entftehn IAft, 
— auch die unterfcheidenden Merkmale durch Auslöfhen, Hinzu 
hen oder Verruͤcken verändert. Doch muß man die Kinder auch 
die gedruckten Buchftaben Eennen lehren, wozu man ſich dazu ein 





J 


*) Anz der Anfang derſelben wird hier mitgeteilt. 


— 96 — 


gerichteter Buchſtabentaͤfelchen, ABCbücher, und alter gedruckter 
Blätter bedienen kann, auf welchen fie Buchſtaben von einer Art 
mit einer Nadel ober. mit einem Bleiſtift zeichnen müßen. Sie 
müßen ingleichen, um fich eines Lexici bedienen zu koͤnnen, bie 
gewöhnliche Folge der Buchſtaben Tennen fernen, und neben der 
Kenntniß der Buchſtaben auch zur richtigen Ausſprache derſelben 
angeführt werden.“ 

Großen Wert legte Felbiger darauf daß die Schüler ſchon 
bei dem Buchſtabiren und Leſenlernen zum Schreibenlernen vor⸗ 
bereitet würden. „Damit fie ſich gewöhnen, künftig bie Feder recht 
zu balten, fo laße man fie beim Buchftabiren und Lefen einen 
hölzernen Griffel von der Dide eines Federkiels fo Halten, wie 
eine Feder gehalten werben muß. Das Buch laße man fie gerade 
vor fih auf die Tafel nieberlegen, fo wie das Papier beim 
Schreiben liegen muß, — nicht in die Hand nehmen, jondern mit 
dem Griffel unter den Beilen hinfahren, wodurch fie ſich auch un- 
vermerkt zum Gleichjchreiben gewöhnen. Man laße fie auch beim 
Buchſtabiren und Lefen in der Leibesftellung figen, in der man 
beim Schreiben fiten muß.” - 

Wie nun der Schüler durch das Lejenlernen zum Schreiben, 
fo follte derſelbe durch das Schreiben zum Erlernen ded Rechnen 
vorbereitet werden. Der Schreiblehrer follte nemlich ſchon 
(S. 404) „beim Unterrihte im Schreiben zugleih die Ziffern 
machen Iehren”, und follte hierbei zugleich den „Wert der Ziffern 
(menigftend der. einfachen) den Schülern befannt” machen. Der 
Rehenmeifter follte ſodann feinen Unterricht mit dem Nume- 
ziren beginnen, d. h. er follte „feine Schüler gegebene ober an- 
geſchriebene Zalen richtig . ausfprechen und jede beliebige Zahl 
ordentlich :anfchreiben” lehren. Als Mittel hierzu hatte Felbiger 
befondere Rechentabellen druden laßen. „In dieſen ftehen 
Die Regeln für jede der fogenannten 5 Rechnungsarten oder Species. 
Mit Abhandlung dieſer Tabellen muß der Nechenmeifter den Anfang 
feine Unterricht8 machen. So oft er eine neue Species ober 
Rehnungsart zu lehren anfangen will, muß er zuerft die dazu 
gehörige Tabelle abhandeln und durch fleißiges Katechifiren die 
Darin enthaltenen Regeln den Schülern fowol ind Gedaͤchtniß als 


— 97 — 


in den Verſtand bringen. Iſt dieſes geſchehen, ſo ſchreitet er zum 
Rechnen ſelbſt.“ An Betreff des beim Rechnen anzuwendenden 
Berfahrense gab Felbiger folgende Vorſchriften: „Ein Rechen⸗ 
meifter muß wenigftend das erfte Exempel jeder Rechnungsart feinen 
Schülern felbft vorrechnen und ihnen zeigen, wie fie dabei zu 
verfahren haben. Er tritt zu dem Ende an die große Schultafel, 
nahdem er folche fo geftellt hat, daß die Kinder alles, was er 
darauf fchreibt, wol leſen können. Er jchreibt Die Zalen ordent⸗ 
ih an, redet dabei laut und vernehmlich, fo daß jeder Schüler 
hört und fieht, was er macht und wie er verfährt. Wenn er mit 
dem Exempel zu Ende ift, Löfcht er ed weg, er nimmt einen ber 
beften Schüler, Dictirt ihm die Zalen des vorigen Gxempels, jene 
nemlih, aus denen andere jollen gefunden werben; er erinnert 
ihn, die Zalen kenntlich und ordentlich zu ſchreiben, verbeßert ihn, 
wo er es unrecht gemacht bat; ſodann läft er ihn laut das Exempel 
ausarbeiten und Die übrigen Schüler zufehen. — Hierbei ift erfor- 
derlih, daß der Rechenmeifter beftändig auf Die Regeln zurüdweife 
md feine Schüler auf das erinnere, was fie aus der Tabelle 
erlernt haben.” — Das Verfahren war alfo ein weſentlich me⸗ 
chaniſches, welches ſich von ber gleichzeitig von Rochow aufge 
brachten Methode des Rechnenunterrichtes auch dadurch unterjchieb, 
daß Felbiger jede Species zunächft nur in unbenannten Balen und 
et dann („fo viel ſich nemlich thun laͤſt 2 auch in benannten 
Zalen eingeübt haben wollte. Ä 


Die Reform des Schulweſens im katholifhen Reichsſtiſt Aeresheim. 


Das Auftreten Felbigers in Schlefien war für das gejammte 
katholiſche Deutfchland ein Mahnruf zu fofortigem ernften Handeln. 
Dem e8 galt bier einen Segen, den, wie man fah, die evange⸗ 
liche Kirche ans der Hand des Allmächtigen empfangen hatte, nad) 
dem Borgange Felbigers der gejammten katholiſchen Kirche des 
Reiches zuzuführen. Daher gab ſich aldbald, nachdem man von 
delbigers (und hernach von Schulfteind) Wirkſamkeit Kunde «x: 

7 


B — 93 — 


balten hatte, in allen Ländern Fatholifcher Prälaten und Kürften, 
in den katholiſchen Reichsſtaͤdten, Grafſchaften u. ſ. w. der regſte 
Eifer für Beichaffung eines gedeihlichen Volksſchulweſens kund. 

Allerdings war es nicht eigentlich der Geiſt des Joſephinis⸗ 
mus, der diefen Eifer zunaͤchſt erwedte; war doch Felbiger jelbft 
nicht durch ihn, fondern vielmehr durch die einfache Wahrnehmung 
des Segend, den eine auf proteflantiihem Gebiete erwachſene 
Snftitution dem Leben brachte, zu Diefem Eifer erwedt worben. 
Aber ed war auch nicht ber Geift des Katholizismus, der dieſe 
DBeitrebungen ins Daſein rief. (Es ift befannt, daß Felbiger ben 
fpezififch-Fatholifchen Dogmen feinen Wert beilegte und diefelben 
ganz auf ſich beruhen ließ.) Vielmehr machte fich hier der Geiſt 
des Chriftentums, der die Schranfen des Fatholifchen Kirchen» 
tums vollftändig durchbrochen und überwunden hatte, in der goͤtt⸗ 
lichen Kraft feiner Wahrheit wirffam. Ueberall, wo man fich in 
ber Fatholifchen Kirche erhob, um Volksſchulen in der Weije, wie 
man fie auf proteftantiichem Gebiete ſah, herzuftellen, dachte man 
nicht an Die Verherrlichung der Autorität ded Papſttums, oder der 
Hierarchie, oder des Außeren Sircheninftituted, ſondern an das, 
was dem chriftlichen Wolfe not that, damit es chriftlich und gott 
felig erzogen und gebildet werde. Daher ſprach ſich in Diefen 
Kreifen nicht nur im Allgemeinen, jondern grade in den Schul: 
prdnungen, die man publizirte, insbejondere das entjchiedenfte 
Misfallen an allem Firchlicheegclufiven Unmwefen aus; es beurfunbete 
ſich zugleich ein entfchiedenes Misfallen an der bisher ausfchließlich 
gepflegten mönchifch » und jefuitifch-lateinifchen Kultur und an dem vors 
bandnen Ueberfluß von Klöftern und Feiertagen, die man aufhob, — 
ja man ging fogar fo weit, daß man Diejenigen Dogmatifchen Lehrjäge, 
die der Katholizismus mit dem Proteftantismud gemein hatte, als 
die Hauptwahrheit des Chriſtentums hinftelte, und Lehrfchriften 
proteftantifcher Pädagogen in katholiſchen Schulen einführt. Am 
erfihtlichften tritt Diefe Thatfacye gerade in demjenigen Fatholijchen 
Zerritorium hervor, in welchem man, nachdem Felbigerd Wirk: 
famfeit in Schlefien befannt geworden war, den eriten Verſuch 
einer Nachbildung derfelben machte, nemlih in dem (jebt zu Würs 
temberg gehörenden) Reichsftift Neresheim. — Unter dem Reichs⸗ 


9 _ 


prälaten Benedikt Marin wurde bier fhon am 5. Januar 1769 
eine „Inſtruction für den katholiſchen Schulmeifter zu Neresheim” 
publigirt, welche auf das eigentlich Katholiſche jo wenig Rüdficht 
aimmt, Daß fie grabezu für eine proteftantiihe Schulordnung ges 
halten werden könnte. Die hauptjächlichften Beftimmungen ders 
ſelben find wörtlich folgende: *) 

1. „Da einem zeitigen Schulmeifter eine zalreidhe Jugend 
anvertraut ft, welche mit der Zeit nützliche Blieder der 
menihlihen Geſellſchaft werben follen, jo muß fein Bes 
tragen und feine Aufführung als eines Vorgeſetzten jo eingerichtet 
fein, daß bie Jugend aus berfelben eine LXehre zur Nachahmung 
Ihöpfen könne. — 2. Ohne Gott den Allmächtigen, den 
Alwipenden, den Belohner des Guten und Beſtrafer des Böfen 
if alles Wißen, Lernen und Lehren nichts ald Stüd 
wert, Er, der Schulmeifter, wird aljo Gott über alles nad 
allen feinen Kräften lieben und verehren, und ſich Durch ein übeles 
Betrages nicht felbft in die Notwendigkeit verfeßen, den großen 
Gott zu fürchten, als welcher den nicht ftraft, der nicht böfe 
handelt. — 3. Da das erfte und einzige Gebot, worauf alle 
anderen gegründet find, darin befteht, daß man Gott über alles, 
und feinen Naͤchſten wie ſich felbit liebe, jo wird er dieſes Gebot 
bei fih in die Thätigkeit zu bringen nach allen feinen Kräften bes 
fißen fein. — 4. Er wird fich aljo befleißen , die vorigen Grund⸗ 
läge in die genauefte Hebung zu bringen, eine wahre Religion 
ohne Heuchelei zu haben, Niemandem wegen einer anderen 
Religion gehäßig zu fein, und fonderheitlich fi von der Reli— 
gionsperfolgung weit zu entfernen. — 5. In Rüdlicht 
auf die menfchliche Geſellſchaft ſoll er der ihm vorgefegten Obrig- 
fit treu und gehorſam fein, jevoh ohne Sclaverei, fo 
daß ihm erlaubt wird, in den ihm übergebenen Verrichtungen vers 
nänftige Vorftellungen machen zu bürfen, wobei aber der Wiber- 
ſpruchsgeift weitab fein fol.” — — 8. „Die Verrichtungen eines 
Schulmeiſters beziehen fi auf a) die chriftliche Lehre, b) gute 
Eitten, c) die Erlernung des Lefens in der Mutterfprache, d) die 





) Magazin für Schulen und Erziehung (1770) 8. IV. &. 139 . 
T 


” 





— 10 — 


Schreibfunft in eben diefer Spradhe, e) das Rechnen, f) die 
Anfangsgründe der lateinischen Sprache, und endlich g) auch den 
Unterriht in der Tonkunſt. — ada. Bei der hriftlihen Lehre 
wird er fich der beften und grünblichften Bücher, welche man ihm 
an Handen geben wird, wie auch des mündlichen Unterrichtd eines 
zeitigen Herrn Pfarrers bedienen. Ueber Alles wird er ſich be 
fleißigen, daß er den Kindern das Gebot: Du ſollſt Gott 
über Alles und deinen Nächſten wie dich felbft lieben, 
recht thätig in das Herz präge, daß er fie von Den Laftern, welche 
wider dieſes Gebot hauptſaͤchtlich anſtoßen, — ernitlid verwarnen, 
dahingegen bei der Jugend diejenigen Tugenden, welche 
der menſchlichen Geſellſchaft am meiſten nützlich ſind, 
— auf das ſorgſamſte pflanze.“ — — ad o et ad d hat ſich der 
Schulmeiſter die gründlichften Bücher, wozu man ihm bie Anlei- 
tung geben wird, anzufchaffen und die Schreibfunft den Kin⸗ 
bern fo viel als möglidh orthographifch beizubringen, Die 
Faͤhigſten au manchmal eine Fabel aus dem Gellert, wos 
bei er ſich aller Mährchen und abergläubifchen Erzälungen auf das 
jorgfältigfte zu enthalten und nur allein der reinen Wahrheit zu 
befleißen bat, auswendig lernen und fie vor andern Kindern her- 
jagen, ihnen auch manchmal aus ökonomiſchen Büchern et— 
was vorlefen, und dasjenige, was fie auswendig begriffen, in 
einen ganz kurzen fchriftlihen Aufſatz bringen zu laßen, damit jie 
auch dazu angewoͤhnt werben, und eine Fertigkeit in der reinen 
Mutterſprache, und eine Liebe zu guten Büchern bekommen.“ — 
„ad ©. Bei dem Rechnen wird ſich der Schulmeifter nach der Fähig- 
feit der Kinder richten. Da indeffen feine Wißenfchaft, Feine 
Kunft, feine Profeflion, Fein Handwerfund feine Haus— 
baltung ohne die Rechenkunſt wol beftehen fann, fo wird 
er ſich befleißen, Diejes den Eltern und Kindern auf das 
deutlihfte begreiflid zu machen. — Bei Begreifung der 
Rechenkunſt kann fi ein fähiger Kopf vorzüglich auszeichnen, und 
ſolche Kinder wird aljo der Schulmeifter von Beit zu Beit bei dem 
Dberamt anzeigen, damit das Weitere verfügt werben koͤnne.“ 
nad f. Die Begreifung der lateinifhen Sprade ift 
bauptfählih nicht notwendig; fähige Kinder jedennoch 


— 101 — 


find dazu abzurichten, wobei ſich aber der Schulmeifter zu hüten 
bat, daß er nicht alle und jebe, welche ſich dazu angeben, ohne 
Borwißen des Oberamts zuzulaßen geftatte, geftalt ſonſt man 
her gute Bürger, wie es bishero häufig gefhehn, Dem 
Staate entzogen, und Das Geld in die Klöfter zum 
gröften Nachteil des weltlihen Nahrungsſtandes — 

gefhleppt werden könnte” — „adg. ift bei der Mufit 
meiftend dasjenige zu wiederholen, wie bei der lateiniſchen Sprache, 
jedennoch ift fie gemeinnüßiger und nicht fo ſchädlich als 
dieje.“ | 

„12. Ale Tage um 7 Uhr werben die Kinder in der Schule 
mjammen kommen, ſodann, wenn der Gottesdienft anfängt, mit 
den Schulmeifter paarweid in die Kirche geben, und nach der 
Zurückkunft in der Schulftube wird der Unterricht bis 10 Uhr 
abgehalten. Um 12 Uhr Rachmittags (Dienstag, Donnerstag und 
Samdtag ausdgenommen,) kommen die Kinder wiederum zufammen 
und der Unterricht wird bis 3 Uhr fortgeſetzt. Weil aber vers 
ſchiedne "ziemlich erwachfene Kinder‘, welche auch bereit3 etwas 
jiemliched erlernt, und welche fi mit Striden, Spinnen und 
anderen Arbeiten nähren koͤnnen, vorhanden find, fo ift für Diele 
eine fogenannte Stundfehule abzuhalten.” — „15. Kinder, die 
fh in der Schule, in der riftlichen Lehre, in guten Sitten und 
in der Fähigkeit etwas zu lernen vor andern auszeichnen, dieſen 
bat der Schulmeifter beſondre Merkmale der Ehre, welde 
man bei der Schulvifitation flufenweife an Handen geben wird, zu 
erteilen.” — 

Die Aufftelung diefer fehr charakteriftiichen Schulordnung 
war der Anfang einer Reihe von Anordnungen und Reformen, 
duch welche der Prälat das gefammte Schulwefen des Stifts 
aufzubeßern oder vielmehr erft zu einem wahren Schulwejen zu 
mahen ſuchte. Es wurden Sonn und Fetertagsjchulen für Kin: 
der und ledige Söhne bis zum 30. Jahre angeordnet, e8 wurden 
die Dotationen der Lehrerftellen erhöht, die Schullehrer geprüft 
u. ſ. w. Als einige Jahre nachher die Normalfchulen im Deft: 
reichſchen eingeführt wurden, ließ ber Reichspraͤlat einen Normals 
lehrer. berufen, ber bie Landſchulmeiſter und 2 Kapitularen des 





— 102 — 


Reichsſtifts mit der neuen Lehrmethode bekannt zu machen hatte, 
und die Einführung derjelben in den meiften Landſchulen bewirkte. 
Befonders thätig dafür war der rühmlich bekannte P. Beda Bracher, 
damals Kapitular des Reichsſtifts und Verfaßer mehrerer methos 
bifher Schulbücher, die in den Schulen eingeführt worden. Sein 
Nachfolger, der Schulinfpector P. Karl Nad, arbeitete auf feiner 
Grundlage fort. Mit dem Jahr 1783 traten öffentliche Schul- 
prüfungen aller Kinder, öffentlide Austeilungen guter Bücher 
al8 Prämien, 3. B. der Bibel, guter Gebetbücher, Bederd Not: 
und Hülfsbüchlein u. |. w. ein, und im J. 1790 erjchien eine ganz 
neue fehr ausführliche Schulordnung, womit die Schulreformen 
in Neresheim vorläufig zum Abfchluße Famen.*) 

Diefelbe rührige Thätigkeit wie bier trat in allen katho— 
liſchen Territorien hervor; überall fuchte man Felbigerd Schul 
einrichtungen nachzuahmen und feine Tabellenmethode, die er von 
Haͤhn und von der Nealjchule zu Berlin aboptirt hatte, einzu: 
führen. Dabei trat der Geift des Joſephinismus, der um das 
kirchliche Intereſſe unbefümmert, lediglich Aufklärung und Bürgers 
liche Wolfahrt und Erziehung für die praftifchen, insbefondre auch 
für die induftriellen Spntereffen des Lebens verlangte, immer ftärfer 
und einflußreicher hervor. Auch da, wo fich viel Eifer für eine 
hriftliche Volkserziehung fund gab, gefchah Diefes doch immer fo, 
baß fich dabei Die Ueberzeugung geltend machte, das Weſen unb 
bie feligmadyende Kraft des Chriſtentums fei nicht eigentlich in der 
Hingabe an Rom und an die Kirche, fondern vielmehr in ver 
Hingabe des Herzens an Chriſtum zu fuchen. 

Sp erwuchs die Volksſchule im katholiſchen Deutfchland als 
ein Kulturinftitut, welches ſich zwar äußerlich in einem ganz 
wünfchenswerten Zuſammenhange mit der Kirche fortentwidelte, 
aber innerlic dem Geifte des Katholizismus nicht angehörte. Darum 
hatten alle Diejenigen, welchen grade der hierarchiſche Katholizis- 
mus vor Allem heilig und theuer war, an elbigerd Werft und 
an dem ganzen Fatholifchen Volksjchulmwefen Feine Freude, — was 
namentlich Felbiger jelbft erfahren und empfinden mufte. 


) Ciſenlohr, Samml. der_würtembergifhen Echulgefepe, Einleitung ©. 54 


— 18 — 


61 
Die Ueform des Volksſchulweſens im Mönigreih Böhmen. 


Bu denjenigen katholiſchen Ländern, in denen nad) Felbigers 
Borgange das Volksſchulweſen am früheften eingerichtet wurde, 
gehört das Königreich Böhmen. 

Der Dechant zu Kaplig, Ferdinand Kindermann, 
begann hier fchon in den Jahren 1768 und 1769 dem von Fel⸗ 
biger gegebenen Beifpiel zu folgen, indem er zunächfl feine eigne 
Pfarrihule zu reformiren fuchte. Kindermann fand dieſelbe nems 
ih in dem elendeften Zuftande vor; nur etwas Muſik wurde in 
derfelben gelernt, während ſelbſt der Linterricht im Leſen ganz ver» 
nahläßigt war. Kindermann wuſte nun feiner Schule vorläufig 
nr jo zu helfen, daß er ſelbſt den Linterricht in die Hand nahm. 
Aber dabei muſte große Vorfiht angewandt werben. Unmoͤglich 
durfte er in der Meinung der Leute ald Neuerer erſcheinen; Flügs 
ih vermied Daher Kindermann Alles, was als Aeußerung von 
Unzufriedenheit mit dem bisherigen Verhalten bes Schullehrers 
und ber Eltern aufgefaft werben konnte, und beſchraͤnkte ſich vor» 
läufig darauf, nur diejenigen beiben Unterrichtögegenftände, welche 
in der Hffentlihen Meinung allein etwas galten, nemlich Muſik 
und Schreiben, zu cultiviren. Dem ıumermüblichen Gifer Kinder 
mannd gelang ed hiermit auch wirklich zu einem erfreulicdhen Er⸗ 
folge zu gelangen. Die Eltern der Schullinder gewannen an ben 
dortſchritten und Fertigkeiten berfelben allmählich Freude uud bie 
Säule zu Kaplig erlangte dadurch bald in weiteren Kreifen ein 
gewißes Anſehn. Nachdem fomit eine wirklihe Neugeftaltung 
dr Schule ermöglicht und für dieſelbe der nötige Boden gefchaffen 
ar, beſchloß Kindermann mit der Ausführung feines eigentlichen 
Reformplanes vorzugehen. Die Freigebigkeit des Grundherrn zu 
Rıylig, des Grafen von Buquoy, befchaffte die nötigen Schulges 
tete und Schulbücher fowie den Behalt für einen zweiten Lehrer, 
deſen Anftellung durchaus nötig war. Die Schule wurde daher 
neh dem von Kindermann aufgeftellten Plane fofort eröffnet, und 
etfreute fich alsbald eines Rufes, daß auf Befehl der Faiferlihen 
Regierung ſogar brei Schulamtscandidaten aus Galizien nach Kaplig 





— 104 — 


famen, um ſich mit den daſigen Schuleinrichtungen bekannt zu machen 
und Diefelben nad) Lemberg zu verpflanzen. Aber noch immer mufte 
Kindermann mit den gröften Hinderniffen ringen, die feiner Anftalt 
nachteilig waren. Namentlich ſchien es Iange Zeit faft unmöglich 
zu fein, einen regelmäßigen Schulbejuch herzuftellen. Die Eltern 
Ichüßten vor, fie bätten ihre Kinder während der Schulzeit zur 
Berrichtung von Arbeiten nötig; im Winter Tönnten fie Diefelben 
wegen Mangels wärmender Kleider nicht zur Schule ſchicken; fie 
vermöchten den Schullohn nicht zu erfchwingen u. |. w. Kinder⸗ 
mann ſah ein, daß vor Allem die Eltern für die neuen Schulein- 
richtungen ‚gewonnen werben muften. Er verteilte Daher zunächft 
an Kinder und Eltern eine Anzal von Büchern, worin der Segen, 
den ein georbneted Schulwefen dem Bürger und Landmann bringe, 
dargeftellt war. Nachdem diefe Schriften geleſen waren, bielt fo- 
dann Kindermann eine Predigt über das Gleichnis vom Säemann. 
Er ftellte die Eltern als den Säemann und die Finder als den 
Ader dar, hielt den erfteren vor, Gott habe ihnen die Kinder le 
Diglih zu dem Zwecke anvertraut, damit dieſelben durch fie recht⸗ 
Ichaffene Menfchen, fromme Ghriften und gute Bürger würden, 
wies auf Die traurigen Folgen einer verwahrloften Erziehung bin 
und ſchloß feine Anfprache mit einer fehr lebhaften Schilderung 
eined flerbenden Vaters, der wolerzogene und tugenbhafte Kinder 
binterläft, fie mit heiterer Miene an fein Sterbebett ruft, mit vaͤ⸗ 
terlihen Händen jegnet, und Dann glüdlich und zufrieben vor ihnen 
einfchläft. 

Kindermanns Ansprache machte auf die verfammelte Gemeinde 
den mädhtigften Eindruck und hatte daher den beften Erfolg. Die 
Eltern jchidten jeßt ihre Kinder willig zur Schule, und der Mas 
giſtrat jebte bei der Bürgerfchaft den Beichluß dur, daß das 
Schulgeld in Zukunft aus der Gemeindecaffe bezalt werben follte. 
Ja jogar auf den in der Umgegend von Kapli gelegenen Dorf: 
haften wurden jetzt Kindermanns Schuleinrichtungen nachgeahmt > 
daſſelbe geſchah auch an anderen, entfernter gelegenen Orten, 
3. B. in Reichenberg, in Krummau u. m. a., fo daß die Reform 
des Volksſchulweſens in ganz Böhmen jet ihren wirklichen Anfang 
genommen hatte und der Kortgang berfelben gefichert war. 


— 105 — 


In den nad Kindermannd Plan eingerichteten Volksschulen 
wurde Unterricht erteilt im Leſen, Schreiben, Rechnen, in der Res 
ligionslehre und Religionsgeſchichte, in der Sittenlehre, Rechtſchrei⸗ 
bang, Muſik und in der Landwirthſchaft. In Kaplig jelbft Hatte 
Kindermann außerdem eine Privatſchule eingerichtet, an welcher er 
in einigen fchwierigeren Lehrgegenftänden felbft unterrichtete. Dieſe 
Privatfhule war teils für ſolche erwachjenere Schüler, die einen 
vollfommeneren, vielfeitigeren Unterricht verlangten, teils für zulünfs 
tige Lehrer beftimmt. Auch die Anfangsgründe der Iateinifchen 
und griechiſchen Sprache und der Geometrie wurben hier gelehrt. 
Felbigerd Lehrmethode (namentlich das Zuſammenleſen) war teil- 
weile eingeführt *). 


$. 8. 


Die Reform des Schulmefens in Deflerreid durch Selbiger und Sculflein. 


Die Wirkfamkeit Felbigers in Schlefien war nur der Anfang 
ber reformatoriichen Thaͤtigkeit deffelben. Denn einen weit groß- 
artigeren Einfluß auf die Entwidlung des gejammten Fatholifchen 
Schulweſens begann berfelbe feit 1774 auszuüben, in welchem 
Jahre ihn die Kaiferin Maria Therefia, Die auf die überrafchenden 
Erfolge feines regen Schaffens aufmerffam geworden war, nad 
Vin berief, um die Reform des öfterreichifchen Schulweſens in 
feine Hand zu Iegen. Felbiger. erflärte ſich bereit, der an ihn er- 
gangenen Einladung zu folgen, und traf, nachdem ihm König 
Sriedrich IL auf den Wunfch der Kaiferin den erforderlichen Urlaub 
erteilt Hatte, alsbald in Wien ein. Der Abt begann nun bier, 
wo ihm die Stelle eined Generaldirectord des Schulwejens für 
die öfterreichifchen Staaten übertragen wurde, fofort Die regfte 
ſchriftſtelleriſche und praktifche Thätigkeit zu entfalten. Bunächft 
wurde eine von ihm ausgearbeitete Schulordnung publizirt,. welche 
den Titel führte: 

„Allgemeine Schulordnung für Die deutſchen Normal-, Haupts 
und Trivialſchulen in fämmtlihen k. k. Erblaͤndern (d. d Wien 





) Bgl Krünig, ökonomiſch technolog. Encyelopädie, B. 62. ©. 119— 129. 


— 16 — 


den 6. Decbr. 1774.) Wien”. (fol. 158.8.). Diefelhe war we 
jentlih auf das Intereſſe der Erziehung für das chriftlich - bürger- 
liche Berufsleben berechnet, weshalb es im Eingang bieß: „Diefer 
Segenftand bat unfre Aufmerkſamkeit um befto mehr auf ſich ge 
zogen, je gewißer von einer guten Erziehung und Leitung in ben 
erſten Jahren die ganze fünftige Lebensart aller Menſchen und die 
Bildung des Genies und ber Denkungsart ganzer Böls 
terichaften abhängt, bie niemals kann erreicht werben, wenn nicht 
durch wolgetroffene Erziehungs- und Lehranftalten bie Kinfter- 
nis Der Unwißenheit aufgellärt und jedem der feinem 
Stande angemefßene Unterricht erfchafft wird“. 

Zur Erreihung dieſes Zieled wurden unter der Oberaufficht 
und Leitung von Provinzial» Schulcommiffionen drei Arten von 
deutſchen Schulen organifirt, nemlih 1) Normalſchulen in ber 
Hauptftadt jeder Provinz oder am Wohnort der Schulcommiffion. 
Als höhere Real- und Mufterfchulen (unter einem Director und 
4— 5 Lehrern, von denen einer ein geiftlicher Katechet fein mufte,) 
eingerichtet, waren fie zugleich zur Bildung Tünftiger Lehrer an 
deutihen Schulen beftimmt; 2) deutſche Hauptfhulen in 
größeren Städten, auch wol in einem Klofter, jo daß in jebem 
Kreife der Provinz wenigſtens Eine ſolche Schule war; 3) gemeine 
deutfche oder Trivialfchulen in allen Fleineren Städten, Markt 
fleden und Pfarrbörfern. 

In den Normalfchulen wurde gelehrt 1) Religion, nad) 
dem gejeplich eingeführten Dioͤceſankatechismus ober nad) dem Ka 
techismus der Normalfchule zu Wien; 2) Buchftabiren, Leſen, 
Recht» und Schönfchreiben, Rechnen; 3) ſolche Wißenſchaften, in 
welchen ſich der fünftige Handwerker, Künftler, Landwirth, Schreis 
ber, Chirurg, Apotheker üben mufte, nemlich deutſche Sprache, 
Geſchichte, Geographie, Naturlehre, die Anfangsgründe der @eo- 
meirie, Mechanik u. |. w.; 4) zur Vorbereitung Fünftiger Lehrer 
wurde gelehrt „von den Eigenfchaften und Pflichten rechtſchaffener 
Lehrer”, Methodik, ſchulamtliche Geſchaͤftsführung u. dal. 

In den Hauptfehulen mwurbe daflelbe gelehrt, was in 
den Normalfchulen vorkam, jedoch nicht Bid zu demjelben Biele. 
In den Trivialfchulen lehrte man 1) Religion, Religionsge⸗ 


— 107 — 


ſchichte und Sittenlehre; 2) Leſen, Schreiben unb Rechnen; 3) 
„bie für das Landvolk gehörige Anleitung zur Rechtſchaffen⸗ 
heit und zur Wirtfhaft nah Maßgabe des hierzu verfaften 
Buͤchleins 

Den Religionsunterricht erteilten in allen Schulen die Geiſt⸗ 
lichen. In den Normals und Hauptſchulen waren hierzu beſondre 
geitliche Lehrer beftellt, welche täglich wenigftend eine Stunde zu 
unterrichten, den Katechismus, die Religionsgefchiähte, die Sitten: 
Iehre und die Sonntagspericopen zu erflären hatten. In ben 
Zrivialſchulen muften die Pfarrer oder deren Vicare wenigftens 
Einmal katechifiren. Auch muften die Ordensoberen ihre Conven⸗ 
tualen dahin anweifen, ſich ohne alle Remuneration in Anſpruch 
nehmen, zur Katechiſation gebrauchen zu laßen. Die Katechi⸗ 
ſationen der Ordensleute muften indeßen vorichriftsmäßig und uns 
ter Aufficht des Pfarrers flatt finden. Die Ordendoberen waren 
unter Hinweiſung auf die Iandesfürftlide Machtvollkom⸗ 
menheit fireng bedeutet worden, diefer Anordnung ohne Wider: 
rede Folge zu leiften, wibrigenfalld fie die hoͤchſte Ungnade zu ges 
wöärtigen hätten. Die übrigen Lehrgegenftände konnten ebenfowol 
von Weltlichen als von Geiftlichen vorgetragen werben. 

Die Lehrart war die Hähn’fche Literalmethode, und zwar 
ganz fo, wie Zelbiger dieſelbe bereits im katholiſchen Schleflen zur 
Einführung gebracht hatte. (BZufammenlefen und Bufammenlernen, 
Gebrauch der Tabellen und Buchftabenmethode). Für bie bereits 
aus den Schulen entlaßene Jugend, namentlich für die Lehrjungen 
und Handwerföburfchen waren an jedem Sonntag, wenigftend im 
Sommer, nach Beendigung der Gottesdienfte in der Schule zwei 
Wiederhbolungsftunden eingerichtet, in benen der Lehrer 
unter Aufficht des Pfarrer oder Picard die Sonntagdpericopen 
erklärte, die jungen Burſchen im Lefen, Schreiben und Rechnen 
übte und das früher Erlernte wiederholte. 

An den Städten muften die Magiftrate alljährlih um Oftern 
und Michaelis dem Schullehrer Verzeichniffe aller ſchulfaͤhigen 
d. h. in das fechfte Jahr getretner Kinder einliefern. Auf dem 
Lande, wo der Schullehrer zugleich den niederen Kirchendienft ver» 
ſah, konnte fich derſelbe dieſes Verzeichnis aus den Taufregiftern 





— 108 — 


ſelbſt aufitellen. Mit Benutzung dieſes Verzeichniffes mufte fidh 
jeder Schullehrer ein Buch anlegen, deffen Blätter mit den Buch— 
flaben des Alphabets bezeichnet waren. Jedem Buchftaben mufte 
er eine Anzal Blätter widmen und auf biefelhen die Namen ber 
ſchulfaͤhigen Kinder nach den Anfangsbuchftaben, das Alter, den 
Tag ihres Eintrittd in die Schule und ihrer Beförderung in eine 
höhere Klaſſe aufjchreiben. Ebenfo hatte der Lehrer aud dem (fo- 
fort zu befchreibenden) Fleißfatalog in eben dieſes Buch einzutragen, 
wie oft der Schüler in den einzelnen Monaten aus der Schule 
geblieben ſei. Auch mufte der Lehrer am Schluße jedes Monats 
in dieſem Buche auf einem befondern Blatte bemerken, wie oft er 
Schule gehalten, und was er in derjelben gelehrt Hatte, 

Ein zweites Verzeichnis, welches Der Lehrer monatlich zu 
führen hatte, war der Fleißkatalog. In diefem Buche wurde 
die Präjenz oder Abweſenheit der Schüler fo protocollirt, Daß fo: 
mol vor⸗ ald nachmittags nach dem Gebete der Name ded Anwes 
jenden mit einem Strich, und der erft nach dem Vorlefen Der 
Schüler Ankommenden mit einem Punkt verfehn wurde. Aus Die- 
jem Verzeichnis fertigte der Lehrer nad) einem vorgefchriebenen 
Schema einen Auszug an, den er erft acht Tage nach dem Befchluße 
des Schulcurfes an den Auffeher einjchidte. 

An einem jeden Schulorte follten von den Obrigteiten eigne 
Auffeher ernannt und der Schulcommiffion in den Schulberichten 
nambaft gemacht werben. Die Aufficht über die Normal und 
Hauptſchulen führte der Director; indeflen muſte auch von dem 
Magiftrat des Orts ein Bürger beauftragt werden, nad) dem Zu⸗ 
ftand der Schule unvermutet zu jehn, und ſich zu überzeugen, ob 
Lehrer und Schüler fi ordnungsmäßig verhielten. In den Heinen 
Städten, Märkten und auf dem Lande war der Ortspfarrer nebft 
dem Beamten und einer verftändigen Gerichtöperfon zum Auffeher 
beftellt. Jeder Auffeher hatte über den Zuftand der feiner Auf- 
ficht zugewiefenen Schule an den Oberaufjeher nach Oftern und 
Michaelis zu berichten. Die Schulcommiffion follte nemlich darauf 
Bedacht nehmen, taugliche Männer zu Oberauffehern zu Beftellen 
und jedem gewiße Bezirke anzumweifen, die fie zur Prüfung und 
Beauffichtigung des Schulweſens bereifen folten. Die Oberauf— 


— 109 — 


ſeher ſchicken Die empfangenen Berichte an die Landesregierung 
ud durch diefe an Die Schulcommiffionen, wobei fie über folgende 
Punkte befondere Nachricht mit vorlegen muften: „1) Wo und in 
welhen Punkten gegen die Landſchulordnung von Magiftraten, 
herrſchaften und Unterthanen gehandelt werde; 2) Was für Hin- 
derniſſe dem guten Fortgange des Schulweſens im Wege lägen; 
3) Ob oder wo etwa nicht Die nötige Erbauung oder Neparatio- 
nen der Schulgebäude vorgenommen, ingleichen wo den Schulbe- 
dienten ihre &ebür nicht gereicht werde; 5) Welche Pfarrer, Vi⸗ 
care, Ratecheten und Schulmeifter ſich durch ihren Fleiß und Eifer 
um dad Schulwefen beſonders herporthäten und einer Belohnung 
wirdig gemacht hätten. 6) Welche Schulmeifter ihre Pflichten 
vernahläßigten oder gar unverbeßerlih und mithin zu beftrafen 
oder zu entlaßen wären”. 

Um eine möglichfte Förderung des Schulweſens durch Die 
Beiflichen herbeizuführen, war befohlen, daß Fein Priefter zur Be- 
jegung einer geiftlichen Pfründe, mit welcher Seelforge verbunden 
lei, in Vorfchlag gebracht werben follte, wenn er ſich nicht durch 
ein von dem Satecheten einer Normalfchule ausgeftellted Zeugnis 
darüber ausweifen könnte, daß er mit den in der Schulorbnung 
vorgefchriebenen Lehrgegenftänden und mit der neuen Lehrmethode 
binlänglich bekannt fei. Auch follte in Zukunft, wenn das Schul- 
weien ordentlich eingerichtet fein werde, außer den Laienbrüdeen 
Riemand in einen geiftlichen Orden aufgenommen werden, ber 
nicht ebenfalld ein derartiges Beugnis befige. Geiftlihen und Leh⸗ 
ven, welche ſich um das Schulweſen befonders verdient machen 
wirden, war eine fichere Anmwartichaft auf Beförderung zugelagt. 

In der Schulordnung waren auch mancherlei Beftimmungen 
getroffen, welche Die Hebung des Standes und des Anſehens der 
Bıllzjhullehrer zum Bwede hatten. Bor Allem follte ihre äußere 
Lage gebefert werden. Dagegen wurde ihnen der Betrieb unwür⸗ 
Diger Grwerbögejchäfte, namentlich) das Halten von Schanfhäufern, 
dad Yuffpielen bei Hochzeiten, Tänzen und Gelagen u. dgl. unters 
lat, Die Ausübung ordentlicher und geziemender Gejchäfte follte 
ihnen indeſſen nach wie vor erlaubt fein. 

Natürlich war die Ausführung dieſer Schuloronung einfimel- 





— 1190 — 


len nur an wenigen Orten d. 5. nur da möglih, wo die dazu er: 

forderlichen Lehrer und Pfarrer und wo die nötigen Gelbmittel 
vorhanden waren. Zunaͤchſt mufte man fi Damit begnügen, bie 
neue Schuleinrichtnng wenigftens in der Refidenzfladbt Wien her— 
zuftellen, wo allerdings eine Rormalfchule jowie eine Anzal von 
Hauptſchulen fofort eingerichtet und Die Trivialichulen ordnungs⸗ 
‚ mäßig reformirt wurden *). 

Die Normalfchule zu Wien war ald Mufteranflalt fin 
alle übrigen beutfchen Schulen der öfterreihiichen Monarchie er: 
richtet worden. Seit dem 1. Mat 1774 war fie aus dem St. 
Stephanshofe in das ehemalige Sefuitennoviziat zu Sct. Anne 
verlegt, wodurch Die Aufnahme einer größeren Anzal von Schülern 
ermöglicht war. Der gefammte Unterricht wurde bier unentgeldlich 
erteilt. Die Schulamtscandidaten und Die zufünftigen @eiftlicher 
erhielten in dem neuen Local ihren Unterricht in der Katechetik ir 
befonderen Zimmern. 

Hauptfhulen waren in Wien 1) im Waifenhaufe, mil 
einem Director, einem Katecheten, einem die Methode Iehrende: 
Oberlehrmeifter, 12 Snabenlehrern, 4 Mäbdchenlehrern und mit 1: 
Lehrern der Vocal- und Inſtrumentalmuſik, welche unter der Auf 
ſicht des Regens chori fanden; 2) bei den Piariften a. in be 
Joſephsſtadt, wo neben dem Präfecten und Katecheten noch 5 Leh 
rer beftellt waren. Die Schüler zalten nur weniges für Holz uni 
für Säuberung der Schule. Wegen Menge der Schulfinder gingen 
in ber zweiten Klaſſe einige derjelben nur Vormittags, andre nu 
Nachmittags zur Schule; b. auf der Wieden. Neben dem Präfec 
ten fungirten hier noch 4 Lehrer; c. in der Ungergaße, wo de 
Präfect und 3 Lehrer thätig waren. 

Trivialfehulen waren bereitd in größerer Anzal vorhan 
den. In und außerhalb der Stadt beftanden vierzehn dieſer An 
ftalten, jede einzelne mit einem Katecheten und 1—2 Lehrern. Di 
Katecheten (welche wöchentlich zweimal in der Glaubens: und Sit 


*) Bgl. „Rachricht von der gegenwärtigen Beichaffenheit der Rormalfchul 
und einiger andern deutſchen Schulen in und bei der k. k. Nefidenzftadt Wien. — 
Wien 1775. 8°. 62 E©. 


— 11 — 


tenlehre Unterricht erteilten,) waren teild Ordensleute, teild Welt⸗ 
priefter. In jeder diefer 14 Schulen wurden 50 arme Kinder 
mentgeldlich unterrichtet und mit den nötigen Schulbüchern ver- 
ſehn. Im MUebrigen wurde von den Schulfindern das übliche 
Schulgeld erhoben. Die Gehalte der Lehrer waren verbeßert 
worden. 

Ale Lehrer der Wiener Normal- und aller deutfchen Schulen 
in der Stadt und in ben Vorftädten mit Einfchluß der piariftifchen 
Säulen ftanden unter der Aufficht eines Oberaufſehers, welcher 
ale Monate mit dem Director und den Lehrern der Normalfchule 
Edulberatungen hielt, wobei derfelbe unterfuchte, was im ver- 
Rofnen Monat geleiftet worden war, und feftftellte, was im fol- 
genden Monat gefchehn follte. Der Oberaufſeher ordnete bie halb- 
jährigen Prüfungen am Ende der Schulfurfe an, verjeßte bie 
Schüler in höhere Klaſſen oder ließ fie zurückbleiben. Bel ihm 
muften ſich alle Schüler zur Aufnahme in Die Schule melden. 
Der Oberauffeher fammelte bie Kataloge ver Lehrer ein, und er- 
Rattete in Gemaͤßheit derjelben an bie Schulfommiffton Bericht. 
Gr unterrichtete die Sandidaten des Schul und des Pfarramts in 
der Lehrmethode und beſchied die Lehrer der Normaljchule, was 


fe denfelben in einzelnen Unterrichtögegenfländen vorzutragen hat⸗ 


ten. — Der Director mufte wöchentlich wenigſtens zweimal nadys 
ſehen, ob jeder Lehrer der Normalfchule feine Schuldigkeit that; 
er befuchte jede Schule in der Stadt monatlich, und in den Vor⸗ 
Käbten wenigftens vierteljährlich einmal, wohnte den Schulberats 
ſchlagungen bei, führte daſelbſt das Protocol und übergab es dem 
Oberauffeher zur Aufbewahrung. Er prüfte mit Dem Oberauffeher 
die Schhler fowie die in der Normalfchule vorbereiteten zukünftigen 
Schullehrer. Auch vollzog er in Abwefenheit des Oberaufjehers 
als, was dieſem fonft oblag, und bejorgte den Drud und Ver⸗ 
ſchuuß der Schulfchriften. — Die Oberbehörbe der Normalſchule 
war die Schulcommiffion. 

Alle Eörperlichen Strafen jollten foviel als möglich abgeichafft 
ſein Der Gebrauch der fog. Patzen und des Ochſenziemers 
war ganz unterfagt und außerdem durfte während der Schulftunde 
niemal® eine BZüchtigung mit der Rute vorgenommen werben, 





L 2 


— 112 — 


Wollte fih ein Schüler mit Ermahnungen und Warnungen nicht 
beßern Taßen, fo mufte der Lehrer entweder den Namen befjelben 
an die Schultafeln anfchreiben, oder er mufte ihn auf den 
für ungehorfame Schüler beftimmten Plab ſetzen, um ihn nad) 
Beendigung des Unterridht3 mit der Rute zu züchtigen. — Die 
Ausftoßung aus der Schule Eonnte nur in der Schulberatichlagung 
von ben Dirigirenden Perfonen befchloßen werden. 

Es waren auch Schulgefeße für die Schulen der deutjchen, 
namentlich der Normal: und Hauptjchulen aufgeftellt worden, welche 
der „Lehrer der Sittſamkeit“ den Schülern vorlefen und erflären 
muſte. 

Vorlaͤufig beſchraͤnkte ſich die neue Schuleinrichtung auf 
Wien und das eigentliche Oeſterreich, griff jedoch ſchon in den 
nächftfolgenden Jahren auch hier und da in Böhmen Platz. Au- 
Berdem juchte die Kaiferin Diefelbe auch im Militär heimifch zu 
machen, wobei ihr die wolmollende Gefinnung einzelner Regiments 
commanbdeure vielfach fördernd entgegenfam. Bunächft wurden 31 
Unteroffiziere und Gemeine von den zu Wien garnifonirenden Re- 
gimentern in der Hauptuormalichule zu Sct. Anna in Wien unter 
der Aufficht eines Oberlieutenants zu Lehrern der Soldatenkinder 
in den Kafernen und Standquartieren ausgebildet. Am 3. Auguft 
1780 fand die feierlihe Prüfung in Gegenwart der Kaiſerin ſtatt. 
Nach einer an die legtere gerichteten Anfprache wurbe eine Probe 
im Singen angeftellt, ſodann muften die militäriichen Kandidaten 
praftifch zeigen, wie fie vermittelt gedrudter Tafeln Kinder im 
Buchſtabiren unterrichteten, muften fie mit einigen Vorteilen beim 
Auswendiglernen bekannt machen, zum Gebraudye des Lefebuches 
anweifen, im Schreiben und Rechnen anleiten, Begriffe von nüß- 
lihen Dingen erläutern u. dgl. m. Mit dem Vortrage einer 
Dankrede und einer Gantate wurde der At befchloßen. - Nas 
mentlich waren e8 die Negimenter Dlivier Wallis und Ahrenberg, 
welde fi um die Ausbildung ihrer Soldatenfinder fehr verdient 
machten. Aber auch in andern Regimentern wurden Gafernen- 
ſchulen eingerichtet. In manchen Garniſonsſtaͤdten bedienten fich 
die militaͤriſchen Corps der daſelbſt beſtehenden Normal- oder 


— 113 — 


hauptſchulen, um Soldaten im Leſen, Schreiben und Rechnen uns 
terrichten zu laßen. 

Schon damals hatte die Schulreform an Ausdehnung be⸗ 
traͤchtlich gewonnen. In der Stadt Wien befanden ſich 11 Schu 
Im mit 862 Schülern und 962 Schülerinnen; in ben Vorftädten 
von Wien waren 3 Hauptichulen und 62 Trivialfchulen mit 4666 
Schülern und 2286 Schülerinnen. Bon diefen 8776 Schülern 
md Schülerinnen erhielten 4187 den Unterricht unentgeldlich. Aus 
dem Schulfonds waren i. %. 1779 für Die armen Schüler zu 
Bien für 599 fl. Schulbücher gefauft worden. — In dem Lande 
unter der Ens befanden fi 4 Hauptfchulen mit 1219 Kinder, 2 
Schulen englifcher Fräulein mit 118 Kindern, und 761 XTrivial- 
ſchulen mit 21055 Sculfindern, wozu noch 17 NRormalfchulen 
famen *). Ä 

Die eifrigfte Unterftügung und Die rafchefte und allgemeinfte 
Verbreitung fand indefjen Felbigerd Schulreform in Böhmen, wo 
der Dechant Ferdinand Kindermann zu Kaplig, der wegen feiner 
Derdienfte um das Schulwefen von der Kaiferin Maria Therefla 
mit dem Namen von Schulftein in den Mbelftand erhoben 
wurde, den Projekten Felbigers in trefflichfter Weife bereits vor⸗ 
gearbeitet Hatte und, um die neue Schulordnung um fo leichter 
und wirffamer durchführen zu können, dem ganzen Unterrichtsſyſtem 
einen neuen, praftiichen Charakter gab. ALS nemlich feine Schule 
m Kaplitz im Jahre 1773 zu einer Normalfchule erhoben wurde, 
erweiterte Schulftein Diefelbe, um ihr in ihrer Eigenjchaft als 
Bürgers und Pflanzichule für künftige Lehrer eine um fo größere 
Rirffamfeit zu geben, in der Weile, daß er in ihr zugleich eine 
Induftriefchule einridhtete, indem er beſchloß, die induftrielle 
Beihäftigung und Uebung der Schulkinder als weientlihes Mittel 
zur Cinrichtung und allmählichen Vervollkommnung der Volköfchulen 





) Bgl. „Beichreibung der auf den 3. Aug. 1780 vormittags um 9 Uhr an- 
geordneten öffentlichen Prüfung der 31 Unteroffiziere und Gemeinen c. — Wien 
1780“, fol. 6 BB. und „Wiener Schul⸗ und Ehriftenlehraimanad auf das Jahr 
1780, Wien 1780“. ne. 7 BB. — Leider baben beide fehr inaltreiche Schriften 
Bier nur nach den in der „Allg Bibl. für das Schul und Erziehungswefen in 
Deutihland" B. IX. ©. 186 ff. gegebenen Auszügen benupt werden können. 

8 





— 114 — 


zu gebraudhen*). Schulftein ging hierbei von dem Gedanken aı 
dag durch die bisherige Einrichtung der Schulen, indem man 
denfelben die Kinder nur in der Religion, im Leſen, Schreib: 
Singen u. ſ. w. unterrichtet habe, der eigentliche Zwed des Sch 
unterrichtes nicht erreicht werde, daß mit Den herfömmlicheu Unt 
ruchtsgegenftänden und Uebungen der Schulkinder notwendig nı 
eine andere Beichäftigung Dderfelben verbunden werden müße, ı 
ihnen diejenige Tüchtigkeit anzubilden, welche fie in der Sc 
erlangen ſollten. Schulftein hielt deshalb die Aufnahme induftri 
ler Beichäftigung in Den Lectionsplan der Schulen für erforderli 
indem nur durch fie den Kindern die rechte Luft und Fähigkeit } 
Arbeit, durch die Abwechfelung zwifchen dem Unterricht in den h 
fömmlichen Lehrgegenftänden und der induftriellen Beſchäftigur 
Liebe zur Schule und Freude an derjelben beigebradyt und zugle 
die Möglichkeit gegeben werden könne, fi) das zur Anjchaffu 
der Schulbücher und der Schreibmaterialien erforderliche Geld 

deſſen Mangel ein jo häufig vorfommender Grund zur Entſchul 
gung der Schulverfäumniffe fei, — in der Schule felbft zu v' 
dienen. — Sin feiner Schrift „Won der Entftehung und Verbr 
tungsart der Snduftrieflaffen in den Volksſchulen des Königreic 
Böhmen” giebt Schulftein ſelbſt über feine Schulreform den näl 
ren Aufſchluß. Schulftein erzält hier nemlih: „Bei näherer X 
trachtung der Volksſchulen nahm ich wahr, daß man in jelben I 
Jugend gerade mit dem, was fie Beitlebend am meiften bedur 
und brauchte, am wenigften bejchäftigte, daß man Darin viel U 
nüßes, und beinah Alles auf eine verfehrte Art lernte. Sch | 
hierin Die Duelle des Müßiggangs, der Armut, der Bettelei, d 
feichten Religionskenntniffe, der Lauigfeit in der Ausübung ihr 
Gebote und mehrere Untugenden”. — „Ich richtete Deswegen me 
ganzed Augenmerk auf die Jugendjahre, ja auf Kinder richtete ı 
es hin. Die Meinung, daß man aus der Jugend Alles mad 
kann, ftärfte mich in meinem Vorſatze, und unterftüßte alle mei 
Gründe. Ich war einmal überzeugt, daß unfre Volfsfchulen, weı 


*) Ausführlicere Nachrichten hierüber fiehe in Krünig, Oelonom. - technolt 
Encyelopädie, T. 62. 8. v. Landſchulen. 


— 159 — 


fe auch normalmäßig eingerichtet wären, ihrer Erwartung nicht 
ganz entfprechen, und ihren Endzwed im gemeinen Xeben gar nicht 
erreihen koͤnnen; man müfte deswegen Die Jugend in benjelben 
uebft den gewönlichen Lebrgegenftänden Arbeitſamkeit bei- 
bringen; man müfte darin Arbeitöclafjen anlegen, fie mit den lit- 
teratiſchen Gegenftänden verbinden, und Die Schüler zur Arbeit 
leiten, um fie ihnen von Kindheit her anzugewöhnen. Nur dadurch 
bürfte Arbeitfamkeit und Induſtriegeiſt national werben“. 

„Dazu eiferte mich noch mehr das Bewuftfein an, daß 
bie arbeitfamften und induftriöfeften Leute verhältnismäßig Doch 
immer bei allen Nationen die beften moralifchen Menfchen find. — 
Ih jah nebft dem, daß auch die Moral und die Religion in den 
Volksſchulen ihre Wirkung nicht haben“, 

„Der Ausführung dieſes Gedankens, fo wichtig und woltätig 
er auch in der Folge für das menfchliche Gejchledht werden dürfte, 
fellte fich eine ungeheure Zal von Hinderniffen entgegen. Hier 
gebrach ed der Gemeinjchule an Mitteln, Die Anlagekoften zu be- 
ſtreiten; dort an ben erforderlichen Behältniffen und Zimmern, die 
Induftrialclaffen anzulegen; bier dem Schulmanne an einer Gattin, 
welhe die Schüler in der Handarbeit unterrichtete, dort an einem 
Grunde, worin man die Landjugend zur Baumcultur und Garten- 
caltır einladen Fönnte. An manchen Orten war die Menge der 
Kinder viel zu groß, ald daß man auf andere, ald auf die vorge 
|hriebenen Lehrgegenſtände auch noch Hätte denken Fönnen; "es 
mangelte an folchen Mufterfchulen und an ſolchen Schulauffehern, 
die die Jugend zur Arbeitſamkeit hätten führen können ober führen 
wollen“. 

„Indeßen ließ ich meinen Mut nicht finfen ; ich war einmal 
fer, daß Arbeitfamfeit jedem Menfchen nüglich und daß die Jus 
gend jeber Richtung fähig ift. Sch hatte es nur dahin zu bringen, 
daß es die Jugend vergnügte und die Eltern interefjirte, frühzeitig 
atbeitſam zu fein“. 

„Das Vergnügen entftand aber für die Jugend a) aus der 
Abwechslung ber Lehr- mit den Arbeitöftunden; b) aus der Ge— 
ſelſchaft, in welcher fie fich felbft zur Arbeitszeit überlaßen, fich 
auch nach ihrer Bequemlichkeit mit Gefprädhen und anmutigen 

ge 





— 116 — 


Gefängen unterhalten; c) aus dem Gewinn, den fie wöchentlich 
aus ihrer Arbeit ziehen; d) aus der Beſchenkung der wolmeinens 
den Eltern und patriotifchen Vorgeſetzten“. 

„Ih hatte nun meinen Vorſchlag nur noch interefjant für 
die‘ Lehrer und Eltern zu machen, — ich zeigte dem bürftigen 
Schulmann, wie er fich feine Nahrungsumftände durch Induſtrial⸗ 
claſſen zu verbeßern vermöchte, feine Ehegattin mit Striden, Nähen, 
Spinnen, Wollefrämpeln u. ſ. f., er aber mit der Baumzucht, mit 
der Gultur des Küchengartens, Seivenbaued u. Dgl. fih einen 
Berdienft verjchaffen, und damit feine Nebenftunden jo nützlich als 
angenehm ausfüllen könnte. Die Vorfteher der Schulanftalten 
würden ihre Bemühung entweder mit einer Remuneration ober 
einer Gehaltszulage bedenken, wie auch wirklich ſchon Diele des- 
wegen mit Beidem in Böhmen bedacht worden find“, 

„Die Vorteile, welche aus diefen Suduftriefchulen berfließen, 
find groß, find beträdhtlih. Sünde und Lafter wird verhütet, und 
der Wolftand der menschlichen Gefellichaft befördert. — Dedwegen 
haben fidy viele Lehrer der Landichulen und Die Bandidaten zu 
jelbigen aus beiden Claſſen, nemlich der Mägdlein und der Knaben, 
bier an der Normaljchule ein Modell genommen und im Orte ihrer 
Beſtimmung für die Schuljugend den Induſtrialunterricht einge 
führt, nur mit dem Unterfchiede, daß auf dem Lande gleichwie da 
Die Knaben des gemeinen Mannes ſich auch mit dem Spinnen, 
Striden, Klöppeln u. ſ. f. in der Schule abgeben, die Maͤgdlein 
auch die Gartenarbeit mittreiben und bejonders die Anpflangung 
ber Küchengewächje erlernen”. 

„Diefe Anftalt verbreitet ſich nun feit 8 Sahren an ſehr 
vielen Orten, auch ohne fonderlichen Sonde, von ſich felbftl. (Man 
fann dermalen in Böhmen mit Gewisheit bis 200 ſolche Schulen 
angeben, welche den Snduftrialunterricht mit Dem litterarijchen blos 
der angeführten Vorteile wegen verbinden und mit gutem Fort: 
gange erteilen.) Wo fih an der Schule nicht 2 Lehrzimmer vor- 
finden, da gibt Die Gattin des Lehrers indeflen in ihrem Wohn- 
zimmer den Sjnduftrialunterriht; und wo der Schulmann fein 
Feld, auch Fein Gärtchen bat, und die Gemeinde dazu auch fein 
Stück Grund miethet, da miethet der Schulmann oder ber Aufs 


— 117 — 


jeher derſelben gegen Zins ein Stud, welchen Zins man ganz 
lit von der unternommenen Gartencultur entrichten kann“. 

Im Jahre 1777 war die Schule der St. Niclaspfarrei bie 
erfte, in welcher für die Mädchen ein befonderer Unterricht in in⸗ 
duftriellen Arbeiten eingeführt ward. Kurz darauf wurden Die 
Verfuche bekannt, welche der Graf von Taffe zu Elifchau und der 
Lehrer der Schule zu Sct. Thomas mit dem Induſtrieunterrichte 
machten. Indeſſen Eonnten diefe Verſuche jo lange feinen rechten 
Forigang haben, als man feinen Fonds Hatte, der zur Anftellung 
beſondrer Anduftrielehrer oder Lehrerinnen ausreichte. Da erhielt 
endlih der Induſtrieunterricht auf den E. k. Cameralherrſchaften 
in Böhmen, 1778 zu Podiebrad, 1779 zu Brandeis und Sbirow, 
in dem für fie befonders verfaften Schulplan gefegliche Einführung, 
indem verorbnet ward, Daß in den Volksfchulen Spinnmeilterinnen 
angeftellt und die fleißigften Schüler belohnt werden follten. Seit 
1780 begann man auch in Brandeid und auf anderen Dörfern, 
aud in der Stadt Budweis das Spinnen in den Schulen heimifch 
wu machen, was auf den Schulbejuch überhaupt den beften Einfluß 
hatte. Außerdem wurden außer dem Spinnen auch allerlei andere 
Delhäftigungen,, namentlih Seidenbau, Gartenbau, Striden, 
Klöppeln u. |. w. in den Schulen eingeführt, und zwar mit fo 
gutem Erfolg, daß Schulftein jeßt mit Hülfe der Behörden gradezu 
dahin arbeitete, in allen Schulen Böhmens die Induftriearbeit 
heimiſch zu machen und dieſe als flärkften Hebel zur Hebung bes 
Schulbeſuchs und der Wirkfamkeit der Schule zu benußen *). 


6.9. 
Das öflerreihiihe Volksſchulweſen nad dem Sahre 1780. 


AS Maria Therefia i. J. 1780 ftarb, erreichte die Wirk: 
ſamkeit Felbigers fofort ihr Ende**). Der neue Kaifer, JofephIL, 
— — — 

) Ansführlichere Rachrichten fiehe in Krünitz, Enchelopädie B. 62. ©. 131 ff. 
) J. 3. 1778, als die baieriſchen Irrungen ausbrachen, erhielt Felbiger von 
Briebrih II. den Befehl, entweder nach Schlefien zurüctzukehren oder auf die Abtei 
Saga zu verzichten. Um jein Jo mũhſam zu Stande gebrachtes Wert gegen \eine 


— 18 — 


der i. J. 1781 das Toleranzedift publizirte, die Genfur milderte, 
in ben erften drei Jahren feiner Regierung 700 Kiöfter aufbob, 
und Aufklärung für beßer bielt al8 allen Glauben, dachte aller: 
dings ebenfalld an thunlichfte Hebung des Volksſchulweſens; abeı 
einerfeit8 war die Seele des Kaiferd von dem Gedanken unt 
Plane eines vollftändigen Bruches mit allem UWeberlieferten jo ge 
feßelt, daß Derfelbe zu einer unbefangenen Würdigung der Schöp: 
fungen Maria Thereflad und Felbigerd doch nicht gelangen Eonnte, 
und andrerfeit8 war die Verwirrung, in welche Joſeph durch feiner 
tyrannifchen Liberalismus feine Völker und fich ſelbſt bradhte, fr 
groß, daß derſelbe mit feinem feiner Projekte zum Ziele Fam. 
Gleichwol gewann das äfterreichifche Volksſchulweſen, vor 
der Staatsregierung durch zalreiche neue Verordnungen mannigfad 
gefördert, auch nad) 1780 an äußerem Beftand wie an innere: 
Ordnung und Durchbildung. Zunächſt wurde der Einfluß dei 
ToleranzediftS auf proteftantifchem Gebiete wahrnehmbar. Den 
indem infolge defjelben aller Orten evangelifche Familien auftauch 
ten, um zu einem Gemeindeverband zufammenzutreten und eineı 
Öffentlihen Cultus in beſcheidnen Bethäufern einzurichten, wurd: 
natürlich fofort auch an. die Errichtung evangelifcher Schulen ge: 
dacht. Aber die Sache hatte ihre Schwierigkeit, da die Gemeinde: 
glieder oft weithin zerftreut wohnten und von dem Fatholijcher 
Volke in jeder nur möglichen Hinficht beläftigt wurden. Erſt fei: 
1780 begann das evangelifche Volksſchulweſen in den öfterreidhi: 
ſchen Landen eine georbnetere Geftalt zu gewinnen. Die für Di 


zalreihen und einflußreihen Widerſacher fhügen zu können, glaubte Yelbiger dat 
legtere thun zu müßen. Als Entfhädigung gab ihm die Kaiferin die Propftei zı 
PFresburg und eine jährlihe Penfion von 6000 fl. Joſeph IT. zog indefien be 
feinem Regierungsantritt diefe Penfion zurüd und befahl Yelbigern, fi) nach Pres 
burg auf feine Propftei zu begeben und auf die Verbeßerung des Schulweſens ir 
Ungarn fein Augenmerk zu richten. Felbiger that diefes auch wirklich, fand abeı 
nicht die Unterftügung, die ihm unter der vorigen Regierung zur Geite geftander 
batte, weshalb feine Bemühungen erfolglos blieben. Er ftarb am 17. Mai 1788 
zu Presburg. — Ein voliftändiges Verzeichnis von Felbigers zalreihen Schrifter 
fiehe in Meufels Legicon der von 17501800 verftorbenen deutichen Schrift 
fteller, 8. III. &. 297 fi. 


— 119 — 


katholischen Schulen aufgeftellten Verordnungen wurden auch amf 
bie evangelifchen angewendet. Die evangelifchen Schulmeifter muften 
in den Normalfchulen ihren Curſus abfolviren und fih in denfelben 
prüfen laßen, und ebenfo übte Die Direction der Normalfchule die 
Auffiht über den Unterricht im Lefen, Schreiben und Rechnen in 
den evangelifchen Schulen aus. Nur die Erteilung des Religions- 
unterrichte8 wurde von ben proteflantifchen Gonfiftorien beaufſich⸗ 
tigt. Kür die Schulen in Defterreidh ob der Ens gab der Super- 
intendent Thielifch Die Felbigerſchen Schulbücher mit den nötigen 
Abänderungen heraus. 

In Wien beftand feit 1794 eine Schule der beiden proteftans 
tiſchen Befenntniffe. Die Schulfinder wurden hier in der evanges 
liſchen Glaubens⸗- und Sittenlehre, im Lefen, Schreiben und Rechnen, 
lowie in den Anfangsgrinden der Naturgefchichte, der Technologie, 
der Erbbefchreibung und der Geſchichte unentgeldlid unterrichtet. - 
Kermere Kinder wurden auch mit Büchern, Schreibmaterialien und 
nötigenfall8 fogar mit Kleidungsftüden verfehn. Die Schule umfafte 
mei Hauptklaffen, deren jede ihren eignen Lehrer hatte. Bei ber 
Erteilung des Religionsunterrichtes wurde der Unterjchted der Der 
fenntniffe gar nicht beachtet, vielmehr wurden bis zum Gonfirma- 
tiondunterrichte fämmtliche Schulfinder von beiden Satecheten der 
Iutherifchen und der reformirten Gemeinde wechſelsweiſe unterrichtet. 
Ein Ausſchuß von einigen Mitgliedern beider Gemeinden bejorgte 
unter dem Namen einer Schuldeputation die Leitung des geſamm⸗ 
ten Schulwefend. Die Superintendenten beider Confeſſionen führ: 
ten die Specialaufficht über den Unterriht und die Oberaufſicht 
über das Ganze war von Regierungswegen dem Inſpector jämmt- 
licher Normalfchulen in Wien anvertraut. Am Ende eines jeden 
Halbjahr wurden in Gegenwart des Leßtern öffentliche Schul- 
prüfungen angeftellt. | 

Mancherlei Erfreuliches zeigte ſich namentlih in Mähren. 
Der Vicar der proteftantijchen Gemeinde zu Brünn, Wagifter 
M. Zoller, ſchuf hier eine von vielen Handwerksburſchen bejuchte 
Sonntagsſchule, worin Unterricht im Leſen, Schreiben, Rechnen, 
in der Erdkunde und Naturfehre erteilt wurde. Unter dem 23. Sep- 
tember 1802 ſetzte Jemand anonym in Mähren einen Preid von 


— 120° — 


100 fl. für denjenigen Geiftlihen oder Schullehrer in Städten und 
auf dem Lande aus, welcher von da an bis zum 1. Januar 1804 
Die befte Sonntagsfchule für erwachſene Bürger- oder 
Landleute errichtet und fortgeführt haben würde. 

Mit befonderem Eifer wurde unter Schulfteind noch forts 
dauerndem Einfluß an der Hebung der Volksfchule in Böhmen 
gearbeitet. Im Sabre 1788 wurden von Wien Mufterriße nad 
Böhmen gefchidt, wonach in Zukunft alle Schufhäufer aufgebaut 
und eingerichtet werden follten. Auch wurden in biefem Jahre die 
Serien vom September und October auf den Juli und Auguft 
verlegt, jo daß das naͤchſte Schuljahr vom Anfang des November 
1786 bis zum Ende des Juni 1787, und jedes folgende vom An⸗ 
fang des September bis zum Ende des Juni dauerte. Zugleich 
fab man die Notwehdigkeit einer firengeren Ueberwachung des 
Schulbeſuches ein. Denn es zeigte ſich i. %. 1786, daß von 
239424 fchulpflichtigen Kindern nur 142145 wirflid in die Schule 
gingen. Daher machte das Landesgubernium befannt, daß man 
demjenigen Schulaufjeher oder Lehrer, der die Zal feiner Schüler 
im fommenden Jahre um ein Dritteil vermehren werde, dieſes als 
ein belohnungswürbiges Verdienſt anrechnen werde. Zugleich wurbe 
es den Eltern auf daß firengfte unterfagt, ihre Kinder fernerhin 
zum Viehhüten zu gebrauchen. — Im folgenden Sabre 1787 wurde, 
um die Lehrer zu immer größerem Fleiße und Eifer zu ermuntern, 
verorbniet, „daß bei dem Vorſchlage zu den für Normaljchüler be- 
flimmten Stipendien unter den Anwerbern vorzüglich auf die Söhne 
geſchickter und eifriger Schullehrer Bedacht genommen werden foll, 
Damit dieſen nüglichen Beamten, wo es immer thunlich ift, Er⸗ 
leichterung und Grmunterung zugehe“. Gin E. k, Hofdecret vom 
8. Juni 1788 dehnte eine Verordnung, die ſchon in den faiferlichen 
deutſchen Erbländern publizirt war, auch auf Böhmen aus. Nach 
derſelben follten von jeder Hinterlaßenfchaft, die wenigſtens 300 fl. 
betrage, an den Normalſchulfonds, wenn der Erblaßer von Adel 
war, 4 fl., wenn er unter die fog. Honoratioren gehörte, 2 fl., 
wenn er Bürger oder Bauer war, 1 fl. abgegeben werden. — 
Dieſe und Ähnliche Verordnungen waren nicht ohne Erfolg. Die 
Zal der die Schule befuchenden Kinder mehrte ſich mit jedem Jahre, 


— 121 — 


eenfo die Zal der Schulen und der feminariftifch gebildeten 
tehrer, fo daß der Zuftand des Schulweſens allmählich ein immer 
afreulicherer wurde. *) 

Um das Jahr 1800 zählte Böhmen 2644 öffentliche Lehr⸗ 
anftalten, worunter ſich 2628 Bürgerfchulen befanden. Bloßer 
Glementarunterricht wurde in 2544 Triviale oder Gemeinde 
ſchulen erteilt, deren jede zwei Klaſſen umfafte und einen Lehrer 
hatte, dem oft noch ein Behülfe zur Seite ftand. Zur berufs⸗ 
mäßigen Bildung des Bürgers insbejondre dienten 54 Stadtjchulen 
von je 3 Klaſſen mit 2—4 Lehrern. Neben diefen Bürgerfchulen 
befanden noch 29 KHauptichulen von je 4 Klaffen, meiftens mit 
einer Zeichnenjchule verbunden. Außer dem Director fungirten an 
jeder der Ießteren noch 4—5 Lehrer. Die Provinzialmufterfchule 
oder die eigentliche Normalichule zu Prag, an welcher 9 Lehrer 
wirkten, hatte namentlidy auch die Beftimmung, Schulamtscanbis 
daten, insbefondere für Stadt- und Hauptſchulen vorzubereiten. 
Unter diefen 2628 Volks⸗ und Bürgerfchulen waren 39 ausjchließ- 
ih für Knaben, ebenſo viele ausfchließlih für Mädchen, die 
übrigen für beide Gefchlechter zugleich beftimmt. Sin confeifioneller 
Hinfiht waren 2199 Schulen Fatholiih, 36 proteſtantiſch und 
. 21 jüdiſch, die übrigen gemiſcht. Der vierte Teil aller Schulen 
gehörte zugleich in die Rubrik der Induſtrieſchulen. 

An vielen Orten war freilih das Volksſchulweſen in ben 
kaiſerlichen deutſchen Erblanden noch im tiefften Verfall. Ueber 
den Zuftand der Schulen in Mähren 3.8. wird aus dem J. 1799 
Folgendes berichtet: **) Es ift ein trauriges Loos für unfer Vater: 
Ind, daß wir feine E. Kreis-fommifläre in Schulſachen mehr 
haben, und die Gefchäfte derſelben den politifchen Kommiflären 
überlaßen find. So geihidt dieſe Männer in ihrem Fache fein 





*) Brgl. „Hiftorifhe Nachricht von der Entftehung und der Verbreitung des 
Rormalihulinftituts in Böhmen, von Ignaz Böhm, GHofcaplan nnd Echuldirector.” 
Frag 1784 mit den zwei Fortſetzungen diefes Werkes von 1784 und 1785. — 
Ankerdem: Krünig, Enchelopädie B. 62, &. 139— 148, 


") Rerionolgeitung der Deutſchen, Jahrgang 1799, &. 560. 


— 12 — 


mögen, fo mangelt es ihnen doch an päbagogijhen und Fateche: 
tifchen Kenntniſſen, Die zur Wufrechthaltung und zur Beförderung 
des Schulweſens notwendig find. Verordnungen, von denen bis 
weilen eine erjcheint, helfen wenig, ober gar nichts, befontert 
wenn Obrigfeiten, Magiftrate und obrigkeitlihe Repräfentanter 
fi Die Sache nicht ‚näher zu Herzen nehmen — wie es leider 
nur gar zu viele gibt. Die Schulen gerathen dabei ſichtbar ir 
Verfall und wenn nicht hie und da noch (beſonders junge) Geiſt 
liche mit Thätigkeit Die gute Sache betrieben, fähe es noch weiı 
ſchlimmer aus. Ich kann ein paar Beiſpiele davon nicht verſchwei 
gen. In Hartfchendorf, eine Stunde von Neutitfchein, iſt ein 
Schule, die eher einer Brechhütte ähnlich fieht, ald einem Bil 
dungshauſe der Jugend. Der Regen überſchwemmt dur Die 
DOeffnungen des Daches das innere Wohngebäude; Stüßen halter 
es noch aufrecht. Das Schulzimmer hat kaum einen Raum vor 
12 Klaftern und doch foll es täglich mehr als 70 Kinder aul 
einmal faßen. Bei jebem Sturme fieht man faft feinem Sturze 
entgegen, denn es ift aus Lehm und morjchem Holze gebaut; unt 
ungeachtet dieſes elenden Zuſtandes erbarmt fich Die Obrigfei! 
doch der Jugend nicht, ungeachtet der Vorftellungen, bie ihr ge 
macht worden find. Die Kinder braten täglich, wie Häringe zu: 
fammengeftopft, an der Sonne oder an der Ofenhiße im Winter 
Der Unterricht wird dadurch nicht nur verleidet, fondern faft un 
möglich gemadt. In Hrabin, einem Markte auf der Straß: 
von Troppau auf Tefchen, war vor ein paar Monaten die Schul: 
nicht beßer; der Lehrer mufte zur Zeit eined Regenwetters allı 
Gefäße in feinem Wohnhaufe zufammenbringen, um nicht über 
ſchwemmt zu werden. Die Obrigfeit weigerte fi, Das durch 
löcherte Dach auszubeßern, weil fie, ob fie gleih Schußpatror 
ift, Diefe Laſt nicht allein tragen zu müßen glaubte; und dod 
gehört der Graf, der Beſitzer dieſes Gut, unter Die reicher 
Savaliere Maͤhrens.“ — 


— 123 — 


6. 10, 


Die Schul- und Unterridtereform des Domherrn 
Friedrich Eberhard von Room. 


Wie in Nachterftädt, fo entflanden auch an einzelnen ans 
dem evangelifchen Orten, in Dörfern wie in Städten, Volks⸗ 
ihulen und Lehranftalten, welche das Anbrechen einer neuen Zeit 
der Volksſchule ankündigten und vorbereiteten. Aber dieſe Schul- 
anftalten kamen einerjeitS immer nur ganz vereinzelt vor, und 
konnten, da fie nur glüdlichen Zufälligkeiten ihren Urfprung und 
ihre Pflege verbankten, ebenſo wenig einen erheblichen, nachhaltig 
anregenden Einfluß in weiteren Streifen gewinnen, als fie in ſich 
felöft irgend welche Bürgfchaft für ihren Tängeren, das Leben 
ihrer zeitweiligen Gönner und Leiter überdauernden Beftand 
hatten. Außerdem beichäftigte fich ja Die neuere Pädagogif, ob⸗ 
Ihon fie die gefammte Volfderziehung im Auge haben wollte, doch 
eigentlich nur mit den Schulen des Bürgerftandes in den Stäbten, 
mb die beßeren Schulanftalten, welche bier und da auf fehr 
wenigen Dörfern vorkommen, waren nichts als Nachbildungen des 
ſtaͤtiſchen Bürgerſchulweſens. An die Dorfichule als foldhe war 
bisher noch gar nicht ernftlich gedacht worden, menigften® Hatte 
man die Grundſchäden deſſelben noch nirgends gründlich befeitigt. 

Da trat in Brandenburg ein Mann auf, der zwar feine 
päͤdagogiſche Bildung aber ein herzliches Erbarmen mit dem armen, 
gang vernachläßigten Landvolk Hatte und ihm um Gottes Willen 
zu helfen beſchloß. Es war diejes der edle Domherr Friedrich 
Eberhard von Rochow, Erbherr zu Reckan bei Branden- 
burg. Diefer ift der Neformator und Vater des evangelifchen 
Dorfihulmefend in Deutfchland, indem er auf feinem Sitze zu 
Kedan, fowie auf den benachbarten ebenfalls ihm gehörenden 
Dörfern Gettin und Krane die erften wolgeorbneten Dorfichulen 
einrihtete, in benfelben methodiſch unterrichten ließ und dadurch 
me für lange Zeit ganz einfam ftrahlende Leuchte für das ge> 
Nammte evangelifche Dorfſchulweſen Deutfchlands aufrichtete. *) 


*) Außer den weiter unten angezogenen Schriften von Rochow und Riemann 


iR über Rochows Schuleinrichtimgen zu vergleiden: Krüniß, ökonomiſche Ench⸗ 





— 124 — 


Rochomw haͤtte ſich urfprünglich für den militärischen Beruf 
beſtimmt und hatte demgemäß, da in demfelben weiter nichts ale 
Tüchtigkeit im Dienft gefordert wurde, feine geiftige Bildung fehr 
vernachläßigt. Aber mit eifernem Fleiße und mit unbeugfamer 
Energie hatte er fpäter nachgeholt, was in früherer jugend ver: 
fäumt worden war, fo daß Rochow zu den in Sprachen und Ge 
ſchichte unterrichtetften und in praktiſchen Dingen urteildfähigften 
Edelleuten des Brandenburger Landes gehörte. 

. Was indeffen Rochow trieb, fi) bed armen, in geiftigem 
und fittlihem Elende dahinlebenden Volkes feiner Dörfer anzu- 
nehmen, war nicht ſowol das Wolgefallen, was er allmählich an 
geiftiger Bildung und Kultur als foldher gewonnen Hatte, ale 
vielmehr der barmherzige Siun, der gute chriftliche Geift helfender 
und rettender Xiebe, der ihn befeelte. 

Ueber die erfte Veranlagung zur WVerbeßerung feiner Dorfs 
Schulen erzält nemlich Rochow in der Gejchichte feiner Schulen 
Folgendes felbft: | 

„Als in den Sahren 1771 und 1772 fehr nafle Sommer 
einfielen, viel Heu und Getreide verdarb, Theurung entftand, aud) 
tödtliche Krankheiten unter Menfchen und Vieh wütheten, da that 
ich nach meiner Obrigfeitspflicht mein. Mögliches, den Landleuten 
auf alle Weife mit Rat und That beizuftehn. Ich nahm einen 
ordentlichen Arzt für die Einwohner auf meinen Gütern an, ber, 
unentgeldlich von ihrer Seite, fie gegen ein jährliches Gehalt von 
mir mit freier Medizin verfehn und heilen folltee Sie erbielten 
ſchriftliche Anweiſung und mündlichen Rat, wie durch allerlei Vor: 
fehrungen und Mittel (wobei fie freilich ihrerfeitd thätig fein 
muften,) dem Fortgang der Epidemie zu fleuern ſei. Aber böfe 
Vorurteile, Verwoͤhnung und Aberglauben nebft gänzliher Un- 
wißenheit im 2efen und Schreiben machten faft alle meine guten 
Abſichten fruchtlos. Sie empfingen zwar die Mittel, die ich be 
zalte, nahmen fie aber nicht ein und fcheuten fogar die Mühe, dem 
nur eine Feine Meile weit in Brandenburg wohnenden Arzte von 


elopädie, B. 61. &. 914—1028 und Büfhings Beſchreibung feiner Reife von 
Berlin über Potsdam nad Redahn vom 3.—5. Junj 1775, 





— 125 — 


dem jebesmaligen Zuftande der Patienten ⁊c. 20. Nachricht zu geben. 
Die einfachften Vorkehrungen und Reinigungsanftalten, Die ich 
ihnen mündlich und fchriftlid) empfahl, waren ihnen teild zu müb- 
ſam, teild hatten fie ſolche vergeßen, und das Schriftliche konnten 
Ne nicht Iefen. Dagegen brauchten fie heimlid die verfehrteften 
Mittel, Tiefen zu Duadfalbern, Wunbderdoctoren, fogenannten Eugen 
Frauen, Schäfern und Abdeckern, bezalten dort reichli und 
Karben häufig dahin. In tiefer Demut möchte ich an dieſem 
hmdbaren Beiſpiele den Regenten und Landesvätern der Voͤlker 
ven hoben unjchägbaren Wert der Aufllärung durch befere Schu: 
Im bier nochmals an das Herz legen! Schon blos von Seiten der 
Finanz betrachtet, die durch Entvölferung der Länder verliert, und 
ki Wolftand und Erhaltung nüßlicher Individuen gewinnt, fallen 
ale Einwürfe der Auffiärungsfeinde dahin. Oder gehört etwa 
ht zu jedem Thun und Laßen und Gewerbe Nachdenken und 
Bordenfen, damit e8 gelinge? Der Dumme denkt aber nicht ge- 
dirig weder nach noch vor, weiß fich nicht zu helfen, fann guten 
Rat nicht würdigen, und wirb eben darum ein Opfer der Greig- 
ufe. In bitteren Gram verfenkt über dieſe fchredlichen Folgen 
de Dummheit und Unmwißenheit ſaß ich einftmal® (es war am 
4, Rovember 1772) an meinem Schreibtifche und zeichnete einen. 
wen, der in einem Netze verwidelt da liegt. — So, dachte ich, 
legt auch Die edle kräftige Gottesgabe Vernunft, die body jeber 
Renſch hat, in einem Gewebe von Vorurteilen und Unfinn der- 
Maßen verftridt, Daß fie ihre Kraft jo wenig, wie hier der Löwe 
die feinige, gebrauchen kann. Ach! wenn doch eine Maus da wäre, 
die einige Mafchen dieſes Netzes zernagte! Vielleicht würde dann 
difer Löwe feine Kraft äußern und fid) Io8 machen können! Und 
mm zeichnete ich, gleichfalls als Bedankenfpiel, auch die Maus 
fin, Die ſchon einige Maſchen des Nepes, worin der Löwe vers 
widelt liegt, zernagt hat. Wie ein Blipftrahl fuhr mir der Ge- 
danke durch die Seele: Wie, wenn bu diefe Maus würbeft? — 
Und nun enthülte fi mir die ganze Kette von Urſachen und 
Rirfungen, warum ber Landmann fo jei, wie er if. Er waͤchſt 
uf als ein Thier und unter Thieren. Sein Unterricht kann 
nichts gutes wirken. Der gröbfte Mechanismus herrſcht in feinen 





— 126 — 


Schulen. Sein Prediger ſpricht hoch⸗ und er plattdeutſch. 2 
verftehen fich nicht. Die Predigt ift eine zufammenhängenbe 9 
die er wie zur Frohne hört, weil fie ihn ermüdet, indem er 
Aufmerfen und Periodenbau nicht gewöhnt, ihr nicht folgen FE 
ja felbft wenn fie gut ift (und wie oft ift fie das?) das Buͤ 
berjelben bei ihm nicht Ueberzeugung findet. Niemand beı 
fih, Die Seelen feiner Jugend zu veredeln. Ihre Lehrer 
wie Ghriftus ed nennt, blinde Leiter, und fo leidet denn 
Staat bei dieſem Zuftand der Sachen, nach welchem fein 
fih in einem befländigen Sriege gegen die verheerende und 
ftörende Dummheit befindet, mehr Verluſt, als in ber bluti, 
Schlacht. — Gott, dachte ih, muß deun das fo fein? $ 
der Landmann, dieſe eigentliche Stärke des Staatskoͤrpers, 
auch verhältnismäßig gebildet und zu allem guten Werk ge) 
gemacht werden? Wie viel tüchtige Menjchen hätte 3. B. ic 
diefen Jahren nicht meinem Vaterlande gerettet, Die jept ein 9 
ihrer entjeglichen Stupidität geworben find! Ja, ih will die V 
fein. Gott helfe mir! Und nun fchrieb ich gleich denjelben 3 
gen bie Titel der 13 Kapitel, woraus mein Schulbuh für 
Lehrer ber Landleute beftehen follte, nieder, und zwar auf 
andere Seite ded Blattes, worauf der Löwe, dad Nep und 
Maus ftand.” 

Am Nachmittag defjelben Tages teilte Rochow feinen ° 
feinem erft vor einem Sahre in Redan inftallirten Pfarrer Ste 
Rudolph mit, der denjelben billigte und außerdem riet, die g 
Angelegenheit dem Oberconfiftorialrat Xeller in Berlin zur 
gutachtung vorzulegen. Teller belobte Rochows Entwurf als 
meinnüßig” und erteilte zur Ausführung deſſelben allerlei nügli 
Rat. So entfland denn unter mannigfachen Erwägungen, 
ſprechungen und Verhandlungen Rochows erſte Literarifche Ar 
welche jchon zu Oſtern 1772 erſchien: 

„Verſuch eines Schulbuchs für Kinder der Landleute, ı 
zum Gebraud in Dorfſchulen“. Berlin, bei Fr. Rice 
(mit dem Motto: Difficile est proprie communia dic 
Horat.) 1772. 

In den folgenden Jahr enwurbe die Schrift, auch mit erläuterr 





— 127 — 


Iufäpen, öfters herausgegeben, und (was fie ihrer ganzen Anlage 
nah war) auf dem Titel als „Unterricht für Lehrer in nie- 
deren und Landſchulen“ bezeichnet. 

Eingangs feines Vorwortd wirft fih Rochow zunädft die 
frage auf: „wer mich berufen bat, mich zum Lehrer des Volkes 
aufzuwerfen,“ und gibt hierauf folgende Antwort: „ch lebe unter 
Landleuten, und mich jammert Des Volkes. Neben den 
Mühfeligfeiten ihres Standes werben fie von der fchweren Laſt 
ihrer Vorurteile gedrüdt. Ihre Unwißenheit in den nötigften 
Kenntniffen beraubt fie ber Vorliebe und Erſetzungen, welche die 
für ale Stände gnädige Vorjehung Gottes auch dem ihrigen ge 
gönnt bat. Sie wißen weder dad, was fie haben, gut zu nußen, 
moch dad, was fie nicht haben können, frob zu entbehren. Sie 
find weder mit Gott noch mit der Obrigkeit zufrieben. Gott tadeln 
fie dur) Murren über die Einrichtung feiner Welt, und halten 
ihn für einen Stiefvater, der parteiifch mit feinen Kindern ver- 
Fährt; die Obrigkeit aber ſehen fie bei jeder nötigen Einſchraͤnkung 
ihrer eigermüßigen Wünfche und Handlungen al8 einen harten 
Statthalter an, der das zur befohlenen Pflicht bat, ihnen das 
Leben zu verbittern. Daher ift ihre Religion meiftenteild der 
verderblihfte Fatalismus. Die ganze vortreffliche Sitten» 
Ichte Jeſu Chrifti und feiner Apoftel liegt ihnen ganz außerhalb 
Der Sphäre der Ausübung. Sie wollen zur Not wol dur 
Chriſtum felig, aber niht nach Ehrifti Geboten vorher 
fromm werden.“ 

„Die Urfachen dieſer jämmtlichen, den Staat in feinem 
wichtigſten Teil zerftörenden Uebel liegt an ber vernadhläßigten 
Griehung der ländlichen Jugend. Man forgt nicht dafür, ihr 
die von ber ihrigen oft fehr verſchiedne Sprache des Unterrichts 
u. |. w. und in berfelben richtige Begriffe und Grundfäge beizu⸗ 
bringen. Man bildet nicht ihre ganze Seele. Man gewöhnt 
hr Gewißen nicht über ihre Urteile und ihre Handlungen zu 
richten. Und fo bleibt denn andy das Landvolk unfähig, einen 
moraliihen Vortrag zu verftehn, gegebene Megeln anzumenden, 
begangene Fehler zur Beßerung zu nügen, fondern fie find und 





_ 18 — 


bleiben ſinnlich, d. i. nicht viel beßer als thieriſch und fühl 
für jede Art moralifcher Slüdfeligkeit.” 

„Sp fand ich das Landvolk; und nun ſah ih mid n 
Hülfe um, wodurch Dieje Laſt weggefchoben werben koͤunte.“ 

„Außer dem Katehismus und ber Heildorbnung fand 
fein Schulbuch für den Landmanız und außer dem wörtlic 
Juhalt dieſer hoͤchſtens blos auswendig gelernten aber nicht ı 
ftandnen Bücher keine Wißenſchaft, Die man deſſen Finder lehri 

„Ich denke doch nicht (um nicht bei dieſer Sache zu wiel 
holen, was Andre ſchon vortrefflih gejagt haben), daß man 
Seele eines Bauernkindes für ein Ding von anderer Battı 
hält, als die Seele der Kinder höherer Stände.” 

„aber dann ift mir's unerflärbar, wie nach der herrſchen 
Lehrart aus dieſen Leuten verfländige Menſchen und 
Shriften gebildet werben follen. Sie verftehen ja, wie es 
Erſahrung lehrt, nicht einmal alle die Worte des Katechism 
und follen doch den Sinn faßen, und durch ihr ganzes Le 
wider die ausfchweifende Sinnlichkeit wirkſam und thätig wer 
laßen.” 

„Da ich alfo nichts fand, was unmittelbar für den gemei 
Mann und feine Kinder mir zweddienlich ſchien, fo wagte 
diefen Verſuch mit dem herzlichen Wunfche, daß beßere, wei 
Menſchenfreunde als Arbeiter an diefe Ernte fi) machen möch 
und daß mein Verſuch bald durch Meifterftüde verdrängt v 
den möge.“ 

„Dieſes Vorhergejagte mag zugleich dem Einwurfe begegn 
„„Iſt denn aber auch dieſer Verjuch ein dienliches Mittel, m 
Erleuchtung in diejen Stand zu bringen ?““ 

„Nun will ich mid) unmittelbar zu dem wichtigfteu Einw 
wenden. Man fagt nemlih: „„Aber iſt ed denn der Ginricht 
des Staates nicht nüglih, wenn der Bauer dumm bleibt; r 
Ihädlih, wenn er Hug und verftändig wird?” 

„Am dieſen jcheinbaren Einwurf zu widerlegen, ift ed ni 
über Worte ſich zu verftehen.“ 

„Klug und verftändig werden, heiſt bei mir nicht argli 
treulos, vebelliich, um ver eingebildeten höheren und beßern | 


— 129 — 


ichten wiberfprechend (raisonneur), neuerungsfüdhtig und feines 
Berufes überdrüßig werden; ſondern ich nenne nur denjenigen Elug, 
der die Pflichten ſeines Standes kennt, die Vorteile deſſelben zu 
nupen weiß und jelbft aus Dem Uebel das damit vermiſchte Bute 
herauszufinden verfteht; oder (wen bieje kürzere Erklärung beßer 
gefällt,): ber in jedem Stande fi fo verhält, daß ihm feine 
Lebensart Fein Hindernid zur Vollkommenheit wird. Nach dieſer 
&clärung wird wol die rechte Klugheit dem Landmann nicht im 
Bege fein, ein geſchickter Bauer (cultivateur), ein fleißiger Ar- 
keiter,, ein treuer Dienftbote, ein tüchtiger und gehorjamer Soldat 
a. |. w. zu werben.” 
„Was ſchadet alfo der Unterricht in der wahren Klug- 
heit dem Staat? Sollte nicht vielmehr jeder Staat unfäglich 
große Vorteile Davon haben, wenn 3. B. alle Menfchen gewißen- 
Bafter würden ? Aber das Gewißen gründet fi auf Religion, auf 
eine Religion, bie im Verftande und Willen wirkt, und ohne gute 
Etziehung und Unterweifung dem Menfchen nicht mitgeteilt werben 
Tan. Wenn 3. E. das Ehriftentum in dem Verftande und Willen 
Des Menfchen gegründet ift, und fein wolthätiges Licht auf jo manche 
Duimkelheiten des Lebens wirft, fo giebt er Gotte recht. — Er hat 
Euſt an feinen Geſetzen; man darf ihm nur die Pflicht zeigen, jo 
Khut er fie um Gottes willen, der feinen Gehorſam als ein ans 
genehm Opfer anfieht. — Jede Obrigkeit ift ihm dann heilig, weil 
fie von Gott verordnet if. Er betet für fie noch dann, wenn er 
leidet, und entfchulbigt fie, weil er weiß, daß es auch fchwerere 
Pflichten giebt, je höher die Stände find. Er gehorcht den guten 
Herrn und auch den wunderlichen. — Als Dienftbote ift er treu, 
denn Bott fiehet dahin, wo ber Herr oft nicht binfehen kann. — 
Us gedungener Arbeiter ift ex fleißig; er fucht wirklich das Beſte 
eßienigen, der ihn lohnt; denn er weiß, baf ein folder Menſch 
bon Bott. noch einen Gnadenlohn erwarten kann. — AS Soldat 
weiß er, daß gewiße Mitgliever der Geſellſchaft jein müßen, Die 
als Ausgefonderte zum allgemeinen Beften für die Sicherheit bes 
Anzen wachen und ſtreiten. Er fieht aljo feinen Soldatenftand 
als feinen Beruf an, und murrt nicht wider den, der ihn dazu 
Ten. — Er weiß, daß ohne Gehorſam feine Ordnung erhalten 
1°) 


— 10 — 


wird; er gehorcht alfo freimillig — Er ſieht vielleicht gar ein, 
daß man, um ein guter Soldat zu werben, gewiße körperliche 
Bertigfeiten erlangen müße, daß Aufmerkſamkeit auf die Befehle 
des Vorgefegten unentbehrlich fei, er fucht alfo an Fertigkeit und 
Aufmerffamfeit volllommen zu werden. — Gr weiß vielleicht, daß 
mehr Soldaten durch Krankheiten, daran ſie felbft ſchuld find, als 
dur Schlachten und Belagerungen zu Grunde gehen. Er trägt 
aljo Die nötige Sorge für die Geſundheit, bamit am Tage bes 
Streit er nicht zum Schaden des Staates im Lazareth liege und 
in feinem Gliede fehle. — Weil er nad Gottes Befehl gefernt 
bat, fih an feinem Solde zu jeder Zeit genügen zu laßen, fo 
plündert und vaubt er auch im Feldzuge nicht. — Er iſt alfo 
immer da, wo er fein fol, und findhtet den Tod nicht, weil ber 
Tod für den rechtſchaffenen Mann auf dem Schlachtfelbe nicht 
fchredlicher ift al8 auf dem Bette.“ 

„Wie, meine Heren, follte mit dieſen Leuten, follte mit 
Soldaten, die auf dieſe Art klug wären, fich nicht gut mars 
fchieren und ein Feldzug thun laßen? Ich daächte es wol.” 

„Aber vieleicht will man fagen: „„Wird denn der gemeine 
Mann jhon aus diefem Verſuch zum Schulunterricht Flug werben, 
ohne Lehrer?" 

„Nicht ohne Lehrer; denn für unmwißende Kinder tonnen 
eigentlich Feine ſolche Buͤcher geſchrieben werden, indem ber Ge⸗ 
brauch eines ſolchen Buches Leſen und Verſtehen vorausfegt. 
Wol aber für den Lehrer; denn bei dem tft das Leſen — können 
und das Verſtehen des Belejenen eher zu vermuten.” 

„Und wie man bei franfen Säuglingen verfährt, da man 
nemlich ihren Ammen Arzneimittel verorbnet, fo tft auch Bei 
diefem Berfuhe mein Plan beichaffen gewejen. Ich babe ben 
Schullehrern auf dem Lande und in niedrigen Schulen einige Aus- 
fihten in das Neich nüglicher Wahrheiten eröffnen und ihnen eine 
nach meiner Ginficht gute Methode zeigen wollen. Wenn ed zur 
Anwendung kommt, jo müßen fie noch immer ſelbſt denken 
und erfinden.“ 

„Als ich bis auf das Haupiftüd von der Landwirtfchaft bie 
erfte Hufgabe dieſes Verſuchs vollendet hatte, erhielt ich des Herrn 


— 131 — 


Hoftat Schloffer Katechismus für das Landvolk. Auffallend 
rührte mich Die Aehnlichkeit unferer Abfichten, die ähnliche Lehr⸗ 
art und Sefinnungen gegen den zalreichften aber verachtetften Teil 
unge Mitmenfchen. Wir find, jo dachte ich, einander völlig un⸗ 
belannt, und fchreiben faft zu Einer Zeit an entfernten Orten in 
Deutichland über einen Vorwurf. — Vielleicht ift diefes ein Wint 
ver Vorſehung; ich will ihn nicht verfennen. Und fo entſchloß ih 
mich, meinen Verſuch durch den Drud bekannt zu machen.” 

„Run jei ed mir erlaubt, einen furzen Aufriß und bie 
Gründe meines Planes dem Lefer vorzulegen.” 

„IH babe mit Uebungen der Aufmerkſamkeit und Wißbes 
gierde angefangen und behaupte, Daß auf ſolche Art, weldhe nad 
den Umſtaͤnden verändert werben fann, faft ein halbes Jahr lang 
die Kinder geübt werden müßen. Denn haben fie erft aufs Wort 
md auf Sahen merten gelernt, fo ift der Übrige Unterricht 
leicht und eine Luft für Lehrer und Lernende. Wan denfe aber 
nicht, Daß es eine leichte Sache fei, den flatterhaften Sinn der 
Kinder dahin zu bringen. In die gute Anwendung dieſes Haupts 
Rüds fege ich die ganze Kunft des Lehrers.” 

„Daß ich gleich darauf von Urſache und Wirkung handle 
und diefe Erkenntnis unter die nötigften zäle, davon gebe ich 
folgende Gründe an: Die Lehre von Urſach und Wirkung, Mittel 
und Endzweck ıc. ıc. ift zum rechten Gebrauch der Vernunft unents 
behrlich Ohne fie lernt man fchwerlich richtig denken, reden und 
handeln. Bei taufend Gelegenheiten braucht ein Kind von ber 
Bahrheit unterrichtet zu fein, daß jede Wirkung ihre Urſache hat, 
und umgekehrt, daß wer ben Endzweck will, auch die Mittel fi) 
gefallen Taken müße. Man jagt, „„der Gehorfam richtet dafjelbe 
aug.“⸗« Ich aber kann diefer Meinung nicht beipflichten. Denn 
\hon das Kind handelt fehr oft in folhen Umftänden, die man 
nicht vorausgeſehen, und aljo feine Verhaltungsbefehle gegeben 
bat; und zumeilen find foldhe Handlungen von Wichtigkeit. In 
manchen andern Umftänden ift felbft ein Gehorſam auch ſicherer 
md wider Die Verſuchungen ftärker, wenn Einficht und Selbftliebe 

Befohlene ald gut und dad Verbotne ald 558 vorftellt. End⸗ 
ih, der blinde Gehorſam muß ja aufhören, aber die Vernunft bleibt.“ 
“ 


— 1323 — 


„In den folgenden Hauptftüden findet man einige Vor⸗ 
übungen des Verſtandes, ohne weldhe, wie mich bünft, der Uns 
terricht in der Religion nicht in dem Grabe gelingen kann, ald ed 
zu wünjchen wäre und ald es gelingen würde, wenn nicht blos 
das Gedächtnis geübt, jondern wirklich für das Verftändig: 
werden ıc. ıc. (Epbej.d, 17) geforgt und jede Neigung auf das 
Gute gelenkt wird.” 

„Wie man die abftracteften Begriffe, wenn ihre Wichtigkeit 
fie nötig macht, durch finnliche Sleichniffe und Behandlung in die 
Gemüter der Jugend bringen koͤnne, babe ich in einigen Haupts 
ſtücken verſucht. Dieſe Verſuche find nicht leicht, denn fie find 
ungewoͤhnlich, und man findet kaum einige Mufter. Ich habe auch 
in dieſen Stüden viele®, was in der erflen Ausgabe war, ver- 
ändert, vermehrt und, ich wünfdte es hoffen zu bürfen, ver- 
beßert.“ | 

„Die Ordnung der Kapitel bat mit aller meiner Mühe nicht 
Inftematifch werden wollen. Vielleicht ift e8 aber doch zwedmäßige 
Drdnung; nur daß fie fich bei der Behandlung erft entbedt. Ueber⸗ 
haupt aber feheint Die menfchliche Erkenntnis zum firengen Syftem 
noch nicht veif zu fein, da unfer ganzes Wißen Stüdwerf iſt.“ 

„Bon dem Inhalt der Bibel fcheint mir ein kurzer Auszug 
fürd Gedächtnis des gemeinen Manned ein gutes Hülfsmittel. 
Eine chriſtliche Moral, nicht ein Wortregifter der Tugenden habe 
ih, fowie eine natürliche Theologie auf Bitten eines Freundes 
gewagt, weil ich als ein Laie mich in dieſes Fach nicht gerne eins 
laßen mochte. Doch find dieje Hauptftüde nicht fo mit dem Ganzen 
verbunden, daß nicht befere an ihre Stelle geſetzt werben koöͤnnten. 
Inzwiſchen und weil ich meinem Buche die gröfte Gemeinnützigkeit 
wünjche,, jo babe ich alles das jorgfältig vermieden, was zwifchen 
den verjehiednen Gemeinen der Ghriftenheit ftreitig fein fann, und 
überlaße den Lehrern in jeglicher Kirche Die Crgänzung der aus 
gelaßenen Stüde mit gegründeter Bejcheidenheit.” 

„Ich habe mich lange bei dem Begriffe von dem Verbältnifje 
der Dinge verweilt. Denn wenn ihn die Jugend recht gefaft hat, 
jo fann man von Pflicht und Klugheit weit kürzer mit ihr reden, 
als fonft möglih wäre. Es ift ein ſehr methodifcher Begriff. 


— 133 — 


Diefed Hauptſtück ebenfomol, als das von natürlichen Dingen, 
kann man fo früh als man vermuten darf, daß es die Schüler 
verftehen werben, vornehmen. Ueberhaupt aber ift das Lehrbuch 
ſo eingerichtet, daß es in bem langen Beitraume zwiſchen dem 
6, oder 7. bis zum 14. oder 15. jahre mehr ald einmal durdy 
gelehrt werden Tann, da dann die vermehrte Erkenntnis durch den 
erften Unterricht auf die 2., 3. 2c. 2c. Verhandlung Licht werfen 
imd mehr ergänzende VBollftändigfeit erlauben wird.” 

„Wer die Landwirtſchaft verfteht, wird mit mir einftimmen, 
daß in den folgenden Hauptflüden manches dem Landmanne Nuͤtz⸗ 
Ihe gelehrt werde. Daß aber vieles in dieſem Hauptſtücke lokal 
fi, und nad der allernaͤchſten Beftimmung dieſes Buches fein 
mufte "darf ich wol nicht entfchuldigen. Sollte man e8 in andern 
Gegenden der Ehre des Gebrauches würdigen, jo könnte ber 
geihikte Lehrer auf durchſchoßnes Papier fein Locales an biefer 
Stelle in fein Exemplar eben.“ 

„zum Nagelfchmieden, einem der unkünftlichften Handwerke, 
hält man Doch wenigftens drei Lehrjahre für nötig; tft es nicht zu 
verwundern, Daß man geringer von der jo ſehr funftfähigen Land⸗ 
wirtſchaft zu denken fcheint, und daß man von ihr glaubt, fie 
lerne der Bauer von felbft? Ja, er lernt fie, aber wie? Mit 
allen rrtümern und Vorurteilen feiner Vorfahren, «und zu ber 
geringften Verbeßerung durch Nachdenken und Kenntniffe unfähig 
und auch unwillig. Gin Landesherr, der die wichtige Wahrheit 
glaubt, daß im Aderbaue bie Grundkraft des Staates 
liegt, wird mit den beften Edikten zur Verbeßerung tauben 
Ohren prebigen, wenn er nicht für Die beßere Einrichtung. der 
Schulen zur Bildung der Gemüter in der Jugend durch Unterricht 
in den nüglichften Sfonomifchen Kenntniffen Sorge trägt.” 

„Ich will kürzlich) meine Meinung fagen, was verbeßert und 
wie verheßert werben muͤße:“ Ä 

„i. Mit Handwerkern und unmwißenden Bebienten muß Feine 

and = oder niedere Schule mehr befeßt werben, ſondern mo mögs 
ich fürs erfte mit Kandidaten der Theologie, und aus ihnen würs 
M etwa die Landprediger hergenommen. — Der Nußen biefer 
Wünfchenswürdigen Einrichtung fallt zu ſehr in die Augen, als 


— 134 — 


daß ih es nötig hätte, weitläufig ihn zu entwickeln. Gollie 
dieſes aber nicht angehen, doch mit geſchickten und fleißigen jungen 
Leuten, die gute Schulftudia haben, und die in Ermangelung 
eigner Seminarien etwa der einfichtönollere Prediger mit Diefer 
Lehrart vertraut gemacht bat.” 

„2. Sie müften alle wenigftens über 100 Rthlr. baares Geld 
an fixem Gehalte nebft dem Kantortitel haben, ohne die übrigen 
Vorteile al8 Feuerung Wohnung, Barten ıc. ıc., damit fie ſich 
gern und ganz dem Schuldienfte weihen koͤnnten. Dafür aber 
würben alle Kinder der Gemeinde unentgeldlich in der Schule unter; 
wiefen. Könnte ein jeber Schullehrer zugleich der Küfter in feinem 
Orte fein, jo würde außer dem Fleinen Vorteile, der dadurch jebem 
Scähullehrer erwüchle, noch der Nußen erlangt, daß ber Küfter ın 
matre, der zugleih Sculmeifter ift, nicht fo oft wegen foge 
nannter Amtöverrichtungen auf andern eingepfarrten Orten feine 
Schule verfäumen müße.“ 

„3. &8 müften Klaſſen fein, wenigſtens zwei. Die Schuls 
zeit währt zur Erhaltung der Geſundheit ded Lehrers nur etwa 
höchftens ſechs Stunden, und die Lectionen teilten fich nach ihrer 
Nüplichkeit in Diefe Zeit, Davon etwa vier Stunden des Vormits 
tags und zwei ded Nachmittags fielen.“ 

„4. Die Schulgebäude müften Vorzüge vor den übrigen 
haben; die Stuben hell und mit nüßlichen und zwedmäßigen Bil- 
dern oder Sachen und Modellen geziert fein.“ 

„d. Wenn mit dem Lefen und Schreiben das erfte Haupts 
ftüd verbunden, auch nichts anderes gelefen und gefchrieben würde 
als faßliche und gemeinnfgige Wahrheit, leichte Gefchichte, Gedenk⸗ 
Iprüche, Lieber u. drgl., jo erreichte man zwei wichtige Endzwecke 
auf einmal und erleichterte der übrigen Lehre den Eingang.“ 

„Mufter und Beiſpiele Dazu find fürs erfte in ausgefuchten 
Verſen vieler alten und neuen geiftlichen Lieder und in den Hi- 
ftorien und Gleichniffen, fo felbft in dieſem Buche flehn, und 
vielleicht bald in einem erfcheinenden Lefebuche, fo der Kinderfreumd 
heift , 3c. 2c. zu finden.” 

„Ihr großen und vermögenden Herrn der Erde, möchtet ihr 
doch nichts gegen den zweiten und vierten Paragraphen einwenben ! 


— 15 — 


hierauf kommt Allee an. Und welche Ausgabe wäre edler und 
wärde veichere Binfen tragen? Wo fehr arme Herrſchaften find, 
müßten Kirchenkaſſen, ja felbft die Untertbanen (wenn fie dazu das 
Bermögen haben,) zufammenjchießen. Sonft aber fchließe ſich doch 
feiner auß, hier zuzulegen! Sind wir denn blos geboren, die 
Frühte der Erde zu verzehren? Sind wir nicht Haushalter Gottes ? 
Sollten wir nicht Sein Reich, weldyes das Reich der Wahrheit 
md Erkenntnis iſt, vermehren, und das Reich der Finfternis, 
d. i. der Unwißenbeit und des baraus entfpringenden Irrtums 
ud Aberglaubens , fo viel an ums tft, zerftören helfen? Gewiß; 
Gott würde ſolchen Anftalten und Einrichtungen feinen Segen 
nt entziehen.” 

„Möchte doch dieſer edle Trieb in allen Seelen entbrennen, 
md allgemeine Menfchenliebe bier keinen Stand anfehen: damit 
dunch Ausbreitung einſichtsvoller Tugend in jedem Ort Blüdfelig- 
fit wohnen und Gerechtigkeit und Friede fi) überall begegnen 
finne.” — 

Rochow wufte es ſelbſt, daß es die Stimme eines Predigerd 
in ber Wuͤſte war, Die er in feinem „Schulbuche“ hatte ertönen 
laßen; und mit ber Bangigfeit eines Schriftftellers, der zum erften 
Mole vieljundertjährigen irrigen Traditionen entgegengetreten ift, 
ewartete daher derſelbe, wie das Publicum über feine Schrift 
uttellen würde. Da erhielt Rochow einen Brief von dem dama⸗ 
gen Chef des geiftlichen und OberjchulsDepartements (dem nach⸗ 
Aa Seh. Staats⸗ und Juſtizminiſter) v. Zedlitz folgenden 

nhalts: 

„Hochwürdiger und Hochwolgeborener ꝛ2c.! Daß ein Dom⸗ 
ber für Bauernfinder Lehrbücher fchreibt, tft felbft in unferm 
aufgeflärten Jahrhundert eine Seltenheit, die dadurch noch einen 
höhern Wert erhält, daß Kühnheit und guter Erfolg bei diefem 
Unternehmen gleich groß find. Heil, Lob und Ehre alfo dem vors 
trefflichen Manne, den nur die Rückſicht auf die Allgemeinheit bes 
Rupens, welcher geftiftet werden Fann, zu foldhen Unternehmungen 
Antreiben konnte“. | 

„Ew. Hochwurden müßen von mir feinen beftimmten Dank 
ewarten; er würde mit einer Sache in Seinem Verhältnis ſtehn, 


— 136 — 


deren Wert ganze künftige Nationen preifen müßen. Laßen Sie 
mich vielmehr Sie von nun an ald einen Mann betrachten, der 
zur Beförderung der großen Abfichten bes beften Königd mir in 
der Verbeßerung des Unterrichtd der Landjugend jo Fräftige Bei 
hülfe leiften Fann, und der Patriotismus genug dat, biejen Bei: 
ftand leiſten zu wollen“. 

„Sw. Hochwürden wird nicht unbewuft fein, daß des Königs 
Majeftät die Intereflen eined Kapital von 100,000 Thlr. zur 
Salarirung der Dorfichulmeifter in der Kurmark ausgefept haben, 
und daß Höchftdiefelben vornehmlich wuͤnſchten, Schulmeifter 
aus Sachſen zu diefem Behufe herüber zu befommen”. | 

„Rab Ew. Hochwürden Meinung find 100 Thlr. für einen 
Schulmeifter genug. Ach hatte anfänglich Feine größere Befolbung 
im Sinne; allein ich glaube kaum, daß ſich diefes fo genau und 
allgemein beftimmen laͤſt, weil ich es für ſehr verberblich halte, 
wenn der Dorfeinwohner für den Unterricht feiner Kinder anno 
ein gewißes wöchentliches Schulgeld zalen muß, inmaßen dieſes 
Schulgeld, jo gering es ift, dennoch in diefen beffemmten Zeiten 
ben Landmann fehr oft mit Grund abhalten Tann, feine Kinder 
zur Schule zu jchiden. Vielmehr hielt ich es für gut, daß jedes 
Kind vom fünften Jahre an in die Schule gehen müfte, 
und daß der Prediger fein Kind zum Abendmal annehmen dürfte, 
welches nicht einen zu beſtimmenden Grad von analogifcher Gelehr⸗ 
ſamkeit erreicht hätte”. 

„Es würde dannenhero auch bie Beſoldung mit der Anzal 
der Kinder eines Dorfes im Verhältnis ftehen müßen. Und da 
aller Unterriht, wie Ew. Hochwuͤrden fo richtig bemerken, dahin 
gehen muß, daß die Bauernfinder zu Treibung ihres Fünftigen 
Gewerbes aufgeflärter gemacht und der Verſtand nad, ihrem Ber- 
bältnis bearbeitet werde, fo Fällt es in Die Augen, daß ein ders 
gleichen Unterricht weit mühfamer werden muß, ald wenn ber 
Schulmeifter den Zungen eine Seite aus Luthers Katechismo aus⸗ 
wendig lernen laͤſt. Die Seele wird dadurch immer einen großen 
Schritt weiter fommen, wenn wir Leute erhalten, welche Kopfes 
genug haben, die Jugend nach diefer Methode zu unterrichten ; 
und in voller Zuverfiht auf Ew. Hochwuͤrden rähmlichen Gifer 





— 137 — 


wage ich es, Diefelben zu erſuchen, ſich um einige dergleichen 
Subjefte, vornehmlih aus Sachſen, zu ‚bewerben, und mir 
demnähft einige Nachricht zufommen zu laßen, ob nicht vorerft 
mit einem Diſtrikt um Redan herum ein Verſuch zu machen mög- 
lich ſei. Diefe Leute würben offenbar, wenn fie Durch Ew. Hoch⸗ 
würden herübergerufen wären, auch mehr Zutrauen zu Ahnen has 
fen, und es würde offenbar mehr Vorteil fein, wenn man ganze 
Diſtricte mit guten Schulmeiftern auf einmal befehte, als wenn 
ale zehn Meilen einer angeſetzt würbe”. 

„Ew. Hochwuͤrden follen hiermit mit feinem Auftrag Belaftet 
werden. Ich verpflichte mich aufs Heiligfte, von Ihnen nichts zu 
ſordern, als was Ihnen felbft Ihr Eifer für das allgemeine Befte 
abfordern wird. Sch erſuche Sie nur, das Talent, was Ihnen 
die Vorficht gegeben bat, anzuwenden, und werde mird zur Ehre 
rechnen, wenn Sie über dieſes Süjet und über bie zu treffenbe 
Einrichtung mir Dero Meinung unzurüdhaltend zu eröffnen bie 
Gefälligkeit haben wollten“. 

„Sch bin mit einer Hochachtung, die ich auszubrüden nicht 
im Stande bin, Ew. Hochmürben 20.” 

Berlin, den 17. Juni 1773, Zedlitz. 

Mit edler Beſcheidenheit und Selbſtverleugnung erklaͤrt Rochow 
(in ber „Oeſchichte meiner Schulen”, S. 10), daß dieſer Brief 
„die Grundlage zu Allem“ war, was durch ihn „in dieſem Fache 
nachher geſchehn iſt“. In der durch geraume Zeit ſich fortſetzenden 
Cotreſpondenz, welche dieſer Brief Zedlitzens an Rochow zur Folge 
hatte, erhielt dieſer die Verſicherung, daß der König mit beſonderem 
Bolgefallen von feinen Anordnungen und Bemühungen Notiz ges 
ammen babe, und daß Zedlitz beauftragt worden ſei, ſaͤchſiſche 
Shulmeifter ind Land zu ziehen, und die Landfchulen nach Rochows 
Man zu organifiren. Gegen bie beabfichtigte Berufung fächftfcher 
Schulmeiſter erklärte fich indeſſen Rochow darum auf das Beftimm- 
tete, weil er diefelben wegen mangelnder Hebung im niederſaͤchfi⸗ 
(hen Dialect unmöglich zur Mebernahme des Lehramtes in nieber- 
ſächſiſchen Gemeinden für geeignet halten Eonnte. 

Glücklicherweiſe hatte ſich Rochow ben, der das Hauptwerk: 
Kug zur Ausführung jeiner veformatorifchen Projekte werben follte, 


— 138 — 


in feinem eignen Haufe felbft erzogen. Seit ſechs Jahren wa 
nemlich ein früherer Schüler aus der Domfchule zu Halberftad: 
Heinrich Julius Bruns, aus dem Halberftäbtiichen Dorf 
Rohrsheim gebürtig, als Lehrer der Muſik und ald Schreiber i 
Rochows Haufe bejchäftigt geweſen. Rochow hatte ihm, feine 
beftändigen Tiſchgenoßen, viele feiner Ideen tiber bie Verbeßerun 
des Volksſchulweſens mitgeteilt, hatte ihn viele feiner darauf Bi 
züglichen Aufjäße abfchreiben laßen, hatte ihm feine Bibliothek eir 
für allemal geöffnet und hatte daher Gelegenheit gehabt, ſich übe 
die Entwidlung feiner paͤdagogiſchen Einfichten und feiner geiflige 
Bildung überhaupt zu freuen. Da wurde Bruns i. J. 1771 au 
bie Stelle eines Kantord und Organiften an der Johanniskirch 
zu Halberftadt berufen. Bruns nahm ben Ruf an, ſah fich inbefje 
veranlaft, als er börte, daß ber alte Schulmeifter zu Redan ge 
fischen war, an Rochow zu fchreiben und ſich unter ber Voraus 
fegung, daß er vor Nahrungsforgen geſchützt werde, zur Weber 
nahme der erledigten Stelle und zur Ausführung der Projekt 
Rochows zu offeriren. 

Mit gröfter Freude ging Rochow auf Das Anerbieten Brunfen: 
ein. Rochow ficherte ihm einen jährlichen Gehalt von 180 Thlr 
fowie mehrere Emolumente (nemlich den jährlichen Bezug von vie 
Zuder Heu, Die Benutzung eined Gartens und die Erlaubnis 
welche alle aderlofen Rochowſchen Untertbanen hatten, auf dei 
niedrig liegenden Rochowfchen Brachaͤckern Lein, Hirfe, Kartoffeln 
Mohrrüben u. dgl. ziehen zu bürfen). 

In Folge deilen kam Bruns nad) Redan, wo Rochow jofor 
ben Lectionsplan feiner Schule entwarf. Der oberfte Grundſatz 
von bem Rochow ausging, war: „Nur das Verftehen deſſen 
was gelehrt wird, macht den Unterricht nützlich“. Vor Wllen 
mufte inbefien ein Leſeübungsbuch gejchaffen werden. Denn für 
Leſeübungen war die gewöhnliche Nürnberger Fibel „zu abge 
ſchmackt“, der Katechismus Luthers und Die Bibel aber „zu hoch“ 
Daher fchrieb Rochow jchleunigft ben erften Teil feines Kinder: 
freundes, welcher (auf eigne Koſten des Verfaßers gebrudt,) unte 
dem Titel erfchien: 

„Der Kinderfreund, ein Lefebuh zum Gebrauch in 


— 139 — 


Landſchulen von Friebr. Eberh. v. Rochow, Erbherrn auf 
Redan ıc. Ä 
Im „Vorbericht“ bemerkt der DVerfaßer: „Dieſes Buch if 
der Armen wegen fo wolfell. Denn ed muß in jebes Schulkinbes 
hinden fein. Sonft könnten viele Sinder zugleich daraus 
1, ücht Iefen lernen. — ch habe durch dieſes Buch 1) Uebungen 
dr Aufmerkſamkeit dadurch, daß, wenn ein Kind laut lief, ein 
mbered außer ber Reihe und oft mitten in ber Periode, zum 
Iertlefen aufgerufen wird; 2) Sprahübungen, in deutlicheren und 
verſtaͤndlicheren Ausbrüden; 8) einen leichten Erzaͤlungs⸗ und Ges 
ſraͤchſston, unb 4) Vorbereitungen zur chriftlichen Tugend befoͤr⸗ 
kn wollen”. Das Büchlein (zu deſſen Gebrauch der Verfaßer 
mmentlich bie Anwendung eined Erdglobus, eines Magnets umb 
enes Vergrößerungsglafes empfahl,) follte „die große Lüde 
1 zviſchen Fibel und Bibel ausfüllen‘, wozu e8 allerdings 
orzüglich geeignet war. Den Anfang bed Buüchleins bildete ein 
‚Gebet für Heine Kinder” und ein „Tiſchgebet“, beide gereimt. 
bierauf folgten belehrende Meine Erzaͤlungen, welche für das Ber: 
J. Rinbnie und das Gemüt des Kindes berechnet waren. In einer 
FE Initeren Ausgabe bes Kinderfreundes fügte Rochow zum erften 
noch einen zweiten Teil Hinzu. 

Rochow und Bruns verftändigten fi alsbald darüber, daß 
dad Leſen im Kinderfreunde und das Katechiſiren über das Gele 
fene bie erſte und wichtigfte Schularbeit fein müße. Um indeſſen 
den Kinderfreund auch richtig gebrauchen und namentlich um mer 
thodiſch Tatechifiren zu Iernen, übten ſich Rochow und Bruns 
täglich einige Monate lang im Katechiſiren, wobei 
Bald diefer, bald jener die Rolle des Lehrers ober 
die des Schulfindes übernahm. 

Einftwetlen wurde nun Die Schule für die Kinder aus Redan 
und aus dem nahe gelegenen Vorwerke Mesdumck auf dem ablichen 
Dofe eingerichtet, wo Rochow zu dieſem Zwecke eine Stube geräumt 
hatte. Bugleich beſchloß indeſſen Rochow auf feinen brei Guͤtern 
drei geräumige, zwedmäßige Schulhaͤuſer aufzubauen. Zunaͤchſt 
wurde das Schulhaus zu Reckan, und zwar ganz maſſiv, aufge⸗ 
Nie, Im Jahre 1774 konnte es Bezogen werben, Nach ber 





— 140 — ' 


Straße bin hatte e8 die Auffchrift „Laßet die Kindlein zu mir 
fommen und wehret ihnen nit. Marci 14. 
Am 2. Januar 1773 follte die neue Schulordnung ins Leben 
freten. Natürlich Eonnte dieſes nur kann vollkommen gefchehn, 
wenn auch die Eltern der Schulkinder für Die Schulreform ge 
wonnen wurben. Um dieſes zu bewirken, hatte die Gattin Rochows 
ohne Vorwißen deſſelben auf den Nachmittag des Neujahr ein 
Feines Feft veranftaltet, wozu alle Eltern der Schulkinder einge 
laden waren. Ginige Kinder, weldhe Frau v. Rochow ausgewählt 
und gekleidet hatte, führten in Gegenwart der Verfammlung tin 
feines für dieſen Zweck angefertigtes Drama auf, welches bei 
Kantor Bruns ihnen eingeübt hatte. Die anweſenden Väter und 
Mütter weinten in großer Freude, als fie ſahen, was ihre Kinder 
lernen und was fie werden könnten und erflärten dem eblen Guts⸗ 
herrn, daß fie ihm in allen Stüden zu Willen fein wollten. 

Die Schule trat alfo nun wirklich ind Leben. Der Lehr 
plan, den Rochow und Bruns für ihre Schule ausgearbeitet hatten, 
wurde fpäter in folgender Form veröffentlicht: | 


„Inſtruction für die Landfehulmeifter. 1778. 


Allgemeine und befondere Borfhriften für einige Schullehrer 
auf dem Lande 


L Allgemeine. 

1) In Anfehung der Außerlihen Zucht ber Finder. 

Die Schullehrer müßen die Kinder frühzeitig zu alle dem 
gewöhnen, was die Sittlichkeit und Wolanftändigfeit im gemeinen 
Leben mit ſich Bringt, und ihnen bei aller Gelegenheit erinnerlich 
machen, Daß auch der Aermfte dazu weiter nichts braucht, als 
Aufmerkſamkeit auf ſich felbft, wie auf das, was ihm an andern 
gefällt, und frühe Angewohnheit. Vornemlich müßen fie Diefelben 
zur Reinlichkeit, Höflichkeit und Sittfamfeit anhalten; zur Rein 
lichkeit, Daß fie ſich ordentlich waſchen (welches ihnen auch von 
Seiten der Gefundheit wichtig gemacht werben kann), ſich nicht 
im Kote herummälzen, (welches ihnen durch Vorhaltung, daß das 
ſchweinartig fei, widrig zu machen if) u. dgl.; zur Höflichkeit 


EEE Dei. Misere 


— 141 — 


gegen Die, die größer als fie find, ober ihnen fremd, oder auch 
ihres Gleichen, daß fie den Hut ober die Mübe abnehmen, fich 
in verjchiedenem Maße verbeugen, wobei ihnen das Hintenaus⸗ 
kratzen mit den Züßen, gleich einer Henne, zu unterfagen, und 
überhaupt eine ordentliche Stellung des Leibe zu lehren, und 
dabei zu vergleichen des Domherrn v. Rochow Schulbuh ©. 85, 
Schr dienlich wirb hierzu fein, wenn Schullehrer die Sinaben beim 
Gin- md Ausgang aus. der Schule zu anftändiger Verbeugung 
md Entblößung des Hauptes anhalten, und denen, die ſich folgjam 
oder vorzüglich artig darinnen beweifen, auch durch eignes befon- 
deres freundliches Bezeigen ihre Zufriedenheit merken laßen; 
m Sittſamkeit, daß fie ſich nicht necken, ſtoßen oder ſchlagen, in 
dee Schule nicht nach den Fenſtern fahren, wenn ſich draußen ein 


Geraͤuſch erhebt, außer derfelben nicht im Dorfe zufammenlaufen, 


wenn Etwas vorfält, das ihnen nichts angeht, andere nicht bes 
horchen, oder Redenden in’d Wort fallen, ober eher reden, bis fie 
jefragt werben. Bei dem allen verfteht ſich's, daß die Schullehrer 
niht nur in der Reinlichkeit und Höflichkeit ihnen ein gutes Exem⸗ 
pel geben müßen, jondern auch außer den Schulftunden mehr als 
Freunde ber Kinder fih um fie befümmern, durch Befuchung der 
Eltern in ihren Häufern, Auf und Niedergehen im Dorfe, und 
Örgreifung beider Gelegenheiten zu gelegentlichen freundlichen Er⸗ 


 merungen, Warnungen für Unarten, ober froher Billigung bes 


Öegenfeitigen. 

2) Beim Unterriht ift überhaupt Folgendes zu beobachten: 
‚Die Schullehrer müßen einmal ihre Unterweifung auf das Alles 
mödehnen, was im gemeinen Leben vorfällt, oder den Kindern 
dereinſt in jeder Lebensart nüglich fein kann, und ihnen das faßs 
ih zu machen fuchen, 3. E. die allgemeinften Gründe der Erdbe⸗ 
ſchteibung, die verfchiedenen Gattungen ber Thiere, Bäume und 
holzarten, der Getreidearten, der Handwerker, den Gebrauch der 
natürlichen Dinge zur Nahrung, Wohnung, Bekleidung, Bedeckung, 
Gmirmung, Heilung u. ſ. w. und das Alles am Ende darauf 
lenlen, daß ihnen Gott bei allem, was fie bereinft erwachfen in 
der Natur fehen, groß und erfreulich if. Sie müßen zweitens ſich 
wie ſo Tange bei einer Sache verweilen, damit die Aufmerkſamkeit 





— 142 — 


ber Kinder nicht ermäbdet wird, aber dafür biefelbe Sache befl 
öfter wieberholen, wovon nachher noch bejondere Vorſchrift ertei 
werben fol. Was fie alſo merken jollen, muß ihnen durch öftere 
Leſen und Wiederholen, nicht Durch ſtrenges Auswendiglernen ein 
geprägt werben. Dabei tft ihnen doch aufzugeben, daß fie, wen 
fie bereits Iefen können, einige kurze Säbe aus dem nenen AB6 
buch oder den Teil der Schriftlefung, Den man mit ihnen in ba 
Schule tractixt Bat, zu Haufe wieber überlejen follen, und der 
andern Tag erzälen, was fie behalten haben. 

Anmerkung: Bei biefem Wiebererzälen muß man fie dayı 
gewöhnen, baß es deutlich, kurz und ordentlich gefchehe. Mar 
muß ihnen darauf helfen, fo lange fie noch nicht Dreiftigkeit oder 
Berftand dazu haben, durch Fragen: Haft du nicht Das geleen‘ 
Auch das? die gefaften Ideen in ihnen wieder auflebend machen. 
Bor allen Dingen ift aber auch darauf zu jehen, daß fe beim 
Selbftlefen etwas Gutes und Nügliches für fich nebenher denken, 
und Davon Rede und Antwort geben lernen. 

Dazu ift dienlich, wenn man, ehe fie darin geübt find, nad: 
bem fie ihre Erzälung geendigt, fragt: Was ift dir dabei einge 
fallen? Bei dem Worte, bei der Sache? Das Kind bat z. €. zu 
Haufe ;gelefen den erften Palm. Es foll wiebererzälen kurz, moi 
es fich daraus gemerkt hat. Es antwortet: Daß man nicht war 
bein fol im Rate der Gottlofen. Ich fee nun voraus, daß ifm 
ſchon erklärt worden, dies fei fo viel, ald an dem Böfen, bad 
Andere thun oder thun wollen, feinen Zeil nehmen, nicht mit bölen 
Leuten zufammenhalten: fo koͤnnte nun gefragt werden: ft dir kei 
bem Wort Rat nicht Etwas eingefallen, das gut iſt? Gibt mm 
nicht auch Rat? Iſt das etwas Gutes? Wie heißen daher bi 
Menfchen, die das thun? Matgeber. Bringt das auch Ehre I 
ber Welt? Wie ehrt der König die, die fich darauf verftehen? E 
gibt ihnen den Titel Landrat, oder Kammerrat, Kriegärat, © 
meinberat, und fo in anderen Fällen. Ingleichen, daß die Groͤß 
sen einen ganz Turzen Spruch, ein gutes Sprüchmort den Kleiner 
vorfagen, und fie oft daran erinnern follen. Doc muß der Spru 
jo verftänblidh fein, als er nur immer Tann gefunden werben, un 
kommen bergleihen genug in dem gedachten ABCbuche, in be 


— 145 — 


Salomoniſchen Sprüchen, Jeſus Sirach, und den nachher ausge 
zeichneten Schriftteilen und Stellen vor. Es wird viertend gut 
fein, wenn die Schullehrer fi, mit den in ihrem Dorfe berrichen- 
den Arten des Wberglaubens befannt machen, und bei jeber Gele 
genheit ihnen durch Die faßlichſten Vorftellungen bie vernuͤnftigere 
Denfungsart beizubringen fuchen. Gefpenftergefchichten und alles 
Geſchwaͤe von Donnerleulen, Blutregen, Beiprechungen, Anhänges 
zetteln wiber das Fieber, muß man ihnen aus dem Kopfe bringen. 
Und das kann leicht und kurz gefchehen, 3. E. wenn man ihnen 
ſagt: Nichts, mein Kind, hat eine Kraft, Dich zu erhalten oder zu 
heilen, ald was aus der Erde kommt oder ſich davon nährt. 
Bürdeft du wol, wenn du hungerteft, einen Zettel Anhängen, um 
hatt zu werben. Run fo fiehe, fo iſt's auch mit den Mitteln ges 
ind zu werben. Endlich kann der Lehrer, wenn Etwas im SDorfe 
vergefallen, das den Stinbern merkwürdig geweſen, als: Die Taufe 
eines Kindes, die Beerdigung eined Todten, ober was jonft ift, 
woron das ganze Dorf fpricht, Daher Gelegenheit nehmen, ben 
folgenden Tag feinen Unterricht darauf zu richten, und ihnen bas 
von bad zu jagen, was entweber ihren Verſtand aufklären oder 
zum guts und fromm⸗ſein auf irgend eine Weiſe nußbar fein kann. 

IL Befondere. 

1) Die Zucht der Kinder beim Unterricht betreffend: 

Damit dieſe defto beßer anjchlage, fo müßen die Lehrer vor 
allen Dingen über fich ſelbſt wachen, daß fie fich keine übele Stel 
lungen und Geberden in Gegenwart ber Linder erlauben, ſich 
ſelbſt Beim Unterricht veinlich und orbentlich Heiden, wenn auch 
nicht gleich vollftändig anziehen, während der Schulftunden feine 
Rebenfachen treiben, nicht Tabak rauchen, nicht Schmähmorte oder 
ſonſt manſtaͤndige Reben von fi hören laßen. Dann müßen fie 
auf alle Kinder fleißig umherſehen, ob fie Acht haben, und ben 
Rıhtaufmerkfamen fogleich mit einer Frage oder mit der Aufgabe, 
im Leſen fortzufahren, überrafchen. Und welches hiermit zufam- 
ambängt, fo find fie überhaupt zur Aufmerkfamkeit in den Lehr 
handen fo zu gewöhnen, daß jedes auf ihnen vorher bekannt ges 
nachte Beichen ober Wink dieſes ſogleich aufhören muß zu lefen 
er zu antworten, und dann ein anderes, nach gegebenem Wink, 


— 14 — 


fogleih fortfahren. Jedes hörbare Auflegen der Hand auf de 
Tiſch muß ihnen flatt aller Worte zum Stillfiten oder Stil 
jchweigen Befehl fein. Seber, der außer der Reihe aufgerufe 
wird, welches oft gefcheben muß, muß ſogleich bereit fein. Stet 
müßen fie von Grmahnungen zu Verweiſen, von dieſen erfl zı 
Drohungen, und dann endlich zu wirklichen Beſtrafungen über 
gehen, und felbft in dem Maße von dem allen nach der Groͤß 
des Vergehens fich richten. Auch müßen die Kinder gewöhnt wer 
den, ſich zur rechten Zeit in der Schule einzufinden, und der el 
rer, jobald der gröfte Haufe beiſammen ift, anfangen, damit :amı 
daraus die Kinder feinen Exrnft erkennen. Iſt Ein’ ganz audg 
blieben, fo muß der Schullehrer nad den Schulftunden fich « 
nad) erkundigen, und nach Befinden Die nachläßigen Eltern, > 
nicht im Beifein des Kindes, oder das nachläßige Kind ermahs 
Weil endlih im Sommer dad Schulgehen am meiften verncn 
läßigt wird, fo müßen Die Schullehrer fich erftlich verfihern, wei 
Eltern wirklich ihre Kinder zur Felbarbeit oder Wartung der ge 
Kleinen brauchen, und dann auf das Schulgehen derer, die de 
fäbig find, und nicht fo nötig gebraucht werben, dringen, aud) 
jo Tange, bis fie in Ordnung gebracht find, ſelbſt zur Säule ã 
ſammenholen. 

2) In Anſehung des Unterrichts it Folgendes zu merke 

Buerft muß berfelbe zwiſchen den Kindern fo verteilt werde 
daß Feind ohne Befchäftigung gelaßen wird, und Doch auch keins d⸗ 
andere hindert. Dies Tann gefchehen, wenn, indem der eine T 
jchreibt, der andere im Buchftabiren und Leſen geübt wird, us 
ein dritter, der Schon leſen Tann, inzwifchen für fich leiſe Die kurze 
Säpe in dem neuen ABCbuch oder in den gleich anzuführend« 
Schriftteilen Iefen muß. Mit diefem Leſen aus der Schrift Fan 
etwa alle fünf oder ſechs Tage eine Lefung der kurzen Säße ar 
dem ABCbuch verwechjelt werben. Aber es muß alle Tage etwx 
gelefen werben, und das entweder in der erften, oder zweiten ob 
dritten Stunde u. |. w., damit den Kindern durch dergleichen Et 
förmigfeit die Sache nicht zum Ekel werde. Und weil ihnen Viel, 
aus ber Bibel nach ihrem Alter und Fähigkeiten nicht verſtaͤndli 
gemacht werden Ffann, oder fie auch nach ihren Bebürfnifien nid 





— 145 — 


Web zu verftchen brauchen, jo muß auch nicht Die ganze Bibel 
mt ihnen burchgelefen werden. Zu dem Ende find vor der Hand 
folgende Stüde für fie zureihend: 1. B. Mof. 13, 37, 39, 40, 
4.— Pfalm 1, 8, 15, 19, 23, 104, 111, 119, 135, 136, 139, 
11, 148. Die Sprüche Salomonid (mit Ausnahme der beiden 
sten Sapitel). Jeſus Sirach. Matth. 6, 24—34. 7, 16—29. 
18, 21— 36. 20, 1—16. Marci 4, 1-34. Luc. 10, 21—42. 
1,1—13. 15 ganz. Sob. 1, 6—28. 17 ganz. Roͤm. 12, 13 
gun. Epheſ. 4, 1-6, 15—32. 5, 1—30, 6, 1-9. Golofl. 
3-4, 7. Tit. 2 ganz. 3 bi v. 8. Hebräer 9 ganz. ‘Der Brief 
Jacobi. 1 oh. 2. 3. Wo aber auch hier ganze Gapitel vorger 
jchrieben find, fo will man Damit nicht fagen, daß'ſie deswegen alle- 
zit mit einmal müßen abgelejen werben. Nachdem, was nachher 
geſagt werben ſoll, bei Dem eigentlichen Unterricht, kann auch nur 
sit ein Dritteil von einem Gapitel gelefen werden, und ein allzu» 
langes muß, um die Kinder nicht zu ermüden, nur felten ganz 
gelejen werben. Bei dieſer Bibellefung müßen Wörter und Rede⸗ 
orten, Die nicht im täglichen Leben vorkommen, oder doch ohne fie 
zu verfiehen gebraucht, auch wol gar unrichtig gebraucht werden, 
ſogleich mit einem andern deutlichen verwechjelt, und die Kinder 
nah der Reihe gefragt werben, ob fie es wißen oder verftanden 
» 6. Zitum 3, 4: Leutjeligfeit jo viel als Menfchenliebe. Endlich 
müßen Die Lefefähigen jedesmal alle im Lejen geübt werben, fo 
dab es immer nad jedem Verſe heiße: der Folgende; und bie 
Keinern müßen dabei zur Stille und zum Zuhören fleißig ange 
alten werben. - Hiermit fälli alfo das fogenannte Zu- 
lammenlefen ganz weg, weldes durchaus nit ge- 
duldet werben muß, fo wenig, als das medhanijde 
Bufammenantworten. Beim Unterricht des Schreibens ift 
su merken, daß die Kinder zur Schönfchreiberei wie zur Recht⸗ 
ſchreibung nicht ſowol durch Regeln, die fie nicht verftehen und 
ihnen die Sache nebelhaft machen, als vielmehr durch gute Vor- 
\hriften müßen augeführt werben, und fo auch durch fleißige 
Durhficht und Verbeßerung deſſen, was fie gefchrieben haben. 
Die Rechtfchreibung kann ihnen am leichteſten beigebracht werben, 
wenn bie Schullehrer ihnen ſolche Wörter am bäufigften und zu 
10 


wiederholten Malen vorjchreiben, die entweber von den gemeingr 
Leuten falſch ausgeſprochen, und darnach faljh geichrieben werbemm, 
oder die auch wol von Geübteren leicht im Schreiben verwehferr 


werben, ald wir und mir; das und Daß; wider fo viel als 
gegen, unb wieder fo viel ald nochmals; Heide, ein un- 
gebautes und unfruchtbares Feld; Haide, ein Wald; der Heibe, 
ein Unchriſt; Glück, nit Glük, weil der vorhergehende Vocal 
ein erfordert; Dank, nit Dand, weil der vorhergehende 
Gonfonant fein d leidet, Blitz wegen des vorhergehenden Vocal; 
hingegen Excellenz, nicht Egcelleng, wegen des vorhergehen— 
den Gonfonanten, Den Geübteren, die ſchon im Zuſammenh ang 
Schreiben koͤnnen, müßen kurze, angenehme und nügliche Geſchicht⸗ 
hen oder Verſe aus den vorhin angezeigten Schriftteilen und 
gleich anzuführenden Befängen vorgefchrieben werben. Und noch 
müßen es die Schullehrer nicht auf die Eltern ankommen laßen, 
0b und welche von ihren Kindern das Schreiben lernen ſollen. 
Ale, die völlig leſen können, müßen in der Stunde, in der bie 
andern, wie vorhin erinnert worden, buchftabieren, ſich mit Schrei’ 
ben beichäftigen. Die Kinder müßen nun auch mit Anmut und zur 
gegenfeitigen Erwedung beim öffentlichen Gottesdienſt fingen lernen. 
Die Schullehrer müßen ihnen alfo auch im Singen Anweifssng 
geben. Für die, welche noch gar feinen Ton zu halten wien, 
fann wöchentlich eine eigene Stunde dazu ausgejegt werben, doch 
jo, daß die übrigen auch dabei gegenwärtig find. Zur Uebiamng 
Aller und Erwedung zum Guten muß zum Anfang und beim We— 
ſchluß der Schulftunde ein ober zwei kurze Verſe gefungen wabett 
nad folgender Auswal: 

Beim Anfang: 

Vers 12. 13. des Lieds: Heut iſt des Herrn Ruhetag; PET 
Vers 16. 17. deffelben. Vers 1. 4. des Lieds: In allen mein wel 
Thaten. Vers 6. des Lieds: Aus meined Herzens Stunde. U ar 
8. des Lieds: O Jeſu, füßes Licht. Vers 2. des Lieds: O G wohl 
du frommer Gott; ober die beiden Verfe aus einem befanmten 
©ellertichen Liede beim Anfang der Morgen » Lectionen: 

„Gelobt feift du, o Gott der Macht, 
Gelobt ſei deine Treue | 


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“ 


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— 117 — 
Daß ich nad) einer fauften Nacht 
Mich diefed Tags erfreue. — 
Laß deinen Segen auf mir ruh’n 
Mich deine Wege wallen, 
Und lehre du mich felber thun 
Nach deinem Wolgefallen. | 

Beim Beichluß: j 

Vers 7. des Lieds: Wenn meine Sind mid Fräufen, oder 
Bes 7. des eds: Wir Menfchen find zu dem, o Gott. Vers 8. 
des ie: O Gottes Sohn, Herr Jeſu Chriſt. Verd 16. des 
Ads: Du fagft, ich Bin ein Chrift. Vers 14. 15. des Lieb: 
D Jeſu Ehrift, mein ſchoͤnſtes Licht. Vers 3. des Lieds: Mer 
Gott vertraut, bat wol. Vers 5. 6. des Lied: Dank fei Gott 
in der Höhe. Vers 17. 18. des Lieds: Ich weiß, mein Gott, daß 
al’ mein. Vers 7. 8. des Lieds: Xobet den Herrn alle, die ihn 
ehren, Vers 7. des Lieds: Sei Lob und Ehr dem höchften But. 
as 1. 2, des Lieds: Nun danket alle Gott. Vers 2. 3. des 
ds: Herzliebfter Jeſu Chrift. Oder folgende Verfe: 

Sch lebe nicht auf Erden, 

Um glüdlid) bier zu werben: 

Die Luft der Welt vergeht. 

Sch lebe hier, im Segen 

Den Grund zum Glück zu legen, 

Das ewig wie mein Geiſt beſteht. — 
Was dieſes Gluͤck vermehret, 
Sei mir von Dir gewähret, 
Gott, du gewährft e8 gern: 
Was dieſes Glüd verleßet, 
Wenn's alle Welt auch ſchaͤtzet, 
Sei, Herr mein Gott, mir ewig fern. 

Aber, wie ſchon gefagt, die Schreiber müßen dieſe Verje oft 
ſchreiben, damit ſie ſich dieſelbigen gelaͤufiger machen. So lange 
ies ihnen fehlt, kann der Geſang ſo eingerichtet werden, daß der 

chullehrer denen, die Geſchriebenes leſen Fönnen, fie in ein klei⸗ 

nes Buch zuſammenſchreibt, welches dann ein Jeder mitbringen 

5, fo werden fie die Kleineren durch öfteres Hören auch Teen. 
| 10° 


— 148 — 


Sind die Kinder nun etwa im Leſen gebrudter Bücher und 
Selbftichreiben geübt, jo müßen fie auch das von Andern Geſchr 
bene im Bufammenhang lejen lernen, und Steiner eher aus t 
Schule zum Gonfirmationd = Unterricht beim Herrn Prediger eı 
laßen werden, bis er in dem Allen, wie in dem Folgenden genu 
ſam geübt if. Die Anfangegründe des Rechnens den Kinde 
beizubringen, müßen ſich Die Schullehrer das eilfte Sapitel aus di 
Rochowſchen Schulbuche bekannt machen, und ganz darnach vı 
fahren. Den Schreibern Tönnen ſchon die Zahlen vorgefchriebe 
und Die Lefer im Lefen und richtigen Ausſprechen berjelben, z. 
Eins, nicht Ens geübt werden. Das Rechnen felbft aber muß n 
denen vorgenommen werden, die bereitd im Lejen und Schreib 
geübt find. 


Es folgt nun 
Der eigentlide Unterricht. 


Buerft in allerlei gemeinnüßgigen Kenntniffen: 

Die bierher gehörigen Kenntniffe felbft find oben bei b 
allgemeinen Vorjehriften des Unterrichts fchon überhaupt bemei 
und zum Teil angegeben worden, und müßen die Schullehrer ba 
über fleißig da8 Rochowſche Schulbud vom vierzehnten Gapii 
bis zu Ende zu Rathe ziehen, aber durchaus fi) hüten, etw: 
Falſches zu fagen, und wenn fie fich nicht gewiß find, Die Sar 
ſelbſt recht zu veritehen, lieber ganz davon fchweigen. Die 8 
bes bierin zu erteilenden Unterricht? muß nicht nach befonder: 
Stunden abgemeßen werden, fondern bie Gelegenheit genügt, t 
die ausgezeichneten Schriftlefungen dazu geben, wie man fie de 
auch in diefer Rüdficht mit gewält hat, und beim Leſen derſelb 
aus biejer Urjache vorläufig erinnert, daß es nicht darauf a 
komme, wie viel Verfe, oder wie wenige mit einmal gelefen we 
den. Sp kommt 3. E. 18 Mof. 13, 1. die Erwähnung d 
Mittagsgegend vor. Es wird Egypten, ein Land, genannt, es 
bon Silber und Gold die Rede, von zwei Stäbten, Bethel uı 
Ai, u. |. w. Da kann denn der Schullehrer bei dem dritten Be: 
Halt machen lagen. Gr Fann jagen: Seht, ihr Kinder, Egyptı 


— 149 — 


wor ein Land, Bethel und Ai waren Städte in einem Lande, wie 
+ &. das Branbenburgifche Land wieder feine Städte hat. Er 
faın noch binzufegen: Ein Land iſt eine weitläuftige Gegend, die 
viele Städte, Fleden, Dörfer in fich begreift, und in welcher die 
Nenſchen nach einerlei Sitten Ieben, (welches letztere vielleicht auch 
wol anfangs wegbleiben kann.). Das muß er ihnen nun ein Bis⸗ 
ben erläutern: Seht, ihr Kinder, fo find in unferem Lande viele 
Etäbte: Berlin, Spandau, Potsdam, viele Dörfer, nicht weit von 
hier iſt gleich Brig, Tempelhof, Rudow, und jo leben wir alle, 
wie e8 der König will gehalten wißen. Er kann auch hinzuſetzen: 
Etäbte find bald anfehnlichere, größere und volfreichere, bald klei⸗ 
me. Die anfehnlichfte nennt man die Hauptftadt oder, wenn Der 
dandesherr darin wohnt, Refidenz, bie kleinern Lanbftäbte. Oder 
a Eann Died (ſ. nachher Art des Unterricht8) auf ein andermal 

verfparen, umb für diesmal beim Vieh, Silber und Gold, oder 
| ad nur bei dem Reichtum, der in Vieh befteht, ſtehen bleiben, 
daß er ihnen fagt: Ihr Kinder, wer reich ift, ber bat viel, was 
nudere Menfchen nicht haben; und man wird es, wenn man fleißig, 


F entlich und Fromm iſt, nicht fäuft, nicht fliehlt, nicht betrügt, 





1 niht hurt. So ein guter rechtfchaffener Mann war Abraham. 
Und der war nım reich an Vieh. Denn Alles, was große Nab- 
rung bringt, und wofür man, wenn man will, viel Geld Löjen 
lann, ift fo gut als Geld, und macht reich. So ift der reich, ber 
sel Korn hat; auch der, der nichts auf feinem Ader unbebaut 
liſt; auch der, der viel Verſtand hat; denn alle diefe Dinge 
Bringen Silber und Gold ein. Ein anderes Exempel aus bem 
194. Pfalm zu geben, fo wird in demfelben faft des ganzen Nas 
hrreich® gedacht. Es koͤnnte alfo der Schullehrer glei zu Ans 
lang das erinnern, ihnen das Wort kurz verftändlich zu machen, 
daß es fo viel fei, als Alles, was Bott über der Erde und unter 
der Erde gefchaffen hat; dann die Einteilung in das Pflanzen-, 
Stein» und Thierreich, in dieſer Ordnung und mit einer kurzen 
deutlichen Erläuterung. Ober er Tann bei dem, Wort Wind fich 
aufhalten, Luft und Wind ihnen verftändlic machen, fagen, 
dep aus Luft Wind entftehe; die Luft allezeit da fei, wenn man 
and gleich nicht merklich fühlt, und der Menfch gleich ohne fie 





— 10 — 


erftiden müßte, -etwad von der Einteilung der Winde nach den 
Himmelögegenden, oder der Stärfe und Schwäche binzufegen, und 
dann mit Erzälung ihres Nupend, zur Bewegung des Waßers, 
daß es nicht faule, zur Reinigung der Dünfte, zur Austrodnung 
des zu feuchten Erdbodens, zur Schifffahrt, und wie Gott das 
Alles weislich und gnädig georbnet bat, fchließen. Noch kaun er 
ihnen für diesmal bei Verd 5. den Unterfchied zwiſchen Erdreich, 
Erdboden und Erdart lehren, daß jenes Die ganze Gegend fei, in 
der Meufchen wohnen, mit allem Gehölz, Gebüfche, Seen, Flüßen, 
Thieren; das mittelfte das, worauf man geht, fährt, ſteht, pflügt, 
adert u. f. w.; das lebte, die Art der Erde, da eine mehr 
Ihwarz, eine andre mehr leimig, eine britte fandig, eine 
vierte thonig, und eine fünfte vermiſcht iſt. ES verſteht fich nun 
aber von felbft, daß Dies nur eine Anweifung für Schullehrer fein 
joll, wie fie in einer Stunde bald dies, bald jenes von nüßlichen 
Kenntniffen den Kindern beibringen jollen, um Die Zeit zu. fparen, 
und ihnen durch Mannichfaltigkeit das Lernen angenehm zu machen, 
— eine Vorftellung, danach fie nun mit eigner Beurteilungskraft 
in allen ähnlichen Fällen fich zu richten haben: wobei auch fchon 
Manches zur Erleichterung der Einfiht in die befle Art, dieſes 
Allerlei zu tractiren, mit vorgekommen. Doch ift Davon, oder von 
der Methode, nach der dieſer mannigfaltige Unterricht einzurichten, 
auch noch Folgendes zu merken. Es ift nicht Die Meinung, Daß 
ber Lehrer bei jedem Vers gleich mit einem Male Alles mitnehmen 
ſoll, was ſich auch von andern gemeinen Kenntniffen Dabei denken 
läft; auch nicht, daß eine einzelne Materie ſogleich erichöpft werben 
muß: Nein! Gr hebt jedesmal nur eine und die andere Materie 
heraus, fagt zuerft davon das Leichtefte, behält ſich dad Uebrige 
auf eine andere Öclegenheit vor, und laͤſt Dann weiter lejen. Hat 
er ein andered Mal wieder Gelegenheit, darauf zu fommen, fo 
wiederholt er es, fieht, ob es die Kinder gemerkt haben, und wenn 
dies nicht ift, To fagt er es ihnen noch einmal; ift ed aber, jo 
feßt er von derjelben Sache nun etwas Neues hinzu, oder nimmt 
eine andere Materie vor, von der er noch Nichts gejagt hatte. 
So, um es mit den vorhergehenden Exempeln zu erläutern, bat 
er dad eine Wal bei 1. B. Moje 13. von Städten geredet: Es 


— 151 — 


omınt Die Weihe der Leſung wieber an dies Sapitel, ex mwieberholt 
alſo dieſen Unterricht entweder blos, oder er ſetzt hinzu, als etwas 
Neues, die verjchiedenen Einteilungen der Derter, in welchen Men- 
ihen in mehreren oder mwenigern Wohnungen beijammen find, als 
Vorwerke, Luft: und Jagdſchloͤßer, Dörfer, Flecken, Städtchen, 
woraus Provinzen, aus mehrern diefer Reiche entftehen, 3. &. das 
deutſche Reich faft viele Länder in fi, wobei er ihnen noch als 
ein Geſchichtchen erzälen kann: Ehemals, ihr Kinder, wohnten die 
Menihen zerfireut und einzeln, aber fie haben eingefehen, Daß es 
beßer iſt, jedem zuträglicher, wenn mehrere beifammen wohnten; 
das gefällt auch dem lieben Gott, wenn Die Menfchen, ſich einans 
der zu helfen, zufammen leben; es ift aber gleich gut, ob man in 
einem Dorfe oder in einer Stabt lebt. Oder er verfpart dieſen 
Zuſatz, bis etwa bei Sprüchw. 10, 15. und redet nun von Silber 
md Gold; daß das Steine find, Erze, Metalle; nennt ihnen Die 
geringeren Arten: Kupfer, Zinn, Eifen, und macht ihnen einen 
allgemeinen Begriff vom Steinreih; ober er verfpart auch Dies 
bis auf eine Lefung in Sprüchw. und redet von den Himmeldge- 
genden, Mittag, Mitternacht, Morgen, Abend; oder von ben 
Saupteinteilungen der Thiere, und macht vorläufig den Unterfchied 
der Wörter Thier und Vieh bekannt. In diefen Unterricht muß 
nun auch der bejondere Unterricht in der Religion jo weit verwebt 
werden, daß ihnen in jeber Lefeftunde etwas deutlich und wichtig 
gemacht wird, was zur rechten Erkenntnis Gottes oder Ghrifti, 
oder ihrer felbft, oder ihrer Verbinblichkeiten gegen andere führet, 
und dabei nach den vorhergehenden Regeln des Mannigfaltigen, 
der Kürze, der Deutlichkeit, der gelegentlichen Wiederholung, ver: 
fahten werben. Um auch bier ein Exempel zu geben: Wenn in 
der zu Leſe⸗Uebungen mit vorgefchriebenen Geſchichte der Brüder 
Sofephs dieſe einmal rebend eingeführt werden: Das haben wir 
an unferm Bruder verjehuldet, fo kann gefragt werben: Wie 
Imen fie auf dieſen ängftlichen Gedanken? Wer fagte ihnen das? 
Ras war in ihnen, das ihnen das fagte? Sie antworten ober 
it, fo fagt man ihnen: Das Gewißen, und nimmt daher Gele 
genheit,, ihnen das als bie Stimme Gottes in und vorzuftellen, 
bie und entweber vor Böfem warnen, ober bad Gute billigen, 


— 192 — 


oder das ſchon verübte Boͤſe an uns firafen fol. Man erläuteı 
ihnen das mit Beifpielen, fagt ihnen dabei, weldhe große Sad, 
eö fei, gegen fein Gewißen zu handeln, und alfo dem nahen Got 
fi) zu widerjegen, und fo in andern Fällen. 


Es folgt nun noch zweitens 
Der ganz beſondere Unterricht in der Religion. 


Wenn das gleich Vorhergehende beobachtet wird, fo koͤnner 
dazu zwei Stunden in der Woche zureichen. Auch in biefen wer 
ben beſonders die Größeren in Erkenntnis der Religion gelb‘ 
die Kleineren müßen in aller Sittfamfeit zuhören, und wird ihn 
nur dann und warn etwas Weniges, das fie verftehen Finn 
vorgefagt, und fie ermuntert, es fein zu behalten. Siehe > 
oben vom Auswendiglernen gejagt worden. Wie ber Lehrer © 
allzeit eine zwar gejeßten aber Doch freundlichen und heitern 
tragens beim Unterricht befleißigen muß, fo hat er vornehmlich 
diefem wichtigen Teil deffelben fich dies zur Negel zu maden, & 
e8 jo die Kinder ſchon an ihm felbft.merken können, es jet 
jehr erfreuliches Gejchäft, mit ſolchen Sachen fi) bekannt 
machen. Und deswegen muß er audy bierbei am wenigften du= 
wirkliche Beftrafungen die Kinder von einem ſolchen Unterricht am 
Ichreden. Die Religion follihnen niht eingeprügell 
ſondern eingeflößt werden. So lange nun feine Büch— 
zu biefem Unterricht vorhanden find, die man den Kindern zum 
Leitfaden geben Tann, fo bat er folgende Sprüche der heilige 
Schrift N. T. bei feinem Unterriht zum Grunde zu legen: 

Bon der heiligen Schrift: Ebr. 1, 1. 

Bon der Natur oder dem ganzen Umfang ber fichtbaren ge 
Ichaffnen Dinge: Pfalm 19, Ap.Geſch. 14, 17. 

Bon dem Gewißen: Röm. 2, 14. 15. 

Bon diefen alfo, ald den Drei Erkenntnisquellen alles Wah 
ren und Guten, diefe Sprüche. 

Bon Jeſu Chriſto, als den, durch den ſich Bott fo herrlie 
geoffenbart hat: 


— 153 — 


Bon feiner unfündliden Menfchheit: 1 Tim. 2, 5. Job. 7, 
46, Luc. 23, 47. 

Bon feiner Herkunft aus dem jübifchen Volk durch die Mas 
ra: Joh- 1, 11. Luc 2, 1— 11. 

Bon feiner Sendung von Bott in die Welt, als feines lies 

ben Sohnes: oh. 10, 36. Koh. 5, 23. Matth. 10, 40. Sal. 4, 
48 auf die Worte: Geboren von einem Weibe. 

- Bon feinem Beruf auf der Welt: 

«) Wann er ihn angetreten: Luc. 3, 23. vgl. Luc. 4, 14, 15. 

PB) Worin er beftanden? nämlich die Menſchen von allem 
voͤſen durch Lehre, Leben, Leiden und Sterben zu erlöfen: I Tim. 
2,6. 1 Gorinth. 1, 30. Titum 2, 11—14. Joh. 1, 6— 12. 
‘ob. 3, 16 — 21. Joh. 10, 12 — 18. Apoſt.Geſch. 2, 22. 23. 
Apoſt.⸗Geſch. 10, 36. 39. Philip. 2, 6. 7. 8. 

Bon feiner Erlöfung nad dem Tode: Phil. 2, 9. 10. 11. 
dgl. Apoſt.⸗Geſch. 2, 24. Apoſt.-Geſch. 10, 40, 41. 1 Corinth. 
15, 1— 7. 

Bon Gott, der ihn gefandt hat. 

‚ Wie er das Allerhöchfte ift, was man fich denken kann, der 
Weiſeſte, Befte und Bütigfte, der Alles, was man fieht, und un- 
endlich Vieles, das kein Menſch fehen kann, erfchaffen bat und 
erhält: ApoſtGeſch. 17, 24—28. Röm. 1, 19. 20. (womit nach 
— nach mehrere Stellen aus den Leſe⸗Uebungen zu vergleichen 

zw). Ä 

Der befonderd die Menfchen als ein Vater liebt, und alles 
Be, was fie wirflich bebürfen, für fie auserfehen bat, und unter 
Vie verteilt: Matth. 7, 24 — 34. 1 Petr. 5, 7. 

Der mit ihren Schwachheiten und unvorfäglichen Fehlern 
Sehuld Hat: 2 Petr. 3, 9. Apoſt.Geſch. 17, 30 (erfte Hälfte). 

Aber auch vorfägliches Boͤſe beftraft: Röm. 2, 3. 4. 3. 8. 

(die legten Worte weggelafen.). 

Und deswegen will, daß fich der Menfch befern und immer 
Mehr beßern fol, und dem man nie ungeftraft wiberftrebt, weil 
ET Alles weiß und Fennt: Pfalm 139, 1—4. Pfalm 139, 7—12. 

Bon der Welt und dem Menfchen und ber Bejelljchaft: 
Wie Ale, was ift im Himmel, auf ber Erde, unter ber 





— 14 — 


Grde, Gottes Werk iſt; weil es fich nicht ſelbſt hat machen ki 
nen, und das befte, weifefte, guädigfte Werf ift: Ebr. 11, 3. v 
mit Apoſt.⸗Geſch. 17, 24—28. NRöm. 1, 19. 20. Pfalm 19 (ec 
Hälfte.). | 

Wie der Menfch unter den fihtbaren Geſchöpfen das v 
nahmfte tft, weil er nicht nur einen Xeib, fondern auch eine v 
bemfelben verfchiedene Seele hat, alle lebendigen und Ieblofen € 
Ihöpfe um fi her zu-feinem Beften regieren und brauchen Faı 
Vieles erfinden, das Erfundene immer mehr ausbeßern Ta 
Plalm 139, 4 (notetur, da8 erkennt meine Seele wol), ] 
Pſalm 8. Apoſt.Geſch. 17, 29. Anf. _ 

Wie mehrere Menfchen, die zufammen leben, für einan! 
arbeiten und forgen, eine größere oder kleinere Geſellſchaft aı 
machen; Die häusliche der Eheleute, Eltern und Kinder die Alte 
für die Welt die wolthätigfte ift; Gott will, daß die Menfchen 
diefe oder größere Gefelljchaften treten follen: 18. Mof. 2, 1 
1, 26 — 30. 

Und ein Jeder deswegen Gaben, Kräfte und Fähigkeiten h 
die der Andere nicht Hat, und gegenfeitig: 1 Cor. 12, 4. 5. 
7. 12 — 25. 

Vom geſellſchaftlichen Wolverhalten untereinander: Cal. 
2;5, 26. Ephef. 4, 1-6. Phil. 2, 1-4. 1 Theſſ. 5, 12—1 
1 Betri 3, 8. 9; A, 8-10; 2, 12. 1 Tim. 2, 1, 2. Tit. 3, 1. 

Bon Standes- und Berufs: Pflichten: Luc. 3, 10. 1 
12. 13. 14, 

Bon der Xiebe zu Gott: 

Wie Gott fie von und verlangt, nicht gefürchtet, fonde 
geliebt fein will: 1 Joh. 4, 18. 19. 

MWie man fie erweifet; durch die Beobachtung des All 
was vorher vom gejellfchaftlichen Wolverhalten und Standes: u 
Berufspflichten in den angezogenen Schriftftellen vorkommt: 
oh. 4, 20. 

Durch Demütigung vor ihm im Gebet und Dankfagung 
Haufe oder öffentlih: Pſalm 50, 14. 15. 23. 

Anmerkung: Beim Gebet muß man ihnen Das Vater U 
fer auf's Faßlichſte erklären, ald ein Mufter einer kurzen herzlich 


— 15 — 


Anrufung Gotted um alles Gute des Herzens und bes Lebens, 
Aber mit dem SHerbeten defjelben muß man gleihjam rar thun, 
damit fie deſto erufthaftere und größere Begriffe davon befommen. 
\ Wan kann e8 etwa fo machen, Daß man den Kleinern, Die ed noch 
\ dt gelernt haben, es nad) und nad) Iehrt: Erft fie den kurzen 
Seufzer thun läft: Water Unfer, der du Bift im Himmel! Dann 
in ndermal bie erfte Bitte: Geheiligt werde dein Name, und fo 
ſott. Den Größern fagt man dabei, das Erfte fei fo viel, als 
mit zwei Worten: Himmliſcher Vater! Geheiligt werde, fo viel 
ad: Du feift in aller Welt Herrlich, verberrlidht. Dann fagt man 
ihnen, man werde fie das Vater Unfer nad) geendigtem Schluß- 
gelang beten laſſen, wenn fie fi) vecht gut und fleißig aufgeführt, 
weil Bott ſonſt feinen Gefallen daran habe; Jeſus es nur foldyen 
guten Menfchen, wie feinen Sjüngern vorgefchrieben: Iſt aljo 
jenes, fo läft man es fie beten. 
Durch Vertrauen auf ihn und Ergebenheit in feinen guten 
Willen. 
Von der Sünde: 
Wie das Alles Sünde iſt, was der Menſch mit Ueberlegung 
ODer Nachbilligung gegen die Liebe Gottes, die Standes- und 
Berufspflichten, das allgemeine Wolverhalten gegen Andere thut: 
alat. 5, 19—21. 
Wie der Menſch immer dazu geneigter ift, als zum Guten: 
Sacasi: 1, 14. 15. | 
_ MWie man dabei, und fo lange man darin beharret, Gott 
ıcht gefallen kann: Röm. 2, 29 vrgl. mit Gal. 5, 21. 
Bon der Beßerung : 
Wenn man gefündigt bat, und dem Glauben an Jeſum 
Der fein Evangelium , wie er uns den Troft erworben hat, Daß 
Ott bei erfolgter Beßerung und als ein Vater gnädig fein wolle: 
Sm. 8, 32. 2 Corinth. 5, 19—21. 
Mie das an ihn glauben heiße, oder fein Freund fein: 
Joh. 15, 14. | 
Sr dieſe Buße oder Beßerung bid auf Die gegenwärtigen 
Zeiten ‚ dur Lehrer und Prediger, und vornemlich zuerft durch 





— 166 — 


feine Apoſtel verfündigen und den Menſchen anpreiſen laße. 
Luk. 24, 47. Ap. Geſch. 17. 30. 

Was alſo zu dieſer Buße oder Beßerung gehöre: Epheſ.! 4, 
25—29. Coloſſ. 3, 8. 9. 

Dom rechten Gebrauch des Lebens: 

Daß Alles an ſich dem Menfchen zum Genuß da fei, wenn 
er es zur rechten Zeit, mit Maß und ohne Verlegung feiner Ges 
fundheit, ſeines Vermögens, der Ruhe und Yufriedenheit Anderer 
gebraudt: 1 Timoth. 4, 4, 1 Gorinth. 7, 31. 2 Timoth. 3, 4. 

Vom Tode und dem Zuſtand nad) dem Tode: 

Daß man in fteter Bereitfchaft auf den Tob leben müße, 
und bie befte Vorbereitung fei, wenn man alle Tage fi be 
fleißige, da8 Seine zu thun, Bott und Menjchen gefällig zu fein; 
daß er für den, der nach Gottes Willen nicht weiter leben fol, 
eine Wolthat fei, wegen der größern Eräftigen Glückſeligkeit; daß 
die Seele nicht ſtirbt: Matth. 10, 28. 

Daß auch unfer Leib bereinft wieder fefter und dauerhafter, 
herrlicher und vollfommner werben fol, weldes die Auferftehung 
genennet werbe: 1 Gorinth. 15, 33. 

Daß alsdann den weiſen und guten Menjchen auch außer 
ordentlich Wol, ben Boͤſen hingegen außerordentlich Wehe wiber- 
fahren wird: Röm.: 2, 4-9, in Vergleichung mit der Gefchichte 
vom reihen Mann — dies die Seligfeit fei, da alles andere 
Gute, was uns hier widerfährt, nur Gluͤckſeligkeit zu beißen 
verdiene. 


An dieſen Entwurf des Unterrichts in der Religion hat fich 
der Schullehrer genau zu halten, fo daß er jebedmal die Haupt: 
ſache mit denſelben Worten fagt, bei jeder dieſelben Beweis⸗ 
Iprüche braucht, ohne Das Vorhergehende und Nachfolgende Dazu 
zu ziehen, wobei ihm doch frei fleht, aus den zu Lejeübungen 
vorgefchriebenen Schriftteilen zuweilen einen Ausſpruch oder eine 
Erzaͤlung am gehörigen Drte beizufügen. Alles deſſen muß er fich 
alfo zu lehren enthalten, was nicht hier ausdrüdlich vorgefchrieben 


— 117 — 


MR, und dem Fünftigen Unterricht des Herren Predigerd überlaßen 
werden kann. Gr muß alfo auch die Wörter Genugthuung, Grb- 
fünde, Die Redensarten Gottmenſch, ewige Beugung, Vereinigung 
der beiden Naturen, die ben Kindern nicht verftändlich genug find, 
und mehr für den gelehrten Gebrauch find, nicht in feine Anwei⸗ 
fung mischen; alle das Gedächtnis beichwerenden Ginteilungen, 
die in dem Vorhergehenden nicht vorkommen, fowie figürliche Aus⸗ 
brüde des alten Menfchen, der alten Greatur, und des neuen im 
Gegenſatz, das Grgreifen des Verdienſtes Jeſu und dergleichen 
durchaus vermieden werden. Alle Erläuterungen feines Vortrag 
muß er aus der den Rindern vor Augen liegenden Natur, länds 
lihen Verfaßungen, Sitten, Untugenden und Laſtern bernehmen, 
fie immer aus ber Erfahrung ihrer Sinne auf das, was Gott 
it, waß er gegen uns iſt, und wir gegen ihn fein follen, fchließen 
lehren. Damit fie endlich auch das Allgemeinfte von der biblifchen 
Beihichte und dem Zuftand der Völker zu den Zeiten Jeſu faßen 
lernen und in einem kurzen Zuſammenhange überjehen koͤnnen, fo 
haben die Schullehrer dazu fi) des 8. Kapiteld aus der Apoftel- 
geſchichte bis Vers 53 zu bebienen, und aus dem Brief an Die 
Römer das 1. Kapitel vom 21. bis 25. Vers und das 2. Kapitel 
vom 17. bis 24. Vers dazu zu nehmen, und aus beiden zujammen 
den Kindern zu erzälen, aber kurz und auf eine angenehme Weiſe: 
wie zu den Beiten Jeſu die Hauptvoͤlker Juden und Heiben ober 
Griechen gewefen, beide gleich verborben, jene, die Juden, auch 
raeliten genannt worden, bie nun die Hauptveränderungen von 
Ihrem erften Urfprung an erfahren; aus diefem Volt Jeſus her: 
gelommen; von ihnen verworfen worden, ob er's gleich jo herzlich 
gut mit ihnen gemeint; Dagegen feine Lehre von andern Völkern ange: 
nommen, und jene dafür fehr fichtbarlich von Gott zerftreut worden. 
Noch haben die Schullehrer für ſich folgende Bücher fleißig 
nachzuleſen und zum Beſten der Jugend ſich mit ihrem Inhalt 
efannt zu machen. 
In Anfehung der deutfchen Sprache: Heinaß deutiche Sprach—⸗ 
lehre, Berlin 1777. 
In Anſehung natürlicher Kenntniſſe: Sturm's Betrachtungen 
“ber die Werke Gottes in der Natur auf alle Tage im Sahr. 


18 — 


In Anfehung der Religion: Außer dem Rochowſchen Schul- 
buche das Sittenbüchlein für das Landvolk, Frankfurt 1743. — 
Predigten für Kinder. 

Alle find hier in den Buchläden zu haben.” — — 

Nach diefem Lehrplan fuchten nun Rochow und Brund mit 
unermüblicher Unftrengung eine Lehranftalt zu fchaffen, die mit 
Recht den Namen einer Schule führen konnte. Kaum waren daher 
die erften glüdlichen Schritte gethan, als fofort (namentlich infolge 
der rafchen und meiten Verbreitung des Nochomfchen Kinderfreund®, 
von dem fehr bald mehrere taufend Exemplare verkauft waren,) 
die Kunde von der neuen, unerhörten Schuleinrichtung de8 Dom 
bern v. Rochow zu Reckan nach allen Seiten hin drang und bie 
allgemeinfte Aufmerkſamkeit derſelben zuwendete. Der Minifter 

v. Zeblig ließ über die Beſchaffenheit der Redanfchen Schule durch 

das Oberconfiftorium zu Berlin offizielle Nachricht einziehn, begab 
ſich hierauf ſelbſt nad) Nedan, erſchien nach Jahresfrift aberm als 
dafelbft und flellte dem Stifter der Schule über den Zuſtand, in 
welchem er dieſelbe gefunden Hatte, folgendes fchriftlihe Hemd 
nis ans: Ä 

„Ich habe in dieſen Tagen die v. Rochowſchen Landſchu TEN 

- abermald befucht, und neue Urfachen gefunden, damit zufrieden Zu 
fein und zu bemerken, daß ber wichtige Unterfchied zwiſchen Th € 
logie und Religion beobachtet, und nicht ſowol auf Vielwife 7“ 
und Auswendigiernen, ſondern darauf gehalten wird, daß &* 
Kindern Alles und Jedes deutlich gemacht, und Das, was ihre “ 
undentlich tft, nicht durch Metaphern, durch Subftituiren ande 
ihnen ebenso undeutlich jetender Ausdrücke oder bilblicher Ausdrü 
fondern Durch Begriffe, die ihnen ſchon befannt fin 
erflärt und überhaupt Gelegenheit gezeigt wird , das ihnen Vorg® 
tragene in ihrem Leben anzuwenden, welches dann wol der einzig 
wahre Weg ift, die Mbficht aller Pädagogik, nemlich beßere ur" 
fürs thätige Xeben brauchbare Menſchen zu bilden, zu erreichen. — 
Nedan, den 26. Mai 1779. 





Zedlitz.“ 
Der König ſelbſt ſprach feine Anerkennung der Redanfcher —“ 
Schule dadurch aus, daß er dem Lehrer Bruns den Kantortite ⸗ 


— 159 — 

und einen Sahresgehalt von 120 Rthlx. verlieh (weshalb Rochow 
hm nur noch) 60 Rthlr. jährlich umd die fonftigen Emolumente zu 
geben brauchte). Außerdem famen bald von allen Seiten Lehrer, 
Shulamtscandidaten, Geiſtliche, Gelehrte, ſelbſt fürftliche Perſonen, 
auch Katholiken und Juden in großer Anzal nad Redan, um 
fd durdy längere Beobachtung und Anhörung der dortigen Lehr⸗ 
veife für das Lehramt felbft vorzubereiten, oder um wenigftens 
ie Reckanſchen Schuleinrichtungen und deren Schöpfer kennen zu 
men. Sm Laufe von zehn Jahren waren zu dieſem Ywede 
enigftend 1000 Perfonen nad Redan gepilgert, jo daß ſich Ro⸗ 
ow genötigt ſah, um eine alzuhäufige Störung ded Unterrichts 
ıd übermäßige Beläftigung des Kantor zu verhüten, in dem 
orwort feined „Handbuch für Lehrer, die aufklären wollen und 
fen”, die Bitte auszufprechen, Daß doch ja Niemand feine Dorf: 
ule als ein Schullehrerjeminarium anſehen möchte. *) 

Inzwiſchen war Rochow aud zur Reformirung der Schulen 
ıf feinen beiden andern Dörfern (von denen Kranue der Pfarrort 
ar,) vorgegangen. Sin dem Dorfe Gettin hatte er den alten 
chulmeiſter, einen Schneidermeifter, penfionirt und einen neuen, 
enfall8 in der Domfchule zu Halberftadt gebildeten Lehrer anges 
Mt; und als in dem dritten Dorfe, in Krane, der Küfter ge 
ben war, hatte Rochow die dafige Lehrerftelle ebenfalld einem 
schüler der Domſchule zu Halberftabt übertragen. Auch diefe 
iden Lehrer erhielten vom Könige den Kantortitel und 120 Rthlr. 


*) GSpäterhin wurde, um den lüftigen Zudrang von Befuchern der Redanfchen 
schule zu mindern, die Veröffentlichung einer genauen Beſchreibung derfelben nötig. 
ieſelbe kam in folgender Weile zu Stande: Ein reformirter Candidat des Predigt- 
nie, Carl Friedrich Niemann aus Züllihau im Herzogtum Croſſen, hatte ſich 
uf Befehl der Schulcommiffion des großen Waifenhanfes zu Potsdam und mit 
ochows Bewilligung ein halbes Iahr lang in Reckan aufgehalten und die dortige 
quleinrichtung ftudirt. Die Zal derartiger „Auscultanten” in Redan war indeffen 
grob und für Rochow ımd deſſen Schule fo läftig, daß fi Riemamı Vernm- 
ft foh, im einer fehr eingehenden Darftellung einen „Verſuch einer Beſchrribimg 
7 Redanfhen Schuleinrihtung” (melde Schrift zu Berlin und Gtettin 1781, 
ad umgearbeitet 1792 erihien) zu liefern, indem diefe Relation denjenigen, welche 
€ Redanfchen Schuleinrichtungen kennen lernen wollten, um fie nachzubilden, die 
eiſe nach Reckan erfparen follte. 





— 10 — 


jährlihen Gehalt, wogegen der Echulunterriht unentgeldlich e 
teilt werben mufte. Beide ftubirten fih durch fleißigen Beſuch de 
Reckanſchen Schule in die dajelbft eingeführte Lehrmethode ein. 

Eine widerwärtige Störung erlitt Rochow infolge der padı 
gogifchen Unbeholfenheit des damaligen Superintendenten zu Braı 
denburg. Bei Gelegenheit der Kirchenvifitation ließ nemlich De 
jelbe die beiden neuen Kantoren mit ihren Schulfindern vor be 
Altar treten, und gab dem Kantor zu Gettin, der fich erft fe 
zehn Wochen im Amte befand, auf, feine Schüler nach dem dritte 
Artikel des kleineren Katechismus Luthers zu katechiſtren. De 
Kantor entjchuldigte fih, daß er fich in der kurzen Beit feine 
Schulamtes mit feinen Schülern noch nicht bis zum dritten Artik 
habe hindurcharbeiten Eönnen, indem es den Kindern an allen Vor 
Eenntniffen gefehlt habe. Uber zornig klagte der Superintenden 
por der ganzen Verfammlung, daß, wie er jebe, ber dritt 
Artikel hier nicht mehr in Ehren gehalten werde ıc.x 
Zum Blüd verhielt fi) das verfammelte Volk bei diejer empfind 
lichen Anfchuldigung ganz ruhig und Rochow beſchraͤnkte fich vor 
läufig Darauf, das Verfahren feines Lehrers mit Berufung au 
eine von dem Oberconfiftorium zu Berlin erhaltene Inſtruction y 
rechtfertigen. Um indefjen feine Schulen und Lehrer gegen ande 
weitige Vexationen ficher zu fellen, berichtete Rochow über De 
ärgerlihen Vorfall an das Oberconfiftorium, welches ſofort De 
Superintenbenten befahl, über feine Kirchenviſitationen nicht eh 
zu berichten, bis er auch bie Reckanſche Echule vifitirt hab 
werde (was noch nicht gefchehen war). Der Superintenbent £ 
gab fih daher auch nad) Redan, vifitirte Die daſige Schule auf D- 
Benauefte und verabfchiedete fi von Bruns, indem er benjelb 
in der Schule brüderlih umarmte!*) | 


) Was Rochow in der „Geſchichte meiner Schulen“ (Schleswig, 179 
&. 18 ff. weiterhin berichtet, wird bier übergangen, ba es nit don allgemein, 
Intereſſe if. 





— 161 — 


Die Einrichtung der Schule zu Redan war folgenbe: 

Das ganz aus Steinen gebaute Haus enthielt außer den 
bequem eingerichteten Wohnzimmern des Lehrers eine geräumige 
und helle Schulftube. Die drei Fenfter derjelben gingen nicht nad) 
der Straße, fondern nad) dem Garten des Schulhaufes. Um in 
ber Schulftube immer reine Luft zu erhalten, waren in ber Höhe 
der Mauer drei Zuglöcher angebracht. Zur Abwehr des Sonnen- 
ſcheins waren die Fenſter mit leinenen Seitenroulleaus verjehn. 
Wöchentlich zweimal muften die Schulkinder die Stube forgfältig 
reinigen. 

Beim Eintritt in die Schulſtube fand man links an der 
Band die Knaben in zwei Reihen auf feſtgemachten Baͤnken ſitzen, 
bor denen ſchraͤg abgehende Aufklapptifche ſtanden. Se zwijchen 
wei Sitzen war ein Tintenfaß eingepaßt, welches nur fo weit 
heworragte, daß die Schulfinder ihre Federköcher mit einer Schnur 


datan hängen fonnten. Die Mäpdchen ſaßen dem Eingange grade 


jgenüber in Einer Reihe. Des Anftandes halber war ihr Tifch 
vorn mit Leinwand zugefchlagen, jedoch jo, daß fie unten durch⸗ 
langen Eonnten. Der Lehrer ſaß rechts an der Wand am Ende 
re Maͤdchenbank. In einer neben feinem Pult befindlichen Spinde 
Durden die Schulbücher und fonftige Schulfahen aufbewahrt. 
Rorgens begann der Unterricht mit dem Glockenſchlag Sieben, 
Rachmittagd mit dem Schlage Eins. Beide Male wurde kurz vor: 
der mit der Glocke ein Zeichen gegeben. 
Die Schule war in zwei, fireng von einander gejchiebene 
klaſſen geteilt. Die erfte umfafte die Heinen und Eeinften Kinder, 


welche in derfelben fertig Iefen lernen muften; Die zweite Klaſſe 


umfafte Die größeren Schüler Bid zur Entlaßung aus der Schule. 
Die erfte Klaffe wurde täglich Nachmittags von 1—3 ober 31/, Uhr 
unterrichtet, mit Ausnahme des Mittwoch und Sonnabend, an 
wilden Tagen fie von 10 — 12 Uhr die Schule befuchte. Die zweite 
Alaſſe erhielt täglich von 7—11 (nur Mittwochd und Sonnabends 

ben 7-0) Unterricht. | | 
Die Lectionsplane der beiden Klaffen waren folgende: 


41 


— 162 — 
Lectionsplan für die untere Klaſſe. 


DU en nn ee ee ne np] 
Montag | Dinstag | Mittwoch | Domens | Freitag | ©oı 


Uebungen mit deniwie Mon-wie Mon-iwie Mon-Iwie Mon-jwie D 
ganz Fleinenitags. tags. tags. tags. 
Kindern. 


Leſen im erſten 
Teile des Kinder- 
freundes mit den 
größern Ain- 
dern. 





Buchſtaben un 
Biffern, oder buch⸗ 
ftabiren. Die grö- 
Beren fchreiben in 
der Beit. 





— wegen Kürze — 


gan kleinen. der Zeit aus. 


Die kleineren wer‘ 

den entlaken und 

mit den größeren 

wird über die ge- — — — 
leſene Geſchichte 
geſprochen. 


— — — — — —— — — — 5 — ———— | EEE 





Aufſchlagen Gedächtnis˖ |verfihiedene | Rechnen. Gedäch 
Rechnen. im Geſang ˖ũbung. Uebungen. übung. 
buch. 


— 163 — 
Lectionsplan für die höhere Klaſſe. 


Montag Dinstag | Mittwod | Donnerstag Freitag | Sonnabend 


Biederholung der) Religions. | Anweifung |Biblifhe Ge-| Religions. | Anmeifung 
fomntäglihen | unterricht. zum Singen.ifhichte oder] unterricht. | zum Gingen 
Raturge- 

ſchichte, oder 

einzelne 
Vebungen. 








Bredigt. 








Aufſchlagen in| Ortho ⸗ Luther 


zweiten Teil Erklärung der 
in der vibel. graphie. | Sauptftüde, ’ 


"des Sinder-| aufgegebenen 
Wocheuſprũche. 








Leſen im Ge⸗ 
&efen im zweiten) ſangbugoder 
* bet Kinder- nie u Dictiren. Schreiben. Dictiren. 
"ne. biblifche Ge⸗ 
ſchichte. 
— N 
Leſen im eſen im Ge 
Schreiben. Schreiben. Weiten Teil echnen fangbuch oder 
des inder in der Bibel 
freunde. 
— — 
Rechnen, Rechnen. Echreiben. — Schreiben. 


Schon aus dem Bisherigen kann das Eigentümliche der 

Redanſchen Schuleinrichtung und Lehrmethode genügend klar wers 

en. Vor dem ſechſten Lebensjahre wurde nicht leicht ein Kind in 

ie Schule aufgenommen. Alle Receptionen und Verſetzungen fan- 

en zu Giner beftimmten Zeit, gewöhnli um Oftern, flatt. In⸗ 

eſſen pflegte man die zur Verſeßung beſtimmten Schulkinder Gov 
ar 


— 14 — 


ein halbes Jahr vor der Verfeßung an jedem Mittwoch und Sonn- 
abend an den Lehrftunden der zweiten Klaſſe Teil nehmen zu laßen, 
damit fie ſich thunlichft für den Unterricht in derfelben vorbereiten 
konnten. Natürlih war von „Sommer“ - und „Winterſchule“ nicht 
die Rede. 

An ſtaͤrkſten trat das Charakteriſtiſche der Redanfchen Lehr⸗ 
methode wol in der Aufnahme und in der erſten Unterweifung der 
Sncipienten hervor. *) — Der Lehrer empfing die Kinder, welche 
die Schule zum erften Male beſuchten, mit Freundlichkeit und 
Liebe, um vor Allem deren Zutrauen zu gewinnen. Er begann 
mit ihnen über irgend etwas, was grade nahe lag, zu ſprechen. 
Er fragte z. B. Die Kinder nad) ihrem Namen, Alter, richtete dann 
etwa Die Frage an fie: „Wo bift du denn jetzt?“ „Bift du Denn 
gern hierher gefommen?" „Wilft du nun auch gut acht geben und 
fleißig fein?” u. |. w. Nach einer jeden Antwort fuchte der Xehrer 
dem Finde irgend etwas Grmunterndes zu jagen. Nachdem jodann 
das Kind die Ermahnung zum Fleiß und Gehorjam durch ein Sa 
oder durch Darreihung der Hand beantwortet hatte, wies ihm 
ber Lehrer feinen Pla mit der Bemerkung an, Daß es denſelben 
am folgenden Tage wieder einnehmen und jidy hüten follte, daß 
e8 nicht etwan zur Strafe von demfelben herabgejegt würde. 

Nach einem Fleinen Zwifchenraum, in welchem fich der Lehrer 
mit anderen Schülern bejchäftigte, lenfte derjelbe das Gefpräd, 
aufganz gewöhnliche, auch den Incipienten bekannte Dinge, etwa 
auf Gegenftände, die in der Stube oder im Garten vorkommen, 
von denen fie ihm der Reihe nach einzelne nennen muften, und 
freute Dabei fogleich einige leichte Fragen ein, z. B.: wie viele Füße bat 
der Schemel? Wer hat den Ofen, das Fenfter gemacht? — ober 
er lenkte das Geſpraͤch auf Bäume, Thiere, äußere Körperteile 
u. drgl. Derartige Unterhaltungen begann er entweder mit ben 
Incipienten felbft oder mit einem der größeren Schüler, in welchem 
legteren alle er jene zuerft auf die Angaben des leßteren aufs 
merkjan machte und nachher jelbft anredete: Könnt ihr Kleinen 


) Ueber das zunächſt Folgende vgl. Riemanns „Neue Beihreibung der 
Reckanſchen Schule“ (Berlin und Stettin 1792) 6. 29 ff. 


— 165 — 


mir auch wol einen Baum oder ein Thier nennen, was vier Füße 
bat? Durch die Unbefangenheit des größeren Kindes und durch 
die freundliche Aufforderung, dem Beifpiele Defjelben zu folgen, 
wurden bie Kleinen ermutigt und auf Die leichtefte Art zum Spre⸗ 
hen veranlaft. Sie nannten verfchiedene Arten von Bäumen , die 
fie fonnten, und bei der Angabe derjelben trat alsbald Die erfte 
Sprahberihtigung ein. Sie fprachen nemlich den Namen 
ber Bäume in ihrem Patois aus, 3. DB. ein Plumbaum, ein 
Resyernbaum, ein Bärenbaum u. |. w. Der Lehrer fagte ihnen 
die hochdeutſche Benennung entweder felbft, oder ließ fie von einem 
der größeren Schüler jagen, worauf die Kleinen diejelbe ſogleich 
einigemal wieberholen muften, bis fie das fchriftdeutfche Wort 
fertig ausfprechen Eonnten. — Nachdem man die Ancipienten fo 
mehrere Tage bindurd) mit einer beftimmten Art von Sachen, 
etwa mit den Gliedern des menjchlichen Körpers oder mit Bäumen 
geübt hatte, ging der Lehrer weiter, indem er nun etwa vier⸗ 
fühlge Thiere, Vögel, Pflanzen, Nahrungsmittel, Kleidungsſtücke, 
Hausgeräte, Steine, Dinge von Eifen, von Holz u. drgl. nennen 
ließ. Der Zweck diefer Beichäftigung war zunächft nur der, daß 
man die Kleinen aufmerffam und gefpräcig machte, ihr Beob⸗ 
achtungsvermögen weckte uud ihre Sprache verbeßerte. 

Mar dieſer Zweck einigermaßen erreicht, jo machte man Die 
Kinder auf die einzelnen Teile, auf die Kennzeichen und 
Eigenſchaften ber Dinge aufmerffam, damit fie von denſelben 
Deutliche Begriffe befämen, Die Dinge von einander unterjcheiden 
lernten und ihre Sprache durch den Gebrauch der Beimörter er- 
weiterten. 

Maren die Kinder auch darin eine Zeit lang geuͤbt worden, 
D machte man fie nun mit dem Urfprung, Nußen und Ge— 
Braud ber Dinge befannt. — Diefe drei Uebungen gaben faft 
dag ganze erfte Jahr hindurch binlänglichen Stoff zu Belehrungen, 
die den Fähigkeiten der Kleinen angemeßen und ihnen zugleich un- 
terhaltenb waren, und die zu einer fpäteren fruchtbaren Erkenntnis 
Gottes den Grund Tegen follten. 

Die Regel, nad) welcher diefe Uebungen angeftellt wurden, 
war biefelhe, welche der Nedanfchen Lehrmethode überhaupt zu 


— 166 — 


Grunde lag. Sie lautete: „Der erfte Unterricht für Kinder über- 
haupt, und alfo auch für Kinder der Landleute, ſei fo finnlih und 
angenehm als nur möglih. Der Lehrer fange nicht fogleich und 
allein mit dem Bücherunterrichte an, ſondern er unterhalte das 
Kind durch Teichte, feinen Fähigkeiten angemeßene Geſpraͤche über 
allerlei ihm befannte und auf Die Sinne einwirfende Gegenftände. 
Er erwede und übe zu allererft die Aufmerkſamkeit der Kinder, 
lehre fie ihre Sinne ordentlich gebrauchen, recht ſehen und hören, 
Bieled anfchauen, und darauf merken, das Gefehene und Gehoͤrte 
richtig angeben; er verbeßere glei, anfangs ihre Sprache und be⸗ 
Ichäftige ihr Nachdenken und ihre Wißbegierde, ohne fie zu über- 
häufen, durch Mitteilung fo vieler Sachkenntniſſe, als für ihr 
gegenwärtiged Alter und Faßungdvermögen gehören. Und Damit 
verbinde er Die erften Anleitungen zum Leſen und Rechnen.” *) 

Der Unterricht im Leſen wurde in folgender Weife erteilt: 
Der Lehrer malte zuerft einige der einfachften Buchftaben, in der 
Form der gedrudten, einzeln nacheinander mit Kreide an die Schul: 
tafel. Er zeichnete fie etwas groß und fo, daß die unterfcheiden- 
den Kennzeichen derfelben in die Augen fallen muften. Er nannte 
den Namen jedes einzelnen Buchftaben und Tieß ſich denfelben 
nachiprechen. In dieſer Weife wurden den Kindern alle Buchftaben 
des Alphabet3 befannt gemacht. Man band fi dabei an Feine 
firenge Ordnung, behielt jedoch die Uehnlichfeit der Buchftaben 
im Auge, um den einen möglichft aus dem andern abzuleiten. — 
Hatten die Kinder alle einzelnen Buchftaben fo Fennen gelernt, Daß 
fie deren unterſcheidende Merkmale angeben konnten, jo verfammelte 
man alle vor einem an die Thüre gehefteten Blatte, auf welchem 
alle Buchftaben des großen und kleinen Alphabets, die Ziffern, 
eine Anzal leichter einfilbiger Wörter und einige kurze Säße ge: 
dDrudt waren. Hier übte man Die Kinder zunächft wieder in der 
Kenntnis der Heinen Buchftaben, und ging ſodann (ohne ſich auf 
Sillabiren einzulaßen) zum Buchftabiren einfilbiger Wörter über, 
die auf das Blatt gedrudt waren. Der Lehrer ließ Die Kinder 
die einzelnen Buchftaben des Worts langſam nennen und fprady 


*) Riemenns „Reue Befchreibung der Reckanſchen Schule,“ ©. 28-9. 


— 167 — 


ifnen alddann das ganze Wort deutlich vor, welches fie einzeln 
oder zufammen ausfprechen muften. Sobald nun die Schüler durch 
biefe Hebung einige Fertigkeit im Buchſtabiren erlangt und dabei 
auch gelegentlich die großen Buchftaben kennen gelernt hatten, 
wurde ihnen fofort der erfte Teil des Katechismus in die Hand 
gegeben. Das Buchftabiren mehrfilbiger Wörter, die bier zu 
lfen waren, wurde dadurch abgekürzt, daß die vorhergehende 
Sylbe bei der Ausfprache der nächftfolgenden Sylbe nicht wieber: 
holt wurde. Man buchftabirte 3. B. nicht: Au⸗gen, Augen ⸗lie, 
Angenlie, Augenliesder, Augenlieder, fondern: Au⸗gen⸗lie⸗-der, 
Augenlieder. — Waren die Schüler im Buchftabiren hinlänglidy 
geübt, jo begann man mit ihnen langjam zu lefen, wobei fie die 
einzelnen Wörter im Kopfe buchftabiren und dann laut ausſprachen, 
jobald fie aber einen Fehler machten, fofort wieder zum lauten 
Budhfabiren ihre Zuflucht nehmen muften. 

Der Unterriht im Rechnen wurde in folgender Weife bes 
gonnen: Ehe man noch die Kinder mit den Ziffern befannt machte, 
leitete man fie zum Zaͤlen fichtbarer Dinge an. Sie muften etwan 
ihre Finger an einer, dann an beiden Händen, die Kinder, bie 
auf einer Bank faßen, dann einige mehr, hernach alle Schulfin: 
ber der Reihe nach, oder die Knöpfe an ihren Kleidern, die Scheiben 
an den Senftern, die Bücher, die auf dem Tifche lagen u. dgl. m. 
zilen lernen. Weiterhin fchrieb man ihnen auch Striche an bie 
Tafel, woburd fie noch mehr geübt wurden, richtig zu fehen unb 
Mu unterfheiden. Waren die Schhler jo dahin gebracht, daß fie 
bis 100 ohne Anftoß zälen Eonnten, fo lehrte man fie die Behner 
bis 100 zälen und gewöhnte fie zugleich an das Zurüdzälen, wor 
mit bereits die erfte Uebung im Subtrahiren begonnen wurde. 

Dierauf ließ man fie die graben, dann die ungraben Balen mit 2, 
Bann mit 3 ‚4,5 u. f. w. abdiren und fubtrabiren. Durd eine 
ſolche vom Leichteren zum Schwereren fortjchreitende Zalenübung 
lernten die Kinder jhon im Kopfe addiren und fubtrahiren, che 
fie noch die Ziffern kannten, womit fchon der Grund zu ben 
"Päteren Uebungen im Kopfrehnen gelegt wurde, 

Die Ziffern wurden den Rindern mit oder nad) den Buch⸗ 
Haben durch Vorzeichnung an die Tafel bekannt gemadht. Man 


— 168 — 


fagte ihnen noch nichts von dem Werte der Ziffern nach ihren 
Stellen, ſondern begnügte fich Damit, ihnen dieſelben durch öfteres 
Anfchreiben,, Vor⸗ und Nachſagen bekannt zu machen. 

| In der oberen Klaſſe wurden zu den Leſeübungen der zweite 
Teil des Kinderfreundes und die Bibel gebraucht. Der Lehrer las 
einen geeigneten Abſchnitt aus der Bibel deutlich und mit Ausdrud 
vor und lies fodann die Kinder daſſelbe nachlefen. Das Gelejene 
wurbe zugleich beiprochen, Damit e8 den Kindern vollkommen ver- 
ländlich und nüßlich würde. Daneben wurden auch andere Bücher, 
3. B. Federſens Leben Jeſu, Eberts Naturgefchichte zum Vors und 
Nachleſen und zu erflärenden Beſprechungen gebraucht. 

Zur Uebung im Memoriren muften die Kleinen leichte, ver- 
ſtaͤndliche Verſe aus geeigneten Liedern, oder kurze Sentenzen 
3. B. aus Jeſus Sirach auswendig lernen. In der oberen Klaffe 
wurden ganze Lieber oder Stellen der h. Schrift auswendig ge 
lernt. Dabei ſah aber der Lehrer vor Allem darauf, daß alles, 
was memorirt werden follte, vollfommen verftanden war. 

Die Schüler der Oberflaffe wurden auch fleißig im Schän> 
und Rechtfchreiben und im Rechnen geübt. Die Necherm: 
übungen wurben niemald mit unbenannten, ſondern jederzeit mm‘ 
benannten Balen angeſtellt. Immer wurden Die Aufgaben (jo w— 
die Erläuterungsbeifpiele in anderen Unterrichtögegenftänden) a 
dem Gefichtöfreife der Rinder, in&befondere aus ihren und ihre I 
Eltern Beichäftigungen genommen. — Bur Uebung im Schiw 
Schreiben waren Vorſchriften angefertigt, welche allerlei nüplidB> 
Wahrheiten in gebundner oder ungebundner Rebe enthielten. CHE 
jedoch eine Vorjchrift zum Abfchreiben gegeben wurde, mufte de=< 
Inhalt derjelben dem betreffenden Kinde forgfältig erflärt werde‘ 

Als eine Hauptregel für bie in dieſer Klaffe anzuwendend IJ 
Unterrichtöweife galt der Grundfaß, daß wo es nur immer thunss 
lich fei, mehrere Lehrzwecke mit einander verbunden und alfo of?‘ 
in mehreren Stüden zugleich unterrichtet werden müße. So wurde< 
3. B. bei den Leſeübungen zugleich Rechtfchreibung, Naturkunde u. 5 
a. m. gelehrt. Insbeſondere wurde fo viel ald möglich in jedens 
Begenftand der Unterricht in der Religion mit hereingezogen.! 

In der unteren Klafje begann man den Unterricht mit de 


— 169 — 


Meipienten nicht fofort, fondern nachdem ihr Verſtand foweit er- 
wedt war, daß fie fihtbare und finnliche Dinge, die ihnen nahe 
lagen, mit einiger Richtigkeit beurteilen und aus denſelben Schlüße 
ziehen Eonnten. War dieſes erreiht, fo ſuchte man die Kleinen 
durch Die Lehre von Urfache und Mirfung dahin zu führen, daß 
ke den Gedanken an Gott gewißermaßen von felbft fanden. So 
ſihrte man fie namentlich von der Betradhtung der Wolthaten, die 
fe ans den Händen der Eltern empfingen, zu Ihm, als dem Ge⸗ 
ber aller guten und vollfommenen Gaben hinauf und lehrte fie 
Gott Tebiglich als Heiligen und gnabdenreichen Vater erkennen. 
Daher war der Religiondunterricht in der zweiten wie in der erften 
Kaffe eigentlich nicht auf gewiße Stunden beſchraͤnkt; vielmehr 
1 wurden, mit Ausnahme des Schreibens und Rechnens, alle ande- 
"rm Lehrgegenftände (Bibellefen, biblifche Geſchichte, Leſen im Kin⸗ 
J derfreund, Wiederholung der fonntäglichen Predigt, Naturgefchichte, 
4 gar Spradlehre,) als Mittel zur Förderung der Religionser⸗ 
Immtnid und der Religiofität behandelt. Indeſſen waren Doch aud) 
wei Stunden in jeder Woche zu einem aanz beſonderen Religions» 
mterrichte beftimmt, in welchem entweder ausgewählte Abſchnitte 
der Bibel, oder Lieder aus dem neuen preußifchen Geſangbuch ge- 
fen und erflärt wurden. Auch wurden Luthers fünf Hauptftüde 
mt den in die Oberclaſſe Eingetretenen ein ganzes Jahr hindurch 
Itechetifch erklärt und von bdenfelben forgfältig memorirt. Die 
fttechetifche Methode, welche man hierbei wie überall anwandte, 
ij Bar die, Daß man „durch Unterredungen und beſonders burdh 
35 leichte fortfchreitende Fragen die Schüler auf die Gedanken und 
Vorſtellungen, die man in ihnen ermeden wollte, dergeſtalt hin⸗ 
führte, daß fie dieſelben gröftenteild ſelbſt fanden“. 

J. Die Ordnung der Schule war in jeder Hinſicht ſtreng ge⸗ 
tegelt. Mit dem Schlage der Uhr muſten alle Schüler der Klaſſe 
J  Mälent fein. Syn der Oberklaſſe wurde der Unterricht mit einem 
Gebete des Lehrers, woran ſich der Gefang einiger auswendig 
gelernten Geſangbuchsverſe fchloß, begonnen. Kam ein Kind wäh- 
Tb bes Gefanged oder Gebetes, fo muſte e8 außerhalb des 
Zimmers vor der Thür ftehn bleiben. Zum Schluß der Lehrflun- 
den wurde wieberum ein Vers gefungen. — Um die Mitte der 











— 170 — 


Schulzeit wurden fämmtliche Schüler Vor- und Nachmittags zu 
ihrer Erfriſchung für einige Minuten auf den Schulhof gelaßen; 
außerdem wurde in der Negel fein Heraudgehn der Schüler ‚aus 
dem Lehrzimmer geftattet. Die ſehr forgfältig geführte Abfentens 
lifte wurde am Schluße jedes Tierteljahrs abgefchloßen, in ber 
Schule vorgelefen und dem Gutsherrn, der die ftraffälligen Eltern 
zur Verantwortung z0g, vorgelegt. — Die Strafe Eörperlicher 
Züchtigung wurde nur fehr felten (memlich bei vorkommendem 
Diebſtahl, bei offenbarer Widerfeblichkeit gegen den Lehrer und 
bei hartnädigem Ableugnen eined begangenen Fehlerd,) und immer 
nur fehr mäßig angewandt. Die Austellung eigentlicher Prämien 
an fleißige Schüler war nicht üblich. 

Um auf die finder auch außerhalb der Schule disciplinarifch 
einzumirfen, veranlafte der Lehrer diefelben zuweilen ihre Gefchichte 
etwa von einer durchlebten Woche („was fie während Diefer Zeit 
gethan oder unterlaßen, was fie Gutes empfangen oder MWidriges 
gelitten, mit welchen Gedanken fie dad Gute hingenommen, das 
Unangenehme ertragen haben“, u. ſ. w.) aufrichtig zu erzälen. 
Der Lehrer pflegte dann unter Hinweifung anf ſchon bekannte 
fittliche Regeln u. dal. die Kinder zur eignen Beurteilung ihres 
Verhaltens und Thuns zu führen und fo den fittlihen Sinn in 
ihnen zu beleben und zu Fräftigen. 

Der Kantor Bruns *) ftarb (23. September 1794) für die 
Schöpfung, an der er mit Rochow zufammengearbeitet hatte, zu 
frühe. „Er hatte“, jagt Rochow nad Sirach, „treulich gethan, 
was ihm befohlen war, — Viele zur Gerechtigkeit geführt. — 
Viel Lohn wartet feiner!” ), Rochow ließ ihm in feinem Garten 
eine drei Fuß hohe Gedächtnisurne jeßen, mit der Auffchrift: 

H. I. Bruns. 
Sr war ein kebrer. 

Neben ihm bezeichnet Rochow feinen Pfarrer Stephan 
Rudolph zu Redan, als Tenjenigen, der ſich um tie Ausführung 








*) Weber deflen Leben vgl. Henke's „Archiv für die nenefte Kirchengeſchichte 
B. IV. ©. 133 ff. 
**) „Geſchichte meiner Schulen“ v. Rochow ©. 24. 


— 171 — 


ser Reformen bejonders verdient gemacht habe. Denn abaefehn 
on, „daß er in feinen Predigten wahrhaftig lehrte, was nütz- 
b ift zur Beßerung und Heiligung, gab er fi als 
Jegatus medici ordinarii die unfäglichfte Mühe mit den Sram 
ı, und forgte dafür, daß die Vorfchriften des Arztes befolgt 
arten“ *). 

Der Segen, den Rochow von feinen Reformen erivartete, 
sunte nicht ausbleiben. „In Redan war das Schulgehen der 
inder im Winter und Sommer ihnen und den Eltern theuer und 
ert geworden; und oft danften biefe dem edlen Gutsherrn mit 
bränen, „daß fie nun ihre Kinder weit beßer regieren könnten“ 9), 
atürlich Fomen auch Die materiellen Früchte, welche das neue 
tziehungsweſen brachte, für die Eltern der Schulfinder fehr in 
etracht, namentlich, da Frau v. Rochow eine Art von Induſtrie⸗ 
wie anlegte, worin eine aus Sachſen gebürtige Frau eines 
ärtnerd die Mädchen im Nähen und Striden unterrichtete, in 
elhen Fertigkeiten fich vorher fein Kind des Dorfes geübt hatte. 

Einige Sabre ſpaͤter (1792) berichtete Niemann in feiner 
Reuen Beſchreibung ter Redanfchen Schule” (S. 143 — 144): 
Man bemerkt nun ſchon feit geraumer Zeit von Jahr zu Jahr 
nen größeren Zuwachs von geftiftetem Nuben und fieht mit be- 
bnender Freude auf die bisherige Laufbahn zurüd, auf welcher 
an jenem großen Zwecke, den man nie aus den Augen verlor, 
mer näher gefommen ift, obgleich Diejenigen Srwachjenen, Die 
werft auf ſolche Art unterrichtet nnd gebildet wurden, noch immer 
en fleinften Teil des Ganzen ausmahen. Man wird eine allge: 
iinere Richtung der Gemüter auf alles Gute und mehrere Willig- 
Mt dazu gewahr. Man fpürt, daß ein Geift fliller Ordnung, 
Huslicher Ruhe und Sittfamfeit immer herrſchender wird und den 
onft häufiger bemerften Hang zu Ausichweifungen und Unmäßig- 
titen immer mehr verdrängt. Sittfamere Tugend und Befcheiden- 
heit zeichnet Die jungen Leute beiderlei Geschlechts mehr ale fonft 
ws, denn der Fall einer unehelichen Geburt hat ſich in tem bies 
— — 


. Geſcichte meiner Schulen“ v. Rochow ©, 31. 
I Ebendafelbft 8. 31. 


— 12 — 


figen Dorfe kaum in 6 Jahren einmal ereignet. Sie beeifern fidh, 
ehrerbietige und dankbare Liebe gegen ihre wolthätige Herrichaft 
überall zu erkennen zu geben, und zeigen auch gegen ihren wir: 
digen Prediger, ber fih nicht nur al8 Seelforger, ſondern aud 
als treuer Ratgeber bei ihren häuslichen Angelegenheiten iu Freu 
den und Leiden um fie verdient macht, herzliches Zutrauen. Fremd 
unparteitfche Zeugniffe können naͤchſtdem beweifen, daß wenige Pro- 
ceſſe unter ihnen geführt worden, und daß fie fih auch als Sol 
daten in ihrem Regimente — als gehorfame, treue und ordentliche 
Unterthanen beweifen”. 

Auch noch in fpäteren Jahren galt Redan als der Wiegen 
fit des beferen Dorfſchulweſens der neueren Zeit, und alle bie 
jenigen, die nad) Redan pilgerten, um die dortigen Schuleinrid: 
tungen Eennen zu lernen, freuten ſich in Rochow einen der Patriarchen 
der deutfchen Volköfchule gejehn zu haben *). 


*) Ein Augenzeuge aus dem Sahre 1812 berichtet über den Eindrud, den die 
Begepnung mit Rochows Perfon und die Wahrnehmung feiner Wirkſamkeit auf ihm 
machte (in Stephanis Baierifhem Bolksfreund 8. I. S. 102 fi): „Der Be 
nah dem pädagogifhen Reckan führt von Potsdam ab dur eine mit Thälem 
und Bergen gefüllte Gegend, die man das Brandenburgifhe Marsfeld nennen 
fönnte, meil hier die gewöhnlichen großen Serbftmanöpres gehalten werden. Im- 
feits diefer friedlichen Felder madet man wieder in den langmeiligften Saatfeldem; 
und die bier und da kümmerlich hervorfheinenden Tannenmwälder geben bem Bar- 
derer nur wenig Schatten. — Schon don ferne fündigen fi) die Umgebungen des 
Orts durch ein befer kultivirtes Gefilde an, wie fi ſchon jedes Dörfchen durk 
ein freundlicheres Aeußeres auszeichnet, in welchem fleißige Menſchen und verftön 
dige Obere wohnen. Wir fahen eine Menge blühender Kinder nicht im gewöhn 
lihen Müßiggange, nicht zerlumpt umherſchwärmen, fondern reinlich gefleidet d 
Steine von den Aedern lefen. Die Näherftehenden boten fi ungerufen an, * 
den Weg nad) ihrem Wohnorte und dem adelihen Hofe zu zeigen. Irre id #7? 
fo Hatten alle diefe Kinder etwas Lebendigeres und Freundlichere in ihrer ga" 
äußeren Form, als die gewöhnliche Dorfjugend, — etwas Artiged und Gefälz 
welches den gemeinen Mann fo gut kleidet, fobald er eine menſchlichere Erziele 
befommen hat. — Man muß diefe Kinder felbft gefehen haben, um ſich über 
Wirkungen einer veredelten Erziehung zu freuen. — 

Man führte und zur Wohnung des verdienftvollen Mannes: ein einfa 
prunflofes aber heiteres Landgebäude. Ein junger, beſcheidner Mann, deu 
wegen feines Anftandes für einen der vielen bier durdreifenden Erzieher be‘ 


— 1793 — 


$. 11. 
Wachhbildungen der Rochowſchen Schuleinrichtung. 


68 konnte nicht fehlen, daß Roch ows Schöpfung, nachdem 
befannt geworden war, an zalreichen Orten die lebhafteſte Nach» 
erung wach hervorrief: 


te uns die Thüre, — es war ein Lakah des Herrn von Rochow, — und er 
te uns in das große und gefhmadvolle Studirzimmer defjelben, — ein ſchöner, 
adlicher Saal nad) dem Garten hinaus, wo alle jene menfhenfreundlichen Plane 
bortrefflihen Mannes zu einer beferen und zwedmäßigeren Bollserziehung 
vorfen wurden. Rad wenigen Augenbliden erihien er felbft, den finnigen aber 
mdlihen Ernft auf feiner Stimm, wodurch ſich fein ganzes Aeußeres ankündigte. 
lag etwas Großes und Driginelles in diefer Phyfiognomie, zugleich aber auch 
08 Leidendes, mas uns nur noch mehr zu ihm hinzog. — Roch eine halbe 
mde des Gefprächs und wir muften ihn lieben. Rochow redete mit großer 
tie von Allem, was ihn intereffirte, bisweilen etwas zu fententiös und impo- 
md, aber immer mit dem ihm eignen Reichtum des gefunden logifchen Urteils. — 
er fi feine ganze Ausbildung allein verdankt, fo nennt er fi felbft einen 
todidaktos. — Er hatte fi in feiner Jugend als Soldat fehr vernadhjläßigt. 
jenen Zeiten, fagte er, erlaubte man dem Offizier roh und unwißend zu bleiben, 
ne daß er fich deshalb fhämen durfte. Aber auf einmal ermadte in ihm ein 
herer Beruf; er hatte fehr viel nachzuholen, und von num an arbeitete er mit 
et ſolchen Raſtlofigkeit an fich felbft, daß er fi) in fein Zimmer einſchloß, wie 
I gemeiner Schüler zu decliniren und zu conjugiren anfing, und nicht eher nach⸗ 
I, bis er die lateinifchen Klaffifer und die neueren Sprachen ohne Anftoß ber- 
m konnte“. Ä 
„Rochow zeigte in feinen Ideen eine erſtaunliche Vielſeitigkeit. Seine Stants- 
ufniffe waren von großem Umfang. Seine Kenntnis in der Agrilultur, der Ra- 
NRorie und der Geſchichte war nicht gering, und überall ſchien der fleißige 
bftdenter hervor; aber das Erziehungswefen blieb fein Lieblingsftudium. Cs 
ſehr angenehm, ihn hierüber bisweilen mit einer liebenswürdigen Schwärmerei 
n zu hören, da er hiervon mit fo viel lebendiger Weberzeugung fprady, und da 
Größe des Gegenftandes nad feiner frommen Unfiht jenen Enthufiasmus nit 
bt auffordern muſte. — Bielleiht haben die philanthropifhen Spielereien in 
Nau doch aud den Nußen geftiftet, daß fie Rochows graden Sinn nad) etwas 
berem zur Erziehung des Menfchen hinrichteten. Er war Baſedows Freund, 
rt er war mit deffen Erziehungsmaximen nie ganz zufrieden. Beide flritten fi 
ehtmals fehr lebhaft über die neuere Pädagogit, und dies veranlafte den edel. 


— 174 — 


So hatte 3. B. der Gutöbefißer zu Teichheim auf feir 
Reifen den Domherrn v. Rochow und deſſen herrlich aufgeblül 
Schule faum gejehn, ald derfelbe fofort den Entſchluß faßte, | 
die Jugend feined Dorfes nad) dem Mufter der Schule zu Ned 
eine Freifchule zu errichten. Er berief einen Lehrer, der ni 
allein mit dem Rochowſchen Lehr- und Disciplinarfyftem volle 
men befannt war, ſondern auch ein anerfanntes Lehrtalent befi 
Die Schule wurde begründet und wurde in Kurzem eine eigentli 
Mufterfchule. Aus vielen benachbarten Dörfern und Städten wurt 
derjelben Kinder zugeführt, und von allen Seiten her kamen Predi, 
und Lehrer, um die Unterrichtsweiſe in dieſer Anftalt kennen 
lernen. Bald fanden fi auch Sünglinge ein, welche fich, nachd 
fie den Kurſus im Seminar abfolvirt hatten, durch Hospitiren 
der Schule und unter der Anleitung des Lehrers für das Lehra 
noch gründlicher vorzubereiten juchten. Durch den außerorbentlid 
Erfolg feiner Anftalt ‚veranlaft, vereinigte Herr von Teichhe 
einige Jahre jpäter eine große Anzal von Schulfreunden der P 


dentenden Rochow, ein durchaus zwedmäßigeres Inſtitut umd zwar aus rein 
Abfichten anzulegen, ald das zu Deflau”. 

„„Laſſet die Kindlein zu mir fommen, und wehret ihnen nicht!” “, fo laı 
die Infchrift auf den Schulgebäude zu Reckan. — Das Schulgebäude felbft 
ein nette , gejundes und belles Gebäude, mit einem geräumigen Saale für 
Schulunterricht. — Aber vor allen Dingen ift für einen zwedmäßigen, den Fäl 
teiten der Kinder angemeßenen Unterricht geforgt. Herr v. Rochow hatte ſi 
Schulmeiſter felbft gebildet, fie nad) und nach an eine befere Lehrmethode gewöl 
hatte in ihrer Gegenwart die Kinder felbft unterrichtet, und dadurd in diefen M 
nern, fowie in feinem Prediger Rudolph eine Nadeiferung aufgewedt, die fie 
wahren Meiftern ihrer Kunft machte“. 

„Vernunftlehre, nicht im wißenfhaftlihen Sinne des Wortes, id | 
alfo lieber fagen, Bernunftübung madt in den Rochowſchen Schulen ei 
Hauptteil des Unterrichts aus, und zwar Vernunftübung in allen jenen Kenntnil 
welche unmittelbar auf die Beflimmung des Landmannes, auf feine Berufsgeſchi 
feine individuelle Lebensweife, auf fein häusliches Glück, auf feinen Gehorſam 
Unterthan Einfluß haben können. Man lehrt die Kinder die natürlichen Urfe 
und Beichaffenheiten der Dinge auffuchen,, damit ihnen die Natur in ihrer gr 
Zwedmäßigteit befannt werde, man erklärt ihnen die phyſiſche Entitehung 
Witterung, der Qufterfcheinungen, die Beichaffenheit der Elemente, den Bass 
Thiere und Pflanzen, um fie vor ſchädlichem Uberglauben zu fihern”. — 


— — — — — —— ——— an 0 ann 


— 175 — 


vinz zu einer Geſellſchaft, welche jich die Verbeßerung des Schul 
weiend duch Wort und That angelegen fein lagen wollte, und 
id vor Allem die Errichtung einer mit der Teichheimer Dorfichule 
in Verbindung ftehenden Schulmeifterfehule zur Aufgabe madıte. 
Auch diefe Pflanzſchule kam alsbald zu Stande, und bildete zals 
reiche Sünglinge aus, die den Segen der Rochowſchen Anftalten 
in weiteften Streifen verbreiteten. 

Selbit über die Grenzen Deutjchlands hinaus ging Rochows 
Einfluß, wie z. B. die Reform beweilt, welche das Schulweſen der 
Daronie Brahbetrolleborg auf der bdänifchen Inſel Fünen 
i. J. 1784 erfuhr. Diefe Baronie gehörte dem Grafen Johann 
tudwig von NReventlow und Chriftiansjfande. Bis zum Schluße 
des Jahres 1783 war in dem ganzen Kirchſpiel nur Eine Schule, 
welhe noch dazu neben ber ganz einjam gelegenen Kirche in ber 
Vohnung des Küfterd war, weshalb viele Kinder einen Schulweg 
von einer halben, manche aud von einer ganzen Meile hatten. 
Die Folge davon war, daß die Schule nur fehr wenig bejucht 
wurde. 

Da hörte der Graf, was der edle v. Rochow gethan hatte 
uud beſchloß Aehnliches zu thun. Im Jahre 1783 ließ er in der 
Entfernung einer Viertelmeile von der Kirche einen ganz maſſiven 
Schulhausbau aufführen, der nicht nur eine geräumige Schulſtube 
jondern auch eine paflende Wohnung für den Küſter oder Lehrer 
enthielt. Hierauf ließ der Graf auf der andern Seite des Kirdy 
Ipielö in gleicher Entfernung von der Kirche noch eine zweite ge 
raͤumige Schule einrichten, und im Jahre 1785 ließ derjelbe noch 
eine dritte Schule bauen, jo daß nun jede Gemeinde des Kirch⸗ 
Ipield ihre Kinder bequem zur Schule ſchicken konnte und mufte. 

Die -verbeßerte Schuleinrichtung trat mit Dem Anfang des 
Jahres 1784 für die ganze Baronie ind Leben, indem die zur 
dritten Schule gehörigen Kinder angewiefen waren, eine ‚der beiden 
andern Schulen ;zu befuchen. Die Schulen wurden feierlich eins 
geweiht, wobei Lehrer, Eltern und Kinder über den Segen eines 
regelmäßigen Schulbeſuchs belehrt wurben. 

Für die Anordnung und Grteilung des Unterrichts wurde 
Rochows Einrichtung und Methode recipirt. ALS Lefebücher wur 


— 1716 — 


den gebraucht Rochows Kinderfreund (in daͤniſcher Ueberfegung), 
die Bibel, (aus welcher jedoch nur auserlefene Abfchnitte gebraucht 
wurbden,) Federfend Leben Jeſu und deſſen Exempel für Kinder, 
Raffs Naturgejchichte, der Katechismus von Pontopidanus. Nur 
in einzelnen Punkten wurde von der Redanfchen Einrichtung ab- 
gegangen. Sp wurden 5. B. die Kinder angehalten, in ihren 
Antworten Die Fragen zu wiederholen, (namentlih um die Kinder 
an gehörige Verbindung von Subjekt und Prädicat zu gewöhnen). 
Jede Schule umfafte außerdem nur zwei Klaſſen. — Zur Beleh⸗ 
rung der Schulhalter hatte der Graf Niemeyerd Charakteriſtik, 
die Schriften von Heß über die Bibel u. a. m. angeſchafft. Alle 
nötigen Schulbücher, ſowie Papier, Feder und Dinte u, dgl. wurde 
den Kindern auf Koften des Grafen angejchafft. 

Allen Eltern war es zur Pflicht gemacht, ihre Kinder täglich 
zur Schule zu ſchicken. Nur während der Saat- und Erndtezeit 
waren Ferien. Pflichtvergeßne Eltern wurden mit Geldbußen be- 
ftraft. Unbemittelte Familien wurden Dagegen jo reichlich unters 
fügt, Daß fie feinen Grund mehr hatten, ihre Kinder vom Schuls 
beſuch zurüdzuhalten. 

Auch für angemeßene Dotirung der Xehrerftellen hatte die 
Sreigebigfeit des Grafen geforgt. Während früher Der einzige 
Schulhalter des Kirchſpiels jährlih höchſtens 50 Thlr. bezogen 
hatte, erhielt jeßt jeber Lehrer einen Sahresgehalt von mehr als 
100 Thle. und außerdem Holz, freie Hute für Kühe und Schaafe 
und andere Vorteile. Einer der drei Lehrer war auf Koften bes 
Örafen in dem Seminar zu Kiel ausgebildet worden. 

Um nachtraͤglich auch unter den Erwachſenen einige Schul: 
bildung heimiſch zu machen, wurde denjelben im Winter, vom 
November bis zum März, täglih von 5—6 Uhr Abends Unter 
richt. im Schreiben erteilt, wozu der Graf das Schreibmaterial 
ebenfalls lieferte. Auch wurden ihnen in diefer Stunde von dem 
Schulhalter Zeitungen und andre Bücher vorgelefen. 

Zur Ueberwachung und Leitung der ganzen neuen Schuleins 
richtung war eine Shulcommiffion gebildet, welche unter dem 
Vorfig des Grafen aus dem Pfarrer, dem Verwalter, den Schule 
baltern und drei verfländigen Bauern befand. Dieſe Schulcom- 





— 1 — 


miffion verſammelte ſich regelmäßig in jedem Monat einmal, um 
bie Intereſſen der Schulen zu beiprechen und zu regeln. Nament- 
ih wurden auch alle gröberen Vergehen ber Schulkinder von ihr, 
nicht aber von dem Schulhalter beftraft. Körperliche Züchtigungen 
wurden auf Anordnung der Schulcommijfion nicht von dem Schul 
halter, jondern von einem Andern erteilt. 

Somit war ein ganz neued Schulweien gejchaffen, welches 
Ihon im Jahre 1784 feinen vollen ordnungsmäßigen Beftand hatte. 
Aber noch mufte Vieles gefchehn, wenn eine gebeihliche Entwidlung 
der neuen Schuleinrichtung gefichert werben follte. Einſtweilen bil⸗ 
bete daher ber Graf aus den für vorkommende Schulverfäumntile 
eingehenden Strafgeldern und anderen Eleineren Gefällen, welche 
den Schulen zugewiefen wurden, einen Eleinen Fonds, aus welchem 
allerlei Bebürfniffe der Schule, die fich allmählich fühlbar machten, 
beftritten werden follten *). 


$. 12. 
Allgemeines über die weitere Geſchichte der Volksſchule. 


Durch das laute ruhmredige Auftreten Baſedows, durch Die 
Shöpfungen Felbigers, Schulfteins und Rochows und durch den 
überrajchenden Effekt, den die Schriften und die päbagogiichen 
Gefolge diefer und anderer Pfleger des Volksſchulweſens hervor 
brachten, wurde urplöglich ein fo allgemeines und ernſtes Intereſſe 
an demfelben wachgerufen, daß fich alsbald die rüftigften Kräfte 
dem eben erſt von der öffentlichen Aufmerkſamkeit gewürdigten 
Lulturgebiete hingaben und es anzubauen und zu befruchten fuch 
tm, Privatperſonen begannen verdiente Schullehrer mit Stipen- 
di zu belohnen und Schulfinder mit Büchern, Schreibmaterialien 
ud LKleidungsſtücken zu unterflüßen. Um ben Eifer der Lehrer 
M beleben, wurden bier und da auch Preisaufgaben geftellt **). 


— —— 
Rah F. G. Reſewiß, Gedanken, Vorſchläge und Wünſche zur Verbeße⸗ 
zung der öffentlichen Erziehung, B. V. St. 4. S. 63 — 68. 
In dem Leipziger Intelligenzblatt von 1771 wurden folgende Preisauf- 
dab geftellt: „Derjenige Schulmeifter oder Kinderlehrer auf dem Lande in Kur- 
der nit 40 Thaler in allem jährlih einzunehmen hat, und die meiften 
13 





— 178 — 


Große Opfer brachten zu demjelben Zwecke bis zum Anfange be 
19. Sahrhunderts einzelne Gutsherrſchaften und Territorialherr: 
(welche. Subventionen fpäterhin, als die Veränderung der öffent 
lichen Zuftände den bisherigen dynaſtiſchen Charafter des Abel: 
aufhob, freilich faft überall wieder aufhörten). An der Stelle dei 
armfeligen Hütten, die man Schulmeifterhäujer nannte, erſtanden 
allmählich hier und da würdige Schulhäufer, in denen der Lehre 
mit jeiner Samilie gehäbig wohnen und eine geräumige und ge 
junde Schulftube einrichten fonnte*). 

Mehr jedoch als hierin beurfundete fich die Energie, mit 
welcher ſich Das öffentliche Intereſſe dem Volksſchulweſen zugewen= 
det hatte, im literariſchen Gebiete. Mit jedem Jahre wuchs die 
Literatur über Schuleinrichtungen und deren Verbeßerungen immer 
maflenhafter an. Am meiften wirkte wol, durch Aufdedung alter 
Schäden und Vorführung ermunternder und belehrender Beiſpiele 
eines Beßeren, die biftoriographifhe und ftatiftiiche Xiteratur. 
Dahin find außer der Bejchreibung und Geſchichte der v. Rochow⸗ 
ſchen Schulen die Schulftatiftif von A. Ch. und Kr. Borheck 


Kinder von 5— 6 Jahren, die die Schule beſuchen, ohne Verſäumung der übrigen, 
binnen bier und Michaelis diefes Iahres zum Leſen bringt, und überhaupt ale 
Kinder von 5 — 8 Jahren fo weit fördert, daß fi) die Anzal der lefenden Kinder 
zu den übrigen verhält mwie 4 zu 5, und ihnen den unangenehmen, ländlichen, 
fingenden und fchreienden Ton beim Leſen abgewöhnt, — — bekommt im Intel 
ligenz-Comptoir 12 Thlr. ausbezalt”. — „Derjenige, der auf die zuverläßigfte Art 
darthut, daß er feine Schulkinder nicht eher zum Leſen laße, bis fie fertig budfte 
biren können, auch nicht eher nad) Vorſchriften fehreiben läft, bis fie die Grundftridt, 
Eilben, einzelne Worte und Zeilen gejhidt und gut nachfchreiben , befommt 
8 Thlr.“ — 

*) Der Oberbaucommiſſarius und Univerſitätsarchitect Borheck zu Göttingen 
befehreibt in feinem „Entwurf einer Anweifung für Landbaukunſt“ (Göttingen, 17%, 
6.166) das damalige Ideal eines Schulhauſes: „In gut angelegten Schul 
bäufern findet man im unteren Stodwerfe auf der einen Seite der Hausflur (Oehle) 
eine Wohnftube und Kammer für den Schulmeifter, und hinter diefen beiden Iim 
mern die Schulſtube; auf der anderen Seite aber eine Küche und Speiſekammet 
und Stallung für ein paar Kühe. Im zweiten Stodwert ift, über der unteren 
Wohnung, Stube und Kammer für einen Adjuncten, über der Schulftube eine Bor- 
rat6fammer und über der Küche und dem Kubftalle ein Yutterboden“. 


— 179 — 


1783, die Landſchulbibliothek, Berlin 1783, das Repertorium für 
die Pädagogit von Heyler und Hutten, 1781 ff., teilweije 
auch die Schulgefchichte Deutſchlands von Ruhkopf, 1794, u. 
um. zu rechnen. — Zur Verbreitung der neueren pädagogi- 
ihen Ideen waren vielerlei Schriften, namentlich die von Campe 
und Salzmann wirffam. Von Salzmannd Schriften find ins⸗ 
beiondere zu nennen „Konrad Kiefer oder Anweiſung zu einer 
vernünftigen Erziehung der Kinder” (1796), „Krebsbüdlein, 
Oder Anweifung zu einer unvernünftigen Erziehung der Kinder” und 
„Ameifenbüchlein oder Anweifung zu einer vernünftigen Er⸗ 
Hebung der Erzieher” (1806). Campes „Allgemeine Revifion des 
geſammten Schuls und Grziehungswefens von einer Gefellichaft 
praftiicher Erzieher“, (Braunfchweig, 1784— 1791, 14 BB.) 
balf, trog der laͤcherlichen Anmaßlichkeit ihres Auftretens, doch 
nicht wenig dazu, die von einzelnen tüchtigen Pädagogen entwidel- 
ten Ideen zum Gemeingut eines Teiled der Lehrerwelt zu machen, 
während Beders „Not= und Hülfsbüchlein” von allen Seiten 
ber als willkommenes Mittel, um Lehrer und Schüler mit den 
Nüglichften Kenntniſſen vertraut zu machen, begrüßt wurde. — 
Ueber Volksſchulen erfchienen Schriften von Lorenz (1788), 
Deyfe (1792), von der Red, Hein, über Toͤchterſchulen 
don Trefurt, Schläger, Biegenbain. Eine Methodik für 
Elementarſchulen lieferte Billaume in feinem „praftiichen Hands 
buch für Lehrer in Bürger, Land- und Soldatenjchulen” (1781). 
As Hilfsmittel zur literärifchen Bildung der Schulmeifter erjchie- 
nen Moſers „Zajchenbuch für deutſche Schulmeifter”, 1786 bis 
1797, der „Landſchullehrer“, die „Eleine Handbibliothek für Land⸗ 
Ichullehrer” von Magenau, 1799 ff., ber „deutſche Schulfreund“ 
don 9. ©. Zerrmaner, 1791 ff. — Die Bürgerfhule 
Wurde insbeſondere von %. ©. Refewig („Erziehung des Bürs 
gers zum Gebrauche des gefunden Verftande und zur gemein- 
nüßigen Gefjchäftigfeit”, 2. Auflage, Kopenhagen, 1776, und 
„Stagen, die bürgerliche Erziehung betreffend”, in des Verfaßers 
„Gedanken, Vorjchlägen und Wuͤuſchen“ ıc., 3. IL St.3. ©. 83 ff.) 
ins Yuge gefaft. Durch Reſewitz angeregt nahmen fich alsbald 
auch viele andere Pädagogen der Bürgerſchule an, namentlich 
| 12° 





— 180 — 


Horflig (Anweiſung für die Lehrer in Bürgerfähulen, Hannover 
1796), Beder (Ueber Bürgerjchulen, Gotha 1794), Gedide 
(Ueber den Begriff der Bürgerjchule, Berlin 1799), Natorp 
(Orundriß zur Organifation allgemeiner Stabdtfchulen, Duisburg 
und Eſſen 1804) und vor Allem Schmieder (in feiner Schrift: 
„Weber die Errichtung höherer Bürgerſchulen“, Berlin 1809). 
Unter denjenigen Schriften, welche fich über das Unterrichts 
wejen im weiteren Sinne verbreiteten, machte gegen das Ende des 
Jahrhunderts Feine jo viel Aufjehn, als der von dem Konfiftorial: 
rat Dr. Heinrih Stephani zu Kafjel herausgegebene „rund: 
riß der Staats-Erziehungswißenſchaft“ (Weißenfels 
und Leipzig 1797. 168 SS. in 8°.) Der geſchichtlich ent 
widelte und ausgeprägte Begriff der Volksſchule wurde hier gradeu 
auf den Kopf geftelt. Die Volksſchule folte ihre Wurzel nit 
in Der Kirche, fondern im Staate haben. Demgemäß wollte Ste 
phani das Erziehungdwejen in allen jeinen Stufen und Richtungen 
als Ein ſyſtematiſches Ganzes behandelt wißen, welches fchlechthin 
vom Intereſſe des vollfommenen Staates getragen jein 
jolte. Er verlangte eine umfaßende, durchgreifende „Erhebung 
der gejanmten öffentlichen Erziehung als eines hoͤchſt wichtigen 
Zweige der Staatdverwaltung zu einem eignen, durch zwei 
mäßige, über den ganzen Staat fich erftredende Organifationen 
etablirten Departement” (S. 42— 43). Stephani fagt in ber 
Vorrede: „Beßere Zeiten find nicht anders möglich, als wenn die 
Menjchen jelbft gebeßert werden. Was hilft e8 im Grunde, viel 
zur Verbeßerung des äußern phyſiſchen und politifchen Zuſtandes 
beigetragen zu haben, wenn ber innere Zuftand des Menfchen ſo 
beiehaffen ift, daß er den Reichtum an Mitteln nicht richtig zu 
Ihäben weiß, und ihn bloß zur Befriedigung unglüdlicyer Leiden: 
Ichaften verwendet? Daher jollten alle weifen Regierungen und 
wahren Menjchenfreunde fi vereinigen, um den Bweig det 
Staatöverwaltung, weldyer für Diefen innern Buftand des Mer 
chen zu forgen bat, — nemlich die Öffentliche Erziehung, — M 
gchöriger Vollkommenheit zu bringen. Bisher fehlte e8 an einem 
vom Begriff eined vollfommenen Staat? ausgehenden Syſtem bet 
Staat3- Erziehungsfunde, Nur wenige wißen bis jegt nur ef, 


— — 





— 1831 — 


nelhen Platz die öffentliche Erziehung in der Reihe der Anftalten 
annimmt, die ſaͤmmtlich zur Erwirkung des Staatszwecks Beizu- 
tagen haben. Man bat 518 jet noch Feine Theorie von dem, 
was der Staat in Abficht auf Erziehung zu leiften habe. Alles, 
mad der Staat bisher für diefelbe that oder gefchehen ließ, war 
niht Frucht einer planmäßigen, das Ganze umfaßenden Ueber: 
Igung, fondern dringender und einfeitiger guter Wuͤnſche“. 

Als unmittelbare Folge der beregten politifchen Unmißenheit 
fieht der Verfaßer den Umftand an, daß zur Zeit für biefen 
Zweig der Staatöverfaßung noch Feine eigenen, von andern Zwei⸗ 
gen ber Aominiftration abgefonderte Organe vorhanden waren. 
Vor allem eifert aber Stephani dagegen, daß die öffentliche Er⸗ 
ziehung und die unmittelbare Leitung des Schulwefend in den 
Händen der Geiftlichkeit Tiege, welche immer einen Staat im 
State bilden wolle, und in der Regel nur für ihren, mit den 
wahren Menfchenintereffen jo oft contraftirenden Zweck arbeite. 
Er ſchildert daher den verkehrten Zuftand der Unterrichtsanftalten 
fir die erfte Jugend, der Gymnaſien und Univerfitäten, rügt das 
Vernachlaͤßigen der Uebung im Denken und der Bildung des Her- 
gend; den übertriebenen Zeitaufwand bei Erlernung ber todten 
Sprachen auf Koften nupbarerer Kenntniffe fürs fittliche, mo⸗ 
talifhe und bürgerliche Leben, das Misverhältnis der bloß auf 
den Stand der Gelehrten eingefchränkten Bildung in den auf bie 
Elementarſchulen folgenden Lehranftalten mit gänzlicher Vernach⸗ 
laͤßigung aller übrigen ungleich zalreicheren Stände; dann (jagt er 
S. 13) giebt e8 — „eine fehr große Schule, wo man alles ler- 
nen kann, (daher Universität genannt) nur nit Morali- 
tät, praftifhen Bürgerfinn und die fünftig fo nd- 
tigen Amtsgeſchicklichkeiten“. Gr vermißt eben ba eine 
Grenzlinie zwiſchen dem akademiſchen und gumnaflaftifchen Unter- 
richt, weil beide Anftalten nicht nach Einem Plan berechnet find; 
vermißt ferner einen vom Staat entworfenen Plan der Erziehung 
für die einzelnen Klaſſen feiner fünftigen Beamten zum Xeitfaden 
für Studierende und Lehrer. Alles dies vermogte den Verfaßer, 
ben vorliegenden Grundriß zu entwerfen. Im Grundriß jelbft 
weil der Verfaßer der Volksſchule ihre Stellung jo an, daß er 


— 182 — 


im erften Teile von dem „Stoffe der öffentlichen Grziehur 
ipriht. Der erfte Teil handelt von der Erziehung des M 
hen, und zwar a) ald Menjchen und b) als Bürgers. 1 
zweite Teil des Grundrißes ftellt hierauf die „Form der öffe 
lichen Erziehung” dar. Hierbei werden die Schulen für Die © 
gend ald Elementarſchulen, Gewerbsjchulen und ftaat3beamtli 
oder Gelehrtens Schulen unterfhieden. Die Elementarſchulen 
len die erften Elemente der Menſchen- und Bürger - Erzieht 
überhaupt vermitteln. — 

In offizieller Weife wurde dieſe ganz neue Auffaßung 
Volksſchule zum erften Male in einer Relation des Oberconfil 
riums zu Berlin vom 18. Juli 1799 audgefprochen, worin grad 
zur „Bekaͤmpfung des nur zu ſehr verbreiteten Vorurteild” auf 
fordert wurde, „ald ob die Schulen zunäcdft eine Sache einzeli 
Religionsparteien wären und fein müften”. Denn es fei unle: 
bar, „daß die Schulen ald Anftitute des Staates u 
nicht als Anftalten einzelner Sonfeffionen zu betr 
ten” wären. Darum fei auch zu wünfchen, „daß in den Schu 
der Religionsunterricht blos auf die allgemeinen Wahrheiten 
Religion und auf die allen Firchlichen Parteien gemeinjchaftl 
Sittenlehre eingefchränft, Dagegen der jpezielle Confeſſionsunterr 
blos dem Prediger bei der Vorbereitung der Katechumenen ü! 
laßen werde”. 

Der Rationaliömus im weiteren Sinne des Worted war 
ber jeineö pofitiven Gegenfaßes zu dem Geifte, der Die Volksjd 
erzeugt und Bid dahin getragen und gepflegt hatte, fich wol 
wuft, gleihwol fid) der Volksfchule durch das Medium eines « 
feſſionslos gedachten Staates bemächtigen und dieſelbe als 
Eigentum behandeln wollte. Allerdings gelang dem rationaliftifi 
Geiſte dieſes ſeltſame DBeftreben faft nirgends; aber im Einzel 
gewann doch derjelbe auf die Ausbildung und Geſtaltung 
Volksſchulweſens einen jehr beträchtlichen Einfluß. Denn übe 
wo die Nachwirfungen des alten kirchlichen Geiftes nicht mehr «a 
reichten, um der Schule zu helfen, erhob fich ſofort der Geiſt 
Liberalismus, der Aufklärung, der allgemeinen Menſchenliebe 
der gemeinnüßigen Intereſſen, um teilweife durch freie Ber: 


— 183 — 


von fehr verfchiedenartiger Einrichtung, teilweife aber und ganz 
befonderd durcy dad Drgan der Freimaurer-Logen die Verforgung 
des Schulwefend in die Hand zu nehmen. 

Die Freimaurer:-Uniond-Loge zu Franffurt am Main errich- 
tete am 12. December 1801 ein Inſtitut zur Bildung, Erziehung 
nd Unterftügung der bedfirftigen Jugend. Der ganze Plan wurde 

| meiner noch in demſelben Jahre erfcheinenden Drudichrift darge⸗ 
At: „Beftimmungsgründe für die Errichtung einer Woltätigfeitds 

anſtalt“. In Wetzlar veranlafte das dringende Bedürfnid einer 

gründlihen Verbeßerung der Stabtjchule die Ernennung einer be- 
fonderen Ratsdeputation und ſodann den Bufammentritt einer ge- 
meinnüßigen Geſellſchaft, welche den 14. März 1799 von dem 
MR agiftrat beftätigt wurde und bie Erlaubnis erhielt, an der das 
Schulwefen und Erziehungsweſen leitenden Schulcommiſſion Teil 
tz nehmen. Die Gejellichaft umfafte 170 Mitglieder, welche Die 
Ausführung eined neuen Schulplanes mit Geld umd Rat zu unter: 
Türken ſuchten. Indeßen wäre die Geſellſchaft troß aller Opfer, 
Die von Einzelnen gebracht wurden, nicht zum Ziele gelangt, wenn 
richt die Freimaurer-Loge zu Wetzlar der neuen Erziehungsanſtalt 
Die Ginfünfte ihres Ordensfonds und die Benutzung ihres Logen- 
Baufes zur Mädchenfchule (zufammen ein Vermögen von mehr als 


>O00 fi.) überlaßen hätte. 
Sm Sahre 1801 ſchlug ein Pfarrer Giefeler zu Minden 


Dem Publicum feiner Provinz zur Verherrlihung des Säcularjah- 
resdie Stiftung eines Inſtitutes zur Fortbildung der Landichuls 
Lehrer vor, deſſen Plan hauptfächlich darauf hinausging, Leſebib⸗ 
Itothefen einzurichten und monatliche Conferenzen in Gang zu 
Bringen, in denen die neuerdings in Umlauf gefegten paͤdagogiſchen 
Ideen gehörig verarbeitet und Preisaufgaben zur alleinigen Con⸗ 
Turrenz der Lehrer ausgeſetzt wurden. Um die zur Ausführung 

iĩeſes Planes erforderlichen Ausgaben decken zu können, forderte 

ieſeler das Publicum auf, vorerſt auf drei Jahre Geldbeitraͤge 
su zeichnen. Allein der Erfolg, den dieſe Aufforderung hatte, war 
"an ſo geringer, DaB der ganze Plan ficherlich unausgeführt ge- 
»lieben wäre, wenn ſich nicht die Freimaurerlogen deſſelben ange⸗ 
ommen haͤtten. Durch Unterſtützung derſelben wurde der Fonds 


— 14 — 


im erften Sabre auf 150 Rthlr. gebradht, fo daß alsbald ı 
Bibliothek von 100 Bänden angeſchafft werden Eonnte. 

Es war der inneren Entwidlung der Volfsfchule nicht | 
derlich, daß von da an zwei in unausföhnbarem Gegenſatze einan 
gegenüberftehende Prinzipien, nemlich daS des Firchlichen Chrift 
tums und des antikirchlichen, ja antichriftlichen Liberalismus ü 
den Beftg der Schule mit einander rangen, indem jener oft 
einer den Begriff der Bildung gradezu ausfchließenden Bornirtl 
feftbalten wollte, was fein gejchichtliche® und genetifches , fo 
wejentliche8 Eigentum war, während diefer Die Volksſchule gra 
zu von ihren Lebenswurzeln loszureißen juchte, um vor Allem | 
die Unabhängigkeit alle8 geiftigen Lebens und aller geiftigen 2 
dung von der Macht des gefchichtlichen Chriſtentums zu verfün 
und fihher zu ftellen. Lange Zeit war daher grade die Volksſch 
Dazu verurteilt, fich zum Gegenftande experimentaler Dperatio 
bed einen oder anderen Prinzips verurteilt zu fehn. 


$. 18, 
Die Entwicklung der Kehrmethode in der Volksſchule im Allgemeinen. 


Ueberbliden wir Die gefchichtliche Entwidlung der Volksſch 
während des achtzehnten Jahrhunderts in methodologifcher Hinfi 
jo ergiebt fich, Daß dieſelbe das Beſte, was fie bis dahin gew 
nen hatte, dem edlen Rochow verdanfte, und daß grade bi 
ihn der Uebergang in die folgende (Peſtalozziſche) Periode vo: 
reitet war. Rochow ging, wie wir bereit fahen, durchweg ' 
dem Grundfag aus: „Suche Kinder zuerft mit gemeinen, ihnen 
die Sinne fallenden Dinge befannt zu machen und fie dari 
auf eine angenehme Art zu unterhalten; Iehre fie Vieles anfcha 
und darauf merfen, das fich ihnen Darbietende richtig wahrzur 
men und richtig anzugeben. Verbeßere dabei ihre Spradhe, ı 
teile ihnen überhaupt fo viele Kenntniffe mit, als fie jeßt brauche 
Dur diefen Grundfaß wurde das unterfte Fundament der Sch 
ein anderes. Denn der Schulunterricht begann nun nicht m 
mit der Buchftabirclaffe, fondern mit einer Klaſſe, welche vor I 
jelben und überhaupt vor dem Lernen im bisherigen ſchulmaͤßi 





— 15 — 


Sinne des Wortes herging, und wurde fomit von vornherein nas 
türlih und naturwüchfig angelegt. Es waren biermit ſchon bie- 
ſelben Wege gebahnt, Die fpäter von Peftalogzi gewiefen wurden ®). 
Während Haͤhns und Felbigers Methode nur ein zwar 
wolgemeinter aber mißlungener Verſuch einer zwedhnäßigen Ein- 
richtung des Unterricht war, ftellt fih Daher Rochows Lehrmethode 
als ein wirklicher und wefentlicher Kortfchritt der Volksſchulpaͤda⸗ 
gogit dar. Denn der Mechanismus, den Hahn und Felbiger 
durh das Zufammenfprehen und Xabellarifiren in das Lehren 
und Lernen hineinbradhten, konnte ſich zwar für eine Schulceform, 
die für ganze Maſſen von Gemeinden und für große Territorien, 
in denen ein georbnetes Schulmefen gewißermaßen aus Nichts auf 
Sommando gefchaffen werben follte, jcheinbar empfehlen, vermochte 
füch aber eben fowenig auf die Dauer zu halten, als fie zur Ausbil 
Daang einer zwedimäßigen Methode Mittel und Wege an die Hand 
geben konnte, — weil fie auf gänzliher Verkennung des zu un⸗ 
texrihtenden Objects (nemlih des Kindes,) und ebenfo auf 
Sänliher Verkennung der Grundlagen (nemlidy des dem Kinde 
Us folhem bereit8 angehörenden Wißens) berubte, auf 
wm>elhe der Schulunterricht und die gefammte Ausbildung des Kins 
Des aufgebaut werden muß. Die Hähn-Felbigerfche Methode war 
Tau der Idee verfehlt, weil fie nur darauf berechnet war, alle 
Erkenntniſſe dem Kinde mechaniſch und wie durch Eintrich—⸗ 
€ rung beizubringen; Rochows Methode dagegen, mochte fie im 
einzelnen von Rochow felbft noch fo fehlerhaft oder mit fremdar⸗ 
Ton Beimiſchung entwidelt fein, war in der Idee richtig und Hat 
Darım, weil in ihr ein wefentlicher Kortfchritt in der Entwicklung 
Der Erziehungsidee vorlag, bleibenden Wert und unvergängliche 
Bedeutung, fo daß ber Paͤdagog noch jetzt von Rochow Iernen 
kann. Denn Rochow behandelte 1) das Kind richtig als Mens 
den, dem die Kenntniffe nicht von Außen her eingetrichtert, "in 
— — — 
7) Wenn nemlich Riemann in feiner Beſchreibung der Reckanſchen Schul⸗ 
einrichtung zu dem oben mitgeteilten Grundfag Rochows in Varentheſe hinzu ſeßt: 
»Bange mit den Bliedern ihres Körpers an“, fo war hiermit daffelbe gejagt, was 
zzi dreißig Jahre fpäter den Müttern anempfahl. 


— 186 — 


welchem fie vielmehr erzeugt werben müßen; er betrachtet: 
finnlihde Wahrnehmung richtig als das, woran die geifti 
ſchauung, die Uebung im Denken, im Urteilen angefnüpft 
müße und er würdigte 3) das religiöfe Intereſſe richtig < 
eigentlihen Schwerpunkt des Volksſchulunterrichtes. Rocho 
alfo den Gedanfen, daß der Unterricht weſentlich Erziehu 
müße, ficher erfaft. Diejes erhellt namentlich aus dem, waß | 
über fein deal einer rechten Volksſchuleinrichtung ausſprach 
jelbe Dachte fih nemlih Rochow fo, daß Die Lehrer „bie 
jugend in Feld und Wald führten, fie bei nüßlicher Beruf 
richtig denken lehrten, und durch die Natur anfänglich fta: 
Bücher, und bei Gelegenheit alles Sichtbaren, was in ihrem 
Magazin unentgeldlich zu finden tft, — recht hören, vecht 
aufmerfen, beobachten, vergleichen, unterfcheiden, — Dann u 
rüd- und vorwärts fchließen, fie lehrten 2c., bis endlich d 
danke fich gleihfam aufdringe: Gott ift der Ewige, M 
Weiſe! Alles Leben iſt von ihm, — und eben ift die 
Woltat. — Er liebt alfo feine Geſchöpfe. — Auch uns Mi 
— denn au wir leben, — leben durch Ihn! Laſt uns al 
Iteben, der uns zuerft geliebt Hat! — Sein Auffehen bi 
unferen Odem. — Auch unjre Freuden an feiner ſchoͤne 
bat Er veranftaltet, — unfre Sinne für Genuß geftim 
Kurz, Er ift höchſt gut, und ift nicht genug zu Tieben 
Ioben. — Wen man aber liebt, dem möchte man gern gefa 
Ah! wie gefallen wir doch dem lieben, guten Gott ꝛc.“ — ! 
hoffte, daß die Kinder, wenn fie fo geführt würden, nad ı 
Jahren „auch Bücherunterriht und Die ganze conventionelle 
maſſe mit minderer Gefahr der Verkrüppelung Ihrer Seelen er. 
würden. Wenigftens würden fie „erftaunlic, viel Realitäten den 
entgegenbringen”. Indeſſen ſah Rochow recht wol ein, daß 
den Lehrkräften, die ihm zu Gebote ftanden, dieſes fein Ide 
verwirklichen Eonnte, und beſchraͤnkte ſich Deshalb darauf, eine 
einrichtung zu fchaffen, in welcher die Kinder wenigftend d 
lernen konnten *). 





) Vgl. Roch ows „Geſchichte meiner Schulen” (Schleswig, 1795) ©. 


— 1897 — 


Es war gut, daß ſich Rochow nicht in dem Vorſatz verhär- 
tete, bad, was er ſich als das Ideal eines wahren Unterrichts > 
yſtens dachte, allen demſelben entgegenftehenden Hindernifen zum 
Zrope ausführen zu wollen. Denn alle Erfolge, zu denen Rochow 
gelangte, erzielte derfelbe nur Dadurch, daß er nur dad Erreich⸗ 
bare und Mögliche zu verwirklichen fuchte. Nur durch dieſe Seldft- 

befhränktung wurde Rochow zu einem ber Väter des Volksſchul⸗ 
weiend und zu einem der ftärfften Träger der Entwidelung der 
Erziehungsidee. Aber eben darum lag e8 in ber Natur der Sache, 
Daf Rochows Wirkſamkeit feine in ſich abgefchloßne, fertige fein 
Eomnte, daß diefelbe vielmehr notwendig eine Vorbereitung eines 
TDenleren Erziehungswefend und eine Weißagung auf die Zukunft 
Deieben fein mufte. Ä 
Nah Rochows Syſtem war der Unterricht faſt ausfchließ- 
Lach auf die Bildung des Verftandes und der Sprade be 
wedne. Deshalb war bei der Unterweifung nicht allein die fo- 
E atiſch⸗katecheſirende Methode eingeführt, fondern e8 waren aud) 
W erſtandes⸗ und Denkübungen als befonbere Lection in den Lehre 
P Lan aufgenommen. Der Plan, wonach dieſe Hebungen in fort 
V Hreitender Stufenfolge methodiſch zu erteilen wären, war indeffen 
D>aon Rohom nicht gezeigt worden. — Die Spradhe betrachteten 
DE how und deflen Anhänger ald „das Heiligtum der Gedanken 
azeıd des Gedachten.“ Denn „vermittelt der Sprache denken wir; 
ar die Wörter der Sprache knüpfen wir unfre Begriffe, unfre 
E inſichten, unfre Kenntniffe.” Darum wied Rochow dem Sprach—⸗ 
aanıteriht im Lectionsplan eine vorzügliche Stelle an. Die Lehrer 
warfen den Kindern viele Wörter erklären, das Erflärte ihnen 
wieder abfragen, fie durch Socratifiren zum Sprechen bringen, fie 
mit den Grundregeln ber Grammatif bekannt maden u. |. f. — 
Die Form des Unterrichtö betreffend, verbannte Rochow die (fpä- 
terdin von Peftalogzi erneuerte und veredelte) Methode des Vors 
ſprechens nnd taktmaͤßigen Nachſprechens im gehörigen Ton, und 
führte flatt deren Die fofratijch »Fatechefirende Methode ein, Die 
jedoch das Uebel hatte, daß ſie einerſeits zu leicht zu einem weit⸗ 
ſchweifigen Gefrage führte, und andrerſeits einen Teil der Schü⸗ 
ler zu leicht ganz unbeſchaͤftigt ließ. — Der Unterricht in der 





— 18 — 


Kormenlehre fehlte in Rochows Lehrſyſtem ganz, und für den Un- 

terricht in der Mufif vermochte Rochow nur wenig zu thun. Ro: 
how fand in den Volföfchulen faft durchgängig nur ein ſchreiendes 
Herleiern der Kirchengeſäuge vor. Wie ein wahrer Kirchengeſang 
in der Schule heimifch zu machen fei, war ihm indeflen nicht Klar. 
Er beſchraͤnkte fich Darauf, Die Choralmelodicn mit weniger 
Geſchrei fingen zu laßen und zur Beförderung eined beßern 
Volksgeſanges das Singen leichter Arien und Wechfelgefänge in 
den Schulen einzuführen. Von einer methodiichen Bildung der 
Singorgane und des Tond und von einem methodifhen Stufen: 
gang des Unterrichts war nicht die Rede. 

Große Verdienfte erwarb fi Rochow dadurch, daß er deu 
Grundſatz verfündete und zur Geltung brachte, der Unterrichtsftoff 
müße aus dem reife der Kinderwelt entlehnt und auf eine dem 
Charakter und dem Naturell der Kinderwelt angemeßene Weiſe 
behandelt werden. Aber auch hier unterließ e8 Rochow, auf einen 
nad pſychologiſchen Grundſätzen beftimmten angemeßenen Stufen« 
gang des Unterrichts einzugehn. In feinem Kinderfreund, der als 
das erſte Schulbuch Diefer Art erjchien und unzälige Nachbildungen 
hervorrief, ift ein Vorrat von nuͤtzlichen Materialien, die mit einem 
Herzen voll Liebe zur Jugend 'gefammelt find ; aber die Darftel- 
lung eine auf beftimmt abgegrenzte Lehrkurſe gegründeten Lehr: 
planes finden wir nicht.) — Was Rochow begonnen hatte, 
follte wenige Decennten fpäter ein Anderer weiter führen. 


6. 14. 
Die Entwicklung der Lehr - und Erziehungsmethode im Einzelnen. 
A. Der Lejeunterricht. 


I23444N4 16646 


Als die zweite Periode des deutſchen VolksſchulweſenS- be 
gann, waren in Betreff der Erteilung des Unterrichts im ieſen 
die drei Methoden des Buchſtabirens, des Sillabirens (inder — ſich 


*) Rach Ratorps Briefwechſel B. J. ©, 40 ff. 


ia 


— 189 — 


das Sillabiren vom Lautiren ebenfo unterſchied, wie das Bud 
Rabiren,) und des Lautirens bereitd befannt. Herrichend war das 
Iuhftabirende und filabirende Verfahren, weil daſſelbe der Geiſtlo⸗ 
figfeit des damaligen Schulunterrichtd am meiften eutſprach. Von 
dem Buchftabiren unterjchied man dabei noch das eigentliche Buch» 
Raben ober das Grlernen der Lautzeihen. Da wo man Die 
Sache möglihft gründlich und geiflig behandeln wollte, fuchte man 
gewöhnlich den Kindern begreiflich zu machen, wie der „Urftoff“ 
Des Buchftabens der Punft ſei, wie aus ihm die grade Linie hers 
vorgehe, an welde fi) Dann verfchiedene Krümmungen, Schnörkel 
12. drgl. anjeßen und fo Die verjchiebenen Buchftabengeftalten ers 
geben. Nachdem fodann aud die Namen der einzelnen Buchftaben 
gehörig eingeübt waren (dad „Buchſtaben“), wurde zum eigents 
Lichen Budjftabiren und Sillabiren vorgejchritten. 

Gleichwol war das Verfehrte dieſes Verfahrens jederzeit von 
Einzelnen erfannt, und es fehlte daher nie an vielfachen Verjuchen, 
Die Buchſtabirmethode durch eine andere beßere Lehr⸗ und Leſeart 
ar erſetzen. 

„Mit vielem Eifer, wenn gleich in großer Breite mit Witz 
und Geſchmack feiner Beit” trat gegen dieſelbe zuerft Joh. Goſtt⸗ 
Tried Beidler*) auf. **) Beidler verfafte ein „Neu verbeßerteg, 
vollommenes ABCbuch oder Schlüßel zur Lejetunft; nad na» 
t ürliher Ordnung der Buchſtaben alfo eingerichtet, daß 
Darinnen allerlei Art Silben, wie man fie nur erbenfen kann, 
vorkommen, und jedwede Art in ihrer eigenen Klaffe anzutreffen, 
Daß ein Menſch, er fei jung oder alt, wenn er nur die Bud 
—_ ln 





*) Beidler, der auch als Satyriker befannt ift, war geboren in der Braf- 
ſWaft Mansfeld, ſtudirte in Jena Theologie, hielt in Leipzig Privatvorleſungen 
Aber Mathematit, wurde feines Vaters Rachfolger im Predigtamte, legte dieſes 
18dog, ‚ nachdem er es 21 Jahre verwaltet hatte, nieder und ging nad Halle, wo 
er m feinen alten Tagen als Auctionator lebte und 1711 farb. 


fü **) Rad) dem fehr Iehrreihen Auffag: „Verſuch einer Darftellung deffen, mas 

E die Methode des Kefenlernens in Volksſchulen, befonders jeit der Reformation 

15 ders geihehen iſt“ in Karftenfens Beitfchrift für das Volksſchulweſen, Kiel 
SIE, B 1 


— 1% — 


ftaben Eennt, ohne alle Unterweijung, auch ohne alles mühjeligng. 
und langweilige Buchftabiren, von fich felbft in wenigen Tagen 
Alles, es ſei jo ſchwer ald ed wolle, fertig lefen könne. Halle 1700 “ 
(2 BB. 12). Gegen das übliche Buchftabiren wendet 3. eize: 
„Wozu dients, daß man die Buchflaben (die vocales auögenorzz- 
men) mit Namen nennt? Kann ich denn mit feinem Menſchen 
umgeben, handeln und wandeln, ich muß denn wißen, wie fie 
alle heißen? Ich Fenne ja einen Fuhrmann au der Peitſche, einen 
Schneider an der Scheere, einen Schmidt am Hammer, und Darf 
nicht erft fragen, ob er Oswald, Meifter Görge oder Meifter 
Michel heiße.” — Die Namen der Buchftaben machen die Kinder 
im Buchſtabiren nur irre; denn etliche haben den vocalem vorn, 
ald: em, er, eß, ix; andre aber ihn hinten, ald: be, ce, De, 
ge, ba, fa, pe, Eu, te, we. — — Und warum jagt man nicht 
ba, da, wie man jagt fa? Sind denn die andern Buchſta Ben 
nicht fo gut, weil fie den erften vocalem nicht haben? — Wenn 
ed nun zum Buchftabiren fommt, fo müßen die Kinder Die vo 
cales bald vorn, bald Hinten wegnehmen und abftrahiren, 19 
ihnen viel Arbeit und Verwirrung macht. Iſt es denn m ücht 
beßer, daß ich dasjenige, wo ich allegeit wegnehmen muß, fi=#8° 
im Unfange weglaße und mir die Buchftaben ohne vocals iv 
Bilde, 3. B. 9. wie einen Hauch? oder, wenn fie ja ein wen 
Namen haben follen, fie alle auf Eine Manier taufe, oder met 
fie bald vorn, bald Hinten in der Silbe ftehen, jedem Buhfta> €" 
zwei Namen gebe: ba, und ab, fa und af, da und ad x. u. — 
— Iſt alfo nicht nötig, daß der Buchflabe b, be heift, denn © 
beift ja wicht allenthalben be, fondern oft ba, bo, bi, ab, e! 
u. drgl., nad dem er vocales vor oder hinter ſich Hat. —— 
Conſonanten find ſtumme Bnchſtaben, und nichts mehr, die me“ 
gar nicht nennen foll von Rechtöwegen; es wird aud einem Lin - 
nichts jchaden, wenn es feine Lebtage die Conſonantes nicht hr ul 
nennen hören. Iſt Zeit genug ſie zu nennen, wenn man fchreibe > 
lernt, oder in der Druderei u. drgl. — Summa: Die Conſ⸗ € 
nanten follen mit feinem andern vocali lauten unterm Lejen, al * 
der Dabei fteht, jonft kömmts ebenfo heraus, ald wenn ich einer: 8 - 
zutrinfe und es einem andern gebe. — Das Budhftabiren ift ar ⸗ 


— 191 — 


m ſelbſt albern und unnötig; das Leſen iſt ein geſchwindes Werk, 
3 Buchſtabiren aber — eine ‚langweilige Lauſerei, und kommt 
enſo heraus, als wenn ich wollte mit einem um die Wette 
fen, und unterwegs alle Steinchen und Scherbchen aufheben; 
8 würde ein jeltfamer Lauf fein. — — Sm Bucdftabiren muß 
ın mehr hinwegwerfen ald man behält. Die Kinder müßen bie 
cales, die zur Silbe nicht gehören, alle mitnennen, was fte irre 
hen kann, Daß fie jo viele Silben nennen müßen, ald fie in 
wer Silbe Buchftaben haben“. — Zeidler dachte fich alfo die Laute 
e Sonfonanten als ſolche, wollte fie jedoch von dem Schüler 
mer in genauer Verbindung mit dem jedesmaligen Vocale zus 
nmengedacht wißen. Ueber die Zufammenfeßung der duch Buchs 
ben bezeichneten Laute zu einem Worte äußert fih 3. fo: „Nun 
e helfen wir denn dem Unglüd ab? Sch muß Doc fragen: Wie 
ihens die Spieler, wenn fie mit den Würfeln geworfen, oder 
er ein Kartenblatt audgefchlagen, oder einen Haufen Kegel ges 
ßen, zälen fie erft langweilig, oder überjehen fie es flugs mit. 
nem Blick? Die Würfel, Karten oder Kegel können kaum nieder⸗ 
Ten, fo ift das Wort heraus , wie viel es iſt. Nun, 1 machet 
auch mit den Buchftaben, wie ihr fprehet : :: 9. — :: 8, 
jagt auch Ba, ab u. ſ. w. Ihr fagt ja nicht 4 und 5 find 
‚6 und 2 find 8, jondern ihr ſehts nur an und fprechts gleid) 
ö, ohne alles Buchftabiren. Das Auge ift allezeit geſchwinder, 
8 die Zunge, und ich kann ja eher neun Buchftaben in Einem 
lid jehen, als neun Silben nad einander berbeten und hintens 
ıh erft Eine daraus machen”. — In feinem ABCbuch ftellt 2. 
ne Menge von Silben auf, und äußert ſich in dieſer Nüdjicht 
ser die Damals gewöhnlichen Fibeln jo: „So iſts ein albern 
ing, daß in den gemeinen ABCbüchern nur die leichteften Silben 
ehn und aljo ein Kind daraus nimmermehr die ſchweren kann 
ihftabiren lernen, weil fie darin gar nicht vorkommen, fondern 
müßen fie erjt in andern Büchern fuchen. Das geht daun fo 
per zu, ald wenn ich Einen auf der Leipziger Mefje unter fo 
lem Volke oder in ganz Europa ſuchen folte. Denn es ift 
zewiß, ob eine und die andere Schwere Silbe in etlichen Jahren 
> in vielen Büchern ihnen einmal ins Geſicht kommt; daß alfo 


— 192 — 


ein Menſch, wenn er dad ABCbuch, den Katechismus, dad Evar 
gelienbuch, den Pfalter und dad Neue Teftament in Schulen dDurd 
gehämpelt, noch lange nicht jagen oder gewiß wißen kann, Da 
er allerlei jchwere Silben buchftabirt oder gelefen hat, und mu 
feine Lebtage zweifeln, ob er recht leſen könne, oder nicht, we 
ihm nicht Alles vorgekommen.“ 

Ueber die Stufenfolge der Silben bemerkt 3. Folgendes 
„Wird indgemein Feine Ordnung gehalten. Denn die Kinde 
jollen die Silben leſen, wie fie nadeinander in den Bücher 
ſtehn. Nun kommen oft die jchweren Silben eher vor als b 
leichten, und follen die armen Kinder das fchwere Zeug mit ©: 
walt lernen, ehe fie das Leichte begriffen haben. Sie jollen ba 
Meiſterſtück machen, ehe fie Lehrjungen geworden find, welches eber 
jo viel ift, als wenn ich eine Leiter hinauffteigen wollte, un 
flugs von der Erde auf die fünfte oder jechste Sprofje hinau 
zubüpfen mich bemühte, ehe ich auf die andre und dritte gefomme 
wäre." — Freilich wufte Z., daß die Reform des Leſeunterricht 
ebenjo jchwierig und gefährlich als hochnötig war; er fagt: „G 
ift eine gemeine Art zu reden, wenn man einen Klügling bejchre 
ben will, Daß man fagt: er will die ABCbücher refor 
miren; womit jo viel zu verftehen gegeben wird, es verlobt 
fi) entweder nit die Mühe, die ABCbücher zu verbeßern, ode 
fie brauchen feine Reformation. — Sind fie denn jo wichtig, w 
fommt3 denn, Daß fo viele Taufende, die doch alle in die Schul 
gegangen, die ABCbücher vom Anfange bis zum Ende lange Ze 
durchgegangen und ganz abgenugt, entweber gar nicht ober nid 
vecht Iefen gelernt. Man halte nur Umfrage, jo wird man b 
finden, Daß zwar Viele ſich Leſens berühmen, aber wenns zı 
Probe kommt, nicht mehr lefen können, als mit großer Not „ei 
Evangelium” (wie fie reden), fo fie ohnedem faft „auswendi 
koͤnnen.“ — „Ihr Herrn Schullehrer, ich fehe wol, ihr werd 
euern clericalifchen Eifer darin beweifen, daß ihr mir verarge 
ih babe Gottes Wort vergeßen. Aber ih babe eö m 
Fleiß gethan; denn Gottes Wort ift zu heilig Dazu, DaB es fü 
jol laßen mit Griffeln zerftechen und zermartern.” 

Außer Beidler traten übrigens gleichzeitig oder bald nachh 





— 193 — 


auch Andre auf, welche gegen die Buchftabirmethode eiferten und 
die Lautmethode empfahlen. Es ift bier namentlich, eine Schrift 
anzuziehen, welche i. J. 1712 unter dem Titel erfchien: „Erneuerte 
Leſekunſt, oder deutlicher und auf gewißer Erfahrung gegründeter 
Unterriht, wie man ohne alled gewöhnliche, langweilige, müh—⸗ 
felige und unvollfommene Buchſtabiren aufs allerleichtefte, geſchwin⸗ 
dee und vollfommenfte die Jugend zum Deutfchlefen anführen 
m. Dazu gehört ein a part in Octavo gebrudtes „verbeßertes 
186 - und Lejebüchlein. Weißenfeld, in Commiſſion bei dem all- 
dafigen Hofbuchdruder Joh. Ehriftoph Brühle, 1712” (27 SE. in 4.) 
Der ungenannte Verfaßer dieſer Schrift erzält, daß er feine Mes 
thode einem gelehrten Manne verdanke, deſſen Finder er habe 
unterrichten follen. Außerdem gedenft er eines Schulmannes, 
Seybold, der fie ausgeübt habe, und beruft fi) daneben auf bie 
„monatlichen Unterredungen vom Jahre 1693.” Nachdem er „von 
der erbärmlichen Einfalt, großen Langwierigkeit, ſchrecklichen Müh- 
feligfeit und handgreiflihen Unvollfommenheit des gemeinen Buch⸗ 
ſtabirens und Leſens“ gefprochen hat, bemerkt er ganz richtig, daß 
man bisher auf den dreifachen Unterſchied, die Kigur, den 
Ramen und die Kraft oder Beltung (valor) des Buchftabens 
feine Rücficht genommen habe. Er teilt die Buchftaben in einfache 
und zuſammengeſetzte ein. Bu den letzteren gehört z. B. ft, das 
den Stillfchweigen gebietenden Laut ausdrückt. Die einfachen find 
entweder Laute (vocales) oder Mitlauter (consonantes). Dieſe 
lepteren teilt er ein in ganz ffumme, wozu b, c,d, f, 9, &, 
dp, t, j und w gehören, und in Halblaute, die auch ohne 
Vocal hörbar find, nemlich U’, m’ (Brummlaut), w, vr’ (Hunde 
laut), ° (Zifchlaut). Bei den Mitlautern, insbeſondere bei den 
ganz ſtummen, rät er dem Kinde auf den Mund des Lehrers acht 
zu geben, Damit es jehe, wie der Mund gebildet werde. Auch 
ſucht er die Bildung der Laute durch die Sprachwerkzeuge zu bes 
Ihreiben, was ihm indefjen nicht recht gelingt. Der Unterricht 
im Leſen foll nach feiner Meinung mit den Vocalen beginnen, von 
denen das Kind täglich höchftens zwei bis drei nachiprechen lernen 
ſoll. Wenn es auf dieſe Weiſe fie alle Eennen gelernt bat, fol 
8 fieerft wiederholen und mit einem Mitlauter verjehen. Jedem 
13 


— 194 — 


Buchſtaben hat er in dem ABE- und Lefeblichlein ein kleines un 
zwar ganz einfaches Bild beifügen laßen. Zum Buchftaben Az. 2 
ift ein Apfel abgebildet, zum D ein Obr, zum U eine Uhr, zun 
B ein Baum, zum 8 ein Licht, zu Sch eine Scheer. Daran 
folgen Silben von zwei=, dann von drei⸗, vier= und mehrfilbige: 
Wörtern. Hierauf folgen Die Buchftaben, weldhe anders gelejei 
werden, als fie von Haus aus lauten; fodann Wörter, Die einen 
großen Anfangsbuchftaben haben und endlich Sprüche zur Uebung 
im Lefen, fowie gefchriebene Buchflaben. „Ach Gott vergebe es 
denen Schulmeiftern,, die es beßer wißen und madyen Fönnen und 
doch nichts thun! Wozu noch weiter auf den Frummen und holpe 
richten Wegen des Buchftabirend gar lange und mühjelig und 
doch faft vergeblih die armen Kinder berumfchleppen? — — 
Die Namen der Buchftaben find nicht um des Leſens wegen, 
fondern um der Bezeihnung willen, 3. E. ein Eff ode 
Bau zu Schreiben. Darum mufte man den Stummen — 
Namen geben!” 

Wie es fcheint, wurden die Erinnerungen der Genanuten 
wenig beachtet und waren bald ganz vergeßen. Dagegen hatten 
die Bemühungen eined Prebigerd Ernft Bogislaus Venzky a 
Berlin einen jo glüdlihen Erfolg, daß derfelbe fpäterhin geradezu 
ald der eigentliche Begründer der Lautmethode angejehen wurde. 
Venzky trug Diefelbe zuerft iu einer Schrift vor, welche 1721 unter 
dem Titel erfchien: „Erleichtertes Lefebüchlein, darinnen gezeigt 
wird, wie man einem das Lejen ohne lauted Ausſprechen der 
ftummen Buchſtaben und ohne Buchftabiren leicht und bald bei 
bringen könne.“ Wie Venzky dazu gekommen war, bdiefer Lehr 
methode „unter herzlichem Gebet” naczufpüren, und wie er ſie 
hernach „durch Gottes Gnade” gefunden habe, erzält derſelbe in 
einem Brief an den eifrigen Schulmann 3. J. Heder: „Dad 
erleichterte Lejebüchlein habe ich durch Gottes Gnade erfunden, 
als ich Rector der Stadtjchule zu Barby und zugleich Paftor zu 
Wespan, dem böhmifchen Dorfe bei Barby war, Die Geleger 
heit dazu gab mir der im Buchftabiren unerfahrene Schulhaltet 
des Orts, ber die Jugend in etlichen Jahren nicht zum Leſen 
Bringen konnte. Das ging mir fehr nahe, und weil ich in Halt 





— 19 — 


gelejen hatte, daB man ohne Buchitabiren koͤnnte leſen Iernen, 
boch nicht Da8 Quomodo, jondern nur einen Haufen Silben fand, 
jo fing ich an, unter herzlichem Gebet auf das Quomodo zu me- 
bitiren.. Es ward mir bald offenbar: nemlich nur die vocales 
zu behalten, das Laute von Den Consonantibus wegzulaßen und 
alddann ſolche ſtumm und geichwind an die Vocales zu ftoßen. 
Den Gelehrten war die Methode ganz begreiflih. Nur möchte 
noch nachgedacht werben, wie fie einfältige Schulmeifter vom Pa⸗ 
pier ohne mündlichen Unterricht verftehen fönnten. Und das 
foftete Nachſinnen und Erfahrung. Sch ſchickte den Auffag an 
elihe Gelehrte; einige billigten, einige tabelten ihn. Dennoch 
fahr ich fort, nicht nur in der Lieberlegung und Nachfinnen, ſon⸗ 
dern übte auch den Auffaß an den Meinigen, die wunderbald zum 
Leſen ohne Buchftabiren kamen, Friegte auch einen jungen doch 
erwachſenen Menfchen, der nie einen Buchftaben gefehen, in zwölf 
Stunden zum Begriff. Ich communizirte das Werk ferner den 
Gelehrten , ließ es darnach einen Schulfnaben von vierzehn Jahren, 
' ab einen Handwerksgeſellen, Iejen; und da dieſe Alles vom 
Papier begriffen, mir die Meinung fagten und die Buchflaben 
ohne Laut, doch daß mans hören und vernehmen konnte, anzu⸗ 
geben wuften, jo ließ ich das Werkchen erftlich in Magdeburg auf 
Meine eignen Koften dDruden, welche Exemplaria ich unter Gelehrte 
Berumfchidte, welches, ni fallor, 1721 war. Etwa ein Jahr 
darnach machte ich es für Lehrende deutlicher und gab es Herrn 
Walther in Leipzig, der es in Erfurt druden ließ. Ich habe dieſe 
Methode zu lefen bei Herrn Infpector Wegners Zeit in der großen 
Waiſenhausſchule zu Potsdam, als ich nach meines fel. Vetters, 
Derm Butovii , Tode dajelbft gegenwärtig war, zeigen müßen; 
weiß nicht, ob fie ſchon in Potsdam geübt werde ıc. ıc.” 

Der Oberconfiftorialrat Heder Hatte fih nemlih für 
Venzky's Methode alsbald ganz entjchieden erklärt, weshalb Die- 
\elbe 1725 in dem großen Waifenhaufe zu Potsdam eingeführt 
und zwölf Jahre lang mit folchem Erfolge getrieben wurde, daß 
Fähige Kinder innerhalb zweier Monate Iejen Iernten. 


In einem Schulprogramme vom 7. April 1750, welches 
13* 


— 196 — 


Heder über die Frage fehrieb: „Ob das Buchflabiren zum 
Lefenlernen nötig fei,” *) ftellte derſelbe die neue Lehrmethode 
jo dar: 

„Sn der Venzkyſchen Methode wird die Sache am aller 
leichteften angefangen und nichts von den Kindern gefordert, wozu 
nicht vorher richtige principia gefaft worden find. Man lern 
nach derjelben erft die fünf lauten Buchftaben a, e, i,o,n Die 
ſtummen Buchftaben werden bier ftumm tractirt, jo lange fie aleiwy 
und ohne einen von den lauten Buchftaben ſtehn. Man neunt te 
aber ftumm nicht Deswegen, weil man gar nichts davon n der 
Ausiprache vernehmen kann, fondern weil man ihnen blog den 
Laut in der Ausfprache gibt, welchen fie für fich haben, um® 
auch wol ein fftummer Menſch anzeigen oder angebe n 
fann, wenn er entweber Die Zunge oder die Lippen in Bewegurug 
feßt. WIN man nun wißen, wie man ed anzufangen, daß mann 
den eigentlichen Laut der ſtummen Buchftaben herausbringe, ſo 
darf man nur ein Wort deutlich fagen, welches fih aufden 
Buhftaben endigt, den man amzeigen will. Alddann wird 
man bald finden, daß ſolches nicht nur möglich, fondern auch 
leicht fei. Sch feße, man verlangt den eigentlichen Laut des Buch 
ftabens b zu hören, fo muß man ein Wort nennen, welches ſich 
auf ein b endigt, 3. B. Grab oder Stab, und genau merfen, 
was in dem Worte für das b übrig bleibt, wenn die drei erſten 
Buchſtaben in diefen Wörtern ausgefprochen worden. — Iſt man 
mit den einzelnen Worten fertig, welches in wenigen Stunden A® 
ſchehen kann, fo geht man flufenmweife weiter und fegt bie ein⸗ 
fachen lauten Buchftaben bald vor bald nad den ftummen und 
läft die Kinder Diefelben zufanmen ausſprechen. Man madıt nad) 
und nach größere Silben von mehreren Buchſtaben und laͤſt alt 
möglichen, einfilbigen Wörter langſam und deutlich herlefen. 5" 
einem Lefebüchlein müßen zu Dem Zwecke Die Silben column e*W 
weife gebrudt werben, damit die Kinder erft eine Colung u 


— 3* 
4 


u. Au ee 
a k 


) Daffelbe findet fich abgedrudt in Natorps Briefmechfel einiger Shul ge 
und Schulfreunde. B. 3, S. 300 ff. 


— 197 — 


nah ber andern von oben herunter Lefen können. 
Nachher laͤſt man zeilenmweije vorwärts und hinterwärts 
von der Rinken zur Rechten und von der Rechten zur Linken und 
adlih bin und wieder Bald unten, bald oben, bald aus 
der Mitte die kurzen einfilbigen Wörter berlefen. 
Eind fie darin genugfam geübt, jo fillabirt man mit ihnen 
diejenigen Wörter, welche mehrere Silben haben; und 
wenn ſolches eine Zeit lang geſchehen, fo werden fie zum voll 
Rändigen Leſen eined ganzes Textes aus dem Buche angeführt. 
So wird Die ganze Leſekunſt den Kindern angenehm und leicht 
gemacht.“ 

Hecker teilte zugleich iu ſeinem Programm Folgendes mit: 
„Im Jahre 1750 haben zwei Mohren in Berlin, die von unſrer 
Sprache fehr wenig reden und gar nicht leſen oder buchftabiren 
fonnten, auch gar feinen deutfchen Buchftaben Fannten, im Monat 
Sebruario und Martio in 50 Stunden, täglid eine, es foweit 
gebracht, daß fie nicht nur die ſchwerſten Wörter langjam zu leſen 
und deutlich auszusprechen, fondern auch aus den Zeitungen ganze 
Stüde vorzulefen im Stande waren.” Späterhin gab Heder 
Venzky's Schrift nochmald unter dem Titel heraus: „Kurze Ans 
weiſung, das Lefen ohne Budhitabiren zu erlernen. Berlin, 1757.” 


Von da an trat der Kampf gegen den Echlendrian der 
Budftabirmethode immer allgemeiner und immer ftärfer hervor. 
Sogar Epottgedichte wurden veröffentlicht, um der beßern Me⸗ 
thode Bahn zu brechen. So erjhien 3. B. 1735 zu Büdingen 
eine Ehrift: „Nachſinners Leſekunſt, in welcher das hinder- 
Li fallende und zornerwedente Buchſtabiren aus dem Wege ges 
räumt und ein bequemer Weg zum Leſen gezeiget wird.” Es 

beift hier unter Anderm: 


„Dein Lefer, denke doch, wie lehrt und lernt man leſen? 
Wenn man hoch Iefen will, fpricht man ba, o, ce, ba. 
Dann kommt dad Wort hernach, wenn's erft confus gewefen. 
Dan tönet zweimal ha, und ift doch hier fein a. 

Barum nicht Tieber ho auftatt Ha, o gejprochen ? 


— 198 — 


. Und danı den fchwachen Ton des Stummen beigefügt! 
So fordert3 die Natur, ſonſt nagt man harte Knochen, 
Und madt, daß Klein und Groß am Schulton Ekel Friegt. 
Er, u, ba tönet man, wenn Rub hervor fol Tommen; 
Es ſcheinet, unfre Kunft fei noch aus Babel her. 
Verzeihet mir dies Wort! Ich hab mir vorgenommen, 
Das aus dem Weg zu thun, was ungereimt und fehwer. 
Iſt Diefes eine Bier bei unferm Buchſtabiren, 
Wenn man Zier lefen will, und ſpricht zed, i, e, er? 
Kann man das Kind nicht gleich auf zi im Lefen führen ? 
Nun aber ift zed, i mit feinem Umſchweif bier. 

.. Klingt e8 nicht wunderlidy , wenn man will ſpielen fagen, 
Und fömmt mit es, pe, i, e, el, e, en hervor? 
Ein fo gezognes Spiel möcht mich vom Lernen jagen, 
So fommt nur allzufchywer der rechte Zwed empor. 
Man pflegt dem Stummen ftet3 den falfchen Laut zu geben, 
Wenn ed ſpi heißen ſoll, jo jpricht man erft ed, pe. 
Was taugt der Ton es, pe? i gibt hier Laut und Leben, 
Wir thun mit unfer Lei’r ja nur den Ohren weh.” 

Die Lautirmethode kam indeffen vorläufig noch nicht zui 
allgemeinen Einführung, weil die Maſſe der Schulmeifter ga 
nichts von ihr erfuhr oder zu träg war, fich mit einer Neuerung 
zu befaßeu. Gradezu verworfen wurde die neue Methode jebod 
nur in Baiern. 

Hier trat nemlich um 1772 ein Hoflänger in Münden 
Franz Zaver Hofmann (F 1804) mit einer neuen Method 
auf, wonad) die Kinder angeleitet wurden, Die Conſonanten ohn 
einen Mitlanter zu fprechen und hierauf Die auf Tafelchen ge 
zeichneten großen und Heinen Buchſtaben aufzuſuchen, hernach zı 
Silben und Wörtern zufammenzufeßen und auszusprechen. SD 
der Geheimrat Freiherr v. Leiden, von den Vorzügen bdiefer Me 
thode überzeugt, ſich des Erfinders angenommen und denfelbeı 
dem Kurfürften empfohlen hatte, jo erteilte Diefer den Befehl, bei 
Hoffänger Hofmann eine Probe mit Kindern in einem Waiſen 
baufe anftellen zu laßen. Die Probe fiel überaus günftig aus; 
allein die Schuldeputation, der bie Neuerung widermärtig war, 


— 199 — 


aklaͤrte nichtSbeftoweniger, daß fich die fragliche Methode zwar 
für den Privatunterricht eigne, allein für den öffentlichen Unter⸗ 
richt nicht zu empfehlen fe. Um nun das Gegenteil zu beweiſen, 
Bat Hofmann um Erlaubnis, mit feiner Methode auch in einer 
Öffentlihen Schule einen Verfuh machen zu bürfen. Indeſſen bie 
erbetene Erlaubnis wurde nicht erteilt; weshalb der Freiherr von 
Leiden fih veranlaft ſah, in der Schule feiner Hofmark Affing, 
Landgerichts Aichach, Hofmann eine Probe anftellen zu laßen. Hofs 
az caaınd Methode bewährte fich auch hier aufs Befte; aber dennoch 
war e8 nicht möglich, derfelben irgendwo in den Schulen bes Lan 
be Eingang zu verfchaffen *). 

Im proteftantifchen Deutfchland brach ſich inzwiſchen in den- 
jernigen Kreifen, welche von Baſedow oder von Rochow angeregt, 
Der neuen „methobifhen Lehrart” huldigten, die Lautmethode troß 
aller Hinderniffe mehr und mehr Bahn. Man ging bier von dem 
S rundſatz aus: „Kinder follen erft denken und zufammenhängend 
ſPrechen lernen, ehe man anfängt, fie lefen zu lehren; fie werben 
Dann mit Luft lefen lernen und das, was fie lefen, verftehen und 
ia Ttzen können?) Als Bedingung eines praktiſchen Unterrichtes 
wurde hierbei wenigſtens ziemlich allgemein anerkannt, daß der 
Zehrer vor Allem eine jcharfe, deutliche Ausfprache bed von dem 
einzelnen Buchſtaben bezeichneten eigentlimlichen Lautes fich zur 
Aufgabe machen mühe, damit Die Kinder die richtige Ausſprache 
Schon von den Sprachorganen des Lehrers abfehen konnten. 

Als ganz befonders nüplich wurden von fehr vielen Die das 

wald aufkommenden Xefekaften oder Leſemaſchinen empfob- 
len. Wie e3 fcheint, wurden dieſe Möbel, in Deutſchland wenig- 
ſtens, zuerft in Baſedowſchen SKreifen gebraucht. Baſedow felbft 
machte auf fie aufmerffam und ſchon um 1773 machte der Bes 
Sründer der Bafebomwichen Lehranftalt zu Vechelde bei Braunschweig, 





9 S. Lipowskys Geſch. der Schulen in Baiern ©. 313. 


*) „Berfuch einer Darftellung deffen, was für die Methode des Leſenlernens 
Soitsihufen geſchehen ift“ im Carſtenſens Beitihrift für das Voltsſchulweſen, 
.L 6: 45H. 


ss 





— 200 — 


Hundeiter, von einem Xefefaften Gebrauch. Um nämlid ei 
junge Schülerin das Lefen zu lehren, ließ ſich derjelbe einen vi 
eigen Kaften verfertigen, deſſen innerer Raum in Feine Zell 
abgeteilt war, wovon ein jedes einen Buchftaben des Alphab 
auf Holz geklebt enthielt. An der inneren Ceite des Dedi 
waren Leiften angebracht, um die Buchſtaben darauf zu fted 
und nad Silben und Wörtern darauf zufammenzufeßen. Indeſſ 
machte fpäterbin der Nector Beilchlag auf einen Pädagogen a 
merfjam, der vor zwei Jahren gelebt und eine bewegliche Le 
majchine angegeben hatte, die aus Streifen beftand, auf denen 
Buchſtaben notirt waren. Die verjchiedenartigen Inſtrumen 
welche zur Grteilung des Lefeunterrichtes in der Baſedowſch 
Periode gebraudht wurden, waren jedoch von allen derarti— 
Traditionen unabhängig entftanden. Die einfachfte Lefemafch 
war die eines Landfchulmeifterd, der einen Conſonanten auf e 
beroorftehende Leifte der Thüreinfaßung jchrieb und auf ein 
fchmalen Brette die einfahen, zufammengefeßten und gedehn 
Bocale mit großer, deutlicher Schrift unter einander gejchriel 
hatte. Dieſes Brett hielt der Lehrer fo dicht an die Leiſte, dd 
einer der Vocale immer neben dem gefchriebenen Gonfonan 
fand. Sowie er fein Brett nur ein wenig höher oder niebri, 
hielt, fland ein andrer Vocal neben dem Mitlauter. Doc „I 
bloße bretterne Buchftabe ift”, wie Plato, der die Leſemaſchi 
zu allgemeinerer Ginführung brachte, in feinen „Gedanken ül 
bie gewöhnlichen ABC bücher (1796)“ bemerft, „das gering 
Verdienſt bei der Erfindung; aber der geiftige, zwedmäßige € 
danke derfelben, — die Erlöfung der armen, Heinen Menſchh 
bon ber bisherigen Buchitabirpladerei und graufamen Lefebarbaı 
bie fanfte, ſtufenweiſe, allmähliche Entwidlung ihrer Verſtand 
kraͤfte“. 

Die in der Leipziger Ratsfreiſchule gebrauchte Leſemaſch 
beſchreibt Dolz (in ber „Katechetiſchen Anleitung zu den erfi 
Denfübungen der Jugend, 1801”) fo: „Diefe Lefemafchine 
nichts anderes ald eine vieredige Tafel, die der Augen wegen ı 
beiten mit grüner Farbe angeftrichen wird. Vier oder fünf Leift: 
6—8 Zoll von einander entfernt, laufen quer über. dieſe Ta 





— 201 — 


linweg, um darauf die Buchitaben und Zalzeichen anzufegen. 
Unten an der Tafel ift ein Käftchen von der Länge ber Tafel mit 
verfhiedenen Fächern angebracht, in welchen die Buchftaben, Zals 
ud Unterſcheidungszeichen nach alphabetifcher Ordnung aufbewahrt 
werden, um das fchnelle Herausfinden eines jeden Buchftabens zu 
elihtern. Diefes Fachwerk ift mit einem berunterfallenden Dedel 
veriehn, wodurch die Buchſtaben verfchloßen gehalten werden koͤn⸗ 
m. Die zum Gebraude der Lefemafchine erforberlihen Buch- 
Reben müßen in die Augen fallend, von ziemlicher Größe und mit 
guter Schwarzer Farbe gebrudt fein, — etwa 2— 3 Zoll lang, 
af Schreibpapier. Jeder Buchftabe wird einzeln auf ein Holz 
reitchen geklebt, deren jedes in die Breite grabe bie Kläche eines 
| Suhftabens halten, in der Höhe und Tiefe aber etwas weißen 
Kaum behalten muß, (fo daß fie genau zwifchen ben Leiften der 
Uhl paßen)“. 

Ein andrer Paͤdagog (Rixen) beſchreibt eine von ihm angefer- 
figte Refemafchine fo): „Die Leipziger Lefemafchine war zu koſt⸗ 
kr. Mir fehlten die einzelnen Buchftaben, um damit die Laute 
bezeichnen zu Tönnen. Au dieſem Behufe ließ ich einen Bogen 
mit hinreichend großen Buchftaben druden, die ich auf Pappe zog, 
einander fchnitt und fächerweife orbnete. Ich ließ mir eine 
dafel mit Leiften machen, um daran Buchftaben, Sylbeu, Wörter 

md einfache Säge aufftellen zu können. Endlich kam nod ein 
; Degen mit kleiner Schrift Hinzu, welcher leichte Wörter und Saͤtze 
8 Materialien zu Lefeübungen für Anfänger enthielt und fo ein 
gerihtet war, daß er in einige 50 Taͤfelchen fonnte zerfchnitten 
werden. Jedes Täfelchen war ein aus 4— 5 Zeilen beftehendes 
Game, und enthielt grade das, was ich mit den Kindern kurz 
verber an der Tafel eingehbt hatte. In der Zeit, wo ich mid 
mit den größeren Kindern befchäftigte, bekamen die Fleineren ein 
ſolches Täfelchen, um fich indeffen im Leſen üben zu Tönnen, wo- 
von fie in der naͤchſten Stunde Probe ablegten. — Die Sadıe 


— — 


) die Veranlaßung dazu gab eine Beſchreibung eines einfachen Leſekaſtens 
vm Splittegarb. Vergl. Garftenfens Zeitſchrift für das Volkeſchulweſen, 
8.1.e, 202 


— 202 — 


ging fo gut, daß einzelne Kinder in 6— 8 Moden, faft alle 
dem erften Vierteljahr fo weit famen, daß fie anfingen in Roco 
Kinderfreunde zu leſen“. | 

Ueber den Gebrauch und Nutzen dieſer Leſemaſchine duße 
ih Dolz fo: „Erlernung der Buchſtaben, des Sillabirens u 
Lefend Tann mit einander verbunden werden. Wan fegt zue 
einige leichte, einfilbige Wörter an, aber nur foldhe, welche ein 
finnlihen Gegenftand bezeichnen, wie dad Wort Hand. D 
Lehrer ſetzt alfo, nachdem er den Sindern bie acht Vocalzeidh 
befannt gemacht hat, folgende Buchſtaben an: 1) ba — und le 
fie beide zufammen ausſprechen; 2) ban — nachdem fie di 
neuen Buchftaben benannt haben, fprechen fie alle zufammen au 
und der Lehrer fragt: ift dieſes ſchon ein verftändliches Wort 
3) band — wie heift e8 nun? — 4) and? Hier wird be 
Kindern bemerkbar gemacht, Daß h Hinzugefebt werden muß, wen 
ed Hand lauten fol; 5) land; 6) andh. Dem Schüler win 
bemerflih gemacht, daß h nicht an der rechten Stelle fteht. ° 
band. Nun gejhwind ausgejprocdhen! Dann macht der Lehr 
die Schüler darauf aufmerffam, aus wie vielen Buchftaben D« 
Wort beftehe? wie der dritte, erfte ıc. heiße? Nun benutzt er d 
Wort als eine Uebung des Nachdenkens, z. B. mit andern WB 
ten zu fagen, was eine Hand fei, wie viele Hände jeder geſur 
Menfh habe, zu melden Verrichtungen er durch den Gebra! 
der Hände gefchidt werde. — Um nun auch die Kinder nad 2 
nach mit den übrigen Buchftaben befannt zu machen, wird es 
land, fand, wand, rand verwandelt, in der Folge in mur 
bund, Hund, rund, grund, und dabei wieder auf die vor 
Art verfahren, bis endlich die Schüler alle Buchftaben in ſolch 
leichten Wörtern genau fennen gelernt haben. Nun erft könn 
auch mehrfilbige Wörter angefebt, und e8 kann z. B. Die einfaı 
Zal der fchon dageweſenen Wörter in die Mehrzal (Hand 
hunde zc.) verwandelt werden. Endlich erft folgen kurze Sät 
welche anfangs mit lauter fogenannten Fleinen Buchſtaben, zum 
len auch wol in ununterbrochener Reihe, angefeßt werden” u. ſ. 

Außerdem wurden noch allerlei andere, zum Teil fonderb 
genug audfehende Mittel und Wege verſucht, um das Leſenlern 


— 203 — 


zu erleihten. Baſe dow empfahl dad Buchftabiren aus dem 
Ropfe vor aller Buchftabenkenntnis und vor dem Sillabiren. In 
feinem Neuen Werkzeug zum Lefenlehren (Leipzig, 1787) orbnete 
Bafebow die Uebungen folgendermaßen: Dan fpreche den Kindern 
eigene, ein- und mehrfilbige Wörter richtig vor und laße fie von 
Ihnen richtig nachfprechen; barauf verſtandne, erft kürzere, dann 
lingere Säße, wobei fie die Silben und Wörter zälen. Dann 
folge das mündliche Buchftabiren, erft das zufammenfeßende, dann 
das auflöfende, und dann abwechfelnd das eine oder andere, je 
nachdem man mehr oder weniger geübte Schüler vor ſich hat. 
Run leite man bie Schüler. zur Kenntnis der Buchftabenfiguren, 
eils durch Hülfe gebadener Buchſtaben, teild durch Herlets 
ang bes einen von dem andern. Sept kommt man zum Buche, 
- f.w. Das Merkwürdigfte war hierbei die Baſedowſche Bu ch 
:abenbäderei. „Was wird denn”, fagt Bafebow In feinem 
Leuen Werkzeug zum Lejenlehren S. 33, „diefe Baͤckerei Toften ? 
>Shft wenig. Frühſtück müßen die Kinder haben. Man badt 
Ufo die Buchftaben um einen geringen Grab woljchmedender als 
&3 gewöhnliche Frühſtück, ob e8 glei aud; vom gemeinen Sem» 
welteich geſchehen kann. Wir haben die Erfahrung: Mehr 
ES vier Wochen bebarf Fein Kind des Buchſtabeneßens. Iſt bie 
S ache im Gange, (audy dad wißen wir,) fo foftet die Formirung 
Es Teiches in Buchſtaben für jedes Kind täglich, keinen halben 
Sfennig, und alfo in 4 Wochen 1 Gr. So viel iſt doch wol bie 
Sache wert, fo arm auch die Kinder fein mögen. Und wie, wenn 
w jeder großen Stadt ein eigner Schulbäder, ober bei jedem 
>äder ein eigner Korb mit Schulwaare wäre? Denn bie zehn 
süffern müßen den Kindern faft ebenfo früh bekannt werben, als 
a Feine deutſche Alphabet. Daher haben wir Diefelben gleich- 
ms baden laßen. Und wenn nur erft ein Schulbäder angefeßt . 
» erden Tann, fo wollen wir ihm fchon mehr Formen anraten, bie 
Zeemmt von der Schulfache erforbert werden”. 

In den öfterreihifhen Normalſchulen laſen die Kinder im 
Ser; Splittegarb (Verbeßertes ABG-Spiel, Berlin 1784) 
te dab a— b, ab und b — a, ba in Noten, um es den Kin⸗ 
»etn vorzuſingen; und ber ABC, Buchſtabir⸗ und Lefetrichter von 





— 204 — 


Alttorf bei Nürnberg malte die Vocale rot und die Conſonan 
Schwarz, nannte jene Herrn und Diefe Knechte, und ließ zumei 
die Herrn mit roten Kleidern, aber doch auch weiterhin die Knec 
in ihren ſchwarzen Kleidern vorangehn. — Andre Schulmeif 
fragten: „Wie heift der Buchftabe mit dem Züttel? wie ber ı 
dem Bart? wie fchreit der Bauer? mie tbut Dad? (ber Leh 
fneipt den Schüler ind Ohr,) 2“ 

Ganz neue Wege verfuchten Gedife und Haufer. £ 
dem Vorwort feines „Kinderbuchs zur erften Uebung im Le 
ohne ABC und Buchftabiren, 1791”, fagt Gebife, daß es d 
natürliche Gang des menjchlihen Geiftes, vornemlich des ſich en 
widelnden Geiftes fei, von dem Ganzen zu den Teilen, von bi 
Folgen zu den Gründen fortzufchreiten. Bisher habe man fi 
bemüht, die Kinder durch Buchftaben die Wörter kennen zu Iehren 
er wolle Durch die Wörter und zugleich mit den Wörtern bi 
Buchftaben lehren. In dem Kinderbud bat jeder Buchfſtal 
feine Seite, auf der er gleichſam die Hauptrolle ſpielt. Er ſtel 
einzeln viermal obenan, zweimal rot, zweimal ſchwarz gebrud 
An der erften Reihe find die Wörter, welche immer den Bud 
ftaben, Der gelernt werden fol, enthalten, alle rot; dann komme 
Reiben, in welchen er in jedem Worte allein rot, und dann ſolch 
in welchen er allein ſchwarz fteht. Zuerſt ift er der erfte Bud 
flabe des Worts, nachher ſteht er auch in der Mitte; die lei 
Beile jeder Seite enthält diefelben Wörter, welche in der erſte 
ftanden, jeboch nicht in derſelben Ordnung und alle ſchwarz g 
druckt. Er verfuchte diefe Methode bei feiner Tochter, einem Möl 
hen von 5 Jahren, das nach derfelben in 2 Monaten Iefen lernt 
— Haufers Schrift erfehien unter dem Titel: „Methode, de 
Schreiben und Lefen ohne Buhftabiren zu lehre 
zur Erleichterung des erften Unterricht der. Kinder; verfaft vı 
Matthias Haufer, Major nes kaiſ. Eönigl. Ingenieurkorps. Wi 
1796". Der Verfaßer macht auf die Sprachwerkzeuge aufmerkfai 
durch welche jeder Conſonant geformt wird. Schreiben und Leſ 
will er miteinander verbunden haben. Auf ſchönes Schreib 
fomme es dabei nicht an. Das Erlernen der Vocale geht vora 
Dann folgt die Ginübung der Konjonanten. Sowie die Schül 


— 205 — 


einen ber leßteren formen gelernt haben, jo wirb er mit din Vo⸗ 
calen verbunden, und Die fo entftehenden Silben dictirt der Lehrer 
md der Schüler jchreibt fie gleich nieder, 3. ®. na, ne, ni, no, 
m, und an, en, in, on, un. 

Die angeführten Unterrichtsmethoden gehörten in die große 
al jener Berfuche, welche der etwa feit 1770 angeregte pädago- 
gifche Reformeiter hervorgerufen und bald aud) wieder verbrängt 
batte. Einen ungleich, größeren und nachhaltiger wirkenden Eindrud 

Schien dagegen längere Zeit hindurch die Lehrmethode Dliviers 
zu machen, der (jeit 1780 Lehrer an dem Philanthropin zu Deflau, 
feit 1801 in Leipzig) anfangs ebenjofehr in Baſedows als hernadh 
ira feined Landsmannes Peſtalozzi Beftrebungen vor Allem bie 
Stnührung einer beßeren Methode des Leſeunterrichts gefördert 
u rid gerechtfertigt fand. Namentlich feit 1800 trat Olivier mit 
einer ſolchen neuen Methode hervor, Die von ihm felbft als Baſis 
eines durchaus neuen Unterrichts- und Erziehungsſyſtems überhaupt 
angefündigt, von den Beitgenoßen mit gefpannter Aufmerkſamkeit 
Beobachtet wurde. Dlivier offenbarte Diefelbe in einer umfang- 
reihen Schrift: „Ortbo=sepo-graphifhes Elementarwert 
Oder Lehrbuch über die in jeder Sprache anwendbare Kunft recht: 
ſprechen, leſen und rechtſchreiben zu lehren. Erſter theoretifcher 
Zeil, enthaltend die Darftellung des orthosepo-graphifchen Syſtems, 
Deflau 1804". — „Bweiter praftifcher Teil, enthaltend 1) fämmt- 
Ude zur Anwendung der Lautmethode dienenden Hülfsmittel; 2) 
ausführliche Anweifung zur Grlernung dieſer Elementar-, Leſe⸗ und 
MRehtfchreibesfehrart, in welchem eine Sammlung von Beifpielen 
au finden ift, die als Leitfaden bei den verfchiebnen Uebungen die— 
fer Rehrmethode dienen künnen. Deffau 1806”. 

Dlivier ſucht hier Die Lautmethode ald eine vollfommen 
Moturgemäße und gründliche Lehrart zu entwideln. Denn 
Dieſelbe ſoll nicht blos den Elementarlaut gradezu zum Namen 
ſeines graphiſchen Zeichens (des Buchſtabens) erheben, ſondern ſie 
ſoll zugleich als Mittel zur Entwicklung des jugendlichen Geiſtes 

ienen uud fo zur gänzlichen Umänberung einer fehlerhaften Ein- 
Tichtung bed erften Unterrichts mitbeitragen. Olivier zeigt, Daß 
feine Methode dem natürlichen Entwidlungsgang des Kindes folgt, 





— 208 — 


indem fie das Spredhenlernen dem Leſen⸗ und Rechtichreibenlernen 
vorangehen, und darauf erft die Laute deutlich und vollftändig 
entwidelt-und zweckmaͤßig georbnet wahrnehmen läft und dann zur 
Kenntnis der Buchftaben ald Zeichen Derfelben führt. Sie Ichlägt 
hierbei den einfachften und fürzeften Weg ein und regt die ange 
meßenen Kräfte des Findlichen Geifted dabei an; denn fie bringt 
ihm den einzelnen Laut zum Tlaren Bewuftjein, und flellt nun das 
chriftliche Zeichen, den Buchftaben dafür vor das Auge des Kin 
des. Vom erften Anfange des Unterrichts an bringt fie alle Teile 
defielben in ben engften Zufammenhang, läft eins aus dem andern 
fi) gleichſam von ſelbſt entwideln, und ſucht durch Die naturges 
mäßefte Stufenfolge aller der zur Vollendung ihrer Zwecke bienens 
den Uebungen, jelbft den Sinn des Kindes für firenge Ordnung 
und Gonfequenz in der Anwendung feiner Geiltesthätigfeit glei 
von der Entfaltung des erften Keimes derjelben zu erweden. Sn 
ihrem BVorbereitungsunterricht behandelt fie die Sprache als Bil 
dungsmittel, indem fie den Stoff zu Hebungen ber Geifteöftaft 
zwedmäßig mählt, ihn durch die im Ton, im Accent und Ausdrud 
der menfchlihen Stimme liegende Kraft gehörig darbietet und zw 
gleich eine reine deutliche Ausfprache, eine angenehme Abwechslung 
bes Tones der Stimme und richtigen natürlichen Ausdrud befoͤr⸗ 
dert. Sie führt dann den Lernenden zur vollftändigen Kenntnis 
aller wirklichen Laute und führt ihn endlich von Webungen zu 
Uebungen dahin, geläufig und gut Iefen und richtig fehreiben zu 
fönnen. Sie behandelt ferner das Leſen auf eine feiner Natur 
und den Bweden des Unterrichts vollfommen gemäße Weife. Der 
Stoff, den fie zu den Vorübungen nimmt, braucht fie auch zu den 
erften Lefeübungen, damit der Schüler nicht blos Wörter left, 
jondern auch leicht durch Diefes Leſen die bezeichneten Vorftellungen 
in ihm aufgeregt werben. Ahr Buchftabiren bietet dem Gehör 
gleihfam die vollkommne Laut-Melodie eines jeben Wortes dat 
(ein gezogenes Ausfprechen der Worte, z. B. M—00—8) und def 
Schüler verliert nie die Vorftellung,, welche das Wort bezeichnet. 
Die Laute find diefer Methode ein Begenftand des Gehoͤrs und 
eine Wirkung der Spradhorgane und die Buchſtaben ein Gegen 
fand des Anſchauens, wie es natürlih it. — Gine volllommme 





— 207 — 


ichſtabenſchrift muß alle Laute und die entjprechenden Schrift: 
hen vollftändig haben. Indeſſen ift die vorhandne Buchftaben- 
ift ſehr unvollflommen. Daher will Dlivier eine vollftändige 
utzeihen-Tabulatur entwerfen, auf welcher jeder einfache 
it bie Sprache für fi) genau beitimmt und zugleic, mit feinen 
ſchiednen Beichen verknüpft wird. Hierbei befämpft Olivier 
ientlich das Vorurteil, daß der Gonfonantlaut feiner Natur 
) fein für ſich beftehender Sprachton oder Fein Gelftlaut, 
ern nur ein in jeiner Verbindung mit dem Vocallaut und 
ch diefelbe vernehmlicher Mitlaut fei. — 

Indeſſen war die Methode, welche Dlivier von dieſen Prin⸗ 
en aus ſchuf, fo complicirt und fünftlih, daß fich diefelbe in 
Anwendung nicht bewährte, und daher eine allgemeinere Eins 
rung nicht finden konnte. Daher gingen noch fortwährend die 
i berfömmlichen Weifen des Lejeunterrichtes, Die Buchſtabir⸗ 
die Sillabirmethode, die beide im Gegenſatz zur Lau⸗ 
jethode ftanden, mit gleichem Anfehn ungeftört neben einander 

Die lebtere erklärte das Herfagen der Namen der Buchftaben 
ganz unzwedmäßig und begann daher mit dem Lejen der 
ben. Beide aber eigneten fich ein DVerbienft an, was ihnen 
t zufam; denn nicht das, was fie die Schüler thun ließen, 
yern was dieſe für ſich thaten, führte zur Fertigkeit des Leſens. 
: gaben den Schülern nicht den Laut jedes Buchſtabens, fon- 
n überließen es der eignen Xhätigfeit des Schülers, diefen für 
abzufondern. Die Buchftabirmethode (die übrigens den Namen 
T Methode kaum verdiente,) machte überdies den Schülern 
es Geſchaͤft gradezu möglichft jchwer, indem fie flatt der Bud» 
wnlaute halbwillfürlihe Buchftabennamen nennen ließ und 
uch die Aufmerkfamfeit des Schülers von der eigentlichen 
Ge abzog. Die Sillabirmethode dagegen bildete faktiſch ges 
jermaßen ben Mebergang zur Lautmethode, und es Iäft ji daher 
Erſcheinung erklären, daß die Lautmethode allmählich gradezu an 
Stelle des fillabirenden Verfahrend trat und längere Zeit hindurch 
nKampf der legteren gegen die Buchftabirmethobe fortfegen mufte*). 


*) Carſtenſens Beitfhrift für das Volksſchulweſen, B. 1. & 343 — 344. 





— 208 — 

Zu Gunſten der letzteren wurde herporgehoben, „daß Die 
dem Lautzeichen zugleich einen Namen beifügt‘, woburd jene 
der Seele der Kinder fefter gehalten, der Laut ihm anſchaul 
gemacht und leichter reproduzirt werde, weil in den Buchſta 
Namen der Laut derjelben immer feinem Gehör vortöne. 
Lautirmethode Hingegen koͤnne, zumal bei den Konfonanten, we 
ſtens bei mehreren derjelben, nie ganz reine Laute, Die dem Zei 
(Buchftaben) richtig correspondirten, den Schülern geben und d 
fie reproduziren laßen; folglich Eönne exit bei dem Verbinden 
einzelnen Raute (Leſen oder Sillabiren) der reine Yaut, der 
in Verbindung mit andern Lauten deutlich werde, ausgejpro: 
werben. Bei der erften Mühe des Unterrichts ſei demnach 
Mittel gegeben, das Lautzeichen für den Schüler feitzubalten, ı 
ches Mittel die Buchftabirmethode durch den Namen des Lau! 
hend gebe. Auch fei die Buchftabirmethode der Orthogray 
förderliher al8 die Lautirmethode. Allerdingd mache jene ei 
Umweg, während dieje den grabeften Weg gehe; aber Die Lau 
methode made auf ihrem graden Wege Sprünge, die mit ei 
gründlichen Unterricht unvereinbar wären, und der Umweg 
Buchftabirmethode fei durchaus notwendig“ *). — Gleichwol 
warn bie Rautirmethode feit dem Jahre 1802 immer weitere 3 
breitung, und zwar hauptfädhlich durch den Einfluß des damal 
Conſiſtorialrates und Hofpredigerd zu Gaftel, Dr. Heint 
Stephbani. 

Stepbani, der (abgejehn von feinen anderweitigen 3 
dienften um das Volksſchulweſen) als der eigentliche Vater e 
aͤcht methodifchen Lefeunterrichtes anzufehn ift, hatte durch 
\orgfältige Prüfung des Unterrichtes in den Glementarfchulen 
Ueberzeugung gewonnen, „daß fo lange an feine bedeutende: 
beßerung derjelben zu benfen fei, ehe ‚man nicht den Lefeunterr 
der die meifte Zeit in den Schulen verjchlang, auf feine einfa 


*) Vgl „Ehrenrettung der Buchftabirmethode gegen die Borwürfe ne 
Lefelehrer mit befondrer Beziehung auf Hr. v. Stephani's Schrift: Ausfüh 
Beſchreibung meiner einfadhen Lefemethode, Erlangen 1814. Bon M. T. 6.3 
Pfarrer zu Oeſchingen bei Tübingen. Zübingen 1814“. j 


— 209 — 


Prinzipien zurüdgeführt haben würde”. In kurzer Zeit hatte er 
de Elemente der Lefekunft gefunden; die damaligen Kriegsverhaͤlt⸗ 
J fe verurfachten e8 indeflen, daß feine Anmeifung nebft der zu 
I ir ausgearbeiteten Zibel *) erft 1802 erfchien. 
Stephani bezeichnete feine Methode ald ElementarsMe- 
] thode, „teil um einen Namen für fie zu haben, teild um da⸗ 
J durch ihren Charakter auszubrüden, der wirklich darin befteht, daß 
J fie auf die beiden Elemente der Lefekunft zurüdgeht, nemlich auf 
5 die Kenntnis des jedem Buchftaben eigentümlichen Laute, und 
J dann auf die Fertigkeit, folche einzeln und in allen vorkommenden 
J Berbindungen auszufprechen“. 
Der Charakter der Methode Stephanid erhellt am beften 
Baus dem, was Stephani über den Gang feiner Entdedung ber: 
J ſelben bemerkt: „Alles Iaute Leſen ift ein Ueberfegen der ficht- 
I Baren Gebanfenzeichen in hörbare. Die Lefekunft befteht daher 
in der erworbenen Geſchicklichkeit, jede in Schriftzeichen ausgedrüdte 
Rede in die hörbare überzutragen. Die Elemente der fihtbaren 
Sprache find Buchſtaben; aus ihnen werben alle Beftandteile der 
Rede, die Wörter, zuſammengeſetzt. Die Elemente der hörbaren 
Sprache find Laute, die dur Hülfe gewißer Organe im Munde 
hervorgebracht werben. Beide Elemente correspondiren einander. 
Wer leſen Iernen will, muß folglich notwendig zur Fertigkeit ge- 
führt werden, mit elementarifher Genauigkeit aus einer 
Sprache (der fichtbaren) in die andre (die hörbare) zu über 
jenen. — „Zwei Wege fönnen hierbei nur ganz allein betreten 
werden: man legt den Lehrlingen entweder fogleich ganze Wörter 
zum Lefen vor und führt ſie hernachmals zur elementarifchen 
Kenntnis der Sprache fort; oder man macht fie zuerft mit den 
einander correspondirenden Sprachzeichen und Sprachlauten be- 
Kant, und führt fie hierauf zur Fertigkeit, fie in jeder in der 
Sprache vorkommenden Verbindung audzufprechen. Erfterer führt 


—__.n 







N , Fibel oder Elementarbuch zum Lefenlernen, von Dr. 9. Stephani. Er- 
Ka 1802” und „Kurzer Unterricht in der gründlichften und leichteften Methode 
Kindern das Leſen zu lehren, von Dr. H. Stephani, Erlangen 1804". 

14 





— 210 — 


zu der Fertigfeit, aus dem ganzen Umriße jedes Wort 
zu wißen, wie es in bie hörbare Sprache zu überjegen i 
Methode ift bei einer Sprache, wie die chinefifche, deren 
aus ganzen Figuren beftehn und keineswegs aus Buch 
fammengejeßt find, die einzig richtige. Bei einer Sprache 
leßteren Art, jo wie Die unfrige ft, bat man den Vort 
Geſchaͤft ſich unendlich zu erleichtern, daß man fich mit t 
feder einzelnen Buchſtabenfigur befannt macht, und bare 
Ueberfegen (Leſen) jene auf gleiche Weife fo zu Worten 3 
ſetzt, wie fie dort zufammenftehn”. — Bon diefem erf 
genden Bergliedern der Wörter in ihre Beftandteile 
Methode den Namen analytijche erhalten. 

Bweierlei war nun nody zu thun. „Erſtlich muf 
Laute, deren Stellvertreter die Buchftaben find, in ihr: 
einfachen Bildung auffuhen. Durch das Studium, das 
vorher auf den Mechanismus der Sprachorgane teild aus 
pologiihem, teils aus pädagogifchem Intereſſe (da beſor 
Zaubftummen-Unterricht hierauf beruht,) aufs Fleißigfte ı 
hatte, ward er in Stand geſetzt, diefen erften Teil der & 
methode ſogleich ind Reine zu bringen. Er lernte bald ı 
jonanten ohne Zufaß eined Vocals oder Schwa blos bu 
der dazu nötigen Organe völlig rein und dem Ohre hö 
porzubringen. Ebenſo leicht wird es felbft den zarteften 
wenn man fie nur auf den Gebrauch der Organe at 
macht. Viele Scyullehrer, die fih aus der blojen Bel 
feinen richtigen Begriff hiervon machen konnten, wurbe 
aufs Angenehmfte überrafcht, und befannten freudig: J 
es, dieſes find die wahren Laute der bis jet für ſtumm 
Buchftaben, wie wir fie wirklich in allen Wörtern ausſpr 
Das Zweite, was cr zu thun hatte, war das weit m 
Geichäft, den Stoff zufammenzutragen, au dem bie Fer 
Lefen, d. i. im Verbinden mehrerer Laute zu Silben, 
und ganzen Säßen nad) einer weiſen Stufenfolge erlern 
fönnte, kurz: eine Fibel anzufertigen. Nachdem biefe 
worden war, verſuchte er feine fünf Jahre alte Tocht 
Lejefunft zu unterrichten, Mit dem Vergnügen, welches di 


— 211 — 


ki jeber richtigen Anwendung der in ihm liegenden Kräfte em⸗ 
pinbet, trieb fie das ſonſt von andern Pädagogen für troden ges 
ultne Gejchäft des Leſenlernens, und nach fechSwöchentlichem Un⸗ 
rricht, der nur täglich in einer halben Stunde beftand, Fonnte 
e nicht nur in ihrer Fibel Die Kleinen Fabeln und Erzaͤlungen 
fen, ſondern auch mit berjelben Leichtigkeit in jedem Buche, ohne 
bei weiter der Hülfe ihres Lehrers zu bebürfen, und ohne Rück⸗ 
bt, ob bekannte oder unbefaunte Worte darin vorkamen. Bulept 
tſuchte er ed, ihr Wörter vorzufprechen, die fie in ihre einzelnen 
eſtandteile zerlegen follte. Auch dies war ihr nunmehr ein Spiel, 
Al fie mit allen Lauten befannt war, und nur Achtung darauf 
ben durfte, aus welchen fie das nachgefprochene Wort zufammen- 
He". Darauf wurde diefe Methode zuerft in eine Schule ein- 
führt, in welcher 15 Kinder in 3 Monaten, täglich eine halbe 
tunde, bis zu derſelben Fertigkeit gelangten. 

Stephani empfahl ed, den Unterricht im Lefen Damit zu bes 
nen, daß man das Kind zuerft die acht Grundlaute und deren 
Sriftzeihen lehrte. Diefe find u, o, a, ö, ä, e, ü, i. Füri 
t man noch zwei andre Zeichen, j und y. Darauf folgen Ue⸗ 
ngen im Ausſprechen der Vocalſilben, z. B. al, ay, au, äu, ei, 
. Sodann folgen die Conſonanten, deren wir nur 17 aͤchte in 
iſrer Sprache haben, weil f und v nur zwei verſchiedne Figuren 
r Einen Laut find. — Damit die Kinder den eigentlichen 
aut eines jeden Conſonanten lernen, braucht der Lehrer 
m zu fagen: „Kinder, gebt Achtung, welchen Teil eueres 
tundes ihr bewegen müßt, wenn ihr den Namen dieſes oder 
ned Buchftabens herſagt“! Diefes fol nur zu einer vorläufi- 
en Befanntfchaft mit diejen Lauten führen. Der Lehrer foll es 
ch hierbei zur befondern Aufgabe machen, bie Kinder über die 
btige Haltung der Sprahorgane zu belehren. Eben 
eswegen gehen die Lippenlauter voran, weil es bei biefen Den 
indern fühlbarer ift, wie fie die Lippen ſtellen müßen, um ihren 
pentümlichen Laut hervorzubringen. 

Hierauf folgt das Leſen folcher Silben, die blos aus Grund: 
ten und einem Mitlauter beftehn, woran ſich das Leſen folcher 
Rhrter anſchließt, welche aus den eingeübten einfachen Silben 

14° 





— 212 — 


zufammengejeßt find. Stephani empfiehlt e8, da wo mehrere Ki 
der unterrichtet werden, die Silben und Wörter tactmäßig ; 
ſammenleſen zu laßen. 

Nun folge Die nötige Belehrung und Hebung über die wi 
aͤchten Buchftaben c, q, x, ph, ß, und ſodann über die Dehnung: 
und Schärfungsdzeichen. Hieran ſchließen ſich Silben mit mehrere 
Mitlautern, allmählich anwachſend, ſowie Beiſpiele der befonbere 
Ausſprache des ch wie k. Darauf fommt der Schüler zu Uebun 
gen im Silbenabteilen, wird alsdann mit einigen Xefezeichen be 
fannt gemacht und endlich im eigentlichen Lefen, im Lefen gane 
Säge geübt. Die Leſeſtücke müßen jedoch jo leicht verftänblid 
fein, Daß eine Erflärung der Wörter nicht nötig ift; auch dar 
die Lejelection nicht Durch Verflandesübungen unterbrochen werben 
„Denn“, jagt Stephani, „den Kindern durch vorgezeigte Bilde 
oder durch Unterhaltung mit andern Dingen den Unterricht ergep 
licher machen, heift fie an Zerftreuung gewöhnen, und fie von 
der in der erften Jugend fo nötigen Angewöhnung an anhaltend 
und ununterbrochene Thätigfeit abhalten”. „Eben Deswegen” 
fügt er Hinzu, „haben wir und gehütet, unfre Fibel mit Bilder 
zu verunziren oder fie mit ſolchem Stoffe zu überladen, der nid) 
in eine Fibel, fondern in das Elementarbud aller nötiger 
Kenntniffe für Die unterfte Klaſſe gehört“ *). — Bid 
neue Methode des Lefeunterrichteß gehörte übrigens weſentlich jche 
der folgenden Periode des Volksſchulweſens an. 


B. Der Schreibunterrigt. 


Mit dem Schreibunterrichte Jah es in Den Volföfchulen, jet 
dem derfelbe nach dein Anfange des 18. Sahrhunderts, wenigfte' 
für die Knaben, ftändiger Unterrichtsartifel geworden war, | 
aus **); 

„Jedem Schüler wurden ohne die mindefte Vorbereitun 


*) Vorftehende Mitteilungen über die Methode Stephanis find aus Larftenfer 
Zeitfehrift für das Volksſchulweſen B.I. S. 342 ff. entlehnt. Vgl. außerdem Schne 
ders „Ausführl. Unterricht in der Stephanifhen Elementarmethode ıc. Würzb. 1805 

» Rah Zfchille, Elementarfchreibfehule (Leipzig 1845) ©. 3 ff. 


— 213 — 


men die Buchftaben in gewöhnlicher Größe und nach alphabeti- 
‚ Mer Ordnung in dem einfadh Iiniirten Schreibeheft vorgefchrieben, 
nelhe berjelbe Dann faft ohne alle Anleitung, fo gut als er konnte 
oder wollte, nachmalte. Ganz unbeholfenen Anfängern zeichnete 
hähftens der Lehrer die Buchftaben mit Bleiftift vor, um fie mit 
Tinte blindlings überziehn zu laßen. Hatte das Kind die Seite 
beruntergefchrieben, fo erhielt e8 mit der neuen Aufgabe Ddiefelbe 
wgleih notbürftig und obenhin corrigirt. In einer oder der an- 
dem Meife ging es nun fo das ganze Alphabet dur. Hierauf 
wurde, jeden Buchftaben mit einem „„m““ vwerbindend, daſſelbe 
wiederholt, dann zu den großen Buchftaben, zu ganzen Wörtern 
ud endlich zu Vorfchriften übergegangen, welche die Schüler ſich 
aiht felten ganz nach Belieben aus dem dazu beftimmten Behält- 
ne nehmen durften. Häufig wuften Die Lehrer felbft nicht, was 
meiner regelmäßigen und fchönen Handſchrift gehört. Mechaniſch, 
wie fie es gelernt hatten, brachten fie e8 den Kindern wieder bei. 
Kin Wunder, wenn dann diefelben, ohne das Vorgejchriebene fehr 
m beachten , meift ins Unbeftimmte bin arbeiteten, Verftand und 
Inteilöfraft aber dabei ganz leer auögingen. Um bie Sache recht 
nehanifch zu machen, nahm der Lehrer wol auch ftatt aller Er- 
hung und Verftändigung die Hand des Heinen Anfängers in 
die feine und führte damit ftilfchweigend Hand und Feber des 
Shülerd auf dem Papiere bin, bis der Buchftabe fertig war. 
Andre benutzten das bereits erwähnte Vorzeichnen der Aufgabe 
mit Bfeiftift nicht blos ausnahmsweiſe, fondern malten damit je- 
em Anfänger faft Zeile für Zeile die Buchſtaben vor und ließen 
ie oft jo gedankenlos mit Tinte Überziehn, daß das Kind nicht 
inmal wufte, was für einen Buchftaben es fchreibe. Daher gab 
ꝛs Chüler, welche Wörter und Säge ziemlich Teferlich nachmalten, 
Ohne zu wißen noch Iefen zu können, was fie gefehrieben”. 
„Auf ein richtiged Eigen des Kindes beim Schreiben nahm 
Man faft ebenſo wenig al8 auf eine gehörige Haltung und Füh—⸗ 
Tung der Feder befondere Nüdficht. Höchftens wurde ed ihm 
beim Beginne des Unterrichts gefagt und gewiefen, gemeiniglich 
ber dann der Schüler ſich auch hierin ganz überlaßen. — Das 
dt nebft Federn, Tinte und Lineal mufte von ben Schülern 








— 214 — 


jebesmal zur Schule gebracht und nad der Stunde wieber m 
nad Haufe genommen werden. Daß bei einer ſolchen Einrichtun 
häufig ein Teil der Schreibmaterialien vergeßen worden ober ve: 
loren gegangen war, daß es an Schlägereien mit ben 2incaleı 
an bintebefledten Händen und Kleidern nicht fehlte, iſt nur zı 
leicht begreiflich”. 

„Ebenfo betrübt ſah es mit der Ruhe und Orbnung wäh 
rend der Schreibftunde aus, zumal wenn ber Lehrer den Bald 
nicht tüchtig zu führen verftand. Denn ehe es zu einer Gorredı 
des Gefchriebenen und zum Vorfchreiben einer neuen Aufgabe Eam, 
mufte der Schüler, welcher in biefer Abſicht mit feiner herunter 
gefchriebenen Seite an den Tiſch des Lehrers trat, unter eine 
ziemlichen Anzal Mitfchüler, Die in gleicher Abfidht, oder wol auf 
des Febercorrigivend wegen, fich daſelbſt verjammelt hatten, nict 
jelten faft ftundenlang in Unthätigfeit warten. Zu den Ausnah⸗ 
men gehörte es fchon, wenn der Lehrer Tact genug befaß, dieſe 
vielen Müßigftebenden in einer leicht zu überfehenden Reihe neben 
einander fich aufftellen zu laßen. Meiſtens ftanden fie in einen 
ungeordneten Trupp beifammen. WMittlerweilen fanden Plaube 
rein, Zank und mutwillige Streidhe flatt, und zwar nicht blo 
unter den Schreibenden felbft, welche aus Mangel an gehörige 
Aufficht, oft nicht weniger müßig und unruhig als jene warer 
oder doch nicht felten während der Zeit bie Arbeiten für and 
Lehrſtunden fertigten”. — — 

„Sin bedeutender Schritt zum Beßern gejchah, ald man bi 
Buchſtaben in fehr großem Maßſtab vorjchrieb, Damit der Schüle 
deutlich abnehmen könne, worauf e8 bei richtiger Nachbildung deu 
felben anfomme. Dabei wurde die alphabetifche Reihenfolge gege: 
eine zweckmaͤßiger geordnete vertaufcht, indem man mit den ein 
fahhften und grundſtrichhohen Buchftaben anfing und die übrigen 
nad) Ober⸗ und Linterlänge in verſchiedne Claſſen brachte. Rück 
fihtlih der Beobachtung einer größeren Gleichmäßigfeit fuchten 
Einige dem Lehrling Durch zwei Höhenlinien für die Grundſtriche 
Andre wol auch, wie die Kalligraphen Roßberg und Heinrigs 
noch außerdem durch zwei Grenzlinten für die langen Buchſtabe 
zu Hülfe zu fommen. Dabei war e8 aber fchlimm, daß Die Zei 





— 215 — 


wt Bormalen und Nachmalen von Kanzleis Frakturfchrift, großen 
Seitialbuchitaben und Schnörkeleien hingebracht wurde". — 

„Um dem teilweifen langen Müßigfein der Kinder vorzu- 
kugen, beauftragte man einen der zuverläßigften Schüler, alle 


biejenigen, welche ihre Aufgabe vollendet hatten, der Reihe nad) 


mnstiren, und in dieſer Ordnung einen nad) dem andern zur 
Gorrectur an das erhöhte Pult des Lehrers zu rufen, wo nie 
mehr als zwei flehn durften. Bevor nun ein Schüler an bie 


Rebe kam, dem Lehrer die gefertigte Aufgabe vorzulegen und von 


iha eine neue Vorſchrift zu erhalten, mufte er einftweilen das 
geſchriebene wiederholen, oder der Lehrer fchrieb etwas an bie 
mohe Wandtafel, das alle Schüler fo lange abzufchreiben Hatten, 
biä fie aufgerufen wurden, mit ihrer Arbeit zum Lehrer hervorzu- 


treten”. 


„Bei dem gefundnen Auswege nun, Diejenigen Kinder, welche 


at ihrem Penfum fertig waren, einftweilen mit ber an der Wand⸗ 
tafel befindlichen Aufgabe zu befchäftigen, war es leicht, Darauf 


m kommen, das Worfchreiben in die einzelnen Hefte völlig bei 
Seite zu fegen und dafür eine allgemeine Vorſchrift auf Die Tafel 


n zeichnen. Bugleich verband man damit Bemerkungen, welche 


um Bwede hatten, die Kinder mit den unterfcheidenden Merkma⸗ 
Im der Buchſtaben, ſowie der Verbindungsweife ihrer einzelnen 
Beftanbteile oder Glemente bekannt zu machen. Um die Zuſam⸗ 
menfegung irgend eines Buchftaben noch mehr zu verbeutlichen, 
ließen wol aud Manche zuvoͤrderſt den erften Strich deſſelben 
Ane Zeit lang üben, fügten dann für eine andre Beile den zweiten 
deſtandteil hinzu, und fuhren fo fort, bis der betreffende Buch⸗ 
Rabe feine Vollſtaͤndigkeit erreicht hatte, wozu oft vier bis ſechs 
Inien verwenbet wurben“ *). 

„Vermittelft dieſer methodifchen Verbeßerungen gejchah vor 
Ulm der wichtigen Forderung Genüge, wie bei den übrigen Lehr- 
gegenftänden, jo auch in der Schreibftunde eine ganze Klafje ohne 
großen Verzug in eine gleichmäßige Gefammttätigkeit zu feßen und 





*) Bemerkenswert iſt in diefer Beziehung 3. ©. 9. Müllers „Anleitung 
wa Shönfhreiben 2c.” 2 Yufl. Rürnberg 1799, 





— 216 — 


fortdauernd darin zu erhalten. Naͤchſtdem gewann audy der IM 
terricht etwas an Anfchaulichfeit und Gründlichkett. Der Lehn 
fonnte, während die Slinter arbeiteten, herumgehen, die bei 
Schreiben fo unerläßliche richtige Körper: und Feberhaltung un 
Die gehörige Lage des Papiers beobachten” u. f. w. 

„Nur blieb das richtige Nachbilden des Vorgeſchrieben 
noch zu fehr einem dunkeln Gefühle des Schülerd überlaßen. € 
fehlte zwar nicht an Hinweifungen, an Erklärungen, der Schül 
blieb aber dabei zu unthätig. Daher ermangelte Derfelbe imm 
noch einer Haren, vollftändigen Anfchauung und deutlichen Au 
faßung der Vorſchrift“ — — 

„Allen dieſen Korberungen weit genügender, Die richti 
Kenntnis der Buchftaben durch zweckmäßiges Fragen entwideln 
deshalb auch meit intereflanter geftaltete fich (Anfangs der folge 
den Periode) der Schreibunterriht bei Pöhblmann, Stepha 
und Andern, Die ihn zugleich mit als Verftandesübung benupte 
Hauptgrundfaß ift es in Pöhlmanns durchgehends in dialogiſch 
Form abgefaften Echreiblectionen: „ „ringe deinem Schrei 
Schüler nicht nur das, was er thun fol, fondern auch die Art u: 
Weile, wie er es thun fol, zum deutlichften Bemuftfein; gewöh 
ihn, feine gemachten Züge genau nach dem ihm vorgelegten Ma 
ftabe zu beurteilen, und fuche dieſes mit dem möglichften Zeitg 
winne zu bewirken” ”. Gewiſſe Linearübungen bereiteten de 
Schreiben zwedmäßig vor. Ju der Aufeinanderfolge der möglid 
einfach gehaltenen Buchſtaben berrjchte die genetifche Abftammur 
por. Faſt bei jedem Buchitaben bemerkte man deutlich Die He 
leitung aus dem vorhergegangenen. Gleichzeitig drang man da 
auf, fein Augenmerk vorzüglich auf die Anfangsgründe zu richt: 
und feinen Schritt vorwärts thun zu laßen, wenn nicht Durch d 
porhergegangene Uebung eine fihere Grundlage für die nachfo 
gende gewonnen worden war. Zur Schärfung bes Beurteilung! 
vermögend zeichnete ber Lehrer mehr oder minder regelwibri, 
_ Figuren an die Tafel und veranlafte die Kinder, dad Fehlerhaf 
davon nach den bereitd kennen gelernten und eingeübten richtig 
Buchftabenformen aufzufuchen und deutlich anzugeben. Sowie b 
ben Linearübungen bediente man fich auch zu den erften Verſuche 





— 217 — 


im Buchſtabenbilden einer Schiefertafel mit Stift oder gefpibter, 
gehärteter Kreide, auf deren einer Seite Die bereits erwähnten 
bier Höhenlinien eingerien waren. Begann dann fpäter das 
Schreiben mit der Feder auf Papier, fo verftattete man den 
Lindern au) da noch dieſe Linien, welche Pöhlmann bis auf 
at vermehrte und fie zur Verbeutlihung bei dem Erklären der 
Inhftabenconftructiou mit benugte. Andre hingegen bedienten ſich 
Kiefer hinzugekommenen Bwifchenlinien als Maß für Die weniger 
langen Buchftaben, wie d, t, 8, q, ſowie p und E, wenn fie 
ohne Schleife geſchrieben werden. Damit diefe vielfachen, meift 
roten Linien egal und fchnell gezogen werden fonnten, bediente 
man fih eines eigens dazu gefertigten Roftrals.” 
„Mm nody weitere Ausbildung diefer formalen Unterwei- 
fungdart haben ſich mehrere ausgezeichnete Methobifer, ein Zer- 
tenner, Natorp, Hergang, fowie der Lehrer Rieß, der 
Lalligrahh &. Henning in Berlin, und vorzüglid — Zumpe 
im Baußen verbient gemacht. immer mehr bemühte man fih, auch 
ben Schreibunterricht den allgemeinen Unterrichtögrundfäßgen gemäß 
zu behandeln und dabei einen in den Entwidlungsgefeßen der nas 
tirlihen Anlagen des Kindes begründeten möglichſt Tüdenlofen 
Stufengang aufzuftellen. Man leitete in gemißen Uebungen Die 
Sääler an, alled Vorgezeichnete ganz beftimmt und ſcharf zu be- 
trachten, ihre Aufmerkfamkeit mit einer gewißen Anftrengung des 
Auges umd inneren Sinnes auf die einzelnen Buchftaben zu lenken, 
ließ Die characteriftifhen Merkmale derfelben von ihnen genau 
Wehrnehmen , in ihre Beftandteile zerlegen , dieſe miteinander 
dergleichen , die allen oder mehreren Buchſtaben gemeinfamen 
Grundzüge auffinden, befchreiben, benennen und nach ihrer Achn- 
lichkeit und Gleichfoͤrmigkeit in gewiße Klaſſen ordnen. In dieſer 
Oder aͤhnlicher Weiſe teils auf analytiſchem, teils ſynthetiſchem 
ege ſuchte man eine vollkommen klare Einſicht der Buchſtaben⸗ 
formen bei den Kindern zu vermitteln.“ 


C. Der Rechnenunterricht. 
Dis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurde das 
Rechnen faft überall nur ſchriftlich und ganz mechanifch geübt. 





— 218 — 


Sleihwol behandelten manche Schulmeifter gerade das Rechnen a 
ihr Stedenpferd und wuften für daſſelbe mehr als für Anderes ı 
den Schülern einen regeren Sinn zu erweden. Wenn nach bei 
Geſang und Gebet, nady der Ueberhörung ‚der zum Auswenbi; 
fernen aufgegebenen Katechismus-Antworten und nad) ber Abfr: 
gung ber bibliſchen Hiftorien Die größeren Knaben (denn bie MA 
Ken nahmen felten Teil daran), ihre Rechentafeln und Rede 
bücher hervorholten, um ihre Exempel zu rechnen und bie Tafel 
voll Balen zu fehreiben, begann in manchen Schulen bie einzig 
Zeit, in welder die Schüler wenigftend Etwas von Freude a 
dem Aufenthalte im Schulhauſe bliden ließen. Natürlih we 
bie Einübung der vier Species das höchfte, was der Schulmeifte 
zu erreichen hoffen durfte. In Stabtfchulen wurde mol auch Bi 
zur Regeldetri vorgegangen. Bon Alters ber, war hier namentlic 
in den eigentlichen Schreib» und Rechenjchulen Balentin Hein 
ſens Schatzkammer der kaufmännijchen Rechnung zu Haufe. 

Erft feit Baſedow's, Felbiger's und Rochow's Einfluß i 
die Schulen drang, begann man dad Rechnen weniger mechaniſc 
zu betreiben und namentlid) auch das Kopfrechnen einzuführer 
Bei dem lebteren nahm man auf das tägliche Leben infofern Rüd 
ficht, als man die Aufgaben aus demjelben nahm und bie Vor 
teile benußte und bereicherte , welche im natürlichen Rechnen angı 
wandt wurden. Man lehrte 5. B., wenn eine Zal von zw 
Ziffern mit 11 zu multipliciren ift, fo abdire man die beide 
Biffern,, ſchiebe Die daraus entftehende Zal zwiſchen jene und ſprech 
fie nun als Produkt aus (11X 45 —=49). Daher war da 
Rechnen immer noch vorzugsweife eine Uebung bed Gedaͤchtniſſe 
und eine mechanifche Anwendung fünftlicher Regeln; und das Kopf 
rechnen unterjchieb fi vom Tafelrechnen nur dadurch, daß ma! 
bie Operationen, welche man fonft fchriftlih vornahm, auf ein 
beſchwerliche Weiſe im Kopfe ausführen ließ. *) 


D. Der Turnunterridt. 
Die Baſedowſchen Schulanftalten waren in dieſer Period 
die einzigen, in denen das Turnen gepflegt wurde. NRamentlid 


) Carſtenſen, Beitfeprift für das Volksſchulweſen, ®. I. ©. 334 ff 


— 239 — 


wir es Gutsmuts in Echnepfentbal, der teil durch Turn⸗ 
übungen, die er mit den Schülern anftellte, teild durch feine 
Säriften (Spiele zur Uebung und Erholung bes Körpers und 
Geiſtes [1802], Gymnaſtik für die Jugend [1804] und Turms 
mim [1817]) das Verftänbnis und Die Wertſchaͤtzung methodiſcher 
Leibesuͤbung zuerſt in weiteren Kreifen begründete. Allein in ben 
eigentlichen Volksſchulen konnten diefe gymnaſtiſchen Uebungen vors 
läufig noch keinen Eingang finden. Nur im Münfterer Lande fand 
dad Turnweſen, wenigftens nach einer gewißen Richtung bin, ges 
Birende Anerkennung. Der Zurkölnifche Minifter von Fürftenberg 
ließ nemlich, um das Volk wehrhaft und ftreitbar zu machen, bie 
Sagenb von früh auf in den Waffen üben, und fuchte ihr Luſt 
zu dieſen Uebungen und zu Allem, was den Körper ſtark und ge 
wandt macht, beizubringen. *) Außerdem wurben die Turnübuns 
gen in den Seminarien bier und da namentlih nad Gutsmuts 
Gymnaſtik eingeführt. In dem Seminar zu Schöneberg wurden 
Gutsmuts Anweifungen zur Aufführung von Turniren verwendet. 
Zugleich wurde bier, da es der Wille des Herzog war, bie 
Gymnaſtik in den Cyclus des Volksunterrichts aufzunehmen, den 
Seminariften nach und nach ein fhriftlicher Leitfaden gegeben, in 
welhen die Stufenfolge der gymnaſtiſchen Uebungen methodiſch 
vorgezeichnet war. 


E. Die Schuldißciplin. 


Das Prügelſyſtem, welches in den deutſchen Schulen wähs 
rend des 16. und 17. Jahrhunderts geberricht hatte *"), behauptete 


— —— — 


) Geiberp, Wefphälifhe Beiträge zur deutſchen Geſchichte, B.L ©. 194 


) Bon einem ſchwäbiſchen Schulmann Joh. Iac. Häberle wird berichtet, 
daß derſelbe über die während einer einundfünfzigjährigen Amtsführung ausge- 
teilten Prügel gemwißenhafteft Buch geführt hatte. Derfelbe hatte außgeteilt: 
| 911,527 Stodfcläge, | 
124,010 Ruthenhiebe, 

20,939 Pfõtchen und Klopfe mit dem Lineal, 
136,715 Handfchmiffe , 
10,235 Maulſchellen, 


— 220 — 


in denjelben auch während des 18. Jahrhunderts feine unumfchränften Ae 
Herrschaft. Fortwährend eiferten die weltlichen wie die geiftlicherer —n 
Behörden gegen dag rohe und wüſte Dreinfchlagen der Schulmeifter er 
und ermahnte diejelben fich einer humanen Disciplinirung der Schul AÆ al 
finder zu befleißigen. Allein dieſes barbarifche Unwefen erhielt fi _d 
nichtödeftoweniger in den Schulen bis in das 19. Jahrhundert hinein -n. 
Selbft noch zu den Zeiten Des Pädagogen Schwarz gab es Viele Fe, 
welche ald NAugenzeugen darüber berichten fonnten **), „wie das ne 
Schlagen alsbald nad) dem Morgengefang in förmlicher Executior on 
wegen der Sünden des vorigen Tages Die Weihe war, womit man deu en 
neuen Schultag anfing, und regelmäßig Die Beendigung der Schule — Te, 
um die neuen Sünden, die während der Schulftunden hinzugefommess —en 
waren, nun auch noch büßen zu laßen. Das gehörte in mancher —n 
Schulen fo zur Ordnung, daß die Schüler immer zitterten une i 
zagten, wenn das Amen des Morgengebetes herannahte. Deur nn 
da ſah man den Lehrer ſchon fih mit Stod und Ruthe rüftleree —n 
und nach einer der vorderen Bänke hinſehen, welche dazu gewähle I «ll 
wurden, um vorerft Die gröberen Sünden durch fogenanntete 3 
Ueberlegen abzuftrafen. Wir denfen noch mit Schaudern daran, st, 
wie manchmal ein Knabe Dazu verurteilt war, Wochen lang jeder. en 
Morgen mit diefer Execution (und das vielleicht entblöft!) denrer en 
Zug der Heinen Miffethäter anzufangen, bisweilen auch ihn zum gu 





7,905 Obrfeigen , 
1,158,800 Kopfnüffe und 
22,763 Notabenes mit Bibel, Katehismus, Gefangbuh unß ermd 
Srammatif. 
Summa: 2,392,894 Prügel 
Ferner muften 
777 Kuaben auf Erbfen, 
613 auf ein dreiediges Holz fnieen, 
50,001 den Ejel tragen und 
1,707 die Ruthe hochhalten, 
wozu noch einige nicht fo gewöhnliche Strafen famen, die Häberle in Notfällen am? 
dem Gteigreif erfunden Hatte. — Vrgl. Pädagogiſche Unterhaltungen für die GEBE. 
jieher und das Publicum. Jahrg. 3. Quart. 4. ©. 407. 


*) Sreimütige Iahrb. der allg. deutfhen Volkoſchulen I. &. 9. 





— 21 — 


beſchließen.“ — Die Auffaßung der Schule als eined Zuchthauſes, 
worin dem Schüler nur Prügel, Drohungen und allerlei andere 
Plogen geboten wurden, war daher fo allgemein, daß es in ber 
Zeit der beginnenden Echulreformen notwendig zu fein ſchien, dieſer 
Auffaßung durch öffentliche Belehrung entgegen zu treten. Johann 
Weter Miller fchrieb Daher feine „Schule des Vergnügensd” (neun 
Abhandlungen, welche vermehrt und verbeßert i. 3. 1765 erjchie- 
nm) und Thieme (Mector des Lyceums zu Lübben) veröffents 
Lihte eine Schrift unter dem Titel: „Ueber das vergnügte und 
angenehme Leben auf Schulen.” 
Allerdings gab es einzelne Schulmeifter, welche ſich ernſtlich 
vornahmen, auch in der Handhabung der Schuldisciplin mit der 
alten Manier zu brechen; aber gewöhnlich Tamen dann die felt- 
Tamften fchulmeifterlihen Mandvres heraus. So erzält Felbiger *) 
von einem ihm befannten „würdigen und beſonders frommen 
Schulmeiſter,“ der, wenn er einem Schüler die ſchon angekündigte 
Strafe körperlicher Züchtigung um feines Bittens und Zuſagens 
ernftlicher Beßerung erließ, dieſes nie that, ohne binzuzujegen, 
„daß der Menſch ohne Gottes Gnade nichts Gutes thun und fich 
Beßern könne.” Gr ließ das Kind niederfnieen, führte ihm nad) 
Beſchaffenheit der Sache zu Gemüte, wie auch Gott durch ſein 
Vergehen ſei beleidigt worden, daß es auch fein Vergehen Gott 
Abbitten, Beßerung verfprehen, und ihn um Gnade dazu Bitten 
Müße „Er that ein kurzes Gebet mit dem Finde und entließ es 
endlich. Niemald aber verfchonte er, wenn ein Kind nad) ders 
gleichen Verheißungen abermals ſich vergangen hatte“. 
„&ben dieſer Schulmeiſter,“ fo erzält Felbiger weiter, „machte 
Po dem Knieen einen ganz befonderen Gebrauh. Niemals ließ 
eT blos zur Strafe knieen. Wenn Kinder fich vergangen hatten, 
arnungen und Drohungen in den Wind fchlugen, jo fagte er zu 
ihnen: „Ich fehe wol, daß Gottes guter Beift euch verlaße, daß 
Ihr zum Böfen arten Haug, vom Guten viel Abneigung habt. 
Sud if nötig, von Gott Gnade zu enerer Beßerung zu erbitten‘; 


— — — 
) „Eigenfgaften „Wißenſchaften und Bezeigen rechtſchaffener Schulleute ‚" 





— 99 — 


knieet nieder und thut es.““ Er verlangte, daß fie mit lauten unl 
eignen Worten es thun ſollten; er half ihnen, wenn ſie es nich 
ſelbſt vermochten. Er that es mit kurzen Worten. Manchma 
begnügte cr ſich blos aus dem Vater Unſer die Worte: „„Vergie 
uns unjre Schuld, erlöfe uns vom Uebel““ zu braudhen. E 
erinnerte fie aber, im Herzen eben das zu denken, was der Dun: 
ſprach. Gr fügte oft fehr erbaulihe Worte bei, und war au’ 
merffam, mit welchen Geberden die Kinder dies Gebet ven 
richteten.” 

Faft nur in den Rocho wſchen und in den denfelben nad 
gebildeten Schulen war eine wirklich fittlihe und paͤdagogiſch 
Schulzucht wahrzunehmen. „Bill der Lehrer feinen Beruf erfüllem 
jo darf er den Kindern fein Plagegeift jein; vielmehr muß er al 
ein väterlicher Freund mit ernfter Liebe und freundlicher Würkz 
unter den Schülern wohnen,” — das war Rochows Gebaufe 
deſſen Berwirflihung aber in größeren Schulen natürlich eins 
Schwierigkeit hatte. 


| Do Zu 
Die Snduftriefhunlen. 


Seitdem Schulftein die” induftriele Beſchaͤftigung ber 
Schulkinder in den neuen Volksſchulen Böhmend eingeführt uni 
ald treffliches Mittel zur Hebung der Schulen empfohlen hatte 
wurde in vielen Gegenden , namentlich in den katholiſchen Ländern 
ber in den niedern Schulen erteilte Unterricht durch Ginrichtung 
von jogenannten Induſtrieſchulen erweitert, d. h. ſaͤmmtliche Schul 
finder oder diejenigen, welche die Induſtrieſchule aus freiem An: 
triebe bejuchten, wurden in mechaniſchen und Handarbeiten, in 
der Obſtzucht, in der Bartencultur und in allerlei anderen ge: 
meinnügigen Dingen unterrichtet. Dieſen Unterricht erteilte ber 
Schullehrer ſelbſt, oder deſſen Frau oder fonft Jemand, der bazu 
geeignet und geneigt war. Die von den Schulkindern angefer 
tigten Arbeiten wurden in ber Regel verfauft und von dem Grids 





— 223 — 


wurde ſodann Material zu meiterer Beichäftigung ber Kinder 
angeſchafft. 

Es handelte ſich hierbei nicht darum, die Schulkinder für 

Den Gemeinde- oder Staatshaushalt nüblich zu verwenden, auch 
wolte man zunaͤchſt nicht den Kindern felbft eine neue Erwerb 
quelle eröffnen. Vielmehr hatte man die Abficht, Diefelben plan- 
maßig an das Arbeiten zu gewöhnen und zu demjelben tüchtig 
zu machen, was bei der herkömmlichen Beſchaffenheit bes Uns 
terihts in den Volksſchulen allerdings durchaus notwendig war. 
Denn da nad der alten Methode der Schulmeifter fih in den 
Säulftunden immer nur mit Einem Kinde befchäftigte, fo lag es 
in der Natur der Sache, daß während der Beichäftigung bes 
Einen Schülers alle übrigen Schulkinder ihre Zeit mit Dumpfem - 
Sindrüten oder mit Ungezogenheiten verbrachten. Vorzugsweiſe 
Diiefem Webelftande follte durch induftriele Beſchaͤftigung der 
Kinder abgeholfen,, Die Aufmerkſamkeit, die bisher in den Schulen 
methodisch abgeftumpft war, follte gewedt und es follte ihnen 
mehr Luft und Liebe zu nüplicher Arbeit beigebracht werden. Der 
materielle Vorteil, der für Die Schüler und deren Eltern aus dieſer 
Einrichtung gewonnen wurde, galt nur als Nebenſache. 

Im evangelifchen Deutfchland war der verdienftvolle Pfarrer 
Ludwig Gerhard Wagemann zu Göttingen der erfte, der (zu 
Dricaeli 1784 in der Marten Pfarrjchule dafelbft) die erfte In⸗ 

duſtrieſchule einrichtete. Schon in den nächftfolgenden Jahren 
Wurden in vielen Dörfern der Umgegend vor Göttingen ähnliche 
Auftalten ind Reben gerufen und auch in andern Ländern fand das 
neue Inſtitut der Induſtrieſchule bald Nadyahmung. *) Indeſſen 
erhielt dieſelbe im proteftantiichen Deutſchland niemals eine fo 
allgemeine Pflege wie in den Fatholifchen Ländern. 





*) Ausführligere Rachrichten hierüber Rebe bei Krüniß, ökonomiſch⸗techno ˖ 
logfihe Cuchclopädie B. 62, ©. 59—101. Bgl. auch Lachmann (Pfarrer zu 
Bramihweig): „Das Induftriefhulwefen, ein weſentliches und erreichbares Be- 
dürfuis aller Bürger und Landfchulen, 1802.” 





— 224 — 


8. 16. 
Die Sonntagsſchulen. 


Eine zweite Erweiterung der Volksſchule war die Son 
ſchule, die den Zweck hatte, einerſeits den durch haͤuslich 
ſchaͤftigung von einem regelmäßigen Schulbeſuche abgeh: 
Kindern den erforberlichften Schulunterricht zu gewähren, a 
feit8 die bereits confirmirte oder zur Communion zugelaßen 
gend zu einer zwedmäßigen Wiederholung des in der Schul 
lernten an veranlaßen. 

Gewöhnlich wird die Einrichtung von Sonntagsjd 
al8 ein zuerft in England verfuchtes und von da nah D 
land verpflanztes Inſtitut betrachtet *). Indeſſen kamen Son 


*) So heift e8 3.8. in Rr. 65 der allgemeinen Schulzeitung vom Jahr 
„Unter den Inftituten, welde Brivatperfonen ihr Dafein zu danten habeı 
dienen die Sonntagsfchulen in England die erfte Stelle. Raickes, eu 
druder in Glouceſter, ſah in den Straßen der Stadt an einem Sonnta 
einige ungezogene Gtraßenjungen. Es jammerte ihn, daß diefe Burfche, 
in der Woche ihren Eltern mit Arbeiten an die Hand gehen muften, gi 
Unterrichts entbehren follten, und er kam auf den Gedanken, fie in einer 
tagsſchule zu verfammeln und zu unterrichten. Das Mufter fand Beifall 
glei war in London eine Gefellfchaft geftiftet, um die Errichtung der St 
ſchulen, d. h. folder, worin blos des Sonntags arme Kinder im Lefen 
den Anfangögründen der Religion unterrichtet werden, dur das ganze $ 
befördern. Dan wendete fi) zuoörderft an den edlen Menfchenfreund { 
welcher fogleih duch Wort und That eifrigft mitwirkte, weil er erkann 
ſchädlich es ſei, daß arme Kinder an Sonntagen fo müßig berumfchweife 
wufte, wie ſchwer, ja wie unmöglid es ift, beim Müßiggange feine Sitten 
zu erhalten; was für Ausfchweifungen ſogar die Kinder diefer Klaffe beginn 
welde fchredlihen Folgen diefe Gewöhnung für das künftige Leben haben 
wie aber eine beßere Bildung in den Sonntagsfchulen diefe Uebel hemmen 
&o gering diefer Anfang war, fo waren doch in einer Beit von 3 Jah 
Sonntagsfhulen ſchon in allen Gegenden des Königreichs zu finden, fo d 
am 10. Detober 1785 ſchon über 50,000 Kinder zälte, welde in diefen 
und guten Anftalten unterrichtet wurden, und feit diefer Zeit ift die Zal t 
der auf mehrere 100,000 angewachſen. Man will aud ſchon die vortre 
Folgen davon bemerken, indem ein Schriftfteller verfihert, daß feit Er 
diefer Inftitute der Diebereien weniger geworden jeien, daß man im dei 


— 228 — 


len ſchon im 16. Jahrhundert in den Niederlanden vor, wo 
8 allgemein herrichende induftrielle Leben die Kinder während 
er Werktage nit zur Schule kommen ließ und daher dad Be⸗ 
Krfnid der Einrihtung von Sonntagsjchulen am früheften fühlbar 
aachte. So heift e3 in einem Beichluffe der Synode zu Käm- 
merich (Cambray) vom Jahre 1567 (Tit. 5, Cap. 1): Sub ipsa 
item vesperarum hora scholis praesint dominicalibus ipsi pa- 
rochi aut eorum substituti“ Die drei Jahre fpäter, i. I. 1570 

gehaltene Provinzialiunode zu Mecheln erflärte: „Fit de schola 
; dominicali, — quum non omnes scholas quotidianas frequentare 
meint, sed multi per hebdomadam artificiis aut aliis domesti- 
ci occupationibus destinentur, quorum tamen parentes ad in- 
sütuendas proles suas idonei sunt; ideo ad satisfaciendum decreto 
| Coeili Tridentini curent Episcopi, praeter quotidianas scholas 
etiam dominicales in omni parochia institui, in quibus una aut 
‚illera pars, diebus dominicis et festivis lingua vernacula bene 
& distincte omnes prima principia religionis.... edoceantur 
alite per pastorem aut sacellum facili et qualem illa aetas 
aduittit, explicatione ad gustum intelligentiae etc.“ Aber aud) 
Anderes, als die Landesſprache und die Religionslehre fol in den 
Ednuntagsſchulen behandelt werten: Cap. 2: Etsi hae scholae non 
; Proprie instituantur ad litteras discendas aut artem scribendi 
 &legendi, poterit nihilominus iuventus in illis doceri, postquam 
in praedictis utcumque instituta fuerit, und zwar in der Regel 
außerhalb der Kirche, in der Kirche daher nur ausnahmöweife. Cap. 4: 
E nisi aptior locus inveniatur, poterunt hae scholae in templis 

Mtitni Endlich wird fogar die weltliche Obrigkeit gegen bie 
| Irfäumnis ſolcher Schulen zu Hülfe gerufen. Cap. 6: Ut autem 
kholae illae non frustra institutae videantur, sed cum fructu 
femententur, ineunda erit magistratibus loci cuiusque ratio, 


— — — 


biafſchaften, wo Sonntagsſchulen gehalten werden, mit mehrerer Sicherheit reife, 
“nd dab die Lerker nicht mehr mit fo vielen Verbrechern angefüllt feien. In Ror- 
IS gehen auch erwachſene Berfonen in die Sonntagsſchule. Dieſem Beifpiele find 
| * diele andere Staaten gefolgt, und haben dieſe Inſtttute einen glücklichen 
mg“ | 





15 


— 226 — 


a parentibus obtinendi, ut iuveutus has scholas diligenter 
quentet;.... idque sub certa mulcta a parentibus, si mon 
proles suas ad scholam venire non curent, exigenda.“ *) 
In Würtemberg waren Sonntagsſchulen ſchon im Jahr It 
angeordnet worden. Späterhin, im Jahr 1739, wurde die 6 
richtung derfelben nochmals verordnet. — Im Tatholifchen Deut! 
land wurden jonntäglide „Wiederbolungsfchulen“ zu 
dur) den Abt Felbiger zu Sagan im preußifchen Schlefien u 
feit 1574 in ganz Oeſterreich, fowie ſpaͤter auch in andern Fatl 
liſchen Ländern eingeführt. | 


$. 17. 


Die Waifenerziehung. 


Ein ganz neues Syſtem machte fi) allmählich in der 6 
richtung der Waifenerziehung geltend. Schon früher hatte fid | 
einige Waifenhäufer eine Abänderung ihrer DOrganifation infoft 
ergeben, als dieſelben nicht mehr als „Zucht- und Arbeitshäuft 
betradytet und behandelt wurden (was früher wenigftens in,Bet 
einzelner Waifenhäufer der Fall geweſen war). Weit wichti 
jedoch war es, daß man allmählich hier und da auf den Gedau 
fam, die Waijenhäufer als geſchloßne Inſtitute aufzulöfen und 
Waiſen gegen Vergütung in Familien erziehen zu laßen. 
zeigte fih nemlih, daß faft in allen Wailenhäufern die Kin 
fortwährend von Hautkrankheiten geplagt wurden, und man 
ein, daß nur Die enge Clauſur der Wailen in den meiftend ſ 
engen Räumen der Waijenhäufer der Grund dieſes Uebels u 
In Dillenburg, Kopenhagen, Pforzheim und Gotha wurden 
ber die Waifenhäufer gejchlogen und die Waifen wurden in 
milien untergebradht. Auch an anderen Orten wurde dasſe 
beabfichtigt, namentlih in Hamburg und Weinar. Ju Hamb 


*) Amthor, Beiträge zu Coburgs und Gothas Annalen, ©. 104. 


— 227 — 


fhrieb die daſelbſt beftehende „Geſellſchaft zur Beförderung ber 
| Kinfte und müßlihen Gewerbe” die Preidaufgabe aus: „Die 

dergleichung der Erziehung der Waiſen, entweder in einem 
gewöhnlichen Waiſenhauſe oder durch Beköftigung in oder außer: 


3 halb der Stadt, wo fie ihrem Stande gemäß auferzogen und 


unterrichtet würden, einerjeit8 in Anfehung der Koften und audrer: 
leitd in Anfehung der Kinder felbft, und der Abficht des Staates, 
wvrelcher Fünftigen Nußen davon erwartet, etwas ausführlid und 


A ahrungsmäßig darzulegen.” Unter den eingefandten Abhand- 


lungen erhielten zwei, von denen die eine von dem Licentiaten 
Starf zu Frankfurt a. M., die andere von dem Stiftöprediger 
Haun zu Gotha verfaft war, den ausgejchriebenen Preis, weshalb 
beide i. $. 1780 zu Hamburg im Drud veröffentlicht wurden. 
In beiden Abhandlungen wurde faſt mit denfelben Gründen die 
Privatverpflegung der Waifen in Rüdficht der Griparnis, der 
Geſundheit der Kinder und des Gewinnes für den Staat befür- 


J vwortet und der öffentlichen Erziehung in Watfenhäujern vorge- 


gen. Daneben wurden auch andere Stimmen laut, welche die 


Scließung der Waifenhäufer forderten. Uber fiber bie Frage, 
J vie die Privatverpflegung einzurichten fei, waren Die Anfichten 


J geil. Ginige meinten, daß man die Kinder teils in der Statt, 


J Nil auf dem Lande unterzubringen habe; andere wollten, daß 





| Me Waifen aufs Land verteilt würden; wiederum andere wuͤnſch— 
|; tm, daß man die Waifen in Einem Landftädtchen in einzeluen 
| Familien placiren und fie unter die Aufficht Eines Inſpektors und 
Cines Arztes ftellen möchte, oder daß die einzelnen Waifen an 
den Orten, an welden fie geboren und erzogen waren, in Ver- 
| Megung gegeben würden. Aber auch das Syftem der Privater: 
' bung felbft wurde hin und wieder im Princip befämpft, und 
Mar mit jo gutem Erfolg, daß felbft zu Hamburg am 30. No- 
uber 1780 befchloßen wurde, die bisherige Art der Waifener- 
Webung beizubehalten, „weil man von der neuen Einrichtung und 
Privatverpflegung der Waifen nicht mit Gewißheit auf beßere Er- 
Nebung und Verforgung derfelben rechnen Fönne.“ Dagegen in 
Beimar wurde das Waifenhaus nach reiflichfter Erwägung aller 
15° 


— 228 — 


für und wider dad Syſtem privater Erziehung der 
tend gemachter Gründe imJahr 1784 gejchloßen. *) 


6, 18. 
Die Bell - Lancafterfche Cehrmethode. 


Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts wurde 
land von England ber die von dem bifchöflichen Ge 
Aufſeher einer Waifenfchule zu Egmore bei Madras ] 
Bell (um 1790 bi8 1796) und von Joſeph Lanc 
Sohn eined Siebmachers und Quäkers zu London) ve 
thode bekannt, welche in Franfreich den Namen der 1 
wechfeljeitigen (mutuel) Unterricht erhielt. Indeſſen 
eigentliche Idee dieſer Methode darin, daß der Lehrer 
durch (bereit unterrichtete) Schüler unterrichten ließ, ı 
als Hülfslehrer gebraudte. Die Methode empfahl | 
e8 galt, große Maſſen von Schülern, für deren info 
gewöhnlichen Stil man feine ausreichenden Lehrkräfte 
wo zugleich die zur Beſoldung von Lehrern und Ein 
Schulhäufern nötigen Geldmittel fehlten, zu informiren 
als praftiich, wurde aldbald durch Einführung des Com 
in die Schule und eines nur für Maflen berechneten V 
der Bewegung militärijch weitergebildet und wegen ihı 
beit vielfeitig gerühmt. Tilgenfamp (Bell's Schulmeth: 
burg 1808) und Natorp (Lancafter, einziger Schulm 
taujend Kindern. Ebendaſ. 1808) waren die Erften, 
neue Unterrichtöweife ald eine von England hHerübe 
Lehrmethode in Deutjchland befannt machten. 

Indeſſen war dieſe Unterrichtöweife in Deutfd 
durchaus neu; vielmehr war Diefelbe, lange ehe man a 
Tancafter Dachte, bier und da in einzelnen Schulanftaltı 


*) Brgl. „Verſuch einer Geſchichte der herzoglichen Waifenanftali 
in Henkes Archiv jür die neuefte Kirchengefchichte, B. IL. S. 20 
Günther, „die Waifen in Großh. Sachſen Weimar." Weimar 1 





— 229 — 


ih auch ſchon um 1792 auf dem Seminar zu Kiel eingeführt 


porden. *) 
Der damalige Kanzler Kramer nemlich, durch welchen die 


Gründung des Seminars veranlaft war, hatte in Abficht, durch 


tasfelbe zugleich auf die fiudirenden Theologen einzuwirken. Es 


 folte eine mit der Univerfität in Verbindung ftehende, und Diefer 
F um Vorteil gereichende Anftalt fein; darum wurde es in Kiel 
I michtet. Die Seele des Seminar war Cramer. Derjelbe be- 


wirkte e8, daß das von Muhlius geftiftete Waifenhaus mit dem: 
eben in Verbindung fam, daß Lehrer angeftellt wurden und Daß 
fh junge Leute zum Beſuche des Seminars einfanden. Der Uns 
trriht war von Anfang an wechlelfeitig. Cramer inſtruirte und 


] mterrichtete die Lehrer, welche einige Seminariften unterrichteten 
J und durch Diefe wieder andere Seminariften inftruiren und beaufs 
7 fhtigen ließen. Außerdem erteilten die befähigteren Seminariften 
unter Anleitung ihrer Lehrer auch im Waiſenhauſe Unterricht. 


Gleichwol gelang es dieſer Methode eigentlich nur in Schledwig- 
holſtein heimifch zu werden. Allerbingd kamen Verſuche, dieſelbe 
nahzuahmen , bin und wieder (z. B. in Würtemberg) vor; aber 
nur in ſehr wenigen Schulen wurde Diefelbe genau und ftreng 
durchgeführt. Außerdem ift zu beachten, Daß da, wo diefe Lehr: 
methode in deutfchen Volksſchulen Eingang gefunden hatte, Diefelbe 
in der Regel nicht als Nachahmung des englifchen Lehrfuftems 
borfam, fondern fi aus dem Bebürfnis der Schule von jelbft 
gebildet hatte. Dieſes zeigt fich z.B. iu der Schule des preußifchen 
Dorfes Kley, wo im Jahr 1804 der damalige Lehrer Stab das 
Bejentlichfte der Lancaſterſchen Methode recipirt hatte, ehe er von 
kancaſters Einrichtungen etwas wufte. Der Notfland der Schule 
und eigned Nachdenken des Lehrers hatten bier von felbft, ohne 
daß von einer Nachahmung die Rede fein konnte, zu denſelben 
Snfitutionen geführt, Die in England mit Lancafterd Namen be- 
zeichnet wurden. Es war biefes in folgender Weife gefommen. 

Als nemlich der Lehrer diefer Schule i. 3.1804 feine Stelle 
zu Kley antrat, fand derſelbe etwa 70 Kinder in der Schule, 
— — — 


) Earftenfen, BSeitſchrift für das Volksſchulweſen, 8. II, ©. 199 ff. 


— 230 — 


welche unter der Sorgloöſigkeit feines abgeſetzten Vorgängers 
verwahrloft waren. Der neue Lehrer gab fi alle Mühe, 
verloren gegangene Ordnung berzuftellen, und ſehr bald I 
derjelbe das Vertrauen der Gemeinde gewonnen. Schon | 
Anfange des folgenden Halbjahres flieg die Zal der Sch 
auf 100. Da dad Scuichalten zu Kley wie anderwaͤrts 
freies Gewerbe angejehen wurde, fo hatten fi in den le 
Jahren daſelbſt zwei Winfeljchulmeifter angefiedelt, welche un 
eher ihr Beſtehen fanden, als fie bei der ſchlechten Beſchaffer 
der Pfarrichule zu Kley eine Menge Kinder an fi Ioden kon 
Diefe Klippfchulen fingen an, allmählich, fowie die öffentliche ©ı 
in den Augen der Gemeinde fi) bob, in fich felbft zu zerfa 
Der Ortspfarrer erklärte fich bereit, den etwa erforderlichen 
terricht im Franzoͤſiſchen und in den höheren gemeinnüßigen Ke 
niffen felbft zu erteilen und dazu täglich anderthalb Stunde 
verwenden. Dieje Erklärung machte dem Unfug der Klippich 
mit Ginem Male ein Ende. Die Pfarrjchule umfafte jegt | 
mehr ald 150 Schüler. Die Gemeinde, welche über dieſes 
blühen der Schule ihre gröfte Freude hatte, ließ das Schulzin 
um das Doppelte erweitern und nad der Borfchrift des Leh 
neues Schulgeräte anfertigen, Das Bimmer bildete nun ein | 
liches Viereck, welches von drei Seiten her Licht erhielt. An 
einen ſchmalen Seite des Bimmerd war der Sit des Lehrers 
ein freier Raum. An der andern ſchmalen und den beiden br 
Seiten ging rings herum ein um einen Fuß erhöhter Sik 
einem Bulte für die Klaſſe der geübteren Schüler. In 
Mittelparfe ftanden die niedrigen Sike und Pulte für die u 
Schulklaſſe. An der Wand hinter dem Lehrer und zu den bi 
Seiten defjelben hingen die ſchwarze Tofel und die übrigen W 
tafeln und Tabellen. Der freie Raum vor dem Sitze des Let 
war jo groß, Daß derſelbe eine Abteilung der Schüler nadı 
andern, allenfalls zwanzig zuſammen, vortreten laßen konnte 
Als die Schule auf einmal fo überaus zalreich gewo 
war, wäre die Anftellung eines zweiten Lehrers am wünjd 
werteften gewejen. Da dieſe indeffen nicht zu ermöglichen 
jo blieb dem Lehrer nichtd anderes übrig, als mit angeftren 


— 91 — 


ı die Laſt allein zu tragen und mancherlei disciplinariſche 
üttel zur Regierung uud Unterweifung der finder anzu> 
. Der Lehrer führte daher eine etwas firengere Schulzucht 
handhabte diefelbe mit Bonfequenz und Ernſt. Dadurch 
fte er fih Stille und äußere Ordnung. Um dann 
ıh eine regelmäßige, anhaltende Befhäftigung 
inder zu bewirken, führte der Lehrer ſolche Lehrmittel ein, 
yelhe er jedesmal eine ganze Abteilung von Schülern gleich 
nterweifen oder für fi in Thaͤtigkeit feßen Eonnte. Gr 
jte nemlich für die ABCſchüler eine Buchftabentabelle, für 
änger im Lejen einige Sillabirtabellen, für die Rechenjchitler 
Itabellen, alle in großem Formate mit Buchftaben und Bif- 
n ber Höhe eined Zolles. Wenn eine Klaffe vortrat, wurde 
‚belle an der Wand aufgerichtet, und an der Tabelle wurde 
htet. Für Die eignen Uebungen der Schüler bediente fidh 
wer beim falligraphifchen Unterricht der Jäck'ſchen Vor— 
„ beim Unterricht im Rechnen der Junker'ſchen Exempel- 
und bei den Uebungen im fchriftlichen Austrud einer Samm- 
on Borlegeblättern, welche er ſich felbft verfertigt Hatte. 
fen Ießteren ftanden Aufgaben und kurze Skizzen, ungefähr 
faft, wie die in den fpäter (1810) erfchienenen „orthos 
chen Borlegeblättern” Baumgartend. Das alles ging, als 
al im Bleife war, ganz gut, und ließ den glüdlichften 
tand ber jungen Einrichtung hoffen, fo lange der Lehrer 
mit jugendlicher Kraft werde beherrfchen können. Aber 
ſehr die Frage, ob auch der alternde Lehrer dazu im 
fein werde. Da las berjelbe (1808) in einem öffentlichen 
die Nachricht: „Zu London fei ein Schullehrer Namens 
Lancafter aufgetreten, der als einziger Schulmeifter unter 
Kindern in Einer Schule ftehe.. Es herrſche in dieſer 
ber Geift der Stille und der pünktlichflen Ordnung. Die 
tte der Schüler im Lejen, Schreiben und Rechnen feien 
merfbar und fo groß, Daß fie es hierin in einem einzigen 
weiter brädhten, ald in den gewöhnlichen Schulen während 
janzen Eurfus von 5—6 Sjahren der Fall zu fein pflege, 
eſes werde einzig und allein durch die eingeführte Schul⸗ 


— 232 — 
dDisciplin und Unterweifungsmethode bewirkt. Ein fa 
kundiger Deutfcher habe diefe Schule in London befucht, und ei 
ausführliche Befchreibung derfelben von Lancaſter jelbft fei in eit 
deutfchen Ueberſetzung erfchtenen.” *) 

Der Lehrer eilte, fich Die Meberfeßung der Schrift Lancaſte 
zu verichaffen, und gewann aus berjelben fehr bald die Ueb 
zeugung, daß es zur Disciplinirung einer fo fehllerreichen Anft 
al8 die feinige war, mit der Ordnung nicht genug fei, Daß 
berfelben vielmehr noch Die firengfte Pünktlichkeit hin 
tommen müße. Diefe war es, die er in feiner Eule fof 
einführt. Mit Allem, was in der Schule angeordnet und 
trieben wurde, fing es der Lehrer an, im höchſten Bra 
genau zu geben. Die Kinder muften ibm nicht blos ungefk 
zur rechten Zeit in der Schule erfcheinen, fondern auf d 
Glockenſchlag. Nicht genug, daß fie reinlich, ordentlich 
wafchen, gefämmt und ordentlich angezogen erjchienen: es dun 
auch nicht Die allergeringſte Unordentlichkeit an ihı 
gefunden werben; aud bei dem Armften Kinde hielt ber Leh 
darauf, daß es felbft in feinen Lumpen vollfommen orbent: 
und rein fein mufte. Für Kinder, die auf einem weiten Wege 
nafler Witterung beſchmutzt herankamen, ftand nahe an der Sch 
eine Waßerpumpe, und an der Schulthüre ein Schabeifen. W 
dem Glockenſchlag begannen und endigten Die Tectionen. AU 
was befohlen wurde, mufle auf den leifeften Wint ı 
fogleid auf der Stelle geſchehn. Alle Schüler muften, 
wie der Lehrer in die Schule trat, vor ihm langſam vorüberzie 
und die Mufterung pafliren. Ein Jeder hatte feinen ang 
wiefenen, mit einer Nummer bezgeihneten und n 


) Diefe Bemerkung bezieht fi auf die Schriften: „Ein einziger Schulme 
unter taufend Kindern in Einer Schule; ein Beitrag zur Verbeßerung der % 
methode und Schuldisciplin in niederen Boltsfchulen von 3. Lancafter Ant 
Englifchen ins Deutſche überfegt und mit Anmerkungen begleitet von B. C L. Rat 
Duisburg und Effen 1808;" und „D. A. Bell's Schulmethodus; ein Beitrag 
Berbeßerung der Lehrmethode und Schuldisciplin in niederen Volksſchulen. 
dem Englifchen überfept von Tilgenfamp. Duisburg und Eflen, 1808.“ 





— 233 — 


mei Striden abgemeßenen Plaß; nur auf diejen durfte 
er fih ſetzen. Kein Tiſch, Feine Banf, feine Tafel, feine Tabelle 
durfte nur im Geringften verrüdt werben. Sein Buch, Feine 
Shreibtafel, kein Tintenfaß ac. 2c. durfte anderswo angetroffen 
werden, als auf der ihnen ein für allemal angewiefenen Stelle. 
Die Schulgeſetze muften vom Gröften bis zum Kleinften aufs 
Genamefte befolgt werden ; auch die allergeringfte Uebertretung 
wurde fogleich bemerklich gemacht und gerügt. 

Im Bedränge der Arbeit und Zeit hatte der Lehrer in feiner 
Schule bisweilen einen Schüler der oberften Abteilung mit einer 
mteren Abteilnug an die Buchftabentabelle, um fie daran zu üben, 
oder wie man ſich auszudrüden pflegte, um fie anfagen zu laßen, 
geſtellt, während er fich in der andern Ede des Schulzimmers mit 
einer anderen Abteilung befchäftigtee Dieſes war zunaͤchſt ein 
Rotbehelf. Bon Lancafter lernte er indeflen aus dieſem Not- 
behelf eine Regel, aus der Not eine Tugend zu machen. Bei 
einer jeden Abteilung der Schule ftellte er einen gelibteren Schüler 
ald feinen Meinen Untermeifter (oder Monitor, wie ihn Lan- 
tafter nannte,) an. Diefe Eleinen Untermeifter muften ihm nicht 
allein bei der Handhabung der Außeren Ordnung, fondern auch bei 
der Unterweifung ber übrigen Schiller Hand- und Spanndienfte 
thun. Sie muften darauf achten, daß die ihrer Untermeifterei 
übergebenen Schüler ihre Bücher, Schiefertafeln, Schreibmateria- 
lien ıc. ıc. vorjchriftSmäßig bet fich hatten, mit denfelben gut um- 
Bingen, ordentlich und rein erjchienen und blieben. Sie muften die 
Bücher und Schiefertafeln, wenn fie grade gebraucht merben follten, 
auf ein gegebened Signal aus dem Schulfchraufe holen, herum⸗ 
reichen, wieder einfammeln und in den Schranf zurückbringen. Sie 
Muften die aus ihrer Abteilung ausgebliebenen Schüler notiren, 
am fie nachher in Die Abfentenlifte eintragen zu laßen, wozu ein 
be ſonderer Untermeiſter beſtellt war; ſie muſten, wenn der Lehrer 

ihre Abteilung oben an der Wandtafel oder an ſeinem Tiſche 
Untermies, mitzugegen fein und den von ihm mit der Abteilung 
behandelten Gegenſtand mit denſelben repetiren. Die Penſa, in 
welche der Unterricht eingeteilt war, waren ſehr kurz; das „Vor: 
machen“ ober Die von dem Lehrer erteilte Anweifung zum Grlernen 


— 234 — 


eines Penfumd dauerte jedesmal nur wenige Minuten, und ums. 
war danı Sache der Untermeifter, dieſes Penfum auf die Weil —«, 
wie es ihnen vorgemadht war, mit den Schülern durchzulernemen 
und einzuüben. Wenn die eine Abteilung mit ihrem Untermeiftummmer 
inftruirt und zum Nachüben entlaßen war, trat eine andre Abte— 
lung vor. Diefed Durchlernen, Ginüben, Nachmachen, Repetivemmmı, 
Nachexerciren ber Untermeifter mit ihren Schülern mufte von ihneme=n 
jo ftile und leife ald möglich betrieben werden, damit das dam di ;:; 
unvermeidliche Gemurmel und Geſumſe nicht in ein gellendes & +; 
Ichrei ausarte. Sämmtliche Untermeifter wurden von dem Lehr ar 

zu ihrem Afliftenzgeichäft von Zeit zu Zeit in bejonderen Lectioneme=n 
vorbereitet und abgerichtet. Jeder Untermeifter erhielt feine > # 
fondre Synftruction über dag, was er mit der ihm anvertrautemmen 
Abteilung zu thun, wie er fie zu befchäftigen und in welder Oor —⸗ 
nung und Folge er dieſes zu thun babe, fo daß Fein einzig — 
Schüler auch nur einen Augenblid ganz müßig blieb. Ein Unte 
meifter aber befleidete dieſes Amt nur für einen einzigen Lech —” 
gegenftand. Wurde ein neuer Lehrgegenftand vorgenommen, — 1 
trat eine neue Glaffification der Schüler ein. 

Die früheren brei Abteilungen (der ABEfchüler, der Amel’ 
fänger im Leſen und der geübteren Lefer,) aus denen nad althee =‘ 
kömmlicher Weile Die Schule beftanden hatte, waren alſo (une!) 
das hatte fich der Lehrer aus Lancafterd Einrichtungen angeeignet, ") 
in zwei Hauptklaffen umgewandelt, nemlich in die Klaffe der Ges ” 
übteren, welche rings herum auf erhöhten Bänfen ſaß, und iu 
die Klaffe der Anfänger, welche im Mittelpunfte der Schulftube rt 
ihren Sig hatte. Während die letztere von dem Lehrer angeleitex et! 
und von den Untermeiftern examinirt wurde, befchäftigte fich Ye 2 2, 
erftere mit Uebungen im Schönfchreiben, im Rechnen, in der Ver— ’ 
fertigung fchriftlicher Aufjäge, im Auswendiglernen vorgelegter — = 
Aufgaben u. ſ. f. Diefe Geübteren, die in einer Biertelftunde > : 
jo viel gelehrt werden Eonnten, daß fie eine Stunde daran zu 
lernen und zu arbeiten hatten (während die Kleinen unter ftiller 
Aufficht ihrer Untermeifter ohne alles Geräufch mit Mebungen im | 
Zeichnen und Schreiben oder auch durch gumnaftifche Uebungen ze 
auf dem Schulplaße beichäftigt wurden,) hatten natürlicd feine F* 





— 235 — 


Eintermeifter, da dieje vielmehr aus ihnen genommen wurden. So 
lange fi) der Lehrer mit ten Geübteren befchäftigte, durfte ſchlech⸗ 
terdings fein Wort geiprochen, fein Geräufch gehört werben. Es 
; war alsdann jo file in der Schule, Daß man das Gekritzel der 
FWecdern hörte. Es waren auch einzelne Pehrftunden angeorbnet, 
wos überhaupt gar nicht, weder von dem Lehrer noch von den 
| Schuͤlern geſprochen, fondern von einem jeden Schüler in ber 
1 
' 





Stile gearbeitet wurde. Der Lehrer ging dabei leife auf und ab, 
Jah die Arbeiten nach und Leiftete in aller Stille, wo es not that, 
Nahhülfe. Diefe Stunden hießen das Silentium. Daneben 
kamen aber auch einzelne Stunden vor, wo Alles laut mit und 
dircheinander lernte. 

Die Klaffe der Behbteren fonnte mechanifch geläufig lejen, 
Ichreiben und rechnen; die andere Klaffe konnte dieſes noch nicht, 
ſondern lernte ed. Jene, die Beübteren, ließ der Lehrer leſen 
amd ſchreiben, nicht mehr um ihnen den Mechanismus des Lejens 
und Schreibens anzueignen, fondern um durch Leſen und Schreis 

ben ihnen Einfichten, Kenntniffe und Geſchicklichkeiten beizubringen. 

Die zweite Klaſſe war nach den verſchiednen LTehrgegenftänden in 

Einzelne Abteilungen claffifizirt. Dieſe Glaffification war durch die 

einzelnen Stufen des Lehrcurfus beftimmt. In der Abteilung der 

Leſeſchüler z. B. waren (mit Zugrundlegung der Stephaniſchen 
Leſelehrmethode) nach den Stufen des Unterrichtscurſus fünf Un⸗ 
terabteilungen gebildet, deren jede auch ihre beſonderen Baͤnke und 
Untermeiſter hatte. Die Schuͤler der unterſten Abteilung (Vorbe⸗ 
reitungsclaſſe) wurden auf das Leſenlernen durch Sprechenlernen 
vorbereitet, und geübt, ihre Organe richtig zu gebrauchen, und die 
einzelnen Sprachlaute, Silben, Wörter, kurzen Säge richtig und 
geläufig auszuſprechen. Die zweite Claſſe (Vocalclaffe) lernte bie 
Scale kennen; die dritte (Diphthongenclaſſe) die Vocalfilben; 
Die vierte (Sillabirclaffe) Ternte die Conſonanten mit fämmtlichen 
Bocalen und Diphthongen verjchiebentlih zufammengefeßt aus⸗ 
ſprechen. Die fünfte (Lefehbungsclaffe) übte ſich im zuſammen⸗ 
Hängenden Lefen. Auf ähnliche Weiſe waren auch die Schreibe 
ſchüler und bie Rechenſchüler nad) den Stufen des feftgefeßten 
Lehrcurſus in mehrere Abteilungen geteilt. Kein Schüler rüdte 


.! 


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7 





— 236 — 


in die nächftfolgende Abteilung hinauf, wenn er nicht de 
ber vorhergehenden Abteilung durchgeübt und völlig gel 
Da die Eurje fo beflimmt abgemeßen, die Stufen fo ; 
gegeben und Die Penfen einer jeden Lehrftufe fo klein w 
fühlten fih die Schüler zum Lernen, Ueben und Wei 
lebhaft ermuntert. Sie fonnten fi ihrer Fortſchritte 
wujt werden, und mwuften, mo fie grade fanden, weld 
fie hinter fi), welche fie vor fi hatten. Manche Kind 
nur einen einzigen Tag in einer Abteilung fihen. — I 
vielem Andern, jo erhob ſich die Schule über LTancafteri 
tung dadurch, daß in ihr (in der Klaffe der Geübteren) 
hanifche Leſen, Schreiben nicht als ſchlechthinniges Ziel 
zugleich als Mittel zur Erreichung des eigentlichen höher 
nemlich der Aneignung von Kenntniffen und Gefchidlich 
gejehn wurde.®). 

Gine trefflihe Einrichtung war e8, daß der Lehrer, 
in anderen Schulen für eine Mafle von Lehrgegenftänd 
graphie, Naturkunde, Gejchichte, Technologie, Gefundheiti 
in jeder Woche einzelne Tehrftunden angeordnet waren, it 
einen einzigen Lehrgegenftand auf ber Tagesordnung bi 
nicht eher zu einem andern Fache überging, bis jenes fo 
das Lehrbuch führte, binlänglich gefaft worden war. Di 
Einrihtung verhütete der Lehrer jene heillofe Berfplitte 
Unterrichts, durch welche den Echülern das Lernen erfchı 
Fortſchreiten unficher, ihre Aufmerkfamkeit zerfireut und i 
oberflächlih wird. — Monatlich zweimal teilte der 8 
Schülern in der für den Unterricht in gemeinmüßigen Di 
gejegten Stunde einzelnes Wichtige aus den Zeitungen m 
eine große Wandkarte von Europa gebraucht wurbe. 

Da das ganze Syftem der Schule vorzugämeije 
fefte Disciplin gegründet war, fo hatte es der Lehrer 
gefunden, fich mit einem Ausſchuß aus der Mitte der S 
umgeben. Dr. Bell hatte in feiner Schule zu &gmore bei 
in Oſtindien eine Jury von Schülern errichtet, welche u 


*, Nah Natorps Briefmechfel einiger Schullehrer und Schulfre 
©. 102 — 121. 


— 237 — 


Bert Fraͤfidium des Schulmeifters über die Befolgung der Schul- 
geſeze wachten und über die Uebertreter derſelben das Urteil 
ſprachen. Bell fagte von Diefem Gerichte, es gebe dem Schul- 
meifter gleichfam die hundert Hände des Briareus, die hundert 
Augen ded Argus und die Flügel des Mercurius, Nah Bells 
4 Bergang hatte daher der Lehrer ein eigued Schulgericht angeord- 
4 net. Daſſelbe beftand aus ben ſechs oberften Schülern der Klaſſe 
{ia der Geübteren, wenn biefe von ihren Mitfchülern felbft wegen ihr 
4 res Fleißes und Betragens als die ſechs oberften anerkannt wor- 
den waren. In der legten Schulftunde jeder Woche unterfuchte 
dad Schulgericht Die Uebertretungen des Geſetzes und die Klagen 
der Untermeifter. Die Strafen, welche fie beftimmen fonnten, wa⸗ 
in Degradation, Schularreft und Notirung im Genfurbuche, aus 
welchem jährlich bei Gelegenheit des öffentlihen Examens für je 
den Schüler die Genfurzettel gejchrieben wurden. Körperliche Züch- 
tigung wurden in der Regel als unftatthaft angejehn. In einem 
einigen Notfalle, der im Laufe von zwei Jahren vorfam, wurde 
Erperliche Züchtigung von dem Lehrer allein verordnet. Uebrigend 
wurde Alles, was Lancafter über Prämien, Ehrenbezeigungen und 
Strafen beftimmt hatte, von der Schule fern gehalten, indem e8 
der Lehrer ald Grundſatz fefthielt, daß Belohnungen und Strafen 
in der Schule überflüßig, und daß Schüler nicht mit der Macht 
des Armes, fondern mit der Uebermacht des Geiſtes vegiert wer- 
den müßen. 

AS Ergebnis aller dieſer mit der allergröften Sorgfalt übers 
machten Ginrichtungen berichtete der Lehrer Stab am 16. Februar 
1809 an einen Freund: „Es wird vielleicht auffallen, wie ich fo 
Diele Zeit finden fann, um den angegebenen Kurjus in gemein- 
nũtzigen Kenntniffen und den biblischen Kurjus mit meinen Schü- 
lern zu machen; da man doch gemeiniglich fehon feine liebe Not 
Bat, die Kinder während der Echuljahre zum Lefen und Schreiben 
ar) zum Auswendigwißen des Katechismus zu bringen. Einzig 
und allein die beßere Lehrmethode und Disciplin macht mir dieſes 
masglih. Diejenigen Kinder, welche regelmäßig zur Schule fom- 
‚ men, gejunde Fähigkeiten haben und ſich in die eingeführte Schul- 

Ordnung willig fügen, erlernen das Lefen und Schreiben bis zu 








— 238 — 


einer ziemlichen Gelaͤufigkeit in Einem Jahre, und daher 
mir wenigſtens 3— 4 Schuljahre übrig, um meinen Kur 
ihnen zu machen. Der Schulbefuh ift aber im Ganzen | 
dentlich; die Kinder lernen durch meine und der Schule O 
felbft die Ordnung lieb gewinnen; fie fürchten Das Abjenzbi 
Degradation, das Zurüdbleiben Hinter ihren Kameraden, 
Unwillen, die Tage des Examens und den Pfarrer, weld 
jchlecht vorbereiteten Kinder unerbittlih vom Katechumene 
richte und von der Konfirmation gewißenhaft zurüdweift; ı 
ber laßen fie ſich jelten Schulverfäumnifje zu Schulden komm 


$. 19. 
Sdhulfeke 


Aus den Tateinifhen Schulen ging in einzelnen G— 
das Gregoriusfeft auch in die Volfsfchulen über. Die Sci 
feierten den Tag mit öffentlichen DBeluftigungen und mit 
und erfreuten fi) an den Brezzeln und anderen Dingen, di 
auf Gemeindefoften gereicht wurden. Außerdem famen h 
da einzelne Schulfefte vor, die rein Iocaler Art waren. ( 
ches jährlich wieberfehrende® Schulkinderfeft war 3.8. zu 
leben im Herzogtum Gotha üblih. Dafjelbe fol nach Beer 
des Dreißigjährigen Krieges entftanden ſein. Es wurde all 
auf den 2. Pfingfttag nad) dem Nachmittagsgottesbienfte v 
Schulfnaben begangen und in der Mitte des vorigen Yahrb: 
folgendermaßen bejchrieben: Nachden ſich Die Schulfnaben fä: 
mit verjchiedenen Bändern gepußt, Die Röde aufgefchlagen 
die Hüte rundum mit weißer Verzierung, ftatt der Treffen, 
haben, verjammeln fie ſich mitten im Dorfe auf dem foger 
Lindenhügel, wo fie von den älteften Schulfnaben in O 
geftellt werden. Darauf beginnt der Zug auf Buntge' 
Stedenpferden. Der Erftere, der ihn führt, trägt eine lan 
Weideuftange, welche cbenfalld bunt gejchält ift, und an 
noch einige Zweige hat. Zuerſt reiten fie nad) Der Waßer 





) Natorp, Briefwechfel, 8. III. 6. 136. 





— 239 — 


wo fie, nebft einigen Ergoͤtzlichkeiten, einen trodenen Kuchen, der 

in bie Zweige der Stange eingebunden und noch überdieß von den 

Schulmädchen mit Bändern geziert wird, erhalten. Von da reiten fie 

im ordentlichen Zuge unter dem freudigen Rufen: Vivat die Iufti- 

gen Bfingftreiter hoch! nad) des Schultheißen Behaufung, darauf 

im die Adjuncturwohnung und alddann vor das Gantorat. An 

diefen drei Orten erhalten fie ebenfalld eine &rgöglichfeit und 
einige ganze Kuchen. Auch wirb ihnen von dem jebeömaligen 
Lehntraͤger des Witzlebiſchen Erblehnguted ein Kuchen verabreicht, 
den die ſaͤmmtlichen Beſitzer defjelben dem Lehnträger aus ihrer 
gemeinfchaftlichen Gafle vergüten. Bon da geben fie mit einem 
anhaltenden Freudenruf: Es Ieben die Pfingftreiter hoch! nad 
dem gemeinen Springbrunn, fonft Hauptbrunn genannt, um wel 
hen fie einmal herumreiten, und ſodann nad dem Badhaufe, wo 
fie nody einen Kuchen befommen, welcher zugleich, nebft den andern 
geſchenkten Kuchen, in Stüden gefchnitten und unter fämmtliche 
Knaben verteilt wird. Nun zerichlagen fie dajelbft ihre Steden- 
pferde, Buntjchäde genannt, und begeben fi, jeder Knabe mit 
einen Schulmädchen an der Hand, auf den Tanzboden, wo fie 
fi fo lange beluftigen, als es ihnen erlaubt wird. Diefed Kin⸗ 
derfeft zieht von den benachbarten Ortfchaften viele Zufchauer her- 
bei, und ermuntert die Eltern, ihren Kindern die Schule angenehm 
du machen, erwedt auch die Kinder, um nicht von Diejer ländlichen 
Kinderfreude etwa wegen Unfleißes zurüdgewiefen zu werden, bie 
Schulzeit wol anzuwenden.” 

An manchen "Orten hatten fogar Faſtnachtspoſſen in den 
Säulen Eingang gefunden. So war es in vielen Dörfern 
Baiernd Sitte, daß die Kinder am Faſtnachtstage auf folgende 
Art zur Schule binausgeprügelt wurden: Der Lehrer febte ſich 
unweit der Thüre auf eine Bank, breitete feine Süße weit aus, 
und hielt einen Bafel in der Hand. Die Kinder muften nun hin- 
durchſchlüͤpfen, um zur Thür hinaus zu kommen, und wer nicht 
Techt geſchwind war, befam tüchtige Hiebe auf den Hinteren. Da 
Alles diefes nur ein Schwanf fein, und dem Lehrer ein Faſtnachts⸗ 
Seſchenk eintragen follte, jo erlaubten ſich die Kinder auch hierbei, 
Dem Lehrer in die Waden zu fneipen, ober ihn wol auch mit der 


— 40 — 


Bank, zu allgemeiner Beluſtigung, umzuwerfen. — Seit dem — 
fange des neunzehnten Jahrhunderts wurde indeſſen Diefe Fam 
nachtspoſſe faſt überall abgeſchafft *). 

Auch in Marburg waren unter den Schülern eigentümli 
Bewohnheiten zur Zeit der Faftnachten üblih. In der Pres 
teralfigung der reformirten Gemeinde daſelbſt am 25. Febr. 168 
wird nemlich gellagt, „Daß bei Anfang der Faſtnacht die Kine 
von den Dörfern mit ihren Schulmeiftern, und zwar die Kind: 
in weißen Hemden, umgegangen und gejungen, welches einem Kal 
nachtsfpiele ähnlich und nicht zu dulden fei.” **) 


$. 20. 


Die Schullehrerfeminarien und anderweitigen Einrichtungen zur Ausbildung @ 
Dolkefchullehrer. 


Der Gedanke, dab wenn man das Volksſchulweſen he— 
wolle, notwendig auch auf die Vorbereitung zukünftiger Volfejde = 
lehrer Bedacht genommen werben müße, war zuerft von U. 
Sranfe in Halle ernfllidy erwogen worden, der feine Schulen e 4 
gerichtet hatte, um fich feine Lehrer in benfelben felbft heranzuc® 
ben. Heder, der aus Frankes Schule hervorgegangen war, ri = 
tete Daher in feiner Realjchule zu Berlin i. J. 1748 ein wirklich 
Schullehrerfeminar (auch „Schulmeifter-" oder „Küfterfemina— 
genannt) ein. Der Wert einer ſolchen Einrichtung wurde aldba 
allgemein anerfannt und von allen Seiten her wurden daher Stir— 
men laut, welde die Einrihtung von Schullehrerjeminarien fo - 
derten. Schon Baſedow hatte fi in feinem Methodenbud vo 
1771 (S. 8) energisch ausgeſprochen. Rochow bezeichnete e⸗ 
im Vorwort zu Riemannd Beichreibung der Reckanſchen Schule 
ald das „einzig Notwendige, daß ein VBoltsjchullehrerjeminariuns 
angelegt werde, worin chriftlich gefinnte gefchiete junge Männes 
auf Koften des Staatd von einem mufterhaft chriftlichen d. i. edv 


*, Etephanis Baierifher Schulfreund, B. 25, &. 136. 
+) Nach dem Protocolbud der reformirten Gemeinde zu Marburg. 


— 241 — 


ulenden Manne zu Volkslehrern gebildet würden“. Noch eifriger 
ng Herder (gefammelte Schriften, T. 22. S. 17. 39.) dars 
„ daß endlich dieſes allerwefentlidhfte Bedürfnis der Volks⸗ 
le berüdfichtigt werde. Reiche Privaten opferten Summen, 
dad, was die Ebdelften der Zeit ald unabweisbares Bedürfnis 

Volkes erkannten, verwirklichen zu helfen. Niemand aber 
hte dem Intereſſe der Schule ſolche Opfer, wie der Graf 
ſtav von Shlabrendorf (F 1824), der dem evangelifchen 
ninar zu Breslau auf eine Reihe von Ssahren eine jährliche 
ibende von 1250 Thlrn. auszalen ließ, und außerdem 100,000 
x. zur Grrichtung eines anderen Seminars in Schlefien tefla- 
ntariſch ausſetzte *). 

Aus dieſem ganz allgemein gefühlten Bedürfnis und überall 
dgegebenen Verlangen erwuchs im Laufe des 18. Jahrhunderts 
e große Anzal von Schullehrerſeminarien, deren Wirkſamkeit 
e beßere Zukunft der Volksſchule hoffen ließ. Es entſtanden 
mgeliſche Seminarien zu Hannover (1757), zu Breslau (1767, 
ven dem ſchon 1765 daſelbſt gegründeten Fatholifchen Seminar), 





*) Briefe Schlabrendorfs, weiche derfelbe auf feinen Reifen au Heidelberg, 
fd, Gtraßburg u. f. w. in den Jahren 1780 und 1781 gefchrieben, beurtun- 
‚ wie eifrig fi) der edle Graf mit dem Gedanken befcäftigte, nad) feiner Rüd- 
ein die Seimat (die leider nicht erfolgte, indem er in fremder Erde begraben 
,) eine pädagogifche Anftalt zu begründen. In einem diefer Briefe findet fi 
gender (in der „Beitfchrift für Proteftantismus und Kirche” 1839, &. 67 nad 
n Original abgedrudter) Entwurf einer Yundationsurfunde vor: 

„Boltsfullehrerfeminar. Wer zweifelt an der unbefcreiblihen Wichtigkeit ? 

augenfcheinlichen Bedürfnis ? Meinem Herzen unter Allem das Theuerſte. 
ifichfter Ort auf dem Lande. Ratürlih flumpfe, träge, ohne Kinderliebe, kalte 
uldriften ganz unfähig zur Aufnahme. Anzal etwa zwölf. Nicht über feche- 
', daß nicht gar Schlendrian eindränge und Menfhen wie Staare gezogen 
den, Dorffchule mit dem Seminar verbunden. Lehrer zugleich Auffeher über 

Seminariften. Kinder zahlen nichts. Kommen mit Luft. Eltern fchiden fie 
L Unfhidlid zum Lefenlernen find Katechismus und Bibel. Ehrmürbiges Buch, 
mt als Wolthat in die Hände. Mittelpunkt alles Schulunterrichtes: Beßerung 
Serzens und Wandels durd die Lehre Jeſu. Sol aufs ganze Leben, Denten, 
ıdein wirken. Nicht Gedächtnislaſt. Auch nicht Erkenntnis ohne Liebe und Aus- 
mg. Bibel einzige, erfte und fihere Duelle Muß alfo gekannt und verftanden 
‚den, fofern fie Religion enthält. 

16 


— 2492 — 


zu Meiningen (1778, teild dur Die Freigebigkeit ded Hei 
teil8 durch Beiträge der dortigen Freimaurerloge,)*), zu | 
(1779), zu Kiel (1781, unter Ghriftian VIL auf Betreibei 
Kanzlers Cramer und des Staatöminifter8 Grafen von Bern 
jowie der jchleswigsholfteinifchen Nitterfchaft, welche ein bebe 
bed Geſchenk Dazu gab,), zu Gotha (1783), Dresden (1' 
Dehringen im Hohenlohifchen (1788), Weißenfels (1794), 
burgbaufen (1797), und ziemlich um diefelbe Zeit zu Det: 
Halberftadt, Minden, Idſtein, Sleindexen (in Preußen) 8 
Glatz, Oberglogau, Freiberg, Plauen u. f. w. 

Leider litten indeffen alle diefe Anftalten an dem Hau 
ler, daß fie nicht als felbftftändige Inſtitute beftanden, ſo 
nur als Anhängjel von Gymnaſien, Realſchulen (in Berlin), 
ſenhäuſern und anderen Schulanftalten eine ganz prefäre, 
mütterlih gepflegte Exiſtenz hatten. Banden fib auf ı 
Gymnaſium einige Schüler, welche, weil fie nicht höher b 
ftreben fonnten, geneigt. waren, Volksſchullehrer zu werden, | 
‚man fie neben dem gewöhnlichen Gymnaftalunterricht noch 
befondere Lehrſtunden in Paͤdagogik, Katechetik, Muſik aud 
Agricultur, Obſtzucht u. dgl. beſuchen, gab ihnen einen Geiſt 
zum Inſpector, geſtattete ihnen ſich durch Privatunterricht in | 
lien und durch Currentſingen auf den Straßen noch einiges Ge 
verdienen, verwilligte außerdem für einige Alumnen Stiper 
Freitifche u. Dgl., — und man nannte dann das Ganze ein € 
lehrerfeminar. Während daher die Volksſchule Lehrer bebı 
die ihrem Amte mit ganzem Herzen zugethan und für ba 
wirklich und ernftlich vorbereitet waren, recrutirte fich derj 
Teil des Lehrerſtandes, welcher als das eigentliche Salz deſſ 
gelten follte, aus verfommenen Gymnaflaften, die nicht unte 
fünftigen Volksſchullehrern, ſondern unter zukünftigen Stud 
aufgewachjen und ebenſo wenig zu einer pädagogijchen ale 
claſſiſchen Bildung gefördert waren. 

Um diefem jedermann einleuchtenden Uebelftande abzuh 
rihtete man Gonvicte, beßere Lehrplane und Seminarordnu 


*) Sutsmuts, Neue Bibliothek für Pädagegit, Imnius 1818, ©. 1 


— 243 — 


ı und behandelte die Seminarien mehr und mehr als ſelbſtſtaͤn⸗ 
je, von anderen Lehranftalten unabhängige Inſtitute. Aber auch 
erbei zeigte es fich, daß jelbft Die jo verbeßerte Einrichtung von 
;eminarien, in denen immer nur eine jehr geringe Anzal von 
Wolingen unterrichtet wurde, zu dem wirklichen Bedürfnifje Der 
zollsſchule in gar feinem Verhältnifje ftand. Bereitete ſich Doch 
mmer noch die größere Anzal von zukünftigen Lehrern fortwährend 
hhne Aufficht und geordnete Anleitung im Gejellendienfte bei ein- 
einen alten oder gar untauglichen Schulmeiftern für das Lehramt 
or, Notwendig muſte man daher, als das Intereſſe für ein 
eßeres Volksſchulweſen lebendiger angeregt war, darauf bedacht 
in, die Maſſe der ſchon angeftellten Schullehrer zur Befolgung 
md Vollziehbung der neuen Schulordnungen zu befähigen. An 
nanchen Drten (3. B. in Felbigerd Wirfungsfreis) wurden die 
Säulmeifter eines beftimmten Bezirks irgendwohin befchieden, wo 
ie mehrere Wochen hindurch inftruirt wurden. Un anderen Orten 
daten die Pfarrer beauftragt, ihre Schulmeifter zu bejcheiben und 
inufchulen. Hin und wieber wurden zu dieſem Behuf Lejevereine 
md Konferenzen angeordnet. Eine ganz eigentümliche Anftalt zur 
Bildung der WVolksjchullehrer wurde noch vor dem Jahre 1800 
ondem Pfarrer Goes zu Külsheim bei Baireuth errichtet*). „Die 
Mitglieder der Anftalt waren in zwei Zirkel geteilt. Die entfernt 
vohnenden Mitglieder, welche den Lefezirfel bildeten (und einftweilen 
M gegen 20 Individuen faften), konnten natürlicherweife nur durch 
Geiftlihe Belehrung Fortfchritte in ihrer Ausbildung machen. Zur 
Berichtigung umd Erweiterung ihrer Keuntniffe erhielten fie daher 
vom Pfarrer Goes bei jeder Sendung 3 Lefebücher franfirt, Die 
Sntereffe für den Lehrer an Bürger: und Landfchulen hatten, und 
die jie nach Verlauf dreier Monate portofrei zurückſenden muften, 
% fie dann wieder neue auf eben jo lange Zeit und fo von 
Uvortal zu Quartal fort erhielten. Damit aber die Leſebücher 
m jo mehr mit Bedacht gelefen und ftudirt, die Mitglieder aber 
auch zugleich im Stil geübt wurden, fo war es unnachläßliche Ber 
— — — 

*) Bgl. die „Bibliothek der pädagogiſchen Literatur” B. III. St8. ©. 214 ff, 
we Goes feine Anftalt felbft befchreibt. 

16° 





— 24 — 


dingung des Inſtituts, wenigftend über eine der mitgeteilten Schri 
ten eine Recenſion oder ein Gutachten und zwar nach nachfolgen 
den drei Nummern zu fertigen und dem Vorſteher zur Correctun 
zu überjenden, der fie dann mit feinen Bemerkungen begleitet ent 
weder dem PVerfaßer wieder zurüdichidte, oder zu feiner Zeit, war 
ed anders ein gut gelungenes Product, mit den übrigen Acten des 
Inſtituts dem Königl. Sonfiftorium zu Ansbach einlieferte. Zuerſt 
mufte nämlich der Inhalt des Buches nach deſſen Hauptrubriken, 
dann das Gute und Zwedmäßige, und zuleßt das Ueberſpannte, 
Unzuläßige oder Schlechte angegeben und darüber, fo gut man 
fonnte, räfonnirt und reflectirt werden. In der Lehrmethode ſuchte 
man die Mitglieder dieſes Zirkels teild durch Mitteilung hierauf 
fich beziehender Schriften, teil& durch fchriftliche Urteile darüber, 
ſowie Durch Katecheſen, die fie beide ausarbeiteten und von letzteren 
jedes Semefter wenigftens eine dem Vorfteher übergeben muften, 
mehr zu vervollfommnen. Der andere Zirfel begriff die dem Ver⸗ 
ſammlungsorte zunähft wohnenden Mitglieder, gegenwärtig 15 an 
der Zahl, und bildete den fogenannten Seffiongzirfel. Man ver 
ſammelte ſich nemli im Sommerhalbjahre alle 14 Tage und im 
Winter von 3 Wochen zu 3 Wochen Mittwochs in dem Schul 
baufe zu Kühlsheim, und fiel gerade an diefem Tage üble Witte: 
rung ein, jo wurde die Sißung auf den nädftfolgenden Son" 
abend verlegt. Die Mitglieder erhielten nebft der fchriftlichen Be 
lehrung durch zweckmaͤßige Lefebücher, über die fie Recenſionen wit 
die Mitglieder des Lejezirfeld fertigen muften, auch mündliche Be 
lehrungen von dem Vorfteher. Denn nicht nur beurteilte er in je 
der Seffion eine und die andere ihm eingereichte fchriftliche Arbei 
jondern bielt zugleich über gemeinnüßgige Lehrgegenftände ſowol 3° 
Erweiterung ihrer Kenntniſſe ald zur WVerbeßerung ihrer Lehre 
Vorträge in Dialogifcher Manier. Ueber foldhe Katechiſirübung 
wurde jederzeit von der Verfammlung auf eine urbane Art ei: 
Discuffion angeftellt, wobei der Vorfteher feine Meinung über & 
ven Wert zuleßt äußerte. Auch die Lefeblicher wurden ihm bei d+ 
Seffionen von den Mitgliedern wieder eingehändigt und neue u‘ 
ter fie ausgegeben, die dann, um Unordbnungen vorzubeugen, ve 
dem Kopiften in einem bejonderen Manual mit dem Namen ba 








— 246 — 


kinpfaͤngers notirt, und worin überhaupt alle Arbeiten des Vor⸗ 


Jkehers und ber Mitglieder eingetragen wurden. An ſolchen Ver: 
kmmlungstagen kamen ebenfalld öfters intereflante Gegenftände 


8 der Schulpolizei und Disciplin, oder auch andere in das 
Shulwefen greifende Fragpunce zur Sprache, und vorzüglich) 
Inhte der Vorfteher die Mitglieder darauf aufmerffam zu maden, 
ob und inwiefern Die in den umlaufenden Schriften geäußerten 
Rünfhe und Vorfchläge zur Verbeßerung des Landſchulweſens 
nad Zeit und Ort eine Anwendung zuließen, zu welchen Bemer⸗ 
fingen und Reflexionen ihm die eingereichten Recenfionen vorzüg- 
ih Gelegenheit dDarboten. Damit aber Ruhe und Ordnung wäh: 
ind der Seffion bewahrt und überhaupt das zum Beſtande des 
Inſtituts abjolut notwendige gute Vernehmen unter den Mitglie- 
dern erhalten würde, durfte weder leidenfchaftlich Disputirt, noch 
gend ein Mitglied wegen gegebener Blöße perfiflirt werben; hin⸗ 
gegen wurbe ein wechjeljeitiges humaned und gefitteted Betragen 
den Mitgliedern zur Pflicht gemacht. Am Ende einer jeden Seſſion, 
die gewöhnlich 3 Stunden dauerte, wurde auf Befehl des Eonfifto- 
ums zu Ansbach ein Protocol über das dabei Verhandelte mit 
der Namensunterzeichnung des Vorfteher und der Mitglieder auf- 
genommen. Die Protocolle nebft den übrigen Acten wurden in 
halbjährigen Terminen der benachbarten Dberbehörbe zur Revifion 
Ängereicht. Außer pädagogijchen Schriften wurde auch allerlei 
gemeinnügige Literatur in Umlauf gefeßt. Von periodifchen Blät- 
ten wurbe die Nationalzeitung und Berrennerd Schulfreund ge 
halten. Die Gefellichaft hatte feinen andern Fonds als Die Bei- 
träge ded Vorfteherd und der Mitglieder, von denen jedes jährlid 
fl. rheiniſcher Währung zalte”. 

Aehnliche Einrichtungen entftanden auch an anderen Orten 
und brachten überall den Volksſchulen der nächften Umgegend in 
meht als Einer Hinficht reichen Segen. Denn man überzeugte 
N hierbei bald, daß die zufünftigen Lehrer während ihres Auf: 
nthaltes in den Seminarien notwendig mit der Volksſchule mehr 
vertraut gemacht und durch praktiſche Uebungen in berjelben für 
ihren Beruf vorbereitet werden müſten. Daneben hatte man laͤngſt 
eingeſehen, daß die Disciplin unter den Seminariſten, die als Ge⸗ 








— 246 — 


noßen der Öymnafiaften nur zu gewöhnlih ganz unbeadhtet 
laßen wurden, eine andre werden müße.. Mehr und mehr ne 
man daher darauf Bedacht, den Seminarien eine ſolche Einricht 
zu geben, daß die Seminariften praktiſch ausgebildet und di 
fich felbft — was ohnehin durch die convictorifhe Einrichtung ı 
durch den gewöhnlichen Mangel an LXehrerperfonal zur Notweni 
feit gemaht war, — in Zucht erhalten würden. Man Iı 
daher bei den Seminarien Freifchulen, Armenfchulen an o 
brachte fie wieder mit Waifenhäufern oder andern Anftalten, 
denen die Seminariften lehrend lernen follten, in Zuſamm 
bang, und ordnete Anfpectionen unter den Seminariften an. ' 
Einzelnen waren dieſe Cinrichtungen fehr verjchiedenartig. | 
den Seminar zu Schöneberg, welches freilich erſt in der folgen 
Periode, nemlich 1. J. 1807 gefchaffen wurde, hatte man eine Norn 
\chule verbunden. Diefe beftand aus einer Auswahl einzelner A 
lungen von Schülern, welche aus ten Schulen des Orts genomi 
wurden. Den Unterricht erteilten die Lehrer des Seminars ſel 
aber im Beifein einzelner Abteilungen der Seminariften. Zuwe 
wurde die Normalfchule auch als eine vollftändige, aus a 
Schülerklaſſen beftehende Volksſchule conftituirt, wie fie Die 9 
paranden fpäterhin in Der Regel auf dem Lande und in Flein 
Städten vorfanden. In der Regel mufte Die Abteilung der 
minariften, welche eben erft in ver Methodik irgend eines Leh 
genftandes unterrichtet waren, denjenigen Lehrftunden der Nor 
ſchule, in denen dieſer Gegenſtand behandelt wurde, beiwohr 
Sleichzeitig war ein Teil der übrigen Seminariften in die Sch 
des Orts verteilt, um Dafelbfi den Unterricht mit anzuhören ı 
auch felbft aushülfgweife zu unterrichten. — Um die Aufredht 
tung der Disciplin und Hausordnung zu erleichtern, hatte ma: 
fünf Seminariften zu einem Sobdalitium unter einem Senior ' 
einigt, welcher eine brüderlicye Aufficht führte, für die Handhab 
der äußeren Ordnung forgte und feine Sotalen bei ihren Ar 
ten unterftüßte. Die Senioren waren mit einer bejonderen 
ftruction über ihre Amtsverwaltung verjehen, genoßen auch befor 
Deneficien und wurden zur Beſetzung der beßeren Schulſteller 
Vorſchlag gebracht. Zum Behufe praktifcher. Uebungen conftituin 


— 247 — 


ih bisweilen einzelne oder mehrere Sodalitien zu einer Schule, in 
gelber balb der eine, bald der andere Seminarift den Lehrmeiſter 
nachte. — Um die neue jeminariftiiche Bildung einigermaßen auch uns 
ter bie ältern Schulmeifter zu bringen, veranftaltete man im Seminar 
Kihrlih einen dreimöchentlichen Lehrcurſus, zu welchem der Gene 
talfuperintendent jedesmal 12 — 20 Schullehrer auf Koften der 
J undesſchulkaſſe einberief. An dieſen Lehrkurſen nahmen auch nicht 
klin Sandidaten und Prediger der Stadt und der Umgegend un: 
aufgefordert Teil”). 
| Als ein fehr unnüger Ballaft fehleppte fih in vielen Semi- 
$ sarien der Unterricht in der Iateinifchen und franzöfifchen, wol gar 
J auch der griechiichen Sprache fort. An der folgenden Periode 
wurden indeflen Die Seminarien von dieſer den ganzen Lectionsplan 
Rörenden Beigabe befreit. 





$. 21. 


Wrklide VBefchaffenheit der gemähnlihen Volksfchulen und der Volksſchullehrer 
um d. 3. 1800. 


Wer die Schulordnungen lieft, welche im Laufe des 18. Jahr⸗ 
hunderts in allen deutſchen Ländern und Städten publizirt und 
immer von Neuem verbeßert und wiederholt wurben; wer von den 
Anfrengungen hört, die aller Orten gemacht wurden, um bem 
Volksſchulweſen aufzuhelfen, ber follte wol denken, daß bis zum 
Ende des Jahrhunderts hin überall wenigftend ein erträglicher Zu: 
Mand der Volksſchulen erzielt worden ſei. Indeſſen war dem nicht 
fo. Diejenigen Schulen, welche wie die Rochowſchen oder wie bie 
Wufterfchulen Felbigers einer wirklich geordneten Verfaßung fich 
erfreuten, erſchienen wie Dafen in der Wüfte. Friedrich Gabriel 
Reſewitz erzält (in feinen Gedanken, Vorſchlaͤgen und Wünfchen 
tur Verbeßerung der öffentlichen Erziehung, B.5. St.4. ©. 14): 

Verbeßerte Schulen für das Landvolk werde ich in meinem 
Gefichtskreiſe nur wenige gewahr. Es giebt nur Einen Rochow, 
der fih mit warmem und ausdauerndem Eifer der Aufklärung 
dieſes großen Teils der Menſchheit angenommen hat: aber ſo 


— ——— 


) Ratorp. Briefwecfel einiger Schullehrer und Schulfreunde, 28. Brief, 


— 248 — 


viel Senfation er auch gemacht, fo viel Einfluß er auch nahe um 
fern auf Ideen und Verfuche zur Verbeßerung des Landſchulweſenn 
gehabt hat, jo viel Gutes durch ihn vorgearbeitet, fo viel wahre 
Nupen durch ihn geftiftet oder veranlaft worden; fo ift Doch alles 
bisher nur Erfolg und Wirkung eines woldenkenden Privatmannes 
gewefen, fofern er auf andere Privatmänner, Patrone, Geiſftliche, 
Schullehrer n. |. w. Eindrud gemacht hat. Iſt bisher eine Lands 
Schule in guter Verfaßung geweſen, erreicht fie einigermaßen einen 
vernünftigen Zweck, jo ift e8 faft immer das Werk eines eifrigen 
und verftändigen Predigerd oder eines gutgefinnten Batrons. Abe 
allgemeine und zwedmäßige Anftalten find meines Wißens noch in 
feinem deutſchen Lande getroffen worden, das gefammte Lanbvolt, 
das zum allgemeinen Beften jeßo mehr als fonft leiften kann und 
fol, durch Erziehung und Unterricht verftändiger, Flüger und be 
treibjamer in feinem Fache zu machen, als es von jeher geweſen 
ift. Großenteils ftehen untüchtige und ftümperhafte Menfchen noch 
immer den Landfchulen als Lehrer vor: und es Tann auch nid 
anders fein, fo lange Fein ehrliche Brod und Ausfommen damit 
verfnüpft ift; fo lange auf die Verforgung des Hirten mehr, ald 
auf die des SKindererziehers gefehen wird. Traͤge und. unmwißendt 
Prediger führen die Aufficht über diefe Schule, und mer biete 
auch noch gut führen will, findet felten gehörige und Fräftige Um 
terftügung. Es liegt den Unterobrigfeiten felten am Herzen, ba} 
ihre Bauern auch Menjchen werden”. 

Man kann daher gradezu fagen, daß die Volksſchulen in 
diefer Periode faft durchweg das Gegenteil von dem waren, wa’ 
‚fie fein folten. „Es gab nicht leicht eine grobe Unart, welt 
nicht in dieſen Schulen gelernt wurde. Lehrer und Schüler ware 
wader daran, fich gegenfeitig zu peinigen und zu verberben. Die 
Eltern und Schulaufjeher unterliegen es auch nicht ihrerfeits. Da 
wurde bald von den Lehrern verlangt, fie follten alles Boͤſe ber 
Jugend verantworten, und fie dürften e8 nicht an Züchtigungen 
fehlen laßen. Bald wurden fie überlaufen und verflagt, weil ft 
den Knaben zuviel gethan hätten, Wundärzte wurden zur Beſich 
tigung herbeigeholt; dann wurde tüchtig vor den Kindern auf ben 
armen Lehrer gefchimpft, wo nicht ihm noch mit etwas Derberem 


— 249 — 


nbroht; ober, dic von feinerer Xebensart fein wollten, felbft manch⸗ 
ml Schußpatrone!, ſetzten jene geplagteften aller Arbeiter durch 
Spötterein herab” *). 

Der traurige Zuftand der Volksfchulen war daher nicht al- 
lin durch die Unfähigkeit der Schulmeifter und durch die Gleich⸗ 
gältigleit der Pfarrer gegen ihre Schulen verurfadht. Auch die 
Somirtheit und Boͤswilligkeit einerfeitß der jogenannten höheren 
Stände, in&befondere fo vieler Mitglieder des Landadeld und 
andrerfeit8 ber Gemeinden fepte dem Gedeihen der Volksfchule 
haft unüberfteigliche Schwierigkeiten entgegen. In erfterer Hinficht 
mufe jelbft Roch ow die Erfahrung machen, „daß ein ganz acht⸗ 
barer Teil des Publicums noch fortfuhr, zweifelhaft zu fein oder 
Kheinen zu wollen, ob bei der fittlichen Aufklärung des Volkes 
bie Menfchheit gewinne” *). Man befürchtete, daß am Ende bie 
willmlofe Folgſamkeit des Bauern und des Hinterfaßen aufhören 
möhte, wenu berjelbe zu klug werde. Daneben beurfundeten die 
Bauern fehr oft das aͤrgſte Mißtrauen gegen die neue Kultur, 
wit der fie behelligt werden jollten. Als die Töchter der 
Bauern nicht nur den Katechismus, jondern auch Schreiben 
lernen follten, gerieten faft alle Gemeinden in Aufruhr, da fie 
den Schreibunterricht der Töchter nur ald Verführung zum Schrei- 
ben von Liebeöbriefen, zum Anfpinnen von Liebeshändeln und zur 
Verrüdung derjenigen Stellung anſahen, melde die Hausfrau uns 
ter dem Hausherrn einzunehmen habe ***). Außerdem war jede neue 
Schulorbnung, welche publizirt wurbe, für bie Gemeinden von 
orn herein ein Begenftand der gründlichften Beargmähnung ****), — 





) Schwarz in den Freimüt. Jahrb. des allgemeinen deutfhen Boltsfchul- 
eſens 9. 1. ©. 12. 

») Rochows Bormwort zu Riemanns „Berfud einer Befchreibung der Redan- 
ven Schuleinrich tung“ (1781) ©. IX. 

Im 3. 1772 ſchrieb ein alter Schulmeifter: „Bei den virginibus iſt das 
reiben nur ein vehiculum zur Lüderlichteit“. | 

“) Bol. z. B. was die „Rationalzeitung der Deutfchen“ 1797 den 31 Ang. 
5.747) erzält: „Bei der Einführung einer neuen Echulverordnung in einem thü- 
mgiiden Dorfe berief der Schulze N. N in R. N. die Gemeinde zufammen, und 
nachte ihr befannt , daß diefe Nerordnung etwas Nenes fei und alfo nicht ange- 
rommen werden folte. Zugleich wurde der Gantor vor die Gemeinde gefordert 


— 2150 — 


und zwar ſchon aus dem Grunde, weil die Einführung new 
Schulordnungen in der Regel neue, wenn audy noch fo unerhel 
liche, Geldopfer oder neue, wenn auch noch fo notwendige unl 
heilfame, Befchränfungen ihrer althergebrachten Willführ zur Folge 
hatte. 

Die Berichte, welche über den Zuſtand der gewoͤhnlichen 
Volksſchulen um 1800 vorliegen, ſtellen uns daher die Schule in 
der allertraurigſten und troſtloſeſten Verfaßung dar. 

Hoͤren wir einige dieſer Berichte! — In einer Schilderung 
des Schulweſens aus dem Jahre 1804 wird geklagt *): 

„Alles, was fih dem nur einigermaßen aufmerkjamen 
Beobachter in den meiften der jegt vorhandenen Land 
ſchulen darftellt, ift unbefchreiblih elend, widerjin 
nig, verderblich in feinem Ginfluß auf die Graiehung bei 
Jugend. Elende, enge, niedrige Schulzgimmer, dei 
nicht ſelten iſt das Haus des Schulmeifterd das fchlechtefte t 
Dorfe, eine verborbene, verpeftete Luft, ber höchfte Grab BI 
Unreinlichkeit, der nicht felten dadurch, daß die Schulftube zuglei 


und ihm angedeutet, daß er von diefer Verordnung feinen Gebraud machen, $ 
dern in allen Stücken bei dem Alten bleiben follte. Der Cantor, der den Schu! 
mehr refpectirte, als das. Confiftorium, gehorchte. Der wadere Prediger daf® 
Orts, der von der Güte diefer Verordnung überzeugt, fi thätig dafür verwe 
hatte, berichtete dieſe Unordnung dem Confiftorium. Bei Vernehmung des Schu 
und des Cantors wurden Beide gefragt: Ob es wahr fei, daß fie die neue CL 
berordnung nicht annehmen wollten, welches fie bejahten. — Warum? Beil 
neu fei und einen neuen Glauben einzuführen drohe. — Woher fie das mwüft « 
Beil neue Bücher darin vorgefchrieben wären. — Ob fie denn diefe Bücher gel « 
hätten? Rein — Wie fie alfo davon urteilen könnten? Hierauf verftummten 
Beide wurden alfo mit einem nahdrüdlihen Verweiſe und mit der Bedeut- 
entlaßen, fich diefer Verordnung, deren Wohltätigkeit ihnen einleuchtend vorgeſẽ 
wurde, nicht ferner zu widerfegen, fondern ſich ihr gebührend zu unterwerfen. E 
fern aber der Gantor bei dem einen oder andern Puncte der chriſtlichen Lehre .® 
denten fände, fo follte er zu feinem .Prebiger gehen und fidh belehren lagen, m 
wenn er ſich dabei nicht beruhigen könnte; meitere Belehrung darüber bei de 
Superintendenten ſuchen“. 

*) dv. Türd, Ueber zweckmäßige Cinridhtung der öffentlichen Schul. und U 
terrichtsanſtalten. Neu - Strelig, 1804. ©. 4, 


— 251 — 


Bobnzimmer, Werkftätte und Stall für das Feder, 
vieb it, herbeigeführt wird. — Unwißende, ungefittete, unrein« 
lihe Schulmeifter, welche Die Schule als einen notwendigen Res 
benbehelf, die Betreibung ihres Handwerks als die Hauptſache 
jetrachten, und dieſes leider nur zu oft thun müßen, wenn fie 
icht ungern wollen. — Man verfjege fi) nur einmal in eine 
olche Schule. Eine verpeftete Luft kommt und gleich beim 
Antritt entgegen; der Schulmeifter, der elende, aͤrmliche, uns 
ißende Menſch, dem Neinlichkeit, wahre Zucht und Drbnung, 
em die Gefühle der Menjchheit fremd find, auf deffen Geficht 
ch der Widerwille und Die Langeweile feines Gejchäftes mit uns 
erkennbaren Zügen darftellen, mit der Nabel oder wol gar mit 
m Webeſtuhle befchäftigt, Täft nun die Kinder buchflabiren, — 
lat fie lefen. Unſer Obr wird beleidigt, unfer Innerſtes em, 
tt fih gegen ein ſolches Leſen. Vergebens fuchen wir in ben 
ugen der Kinder auch nur eine Spur der Freude an biefem 
nterrichte, in dem Gefichte des Schulmeifterd auch nur einen 
ug ber Teilnahme an dem Kortfchreiten feiner Zöglinge”. 

Ein anderer ziemlich gleichzeitiger Bericht jchildert und noch 
Üftändiger und anfchaulicher, wie es damals in einer gewöhn» 
jen Volksſchule berging, wie in berjelben unterrichtet wurbe, 
d wie es in ihr überhaupt ausfah. Der Berichterftatter erzält*): 

Der Schulmeifter, welcher ein Schneider gewejen und nad 
ndherlei Streifz nnd Duerzügen, ohne irgend eine Vorbereitung 
n Amte, der Himmel weiß wie, blo8 um des Broderwerbs 
len Schulmeifter geworben war, ergriff, ſowie er in die Schule 
t, den Hafelftaudenfcepter und ftellte fich, denjelben zwiſchen ben 
alteten Händen haltend, die Mütze unterm Arm, vor feinen 
ch hin. Dies war das Signal zur Morgenandacht, welche das 
müt der Kinder erheben und zu einer religidfen Stille ſammeln 
lte. Und worin beſtand die Morgenandadht? Zehn oder zwölf 
nder fehnatterten, eins nach dem andern, in einem Odem ohne 
es Nachdenken einige für fie und wie ich glaube auch für den 
Aulmeifter ganz unverftänbliche uralte Gebetsformeln, einige 





") Ratorp, Briefwechfel, 8. I. 6. 172— 175, 





— 292 — 


unpafjende bibliſche Sprüche und zulegt alle zuſammen eine Lite 
daher. Hiernächft wurben zwei Strophen aus einem für bie | 
ber wirklich finnlofen Geſange hergeleiert, wobei es zugleidy 
ein Baar Knaben, welche nicht derb und gellend genug fan 
eine Maulſchelle abſetzte. Mit dieſer Morgenandacht, bie | 
ſchlechterdings feinen vernünftigen Zweck hatte, ging nun fi 
gleich zum Anfange die erfte halbe Stunde verloren. Sept 
gannen die Lectionen. Es wurden zuerft Die fogenannten $ 
ſchuler aufgerufen. Einer flieg nad) dem andern über Tifche 

Baͤnke herüber und trat an den Tiſch des Schulmeifterd Bin, 
wie e8 bieß, aufzufagen. Ein Seder las fein Penfum, dies 
aus dem Propheten Daniel, der eine leiernd, der andre flotte: 
der dritte rabebrechend daher; und wenn er audgelejen hatte, | 
terte er auf feinen Plaß wieder zurüd, um dem folgenden Sch 
am Tiſche Plab zu machen. Dieſes Mandvure mochte etwa T 
biertelftunden währen; auf jeden der zwanzig Leſeſchüler Ta 
24 Minuten. Bon Dreiviertelftunden wurben folglid) 423 Mim 
von jedem Schüler in Müßiggang zugebracht. Daß während 
ſes Auffagenlaßend bei jo vielen müßigen Kindern nicht die g 
rige Stille fein fonnte, und daß der Schulmeifter von Zeil 
Zeit mit einem Schlag auf den Tiſch Stille gebot, bisweilen ı 
mit dem Ecepter dazwijchen fuhr, verfteht fi von ſelbſt. N 
dem alle Lefefchiiler abjolvirt waren, wurden die Sillabirfchi 
welche bis dahin zwar mit ihren Katechismen in der Hand, ı 
doch unbejchäftigt gejeßen hatten, hervorgerufen. Mit Diefer Kl— 
ging ed nun grade, wie mit der erften. Gin Schüler fillal 
nad) dem andern einige Zeilen aus dem Katechismus baber, 

zwar diesmal aus dem Abfchnitt von dem Amt der Schü 
Dies dauerte eine ftarfe halbe Stunde. — — Nun fam 
Reibe an die Buchftabirfchüler, welche paarweiſe mit ihren | 
merlichen AB&büchern einmal vorwärts und einmal rückwaͤrts 
nennen muften, wobei ed denn auch nicht ohne Keifen und € 
fen herging. Dies dauerte ebenfalld wieder ungefähr eine 5 
Stunde, von welcher auf jedes Kind etwa 3 Minuten fom 
mochten. Und Hiebei wurden alfo wieder 27 Minuten eingel 
Die Klaffe der Leſeſchüler ſaß, während die Sillabirer und B 


— 253 — 


Rabirer vorgenommen wurden, am Schreibtiſche, fich felbft über- 
laßen. Einige fchrieben die ihnen in ihren Schreibbüchern vorges 
fhriebenen Zeilen nad, und etwa fünf oder ſechs rechneten aus 
einem alten gefchriebenen Rechenbuche ein Rechenegempel aus und 
Ichrieben es demnaͤchſt, fie mochten die Aufgabe gelöft haben oder 
niht, auß dem gejchriebenen Rechenbuche, welches dem Schullehrer 
gehörte, in einem eignen ähnlihen ab. Nachdem nun fämmtliche 
Shüler einzeln überhört waren, wurde zum Katechisſmus gerufen, 
und biemit follte der Religionsunterricht beginnen. Die Buchſta⸗ 
Birs und Sillabirfchüler konnten hieran. nit Teil nehmen, fie 
muften ftille figen und ihre Bücher demütig in den Händen halten. 
Die Lefefchäler legten ihre Federn nieder und fliegen mit ihren 
Kıtehismen hervor. Gin Jeder hatte fein beſonderes Penfum. 
Dieſes hatte er zu Haufe auswendig lernen müßen, - und der 
Schulmeiſter hatte nichts weiter dabei zu thun, als dad auswen⸗ 
dig Gelernte auffagen zu laßen. Darin beftand der ganze Reli 
giondunterricht. Wer fein Penſum nicht mufte, befam Prügel und 
mufte nach beendigter Schule fißen bleiben, um nachzuexerciren. 
Bit dieſem Katechismusüberhören ging wieder beinahe eine halbe 
Stunde bin. In der legten WViertelftunde brachten die Schreib- 
Ihäler ihre Schreibbücher herbei und der Schulmeifter ſchrieb einem 
Jeden fo ſchnell als möglich eine neue Zeile zum Nachſchreiben 
fir den Rachmittag vor. Hiemit wäre nun der Schulunterricht 
geendigt geweien, wenn nicht der Schulmeifter, vermutlih uns 
fremden Gaͤſten zu Ehren, noch eine Viertelftunde zugefeßt hätte. 
E ſchien fein Meiſterſtück machen und feine Schüler zur Parade 
aufftellen zu wollen. Ale Schüler muften aufftehen, die Hände 
falten und die Blicke nieberfchlagen. Auch er faltete die Hände 
und fragte den Schülern ihre höhern Kenntniffe ab. Wie viele 
Goͤtter giebt e8? Wie viele Perfonen find in der Gottheit? Wer 
dat uns erichaffen? Wer hat und erlöfet? Wer hat uns geheili⸗ 
get? Was ſehen wir am Himmel? Was fehen wir auf ber Erde? 
Wie heißen die drei Reiche der Natur? Müßen wir aud fleißig 
beten? Wie lautet das Gebet bes Herrn? Wie viel find Sacra- 
mente? — Dies waren die Hauptfragen, die er hinwarf. Die 
Kinder plapperten alle zufammen wie mit Einem Munde die ihnen 


— 254 — 


eingeprägten Antworten daher. Und den Beſchluß machte m 
die Herfagung ded Einmal⸗Eins“. — — 

58 gab taufende von Dorf- und Stadtfchulen, die die 
Schilderungen genau entfpradhen, indem in ihnen nichts ande 
als die roheſte Stupibität, Gedankenlofigkeit und Verrottung wa 
zunehmen war. Daneben fanden ſich allerdings auch Schulen x 
in denen die Schulmeifter fi und ihre Schüler auf8 Dent 
zu verlegen fuchten, was dann aber fehr oft in ſourriler W 
geſchah, daß es ſich kaum fagen ließ, welche Art von Schu 
die fchlechtere war. *) 


So war der Buftand der Schulen noch am Ende die 
Periode und fo mufte er fein, weil fich in ihm nur der Charal 
der Schulmeifter der damaligen Zeit abfpiegeln konnte. Diefell 
ſahen gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Allgemeinen n 
grade fo aus, wie fie Hundert Jahre vorher ausgefehen hatten. 

Denn da bi8 über die Mitte des 18. Sahrhunderts 1 
einer Öffentlich überwachten Vorbereitung der zukünftigen Sch 
meifter nicht die Rebe war, fo lag es in der Natur der Sa 
baß verfommene Handwerker, entlaßene Soldaten, verborb 
Gymnaſiaſten, Schreiber u. f. w. als durch ihre Lebensgeſch 
auf die Schulmeifter-Garriere verwiefen ohne weitered angel‘ 
wurden. *) Meldete fich ein derartiges Individuum um eine e 


*) Schwarz berichtet (im feiner Geſchichte der Schulperbegerungen in Deu 
land) über einen Lehrer an einer Stadtfhule, der Damals für vorzüglich gefe 
im Katechifiren galt und, um dem vifitirenden SInfpeltor feine Kunft darzule: 
nad Hübners biblifhen Hiftorien die Schüler der Meibe nach fragte: „Was ſ 
Abraham feinen Bäften vor” ? Antwort (mit zitternder Stimme): „Kalbfleiſch, 
hen.” — Ein Rotabene mit dem Stod ließ den armen Jungen fühlen, daß 
"die Gerichte fi beßer hätte merken ſollen. Es kam zum zweiten, der ı 
mehr zitterte, und dem es nod ärger erging; fo der dritte u. f. w. und 
ſchluchzten, ehe fie noch die Gerichte der Mahlzeit Herzälten. — Die Bergliederun 
methode hatte die Lehrer zu den wunderlichſten Geſchmacklloſigkeiten verleitet. 

») „Denn Einer if,“ ſagt Shuppius, „der nirgend fortlommen fa 
und weder zu fieden noch zu braten tauget, fo fagen die großen Bolitici, er n 





— 25 — 


digte Schukmeifterftelle, jo wurde dasfelbe vielleicht von dem 
Piorrer oder dem Superintendenten geprüft, galt indefjen in der 
Kegel ſchon in dem Falle als zur Uebernahme einer Xehrerftelle 
volfommen befähigt, wenn ed neben Kundgebung der grandiofeften 
Unwißenheit nur das Verſprechen gab, fich die für einen Schul: 
halter erforderlichen Kenntniſſe, um welche fich zu befümmern e8 
biher Feine Veranlaßung gehabt habe, von jetzt an mit allem 
Heiße ameignen zu wollen. War nun die Schulftelle glüdlich ers 
langt, fo freute ſich der neue Schulmeifter, jeßt fein Handwerk 
oder irgend ein anderes Gewerbe mit um fo größerer Ruhe be- 
treiben zu können. Denn die Ausübung des Nebengewerbes galt 
dem Schulmeifter ald fein Haupterwerbözweig. Allerdings ergaben 
ih deshalb für den jchulmeifternden Schneider, Leineweber, Schus 
fer u. ſ. w. nicht felten ärgerliche Gollifionen mit den neidiſchen 
Zunftangehoͤrigen. Aber bis zum Ende des 18. Jahrhunderts 
wurden Die Schulmeifter in der Ausübung ihres Nebengewerbes 
bon den Landesbehoͤrden jederzeit bejchüßt. *) 


id behelfen; er muß einen Schuldienft annehmen, bis man fiehet, wie man ihm 
weiter helfe” und „dag fich heutigen Tages fein generofes und tugendreiches In- 
gerium zum Gchulmeifter will brauchen laßen, rührt daher, daß man den Scul- 
bedienten Beifigenfutter gibt und Eſelsarbeit auflegt.” Daher Magt Seckendorf 
in feinem Ghriftenftaat: „Die meiften Lehrer führen ihr Amt mit großer Unge- 
ſchiclichteit, weil fie felber nicht beßer gezogen worden, wißen nichts als poltern, 
ſchelten, aushöhnen, ſchlagen und ftrafen, zeigen keine hriftliche und natürliche 
Liebe und erbauliche Treuherzigfeit, leben teild wegen ſchlechten Unterhalts in Rot 
and Beratung, fuchen mit Nebenarbeit und Verfäumung ihres eigentlichen Berufs 
ihre Nahrung zu verbeßern, thun nichts umfonft, deren zu geſchweigen, die mit 
böfem Reben ihre Schüler felbft ärgern.“ | 
Die Schuſterzunft zu Altenburg hatte dem dafigen Konfiflorium Befchwerde 
führend angezeigt, daß der Schulmeifter zu Göllnig „ihrer Innung zuwider fid 
wterfange, nicht allein feine Schufterarbeit zu treiben, fondern aud die Märkte 
zu beſuchen“, und hatte gebeten, den Schulmeifter in die gehörigen Schranten zu 
derweiſen. Im Folge einer landesherrlihen Entſchließung eröffnete das Confi 
Rorium den Beihwerdeführern, dab fie, da die Gchuldiener in der Regel eine 
Mau geringe Befoldung hätten, diefelben an der Ausübung ihres Gewerbes nicht 
wm hindern hätten. Dagegen follten die Schulmeifter ihr Handwerk „nit außer- 
halb auf den Höfen oder ſonſt, ſondern allein daheim in ihren Häuſern zur Not- 
für nicht zu feilen Kauf, den umliegenden Städten und Meiftern defielben 
dandwerts zum Nachteil, treiben.“ 


— 2856 — 


| Da, wo die Schulmeifter als Nebenftelle regelmäßig die 
Bemeindefchreiberei verfahen, betrachteten Diejelben dieſe Nebenftelle 
als ihren Stolz. 

In Würtemberg waren die Schulmeifter in der Regel aud 
Schultheißen; daher ſetzten diefelben in ihren Unterjchriften ben 
Titel: „Schultheiß” dem „Schullehrer” voran. Die Feder hinter 
dem Ohr nebft dem Dreimafter war Daher das fichere Abzeichen 
der fchulmeifterlihen Würde. An anderen Orten fungirten bie 
Schulmeifter zugleih als „gemeine Wieger,” indem fie die ber 
ganzen Gemeinde gehörende Wage (die „Mehlwage”) verwalteten 

Faſt überall unterfchied man unter den Schulmeiftern dreũ 
Klafien, nemlih: 1) die eigentlihen Schulmeifter, wei 
ordentlich angeftellt und daher auch während des Sommers Schul 
zu balten verpflichtet waren; 2) die Geſellen oder Steleue = 
treter und Gehülfen derfelben, weldhe (in Würtemberg Provi = 
foren, in Baiern Adftanten genannt) zuden Shulmeifer u 
durchaus im Verhältnis der Geſellen ftanden, und daher auch 
gradejo wie Handwerksburſchen fechtend das Land durchwandetum, 
um ſich bei irgend einem Schulmeifter Arbeit zu fuhen; 3) ShulE - 
halter, d. 5. Bauern, TQTagelöhner oder Handwerker, die nur 
dadurch ihr Leben zu friften wuften, daß fie fi von einer &e* 
meinde, bie feinen eigentlichen Schulmeifter hatte, für einen Wiss- 
ter als Winterfchulmeifter accordiren ließen, und im Sommer id 
als Gemeindehirten, Schnitter oder Knechte auf Baueruhöfen ver 
dingten. Sehr oft mufte ein folder Echulhalter mit feiner Schule 
wochenweife von einem Bauernbofe (in dem er dann auch jeinent 
„Umgang,“ d. h. feinen Tiſch hatte,) zum andern ziehen. — Das 
Elend der Schulmeifterei trat bier in feiner abſchreckendften Ge⸗ 
ftalt hervor. 

Bon den wirklichen Bauern wurde der Schulmeifter mit Te! 
gröften Geringſchaͤtzung angefehen. Denn der Schulmeifter muſte 
ja bei Hochzeiten, Kindtaufen und ſonſtigen Schmauſereien Die 
Speiſen auftragen, mit der Geige zum Tanze aufſpielen oder pie 
Geſellſchaft ſonſt mit Späßen unterhalten. Dabei fchägte ſich De 
Schulmeifter glüdlih, wenn er fette Broden von der Mahlzeit mit 


— 257 — 


nah Haufe nehmen konnte.“) — Allerdings gab es audy im Ans 
fange diefer Periode einzelne Schulmeifter, Die fromm und ehrbar 
im Leben mit eifrigem, ernflem Sinne ihrem Berufe lebten und 
darum von ihren Gemeinden in Ehren gehalten wurden; aber erft 


ald das Ende des Jahrhunderts herannahte, begann fidy die Zal 
derielben zu mehren. 


\Ritzfch erzält in feiner Anweiſung zur Paftoralllugheit für Tünftige 
„Landpfarrer“ (Beipzig, 1791) S. 114: „Ich kenne einen Gchulmeifter fehr ge- 
non, don welchem alle feine Bauern wißen, daß er dur den Endvers, melden 
er bei hochzeiten, Kindtaufen u. f. m. nach gefchloßener Mahlzeit anftimmt, wie 
duch ein Cenſuredikt aufs Genauefte entfcheidet, ob die Mahlzeit gut oder fchlecht 
won Bos das fchlimmfte ift, auch die Bauern wißen dieſes, daß ein „alfo 
; wollt allegeit nähren,” auf eine reihlihe Mahlzeit abziele. 





Dritte Vexiode. 
Vom Anfange des achtzehnten Jahrhundert an. 


$.1. 


Zohann Yeinrih Peflalozi. 


Unter den Wetterfchlägen der beginnenden neueren Gejdicte, 
welche Europa erbeben machten, begann fid) in aller Stille ud 
der Anfang einer ganz neuen Periode des Erziehungsweſens zu 
geftalten, — und zwar durch den Einfluß des Züricherd Johann 
Heinrich Peftalozzi. Ohne von der Beichaffenheit des deut⸗ 
ſchen Unterrichtöwejensd feiner ober einer früheren Zeit etwas zu 
wißen, wurde Peftalozzi Schulmeifter, weniger weil ihn Rouffeaud 
„Emil“ angeregt, als vielmehr weil der Anblid des Elendes, in 
welchem er das arme Volk fchmachten ſah, ihm ans Herz grif— 
und in feinem von unerjchöpflicher Liebe bewegten tiefen Geile 
alsbald die Idee eines ganz neuen, nemlich eines foldyen Unter 
richtsweſens erzeugte, welches naturgemäße Erziehung des Kindes 
zum geiftig und leiblich entwidelten Menfchen fein ſollte. Die 
Tiefe und Wärme des Gemüted und die edle Begeifterung und 
Hoffnungsfreudigkeit, mit welcher Peſtalozzi feine paädagogiſchen 
Seen, alle bisherigen Crziehungsweifen ignorirend , verfintelt: 
machte fofort alle Welt auf ihn aufmerfjam und veranlafte es 
daß die ange fehenften Gelehrten und Staatsmänner in Schaaren 3 


— 259 — 


fm pilgerten *) um ‚ihn und namentlich feine Schule in Sferten 
Eennen zu lernen. Seine zalreihen Schriften, (namentlich „Liens 
barb und Gertrud ,” 1781 — 1789; „Chriſtoph und Elfe,” 1782; 
„Nachforſchungen über den Bang der Natur in Den Entwidlungen 
des Menſchengeſchlechts,“ 1797; „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt,“ 
1801, „Buch für Mütter ,“ 1803; „Anfchauungslehre der Maß- 
und Zalenverhältniſſe,“ 1803— 1804, und Selbfibiographie) und 
die zalreichen von ihm eingerichteten Unterrichtsanftalten (Stanz, 
Burgdorf, MünchensBuchjee, Iferten [Yverbün, wo eine Zeit 
lang auch Fellenberg war, der hernach in Hofwyl ein praktiſch⸗ 
dtonomiſches Inſtitut begründete] gewanuen ihm, nachdem er Ans 
fange al8 Sonderling verlacht worden war, bald einen weit ver- 
breiteten Anhang, durch den er zum Vater des gefammten neueren 
Eiziehungsweſens wurde. Ä 

Die eigentliche Aufgabe der Erziehung fand P. darin, daß 
die Erziehung den Menfchen recht zu fich felbft kommen laße, daß 
fe in ifm das Bewuftfein des Maßes erwede, durch welches ber 
Nenſch aus ſich heraus richtig wollen, richtig urteilen und richtig 
handeln koͤnne. Diefes follte aber nicht nur auf dem finnlichen, 
ſondern auch auf dem geiftigen, ja dem fittlichen und dem reli- 
giſſen Bebiete der Fall fein. In dem Menfchen (das war P’s. 
Gedanfe,) müße jeder Sinn für die richtige und reine Form fo 
mtbunden werben, daß dieſe Formrichtigkeit und Mapliebe au 
dry das fittliche Urteil hindurchleuchte und eine wahre Entwids 
lung des geiftigen Lebens aus ſich heraus ermögliche. 

Das Großartigfte und Belangreichfte, was Peftalozzi hier⸗ 
duch für die Erziehungswißenſchaft gewann, beftand darin, Daß 
Meine eigentliche und wirklihe Elementarbildung nachwies, 
welhe Die elementare Grundlage aller Bildung fein konnte und 
aufe Sin feinem „Schwanengefang” (Peſtalozzis Werke B. 13, 
&. 1) gibt P. hierüber folgende Erklärung: „Die Idee der Ele— 
mentarbildung ift nichts anderes, als die dee der Naturgemäß- 


— —— 
) Die Namen einzelner derſelben fiehe bei Harniſſch, „der jepige Stand- 


"at des gefammten preußiſchen Volkeſchulweſens,“ S. 4—6. 
17° 


— 2160 — 


beit in der Entfaltung und Ausbildung der Anlagen und Kräf 
des Menjchengefchlehts. Die wahre Natur des Menfchen ab 
oder das Weſen der Menſchennatur befteht nicht in denjenig 
Anlagen und Kräften, welche der Menſch mit den Thieren geme 
bat, fondern in denjenigen, wodurd er ſich von denfelben unt« 
ſcheidet. Jene Naturgemäßheit fordert daher eine Unterordnu 
der erfteren unter die leßteren und eine harmoniſche Entfaltung ıx 
Ausbildung der Anlagen des Herzens, des Geiftes und der menſ 
lichen Kunftkraft.” Die Elemente (diefer Elementarbildur 
jelbft waren aber für P. die Keime alles Wißend und Können 
welche in uns, nicht außer und liegen. Diefe Elemente, welc 
ſchon bei tem Säugling in Betracht kommen, find der Anfaı 
aller Bildung und bleiben das fortwährende Mittel derjelbe 
Schon dur die Natur uud das Leben felbft fuchen ſich dieſe I 
mente kraft ihres inftinctartigen Selbfttriebes auszubilden. Ab 
eine harmonische Ausbildung aller Kräfte ded Menjchen kar 
nur Durch die Glementarbildung erzielt werden, welche (Merl 
B. 13, ©. 125) nichts anderes, als ein pſychologiſch und m 
Sorgfalt bearbeiteter Kunftzufag zu dem Gange der Natur in D 
Entfaltung und Ausbildung unfrer fittlichen,, geiftigen und pb' 
fifchen Kräfte und eine pfychologifc begründete Nachhuͤlfe ihr! 
diesfälligen, guten Thuns felbft ift. 

Hieraus ergaben ſich für P. folgende Grundfäge feiner & 
ziehungslehre, welche am vollftändigften aus feiner Schrift „ZB 
Gertrud ihre Kinder lehrt” gefammelt werden koͤnnen. Peftalei 
verwarf die bißherigen Unterrichtsweifen zunächſt darum, weil D! 
felben den Elementarunterricht durchaus principlos behandelte 
von einer innern und wefentlichen Beziehung beffelben zu D 
höheren Stufen des Unterrichts nichts wuften und namentlih v 
einem Unterricht, weldyer naturgemäße Entwidlung des Menſch 
fei und das Kind in und aus fidh felbft zur höhern Stufe a? 
fteigen laße, nicht8 ahnen ließen. Er fagt von dem herkoömmlich 
Schulunterriht (deſſen geſchichtliche Entwidlung ihm freilid ge 
fremd war): „So weit, als ich ihn Fannte, Fam er mir wie « 
großes Haus vor, deſſen oberfted Stodwerf zwar in hoher volle 
derer Kunft flrablt, aber nur von wenigen Menfchen bewohnt € 





— 261 — 


in dem mittleren wohnen denn ſchon mehrere, aber es mangelt an 
Treppen, auf denen fie auf eine menſchliche Weife in das 
Obere hinauffteigen könnten; — — — im dritten wohnt dann eine 
zahlloſe Menſchenheerde, die für Sonnenfchein und gefunde Luft 
bollends mit ben oberen das gleiche Recht Hat, aber fie wird 
nicht nur im efelhaften Dunkel fenfterlofer Köcher ſich ſelbſt über- 
laßen,, fondern man bohrt in demfelben noch denen, die auch nur 
den Kopf aufzuheben wagen, um zu dem Glanze des oberften 


Stockwerks binanfzuguden , gewaltfam die Augen aus.“ Um 


Diefen Mangel zu befeitigen, wollte Peſtalozzi „Natur und Kunft 
im VolfSunterricht fo innig vereinigen, als fie jeßt gewaltfam in 
demfelben getrennt find,” denn „bie Natur allein führt und unbe 
ſtechlich und unerfchüttert zur Wahrheit und Weisheit.” Aber bie 
Ratur gibt ihre Belehrungen durch die Anſchauung in Feiner Ord⸗ 
nung. Der Zufall herrſcht darin; das Kind wird dadurch oft 
mehr verwirrt als entwidelt und lernt nicht das Bufällige vom 
Weſentlichen unterſcheiden. Die Kunft muß daher dem Gange 
der Natur zu Hülfe kommen; die Anſchauung muß durch beftimmte 
vpſychologiſch geordriete Uebungen zur Anfhanungsfunft er 
boden werben, die fi) auf moralifche und Afthetifche Anfchauungen 
nicht weniger, als auf intellectuelle bezieht. — Unter „Anſchanen“ 
verftand aber P., was wol zu beachten ift, nicht ein leidenbes 
Aufnehmen der Eindrüde, fondern eine zum fiheren Urteil führende 
Selbſtthaͤtigkeit. Auch wollte B., daß das Kind durch die An- 
Hauungskunft immer auf das Wefen der Dinge Bingewiefen 
werde, indem vor Allem die Verwirrung verhütet werden follte, 
welhe in dem nod) wenig entwidelten Faßungsvermögen entfteht, 
wenn Unveränderliches und Zufällige zugleich gezeigt wird. 
Demgemäß verlangte B. 1) man follte im Kinde den Kreis 
ber Anfhauungen im naturgemäßen Fortſchritt erweitern; 2) bie 
Ihnen zum Bewuſtſein gebrachten Anjchauungen unverwirrt einprä- 
gm und 3) follte man ihnen für die gewonnenen Anjchauungen 
bie entſprechende Sprachkenntnis geben. Als erftes Mittel zur 
Erreichung des erſten Zieles gibt Peſtalozzi den Müttern (denn 
bom dieſen fol der Unterricht ausgehen, weil ber Unterricht natur⸗ 
gemaͤße Bildung des ganzen Menfchen und Erziehung fein foll) 


— 262 — 


nicht ſowohl Bilderbücher, *) als vielmehr ein AB& der Aı 
fhauung in die Hand. Dur diefes ABE der Anſchauu 
will Peſtalozzi „Die Basis fihern, auf welde die übr 
gen Unterrihtsmittel alle gegründet werben müßen 
Dafjelbe ift „eine gleichförmige Abteilung des gleichfeitigen Vierer 
zu beftimmten Ausmeßungsformen und erfordert weſentlich ei 
genaue Kenntnis des Ursprungs derfelben, der geraden Linien, 
ihrer liegenden und ſtehenden Richtung.” Peftalozzi hofft nun, d 
Die vermittelft eines folchen ABCbuchs „entwidelte Ausmeßungskre 
das fchweifende Anfchauungsvermögen unferer Natur zu einer E 
flimmten Regeln unterworfenen Kunſtkraft erhebt, woraus dar 
die richtige Beurteilungsfraft der Verhältnifje aller Kornen en 
ſpringt.“ Dieſes ift Peſtalozzi's Anſchauungskunſt. Da 
nun, worin die Anſchauung des Kindes entwickelt werden ſol 
oder die drei Elementarmittel des Unterrichts ſind Schall 
Form und Zal. Die Sprachlehre, welche ſich aus dem erſte 
Elementarmittel ergibt, gewinnt bei Peſtalozzi einen eigentuͤmliche 
Charakter. Peſtalozzi fagt: „Meine Unterrichtsweife zeichnet fid 
vorzüglich hierin aus, daß fie von der Sprache ald Mittel, dei 
Kind von Dunkeln Anfchauungen zu deutlichen Begriffen zu erheben 
einen größeren Gebrauch macht, als bisher gefchehen ift, fo wi 
fie fih ebenfalls in Rüdfiht auf den Grundfag auszeichnet, all 
wirklide Sprachkenntnis vorausſetzende Wörterzufammenfegunge 
vom erften Elementarunterricht auszuſchließen. Wer eingefteht, di 
Natur führe nur durch die Klarheit des Einzelnen zur Deutlichkei 
des Ganzen, der gefteht ebenfalld ein: „die Worte müßen ben 
Kinde einzeln Har fein, ehe fie ihm im Bufammenhange deutlid 
gemacht werben koͤnnen.“ Gleichwol fteht die Sprachlehre I 
Peſtalozzis Erziehungsfuften doch erft in zweiter Linie. Peftaloz! 
will, daß das Find vor Allem deutliche und vollftändige Anfchar 
ungen und Gindrüde gewinne und dadurch Die entfprechenbe 
Worte verfiehn und gebrauchen lerne. Der Erzieher muß De 


*) Peſtalozzi's Anfhauungsmeife unterfchied fich gerade dadurch von der d 
Comenius und Baſedow, daß er flatt der Bilderbücher wirflihe Raturgegenftärt! 
gebraucht wißen mollte. | 


— 263 — 


Rind fprechen lehren, darf aber nicht Die Kenntnis der Sprache 
vraußjegen. „Wenn mir ein Dritter die Worte in den Mund 
Int, wodurch ein Anderer, dem Die Sache klar war, biefelbe 
!enten von feinem Schlage deutlich macht, fo ift fie um 
deßwillen mir noch nicht deutlich, ſondern fie ift und bleibt infos 
weit Die deutliche Sache ded Andern und nit die meinige, 
als die Worte dieſes Andern das für mich nicht fein Fönnen, 
wos fie für ihn find: der beflimmte Ausdrud der vollendeten 
Klarheit feines Begriffs“ „Darum ,” ſagt Peſtalozzi, „it es 
äußerft wichtig, um Verwirrung, LTüden und Oberflächlichkeit zu 
berhüten, die Anfangseindrüde der wefentlichften Gegenftände uns 
ſerer Erkenntnis den Kindern bei ihrer erften Anjchauung jo be- 
Rimmt , fo richtig und fo umfaßend vor die Seele zu bringen, 
ald nur immer möglich ift.” Auf einem foldhen Wege gewinnt 
dad Kind dad, was das Biel aller Erziehung und alles Unter- 
richts iſt, nemlich Bildung. Was es fpricht, find wahre Erfennt- 
niſſe und feine Kenntnifje find wahre Fertigkeiten in ihm; und 
das, was das Kind in Folge des erhaltenen Unterrichts in fich 
bat, muß die Bafis fein, auf welcher e8 zu weiteren Erfenntnifjen 
zu führen ift. 

Demgemäß behandelt denn Peſtalozzi auch den Religions⸗ 
unteriht. Er jagt: „Die Gefühle der Liebe, des Vertrauens, 
des Dankes müßen in mir entwidelt fein, ehe ich fie auf Gott an- 
wenden kann. Sch muß Menfchen Lieben; ich muß Menfchen trauen, 
ebe ich mich dahin erheben kann, Gott zu lieben.” Die Grund» 
lage des Religiondunterrihtd muß darum das Verhältnis des Kin⸗ 
deö zur Mutter fein, denn „ich finde,” fagt Peſtalozzi, „baß diefe 
Grfühle hauptſaͤchlich von dem Verhältnis ausgehen, das zwifchen 
dem unmündigen Kinde und feiner Mutter Statt hat.” Peſtalozzi 
ſchliſt daher: „Der erfte Unterricht des Kindes fei nie die Sache 
des Kopfes, er fei nie Die Sache der Vernunft, er fei ewig, ewig 
die Sache der Sinne (natürlich auch des innern Sinns), er fei 
ewig die Sache des Herzens, die Sache der Mütter.” 

Diefe Gedanken, welche Peftalozzi in den genannten Schrifs 
ten entwickelte und auf bie verſchiedenen Zweige des Unterrichts: 
weſens applicirte, waren fo überraſchend neu, daß es alsbald 





— 264 — 


zalreiche Freunde des Erziehungsweſens gab, die den Anbru 
einer neuen Periode defjelben ahnten. Man begriff jetzt, welch« 
bie eigentliche Bedeutung des Clementarunterricht3 fei. Ein Be 
fannter Paͤdagog (F. 9. C. Schwarz) ſchrieb im Anfange diefe 
Jahrhunderts): „Lange glaubte man, es werde zum Unterricht 
der ABCſchüler Doc, wenig erfordert; endlich fingen gelehrte Män 
ner an, den Slementarunterricht beßer zu würdigen, und Peftalogi 
ſpricht nun die Wichtigkeit defjelben fo ſtark aus, daß wir, bie 
wir und lange mit dem Lehrweſen befchäftigten, uns doch ver 
pflichtet fühlen, bei ihm noch in die Schule zu gehen. Und en» 
lich werben wir und doch von dem Weſen Iosreißen müßen, daß 
die Ordnung in vem Kopfe des Lehrers nicht die fei, wonach fid 
das Wißen des Schülerd entwidelt.“ 

Freilich waren ed Viele, welche teils an dem Cynismus 
der ganzen äußern Erſcheinung P’3., teild an feinem unpraktiſchen 
und ihn felber in endlofe Verlegenheiten bringenden Idealismus 
oder an dem Abjonderlichen feiner Schuleinrichtungen fich ftoßend, 
über Peftalozzi urteilten, wie etwa der Profeffor der Gtlüdfelig 
feitslehre Steinbart in Frankfurt, Der im J. 1808 mit gat 
freundlichem Lächeln lehrte"): „Auch ift da ein Mann in der 
Schweiz aufgetreten und hat die Pädagogik reformiren wollen; et 
beift Peſtalozzi und fcheint ein extravaganter Kopf zu fein. Ich 
fann Ihnen aber, meine Herren, die Verficherung geben , fie fir 
den in meinen Dictaten Allee, was fie über die Pädagogik zu 
wißen nötig haben.” Auch in der Schweiz war Peſtalozzi, ald 
man fah, wie er in der Scheune ſaß und die Kinder armer Leute 
unterrichtete, ein Gegenftand des Spotted, ja der Verfolgung. 
Hin und wieder gabs auch Ginzelne, welche an ihm rügten, daß 
feine Erziehungsmethode nicht direct auf das Ghriftentum gegründet 
fei, und weiſſagten, daß Peſtalozzis weltberühmte Schule 3 
Iferten untergehen werde, wie Baſedows Philanthropin unterge 
gangen fei, während Frankes Glaubensfchöpfungen immer her! 


) Peſtalozzis Methode und ihre Anwendung in Voltsfculen. Bremen, 180° 
») Sarnifd, a. a. Ort. & 6, ‘ 


— 265 — 


er erblühten. Viele ſprachen es andy, durch Erfahrung belehrt, 
Tadel aus, daß Peſtalozzis Methode für die Volksfchule Direct 
: in der fogenannten Formen⸗ und Größenlehre und im Kopf: 
men eingeführt werden fönne, und wandten ihr den Rüden zu. 
vere hielten an Peftalozzi feft und wollten das gefammte Er- 
ungsweſen nach deſſen Principien umgeftaltet wißen, vermochten 
r diefe Principien nur als ein möchaniser l’education aufzu- 
n und ließen darum von dem Geifte Peſtalozzis gar wenig 
nehmen. Aber dennoch war deffen Wirken das Anbrechen 
8 neuen Morgenrots-für das geſammte Erziehungswefen. Denn 
alozzi hatte, wie fein Anderer vor ihm, die Gedanfen erfaft 
durchgeführt, daß der Unterricht fchlechthin Erziehung und 
widlung des Kindes zum Menjchen fein müße, daß die rein 
Ihliche Bildung etwas ungleich höheres jet als die bloße Berufs⸗ 
ung, daß die Fertigkeit mehr Wert habe ald alles bloße Wißen, 
daß auch die höchfte GBeiftesbildung auf denjelben elemen- 
en Örundlagen ruhen müße, auf die auch das Armfte Kind 
sruch zu machen habe. Ebenſo muß anerkannt werden, daß dieje 
anfen von P. infofern in dem rechten Geifte und Sinne gepflegt 
verfolgt wurden, ale es der Geift barmherziger, Dienender, nur 
Andere lebender Liebe war, der Peftalozzid ganzes Herz und 
ein Diäten und Trachten durchdrang und beſeelte; und P. 
e auch, daß dieſer Geift, der Die Kinder liebt, in dem Sohne 
ted nach feiner ganzen Wahrheit und Külle erfchienen war. 
n ſchon daher P. e8 nicht vermochte, fein Werf ganz unter 
Ecepter Chriſti und des heiligen Geiſtes zu ftellen und es 
n zu Ghrifti Ehre auszuführen, jo bleibt Doc wahr, was 
umer fo treffend über P. jagt *): „Wer Darf gegen ihn einen 
in aufheben ? Wer darf ihn verdammen? Ihm iſt viel vergeben, 
rer bat viel geliebt!” 

„Sa, eine Xiebe zieht ſich Durch fein ganzes mühevolles 
en, eine Sehnſucht, dem armen verlaßenen Volke zu belfen. 
ne Liebe war feines Herzens Leidenſchaft; ihr euer entzünbete 


— — 


I Um Schluße der Geſchichte der Pädagogik. 


— 266 — 


in ihm einen flarfen Zorn gegen Alle, die feinem Liebesſtreben in 
ben Weg traten.“ 

„Freilich war er fich felbft vorzüglich im Wege. Bei Gott 
ift beides, Rat und That, bei Menfchen ift nur zu oft ratloſe 
That oder thatlojer Nat. So fahen wir Peſtalozzi bei Harfter 
Kenntnis der Menfchen unfähig, fie zu behandeln und zu regieren; 
bei den liebenswürdigften Sdealen blind, wenn er den Weg zu 
biefen Idealen zeigen follte. Ya, oft ergreift er das feinen großen 
Gedanken Entgegengefebtefte und Widerſtrebendfte, um dieſe Ge⸗ 
danken zu verwirklichen.“ 

„Niemand war ferner von einer zeinlichen, haushaͤlteriſchen 
Exiſtenz als er; aber Niemand ſehnte ſich mehr nach einer ſolchen, 
ihren ganzen Wert fürs Leben anerfennend. Die Schilderungen 
der Haushaltung Gertruds beweifen, daß ein Dichter nicht bloß 
das vortrefflich darzuftellen verfteht, was er in vollem Maße be 
ſitzt, ſondern auch das, wonad) er fi) deshalb von ganzem Herzen 
ſehnt, weil es ihm in vollem Maße mangelt.” 

„Den gröften Teil feines Lebens brachte er in brüdende 
Armut zu, fo konnte ihm dad wahre ungefuchte Mitleiven mit den 
Armen und Verlaßnen kaum fehlen. — An beßeren Tagen war fl 
aus Grundſatz cyniſch, wenn er es in böfen Tagen aus Not wat. 
Dem leiblihen Cynismus entfprach in ihm etwas, was ich niht 
geiftige Armut, fondern geiftigen Cynismus nennen möchte: ein 
Widerwille gegen die Ariftofratie der Bildung. Und dennohh, 
wie fein Charakter fo voller Widerſprüche ift, dennoch fühlte ei 
fi) berufen, dem hoben Gebäude dieſer Bildung ftatt der alten 
fchadhaften neue Fundamente unterzulegen. Er wollte dad obelt 
Stod des Gebäudes flügen, ohne ſich um dieſes Stod zu befüm 
mern. Nühmte er ſich doch, feit 30 Jahren fein Buch geleſen 
au haben!“ 

„Daher machte er fo viele den Autodibakten gewöhnlich! 
Mißgriffe. Es fehlte ihm das Hifkorifche Fundament; was AD! 
längft hatten, erjcheint ihm ganz neu, wenn es ihm oder ein« 
feiner Lehrer in die Gedanken kömmt.“ — — „Uber tieffins € 
Gedanken, welche eine heilige Liebe unter fchweren Wehen gebo 


u — 207 — 


ht, fie find Gedanken des ewigen Lebens und hören, wie die 
ee, nimmer auf” *). 

Es gab viele hervorragende Pädagogen, welche fi von 
eſtalozzis Ideen mit Begeifterung erfüllen ließen, namentlich 
adomus, Himly, Plamann, Goͤrung, Trapp, Schultheiß, Tillich, 
Türk, und viele Andere. Manche unter ihnen glaubten Peſta⸗ 
His Methode gradezu ald die abfolute Methode begrüßen 
müßen. Plamann richtete: feine Privatanftalt zu Berlin voll: 
indig nach derfelben ein. Den mädhtigften Einfluß übte indeſſen 
eftalozzi zunaͤchſt auf Das Volksſchulweſen in Preußen aus, zu 
fin Reorgantfation, nachdem die preußifche Regierung ſchon vor- 
rt mehrere Lehrer zu Peftalozzi gefandt hatte, um diefelbe mit 
fen Erziehungsſyſtem vertraut zu maden, i. J. 1809 Karl 
uguft Zeller nady Königöberg berufen wurde. 

Erſt durch die ganz neue und eigentümlicdye Bereicherung, 
ehe Die wißenſchaftliche Einfiht in das Erziehungsweſen und 
ar in die elementaren Grundlagen aller geiftigen Bildung 
ch Peſtalozzi und durch vielfeitige Verarbeitung der Gedanken 
fielben erhielt, kam die Volksſchule zu ihrem wahren Begriff, 
dem die Stelle derfelben in dem einheitlichen Ganzen des ge 
mmten Unterrichts und Erziehungsweſens erfannt wurde **). 


$. 2. 


ühblik auf die verfchiednen Stadien in der Entwicklung des Volksfchulmefens. 


Erſt vom Gefichtspunft der Peſtalozziſchen Erziehungsidee 
us ift ein umfaßender Ueberblid über die innere Entwidlung der 





R Bgl. außerdem über Peſtalozzi; Niederer über „Peſtalozzis Erziehungs. 
temehmen im Verhältnis zur Zeiteultur“, Iferten 1812, und Niemeyers Schrift: 
leber Peſtalozzis Grundfäge und Methoden“, Halle und Berlin 1810. 

”) Inter den Schriften, welche fih auf die Ausmittelung und Abgrenzung 
N Eniehungsbegriffes vorzugsweife beziehen, find zu nennen Stephani (Syſtem 
R öffentlichen Erziehung, 1805), Niethbammer (Streit des Philanthropinismus 
ad Humanismus 1808). Niemeyer (Srundfäge der Erziehung und des Unter- 
ichu) und Schwarz (Erziehungsiehre, 1802 — 1806, Eompendium der Erzieb- 
mg. und Unterrichtswißenfchaft, 1817, Pealoggis Methode und ihre Anwendung 
a volltſchulen, 1803). 


— 268 — 


Volksſchule und eine allfeitige Feftftelung des Begriffes 
moͤglich. 

Die Ausprägung der Idee der Volksſchule Bat | 
folgende fünf Entwicklungsſtadien verlaufen: 1) Zunaͤch 
dDiefelbe aus dem Geifte und dem unmittelbaren Lebens 
des evangelifchen Proteftantigmus überhaupt geboren. S 
teftantifche Geift wollte das gefammte religiöfe Leben des 
auf den Glauben an die Taufgnade und auf Dad Bew 
von dem Beſitze der Taufgnade gründen. Das Inten 
Proteſtantismus hing nicht an der Außeren Snftitution de 
fondern an der Perſon des einzelnen Kirchenglieded. Es 
daher alled daran, nit daß der Einzelne nur ein An 
ber äußeren Kirche fei und nur als folder in Betracht 
wolle, — fondern daß in dem Herzen des Einzelnen, i 
Bewuftfein und feinem Gewißen das Neih Gottes g 
werde. Das Erfte, was der Proteftantimus anftrebte, ı 
in dem einzelnen Chriſten ein ſicheres perfönliches Bew 
von der ihm für feine PBerfon (nicht blos der Kirche 
gemeinen) gegebenen Gnade, d. b. von der Taufgnade alı 
lage feines gefammten Lebens gejchaffen werde. Der prote 
Geiſt erfannte ſomit in allen Gliedern der Gemeinde gem 
Dedürfnis klarer Erfenntnid des Heiled an, waßn 
einen für den Chriftenmenfchen als foldyen eingerichteten 
richt gewährt werden konnte. Hiezu Fam Die Bedeut 
Konfirmation, welche ganz eigend Dazu angeordnet vı 
der junge evangeliſche Chrift von der Hoffnung, Die in i 
öffentlich Rechenfchaft geben und in Die Zal der mündi 
dem gefammten gottesdienftlichen Xeben der Gemeinde tet 
den ®emeindeglieder eintreten follte. Der Pfarrer follte bi 
Katechumenen bierzu vorbereiten, Eonnte Died aber nicht thı 
biefelben nicht vorher im Leſen, in der biblifhen Geſchi 
Singen der Kirchenlieder u. |. w. unterrichtet waren. 
mufte der SKüfter eine Schule einridhten, worin Die zu 
Ratechumenen des Pfarrers für den Beſuch des Confirm 
terrichte8 und zur Teilnahme an dem Firdhlichen Kultus! 
Gemeinde vorbereitet wurden. — 


— 2369 — 


So erwuchs der Begriff einer Schule, worin nicht einzelne, 
durch BVerbältnifie Begünftigte zu lateinifchen Gelehrten und zu⸗ 
künftigen Staats⸗ und Kirchenbeamten, jondern worin bie Kinder 
des chriſtlichen Volfed zu mündigen Chriſten und Gemeindegliedern 
erzogen und mit denjenigen Kenntniffen auögeftattet wurden, welche 
dem Ghriftenmenjchen als ſolchem nötig find. 

2. Indeſſen zeigte es fich, daß ein Schulunterricht, der nur 
Boraußfegung der pfarramtlihen „Kinderlehre” und der Teilnahme 
an dem Kultus der Gemeinde war, doch nicht genügte. Daher 
hate Die fpätere Zeit zu Den gemein- proteftantifchen Factoren 
des Volksſchulweſens den Gedanken hinzu, daß für den ganzen 
Griieherberuf der Kirche das Katechifiren, mit welchem fich der 
Prediger nicht an Die Gemeinde, fondern an das einzelne Gemeinde⸗ 
glied wende, noch wichtiger und wirkſamer fei als das Predigen. 
Und erft durch dieſe energijche Hochftellung der Katechifation ges 
wann der Lehrer eine in der chriſtlichen Erziehungsidee begrün- 
dete eigentümliche Stellung neben dem Prediger, und erft hierdurch 
wurde es möglich, den eigentümlihen Beruf der Schule d. 5. 
der Volksſchule zu begreifen. — Es war diefes die Frucht 
bed Geiſtes des Pietismus. — 3. Indem jebodh die zunächſt 
ducch den Pietismus regenerirte Volksſchule ihre Aufgabe ernftlich 
m löfen fuchte, ftellte es fich fofort heraus, Daß es der gute Wille 
alen und der nur auf vollfländige Mitteilung der zu lehrenden 
Wahrheiten berechnete Unterricht doch nicht that. Man fah ein, 
daß das Unterrichten eine Kunft fei, daß dafjelbe methodiſch 
fein müße, wenn e8 Erfolg haben ſolle. Man begriff daher, daß 
die Volksſchule ein Inſtitut fei, worin das einzelne Kind plan- 
maßig und nach einer beftimmten Lehrmethode behandelt wers 
dm müße, wenn ihm die Schule wirklich das gewähren folle, wozu 
fe da fei. — 4. Hierzu kam, daß das Beduͤrfnis des Lebens bie 
Aufgabe der Schule allmaͤhlich erweiterte. Bisher hatte die Volks⸗ 
ſchule nur dem kirchlichen Berufe gedient; aber man fah ein, daß 
dab Lehen überhaupt berechtigt ſei, an die Volksſchule Anforbes 
tungen zu flellen, und daß dieſelbe demgemäß eine Schule für das 
Lehen des chrifklichen Bürgerd und Bauern in feiner Ganz⸗ 
heit fein müße, wobei anerfannt wurde, daß die Grundlage 








— 10 — 


des Lebens das Ghriftentum fein müße. So geftaltete fi d 
Begriff hriftlider Volksbildung, zu deren Pflege und Be: 
breitung die chriftliche Volksſchule beftimmt ſei. — 5. Aber auc 
biermit war die Aufgabe der Volfsfchule noch nicht vollfomme 
gewürdigt. Denn es war noch feftzuftellen, wie die Methode, nac 
welcher den Schulfindern hriftliche Volksbildung angeeignet wer 
den ſollte, bejchaffen fein müße. Peſtalozzi beantwortete die 
Frage jo, daß er 1) in der Methodik den Begriff des Menſche 
nad) feinem ganzen Umfange geltend madte, und daß er 2) a 
die Stelle des Begriff eines Unterricht, der nur Wahrheite 
von außen ber in das Schulkind hineinträgt, um es allmählic 
mit einer für einen Äußeren Zweck ausreichenden Summe vo 
Kenntnifjen zu füllen, — den Begriff einer Ausbildung und 6 
ziehung ftellte, welche an die in dem Menfchen bereit vorhand« 
nen, dem Menjchen als ſolchem angehörenden Anlagen, Kräfte un 
Wahrheiten anfnüpfte und lediglich harmonische Entwidlung un 
Ausbildung des Menfchen anftrebte. 


§. 3. 
Allgemeines über das Volksſchulweſen in den erſten Bahrzehnten des 
neunzehnten Bahrhunderts. 


Rochow war der Vorläufer Peftalogzts gewefen, hatte al 
nicht den Grfolg oder die Gelebrität wie Diejer gewonnen, w 
ihm in feiner Zeit zunaͤchſt nur Die Aufgabe zufallen Eonnte, du 
Aufftelung ermunternder Vorbilder georpnete Schulen ins Lei 
zu rufen, überhaupt den Segen einer nicht bloß auf dem Pap 
porgefchriebenen, fondern aud in der That verwirklichten Sch 
ordnung wahrnehmbar zu machen, die Ausbildung zukünftig 
Volksſchullehrer zu veranlaßen und erft den Boden zu befchafft 
in weldyen Die von Peftalozzi entwidelte Erziehungsidee hinein; 
legt werden konnte, um in bemfelben zu gedeihen und Frucht 
bringen. Daher wor Peſtalozzis Erfolg entjcheidender, augenfi 
liger, man möchte jagen geiftiger, als die Refultate, welche Rocht 
erzielte; und Daher geſchah es, Daß Rochows Name vergeß 





; 
£ 





| 


— 271 — 


wurde, als Peſtalozzis geiftige Schoͤpfung aufzublühen und groß 
m werben begann. Aber die Arbeit, die der Eine gethan hat, tft 
wugleih auch des Anderen Werk. Beide find die wirkfamften Be- 
gründer der gegenwärtigen Volksſchule. 

Die Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen Län- 
ben zeigt, wie feit dem Anfange des neuen Jahrhunderts von 
allen Seiten her die regften Beflrebungen und die rüftigften 
Kräfte zufammentrafen, um dem Volksſchulweſen einen neuen Le: 
bendhauch einzuathmen und dafjelbe innerlich wie äußerlich zu he 
ben. Es wurden bejondere Behörden zur Leitung des Volksſchul⸗ 
weſens eingefeßt, an Die Schulamtöcandidaten wurden in ben 
Prüfungen immer höhere Anforderungen geftellt, regelmäßige und 
frenge Schulvifitationen wurden angeordnet, ein regelmäßiger 
Schulbeſuch aller Tchulpflichtigen Kinder wurde von den Staats⸗ 
behörden immer mehr mit unerbittlidher Strenge überwacht, und 
mgleih gab ſich ſowol in den Staatöbehörden als von Seiten 
zalreicher Freunde des Volksſchulweſens der freudigfte Eifer zur 
Deberung des eigentlichen Schulunterriht8, der Methode und der 
Schulerziehung Eund. 

Im Allgemeinen zeigte es ſich hierbei, daß Peftalozzid Gin- 
fluß nach drei Seiten bin nachhaltig wirffam wurde, nemlidh 1) 
inſofern derfelbe den Schulmännern Veranlaßung gegeben hatte, 
dad Banze ihrer Aufgabe von einem durchaus neuen Gefichtspunft 
aus forgfältig ind Auge zu faßen, und fi) dem pädagogifchen 
derufe mit neuer Sreudigfeit und Begeifterung hinzugeben; 2) in- 
ſofern der Unterricht jegt mehr und mehr als Erziehung, der 
Schüler alfo nicht mehr nach der früheren hanbwerfsmäßigen 
Denkweiſe als Lehrling, ſondern als Zoͤgling angeſehn und bes 
handelt ward, und 3) inſofern der Unterricht im Rechnen jetzt 
eine neue Bedeutung und ganz neue Behandlung erhielt. Denn 
unter den einzelnen Unterrichtsgegenfländen war eigentlich der 
Nehnenunterridt der einzige, worin ſich Peftalozzis Methodik auf 
Die Dauer behauptete (während im übrigen biefelbe eigentlich wer 
Niger Einfluß auf die Behandlung der Unterrichtsfachen als viel- 

Mehr auf Die Behandlung der Schüler ausübte), Das Gigen- 





— 272 — 


tümlidye in Peſtalozzis Methode des Rechnenunterrichts ergiebi 
aus Folgendem: 

Peftalozzi ließ feine Schüler Die Zalen und die ein 
ften Verhältniffe (etwa bis 20) zunädft durch finnliche Anſchat 
an Fingern, Würfeln, Bohnen, Nüffen ꝛc. kennen lernen, 
führte dieſelben jodann zu feiner inheitentabelle, jowie jpäte 
ben Bruchtabellen, wo der Schüler die Zalenverhältniffe anſch 
und fchauend zufanımenfaßen konnte. Jede dieſer Tabellen ent 
100 Felder, je 10 neben einander. In der Einheitentabelle 
hielt jedes Feld der erften Reihe einen Strih, in der zw 
zwei u. ſ. f. bis auf zehn Striche, wodurd die Menge ber 
beiten, aus denen jede ganze Zal befteht, dem Kinde imme 
anſchaulich dargeftellt werden follte. Die Tabelle für die einfe 
Brüche enthielt in der erflen Reihe zehn Quadrate, in der zw 
ebenſo viele, die durch eine ſenkrechte Linie halbirt waren un 
fort bis zur zehnten Reihe, worin die zehn Quadrate wied: 
zehn gleiche Teile geteilt waren. Die Tabelle für Die dopp 
Brüche teilte ebenjo die Duadrate durch horizontale und jenk 
Linien, jo daß das letzte Quadrat in 100 Teile geteilt war. 
Schüler mufte nun zunächſt an der Einheitentabelle die } 
vergleichen, durch Multiplication und Divifion Zalenverhäl 
bilden und auflöfen und in einem durch ein Geſetz beflimmt v 
zeichneten Gange bis zu den zuſammengeſetzten und ſchwie 
Verhältniffen fortfchreiten. Peſtalozzi unterfchied hierbei acht 
Ichiedne Functionen des Schülers: Nach den an finnlichen ®& 
ftänden angeftellten Vorübungen follte er 1) ſich auf der Tı 
prientiren, indem er Die Einer, Zweier 2c., Zehner in ihren R 
genau ind Auge fafte;, 2) bildete er zehn Zweier aus zw 
Einheiten, zehn Dreier aus dreißig Einheiten ıc., zehn 3 
aus hundert Einheiten und Löfte dann die Zweier 2c., wen 
gebildet waren, wieder in die Einheiten auf; 3) verwandel 
bie Zweier in Dreier und umgekehrt, die Dreier in Vierer, 
Neuner in BZehner, Die Zehner in Neuner; 4) nahm er von £ 
die fi in 2, 3, 4 2c. 10 gleiche Teile teilen laßen, einen Ba 
dritten, zehnten Zeil, 2, 3, 4 ıc. 10mal und beflimmte dan 
daraus bervorgehende Summe der Einheiten, 3. B. 2ma! 


— 273 — 


finfte Teil von 25 ift 2mal 5, 2mal 5 tft 10, d. 5. er gebrauchte 
has Einmaleins; 5) bildete er einfache Zalenverhältnifie; 6) ſtei⸗ 
erte er diefe Uebung; 7) bildete er zuſammengeſetzte Verhältnifie 
der Proportionen, und lernte die vierte Zal finden, welche ſich 
giebt, wenn ein Verhältnis und eine Zal von einem andern Ber- 
iltnis gegeben iſt; 8) jeßte er dieſe Hebung fort *). 

Sn der Grteilung des Lejeunterriht8 wurde Die Lautirmes 
ode immer allgemeiner üblich. — Der Schreibunterricht wurbe 
mentlih nach Anleitung Stepbanis und Pöhlmanns im 
er mehr in Gemäßheit der neueren Unterrichtsprinzipien behans 
9), — Der Zurnunterriht kam auch in dieſer Periode nur 
oradiſch in der Volksfchule vor. Namentlich in Schlefien, wo 
is Zurnerleben einen Hauptliß in Breslau hatte *%*), wurbe der 
umunterriht mit dem Unterricht im Singen als wefentlicher 
ehrgegenftand der Volksſchule gewürdigt. Uebrigens lag auch der 
helangunterricht faft durchweg noch fehr Darnieder. In den meiften 
Säulen verftand man unter Geſang nichts anderes als ein lautes, 
reiſchendes Ableiern der Kirchenmelodien. An die Einübung von 
3olföliedern und an eine methobifche Behandlung des Befanges 
surde leider nicht gebacht ****). 


— — — 


*) Ueber die Abweichungen, welche Stephani von Peſtalozzis Methode vor- 
ihm, dergleiche man den trefflichen Aufſaß von Pfr. Hagen „Vergleichung der 
tephanifchen und Peſtalozziſchen Methode des Elementarrechnens“ in Gtephanis 
Kerifhem Schulfreund B. V. 

) Siehe oben S. 212 ff. 

») Raumer, Geſch. der Pädag. III. &. 238. 


““) Bol. Freimũt. Jahrb. der allgemeinen deutfhen Volksſch. 1826 ©. 113 
eferent ift mit mehreren hundert Schulen fehr genau bekannt, und darunter 
d nur etwa ein Dupend, in welchen ihn der Gefangunterricht befriedigte ; in dem 
heren Xeile derfelben ift er fogar recht ſchlecht beftelt. Im den meiften 
dulen wißen die Kinder keine Kirchenmelodie nach Noten oder nach Ziffern zu 
Rn, Was fie können, haben fie mechaniſch auswendig gelernt, ſchreien oft dabei, 
I einem Sören und Gehen vergeht, verzerren die Gefichter auf eine empörenbe 
Sife, und vermögen noch nicht einmal von den erften Anfangsgründen des Ge- 
ges Rechenſchaft zu geben. Daß auch fchöne Bolksgefänge gelehrt werden 
iBen, das wißen viele Kehrer noch ganz und gar nicht“. 

18 


— 274 — 


Unter dem 31. Juli 1818 publizirte nemlich das ERonfifl 
rium zu Breslau einen Erlaß an die Kreisräte, Superintendente 
Pfarrer und ftädtifchen Behörden der Provinz Schlefien, wor 
ed zur eifrigften Förderung der Turnkunſt ald eines weſentliche 
Teiles der Volkserziehung auffordert. Das Konfiftorium ho 
insbefondere hervor: „Die Geſanglehre und die TZurnkunfl 
womit die Gegenftände des öffentlichen Unterrichts und der Ju 
gendbbildung feit einigen Jahren vermehrt find, haben einen ſi 
wolthätigen Einfluß auf das heranwachjende Gefchleht, daß miı 
e8 und zu einer bejondern Angelegenheit machen, nach der Abſich 
ber höheren Staatsbehörden die allgemeine Aufmerkſamkeit und 
Zeilnahme der Provinz darauf binzulenfen. — Wir empfehlen bie 
Turnübungen ald einen wejentlichen Gegenftand der allgemeinen 
Voltshildung, und wünfchen, Daß fich zu ihrer weiteren Verbrei⸗ 
tung Alle mit uns vereinigen, Die ſich überzeugt haben, daß eine 
gejunde Seele auch gern in einem gefunden Körper wohnt, daf 
es zur volllommnen Bildung des Menſchen gehört, nicht in 
Schlaffheit und MWeichlichfeit erfunden zu werben, ſondern auf 
feiner leiblichen Kraft vertrauen zu dürfen, und daß wir bei 
funftvole ®ebilde, womit der Schöpfer unjern Geift umgeben 
bat, auch in feiner eigentümlihen Schönheit und QTüchtigfeit vor 
ibm darſtellen. Befonderd fordern wir die Herrn Sreislandräke, 
Superintendenten, Pfarrer und ftädtifche Behörden auf, vielen 
Segenftand mit Exrnft zu betreiben, und auch dadurch das Belt 
ber aufwachjenden Generation zu befördern, wobei wir nod be 
merken, daß wer eine gründliche Belehrung darüber wünfcht, folde 
in der Schrift finden wird: „„Die deutſche Turnkunft von Yahı 
und Eiſelen““. 

Für die Handhabung der Disciplin in den Schulen hatt 
die neuere Pädagogik von Peftalozzi gar nichts gewinnen koͤnnen. 
Hier galten Rochows Vorfchriften als der neueren Schule aller 
würdig. Uber die Verwirklichung berjelben in größeren Schula® 
falten hatte ihre Schwierigkeit, und man fragte lange, wie M 
Rochows Grundfägen die Gedanken Lancafterd über Erziehung ! 
vermitteln jeien. Es wurde viel herüber und hinüber geftritte! 
aber das Beſte, was aus Diefer Discuffion hervorging, war jene 


— 275 — 


wis Zellers „Schulmeifterfchule oder Anleitung für Landſchul⸗ 
lehrer zur geſchickten Verwaltung ihres Amtes in Aragen und 
Antworten, Gleichniſſen, Geſchichten und Geſprächen“ (Zürich), 
1807.). Seller zeigte ebenfalld, daß die Schule notwendig Fami⸗ 
limerziehungsanftalt fein müße. Die Disciplin müße daher jo 
gehandhabt werben, daß ein Schüler des anderen Bruder und 
Schweſter, und der Lehrer der freundlich ernfte, väterliche Freund 
ale Schüler fe. So ſuchte Zeller das von Bell und Lancafter 
4 eingeführte Untermeifterfyftem und das Inſtitut des Schulgerichts 
in das Rochowſche Disciplinarſyſtem innerlich und organiſch auf- 
4 ymehmen und durch den Geiſt derſelben zu veredeln. 
Vieles geſchah in dieſer Zeit zur Aufbeßerung der Lehrerge⸗ 
=4 halte, Die namentlich auf dem Lande ein dringendes Bedürfnis 
ei war. In Baiern wurde i. J. 1811 einftweilen der reine Ertrag 
4 einer jeden Lehrerftele auf dem Lande auf ein Minimum von 
MR. fixirt; in Naffau erhielten nach landesherrlichem Edikt 
vom 24. März 1817 die Lehrer an den Glementarfchulen einen 
4 jhtlihen Gehalt von 200-500 fl. Am Großherzogtum Sachſen⸗ 
4 Beimar wurde durch Iandesherrliche Verordnung vom 28. Februar 
24 in Minimalgehalt der Schullehrer von 100 Thlr. feftgejeßt. Auch 
; den Herzogtümern Sachjen-Meiningen und Sachſen⸗-Hildburg⸗ 
EB haufen (in welchem letzteren ſich nur 29 Stellen mit einem Gehalt 
von 150 fl. und 9 Stellen mit 60 — 100 fl. vorfanden) wurden 
4 die Gehalte der Dorfichullehrer erhöht. In Lippe wurde das 
jährliche Dienſteinkommen fämmtlicher Schullehrer auf ein Mini- 
iJ mm von 110 Thlr. (jpäter, i. J. 1821, fogar auf 150 Thlr.) 
befimmt. — Auch in Deftreich that man Manches. Zur Ermun- 
| fung der Lehrer an deutſchen Volksſchulen im Kaifertum Oeft- 


4  wurbe verorbnet, daß bie Gemeinden, in deren Mitte ein 


ſelher Lehrer wenigftens drei Jahre geftanden, der Witwe täglich 

6 Kreuzer und jevem Waifen täglich 2 Kreuzer in vierteljährlichen 

driſten, mithin der erſteren 38 fl. 30 fr. und den letzteren 12 fl. 

0 fr. jährlich durch den Pfarrer oder Beamten des Orts zuftels 

5 im follten. Hatte Der Lehrer zehn Jahre fungirt, fo follte die 

J Bite täglich 8 Kreuzer (aljo 48 fl. 40 Fr. jährlich) erhalten. 
| 18° 





— 276 — 


Würden die Gemeinden dieſe Zalung nicht leiſten koͤnnen, fo 
follten die LZandesftellen einen Fonds dazu ausmitteln *). 

In anderen Ländern dagegen fah e8 freilich mit der äufße- 
ren Lage der Schullehrer noch im hoͤchſten Grade beflagendwert 
aus. Im großherzoglichen Oberheifen bezog (nah Eigenbrods 
Handbuch der großh. heſſ. Verordnungen vom Jahre 1803 an, 
8. OL S. 358) nur 4 der Lehrer über 100 fl., 4 derſelben 
zwifchen 50 und 100 fl. und 4 weniger als 50 fl. Beſoldung. 
Im Königreih Hannover hatten viele Lehrer jährlich nur 15 bis 
30 Thlr. Dienfteinfommen. In Meflenburg gab ed, namentlid 
auf den freiherrlichen Befigungen, viele Lehrerſtellen, Die außet 
einer Wohnung und einem Gärtchen, etwas Holz und wöchentlid 
einem Dreier Schulgeld von einem Kinde, jährlih nur vier Tl. 
eintrugen. 

Allerdings dauerte e8 lange, bis die große Maffe der un 
fähigen und unverbeßerlichen Schulmeifter, die noch aus der frühe 
ren Periode herſtammte, ausftarb und bis ſich ein wirklich inteli 
genter, feines Berufes fi) bewujter und demfelben wirklich lebende 


*) $reimüt. Jahrb. der allg. deutfchen Volksſch. B. I. S. 449. 
**) Man lefe z. B. folgenden Brief, den eine Buchhandlung i. I. 1825 vom 
einem katholiſchen Schullehrer in Rheinpreußen erhielt: 


Den 24. Rovember 1825. 


Hoch die felben wollen zu Ehren halten mein weniges ſchreiben an eine hoch 
Buch Sandlung und Buch Druderey. 

Da mir jep bie Gröfte gelegenheit feld, möchte ich doch gefälligft bitten, m! 
doch) ein Buch zu überfenden, mit dem überbringer dieſes Briefs welches den Ziltt 
führd Chriftofels Buch nebft Beſchwörungen defelben, oder das Aroma Bud 
Beſchwörungen oder den drugen Höllenzwang, follte diefe fo vorbenannden Bud 
jeß unter einer anderer Zittel ftehen, mögte ic) doch bitten, das fie mir ein Be 
ſchicken thätte, womit man etwas verborgenes Erheben Tann. 

Wen der überbringer den preis des Buches erlegt hatt. Bitte ich den ſelk 
zu befdeinigen und das Bud nebft den felben zu verfiegeln und den felbers 
übergeben. 


Grüße fie mit Hochachtung 
Der fatholifhe Lehrer N. 
in N. in Rhein-Preußen. 


— 277 — 


»d bienender Lehrerſtand gebildet hatte. Denn felbft im dritten 
keennium des neuen Kahrhundert3 gab es Schulmeifter, die felbft 
er Schulbildung durchaus haar und Iedig waren. Aber nichtöbefto- 
miger war doch allmählich der geiftige und fittliche Zuftand ein 
brer geworden. Man hatte jetzt in allen Landen eine Anzal 
n Schulmeiftern, die mit Recht als Volksſchullehrer bezeichnet 
den konnten, die mit Luft und Liebe in ihren Schulen arbeite: 
ı und durch Teilnahme an freien Vereinen zur eignen Fortbil 
ng, an Leſezirkeln, periodifchen Conferenzen, durch Anfchaffung 
b fleißige Benutzung pädagogijcher Literatur ihres hehren Bes 
feö fich immer würbiger zu machen fuchten. Auch war es gut, 
i die Lehrer fih zur Erteilung des Schulunterrichtes durch⸗ 
ig der ſchriftdeutſchen Sprache bedienten. Blieb darum auch 
Wirkſamkeit der Volksſchule noch lange Zeit hindurch eine 
er mangelhafte und unzureichende *), jo war doch wenigftens 
e wabrnehmbare Wirkſamkeit der Volksſchule im deutſchen Volke 
lich vorhanden. Die Volksſchule war zu einer geiftigen Macht 
worden, deren Beftand in dem von dem Volke erfannten Bes 
tfnis und in den Synftitutionen des Staates und der Kirche 
fhert war und von deren Segen das geiftige, veligiöfe, fittliche 
d phyfiſche Leben des Volkes mehr und mehr durchdrungen und 
nährt ward. 

Als daher der franzöflihe Profellor der Philoſophie und 
taatsrat Couſin im Auftrage des franzöftfchen Minifters des 
entlichen Unterrichts und des Gultus, des Grafen Montalivet, 
Mai 1831 nad) Deutichland Fam, um das deutjche Unterrichts- 
fen zu ſtudiren und über die Anwendbarkeit der deutjchen Schul- 
Ktutionen auf Frankreich zu berichten, ftaunte derfelbe, als er jah, 
B in dem Volksſchulweſen ein Nationalſchatz des deutſchen Volkes 
thanden war, an dem jede, auch die Feinfte Gemeinde, parti- 





) Im Königreih Sachſen wurde i. 3. 1831 (oder 1830?) eine Prüfung 

115 Recruten angeftellt, welche in ein Regiment eingereiht werden follten. 
n diefen konnten 30 gar nicht lefen, 42 gar nicht fehreiben, 36 nur höchſt not- 
flig leſen und ſchreiben, und nur 6 beftanden wie alle hätten beftehn follen! 
hebhanis Baieriſch er Volksfreund B. 25. &. 136.) 


— 2178 — 


zipirte *). Er ſah in der Volföfchule ein Anftitut, welches recht 
eigentlich dem deutſchen Geiſte, dem beutfchen Ernſt und der beut- 
chen Froͤmmigkeit angehöre und er erkannte richtig, Daß das 
Chriftentum die Grundlage fei, auf der die Volksſchule einer 
chriſtlichen Nation ſtehen und gepflegt werben müße. 


) Eoufins Berichte an den Minifter erfchienen 1833 und 1833 in deut- 
her Ueberfeguug unter dem Titel: „Bericht des Herrn M. 8. Eoufin über den 
Buftand des öffentlichen Unterrichts in einigen Ländern Deutichlands und befonders 
in Preußen, — überfegt von Dr. Kröger, Kateheten am Waifenhaufe in Ham 
burg“, 2 BL. 

) Eoufin fogt (Kröger II. &. 336): „Um zu beflimmen, was ein gutes 
Seminar fei, muß man wißen, was eine einfache Elementar-, eine arme Dorfſchule 
fein fo. Die Voltsfhulen einer Nation follen durchdrungen fein 
von dem religiöfen Sinne diefes Volks“. — „Deswegen muß in dem 
Geminarunterricht die Neligionslehre den erften Plap einnehmen, d. 5. rein heraus 
gefagt: Der Unterriht im Chriftentum“. — 


Zweite Abteilung. 


Die Geſchichte des Volksſchulweſens in den 
| einzelnen Territorien Deutſchlands. 





Kurheſſen. 
Erſter Abſchnitt. Von 1526 — 1700. 


Do ejenige deutſche Land, in welchem die Errichtung von 
Elementarſchulen fuͤr beide Geſchlechter in Staͤdten und Doͤrfern 
am früheſten beſchloßen wurde, iſt Heſſen. In der Reformations⸗ 
ordnung nemlich, welche von der zu Homberg i. J. 1526 ver⸗ 
fammelten heſſiſchen Nationalfynode aufgeftellt wurde, warb (in 
Gap. 30: „von den Snabenfchulen“ und Gap. 31: „von den 
Mädchenfchulen”) verordnet: 

„Sn allen größeren ſowol als kleineren Städten und in den 
Dörfern follen Schulen fein, in welchen die Knaben in den Ele 
mentarlehren (rudimenta) und im Schreiben fo lange un- 
terrichtet werden, bis Die, welche es wollen, zum Stubium in 
Marburg befähigt, dorthin zur höheren Ausbildung fich begeben. 
Und wenn bier und da in den Landfchulen ein vollftändiger Ele 
mentarunterricyt (omnia rudimenta) unmöglich ift, jo follen we 
nigftens die Bifchöfe (d. h. die Ortspfarrer) oder ihre Behülfen 
den Unterriht im Lefen und Schreiben erteilen. Die Ge 
meinden jollen aber nur taugliche Leute zu dieſem Gefchäft ers 
wählen, nemlich folche, welche die Knaben auch zu guter Geſittung 
und zu wißenfchaftlihem Streben mit Erfolg anzuhalten vermögen. 
Dagegen ſoll auch für ihr völlige Auskommen gejorgt werben, 


— 232 — 


damit fte fich diefen Berufe ganz ungehindert wibmen koͤnnen, und 
die Vifltatoren und Biſchöfe follen darüber wachen, da nicht wes 
nig, fondern gar viel darauf ankommt, daß Die Jugend der Gläus 
bigen guten Unterricht erhält. — In den Schulen felbft follen 
aber von fett an Vormittags und Nachmittags ein, zwei oder 
drei Pfalmen nad dem Ermeßen des Lehrer, und zwar las 
teinifch gefungen und dabei foll Die Reihenfolge der Pjalmen 
eingehalten werden. Dann fol Einer ein Kapitel, Vormit⸗ 
tags aus dem alten, Nachmittags aus dem neuen 
Teftam. lefen; und außer den Palmen und Einem Kapitel fol 
nicht8 weiter (aus der Bibel) vorgenommen werden. Auf foldhe 
Weiſe follen die Knaben allmäblih mit der H. Schrift 
vertraut gemacht werden. Vormittags fol der Unterridt 
damit begonnen, Nachmittags damit gejchloßen werden”. 
„Außerdem follen in den großen und den Fleinen Städten, 
wo möglich auch in den Dörfern, Mädchenfchulen eingerichtet 
werden, unter der Leitung gebildeter, in den Jahren vorgerüdter 
und frommer Frauen, welche die Mädchen nicht blos in den 
Hauptftüden der Religionslehre, fondern auch im Leſen, Nähen 
(nere) und Stiden (operari acu) hinlaͤnglich unterrichten und 
zur Pünktlichkeit und Geſchaͤftigkeit anhalten follen, damit fie ſpaͤ⸗ 
terhin tüchtige Hausfrauen feten. Außerdem wollen wir, Daß au 
bie Mädchen Vor⸗ und Nachmittags in der H. Schrift geübt wer- 
den, Daß fie einen Palm gemeinschaftlich und daß eind von ihnen 
ein Kapitel Iefe, wie wir e8 oben in Betreff der Knaben beftimmt 
haben. Sie jollen aber dieſes in der Landesfpradhe leſen“. 
Diefes find die Beflimmungen der Homberger Reformation 
ordnung, mit deren Publicirung indeſſen die Gefchichte der Volk 
ſchule in Kurheſſen noch nicht ihren Anfang nahm. Denn abgefehn 
davon, daß in diefen Beftimmungen ber urjprüngliche Begriff der 
Volksſchule, wie ſich derfelbe hiſtoriſch geftaltet hat, nicht in voller 


X 
— 


Reinheit dargeſtellt ift, find bekanntlich die Homberger Synodab = 
befchlüße faſt ſaͤmmtlich nie zur Ausführung gekommen. GErſt ee 
ber zweiten Haͤlfte des 16. und in ben erſten Decennien de— 
17. Jahrhunderts begannen hier und da in Heffen Volksſchule — 
zu entſtehn. In einem kirchlichen General-Bifitationsberiht v — 


— 2383 — 


1556 *) werben neben den Pfarrern auf dem Lande nur Opfer⸗ 
männer genannt, und wo von Schulmeiftern die Rebe if, 
fab lediglich die Lehrer an ben Iateinifchen Stabtfchulen gemeint. 
Im ganz Nieberhefien fanden fi) damals nur in etwa fieben Döw— 
fern (namentlic in Kaufungen, Morſchen, Ulfen und Abterobe) 
Läferfulen vor. — Auf der Generalfynode des Jahres 1569 
Beridhtete der Superintendent zu Kaſſel, Die Schulen wären in dem 
Städten, und foweit ed gehn wollte, auch auf dem Lande 
wol beftelt **). In der Grafſchaft Kapenellenbogen beftanben in 
jemem Jahre nur vier, und in der Herrſchaft Eppftein nur zwei 
Schalen, die „ziemlich beftellt“ waren. Diefe Schulen waren jes 
Boch nur Stadtſchulen; man unterrichtete bier die Schüler im 
Dionat, Kato und Aefop. Im Jahre 1620 dagegen finden 
> &r bereits in allen Pfarreien jener beiden Landes 
te üle Schulen eingeridtet. 
Schon diefe Thatfache weift beitinnnter auf den Beitraum 
Hera, in welchem die erflen Anfänge eines eigentlichen Volksſchul⸗ 
Deiend auffeimten. Es geſchah diefes in den drei erſten Dezem 
nen des 17. Jahrhunderts, d. h. in der Periobe ber heififchen 
Sure, in welde die Einführung der Verbeßerungspunkte bes 
au ndgrafen Morig und die Spaltung Heflend in eine reformirte 
Kun in eine Iutherifche Kirchefällt. In HeflensKaffel wurden nemlich 
EN. Kicchenbiener, welche gegen die Einführung ber Verbeßerungs- 
P ugıfte renitirten und ſich zugleich zum Lehrerdienfte unbrauchbar 
Wieſen, (3. B. die Opfermänner zu Amdnau, Rosphe, Sterz⸗ 
x uſen, die weder leſen noch ſchreiben konnten), von ihren Stellen 
Teamoirt, und durch geeignetere Leute erſetzt. Der Schulmeiſter 
sum Obereiſenhaus, der ſich ebenfalls in die Kirchenreform nicht 
Flagen wollte ‚ ging nah Dautphe und übernahm dajelbit den 
ft eines Gemeindeſchreibers. In Breitenbach) wurde ber re 
veesiende Schulmeifter zwar in feinem Küfterbienft gelaßen; aber 
Die Schule wurde einem lediglich für den Schuldienft angeftellten 


— —— 





”) Derfelbe wird in dem vormaligen Regierungtarchid zu Kaſſel aufbewahrt. 
”*) BgL meine Geſchichte der heſſiſchen Generalfgnoden, ®. I. ©. 51 ff. 


— 284 — 


reformirten Schulmeiſter uͤberlaßen. In anderen Doͤrfern geſche 
Aehnliches. — | 

An vielen Orten waren es die Pfarrer oder bie Supert: 
tendenten, welche die erfte Ginrichtung der Schulen bewirkten; « 
andern Orten wurde von den Gemeinden bie erfte Anregung g 
geben, 3. B. zu Robenhaufen, wie aus einem Bericht des Pfarrer 
zu Kirchvers i. J. 1624 erhellt, in welchem der Pfarrer feine 
Superintendenten mitteilt: „— — als verfüge ih Ew. Ehrwuͤrde 
zu wißen, wie daß die Rodenhäufer Gemeinde mich neulicher Ze 
erfucht, daß ich ihnen wolle Hülfe und Vorſchub thun, bamit ei 
Schul- und Zuchthaus für ihre blühende und angehende Jugen 
möge angeftellt werden; und aber, weil biejer ihr Opfermann a’ 
und unvermöglich, auch weder fehreiben noch recht leſen kann, ge 
beten, daß ſie mit einer andern Dazu dienlichen Perſon — mög 
verjehn werden. Denn ed ihnen gar bejchwerlich fei, Diele 
ihren alten länger zu behalten, alldieweil er nicht ſoviel koͤnn 
daß er ihnen Fönnte irgend eine gejchriebene Zeile oder etliche Iı 
fen, und fie deswegen in die benachbarten Dorfſchaften Taufe 
müßen und erft Iefen laßen, welches ihnen fchimpflic und Bi 
ſchwerlich ſei“. 

Auch in Kirchvers ſelbſt war um dieſe Zeit (1624) no 
keine Schule vorhanden, wie aus dem Schluſſe des eben angeyı 
genen Berichted an den Superintendenten hervorgeht. Der Pfarr 
zu Kirchvers Flagte nemlih: „Die Schule dieſes Ortes belangen! 
fo habe ich noch zur Zeit Diefelbige nicht aufrichten koͤnnen, wege 
Halsftarrigkeit der Einwohner dieſes Orts, Die nicht den gerin, 
ften Pfennig Gott zu Ehren und zur Wolfahrt ihrer Kinder da 
zugeben gedenken, will gejchweigen, daß fie jollten ein Schulhar 
aufrihten. — — Will derowegen Ew. Ehrw. dienſtlich gebetı 
haben, mir hierin Hülfreihe Hand zu Bieten, damit zu der EB 
Gottes, — bier ein Schul- und Zuchthaus möge angeftellt we 
ben, jonft kommt es eher, jo zu fagen, ein Jahr vergehet, dahiı 
daß ich und der Opfermann Die meifte Zeit müßen in der hrif 
lichen Kirche ſchier allein fingen”. 

Noch deutlicher als aus den bisher mitgeteilten Nachrichte 
erhellt aus den über die Küfterftelle zu Boringhaufen in Obe 


— 285 — 


befien aud dem Sabre 1624 vorliegenden Akten, wie ber Küfter 
allmählich zum Schulmeifter wurde. Die Patronin der Pfarrei 
empfiehlt nemlich bier (7. Septbr. 1624) dem Superintendenten 
einen Sachjenhäufer Bürger zur einflweiligen Befeßung ber Stelle, 
‚daß er fo Lange, biß man einen Andern haben möchte, das 
Geſaͤnge verwahre”. Sn einem fpäteren Schreiben (11. Ok⸗ 
& tiber 1624) weißt die Patronin ben Superintenbenten nochmals 
* auf Hin, wie nötig es fei, „daß bie Kirche allhier wiederum 
* meinem Opfermann gebürlic beftellt werde, ſonderlich weil 
: lich Betftunde gehalten wird, und Niemand vorhanden, der 
die Gemeinde durch bie Gloden zufammenruft, fon- 
' dern der Pfarrer jedesmal Jemanden aus dem Dorfe 
dazu bitten muß“. Nur in der Bittſchrift der Gemeinde Horing- 
daufen an ben Superintenbenten (19. Oktober 1624) wirb auf 
das Lehramt des Opfermanns hingewiefen, indem die Gemeinde 
um Gewährung eines „Opfermanns und Kirchendieners” bittet, 
der „Fromm und guten Gerühts, auch zum Singen und Kin» 
de rlehren ber Gemeinde allhier nüßlich und dienlich“. 
Sin der Werragegend finden wir den Schulmeifter noch in 
»en Jahren 1630 — 1650 an vielen Orten durchaus auf den 
Binfterdienft beſchraͤnkt. Bon Dettmannshaufen z. B. heiſt es: 
Ein Schulmeiſter wird an dieſem Orte nicht gehalten, denn keine 
Seſoldung von den Kirchen für ihn geordnet, welches dann einem 
Zfarrer von wegen des Singens deſto mehr Mühe giebt; ſondern 
S ift nur ein Opfermann ba, der zur Kirche, auch Morgens und 
Bends, und den Nachbarn zu ihren Verfammlungen laͤutet“. — 
Dücht viel beßer fland es zu Mutterode, wo man um biefelbe Zeit 
aux Errichtung einer Schule nur ſchwache Anfänge gemacht hatte: 
weil fein Schulhaus dar, und die Beſoldung gering ift, daß 
Pick feiner davon halten kann, iſt davon nicht groß rühmen. 
Sof, wer da läutet Morgend, Mittags und Abends, durch 
den Glockenſchlag zum Gebet vermahnet, befommt von jebem 
Dauſe, deren nur vierzehn bewohnt, eine Mege Korn und ein 
Brot, und wenn er zum Begräbnis läutet, auch ein Brot”. 
Gigentümlicher Art waren die Verhältniffe zu Langenhain in 
Aederheſſen. Hier hatte man nemlich zwar eine Schule eingerichtet; 


— 286 — 


aber dennoch war der Kirchendiener (Mitte des 17. Jahrhunderts) 
auf feine Küfter « und Lectorenftelung bejchränkt geblieben, indem 
bier der Pfarrer von Anfang an ſelbſt Schule hielt. 

An andern Orten übernahmen es einzelne Bauern aus der 
Gemeinde flatt des Küfterd die Kinder, fo gut ed gehen wollte, 
zu unterrichten. 

In welcher Weife fich etwa aus folchen Zuftänden ein georbne 
te8 Schulweſen allmählich bildete, . wird aus den Nachrichten über - 
bie Entftehung der Schule zu Datterode (aud dem Jahre 1636 Yu 
erfichtlih. Hier Heift es nemlih: „Vor fünfzig Jahren ungefäh— 
oder drüber ift allhier Fein befländiger und gewißer Schuldiene 
gewefen, ſondern einer ober der andere Nachbar (d. 5. Bauer) mm 
der Gemeinde Hat fi zum Schuldienft gebrauchen laßen. Dem— 
jelbigen ift feine jährliche Pfarr» und Kirchen zin ſe erlaßerummm 
und von der Gemeinde mit einem und dem andern befreit u 
verehrt worden. Nachdem aber der Pfarrer und die Gemeind — 
eined Schuldieners hochbedürftig geweſen, nicht allein die Juge 
zu unterrichten, jondern auch auf den Wert der verfauften Häufer — 
und Güter wegen des Leihegeldes zu merken, — fodann auch die = 
Rüge in’d Gericht allbier einzulegen, *) zu fchreiben und wa - 
jonft in der Gemeinde nötig, aufzuzeichnen; als bat Die Gemeinde = 
mit Bewilligung des Pfarrers ein Haus im Dorf am Kirchthor — 
zum Schulhaus erfauft. Diefes hat der Pfarrer in Pfarrzinſe 
und Dienften, und die Gemeinde in andrer Dorfbeichwerung gan, — 
befreit. Darbeneben bat Die Gemeinde zur Schule eine beftändige 
Beſoldung verehrt.” 

In Richelsdorf war die Einrichtung getroffen, daß jede 
Schulkind dem Lehrer wöchentlich ſechs Pfennige und zweimal Soil; 





*) Bur Erläuterung diene folgende Notiz über Datterode aus Landaus Beſhrei 
bung des Kurf. Heſſen &. 318: „Der biefige Pfarrer beſaß ehedem die hohe umuard 
niedere Jagd- und Yifchereigerechtigfeit in der ganzen Yeldmark, die Berechtigung 
zur Schäferei und ein Lehengeld nebft gemwiffen Nealabgaben und Dienſten. Der 
felbe übte auch die freiwillige Gerichtsbarkeit über alle der Kirchen und Part 
dienft-, Iehn- und zinspflihtigen Güter aus, umd beftätigte die darüber Ar 
ſchloßnen Verträge mit dem Kirchenflegel.“ 


— 287 — 


gab. Auch follte der Lehrer von jedem Manne des Orts jährlich 
wei Brote beziehn und mehrere andere Gmolumente genießen. 
Aber die Schule war in Folge der Verwüftungen des breißigjäh- 
rigen Krieges bier wie an fo vielen andern Orten ohne Lehrer. 


Aus den Nachrichten über Die erften Anfänge bes Volksſchul⸗ 
weiens, welche bis dahin mitgeteilt find, erhellt, in welder 
Weiſe dasjelbe uranfänglih aus dem Bebürfniffe des Pfarramts 
und aus dem Bebürfniffe, welches der hriftlichen Gemeinde ald 
ſolcher eignet, erwachjen if. Daher bildeten ſich allmählich aud) 
le einzelnen Beziehungen, und Verhältniffe der Volksſchule fo auß, 
daß bie Schule durchaus ald Accejlorium ber Kirche und das Volks⸗ 
ſch ullehreramt als Acceſſorium des Pfarramtes erſchien. Dieſes er⸗ 
giebt ſich aus den Nachrichten, welche über die weitere Begründung 
der Schülen, überdie Obliegenbeiten, über die Form der Anſtel⸗ 
ung und Beaufjichtigung der Schulmeifter und über die Dotation 
er Lehrerftellen vorliegen. 
Die Begründung der Schulen betreffend, nehmen wir nem⸗ 
ich im 17. Jahrhundert eine zwiefache Erſcheinung wahr, in 
er fih das Schulmeifteramt durchaus ald Accefjorium des 
Bfarramts darftelt: 1) In Parochieen nemlich, welche mehrere 
Süliolgemeinden umfaßen, findet fich faft durchweg nur Gin Schuls 
zaeifter und nur Eine Schule, und zwar am Orte der Mutterkirche 
>» 2) Erhaͤlt eine Filialgemeinde ein eigened Pfarramt, jo 
trütt neben dem Pfarrer auch fofort ein dem Orte angehörenber 
SF üfer mit einer eignen Parochialjhule auf. Die Einwohner zu 
Dages in der Grafſchaft Schmalfalden z. B. muften anfangs ihre 
Kinder nach Viernau zur Schule ſchicken. „Nachdem aber (fo er- 
Zählt Geishirt in feiner Chronik von Schmalkalden) Herges 
i. J. 1628 feinen eigenen Pfarrer erlangt, wurde bier auch ein 
Befonderer Schuldiener conftitwirt.” Daher lag ed auch in ber 
Natur der Sache, daß wenn Filialgemeinden die Einrichtung einer 
eigenen Schule begerten, dieſes nur mit Genehmigung der geiftlichen 
Dbern geſchehn konnte. „Das Dorf Schnellbach hatte“, wie eben⸗ 


— 288 — 


falls Beishirt in feiner Schmalfalder Chronik erzält, „vor Zei 
ten weder Kirche noch Schulhaus, fondern mufte in Seligentha 
den Sacris beimohnen. Nachdem fich aber der Ort gemehrt, nahn 
die Gemeinde auf Conceſſion der Inſpection zu Schmalfalden eine 
eigenen Schulbedienten an.“ 

Ebenfo Har zeigt es fih in der Art, wie die amtlidyen 
Pflichten des Schullehrerd aufgefaft wurden, daß man bat 
Schulmeifteramt durchaus als ein Firchlices Amt anſah. Mi 
großer Beftimmtheit werben nemlidy bei jeder einzelnen Xehrerftell 
die verjchiedenen Obliegenheiten des Küfter- und Lectorendienftei 
hervorgehoben, während Die Ausübung des eigentlichen Qehreramtes 
mehr ald von äußern Umftänden abhängig erjcheint. Sehr häufig 
wird die Verpflichtung des Schulmeifterd zum Schulbalten erfi 
hinter den Funktionen des Küfterdienftes erwähnt, und in der Rege 
wird dieſelbe jo ausgeſprochen, Daß fie dem Schulmeifter nur in: 
foweit auferlegt wird, als er nicht durch Die Gleichgültigfeit ode 
Armut der Eltern feiner Schuljugend oder durch feine Firchliche 
Dienftverrichtungen gehindert ift. 

Sin den Sompetenzen der Schulftellen tritt Darum auch faf 
durchweg die Befoldung für den Küfter- und SKatechetenbienft alı 
das Bedeutendſte oder wenigftens urfprünglichfte Dienftenolumen 
hervor. Die Dotation der Lehrerftelle zu Weidenhaujen in Nieder 
heilen 3. B. bildete fih auf folgende Weiſe: Urfprünglich bezo 
der Schullebrer als Küfter jährlih 17 fl. aus dem Kirchenfafter 
fowie anderthalb Malter Korn und ein Malter Hafer vom Kir 
hengute. Diefe Einnahme ward jodann dur die Zinſen eine 
ber Lehrerftelle vermachten Legates von 50 fl. um den jährliche 
Bezug von 21/, fl. erhöht. Später verwilligte der Ortsvorſtan 
aus der Gemeindefaffe noch 5 fl. und verpflichtete jeden Man 
bes Orts zu einer jährlichen Lieferung von Korn an den Schu! 
lehrer. Xebtere beiden Emolumente bezog der Schulmeifter für da 
Schulhalten, ebenfo wie die 7 alb., die ihm jedes die Schul 
befuchende Kind jährlich als Holzgeld zu entrichten hatte. — De 
Schulmeifter zu Hohenftein in der Niedergrafichaft Kapenellenboge 
bezog urſprünglich als Küfter 25 fl. und 6 Malter Korn au 
dem Stift St. Goar, wozu fpäterhin, al8 die Schule eingericht: 


4 


— 289 — 


ward, noch 10 fl. aus der Gemeindekaſſe kamen. Ueber die Bes 
ſoldung des „Opfermanns“ oder „Gloͤckners“ zu Mengsberg in 
der Grafſchaft Ziegenhein wird im Sabre 1658 berichtet: „Be⸗ 
fommt jährlich von einem jeglichen Haufe 3 Brote; vom Gottes- 
Zaften 21/, Mött Korn und 5 R.; von einem jeglichen Kinde, das 
in die Schule geht, alle Wochen 1 Alb.; hat eine Wieſe ungefähr 
au zwei Haufen Heues; befommt vom Begräbnifje eines Alten 
2 Brote, vom Begräbniffe eines Kindes 1 Brot; vom Waßer bei 
Der Taufe aufzutragen 1 Brot. — Hiergegen mufte er des 
WE orgens, Mittags und Abend Iäuten und die Uhr 
Rellen.” 

Nur felten erfcheinen die aus nichtfirchlichen Mitteln rele⸗ 
Doürenden Stüde des Dienfteinfommend als der Hauptbeftandteil 
Defielben. In der Regel laßen fich vielmehr die von der Ge 
mwreinde für das Schulbalten verwilligten Vergütungen von dem 
war ſprüglichen und bedeutenderen Küftergehalt ganz beftimmt ab» 
Jondern.*) Jene Vergütungen beflanden meiſtens in einer be 
fl ümmten Geldbeſoldung aud ber Gemeindefaffe, in einer beftimm- 
ten Naturallieferung, in einem „Umgang Brot” und in Schulgeld. 

Doch kamen Daneben au Fälle vor, daß die Schule mit 
Er Tchlichen Mitteln fundirt war. So bezog 3. B. ber Küfter zu 
eier in der Niedergrafichaft als Schulmeifter des Orts jährlid 
> fl. aus dem Kirchenkaſten. Die Schulmeifterftelle zu Somplar 
wear bis auf '/, Klafter Holz ganz aus dem Kirchenfaften zu 
2 xomsfirchen dotirt. Zu Wollmar in Oberheffen warb ber Schul 
Haslter der Winterfchule aus dem Kirchenkaſten befolbet. 

Ebenſo beftimmt zeigte fich die rein kirchliche Stellung der 
Sdulmeifter in der ganz und gar von der Kirche abhängigen 

Adminiſtration der Schule. Allerdings Eonnten wol die Ortövor- 
Wände darum, weil der Lehrer einen Teil feiner Befoldung aus 
©eneindemitteln bezog, zur Praͤſentation eined Candidaten Bitt- 





*) Der Schulmeifter zu Frankershauſen 3. B. bezog für das Gchulhalten und 
Örgelfpielen (mas beides erft fpäter mit feinem urfprünglichen Kircheudienſt ver- 
bunden war) 17 fl. aus der Gemeindekaſſe. Außerdem empfing er neben dem 
ſogenannten Holzgeld noch 7 Alb. aus dem Kirchenkaſten und ebenſoviel aus der 
Semeindetaſſe zur Anſchaffung von Baumöl für die Uhr u. drgl. 

19 





— 290 — 


weije mitwirken. Hin und wieder findet fi) daher in den Aftı 
die Bemerfung, daß Lehrer ihre Stellen auf den Vorſchlag d 
Gemeinden erhalten hätten. So wird z. B. von einem Schu 
meifter zu Breittau berichtet, er fei „von der Gemeinde präfe 
tirt;“ ein Schulmeifter zu Reichenſachſen berichtet, daß er in frı 
beren Jahren „zu Burſchla von der Gemeinde zu ihrem Schu 
meifter begert” und Darauf auf Befehl des Superintendenten vo 
dem Pfarrer zu Wanfried der Gemeinde vorgeftellt fei; und vo 
dem „Opfermann” zu Wiera heift e8 i. J. 1658, denfelben „bi 
beu Pfarrer und Gemeinde zu jeder Zeit angeſetzt, aber bisweile 
mit Rat des Herrn Metropolitani zu Treyfa, wie die Wierijche 
berichten, geſchehn.“ 

Auch die Amtleute feheinen zuweilen auf die Beſetzung di 
Lehrerftellen den bedeutendften Einfluß ausgeübt zu haben. Lebt 
einen Schulmeifter zu Diebenberga in ber Niedergrafichaft ve 
1621 wird in einem Berichte jeined Pfarrers gradezu gejagt, ı 
fei „vom Amtmann angeorbnet worden.” 

Aber dennoch kann nicht behauptet werben, daß Die Präjen 
tation des Schulmeifterd mit Umgehung der Autorität des Pfarren 
einfeitig durch die Gemeinden oder Die weltlichen Beamten vol 
zogen worden fei. Nur die Berufung und „Accordirung“ ds 
„Sthulhalter” für die temporären Winterfchulen an Orten, w 
fich keine ftändige Schule befand, ftand ausfchließlich den Gemein 
den zu. Sin Betreff der eigentlichen Schulmeifter dagegen, welch 
zugleich den Kirchendienft verjahen, war e8 Ordnung, Daß b 
Präfentation des anzuftellenden Lehrers durch den Pfarrer und b 
Beftätigung durch den Superintendenten erfolgte. Ueber die „Gola 
tur des Schuldienftes” zu Reichenbach 3.8. wird berichtet: „Wen 
der Schuldienft erledigt, jo wird durch den Pfarrherrn dem Herr 
Superintendenten eine Perſon präfentirt, und, da felbige tüchtig 
von felbigem confirmirt und dem Pfarrherrn anbefohlen, de 
Gemeinden den neuen Schulmeifter anzufündigen und anzubefeblen. 
In ähnlicher Weije wurden faft überall Pfarrer und Superintender 
ald die alleinigen Gollatoren der Xehrerftellen hervorgehoben. Do« 
wird zuweilen neben dem Pfarrer noch ausdrüdlich die Gemeind 
erwähnt. So heift ed z. B. in Betreff der Schulen im Kirchipi 


— 291 — 


Üterode: „Ind Gemein wirds mit Beſtellung der Schulen alfo 
gehalten, daß, wann ber Dienfte einer oder ber andere ledig, 
dee Pfarrer und die Gemeinden dem Herrn Superintens 
benten eine andre Perſon präjentiven, ber fie examinirt und auf 
genugfame Befindung der Qualitäten annimmt und an den Pfarrer 
und die Bemeinde für einen Schuldiener verjchreibt.“ 

Die Beauffihtigung der Schulen und der Schulmeifter lag 
darum auch durchaus in den Händen der Kirche. Nach der Con⸗ 
ventöordnung von 1656 follte der Metropolitan bei Eröffnung 
der Gonvente mit den zuerft anfommenden Pfarrern „alle Schüler 
neben dem Schulmeifter vorfordern, und fleißig nachforfchen, ob 
und wie fie unterrichtet, auch wie weit fie gebradht worden.” 
Nach der Kirchenordnung von 1657 mufte der Superintendent bie 
Pfarrer und Elteften in Betreff der „Kirchendiener“ fragen, „ob 
diefelben ihr Amt mit Lauten, Uhrftellen, Auf» und BZufchließen 
der Kirchen, Beftellung und Zurichtung der Taufe und des 
Tifches des Herrn, Sauber» und Reinhaltung der Kirchen, Schuls 
halten auf Dörfern und Unterrichtung der Jugend im Katechismus, 
auch Lejen und Schreiben und anderen ihnen obliegenden Dingen 
der Gebür ein Genüge thun; ob fie dem Pfarrer ihren gebüs 
renden Reſpekt und Gehorjam leiften, oder ob an ihnen in einem 
Der dem Andern Mangel verfpürt werde.” — Dagegen follte 
der „Rirchendiener” befragt werben, „ob er auch von dem Prebiger 
mit unnstigen in fein Fach nicht laufenden Gejchäften bejchwert 
werde.“ 

Die disciplinariſche Beaufſichtigung der Schulmeiſter wurde 
lediglich von den Superintendenten und dem Conſiſtorium ausgeübt. 
Ueber den Unterrichtsplan und die Lectionen in den 

D orſſchulen liegen nur ganz dürftige Nachrichten vor. Einzelne 
Lehrer waren verpflichtet, Die Kinder nur mährend der Winters 
Monate zu unterrichten, während andre Lehrer durch das ganze 
Jahr bin Schule halten ſollten. Der Schulmeiſter zu Frieda be 
recHtet i. 3. 1655: „Was nun anlangt die Schulen, habe ich fie, 

| lange ih an dem Ort gewohnt, durch das ganze Jahr gehalten, 
UNTd niemals fein Kind heißen daheim bleiben. Wann es aber 
kommt um die Erntezeit, jo behalten die Eltern (ihre Kinder) viel 

19 


— 292 — 


daheim, dieweil fie der Kinder nicht mißen fönnen wegen ib 
Arbeit. Wie ich aber nun die Schule halte? — Um 10 L 
wird mit den Kindern der Katechismus gebetet, auf den Abe 
aber etliche Pfalmen aus dem Pfalter, Den Mittmod und So 
abend wird mit ihnen gefungen, Pjalmen und geiftliche Fick 
beneben dem Gebet und Katechismus.” Die labores des Sch 
meifter8 zu Breittau beftanden darin, „Daß er des Winters | 
Tage fünf Stunden hält, Morgend drei und Nachmittags zı 
Stunden.” Der Schulmeifter zu Herleshauſen berichtete 168 
„Ss die Kinder werden in Die Schule geſchickt, halte ih Somm: 
und Winterd Schule, Vor= und Nachmittags, inftituire fie fleif 
im Leſen, Schreiben, Beten; und wenn Knaben vorhanden, 1 
lateinisch lernen, jo wende ich allen möglichen Fleiß an bei be 
ſelben.“ 

Die einzige Dorfſchule der Dioͤceſe Allendorf, in welcher E 
Anfänge des Lateiniichen regelmäßig gelehrt wurden und welc 
jomit zu den Particular » oder lateinifchen Schulen in den Städt: 
im Verhaͤltnis land, war die zu Abterode. In allen übrig: 
Schulen wurde nur dasjenige gelehrt, was eben im (firchlid: 
unmittelbaren) Zwede der Schule lag, weshalb faſt nirgends 
den Akten eine ausbrüdlihe Erwähnung der einzelnen (fich vı 
ſelbſt verftehenden) Lectionen vorfommt. Meiftens heift ed, w 
in Betreff des Lehrers zu Weidenhaufen: „Seine Amtsverrichtu 
ift, daß er durch das ganze Jahr Schule halten muß, wenn ih 
nur die Kinder geſchickt werden.“ 

Da von Schulpflidtigfeit der Kinder noch Feine Re 
war, fo konnte der Beſuch der Schule, und fomit der Einfı 
berjelben auf das Volk nur ein fehr geringer fein. Die Schu 
batte uud behielt nur infofern für das Wolf Bedeutung, ald t 
Kinder der kirchlichen Gonfirmation bedurften. Sollten die Kind 
in der Schule noch etwas mehr ald die Katechismußlehre lerne 
ſollten fie fih dur anhaltenderen Schulbefudy auch einige Ferti 
feit im Lefen und Schreiben aneignen, fo hing diefed nad ale 
mein herrſchender Anficht lediglich von dem Willen der Gitern a 
welche ihre Kinder vom Beſuche der Schule abhielten, fo oft 
Luſt hatten. Ueber den Schulmeifter zu Rapenellenbogen bericht 


— 293 — 


Der Superintendent i. %. 1621: „Die Zuhörer haben nun in das 
Dritte Mal bei ben gehaltnen visitationibus über feinen Unfleiß 
geklagt, und bitten, daß ihnen ein anderer möge angeordnet wer⸗ 
Den ; und weil er feinen favorem populi bat, ſchicken fie ihm Feine 
Kinder, obſchon der Pfarrherr auf meinen Befehl fie oftmals von 
Den Kanzeln dazu ermahnt, wie ich dann aud) felbft gethan habe,“ 


Zur deutliheren Veranſchaulichung des Schulmeifteramtes 
um bie Mitte des fiebzehnten Jahrhunderts folgen hier aftenmäßige 
Verzeichniſſe der mit dreien Lehrerftellen verbundenen „labores.“ 


1. Reichenbach 
(in Riederhefien). 


„Sthulmeifter8 labores ordinarii.” 


1. Muß er des Sonntags dreimal in die Kirche läuten, und 
ben Gefang vor und nad) der Predigt verrichten. 

2. Muß er des Sonntags um elf Uhr in die Kirche laͤuten, 
ben Gefang verrichten und die Jugend aus der heffiichen Cate- 
chesi examiniren helfen. 

3. Muß er des Mittwochs Morgend dreimal in die Kirche 
läuten, vor und nad) der Predigt den Gefang verrichten. 

4. Muß er, ausgenommen wenn hohe Feſte find, des Don⸗ 
herftags Morgens gen Widersrode, Freitags gen Hupfelda, Sonn- 
abennds Morgens gen Hollftein mit dem Pfarrer gehen, an jedem 
Orte dreimal in Die Kirche läuten, vor und nach der Predigt 
Ingen, und nad) gehaltener Predigt an jebem Orte ex Catechesi 
die Jugend examiniren. 

5. Die Tage vor Chriſttag, Oſtern, Pfingſten und dann um 
Michaelis , wenn bed Heren Abendbmal gehalten werben ſoll, gehet 
er morgens frühe mit dem Pfarrherrn gen Hollftein und Hupfelba, 
autet an jevem Orte dreimal in die Kirhe, und finget vor ber 
Praeparatoria concione, jo bajelbft vom Pfarrer gehalten wird, 
vie ingleichen des Abends in der Muiterkirche. Ä 





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6. Auf die hohen Fefttage als Chrifttag, Oftern, Pfingften 
und um Michaelid muß er um 2 Uhr des Morgend mit bem 
Pfarrherrn gen Hollftein und Hupfelda gehn, an jedem Orte drei⸗ 
mal läuten, vor und nach der Predigt bet währender Kommunion 
den Gefang verrichten, und dann in der Pfarrlirhe, ausgenommen 
wenn um Michaelis dajelbft Das Abendmal des Herrn gehalten 
wird, zweimal, Morgens um 7 Ubr biß auf 8 Uhr, und Mittags 
von 12 Biß auf 1 Uhr, jedeömal drei Male zur Kirche leuten, 
vor und nach der Predigt und bei der Communion fingen. Auf 
bie Chriſt⸗, Ofter- und Pfingfimontage gebt er Morgens um 
3 Uhr mit dem Pfarrer gen Widersrode, Teutet dreimal zur Kirche 
und fingt vor und nach der Predigt und bei der Kommunion. 

7. Sp ift er verobligiert Die Schule fleißig zu halten und 
bie Jugend, jo ihm aus den vier Dorfichaften gefhidt wird, Mon⸗ 
tage, Dinstags, Donnerstags und Freitagg Morgens drei und 
Nachmittags drei Stunden, Mittwochs und Sonnabends Morgens 
vier Stunden zu unterrichten. 

8. Er muß die Uhr ftellen und Morgens, Mittags um die 
Vesperzeit und Abends und dann des Sonnabend um 1 Uhr 
Nachmittags laͤuten. 

9. Muß er alle vierzehn Tage Sonnabends in die Weiß- 
mühle gehn und dem Müller das gewöhnliche fonntäglihe Evans 
gelium mit ber Auslegung vorlejen. 

labores extraordinarü: | 

1) Wenn Hochzeiten find, muß er dreimal Iäuten und den 
Geſang verrichten. 

2. Wenn Begräbniffe find, muß er läuten und fingen zu 
Reichenbach, Widersrode und Hupfelda — Hollftein hat feine 
eignen Begräbniffe und muß bie Todten gen Reichenbach Bringen. 

3) In die Betftunden zu Mittags muß er jedesmal zweimal 
läuten und den Geſang verrichten. 

4) Wenn Kindlein zu taufen, muß er das Taufwaßer in Die 
Kirche tragen. 

5) Zu den allgemeinen Buß⸗, Bets und Faſttagen muß er 
Morgens zweimal und Mittags zweimal Iiuten und‘ alsdann ben 
Geſang verrichten, 


— 295 — 


6) Wenn Kirchengerichte gehalten werben, muß er jederzeit 
warten,“ 


2. Abterode. 

I) Muß der Schulmeifter durchs Jahr fleißig Schule Halten, 
md die Snaben im Lejen, Schreiben, Beten und Singen fleißig 
ind treulich unterichten; auch, da welche zum Studiren tüchtig 
ind geneigt wären, die Rudimenta, Grammaticam und andere 
hierzu dienliche Bücher tractiren, auch wol ihre exercitia verlefen 
ind ſie felbige ins Latein überfegen laßen, die vitia darin treulich 
“gen und corrigiren, und fie fo wie zur Gottesfurcht, alfo aud) 
onderlich zur lateiniſchen Sprache alſo führen, daß ſie nicht erſt 
It haben, die erften fundamenta zu Allendorf, Eſchwege ober 
andern Schulen allererft zu legen, fondern deren Derter deſto eher 
höhern lectionibus admittirt werden können. Und muß er Mons 
38, Dinstage, Donnerstags und Freitagg 6 Stunden mit 
ien halten, Vormittags 3 und Nachmittage auch 3. Mittwochs 
d Sonnabend aber hält er nur des Morgens mit ihnen drei 
unden. 

2) Nach dieſem muß ter Schulmeiſter nicht allein zum Got: 
dienft, als Predigten, Leichenbeftattung, Kindtaufen und Bet- 
nden läuten, fondern auch in der Kirche der Gemeinde, wie 
5 bei den Begräbniffen über die Straßen mit Singen der Teiche 
gehn, auf die Feſt- und Sonntage die gewöhnlichen Epifteln 
der Predigt ablefen, und die hohen Fefte über dem Pfarrer 
e Predigt (gemeiniglicy zur Vesperzeit ded Montags oder des 
Eten Tags) abnehmen; endlich auch wie allbier Herkommens, 

der Communion den Kelch reichen, und dad Alles nicht allein 

der Mutterfirhe Abterode, fondern auch (das Läuten abge- 
teden) in dem Filial Wellingeroda, allda er auch über „Died 
Les die Knderlehre alle Sonntage halten muß. 

3) Muß er des Winters vor Tage mit dem Pfarrer nad) 
>derode (allda er deswegen 1 fl. 18 alb. befömmt), ihm bie 
uchte vorzutragen, durch das ganze Jahr aber, Winterd und 
ommerd, mit ihm nach Wellingeroda gehen, und ihn in ber 
farrbehauſung anfprechen, 


— 296 — 


5) Endlih muß er die Uhr ftellen und fleißig in Acht neh⸗ 
men, ingleihen des Winters zu Morgen um 4 Uhr, fonft aber 
durch das ganze Jahr alle Tage erft zu Mittag um 11 Uhr, hernach 
um 3 Uhr und endlich gegen Abend zur Dämmerungszeit die 
Glocken ziehn und läuten, wie denn auch auf die hoben Feſte biß— 
her des Morgend um 4 Uhr faft eine ganze Stunde läuten muß.*)” 


3. Boderode 

„I. Mit Schulehalten, Läuten und Singen muß es ber 
Schulmeifter dem zu Abterode gleich halten, ohne daß er die 
Knaben allein zum Leſen, Schreiben und Beten anführt. Die 
aber etwas zu ftudiren gedenken, müßen nach Abterode gejchidt 
werden. | 

2) Die Epiftel Tieft er vor der Predigt ab allein vor die 
hoben Feſte; derengleichen er auch jeberweile ded andern Tags, 
weil der Pfarrer des andern Filiald und andrer Gefchäfte halber 
allhier nicht fein Fann, das Evangelium ſammt deilen Auslegung 
aus des Herrn Sculteti Poftille vorlefen, die Kinderlehre aber 
alle Sonntage fleißig halten und üben muß. 

3. Ferner muß er die Uhren in guter Obacht haben und 
fielen (u. ſ. w.) 

4) Endlich die täglichen Betftunden muß er auf die Dinstage 
und Freitage halten und ein Kapitel aus der 5. Schrift fammt 
dem verordneten Gebet ablefen. Dagegen ihm 3 fl. zugelegt find.” 


Die Cebensverhältniſſe der Schulmeifler jener Beit. 


Die Küfter und Schulmeifter waren faft jämmtli Hands 
werfer, weil bie Schulmeifterftellen faft durchgängig mit Handwerfern 
befeßt und weil fie viel zu jchlecht Dotirt waren, als daß Die Schul- 
meifter auf die Ausübung ihres Handwerks Verzicht leiften durften. 
Unter den Unterftüßungen, welche i. J. 1652 aus dem Kirchenfaften 
zu Meißenhafel an „Arme“ gejpendet waren, wurden au 7 Alb. 
verrechnet, „dem Schulmeifter gefteuert, als er fich in die Zunft 


*) Bemerkt wird noch, daß das Abendläuten vom Volke Ave Maria genannt 
wurde. 


— 297 — 


fen wollen.” — Diele wurden von ganz anderen Berufsarten 
durch ein wechſelvolles, abenteuerliches Leben in die Schub 
ifterei geführt. Ueber den Schulmeifter zu Kemel z. B. berichtet 
* Superintendent der Niedergrafichaft i. J. 1621: „Er ift auf 
jeres gnädigen Fürften und Herrn Befehl, da er zuvor auf 
einfels ein Gärtner gewejen, gen Kemel verordnet worden, wo 
dann von Ihrer Fürftl. Gnaden zu einem politifchen Dienfte 
xtröftung bat.” 

Aber ein nicht geringer Teil der Schulmeifter hatte ſich doch 
nen Beruf von Jugend auf erwählt,namentlich wenn ſchon der 
ıter dem gleichen Berufe gedient hatte, und die Schulmeifter- 
He wie ein väterliche8 Erbe auf den Sohn überging. Verhält- 
zmäßig finden fih nur wenige Schulmeifter in jener Zeit, bie 
mals eine (lateinifhe) Stabtjchule befucht Hatten. Sn der 
edergrafihaft Kagenellenbogen und in der Herrſchaft Eppftein 
tten ſogar manche Schulmeifter Hochichulen befuht. So heiſt 

3. B. (1620) von dem Lehrer zu Naftätten: „er hat ftubirt 

Hersfeld, Bremen und Marburg”; von dem zu Rhens: „bat 
ıdirt zu Neuhauſen und Heidelberg”; von dem zu Laufenfelden: 
yat fludirt zu Mainz, zu Köln am Rhein und zu Herborn”, 

Mitunter fam ed auch vor, daß ein als untüchtig befundener 
farrer eine Schulmeifterftelle übernehmen muſte. So fand fi} 

DB. im Jahre 1621 ein früherer Pfarrer von Diementhal bei 
daſſau als Schulmeifter zu Meilingen vor. — Ginzelne Schul: 
neifter waren früher Klofterleute gewefen. — Zur Gharafterifi- 
tung des damaligen Schulmeifterftandes mögen folgende akten⸗ 
mäßige Nachrichten über die Lebensſchickſale einzelner Lehrer dienen: 

Von dem Schulmeifter zu Reichenfachfen Otto Sülchenmoͤller 
(1640) wird erzält, daß er von Großenburfchla gebürtig war, 
wolelbft fein Water 21 Jahre Pfarcherr gewefen. Seine Stu- 
bien erftredten fi) nicht weiter, al8 daß er zu Eſchwege primam 

erreicht, zur Zeit als fein Water Rector Dafelbft geweſen. 

Beil aber fein Vater nach Burſchla befördert, ift er 14 Jahr Bei 
dern Herrn Superintendenten Reinmann zu Tiſch gegangen, und 
eſſen Privatinſtitution gebraucht. Und weil er die Unkoſten nicht 
ter ertragen wollen, iſt er ein halbes Jahr daſelbſt zur Rechen⸗ 





— 298 — 


fchule gegangen, und bat zu Mühlbaufen das Wollentuchmadher: 
handwerk gelernt. Darauf er in die fieben Jahre gereifet, und 
ſolche Reifen in Sranfreih, Schweiz, Baterland und dergleichen 
obige Länder erftredt. Hernachmals hat er fi zu Vacha ehelich 


niebergelaßen, fein bürgerliche8 Leben und Handwerk daſelbſt ſtark 


getrieben. Nachdem er aber, durch übermäßige Ginguartirung vieler 
“hohen Offiziere ausgejchöpfet, daß er weggehen müßen, iſt er zu 


Borfehla von der Gemeinde zu ihrem Schulmeifter begert, auf | 
auf des Herrin Superintendenten Fabronii Befehl von dem Pfar- } 
rer zu Wanfried der Gemeinde vorgeftellt und eingeführt worden. ; 
Und als er von der Darmftäbtifchen Regierung abgefeßt, und ? 
lange Zeit im Elend ſitzen müßen, ift er auf des Herrn Zabronü ° 
Befehl durch den Pfarrer zu Eſchwege allbier vorgeftellt und ein ') 


geführt worden”. 


Ueber den Schulmeifter zu Vockerode wird berichtet: „Zu 


Voderode ift jeßo (1636) Schulmeifter Joh. Horn, jo unter fer 
nem Bater Klaus Horn vor 45 Jahren in Diefem Schulamt ge 
folgt; bat Hin und ber etliche Particularfchulen beſucht, aber kei⸗ 


nen Verlag gehabt, etwas fonberlihes zu profiziren, fondern fi 


zeitig nach Haufe zu feinem Water, der auch vierzig Jahre im 


Schuldienft gewejen, begeben müßen, biß er ihm endlich an ber 


Schule fuccedirt”. 


Der damalige Schulmeifter zu Abterode hieß Job. Heiſe 
aus Allendorf, „jo Anfangs zu Allendorf zur Schule angeführt 


worden, hernach auch etliche Jahre zu Hersfeld frequentirt und 
jomeit gefonmen, daß er zu Marburg ad publicas lectiones hätte 
abmittirt werden können, wie er denn auch felbft fich hinzubegeben 
willend gewejen, enbli aber aus Mangel Verlag von wegen 
einfallenden Kriegsweſens daran gehindert worden. Darum e 
eine Beit lang zu Wibenhaufen etliche Kinder privatim inftituir, 
biß er endlich 1624 anhero befördert“. 

Ueber den Schulmeifter Wilhelm GAjareus zu Beerſtadt 
wird -berichtet: „Er bat zu Göln ftubirt im Collegio Laurentir 
norum, folgends in einen Moͤnchsorden bei Andernach ſich begeben, 
welchen Drden er verlaßen, eine Witwe von Siberich gefreit, und 





PZN 





— 2199 — 


diefelbe zu Rhens durch den Pfarrheren ehelich vertrauen 
na”. \ 

Herzbewegend find die Nachrichten, die über die äußere öko: 
ifche Lage der Schulmeifter in jener Zeit vorliegen. Die 
Iende Sorge um das tägliche Brot erftidte in den Lehrern alle 
t und Freudigkeit zu ihrem ſchweren Amte. Bon dem Schul⸗ 
ſter zu Reichenfachfen wirb (1640) erzält: „Seinen Lohn muß 
betteln, und mit vielem Zank von den Leuten ausprefien, da 
, vor dieſes jegigen Ankunft die Vorſteher der Gemeinde dem 
yulmeifter ſolches ſammeln und ihm liefern müßen, geftalt fie 
n noch dem Schweinehirten thun, welchem fie unter der Glocke 
en Lohn im Rathaus fammeln, und ihn ohne feine Mühe und 
rge in's Hirtenhaus liefern“. 

In der bürgerlichen Gefellichaft nahm der Dorffchulmeifter 

allerfläglichfte Stellung ein. Mufte er doch bei größeren Hoch⸗ 
sfeften und Kindtaufsfchmaußen faft überall die Speifen aufs 
gen und fonftige Dienfte leiften, und Dabei noch froh fein, daß 
für ſich und feine Frau competenzmäßig freie Zeche hatte! Für 
‚Bauer war darum ber Schulmeifter die gewöhnliche Zielfcheibe 
er Witzluſt. Manche Lehrer Tannte man auf dem Lande nur 
b dem Spottnamen, den ihnen die Laune des Volkes gegeben 
te. So war 3.8. in Schmalkalden der Schulmeifter zu Seligenthal 
ie Beishirt mitteilt) nur unter bem Namen Lügenhbanns, und 
anderer zu Weidenbrunn nur als Schulfrig befannt. Den 
wer Volkmar Schellhaß zu Kleinjchmalfalden nannte man, weil 
fh beſonders durch beißige Zankſucht infignirte, weit und breit 
H anders ald Doctor Merrettig. 

Freilich hatte Die traurige Stellung, die die Schulmeifter im 
ben einnahmen , teilweife darin ihren Grund, daß es fo vielen 
felben an aller fittliher Haltung fehlte. Im Sabre 1697 
sten Bürgermeifter und Rat ſammt der ganzen Bürgerjchaft zu 
anfenau bei dem Konfiftorium zu Marburg über ihren Schul 
fer Johannes Schmidt, der ihnen „fehr zumiberlebe”, obgleich 
ber Oberfchultheiß Ghrift und Bürgermeiſter und Rat oft und 
mald in Güte und Emft ermahnt hätten, ſich zu beßern. 
zenn wir Eltern”, erklären Die Veichwerbeführer, „pie Kinder 





— 30 — 


zu Haufe im Catechismo und anders fingen laßen und im Bel 
egaminiren, müßen wir mit Schmerzen vernehmen und anhoͤre 
daß fie wenig können, und gar ſchlecht in ihrem Ghriftentum un 
ſonſt informirt find”. Der ausbrüdlichen Verordnung des Supe 
intendenten, in der Kirche nicht in feinem Stand zu ftehen, foı 
bern heraus vor den Pult zu treten und mit den Schülern ; 
fingen, komme er ſchlecht nach, fondern „gehet unter dem Geſaͤug 
bald hin und wieder, bald in feinen Stand, bald wieder bei di 
Kinder und Schüler, läßet fie dorthin in die Welt fingen, wie fi 
wollen, fo daß er oft und vielmals nicht weiß, ob er vorn oda 
hinten im Gefänge ift, und alfo die Zuhörer mehr ald Gr da 
Geſaͤnge führen und aushalten müßen. Die verordneten Gejäng 
an die dazu gemachten Tafeln, den Zuhörern zur Nachricht, a 
zufchreiben,, unterläft er”. Er beauffichtige die Kinder in be 
Kirche nicht, und laße fie unter, vor und nad) der Predigt nad 
ihrem Gefallen aus⸗ und eingehen, und ihren Mutwillen auf dem 
Kirchhof üben und treiben. Wenn er zuweilen ftrafe, jo geſchehe 
es mit Unvernunft, und „müßen die Köpfe herhalten, wenn # 
Ruthe an einem andern Orte follte gebraucht werben“. De: 
Stellen der Uhr beforge er fehr nadläßig, indem er bie 
meiftend contra ſchlagen laße. 

Ueber den Schulmeifter und Opfermann Fett zu Mind 
haufen warb i. %. 1681 bei dem Marburger Confiftorium geklagt: 
Er verfäume bie Kinder, laße fie figen, fahre unterdeffen in’s Hal 
oder drefche, gehe Morgens zum Branntwein, fomme toll und vol 
nad Haufe und treibe Dann Poflen zum Verwundern. So flug 
er zuweilen die Schüler alle über einen Haufen. Einmal babe e 
„einen großen eifernen Krappen, fo voll Muß geweſen, bin 
Feuer abgenommen, und einem geringen fleinen Knaben an der 
Hals gehängt." Außerdem hänge er ihnen Pflugräber ober groß 
Klöße an, oder laße fie auf Einem Beine ftehen u. dgl. 

Ueberhaupt beweifen die wunderlichen päbdagogifchen un 
disciplinarifchen Manöver, welche viele Schulmeifter mit ihre 
Schulkindern vornahmen,, daß ihnen durchaus alle gefunde pädı 
gogiſche Einfiht fehlte. Ein Schulmeifter zu Erksdorf pfleg 


— 501 — 


kraffällige Kinder mit aufgehobener Hand vor der Ruthe bie 
Borte nachſprechen zu laßen: 


„Ab du liebe Ruth’ 

„Mach' Du mich gut, 

„Mac du mid fromm, 

„Daß ich nicht zum Henker komm'!“ — 


Deutfche -, Löcher -, Privat- und Waifenfhulen in den Städten. 


Während die Volfsfchule in der Dorf- oder Katechumenen⸗ 
ſchule der Pfarrei ald in ihrer eigentlichen Geburtsftätte erwuchs, 
ging in dem Schulweſen der Städte eine Entwidlung vor fich, 
welche der Volksſchule auch hier eine neue Heimat anwies. 

In den allermeiften Städten beftanden die Schulen aus 
"zwei Klaſſen, aus einer Iateinifhen Ober-, und einer beutfchen 

Unterklafſe. In jener unterrichtete der acabemifch gebildete Rector, 
tm diefer der deutſche Schulmeifter, der zugleih Cantor, Organift 
ober Opfermann war. Allerdings war die deutſche Schule zu- 
naͤchſt nur als Vorbereitungsanſtalt für Den Beſuch der lateiniſchen 

Rectorenklaſſe eingerichtet. Allein das Fürſichbeſtehen einer deut⸗ 

ſchen Klaſſe, in welcher der Unterricht in der Bibel⸗ und Kate⸗ 
| chismuskunde ald Mittelpunkt des ganzen Unterrichts erjchien, und 
die Leitung dieſer Klaſſe durch den Kirchendiener mufte allmählich, 

von jelbft dahin führen, daß die deutihe Gantorenflaffe durchaus 
als Analogon der Dorfichule und im Gegenſatze zur Iateinifchen 
Schule des Rectors betrachtet ward. Was zunächft innerhalb der 
Dorfpfarrei und für die Bebürfniffe der Dorfgemeinde erwachen 
wvar, wurde nun auch in der Stadt, innerhalb des Stadtfchulmes 
fſens vorgefunden, und man begann bie Gattungseinheit der Dorfs 

und der deutſchen Stadtſchule im Unterfchiede von der Gattungs⸗ 
einheit des Lateinischen Rectorats und der höheren Gelehrtenjchule 
m ahnen, namentlidy da ſich allmählicdy noch andere Schulanftalten 
bibeten, welche von felber der Kategorie der deutſchen Schulen zus 
fallen muften, nemlich die Mägdleinſchulen“ der Schulfrauen 








— 802 — 


und die „Nebenſchulen“ oder „Schützenſchulen“, 
einigen Staͤdten, namentlich in Kaſſel, Marburg, Eſchwege, 
Neukirchen und Wolfhagen entſtanden. 

Im Jahre 1655 beſtanden zu Eſchwege „vier Nebenſ 
in welchen die Maͤgdlein beneben etlichen Knaben im Beten, 
und teils auch im Schreiben und Rechnen unterrichtet we 
Allein dieſe Nebenſchulen, welche gewoͤhnlich mit privaten T 
ſchulen verbunden waren, wirkten auf das Schulweſen übe 
eher nachteilig als foͤrderlich ein, indem die Privatlehrer fo 
rend darauf ausgingen, aus den oͤffentlichen Lehranſtalten m 
viele Schüler an ſich zu ziehen *). 

Bei der Kirchenvifitation, welche i. J. 1628 zu M 


*) Am ärgerlichſten zeigte fi) das Treiben der Privatichullehrer in 9 
wo neben der eigentlichen Bürgerjchule noch viele einzelne Winkelſchulen 
den. — Hier hatte nemlich der Magiftrat feinem Nechnenmeifter Hermanı 
ı. 3. 1611 geftattet, Kinder im Leſen, Schreiben und Rechnen zu umtı 
Mehrere Iahre fpäter (1627) ermächtigte die Regierung zu Marburg einen 
Lehrer, Joh. Koch, dafelbft eine freie öffentliche Schreib- und Rechnenſchul 
richten. Aber kaum war die letere Schule in's Leben getreten, als Rod, | 
1628) bei der Regierung Tlagte, daß viele Eltern, ohne das fällige Schul 
zalt zu haben, ihre Kinder aus feiner Schule nähmen, und in die des Wi 
bers führten, wo fie ein geringeres Schulgeld zu zalen hätten. — Mörth, 
Regierung zur Suftification gezogen, erwiderte: Die Klage Kochs gebe e 
nit ihn, fondern die Eltern an, melde das Schulgeld ‚nicht entrichtet hättı 
dermann ftehe es frei, feine Kinder in eine Schule zu ſchicken, die ihm 
Bielen unbezalten Schullohn habe auch er noch zu fordern, Kod könne il 
nachſagen, daß er Schüler von ihm abgeführt habe. „Und möchte er au 
gebeten und begert haben, weil der Schulen gar zu viele, und feine Disc 
balten werde, daß den Handwerksleuten und Weibern, die zum Schulhalt 
tühtig, auch nicht angenommen, fondern von felbft entftanden wären (we 
Kindern allen Mutwillen geftatten, fie dadurdh in ihre Schulen zu zieh 
ihre Schulen abgeſchafft, oder ihnen zum wenigften verboten werde, fein A 
einer Schule anzımehmen, voriger Schulmeifter fei denn zuvor bezalt“. 

Die hierauf erfolgende Nefolution der Regierung ſchärfte beiden Schul 
ein, daß „Einer des andern Schüler nicht annehmen und entführen folle, 
erftere zuvor des Gchulgeldes wegen contentirt fei”. — Bgl. außerdem 
„Beiträge zur Geſchichte und Gtatiftit des heſſiſchen Schulwefens im 17. 
©. 28 — 29. 


— 808 — 


in ber ganzen Landgrafſchaft Heflen - Darmftabt vorgenommen 

de, ergab es fich, daß faft in allen Gaßen dafelbft Nebenfchulen, 
jämmtlidy in ber traurigftien Verfaßung, — beftanden. Die 
itationscommijfion verordnete Daher, alle dieſe Nebenfchulen mit 
snahme der „deutſchen und zuvor von den Aufſehern erlaußten 
chnen⸗ und Schreibſchulen“ abzuſchaffen. Alle Knaben, welche 
8 achte Lebensjahr zurückgelegt hätten, ſollten „in Die gemeine 
mgerjehule gehen und jederzeit in der Kirche dem GBefänge beis 
bnen.” Um jedody den jüngeren Knaben den Schulbeſuch nicht 
erfchweren, follten mit Genehmigung des Superintendenten für 
jelben zwei Schulen, die eine am Steinweg, und die andre 
weit der Weidenhäufer Brüde errichtet werden. 

In Betreff der Bürgerfchule ward durch den Viſitationsab⸗ 
ied angeordnet: „Weil vor diefem in der Bürgerſchule Die 
wica figuralis egercirt, und zum wenigften bie principia Der 
ıgend beigebradyt, dieſelbe auch hernach im Pädagogio weiter 
geführt worden, fo follen inskünftig und jeßo alsbald Die prae- 
ptores civici die _praecepta mit der Jugend tractiren, auch ad 
axin fchreiten, damit fie beim nächſten examine und alfo in- 
tig jederzeit ein Stüd, zwei oder drei figuraliter fingen und 
Probe thun können”. 

In Gemaäͤßheit diefer Beichlüffe geftattete der Superintendent 
erdenius einem Bürger zu Marburg, Heinrich Gießler, eine 
utſche Schule zu gründen, in welder er Kindern unter adht 
ihren Unterricht im Lejen, Schreiben und Rechnen erteilen jollte. 
ver Schon im März 1640 klagte der Superintendent bei der Re- 
zung zu Marburg, daß Gießler troß wiederholter Verbote Kin- 
er von 9, 10 und 11 Sjahren in feine Nebenjchule aufnehme, 
d dadurch der Stadtſchule zu Marburg großen Abbrudy thue. 

Es war für die verwaltenden Behörden nicht leicht, Die viel- 
hen Berwidlungen und Störungen, weldye ſich aus dem gaͤnzlich 
geordneten Zuſtand des Privatſchulweſens ergaben, zu befeitigen, 
3 endlich die Schulordnung des jahres 1656 wenigftend einige Ab- 
fe brachte. Um nemlid der Willfür und Planlofigfeit, mit 
Icher die Privatlehrer in den Nebenjchulen verfuhren, ein Ende 
machen, ward in der Schulordnung in Betreff Der Nebenfchulen 





— 304 — 


feftgejeßt *): „1. Erftlih, Daß Niemand einige Nebenjchule, deutjd 
ober lateinifch, oder fonft zu Rechnen oder zu Schreiben ohn 
Vorbewuft und Bewilligung des Ministerii und der Obrigfeit zi 
halten erlaubt fei. 2. Darnach, daß in foldhen Schulen Die Prae 
ceptores fowol als auch die Schüler des Rectors der Stadtſchulen 
Sinfpection und Examinibus unterworfen fein follen“, wozu fie fih 
bei Eröffnung ihrer Schulen mit handgegebener Treue verpflichten 
jollten. 3. In diefen Schulen follten zur Erteilung des Religions 
unterrichted nur ſolche Bücher gebraucht werden, die auch in bei 
öffentlichen Stadtſchulen gebräudhlih, und zur Vorbereitung fü 
ben Beſuch derſelben geeignet wären. 4A. Seinem Privatlehre 
jollte e8 geftattet fein, einen wegen verweigerter Disciplin obe 
wegen unbezalten Schulgeldes aus der Stadtſchule entlaufene 
Schüler aufzunehmen. 5. Vor Allem aber follten die Privatlehre 
ihre Schüler zum fleißigen Kirchenbeſuch anhalten, „und bajelb 
ein Auge auf fie haben; fie aud in guter Disciplin halten, ba 
fie nicht ärgerlich noch mutwillig leben, die Stadtſchüler nicht bi 
leidigen noch verführen, noch in Streit und Balgerei mit ihne 
geraten, fondern zu gleicher Zeit zum Katechismus und ander 
Mebungen der Gottfeligfeit angeführt und zu chriftlicher Einträd 
tigfeit ermahnt werben”. 6. Außerdem follten Prediger und Obrig 
feit des Drted Darauf jehen, daß die Privatlehrer von ben Elter 
ihrer Schüler Fein ungebürlicy hohes Schulgeld in Anſpruch nähmet 
jondern ſich „mit einer billigen Recompens, in Hoffnung ber reihe 
Vergeltung von Gott” Begnügten. 


Es gab in Hefjen-Kaffel einzelne, der Jurisdiction adlich 
Familien unterworfene Bezirke, in denen Die adliche Herrſchaft D 
Volksſchule ihre Fürjorge zuwandte und Diefelbe zu heben ſucht 
aber unter den Städten des Landes war Shweinsberg E 


*) Weber, Geſchichte der ftädtifhen Gelehrtenfchule zu SKaffel, Beil ME 
&. 71. — Ueber die Privatfchulen, welche zu Kaffel während des dreikigjähri- « 
Krieges entitanden, fiehe ebendaf. ©. 125. 





— 305 — 


ige, in welcher neben den Iandesherrlihen Verordnungen zus 
eih Die adliche Territorialherrfchaft auf die Entwidlung des 
zolksſchulweſens einen in Betracht fommenden Einfluß ausübte *). 





) Im 3. 1684 publizirten die Schenfe zu Schweinsberg folgende Schul⸗ 
ordnung: 

„Demnad uns den fämmtlihen Schenken zu Schweinsberg, reſp. Erbſchenken 
der beiden Fürftentümer Heffen als chriſtlicher Obrigkeit hiefigen Orts, tragenden 
Ant halber gebüren will, gute Obfiht zu haben, daß die chriſtliche Jugend nicht 
mutwilig verfäumt, fondern in @ottesfurdt, notwendiger Lehre und guter Dis- 
“lin unterwiefen werde, und wir mit fonderbarer Mipfälligfeit vernommen, daß 
die Jugend von unfern Unterthanen fehr unfleißig zur Kirche und Schule geſchickt 
wird: als werden von uns und in Kraft dieſer unſrer Verordnung alle Eltern 
hiermit eruftlich befehligt, alle ihre Kinder, fo tauglich, zur Schule find, zum we⸗ 
aften von 8. Michaelis archangeli Tag an bis auf Oftern oder Pfingften 
tontinuielich und unnachläßlich zur Schule zu ſchicken, welche aber nad) beftimmter 
deit ihre Kinder einer oder andern Feldarbeit halber nicht länger im Jahre bei 
der Schule halten, denen ſoll hiermit frei ftehn und erlaubt fein, ihre zur Feld⸗ 
arbeit tauglihen Kinder aus der Schule zu behalten und derofelben Hülfe beim 
Aderbau und Feldarbeit zu genießen, doch mit diefem Vorbehalt, daß fürs Erfte 
diejenigen Knaben, fo fi) einmal bei die Mufit begeben, die von dem Cantore 
angeſeßte Mufikftunde das ganze Sahr hindurch unausbleiblich befuchen,; darnach 
fir andere, daß gleichwol kein Kind gar aus der Schule bleibe und von feinen 
Ütern gänzlich daheim gelaßen werde, es habe denn zuvor nicht allein im Drud, 
ſondern auch in Briefen wol lefen gelernt und genugfam in den fünf Hauptftüden 
anferes Catechismi informirt, und follen felbige nicht eher als auf befchehenes 
kramen und Erkenntnis, daß fie genugfam im Lefen, Schreiben und Gatechismo 
iterrihtet, aus der Schule egimirt und losgezälet werden“. 

„Weihe Eltern aber ihre Kinder ald Gehülfen an Haus- und Feldarbeit nicht 
bedürfen und lieber fehen, daß ihre Kinder Jahr ein und Jahr aus zur Schule 
eben möchten, denfelben fol hiermit unfre freie Schule allezeit offen ftehn, und 
Mögen fih derfelben das ganze Jahr hindurch, bis fie wol unterrichtet find, ge 
rauhen, wobei der Schulmeifter fein Amt fleißig verrichten fol”. 

„Demnad auch Ihre Durchlaucht, unfer allerfeits gnädigfter Fürſt und Herr 
ad) dei allen feinen Schulen introducirt, daß ein jeder Water von einem Kinde, 
o in die Schule geht 4 Jahr, zwei Kafller Abus geben fol, fo fol es aud all. 
"er alſo gehalten werden, jedod der Präzeptor dahin angewiefen fein, daß er bei 
M Kindern auch fleißiger fei und mit unordentlihem Leben den Kindern fein 
etgernis gebe. Wofern aber Jemand fo arm wäre, daß er auch die zwei Kafller 
bug nicht geben könnte, ſoll der Präzeptor diefelbigen Kinder dennoch umfonft 
lehren ſchuldig fein“. 

20 


— 306 — 


Die Errihtung eined „Armen und Waifenhaufes‘ zu Kaflel, 2 - 
melde i. 3. 1690 erfolgte, war für die Gefchichte der Volfsjhule 7, 
zunaͤchſt ohne wejentliche Bedeutung, da dieſes Waifenhaus eigene „ 
ld nur zur Abjhaffung des Straßenbetteld geftiftet war und bee. 
ber ald Schulanftalt vorläufig kaum in Betracht Fam. 





„Nachdem wir auch vernommen, daß die Männer auf den Borlauben fi WE. ' 
ſchweren, wie fie von den Jungen aus den Ständen getrieben, allerhand Mutwz_ We 
bon denfelben unter währender Predigt geübt werde, fo befehlen wir auch hiermit 
zugleih und wollen haben, daß die Eltern ihre noch minderjährigen Anaben in 
dem Chor bei der Kantorei ftehen lapen follen”. 

„Im widrigen alle fih nun Iemand von unfern Unterthanen diefer um Ba 
gemachten Edul- und Kirhenordnung widerfegen und mit Sintanfegung des {hd muml- 
digen Gehorfams diefelbige verachten würde, follen diefelbigen entweder zu einm «t 
Geldftrafe condemnirt oder fonft mit dem Gefängnis geftraft werden. Damit amd 
Niemand mit einer Unmwißenheit fi zu behelfen Anlaß haben möge, fol um#e 
Pfarrherr felbige publiziren und öffentli von der Kanzel ablefen, wornach fi ein 
jeder zu achten“. 

„Geſchehen Echweinsberg den 15. Yebruarii Anno 1684. 

(L. 8.) Sämtlide Shenten 
zu Schweinsberg“. 


In einer von dem Pfarrer Conrad Schend zu Schweinsberg vollzogen Et 
Urkunde über die Beftallung eines Schulmeifters dafelbft i. 3. 1689 werden ie #t 
Verpflichtungen des Lehrers zu Schmweinsberg fo angegeben: Daß derfelbe „few! 
anbefohlenen Schüler in der wahren Gottesfurcht anführen, Ddiefelbigen fomol An 
moribus als literis der Gebür unterrichten, vornehmlid in den Hauptſtücken ie Er 
chriſtlichen Lehre nad) Inhalt des Catechismi Lutheri und der Augsburgiſch En 
Confeifion, der Schuljugend mit unärgerlihem Leben und gutem Czempel vorgehen, 
dem Gottesdienft allezeit fleißig beimohnen, gute Schul- und Kirdendisciplin halte= =, 
den Choral an gewöhnlihem Ort und zu gebürlicher Zeit führen, aud zu gemifp =! 
Beit auf die Sonntage und fonft eine Yiguralmufit anftellen, und zu den Ende Te ie 
Knaben nicht allein in den Choralgefängen, welche in unfern lutherifchen Geſangbũche ee" 
begriffen, fondern aud; in musica theoretica unterweifen und das exercitiu EP 
musicum mit den alten Mufitanten zu gelegener Beit fleißig treiben, ohne Erlaubum@) 
feinen Kirchen. und Schuldienft nicht verfäumen, mir, dem Pfarrer, in Verrichuc 8 
des GBottesdienftes nicht zumiderhandeln, fondern fid) deffelbigen Anordnung na 
jederzeit in feinem Amt bezeigen und gebürlihe Folge leiften“ folle. 

Die Mebung des Sefanges und der Mufit, insbefondre des Figuralgefonge =? 
galt fo fehr als weſentliches Offizium des Edjulmeifterd zu Schweinsberg, FE? 
derfelbe in Refcripten ganz gewöhnlich als „Schulprägeptor und Director muice 





— 307 — 


Zweiter Abfchnitt. Bon 1701 — 1779. 


Durch das ganze fiebzehnte Jahrhundert hindurch war bie 
Dorfſchule wejentlih Schule der Pfarrei geweſen. Wollten bie 
vewohner der Filialdörfer ihre Kinder im Leſen, Schreiben, Singen 
und in ber Bibellehre unterrichten laßen, fo muften fie biejelben 
in das Pfarrdorf zur Schule fchiden. Man wuſte von der Schule 
nicht anders, als daß fie bei der Pfarrei fein müße; von einer 
Säule, Die zur Ortögemeinde al folder gehöre, war noch feine 
Rebe, 

Erſt das Jahr 1701 gewährte auch den Filialgemeinden Der 
Pfarreien, alfo den Ortögemeinden als folhen, die Möglichkeit, 
eine eigne Schule zu gewinnen. Veranlaßung hierzu gab die Fi— 
lalgemeinde Vockerode unweit Spangenberg. 

Wie überall, fo unterrichtete auch hier der Schulmeifter der 
Nutterficche (zu Weidelbach) die Kinder des Filialdorfes (Vode 
tode), Da jedoch der Schulmeifter Oftwald wegen vorgerüdten 
Alters zur Unterrichtung einer größern Anzal Schüler nicht mehr 
Mm Stande war, fo orbneten der Superintendent und der Pfarrer 
von Weidelbach für Vockerode einen eignen Schulmeifter an. Kurz 
darauf ftarh Dftwald, und der für ihn beftellte Nachfolger nahm 

nun auch Die Schuleinkünfte von Voderode für fih in Anſpruch. 
Um Daher nicht zwei Schulmeifter unterhalten zu müßen, fam die 


Bemeinde Voderode bei dem Landgrafen um Aufhebung des Schul: 


verbandes mit der Mutterkirche und der Abgabenpflichtigfeit an 
den Schulmeifter derfelben ein. Das Geſuch der Filialgemeinde 
ward fogleih (15. Februar 1701) durch Iandesherrlihe Ent— 
\Hließung genehmigt, und der Gemeinde Vockerode die Zuficherung 
erteilt, „Daß Diefelbe, fo lange fie ihren eignen Schulmeifter bat, 





bezeihnet wurde Es kam vor, daß die Schweinsberger Schulmeifterftelle einem 
Eludiofus der Theologie übertragen wurde. Indeſſen galt diefelbe nicht als Nel- 
at; vielmehr wurde fie als eigentliche Volksſchullehrerſtelle betrachtet, und zwar 
“ug nod) nad) dem Jahre 1727, wo es zur Sprache kam, daß es angemeßen fei, 
‚Men Literatus, der predigen kann“, in Schweinsberg als Lehrer anzuftellen. 
2° 


— 308 — 


von weiterem Beitrag für den Weibelbacher Schulmeifter verfcho 
und befreit bleiben möge“. 

Das Beifpiel der Gemeinde zu Vockerode rief bald in viel 
anderen Filialgemeinden des Landes, 3. B. zu Moßheim, Röhre 
furth, Ellnrode und an anderen Orten eigne Schulen in's Dafei 
und für Die Entwidlung des Dorfſchulweſens ſelbſt Fündigte fi 
hiermit eine neue, wichtige Periode an. Zu Florsheim, eine 
Filialdorf in der Grafſchaft Ziegenhain, wo i. %. 1658 nur e 
„Glöckner“ war, von welchem berichtet wird: „Den Glödner | 
Florsheim fegen an die Nachbarn deſſelben Orts, geben ihm vı 
dem Shrigen, was fie wollen, und weil fie alle Jahre einen a 
dern Contract mit ihm aufrichten, kann von defjelben Befoldur 
nicht8 hier fpezifizirt werden; thut auch nichts in Kirchenſache 
als daß er nur in die Kirche Läutet”, — findet fih i. J. 170 
ein „Schuldiener” vor, dem die Gemeinde ſchon vor Jahren fi 
das Schulhalten mehrere wüfte Aeder überlaßen hatte. Allerding 
blieb die Schule auch jegt noch meiftens in derſelben Elägliche 
Berfaßung, in welcher wir fie während des fiebzehnten Jahrhur 
bertö fanden. Die Kinder ließen fi nur während der Winters 
zeit im Schulhauſe ſehn, um einige Verſuche zum Lefenlernen 3 
machen, die während des folgenden Sommers bei der Arbeit ir 
Haufe und auf dem Felde wie felbftverftändlich hinmwegfielen. De 
man außerdem ben Zmwed der Schule noch immer in der Vorbe 
reitung der Kinder zum Bejuche des Sonfirmandenunterrichts fand 
fo fam es, daß die Knaben wie Die Mädchen meift nur Eurze Zei 
vor dem Beginne Des legteren zur Schule geſchickt wurden, — 
zur Freude des Schulmeifterd, der dann fein Handwerk um fi 
ungeftörter treiben Efonnte. Denn mit dem Begriffe Des Schu- 
meiſters blieb der des Handwerfers auch in Diefer Periode une- 
trennlih verbunden, und es war nicht felten der Fall, daß de 
Schulmeifter Dur die Ausübung feines Handwerks mit der im 
ruföverwandten Zunft der nädıften Stadt in arge Collifion geri— 
wie 3. B. der Schulmeifter zu Rosbach i. 3. 1725, feines S 
werks ein Drechsler, dem Die auf ihre Privilegien pocyende Dre 
lerzunft von Wißenhaufen mit dem Gerichtödiener und zw « 
Soldaten in’8 Haus drang, feine Drechſelbank zerichlug md m 


— 809 — 


Handwerksgeraͤt mit fortnahm. Aber dennoch begann fi) das 
Schulweſen feit dem Anfange des 18. Jahrhunderts immer frifcher 
und freudiger zu geftalten, indem jegt die Landesregierung 
ihr Augenmerk auf bie Pflege defjelben zu richten anfing. So 
mächtig indeffen auch Der Einfluß war, den diefe von jet an auf 
das Dorffchulwefen auszuüben begann, jo war Died doch nur ders 
ſelbe Einfluß, den die landesherrliche Gewalt in Firchlichen Dingen 
überhaupt bethätigte. Die Dorfihule ward auch von ihr durch— 
aus ala kirchliche Inſtitution behandelt. 

Dies zeigte ſich vor Allem in der erften Gonfiftorialverord- 
nung, welche zur Regelung des Dorfſchulweſens erſchien. Es war 
diefes die Verordnung vom 1. Februar 1726, Durch welche der 
Heidelberger Katechismus als Lehrſchrift der reformirten Kirche 
Hefiens für alle reformirten Schulen des Landes ausdrücklich auc⸗ 
torifirt wurde. In derfelben ward Folgendes verordnet: 1) Alle 
Eltern follten gehalten fein, ihre Kinder nicht kurz vor der Con⸗ 
frmation, fondern fpäteftend nach zurückgelegtem fiebten Lebens 
jahre und fo lange zur Schule zu ſchicken, bis dieſelben nad) zus 
rüdgelegtem vierzehnten Lebensjahre confirmirt werben Fönnten, 
widrigenfall8 Die ſaͤumigen Eltern nichtödeftoweniger zur Entrich⸗ 
tung des Schulgeldes von den Beamten genötigt werben follten. 
2) Da man in den meiften Dorfichaften nurr während des Win- 
ters Schule zu halten pflege und daher „bie wenigften gemeinen 
Weibsleute recht leſen, die Mannsperfonen aber nicht fchreiben 
können, mithin zu einem Greben- oder Vorſteheramte wenige 
mebr capabel gefunden werben”, fo follte in Zufunft auch waͤh⸗ 
tend des Sommers, entweder täglic, oder wo Dies nicht auszu- 
führen fei, wenigftend 2— 3 Tage in jeder Woche Morgenfchule 
gehalten und den Schulmeiſtern dafür der dritte Teil ihres Ein- 
fommens von ber Winterjchule ſeitens der Eltern zugelegt werben. 
— Diefe Verordnung follte den Gemeinden befannt gemacht und 
ſtreng befolgt werden. Die Geiftlichen follten Die Schulen fleißig 
vifttiren, in dem Pfarrdorfe wöchentlich wenigftens zweimal, in 
den Filialen aber wenigftend alle vierzehn Tage, und bei dieſen 
Vifitationen follten fie namentlidy darauf achten, „ob Die Schul: 
Meifter ihr Amt treulich verrichten, mithin die Kinder im 





— 310 — 


Beten und Catechismo gebürend unterweifen, ı 
ihnen mit einem exemplarifchen guten Wandel vorleuchten“. U 
Sollten die Geiftlichen ihren Schulmeiftern den modum im Inf 
miren vorjchreiben, die an der Schule wahrgenommenen Män 
abftellen und über diefelben, wo es nötig fei, an den Superint 
denten oder das Gonfiftorium berichten. Außerbem follten 
Pfarrer dahin fehen, „Daß die Schulmeifter ſich des Spielens ı 
Hochzeiten, Kirchmeflen u. ſ. w. gänzlich enthielten, und ihr 
lerntes Handwerk (wofern fie vom Schuldienft nicht allein f 
fiftiren fönnten) zu ſolchen Stunden trieben, wo feine Sch 
gehalten”. Das Kaftenmeifteramt follte dem Schulmeifter niem 
tbertragen werben. 

Aber kaum hatte Die Landesregierung dem bis dahin t 
ihr ganz vernachläßigten Volksſchulweſen ihre Aufmerkſamkeit 
gewendet, fo traten auch alsbald die großen Gebrechen deffell 
in auffallendfter Weiſe hervor. Es zeigte fih, daß noch imr 
einzelne Opfermänner in erträglicher Weile weder Iejen noch fchı 
ben fonnten, alſo zum Lehramt ganz untauglich waren; daß 
Ueberfüllung der Parochialjchulen, und die mitunter vorfommeı 
Beichäftigung zweier Lehrer in Einem Schulzimmer einen erfpri 
lihen Unterricht unmoͤglich machte, und daß der Rechnenunterri: 
der nur bin und wieder in Privatfchulen erteilt ward, in t 
Lectionsplan der" Dorfichulen noch gar Feine Aufnahme gefun! 
hatte. Das Eonfiftorium zu Kaflel erließ daher am 10. Ofto 
1738 eine neue Verordnung, worin beftimmt wurde: 1) D 
jolle nirgends einen Opfermann annehmen, der die Kinder n 
im Lefen und Schreiben unterrichten koͤnnte. 2) Da, mo bi8 
zwei Lehrer in einer Schulftube unterrichtet hätten, follte man 
zweite® Schulzimmer zu bejchaffen ſuchen. 3) Für jede SE 
jollte man ein beftimmtes Ziel feſtſetzen, und follten zugleich 
Pfarrer und Scholarchen darauf fehn, daß kein Schüler in e 
höhere Klaſſe befördert werde, bevor er Das Biel der unteren 
Lob erreicht Habe. 4) Man follte von jet an in den Dorfs ' 
in den Stabtfchulen wöchentlich zweimal Rechnen- und Schrei 
unterriht gratis erteilen, und deshalb feinen Schulmei‘ 
anftellen , der hierzu nicht tauglich fei. — Andrerſeits wurde 


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Igenten Sabre in der Grebenortnung vom 6. November 1739 
t. 16. 3 verorinet: „Müßen die Eltern und Vormünder ihre 
mder und Pflegebefohlenen annoch abjonderlid und mit behören- 
t Sorgfalt zur Echule und Kinderlehre ſchicken, auch fie, fo 
1 thunli, im Lefen, Schreiben, Rechnen unterweifen 
im, Predigern, Schulbedienten und LXehrmeiftern aber hierfür 
8 Berorbnete richtig abführen”. 

Es konnte nicht fehlen, daß Die Fürſorge, weldye jebt Die 
ndesregterung für dad Dorfichulmefen bethätigte, auch in den 
meinden ein regeres Intereſſe für ihre Schulen hervorrief. Dies 
m wir 3. B. an der Gemeinde Großallmerode, welde- 
e Schule i. %. 1736 ald Freiſchule ganz nen einrichtete. 
hatte fih bier nemlih, wie in der GStiftungsurfunde vom 
mntag nach Neujahr 1736 ausdrüdlich erflärt wird, herausge⸗ 
It, daß die notwendige Zalung des Schulgeldes (in einer jähr- 
vn Abgabe von 26 Alb. von jedem Kinde beitehend) bisher 
le arme Eltern abgehalten hatte, ihre Kinder zur Schule zu 
iden. Auf Anregung des damaligen Greben Rüppel und mit 
ſtimmung aller Samilienhäupter der Stadt bejchloß Daher der Ortes 
Hand von Großalmerode die Zalung des Schulgelded ganz abzu- 
affen und das Einkommen der beiden Schulmeifter des Dorfes, 
Ihe vorher ihre Zuftimmung hierzu erflärt hatten, in ber Weiſe 
yuftellen, daß jeder Lehrer außer dem von den Schulfindern nad) 
e vor zu beziehenden Holzgelde, von dem Greben jährlich eine 
weifung auf 40 Thlr. an den Pachter ded Gemeindewirths⸗ 
uſes erhielt*). Als Hauptzweck ber neu errichteten Schule 
td in der Etiftungsurktunde die Körberung der Jugend in ber 
tenntnis der göttlichen Geheimnifle, als der mwefentlichen Orund: 
je eined guten Gemeinwefens, angegeben. Die Edyule follte 
her auch in ihrer neuen Ginrichtung unter der Aufficht und 
titung des Ortöpfarrers bleiben, und ber Gemeindevorftand er- 
ürte ausbrüdlich, daß er das Recht, die angeftellten Schulmeifter 
eliebig wieder abzufegen, nicht in Anfpruch nehme. Dagegen 


—— 0 


) Die Yacht des Gaſthauſes betrug damals 230 Thle. 


— 312 — 


warb allen Vorftehern des Gemeinweiend für alle Zukunft zume- zr 
Pfliht gemacht, die Schule gegen das Eindringen unchriſtliche — 
falſcher Lehren zu ſchützen. 

Bon großer Wichtigkeit für die Entwicklung des Schur 21, 
wefend war auch Die unter dem 13. Dectober 1729 für de— 
Iutherifche Oberfürftentum erlaßene landesherrlihe Verordnung 29, 
„daß in den Dorfihaften bin und wieder, wo eine Anzal Refee— r- 
mirte, welche fi nach und nach ziemlich vermehrt, vorhanden, 
Schulmeifter angenommen würden, und zu deren Unterhaltung in 
Ermangelung anderer Mittel Die (bei dem Marburger Gonfiftoriumme- m 
einlaufenden) Dispenſations- und verfallenden Succumbenzgelde— er, 
ald woraus bereit8$ dem einen und anderen Schulbedienten e —in 
Gewißes gnädigft affignirt, fomeit folche anreichig, zu einem ribe 
ftändigen Fonds unmaßgeblich determinirt werden koͤnnten.“ 

Diefe Verordnung des Landgrafen Karl war wichtig, we— “il 
ſie den kirchlichen und confeffionellen Charakter der Volksſchule auf u? 
Neue garantirte, und weil fie von felbft zu einer erheblichen Ber — r⸗ 
mehrung ber Schulen des Landes führen mufte. Allerdings konnte— =! 
fich nicht alle reformirten Gemeinden Oberhefiens fofort entſchließerc —N 
fi) eigne Schulen zu gründen, und die reformirte Gemeinte zS özu 
Josbach wollte noch i. 3. 1756, wo bie Begründung einer eigne —e"" 
Schule bei ihr angeregt war, ihre Kinder lieber nad) wie vor ir S in 
bas nahe gelegene Wolferode zur Schule ſchicken, als die zu 
Errichtung einer Lokalſchule erforderlichen Opfer Bringen. Andr er" 
Gemeinden geigten fi) dagegen um fo bereitwilliger, den Wbfichtese —n 
ber Landesregierung zu entjprechen. So ließen 3. B. die zwoͤlt EZ 
reformirten Familien, die i. J. 1754 zu Halsborf wohnten, = 6 
ihren Pfarrer dem Gonfiftorium zu Marburg vorftellen, daß fiew gi 
bisher ihre Kinder bis zum eilften Lebensjahr in die Iutheriihe <a 
Ortsſchule, und hernach in die reformirte Schule zu Wohra ge = — 
ſchickt hätten, wo dieſelben aber weder im Lefen noch im Schreiben SE 
ordentlich unterrichtet würden, weshalb es ihre Abficht fei, fich N u 
einen eignen Schulmeifter zu accordiren,, der zugleich die fonntäge — 
lichen Betftunden halten könnte. Sie erklärten, daß fie bereit 4 
wären, einem Schulmeifter aus ihrem Mittel jährlich) zwei Mött 
Korn und von jedem Rinde, das die Schule befuchte, !/, fi. 


— 





— 313 — 


Igeld zu entrichten, woneben ſich der Lanbjeker Leonhäufer 
e, dem Schulmeifter in feinem Wohnhaus fo lange, bis man 
eſonderes Schulhaus erbauen Fönne, ein Duartier einzus 
en, in Hoffnung, daß hochfürftliches Regierungsconfiftorium 
ſanze Dorf von beiderlei Religionsverwandten dazu anhalten 
‚ ihm jährlich 4 fl. Hauszind zu entrichten, was ber luthe⸗ 
Bemeinde um fo weniger fremd vorfommen koͤnnte, da bie 
trten Familien mit derjelben das Iutherifche Schulhaus jeder⸗ 
ı Bau und Beßerung erhielten, und dieſes auch fernerhin 
gerlich tbun wollten. Auch bat die reformirte Gemeinde, das 
torium möge ihrem anzunehmenden Schulmeifter „zu obigem 
ı Gehalt auch etwa wie den übrigen Schulmeiftern im bie: 
Amt alljährlih 10 — 12 Rthlr. aus den Geldern ad pios 
wie auch, daß Serenissimi hochfürftlihe Durchlaucht ihm 
Klaftern forftfreied Brennholz auf fein unterthäniged Ge⸗ 
nädigft accordiren würben.” 
Der Antrag der Gemeinde ward natürlic genehmigt, und 
näß wurde zu Michaeli8 1756 ein reformirter Schulmeifter 
[8dorf angeftellt. 
Am auffallendften aber zeigte fi) um dieſe Zeit der raſche 
mung des niederen Schulmefens in der Stadt Kaffel. Hier 
emli das Verlangen des Volkes, feinen Kindern, auch 
fie fi) nicht einem wißenjchaftlichen Berufe widmen wollten, 
maßen zu einer elementaren Schulbildung zu verhelfen, fo 
ervor, daß fich bis zum Sabre 1738 auf der franzöfifchen 
dt zehn franzöfifche Schulen, und in den übrigen Teilen ber 
vierunddreißig Privatjchulen bilden konnten, von denen jech- 
urch weibliche Vorfteherinnen geleitet wurden. Freilich war 
eje „Weiberfchulen” der Name einer Schule faum zu ge 
en, und namentlich von Schreibunterricht war in denfelben 
ar feine Rede. Auch waren die Knabenſchulen meift nur 
rliche Nachbildungen der ftädtifchen NRectorenfchulen, indem 
allen die Anfangdgründe der Tateinifchen Sprache behandelt 
a, und nur wenige ſich auf den Unterricht im Leſen, Schreis 
Rechnen und Katechismus befchränften. Auch ließ es fich gar 
verfennen,, daß dieſe Nebenfchulen, welche allen trägen und 





— 314 — 


ımtauglichen Schülern der Iateintfchen LXehranftalten einen fehr ers 
wünſchten Rüdzug boten, auf das öffentliche Schulwefen den nad; 
teiligften Einfluß ausübten. *) Aber dennoch mar in diefen Win- 
kelſchulen ſchon jeßt ein neues Clement gefchaffen, aus dem fidh 
eine wejentliche Bereicherung des Volksſchulweſens allmählich heran: 
bilden konnte, namentlid da dasſelbe fchon früher durch Errich⸗ 
tung des reformirten Waifenhbaufes zu Marburg une 
eben damald Durch Begründung der Iutherifhen Waifen- 
bäufer zu Kaffel und Marburg eine neue Erweiterung 
erhielt. 

Die Errichtung eines reformirten Waifenhaufes für Obe— 
heffen war von dem Profeflor der Theologie Hottinger jchon im 
April 1711 in Marburg verfuht worden. Man hatte damal 
mehrere Waijen einer ehrbaren Wittwe zur Pflege und Erziehung 
übergeben. Kurz darauf, al fi auch das geiftlihe Minifteriun —-ı 
dieſes Fleinen Penfionats annahm, wurde für dasſelbe au ein 
bejondrer Lehrer beftellt, und im Auguft 1712 fah man fi be — 
reits veranlaft, um der immer mehr anwachfenden Zal der Wale 
willen ein befonderes Haus zu mieten, inn welches die Waifen up 
genommen und verpflegt und wo fie unterrichtet wurden. Dura 
Refolution vom 9. Auguft 1712 genehmigte Raudgraf Karl die jung — 
Stiftung, indem diefelbe mit einigen Privilegien verfehn und unter 
die Aufficht eines Mitgliedes der Regierung zu Marburg gefteült 
wurde. Außerdem wurde verfügt, daß auch Iutherifche Waifen car 
der Anftalt Aufnahme finden follten. Aber die Einrichtung derſelbe m 
war eine ſehr ärmlidye und befchränfte, da die vorhandenen Ritt el 
nicht ausreichten, um den Waifen die erforderliche Pflege urn d 
Erziehung gewähren zu können. Da erbarnte fi ein frommer 
und bemittelter Bädermeifter zu Marburg, Johann Ebert Nau⸗ 





— — — — — 


*) In einer Eingabe Stephan Beits an den Landgrafen Karl wird als 
Urfache des Verfalles der Stadiſchulen namentlich hervorgehoben: „Die alzuge® ® 
Bicenz der fchnurftrad® einer fehr weiſen Schulordnung zumider überhäuften, ‘ 
Geſeße lofen Winkelſchulen, als melde eine fihere Retirade aller derjen ĩ O 
discipulorum find, die ſich in unverantwortlicher Blindheit ihrer Eltern der =“ 
ziemenden Anhaltung zum Bleiß und zu der Disciplin entziehen wollen.“ 


— 315 — 


mann, ber armen Waifen, indem er denfelben fein ganzes Ver⸗ 
c mögen überließ. Zufolge einer am 29. November 1712 vollzoges 
zen Donationsurfunde ſchenkte nemlicy derfelbe den Waifen 1) fein 
em Lahnthor ftehendes Wohnhaus mit Stallung, Scheuer, Gra⸗ 
bengarten und allem Zubehör, 2) eine Anzal von Wieſen, die 
bor ber „Mannsſieche“ hinter Weidenhaufen lagen, 3) zwei „auf 
denm Reibgraben in der philofophiichen Gaſſe“ gelegene Gärten 
und 4) feine gejammte fahrende Habe. Da nun dad Waijenhaus 
don in den nächftfolgenden Jahren auch mit vielen anberweitigen 
Schenkungen und Vermächtnifien bedacht wurde, fo Blühte bafjelbe 
raſch auf. Außer dem Lehrer, welcher in der Religion, im Lefen, 
Schreiben und Rechnen unterrichtete, wurde im März 1713 ber 
damalige Schulmeifter zu Gemünden , feines Gewerks, ein Soden- 
er, in das Haus aufgenommen, um die Waifen in der Ver- 
arB eitung der Wolle, namentlih im Sodenftriden zu unterrichten, 
Mars allen Orten Oberheflens wurden reformirte Waifen aufgenom- 
Rer; Dagegen jcheiterte der Plan des reformirten Minifteriums 
md der Regierung, nad) welchem die Anftalt als gemeinfchaft- 
ich es Waifenhaus beider Gonfeffionen behandelt werden follte, an 
em Widerftreben des Iutherifchen geiftlihen Minifteriums der 
Stat. Nach mehrfacher Erörterung der Sache erflärte nemlich 
Aſsſelbe am 17. September 1717 die Einrichtung einer vereinigten 
Baifenanftalt ald mit dem Intereſſe confejfionell - religiöfer Kinder: 
TAiehung unverträglich. 
An die Verforgung der Iutherifchen Waiſen in Marburg 
>xurde daher erft mehrere Decennien fpäter ernitlich gedacht. 
In Folge der Drangfale, welche der fiebenjährige Krieg auch 
Marburg gebracht hatte, waren nemlicy viele Familien da⸗ 
"pt verarmt; außerdem hatte die in den Jahren 1759 und 1760 
® berheflen graffirende Seuche vielen Kindern ihre Eltern und 
= wenährer geraubt. Diefes und Die Unzulänglichkeit der zur Ver⸗ 
Egung ber Armen vorhandenen Mittel gab dem Iutherifchen geift- 
then Minifterium zu Marburg *) die erfte Veranlaßung, die 





) Damals werden in Marburg 200 Arme (außer denen aber noch etwa 
ED Yerfonen ihr Drot erbettelten), Öffentlich unterftüpt. Außer den geringen 
5 Eiffungen, welche die eingelnen Kirchen gu biefem Irede befapen, tormte jedoch 


— 316 — 


Gründung eines Waifenhaufes zu verfuhen. Das Minifteriz 
legte daher zunächft dem Landgrafen die Bitte vor, Die erford 
lihe Genehmigung erteilen zu wollen. Diefelbe erfolgte ohn 
Weiteres. Gin Refeript des Gonfiftoriumd zu Marburg von 
3. September 1765 gab dem geiftlichen Minifterium hiervon Nach⸗ 
riht Bon der Bürgerfchaft zu Marburg wurde das Unternehmen 
alsbald mit Freuden begrüft. Acht MWolthäter der Armen über 
nahmen es, jeder ein Waiſenkind völlig zu kleiden. Außerdem 
trat ein Verein zuſammen, der es ſich zur Aufgabe machte, bie 
Waiſen mit einer geeigneten Hauskleidung von grauem Tuche zu 
verjehn. Gleichzeitig gab ein Kaufmann Riegelmann das zu feinem 
in der Untergaffe, unweit des Lahnthors gelegenem Haufe geht 
rende Nebengebäude mit Ausnahme Einer Stube zur einftweiligen 
Aufnahme der Waifen ber. Das Gonfiftorium verwilligte der 
Anftalt das Jonntägliche Vesperopfer; wolhabende Bürger fügten 
von Zeit zu Zeit Gaben hinzu, und Die wolthätige Anftalt Eonntt 
daher alsbald unter den verhältnismäßig glüdlichften Umftänden 
eröffnet werden. 

Die Einrichtung derfelben war urjprünglic folgende: Untt 
ber Oberauffiht der Regierung zu Marburg wurde das Waife! 
baus von dem Superintendenten mit Auziehung des Iutherijch 
geiftlihen Minifteriums zu Marburg abminiftrirt. Die Haushe 
tung leitete ein beftellter Vorfteher: die unmittelbare Verpfleg! 
der Kinder war einer Wittme ald Waifenmutter übertrage 
— Unterridt wurde (von einem Predigtamtscandidaten und ein € 
Glemeutarlehrer) Morgens 7—10 Uhr, Nachmittags 1-3 UE 
im Katechismus, im Beten, in derbiblifhen Gefhidh 4 
im Leſen und Schreiben erteilt. In Der zweiten amtlich 
Nachricht über Die Anftalt (von 1767) wird insbeſondere mitg 
teilt: „Obgleich Das Nötige auswendig gelernt wird, fo ſucht me 
Doch mehr die Sachen ihnen begreiflidh zu macheu und te 
Gottfeligfeit and Herz zu reden, als ihren Kopf mit übe- 


— — 





zur Pflege der Armen me daR Wenige verwendet werden, was wöchentlich dur⸗ 
die Armenbüchſe unter Lutheranern und Neformirten eingefammelt wurde. Durch 
ſchnittlich kamen durch diefe Sammlungen in jeder Woche 8—9 Rtihlr. ein. 


— 31T — 


füßigem Memoriren zu martern. Beſonders werben fie fleißig im 
Oehet geübt. — Morgens und Abends wird außer den Tifchges 
beten zu Mittag von den Kindern ein gemeinfchaftliches und zwar 
von jedem ein beſonderes Gebet verrichtet. Um 10 Uhr Morgens 
nd Rachmittagde um 2 Uhr gehen die Alteften zur Katechismus⸗ 
the, des Sommerd geben fie um 5, des Winterd um 3 Uhr 
narweife zur Betflunde und des Sonutagd auf eben biefelbe 
Beife Dreimal zur Kirche. Hier figen jie vor dem Altar auf der 
nen eingeräumten Bank. Außerdem wird jeden Sonntag Abends 
m 5 Uhr eine Betftunde im Haufe gehalten. In verfelben 
id mit einem Gefange angefangen; ein Knabe fingt vor. Darauf 
id von einem Waiſenkinde ein Kapitel gelefen, dieſes wird kurz 
araphrafirt und erbaulid angewendet. Hernach verrichten alle 
inder und jedes bejonders ihr Gebet, welches Bitte, Gebet, 
ürbitte und Dankſagung enthält. Endlich wird mit Geſang bes 
bloßen und die Kinder jagen ihre behaltenen Sprüche auf. Dieſer 
ietftunde haben bisher audy andere Ghriften beigewohnt. Sie 
wert eine Stunde. Die übrige Zeit bringen fie für ſich mit 
en und Beten zu. Nach der legten Kirche wird ihnen von 
—5 Uhr erlaubt, ızu ihren Freunden in die Stadt zu gehen.“ 
- Um die Waifen frühzeitig an Arbeit zu gewöhnen, wurden Die 
daͤdchen im Striden und Spinnen geübt. Am Spinnen der 
3olle nahmen in dem Haufe eines Strumpffabrifanten mit den 
Laͤdchen auch die Knaben Teil. 

Zu den acht Waifen, welche man zuerft aufgenommen hatte, 
aren jehr bald noch vier andere hinzugefommen, jo Daß die Ans 
alt i. %. 1767 zwölf Pfleglinge, 6 Knaben und 6 Mädchen, 
nfafte. Jedes Gefchlecht hatte fein bejonderes Schlafzimmer mit 
drei Betten, indem in jedem Bette zwei Kinder zujfammenjchlie- 
n. — Die „erfte” (bebere) Kleidung der vier Knaben beftand 
einem Rod und Kamiſol von blauem Tudy mit Auffchlägen und 
tagen, 2 Paar Beinkleidern und Strümpfen, Hüten, Halsbinden, 
helzhandſchuhen, Schuhen mit Schnallen, Hemden mit Knöpfen, 
Shnupftüchern ,‚ Haarkämmen und SHaarbändern; die Der vier 
Nidchen beftand in einer Müße mit Kragen von Plüſch, Ober: 
tod von blauem Tuch, halbwollenem Unterrod, ſaͤchſiſ hen Hauben 


— 3183 — 


von feinem blauen Tuch, mit feidenem Band eingefaft, Halstüche 
von Kattun, Schleiern für die Nacht, ſchwarzen Schürzen, Schuk 
mit Schnallen, Pelzhandſchuhen, Hemden mit Knöpfen und Schnur 
tüchern. Zur Alltagskleidung der Knaben gehörte ein graues $ 
mifol mit blauen Aufjchlägen und Kragen, ein Unterfamijol, ı 
Beinkleiv, Strümpfe, eine wollene Müpe und zwei Halsbindı 
Die Altagskleidung der Mädchen beftand in grauen Müben n 
blauen Kragen, blauen Röden nebft geftreiften Unterröden u 
Schürzen, blauen ſächſiſchen Hauben mit fchwarzen Stirnlapp 
und ſchwarzen Spigen, ſchwarzen Halsbinden, Haldtüchern v 
Rattun und Nachtjchleiern. 

Da der Glaube an die bejondre Gottwolgefälligfeit der 
Waifenhäufer gefchenkten Gaben noch nicht erlojchen war, fo | 
freute fich die Anftalt fortwährend der Unterftüßung vieler Goͤnt 
und MWolthätr. Eine Frau von Fledenbühl genan 
Bürgel zu Weplar fchenkte dem Waifenhaufe ihren Pachthof 
Anzefahr, der damals jährlih 6 Mött Korn, 6 Mött Haf 
3 Mött Gerfte, 1 Mefte Leinfaat nebſt Fuhren, 2 Hühn 
2 Hahne, 1 Rthle. für ein dazu gehöriges Fifchwaßer, und 
jedem neunten Jahre 4 Rthlr. Leihgeld einbrachte. Gin andı 
MWolthäter ſchenkte die haare Summe von 300 Louisdor. Ai 
fpielten Ginzelne zum Vorteile des Waifenhaufes mit Glück in I 
Lotterie zu Kaffe. Andere, und zwar fehr zalreihe Saben, ' 
hielt das Waifenhaus als Dankopfer von Solchen, Die von ſchu 
ven Krankheiten genefen oder aus andern Nöten erlöft warı 
Auch die Fürbitten der Waifenfinder brachten ein Betraͤchtlich 
ein. Am 28. Sanuar 1768 3. B. erhielt das Waiſenhaus « 
Mött Korn mit der Nachricht: „Ein blindes Kind, weld 
eine Augenkur anfangen will, erſucht die Waiſen um ein andäı 
tige8 Gebet und überreicht eine Anweifung auf 1 Mött Korn 
Späterhin (i. J. 1779) hatte das Waiſenhaus das Glück, db. 
es von einer wolhabenden Wittwe ald Univerfalerbin ihres ganz 
Vermögens eingejeßt wurbe, welches nad) Abzug einiger Lege 
über 3000 fl. betrug, 

Dieſe reichen Unterftügungen machten e8 daher möglich, d 
die Anftalt bis zum Sahr 1792 Die Zal ihrer Pfleglinge (un! 





— 319 — 
benen ſich auch Richt-Marburger befanden) auf zwanzig erhöhen 
fonnte, 


Das Iutberifche Waiſenhaus zu Kaſſel wurde durch die Kreis 
gebigfeit ber Wittwe des Kammerpräfidenten von Frankenberg 
Maria Amalie Juliane geb. von Bernhold zu Eſchau geftiftet, 
nelhe i. 3. 1762 ein Kapital von 10,000 Thl. zu einer Witwen 
tafle der beiden lutheriſchen Prediger, 4000 Thlr. zu einem Sti⸗ 
yendium für ftudirende Lutheraner, 3000 Thlr. zum Ankauf des 
weiten Pfarrhauſes der Iutherifchen Gemeinde und ihr gefammtes 
übriged Vermögen zur Stiftung des Iutherifchen Armen- und 
Bailenhaufes vermachte, wozu das ehemalige Hausmann ifche 
Haus in der oberften Gaße gekauft wurde. — 

Sn den amtlichen Obliegenheiten des Schulmeifterd ward, 
übgefehen von der jegt angeorbneten Einführung des Rechnenun- 
terricht 8 nichts geändert. Nur machte die Verordnung vom 
I, Februar 1726 den Schulmeiftern ausdrücklich zur Pflicht, auf 
den Filialen wöchentlich wenigftend zweimal, und zwar an den 
Zogen, auf welche die Wochenpredigten fielen, in der Kirche zu 
latechiſtren. Dagegen wurde es den Schulmeiftern unterfagt, fers 
nerhin als Notare oder Winkelfchreiber zu fungiren, indem in der 
Örebenordnung vom 6. November 1739 ausbrüdlic verordnet 
Bar, daß alle von Schulmeiftern verfertigten Kontracte und Ver: 
ſchreibungen bei den Gerichten ald ungültig zurückgewieſen wer⸗ 
den follten. 

Das Nangverhältnis der Dorfichulmeifter zu den Lehrern 
der Stadtſchulen ward fo feftgefept, daß jene nach Beſchluß des 
Geheimerats vom 10. Auguft 1713 ihr forum in civilibus Bei den 
Juſtizbeamten des Landes, diefe dagegen dasſelbe mit den Geiſt—⸗ 
üben bei der Regierung erhielten. 

Den Superintendenten ſtand nad wie vor das Recht der 
Suöpenfion, nicht aber das der Nemotion der Schulmeifter zu. 
Ad der Superintendent zu Allendorf i. 3. 1739 den Schulmeifter 
Mm Röhrenfurth abgejegt hatte und biefer dagegen bei dem Kon⸗ 
Morium Berufung einlegte, erließ basfelbe an den Superinten 
benten den Beſcheid, daß er feine Befugniſſe überjchritten habe. 

In Betreff ber Anftellung der Echulmeifter blieb e8 bei der 





— 320 — 


Regel, daß der Pfarrer zu präfentiren und der Superintend: 
zu beftätigen hatte. Nur ward in Folge des Landtagsabjchiei 
von 1731 durch Gonfiftorialausfchreiben vom 24. Januar 17 
den ablihen Kirchenpatronen die Präfentation der Schulmeifter 
dem Falle geftattet, „Daß fie folches Recht nicht neuerlich ſuch 
Sondern entweder von undenklihen Zeiten hergebracht, oder a' 
den Schulmeifter falariren, mithin felbige Patroni injofern jeb 
mal ein ehrbares Subject von gutem Leben und Wandel ein 
zeitigen Superintendenten ad examinandum et confirmandı 
präjentiren mögen.” Dagegen war es ben ablihen Patros 
fireng unterfagt, Die auf ihre Präfentation hin angeftellten Sch 
meiſter willfürlich zu verſetzen. 

Aehnlich wie die Prediger muſten ſeit dem Jahr 1737 a 
die Schulmeiſter vor ihrem Amtsantritt einen Reinigungseid 
legen *); die hierbei gebrauchte Formel lautete: „Sch ſchw 
einen leiblichen Eid zu Gott dem Allmäcdhtigen, daß ich für Die 
haltene Scuibedienung zu N. N. fein Gelb oder Geldeöwe 
weber als eine Lehnware, oder ald ein honorarium sponte « 
latum , oder wie dergleichen Geſchenk immer genannt werben m- 
weder durch mich, noch andre gegeben und entrichtet, noch aı 
dergleichen nach erhaltenem Dienft, unter was für einem Prät 
e8 auch fein möchte; zu entrichten verſprochen. Dafern aber at 
dergleichen etwa wider mein Wißen von jemand anders geſcheh 
fein follte, ich folches, jobald es zu meiner Notiz fommen wiı 
dem (Königlichen) Hocfürftlichen Gonfiftorium jofort anzeigen wi 
Ingleichen, daß ic, dieſe Bedienung unter dem Beding eine Weil 
perjon zu ehelichen, Teineswegd erhalten, ſondern Diejelbe oh 
alle verbotne Simonie rechtmäßiger Weife erlangt babe. — © 
wahr mir Gott helfe durch Seinen Sohn Jeſum Ehriftum ı 
jern Herrn. 

Die Hebung des Dorfſchulweſens überhaupt mufte notwen! 


*) In einer Verordnung vom 29. November 1734 heift e8 außerdem: Di 
nah die Erfahrung gelehrt, Daß auch viele von Schulbedienten durdy verbo 
Wege zu ihren Bedingungen fi einzudringen gefucht. 


\ 


— 321 — 


auch zur Beßerung der äußeren oͤkonomiſchen Lage der Schulmeifter 

führen, weshalb denſelben feit dem Anfange des 18. Jahrhunderts 

manderlei Rechte und Emolumente zugewendbet wurden. Schon in 

der Forfts und Holzordnung vom 1. Dezember 1682 waren bie 

Schulmeiſter wie die Pfarrer von der Verpflichtung zur Abgabe 

bon Forftaccidenzien egimirt worden. Im Sahr 1739 wurden die 

Lehrer auch von den Jagbdienften befreit. Doch muften fie von 

ihren etwaigen Gütern einen Mann für fi) in Dienft ftellen. 

Kuh ward den Wittwen der Schullehrer feit 1737 der Bezug 

eines Önabenquartald von dem Dienfteinfommen des verftorbenen 

Chemannes zugefichert. Die Koften für das Weißen der Schulftuben 

wurde 1738 von ben Kirchenkaſten übernommen, Am 16. Octo- 

der 1764 warb die Steuerfreiheit derjenigen Schulgüter, „jo vor 

bin zu feinem Catastro gezogen,” beftätigt. Ein Gonfiftorialaus- 

ſchreiben vom 28. Februar 1766 garantirte ($. 9) das herge 

brachte Dienſteinkommen der Schulmeifter an Mutterficchen, indem 
es verfügte, 

dab „in den Fällen, wo eine Gemeinde einen eignen Schuls 

meifter anzunehmen die Grlaubnis erhält, dem Schul 

meifter an der Mutterfirhe gar nichts entzogen werden 

darf, fondern der neue Schulmeifter mit dem Schulgeld, 

auch wo wirkliche Filialkirdyen vorhanden, mit den Acci⸗ 

denzien und dem ihm etwa neuerlich ausgeworfenen Gehalt 

fi) begnügen, und dagegen Alles, was dem Schulmeifter 

an der Mutterfirche zu verrichten obgelegen, beſonders 

die Begleitung des Pfarrers, an deſſen Statt zu ver 

richten ſchuldig fein fol; als wohin Die in Anno 1701 

ergangene Refolution hierdurch erläutert wird,” 

Aud erließ Das Gonfiftorium in den Jahren 1766 und 1777 

Mehrere Beflimmungen, woburd bie Unterhaltung der Schulbäufer 

ſet tens der Gemeinden geregelt und geſichert ward.) Im 
— — 





*) Im Jahr 1770 wurde eine aus drei Räten beſtehende Commiſſion niedergeſeßt, 

Deide die Meform des Schulmefend im ganzen Lande verſuchen follte Die 

wnmiffion gab daher (4. Dec. 1770) den Eonfiftorien auf: „Zuvörderſt von den 

ulm im Lande einen voliftändigen Etat einzufordern, wie die Schullehrer bei 
21 





— 32 — 


Sabre 1773 wurden die Kaftenmeifter, um das vorhandene Sch 
einfommen möglichft ficher zu ftellen, beauftragt von dem Inven 
der Sculhäufer und den Gompetenzeinfünften der Lehrer genc 
Derzeichniffe anzufertigen. Auch ward durch Eonfiftorialausfchreit 
vom 11. Februar 1777 den Schullehrern wie den Geiftlichen | 
ftattet, wenn es mit Vorteil geſchehn Zönnte, ihre Ländereien 
vererbleihen. Dagegen wurde den Pfarrern und Schulmeiftı 
(14. Februar 1777) unterfagt, ihre Pfründenfreibeit auf ! 
Hute desjenigen Viehed auszudehnen, welches fie auf ihren in I 
Gemeinde gekauften oder gemeierten Aeckern bielten. Auch w 
den Schulmeiftern verboten, von notoriſch armen Schulkinde 
Schulgeld in Anfpruch zu nehmen ober es ſich aus dem Kirche 
Faften auszalen zu laßen. 

Allein troß aller Diefer Anordnungen und troß aller % 
firengungen der Landesbehörden war ed bid zum Ablaufe t 
Jahrhunderts dennoch nicht möglidy, das Volksſchulweſen in Hefic 
Kaſſel auch nur einigermaßen in eine erfreuliche Verfaßung 
bringen, indem dem Aufblühen der Volksſchule von allen Seit 
ber die jchwierigften Hinderniffe entgegenftanden. Dahin gehoͤr 
die Gleichgültigfeit der Gemeinden gegen die von den Schul 
ausgehende Kultur, der Mangel beftimmter Vorfchriften über ı 
thodiſche Einrichtung des Unterricht, die immer noch allzu Eär 
liche Ginnahme der Lehrer und vor Allen der Mangel einer Ve 
bereitungs= und Ausbildungsanftalt derſelben. Den erften Pur 
betreffend, Elagte die Nitterfchaft auf dem Landtage zu Hombe 
i. J. 1744, daß die Ginrihtung von Sommerfchulen faft nirgen 
durchzuſetzen ſei; und i. J. 1756 ſah fich das Gonfiflorium vera 
laft, ald Die Klagen der Ritterfchaft Durch Die fpäteren Kirchen 
fitationg-Relationen der Superintendenten beftätigt wurden, unt 
dem 4. December ein Ausjchreiben zu erlaßen, worin den Schi 
meiſtern die fofortige und ftridtefte Befolgung der Verordnu 


hohen und niederen Echulen in ihren Befoldungen und Emolumentis ftehn, w 
fi für fundationes zum Schulwefen jedes Orts finden, auch ob nicht einy 
Schulen eingehen und andere dadurch verbeßert werden können.” 


— 323 — 


don 1726 zur Pflicht gemacht, und den Pfarrern aufgegeben warb, 

falls die Greben und Gemeindevorfteher hierbei Schwierigkeiten in 
den Weg legen, oder falld fid, die Beamten und adlichen us 
ſtiticrien in Beitreibung des Schulgelded von den Eltern der nicht 
jur Schule kommenden Kinder ſäumig zeigen jollten, ſofort An⸗ 
Zeige zu machen, damit das Bonfiftorium gegen die Betreffenden 
mit den nötigen Strafmitteln vorfchreiten koͤnnte. Indeſſen hatten 
einftweilen dieſe Anordnungen ebenjo wenig Erfolg, als die Be- 
mũhungen der Regierung, eine beßere Lehrmethode in den Schulen 
einzuführen. 

Schon im Jahre 1738 forderte nemlich das Conſiſtorium zu 
Kaſſel den Bibliothekar und Nat Schminke auf, „einen Methodus, 
die Jugend in Schulen zu unterrichten, zu begreifen, und nebft 
einem Catalogo der nützlichſten Schulbücher” zur Nevifion und 
Weiteren Verordnung einzufenden; und als zwei Jahre fpäter der 
Pfarrer Biber zu Obernkirchen dem Kaſſeler Gonfiftorium feine 
Notamina über das Schulwejen zur Prüfung vorlegte, warb 
Schminke unter Zufendung der Biberfchen Anträge nochmals auf- 
Beforbert, fi über die Einrichtung der Schulen in Städten und 
Dörfern gutachtlich zu äußern. — Schminke lieferte jeßt fein Gut⸗ 
Achten mit Beziehung auf Bibers Vorjchläge ein, allein die Ent- 
wicklung der jetzt zum erften Male angeregten Idee des Volksſchul⸗ 
weſens unterblieb, weil die Zeit zur reineren Auffaßung derfelben 
überhaupt noch nicht gekommen war. 

Dies zeigte fid) namentlih, als Die Landesregierung einige 
Jahrzehnte fpäter (1774) nochmals den Verſuch machte, eine ben 
Bedürfniſſen des eigentlichen Volkslebens entſprechende Umgeſtal⸗ 
tung der niederen Schulen vorzunehmen. 

Es wurden damals von den geiſtlichen Inſpectoren Robert 
zu Marburg und Schirmer zu Hersfeld Gutachten eingefordert, 
Welde das Kaffeler Eonfiftorium dem fehr angefehenen Conrector 
Richter zu Kaffel zur Prüfung mitteilte. Aber es ergab jich hier- 
bei, daß man unter einen Volksſchulweſen kaum etwas anderes 
als eine den modernen Bafebowfchen Aufklärungstendenzen ent 
Prechende Verderbung der alten lateiniſchen Schule verſtehen 


konnte. Robert meinte , man möge die erſte Viertelſtunde jedes 
21° 





— 3524 — 


Morgens und jedes Nachmittags mit dem Unterricht in der nati 
lichen Religion, wohin er die Betrachtung Gottes in der Nat 
und die Nachweifung der Exiſtenz und der Eigenſchaften Gott 
vechnete, ausfüllen, weil der „Unterricht der chriftlichen Religi 
gar nicht in die Schulen gehöre." Man habe daher nur diejenig 
Kinder, welche demnähft den Gonfirmandenunterricht beſuch 
würden, in bejonderen Nebenftunden Unterricht in der Bbiblifch 
Geſchichte zu erteilen. Vor Allem möge man die Aufmerkſamk 
(durch den Gebrauh von Zalen und Pappfiguren) und das E 
daͤchtnis der Inzipienten zu jhärfen ſuchen, — und dieſelben zu 
Genuß des lateinischen Sprachunterricht genügend vorbereiten. 

Dem Eonrector Richter gab das Gonfiftortum fogar Die au 
drüdliche Weifung, in feinen Vorſchlaͤgen namentlich die Bebür 
nifje der höheren lateiniſchen Schulen zu berüdfichtigen.. An db 
Verbeßerung der Dorfichulen wurde gar nicht mehr gedacht. Ni 
die Vereinigung der reformirten und Iutherifchen Schulen, weld 
fi) nebeneinander an Einem Orte vorfanden, ward in Grwägu 
gezogen. 

Die ſchlimmſten Schäden, an denen das Volksſchulweſ 
litt, waren indeßen die abjolute Untüchtigfeit der Lehrer und t 
noch immer unzureichende Dotation der Xehrerftellen. Zur Bel 
tigung dieſer Hebelftände war im Laufe Diefer Periode ſchon ma 
ches geſchehen; es waren den Schullehrern mancherlei Vortei 
gewährt worden. Man hatte für Oberheflen eine Zehntpfennig 
oder Iutherifche arme Schuldienerfaffe gegründet, welche aus d 
bi8 zum Jahre 1776 in Marburg beftandenen Kaftenüberichußfa] 
gebildet war, und den zehnten Zeil von jedem bei dem Gon| 
forium eingehenden Kaſtenüberſchuß als Kapitaleinnahme erhie 
Auch Hatte das Konfiftorium zu Kaffel, um die Uebertragung vı 
Lehrerftellen an ganz unfähige Subjecte zu verhindern, Durch Au 
Schreiben vom 10. März 1738 befohlen, daß jeder, der fih u 
eine Rehrerftelle bewerbe, im Leſen, Echreiben und Rechnen orben 
lich geprüft werden follte. Aber eine gründliche Abhülfe konn 
nur durch eine gänzliche Umgeftaltung der Verhältniffe bewir 
werden. Diefe Reform des Schulmefens erfolgte erft in der fo 
genden Periode. Doc begann man nod vor dem Jahre 177 


— 32 — 


Den cinen Punkt, die Ermöglidhung einer genügenden Vorbereitung 
ber zukünftigen Schulmeifter für ihren Beruf in Erwägung 
air ziehen. 

Durch Beichluß vom 3. April 1778 gab nemlich die Landes⸗ 
regierung dem Conſiſtorium zu Kafjel auf, zu berichten: „ob bei 
Ernftiger Beſtellung ber Schulmeifter nicht darauf beſonders Rüd-- 
fücht zu nehmen fei, daß diefelben vor ihrer Beftellung jcharf exa- 
minirt und nicht eher admittirt würden, bi8 man von ihrer Fähig- 
keit, der Jugend Unterricht zu geben, verfichert fei; und ob nicht 
um den Zudrang allzu junger Leute zum Lehramt abzufchneiden, 
gewiße Jahre feftzufegen; Desgleichen, ob Diejenigen, welche Schul- 
mreifter werden wollten, nicht anzuweifen wären, fich in den nädhften 
Städten zu dergleichen Stellen binlänglich zu qualifiziren. 

Die durch den Geheimeratsbeſchluß veranlaften Erwägungen 
des Gonfiftoriumsd und der Superintendenten, welchen derfelbe 
ebenfalls zur gutachtlichen Weußerung mitgeteilt war, führten 
zu der Ueberzeugung, daß durch die vorbandnen Mittel und unter 
ben vorliegenden Verhältniffen unmöglic die Abſicht der Regierung 
erreicht werden koͤnne. Namentlich wies der Superintendent zu 
Allendorf darauf hin, daß der Beſuch der Stabtfchulen in ihrer 
Dermaligen ganz mangelhaften Verfaßung den Fünftigen Lehrern 
unmöglich die erforderliche Vorbereitung für ihr Amt gewähren 
könne. Auch erinnerte der Superintendent, baß bie meiften von 
Denen, welche fich etwa zum Schulmeifteramt beflimmen möchten, 
ſchon darum nichts für ihre Ausbildung thun Fönnten, weil fie zu 
früpe zum Militärdienft gezogen würden. 

Der Krebsichaden des Schulwefend Eonnte nur auf Einem 

ege geheilt werden, den das Gonfiftorium richtig erfannte, ins 
em es dem Geheimerat die beßere Dotirung der LXehrerftellen und 
Die Errichtung eines Schullehrerfeminars empfahl. 


Dritter Abfchnitt von 1779 — 1805. 
Unter ben zallofen Uebelftänden, mit denen das Dorfichuls 
Wegen zu ringen hatte, war wol der gröfte ber, daß es Bis dahin 


— 326 — 


‚ganz dem Zufall überlaßen war, ob ſich zur Befeßung der erK —Ile 
digten Schulmeifterftellen taugliche Leute vorfanden oder nickiint. 
An die Heranbildung von Schullehrern hatte noch Niemand gedac —ht. 

Es war daher für das gefammte Dorfichulwelen ein une er 
meßlicher Gewinn, ald Landgraf Friedrich i. J. 1779, in welchen 
er die alte Iateinifche Schule zu Kaffel zum Lyceum erhoben hat —te, 
verorbnete,. Daß in demjelben acht junge Leute, die fich für d—as 
Amt cined Volfsfchullehrerd vorbereiten wollten, Aufnahme ſind —en 
und „unter der nötigen Aufficht allen für einen Schulmeif er 
nötigen Unterricht, Wohnung mit Holz und Licht und wöchentlL id 
12 ggr. zum nötigen Unterhalt” frei erhalten follten. Zugle- id 
wurde befannt gemacht, daß wenn fich über Diefe Zal hinaus nnd) 
mehrere junge Leute, Die fi zum Schuldienft vorbereiten wollten, 
finden würden, Diefelben wenigftens freien Unterricht und wo may 
lich auch Wohnung im Lyceum erhalten folten. „Bebürftige Jo— 
wol als Andre von der legten Art hätten fi aljo vorerft Aut 
Schriftlich zu melden,” und zwar fo, daß fie „von ber Obrig Seit 
des Orts und ihrem Prediger den Taufichein und Zeugniſſe — on 
ihren Olüddumftänden, Talenten, Aufführung und dem, was ſie 
allenfalls ſchon können und wißen, unter der Adreſſe: „An =" 
bochfürftlihe Directorium des Lycei Fridericiani” einſchickt m". 
Befonters wünſche man, „daß die Vorftellung dur die Hand —er 
jungen Leute felbft geichrieben würde.“ So wurde daß erfte Schul 
lehrerjeminar in Helfen als affiliirte Anftalt des SKafjeler yes? 
begründet. 

Indeſſen ftellte es fich bald heraus, daß das Seminar, we un 
es den Bedürfniffen des Landes einigermaßen entjprechen foll- 1 
notwendig in eine mehr jelbftändige Anftalt umgewandelt werd — 
müße. Landgraf Friedrich ließ daher ein hinter dem Lyceum 
legenes Haus nebft dazu gehörigem Garten für das Lyceum am 
faufen, welches ebenſo wie dieſes von allen bürgerlichen Laft ; 
und Abgaben befreit wurde, und errichtete in Demjelben i. J. ır E* i 
ein neues größeres Seminar für 24 Zöglinge. Zur Hebung 
Anftalt wurde derfelben 2 Jahre fpäter ein Kapital von 1145 Rth _ 
10 Alb. als Ueberſchuß des Kriegsjchuldentilgungsfonde überwiefe 
Zugleich wurde feitend der Landesregierung Alles anfgeboten, vl 


u? 
en 


— 327 — 


dem gefammten Dorfſchulweſen des Landes durch das Seminar 
Mmöglidft bald einen neuen Charakter zu geben. 

Schon im Jahre 1782 war verordnet worden, „daß ein 
Seminarift, welcher feiner Tüchtigkeit halber vom Directorium des 
Lyceums ein testimonium sub sigillo vorzugeigen hat, bei der Praͤ⸗ 
fentation zu einem Gantor- oder Schulmeifterdienft feinem weitern 
Egamen unterworfen fein, auch vor andern jedesmal den Vorzug 
Haben ſolle.“ Da aber viele Pfarrer nichtöbeftoweniger fortfuhren, 
flatt der Seminariften, weldye ſich meldeten, Leute ohne alle Bil- 
Dung und Vorbereitung zu erledigten Lehrerftellen zu präfentiren, 
fo wurde diefe Verordnung zwei Jahre fpäter mit der weiteren Bes 

fimmung erneuert, daß die Pfarrer bei jeder eintretenden Va⸗ 
canz einer Lehrerftelle vor der Präfentation an das Eonfiftorium zu 
Kaſſel berichten und demſelben die Gompetentenlifte einreichen follten. 


Welchen großen Einfluß die jet von jebem neu anzuftellen» 

den Lehrer geforderte ſeminariſtiſche Bildung für das gefammte 
Sſchulweſen und für den Stand der Schulmeifter als ſolchen haben 
muſte, leuchtet ein. Die uranfängliche Vorbereitungsanfalt für 
den Sonfirmandenunterricht wurde jepf erft zur eigentlichen Schule, 
und der Küſter, der nur aushülfsweife den Pfarrer vertrat, war 
iegt eigentlicher Lehrer geworden. Nichtödeftoweniger trat in der 
Armıtlihen Stellung des Schulmeifterd durchaus Feine Veränderung 
ein. Der Schulmeifter zu Friedewald, der ed für gut gefunden 
Batte, dem Pfarrer in allerlei Dingen feine Dienfte zu verfagen, 
Wurde durch Gonfiftorialrefeript vom 30. Juni 1783 befchieden, er 
Babe nad wie vor „ben Prediger bei Verrihtung der b. Taufe 
und des h. Abendmald in deſſen Kirchipiel zu begleiten, und bie 
Nahtmald- und Lie zur Einrichtung der Taufe erforderlichen Geräte, 

ingleihen den Mantel des Predigerd zu tragen, ſodann ſowol 

Jederzeit in der Kirche, als bei den Taufhaudlungen in ben Häus 





— 328 — 


fern den Altar zu deden und das Taufbeden und Taufwaßer auf- 
zutragen, auch ohne Erlaubnis des Prediger fo wenig zu ver⸗ 
reifen, als ohne ſolchen die Haltung der Betflunden und Kin⸗ 
derlehren zu Herfa und Lautenhauſen dem dortigen Schulhalter 
aufzutragen, ſondern felbige vielmehr felbft zu verrichten; weniger 
nicht die vor das Presbyterium geforderten Perfonen felbft zu ci⸗ 
tiren und für die gehörige Gröffnung und Verſchließung der Kirde 
Sorge zu tragen; endlich aud des Unterrichts und der Aufficht 
über die Schulkinder fich bei Vermeidung der Gaffation nicht nux 
angelegen fein zu laßen, fondern auch die Speziftcation der ki 
Schule verfäumten Kinder in Gemäßheit der Ordnung jedesr c 
einzureichen und die bei BVifitation der Schule vom Prediger 
angezeigten Gebrechen ſofort abzuftellen.” — Die Ausübung > - 
jenigen Profeffionen, „deren Betreibung auf den Dörfern nad D d — 
BZunftreglement an und für ſich nicht verboten” war, wurde — 
Schulmeiſtern (1783) ausdrüdlich geftattet. Nur die Winters 
advocatur, der fih die Schulmeifter mit befondrer Vorliee - 
bingaben, wurde benjelben nochmals (1782) unterfagt. Auch 
hielten jetzt diejenigen Schullehrer, welche Feine Handthierung tr — 
ben, ihren Gerichtöftand vor der Regierung. 

In der Nefidenzftadt Kaffel gewann das BVoltsfhulmer e 
in Folge der Errichtung des Seminars aldbald eine ganz ner = 
Bafis, namentlich feit dem Jahre 1791. In diefem Jahre DB 
ſtanden nemlich dafelbft, wie eine dDamald vorgenommene Reviſic⸗ 
des Privatjchulwefens ergab, in Kafjel 32 Privatfchulen, Die tre 
aller jeit geraumer Zeit gegen die Winfelfchulen erlaßnen Verboß “ 
von 882 Kindern beiderlei Geſchlechts Bejucht wurden”), Des 


‘ 


*) Unter den damaligen Privatlehrem zu Kaffel befand fi) auch der Iuthen « 
riſche Kantor Schwarz, der ſchon vor mehr ald 40 Jahren durch wiederholte Be⸗ 
fehle des Konfiftoriums angemwiefen war, feine Iutherifhe Schule zu jchließen, abe 
diefelbe dennoch fortgeführt hatte, und fi jeht mit der Erklärung rechtfertigte, e⸗ 
müße die Kinder informiren, um fie zum Chorfingen gebrauchen zu können. WoltF 
er fie num bloß im Gingen unterrichten, fo werde. ihm Niemand fommen. € 
müße deshalb and im Lefen, Rechnen und Schreiben Unterricht erteilen. — Erf 
im folgenden Iahre 1792 unterließ es die Regierung, die Schließung der ut 
rifhen Schule zu verlangen. | 


— 329 — 


Zuftand dieſer Anftalten konnte nur ein fehr mangelhafter fein, 
namentlich der der zalreichen franzöflfchen Schulen, welche, wie 
ſich [hen damals ergab, auf die religiäfe Entwidlung der Kinder 
überaus nachteilig einwirkten. Bugleich ergab ſich aber auch, daß 
top der vielen Privatfchulen ein großer Teil der Kinder Aärmerer 
Eltern dennoch ohne allen Schulunterricht war. 
Durch Iandeöherrliche Verordnung vom 24. Mai 1791 wurbe 
daher die Gründung von ſechs Freifchulen mit ſechs Lehrern 
' du Kaffel angeordnet. Vier Schulftuben, in denen vier Lehrer 
Unterricht erteilen follten, wurden für die Oberneuftadt, Freiheit 
und Altftadbt in dem Hallengebäude am Koͤnigsplatz, und zwei 
andre Schulftuben für die Unterneuftabt wurden in dem ehemali- 
gen Findelhaufe eingerichtet. Jedem der ſechs Lehrer wurde eine 
Jährliche Beſoldung von 100 Thlr. zugefihert, welche zur Hälfte 
aus der Kriegd-, zur Hälfte aus der fürftlichen Kammerkaſſe gezalt 
werden follten. | 

Die Direction diefer Freifchulen wurde einer Schulcom⸗ 
miffion übertragen, die aus dem Polizeidirector, dem Superin- 
teudenten, fowie dem Gonful und Gommifjarius der Oberneuftabt 
Beftand. Den Lehrern wurde aufgegeben, genaue Abfentenliften zu 
führen, und die in ben Schuiftunden fehlenden Kinder am Ende 
jeber Woche der Schulcommiſſion anzuzeigen, damit diefe fofort 
Begen die Eltern der Abfenten einfchreiten könne. 

Damit aber auch die Kinder vermögender Eltern zum regel- 
mäßigen Schulbefuch angehalten würden, wurde den Duartiercom: 
mifferien die Weifung erteilt, quartaliter von allen Lehrern Zeug⸗ 
nifſe über den Schulbeſuch ihrer Schüler und Echälerinnen einzu 
techn, und diefe der Gommiffion vorzulegen. Diejenigen Eltern, 
Deren Kinder fih dann im Schulbeſuch ſaͤumig zeigen würben, ſoll⸗ 
ten das erſte Mal in 1 Gfl., das andre Mal in 2 Gfl. Gelb-, 
Oder in eine entjprechende Gefängnisftrafe genommen werden. Zus 
Sleich wurde beftimmt, daß die eingehenden Strafgelder zur Ans 
Ichaffung der nötigen Schulbücher für die aͤrmſten Kinder verwen⸗ 
Det werben follten. 

Noch ernftliher aber als bisher nahm die Landesregierung 
ſeit dem Jahre 1794 die Reform des Schulwefens in die Hand. 


! 


— 330 — 


In dieſem Sabre erhielt nemlich das Konfiftortum zu Kaffel de 
Auftrag, über den damaligen AZuftand der Schulen, fo wie üb 
die Mittel zur beieren Einrichtung derfelben und zur Beßerun 
der Lehrergehalte ausführlich zu berichten. Das Konfiftorium foi 
derte die beiden Superintententen von Niederheflen zur gutacht 
lichen Yeußerung auf und erfuchte außerdem dad Konfiftorium z 
Marburg ihm feine Anfichten über die Mittel zur gründlichen Re 
form des Schulwefend mitzuteilen. 

Ale Behörden, denen die Frage der Landesregierung vor 
gelegt war, die Superintendenten wie die Konliftorien von Nieder 
und von Oberhefien waren in ber Ueberzeugung einig, Daß vet 
Allem eine reichliche Aufbeßerung der Lehrergehalte, Vermehrung 
der Lehrerfräfte, die Einführung einer beßeren Lehrmethode und 
beßerer Schulbücher, eine beftimmte Klafjeneinteilung und ftrenge 
Beauffichtigung der Schulen feitend der Geiftlichen Not thue. 
Leider war aber die Grundanſchauung, von welcher die Behörden 
in der Beurteilung des Schulweſens ausgingen, Die des damaligen 
Schalen Rationalismus. In einem Gutachten wurden die beiden 
Landesfatechismen, der Heidelberger und der Darmftäbter (fog. 
Lutherifche) Katechismus ganz entjchieden darım desavouirt, wei 
diejelben den Kindern unrichtige Begriffe über das Weſen und 
den Willen Gottes und über die Beftimmung des Menfchen kei 
brachten ! 

Das Marburger Sonfiftorium, welches ſchon i. J. 1782 bie 
Gründung eines oberheffiihen Schullchrerfeminare zu Wetter ers 
wogen batte, wies namentlid, Darauf bin, daß die Befchaffung 
tüdytiger Lehrer für die oberheſſiſchen Echulen nicht möglich fein 
werde, fo lange man nidht in Marburg ein Iutherifches Seminar 
errichte. 

Die Beratungen der Behörden über die Ausführung der 
Reform des Schulweſens jegten fi durch die folgenden Jahre, 
— in denen der eifrige VBeförderer des Volksſchulweſens Profeſſor 
Dr. Münſcher zu Marburg, um bemfelben in den zufünftiger 
Dienern der Kirche Hülfe zu Schaffen (feit 1799) feine Vorlefunger 
über Pädagogik begann, und (feit 1802) fein „Magazin für tat 


— 331 — 


Kirchen: und Schulmefen“ *) erjcheinen ließ, — fort, bis endlich im 
Jahre 1803 die NRefultate derfelben publigirt wurben. 
Zunächſt wurden neue Beftimmungen über Die Zeitdauer der 
Säulpflichtigkeit der Kinder getroffen. Dur Verorinung vom 
6 April 1772 war nemlich geftattet worden, Diejenigen Kinder, 
wvelche die nötigen Religio nskenntniſſe erlangt hätten, ſchon „nad 
\  ‚müdgelegtem 13. Jahre und einigen Monaten zur Gonfirmation 
zuzulaßen. Da nun hierdurch der Schulbefud, beeinträchtigt wurde, 
ſo hatte das Kaſſler Conſiſtorium mit landesherrlicher Zuftimmung 
ch duch Beſchluß vom 20. Sanuar 1795 feftgefegt, daß jedes Kind 
x4 dom fechften Lebensjahre an zum Schulbefuch verpflichtet fein 
jolte. Indeſſen wurden fpäterhin die früheren Bellimmungen 
über die Zulaßung zur Gonfirmation erneuert, weshalb fi das 
Conſiſtorium veranlaft fah, durch Ausfchreiben vom 14. Februar 
1803 zu verordnen, daß die ältere Verordnung, wonad) die Kin- 
der vom 7. bis zum 14. Lebensjahre zum regelmäßigen Schulbes 
lud anzubalten wären, wieber in Kraft treten follte. 
Für die Kinder der Soldaten wurde damald (1803) eine 
erweiterte Garniſonsſchule gegründet, und zu biefem 
Zwecke das hinter dem Marftalle gelegene geräumige v. Mopijche 
Haus angefauft, in welchem auch der Garnifonsprediger feine 
Wohnung erhielt. 

Sodann wurde den Pfarrern durch Eonfiftorialausfchreiben 
vom 23. Dezbr. 1803 mit Hinweifung auf die einfchlägigen aͤlte⸗ 
ten Verordnungen eingefchärft, zur Aufbeßerung des Volksſchul⸗ 
weſens „jelbft Hand an's Werk zu legen, die Methode der Schul- 
lehrer zu Teiten und zu bilden, die bemerften Fehler zu verbeßern, 
beſonders aber (bei den Pifitationen) jedesmal mit ber oberen 
Klafie eine Katechifation über die Neligionswahrheiten zu balten. 
Ueber dies Alles und wie fie die Schulen gefunden hätten, was 
bei den Echulbejuchen gefcheben fei, und was zur Abftellung der 
Angetroffenen Mängel gethan worden, follten fie ein bejonderes 
Schulprotocoll führen, weldyes jedesmal mit den übrigen Firchlichen 
— — — 

*) Indeſſen erſchienen von demſelben wegen Mangel an Abſaßg nur vier Hefte, 
don denen drei dem Schulweſen gewidmet waren. 





— 332 — 


Protocollen dem Superintendenten oder Inſpector bei der Kirchen: 
vifitation vorgelegt werben ſollte“. Insbeſondere follten aber die 
Glafjenconvente der Geiftlihen ein Mittel zur Körberung bes 
Schulwefend abgeben. In dem Regulativ, welches über die Ein 
richtung der Gonvente unter dem 16. Auguft 1805 erſchien, wurbe 
Daher verordnet: „Es fol zuerft die Unterfuhung der Schule 
mittelft Prüfung der Kenntniffe der Schulfinder fowol als der 
Fähigkeit des Schullehrerd und Erforſchung der Amtsführung und 
des fittliden Verhaltens defjelben geſchehen. Diefe BVifitation ſoll 
jedoch nicht nad) einer herkömmlichen Reihenfolge unter fämmts F 
lichen Predigern der Klaffe abmwechfeln, jondern jedesmal vom No |}. 
tropolitan denjenigen unter ihnen, weldhe des Schulwefend am | 
Fundigften find, aufgetragen werden. Um einer Täufchung vorzw 
beugen und zu verhindern, daß die Echuljugend nicht über folde : 
Materien gefragt werde, worauf fie vorbereitet worden, haben jene 
Prediger dem Lehrer gewiße Gegenftände der Religion und Moral 
aufzugeben, um darüber in ihrer Gegenwart zu Tatechifiren, we | 
durch fie zugleich in den Stand gejeßt werden, dad Talent und 
die Methode des Lehrers zu bemerfen. Es dürfen jebod bie 
Prediger Hierbei nicht ftehn bleiben, fondern es ift ihre Pflicht, 
auch felbft zu prüfen und nachzufragen. Die etwa nötigen Zu 
rechtweifungen fo wie das etwa zu erteilende Lob follen auf bie 
von den PVifitatoren über den Befund der Schule genau und ge 
wißenhaft dem Gonvente abzuftattende Relation von der ganzen 
Berfammlung durch den Präfes erfolgen.” 
Mit diefen Anordnungen der Regierung, welche Die Hebung 
der Schulen felbft zum Zwecke hatten, erfolgten auch zaltiht 4 
neue Verordnungen, durch welche bie Landesherrſchaft Die aͤufere 
Lage der Schulmeifter zu erleichtern fuchtee Schon i. 3. 118 R; 
war den Schulmeiftern durch ein Gonftftorialrefeript vom 15. Zeit. 
geftattet worden, ſich „bie Bezalung des Schulgeldes für arm ML, 
Kinder aus den Legatis für Arme (nicht aber aus den Hospital® J. 
oder Sonderfiechenhausreventien)” audzalen zu laßen. “Die wid 
tigfte desfalfige Beftimmung war das Iandesherrliche Reſcript po" 
13. Zuli 1803, woburd die Errichtung einer Kaffe zur Aufbe vᷣ 
rung ber Lehrerſtellen bewirkt werben ſollte. In dieſe Kaſſe je 


— 333 — 


en folgende Gelber fließen: 1) der Ueberſchuß ber ſog. Dispens 
ſations- und Zehnten⸗-Pfennigskaſſe; 2) der Ueberfhuß der Roten- 
burger Stiftscanonicate; 3) die Hälfte der Dispenfationsgelder 
bei Geſuchen um Befreiung von SHeirat$proclamationen; 4) die 
Hälfte von allen Juden Dispenfationsgeldern; 5) ein Impoſt von 
4 Thr. von jeder Ohm Wein; 6) ein Viertel der Sabbaths⸗ 
bußen; 7) die Strafen, welche wegen Vergehung gegen die Garn⸗ 
und Linnenordnung erfaunt werden. Aus Diefer Kaffe follten alle 
tier Zulage würdigen und bebürftigen Lehrer mit Ausnahme derer 
in den Grafſchaften Hanau und Schaumburg Bulagen erhalten, 
m welhem Ende die geiftlichen Spnfpectoren und Metropolitane im 
September jedes Jahres von den Beamten genaue Verzeichniſſe 
md Angaben über die mit den einzelnen Xehrerftellen verbundnen 
Einfünfte an das Konfiftorium einfenden follten. Außerdem follte 
don jeßt an jedem Lehrer, nur Die in der Rotenburger Quart und 
in den adlichen Dörfern wohnenden ausgenommen, ein Stüd 
Rottland und jährlich eine Klafter Waldholz zugewiefen werben. 
Zu Bunften der Schulmeifter im Fürftentum Fritzlar ward durch 
Geheimeratsbeſchluß vom 1. Mai 1804 angeordnet, daß die von 
den Wirthen für das Mufithalten an Sonn» und Fefttagen zu 
etlegenden Dispenfationsgebüren zur Hälfte zur Werbeßerung ber 
&chrergehalte verwendet werben follten. Auch wurden nad) Ges 
heimeratsbeſchluß vom 3. Juni 1802 die aus GCollateralerbfchaften 
iingehenden Abzugsgelder zur Verbeßerung der Schullehrergehalte 
befimmt. Andere Verordnungen, welche in den nädhftfolgenden 
Jahren erfchienen, verorbneten,, daß auch von Brantwein, Arrac, 
um-und Gongac zu Bunften der Schullehrerfaffe Impoſt erhoben 
werden Sollte. Nur der Befoldungswein und der ins Ausland gehende 
Bein follte impoftfrei fein. Auch wurden die Weinbauern und 
Beinhändler , nicht aber die Weinwirthe der Niedergrafichaft 
Rapenelnbogen von der Impoſtpflichtigkeit befreit. 

Die fo beichaffte Kaffe war endlich im jahre 1805 jo weit 
Indirt, daß vom Sommer diefes Jahres an zwei Drittel ber 
iingelaufenen Gelder zur Unterftügung der dürftigften Lehrer ver- 
wendet werben konnten. Das übrige Drittel wurde ald Kapital 
angelegt. Zugleich wurbe aber jeßt durch landesherrlichen Befehl 





— 354 — 


vom 27. Juni 1805 ein befonderer Schulrat ernannt, der aus einer 
weltlichen Director, aus zwei (jpäterhin drei) geiftlicyen und zwe 
weltlichen Räten beftehend und dem Landesherrn unmittelbar unterge 
ordnet, für angemeßene Verwendung des Fonds und für möglichft 
Verbeßerung des Unterrichtd in den Stadt- und Landſchulen Sorg 
tragen follte*). Die Mitglieder diefer Behörde, welche in jeden 
Monate wentgftend zu Giner Sitzung zufammentreten follten, er: 
bielten als folche Feine Bejoldung ; nur der Rechnungsführer, ber 
zugleid; die Secretariats-, Repofitur- und Expeditionsgefchäfte zu 
beforgen hatte, erhielt von allen Einfünften der Kaffe fünf Prozente. 

Der Oberfchulrat verfammelte ſich zum erften Male am 
3. Juli 1805 im Directorialzgimmer des Lyceums zu Kaffel, wer 
derfelbe von da an feine orbdentlihen Sigungen am erften Mitte 
woc jedes Monats bielt. 

Zugleich erfolgte in demfelben fahre auch die Begrünbun < 
eines Schullehrerfeminard zu Marburg. 

Im Jahre 1801 hatten vier lutheriſche Geiftliche aus Ober: 
befien dem Marburger Conſiſtorium eine Eingabe überreicht, worin 
fie mit Hinweifung auf den troftlofen Zuſtand des Volksſchulwe⸗ 
ſens die Einrichtung eines Schullehrerfeminard für das Oberfür⸗ 
ftentum beantragten. Der Antrag fand zwar bei dem damaligen 
lutheriſchen Superintendenten zu Marburg (Hermann Ruppers⸗ 
berg) Widerfpruch, wurde jedoch von dem daſigen Konfiftorium 
approbirt, und mit geeigneten Vorfchlägen Über eine angemeßnt 
Einrihtung und Dotirung eines Seminard dem Landesherrn vor 
gelegt. Indeſſen war der Bericht, welden die Staatsregierung 
ber den Antrag ded Marburger Konfiftoriums von der Direct! 
des Kaſſeler Seminars einzog, bdemfelben nicht günftig, und ! 
bedurfte daher noch einer ganz neuen, die Ausführung des J2" 
jected erleichternden Anregung, ebe Die Staatöregierung an 
Begründung eines Seminars ernftlich denken Fonnte. Diefe F 
tegung erfolgte, als der penfionirte Oberft v. Schuyler i. J. 1 
mit Hinterlaßung einer leßtwilligen Anordnung farb, durch we — 


*) Nur diejenigen Echulen waren ausgenommen, für welde eine Spezi — 
rection beftand. 


— 335 — 


er für den Fall, daß innerhalb der drei erften Jahre nach feinem 
ode ein Seminar zu Marburg errichtet werben follte, zum Beften 
defielben Die Summe von 2000 fl. vermadt hatte. Das Konfifto- 
rum zu Marburg wiederholte deshalb jept feinen früher geftellten 
Antrag, und wies zugleich darauf hin, daß man in dem zu errich- 
tenten Seminar nicht bloß lutherifche und reformirte, fondern aud) 
(für die in Den legten Jahren nit Kurheſſen vereinigten Tatholi- 
ſchen Landesteile) katholiſche Volksſchullehrer heranbilden koönne. 
Jeßt eudlich erflärte ſich die Staatsregierung bereit, auf den An⸗ 
trag des Konſiſtoriums einzugehn, indem fie i. J. 1805 die Stif— 
tungsurkunde zur Errichtung der neuen Anſtalt ausfertigte. So 
trat denn dieſelbe am 1. Mai 1806 mit 19 Zöglingen in einem 
Dietdlocale zu Marburg ins Leben. 


Zuland des heſſiſchen Volksſchulweſens uns Bahr 1805, namentlich in Oberheſſen. 


Man unterſchied eigentliche Schulmeiſter, die auf Em⸗ 
pfehlung des Pfarrers und der Gemeinde von dem Superinten⸗ 
denten präfentirt und von dem Regierungsconfiftorium ober einem 
Vatrone beftätigt waren, und Schulhalter, melde von den 
| Gemeinden — gewöhnlich von Michaelis bis Pfingften — ac- 
Cordirt und von dem Superintendenten bewilligt wurden. 
Leßtere hatten gewoͤhnlich nur waͤhrend des Winters Schule zu 
halten. Die Gemeinde Wehrshauſen in Oberheſſen z. B. pflegte 
ihte Kinder zur Sommerszeit nach Ellenhauſen in die Pfarrſchule 
zu ſchicken, und nur für den Winter einen eignen Schulhalter zu 
ingen. 

Ein Leſe- und Fortbildungdverein oberheffifcher Schullehrer 
War durdy zwei Pfarrer zu Rauiſchholzhauſen und Caldern geftiftet 
und mit Genehmigung des Konfiftoriums zu Marburg am 27. Dez. 
1797 zu Caldern eröffnet worden. Es wurden Aufjäße, Fatechetifche 
Verſuche u. dgl. vorgeleſen und recenſirt, auch wurden paͤdagogiſche 





— 336 — 


Schriften in Umlauf gefegt und gelefen *), Aber im Allgen 
war von wißenjchaftlicher Vorbereitung ber Lehrer auch jeßt 
faft nirgends die Rebe. Hin und wieder hatte allerdingı 
Schulmeifter einige Jahre bindurh ein Gymnaſium oder fonfi 
lateinifche Schule beſucht. Aber Die meiften waren, indem f 
Schulmeifterei als väterliche8 Erbe antraten, nur von ihren 7 
notbürftig präparirt. Einzelne hatten auf befonderen Wegen ı 
Fertigkeit im Lefen, Schreiben, Rechnen und andern Dinge 
langt; fo wird z. B. von dem Schulmeifter zu Geißma: 
Franfenberg i. J. 1805 berichtet, daß er feine Erubition al£ 
dienter des Profeſſors Wittenbad) zu Marburg erlangt habe. U 
hatten ſich als LUnteroffiziere einige Bildung angeeignet und ı 
jo ins Lehramt gekommen. Wander Schulmeifter war ſche 
15. oder 16. Lebensjahre zu einer Stelle gelangt. Das SKircher 
ment mufte e8 daher den Pfarrern überlaßen, fi der Schuln 
anzunehmen und ihre Fortbildung in geeigneter Weile zu I 

In der Niedergrafihaft KRapenellenbogen ware 
Kirchſpielsſchulen im Ganzen gut dotirt; Dagegen war 
Dinglebrern, welde fi die Filialdörfer wegen der n 
Entfernungen von dem WMutterort halten muften, ein jpär 
Brot zugefchnitten. Die Väter bildeten ihre Söhne zu ihren ! 


*) Ueber den Zweck der hier begründeten Schullehrerconferenzen heiſt 
den Geſeßen, welde der Berein aufftellte: „Die Abfiht der Conferenzen 
meinfhaftlihe Belehrung über das, was die Mitglieder gelefen, bemerft, ı 
ihren Schulen ſchon mit Nußen angewandt haben, indem fie fi in fdril 
Auffügen oder mündlichen Bemerkungen daffelbe einander mitteilen und fic 
über unterreden, um fo zur Prüfung und zum Nachdenken erwedt zu u 
denn das ift der Weg, auf welchem man der Wahrheit immer näher 1 
Daraus ergibt fi, daß Alles, was auf Schule und Erziehungsweien Bezu 
zu den Conferenzen gehörige Begenftände find. So nötig es ift ſich über das 
die Materie des Unterrichts betrifft, bei unfern Bufammentünften zu befpredi 
fol doch auch die Form des Unterrichts und Kehrmethode der Gegenftand u 
gemeinf&aftlihen Forſchung fein. Da mol oft die Beit nicht hinreicht, alle, 
ferten Wuffäge in der Conferenz zu beurteilen, fo follen diejenigen, bei meldt 
nicht geſchehen Tann, in der Geſellſchaft umlaufen ; die Mitglieder fchreiben ihr 
merkungen darüber nieder, und leſen fie in der folgenden Conferenz vor“. 


— 537° — 


folgern und man fand nicht felten Die dritte Generation auf der⸗ 
jelben Schulftelle. Doc hatten einige Lehrer das Seminar zu 
Idſtein beſucht. Auch verdient rühmlichft erwähnt zu werben, 
da fi) bereit3 im Dftober 1768 fämmtliche Schullehrer der Nie- 
dergrafichaft zur Stiftung einer Wittwen- und Waiſenkaſſe verei- 
aigten, deren Statuten von dem stonfiftorium zu Kaffel beftätigt 
waren. Unter einer guten Verwaltung wuchs der Kapitalfonds 
ſo an, daß im Jahre 1816 eine Wittwe 14 Mainzer Malter Korn 
und 15 fl. baar erhielt. Der jährliche Beitrag eines Mitglieds 
Betrug 4 Malter Korn und 45 Er. 

Das wejentlichfte Hindernis, welches alle geiftigen Beftre- 
Beangen der Schulmeifter niederhalten mufte, war die unerträgliche 
Axmut derjelben, die ihnen vor Allem die Anfchaffung von Büchern 
fa ſt ganz unmöglih machte. Mancher Schulmeifter hatte nicht ein 
einniged Buch in feinem Beſitze. Rieſen's Anweifung für Schul- 
Le hHrer, Seiler’3 Leſebuch und deſſen Leben Jeſu, Rochow's Stinder- 
Fremd, Fauſt's Geſundheitskatechismus, Fedderſen's Leben Jeſu, 
Becer's Not- und Hülfsbüͤchlein, Bergen's Religionsunterricht, 
Scherer's Religionsgeſchichte, Beutler's Sittenlehre und Klugheits— 
Tegeln in Verſen, Zerrenner's Schulfreund, Roſenmüller's bibliſche 
Diſtorien, das alte Marburger und das neue Kaſſeler ABCbuch, 
Der Berliner Brieffteller u. dgl. 

Die Hauptbeichäftigung Der Schulmeifter war und blieb die 
Ausübung ihres Handwerks, das Häufig auch in der Schulftube 
während des Unterrichts getrieben ward. Am meiften Neigung 
Bezeugten die Schulmeifter zum Schneiderhandwerf. Außerdem 

beidäftigten fi) dieſelben am liebften mit Leinweberei, oder mit 
der Buchbinder⸗, der Schuhflider- und Sädlerprofeffion, oder aud) 
mit der Thierarzneikunde. | 

Die Schulhäufer waren meiftens im elendeften Zuftand, und 
die Schulftuben, die nicht felten zugleih ald Wohn: und Schlaf: 
Ruben für die Familie des SchulmeifterS gebraucht wurden, waren 
Benähnlich fo eng, Daß die Pfarrer in ihren Berichten nicht felten 
ben unerträglichen Dunft in dem Schulzimmer ald Grund angas 
ben, weshalb jie die Schule unmöglich mit der nötigen Sorgfalt 
Difitiren koönnten. An denjenigen Orten, wo die Gemeinde nur 

22 


— 335 — 


aceordirte Schulhalter hatte, war ein Schulhaus gewöhnlid ge— 
nicht vorhanden, und die Schule wanderte Dann mit den Schu 
meifter von Haus zu Haus. Zu MWehrshaufen z. B. war DyF 
Schule „tour & tour in dem Haufe jedes Kindes je zwei Tage“ 

in den meiften Schulen, aber nicht in allen, faßen Knaben 
und Mädchen getrennt. Die Klaffenabteilung war gegen den Wi. 
derjpruch der meiften Gemeinden, welcye die Neuerung mi Mip 
trauen anjehn, durchgeſetzt. Faſt durchweg waren die Schulen in 
drei Klaffen geteilt, in weldyer die im Leſen geübteren Schüler 
die dritte und die gänzlich ungeübten die erite Klaſſe bildeten. Yu 
Sranfenau hatte man flatt der Klafjen= die früher in den Stadt: 
ſchulen übliche Nottenabteilung eingeführt, indem man ABG-, 
Katechismus, Palmen: und Bibel- oder Teftamentsrotten unter: 
ſchied. Während des Winters, d. h. von Michaelis bis Pfingſten, 
ward der Ordnung nad täglich von 8-11 und von 12—3 Ubr, 
im Sommer Dagegen wöchentlih nur an Drei Tagen oder aud 
aar nicht Schule gehalten. 

Zur Veranſchaulichung der in den Schulen üblichen Lections— 
ordnung möge folgender „Lehr: und Lectiongplan der Schule zu 
Kaldern” vom Jahr 1805 dienen: 

„Montag. Pornittags: Gefang, Morgengebet, und Ab- 
fragung des jedesmal Tags vorher aufgegebenen Liedes, das zu 
gleich Fatechetifch durchgefragt wird. Gleich darauf werden bie 
Schreibebücher vorgezeigt (ob jolche alle da find), in welchen dann 
na Endigung der Schule abwechjelnd heute den Knaben und 
morgen den Mädchen vorgefchrieben wird. An den Zwiſchentagen 
Ichreiben jolhe aus dem Kopfe Briefe, Duittungen u. Del. — 
Bon 8—9 Uhr ift in der 2. Klaffe Lefen in Hübner's Hiftorien 
oder den Pjalmen, und wird zugleich über das Gelefene gefragt. 
Mährend dieſer Uebung jchreibt und rechnet die 3. Klaſſe. — 
Bon 9— 10 Uhr ift in der dritten Klaſſe Leſen, abwechſelnd im 
A. oder im N. Teftament, auch wird zugleich über das Gelefene 
gefragt.” Hierauf wird aus Luthers kleinem Katechismus ein 
Hauptftüd abgefragt. — Beſchluß: Gefang und Gebet. 

Montag. Nachmittags: Gefang und Gebet. 1. Klafe: 
Buchſtabenkenntnis, Buchftabir- und Leſeübung; 2. und 3, Klaſſe: 





— 339 — 


beſen gefchriebener Aufjäge und Briefe, wobei zugleich in ber 

1. Kaffe die, welche noch feine Schreibebücher haben, in gefchrie= 

benen Buchftaben Unterricht erhalten. Die 2. und 3. Klaſſe lieſt 
wieder im Geſangbuch. Nachher werden etliche Palmen gebetet. 

Schluß: Abentgebet, Gefang. 

Dienstag. Vormittags: 1. Stunde: Gefang und Gebet 
Dei Tags vorher aufgegebenen Liedes, das zugleich abgefragt wird. 
Die Mädchen zeigen ihre Schreibebücher vor. Die 1. Klaſſe: 
Buhftabirkenntnis, Buchſtabir- und Leſeübung. Won 8— 9 Uhr 
Lieft die 2. Klaffe in Rochow's SKinderfreund, und wird ihnen das 
Seleſene verftändlich gemacht. Die Kl. IIL Tieft im Not- und 
Hülfsbuch und wird darüber gefragt. Von 9 — 10 Uhr Reli 
gionsunterricht. 

Nachmittags: Gebet. Kl. I Buchftabir- und Leſeübung. 
Full. und II. lieft in Hübners Hiftorien, und wird zugleich über 
Dad Gelefene gefragt. Die am Ende ftehenden gottfeligen Ge- 
Danfen müßen auswendig gelernt werden. Nun wird KL. IIL noch 
im Brieflejen vorgenommen. Zum Schluß werden etliche Pjalmen 
gebetet; dann Gefang und Abendgebet. 

Mittwoch. Vormittags: Gefang und Gebet. In Kl. J. 
Buchftabiren. In der 2. Stunde Kl. II. und IIL werben auß- 
wendig Buchftabirt erſt vorgefagte Worte, hernach Zeilen und kurze 
Säge. Uebung im Auffchlagen der Sprüche. An der dritten Klaſſe 
wird das am Dinftag gehabte Religionsftüd nochmals durchkate⸗ 
chiſirt und nebft den dazu gehabten Sprüchen und Liederverſen 
Tepetirt. Beichluß: Geſang und Gebet. 

Nachmittags: Gebet. In der erften Stunde werden in Ki.L 
Die Ziffern verftändlich gemacht; Kl. IL. wird in Zahlen und Auf: 
ſchlagung der Lieder geübt. Kl. III. wird in Ausſprechung größe- 
Fer Balenreihen unterrichtet. Es wird fomol mit der Feder als 
Mit der Kreide gerechnet; außerdem Kopfrechnen. Sn Kt. IIL Ue- 
Bung des fleinen und großen Einmaleind. Schluß: Gejang. 

Donnerstag wie am Montag; Freitag wie am Din 
ſtag; Sonnabend wie am Mittwoch, außer daß Nachmittags, 
wann Al. L und I. entlaßen find, den Knaben zum Schreiben 

Tiefe, Ouittungen, Schuld» und Handelsfcheine bictirt werben”, 


— 340 — 


Für die Schulen zu Schiffelbach und Langendorf legte der — 
Pfarrer zu Gemünden i. 9. 1805 folgende Regeln vor: 

„1) Jede Morgenichule fängt mit Gefang und Gebet an, = 
und endigt damit. Die Nachmittags > Lehrftunden fangen mit Ge⸗— 
bet an, und endigen mit Gebet und Gejang. 

2) Da e8 einige Schullehrer mit dem Singen übertreiben 
und mandymal beim Anfang einer Schule ein Lieb von 8— I _ 
Verfen fingen und dabei noch ein Snftrument fpielen, fo folle — 
vor den Lehrfiunden nicht mehr ald 2—3 Verſe gejungen werde m 
-und zum Beſchluß 1—2 Berfe. 

3) Montags wird gefragt, was die Kinder aud der Previgge- 
behalten haben. 

4) Ohne Vorwißen des Predigers ſetzt Fein Schullehrer eim : 
Kind in eine andre Klaſſe. 

5) Während die oberften Klaffen anfagen, leſen die Kleinen — 
Buchſtaben und Zalen an der Tafel, wobei jedesmal einer de — 
geübteften Schüler geftellt wird. Wenn die Kleinen anfagen, fe % 
rechnen und jchreiben die Größeren, 'oder lernen einige Sprüde 
aus der Bibel ausmendig. 

6) Bei jeder Gelegenheit müßen den Kindern gute Sitter— 
beigebracht werden. Ungefämmt und ungemwafchen darf fein Kin 
in die Schule kommen. 

7) So lange die Sommerfchulen dauern, werden die Kinder” 
nur im Leſen und Buchftabiren und in der Religion geübt”. — 

Die Methode des Schulunterrichtd war natürlich fo geiftlos S 
ald möglich. Unter hundert Lehrern ftrebte faum Einer etwas S 
mehr als gebanfenlofe Volpfropfung des Gedächtniſſes der Schi. = 
ler an. Da ſich der Lehrer mit dem einzelnen Kind immer nur 7 
wenige Minuten befchäftigte, jo trieben fich die Kinder faſt for- ° 
während unbefchäftigt in der Schulftube umher. Schulbücher was 
ren felten in den Händen der finder. Nur fehr wenige brachten 
den Heidelberger Katechismus, oder Die Latechismen von Herder, 
Breidenbach oder Pfeifer mit zur Schule. 

Von den Büchern der H. Schrift pflegte man in manchen 
Schulen ſonderbarer Weiſe Jahr aus Jahr ein immer ein und 


— 341 — 


daſſelbe zu Iefen, natürlich fo gedankenlos als möglih. So las 
man ;z. DB. zu Niederasphe nur die fünf Bücher Mofe. 

ABEhbücher kamen erft ganz am Ende diefer Periode in 
Sebrauch. Man bucftabirte in der Bibel und im Katechismus, 
rad oft wurde das Kind jahrelang damit geplagt, die Buchſta⸗ 
Ben zu Silben und Worten zuſammenöetzen zu lernen. Erſt i. J. 
2785 wurde dem Schulmeifter Hartmann zu Malsfeld auf fein 
De stollfiged Nachjuchen feitens des Konfiftoriums zu Kaflel geftattet 
Fürr die Lefeübungen in feiner Schule Rochows Kinberfreund ein- 
Zarführen. 

Der Rehnenunterricht befchränkte fi) häufig nur auf 
Wlebungen im Zalenfchreiben. Doch wurden in vielen Schulen bie 
og. fünf Spezies eingeübt. inzelne Lehrer fuchten fogar weiter 
Zur geben. — Uebungen im SKopfrechnen wurden nur von ganz 
u enigen Lehrern auf Geheiß ihrer Pfarrer angeftellt. 

Große Schwierigkeit hatte noch immer in vielen Dörfern die 
ESinführung de8 Schreibunterridhts bei den Mädchen, indem 
Das Volk hierin wie in der Einführung von Shulbüdern 
gradezu eine Verführung der Kinder fah. — Zu Geismar in 

Dierheffen war es i. 3. 1805 troß aller angewandten Zwangs⸗ 
mrittel noch nicht durchgefeßt, daß fich Die Mädchen zum Schreiben- 
Lern bequemten. Geſtochene Vorfchriften waren in Oberhefien 
ar zu Amödnau, Beidmar, Rengeröhaufen und Raufchenberg üblich. 
In allen übrigen oberheffifchen Schulen ſchrieb ober malte ber 
Schulmeiſter den Kindern die Vorfchrift felbft vor. 
ODeffentliche Schulprüfungen waren in Oberheffen nur in 
einem einzigen Dorfe, nemlich zu Josbach eingeführt. 

In einigen Schulen pflegte der Schulmeifter die Kinder mit 
der Geſindeordnung befannt zu machen. 

Zur Erzielung eines regelmäßigen Schulbefuches wurden be- 
reits faft in allen Schulen des Landes Abfentenliften geführt, aber 
Ohne fonderlichen Erfolg, da die Beamten, wenn ibnen die Schul⸗ 
Meifter Die Abſenten zur Anzeige brachten, nur ſehr felten die Eltern 
derſelben zur Leiſtung der geſetzlichen Geldſtrafe herbeizogen. 
Geſhſetzliche Dispenſation der Kinder armer Eltern von Ent— 
Achtung des Schulgeldes fand nicht ſtatt. Aber yon vielen Kindern 





— 342 — 


befam der Schulmeifter im ganzen Sahre keinen Heller, und mı 
an wenigen Orten ward demſelben die Hälfte des fich auf dieſe 
Wege ergebenden Ausfalld an feinem competenzmäßigen Dienftei 
fommen durch den Kirchenfaften gededt. 

In manden Dörfern, 3. B. zu Halsdorf, Albshaufen u 
Eruſthauſen befaß die Schule Vermächtniffe zur Anfchaffung v 
Papier oder. zur Verteilung von MWeden unter die Kinder an = 
wißen Tagen. 

Verſuche zur Anlegung von Spnduftriefehulen waren in N 
derheffen in Milhelm&haufen, in der Umgegend von Immenhauſ- 
in Oberhefjen zu Josbach, aber mit geringem Erfolge gema 
worden. In Josbach gedachte der dafige Pfarrer durch Die 
weiblichen Arbeiten wolerfahrene ältefte Tochter des Schulmeifte 
bie Älteren Mädchen im Nähen und Striden unterrichten zu lafe 
Als aber die Bauern hörten, Daß dieſer Unterricht nur gegen Ca 
richtung eines beftimmten (wennfchon fehr geringen) Schulgelte 
erteilt werben follte, fo mufte fi) der Pfarrer aldbald von ds 
Unansführbarfeit ſeines Planes überzeugen. — Einen einigermaßs 
günftigeren Boden Hatte Die Induſtrieſchule in Wilhelmshaufı 
gefunden. In dem von dem Pfarrer Martin dafelbft für Die Jı 
duſtrieſchule aufgeftellten Negulativ *) wurde als „Hauptanfid 


*) Daffelbe enthielt folgende Beftimmungen: 
„Regeln zur vorfihtigen Nachahmung für den Schulmeifter. 


1. Was die Aufnahme der Kinder in die Arbeitsfchule betrifft, fo ift keir 
unter diefe Zahl aufzunehmen, welches nicht den Unterricht in nüßlichen Arbei— 
und die Gelegenheit zum erften eigenen Berdienft, ald eine Wohlthat anfieht, u 
diefes Urtheil muß bei den Kindern durch fanfte Behandlung auf das forgfam 
unterhalten werden. 

2. Sollte ein Kind, welches ſchon unter den Arbeitenden ift, in der Religion 
ſchule nadläffig werden, fo muß,- nachdem gute Ermahnungen nicht helfen woll 
demfelben die Erlaubnis in die Arbeitsſchule zu gehen, fo lange verjagt werd 
bis es fi zu neuem Fleiß ermuntern läßt. Auf die Art muß man die Kini 
zum Lernen durch die Hoffnung aufmuntern, daß fie arbeiten follen. 

3. Um die Zeit gehörig zu benutzen, ift e8 nötig, daß die Schulfinder, wel 
in drei Claffen getheilet werden, nähmlich Buchftaben., Buchftabir- und Leſeſchül 
fich a) bei dem gewöhnlichen mit der Glocke gegebenen Zeichen verfammelt, u 


\ — 243 — 


ı man den Unterricht in müßlichen Kenntniffen und Uebung 
ertigfeit in gewißen Arbeiten mit dem NReligionsunterricht 
Det”, die bezeichnet, „Daß die Kinder von zartefter Jugend 





- 


fange und Gebete in der Schulftube beiwohnen; dann b) gehen die arbei- 
Kinder aus der 2ten und Iten Claffe zu ihrem Gefchäfte in das Arbeits. 
‚ und die erfte Claſſe bekommt Unterricht in der Lehrſchule. Iſt c) die 
mit der erften Claſſe völlig geendigt, jo kommt die zweite zum Meligions- 
„t herunter, und die aus der erften, zur Arbeitsfchule gehörigen gehen hin- 
) Rad) diefen folgt die dritte Elaffe; und beim Scluffe des Sculunter- 
ſammeln fi) alle Kinder wieder zun Gebet in der Lehrſchule, und merden 
entlaßen.” 


Anmweifung für die Lehrerin in der Arbeitsſchule. 


. In diefer Schule ift ebenfalls, wie in der Lehrſchule, eine gewifle Ab- 
der Kinder, jowohl nad der Art ihrer Arbeit, ald auch nad der Bolltom- 
: in derfelben, zu halten, fo, daß die Spinnenden, Strideuden, Rähenden ıc, 
inander und unter fid) wieder in der Ordnung fißen, welche durch ihre Be- 
feit und gutes Betragen beftimmt wird. 

Die Lehrerin übernimmt nicht nur die Anmweifung zur Arbeit, fondern auch 
‚emeine Sorge für Ruhe und Ordnung. Zur beßern Beförderung der guten 
ſt drei einfichtsvollen und angejehenen Männern der Gemeinde, unter Lei- 
es Predigers die Aufficht übertragen, deren einer das befondere Geſchäft 
nmen hat, 1) die rohen Materialien zu verwahren, und fie von Zeit zu 
rT Lehrerin zu überliefern; Ddiefe wiegt dann jedem Kinde fein Theil zu, 
ıpfängt fie verarbeitet von denfelben wieder gewogen zurüd. 2) Mit dem 
eder Woche erhält der Rechnung führende Aufjeher die fämmtlihen in diefer 
verarbeiteten Producte, und theilt die rohen Materialien für die folgende 
aus, forgt ſodann für die BVerfilberung der fertigen Sachen, und für Die 
ung der für Lohn gemadten Arbeiten, und giebt dem Prediger darüber mit 
Bode einen Etat; der die Materialien und Producte, fo aufs und dom Lager 
zen find, und die Geldbeträge enthält, und die Bafis zur jährlichen Rechnung 


. Sat die Lehrerin forgfältig dahin zu fehen daß jede Arbeit nicht nur 
) treu, gut und dauerhaft verfertigt werde, fondern daß aud von den Mo- 
em nichts verloren gehe. 

4. Den Kindern, welche die Materialien aus dem Inftitute geliefert bekommen, 
nit erlaubt werden, die Arbeit mit nach Haufe zu nehmen, welches nur denen 
Reht, die ihre eigenen Materialien mitbringen. 

». dur Verhütung aller Unorduungen und Gelage ift es nicht erlaubt, daß 
"d aus dem Dorfe mit feiner Arbeit hierher komme und verweile. 


— 34 — 


an die Befhäftigfeit in ihrem irdifhen Berufe für 
einen notwendigen Teil der Ausübung ber Religion 
halten lernen und dadurch zu nüßlichen Mitgliedern der Geſellſchaft 
erzogen werben, dann au, daß durch die Abwechſelung dieſer 
verfchiebnen Beichäftigungen ihre Aufmerkſamkeit beftändig 
lebhaft erhalten werde”. | 

Bon Wilhelmshaufen wurde dieſe Einrichtung auch in die 
benachbarten Dörfer Obervellmar und Ihringshauſen verpflanzt *). 


6. Am Schluſſe jeder Woche wird von dem Auffeher genaue Erfumdigung 
über das erhalten der Kinder eingezogen, und bei den Namen derer, welche 
dur Fleiß und Folgſamkeit in dieſer Woche ſich vorzüglicd ausgezeichnet haben, 
ein Ehrenzeichen gemacht, fo wie bei den Namen derer, welche nicht fleißig oder 
artig waren, ein Beichen der Beftrafung gefept wird. Bier ſolche Ehrenzeichen 
binter einander maden, daß bei den Ramen ein vergoldeter Kagel eingefchlagen 
wird, der aber wieder weggenommen werden muß, wenn das Kind einmal das 
Beichen der Beftrafung verdient. Sechs goldene Nägel mahen, daß der Name 
des Kindes auf ein loſes Blatt in das Buch der guten Kinder gefchrieben wird; 
und beftätigt fi die gute Aufführung des Kindes durch die ganze Zeit feiner 
Schuljahre, fo wird fein Name auf ein feftes Blatt in diefes Buch gefchrieben, 
welches Buch in der Kirche in einem verſchloßenen Schranke zum immerwährenden 
Undenten aufbewahrt wird. Auch die Kinder, welche nie das Beichen der Beitre- 
fung verdienten, ob fie gleich nicht durch auszeichnende Vorzüge Ehrenzeichen er- 
hielten, werden in diefes Buch gefchrieben. Die ftrengfte Bewißenhaftigkeit ift bei 
der Beflimmung der Ehren- und Strafzeihen anzuwenden“. 

) Bol. Wagemann's Göpttingifhes Magazin für Imduftrie- und Armen 
pflege 8. I. Heft I. &. 35 ff. und Krünig, ökonomifch-tedmolog. Encyelopädie, 
8. 62. &, 60 — 66. 


— 


(Die Geſchichte des Bolksfchulmelens in der Grafſchaft Hanau und im fäculari- 
firten Fürftentum $ulda wird im folgenden Bande mitgeteilt werden.) 


Schnellprefſeudruck von Yob. Aug. Koch in Marburg. 





Geſchichte 


des 


ꝛu kſchen Vollksſchulweſens. 


Von 


2.3 Feppe. 


Zweiter Band. 


Gotha. 
Verlag von Friedrich Andreas Perthes. 
1858, 


Inhaltsvgnzeighnis. 


Hortjeßung der Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen 


Territorien Deutſchlands, 

N Die vorhinnige Grafſchaft Hanau-Münzenberg 
DL Das Säcularifirte Fürftentum Fulda . 
IV. Das Großherzogtum Heffen:Darmftadt 
V. Das fAcularifirte Kurfürftentum Mainz und Fürften- 

tum Worms . . . t 
VL Die großherzoglich heſſiſche Provinz A b ei n h e ie en. 
VI Das Königreid Würtemberg ur 
VOL Das Königreid Sachſen 
IK. Das Herzogtum Sadhfjen:Botha . . 
X. Das Großherzogtum Sadhfen-Weimar- Sifenad 
XL Das Fürftentum Walded . . 


Geite 
1 

12 
26 


79 
103 
121 
176 
2 
270 


. 352 


I. 
Die vorhinnige Grafſchaft Hanau-Münzenberg. 


Früher als in manchem andern deutjchen Lande entwidelte 

fih das Volksſchulweſen in der Grafſchaft Hanau-Münzenberg. 
Die Landesregierung wendete demſelben hier zum erften 
Male im Sabre 1561 ihr Augenmerk zu, indem der Graf Johann 
zu Naſſau⸗Katzenellenbogen, der mit dem Grafen Philipp zu Hanau- 
Lichtenberg die Vormundfchaft über den minderjährigen Grafen 
Philipp Ludwig führte, im Sommer dieſes Jahres eine allgemeine 
Kirchen- und Schulvifitation anorbnete, bei welcher allen Pfar- 
tern des Landes unter audern Die Fragen vorgelegt werben: 
„1) Ob Schulen vorhanden, wie der Schulmeifter fein Amt ver- 
richte und fi) fonft im Leben verbalte; alſo auch von der Schul: 
meifterin. 2) Da feine Schulen vorhanden, und doch die Not- 
durft wäre eine anzurichten, was er für Vorſchlaͤge thue, und was 
e Gemeinde dabei thun koͤnne und wolle.” Freilich waren bie 
Berichte der Pifitationdcommilfton nicht ſehr günftig; denn es zeigte 
ſich aus denfelben, daß die Volksſchulen erft noch gejchaffen wer- 
M muſten. Nur in der Stadt Hanau hatte man eine deutſche 
Part. Zu Wahenbuchen ließen einige Eltern ihre Kinder 
urch die Kinder des Pfarrers im Katechismus unterrichten. Von 


ner: Dorfichulwejen war noch feine Spur vorhanden, denn faft 
Be, Boftsiäulweien, 2. 1 


— 2 — 


kein „Glöckner“ konnte leſen. Es dauerte daher noch meh 
Decennien, bis die Mehrzal der Pfarreien des Landes mit Sch 
verjehen waren, bie von jebt an ganz vereinzelt eingerichtet n 
den. Wir finden 3. B. daß ein gewejener Fuldiſcher Geiftlic 
Joſt Thomas, weldyer Proteftant geworden war, in einem Geſi 
vom 14. Mai 1575 Die Regierung bittet, ihm das „Blodaı 
zu Biſchofsheim zu übertragen, da der Pfarrer zu Biſchofsh 
„den Gloöckner Dafelbft feiner Ungeſchicklichkeit halber zu ver 
lauben ihm vorgenommen; denn er nicht allein im Geſang in 
Kirche, Jondern auch die chriftliche Sugend in der Schule in € 
tesfurcht, Leſen und Schreiben zu unterrichten ganz ungeſchickt 
funden wird”. | 

Bei einer Kirchenvifitation, die Graf Philipp Ludwig L 
Mai des Jahres 1577 vornehmen ließ, ergab es ſich, daß fe 
bin und wieder einige Schulen beftanden, Die teilweife freilich n 
von den Ölödnern, jondern von den Pfarrern errichtet waı 
wie 3. B. aus folgenden Notizen im Vifitationsbericht hervorgt 
„Keſſelſtadt. — Der Kapları hat angefangen Schule anzurich! 
und allbereitS etliche Schüler, Die den Katechismum ziemlich wif 
— Ölödner hat eine geringe Belodung, und iſt nichts frohnfi 
bittet ihn der Frohn zu erlaßen.“ — „Hochſtädt. — Sch 
meiſter hat ungefaͤhrlich 27 fl.; rührt vom Glockamt her, 
ferner nichts.“ — Auch an anderen Orten befanden fih Schu 
3. B. zu Ortenburg. Dagegen lauteten die Berichte von 
meiften Orten äbnlid wie von Mittelbuhen: „Schule hal 
zeigen fie (die Ortsbeamten) an, daß der Glödner die Schule 
halten, thut8 aber nicht, wartet jeined Handels“. 

Wie es fcheint, blieb dieſe Kirchenvifitation für die Entm 
lung des Schulwefend ziemlich bedeutungslod. Die Bifitato 
berührten daſſelbe in ihrem Viſitationsabſchied eigentlich nur 
Betreff der Schulen zu Hanau, indem fie vorjchlugen, man m 
den Glödnern an ihrer Belohnung nichts abgehn laßen, „da 
man Taugliche befommen fönute, jo ben Pastoribus helfen : 
Catechismum treiben”. Außerdem wiejen fie auf die Notweni 
feit eines fleißigen Befuches der kirchlichen Katechifirübungen feit: 
der Jugend bin, weshalb fie den Nat gaben: „damit das juı 





— 3 — 


Volk zum Catechismo komme, müßen die Buͤrgermeiſter ihre Bürger 
dermabnen, daß fie ihre Jugend hierzu anhalten wollen, und ber; 
dalben Ordnung machen, daß man fehen möge, welche barinnen 
nachlaͤßig find”. 

Die Begründung des Dorfichulwejend ald einer dem ger 
Jammten Lande angehörenden Inſtitution erfolgte hier, wie im 
Übrigen evangelifchen Deutſchland, als vie Grafſchaft Hanau⸗Mün—⸗ 
3enberg in den dogmatiſchen Zerwürfniffen, welche die deutſch— 
dangelifche Kirche heimfuchten, eine beftimmte polemifch-confefjionelle 
Stellung einnahm. Die Grafen zu Hanau fchloßen ſich nament- 
lid) feit dem Jahre 1595 an die reformirte Kirche der Kurpfalz 
an, und erkannten es jehr bald, daß jekt eine forgfältigere Pflan- 
gung des Firchlihen Bekenntniſſes in der Jugend not thue. Graf 
Philipp Ludwig ordnete daher i. 3. 1597 abermals eine allge- 
meine Kircyenvifitation an und befahl den Vifitatoren, namentlid 
Dafür Sorge zu tragen, „daß mit der gefunden und reinen Lehre 
Alte und Zunge nicht allein Sommers, fondern auch Wintergzeit 
ſowol in den Hauptkirchen als auch in andern Dörfern, den Ga- 
pellen, mit Zuthun der Schulmeifter fo forthin in allen 
anſehnlichen Fleden angenommen werden follen, — 
treulich und fleißig verfehn werden“. Zugleich wurde befohlen: 
"Wann dann audy die tägliche Erfahrung lehrt, daß die Eltern, 
Derm und Frauen ihre Kinder und Gefinde in Unwißenheit und 
Sottlofigfeit zum merflichen ihrer ſelbſt Unheil, auch Abbruch des 
Reiches Ehrifti aufwachfen laßen und dieſelbigen fahrläßig zur 
Kinder! ehre ſchicken, als ift abermals unfer Befehl und Mei- 
Nung, daß alle und jede Kinder, fo der Lehre und Unterweiſung 
fähig find, von jedes Orts Predigern aufgezeichnet und durch eine 
gewiße Perſon in jedem Dorf dem Pfarrherrn dargeftellt, und daß 
die, fo ohne wichtige und billige jcheinbare Urfachen die Jugend 
und Rinder daheim behalten, zur gejeßten Strafe durch den Schul- 
theißen oder Gentgrafen gezogen werben follen“. 

Somit war jegt wenigftend für Die größeren Ortfchaften 
die Anftellung von Schulmeiftern befohlen worden, während in ber 
Mehrzal der Dörfer die Jugend nur in der „Kinderlehre“, d. h. 
n den firchlihen, gottestienftlichen Satechifationen unterrichtet 

4 


_ 4 — 


ward. Noch immer kamen Dorfſchulen nur ſehr vereinzelt x 
oder beftanden nur vorübergehend, und gerade die Firchlichen — 
formen, welche am Schluß des 16. Jahrhunderts in der Grafſch 
eingeführt wurden, und in deren Intereſſe die Landesregierung 
Einrihtung von deutfchen Schulen betrieb, war dem Auffomrı 
derfelben im höchſten Orade hinderlich. In gar vielen GOegend 
in denen das Volk in dem Beſtande der überlieferten Kultus] 
men den Beſtand ſeiner überlieferten Religion fah, hatten die € 
meinden nur wiberftrebend Die veformirte Kultusreform hingen = 
men und jammerten Darüber, daß ihnen ihre bisherige kirchl 
Weile genommen war. Die Dorfihulen, die man (mit Re« 
nur zur Ginübung des Heidelberger Katechismus eingerichtet glau ” 
wurden daher von dem Wolfe gemieden, und an gar mandE 
Orte, wo eine Schule begründet war, weigerten ſich die Elite 
ihre Kinder in Diefelbe zu ſchicken, oder zur Unterhaltung 
Schulmeifterd auch nur das Geringfte beizutragen *). 

Ein großes Hindernis für das Aufblühen des Schulweſ 
war natürlich auch die Unmwißenheit der Glöckner, deren noch imm 
viele gar nicht leſen konnten. Ein Pfarrer zu Roßdorf 5. B., 
i. J. 1613 eine Schule einrichten wollte, mufte, um dies bewir- 


*, In weldem Buftand das kirchliche eben und in welcher Lage das Ei 
wefen der Grafihaft damals war, geht zur Genüge aus dem Berichte einer Ca 
miffion hervor, die über eine in Steinau und in der Obergraffhaft vorgenomm 
Kirhenpifitation am 15. April 1600 an das Konfiftorium zu Hanau berichtete: 
„Kierneben follen den Herrn wir ferner nicht verhalten, daß auch an den — 
hörern gemeldtes Orts wir nicht geringen Mangel befunden, indem Riemand » 
einiges Kind zur Schule hält, Riemand will auch fein Kind den Decalogum ga: 
lernen laßen. — Auf den Dörfern, da man Kubh- und Sauhirten lohnen far 
will Niemand etwas zur Befoldung der Schulmeifter geben, und liegen die Schul 
wüſt. — Anderswo ift großer Mangel an den Eltern, die die Kinder zur Schi 
nicht fhiden wollen. Zudem merden die catechisationes et conciones eccl 
siasticae von Jung und Alt fehr verfäumt. — Bei den Catechiſationen werd 
die Ministri von den Kindern, die anweſend find (mwiewol ih-er viele diefelbi 
beradhten,) mit Stillſchweigen, böfeu Worten oder Verlachen verächtlich abgeferti, 
Biele der Unterthanen laufen in fremde Herrfdaften zur Predigt und Communic 
und gehet allenthalben fo barbarifh zu, daß einer lieber todt fein follte, de 
diefem jämmerlichen Zuſtand länger zufehen.” 





— 5 — 


yp ünnen, vor Allem feinen damaligen Glödner, einen Schneider, 
der weder Iefen noch fingen Eonnte, fortfchiden. Hierzu Fam, daß 
diejenigen Gloͤckner, welche wirflih Schule hielten, dieſes faft 
durchgängig ohne eigentlichen inneren Beruf und ohne Liebe tha- 
ien, indem fie bier wie überall aus den heterogenften Berufsarten 
in die Echulmeifterei eintraten und die neue Laft nur notgedrungen 
übernahmen. Es Fam daher wol häufig genug vor, was ein 
Pfarrer zu Bifchofsheim i. J. 1622 in Betreff des Schulmeifters 
zu Rumpenheim Tlagte, daß derfelbe, um frei umherlaufen zu koͤn⸗ 
nen, „jeine verwegenen und mutwilligen Sinaben die Schule halten 
laße, jo mit den Schulfindern nur Mutwillen, Lederei und un: 
Mätige Poffen treiben”. Am allernadteiligften jedoch wirkte bie 
. Anfägliche Laſt der unmürdigften Dienftverrichtungen, die fehr oft 
dem armen Glödner aufgebürdet wurden*). Und felbft Diejenigen 
Gloͤckner, welche nicht mit unziemlihen Zumutungen geplagt wur- 
den, waren doch von einzelnen Nebenämtern, die durchgängig als 
weientliche8 Zubehör des Glödneramtes betrachtet wurden, jo in 
Anfpruch genommen, daß fie fi mit der Schulmeifterei kaum noch 
befaßen Eonnten. Namentlich war jeder Glöcdner mit dem Amte 
eineg emeindefhreibers und GemeindeMehlwiegers 


— — — 


*) Man höre z. B. folgende Klage eines Schulmeiſters oder Glöckners zu 
Rumpenheim i. 3. 1596: „Unfre Gemeinde allhier zu Rumpenheim hat bis daher 
diefen Gebrauch gehabt, daß fie jährlich auf Michaelis einen Glödner, doch in 

fein und Bewilligung ihres Prediger annehmen, mit diefer Condition, daß er 
Pfarrherrn neben den Bemeindefrohndienften nad alter Gewohnheit etliche 
Arbeit berrichte, mit Heu und Grummet zu machen, Garten zu graben, Kraut 
du feken, umd mas es mehr mag fein, darvon der don Neuem angenommene 
Slöcner, der Gemeinde zum Beften, giebt ein Viertel Wein, einen Laib Brot und 
men Käſe. Dieſes Glodamt habe ih nun 16 Jahre verſehn. — Nun aber find 
mir gram und aufläßig um der Religion willen und wollen mich abfegen, und 
ingen hart auf mid) mit Gemeindeämtern und Arbeiten (ich geſchweige der Frohn- 
„enfte, fo.unferm gnädigen Herrn gefchehen) mit Hüten und Wachen und andern 
N der Gemeinde vorfallenden Sachen, daß ich oftmals, wenn id) in der Kirche 
Meines Amtes pflegen oder fonft dem Pfarrherrn die gebürliche obgedachte Arbeit 
verrichten fol, zugleich auch an der Pforte hüten, oder fonft die Säne hüten im 
deld oder im Wald, oder fonft ein Gemeindegeſchäft zu verrichten, oder foll andre 
an meiner ftatt und in meiner Koft und Lohn darftellen” u, f. w. 


66 — 


bedacht *), woraus noch ein anderer Webelftand hervorging. T 
nemlich faft in allen Dörfern der Grafſchaft die Gemeinden > 
Recht der Präfentation des Glöckners ausübten, fo war es natk 
lich, daß dieſelben nichts als die Brauchbarkeit des anzuftellent= 
Glöckners für die Verwaltung der Mehlwage und für den Schw 
berdienft im Auge hatten und gar nicht danach fragten, ob D 
felbe zum Echulhalten tauglich ſei oder nicht **). 

Die abermalige Erſchütterung, welche das Firchliche Leber 
der Grafſchaft erfuhr, als Diefelbe nach dem Ausfterben des ES 
fengefchleht8 von Hanau- Münzenberg i. 3%. 1642 unter Die = 
gierung des lutheriſchen Grafen Kriedrih Kafimir von Hank 
Lichtenberg Fam, der al3bald auf möglichfte Beſchränkung des 
formirten Kultus und auf Ginführung des Luthertums be 
war, konnte dem Aufblühen des Volksſchulweſens ebenfalls u 
fehr förderlich fein. Doch war es immerhin ein Gewinn, % 
Friedrich Gafimir in der i. J. 1659 publizierten (Iutherifchen 
chenordnung zugleich eine beftimmte Schulordnung aufftellte, rm 
der ebenfo die Iutherifchen Volksſchulen als das lutheriſche Gm 


*) So wird 3. B. über den Glödner und Schulmeifter zu Mittelbude 
3. 1599 getlagt, daß er „mit der gemeinen Mehlmwage, die fih ftünd- und au— 
blieflich zutrüge, beſchwert, auch mit der gemeinen Schreiberei, deren er fid 
geringem Ruben der Nachbarn und Gemeinde als ein Unerfahrener bisher un— 
nommen, vielfältig zu thun babe“. 

*) Wie die Anftellung eines Glödnerd bewirkt wurde, erhellt aus fol 
dem Bericht, den der Gemeindevorftand zu Moßdorf i. I. 1609 über die dan— 
erledigte Glöcnerftelle an das Konfiftorium zu Marburg einfandte: „Demnad — 
alten Jahren hero es allhier alfo gehalten worden, daß mann ein gemein“ 
Wieger und zugleih auch Gemeindefhreiber (d. h. Glödner) ToF 
verfahren, daß derjenige, fo um die ledige Stelle angehalten, fi) bei den Radbe= 
angeben müßen; und fo diefelben mit folder Perfon zufrieden geweſen, al habe 
darauf fie ihn bei unferes gnädigen Herrn auweſenden Herr Räten und Befeh 
babern bittlich angezeigt, daß nemlich ehrengedachte Herrn Räte ihren Conſens (E 
denen e8, wie auch noch, allezeit geftanden) auch dazu geben wollten; und das 
Adam Pfeifer ein Nachbar alihier, (welcher bisher bei Tebzeiten des nächft abg 
ftorbenen Glöckners das Geſänge mehrenteils in der Kirche, fodann auch unterweile 
der Gemeinde Sachen verrichtet,) fi ebenmäßig geftrigen Tages nach verrichtets 
Predigt bei der Gemeindeverfammlung angegeben, auf vorige angezeigte Condition 
eine ganze Gemeinde mit ihm zufrieden wäre” u. f. m. 


— 1 _ 


um des Refidenzorted Buchsweiler im Elſaß geregelt werben 
te. Es war ein Mangel der neuen Schulordnung, daß Die für 
ateiniſche und deutſche Schulen giltigen Beftimmungen durchein⸗ 
mder geworfen waren; aber e8 war ein hoher Vorzug berfelben, 
daß auch für das Oymnafium als Hauptziel alles Strebens die 
Sriftliche Erziehung der Jugend geltend gemacht ward. Es wird 
n der Schulorbnung vorgejchrieben, daß jede Schule unter einen 
Lorſtand, beftehend aus dem Pfarser, dem Schultheiß, Kirchen- 
dafuer, Bürgermeifter und andern Beamten des Orts, geftellt 
verden fol. Täglich fol fünf Stunden, Morgens im Winter von 
—10, im Sommer von 7—9 Uhr und Nachmittags von 12—3 
Ihr Unterricht erteilt, und zwar fol der Unterricht Morgens 
nd Mittage mit Gebet begonnen und gefchloßen werden. 
Sonnabends follen die beiden Morgenftunden Iediglich zur Uebung 
e8 Gebet und des Katechismus verwendet werden. Außerdem 
iebd verordnet: „Es follen die Praeceptores felbft in Perſon alle 
age, daran Schule gehalten wird, den Discipeln beimohnen und 
e unterweifen und hören, nicht nachläßiger Weiſe, wie vielfältig 
rgeht, Diejelben allein den Schulfrauen oder auch den Schul⸗ 
ndern, jo im Lejen und Schreiben am geübteften find, zu hören 
ttergeben und überlaßen, es fei denn, daß es jeweilen wegen 
aumgänglicher Not, ald von wegen zunehmender Menge der Kiu- 
ex und Didcipeln oder aus andern hochwichtigen Urſachen ge- 
heben müße.” — „Dieweil auch der Misbrauch in den Schulen, 
mderlih an Orten, da fein Schulgeld gegeben wird, wie 3. ©. 
a Buchsweiler, ſich ereignet und befindet, daß bie Eltern oft ihre 
ar jungen und der Lehre noch unfähigen Kinder mit den andern 
ı die Lehrftuben fchiden, damit fie derjelbigen daheim zu Haufe 
bfommen und ihren Geſchaͤften deſto befer abwarten mögen, — 
18 wird den ludi moderatoribus hiermit angezeigt, daß fie nicht 
chuldig feien, dergleichen einige Kinder, Knaben oder Mägplein 
n ihre Schulen anzunehmen, die nody nicht das fünfte oder ſechſte 
Jahr ihres Alters völlig und complet erreicht haben“. Als Stra- 
em jollen angewendet werben „Öffentliche Vorſtellung mit dem 
Ffel oder der Ruthe, Abſetzung auf die Erbe mitten in der Schul: 
ube auf eine Stunde oder mehrere”; außerdem Ruthenftreiche, 


— 8 — 


Auch ungegründete Schulverſaͤumnis ſoll beſtraft werden. „D 
deutſchen Lehrkinder ſollen nach Gelegenheit ihres Alters die 
woͤhnlichen Stunden buchſtabiren, das Namenbüchlein, den Ka 
chismus Lutheri, das Evangelienbuch, Jeſus Sirach, Pfalter T 
vids, das Alte und Neue Teſtament (Lutheri Verſion), auch deutf- 
Pfalmen anfagen, die Rechnenkunſt üben, mit dem Gebet — 
allewegen anfangen und fchließen, und dann am Sonntage 
Kinderlehre in der Kirche bejuchen.” 

Es erhellt aus der Kirchenordnung, daß man auch in I 
Dörfern der Grafihaft Hanau = Lichtenberg eben erft anfing, 
erftien Verſuche zur Einrichtung von Schulen zu machen. = 
Küfter, welche bier Sigriften, aeditui, beißen, werben noch - 
nicht aufgefordert, fich zum Schulhalten anzuſchicken. Es heift x 
ihnen lediglich: „Die Sigriften follen in ihren Amt bei der Kira 
als mit Glodenzeihen geben, Uhr richten, Kirchen fäubern ı 
Begleitung des Pfarrer zur Neichung der heiligen Sacrame 
bei Kranken in der Not und auch fonft in billigen Dingen ms 
Möglichkeit ihren vorgejegten Pfarrern treu und Dienftlich fein ı 
alle Jahre auf den Tagen, wann die öffentlichen Aemter in ” 
Gemeinde wieder bejeßt werden, vor Amt erjcheinen, die Kirch 
ichlüßel der Obrigkeit, die fie beftellt, darlegen und um Gor 
nuation und Behaltung ihrer Dienfte demütig anhalten.” 

Nur bin und wieder fcheinen „Schulhalter” vorhanden | 
wefen zu fein, die von den Gemeinden für die Winterzeit gemietl 
und dann wieder entlaßen wurden. Dagegen nehmen wir 5 
(in der Hanau-Fichtenbergifchen Kircyenordnung) die eigentümli: 
Erſcheinung wahr, daß nicht den Küftern, fondern den Pfarre 
das Schulhalten zur Pflicht gemacht wurde, und Daß vielleicht | 
Mehrzal aller im Lande beftehenden Schulen von Pfarrern geh 
ten ‚wurde. Die Kirchenordnung machte e8 daher den Pfarrei 
welche zugleich Schulmelfter waren, zur Pflicht, den Beftimmung 
über die Zal der täglich zu erteilenden LUnterrichtöftunden gen 
nachaufoınmen, indem in ihr verordnet ward: „welches infonderh 
auch den Pfarrern in Dörfern, da feine befonderen Schulbal 
find, gefagt ift, als die ebenfo viele Stunden ded Morgens u 
Nachmittags Schule halten follen und müßen, von Michaelis ol 


9 — 


erbieit an bis auf Faſtnacht oder Ofterzeit. Jedoch ift um 
Uige Belohnung, und wie der Pfarrer mit den Zuhörern, nem- 
h mit denen, die gern fehen, daß ihre Kinder das ganze Jahr 
irch in der Schule zum Gebet, Lejen und Schreiben unterrichtet 
irden, fann übereinfommen, einem Seelforger und Pfarrer nicht 
wehrt noch verboten, daß er nicht dürfte Schule halten das 
nze Jahr durch, wann er will, fondern es. wird vielmehr an 
emf Pfarrer, der es auf Begeren oder ſonſt für fich fleißig thut, 
: ein unfehlbares Zeichen und Zeugnis feiner bejonderen Amts⸗ 
ne in Acht genommen und naͤchſt Gott von hoher Obrigkeit mit 
genehmer Gnadenbeweiſung und Förderung, auch ohne ihr Wißen 
d Begeren remunerirt werben.” 

Diefe Schulordnung konnte in der Graffchaft Hanau Müns 
iberg natürlich nur da Bedeutung gewinnen, wo es gelang, 
heriſche Schulen einzurichten. Die reformirten Schulen beftan- 
a in ihrer bisherigen Weife fort, und ſelbſt die rveformirte 
Janauifche Kirchen, Disciplin- und Elteften » Ordnung”, melde 
3.1688 von dem (Iutherifchen) Grafen Philipp Reinhard publis 
t ward, änderte an dem Beftand des Schulweſens nicht das 
indefte. Daffelbe wurde in der reformirten Kicchenordnung nur 
ofern berührt, als in ihr eine beflimmte Form der „Schuldie- 
"beftallung” vorgeichrieben ward. Die Hauptftelle dieſes Re⸗ 
es, den Die Schulmeifter von da an zu unterzeichnen hatten, 
tete: „Ich ſoll und will nicht allein für mich felbft mich aller 
sttesfurdht und Treue befleißigen, fondern audy die mir anvers 
ute und befohlene liebe Jugend in aller Sanftmut, Freundlich⸗ 
t und Holdfeligleit, fonderlidd aber zu dem lieben Gebet an- 
ifen, Daß fie vor Allem Gott lernen lieben, der Ehrbarkeit ſich 
Heipigen und die Lafter haßen, auch fi) demnach die Funda⸗ 
»nte hriftlicher Religion, wie folche in unjerem chriftlichen Gas 
bismo.*) verfaft, nach Gelegenheit der mir anverorbnneten Jugend 
it treulichem Fleiße Iehren, denfelben ihnen wol einbilden, auch 
inen andern Katechismum oder fonft Nebenfrageftüce oder anderes 
exgleichen außerhalb der verorbneten, in meiner Schule einführen,” 


— — — 


*, In der Kirchenordnung ift der Heidelberger Katechismus abgedruckt. 


— 10 — 


Bon hoher Wichtigkeit war für Die weitere Entwidlung D 
Volksſchulweſens die Anftellung eines Mädchenlehrerd zu Harıc 
i. J. 1691*), dem in dem Beftallungsrevers zur Pfliht gemad 
wurde, „daß er zuvoͤrderſt ein nüchternes, maͤßiges und egemypHe 
riſches Leben führen, ſodann gedachte Mägdlein im Leſen wmt 
Schreiben täglih (außer des Sonntage, auch Mittwochs und 
Samftagd Nachmittags, da feriae find,) zu gewöhnlichen Früh 
und Nachmittagsſtunden getreulih und fleißig informiren, fie zu 
aller Gottesfurcht, ſonderlich auch zum Gebet und Gefang, und 
bevorab zur Lernung des Katechismus, Buß⸗ und andrer ſchönen 
Pfalmen, auch lehr⸗ und troftreihen Sprüde der H. Schrift, wie 
nicht weniger zu aller Zucht und Ehrbarkeit ernftlich anhalten, 
auch ohne Vorbewuſt und Erlaubnis des Rectoris feine Schul 
ftunden verabfäumen, dabei auch im Dociren und Lehren fi all 
Sanftmut, zumal aber auch in den Reden aller Beicheidenheit ge 
brauchen follte, damit die Mägdlein ihrem Geflecht nach micht 
etwa geärgert, oder auch fonft ing Gemein einige Klage mit Beftand 
wider ihn geführt werden möge. So foll er auch zu Sommergzeiten, 
wenn Sonntags Nachmittags die Kinderlehre gehalten wird, td 
allein die Mägblein dazu fleißig anmahnen, fondern au ſe Ibf 
diefelbige ordentlich befuchen, und das Examen, jo ed von D* 
Herrn Superintendenten begert wird, mit vornehmen und veresd 
ten helfen. Und damit auch die Kinder in der Lehre, fonder Fi 
aber in ihrem Chriftentum defto mehr wachſen und zunehm 
mögen, fo ift ihm erlaubt, nach vollendeten ordinären Stun 
auch noch einige extraordinäre Privatftunden, jedoch dergeftalt 
halten, daß das bisher gewöhnliche Privatgeld nicht uͤberſtie— 
und die Eltern deswegen zur Ungebür befchwert werden möger=# 

Da die Grafihaft Hanau: Münzenberg nad) dem Tode &5* 
Grafen Johann Reinhard i. %. 1736, mit dem dad Geſchleck 
deffelben erlofch, an Heſſen-Kaſſel fiel, fo war von da an 
Entwidlung des Volksſchulweſens im Ganzen diefelbe, wie in db = 
übrigen Heſſen-Kaſſelſchen Landen, und es ift daher nur Wenig =! 

*; Der damals angeftellte Lehrer mar zugleih Präfenzer, d. 5. Almoſe 
pfleger. 


— 1 — 


hervorzuheben, was der Geſchichte der Hanauer Dorfichulen eigen: 
timlih angehört. 

Eine firengere Beauffichtigung des Schulbeſuchs warb in 
Hanau im Jahre 1748 eingeführt, indem damals durch eine Vers 
ordnung der Konfiftorien, die an alle Pfarrer und Beamte erging, 
; jede ungegründete Schulverfäunnis mit einer Geldftrafe von einem 
‚ Ortögulden bedroht und den Schulmeiftern aufgegeben murbe, 
von Zeit zu Zeit genaue Abfentenliften mit Angabe der bereits 

beigetriebenen oder noch beigutreibenden Strafen an die Confi⸗ 
Rorien einzufenden. Indeſſen wurde dieſe Verordnung ſchon nad 
wenigen jahren jo fehr vergeßen, daß die Landesregierung fich 
1.3.1763 abermald genötigt Jah, den ununterbrochenen Fortgang 
der Winterfchule vom 1. Oktober bis zum Ende ded April und 
den Beſuch der Firchlichen Katechifationen für das männliche Ges 
ſchlecht bis nach zurüdgelegtem achtzehnten und für das weibliche 
Geſchlecht bis nach erreichtem fünfundzwanzigften Lebensjahre Durch 
eine neue Verordnung einzufchärfen. Jede Verfäumnis der Schule 
oder der Katechiſation follte mit einer Strafe von einem Kreuzer 
geahndet werden. Den Schulmeiftern wurde die forgfältigfte Füh⸗ 
Tung der Abjentenliften zur Pflicht gemacht. 

Sm Jahre 1766 erfolgte in der Stadt Hanau die Errich⸗ 
tung einer Armenfchule. 

In den nädftfolgenden Jahren ward auch in Hanau wie im 
übrigen Heflen die Einführung der Sommerjchulen verſucht. Der 
teformirte Superintendent machte nemlich im Anfange des Jahres 
1768 das reformirte Gonfiftorium darauf aufmerffam, daß das 
Schulweſen auf dem Lande nicht eher werde wahre Frucht 
bringen Zönnen, bis man den Schulfindern auch im Sommer einen 
Tegelmäßigen Unterricht gewähre. Hierdurch veranlaft gab daher 
das reformirte Gonfiftorium allen ihm untergebenen Pfarrern des 
Landes auf, darüber zu berichten, ob in ihren Pfarreien auch 
Sommerſchulen gehalten würden. — Die hierauf bei dem Gon> 
ſiſtorinm einlaufenden Berichte zeigten, wie vieles noch zur Auf- 
beßerung des Schulweſens gefchehen mufte. Die meiften Pfarrer 
litten, Sommerfchulen würden wol gehalten, aber gewöhnlich 
nur au drei ober. vier Tagen der Woche, und an biefen nur zwei 





— 12 — 


Stunden lang, etwa von 10 — 12 Uhr. Oefter kämen jebod 
längere Unterbrechungen vor, und die finder Fämen im Sommer 
noch unregelmäßiger zur Schule ald im Winter, weshalb es nicht 
befremden Eönnte, wenn die Kinder das Wenige, was fie etwa im 
Winter gelernt, hätten, im Sommer wieder verlernten. Nach 
längerer Erwägung der Sache erließ hierauf das reformirte Gon- 
fiftorium unter dem 18. Juli 1770 eine Verordnung, worin be- 
fohlen ward: Ueberall follten Sommerjchulen in der Weiſe ein- 
gerichtet werden, daß vom Anfange ded Monats Mai bis zum 
Ende des September wöchentlih an drei Tagen Morgens zwei 
Stunden und in der Erndtezeit wenigftend Eine Stunde Schule j 
gehalten würde. Auch follten die Schulmeifter während diefer | 
Zeit an jedem Sonntage vor dem Nachmittagsgottesdienft, fo wie |’ 
an Bettagen vor der Predigt eine Stunde Unterricht erteilen und j 
dann mit den Kindern in Proceffion zur Kirche ziehen. — Außer: ]' 
dem wurde den Pfarrern aufgegeben, die Schulen an den Mutter f'' 
kirchen wöchentlich, und die auf den Filialdörfern monatlid zu vis [7 
fitiren und über das Ergebnis der Vilitafionen an das Conſiſtorium [ 
zu berichten. 


7 — — — 










III. 
Das ſäculariſirte Fürſtentum Fulda. 


Noch im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts war dad 
Schulweſen im Fuldiſchen Lande in derſelben übelen Verfaßung, 
wie um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, d. h. Volksſchulen 
beitanden, namentlich auf dem Lande, eigentlich nur dem Namen | 
nad. Eine allgemeine Schulpflichtigfeit aller Kinder wurde ef 
i. J. 1723 anerkannt, indem das hochfürſtliche Fuldifche Gone 
forium, veranlaft durch die Klagen der Pfarrer über den allge 
mein wahrzunehmenden fdhlechten Schulbefuch, in dieſem Sahıt 
unter dem 20. December eine Verordnung erließ, in welcher allen 
Eltern und Erziehern zur Pflicht gemacht wurde, bei Meibung 
einer Strafe von 1 Pfund Wachs ihre Kinder zur Schule zu 


— 13 — 


Ihiden. Zugleich wurden die Pfarrer, und namentlich alle Stifts⸗ 
md Landdechanten angewiejen, für Befolgung dieſer Vorſchrift 
Sorge zu tragen und die Schulen fleißig zu vifltiren. Die Ver⸗ 
ordnung des Gonfiftoriums blieb jedoch ohne fonderlichen Erfolg, 
da in derfelben feine nähere Beftimmung des fchulpflichtigen Al⸗ 
ter8 angegeben war. Um diefem Mangel abzuhelfen, verordnete 
daher der Fürftabt Adolph am 22. December 1733, daß alle 
Eltern verpflichtet fein jollten, ihre Kinder vom fünften bis zum 
jehnten Tebensjahre zur Schule zu jchiden, und zwar in den 
Städten das ganze Jahr hindurch, auf dem Lande nur während 
der Winterzeit. 

Sp beftand das Schulwejen in dem Fuldiſchen Lande we— 
jeutlich in feiner alten überlieferten Weife bis zur Regierungszeit 
J des Bifchofs*) und Fürften Heinrich von Bibra (1759— 1788), der 

fich die gänzliche Umgeftaltung veffelben nad) dem in Felbigers 
Schuleinrichtungen gegebenen Vorbilde zur Aufgabe machte. Der 
Fürſtbiſchof Heinrich begann feine reformatorifche Thätigkeit, indem 
er an ſaͤmmtliche Schulmeifter, um dieſe ſelbſt thunlichſt vorzube- 
reiten und über das, was demnädhft von ihnen verlangt werden 
ſollte, zu unterrichten, i. 3. 1773 Felbigerd Schrift über „Eigen- 
haften, Wißenfchaften und Bezeigen rechtſchaffner Schulleute* 
berteilen ließ. Zugleich wurde in demfelben Jahre der Plan zur 
Umpgeftaltung des „hohen, mittleren und niederen“ Schulweſens 
entworfen, und am Ende des Jahres 1774 im Drud publizirt. 
Indeſſen war der in Betreff der Einrichtung der niederen Schulen 
entworfene Plan zunaͤchſt nur für die Reſidenzſtadt Fulda berechnet, 
wo dieſelben ſchon im Anfange des Jahres 1775 in drei Klaffen, 
jede aus mehreren Unterabteilungen beftehend, eingerichtet wurden, 
Sugteid veröffentlichte Die Regierung des Biſchofs eine Reihe von 
Beftimmungen, durch welche die Ausführung der neuen Schulord- 
Rung erleichtert und gefichert werden follte.e Es wurde befannt 
gemaht, Daß der Unterricht durchaus unentgeldlich erteilt werben 
ſollte. Dagegen wurde allen Stadteinwohnern, Vormündern und 
Dandwerfsmeiftern der Reſidenz befohlen, „ihre eignen, ober aud) 
— . 
*) Durch eine Bulle Benedictd XIV. vom 27. November 1752 war die 

Abtei Fulda zu einem Bistum erhoben worden. 


s 


_ 


- 14 — 


nur pflegbefohlenen und in der Lehre jtehenden Kinder männliche, 
Geſchlechts vom fünften bis zum vollendeten dreizehnten Sabre“ 
ununterbrodhen zur Schule zu ſchicken. Auch jollten die Eltern 
die Wirkſamkeit der Lehrer durch ftrenge Ueberwachung der Kin 
der außer der Schule unterflüßen, ſollten den Kindern Liebe zur 
Schule einflößen, ihnen die in den Klaſſen vorgefchriebenen Schul- 
bücher anfchaffen u. f. w. Kindern notorifch armer Eltern, deren 
Unfäbigfeit zur Anſchaffung der Schulbücher durd das Stadt 
und Polizeigericht feitgeftellt ſei, folten dieſelben unentgeldlich, 
jedoch unter dem Vorbehalt zugeliefert werden, „Daß die Buͤcher 
nicht mutwillig verborben oder verloren, ſondern nach geendigter 
Klaffe wieder getreulich zurüdgeftelt würden, damit fie anderen 
Kindern zu gleichem Gebrauche wieder dargereicht werden Eönnten.*) 
Su der „Allgemeinen Inſtruction an die Lehrer in den nie 
deren Schulen der hiefigen Refidenzftabt”, welche von der „Ho 
fürftlichen zur Schuleinrichtung gnädigft verordneten Commiſſion 
zu Fulda unter dem 3. Januar 1775 veröffentlicht ward, wurde 
den Lehrern eingefchärft, daß, „um den großen Endzwed des Un 
terricht8, Die Aufklärung des Verftandes, bei der verbeßerten Schub 
einrichtung defto ficherer zu erreichen”, eine „gute, den Seelen 
fräften der Kinder angemeßene Methode beobachtet werden” müßt. 
Man begnüge fi, vorläufig, „dieſen einzigen, und bei der Enie 
bung hoͤchſt wichtigen Grundfaß anzuführen: man gehe bei bem 
Unterriht immer vom Leichten zum Schwereren, vom Ginfaden 
zum Bufammengefebten fort. Dies ift die Ordnung der Natur 
jelbft, deren Geſetze man nicht vernachläßigen kann, ohne auf Ab 
wege zu geraten.” Unter den bejonderen Vorfjchriften, welche vor 
den Lehrern beobachtet werden follten, wurde namentlich hervor 
gehoben: Jede Schulftunde follte mit einem vorgefchriebenen Gr 
bete begonnen und geſchloßen werben. Die Lehrer follten ihre 
Kinder täglich um halb zehn Uhr zur Kirche führen, und an 
| 





jedem Sonn» und Fefttag in den Schulftuben von halb adıt bis 
acht Uhr ihren Schülern das Evangelium des Tages erklären und 
fie dann in das hohe Amt führen. Auch follten die Lehrer den 


*) Regierungsausſchreiben d. d. Fulda den 3. Januar 1775. 


— 15 — 


ern öfters Die Megeln der Höflichfeit und einer feinen Lebens⸗ 
löäten, fie durch Lobſprüche Dazu ermuntern und überhaupt 
trieb einer wahren Ehre in ihnen erregen.” _Nad den 
isverzeichniſſen, welche für Die Drei Klafien veröffentlicht 
n, follten Die drei Abteilungen der erften Klafje im Katechis⸗ 
m Leſen, Schreiben, in der Zalenfenntnid und „in der Ölaus 
re und Betrachtung der Erdkugel wechſelweiſe“ unterrichtet 
. Die beiden Abteilungen der erften Klaſſe, in denen Uns 
; in Geographie, Mathematik, in der Anwendung der Koͤr⸗ 
e auf verjchiedene Künfte, im Beichnen u. Dgl. erteilt warb, 
urchaus ald Realſchule eingerichtet. — Der Religionsunter- 
cat in allen drei Klafjen ſehr zurüd. Gefangunterricht war 
Lectiondtabellen gar nidht erwähnt. 
Reben biejen „niederen“ Knabenjchulen wurde einige Sabre 
für die Stadt Fulda aud eine große Toͤchterſchule mit 
Lehrerinnen begründet, deren Einrichtung in Dem Herbitprü- 
uch des Sahres 1778 befannt gemadyt wurbe. 
Während nun in der angegebenen Weife die Reorganijation 
olksſchulweſens in der Refidenzftabt bewirft wurde, that ber 
ſchof gleichzeitig die nötigen Schritte, um auch auf den Dör- 
em Schulweſen aufzubelfen. Vor Allem ſchien bier bie 
ildung eines tüchtigen Lehrerftandes Not zu thun. Da ein 
ehrerjeminar nody nicht vorhanden war, auch nicht jo geſchwind 
tet werden Eonnte, jo beichloß Heinrih von Bibra, in 
vorläufig eine Mufterfchule einzurichten, in welcher Die 
neifter in den wichtigften paͤdagogiſchen Fächern unterrichtet 
ſollten. Schon i. 3. 1774 wurde diefe „Mufterjchule“ 
irt, und alle Xehrer, jowol die der Hauptitadt, als Die der 
ädte und Dorfichaften wurden zum Beſuche derjelben einbe- 
Außerdem wurden auch ſolche Sünglinge, Die fih, ohne 
Lehrer gewefen zu jein, für Den Xebrerberuf vorbereiten 
I, zum Beſuche der Anftalt aufgefordert. Zugleich muften 
ndesherrlichen Befehl von Seiten der Univerfität zu Fulda 
ungen Über Pädagogik und verwandte Fächer gehalten wer- 
eren Anhörung namentlich den Lehrern der niederen Stadt: 
ı anempfoblen wurde, 


— 16 — 


Um auch die äußere Lage der Dorfſchulmeiſter einigermapez 
zu verbeßern, befahl Heinrid von Bibra im folgenden Jahre, Die 
übliche, aber jehr jchlecht eingehende Brotabgabe an die Schu 
meifter in eine ®eldabgabe umzuwandeln, indem er unter dem 
21. November 1775 verordnete: 

„Demnach Uns die befhwerende Anzeige der Landſchul⸗ 
meifter vorgefommen, daß, wo ihnen von den eingepfarrten Un» 
tertbanen jährlih in partem Salarii ein Laib Brot herfomnlich 
abgereichet werden müße, Diejes teild im ungleichem Gewichte ge⸗ 
ſchehe, auch oft zur Zeit, wo das Brod felbften im Baden ver 
dorben und unfpeisbar geworden ift, verabreichet wurde, teild auch 
dieſes Brot den Unterthanen oft abgebettelt, oft abgezanft wer 
den müße, dieſem unleidentlihen Unfug aber Wir Tänger nachzu⸗ 
ſehen nicht gemeinet find; ald verordnen und gebieten Wir am | 
durch gnädigft, daß 

1) Unfere Ober» und Beamte allen und jeden Unterthanen, | 
welchen dieſe Brotabgabe herkoͤmmlich oblieget, anzubefehlen haben, 
ſolches den Schulmeiftern nicht mehr in natura, jondern, 

2) weil der Laib Brod fonft 6 Pfund Hat wiegen folen, 
hierzu aber nad) Erkenntnis des Baͤckerhandwerks 3 Köpfchen od 
25 Theil eined Maaß Kornd von mittelmäßiger Gattung erfor⸗ 
derlich find, fo viel Korn, wie e8 in jeder Gegend wächft, jede* 
mal den Tag nad Martini, 1776 anzufangen, bei fchärffter Ein 
ficht abzugeben haben; wozu 

3) die Beamten eine richtige Lifte Der ſchuldigen Unterthanen 
zu führen, und die Abgabe durch den Actuarius oder Amtödient 
mit allenfalfigem Executionszwang auf das pünftlichfte zu beſor⸗ 
gen haben jollen.” 

Dagegen wurde den Lehrern zwei Jahre fpäter eingefchärft, 
daß fie ibrerfeits Alles aufzubieten hätten, um durch würdiges 
Verhalten die Ehre ihres Amtes zu heben, weshalb ihnen Ye 
Allem das Aufſpielen bei dffentlihen Tänzen unterfagt wurde. 

Wichtiger jedoch als dieſe VBeftimmungen, war eine Verord 
nung, welche aus der feit mehreren Jahren beftehenden „hochfürk 
lichen Schulfommiffion” unter dem 21. December 1776 erſchien. 
In derfelben wurde nemlich befohlen, daß alle Pfarrer mit Zugiehund 








_ 17 — 


ber Amtleute in ihren Pfarreien Schuldeputirte ernennen 
ſollten, und zwar für den Pfarrort zwei, ebenjo für jedes Filial- 
dorf zwei, Dagegen für jedes eingepfarrte Dorf nur einen. Diefe 
Shuldeputirten follten „reblihe Männer fein, die wegen ihrer 
guten Aufführung Anfehn in der Gemeinde” Hätten. In der 
Stadt Fulda follten zwei Mitglieder des Stadtrates mit dieſem 
Amte betraut werden, die Schuldeputirten follten, während die 
Ueberwachung des eigentlichen Unterrichte8 der Schulfommiljion 
und den Pfarrern verblieb, nur darauf fehn, daß die Schulftunden 
tihtig gehalten würden, weshalb fie die Echulen ihrer Gemeinden 
wöhentlich wenigftend einmal beſuchen follten. Auch follten die 
&ehrer den Schuldeputirten in jeder Woche die Abfentenlifte aus 
der verfloßnen Woche einreichen. Für jede Stunde, welde, nach 
dem Ermeßen des Lehrers ohne genügenden Grund, von einem 
Rinde verfäumt werde, follte in den Städten 6, auf den Dörfern 
I Rreuzer Strafe gezalt werden. Dieſe Strafgelder follten von 
den Schuldeputirten, nötigenfalld mit Hülfe der Amtleute eincaj- 
frt, und zur Anfchaffung von Schulbüdyern für arme Schüler vers 
wendet werben. Schulpflichtig jollten alle Kinder vom fechften 
biß zum vierzehnten Tebensjahre fein. - Das Schulgeld follten die 
Deputirten vierteljährlicy erheben und an das Amt abliefern, wo 
es dem Schullehrer ausgezalt werben ſollte. — 

Durch dieſe Verordnungen war Die eigentliche Reorganijas 
ton des Volksſchulweſens, welche in den nächften Jahren erfolgen 
ſolte, hinlänglich vorbereitet. Nachdem man daher auf landes+ 
herrlichen Befehl, um das Dienfteinfommen und die bienftlichen 
Berhältniffe der Lehrer binlänglich zu fihern, i. I. 1779 von 
len Lehrerſtellen die genauefte ſtatiſtiſche Beſchreibung bergeftellt 
datte, war das Jahr 1781 dazu beftimmt, die neue Schulordnung 
ins Reben treten zu laßen. Diefelbe erjchien unter dem Titel 
Allgemeine Ordnung für die niederen Schulen des 
Bistums und Fürftentums Fulda,” und war troß ihrer 
vielfachen Mängel, die fih aus dem Schaden der Zeit begreifen 
laßen, jedenfalls die trefflichſte und umfaßendſte aller bisher für 
die katholiſchen Volksſchulen außerhalb des unmittelbaren Wir⸗ 


kungskreiſes Felbigers aufgeſtellten Ordnungen. 
done, Vollsſchulweſen, 2. 2 


— 15 — 


Der Fortbeftand der zur Heranbildung tüchtiger Lehrer B 
gründeten Mufterfehule wurde in derfelben mit der weiteren Wi 
ſtimmung garantirt, daß die Mufterjchule ſowol von bereit8 a 
geftellten Lehrern, als von LXehrantsaspiranten befucht werd. 
jolte. Sn Betreff der erfterern wurden folgende Beſtimmung — 
getroffen: „I. Der Director ift der Mufterjchule vorgefeßt, urzi 
beforgt den Unterriht. 2. Die wirklichen Lehrer werden während 
ihrer Lernzeit auf Landeskoſten unterhalten. 3. Es werden auf 
einmal nicht über ſechszehn Perfonen berufen, und jedesmal foldye, 
die einerlei Fähigkeiten haben. 4. Der Unterricht ift in drei Ab- 
Schnitte zerteilt: Eine Anzal von Perſonen wird auf eine unbe 
ftimnte Beit jo lange geübt, biß fie die im erften Abjchnitt vor- 
tommenden Sachen binlänglich verftehn; nun werden diefe einfl- 
weilen entlaßen, und es folgen andre, biß man durch Das ganze 
Bistum jeden einmal vorgehabt hat. Ebenjo wird im zweiten 
und dritten Abjchnitt verfahren. 5. Am Ende werben fie vor bet 
— zur Schuleinridhtung verordneten Commiſſion öffentlich gepräft, 
die tauglichen — beftätigt, und die untauglidhen entlaßen. 6. Ale 
Lehrer, die ſich in der Mufterfchule nicht gut verwendet haben, 
und doch auf die Bedingnis, das Verfäumte nachzubolen, find Be 
ftätigt worden, — müßen, fo oft man fie zu fordern für nötig 
findet, erfcheinen, und ſich aufs neue und zwar auf eigne Koſt en 
unterrichten laßen.“ 

In Betreff der eigentlihen Kandidaten des Lehramtes ward 
feftgefeßt, daß dieſelben bei ihrer Aufnahme in die Mufterjchrslt 
nicht unter 16 und nicht über 26 Jahre alt fein durften, um) 
daß fie für ihren Unterhalt jelbft zu forgen hätten. Auch wurD! 
beftimmt, daß in Zukunft Niemand anders „ald nad) vorgehen D*" 
öffentlicher Prüfung vor der Schulkommiſſion“ zum Lehrer erna 
werden follte. 

Die Anfhauung von dem Charakter und Wefen der Bote 
ihule, von der man in der Schulordnung ausging, wurden 
den vier erften SS. Derjelben „von der Beftimmung Der nieder" 
Schulen” ausgeſprochen: „Geſunder Menjchenverftand , gründtzeh* 
Erkenntnis Gottes und der Religion, nützliche Kenntniffe un 
Wißenſchaften, richtige Begriffe der Standespflichten und gu 


— 19 — 


tn find bie Dinge, zu denen die Jugend muß angeführt wers 

Diefe Dinge find einem jeden nötig, dem Bauer, dem 
flex, dem Gelehrten, dem Staatdmanne, — — auf fie grün⸗ 
ih das allgemeine und das bejondre Wol jeded einzelnen 
gliedes der menjchlichen Geſellſchaft. Doc können fie bei ei- 
n eingefchräuft, und bei andern müßen fie ausgebreitet jein. 
es bedingen die verfchiebnen Stände, woraus ein Staat be 

Eben diefe Stände veranlaßen Die Einteilung des Lehram: 
in verſchiedne Schulen, in die niedern, mittleren und 
en. — Die niederen Schulen — find zu einer boppelten 
bt beftimmt: 1) fie find die Grundlage zu allen Dingen, die 
, die Erziehung etwas zur menfchlichen Glückſeligkeit beitragen, 
die Vorbereitung zu böheren Wißenfchaften, daß man ohne 
ernid zu ihnen übergehen könne; 2) fol in benfelben der 
tjame und gejchäftige Bürger, der Fünftige Handwerker, 
er, Künftler und Kaufmann erzogen, und in ben ihm nüpß- 
a Stüden zur Vollkommenheit gebradht werben. — ‘Der 
id dieſer Bürger ift in Anfehung ihrer Beichäftigung zweier⸗ 
Der eine giebt fi) ab mit dem Wderbau ober Hanbwerf, 
andre mit Künften ober Handelſchaft. Dieje legtern bedürfen 
en Geſchaͤften und zu ihrer Lebensart mehrere und manig- 
jere Kenntniffe als jene. So teilen ſich dieſe Schulen auch 
vei Öattungen, in Die Land- und in die Stadtſchulen.“ 
„88 kann nicht gleichgültig fein, was man in dieſen Schu- 
lehren wolle; es kömmt darauf an, Daß man dasjenige lehre, 
ber Bögling bedarf, und ihn fo weit bringe, daß er fähig 
e, in dem Stande, wozu er erzogen wird, das Seinige zum 
meinen Beften beizutragen. Von unfrer Urgroßväter Zeiten 
bat man in den öffentlichen Schulen nebft der Glaubens: 
te etwas Leſen und Schreiben gelehrt; hiermit war der 
jerftand abgefertigt. Wie unzulänglidh dieſes fei, 
f heute nicht weitläufig bewiejen werden. Ge 
‚ man fordert von dem Landmann, er foll vernünftig und 
ig denken und handeln, die Religion und feine Stanbespflich- 
kennen, fie burtig und mit Freude auszuüben lernen; er ſoll 
feiner angeerbten Unwißenheit und gedankenlofen Finfternis 

g* 


— 20 — 


herausgerißen, von feinen falſchen Vorurteilen und verkehrten € 
wohnbeiten in feinen Verrichtungen abgezogen, von dem Wei 
feines Gejchäftes überzeugt, kurz er fol ein verftändig: 
Mann, ein guter Chrift, ein tühtiger Bauer werd: 
Von dem Bürger in der Stadt fordert man eben dieſes; x 
anftatt des Landwirte joll er ein erfahrener Kaufma 
oder Künftler und gefhicdter Arbeiter werden. Auch 9 
len einige aus dem bürgerlichen zum gelehrten Stande übergeh 
Das weibliche Geſchlecht aber ſoll einftens den häuslichen Yaı 
legenbeiten und der erften Grziehung der Kinder vorftehn, 

unter defjen der Mann ſorgenlos fein Gefchäft betreibt. WW « 
den nun Katehismus, Leſen und Schreiben dief 
großen Haufen von Bürgern zu fo mannigfaltig 
Ubfihten gehörig vorbereiten Eönnen? Gew 
nit." — J 

Dieſes waren die Grundanſchauungen, nach denen X 
Volksſchulweſen im Bistum Fulda reorganifirt wurde. Die Vol 
ichule ſollte nicht mehr ein ausſchließlich kirchliches Inſtitut Je 
welches den Chriſtenmenſchen als ſolchen erziehen, ihm das 2 
Ausübung des chriftlihen und gottesdienftlichen Lebens in 1 
Gemeinde Nötige gewähren follte; vielmehr follte die Pfarrſch 
jegt zu einer von Kriftlidem Geifte getragenen Rec 
und Bürgerfchule werden. 

Aber um die bißherigen, in ber allertraurigften Verfaßs: 
beftanpnen Pfarrfchulen zu tühtigen Bürgerjchulen umzu 
ftalten, wurden im Bistum Zulda damals Die umfidhtigften, cor" 
quenteften und durchgreifendften Anordnungen getroffen. 

Die erfte Verordnung nemlid, weldhe im Bufammenhes 
mit diefen Erläuterungen in der Schulordnung veröffentlicht wur? 
beftimmte, daß alle Kinder des Landes fchulpflichtig fein, und d 
— auch zur Grteilung des Privatunterriht8 — nur geprüf 
Lehrer zugelaßen werden follten. — Die in den Landſchulen be 
der Geſchlechter zu behandelnden Lehrgegenftände find: Religion: 
lehre und chriſtliche Sittenlehre, Leſen, Briefſchreiben, Schönfchre 
ben, Rechnen bis zur Geſellſchaftsrechnung, Anleitung zur Land 
wirtfchaft, Erbbeichreibung und Vaterlandsgeſchichte — Zu de 


— 1 — 


Schulen ber Landftädte ſollten dieſelben Gegenſtände, nur ums 
foßender, und außer ihnen ſollten auch die Anfänge der Natur⸗ 
lehre und der Mathematif gelehrt werden. Die Echüler der Re 
fdenzftabt follten außerdem noch in Phyſik, höherer Mathematif, 
Algebra, Arzneikunde, Baufunft u. ſ. w. Unterricht erhalten. Für 
die Mädchen in den Städten war ber Unterricht nur auf bie 
Sächer beſchraͤnkt, welche in den Landſchulen gelehrt wurden; ftatt 
des Unterricht8 in der Landwirtſchaft follte ihnen Anleitung zur 
Führung des Haushalte, zum Nähen, Striden und zum Lefen 
guter Bücher gegeben werden. Ä 
Die Schulordnung enthielt die detaillirteften und umfichtig- 
fen Beflimmungen, um den Befuch des Unterrichted für alle 
Wdulpflichtigen Kinder möglichft zu erleichtern. So wurde 3. ©. 
angeordnet, „damit die Kinder von auswärtigen Orten bei kothich- 
ter, ftürmifcher und Ealter Witterung einen Beiftand hätten, auch 
Ionft gegen Ausfchweifungen gefichert wären, follte fie täglich einer 
inter den Vätern abwechjelnd wenigftens bis an den Schulort 
begleiten, und fie des Abends wieder abholen. Wenn aber die 
Bitterung zu rauh fei, fo daß folche Kinder, befonders die Heinen, 
nicht erfcheinen könnten, — jo follten die Nebenjchullehrer diejelben 
m Zeiten in ihren Orten bejuchen, und da Unterricht geben.” 
Die Ausdehnung der „Schulzeit“ betreffend wurde beftimmt, 
dak neben den Winter- auch Sommerjchulen beftehen follten. Doch 
ſollte in den leßteren täglich, nur zwei Stunden lang, von 11 bis 
1 Uhr unterrichtet werden. Um den Erfolg des Schulunterrichtes 
m fihern, wurde verordnet, „daß die Jugend männlichen Ge 
ſchlechts vom 14. biß an das 20. Jahr ihres Alterd auf allen 
Harreien, befonders die Lehrjungen und einheimifchen Handwerks— 
burſchen in den Landſtädten alle Sonntage fogleid nach der Ghri- 
Renlehre in ber gewöhnlichen Schule zufammenfommen, und fi 
dom Lehrer anderthalbe Stunden lang unterrichten laßen, wo ſie 
das Schönſchreiben, Briefſchreiben, Rechnen, Geſchichte und Land⸗ 
wirtſchaft üben, auffriſchen, im Gedaͤchtnis erhalten, zur Fertigkeit 
und Vollkommenheit bringen.” Dieſe Sonntagsübungen wurden 
(nach Zelbigerd Vorgang) ald Wiederholungsſtunden 
eichnet. 


— 2 — 


Ganz eigentümlich find der Schulordnung die Beftimmi 
welche in derfelben zur Hebung des Anfehens ber Lehrer gei 
werden. Gewis war die Klage berfelben begründet: „Deffe 
Schullehrer dürfen ſich weder Nechnung auf ruhige und be 
liche Tage machen, noch weniger haben fie Ausficht zu Belce 
gen, die fi bei andern Ständen zeigen. Ihr gewißefter Le 
jederzeit Unbanf, Ueberdies Ieben fie im Stande der Unbe 
lichkeit wie der geringfte Bürger, in dem Stande der allger 
Verachtung, wie aus Vorurteil Gerichtödiener, Die man al 
wendige Uebel anfteht. Der Vornehmere glaubt ſich zu er 
gen, wenn er freundfchaftlic mit ihnen umgehe; der Bauen 
fie hier und da Dingt, und auch nad) Gefallen wieder ab| 
begegnet ihnen weit geringfchäßiger, al dem Schüler, 
Kinde.” Um nun diefem Grundſchaden, an dem die ganze 
lung der Lehrer litt, zu befeitigen, wurden in der Schulor 
folgende, in damaliger Zeit teilweife unerbörte Beſtimm 
publizirt: „1) Keine Gemeinde fann in Zukunft eigenmächtt 
Schule errichten. 2) Keine Gemeinde — fol in Zukunft 
Lehrer annehmen, noch weniger abfchaffen. 3) Der Rang 
die Ehrenftufe, deren ſich die Schullehrer bei öffentlichen Zei 
feiten bedienen koͤnnen und follen, ift in den Landftädten umı 
bar nach den Magiftratsperfonen, und auf dem Lande naı 
Amtsichreibern. 4) Die Pfarrer follen Die Lehrer nicht zu ı 
trächtigen Dienften gebrauchen. 5) Die Lehrer find nicht 
halten, den Meßwein von andern Orten abzuholen; biefes ı 
die Kirchenvorfteher Heiligenmeifter beforgen. 6) Auch fol 
in dem Orte den Meßwein nicht aus dem MWirtshaufe und 
rend der Schulzeit nicht aus dem Pfarrhaufe abholen; Dies 
ein erwachfener Schulfnabe thun. 7) Weder follen fidh die £ 
jet e8 in ihren eignen oder andern Pfarreien, in Wirtsh, 
jehen laßen, noch bei öffentlichen Zechen erjcheinen, am allerı 
ften aber mit dem Hute unter dem Arme die Zeche ausl 
oder anfagen, das Geld einfammeln und die Dankſagung abfl 
8) Wo aber dieſe freien Zechen für die Tauf⸗, Begräbnis 
Kopulationdgebüren gelten, und die Lehrer ald Kirchendiener 
nicht8 bekommen, fol denfelben abgegeben werden, was 


— 23 — 


Ke& wordnung von 1779 in Anſehung der Kirchen⸗, Pfarr⸗ und 
Schulbeſchreibung biefiger Didcefe bei jeder abgefonderten Schul. 
Bedienung dermalen ſchon beftimmt ift oder noch feftgefeßt wird. 
9) 63 ift ſchon (Verordnung von 1777) verboten, daß kein Lehrer 
bei öffentlichen Tänzen Muſik machen fol; dieſes wird hiermit ber 
ftaätigt. Doch find hiervon die Gandidaten ausgenommen , die 
wicrklich bei feiner Schule angeftellt find. 10) Alle, von Denen 
man weiß, Daß ihre mit ben Gemeinden biß zur Gleichgültigkeit 
oDer gar zur Verachtung gelommene Befanntfchaft Dem Anfehen, 
und folglih dem Lehramte ſchaͤdlich ift, follen an andre Plaͤtze 
gefest werden. 11) Keiner fol in Zukunft ohne wichtige und 
Dräingende Urſache an dem Orte, wo er geboren iſt oder feine An- 
verwandten hat, als Lehrer angeftellt werben. jene, die fid 
wirklich an ſolchen Drten befinden, follen verfeßt werben. 12) 
UNe follen fi) beßer ald der gemeine Landmann, und zwar gleich- 
förmig in braunem oder grauem Tuche, ſchwarzen Beinkleidern 
und Strümpfen Eleiden. 13) — Kein Lehrer jol fi ohne von 
ber hochf. geiftl. Regierung erhaltne Erlaubnis verheiraten.” — 
Mehr noch als in diefen Beftimmungen trat das außeror- 
Dentliche Intereſſe, welches der Fürftbifchof an dem Volksſchulweſen 
nahm, in den Verordnungen über Die Dotirung der Lehrerftellen 
hervor. Es wurde nemlich feftgefeßt, daß der Minimalgehalt je- 
Des Lehrers in der Nefidenz 250 fl, in den Landſtaͤdten 200 fl., 
auf den Landpfarreien 150fl., auf den eigentlichen Filialen 100 fl. 
und auf den Nebenfchulen 75 fl. betragen follte. „Wo an diejer 
Beſoldung noch fehlt, werben die Pfarreien, Gemeinden und Ort: 
Ichaften angehalten, fie zu ergänzen.” Außerdem wurden ben 
Tehrern noch die erheblichften Emolumente andrer Art zugefichert. 
Auch für Herftellung gut eingerichteter Schulbäufer war ber 
Fürſtbiſchof bedacht, und auch hier wurden die großartigſten An⸗ 
ſtrengungen beſchloßen. Allerdings thaten dieſelben not, da ſich 
te Schulordnung ſelbſt darüber ausſpricht, in welcher klaͤglichen 
eſchaffenheit die Schullocale waren: „Die Nebenſchulen haben 
dum Teil gar keine ſtaͤndigen Schulhaͤuſer; man fuͤhrt die Kinder 
Schenweiſe von einem zum andern Haufe. Bei den Pfarreien 
Recken fie zum Teil in finftern Winkeln, gleichen Gefängnijlen, 


—_ 24 — 


Wohnungen der Durftigkeit und Freiſtätten der Bettelei; zum 
Teil find fie nicht gut eingerichtet, und es fehlt an den nötige 
Gerätfchaften. Hier ift die Schulftube zu klein und faßet diw 
Kinder nicht, oder wird vom Hausgeräte des Lehrers, der fie zu= 
glei zur MWohnftube macht, verfperrt. Dort unterbrechen bir 
häuslichen Gejchäfte der Frau, der Kinder, der Dienftperfonen, 
auch oft das Vieh, Hunde und Haben den Unterricht, oder ziehen 
wenigftens die Aufmerkſamkeit der Schüler an ſich. Bald fehlt 
es an einem Stalle, wo die Lehrer etliche Stüde Vieh unterhalten, 
bald an einer Scheuer, wo er Stroh und Futter verwahren, bald 
an einem Keller, wo er fein Gemüße und andre Notwendigkeiten 
unterbringen koͤnne.“ — Um diefen großen Uebelftand von Grund 
aus zu befeitigen, wurden in der Schulordnung die detaillirteften 
Beftimmungen erlaßen, von denen hier nur einige folgen: 1. Wo 
eine Schule ift, fol aud ein Schulhaus fein. 2. Bei jedem 
Schulhauſe follen mwenigftend eine abgejonderte Schulftube, eine 
Stube zur Wohnung des Lehrers, eine Kammer für bie Kinder, 
Kühe, Keller, Stall für einige Stüde Vieh, nötige Behaͤltnis 
für Futter und Stroh, und ein Ahtritt mit einer Thür in oder 
an dem Haufe fein. 3. So viele Lehrer bei einer Schule find, 
jo viele abgefonderte Schulftuben follen auch fein. 4. Die Schul 
ftuben follen unbewohnt, von Betten, Webeftühlen, Hobelbänten 
und anderem Haudgeräte frei, hingegen mit Baͤnken, die zugleid 
zum Schreiben eingerichtet find, mit einem etwas erhöheten Tiſche 
für den Lehrer, daß er die Kinder in der ganzen Schule überfehen 
fönne, einem zu verfchließenden Schranfe zu den Schulbüchern und 
andern Scjulerforderniffen verjehen fein. 5. Die Schul« und 
MWohnftube, obſchon fie Ein Dfen zugleich heizt, ſollen Feine ge 
meinfchaftliche Thür, fondern jede ihre beſondre haben, daß weder 
die Schüler durch das Wohnzimmer, noch der Lehrer ober die 
Seinigen durdy die Schulftube gehen dürfen. 

Wir übergehen die übrigen Beftimmungen der Schulordnung 
über die firchliche Beauffichtigung der Schule, über die Schub 
pflichtigfeit der Kinder, über die Handhabung der Schuldisciplin, 
u. f. w., da das bißher Mitgeteilte genügt, um den Gharafte 


— 28 — 


bieſes Statuts, welches durchaus auf Felbigers Ideen beruhte. 
mb bie Bebeutung deſſelben ind Klare zu feßen. 

Die Energie, mit welcher die Landesherrſchaft die Vollzieh⸗ 
img ber Schulordnung betrieb, bewirkte es, daß fich fehr bald in 
illen Pfarreien des Landes ein Schulwefen erhob, welches mit 
ven früheren Schuleinrichtungen Faum verglichen werben konnte. 
ber zwei Beflimmungen der Schulordnung ließen fi nur burd) 
vieberholte Verfügungen der Behörden zur Ausführung bringen, 
iemlich die Anordnung der Wieberholungsftunden und das gegen 
He bisherige Teilnahme der Schulmeifter an Zechen und Gelagen 
rlaßne Verbot. Denn immer noch erfchienen die Schulmeifter in 
en Wirtöhäufern, um zum Tanze aufzufpielen, immer noch nah⸗ 
nen fie mit ihren Frauen an Kindtaufs- und Hochzeitsfchmaufe- 
eien Teil, um bafelbft aufzumarten und ihr gebürenbes Teil als 
ohn davon zu tragen, nnd immer noch wollte e8 weder ben 
Schnlmeiftern noch der erwachjenen Jugend einleuchten,, daß fie 
ch um die Wieberholungsftunden zu befümmern brauchten. Ein 
Insfchreiben der geiftlihen Regierung vom 17. März 1783 ver- 
tes daher Die Echulmeifter in die ordnungsmäßigen Schranken 
nd bedrohte die Verfäumung der Wiederholungsftunden mit ver: 
härften Strafen. Gin fpätered Ausſchreiben der Regierung vom 
4. Januar 1791 orbnete an, baß die Oberämter „bie herge- 
-achten Zechen, bet welchen zeither die Schullehrer erfchtenen, an 
eld anfchlagen und die unter ihre Gerichtsbarkeit gehörigen Ge⸗ 
einheiten dahin vermögen follten, daß jedesmal flatt der freien 
echen das verhältnismäßig angefchlagene Geld an die Lehrer ab- 
Beben werde." Außerdem wurde noch in demfelben Jahre unter 
m 16. September von der Regierung verfügt, daß neben den 
farrern auch die Memter die Sonntags- oder Wiederholungs- 
zulen überwachen, „diefelben durch beſonders von Amts wegen 
Läuftellende rechtfchaffene Auffeher vifitiren und demnach die Hart- 
ickigen oder Strafmäßigen mit angemeßener Strafe, boch ohne 
eld, züchtigen” follte. — Aber die Vergütung betreffend, welche 
rı Schullehrern wegen des ihnen unterfagten Beſuchs der Zechen 
ı entrichten war, mufte die Regierung unter dem 16. Mai 1794 
erordnen: „Weil den Schullehrern bei Ehrenzechen zu erfcheinen. 


überhaupt verboten, und dieſer nebft feinem Eheweibe bisher Lei 
Ehrenzechen frei gehalten worben ift, al8 hat jebe implorantifge 
Gemeinde dem Lehrer von jeder Ehrenzeche ſechs Kreuzer zu zalen, 
und fol deſſen Eheweib Fünftighin bei feiner Ehrenzeche frei 
fein.” — 

Aus der |päteren Zeit iſt nur noch zu erwähnen, daß (nad 
der Säcularifation des. Bistums) durch eine Verordnung des Erb⸗ 
prinzen Wilhelm Friedrih von Oranien-Naffau vom 1. Februar 
1805 die Errichtung eines eigentlichen Schullehrerfeminars und 
eine nochmalige Aufbeßerung der LTehrergehalte decretirt wurde. 


Das Großherzogtum Heſſen⸗Darmſtadt. 


Als nach dem Tode des Landgrafen Philipp (1567) deſſen 
dritter Sohn als Landgraf Georg I. die Regierung von Heflew 
Darmſtadt übernahm, war der Zuftand der deutſchen Schulen hier 
und in dem Giejener Zeil von Oberheffen, der fpäterhin mit 
Hefien- Darmftadt vereinigt wurde, ganz berfelbe wie in Nieder 
heſſen. Als eigentlicher Beruf der Küfter galt nur die Verrichtung 
des niederen Kirchendienites, und ed war daher eine fehr feltne 
Ausnahme, wenn bier ober da ein Küfter ſich mit dem Unterrichte 
ber Jugend befaßen Eonnte und wollte. Nur in den Städten gab 
es ftändige deutſche Schulen, auch Mädchenfchulen *). Aflerbingd 


+) Für Grünberg in Oberbeflen verfügten Statthalter und Räte zu 
Marburg durch Erlap vom 12. Rovember 1579 die Errichtung einer Mädger 
ſchule mit den Worten: „Diemweil aud in Grünberg eine gute Zeit her feit 
Schule für die jungen Maidlein gemwefen und dann in Städten faft nüßlich, da} 
eine ehrliche alte Matrone, fo die jungen Maidlein den Katechismum, Gottesfurdt. 
auch Lefen und Schreiben lerne, damit fie darnächft, wenn fie zu ihrem li 
tommen, ihre Sinder fo viel defto befer in Gottesfurcht und der chriſtlichen 
Meligion erziehen und ihr Hausgefinde gottfelig regieren können, fo if für ge 


— 1 _ 


fah ber fromme Landgraf Georg L die Beförderung des Schul: 
weſens als eine feiner allerernfteften Regentenpflichten an, wes⸗ 
halb er Binnen zehn Sahren dreizehn neue Landfchulen ftiftete. 
Ar das eigentliche Volksſchulweſen gewann damit immer noch 
keinen rechten Anfang. Nur auf einem Punkte kam die unermüb> 
liche Thaͤtigkeit Georgs der Volköfchule zu Gute, — worin ders 
jäbe aber auch feiner Zeit weit voraus eilte, — indem nemlich 
Georg noch in feinen lebten Lebensjahren in Darmfladt das 
fe Waifenhbaus in Heffen, und in Verbindung mit dem⸗ 
ſelben eine Armenfchule ſchuf. 

Ueber die Einrichtung dieſes Inſtituts gibt folgende „Schuls 
nung und Beftallung Andrei Hermanns als verorbneten Prä- 
ceptoris der armen und älternlofen Knaben” Auskunft. Dieſelbe 
lautet nämlich : 

„Wir Georg von Gottes Gnaden ıc. ıc. thun Fund hiermit 
bekennend, al8 wir eine Zeit ber gefpürt, daß hin und wieber 
in anferm Ort Landes je bisweilen die Kinder entweder daher, 
daß fie elternlos, oder auch wegen ihrer Armut und Mangels 
notdürftiger Hülfe oder Handbietung nicht zur Schule gehalten 
und alfo verfäumt werben: ob dann wol bin und wieder in un- 
jem Städten und Fleden allbereit3 ber Notdurft nach Schulen 
angeordnet, fo haben wir doch bedacht, daß es fonderlich folder 
daterlofen und armen Kinder Thun nicht ift, Denfelbigen 
Säulen nachzuziehen, und ſich darin fo Tange aufzuhalten, Bis fie 
die Inteinifche Sprache oder je fonft ſoviel als ihnen Inkünftig zu 
den Handthierungen, bazu fte fortan befördert und gebraucht 
werden, vonndten, Iernen möchten. Daher wird bann für bie 
ſchigen Rnaben eine fonderbare Schule, darin fie 
allein deutſch Tefen, fchreiben und rechnen lernen 
kinnen, angeorbnet, daß wir demnach unferen lieben, getrenen 

ermannum zu einem Schulmeifter in ſolche Schule 


— 


— 





engeſehen, daß ein ehrbarer Mat und Stadt Grünberg eine ſolche ehrliche Frau 
emehmen folle.” — Diefes geſchah auch wirklich, und noch i. 3. 1608 war eine 
RüdGenfgule unter einer Schulmeifterin in Grünberg vorhanden. Bgl. ei afer 

ge zur Geſchichte der Stadt Grünberg. ©. 137, ' 





— 28 — 


über die Knaben, fo wir jetzo darin haben, und hiernaͤchſt weite 
annehmen ' werben, verorbnet, beftellt und angenommen haben, be 
fielen und nehmen ihn auch darzu auf und an hiermit und ü 
Kraft dieſes Beftallungsbriefes Ddergeftalt und alfo, daß er üi 
ſolcher Schule unfer beftellter Schulmeifter und Diener fein, um 
die Knaben, fo ihm untergeben werden, feinem dußerften unt 
beften Vermögen und Verſtand nach zuvörberft zur Gottes: 
furcht, Danebft zu ehbrbaren, guten Sitten und Tu: 
genden, und dann auch, wie obgemeldt, zum Leſen, Schrei: 
ben und Rechnen fleißig inftituiren, unterweifen und anhalten 
und fonderlich fich Diefer unfrer Ordnung gemäß verhalten folk. 

Nemlich und erftlich jo er fie vor allen Dingen zur Gottes 
furcht und. dem Gebet fleißig anweifen und fonderlich alle unt 
jeden Morgen, wann fie vom Schlaf aufgeftanden, ihre Kleider 
und Schuhe gepußt, auch fich, wie hernach vermeldet, gewaſchen, 
fie anhalten, daß fie ihr Morgengebet ſprechen, darauf er dann 
den Katechismus mit ihnen repetiren und fie folgends ein ober 
mehre Kapitel aus der Bibel lefen lagen fol. 

Darnächft follen fie au) den Tag über beides Morgens und 
Nachmittags, wenn die Lectiones, fo ihnen aufgegeben, expedttt, 
auch jedesmal nad) gehaltner Mahlzeit, Pfalmen, Lobgefänge und 
geiftliche Lieder fingen und fonderlih die Gefänge auf: 
wendig lernen, damit fie allezeit der Bücher dabei 
bedürfen. 

Desgleihen wann fie zu und von dem Tifch gehen, bie 
gewöhnlichen Tifchgebete, auch etliche Palmen unb Sprüche aus 
der heiligen Schrift, fo fi darzu accommodiren, beten. 

Auch folgends ehe und zuvor fie fchlafen gehen, wieder eind 
oder mehre Kapitel in der Bibel Iefen, ihre Abenbgebete und 
Pſalmen beten, und fi) darauf fchlafen legen. 

Ferner ſoll er fie neben diefem auch anhalten, daß fie alt 
und jeden Sonntag die Evangelia auswendig lernen und ibm 
recitiren, andy fortan fie gemeldte Eonn- wie auch andre Pre 
Digttage in unjre Hofcapelle führen und darin mit ihnen fing 
helfen, und nad) gehaltener Predigt einen jeden infonbetheit v0! 
nehmen und egaminiren, was er aus ber Predigt behalten, ı# 


— 9 — 


kan einer oder mehre nichts zu erzählen wißen, dem oder den⸗ 
Iben ſoll ers das erfte mal mit Worten ernftlicdy -verweifen, und 
o fie das andere mal wieder alſo fommen und nicht behalten 
iben, alsdann mit Ruten ftreihen, damit fie folgends deſto 
eißiger Achtung auf die Predigt geben. | 
Würden fi) auch einer oder mehre zur, Öottesläfterung oder 
dern Sünden und Laſtern anlagen, ald etwa zum Fluchen und 
Awören oder Lügen, es feien gleich Eleine oder große Lügen, 
er aber zum Stehlen, oder ſich zur Unzucht begeben und den 
kichtigen Weibern nachlaufen ober fonft fih mit unzüchtigen 
orten ober Geberden vernehmen laßen , den= oder diefelben joll 
‚ 10 oft es ſich zuträgt oder von ihnen gehört und vermerkt 
md, wol mit Ruten ftreichen und fie aljo mit allem Ernft davon 
halten. Da dann ſolches je auch nicht8 helfen wollte, ſoll erd uns 
yeigen, Damit wir beöwegen ferner Verordnung thun können. — 
Soviel fürs andre die Anftitution in guten Sitten und Tugenden 
langt, fol er erftlich die Kuaben alle Morgen dahin anhalten, 
B fie, fobald fie vom Schlaf aufgeftanden „ ehe und zuvor fie 
m Gebet gehen, ihre Kleider und Schuhe pugen, fich anziehen 
d folgend8 die Hände und unterm Angeficht wachen und den 
und jpülen. Deögleichen fol er fie anweifen, wenn fie zum 
jen gehen, es fei morgens oder abends, daß fie ihre Hände 
iſchen, und weldyer das nicht thun wird, denfelben fol er nicht 
n Efien zulaßen; und wenn fie deflen einmal avifirt find, und 
auf einer oder mehre mit ungewafchenen Händen zum Tiſche 
fen würde, benfelben nicht allein wie gemeldt, abweifen, ſon⸗ 
a audy darzu mit Ruten ftreichen, 
tem, er fol darauf fehen, daß fie zum wenigften in Der 
he Einmal die Nägel abjchneiden und je zu A Wochen ind 
d gehen und die Haare abfehneiden laßen. 
Auch daß fie alle Sonntage ihre weijen Hemden anziehen, 
» fih aljo beides am Leib als auch in Kleidern fauber und 
ih halten; welcher aber ſich oder feine Kleider nicht folcher 
ahen fauber und rein halten würde, denfelben fol er darum, 
oft er ed befinden wird, mit Ruten ftreichen. 
Was dann zum Dritten die Lehre betrifft, da wollen wir, 


— 80 — 


daß er die Knaben ins Gemein erſtlich zum Leſen, darna 
Schreiben allein in deutſcher Sprache, und dar 
Rechnen anmeifen, gleichwol darin einen Unterjchieb haltı 
daß er diefenigen, jo etwas mehr ald die anderen profic 
das Schreiben und Leſen zur Notdurft gefaft, nicht etwa n 
geringeren aufbalte, fondern mit benfelben fortfahre, und | 
Rechnen unterweife, und ſolches fowol auch das Schreiben 
mit ihnen exercire und übe; und vornehmlich ſoll er darunt 
gewißen horas halten und die lectiones nicht confundiren, } 
biefelben alfo austeilen, daß Die Knaben zu gewißen und 
ſchiednen Zeiten und Stunden, nemlid jeßo in der Bib 
andern nüßlihen Büchern, dann im Hiftorienlefen, 
Singen und fih im Schreiben und Rechnen exereire 

Und damit fie fih um fo viel mehr guter leferlicher 
ſchrift befleißigen, jo fol ihnen aus unjerer Kanzlei oder 
wir e8 fonft verordnen werden, eine leferlide Schrif 
gemalt werben, dazu fie Diefelbige fo viel immer mög 
imitiren von ihm dem Praeceptore angehalten werden ſoll 

Hierzu und zu mehrer Beförderung folder Studien 
ihnen nachfolgende Bücher in die Schule verordnet und ein 
werden, nemlih: Das ABCbuch, der Catechismus Luthe 
Biblia, die Civilitas morum ‚der Grobianus, die Cosmog: 
Rechnenbücher und was wir fonft mehr nad) ®elegenheit de 
jonen und ihres Progressus für notwendig erachten werden 
Schreibzeug, notwendige Papier, Feder und Tinte. 

Und fol ein jeder Knabe alle und jedes Vierteljahr ein Sı 
buch von 25 Bogen in folio machen, unb barin des Tage 
ein Blatt und aljo Vormittags eine und Nachmittags die 
Seite bejchreiben. 

Damit fie auch des Tags über ihre recreationes zu q 
Beiten haben mögen, jo fol ihnen eine Stunde nad 
Abendeſſen Vacanz gegönnt werben, doch daß er, di 
ceptor , feinen biejelbige Zeit über feines Gefallens ſpaziere 
ſonſt anders wohin geben laße, er jei denn entweber felbft 
oder gejchehe mit feinem Vorwißen und Erlaubnis, wie eı 
dann nicht Teichtlich ohne erhebliche Urſachen erlauben foll. 





— 31 — 


Wenn fie auh Spieltage haben, fol er ihnen zulaßen, 
fi mit dem Puff- oder Schlagball oder ſonſt Furzweiligen Spies 
In zu mehrer Bewegung des Leibes zu üben, biergegen aber mit 
allem Fleiß zufehen, daß fie nicht mit Würfeln oder Karten ober 
enden dergleichen ſchaͤdlichen Spielen um Geld fpielen, fintemal 
fe darüber zu andern Laftern Urſache gewinnen, und da er einen 
oder mehre darüber betreten würde, alsdann ben» ober dieſelben 
mit Ruten züchtigen und davon abhalten. 

Und was fonft insgemein mehr, jo zu guter Disciplin und 
heißiger Education der Jugend dienlich fein möchte, darin fol er 
an feinem möglichen Fleiß nichts ermangeln Iaßen, und darneben 
md. treu, hold, gehorfam und gewärtig fein, unjern Schaden 
jdergeit warnen, jelbft feinen zufügen, unfer Frommen und Beſtes 
frbern und werben und alles dasjenige thun, was einem froms 
men und aufrichtigen Schulmeifter und Diener gebürt und. er 
gegen Gott und männiglih mit gutem Gewißen zu verantworten 
gedenkt, inmaßen er und ſolches mit handgebenden Treuen an 
Eides ſtatt gelobt und zugefagt und deswegen feinen Reveröbrief 
übergeben bat. 

Dahingegen und von ſolches feines Dienfles wegen follen 
ud wollen wir ihm alle und jedes Jahres, beſonders fo lange 
er in ſolchem Dienft fein uud diefe Beftallnng währen wird, erft- 
ih 20 fl. (jeden zu 26 Alb.) zur Befoldung durch unfern Kam⸗ 
merſchreiber, deögleichen des Jahres zweimal die gewöhnliche Hof: 
Reidung, nemlich jedesmal 6 Ellen Lündifh Tuch fammt dazu 
gehörigem Barchent und Futtertuch, oder aber fo viel an Gelb, 
a8 wir andern unfern Dienern dafür zu geben pflegen; und dann 
die Koft von Hof, wie wir biefelbige für ihn und die Knaben 
verordnet, geben und entrichten laßen, ohne Gefährbe.” 

Zu diefer Hauss und Schulordnung erließ der Landgraf 
no eine Verfügung in Betreff der in die Armenfchule aufzuneb- 
menden Knaben: 

„1) Erftlich ſollen's frommer und ehrlicher Leute Kinder fein, 
die eines guten Geruches find, und nicht etwa Diebftahld, Baus 
berei und andrer böfen Thaten argwoͤnig und verbächtig find, 
Denn daß folcher Lofer Leute ihrer Kinder in folder Schule er 





— 312 — 


zogen werden follten, das find Se. fürftlide Gnaden nic 
gemeint, | 

Fürs Andere follen fie gefundes Leibes und Gliedmaßen fein 
und nicht etwa mit ber jchweren Krankheit ober anderer anfteden 
den Schwadheit, noch audy mit Ausfaß und anderer böjer Räu— 
digfeit behaftet jein. ‘Denn man in folder Schule Niemanden 
baben, viel weniger darauf halten kann, jo auf Die Kranken 
warten möge. 

So foll auch feiner angenommen werden, er fei benn zehn 
Jahre alt, damit fie fich felbft an= und ausziehen koͤnnen. Denn 
wie gemelbt, Niemand gehalten werden kann, fo auf fie warte. 

So follen aud Feine anderen, als diejenigen, jo vecht arm, 
auch entweder vater- oder mutterlos find, und fonft Feine Hand 
bietung oder Hülfe haben koͤnnen, und bei denen zumal Fein Ver 
mögen ift, eingenommen werden. 

Da da etwa Leute wären, bie ihre Kinder fonft felbft er 
ziehen könnten, und fie gleich nicht ded Vermögens, daß fie fie 
zur Schule halten Eönnten, dieſelben ſollen nicht aufgenommen 
werben, r 

Solche Knaben follen 5 Jahre in derjelben Schule fein, und 
dann zu Ausgang derfelben Zeit, und fofern fie auch zuvor im 
Leſen, Schreiben ſich wol geübt, jollen fie alsdann zu ehrlichen 
Handwerkern oder andern Handthierungen, mozu fie Luſt haben, 
und ſich wol ſchicken befördert werden.“ 

Unter der Regierung Ludwigs V. (1597 — 1626) erfolgte 
bie Kataftrophe, durch welche ſich Die gefammte Landgraficaft 
Hefjen-Darmftadt, im Gegenſatz zu der reformirten Kirchenreform 
bes Landgrafen Morig von Heſſen-Kaſſel, gradezu den Charafter 
eines Iutherifchen Territoriums anneignete. Das confeffionelt 
Intereſſe, welches die Landesregierung repräfentirte, veranlafte es 
daher, daß eine Reihe von Verordnungen in Betreff der Volle 
Schulen publizirt wurde, indem es ratbjam erjchien, das neue 
lutherifche Bekenntnis namentlih durch das Medium des Volk 
fchulunterrichts im Herzen des Volkes zu befeftigen. Namentlid 
wurbe (i. 3. 1619) verordnet, dab auch auf dem Lande all 
Kinder zur Schule geſchickt, widrigenfalld die Eltern nicht allein 


— 33 — 


ntrihtung des Schulgeldes angehalten, ſondern auch mit 
tafen belegt werden ſollten. Unter dem 31. October 1626 
verfügt, alle Kirchen- und Schulbedienten ſollten, ehe ſie 
r Anſtellung gelangten, einen Religionsrevers unterzeichnen. 
it wichtiger jedoch war, was in Betreff des Schulweſens 
ı Sabre 1628 geſchah, wobei zu beachten ift, daß Die da- 
‚n der Hefjen = Darmftädtiichen Landesregierung getroffenen 
ingen auch in dem refornirten Marburgijchen Teile von 
fen (der damald von Heflen- Darmftadt occupirt war), 
Sführung gebracht wurden. Indem es daher jeßt galt, 
lksſchule eine ſolche Wirkſamkeit zu geben, daß durch 
der reformirte Glaube im Herzen des Volkes ausgerottet 
i8 lutheriſche Bekenntnis in demſelben befeſtigt werde, 
Landgraf Georg DI. i. J. 1628 eine allgemeine Kirchen⸗ 
ı an, durch welde namentlich auch die Ginrichtung 
nel zuverläßiger lutheriſcher Parochialſchulen bewirkt 
follte. Daher erhielten die Viſitatoren den Auftrag, 
eff des Schulwejens in einer jeden Parochie, Die fie vifl- 
den Pfarrer zu fragen: 1) „wie ſich die Schulmeifter, 
srfteher, Opfermänner oder Glödner in ihrem Amt und 
erhalten, ob fie unfrer reinen Lehre zugethan, auch fleißig 
mn jeien; 2) ob die Schulmeifter die Disciplin mit väter 
toderation halten; 3) ob fie in Kirchen und Schulen die 
en Gejänge gebürlic verrichten und ob auch die Weibs- 
| in der Kirche mitfingen; 4) weldye Eltern ihre Kinder 
e Schule ſchicken; 5) wann und wie oft fie die Examina 
und was ihre Befoldiing und Lehrgeld ſei; 6) ob fie 
8 Pfarrers Erlaubnis verreifen, ob fie in Kirchen und 
des Pfarrers Anordnung im Singen und jonft nachleben..“ 
odann jollte der Schulmeifter, oder wenn ihrer mehrere 
Schule waren, diefe ſämmtlich befragt werden: 

) „Ob er ein Xeftimonium ſeines Berufe, und ob und 
T feinen Religionsreverd übergeben habe, 2) ob er in 
vahren Religion scrupulos habe; 3) qua methodo er die 
den Katechismus, jonderlic, aber die Knaben artes, linguas 
rer jeden Stadt» oder Dorfichule Gelegenheit Iehre; („da 
Volloſchulweſen, 2. 3 


dann unfere Visitatores die Schulen felbft vifitiren, und jo 
thunlich, die Kuaben und Mägdlein verhören, Die fleißigen Lok 
die unfleißigen ftrafen — werden”); 4) was an den Schul 
bäuden für Mängel; 5) welche Leute ihre Kinder zur Sch 
nicht ſchicken, und ob Diejenigen, deren Kinder er informirt, i 
auch fein gebürendes Lehrgeld entrichten; 6) ob er an dem Pfarı 
einem oder dem audern, aud an feinen Collegen, fo er de 
etliche hatte, an Weib und Kindern, an den Nachbarn, an | 
Zuhörern Mängel und Gebrechen wüſte; 7) ob er in der T 
ciplin väterliche Mäßigung halte, und Doc auch den Knaben ı 
Mägdlein ihren Mutwillen nicht laße; („da dann unfre Visitato 
alle Schuldiener mit Ernft ſollen ermahnen, daß fie die wa 
Gottesfurcht in den zarten Herzen der lernenden Jugend wol e 
bringen”) ; 8) ob er fi mit dem Prediger des Geſangs ball 
zeitlich vergleiche; 9) ob er Irrenden in der Lehre, die ihre K 
der bei andern irrigen Leuten unterhielten, item Hurer, Chebred 
Läfterer, Zauberer, Kriftallenjeher, Bejchwörer,, Säufer, Fref 
Balger, Flucher und dergleichen wiße.“ 

Hierauf wurden Die Beamten und Gemeindevorſtaͤnde 
Orts gefragt: 

1) „ob der Schulmeifter unfrer Religion zugethan geſchi 
fleißig und unärgerlidh fei, den Katechismus und die Gottesfu 
der Jugend emſig inculcire, fie ſchreiben, lefen und rechnen let 
in der Disciplin einer Beſcheidenheit fich gebrauhe, ob er a 
Gewerbe und weltliche Händel treibe; ob er dadurch die Zug: 
verjäume; ob er den Leuten advocire und fehreibe, Diefelben 
dereinander verheße, ſich ber Practica in der Artznei gebraud 
wie er fein Weib, Kinder und Gefinde halte, wie diejelben 
gegen Jedermann erzeigen, wie er die jugend in den chriftlid 
Gejängen und Gebeten unterrichte, wie er das Gefänge in 
Kirchen verübe; welche Leute ihre Kinder nicht zur Schule jhid 
und, wenn fie biefelbe darein fchiden, was fie für Lehrg 
geben; ob der Schulmeifter pflege oft und zwar ohne des Pfarr 
Erlaubnis zu verreifen, und dadurch die Jugend in der Sch 
und den Geſang in ber Kirche zu verjäunen; wer fein Subfiftu 
pflege zu fein; ob der Pfarrer oder Diaconus ober die Sein, 





den Schulmeifter allzuviel bemühen; ob er auch die Leute ver: 
mahne, daß fie die Kinder zur Schule ſchicken.“ 

Die in der Inftruktion für die Vifitatoren vorgefchriebenen 
Fragen beweifen indeſſen nebenbei, wie durchaus unbefannt der 
bandesregierung noch der Begriff einer Volksſchule war. Denn 
ed war wejentlich derſelbe Gefichtspunft, von dem aus man die, 
lateiniſche Stadt- und die Dorfichule betrachtete, und das Ideal 
der legteren fand man immer in den für die erfteren beftehenden 
Ordnungen gegeben. 
| Leider geben die in Folge der Vifitationen in den einzelnen 

Barreien aufgenommenen Abfchieve über die Schulen derſelben 
ft gar feinen Aufſchluß. In der Regel finden ſich nur Beftim- 
mungen über Die Ausbeßerung der Schulhäufer und über Dotations- 
verhaͤltniße der Küfterftellen vor. Won mehreren Pfarreien wird 
gemeldet, daß Schulen in benfelben entweder noch gar nicht be⸗ 
' gründet, ober daß Die früher eingerichteten Schulen wieder einge- 
gangen waren. In dem Bifitationdabfchied der Stadt Raufchenberg 
fndet fich Die Nachricht: „Die Mägdlein werden aus Mangel einer 
Shulmeifterin verfäumt, und ift nötig, daß man einer ehrlichen 
Stau, fo der Schulhaltung ſich unternehmen möchte, ein Deputat, 
was von einem jeden Kind jährlich jollte gegeben werden, ihr 
verordnet, auch dazu, wie vor Alterd gewejen, der Kaften ’/, Dal: 
ter Kon und 1 fl. Geld Befoldung zulegte. Derentwegen die 
Parrheren um eine foldhe Perſon fih umhören, und mit bes 
Superintendenten Rat ein Gewißes verordnen ſollen.“ — Uebrigeng 
flirt fi das Schweigen der Vifitationsherichte über die Be: 
ſhaffenheit der Dorfichulen aus dem Umftande, daß ausweislich 
der in Folge diefer Kirchenvifitation von dem Landgrafen Georg 
ü J. 1629 erlaßnen Verorbnungen in Heffen- Darmftadt Damals 
noch eine beträchtliche Anzal von Opfermännern vorhanden war, 
die noch Feine Schule eingerichtet hatten, d. h. daß es noch Paro- 
Sim ohne Schule gab. Während nemlich in den Verordnungen 
R.48, 49 u. 50 die wefentlichften der in den proponirten Fragen 
der Rifitatoreninftruftion enthaltenen Säße ald neue Verordnungen 
für das Schulweſen in Stadt und Sand publigirt wurden, bezog 
ſich die Berordnung 47 lediglich auf die Küfter, indem es hieß: 

ge 





— 36 — 


„Dieweil die Glödner und Opfermänner einen fehr geringen, 
wol, wenn fie die Freiheit nicht hätten, feinen Lohn haben: 
follen fie der gehenden Dienfte geübrigt fein; hätten fie aber ı 
Güter, fo follen fie davon außer dem gehenden Dienft und a 
Frohnbefreiung eines einigen Pferdes alled was fie jchuldig g 
Andern präftiren.” 

Ein eigentliche zum Begriffe der Pfarrgemeinde weſer 
gehöriges Volksſchulweſen mufte daher in Hellen : Darmftabt 
noch gefchaffen werben. Es gejchah dieſes (wenigſtens verji 
weile) durch Die „Ordnung von fleißiger Uebung des Slate 
mus,‘ die Landgraf Georg i. 3. 1534 publizirte. Diefelbe 
bielt nemlih die heilfamften Regeln über die Begründung, ' 
richtung und Leitung der Schulen, und ftellte zugleich an der S 
derjelben, — zum erflen Male in Hefien, — den Begriff e 
wirklichen deutjchen Volksſchulweſens für Stadt und Land 
weldyed lediglich nur Die chriftlich-firdhliche Erziehung der Ki 
zum Bmwede habe. 

Nachdem nemlih in der Katechifationdordnung die Notn 
Digfeit einer forgfältigen Belehrung des Volkes über Die el 
des Katechismus beiprochen ift, wird zur Einleitung der über 
Sinrihtung deutſcher Volksſchulen erteilten Vorfchriften Folger 
hervorgehoben: „Dieſen Zwed defto beßer zu erreichen, und 
Erkenntnis der hriftlihen Lehre, auch Gottesfurcht und Liebe 
allen Tugenden in Die Herzen der Pfarrfinder zu bı 
gen, will bejonderd nötig jein, daß vor allen Dingen von 
Superintendenten und Pfarrherrn jedes Orts dahin gejehen 
getrachtet, auch Vorſchläge und Erinnerung gethan werden, 
bin und wieder nicht allein in den Städten, fondern auch auf 
Dörfern gute deutfche Schulen teild angerichtet, teild erhalten 
gebeßert werden; zu ſolchem Ende ihnen danı hiermit auf ı 
theure Pfliht, Seele und Gewißen eingebunden wird, ſich 
allem möglichen Fleiß nach frommen, gottesfürchtigen, gewif 
baftigen, unverbroßenen,, vechtgläubigen Schulmeiftern und Sd 
meifterinnen , die ſich der Jugend mit chriftlihen Eifer und & 
annehmen, umzuſehn, und an ihrer Außerften, zu Erreichung Die 
Scopi gerichteten Sorgfalt, dießfalls ja nichts ermangeln zu lafle 


— 37 — 


Hierauf folgen die erften Beſtimmungen über eine allgemeine 
Schulpflichtigkeit der Kinder: 

„Diefem nach follen alle Knaben und Mägblein, niemanden 
aussgenommen, fie feien arm oder reich, die nur das Alter erreicht 
baten, taß fir etwas faßen und behalten können, zum wenigften 
ſo lange, bis fie lefen und fehreiben können, in die Schule gehen, 
es wäre denn, daß einer bei feinen Kindern einen privatum prae- 
>eptorem hielte, der, eben das verrichtete, was in der Schule ges 
zandelt wird, welches ihnen mol vergönnt if. Doch ſoll folcher 
>rivatus praeceptor, ehe er zu folder Paͤdagogie oder Kinder⸗ 
ıntterweifung angenommen wird, von unfern Theologis zu Mar: 
»urg, oder von unferm Superintendenten oder Pfarrherrn, unter 
efien Anfpection der Ort der Pädagogie gehört, ein Beugnis 
yaben und vorzeigen, daß er in der Lehre richtig, und fonft alfo 
seihaffen fei, daß ihm die Jugend ohne Befahr ficherlich anzus 
Jertrauen. " 

Ueber die kirchliche Beauffichtigung der Schulen wird Fol— 
jendes verorbnet: 

„Es haben nicht allein die Pfarrherrn, fondern auch bie 
Senioren — fonderlih darauf Acht zu geben. Und wenn fie aus 
ihrem Catalogo befinden, daß finder in einem Haufe zu ben 
Jahren fommen, follen fie alfobald nachforfchen, ob und was fie 
für Privatpräceptoren haben, oder ob und bei wem fie in die 
Säule gehen. Und da fie vermerken werden, baß die Eltern, 
Oder die, fo an der Eltern ftatt find, fi) nachläßig erzeigen, follen 
fie diefelben unverlängt, befcheidentlich und herzrührig vermahnen, 
die Kinder zur Schule zu halten; wenn foldyes aber nichts vers 
faͤngt, es dem Prediger anſagen, der ſoll ſie beſchicken und aber⸗ 
mals ihres Amtes und Schuldigkeit, und daß die zur Schulhal« 
tung und das fleißige Unterrichten ihrer Kinder jo nützlich, ja viel 
notwendiger fei, als Ehen und Trinken, erinnern, auch darauf fie 
ın einen gewißen Lehrmeifter oder Lehrfrau verweilen, dem ober 
er fie auch das Lehrgeld zu gewißer Zeit erlegen follen, wenn 
© ſchon die Kinder durch ihre eigne Verurfacdhung aus der Schule 
Halten wolten.” — Sodann wird bemerkt, daß wenn alle güts 
en Ermahnungen, die Kinder zur Schule zu ſchicken, fruchtlos 


— 38 — 


bleiben ſollen, die Beamten ermächtigt find, zur Vollziehung dieſ 
Verordnung Zwangsmittel anzuwenden, 

Wenn nun „durch foldye Anordnung eine ziemliche Men 
Kinder in den Schulen fich einftellen wird,” fo ſollen die Zell 
‚meifter oder Xehrfrauen die Schule in der Weile organiftren, d 
fie „jolche Kinder in gewiße Klaffen oder Bänke nad Gelegenk 
abteilen. In der erften follen die Süngften fein, die noch nä 
lefen können. Mit denen follen fie morgens, etwa eine ba 
Stunde den Katechismus, und zwar die bloßen fünf Hauptftü 
fammt Morgen: und Abendgebetlein üben, und mögen fie ihr 
dDiefelben dergeftalt beibringen, daß fie ihnen erftlih ein Stüdl: 
des Katechismi, 3. E. das erfte Gebot, etlihemal fein Deut! 
vorfagen; darnach einen oder andern aus ihrem Mittel, fo x 
andern gutes ingenii tft oder am erften ein Ding faßen fax 
(welches dann die Lehrmeiſter mit Fleiß in Acht nehmen foll« 
und darnach auch die Fleinen Kinder collociren und feßen,) ſolch 
wiederholen , und folgends die Kinder alle nacheinander nachſag 
laßen, Biß fie Alles recht begriffen und ohne Anftoßen wie1 
nachreden können. Darauf fol er dann das andre Gebot gl 


‘ hermaßen ihnen vorfagen und wiederholen laßen, biß fie es am 


recht behalten; alsdann das erfte und andre Gebot zufammen E 
Kindern vorfagen, (u. ſ. mw.) biß das halbe Stünblein vorüb 
Darauf mögen fie zu ihrem Buchftabiren und Leſen fich wende 
Wenn fie aber darnach wieder in die Schule fommen, fol all 
das, welches fie zuvor gelernt haben, wiederholt, und alsbaı 
gleichergeftalt zu den folgenden Stüdlein des Katechismi gefchritt 
werden, biß die Kinder ihn ganz recitiren Fönnen.” 

„In der andern Claſſe folen diejenigen fein, melde nu 
mehr die Hauptftüde ohne die Auslegung fertig herjagen könne 
Die follen ſolche Stüde alle Morgen vom Anfang biß zum En! 
recitiren; und wenn fie noch nicht fertig lefen und aus di 
Büchern auswendig Iernen Fönnen, jo fol die Auslegung d 
Hauptitüde gleichergeftalt ihnen vorgetragen und von ihnen repo: 
eirt und wieder angehört werden.” — — 

„su der dritten Claſſe oder Bank befinden fi Die, weld 
die Hauptftüde fammt der Auslegung wol wißen. Und Damit f 


\ 





_ 39 — 


ſolche nicht wieder vergeßen, jollen fie Morgens und Abends reci- 
tiren und auswendig berfprechen ein Hauptſtück ſammt der Aus- 
legung ; darnach etliche gewiße, auf die Hauptftüde des Katechis- 
mus gerichtete Frageftüde von den vornehmften Punkten der chrift- 
lichen Religion, da dieſelbigen mit gewißen Sprüdyen der heiligen 
Särift bewährt werden; darneben etliche feine Sprüche der heil. 
Särift, vornehmlih die ernftlihen Drohungen wider alle und 
jede Laſter, — wie auch die in beiliger Schrift befindlichen Wer: 
mahnungen zur Zugend und Ehrbarkeit; fodann Palmen und 
Gebete.“ — 

Würden die Knaben oder Mädchen ungehorfam fein, fo fol- 
Ien die Lehrer den Inhalt des Katechismus auf fie anwenden und 
inen zeigen, wie fie gegen dieſes oder jenes Gebot gehandelt, wie 
fie den Bund der Taufe gebrochen, fich des Herru Tiſches unwür⸗ 
dig gemacht, und daß fie Gott nicht würdig anrufen könnten, 
wenn fie fich nicht vor ſolchen Sünden hüteten. 

Damit nun die Lehrmeifter und Lehrfrauen dem allen mit 
um jo größerem Fleiße nachkommen, ſollen die Pfarrer allmöchent- 
ih „zwar unverſehens, jebody zu gelegener Zeit” ſich in Die 
Schulen verfügen, Die Lehrmethobe der Schulmeifter beobachten 
und die Kinder im Buchftabiren, Syllabiren, Lejen, Schreiben und 
namentlich im Katechismus felbft egaminiren. — 

Es lag in der Natur der Sache, Daß mit den gefteigerten 
Anforberungen ,‚ welde an die Küfter geftellt wurden, auch eine 
Verbeßerung ihrer äußeren Lage eintrat. Es wurbe daher ver: 
Ordnet, daß den Lehrern „von einem jeden Kinde alle Duartale 
ein gewißes verbeßertes Lehrgeld, als etwa ein halbes Kopfſtück 
Über das, fo fie zuvorgehabt, ohnfehlbar gegeben werde.” Würden 
fich Die Eltern oder deren Stellvertreter weigern, den Lehrern 
diefe Vergütung zu entrichten, fo follten Die Beamten verpflichtet 
lein, diefelbe zwangsweiſe beizutreiben. Für die Kinder ganz un— 
bemittelter Eltern ſollte das Schulgeld aus dem Kirchenkaſten be- 
alt, oder „da der Gottesfaften auch nichts vermöchte, deswegen 
von den beßer begüterten Gingepfarrten eine geringe Steuer ge 
ſammelt werben.” Dagegen follten diejenigen Armen, bie ihre 
Kinder nicht zur Schule ſchickten, das Schulgeld in jedem alle 


— 40 — 


felbft bezalen und außerdem noch mit befondern Strafen gemaf- =: 
regelt werden, 

Wie es fcheint, hatten dieſe Verordnungen wirflid den Er 
folg, daß in allen Parochieen des Landes Schulen eingerichtete = 
wurden. Indeſſen über die Beichaffenheit diefer Schulen ift au 
den amtlichen Erlaßen der nächftfolgenden Decennien nicht3 zu ent= 7 
nehmen. 


Erft unter der Regierung Ludwigs VL (1661—1678) wurde > 
dem Volksſchulweſen in Heffen-Darmftadt wieder eine ernftere Be > 
achtung zugewendet. Ums Jahr 1670 wurde nemlich unter dem = 
Titel „Extract der Suftruction für die Praeceptores = 
und Schulmeifter in fleinen Städten und Dörfern“ ' 
zunaͤchſt ein neues NRegulativ aufgeftellt, nad) weldyem für alle = 
Volksſchulen des Landes Folgendes verordnet ward: „l. Erſtlich « 
ſollen die Schulmeifter fanımt den ihrigen ein filled, eingezogen — 
Leben führen und anderer ihrem Amte nicht wolanftändiger un 7 
demjelben verhinderlicher Handthierungen fich allerdings enthalten, . 
Damit fie beneben der Lehre auch mit dem Wandel der Jugend < 
und jedermänniglich gut Exempel geben. 

„2. Sollen fie des Winter Vormittags zwei Stunden und < 
Nachmittags drei Stunden, den Sommer aber Vormittags zwei #= 
und Nachmittags eine Stunde Schule halten. Und follen ale] 
Kinder, die über 5 und unter zwölf Jahre alt find, in die Shue>7 
gehalten, und bei befindender Wiederjeplichkeit der Eltern Hilfe 
bei den fürftlichen Beamten durch die Pfarrherrn gefucht, udn, 
‚alle halbe Jahre der Katalogus der Schulkinder jamt dem Ve 
zeichniß der Lectionen, fo mit ihnen alle Schulftunden gerri, 
worden, dem Superintendenten eingeſchickt werden. 

„3. Die Schüler follen fie alfo teilen, daß die Knaben &e: 
ſonders und die Mägdlein auch befonders jigen. 

„4. Und unter den fämtlichen Kindern eine ſolche Ordnung 
machen, daß diejenigen beifammen fißen, welche einerlei Lectione 
haben. 














— 41 -— — 


„>. Im Leſenlehren follen fie gute Achtung geben auf das 
Vuchſtabiren, daß damit recht verfahren, und alle Silben jedes 
Worts fein Deutlich ausgeſprochen werben. | 

„6. Ehe und bevor aber die Kinder zum Buchftabiren und 
!efen angeführt werben, müßen fie das Water unfer und den 
Glauben auswendig gelehrt werben durch oftmaliges deutliches 
Ausfprechen, und mit befonderm Fleiß auf das ausdrüdliche Nach: 
Iprehen in allen Silben acht gegeben werben. 

„7. Der Anfang des Buchftabirend wird mit der ABGtafel 
und dem Namenbuch gemacht, von welchem hernach zum Katechis- 

mus fortgefchritten wird, in welchem zugleich mit dem Leſen das 
Auswendiglernen getrieben werben muß. | 

„8. Und alfo fürter8 im Pfalter und Neuen QTeftament, bei 
melden Büchern man es bleiben laßen Fann. 

„9. Jedoch Daß nebft dem Catechismo und etlichen ans: 
Rewählten Palmen Herrn M. Mogii ſel. Spruchblichlein zum Aus- 
Imendiglernen folgents hinzu gethan werde. 

„10. Bei dem Gebet, fo vor und nah der Schule fleißig 
Az halten und dabei gleichwie zuvoͤrderſt auf feine andaͤchtige Ge⸗ 

Bern alfo auch auf die deutliche und Tangfame Ausrede aufs 

MM eibigfte gefehen werden muß, ſoll jedesmal ein Gefang geführt 

aurad darbei ſich dahin bearbeitet werben, daß die Kinder fein zier- 

Lich fingen lernen, und fonderlich nicht allzulaut fehreien, auch den 

on nicht fo lang ziehen, fondern eine wolflingende und richtige 
enfur gehalten werde. 

„Il. Nachdem die Kinder einen ziemlihen Anfang zum 
Leſen haben, ſollen ſie vermittelſt deutlicher Vorſchriften zum 
Screiben angeführt werden auf die Art, wie ſie auch zum Leſen 
angeführt worden, nemlich daß fie erſtlich das ABC, darnach die 
einzelnen Silben und endlich ganze Wörter und Zeilen aus ber 
Vorſchrift lernen nachmachen. 

„12. Zu ſolchen Vorſchriften ſollen auserleſene Sprüche der 
Bibel gebraucht und einem jeden ſeine Schrift corrigirt und die 
jedesmal begangenen Fehler gezeigt werden. 

413. Und wann fie einen ziemlichen Anfang haben aus der 
Vorſchrift zu ſchreiben, ſollen ſie hernach aus dem Kopf das Vater 


4 


— 42 — 


unfer, den Glauben und Sprüche, die fie auswendig gelernt, zu 
Schreiben angewiefen und dahin angehalten werden, daß ein Schi 
Ier des andern Schrift ablefe, damit fie zeitlich zum Schriftlefen 
angeführt werben. 

„14. Sm Schreiben (wie auch beim Xefen in Acht zu neh 
men,) follen fie lernen gute Achtung auf Die Zeichen (,) (:) (5) 
(.) (7) CD, daß fie wißen, wo fie im Lefen fowol ein menig oder 
lange ftil halten, al8 au, wo im Schreiben ſolche Zeichen zu 
machen und was fie bedeuten. 

„15. Bei denen, die im Lefen und Schreiben nun ziemlid 
fertig find, fol aud das Rechnen in feiner Ordnung nicht ver 
geßen, fondern fo viel möglich getrieben, und das Ginmaleins fer- 
tig gelernt und oft wiederholt werden. 

„16. Wo Praeceptores find, welche Iateinifche Schüler 
haben, die follen fie in dem Donat und Fleinen Grammatica mit 
Fleiß anführen und das Vestibulum Comeniüi mit ihnen tractiren, 
und daraus etliche Zeilen jeweils anftatt eined Arguments aus 
ben Deutfchen ind Latein und aus dem Latein wieder ins Deutſche 
verjegen laßen, auch ſoviel möglich in der Vocalmuſik fie unter 
richten, damit fie ſoweit gebracht werben, daß fie demnaͤchſt in 
den Paedagogiüis zu Gießen oder Darmſtadt fortlommen Fönnen. 

„IT. Die Disciplin und gute Zucht ſoll mit fonderbarem 
Fleiß und Ernſt geführt, und darauf nicht allein in der Säule 
und Kirche, fondern auch auf den öffentlichen Pläßen und Straßen 
fleißigfte Acht gegeben und die Beftrafung der mutwilligen Jugend 
wol wahrgenommen werden, doch daß die Praeceptores und Schul 
meifter als vernünftige Väter mit ihren Kindern umgehen unb de 
ehrenrührigen Scheltens, zumal des unbarmherzigen Haarraufend, 
Schlagens mit der Kauft und auf die Köpfe der Schüler fih al⸗ 
lerdings enthalten, hingegen aber der Rute ziemlich und gebirlid 
gebrauchen. 

„18. In allem diefem haben die Praeceptores und Schub 
meifter, gleichwie ſonſt in ihrem Amt ihrer Pfarrherrn Auffiht, 
Schulvifitationen und Erinnerungen ſich gebürlich zu untergeben, 
als welche hierüber eben wol pflicytmäßige Nechenfchaft zu geben 
unb allemal nach den jetzo verorbneten Examinjbus catechetis® 


— 43 — 


om Zuſtand der Schule an den Metropolitanum zu berichten und 
Te halbe Jahre die droben Nr. 2. vermeldeten Verzeichniſſe ber 
chüler und Lectionen vom Schulmeifter abzufordern und einzu⸗ 
yiden haben.” — 

Wie wenig indeſſen diefe Verordnung fruchtete, zeigte fidh, 
B Landgraf Ludwig den Superintendenten des Lantes, welchen 
» Oberauffiht über die Schulen zuftand, unter dem 15. Mai 
74 aufgab, ihm darüber zu berichten, „wie der Methodus die- 
Zeit in den Schulen im Schwange gehe, welche Bücher zum 
jen und Auswendiglernen, desgleichen was für Stunden vors 
d nachmittags in Sommers: und Winterszeit gebraucht würden, 
d was fie dabei verbeßert zu werden für gut anfähen.” Aller: 
ags berichteten die Superintendenten, daß der Unterricht überall 
nlihft nach der in der Inſtruction gegebenen Vorſchrift einge: 
btet fei, und daß in Oberheflen täglich fogar in drei Morgen- 
nden, nemlich von 7 — 10 Uhr Winterd und Sommerd unters 
btet werde, während in der Inſtruction nur zwei Morgenftun- 
n vorgefchrieben waren ; aber dennoch erhellte aus den Berichten 
e Superintenbenten, daß die Volksſchulen überall noch im Fläg- 
‚fen Zuſtand waren, indem viele Eltern, um das Schulgeld zu 
ıren, ihre Kinder gar nicht zur Schule ſchickten, und außerdem 
: Sommerfchulen faft nirgends zu Stande gebracht werden 
mten, weshalb die Gemahlin Ludwigs VL, die Landgräfin 
liſabeth Dorothea, die nad) dem Tode bed leßteren und 
m Bald darauf erfolgten Ableben des Erbprinzen Ludwig VO. 
: ihren zweiten Sohn Craft Ludwig die vormundſchaftliche Re⸗ 
tung führte, unter dem 19. Dechr. 1697 verordnete, daß alle 
tern, welche ihre fchulfähigen Kinder nicht zur Schule fdhidten, 
dt nur zur Bezalung des Schullohns, fondern auch zu gebüren- 
e Strafe gezogen werben follten. Alle Beamten des Landes 
irden angewieſen, diefe Verordnung in allen Fällen unnachſicht⸗ 
h zu vollziehen, und durch Verordnung vom 31. März 1702 
de fogar verfügt, daß Handwerks- und andere ungen, die 
cht in Die Schule gingen, in der Kirche ihren befonderen Stand 
ben follten. Aber nichts deſto weniger bot die Volksſchule zu 
ang des 18. Jahrhunderts, zu welcher Beit das Intereſſe für 





— 44 — 


diefelbe auch in Heflen- Darmftabt neu angeregt ward, benfelbe 
Anblid wie fünfzig Jahre früher. Ein Bericht, den zwei Geifl 
liche zu Darmftadt über ein mit einem Schulamtdaspiranten as 
geftellte8 Eramen unter dem 18. Anguft 1707 an da8 Konfifs 
rium zu Darmftadt erftatteten,, beweift, wie die Schulmeifter d« 
mals befchaffen waren. Der Bericht Iautet nemlih fo: „Ar 
gnädigen Befehl hochfürſtl. Gonfiftorii d. d. 11. Aug. 1707 habe 
wir, alfobald wir foldyen befommen, den Schulmeifter Schröte 
der um den Schuldienft zu Oberramftabt nachgeſucht, vor um 
befchteden und ihn egaminirt, und im Examine alfo befunden, da 
er 1) eine feine Hand zum Schreiben hat; 2) die Stimme zur 
Singen ift auch nicht uneben, nur daß er nod) etlicher Liebe 
Weiſe (ald: „Auf Diefen Tag bedenken wir ,”) nicht Tann; e 
fagte aber, er wolle die Weifen wol lernen, es fei bisher fein 
Profeffion nicht gewefen; 3) in Erkenntnis der chriftlichen Lehr 
gehet e8 noch dünne her bei ihm, maßen ihm fehr unbefannt, wi 
das Gefeg und von wem es gehalten werde unb wie fern, ml 
wie ed biergegen nicht gehalten werde. Vom Glauben, vom Un 
terichied des Geſetzes und Evangelii und anderem ift er ned 
wenig unterrichtet; er fagte aber, er wolle hinführo fich bee 
exereiren. 4) Im Auffchlagen der heil. Schrift fand er das von 
ihm verlangte fünfte Buch Moſis; aber den Propheten Nahum 
item die erfte Epiftel Sct. Johannis konnte er nicht finden 
Souften ift er fehr arm.” 

Der allen Kultur» SIntereffen mit warmem Herzen ergebent 
Landgraf Ernft Ludwig (} 1749) befchloß, daß ed anders werden 
jollte. Vor allen Dingen war die Aufftellung einer neuen, um 
faßenden Schulordnung für das Volksſchulweſen nötig. Schon 
i. J. 1707 wurden drei Geiftliche aufgefordert, desfalls Vorſchläge 
zu machen; aber erft i. J. 1733 kam die Arbeit zu Ende. Die 
neue Schulordnung war folgende*): 


m — — 





) Diefe für die Geſchichte des Volksſchulweſens in Heſſen - Darmſtadt fehr 
wichtige Schulordnung wird hier darum vollftändig abgedrudt, weil diefelbe nach 
einer Mitteilung der hofbibliothek Direction zu Darmſtadt (fo viel bis jept bekannt 
ift,) nur noch in einem einzigen Exemplar egiftirt. 


— 45 — 


„HeilensDarmftädtifhde Schulordnung für die deut- 
den Schulen im Oberfürftentum, auf hochfürſtl. Bes 
fehlpublicirt den 14. Auguft 1733. (Gießen, gebrudt bei Jos 
hann Chriſtoph Schröder, Fürftl. Heſſ. Kanzlei-Buchdruder 1773). *) 


„Bon Gottes Gnaden Ernft Ludwig Landgraf zu Heffen ıc. 
— BWürdige, Liebe, Getreuel Dbwol es eine allgemeine Pflicht 
chriſtlicher Eltern ift, daß fie ihre Kinder fleißig zur Kirche und 
Echule halten, damit fie Gott und feinen Willen erkennen lernen, 
im Leſen, Schreiben, Singen, Rechnen und Katechismo unterrichtet 
md fonften zu allem Gutem angehalten werden, jo hat body die 
biäherige Srfahrung zu unferem ungnädigften Mißfallen gelehrt, 
daß viele Eltern, jonderlic auf den Dörfern diefe ihnen obliegende 
tree Pflicht gar Jchlecht beobachtet, und unter dem Vorwande, 
dap fie ihre Kinder zur Viehzucht, Ackerbau und andrer Feld- und 
Suusarbeit nötig brauchten, fie unverantwortlic verwildern und 
in großer Unwißenheit aufwachfen laßen, daraus dann nachgehends 
niht8 anderes als böfe Chriften und böſe Unterthanen werben 
Kinnen; infonderheit ift bisher angemeldet worden: 

1) Daß mande Eltern ihre Kinder bis ing achte, neunte 
daht von der Schule zurüd gehalten, fo daß die Bosheit bei 
ihnen erft recht zu Kräften gefommen, ehe ihnen etwas Gutes 
beigebracht werben mögen. 

2) Daß diejenigen Kinder, welche die Schulen zu bejuchen 
angefangen, fich darin fehr unfleißig und unordentlich bewiejen 
und gleichwol hernach die Eltern zur Confirmation mit ihnen ge 
let, und ſich's verdrießen laßen wollen, wenn ihnen in ſolchem 
unbilligen Begeren nicht gewillfahrt werden Eönnen. 

3) Daß an mandyen Orten, fonderlich im Vogelsberge und 
da herum, die Schulen im Sommer gänzlich eingeftellt, ja wol 
ar die Kinder allererfi um Martini hineingefchidt und um Pe 
erötag fchon wieder heraus genommen worden, da es aljo nicht 
mders fein Eönnen, als daß fie in den üßrigen acht Monaten 
leg wieder ſchandiich vergeßen, was ſie etwa in dieſen vier Mo⸗ 
aten gelernt und begriffen haben. 

— — 


*) Epäterer Abdruck der ©. DO. 


— 46 — 


Sleihwie nun, was erwähnte Gonfirmation betrifft, berei 
von unferm uns nachgefeßten fürftl. Gonfiftorio zu Gießen desfal 
Verordnung geſchehn, wobei es auch fernerhin fein Bewenden be 
daß nemlich fein Kind, bevor ed das 14. Jahr völlig zurüdgeler 
ordentlicher Weife, und wenn bejondre Unftände wegen bes 4 
ganges am erforderlichen Alter obhanden wären, ohne von erja 
tem unſerm Conſiſtorio erhaltne Dispenſation confirmirt werd 
jol: aljo haben wir für nötig befunden, denen Gebrechen u 
Mißbräuchen, die fich bei dem Schulgehn bisher geäußert habe 
hierdurch gleichfalld abzuhelfen, und zum Beften der aufwachſend 
Jugend aus landeöväterlicher Sorgfalt für das Heil unfrer Unt« 
thanen folgende Verordnung zu machen, mit angehängtem gnäbı 
ſtem, doc ernftlihem Befehl, daß darüber nachbrüdlich gehalt 
werde. 

1. Ein jedes Kind ſoll laͤngſtens mit dem Antritt des 
Jahres in die Schule gejchidt werden. Wollte aber jemand jet: 
Kinder eher hinein jenden, damit fie der Sittjamfeit und gui 
Ordnung bei Beiten gewohnt würden, jo fol er bis zum 7. Ja 
nur die Hälfte des gewöhnlichen Schullobnd davon zu bezall 
ihuldig fein. Diejenigen Eltern aber, die ihre Kinder nad da 
Eintritt in das 7. Jahr länger von der Schule zurüd halten, U 
jollen von folder Zeit an dennoch den orbentlihen Schullohn E 
zalen, nicht anders, als ob die Kinder wirklich der Informatis 
genoßen hätten. Die Kinder aber follen fo viel jpäter nach be 
14. Jahre zur Gonfirmation gelaßen werden, als fie jpäter d 
Schule zu befuhhen angefangen haben. 

2. Damit nun diefe Ordnung überall in Schwaug fomm 
fo follen nach Publication derjelben alle zum Schulgehen tüchtig 
Kinder von dem Praeceptore oder Schulmeifter in Gegenwart di 
Pfarrerd und ein oder anderer Kirchenälteften aufgefchrieben, u 
bei eines jeden Namen aus dem Kirchenbuche fein wahres Alt 
beigefeßt, auch Diejenigen, Die Das 6. Jahr zurüdgelegt und no 
nicht zur Schule gefommen find, diefer Verordnung gemäß alfofo 
zur Schule augewiefen werden. Diejer Catalogus fol alle Jah 
in der Oſterwoche erneuert, und Diejenigen, die in der Zeit hera 
gewachjen find, darin nachgetragen werben. 


—_ 41 — 


3, Diejenigen, die nach zurüdgelegtem 14. Jahre confirmirt 
| werden, wo fie an bemjelben Orte bleiben, follen wenigitend noch 
ti halbes Jahr Die Schule ordentlich mitbejuchen, und nachgehends 

no drei Jahre alle monatliche Bettage in einer befonders dazu 
auszuſetzenden Stunde fi im Schulhauſe unausbleiblid einfinden 
und bafelbft aus dem Katechismo examinirt werden, auch etwas, 
dad fie den Monat über gefchrieben und gerechnet haben, ald eine 
Probe ihres fortgejegten Fleißes mitbringen und dem Schulmeifter 
aufweifen. 

4. Mit den Sculfindern fol die Schule im Sommer 
ſowol al8 im Winter unausgefegt an allen Orten, wo 
ordentlihe Schulmeifter find, täglih Drei Stunden Vor— 
mittags und drei Stunden Nahmittags gehalten werden 
und auch in ber Erntezeit von Johannis bis Michaeliß nicht gänz- 
lich ceffiren, fondern wenigftens alsdaun täglich zwei Stunden von 
den erwachfenen Kindern, von den Heineren aber, die bei folcher 
Arbeit noch nichts helfen können, wie ſonſt ordentlich beſucht 
werden. 

5. Für jede Stunde, die ein geſundes Kind die Schule 
verſaumt, ſollen die Eltern oder Vorgeſetzten deſſelben einen Kreu⸗ 
zer erlegen, welches Gelb zu Ende eines jeden Monats unnach⸗ 
lͤßlich eingetrieben, von dem Kaſtenmeiſter jedes Orts in Rech— 
nung genommen und dafür neue Teftamente und Gejangbücher 
gekauft und den armen Kindern, die fleißig zur Schule gehen, 
ausgeteilt, auch wol zum Schulgeld für arme elternloje Kinder 
Mgewendet werben fol. 

6. Ein jeder Praeceptor oder Sculmeifter foll ein beſonder 
duch halten, in weldyem die Namen aller feiner Schulkinder nebft 
dem Alter und dem Anfange ihres Schulgehend aufgezeichnet ftehe; 
und außerdem nody ein ander Bud), in welches die Abweſenden, 

Welche ohne Not und vorhergegangene Anzeige bei dem Schul: 
Meifter die Schule verfäumt haben, alle Tage forgfältig notirt 
werden. 

7. Wenn aber ein geſundes Kind nicht nur Stunden, ſon⸗ 
dern ganze Tage und Wochen aus der Schule bleibt, fo ſoll die 
gamze Zeit feiner Abweſenheit die Jahre hindurch, da es zur 





x 


— 48 — 


Schule gegangen, von Monaten zu Monaten zufammengeredine 
und fo viel es zufammenträgt, jo viele Monate oder Jahre länge er 
von der Gonfirmation zurüdgehalten werben. 

8. Wenn aber ein Praeceptor oder Scyulmeifter ih aur- 
terfteht, ohne Vorwißen jemes Pfarverd die Schule auszufegen 
und unerlaubte Ferien zu geben, jo jollen ihm das erite Mal für 
eine jede Stunde zwei Albus, dad andre Mal noch einmal jo wie 
von feiner Beftallung durch den Pfarrer, der darauf forgfältisg zu 
jeben bat, abgezogen und zur Erkaufung nüßlicher Schulbũ der 
angewendet werben. 

9. In der Woche darf die Schule nie als Mittwochs, wo 
es fo gebräudlich ift, und Sonnabends Nachmittags, jodanzu in 
der Weihnachts⸗, Ofter- und Pfingftwoche ausgefegt werben. Im 
Mebrigen aber follen die vielen unnötigen und fchädlihen Fer ien, 
al8 zur Faſtnachtzeit, an Markt: und Kirmestagen und Martini, 
wie auch auf die Nachmittage der Apoftel- und monatlichen Wet 
tage gänzlich hiermit abgefchafft und aufgehoben fein. So fol 
au um der Leichen und Hochzeiten willen die Säule nicht auf 
geſetzt werben. 

10. Ale Jahre jolen in allen deutjchen Stadt, Dorf und 
Landſchulen in Gegenwart des Pfarrers und der Kirchenälteften, 
auch wol eined Beamten ein oder nach Befinden auch wol zwei 
Examina vor der Ofter- und Michaeliswoche gehalten und dabei 
die faulen Kinder befehämt, die fleißigen aber zu fernerem Fleiß 
aufgemuntert, auch die von den Strafgeldern erkauften Bücher 
den fleißigen ausgeteilt werben. 

11. &8 follen aber die Eltern auch außer den SchulftunDen 
dahin fehn, daß ihre Kinder etwas Nügliched vornehmen und ds 
was fie in der Schule gelernt, zu Haufe wiederholen, auch ihm! 
mit gutem Exempel vorgehn, und fie über ihren Unarten un 
Ernft und Liebe, nicht aber auf eine tyrannifche Art’ unter Sc 
ten, Fluchen und gräulichen Verwünfchungen beftrafen. Wert! 
fie entweder jo undriftlic mit ihren Kindern umgehn, oder al Aen 
Frevel und Mutwillen, inſonderheit aber bie ſchändlichen Wal- d⸗ 
Felde oder Gartendiebereien denſelben ungeftraft verſtatten, ſo 


— 4 — 


ie wegen ſolcher boͤſen Kinderzucht vor dem Amts: Kirchen⸗ 
nachdrücklich beſtraft werden. 
2. Sollte fi) Vater oder Mutter unterſtehn, den Praͤcep⸗ 
er Schulmeifter, der ihr Kind in der Schule um eines 
hend willen geftraft bat, im Grimm zu überlaufen, ihn zu 
oder zu bedrohen, fo ſoll derfelbe Water oder diejelbe 
von dem Amtöfirchenconvent, welchem e8 der Schulmeifter 
zen bat, mit einem halben oder nach Befinden ganzen 
‚ beftraft und ſolches Geld mit zur Grlaufung der Schul: 
angewandt werben. 
3. Dieſe Verordnung jol alle Jahre den Sonntag nad 
von ber Kanzel abgelefen, und Dabei die Gemeinde von 
tugen des Schulgehend und Schaden der Nachlaͤßigkeit 
ich unterrichtet, auch Eltern und Finder beweglich dazu er- 
werben. 
Ibfonderlih wollen wir euch, den Metropolitanid und Pfar⸗ 
iermit auf euer Gewißen gebunden haben, über diefer Vers 
g enfllih zu halten, Nicht minder wird auch zugleich 
Beamten hierdurch gnädigft anbefohlen, daß fie den Kaften- 
n in Grbringung der Strafgelder hülflihe Hand zu bieten, 
n Schulmeiftern zu ihrem fauer verdienten Schullohn, wenn 
derfelbe von undankbaren Eltern vorenthalten wird, zu ver- 
ih niemals weigern ſollen. 


Damit aber unſre wolgemeinte Intention deſto gewißer er: 
werde und die. Kinder von ihrem Schulgehen auch einen 
Nutzen haben mögen, jo finden wir für nötig, nachfolgende 
rdnung für die Praeceptores und Schulmeifter felbft bei- 
1; 

. Soll ein jeder Schuldiener Gott von Herzen fürchten 
eſtaͤndig vor Augen haben, fih eined chriftlihen und un- 
en Wandels befleißigen und der anvertrauten Jugend ein 
Grempel geben, folglich das Fluchen, liederlihe Schwören, 


n, Spielen, Zanken, Schlagen, Laſtern, wie auch zue Leicht⸗ 
Bolksſchulweſen, 2. 


— 50 — 


fertigkeit, Betrug, Wucher und andere Lafter und grobe € 
bei Strafe der gänzlihen Abjegung vermeiden, hingegen mi 
nem ganzen Haufe ſich der Gottjeligfeit befleißigen, Gottes 
und der Kinder Beſtes fuchen, auch gegen feinen Pfarrer e 
bietig und befcheiden fich bezeigen, fich feines Rated bei j 
Schularbeit fleißig bedienen und zwifchen dem Pfarrer und 
hörern durch Plaudereien Feine Uneinigfeit fliften. — Hing 
ſoll auch fein Landpfarrer ſich unterftehn, feinen Schuldiener 
bespotifch zu tractiren, ihn in Gegenwart (der) Eltern und K 
zu proftituiren oder ihm gar eine gewiße Art der Frohnd 
abzuzwingen, fondern er ſoll fi chriftlich gegen ihn verh: 
ihm bei feinen Schulverrichtungen mit gutem Nat beiftehn 
wenn er fehlt, ihn mit janftmütigem Geifte zurechtweijen. 

2. Kein Schulbedienter fol fich in ein fremdes Amt 
andere Händel mengen, fondern ſeines Amtes, dafür er 
Rechenjchaft zu geben hat, fleißig und treulicdy abwarten, 
um Segen dazu inbrünftig anrufen und fi der jugend 
Ernft und Eifer annehmen, alfo, daß er von feinen gej 
Schulftunden auch eine BViertelftunde mutwillig verjäume, 
die Kinder ohne Auffiht allein fipen laße, nicht ab- und zu 
auch, wenn er eine andre ehrliche Profeffion bei feinem € 
dienfte treibt, (welches ihm unverwehrt ift,) Feine andre 4 
unter den Schulftunden darneben verrichte, ſondern ſtets bei i 
bleibe, fie forgfältig und gründlich unterrichte, und die Zeit 
mit Schwägen, Erzälung fremder Dinge und andern allotrüs 
bringe, fi nicht durch Spielen, Lachen und Scherzen mit i 
gemein mache, noch den Seinigen verftatte, Die Information | 
allerlei Unruhe” zu flören. Ein jeder fol auch fein anbefohl 
Amt jelber verrichten, nicht aber je zuweilen aus Bequemli— 
feine Stelle durch fein Weib oder wol gar dur die ält 
jelbft noch unter der Disciplin ftehenden Kinder in feiner A 
fenheit vertreten Iaßen. 

3. Einem jeden Schulbedienten follen alle Kinder 
thbeuere, durch Ehrifti Blut erfaufte und zum 
mel berufene Seelen gleidy fein, und fol er unter ihnen 
Gabe und Geſchenks willen oder um Freund» oder Feindſchaft 


—_ 51 — 


den Eltern willen feinen böfen Unterſchied machen, fo daß er eins 


dem anbern vorziehen oder eins hart tractiren und dem andern 


allen Mutwillen nachjehen wollte: Vielmehr fol er mit allem 


Exnſt und Eifer ſuchen, wie er ein jedes Kind dem Herrn 
& Hıiflo zuführe. 
4 Des Sonntags, abjonderlich zu Sommerszeiten, fol er 
Le jeine Schulkinder eine viertel oder halbe Stunde vor Der 
TS wühpredigt in der Schule verfammeln, fie das fonntägliche Evans 
g dium und Epiftel aus der Bibel oder neuen Teftament, welches 
Tee alle mit ſich bringen müßen, lejen laßen, andädtig mil ihnen 
beiten, auch fie zur ftilen Anhörung des Wortes Gottes und 
Er aadlichen Ehrfurdt vor der heiligen Ullgegenwart Gottes ermah- 
wen, und fie darauf paarweije aus der Schule in die Kirche füh- 
ren. In der Kirche fol er beitändig ein wachſames Auge auf die 
SE under haben, fein Schwägen nody andern Mutwillen ihnen ver- 
Fczttien, fondern die Widerjpänftigen aufzeichnen und den folgenden 
ag in der Schule abftrafen, aud dahin jehen, daß dad Geſaͤnge 
Don ihnen langjam und andädhtig geführt werde. Aus ber Nach— 
muittogspredigt oder Betſtunde des Sonntags foll er fie wieder 
O X VDentlich und paarweife in die Schule führen, die Predigten mit 
iHren kürzlich) durch Frage und Antwort wiederholen und einen 
DDer anderen Spruch ihnen weiter einfchärfen und mit berzlicyen 
Srmahnungen auf ihren Zuftand appliziren. Damit diefes an den 
Dtten, wo ed bisher nody nicht gejchehn, in Schwang komme und 
| Darin erhalten werde, dafür foll der Pfarrer eined jeden Orts 
| Treulid forgen, und fich zuweilen bei ſolchen Wiederholungen mit 
einfinden. Die Schulkinder, die fich dabei nicht einſtellen, ſollen 
jedesmal mit einem Albus beſtraft werden. 

5. Es hat aber auch ein jeder Schuldiener dahin zu ſehen, 
daß auch in der Woche dad wahre Chriſtentum ernſtlich von ihm 
getrieben werde. Gr joll zu dem Ende die Finder inſonder— 
beit fleißig auf ihren Taufbund, darin fie dem Satan ab: 
geſagt und dem dreieinigen Gott Treue, Liebe und Gehorfam 
zugeſagt haben, weilen, fie öfterd an die Allwißenheit und Allge- 
genwart Gotted erinnern und ihnen tief einprägen, daß er das 
Öute nicht unbelohnt, und das Böfe nicht ungeftraft laße.. Er 

4° 





— 52 — 


ſoll ſie vor allen Sünden, ſonderlich denen, dazu die Jugend am 
meiſten geneigt iſt, als Eigenſinn, Trotz, Ungehorſam, Unluſt zum 
Guten, Lügen, Leugnen, Stehlen, Fluchen, Mißbrauch des Namens 
Gottes ꝛc. treulich warnen und zum Guten vaͤterlich ermahnen. 

6. Die Schule fol er allezeit mit Geſang und andaͤchtigem 
Gebet anfangen und befchließen. Bei dem Gebet foll er darauf 
jehn, daß die Kinder dafjelbe ehrerbietig mit gefaltenen und erbo- 
benen Händen langjam und andächtig verrichten. Bei dem Singen 
aber hat er fie dazu anzuhalten, daß fie weder zu geſchwind nod) 
zu langfaın die Worte ausfprehen, auch, damit fie fidf nicht ge 
wöhnen, falſch zu fingen, ihre Geſangbücher in den Händen haben. 
- &8 fol auch Feine Woche vorübergehen, darin bie Schulfinder 
nicht wenigflend eine oder zwei Melodieen der Lieder durch öfteres 
Vorfingen accurat lernen. 

7. Wegen tes Leſens Fönnen die Kinder in drei Ordnungen 
geteilt werden. Die erſte Ordnung lernt die Buchftaben durch 
Öftered Fragen, aud außer der Ordnung, fennen und Ddeutlid 
ausfprehen. Die andre Ordnung lernt Die Buchftaben zufammen- 
jegen oder Buchſtabiren. Die dritte Ordnung wird ferner geübt, 
daß fie deutlich und nach den Unterjcheidungszeichen, den punctis, 
commatibus etc. lejen lerne. Es follen aber die Schuldiener 
hierin nicht zu jehr eilen und die Kinder nicht eher zum Buchfta- 
biren laßen, bis fie die Buchſtaben fertig Eönnen, und nicht eher 
zum Leſen mit ihnen jchreiten, bis fie ohne Anftoß buchftabiren 
und die Worte recht teilen können. &leichergeftalt können dieje 
nigen, Die jchreiben lernen, in Drei Ordnungen geteilt werben, jo 
daß einige Die einzelnen Buchftaben, Die man ihnen anfänglich mit = 
einem Bleiſtift vormahlen und mit Tinte überziehen laßen fann. 
andere aber Silben und Wörter, die übrigen nad) Vorjchriftem- 
ſchreiben. Es ift aber auch nicht zu vergeßen, daß die Kinder zum 
Lefung gejchriebener Briefe angeführt und nebft dem im Redhnemcy 
notdürftig informirt werden. 

8 Weil bei Kindern das Gedaͤchtnis am fähigften ift, Vo 
jollen die Schuldiener dahin fehen, daß außer dem Katechismo 
wie auch Tiſchgebeten, Morgen- und Abendfegen x. ein 
guter Schag von ſchönen Kernſprüchen heiliger Schrift, von 





— 83 — 


Pfolmen und geiſtlichen Liedern durch öfteres Herleſen und 
Wiederholen denſelben eingeprägt, aber auch der Verſtand derſelben 
Drarch kurze Fragen ihnen beigebracht werde. Nebſt den Sprüchen 
aber follen die Schulmeifter ihnen auch die bibliſchen Ge—⸗ 
F AHihten des A. und N. Teftaments befannt machen und Durch 
> erausziehung ein und anderer nügliher Lehren ihnen zeigen, wie 
Fe fih ſolche zu Nutze machen follen; darzu des Johann Hüb- 
m rd bibliſche Hiftorien gebraucht werden können und jollen. 
DU DIE Sonnabend foll die legte Schulftunde dazu ausgefeßt werben, 
D Ea ß; die Kinder dasjenige, was fie die Woche über auswendig 
ge Xemt, wiederholen und nochmals auffagen. Darauf fol der 
SS qyuldiener ein Lied mit ihnen fingen und fie mit guten Ermah⸗ 
ve am ngen zur chriftlichen Zubereitung auf den Sonntag nach Haufe 
ge Han laßen. 
9. Auf den Katehismum ſoll infonderheit gefehn werden, 
D<a$ folder alle Tage tractirt werde. Den Kleinſten müßen zu: 
oe xderft die fünf Hauptftüde ohne Lutheri Auslegung durch öfteres 
TE wDrfagen beigebracht werden. Darauf läft man fie auch Qutheri 
MW uxslegung lernen und fucht ihnen den Verftand ber Worte bei 
ZR= Bringen, aud) nach und nach die Sprüche heiliger Schrift, die 
Um mn Beweis dienen, ihnen befannt zu machen und zu erklären. 
Sl: die Kleineren muß der Schuldiener bie Fragen alfo einrichten, 
dag fie meift mit Ya und Nein darauf antworten Finnen, und 
DE ihnen die Antwort gleichlam in den Mund gelegt werde. 
Maxhmuß er das Geſagte mit aller Freundlichfeit öfters wieber- 
Dom und fi jeberzeit nach ihrem ſchwachen Begriff richten. Für 
Die Erwachſenen und Geübteren aber werden bie Fragen alfo ein- 
Beridtet, daß fie nachdenken lernen und alfo in der Erkenntnis 
zunehmen. Doch muß bei Tractirung des Katechismi nicht Blog 
auf das Gedaͤchtnis und auf den Verftand gefehen, fondern 
aud das Gewißen durch eingeftreute Prüfungsfragen mit ge: 
rührt, und der Wille durch liebreiche Ermahnungen, die recht 
bon Herzen gehn und alfo wieder zu Herzen dringen, zum Guten 
gelenkt und zu einer wahren Liebe des Herrn Jeſu geneigt 
werden. 


10. Nebft der wahren Gottjeligkeit ſollen die Schuldiener 





— 54 — 


die Jugend auch zur Ehrbarkeit und Höflichfeit anweiſen und 
ihnen darin mit gutem Grempel vorgehen. Sie follen daher feine 
groben Sitten an ihnen dulden, fondern fle darüber mit Worten 
beftrafen und fie fleißig unterrichten, wie fie in der Kirche, in ber 
Schule, auf den Gaßen, zu Haufe, bei dem Ehen, bei dem Auf: 
ftehen und Schlafengehen fi) wolanftändiger Sitten befleißigen, 
die Leute ehrerbietig grüßen, fich reinlich wajchen, Niemandem grob 
und unbejcheiden antworten, ihre Bücher fauber halten, auf der 
Gaße fittfam gehen, ſchamhaftig fein, und was fonft der Wolftand 
erfordert, beobachten follen. 

11. Weil mande Kinder ohne Strafen und Züchtigungen 
fich nicht in Ordnung halten Taßen, fo wird den Praeceptoribus 
und Schulmeiftern nicht gewehrt die Ruthe, und bei Erwachſenen 
den Stod zu gebrauchen. Doc follen fie diejenigen, Die Strafe 
verbient haben, vorher aus Gottes Wort und dem Katehismo « 
von ihrem Begangenen Unrecht überzeugen und fie zur Beßerung — 
ermahnen, wenn ſolches nichts Hilft, fie eins und andermal warnen = 
und mit der Strafe bedrohen, und wenn auch diefes nicht helfen 
will, endlich mit erbarmender Liebe ohne Zorn und Erbitterunges | 
zu einer mäßigen Züchtigung ſchreiten. Bei folder Züchtigunz a 
aber follen fie von allen Spottreden, Flüchen, groben Scheltwor — 
ten und fohimpflichen Beinamen, die den Kindern nachgebende — 
öfters ihr Leben lang anhängen, fich gänzlich enthalten, aud di 
Kinder nicht bei den Armen herumfchleudern oder bei den Haare —⸗ 
herumziehen, oder ihnen ein Buch oder ſonſt etwas an den or 
werfen, oder fie barbariſch mit Füßen treten, noch durch Ohrfeige — 
und andere Echläge an den Kopf ihrer Gefunbheit und Gh; 
Schaden zufügen, oder fie blau und blutig fchlagen, dadurch ⸗— i 
Rindern ſowol als Eltern nichts als Grbitterungen und Klage 7 
veranlaſt werden. Ein dummes und langfames Kind follen fie em 
des Lernens willen nicht noch dümmer ſchlagen, fondern vielmE>T 
Frevel, Ungehorfam, Lügen, Stehlen und andre Bosheiten befran 
fen, am meiften aber durch väterliche Ermahnungen und Lorftel- | 
lungen, Daß fie Gott, ihren Schöpfer und GErlöfer durdy ihr ibe: 
les Verhalten beleidigten, ihren Taufbund übertreten, den heiligen 
Geiſt betrüben ꝛc., bei ihnen auszurichten fuchen. 


12, Kein Schulmeifter ſoll ſich unterftehn, die Kinder unter 
ben Schulftunden zu feinen häuslichen Geſchaͤften, zum Kinder 
Fragen, Grads und Waßer-bolen, zum Graben und dergleichen 

Dingen zu gebrauchen, oder auch über Feld zu ſchicken; fondern 
er ſoll fie in der Schule, dahin fie von ihren Eltern geſchickt wer- 
Den, ruhig und ungehindert bleiben lafen. 

13. Gleichwie ein Pfarrer nie wegzureijen hat, er habe es 
Dem zuvor dem Metropolitano, zu deflen Gonvent er gehört, und 
> er acht Tage außen bleibt, feinem Superintendenten oder dem 
& snfiftorio angezeigt, damit man wißen fönne, wie indeflen das 
DU amt beftellt fei: alfo fol kein Schuldiener ſich unterftehn, ohne 
23 wrwißen feines Pfarrers einen Tag Über Feld zu gehn, und, wo 
er im Notfall einige Tage ausbleiben müfte, ihm zugleih Fund 
zszcahen, wie die Schule indeſſen beftellt fei. 

14. Wo ein Schuldiener diefe von uns wolbebädhtig ver- 

Farfte Ordnung nicht beobachtete, oder fonft feinen Pflichten nicht 
i cachkaͤmne und er nad) gejchehener Warnung von feinem vorgejeß- 
ten Pfarrer ſich nicht befierte, fo fol foldhes der Pfarrer dem 
Mletropolitano anzeigen und, wenn er fidh auch auf beffen Ermah— 
m uang nicht änderte, fol biefer ſolches an feinen vorgefegten Su- 
Perintendenten gelangen laßen und weitere Verordnung wegen 
eines ſolchen faulen, unordentlichen und ärgerlich lebenden Schul« 
Dienerd erwarten. 

15. Wie nun nach diefer Verordnung alle deutſchen Schul» 

m eiſter und (wo dergleichen find,) Schulmeifterinnen ſich zu achten 
Haben, alfo follen auch die Praeceptores bei den Iateinifchen 
Säulen die vorhergehenden Punkte genau beobachten und fich in 
ihrem Amt gleichfalls chriſtlich, egemplarifch und fleißig verhalten, 
damit nicht Klage über fie und PVerantwortung ihnen entftehe, 
Vondern fie vielmehr durd ihr chriftliches Wolverhalten und ers 
wieſene Treue zu fernerer Beförderung ſich recommandiren. 

Damit nun diefe unfre Schulordnung in Gang und Hebung 
tomme, fo fol ein jeder Präceptor und Schulmeifter, der entweder 
ſchon * im Amt ſteht, oder noch kuͤnftig dazu gelangen moͤchte, 
Ad) dieſelbe recht bekannt machen und fie beſtaͤndig als eine Regel 
md Richtſchnur ſeines Amtes vor Augen haben, Befehlen anbe- 











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neben gnädigft, jedoch ernftlichft, Daß folder in allen Städe 
wie e8 ein jeder vor dem Richter alles Fleifches, der die S 
der Kinder durch fein theueres Blut erlöft bat, zu verantwe 
gedenft, aufs gewißenhaftefte treu und gehorfamft nachgelebt. 
den folle. Verſehen's uns und find euch mit Gnaden wı 
wogen. 
Darmftadt den 28. Juli 1733. 
Ernft Ludwig, Landgraf zu Hefien. 


— 


Soweit es möglid war, ſuchten die Landesbehörden bie 
Schulordnung zur Einführung zu bringen; aber wie überall 
zeigte es ſich aud) in Heſſen-Darmſtadt, daß die beiden une 
lihen Borbedingungen eines geordneten Volksſchulweſens, ne 
tüchtige Lehrer und Gemeinden, welche den Wert der Volksſa 
zu fchägen wuften, nod nicht vorhanden waren. Daher if 
wirkliche Bejchaffenheit der Volksſchulen damaliger Zeit nicht | 
aus der Schulordnung von 1733 als aus anderweitigen Beri 
zu erſehen, weldye über den Buftand einzelner Schulen der 8 
grafichaft Heflen- Darmftadt vorliegen. Das Wefentlichkte, 
fih hieraus ergiebt, ift Folgendes: 

Bis über das Jahr 1730 Hinaus wurden die Dorf 
meifter in Hellen-Darmftadt allein von den Superintendenten 
nannt. Späterhin wurde den Superintendenten aufgegeben , 
artige Ernennungen nur mit Vorwißen und Zuftimmung des 
fiftoriumd vorzunehmen; und gegen Ende des Jahres 1743 w 
verordnet, daß die Bewerber um Schullehrerftellen von dem 
finitoriun geprüft, und daß fodann die Ergebniffe der Pri 
mit den nötigen fonftigen Beugniffen durch das Gonfiftoriun 
den Landesherrn eingefhidt und die Betätigung des Worgel 
genen von dieſem erwartet werben jollte. 

Man unterjchied zwijchen Kirchſpiels- oder orbentl 
Schulmeiftern und Filialſchulmeiſtern. Die letzteren kamen 
mentlich in folchen Filialdörfern vor, von denen aus der Pfaı 
nur mit großer Beſchwerde erreicht werden konnte, z. B. in 





— 81 — 


Fillaldoörfern der bergigen oberheſſiſchen Aemter Ulrichftein, Bie- 
D entopf, Blantenftein, Grund Breitenbach, Schotten und Nidda, 
Kin ließ fi irgend ein Gemeindeangehöriger, der die Buchftaben 
Fante, und in Not war, von den übrigen Bauern des Ortes 
Benit finden, gegen eine Vergütung von 10, 12, oder 20 fl. und 
gegen eine in den Häufern wechjelnde tägliche Malzeit, mitunter 
and, wenn der gemietete Schulmeifter ein Auswärtiger war, ges 
gen eine mit der Malzeit wechjelnde Wohnung in den verſchiednen 
Bauernhaͤuſern, von Michaelis bis Dftern oder Pfingften Schule 
zu halten. Diefe Filtalfehulmeifter wurden ohne Prüfung auch 
Tpiterhin nur von dem Superintendenten concejfionirt. Einzelne 
Derielben, die Neigung und Gelegenheit hatten, fih zum Schul: 
meiſterberuf auszubilden, machten päterhin die Definitorialpräfung 
und gingen dann in bie Klaffe der ordentlichen Schulmeifter über. 
Die meiften Schulmeifter waren Handwerker, und hatten bie 
Schulmeifterei mit dem Handwerk von dem Pater: erlernt. Der 
Säulmeifter war entweder Weber, oder Schneider oder Schuh- 
flider oder Leinweber u. dgl. m. Daneben waren viele Schul: 
meifter ausgediente Soldaten; einzelne wenige waren Studiofen 
oder gar Bandidaten der Theologie geweſen. Die äußere Lage 
und Stellung der meiften war entjeßlih. Allerdings waren bie 
Säulmeifter in den Jahren 1718, 1720, 1721 und 1733 mit 
Manderlei Exemtionen begnadigt und i. J. 1759 namentlich von 
Um Schanzarbeiten befreit worden; aber der i. J. 1757 zu 
Allendorf bei Gießen ftehende Schulmeifter hatte neben dem Webes 
Inod den Bettel in der ganzen Umgegend, wovon er lebte. 
Viele, die im Winter fchulmeifterten, waren im Sommer als 
Topelöhner beichäftigt, die bis zum Herbſt mit der Senſe und 
em Flegel arbeiteten, um jodann fich wieder nach einer Filial- 
ſchulmeiſterſtelle umzuſehen. Wie im Allgemeinen die Schulmeifter 
beſchaffen waren, mag aus folgendem Bericht erhellen, den ber 
Plorrer zu Kirchlotheim am A. Oktober 1757 über die Schul 
weiter feines Kirchſpiels an feinen Metropolitan erftattete. Der 
Varrer Herichtet nemlich über dieſe vier Schulmeifter Folgendes: 
»l) Job. Geiersbach zu Kirchlotheim, von Rofenthal im Fürften- 
km Heſſen⸗Caſſel gebürtig, hat erft zu Wöhle als Adjunctus ger 


— 588 — 


ſtanden. Dieſer koͤnnte wol, wenn er fleißiger waͤre, noch ein 
ziemlichen deutſchen Schulmeiſter an einem geringeren Ort, wo 
nicht manchmal Betſtunde und Kinderlehre zu halten hätte, u 
hier, abgeben, maßen ſein ſtotterndes Leſen zu vielem Geſpoͤ 
Anlaß giebt; zum Organiſten aber iſt er gar miſerable, ſonſt 
Mann, der wegen feines Hochmuts, welchen er auch fchon | 
zweien Pfarrern vor mir erwiefen, ganz unerträglich, der demna 
auch von Feiner Suborbination etwas wißen will, meint, er | 
Herr für fi, daher er die Schule ausfeßt oder hält nach Bel: 
ben, auch feinen Pfarrer bei defjen Zuhörern läftert. — 2) Se 
Schäffer zu Buchenberg fol nad) eingezogener Erkundigung fleil 
ger, abfonderlih die Sommerjchule Halten, ift auch beugſam⸗ 
zumal wo er nicht den Geierdbach zum Kührer annimmt, fol for 
dem Trunk in etwas ergeben fein. 3) ob. Henri Zöllzer 
Hertzhauſen iſt erftlih ein Soldat geweſen, bernach mit eine 
Spieltifch auf den Märkten herumgezogen, fodann sub fama pe 
sima aus dem Lande gewichen, nad) feiner retour auf die Gru 
nach Itter gegangen, endlich mich, pastorem, der ich de vita an 
acta nichts gewuft, berebdet, indem er wol ausſiehet und ein g 
Mundwerk hat, das ihn an weiland Ihre Hochwürden Hl. Sup 
intendent Dr. Lieberfnecht recommendirt, da dann derjelbe refcribi 
ih ſolle ihn, Böllgern, interim zu einem Filialfchulmeifter 
Hertzenh. vorftellen, er, Hl. Superint., wolle für befien Den 
forgen, welches ich auch in anno 1747 getban, Ihre Hochw. ab 
find darüber feel. verfchieden, und das Decret ift außgebliehe 
jo fonft dem Vernehmen nad) die Schule ziemlich fleißig Halte 
obwol die Kinder jehr fchlecht find, ift aber die Brutalität ſelb 
fo daß ich mich fürchte, feine Schule zu beſuchen. 4) Joh. Pet 
Möbus zu Altenlotheim wünſcht nichts mehr, als daß nur t 
Kinder fleißiger fommen mögen, ſchickt Feind unverhört weg uı 
thut fein Amt nah Vermögen; ift auch wol zu hoffen, er wer! 
ein tüchtiger Schulmeifter werden, wenn zumal die vielleicht no 
in etwas anflebende Soldatenart vergehen follte; erkennt eiı 
Subordination an und Iäßet fich weiſen, ift anbei ein guter O 
ganift und führt ein gutes Gefänge.” 

58 war üblich, daß die Schulmeifter vor ihrem Amtsantri 


— 59 — 


einen Revers unterzeichneten, für den es jeboch Feine gejegliche For: 
mulitung gab. In einem am 13. Mai 1727 zu Gießen andge- 
Rellten Revers gelobt ein Schulmeifter, „daß ich zuvörderſt hoch⸗ 
gedachten meinem gnädigften Kürften und Herrn ſtets unterthänigft 
und getreu fein, mid, in meinem Amt und Unterricht der Jugend 
an Gottes Wort und den evangelifch > Iutheriichen Katechismus 
Balten und folchen nebft den Sprüchen heiliger Schrift treulich in 
Die Herzen pflanzen, in ber Kirche, was zum Gefang, Orgel- 
ſchlagen und übrigen Gottesdienften gehört, wol in Acht nehmen, 
aud in meinem Leben gottfelig und frieblich, allegeit erweifen und 
verhalten will.” | 
Eine generelle Revifion des gefammten Volksſchulweſens 
Dberhefiend ordnete Landgraf Ludwig VIIL im Jahr 1758 an, 
indem er dem Gonfiftorium zu Gießen aufgab, darüber zu be- 
richten, wie viele Schulmeifter im Oberfürftentum vorhanden 
wären, wie lange jeber einzelne berfelben im Amte ſtehe und wie 
er fih bisher verhalten habe. Außerdem follte das Gonfiftorium 
bon einem jeden Schulmeifter fein Beftallungsrefcript einziehen. Das 
Conſiſtorium ließ ſich fofort durch die Pfarrer die verlangten Nady- 
richten einfenden und ſchickte biefelben unter dem 27. October 1758 
an den Landgraf nad Darmſtadt ab. 
als fich ſpaͤterhin auch in Heflen-Darmftabt die Aufmerffam- 
feit der Landesregierung mit Iebhafterem Intereſſe dem Schul 
weſen zuzuwenden begonnen, wurde zur Darmftabt im November 
1776 auf Veranlaßung bes Präfidenten und Kanzler dv. Mofer 
eine befondere Erziehungscommiffion angeorbnet. Von da an be 
gann fich die Volfsfchule in Heflen-Darmftadt immer fräftiger und 
friſcher zu erheben. Eine landesherrliche Verordnung, welche im 
ſolgenden Jahre (unter dem 11. Juni 1777) publizirt wurde, 
ſowie bie „Inſpectionsordnung des Fürſtentums Darmſtadt“ vom 
4. Auguſt 1777 erneuerten und vervollſtaͤndigten, was durch die 
Schulgeſetzgebung des Landes bisher feſtgeſtellt und angeordnet 
war. In der letzteren (durch welche der Titel der Metropolitane 
In pen der Sinfpectoren umgewandelt und Die Amtsbefugniß der 
Tußpectoren geregelt warb), wurde den Infpectoren „die Auf- 
Nat über das gefammte oͤffentliche Schul- und Erziehungsweſen 





— 60 ° — 


ihres Bezirks ganz befonders aufgetragen,” indem diefelben naments 
lich dafür Sorge tragen follten, „daß nicht nur Die feftgefeßten 
Lehrftunden richtig gehalten, Die nach einer eignen Vorjchrift ver- 
ordneten Rectionen und dazu gut gefundne Lehrart forgfältig Be 
achtet, die fehulbaren Kinder zeitig und ununterbrochen zur Schule 
geſchickt und darin bis auf Die beftinmten Jahre unterrichtet, nich 
weniger auch die vorgefchriebeue Schulzucht gehandhabt werde. + 
Zu dieſem Amede follte der Inſpector „eine vollftändige Lifliii 
der fämmtlichen Schulen und deren Kinder mit Bemerkung demper 
Jahre und der Namen der Eltern, ingleichen die Orbnung, wozu 
fie gehören und des Fleißed und Aufführung, fo fie zeigen, halte. 
„Damit auch der Inſpector nicht zu fpät Diefen oder jenen Mi 
brauch gewahr werde, vielmehr den wahren Zuftand und Fortgare 9 
des Schulweſens gleichfam beftändig vor Augen habe, fo foltem 1 
die Pfarrer, Kirchen» und Schuldiener an denfelben alle Vierte 1 
jahre einen gemeinſchaftlichen Schulbericht einfchiden und in deie 
jelben die wahre Verfaßung der Schule nach allen Erfordenifje" 
begreifen.” Diefe Schulberichte follten von den Inſpectoren ame 
Ende jedes Jahres an das Gonfiftorium eingefandt werben. 

In den Städten follten die Infpectoren jaͤhrlich zwimc 
(im Frühjahr und Herbft), auf dem Lande nur einmal (im Frü 
jahr) ein Hffentliches Schuleramen anftellen. Außerdem folte — 
aber auch außerorbentliche und in feiner Weiſe vorher angezeigte 
Schulvifitationen veranftaltet werden. Die Iffentlihen Prüfunge” — 
jollten nicht mehr wie bisher in der Schulftube, fondern in de! 
Kirche, und wo eine Kirche nicht vorhanden fei, in dem ge 
räumtgften Lokal des Ortes gehalten, und Sonntags zuvor folte —— 
alle Gemeindegliever , insbefondere jedoch die Eltern und Por 
münber der Kirche zum Beſuche berfelben von der Kanzel hera F 
eingeladen werden. — Einen jeden neu angeftellten Schulleiter? 
follte der betreffende Anfpector der verfammelten Gemeinde um 
ber dabei verfammelten Schulfugend vorftellen, „zu dem Ende uch 
die Schuljugend hervortreten laßen und ihn gehöriger Maßen in 
fein erhaltenes Schulamt einführen.” Außerdem wurde es den 
Inſpectoren zur befondern Pflicht gemacht, daß fie die begabteren 








— 61 — 


Rraben, wenn fie die Schule verließen, ermuntern follten, fi 
dem Lehrerberufe zu widmen. 
In eigentümlicher Weiſe wurde dad Schulmejen zu Bup- 
Bad in Oberheffen fo organifirt, daß Die daſigen Schulen 
weſentlich ald Volksſchulen eingerichtet und zugleich Doch zur Vor⸗ 
bereitung auf die ©elehrten-Studien verwendet wurden. Bisher 
nemlich beftanden daſelbſt vier Schulen mit vier Lehrern, worunter 
fich nach alter Weife eine lateinische Schule mit einem theologifch 
gebildeten Rector befand. Zu Diefen vier Schulen fam nun im 
Jahr 1777 noch eine fünfte Schule, die dem Glödner, der jept 
zum erften Male ald Schulmeifter fungirte, überwiejen wurbe, 
Der für Jedermann freigegebene Unterricht in Gymnafial⸗Sprach⸗ 
Rardien und in der Mufif wurde nun mit den übrigen Lehrſtunden, 
zua deren Beſuch alle jchulpflichtigen Kinder gezwungen waren, jo 
Dexbunden, daß für denſelben drei befondere Schulen mit täglich 
Süiner Stunde Unterricht, weldyer nad) den ordnungsmäßigen übrl- 
ze a Lehrftunden erteilt wurde, eingerichtet waren. Die Schul⸗ 
>rDnung vom 13. September 1777 *), dur welche dieſe Reors 
za nijation publizirt wurde, enthält manches Trefflihe, was ihr 
iĩ gentümlich war, 3. B. die Herftellung eines gewißen Zufammens 
a ngd der Schule mit der Erziehung der Kinder im elterlichen 
> auie, 

Einige Sabre jpäter (um 1784) wurde von dem Gonfiftorium 
ar Darmftadt die Errichtung einer Anftalt für Ausbildung der 
S chullehrer als ein wefentliches Tandesbebürfniß bei der Staatd- 
-@ gierung zur Sprache gebracht. Landgraf Ludwig IX. geftattete 
mrad wirflih, Daß die Errichtung eined Seminars in Erwägung 
Bezogen wurde, und namentlich war der für das Schulweſen uns 
erwidlih thätige Gymnaſialdirektor und Conſiſtorialrath Wenk 
Tür moͤglichſt baldige Einrichtung defjelben bemüht. Indeßen 
Der Mangel der nötigen Fonds und andere Schwierigkeiten hin 
derte die Ausführung bes fchon entworfenen Planes, weshalb fich 
Die Landesregierung darauf bejchränfen mufte, dem Volksſchulweſen 

— __ 


*) „Erneuerte Schul- Ordnung für die fämmtlihen öffentlihen Schulen in 


der Stadt Bupbad. Darmftadt. 1777“ (fol.). 


— 62 — 

einftweilen auf anderen Wegen aufzuhelfen. Daher wurde z. E 
durch Verordnung vom 2. März 1787 befoblen, daß überall fin 
ganz arme Schulkinder die Schreibmaterialien zur Hälfte am 
dem FKirchenfaften, zur Hälfte aus der Gemeindefafje bezahlt wer 
den follten. Insbeſondere ſuchte man das Schulwejen der Reſiden 
ſtadt zu heben. In derſelben beitanden damals fünf Schule 
unter denen fich eine Mädchenfchule mit einer Frequenz von LE 
bi8 200 Schülerinnen auszeichnet. Auch errichtete der nad 
berige Landgraf Ludwig X. noch ald Erbpring im Jahre 17€ 
eine Garnifonsfchule zu Darmftabt mit zwei Lehrern. Sämmtlicd 
Soldatenfinder erhielten in derjelben freien Unterricht, indem D 
Landgraf die beiden Lehrer jelbft beſoldete. 

Vieled trug zur Verbeßerung des Volksſchulweſens in D« 
jen- Darmftadt auch die liberale Wolthätigkeit einzelner Privat 
bei.) Als i. J. 1801 die für einen Lehrer zu zalreich << 
worbne Bürgertöchterfchule zu Darmftadt geteilt werden mufte, X 
Aufrihtung einer zweiten Schule an dem Unzureichenden D 
disponibeln Mittel zu feheitern drohte, überfandte der damal iü 
Kirchenrat und erfte Stadtpfarrer zu Darmftadt, Friedrihd CHR 
ſtoph Kyrig (ein BZögling des Halliihen Waiſenhauſes) D>« 
Konfiftorium zur Ausführung dieſes Planes 1000 fl., wodurch # 
Einrichtung der zweiten Töchterfchule möglid wurde. 3. J. 154 
kaufte berjelbe Wolthäter der Darmftädtiihen Schuljugenn F 
bie erfte Töchterfchule , Die fich in ihrer fehr ungeeigneten Behce 
jung nicht länger halten Eonnte, für die Summe von 6004 
das bisherige Stabthofpitalgebäude an; und in feinem Teftamer 
beftimmte derſelbe feine ganze Berlaßenfchaft im Betrage vs 
51,093 ff. 41 fr. zur Unterftügung von Lehrern, Schulfindern us 
zu anderen Wolthätigfeitszweden. — Der großherzogliche Oberforftr— 
Chriſtoph Nungeſſer vermachte fein Vermögen (über 20,000 fl.) ze 
Hälfte dem Waifenhaufe, zur Hälfte der Stadt-Armenfchule zu Darım 
ſtadt, und der großherzogliche Regierungsrat Georg Ludwi 
May fegte (im Jahr 1808) als Univerfalerben feines geſammte 
Vermoͤgens, im Betrage von etwa 130,000 fl., alle Schullehre‘ 


*) Freimütige Jahrb. der allgem. deutfchen Volksſchulen B. I. S. 200 ff. 





— 63 — 


der fieben erften Diöcefen oder des altheifiichen Teiles des Fürftens 
tumd Starfenburg, deren Befoldung noch nicht 300 fl. betrüge, 
ein, und zwar mit der näheren Beftimmung, daß denſelben jähr- 
lich die Zinfen des nach Abzug verſchiedner Legate, feines Wohn: 
hauſes und einiger andern beftimmten Ausgaben übrig bleibenden 
Bermögen zu gleichen Teilen als Gehaltszulage gegeben würde. 
Dagegens follten fie in jedem Jahre an feinem Sterbetage zur 
Erweckung und Pflege religiös » fittlicher Gefühle eine angemeßene 
Säulfeier mit ihren BZöglingen begehn, ſich die moraliſche Bil⸗ 
Dung der Jugend vorzüglich angelegen fein laſſen und es fich zur 
beiondern Pflicht machen, derjelben immer felbft mit gutem Bei⸗ 
ſpiel voranzugehen. Wenn aber der eine oder der andere nit 
einen untabelhaften Lebenswandel führen, oder fi gar dem Trunf 
und Spiel ergeben würde, jo follte demfelben fein aus dem 
Stiftungsfonds zu beziehender Anteil zu Gunften ber übrigen 
Lehrer fo lange entzogen werben, bis er ſich befere. Der Grb- 
Lafer fprach zugleich die Hoffnung aus, daß hiernach in ber Folge 
ber Eingangs erwähnten Diöceſen, wofelbft ſich noch unftändige 
Säullehrer befänden, mo möglich ftändige Lehrer angeftellt würden, 
indem nur dieſe an der von ihm verorbneten Unterftüßung Anteil 
Haben follten. 

Sein Wohnhaus, eined der geräumigften und beſten Häujer 
der Stabt, mit Nebengebäuben, Garten und einem ornithologijchen 
Ceabinet Beftimmte May der zweiten Maͤdchenſchule, die ſich bis— 
ber mit einer Meinen, düftern und niedrigen Stube hatte begnügen 
mißen. An feinem Sterbetage follte bier jährlich nach Abfingung 
des auch für die Landſchulen an dieſem Tage vorgeſchriebenen 
Kirchenlieds „hab Acht auf Gott in aller Not,“ unter die ſechs 
fleißigſten und ſittſamſten Mädchen eine Prämie von 15 fl. ent⸗ 
weder in baarem Gelb oder in geeigneten Sachen auögeteilt werben. 
Den jährlihen Gehalt des Lehrerd vermehrte May mit 150 fl. 
aus der Stiftungskaſſe. 

Außerdem wurden noch ausgeſetzt: 50 fl. jährliche Zulage 

die reformirte Pfarrei und Schule zu Darmſtadt, und zwar 
lener 20 fl., Diefer 30 fl.; 50 fl. jährlich als Beifteuer für Die 
Bedürftigften Hausarmen zu D., am Sterbetage des Stifterd aus: 


— 64 — 


zuteilen; 25 fl. jährlich für die Kinder im Waiſenhauſe zu D. 
einem feftlichen Abend am 20. Mai jeden Sahres. Sollten i 
been dieſe Kinder über kurz oder lang unter Familien auf de 
Lande verteilt werden, und aljo die Mahlzeit nicht mehr gemeinja 
genießen Eönnen, fo follten dieſe legirten 25 fl. die Sträfliu 
im Stod- und Zuchthauſe am 20. Mai alfährlic erhalte 
ferner 25 fl. jährlich für den Kirchhof; 300 fl. als jährlicher & 
halt nebft freier Wohnung und Heizung für eine alte rechtichaffe 
Wirtichafterin des Erblaßers, welche beide Spenden nad den 
Ableben dem Stiftungsfonds wieder zufallen jollten. 

Etlihe und achtzig Schullehrer, deren Bejoldung noch nt 
300 fl. betrug, feierten am 25. Juli 1809 das Andenken K 
hochherzigen Stifter mit ihren Kindern, und empfingen zum erfl 
Male, ſowie ſeitdem alljährlid an bdemfelben Jahrestage, ı 
feder eine Gehaltszulage von 40 fl. 

Gine der zwedmäßigfien und wirkſamſten Verordnung 
wurde unter dem 17. uni 1802 publizirt, durch welde- 
1) jedem Pfarrer zur Pflicht gemacht wurde, für die Schul 
feines Kirchſpiels zu Haften, fo daß der ſich etwa entbeden 
ſchlechte Zuſtand derſelben fo lange ald fein eigned Verſchuld 
angefehn werde, als er nicht erwiefen habe, daß er erft all 
Mögliche getban, um die Mängel zu befeitigen, und daß er in 
befondere jeinem Firchlichen Dberen diefelben angezeigt und a 
Remedur gedrungen babe; 2) follten zufolge diejer Verordnu 
alle Pfarrer der Landgrafichaft angewieſen werben, „mwöchentli 
in der Schule zwei ganze Stunden hindurch, namentlich Monte; 
und Donnerstags Morgend von 9—11 Uhr, und zwar gerade 
Lehren, welche die Erwedung rechtichaffener, wahrhaft chriftlich 
GSefinnungen zunädhft angehen, in Gegenwart des Schullehre 
Unterriht zu erteilen, auch dieſe Stunden unter Feinerlei Vorwal 
auszuſetzen, fondern im Falle fie etwa an einer derſelben dur 
unvermeidliche Amtsaktus verhindert werden follten, fie noch 
der nemlihen Woche nachzuholen. In Orten, wo zwei Schul 
wären, hätten fie in jeder derjelben wöchentlich zwei Stunden 
halten; und im Sale, daß mit einer Pfarrkirche eine ober t 
andere beträchtliche Filialſchule verbunden fei, follten fie zuweil 


ine von den beiden feftgejeßten Stunden auf diefe Filialjchule 
ermenden.* *) 

Unter demjelben Datum wurde aud eine „Schulorbnung für 
e Stadtſchulen in Darmſtadt“ publiziert, welche unter anderm 
e Borfchrift enthielt, daß der Superintendent halbjährlicy in ber 
ohe vor dem Examen mit fämmtlicdyen Lehrern einen Schul 
nvent halten follte, welchem auch die Stabtpfarrer beizumohnen 
tten. Auf dieſem Konvente jollte Die Verfeßung der Kinder aus 
n niederen in die höheren Klaffen und Schulen, Die Verteilung 


*) Die Gründe zu diefer Verfügung werden in folgender landesherrlichen 
merinnerung angegeben: „Uns ift vorgetragen worden, daß, wenigſtens in man- 
n Gegenden unfrer fürftlichen Lande teild durch die ſchädliche Einwirkung des 
rgangenen Krieges, teild durch den verdorbenen Geift der Beiten und einen 
raus entftandenen verführerifhen Leichtfinn und Gleichgültigkeit gegen die beil- 
nen Vorjchriften der Religion und Tugend die guten Sitten unter unferm Land- 
MM merklich nachzulaßen und von der edlen Einfalt abzuweichen angefangen 
ben, die jenen Stand fonft doppelt ehrenwert madte. Diefe Radricht mufte 
form Iandesväterlichen Herzen fo viel empfindlicher fein, je mehr wir überzeugt 
d, daß mit der Moralität des Volles im Denken und Handeln das Glück aller 
zelnen Familien, und eben dadurch der Wolftand des ganzen Landes aufs 
rigſte verbunden find. Eben diefe Weberzeugung madt e8 uns zugleich zur 
gelegenften Pflicht, jenem Berderben auf alle Art entgegen zu arbeiten, und da 
x unter den Mitteln, die dazu führen können, keins für wirkſamer halten, ale 
un derbeferten Unterricht und die Erziehung der Jugend, auf diefen Zeil unferer 
mdesväterlihen Fürſorge unfre Aufmerkſamkeit fo viel vorzüglicher zu richten. 
inen guten Zeil diefer Arbeit glauben wir fhon dadurd zu erreihen, weun wir 
e Prediger mit den Landfhulen in nähere Verbindung brin- 
n und fie dadurh in den Stand feßen ihren näheren Einfluß auf die mora- 
qhe Bildung der Jugend, nicht erft auf die Konfirmandenftunden erfparen zu 
en. Run find zwar die Prediger ihrem Amte nad) ſchon ohnehin zur genaueften 
uffiht über die ihnen zunächft untergebenen Landſchulen verbuuden; aber gefept 
ich, daß fi) bei aflen die ftrengfte Beobachtung diefer fo mefentlichen Pflicht 
»raußjegen ließe, fo können doch, wie die Erfahrung gelehrt, bloße Schulbefuche 
eh nit hinreihen. Es läft fich von Predigern als ausgebildeten Lehrern der 
Elgion und Moralität, wenn fie an dem Unterricht der Jugend unmittelbar felbft 
eil nehmen, hierin nicht mur ungleich) mehr als von gewöhnlichen Schullehrern 
Warten, fondern es ift auch diefen Schullehrern ein Beifpiel und Mufter nötig, 
⸗ Re es anzufangen haben, um ihren Unterricht noch weit mehr für das Herz 

far das Gedächtnis wirkjam zu machen ıc. ıc.“ | 
Depye, Boltsigulweien, 2. 5 


— 66 — 


der Prämien, die Anſchaffung von Büchern, Landkarten, Vo 
ſchriften u. ſ. f. für die Schulbibliothek beſprochen und überhau 
Alles, was zur Verbeßerung der Schulen dienen koͤnnte, in & 
wägung gezogen werben. 

Inzwiſchen hatte Hefien-Darmftadt infolge der Revolution 
friege jener Zeit viele feiner bisherigen @ebietsteile verloren ws: 
andere dafür erhalten. Zugleich hatte der Geift des Rationalismı 
der fi) mit dem Ueberlieferten wenig vertragen fonnte, in allı 
Schichten des Volfed Aufnahme gefunden und hatte fich insbeſo 
dere der Negierungsorgane bemädtigt. Das in Folge deffen fd 
ganz allgemein kundgebende Verlangen nad) gründlicher Reformirun; 
und Uniformirung aller Verhaͤltniße des Staatd und der Kirdi 
fam der Volksſchule wenigſtens infofern zu Statten, als dieſelbe 
jegt mit immer größerem Snterefje beachtet wurde. Namentlid 
ging das eifrigfte Bemühen der Behörden dahin, endlich einen 
regelmäßigen Schulbeſuch herzuftellen. Das Konfiftorium zu Giehen 
befahl (durch Ausfchreiben vom 29. Januar und 16. Aug. 180%) 
bie forgfältigfte Führung von Abfentenliften und die frengfte Be 
ftrafung der Säumigen. Ebenso fuchte das Konfiftorium zn Gicht 
(durch Ausjchreiben vom 24. juni 1803) dem Uebelftande # 
fteuern, „daß durch die auf dem Lande gewöhnlich Nachmittag! 
gehalten werdenden öffentlichen Leichenbegängniffe im Winter, all 
grade in der Hauptſchulzeit, für die Landkinder vielfältige Schu 
verfäumniffe verurſacht wurden. *) 

Für die Fatholifchen Landesteile wurde im Jahr 1804 dal 
Schullebrerjfeminar zu Bensheim eröffnet, indem me 
bafelbft einen Normallehrer anftellte, welcher zugleich einige 
Unterricht am dafigen Gymnaſium erteilte, wogegen einzelne Gym 
nafiallehrer die Schulamtscandidaten in "gewißen Fächern unte! 
richteten. Cine lanbesherrlihe Verordnung vom 13. Juli 180 
vegelte den zu erteilenden Normalunterricht, der alljährlich im Frü 
jahr begonnen wurde und fünf Monate lang dauerte. 


*) Hauptquelle für die Periode von 1803 — 1807 ift das „Handbud 
großherzoglich heflifhen Verordnungen vom Jahre 1803 an, vom 8. G. Gig 
drodt, Darmft. 1817.“ 


— 67 — 


In demſelben jahre wurde für die fatholifchen Schulen auch 
in neues ABCbuch („der ABE-Schüler, Darmftadt 1804") ver- 
fentlicht. Aber die katholiſchen Gemeinden fügten fi nur mit 
Biderftreben in bie Neuerung, weshalb der ausjchließliche Gebrauch 
3 neuen ABCbuches durch Ausſchreiben der fatholifchen Depu- 
tion des Kirchen- und Schulrates zu Darmftadt (vom 24. Octo⸗ 
t 1806) allen Schullehrern nochmals fireng befohlen werben 
uſte. — Die Regierung %erfuhr bier dasjelbe, was fie mit einer 
nlihen Neuerung an den proteftantifchen Gemeinden des Landes 
lebte. Durch Iandesherrliche Verordnung vom 1. Novbr. 1804 
u nemlih auch für die evangelifchen Gemeinden ein von dem 
uperintendenten Schulz und dem Garnifonsprediger Wagner 
$gearbeiteted neues „IBC⸗-, Buchftabir- und Leſebuch“ einge: 
hrt worden. Aber den Gemeinden war das alte Buchſtabir⸗ 
hlein and Herz gewachjen, weshalb von demfelben noch in ben 
Ihren 1805 und 1806 Nachdrücke erſchienen, welche von ben 
tern gefauft, und von den Kindern mit in die Schule gebracht 
ırden. Im Jahr 1807 mufte e8 daher der Kirchen» und Schul 
t allen Infpectoren, Pfarrern und Schullehrern auf das ftrengite 
r Pflicht machen, das alte ABCbuch in feinem Fall mehr in 
n Schulen zu dulden. 


Im Jahre 1806 erfolgte die Umwandlung der alten Land: 
aſſchaft in ein fouveränes, bedeutend vergrößerted Großherzog: 
m Heſſen. 

Das neue Leben, welches in Folge deſſen in allen Zweigen 
t Öffentlichen Verwaltung des neuen Staates hervortrat, mufte 
ipendig auch jofort die umfaßendften Reformen im Gebiete bed 
ollsſchulweſens hervorrufen. Dabei war ed gut, daß Diefelben 
Uwährend im Anſchluß an die aus früherer Zeit herrührenden 
jeglichen Beſtimmungen erfolgte. Unter dem 15. Januar 1807 
itde zunächft die landeöherrliche Verordnung vom 17. Juni 1802, 
Ihe es den ©eiftlichen zur Pflicht machte, wöchentlich zwei volle 
unden in der Schule Unterricht zu erteilen, erneuert. Die 
arıer follten über den von ihnen erteilten Unterricht ein genaues 

5° 


— 68 — 


Diarium führen. Zugleich wurde den Schullehrern aufge: 
auch über ihre Thätigkeit „Schulmanualien“ zu führen, in w 
nicht nur die Tage und Die Stunden, fondern auch die Mo 
des vor= und nachmittaͤgigen Unterrichts nach ihrer Ordnung 
Aufeinanderfolge aufgezeichnet würden. Auch wurde noch in 
jelben : jahre die Begründung von Schulbibliot!hefen 
pfohlen. — Zwei Jahre fpäter (24. Juli 1809) wurde 

proteflantiichen Snfpectoren und Pfarrern des Großherzog 
aufgegeben, jährlih ene Schulpredigt zu balten, ! 
namentlih die Eltern der fchulpflichtigen Kinder über den € 
ber Schule belehrt werben follten. Dieſe Schulpredigt fol 
wechſelnd an drei verjchiedenen Sonntagen, nemlich im erften | 
an dem Sonntage, an weldem der Beginn der Winterfchuli 
gezeigt werde, im folgenden Jahre am zweiten Sonntage 
Oſtern, und im dritten Jahre am erften Sonntage nach Ep 
nien gehalten werben. Allerdings bewirkte es Der ſich i 
mächtiger erbebende Geift des Rationalismus, daß (i. J. 1 
die althergebradyten Katechismen durch neuere Machwerke 

Nofenmüller und Snell) verdrängt wurden; aber der 
liche Charafter und Beruf der Volksſchule wurde Doch feitgeh 
Die Schullehrer wurden 3. B. (i. 3. 1812) ausdrücklich 

wiefen, an allen Sonn= und Fefttagen die Schulkinder vor 
Beginn des Gortesdienfte8 in der Schule zu verfammeln 
ihnen nach Verrichtung eines Gebet das in der Kirche zu fin 
Lied fingen, das Evangelium und die Epiftel lefen zu laßen u 
ſodann paarweiſe zur Kirche zu geleiten. Eine Verordnung 
1. Mai 1812 regelte aufd neue den Beginn der Sommer: 
Winterſchule und die für den täglichen Unterricht zu gebraud) 
Stunden und erneuerte die älteren Beftimmungen über Schul: 
tigkeit. Dazu famen noch andere Verordnungen, welche die 
ftellung eines allgemeinen und regelmäßigen Schulbeſuches 
Bwede hatten Auch fuchte man es jet endlich durchzuſetzen 
fi Die Eltern dazu bequemten, ihre Töchter fhreiben | 
zu lagen Unter dem 25. März 1813 wurde nemlich vor 
Kichen- und Schulrat zu Gießen an alle ZJuftizbeamten und | 
lichen in Altheffen veferibirt: „Da der Unverftand mandyer G 


— 69 — 


berzüglih auf dem Lande, fo weit geht, daß fie ihre Kinder, 
namentlich Die Töchter bindern, in den Schulen jchreiben zu 
lernen, und ihnen in biefer Abficht das nötige Papier verweigern, 
jo wird ben Geiftlichen aufgegeben, Fein Mädchen zur Gon- 
firmation zugulaßen, weldes nicht wenigftens feinen 
Namen vichtig und Teferlih ſchreiben könne.“ Aus 
gleich (21. April 1814) wurde e8 den Lehrern unterfagt, bie 
Finder im Schreibunterricht fernerbin mit Fraktur- und Kanzlei: 
Ihrift zu plagen und im Rechnen in die Fächer der höhern Arith- 
methif auszufchweifen. In jenem follten fi Die Lehrer 1) auf 
die einfache Kurrentfchrift beſchraͤnken, 2) alle Verzierungen und 
Schnörkeleien der großen Buchftaben fern Halten und 3) nur eine 
einige und zwar die leichtefte Form der großen Buchftaben ge 
brauchen. Im Rechnenunterricht follten fie nicht über Die vier 
Species und die Regeldetri in ganzen und gebrochenen Zalen 
hinausgehn und das Kopfrechnen fleißiger uͤben. 

Die wefentlihfte Förderung jedoch, welche das großherzog- 
lich heſſiſche Volksſchulweſen erhielt, wurde demſelben durch Er⸗ 
richung des Schullehrerſeminars zu Friedberg zu Teil. 

Schon im Jahre 1809 brachte der Kirchen» und Schulrat 
Bagner zu Darmftadt die Gründung eines Schullehrerfeminars 
ur Sprache. Um die nötigen Fonds aufzubringen, beantragte 
Bogner, von der damals erledigten Pfarrftelle zu Reinheim, deren 
Ertrag übermäßig hoch war, 500 bis 600 fl. für eine zu errich⸗ 
tende Schullehrerfchule zu beftimmen. Diefem von dem Kirdjen- 
und Schulrathe unterftügten Vorfchlag wurde die höchfte Gench- 
migung zu Teil; von der Reinheimer Pfarrbefoldung famen jährlich) 
300 fl. zu gedachtem Zweck in Abzug und unter befondere Ver: 
waltung. 

Einige Zeit fpäter, im Jahr 1811, übergab der damalige 
Rector der lateinifchen Schule zu Friedberg, Roth, dem Staats⸗ 
Minifterium einen Plan zur Errichtung eines Schullehrerfeminars 
U Friedberg. Nach demſelben follte ein um einen fehr mäßigen 
Preis zum Verkauf angetragened geräumige Gebäude zu Fried- 
berg, welches früher dem Klofter Arndburg gehört hatte, ange» 
lauft und zum Seminargebäude eingerichtet werben. Der Unter- 


— 70 — 


richt am Seminar ſollte von den Lehrern an der lateiniſch 
Schule und dem Geiſtlichen zu Friedberg erteilt, und die Stal 
fchulen follten mit dem Seminar in genaue Verbindung gebra, 
„ werden. Nachdem Ddiefer Antrag von den beiden Kirchen⸗ u 
Schulräten zu Darmftadbt und Gießen fehr günftig begutacht 
worden war, wurde von dem Großherzog i. J. 1811 die Errit 
tung einer evangelifchen Schullehrerfchule und der Ankauf d 
bezeichneten Gebäudes zu Friedberg genehmigt. Die Ausführu 
biefer Verfügung unterblieb jedoch, weil die nötigen Mittel ; 
Einrichtung des Haufes und zur Befoldung der Lehrer noch fehlt 
und weil ſich die Behörden über die der Anftalt zu gebende 2 
faßung nicht zu vereinigen vermocdhten. Erſt im Jahr 1818, a 
der Nector Roth einen Ruf als Profeffor der Gefchichte in e 
ausländifches Gymnaſium erhielt, wurde die Errichtung ein 
Schullehrerſchule von dem Staatsmintfterium wiederum lebh 
und mit größerem Erfolge als früher aufgenommen. Roth wur 
zum Director der zu eröffnenden Anftalt ernannt. Auf die d 
malige Hoheitöcaffe zu Friedberg wurde ein jährliher Beitn 
von 2000 fl. und auf die Gentralcaffe zu Mainz eine glei 
Summe zur Gründung der Anftalt angewiefen. Die drei Re 
renten ber drei Provinzialfcehulbehörden zu Darmftadt, Gießen u 
Mainz erhielten den Auftrag, in Friedberg zufammenzutreten, m 
dem Director den Plan zu entwerfen und zur höchften Genehn 
gung vorzulegen. Das ſchon früher für das Seminar angefuf 
jogenannte Kloftergebäude wurde nun bei näherer Prüfung de 
vorliegenden Zwecke nicht vollfommen entfprechend gefunden. Ti 
ber brachte man ein fehr geräumiges Gebäude in der Bu 
welches früher zur Ganzlei der aufgehobenen Juſtiz- und Verne 
tungsbehörben der Burggrafichaft gedient hatte, für das Semin 
in Vorfchlag. Der Großherzog genehmigte ven desfalls geftelle 
Antrag und demgemäß wurde das Seminar in der Burg erriäte 

Ueber die Innere Einrichtung desſelben erſchien bie af 
öffentliche Bekanntmachung *) unter dem 9. September 1817. Au 
weislich derielben war die Einrichtung des Seminars folgende: 


*) Diefelbe wurde officiell von der Großherzoglichen Conmiſfion für „ und 
fung und Reitung des ebangeliſchen Schuflehrerfeminars zu friedberg“ pablhit 


— 1 — 


Die Zöglinge empfingen unentgeltlich 2 Jahre hindurch eine 
hrem wichtigen Beruf angemeßene Erziehung und Bildung , ver- 
unden mit dem Unterricht in allen zu bemjelben erforderlichen 
enntnigeu und Fertigkeiten, und praktiſche Anmeifung zu deren 
ebrauch bei der Jugendbildung; fie erhielten Dabei freie Wohnung 
Gebäude ber Anftalt, nebft freier Heizung Licht und den haupt: 
hlihften Teilen des nötigen Bettwerks; fie wurden nach vollen- 
en Bildungsjahren als Hülfslehrer an öffentlichen oder als 
mentarlehrer an Vorbereitungsichulen auf Filialen vorzugsweiſe 
jenommen und verjorgt; fie erhielten nach zurüdgelegtem zwan⸗ 
Ren Lebensjahre bei erprobter Rechtichaffenheit und Tüchtigkeit 
fichere Ausficht auf Anftelung in Schulämtern, wobei die ge 
geren Stellen in ihrem Ertrage bei Grlebigungsfällen nad 
Öglichkeit verbeßert und mit vollftändig gebildeten und erproßten 
glingen der allgemeinen Schullebrerfchule bejegt werden follten, 
ıe baburdy andere würdige Schullehrer von wol verdienter Be 
derung und Verbeßerung im Geringften auszufchließen. Da⸗ 
ſen hatten Diejenigen, welche in die Anftalt aufgenommen zu 
erden wünfchten, folgende Bedingungen zu erfüllen: Sie hatten 
ch beglaubigte Scheine ihr Alter, welches, zur Aufnahme, auf 
3 vollendete 16. bis zum vollendeten 18. Lebensjahre als Regel 
'gefept war, ihr Vaterland und ihre Confeſſion zu beweifen; fie 
kten verjchloßene, unentgeltlich auszuftellende Zeugniffe beizu- 
ngen von ihren ehemaligen Schullehrern, fowie von ihren Orts- 
ſtlichen, die fie confirmirt hatten, über ihre natürlichen An⸗ 
jen, ihre Gemuͤts⸗ und fittliche Befchaffenheit, über ihre elter- 
ve Erziehung, bisherige Aufführung und ihre Kenntniſſe und 
nfihten im Allgemeinen, von ihren geiftlichen Inſpectoren, über 
e, in einer mit ihnen vorzunehmenden Prüfung über dargethanene 
antniffe und Fertigkeiten im richtigen Sprechen, Leſen, Schreiben, 
pe und Tafelrechnen, im Chriftentum, im Gefang, im Clavier⸗ 
er Orgelſpiel. Diejenigen Inſpectoren, welche die Anlage zum 
ang, gutes Organ, bildfame Stimmen und empfängliches Ohr, 
d die nötigften muflfalifchen Vorkenntniffe nicht felbft hinreichend 
imteilen Eonnten, hatten hierüber das Urteil von Sachverſtaͤn⸗ 
jen einzuholen, und von dem Arzte über ihre Geſundheit und 


— 713 — 


förperliche Beſchaffenheit. Dieſe Zeugniffe waren in der Provim 
Oberheſſen an den Großberzogl.-geiftlichen Geheimerat Dr. Schmiks 
zu Gießen, und von denen, welchen Friedberg näher lag, am 
den Director der Anftalt, Großherzogl. Profeffor Roth dafelbig 
in der Provinz Starfenburg an den Großherzogl. Kirchen um 
Schulrat Wagner zu Darmftadt und in den überrheinifchen Land— 
an den Großherzogl. Regierungscommiffär Hafle zu Mainz einzg 
jenden. Bei dem Eintritt hatte Jeder mitzubringen: die heilx 
Schrift, das Landesgefangbuch, eine reinliche Kleidung fir Wer 
tage, eine beßere für den Sonntag, mwenigftend 4 Hemden, ſech 
Paar Strümpfe, 2 Baar Schuhe, 4 Schnupftücher, drei Ham 
tücher, 3-Betttücher nebft einem Kiffen, eine Bürfte, einen blecherrze 
oder zinnernen Eßlöffel, ein Meßer und eine Gabel. Auglei 
wird angefügt, daß in Betreff der Mittagsfoft die Einrichtun 
getroffen war, daß die Yöglinge ſolche hinreichend für den Pre 
von 12 fr. täglich und wol demnädhft noch billiger erhalten wurd € 
Für ihr Frühftüd und Abendbrod hatten fie felbft zu forgen. 


Der Snduftrieunterridht gewann im Großherzogti— 
Heffen erft feit 1808 Eingang. In den beiden Induſtrieſchule 
welche ſchon einige Jahre früher in König und Wimpfe 
eingerichtet waren, wurde nur die weibliche Jugend beichäftie 
ohne daß diefe Einrihtung Nachahmung fand. Indeſſen gewahe 
man den großen Aufihwung, den dad Induſtrialſchulweſen 
dem damals mit dem Großherzogtum vereinigten vormals fu 
Fölnifchen Herzogtum Weftphalen genommen hatte, und die Staats 
regierung bejchloß dasſelbe auch in dem Großherzogtum heimiſ⸗ 
zu machen. Durch Refeript vom 20. Mai 1808 forderte dahe 
das Staatöminifterium die Kirhen- und Schulräte zu Darmftat 
und Gießen auf, zwar nicht in allen Schulen des Landes bes 
Sinduftrialunterricht einzuführen, aber doch unter denfelben. „di. 
eine oder die andere aufzufuchen, wg die meifte Leichtigfeit, ein⸗ 
ſolche Anftalt zu treffen, vorbanden fei, wo ein thätiger, an bei 
Sache teilnehmender Pfarrer und ein gebilbeter, Die Obſtzucht 


— 173 — 


nder Schullehrer fich vorfänden, wo ein Schulgarten *) ent- 
: vorhanden fei ober Leicht erhalten werben Eönne und mo 
als die Frau des Schullehrer8 gegen eine mäßige Vergütung 
Interricät in weiblichen Arbeiten zu erteilen im Stande fei.” 
nahm nemlih an, daß, wenn erft eine mol eingerichtete 
triefchule vorhanden fei, Diefelbe fofort vielfache Nachahmung 
werde. 
Der Kirchen⸗ und Schulrat zu Gießen ſowie die Eatholifche 
tation Des Kirchen- und Schulrates zu Darmftabt machten 
Pfarrern den Inhalt diefes: Minifterialrefeript8 noch im 
: 1808 befannt. Noch eindringlicher jedoch legte Die protes 
he Deputation des Kirchen» und Schulrats zu Darmftabt 
Erlaß vom 17. Auguft 1809) die Einrichtung von Indu⸗ 
wilen den Inſpectoren ihre® Bezirks and Herz, indem fie 
rbob: „Nachdem man fchon im vorigen Jahre in Wolf 
en bie erfte Anordnung der Art unter der thätigen und ein- 
ollen Mitwirkung des Beamten und Geiftlichen mit Succeß 
ndet, nachdem fich feitbem mehrere wuͤrdige geiftliche und 
he Behörden zu ähnlichen Anftalten bereitwillig gezeigt, in 
jedenen Diöcefen auch ſchon, unaufgefordert, bei der weib- 
Jugend der Induſtrialunterricht nad oder abwechſelnd 
den Lehrſtunden in den Schulen eingeführt worden, in 
g und Wimpfen aber fchon mehrere Jahre weibliche In⸗ 
fchulen mit großem Nuben beftänden, erwarte man von 
gutachtliche Vorjchläge, ob nicht in einem ober dem andern 
ihrer Inſpection eine gleiche Anordnung getroffen werben 
&8 komme vor der Hand hauptfächlich bei den Mädchen 
tlernung und Uebung der gemeinnüpigften weiblichen Hand⸗ 
en, jowie bei den Knaben auf die Baumkunde, Pflanzung 
ereblung durch Oculiren ac. ıc. an, und diejenigen Orte 
ı vorzüglich zu berüdfichtigen, — wo ein thätiger, an ber 
e teilnehmender Pfarrer, und ein gebildeter, Die Obſtzucht 


— — 


I Unter Schulgärten wurden bier nicht die Beſoldungsgärten der Lehrer 
den. j 


Au nn 


— — — — — 


- 
— — . 


— — —— 


— 74 — 


kennender Schullehrer ſich vorfaͤnden; wo ein zum Induſtriega 
ſchicklicher Platz entweder leicht auszumitteln und wo allenfalls 
Frau des Schullehrers oder eine andere brave Perſon gegen 
mäßige Vergütung den Unterricht in weiblichen Arbeiten zu erte 
im Stande fei. Zunaächſt aber hätten fie anzuordnen, daß 1) 
“ allen den Schulftunden, wo eine Mäbchenklaffe entweder gar n 
befchäftigt fei oder Die Aufmerffamfeit auf den Schulunterrl 
wie 3. B. beim Kopfrechnen, Herfagen ıc. ıc. nicht leide, dieſt 
zugleich ihre Stridzeuge betreibe; 2) daß ſich Die Schullehrer 
wichtigften praftifchen Kenntniffe der Baumzucht, wo fie foldhe n 
nicht hätten, zu erwerben fuchten; 3) den Schulkandidaten befa 
zu machen, daß dieſelben in Zukunft fich bei den mit ihnen v 
zunehmenden Prüfungen durch ein von einem ſachverſtaͤndi 
Manne auögeftellte Zeugnis über ihre Kenntniße in der Baı 
zucht ausweifen müften. 

Infolge diefer Aufforderungen entftanden auch wirflidy f 
und da einzelne Anduftrie-Anftalten; nirgends aber erlangten 
jelben ſolche Blüte wie in der Grafſchaft Erbach. 

Die Entftehung und Einrichtung der weiblichen Lehr— 
Arbeitöfchulen zu Erbach und Michelftabt war folgende: *) 

Die weiblihe Induftrieanftalt zur Erbach wurde i. J. 1 
von der edlen Gräfin Charlotte zu Erbach (geborene Gr 
v. Wartenberg) unter treuer Mitwirkung ihres Gemahls, 
Grafen Franz zu Erbach geftiftet. Der Unterricht, welcher 
zunächft über Striden, Nähen und andere gewöhnliche Arbei 
Dann über feinere und fünftlichere Arbeiten verbreitete , wurde 
einem geräumigen, hellen, mit einem Kabinet verjehenen Arbe 
faale, und zwar den legten Wochentag ausgenommen, täglich 
Nachmittags 1 Uhr bis Abends 6 Uhr an eine bedeutende Xı 
von Mädchen, Die ſich Bald auf 130 — 150 belief, unentgell 
erteilt, wobei man jedoch die Kinder ärmerer Eltern, weldye 
Koften der Gräftn nicht nur völlig gekleidet, fondern auch t 
föftigt und in Kranfheitsfällen mit ärztlicher Hülfe verfehen wurk 


*) Nach den freimüt. Iahrb. der allg. deutichen Volksſchulen B. VI, Ab— 
©. 56 fi. — Bergl. außerdem 8. J. ©. 457 ff. 





- * 
ae, enden fr 





— 75 — 
ganz beſonders im Auge hatte. Der Gräfin zur Seite ſtand ein 
Srauenverein zu Erbach, welcher Gaben ſpendete. Seit 1818 
lamen auch beträchtliche Beifteuern des Großherzogs und der Groß: 
berzogin von Heflen Hinzu. An die Spike der Anftalt wurbe 
Iäterhin eine mit 300 fl. beſoldete Dberlehrerin geftellt. 

Die Anftalt zu Michelftadt entftand um dieſelbe Zeit wie 
die zu Erbach. Im Frühling 1817 entſchloß fih die Fürftin 
Emilie, Gemahlin des Grafen Albert zu Erbach - Fürftenau, zur 
Erleichterung der die ärmeren Klaffen immer nnerträglicher drücken⸗ 
den Not, in Michelftabt eine Arbeitöfchule für ärmere Töchter der 
Stadt und des benachbarten Steinbachs zu ftiften. Ein Frauen- 
verein, Der fich infolge höherer Aufforderung zur Förderung Diefes 
Unternehmens bildete, wählte aus ſich felbft einen Ausfchuß von 
LVieren, welcher unter der Oberleitung der Fürftin die Anftalt 
einrihtete. Am 10. Auguft 1817 wurde diefelbe eröffnet. Aus den 
Schulliften waren 60 arme Mädchen von 6—14 jahren zu Pflege- 
töhtern der Anftalt ausgewählt, und zugleich war beflimmt wor: 
den, daß Die Austretenden immer wieder Durch neue erjeßt werben 
ſollten. Die Mädchen wurden geprüft und in zwei Klaffen geteilt. 
Die meiften verftanden von weiblicher Handarbeit eigentlich noch 
gar nichts. 

Der (unentgeltliche) Unterricht beftand anfangs bauptjächlich 
nur im Striden und Nähen, und wurde mit Ausnahme des erften 
nd letzten MWochentages täglih von 2—6 Uhr erteilt. Der Por: 
feherin, welcher zwei Lehrerinnen untergeben waren, flanden ans 
ſangs auch zwei Frauen des Vereins zur Seite, welche täglich 
wechſelten. Da fich indeffen dieſe Einrichtung unpraftifch erwies, 
jo wurde dieſelbe fpäterhin aufgegeben. 

Der erfte Fonds der Anftalt beftand in 333 fl., weldhe der 
Ahnenverein zu Michelftadt zur Dispofition ftellte. Hlerzu famen 
ve Spenden der gräflichen Herrfchaft und anderer Wolthäter ber 

nftalt. 

Begonnen wurde bie Arbeit mit Geräten und Materialien 
welde fämmtlich gefchenft waren. Letztere beftanden in Garn zum 


Striden und in mandherlei Zeug zu Kleidungsftüden für Mädchen. 
Die Größeren und Fähigeren lernten hieran nähen, bie meiften 


— 76 — 
erſt ſtricken. Die Vorſteherin machte es ſich ſogleich zur Pflic 


genau darauf zu ſehen, daß feine Arbeit unbrauchbar würde. 3 
jedem erheblichen Fehler mufte daher die Arbeit wieder von va 
begonnen werden. Diefed fchärfte jehr bald die Aufmerkſamk 
und ein das Ganze befördernder Wetteifer machte fich unter I 
Kindern wahrnehmbar. Auch wurden Diejenigen, welche fich du 
Fleiß und Gefchidlichkeit auszeichneten, von der Fürftin und an 
ren Wolthätern Der Anftalt belohnt, und zwar meiftensd dabur 
daß Die erften fertigen Arbeiten gefauft und ihnen geſchenkt wı 
den. Auf den augenblidlichen Bedarf war Alles berechnet. 

Am erften Monat nad) der Eröffnung der Anftalt wur 
eine Verfteigerung gehalten, auf welcher teil alle von den Kinde 
verfertigten und noch nicht verkauften Arbeiten, teils mancher 
der Anftalt zu diefem Zwecke gemachte Gefchenfe, teils enbli 
mehrere Arbeiten ausgeboten wurden, welche einzelne Mitgliet 
des Vereins, durch die Vorfteherin dazu aufgefordert, aus d' 
Material der Anftalt, ſowol in der Schule felbft ald in der Wı 
nung der Vorſteherin mit fröhlichen Eifer verfertigt hatten. 
Als zu Ende des Jahres 1817 die Rechnungen abgefchloßen m 
den, fand fih das urfprüngliche Kapital um 115 fl. vermel 
indem e8 nunmehr 448 fl. betrug. 

Erſt Furze Zeit hatte die Anftalt beftanden, al8 zu den | 
den Klaffen, in welche die Pflegefinder eingeteilt waren, noch « 
dritte hinzugefügt wurde, welche aus Töchtern der Beamten ı 
vermögenderer Bürger beftand, deren jede täglich nicht mehr 
einen Kreuzer zalte. Dieſe Klaſſe erhielt, ſowie die beiden an 
ren, ihre befonderen Lehrerinnen und ihr bejonderes Arbeitszimn 
Die Schülerinnen diefer Klaſſe brachten ihre Arbeiten von H« 
mit und arbeiteten für fih, wogegen die Pflegefinder in den | 
den anderen Klaflen dad Arbeitdmaterial von der Anftalt gelief 
erhielten. Jedes diefer Ießteren Kinder hatte ein Feines Buch, 
welches die von ihm vollendete Arbeit notirt wurde. Sobald : 
Verdienſt fo viel betrug, daß dafür dem Finde felbft oder ſei 
Angehörigen ein nötiges Kleidungsftüd, Schulbuch oder ande 
Beduͤrfnis angefchafft werden Fonnte, fo war bie Vorſtehe 





j 
{ 


— 77 — 


verpflichtet, Die zweckmäßigſte und billigſte Anſchaffung zu be 
ſorgen. 

Anfangs ſchoß Graf Albert von Erbach-Fürſtenau ein Kapi⸗ 
tal von 400 fl. vor, wovon die Materialien zur vollftändigen 
vekleidung der 60 Pflegefinder angejchafft wurden. “Die meiften 
dieſer Kleidungsftüde wurden von den Kindern in der Anſtalt 
ſelbſt verfertigt, und als das erfte jahr verfloßen war, hatte 
fi bereit8 jedes Kind einen vollftändigen Anzug felbft verdient. 
Ehe ſich aber dafjelbe diefen Anzug ganz verdient hatte, war es 
ihm nicht verftattet, fich etwas Anderes für feinen Verdienft zu 
wählen. 

Während der Arbeit wurden von Zeit zu Zeit pafjende 
Finderjchriften vorgelefen oder es wurden lehrreich unterhaltende 
und fittlichy Bildende Geſchichtchen erzätt. — So lange die Theue- 
fung währte, wurde unter die armen Kinder täglich Brot verteilt. 

Die unmittelbare Leitung der Anftalt wurde fpäter unter 
eine Vorfteherin (mit 150 fl. Gehalt aus der Kaffe der Fürftin) 
und Dberlehrerin (mit 100 fl. Gehalt) geftelt. Die Geſchaͤfte 
der Vorfteherin waren: genaue Aufficht über Die ganze Anftalt 
und Aufrechthaltung der beftehenden Ordnung (daher häufige Be- 
luche in allen Sculzimmern), Beforgung der Beitellungen, welche 
an die Arbeitsjchule eingingen, Führung der Borreöpondenz, Ans 
ſchaffung und Verwaltung des Materials, Beftimmung des Preifes 
einer jeden von einem Pflegefinde verfertigten Arbeit und Eintra- 
gung derjelben in das Bücheldhen des Kindes, und Berichterftat- 
tung über alles in der Anftalt Vorkommende an die Fürftin. 

Die Oberlehrerin war täglih von Anfang bis zu Ende ber 
Arbeitöftunden in der Schule, achtete darauf, daß die Unterlehre- 
finnen im Unterricht und in der Behandlung der Kinder ihre 
Pflicht erfülten und fand ihnen hierin bei, wenn es nötig war, 
gab jedem Pflegefinde jeine Arbeit auf, wog ihm das dazu nötige 
Material zu, prüfte, was fertig geworden, trug, was die Probe 
befand, im eine Lifte ein, welche die Vorfteherin zu Ende jeder 
Woche erhielt und führte diejenigen Kinder, welche ſich etwas 
verdient hatten, Samſtags zu der Fürftin, welche den Kindern 
Ihre Saden außteilte. 


— 78 — 


Das Local der Anſtalt enthielt 4 zuſammenhaͤngende u 
gefunde Zimmer (nemlich eins für jede der 3 Klaſſen und ei 
für die Oberlehrerin) und ein dte8 kleineres zur Aufbewahrı 
der Vorräte von Arbeit3materialien. In den Schulzgimmern war 
Schränke angebradt, in denen nicht nur die Arbeitsmufl 
aufbewahrt wurden, fondern ſich auch für jedes Pflegefind ein : 
deſſen Namen bezeichnete bejonderes Gefach zur Anfbewahrı 
bed Materiald zu den noch nicht ganz beendigten Arbeiten befa 
| Die Hausmiete fowie eine Quantität Holz und Victual 
zur Bejoldung der Lehrerinnen zalte und lieferte der Graf. 9 
Neft der Befoldungen und andern Ausgaben wurden teild \ 
ben jährlichen Beiträgen des Vereins, teild von dem Xehrge 
der Kinder in der zuleßt errichteten Klaffe, teild aus zufällig e 
laufenden Geſchenken beftritten. 

Sm Jahre 1820 wurde für 720 fl. Arbeit fertig. 2 
Vorräte in der Kafje betrugen mit den Vorräten an Arbeitämai 
rialien und an fertigen Arbeiten 1,680 fl. 28 fr., die Sum 
fämmtliher Ausgaben 1,089 fl.; ‚der Anftalt verblieb mithin t 
Aktivrezeß von 591 fl. 21 Er. (63 fl. 59 Er. mehr als im Jal 
1819). 

Alljaͤhrlich teilte Die edle Fürftin im Januar unter die Sd 
lerinnen der zalenden Klaffe 12 Prämien aus, welche bald 
kleinem Schmude, bald in wnüßlichen Büchern beftanden. Seh 
Pflegefinde der beiden anderen Klaſſen ſchenkte dieſelbe bei fei 
Gonfirmation Zeug zu einem nötigen Kleidungsſtück. Außert 
gab fie jaͤhrlich ſaͤmmtlichen Schülerinnen der Anftalt im Schl 
garten zu Fürftenau oder anderswo im Freien ein Feft, auf v 
ches ſich Alle ſchon im Voraus zu freuen pflegten. 

Der Segen diefer wolthätigen Anftalt machte fich jehr 6 
fühlbar. Die Güte und der Billige Preid der verfertigten Arbe 
verjchafften denjelben jchnellen Abfab und es gingen mehr Bel 
lungen ein, ald angenommen werden fonnten. Die Qumpen 
armen Kinder verwandelten ſich in reinlicye, ordentliche Kleidu 
ungeachtet des Drudes der Zeit. Die Pflegekinder der Arbe 
ſchule wurden vorzugsweife in Dienft gefucht, teild weil fie 
ſchickter und fleißiger arbeiteten, teild weil nügliche Beſchaͤftigi 





fe vor mandherlei Untugenden bewahrt batten, zu welche ber 
Mipiggang jo leicht verleitet. 


V. 


Das ſäcularifirte Kurfürſtentum Mainz und 
Fürftentum Worms, 


Von Alters her waren in allen Gemeinden ded Mainzer 
Yandes fowie in dem jeit 1663 mit Kurmainz vereinigten Bistum 
Worms kirchliche Katechifationen üblich, Die der Ortöpfarrer oder 
(namentlich auf den Filialen) der Kapları veranftaltete. Nach ber 
unter dem 18. Septbr. 1669 publizirten kurmainziſchen Kirchen: 
ordnung jollten diefelben an jedem Sonntag Nachmittags um ein 
Uhr in der Kirche, während des Winters auch wol in der Schul: 
Rube oder auf dem Nathaufe gehalten werden. Außer den Kin- 
dern jollte auch „alles junge Gefinde, fo noch unter 24 Sahren 
begriffen iſt, (jedoch daß Diefe legteren gleichwol nicht eben wie 
die feinen Kinder egaminirt werben, fondern allein zuhören follen,)* 
bei diefen SKatechifationen erfcheinen. — Daneben wurde auch auf 
Neißigen Befuch der Schulen gebrungen; eine Verordnung vom 
12. Novbr. 1682 erflärte alle Kinder vom 6.— 12. Jahre für 
ſchulpflichtig. Aber da, wo Volksſchulen wirklich beftanden, wur- 
ben biefelben nur im Winter, und auch dann nur ganz ordnungs⸗ 
los gehalten und beſucht. In den Landſtaͤdten und größeren Ort⸗ 
ſchaften des Landes (Hohheim, Bensheim, Heppenheim, Aſchaffen⸗ 
burg) beſtanden Bürgerſchulen, an denen ſog. Schulrectoren an⸗ 
stellt waren. Hier hatte man die Geſchlechter in der Weiſe 
beſondert ‚ daß der Schulrector die Knaben, der Glöckner die 
Maͤd chen unterrichtete. Im Jahre 1752 wurde dieſe Abſonderung 
auch für Dieburg angeordnet, indem dem Generalvicariat darüber 
berichtet war, daß Dafelbit „in der Gloͤcknerſchule zwifchen Kindern 
beid erlei Geſchlechts ſolche scandala vorgegangen, welche man von 
erwachſenen Zwanzigjährigen nicht hätte befürchten können.“ 


— 80 — 


Aber erſt i. J. 1758 ſchritt die kurfürſtliche Regierung geg 
das in den Volksſchulen auch in andrer Hinſicht grajfirende U 
wefen eruftlih ein. Kurf. Johann Friedrih Karl (Gr 
von Dftein) publizirte unter dem 12. Auguft 1758 eine Ve 
ordnung, in weldher er befahl: „1) Es follen alle unfre Pfarr 
und Seelforger ihres Drtes, nicht allein Die fleißige Haltung E 
hriftlichen Lehre auf die beſtimmten Tage fidy angelegen fein laß⸗ 
fondern au alle Monate in einer Predigt die Eltern 
gebürender Beobachtung der Zucht, ſodann die Kinder zur Gotte 
furcht, chriftlichen Lehre und Gehorſam, mithin beide zur Ob 
genheit unfehlbar anweijen. 2) Nächſtdem, daß die Eltern ım 
Kinder fothanen Predigten fleißig beizumohnen, jo follen auch 
Handwerfömeifter ihre Lehrjungen dazu anhalten und von d 
Mutwillen und fträflichen Beginnen auf den Straßen beßer < 
bisher geſchehn, bei Vermeidung herrjchaftlicher Beſtrafung abh 
ten. — 3) Unfere Beamten werden hiermit angewiefen, daß 
an ung alljährlicd, in dem Januar eine genaue Lifte der in jed 
Amtsorte befindlichen Zugend vom 7. bis 13. Sabre, wobei ] 
Kinder der Schultheißen und Gerichtöperfonen nicht ausgenomm« 
ingleichen die von unjern Pfarrern alle Duartale erhalten 
Verzeichniſſe der ohne erhebliche Urſache nicht in die Schule u 
gebürende Lehre gegangenen Kinder nebft den Namen berjelb 
Eltern anber einzufchiden hatten, wo dann Die vermögenden Elte 
wegen ihrer Saumjeligfeit mit einer proportionirten Geldftr: 
belegt werden, Die unvermögenden aber mit Frohnden oder Thur 
ftrafe abbüßen jollen. — Und da 4) viele Bürger und Eingeſeß 
ihre Kinder mehrenteild nur Winterd Zeit in die Schule ſchick 
die übrige Jahreszeit aber blos allein zu allerhand Arbeit an 
halten pflegen, mithin was fie den Winter in der Schule erler 
die übrige Jahreszeit hindurch wieder vergeßen, als follen ing Kü 
tige die Eltern und Vormünder die Kinder und zwar vom 7. 
13. Jahre ausjchließlih der Samftage und an jedem Orte E 
kömmlicher Erndte- oder Herbftzeit in die Schule ſchicken, ı 
jollen die ſolches unterlaßenden Eltern mit 2 Thaler Strafe bei 
und demnad zu Bezalung des Schulgeldes mitangehalten wert 
— Wo aber 5) bei den Schulmeiftern in Haltung der Schu 





_ 8 — 


eine Saumjeligkeit oder fonft erheblicher Anftand in Befolgung 
unfrer gnaͤdigſten Willensmeinung fi äußern follte, ein folches 
hätten Schultheißen und Gerichte bei jedem Amte fchriftlich zu. 
weiterer Berichterftattung anzuzeigen.” 

Indeſſen hatte doch auch Diele Maßnahme nur jehr geringen, 
Erfolg, indem fie faft nirgends beobachtet wurde. Aber ſchon 
war die Zeit gefommen, wo ed mit dem Volksſchulweſen in Moin 
und Worms beßer werden follte. 


Der Kurfürſt Emmerich Joſeph (von Breitenbad) «Bur- 
tesheim) (1763 — 1774) war ed, der im Kurfürftentum Mainz 
das Schulwefen, und insbefondre das Volksfchulwefen aus feinen 
Todesbanden erlöfte und ihm mit einem ganz neuen Geiſte auch 
einen neuen Xeib verlich. Natürlich ging auch hier, wie in allen 
fatholiichen Landen die eigentliche Anregung von dem Geifte des 
| Iofephinismus und von Felbiger auß*). Emmerich Joſeph bes 
gann feine Reformen mit der Grrichtung einer „ſum Schul: 
weien verordneten Commiſſion“, welde aus einem Präfl- 
| denten und vier Commiſſarien beftand, und einer Schullehrer- 
bildungsanſtalt“, welde am 1. Mai 1771 eröffnet wurde. 
J Die Ieptere führte die Bezeihung „Kurf. Mainziihe Schulleh: 
T kerakademie.“ Die Beftimmung der Schullehrer-Academie war, 
daß in ihr „alle künftigen Stadt: und Landſchullehrer ſelbſt jene 
Ehren empfangen follen, welche fie nachhin der ihnen anzuver⸗ 
trauenden Jugend nach jener auf die Seelenfräfte be- 
gründeten, fanften und deutlihen Methode mitzuteilen 
aben, welche den vorzüglichften aber auch ſchwerſten Gegenſtand 
ieſer Academie ausmadıt, und diefelbe von allen anderen, 
Oben und niederen Schuldisciplinen wefentlid uns. 
terſcheidet.“ Die gröfte Schwierigkeit, welche man bei der 

inrichtung der Schullehrer-Academie überwinden mufte, war nur 
— — 


”) Ueber die Reorganifation des kurmainziſchen Schulmefend unter Emmerich 
oſeph iſt zu vergleihen:“ „Sammlung aller Schriften der verbeßerten öffentlichen 
Ulen in den kurmainziſchen Landen - - unter der Megierung Emmerich Doſephs. 
toctholm 1776.” 
pe, Bolloſchulweſen, 2 6 


— 82 — 


türlich die Auftizität der „acabemiichen Bandidaten”, wie man fı 
Die Schulamtsafpiranten nannte. Der Unterriht follte nad a 
bemifchem Stil in der Form von Vorlefungen erteilt werden; m 
mufte e8 daher darauf anfommen laßen, wie viel Die neuen A 
bemifer faßen konnten. Die Religionslehre wurde Montags, M 
wochs und Freitags von 9—10 Uhr Morgens und die Sittenle 
wurde. Dienftagd und Donnerflagd um biefelbe Zeit von d 
Piarrer des St. Rochushospitald in dem Pfarrhaufe befiell 
vorgetragen. Ein Regierungs-Ingroſſiſt unterrichtete täglich (R 
Donnerflag aufgenommen) Morgens von 8—9 Uhr im acader 
Shen Saale im Schönfchreiben. Ein Oberftlieutenant trug 
jeiner- Wohnung täglid von 10 — 12 Uhr die mathematifch 
Wißenfchaften vor. Im Ghoral- Spiel und Gefang unterridhte 
ein anderer Lehrer im academifchen Saale täglih von 3—4 Uhr 
Der Director der Academie endlich, welcher täglich ebenbafelb| 
von 4— 7 Uhr feine Vorträge hielt, teilte die ihm zugewiefene 
Unterrichtögegenftände fo ein, daß er im Laufe eines academiſcher 
Jahres Die Uebungen im Anfertigen ſchriftlicher Auffäp 
und die „Eritifhen Anmerfungen” über diefelben jowie de 
Unterrigt in der Weltgejhichte das ganze Jahr bindurd 
fortfepte, dagegen der „Rejfetunft“, ven „Örundfägen dei 
Mutterfprache”, 4 Monate, der Natur- und Kunſtge 
Thihte 2 Monate, der Naturlehre und der Theori 
bes Feldbaues 2 Monate widmete, und fi mit Erläutt 
zung der Lehrer-Zuftruction und mit Methodik 4 Monate beihd 
tigte — Zur Uebung eines methodifchen Lefeunterrichtes wur! 
gebraucht „Entwurf der Kunft zu Leſen zum vorbereitenden Unte 
richte der Lehrer der Lejefchulen in den kurmainziſchen Land 
nebft dazu gehörigen 6 fyftematifchen Tabellen auf höchiten Befe 
herausgegeben von ber furmainz. Schullehreracademie. 1772. 
Nachdem fo für Heranbildung brauchbarer „acabemijck 
Lehrer” geforgt war, jchritten der Kurfürft und die Schulcomm 
fion zur Reorganifation der Schulen und zwar zunädft der Sch 
len in ber Refidenzftabt vor. Man bejchloß vor Allem in da 
Schulweſen Spftem und Zufammenhang zu bringen, und zwar ß 
daß man drei Klafien von Lehranftalten unterfchied, nemlich 


| 
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i 


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— 83 — 


Trivial- und Realſchulen, die aus den bisherigen Parochialſchulen, 
2) Wittelſchulen, die aus ben bisherigen lateiniſchen Schulen ge- 
bildet wurden und 3) die hohe Schule oder Die Univerfität. ‘Der 
„Entwurf, nad welchem die Trivial- und Realſchulen in ben 
Biarreien der Kurf. Reſidenzſtadt Mainz werben eingerichtet wer 
den“, erfchien unter dem 17. April 1773. Der Organifationd- 
plan, den die Schulcommiſſion entworfen hatte, wurde hierin voll- 
Rändig dargelegt. ES wird zunächft auf die bisherigen Gebrechen 
des Schulweſens hingewieſen: „eine zu große Zal der Schulkinder; 
zu wenige und noch zugleich mit der Kirche befchäftigte, Dabei 
meiftens unbeſoldete Schulmeifter; der Mangel einer Achten Me- 
thode; Die unbeftimmte Wal der Gegenftändbe, welche gelehrt wer: 
den ſollten; der Mangel an Schulbüchern; das Ausbleiben ber 
Schüler, der Abgang einer mit Nachdruck zu vollziehenden Schul: 
ordnung u. ſ. w.“ — Die Schule hat den Zwed „rehtihaf 
fene Chriſten und braudbare Bürger“ zu erziehen; fie 
dat alfo einen zweifachen Zwei. Bisher wurde in den Pfarrei- 
Schulen nur Religion, Leſen und Schreiben gelehrt, und zwar 
nur jehr mangelhaft, jehr oft ohne die mindefte Wirkung. Allein 
außer den genannten Gegenftänden müfen Kinder, welche fich 
einem bürgerlichen Berufe widmen, in den Schulen auch anderes 
lernen, wofür Bisher gar nicht geforgt war; d. 5. es find Real⸗ 
Idulen nötig, „worin alle Knaben, welche nicht Qandlente wer- 
den follen, vom 8. bis zum 14. Jahre zu jeber künftigen Leben®- 
beftimmung vorbereitet werben. Ohne dergleihen Pflanzſchu—⸗ 
len brauchbarer und zum Erwerbe eigner Olüd- 
ſeligkeit faͤhiger Bürger bleibt es immer ſchwer, ſich 
einen woleingerichteten Staat auch nur in Gedanken vorzubilden.” 
dede Bürgerſchule muß alſo eine Trivial- und wenigſtens 
Ane Realklaffe nmfaßen. In jene gehen die Schüler vom 
bi8 zum 8., in Diefe vom 8. bis zum 14. Jahre. „Ale 
aben empfangen den ununterbrochenen Unterricht in der drift- 
eHolifchen Religion (2 Tage wöchentlich) und in der Sittenlehre 
Tage wöchentlih). Die Trivialfchüler werden insbe 


ſon dere im Leſen und Schreiben, und dann die Realſchüler 


mer im Rechtſchreiben der deutſchen Sprache, im Briefichreiken, 
&* 


— 84 — 


im Verfaßen anderer kleiner, deutſcher Aufſätze, im Rechnen, i 
den Kenntniſſen des Weſentlichſten und Brauchbarſten aus Ze 
Naturlehre, aus der Natur und Kunftgefhichte, aus der Me——— 
kunſt, Mechanik und Baufunft, in den praftifchen Begriffen eiı mer 
guten Stabtwirtfchaft und des bürgerlichen Gewerbes und endl 6 
in den Hauptteilen der Weltgefchichte und in jener des Vaterlummmn: 
des unterwieſen.“ 

Unerläßlie Bedingung eines gebeihlihen Schulwefens f 
die Trennung des niederen Kirchendienfted vom Schuldienſte. Du 
allen Pfarreien wird daher ein befonderer Tiener angenomm—En, 
„der dem Pfarrer in den erforderlichen Verrichtungen zu Gebote 
fteht, den Glodendienft beforgt und fid) nur mit diefem befchäfti ei, 
mit der Schule und dem Unterrichte aber gar feine Verbindiue 19 
bat.” „Eine jede Knabenſchule wird mit fo vielen in der fm =. 
Schullehrer-Akademie — gefähigten Lehrern beftellt, — daß a uf 
100 Kinder Ein Lehrer angeordnet wird. Gin jeder Leh art 
wird einen Tag wie den andern (die Sonntage und die nicht > er 
legten Feiertage allein ausgenommen,) ſechs Stunden b Wr 
durch Schule halten, und ein jedes Kind wird einen tä 2° 
lihen Unterrihtvon zwei Stunden empfangen, am m% 
jchließlich der Zeit, welde täglih zur andächtigen Anhörung Eet 
heil. Meſſe in der Pfarrkirche und zu den in der Schule zu v El 
fertigenden Aufgaben und ftillen Uebungen noch außer den geba =, 
ten zwei Stunden erforberli ifl. Der Lehrer teilt alfo die (ESM 
anvertrauten 100 Kinder in drei Gefellfhaften, je de 
von etlichen und dreißig Köpfen, und hat niemals mehr als dieſ —an 
dritten Teil zugleich unter jeiner Aufjiht und mündlichen Bele— Y 
rung. Kine jede diefer drei Geſellſchaften wird ſodann wieber i 
eine Unterabteilung von 3 Klaffen, jede von ungefii® 
8, 10 bis 12 Köpfen nad) der Gleichheit ihres Alters und de 
bereits hinreichend gefaften Unterrichts getrennt.” — Die Leh—— 
weife, wonach unterrichtet wird, ift „in fol einer natürlide— 
Ordnung auf die Kräfte des menfchlichen Verftandes gegründe— 
nach welcher ein jeder weſentliche Lehrgrund dem Lernenden je 
in die Sinne fällt, und jede Kenntnid durch den unme 
licdyen Uebergang vom Leihten zum Schweren gleihfam wi 














— 85 — 


durch ergetzende Selbſterfindung von dem Schüler 
erworben, und endlich der Zuſammenhang jeder Sache 
bon Grund zu Grund, von Folge zu Folge von ihm felbft 
überfehen,, erkannt und in allen Zeilen beutlih begriffen 
wird.“ 
Schulpflichtig ſind alle Knaben vom 5. bis zum Ende des 
13. Lebensjahres. Die Stufenfolge des Unterrichts iſt dieſe: 
„Die Schüler lernen vom 5. — 6. Jahre den Katechismus und 
die altteſtamentliche Geſchichte, die Buchſtaben, das Buchſtabiren, 
beides anfaͤnglich an der ſchwarzen Tafel, nachher aus dem ge⸗ 
ſtochenen Täfelchen und aus dem ABCbuche; vom 6.— 7. Jahre 
den Katehismus wie oben, das Lejen aus dem ABCbuche und 
aus dem Katechismus nebft den Tabellen über die Kunſt zu lefen; 
vom 7. — 8. Jahre den Katechismus wie oben, ſetzen die Lejefunft 
fort, fangen das Schönfchreiben an; vom 8.— 9. Jahre. den Ka⸗ 
techismus und die Tehre des neuen Teftaments, die Natur» und 
Kunftgefchichte; vom 9. — 10. Jahre den Katechismus wie oben, 
Rechnen, Fortfegung der Natur: und Kunſtgeſchichte; vom 10. bis 
11. Jahre Katechismus wie oben, fortgefeßtes Nechnen, Natur 
lehre, Zeichnen; vom 11. bis 12, Jahre Katechismus und Eitten- 
Iehre, Geometrie und Mechanik, die Regeln der deutſchen Sprache 
und den Anfang in Verfaßung Eleiner jchriftlicher deutſcher Aufjäge 
mit Anwendung der erlernten Sprachgründe. Fortfegung im Zeich⸗ 
nen; vom 12. — 13. Jahre Katechismus und Eittenlehre, Unter 
richt in den Gründen der Stadtwirtſchaft und der Handlung, 
“ Sortfeßung der Uebungen in deutfchen Aufſätzen; vom 13. — 14. 
Sabre Katechismus und Eittenlehre, fortgefeßte Uebung im Brief 
ſchreiben und anderen ſchriftlichen Auffägen, Die Hauptmerkwürdig⸗ 
teiten der Vaterlandsgeſchichte, verbunden mit der vaterländifchen 
Geographie, einen ſynchroniſtiſchen Inbegriff der allgemeinen geift- 
lichen und weltlichen Geſchichte ·“· 
Die Heckenſchulen und das Treiben der Stundens 
Täceptoren, weldhe zu den Kindern in die Häufer kommen, 
(Winfelprägeptoren) hören von jetzt an auf. — 
Der neue Schulplan wurde zuerſt mit der Parochialfchule 
a St. Duintin in Mainz zur Ausführung gebracht ‚, indem Dies 


— 86 — 


ſelbe im Mai 1773 in eine „Trivial⸗ und Real:Pfarrfchule” um 
gewandelt und als Vorbild für Die übrigen demnädft neu einz- 
richtenden Pfarrſchulen organifirt ward. Balreiche Beſuche, well 
die Anftalt erhielt, bewieſen Die außerordentliche Aufmerkjamfe- 
welche die neue Schuleinrichtung erregte. Natürlich Fonnte M 
Eröffnung der Schule nicht fofort Der ganze Schulplan auf dm 
felbe zur Anwendung gebracht werden. Im erſten Schuljail 
war „nur der Triviallehrer vermögend, mit einem Teile feimm 
Schuljugend das Stufenmäßige der vorgefchriebenen Methode z 
Anwendung zu bringen; den Reallehrern der 2. und 8. Kl 
aber blieb nichts anderes übrig, als mit jeber ihrer Klaſſen gr 
bei jenen Gegenfländen anzufangen, für welche ihr angewiejen 
Fach nach den Lehrftufen des Entwurfes beftimmt war." $ 
Kunſtgeſchichte, Naturlehre, daS Zeichnen, die Geometrie und BI 
hanif, die Stabtwirtihaft, Handlung und die vaterländifche S 
jchichte blieben vorläufig ganz unberüdfichtigt. In welchen I3« 
bältnis die drei Klaſſen namentlih in Betreff der Erteilung T 
Religiondunterrichted zu einander ftanden, erhellt aus folgnD 
Prüfungsjägen, welde im Programm der erften Prüfung i. 

1774 aufgeftelt waren. „Prüfungsſätze der Trivim 
[hüler I Die Glaubenslehre. Während des Prüfungs 
Ichäftes werben bie nachftehenden Puncte durch mweitläufigere E3 
widlung im Fragen aufgelöft und von den Schülern beantwor 
werben: 1) Was die Beftimmung des Fatholifchen Ehriften ww! 
defien wahre Kennzeichen feien; 2) was einem Ghriften zur Sei 
feit zu wißen notwendig ift, und wovon er fich alfo die vorzi® 
lichſten Kenntniffe zu erwerben hat; 3) worin die Beftimmu 2 
bes Dafeind und der Gigenfchaften Gottes und 4) dad Wert d 
göttlichen Grlöfung des Menfchen beftehn; 5) worauf fih de 
Weſen und die Wirkungen der drei göttlichen QTugenden gründer 
6) was und wie vielfadh die Sünde fei; 7) worin die vier legte 
Dinge des Menſchen beftehn; 8) was die Beichte fei und was z 
ihrer Gültigkeit erfordert werde.” — „Brüfungsfägede 
erfien Realflaffe. L Glaubenslehre: 1) Was die Religios 
überhaupt und bie wahre insbefondere fei; 2) worin der Urfprunz 
ber verichiebnen Religionen beftehe, 3) wer ein Fatholifcher Chrif 


fl; was dieſer als Chriſt glauben und wißen muͤße; 4) was 
Glauben überhaupt und der wahre Glaube insbeſondere fei; 5) 
wie die 12 Artikel des apoftol. Glaubensbekenntniſſes zu erklären, 
und jeder insbefondre durch kurze Geſchichten aus dem alten und 
neuen Bunde zu beleuchten fei; 6) was Hoffen überhaupt und Die 
Zugenb der Hoffnung insbefondre, und was überhaupt eine Tus 
gend ſei; 7) was die Hoffnung für Grade Babe und was ein 
Chriſt hoffen fol; worin überhaupt das Gebet beftehe, und in 
was für verjchiebne Arten es fich teile; 9) welches der Inhalt 
bes Gchetes bes Herrn und feiner 7 Bitten jei; auch worin bie 
Teile des engliichen Grußes beftehen; 10) was noch von andern 
in der Kirche üblichen Gebeten zu merken fei; 11) was bie Tu: 
gend der Liebe fei, wen und wie ein Chriſt lieben fol; 12) von 
ben 10 Geboten überhaupt und dem erflen insbefondre.“ — Noch 
mehr erweitert waren die Prüfungsfäbe ber legten 
Realklaſſe. „L Glaubenslehre: 1) was die Religion über 
haupt fei; 2) wie viele Hauptreligionen es gebe; 3) weldye unter 
dieſen die wahre fei; 4) worin Die Kennzeichen, Beweife und Be 
Rätigung derjelben beftehen,; 5) was einem Tatholifchen Ghriften 
su wißen notwendig, geboten und nützlich fei; 6) was 
Der Glaube und was man zu glauben ſchuldig fei; 7) worauf ſich 
Der Glaube gründe, und ob man nicht auch nebft der heil. Schrift 
Die Tradition annehmen müße; 8) was unter dem Namen Kirche 
Derftanden werbe; ob dieſe Gewalt habe, Gebote zu geben und 
oB man diefelben zu halten verbunden fei” u. ſ. w. 

. Unter den Lehrbühern, weldye in der neuen Schule einge 
führt waren, befanden ſich viele von proteftantifchen Verfaßern, 
3- B. von Gellert, Rabener, Gottſched. 

Nachdem die erfte Trivia und Realpfarrichule in der Reſi⸗ 
ben; errichtet war, wurbe fofort auch zur Reorganijation ber Land⸗ 
ſchulen vorgefchritten. | 

Zu diefem Behufe wurde von der Schulcommilfion mit Bes 
Rußung der Schriften Felbigers eine „allgemeine Ins 

Taction für die dffentlihen Lehrer der Trivials, 
e al- und Mittelfhulen in den kurmainziſchen 
© a den“ ausgearbeitet und unter bem 9. October 1773 publi⸗ 





— 8 — 


eirt. Diefelbe zerfällt in 2 Abfchnitte, deren erfterer von den be 
fondern Eigenfchaften eines Lehrers, der andre von ber Lehrme 
thode handelt. Für den Lehrer werben die igenjchaften der 
Frömmigkeit, Geduld, Liebe zu feinen Schülern, der Froͤhlichkei 
des Gemütes, des Fleißes und der Genügſamkeit gefordert. Die 
Methode wurde auf den Satz gegründet, „baß die Seele ih 
meiften Gebanfen und Die daraus entfpringenden Begriffe durch 
das Mittel der Sinne empfängt, hierdurch die Einbildungstkreft 
belebt und das Gedächtnis ohne Zwang bereichert.” Jede Er 
fenntnis iſt ‚entweder anfchaulich oder figürlih. Figürlich iſt bie 


Erkenntnis, „wenn man fich die Sache nicht ſelbſt, ſondern durd 4 
Beiden vorſtellt.“ „Unter die LBeichen gehören vorzüglich bie | 


Wörter. Sorgfältig muß aber verhütet werden, daß man die 


Mörter, dieſe Zeichen, nicht für die Sache felbft nehme, und alle 


leere Wörter ftatt wirkliche Begriffe fammle.” Der Verftand if 


das Vermögen, fih ein Weſen und deßen Zeichen deutlich vorzw 


ftellen und den völligen Begriff derfelben der Vernunft zu über: 


liefern. Dur das deutliche Vorftellungsvermögen erreicht mar ' 


die Kenntnis der Vollkommenheit einer Sache, welche Erkenntnis 


dann die Luft zum Genuße der für vollfommen erfannten Sade, | 
erregt. Die Deutlichfeit muß alſo vorzüglich in jeder Worftellung 
berrichen, und das Weſen, welches dauerhaft begriffen werben joll, 


nicht nur dem Verftande, fondern auch dem Auge auf bie finn 
lichſte Weiſe vorftellen.. Dahin gehört das Ausſchreiben der Lehr: 
flüde an eine ſchwarze Tafel, Die Vorlegung und Darftellung der 
Kupferftihe. Ebenſo muß eine auf den äußeren Stun berechnete 


Lehrart dem Gedaͤchtniſſe zu Hülfe kommen, um, wenn die körper | 
lichen Zeichen des Gegenftandes dem Auge nach und nach entzogen 


werden, einen bleibenden Eindrud des Geſchauten zu begründen. 
Dieſes gefchieht durh die Buhftabenmethode, welde ii 
Folgenden befteht: „Man jchreibt den Satz, weldyer in das Ge 
daͤchtnis des Schülers eindringen fol, dergeftalt an die Tafel an, 
daß (gegen die fonft unverlegliche Regel der Rechtfchreibung) jede? 
Wort einen großen Anfangsbuchftaben habe, 5. B.: „Ich Blaue 
An Gott Vater, Allmächtigen Schöpfer, Himmels Und Der Erde’ 
Diefen Sag läßt alsdann der Lehrer einigemal ablefen. SR 





* 
% 


— 89 — 


ſolches geſchehen, fo loͤſcht er entweder felbft, ober (weldyes noch 
vorteilhafter iſt) Täßt einen der Schüler erftend an dem Worte 
Ih das ch auslöfchen, und nur bag große J unausgelöſcht ftehen. 
Alddann wird der Satz abermals gelefen. Und e8 gefchieht nadh- 
bin das Nämlihe mit dem folgenden Worte Glaube, wovon 
Die nach dem großen & ftehenden Buchftaben ebenmäßig aufge 
löfht werden. Der ganze Sa wird hierauf abermals vorgefagt, 
und bei dem J Ich, und bei dem © glaube, auegeiprocdhen, als 
wenn die Worte noch ganz unausgelöfcht angefchrieben ftänben. 
Und auf dieſe Weife wird mit einem Worte nach dem andern 
verfahren, bis am Ende nur allein die eilf Anfangsbuchftaben an: 
geihrieben fiehen. Haben endlih die Schüler den ganzen Sat 
über die Anfangebudyftaben mehrmals hergeſagt, fo werben aud) 
Diele an der Tafel ausgelöfcht, und auf einen befonderen Bogen 
zur Wiederholung aufgezeichnet, die Schliler aber ermuntert, nun- 
mehr, ohne weiteres Anfchauen der angefchriebenen Zeichen, die 
Sache aus dem Gedaͤchtniſſe herzufagen.” Das dritte Mittel 
eines deutlichen Unterrichtes ift die Erleichterung der Beurteilungs- 
kraft ober des Vermögens, den Zuſammenhang der Dinge einzu: 
ſehen. Hierzu dient der Gebrauh der Tabellen d. h. der 
Gebrauch von „Auffägen, dadurch man das, was Schliler lernen 
ſo len, nach allen Hauptſtücken und Nebendingen, Abteilungen, Bu: 
ätzen und Beftimmungen dergeftalt zufammengeordnet hat, damit 
*ernende daraus nicht allein Alles, fo fie zu wißen nötig haben, 
Ondern auch die Orbnung erſehen Eönnen, wie Eins auf das 
ludre folgt und zuſammen verbunden iſt.“ — „Die Tabellen 
»erden nun entweder mit Linien oder Klammern geteilt ober 
urch bloßes Abdrücken ter Anfangswörter unterfchieden. Ein 
beifpiel der erften Art ift folgende: 
Einfadye laute Buchſtaben. 
Sie Buch: | (ante Buchſtaben Zuſammengeſetzte laute Buchſtaben. 


aben find | Einfache ftumme Budjftaben. 
ſtumme Buchſtaben | 53 ſtumme Buchſtaben. 


bon der zweiten Art iſt nachſtehende: 
Die wahre Lehrart muß ſein 


— 90 — 


deutlich 

durch ſinnliche Vorſtellungen zum Begriffe, 

durch Erleichterung des Gedaͤchtniſſes ꝛc., 

durch Erkenntnis des Zuſammenhangs der Dinge 
ordentlich ꝛc, 

„Der Kunſtgriff des Lehrers bei dem Tabellariſiren bef? 
nun in folgenden Hauptpuncten: 1) Der Lehrer fchreibt die 2 
belle nach der Buchftabenmethode auf eine große Tafel mit Kreil 
an, erläutert das Angejchriebene und belebt die Aufmerkfamkei 
der Schüler Durch feinen erflärenden Vortrag alfo, daß von ben 
felben dentlih erfaunt und eingejehen wird, was die Tabelle und 
was die Sache jelbft begreift. 2) Diefe faßen baffelbe, fo wi 
andere Dinge, welche nach diefer Lehrart auswendig gelernt wer 
den, in das Gedächtnis, und zwar joviel die Haupt-, Ab⸗ und Gin 
teilung betrifft, noch eher, al zur Erlernung der Sache im Ein 
zelnen gejchritten wird. Jedoch verfteht es fich von felbft, dah 
Solches nad) der Fähigkeit der Schüler gefehehen müße. 3) Die 
Schüler lernen die Tabellen, welche an ſich ſelbſt das Ganze um 
faßen, immer ftüdweife, das ift, fo viel, als ihnen für jeden Zeit 
punft zu wißen notwendig ift; Doch fo, daß bei der Fortſezung 
der Tabellen das Vorhergehende immer wieberholt wird. 4) Der 
Lehrer muß diefelben beftändig auf die in der Tabelle enthaltenen 
Regeln zurüdführen, und zwar nicht allein, wenn fie dawider fe 
len, fondern auch manchesmal, wenn fie richtige Begriffe zeigen." 

Die Ordnung im Lehren ift die zweite Haupteigenjdaft 
einer guten Methode und befteht darin, daß man erſtens imme 
vom Leichteren zum Schwereren übergeht, das Kolgende auft 
Vorhergehende gründet und drittens von der praktijchen Seite ar 
fange und jo zur theoretiſchen führe. 

Das dritte Haupterfordernid einer richtigen Lehrart iſt d 
Gründlichkeit. Dieſe erhält man durch das Katedil 
ten über vorgetragene Lehrfäße und dDurdy Fuge Zergliederu ! 
ihres Bufammenhangs. 

Die vierte Haupteigenfchaft der ächten Lehrart ift das A 
genehme. „Es befteht 1) in der Geſchicklichkeit, durch die Le 
jelbft zu vergnügen und 2) Zeit und Mühe zu erſparen. > 


q 





— 91 — 


Mittel hierzu find 1) daß man gleichzeitig mehrere Schüler unter⸗ 
richte und diefelben in angemeßene Abteilungen gruppirt, und 2) 
dab man die Schüler unvermutet frage, wodurch unter denfelben 
Wettelfer und Aufmerkſamkeit erwedt wird. 

Indeßen ift ed nicht genug, daß der Pehrer alle dieſe Erfor- 
dernifje einer richtigen Methode beobachtet; derſelbe muß ſich auch 
auf jede einzelne Unterrichtöftunde forgfältig vorbereiten, damit er 
bei den Schülern nicht au Anjehn verliere und er Die Aufmerkſam⸗ 
keit derfelben ficher feßeln könne. 

Das Mittel zur Aufrehthaltung einer wahren Schulzucht 
befteht in einer richtigen Beurteilung der Gemütsart, des Talentes 
und der fittlichen Neigungen der Kinder. Daneben muß aber der 
Sehrer vor Allem fein Anſehen feft zu begründen wißen. Die 
Strafmittel find nady gewißen Abflufungen zur Anwendung zu 
bringen, fo daß der Lehrer einem ftraffällig geworden Schüler 
mnächft Liebreiche Ermahnungen, dann Verweiſe, hernach Wars 
nungen, Drohungen, geichärfte Drohungen und erft „wenn alle 
diefe Strafmittel fruchtlos erjchöpft find, koͤrperliche Züchtigung 
erteilt. Iſt auch dieſes Letzte fruchtlos, jo ift zur Eutlaßung des 
Shülerd vorzufchreiten.” — 

Nach diefer Inſtruction wurde nun ſofort Die Reorganifation 
ded Schulwefend im ganzen Lande begonnen und ununterbrochen 
mit der gröften Energie betrieben. Leider farb Kurf. Emmerich 
Jofeph ſchon i. J. 1774; aber was er begonnen, wurde von feie 
um Nachfolger, — dem lebten Kurfürften und Grabifchof zu 
Nainz — Friedrih Karl Joſeph (von Erthal) mit glei 
Gem Eifer fortgefekt. 

Kurf. Friedrih Karl Joſeph erkannte es richtig, Daß alle 
Reorganifationen im Volksſchulweſen erfolglos bleiben müften, 
wenn nicht Die äußere Lage der Schulmeifter gebebert würde. 
Verichte, welche über die Gompetenzen der Lehrerftellen eingezogen 
Waren, ftellten die Thatjache feft, Daß Die allzu geringe Bejoldung 
ber Schulmeifter eine der Haupturfachen war, weshalb diefelben 
N namentlich im Sommer um die Schulen gar nicht befümmern . 
md auch im Winter irgend einen andern Erwerbszweig als ihren 
eigentlichen Rebensberuf fefthalten muften. Unter dem 20. Juli 1778 


— 9 — 


ließ daher der Kurfürft durch die Kanzlei den Befehl 

„bätten die Eurfürftlicden Beamten an jenen Orten, wı 
derliche Unterhalt eines Schulmeifterd abgeht, den ur 
ernftlihen Bedacht dahin zu nehmen, daß für die Sch 
binreichender Unterhalt für das ganze Jahr verfchafft, 
die beftthunlichften Mittel und Wege ausfindig gema« 
fofort hierüber ihre gutachtlichen WVorfchläge, . befonde 
gleich wie den Unterthanen auf den Filialortichaften , 

Sommer hindurch gar feine Schule haben, hierzu ebe 
füglih zu helfen und wie überhaupt Die Sommerfcdhule: 
lichften einzurichten fein möchten” einzufenden. — Um 
von dem Erfolg diefer und früherer Anordnungen zu 

beſchloß der Kurfürft zwei Sabre fpäter über den n 
Beſtand aller Volksfchulen des Landes ſich genaue ur 
liche Berichte vorlegen zu laßen. Unter dem 4. Nove 
erließ die Kurf. Kanzlei zu Mainz an alle Keller des 

Befehl, „ungefäumt ein tabellarifches Verzeichnis all 
Kellerei- Ortichaften ſich befindenden Echulmeifter nebft 
des Namens, Alters, Geburtsortd, Sitten und Faͤhig 
halts, fodann des Präfentationg- und Beltätigungsred 
Ihulmäßigen Jugend zu verfertigen und unfehlbar binn 
einzufchiden, demfelben auch einen gutachtlichen Bericht 
wie berjelben Gehalt allenfalls verbeßert werben Fönnte 


ww. 


Außerdem wendete der Kurfürft feine befondre 2 
feit den Volksjchulen des Bistums Worms zu. Hie 
nicht blos katholiſche, fondern auch proteftantifche Schul: 
Anzal der Gemeinden reformirter Gonfeffion war; aber 
len beider Gonfeffionen befanden fi) noch im traurigfte 

Ueber den Zuftand des Volksſchulweſens in ben 
formirten Inſpecturen des Stifted Worms berichtete d 
Inſpector Duprs zu. Raumersheim am 3. Novbr. 17' 
Kanzler der Regierung zu Worms Folgendes: „Die € 
Meformirten werben eingeteilt in Die Sommer- und 


— 93 — 


ſchule. Die letzte iſt die vornehmſte; ſie dauert ein halbes 
Jahr und fängt den 2. Novbr. an. Die Sommerſchule beſteht 
nur aud wenigen Kindern. Die Armut der Unterthanen ift fo 
groß, daß fie ihre Kinder frühzeitig zur Arbeit mit ſich ind Feld 
nehmen. — Die Unterweilung in dieſen Schulen befteht darin, 
daß den Kindern im Leſen, Schreiben, Singen, Rechnen und 
Ghriftentum Unterricht gegeben wird. Zu dem Ende find die Kin⸗ 
der in gewiße Ordnungen abgeteilt, fo daß diejenigen, welche ein- 
ander gleich find, allemal zujammen genommen und gelehrt werben. 
Die Unartigen, oder die ihre Schuldigfeit nicht erfüllen, werden 
entweder mit dem Steden gezüchtigt oder müßen zur Strafe in 
der Schule fiben bleiben. Der Pfarrer bejucht alle 8 oder 14 
Tage die Schule und unterjucht, ob die Kinder fleißig erfcheinen, 
vie fie im Lernen zunehmen, und ob der Schulmeifter fein Amt 
jehörig verwaltet. — Die Befoldung der Schullehrer ift bei ung 
jar zu gering. Außer ihrem Fixo haben fie von jedem Kind für 
Ne Winterſchule 30 fr., für die Sommerſchule 15 fr., und fo 
ange die Kälte dauert, muß ein Kind täglidy ein Flein Stüdlein 
Yolz mitbringen. So gering dieſes Geld ift, fo wenig wird es 
och bezalt. Wanı das Halbjahr beendet ift, daun koſtet e8 große 
Mühe, etwas von den Bauern herandzuprefien.” Daneben werben 
10h folgende Mängel des Schulweſens hervorgehoben: „1) daß 
ie meiften Eltern ihre Kinder nicht eher zur Schule jhiden, als 
zis gegen das Chriftfeft, da eine ftrenge Kälte einfällt und feine 
Arbeit im Felde gethan werben fann; und fobald im März die 
Some einige warme DBlide von fi wirft, fo verlieren ſich bie 
Kinder wieder ohne ihren cursum zu vollenden. 2) Es giebt 
Stern, die, um das Schulgeld zu erjparen, ihre Kinder nicht zur 
Schule anhalten, fondern ihnen zu Haufe felbft Unterricht geben, 
der aber auch erbärmlich genug ausfällt. 3) Es giebt fo verkehrte 
Stern, daß fie ihre Kinder aus der Schule laßeu, wenn ſolche 
erdienter Maßen nachdrücklich gezüchtigt werden.” Das in allen 
Schulen ausfchließlich gebrauchte Buchſtabir— und Leſebuch war der 
deidelberger Katechismus. 

Schon gegen das Ende des Jahres 1770 hatte der In⸗ 
*ctor Duprô auf den traurigen Zuftand ber reformirten Schulen 


— 94 — 


aufmerkſam gemacht und auf feinen Autrag war von ber Regie 
rung zu Worms am 29. Novenber 1770 verfügt worden, „daß 
die Eltern ihre Kinder vom 6. bis 13. Jahre wenigftend den 
ganzen Winter hindurch in die Schule [hiden, entgegenftehenden 
Fals aber dennod dem Schulmeifter die Gebühr zu entrihten 
baben ſollten.“ Diefe Verordnung war in allen Pfarrkirchen ber 
beiden Inſpecturen von der Kanzel herab verkündet worden, is 
deßen, wie Dupr6 i. J. 1777 berichtete, „ohne ſonderliche Bir 
fung. Ehe der Schuldiener die Eltern vor Amt belangt, läpe 
er alles gehen, wie ed gehet. Denn die Bosheit der Landleute 
ift in unfern Zeiten unglaublid hoch geftiegen.” 

Dupr6 war daher von der Regierung aufgefordert worden, 
fich darüber zu äußern, wie nad) feiner Anficht dem Schulweſen 
aufgeholfen werden fönnte. Infolge dieſer Aufforderung legte 
berfelbe der Regierung die Lineamente einer Schulorbnung det, 
wobei derfelbe auf Einen Punkt aufmerffam machte, der bis do 
bin noch nirgend ernft beachtet worden war, und ber body mil 
dem innerften Intereſſe und mit allen Verhältnipen der Säule 
im wejentlichften Zuſammenhang fand. Dupré war nemlid ber 
richtigen Anficht, daß die Volksſchule, die im Leben des Volles 
ihren Sproß babe und Daher vom Leben und Geifte des Volkes 
getragen und genährt fein müße, nur dann gehoben werden könnt, 
wenn in das Wolf felbft mehr Zucht, edlere Gefittung und ei 
beßerer Sinn gebracht werde. Daher bob Dupré in feinem Be 
richt über die Ausarbeitung einer Schulordnung hervor: „DA 
‚viele Eltern fo faumfelig find, ihre Kinder zur Schule zu ſchicken, 
und das jo geringe Schulgeld zu bezahlen, daran ift das liebe!’ 
liche Leben ſchuld. Wie gut wäre e8 daher, wenn den Einwohne 
etlihe jehr unnötige Ausgaben abgefchnitten würden, und pa® 
dadurch erjparte Geld Fönnte fünftig zu Bezalung herrſchaftlich? 
Abgaben und des Schulgeldes nützlich verwendet werden. Hieh“ 
zaͤle ich 1) das ungebürliche Freßen und Saufen bei Kindtaufe? 
Hochzeiten und Leichenbegängnißen. Ich babe einen Ueberſchl 
gemadt, Daß bei dem Taufakt gegen 10 fl., bei Begräbuife® 
gegen 15 fl., bei Hochzeiten öfters gegen 30 fl. verſchwend 
werden. Die Obrigkeit könnte bier Hülfe fchaffen und befehless 


— 16 — 


daß bei einer Taufe nicht mehr als zwei Weiber erſcheinen und 
‚fein Gaſtmahl gehalten werden dürfte, und ebenſo bei Hochzeiten 
und Leihen. Der Mittelmann will e8 dem Reichen gleich thun 
in feinem großen Schaden. Manche find jo unmäßig, daß fie fi) 
kei ſolchen Anlaͤßen krank eßen oder trinken. Wäre es nicht beßer, 
dab die Herrichaft dergleichen Verſchwendung einfchränfte, und 
daß der Unterthan einen gejunden Leib und das Geld zu nötigen 
Fällen im Sad behielte? — 2) Hierher gehören die Kirchweihen 
md Jahrmärkte. Es ift unglaublid), was dabei aufgeht. Sollen 
nicht Die fremden Spielleute, die Spieltifche, Die verjchwenderijchen 
daftmähler verboten werben? Man könnte befehlen, daß der- 
leihen Fefte nur einen QTag währten, da das Spielen, Tanzen 
md Springen oft eine Woche dauert. Die Arbeit bleibt indeffen 
kgen; das Geld wird durchgebracht; die Kinder beftehlen ihre 
kitern, damit fie Geld haben — zum Rafen. Und wie viel Un: 
uht wird dabei getrieben! — Die Einkünfte der Kammer werben 
runter etwas leiden, aber der Verluft wird reichlich erjeßt. — 
Der Grundſatz ift gewiß: An der Erziehung der Jugend ift dem 
Ötaate alles gelegen. Aber es ift nicht genug, daß Schulen beßer 
ingerichtet werben; es ift auch eine beßere Polizei nötig. 
ie häusliche Kinderzucht muß aud anders werden. 
Ne Kinder hören in der Schule lauter Gutes; fie fommen nach 
aufe und hören nichts ald Boͤſes. Hier ift ein trunkener Vater, 
T flucht und tobt, jchlägt Frau unb Kinder zufammen, taumelt 
is einer Ede in die andere; wel eine üble Wirkung auf junge 
emüter! Man follte das Lafter der Trunfenheit ſcharf beftrafen, 
eil folches unter dem Landvolk gar zu ftarf eingerißen iſt. Seine 
der follten in die Wirtshäufer gehen dürfen, um den Spiel- 
sten und dem Lärmen zuzufehen. Die Wirtshäujer find hier 
e Derter, wo daS Vermögen und die guten Sitten der Ein- 
ohner Schiffbruch leiden. — Der Felddiebſtahl hat feit einiger 
eit im Lande mehr als fonft zugenommen. Woher kommt dieſes 
abeil ? Daher, daß die Leute ihr Vermögen verpraffen und in 
Fmut geraten. Nun fangen fie an zu ftehlen und führen aud 
re Rinder dazu an. Man dürfte nur der Ueppigleit Einhalt 
en und etliche Exempel ftatuiren. Diefes Lafter würde bald 


— 96 — 


wieder verſchwinden. — 3) Die Ortichaften haben fchöne geme: 
Einkünfte. Schultheiß und Gerichte wißen aber ſolche jo 
verwalten, daß auf jeder Gemeinde noch anjehnlihe Schuld: 
haften. Hier wäre viel zu verbeßern. Mean Fönnte aus der &ı 
meinde jedem Schulmeifter eine Zulage geben und die Dieten beı 
Schultheißen und Gerichte beßer ftreihen, Die doch meiſtens durch 
die Gurgel gejagt werden. Dieſe Leute find hauptſaͤchlich Schuld 
an dem Verderben. Im Saufen gehen fie andern vor. Sie 
übertreien die Polizeigejege, die fie aufrecht halten follten. Für 
ein Viertel Wein wird zu Beiten das befte Zeugnis ausgeferkigt, 
jo fehr es der Wahrheit zuwider iſt. Unſere Polizeigefege find 
vortrefflich; aber fie werden nicht beobachtet. — Schlieplich 
muß ich nochmald wiederholen: Es ift nicht hinreichend, 
daß die Schulen verbeßert werden; die häusliche 
Erziehung und die Polizei muß mitverbunden fein. 
Die ernften Vorftellungen Dupré's hatten zur Folge, dab 
die von dem Kurfürſten ſchon unter dem 17. September 1711 
befohlene Ausarbeitung einer Echulordnung fofort ausgeführt um 
ſchon im April 1778 demſelben zur Prüfung vorgelegt wurde 
Der katholiſche Kurfürft fand jedoch an der reformirten Schub 
ordnung mandyerlei auszujegen. Die Autorität der bh. Schrih 
überhaupt die Grundzüge der Bibliologie waren bier im Sinn 
der reformirten Kirche entwidelt und außerdem war die reform ix 
Volksſchule ziemlich beftimmt als ein wejentlidy dem Intereſſe D 
reformirten Bekenntniſſes und Gemeindelebens dienendes Anfti$ 
aufgefaft. Das Concept der Schulordnung wurde daher auf W 
fehl des Kurfürften zu Mainz unter dem 12. April 1778 an Z 
Regierung zu Worms mit dem Beſchluß zurüd gejhidt: Remit- 
tur ad regimen, und finden Se. Kurf. Gnaden den numerum 
pag. 7, die ganze pag. 38 wie aud) die $$. VI. u. VII u2 
mehrere die reformirte Religion betreffende Stellen dieſer Hoͤch! 
jelbft Durchgejehenen veformirten Landſchulordnung anftößig, Fa 
eine fürſtbiſchöfliche Landesregierung den reformirten Unterthane 
öffentlich zu erlaßen nicht ſchicklich, und eine jolhe, nur Lejes 
Schreiben, Rechnen und Weltfenntnijje lehren jo 
lende reformirte Landſchulordnung nicht gehörig, ma 


— 97 — 


dem Befehl, dieſe und alle dergleichen die Religion ber Refor- 
mitten auch nur von Weiten berührende Stellen und Ausdrüde 
er förberfamft durch den Verfaßer daraus ausmerzen zu laßen 
ud dann fie wieder zur weiteren Prüfung ad Eminentissimum 
einzuſchicken.“ 

Inzwiſchen hatte der Kurfürſt auch dem katholiſchen Schul⸗ 
weſen im Hochſtiſt Worms ſeine Aufmerkſamkeit zugewendet, und 
unter dem 11. Dezember 1777 der Regierung aufgegeben, ſich 
gutachtlich Darüber zu Außern, „ob und wie 1) alle katholischen 
Ihulmäßigen Kinder bis zum 14. Jahr im ganzen Hochſtift und 
bon Ort zu Ort in Tabellen gebradht, folche dem Amt und von 
da ad regimen nebft Bericht eingefchidt, und damit von Monat 
u Monat mit Bemerkung des Ab- und Zuganges fünftig ftets 
fortgefahren, diefem vorgängig 2) alle ſchulmaͤßig katholiſche Schuls 
fngend in jedem Ort Jahr aus Jahr ein zur unaudgefepten Be- 
ſuchung der Schulen unter gemeinfamer Aufſicht das Amtes, Pfar⸗ 
ter? und Ortsvorftandes angewiejen, wibrigenfall8 aber 3) die 
Eltern für jedesmaliges Ausbleiben ihres Schulfindes mit 4 fr. 
Strafe belegt, dieſe Strafgelder 4) am Ende des Monats exe- 
Cutive eingetrieben, vom Ortsvorſtand berechnet, der baare Bes 
trag den obigen Tabellen mit beigefügt, and Amt und von da 
ad regimen eingefchidt, von hieraus aber 5) eine Kaffe zum 
Schulfonds und beßeren Gehalt der gar nicht oder doch nicht hin—⸗ 
länglich beſoldeten katholiſchen Landſchulmeiſter, zur Anfchaffung 
der nötigen Schulbücher für arme Schulkinder und ber Yahres- 
Prämien der fleißigft Lernenden errichtet und endlich 6) hierüber 
Mm Ende des jahres die Generalberehnung und Ausweis der 
borhabenden Verwendung Eminentissimo unterthänigft vorgelegt 
werden könne. Und um diefen erfprießlichen Endzweck gänzlich zu 
erreichen, jo wollten Se. Kurfürftlihe Gnaden weiter gnädigft, 
daß regimen auch in dieſem feinem Gutachten 7) den forderjamiten 
Bedacht dahin nehmen follte, daß in allen Ortfchaften des Hoch- 
Rifts wie im Winter fo im Sommer ftändige Schule gehalten 
werde, über alles dieſes aber 8) und über die hierzu fehieklichen 
Mittel , auch über die dem Acker- und Weinbau, dann der Land⸗ 
virtſchaft des Landmanues unjchäblihe Ginrichtung der Schul: 

VDeype, Bolloſchulweſen, 2. | 7 


— 98 — 


lehreſtunden ſelbſt Sommers- und Winterszeit follte regimen sw/ 


dem biſchoͤflichen Vicariat ebenfals communiziren, fofort 9) ar / 


biefen Schulgegenftand wie auch über alle hierzu einfchlagenden 








“2 
|. 


- 


Greigniffe in Zukunft durch Neferenten in pleno eigens referint 
bi, 








werden.“ | 
Um das zur Ausarbeitung des befohlenen Gutachtens er rt 
forderlihe Material zu gewinnen, teilte die Regierung fofort dem 
GSeneralvicariat zu Wormd und den Aemtern des Hochftiftd das = 8 
nötige mit, umd überzeugte fi) aus den hierauf eingehenden Be: Ka 
richten der legteren, daß die beabfichtigten Anordnungen des fur Ir 
fürften recht wol vollzogen werden Eönuten. Das Amt Nauhauſen —— 
hatte bereits einige Schulſtrafgelder eiugezogen. Nur die Eintich⸗ [” " 
tung der Sommerjchulen hatte ihre Schwierigkeiten. Um daher Es 
das Intereſſe der Schule mit den Bebürfniffen der ärmeren Klaſſen = ‘ 
der ländlichen Bevölkerung möglihft in Einklang zu bringen, ſchlug [ 
die Regierung zu Worms vor, man möge aus den Schulfinder® 1 B: 
drei Klaffen bilden; denn „Rinder, die ſchon im Felde mitarbeiten —* 
fönnten, wären gewöhnlidy jo weit, Daß fie in die Dritte gie Fr 
gehörten, und mit dieſen müfte ſich der Schulmeifter währeeed | u 
ihrer Stunde allein bejhäftigen, und auf dieſe Art würden diett f* - 
Kinder doc gewiß das im Winter Gelernte nicht vergeßen.“ Die 1” 
ſelben könnten daber von ber Verpflichtung zum Befuche der usw 1 I 
merfchulen entbunden werden, während die jüngeren Kinder, bie #1 5° 
der Feldarbeit noch feine weſentlichen Dienfte leiften könnten, es? T' ' 
Befuche derjelben unnachfichtlich angehalten werden müften. — IB" b 


Semäßheit diefed Regierungsantrags wurde hierauf von dem hs ⸗ ji 
fürften eine namentlich die Beſtrafung aller Schulverfäumitt Pr 


anordnende Verfügung erläßen und Außerdem wurde bem Benercaa 1 
picariat die Aufftellung einer fatholifchen Schulordnung befohle 9- 

Außer den mitgeteilten Anträgen legte Die Regierung F- Su 
Worms zugleich das Concept eines landesherrlihen Grlaßes vn #» 
mit welchem die Schulordnung für die reformirten Scyuien d 


Hochſtiftes Worms publicirt werden koͤnnte. Es war dieſes = E 


cept den für die katholiſchen Schulen erlapenen Beſtimmug e* 


durchaus nachgebildet. Dafjelbe lautete: Den für das „ee ® 
Wol der getreueften Stiftsunterthanen unermüdlich) wachenben a3 M 


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— 9 — 


des Kurfürſten könne das Schulweſen als die Grundlage alles 
Gluͤckes nicht entgehen. Derjelbe habe daher guädigft geruht, 
beifolgende Schulortuung für Die reformirten Schulen ded Hoch— 
Hits entwerfen zu laßen, welche den Inſpectoren zu dem Zwecke 
zugehe, Damit dieſe dieſelbe unter fämmtlichen reformirten Schul: 
meiftern circuliren und abjchreiben ließen. Zur Vollziehung ver 
Schulordnung befehle der Kurfürft außerdem: daß 1) alle refor- 
mirten Kinder vom Anfange des 6. bis zum Ende des 14. Jahres 
die Schulen beſuchen, 2) alle foicherlei ſchulmaͤßigen Kinder von 
Ort zu Ort von den Schulmeiftern in Tabellen gebracht, fofort 
dem Inſpector von der fürftlichen Regierung nebft Bericht einge 
Ihidt, und damit von Monat zu Monat mit Bemerkung des Ab- 
und Zugangs der Kinder Fünftig ftetd fortgefahren, diefem vors 
gängig 3) alle jchulmäßige reformirte Jugend in jedem Ort Jahr 
ein Jahr aus zu unausgejegter Bejuchung der Schulen, und zwar 
den Winter durch vom 2. November bis Oftern, alle ohne Auss 
nahme, den Sommer über von Oſtern bis Michaelid aber Die 
Kinder der dritten Klaſſe eine Stunde vor- und eine nachmittags, 
deren Auswahl und Beitimmung dem Pfarrer und Lirchenälteften 
jeden Orts überlaßen werde, unter gemeinfamer Aufjicht des Sins 
ſpectors, Pfarrers und Kirchenälteften angewiefen, widrigenfalld 
und wenn die Eltern auf vorgegangene liebreihe Ermahnungen 
des Schulmeifterd und des Pfarrers ihre Kinder zur Schüle ge 
börig nicht ſchickten, für jedesmaliged Ausbleiben ihres Schul: 
iindeg mit 4 fr. Strafe belegt, dieſe Strafgelder 4) am Ende 
des Monats executive eingetrieben, von ben Stirchenälteften be 
technet, der baare Betrag den obigen Tabellen beigelegt, an den 
Infpector und von da au fürftliche Regierung eingeſchickt, aus 
denſelben aber 5) eine Stafje zum Schulfonds und beßeren Gehalt der 
gar nicht oder doch nicht hinlänglich befoldeten reformirten Schul: 
meifter, zur Anfchaffung der nötigen Schulbücher für arme Schuls 
finder uud Sahres- Prämien für die fleißigft Lernenden errichtet 
Werde. Uebrigens habe es 6) bei dem bisherigen Schulgeld zu 30 fr. 
MT den Sommer au fernerhin fein Bewenden dergeftalt, Daß 
ſolch es am Anfang des vierten Monats dem Schulmeifter um fo 
GERD üffer bezalt werden müße, als anjonft die nicht zalenden Eltern 


— 100 — 


durch den einfchlagenden Beamten auf bloße Anzeige des Schu⸗ 


meifter8 ſogleich executive dazu angehalten werden follten. 

Ter Antrag der Negierung wurde am 28. März 1778 in 
Mainz genehmigt und als landesherrlicher Befehl mit der inzwiſchen 
überarbeiteten und genehmigten proteftantiihen Schulordnung unter 
dem 19. Juni 1778 publicirt. Dieſelbe erſchien unter dem Titel; 
Schulverordnungen, wie unter Gottes Beiſtand 
die Jugend der reformirten Gemeinden in dem libr 
lien Fürftentum Worms in dem was zu ihrer woh 
ren Ölüdjeligfeit und des Landes Wolfahrt gerev 
hen möge, unterrihtet werden jollen, nad ben 
befterfaunten uud leichteften Methoden auf aller 
gnädigften furfürftlihen Befehl aufgeſetzt.“ Da 
ganze Werk umfafte 14 Kapitel, in denen gehandelt wurde 1) von 
dem Zwed der Erziehung; 2) von den Eigenjchaften und Pflichten 
eines Schullehrers; 3) von der Art und Weife eines leichten und 
nüglichen Schulunterricht überhaupt, wozu gehört a. eine genaue 
Prüfung der eigentümlichen Jndividualität der Kinder, b. weislich 
angebrachte Ermahnungen, Warnungen und Strafen, 4) von be 
Einteilung und Beſchäftigung der Kinder in drei Klaſſen buch⸗ 
ſtabirende, ſillabirende und leſende Kinder); 5) vom nützlichen 
Auswendiglernen; 6) vom Katechiſiren; 7) vom Singen und Beten, 
8) vom Schreiben (a. Schönfchreiben, b. Rechtſchreiben und 
c) freies Aufzeichnen eigner Gedanken); 9) vom Rechnen; 10) von 
guter Zucht und Ordnung; 11) Erinnerung an die Herrn Edul 
meifter,, die gewißenhafte Vollziehung dieſer Schulordnung beitet 
fend; 12) von aller möglichen Uuterftüßung der Schulen und 
Handhabung diefer Verordnung durd) Die Herrn Inſpectoren, Platt 
berrn und DObrigfeiten jedes Orts; 13) von den öffentlichen Fri: 
fungen; 14) zwei Tabellen zur leichten Erlernung der Drud— und 
ES chreibebuchftaben. — Im Allgemeinen enthielt die Schulordnung 
wenig Eigentümlicdyes. Die methodologiſchen Vorjchriften waren 
ſo gut, als man ſie damals geben konnte. So ſollten z. B. die 
gedruckten Buchſtaben den Kindern jo bekannt gemacht werden, 
daß man ihnen die Entſtehung derſelben aus dem graden EM 
nachwies. Die Disciplin betreffend wurden mehrere geeignete 





— 101 — 


hriften gegeben. Es wurde verboten, einzelne Schüler als 
her über Die anderen zu beftellen, und ftraffällig gewordene 
ler durch Anhängung von Gfelsbildern oder überbanpt in 
t Weiſe zu beftrafen, daß fie zu einem lächerlihen Schaufpiel 
en. Als Hauptziel Des Schulunterrichts war die Einpflanzung 
er Gotteöfurdt in den Herzen der Kinder bezeichnet. 

Von den Jnſpectoren und Beamten der reformirten Bezirke. 
nun fofort zur Volziehung der neuen Verordnungen vors 
itten. Namentlicy wurde die ordnungsmäßige Einrichtung der 
nerjchulen verfucht, was auch meiftens gelang. Die Schul: 
re wurden insbefondere angehalten, QTabellen über alle Schul⸗ 
mniffe anzulegen und dieſelben am Ende jedes Monats an 
eamten einzufenden. Auch wurden Die von den Echulmeiftern 
rften Strafgelder, fo weit e8 gehen wollte, wirklich einges 
. Aber hierbei ftellten ſich der Vollzichung der Schulord: 
alsbald unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Am 
uni 1782 beridytete der Inſpector Dupre an die Regierung: 
gröfte Mangel in Befolgung der neuen Schulordnung äußert 
ı Dirmftein und Lampertheim. Die nadjläßigen Eltern find 
tt und gepfändet worden, aber ohne Wirkung. In jedem 
gibt ed ganz arme Unterthanen, von denen nichts heraus⸗ 
ht werden kann und Die nicht einmal die öffentlichen Abgaben 
‚ten; bei dieſen ift die Execution vergeblid. Es gibt andre, 
ıchr Vermögen Befiten, aber doch ſich mit harter Arbeit 
ren müßen. Dieſe ſchicken ihre Kinder früh und fpät auf 
jeld, um ein wenig Gras für ihr Vieh zu fammeln. Sie 
fih pfänden, fie laßen die Pfänder unausgelöft, und wenn 
len verfteigert werben, findet ſich fein Menſch ein, Der 
f bietet, weil er ſich dadurd einem allgemeinen Haß bloß» 
ı würde. An Lampertheim hat ed eine bejondere Bewandtnis. 
Ort ift fehr lang. Im Winter, wenn es ſchneit oder regnet, 
m fih die Eltern, ihre fünfjährigen Kinder den weiten Weg 
: Schule zu fenden; und im Sommer [pannen viele Bauern 
Sonnenaufgang ihren Wagen an, laden Frau und Kinder 
f, und fahren I auch 2 Stunden hinunter in das Burger: 
ind kehren erft mit dem Abend wieder zurüd, — In Dirme 





— 102 — 


flein, welches nad) Lampertheim der gröfte Ort ift, äu 
ſich, do in minderm Maße, diefelben Hinderniffe. Hier ber 
bei dem gröften Teil der Einwohner eine bittre Armut. 
Leute fteden in großen Schulden. Da fehlt Brot für Die Faı 
und Futterung für die Thiere. Weder Ermahnungen nody 5 
hungen wollen etwas helfen.” Die Regierung wollte nichts d 
weniger mit ihren Pfändungen rückſichtslos durchgreifen, rief 
beffen in den armen Gemeinden einen ſolchen Jammer hervor, 
Dupr& fich veranlaft ſah, dieſelbe (17. November 1782) fleh 
hr zu Bitten mit feinen armen Pfarrfindern „nicht nad) 
völligen Strenge des Geſetzes zu handeln, fondern der Armut 
menſchlichen Unvolllommenheit etwas nachzuſehen.“ Belief 
doch in den erſten 4 Jahren allein in Dirmftein das rüdftän 
Sculftrafgeld auf die Summe von 130 fl.! 

Es zeigte fi daher, daß das Volksſchulweſen im Bis 
Worms wie im eigentlihen Mainzer Lande nur allmaͤhlich b 
werben konnte. Un manchen Orten fam man den Beftrebur 
der Landesregierung freudig entgegen, 3. B. im Kirchſpiel 
ſteinnach. Hier hatten die zwölf Filialorte , welche teilmeife 2 
Stunden von dem Pfarrdorfe entfernt waren und daher 
Kinder nicht zur Kirchfpielsfchule ſchicken konnten, bisher in jı 
Winter Schulhalter angenommen, welche „mit der fehlechten Baı 
foft und einigeu Gulden den Winter hindurch” befolder wın 
Im Sabre 1776 gab daher dad Generalvicariat den Beamte 
Heppenheim auf, fid) darüber zu Außern, wie diefe Mißftänd 
dem Schnlweſen jener Filialorte zu befeitigen wären, worau 
Mehrzal der Ortdangehörigen fich alsbald bereit erklärte, die 
Unterhaltung ftändiger Lehrer erforderlichen Laſten zu überneh 
— Sn anderen Orten dagegen fanden die Beftrebungen der 
gierung den beharrlichften Widerftand; fo 3. B. in ver fr 
fehr Fleinen Gemeinde Oberhambach. Hier hatte die Gem 
früher „nach ihrem Gutbünfen einen Sculbalter angenom 
der jährlich mit 8— 10 fl. an Geld und wöcentlih von e 
Haufe znm andern abwechjelnder Koft und Logis fid) begnügen | 
In den Jahren 1781—1782 indefjen hatte die Gemeinte „f 
unfähige Bauersbuben ald Schulhalter angeftellt, welche 


“ — 108: — 


Pproßirt werden konnten.“ Es wurde daher von Seiten der 
Regierung ber Gemeinde aufgegeben, ihre Schulkinder entweder 
ah dem allerdings fehr entlegenen Unterhambach zur Schule zu 
hiden, oder zur Unterhaltung eined ordentlichen Lehrers einen 
ihrlihen Gehalt von 70 fl. mit freier Wohnung zu verwilligen. 
dein die Gemeinde wollte fich weder zu dem einen noch zu dem 
ndern Vorſchlag verftehen. 

Große Schwierigkeiten machte der Regierung die Einführung 
7 allgemeinen Schulpflichtigfeit, weshalb durch ein Mainzer 
egierungsausſchreiben vom 27. Detober 1780 verfügt werden 
ufte, „daß bei 10 Rthlr. unnadyläßiger und dem Schulfonds 
tfalener Strafe von nun an die Vorfteher aller Zünfte in den 
tädten ſowol als auch auf den Lande feinen Tehrjungen eins 
reiben folkten, welcher nicht mit einem fchriftlichen Entlaßungs⸗ 
eine von der Turfürftliden Echulfommiffion, oder mo deren 
ine wären, des Ecjuldirectoriums oder des Ortöpfarrerd und 
chullehrers verſehn fei und dadurch hinlänglich beweiſen könne, 
8 er die für feinen künftigen Stand nötigen Kenntniffe fich eigen 
macht habe.“ 

Als aber mit dem Ende des Jahrhundert? auch daß, Ende 
8 alten Kurfürftentums herankam, war durch die energijche Wirks 
mkeit der beiden legten Kurfürften wenigftend das erreicht, daß 
e Schulen des biäherigen Mainzer Landes durchweg beßer eins 
rihtet und daß die Echullehrer rühriger, berufstüchtiger und 
ich beßer beſoldet waren als in irgend einem benachbarten Lande. 


— —— — — * 


vu 
Die greoßherzoglich-heifiiche Provinz 
Hheinhefjen. *) 
Bis zum Jahre 1798 war das Laud, welches. feit 1815 
Provinz Rheinheffen zum Großherzogthum Heflen gehört unter 


* Da die Gefdichte der Volksſchule in diefer Provinz des Großherzogtums 
Kar big zum Jahre 1815, in weldem diefelbe mit Heflen-Darmftadt vereinigt 





— 14 — — 


viele Herrſchaften verteilt. Den gröſten Teil deſſelben beſaß pr 
pfalz; zu Kurmainz gehörte die Statt Mainz mit der Umgege s7 
und Bingen. Worms, obgleid, Reichäftadt und hauptſächlich wor 
Qutberanern bewohnt, war zugleich Hauptftadt eines bifchöflicgen 
Fürftentums, welches aus mehreren auf der rechten und linfen 
Nheinfeite gelegenen Orten beftand. Die übrigen Gemeinden dis 
Landes gehörten reich3unmittelbaren Fürſten, Grafen, Freiherrn, 
geiftlihen Stiftern und ritterfchaftlihen Gorporatiouen an. — 
Seit 1798 bildete Rheinheſſen einen Beftandteil des franzöflichen 
Departementd vom Donnerdberg, wovon i. J. 1816 der größert, 
etwa 2/, umfaßende Teil mit dem Königreiche Baiern verbunden 
wurde. 

In den Eurpfälzifchen und in den ritterfchaftlichen Orten 
befanden ſich die Volksſchulen bis zum Ablauf des 18. Jahrhun⸗ 
derts in dem traurigften Zuftand. Ein verhältnismäßig fehr wol 
beftellte8 Schulwefen fand ſich Dagegen in den Furmänzifchen Ort: 
\haften vor, wo gebildete Schullehrer, geordnete Schulen, gut 
eingerichtete Schulhäufer und gut dotirte Tehrerftellen Feine Selten 
beit waren. 

Auch in der Faiferlihen Graffchaft Falkenftein (von der ein 
Zeil mit Rheinheffen vereinigt wurde), ſah es im Ganzen mit dem 
Volsſchulweſen Teidlid aus. Kaiſer Joſeph, der dieſer enfernt 
liegenden Befigung feine befondere Aufmerffankeit zugewendet, 
hatte eine Bildungsſchule für die Lehrer feiner Grafſchaft geftiftet, 
hatte auch für zwedmäßige Ginrichtung der Echulhäufer und 
für Einführung eines methodifchen Unterrichts in den Schul 
gejorgt. 

Unter den beftändigen Wechjeln des Kriegs und ber balt 
franzöfifchen bald deutſchen Verwaltung bis 1798 muften Wi 





murde, mit der Geſchichte des Heflen - Darmftädtifchen Volksſchulweſens in ’ 
feinem Zuſammenhaug fteht, und da mir über die erftere (abgeſehen von ei 4 
mir anderweitig zugegangenen Notizen) nur Wagners „Darſtellung des gu 
ſchulweſens in Rheinheſſen (in den Freimütigen Sahrbüchern der Allg. deu 

Bolfsfhulen,” Jahrg. 1824, ©. 24 ff.) als Quelle vorliegt, fo teile ih 
Wagners Darftelung mit einigen Abänderungen und Bufägen faſt wörtlich m 


— 105 — 


en in allen Beziehungen Not leiden. Die durch die Ver 
ng des Landes mit Frankreich berbeigeführte Veränderung 
bgabefyftems traf befonderd hart die Lehrer, indem bie 
en, welche in den meiften Gemeinden einen jehr mwejentlichen 
idteil der Lehrergehalte ausmachten, ohne Entjchädigung 
e Schullehrer erlaßen wurden. Außerdem muften die Lehrer 
anderen, beinahe eben fo bedeutenden Teil der Befoldungen, 
zrundrenten, darum entbehren,, weil viele Mentpflichtige 
dem Vorwand, diefe Gefälle feien feubaler Natur, deren 
Hung verweigerten, und die Lehrer außer Stand waren, 
r fie unerfhwinglichen Koften, welche mit der gerichtlichen 
gung folder Schuldner verfuüpft waren, aufzubringen. Auch 
das Heidelberger Adminiftrationg- Vermögen für Staatd- 
um erflärt, wodurd die Zufchüße zu den Schulgehalten 
pfälzifchen Orten von felbft verloren gingen. Die meiſten 
ehrer waren daher faſt ausfchließlich auf den Bezug des an 
ringen Schulgelde8 und auf die Nubnießung ihrer wenigen 
äder beichräntt. Das Schulgeld ertrug jedoch, namentlich 
ı Eleineren Gemeinden, fehr wenig, weil die Eltern nicht 
chtet waren. Inter folchen Umftänden muften daher die 
nad) andern Erwerbömitteln fuchen, was wiederum ben 
il hatte, Daß diefelben hierdurch gendtigt wurden, nun ihren 
dient noch mehr als fonft zu vernachlaͤßigen. — Viele 
meifter wurden Steuer und ©emeindeeinnehmer , andere 
ten die DBürgermeiftereifchreibereien, woburd fie mit den 
ürgern häufig in gehäffige Verhältniffe verwidelt wurden. 
Vom Jahre 1798 an zeigte das franzöfifche Gouvernement 
Aufmerkfamfeit für das Schulmwefen, Unter dem 9. Floreal 
ahres VI der Republik wurde nemlich von dem Regierungs- 
ſſär Rudler zu Mainz die Errichtung von Primär: , Ben- 
und Spezialfehulen in den mit Frankreich vereinigten ehemals 
en Landen auf dem linken Rheinufer, weldye die Departes 
vom Donneröberg, von der Saar, Rhein und Mofel, und 
ver bildeten, angeordnet. 
Die Primärfchulen follten in Knaben: und Mädchenfchulen 
it und in denſelben follte Leſen, Sihreiben, Sittenlehre 





— 106 — 


und franzöfifche Sprache, aber Teine confeffionelle Religiondich, 
gelehrt werden. | 

Das Geſetz von 11 Floreal X. Jahres, durch weldes De; 
öffentliche Unterricht in Frankreich organifirt wird, teilt die öffent: 
lien Unterrichtsanftalten in 1) Primärjchulen, 2) Sefundär- 
Ihulen, 3) Lyceen und Specialjchulen. 

Die unter 1 und 2 angegebenen Schulen follten auf Koften 
der Gemeinde, die unter 3 bezeichneten dagegen auf Koften der 
Staatdcaffe errichtet werden. 

Nach den näheren Beftimmungen dieſes Geſetzes werden bie 
Lehrer der Primärfchulen durch die Maired und Municipalräte 
gewält. Ihre Befoldung beftandb in einer Wohnung, welche die 
bürgerliche Gemeinde ftelte, und in einem von den Munizipal: 
räten vorzufchlagenden, der Genehmigung des Präfekten zu unter 
legenden Gehalt, welchen die Eltern der Schulfinder zu bezalen 
hatten. | 

Das Faiferlihe Dekret vom 17. März 1808 handelt von 
der Errichtung der Faiferlihen Univerfität zu Paris und deren 
Beziehung zu fämmtlichen Unterrihtsanftalten Franfreichd. Durch 
$. 107 wurde ber Univerfität die Verpflichtung auferlegt, bafüt 
zu forgen, daß in den PBrimärfchulen gute Methoden für den 
Leſe-, Schreib- und Nechnenunterricht eingeführt, und zu dieſem 

Zweck Normarklaffen zur Bildung der Primärlehrer mit den % 
ceen verbunden werben. 

Die andern nachfolgenden Dekrete vom 11. Dez. 1808 
und 4. Juni 1809 betrafen nur bie faiferliche Univerfität. In 
dem Zaijerlichen Dekret vom 15. November 1811 dagegen waren 
in 6. 192 binfichtlich der Primaͤrſchulen nachfolgende Beſtimmungen 
gegeben: So lange durd den Kaifer die Mittel, ben Glementa” 
unterricht in der ganzen Ausdehnung des Reichs zu verbeßern und 
ficher zu ftellen, noch nicht beftimmt worden wären, hätten DI 
Präfekten, Unterpräfeften und Maires die Aufficht über die Schul!" 
zu führen und ihre Berichte über diefelben an die ihnen vord* 
jeßten Behörden zu richten. 

Die ‚Anftelung der Lehrer henge vom Großmeifter pe 
Univerfität ab, und die Inſpektoren der Akademie hätten vorziẽs 





— 107 — 


lich darauf zu fehen, daß die Schullehrer ihren Unterricht nicht 
über dad Leſen, Schreiben und Rechnen ausdehnten, und daß fie 
die hierauf Bezug habenden Vorfchriften beobachteten. In Bes 
mäßheit diefer Gefege wurde zu Mainz ein Lyceum und zu Worms 
ine Sefundärjchule errichtet. 

Für die Primärfchulen und den Slementarunterricht Dagegen 
geſchah gar nichts. Eine Normarfchule zur Ausbildung zukünftiger 
Lehrer wurde nicht errichtet. Die diefem Stande fi) widmenden 
leute konnten fich daher nur notdürftig und mangelhaft für Ihren 
Beruf vorbereiten. 

Eben fo wenig war man darauf bedacht, die Gehalte zu 
verbeßern und feft zu ftellen, woburd die Lehrer in der klaͤg⸗ 
lichſten Abhängigleit von den Gemeinden erhalten wurden. 

Es beftand Feine Anordnung, welche die Eltern verpflichtete, 
ihre Kinder die öffentliche Schule befuchen zu laßen. Der ärmere 
Teil der Bewohner entzog daher in der Regel, um das Schulgeld 
zu erfparen, feine Kinder dem Schulbefuh. — Diefer Zuftand 
dauerte bis 1815. Die Trennung des Landes von Frankreich 
durch den Friedensſchluß von 1814 führte zugleich Aenderungen 
den bis zu dieſem Zeitpunkt beſtandenen Schuleinrichtungen 
erbei. 

Das Lyceum zu Mainz war während der Blokade von 1814 
beinahe aufgelöft, weil die meiften Lehrer, geborene Franzofen, die 
Stadt vor Beginn der Belagerung verlaßen und fich ind Innere 
von Franfreich begeben hatten. Bald nad) dem Abzug der frans 
zöͤfiſchen Truppen von Mainz wurde daſelbſt ein proviforifches 
Gymnaſium errichtet; die Gehalte der Lehrer wurden auf bie 
Einkünfte des ehemaligen Mainzer. Univerfitätsfonds angewieſen. 

Der Generalgonverneur vom Mittelrhein, Yuftus Gruner, 
nannte im Jahr 1814 ben Hofrath Jung und ben ehemaligen 
Rector der Akademie von Mainz, Butenfchön, zu Inſpektoren 
iber ſaͤmmtliche öffentliche UnterrichtSanftalten feines Verwaltungs: 
bezirkes. In einer ſpaͤteren Verordnung wurde von dem General» 
ſouverneur beftimmt, daß die Schullehrer auf dem Lande nad 
M Vorschlag des Ortspfarrerd und Buͤrgermeiſters und nach vor- 
ingiger Prüfung der Lehrer der Normalſchule (welche im De 


— 108 — 


partement vom Donneräberg jedoch nicht beftand) von ben Ce m 
vernementöfommiffären ernannt, daß die Ginfammlung der Si a 
gelder nicht durch den Schullehrer, fondern dur den Ort 
ftand geſchehen follte und daß der Pfarrer jedes Orts ad D 
natürliche Vorftand und Auffeher der Schule zu betrachten fei. 

An der Stelle ded Generalgouvernements vom Mittelrhein 
traten den 16. Juli 1814 für die Stadt Mainz eine dafelbit ein- 
gerichtete öfterreihifche Aominiftration und für die übrigen Teile 
des Departementd vom Donnerdberg und einige anderer Bezirke 
des Rheind- und Moſel- und des Saardepartements eine ver 
einigte öfterreichifche und baierifche Adminiftration,, welche zuerfl 
ihren Sig zu Kreuznach, jpäter zu Worms hatte. Die leptere 
übertfug die Aufſicht über die öffentlichen Unterrichtsanſtalten 
ihres Bezirts den Inſpectoren Yung und Butenjchön und die um 
mittelbare Beauffichtigung der katholiſchen Schulen den Kantond 
pfarrern, die der proteftantifhen Echulen den proteſtantiſchen 
Lokalfonfiftorien. Faktiſch kamen jedoch vorgenanute Verfügungen 
nie vollftändig zum Vollzug. — Durch die Verorbnung der far 
desabminiftration vom 9. September wurden die Lofalkonfiftorien 
aufgehoben und die Verfaßung der proteftantifchen Kirche durchaus 
verändert. Man errichtete zu Worms ein der Landesadmini⸗ 
ftration untergeorbnetes Generalfonfiftorium , welches aus drei 
weltlichen und zwei geiftlichen Mitgliedern beftehen follte. An 
die Stelle der Lofalconfiftorien traten geiftliche DiftriftsinfpeftoreN- 
Obgleich diefe Einrichtungen feinen Beifall, fondern Widerſpruch 
bei der Mehrzahl der proteſtantiſchen Geiſtlichen fanden, fo mi!’ 
ben fie doch aufrecht erhalten 

In der Verordnung über die Organifirung der gedachten 
Behörden wurde denſelben jedody durchaus feine Einwirkung auf 
das Schulweſen eingeräumt, ſondern bemerkt, daß der amtlich 
Einfluß des Generalconſiſtoriums auf das untere Schulweſen bis? 
eine befondere Verordnung beflimmt werben folle; welde WE 
ordnung jedoch nicht erlaßen worden ift. 

Die vereinigten Adminiftrationen hörten auf, ald im So" 
mer 1816 das. Departement vom Donnersberg, mit Ausnah #°" 
bes Kreifeg Mainz und der Gantone Wormd und Pfedderäher #7 


— 109 — 


: Stone Baiern übergeben und die übrigen Landesteile mit 
r Stadt Mainz dem Großherzogtum Heſſen einverleibt wurden. 
Alsbald wurde für dieſelben zu Mainz eine Regierungs- 
mmiffion für jämmtlihe Zweige der Verwaltung proviforifch 
ingefegt. Als diefe Behörde im Frühjahr 1818 zu einer defini- 
iven Regierung der Provinz Rheinheſſen umgeftaltet wurde, bes 
ielt fie Die Amtdattributionen der Regierungscommiffion, ‘Die 
!eitung des öffentlichen Unterrichts der Provinz nach den früher 
wähnten gejeglihen Beflimmungen, unter der oberen Aufſicht 
‚ed Minifteriumd des Innern und der Juſtiz, gehörte zu den 
vefentlichiten Verwaltungszweigen dieſer Provinzialregierung. 

Sn den meiften Gemeinden beftanden die Schulen nach den 
verfhiedenen Religionsgenoßenfchaften getrennt. Die meiften Leb- 
er waren faft nur auf den Bezug der geringen Schulgelder an» 
jeiwiejen , welche nod) dazu von vielen Eltern verweigert wurden. 
Außerdem hatten die Schullehrer in Natur Blodengarben und 
Brot für die Beforgung des Läutens zu empfangen. Ginige 
‘chrerftellen waren mit Grundbefiß dotirt. Man kann annehmen, 
a8 die meiften Gehalte Faum über 100 fl. betrugen und daß 
eren Bezug die Lehrer oft in Die unangenehmften Zwiftigfeiten 
it den Beitragspflichtigen verwidelte. In mehreren Heinen Ge 
einden beftanden brei Schulen, von denen jede ihrem Lehrer 
um 60 fl. einbrachte. 

Betrug die Zal der jchulfähigen Kinder einer Religionsge⸗ 
zenſchaft über 150, fo hatte der Lehrer derfelben ein erträg- 
es Ausfommen, während der Lehrer der anderen Gonfeffion 
einer Schule von 10 bis 20 Kindern und bei einer Ginnahme 
T 40 fl. als Taglöhner fein Xeben notdürftig friften mufte. 

Gewöhnlich bildeten in den ehemals Furpfälzifchen Orten die 
formirten die Mehrzal und die Fatholifchen Schulen waren da- 
° in dem jammervollften Zuftand. 

Die Kirchenfonds, durch den Verluſt vieler Einkünfte in 
Rn pfälziichen Orten auf geringe Almofenfonds befchränkt, in 
N übrigen Gemeinden durch die Verweigerung der Grundzinfen 
d unregelmäßige Verwaltung gefehwächt , reichten nicht hin, um 

Ausgaben für den Gottesdienſt zu beftreiten. Die Unterhals 


— 110 — 


tung der firchlichen Gebäude wurde daher eine brüdende X 
die bürgerlichen Gemeinden, welche fi) nun um fo fühlbarer &ı 
weil während der franzöfiihen Verwaltung wenig für bie I 
tung und Verbeßerung der Firchlichen Gebäude geſchah, inde 
Ueberſchüße der Gemeindekaſſen in die Dienftkafle zu Paris 
liefert werden muften, und deren Rüdbezug mit vielen Hinden 
und Schwierigfeiten für die betheiligten Gemeinden verbunden 

Die Gehalte, welche die Lehrer ald Drganiften und fi 
diener zu beziehen hatten, waren daher ſehr unbedeutend, un 
Ichränften ſich meiſtens auf den Ertrag der Kaſualien. 

Daun wurde der Eläglicye Zuftand der meiften Schulge 
bei der vorangegangenen langjährigen Vernachläßigung der 
und’ der bei der außerordentlihen Zunahme der Bevölkeru 
ben legten 30 Jahren beinahe verboppelten Zahl der Schul 
nun um fo auffallender. Ueberhaupt war ed Ddringendes B 
nis, daß viele Schulhäufer von Grund auf neu erbaut, unl 
nahe alle übrigen erweitert und verbeßert wurden. 

Nicht minder Eäglid war der innere Zuftand der Sd 
Man beiehränfte ſich auf Den Unterricht im Lejen, Schreiben 
auf memoriele Einübung des Katechismus. Diefe Gegen 
wurden in ganz mechanischer Weife in der Schule getrieben, 
der Stod dabei in der Regel fleißig angewandt. Das med 
Rechnen, hoͤchſtens einſchließlich der Regeldetri, lehrte man gei 
Ih im Winter in Abendſtunden, die bejonders bezalt w 
‚muften, wodurd die Mehrzal der Kinder von der Teilnahn 
dieſem Unterricht ſich ausgeſchloßen ſah. 

In vielen Gemeinden war es gewöhnlidy, daß die Mi 
nicht jchreiben lernten. 

Eben fo wenig fand man zwedimäßige Bücher in den 
len eingeführt, wodurch eine ftufenmweife Entwidlung des € 
‚hätte mitgefördert werden fönnen. In den Fatholifhen S 
war gemwöhnlid eine furze, notbürftige bibliſche Geſchichte, 
ABCBuch und der Mainziiche Katechismus eingeführt, u 
wenigen fand man eine Ueberſetzung der Evangelien vor. J 
proteftantiihen Schulen jah es nicht beßer aus. Ein ABC 
eine Sammlung einiger Pfalmen, der Heidelberger Kate 





— 11 — 


in Den reformirten, der Fleine Iutherifche in den lutheriſchen Schu: 
Im, und ein böchft fehlerhaft gebrudted neues Teftament waren die 
Bücher, welche in diefen Schulen gebräudhlid waren. Gewöhnlich) 
mdigte die Winterfchule vor Oſtern. Während des Sommers 
hörte in beinahe allen Drten der Unterricht auf, und nahm im 
November erft wieder feinen Anfang. 

'Der einzige Zwed des Unterrichtd ſchien in beinahe allen 
Schulen der zu fein: die Kinder jahrelang mit dem Buchſtabiren 
u quälen, fie dann einige jahre mit dem Lejen in den Palmen 
und dem Teftament binzubalten, damit fie den Katechismus und 
einige geiftliche Lieder mit Hülfe des Stodd auswendig lernen und 
dann nad vorhergegangenem 6 wöchigen Konfirmandenunterricht 
durch den Geiftlichen zur Konfirmation zugelaßen werden konuten. 

Man darf fih nit wundern, daß bei einem folchen beinahe 
ſtarr gewordenen Zuſtand der Schulen felbft talentvolle Lehrer in 
dem hergebrachten Schlendrian ſich ohne Ahnung ihres wahrhaf- 
ten Berufs bewegten, daß die meiften Bewohner ded Landes dad 
Vebürfnid für eine wolthätige Umgeftaltung der Schulen nicht 
fühlten, ja fogar einen Wiberwillen dagegen empfanden, und baß 
diele Geiftliche zufrieden waren, wenn die ihren Konfirmandenuns 
terricht bejuchenden Kinder fertig lefen, und den Katechismus ohne 
Stoden herſagen konnten. 

Ein nicht minder bedeutendes Hindernis für die Verbeßerung 
der Schulen beſtand in dem gänzlichen Mangel an gut vorberei- 
teten Scullandidaten. Höchſt jelten widmete fi ein mit den 
erfo rderlichen Eigenſchaften begabter junger Mann diefem Beruf, 
dee weder ehrende Anerkennung noch ein gegen die naͤchſten Les 
ben sbedürfniſſe ſicherndes Auskommen verſprach. Gewoͤhnlich hiel— 
ten fich dergleichen Leure eine Zeit lang bei einem Schullehrer als 
GSe huͤlfen auf, und der ihnen erteilte Unterricht beſtand darin, daß 
fie die Kinder im Leſen üben halfen, fie den Katechismus herſagen 
liefen, und im Orgelfpiel notdürftige Gewandtheit ſich anzueignen 
ſuchten. Lenntniſſe in den einfachſten Grundregeln der Mutter⸗ 
ſprache und der Rechtſchreibung, in den Aufangsgründen der Form⸗ 
und Zahlenlehre, des Geſangs, Bekauntſchaft mit der bibliſchen 

eſchichte war beinahe allen Schulcandidaten gänzlich fremd. 


— 112 — 


Die heffifche Negierungscommiffion war bei dem Beglı 
ihrer Verwaltung mit dem innern Zuſtand der Schulen unbefant 
Sie konnte in dem erften Jahr auf diefen wichtigen GBegenftaı 
wenig ihre Sorge richten, weil die mit jeder Landesveränderun 
verbundenen Auseinanderfeßgungen, der Uebergang in einen ander 
Buftand aus dem vorhergegangenen zunähft ihre Thätigkeit 
Anfpruch nehmen mufte. In den Jahren 1817 bi 1818 w 
außerdem die Regelung des während der Kriegsjahre in Unox 
nung gerathenen Gemeindehaushalts, die Tilgung der Gemeint 
fchulden und die Sorge für Die bei den damals hohen Frud 
preißen notleidende ärmfte Claſſe der Bewohner jchreiender ızı 
näber liegend als die Verbeßerung der Schulen, welche, was der 
finanziellen Teil betrifft, von der Feftftellung des @emeinbehaus 
halts im Wefentlichften abhängig war. Gleichwol fuchte man fid 
durch eine genaue Aufnahme der Schulbejoldungen und der Schul 
gebäude wenigftend über das Aeußere der Schulen die nötigen 
Kenntniffe zu erwerben. Im Laufe der naͤchſten Jahre wurden 
fodann alle Schulen des Landes von einem Mitglied der Regie 
rung unter Buziehung der Ortsgeiftlihden und Bürgermeifter be 
ſucht und über deren Zuftand, den Fleiß, die Kenntniffe der Lehrer 
wurden detaillirte Beſchreibungen entworfen. 

Man verſuchte die Sommerjchulen allgemein einzuführen. 
Da aber eine Verordnung fehlte, wodurch die Eltern mittelft ge 
ringer Geldftrafen verpflichtet werden konnten, ihre Kinder ohnt 
bejondere Erlaubnis dem Beſuch der öffentlichen Schule nicht zu 
entziehen, jo mufte bei dem leider zu fehr verbreiteten Stumpffim! 
gegen die Verbeßerung des Unterrichts dieſe woltätige Masreg' 
in vielen Gemeinden von ſchwachem Erfolg bleiben. Es lag auß 
der Amtöbefugnis der Provinzialregierung eine ſolche Anorbnugs 
für den Schulbeſuch zu treffen, weil dieſe nach den beftehend‘ 
Geſetzen von ber oberften Staatsbehörde ausgehen mufte. 

Nicht minder war die Thätigfeit der Verwaltung dahin g 
richtet, die Schulgebäude in beßern Stand feßen, neue, dauerhaß 
Häufer in den Orten, wo die Not am gröften war, aufführen 3 
laßen, die Schulbefoldungen ficher zu ftellen und fie, wo es de 
Kräfte der Gemeinden irgend geftatteten, zu erhöhen, bie Raturas 


— 113 — 


behandteite, Brote, Glodengarben und dergleichen in Geld zu ver- 
wandeln, die Echullehrer von der Erhebung ihrer Befoldungen zu 
befreien, diefe den Ginnehmer zu übertragen, und den Gehalt in 
monatlihen Raten an den Lehrer ausbezalen zu laßen. 

Um e8 zu verhindern, daß aͤrmere Bürger die Kinder wegen 
der Bezalung des für fie zu drüdenden Schulgeld8 vom Scyulbe- 
ſuch zurückhielten, verfügte men, daß das Schulgeld für ſolche 

: Rinder, ſo wie die für fie nötigen Bücher, Papier, Schiefertafeln 

a. dgl. aus den Gemeindekaſſen angefchafft werben follten. Bu- 

; gleich verfuchte es die Regierung in den weltlichen Ortsvorftänden 

dadurch mehr Teilnahme für das Wohl der Schule zn erweden, 

dab fie es denſelben zur Pflicht machte, die Schulen ihrer Ge⸗ 
meinden fleißig zu beſuchen, darauf zu ſehen, daß Ferien über die 
gefepliche Vorjchrift nicht ausgedehnt und die Schulen nicht ver- 
fäumt würden. Diefe Anordnung wurde von manchen @eiftlichen 
leider in irriger Anficht aufgenommen , indem fie Daraus folgern 
wollten, daß der Bürgermeifter zum alleinigen Auffeher der Schule 
befimmt fei, während die Regierung fich Doch ftetS beftrebte, die 

Beiflichen für die Schulen zu intereffiren, und diejenigen, welche 

denſelben ſich mit Gifer wibmeten, möglichft hierbei unterftüßte 

! und förberte. 

t Der Mangel an gutgebildeten Schulcandidaten machte — 
wie ſchon früher bemerkt — eine durchgreifende Verbeßerung des 
Unterrichts unmöglich. Obgleich die diefem Stand fi Widmenden 
bei der in Mainz errichteten Prüfungsbehörbe ſich einer Prüfung 
uesgiehen muften,, jo überzeugte man fi doch bald, daß man 
die Sorderungen hinfichtlich der Kenntniffe und Berufsbildung dieſer 
Leute ſehr tief herabzuſtimmen habe. So konnte es auch nicht 
dermieden werden, daß in den erſten Jahren manche ganz unfähige 
Individuen als Lehrer angeftellt wurden. 

Die fihere Ausfiht auf eine neue beßere Geftaltung der 
egufen eröffnete ſich erſt Damals, als im Herbſt 1817 das Schul: 
lehrerſeminar für Zöglinge evangeliſcher Confeſſion zu Friedberg 
degründet wurde, und als ſpäter die früher zu Bensheim beſtandene 

5 Ormaljchule für Lehrer katholiſcher Gonfeffion eine der Fried⸗ 


erger Anftalt analoge Einrichtung und Ausdehnung erhielt. — 
Deppe, Boltsigulweien, 2. ð 





| ee nn RT 


— 114 — 


Bugleih gewann damals die Volksſchule in Mainz ;einen 
neuen, überaus fruchtbaren Boden. Es geſchah Dies infolge 
außerorbentlihen Not, weldye in den Jahren 1816 — 1817 
Armeren Klaffen in den Etädten drüdte. 

Mit der fleigenden Theuerung aller Bebürfnifje flieg daı 
die Bettelei zu Mainz zu einem fchredenerregenden Grade. ©ı 
ren zerlumpter Kinder baten jeden Vorübergehenden auf der Ei 
um Wlmofen, und die vermögenderen Einwohner fonnten fü 
ihren Wohnungen faum bes Andrange der Bettler erwel 
Wenn unter Diefen fich auch viele wahrhaft Nothleidende befan 
jo war es doch eben fo gewis, daß arbeitsjchened lüberlicdyes 
findel dieſen Vorwand gierig benußte, um ſich dem Müßig 
um fo mehr zu überlaßen und die Mildthätigleit vermöge 
Bürger um fo ftärfer in Anfprucd zu nehmen. Die Provin 
regierung theilte daher dem Stadtrat) von Mainz ein Project 
eine durchgreifende Verbeßerung des Armenweſens mit, wel 
von dieſem mit Dank angenommen und ſofort zur Ausführ 
gebracht wurde. Man ſchuf eine Centralarmencommiſſ 
mit einzelnen Armenvorftänden, deren Thätigfeit darauf geric 
war, ben wahrhaft hülfsbebürftigen Hausarmen beizuftehen, 
die Urfachen ihrer Verarmung zu entfernen. Deshalb fanden 
Arme unentgeltliche Arztlihe Hülfe und Arzneimittel, Sie wu 
in Bezalung ihres Hauszinfes, bei Ankauf des Holzes und 
Wintervorräte unterftüßt. Burüdgelommenen Handwerkern le 
man Vorſchüße, damit fie ihr Gewerbe betreiben Efonnten. V 
tätig gefinnte Frauen unterftüßten zugleich dieſe Behörden d 
Beiträge an Geld, Nahrungsmitteln, Weißzeug und ihre © 
- für arme Wöchnerinnen. Allein der wefentlichfte Zwed der ga 
Unternehmung war auf die beßere Erziehung der Kinder jo 
armen Familien gerichtet. Daher wurde, fobald ſich die mit 
Leitung des Armenweſens beauftragten MBehörden eine ge 
Kenntnis von dem Zuſtand der bebürftigen Yamilien verjc 
hatten, eine Knaben- und eine Mädchenfchule für die Kü 
weldhe dem Müßiggang und der Bettelei am meiften fich hinge 
in einem ber Statt gehörigen Gebäude eingerichtet, und d 
gejorgt, daß die Kinder von Morgens 8 Uhr bis Abende 7 


— 15 — 


in der Schule unter Auffiht blieben. Sie erhielten ihr Morgen⸗ 
Brot, Mittags eine gefunde nahrhafte Suppe mit Brot, und gegen 
Abend abermals Brot. 

Für die Knaben wurde ein waderer junger Lehrer und für 
die Mädchen eine tüchtige Grzieherin angenommen. Die woltätigen 
Wirkungen dieſer Schule zeigten ſich bald auf eine fehr erfreuliche 
Weile. Die Schaar von Bettellindern war durch diefe Anftalt 
verihwunden. Es dauerte nicht lange, fo entwidelte ſich unter 
diefen, früher fo vernachläßigten Kindern Sinn für Ordnung, 
Reinlichkeit und Fleiß. Den armen Eltern widerfuhr eine große 
Boltat, indem fie beinahe aller Sorge für ihre Kinder überhoben 
waren. Diejenigen, weldje in ihrer häuslichen Umgebung fein 
guted Beiſpiel fahen, waren den nachteiligen Wirkungen biefes 
Beiipield wenig mehr ausgeſetzt. Auch bejchränkte ſich die Sorge 
der Armentommiffion nicht nur auf ben Unterricht und die Ver⸗ 
öfigung der Kinder, ſondern umfafte zugleich ihre Bekleidung 
und, nach zurüdgelegten Schuljahren, die Unterbringung der Kna⸗ 
ben bei braven Meiftern, die der Mädchen bei zuverläßigen Fa— 
milien. Beide Schulen zählten zufammen 300 Kinder. 

Ginen ſehr wichtigen Einfluß auf die Verbeßerung der Schul: 
Ioffale der Dörfer übte die gegen dad Ende ded Jahres 1819 
folgende Gründung eined Fonds für die Verbeßerung der Kir- 
chen⸗, Pfarr: und Schulgebäude der Provinz Rheinheffen aus. Nach 

dem Yon ber franzöfiichen Regierung unter dem 15. Septbr. 1807 
erlaßenen Geſetz follten 10 Procent von den Einkünften des Grund⸗ 
vermögens der Gemeinden abgezogen werden, um hieraus einen 
gemeinschaftlichen Fonds zur Unterftüßung der Gemeinden bei dem 
Daun und der Unterhaltung von Kirchen und Pfarrhäufern zu 
gtünden. Später, als bie Gemeindegüter im Jahr 1813 zur 
Veräußerung famen, wurde verfügt, daß den Gemeinden eine dem 
tinen Ertrag gleihkommende, von dem Staatdrat zu beftimmende 

te aus der franzdfifhen Tilgungsfaffe bezalt werben jolle, 
Worauf nad dem kaiſerlichen Decret vom November 1813, 10 
Pro cent zur Bildung gedachter Renten von den Steigſchillingen 
er veraͤußerten Güter in Abzug gebracht werben ſollten. Da nun 
iefe gejeglichen Beſtimmungen durch keine ſpaͤtere Verordnung 

8 


— 16 + 


aufgehoben waren, und es eine Ungerechtigkeit gegen bie ı 
Bemeindevermögen befigenden Communen gewejen wäre, jie 
Bezalung der 10 Procent anzuhalten, während die übrigen, 
das ihrige veräußert hatten, von diefer Abgabe freigeblieben, ı 
da bei dem dur die im Gefolge der politijchen Aenderung 
ſehr gefchwächten Kirchen- und Gemeindevermögen Die ärme 
Bcmeinden nicht im Stande waren, ihre kirchlichen und Sch 
gebäude zu unterhalten, fo wurde von dem Großherzog Ludr 
verordnet, daß 

1) in Gemäßheit und analoger Anwendung ber bejtehen! 
Bejepgebung zum Behuf der Bildung eines der Provinz Rh 
heſſen ausfchließlic, eigenen allgemeinen Kirchen- und Schulfor 
für die drei hriftlichen Confeſſionen von dem Erlös aller in die 
Provinz feit dem Jahre 1813 bis jeßt verkauften und noch kün| 
zu verfaufenden Gemeindegüter 10 Procent erhoben, und 
Großh. Beneralfaße verzinslch angelegt werben; 

2) daß der Betrag der auf fünf Procent feitzufegen! 
Binfen aus dem hierdurch gebildeten Kapital zur Grhaltung ı 
Kirchen, Pfarr» und Echulgebäuden verwendet werden; 

3) daß, um diefen Fonds jo fchnell wie möglidy und ol 
befondere Belaftung der dazu pflichtigen Gemeinden zu bild 
der von der Regierung feftzufegende Beitrag einer jeden von | 
noch nicht angewieſenen Beträgen entnommen werden jollte, wel 
denjelben Gemeinden in der franzöfiichen Liquidation: Averfior 
maſſe zuftändig wären; | 

4) daß Diejenigen Gemeinden, welde aus vorgebachter Mi 
weniger erhielten, ald der für ihre verkauften Gemeindegüter ſch 
dige Beitrag zum allgemeinen Kirchen: und Schulfond ausma 
den Reſt des Beitrags aus ihrem Patrimonialvermögen ein 
ſchließen gehalten fein follten; 

5) daß jedoch Diejenigen unter den im vorerwähnten % 
fich befindenden Gemeinden, welche fein gemeinheitlicyes Vermö 
mehr beſäßen und den ganzen Erlög ihrer verfauften Güter ber 
zur Edyuldentilgung verwendet hätten, nicht gehalten jein fol 
das Sehlende ihres Beitrags durch Umlage aufzubringen, font 
daß ihnen geftattet werde, dieſen fchuldigen Reſt mit jährlich | 


— 117 — 


Procent zu verzinfen und den Betrag biefer jedesmal in das 
Budget zu begreifenden Binfen jährlih an den Cinnehmer des 
allgemeinen Kirchen- und Schulfonds abzuliefern, und daß dieſe 
Binfen glei) jenen aus ber Generalfaffe ihrer Beftimmung gemäß 
verwendet werben jollten; 

6) Daß zu demjelben Zweck fernerhin wie bisher Diejenigen 
Gemeinden, welche noch unveräußertes Grundeigentum hätten, den 
zehnten Teil der davon fallenden Einkünfte an den allgemeinen 
Kirchen und Schulfonds entrichten follten. 

Der jo gebildete Baufonds befaß infolge Ddiefer Anordnung 
gegen dad Ende 1823 ein Kapitalvermögen von nahe an 250,000 fl. 
Die hiervon jährlich fallenden Zinſen brachten natürlich zur Ver: 
beßerung der früher fo fehr vernachläßigten Kirchen, Pfarr- und 
Schulgebäude den wefentlichften Nutzen. 

Auch die im Jahr 1819 errichtete Schullehrerwittwen- 
und Waifenanftalt war eine der gröften Wolthaten, welche 
die Staatsregierung allen Gliedern des Lehrerftands erwies. 

Nah den Statuten dieſer Auftalt *) hatte jeder Teilnehmer 
bei feinem Eintritt in Diefelbe fünf vom Hundert, und an jähr- 
lichen Beiträgen eins vom Hundert feiner Befoldung zu entrichten. 
Betrug ter Gehalt unter 200 fl., jo war die Gemeinde verpflidh- 
tet, aus ihrer Kaffe fowol die Eintrittögelder als den jährlichen 
Beitrag zu leiften. ' 

Dem Wittwenfonds waren zugleich aus anderen Kaffen und 
tinigen wolftehenden Kirchenfonds regelmäßige jährliche Zuſchüße, 
und ein zu dieſem Zweck ſchon früher gebildeted Kapital von 
6000 fl. überwiefen worden. Die den Wittwen und Waiſen be- 
willigten Benfionen- betrugen für die der erften Klaſſe 75 fl., für 
die der zweiten 50 fl. jährlid). Jeder definitiv angeftellte Schul- 
lehrer war zum Gintritt in die Geſellſchaft verpflichtet. | 

Von dem Herbft 1819 an, wo die erften Böglinge aus der 
Friedberger Anſtalt nach zweijährigem Aufenthalt daſelbſt entlaſſen 


— — 


keh 5) Dieſelben finden ſich abgedruckt in dem Freim. Jahrb. der allgem. deut- 
en Koltsfhulen B. I. ©. 450 ff. 


— 118 — 


wurden, begann Die neuefte und zugleich wichtigfte Epoche für bi: 
Verbeßerung der Schulen in Rheinheffen. Es wurden damalt 
fünf Zöglinge des Seminars angeftelt. Tiefelben hatten in 
Anfang mit nicht geringen Vorurteilen ſchon um deswillen zı 
fämpfen, weil jede Aenderung in langhergebrachtem Schlendria: 
des Unterrichtd als eine gefährliche Neuerung erfcheint. Nament 
li) wurde das Lefen nady der Lautirmethode, der Glementarge 
fangunterriht nah Ziffern, das Bemühen der Lehrer eine rein 
Sprache den Kindern anzugewöhnen und fie mit den Regeln ber 
felben vertraut zu machen, in den erften Monaten, wenn nid 
gradezu als Xollheit, doch immer als höchſt gefährliche Nenerun; 
aufgenommen. Doch verſchwanden dieſe Vorurteile, als die Elter: 
nach kurzer Zeit von den auffallenden, bis dahin in den Schule 
ungewöhnlichen Fortjehritten ihrer Kinder fich überzeugen mufter 
Auch wirkte der in ſolchen Schulen eingeführte mehrftimmige Ge 
fang fehr gut auf die Gemeinden. Gedachte Vorurteile verjchwar 
den daher fehr bald, und die Bewohner foldyer Orte, wo neu 
Lehrer wirkten, wurden ftolz darauf, eine Schule nach der neue 
Lehre — fo benannte man den verbeßerten Unterriht — zu br 
figen. 

Bei der Anftellung ber Lehrer befolgte die Regierung feitben 
folgendes Verfahren: der Lehrer wurde nach vorgängiger Prüfum 
provijorifch während eines Beitraumd von ein bis zwei Jahre 
angeftellt. Während dieſer Zeit wurde feine Schule ein-, wo mög 
lich zweimal von dem Referenten in Schulfadyen bei der Provin 
zialregierung genau unterſucht. Fiel dieſe Unterfuchung zum Vor 
teile des Lehrers aus, jo wurde derjelbe gegen Ablauf der Probe 
zeit von der Prüfungscommilfion zu Mainz in Gegenwart de: 
Referenten geprüft, wobei er zugleidh einige ihm vorher aufgege 
bene pädagogifche Arbeiten liefern mufte. Dann wurde der Geift 
liche und Ortsvorftand zum VBericht über die Aufführung des Leh 
rers aufgefordert. Wenn dieſe ihm ein genügendes Zeugnis er 
teilten, und die legte Prüfung günftig für ihn ſprach, fo erbiel 
er alddann feine definitive Anftellung. 

Die Unterrichtögegenftände- in Den neuen verbeßerten Schulen 
waren folgende: 


— 119 — 


ibliſche Geſchichte des alten und neuen Teftaments nad 
's Anleitung; 2) Religionslehre; 3) Katechismus; 4) 
pradhlehre; 5) Formen⸗ und Zahlenlehre, Ichtere ver- 
t Kopfrechnen; 6) Erbbeichreibung in allgemeinen Zügen, 
uropa ausführlicher, die von Deutfchland am ausführs 
) das Wiffenswürdigfte aud der Naturlehre und Natur: 
8) Lautiren, Leſen, Schoͤn⸗ und NRichtigichreiben; 9) 
jefanglehre, zulegt mehrftimmiger Geſang; 10) die Haupts 
er vaterländifchen Geſchichte. 

jyei wurde ſtets beobachtet, daß bei früher verwahrloften 
ı dem erften Sabre zunächft auf Die Verbeßerung des 
nen, Schreib: und Geſangunterrichts gewirkt, und bie 
terrichtögegenflände mit Vorjicht allmählich eingeführt 


Einfluß der jüngeren Lehrer befchräntte ſich nicht allein 
ven übergebenen Schulen, fondern auch auf viele andere 
ı Lehrern geführte. Wehrere derfelben fanden fid, nun 
ihren jüngeren Amtsbrüdern nachzueifern. Sie bejucdhten 
n derfelben, ſchloßen ſich in Freundſchaft an dieſe an, 
n bei ihnen ſelbſt Unterricht in der Pädagogik. 

die Gmpfänglicykeit der Gemeinden und vieler Geiſt—⸗ 
die Verbeßerung der Schulen nahm in den legten Jah⸗ 
fallender Weife zu. Manche Gemeinden Tlagten über 
ten Zuſtand ihrer Schule. Sie erboten fi die unfähis 
zu penfioniren und die Gehalte unter der Bedingung, 
geichicdte junge Lehrer gegeben würden, zu erhöhen. 
geftaltete die Stadt Alzei im Verlauf eined Jahres 
lobenswürdigfte Anftrengung ihre im tiefen Verfall bes 
Schulen durd bedeutende Anftrengungen von Grund 


en, deren Schulen in fehr ſchlechtem Zuftand gefunden 
ren, feßte man einen Termin, gewöhnlich von mindeftens 
r, um ihre Schule zu beßern, zugleich gab man denſel⸗ 
Rittel Hierzu zu gelangen an. Erſt wenn man genau 
atte, daß diefe mwolgemeinten Ratjchläge ohne Erfolg 
wurde der Weg ber Strenge gegen fie cingejchlagen. 


l- 





— 120 — 


Solche Individuen wurden ſodann nach vorhergegangener contr 
dictoriſcher Unterſuchung durch einen alle Motive ausführlich en 
haltenden Beſchluß von ihrem Amt entfernt. Alle Verfügung 
diefer Art erhielten bei den dagegen bei dem Staatöminifteriu 
eingelegten Berufungen die hoͤchſte Beſtätigung. 

Einen mefentlichen Einfluß auf bie Förderung tes Schu 
wefens in Rheinhefien hatte nicht minder die Verwendung der ve 
den Ständen des Großherzogtumd von 1821 an jährli verm 
ligten 10,000 fl. zur Verbeßerung der Landſchulen des ganz 
Großherzogtum. 

Der von diefer Summe der Provinz Rheinheflen zukommen 
Anteil wurde zur ftändigen Verbeßerung der gering dotirten SIE 
len in den Fleineren ärmeren Gemeinden, und zu Gratificatiora 
für Schullehrer verwendet. 

An Gratificationen waren bis 1823 über 3000 fl. w 
biefer Summe ausgeteilt worden. Man folgte bei deren Verd 
ung hauptfächtlicy der Anficht, den größeren Betrag derjelben D 
älteren Lehrern anzuweiſen, welche fich durch vorzüglichen Fla 
und das Beftreben ihren Unterricht zu verbeßern auszeichnet« 
Den Heineren Teil der Gratificationen erhielten hingegen die « 
geringften befoldeten Lehrer, welche zugleich durch eine tabell ı 
Aufführung fich auszeichneten. 

Im Frühjahr 1823 wurden die erften Zöglinge aus d« 
fatholifhen Schullehrerjeminar zu Bensheim entlaßen. Sehe a 
Rheinheſſen gebürtige Sünglinge kehrten nach anderthalbjährige 
Aufenthalt aus dieſer Anftalt zurüd und wurden nach vorherg 
gangener Prüfung proviforiich angeſtellt. Im Sommer 182 
wurde auch eine allgemeine Lejegefelichaft für die Echullehrer d 
Provinz Rheinhefjen errichtet, und hierdurch einem Tang gefühlte 
Bedürfnis der nach weiterer Ausbildung ftrebenden Lehrer ai 
geholfen. | 

Somit hatte man aljo in den legten Jahren zur Hebun 
des Volksſchulweſens in Rheinheſſen Vieles gethan; aber w 
Vieles erſt noch gethan werden muſte, erhellt daraus, da 
man noch im Jahre 1821 über die Schulen in Rheinheſſe 


— 121 — 


klagte ). „Noch immer berrfcht im Allgemeinen das alte Unweſen 
In feiner ganzen Häßlichkeit, noch immer wachfen hunderte, ja 
tanfende von Kindern ohne Unterricht auf, weil weder Verordnung 
noch Borftand fie zur Schule anhält; noch immer fehmachtet ein 
großer Teil der Landfchullehrer ohne Gehalt, währendbem andere 
durch förende, ihrem Dienfte nicht angemeßene Gewerbe, als 
Botengaͤnger, Kirchweihgeiger,, Kleinhändler, Branbweinfchenter 
u. |. w. ihr notbürftiged Brot zu verdienen fid) gezwungen fahen, 
eBrgeizigere aber fi) als Schreiber bei Bürgermeiftern und Nota⸗ 
ven verdingen und ihre Schulen durch unberufene, unfähige Knaben 
veriehen laßen; reichere endlich den Aderbau ind Größere treiben, 
wodurch auch fie an treuer Erfüllung ihrer Pflicht verhindert wer- 
den. Noch immer ſchmeckt der Unterricht felbft, wol bei weitem 
an den meiften Orten, nad) dem Sauerteige des Aberglaubens, 
der Unmwißenheit, der Rohheit, ja gänzlicher Ammoralität; noch 
immer ftößt man nirgends auf ein Lehr- oder Leſebuch, das auf 
Entwicklung des Verſtandes und auf Grheiterung bed Gemütes 
binwirkte; faft nirgends auf eine vernünftige Methode des Unter 
richts; noch immer find die meiften Schulhäufer der Sig der Un- 
fauberkeit, der Unordnung und Peftgruben für die Gefundheit ber 
darin fiber die Gebühr zufammengepfropften Kinder.“ 


VII. 
Das Königreich Würtemberg“. 


Dasjenige Land, in welchem ein eigentlihes Volksſchulweſen 
n frühften gejchaffen wurde und deſſen Einrichtungen daher für 
— — 


) „Bollksbildung im Geiſte und nad) den Bedürfniſſen unſrer Zeit, in frei⸗ 
u tigen Bemerkungen über die Boltebildung überhaupt und über das Landſchul⸗ 
"fen der Provinz Mheinheflen insbefondere“ von G. 8. Schneidler, Hoftath 
D Director des Gymnafiums zu Worms. 1821. 

) Hauptquelle ift die „Sammlung der mwürtembergifhen Schulgeſeße“ von 
i Tenlohr in Reyſchers Sammlung der würtemb. @efepe.“ 


— 12 — 


die Geftaltung der Volksſchule in vielen deutſchen Territum 
muftergültig geworden find, ift Würtemberg. Aber auch hiecı 
folgte die Begründung der Volksſchule nicht in der eigentii 
Reformationgperiode; Herzog Ulrich hatte vielmehr im 9- 
1546 alle deutſchen Schulen, welche hin und wieder in den ke 
ftädten, neben den Jateinifchen Schulen vorfamen, fchließen la’ 
damit die lateinische Bildung nicht Schaden leide. Der « 
wiürtembergifche, und der erfte deutſche Landesfürft, der den 

griff der Volksſchule klar und ficher erfafte, und zur Verwirkich 
beffelben alsbald vorfchritt, war der edle Herzog Chriſtoph. 

Wie es fcheint, gab das Vorhandenfein einzelner deutj« 
Schulen und Teutfcher, elementarer Schulflaffen,, neben den bö 
ren lateinischen Echnlen in den Städten zum Aufbau eines eige 
lichen Volksſchulweſens die naͤchſte Veranlaßung. Es hatte | 
die Thatfache feftgeftelt, daß für gewiſſe Schichten der Bevoͤl 
rung, welche der lateinischen Bildung nicht beburften, Die „deutſ 
Schule” dennoch Bedürfnid war. Auch in andern Ländern ha 
ſich daſſelbe Bedürfnis bereits thatfächlich herausgeſtellt; al 
Würtemberg war das erſte Land, worin das Schulweſen, weld 
aus dem Bedürfnis des Volkslebens faktiſch erwachſen war, 
eigentümliches „Volksſchulweſen“ begriffen wurde. Im Einga 
des Abſchnittes „von den Schulen“ wurde naͤmlich in der „gro 
Kirchenordnung“ von 1559, nachdem von den lateinifchen Schw 
gehandelt war, erklärt: 

„Al wir auch etliche nambafte und volfreidhe Fleden 
unferem Fürftentum und gemeinlich hart fchaffende Untertha 
haben, jo ihrer Urbeit halber nicht alle Zeit, wie Roth, ı 
Kinder jelbft unterrichten und weifen fönnten, damit dann 
diefelben arbeitenden Sinder in ihrer Jugend nicht verfäumt, ' 
nehmlid) aber mit dem Gebet und Catechismo, und dane 
Schreibens und Leſens ihren ſelbs und gemeinen Nugen we: 
beögleihen mit Pjalmen fingen befter baß Unterricht und cırifl 
auferzogen,, wollen wir, wo bis anher in foldhen Fleden Mei 
reien gewejen, Daß daſelbſt deutiche Schulen mit den Meßner 
zufammen angerichtet, und barauf zur Verſehung der beutfi 
Schulen und Meßnereien, von unfern verorbneten Slirchenrät 


— 123 — 


Fe und zwar eraminirte Perjonen, fo Schreibens und Leſens 
geht berichtet, auch die Jugend im Catechismo und Kirchengeſang 
antettichten könnten, verordnet werben.“ 

In dieſem Sinne wurde in der Kirchenordnung unter den 
Vieln „von den deutſchen Schulen“ und „von den Schreibern“ 
und ‚Rechenſchülern“ Die erſte Schulorduung für die würtember- 

giſhen Volksſchulen aufgeftellt. Diefelbe lautete fo: 


| „Bon deutfhen Schulen. 


„Damit auch die Jugend in und bei unfern deutfchen Schu: 
Im mit ver Furcht Gottes, rechter Lehre und guter 
| Zucht wol unterrichtet und erzogen und bierunter Gleichheit fei, 
jo wollen wir, daß in Solchem folgende Ordnung gehalten werbe: 


Bom Unterfhied der Schulkinder: 


Und demnach in etlichen deutfchen Schulen nicht allein die 
Knaben fondern auch Töchterlein zur Schule geſchickt, wollen wir, 
daf in ſolchen Schulen die Kinder abgefondert, die Knaben allein 
und die Töchterlein auch befonders gefebt und gelehrt werden, und 
der Schulmeifter Eeineswegs geftatte unter einander zu laufen ober 
mit einander unorbentlihe Gemeinichaft zu haben und zufammen 
zu fließen. 







Bon der Lehre: 


So dann der Schulmeifter die Schullinder mit Nupen leh- 
ren will, fo fol er die in 8 Häuflein teilen: 

dad eine, darin Diejenigen gefeßt, fo erft anfangen zu buch⸗ 
aben; 
| das andere, die fo anfahen die Syllaben zujammen zu 
chlahen; 

das dritte, welche anfangen leſen und ſchreiben. 

Desgleichen unter jedem Häuflein ſondere Rotten 
nachen, alſo daß diejenigen, ſo einander in jedem Häuflein zum 
Neicheften zuſammengeſetzt, damit werden die Kinder zum Fleiß 
Mgereizt, und den Schulmeiftern bie Arbeit geringert. 

Die Schulmeifter follen auch Die Kinder nicht übereilen ober 


— 14 — 


mit ihnen fortfahren, fie haben denn dasjenige, fo ibrzen dr 
Ordnung nad vorgegeben, wol und eigentlich gelernt; 

Auch mit Fleiß darauf fehen, daß fie Anfangs die Bud 
ftaben recht lernen können, derhalben dann die Ordnung de 
Alphabets zuweilen brechen, und mit Verbebung der andern unter 
ſchiedlich etlicher Buchftaben halben, wie die heißen, bad Kind 
fragen; | | 


zeigen, üben; 


Und daran fein, daß fie ihm allewegen die Buchftaben reht 


nennen, die Syllaben deutlih ausſprechen und im Xepten die 
Wörtern syllabatim unterſchiedlich und verftändlicy pronunziten, 
auch die legten Syllaben im Mund nicht verjchlagen ; 

So dann das Kind ziemlich wol lefen kann, alsdann dat 
felbe nit Echreiben unterrichten, und Vorſchriften in ein ſonder 
Büchlein, jo das Kind dazu haben fol, ihm vorzeigen, und ſich 
befleißigen , gute deutſche Buchſtaben zu machen, 

und darob halten, daß die Kinder zu ihren Schriften fondert 
Büchlein haben, und viefelben ihnen mit Fleiß examiniren, mas 
für Mängel an der Form der Buchftaben, Zufammenfeßung un 
Anhängung derjelben u. drgl. ihnen tugendlich unterfagen und 
freundlich desſelben berichten, und wie es fich darin beßern fol 
anzeigen, und in ſolchem unterweilen die Hand führen. 

Und dieweil die Kinder vor allen Dingen in der fur! 
Gottes gezogen werben follen, jo wollen wir hiermit auch, daß 
die Schulmeiſter keinem Kinde geſtatten, einige aͤrgerliche, ſchaͤnd⸗ 
liche, ſektireriſche Buͤcher oder ſonſtige unnütze Fabelſchriften in 
ihrem Lernen zu gebrauchen, ſondern daran fein, wenn fie ge 
druckte Bücher gebrauchen würden, damit fie in chriftlichen Bid’ 
lein als die Tafel, darin der Statehismus, Pſalmenbuͤhlein, 
Spruhbücdlein, Salomonis, Jeſus Sirachs, Neuen Teftamente! 
u. dgl. lernen. 

Befonders aber ift unfre Meinung, daß der Ka techiſsmus 
wie derſelbe in unfrer Kirchenordnung begriffen, auf daß alſo eine 
gleiche Form gehalten, den Kindern eingebildet und fie dahin 9" 


\ Desgleichen die, fo buchftaben, gleicher Geftalt mit Befragung 
der Buchftaben, Namen, und da fie ihm diefelben im Alphabet 


— — Da ur Ze Ze se 


Lo — 
— — 


— 115 — 


| werben, damit fie denfelbigen auswendig lernen, üben und 
verftehn und begreifen thun: zu ſolchem follen die Schul⸗ 
tin der Woche einen gewißen Tag und Stunde desjelben 
vornehmen , und den Katechismus aljo mit ihnen üben und 
en, auch einfältiglich desſelben unterrichten und ihnen ver- 
h expliciren; 

luch die Kinder in der Schule je Paar und Paar, Snaben 
tnaben,, Mägdlein gegen Mägdlein gegeneinander aufftellen, 
agen und Antworten des Katehismud unter ihnen ergehn 
jitiren laßen, damit fie gewöhnt werden, benjelben in ber 
zu der Zeit des Katechismus auch öffentlich vor der Ge⸗ 
aufzufagen. 
Desgleichen die Knaben zu gewißen Tagen und Stunden 
Woche zum Kirchengeſang gewöhnen, desſelben unter- 
und mit ihnen üben; 

Ind zu etlihen Tagen in der Woche nach Gelegenheit auf 
ewiße Zeit ihnen ein Stüd nad) den andern außer dem 
en Gifion vorgeben und fie desſelben zu unterrichten. 


Zucht. 
Die Schulmeiſter ſollen von ihren Schulkindern nicht leiden 
edulden Gotteslaͤſterung, ſchaͤndliche leichtfertige Reden, viel⸗ 
r ärgerliche Sachen und Handlungen, 
Die Ordnung auch unter den Kindern halten; damit ſie 
ich zu der Zeit, wenn der Katechismus in der Kirche ges 
vor dem Zujfammenläuten alle in der Schule erjcheinen, 
immtli von dem Schulmeifter zur Kirche geführt werben; 
arob halten, daß fie darin bleiben und dem fleißig zuhören; 
Darzu jedeömal davor etliche paar beftimmen , welche den⸗ 
in der Kirche aufſagen; 
Dedgleichen ermahnen, auf die Auslegung des Katechismus - 
ißiges Aufmerkens zu haben, damit fie ihm hernach etwas 
} erzälen Eönnten; 
Wie er denn nad Ende der Predigt fie daraus fragen und 
iren joll; 


— 126 — 


Mit den Knaben aber follen fie den Sirchengefang 
Maß bei einer jeden Schule verordnet , verrichten; 

Auch vor Mittag vor dem Auslagen, wann fie beim 
Tiſch jollen gehn, Das Gebet mit ihnen halten und ſonderlich 
vornehmften Stüde des chriftlichen Glaubens, das Vater Unj 
den Glauben und die zehn Gebote auffagen und erzälen laßen, 

Ahnen gar nicht geftatten, in der Schule zu vagiren, um 
laufen oder ohne ihr Erlauben heimzugehn, ſondern darob fein, dap 
jede Stunde zu rechter Zeit fommen, und bis zum gemeinen Au 
laßen verharren; auch ob ihren Tafeln oder Büchlein ftil fie 
| Derhalben er ihnen fein Geſchrei oder Geſchwätz verftatt 
jondern bei ihnen abhalten foll und nach dem Auslaßen die Or 
nung tbun, und deshalb heimliche Aufmerker unter ihn 
beſtellen, damit fie ftrads auch züchtiglidy Heimgangen, und ihn 
fein Unweis, jo er die erführe, nachgeben. 

Alſo auch mit Ernft fie anhalten, mit einander frieblid u 
Ihiedlih zu fein und gegen einander ſich alles Verſpotten 
Schmähens und Widerwillend zu enthalten, die Weberfahrend 
der Gebür nach ftrafen. 

Deögleichen nicht ungeftraft hingehen laßen, da eines de 
andern etwas nehme, zerbreche ober verwüſte. 

Und in moͤglichem Wege Fleiß verwenden, daß jie fi ge 
tesfürchtig, züchtig, ehrbar, friedlich, fchiedlich und fromm halt 
und ermeifen. 

Es follen aber die Schulmeifter in dem Zuͤchtigen die Ruthe 
gebürlich gebrauchen, die Kinder nicht poldern, bei dem ha 
ziehen, um bie Köpfe jchlagen, Tolle geben oder dergleiche 
fondern in dem Strafen ziemliches Maß zur Beßerung der Kinte 
und nicht Abſchreckung von der Echule halten. 

Die Schulmeifter follen auch ſchuldig fein nad) dem Kal 
chismus Sommers Zeit in der Kirche, Winterd Zeit in der Sf 
ftube mit der andern Jugend in den Fleden, fo ni! 
feine Schulfinder find, den Katechismus und gemeinen € 
fang zu üben, und die darin mit Fleiß zu unterrichten, wie | 
des jeder Zeit von den Pfarrherrn beſchieden 4 
ihnen befohlen wird, 





k 
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— 127 — 


Da auch der deutſchen Schule die Meßnerei anbinge, wollen 
wir, daß die Schulmeifter zugleih andern Weßnern mit den 
Pfarrherrn zu den Kranken, wenn fie verjehen follen werben, 
gangen, ven Kelch tragen, auch ſolchem actu beimohnen. 

Damit dann bie Schulmeifter foviel der Echule defto fleißiger 
obliegen mögen, jollen die Büttel- und Scüßendienfte an ven 
Orten, da fie der Meßnerei bisher angehangen, wo ſolche Meß- 
nerei und Schulen zujammengeftoßen, fürohin davon abgefondert 
fein. Wo aber die Gemeinden Büttel- oder Feldjchügen bedürfen, 
mögen fie auf des gemeinen Fledens Koften fondre Perfonen dazu 
erhalten. 


Bie und von wen die deutfchen Schulmeifter aufgenommen 
und eraminirt follen werden. 


AS auch gemeinlich die Fleden unferes Fürſtentums Die 
deutihen Schulen bei ihnen zu verleihen gehabt; wollen wir ihnen 
nochmals zulaßen und dieſe ihre alten Gerechtſame nicht entziehen. 

Deromwegen wo fürohin einige deutſche Schulen alfo vaciert 
würden, mögen fie fi wol um einen andern Schulmeifter be- 
werben, doch denfelben zu der Schule mit nichten für ſich felbft 
betätigen, fondern zuvor unfern verordneten Kirchenräten prä- 
ſentiren. 

Die haben Befehl, einen jeden, ſo ihnen dermaßen zuge⸗ 
ſchikt, zu examiniren und zu erlernen, ob er ſelbiger Schule vor⸗ 
Reben möge, und mit Nußen und Wolfahrt der Schuljungen zus 
gelogen fei oder nicht, 

Und feinen confirmiren,, er lege denn zuvor feine gute Kund⸗ 


ſchaft und Bengnis feiner Geburt, ehrlichen Lebens und Wandels vor, 


Sei auch in Religiond Sachen nicht irrig, feftirerifch oder 
abergläubifch, fondern der reinen, wahren , chriftlichen, der Augs⸗ 
urgischen und unferer Gonfeffion, 

Verftünde den Katechismus und wiße denfelben der Jugend 
derſtaͤndlich vorzugeben und fie darin einfältiglich zu unterweiſen, 

Und habe guten Verſtand und Bericht, die Kinder mit 


— 1283 — 
Buchſtaben und Syllabiren, Lefen und Rechnen genugfamli u 
nüglidy zu lehren, 

Dazu made eine ziemliche, leſerliche Handſchrift, koͤrnm, 
auch diefelbe der Jugend mit Nugen vorgeben. 

In welchen allem gedachte unfre Kirchenräthe einen jeden 
vermöge von und habenden Befehld examiniren, und jo fie feinen 
Mangel befinden, allererfi approbiren und denſelben anzunehmen 
geftatten ſollen. 

Am Falle dann in einigen oder mehr Fleden die Schulen 
vaciren und unsre Unterthanen feinen zu überfommen wüften, md 
gen unfre Kirchenräte, wo fie einen tauglichen als vorgejeßt hätten, 
denjelben den Gerichten zufchiden, Die auch ſchuldig fein folen, 
ihn in den locum vacantem anzunehmen, und Die verordnete 
Bejoldung verfolgen zu laßen. 

Sie unfre Kirchenräte haben von und auch Befehl, er 
zeit Auftellung "zu thun, damit die Schulen mit notwendigen 
Bejoldungen bedacht und die Schulmeifter ihre Unterhaltung ge 
haben mögen, „inmaflen dann jr Staat weitterd mitbringen.“ 

Mit dem Schulgeld wollen wir, daß folgender Unterſchied 
gehalten werde, nemlich: 

Wo die deutſchen Schulen den lateinischen anhangen, da 
joU es bei voriger unfrer Verordnung , bei den Particularſchulen 
begriffen, bleiben; nemlich daß ein Knabe, fo latine lernt, nicht 
über 4 fr., aber einer jo deutjch lernen will, jede Frohnfaſten, 
5 Schilling zu Schulgeld gebe. 

Da aber allein deutjche Schulen, ald in den Eleinen Dörfern 
und Fleden find, da fol es bei dem gewöhnlichen Schulgeld, wie 
von Alters ber, ungefteigert bleiben. 

Dod mögen unfre Kirchenräte jederzeit nach Gelegenheit der 
Saden dad mehren oder mindern, darin Beſcheid geben und 
ferner Verordnung thun. Teögleichen follen unfre SKirchenräft 
in allewege barob und daran fein, damit den Schulmeiftern ihre 
Beſoldung und Schulgeld richtiglich gegeben und gereicht werbe- 





— 19 — 


zotauf ein jeder deutſcher Schulmeiſter, der keine lateiniſche 
Schule anhangen hat, Promiſſion und Pflicht thun ſoll. 


Erſtlich, daß er ſich dieſer unſerer Ordnung und ſeines 
Amtes jederzeit fleißig und zum Beſten erinnern und berichten, 
bas ihm in allewege zu thun oder zu laßen ſei. 

Und dann, daß er auch ſolle und wolle vermittelſt goͤttlicher 
Inaden die ihm befohlene Schule und untergebenen Schulkinder 
it allem treuen Fleiß regiren und der Jugend mit züchtigem, 
rbarem, nüchternem Leben vorſtehen. 

Keine Stunde in der Schule gefährlich oder ohne erhebliche 
ſache unterlaßen, fondern felbft zu vechter Zeit in ber Schule 
n und alles jenige mit Lehren und in andern Wegen, wie ihm 
‘ Ordnung auferlegt, mit Fleiß verrichten; 

In dem Strafen fein Uebermaß oder Born gebraudyen, 
dern mit Maß und wie die Ordination ausweift, die Kinder 
n Lernen und zur Disciplin anhalten. 

Den Katechismus, Kirchengefang und das Gebet mit allen 
euen und Eifer der Jugend einbilden, mit ihnen üben und fie 
Ten unterrichten; 

Auch feines Dienftes wegen feinen verordneten Superinten- 
wien, Pfarrherrn, Amtmann und Gericht als ein getreuer 
iener gewärtig und gehorfam fein, unfern und des Flecken, auch 
er) Schule Nutzen und Frommen mit allem Fleiß fördern, 
haden und Nachteil feines Vermögens warnen und wenden; 

Und fo fi in Zeit feiner Dienfte einige Irrung zwiſchen 
m und unfern Untertbanen oder Zugewandten zutrüge, wohin 
von und befchieden würde, Recht geben und nehmen, und ſich 
echts in unferm Fürftentum Sättigen und benügen laßen ohne 
ner Appelliren ; 

Auch von der Schule nicht verreifen oder gar abkommen 
e Grlaubnid des Gerichts und Superattendenten ; 

Da er auch von feinem Dienfte abftehn wollte, ſolchen ein 
rteil Jahres darvor abkünden, damit man bei Zeiten einen 
exn befommen möge; 

Bxpe, Volloſchulweſen, 2. | 9 





— 130 — 


Auch ſich nicht Hintanthun, er babe denn unfre Untertbpanen, 
weldyen ex fchuldig worden, bezalt, oder zur Benüge fonfl ver 
fiyert und den Willen gemacht ; 

Und in allıveg der Ordination und was er von unfertwegen 
durch die Superintendenten und Pfarrherrn befchieden , demſelben 
geleben und nachſetzen. 

Darauf fol er dem Amtmann in Beifein des Pfarrherm 
und Gerichts bei handgegebner Treue ſolches Alles zu halten un | 
dem naczufommen, an Eides ftatt promittiren und Pflicht thun, : 
getreulich und ungefährlid). N 

Soviel dann die Schulmeifter belangt, fo auch latine lehren, J 
laßen wir es bei felbiger Pflicht bleiben. | 


Bon der Superattendenz der deutſchen Schulen. 

Damit auch die Schulmeifter, ſo deutſch lehren, nicht ihred 
Sefallend handeln, fondern alle Sachen diefer unfrer Ordnung 
gemäß anrichten, und der armen Jugend Wolfahrt gänzlich be 
dacht, fo wollen wir hiermit, daß in denjenigen deutſchen Schulen, 
denen die lateinischen annectirt, Die daſelbſt bei den Particularſchulen 
verfafte Inſpection durdy* die verordneten Perſonen nicht al : 
auf die lateinifche Schulverrichtung, fondern aud) die beutihen 
verftanden, und zugleich der andern, alfo auch dieſerhalb, de 
Deputirten aber diefe Ordnung halten, und daß deren von dan | 
praeceptoribus gelebt und nachgefegt, mit Ernft daran fein wol | 

Wo aber allein deutfch gelehrt und gelernt, da follen die 
Pfarrherrn jelbiger Orten die Superattendenten fein, aud al 
wegen in 8 oder 14 Tagen unverſehens, doch zu gelegener Zi 
fi) in die Schule verfügen, fehen und acht nehmen, wie fih de 
SE chulmeifter gegen die Echuljungen mit Lehre und Disciplin halt, 
auch jelber etliche darunter im Katechismus, Buchſtaben, Sikabittt, 
Lefen auch Echreiben egaminiren, damit er erkundigen möge, of 
der Edyulmeifter fleißig, und was er Frucht bei den Kindern ſchafe; 

Desgleichen in der Kirche bei dem Geſang, auch Katehiäm | 
Aufmerkens haben, ob der Echulmeifter die Kinder fleißig I 
führe, und was er für Fehle und Mängel befinde, jedesmal Mr 
felben unterftehen abzuftellen; wo es dann nicht verfahen wolk 





— 131 — 


Iches mit allen guten Umftänden unfern Spezialen zur Beit ihrer 
ziſitation anzeigen ober fchriftlich zuftellen, damit ſolches folgendes 
niter Superintendenz noch ferner gelangt, und gebürliches, zeit- 
iches Cinſehens beſchehen möge, wie dann wir bavon in anderem 
Beg fernere Verordnung und Befehl tyun.“ 


Bon den deutichen Schreiberei- und Rechnenfchülern. 

„Dieweil an guten LZandfchreibern und Rechnern bei unfrer 
andſchaft, Städten und Stadtjchreibereien nicht Kleiner Mangel, 
ad dennoh und und dem gemeinen Nutzen, aud guter Haus⸗ 
altung nicht wenig daran gelegen fein will, demnach fo verorbnen 
ad wollen wir, daß von unfern verorbneten Räten drei fromme, 
riftliche , gotteseifrige deutſche Schulmeifter, die von ber Hand 
ste Mobiften und Schreiber, aud mit ber Feder und auf der 
inie rechnen zu lehren gefchidt und fleißig feien, verorbnet werben 
Uen; nemlid, den einen gen Stuttgart, den andern gen Tübingen 
nd den dritten gen Urach, an dieſen Orten ihre Schulen mit 
uter Ordnung, die ihnen bierum zugeftellt und gegeben ſollen 
erden, anrichten. Und damit man defto gejchidtere ſolche Mäns 
er allbier bringen und baß erhalten möge, fo wollen wir zulaßen, 
aß ihnen jedes Jahres außer dem gemeinen Kirchenfaften eine 
Steuer neben dem verorbneten Schulgeld gereicht, und auch hier- 
‚eben bei gemeldten diefen Städten ihnen Behaufungen einzugeben 
ngehalten werben.” 

Diefe erfte Schulorbnung eines deutſchen Volksſchulweſens 
tellte indefjen nur das Ideal dar, auf deſſen Verwirklichung im 
echszehnten Jahrhundert erft gehofft wurde. Won einer eigent- 
ichen in allen Ortfchaften des Landes beftehenden oder zu be 
Tündenden Volksſchule konnte vorläufig fehon darum feine Rede 
in, weil von keiner Schulflpichtigfeit der Kinder die Rebe war. 
lach der Kirhenordnung von 1559 war, worauf aud Die in 
erſelben enthaltene Schulordnung hinwies, nur eine Verpflichtung 
ar Beſuche der fonntägigen Katechismus⸗Uebungen feftgeftellt, — 
d wie überall, fo ftellen ſich auch in Würtemberg diefe Kates 
Smussllebungen als der eigentliche Anfang der Volksſchule dar. 
te Kirchenorbuung von 1559 ſchreibt über diefelben folgendes vor: 

—* 


— 132 — 


„Damit der Katechismus von unfern Kicchendienern alle 
dings vermöge unfrer Kirchen- und Superintendenz= Ordnung ge 
halten werde , Dazu die Eltern ihre Kinder zu foviel deſtt me 
fligener führen und befördern, auch defto weniger jenen geftatt- «en, 
diefelbige Zeit auf der Gaße oder im Feld umzulaufen, dadur 14 
dann ihnen in ihrer Jugend zu allerhand Ucppigfeit Urfade ge 
geben wird, fo Befehlen wir, daß die Seneraljuperintendenten zit 
Fleiß verjehn und darob halten wollen, daß von unfern Kirdgen 
dienern der Katechismus mit Verlefen, Expliziren und der Exp lo⸗ 
ration unfrer Deshalb gegebenen Kirchen» und Viſitationsordu uug 
nad) keines Sonntage noch Feiertags erlaßen, ſondern derfellbige 
mit allem möglichen Fleiß getrieben, aud die Eltern in ih ren 
Predigten ihre Kinder und fich felber zu dem Katechismus als zu 
einer gar nüglichen Predigt zu befördern ernftlih ermahnen, De 
mit fie ihre Kinder und auch jich ſelber deſto baß diefer rechten 
chriſtlichen notdürftigen Lchre berichten mögen, und neben Dem, 
daß fie, die Kircyendicner, die Kinder fo nicht der Ordnung nad 
mit der Frage aufgeftellt, jährlich and) privatim examiniren. Wo 

Daun mut folder Szamination ein Kirchendiener bei einem oder 
mehr Kindern eine Ungeſchicklichkeit und Unfleiß, oder Die nicht zu 
dım Katechismus kemmen, befindet, alsdann er, Kirchendiener, 
ihre Gltern vor fid) beſchicken und fie ihrer Kinder halber zu 
mehrerim Fleiß feinem Predigtamt nad) mit ernftlicher Bedräuung 
vermahnen und warnen. Und damit die ungen erftlich® ohne 
tchten Bericht nicht zum Nachtmal des Herrn laufen, fo wollen 
wir auch, daß unfre Kirchendiener feine Jungen zum Nachtmal 
des Herrn laßen, fie feien denn zuvor von ihm egaminirt und 
dahin tauglich, was aber eins oder mehr nicht tauglich, ſondern 
ungefhidt und des Katechismi nicht genugfam Bericht gefunden, 
joldyes ihren Eltern privatim, wie fi) dem Predigtamt nad ge 
bürt, nit Ernft anzeigen und ermahnen, ihre Kinder mit mehreren 
Fleiß zu Dem Katechismus zu befördern, aud) fie felber als from 
men chriſtlichen Eltern gebürt, zu unterrrichten. — Und damit 
dann Die Eltern neben folder des Kirchendienerd Ermahnung deſto 
mehr ihrer Kinder halber getrieben werden mögen, fo haben wit 
Befehl gethan, daß unfre Amtleute, jeder in feinem Amt, in der 


! 





— 133 — 


t und felbigen Amtöfleden, den Stabt-, Dorf» und Feld— 
'en bei ihren Pflichten auferlegen und Befehlen wollen, alle 
tage und Keiertage unter dem Katehismo in Gaßen und 
m Aufmerfend zu haben, und wo fie Kinder, fo ihren 
ind erreicht, unter dem Katechismo auf ber Gaße oder auf 
Feld befunden, dieſelben alsbald ihnen, den Amtleuten, 
ringen ; alddann follen die Amtleute von den Eltern, weldyer 
d und gefährlier Fahrläßigfeit halber die Kinder alfo den 
ismus ohne erhebliche Urfachen verfäumt und fie ihre Kinder 
darum nicht firafen würden, ihrer Verfäumnid wegen nem- 
von jedem Kind, jo in ter Buße der Zeit erariffen, einen 
t Bagen, und die, fo im Feld ergriffen, jedes wegen einen 
ı in den Armenfaften zur Strafe zu geben erfordern und 
hlaͤßig einziehen. 

Würden aber Eltern erfunden, die bierüber ihre Kinder 
oilliger und veräcdhtlicher Weife nicht zu dem Katechismus 
n, ſondern daheim behalten, follen diejelbigen Eltern von 
Brediger nad feinem Amt erſtlich privatim ermahnt; mo 
einer ober mehr hierüber verharren wollte, alsdann der Kirs 
ener folches ad partem und nad) Belegenheit dem Amtmann 
Grfahrung und Erfundigung vermöge feines Amtes darüber 
elen und Einſehens vorzunehmen, — — folgende der 
ann hierüber, oder wo er es für ſich felber gewahr würde 
welches dann ihrer jeber andy fein getreues und fleißig Aufs 
ns in allweg haben und machen foll), Diefelbigen Eltern auch 
renft anhalten, wo das auch nicht erfchießen, alsdann hat 
mtmann Befehl, Ddiefelben mit der Thurmftraf nach Geftalt 
sachen dahin zu treiben, damit die Kinder von ihren Eltern 
alfo halsſtarriger und verächtliher Weile an der rechten, 
Lehre und chriftlicher, ehrbarer Zudt in ihrer blühenden 
ıd verhindert werben.” 

So bildete fih in Würtemberg das Volksſchulweſen von 
zwiefachen Anfange aus, nemlich einerjeitd aus den deutſchen 
klaſſen, welche als Vorfchule zu den lateiniſchen Klafjen mit 
letzteren nicht blos in den Etädten, ſondern auch auf dem 
hier und da vorkommen, und andrerſeits aus dem Kate⸗ 


— 134 — 


chismus⸗Unterricht. Auf Die Lehrer an den beutichen Klafl 
lateiniſchen Schulen ift e8 Daher wol zu beziehen, wenn ü 
Verordnung vom 4. Auguft 1590 gerügt wurde, daß Die be 
Schulmeifter auf den Dörfern nichts auf die Pfarrer gäben. 
auch die Dorffchulmeifter fcheinen in Damaliger Zeit zu den P 
in feiner fehr engen Beziehung geftanden und ſich viel me 
die Gemeinde, der fie dienten, als um den Pfarrer beki 
zu haben, indem die Dorffchulmeifter felbft ihren Schi 
immer nur als Nebenjache betrachteten und ihren eigentlichen 
in ihrer dienftlichen Beziehung zur bürgerlichen Gemeinde 
Orts fahen. Denn in der Regel war der Sch ulmeif: 
dem Lande zugleih Gerihtsfchreiber, und in ben ‘ 
1562 und 1569 mufte daher verfügt werben, daß Schulr 
welche Gerichtsfchreiber wären, Die Schule nicht verfäumen ' 
und daß die Gerichte Die Arbeit, wo möglich, nicht auf bie 
ftunden richten oder fie (die Schulmeifter) zum wenigften ei 
Stündlein in die Schule gehen laßen follten. Durch St 
bejchluß von 1599 wurde verfügt, die Schulmeifter in den D 
ſollten nicht Heiligens oder Waifenrechnungen ftellen,, | 
dieſes Geſchaͤft den Stabtichreibern überlaßen. Die Wirt 
ber Volksſchule war daher eine überaus geringe. Im € 
wurde nur an wenigen Orten Schule gehalten. Eine Vero 
von 1588 verfügte, bie Dorfichulmeifter follten mit Ern 
mahnt werden, daß wo möglih aud die Sommerfchulen 
‚richtet würden, damit, was die Jugend im Winter gelerı 
Sommer nicht wieder vergeben werde und damit ber Kit 
fang und der Katehismus nicht wieder in Abgang fomme. 

Indeſſen blieb die Sitte, die Kinder nur im Wint 
Schule zu jchiden, doc lange Zeit hindurch fo allgemein 
man durchweg die Schulmeifter in ordentlihe und Wi 
jhulmeifter teilte. Nah einem Synodalbeichluß von 
jollten die Winterfchulmeifter nicht vor der Kanzlei, ſonde 
vom Generalfuperattendenten egaminirt werden. 

Wie überall, fo ging indefien auch in Würtemberg fall 
was im 16. Jahrhundert zur Begründung eines Volksſchu 
gethan war, in ber Verwüftung des 30 jährigen Krieges zu ( 


⸗ 
— 1358 — 


Eine Verfügung vom 30. September 1631 gebot, daß Pfarrer, 
Schultheiß und Gericht in den Dorffchaften „den Unfleiß in Halt 
und Beſuchung der Schulen alsbald abjchaffen, und die Schul: 
ordnung alled Fleißes in Acht nehmen follen.“ 

Der mwolgemeinte Befehl war indeffen kaum zu vollziehen, 
da auf dem Lande faft nirgends Schulmeifter und Schulhäufer. 
vorhanden waren, und da das Elend, weldyes auf dem Volke 
lag, an die Schule nicht denken ließ. Gleichwol wurde der Wie- 
deraufbau des Volksſchulweſens noch vor dem Ende bes Kriegs- 
begonnen. Durch eine Verordnung von 1641, bie i. J. 1646 
wiederholt ward, wurde befohlen: „wo möglich und nötig follen 
die vagirenden deutſchen und Lateinischen Schuldienfte wieder bes 
Relt werden, wo aber etliche Orte zuſammen geftoßen, felbige 
benachbarte Gemeinden um ihrer lieben Kinder willen einen ges 
meinfamen Schulmeifter miteinander halten und denfelben am be: 
qemften Ort feßen. Wo es aber audy dieſes Ortes anftehen 
wolte, follen die Pfarrer in den Predigten die Eltern beweglich 
etinnern, ihre Kinder in die nächftgelegenen Städte ober Dörfer 
m Schule zu ſchicken.“ Gin Synodalbeſchluß von 1644 ver- 
fügte, in jeder Pfarrei follte der Kirchenkonvent darauf Achtung 
geben, „daß die Augend zum Katechismus gefchidt und zum Ges 
lang geftellt, summariter die wahre Gottesfurdyt bei Zungen und 
Alten gepflanzt, die Schulen aufgerichtet, die Waifen und unver: 
möglihen Kinder ſowol als die vermöglichen zu den Schulen an: 
und vom Müßiggang abgehalten, endlich auch die Schulgebäude 
und deren anhängige Heiligen (d. h. Kirchen- oder Kirchenfaften- 
Stiftungen) wieder in beftändige Aufnahme geftellt würden.“ 
Aber erft die Ruhe, welche nach dem Jahre 1648 in Die deutfchen 
Lande zurückkehrte, machte e8 ben Behörden möglich, die Voll— 
ziehung ihrer Beſchlüſſe zu fichern. Die Generalſynode des Jah: 
tes 1649 wendete ihr beſonderes Augenmerk dem Volksſchulweſen 
zu, deſſen Herftellung fie fi zur Hauptaufgabe machte. Zum 
ten Male wurde eine eigentlihe Schulpflidhtigfeit aller 
ind er anerkannt, womit das weſentlichſte Beduͤrfnis des Volks⸗ 

du Ivweſens gewürdigt war. Die Generalſynode verfügte nemlich 
Eünem an alle Generalſuperintendenten erlaßenen Reſcript vom 





— 136 — 


10. Anguft 1649: „Demnad an deutfchen nicht weniger ald 
lateinifhen Schulen und merklich gelegen, dieweil die gemei 
unftudirten Leute den größeren Teil der Kirche und Polizei 
madyen, als ift, dieweil fowol Gotte8 Ehre ald der Kirchen 
Polizei Wolfahrt es fordern, daß man ſich der deutſchen Sc 
mit mehrerem Ernft, al& bisher gefchehen, annehme; berentwi 
unfer ernftliher Befehl, ihr wollt eifrig daran fein, daß 
deutfhen Echulen indgemein mit tauglichen Schulmeiftern verſt 
den Echulmeiftern aber ihr gebürender Unterhalt verjchafft, 
den Eltern feineswegd freigeftellt werde, Daß fie ihre Kinder 
die Schule ſchicken mögen oder nit, oder um geringer Haut 
jchäfte willen daheim behalten, fondern die Eltern zu dem, ı 
Gottes Ehre, der Kirhen und Polizei Wolftaud, auch der Kin 
Nutzen und zeitliches und emiges Heil erheifhet, mit St 
nötigen.” Aber welche Schwierigkeiten dem Aufblühen der Bo 
ſchule im Wege ftanden, beweift eine Verordnung von 16 
„Weil die Eltern vieler Orten ihre Kinder fehr fahrläßig 
Schule ſchicken, und an manchen Orten allein von Martini 
gegen Faſtnacht oder Mitfaften Schule gehalten wird, und 
angehenden Frühlings - und Feldgefchäften die Eltern die Küı 
wieder zu Haufe behalten, jo fol den Eltern in den Predig 
jonderlih in Denen in der großen Kirchenorbnung fol. 216 
ffimmten zwei Echulpredigten wie auch bei den Kirchenconpen 
ernſtlich zugeſprochen werden, ihre unfchuldigen Kinder nid) 
underantwortlicdy zu verfänmen, fondern den ganzen Winter | 
es ſich füglich thun und einführen läſt,) wenigftens alle Vor 
tage fleißig zur Schule zu ſchicken, Damit fie in Gottesfurdt 
allen chriftlihen Tugenden unterwiefen und auferzogen we 
mögen. Da aber je wegen Ungelegenheit der Beiten und $ 
und weil die Eltern im Sommer ihre Kinder zu den Haus⸗ 
Feldgeſchäften wegen erfcheinenden Mangeld — bedürfen, ed ı 
geichehen könnte, ſollte doc, den hievor vielfältig ergangenen 
feripten gemäß die Sache dur Pfarrer, Schultheiß und Ge 
alfo angeordnet werden, daß die Knaben, fo im MWinter in 
Schule gegangen, den Sommer alle Sonn⸗- und Feiertage, R 
man das erjte oder andere Zeichen läutet, auch in ber We 


— 137 — 


wenn ed etwa Regentage ober Unwetter gibt, in die Schule 
tommen , damit die Schulmeifter fie des Katechismi und gelernter 
Pſalmen, Sprüche und Gebete halber in Uebung behalten, und 
im Prozeß in die Kirche führen mögen.” 
Naͤchfſt der Anerkennung allgemeiner Schulpflichtigfeit aller 
Kinder bis zur erſten Kommunion derjelben that dem Schulwejen 
nihts fo fehr not als die Sicherfiellung und Befreiung des Lehr. 
amtes von der Willkür ber Gemeinden und von ben Nebengefchäften, 
welhe die Schulmeifter gewöhnlich (und zwar nur allzu gern) zu 
treiben pflegten. Denn noch war e8 ganz gewöhnlih, daß die 
Gemeinden, den Schulmeifter als Gemeindediener anjehend, von 
demfelben verlangten, daß er ſich nach Ablauf eines jeden Jahres 
bei dem Gemeindevorſtand um neue Beftätigung in feinem Schul« 
dienft bewerben follte. Die Epezialfuperintendenten wurben baber 
durch Refeript vom 27. Juli 1652 angewiefen, biefem Unfug ein 
für allemal ein Ende zu machen und die Gemeinden insbeſondere 
iu bebeuten, daß nicht ihnen, fonbern allein dem Landesherrn 
das Recht zuftehe, Schulmeifter von ihren Stellen zu entlaßen. 
Andrerfeitd waren die Schulmeifter durch die Not gezwungen, 
entweder als Spielleute, die zur Tanzbeluftigung auffpielten, oder 
ald Gaſtwirthe und Dorfſchützen ober als befolvete Knechte bes 
Vfarrers, die auf dem Pfarrhof Holz fpalten, drefchen, oder dem 
Marrer Schulden eintreiben und andere Gefchäfte verrichten muften, 
zu figuriren, weshalb die Schulmeifter ganz gewöhnlich ihren 
Schuldienſt durch ihre Frauen und Kinder verrichten ließen. Durch 
fine Reihe von Verordnungen aus den Jahren 16654, 1659 und 
662 fuchten Behörden und Synoden auch diefem Unwefen zu 
feuern. Am Ichwierigften war hierbei die &mancipation ber 
Sch ulmeiſter vom Schreiberdienſt, weshalb unter dem 17. Mai 1654 
ver üngt wurde: die Schulmeifter follten „nicht mehr dem Rathaus 
als der Schule abwarten und die Kinder allein durch ihre Weiber 
der untüchtige Knaben verfehen laßen , fondern den bievorigen 
US gegangenen rescriptis gemäß follen bie Gerichtsarbeiten fo ans 
ser ent werden, bamit die Schulmeifter ihre ordentlichen Schul- 
weben, wo nicht allemal gänzlich, jedoch meiftenteild zuvor ver: 
ben mögen. Da man aber an einem ober dem anderen Ort auf 





— 18 — 


dem Rathaus des Schulmeifters als Gerichtsſchreibers nicht enk 
bebren koͤnnte, folle er einen tauglichen provisorem mit VBorwißen 


und vorgehender Gramination des Specialis (d. h. des Spezgial 
fuperintendenten) auf feine Koften Balten.” 

Gleichzeitig war Die Regierung auch auf thunlichfte Auf 
beßerung ber Lehrerbeſoldungen bedadht. Nachdem ber Krieg an 
jo vielen Orten die Schulen zerftört hatte, waren auch bie Gin- 
fünfte der Schulen verfommen. Die Kapitalien der Etiftungen, 
aud denen die Echulmeifter einen Teil ihrer Einnahmen beziehn 
jolten, waren großenteild verfhwunden; der Grundbefip der 
Schulen war verwüftet oder war faktiih das Beſitztum ander 
Gemeindeangehöriger geworden. Vor Allem fuchte daher das 
Gonftftorium den urfprünglichen Beſitz der Dorfichulen dadurch 
berzuftellen, daß es aus den noch vorhandenen Documenten eine 
möglichft genaue Angabe der Gompetenz einer jeden Schulſtelle 
ermittelte. Schon früher (7. Febr. 1646) war verfügt worden, 
Daß die Lage derjenigen Schulmeifter, welche allein auf eine garız 
geringe Dienftbefoldung angewiejen wären, von den Gemeinden 
in geeigneter Weiſe gebeßert werden follte. Auch wurde verordnet, 
daß, da die Schulmeifter vor ihrer definitiven Anftellung ord⸗ 
nungsmäßig eine Zeit lang zur Probe fungiren müſten, dieſe 
Probezeit nicht über zwei Monate ausgebehnt werben ſollte. 
Außerdem wurden die Schulmeifter (durch Synodalbeſchluß von 
1661) „des Schießens und der Legegelder befreit,” mit dem Zu⸗ 
fag: „es fei denn, daß fie gern ſchießen;“ fie wurden von alen 
perſoͤnlichen Frohndienſten eximirt und in ben Befiß aller den 
Geiftlichen zuftehenden Privilegien gefeßt; insbejondere wurden fie 
auch von der Militärdienftpflicht befreit. Daneben wurde abet 
auch den Spezialfuperintendenten zur Pflicht gemacht, daß fie „sei 
den deutfchen Schulen den eingerißenen methodum docendi (d@ 
den Kindern unleferliche Namen und Katechismusbüchlein vorge“ 
ſchrieben, oder untaugliche Briefe ehe und denn fie einigen rehf 
formirten gebrudten Buchſtaben erfennen, zu lernen vorgegebes® 
werben), abfchaffen und dagegen befehlen follten, daß der Jugend 
die im Lande gedrudten Namen und Katechismusbüchlein vorge” 
geben würden, bamit fie fonberli ben Katechismum nicht wiE 


— 19 — 


ı Hörenfagen corrupt und unverſtaͤndlich, ſondern aus dem 
hlein felber recht gründlich erlernen möchten.” — Derartige 
jelftände, welche durch Die Schuld der Schulmeifter in das 
julweſen famen, ließen fi zur Rot befeitigen; ein zur Zeit 
h unüberwinbliches Hindernis, welches dem Gebeihen besfelben 
Wege ftand, war jeboch die Gleichgültigkeit ber Eltern, welche 
: Kinder im Winter nur beliebig und im Sommer. gar nicht 
Schule fchidten. In den Sahren 1670, 1672 und 1879 
rde durch eine ganze Reihe von Verfügungen die Pflichtigkeit 
t fchulfähigen Kinder zum Schulbefuch wiederholt eingefchärft, 
» e8 wurde den Pfarrern und Superintendenten aufgegeben, ° 
mige Eltern durch die Voͤgte zur Erfüllung ihrer Pflicht zwangs⸗ 
fe anhalten -zu laßen; aber i. %. 1672 war es erft an einigen 
ten dahin gebracht, daß im Sommer wödhentlih an einem 
7 zweien Tagen Schule gehalten werden konnte, wofür bie 
reffenden Schulmeifter eine Vergütung „aus dem Heiligen” er. 
tn. Um die fehlenden Sommerfchulen einigermaßen zu er 
en, wurde durch Generalſynodalreſcript vom 8. Mai 1695 ver 
t, daß, „wo wenige Sommerfchulen gehalten würden, follten 
: Sonnabend wie auch an Sonn: und Feiertagen eine Stunde 
der Predigt der Katechismus, Pfalmen, Sprücde mit den 
bern repetirt werben.” Durch ein fpäteres Generalſynodal⸗ 
Fipt vom 1. Dez. 1711 wurde verordnet, daß das Schulgeld 
Kinder ganz armer Eltern, um denfelben jeden Vorwand zur 
Hönigung der Schulverfäumnid zu entziehen, aus dem Hei⸗ 
ı bezalt werben follte. Aber Das einzige, was dDurdy alle dieſe 
Ichriften oder vielmehr durch die Damals von dem Pietismus 
gehende Erregung der evangeliſchen Kirche erreicht wurde, war 
Ginrihtung fonntägiger Katehifationen, an denen 
die erwachjenere jugend Teil zu nehmen pflegte. Man nannte 
» Einrichtung, die zunächft namentlich in ben Didcefen Tü- 
en und Herrenberg beimifh wurde, Sonntagsfhulen 
erweiterte ihre. Beſtimmung jchon frühzeitig, indem in ihnen 
öhnlich auch Mebungen im Schreiben vorgenommen wurden. 
Generalfynodalrefcript vom 13. Januar 1739 legte den Spe⸗ 
ſuperintendenten dieſe Sonntagsichulen ganz beſonders ans 


— 140 — 


Herz und erteilte Vorſchriften über die zwedmäßigfte Einrichtung 


berjelben: „Die Sonn» und Feiertagsſchnlen follen eine gute 
Schulanftalt und Gontinuation der in der Schule gefaften Lehre 
fein, da Diejenigen jungen Leute, welche ſchon zur Confirmation 
und Gottestifch gelangt find, bis zu ihrer Verheiratung in der 
Schule, und zwar alternatim das eine Mal die ledigen Manns, 
dad andre Mal die ledigen Wetbsperfonen an Sonn - und feier 
tagen nach verrichtetem öffentlichen Gottesdienſt zuſammenkommen, 
und damit fie das in der Schule Erlernte nicht fo leicht wieder 
vergeßen, noch die übrige Zeit an Sonn- und. Feiertagen fon 
liederlih oder gar fündlich zubringen, unter der Anleitung des 
Schulmeifterd oder Schulfrau ein geiftlich Lied fingen, in der 
Bibel lefen, ihre Sprüche und Pfalmen repetiren, auch jedesmal ein 
Hauptftüd aus dem Katehismus recitiren, ihre Schriften aufweiſen 
einen Brief lefen und ſodann mit Gebet und Segen fchließen ſollen.“ 
Inzwiſchen war jedoch für das würtembergiſche Volksſchul 
weien eine neue Gntwidlungsperiode durch die treffliche „Er: 
neute Ordnung für die deutfhen Schulen des Her 
zogtums Würtemberg“ begründet. Diefelbe wurte i. ). 
‚1730 auf Befehl des Herzogs Eberhard Ludwig im Drud, fo wie 
in allen Kirchen des Landes von der Kanzel herab veröffentlicht, 
und giebt eben fo fehr fiber ben faktiſchen Zuftand der Schulen m 
18. Jahrhundert die wünfchenswerteften Auffchlüffe, als fie zugleid 
die vollfommenfte Anffaßung und Würdigung der eigentlichen Auf 
gabe und Beftimmung der Volksſchule erkennen laͤſt und den Höhe 
punft bezeichnet, auf den fidh die Schulgefeßgebung bis über die 
Mitte des Jahrhunderts hinaus im proteftantifchen Deutſchland 
überhaupt erhoben hat. An die Echulorbnung von 1559 fd 
anfchließend enthielt daS neue Regulativ zunaͤchſt Beſtimmungen 
über die Befeitigung von allerlei Mißftänden im Schulweſen und al- 
gemeine Vorfchriften über die Beßerung befielben, worauf ein 
Reihe von 24 „Schulgefeten, welde den Kindern in den 
deutfchen Echulen vorzulefen” und fodann eine „Epezialinftructen 
für die deutſchen Schulbedienten“ folgte. Den Kindern wurde vor 
Allem eingeſchaͤrft: „Frömmer zu werben fol ihr Hauptwerk fen, 
follen deswegen immerzu ben lieben Gott vor Augen haben“ ; und 


— 141 — 


In demſelben Sinue wurde den Lehrern vor Allem vorgehalten. 
„Schulen find der Vorhof des Heiligtums; ſchicket ſich demnad) 
nicht, dag fi) in die Schulen ein Lehrer wage, der nach Gottes 
nd der Menfchen Urteil für profan zu halten ift, fo wenig als 
ergleihen Leute in das Heiligtum felbft, d. i. in die Kirche ge 
ören. Darum foll ſich feiner unterftehn, in die Echulen einzus 
sten, wenn er nicht einer ehrlichen Geburt und guten Leumundes 
t* Ferner über die Beſtimmung der Schule: „Das Chriftentum 
! das Hauptwerk. Scuien find nicht anzufehn als eine bloſe 
kreitung zum bürgerlichen Leben, fonden als Werkſtätten 
ed heiligen Geiſtes.“ — Für jede Schule fol eine Biber 
ws dem Heiligen” angefchafft werden. Zum Schreiben follen 
wol Mädchen als Knaben angehalten werben, jedoch „nicht allzu 
üh.“ Dabei aber hat der Lehrer immer im Auge zu behalten, 
ih „auch dieſes einen flattlichen Vorſchub in Erleruung der chrift- 
ven Lehre geben kann, wenn bei den Kindern auch ihr übriges 
tnen im Leſen und Schreiben auf das Ghriftentum eingerichte 
rd.“ 

Die Sonntagsſchulen, welche überhaupt in Würtem⸗ 
tg zuerſt eingerichtet wurden, erhielten Durch Beſchluß der Sy⸗ 
te von 1739 eine neue Beſtimmung, indem fie nicht mehr als 
urrogat für die nicht zu Staude fommende Sommerſchule, ſon⸗ 
in als Fortbildungsanſtalt für Die confirmirte Jugend dienen 
lte. Dur F. 10 des ©. R.s von 1739 wurbe nemlid) ver- 
dnet: „Da es und auch zu fonderbarem gnädigften Gefallen ger 
bt, daß in einigen Diöcefen, ald Tübingen und Herrenberg, 
» Sonn: und Feiertagsfchulen oder geiftlihen Uebungen mit ers 
jenen und ledigen Leuten loͤblich eingeführt worden, ald wollen 
e diefelben auch in Zukunft beibehalten wißen. Wo folche aber 
ch nicht angerichtet wären, habt ihr auch euere Orts allen 
Sglihen Fleiß anzuwenden, damit ihr ſolche Sonntagsfchulen 
'ichermaßen in den Stand bringen und darin erhalten möget.“ 
I diefem F. wurbe folgende Erläuterung gegeben: „Soviel den 
10 unfered ©. R.s anbelangt, jo hat es damit nicht die Meis 
ng, ald ob ein neuer cultus publicus der Kirche durch Die 
Nistros ecclesiae müfte abgehalten werben; ſondern es ift und 


— 142 — 


bleibt eine gute Schulanftalt und Gontinuation der in der Sch 
gefaften Lehre, da Diejenigen jungen Leute, welche jchon zur Co 
firmation und Gottestifch gelangt find, bis zu ihrer Verheiratun 
in der Schule, und zwar alternatim das eine Mal bie Iedige 
Manns, das andre Wal die ledigen Weibsperfonen an Sonn 
und Feiertagen nach verrichtetem Gottesdienft zufammen kommen, 
und damit fie das in der Schule Erlernte nicht fo leicht wieder 
vergeßen, noch die übrige Zeit an Sonn- und Zeiertagen fo lie 
derlih oder gar ſündlich zubringen, unter der Anleitung bei 
Schulmeifters oder Schulfrau ein geiftlich Lied fin 
gen, in der Bibel lefen, einen Pfalm repetiren, auf 
jedesmal ein Hauptflüd aus dem Catechismo rei 
tiren, ihre Schrift aufweijen, einen Brief leſen un 
jodann mit Gebet und Segen ſchließen follen.“ 

Die Synode von 1759 fügte noch die Beſtimmung hinzu, 
daß die Sonntagsfhulen, wenn es nicht burch außerordentlich 
Kälte oder durch befonderen Holzmangel unmöglich gemacht werde, 
aud im Winter gehalten, daß in denfelben nur das, was ü 
früheren Reſcripten vorgefchrieben fei, tractirt werden follte, un 
daß die Gemeinden den Schulmeiftern hierfür die gebürende Re 
muneration unweigerlich zu entrichten hätten. 

Bleichzeitig erfolgten neue Anordnungen zur Beßerung de 
äußeren Lage der Schulmeifter. Durch Generalrefeript vom 1E 
Nov. 1738 wurde ihnen Quartierfreiheit zuerfannt. Ein Referig 
vom 13. Januar 1739 verfügte, die Eintreibung des Schul un 
Holzgeldes betreffend, es follte in allen Dörfern und Flecken da 
Schulgeld durch das VBürgermeifteramt „auf die bei Eintreibun 
anderer praestandorum gewöhnliche Weije, jedoch umentgelbli 
einfaflirt und den Schulbedienten, welche desfalls ſich gehörig 3 
melden und eine ordentliche Spezification ihres Duartalverbienfe 
zu übergeben wißen werden, quartaliter richtig nnd ohne Rlog 
geliefert, nicht minder auch felbige in Aufehung der für ih 
Schulftuben benötigten Bezahlung von den Gommunen Klage 
geftellt werben.” Außerdem wurde angeorbnet, es jollten „de 
Kirchen- und Schuldiener Wittwen und Kinder, es mögen felbig 
fih) auch, wo fie wollen, im Lande aufhalten, die privilegia cine 


— 143 — 

den Orts unweigerlich geftattet, und felbige mit dem Beifig 
und Wachtgeld nicht beichwert, auch mit feinen weiteren oneribus, 
außer wo fie eigne, mit Steuern behaftete Güter befäßen, belegt 
werden, welch leßteren Falles fie gleichwol mit feinen wirklichen 
Ginguartierungen zu beladen find, jondern ftatt deren den Belauf 
mit Geld zu entrichten haben.” Bon großer Wichtigkeit war «8, 
daß einige Jahre Später (durch Ben.-Syn.-Refcript vom 9. Octbr. 
1144) audy die „Schulmeifter- Wahlen“ geregelt wurden, inbem 
namentlich auf den Dörfern, wo die Bemeinde das Recht ber 
Eolatur Für fi in Anfpruh nahm und wo gewöhnlich die Pros 
oiioren aller benachbarten Schulen als Competenten auftraten und 
natürlich Die werfchiedenartigften Mittel gebrauchten, um fich den 
Bauern annehmlich zu machen, die Wiederbeſetzung einer erlebigten 
!chrerftelle gewöhnlich unter den ärgerlichften Auftritten erfolgte. 
dur Befeitigung dieſer Uebelſtaͤnde wurde daher folgende ſehr 
mftändliche Ordnung der Schulmeifterwahl publizirt: 

„Vörderft berichtet Paftor mit dem Schultheiß alfo gleich 
en Abgang eined Schulmeifterd an den Superintendenten und 
gt dem Berichte bei, wie die Schule bis zu Wiederbefekung des 
Dienftes beftellt werden könne, erjucht benebenft den Herrn Spe- 
Galem, wein die Nomination bei dem fürftl. Konfiftorio fteht, die 
Srledigung . des Dienftes dahin unterthänigft zu berichten, oder 
meldet anderen Falls, wenn die Kommune das ius nominandi 
vergebracht hat, daß dieſelbe hiernaͤchſt mit einer ordnungsmäßigen 
Vahl vorgehen und um die gnädigfte Bonfirmation bei dem hoch⸗ 
fürſtl. Konfiftorio unterthänigft einfommen werde, welches dann 
in Specialis abwartet, weil der Oberbeamte, fowol geiftlicher als 
Deltliher mit den Schulmeifterwahlen auf den Dörfern nichts zu 
thun hat, ald wenn Unordnung entfteht und deswegen ihre Inter⸗ 
pofition vonnöten ift.” 

„Hat die Kommune dag Recht zu nominiren, jo kann, wenn. 
Bihtige Urfachen gegen den Aufſchub vorhanden find, ungefäumt 
und ohne Beitverluft eine Wahl vor Gericht in Gegenwart bes 
Paſtors und mit Buziehung der KommuneDeputirten angeftellt, 
auch allenfalls ein einiges vorhin bekanntes Subjekt in die Wahl 
genommen werben, ob ſolches, weil e8 feinen Gaben nad) für 


— 14 — 


tüchtig und feiner Aufführung nad) für würdig zu halten, de 
bochfüritl. Konfiftorio zur Confirmation fogleich präfentirt ob 
aber mehre Competenten abgewartet und nach abgelegten Prob: 
mit in die Wahl gezogen werben koͤnnen, wiewol es allezeit beß 
ift, wenn eine Wahl aus mehreren angeftellt werden kann, au 
bei nanıhaften und zalreichen Echulen vonnöten, fi um Perſone 
die beſonders gute Qualitäten haben, zu erkundigen, welches b 
dem fürftl. Konfiftorio, dem die meiften Kompetenten nad ur 
nach bekannt werden, unter der Hand und ohne Nachteil di 
Wahlrechts am füglichften geſchehn kann, obwol nichts deswegt 
anbefohlen wird.” 

„Sind legteren Falls fo viele Kompetenten beifammen, da 
man glaubt eine genugfame Wahl zu haben, fo verfammelt fi 
das Gericht auf Requijition des Paftord an einem zwiſchen beide 
abgerebeten Tage, und ter Schultheiß verfündigt vorher der Gi 
meinde, daß Diefelbe ihre deputatos nad) eigenem Belieben untı 
ih zu erwählen und auf den beflimmten Tag zur Wahl abyı 
ichien habe. Iſt die Gemeinde groß, fo können 6 oder 8 dep! 
tati genommen werden, ift es aber eine geringere Gemeinde, | 
mag ed an 3 oder 4 deputatis genug fein. Hingegen ift an ge 
geringen Orten ober Filialen, wo oft feine oder nur brei od: 
vier Richter find, nötig, daß man von der Gemeinde fo vi 
Männer dazu ziehe, bis jo viele, als fonft zu einem ordentliche 
Berichte gehören, zuſammenkommen.“ 

„Die Zufammenkunft gefchieht anfänglicd in der Kirche, u 
bes Geſanges und an mehreren Orten auch um bed Drgelidle 
gens willen, kann auch wol als ein heiliged Werk an Sonn un 
Feiertagen vor den Augen und Ohren der ganzen Gemeinde g 
ſchehn. Wenn dieſes vorbei, fo verfügt man fih auf das Ka! 
haus ,,. und Paftor macht, fo bald ſich das Gericht gefept, de 
Anfang mit einem herzlichen Wunſch, Daß gegenwärtige Zuſammen 
funft und vorhabende Verfammlung zu Gottes Ghren und de 
Schule auch mitfolglih zu der Kirche und gemeinen Weſen 
Beſtem ausfchlagen möge, und daß Gott eines Jeden Herz au 
den wahren Zwed des Beſten lenken, allen ſchaͤdlichen Abſichte! 
wehren, auch geſammte bier anweſende Vorfteher zu Werkzeuzen 


— 145 — 


feiner Gnade an der Schuljugend und ganzen Gemeinde machen 
wolle." 

„Hierauf werden die Sompetenten vorgeforbert und die fer- 
neren Proben mit ihnen angeftellt, nicht nur allein im Buchſtabi⸗ 
ven, Leſen, Auswendig- und Briefichreiben, Brieflefen und Rech⸗ 
nen, jondern auch mit Befragung der Feldordnung, ob fie davon 
aus ihrem Verſtand Nechenfchaft geben können, und nicht Blog 
Ihren Katechismum, Gonfirmationsbüchlein auswendig gelernt has 
ben, wobei fich aber Paſtor gleichwol hüten wird, daß er nicht 
unnötige, hohe Fragen auf Die Bahn bringe, vielweniger aus 
Barteilichfeit den einen fchwerer ald ben andern frage, fondern 
bei den Hauptflüden einfältig und ohne ſchwere Einwendungen 
bleibe, von Gott Vater, Sohn und heil. Geift, von der Schöpfung 
und leidigem Sünbenfall, von der Erlöfung durch Chriſtum, von 
der Bueignung feines Verdienftes durch Buße und Glauben in der 
Kraft des heil. Beiftes, von den Gnadenmitteln und ihrem rechten 
Gebrauch, dadurch der heil. Geift den Glauben erwedt und ftärkt, 
davon fie die Hauptſprüche, wo nicht felber anziehen, doch wo 
ihnen darauf geholfen wird, auswendig koͤnnen ſollen.“ 

„Wenn dieſes vorbei und die Examinati abgetreten, jo 
mat Paftor feinen Vortrag an das Geriht, wie nunmehr bie 
Wahl angeftellt werden folle, und erinnert dafjelbe nicht nur an 
die Wichtigfeit der Sache, da an rechter Beftellung des Schuls 
weſens fo viel gelegen, und jo große Verantwortung von Hintan- 
gung defjelben zu gewarten fei, fondern auch die theuern Pflicy- 
ten, nach welchen lauterlich auf die Ehre Gottes und das gemeine 
Beſte folle gefehn, allen Anz und Nebenabfichten aber kein Plag 
gegeben werde; wobei er infonderheit den Irrtum benimmt, in 
welchem viele fteden, daß fie mit ihren voto nad) Wolgefallen 
dandeln,. und dieſem oder jenem ohne weiteres Bedenken Gutes 
damit thun können; im Gegenteil aber den Unterricht giebt, daß 
ich Die Macht der Wählenden nicht weiter erftrede, als auf ſolche 
Berfonen, welche fi) zu dem Zwed fchiden und vermutlich vor 
em Hochfürftl. Konfiftorio genugfame Tüchtigkeit zeigen werben, 
uch feinen in ben bochfürftl. Verordnungen verbotnen Vorwurf 
ıben, worauf dann ein jeglicher in feinem voto fehen jolle.” 
deppe, Volloſchulweſen, 2. 10 


— 146 — 


„Weil aber infonderheit auch zu einer unpartetifchen Wa 
gehört, daß von den Votirenden Diejenigen abgefondert werde 
welche entweder unter fi) oder mit einem der vorhandnen Goı 
petenten in allzu naher Verwandtichaft ſtehen, dieſe auch fih f 
eine Wohlthat rechnen jolen, wenn fie der Verſuchung von Inn 
und der übelen Nachrede von Außen überhoben fein Eönnen, 
erfundigt ſich Paſtor, ob einige unter dem Gericht und der Go: 
mune» Deputirten oder mit einem der vorhandnen Gompetent 
jolchergeftalt verwandt fei, Daß fie nad) der Landesordnung u 
dem darin enthaltnen Nichtereid nicht votiren könnten, welches vı 
denen, die bis auf den vierten Grad der Blutsfreundjchaft ur 
Schwägerſchaft inclufive verwandt find, gejagt ift. — Giebt ſich nu 
daß einige Votirende unter fid) verwandt, fo wird der eine Teil erjud 
abzutreten; oder fteht einer oder der andere mit einem ober der 
anderen Gompetenten in dergleichen Verwandtichaft, fo wird er en! 
weder gleichfall8 abzutreten, oder auf denjenigen, mit dem t 
verwandt ift, nicht zu votiren veranlaft. Steht Paſtor oder Schult 
heiß jelber in folder Verwandtſchaft unter ſich oder gegen ein 
Kompetenten, oder find gar beide einem Kompetenten allzu nad 
verwandt, fo treten fie felber beide oder einer von ihnen ol 
nachdem die Verwandtſchaft ift, bleiben audy nicht einmal m 
dem Vorbehalt figen, daß fie auf ihre Verwandten nicht votire 
wollen, weil ihre bloße Auwefenheit und Auctprität ſchon D 
Sache einen befondern Ausjchlag geben kann.“ 

„Sind diejenigen, weldye bei der Wahl nicht fißen könne 
abgefondert, fo geht dann Die erfte Deliberation dahin, ob vi 
den vorhandnen Kompetenten nicht einer oder der andre fei, P 
nicht in die Wahl Fönnte gezogen werden. — — Hat es dal 
and) mit den Perfonen, weldye in die Wahl kommen £önnen, jet! 
völlige Nichtigkeit, jo fragt Paftor oder der Vorfigenbe, wer 
Paſtor hätte abtreten müßen, von einem jeden Kompetenten, wi 
er für rationes für fid) habe, welches auch Paftor noch vor de 
Abtreten jelber thun kann, wenn der Vorfigende feine genugſan 
Buben zum Proponiren haben follte, und fragt daher zuerft de 
Schultheiß oder nädyften Richter, welchem er nunmehr unter dieſt 
porgeftellten Perfonen das Votum geben wolle; hernach in di 


— 1417 — 


| fort bis durch das Bericht hinaus, ſodann auch die 
edeputirten einen nach dem andern; erft zulegt aber, da⸗ 
it feiner Auctorität Niemandem vorgreife, giebt er fein 
otum ad protocollum. Iſt das Votiren vorbei, jo wer: 
rota abgelefen (wobei Pfarrer und Schultheiß, wenn fie 
treten müßen, wieder zugegen fein follen,) und wenn ein 
ört bat, daß fein votum richtig ad protocollum genom⸗ 
den, fo werben ſolche abgezält, auch die Gemeinbebepu- 
e vota nicht nur für eins zufammen, fondern jedes be- 
jerechnet, und wofern es paria wären, Dem pastori übers 
ie maiora zu machen, ohne daß er durch die Verwandt⸗ 
ner eingejchränkt werde. — Nach diefem Allen wird das 
n und. wer die maiora erhalten bat, ad protocollum 
ı, und Das protoc. von allen Votirenden unterjchricben. 
en nun, der Die maiora erhalten bat, kann Das conclu- 
met und angekündigt werden, daß ihm auf die beftimmte 
: Abfertigung der Nomination halber an den Decan und 
jen an das hochfürſtl. Konfiftorium folle gegeben werben. 
; aber abgeredet worden fein, einen nur auf eine Probe 
en, jo fol die Probe nicht allzulang währen, ſondern 
tl. Ordnung in einer ober längftens zwei Monat Frift 
nation ad examen et confirmationem geſchickt werben.” 
amit aber auch in Ausftellung der Nomination feine 
wie vielfältig geſchieht, vorgehn, — jo wird Die Sade 
nder Weiſe behandelt und eingerichtet: Es wird im Na- 
Pfarrers, Schultheißen, Richters und Kommunendeputirten 
ırial ad Serenissimum an das hochfürſtl. Konfiftorium 
des nachfolgenden Inhalts: — — Diefed Memorial wird 
ht ald — nomine collectivo unterfehrieben, Hingegen eine 
des ganzen Wahlprotocolld, wie e8 geführt und ſubſeri⸗ 
den, in daſſelbige bineingelegt unb ſolches mit einem 
lante, damit der Spezial feinen Beibericht dazu thun 
erjehn,, hernach wird es dem Nominirten, jedod nicht 
‚alt, Daß er damit hinlaufen fann wo er will, ſondern in 
eiberiht an das Spezialatamt, welchen Pfarrer und 
ß unterfchrieben und verjchließen kann, zugeſtellt.“ — 
40° 





jugit wen pewvwern vis ovesuyeany wire unjugen 
ftrengfte. 

Aber fo trefflich nun auch für das Schulweſen bu 
ordnungen aller Art geforgt war, fo beburften dieſelben t 
fortwährenden Erneuerung, um bie beftehende Schulordnu 
lich zur Durchführung zu bringen. Es mufte (16. Octb 
den Pfarrern die fleißige Vifitiruug ber Schulen und die 
nung der Abjenten in Tabellen eingefhärft, und den Schu 
mufte es zur Pflicht gemadyt werden, bie Sonntagsſchu 
im Winter („wo nicht außerordentliche Kälte oder befond 
mangel ift") zu halten. Es mufte (10. Dechr. 1772) 
werben, bie Schulgefege bei den üblichen Prüfungen zu 
und Georgii den verjammelten Schulfindern vorzulefe 
mufte (23. Dechr. 1773) in ftrengfter Weile an die St 
tigteit aller Kinder vom fechften Lebensjahre an erinne 
(7. December 1778) die Schulmeifter nochmals ermahne 
Rechnen ald etwas Notwendiged in allen Schulen, | 
Knaben ald Mägdlein beſtens in Bang zu bringen;“ bis 
endlich nötig fand, die Schulordnung von 1730 mit ei 
ringen Abänderungen unter dem 18. December 1787 noe 
publiziren, 

Erſt von dieſer Zeit an begann ſich das Volksſchul 
dem, was e8 fein follte, zu entwideln und geficherten Vef 
Einfluß auf das Volk zu gewinnen, fo daß ſich erft von 
ein Bild des Volksſchulweſens in Würtemberg neben laͤſt, 


— 149 — 


Eule aufgeklärt werben follten. — Schulpflichtig waren 
alle Rinder vom fechften bis zum vierzehnten lebens: 
jahre an. Nur nady einem wenigftens ahtjährigen Schul- 
beſuch follten die Kinder von ber Schule „losgeſprochen“ wer: 
den; indeſſen Fam eine fo genaue Befolgung der gefeglichen Vor⸗ 
fhriften nur felten vor, da die Schulmeifter fortwährend bars 
über Klage führten, daß die Kinder von ihren Eltern zum Vieh⸗ 
hüten oder anderen Dingen gebraucht würden, daß fich dieſelben 
noh vor dem 14. Jahre in andre Häufer vermietheten u. f. w. 
Um diefen Uebelftand wenigften® allmählich zu Befeitigen, waren 
die Schulmeifter verpflichtet, genaue Abjentenliften zu führen und 
diefelben dem Pfarrer vor jedem monatlichen Bußtag einzureichen, 
damit der Pfarrer diefe Liften dem an jedem Bußtag zu haltenden 
Kirhenconvent vorlegen und deſſen Einfchreiten gegen die fäumigen 
Gltern veranlaßen Eonnte. Nach einem Gen.-Eyn.-Refcript vom 
12, Dechr. 1793 muften die Pfarrer, da manche Schulmeifter aus 
Furcht vor den Eltern oder aus anderen Gründen die Schulver: 
läumniffe nicht immer notirten, bei jedem Schulbefuche die „Neglec- 
ten-Tabelle“ ſich vorlegen laßen und biefelbe forgfältig prüfen. 
Sonntagsfhulen waren in allen Gemeinden des Landes 
eingerichtet, ließen aber freilich mitunter Vieles zu wünſchen übrig. 
Da biejelben an vielen Orten nur eine halbe Stunde dauerten, 
lo wurde durch Gen.-Eyn.-Refeript vom 3. Dechr. 1801 verord- 
net, daß die Sonntagsjchule „das ganze Jahr hindurch je eine 
volle Stunde gehalten werden folle.” Große Schwierigkeit batte 
8, die Sonntagsfchulen auch im Winter in Gang zu bringen, ba 
ih viele Gemeinden hartnädig weigerten, das nötige Holz zur 
beizung der Schulftube für den Sonntag zu liefern. Auf Befehl 
des Konſiſtoriums muſten daher jämmtlihe Decane bei den Kir- 
henviſitationen des Jahres 1804 die Gemeinden über den großen 
Rußen der Sonntagsſchulen nochmals belehren und ihnen bie Lie 
ung des geringen Holzbedarfes nochmals und ernftlichft zur 
Nicht machen. Daneben war ed (durch Gen.-Syn.-Refcript vom 
December 1795) allen Pfarrern dringend anbefohlen, fich ber 
mntagsſchulen, durch welche Die Jugend im Befige bes in ber 
Hufe Gelernten befeftigt werben follte, in jeber Weiſe anzu 





— 150 — 


nehmen, dieſelben, jo weit es ihre fonftigen Amtsgeichäfte erlauzı 
ten, zu bejuchen und den Schulmeiftern mit Rat und That an Hy, 
Hand zu gehen. Beſonders follten fie darauf fehen, „Daß beszen 
welhe ſchwach aus der Schule gefommen, mehr Aufmerkſamkeit 
gewidmet und überhaupt ja nicht geftattet werde, daß bie jungen 
Leute die Eprühe, Gejänge u. dgl. heimlich aus den Büchern 
berandlefen und folchergeftalt ihre Unmwißenbeit und Linfleiß be 
mänteln.” Damit es aud in den Sonntagsschulen nicht „an der 
erforderlichen Ernfthaftigfeit, Stille und Ordnung fehle,” burften 
biefelben „niemald von jungen Proviforen, fondern allezeit von 
den Echulmeiftern felbit, oder allenfalld auch von den consiste 
rialiter egaminirten Proviforen gehalten werden.” Außerdem war 
beftimmt (3. Dechr. 1795), „daß die Geſchlechter getrennt, und 
die ledigen Burfchen und Mädchen abmwechjelungsweife zur Sonn 
tagsfchule gezogen werden jollten.” 

Auch das innere des Schulwefens, Plan und Methode dei 
Unterricht war durd die vorhandnen Beſtimmungen genau gere 
gelt. Die Aufnahme von Schülern fand (nad Gen.-Syn.-Lefr. 
"vom 3. December 1795) nur zu Georgi und Martini, wo de 
Sommer- und der Wintercurfus begannen, ftatt. Um ber übe: 
lieferten fchlimmen Sitte, nach welcher die Schüler nur zu einem 
gebanfenlofen Syllabiren, Lejen und Memoriren angehalten wur 
den, ein Ende zu machen, und um die ‘Denfthätigfeit berfelben 
wenigftend infoweit zu weden, daß fie das Erlernte bewahren 
könnten, war ſchon durch Gen.-Syn.-Refeript vom 10. November 
1784 verfügt worden: „Wir finden befonders nötig, daß die Jr 
gend fchon von ben erften Jahren an auf kluge und chriftliche Art 
angeführt werde, das Wort des Herrn zu bewahren, das ihre 
Seelen felig machen kann. Wir wollen daher, — daß nicht mut 
von den Baftoren felbft bei ihren wöchentlichen Schulbeſuchen, 
fondern auch vornehmlich von jedem Schulmeifter des andern 
Taged nad) dem Gotteödienft mit der Schuljugend bie gehörte 
Predigt nochmals durchgegangen, und zwar, ohne daß felbige an 
gehalten würden, die Dispofition und Einleitung einer Predigt 
mühjam herzufagen blos über das, was fie daraus für Sprit 


md Lehren zu ihrer Erbauung behalten hätten, befragt werben 
ollen.“ 

Um nun aber überhaupt eine beßere Methode in den Unter⸗ 
cht zu bringen, von der zur Zeit noch die wenigſten Lehrer einen 
egriff hatten, muſte dreierlei geſchehn: die Pfarrer muſten den 
chulmeiſtern mit Der nötigen Auweiſung an die Hand gehen, bie 
Aulmeifter muften eruftlih an ihre eigne Ausbildung denken, 
d den Schülern muften gute Schulbücher an die Hand gegeben 
tden. Daher wurde durh Gen.Syn.-Reſcript von 28. Nov, 
87 verordnet: Die Pfarrer follten es „nicht blos bei dem anbes 
Henen wöchentlihen einmaligen Schulbeſuch bewenten laßeı, 
idern die Schulen mehrers beſuchen, auch bei diefem Beſuch 
ht nur die Kinder felbft in allen in den Schulen eingeführten 
asis nad) und nach prüfen, das Gelernte wiederholen, ihnen 
ches verftändlih machen und gewißenhaft erklären, und Dabei 
h Durch gute Lehren und Ermahnungen aufmuntern, fonbern 
h ihr Augenmerk ebenfowol auf den Sculmeifter felbft und 
ae Lehrmethode, und ob er befonders die Kinder richtig und 
itlich leſen, ausſprechen und fchreiben Lehre, richten und diefem, 
nn Da oder dort ein Mangel erfunden würde, Die nötige Aus 
Yung durch felbftiges Lehren in der Schule, aud durch eine 
te Wahl der Schreibvorjähriften, worin gute Religions- und 
ttenlehren angebracht, erteilen.” — — „Insbeſondre werden 
ch diejenigen Scullehrer, welche jelbft nody in den nötigen 
nntniffen, wie bejonderd vom Rechnen uud Schreiben — zurüd 
d, — erinnert, durch Anfchaffung der gedrudten Vorfchriften, 
d im Rechnen durdy die vorhandnen fo vielen guten Rechnen» 
der, wohin 3. E. die Shmalzriedifhen beiderlei Res 
enbücher, je nad) dem Unterjchiede der Schüler gehören, und 
f andre Weiſe fi) mehr zu habilitiren. Wie man fid) dann 
thaupt verjieht, daß zumal die jüngeren Schuldiener ſich wers 

angelegen jein laßen, nicht Bloß bei dem alten allgemeinen 
lendrian ftehn zu bleiben, fondern fi) auch durch Leſung nüß» 
T Schulfchriften innmer weiter und beßer zu bilden; und wer 
ihnen auch diesfalls ſowol decani als pastores mit nuͤtzlichem 
wegen der Wahl ſolcherlei Buͤcher — an Handen zu gehen 








— 192 — 


wißen, ſowie auch erftern bei den jährlichen Kirchenvifitationen fi 
mitzuerkundigen und davon Einſicht zu nehmen haben, waß für 
Schulbücher von Schulmeiftern und Provisoribus zu ihrer zwel: 
mäßigen Bildung fi) angefchafft und gelefen würden.” So kamen 
jegt zum erftenmale eigentlihe Schulbüder in die Hände ba 
Kinder. Nach Gen. «Syn. -Refcript vom 6. Decbr. 1791 follten 
diefeiben aus den piis corporibus angefchafft werben. Fuͤr bie 
Leſeübungen wurden ABCbücher und für den Unterricht im Echtes 
ben gedrudte Vorfchriften eingeführt. ALS Leitfaden zur Ertellung 
des Religionsunterrichted wurde durch Gen. - Syn. - Refcript vom 
26. November 1792 der Braunfchweiger Katechismus approbitt, 
ber fir die Schulmeifter „vorerft zu ihrer eigenen Bildung md 
dann zum Unterricht der ihnen anvertrauten Echuljugend” au 
Öffentlichen Kaffen angefchafft werden follte. Zugleich bildeten ſich 
unter den Schulmeiftern Lefegefellfhaften mit Schulbib’ 
fiothefen. Zu den Uebungen im Slirchengefang wurbe bat 
unter dem 20. Juni 1791 publizirte neue Würtemb. Gefangbub 
gebraucht, was indeffen nur ganz allmählich in den Schulen Ein 
gang fand. Das Bedürfnis einer anhaltenden Hebung der Chi’ 
ler nicht nur im Schönfchreiben, fondern auch imNRechtfchreiben 
wurde zuerft in einem Gen.-Syn.-Refeript vom 1. Dechr. 1790 
ausdrüdlich hervorgehoben. Falls die Schulmeifter im Rechtiärei‘ 
ben nicht unterrichtet wären, follten ihnen (nad) Gen.⸗Syn.⸗Reſcr. 
vom 3. Dechr. 1795) die Pfarrer den nötigen Unterricht erteiler 
und ihnen aud) in der Schule felbft an die Hand gehen. Zugleick 
wurde in der Verfügung vom 3. Dechr. 1795 verorbnet, „daf 
bie Bußpfalmen, weil darin der Faßungskraft der Kinder fr 
manches nicht Angemeßene vorkommt, den Eleinen nicht mehr, for’ 
dern höchftens den größeren, in reiferem Alter ftehenden SKinderr 
zum Auswendiglernen aufgegeben und — gehörig erflärt werden.” 
Außerdem follte der Pfarrer für jeden Tag die Abfchnitte hei 
Bibel, weldye in der Schule zu leſen wären, beſtimmen. Ginelnt 
Lehrer machten, wie es ſich bei den Schulvifitationen i. X. 179 
zeigte, den Verfuch, den Kindern „Eurze moraliihe Auffäge zu er 
zälen und vorzulefen, und fie alsdann von den Kindern zu Papie 
bringen zu lafen.” Die Generalſynode dieſes Jahres Bilfigte de 


— 153 — 

Verſuch und gab zugleich allen deutſchen Schulmeiftern auf, „ba 
on einer richtigen LXehrmethode fo viele® gelegen“ fei, „eine um« 
tänblihe Beſchreibung ihrer Methode im Unterricht und vorzügs 
ih der Religion” einzuliefern. Die eingefandten Berichte gaben 
er Generalſynode des folgenden Jahres Veranlaßung, durch Re 
ript vom 16. Januar 1799 die erften genauen Vorjchriften über 
ie im Schulunterricht anzumwendende Methode zu geben. Die 
deneralfynobe publizirte nemlich: | 

„Es ift 

a) die Religionslehre bisher nicht allgemein ihrem großen 
mede gemäß behandelt worden. Durch fie folte Gottesfurcht 
nd Tugend in die Herzen ber Schüler gepflanzt werben, und 
an bat fie gewöhnlich zur Sache des Gedächtniſſes gemacht 
nd berabgewürbigt. So gewiß es nun ft, daß das nie eine 
leibende religiöfe Geſinnung bewirken Fanı, was man in ber 
teligion nicht verfteht, wobei man nichtd-oder etwas nur dunkel 
mit, fo ift e8 auch notwendig, daß der Tehrer bei dem Religions⸗ 
nterricht feine Bemühung dahin richte, nicht nur den Verftand 
es Schülers von der Wahrheit der chriftlichen Religion zu übers 
ugen, fondern auch fein Herz für die Lehren derjelben empfäng- 
d zu machen. 

b) Es ift daher die Pflicht der Lehrer (mworunter wir auch 
' Beiftlichen jedes Orts immer verftanden haben wollen,) und 
m wiederholt hiermit ernftlichft den fchon oft an fie gejchehenen 
fruf, daß fie den Unterricht in der chriftlichen Religion nad) 
len Grunbjägen einrichten. Sie follen dabei praftifche Religion 
r chriſtliche Sittenlehre zum hauptſaͤchlichſten Gegenſtand neh⸗ 
t, weil teils dem Herzen der Schüler dadurch, daß fie Die Be— 
ung der geoffenbarten Religion anf ein moralifch richtiges Leben 
eben lernen, Liebe zur Tugend und Sittlichkeit defto mehr ein- 
rägt wird, teil die Dogmen für das unreifere Alter der 
hüler noch nicht ganz zweckmaͤßig find. 

c) Was die Vernunft über Gegenftände der Religion aus 
Irfcheinlichen Gründen, befonderd aus den Merken der Schöpfs 
ſchließt, iſt in ben chriftlichen Neligionsvortrag ebenfalls auf: 
ehmen; und fol der Lehrer Vernunft und geoffenbarte Religion 





— 14 — 


nicht getrennt von einander vortragen, fondern beide genau mit 
einander verbinden, die Gründe der Vernunft für bie Wahrheit 
der chriſtlichen Religion den Schülern zwar mitteilen, hingegen die 
Auctorität der leßteren aus der höheren und ſichern Duelle der 
göttlichen Offenbarung herleiten, damit diefe Die Grundlage ihre 
Religionskenntniffe und ihres Glaubend werde. 

d) Um dieſe Abficht wegen des Religiondunterrichtes deſto 
gewißer zu erreichen, haben wir bereits in dem Gen.Syn.Reſcripi 
von 1792 Nr. 14 die deutichen Schullehrer aufgerufen, neben der 
würtembergifchen Kinderlehre den Braunfchweigifchen Katechismus 
dabei zum Grunde zu legen. Nun Haben wir zwar aus den Bi 
fitations-Relationen bisher erjehen, daß mehrere Schullehrer den 
jelben teild zu ihrer eignen Bildung, teil zum Unterricht der 
Jugend benußt haben; weil wir aber nicht überzeugt worden find, 
ob fie auch befonders den biftorifchen Teil deſſelben benußen, fo 
verordnien wir hiermit ausbrüdlih, daß auf die Stellen, die im 
Auszug der Religionsgefchichte im Braunfchweigiichen Katechismus 
unten angeführt find, vorzüglic, Rüdficht genommen werben fol, 
und ift und nicht entgegen, wenn die Lehrer die Religionsgeſchichte 
nah den Fragen von Watermaier über den Braunfcweig 
Katehismus den Kindern beibringen wollen. Wobei es fid übt 
gend von felbft verfteht, daß die Pfarrer, wie ſchon bemerkt wor 
den, fich angelegen fein Iaßen werden, den fehwächeren Schulleh⸗ 
rern Die erforderliche Belehrung und Anweiſung zu erteilen. — 
Uebrigens wiederholen wir, 

e) daß bei dem Religionsunterricht Die Uebung des Gedächt⸗ 
niffes nicht ganz zu vernadjläßigen fei. Vielmehr follen die Shk 
ler die biblischen Sprüche (Hauptiprüche) ſowol der Glaubenslehre 
als der Lebenspflichten, und die jchiklichften Lieder aus dem neuen 
würtembergifchen Geſangbuch memoriren. Nur erfläre der Lehre 
fie zuvor den Schülern, damit fie verftehn, was fie ihrem Gedaͤcht⸗ 
nis einprägen follen, und damit dad Gelernte befto eher auf bad 
Herz zurückwirke. Zu diefem Ende verorbnen wir hiermit in Hit 
ficht auf die Mittel und Gelegenheit zum NReligion® 
unterricht, daß, | 

&) wenn die Schullehrer die Kinder ein auswendig gelerhieh 


— 195 — 


order erlärted Gebet, Spruch, Befang ac. ıc herſagen ober fie 
ı ber Bibel leſen laßen, wozu wir vorzüglid die Sprüche Sa⸗ 
mos in Rüdfiht auf die Pflichten der Kinder empfehlen wollen, 
er wenn fie ihnen eine Zabel oder moralifche Geſchichte vor⸗ 
jen ober diktiren, fie die Kinder, wenn es nach ihren Faßungs⸗ 
äften ift, angewöhnen follen, daß fie den Haupffinn-, die darin 
tbaltene Lehre, Glaubens» oder Lebenspflicht, felbft heraus 
den. Alsdann aber follen fie ihnen die Sache noch einmal 
th Exempel erklären und ihnen die rechte Anwendung auf ihr 
ened Leben zeigen; wodurch Der gedoppelte Vorteil erreicht wird, 
3 nicht nur die Kinder den wahren Verſtand des Gelefenen 
rt Öelernten behalten lernen, ſondern nuch das Gelernte befto 
ter auf das Herz zurückwirken kann. 

b) follen die Schullehrer, und wenn diefe nicht im Stande 
d, die Pfarrer den Schulfindern Anleitung geben, wie fie es 
jreifen müßen, um ben wefentlichen Inhalt einer Predigt auf- 
en und leichter begreifen zu Fönnen. 

Sind nun die Schulkinder einmal. darin etwas geübt, fo 
nicht nur in der Sonntagsfchule, fondern auch — in der 
entlihen Schule den Tag nach gehaltner Predigt zuverläßig 
> der Predigt egaminirt und die Anwendung Daraus nach den 
dürfniffen der Zuhörer gemacht werden. Da aud 

c) nichts geeigneter ift, das Herz zu erheben und zu reli 
jen Empfindungen aufzufchließen, als ein fchöner harmoniſcher 
hengefang , fo ift nötig, daß hierauf mehr Sorgfalt gewendet 
de, als bisher geſchehen if. Weil nun die Schullehrer mit 
en Schullindern den Kirchengefang hauptjählih Führen und 
en müßen ; und Daher erforberlih ift, daß die Schulfinder 
yn vorher mit der Melodie des Geſanges bekannt find, jo ver: 
nen wir, daß die Pfarrer und Vicarii denjenigen Gejang, wels 
R fie bei dem nächſt zu haltenden Gottesdienfte fingen laßen 
Um, einige Tage vorher dem Schulmeifter bekannt machen 
en, damit diefe nicht nur ſolchen ihren Schulfindern gehörig 
lien, und fie vorher noch in der Schule mit der Melodie des 
langes, befonderd wenn e8 eine neue ift, befannt machen und 
Singen üben können. 


— 156 — 


Wir verfeben und aber, daß die Decane bei den Kirdgen 
viſitationen vorzüglich aud auf den geführten Kirchengefang Ach 
tung geben, und deſſen in der Relation, wie es bereits einige 
beobachten, bei der Beurteilung Des gehaltenen Gottesdienftes 
Erwähnung thun werden. Wie wir denn auch den Echulmeiflern 
hiermit aufgegeben haben wollen, Fünftig in den Schultabellen 
anzuzeigen, ob und wie viele neue Melodieen gelernt worden 
feien. Was nun 

3) den Schulunterricht in ben übrigen im gemeinen Leben 
unentbehrlichen Kenntniſſen betrifft, jo wollen wir bier nur einiger 
Teile derfelben Erwähnung thun, indem wir annehmen, daß in 
Anfehung der übrigen die vorhandenen Vorfchriften und Anwei⸗ 
fungen genau werben befolgt werden. Wir haben nemlich wahr: 
genommen, daß 

a) in vielen Orten de8 Sommers das Rechnen gar nicht 
getrieben wird. Da wir nun diefes für fehr notwendig halten, 
und befonders der künftige Landmann folches fehr nötig hat, da’ 
mit er nicht bei der Verwertung feiner Felderzeugniffe Betrügereien 
ausgefeßt bleibe, fo verorbnen wir hiermit, daB auf das Rechnen 
in ber Schule ernftlicher gebrungen und des Sommers wenigfen® 
einmal in der Woche oder doch wenigftens alle vierzehn Tage 
darin zuverläßig Unterricht gegeben werben folle. Es ift «bet 
hierbei nicht unfre Meinung, daß nur das Rechnen auf bes 
Papier getrieben werben folle, indem grade der Landmann azMl 
wenigften in den Kal kommt, davon Gebrauch machen zu koͤnnent 
Die Schullehrer haben daher mit gleichem Gifer auf das Rene 
im Kopf zu dringen, fich felbft mit den dabei zu benügenden Bor” 
teilen befannt zu machen, und den Kindern die nötige Anleitung 
Dazu zu geben. 

b) Iſt uns fehr daran gelegen, daß auf das Diktirt: us P 
Auswendigfchreiben mehr gebrungen werde. Wir haben Urſache 
zu vermuten, baß biefer Teil bed Unterrichts im Schreiben nichkẽ 
aller Orten mit dem gehörigen Nachdruck getrieben werbe. 60 
gar haben wir wahrgenommen, daß öfter die von ben Decanz® 
bei den Schulvifitationen zum Schreiben biktirten Materien det 
Religiondfragen nicht in originali, wie fie von ben Kindern 35 





— 157 — 


hrieben werben, eingeſchickt, ſondern vorher noch abgefchriehen 
vrden. Da wir aber dadurch Feine Ueberzeugung von den Fort⸗ 
dritten im Diktirſchreiben erhalten, jo verjehen wir und zuver⸗ 
Big, daß folches nicht mehr vorfommen werde, und wollen den 
ecanis visitatoribus hiermit aufgegeben haben, die Schreibe 
oben gleich nady geendigtem Dictiren einzufammeln, mitzunehmen 
id jo unverändert einzufchiden.“ 

Zur Grmunterung ihres Fleißes erhielten zuweilen tadellofe 
inder und Lehrer aus der Gemeindekaſſe Fleine Belohnungen; 
ideſſen hielt e8 die Generaliynode von 1795 für angemeßener, für 
inder an die Stelle der Belohnungen nur Belobungen treten zu 
ben, weshalb fie durch Nefeript vom 3. Dez. verfügte, daß bie 
hulmeifter, „um gefittete und fleipige Kinder defto mehr ins 
ht zu fielen, und die unartigen und unfleißigen zu befchämen, 
hd ein beſonderes Bud, halten, die Namen der fleißigen und 
Meißigen Schüler in dasfelbe einfchreiben, nad Verfluß einer 
zoche ſowohl diefe als jene öffentlich ablefen, und dieſes Buch 
n Bfarrern bei ihren Schulbefuchen, bejonderd aber bei den 
fentlichen Frühlings⸗ und Herbftvifitationen vorlegen follen.” 

Banz befonderen Wert Iegten die Behörden auf die Schul- 
uche der Pfarrer, weshalb durch Generalfynodalrefeript vom 
Dez. 1795 verordnet wurde, „daß die Pfarrer und Bicare 
It nur das Datum ihres jedesmaligen Schulbeſuches, fondern 
h ihre Verrichtung in das Schuldiarium felbft noch in ber 
Jule einfchreiben, zu welchem Ende ihnen die Schulmeifter fols 
° Diarium vorlegen, nachher aber in der Schule verwahren 

dem Decano visitatori bei der Kirchenpifitation zuftellen 
en.“ Die Decane follten bei ihren Bifitationen Schreibübmigen _ 
mehmen laßen und das unter ihren Augen Gefchriebene an die 
erbehörbe einjenden. 

Ueber alled dad, was orbnungsmäßig in den Schulen 
Bachtet werden follte, gibt am vollftändigften das Schema 
Füchluß, welches durch Beneralfynobalrefcript vom 1. Febr. 1798 

die Baftoralrelationen über Die Schule vorgefchrieben war. - 

„Die Schule befindet ih in — — — Buftand; die Kinder 
Ehen — — — Fortfchritte, bejonders find fie im fertigen und. 


— 158 — 


correcten Leſen, auch mit Ausdruck des Accentd und Wbfepen, Er 
Auswenbiglernen und Gorrectichreiben, im “Rechnen, in eigener 
Anffäpen, in Erkenntnis der Heildordnung vor fih gekommen 
(oder bier und da, welches beftimmt anzugeben, zurüd); bie 
meiften ober wenigften find in Beobachtung der Ordnung, Stile 
und Neinlichkeit folgfam (oder widerjpenftig); kein (oder einige 
nominatim) incorrigibles Kind, das ſich durch Bosheit, Hal& 
ftarrigkeit, Faulheit, Ungehorſam, Rohheit beſonders auszeichnete, 
ift in der Schule; für Arme wird das Schulgeld ex pio corpore 
(oder — —) bezalt; die Verſaͤumniſſe find nach Ausweis der 
Schultabellen des Sommers (Winters) ſtark, gemäßigt, gering; 
fie find laut Protocolli kirchenconventlich gerügt (oder nicht ge 
rügt,) und die angefepte Strafe eingezogen worden (ober nidt). 
Dad Verbingen der Schullinder während der Schuljahre wird 
nicht geftattet (ober zu verhüten gejucht), und auf welche Art? 
Es geſchieht nur mit Vorwißen oder Ginwilligung des Pfarramte 
(oder ohne deſſen Vorwißen). Die gedrudte Schulorbnung ifl 
vorhanden und wirb fammt den neuen Schulordnungen und Re 
zeſſen beobachtet. Die gnädigft verorbneten Schulbücher, Abc⸗ 
Spruch⸗, neues Geſangbuch und Sinderlehre werden durchgängig 
gebraucht; Braunfchweigifcher Katechismus wird benutzt, von dem 
neuen Geſangbuch find — Gremplarien in der Schule; die ei 
nicht "befißen, werben zum Abſchreiben der aufgegebenen Lieden 
angehalten; das anbefohlene Schulreceßbuch, Schul⸗ und Kirden 
diarium, Sittenregifter, Hefte, Neglektenzettel find eins und fort: 
geführt (oder nicht, und warum?) ; der legtere wird alle Monatt 
zum Kirchenconvent übergeben (oder nicht); auswendig buchſta⸗ 
biren, Deutlich abgejeßt und mit gehörigem Accent leſen, bicirt, 
auswendig correct fehreiben, das Erzälte oder Vorgelejene von 
moralifchen Gefchichten, guten und ſchlimmen Beiſpielen, oder 
auch Iehrreiche Fabeln ſelbſt zu Papier bringen, Rechnen, We 
moriren der vornehmften Sprüche, des Katechismus, der neue 
Geſaͤnge, Vorbereitung auf bie naͤchſte Lection ber — 
Katechiſation ſind in Uebung (oder nicht, und warum 9); da⸗ 

Vorhergegebene wird erklaͤrt, über die Heilswahrheiten katechiſtt, 
die Predigten, zu deren Nachfchreibung in der Kirche bie älteſer 


— 19 — 


mgehalten werden, am — — — examinirt, auch bie 
um Gebet aus dem Herzen angeleitet. Die wider das 
efen und Schreiben gemachten Fehler werden (Angabe 
corrigirt; die fleißigen, gehorfamen und ordentlichen 
erben Öffentlich gelobt, und wo Prämien audgeteilt wer: 
ohnt; Die unfleißigen, ungehorfamen und unordentlichen 
, beihämt, beftraft; Die mutwillig unfleißigen von ber 
tion zurüdgewiefen. Die Kinder werben gleich nach zu- 
em ſechsten Jahre zur Schule gefhidt und nicht eher 
enommen, als bis der Pfarrer fie frei ſpricht. Sonns 
iſt Sommer und Winter separato sexu im Gange, 
> — Stunden lang gehalten. Zu Prämien find — fl. 
ario, oder eine befondere Stiftung oder außerordentliche 
fimmt. Eine befondere Spinnanftalt ift gemacht, wäre 
)raͤtlich, oder iſt ganz überflüßig, unnötig oder unmög⸗ 
n — — —. 
r Hebung des Schulweſens hatte i. J. 1797 ein wüͤrtem⸗ 
Pfarrer unter den Schulmeiſtern ſeiner Nachbarſchaft 
ig wiederkehrende Conferenzen veranſtaltet, in denen 
Intereſſen der Volksſchule unter ſeiner Leitung beſprochen 
Die Kirchenbehoͤrde ſah das Heilſame dieſes Verſuches 
in, und machte durch Reſcript vom 1. Febr. 1798 die 
n Darauf aufmerffam, „daß es für das Schulwefen jehr 
t wäre, wenn fin jeder Diöcefe nad) deren Größe eine 
rere Schulmeifters&onferenzen veranftaltet werden fönnten, 
en fie fich über Verbeßerung des Schulweſens miteinander 
: Direction eines Pfarrerd zu befprechen, erprobte Vor⸗ 
ver Lehrmethode und Schulzucht wie überhaupt gemachte 
he Erfahrungen fi) mitzuteilen und einer den anderen 
zu belehren hätte.“ Die Decane jollten daher unter 
ication mit den Pfarrern und Schulmeiftern ihrer Diö- 
h vor Michaelis dem Konfiftorium Vorſchlaͤge darüber 
‚ „ob und wie folche Schulmeifter-Bonferenzen in ihren 
einzuführen wären.” 
tichzeitig war das Kirchenregiment unabläßig bemüht, Die 
der Schulmeifter und die äußere Lage der Schule felbft 





— 160 — 


zu einer moͤglichſt würdigen zu machen. Daher wurden die Pfarrugm 
und Vicare durch Generalfynodalrefcript vom 3. Dez. 1795 any. 
gewiejen: „Daß fie die notwendige Subordination der Schullehrer 
über die Gebür nicht ausdehnen, ihnen, die ja ebenſowol wie fie 
in ihrem Gebiete an der Bildung des Menjchen und bejonderd 
der Jugend arbeiten, mit aller Schonung und Achtung begeguen, 
vor der Schuljugend felbft ihnen nie eine Weifung geben und am 
wenigften fie, bejonder8 in ben Schulftunden, zu unſchicklichen 
Privatgejchäften gebrauden werden.” — Schon i. J. 1780 war 
verordnet worden, „daß die Schuldiener glei) den Paſtoren, 
wenn fie vor das Konfiftorium gerufen, oder um etwas zu ſuchen 
nad Stuttgart kommen, wofern fie nicht etwa bei einem nahen 
Verwandten ihren Abftand nehmen, in der geiftlihen Her 
berge dermalen zum Bären logiren follen.“ *) In demſelben 
Sinn ſuchte dad Kirchenregiment auch die Schulftuben und die 
Einkünfte des Schulmeifters thunlichft zu beßern, was indefen 
feine großen Schwierigkeiten hatte. Durch Generalfynodalrefeript 
vom 3. Dez. 1795 war verfügt worden: „wenn die Pfarrer jehen, | 
daß für die Zal der Schulkinder die Schulftube zu eng if, — | 
fo haben fie foldyes gleihbald ihren Decanis anzuzeigen, damit 
biefe unter Communication mit den weltlichen Ober⸗ und Stabe 
ämtern auf die benötigte Grweiterung der Schulftube bringen 
mögen; follten aber irgendwo öfonomifche Umſtände ſolches nicht 
gleich geftatten, fo wollen wir eine Probe guädigft gejchehen lapen, 
daß, wenn es die Localverhältniffe des Orts nicht hindern, die 
Kinder inzwijchen in ſchicklichen Abteilungen unterrichtet, und nad 
jochen die jüngeren Kinder Vor- und Nachmittags entwedei 
Ipäter zur Scyule fommen oder bälder daraus entlaßen werden 
dürfen.” Uber die Synode bed Jahres 1798 bezeichnete hd 
eine große Anzal von Orten, wo gar feine Schulftuben vorha® 
den waren, und in einer Beilage wies dieſelbe 100 engräumigt 
und beinahe unbrauchbare Schulhäufer nach. **) 

Noch ſchrecklicher als der Zuſtand der Schulhäufer war 





*) Brgl. Dente’s Archiv für die neuefte Kirchengeſchichte B. 4. 6. # 
»9 Eichenlohr S. L. 


— 161 — 


nch immer die äußere Lage ber Schulmeifter ſelbſt. Aller- 
war gegen dad Ende der Regierung des Herzogs Karl 
93) Die Lage der Schulmeifter im fogenannten Unterlande 
Erhöhung des Schulgeldes wefentlicy gebehert, allein noch 
1795 wurden in Würtemberg 957 Schulmeifter und 366 
oren, alſo zufammen 1323 Lehrer aufgezält, „bie gröftens 
m Hungertuche nagten.“ Cine Wolthat für den ganzen 
der Schulmeifter war ed, daß um 1795 in der Dioöceſe 
gen eine Schulmeiſter⸗Witwen⸗-Kaſſe begründet wurde, welche 
tung, namentlidy ald das Kirchenregiment durch Gen. Syn.: 
vom 1. Febr. 1798 Diefelbe dringend empfohlen hatte, als⸗ 
a vielen Didcefen Nachahmung fand. 
Ratürli) war die Lage der Provijoren noch trauriger als 
r eigentlichen Schulmeifter, was freilich mit Der ganz unges 
rn Weile der Vorbereitung zum ESchuldienft in Zufammenhang 
Deffentlihe Praparandenanftalten oder Seminarien waren 
orhanden. Der Schulmeifter nahm Lehrlinge an, die ihm 
muften,, wa8 der Meifter in der Schule that. Seit 1791 
freilich fein Schulmeifter einen Lehrling ohne Genehmigung 
ecansd annehmen und durfte nody weniger, was ausbrüd- 
rboten war, feinen Sohn oder einen anderen Lehrling als 
or in der Schule fungiren zu laßen. Späterhin (28. No⸗ 
1794) wurde verfügt, daß ein jeder Proviſor wenigſtens 
jahre bei einem tüchtigen Schulmeifter in der Lehre gewefen 
Me. Waren Lie Lehrlinge „losgeſprochen,“ jo traten fie 
dem Titel „PBrovijoren” als Gejellen auf, die in Lande 
jogen, und fürzere oder längere Zeit da blieben, wo fie 
7 Schule Arbeit fanden. Erſt durd ein Gen.:Syn.:Refer, 
8. Nov. 1794 wurden die Decane angewiejen, „dieſes bes 
je Wantern von einem Ort und von einer Schule zur an—⸗ 
' was für dus Echulwejen tie nachteiligften Folgen habe, 
Träften zu verhindern, womit zugleich befohlen wurde, „Daß 
rhabenden Veränderungen mit den Proviforen nebſt ihren 
en den Decanen jedesmal angezeigt werben follten.” Da 
toviſoren von den Schulmeiftern ganz und gar abhängig 
, fo waren diefelben in der Regel Bilder des entjeglichiten 
: Bollsfhulweien, 2. 11 








Jammers. In einem Gen.Refer. vom 30. Januar 1792 wur 
die Geiftlihen auf diefe traurige Erſcheinung aufmerkſam gemac 
„daß die Proviforen von den Schulmeiftern gröftenteils ſehr fehle 
falarirt würden, bierdurdy aber denfelben alle Ermunterung zı 
Fleiß und Treue in ihrem Dienft genommen und fie öfters ein 
wahrhaft widrigen Schickſal ausgefegt würden.” Aber zur Bel 
rung ibrer Lage geſchah einftweilen gar nichts; nur eine for 
fältigere Gontrolirung der Broviforen wurde verfügt (30. Jan. 1793 
Alle Diejenigen, welde ein Schulproviforat zum erften Male nad 
ſuchten, muften wie bisher ſich zuvor von dem Decan prüfe 
laßen. Die bis dahin bei jeder Proviforatsveränderung übli 
gewejenen wieterholten Prüfungen wurden allerdings abgeftell 
dagegen follte fein PBrovifor zu einer Schulmeifterftelle gemäh 
werden können, der fid) nicht von Dem Konfiftorium babe prüft 
lagen, und zu dieſer Konſiſtorialprüfung ſollte Fein Provifor ve 
zurüdgelegtem 22. Lebensjahre zugelaßen werden. 

Einen erfreulichen Aublid bot das ſchon im Anfange d 
Jahrhunderts geftiftete Waifenhbans dar. Bereits in D 
Jahren 1705—1707 hatte Die Generalfynode Vorſchläge zur X 
gründung eines Waiſenhauſes ausgearbeitet. Man hatte be— 
tragt, ed möchte eine beſondere Commiſſion, der auch ein las 
ſchaftliches Mitglied beizugeben fei, den Gegenſtand in Grwägn 
ziehn. Der Geheimrat genehmigte den Vorſchlag und feßte dal 
jofort eine Commiſſion nieder, weldye die Ausführung der Sad 
namentlich Die Frage, wie die nötigen Mittel zu befchaffen jeir 
beraten follte. Am 28. November 1709 legte die Sonmmiffion i 
Gutachten vor, *) nad) welchen das Waiſenhaus fofort ein; 
richtet wurde, und zwar in Verbindung mit einem „Zucht⸗ u 
Arbeitshauſe,“ in welches teild Arme, die ohne ihre Echuld 


*) Unter den in Borfdjlag gebrachten Hülfemitteln wird auch angegef 
„das Kulenderprivilegium,” „Abſchaffung aller fremden und inländijcyen Zeitung 
und alleinige Einführung Eines im Waiſenhauſe gedrudten wödentlidien do 
nal8 :” auch wären berühmte Medici zu bitten, dem Waiſenhauſe ein oder andei 
geheimed Necept zu verchren und nach dem Beilpiel von Sale die BVerfertige 
und den Verkauf dem Waijendaufe zu überlaßen.” 


— 163 — 


Rot gefommen waren und nicht mehr arbeiten konnten, teild „gott: 
oje, ungeratene Kinder, Nachtſchwaͤrmer, Vaganten, Trunken⸗ 
olde, Spieler, ungehorfame und boshafte Eheleute, Knechte, 
kägde, fanatiſche Schwärmer und all’ anderes liederliched Ger 
idel, jo mit beftäubiger Hintanfeßung Gottes und aller Beße⸗ 
ngömittel das Predigtamt und die weltliche Obrigkeit toller 
eife verachten,” aufgenommen werben folten. Zur Fundation 
t Anftalt trug der Kirchenrat nad) dem Verhältnis des landr 
aftlichen Beitrag 3 — A000 fl. bei, unter Verwahrung gegen 
' Behauptung der Landichaft, daß ihm „fundationsmäßig obs 
ge, zu dergleichen Bweden vorzugsweije und dem gröften Teile 
ch beizutragen.” Die fehlenden Gelder wurben von ber Rents 
nmer gezalt und das Ganze gedieh fo glücklich, daß Das Wai- 
ihaus fchon i. J. 1716 eingeweiht und daß 76 Kinder in das⸗ 
be aufgenommen werben Fonnten, 

Späterhin (1775) gründete ein Privatverein zu Göppingen 
ı Haus zur Grziehung armer, verlaßener Kinder (eined der 
fen Rettungshäufer Deutfchlands). 

Die erfte Induſtrieſchule erhielt Würtemberg in der Ge- 
einde Birkach bei Hohenheim, wo 1. J. 1795 mit Unterflüßung 
$ Herzogs Karl eine Spinnanftalt für die Schuljugend einges 
tet wurde. Ein zur Verteilung an die Pfarrer beftimmtes 
chriftchen „Spinnanftalt zu Birkach — zum Beften armer Kin 
*, Stuttg. 1795” gab über die Organifation derjelben Nachricht; 
meralvefcripte von 1795 und 1796 forderten dringend zur Rad 
mung biefer Auftalt auf, und bald war daher. in vielen Bes 
'inden eine ähnliche induftrielle Beſchaͤftigung der Schuljugend 
geführt. *) 


— — 


*) Ramentlich trat der Eifer für Errichtung don Induſtrieſchulen in 
Ttemberg feit 1797 hervor, in weldem Sahre fi auch. die würtembergifche 
derverſammlung dieſer Angelegenheit annahm, indem fie durch Beſchluß vom 
Rov. 1797 den Bfarrer Kohler zu Birkach zu einer möglichſt voflftändigen 
Atwortung der ragen aufforderte: „wie und in wie weit die Einführung der 
mftriefhulen in unferem Vaterlande ausführbar fei, welche Hinderniſſe der 
richtung derfelben mehr oder weniger allgemein im Wege ftehen, befonders in 

11° 


— 


— 164 — 


Eine neue Periode der Entwidlung des würtembergiſche 
Volksſchulweſens begann mit Dem 1. San. 1803, an welder 
Tage in dem nunmehrigen Kurfürftentum Würtemberg ein Mani 
feft proflamirt wurde, weldye8 eine wefentlihe Umgeftaltung de 
Schulwefens anfüntigte. Alle geiftlihen und Schulangelegeuheite 
wurden dem zu Heilbronn errichteten Oberconfiftorium untergeben 
Bugleid wurde das Wahlrecht zur Beſetzung der Schullehrer 
fielen, weldyes bisher vielen Gemeinden geeignet hatte, aufge 
boben, indem fich der Kurfürft in der Inſtruktion für dad Ober 
couſiſtorium vom 25. uni 1804 „die Beſetzung ſämmtlicher — 
— Schullehrerſtellen — — unmittelbar” vorbehielt. Außerder 
wurde in dieſer Inſtruktion, das Schulwefen betreffend, ang« 
ordnet: „F 15. Wir übertragen unſerem SOberconfiftorium d 
höhere Aufjiht und Leitung über den Unſrer landesväterlide 
Sorgfalt fo nahe liegenden Orgenftand des ganzen Schuls um 
Erzichungswefens in Unferen neuen Landen, mit dem ernftlihe 
Auftrag, alle dermalen noch darin vorkommenden Mängel um 
Mißbräuche genau zu erforfhen, ihnen vor der Hand und ung 
jäumt jo viel möglich in Einzelnen abzubelfen, dagegen die fra 
willige Einführung möglicher Verbeßerungen, 3. B. Realbürge 
Ihulen in Etätten und auf Dem Lande einzuleiten, eine ſtrenge 
und thätigere Aufficht der Decane und Pfarrer über das Schu 
weſen und deren eigne thunliche Mitwirkung beim Schulunterric? 
anzuordnen, und auf Diefe Art das nötige und dringende W 
dürfnis einer allgemeinen Schulreform und den Entwurf eim« 
planmäßigen Edyulorganifation und Ordnung in unjeren neue 





melden Gegenden ded Landes und an welchen Orten ISuduftriefhulen am leitet‘ 
zu Etande gebracht werden können, welden Aufwand jede derfelben und D 
Leitung ded Ganzen erfordere u. f. w.“ — In Folge diefer Aufforderung arbeite 
Kohler mit unmfichtiger Benupung feiner eigenen Erfahrungen und der über © 
Induſtrieſchulen bereits vorhandenen Literatur feine „Gedanken über Cinführsz 
der Induſtrie ſchulen auf Begeren der würtembergiihen allgemeinen Landen 
ſammlung aufgefegt und übergeben,“ welche fo vieifeitige Unertennung- fander 
daß fi der Verfaßer veranlaft ſah, feinen fehr ausjüprlichen Auffag i. 3. 130 
im Druch zu veröffentlichen. 


— = 
“ 

4 
— 
* 


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— 
7 


— 
— 





— 166 — 


Landen vorbereitend zu befördern. — An Erledigungsfällen von 
Stadt⸗ und Landfchullehrerftellen erwarten wir bie Anzeige un: 
ſeres Dberconfiftoriumd. Die Gompetenten find jedoch vorher 
einer firengen Prüfung zu unterwerfen, welche genau nad) ten 
Bedürfnifſen derjenigen Schule abzumeßen ift, wo fie angeftellt 
m werden wünſchen. Tie Prüfung der — — zu deutſchen und 
Landſchullehrern beftimmten Subjekte fol vor einer niederzuſetzenden 
Sonfiftorialdeputation vorgenommen, hierüber aber durchaus ein 
genaues Protocol mit anzuhängendem Urteil der Examinatoren 
geführt, und defien Hauptinhalt dem an und zu erflattenden un« 
terthänigen Bericht beigeſetzt werden.“ 

Allerdings war es ſchlimm, Daß der gewöhnliche Weg zum 
kehramt noch immer durd die Hanbwerfäftube ging, oder daß 
wenigften® Die Vorbereitung zum Lebrerberuf ganz handwerksmäßig 
behandelt wurde. Kin Eynodalrezeß von 1807 befahl: „daß fein 
dem Schulfach ſich wibmender Spuzipient früher als nach zurück⸗ 
gelegtem 14. jahre in die Lehre aufgenommen werden uud nicht 
eher ald nady drei Jahren in die Lehre treten folle.” Aber man 
begann doch bereitd an einzelnen Orten für cine planmäßige 
Vorbereitung der Schulamtscandidaten wenigftend im Kleinen 
Eorge zu tragen. Zu Heilbronn lich das Staatdminifterium 
i. J. 1809 durch den Echulinfpeftor C. A. Zeller einen paͤdago⸗ 
giſchen Kurjus eröffnen, zu deſſen Beſuche die ſchon angeftellten 
Lhrer aufgefordert wurten. 25 cvangeliihe und 12 Eatholifche 
Imen infolge deſſen nach Heilbronn, um ſich vorjchriftsinäßig 
inſtruiren zu laßen. Bon da an begann ſich der Zuftand des 
Volksſchulweſens nach allen Seiten Hin raſch zu beßern, — nas 
Mentlich unter dem gefegneten Einfluße des (titulirten) Prälaten 
don Denzel.”) 

Eine katholiſche Schulorduung war ſchon 1. J. 1808 er. 
ſchienen; eine evangeliihe Schulordnung folgte i. J. 1810 nad). 
Durch beide wurden wenigftens die äußern Verhältniffe des Schul⸗ 
weſens geregelter, und mittelbar wirkte dieſes auch günftig auf 
Un 

neber das Leben und Mirten deffelben vgl. „Blätter aus Süddeutſchland 
für doe Volkserziehungs · und Bolksunterrichtsweien.” Jahrg. Ul. Heft 4. 


— 166 — 


das Innere defjelben ein; wenn gleih manche Beftimmun 
Schulordnungen unaudgeführt blieben. Immer mehr wu 
nun an auf die Vermehrung der Schulen Bedacht gen 
denn auch der Fleinfte Ort. im Lande follte wenigfter 
Filialſchule Haben und ohne den Segen des Schulunterrich 
fein Kind im Lande mehr aufwachſen. Der Grundſatz bes 
zwanges wurde immer firenger und conjequenter durch 
Daher die firengen Normen für Beftrafung der Schulverfä 
Tägliher Schulbeſuch auch während des Sommers wurde 
dem dieß in dem evangelifchen Landesteile ſchon feit 181 
war , fpäter auch in den Fatholifchen Gemeinden zum Gefi 
Schulpflichtigkeit dauerte vom ſechſten bis zum vie 
Jahre; und die Leiftungen der Schule wurden durch im 
nauere Prüfungen controlirt. Was die Unterrichtögegenftä 
die Unterrichtömethode betrifft, jo erfreute ſich Peftaloz 
thode, die namentlich durch C. A. Zeller zu Heilbronn ı 
wurde, anfangs der entjchiedenften Begünftigung; allein fi 
wurbe biefelbe aus Würtemberg geradezu verbannt, indem 
in einer Föniglichen Rejolution verfündigt wurde, daß b 
Lehrplane Alles, was auf Die Peftalozziiche Methode, 
wir nun ein für allemal in öffentlichen AYuftituten nicht ei 
wißen wollen,” hindeuten würde, durchaus zu vermel 
Dagegen drang nad mandyem Kampfe, den die Vorur 
Volfed hervorriefen, und felbft Schulvorfteher nährten, | 
phanifche Tehrmethode beinahe überall dur; der Rechn 
richt erfuhr daneben den umbildenden Einfluß Peftaloz; 
deutfchen Spradunterriht begann man als eines der w 
Unterriptöfächer aufmerffam zu werden, man dachte an 
rung ded Nealienunterriht3 und der Beichnen- und For 
u. |. w. Mit befonderer Energie und befonderem Erfolg 
in ben proteftantiihen Schulen auf. Ausbildung des Gefaı 
gearbeitet, und damit zugleich die Entftehung von Gefang 
unter den Schullehrern und von erwachjenen Gliedern 
meinde gefördert. Mit Auszeichnung find als Beförberer 
gemeinen Gefangbildung die Namen von Wolbold, Sik 
Kocher zu nennen, 


— 


— 197° — 


Auch die Einführung des Bell:Tancanfterfchen Unterrichts 
Voftemd wurde verfucht. Die erfte Probe wurde im Stuttyarter 
Wailenhanfe vom 26.—31. Mai 1817 dinch einen durchreiſenden 
-polnishen Lehrer aus Warſchau, Krainsky, welcher in Paris 
2 Sahre lang den gegenfeitigen Unterricht ſtudirt und betrieben 
batte, vorgenommen; fie bejchränfte fich jedoch blos auf die Dars 
ftellung einer folhen Schule in der Anfchauung und auf eine 
kurze Anleitung, welche Krainsky vor feiner Abreife einigen 
Lehrern zur Ausübung der Methode erteilte. Im Frühjahr des 
folgenden Jahres befahl der König, daß die Referenten in Schuls 
ſachen bei dem evangelifchen Konfiftorium, Prälat d'Autel, und 
bei dem katholiſchen Kirchenrat, Dberfirchenrat v. Werkmeiſter 
zujammentreten und ihr Gutachten über die Dell = Lancafterfche 
Unterridhtömethode, ihren Wert an fi), und ob und unter wels 
Ken Beftimmungen diefelbe in den Glementarfchulen des Landes 
einzuführen fein möchtet, erftatten follten. Zu gleicher Zeit wurde 
aud der Studienrat zum Bericht hierüber aufgefordert. In Yolge 
ber Anträge wurde unter dem 9. Mai 1819 genehmigt, daß 
förderjamft eine Probe mit einer mobificirten und bezichungaweife 
verbeßerten Anwendung der einzelnen Vorteile dieſer Schuleinrich⸗ 
tung veranftaltet und die Leitung und Beobachtung tiefes Ver: 
ſuchs den erwähnten Referenten übertragen werde follte. Es wurde 
nun fogleich in demjelben Jahre Die Anwendung der tabellarijchen 
Formen in der erften Elementarklaſſe des Stuttgarter Waijens 
hauſes unter der Aufficht Des Schulinſpektors Zeller .und unter 

leitung eines bejonders hierzu anfgeftellten Lehrers uud in einigen 
andern Echulen verfucht. — Ungefähr zu gleicher Zeit wurde 
dieſe Methode bei dem erften Reiterregiment zu Ludwigsburg durch 
defien damaligen Commandanten, Oberft von Neinhartt, einges 
ührt, und ſoll „ganz erfreuliche Refultate gewährt haben.“ Am 
18, Nov. 1822 wurde ſodann verordnet, daß, bevor dieſe Unters 
Atethode allgemein in ten Volksſchulen eingeführt werde, fie 
Die Bisher in der Schule des Waiſenhauſes, den ftäbtijchen 
dulen zu Stuttgart und in der Mufterfchule zu Eßlingen in 
Wertung zu bringen fei. Die Refultate der während des Wins 
ns I822,,, noch weiter ausgedehnten Verſuche follen gewejen fein, 


— 168 — 


„daß man der Bellstancafterichen Schuleinrichtung zweckmaͤ 
Belebungsmittel des Unterrichts und verbeßerte Schulzucht verbai 
Leider geſchah für zwei wefentliche Vorausfegungen ı 
tüchtigen Volksſchulweſens, — nemlich für Hebung der Bil 
und für die Beßerung der äußeren Lage der Scullehrer 
immer zu wenig. Im Sabre 1810 gab es in Würtemberg 
Lehrlinge des evangeliſchen Schulftandes. Der gröfte Teil 
felben war aus den niederen Ständen entfproßen und in U 
erzogen. Diele waren Söhne von Schulmeiflern, nur ganz wı 
gehörten den höheren Ständen an. Die Bildung diefer Lehr! 
des Schulamted war faft ausſchließlich in die Hände der © 
lehrer gelegt. Zwar follte Fein Schulmeifter ohne Vorwißen 
Decans einen Lehrling annehmen, und die Decane follten 
erprobten Echulmeiftern dieſe Erlaubnis erteilen. Untüd 
Schulmeifter ſollten nit einmal ihre eignen Söhne als Lehrl 
annehmen dürfen. Allein fchon die Verfchiedenheit der Anfic 
über die Tanglichkeit der einzelnen Schullehrer, die Gleichgü 
feit, womit mehrere Decane dieſe amtliche Obliegenheit behanbel 
die geringen Anforderungen, die man vormals an ben &ı 
ſchullehrer gemacht hatte, Die verfchiedenen Rüdfichten,, welche 
die Erteilung diefer Erlaubnis bin und wieder einwirften, ve 
laften e8, daß der größere Teil der Schullehrer, denen die 
dung der „Schulincipienten” anvertraut war, ſich dieſem Geld 
in höchſt unberufener Weife unterzogen. Als i. J. 1809 
Dberconfiftorium zu Stuttgart von ſämmtlichen Schulmeifl 
welche Lehrlinge unterrichteten, Berichte über ihre Unterrichtev 
einforderte,. ergaben fi die traurigften Refultate. Viele 
ftanden die Aufgabe gar nicht und lieferten nichts als einen 
talog der Materien, die fie ihren Böglingen beizubringen fud 
aber das Wie? mußten fie nicht zu beſchreiben. Giner wa 
aufrichtig zu geftehen, „daß er felbft nicht eigentlich jagen fd 
nach welcher Methode er feinen Incipienten unterrichte ‚” ein 
derer fagte, „er gebe dem Lehrling möglihft nügliche Bi 
in die Hände und nötige ihn, fte fo ſchnell als möglich bur 
lefen, oder er Tape ihn fingen und finge mit ihm, um ihm 
einfache Schreien abzugewöhnen” ober „er laße ihn .im Sı 


— 169 — 


ſchreiben fih üben durch eine ſelbſt gefchnittene gute Feder.“ 
„Das Wie? in ber Frage, behauptete ein Anderer, würbe eine 
allzulange Beſchreibung erfordern, weil ein Lehrer bei den meiften 
Imeipienten täglih neue Umftände und Vorfallenheiten entdeden 
muß, genug! bisher bat, Bott fei Dank, bei mir die Hoffnung 
der Erwartung entiprochen.” Nach gewißenhafter Prüfung der 
von den Schulmeiftern gelieferten Relationen über ihre Unterrichts- 
methode mufte dad Refultat audgefprochen werden: „daß es bei 
den Meiften mehr ein Abrichten, als eigentliches Bilden zu ihrem 
Derufe fei, Daß die Böglinge mehr tie äußere Praxis des Schul- 
meifter8 im gewönlichen Sinme mechaniſch lernen, als daß fie für 
ihre Praxis Gründe anzugeben wüften; daß meiftens gar fein 
Plan der Unterweifung des Incipienten zu Grunde Tiege, — öfter 
felbſt nicht einmal tägliche beftimmte Stunden dafür ausgeſetzt 
fein, fondern diefer Unterrichtöftunden Zal von dem Mangel 
an häuslichen oder Feld-Geſchäͤften des Schulmeifterd ab- 
Hänge“ u. ſ. w. 

Außer den Echulmeiftern, welche fi) der Bildung von Lehr: 
lingen des Schulftandes wibmeten, waren noch einige Heine In— 
Ritute im Lande, welche ebenfall® Lehrlinge annahmen. Dazu 
gehörten 

1) Das Stuttgarter Waiſenhaus. Schon im Jahre 1797 
war in dem für das deutjche Schulwefen zu Stuttgart entworfer 
nen Verbeberungsplan des Gonfiftoriums bei Gelegenheit des Vor⸗ 
hlags, einen Inſpector für die deutſchen Schulen aufzuſtellen, 
der Gedanke geäußert worden, es könnte die nach jenem Plane 
als notwendig dargeftellte Anzal von 12 deutſchen Schullehrern 
die befte ®elegenheit zur Bildung eines fleinen Schulfeminars 
unter ber Leitung des neuen Schulinfpector8 barbieten; auch 
wurde in der barauf erlaßenen Geheimen-Rats⸗Reſolution befohlen, 

Meer Gommunication mit dem damaligen Kirchenrat auf bie Rea⸗ 


— — 


) Das zunachtt Folgende if meiſtens mörtli nad) d'Auteldie Anſtalten 
Bildung künftiger Volksſchullehrer evangeliſcher Konfeffion im KRönigreiche 
Dre genberg,“ in den „freimütigen Sohtbüdern der allgemeinen deutſchen Wolts- 
Garen] 6. 127 ff. mitgeteilt 


— 170 — 


liſirung dieſes Vorſchlags Bedacht zu nehmen. Allein da jen 
Schnulplan nicht praftiich geworden war, jo hatte auch von Seit 
des Staates für die Realifirung dieſes zwedmäßigen Vorſchlag 
nichts geichehen können. Indeßen hatte der für Verbeßerung bi 
deutſchen Schulwefend unermüdete thätige Schulinfpector und Wa 
fenpfarrer M. Riede diefen Plan der Erridytung eines kleine 
Schullehrerſeminars dadurch zu verwirklichen begonnen, daß ı 
Lehrlinge gegen ein jährliches Koftgeld, das fie dem Waiſenhau 
bezalten und welches endlich bis auf 140 Gulden gefteigert wurd 
in Wohnung, Koft und Unterricht nahm, fie teild felbft unterrid 
tete, teild von feinen Schullehrern unterweifen und in fein 
Schule in der beßern Lehrmethode praktiſch üben lief. Ale 
diefe Anftalt konnte ſchon ihrer ganzen Anlage nad feine grof 
Frequenz haben; zwölf bis fünfzehn Zöglinge konnten für de 
Ganze des Volksſchulweſens im Lande nicht viel wirken; au 
mufte den Lehrlingen durch die Notwendigkeit, fich ihr Koftge- 
durch Privatunterricht wieder verdienen zu müßen, nidyt nur d 
für die Pflege ihrer eigentlichen Bildung erforderliche Zeit E 
Ihränkt, fondern auch Kraft und Luft zum eignen Studium me 
oder minder geſchwächt werden. Gleichwol, gingen Doch mehre 
gut gebildete Lehrer aus diefer Anftalt hervor, die außerdem ıc 
jentlich Dazu beitrug, daß das Bebürfnid eined Volksſchullehrs 
feminars allmählih mehr und mehr fühlbar wurde, 

2) Das Scullehrerfeminar zu Dehringen. Dafjelbe ve 
dankte fein Entftehen der Wolthätigfeit des Fürften Ludwig Frie 
rich Carl zu Hohenlohe »Debringen «Neuenftein,, der unter de 
19. Juni 1788 ein Capital von 10000 fl. ftiftete, aus bep: 
Binfen jederzeit 3 Schulamtecandidaten zu Dehringen freie Ko 
Wohnung und umentgeltlichen Unterricht erhielten. In der Reg 
wurden in dieſes Seminar Schulproviſoren zu ihrer weiteren Au 
* Bildung aufgenommen. Der ganze Lehrceurfus dauerte 3 Jahr 

3) Tas Eßlinger Alumneum. Dafjelbe erzog jährlid u 
gefaͤhr 10 arme junge Leute und zwar gröftenteild für den Lehre 
ftand. Der Fonds, aus welchem fle in Wohnung, Koft und Wi 
terricht ganz frei erhalten wurden, war nicht unbedeutend. De 
Mector des (lateinifchen) Paͤdagogiums war jedesmal Yufjeper Di 


— 11 — 


ed Inſtituts, deſſen Local felbft in einigen Zimmern des Paͤda⸗ 
gogiums beftand. Urfprünglich waren diefe Alumnen für die Kir 
chenmuſik beftimmt; gleichwol bildeten fie ſich meiftens zu Iateini. 
ſchen ober deutſchen Schullehrern aus, obgleich die Anftalt für 
dieſen Zweck nicht beftimmt war. 

4) Das Gontubernium zu Hall hatte ganz denjelben Urs 
ſprung, dieſelbe Anlage, dieſelbe Beſtimmung und Aufficht und 
Lieferte ebenfalls in Einzelnen feiner Böglinge gelegentlich Candi⸗ 
Daten des Schullehrerftandes. 

5) Das Tübinger Pauperat beftand aus 2 Präfecten und 
5 Echülern. Diefe Pauperes fangen wöchentlich) vor den Häufern 
und wurden auch bei dem Sirchengefange gebraucht. Mehrere 
von ihnen widmeten fi) dem deutſchen Schullebrerftande und 
wurden zu Tübingen zu dieſer Beflimmung weiter ausgebildet. 

Allein alle dieſe Anftalten lieferten jährlich höchftens 30 
Zöglinge für den deutſchen Schullehrerftand und auch bei ihnen 
konnte von einer methodischen Berufsbildung feine Rede fein. Die 
in jedem Jahre wiederkehrende Zahl von 200 Schulincipienten 
war fomit den präparirenden Händen der deutſchen Schulmeifter 
überlaßen. 

Um den Anfang zu einer methodiſchen Ausbildung der 
Schulmeifter zu madyen, eröffnete die Staatsregierung im Jahre 
1809 zu Heilbronn den (ſchon oben erwähnten) päbagogifchen 
Curſus. Aber man überzeugte fih, daß ein ordentliche Schul⸗ 
lehrerſeminar nicht mehr zu entbehren ſei. Die Generalſchulver⸗ 
ord nung von 1810 befahl: „Die Incipienten des Schullehrerſtan⸗ 
des ſollen Fünftig die zu ihrer Lehrzeit beſtimmten 3 Jahre (von 
erfo Igter Confirmation bis zum 17. Jahre ihres Alters) nur allein 
Meinem öffentlichen Schullehrerſeminar, oder in einer vom K. 
Berconfiftorium genehmigten Privatbildungsanftalt eines im paͤ⸗ 
da gogiſchen Face ſich auszeichnenden Geiſtlichen, oder bei einem 
“au ausdrücklich legitimirten, vorzüglich tuͤchtigen Schullehrer zu- 
Fürzgen.“ | 

Zugleich wurde die fofortige Einrichtung eined Seminars zu 
Lingen an der Stelle des aufzuhebenden Alumneums daſelbſt 


— 1172 — 


angeordnet, neben welchem Hauptfeminar jedoch das Seminar ' 
Debringen und die Lehranftalt im Stuttgarter Waifenbaufe no 
fortbeftehen follten. 

Die Eröffnung des Seminars zu Eßlingen (in welde 
der Prälat von Denzel mit nnermüblichem Eifer thätig war,) € 
folgte am Tage Georgü 1811 und zwar mit einer Anzal von 7 
bis 80 Böglingen. Erft i. J. 1824/25 wurde ein zweites Sem 
nar für den Fatholifchen Tandesteil zu Gmünd errichtet. — Di 
neben entftand eine Reihe von Privatbildungsanftalten, geleit 
von Geiftlihen. Die große Anzal von Sculamtöpräparanbeı 
welche in dieſen Anftalten Feine Aufnahme fanden, war freiliı 
immer noch genötigt, fich einzelnen Schullehrern zur Präpartrun 
zu übergeben. Indeſſen wurde doch jetzt mit Grteilung der Geı 
ceffion zur Annahme von Präparanden umfichtiger und firenge 
verfahren. 

Um unter den fchon im Amte ftehenden Lehrern all 
mählich ein regeres Leben und Streben zu erweden, ware 
die fchon durch Generalverorduung von 1793 der gejammte 
Beiftlichkeit empfohlenen Schullehrerconferenzen durcht 
Schulordnung von 1810 für das ganze Land angeordnet um 
durch zalreiche nachfolgende Verordnungen geregelt worben. Us 
es zeigte ſich alsbald, daß es kein wirkfamered Mittel gab, = 
in Predigern wie in Lehrern das Intereſſe für Volfserziehur 
wad zu erhalten und die Erkfenntniffe und Erfahrungen Einzeln 
zum Gemeingute Vieler zu machen, ald eben dieſe Conferenze 
ber Schullehrer. Daher war die neue Einrichtung fehr ba} 
durch das ganze Land Hin verbreitet. Um das Jahr 1820 we 
diefelbe folgende *): 

In jedem der 50 Delanate des Königreich beftanden — na« 
Masgabe der ocalität — eine bis vier foldher Gonferenzgeiel 
“ fchaften. Es waren im Ganzen deren jetzt etliche und neumig 
Der Ort der Bufammenkünfte war für jebe vom königl. Obe: 
conſiſtorium auf erhaltene defanatamtliche Berichte Beftimmt. % 





*) Rach den freimütigen Jahrbüchern der gllgemieinen deutſchen Volktſchale 
1882, ©. 389 fi. 


— 1713 — 


der Spige jeder ſolchen Gefellichaft fand, mit dem Namen Gon- 
ferengdizector, ein vom fönigl. Defanatanıt vorgefchlagener,, vom 
fönigl.' Oberconfiftorium ernannter Geiftliher. An mehreren Or 
ten führten auch zwei gemeinichaftli das Geſchaͤft. In Krank 
heitöfällen war, auf Verlangen des Directors, jeder Geiſtliche der 
Didcefe verbunden, feine Gefchäfte zu übernehmen. Die Jüngern 
folten ihn überhaupt auf fein Begehren unterftügen. Der Gons 
ferenzdirector war nicht befoldet. Nur, wenn die Konferenz außer: 
bald ſeines Wohnorts gehalten wurbe, erhielt er für feine Aus 
lagen eine tägliche Remuneration von 4 fl. aus den Stiftungs⸗ 
kaſſen der betreffenden Bezirksorte. Uebrigens wies die Verord⸗ 
nung von 1816 8. 10 auf bejondere Berüdfichtigung eifriger Con⸗ 
Terenzdirectoren bei eigenen VBeförderungsgefuchen bin. Dem Aufs 
trage, die Direction einer Gonferenz zu uͤbernehmen, durfte ſich 
fein Geiftlicher ohne genügende Gründe entziehen. Nur ein Alter 
über 60 Jahre dispenfirte. Die übrigen Geiſtlichen der Diöcefe 
Waren Mitglieder der Gonferenz und — follten fi mit dem Dis 
tector über die Bedürfniffe ihrer Schulen in Gorrejpondenz fegen. 
Jeder der 1400 Schullehrer und 562 Proviforen des Königreichs 
— mit Ausjchluß der Incipienten — war zu Einer diejer Gefell- 
haften eingeteili und dem Director derfelben für die Zwecke der 
Anfkalt untergeordnet. Nur der Director konnte ihn von perjöns 
lich en Erfcheinen bei der Gonferenz, ober von Grfüllung anderer 
Bliegenheiten dispenſiren, wobei nur erwiefene Krankheits⸗ oder 
andere dringende Fälle ald gültige Entfchuldigungsgründe anges 
nomamen wurden. Bei Veränderung feiner Stelle hatte Jeder ſich bei 
enn Director des neuen Bezirkes, in den er eintrat, zu präfentiren; 
bei Bewerbung um Anftellung oder Beförderung war ein Zeugnis 
vom Director beizubringen. Die Gonferenzen wurden überall 
KBxid viermal gehalten. Es wurde dazu ein Mittwoch beftimmt, 
Deig an diefem Tage ohnehin überall Nachmittags’ Vakanz Statt 
ſanr D und bie Schulen mithin nur den Vormittag an Zeit verloren. 
Le Beftimmung des Termins zu den Bufammenkünften fand der 
Di Tection zu, welche übrigens darauf ſah, Daß fie nie zu nahe 
zu cammenfielen. Die Verhandlung begann, am feftgefegten Tage, 
in Der Schule oder auf dem Rathaufe des Gonferenzortes fo früh 


4 


— 11 — 


als möglich und wurde auch Nachmittag fortgefegt. Es wın 
ein Protocol geführt. — Der Director bediente fi) da 
der Schullehrer. In dem Protocol wurden bejonders auch d 
jenden und abwejenden Mitglieder genannt. Ueber jed 
ferenzbezirt wurde nad Abſchluß des Jahres vom Direct: 
das Dekanat ein allgemeiner Bericht an die königl. Sy: 
ftattet, die Fleißigen oder Unfleißigen Darin bezeichnet , 

gelungenften unter den eingefommenen Abhandlungen 5 
Sn befonderen Fallen wandte ſich der Director mit bei 
Anfragen und Bitten durch den Defan an das fönigl. X 
fiftorium. Die Fleißigen erhielten nah DBejchaffenheit d 
fände Belohnungen, Die Unfleißigen Monitionen von ber 
Behörde, weldye überhaupt über Erreihung der Zwede Di 
ftalt wachte. Jeder Lehrer erhielt aus den öffentlichen 
feines Wohnortes eine angemeſſene Remuneration für fei 
lagen. Hauptthema waren bei jeder Konferenz eine ober 
vom Director vorgelegte pädagogifche oder didactiſche Frageı 
Director ordnete die Gejchäfte nach einem beftimmten 
machte auf die Wichtigkeit ded fraglichen Gegenftandes ı 
fam ꝛc., beurteilte die eingefommenen Arbeiten öffentlich 

Mottos oder Nummern, ohne Namensbenennung, berichtig 
Anfichten, hob das Beßere "heraus, mit beftändiger Berückſi 
bes Stils. Er ftellte Die Refultate aus den eingefommei 
beiten zufammen, verglich fie, ließ über ihre Anwenbbarf 
Nichtanwentbarkeit abftimmen, verband damit Belehrung 
neuere Methoden u. |. f. und Ermahnungen in Betreff nı 
bandener Mängel u. ſ. w., knüpfte daran mündliche Verh 
ber fich daraus ergebenden Fragen über tie vorliegende o 
damit genau verwandte Materie, fafte die ausgefprochenen 
ten zufammen und führte fie zu einem Beſchluß. Auch 

er einzelne Mitglieder, beſonders auch feine anweſenden gı 
Gollegen, auf, Erfahrungen, Fragen, Wünjche u. dgl. vorz 
deren Grörterung er alsdann leitete, trug Anfichten aus 
pädagogiichen Echriften zur Prüfung und "Beurteilung vo 
ließ Einzelne vortragen, was ihnen aufgefallen. Er machte 
ber neueften pädagogijchen Literatur befannt und brachte di 


— 15 — 


der päbagogifchen Lefegefellfchaft zur Sprache, ftellte praktijche Uebun⸗ 
gen im Dociren, Vorlefen, mündlichen Vortrag, Singen u. dgl. an. 
machte die Lehrer mit den neueften vaterländifchen Verordnungen 
im Schulweſen, fo wie mit anderen wichtigen Ereigniſſen in der 
püdagogiichen Welt befannt und begann das Thema der nächften 
Conferenz mit Nennung der Schriften, die etwa darüber nachge⸗ 
lejen werden Eönnten. Auch wurden Nügen über Fehltritte auß- 
Beiprohen, die gegen die Würde des Standes waren und dem: 
Velden die Achtung bei anderen Ständen benahmen. 

Somit waren feit 1810 mandherlei Einrichtungen getroffen, 
welche allmählich wenigftens eine der Aufgabe des Volksſchullehrer⸗ 
amtes entſprechende Bildung unter den Schullehrern beimifch 
machen muften; aber die Wirkſamkeit diefer Einrichtungen wurde 
in hohem Grade dadurd gehindert, daß noch immer faft alle 
Lehrer von der Sorge um das tägliche Brot gequält waren. Die 
Säeularifirung des Kirchengutes (2. Januar 1806) und die Aus— 
gaben, welche feit 1806 und 1809 der Krieg verurfachte, hatten 
den Lehrern für lange Zeit alle Hoffnung auf eine Beßerung ihrer 
äußeren Page genommen. Die katholiſche Schulordnung von 1808 
beftimmte über dad Minimum der Schullehrergehalte gar nichts, 
und wenn die evangelifhe Schulordnung von 1810 beftimmte, daß 
jede Lehrerftelle wenigftend 150 fl. einbringen folte, fo war dieſe 
Veftimmung doch gar zu ungenügend. Namentlich blich das Loos 
der Filiallehrer ein höchſt trauriges. 

Zur Leitung ded nen geordneten Volksſchulweſens wurden 
im katholiſchen Landesteil bejondere Schulinſpectoren aufgeftellt, 
unter denen jened einen fehr erfreulihen Auffhwung nahm. Der 
kane und Schulinfpectoren controlirten ſich gegenfeitig. — In der 
höheren Behörde vereinigte ſich aber auch hier Kirchliche und Schul- 
Aufficht. 

Im evangeliſchen Landesteile blieb die alte Ordnung, daß 
die kirchlichen Aufſichtsbeamten zugleich Bezirks-Schulaufſeher wa- 
ten, wie denn auch das evangeliſche Conſiſtorium die Oberfchul: 
behörde bildete. Doch wurde bereits die Trage: „Ob es zwed- 
mäßig fei, befondere Schulinfpectoren in Würtemberg aufzuftellen,“ 
auf derjchiedene Weife beantwortet. 


— 116 — 


Ein zweites Waiſenhaus wurde i. 3. 1810 in Ludwigsburg 
gegründet, aber hernach (1825) nach Weingarten verlegt. 


VIII. 


Das Königreich Sachien. 


Nachdem bereitd in den kurſächſiſchen &eneralartifeln vom 
1557 die Verpflichtung der Küfter zur Uuterflüßung der Pfaere- 
in der Verwaltung des Katechetenamted audgefprochen und dem, 
jelben die Einrichtung regelmäßiger Katechijationen aufgegeben 
war, erfolgte die erfte Begründung eines eigentlichen Volksſchul⸗ 
weſens in Kurſachſen durch die große Kirchenorbnung von 1580, 
In derfelben wurde nemlich nicht nur der Befehl erteilt, daß bie 
Küfter in allen Dörfern mit Rat der Erb- oder Gerichtöhern 
und mit Zuſtimmung des betr. Bifitatord und der £urfürftlicen 
Beamten Schulen einrichten und daß in Zukunft Küftereien nur 
an ſolche Perfonen verliehen werden follten, welche leſen und 
Schreiben Fönnten, fondern e8 wurde auch in dem Abſchnitt „von 
deufchen Schulen in Dörfern und Flecken“ die erfte Volksfhul 
ordnung publizirt. Diefelbe war mit ganz geringen, unweſentlichen 
Aenderungen, welche faft nur den Ausbrud betrafen, aus da 
würtembergifchen Kirchenordnung von 1559 entlehnt. Auch bie in 
der Iepteren enthaltne Dienftinftruction der Schulmeifter war mi 
aufgenommen. 

Auf der Grundlage diefer Schulordnung baute fich num bad 
Volksſchulweſen allmählich auf, das jedoch vorläufig nur in feht 
vereinzelt vorfommenden und faft nur von Knaben befuchten Wir 
terfchulen beftand. Vielleicht war grade die Dürftigfeit des ba 
maligen Volksſchulweſens der Grund, weshalb bis zum Anfangt 
des folgenden Jahrhunderts durchaus Leine neue Verfügung übe 
dafjelbe erjchien. Nur in der PVifitationsinftruction, welche de 
Bormund und Adminiftrator des Kurfürftentums, Herzog Friedrich 
Wilhelm, nach ber glücklich bewirkten Ausrottung des Philipps 


— 117 — 


ms in Kurſachſen i. J. 1596 erließ, wurde der Dorfichulen und 
ihrer Schulmeifter gedacht. In derfelben wurden nenlich die Viſi⸗ 
Ittoren angewiejen, die Pfarrer auf den Dörfern zu befragen, ob 
ber Küfter Schule halte, ob er in derfelben vornehmlich ten Ka⸗ 
fechiämus Luthers, die Plalmen und Lutherd Lieder einübe; ob er 
auch öffentlich in der Kirche den Katechismus vorlefe, und ſodann 
Die Schulfinder in guter Ordnung egaminire, um auch Die übrigen 
F under zur Grlernung des Katechismus anzureizen u. |. w. 
Auch die erfte Hälfte des 17. Jahrhunderts verlief, ohne in 
Dem Volksſchulweſen des Landes irgend weldye Veränderung bes 
Wirkt zu haben. Allerdings war es für die Dorfichulen immerhin 
ein Gewinn, daß Kurfürft Georg L bei Gelegenheit einer im 
Fahre 1617 veranftalteten Generalvifitation aller Pfarreien des 
Landes auch von den Schulmeifterftellen ein genaues Verzeichnis 
aller mit denfelben verbundnen Einkünfte, Nugen und Gerechtſame 
anfertigen und zur Abftellung der von den Vifitatoren wahrgenoms 
menen Mängel eine Commiſſion von geiftlihen und weltlichen 
Räten zufammentreten ließ. Dagegen jcheiterte die Vollziehung 
des von diefer Sommiffion ausgearbeiteten und i. 3. 1624 publi- 
zirten „ſynodaliſchen Generaldecrets” an dem Widerſpruch der 
Stände, die an dem Entwurfe allerlei Ausftelungen zu machen 
hatten. Indeſſen wurden ter Entwurf und die Defiderien der 
Stände fpäterhin in nochmalige Beratung genommen, und unter 
dem 15. Scptember 1673 als „revidirted ſynodaliſches Decret“ 
don dem Kurfürſten Johann Georg II. publizivrt. Die in deme 
ſelben enthaltnen Beftimmungen, welche fi) auf das Schulmefen 
bezogen, waren folgende: Es follte durchaus fein Küfter und 
Schuldiener fein Amt eher antreten, als er auf Stoften der Kirche 
von dem Konfiftoriun geprüft und beftätigt fei, — eine Beftim- 
Mung, welche i. $. 1700 den Pfarrern nodmald eingefchärft wer⸗ 
den mufte. Namentlich ſollte der Schulmeifter „eine Probe thun 
Mm Buchſtabiren fchwerer Worte, im Schreiben: ob er auch felbft 
en Verftand davon habe, oder nur als ein Papagei die Worte 
Önne herſagen.“ Die Schuldiener ſollten ihr Amt fleißig vers 
alten und eine vernünftige Disciplin handhaben. Auch folten 


e niemals ohne Genehmigung des Superintendenten und Pfarrers 
deppe, Boltsjgulweien, 2. 13 


u 5—5—5—— 1 


— 1718 — 


Ferien machen. Dagegen follten die Untertbanen ermahnt werde 
ihre Kinder fleißig zur Edyule zu jchiden, die Schulmeiſter 
Ehren zu halten und denjelben den gebürenden Lohn zufomm 
zu laßen. 

Sm Sahre 1688 wurde der „Dresdner Katechismus“ ' 
publizirt, Der, eine Bergliederung des Katechismus Qutherd ir 
Sinne der Concordienformel, nad cingeholtem Gutachten der fur 
lächfifchen theologiichen Facultäten und mit Zuftimmung der Stände, 
fortan in allen Stadt- und Landſchulen gebraucht werden follte. 
— Als Hierauf das Furfächfiihe Haus (1697) zur römijhen 
Kirche übertrat, Fam Lie oberfte Leitung des Volksſchulweſens in 
die Hände de jeit 1574 beftchenden evangeliſchen Geheimerati⸗ 
collegii. 

Aber noch immer waren die Dorfſchulen in einem Zuſtand, 
daß von Früchten derfelben gar wenig geſehn werben konnt. 
Sommerſchulen wurden nicht gehalten, und Die Winterfäulen 
wurden möglid;ft abgekürzt. Kür die Märchen ſchien die Dorf 
ſchule nody gar nicht beftimmit zu fein. Die Schulmeifter iufp 
nirten ſich durch Unwißenheit und Pahrläßigkeit, überließen jet 
häufig die Echule ihren Frauen, während fie ihren eignen Or 
Ichäften nachgingen, oder geftatteten den Kindern während dei 
Schulftunden die Ausübung des frechften Mutwillens. 

Veranlaft durch die Klagen der Landftände, welche auf di 
traurige Verfaßung der Dorfichulen hingewieſen hatten, erließ dr 
ber der Kurfürft Friedrich Auguft i. J. 1713 unter dem 22. Roi 
eine Verortnung, worin befohlen warb: die Pfarrer follten ir! 
Edyulen fleißiger, als e8 biöher gefchehen fei, vilitiren und darau 
ſehn, daß die Kinder nicht bloß zum Auswendiglernen angehalten, 
ſondern zum Verſtändnis deſſen, was fie lernten, geführt würde 
baß ihnen auch mandjerlei allgemeine Greenntniffe, 3. B. die 
Wahrheiten von der Beſtimmung des Menſchen und ber Be 
beigebracht würden. Alle Pfarrer des Landes ſollten aud übel 
ihre Schulen ſich berichtlich äußern, wie in denfelben bie Egub 


*) Da. der Katechismus von den an der Kreuzkirche dienenden Veiflicher 
ausgearbeitet war, fo wurde derſelbe gewöhnlich der „Kreuztatehismus“ gen 


— 179 — 


befolgt werde, ſollten, wenn ed Not thue, den katecheti⸗ 
terriht in den Schulen jelbft übernehmen, den Schul- 
ihre Fehler, jedoch nicht in Beiſein der Schulkinder, 
vorbalten, und fie darauf binweifen, wie viel ihnen in 
en der Kinder anvertraut fei, die Chriftus mit jeinem 
löft babe. — Noch in demjelben Jahre erjchien eine 
erorbnung (vom 1. Septbr.), durch weldye Die kirchlichen 
ionen für Alt und Yung neu geregelt und zugleich bie 
g erlaßen wurde, daß auf dem Lande alle Kinder im 
wöchentlich wenigftend vier Stunden zur Schule gejchidt 
ten. 

defien ergab fi) aus den von den Pfarrern eingefandten 
‚ daB das Sculwejen, wenn ihm überhaupt geholfen 
ollte, einer umfaßendern Neorganijation bedurfte. Kur- 
edrih Auguſt befahl daher mit Benußung der in ber 
dung von 1580 enthaltnen Beftimmungen eine ganz neue 
nung audzuarbeiten, weldye unter den 20. Novbr. 1724 
wurde. 

r Gharafter diefer Schulordnung, in weldyer zum erften 
r Kurſachſen die Einrichtung ordentlider Sommerjchulen 
Schulpflicätigfeit der weiblichen Jugend geboten wurde, 
h in den drei erften Paragraphen derfelben aus: „1. Ein 
7 die Jugend zu informiren beftellt und berufen ift, fol 
id ernftlich bedenken, auch öfter wiederholen und fi zu 
führen, daß ihm etwas fehr wichtiges auf die Seele ge- 
ei, nemlich die durch Chriſti Blut erlöften und zur Ewig⸗ 
ıffnen Seelen jo vieler Chriftenfinder. — 2. Er hat fid) 
fen zu befcheiden, daß Feine menfchlihe Kunft und Ge 
it, gefchweige denn die feinige, an und für ſich zulänglich 
Jugend in dem, was zu ihrem Seelenheil gehört, genug⸗ 
interrichten und anzuführen. Weöwegen er fi) mit Gebet 
biger Zuverfiht an den Geber allee Guten halten, und 
fowol die nötigen Gaben ald audy Das Gedeihen zu jei- 
inzen erbitten und ſich täglich bemühen ſoll, feine Infor⸗ 
nit noch mehrerer Treue — zu verrichten. 3. Er wird 
— erinnert, daß er die gejegten Scyulftunden als vor 

AR* 





— 180 — 


Gottes Angeficht emfig abwarten, die Kinder zum Gebet um 
Singen anbalten, den Katehismum mit ihnen fleißig treiben, %; 
im Buchſtabiren, Leſen, Echreiben und Rechnen tüchtig unterräcg 
ten, ihnen nichts Boͤſes geftatten, auch ſeines Euperintendenten 
und Pfarrers gute Gorrection und Erinnerung annehmen und ihnen 
folgen folle.“ | 
Die Klafjeneinteilung war im Wefentlichen dieſelbe (trei 
Klafjen) wie in der früheren Schulordnung. Ueber das Verhält 
nis, weldyes zwilchen den Lectionen der drei Klafjjen ftattfinden 
jollte, war beftimmt: „Die Lectionen follen in allen drei Klafien, 
ſoviel e8 moͤglich ift, einerlei fein, alfo daß wenn die Oberſten 
ein Stüd lejen, die Mittleren ebendaſſelbe buchftabiren, und die 
Kleiniten hernach aus folhem das ABC aufjagen. Wenn die 
Oberſten rechnen, follen Die Mittleren darauf numeriren und die 
Kleinften die Zalen auffagen. Wenn mit den Großen der Dres 
denjche Katechismus getrieben wird, follen die Mittleren den Auß 
zug und Die Stieinften den kleinen Katechismus Lutheri vorhaben. 
Wenn aber geſchrieben wird, follen die Kleinen ihre Sprüche au% 
wendig lernen.“ N 
Die detaillirteften Vorſchriften wurden über Die religiölt 
Erziehung der Kinder crieilt. Im Wllgemeinen folte wenigfend | 
ber Dritte Teil aller Schulftunden dem Religionsunterridht gewid⸗ 
met werden. Bibelleſen, Katechiſationen, Einübung der Sprüche, 
und Leſen im Pfalter ſollte, jedes für ſich, in beſondern Etus 
den getrieben werden. In Betreff der Disciplin wurben die db 
teren BVeftimmungen wiederholt. Mit befonderem Fleiße foltt 
der Schulmeiſter die Kinder im Gebete üben. Wuch follte er ft 
anhalten, fich bei dem Gebete mit dem Zeichen des Heil. Kreugd 
zu feguen, „entweder auf die Stirn, auf den Mund und auf die 
Bruft, oder auch alle zufammen, und zwar auf die Bruft, # 
bezeigen ihren Glauben an den gefreuzigten Sefum, auf dei 
Mund, anzuzeigen, daß fie den gefreuzigten Jeſum bekennen, auf 
die Stirn, anzuzeigen, daß fie Troß bieten allen Teufeln.’ — 
Bei den Worten „das malte Gott Vater, Sohn und Heilige 
Geiſt“ find fie zu erinnern ihres Taufbundes, den fie Morgen? 
und Abends Dadurdy erneuern, und joviel jagen wollen: „Es bleibt, 





— 181 — 


er Gott, bei meinem Taufbunde, was meine PBathen an mei— 
Statt angelobt, daß ich nemlid den Tag (die Nacht) über 
ven will an Did) Gott Vater, Sohn und Heiliger Geift und 
ZTeufeld-MWerf und Weſen meiden.“ 

Eigentümliche Vorſchriften erteilte Die Echulordnung über 
igentlicdy praftifchen Uebungen der Echulfinder im Ehriftens 
Es wurde nemlich angeordnet: „Damit die Schuifinder 
‘ Anleitung zur Uebung ihres Chriftentums haben, fol Mitt: 
; Vormittags eine Ucbungsftunde ausgeſetzt fein. In der. 
; fol der Lehrmeifter Die fähigen Echulfinder angewöhnen, 
Seufzer oder kurzes Gebet wegen der allgemeinen Not, jes 
ohne Affectation und unnüged Plappern zu machen, und 
der Präceptor ihre Mitjchüler wegen begangener Eünden 
ft, felbige ihres Unrechts brüderlid aus einem biblischen 
he zu erinnern. Diejenigen, fo fih an andern verfündigt 
„ſollen es ihnen alddann öffentlich abbitten, oder fol ein 
liches Lied gefungen und erklärt werden.“ 

In Betreff der Sommerſchnlen wurde verordnet, daß die 
n Schulkinder, weldye bisher nur die Winterfchulen befucht 
ı, nötigenfald Durch die Obrigkeit zu zwingen wären, im 
mer, die Erndtezeit ausgenommen, fi täglich wenigftens für 
Stunde in der Schule einzufinden, wo ſich dann der Schul« 
7 mit ihnen ausjchließlid, zu beichäftigen, und fie lediglich 
atehismus, im Evangelium und im Pſalter zu unterrichten 
— Der Dienftreverd der Schulmeifter blieb nady der neuen 
ordnung derſelbe wie früher. 

Durch diefe Schulordnung wäre dem Schulwefen in Kurs 
m jedenfalld geholfen gewefen, wenn das Volk ſich hätte ents 
Ben Eönnen, ferne Kinder auch ordentlich zur Schule zu fchiden. 
noch muften viele Jahrzehnte vergehen, ehe das Volf dahin 
igte, daß es in der Echulerziehung der Kinder ein wirkliches 
weientliches Erfordernis der Erziehung erfaunte. Als daher 
Stände i. J. 1763 darauf hinwieſen, daß der Schulbeſuch 
endig durch ftrengere Maßregeln erzwungen werden miüße, 
3 der Kurfürft Friedrich Auguſt ſechs Jahre fpäter unter 


— 182 — 


dem 24. Juli 1769 ein Generale, worin befohlen wurbe*): 
Kinder des Landes follten ununterbrochen vom fünften Bis 
vierzehnten Lebensjahre jo gewißlich zur Schule gefchidt werben 
die darwider handelnden Eltern jonft in namhafte Strafe genon 
würden. Nur während der Erndtezeit follte der Schulunte 
vier Wochen lang ausgeſetzt werben dürfen. Kinder, welde 
Erreichung Des vierzehnten Lebensjahres in Dienfte vermi 
würden, follten auf Koften ihrer Dienftherrfchaft im Winter 
lich wenigftens zwei Stunden lang die Schule beſuchen. Fin 
toriich Arme follte das Schulgeld von den Gemeinden eingeb 
werden. 

Das fiebte Jahrzehent des achtzehnten Jahrhunderts 
gründete, wie faft für alle deutſchen Länder, fo auch für Kuı 
jen eine neue Periode in der Entwidlung feines Volksſchulwe 
Zunächſt wurde für die Schulen der Oberlaufig eine neue S 
ordnung eingeführt, weldye von den Ständen der Oberlaufig 
gearbeitet, von dem Kurfürften durch Reſcript vom 15. Fel 
1770 genehmigt und unter dem 27. April deffelben jahres y 
zirt war, 

Diefe neue, fehr umftändlihe Sculordnung ”*) ch 
terifirt fih durch mancherlei Cigentümlichkeiten, vor 1 
aber dadurch, daß fie die alte Auffaßung der Dorf» und 
deutfchen Stadt: und Maͤdchenſchule als einer ſchlechthin zur 
terweifung der Jugend im Chriftentum beftimmten Anftalt 
einer Treue und Umficht fefthält, die nicht in allen Schulordnu 
jener Zeit wahrzunehmen tft. — Unter den einzelnen Beftimmu 
der Schulordnung find folgende hervorzuheben: Alle Winkelſd 
find zu fchließen. Die Pfarrer follen die Schulen forgfältig 
wachen, wöchentlich vifitiren und vierteljährlih Relationen 
den Zuſtand der Schule an die Patrone verjelben oder aı 
Gerichtsherrn des Ortes einfenden. Auch follen die Pfarre: 
Sculmeifter monatlid Einmal in ihr Haus fordern und i 


*) Daffelbe findet fi) abgedrudt in den Nova acta hist. ecel. vol 
6. 615—619. | 
») Ebendafelbfi vol. X. &. 616-660. 





— 1853 — 


über die Sinrichtung des Unterrichts, Aber die im Laufe des Mor 
nats zu tractirenden biblifchen Abjchnitte u. dgl. Die nötigen Vors 
ſchtiften erteilen. Aljährlic ſollen die Pfarrer zwei Schulpredigten 
halten, die eine am Sonntage Misericordias Domini, die andre 
den 18. Sonntag Trinitatis, und in denfelben die Pflicht, Die 
Kinder zum Schulbeſuche anzuhalten, dem Wolfe einjchärfen. 
Schulpflichtig find alle Kinder vom fünften bis zum dreizehn— 
ten Lebensjahre. Den Schulmeiftern wird das Brantweinfchänfen, 
dad Auffpielen in den Wirtshänfern und ähnliche Hantthierung 
unterfagt; dagegen bleibt ihnen geftattet, den Dienft der Gerichts» 
Ihreiber zu verfehn. Ale, weldye aus der Schule entlaßen find, 
jollen die fonntäglichen Katechifationen in den Kirchen und außer 
dem noch im Sommer befondre MWiederholungsftunden befuchen, 
welche der Echulmeifter nach dem Nadymittagsgottesdienft zu bals 
tn bat. — Demmnaͤchſt fol zur Heranbildung tüchtiger Lehrer 
ein Seminar errichtet werden. Zur Unterftügung armer Schul⸗ 
Inder und etwa auch des Schulmeifters ift eine Schulfaffe zu 
ſchaffen, für welche jährlich zweimal collectirt werden fol. Die 
in der Schule zu gebraudyenden Lehrbücher follen fein 1) ber 
feine Katechismus Luther (auch als Buchſtabirbuch), 2) die 
Bibel, 3) das Gefangbudh. ALS Hauptaufgabe der Schulmeifter 
ward hingeftellt, daß fie die Kinder im GChriftentum, im Gebet 
und Gefang üben follten. 

Drei Jahre fpäter, unter dem 17. März 1773, erfolgte 
auch für die übrigen kurſächſiſchen Lande die Publication einer 
neuen Schulordnung, durch welche eine totale Reorganijation des 
gefammten höheren, mittleren und niederen Unterrichtöwejend ans 
geordnet ward. Der erfte Teil diefer Schulordnung war für bie 
FSürften: und Landichulen, der zweite für die lateiniichen Stadts 
ſchulen, der dritte für Die deutſchen Stadt- und Dorfſchulen ber 
ſtimmt. Die beiden erften Teile waren von dem Profefjor ber 
Theologie und Berebjamfeit Dr. Joh. Aug. Ernefti zu Leipzig, 
der dritte von dem Superintendenten Chriſtohh Haymann zu 

eiffen ausgearbeitet. 

Die „Erneuerte Schulordnung für die deutfchen Stadt» und 
Dorfſchulen der kurſächſiſchen Lande” repräfentirte bereits ein ganz 


— 134 — 


neues Stadium der innerer Gefchichte des Volksſchulweſens, ig 
dem fie von den Schulmeiftern verlangte, Daß fie Die Kinder nie 
nur im Blauben, Lefen, Echreiben, Rechnen und Singen unt & 
richten, fondern ihnen auch allerlei Nüplihes aus der Erdbeidir ei 
bung, Weltgeichichte, Naturkunde und Wirtfchaftölehre, vom Be 
brauche des Kalenders, der Zeitungen und Autelligenzblätter ber 
bringen follten; dabei aber erfannte die Schulordnung den eigent: 
lihen und eigentümlihen Beruf der Volksſchule vollfommen an, 
Denn der leitende Grundgedanke, auf welchen die ganze Edhul: 
ordnung aufgebaut wurde, war die Anerkennung des inneren Zu: 
Sammenhanges der dhriftlichen Volksſchule und der chriftlichen Fa— 
milienerziehbung, indem der erfte Saß der Echulordnung lautete: 
„Ale chriſtlichen Eltern find fchuldig, jobald ein von ®ott ihnen 
gefchenkted und anvertrautes Kind feinen Verſtand einigermaßen 
zu gebrauchen und Die Mutterfprache zu verftehen anfängt, zu 
defjen Unterweifung in der Erkenntnis Gottes den Grund zu le 
gen, auf dem in Schulen Fünftig fol gebaut werden. Auch ſind 
nächft den Eltern, und wenn dieſe zeitlich verftorben, Die Vormin⸗ 
der, Verwandten, und in deren aller Ermangelung, die Pathen 
oder Taufzeugen, folches zu thun oder dafür zu forgen verbunden, 
— daß das getaufte Kind, was zur Seligfeit zu wißen und zu 
glauben vonnöten ift, gelehrt werde.” Hierauf heift es in der 
Schulordnung weiter: „Weil aber die wenigſten Eltern in dem 
Stande find, die Unterweifung und Anführung ihrer Kinder auf 
gehörige Art felbft zu beforgen, fo erfordert die Notdurft, daß ale 
Kinder in Städten und Törfern” vom 5. oder 6. Lebensjahre an 
zur Schule gefchicdt werden. 

Die einzelnen Beftimmungen der Schulordnung find in 2] 
Kapiteln in folgender Weiſe zufammengeftellt: L „Won ber von 
Eltern und denen, tie an ihrer ftatt find, zu beforgenden erften 
Unterweifung und guten Anführung der Kinder.” — IL. „Von 
dem Schulgehen und Schulgelde.” — Die Kinder follten teild 
vom 5. teil8 vom 6. bis zum 14. Xahre zur Schule gehen. In 
der Schule foll ein Buch gehalten werden, in welches der Schul 
finder Verhalten und Cenſuren wöchentlich einzufchreiben find, da 
mit man bejonders bei den Schulprüfungen davon Gebrauch machen 


— 1865 — 


. Bei offenbarer Armut der Eltern ſoll die Gemeinde das 
ılgeld entrichten. Bei jeder Kirchengemeinde fol ein Verzeich⸗ 
aller Kinder von 5 Bid 14 Jahren gehalten werden, Damit 
Stern, die ihre Kinder aus der Schule zurüickbehalten, der 
gfeit angezeigt und wegen des Schulgeldes, auch fonft, gehörig 
eben werden. — IN. „Bon Einrichtung des Schulunterrichts 
hriſtentum.“ Die Schulfinder find in 3 Klaffen zu verteilen, 
fol in der unterften Klaffe der Fleine Katechismus den Kin⸗ 
beigebracht und erklärt werden. Auch ift ihnen Die geoffen- 
Heildlehre nach Anleitung der bibliſchen Gejchichte bekannt 
ahen, und find Dabei furze Sprüche gehörig zu gebrauchen. 
er mittleren Klaſſe ift der Hauptinhalt der Bibel, befonders 
Reue Teftament nebft dem Auszuge aus dem Dresdner Kate⸗ 
us und den Hauptiprücen befannt zu machen. In der ober- 
klaſſe fol den Kindern der Inhalt, die Göttlidyfeit und der 
ı der biblischen Bücher genauer gezeigt, Die Erklärung der 
flüde für die, fo zum Sacramente des h. Abendmald gehen 
ı, ingleihen des Dresdner Katechismus erteilt werden. — 
Bon der Unterweifung der Kinder im Lefen, Schreiben, Red) 
md andern Künften und Wißenfchaften.” — V. „Bon or- 
her Einrihtung der Klaſſen und Echulftunden.” — VI „Von 
etung des öffentlichen Gottesdienftes, befonderd der Katechis- 
ungen und Leichenbegängniffe.” — VI. „Bon Scyulfeier- 
"(Ferien und Feier des Gregoringfeftes). — VII „Von 
fung nötiger Schulbücher. — IX. — XI. „Von anzuftellen- 
Schulvifitationen.” — „Bon Grmahnung der Eltern und Kin⸗ 
urch die Prediger, wie auch von den zu haltenden Schulpres 
.“ — „Bon den öffentlihen Schulprüfungen.” — XI. „Von 
Schulfinder Vorbereitung zum heil. Abendmal, und von Der 
rmation vor deſſen erftmaligem Genuffe.” (Die Kinder, die 
tftenal zum heil. Abendmal gehn wollen, find dazu vorzube- 
und von dem Pfarrer zu prüfen. Unfähige find davon aus⸗ 
eßen und ferner zur Schule anzuhalten. Die Gonfirmation 
Mentlicy verrichtet werden. Diejenigen, welche zum h. Abend- 
ugelaßen worden, find ferner zur Uebung im Chriftentum 
Bihellefen anzuhalten. Die öffentlichen Kirchen-, Faftens und 





— 186 — 


Beichtprüfungen find, befonderd von jungen Leuten, nicht | 
fäumen.) — XII. „Bon Zubereitung tüchtiger Lehrer.” (€ 
bei guten Stadtſchulen in der oberiten Klaffe, unter ber $ 
und Anleitung des Superintendenten oder Pfarrerd von de 
tor und Kantor foldye Perfonen, die zu Lehrern vorbereitet | 
fönnen, auszufuchen. Diefe können von dem Nector oder 
andern Schulcollegen täglich in einigen Privatftunden für di 
rerberuf vorbereitet werden. Auch können fich Diejenigen, | 
demfelben widmen wollen, von geſchickten Schulmeiftern inf 
laßen. Die Prüfung baben die Bewerber um Schullehre 
vor den Superintendenten zu beftehn. Weber ihre Xehrerbefä 
erhalten fie vom Superintendenten und Pfarrer Beugniffe 
ftelt. Säbrlich einmal müßen Die Lehramtsaspiranten vo 
Superintendenten erjcheinen. Winkelſchulen find unterfag 
XIV. „Bon der Befegung erledigter Schuldienfte.” (Die J 
haben auf die geprüften Lehranıtdaspiranten vorzugsweiſe R 
zu nehmen. Der berufene und beftätigte Schullehrer ift ve 
Pfarrer jedes Orts der Schuljugend vorzuftellen, und zur 
achtung feiner Pflichten anzubalten.) — „XV. Von dem erba 
Wandel der Schullehrer”. (Verbot jeder unanftändigen Ha 
zung.) — XVI. „Bon dem Bezeigen der Schullehrer ger 
Kinder, wie auch deren Züchtigung.“ — XVL — XL. 
Abftellung der Befchwerden über die Schullehrer.” — „Bo: 
ſtellenden Schulunterredungen.” — „Von dem Beiftande der $ 
patrone und Obrigkeiten.“ — XX. „Von befondern Schulge 
(Es follen kurze Schulgefeße, wo dergleichen nicht ſchon vor 
find, abgefaſt, und in der Schulftube aufgehängt werde 
AXL „Bon Belauntmahung und Beobachtung diefer ern 
Schulordnung.” (Sie foll den Eltern von den Pfarrern 
Schulpredigten und bei fonftiger Gelegenheit befannt gema« 
erläutert werden.) 

Die Zeit und Zal der Schulftunden betreffend wirt 
orpnet, daß „die drei vormittägigen öffentlihen Schulftund 
Oſtern bis Michaelis bei der unteren Klaſſe der Stadtfnaber 
von 6 — 9 Uhr, in den Mägdleins und Dorfſchulen ab 
7— 10 Uhr, desgleichen von Michaelis bis Dftern bei ge 





— 187 — 


Kaffe der Stadtlnabenfchulen von 7—10 Uhr, und in den Mägb» 

fün- und Dorfſchulen von 8— 11 Uhr, jeboch mit billiger Beur⸗ 

teilung Des Alters” und des Wetterd gehalten werden follten.” 

„Bei dem Unfange der erften Schulftimde wirb nach einer 

in wenigen Worten geſchehenen Ermunterung zur Andacht einetlei 

Morgenlied ein paar Tage nacheinander von dem Lehrer mit den 

größeren anwefenden Kindern gefungen, ein Morgen - und Schals 

gebet, Montags von dem Lehrer und Die folgenden Tage don 

einem Kinde, das fertig leſen Tann, aus einem nüßlichen Buche 

— vorgelefen.” Hierauf folgt Leſung und Fatechetifche und pard: 

netifche Erklärung eines Bibelabſchnitts, welche mit einem dem 

Inhalte des Vorgeleſenen entiprechenden Bebete beſchloſſen wird. 

„Diejenigen größeren Kinder, welche nach bereits gefungenem 

Morgenliede erft ankommen, müßen bei der Thüre in der Schul- 

ſtube ſtill ftehen Bleiben, und werden nad) geendigtem Gebet um 
die Urfache des fpäten Ankommens befragt” u. f. w. — „Zum 
Anfange der andern vormittägigen Schulftunde wird den Beinen 
Kindern ber Morgenjegen Lutheri vorgefprocdhen. Hierauf wird 
ben zu fpät gekommenen Kindern befohlen, das gelefene bibliſche 
Kapitel heimlich nachzulefen, den Kleinen Kindern aber ein Stüd 
aus dem Fleinen Katechismus, von dem Lehrer vorgefagt, kuͤrzlich 
erflärt. — Gleicherweife werden aud der mittleren Klaſſe nebſt 
der Haudtafel einige Fragen des Auszugs aus dem Dresbner 
Katechismus erflärt und vorgegeben. Indem alfo beide unteren 
Klaſſen damit befchäftigt find, wird mit den Oberften Montags, 

desgleichen an einem jeben auf ein Feſt folgenden Tage bie 

Tages zuvor angehörte Predigt auf katechetiſche Weife kurz wieder ⸗ 

holt. An den übrigen Wochentagen werden die Frageftüde zu 
Ende des Heinen Katechismi — erläutert; biernächft werben bie 
U Der Katechismuserflärung andgezeichneten wichtigften Fragen 
Pi Antworten gelefen, erklärt und einige derſelben, vornehmlich, 
h5 er ein jeber wichtige und erflärte Beweisſpruch, zum Auswens 
ole en aufgegeben, auch die Sprüche im Gebete zu gebrauchen 
* Vonft in Abſicht auf den Glauben und einen unſtraͤflichen 
Der Swanbel nüglid anzuwenden, Anweiſung erteilt. Sodann 
= den zwei unterften Klafjen die Buchſtaben ımb bus Buchs 


4 


— 18 — 


ftabtren beigebracht und beide Klaffen darinnen geübt, BiE Tummmpy, 
Schüler der oberiten Klaffe die aufgegebenen Hauptfragen umm-ıb 
Sprüche auswendig herfagen können.“ 

In der drittew Vormittagsftunde „wird den größeren Schmml; 
findern Montage, Dinstags, Donnerstag und Freitage En 
weifung zum Schreiben und Rechnen, wie auch Federſchneiden we nd 
Briefftellen,, desgleichen Geſchriebenes zu lefen, fonderlich aber zw ır 
Rechtichreibung und dem Nachfchreiben gegeben; Mittwoh ae 
eine und die andere Lebens- und GSittenregel (aus Ramba chi 
Handbüchlein), und Sonnabends (jowie an jedem Feftfonnaberw?) 
das Evangelium und die Epiftel des folgenden Sonn- oder get 
tages Fürzlich erklärt.” — Zum Schluß der Lectionen wird in 
Gebet gefprochen. | 

In den nadhmittägigen Schulftunden von 12—3 Uhr fol ten 
die erwachjenen Schüler ebenfalls vorzugsweife im Katechism zb, 
in der bibliſchen Gefchichte, daneben aber auch im Rechnen geuxit 
und mit der Welt- und Kirchengefchichte und mit .dem Inha Eie 
der Augsburgifchen Gonfeffion befannt gemacht werden. Dit 
legte Stunde (2—3 Uhr) war vorzugsweile zur Wiederholu m 
der Tageslectionen beftimmt. 

Das Auftreten der neuen Schulorbnung bezeichnet den Fur 
fang des allgemeinften und regſten Strebens für eine gründlich 
Beßerung Des gefammten kurſächſiſchen Schulweſens. Denn zei 
Diefelbe Zeit begann man in Dresden zalreihe Armen:, Wajer 
und Freifchulen zu begründen oder zu reorganifiren ;*) in Leip Ziß 
wurden die Verhältniffe der Schulen, namentlich der Winkelſchu Len 
durch eine Ratsverordnung vom 18. Dechr. 1767 **) neu gergeli 
und zugleich begann an vielen Orten die Patronatsherrſchaft, © 
Reform des Schulmefens in ihren Gebieten mit gröftem Eifer 3" 
betreiben. 

Indeſſen wurde die neue Schulordnung erft von der Zeit af 
durchführbar, wo man zur Vorbereitung der fünftigen Lehre! 


*) Bol. Bormerts Geſchichte und Verfaßung des Dresdener Ehulmdgert 

**, Deifelbe findet fi) abgedrudt in den Nova acta h. e. VIII. &. 618 fi- 
Die Verordnung gebot namentlih auch, daß jebe Privatfhule entweder zwT 
Anaben. oder nur Mädshenfchule fein follte. 





en a Ge 


TE 


— 189 — 


Seminare gründete, was zuerft i. I. 1785 geſchah. Allerdings 
war jhon i. J. 1764 in Dresden der Verſuch gemacht worden, 
ein Inſtitut zur Heranbildung Fünftiger Volksfchullehrer zu be 
gründen. Allein das erfte Dresdner Schullehrerjeminar, von Garl 
Friedrich Nicolai begründet, war lediglih Privatanftalt ohne ers 
beblihe Bedeutung. „Unterdefjen war jedoch auch, bejonders 
auf Anregung des um das Schulwefen vielfach verdienten Ober- 
confiftorialratd Dr. Rädler, vom Oberconfiftorium und Kirchenrat 
ſowol 1766 als auch 1769 die Errichtung eined Landſchullehrer⸗ 
ſeminars beantragt und 1774 genehmigt worden. Da aber wegen 
ber damaligen höchſt ungünftigen Zeitumftände das Schulmefen 
zu Friedrichsſtadt noch nicht organifirt werben fonnte, fo vers 
jögerte fich die Anlegung eined Seminars bis zum 1. Nov. 1786, 
in welchem Jahre jhon unter dem 10, Nov. mittelft böshften Re⸗ 
jcriptes den Böglingen Diefer Anftalt die Anwartſchaft auf landes⸗ 
herrliche Schuiftelen zugefagt wurde. Aber noch fehlten bie 
nötigen Mittel zur Anſtellung eines Directors, weshalb eine 
interimiftifche Orbnung eingeführt werden mufte, weldye darin 
beſtand, daB der Kantor die Spezialaufjicht über die Seminariften 
führte, welcher auch mit den Geiftlihen zu Friedrichsſtadt, den 
übrigen Lehrern der dafigen Stabtichulen und dem Kanzliften 
Roßberg den Unterricht beforgten, welder leptere, ein ausge⸗ 
jtichneter Kalligraph, die Seminariften in der Schönfchreibekunft 
wöchentlich einige Stunden unterwied, — Die Zal der Semina- 
üften war damals auf zwölf feftgefeßt, welche Koft und freie 
Wohnung erhielten, wozu bie zweite Stage des Hauptgebäubes 
1788 eingerichtet wurde. — Der Aufwand des Seminard wurde 
teils aus den Kafjen des Oberconfiftoriumg , teild aus dem ges 
heimen Finanzeollegium beftritten, bi8 am 26. Juni 1788 von 
dem Vermögen des aufgehobenen Gymnaſiums zu Weißenfeld ein 
Teil zur Unterhaltung des Seminars zu Dresden-Friedricheftadt 
beſtimmt wurde. — Nicht. minder ftiftete auch Die Nitterjchaft des 
Meißner Kreifes daſelbſt zwei Freiſtellen, wofür jährlih 100 Thlr. 
an das Seminar gezalt wurden.” *) 

— — 


d Wortlich entlehnt aus Vorwerk's Geſchichte und Verfaßung des Dres- 
ner Schulweſens S. 9—100. - 


— 190 — 


Neun Jahre fpdäter wurde das Schullehbrerjemim gr 
zu Weißenfels gegründet, welches vorzugsweiſe mit den Sin, 
fünften des aufgehobenen Gymnaſiums zu Weißenfeld Dotirt wurde | 
Der Unterriht wurde am 7. Januar 1796 begonnen. Beauf 
fihtigt wurde das Inſtitut von dem Oberconfiftorium und da 
Schullehrerfeminariencommiffion zu Dresden. Die unmittelbar 
Inſpektion übte der Superiutendent zu Weißenfeld und ein bafiger 
Subdiacon aus, der zugleich Lehrer des Seminard war. Außet 
dem Leßteren waren noch ein Rector, ein Bantor und ein Schreib, 
Nechnen- und Beichnenmeifter am Seminar befchäftigt. Die Hal 
der wirklichen Seminariften (Ulumnen oder Stipendiaten) wat 
auf 12 feftgefeßt. Jeder derjelben erhielt außer freiem Unterriät 
monatlih 2 Rthlr. 12 Ggr., jowie 6 Rthlr. jährlichen Miethind. I 
Außer diefen Stipendiaten wurden auch noch einige Extranei od 1 
Exipectanten aufgenommen, welche ebenfalls freien Unterricht ge 1 
noßen, im MUebrigen aber für fi ſelbſt forgen muften. De 
Unterricht erftredte fih auf Religion (Rofenmüllers Lehrbuch)— 
Katechetik, deutfche Sprache und Lefeübungen, Anfangsgründe DE 
franzöfifchen Sprache, Methodologie und Pädagogik, Gemein⸗ 
nüßige8 aus der Gejchichte, Geographie, Naturlehre, aus DM 
Geſetzen und der Verfaßung des Vaterlandes, aus der Technolo⸗ 
gie, Diätetif u. |. w., welche Kenntniſſe zum Teil gelegentlich bei 
den Leſe⸗ und Schreibeübungen den Schülern beigebracht wurb en! 
Aufangsgründe der lateinifchen Sprache, Vokal: und Inſtrument eal 
muſik, Schreiben und Rechnen, Einzelnes aus der Geometrie 
Architectur und Mechanik, „foweit das Alles für Bauern, Bürgs®‘ 
und Handwerker nüglid und notwendig iſt.“ Da ein Semines! 
gebäude nicht vorhanden war, fo hatte der Rat zu Weißen! 
einen geräumigen Saal auf dem dafigen Armenhaufe dem Ser? 
nar unentgeltlich eingeräumt, wo nicht nur die Lehrftunden S 
halten wurben, ſondern wo fi) auch die Seminariften den groͤſt — 
Zeil des Tages aufhielten. 

Die beiden Seminarien zu Freiburg und Blaue 
welche um dieſelbe Zeit ald Privatanftalteu eingerichtet ware 
erhielten ſehr Bald eine neue Verfaßung, indem jenes i. J. 179 
dieſes (nachdem die Stände i. 3. 1799 zur Unterhaltung de 








— 191 — 


Echullehrerfeminarien einen jährlihen Zuſchuß von 500 Rthlr. 
verwilligt hatten), i. J. 1800 zu öffentlichen Suftituten erhoben 
wurden. 

Allerdings konnte der rveformirende Einfluß, den die Wirk 
lamfeit der Seminarien auf das Volköfchulwefen allmählich aus⸗ 
üben mufte, nicht fofort in allen Gegenden des Landes hervors 
treten. Vielmehr befand ſich die Volksſchule in den meiften Ber 
zirken um 1800 nod immer im troftlojeften Zuftand, z. B. in 
der Oberlauſitz (über welde um dieſe Zeit Folgendes bes 
richtet wird): „Die Schulorbuung, welche bier im Sahre 
1770 publiziert war, wurde von den wenigflen Orten beachtet. 
Wenige Gerichtöherrichaften und Prediger handelten darnach; 
und die Kolgen davon — waren für die Schullehrer traurig, 
frauriger noch für das arme Voll. Kaum vierteljährig einmal 
befuchte der Prediger die Schule, und ging wieder nad) Haufe, 
ohne daran zu denfen, den bemerkften oder nicht bemerften Män- 
geln derſelben abzubelfen. Am wenigſten fahen die meiften Herr: 
ſchaften darauf, daß die Kinder die in der Schulordnung feſtgeſetzte 
Zeit über in die Schule kamen. Man fand in ziemlich volkreichen 
Dörfern des Sommers 3 bis 4 Kinder darin. Der Schulmeifter 
durfte es nicht wagen, ſich zu befchweren, wenn er nicht feine 
ohnehin geringen und der Willkür der Bauern überlaßenen Ein⸗ 
künfte noch mehr verfürzt fehen wollte. Denn an fehr wenigen 
Orten befamen die Schullehrer das in genannter Schulordnung 
beftimmte Schulgeld. Denen, die das kümmerliche Leben dieſer 
armen Leute ſahen und ihm abhelfen fonnten, fiel es nicht ein, 
und der Bürger und Bauer zalte für fein Kind nicht mehr, als 
ein Vater, Großvater, Urvater u. ſ. f. für ihre Kinder gezalt 
hatten, ungeachtet fie ſich für ihre Effeften wol 3 bis 4 mal mehr 
bezalen liegen, als vor 40 bis 50 Jahren bezalt wurde. Drei 
Pfennige woͤchentlich Schulgeld für ein Kind war noch viel; es 
gab Orte, wo die Eltern dem Schullehrer vierteljährlid 2 ger. 
Oder 1 ggr. 6 pf. Für täglich Hftündigen Unterricht ihres Kindes 

zu Fchiden ſich nicht ſchaͤmten.“ 

Man hatte allerdings den Verſuch gemacht, ein Schullehrer⸗ 

ſem inarium einzurichten; aber der Verſuch hatte wenig geholfen. 





— 192 — 


Die erforderlichen Geldmittel fuchte man in der Weife zu beichaffe- - 
daß man dem Zucht» und Armenhaufe in Ludau eine Lotte. 
geftattete, aud deren Einfünften die Direction des Haufed wm 
1796 an nah und nad) ein Seminar zu Stande zu bringen Judy 
Schon in dem genannten Jahre war ed möglid, 4 Seminariften 
die vollfommen freies Unterfommen erhielten, aufzunehmen. Der 
Unterricht, welcher von dem Zuchthausprediger und einem bejonders 
Dazu angeftellten Lehrer erteilt wurde, verbreitete ficy über Reli 
gion und Bibelfunde, „mit eingewebter Naturgejchichte und Ge 
ſundheits- auch Naturlehre und Wiederholung der Predigt,“ 
Lefen, Deklamiren, Anfertigen fehriftliher Aufſätze, Crlernung 
der in den Landesgejegen vorfommenden lateinischen und Kanzles 
wörter, Papier: und Stopfrechnen, Recht- und Schönfcpreiben, 
Muſik, Anweiſung zum Katechifiren und Dociren, Zergliederung 
der Begriffe und Allgemeines aus der Geographie, Geometrie, 
Aſtronomie und Landwirtfhaft. Um ſich auch praktiſch zu üben, 
muften die Seminariften mit den Züchtlingen und Armen im Hault 
Katerhifationen anftellen. Nach der Inſtruktion follten die Semv 
nariften auch zum Bücherheften und Binden, zum Drechſeln um 
Heiner ZTifchlerarbeit angehalten werden. Dem Seminar fehl! 
es an aller eigentlidyen Organijation und darum war der Bean 
deſſelben für die Volksſchule der Oberlaufig fo bedeutungslos, pai 
für diefen Bezirk i. 3. 1811 zu Budiffin ein ganz nes es 
Seminar erridytet werden mufte. *) | 
Dagegen gelang e8 einzelnen Freunden des Volksſchulweſe S 
in Kurſachſen, dafjelbe Hier und da zu einer Blüte zu bringe " 
die früher Niemand für möglich gehalten hatte. Es entſtand * 
Schulen, welche alsbald weit und breit ald Mufterfchulen galt | 
jo 3. B. die Schule zu Miltig bei Meißen, die ihre forgfältz 8 
Drganifation faft allein dem kurſächſiſchen Kammerherrn und Be 3 
bauptmann von Heynig zu danfen hatte, und die ald muftergültit J 
Anftalt felbft von Staatömännern bejuht und bewundert wur % 


aa 


— — — — — 


*) Zu den ſchon beſtehenden königlich ˖ ſächſiſchen Seminarien kam i. 3. 12*2 
noch das aus der freiherrlich v. Fletzſeherſchen Privatſtiftung zu Dresden her or 
gegangene Inſtitut zur Vorbereitung künftiger Landſchullehrer. 


— 193 — 


benfo die von dem Kammerrat v. Breitenbauh und von dem 
Superintendenten v. Brauſe eingerichtete Schule zu Bucha in der 
Inſpektion Eckartsberga. Auch entftanden Sonntagsſchulen für 
dinder an Fabrikorten, welche an den Wochentagen in Fabriken 
irbeiteten. Unter denſelben kam die durch den Arzt Dr. Stöller 
n Laugenſalza eingerichtete Schule ſchon frühzeitig zu einer ſehr 
oirfjamen Entwidlung. Freilich waren alle diefe Anftalten Kinder 
ed Geiſtes ihrer Beit, und gewährten das, worauf fich die 
Bildung eines chriſtlichen Volkes gründen fol, zum großen 
Leil nicht; aber für eine fpätere beßere Entwidlung des Volks⸗ 
chulweſens waren fie doch bahnbrechend und waren darum ein 
Dewinn für Die Volksſchule. 

Su Berihten aus dem Jahre 1800 *) werben die erfte 
md die legte der genannten Schulen in folgender Weife ber 
hrieben : 

Bis zum Jahre 1792 war die Schule zu Miltig wie alle 
ndern Schulen des Meißner Landes bejchaffen: „Man madıte 
ie Bibel zum Leſebuch, und begnügte fi die Bußpfalmen und 
auptftüde herbeten zu laden; man marterte dad Gedaͤchtnis Der 
inder, die das Schulgehen für ihre gröfte Plage hielten, mit 
m Auswendiglernen unerflärter und für fie fchwer zu verftehen- 
r Sprüdhe und Katechismusftellen. Stod und Ruthe waren bie 
Tzüglichften pädagogischen Kleinode. Die Knaben und Mädchen 
Ben in zwei Reihen durdeinander an einer langen Tafel, fo 
B der Lehrer der einen Reihe gar nicht ins Geficht fehen konute. 
te Familie des Lehrers wohnte, ſpann, wuſch u. |. w. in ber 
emlichen Schulftube, und Winters mufte diefe, mit Kindern über 
iden, feucht und folglich ungefund fein.” — Da lernte ber 
drundherr des Orts einen von einem Pfarrer gut vorbereiteten 
Schulamtscandidaten kennen, mit deſſen Hülfe er feine Schule 
ju dem, was fie nach feinem Plane werden follte, glaubte umges 
talten zu können. Der edle Kammerberr ließ den jungen Mann 
0 einige Zeit das Schullehrerfeminar zu Dresden beſuchen und 
— — 


* In Möllers „Taſchenbuch für teutſche Schullehrer auf das Jahr 1800 
2 ii 


PPE SvBolts qulweſen, 2. 13 


— 14 — 


übertrug ihm hierauf i. J. 1792 die Stelle eines Lehrers ſeines 
Dorfes. Die Liberalität des Grundherrn, Die Fein Opfer ſcheute, 
welches der Schule nützlich war, ſowie der Eifer des jungen 
Lehrers, dem der Rat und die Hülfe des Ortspfarrers getreulich 
zur Seite ſtand, bewirkten es bald, daß die Schule nach dem 
ſchon vorher entworfenen Plane in kurzer Zeit voͤllig nen geſchaffen 
wurde. Für die Bebürfniffe des Lehrers, der Schulkinder und 
der Eltern derjelben wurde eine Bibliothek angefauft; eine Schub 
falle (die i. J. 1800 20 Rthlr enthielt) war durch Beiträge 
des Grundherrn und einiger auderen MWolthäter der Schule ge 
gründet und wurde durch eine in der Schule befefligte Spar⸗ 
büchfe vermehrt. Das Schulhaus wurde umgebaut, daß det 
Lehrer neben einer geräumigen Schulftube die nötigen Localitäten 
zum Wohnen u. f. m. hatte. In der Schulftube faßen die Kinder, 
nach den Gefchlechtern getrennt, an fieben Tafeln mit dem Geſicht 
nach dem Lehrer gekehrt. Der Gehalt des Lehrers wurde jehr 
beträchtlich erhöht. — Im Winter wurde die Schule von ewa 
60 Kindern befucht; im Sommer war die Frequenz eine geringere, 
weshalb in der Erndtezeit täglih nur vier Unterrichtsſtunden 
(von 8—410 und von 1—3 Uhr) erteilt wurden. Eröffnet wurbe 
der Unterricht an jedem Tage mit Gebet. Nach Beendigung det 
erften Lehrſtunde tummelten ſich die Kinder eine Viertelftunde lars 9 
auf dem vor dem Schulhauſe geebneten Plage. 

Als Lehrbücher wurden gebraucht Thiemens erfte Nahrurag 
des gefunden Menjchenverftandee, Gutmann oder der Sid 
fiihe Kinderfreund, ein Lefebuch für Schulen, Roch o ws KLinde F 
freund, Beders Not= und Hülfsbüchlein, Fauſts Geſundheits 
Katehismus, Seilers Lefebuh, Rofenmüllers und de *” 
mand Lehrbudy der Religion, Fedderfens biblifche Erzählunges®, 
BZerrenners biblifher Unterriht, Campens Seelenlehre, 
Raffs, Sanders Naturgefchichte, Schlezens Richard mad 
Schlaghart, von Richards Methode feine Zöglinge in der Nas 
turgeſchichte, Naturiehre, Gefundheitöpflege u. f. w. zu unter? 
rihten, nebft M. Göffels Auszüge aus der Naturlehre Ten 
Echreibunterricht erleichterten brei in der Schulſtube aufgehingt* 
ſchwarze Tafeln, wobei der Stoff zu Vorſchriften aus Obligatione#, 


u —— 


— 105 — 


Onittungen, Atteftaten, Pällen, Pachtlontraften, Landwirtſchafts⸗ 
md Geſundheitsregeln, Sittenfprüchen, Erzählungen, Raͤtſeln nnd 
Rechnungen gewählt wurde. — Das Rechnen wurde im Kopf und 
in der Tafel geübt. Auch in den verfchiednen Arten der Vered⸗ 
ung der Bäume wurde Unterricht erteilt. Einige Male in der 
Boche wurden befondre „Uebungen im Nachdenken“ angeftellt, 
oobei man namentlich das Wahrnehmungsvermögen in der Beob⸗ 
Stung ſinnlicher Dinge zu fchärfen fuchte. — Zur Handhabung 
er Disciplin wurde der Stod gar nicht, und die Ruthe, welde 
er Herr Paftor in feiner Wohnung aufbewahrte, nur im dußer- 
en Rotfalle gebraucht, und zwar jo, daß das ftrafbare Kind fie 
Inf abholen und dem Lehrer überbringen mufte. Dagegen waren, 
n die Schulfinder vor Fehlern abzuhalten, vier Tafeln in der 
Aulftube, die Schandtafel, die Tafel der Faulen, der Schwäßer 
Id der Unreinlichen. Wer dreimal an der Schandtafel gejtanden 
ıtte, deſſen Name murde in das ſchwarze Buch eingetragen. 
m Schluſſe der Woche wurden die an den Kindern bemerften 
ehler gerügt, fowie auch des Rühmlichen, das man an ihnen 
abrgenommen hatte, gedacht wurde. Jedem finde notirte der 
hrer eine Note ind Cenſurbuch, welches dieſelben den Eltern 
erbrachten. ” 

Bur Pflege und Uebung des Sinnes für Arbeit wurde im 
‚ahr 1793 eine Arbeitsjchule (in melcher die Kinder namentlic) 
a der Baummolljpinnerei geübt wurden, angelegt. Außerdem 
yurden zu demſelben Bwede, und um in den Eltern wie in den 
kindern wahre Freude an der Schule zu erweden, feit 1792 von 
Zeit zu Zeit unter der Proteftion des Gutsherrn öffentliche 
Schulfefte veranftaltet. *) 


a — — 


) Das erſte Schulfeſt zu Miltiz (1792) wird in folgender Weiſe beſchrieben 
„Die Gerichtsherrſchaft, der Gerichtsdirektor zu Freiberg, alle Einheimifchen: 
d eine große Zal fremder Perſonen waren dabei zugegen. Der Gerichtsherr 
, nachdem ein Lied angeftimmt worden war, an fämmtlihe Miltiper Einwod- 
" @ine Rede, die ganz geeignet war, alle Anweſenden von der Wichtigkeit der 
Tbegerung des Schul- und Erziehungsweſens für die Iugend zu überzengen- 
dann hielten zwei Knaben ein Gefprädy über die Abficht und den Zweck biefes 
Ar 





— 16 — 


Die Sonntagsfhule zu Langenfalza war im Friigg 
jahr 1795 von dem Arzt Dr. Stöller zu Langenjalza gefifx 
Ueber die Entftehung und Einrichtung der Eule wird Folgen n,, 


berichtet: „Die erfte und eigentliche Abficht des Stifters ging de— 


bin, einer großen Anzal Knaben unbemittelter Eltern, die fdhon 
vom 7.— 8. Jahre ihres Alterd an in den Seiden- und Wollen 
fabrifen zu Yangenfalza, ‚oder auch in den väterlichen Käufern 
die ganze Woche hindurch zur Arbeit angeftellt wurden, oder auch 
nad einem ſehr fpärlichen und jchlechten Unterrichte aus der 
Schule ind bürgerliche Leben übergingen, Unterricht in ben fir 
den Menfchen und Bürger unentbehrlichen Kenntniffen zu erteilen 
und durch Fatechetifchen Vortrag ihr Nachdenken zu weden und zu 
üben. Allein Diefer Entwurf, bei deſſen Ausführung dem Stifter 
zwei junge Gandidaten beiſtanden, mufte bald verändert und er⸗ 
weitert werden. Schon in der erften Stunde fanden fi fo viele 


Schul. und Freudenfeftes, nad deflen Ende auch der Lehrer über die Wichtigleit 
des Erziehungsgefhäfts eine Rede hielt, welche zugleih die Cinleitung zu de 
darauf folgenden Prüfung der Echuljugend war, bei der jedes Kind cine Meine 
Geſchichte erzälte, deren Stoff teils aus der biblifhen Gefchichte, teils aus dem 
gemeinen Leben genommen war. Dam ward gejchrieben, man ſah die eigren 
Auffüge der Kinder durch, und ließ eine Prüfung im Kopfrechnen anftellen, worauf 
diejenigen — die ſich durch Fleiß und gute Sitten den meiſten Beifall und die 
gröſte Liebe erworben hatten, mit Namen genannt wurden. Nachdem man mil 
einigen Piederverjen geſchloßen hatte, wurden zwar an fänmtliche Kinder Geſchenke 
verteilt, doc) erhielten jene auegezeichneten, deren 6 waren, feidene Bänder al 
Ehrenzeichen, mit der Auffchrift: Bleib, Geſchicklichkeit, Sittlichkeit, am Schulfeſtt 
zu Miltitz 1792, welche letztere die Frau Kammerherrin von Heynip den Kinder 
perfönlih um den linken Arın band , die fie an hohen efttagen in der Kirht 
öffentlih) tragen. Sämmtliche Kinder genoßen die Ehre mit der Yamilie ihred 
edein Herrn zu tanzen, wobei die aus Freiberg geholten Berghautboiften die 
Mufit machten, die Knaben ſchlugen den Topf, ſchoßen nad der Scyeibe, amd 
die beiten Schũtzen erhielten Belohnungen, wobei fie auf Koſten der Herrſchon 
bewirtet wurden. Im hohen Gefühle der Freude hob ein Kind das Glas empot 


und rief der Herrſchaft ein freudiges Bivat, in welches alle Aumefenden mit eine® 
berzligden: ja das wünſchen wir alle harmoniſch einftimmten. Cine Eimjort* 
machte den Echluß diefed für alle Anmejende, am meiften aber für die Kinde! 


höchſt freudenreihen Tages.“ 


— 197 — 


eine Kinder, Lehrlinge, Gandwerfögefellen und Bürger ein, Daß 
; unmöglicy war, allen einen und denſelben Unterricht zu erteilen. 
‘aber wurden verjchiedene Abteilungen gemacht, mehrere Lehrers 
ellen begründet (für welche ſich Die oberften Schüler der Stadt: 
hulen zu Langenfalza freiwillig erboten,) und fonady die Fleinften 
Schiler im Lejen, andre im Deflamiren leicht zu verftehender 
stellen aus Rochows Kinderfreund, Roſenmüllers erftem Unter: 
iht m. |. w. geübt, wobei ihnen auf Sofratifche Art Alles foviel 
18 möglich begreiflicd gemadht wurde. Ju einer andern Abteilung 
suede Die Gejundheitslehre nach Fauſts Katechismus vorgetragen. 
der Lehrer lad aus demfelben ein Stüd vor, ließ ed auch andre 
eſen und Fatechifirte Darüber. Hernach trat Dr. Stöller, der bei 
len Vorträgen gegenwärtig war, ſelbſt auf und fprady über 
ieſes Stud als Arzt ſowol nad) der Faßung der Jugend als der 
er älteren Bürger. Auch einzelne Materien, 3. B. Gewitter, 
rieg, Ratswechſel u. f. w., nach Dolzens Manier behandelt, 
iben fchicliche Gelegenheit zum Unterrihte. So verging das 
fte Jahr, in welchem auch eine befondere Echreibe- und Nech: 
enftunde Mittags von 12 — 1 Uhr in verfchiedenen Abteilungen 
halten ward.” 

„Sm zweiten Jahre ward der Unterricht mit den Kleinen auf 
ie nemliche Art fortgefeßt, da immer wieder neue hinzukamen, 
nd in der oberften Abteilung, welche die Bürger noch fleißiger 
eſuchten, wurde von einem ber Lehrer jedesinal in ber erften 
Yilfte ter Stunde der NReligionsunterriht nad) Rojenmüllerd 
ehrbuche, und dann von dem Stifter des Inſtituts die Anweifung 
r Glückſeligkeit beſonders des Bürgerd, durch Erhaltung und 
förderung der Gefundheit Des Körpers und der Seele nah 
nem eignen Gntwurfe, darauf die Lehre von den Pflichten des 
ürgerd nach Anleitung der Bahrdtichen Moral vorgetragen.” 

„Im dritten Jahre wurden bei noch zalreicherem Beſuche 
achſener Juͤnglinge und Bürger, deren Zal ım Winterhalben« 
e gemöhnlid) 300—400 betrug, von dem Stifter ganz allein 
Utliche Zuhörer in der Meberzeugung gegründet, daß der Menſch, 
a er glüclich fein und werden will, an Leib und Seele ges 

Fein, beider Kräfte kennen und gehörig benugen müße, und 


— 18 — 


jo ward ihnen eine faßliche Anthropologie und Diätetif, | 
das Nötigfte und Begreiflichfte aus der Seelenlehre und banr 
Moral für den Bürger vorgetragen. Und da diefer Vortrag 
mer zwedmäßiger war, aud der muntern Jugend fo viel 
möglich angepaft ward, fo blieb die VBerfammlung fehr oft, 
dem lauten Wunfche aller Anwefenden, noch über die gefehte. 
beifammen.” | 

„In den verfchiedenen Abteilungen wurbe der Unterricht 
Kindern in der oben angezeigten Weile ferner erteilt und 
leßtern der Neligiongunterricht nach Rofenmüller, fowie eine fi 
Naturgeſchichte des Menfchen, nach Voigts Grundfenntniffen ı 
getragen. So wurden auch die Schreib⸗ und Rechnenſtun 
fortgeſetzt. Die für den Unterricht in den unterſten Abteilun 
erforderlichen Bücher und Schreibmaterialien wurden, wenigſt 
für die bedürftigeren Kinder, von Dr. Stöller ſelbſt angeſche 
der außerdem aus eignen Mitteln eine Auzal von Volksſchri 
anfaufte, die teild zum Vorleſen beftimmt , teild zur Snftruin 
der Lehrer brauchbar waren.” 

Auf mehreren benachbarten Dörfern fand das zu Langen] 
geichaffene Inſtitut jehr bald Nachahmung. 


— — u 


Wichtiger jedoch als die an den genannten Orten au 
führte Schulreform war die Umgeſtaltung des Schulweſens in 
Graffhaft Stollberg-Roßla, meil die bafelbft von 
gräflihen Territorialherrfchaft angeordneten Neformen im Si 
wejen eine größere Ausdehnung und darum einen wirkſam 
Einflup hatten *) 


*) Die Schulen der Braffhaft Stollberg -Rokla wurden von dem zu 8 
beftehenden Konfiftorium beauffichtigt, welches als ſolches i. 3. 1732 von 
DOberconfiftorium zu Dresden approbirt und anerkannt worden war. - - Die 
über das Stollberg-Roflacr Schulmefen mitgeteilten Nachrichten find aus % 
lers „Taſchenbuch für deutſche Schuflehrer auf das Jahr 1800" ©. 73- 
entnomnien. 


— 19 — 


Als unzmweifelhafte Norm hatten hiebei der Graf und das 
Konfikorium zu Roßla die in den Schriften des Kirchenrates 
Dr. Seiler zu Erlangen niebergelegten Ideen angefehn. Daher 
war nicht allein Seilerd Katechismus in allen Schulen der Graf: 
ſchaft eingeführt, fondern es waren auch in allen Schulen Biblio 
ihefen angelegt, in denen man namentlih Seiler Schriften zur 
Inſtruirung der Lehrer aufgeitellt Hatte. Jede einzelne dieſer 
Ehulbibliothefen ftand unter der Aufjicht des betreffenden Kans 
tor8 und wurde alljährlich einmal von dem Kantor und hernach 
bei der jährlichen Schulvifitation von dem Superintendenten revis 
dit. Zur Unterhaltung diefer Schulbibliothet war in jeder Pfarrei 
beziehungsweiſe Gemeinde eine Schulfaffe begründet, in welche 
jedes Kirchenärarium vorjchriitsmäßig Drei Thaler oder wenigſtens 
einen Thaler zalte. Außerdem wurden Beiträge für viefelbe bei 
Hochzeits⸗ und Kindtaufsſchmäuſen in verfchlogenen Büchfen, fowie 
an den hohen Feſttagen in ben Kirchen Nachmittags im Klingel: 
beutel eingefammelt. Daneben floßen in dieſe Kaffe auch andere 
Gelber, durch welche es derfelben ermöglicht wurde, für arme 
Schulkinder Die nötigen Schulbücher und für beſonders lobens⸗ 
verte Ratechumenen, welche aus der Schule entlaßen wurden, 
Heine filberne Belohnungsmuͤnzen anzufhaffen.*) — Um den 
lirchlichen Oberen die Beauffihtigung der Schulen zu erleichtern, 
mußte jeder Schullehrer am Ende jedes Jahres fehr genau ausge: 
übrte Echultabellen einliefern. — Jeder Schulmeifter der Braf- 
haft, der ein von feinem Pfarrer ausgeftelltes gänftige® Zeugnis 
elbrachte, erhielt halbjährlich aus der gräflichen Kammerkaſſe 
0 Rthlr. Zulage. 

Schon nad wenigen Jahren war daher in allen Schulen 
er Grafſchaft eine Planmäßigkeit, eine Ordnung und Regſamkeit 
Abrnehmbar, von der man früherhin nichts geahnt hatte. — 


— — 


) Auf dem Abers dieſer Belohnungsmüngen fah man einen Genius mit dem 
Thom in der Hand ftehen, gelehnt an einen Tiſch, auf welchem ein Bienen 

mit zalreich einziehend en fleißigen Binnen ftand. Die Umſchrift lautete: 
ete md arbeite.” Auf dem Mevers fah man einen Rautenkranz mit den Wor. 
= fo wirb dich Gott ſegnen.“ 





— 20 — 


Leider aber waren ed auch nur wenige Orte und Gegenden &— 
ſachſens, worin ſich die Anfänge eines beßeren Volksſchulweſ ge 
nachweifen ließen. "In den meiften Gemeinden Fonnte die Wr 
famfeit der Seminarien nur in derjelben Allmählichfeit bemer Ba 
werben, in welcher ſich nicht nur die Bildung und das Berufsbe 
wuftfein, ſondern auch die ganze Lebensftelung der Schullehrer 
(und dadurch das Anſehn der Schule felbft) hob. In erſterer 
Hinficht boten die legten Jahre des achtzehnten Jahrhunderts al; 
lerdings mancherlei erfreuliche Erſcheinungen dar, indem fid bier 
und da namentlid Xefegefellfhaften und Konferenzen 
bildeten, durch welche ſich die Lehrer gegenjeitig zu fördern und 
zu beben ſuchten. So wurde i. 3. 1795 zu Gleina im Stift 
Raumburg- Zeig eine Leſegeſellſchaft für Landjchullehrer geftifte. 
Anfangs nahmen zwölf, i. J. 1799 aber ſchon zwanzig Lehrer an 
derfelben Teil. Im Jahre "1796 wurde auch zu Conſtappel bei 
Dresden ein Lejeverein für zwölf Landſchullehrer eingerichtet. Drei 
Sabre fpäter, am 13. April 1799, wurde zu Dermsdorf in der 
Didcefe Weißenfee von adıt Dorffchullehrern die erfte periodiſche 
Schulconferenz begründet, deren Zweck gemeinſchaftliche 
Erörterung gewilfer Schulfachen war, namentlich der Lehrmethode und 
ber Schuldisciplin und gegenfeitiger Austaufch der im Gebiete dei 
Schulweſens gefammelten Erfahrungen und Kenntniffe. 

Auch zur Beßerung ber äußeren Lage der Schullehrer th 
bie Staatsregierung um biefe Zeit manches. In den Volksſchulen 
des Stift8 Naumburg-Zeig wurden alljährlich an wuͤrdige Schu 
Diener, geprüfte Schulhalter und Kinderlehrer zwei Prämien, ein 
größere von zwölf Thlr., und eine Eleinere von 8 Thlr. verteilt 
Auch in der Didcefe Weißenfee wurden zu gewiffen Beiten Br 
mien ausgegeben. — Un bie Aufbeßerung der Lehrergehalte ſel HR 

wurde indeffen erft i. J. 1799 ernftlich gedacht. 

Auf landesherrlichen Befehl wurde nemlich i. 3. 1799 ſaͤmm? 
lichen kurſächſiſchen Landſchullehrern aufgegeben, ihren vorgejegte" 
Superintendenten und Inſpectoren ben Betrag ihrer Ginfünff 
nad einer durchſchnittlichen Berechnung mehrerer Jahre zu übe 
reihen. Die Anfpectoren und Superintendenten follten diefe Au⸗ 
gaben in eine tabellarijche Ueberſicht zufammenftelen und zugleick 


— 201 — 


bemerken, wie viel aufgewenvet werben müße, um den Ertrag einer 
Lehrerftelle, Die noch nicht 80 Thlr. einbringe, auf 80—100 Thlr. 
zu erhöhen. Außerdem follten diefelben darüber berichten, welche 
Lehrer insbefondre einer Unterftügung und Aufmunterung bedürfs 
ten, und an weldyen Orten unb mit welchem Aufmande nod) 
Schulen zu errichten wären. — Um dem Notftande jo vieler 
Lehrerfamilien, der in Folge dieſes Andfchreibens zur Sprade 
km, einiger Maßen abzubelfen, wurde nody in demfelben Jahre 
1799 eine Schullehrerbejoldungsfaffe gebiltet, in welche namentlich 
ein Teil der jährlihen Bußtagscollette und Die Binfen der zur 
Unterftügung hülfsbedürftiger kurfürſtlicher Schullehrer geftifteten 
Vermaͤchtniſſe fließen follten; und da diefe Kaffe ihren Zwecke 
noch nicht entfprach, jo wurde i. %. 1805 mit ftändifcher Zu⸗ 
ſtinmung eine neue Schullehrerbefoldungsfaffe begründet, 
die mit einem Kapital von 10,000 Thlr. und mit einem jährlichen 
Zufhuß von 1000 Thlr. dotirt ward. Unter dem 17. December 
1804 erließ der Kirchenrat zu Dresden ein Reſcript an die Kon- 
fftorien wegen Anfchaffung des zur Heigung der Schulftuben nö- 
tigen Holzes, das in Zukunft von den Gemeindeleuten unentgeld- 
ich angefahren werden follte; und unter dem 17. Juni 1805 er: 
ie der Kirchenrat ein anderes Reſcript wegen Verbeßerung des 
Dfenfteintommens der weniger ald 80 Thlr. einbringenden Lehrer⸗ 
ellen. 

Wichtiger aber noch als dieſe Verfügungen war das Regu⸗ 
atin vom 4. März 1805, das Anhalten der Kinder zur Schule 
md die Bezalung des Schulgeldes betreffend, durch welches ben 
Eltern, von deren Willtür der Schulbefucd noch immer ſehr ab- 
Yängig geweſen war, das Anhalten der Kinder zur Echule zur 
bürgerlichen Zwangspflicht gemacht, zugleich die Lage der Schul: 
lehrer durch Regulirung des an den meiften Orten höchft unver: 
haͤltnismäßig und unordentlich entrichteten Schulgeldes nach dem 
ißherigen höchſten Sag verbeßert, und diefelben damit auch des 
läftigen und mit vielen Inconvenienzen verbundnen Geſchäfts der 
Agnen Erhebung und intreibung dieſes Schulgeldes enthoben 
wurden. Erſt hierdurch wurde die Unabhängigkeit der Schule und 
es Schullehrers von der Willfür der Eltern promulgirt und for 





— 202 — 


mit dad Gedeihen der Schule wahrhaft gefihert. Tas Regulawy 
welches Kurfürft Friebrih Augufl von Sachſen ald Anhang an 
zweiten Kapitel der kurſächſiſchen Schulordnung von 1773 unter 
dem 4. März 1805 publiziren ließ, lautete: 

„1) Die Unterweifung der Kinder in den Schulen foll Bei 
beiden Gefchlechtern mit dem Eintritt in das fechfte Lebensjahr 
ihren Anfang nehmen, und bis zur Erfüllung des vierzehnten Jah 
res ununterbrochen fortgefeßt werben. Nur dann, wenn an bem 
Orte des Aufenthalts der Kinder feine Schule vorhanden, und die 
Schule, an die fie in Anſehung des Unterrichts gewiefen find, über 
eine halbe Stunde davon entfernt, oder in einer unwegjamen Ge 
gend gelegen ift, darf der Schulbeſuch bis zum Eintritt in bed 
fiebente Lebensjahr ausgejeßt bleiben. Wenn bei der Vorbereitung 
eined Kindes zu dem Genuſſe des heiligen Abendmals fi finde, 
daß es ihm noch an einer richtigen und fruchtbaren Kenntnis der 
evangeliſchen Wahrheiten, oder auch an der Fertigkeit im Lee 
fehle, jo muß mit dem Schulunterrichte über das vierzehnte Jahr 
hinaus fo lange fortgefahren werden, bis dieſen Mängeln, nad 
der gewißenhaften Beurteilung des die Konfirmation verrichtenden 
Seelforgers, abgeholfen worden ift. 

Die Pfarrer haben fi, bei Vermeidung der Suspenfion, 
bierunter gegen feinen Katechumenen, ohne Anſehn der Perſon unt 
des Standes, nachfichtig zu beweiſen; auch ift es Pflicht der Ew 
perintendenten, darauf Acht zu haben, daß dieſer Vorſchrift nit 
entgegen gehandelt werde. 

2) Ale Eltern und Vormünder find verbunden, ihre Kinder 
und Pflegebefohlene binnen der vorher beftimmten Zeit bie öffen” 
liche Schule ihres Wohnorts, oder an Orten auf dem Lande, wo 
feine Schulen find, diejenige Schule, zu der ihr Aufenthaltsort 
geihlagen iſt, beſuchen zu laßen. Hiervon bleiben nur diejenige® 
audgenommen, welchen in den Landeögejegen das Halten eigne! 
Haußlehrer geftattet ift, oder welche ihre Kinder in einer anber®" 
öffentlichen Schule, wo fie mehr erlernen fönnen, oder in ein® 
mit Genehmigung des Superintendenten und der Obrigfeit 9* 
ſtehenden Privatfchulanftalt unterrichten Iafen, und daß ſolches w®' 
Vorwißen bes Pfarrers und ber Gerichtsohrigkeit ihres Aufer 


— 203 — 


altsorts gefchehe, beizubringen vermögen; inmaßen ohne dergleichen 
zewilligungszeugnis Fein Kind in einer anderen öffentlichen ober 
Irinatanftalt angenommen werben fol. 

3) Sollten Kinder vor beendigten Schuljahren und erfolgter 
ionfirmation in @efindebienfte treten, oder zu Grlernung einer 
zrofeſſion ober Kunft An die Lehre gethan werden, fo find bie 
Renſt⸗ ober Lehrherren ſchuldig, ſie auf die noch übrige Dauer 
er Schulzeit, und nach deren Ende bis nach der von ihnen ord⸗ 
ungsmaͤßig zu beſorgenden Confirmation, taͤglich wenigſtens zwo 


stunden in die Schule ſowie in den Vorbereitungsunterricht 


im erftmaligen Genuß des heiligen Abendmals zu fchiden. 
4) Damit die Befolgung diefer Vorfchriften defto zuverläßiger 
: überfehen fein möge, fo ift an jedem Orte, in Städten und 
orftädten von den Viertelsmeiſtern oder Gemeinderichtern, auf 
m Lande von den Dorfrichtern, bei dem Anfange jeden Viertel⸗ 
bres d. i. am 1. Januar, 1. April, 1. Suli, und 1. October, 
te richtige und vollftändige Specification fämmtlicher dafelbft 
findlicher fchulfähiger Kinder, bei einer Strafe von zwei Thalern 
t jede hierbei zu Schulden gebrachte Nachlaͤßigkeit, in zwei uns 
tgeltlich zu fertigenden Exemplarien, dem unten verorbneten 
Hulgelder - Einnehmer und dem Schullehrer felbft zu übergeben. 
5) Jeder Schullehrer ift verpflichtet, nach Anleitung des 
n qugeftellten Verzeichniſſes täglih, von welchen der von ihm 
unterrichtenden Kinder die Schule verfäumt worden fei, ohne 
hfiht und Anfehen der Perſonen, forgfältigft anzumerken, und 
Verzeichni aller im Laufe jeden Vierteljahrs vorgefallenen 
jäumniffe, acht Tage nach Ablauf defjelben, dem Pfarrer zu 
ergeben. | 
Die hierbei von den Schullehrern zu beobachtende Benauig- 
E gehört zu ihren wichtigften Amtöpflichten, und es haben bie- 
tigen, welche aus Trägheit, Menfchenfurdt, Gefälligkeit, Eigen: 
8 oder fonft, ſich einiger Pflichtvergeßenheit hierunter ſchuldig 
hen, daß bei DVerfegungen oder jonft von ihnen gewünfchten 
Tbeßerungen, auf ihre desfalls bei der Behörde angebrachten 
fuche keine Rücficht werde genommen werben, auch nad Ber 
sen fonflige Ahndung, zu gewarten. 





— 204 — 


6) Der Pfarrer bat das ihm zugeftellte Verzeichnis tag, 
zugehen, die Strafiwürdigfeit oder Werzeiblichfeit der Darimen ar 
gezeigten VBerjänmniffe zu prüfen, und es ſodann, mit fegzuen 
Erinnerungen und feiner Unterjchrift verſehen, der Obrigfeit mit 
möglicyfter Befchleunigung zu überlicfern. 

7) Bei Vermeidung des erufteften Einſehens haben Die Obrig: 
feiten gegen Eltern, Vormünder, Dienft-" und Lehrherrn, welde 
ichulfähige Kinder ohne hinreichende Urſache die Schule verjäumen 
laßen, mit gefeßlichem Zwange zu verfahren, und fie, wenn das 
von ihnen zur Schule anzuhaltende Kind im Laufe eines Dnartald 
über acht Tage hintereinander, ohne hinlängliche Eutjchuldigunge 
urfache, außengeblieben ift, das erftemal mit Dreitägigem, in jetem 
Wiederholungsfalle aber mit fehstägigem Gefängniffe, unnachſiht— 
lich zu belegen; wobei ſich von felbft verfteht, daß das Schulgeld 
wegen des Ausbleibens ſchlechterdings nicht zurückgehalten, oder 
verkürzt werden darf. 

8) Nur Krankheit oder Abweſenheit des Kindes, wenn Ber 
des zur Genüge befcheiniget, oder fonft befannt ift, und diejenigen 
Gründe, welde der Pfarrer und die Obrigfeit in einzelnen Fällen 
für zureichend ermeßen werden, find als hinlängliche Entſchuldi⸗ 
gungsurfachen wegen vorgefallener Schulverfäumniffe anzuſehen. 

9) Damit aber den Eltern oder anderen Perfonen, welcht 
Ichulfähige Kinder bei fich haben, die ihnen etwa nötige Beihilfe 
erwachjener Kinder thunlichfterinaßen gegönnet werde, fo fol überal 
auf dem Lande, wo es die Localverhältniffe nur immer geftatten 
wollen, die Schuljugend nach ihren Käbigfeiten in zwei Klaſſen 
abgefondert, und einer jeden Kaffe in befonteren Stunden M 
ihren Fähigkeiten angemeßene Unterricht erteilt werden. 

10) Zur Erndtezeit ift auf dem Lande der Unterricht dere 
nigen Kinder, welche das 10. Jahr ihres Alters erfüllt haben, 
zwar vier Wochen lang auszuſetzen, jedoch find bergleichen Kind! 
während diefer Zeit nicht ganz ohne Unterricht zu laßen, ſondern 
fie haben wöchentlich einige Stunden lang die Schule zu befuche! 

Dagegen gebt der Unterricht der unter 10 Jahre alten Ki 
der während der Erndtezeit unausgefegt täglich fort. 

11) Da es überdies geſchehen kann, daß Eltern ober Pfley“ 





— 205 — 


tern erwachjener Echulfinder auch außer der Erntte des Bei⸗ 
indes derfelben nicht entbehren Fönnen, fo fol zwar in dringenden 
allen diefer Art, wenn folche zur Genüge bejcheinigt worden find, 
18 Außenbleiben der Kinder aus den anfonft von ihnen zu be 
chenden Schulfiunden, nad dem Ermeßen des Pfarrerd und ber 
ſbrigkeit, ald entjchuldigt angefehen werden: jedoch müßen ſolche 
inder auch während dieſer Zeit nicht ohne allen Unterricht ges 
ieben, fondern täglich eine Stunde, oder wenigftend wöchentlich 
nige Stunden lang, in die Schule geſchickt worden fein. 

12) Ale die Schule befucyenden Kinder find im Ehriftentum, 
ı Kejen, Schreiben und Rechnen zu unterweifen. 

Auch der Unterricht im Schreiben , ingleichen in der Zalen⸗ 
nntnis und der Erlernung des Ein mal Eins, ald der Vorbe- 
tung zum Rechnen, nimmt bald nad) dem Eintritte des Kindes 
die Schule feinen Anfang. 

Ob ein Kind die zum Rechnen erforderliche Fähigkeit babe, 
rüber bat nur der Echullehrer und, nach Befinden, der Pfarrer 
urteilen; mithin haben Eltern, VBormünder, Lehr- und Dieuft: 
tn ſich aller desfallfigen Einmiſchung zu enthalten. 

13) Bon der erften Woche des Schulunterrichtes an bis 
n Eude der Schuljahre müßen Eltern, Vormünder, Dienft- und 
rherrn für die von ihnen zur Schule zu ſchickenden Kinder das 
: den Unterricht im Chriftentum, im Leſen, Schreiben und Rech⸗ 
1, jeden Ortes gewöhnliche oder vorgejchriebene Schulgeld, ohne 
terſchied, ob das Kind zur Schule gefonmen jei, oder nicht, 
er ob fein Außenbleiben durch Krankheit, Abwefenheit und fonft 
entfchuldigen fei, oder nicht, bezalın. Kür arme Kinder tft es 
3 der Armenkaſſe zu entnehmen, oder von der Gemeinde, Die 
deren Verforgung verbunden ift, einzubringen. Nur Diejenigen 
eiben von Erledigung des Schulgeldes überhaupt befreit, welche, 
ie oben $. 2 erwähnt ift, nach den Yandesgefepen Hauslehrer 

halten befugt find; oder die ihre Kinder zur Erlernung alter 
Prachen und höherer Wißenjchaften in fogenannte gelchrte Schu— 
, nachdem fie bereit die erften Elemente der nötigen Kenntniffe 
den Schulen ihrer Wohnorte erlernt haben, mit Genehmigung 
Juſpection, und nad) vorgängiger Prüfung der Kinder durd) 


— 206 — 


den Superintendenten, bringen wollen, nicht aber diejenigen, . 
außerdem zu Entnehmung der Kinder aus der Ortd- Schule m 
§. 2 bejondere Conceſſion erhalten. 

14) In jeder Stadt, oder Dorfgemeinde ift zur Ginnahm 
des Schulgeldes ein eigener Einnehmer von dem Superintendente 
und der Gerichts-Obrigkeit zu beftellen und zu verpflichten; meh 
tere Fleine, zu einem gemeinfchaftlichen Kirchipiele gehörige, un 
einander nahe gelegene Orte Eönnen einen gemeinjchaftlichen Gin 
nehmer haben. 

15. Bei der Auswal deſſelben ift auf Leute von bekannte 
Redlichkeit, und vorzüglich auf diejenigen Perfonen Rüdfiht y 
nehmen, die die Almofenfammlung bejorgen. Ohne hinreichend 
Entfehuldigungsgründe darf Niemand, dem dieſes Amt aufgetrage 
wird, es zu überuehmen, verweigern. Die Beurteilung der Gut 
Ichuldigungsgründe bleibt dem Ermeßen des Superintendenten unl 
der Gerichtsobrigkeit vorbehalten. 

In Abſicht auf die damit verbundenen Verrichtungen if ba 
Sculgelder-Einnehmer der geiftlihen Gerichtsbarkeit unterworfen 

16) Eltern, Vormünder, Dienft- und Lehrherrn ſollen hin 
fünftig das für die von ihnen zur Schule anzuhaltenden Kinde 
dem Schullehrer zufommende Schulgeld an den jeden Orts be 
ftellten Schulgelder-Einnehmer von Woche zu Woche bezalen. 20 
denen, bie e8 wöchentlich nicht abtragen, hat e8 der Schulgeldet 
Einnehmer, nady Anleitung des ihm von den Viertelsmeißfterr 
Dorf» oder Gemeinderichtern zugeftellten Verzeichnifjes ber ſchu 
fähigen Kinder, am Schluß eines jeden Monats, nach Art un 
Weile des Almojens einzufammeln; die verbleibenden Reſte abe 
acht Tage nah dem Ablaufe eines jeglichen BVierteljahres de 
Obrigkeit anzuzeigen. 

17) Die Obrigfeiten find verpflichtet, fpäteftens 8 Tage 
nachdem ihnen das Verzeichnis der rüdftändigen Schulgelder vo 
dem Ginnehmer übergeben worden ift, die Reftanten, daß fie ihr 
Nefte binnen drei Wochen bezalen follen, bei Vermeidung de 
Auspfänbung, gerichtlich bedeuten zu laßen, auch davon, daß ſo 
ches geſchehen jei, dem Schulgelder-Einnehmer Nachricht zu gebt‘ 
Segen die, welche der erhaltenen Bedeutung feine Folge lei! 


— 207 — 


if auf Die fernere Anzeige des Schulgelder- Einnehmers, welche 
diefer nacy Ablauf der ihnen vergönnten Friſt ohne Verzug zu 
bewirken bat, mit der Auspfändung ohne Aufjhub und Nachſicht 
iu verfahren. 

18) Den Schullehrern ſelbſt wird die eigene Eincaſſirung 
des Schulgeldes bei zehn Thaler Geldbuße oder vierwöchentlicher 
Befängnisftrafe verboten. Es bat aber der Schulgelder-&innehmer 
über das eingehende Schulgeld orbentlihe Rechnung zu führen, 
und e8 dem Schullehrer, nach Abzug von zwei Groſchen für jeden 
eingenommenen Thaler, ald welche ihm für die dabei habende 
Mühewaltung überlaßen bleiben, monatlich zu übergeben. 

19) Die Superintendenten haben bei den ihnen obliegenden 
Sdulvifitationen fi) nad dem Verhalten der Givil- Obrigfeiten, - 
in Anſehung des Beſtrafens der Schulverjäumniffe und der Exac⸗ 
tion der Schulgelberrefte, forgfältig zu erkundigen, und die Died 
told vorkommenden Bejchwerden, wenn fie gegründet, auch auf ihr 
freundichaftliche8 Erinnern nicht abgeftellt werben, den Conſiſtoriis 
anzuzeigen.“ 

Das Regulativ von 1805 ift daher ebenfo als Anfang der 
neueren wie als Abſchluß der älteren Gelchichte des Volksſchulwe⸗ 
ſens in dem nunmehrigen Königreich Sachſen anzufehn. 


— — — 


IX. 
Das Serzogtum Sachſen⸗Gotha. 


Bis zum Ablaufe des breißigjährigen Krieges war der Cha⸗ 
itter des Volksſchulweſens in allen ſaächſiſchen Herzogtümern ein 
id Derjelbe, d. h. es war zwar den Küftern zur Pflicht gemacht, 
B fie Schule halten folten, aber nur jehr wenige Küfter famen 
ex Verpflichtung nah, und als eigentliched Dienftoffizium ders 
ben galt daher neben der Verrichtung des niederen Kirchendienftes 
"Die Unterflügung des Pfarrer? in der Vornahme der Firchlichen 
ate chiſationen. — Am vollftändigften erhellt biefes Verhältnis 


— 208 — 


aus der Kirchenordnung, welche der Herzog Johann Gafimr ge 


Coburg unter dem 17. Bebr. 1626 publiziren ließ. In derſelben 
wird nemlich in Betreff der Küfter und deren Dienftobliegenheiten 
Folgendes beſtimmt: 

Die Kirchner oder Glöckner follen „von Richtern, Kirchvätern 
und Xelteften aus der Gemeinde, mit Vorwißen des Erb⸗ und 
Lehusherrn, auch des Pfarrers gewählt und fürders dem Konfifle 
rium präfentirt und zugeſchickt werden, weldye ihn verbören, und 
da er im Examine gefchidt befunden, zum Amt confirmiren un 
beftätigen jollen. Demnach foll wider des Pfarrers Willen feine 
angenommen oder eingebrungen werben, in Betrachtung daß ft 
bei einander fein und einander helfen müßen, auch ein jeder Pfar 
rer ohnedem jeinem Glödner zu gebieten und zu befehlen bat.’ — 
Die Pfarrer follen jedoch ihre Gloͤckner nicht mit Botenlaufen und 
andern Dienften beſchweren. Jeder neu angeftellte Küfter ſoll mit 
feinem Haushalt auf Koften der Kirche, wofern es dieſer möglid, 
oder der Gemeinde in feinem Wohnort eingeholt werden. 
| Der Küfter bat dem Pfarrer in allen dienftlicdyen Vemich 
tungen zur Seite zu ftehn. Außerdem „ſoll auch ein jeder Dorf 
füfter verpflichtet fein, alle Sonntage Nachmittags, und in de 
Woche auf einen gewilfen Tag die Kinder den Katechiemum md 
hriftliche Deutsche Gefäuge Dr. Luthers mit Fleiß und deutlich zu 
lehren, und nachmals in den vorgefprochenen oder vorgelejenen 
Artikeln des Katechismi wiederum zu verhören und zu egaminiren.‘ 
Neben diefen firhlihen Katechiſationen follen abe 
auch „alle Custodes und Dorffüfter Schule halten, — darinnen 
die Kinder Lefen, Schreiben und hriftlide Geſänge, 10 
in der Kirche gebraudht werden follen, lehren.” Die äuperen 
Verhältniſſe der Küfter betreffend wurde verfügt, daß dieſelben 
fi) alles Procurirens und Advoeirens enthalten, feine gebrannfe 
Weinfhänfen, auch in ihren Wohnungen Feine Miethsleute auf? 
nehmen follten. Dagegen wurde zum Schutze der Küfter gege® 
unbillige Forderungen der Gemeinden verordnet: „Nachdem art 
etlichen Orten die Custodes unbillich bejchwert worden find, indees® 
fie wegen des Botfornd oder Leihfaufs jährlich von ihrem Di 
zween, drei oder vier Echeffel Korn, auch etwa einen Gulden der 


nn an 





— 209 — 


tmeinde haben geben müßen, und ſolches im Namen und Schein, 
3 jollte der Custos von Neuem gemietet werben, welche Abzüge 
mad die Gemeinde verjoffen, als ſoll hiermit folche unchriftliche 
Schinderei durchaus abgeſchafft und verboten fein, und fein 
stos der Gemeinde forthin dad Weringfte zu Botkorn oder Leib: 
uf reichen oder geben, ohne das erflcmal, wenn er angenommen 
d mit Fuhre geholt ift, alsdaun mag er, fi) mit den Nachbarn 
fannt zu machen, etliche Groſchen der Dorfichaft zu vertrinfen 
ben; jedoch daß auch in ſolchem ein Maß gehalten und ber 
ıstos nicht über ſechs Groſchen zu geben gebrungen werde.” — 
a wo die Bauern dad Vieh um die Beche hüten, fol der 
ter wie der Pfarrer von der Zechhute völlig befreit und doch 
tehtigt fein, ihr Vieh mit dem der Gemeinde forttreiben zu 
zen. Wo jedoch die Gemeinde einen Hirten gedungen hat, fols 
ı Küfter und Pfarrer Die Laften jedes Gemeindemannes teilen. 
Die Ausübung eines Handwerks wurde den Küftern mit 
gender eigentümlichen Bemerkung geftattet: „Als auch die Gloͤck⸗ 
: gemeiniglidy geringe Beſoldung haben, — jonft auch die Kirche 
d Bemeinde einen Müßiggänger auf foldem Dienft 
erhalten, gemeiniglidy zu unvermöglih, — jo laßen wir 
mit nach, daß die Kirchner auf den Dörfern, weldye Handwerke 
nen, biefelben allein daheim in ihren Häufern und außer ben 
Aulftunden zur Notdurft, aber nicht auf den Herrenhöfen oder 
af außerhalb, auch nicht zum feilen Kaufe, den umliegenden 
tödten und Meiftern vefjelbigen Handwerks zum Nachteil treis 
n.“ Das übliche Umgangsbrot ſoll den Küftern volwichtig im 
Ierte von 2 Bapen geliefert werden, widrigenfalld dieſelben bes 
chtigt fein follen, die Zalung von 2 Batzen zu verlangen. „Und 
U verichienener Zeit gebräuchlich gewefen, daß man den Kirch⸗ 
Mm auf den Dörfern den Gründonnerftag Oftereier, desgleichen 
ı bh. Abend oder Neujahr, fo fie den Sprengfeflel oder geweihte 
Ber umtragen, nun aber, weil ſolches weggefallen, dafjelbe auch 
t mehr geben wollen, — fo achten wir für gut und billich, 
I ihnen ſolches nachmals gutwillig gegeben werde.“ 
Aus allen diefen Beſtimmungen ergiebt fich aljo, daß bie 
in ein eigentliches Dorfſchulweſen noch nicht beſtand, indem ber 
Cpye, Bolkaſchulwejen, 2. \& 


— 210 — 


Küfter vorzugsweiſe als Kirchendiener und nur nebenbei als &d 
meifter in Betracht Fam. Indeſſen lag ed doch im Sinne 
Kirchenordriung, daß die Küfter dad Lehramt jetzt als integriren 
Beftandteil ihres Küfteramtes betrachten: jollten, weshalb jogar 
foblen wurde, daß die Küfter und deren Frauen üb 
Mägdleinfhulen zu errichten hätten, wofür ihnen aus 
Kirchen oder Gemeindefaften eine Ergeplichkeit zugewenbet weı 
follte. Auch follten die Superintendenten bei den Kirchenvifite 
nen ermitteln, „ob der Pfarrer die Schule vermöge der Kird 
ordnung fleißig vifitire und die Eingepfarrten vermahne, bei: 
ders um des Katehismi willen, ihre Kinder zur St 
zu halten, ob der Schulmeifter täglich wenigftend vier Stu 
lang Unterricht erteile, Die Kinder namentlich im Katechismus 
Fleiß unterrichte, und ihnen Luthers geiftliche Lieder einübe” a. 

Aber ein eigentliches Volksſchulweſen erwuchs doc dan 
nur in demjenigen fächlifchen Lande, über welchem die fegn: 
Hand des frömmften aller jächfijchen Fürften des fiebzehnten J 
hunderts waltete, — im Herzogtum Gotha. Der mit R 
al8 „der Fromme” bezeichnete Herzog Ernft L von Sad 
Gotha ift der Vater der Volksſchule in den herzoglich⸗ſächſiſ 
Landen. 

Nachdem nemlich Herzog Eruft am 24. October 1640 
Tenneberg aus feinen feierlihen Cinzug in die Stadt Gotha 
halten hatte, entwidelte derfelbe fofort bie rührigfte Thaͤtig 
um die Verwaltung feined Landes zu ordnen. Zunaͤchſt a 
Ernft eine an alle feine Unterthanen geiftlihen und weltli 
Standes gerichtete Bekanntmachung, worin er denjelben eröfft 
daß er entjchloßen fei, fobald als möglich eine allgemeine Kird 
und Landesvifitation anftelen zu laßen, damit er die Mängel 
Gebrechen des Landes und dadurch die Mittel kennen lerne, 
jeinen Unterthanen durch heilfame Geſetze und Ginrichtungen 
fen zu können. Diefer Bekanntmachung fügte Ernft ein Ber 
nid einiger Wrtifel bei, welche die Pfarrer und Beamten 
Fürſtentums Gotha vorher beantworten ſollten. Sindefien | 
dieſe beabfichtigte General-Bifitation einftweilen nicht zur Audf 
zung, da von dem Generalfuperintendenten zu Weimar und ı 


— 211 — 


einigen Profefjoren zu Jena gegen biefelbe fehr ernfte Einwen- 
dungen erhoben wurden. Um fo rüftiger frhritt der Herzog un- 
verweilt zur Ausführung der beabfichtigten Reform der Schulen 
feines Landes und zwar zunächft des Gymnaſiums zu Gotha vor. 
Um einen tüchtigen Rat in Schulfachen zur Seite zu haben, berief 
Ernft den damaligen Rector Reyher zu Schleuffingen als Rector 
des Gymnaſiums nach Gotha. Durch ihn ließ Ernſt eine Anzal 
neuer Lehrbücher für die niederen Schulen, ein ABE- und Sylla⸗ 
birbüchlein, Lejebüchlein, Xefeubung, Pfalterium, Evangelienbüchlein, 
Rehenbüchlein und unter dem Titel „Schulmethodus” eine neue 
Schulordnung ausarbeiten. Zur Beförderung des Drudes biejer 
Schulſchriften errichtete der Herzog eine eigene Buchbruderei in 
Gotha. Hierauf orbnete Eruft eine Bifitation aller Schulen des 
Landes an, indem er durch Reſcript vom 13. October 1641 den 
Superintendenten und Adjuncten befahl, bie ihrer Aufficht unters 
Rellten Schulen zu vifitiven, die Pfarrer, Schuldiener und Elteften 
der Gemeinden über gewiße Fragepunfte zu vernehmen und über 
dad Ergebnis der Vifitation bei Einfendung der Protocolle Bericht 
wu erftatten. Da aus den zur Superintendentur Gotha gehörigen 
Ortſchaften die meiften Perfonen nebft ihren Kindern und ihren 
Predigern ſich wegen der damaligen Kriegsunruhen in der Refl- 
denzftabt Gotha aufhielten, jo wurde die Schulvifitation mit ihnen 
in der zweiten Klaffe des daſigen Gymnafiums vorgenommen. 
Als die Schulvifitation beendigt war, machte der Herzog 
unter dem 12. Novbr. 1641 befannt, daß nunmehr eine Generals 
viſttation fämmtlicher Kirchen und Gemeinden im Lande vor fich 
gehen und ein Jeder fih zu berjelben bereit halten follte. Die 
ur Vollziehung der Bifitation ernannten Commiſſare waren ber 
Con ſiſtorialrat Strauß, der Generalſuperintendent Salomon Glaſſ, 
der Hofprediger Brumhorſt und ein Hofjunker von Miltiz. Am 
18. November nahm die Viſitation ihren Anfang. Zu Folge der 
en erteilten Inſtruction ſollten die Commiſſare jedesmal den 
verichtsherrn oder Pfarrer von ihrer Ankunft ſchriftlich benach⸗ 
rich tügen , alsdann die Eingepfarrten durch den Glockenſchlag in 
E Kirche fordern und fie von dem Pfarrer in Ordnung ſtellen 


Ben, nad) Verleſung ded Kommifjoriald das ECxamen aus dem 
| 10 


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Katehismus und der Bibel mit ihnen vornehmen, daranf zu 
Schulegamen fchreiten, (wobei auch die Kinder der Adlichen n 
ihren Brivatlehrern zu erjcheinen und legtere über ihre Metho: 
Nede und Antwort zu geben gehalten fein follten,) vor Entlaßur 
der Gemeinde einen Ausfhuß der Welteften derſelben, in de 
Etädten die Bürgermeifter und in den Dörfern die Schultheiße 
und Altariften mit Zuziehung bed Pfarrerd benennen und jold 
an einen beliebigen Ort zur Vernehmung über die der Inftructig 
beigefügten Fragpunfte bejcheiden, vor dem Verhör aber mit de: 
Pfarrer eine freundliche Conferenz halten und erforfchen, wie « 
in lectione biblica, libris symbolicis und libris theologicis 5 
Ihaffen fei, ob er cognitionem historiae ecclesiasticae et lingua 
rum orientalium babe und wie er in practicis fundirt fei, aue 
ob er feine Predigten zur Erbauung der Zuhörer wol einridt 
Die übrigen Fragpunkte an die-Pfarrer, Schuldiener, Superin 
tendenten, Adjuncten, und an den erwähnten Ausſchuß ber Gi 
meinde erftredten ſich auf Gegenftände in Kirchen, Schul, drif 
lichen Discipline und Polizeifachen, wobei das Hleinfte Detail nid 
unberührt blieb. Weber die Beantwortung derſelben mufte ein g 
naues Protocol geführt und in Fällen, welche feinen Aufihe 
litten und einer fchleunigen Nemebur beburften, befonderer Berid 
erftattet werden. 

Diefe Vifitation, welche 5 Jahre dauerte und nachher 
veränderter Ginrichtung wiederholt wurde, war die Baſis, m 
welcher das gefammte Schulunterrichtswejen des Landes feine G 
ſtaltung erhielt. 

Die Unwißenbeit und Verwilderung, welche die Commiſſic 
im Volfe wahrnahm, war arg. Die meiften der Schule entwac 
ſenen Leute wuften von dem Inhalte des Katechismus gar Rip! 

und Diejenigen, welche die Worte der 5 Hauptftüde teilmeije re 
tiren konnten, hatten ſich diefelben Doch nur ganz gedankenlos «a1 
geeignet. Auf die von den Gommifjaren desfalls erftatteten W 
richte erteilte daher Herzog Eruft Schon im Sabre 1642 an de 
KSonfiftorium den Befehl, den Superintendenten zu Wangenheiss 
die Adjuncten im Lande und die drei Diaconen zu Gotha vor: 
bejcheiden, um mit ihnen zu überlegen, wie der allgemein mi 


— 213 — 


genommenen argen Unmißenheit abzuhelfen fein möchte. Zugleich 
ſchrieb er ihnen acht Punkte zur Beratfchlagung vor, als 1) ob 
ed nötig fei, daß dieſe Unwißenheit getilgt werde und mwelcherge: 
Halt es am füglichften gefchehen könne; 2) ob nicht aus den vor- 
handenen Seclenregiftern in jeder Gemeinde von den Pfarrern, 
ohne Anfehn der Perſon ein Extract folder Unwißenden zu machen 
und berfelbe den Euperintendenten und Adjuncten jedes Orts zu 
übergeben fei; 3) ob nicht ſolche Perjonen zu gewißen Zeiten 
wöhentlicd) in einer namhaften Anzal vorzufordern und in dem 
Katechismus dergeftalt zu informiren feien, daß nächſt den Worten 
ihnen der Verftand und Gebrauch, wo nicht gänzlich, doch in ben 
notwendigften Stüden beigebracht werde; 4) ob nicht zu folrhem 
dvehuf aus ter allbereitd aufgeſetzten Katechismuserklärung ein 
Model ſolcher nötigen Stüde zu ziehen und auf vorhergehende 
anderweite Teliberation zu folder vorhabenden Intention zu ges 
brauhen; 5) was für Etunden in der Woche zu deputiren, daß 
weder der ordinäre Gottesdienft dadurch verbindert, noch auch bie 
Leute allzufehr von ihrer Hausarbeit und Nahrung abgehalten, 
ſowol auch den Pfarrern ihre Arbeit nicht zu ſchwer gemacht werbe; 
6) ob für diefe ordentlichen Informationsſtunden nicht noch andere 
Vorſchläge zu thun, dadurch die Erreichung dieſes scopi befördert 
werden möchte; 7) weil man bisher erfahren, daß die Leute, fo 
beichten wollen, ſich fehr langfam und erft nad) abgelejener Vers 
Mahnung zur Beichte einftellen, welcdergeftalt diesfalls Aenderuug 
zu treffen, daß fie fich ftrads Anfangs nach dem Ausläuten in der 
firche einfänden, ingleihen, ob nicht foldye Vermahnung an andern 
Ten, wo fie noch im Gebraud) fei, auch eingeführt werden Könnte; 
8) weil vermuthlic Viele von den Unwißenden auf geichehene Gr; 
BED erung nicht erfcheinen möchten, durch was für Mittel dieſelben 
zu ſolcher Information und Uebung zu bringen wären? 
Die Commiffion Hielt darauf am 19. und 20. Juli 1642 
N Der Gonfiftorialftube zwei Sigungen und vereinigte ſich zu ber 
klärung, daß die von dem Herzog in Vorfchlag gebrachte Bene 
x nformation der Erwachſenen durchaus nötig und nützlich fei. 
Rrerdem jchlug Die Gommiffion vor, man möge auf ben Dörfern 
e uformation fo vorbereiten, „daß vorher eine gewiße Czami— 


— 214 — 


nation und Erforfhung, was Einer oder der Andere von dew 
Worten und dem Verftand des Catechismi wüſte, angeftellt und 
nach Befinden diejenigen, jo den obangedeuteten Verftand ziemlid 
inne hätten, von den Pfarrern allmählich übergangen, die Andern 
aber bei der angeftellten Information weiter behalten, und ben 
alfo Dimittirten und Uebergangenen nichts deſto minder freigeftellt 
werden follte, ob fie zu deſto beßerer Beftätigung ihrer allbereit 
erlangten Wißenfchaft den angeordneten Informationsftunden ber 
wohnen wollten. Zum Andern, daß in den Städten gleicher Pro— 
ceß mit den gemeinen Bürgersleuten zu halten, Die Honoratiores 
‚aber (das ift Amts- oder fonft ehrbare und geehrte Perfonen) ſo 
wol, auch jonft Andere, von welchen man zuverläßige Nadriät 
haben fönne, daß fie Die notwendigen Stüde unferer chriftlihen 
Lehre verftehen, mit folcher Information zu verfchonen, doch, ſofern 
auch wider ben Einen ober ben Andern and ben Honoratioribus 
ftarfe Vermutungen der Unwißenheit vorhanden wären, daß dieſel⸗ 
bigen nicht minder in einem abfonderlichen Orte auf gewiße Zeit 
mit zu unterrichten.” Um dieſe Information mit befonderem Rupen 
fortfegen zu können, jei e8 nötig, daß man zuvor aus dem Heine 
ren Katechismus Luthers einen Furzen Begriff der chriftlicyen Lehre 
in Kragen und Antworten anfertigen laße. In den Stäbten und 
polkreichern Dörfern fönnten wöchentlich drei, in den Eleinern Ort: 
Ichaften dagegen nur zwei Stunden zur Vornahme diefer Infor⸗ 
mation genommen werden. Diefelbe müße regelmäßig in ber Kirche 
ftattfinden und auf den Dörfern, wo nur ein Pfarrer fei, könne 
der Schulmeifter zur Einübung der Worte des Katechismus, na“ 
mentlich des Sonntags, mit gebraucht werben. „Und weil bisher 
die Kinderlehre mit der Jugend in den Kirchen von den Pfarrers? 
zu gewißen Stunden wöchentlich gehalten, aber nichts Anderes al * 
nuc dasjenige wiederholt, was vorhin in der Schule getridest 
worden, und folche Wiederholung gar füglich in der Schule zu8 
verrichten fei, fo Fönnten die Pfarrer flatt der Kinderlehre dE€ 
Unterrichtung der alten Unwißenden vor die Hand nehmen, un 
ſolche Stunden dazu gebrauchen; doch daß diejelbigen ſonderlic 
an den Orten, wo die Kinderlehre etwa Nachmittags um zwei > Zu 
gehalten werde, in den Mittag verlegt, — und die Leute an ihre x 





— 215 — 


‚beit defto weniger verhindert werden möchten. Solchergeftalt 
arde den Pfarrern feine neue Bemühung zumachen, fondern nur 
? Berfonen würden umgemwechjelt werden. Damit aber an den 
onn= oder Feftiagen dem ordentlichen Gottesdienft fein Lauf ges 
zen werde, jo Fönnte an denfelbigen Tagen die informations 
inde bald nach der Vesper angeftellt werden.” Und da fowol 
ben Städten ald auf dem Lande mehrere Betftunden gehalten 
irden, fo fei zu diefer Information die eine in der Weiſe mits 
verwenden, daß man fie etwas einzöge, und darauf fofort die 
formation folgen ließe, wobei Darauf zu jehn fei, daß diejenigen 
fonen, deren man in der Woche. (3. B. Knechte und andre, 
e mit dem Ader zu thun haben,) nicht habhaft werben koönne, 
e Sonntagd-jnformationsftunde gezogen würden. Wo auf dem 
inde Filiale wären, könnte in denfelben die Ginübung der Worte 
8 Katechismus der Schulmeifter, dagegen ıdie Grlernung des 
innes der Worte der Pfarrer jolchergeftalt treiben, daß die is 
litten einmal in die Hauptfirche zu dem Pfarrer, und das andres 
al der Pfarrer zu den Filialiften fäme, und die Information in 
r Filialkirche verrichte, in den Filialen dagegen, in benen nicht 
lonntäglih, fondern nur dann, wenn man dad Umt ober das 
jendmal halte, gepredigt werde, regelmäßig in ber Hauptkirche 
onntags vornehme. 

Um die Wirkfamfeit diefer Informationsſtunden zu unters 
Ben, jchlug die Commiſſion außerdem vor: 4) Vor den Kate⸗ 
zmuspredigten möge man ftatt des Eingangs die ſechs Haupts 
Te des Katechismus nach ihrem einfachen Wortlaut, ohne ers 
cende Zujäge, und nach dem Vater Unfer möge man den aus 
x Katechismus entlehnten Text fowol beim Gingange, ald nach 
n Schluß der Predigt dreimal deutlich vorlefen. 2) Wenn die 
kechismuspredigt verrichtet und der Pfarrer von ber Kanzel 
abgegangen fei, möge ein Abjchnitt aus dem „Kurzen Begriff” 
v einem Schulfnaben Taut und deutlich vorgelefen werben, wes⸗ 
.b der Pfarrer die Katechismuspredigt etwas abzufürzen habe. 
:8 Eönnte auch über Diefed Anordnung gefchehen, daß in allen 
ebigten, fo das ganze Jahr über bei ordentlichem Gottesdienfte 
yalten werben, zu berjelbigen Endung von dem Prediger ange⸗ 





— 216 — 


zeigt werben follte, in welches Stüd des Catechismi ber Text, 
der abgehandelt worden, gehöre, worauf eine furze Grflärung 
beffelbigen Stücks mitanzubängen, Alles zu dem Ende, Damit durch 
fo vielfältige Wiederholung des heil. Catechismi die Leute beflek , 
bigen entweder befto eher fähig werden, oder, die davon fhomz 
MWißenfchaft haben, defto mehr darin und in ihrem ganzen Ghriften _ 
tum befräftigt werden mögen.” Ferner wurde vorgefchlagen, dag 
alle diejenigen, welche beichten wollten, fich drei Tage zuvor durch 
den Kirchner bei ihrem Beichtuater anmelden laßen follten, damit 
diefer Gelegenheit erhalte, diejenigen, Die ihm in den Grundlehren 
des Chriſtentums nicht Hinlänglich unterrichtet zu fein fchienen, 
vorzufordern und fie zu egploriren und zu informiren. ud fol 
ten alle Brautleute vor dem Beginne des Aufgebotes vworgeforbert 
und namentlich fiber den Cheftand geprüft und belehrt werben. 
Würde Jemand fi gegen diefe Anordnung widerfeglich erzeigen, 
„So jollte der oder diejenige, fo viel erftlich die chriftliche Infor 
mation belangt, für feine rechten Ghriften gehalten, und daher je 
lange, bis fie fich gehorſamlich bei den Informationsſtunden eis 
ftellten, zu Eeiner Gevatterfchaft oder fonft anderem chriſtlichen 
Ehrenwerfe gelaßen werden.” 

Herzog Ernft unterzeichnete die Anträge der Commiſſion am 
31. October 1642, ließ diefelben im Drud*) und außerdem durch 
eine öffentliche Abkünbigung von allen Kanzeln im ganzen Lande 
befannt machen, und gab den Superintendenten und Adjuncten 
die gewifjenhaftefte Vollziehung der publizirten Befehle auf. 

So begann das Ynformationswerf in den Gothaifchen Lan 
den, welches ungeachtet vielfacher Spöttereien und Hinderniſſe dem 
Volke den reichften Segen brachte und welches vor Allem zur Be— 
gründung eines wahren Volksſchulweſens führte. 

Die Einrichtung defjelben erfolgte, ſoweit die vorhandnen 
Mittel und Kräfte e8 ermöglichten, Überall nach der neuen Schub 





*) „Fürſtliches Sächſiſches Ausſchreiben, wegen angeordneter chriftlicher Infor 
mation und Unterrichtung der ermachfenen Unmißenden in den notwendigften Gtüden 
der Kriftlihen Lehr, fo in dem Catechismo Lutheri begriffen, im Pürfentum 
Gotha, nedrudt im Jahre 1642," 


— 217° — 


ordnung, die zunächft unter dem Titel erfchlen: „Spezial- und 
fonderbarer Bericht, wie naͤchſt göttlicher Verleihung bie 
Knaben und Mägdlein auf den Dorffchaften unb in den Stäbten 
die unter dem unterften Haufen der Echuljugend begriffene Kinder 
im Fürftentum Gotha kürz und nuͤtzlich unterrichtet werben koͤnnen 
und follen. Auf gnädigen Fürftl. Vefehl aufgefegt und gebrudt 
zu Gotha bei Peter Schmieden i. 3. 1642.” Diefe erſte Schul- 
ordnung wurde in den nächftfolgenden Fahren *) mehrfach geän- 
bert, bis endlich der berühmte „Schulmethodus“ mit dazu gehoͤ⸗ 
rigen monatlichen und jährlihen Schultabellen zu Stande kam. 
Derjelbe führte den Titel: „Methodus oder Bericht, wie 
nächft göttliher Verleihung die Knaben und Mägdlein auf den 
Dorfichaften und in den Städten die unterfte Classes ber Schuls 
jugend im Fürftentum Gotha kürz- und nützlich unterrichtet wers 
den können und follen. Auf gnäbigften Fürftl. Befehl aufgefebt.“ 

Der Methodus umfaft 13 Gapitel: 1) Von dem, was ins- 
gemein bei der Schule zu beobachten ift; 2) die Unterweifung ber 
unterften Glafjen; 3) die Unterweifung der Mittleren; 4) die 
Unterweifung der oberen Claſſe; 5) die Einteilung der Lectionen 
in den Schulftunden; 6) die Art und Weife, den Verftand bes 
Katechismus und was dazu gehört, zu treiben; 7) Anmweifung, wie 
die Predigt zu egaminiren; 8) wie die natürlichen und anderen 
Wißenſchaften au treiben; 9) von Pflanzung und Uebung chriſt⸗ 
licher Zucht und Gottfeligkeit; 10) von der Schuldigkeit der Kin⸗ 
der; 11) von der Präceptoren Gebühr, 12) von der Eltern und 
Anderer, die an Eltern Statt find, obliegenden Pflicht; 13) vom 
Schulexamen. — Als Zwei der Schule wird angegeben, daß 
alle Kinder des Landes, Knaben und Mägdlein, „im Gatechismo 
und deffen Verſtande, auserlefenen biblifchen Sprüchen, Pfalmen 
und Gebetlein, wie auch im Lefen, Schreiben, Singen, Rechnen, 
und wo man mehr als einen Praeceptorem hat, in Wißenfchaft 
licher nüßlicher teil natürlicher, teils weltlidher und anderer 


— — 


N Diefes geſchah in den Jahren 1648, 1652, 1662, 1672 und 1685. Hier 
* Die Ausgabe des Methodus benuztzt, welche ſich in dem Abdrucke ber Kirchen. 
ung des Herzogs Ernſt von 1685 vorfindet. 


— 218 — 


Dinge, in guter Ordnung nach und nach unterrichtet, und di 
zu chriſtlicher Zucht und guten. Sitten angeführt werben m 
— Jedes Kind fol, jobald es das fünfte Lebensjahr zurür 
bat‘, nach der nächftfolgenden Erndte auf gefchehene Abkün 
von der Kanzel zur Schule geſchickt, zu einem ununterbr: 
Schulbeſuch, ſowol im Sommer ald im Winter, angehalt 
fol von dem Lehrer nicht eher „Iosgezält” werden, bis ei 
deutſch Iefen kann, den Katechismus Luthers völlig gefaft 5 
im Rechnen und Schreiben, im Choral- und Figuralgefaı 
laͤnglich geübt if. Der Schulunterriht ift taͤglich Morge 
Stunden und Nachmittags drei Etunden hindurch zu ı 
Nur Mittwochs und Sonnabend Nachmittags und in der 
zeit fällt der Unterricht aus. — „Es fol wie der Präce 
auch jedes Schulkind, fein eigenes Bud) haben, und zwa 
andern, als die vorgefchriebenen, nemlich das Silben-, und | 
Leſe-, wie auch Evangelienbüdhlein, neben der fogenannte 
übung, darin auch die Pfalmen, welche gelernt werden, b 
find, das Geſang- und NRechenbüchlein gebraucht werben; 
jol in jede Schule die Fleine Poſtille und Sterbefunft, wi 
wenn fih die Koften jo weit erftreden, eine Bibel, ob: 
Wenigften Die ausgezogenen bibliſchen Hiftorien gefchafft um 
zuweilen die größeren Kinder wechjelweije im Lejen geübt w 
— Zede Schule ift in herfömmlicdher Weife in drei Cla 
teilen. — Um die Aufmerkſamkeit zu erweden, bat ſich ber 
mit den Kindern nicht der Reihe nah, fondern bald mit 
bald mit jenem zu befchäftigen. — Alle 14 Tage, nötigenfal 
an jedem Freitag, find Repetitionen anzuftellen. — Als Ve 
ten zur Uebung im Schöns und Rechtjchreiben find Säge a 
Katehismus und hernach aus den natürlichen und gemeint 
Wißenſchaften zu gebrauchen. „Wenn ein Bweifel vorfäll 
welchem Buchſtaben ein Wort zu fchreiben fei, fol der Pr 
darüber den Pfarrer fragen ober das Xejebüchlein und ſor 
bie deutſche Bibel laßen Richter fein.” — Am Rechnen fi 
4 Specied, die Regeldetri und, mo möglih, auch bie: 
einzuüben. Ueberhaupt ift Der Unterricht nach folgendem 
einzurichten: 


— 219 — 


Stunden: Tabelle. 





ang wird gefungen, nad dem 2. $. Cap. V. unb barauf gebetet, nach bem 4. $. Cap. V 










e Wicher- 

— Wi Wie Predi alb zu Sprü 
‚io e redigt, u 

H bi Montage. | Montags. ober, Den u ’% r —* 

on ÖR> 


Wo bie edigtjmit d. Pe en. 

ni ve sule alb — 

Funde —5* wie Mittleren zu ih⸗ 
nnerflag®, ren en enn. 





Mittleren hören 
bee Sälfe leien die iu 
“her obern Glaffe. 
Sopangelien und 
goif. lei eien bei» 
die Mitt- Wie 3 Obere ee 
55 bie Wie am Montage. Montage. Ss Iacı u Meimase 
)beren. beten u. e· 
—. & 
um&ate-1Halb Gprüde und 
3 mit den pda du Epräg: olmen mit & 
even: und|den Wittleren. den Mittleren 3 
F duro Halb Gprüde Erlernung d. * 
eineln. Pſalmen mit Worte des Ca⸗ 
l — der unterſten Wie techismi mit Wie 
Be⸗ Claſſe. Diontags. |den Unterſten. ” Montags 
griff. Die Oberen 2 
ut "Crlernung der Worte reiben ober & 
echismi mit den Unterften. ernen aus⸗ 8 
Oberen [reiben oder ler⸗ wenbig. 


nen auswendig. 
um Ausgang wird wieber gefungen und gebetet, nach bem 5. 9. des V. Oap. 


Eine Biertelftunde 


iben bie Reden | bie | zum Ghoralfingen, 
eren nad Obere wo nidt urirt 
leitung, Die Mittleren wird, und drei Bier⸗ 
Iberen fürjfchreiben, wenn teftunbe ra 
fig. fie? Tönnen. rirt 
wir, nt zum 

Schreiben. 


ne Biertelfiunde leſen die Mittleren. 
Biertelſtundn zu UBE und Epliabiren 
mit den Unterften. 


Wie Diontags. 





"824013393 « abvꝝaↄuuo 214 


ung und Bplabiren mit ben | Wie Montage. 


ı Ausgang wird gefungen, wie 5. 9. Cap. V. befohlen, und gebetet, wie daſelbſt 
erinnert. 


— 220 — 


Die Schullehrer felbſt werden angewieſen, ſich eines ſtill 
eingezogenen und frommen Lebens zu befleißigen, in allen Stüc 
der Jugend mit gutem Beiſpiel voranzugehen, dem vorgejeß 
Superintendenten, Adjunkten und Pfarrer gebührende Folge 
leiſten, ohne Erlaubnis bes Letzteren Feine Stunde zu verfäum 
viel weniger zu vereifen, mit dem Glockenſchlag in der Schule 
fein, über fämmtliche Kinder ein richtiges Verzeichnid zu führe 
mit Bemerkung derjenigen Schulkinder, welche etwa zum Studi 
oder zur Erlernung mechanischer Künfte Anlage hätten, die Kind 
nach ihren Fähigkeiten und Fortjchritten gehörig zu Haffificire 
in Anfehung der Disciplin nicht ſtürmiſch zu fein oder Die Kinde 
übel anzufahren,, fondern mit ihnen freundlich und vwäterlih um 
zugehn, in Beftrafung ihrer Vergehungen nach vorhergegangenen 
Warnungen nur die Ruthe mit väterlicher Moderation zu gebrau: 
hen, fih aller Schimpfunamen durchaus zu enthalten, auch fie zur 
äußerlihen Höflichkeit, Anftändigfeit und Reinlichkeit fleißig zu 
gewöhnen, wobei der Methodus endlich auch noch den vorgefepten 
Pfarrern, Superintentendenten oder Adjunften und Beamten, wit 
auch den Eltern ihre Obliegenheiten gegen die Lehrer und Kinder 
in dieſer Schulordnung nahdrüdlich einfchärfte. 

In Betreff der jährlichen Schulprüfungen waren folgen? 
Beftimmungen vorgefchrieben: „1) &8 jollte alle Jahre nad) jede 
Orts Gelegenheit acht Tage vor der Schnittererndte in jeb! 
Superintendentur oder Adjunktur ein Generalfchulegamen mit allı 
Schülern gehalten werben, und zwar folder Geftalt: Die gei 
lichen Untergerichte (welche diefen Examinibus auch beizuwohn 
bätten), ſollten foldhe Eramina zum Wenigften 8 Tage vorh 
ausjchreiben und den Pfarrern und Gemeindevorftehern anzeige 
welchen Tag und au welchem Orte fie mit der Schuljugent « 
ſcheinen folten. — 2) Darauf follten die Schulmeifter dem S 
perintenbenten ober Adjuncto die auögefertigte Tabelle oder Sche 
verzeichniß, nad) dem Modell, wie ed am Ende angefügt fi 
zweifach drei ober vier Tage vor dem Gramen einfchiden, we 
viel fie nemlich Schulkinder in jeder Klaffe hätten, wie fie hieße 
wie alt fie feien, was fie für ingenia hätten, wie viele Stund 
des Jahrs über fie verfäumt hätten, wie weit fie im Katediseı 


— 21 — 


gekommen wären, im Kurzen Begriff und in Chriſtlichen Lehrpunkten, 
was für Sprüche und Palmen fie könnten, wie weit fie im 
Syllabiren, Lefen, Schreiben, Singen, Rechnen und andern vers 
ordneten Stüden gekommen jeien , ob fie Mangel hätten an 
Büchern, Papier, Federn, Dinte u. drgl., und darin beſonders 
den Gatalog der ncipienten mit Namen und nad ihrem Alter 
beifügen. — 3) Diefe Tabellen follte der Superintendent ober 
Adjunkt mit denen, welche im vorigen Jahr eingegeben worden 
fein, collationiren, und arbitriren, wie weit die Kinder biejes 
Jahr über gebracht worden feien, und wo etwa Mangel wäre, 
und befondere, wenn nicht alle Titel Dazu gebracht feien, ober 
fonft etwas, was notwendig hineingehörte, ausgelaßen worden 
jei, jo follte er folche bei Zeiten nad) dem folgenden Modell 
ändern und recht einrichten laßen. — 4) Sie follten auch die an 
jedem Ort im Schulegamen befundenen Mängel an die Tabelle 
verzeichnen, wie auch zugleich‘ bei Den verzeichneten Mängeln nad) 
dem Methodus mit Benennung der Kapitel und Baragraphen dazu 
jegen, wie dieſelben zu heilen feien, und beim Pfarrer hinterlaßen, 
daß er vier Wochen nad) wieder angefangener Schule feinen Bes 
tiht auf alle Punkte richtig thun ſollte. — 5) Damit man aud 
der Schulkinder Schriften defto beßer probiren könnte, follte jebes 
Rind beim Examen ein vollgefchriebenes Blatt mit ſich bringen 
und dem Superintendenten oder Adjunfto übergeben , welcher bie 
dettel, fo im vorigen Jahr eingegeben worden feien, bei ſich haben, 
dieſelben mit ben jeßigen collationiven und betrachten follte, ob 
fe fih merklih das Jahr über gebeßert hätten oder nicht, und 
ſon derlich, ob fie auch orthograpbifch fehreiben lernten. Gr ſollte 
aber nicht nur Die damals befchriebenen Blätter, fondern auch die 
Sch reibbücher (welches auch in den andern Vifitationen zu beob⸗ 
ach den fei) anfehen und dabei wahrnehmen, ob und wie die Schrif⸗ 
ten corrigirt ſeien, ob die Correction, wie auch das Schreiben 
KT: nad) der vorgefchriebenen Art gefchehen fei. — 6) Welche 
ander auch im Rechnen angeführt feien, follte Jeder ein Exempel 
Ten, was er gelernt habe, verfertigen und auf dem gefchriebenen 
Öl extte übergeben. — 7) In dem Examen follten die Kinder nach 
een Klaffen durch alle Lectionen erforfcht und bin und wieder 


ein Verſuch gethan werben, ob der Bericht, den Die Schuln 
in ihren Tabellen gethan hätten, mit der Wahrheit übereinft 
wobei jedoch, um Zeit zu gewinnen, nicht eine jede Lection 
durch mit allen Individuen zu egaminiren fei. — 8) Damil 
die Laft des Examinirens dem Superintendenten ober Adj 
nicht zu groß würde, follte er je zuweilen den Schulmeifter 
wol nach Gelegenheit den Pfarrer fragen lagen, und er u 
Materie, wad man fragen fol, benennen. — 9) Wenn fid 
gute ingenia fänden, follten dieſelben aufgezeichnet, und be 
Buftand und Beichaffenheit hernach dem Gonfiftorium an 
werden. — 10) Wenn Kinder vorhanden wären, fo ab 
wollten, ſollten biefelben in dieſem Examen in Gegenwa 
Eltern vor Andern fleißig durch alle Lectionen erforfcht u 
ob fie nemlich fertig deutſch, ſowol Gedrucktes (aus einem 
fannten Buch) ald Gefchriebened, wie au, wo Knaben | 
Die man dazu angeführt hätte, etwas lateiniſch lefen, not 
ſchreiben, fingen und rechnen, besgleichen den Katechismui 
Sprüde, Pfalmen und andere vorgejchriebene Stüde können 
den notwendigen Verſtand der chriftlihen Lehre inne habı 
11) Wenn fie nun zur Dimiffion tücdhtig befunden würden, 
ih die Eltern und Kinder gegen das geiftliche Linterg 
Pfarrer und Schulmeifter für gejchehene Unterrichtung bei 
und erklären, was die Kinder nun anfangen, ob fie weite 
dieren, Handwerke lernen oder fonft ehrliche Handtbierunge 
fangen follten. — 12) Der Superintendent oder Adjuukt 
hierauf eine Vermahnung an Die „Rodgezälten” thun, Daß fie 
fie gelernt hätten, nicht wieder vergeßen, ſondern ftetig ü 
daͤchtnis und Uebung behalten, bejonders fich nach ihrem Ka 
mus, furzem Begriff und chriftlihen Lehrpunkten gebüprlid 
balten, der wahren Gottesfurcht und guter Sitten fich beflei 
vor Müßiggang, Saufen, Spielen, Lügen, XTrügen und 
Geſellſchaft hüten, der Obrigkeit, den Eltern und andern X 
jeßten, ald Herrn, Frauen, Handmerkömeiftern und Andern, 
fie dienten, gebührenden Gehorfam leiften, und ihren Beruf 
lich verrichten, und was ihnen befohlen ift, fo eilig, ald es 
fann , ausrichten follten. — 13) Wobei nichts weniger ben 6 


y* 


— 223 — 


zuzureden fei, daß fie Die Kinder zu dem, was ihnen vorgefagt fei, 
erntlih anhalten follten. — 14) Und follten hierauf Beides, 
Eltern und Kinder, durch einen Handſchlag angeloben.” 

Die Einführung diefer Schulordnung und die Fortfegung 
ver Seneralvifitation und der „Information der erwachjenen Un⸗ 
wipenden” gingen Hand in Hand. Jene wurde eingeführt, damit 
die letztere allmaͤhlich überflüßig werde, denn die Schule und Die 
Schulordnung jollten feinem andern ald dem Zwede dienen, daß 
ein Hriftlihes Volk erzogen und Daß das Volk in der Er⸗ 
kenntnis der chriftlichen Wahrheit befefligt werbe. 

Zum Abſchluſſe der Beneralvifitation berief der Herzog im 
Juni 1645 die Superintendenten und Adjuncte, fowie einige 
Pfarrer aus dem Lande nad Gotha, wo diefelben mit den Mit- 
gliedern bes Conſiſtoriums und einigen landesherrlichen Bevoll⸗ 
mädtigten zu einer Synode zufammentraten,, um Alles, was fich 
in Folge der Generalvifitation als ber Abänderung bebürftig her⸗ 
auögeftellt. hatte, zu ändern und zu beßern. Am 18. Aug. 1645 
wurde der Rezeß der Synode unter dem Titel beftätigt: „Syno- 
dal⸗Schluß, weldyer nach der in dem Fürftentum Gotha gehaltenen 
General. Kicchen- und Landesvifitation auf fürftliche Verordnung 
durch Die dazu deputirte und befchriebene Gonfiftorialräthe, Superin- 
tendenten, Adjuncten und Pfarrer aufgefegt, und vou fürftlicher 
Herrſchaft ratificirt worden. Im Jahr Chriſti 1645.” In Be 

eff der Schulen wurde bier nur an die Notwendigkeit eines 
ſtrengen Einſchreitens gegen Diejenigen Eltern erinnert, welche ihre 
Kinder nicht zu einem ununterbrochenen Schulbefuch anbielten, 
und außerdem wurbe Die Krage erwogen, ob das Öregorfeftan 


derjenigen Orten, an welden ed biöher nicht gefeiert worden, 


eingeführt werben follte. Die Frage wurde verneint. Nur da, 
Do das Keft herkoͤmmlich fei, follte die Fortjegung befjelben ge- 
Rattet werden, „doch daß alle Ueppigfeit und übriged Prangen, 
auch dabei vorgehendes Mummen, Freßen und Saufen, jo einges 
larıgtem Bericht nad an etlichen Orten ſich merklich ereignet, 
gänzlich abgefchafft werde. Und ift dabei für nüglich gehalten, 


daß, wo ſolch' Schulfeft nicht gebräuchlich, hingegen bei gehaltenen 


S chulexaminibus den kleineren Knaben, welche ſonderlich vor 


— 224 — 
Andern wol beflanden,, zu mehrerer Aufmunterung und Anteizung 


ihreö Fleißes etwas ausgeteilt werde, fo nach Gelegenheit he 


Orts in den Unter⸗Gerichten determinirt werden jolle.“ 

Auch an die Errichtung eines. „Bulhts und Waifenhaufe‘ 
zu Gotha dachte der fromme Herzog ganz ernftlich, indem berjelkt 
bereits i. J. 1639 *) mit zwei Kaufleuten zu Erfurt einen Bew 
trag dahin ſchloß, Daß fie, gegen Verfiherung eines bequemen 
Aufenthaltd zu Gotha, armen Kindern Dajelbfi Arbeit geben follten, 
jowie er feinerjeit8 für ihren Unterricht forgen wollte. Die Aub 
führung der Sache verzögerte fih, bis endlich der in ber Ne 
denzſtadt Gotha 1. J. 1646 ausbrechende große Brand das gank 
Projekt vergeßen machte. Indeſſen war Herzog Eruft für dasjelk 
jo eingenommen , daß er bei Gelegenheit des einige Jahre ſpo 
ter erfolgenden weftpbälifchen Friedensſchlußes zum Zeichen je 
ner Dankbarkeit für die von der göttlichen Vorſehung feinem 
Baterlande dadurch erwiefenen großen Wolthat, außer anden 
milden Stiftungen auch ein Kapital von 20,000 Rthlr. zu einem 
Zucht⸗ und Waifenhaufe bei der eben von ihm zu fundirende 
„Milden-Kaſſe“ niederlegte.e Auf dem i. 9. 1651 gehaltenen 
Landtage ließ Eruſt den Landftänden über die Beſtimmung dieft 
Summe Vorlage machen. Allein, obgleich die Stände ebenfall 
al8 ein Merkmal ihres danfbaren Herzens für den wiedererlangta 
Frieden Drei ganze Steuern zu andern milden Sachen und zu 
Befriedigung der übrigen Bebürfniffe des Landes vermwilligten, 
auch auf die Verforgung der Armen jeded Orts Bedacht p 
nehmen verjprachen, fo fanden fie doch in dem durch Krieg uf 
Brand erjchöpften Vermögen der Landſchaft und der Unterthana 
binlänglichen Grund, dem Herzoge zur Zeit noch die Ausführng 
ſeines Projekts zu widerrathen. 

Unter dieſen Umftänden ſtand H. Ernſt zwar von dem Ber 
haben eines zu erbauenden Zucht⸗ und Waifenhaufes ab, empfel 


*) &o wird in der „Hinlänglihen Nachricht vom Waifenhaufe zu Gt 


melde i. 3. 1715 im Drud veröffentlicht wurde, erzält, obwol dagegen eriwen 
werden kann, daß der Brüdervergleich, durch welche H. Ernft die Gothaiſche de 
desportion zugewiefen erhielt, erft i. 3. 1640 abgefchloßen wurde. 


— 225 — 


ber dieſe Angelegenheit feinen Söhnen und Nachfolgern ſehr 
ringend und ſchenkte auch außerdem dem Iutherifchen Watfenhaufe 
u Erfurt nicht nur Das Bauholz zur Aufführung des Haufes, 
ondern audy mittelft einer Stiftung vom 22. Yuli 1671 ein Ka- 
pital von 20000 M.sfl., defien Zinjen jährlich bei der Herzoglichen 
Rammer zu Gotha erhoben und zum Beften armer lutherifcher 
Waiſenkinder verwendet werben follten. 


Auf den von dem Herzog Ernft gelegten Grundlagen und 
nah den von ihm aufgeftellten Normen wurde nun die Volks⸗ 
Ihule des Landes bis zum Jahre 1779audgebaut, ohne daß Dies 
ſelbe in dieſer Zeit von irgend einer Seite ber eine neue und 
eigentümliche Anregung oder Influenzirung erhielt. Allerdings 
wurde das Volksſchulweſen des Gothaer Landes infofern erweitert, 
ald man wirklich Waifenhäufer errichtete und Ginrichtungen traf, 
welhe ein bis zum Jahr 1779 fehlendes Schullehrerfeminar ers 
legen follten; aber aud für dieſe neuen Inſtitutionen galt ber 
Schulmethodus und überhaupt die Hinterlaffenfchaft Ernſt's des 
Frommen ald die Grundlage, auf welcher diefelben aufgerichtet 
und in welche fie eingefügt wurden. 

Die Errichtung eined Waifenhaufes zu Gotha erfolgte unter 
der Regierung des Herzogs Friebrih I. Schon i. J. 1702 
wurde diefelbe in Erwägung gezogen. Aber no wufte man nicht, 
wie der eine oder der andere der proponirten Pläne ausgeführt 
werden könnte, als fich ein gewißer Jakob Graͤtzel, welcher, feinem 
Vorgeben nad, fih mit verfchiedenen Armenanftalten zu Dresden, 

und an andern Orten befannt gemacht hatte, Das profefticte 
Waiſenhaus einzurichten erbot. *) Das Erbieten wurde angenommen 
und Graͤtzel mufte mit 20 armen Kindern die Probe machen, wozu 


ihm das in der großen Erfurter Gaſſe gelegene Glaſſiſche Haus, 
— — 


N Das zunächſt Folgende wird nah Gelbke, Kirchen und Schulverfaßung 
Derzogtums Gotha, Zeil I, ©. 242 bis 245 mitgeteilt. 
Dep Boltsſchulweſen, 2. 15 


— 26 — 


te drei Schweinskoͤpfe genannt, angewiefen wurde. Dieſe fi 
zur Zufriedenheit aus. Die Kinder, denen Graͤtzel nun als orden 
licher Waiſenvater vorgeſetzt wurde, und deren Anzal ſehr bald b 
traͤchtlich wuchs, wurden jetzt als Angehörige eines ordentliche 
Waiſenhauſes behandelt und tägli 2 Stunden lang unterrichte 
"Das ganze Yuftitut aber wurde, unter der Oberaufficht des & 
beimen Rats⸗Collegiums und des Gonfikoriums, einer befonde 
Inſpection anvertraut. Auf diefe Weife nahm aljo Die wm 
H. Ernft projektirte Verforgung und Unterweifung armer elter 
lofer Kinder nunmehro wirklid ihren Anfang. Allein noch febz 
es dem erfauften Glaſſiſchen Haufe an innerer Einrichtung unl 
an Mitteln zur Beftreitung der dazu erforberlihen Koften. Dan 
ſchlug eine auf das Erndtefeſt durchs ganze Land anzuftellende 
Gollefte vor. Der Herzog genehmigte diefelbe; der Ertrag belief 
fih auf 1241 Rthir. 8 gar. 5%, pf. — Außer Graͤtzel nahm fid 
bejonderd der damalige Generalfuperintendent Fergen des Waiſer 
baujes eifrigft an. Wie und wo Fergen nur wufte und Tonne, 
fuchte er demſelben etwas zuzuwenden. So gab er z. ®. einf 
einem Neifenden ein in ſchwarzen Sammt gebundenes Buch, of 
deſſen erfte Blätter er eine Menge frommer Sprüche und Ermah⸗ 
nungen zur Barmherzigkeit geichrieben hatte, mit auf bie Reiſfe, 
um mittelft Ddefjelben für das Waiſenhaus collectiren zu laßen. 
Die Summe diefer Collecte betrug 134 Rthlr. Außerdem ermahrtt 
Fergen in allen feinen Predigten die Zuhörer um fo mehr ut 
Unterftügung des Waifenhaufes, ald dasſelbe i. J. 1704 neh 
immer jo dürftig war, daß der Herzog dem Haufe 40 Malter Kom 
als ein Darlehen aus dem Vorfteheramte vorftreden mufte. BU 
dahin war nemlich dad Waiſenhaus in den Genuß der für bat 
jelbe fundirten 20,000 M.-fl. noch nicht eingetreten. Die Waifen 
baus:njpection juchte Daher jegt bei der Kammer um die Auszalun 
ber Jntereſſen dieſes Kapitald, welche anfänglich zur Erbaunn 
und Grhaltung eined Bald darauf wieber in Verfall gefomment 
Zucht- und Waifenhaufes auf dem Schloffe Wachfenburg verwe' 
bet worden waren, nad. Der Antrag der Inſpection wurde g 
nehmigt, indem die Kammer zugleih (1707) verfügte, dap E 
Intereſſen des Kapitald teilweife in Raturalien geliefert werd⸗ 


En * a. 4 


— 227 — 


ſollten. Demgemäß bezog das Waiſenhaus jährlich 75 Malter 
Kom, 75 Malter Gerfte und 700 Rthlr. aus der Trankfteuer- 
Einnahme. Um dieſe Zeit erhielt dad Waiſenhaus auch bie 
Brauereigerechtigfeit.. Am Jahr 1708 ließ ſodann der Herzog 
nicht nur eine abermalige Gollecte zum Beften des Waifenhaufes 
veranftalten, fondern ließ auch im folgenden Jahre die Intraden 
des vor Sonneborn gelegenen und vom Jahr 1667 an in gaͤnz⸗ 
lihen Abgang gerathenen Hoſpitals St. Cyriaci mittelft eine dem 
Waiſenhauſe darüber ausgeftellten Ceſſionsſcheines, jedoch mit dem 
Vorbehalt zuweilen, daß der damalige Generalstieutenant Joſt 
Melchior von Wangenheim und feine männlichen Defcendenten 
wei Stellen im Waifenhaufe mit armen Waifenkindern aus dem 
Dorfe Sonneborn oder andern Dorfichaften Wangenheimijchen 
Gerichts Winterfteinifchen Stammes zu beſetzen das Recht haben 
ſollten. Als indeifen alle dieſe Unterflügungen immer noch nicht 
ausrichten, um die Bebürfuiffe des Waifenhaufes zu deden, fo 
erließ der Herzog, mittelft Ausjchreibend vom 10. Febr. 1710, 
vom 1. Nov. 1711 und vom 27. Juni 1712 die Verordnung, 
daß nicht nur die fonft gewöhnliche Abgabe der fjogenannten 
Öottespfennige von jeder Verkaufung und Vertauſchung liegender 
Gründe, wie auch das fünfte Procent von jeder Gollatteral-Erb- 
haft, zur Hälfte an die Ortskirche, und zur andern Hälfte an 
dad Waifenhaus entrichtet, fondern auch das Klingelbeutelopfer 
der Kirchen des ganzen Landes jährlich ſechsmal, nemlich an den 
beiden großen Bußtagen, am lebten Feiertag der drei hohen Feſte 
und am Grndtefeft zum Beften des Waifenhaufes eingefammelt 
und an dasfelbe eingefchidt werben follte. Jedoch wurben bie 
Kirchen zu Volkenroda, Oberhof, Stutzhaus und Schwarzwald 
Wegen des geringen Ertrags der Gymbelgelder und weil diefelben 
U Volkenroda einen Teil der Pfarrbefoldung ausmachten, von 
dieſer Verpflichtung ausgenommen. Gleichzeitig erging auch un— 
em 11. Juli 1711 an alle Aemter, Städte und Gerichte der 
defehl, daß fie auf Requiſition der Waiſen⸗-Inſpektoren bei den 
M ihren refp. Bezirken befindlichen Handwerkern für das Unter- 
men der ihnen empfohlenen Waiſenkinder gehörige Sorge tra- 
gen sollten. 


— 238 — 


Indeſſen machte das zunchmente Wachstum des Haufed L 7 
bald Erweiterungen der AUnftalt und neue Unterſtützungen N, 
Es mufte ein Waifenhausprediger angeftellt und eine Biblio yy 
gefammelt werden. Bur Salarirung des jedesmaligen Sta fr 
oder Waiſenhauspredigers fchenkte daher der Herzog dem Watfen 
baufe i. 3. 1713 ein Kapital von 4000 Rthlr. Zwei are 
Ipäter ließ der Herzog eine Befchreibung des Waiſenhauſes as 
faßen und unter dem Titel „Hinlängliche Nachrichten vom Waifes 
baufe zu Gotha” in 4. den 12. September 1715 mittelft He 
jeriptd vom 20. Mai 1719 allen Aemtern, Städten und Gerichten 
zur Nachachtung zufertigen. Um dem Waijenhaufe Die Einrichtung 
einer Bibliothek zu ermöglichen, wurde nicht nur unterm 7. und 
14. Dez. 1723 verorbnet, daß der Klingelbeutel in den Stadt 
firchen auch bei deu Wochenpredigten, jo oft Kommunion gehalten 
werde, zum Beſten bes Waiſenhauſes berumgetragen werden 
jollte, fondern ed wurde auch in dem nämlidhen Jahre zu dem 
felben Zwecke ber achte Teil des jedesmaligen Klingelbeuteld auf 
einige Beit verwilligt. Der Geiftlichfeit in der Etabt und af 
dem Lande wurde fobann unter dem 3. März 1727 ein gebrudted 
Model, und den 9. April 1733 ein „Reglement, wie es mit 
Colligir- und Atteflirung der für das Waiſenhaus deftinirten 
Klingelbeutels- oder Cymbelgelder auf die drei hohen Feſt⸗, mei 
jolennen Falls, Buß- und Bettage und das Erndtefeft im ganzen 
Land zu halten, und wie foldhe einzuſchicken,“ zugefertiget, ſo 
wie auch unter dem nämlichen 9. April 1735 ein bejondere® 
„Reglement, wie es in ben Aemtern, Städten und Gerichten des 
Fürftentums Gotha mit den Gottespfennigen bei Kauf-, Tauſch = 
und dergleihen Gontracten ſowol, ald auch der Abgabe von de # 
an Gollaterals Erben oder andere Extraneos fommenden Bar“ 
laßenjchaften überall zu halten,” abermals befannt gemacht. 
Leider erlitt dad Waifenhaus fpäterhin (1756) in Folge einer de 
fehlten induftriellen Speculation fehr empfindliche Verlufte und wir* 
vielleicht ganz zu Grunde gegangen, wenn ihm nicht H. Friedrid 
durch Geftattung eines Lotto und durch) andere Subventionen 
wieder aufgeholfen hätte. — Im Jahr 1759 wurde nah A 
hebung der bisherigen Waiſenhausinſpection die Verwaltung 








— 229 — 


titut3 einer Commiſſion über das Waiſen⸗, Armens, Ars 
8: und Zuchthaus übertragen. 

Wichtiger jedoch als diefe Veränderung in der Verwaltung 
Waiſenhauſes, war die volftändige Umgeftaltung, welche die 
ammte Waijenerziehung 1. J. 1773 dadurch erfuhr, Daß das 
aiſenhaus zu Gotha gefchloßen und die Waifenkinder in Fa⸗ 
lien auf dem Lande untergebracht wurden. Veranlaſt war dieſe 
aßnahme Durch den Umftand , daß gewöhnlich eine größere An⸗ 
| der Waifen mit Ausfchlag behaftet und franf war. Die Ber: 
lung der Waifenfinder geſchah nun in folgender Weile. Zu: 
tderſt muften alle diejenigen Landwirte und Landleute, welche 
neigt waren, ein folches Kind zu fich ins Haus zu nehmen, 
) durch Vorzeigung eined pfarramtlichen Zeugniſſes über ihre 
taliſche Intregitaͤt ausweiſen. Hatte nun die Commiſſion Des 
aiſen- und Zuchthauſes Fein andermweitige8 Bedenken, jo wurde 
n Betreffenden das Kind mit neuer Kleidung und Wäfche, fowie 
einigen Büchern übergeben, und es wurde ihm zugleich ſowol 
e desfallfige gedrudte Specification, als auch ein von beiden 
iten unterfchriebener Contract ausgehändigt. Nach diefem Con⸗ 
cte machte ſich ein folcher Landwirt anheifchig, das ihm ans 
traute Kind in der Koft, Wälche, Betten und vorzüglich in 
Reinlichfeit ald fein eigned Kind zu pflegen und zu warten, 
zur Gottesfurcht und zur Schule fleißig anzühalten und fpäter- 
zu ſolchen Tandwirtjchaftlichen Verrichtungen anzumeifen, Die 
en Jahren und Fähigkeiten angemeßen wären, es auch alljähr- 
Sonnabends nad Johannis vor die Waifenhauscommilfton 
bringen und nad) Verlauf von 8 Tagen von da wieder abzu> 
n. Dagegen verjprach die Waifenhauscommilfton, für ein 
‚ed Kind jährlich zu bezalen | 


2 Rthlr. für Koft. 
2 , für das Bette vorzubalten. | 
l ,„ die Wäfche zu wajchen und zu fliden. 


„ 16 Ggr. für Schneider: und Schuſter⸗Flicklohn. 
— 4 „ zu ein Baar Schuhſolen und 
1 — Schulgeld, und alſo 
6 Kihi. 20 Bar. Summa. 





— 230 — 


Die Errichtung eines zweiten Waifenhaufes in dem ein 
Stunden von Gotha entlegenen Friedrihswerth war U 
Werk eines großbritannifhen und Eurbraunfchweigifch-Lüneburgiiel 
Legationdrates und Droſtes, Otto Chriftop Schulz, und 
Ehegattin desjelben, Dorothea Margaretha geb. Fiſcher. Bei 
kauften zwei Bauernhöfe in Friedrichswerth mit dem daran liege 
den Gärten und Ländereien und ließen fodann auf den erfauft 
Grund und Boden ein geräumiges Wohnhaus von Stein und eine 
Garten anlegen. Die Grundfteinlegung erfolgte i. $. 1712. Wi 
der Aufnahme der Waifen indeffen konnte erft i. J. 1726 be 
Anfang gemacht werden, nachdem die Fundation und Berfaßun 
- de8 Waifenhaufes am 6. Febr. 1723 landesherrlich beftätigt wor 
den war. In dem neuen Waiſenhauſe follten nad) Der Stiftung 
12 Knaben und 4 arme Wittiwen unterhalten werben, für melde 
Zwed ein Kapital von 24,000 Rthlr. angewiefen war. Da fi 
indeffen diefe Summe durch eine gute Adminiſtration fpäterhi 
faft um die Hälfte vermehrte, fo glaubte man in gleichem 2er 
bältniffe auch die Anzal der Waifenfnaben erhöhen zu können 
Statt.der 4 Wittwen wurden jeit 1741 2 Hausmägbe gehalte 
welche mit dem Hausknecht die gröbere Arbeit im Waifenhau 
verrichten muften. 


—— — — I 


Die urſprüngliche Seminar-Einrichtung, welche m 
in Gotha verſuchte, beſtand darin, daß man die zehn gefchictefl 
Schulmeifter ded Landes, nemlich Die zu Friemar, Eſchenber 
Ichtershauſen, Wölfis, Leina, Tambach, Sättelftädt, Erfa (Fri 
richswerth), Wangenheim und Granichfeld beaufragte, Diejenig 
jungen Leute aus ben benachbarten Ortjchaften, welche fi d 
Lehrerberufe widmen wollten, in Gemäsheit der ihnen unter d 
20, Detober 1698 mitgeteilten Verordnung und einer an fie 
laßenen Inſtruktion für Das Lehramt vorzubereiten. *) Wie Ian 
dieſes Seminarium scholasticum (deſſen Lehrer nad den 10 & 


*) Ausfchreiben wegen Errichtung der Seminariorum scholasticorum » 
20. October 1698 und Snftruttion für die Moderatores circulorum semina 
scholastici 16%, 


— 2331 — 


rilungen Der Ortichaften des Landes als Moderatores cirtulorma 
ed Seminarii scholastici zu Friemar, Gfchenberge u. f. w. Se 
jeichnet wurden) beitanden haben und aus welchen Urfachen fie 
wieder eingegangen find, laͤſt fi nicht fagen. Späterhin, im 
Jahre 1741, wurde von Regierungswegen darauf gebrungen, 
daß Niemand ohne die erforderlichen Eigenfchaften zu einem Schul⸗ 
bienfte gelangen und daß in jeder Diöcefe ein tüchtiger Lehrer 
für diejenigen, welche fich für das Lehramt beftimmt hätten, ans 
gefellt werben follte.*) Allein die Anftellung folder Schul⸗ 
meitter-Qehrer unterblieb ; und in der nächftfolgenden Zeit ſah fich 
bie Regierung nur infofern veranlaft, die Vorbereitung zufünf- 
iger Schulmeifter zu beachten, als fie, um dem übermäßigen 
Andrange gänzlich unberufener und unbefugter Subjekte zum Lehr 
amte zu fteuern, i. J. 1750 allen Schulmeiftern in Städten und 
Dörfern bei Strafe unterfagte, innerhalb der naͤchſten zwanzig 
Jahre irgend Jemanden, der Schuldiener werden wollte und die 
ganze Echuldienerwißenfchaft allein auf. Erlernung der Muſik bes 
Ihränten wollte, in Information zu nehmen. 

Alein auch diefe Anordnung war durchaus erfolglos, Ver⸗ 
lommene Handwerker und Bauern und ausgediente Soldaten fahen 
lederzeit Die Uebernahme einer Schullehrerftele als felbftverftänds 
iche und fichere Zuflucht an, welche fie gegen die aͤußerſte Not 
icher ſtellte. Vermochte Jemand eine leibliche Hand zu ſchreiben 
md hatte er außerdem noch einige mufitalifche Kenntniffe, jo galt 
ie Anwartſchaft auf eine Schulmeifterei troß der Anordnungen 
on 1750 als unzweifelhaft. Man brauchte fi) nur der Gunſt 
verer, welche bei Beſetzung der Lehrerftelle ein Wort mit zu fpres 





) Herzogl. P. S. daß zu guter Einrichtung des Informations-Werkes auch 
’ei den Kindern auf dem Lande auf den selectum ingeniorum gefehen und bei 
ven Bifitationen nicht geftattet werden ſoll, dab Diejenigen, welche ihre Dimiffion 
us der Schule erhalten und auf einen Schuldienft ſich appliciren wollen, ohne 
orhergegangene Anzeige bei den Bifitatoren und Erforfhung ihrer Fähigkeiten 
8 enennung eines tüchtigen Echulmeifters fih dazu widmen dürfen, 31. Ian. 1741. 
Circular P. 8. an die Infpectionen in ihrer Diöces einen tüchtigen Schul⸗ 
fter für junge Leute, die fi dem Schulamte widmen wollen, auszuſuchen 
’ angefchiette und unfähige Knaben davon abzuweifen, 11. Gept. 1741. — 
Derholung des vorſtehenden Circulare P. S., Al. Det. 1746, 


— 232 — 


hen hatten, in irgend einer Weife zu verfichern,, und Die Erlen 
gung einer Xehrerftelle galt dann als gewiß. Um nun bifem 
läftigen Zubrang der unfähigften Subjekte zu Lehrerftellen werd 
um dem Gouverniren der Gönnerſchaft ein Ende zu machen, wurde 
i. 3. 1779 dem Herzog der Entwurf einer Einrichtung vorgelegt, 
wonach alle Willkür bei Beſetzung der Schullehrerftellen aufhören 
jollte.*) Am 1. Juli 1779 wurde der vorgelegte Plan vom 
Herzog genehmigt. Demgemäß wurden alle Schulftellen auf dem 
Lande, welche (mit Ausnahme der Patronatsftellen) vom Ober 
confiftorium vergeben wurden, in zwei Klaſſen geteilt, nemlid 
erftend in ſolche, welche weniger, und zweitens in folche, welde 
mehr ald 70 M.-fl. eintrugen. Dabet wurde feftgeftellt, daß fein 
Schuldienft der höhern Klafje anders als durch Verſetzung eined 
Schuldienerd aus der erften befegt werden follte. Bei ber vor 
zunehmenden Verſetzung aber follte vorzüglich auf die Anal der 
Dienftjahre Rüdficht genommen werden. Die Anzal der Semi 
nariften ward auf 12. feftgejegt und ebenfo die der Exſpectanten. 
Seminariften und Exipectanten jollten nach dem Alter ihrer Auf 
nahme in den Schuldienft einrhiden. Die 12 Seminariften, welche 
in der Stadt wohnen müften, follten von einem @eiftlichen oder 
Candidaten wöchentlich 4 Stunden Unterricht erhalten. Ueber den 
Fortgang dieſes Unterrichtd follte vierteljährig durch den Lehrer 
dem Generaljuperintendenten Bericht erftattet, und außerdem ſollte 
ein eingehender Sjahresberiht an das Gonfiftorium eingeliefert 
werben. 

Nah) Neujahr 1780 trat das Seminar wirklich ins Leben, 
nachdem der Dazu nötige Fonds durch Beiträge aus den Kirden 
kaſſen des Landes beſchafft worden war. Die Anftalt gebieh bald 
und fand in dem Chef des Oberconfiftoriums, Freiherrn von Ziege 
far, einen eifrigen Befchüger. Im Jahr 1783 wurde die dal 
ber Seminariften bis auf 18 vermehrt und ein befonbrer Schrei 
meifter angeftellt. Gleichzeitig wurde dem als Seminarlehrer fun 
girenden Waifenhausprebiger Haun mit dem Titel eines Landſchulen⸗ 


) Das zunächft Folgende ift nad der Biographie Emft II. von Dr. Bed 
©. 181 ff. mitgeteilt. . 


— 233 — 


\peftor und dem Range eines Ephorus, die Aufficht über 
nmtlihe Schulen auf dem Lande übertragen, nachdem berfelbe 
m Oberconfiftorium vorgeftellt hatte, wieder auch aufs Beſte er- 
lte Unterriht im Seminar doch nicht den gehörigen Erfolg 
ben könne, weil die Seminariften nad ihrer Anftellung nicht 
hr unter der Aufficht und Leitung desjenigen verblieben, ber 
im Seminar unterrichtet hätte. Damit aber auch die Semis 
riften Gelegenheit hätten, fich zu ihrem Berufe praktiſch vorzu- 
teiten, wurde zu Johannis 1784 mit dem Seminar eine befon: 
re Schule verbunden. Mehr und mehr gewann jet dad Se⸗ 
nar an fiherem Beſtand und an Einfluß auf das gefamnte 
lksſchulweſen des Landes. Die Schule ded Seminars erfrente 
y eine erwünjchten Gedeihens. Die Landftände verwilligten 
e Unterhaltung des Seminar aus der Landfchaftsfaffe einen 
zrlichen Beitrag von 400 Rthlr. Eine Seminarbibliothef Fonnte 
gelegt werden. So wuchs da8 Seminar und gewann thatjäch- 
) eine Ausdehnung, daß ed nötig erfchien, die Organifation 
Bjelben durch ein neues Statut forgfältiger zu ordnen. Unter 
m 19. Mai 1786 wurde daher eine Seminarordnung 
blizirt, in welcher e8 freilich gradezu ausgeſprochen wurde, 
ß die bisherige lediglich für den Zweck chriſtlicher und kirchlicher 
lkserziehung beftimmte Volksfchule in eine vorzugsweife dem 
tereffe der Aufklärung und des bürgerlichen Berufes dienende 
alt umgewandelt werben ſollte. Das Seminar erhielt nemlich 
gende Einrichtung : *) 


J. Schuldiener-Seminarium. | 

„Das Schuldiener-Seminarium beftand aus 24 Seminariften 

db 12 Gxfpectanten, mithin aus 36 Perfonen. Unter biefen 
tden 30 vom Oberconfiftorio recipirt, die 6 übrigen präfentirte 
Landſchaft durch ihren jedesmaligen Syndicus. Der Praesen- 
18 erhielt zuvörderit eine Exſpectantenſtelle und rüdte nachher 
einer Reihe fort. Wenn ein Seminarift abging (durch Be: 
rung, Nieberlegen feiner Stellen, Ubfterben u. f. f.,) ſo 


— — 


Rach Gelbke, %.1. ©. 58 ff. 


— 2341 — 


rüdte der ältefte Exipectant in die erledigte Stelle. Ehe rw 
- unter die Exſpectanten aufgenommen werden fonnte, muſte er zu: 
vörderft vom Oberconfiftsorium, wenn er vorher demfelben ein von |; 
dem Landſchulen⸗Inſpector und Mufifmeifter ausgeftelltes Zeugnis, 
daß es ihm fowol an natürlichen Anlagen zum Singen und Or: 
gelfpielen nicht fehle, als auch, daß er bereits in beiden einige 
Kenntnis und Fertigkeit fi) erworben habe, überreicht Hatte, ent 
weder öffentlich während der Sellion, oder im Verhinderungsfal 
im bejonderen Auftrag beöfelben, vom zeitigen &eneralfuperinten 
denten privatim geprüft werben. Bei dieſer Prüfung wurde jedoch 
nicht fowol auf fehon vorhandene viele Kenntniffe, als vorzäglid 
darauf geſehen, ob die Competenten fo viel Seelenfräfte zu be 
fitzen ſchienen, daß fie des Unterrichtö im Seminario wirklich fähig 
waren. Wurden mehrere Gompetenten zu gleicher Zeit geprüft 
und tüchtia befunden, fo wurde ohne Unterfhied, ob es lan 
ichaftliche Praesentati oder heim Oberconfiftorium ſich gemeldet 
babende Gompetenten waren, einem jeden die Anciennetät lediglich 
nach den Maßſtab feiner Fähigkeiten angewiefen. Die fämmt 
lichen 24 Seminariften waren ſchlechterdings und undispenfirlid 
verbunden , in der Stadt Gotha fich aufzuhalten. Bei den zwäll 
Expectanten hingegen wurde zwar dieſes nicht al8 eine Roter 
digkeit erfordert, indeſſen wurde doch in Abficht der Gonfiftoriak 
Exipectantenftellen unter zwei gleichwürdigen Gompetenten , wovon 
ber eine außerhalb, ber andere in Gotha wohnhaft war, jede# 
mal ber Legtere Zum Examen vorbeſchieden. Der lebige Etand 
war eine der hauptfächlichften Erforderniſſe der Aufnahme eine 
Exſpectanten. Jeder, der unter die Erpectanten aufgenommen 
wurde, zalte 1 Rthlr., und der unter die Seminariften einrüdte, 
2 Rthlr. zur Seminarkaffe. Der jedesmalige Landſchulen⸗Inſpectol 
war allezeit,, vermöge feines Amtes, erfter Lehrer und Aufſehet 
im Seminar. Naͤchſt demfelben aber war noch ein Lehrer IM 
Rechnen und der den Bedürfniffen des Landmannes angemepene® 
mathematifchen und phyſiſchen SKenntniffe, ein Mufitmeifter m 
ein Schreibmeifter dabei angeftelt. Doch waren diefe der Aufficht 
bes Landſchulen-Inſpectors untergeordnet, und wurden daher ven 
Zeit zu Zeit in ihren Unterrichtsſtunden von ihm beſuchet. DEF 





— 235 — 


andſchulen⸗Inſpektor erteilte an die 24 Seminariften wöchentlich 
I Stunden Unterricht, deſſen Hauptteile nachftehende waren: 

&) Zwedmäßige Unterweifung in der Religion und zwar fo, 
daß nicht allein das in den Schulen des Landes eingeführte Leſe⸗ 
buch Sag für Sag genau und praktiſch erflärt, fondern auch zu⸗ 
gleih das neue Teftamient nad der Drdnung der Bücher gelefen 
und jede dunfle Stelle desfelben durch Furze und treffende An⸗ 
merfungen erläutert, bei allen diefen Erklärungen aber alle blos 
dogmatifche und vorzüglid alle polemifche Subtilitäten forgfältig 
dermieden werden. 

b) Anweifung zu der von einem Schullehrer zu beobachten» 
den Lehrart überhaupt, vorzüglic, in Ruͤckſicht auf den in biefigen 
Landen eingeführten Schulmethodus. 

c) Anweifung zum Kactechiſiren insbeſondere, wobei die 
12 Seminariften zugleich praktiſch mit Katechiſirung einiger aus 
ter Seminarfchule dazu zu wählenden Kinder geübt wurden. 

d) Unterricht in demjenigen, was einem Jeden, auch aus 
ven geringften Volksklaſſen, im gemeinen Leben, felbft zum vers 
tändigen Leſen der Zeitungen, des Kalenders und anderer Volks⸗ 
hriften, von der Hiftorie, Geographie, Kenntnid der Produkte 
md des Handels, befonders der hiefigen und benachbarten Lande, 
glich fein konnte. 

e) Praktiſche Ausarbeitungen über verjchiebene vorzufchrei« 
bende den Kenntniffen der Seminariften und ibrer künftigen Bes 
fnmung angemeßene Materien, als 3. B. Briefe, Zeugniffe, 
bensläufe, ‚Heine Anreden an die Schulkinder, Katechifationen 
ber gewiſſe aufgegebene Stellen der h. Schrift oder des Katechis⸗ 
nus u. drgl. Was aber die Verbeferung dieſer Auffäße- betrifft, 
o geſchah Diefe zur Erſparung der Zeit nur in Abficht der zwölf 
teten Seminariften mit vollfommener Strenge und Genauigkeit, 
en 12 jüngeren hingegen wurden blos die orthographiſchen und 
Ndere dergleichen zu ſehr auffallende Hauptfehler bemerklich 
macht. 

f) Anweiſung zum Predigtnachſchreiben, ingleichen Durch⸗ 
Yung und Berbeßerung des Nachgefchriebenen, wie nicht weniger 
iterricht, wie diefelben .einft als Schullehrer die von dem Pfarzer 





— 236 — 


gehaltenen Predigten den Kindern in einem populären und fr fi 
faglihen Ton wiederholen muften. 

8) Bekanntmachung und zwedmäßige Erklärung aller fomo! 
fchon vorhandener, ald auch von Zeit zu Zeit ferner erjcheinenden 
Tandesgefeße, Die auf irgend eine Art den Landmann angingen 
und von ihm zur vernünftigen Einrichtung feines Betragens in 
allen feinen Verbältniffen gekannt und richtig verſtanden werden 
muften , und 

h) Anweifung und Uebung im richtigen, deutlichen und an- 
genehmen Leſen. 

Um aber bei allen diefen verfchiedenen Arten des Unterriäts 
ficher zu fein, Daß folder wirflih von den Seminariften mit dem 
Verftand und Gedächtnis richtig gefaft worden, muſte der Lehre 
dasjenige, was er vorgetragen hatte, entweder fogleich am Ende 
einer jeden einzelnen Lection, oder doch wenigftend im Teßten Bier: 
tel der ganzen Stunde durch Examiniren fleißig mit ihnen wieer 
holen. Vor allen Dingen aber mufte er dieſen feinen Unterricht 
immer aus dem unverrüdten GefichtSpunfte erteilen, daß die 
Schule eine Vorbereitung zum praftifchen, bürger 
lichen Leben fei, und Daß die Abficht bei dem Inſtitut gar 
nicht dahin ging, Gelehrte oder Theologen, jondern blos Schul 
biener auf dem Lande und dabei aufgeflärte, arbeit 
ame und fromme Menſchen zu bilden. Den Gxfpectanten 
erteilte der Lehrer zwar in der Regel feinen Unterricht; wünſchte 
jedoch der eine oder andere berfelben bei dem Unterrichte de? 
Seminariften zuzuhören, fo ftand ihm folches frei. Uebrigens lad 
dem Lehrer ob, alle Exfpectanten anzumweifen, wie fie fich währen” 
ihrer Grfpectantenzeit zum Fünftigen Unterricht im Seminar 3% 
Haufe am zweckdienlichſten vorbereiten koͤnnten. Der Lehrer det 
Rechnenkunſt und der den Bebürfniffen des Landmanns angemepene Tt 
mathematijchen und phufifchen Kenntniffe hatte wöchentlich 3 Stust ° 
den Unterricht zu geben, nemlih 2 Stunden im Rechnen, weihe® 
die in Gotha ſich aufhaltenden Erfpectanten eben ſowol, al DT 
Seminariften felbft beiwohnen muften, und eine Stunde über d E 
kleinere Voigtiſche Lehrbuch, welche Bloß die Seminariften zu P' 
juchen verbunden waren, bie Exſpectanten hingegen nad ih — 


— 237 — 


Willkür befuchen und auch nicht befuchen Eonnten. Bei den 
enftunden wurden die fämmtlichen zu unterrichtenden Per⸗ 
nah ihren Fähigkeiten in zwei Klaſſen eingeteilt, jo daß 
ede Klaſſe nur eine Stunde mwöchentlidy Unterricht erbielt. 
r zweiten und untern Klaſſe wurden getrieben a) die vier 
ipecie8 der Nechnenfunft und b) die NRegeldetri. In der 
und obern Klaſſe aber a) die Bruchrechnung, b) einige 
jögründe zur weljchen Praftif und Geſellſchaftsrechnung, 
e zwedmäßige praftifche Anweiſung zum Rechnungsweſen 
vorzüglich aber zur Führung und Ausarbeitung einer Kirch-, 
nde = und Vormundſchafts-⸗Rechnung. Bei der Erklärung 
sigtifchen Lehrbuchs, welche alle zu unterweifenden Perſonen 
iher Zeit genoßen, wurden hauptjächlich die im gemeinen 
am meiften nötigen mathematifchen, phyſiſchen, . naturge- 
tlichen und ökonomiſchen Kenntniſſe, fo viel es der Zeitraum 
e, benfelben beigebracht. Dahin gehörte eine zwedmäßige 
ung der gewöhnlichen mathematifchen Figuren und Hand⸗ 
erätjchaften, der am meiſten im gemeinen Leben vorfom- 
ı Mafchinen, der Wettergläjer, der Lufterfcheinungen , be- 
3 des Gewitterd, der Electricitaͤt, des Magnets, vorzüglich 
des Kalender als eined fo gemeinnüßigen Volksbuchs; 
einiger Unterriht von ven befannteften Arten der vier 
ı Thiere, Vögel, Fiſche und Inſekten, wobei unter anderen 
ächlidy die Befchaffenheit der Bienen und des Seidenwurms, 
die Bienenzucht und der Seidenbau felbft auf eine folche 
färt wurden, Daß die Seminariften dadurd in den Stand 
wurden, dereinſt als Schuldiener diefen fo nüßlichen Nahs 
weig auf dem Lande allgemeiner zu madyen; und endlich 
nterweifung in derjenigen Art ökonomiſcher und landwirt- 
her Kenntniſſe, welche nicht bereit8 allgemein befannt find, 
on denen alfo nicht zu vermuten ftand, Daß folde den 
ariften ſchon hinlaͤnglich geläufig waren. Bei allem diefem 
iht wurde jedoch ein ſyſtematiſcher und wißenjchaftlicher, 
ähigfeiten der Seminariften nicht angemeßener Vortrag vers 

Damit aber auch der Lehrer überzeugt würbe, in wie 
r feinen Zuhörern Alles vollfommen faplid gemacht hatte, 


— 138 — 


fo muſte er von einer jeden ſolchen Stunde nur die erflerzr Apr 
Viertel zum Dociren felbft und das legte Viertel hingegen Zei 
mal zum Examiniren verwenden. Da die Schuldiener bei der 
ihnen ;obliegenden Direction des Kirchengeſanges durch Vorfingen 
ſowol, ald Spielen der Orgel, zur Erreichung der bei dem Ge 
brauch der Kirchenlieder zum Grunde liegenden Abficht , vorzüglid 
beitragen zu können, und daher die Vorbereitung derſelben zu 
diefem Teil ihrer künftigen Beftimmung ebenfalld zu dem Haupb 
zwed des Seminarii gehörte, fo war bei benfjelben ein eigene 
Lehrer der Muſik angeftellt worden, an befien Unterricht im Sir 
gen und Orgeljpielen fämmtlicye Seminariften, die nicht über ihre 
in beiden Gattungen mufifalifcher Kenntniffe bereits erworben 
Geſchicklichkeit ein fchriftliches Zeugnis des Lehrers der Mufit ber 
zubringen im Stande waren, Anteil zu nehmen gehalten waren. 
Bei dieſem Unterrichte, der wöchentlih 3 Stunden, in jeder 
Stunde einem Teile der Seminariften in der Waifenhausfirdt 
gegeben wurde, mufte der Lehrer vorzüglich darauf fehen, dab 
die Seminariften zuvörderft über den Urfprung und bad in 
einem einfachen von allen Wuszierungen entblöften Gelang 
‚beftehende Weſen des Ghorald fowol, als über deſſen leip 
lich auf fanfte Rührung, Andacht, file und ruhige Vetradr 
Rtung gerichteten Abficht zweckmäßig belehrt, ihnen die Kraft eined 
zwedmäßigen Geſangs auf den Singenden felbft und Andere 
möglichft fühlbar gemacht, biernächft Die Regeln des guten Br 
trags und infonderheit des die Harmonie der Muſik begrünbdenden 
Generalbaßes gehörig erläutert, daraus ber eigentliche Unterricht 
in der Kunſt des Singens hergeleitet, und dieſer durch fleißige 
unter feiner Aufſicht anzuftelende Singübungen jelbft anwendbar 
gemacht; endlich auch von der Uebereinftimmung der metriſchen 
und rythmiſchen Befchaffenheit der Melodie mit derjenigen, die 
im Text enthalten ift, Die allgemeinften Hauptgrundfäße ihnen mid 
geteilt wurden. Und da die Orgel hauptjächlicy dazu diene 
folte, um die Wirkung des Geſangs durch barmonifchen un? 
melodischen Ausdrud zu unterftügen, fo mufte der Unterricht we 
gen des Gebrauchs der Orgel vorzüglih auf Bewirfung eines 
guten Temperaments berfelben und auf forgfältige Vermeidung 





— 239 — 


figurirten, mit geräufchuollen ausfchweifenden Läufen ange 
ı und mit der oorberührten Abficht des Chorals nicht über: 
nmenden Spielart gerichtet wurden. Den Unterricht des 
ibmeiſters genoßen die zu Gotha gegenwärtigen Exſpectanten 
jo wol, als die Seminariften felbft, in dem Maße, daß 
wöchentlih 4 Schreibftunden gehalten, jedoch die ſaͤmmt⸗ 
zu Unterrichtenden in 2 Klaffen abgeteilt, uud jeder Klaſſe 
Bochen nur 2 Stunden gegeben wurden. Der Unterricht bes 
vorzüglich tu Folgendem: 
&) in der deutſchen Current- und Kanzleifchrift, wobei zu 
hriften, nach der jedesmaligen Anweifung des Landfchulen» 
ctord blos ſolche Dinge gewählt werden muften, die einem 
Idiener nüglicy fein koͤnnen, als Kirchenatteſtate, Beſoldungs⸗ 
Intereffen-Ouittungen, Abfündigungsformeln u. drgl.; 
b) in ber Iateinifhen Schrift, jedoh wurden dazu nur 
bejondere Vorfchriften gegeben und gröftenteild nur diejenigen 
chen Worte gewählt, welche in den deutſchen Vorſchriften 
nd da mit vorkommen ; 
c) in der Frakturſchrift, wobei bauptfäckhlic dahin gejehen 
n mufte, Daß Die zu Unterrichtenden die gedrudten Buchftaben 
nachahmen lernten, weil fie ſolche den Schulfindern in der 
beim Buchſtaben⸗Unterricht an der Tafel vormalen muften; 
d) im Schreiben der Zalen, und zwar der römifchen ſowol, 
er arabijchen, wobei nad) der Anmweifung des Landſchulen⸗ 
ctord lauter praktifche Vorfchriften, als z. B. Bruchftüde 
Bemeinde- uud Kirchrechnungen u. drgl. gewählt werben 
n; 
e) im Federſchneiden; 
f) in Angebung der leichteften Methode, wie alle dieſe Dinge 
rum den Kindern beigebracht werden können. 
Derjenige unter den Seminariften, welcher, noch ehe ihn 
teibe der Beförderung zu einem Schuldienft traf, ſich fo 
smmen in der Schreibfunft gemacht hatte, daß ihn ber 
eibmeifter fchlechterdings nichts mehr zu lehren im Stande 
wurde auf ein von dem leßteren und dem Landſchulen⸗In⸗ 





— 240 — 


ſpector audgeftelltes Atteftat durch das Oberconfiftorium von 2% 
terer Beſuchung der Schreibftunden bispenfirt.“ 


I Seminarienfchule. 

„Die Seminarienfchule, welche ebenfalls in der Seminaren 
flube gehalten wurde, beftand aus 50 Kindern. Die Rinder 
jelbft wurden in 4 Klaſſen, als Superiores, Medios, Inferiore 
und Incipienten abgeteilt und empfingen täglicy 6 Stunden, Bor 
mittags im Sommer von 7—10, im Winter von 8—11 und Rad 
mittags zu allen Jahreszeiten von 1— 4 Unterriht. Gin jedes 
Kind, welches in dieſer Schule unterrichtet wurbe, bezalte von 
der Zeit feiner Aufnahme an bis zur Zeit jeined Abgangs, ob 
Unterfchied , ob ſolches die Schule in ber Zwiſchenzeit wirklik 
bejucht hatte oder nicht, an Schulgeld zur Seminarienfafle wöcent 
lid 2 Ggr. und außerdem noch den drei lehrenden Seminariften 
zufammen 8 Ggr. beim Eintritte, ebenfo viel bei ber Dimiſſion 
und jährlid) eben fo viel zum neuen Jahr. Die Abficht der 
Seminarienfchule beftand zwar vorzüglid in der den Semins 
riften zur praftiihen Lehrübung zu verjchaffenden Gelegenheit, 
fie war aber auch zugleich nicht wentger dahin mit gerichtet, dah 
biefelbe als eine wirkliche Mufter- und Normalſchule für alle übrigen 
Schulen im Lande angefehen werden follte. Wenn baher das Ober 
confiftorium in einem oder dem anderen Stüd eine neue Unter 
richtungsart einführen wollte, jo wurbe vorher in ber Seminars 
Ichule Die Probe damit gemadht, und erft alsdann, wenn das Pre 
ject wirklich als gut, nützlich und ausführbar durch die biesfalfige 
Erfahrung beftätigt worden war, in den übrigen Schulen des Law 
bed eingeführt. Nach Diefer doppelten Abficht fielen die gewöhr 
lichen Schulferien darin völlig weg, und wurde Daher nur alein 
an folgenden Nachmittagen, ald a) alle Mittwochen und Sons 
abende im Jahr, welche ohnhin im ganzen Lande von der Säule 
frei find, b) des Tages vor dem erften Weihnachtöfeiertage und 
c) eines von dem Landſchulen⸗Inſpector wüllfürlich zu wählenden 
Tages an jedem der drei Jahrmaͤrkte und an nachftehenden ganM 
Tagen, ald: a) am Tage nady den drei hohen Faften, b) an 
Grünendonnerstage und c) am Charfreitage, die Schule ausgeſeß—, 


— 241 — 


llen übrigen Werktagen ded ganzen Jahres hingegen wurde 
e ununterbrochen Vor⸗ und Nachmittags gehalten. Zu Lehrern 
:Seminarienfchule wurden nicht alle Seminariften, fonbern blog 
gen gebraucht, weldhe zu einer ganz vorzüglichen Geſchicklich— 
jelangt waren. Bon biefen fidy bejonders auszeichnenden Se- 
riften num wurden jederzeit die drei älteften unter dem Na: 
der Katecheten, nach jedesmaligem von dem Landſchulen⸗In⸗ 
r an das Oberconfiftorium zu erftattenden Bericht, zu Leh⸗ 
bei der Seminarienfchule angeftellt. Diefe drei Katecheten 
n zwar in allen Schulftunden gegenwärtig fein, es unterrichteten 
nuv die zwei Alteften Davon wirflih, und zwar fo, daß dem 
en derjelben die drei eriteren, und dem Erſteren die drei 
ten Wochentage angewiefen waren. Der dritte hingegen war bei 
n Unterrichte hauptjächlidy nur um deswillen zugegen, damit 
e Lehrmethode erlernen follte, und hatte übrigens die Incum— 
die Linien in die Schreibbücher zu ziehen, den beiden unterften 
en vorzufchreiben , die fehlenden Kinder anzumerken, und fo 
möglich diejenigen Claſſen, welche nicht an dem Unterrichte 
telbar Zeil nahmen, nüglich zu bejchäftigen. Sobald aber 
ber beiden älteſten Katecheten verhindert war, vicarirte er 
enjelben und rüdte hiernächſt fofort ein, wenn einer unter 
gänzlich abging. Einem jeden Lehrer in der Seminarien: 
aber wurde vermöge Rejol. v. 21. Sept. 1787 bei feiner 
hme zur Bedingung gemacht, daß wenn er die gefafte Hoff- 
nicht erfüllen und ſich in feinem Amte nicht vorzüglich aus: 
en würde, er fi alsdann gefallen laßen müße, von feiner 
e abzugeben, und gleich einem andern Seminariften zu einem 
Idienfte von der unterften Klaffe befördert zu werden. Ueber⸗ 
t muften die unterrichtenden Katecheten zufanmen völlig und 
alle Ausnahme alles dasjenige, was ein jeder gewöhnlicher 
ıldiener bei feiner Schule zu beobachten hatte, bei der Semi: 
njchule ebenfalls verjeben, und daher den Schulfindern nicht 
in der Buchſtabenkenntnis, dem Buchftabiren und Lefen, dem 
nen und Schreiben, und andern in ihrem Tünftigen Leben 
ı nüglichen Dingen (wohin hauptſächlichsöder Kalender mit 
hnet wurde,) Unterricht erteilen, fondern auch die Bibel und 
pe, Volksſchulweſen, 2. 16 


— 42 — 


beſonders das neue Teſtament, ingleichen das gemöhnlicdhe 
buch und das in den Schulen eingerührte Eleinere Voigtiſche 
buch gehörig erklären, vorzüglich aber durch fleißiges zwecdm: 
Katechifiren den Kindern die Wahrheit der Religion auf ein 
liche und deutliche Art verftändlich machen. Dabei war ven 
hen, um fie von Plauderhaftigkeit und einem unruhigen 9 
abzuhalten, auch fie frübzeitig zum Kleiße zu gewöhnen, m 
Refolution an den Tandfchulen-Infpector vom 15. Dez. 1786 
ftattet worden, in den mäßigen Zeitpunkten ji mit St 
Seidezupfen und anderen weiblichen Arbeiten zu befchäftigen. 1 
Alles, was an jedem Tage in der Schule getrieben worden, 
fonft darin Merkwürdiges vorgefallen war, mufte von denje 
ber beiden älteften Satecyeten, an welchem an folchem Xage 
die Neihe des Unterrichts ftand, ein genaues Protokoll ge 
und dasfelbe von ihm ſowol, ald dem wirklichen Lehrer des 
ges unterjchrieben werden. Der Landfchulen- Infpector war 
bunden, nicht nur überhaupt eine genaue Aufficht auf diefe u 
richtenden Seminariften oder Katecheten zu führen, und babe: 
Beit zu Beit, wenigftend aber dreimal in der Woche, die € 
narienfchule zu beſuchen, ingleihen dabei allemal das von 
Katecyeten geführte Schulprotofol genau durchzugehen, un 
Sall er bei dem Einen oder Anderen etwas Fehlerhaftes verjy 
den Fehlenden, jedoch nie in Gegenwart ber Kinder, zured 
weiſen. Uebrigens war die Seminarienfchule ebenfo, wie all 
deren Schulen der Refidenzftadt Gotha, der jährlichen Bifit 
de8 jedesmaligen Generaljuperintendenten unterworfen, weldy 
die neuen Lectionen allezeit ſchon unmittelbar nach Oftern angii 
noch vor Dftern bewirft werden mufte. Außerdem lag aber 
dem Generaljuperintendenten vermöge feiner Auftruftion ob, 
Seminarienfchule nody beſonders von Zeit zu Beit und zwaı 
porhergefehen zu bejudyen. In Unfehung der Beförderung 
Scminariften war zu bedenfen, daß alle von dem Oberconfil 
unmittelbar zu vergebenden Schuldienfte im Lande nad ihren 
joldungsanjdylägen in 3 Klaſſen eingeteilt waren. Die € 
bienfte der erften Malle, deren Gehalt über 100 M.=fl. be 
wurden blos durch Translocirung alter, ſchon erfahrner Schuld 


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— 243 — 


Besfest. Nur der einzige Fall war davon ausgenommen, wenn ein 
SE atehet, der wegen feiner Geſchicklichkeit jährlich 100 MA. Ber 
ſD Ldung erhalten hätte, weiter befördert werben follte, indem alle 
SE axteheten diefer Art zu ihrer Aufmunterung und Belohnung jederzeit 
S chulſtellen der erften Klaffe zu gewarten hatten. Die Schuldienfte 
Zweiter Klafle, welche 100 M.-fl. und Darunter, jedoch mehr als 
TOM.f. eintrugen, wurden lediglih nad) dem Ermeßen bes 
=Doberconfiftorii entweder an einen jchon erfahrenen, alten Schuls 
Diener, ober an ben älteften der drei gewöhnlichen Katecheten 
vergeben, und nur alddann fland einem dieſer leßteren auf eine 
Dergleihhen fich erledigende Stelle ein wirkliches Necht zu, wenn 
er ſchon drei volle Jahre als Katechet angeftellt. gewejen war. 
Wenn hingegen ein Schuldienft der britten Klaſſe, welcher 70 M.<fl. 
und darunter abwarf, aufging, jo wurde folcher nie anders als 
durch den älteften derjenigen Seminariften beſetzt, welche zwar 
nicht bis zu den Fähigkeiten eines Satecheten und Lehrers an ber 
Seminarienfchule gelangt waren, doch aber jonft Die zu einem 
gewöhnlichen Schuldiener auf dem Lande nötigen Kenntniffe bins 
reihend fi erworben hatten. Ein zu beförbernder Seminarift 
diefer Art aber war gehalten, wenigftend einen vollen Monat 
dor dem wirklichen Antritt feines Dienfted ale Tage ununter- 
drohen dem Unterricht der Katecheten in der Seminarienfchule 
bejuwohnen,, und daß ſolches gejchehen, vor feiner Verpflichtung 
bei dem Oberconfiftorio burd ein Atteflat des Landſchulen⸗-In⸗ 
ſpectors darzuthun. In Abficht der Beförderung der Seminariften 
zu den erwähnten Oberconfiftorial = Schuldienften durfte nicht der 
Mindefte Unterfchied unter denen, die von dem Oberconſiſtorio 
gefegt und denen, die von der Landſchaft präfentirt waren, ges 
macht werben. Jeder Seminarift, der von dem OÖberconfiltorio 
Meiner Schulftelle befördert, oder auch von einem Patron dazu 
Päfentirt wurde, war ſchuldig, bei feinem Abgang einen Beitrag 
U Seminarienbibliothef zu thun und foldhen dem Landſchulen⸗ 
Nſpector zu überliefern. Die Größe dieſes Beitrags ſtand zwar 
ledig Lich in der Willkür des Abgehenden, jedoch durfte derſelbe 
A einer Beförderung in die zweite Klaſſe mnicht unter 1 Rthlr., 
ün die erfte Klaſſe nicht unter 2 Rthlrn. betragen. Die ſo⸗ 
. 16° 


— 24 — 


wol hieraus ald auch aus demjenigen Quanto von 20 Rtblrmzy 
welches jährlich dem Landſchulen-Inſpector zum Anfauf nüglides 
Bücher zu verwenden geftattet war, nach und nad erwachler m 
Seminarienbibliothef blicb unter dem Beſchluß des Landichul_g 
Inſpectors, welcher Davon, nach jeinem Grnießen, den Seminari'gs 
Bücher, jedoch jedesmal blos auf eine beftimmte Beit und gem, 
Einlegung eines Scheins, zu leihen die Erlaubnis hatte.” 


TITTEN —ñ— 


Kaum gibt es ein anderes deutjches Land, in welchen bie 
Entwillung das Volksſchulweſens fo lange in denfelben Spuren 
fortging, als das Herzogtum Gotha. Faſt Alles, was feit Gruft 
dem Frommen zur Hebung der Volksſchule geſchah, beftand nur 
in einzelnen Maßnahmen, durch welche man die Anordnungen 
beffelben zur wirklichen Ausführung bringen oder moͤglichſt wirk 
fam zu maden ſuchte. Im Allgemeinen ftellte ſich daher dad 
Gothaer Volköfchulweien gegen das Ende des 18. Jahrhundert 
in demjelben Bilde dar, wie um die Mitte des 17. Jahrhunderts, 

d. h. man fuchte, fo weit es gehen wollte, den wirklichen Zuftand 
der Schulen mit dem in dem Schulmethodus enthaltnen Bor 
Ichriften in Einklang zu bringen, ohne daß man body zu einer 
allfeitigen Verwirklichung der alten Schulorduung kommen fonte- 
Hierzu fam, daß in demjelben Maße, in welchem ver Geift der 
Aufklärung in den fächliichen Landen Eingang fand, nur auf den 
Fortbeftand des Aeußeren der überlieferten Schuleinrichtung Dr 
dacht genommen wurde, Mehr und mehr ging daher das Ver’ 
ſtaͤndnis und fomit auch die Wertſchätzung des Schulmethodus 
verloren, fo daß derjelbe ſchließlich als Antiquität ganz vergeßen 
wurde. Geſetzlich ſtand dabei aber immer noch die Auctorität des 
Schulmethodns für die deutjchen Schulen des Landes feft. Auch 
ſollten nicht allein diejenigen „Erinnerungspunkte,“ welche Herzo S 
Ernſt ſowol für die Schuldiener, als für die Inſpectoren ist 
Jabre 1660 im Drud erlaßen, und die wegen der im Schulsst“ 
thodus vorgefchriebenen Sprüche und Pfalmen ergangene Vero F 
nung, fondern aud die im Jahre 1698 zufanmengetrage ” 


— 245 — 


zunkte nad) der in den Erneftinifchen Verordnungen befindlichen 
‚ota in Obacht genommen, und die monatlihen Schultabellen, 
ermöge Ausfchreibend vom 7. März 1701 in guter Ordnung ge: 
alten werden. Nach Vorſchrift des Schulmethodus follten alle 
"inder, Knaben und Mädchen, fowol in Dörfern als in Städten 
nter Vorausſetzung, Daß vorher die Eltern nach Anweifung der 
briftliden Hauszucht ihre fchuldige Pflicht Bei denfelben von 
hrer zarten Kindheit an beobachtet hatten, im fünften Jahre ihres 
Ilterd, zugleih und auf einmal, nad) der Erndte auf die von 
ver Kanzel deshalb gefchehene Ankündigung in Die Schule geſchickt 
ind von den Schuldienern eined jeden Ort in unterjchiebenen 
klaſſen in den vorgefchriebenen Lectionen unterrichtet werben. Zur 
Erlernung des ABE und des Buchſtabirens bediente man fich 
des i. %. 1789 verbeßerten und vermehrten ABC- und Silbens 
büchleins, zur Uebung im Lefen aber des fogenannten „deutſchen 
Leſebüchleins.“ Dieſes Ießtere begriff anfänglich nur den 
Katehismus Qutheri, des D. Rofini Fragftüde auf die hohen 
Sefttage, Die Haustafeln und die vornehmften Sprüche der eis 
ligen Schrift über jeden Glaubensartifel, dad Nicänifche und 
Athanafiſche Glaubensbekenntnis und einige Gebete in fih. In 
der Folge aber kamen noch die zwölf Lehrpunfte hinzu. Im 
Jahre 1656 erſchien es unter dem Titel: „Deutſches Tefebüchlein, 
darinnen zu finden a) der Katehismus Qutheri, fammt der Aus: 
gung; b) ver kurze Begriff, aus dem Katechismus Lutheri ge: 
gen; c) der kurze Begriff von etlichen Lehrpunkten, aus 
dem Hausfirhbüchlein genommen; d) etliche biblifche Sprüche, in 
ſewiſſe Kapitel eingeteilt; e) die Feftfragen D. Bartholgmäi Ro- 
ni; f) die drei Hauptfombola neben zweien Kindergebetlein ; 
) Der Abdrud unterfchiedlicher ABC, zu nüglicher Schreibends 
ung zu gebrauchen, ſammt dem Ginmaleins, für die Schulen 
N Bürftentum Gotha. Gebrudt durch Joſ. Michael Schalln. 
Mm Sabre 1656” (in 89. 14 Bog.). 

Späterhin (1786) ließ man bei einer neuen Ausgabe des 
uches die S. 225— 266 befindlichen Frageftüde, ſowie die brei 
Up-Symbola und Gebete um Schutz und Schirm Gottes für 
NDer in Sterbengzeiten und den ©. 286 und 287 enthaltenen. 





— 246 — 


Abdruck unterjchiebliher ABE weg und fügte dagegen nad) ber. 
Einmaleind demfelben den in der Leje-Fibel des Paftor Blaibe m. 
zu Oldenburg im Kurbraunfchweigifchen befindlichen Unterridt 
einigen nützlichen Dingen, mit einigen Abänderungen als Anba- 
bei. Schließlich hatte man außerdem bei einer i. J. 1788 ab er. 
mals erfolgten neuen Auflage dieſes Lefebüchleins einerfeitd D⸗ 
für zu ſchwer oder überflüßig gehaltenen Stellen beffelben 4 
Klammern gefegt, um damit anzuzeigen, daß diefelben in De 
Schulen nicht mehr auswendig gelernt werben follten, und andrer 
ſeits an die Stelle der alten Reimgebete einzelne erbauliche Stro 
phen, meiftenteild aus Liedern des neueren Gothaiſchen Belang 
buchs, unter dem allgemeinen Namen: „Liebergebete” eingerüdt. 
Auch waren einzelne Pjalmen ausgelafen. Da aber durd biee 
- Einrichtung in die von den Kindern nach ber Folge der Klaflen 
zu erlernenden Lectionen eine große Ungleichheit gekommen wat, 
fo wurde nicht nur die bisherige mittlere Klaſſe aufgehoben und 
eine jede niedere Schule von unten in die L II. IIL IV. Ktaf 
abgeteilt, ſondern auch eine neue Lectionstabelle aufgeſetzt, und 
biefelbe nebſt einer ausführlichen Anweiſung dazu und einigen 
. anderen Vorſchriften für die Schuldiener, unter dem 15. Septbt. 
1788 zum Drud befördert und mittelft Ausfchreiben vom 29. Okto⸗ 
ber 1788 in den niederen Schulen des Herzogtums eingeführt. *) 
Diejenigen Kinder, welche das Lejebüichlein zwar abjolvirt, abe! 
es doc, zu Feiner Fertigkeit im Leſen gebracht hatten, muften (nad 
Ausichreiben vom 21. Dezember 1643) anfänglich zur Uebung iM 
Lefen den mit den Summarien D. Daniel Cramers gebrudtet 
Plalter, welden die armen Kinder feit 1644 umfonft bekamen, 
gebrauchen. Im Sabre 1662 führte man flatt diefes Biatter? 
ein anderes Büchelhen ein, welches nicht nur diejenigen Pfalmer!" 
weldye die Kinder in der Schule auswendig lernen muften, fonde«"* 


en, 





*) „Anweifung für die Schuldiener des Herzogtums Gotha, wie fie das a⸗ 
Jahr 1788 neu abgedrudte und mit einigen Abänderungen verſehene fo " 
Teutſche Lefebüchlein und die mitangefügte Rectionstabelle bei dem Unterricht 3 “ 


Schuljugend gebrauden follen, nebſt einigen andern Borfchriften für dieſel⸗ — 
15. Sept. 1788." . 


— 247 — 


sch verjchiedene nad) allen Hauptftüden eingerichtete Gebete ent- 
ielt. Diefed Buch, welches zum Unterfchied des vorerwähnten 
efebüchleind „Die Lefensübung” genannt wurde, ‚mufte feit 1664 von 
Ten Schulfindern ber obern und mittlern Klaſſe angefchafft wers 
en. Den Urmen wurde es (zufolge eines Ausfchreibens vom 
0. Auguft 1669) umfonft geliefert. Dabei wurde aud (unter 
em 30. Januar 1663) verordnet, daß die in dem Lefebüchlein 
efindlihen Lehrpunkte von der obern Klaffe wöchentlich wenigftens 
ine Stunde gelejen werben follten. Zur Beibringung bes kurzen 
Beriht8 von den fünf Lehrpunkten wurde 1654 und 1655 ein 
ejonderer Methodus nebft Fragen zu den übrigen unter dem 
Litel „Methodus, wonach die Praeceptores in Beibringung des 
urzen Berichts von den V. Lehrpunften, auch Erforſchung durch 
achgefepte Fragen fi) zu richten; im Fürftentum Gotha 1564” 
urch den Drud bekannt gemacht. Sowol die Silben» als Leſe⸗ 
ücher wurden nach Verordnung vom 22. September 1659 einem 
den Schulfinde zum erften Mal unentgeltlicy verabreicht. Diefe 
Bolthat erftredte fid) auch auf diejenigen Schulen außer Landes, 
yelhe nad dem Bothaifchen Schul: Methodus unterrichtet wurden, 
. B. auf die Schulen der beiden Erfurtiichen Sinfpectionen, Ton: 
'orf und Mühlberg, und einiger anderen Erfurtiichen Dorffchaften, 
benfo auf die Schulen der Eiſenachiſchen Inſpection Greienberg, 
vie auch auf die Stadt- und Landſchulen der Römbildiihen In⸗ 
pection. Jedoch muften die Schultabellen von diefen Ortjchaften, 
o oft um Berabfolgung der Silben- und Leſebücher nachgeſucht 
urde, an das Oberconfiftorium auf Friedenftein zugleich mit ein- 
eſchickt werben. 

Um in den Schulen auch einige Kenntnis von dem Unter> 
Ned der Iutherifchen und katholiſchen Gonfeffion zu verbreiten, 
urde mittelft Ausfchreibend vom 11. Juli 1726 befohlen, daß das 
Nn Dr. SHoen herausgegebene evangeliihe Handbüchlein bis⸗ 
Uen zur Leſeübung in den Schulen gebraucht werben follte. 

Eine Verordnung welche im Jahre 1786 publigirt wurde, 
te den Zwei, eine zeitige Verbreitung der gefeglichen Schul- 
Ber in den Schulen des Landes zu bewirken. Durch dieſelbe 
"de nemlicy verfügt, daß die erforderlichen Schulbücher mit Dem 





— 248 — 


erſten September eines jeden Jahres von den Buchbindern an ! 
Oberconfiftorinm abgeliefert und von demſelben an die Ephor 
befördert, die Verzeichniffe der erforderlichen Schulbücher aber ı 
Sommer -Bifitationsberichten in den Monaten Zuli und Aug 
eingejchidt werden jollten. Jedoch durften die Buchbinder | 
nefeßte Taxe, welche anfängli” 1 Gar. von einem Leſebuche u 
6 Pig. von einem Syllabirbuche betrug, feit 1761 aber auf rej 
15 Pig. und 8 Pfg. erhöht wurde, nicht überfchreiten. T 
Buchbinder in Waltershaufen und Ohrdruf hatten die Erlaubni 
die benötigten Schulbücher für die Waltershäufer und Ohrdrul 
Didcefe zu binden. Zur Anfertigung der bölzernen Tafeln au & 
Schulbüchern wurde, vermöge der an das Forftamt auf Tennebe 
erlaßenen Herzogl. Kammerverordnung von 21. Juli 1761, 
jebem Jahre eine Buche oder fo viel Werkholz als erforderl 
war an die Buchbinder abgegeben. 

Außer dem Unterridht in der Religion, im Rechnen, Schr 
ben und der Muſik mufte früberbin das im Schul-Methodus vore 
fchriebene Buch: „Kurzer Unterriht 1) von natürlichen Ding « 
2) von etlihen Wißenfchaften, 3) von geiftlichen und weltlidg 
Tandesjachen, 4) von etlihen nützlichen Hausregeln“ (von 165 
nebft einigen anderen Anleitungen fehr fleißig in den Schulen 
trieben, und zur Erklärung befjelben ein Lineal, ein Zirkel, ei 
Bleiwage, ein Paar Stridrollen u. ſ. w. allenthalben angeſcha 
werden. Späterhin trat indeffen an Die Stelle defjelben das vı 
dem Profefjor Voigt zu Jena i. J. 1782 abgefafte Lehrbus 
„Erſter Unterricht vom Menſchen und den vornehmften auf il 
ſich beziehenden Dingen.” Auch wurde für die Schule jed 
Drts ein Exemplar des von demjelben Berfaßer herausgegeben: 
größeren Werkes: „Grundkenntniſſe vom Menſchen,“ aus Kirde 
mitteln angelchafft. 

Die Entlaßung der oberen Schüler aus den Schulen betre 
fend, wurde die im Schulmethodus Gap. 1$.11 darauf bezüglid 
Stelle mittelft Gircularrefcript vom 13. Mai 1784 dahin erläuter 
daß diefe Entlaßung nur im Außerften Notfall und vorzüglid a 
GErndtezeit, keineswegs aber allen Superioren ohne Ausnahme g 
ftattet fein ſollte, auch lediglich nur Diejenigen Kinder, deren Elter 


— 249 — 


fh nah einen von dem Schultheiß des Orts auszuftellenden 
Zeugniſſe in fehr dürftigen Umftänden befänden, von Befuchung 
der Scyule zur Sommergzeit und zwar in den Maße, daß fie 
ihre Lection wöchentlih einmal bei dem Schuldiener anfzufagen 
verbunden ſeien, Dispenfirt werden fönnten. Die eigentliche 
Entlagung aus der Schule, d. h. Die Entlaßung derjenigen Kin- 
der, welche zum erften Mal dad Abentmal genoßen, fand regel: 
mäßig nad) gehaltenem Examen bei der Sommervifitation ftatt. 

Die Anftelung der Schulmeifter betreffend, war die früber 

üblih gewefene Unfitte, daß diefelben jährlich bei der Gemeinde 
um ihren Dienft aufs Neue werben oder nachfuchen muften, und 
dann durch Leihfauf von einigen Grofchen oder einem Batzen von 
‚derfelben aufs Neue dazu verpflichtet wurden, ſchon von H. Ernft 
dem Frommen (1646) abgejchafft worden, dagegen wurde fpäter- 
bin (i. 3. 1659) die Einrichtung getroffen, daß die Schuldiener 
nach gefchehener Beftellung von jede8 Orts Superintendenten, 
Oder wenn drei oder mehrere Schuldiener an einem Orte vorhan- 
den waren, die beiden unterften von dem Superintendenten , die 
oberften aber jedesmal von dem Gonfiftorinm definitiv confirmiret 
werten follten. 

An ihrer Amtsführung lag den Schulmeiftern ob, die Schul: 
finder ſowol in als außer den gewöhnlichen Schulftunden zur 
defolgung der in ber 1654 gedrndten und 1720 ernenerten Anz 
leitung erteilten Vorfchriften oder Schulgefeße anzuhalten, ſich auch 
ihres Orts nach den i. J. 1651 vorgejchriebenen Punkten zu 
tichten, das Rechnen und Schreiben nad) Anmweifung des Schul: 
Methodus und Ausjchreibend vom 23. Sept. 1651 fleißig zu trei- 
ben und zwar Erſteres nach der eingeführten (i. J. 1646 ge: 
drucdten) Arithmetik, oder wofern ſie ſelbſt noch nicht genug darin 
gelabt wären, ſich entweder durch eigenen Fleiß oder durch Anwei— 
ſung bei den Pfarrern oder auch bei andern benachbarten Schul- 
meiftern nachzuhelfen, nicht minder die Knaben zur Muſik anzu: 
führen, des Neujahrsfingens aber außer ihren Dörfern ſich zu 
en chalten (Verordnung vom 28. Dezbr. 1665), übrigens aber 
all enthalben nad) den wegen der Schulverfäumniffe und wegen 
verrichtung des Geläuted ergangenen Verordnungen ſich ſtrecklich 


— 250 — 


zu richten, nidyt ohne Erlaubnis des Pfarrers zwei Stunden weit 
außer der Flur ihres Orts zu verreifen, und in feinem Stüd die 
den Pfarrern fchuldige Ehrerbietung aus den Augen zu feßen. 

In Betreff der bei dem Ableben der Schullehrer hinterblies 
benen Wittwen und unverforgten Kinder beftand bie Einrichtung, 
daß diefelben außer der Gnadenzeit noch aus dem vom Herz 
Ernft dem Frommen i. J. 1662 mit großer Tiberalität geftiftet „ 
Schulmwittmen-Fiscus auf ihre Lebenszeit einige Unterftügung erbfez 
ten. Die Leges Fisci hatte Herzog Friedrich IL. zum Drud bringen 
und Herzog Friedrich) II. 1750 unter dem Titel: „Revidirte Leges 
und fernerweitige Einrichtung des Schulwittwen - Fisci“ nochmals 
publiciren Iaßen. Diefer Fiscus wurde von ber Inſpection dei 
Pfarrfiscus mit verwaltet. 

Die Beanffihtigung der Schulen wurde teild von dem Land 
Schulen» Sinfpector (dem die Aufficht über fämmtliche Schulen bed 
ganzen Landes übertragen war), teild von den Unterconfifterien, 
geiftlichen Untergerichten, Superintendenten, Adjuncten und von dm 
DOrtöpfarrern ausgeübt. Die lekteren waren insbefondre (nad 
Ausfchreiben vom 28. Auguft 1647 und vom 26. September 1656) 
verpflichtet, Darauf zu fehen, daß die zum Beten der Echulen ge 
troffenen Einrichtungen erhalten, die Schulen zu rechter Zeit von 
den Kindern befucht, diefe aber von ihren Eltern fleißig dazu am 
gehalten und nicht eher, als bis fie in den Hauptftüden der ri 
lichen Religion und im Lefen und Schreiben hinlänglich unterriätt 
worden waren, daraus genommen wurden. Kür den Kal, ba 
Eltern hierin ihre Schuldigfeit verfäumten, ja wol gar ihre Kind 
mit Fleiß vom Beſuche der Schule abhielten, und die von den 
Pfarrern ihnen deshalb gegebenen VBermahnungen fruchtlos blieben, 
jollten die Pfarrer darüber dem geiftlichen Untergerichte, rejp. bem 
Unter= Gonfiftorium und nad) Befinden dem Herzogl. Gonfiftorium 
jelbft Bericht erftatten. — Diejenigen Kinder aber, melde von 
Privatlehrern unterrichtet wurden, waren ebenfall® verpflichtet, bei 
den jährlichen Bifitationen fich einer Prüfung mit zu unterwerfen. — 
Die Erndteferien durften niemals länger ald 6 Wochen bauer 
und daher nicht eher, als bis die Erndte nach Beſchaffenheit amd 
Rage eines jeden Orts in vollen Gang fam, angehen. — pi 


— 2351 — 


Superintendenten und Adjuncten aber waren gehalten, jährlih ein 
von den Pfarrern ihrer Inſpection zu verfertigendbes Verzeichnis 
über die Tage und Stunden, an welchen während der Erndteferien 
an jedem Ort Schule gehalten wurde, dem Oberconfiftorium ein- 
aureihen, damit fi) der Landfchulen= nfpector bei feinen Schul- 
Beſuchen darnach richten Eonnte. 

Die Einführung eined Induſtrieunterrichtes war zunächft mit 
den Mädchen verfucht worden, indem man diefelben bier und da 
mit Striden, Seidezupfen und andern weiblichen Arbeiten beichäf- 
tigte. Seit dem Jahre 1787 ſuchte man dieſe Einrichtung allge- 
meiner einzuführen. 


Den unteren Stadtſchulen und überhaupt dem eigentlichen 
Volksſchulweſen zu Gotha wendete Herzog Ernft IL namentlidy 
ſeit 1784 feine Aufmerkfamfeit zu. Unter jenen verftand man 
1) die 4 unteren Klaſſen des (im Auguftinerflofter befindlichen) 
Gymnafiums, und 2) die obere und untere Töchterfchule. Diefe 
Säulen muften zufolge eines in Betreff der Stabtfchulen, der 
Garniſonsſchule und der Schule vor dem Erfurter Thore publi- 
zirten Regulativd von allen in der Stabt und vor den Thoren 
wohnenden Kindern des Eivilftandes, fowie nach Vorfchrift einer 
Verfügung vom 9. Februar 1785 von den Kindern aller bei ber 
herzogl. Leibgarde dienenden Väter befucht werben. Indeſſen ſollte 
diefe letztere Verfügung auf diejenigen Kinder, deren Eltern vor 
dem Erfurter Thore wohnten, ſowie auf Diefenigen Soldatenfinder, 
ne die Garniſonsſchule befuchen muften, feine Anwendung er: 

en. 


Sin der 4. Klaſſe des Gymnafiumd wurben wöchentlich 30 
Unterrichtsftunden erteilt, in denen man folgende Gegenftänbe be- 
handelte: Chriſtliche Religionslehre 6 St., Geſchichte 2 St., Geo⸗ 
Happie 1 St., Naturgefchichte 1 St., die Grundbegriffe ber Meß⸗ 

ſt, Mechanik, Phyſik und Oekonomie 2 St., Rechnen 2 St., 
Hreiben 8 St., Singen nad der Scala 1 St., deutſch und 


— 252 — 


Iateinifch Iefen 2 St., lateiniſch decliniren und conjugiren IS /. 
Iateinifhe Grammatif 4 St., fonftige Uebungen im Latein 2 & 
griechifch Iefen und decliniren 1 St. 

Sn der 5. Klaſſe wurden die Knaben im Katechismus, m 
Lefen, im Auffchlagen biblifcher Stellen, im Singen der Gen: PT 
buch8lieder fowie im Rechnen und Schreiben unterrichtet. I- 

Die Lectionen der 6. Klaffe waren: Leſen, Katechismus Ir 
thers, biblifche Geſchichte, Erdbeſchreibung und Hebung im „Kuren J 
Begriff.“ 

In der 7. Klaſſe wurden wöchentlich gelehrt: 8 Stuntn J 
Buchftabenfenntnis, Syllabiren, Leſen, 2 St. Buchftabiren vorge 
fagter Wörter, 2 St. Kopfrechnen, Numeriren und Addiren an 
der Tafel, 2 St. Schreiben, Grundftriche und Buchftaben, 6 Et. 
Herfagung und Erklärung der vorgefchriebenen Stüde des Leer f 
buchs, 2 St. Erklärung angefchriebener Wörter, 2 St. Unterridt 
in den vorzüglichften Dingen der Naturgefchichte und Geographie, 
2 St. Grzälung moraliicher Gefchichtcyen und Unterredung barübe. # 
| In der obern QTöchterfchule waren die Lectionen dieſelben J 
wie in der 5. Klaſſe. 

In der untern Töchterfchule wurde gelehrt: 6 St. Buch 
ftabenfenntnig und Syllabiren, 6 St. Leſen mit deutfchen mn 
lateinifhen Lettern, 4 St. die vorgefchriebene Lection zu erklären,  —i 
anzufagen und abzufragen, 2 St. angefchriebene Wörter zu erfl& }: 
ren, 2 St. Buchftabiren vorgefagter Wörter, 2 St. Schreiben, 
2 St. Zalenkenntnis, Rechnen an der Tafel und aus dem Kopf, | 
2 St. Erzälung moralifcher Gefchicktchen und Erklärung darüben 

Auch das Privatfchulmefen in Gotha wurde i. %. 1784 dıml ix 
ein „Reglement in Anfehung der Privat- oder fog. Winkeljhula 
der Stadt Gotha (10. Mai 1784)" zum erſten Male gereadlt‘) 
Es beftanden nemlich damald in Gotha elf fogen. Winfeljhule 
weldye unter gar feiner Aufſicht ftanden und großenteild ve 
unberufenen, unfähigen Menſchen geleitet wurden. Die unkm 
Lehrer des Gymnafiums führten daher Befchwerde, daß ide 


















*) Das zunächſt Folgende ift nach der Biographie Ernft II. von Dr. Re 
S. 186 u. ff. mitgeteilt. | | 


— 263 — - 


durch diefe Winfelfehulen viele Schüler, fowie ein Teil ihrer Ein- 
fünfte entzogen würden, und baten, gegen die Winkelſchulen einzus 
Ichreiten. Daher erließ der Herzog unter dem 10. Mai 1784 ein 
befonderes Reglement, nach weldem in Zukunft nur 6 wirflid 
examinirte Predigtamts- Kandidaten als Privatijchullehrer in der 
Stadt geduldet werden follten. Keine dieſer Winkelſchnlen follte 
mehr ald 30 Kinder aufnehmen dürfen und die Aufficht über Die- 
ſelben follte der jedesmalige Generalfuperintendent führen. 

Als eine weſentliche Verbeßerung der untern Stadtfchulen 
founte die am 20. April 1792 anbefohlene Bejegung der Lehrer: 
Hellen au den untern Knabenſchulen, jobald fie zur Erledigung 
famen, mit 2 Kandidaten des Prebigtamtd gegen die damit vers 
bundenen Bejoldungsftüde zu gleichen Teilen angejehen werden. 
Vorher war nemlidy nur ein Lehrer gewefen, der den ganzen Tag 
allein unterrichtete. 

Der Kandidat und nachmalige Pfarrer, Georg Heinrich 
Kirften, hatte am 1. Juli 1791 ein Erziehungsinftitut für Kinder, 
die zur Aufnahme in das Gymnaſium noch zu jung waren, ge 
gründet und fich in dieſer Abjicht mit noch ſechs anderen Lehrern 
verbunden. Die Anftalt hatte den Zwed, nicht blos Unterricht zu 
erteilen, ſondern fie gewährte aud) einen Vorteil, den Die öffent 
liche Stadtſchule nie gewähren fann, nemlid) den, daß die Kinder 
den ganzen Tag unter einer beftändigen Aufſicht, jelbft bei ihren 
Erholungen und Spielen, erhalten wurden. Die Idee fand bei 
dem Publicum großen Anklang, und gar bald wufte fich Diefe 
Privatanftalt einen ſolchen Ruf zu verfchaffen, daß ihr eine große 
Anzal Kinder anvertraut wurde. Kirſten bat um Begünftigung 
lines Unternehmens (1791), und ber Herzog ſagte ihm nicht 
alein diefelbe zu, ſondern unterftügte es auch durch eine Verwil- 
gung von 8 Klaftern Holz und 150 Thlr. Geld alljährlid. Zu: 
Bleich jollte der jedesmalige Generalfuperintendent bei den allge: 
meinen jährlichen Bifitationen des Gymnaſiums und der übrigen 

Stadhſchulen auch diefe Auſtalt beſuchen und über fie die Aufficht 
führen, Indeßen fo viel nun auch durch Herzog Eruft zur Hebung 
des Volksunterrichtes geſchah, ſo traten an den Schulen doch noch 
NET neue Mängel hervor, deren Abſtellung notwendig war. Bei 


— 254 — 


den angeftellten Sjufpectionen der Schulen ergab es ſich nem 
daß die Kinder der ärmeren Klafjen die Schulen entweder 
nicht, ober doch nur unregelmäßig bejuchten. Wurden auf 
mahnungen und Strafen bei den Kindern angewandt, fo wo 
dDiefelben doch gewöhnlich erfolglos, und härtere Beſtrafung 
Eltern, etwa mit Gelbbußen, war wegen bitlterer Armut 
Meiften faum anwendbar und hatte nicht felten für ben Lech 
ber feiner Pflicht durch Anzeige der Schulverfäumnifie nachgek 
men war, die unangenehmften Folgen. Sa ‘in den meiften 4 
würde die Anwendung von Strafen ald die rüdfichtölofefte Hı 
erſchienen fein, weil die Eltern nachwielen, daß ihre Kinder ih 
zum Erwerbe ihres Unterhalted wirklich unentbehrlich waren. 
Um daher das Intereſſe hülfsbebürftiger Eltern mit bem 
Schule möglihft in Einklang zu bringen, brachte der Gene 
. fuperintendent Löffler am 16. October 1798 in einer Sigung 
berzoglichen Armencommifflon die Errichtung einer Arbeits- und | 
werbsſchule in Vorſchlag, in welcher die armen Kinder nicht nur 
entgeltlich unterrichtet, fondern auch nach Erledigung des Unterri 
zu Arbeiten angeführt wurden, deren Ertrag den Kindern und de 
Eltern zu Gute Täme. Bei einer folchen Einrichtung falle n 
nur der gewöhnliche und wichtigfte Grund der Schulverjäumm 
daß nemlich die Kinder etwas zu Haufe verdienen müften, hinn 
fondern e8 würde auch dem müßigen Umherlaufen, ber Bett 
und dem Stehlen der Kinder nach den Schulftunden am ficher 
vorgebeugt, indem ſie alsdann den ganzen Tag unter Aufl 
fänden und zu einer regelmäßigen Arbeitfamfeit angehalten würt 
Die herzogliche Armencommiffion exrflärte ſich jogleich bereit, Al 
was die Kräfte der Almofencafje nur irgend erlauben würden, 
Vergnügen beitragen zu wollen, um eine jo gemeinnüßige Sc 
ausführen zu helfen. Vom Oberconfiftorium beauftragt, die € 
werfung eines Planes zu einer Arbeitsſchule zu fertigen, überrei 
Löffler einen folhen am 12. Februar 1799 zur Prüfung und ı 
teren Entſchließung. Nach gehöriger Beratung warb berjelbe v 
Herzoge, wie Dies von feiner landespäterlichen Befinnung ni 
anderd zu erwarten war, mit großem Wolgefallen aufgene 
men und am 25. April 1800 durchgehends genehmigt. Dal 


— 255 — 


ib der Herzog der Schule den Namen einer Freiſchule und er⸗ 
‚Arte zugleich feine Bereitwilligfeit, Diejenigen Koften, welche ſowol 
ur erften Einrichtung ald auch zur ferneren dauerhaften Erhaltung 
iner fo nützlichen Anftalt nötig waren, infoweit die Kräfte Der 
Umojenkaffe nicht ausreichen würden, felbft beftreiten zu wollen, 
5 verwilligte auch fogleih für jeden der beiden anzuftellenden 
tehrer ein jährliches Deputat von A Klaftern Holz, 3 Maltern 
torn und 3 Maltern Gerfte, und um fowol die nad) dem Plane 
uf 58 Thlr. jährlich ausgeworfene baare Beſoldung eines jeden 
ver beiden anzuftellenden Lehrer, ald auch Die für die erfte Eins 
ihtung des Inſtituts nötigen Koften beftreiten zu können, ließ er 
tejenigen 400 Thlr., welche der Commiſſionsrath Gttinger für bie 
Frlaubnid zu Haltung zweier Bücherlotterien zu zalen hatte, abs 
eben. Sodann beflimmte er der Anftalt ald fortbauernde Ein- 
thme die Ueberſchüße von Den Gonceffionsgeldern der Klafjenlot- 
erien, welche Damals 160 Thlr. 16 Sgr. betrugen, in ber Folge 
ber bedeutend fliegen. Es follten diefelben zur Anfammlung eines 
Sapitaled dienen, wovon in der Folge die Koften beftritten werben 
Önnten. Später bei der Vermählung des Erbprinzen Auguft 
henkte der Herzog Ernſt zu einer befondern milden Kaffe für die 
reifchule 500 Thle. Nach fo bereitwillig dargebotenen Unter- 
ügungen wurbe bie Freifchule am 20. Mai 1800 in dem vom 
tadtrate dazu bergegebenen Werkhaufe am Neunarkte (wo zus 
eich auch der erfte Lehrer eine freie Wohnung erhalten follte) 
tex ihrem erften Lehrer, dem Candidaten und nachmaligen Pfar- 
zu Tüttleben, Ortlieb, mit 16 Kindern eröffnet, 
Für den Schulunterricht und für Die Arbeiten der Kinder 
Ten zwei gejonderte Säle angewiejen. Sjm Sommer vom 1. April 
zum legten September verfammelten fich Die Kinder Morgens 
7, im Winter um 8 Uhr und blieben bis 11 Uhr zufammen. 
chmittags dauerte die Schule von 1 bis 6 Uhr. Alle Schul- 
Der waren in 2 Klaffen geteilt, von denen. die eine in dem 
Beitöfanle arbeitete, während die andere im Lehrſaale Unterricht 
tel, Die Unterrichtögegenftände waren wie in allen Volks⸗ 
iz len Glaubens und Sittenlehre, Lefen, Schreiben, Rechnen, ein 
ırig Geographie, Beſchreibung des menfchlichen Körperd und 





— 26 — 


andere gemeinnüßliche Dinge. Sonntage um 11 Uhr verjammel; 
ten fich die Kinder zu einer Erbauungsftunde. Zur Erteilung deg 
Unterricht waren zwei Lehrer angeftellt, ein Oberlehrer und e— 
Unterlehrer. Der Gritere, der in dem Schulhauje feine Wohnu — 
batte, erteilte den Hauptunterricht und beauflichtigte dag garr, 
Inftitut, der Zweite erteilte den Glementarunterriht im Leer, 
Schreiben und Rechnen. In dem Arbeitsfaale war ein Werfnieifzer 
angeftellt, der die Kinder zu ihren Arbeiten anwies, ihnen das 
nötige Material reichte, die gefertigten Arbeiten annahm und ben 
Arbeitslohn auszalte. Die Menge der Schüler machte ſehr bald 
die Anftellung eined zweiten Werkmeiſters nötig. Die Arbeiten, 
mit denen die Kinder befchäftigt wurden, waren hauptfächlid Spin 
nen von Flachs, Wolle, Baumwolle, Ziegenhaaren, rein oder mit 
Wolle gemifſcht, Striden von Strümpfen und GStiefeln, Flechten 
von Haarjchuhen und Bandmacen. Es fam vor, daß fich arkeit- 
fame Kinder wöchentlich 12 — 16 Ggr. verdienten. Die Zal der 
in diefe Schule aufzunehmenden Kinder war Anfangs auf era 
60 berechnet, aber ſchon im Jahr 1802 umfafte die Schule fat 
100 Schüler. Der Eintritt in die Anftalt war übrigens nicht je 
dem Kinde gejtattet. Ohne Weitered wurden nur Diejenigen Kir 
der aufgenommen, weldye ihrer befannten Armut halber aus ber 
Almoſenkaſſe Unterftügung erhielten, außerdem alle diejenigen, 
deren Armut für die Vorfteher der Armut motorische Thatſache 
war. Jusbeſondere jollten alle diejenigen Kinder dieſer Schule 
zugewiefen werben, weldye unter dem gegründeten oder angebliden 
Grunde der Armut die öffentlidhen Schulen verfäumten und von 
der Polizei auf den Straßen beim Betteln betroffen wurden. 
Außerdem durften ſich auch andere Kinder, welche ſich Durch einen 
vorgezeigten Schein über ihren regelmäßigen Beſuch einer der dr 
fentlihyen Schulen auszumeifen vermochten, nah Endigung ihrer 
Schulſtunden in der Anftalt einfinden, um an den Arbeiten in der 
jelben Teil zu nehmen. Die Aufficht über die ganze Anftalt führtt 
eine bejondere Deputation des Dberconfiftoriums und der Almo⸗ 
fencommifjion, zu denen jpäterhin noch ein Stadtgeiftlider md 
einige Glieder des Stadtrated und der Bürgerſchaft hinzukamen. 


———— — — — NEN 


Ibn 






a a DE Van ; 





— 257 — 


Für den Unterriht der Soldatenfinder beftand ſchon ſeit 
längerer Beit in Gotha eine bejondre Garnifonsschule. Bis zum 
Sabre 1715 wurde Diefelbe in den Barafen in einer Dazu einge⸗ 
rigteten Stube gehalten. Erft in diefem Jahre (1715) wurde 
für die Garnifonsfchule ein bejonderes auf dem Walle zwifchen 
dem Brühler- und Erfurter Thore gelegened Gebäude hergegeben. 
Im Jahre 1721 wurde die Schule, als ſich die Zahl der Knaben 
auf 61, Die der Mädchen auf 62 erhöht hatte, in zwei Schulen 
abgeteilt. Gegen dad Ende des 18. Jahrhunderts umfaften dieſe 
beiden Schulen 4 Klaffen. | 

Sin der erften und zweiten Klaffe, welche, ſowie die andere 
Säule von Knaben und Mädchen befucht wurden, unterrichtete 
der Hofcantor,, in der dritten und vierten Klaffe der Garnifons- 
cantor, und zwar im Sommer Vormittags von 7 bi8 9 Uhr, im 
Winter von 8 bis 10 Uhr, und Nachmittags zu allen Jahreszeiten 
bon 12 bis 2 Uhr. In der Erndtezeit wurde 6 Wochen hindurch 
nur jeden Montag Vormittag Schule gehalten. Das jährliche 
Examen hielt im Frühjahr der Superintendent in Gegenwart eines 
Mitgliedes des Kriegscolegiums, eines Stabsoffiziers und bes 
Garniſonspredigers, welcher Letztere mit der fpeciellen Beauffichti- 
gung der Schule beauftragt war. Nach Beendigung des Examens 
erhielt jedes Schulfind (vermöge landesherrlichen Reſcripts vom 
25. September 1725) aus der Kriegskaſſe einen Grofchen, jeder 
Lehrer zwei Thaler und der Garniſonsprediger ſechs Thaler. Auch 
wurden den Schulkindern aus der Krigskaſſe ABC- und Leſebücher, 
neue Teftamente, Tinte und Papier angejchafft. 

Für die Vorftadt vor dem Erfurter Thor beftand feit 1734 
eine Sculanftalt, welche von allen Kindern, deren Eltern in dieſer 
Vorſtadt wohnten und nicht zur Garniſonsgemeinde gehörten, beſucht 
werden mufte. — In ben übrigen Städten und größeren Fleden 
des Landes hatten von Alters her lateiniſche Schulanſtalten be: 
ſtanden, die indeſſen fpäterhin faſt ſämmtlich in einfache Buͤrger⸗ 
chulen umgewandelt worden waren. In der Stadt Waltershauſen 
war dieſes im Jahre 1784 geſchehen. Früherhin hatte man hier 
Latein und Griechiſch gelehrt; ſeit 1784 wurde nur in ber 
Religten, im Lefen, Rechnen und Schreiben, in Geographie, Ge 

Depp Vollsſchulweſen, 2. a | 


— 258 — 


fhichte, Naturlehre und in ten Anfangsgründen der Geomet 
Arithmetik und Technologie Unterricht erteilt. Eine ähnliche U 
geftaltung war i. 5. 1785 mit der Schule zu Themar vorgen 


men: Der Unterricht in der griechiſchen Sprache war ganz befek7j, 
und der in der lateinischen Sprache war von 8 Stunden auf 4 
Stunden reducirt worden, in melden weiter Nichts als lateiniſq 
Lefen und Schreiben, Decliniren und Gonjugiren gelehrt werden 

durfte. Diejenigen Schüler, weldye den lateinifchen Unterricht nit 

bejuchen wollten, wurden in den betreffenden Stunden mit Schreib 

übungen bejchäftigt. Die übrigen A Stunden, weldye früher für 

den lateinifchen Unterricht beſtimmt waren, wurden jeßt zur Uebung 

der Schüler im Anfertigen von Aufjäßen und Briefen, fowie zum 

Geſchichtsunterricht verwendet. 

In den meilten größeren Ortichaften waren die Schulen 
ähnlich eingerichtet, wie 3. B. zu Tonna. Diefelbe wird in fol: 
gender Weiſe beichrieben: „In den Schulen arbeiten 4 Lehrer. 
Der Diaconus unterrichtet als Rector scholae in 8 Stunden 
wöchentlich die 3. und 4. Klaſſe der Knaben. Die Lectionen fnb: | 


Katechetiiche Erklaͤrung der für alle 4 Klafjen vorgefchriebenen | 
Monatslection, Daß fie mit jedem Monat geendigt wird, biblide 


und Religionsgeſchichte, Aufjagen und Aufichlagen der Bibel, Leſen 
auserleſener Stellen der Bibel mit curjorifcher Erklärung derſelben, 
Lejen und Grflären des Evangelii oder der Epiftel, ein Jahr umt 
das audere jedes, lateiniſch Leſen, technijche Wörter, welde wo 
möglich in Hinficht auf Die an dem Tage eben vorkfommenden Ras 
terien von der Erdbeſchreibung, der bürgerlichen und Religionsge⸗ 
ſchichte, aus dem Voigtiſchen Lehrbuche, dem Kalender oder best 
Landesgefegen gewählt, an die Tafel gefchrieben und von dess 
Kindern in ein bejonderes Büchlein eingetragen werben mühts, 
das für tie Kinder Jutereſſanteſte aus der natürlichen und polit> 
Ihen Erdbejchreibung eines Landes, in Verbindung mit der jepigens® 
Geſchichte defjelben und den Nötigiten aus der vergangenen Zi8- 
Das Vaterland wird umftändlicher behandelt; Gorrectur der voTt 
ben- Katechumenen zu Haufe verfertigten Aufjäße; Grflärung te? 
Voigtiſchen Lehrbuchs und der Meßkunft, des Kalenders, oder inet 
Landesgeſetzes, beſonders eines eben erjchienenen oder eines VON 


4 
i 


\ 





— 289 — 


ältern vorzüglich intereflauteften Geſetzen. Der Cantor unter: 
fet eben dieſe Klafje in den übrigen im Schul: Methodo und 
onderd in der neuen Anweilung für. die Schuldiener vom 
‚, September 1788 vorgejchriebenen Punkten, und nad ſolchen 
den Rector und Gantor entworfenen Schultabelle; ber Kirch⸗ 
t die erfte Klaſſe der Mägdlein und der Organift bie zweite 
d dritte Klaſſe der Knaben und Mägplein.” — „In den ältern 
iten verſah eine Weibsperſon, und zwar des Organiften Ehefrau 
: Mägdlein- Schule. Nachdem aber diefed zu manchen Unbes 
emlichfeiten Gelegenheit gab, jo wurbe dieſes Geſchaͤft zuvoͤrderſt 
jer ledigen Mannsperſon im Orte Namens Nicol Schäfern an- 
ttraut, bis endlich dieſe Juformation von einem beftellten Mägd⸗ 
nihuldiener wieder verjehen werden konnte“ *). 


. mm LAT NT 


Die neue Periode des Gothaiſchen Volksſchulweſens, weldye 
t ber Gründung des Schullehrerfeminard begann, war zunächft 
demjenigen Wanne repräfentirt, der als der eigentliche Schöpfer 
' Seminard anzufehn ift, nemlich in dem Landichuleninfpector 
bann GErnſt Chriſtian Haun, der fi) des Gegenſatzes feiner 
faßung der Volksſchule zu der in dem Schulmethobus Ernſts 
zgeſprochenen Beilimmung der Schule fo vollfommen bemwuft 
r, Daß fich derſelbe veranlaft ſah, an der Stelle des alten einen 
en, von ihm auögearbeiteten Schulmethodus ald Grundlage 
«8 neuen Schulweſens aufzuftellen. In dem Vorwort dieſes 
ort näher zu charafterifirenden „neuen Methodus“ erzält Haun 
BR: 


aus ihm i. 3. 1779 die Einrichtung eines „Schuldienerfe 
nars“ und einige Beit nachher das infpectorat über alle Go— 
niſchen Landſchulen übertragen wurde, fuchte er fi) vor Allem 
Frage zu beantworten, „was für allgemeine Kenntniſſe 
d)Geſchicklichkeiten find einem Bürger des Staats 
möten; wie weit müßen und Eönnen fie demjelben in öffentlichen 

— — 
) Gelbke, Kirchen und Schulverfaßuug, Zeil U. Bd. 2. ©. 442 
17° 


— 260 — 


Schulen beigebracht und vorbereitet werden; was möchten wol dE 
Wege fein, auf welchen ſolches am eheſten, leichteſten und bez 
bewirkt werden Fönnte?” Haun mufte hierbei fein Hauptaugenmeurf 
zuuachſt auf den Echulmethodus Ernſts des Frommen richten, der 
nody immer gefegliche Geltung hatte. Während Daher Haun ferne 
jährlichen Schulvifitationen anzuftellen beganu, machte fih dere 
zugleich mit dem alten Schulmethodus (den man längft nicht meh x 
berüdfichtigt und gelefen batte,) befannt, wobei fih Haun über- 
zeugte, daß der Schulmethodus „nie ganz zur Ausführung gebradpt 
und noch weniger nach feiner Tendenz fortgeführt worden, da ® 
gar mandes darin Enthaltene niht mehr zudem 
neueren Ginfidhten paſſe, — fur, daß in Öemäßpher t 
ber Umftände nichts ſchicklicheres und beilfameres zu thun wire, 

als nah dem Beifte derfelben ihn auf Deu neuere m 
Wegen zu entwideln, und ohne Geräufh und noch werget 
mit gänzlicher Ummälzung der vorhandenen Ordnung ihn feineum 
Biele entgegen zu führen.“ 

Die Landesregierung genehmigte aldbald die Reformen, weldiipt 
Haun infolge deflen beantragte, weshalb letzterer bis zum Ablau Ft 
des Jahrhunderts eine große Anzal von Schulen nad feinen ef 
über Schuleinrichtung und Lehrmethode umgeftalten konnte. Nach⸗ 
dem fomit die Schulreform Hinlänglich gefichert war, entwarf 
Haun eine ausführlihe Beſchreibung und Begründung berjelbert, 
welche er unter dem Titel veröffentlichte: 

„Allgemeiner Schul-Methodus ober praktiſhe 
Anweifung für Aufſeher und Lehrer niederer Schulen je 
der Art, wie au für Privatlehrer zur leichteren und 
nüglicheren Führung ihres Amtes nad) den mancherlei 
Verrichtungen defjelben in Verbindung mit genau darſtel⸗ 
enden Tabellen entworfen von Johann Ernſt Chriftiast 
Haun, Landſchulen-Inſpector, erfter Lehrer des Schul⸗ 
meifterjeminars, wie auch GtiftSprebiger zu Gotha. — 
— Erfurt 1801.” (340 SS. in 8°.) 

Ueber den Inhalt feiner Schrift fagt Haun im Vorwort: „Die 
Beichreibung der Methoden, nach welchen die hiefigen Säulen 


— 261 — 


groͤſtenteils unterrichtet werben, macht den Anhalt dieſes 
dus aus, den ich hierdurch öffentlich bekannt mache.” 
In welchem Sinne und Geifte die neue Schuleinrichtung 
ührt war, erhellt fchon aus dem, was er in dem neuen Me 
über die nötige Dualification des Schullehrers vorfchreibt. 
rd nemlih (S. 13) gefordert, „daß ſolcher einen gefitteten 
ommen Wandel führe, einen guten Verftand, Gegenwart 
eiftes, einen fanften aber dabei thätigen und gejeßten Cha⸗ 
und was das Vorzüglichfte ift, Die Lehr: und Katechi— 
be befiße; daß er eine genaue Bekanntſchaft mit dem ein- 
en Schul: Methodo, gehörige Einficht in die Neligion und 
ih in die Sittenlehre babe; daß er Gedrucktes und Ge 
ned gut und richtig leſen, wo nicht fchön, doch leſerlich 
n, fertig aus dem Kopf und auf Dem Papier rechnen könne, 
was von der Meßkunſt, und wo ed nötig if, Mufit 
e, und die in feinem Amte und in feinen Verhältniffen vor⸗ 
ıden Auffäge verfertigen Eönne; daß er einige Wißenjchaft 
r Erd: und Sternfunde, von Handwerfen, Künften, dem 
|, ber Naturlehre, der Natur», BVölfer: und Religiondge- 
babe und vorzüglich theoretiſche und praftifche Keuntniffe 
m Feld-, Hopfen: und Gartenbau, der Seidenwürmer- und 
pflege, der Viehzucht u. dgl. befige.” Dagegen follte ber 
ehrer „mit einer hinreichenden Befoldung verfehn und von 
erniedrigenden Gejchäft, 3. B. dem Glodenläuten, dem Eins 
‚ einzelner Befoldungsftüde, dem Hochzeitbitten“ u. dergl. 
fein. — Gigentümlih waren die Mittel, welche zur Er⸗ 
; der LXehrerbejoldungen empfohlen waren, nemlich „Hopfenz, 
: and Honigbau, Baum- und Gemüfezudht ſammt dem 
eihbandel, die Behandlung einiger Weder nach Gartenart, 
iner Handel, bejonderd mit Schreibmaterialien, auch mit 
wiemen zum Scärfen der Feder- und Rafiermeßer, und dem 
en biefer ſelbſt; Bücherbinden oder Heften, Papparbeiten, 
‚piren von Noten und anderen Schriften, Verfertigung von 
efen, Unterricht in der Mufif u. dergl.” Auch war es als 
iglich empfohlen, „wenn an einem Orte mehrere Handwerker 
olche Perſonen ſich befänden, weldye einmal einen Kleinen 


— 262 — 


Handel treiben, die Jagd, die Gaͤrtnerei u. ſ. w. erlernen wollten, 
und der Schullehrer den in der Schule erhaltnen oder auch ver: 
abjäumten Unterricht im Schreiben, Rechnen, in der Technologie 
u. f. w. — mit denfelben in Privatitunden fortzufeßen fi be 
ſtrebte.“ Außerdem galt es aber audy (wenn dieſe Erwerbsquellen 
nicht ermöglicht werben konnten,) als zuläßig, daß der Schuldienft 
gradezu „einem dazu geſchickten Handwerksmann, einem Buchbin⸗ 
der, einem Schneider, Weber, Uhrmacher, Knopfmacher u. dergl. 
anvertraut werde!” 

In Uebereinftimmung mit diefer Auffaßung bes Boltsfchuls 
lehreramte® wurde unter der Schulerziehung (S. 49) „pie 
jenige Behandlungsart der Kinder verftanden, durch welche fie zu 
guten Bejinnungen und Handlungsweifen Hingeleitet 
werben,” — mit der näheren &rläuterung: „Das Gute, zu wel 
hem die Schulkinder angeführt werben follen, tft Luft zur Schule, 
Stille in derjelben, Fleiß und Ordnung in ihren Geſchäften, Ach 
tung, Liebe und Folgfamfeit gegen den Lehrer, Liebe und Ber 
träglichfeit gegen die Mitjchüler, Beobachtung der Geſetze, fon, 
überhaupt jede gute Geſinnung und Handlungsart.“ i 

Im Allgemeinen war für alle Landichulen folgender woche/ 
liche Lectionsplan aufgeſtellt: 





Montag Dinstag Mittwoch 


—— — — — ——— — ——— 


Bormittage. 


























1) €. IH. IV. Wiederbo- 


lung einer Monatslection 
2) Gu. III. IV. Sections |), ud IV. Yuffagen 


aufgabe oder Uebung im], . 

1. |Brieflegen und Eiegeln — uͤ a in 
mit den Katecyumenen. Brieflegen und Eicgeln 
während der Erlernung des it den Katechumenen u 
Monatsliedes, indeflen die * 
andern Kinder ihre Lection] " 
lefen und lernen. 


Wie Dinstage. 





EL I, wen fie fon 
zugegen ift, wird mitunter 
im Eyllabiren aus dem 
Kopfe geübt, und EL II. . 
wenn fie ſchon da iſt. bereitet * A 1 mit aber, 
ſich auf ihre Lection vor |. ugchlofe Sandarbeit 8 
1) €. IV. Wiederholung] imten oder lefen tem ver. 
ber Predigt u. Gorrechurly, GL TIL. rechnet an der dadie. | 

96 IV d Tafel. 5 IM. IV. —— 
=) SI. IV. rechnet am beriz) GL. IV, rechuet im Buche Rechnen aus dem opfe. 


Zafel u. ſ. f. 
3) Cl. III rechnet im 
Buche oder auf einer 


1) Cl. TV. Galender oder 


1) EL III. IV. Ertl 
rung und Leſen einer 
Rection in der Enchelo- 






TI. 





nad Boridriften. nah Borfchriften. 

2) CI. J. 11. Auffagen einer?) EI 1. II. Auffagen der 
Monutslection. Rection, 

3) €. I. oder I. Eyfla-)3) Gl. I. oder II. Sylla- 
biren der an der Xafelibiren der an der Tafel 
fiebenden Wörter und Er-Iftehenden Wörter u. Er- 
Härung derfelben. klärung derfelben. 

4) &L UL IV. trägt dielt) Ei. III. IV. trägt die 
on der Tafel ertlärtenian der Tafel erklärten 
BVörter in ihre Büchelchen Wörter in ihre Büchelchen 


T 
u Nie Dinstags. 


n. ein. 

3) €. I. lernt in der erften>) Cl. I. Iernt in der erften 
eit einen Buchſtaben und|3eit einen Buchftaben und 
fylabirt aus dem Kopfe.liyllabirt aus dem Kopfe, 
in der Folge aber im Buche.lin der Folge aber ım Bude, 







Freitag Sonn: 





Donnerstag 


wqung 


Bormittags. 


, 41) El. IM. 
fagen der u 

\ a: 2) &. I. 
Wie Dinstags. Wie Dinstags. holung derð 
3) Aufgabe 

wu 


aan — — 


rer 1) EL IV. Auffagen, Auf- 
unb Feligionsgeicigte m fchlagen und Lefen in derjl) El. II. 


; Bibel oder im Leſebuche. des Evangel 
Lefen in der Bibel oderlo, GL TIL Xefen im Refe-/Epiftel ode 

n. Landcharten. buche. fangbuche. 
Zedr V. rechnet an Derig, GL. II. rechnet an deri2) CL. I. 


\ LCafel. tiſches Rechn 
3) El. IM. rechnet im, GL IV. rechnet imſRtopfe. 
Bude. Bude 


1) Cl IM. 
nach Vorſchr 
2) €. 1. ] 
der Tages- 
lection. 

3) Cl. I. od 
biren der aı 
ftehenden W 
tlärung derfi 
des mit ihnen 
menden Lan 
4) &. IM. 1 
an der Xal 
Wörter in 

den ein. 

5) EL. LI 
erften Zeit. 
ftaben u. folla 
Ropfe, in der 
im Bude. 





u. Wie Dinstags. Wie Dinstags. 












Montag Dinstag Nittmod 





Rachmittags. 

1) Cl III. IV. Leſen im Leſebuche. 

2) Cl. III. fchreibt. 

3) EL IV. ſchreibt. die dom 1. - 
Sabre nad) Vorfchriften, Die vom2. 

V. die vom 1.u. 2. Jahre Jahre nah Gedrudtem,, und 

nach Borichriften. die vom die übrigen etwas auswendig Vacat. 


lefen Gefcpriebenes ſowie 
chumenen dergleichen co- Gelerntes, das fie fi) wechſel 


bi TOR? itig corrigiren. 
ch im Federſchneiden üben. Iet 
N. fchreibt. 4) Cl. III. IV. Correctur. 


5) &. IV. Erklärung u. Ein- 
Il. IV. Correctur. tragung einiger techniſchen Wörter. 
IV. falls fie in der Schule 


siederholt die noch nicht 
mug gelernten Lectionen, 
erften Claſſe imBuchftaben- 
md Syllabiren und derjl) El. I. II. Auffagen der 
Claſſe im Schreiben bei. Lection. 

tatechumenen verfertigen 2) Cl. IL. II. »ectioneaufgobe. 


‚ der Tafel geübt. 





ıffäge. 3) ©. I. lernt Buchſtaben in] Vacat. 
. II. wiederholt nodhmals|Berbindung mit Zalen, buchſta 
natslection. birt, ſyllabirt oder lieſt. 


. 1. Lectionsaufgabe. 4) EL. II. lieſt. 
.lernt Buchſtaben in Ber- 
mit Balen, buchſtabirt, 
oder lieft. 
T. lieſt. 
IV. falls fiein der Schule 
viederholt die noch nicht 
ug erlerntenkectionen, fteht 
Slaffe imBuchftabenlernen 
yiren, und der zweiten@laffe 
ben bei. Die Katechumenen 
m eigene Aufſätze. 
. Schreiben und Eorrectur. 
Zalenkenntnis, Rumeriren 
afel bis in die Hunderte, 
5i8 100 dor- u. rüdmwärte. mie Montage, Vacat. 
n Aufſchlagen im ABC. 





: Il. lernt die 4 Spezies 

Kopfe, wobei befonders 
11 auch rüdwärts getrieben 
:4 mal 3 ift 12)u.numerirt 
afel biß in die Tauſende. 
Wiederholung der neu auf. 
n Lection. 





Donnerstag Freitag Sonnabend 


uaqung 





eb SSL zT Tu 


Rahmittage. 


1) &. IV. Die Katechu- 
menen fchreiben Dictirtes, 
das fie fih jelbft wechfel- 
feitig corrigiren, die vom 
1. Sabre nach Vorſchriften 
und die vom 2. und 3. 
1. Wie Montags Sabre nad) Gedrudtem. Varat. 


2) El. IV. Die Katechu- 
menen üben fi im Lefen 
fremder Hände. 

3) ©. DI. ſchreibt. 

4) €. II. und IV. 
ſchreibt. 





I Wie Dinstags. 





! 

| 
In. | Wie Möntapt. Wie Montags. Varat. 
ol 


— 267 — 


Diefem Lectionsplan war alfo eine Schuleinteilung von 4 
Lofien zu Grunde gelegt, wobei zugleich beftimmt war, baß ber 
>ehüler die El. L vom 5.—6. Jahre, El. IL vom 6.—7. Jahre, 
L[. OL vom 7.— 9. Jahre und EI. IV. vom 9.—13. Jahre be 
chen ſollte. Ratürlid war jedod nur in den wenigften Schulen 
rae folche Klafjeneinteilung möglich; Die meiften derſelben umfaften, 

nachdem die Schule ein höheres oder niedered Biel erreichen 
Ute, nur zwei, böchftend drei Claſſen. | 

Die methodologifchen Vorfchriften, welche in Betreff der Ber 
ındlung Der einzelnen Lehrgegenftände gegeben wurden, ließen 
n den Fortjchritten der neueren Erziekungswißenfchaften noch 
enig erfennen. Für den Unterricht im Leſen empfahl der neue 
dethodus (S. 118 ff.) folgendes Verfahren: „S.1. Nachdem ver 
Hrer einige Tage lang mit den Sincipienten über Materien, welche 
sen angenehm und befannt find, ſich in Unterredungen eingelaßen 
+, um fie zum Sprechen und zum BZutrauen gegen ihn zu ges 
Shnen, fo macht er mit dem auflöjfenden Buchſtabiren 
a8 dem Kopfe (ad Ba—n—d, Band, wo der Lehrer fi 
Den einzelnen Buchitaben, und zuleßt dad ganze Wort nachſagen 
R,) den Anfang, und benußt mit Dazu die eben au der Tafel 
Hhenden und von der 2. Claſſe vorbuchftabirten Wörter.” — 
5. 2. Mit der 2. Woche nimmt das Buchftabenlernen 
inen Anfang, wo der Lehrer die Sjncipienten in einem halben 
wid, in deren Mitte er jelbft ſteht, um die Tafel treten IAft, 
wien das A zu verſchiednen Malen recht deutlich in einem feinen 
on vorſagt, und von jedem Incipienten bis zur möglichen Voll; 
unmenheit nachjagen laͤſt.“ — ,„$. 3. Nach dieſer Hebung in 
ꝛx Ausſprache, wodurch der Buchſtabe in Anfehung des Gehörs 
ad der Zunge den Kindern bekannt und geläufig gemacht worden, 
hreibt der Lehrer das A in einer dem gebrudten ähnlichen Geftalt 
IT die Augen ber Kinder mehrmald an die Tafel, und nennt und 
ſchreibt zugleich bie Beftandteile, aus welchen er befteht, und 
ſt ſich diefelben mit wiederholter Ausfprache des A wieder bes 
reiben.“ — „$. 4. Nachdem folches genugſam geübt worden, 
Bt der Lehrer den Incipienten ſolches A in dem jogenannten 
2C, mo ein jeber Buchftabe bie ganze Querlinie hindurch wol 





— 268 — 


neun bis zehn mal abgedrudt ift, und lAft ihn beim Daraufzeig 
mit einem ftumpfen Griffel, der durch ein Band oder eine Schn 
an die Fibel befeftigt ift, jorgfältig nachiprechen, und in zwei a 
deren Alphabeten, von welden das eine in einer größeren, d 
andere in einer Fleineren Form, mit veränderter Ordnung d 
Buchſtaben, abgedrudt ift, aufjuchen.” — „$. 5. Am folgend, 
Tage wird das A wiederholt und die Zal 1 Hinzugefügt, um dir 
BZalenfenntnis Damit zu verbinden” — Nachdem in 
dieſer Weiſe alle Vocale eingeübt find, macht der Lehrer die Kin 
der mit den Konfonanten befannt und übt dieſelben, zunächft dad 
b mit den einzelnen Vocalen zufammenzufprechen. Auf diefe Wale 
wird überhaupt das Buchftabiren und das Syllabiren geübt, wer: 
auf die Hebung im Leſen mehrjilbiger Wörter folgt. „F. 27. Ar 
fänglich werden die mehrfilbigen Wörter, nach buchftabirten ſaͤmm— 
lihen Silben, wiederholt, als: Le, Le; fe, fe: buch, buch 
Leſebuch. Nach einiger hierin erlangter Fertigkeit aber, und je 
bald im Zufammenhang ftehende Wörter jyllabirt werben, fült 
auch diefes nachgeholte Ausfprechen des ganzen Wortes weg, und 
wird nur jede Silbe anfänglich laut, hernach aber ftill buchftahitt, 
Daß auf diefe Art das fertige Syllabiren and langfamt 
Lefen grenzt, und zu legterem den Uebergang macht, jo daß 
endlih das Syllabiren unnötig wird." — 

Auch Die Vorfchriften, welche (S. 156 ff.) in Betreff der 
„Mebung der Lörperlihen Sinne, der Verftandeskräfte und dr 
fittlichen Gefühle” gegeben wurden, waren bölzern und fchledt 
Beßer Dagegen waren die Anweifungen zur Erteilung des Unter 
richts im „Rechnen aus dem Kopf und an der Tafel“ (S. 219.) 
Der Unterricht im „Zälen aus dem Kopfe“ follte in der Weit 
begonnen werden, „daß der Lehrer 5 Bohnen oder andre Erst 
nicht wegrollende Körper auf den Tiſch legt, und fie den Inc 
pienten einigemal mit deutlicher Benennung der Zalen vorzält, — 
bis die Kleinen felbft folches zu verjuchen Luft befommen und F 
thun vermögen. Können fie die Bohnen zälen, fo müßen fie do 
Zaälen auch an den Fingern, an den Knöpfen ihrer Kleider, a 
den Fenfterjchetben u. |. w. fortfegen, und es zulegt ganz aus bei 
Kopfe, ohne Hülfe äußerer Körper, mit lauter und feiter Stims 


— 269 — 


ben” — „Sn jeder folgenden Woche wird ein Fortſchritt von 
> Balen gemacht.“ — — „Die Zalen felbft lernen die Kinder 
wf folgende Art kennen: Haben fie an einem Tage das 4 erlernt, 
jo ſchreibt es der Lehrer am naͤchſten Tage an einen beftimmten 
Ort hin, wo er und jeder der folgenden Buchftaben bis zum Ende 
des Schuljahres ungeftört ftehen bleiben kann, feßt daneben die 1, 
und jagt dabei, indem er auf Die 1 weift: Sehet, lieben Kinder, 
Ginen Buchftaben habt ihr nun gelernt, und zeigt ihnen bie 1 
au in der Fibel, im Verzeichniſſe der Zalen und auf ber Seite 
1ſelbſt. WVerfährt er damit bei allen einfachen und zujammenges 
ieten Selbft- und Mitlautern, wie nicht weniger mit den großen 
Anfangsbuchftaben auf gleiche Art, — fo wird das Zaͤlen an der 
Tafel bis 100 fehr leicht bewirkt werden koönnen.“ 

Außerdem enthält der neue Methodus umftändliche Beleh⸗ 
tungen über den Unterricht in der Meßkunſt, in der Bibel und 
Religiondgefchichte, über Beckers Not- und Hülfsbüchlein, über bie 
Eandeögefege, über den Kalender, über Sonntags. und Induſtrie⸗ 
ſchulen, auch über den Unterricht in der lateinifchen Sprache, „ſo 
weit diefelbe in gewiſſen Verbältniffen zum bürgerlichen Leben im 
Etwas erforderlich iſt,“ u. ſ. w. 

Aus der nächftfolgenden Zeit ift nur noch zu erwähnen, daß 
die erfte Sonntagsſchule in Gotha durch den i. 3. 1805 verſtor⸗ 
benen Ratskaͤmmerer Dürfeld geftiftet wurde. In Ermangelung der 
nötigen Aufficht war die Schule in den Jahren 1806 bis 1811 fehr 
in Verfall gefommen. Indeſſen nahm fi i. 3. 1811 eine Freiin 
von Frankenberg der Sonntagsſchule an, indem fie für Diefelbe 
namentlich ein Kapital von 500 Thlr. Iegirte. Im J. 1821 über: 
nahm der Gewerböverein die Beauflichtigung und Leitung der 
Schule, wodurch dieſelbe erft zu rechtem Gedeihen kam. 

Anduftriefchulen wurden in Herzogtum Gotha jehr jpät, 
nemlich exft feit dem jahre 1834 zu Wölfis, Friedrichroda, Ohr⸗ 
druf und Ruhla eingerichtet. Der eigentliche Schöpfer derſelben 
Bar der Polizeirat Eberhard zu Gotha. 


— — — — — — 








na ITLGUYZIUNE n 2 UURERNT KU RW 
Intereſſe für das Volksſchulweſen zuerſt durch den Herz 
den Frommen zu Gotha erwedt, der nachdem er die 3 
in feinem eignen Lande neu begründet hatte, von 1654 
Fürforge au dem Waimarifchen Lande zuzumenden beg 
dem er dem. Herzog Wilhelm zu Weimar Abjchriften ( 
ihm in Betreff der Volksſchulen erlaßenen Verorbnungen 
und ihn erjuchte, dieſelben zur Herftellung einer „Gonfo— 
Kirhens und Schulfachen“ zu berüdfichtigen. Wllerbin 
Herzog Wilhelm (1662), ohne daß bei feinen Xebzeiter 
Volköjchule etwas gethan war. Seine vier Söhne jedod 
fi) in das Land teilten, und von denen der ältefte Sohn, © 
Ernft IL, für fih und Namens der Brüder die Regierun 
publizirten jchon i. %. 1664 eine Kirchenorduung , worin 
richtung eines geordneten Volksſchulweſens ganz in derfelb 
wie ed im Herzogtum Gotha gejchehn war, vorgezeichne 
Hier wie dort wurde die kirchliche Katechifation, De 
lihbe Gemeindeunterridht, den die Pfarrer in a 
meinden mit Alt und Yung anzuftellen hatten, als B 
Volksſchule geltend gemacht. — Es heiſt nemlich in der 
ordnung in Betreff des Fleinen Katechismus Qutheri: „De 
jelbige Sedermann gemein und wolbefannt werde, jollen | 
rer in Dörfern alle Sonntage nady Mittag den ganzen 


— 271 — 


Vorgefprohen wird, heimlich nachzufprechen und zu behalten.“ 


Zu bemfelben Zwede follte auf allen Dörfern allfonntäglic ein 

Katechismusexamen angeftellt und einen Sonntag um den andern 
dollte ein ganzes oder wenigftend ein halbes Hauptftüd des Ka⸗ 
techismus erflärt werden. Wer eine Gemeinde oder ein Kirchfpiel 
\o groß, daß der Pfarrer ohne Hülfe das Katechismusexamen 
wiht mit Allen vornehmen konnte, jo waren „die Schulmeifter 
oder Kirchner ihnen hierin Beiftand zu leiften ſchuldig.“ Auch 
war in der Kirchenorbnung vorgejchrieben: „Damit das Gefinde 
beten lernt, follen die Eltern etlihe Stunden in der Woche jelbft, 
beionderd aber, wenn fie vom Eßen gehen, oder ehe fie fi 
ihlafen legen, ihnen die Stüde des Katechismi vorfprechen, oder 
die es in der Schule gelernt, den Andern vorjprecdhen laßen.“ 
Außerdem war ed den Hausvätern zur Pflicht gemacht, „daß fie 
ihre Finder, Knaben und Mägdlein (da Maͤgdleinſchulen vors 
banden,) fleißig zur Echule halten, darin fie unter anderm auch 
den Katechismus für fi) auswendig lernen und denfelben hernach 
Andern auch vorlejen koͤnnen.“ 

Schon in früherer Zeit war ed im ganzen Lande Sitte ge 
worden, daß während der Yaftenzeit mit allen &emeindegliedern, 
namentli mit den Erwachſenen und Alten, ein Katechismus⸗ 
ezamen angeftellt wurde. Hin und wieder waren diefe Examina 
in Abgang gekommen, da dieſelben oft zu Nedereien Berans 
laßung gegeben hatten, und ältere Männer und Frauen es 
ſehr laͤſtig fanden, ſich öffentlich) prüfen zu laßen. In der Kirchen⸗ 
ordnung wurde jedoch Die Herftellung dieſes Faſtenexamens in allen 
Städten und Dörfern, wo dasſelbe in Abgang gefonmen ſei, auf 
dag ſtreugfte vorgejchrieben. In dem Kapitel „Won dem jährs 
lichen Univerjalegamen des Katechismi, fo in der Faften gehalten 

Bird “ wurden über die Einrichtung desjelben folgende Bors 
Ihriften gegeben: 

„Demnach wir und berichten lapen, daß das jährliche 
da ften examen bisher in etlichen Städten und Dörfern, mit 
Ko Fem Rachteil der Eingepfarrten, fonderlic der Jugend gaͤnz⸗ 

unterlaßen worden, jo ſoll binführo folche Fahrläßigfeit aller⸗ 
din g⸗ abgeſchafft werden, und befehlen darauf vor uns und unſere 


— 272 — 


freundlich geliebte Brüder L. L. 2b. ernftlih, daß in aller 
Städten, Flecken und Dörfern mit berühmten Examine cateche, 
tico unnahläßli verfahren, und folches um Feinerlei Urſacn 
wegen unterlagen werden ſolle. Damit auch eine gewilje Gleiwez 
beit aller Oerter fein möge, jo jol Hinfüro in allen Kiıdyer 
durchaus einerlei Ordnung nachfolgender Geftalt gehalten, arm 
diefelbe feineswegs , außerhalb einhelligem Bedenken und Verord- 
nung des Gonfiftorii, verändert werden, dadurch nicht allein 
allerhand Confuſion verhindert, fondern auch Männigliche, fon 
derlich des Gefindes Wolfahrt gefördert wird, damit dasſelbe, 
weil es nicht allezeit an einem Orte bleibt, fich deſto beßer in 
das Examen, wenn dasjelbe an einem Orte wie am andern gleid, 
förmig gehalten wird, Ichiden lerne. 

Erſtlich ſollen in den Städten die Superattendenten ober 
die Pfarrer und Adjuncti von dem Rat ein Verzeichnid der Bürger 
und Einwohner der Stadt fordern, wie Diefelbigen in vier Teile 
ausgeteilt worden , die ihnen auch jede Orts der Rat unweiger 
lich mitteilen fol. 

Zum Andern fol der Pfarrer auf den Sonntag Esto mil 
der Gemeine verfündigen, daß binfüro auf die Sonntage in der 
Faften nach der Mittagsprebigt mit dem allgemeinen Katechismus 
egamen dem Herkommen gemäß wiederum verfahren werben folk, 
deswegen fich Die eingepfarrten Hausväter und Hausmütter jamml 
ihren Kindern und Gefinde dazu jchiden und zu rechter Zeit eur 
ftellen würden. 

Zum dritten, damit aber folches mit guter Ordnung ge 
ſchehen möge, jollen diejelbigen nicht alle auf einen Sonnta), 
jondern wie jeder Stadt Bürger in ihr Vierteil ausgeteilet, 
alfo auch ein jedes Vierteil oder nach Gelegenheit ein Teil de 
jelben ordentlih und abfonderlich verhötet, die ganze Gemeinde 
aber alfo eingeteilt werden, damit das Examen zu rerhter Jet 
jeine Endſchaft erlange. Auf den Dörfern aber, da wenig Leute 
vorhanden, ift das Gramen, wenn ed einmal abfolvirt, zu wie 
derholen, und find Diejenigen, mit welchen zuvor der Anfang gr 
macht worden, hernach bis zum Ende zu verſparen, damit fe 
nicht allemal auf eine Frage verhoͤrt werden. 





— 273 — 


Zum Vierten, weil nidyt wenig von diefem Iixarnine abge: 
tedt, daß an etlidhen Orten die Kirchendiener das Volf, wenn 
nicht gleich auf alle Fragen antworten kann, bejonders Knechte 
d Mägde, mit harten Morten anfahren und vor dem Volke 
zmachen, desgleichen auch etliche Pfarrer und Stirchendiener zu 
iten hohe, und oftmals nicht allein den Jungen, jondern auch 
ı Alten ſelbſt unbekannte Kragen vorhalten, Darauf ihnen zu 
worten unmöglich, als follen die Superintendenten die Pfarrer 
den Städten und Dörfern eruftlidd vermahnen, daß fie, wie 
h droben lib. 1. c: 9 und in vorftchennem Kapitel $. 5 ver: 
net, dem Volk freundlich, väterlih, mit aller Sanftmut und 
Icheidenheit zujprechen, Damit fie nicht von Diefem heilfamen 
) bochnüßlichen Examine abgefchredt, ſondern eine herzlicye 
t und Freude dazı gewinnen, und Durch Die Eltern, Herren 
> Frauen defto leichter dazu angehalten werden mögen. 

Man fol auch dem Volke vornemlich die Fragen vorhalten, 
he in D. Luthers Katechismo und des Roſinus Büchlein bes 
fen, auch foldye noch ferner erklären und den rechten Verftand 
allem Fleiß beibringen, unnötige Fragen aber meiden. 

So aber Leute vorhanden, welche niemald zur Schule ges 
ten, und Die Auslegung des Katechismi nicht gelernt hätten, 
unter den Zaglöhnern und Banersvolfe dergleichen wol anges 
en werden Eöunen, jo follen viefelben doch gefragt werden, 
fie das Vater Unfer, den chriftlihen Glauben, Die zehn Ger 
e, die Worte der Einjegung der heiligen Taufe, Abjolution 
» des heiligen Abendmals wißen, wie joldye alle Sonn⸗ und Feier: 
e ihnen in der Kirche öffentlic) von dem Wolfe ausgeſprochen 
‘den, 

Nachmals fie auch väterlih, mit linden, fanften Worten 
mahnen, daß fie von den Stindern, jo zur Schule gehalten, 
Bragftüde und Auslegung des Katechismi lernen, dazu fie ein 
13 Sahr haben, und da fie einen Fleiß darauf legen wollen, 
U begreifen können.“ 

Die äußere Einrichtung des Faftenegamens betreffend war 
'geichrieben: „Der Pfarrer follte nach einem von ihm aufges 


Iten Verzeichnis der einzelnen Familien durch den Kirchendiener 
Seppe, Volksſchulweſen, 2. 18 


— 274 — 


und ein Hausgeſinde nach dem andern vor ſich in den Chor ag 
den befondern Ort erfordern und obgedachter Weile mit ihn. 
das Examen ordentlich vornehmen. Da aber Die Gemeine gr, 
und der Klirchendiener viel, follen fie fich im Chor an unterjdie; 
lichen Orten alfo austeilen, daß Keiner den Andern hören, dän 
. oder das vorgeftellte Haußgefinbe irre machen oder demſelben in 
Examine verhinderlich ſein moͤge.“ 

Der Zweck dieſer mannigfachen Katechismusinſtitutionen war 
auch der Zweck der Volksſchule. Durch dieſelbe ſollte das Volk 
zur Erkenntnis der Grundwahrheiten und Grundlehren des Chris 
ſtentums geführt werden. Ale Beftimmungen, welche in ber 
Kirchenorbnung (in dem Kapitel „Von den Dorfküſtern, wie ſie 
angenommen, beftätigt und entjegt werben jollen”) in Betreff der 
Sculmeifter und des Amtes derjelben getroffen waren, wien 
daher jämmtlich darauf bin, Daß der Volksſchullehrer nichts an 
dered, als ein dienendes Organ des Predigtamtes fein fol. Die 
- Unftelung der Schulmeifter betreffend, war verordnet: GEs folten 
„die Kirchner oder Glöckner von Richtern, Kirchvätern und Al 
teften aus der Gemeinde, mit VBorwißen des Lehnheren, auch dei 
Pfarrer gewählet und fürder dem Gonfiftorio präfentirt und je 
gefchickt werden, welche ihn verbören und, da er im Examine 
geichidt befunden, zum Amt confirmiren und beftätigen folen. 
Und weil Die Pfarrer und Kirchner oder Schulmeifer 
in Verrichtung der Kirhenämter bei einander ji 
müßen, auch ein jeder Pfarrer in dem feinem Gloͤd— 
ner zu gebieten und zu befehlen bat, als foll wider dei 
Pfarrers Willen Keiner angenommen oder eingezwungen werd. 
Da aud an dem Kirchner im Kirchendienft einige Verfäumnis ode! 
Unfleiß befunden, und ob er gleih vom Pfarrer hierum geftraft, 
derjelbe doch nicht folgen, noch fi) beßern, fondern feines eigene 
Kopfes leben wollte, fo jol fi der Pfarrer erftlich gegen feinen 
Superintendenten beflagen, und da feine Beßerung folget, auch 
die gradus admonitionum bei ihnen nichts fruchten, iſt er ſeines 
Dienſtes auf Verordnung des Conſiſtorii zu entſetzen und ein am’ 
derer gehorſamer und fleißiger an feine Stelle obangezeigte 
Mapen zu verorduen.” Die Pfarrer folen den Glödner nich 


r, als e8 der Kirchendienft mit ſich bringt, mit Botenlaufen 
andern Geſchäften befchweren. Wird fein Küfter von andern 
n berberufen, jo fol derfelbe von der Gemeinde auf deren 
fen mit feinem Geräte und Gefinde abgeholt werden. Iſt 
Pfarrer verhindert, die Kinderlehre zu halten, jo bat der 
ılmeifter die Stelle des Pfarrerd zu verſehen. Auch follte ' 
jeder Dorftüfter verflichtet fein, alle Tage in ber Woche 

Wenigften 4 Stunden Schule zu Halten und die Kinder im 
ı und Schreiben, daneben aber auch fürnemlich den Katechid- 

und chriftliche Gefänge D. Luther mit Fleiß und deutlich 
bren. Da, wo mehrere Filialdörfer zur Pfarrei gehörten, 
: der Schulmeifter „in jolchem Lehren mit Rat feined Pastoris 
aßen abwechjeln, daß die Jugend in allen Dörfern nad) Nots 
: im Katechismo unterwiefen und ja nicht verfäumt werde.“ 
bei follten fi die Schulmeifter insbeſondere befleißigen den 
ern die Gebete ganz fo wie fie im Katechismus abgedrudt 
n, Far und deutlich, unverändert und unverfürzt vorzufagen. 

Pfarrer follten die Parochianen anhalten, ihre Kinder zur 
ıle zu ſchicken. Die widerjpenftigen Eltern follten fie bei den 
erintendenten zur Anzeige bringen. Den Schulmeiftern follte 
ı Procuriren und Advociren und namentlich das Auffpielen 
Hochzeiten unterfagt fein. Auch jollten die Schulmeifter nicht 
tsleute in ihre Küftereibehaufung nehmen, auch feinen ge- 
nten Wein fchänfen. Dagegen follte ihnen geftattet fein, ihr 
dwerf, — nur nicht außerhalb ihres eignen Hauſes und nicht 
en Schulſtunden — zu treiben. Auch folten die Parochianen 
halten werden, dem Schulmeifter das ihm Gebührende uns 
erlich und unverkürzt zu entrichten. 

In Betreff der zu errichtenden Mädchenfchulen wurde in der 
yenorbnung befohlen: „Weil auch in den Visitationibus be- 
en worden, daß auf etlichen Dörfern Feine Mägdleinfchulen 
Iten, als follen die Kirchner und ihre Weiber ange 
mn werben, folhe Maͤgdleinſchulen anzuftellen. Deswegen 
n dann entweder aus dem Kaften oder aus der ©emeinde 
n dem Schulgeld, fo die Kinder geben, eine Ergetzlichkeit zu 
rdnen.” Den Gemeinden wurde ed zur Pflicht gemacht, den 

18 


jeyt opt ım een gvamıaı geuejeri wurven, ſo wurve weg 
daß Fein derartiges Brot einen geringeren Wert als ben 
3 Ggr. haben dürfte. Den „Schulmeiftern auf den Dö 
welche Handwerfe können,“ wurde es nachgelaßen, daß fit 
Hantwerfe „jedoch allein daheim in ihren Häufern und aufe 
Schulſtunden zur Notdurft, aber nicht auf den Herrnhöfen 
fonft außerhalb treiben mögen. Da aber zwiſchen St 
Dörfern oder derfelben Erbherrn fonderlihe Verträge, wie 
Meifter eines Handwerks jebes Orts gebuldet werben ft 
aufgerichtet, jo fol e8 bei des Gonfiftorii Ermeßung ftehen 
der Schulmeifter in diefelbige Zal zu nehmen ſei.“ 

Die Einrihtung von Volksſchulen war jomit für bie ein, 
Weimar : Eifenadifchen Landesteile zwar beflimmt genug bef 
aber die Ausführung diefer Anordnungen blieb Gier foweit 
der Gefeggebung zurüd, daß bis zum Ablaufe des Jahrhum 
von einem eigentlichen Volksſchulweſen tu Weimar-Eifenad) 
etwas zu fehn war. 

Erft im folgenden Jahrhundert wurde die Organifatic 
Volksſchule mit beßerem Erfolge verfucht, nachdem inzwiſche 
dritte Sohn des Herzogs Wilhelm, Johann Georg I. i. 3. 
die Nebenlinie zu Eiſenach Heftiftet hatte. Allerdings fie 
Fürſtentum Eiſenach ſchon i. 3. 1741 durch Außfterben ı 
ganz an Weimar zurüd; indeffen behielt daſſelbe auch nad 


— 27 — 


A. 
Sahfen-Eifenad. 


ie erfte Reform des Volksſchulweſens im Fürftentum 
Sifenach erfolgte in derſelben Zeit, in welcher der Spener- 
e Pietismus im ganzen Bereiche der evangelifchen Kirche 
zher noch nie gejehenen Eifer für Volfserziehung wach 
gejchah dieſes nemlich im Anfange des achtzehnten Jahr⸗ 
und zwar durch Aufftellung und Publizirung einer Schul— 
. welche, auf Iandesherrlichen Befehl von dem General: 
identen Zerbft zu Eiſenach ausgearbeitet, über alle 
fe. der Volksſchule und des Volksfchulunterrichts , über 
tigkeit und Lehrmethode, über die Stellung der Schule 
lie und zur Kirche und Aberhanpt über den Lebenöberuf 
sſchule in jener frühen Zeit jo Detaillirte Beſtimmungen 
ß fie zu den wictigften und wefentlichften Urkunden Der 
e des Volköfchulwefend gehört. Die Schulordnung (von 
utete: 


ftruction und Verordnung vor die deutſchen Schulen 
Lande in dem Fürftentum Eiſenach, Wie die Information 
bei Kuaben und Mädchen anzuftellen, 
derbaren fürftlicher Herrichaft Befehl abgefaft und zum 
Drud gebracht Anno 1705. 
Eiſenach, drudts Michael Urban, Fürſtlich— 
Sächflfcher Hofbuchdruder. 


In nomine Jesu. 

1. Nachdem bei gehaltner Bifitation auf dem Lande 
ommen worden, daß in den Schulen ſich viel Mängel 
welchen notwenbig abgeholfen werden muß, wofern nicht 
Jugend eine unverantiwortliche Ignoranz und Bosheit 
fol: als ift dieſe Verordnung und Inſtruction wegen 
chen Schulen mit Verleihung göttlicher Gnade abgefalt 
Drud gegeben worden. 

2. Denn obwol einige Schulmeifter in der Information 
d das Ihrige fo gethan, daß der Nupen fich bei ihren 


— 278 — 


Schulfindern wol gezeigt, jo find doch deren unterjhiefid. 
welche ohne richtige Ordnung in ihrer Echularbeit verfahren, und 
bald dieſe bald jene Lehrart führen, und dadurch Die irgend 
nicht wenig gehindert wird. 

$. 3. Nun liegt zwar jede Orts Pfarrern zupörderft od, 
durch fleißige Aufficht, wie in der Inveſtitur ihnen thener einge 
bunden wird, daran zu fein, daß nichts bei den Kindern verfäumt, 
fondern fte in allen Stüden wol angeführt werben, zu weldem 
Ende dann felbige die Schulen wöchentlich zu befuchen und zur: 
fehen, daß in der Information und Disciplin gefchehe, was zu 
guter Auferziehung der Kinder zuträglich, wie nicht weniger au 
die Eltern ihre Sorgfalt in fleißiger Nachforſchung, was die Sin 
der in der Schule lernen, wie fie Iefen und fehreiben können, zu 
beweifen haben. Doch müßen die Schulbiener vornehmlich darauf 
jeben, daß fie ihrem Schulamte recht vorftehen und ihr Gewißen 
darin verwahren. 

$. 4. Und zwar follen die Schulmeifter ein richtiges Ver: 
zeichnid aller Schulkinder, ihrer Elteru, und wie alt Die Kinder 
find, wie fie fih halten und was fie gelernt haben, und bei den 
Eltern Erinnerung thun, daß alle Kinder vom 5., längſt dem 
6. Jahre ihres Alters in die Schule gefchicdt werden, ed wäre 
denn, daß felbige über Feld von den Filialen in die Schule ge 
ben müßen, welchen Falles ihnen etwas weiter nachzuſehn; geſchieht 
auch die Einführung folder Kinder billig auf einen gewißen Tag 
nach Michaelid zugleih, damit Die Pectioned mit ihnen ange⸗ 
fangen und ordentlidy fortgeführt werden fönnen. 

$. 5. Die Schule wird von Michaelis bis zu Johamis 
völig Vor- und Nachmittags gehalten, und ift im folder Zeit 
feine Stunde ohne Erlaubnis und erhebliche Urfache zu verfäumes > 
‚und wo ja Eltern Armuts- und vieler Arbeit halber Kinder, Fe 
etwas erwachſen, nicht wol entbehren können, foll, Doc, mit dor” 
wißen und auf Erkenntnis des Pfarrers, ſelbigen erlaubt Kir 
wenn fie frühmorgens beim Gebet und eine Stunde in der She 
gewefen, fich ihrer zu gebrauchen. Wo es auch Herkommens, da 
die Kinder das ganze Jahr, außer 6 Wochen in der Erndte det 
vierwöchentlichen Ferien in die Schule gehen, hats babei [met 





— 279 — 


venden und werben die, fo die Schule mutwillig ver- 
billig zur Strafe gezogen und zwar, wo die Eltern 
daran, ‚haben diefelben den verfäumten Tag mit einem 
ı zu büßen, den halben mit 6 Pfg., wo es aber die 
ür ſich thun, find ſie deswegen von dem Schulmeifter zu 


6. Alle Tage die Woche durch wird zweimal Schule ger 
Morgens, Sommerszeit von 6 bis 9 Uhr, Herbft und 
zeit von 7 bi8 10 Uhr, Nachmittags aber von 12 bis 
Mittwoch und Sonnabend find Nachmittags Ferien, mie 
o ein Feiertag in der Woche einfällt, auf ben [heiligen 


7. Wenn die Schulfinder beifammen, die ſich nicht Win- 
und bei der Kälte vor der Schulftube oder auf der Bafle 
mmeln, wie deshalb einiger Orten geklagt worden, fon- 
yald und wie fie fommen, in die Schulftube zu laßen, fol 
ıng mit den Morgenjegen und einem geiftlichden Morgen: 
deren Gefang gemacht, und darauf ein Kapitel aus der 
elefen und zum Beichluß nach den lectionibus wiederum 
Im und das Vater Unfer ⁊c. 2c., auch wöchentlich die Litanei 
ald Montags und Donnerstags knieend gebetet werden. 
mc ebenfalls Nachmittags zum Anfang gebetet, wechſel⸗ 
n Palm oder „Erhalte und Herr bei ac. 2c.,” ober auch 
er Reüngebrtlein, und zum Beſchluß der Nachınittagsfchule 
itel aus dem neuen Teftament gelefen, ein geiftlicher Ge— 
jungen und der Abendfegen mit dem Vater Unfer ıc. ıc. 
en. Auch ift darauf zu fehen, daß Alles langſam, deutlidy 
ächtig gefchehe und von den andern fleißig Darauf gemerkt 
hgebetet, unter dem Gebet aber nicht der geringfte Mut: 
Herumgaffen oder Geplauder geftattet werde. Wo es bis- 
räuchlich, daß die Finder das Gebet zugleich laut jprechen, 
im Eingang und Ausgang der Echulen ed auch dabei fein 
en haben. 

8. Die Abteilung der Kinder in gewiſſe Classes ift gut 
I faft nötig fein, abjonderlid wo der Kinder eine große 
md nicht wol in allen lectionibus und Uebungen im 


— 280 — 


Schreiben, Rechnen und andern auf ein jegliches kann gemrez, 


und dasfelbige verhört werden, wiewol doch folchenfalld der Schyr 
meifter darauf zu fehen, daß die er diesmal nicht eigentlich ver 


hören und mitnehmen könuen, diefelbigen ein audermal frage umd 
vernehme, und alfo Feind, es fei armer oder reicher Leute Kind, 
verfänmt werde, jondern er von einem jeglichen wiße, wie meit 
ed in jediveder Lection gekommen fei. Wo aber auf mandem 
Filial der Kinder gar zu wenig, ift der Schulmeifter an bie 
Classes und Stundeneinteilung der Lectionen halber fo eigentlih 
nicht gebunden, indem er fie mebr verhören, üben und fertige 
machen kann, daß fie es öftermal denen in der Haupkkirche 
vorthun. 

$. 9. In die unterfte Klaffe und Ordnung gehören die An 
fänger, und ift mit ihnen folgendergeftalt zu verfahren, daß ihm 
die Fürzeften biblifchen Lehr-, Troſt- und Feſtſprüchlein aus dem 
Eiſenachiſchen Katechismo langſam und deutlich vorgefagt werden 
und fie felbige nachſagen müßen; weldes dann gleichfalls mit den 
befannteften Palmen gejchieht als dem 1. 6. 23. 100. 117, M 
ein oder zwei Verslein vorgejagt werben, ingleichen Die Textworte 
des Katechismi ohne alle Auslegungen. Und wird mit dielen 
Lectionibus die Tage in der Woche über fo abgewechſelt, dab 
doch in einer jeglichen Lection was begriffen und ſolches zu Ente 


der Woche repetirt werden kann. Ingleichen müßen Die Kinder . 


in dieſer Klaffe Die Buchftaben lernen fönnen, und zu dem Gute 
nicht nur das ABE vor- und rüdwärtd herſagen, fondern Vo- 
cales und Consonantes unterjchiedlich, auch außer dem ABE 
bemerfen und gefragt werden, und mag ihnen wol auch ein und 
anderer Buchftab au die Tafel, dergleichen in einer jeglichen Schule 
anzujchaffen, augemalt, und fie denſelben zu lernen und in ihren 
ABCbüchern zu zeigen angewiefen werden. Zum Buchſtabiren 
oder die Buchftaben, wenn fie Diefelbigen Fennen, zuſammenzuſeßen, 
müßen fie nicht allein Das A—b ab herfagen, ſondern mehrere 
Buchftaben zujammenfegen und ausfprechen lernen, auch wol, daB 
außer dem, was fie im Buch vor ſich haben, der Sthulmeifer 
etliche Buchftaben vorfage und folche heiße zufammenfegen, al? 
„ſchwartz,“ „kraft,“ umd wenns ihnen zu ſchwer fallen will, ſol⸗ 


4— 


— 2831 — 


1 Buchftaben abbreche und frage, wie zufammen heiße „ſchwa,“ 
er „ſchwar“ und dann das B aud dazu thun; welches Fra⸗ 
' den Nuben haben kann, daß die Kinder dabei aufmerkfam 
den und ein jegliches bei fich bedenke, wie es ſolche Buchftaben 
immen ausfprechen wolle. ft auch bei dem Buchftabiren nötig, 
die Kinder in dem Buchftabiren die Buchftaben nicht heimlich 
bei fi, fondern ſobald laut fagen und daranf zufammen- 
n, auch in einem Wort von vielen Silben nicht allezeit die 
gen Silben wiederholen, fondern im Buchitabiren fortfahren, 
aber, che fie recht fertig buchftabiren können, zum Leſen 
: admittirt werden. Und muß im Buchftabiren der Schul: 
ter fleißig darauf merken, daß die Kinder zu rechter Zeit abs 
1, nicht buchftabiren „liebzen,” „gehzen,” fondern „lie: 
" „ge-hen,“ obgleih nad einiger Erinnerung in den 
nter laufenden fremden Wörtern nicht alled fo genau zu neh— 
bei buchſtabirenden Kindern, wenn fie nicht accurat abjeßen 
buchftabiren als „Pra⸗-ktiken“ oder „Prak-tiken“ u. dgl. 
8. 10. In der andern Klaſſe oder Ordnung werben mehr 
Ihe Sprüche gelernt, Die, wo fie vom Buchdruder nicht von 
Ichwereren durch eine Signatur nuterſchieden, der Pfarrer in 
Schulmeifterd Exemplar könnte zeichnen und Diefer nach dem⸗ 
ı den Kindern aufgeben, Nächſt dieſen ift der Katechismus 
ri zu treiben, und die jogenannten Fragſtücke: „Slaubft du, 
du ein Sünder bift 2” ꝛc. 2c. neben der Haustafel, dann auch 
. 2. 3. 4. 8. 12. 13. 15. 24, 30. 46. 51. 100. 110. 127. 
133. Palm. Und werden diefe Kinder zum Leſen ge: 
r und wechſeln ab mit dem Eiſenachiſchen Katechismo, Sirach 
Pfalmen,, nachdem diefelben können angefchafft werben, doc 
joviel möglich, fie einerlei bei biefigem Hofbuchdruder ge⸗ 
e Bücher haben und im Lefen gebrauchen, machen überdieß 
Anfang im Schreiben, und werden ihnen nit allein an 
afel Die Buchftaben,, Die eine Conveniens miteinander haben, 
m. n., item c. 0. g. a. q., fernerr. p. v. w. x. y. fondern 
die ihre eignen Züge baden, als b. d. e. f. ff. h. EL. ſ. 
t. z. vorgemahlt, dann auch in ihren Schreibebüchlein vor: 
ieben, Silben zuſammen und Woͤrter etwas von einander 


— 282 — 


gefegt, und wo es die Notdurft erfordert, einem und ander 
Kinde anfangs die Hand geführt, auch Linien gezogen oder Dil 
Striche gemacht, die unter dad Blatt, darauf gejchrieben werd 
fol, untergelegt. Die Schreibebücher, wo der Kinder viel fi, 
müßen wechjelmeife Durchgejehen, Die einmal zurüdbleiben, we; 
andermal vorgenommen, und wo geirrt, corrigirt, abjondeeyg 
darauf gefehen werden, daß unnötige Züge an den Buchflaben 
unterbleiben. Es ift audy ein Anfang mit den Ziffern zu machen, 
was 1. 2. 3, A. 5. 6. 7. 8. 9. bedeute, und wie mit Zufag eine 
Null jedwede Zal fih mit zehn, zwanzig nady dem Vorſaz ver 
mehre, ald 10. 20. 30 u. |. w. 
$. 11. In der dritten und obern Klafle werden durchgehend 
Lehr⸗, Trofts und Feſtſprüche, und bei diefen auch Rofini get: 
fragen von denen, Die fähig (denn die andern fie nur fleibig 
lefen), wie die Feſte einfallen, erlernt, dann auch zu ben in de 
vorigen Klaſſe gejeßten der 5. 7. 14. 16. 22. 25. 27. 32. 38. 
42. 47. 63. 65. 67. 73. 84. 85. 90. 91. 102. 103. 111. 118. 
126. 128, 139. 143. 150. Pfalm, wie nicht weniger ber fege 
nannte „kurze Begriff” in dem Eiſenachiſchen Katechismus und 
Spruchbüchlein, und wenn diefer wol gefaft und Durch die neben? 
gefeßten Fragen die Hauptantwort zergliedert, und dadurch ver⸗ 
fändliche Antwort zu geben die Kinder geübt, werben die Lehr 
punfte nach) und nach aufgegeben, und durch beigeſetzte Fragen 
getrieben. Doch daß alwege zum Fundament behalten werde der 
Katechismus Rutheri, wie dann täglich ordentlich, ehe die ander! 
Lectiones angehen, ein Hauptflüd nad dem andern aus dem 
Katechismo Lutheri zu recitiren, und mag, daß jedwedes KinD 
defto fleißiger aufmerfe, aus der unterften Ordnung von eine@t 
der Text, aus der andern und dritten Ordnung ber Schulmeiftt? 
die Auslegung herfagen lagen, doch daß in jegliches Kind eir 
ganzes Gebot, Artikel, Bitte oder andre Autwort auf die Ftas 
bete, damit die Connexio und wie ed aufeinander folgt, bei diefe 
Uebung immer beßer befannt werde; und koͤnnen alle 14 Ta£ 
Sonnabends, wenn in ſelbiger Woche Freitags vorher de 
5. und 6. Hauptſtuͤck zuſammen genommen die Frageſtücke, ar‘ 
alle act Wochen die Haustafel recitirt werben. Das Lejen 3 


— 283 — 


ſieht in biefer erften Klaſſe aus der Bibel, davon in jedweder 
cchule ein Exemplar der hiefig gebrudten Bibel zu fchaffen. Es 
erden auch gefchriebene Briefe gelefen, abfonderli von den 
naben, das Rechnen durch Die Species traftirt, wenn vorher 
18 Einmaleind gelernt und immer mitunter getrieben wird. Im 
schreiben muß nicht allein die Vorſchrift Ieferlich und zierlich in 
n gewiſſes Büchlein gemacht, und die Nachſchrift von einem 
um andern nach und nad) durchjehen und corrigirt, und wie die 
Juchftabenzüge zu verbeßern gewiejen, fondern aud, die Evange⸗ 
en und Epiftelii gejchrieben, wie auch zu gewiller Zeit biblifche 
sprüche biktirt werden. Welches Alles zur Fertigkeit im Schrei- 
en helfen wird, und daß die Kinder mit der Zeit gejchidt werben, 
ie vornehmften Stüde und Sprüche aus einer Predigt nachzu⸗ 
hreiben. Sind auch die Knaben in diefer Ordnung zur Figural⸗ 
ufif anzuführen, daß fie nicht allein Claves, Zaft und Paufen 
fliehen lernen, fondern auch mit der Zeit eine Zuge, Motette 
id Goncert mit abfingen können, wie dann hierzu Montags, 
instags und Donnerstags die Stunde 12 — 1 Uhr zu Mittag, 
eſelbe Stunde aber Freitags zum Nechnen anzuwenden, und 
mittelft die in den andern Klaſſen ihre Lectiones überfehen oder 
reiben können. 

6. 12. Wo Knaben und Mägdlein in einer Schule zugleich 
Ormirt werden, bleibt es mit beiden in den Lectionibus den 
aflen nach wie gımeldet, ohne daß unter dem Singen und 
chnen die Mägdlein ihre anderen Lectiones vor fi nehmen. 
28 Schreiben aber muß mit den Mägdlein ſowol ald mit den 
aben getrieben werden, und ift. durchaus den Eltern nicht zu 
Matten, daß fie ihre Töchter unter einigem Vorwand, als 
itften Diefelben das Schreiben zu was Böſem ats 
enden, davon abhalten wollten; vielmehr können fie ſich durch 
8 Schreiben in Aufzeichnung biblifcher Sprüche und Predigten 
>auen, zugefchweigen, daß es auch fonft bei ihnen in folgenden 
hren Nugen haben kann. 

Werden aber an einem und anderem Ort beſondre Mägblein- 
len gehalten, find die Lectiones gleichfalls mit ihnen einzur 
ten, und ift in ber Schule in allen mit ihnen es zu halten, 





deutlich, daß wo ein Komma ein wenig, wo aber Doppel 
ober Punkt, was länger inne gehalten, bie Stimme nah 
was zu lefen, erhoben ober niedergelaßen, oder wo (7) ur 
fragt, wie abgebrochen werbe; wie denn ber Schulmeifter 
je zuweilen mit jo abgewechjelter Stimme ein Stüd vorlefen, 
wenn die Schulfinder leſen, fleißig drauf merken, und n 
vonndten, Erinnerung thun fol. Die in der andern Klaſſe 
ans dem Ratehismo, Pfalter oder Sirach, und zwar eine g 
Lection. Die in der 3. Klaffe zälen ihre Buchftaben und 
ftabiren, und wird dabei was droben erinnert, in Acht gene 
Und diefes geſchieht Die erfte Stunde, ba dann freilich, wen 
Kinder allzuviel in einer Kaffe, nicht alle können verhört w 
Der Schulmeifter hat alfo zu merken, daß welche er Borm 
nicht hören kann, er diefelbigen Nachmittags oder folgenden 
höre. Hierauf werben in der andern Stunde bie bibliſchen S 
durch alle Classes, wie vorgeſchrieben, aufgefagt, und jet 
was von Sprüchen aufgegeben, vorher beutlih von einen 
dem andern in den obern Klafjen des Tags vorher gelefen. : 
in der untern Klaffe muß ed von dem Schulmeifter vor 
werben, und fagens bie Kinder nad, bis fie es für fih ze 
tönnen; und fo wirds auch die 3. Stunde mit dem „kurze 
griff," Lehrpunften, Lutheri Katechismo und den Textworten 
alle 3 Classes aebalten. 


— 285 — 


elii anzudeuten, wovon bauptjächlicdy in folchem Evangelio gehan— 
elt werde, dadurch die Schulfinder zu beßerer Attention in der 
ünftigen Sonntags = oder Feſtpredigt aufzumuntern ; wie fie denn 
edesmal auf den Montag oder Tags darauf, was fie aus der 
Predigt gemerkt, zu examiniren find. 

8. 14. Nachmittags auf die Montag, Dinstag, Donnerstag 
md Freitag iſt die erfte Stunde, wie dreben allbereit gedacht, 
um Singen und Rechnen gejeßt, unter weldyen die beiden unteren 
Haffen ihre Lectiones überjehen. In der anderen Stunde gefchieht 
as Auffagen, und mag mit den Unterften der Anfang gemacht, 
nd danu Die beiden oberen Klafjen in ihrem Lejen gehört werden. 
die 3. Stunde werden Montags und Donnerstags die Pfalmen 
ecitirt, wie fie vorher aufgegeben, und von etlichen, gleich den 
ibliiden Sprüchen, deutlich vorgelefen worden, und zwar etliche 
wenige Verſe. Dinstagd und Freitags wird was gejchrieben in 
er lebten Stunde aufgewiefen, und die Schulkinder im Schreiben 
kiter geübt. 

G. 15. Und damit, was die Schulfinder fo nad) und nach 
bionderlih in ihrem Ghriftentum erlernen und begreifen, das - 
sierteljahr über von Sjohannid bis Michaelis, da an manchen - 
Irten fie in feine Schule kommen, oder au in Erndtens und 
mderen Ferien nicht vergeßen und ausjchwißen, follen nicht allein 
ie Schulmeifter gehalten fein, auf der Eltern Begeren ihre Kinder 
edes Tags die Woche durch ein oder paar Stunden, doc, gegen 
ine Erkenntlichkeit, weil mehrenteils ihre Dienfte gering und fie 
'onft der Arbeit nachgehen müßen, zu informiren, fonden über 
dad, daß auf die Schulfinder fleißige Auflicht zu halten, daß fie 
Vor: und Nachmittags Sonntags in die Kirche kommen, mitfingen, 
auf die Predigt und angeftellte Katehismuslehre merken, foll der 
Schulmeifter feine Schulfinder entweder nach geendigtem Gottes: 
dienft in der Kirche oder im Schulhaufe ein Hauptftüd aus dem 
Ratehismo Rutheri, den Kurzen Begriff und ein und ander Kapitel 
us den Lehrpunkten, ein paar Sprüche und Palmen laßen beten, 
md fie mit guter Ermahnung, die Woche über fromm zu fein, für 
ich zu beten, die Betflunden und Vesper zu befuchen, wiederum 
on fih laßen. Ä 





— 256 — 


F. 16. Wie oben gemeldet, find die Kinder von 5 bi 
Fahren in die Schule zu führen und dem Schulmeifter in key 
Aufficht zu geben, follten aber aus der Schule nicht eher dimkssr 
werden, bis fie die Hauptftüde chriftlicher Lehre aus ihrem Kate 
hismo und derfelben Auslegung und weitere Erklärung aus bem 
Kurzen Begriff und Lehrpunften wie au die bibliſchen Spriüche, 
Pialmen nebft fertigem Lefen und Schreiben erlernt, welches denn 
nicht auf ihrer Eltern Erkenntnis anfommen fol, und ihnen re 
ftehen, nach ihrem Belieben die Kinder aus der Schule zu behak 
ten; jondern es fol der Pfarrer mit Zuziehung der Obrigfeit im 
Dorf, Kirchenfenioren oder Elteften dieſelbigen verhören und in 
allen ihren Lectionibus wol prüfen und darauf nad) Befinden ſie 
aus der Schule Dimittiren, doch mit der nachdrücklichen Bedeutung, 
daß fie ferner ihnen ihr Chriſtentum ſollen laßen eifrig angelegen 
fein, inmaßen er der Pfarrer ein wachſames Auge auf fie haben 
und fie durchgehende aus dem, waß fie aus dem Katechismo, 
Kurzen Begriff, Lehrpunften, Sprüchen und Palmen erlernt, in 
den öffentlichen Examinibus fünftig fragen werde, welches dam 
auch notwendig gefchehen muß, wenn die bimittirte Jugend im 

- Kleiß erhalten, in Erkenutnis wachſen, und bei ihr nichts verjäumt 
werden fol. | 

$. 17. Eltern, die Armuts halber ihre Kinder, nachdem ft 
aus der Schule dimittirt, nicht bei fich behalten können, fondern 
fie andern Leuten vermieten müßen, find zu ermahnen, daß fie ihre 
Kinder nicht zu andern Religionsverwandten,, fondern fo viel an 
ihnen iſt, zu chriftlichen Leuten thun, von denen fie das Vertrauen, 
daß fie diefelbigen zum Gebet, Kirchengehen und gottfeligen Leben 
anhalten werden. Diejenigen Eltern aber, die vermögend ud 
ihre Kinder bei fi) behalten können, follen fie, ob fie es aud in 
der Fertigkeit im Gebet und fonft den andern gleich thun moͤchten, 
nicht fobald aus der Schule nehmen, ſondern fie drinnen laßen, 
damit jie deſto fefter und gewißer werden. Denn doch in foldem 
zarten Alter flüchtige Gemüter leicht wieder fahren laßen und ver 
geben, was fie erlerut haben, wie fich ſolches in der Bifitation 
allenthalben befunden, und daher eine fchlechte Anzeigung geweſen, 
dap Die älteften Knaben, in der Schule etwa 11, 12 Bis 13 Jahre 


— 287° —. 


weien, da fie biebevor ven 14, 15, 16 Jahren no in die 
e gegangen und nun bei dergleichen zu ſehen, daß ihr bie 
ged Anhalten in der Schule nicht umfonft gewefen, da im 
steil viele Der jungen Leute, jo zu bald aus der Schule ge- 
a, ſchlecht beftanden. 
$. 18. Weil auch heutige Taged von den Schulmeiftern 
nteil8 will erfordert werden, Daß fie in der Mufif wol ers 
ı find, obwol hierinnen weder an den Gemeinden zu billigen, 
ie in der Wahl eines Schulmeifterd auf dieſes mehr zu ſehen 
n ald® auf dad Hauptwerk, nod an andern Schulmeiftern, 
ie jo viele Zeit auf Zuſammenſchreibung und Herbeifchaffung 
Stüde wenden, bei dem Gottesdienft allzuviel und lang 
ven, und oft eitel Ruhm mit ihren Adjuvanten dabei fuchen: 
l doch der Schulmeifter Die Jugend in den gejegten Stunden 
e Muſik treuli und fundamentaliter anführen, und mit fer 
Idjuvanten, mit Vorwißen und Genehmhaltung des Pfarrers 
Zeiten exercitia musica anftellen, wobei fie insgefammt 
; erjcheinen und ohne Gejöff und andere Ueppigfeit einander 
yerjtehen lernen, und dann zu Gottes Ehre und Aufmunterung 
emeinde in öffentlicher Verſammlung mit vernehmlicher Stimme 
deutlicher Auslegung geiftlicher und bequemer Texte fidy hören 
jollen. Und ift bier dieſes ſonderlich noch zu erinnern, daß 
der Schulmeifter mit manchen Knaben in der Schule viele 
e gehabt der Mufif halber, es gar nicht recht noch von dem 
er zuzulaßen jei, daß ſolche Kuaben, da fie aus der Schule 
tirt, von der Mufit abgehen und auf dem Chor nicht mehr 
ie Stimneu treten wollen; vielmehr ſollen fich ſolche. Kuaben 
ı den Schulmeifter ferner ehrerbietig erzeigen, und nicht allein 
dem Chor, fondern auh in anderm ihren Gehorſam und 
barkeit gegen denfelbigen beweiſen. | 
$. 19. Und nachdem ein treuer Sculmeifter nicht allein in 
Information der anvertrauten Schulkinder fi gewißenhaft 
en und im geringften nichts vorfäßlich dabei verfäumen fol, 
tm auch auf Gottjeligkeit, Zucht und Ehrbarkeit zu jehen, 
Jiefelbige der Jugend möge eingepflanzt werben, hat er mit 
chem Gebet bei Gott täglicd anzuhalten, daß derjelbige ihn 


— 288 — 


in feinem Amt regieren, erleuchten und durch feinen H. Geiſt 4 
führen wolle, damit al fein Thun in Lehr und Leben gefegnr 
fein möge. Wobei er dann ein fleißiged Aufſehens haben joy, 
daß die Finder Liebe zu Gott und feinem Wort, abjonderlid 
Chriftum, das ewige Heil, recht zu erkennen, in jeinen Fußtapfen 
einherzugehen, ja als Zweige an ihm, dem Baum des Lebens zu 
wachjen, gewinnen, und bei aller Gelegenheit ihnen vorftellen, da} 
fie, wad driftlich ift, dem aubangen, ſich allenthalben ehrbar auf 
führen, alte Leute in Ehren halten, vor dieſen, abfonderlich jrem 
den Leuten den Hut abziehen, von aller Ungerechtigkeit, Lügen, 
Stehlen, Mutwillen, Spotten, Fluchen, Schwören, garftigen, ur 
fläthigen Worten und Reden fih abthun, weil dadurch Chriſtus 
verloren, der H. Geift betrübt und die guten Engel verjagt wir: 
den, und ſolches nicht allein in der Schule, fondern auch zu Haut, 
auf dem Felde und allenthalben bedeufen, und Daß fich Feind jo 
heimlich verbergen Fünne, Daß ed Gott nicht ſehe, Gott auch einf 
alle Werfe vor Gericht bringen werde, der auch ſolche böfe Kinder 
im Alten Teſtament zu fleinigen befohlen, feinen Zorn und ge 
rechted Gericht nicht nur an Abjalon ſehen laßen, jondern ba 
auch die Kinder, Die den Eltern ungehorfam, mitmachten uud er 
füllten die legten gräulichen Zeiten, da im Gegenteil fromme un 
gehorfame Kinder und Die ihren Eltern unterthan zum Vorgänge 
hätten den Herrn Chriftum jelbft, der auch die, jo ihm getreulid 
nachfolgten, mit zeitlihem und ewigem Segen erfreuen werde ald 
ber rechte Samen Abrahä, Durdy welchen geſegnet werden alt 
Völfer auf Erden. Weldye und andre Vorftellungen, Die öfter, 
doch in aller Kürze gefchehen jollen, nachdem es der Züſtand und 
vorfallende Begebenheit erfordert, um jo viel mehr Fräftig fein 
werben, wenn der Schulmeifter felbige mit feinem eignen egempla 
riſchen Leben beleuchtet, Feinem Saufen, Spielen, Fluchen, Zoten⸗ 
reißen oder ſonſt Argerlichen Leben ergeben, nicht in Bierhäufern 
ſitzt, zum Tanz fidelt und Dergleichen unanftändige Dinge vor- 
nimmt, fjondern Gott und fein Wort liebt, die Wolthaten Jeſu 
rühmt, geduldig, fanftmütig, wahrhaftig und ehrbar fi allent⸗ 
halben finden laͤſt. Und obwol die Jugend nicht durchgehend mif 
Worten fi gewinnen laͤſt, und zu Zeiten feharfe Correctins®® 





— 289 — 


ſchehen müßen, wobei aber der Schulmeiſter alles Fluchen, 
zünſchen, laͤſterliche Reden, ſchimpfliches Zunamen, anzügliches 
inführen der Eltern, der Kinder Leibesgebrechen und alle Bitter⸗ 
eit zu vermeiden. Ja wo auch gar Steden und Ruthe die Thors 
it, die dem Knaben im Herzen ftedt, zu vertreiben gebraudt 
berden muß, bat dennoch der Schulmeifter ſich fo zu mäßigen, 
ap es nicht eine henkerifche, fondern eine väterliche Züdtigung 
ei, und bald wieber fpüren zu laßen, daß er ungern an ſolche 
Schärfe gehn, und lieber fehen wollte, man ließe fich in ber Güte 
ewinnen, auch all fein Vornehmen dahin zu richten, baß er bei 
en Kindern Liebe_und Furcht erhalte, wozu nicht wenig bienen 
ann, Daß nicht allezeit Schläge, fondern auch bisweilen andre 
Nittel abmittirt werden, als einen gewiffen Pfalm oder Geſang 
uswendig zu lernen, auf den Knieen zu fißen u. dgl. 

6. 20. Sol aber der Sculmeifter in feinem Amt wol 
tehn und das, was ihm theuer anbefohlen ift, fo verrichten, daß 
fen Nupen in ber Kirche Gottes ſich erzeige, muß nicht allein 
er Pfarrer jedes Orts ihm hülfliche Hand leiften, von der Kanzel 
ute Ermahnung der Schule halber thun, dieſelbe wöchentlich bes 
hen, die Kinder zum Gehorſam gegen ihren Schulmeifter mit 
llem Ernft anhalten, den Eltern zureden, daß fie dankbar und 
ufthätig gegen den Schulmeifter fein, das gebürende Schulgeld, 
ed im Salario mitftedt, entrichten, und wo gar zu arme Leute 
nd, daß folches aus dem aerario ecclesiastico oder der Gemeinde 
infommen für der Armen Kinder gereicht werde. Wie denn auch 
© chriftliche Obrigkeit auf gefchehenes Anfuchen behülflich fein 
rd, daß die Eltern die Kinder fleißig zur Schule ſchicken und 
ejelbige nicht fo Liederlich verfjäumen laßen, auch dem Schul 
eifter feinen fauer verdienten Lohn abftatten, ober daß Mittel 
tr Gompenfation in der Gemeinde gemadyt werden. 

$. 21. Schließlich, daß auf die Jugend an allen Orten 
n genaue Auge zu haben und in alle dem, was zu ihrer zeit- 
hen, zuförderſt ewigen Wolfahrt dienlich fein kann, nichts zu 
Tabfäumen , erinnert und die Heil. Schrift allenthalben. "Gott 
d, was Abraham für eine Zucht haben werde, und daß in der⸗ 
ben vornehmlich auf Gottesfurcht werde gejehen werden. Der 
eppe Bollsigulweien, 2. W 





— 0 — 


Herr weiſt die Kinder ſelbſt in feinem Geſetz an, daß fie ie 
Eltern und die diefe Stelle vertreten, ehren ſollen, und ift das 
bad erite Gebot, Das Verheißung bat. Gottes Sohn, da a 
Meuſch geworden, ging nicht allein in feiner zarten Kindheit allen 
Kindern vor in Gehorfam, Unterthänigkeit und Gnade, fondem 
da er fein heil. Predigtamt führte, ſprach er: Laßet Die Kinblen 
zu mir fommen und wehret ihnen nicht, denn folcher ift das Hin⸗ 
melreih. Seine Apoftel binden den Eltern eruftlih ein, daß fe 
die Kinder auferziehen in der Zucht und Vermahnung zum Herm. 
Sohaunes fchreibt, daß die Kinder den Vater kennen, 1. Joh. 2, 
14, und wo wir wollen in Himmel fommen, müßen wir den fis 
bern gleih werben. "Wehe denen, die den Schmud von de 
Kindern nehmen, den fie in der heil. Taufe befonmen, Mid. 2, 9, 
wol aber denen, die Kinder chriftlich erziehen, und mit ihnen Kir 

ber des lebendigen Gottes find, Hof. 1, 10. Das helfe und dad 
beilige Kind Gottes, Jeſus. Amen.” — 


ILL LH DS ID — — 


Die Schulordnung war in befter Korm unter Iandesherclider 
Auctorität publizirt worden und hätte den Anfang einer glüdlihen 
Periode des Volksſchulweſens im Fürftentum Weimar begründen 
fönnen, — wenn fie wirklich vollzogen worden wäre. Leider waren 
aber die Schulmeifter ebenjowenig fähig, Diefelbe zu vollziehen, ald 
die Gemeinden geneigt waren, derjelben nachzuleben. Cine allge 
meine Kirchen⸗ uud Eculvifitation, welche i. 3. 1716 angefel! 
wurde, bewies, Daß von dem, was die Schulorbnung vorjarie, 
wur gar weniges befolgt wurde; uud alle Verordnungen, welche 
erlagen wurden, um die Schulorduung wirkffam zu macheu!), 


*) In einem Auszug aus der Generalvifitations-Verordnung von 1722 wurde 
daher verfügt: Da ed „fonderlic zu beklagen, daß die Kinder die Schule allzuft 
verfäunsen, auch deren viele ſich folder gar entziehen, und dadurch zum fündlühess 
Müßiggang und ruchlofen, gottlofen, in den Abgrund der Hölle fürzenden bölt 
Leben gebradyt worden, welches deren Eltern, oder wer fonft daran mehr ſqald 
dermaleinft an dem zukünftigen großen Gerichtötag fehr ſchwer zu deran twocire 





— 291 — 


ohne Erfolg, weil die Vorbedingungen ihrer Ausführbarkeit 
Es erklärt ſich daher, daß das Volksſchulweſen des Eiſe—⸗ 
Landes ſelbſt im Anfang der zweiten Hälfte des 18. Jahr⸗ 
ts noch lange nicht das war, was es zufolge der Schul 
ıg fein ſollte. 
Der damalige Zuftand der Eiſenacher Volksſchulen erhellt 
tlih aus den ftatiftilchen Berichten über die einzelnen 
n, welche das Oberconfiftorium zu Eiſenach durch Reſcript 
IT. October 1768 aud allen Ephorieen bes Landes einzog. 
nftellung der Schulmeifter, welche in der Regel zugleich 
eindefchreiber waren, erfolgte fo, daß der zu einem 
ımt Präfentirte, in der Kirche, an welche er fich gemelbet 
im Leſen, Singen und Orgelfpiel geprüft wurde; hatte er 
tüfung beftanden, fo wurde die Praäjentation vom ©eneral- 
ıtendenten confirmirt, der ihn dem Adjunften (Spezials 
intendenten) zuwies und fodann dur ben betreffenden 
farrer in das Schulamt einführen ließ. 
Die „Verpflichtung zur Gemeinde-Schreiberei” gejchah durch das 
be Amt. Bei den Mädchen-Schulmeiftern fiel die Prüfung 
. Die Bejoldung der Schulmeifter war fehr verjchieden. 
ren an größeren Gemeinden hatten bin und wieder mehr 
0 Thlr. jährliche Einnahme; dagegen brachten viele andere 
ftellen jährlih Taum 30 Thlr. ein, fo Daß die Inhaber 
en gendtigt waren, irgend ein Gewerbe, zuweilen gegen 


— — — 


als werden hierdurch die Eltern und diejenigen, ſo an deren ſtatt ſind, 
angewieſen, daß ſie ihre Kinder hinkünftig fleißiger als bis anhero ge⸗ 
und zwar von Michaelis bis Johannis ungausgeſetzt zur rechten Beit des 
über, von Iohannis bis - Michaelis alle Wochen nur zwei Stunden zur 
ion, und daß fie dasjenige, mas fie erlernt, nicht vergeben, zur Schule 
‚, und daraus ohne des Pfarrers Erlaubnis nicht nehmen, auch mit ihren 
zu Haufe felbft fleißig beten, und felbige in aller Bottesfurcht und chriſt 
Tugenden, und nicht wie leider bei etlichen gefchieht, zum Fluchen und 
| groben und ärgerlihen Sünden Anlaß geben. Diejenigen Eltern nun, 
em Decret zuwider leben, follen zum erftenmal gütlih ermahnt, zum 
mal mit einem Tage Gefängnis belegt, bei fernerem Ungehorſam aber mit 
ärterer umd fchimpfliherer Strafe angefehen werden.“ " 
19° 


— 292 — 


Tagelohn, als Haupterwerbszweig zu betreiben *). Als Shulge, 
hatte der Scyulmeifter von jedem Schulkinde jährlih etwa 4 — 8 
Gyr. zu beziehen, konnte es aber nicht immer beitreiben. Orb 
nungsmäßig follte der Ortspfarrer feine Echulen wöchentlid 
- wenigfteng zweimal vifitiren, was indeffen namentlich von denjenigen 
Pfarrern, die zugleih Filialkirchen hatten, nicht immer gejchah. 
Die üblihen Schulbücher (über deren zu hoben Verkaufspreis und 
mangelhafte Verbreitung geklagt wurde,) waren: ein ABE + Bud, 
der Heine Katechismus Luthers, eine Ausgabe des Sirach, dei 
Pfalters, der Evangelien, Des Neuen -TeftamentS oder ber ganyen 
Bibel, das Eifenacyer Geſangbuch, Hübners Biblische Hiftorien und 
Günthers Himmeldweg. An einzelnen Schulen wurde ber Unter: 
richt nad) feitftehenden Lectionspläuen erteilt **); in anderen dage 
gen war die Unterrichtöweije völlig planlos. An manchen Orten 
wurden ganz armen Kindern die notwendigften Schulbücher aus 





*) Noch in einem Beriht vom 21. Eeptember 1768 ftellte einer dr 6 
fenadhifhen Geiſtlichen dem Oberconfiftorium vor: „Was werden alle gute 
Verordnungen und Borfchriften ausrichten, wenn der Schulmeifter an den mein 
Orten unferes Landes fein Brot mit Tagelohn uud Schneiden in der Endit 
auch wol außer der Edyule mit Strumpfmahen, Scuhausbeßern, mufilaliſche 
Inftrumente zu verfertigen, Hansgeräte und Geſchirre für die Landleute zu machen, 
fuhen und wol gar im äußerften Notfall Anderer Mitleid anflehen oder erbetteln 
muß, wodurd) er in Beratung kommt.“ 

**) Beifpielsweife wird hier folgende „Ansführlide Anmweifung“ mie de 
neue Schulmeiſter Hieronymus Meifter die Mädchenſchule zu balten (aus d. 9. 
1760) mitgeteilt: 

„I. Die Kinder werden insgefammt iu 3 Elaffen eingeteilt. Zur erhen 
Claſſe gehören diejenigen Kinder, welche 5 — 7 Winter in die Eule gehen, &— 
zweiten Claſſe gehören die Kinder, fo 3 — 4 Winter in die Schule gehen; uw 
dritten Claffe gehören diejenigen Kinder, fo den erften oder andern Winter indie 
Edyule gehen.“ 

„I. Rad diefen verihiedenen Claſſen werden auch die Lectionen eingeteilt, 
und zwar 

1) Die Hauptftüde : 

a) die in der erften Claſſe jagen das Hauptftüd ganz ber, nebſt den daze 
gehörigen Sprüchen und Lehrpunften ; 

b) die in der zweiten Claſſe fagen nur das Hauptftücd nebſt den dazu I 
hörigen Sprüchen; 





— 2193 — 


Amenftiftungen, auch wol aus kirchlichen Mitteln angefchafft. 
Fruͤherhin war auch ein Teil des bei Hochzeits- und Kindtauf& 


— — — 


c) die erſten in der dritten Claſſe ſagen nur das eine und das andere 
Stüd her. und den unterſten wird etwas davon vorgefproden ımd die Kinder 
agen es nad, bis fie es ind Gedächtnis faßen. 

2) Das Lefen und der Anfang dazı: 

a; in der erften Elaffe leſen die Oberſten in der Bibel ein Kapitel, ein 
md 2— 4 Berfe, die anderen lefen im Neuen Teftament 1 — 3 Berfe. 

b) die im der zweiten Elaffe lejen entweder im Palm oder Eirach oder 
' Evangelienbuch ; . 

c) die in der dritten Clafle fangen entweder an im Lefen im Katechismus 
er buchſtabiren noch. Die Kleinften lernen die Buchftaben im UBE-Budh und 
ıgen hiernach auch an zu budhftubiren ; j 

d) dabei ‘aber ift noch zu merken, daß 4 — 6 Kinder auf einmal mitein- 
ver dortreten, und menn eins anfogt, fo müßen die anderen in ihrem Buche 
auf weifen und alfo fortgchen: 

e) die kleinen Kinder dürfen nicht eher zum Lefen angeführt werden , als 

fie recht buchftabiren können. 

3) Die Eprüde: 

a) die in der erften Glaffe müßen nah und 1a alle Eprüce lernen, die 
Katechismo ftehen unter dem Namen der Lehr und Zroftfprüdhe. Die Keft- 
üche werden furz vor den Feſttagen gelernt und wird ihnen den Tag vorher 

Spruch aufgegeben. den fie den folgenden Tag herfagen follen, und wenn fie 
ganzes Kapitel hinaus gelernt haben, fo wird ihnen das ganze Kapitel noch 
mal aufgegeben, daB fie es den folgenden Tag auf einmal hHerfagen, ein 
e8 einen Spruh; 

bi die in der zweiten Klaffe lernen auch die meiften Sprüche, fonderlich 
mit einem Kreuz im Katediiemo bezeichnet find; und wird es ebeufo mit dem 
men gehalten, wie bei der erften Claſſe. Denen in der dritten Glaffe ſpricht 
n ein leichtes Sprüchlein vor, fo lange bis fie e& fönnen, und dann nimmt 
n ein anderes. 

4) Die Pfalmen: 

a) don den Pfalmen köunen auswendig gelernt werden 

1) die Bußpfalmen, Pf. 6. 32. 38. 51. 102. 130 und 143. 
2) nebft denen nod folgende: Pf. 1. 23. 100. 103. 117. 139; 

b) mit diefen wird e8 ebenfo gehalten al® mit den Sprüchen. 

5) Die Fragfüde Lutheri und die Haustafel werden nur mit der erften 
€ getrieben. 

a) bei den Fragftüden treten 2 Mädchen auf, die eine fragt und bie 
"© antwortet; 





— 294 — 


ſchmäußen gefammelten Geldes zu dieſem Zwecke verwandt worden. 
Indeſſen waren die leßteren gefeplich abgefchafft worden und die 


b) in der Haustafel wird nur eine Lection auf einmal genommen, hemsd 
die andere und fofort. 

6) Die biblifhen Hiftorien: 

a) dieſe gehören auch nur für die erfte Claſſe und wird alle Nachmittag 
eine genommen, Montag und Dinstag an jedem Tage eine aus dem Alten Tefe- 
ment, Donnerftag und Freitag einen Tag eine aus dem Neuen Teftament; 

b) da pflegt dann ein Mädchen das andere die Hiftorie zu befragen, und 
fönnen die Mädchen mit einander abmwechfeln, wie fie nad) der Ordnung folgen; 

c) die gottfeligen Gedanken, die in Werfen verfaft, müßen fie aus- 
wendig lernen. 

7) Das Schreiben: 

a) die Mädchen in der erften Elaffe müßen nad der fürftlL &chulordmung 
alle fchreiben lernen; 

b) daher müßen fie fich kleine Schreibebücher machen von 2 Bogen Papier; 

c) den Anfängern werden die Buchftaben die Seite lang herunter vorge: 
fchrieben, welche fie, fo gut fie können, nachmachen, und wird ihnen eima Des 
Schuldiener oder fonft jemand zu Haufe ihnen anfänglid die Hand führen; 

d) wenn fie die Buchftaben fchreiben können, fo werden ihnen oben que! 
über Sprüce vorgeſchrieben, welche fie herlefen müßen. 

8) Das Balen: | 

a) es werden ihnen zuerft die Hauptzalen bekannt gemadt (1 — 9); 

b) hernach wie viel es ift, wenn eine Rull bei den Hauptzalen fteht (10-90): 

c) wenn 2 Zalen bei einander ftehn, fo werden fie rüdwärts gelefn; 

d) wenn 3 Zalen ftehn, fo bedeutet die erfte fo viele Hundert al D* 
Bal ausdrüdt; 

e) Wenn 4 Zalen ftehen, fo bedeutet die erfte Taufend, die andere (uber, 
die dritte foviel Zehn, und die vierte, was fie ausdrückt. 

9) Die Reimgebetlein im Katechismus, 

Diefe müßen fie Alle lernen, nur mit dem Unterſchied, daß den Mist 
Kindern zuerft die leichten und kurzen vorgefagt werden. 

10) Die Sefänge: 

a) die Kinder, fonderlid in der oberen Claſſe, müßen Geſangbücher ie 
und ſolche allegeit mit in die Schule bringen, und wenn ein Gefang gm 
wird, fo müßen fie ſolchen felbft auffuchen lernen; 

b) die Kinder müßen aud) einige Gefänge auswendig lernen 

1) einige von den Morgen- und Abendgebeten ; 

2) einige von den Buß- und anderen Liedern, 

3) einige von den Feftliedern, 





— 290 — 


fleren famen nur noch felten vor. Drbnungsmäßig ſollte das 
mze Jahr hindurch Schule gehalten werben. Indeſſen war es 
den meiſten Gemeinden durchaus unmoͤglich, die Sommerſchule 
regelmaͤßigen Gang zu bringen. Nur von Michaelis bis 
fern wurde Vormittags 3 Stunden und Nachmittags 3 Stunden 
ng, von Dftern bis Johannis nur Vormittags Schule gehalten. 
n einigen Orten wurbe die Echule von Johannis bi8 Michaelis 
n den Wochenkirchtagen, Dinstags und Freitags Vormittags, 
ber nur von fehr wenigen Kindern beſucht. An anderen Orten 
Negten die Pfarrer in diefem BVierteljahre, um einigermaßen den 
nterbrochenen Schulunterricht zu erfeßen, Sonntags öffentliche 
atechismusexamina zu halten, ober der Schulmeifter verfammelte 
Sonntage um 12 — 1 Uhr die Schulkinder in der Kirche, um 
it ihnen den Katechismus, die Sprüche und die Reimgebetlein 





II Außerdem bat der Schuldiener noch dahin zu fehen: 

1) daß die Kinder in der Schule ftille fipen, fein unordentliches Geräuſch 
ıhen, wenn eins auffagt, die andern nicht laut nachſprechen oder dem fehlenden 
fen und verbeßern mollen, fondern nur aufmerffam und in der Gtifle ihre 
tion lernen, nicht mit einander plaudern, noch fi zanfen oder drangen; 

2) Daß wenn die Schule aus ift, die Kinder ordentlih aus der Schule 
ſen, die Heinften zuerft, hernach die andern und dann zuiegt die größeren, auf 

Gaße ftille ftehen und fich alles Schreiens enthalten ; 

3) daß wenn in der Woche in der Kirche Betftunde gehalten wird, fie aus 
Schule insgefammt iu die Kirche gehen, den Gefang mitfingen, das Kapitel 
nadjlefen und dann das Bebet auf den Knicen verrichten; 

4) daß fie auch die Sonntage in die Kirche gehen, ihre Geſangbücher 
rehmen, die Lieder auffhlagen und mitſingen, auf die Predigt fleibig Achtung 

m, fi die Sprüche und angeführten Berfe aus den Gefängen merken, und 
e zu Haufe nadhfchlagen, damit fie ſolche bei den öffentlihen Examen berfagen 
ten. Und wenn fein öffentlid) Eramen gehalten wird, fo kaun der Schuldiener 
Den Montag die Predigt kurz egaminiren, wenn die anderen Lectionen 
ei find; 

5) daß die Kinder im Beten, Lefen und Herſagen der Hauptſtücke, Sprüche, 
en ıc. angewöhnt werden, langfam und deutlich zu reden, aud die Silben 
!  ausfprechen, nichts hineinfegen nocd die Worte verändern. 

IV. Siernädft hat auch der Schuldiener alljährlich ein Verzeichnis ber 
»Er, mer ihre Eltern, wie viel mal eins im Winter die Schule verfäunt, und 

Diele Winter ed im die Schule gegangen, zu verfertigen.“ 





— 296 — 


zu wiederholen. — Im Jahre 1766 machte das Oberconflftor-g, 
zu Eiſenach den Verſuch, einen ununterbrochenen Schhulbefuh dxyz, 
den ganzen Sommer hindurch bis zu Michaelis durchzufegen, zu 
zog deshalb aus allen Diöcefen Berichte über die in den einzelnen 

Gemeinden vorhandne Einrichtung und Dauer der Sommerſqule 
und über die Gründe ein, weshalb Diefelbe nicht ordnungsmäßig 
gehalten werde. Aus den hierauf einlaufenden Berichten ber 
Pfarrer ergab es fi, daß Die große Not des armen Landvolles, 
welches feine Kinder jo früh als möglidy zur Arbeit, namentlich 
zum Viehhüten (denn &emeindehirten waren nicht vorbanden,) 
gebrauchen muften, die Völlziehung ver Schulorbuung im Sommer 
unmöglihd machte. Es galt als uralted Recht, daß die Eltern 
ihre Kinder, fobald der Mai fam, der Schule entziehen und für 
fich verwenden fonnten. Es war daher ganz umfonft, daß had 
Oberconfiftorium zu Eiſenach durch Refcript vom 21. März 1768 
die Schule wenigftens bis zu Johannis unausgejeßt zu halten und 
zu bejuchen befahl: die Schulmeifter entfchuldigten die Nichlbe— 
folgung dieſes Befehle mit dem „Wegbleiben der Kinder, die 
Kinder mit dem Befehle ihrer Eltern, die Eltern mit den fchlimmen 
Zeiten und der nötigen Arbeit.” Die Pfarrer wuſten daher dem 
Oberconfiftorium nichts beßered vorzufchlagen, als daß man es 
mit den Sommerjchulen gehen laße, wie es gehen wollte, und 
daß man zufrieden fein möge, wenn die Schulen nur nicht gamı 
eingingen. 

Die alte Eifenachifche Schulordnung von 1705 war überall 
längft vergeßen und nirgends befolgt. Da machte zuerft ber 
Dberconfiftorial- und Hofrat Erdmann zu Eifenady das Ober 
confiftorium daſelbſt in einer Eingabe vom 19. Mai 1751 af 
die alte Schulordnung wieder aufmerffam und bat, Diefelbe mit 
zeitgemäßen Modificationen zu erneuern. Der Generalfuperinten 
dent Meißenborn zu Eiſenach billigte den Antrag vollfommen und 
ließ fih von Erdmann eins der wenigen noch vorhandnen 
Exemplare der Schulorduung mit den Verbeßerungsvorfchlägen 
besfelben vorlegen. Indeſſen blieb die Sache liegen, weshalb 
Erdmann ſechszehn Jahre fpäter, i. 3. 1767, feinen früher ge 
ftellten Antrag bei dem Oberconfiftorium erneuerte, Sept endlich 


— 297 — 


bm bdasfelbe Die allerdings wegen des beflagenswerten Buftan- 
8 der Volksſchulen unaufſchiebbare Sache ernftlich in die Hand, 
beauftragte im Februar 1768 den damaligen Beneralfuperin> 
ndenten Köhler und den Oberconfiftorials Affeffor und Archidi a⸗ 
‚nud Petri zu Eiſenach, den Entwinf einer neuen Schulorbnung 
aözuarbeiten und einzufenden. Der erftere veranlafte es, daß 
ah der (in der Realſchule zu Berlin üblichen) „Berliner Un- 
rrichtsmethode,“ der Plan einer gleichzeitigen Beichäftigung aller 
chulkinder in allen Lehrftunden feftgehalten wurde. Außerdem . 
bielten Erdmanns Vorfchläge jowie die Braunfchweigiihe Schul- 
dnung billige Berüdfichtigung. Als Bafid des Entwurfs wurbe 
e Schulordnung von 1705 verwendet. Die eigentliche Conci- 
Fung der Arbeit übernahm Petri, der diefelbe am 7. Sept. 1768 
das Oberconfiftorium zu Weimar einjandte und zugleich auf 
8 Bedürfniß der Errichtung eines Schullehrerfeminard aufmerk⸗ 
m machte. Zwei Sabre lang beichäftigte ſich das Oberconſi⸗ 
'rium mit der Prüfung und Ueberarbeitung des Entwurfs, bie 
dlich derfelbe der Herzogin Anna Amalia (ald regierenden Bor: 
inderin des Erbprinzen Karl Auguft) vorgelegt, von dieſer 
a 16. März 1770 beftätigt und im Drud verbreitet wurbe, 
Das neue Statut umfafte unter dem Xitel „Erueuerte 
chulordnung für Die deutfchen Schulen auf dem Lande im Für- 
ntum Eiſennach“ 6. Kapitel, von deren Inhalt Folgendes her⸗ 
tzuheben ift: Kap. I. „Bon "der Aufficht der Pfarrer über Die 
hulen ihrer Gemeinden:“ $. 1. „Iſt es an dem, daß das Heil 
e Kinder unferm Erzhirten Chriſto Jeſu eben fo ſehr als die 
olfahrt der Erwachſenen am Herzen liege, hat er feinen Apofteln 
d allen ihren Nachfolgern im Predigtamte befohlen, nicht nur 
ie Schafe, fondern auch feine Lämmer zu weiden, jo haben 
Prediger bie große Pflicht auf fih, mit eben der Wachſam⸗ 
und Treue zu forgen, baß die Kinder ihrer Gemeinden nicht 
zu nühlihen Mitgliedern des gemeinen Weſens erzogen, fon- 
N auch zu Chriſto Jeſu geführt werden. Und da in unfern 
ageliſchen Landen durch die überall angelegten Schulen die 
trefflichſten Anftalten zu dieſem Bwede vorhanden find, fo 
Ben fie ihr Augenmerk ganz beſonders barauf richten, daß bie 


— 298 — 


Schulen ſowol in Anſehung der Unterweiſungen der Kinde 
ber Zucht in einem guten Zuſtand erhalten uud immer mehr 
beßert werden.” — 8.2. „Zu dem Ende muß ein jeder Pfarrez ; 
feinen Predigten mehrmald Belegenheit nehmen, von dem gene 
Nugen der Schulen und der Wolthaten, die dadurch von Got | 
ben Menfchen erwieſen werden, zu reden, auch Eltern und Kindern | 
ihre Pflichten in Anſehung der Schulen nachdrücklichſt ans gen 
zu legen. Auf den Michaelistag, an weldhem der Aufang 
ber völligen Schule von der Kanzel obzufündigen ift, fol er eine 
Predigt halten, Die allein auf das Schulmwefen ge: 
richtet if.” — F. 7. „Wenn der Schulmeifter Krankheit oder 
‚einer nötigen Reife wegen die Schule nicht felbft Halten Kann, fo 
wird ein treuer Prediger beforgt fein, daß indeffen bie Säule 
in feine Unordnung gerate. Zu dem Ende wird er, fo lange der 
Schulmeifter in der Schule nicht zugegen fein kann, täglid bie 
Schule beſuchen, oder wenn es feine übrigen Amtsverrichtungen 
zulaßen, lieber jelbft Schule halten, follte es auch täglih eine 
oder ein paar Stunden weniger, ald ed gewoͤhnlich ift, geſchehen 
können.“ — ($. 10. Schulpflichtigkeit aller Kinder vom 5.-13- 
Lebensjahre.) — $. 11. „Endlich fol der Pfarrer jährlid int 
der Woche vor Kohannis ein Schulegamen anftellen, und basllbe 
Sonntags vorher von der Kanzel abkündigen. Zu bdenjdben 
ſollen fi die im Orte wohnenden Gerichtsobrigkeiten, Schulere, 
Gerichtöjchöffen, Gemeindeälteften und Heiligenmeifter einfindes - 
wie denn auch den Eltern der Schulkinder freifteht, bei demielbes® 
gegenwärtig zu fein.” — — Kap. I. „Bon den Pflichten de? 
Schulmeifters.” 6. 13. „Ein jeder Schulmeifter hat wol zu be 
benfen, daß fein Amt in der Kirche Gottes und dem Staat me 
ber wichtigften, daß fein Verhalten auf das Wol und Wehe wie® 
Seelen und auf den guten und fhlechten Zuftand des gemenes® 
Weſens großen Einfluß babe. Er wird fi) deswegen — ie 
wahren und ungeheuchelten Chriſtentums und einer aufridtigen® 
Gottſeligkeit befleißigen, damit er alle feine Pflichten mit Freudig⸗ 
feit bed Geiſtes und wahrer Treue erfülle und fi babe Ir® 
göttlichen Beiftandes und Segens verfichern könne. Gr wird IP 
überdem ehrbar aufführen und guter anftändiger Sitten befleilig®- 


— 299 — 


— Seine Frau, Kinder und Geſinde muß er ebenfalls zur Goi⸗ 
teßfurcht anhalten und dahin fehen, daß in feinem ganzen Haufe 
Alles ordentlich und ehrbar zugehe. Er darf deswegen das Schuls 
haus durchaus nicht zu Sauf- und Tanzgelagen mißbrauchen 
lagen. Die Achtung und Liebe der Gemeinde fol er nicht durch 
Zehen und Spielen mit den Einwohnern in Schänfen, Wirtd 
häufern und andern Orten, Auffpielen bei Tänzen, auch nicht 
durch Poſſen und Narrenteidung, dergleichen leider von einigen 
bei Ehrenmahlen und andern Zufammenkünften getrieben werben, 
jondern durch Gottſeligkeit, Tugend, Höflichkeit und Treue in 
einem Amte zu erwerben ſuchen.“ — $. 15. „Die Schule wird 
on Michaelis bis Johannis mit den fämmtlichen zur Schule ge 
yörigen Kindern Vormittags 3 Stunden und Nachmittags 3 Stum 
er gehalten. Keine von dieſen Stunden datf ohne Hinlänglicdhe 
Irfache und ohne Vorwißen und Erlaubnis des Pfarrers ausge⸗ 
etzt werden. — Alle Tage der Woche wird Schule gehalten, 
Sommeräzeit frühe von 6—9 Uhr, Winterszeit von 7—10 Uhr. 
Die Nachmittagsfchule geht im Winter und Sommer um 12 Uhr 
n und währet bi8 3 Uhr. Mittwochs und Sonnabends ‚Nach: 
rüttags find Ferien, wie denn auch die Nachmittagsjchule den 
Ag dor einem einfallenden Fefte eingeftellt wird. Wo aber das 
rue oder andere Felt an einem Orte nicht gefeiert würde, Darf 
uch feine Schule weder an dem Tage des an andern Orten 
ı feiernden Feftes, noch den Tag vorher ausgefeßt werben.” — 
- 16. „Damit aber die Kinder durch dreimonatliche Ferien nicht 
dieder vergeben , was« fie in 9 Monaten mit vieler Mühe des 
Schulmeifterö gelernt haben und hernach jedesmal von vorn an: 
fangen müßen, fo fol in den &erien wöchentlich 2 Stunden 
Schule gehalten werben, denen ſich keins von den Schulfindern 
bei nachdrücklicher Strafe entziehen darf. Der Pfarrer und Schul: 
nefter jeded Orts werden miteinander überlegen, welden Tag 
der Wochen uud welche Stunden des Tages an ihrem Orte hier: 
4 Die bequemften find. — Da aber an einigen Orten dieſes 
!fkentumd wegen Mangeld eines gemeinen Viehhirten oder einer 

Meinen Weide ein jeder Hauswirt fein Vieh felbft hüten muß, 
au dieſer Verrichtung mehrenteild feine Kinder braucht, — 





— 300 — 


fo fol es Fünftig an diefen Orten alfo gehalten werben: 1) Ep, 
follen das Vieh zu ber Zeit, wenn ihre Kinder in der S yy, 
fein müßen, entweder felbft hüten oder jemanden dazu in Die 
nehmen. 2) Wenn Eltern notwendiger Arbeit und Armut wege 
ihr Vieh nicht felbft hüten oder dazu Jemanden Dingen fönnen, 
aber 2 oder mehrere Kinder haben, Die zu dieſer Verrichtung ge 
braucht werden koͤnnen, follen dieſe Kinder von der Zeit an, da 
das Viehhüten angeht, mit der Schule dergeftalt abwechfeln, dah, 
indem das eine die drei erften Tage der Woche das Vieh hüte, 
das andere Kind diefelbigen Tage Vor- und Nachmittags unauk 
bleiblih zur Schule gehe. Die drei letzten Wochentage hütd 
dasſelbe das Vieh, fo die erfteren Wochentage in der Schule ge 
weſen, das andere findet fih in der Schule ein. 3) An der Zeit 
von Johannis bis Michaelis Bleibt ed mit fämmtlichen Sul 
findern bei dem, was $. 16 verorbnet ift, indem durch zwei 
Stunden in der Woche wenig oder nichts beim Wiehhüten ver 
fäumt wird. 4) Wo in einem Haufe nur ein Kind ift, das zum 
Viehhüten gebraucht werben kaun, — fo fol den Eltern nad 
porgängigem Bericht des Pfarrerd — erlaubt werden, ein ſolches 
Kind des Tags nur einmal zur Schule zu fchiden, eine Wodt 
des Vormittagd , Die andere Woche des Nachmittags." — 
$. 21. „Die Kinder werben in 4 Rlaffen geteilt; wo der Kinder 
nur eine Fleine Anzal ift, werden 3 Slaffen gemacht. In die 
erfte gehören Die fertigen Leſer, in die andre Die Anfänger im 
Lejen, in die dritte die Buchftabirfinder und in die vierte die 
ABCſchuͤler. Diefe Kinder werden in ber Erlernung der Bud 
ftaben, im Buchſtabiren, Leſen, Schreiben, Rechnen, 
Chriftentum und einige in der Muſik unterrichtet. Die 
Ordhung der Lectionen und die babei zu gebrauchende Lehrart f 
folgende: 


Montag. 
Erfte Vormittagsſtunde. 


1) Wird ein Lied, und wenn es zu lang iſt, bie Hilfte 
gefungen,, welches ber Schulmeifter Iaut und deutlich vorfagt md 


— 301 — 


yarauf mit fämmtlichen Kindern nachfingt. Alle Monate wird ein 
ed, das der Pfarrer entweder ganz oder ftüdweife aufgibt, ers 
wählt, damit es Große und Kleine durch das öftere Singen 
lernen. Die Kinder dürfen dabei fein Gefangbuch brauden, da⸗ 
mit fie nicht durch Blättern in demfelben fich zerftreuen und das 
ed nicht lernen. 2) Hierauf wird gebetet, welches langfam und 
deutlich gefchieht. Ein Knabe Liefet den monatlichen Pfalm, und 
mit dem Gebet des Herrn wird gejchloßen. 3) Wird die Sonns 
tageprebigt wiederholt. Der Schulmeifter laͤſt fi von etlichen - 
Rindern jagen, was fie für einen Spruch oder Lehre aus ber 
Predigt behalten haben, und. wendet alles mit wenigen Worten 
ur Grbauung der Kinder an. Die Faͤhigern werben von ihnen 
angewiefen, wie fie erft den Hauptinhalt einer Predigt, die Pro- 
oftion und Ginleitung anmerken; und wo fie dieſes gefaft, wird 
hnen Anleitung gegeben, wie fie ben ganzen Inhalt einer fonft 
tdentlichen Predigt notiren und dem Gebächtnis einverleiben 
Önnen. 


Andre Bormittagsftunde. 


1) In der erſten halben Stunde leſen die fertigen Leſer 
nige Kapitel aus der Bibel alten oder neuen Teftamentd, bald 
le zugleih, bald diefer, bald jener, welcher vom Schulmeifter 
zu aufgerufen wird. Bald buchftabiren fie alle zugleich, bald 
ıB einer und ber andere damit fortfahren. Während dieſer 
"bung wird den Anfängern im Lefen und den eigentlihen Buch⸗ 
birkindern ihr Wochenſpruch etliche Mal deutlich vorgefagt, Doch 
bt cher, bis fie den Wochenfprucdy der unterften Klaſſe wißen. 

Sin der andern halben Stunde Buchftabiren die Anfänger im 
jen und die eigentlichen Buchſtabirkinder bald alle zufammen, 
[D immer allein, der von dem Schulmeifter aufgefordert wird. 
um Schluffe diefer Arbeit werden die Anfänger im Leſen zum 
len angewiejen und barin geübt. Unter diefer Arbeit aber 
:cden die Großen im Aufichlagen der Bibel geübt, lernen ihre 
Ohenfprüche, doch nicht eher, bis fie den Spruch der mittleren 
-aflen wißen. Zuweilen machen fie ſich die Namen ber biblifchen 
ücher nach der Reihe befannt. — Die ABCſchüler lernen täglich 





— 302 — 


einen ober zwei Buchftaben nicht nad der Reihe. Sie Mey 
dabei vor der größeren Tafel und haben ihre ABCbücher vor fg 
aufgefchlagen.. Der Schulmeifter mahlt einen Buchflaben ar 
Kreide an die Tafel oder auf ein Papier, das er an die Zafel 
hängt, zeigt ihnen die Geftalt und Züge des Buchftaben und läf 
fih fodanı Ddenfelben in ihren Büchern zeigen. ‘Damit fährt a 
fort, bis fie den Buchſtaben alle kennen. Gr gebt jobann zu 
einem andern fort, von ben einfachen Selbftlautern zu den Dop 
pellautern und ftummen Buchftaben. Dieje Hebung nimmt er vor . 
zwifchen dem Leſen und Buchftabiren der übrigen Kinder. ©% 
bald fie die Buchftaben völlig kennen, werben fie unter bie eigenl 
lihen Buchftabirkinder gefept. 


Dritte Bormittagsftunde. 


1) Su der erften halben Stunde fchreiben Die größeren, 
und in der andern halben Stunde wird ihnen das Geſchriebene 
mit roter Dinte corrigirt. Kein Kind wird in der Gore 
übergangen. — Was an dem einen Tage corrigirt worden, ſchreibt 
bad Kind den folgenden Tag noch einmal nad) der Gorrectur. — 
2) Indem die Größeren fchreiben, werden die Anfänger im Lem, 
die Buchſtabir⸗ und ABCkinder vorgenommen. Die erfteren wer 
den jowol im Buchſtabiren als Leſen, die andern blos im Buch⸗ 
flabiren, und die ganz Eleinen in Erlernung der Buchftaben auf 
bie oben angezeigte Weife geübt. — Zum Beichluß wird dr 
monatliche Pſalm gelefen, und das Vater Unſer gebetet, aud mi 
einem Berfe aus dem monatlichen Liebe gejchloßen. Zuweilen 
wird flatt des Pfalms das monatliche Lieb gefungen. 


Montags Nahmittags. 
Erfte Stunde. 


1. Werden einige Verſe aus dem monatlichen Liede geſungen, 
ber monatliche Pfalm vorgelefen und das Vater unfer, auch „HT 
lehre mich thun“ ac. oder ein anderes kurzes Gebet gebetet. © 
dann lernen die Kinder ein Stud aus dem Katechismus. Diele? 
Stüd liefet ihnen der Schulmeifter etlichemal nad) einander las‘ 
Jam und beutlid, vor. Die Leſekinder leſen dabei in ihrem af’ 


— 303 — 


ſchlagenen Katehismo in der Stille nad. Darauf lefen bie 
fefinder dieſes Stück alle zugleih und die übrigen hören fill 
d aufmerffam zu. Darauf fagt der Schulmeifter von dieſem 
tüd ein Comma nad) dem andern den Kindern vor, und läft es 
n ihnen nachfprechen, bis fie es Lönnen. Dann nimmt er 2, 
4 Commata und endlid das ganze Stud vor. Lernen fie ſol⸗ 
8 den einen Tag nicht, jo wird es den andern Tag wiederholt. 
ie biblifchen Worte des Katechismus lernen alle Kinder, die 
islegung aber des Katechidmus wird von den größeren bloß 
xch oͤfteres Herlefen gelernt. Endlich jagt eine jede Klafje ihren 
ochenſpruch, die Großen einen längereh, die Mittleren einen 
tzeren und die Kleinen einen aus wenigen Worten beftehenden 
pruh. So lernen die Kinder wöchentli ein Stüd aus dem 
techismud, drei Sprüche, monatlidy aber einen Pfalm und ein 
d. 


Andere Stunde. 


1. Sn der erften halben Stunde lejen die fertigen Leſer 
erft, Dann werden bie Anfänger im Leſen, fowol im Buchſtabiren 
3 im Leſen vorgenommen. 2, In der andern halben Stunde 
den die Buchftabirkinder im Buchſtabiren und zugleich bie 
BCkinder wieder in Erlernung der Buchftaben geübt. Während 
fer Uebung werden zugleich die oberen Slafjen zuweilen zum 
jen und Buchftabiren aufgerufen, damit alle zugleich in der Aufs 
erkſamkeit erhalten werben. 


Dritte Stunde. 


1. In der erften halben Stunde wird teild gejchrieben teils 
vehnet. Den Faͤhigeren wird etwas Ddictirt, auch werden fie 
Mm Briefichreiben angewiefen. Die Worte, fo fie falfch gefchrie- 
a, werden angemerkt, den folgenden Tag corrigirt und richtig 

die Tafel gejchrieben, damit zugleich die übrigen davon Nutzen 
ben. Unter dem Schreiben und Rechnen werden bald die Buch 
Bir-, bald die ABCkinder aufgefordert etwas zu buchftabiren 
er ihre Buchftaben zu zeigen. 2. In der legten halben Stunde 
rd bibliſche Hiſtorie erjtlich von dem Schulmeifter, fobann von 


— 304 — 


einigen fertigen Leſern etlichemal langfam und Taut vorgelefen, Ay 
zu lernende Stüd bed Katechismi wird vorgelefen, dann gemZu 
und mit einem oder etlichen Verjen aus einem Liebe der Schuf 
gemadht. 

Diustags, Donnerdtags und Freitags wird es ebenfo ge 
halten, nur daß an denfelben ſtatt der montäglichen Wieberholug | 
der Sonntagspredigt ein Stud aus dem Katechismo zergliedert, 
furz erklärt und zugleih an das Herz ber Kinder gelegt wit. 
Die Schulmeifter bedienen ſich hierzu Löſekens zergliederten Kate 
chismus Lutheri. Diefes haben fie alfo einzurichten, daß ber Av 
techismus vierteljährlich zu Ende gebracht wird. 

Mittwochs werden eben die Lectionen vorgenommen, wie an 
ben übrigen Tagen. Statt ber Erklärung des Katechismus wirt 
die vorher zwei Tage vorgelefene bibliſche Hiftorie noch einmal 
vorgelefen, und von dem Schulmeifter werden die Kinder au 
derfelben egaminirt, auch die Probe gemacht, ob eins ober dal 
andere dieſe Hiftorie, obgleich mit anderen Worten, erzälen fan 

Des Sonnabends werden zuerft die Sprüche, Pfalmen und 
Lieder wiederholt. Darauf wird, wie am Mittwoch, eine bibliſche 
Hiftorie, die Donnerstags und Freitags vorgelefen worben, aber 
mals vorgelefen und durchgefragt. Dann werden die Sonntage 
evangelien und Epifteln gelefen, und, fo einige größere fie zu 
Haufe auswendig gelernt, von denfelben hergefagt. Ferner werben 
bie Kinder in der Orthographie alfo geübt, daß einer ein od 
etliche Worte, die ihm der Schulmeifter fagt, an die Tafel ſchreibt, 
welche denn hernach corrigirt werden. Und da teild zur Uebung 
der Schulkinder teild zur Erinnerung und Erwedung der Emo 
fenen die gute Einrichtung auf dem Lande ift, daß des Sonntage 
Nachmittags ein Hauptflüd aus dem Katechismus Rutheri, Fefttag? 
aber Rofini Fragftüde von zwei Schulfindern in ber Kirche vor 
Öffentlicher Verſammlung hergefagt werden, fo muß ber Edul 
meifter des Sonnabends die Kinder, fo den Sonntag auftreten 
follen , verhoͤren, damit fie nicht anftoßen und durch ihre Vewir⸗ 
rung den daburch gefuchten Endzweck hindern. — Der Beſchluß 
wird unter berzlidher Ermahnung, den bevorftehenden Somtag 
heilfamlich zu feiern, mit Gebet und Gefang gemacht.“ 





— 306 — 


inf folgen Kap. UL „Von dem Verhalten der Schuls 
tap. IV. „Von der Pfliht der Eltern und Vormünder 
ig der Schulen.” ($. 51: „Sollten Eltern durch die 
mut in die Notwendigkeit gefeßt werden, ein Kind 
Sndigung feiner Schuljahre zu vermieten, follen fie jol- 
dem Pfarrer ald ihrer Obrigfeit gebührend anzeigen, 
n nad) gefchehener genauer Unterfuchung und erfannter 
totwendigfeit Die Erlaubnis dazu zu geben. Doch foll 
e folgenden Einfchränkungen gejchehen: Ein ſolches Kind 
ı feinem Hirten vermietet werden, weil es fonft faft 
ile des Jahrs weder zur Kirche noch zur Schule kom⸗ 
Es darf 2) nicht aus dem Lande oder zu fremden 
rwanbten vermietet werden. Es muß 3) ohne Lohn 
um den Unterhalt dienen. Und 4) der Dienftherr ift 
daſſelbe täglich zwei Stunden, wie audy in den Kerien 
:ordnieten Stunden jeder Mode zur Schule zu ſchicken. 
chulmeiſter aber ift fchuldig, daſſelbige Kind, wo Nies 
is bezalen kann, ohne Echulgeldb zu unterrichten.” 
Bon dem Amt der Superintendenten, Snfpectoren und 
m bei dem Schulwefen.” (Schlußparagraph 64: „Die 
jedes Orts fol veranftalten, daß diefe Schulordnung 
am Michaelistage [heiligen Abend] der Gemeinde un- 
) vorgelefen werde.) — — 
neue Schulordnung wurde ordnungsmäßig publizirt und 
Irten den Geiftlihen und Schullehrern zur Nachachtung 
aber es ging ihr nicht beßer als der alten Schulorb- 
1705. Schon im Mai 1781 mufte das Oberconfifto- 
inem Generale alle Pfarrer und Schulmeifter darüber 
Ichaft ziehen, daß Die Schulordnung an vielen Orten 
fgeftellt fei, und daß faft überall nur von Michaelis 
ı Schule gehalten werde. MUeberhaupt ſah man ein, 
Schulweſen noch auf ganz anderen Wegen aufgeholfen 
üße, als durch die - Aufftellung einer Schulordnung. 
re erachtete man vor Allem für nötig, daß in den Ge- 
ie in den Schullehrern erft der Sinn für geiftige Bil⸗ 


dt und daß die äußere Lage ber leßteren gebeßert wer⸗ 
gfchu lweſen, 2. 


— 306 — 


den müße, wenn die Volksſchule gedeihen ſollte. Hierzu wzru 
die Ginrihtung von Sonntagsſchulen, die Organifirung eine 
Schullehrerfeminard und die Errichtung einer Generalſchullaſe 
für nötig befunden. | 

Die Einrihtung von Sonntagsſchulen erfolgte i. J. 17%. 
Unter dem 8. Oktober 1790 wurbe nemlich von dem Obercon⸗ 
ſiſtoruum zu Eifenach verordnet, daB ale jungen Mannsperſonen 
vom 14. bis 20. Jahre Sonntags nad) geendigtem Gotteöbienfe 
fi in der Schule ihres Orts unter Aufficht eines oder mehrer 
Gemeindevorſteher einfinden, daſelbſt eine Vorlefung des Edul 
meifter8 aus Seiler Lefebucdy anhören und ſich über den {nhall 
der Vorlefung von dem Schulmeifter befragen laßen follten. Auch 
erfchien unter demfelben Datum eine gedrudte JInſtruction übe 
die Art und Weife, nach welcher Prediger und Lehrer im Fürften 
tum Eiſenach das Leſebuch Seilerd gebrauchen follten. Yür jet 
Schule wurden zwei Exemplare der Verordnung angeſchafft. Bald 
darauf wurde von dem Inſpector Wilda aus Großrudeftedt ar 
gefragt, wie er fich zu verhalten habe, wenn, was voraudzujehe 
jei, die jungen Burſchen ſich weigern würden, die Sonntagsſchulen 
zu bejuchen. Wilda erhielt den Bejcheid, die jungen Burſchen zu 
bedeuten, daß fie ohnfehlbar zwangsweiſe zum Beſuche der Eonw 
tagsjchulen angehalten werden würden, wenn fie biefelben nidt 
gutwillig bejuchten, daß jedoch von Johannis bis Michaelis die 
Sonntagsſchulen überall ansgejeßt werden jollten. 

Indeſſen Fam fofort ein andrer Punkt zur Spradye, nemlich 
die Frage, wer den für die Sonntagsfchulen erforderlichen Auf 
wand an Holz und Licht tragen, und ob die Echulmeifter für die 
ihnen aufgebürdete neue Mühe eine Vergütung erhalten jollten- 
Die letztere wurde den Echulmtiftern abgefchlagen, weil fie ſich 
durch das Norlefen in der Sonntagsichule zugleich ſelbſt beichrten > 
dagegen wurden die Gemeinden angewiefen, das erforderliche His“ 
und Brennmaterial aus ihren eignen Mitteln zu beichaffen und 
ih deshalb mit den Schulmeiftern abzufinden. 

Demgemäß wurden die Sonntagsſchulen überall eingerihte®r 
fanden aber faft nirgends in den Gemeinden dauernd Anklang- 
weshalb fi der Generaljuperintendent Schneider veranlaf je» 


— 301 — 


en Beiftlichen des Fürftentums darüber Bericht einzuziehen, 
mit den Sonntagsſchulen und mit ber Ginführung bes 
ben Leſebuches ſtehe. Alle Berichte, welche infolge deſſen 
n, flimmten darin überein, daß die Sonntagsfchulen an« 
eißig beſucht, aber nach Verlauf eines Vierteljahres immer 
eworden waren. Wurde den Bauern darüber Vorhalt ges 
o entjhuldigten fi biefelben mit der Antwort, daß in 
Lefebuch vieles ftehe, was fie ebenſo gut und zum Teil 
per wüften. Sie fähen nicht ein, warum fie fich dieſes 
‚ten vorleſen laßen; denn da e8 wegen feiner Leichtfaßs 
‚einer Erläuterung bebürfe, jo fönnten fie e8 zu bequeme- 
ſelbſt lefen. Andere meinten, der Unterricht in der Geo- 
Himmelsfunde, Zeitrechnung u. dergl. fei für fie eben fo 
ch, al& er für ihre Eltern entbehrlich geweſen fet, hätten 
nem Sonntag den Gottesdienft zweimal bejucht; jo hätten 
tiefen Tag „gute Sachen genug gethan.“ Die Sonntags 
drohten daher fait überall wieder einzugehen, Da Die jungen 
ı fih in Ddenjelben entweder gar nicht jehen ließen, oder 
ver Abfidht kamen, um Pollen zu treiben. 
as Dberconfiftorium erließ deshalb einen neuen Befehl an 
fiftorialämter, wonach es den Gemeindevorftehern ernfts 
r Pfliht gemacht werden follte, den Vorleſungen beizus 
Ale jungen Burfchen, weldye diejelben verfäumten oder 
fen ftörten, follten notirt und zur Strafe gezogen werben. 
wendete fich die Gemeinde zu Kaltennorbheim in einer 
iteingabe unter dem 28. November 1792 an den Landes- 
ıd bat um Abftellung der Lefeftunden, da in dem Seiler 
jebucye die Geographie zu unvollſtaͤndig, die Sittenlehre, 
er Heil. Schrift deutlih und eindringlich genug gelehrt 
entbehrlich fei, und da die Öconomijchen Regeln jo fehler- 
ehrt würden, daß die Befolgung derjelben in kurzer Zeit 
n des Landes herbeiführen müfte. Allerdings wurde bie 
e Kaltennordheim, da das bafige Gonfiftorialamt eine 
ihe Widerlegung ihrer Eingabe einfandte, abjchlägig ber 
; indeffen in Ruhla wurde die Sonntagsſchule am 28. Nov. 
it Bewilligung des Oberconfiftoriumd geſchloßen, weil mehr 
| 90° 


— 308 — 


vere Einwohner zu Ruhla ſich Seilerd Leſebuch felbft angejdeeny 
hätten oder an den zu Eiſenach beftchenden Lejegefellichaften er, 


nähmen oder des Handeld wegen oft auf Reifen fein müften, und 


weil die Vorlefungen mit dem Examen, welche nach geendigten 
Nachmittagsgottesdienft gehalten würden, in Gollifion kämen. — 
Bon Ddiefer Zeit an fcheint man die ˖ Sonntagsſchulen wegen un 
aufhörlicher Widerjeglichfeit der Gemeinden anfgegeben zu haben. 
Nur aus dem Amte Großenrudeftedt liefen noch Berichte über den 
Fortbeftand der Sonntagsjchulen ein, welde indefjen von 1799 
an ebenfalld ausblieben. 


Bur Begründung einer Generaljhulfajje wurde i. J. 
1784 Anregung gegeben, indem durch landesherrliche Entjchliepung 
zur Beichaffung eined Fonds ein jährlicher Beitrag von 50 lt. 
aus der Landſchaftskaſſe Des Fürſtentums Eiſenach verwilligt wor 
den war. Nach einer von dem Oberconfiftorium zu Gifenad un 
ter dem 14. Januar 1785 beantragten Anordnung *) follte nun 
der fo begründete Fonds in der Weife vermehrt werden, dab 
1) an den Sonntagen, an welchen die Schulpredigt gehalten und 
das Echulegamen angekündigt werde, Gollecten erhoben, 2) von 
allen Hageftolzen und von jolhen Ehepaaren, weldye bereits übe 
6 Jahre in der Ehe gelebt und feine Kınder haben, freiwilig 
jährliche Beiträge erhoben werden; daß 3) für Die Erlangung 
der Grlaubnis zur Beranftaltung öffentlicher Tänze an Son, 
Feſt- und Werktagen (mit Ausnahme der Hochzeitstänze) eine 
Abgabe erhoben und 4) bemittelte Perfonen , die feine nowewn 
digen Erben hätten, bei ſich darbietender Gelegenheit von den 
Geiſtlichen erinnert werden follten , daß fie „durch Worjorge und 
Schenkungen zum Beften der Schulfafje einen beliebigen Teil ihre 
Vermögens verwenden möchten.” Sobald nun Die Schulfaffe auf 
Diefe Weife jo weit angewachjen fein würde, daß ihre jährliden 


*) Diefelbe findet ſich abgedrudt in den Acta hist. eccles. T. XI. 6. 42 
bis 155. 





| 


— 5309 — 


efien 100 Thlr. betrügen, fo follten diefe 100 Thlr. fo ver- 
werden, daß die Ginnahme derjenigen Schulmeifter, Die wer 
ald 30 Thlr. Gehalt hätten, auf 50 Kaiſergulden und bie 
dung derjenigen, welche jährlich weniger ald 40 Thlr. einzu- 
en hätten, auf 60 Kaifergulden erhöht würde. Durch geeig- 
Verwaltung der Kaffe hoffte man indeſſen die Einnahmen der: 
ı allmählicy fo zu erhöhen, daß’ der Gehalt jedes Schulmei— 
bis auf 50 Thlr. aufgebeßert werden Fönnte. 

Ein fogenannte® Seminar war allerdings ſchon Damals in 
ach vorhanden. Dieſes beitand jedoch nur darin, daß denen, 
e Schulmeifter werden wollten, geftattet war, bie ihnen er- 
lichen Lebrftunden im Oymnafium zu Eifenady zu beſuchen. 
debrigen wurde ſich un diefe „Seminariften,” Die auch Gym⸗ 
ten genannt wurden, gar nicht befümmert. Die ganze Ein- 
ng war daher nicht allein faft völlig unnütz, fondern auch 
zu verderblid, indem die Seminariften, welche weit weniger 
ie andern Gymnaſiaſten beichäftigt waren, fich einem müßigen 
leichtfertigen Leben ergaben. Da gab ein Scandal, welder 
n Eiſenach zutrug, den Behörden Veranlagung, auf die Ab- 

ag dieſes Uebelftandes Vedaht zu nehmen. Der Generalſu— 
tendent Schneider zu Eifenady zeigte im Februar 1783 dem 
confiftorium an, daß ein verdorbener Seminarift eine. Wittwe 
vängert babe, und wies darauf hin, daß die zukünftigen 
Imeifter notwendig mehr bejchäftigt und Durch einen lediglich 
ie beftimmten Unterricht für ihren Beruf beßer vorbereitet 
m müßten. Infolge deſſen ftellte das Oberconfiftorium bei 
Herzog den Antrag, für die zufünftigen Volksſchullehrer, 
en fie nun Gymnaſiaſten fein oder nicht, einen befonderen 
richt in der Katechetif anzuordnen. Der Herzog genehmigte 
Antrag (4. März 1783) und vermwilligte dem Diaconus Zwez 
iſenach, der die Erteilung dieſes Unterrichtd übernehmen zu 
n bereit erflärt hatte, für biefelbe eine jährliche Vergütung 
50 Thlr. Zugleich erhielt Zwez folgende Inſtruction: 

„.. Sol er überhaupt fein Geſchäft dahin gerichtet fein 
1, daß er alle mögliche anwende, damit die Präparanden 
nur Gejchidlichkeit erlangen, mit gutem Erfolg die ihnen ans 


— 310 — 


zuvertrauenden Schulfinder in demjenigen zu unterweilen, aos 
ihnen als Chriftenfindern und nad den Umftänden, in welchen 
fie leben, zu wißen unentbehrlich nötig ift, fondern auch Damiz die 
Präparanden angeführt werben, eine foldye Gefinnung anzunehmen 
und ſich alfo zu verhalten, daß man hoffen kann, daß fie Fünftig 
ihr Amt mit aller Treue und Gewißenhaftigfeit unverdroßen und 
mit willigem freudigem Herzen ausrichten werden. 

2. Gr fol daher nit nur Diejenigen Gymnaſiaſten der 
zwei oberen Klaffen, welche fich zu Verwaltung der Schulbienfe 
wollen vorbereiten laßen, fondern auch andere ſchickliche Subjekt, 
welche eben dieſen Zweck haben, in dieſes Anftitut aufnehmen. 
Wie aber folches blog für die Eiſenachiſchen eingeborenen Landes⸗ 
finder errichtet ift, jo ſoll es mit Aufnahme derfelben alfo gehab | 
ten werben, daß alle Diejenigen, welche an dem Unterrichte el | 
nehmen wollen, fi) bei dem Herrn Oberconfiftorialrat und Gene | 
raljuperintendenten, unter defjen bejondrer Aufficht das Inſtint 
ſteht, und an weldem der Lehrer der Präparanden fowol dd : 
diefe bei allen vorkommenden Fällen ſich zuerft wenden ſollen, 
anzumelden, ihren Geburtsort, Eltern und Alter anzugeben habe, 
welches derſelbe nicht nur in ein beſonderes dazu zu baltenbed 
Buch einzuzeichnen, fondern fie auch, wofern er feine Bebenklickeit 
dabei findet, an den Diaconns Zwez zur Aufnahme und orbent 
lihen Einführung mittelft eines ihnen zu erteilenden Scheines zu 
weifen hat. Diefee ſoll jodanı wöchentlih zwo Stunden 
in einer Schulftube des hieſigen Gymnaſii, melde 
ihm Dazu eingeräumt werden fol, dieſe Präparanden zu dem 
. anweijen, was ihnen zu ihrem Amte nötig ifl. 

3. Was die Unterweijung felbft betrifft, fol er 

&) die Präparanden zu guter, richtiger und gegruͤndete 
Erkenntnis der chriftlichen Glaubens⸗ und Lebenslehren zu bringen 
ſuchen; | | 

b) ihnen die Vorteile zeigen, durch welche deren Hülfe und 
gute Anwendung fie die Keuntnis der Buchftaben, Die Zufanmm 
jegung derſelben oder das Buchſtabiren, das Lefen, Schreiben 
und Rechnen den Kindern erleichtern, Die im ihrer Schule ſein 
werben; 


— — m 





— 3511 — 


sorzüglich darauf jehen, daß die Präparanden Iernen Die 
e Unterweifung jo anzuftellen, daß die Schulkinder das 
yt blos nady dem Gedaͤchtnis faßen, fondern auch richtig 
mögen und einfehen, wie fie Davon einen beilfamen ®es 
achen follen. Zur Beförderung diefer Abſicht hat er 
jelbft die Präparanden in jeder Stunde in einem Stüd 
hen Lehre fatechetifch zu unterweifen und ſich dabei zu 
der Zeit aller weitläufigen Dictatorum zu enthalten, 
e audy anzuhalten, dasjenige, was in jeder Stunde von 
wchfatechifirt worden, zu Haufe in einem dazu zu hal 
uche jchriftlich zu verfaßen und ihm foldyes zu Anfang 
gen Stnude vorzuzeigen, wie auch ſodann ſich felbft uns 
er über foldye8 Stüd aus dem Gedächtnis zu katechiſi⸗ 
t der ihnen erteilte Unterricht fogleich ad praxin gebracht 
nd der Lehrer ihnen, wenn fie fich felbft untereinander 
ı, die Vorteile im Katechiſiren zeigen und fie zur Ver⸗ 
der an ihnen bemerkten Fehler anführen könne; 
ihnen zeigen, wie fie Die Schulfinder überzeugend beleh-- 
die heilfame Lehre der göttlichen Offenbarung und bes 
nicht als bejchwerliche Laſt, fondern als eine fehr herr⸗ 
that Gottes, als ein bewährtes Mittel zu ihrer wahren 
n Blüdjeligfeit, als eine zuverläßige Anleitung zur gött- 
ade und deren BVerficherung zur wahren Zufriedenheit 
n Hoffnung einer ewigen Glüdfeligfeit anzufehen ſei, 
Schulkinder die hriftliche Xehre nicht aus Zwang, fons 
fehnlichem Verlangen lernen und deſto begieriger auf 
richt in derſelben merfen mögen; 
jelbige erinnern, wie dieſes auch in feiner Art bei allen 
des Schulunterrichte8 gewißermaßen ftattfinde, daß Bei 
n Sache den Kindern gezeigt werde, warum und wozu 
a8 fie lernen follen, zu lernen haben, was für ein großer 
raus erwachfe, wenn man einen jeden Teil der Lectionen 


Er foll den Präparanden Unterricht geben, wie fe mit 
Hindern väterlih, liebreich, Elüglih und ernfthaft um⸗ 
ch am Teichteften die Schulkinder geneigt und folgjam 


— 312 — 


machen, wie fie die Liebe derfelben gegen fich erhalten und befefi. 
gen und fich fo Bei ihnen aufführen, daß die Kinder fie als ihre 
treumeinenden Väter und Wolthäter achten und ehren, Damit fie 
nicht nötig haben, diefelben mit allzu großer Härte zu behandeln, 
und damit ſich dadurd die Schulmeifter felbft die Mühjeligfeit 
und Beichwerlichfeit ihres Amted am ficherften erleichtern mögen, 
jedoch auch nicht vergeßen, widerftrebende und ſehr unartige Kin 
der mit Klugheit und Ernſt zu ftrafen, wenn fie fich durch Liebe 
‘und Güte nicht von dem Böfen abhalten lagen wollen, bei alkt 
Herablaßung und Freundlichkeit immer in gehörigem Anfehen bei 
den Schulfindern ſich zu erhalten. 

5. Soll der Tiaconus Zwez bei diefem Geſchäft nicht um 
terlaßen, den Präparanden zu zeigen, wie fie einen nötigen fohrift: 
lihen Auffaß verfertigen, als einen Bericht, Kaufbrief, Rechnung, 
Lebenslauf, Duittung ıc. ihnen dergleichen wirklich verfertigen, und 
fih joldye, um das darin noch fehlende zu fuppliren oder abändern 
zu Tönnen, vorzeigen zu laßen. Auch fol er den Präparanten 
eignen Unterricht geben, was aus ber Naturlehre zu wißen vor 
andern nötig, Damit irrige, fchäbliche Meinungen von verſchiednen 
Dingen, Aberglauben u. dgl. bei Schulmeiftern, Schulkindern und 
Einwohnern jedes Orts fo viel möglich, binweggeräumt werde. 

6. Soll der Diaconud Zwez auf diejenigen Gymmafiaflen 
und andre, die in feiner Unterweifung und Aufficht ftehen, ver: 
züglich ein Augenmerk haben, um ihren Wantel und Aufführung 
zu beobachten, damit wo er etwas bemerkt, Das, dem Endzwece 
der Präparation zuwider, er den Präparanden Vorftellung thun, 
fie ermahnen und warnen, wofern aber einer oder der andere am 
baltend widerfpenftig fein und fich nicht dem Chriſtentum und ſei⸗ 
ner Beftimmung gemäß aufführen, auch Warnung und Vorſtellung 
nicht annehmen wollte, ſoll er folden dem Herrn Oberconfifterial” 
rat und Generalfuperintendenten befannt machen, welder ihn 
nochmals ernftlich zu ermahnen, auch zu warnen, und wofern auch 
diefe Ermahnungen und Warnungen fruchtlos fein follten, ihn 
dem fürftlichen Oberconfiftorium als einen ſolchen anzuzeigen bat, 
weldyer zu einem fünftigen Schulamte fich nicht qualifiziren will, 





— 313° — 


nit er von der Präparation und Anwartichaft auf einen Schul 
nft ganz ausgefchloßen werde. 

7. Hat der Diaconud Zwez vier Wochen vor Michaelis 

ı Verzeichnis der jämmtlichen Präparanden nebft Bemerkung 
er Talente, Fleißed und Aufführung dem Herrn Generaljuper- 
endenten zu übergeben, welcher ſolches mit Bericht an fürftl. 
berconfiftorium einreichen wird. 
8 8 fol aud jährlich in der Woche nach Michaelis von 
n Diaconus Zwez in Gegenwart des Herrn Generalfuperinten- 
ıten und der übrigen geiftlichen Herrn Räte des fürftt. Ober- 
fiflorii an einem von dem Herrn Generalfuperintendenten zu 
kimmenden Tage ein Examen der fämmtlichen Präparanden 
yalten und nach Vollendung defjelben diejenigen Subjefte, weldye 
vorzüglich dabei exhibirt haben, von dem Herrn ®eneraljupers 
endenten dem fürftl. Oberconfiftorium berichtlich angezeigt wer⸗ 
, damit auf foldye bei Beſetzung der vacant werdenden Schul: 
nfte vorzüglich veflectirt werden koͤnne. 

9. Bei Eröffnung des Instituti fol von dem Herrn Gene: 
juperintendenten der Diaconus Zwez den ſaͤmmtlichen Präpa- 
ıden vorgeftellt und diefelben angewiejen werben, ihn als ihrem 
entlichen Lehrer bei der Hand zu verfprechen, daß fie fich ehrer- 
tig, gehorfam, willig und gefällig und überhaupt wie es ſich 
üret, ermweifen wollen. In Anfehung der Fünftigen Reception 
ſich meldenden Präparanden wird es, wie oben vorgefchrieben 
rden, gehalten. 

10. Wie wir nun zu dem Diaconus Zwez das Vertrauen 
ben, er werde gegenwärtige SInftruction in allen Punkten genau 
olgen und allen Fleiß und Treue in Unterweifung der Präpar 
den anwenden: fo fol er zur Vergeltung für diefe Bemühung 
rlich 50 Kfl., nemlih 25 Kl. aus fürftl. Kammer und 25 Kfl. 
fürſtl. Landſchaftskaſſe alhier erhalten, auch ihm von jebem, 
in die Präparation aufgenommen wird, 12— 16 gar. pro re- 
one ein für allemal entrichtet werben. Endlich hat ein Je⸗ 

welcher aus diefem Inſtituto zu einem Schulamt befördert 
d, 6— 8 gar. bei feinem Abgang zu erlegen, welches lehtere 


— 





— 314 — 


Eintommen zur Anſchaffung einer Schulbibliothek angewendet 
werben fol. | 
Urkundlich iſt dieſe Inſtruction ⁊. ıc. 


Eiſenach, den '25. April 1783. 
Eonfiftorium. 


Dur amtlihe Verkündigung vom 25. April 1783 <= - 
Eiſenacher Wochenblatt wurde die al8baldige Eröffnung dr A = 
ftalt mit dem Bemerfen befannt gemacht, daB fi alle, wel 
diefelbe befuchen wollten, in der Woche nach Miseric. Dom. ua! 
in der Folgezeit jedesmal vier Wochen vor Oſtern oder Michael Ts 
zu melden hätten. 

Somit war wenigftend eine Anftalt gejchaffen, welche levüg- 
lich zur Heranbildung Fünftiger Volfsfchullehrer beftimmt war. 
Aber freilich war diefelbe fo dürftig und ihrem Zwede fo wenig 
entfprechend,, daß fich alsbald das Bebürfnis einer Reform und 
Erweiterung des Jnſtituts bemerklich machen mufte. Wiederholt 
wurde dafjelbe zur Sprache gebracht. Der Generalfuperintendent 
Voigt zu Eifenady bewirkte es fogar, daß fih i 3. 1800 die 
Mehrzal der Beiftlichen und anderer Freunde der Volkserziehung 
zu Eiſenach bereit erklärten, ohne‘ alle Remuneration einen plan 
mäßigen und gegliederten Lehrcurfus für die Seminariften ze 
eröffnen. Indeſſen blieb das Ganze in einer fo traurigen 
Verfaßung, daß der Generalfuperintendent Haberfeld zu Eiſenach 
noch i. J. 1808 berichtete: „Unſer Schullehrerjeminarium ift weder 
in wißenfchaftlicher noch moralifcher Hinficht das, was es fen 
follte. Den mehrften (Seminariften) fehlen noch gar fehr die fir 
ihren kuͤnftigen Beruf unentbehrlichen Kenntnifje; vorzüglich find 
fie in der Religionskenntnis fo weit zurüd, daß fie von manden 

Katechumenen übertroffen werben, und ftatt Methodik vortragen 
zu Eönnen, muß ich fie erft in dem unterrichten, worauf die 
Methodik anwendbar tft.” 

Erſt im Jahre 1816 wurde zur Umgeftaltung des Seminar? 
zu Gifenach ernftlich vorgefchritten, nachdem der Oberconfiforiel 
rat Boppel auf das desfalls vorliegende Bedurfnis die Aufmerb 
jamteit der Staatsregierung gelenkt hatte, Auf höchften Befehl 


_ 38 — 


- warf ber Generalfuperintendent Nebe den Plan eines in Eiſe— 
nach nen zu organifirenden und mit einer Freiſchule zu verbindenden 
Seminars, wozu fich derfelbe die von Voppel in einem hierüber 
(oncipirten Auffag ausgefprochenen Gedanken vollftändig aneignete. 
Am 29. November 1816 erhielt diefer Plan die landesherrliche 
Veftätigung ; indeffen verzögerte fich die Eröffnung des Seminars 
bis zum 19. Januar 1818, Es war ein Gewinn für die Ans 
Halt, daß auch die letzte loſe Beziehung, in welche tiefelbe nad) 
den ursprünglichen Plane zum Gymnaſium ftehen follte, fofort 
aufgehoben wurde, indem die Stelle eines Collaboratord am Gym⸗ 
nfium, welche von dem Seminarinfpector ald Nebenftelle verjehen 
werben follte, von der Inſpectur des Seminars abgetrennt wurde. 


Sachien-Weimar (Eiſenach). 


Auch in dem Fürftentum Weimar gefhah es erft im Ans 
lange des achtzehnten Jahrhunderts, daß an die Pflege des 
Volksſchulweſens ernftlicher gedacht wurde. Und zwar war bier 
die Einführung der Sonfirmation der Katechumenen das In⸗ 
tereffe, von dem aus die Landesregierung dem Volksſchulweſen 
ihre Aufmerkſamkeit zuwendete. Im Jahre 1698 erfchien nemlich 
die „Verordnung, wie es ins künftige mit der Belehrung der 
Catechumenorum ober derjenigen Kinder, fo zum erftenmal das 
heilige Abendmal gebrauchen wollen, und darauf folgenden chriſt⸗ 
lichen Confirmation in den fürftl. ſaͤchſ.⸗weimariſchen Kirchen ges 
halten werben fol, auf gu. fürftl. Vefehl zum Drud befördert.” 
NL derfelben wurde verfügt: „Demnach nun auch ind Tünftige 
diefer löbliche und nügliche Gebrauch der chriſtlichen Konfirmation 
M Biefiges Fürftentums Kirchen eingeführt und binfort unverrüdt 
beibe halten werden ſoll, damit die getaufte Jugend vor erſtmaliger 
Enpfahung des heil. Nachtmals in den Hauptſtücken des Catechismi 
wol unterrichtet und ſodann durch andaͤchtiges Gebet nach vorher: 
heg angenem oͤffentlichem Glaubensbekenntnis dem lieben Gott 


— 316 — 


vorgetragen werben kann, als iſt ſolche chriſtliche Handlung au 
folgende Weife vorzunehmen und ind Werk zu richten: Erfllv. 
follen die Kinder glei anfangs zu Haus von den Eltern, Herm 
und Frauen, fodann von den Praeceptoribus und Eculmeifte- 
in. den Stadt:, Land- und Dorffchulen mit allem Fleiß und Ef 
zur Grlernung des Catechismi angehalten und ihnen fowol > 
Haupt: al8 notwendigen Frageftüde des fel. Vaterd Lutheri un 
anderer geiftreihen Männer beigebracht werben, wobei Giterr 
Praeceptores, Schulmeifter und Schulmeifterinnen Feine Arbei 
noch Mühe zu fparen, fondern dahin zu traten haben, daß bie 
Kinder mit den Worten zugleich den Verftand des Grundes ihre 
Glaubens faßen, auch durch oftmaliged Wiederholen fich in ber 
jelben immer mehr und mehr befeftigen, follen auch folde aus 
den Schulen nidyt nehmen noch laßen, bevor fie von dem ganzen 
Catechismo eine fattfame Wißenfchaft erlangt und auf Befragen 
gute Antwort erteilen können: wiewol viele unbedachtfame und 
unchriſtliche Eltern ihre Kinder allzufrühzeitig den Schnlen ent 
ziehen und zur Arbeit angewöhnen, auch viele ſorgloſe und un 
verftäntige Kinder, wenn fie nun einmal zu des Herrn Tiſche 
gelaßen worden, nachgehends Die Schule nicht ferner beſuchen 
wollen, darüber fie aber das in den erften Jahren Erlernte aljı 
frübgeitig wieber vergeßen, zumal fie ohnedem nachgehends Bei 
Öffentlichen Kinderlehren zu erjcheinen, oder auch auf Befragen 
aus ihrem Catechismo Rede und Antwort zu geben faft fi für 
verächtlich halten wollen.” 

Indeſſen fcheint es doch nicht, daß die Vollziehung dieſer 
Verordnung mit ſonderlichem Ernſte überwacht wurde. Die Bor 
firmation der Katechumenen wurde allerdings in allen Pfarreiti 
üblich ; aber der Schulbeſuch und die Wirkſamkeit der Volksſchule 
Icheint durch Die Einführung derjelben im Kürftentum Weimar 
nicht fehr gefördert worben zu fein. Aus ber näcyftfolgenden Zei 
fann daher, die Geſchichte der Volksſchule betreffend, nur berichtet 
werben, daß unter dem Herzog Wilhelm Ernſt ein Waiſenhaue 
zu Weimar erbaut, i. J. 1713 eingeweiht, mit einem Stamm 
fapital von 5650 Rthlr. (wozu indeſſen noch andere Revenuͤen 


— 8317 — 


tamıen,) ausgeftattet und i. 3. 1727 mit Aufnahme von zwölf 


Zöglingen eröffnet wurde. *) 


Erſt die Errichtung eined Schullehrerfeminars in Weimar, 


welche gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts erfolgte, 


führte zu einer durchgängigen Verbeßerung der eigentlichen 
Volksſchule. 

Schon i. J. 1771 hatte die Herzogin Anna Amalie als 
regierende Vormünderin des Erbprinzen Carl Auguſt den Ent⸗ 
ſchluß gefaſt, eine praktiſche Vorbereitungsanſtalt für künftige 
Schullehrer in Weimar zu ſchaffen, oder wenigſtens für dieſen 
Zweck irgend Etwas zu thun. Su einem Erlaß vom 17. Juli 1771, 
worin die Herzogin dem Gonfiftorium zu Weimar diefen ihren 
Entſchluß eröffnete, erklärte fie felbft, daß fie die Urfache des 
gegenwärtigen traurigen Zuſtandes der niedern Schulen vorzugs⸗ 
weile „in der Unfähigkeit und Unfittlichfeit der zeithero zu Schul 
meiftern gebrauchten Subjecte finde” und dadurch veranlaft fei, 
„auf eine Anftalt zu denken, in weldyer junge Leute in Zeiten auf 
eine praftiiche Art zu dem von ihnen in der Folge zu begleitenden, 
ganz nicht unbedeutenden Amte eined Schulmeifterd oder Kinder⸗ 
lehrerd angezogen und vorbereitet werden könnten.” Nachdem das 
ber die Herzogin über die Organifation der hier und da beftehenden 
Schullehrerſeminarien hatte Erkundigungen einziehen laßen, berief 
diejelbe einen ehr empfohlenen Cantor und Schulmeifter aus der 
Oberlauſitz, Johann Georg Herz, nah Weimar, damit derfelbe 
„teild eine ihm zu ſolchem Ende zu geſtattende Freijchule jelbft 
nad der ihm vorgejchriebenen Methode unterrichte, teild den ihm 
luccefive zu furnirenden Seminariften nach felbiger praftifchen 
Unterricht erteile und fie zu ihrer Fünftigen Beſtimmung vorbereite.” 
Die Oberauffiht über die neue Auftalt wurde einftweilen dem 
Geheimerath von Fritih und dem Oberconfiftorialpräfidenten von 
Lyuker übertragen. Herz kam nach Weimar und richtete daſelbſt 
die projectirte Freiſchule wirklich ein, wurde auch ſpaͤter (1774) 
ätner des Waiſenhauſes zu Weimar, in welches er mit feiner 
— — 


Vrgl. „Geſchichte der Waiſenanſtalt zu Weimar“ in Henkes Archiv für 
die neueſte Kirchengeſchichte B. 2. ©. 215. 


— 318 — 


Sreifchule einzog. Dagegen zur Errichtung eines Schullehr, 
ſeminars fam es vorläufig nicht, Da einerjeitd Herz ald Bor — 
bed Waiſenhauſes und Lehrer der Sreifchule vollftändig beihäizz, 
und da andrerfeits ein zur Errichtung eined Seminars zu pe; 
wendender Fonds nicht vorhanden war. 

Nahdem Herzog Karl Auguft zur Regierung gekommen 
war, fam die Einrichtung eined Seminars ſchon auf dem erften 
Seneralausjchußtage, Den Der junge Herzog im Juli 1777 bielt, 
aufs Neue zur Sprade. Das Gonfiftorium zu Weimar hatte ed 
veraulaft, daB der Ausſchuß um Verwilligung eines jährlihen 
Fonds zur Errichtung eined Seminars angegangen wurbe. Die 
Stände waren nicht abgencigt, dieſen Antrag zu genehmigen, der 
langten jedoch, daß ihnen zuvor der Plan des zu errichteuden 
Seminard vorgelegt werde. Am 10. Dez. 1777 erteilte daher 
dag Obercoufiftorium dem Generalfuperintendenten Herder de 
Auftrag, einen folchen Plan zu entwerfen. Mehrere Jahre lang 
war Herder mit der Erledigung dieſes Auftrages befchäftigt. Von 
allen Seiten ber über die Einrichtungen der hier und da bereilt 
eingerichteten Schullehrerfeminarien Nachrichten einziehend , gewann 
Herder aus denfelben die Ueberzeugung, daß ein Lehrerjeminat 
1) möglichſt eng an andere in ihrem Beftehen ſchon geficherte Juſte 
tute angefchloßen werden und daß bei feiner Einrichtung 2) lediglich 
der Zwei des Seminars, nicht aber die Nüdficht auf ein zuſäb— 
liges , lofale8 VBerhältuis entfcheidend fein müße. *) 


*) Herder erklärte in Betreff des von ihm ausgearbeiteten Entwurfes jeht 
„Als mir die Entwerfung eines Planes zum Seminario der Lehrer für Landſquler 
von Fürftlihem Obereonfiftorium ganz ohne mein Begehren aufgetragen mar. 
hielt ichs für Pflicht, diefen Plan mit Suziehung vieler Notizen von ähnlih® 
Infituten an anderen Orten fo einfach und rein, zugleich auch fo verſchränkt ud 
verbunden mit anderen SInftituten bierfelbft zu machen, al® mir möglich mi- 
Jenes, weil man bei einem Plane, der dauern foll, nicht auf einzelne Beil 
bindungen, lebende Perſonen oder folde, die fie hieher gebracht haben, ſehen 
muß, fondern auf die Sache felbft und ihre Einrichtung. Schicken fi eine 
Perſonen zu derjelben, wolan! fo werden fie gebraudt, fie werden Eubjertt IM 
den im Plane angezeigten Zwecken und Arbeiten. Schicken fie ſich nicht dur 
fo kann es die Intention feines Monarchen in der Welt fein, daß man ME 


— 319 — 


Erſt i. 3. 1780 wurde Herder mit feiner Arbeit fertig, in⸗ 
bem er dem Oberconfiftorium folgenden Concept vorlegte: 


Entwurf 


eines Seminarii zu £ehrern für £andfculen. 


1. Der Zwed dieſes Seminari it . | 

nicht 1) jungen Leuten, die ſich zu Landſchulen vorbereiten, 
ine Art von Literatur und Aufklärung zu geben, bie ihnen und 
hren küuftigen Lehrlingen, falls fie folche anwenden wollten, eher 
haͤdlich als nützlich wäre. Zu viel Klarheit und Räfonnement 
ı. Ständen, wo fie nicht bingehören, ift gewiß eher jchädlich als 
üglich. 

auch nicht 2) ihnen im Seminario eine bequeme Subfiftenz 
ı verfchaffen, die ihnen nachher arme Schulftellen, wie fie mei— 
end in Diefem Lande find, ungefällig und zur Laſt machte; 

jondern 1) ihnen Unterricht in dem Notwendigen und Nüß« 
hen ihres Fünftigen Amts zu verjchaffen, und 

2) da die befte Zubereitung dazu Fleiß und eigne Uebung 
t, ihnen unter einer guten Aufficht folche vorbereitende Uebung 
ar Pflicht zu machen: denn warlih, die Wißenjchaft, die zu 
ieſen Stellen gehört, ift fo groß und jchwer nicht. Die befte 
rkenntnis und Wißenſchaft eines Lehrerd, fo wie feine befte 
Kethode zu lehren, wird nur durch Treue und Uebung. 

2. Mittel biezu find «) teild ſchon da in einigen älteren 
Sblihen Anftalten, teild des Gymnasiü , teild der Katechefe bei 
er Stabtfirdye, teild ift in andern Anftalten 3. ®. bei Errichtung 





Han, der fürs ganze Land dauern foll, nad einzelnen Subjekten einrihte und 
Equeme; und es bieße, die Kirche oder das Haus nah dem Bratipieß bauen, 
sem ich ſolche kleine Nüdfichten hätte nehmen wollen, Das Bmeite, daß ich 
emlih dies Inſtitut mit fo vielerlei Sachen als möglich zum Exempel Kateche ten ⸗ 
‚le, Gymnafio, Ezamine und fo fort zu. verbinden fuchte, that ich deswegen, 
deil ih überzeugt bin, daß alle ifolirten Plane und Aufträge nichts Helfen‘; fie 
Treiben felten ihre Wirkung oder verfallen im kurzer Zeit. Dahingegen ein In- 
Aut, das feine Wurzeln in und um allerlei Inftitute fchlingt und ihnen nüßzlich 
"rd, mit diefen Allen beftehen muß.” 


— 320 — 


der Herzifchen Freifchule auf fie Rüdficht genommen worte. 
Diefe Mittel find des Neuen wegen nicht wegzuwerfen, fondem | 
zufammenzulegceen und wo ſich etwa der Roft der Zeit angeieft 
bätte, zu reinigen, und 
8) alfo iſt eine Anftalt nötig, Die, was jene nicht leiften 
konnten, oder nicht geleiftet haben, ergänge, und fo viel möglih, 
ein Ganzes aus ihnen ordne: 
3. Hierzu gebört 
a) die Wahl guter subjectorum zum Schulſtande; 
4) eine tüchtige Einteilung derjelben teild zum Unterricht | 
teild zur Uebung; r 
y) guter Unterricht und Uebung felbft nebft einer genaum F 
Auffiht Darüber; 
d) angemefene Aufmunterungen für die, die lehren un f 
lernen. Nach welden Stüden ih alſo den Plan bi 
Seminarii faßen”werbe. | 
L Die Wahl guter subjectorum ift äußerft nötig, weil jont 
alle Mühe vergebend angewandt wird, und die beiten Anftalte 
mit diefem inmwendigen Kreb8 und Moder verloren gehen müpen 
Es ift ein verberblicher, jchädlicher Grundfag vieler Väter unire 
Landeskinder, daß, was nicht zum Pfluge taugt, zum Lehrftande 
tauge. Damit wird ber Lehrftand ſowol in Kirchen als Schule 
zum fchlechteften aller Stände. Gr befommt den Ausſchuß oda FE 
bie colluviem aller andern Stände, fobald der Eigenfinn oder da f 
Bauernftolz eines Vaters feinen Sohn zu diefem Amte wert hält 
Folglich iſt eine feharfe Prüfung nötig, ehe Jemand ind Semi 
narium tritt; und aud in der Folge müßen Unfähige oder Ruh 
loſe, falls fie ſich auch eingefchlichen hätten, ohne Barmperzigfet 
ausgeftoßen werden Fönnen. 
Die Prüfnng hierüber hätte 1) der Generalfuperintenden, 
dem das Examen ber Lehrer des Landes Amtöpflicht ift, unpar | 
teiifch und gewifjenhaft zu thun, und müfte er Die Macht bad 
ohne weitere Anzeige zurüdzuweifen, was nicht dahin gehoͤn. 
Sobald den Supplicanten Seitenwege erlaubt würden, bleibt N 
Thüre zum Schafitalle nit mehr rein. 2) Die Subjecte, M 
fi melden, müßen Zeugniſſe von ihren Lehrern beibringen, Zu’ 





— 321 — 


miffe ihrer bewieſenen Fähigkeiten, erlangten profectuum und 


“.w.Ittenn! 


guter Sitten. Diefe Zeugniffe müßen unparteiiſch, folglich auch 
sanentgeltlih ausgeſtellt werben, weil fie eo ipso unvermerkt par⸗ 
teiifch werden und zwar 


a) vom praeceptore gymnasii, deſſen Klaſſe fie befucht; 

6) von Katecheten ber Stadtkirche, aus deſſen Etunden; 

y) vom Stadtcantor wie auch vom Schreib» und Rechnen» 

meifter in Anfehung ihrer Arbeiten mit denfelben. 

3. Bar zu junge Subjecte werden vom Juftitut ausge, 
ſchloßen; fie müßen wenigftens 14 Sabre alt, secundae oder 
tertige classis fein, und in den Schulftubien gute Anfangsgründe 
gelegt haben, 

I Einteilung der Subiectorum. Angezeigte, ges 
Prüfte Subjecta teilen fi im Seminar in zwo Klaſſen: die eine 
lernt blos und nimmt Unterricht; Die zweite lernt und übt 
ſich zugleich im Unterrichte. Die Anzal jener kann unbe⸗ 
ſtimmt bleiben; die Anzal dieſer dürfte ſechs fein, aus Gründen, 
die fih in der Folge ergeben werden. Die erften haben vom 
Seminario keinen Vorteil ald — Unterricht, Bildung, ein Vorteil 
für fie aufs ganze Leben. Die zweite, höhere Klaſſe befommt 
einigen Zuſchub, nicht weil fie Glieder des Seminarit find, fons 
dern weil fie durch ihre Uebung im Lehren dem Staate Dieufte 
leiten. Als angehende Lehrer, nicht als Lehrlinge werben fie 
belohnt. 

DL Unterricht, den die Seminariſten empfan- 
gen. 1) Vom Katecheten der Stadtkirche teild in der Montagds 
kunde um 10 Uhr nach der Wilhelm-Erneftinifchen Stiftung, teile 
in einer andern Stunde, die er, wie auch fjeßt ſchon gewöhnlich, 
mit ihnen zu Haufe hält. In jener hören fie ihn katechiſiren, in 
Diefer katechiſirt oder übt er fie ſelbſt. 

2. Bon einem gejhidten Kandidaten, der ber eigentliche 
Lehrer des Seminarii wird. Diefer gibt den Seminariften in 
ierzu zu beſtimmenden Stunden Unterricht, 

a) in der Religion und der bibliſchen Geſchichte nach einem 

vorzufchlagenden Lehrbuch, 

8) ſtellt er mancherlei Uebungen in Aufjäben, Briefen, Gr 
Dexpe Bollsiguiefen, 2 21 


— 3522 — 


zälungen u. f. f. an, damit der Schullehrer 
lih austrüden lerne; 

y) unterrichtet er in den erflen Anfangdgründen 
graphie, Geſchichte, Naturgejchichte, jofern 
notwendigften menfchlichen Kenntniffen gehören, 
vorzujchlagenden Lehrbuch, 

I) übt er fie im richtigen Lefen und Vorlefen t 
graphie, einer guten Methode des Buchftabi 
befucht fleißig Die praktiſchen Uebungen de 
Klaffe, um die Anwendung feiner Lehrart zu 
zu beßern. Alles weither geholte, unnüge Phi 
das in den neueren Methoden des Unterrid 
vorkommt, jchlieft er völlig aus. 

3. Der Schreib» und NRechnenmeifter des Gym 
Lehrer der Mufif u. ſ. f. jeßen ihre Stunden fleißig u: 
fouderer Aufmerfjamfeit auf die Seminariften fort. 
untern Klaffe bleiben Ecyüler des Gymnaſii nach wie 
die Etunden,, wo fie fich zum Lehrer begeben, werben 
zeichnet. Nur Die ſechs erften Eeminariiten, die felbf 
geben, hören auf Schüler des GEymnaſii zu fein, find 
vom Schulgeld frei; fie bleiben aber im Chor und 
vom Beneficio deſſelben, doch jo, daß fie mit unndti 
flunden verfchont werben. 

IV. Uebung im Unterricht für die ſechs erften Se 

Da, wie gejagt, beim Unterricht der Landjdyüler 
auf Gelehrſamkeit und weither gejuchte Theorie , fo 
Uebung, Fleiß und Treue ankommt, ohne weldye au 
minario bei einiger Wiederholung defjelben Unterricht® j 
vor Ekel bald mehr vergeßen als lernen, fo iſt diefe 
Uebung unter öfterer Aufſicht ihrer Vorgeſetzter hoch ı 
geben alfo 

@) die zwei erften Seminariften im Gymnaſio 
boratores der unterften Klaffen (ob fie wol diefen N 
fübren,) Unterridyt, wie auch fchon bisher von zwei Sc 
ſchehn. Und iſt dieſe Beihülfe den Lehrern und Sch 
wendig, weil dieſe Klaffen jo flark bejegt find, 


— 323 — 


B) Zwei dociren in der Mägbleinfchule, wo ein einziger 
hrer unmöglich die große Menge Kinder mit Unterricht und ge 
tiger Uebung beftreiten fann. Um bier alle Goncurrenz zu ver⸗ 
den, wird die Schule geteilt: den Seminariften werben in 
er eignen Stube ihre Kinder und Arbeiten angewiefen, fo 
B der Mägdleinfchulmeifter mit ihnen weiter nichts zu fchaffen 
t, jein Schulgeld aber nad wie vor ziehet. Allein ſchon durch 
te Einrichtung diefer Schule belohnte ſich das Seminarium dem 
aate und der Stadt reichlih. Denn die jegige Anſtalt der 
ägdleinfchule unter Einem Lehrer ift völlig unverbeßerlih und 
iberfehbar gewefen. | 

y) Die zwei andern Seminariften fönnten etwa mit ihren 
bungen in ber Garnifonsfchule und der Harzifchen Freiſchule 
geftellt werden, jo daß ihnen Arbeiten, Stunden und Aufficht 
Hmmt würde. | 

V. Diefe Auffiht über das Seminarium wäre vielleicht fols 
dergeftalt am beften einzurichten. 

1) Die Oberauffiht hat das fürftliche Oberconfiftorium, Das 
dem öffentlichen Examine in einer eigentlich hierzu angeftellten 
ung am legten Tage des Examinis die profectus fämmtlicher 
eber fiehet, die Würdigften mit Lob, Beförderung, auch etwa 
imien ermuntert, dem der Generalfuperintendent bie beften ber 
ern Klaſſe zur Kortrüdung in die höhere vorſchlaͤgt und an 
ches er jährlich einmal vor dem Examine den gefammten Zus 
id des Seminarii berichtet. 

2) Die Direction des Seminarii hätte der Beneral-Superin- 
yent, der die Subjecte, die fich melden, prüft, aufnimmt oder 
heweifet, unter dem Inſpector und Lehrer fiehen, an ihn 
teljährig Berichte über profectus und Sitten der Seminariften 
atten, der bie Stunden der Lehrenden und Lernenden mit. 
iehung des Inspectoris einrichtet, fie bejucht, dem fürftlichen 
erconfiftorio zu einer vacanten höheren Stelle oder zu vacanten 
mlftellen den tüchtigſten des Seminarü vorſchlägt und jährlich 
nal über den gefammten Zuftand desjelben berichtet. 

3) Die Inſpection könnte, wenn, wie jept, der Katechet 


Stabtfirche fih zu dieſer Function qualificirt, dieſen haben, 
21° 


— 324 — 


weil ſeine Arbeiten mit dem Zweck des Inſtituts genau v 
den ſind und es gut iſt, daß der Inſpector ſeinem Amt m 
ſehen vorſtehen könne. Doch müfte fein eigentliches Band zr 
beiten Stellen vorausgeſetzt werden. Denn ſobald der 
prediger fein guter Katechet wäre oder ſich ſonſt nicht zur 9 
des Seminarii jchidte, fo bleiben ihm zwar feine amtepflü 
Stunden, es würde aber vom fürftlichen Oberconfiftorio 
andern Geiſtlichen ober dem Lehrer des Seminarü felbft di 
ſpection aufgetragen. — Der Snfpector hätte außer feinen 
Stunden den fleißigen Befuch der .Xectionen, wo Semin 
lehren oder lernen, und Die öftere Uebung berjelben zur ' 
und gibt in Mängeln, denen er jelbft nicht abhelfen kann, 
Directori fleißige Nachricht. 

Außer dieſen und den Lehrern der Seminariften (je 
ſeiner Maße) hätte Niemand mit denfelben zu fchaffen, au 
Lehrer nicht, in deren Echule oder Klaſſe fie arbeiten. 
dieje Unordnungen bemerken, zeigen fie fie der Direction < 

VL Belohnungen der Arbeiten des Seminarii. 

1) Der Gencralfuperintendent wird zum Lohn mol nie 
verlangen, als daß er die Aufnahme des Iuſtituts fehe, 
fürſtlichen Oberconfiftorio viele gute Subjecte vorjchlagen 
und durch tiefe viel Gutes erlebe. 

2) Der Inſpector wäre mit einem Gratial, das id 
beſtimme, oder falls es der Stiftsprediger ift, vielleicht mil 
furzung anderer nuß!ojeren Arbeiten, als 3. B. die völlig 
ſuchten Frühpredigten find, wenigſtens für Holz und Mühe 
108 zu halten. 

3) Der eigentlich angeftellte Lehrer erhielt etwa 

4) die ſechs lehrenden Seminariften für ihren Unterr 
den Edyulen — — —, welde Eumme nad Proportion 
Stunden einzuteilen wäre. 

5) Sollten die lernenden Seminariften im Examine 
eine oder 2 Prämien erhalten Fönnen, fo würde vieieict 
rühmlicher Wetteiter unter ihnen befördert. — Sonach wä 
Aufwand auf dieſes Inſtitut eine Sleinigkeit gegen den 9 
der für Stadt und Yand Daher zu hoffen ftünde, 


— 325 — 


VII. Schlußanmerfungen: 1) Da in der Mägbleinfchule die 
Kinder, die ohnedem eine Stube nicht faßen kann, geteilt werben 
müßen, fo ift notwentig, daß das obere Quartier, das des 
Organiften Der Stadtfchule geweſen und jept dem Mägdleinfchul: 
meifter zur Ausmietung überlaßen ift, zum Seminario gefchlagen 
und dem jeßigen ſowol als künftigen Oryaniiten feine Wohnung 
in Gelde gutgethan werte. Durch tiefen Fleinen Aufwand ber 
kommen nicht blos die Kinder der Mägleinfchule, Die jegt gar 
nicht Raum haben, auch nicht wol überjehen, gefchweige gut uns 
terrichtet werden können, Platz, fondern auch das Seminarium 
durch diefe Verbindung mit ber Mãagdleinſchule feſte und nuͤtzliche 
Dauer. 

2) Vielleicht Fönnte künftig einmal dem Seminario durch 
Lerbindung desſelben mit audern, z. E. des Hofcautoris, Gans 
oris an der Jacobskirche Stellen und ſonſt Erleichterung und 
zermehrung ſeines Fonds verſchafft werden. Da dieſe Anmerkung 
d aber nur auf die ungewiſſe Zukunft erſtreckt, fo gehört fie 
HE mit zu meinem Plane und ftcht hier nur verloren da. 

Mebrigend überlaße ich diefen Entwurf der Verbeßerung 
@ 8 eben, der etwas Beßeres weiß, am meiflen aber der thäts 
Em Unterflüßung feines rühmlichen und nüglichen Zweces und 
rn Glücke einer treuen Verwaltung. 

Weimar den 31. October 1780. 

Joh. GBottfr. Herder.” — 


Die Mitglieder des Gonfiftoriums ſchenkten zwar dem Ent» 
Te Herderd ihren volltommenften Beifall, äußerten indefjen 
Vüchtiich einzelner Punkte mandyerlei Wünfhe, weldye Herder 
Tanlagung gaben, fein Concept mannigfach zu überarbeiten und 
“ erweitern. Unter dem 2. Mai 1786 legte Herder feinen 
eisen „Entwurf eines Seminar zu Yehrern für Landſchulen“ 
IT, worin namentlih auch die Finanzfrage der neuen Auftalt 
rürdfichtigt wurde. Der nene Entwurf Herterd wurde hödhiten 
Orts gebilligt > die erforderlichen donts wurden von den Staͤn⸗ 





) Rur die Jenaiſche Landfhaft hatte an Herders Entwurf zu deſideriren dab 


— 326 — 


den und zwar 200 Rthlr. von ber Weimarifchen und 66 Riblr. _ — 
16 Gar. jährlid von ber Jenaiſchen Laudſchaft verwilligt, fo daß u 
Montags nach Quasimodogeniti .ben 31. März 1788 die Anflalte zer. 
feierlich eröffnet werden konnte. Dem General: Superintendentere —ye, 
Herder war das Amt eines Directord des Seminariums über er, 
tragen, kraft befien er bie zur Aufnahme in das Seminar fin 4 
Anmeldenden zu prüfen, bie Anftalt nah allen Seiten bin zum 
überwachen und über den Zuſtand vderfelben nad) gebalteneme-—m 
"jährlihen Examen an das Oberconfiftorium zu berichten hatt- —e. 
Unter der Direction des General Superintendenten wurde er —in 
Seminarinſpector angeftellt, dem die Verpflichtung oblag, d— ie 
Seminariften wöchentlid in drei Stunden zu unterridten, fie —in 
der Katechetik nnd Methodik auszubilden und dem Unterriht, wel 
chen die Seminariften erteilten, fleißig beizuwohnen. Als zweit— 
eigentliher „Docent” wurde ein im Unterrichten bereitd geübteer 
Candidat angeftellt.e Der den Seminariften zu erteilende Unte—: 
richt bezog fih 1) auf die Methode eines richtigen Lefens und 
Vorleſens, 2) auf Orthographie und Kalligraphie, 3) Anfertigung 
von - Aufjägen, Briefen, Graälungen u. dgl., 4) gemeinnüpiggemms! 
Kenntniffe, 3. B. die Anfangsgründe der Geographie und Natucce⸗ 
gefchichte, die erften Begriffe der Naturlehre, der Weltgeſchicht —e 
u. dgl., 5) das Rechnungswefen, 6) Religion , biblifche Geſchichee, 
biblifche Altertümer und Gefchichte der Reformation. — Dit 
Seminariften wurden eingeteilt in lernendbe und Lehrende ! 
Aus den Geübteſten waren nemlich 6 auserwält, welche in der =! 
unterflen Klaffen des Gymnaſiums, fowie in ber Garniſons⸗ un =? 
Maͤdchenſchule unter der Aufficht des Directors und Inſpectore 
als Lehrer verwendet wurben. Cine Klaffeneinteilung der Sen 
nariften war nicht vorhanden. Gin amtlicher Bericht des nahe” 
herigen Inſpectors Horn teilt über das erfte Decennimn bed Se-— 
minard mit: „Das alfo begründete und eingeriäftele Semin— 
wirkte nun ohne Geraͤuſch, machte Fein Auffehen , lieh fein Da—— 




















in demfelben aud über den den Seminariften zu erteilenden Unterricht in dark 
Muſil des Roͤtige beſtimmt werden möchte. 


— 327 — 


ſein in Feiner gelehrten Zeitihrift ausrufen, jondern bemühte fich, 
fein @utes durch tücdhtige Erziehung der Lehrer des Landvolkes im 
Stifen auszubreiten.” Unter der Auflicht und Direction Herder 
fand und wuchs e8 bis zum Ende bed Jahres 1803, wo biefer 
edle Mann der Erde und ihren Anftalten entnommen wurde. Das - 
Seminar war, fo zu fagen, fein Liebling und nichts erfreute ihn 
mebr, als wenn er ſah, wie in ihm das Geiltige Raum und 
Sewalt befam und das Mechanifche vertrieb oder beherrſchte. 
Rur jelten konnte er in den Stunden, wo die Seminariften bes 
Ichxt wurden oder lehrten, erfcheinen ; aber jedesmal, wenn er 
ankam, war feine Gegewart belehrend, anregend, ermunternd und 
erfreuend.” — 
Neben dem Seminar war eg zugleih Die Freifchule zu 
Weimar, deren Begründung und Ausbildung die neue Zeit, welche 
für das Volksſchulweſen des Landes gefommen war, repräfentirte. 
Bor dem Jahre 1771 gab es nemlih in Weimar feine 
TFreiſchule. Das Schulgeld für Schulkinder ganz unbemittelter 
Eltern wurde teild aus der Almofenkaffe bezalt, teild für Einzelne 
aus milden Stiftungen beftritten, teild von den Lehrern gejchentt. 
Da wurde i. J. 1771 zur Einrichtung eines Seminars der Lehrer 
Der; nah Weimar berufen. Zum Gedeihen des Seminars fchien 
aber aud eine mit bemfelben verbundne Kreifchule durchaus ers 
forderlich zu fein, damit Herz die Seminariften ın derfelben prak— 
tisch fi üben Lagen könne. So trat die erfte Freifchule zu Weimar 
unbemerkt und faft ganz von felbft ind Leben. Im Jahr 1774 
wurde Herz Inſpector des Waifenhaufes und hielt feine Schule, 
Die er urfprünglich in feinem Haufe eingerichtet hatte, von da an 
in dieſem Locale und zwar in Verbindung mit der Waifenhans- 
ſchule. — Als i. J. 1784 das Waifenhaus geſchloßen und das 
Syſtem der Privaterziehung der Waifenfinder in Familien einges 
führt wurde, war die Waifenhausicule entbehrlich geworken ; 
dagegen die Herziſche Freifchule ſowie die Garniſonsſchule bes 
Randen fort, indem nad einem landesherrlihen Rejcripte vom 
12, April 1787 die erfte fortgeführt und mit dem Seminar wies 
erum combinirt werben ſollte. Doch verminderte ſich der Befuch 
ber Freiſchule merklich, die ebenſo wie die Garniſonsſchule laͤngere 


— 328 — 


Zeit hindurch feine bleibende Stätte finden Tonnte, indem & 


Stadt jeden Vorfchlag, der Freifchule ein Local gegen Miete 


überlaßen, zurückwies. Da fand fid) endlich in dem ehemalimg « 


Maifen- und nachherigen Irrenhauſe ein Local, in welches Di 
. Kreifchule einziehen konnte. Mit dem 1788 errichteten Semi er 


kam fie nicht in Verbindung, weil Herz wegen feines hoben Alters 
zur Begleitung einer Lehrerftele am Seminar nicht für qualifizir 
erachtet wurde. Im Sabre 1788 wurde demfelben auf fein bes 
fallſiges Nachſuchen die Schularbeit abgenommen; der Unterridt 
an ter Freiichule wurde zweien Seminariften übertragen. Im 
Jahr 1800 ftarb Herz. Herder erftattete Bericht und trug ber 
auf an, daß die Freifchule mit dem Seminar in Verbindung ge 
bradyt werden möchte, wozu er für nötig eradhtete, daß die Frei⸗ 
ſchule mit ter Garnifonsfchule im Grimmftein vereinigt und da 
außerdem mit beiden Echulen eine Induftriefchule verbunden wer. 
Der Oberconfiftorialrat Weber entwarf auch wirklich einen Plan 
zur Ausführung diefer Vorfchläge. Indeſſen Fam die Induſtie⸗ 
ſchule wegen Mangeld eines ſchicklichen Locals und der erforder 
lichen Fonds nicht zu Stande; andrerfeit3 ſchmolz die Freifäule 
aus Mangel eined eignen Lehrers mehr und mehr zufammen und 
es war zu befürchten, daß fie bald ganz eingehen würde. Auf 
mit der Garnifonsfchule fland es nicht zum Beſten. In ihrem 
bisherigen Local (in der unteren Stube des Brimmfteins) Tonnte 
fie nicht länger gehalten werben, weil Die tiber ihr mwohnenden 
Arbeiter allzu großen Lärm machten. Daher genehmigte der far 
desherr einen Vorſchlag, die Garniſonsſchule in einen Seitenflägl 
des ehemaligen Waifenhaufes zu verlegen und diefelbe mit de 
Freifchule zu verbinden, ließ aud das zur Helzung ber 3 einge 
richteten Lehrfäle erforderliche Holz anweifen. Außer dem Zucht 
hausprediger, der zugleich Lehrer der Garnifonsfchule war, wurden 
noch vier Seminariften als Lehrer angeftellt, wozu fehr bald n 
ein finfter Lehrer fam. Von da an bob fich die vereinigte Ir 
ſtalt zu neuer Blüthe. Auch eine Inbuftriefchule wurbe angelegb 
indem ein Mann aus ber Gegend von Dresden berufen wurd, 
der die Kinder im Anfertigen feiner Strohfledhtarbeiten unterrich 
ten ſollte. Indeſſen dauerte dieſe Induftrieanftalt nur bis 1819, 


— — —— — — — — 


— 329 — 


welhem Jahre das Local derfelben zur Aufbewahrung der La: 
etutenfilien geräumt werden mufte und der Lehrer mit ins 
ld ging. Dagegen die eigentliche Frei- und Garnifonsfchule 
teute fi) eines mehr und mehr wachfenden Befuches und einer 
sehmenden Vervollkommnung ihrer Einrichtungen. 

Indeſſen war die Begründung ber Freifchule zu Weimar 
bt ber einzige Gewinn, den der Gedanke an die Errichtung 
es Seminars dem Volksſchulweſen brachte. Noch weit wichtiger 
d folgenreicher war es, daß hierdurch zugleich eine ſehr weſent⸗ 
e Anfbeßerung der Lehrergehalte herbeigeführt wurde. 

Urfprünglih waren nemlich aud im Herzogtum Weimar bie. 
\oldungen der Schulmeifter in den Landftädten und Dörfern fo 
ing, daß diefelben nur als Nebeneinnahme eines Handwerkers 
ten fonnten, der nebenbei auch Schule hielt. Zwar wurde 
»n 1760 verfügt, daß jährlid) 200 Thlr. ans der herzoglichen 
mmer zur Vermehrung des Gehaltes einzelner Schullehrer und 
Unterftäßung der dürftigften Wittwen ausgezalt werden follten. 
eje Belder wurden unter den Namen ver „milden Kaſſe“ von 
n Oberconfiftorium verwaltet. Indeſſen konnten damit doch 
: in wenigen Fällen Unterftüßungen gegeben werben. Die Er. 
tung des Schullehrerfeminars i. J. 1787 veranlafte ed, daß 
Bedürfnis einer Aufbeßerung der Lehrerbeſoldungen ernftlicher 
ogen wurde. Die Landftände erklärten fich bereit, Die nötigen 
Ider zu verwilligen. Das Oberconfiftorium ließ daher eine 
ellarifche Meberficht der LXehrerbefoldungen im Lande aufftellen, 
raus ſich ergab, daß mehrere Stellen jährlich kaum 24 bis 

Thlr. eintrugen, und daß, wenn diefe nur bis auf 50 Xhlr. 
wacht werden follten, ein jährliher Zufchuß von 700 Thlr. er- 
derlich war. Nach dem Vorſchlag des Oberconfiftorinms ſollten 
eflen auch mehrere Stellen mit 55 bis 60 Thlr., und Die in 
‚ Heinen Landftädten mit 70 Thlr. dotirt werden. Die hierzu 
>rderlihen Mittel wurden auf verjchiednen Wegen beichafft. 
8 der herzoglichen Kammerkaſſe wurden für jedes Jahr (außer 
en 200 Thle.) 100 Thlr. verwilligt; die Stände des Weima⸗ 
Ken Landes und der Senaifchen Qandesportion erklärten ſich 
eit, jährlich) 410 Thlr. beizutragen, Auch genehmigte ber Her: 





— 330 — 


zog die von dem Sberconfiftorium beantragte Einziehung wer 
Predigerftellen.. Cine derjelben wurde audy wirklich aufgehobe 7, 
bei der anderen indeſſen ergaben fich jo viele Schwierigkeiten, def 
nur ein Teil der zu derjelben gehörigen Zinsfrüchte eingeygen 
und zu den Einkünften des zu errichtenden Landſchulfond⸗ 
gezogen werben fonnte. So wurde es möglich, daß bie geringften 
Lehrerftellen auf 50 Thlr., einige auf 55 Thlr. und andre auf 
60 Thlr. erhöht werden konnten. Judeſſen wuchs der Landſchub 
fonds in den nächſten Jahren um ein Beträchtliches, indem bem 
jelben durch Iandesherrliche Verfügung mancherlei neue Hülfsquel⸗ 
Ien (3. B. die Diöpenfationdgelder bei Eheicheidungen) eröffnet 
wurden. Daber Eonnte jehr bald zu einer abermaligen BVerbefe 
rung der Lehrerbefoldungen vorgeſchritten werden. Nachdem die 
genaueften Berichte über Die Gompetenzen aller Lehrerſtellen ein 
gezogen waren, wurden biefelben in 5 Klaffen von 50-—200 Thlr. 
eingeteilt, worauf ſchon am Schlufie des Jahres 1803 eine durd« 
gehende Verbeßerung der Gehalte angeorbnet, die letzte Klaſſe biö 
zur vierten erhöht und die geringfte Befoldung bie auf 60 Thlr. 
gebracht wurde. Zugleich gaben aller Orten fowol einzelne Pri 
vatleute, ald auch PBatrone und Gemeinden den lebhafteften Eifer 
Fund, den Schulen und Schulmeiftern zu helfen, fo daß i. J. 1811 
faft alle Stellen Bis auf 70 Thlr. jährlicher Einnahmen gebradt 
waren *). ber ein ſchwerer Verluft war es für die Schulehrer 
bes Landes, als ihnen in diefem Jahre die Acciöfreiheit entzogen 
wurde. Die 222 Lehrer des alten Landes verloren dadurch jähr 
lich mehr als 400 Thlr., — aljo mehr als die Stände im Jahre 
1794 dem Schulfonds verwilligt hatten. Und zwar wurbe biefe 
Berluft durch den ftatt der Accife aufgelegten Impoſt noch drüden: 
ber gemasht, indem hierdurch (vorausgefept, daß jeder Schullehret 
die ehedem frei zu brauenden 10 Scheffel Gerſte verbraute,) dit 


*) Bergl. „Nachrichten von dem Buftande des herzogl. Waifeninftituted = 
Weimar und Jena i. 3. 1811, denen ein Verzeichnis der für die Berbeperung der 
Landſchulen in diefem Jahre gemachten milden Gtiftungen beigefügt RK, m 
es, . 


— 331 — 


dichaftskaſſe außer jenen 400 Thlm. noch mehr als 500 Thlr. 
N den färglichen Schullehrerbefoldungen an fich z0g. 


un wm Wr — — — 


Aus der nächftfolgenden Zeit ift nur zu erwähnen, daß im 
lahre 1804 öffentliche Schulprüfungen in allen Schulen bes Lans 
es eingeführt wurden. Bid dahin waren nemlich öffentliche 
Shulprüfungen vor den GErndteferien nur in den Städten üblidy. 
ſurch Ausſchreiben des Oberconfiftoriums zu Weimar vom 17. Juli 
304 wurden diefelben jedoch aud für die Dorfichulen angeorbnet 
t des Beſtimmung, „daß 1) die öffentliche Prüfung entweder in 
r Kirche, Sonntags nad geendigtem Nachmittags » Eottesbienft 
er, wo folches wegen ber Filiale nicht thunlich fein follte, an 
em beliebigen Wochentage in Beijein ber Ortsobrigkeit, ber 
richtöperfonen und Gemeindevorfteher des Orts geſchehe, wel: 

von den Kanzeln bekannt zu machen und die Gemeinde dazu 
zuladen fei; 2) das Examen vom Paftor mit einer furzen Rede 
ffnet werde, worauf ſaͤmmtliche dies Jahr getriebenen Lectionen 
8 vom Schuldiener, teild vom Paftor Durchgegangen und Die 
hreib⸗ und Nechenbücher öffentlich vorgezeigt würden; 3) bie 
hultabellen mit Bemerkung der von jedem Kinde verjäumten 
dulen jedem Anwejenden vorgelegt würden, zur Rechtfertigung 
) Lehrers und zur Beichämung der nachläßigen Eltern; 4) je: 
n Rinde feine Genfur öffentlich erteilt und hierauf die Hand⸗ 
ig mit einem guten Wunſch befchloßen werde; 5) über das 
amen jelbft jeder Paftor mit Beilegung der Schultabellen an 
3 SO:berconfiftorium berichte und zugleich anzeige, ob an feinem 
te ſchon ein Fonds vorhanden fei, daraus den fleißigen Schul« 
bern Prämien gegeben werden könnten.” 

Erft nachdem der Staat i. J. 1809 als fouveränes Herzog: 
n new eingerichtet, durch den Wiener Gongreß i. J. 1815 er- 
tert und zum Großherzogtum erhoben und i. %. 1816 durch 
blizirung einer neuen flänbifchen Verfaßung vollftändig organis 
| war, wendete die Staatsregierung (unter der noch immer 
tauernden, gejegneten Regierung Karl Augufts) in Gemein: 


— 332 — 


ſchaft mit den Ständen des Landes aud dem Zolteid 
eine größere Fürſorge zu. 

Die nächfte Anregung hierzu gab ein edler Menſche 
der Legationsrat Falk zu Weimar. Die Wahrnehmung 
jeglichen Zerrüttung, mweldye teild der moderne Libertinisn 
die Zeit beherrjchte, teild auch die Einwirkung franzöſiſch 
und Lebensweiſe in das Leben des Volkes gebracht hatte, 
namentlich in einer zalreichen gänzlich vermwahrloften Jug 
vortrat, hatte nemlich denſelben veranlaft, in Weimar ei 
bungss und Rettungsanftalt für verwahrlofte Kinder ein 
Der Segen, den die Anftalt ſchon im erften Jahre i 
ſtehens brachte, war augenfällig; aber die Mittel, weld 
berzige Menfchenliebe zu ihrer Unterhaltung hergegebe 
waren kaum ausreihend, und außerdem war für andr 
des Landes die Einrichtung ähnlicher Anftalten ebenfo 5 
als für Weimar. In einem Schreiben, welches daß ı 
Elend der untern Schichten des Volkes in den lebhaftefte 
ſchilderte, wendete fi) daher Falk an die „ftändifche D 
aller drei Kreife der alten Rande” und bat um Abhü 
ftändifche Deputation eignete fih den Antrag Falls | 
und ftellte daher im April 1816 bei der Landesregier 
Reihe von Anträgen, welche überhaupt die Hebung der V 
und des Volkes zum Zwecke hatte. 

Der Großherzog ließ den Antrag der ftändiichen T 
den beiden Oberconfiftorien des Landes zur berichtlichen 9 
zugeben und erhielt durdy die infolge deſſen aufgeftel 
Beranlaßung,, die ganze Angelegenheit dem nächftfolgent 
tage vorzulegen. Zur Erledigung der betreffenden la 
lichen Propofition überreichten die Tandftände hierauf ei 
rungsfchrift, welche der Großherzog durch Erlaß (vom 
1817) an die beiden Oberconfiftorien genehmigte. Das 
rium zu Eiſenach ging fofort über die Ausführung der ff 
Anträge zu Rathe, ſchickte feine Abftimmungen an den G 
ein, weldye von demſelben in der Hauptfache genehmigt 
Ein Publicandıum vom 26. Juni 1817, weldyes in das ( 


— 333 — 


Wochenblatt eingerücdt wurde, war das Nefultat der Verhandlun⸗ 
gen des Oberconfiftoriums mit dem Großherzog. Daffelbe lautete: 
„A: Wegen der Gonfirmation der Kinder, wovon die Ent: 
laßung aus der Schule nad) den befonderen Geſetzen abhängig iſt, ftehet 
1) die Regel feft, Daß Kuaben nad) vollendetem 14., Maͤd⸗ 
hen nach vollendetem 13. Jahre confirmirt werden. Nur in dem 
Falle, wo das Kind vor dem 1. October des vorhergehenden 
Jahre reſp. das 13. oder das 12. Jahr überfchritten hat, iſt 
eine Ausnahme von der Regel geſetzlich ausgefprochen worden. 
Diöpenfationen dürfen fchlechterdings nicht ftattfinden. 

2) Hingefehen auf die kirchliche Bedeutung der Zeit werben, 
nah dem Antrage der getreuen Landftände, die Tage zwijchen 
Palmarum und Pfingften ald die fchidlichften zur Confirmation 
beſtimmt. Die Konfirmation ift deshalb in den Städten zu 
Pfingften, auf dem Lande am Palnfountage, der erfte Genuß des 
Abendmald in den Städten am Sonntage nah Pfingften, auf 
em Lande am grünen Donnerstage anzuorbnen. Nur audnahms- . 
peile foll in größeren Städten, weun die Zal der Konfirmanden 
3 notwendig macht, eine Trennung flattfinden, und die Gonfir- 
nation der einen Hälfte zu Oftern, und die der andern Hälfte 
u Pfingften zugelaßen werben. 

Als hoͤchſt wünfchenswert werden hiernädhft 

B. die Sonntagsſchulen empfohlen, weldhe von den Kindern 
der obern Schulktaflen und noch ein Jahr von denjenigen bejucht 
werden müßen, bie aus den Schulen entlaßen worben find, bei 
Berantwortlichfeit der Eltern, der Lehrherrn und der Dienftherrn. 
Es wird den Geiftlichen die Haltung diefer Schulen, bei Filialen, 
abwechfelnd zwifchen der Mutter: und der Tochterfirche, und zwar 
entweder von ihnen jelbft, oder wenn fte von einer Nachmittags- 
Predigt zu angegriffen fein follten, Durch den Schullehrer in ihrer 
Gegenwart zur Pflicht gemacht. Es foll auch bei dem Unterrichte 
acht blos auf die kirchlichen Blaubenslehren, fondern neben ber 
Erweckung und Befeſtigung eines wahrhaft religiöſen Sinnes auch 
uf das Erkennen der wichtigſten Obliegenheiten des bürgerlichen 
kebens in feinen verjchiedenen Beziehungen Rüdficht genommen 
erden. Wird diefer Unterricht, wie es al8 Regel 'anzuorbnen 


— 8341 — 


ift, in der Kirche erteilt, jo werden auch Erwachjenere daran Zei 
nehmen, und es wird eine Abkürzung des fogenannten Rad 
tags⸗Gottesdienſtes gerechtfertiget werben koͤnnen. Bon ſelbſt vr 
ftebt e8 fih aber, daß dieſe neue Ginrichtung nur an denjenigen 
Orten zu treffen iſt, wo nicht ältere örtliche Ginrichtungen für 
den aufgefaften Zwed ſchon jept mehr leiften. 

Kerner follen 

C. nach dem gleichmäßigen Antrage der getreuen Landſtinde 

1) die Schullehrer eine genaue Amtsvorſchrift für alle Zelt 
ihrer Obliegenbeiten erhalten. 

2) In Anfehung ihrer Sittlichfeit wird auch fürohin " 
gröfte Strenge gehandhabt werben; denn Schonung bed Ginylem 
ift auch bier Vergehen gegen dad Sanze. 

8) Es iſt gefeglich angeorbnet, daß bie Geiftlichen in da 
ihnen anvertrauten Schulen, und zwar wenn einem Geiftiihe 
mehrere Schulen anvertraut find, abwechſelnd, woͤchentlich du 
Stunden Unterricht zu erteilen haben, wobei, was die Gen 
fände des Unterrichts anlanget, dasjenige zu beberzigen if, * 
eben über den Unterricht in den Sonntagsſchulen angedeutet wer 
den iſt. Die Grinnerung, daß fein Schullehrer den firdlide 
Verrichtungen, welche ihm bisher obgelegen haben, und zu welden 
an vielen Orten auch das Läuten am Morgen und Abend geht, 
entzogen werden möchte, ift von den getreuen Landfländen m 
deswillen nicht unterblieben, weil die Klagen über das 
ziehen von jenen DBerrichtungen bier und da laut geworben 
und Diefed zu mandyer Unzufriedenheit, jelbft zur Störung de 
guten Verhaͤltniſſes mit den Gemeinden die Veranlagung gi 
Den Schulkinderu darf das Läuten nad) den wieberholt erg 
nen Berfügungen ohnehin niemals allein überlaßen werden, 
hiervon nach ſchon gemachten Erfahrungen Unglüd zu fürdte # 
Zur Erläuterung einiger diefer gefeglicher Vorſchriften wird mi 
der, auf weitern unterthänigften Vortrag eingegangenen | 
Refolution vom 15. April d. I. zur genaueften Nachachtung WW 
zugefügt: 

„ad A. Daf für die anzuorbnende Gonfirmationsfeierihie' 
überall die vormittägige gottesdienſtliche Beit ganz beftimmt werk 













— 355 — 


wobei den Pfarrern ausdrücklich zur Pflicht gemadt wird, dahin 
zu feben, daß die Prüfung der Gatechumenen nicht zu weit außs 
gedbehnt, der Gonfirmationsact jelbft aber mit Vermeidung alles 
leeren Scheind durchgängig einfach und mit Acht religidfer Würde 
in Gegenwart der Gemeinde vollzogen werbe. 

ad B. Haben in der ıRegel Pfarrer und Schullehrer abs 
wehjelnd die Sonntagsſchulen zu halten, auch, we die Filiale 
nicht allzuweit find, die Jugend von dort in der Mutterkirche fich 
miteinzufinden; in Filialen, Die über eine gute Stunde von ber 
Hauptkirche entfernt liegen, der Schullehrer die dortigen Sonn 
tageſchulen, und nur einmal in dem Monat der Pfarrer zu hals 
ten, und zwar an dem Sonntage, wo er ohnedies auf dem Filiale 
zu predigen bat, und Nachmittags. in der Mutterfirche frei ift. 
Die Rachmittagspredigt kann au dem Sonntage, wo der Pfarrer 
die Sonntagsjchule hält, ganz ausfallen und in eine Bibellection 
verwandelt werben. Die Dauer der Sonntagsſchule ift zu einer, 
bis höchftens anderthalb Stunden feftzufeßen. Der Lehrplan ift 
vorzüglich auf Religion, praktiſche und religiöfe Lebensklugheit, 
richtige Ginficht in bie bürgerlichen Verhältniffe und Gejege zu 
beihränken und durchaus nicht auf ein mehreres auszubehnen. 

ad C. 2. Die Geiſtlichen werden der ihnen hierdurch neu 
aufgelegten Teilnahme an dem Unterrichte der Schule um jo bes 
reitwilliger fi) unterziehen, weil, ob es wol eine neue und nicht 
unbedeutende, ihnen aufgelegt werdende Arbeit ift, Doch ber edle 
Zwech, die Vervollkommnung der ihm mitanvertrauten Schulen, 
wozu fie dadurch wefentlicdy beitragen koͤnnen, fie ermuntern und 
belehren wird. Insbeſondre iſt der Geiſtliche auf die Zeit feines 
zu erteilenden GSonfirmanbenunterricht8 von dem Schulunterricht 
freijufprechen. Wo er nur Gine’Kirchfpielsfchule bat, iſt wöchents 
lich und zwar in den drei erften Wochentagen, damit die Vorbe⸗ 
teitung auf die Sonntagsarbeiten nidyt darunter leide, der plans 
mäßige Unterricht Darin zu erteilen, und ihm blos im Notfall 
Rachzugeben, fogleich zwei Stunden nad) einander zu halten, weil 
es aus leicht abzufehenden Gründen beßer ift, wenn ber Pfarrer 
Mehrmals in der Woche in ber Schule erjcheint. Wo er eine 
oder mehrere Filialfchulen bat, ift ihm erlaubt, in Diefen Schulen 





— 336 — 


zu wechleln und darin an Einem Tage zwei Stunden zu unters 
richten, die dritte aber in der Schule des Mutterortd zu erteilen. 
Ueberall Hat der Echullehrer dem Unterrichte des Pfarrers beuw 
wohnen und den Gegenftand defjelben in ein beſonderes Tagebuch 
einzutragen.” 

Schon vorher hatte das Oberconſiſtorium zu Weimar ein 
landesherrlicy genehmigtes Publicandum ausgearbeitet, welches im 
Regierungsblatt in folgender Form veröffentlicht wurbe: 

„Se. Königl. Hoheit der Großherzog hatten in Die lande% 
fürftlihde Propofition vom 2. Februar d J. unter anderen auf 
die von Höchftdero Dberconfiftorien gejchehenen Anträge zu Ge 
beßerung des religiöjen und fittlihen Zuſtandes im Volt, wm 
derer, die für Diefen wichtigen Zwed aus Amtspflicht arbeiten, 
mit aufzunehmen und ſolche Der einfichtSpollen Berüdfichtigung 
und wirfjamen Teilnahme des getreuen Landtags ganz bejonbers 
zu empfehlen gerubet. - 

Der Landtag hat fih hierauf über einen Teil Diefer Anträge 
in feiner unterthänigften Erklaͤrungsſchrift vom 22. Febr. pflich⸗ 
mäßig ausgefprocdhen, und Se. Königl. Hoheit haben, in Gemiß⸗ 
beit der landftändifchen Anfichten, an das unterzeichnete Obercor 
fiftorium verfügt, welches Daher nicht anfteht, hiermit Folgendes, 
zum Teil ald allgemeine, fofort gültige Vorſchrift befannt ju 
machen: 

1) Die Gebräudhe, wodurch fich das Ghriftentum von as 
deren Glaubensformen unterfcheidet und auf welchen ein groß 
Teil feiner Wirkfamfeit berubet, bedürfen einer zeitgemäßen Br | 
lebung. Nicht ohne höhere Beziehung knüpfen fie fi an de 
Hauptereigniffe des Lebens, welche eben durch fie erft die wahr 
Bedeutung und die rechte Weihe erhalten. Deshalb foll 

A. bei der Taufe 

a) jeder Prediger auf dem Lande mit denen, die zum er 
mal Gevatter ſtehen, in der Sacriftei oder auf ber Pfarrei ein 
vorgängige belehrende Unterrebung pflegen und fie auf den Ind 
und die Wichtigkeit ded zu übernehmenden frommen Geſchaͤſti 
machen. 

b) Kinder, Die noch nicht confirmirt find, mithin ihr Glas 


‘ 





— 337 — 


aöbefenntnis noch nicht öffentlidy abgelegt haben, können zur 
stbenftelle überall nicht zugelaßen, auch ins Kirchenbuch als 
ıthe nicht eingezeichnet werben. 

c) &8 wird hiermit wiederholt eingefchärft, daß eine Heb- 
me, außer im Fall der Nottaufe, durchaus fein Kind aus der 
wufe heben fol, und wird es übrigens das unterzeichnete Ober: 
aſiſtorium mit Wolgefallen bemerken, wenn 

d) die Kindtaufsväter zu defto größerer Erbauung jedesmal 
sjönlih der Taufhandlung mitbeiwohnen. Auch follen 

e) die MWöchnerinnen nicht gehindert fein, bei dem erften 
rchgang ihr gewöhnliches ſtilles Danfgebet in der Nähe des 
tard zu verrichten, in welchem Fall der Geiftlihe darauf gefaft 
n wird, der Dankenden einige erbauliche und troftreiche Worte 
zuſprechen. | 

Die Sitte unter a), d) ımde) ift bereit in mehreren Ort- 
aften gebräuchlich und bat fich ald heilfam bewährt. 

B. Die Goufirmation ſoll fünftig, nämlid vom Sabre 
18 an 

&) auf dem Lande zu Palmarum oder zu Pfingften, 

b) in den Städten aber blos zu Pfingften vorgenommen 
ꝛrden, und zwar 

9 find die Mädchen alsdann confirmationsfähig, wenn fie 
n dem 1. October des jahres, in weldyem fie mitconfirmirt 
tden wollen, da8 13. Lebensjahr erfüllen, 

d) von den Knaben aber wird verlangt, daß fie vor dem 
October des Sahres, in welchem fie coufirmirt werden wollen, 
: 14. Lebensjahr zurüdlegen. 

e) Dispenfationdgefuche find gänzlich verboten. 

f) Der erfte Genuß des Abendmald für die Konfirmanden 
cd für das kommende Jahr und für die Zukunft in den Städten 
f den Sonntag nach Pfingften, auf dem Laube aber, wenn bie 
ufirmation zu Palmarum flattgefunden bat, auf den grünen 
onnerstag feſtgeſetzt. 

6) Das Schulgeld wird von den mitconfirmirten Mädchen 
3 zu ihrem erfüllten 13. Jahre, von den mitconfirmirten Kuaben 


3 zu ihrem erfüllten 14. Jahre an den Schullehrer entrichtet. 
Heppe, Bolloſchulweſen, 2. 22 


er 


— 333 — 


h) Die Kinder aber, die einmal confirmirt find, treten and 
der Schule heraus, und find nicht verbunden, dieſelbe nod bis 
nad) Ablauf ihres 13. und bezüglich 14. Lebensjahres au bejuden, 
ed wäre denn, daß fie ed aus eignem Antrieb thun wollten, um 
in den Schul» und Religionsfenntniffen noch möglichft forte 
Schreiten. 

i) Wegen des Schulgelded von Zeit der erfolgten Genfer 
mation bis zum zurüdgelegten 13. oder 14. jahre gelten die [hen 
vorhandenen allgemeinen Vorſchriften über die Erhebung und Ein 
bringung deſſelben. 

C. Was das heilige Abendmal betrifft, jo wird daffelbe al 
ein von dem hohen Stifter unferer Religion felbft eingefegted Or 
bädytnismahl ſeines Todes von allen wahren Ghriften zu ale 
Beit als eine heilige Sache behandelt werden, und die Ehrfurdt 
und Danfbarfeit gegen Jeſum Chriſtum wird ihnen die würdigt 
Feier defjelben zum innern Bedürfnis machen. &8 ift eined von 
den beiden Sacramenten, die auch Die evangelifche Kirche antt: 
fennt, und in welchem fie nicht blos ein Außeres Zeichen bed 
Shriftentum®, fondern auch eine heilfame Belebung chrifligen 
Sinned und eine Stärkung des Glaubens findet. Es würde dr 
ber höchſt erfreulich fein, wenn zur Erwedung und Befeftigung 
tugendhafter Grundfäge und Achter Neligiofität der Sinn für eint 
allgemeinere, durch alle Stände verbreitete Feier des Abentmald 
nach und nad in den Herzen aller duriftlihen Einwohner did 
Landes aufginge, zumal grade das laufende Jahr und an bie 
Fromme Achtung, mit welcher Luther das Abendmal des Hem 
anſah und empfahl, eruftlich erinnert. So möchte auch bie He 
und da ſchon beobachtete Sitte, daß nämlich die Verlobten, ot 
Braut und Bräutigam, in der nächften Zeit vor ihrer Trauund 
und als fromme Vorbereitung dazu, gemeinschaftlich Das heilig‘ 
Abendmal genießen, wohl verdienen, daß fie auf dem Lande al⸗ 
gemeiner würde. 

2) Hiernaͤchſt hängt allerdings ſehr Vieles im Hinſicht auf 
Herbeiführung eines fittlicheren,, veligiöferen Zuftandes von DE 
Predigern und Edjullehrern felbft ab. Es gereicht dem geiſtlichen 
Stande zur Beruhigung und Aufrichtung, daß der getreue Landlod 





— 339 — 


fen ftaatstümlichen Wert der Neligionslehrer ausdrüdlich aner⸗ 
ınt bat, und um deswillen muß es ihnen willfommen fein, daß 
Gelegenheit finden jollen, ihre nützliche Wirkſamkeit vielfältiger 
üben. Zu dem Ende find 

A. fofort nah Pfingften d. %. in allen Ortjchaften des 
nded Sonntagsfchulen zu errichten. 

a) Diefe Sonntagsſchulen find in der Negel in der Kirche, 
Snahmsweife in der Schulwohnung zu halten. Im erjteren 
De können aud Erwachſene entweder zuhören oder daran Teil 
men. Es wird alddann nad) Befinden eine zwedmäßige Ab⸗ 
(zung des fonntägigen Nachmittags - Gottesdienftes ftattfinden 
anen. 

b) Sn der Regel aber werden die Sonntagsfchulen nur von 
dern der oberen Schulklaffen, alfo von 11, 12 und 13 ab: 
1, und noch ein Jahr lang auch von denjenigen beſucht, Die 
ch erfolgter Confirmation aus der Schule entlaßen worden find, 
| Verantwortlichfeit der Eltern, der Lehrherrn und der Dienft- 
ren. Die weltliche Obrigfeit verfügt auf Anzeige des Geiſt- 
yen wie bei Schulverfäumnifjen ſofort mit zwedmäßiger Strenge. 

c) Die Sonntagsjchulen werden von den Predigern gehal- 
1, bei Filialen abwechjelnd zwifchen der Mutter» und der Toch⸗ 
fire, und zwar entweder von dem Pfarrer felbft, oder, wenn 
durch Predigten oder andre Amtsarbeiten zu angegriffen fein follte, 
th den Schullehrer in des Pfarrerd Gegenwart. 

d) Bei-dem Unterriht in den Sonntagsjchulen ift nicht 
08 auf die kirchlichen Glaubenslehren, jondern neben der Er: 
dung und Befeftigung eined wahrhaft religiöfen Sinne aud) 
das Erkennen der wichtigften Obliegenheiten des bürgerlichen 
bens in feinen verjchiednen Beziehungen Rückſicht zu nehmen. 

e) Die Herftelung von Sonntagsſchulen findet jedoh nur 
denjenigen Orten flatt, wo nicht ältere Einrichtungen der Art 
den bezeichneten Zweck fchon jetzt mehr leiften. 

B. Ebenſo Haben die Prediger in den ihnen untergebenen 
dulen wöchentlich drei Stunden Unterricht zu erteilen: 

a) Was die Gegenftände dieſes von den Ortögeiftlichen zu 

22° 


— 340 — 


beforgenden SchulunterrichtS betrifft, jo gilt bier daſſelbe, mr ad 
vorhin bei den Sonntagsjchulen (A., d.) angedeutet worden Ef. 

b) Wenn mehrere Schulen zu einer Pfarrei gehören, ſo 
geſchieht der wöchentliche breiftündige Unterricht abwechſelnd, Die 
eine Woche in diefer Schule, Die folgende Woche in der nern 
Schule. 

c) Es ſteht dem Geiſtlichen frei, entweder ſelbſt zu lehren, 
oder den Scullehrer in feiner Gegenwart lehren zu laden. Dei 
Schullehrer muß in den Lehrftunden des Pfarrers zugegen jein. 

C. Sodann ift nötig, daß jowol Prediger als Scullirei 
in ihrem amtlichen und bürgerlichen Leben die gröfte Pflihtmisigr 
feit und Schidlicdyfeit beobachten. Deshalb wird 

a) in Bezug auf Die Kleidung der Geiftlihen außer ren 
Amtsverrihtungen der Gircularbefehl vom 1. April 1794 hierm it 
erneuert, und deſſen frengfte Befolgung anbefohlen. 

b) Die Schullehrer haben fih in ihrem Schulami der 2% 
Berften Pünktlichkeit und in ihrem Wandel der gemwißenhaftfte* 
Sittlichfeit zu befleißigen. Einem jeden von ihnen wird in De! 
Kürze eine befondre Amtsvorfchrift zugeftellt werden, welde © 
allen ihren Punkten genau zu befolgen ift. Ginftweilen wird ve! 
ſchon beftehende Verbot, nicht durch Schulkinder läuten zu Tape Ei, 
für Diejenigen, weldye es angeht, hiermit eruftlich wiederholt. 

c) Diejenigen, die fih auf Echulen zum Echullehrerftuniis-! 
vorbereiten, haben darauf zu jehen, Daß fie ihre Sitten rein ur 
einfacy bewahren, und von allem ftädtifchen Unweſen frei e 7 
halten, 

D. Dagegen ift das unterzeichnete Oberconfiftorium > * 
jeder Gelegenheit bedacht gewejen und wird es ferner fein, ® * 
Befoldung der Schullehrer nicht blo8 zu erhalten, fondern mi 
licht zu vermehren, Die geringfte Dienfteinnahme eines She 4 
lehrers fol künftig 100 Thlr. betragen. Diefe Summe zu e — 
reichen und baldigft berzuftellen wird jo eben mit großh. Lande = 
direction Unterhandlung gepflogen. Da aber einftweilen eine Hülf S⸗ 
kaſſe für gering beſoldete Echullehrer errichtet werden fol, welck⸗ 
zunächſt auf gewiſſe mit Oſtern des Jahres von freudigen hir S⸗ 
lichen Ereigniſſen zu erhebende Abgaben gegründet iſt, jo werd eri 





— 341 — 


\immtliche Geiftliche hiermit befchligt, gedachte Abgaben, nemlich 
a) bei Trauungen | 

eines Häudlerd . . 2 2 202.4 Bar. 

eine Bürger8 oder Bauerd . . .„ 8 gr. 

eined Vormehmeren . . 2... 1Xhe. 

eines wirklichen Rats oder Beiſitzers bei 

den Landesbehörden und weiterhinauf 2 Thlr. 
b) Bei Kindtaufen 1 Ggr., 2 Ggr., 8 Ggr., 16 Gyr. nad) der- 
ſelben Stufenfolge zu dem bezeichneten wolthätigen Behuf von 
Dftern des Jahres an erheben zu laßen, und halbjährig, mithin 
zu Michaelis d. %. zum erften Mal an ihren vorgefegten Diöceſan 
nach einem genauen Verzeichnis einzufenden. Der Diöcefan wird 
ſodann die Einfendung der gefammten Beiträge feiner Diöcefe an 
das Oberconfiftorium ungefäumt bewirken. Bon der pflichtinäßigen 
Geſiunung fowol der Geiftlichfeit als auch der Landeseinwohner 
überhaupt darf erwartet werden, daß fie dieſen Vorfchriften allent- 
halben pünftlicy nachgehen und die dabei ausgeſprochenen Wünfche, 
ein jeder fo viel an ihm ift, möglichft berüdfichtigen. Daun wird 
ein Grund gelegt fein, auf welchem Fürft und Staat fiher ruhen, 
und einer gebeihlichen Zukunft entgegenfeben können.” — 

Indem die Verordnungen der beiden Oberconfiftorien jofort 
ur Vollziehung gebracht wurden, war hiermit allerdings eine 
überaus heiljame Reform des gefammten Volksſchulweſens begon: 
nen; aber immer von Neuem trat ein Uebelftand hervor, der ein 
wirkliches Aufblühen deffelben unmöglich machte, nemlich die Un: 
tegelmäßigfeit im Beſuche der Schule feitens der fehulpflichtigen 
Kinder. Schon früher waren manderlei Anordnungen getroffen, 
durch welche man den häufigen Schulverſäumniſſen entgegenwirken 
wollte. Namentlih hatte man zu dieſem Zwecke in einzelnen 
Städten des Landes Schulecommiffionen gebildet; aber es 
War alles umfonft gewefen. 

. Die Zal der Abjenten blieb nach wie vor eine ganz unver: 
hältnismäßige. Die Urfachen diefes traurigen Mißſtandes waren 
(wie die Schulcommijfion zu Eiſenach unter dem 21. März und 
noch mals unter dem 18. November 1818 an das Oberconfiftorium 
daſe Ibft berichtete,) „teils Mangel an Kleidung und Schuhen, teils 


— 342 — 


Mangel an Schulbüchern, zu deren Anſchaffung mit Audnahmeve | 
Bibeln bei denjenigen Kindern, die weder Soldatenfinder warn, | 
noch Waifenpenfion befamen, fein Fonds vorhanden war, teils 
Krankheit, die gewöhnlich im Gefolge des Mangeld und Elendes 
ift, teild endlich aud) Schulgeldrefte, welche die Eltern in der lep 1 
ten drüdenden Zeit hatten auflaufen Iaßen, und die fie nun u 
berichtigen nicht im Stande waren.” Auch im folgenden Jahte 
1819 hörte der Generalfuperintendent Nebe bei einer Bifitatin | 
der deutſchen Stadtſchulen zu Eifenady „überall Elagen über mangeb 
haftes Schulgehen der Kinder, wie auch darüber, daß ſich mehrer 
Kinder eigenmächtig gewiljen Unterrichtszweigen, namentlid tem | 
Rechnen, Schreiben und der Drthographie, entzögen“ — mai 
teilweife freilih Daher Fam, daß viele Gymnaſiaſten und Sdul 
(ehrerfeminariften einzelnen fchulpflichtigen Kindern Privatunterrigt 
erteilten. Nebe [chlug daher vor, man möge, um dieſen Uebelſtand 
wirkjamer befämpfen zu fönnen, die Snftruction der für die Stadt 
Oſtheim am 8. Januar 1819 organifirten Schulcommiffion auh 
für die Schulcommiſſion zu Eifenach betätigen und diefe nad) jene | 
reorganifiren. Der Antrag Nebes wurde fowol vom Oberconfite 
rium ald vom Großherzog genehmigt, und es wurde demgemif in 
Eiſenach eine neue Schulcommiffion gebildet, welche aus den beiden 
jüngften Diaconen, aus einem Mitgliede des Stadtrates, einem, 
Juſtizbeamten und einigen deutſchen Schullehrern und unteren de 
vern des Gymnaſiums (die beiden Iegteren jedody wechjelnd) be 
ftand. Ueber den Zwed und die Gejchäftsverwaltung der Sul 
commifjion wurde inäfder unter dem 5. Novbr. 1819 publigirtes 
Snftruction Folgendes beftimmt: 

„3. Der Bwed der Schulcommilfion iR. nicht nur alle die 
Punkte, welche zur äußeren Schulorduung und Wirkſamkeit get 
ven, überhaupt ind Auge zu faßen, fondern auch und ganz ver 
züglic die Negelmäßigkeit des Schulbeſuchs, von der alles Birke 
der Schule abhängt, Fräftiger zu befördern. 

4. Die Sculcommiffion hält ihre Sigungen ohne Une 
brechung au dem erften Mittwoch jeden Monats, des Nadmittt P 
um 2 Uhr. | 

5. Die Dauer der Sipung richtet ſich nach dem Upmjatzt 





— 3435 — 


der jedesmal vgrliegenden Verhandlung und nad) den Erforder- 
nifen gründlicher Unterfuchung und Beſchlußnahme. 

6. Der Ort für die Sigungen ift Das bisherige Focal auf 
dem Rathaufe und hat hier der Ratödiener, wie bisher, die jedes- 
Maligen Vorkehrungen zu treffen, auch während der Seſſion nahe 
zu fein, um die nötigen Gitationen und fonft zu beforgen ıc. 

7. Sämmtlide deutihe Scyullehrer, fowie die Lehrer von 
IVta, Vta und Vlta des Gymnaſii werden von der Echulconmif- 
on genau angewiefen, die monatlich einzureichenden Auszüge aus 
ben Abfentenliften (nad) $. 20 ter Schulordunng), in welche alle 
Diejenigen Kinder nebft dem Namen ihrer Eltern eisızutragen find, 
welche ohne genügende Urjache, Eutfchuldigung die Schule ver: 
ſäumt haben, mit Anzabe der Anzal der verfäunten ganzen oder 
halben Schultage gewißenhaft und ordentlich zu fertigen, mit dem 
Schluß des Monats aber, und zwar von IVta, fodann der Müller: 
Ichen, Vogtſchen, Kollenbachſchen, Finkſchen Schule an den Herrn 
Dberconfiftorialafjeffor Kühn, von Vta und Vlta, jodaun der 
Silben, Brauhardtſchen und Stephanusſchen Schule an Herrn 
Diakonus Hahn pünktlich) abzugeben, auch in den Liſten die aller- 
nadläßigften und gegen den Schulbeſuch widerjpenftigften Kinder 
rot vorzuftreichen. | 

8 Zu der Tagesorbuung für die Schulcommiffion gehört 
alsdann die genaue Durchgehung diefer Auszüge aus den Abfen- 
tenliften. 

9. Die Eltern der jänmigen Schulkinder, welche überall 
für die Verfäumnis ihrer Kinder allein verantwortlid zu machen 

find, werden ohne Unterjchied vor die Kommijjion gefordert, und 
war zuerft diejenigen, welche ſich am allernachläßigften bewiefen 
haben. Zum erften Male empfangen fie die nachdrüdlichfte Ver- 
Warnung unter fünftighin im Nichtbeßerungsfalle unausbleiblich 
erfolgender Beftrafung ihrer Pflicht beBer nachzukommen und ihre 
Kinder fünftighin nnausgeſetzt zur Schule zu jchiden. 

10. Denjenigen Eltern, welche gleichwol bei nädjfter Seſ⸗ 
Non abermals als nachläßige und widerfpeuftige durch Die vorlies 
genden Abſenten-Auszüge erjcheinen, werden von der Schulfom- 


— 344 — 


miffion die nad) der Schulordnung gebürenden Strafen um al 
bleiblicy zuerkannt. 

11. Diefe Strafen werden nad Prüfung und Beſchaffen ⸗ eit 
der Umſtaͤnde durch Geld oder Gefängnis von ber Schullomms iſ 
ſion ſogleich in Ausübung geſetzt. 

12. Die aufgelegten und erhobenen Geldſtrafen werden v On 
den Dazu Beauftragten, etwa dem Stadtſchreiber vierteljährlid m 
die Schulfommiffion abgeliefert, weldye Diejelben nach dem ang * 
zogenen $. 62 zur Anfchaffung von Büchern und Papier für ag! 
Schulfinder verwendet und berechnet. 

13. Bor Eintritt der Wirkſamkeit der Schulkommiſſion w* 
bierbei das Nötige ſowol in öffentlicher Kirchgemeinde von DE! 
fleinen Kanzel ald auch in dem Wochenblatt und fonft ber Bürge = 
Schaft durch den Stadtrat in kurzer Nachricht und mit nachdrüc— 
licher Verwarnung befannt zu machen; wobei zu hoffen fteht, dh 
der Sinn für Pflicht bei den beferen Eltern mehr erwachen us we) 
es minder nötig fein werde, zu Strafen zu fchreiten. 

14. Die Mitglieder der Schulfommiffion werden fowie cam 
andern Orten auch hier ihr verdienftvolles Gefchäft ex oflicio u! 
übernehmen und frei zu bejorgen nicht erft der Aufforderung > 
dürfen. 

15. Daß während der Sommerfchule die Yunction d ET 
Schulcommiffion fortdauere und auf den regelmäßigen Beſuch de = 
jelben zunächft für die Schule zu Fifchbady nad) der zuletzt unt i 
dem 28. Yuni 1818 ergangenen Anordnung und NRegulativ g * 
| drungen werden müße, ift noch beſonders zu bemerfen. 

16. Halbjährig, zu Oftern und Michaelis jeden Jahres, E- 1 
von der Schulfommiffion Bericht anher zu erftatten über den E =: 
folg ihrer Bemühungen mit etwa nötigen Vorſchlagen zu Verme 
rung ihrer Wirkſamkeit.“ — 

Die neue Schulcommiſſion nahm die ihr übertragene Arber ®! 
raſch und rüftig in die Hand, indem fte es ſich vor Allem zus! 
Aufgabe machte, „den Schulverfäumniffen und dem Unterblidet 
des Schuleinführend zu fteuern.” Aus den von den Schullehrer? 
eingereichten Abfentenliften wurden Daher Diejenigen Schullinder, 
deren Verfäumnis am auffallentften war, notirt und die betrefen⸗ 


— 345 — 


ven Eltern ernftlih an ihre Pflicht ermahnt. Bis zum 18. Juni 
1821 war noch Niemand um Geld und nur eine einzige Frau mit 
einftündigem Gefängnis „auf der gelben Stube“ beftraft. Um bie 
nicht eingeführten Kinder zu ermitteln, wurden aus den Geburts- 
liſten die Geborenen der betreffenden Jahre ausgezogen, die Namen 
mit den der Schultabellen verglichen und den fehlenden wurde 
nachgefpürt, wo fich dann manches nicht eingeführte und doch 
längft einführungsfähige Kind entdedte, zu deſſen Einführung als- 
bald die nötige Vorkehrung getroffen wurde. Bei weitem bie 
meiften Namen fanden fich indeffen — befonders bei den Kindern 
uneheliher Geburt, — in veränderter Geftalt unter den Schul: 
Findern dennoch vor. — Zur Beichönigung der Schulverfäumnie 
wurden hauptfächlich folgende Entfchuldigungen gebraudt: 1) das 
Kind habe den Ausfchlag gehabt; 2) das Kind müße als das 
einzige größere bei den vielen Fleineren Gefchwiftern zu Haufe 
bleiben, wenn Vater und Mutter an die Arbeit oder ind Lefeholz 
gingen; 3) der Zunge müße an den Holztagen mit in den Wald 
gehen, um das nötige Winterholz eintragen zu helfen. Hin und 
wieder brachten die Eltern, um die Schulverfäumniffe ihrer Kinder 
zu entjchuldigen, Klagen über die Lehrer vor: Der Lehrer N. fei 
dem Trunfe ergeben, N. misbrauche die Kinder oft zu häuslichen 
Berrichtungen, N. ſei zu alt und ſchwach. 

Zu ihrem großen Leidweſen ſah die Commiſſion, daß ihre 
Wirkſamkeit ebenſowenig bei den reicheren Bürgern als bei den 
Lehrern Anklang fand. Jene ſtraͤubten ſich, ihre Kinder in die 
deutſchen Volksſchulen zu ſchicken, und zwar aus dem Grunde, 
weil die ſogen. Honoratioren dieſes auch nicht thaten; und dieſe 
klagten, daß durch die Schulcommiſſion ihnen nur die Kinder der 
Armen, die kein Schulgeld bezalten, zugeführt würden, während 
Lie Wolhabenderen, von denen ein Durch Gefchenfe erhöhtes Schul: 
geld zu erwarten ftehe, ihre Kinder in Privatlehranftalten gehen 
liegen. Außerdem Elagten die Xehrer, daß wenn fie die Verfäum: 
niſſe der Finder anzeigten, und die Eltern deshalb vor die Schul- 
com miſſion geladen würden, dieſe es den Lehrer entgelten ließen, 
Indem fie ihm bie freiwilligen Geſchenke entzögen. 

Schon in dem erften Berichte, welchen die Schulcommiffion 





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u — 


ie. 


gehörig organifirte und förmlich Dirigirte Schulanftalt gel 
diefe in Klaffen geteilt, und wenigſtens in den höheren Klafi 
Geſchlechter getrennt würden, jene Klafjenabteilungen aber 
nady dem Alter, fondern nach den Fähigkeiten eingerichtet, ü 
höheren Klaſſen nächft der Religion vorzüglich auch auf den 
terricht Bedacht genommen würde, den die Eltern jegt in P 
anftalten fuchten, jo daß es für die Kinder geringen Standes 
erlaubt wäre, aus der 2. und 3. Klaffe die Schule zu verl 
— 0 lange werde auch den Klagen der Lehrer, den Beſchw 
der Eltern und dem incoufequenten Vorſchreiten desfalfiger 
aufjehender Behörden nicht abgeholfen werden.” 

Unter den Verordnungen, weldhe zur weiteren Regelung 
Bolksjchulwefens in den Jahren 1819 — 1822 erſchienen, i 
erwähnen der „Nachtrag zu der Fuldaiſchen Schulverordnung 
Fahr 1781 für die katholiſchen Schulen der großh. ſächſ.-we 
eilenachifchen Aemter Geifa und Dermbach (1819), welde 
früherhin Fuldiſchen Aemter neuerdings mit dem Großherzo 
Sachſen-Weimar vereinigt worden waren. In Diefem „Nacht 
wurde die Herftellung des ſchon in der Fuldiſchen Schulord 
angeordneten Inſtituts der „Schuldeputirten,” welche die SA 


regelmäßig vifitiren und überwachen follten, befohlen, und a 


dem wurden die vorhandnen Beftimmungen über, Schulpflicti 
Frhulontiahuına &Arhullaorion &Srhıflnortäummiliio &Ahuldiarı 


— 347° — 


Gewiffermaßen ten Abſchluß der Organifftionen , welche 
unter der Regierung Karl Auguſts mit dem Volksſchulweſen des 
Örofherzogtums vorgenommen wurden, vepäfentirt die „Wllge- 
meine Dienftinftruction für die Landſchullehrer“ 
bom 28. März 1822. 

Treffend wird in ber „Vorerinnerung“ berfelben das Amt 
bes Schullehrerd charakterifirt: „Das Amt des Schullehrerd gehört 
zu den wichtigften im Staate, denn der Zweck desjelben ift reli- 
giöſe und fittliche Bildung des Volkes, worin die ftaatSbürgerliche, 
joweit Solche in Schulen möglih, mit enthalten if. Wer ein 
ſolches Amt übernimmt, weiht fi) ganz eigentlih dem Dienft 
Gottes und Jeſu EChrifti, dem Dienfte des Vaterlandes und der 
Menſchheit.“ — Hierauf folgen die einzelnen Beftimmungen ber 
Dienftinftruftion: 

„F. 1. Die geringfte Leiftung des Schulunterrichtd wird an 
ben vier Wochentagen, Montage, Dinstags, Donnerstags und 
Breitags, auf fünf Stunden täglih, Mittwochs und Sonnabends 
aber auf drei Stunden feftgefeßt. Wo mithin an jenen vier 
Wohentagen 6 Stunden berfömmlich find, da bleibt es dabei; 
hingegen, wo weniger ald 5 Stunden gehalten wurden, da find 
ſolche bis auf diefe Zal zu erhöhen. Die Bal von fieben 
Schulſtunden taͤglich wird überall, wo ſie ſich noch findet, hier⸗ 
mit abgeſchafft und auf 6 Stunden gemindert. Bei dem nach— 
mittaͤgigen Schulunterricht wird jedesmal eine halbe Stunde dem - 
Unterricht und ber Uebung im Singen gewidmet. $. 2. Außer 
den gefeglichen Ferien ift Die geordnete Zal Schulftunden ohne 

usnahme zu halten. $. 3. Den Unterricht erteilt der Schul- 
ehrer nad, einem, von dem Ortöpfarrer genehmigten, Lections⸗ 
plan; weshalb fich der erftere jebesmal nach dem Erndteegamen 
ME Dem Iebteren zu beiprechen hat. $. 4. Der Schullehrer hat 
ein Aufnahme: und Entlaßungsbuch fürdfeine Schulkinder zu führen, 
und solches in gehöriger Ordnung zu erhalten. $. 5. Ebenſo hat 
er eine Tabelle über die vorfommenden Schulverfäumniffe zu führen, 
und ruͤckſichtlich der ſtrafbaren Schulverſäumniſſe fih genau an Die 
iefen Begenftand betreffende Verordnung vom 15. Mai vorigen 
Jahrs zu halten. $. 6. Bor dem jaͤhrlichen Schulexamen hat er 





— 348 — 


eine Lections- "und Genfurtabelle zu fertigen und fie tem OrEs 
pfarrer zeitig zu übergeben. $. 7. Gr hat für die Schule alt 
Lehranftalt ein Inventar zu halten und ſolches jährlih be dem 
öffentlichen Schuleramen dem Dorfpfarrer zur Durdfiht und Re 
vifion vorzulegen. $. 8. In befonderd wichtigen die Schulucht 
betreffenden Fällen hat er dem Pfarrer Anzeige zu thun, che er 
die Beftrafung vornimmt. $. 9. Er darf Feine Schule ausjegen, 
ohne fi) vorher von dem Ortspfarrer die Erlaubnis dazu anf 
eine geziemende Weife perjönlich erbeten und fie erlangt zu haben. 
Es ift demnach dem Schullehrer nicht geftattet,, dem Ortöpfarter 
blos fchriftlidy anzuzeigen, daß er 3. B. verreifen, ober wegen 
einer andern Urfache eine Schule ausfeßen wolle, fondern er darf 
das Schulausfegen nicht eher vornehmen, bis er um bie beöfal: 
fige Erlaubnis, infofern er mit dem Pfarrer an einem und dem 
ſelben Orte wohnt, perfönlich bei demfelben nachgeſucht und fe 
erhalten bat. Dem Schullehrer eines Filialorts ift es vergönt, 
fih in dieſer Angelegenheit fchriftlih an feinen Pfarrer zu menden 
jedoch ebenfalls nicht blos anzeigend , fondern um Grlaubnis Mi 
tend.  SKraufheitsfälle machen eine Ausnahme, jedoch if M 
Pfarrer fofort in Kenntnis zu feßen. $. 10. Während der Schub 
zeit bat der Lehrer fein fremdartiges Gefchäft zu treiben, jondem 
fi blos mit den Echulfindern und der vorgefchriebenen Lecien 
zu bejchäftigen, auch die Schulkinder während der Tehrftunden j 
feinem fremdartigen Gefchäft in feiner Wirtfchaft oder font M 
gebraudyen. $. 11. Nicht weniger fol der Schullehrer währen? 
der Schulftunden geziemend gekleidet fein, und Alles, was jeint 
Lehrerwürde Eintrag thun würde, geflifjentlich von ſich entfernen 
$. 12. Bor dem Gottesdienft fol der Schullehrer in ſeiner 
Schwarzen Amtskleidung zum Pfarrer gehen, um von ihm bie Ar 
zeige der Lieder, die gefungen werden follen, — es wäre denn, 
daß er diefe Anzeige jchon früher von demjelben erhalten hatte, — 
zu vernehmen und um zu hören, ob ihm berfelbe rückjichtli der 
Einrichtung des Gottesdienftes etwas zu fagen babe. In ber 
Kirche während des Gottesdienſtes erfcheint er gleichfalls in ſchwarze 
Amtskleidung. $. 13. Der Schullehrer beforgt das Anfteden ot! 
Anschreiben der Lieder felbft oder laͤſt e8 durch beſonders daM 


— 349 — 


enommene rechtlicdye Leute bejorgen, und er bat vorfichtig zu 
meiden, auf dem Shore die Tafel mit den Nummern der Lie⸗ 
t durch Schulfuaben aufhängen zu laßen. $. 14. Er leitet den 
thengefang und hat, wo fein bejonderer Organift angeftellt ift, 
ih die Orgel zu fpielen, und zwar nicht auf eine weltliche, un- 
Hlihe Art, fondern mit geiftlihem Sinn, auf daß die Ge- 
einde Dadurdy erbaut werde. $. 15. Er führt die Kirchenmufif 
fund bat das vorhandene Chor unter feiner Leitung. — Iſt 
ben ihm ein befonderer Organift angeftellt, jo hat diejer mit 
t Orgel die Kirchenmufif zu unterftügen. $. 16. Während bes 
sttesdienftes führt er firenge Aufjicht über die Schulfinder, 
17, Wo ihm nach Oertlichkeit und Obſervanz noch eine und 
: andere ſonſtige geiftlihe oder kirchliche Verrichtung obliegt, 
ter ſolche gehörig zu erfüllen, bei feierlichen Ehrentagen aber, 
er amtshalber zugegen ift, fich fo zu betragen, wie es feiner 
ttdeigenfchaft und feinem Stande gemäß iſt. $. 18. Bei Kranz 
's oder Privatlommunionen muß der Schullehrer gleichfalls in 
er Amtökleidung erſcheinen. $. 19. Rückſichtlich der Aufficht 
rt die heiligen Gefäße, über die kirchlichen Gerätjchaften und über 
3 Kirchengebäude im Allgemeinen und Beſonderen, hat jicdy jeder 
hullehrer, wenn foldye nicht |peciel dritten Perjonen übertragen 
an Das im Ort Herfömmliche zu halten; jedenfalld hat er Alles, 
8 fi) auf Erhaltung des Kirchengebäudes bezieht, fortwährend 
Obacht zu nehmen. $. 20. Er führt Die Auflicht über Die 
gel und erhält fie, fo weit es ihm möglich ift, in ber Stim⸗ 
ing, injofern nicht ein bejonderer Organiſt angeftellt iſt. 
21. Wo ihm das Stellen und Aufziehen der Seigeruhr her- 
hmlidy obliegt, da hat er dieſe Pflicht treulich zu erfüllen, auch 
B Gefchäft nicht durch der Sache unfundige Perſonen bejorgen 
lagen. $. 22. Das matrifel- oder vertragsmäßige Laͤuten be- 
3t der Schullehrer, bis entweder durch ein allgemeines Geſetz 
T durd eine, von ber geiftlichen Dberbehörde, auf Antrag, 
ſchen dem Echullehrer und der Kirchengemeinde des Orts bes 
kte Uebereinkunft bierin eine Abänderung getroffen fein wird, 
23, Alles, was er bei der Kirche in Anfehung der Schreiberei 
E ded Rechnungsweſens, ingleichen der Führung des Kirchens 


% 





— 350 — 


buchs, zu beſorgen hat, iſt von ihm aufs Pünftlicfte u wer 
richten. $. 24. Eben diefe Treue und Pflichtmäßigfeit hat er Bei 
den ihm in Bezug auf die Gemeindefchreiberei obliegenden Ar 
beiten zu beobachten. $. 25. Der Schullehrer foll unter den Ar- 
beiten bei der Gemeindejchreiberei feine Schule nicht leiden laßen, 
namentlich während der Schulzeit fich nicht mit dergleichen Schrei— 
bereien beichäftigen, Diejenigen Perfonen, welche in @emeinde 
angelegenheiten zu ihm fommen, auf die Zeit, wo die Säule 
geendigt ift, vermeifen, und nur in den dringendften Fällen, und 
nie ander8 als mit Genehmigung des Pfarrers, der Gemeinde 
fchreiberei halber eine Schule verfäumen. $. 26. Am Sthluß 
jedes Vierteljahrs hat er über die Pfleglinge des Waifen-Znftituts 
in Bezug auf den Schulbefuh, den Fleiß und das Vetragen 
derfelben pflichtmäßige Zeugniffe an das Directorium jenes Jnftr 
tut8 unentgeltlih auszuftellen, auch fie überhaupt in genaue 
Aufficht zu halten. $. 27. Die zur Hülfskaffe für die Echullehttt 
beftimmten Abgaben von Taufen und Hochzeiten bat der Schul 
lehrer einzufordern, fie zu berechnen und balbjährig an den Orte 
pfarrer abzugeben. $. 28. Ueberhaupt bat der Schullehrer Alles, 
was ibm in Bezug auf die örtlichen und Parochialverhältnifie 
fonft noch obliegt, und auf einem vernünftigen und zweckmäͤßigen 
Herfommen beruht, unverweigerlich und gewißenhaft zu verrichten.” 
Mit dieſen durchgreifenden Reformen ftanden zalreiche ander’ | 
mweitige Anordnungen der Staatsregierung und der Behörden im! 
Bufammenhang, welche die Abſtellung mannigfacher Schäden der 
Volksſchule abzwedten und wenigftens fo viel bewirkten, daß da® 
Volksſchulweſen des Großherzogtums Weimar nach dem Jahre 182 2 
bereit8 den erfreulichften Anblid darbot. Das Seminar zu Bei’ 
mar war feit 1820 vom Gymnafium getrennt und mit eins 
neuen Lehrplan in das Bürgerfchulgebäude verpflanzt. Die Je 
ſpektion der Auftalt wurde mit dem Directorium der Bürgerigu# ' 
vereinigt. Nach den neuen Gejeßen, weldye das Seminar is 
‚Jahr 1823 erhielt, follten jederzeit 12 Schulamtscaudidatn @ F 
der Wohnung des Scminarinfpector8 unter der bejondern Auffic 
und Leitung deſſelben gebildet worden. Von aller Dienftleiftu®3 
im Theater (i. 3. 1817) befreit, wurden die Seminariften 7 


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— 351 — 


um fo eifriger in der Bürgerfchufe praftifch geübt. Für die Ers 
teilung des Unterrichtd im Orgeljpiel wurde ein befonberer Lehrer 
beftelt. Die Einrihtung einer Gentralbaumfchule gab außerdem 
auch Gelegenheit, die Seminariften mit der Baumzucht befannt 
zu machen. Die Frequenz des Seminars bob fid) von Jahr zu 
Jahr fo, daß bald alle Schullehrerftellen mit Zoͤglingen defjelben 
bejeßt waren. | 
Auch in den Volksſchulen felbft trat die belebende Einwir- 
fung Herders überall unverkennbar hervor. Durch die Verord- 
nungen der Jahre 1817— 1822, durch Einrichtungen von Local: 
Schulvorftänden aus der Mitte der Kirchfahrten, durch Einführung 
litbographirter Lectionspläne- für ganze und geteilte Schulen, durch 
das jährliche öffentliche Examen in Gegenwart ber Ortsvorfteher, 
durch die dem Pfarrer, dem Schulauffichts-Adjuncten, dem Epho⸗ 
tus übertragene Fürforge für jede einzelne Schule, durch deren 
an das Dberconfiftorium gelangende, von den Falligraphifchen 
und orthographifchen Schreibeproben der Schulfinder begleiteten 
jährlichen Defundberichte wurde der Unterricht immer gleichförmiger, 
metbodiicher und wirkſamer. Nicht weniger trug zur Hebung des 
Schulweſens eine neue Adjuncturorbnung vom Jahr 1822 Bei, 
durch welche mehrere Schulaufſichtsbezirke in jeder Diöcefe abge- 
grenzt wurden, fowie die Beſtimmung eines reiferen Alters ber 
Konfirmanden und bie Einrihtung von Leſe- und Fortbildungs- 
bereinen der Schullehrer, wobei auch Bücher über Landwirtichaft, 
Uber Obſt⸗ und Bienenzucht, fowie Orgel: und andere Mufik 
Rüde mitumliefen. Durd die jehr beträchtlichen Geldmittel, weldye 
dem Schulfonde von 1784 zugewendet und namentlich jeit dem 
Landtage von 1817 erhöht wurden, war es moͤglich, weſentliche 
"Angel des Schulwefens zu befeitigen, die früher ald unvermeid⸗ 
lich gegolten hatten. Durch fie war es ermöglicht Schullehrer⸗ 
Subſtitute anzuſtellen, alte und untauglich gewordene Lehrer zu 


penſioniren und von Unglüd betroffene zu unterſtützen. Daber 


Wurde die ganze äußere Lage der Lehrer eine andere, teild durch 

höhung ber geringeren Schulbefoldungen bis zu einem Normal- 
Minimum von 100 Thlen. auf den Dörfern, von 125—150 Thlrn. 
in den Städten, teils durch Erleichterung des Gloöcknergeſchäftes 


4 


— 352 — 


oder gänzlihe Befreiung von demjelben, durch Sicherung des 
Schulgeldes mittelft jubjidiärer Haftung der Gemeinde - Aerarien, 
durch Herftellung abgefonderter Lehrftuben in den Schulhäufern, 
durch Errichtung neuer oder zwedmäßige Einrichtung und Ber- 
größerung alter Lehrermohnungen, durch Befreiung der Lehrer 
von unfchidlichen Dienftleiftungen bei Ehrengelagen, beim Neu⸗ 
jabrfingen, beim Erheben mander Bejoldungsftüde, durch Au | 
faufung von Gärten, Wieſen, Krautländern und andern Grund x, 
ftüden ſowie durch Errichtung eines allgemeinen Schullehre⸗⸗ 
Wittwen-Fiskus mit Verſorgung der Schullehrer-Waiſen im. ; 
Waifeninftitut. 


XL 


Das Fürftentum WBalded, *) 


Im Anfange des 16. Jahrhunderts beftanden in den Städt ı 
und Flecken der Grafſchaft Waldeck einzelne Schulen, weldhe de er 
wie überall in damaliger Zeit nur die Beftimmung hatten, m = 
für den Dienft des Staates und der Kirche nötigen ſtudirten 
Leute beranzubilden. In der Unruhe der erften Jahre der Refo =: 
mation famen dieje lateinischen Schulen in Verfall, weshalb > Et 
Grafen Philipp der Yeltere und Philipp der Jüngere von 1525 (FJ 
verordneten: „Nachdem wir erkennen, daß auf Fünftige Jah 
wicht geringer Unrat und Mangel gelehrter Leute halben, D #! 
man zu göttlihen und zeitlihen Dingen braude ® 
möchte, erwachſen mag, Dieweil bei unfern Zeiten die Kine 
ſchulen fo gänzlich verfallen und abgeftellt werben, fo wollen we #, 
daß Bürgermeifter und Rat in unfern Städten und Fleden, DO‘ 
man zuvor Schule gehalten hat, daran feien, daß dieſelbigen « &* 
geftellten Schulen wiederum aufgerichtet und mit frommen, gelehrt 
Budtmeiftern beftellt werden, damit die Jugend zu Goſtes 















*) Hauptquelle ift die Schulgefeßgebung des Yürftentums Walded DM 
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— 353 — 


DoOb und Ehre und chriſtlicher Ehrbarkeit erzogen werde. Darauf 
Dann auch wir bedacht wollen fein, daß dieſelbigen Kinder- 
ırı e ifter mit gebürlicher Beſoldung verfehn werben.” “Der erfte 
SFeim zur Ausbildung eines eigentlichen Volksſchulweſens wurde 
ı. 5%. 1533 zu Wildungen gelegt, wo man einen Katechismus: 
urterricht in folgender Weiſe einrichtete: „Man hat allwege dreierlei 
Finder im Katehismo: die erften fahen an zu lernen, daß fie die 
sehn Gebote, Vater Unfer 2c. fchlecht aufjagen; die andern find 
etwas weiter gefommen, daß fie auf Die Frage des Katechismi zu 
antworten beginnen; der dritte Haufe find die Catechumeni, welche 
nun im Katechismo berichtet und wie zukünftige Gliedmaßen der 
Kirche zugerüftet und bewahrt werden. Mit dem Katechisno hält 
mans alfo, daß er alle Jahre auf den Michaelis Abend zu vier 
(Hr) angefangen wird, und man lieft den Kindern eins oder 
zwei aus den ‘zehn Geboten vor, Desgleihen aus dem Glauben 
und Vater Unfer, wie ein jedes die Ordnung bringt; und was 
man jegund gelehrt bat, dafjelbige repetirt man auf den folgenden 
Samstag unter den erften zweien Haufen, und zum Beſchluß laͤſt 
man zween Knaben und zwei Mägblein von den Catechumenis 
lich einander auf eins von Den Hauptftüden des Katechismi bes 
fragen, und lehret fie darnach ein Stüd fortan. Dieweil man 
aber über einem Stüd des Katechismi lehrt, verordnet man alle- 
Mal der geringften Kinder eins, auf den naͤchſten Feierabend auf- 
Wagen das Stüdlein, jo am fleißigften (2) gelehrt iſt, und 
dazu den Hauptſpruch, Darauf dieſe Lehre geht, ald die zehn 
Gebote, den Glauben, das Vater Unſer ꝛc. nach dem Buchſtaben, 
und beſchlieſt endlich mit einem Lobgeſang, der Zeit gemäß. Und 
ieje Ordnung hält man bis Walpurgis. Aber fortan über Som: 
Mer, dieweil das Volk und bevorab das Gefinde Arbeits halber 
sum Katechismo nicht kommen mag, derhalben legt man ihn auf 
den Feiertag nach der andern Predigt, alſo Daß er nur repetirt 
werde und im Schwange bleibe, bis wieder auf den Winter, und 
Bet einen Knaben bie zehn Gebote jchlecht aufjagen, und bar: 
nach zween Knaben einander fragen in den zehn Geboten. Auf 
An ander Mal thun derfelbigen gleichen auch Die Mägpdlein im 
Glauben oder was die Ordnung giebt. Im Advent hält man deu 
Depye, Boltsjchulwejen, 2. 23 


— 354 — 


Katechismum drei Tage in der Woche, nemlich am Dinstag, 
Donuerstag und Sonnabend nach der Weiſe wie man auf die 
Sonnabende pfleget. Dieweil aber die Zeit nicht erleiden mag, 
Knaben und Mägdlein allemal von beiden Teilen zu verhören, 
damit fie nun nicht verfäumt werden, jo verbört man fie einen 
Tag um den andern, jegund nur Die Knaben, dann nur bie 
Mägdlein. Vom Sonntag Esto mihi bi8 auf den grünen Mitt: 
woch hält man täglich Katechismum, aber auf den Montag, Mitt . 
wod und Freitag beftellt man zwei Baare, jegund Knaben, dann 
Mägdlein, Die fih einander in drei Stüden des Katechismi bes 
fragen, ein Paar in den zehn Geboten, das andre Paar im 
Glauben, das dritte im Water Unſer. Dieweil aber durd dr 
Faften gemeiniglich audy Die Alten zum Katechigmo fommen, Damm 
num biefelbigen nicht vergebens fommen , jo giebt man ihnen ein: 
Section aud der Haustafel, welche zur Beßerung der Ariflidewn 
Gemeinde in 24 Kapitel geftellt ift, Deren man alle Abend eines 
oder zwei dem Volke vorlieft. ‘Die Catechumenos zeichnet ma m 
auf mit Namen, damit man die Ordnung mit ihnen könnte halten 
in der Beftelung zur Frage und Antwort, und läßet fie auch üzm 
Katecyumenenregifter bleiben, bis fie zur Che beftattet werdert, 
es wären denn Urſachen vorhanden, darum fie Aergernis halbet 
nicht zum offenen Gefpräcd vor der Gemeinde zugelaßen wären-* 
Es war dieſes aljo der erfte mit Benugung der würtess® 
bergifchen Unterfcheidung von drei Haufen ausgeführte Verſuſch 
einer methodijchen Einübung des Katechismus und des Lejend zum 
Katechismus; und zwar war diefer Leſe- und Katechismusunte €” 
richt im Zuſammenhange und im Intereſſe des Firchlichen Konfe’ 
mandenunterrichtes entftanden. Einen anderen Gefichtepunft, ver 
dem aus das Volk im Lefen zu unterweifen fei, kannte man nidp#- 
Indeſſen [cheint der in Wildungen gemachte Verfud in de’! 
näcdhften Decennien noch Feine Nachahmung im Lande gefunte 2! 
zu haben. Denn die Waldedifche Kirhenordnung von 1556 u” 
hält zwar allerlei Beftimmungen über die Einrichtung lateiniſch E*F 
Stadtſchulen, ſchweigt aber von deutſchen Volksfchulen ganz) 
Dagegen zeigt fie den Keim, aus dem fidy diefelben erft noch ers ⸗ 
wideln follten, indem fie bejiimmt, „Daß ein jeglicher Hausvat e 


— 38 — 


172 Hausmuttter ihr Hausgefinde und Kinder dazu halten 
Cole), daß fie zum göttlihen Wort, gemeinem Gebet und 
Scatramenten auf folhe Sonntage und Feiertage fleißig in die 
Hürde gehn, ihre Knechte und Mägde auf die Beiten nicht mit 
kEn e chtiſchen Werken und Arbeit zuviel befchweren,, jondern zum 
Worte Gottes treiben, und biefelben mit beilfamer Lehre unter: 
weifen lagen, auch bie Kinder und Gefinde Diefelbige Zeit 
von leihtfertigen Spielen zum Katechismus anhalten und 
treiben follen.” — Die Landordnung von 1581 machte es allen 
Un terthanen zur Pflicht, bei Meidung einer Geldſtrafe von 1 Thlr., 
ihre Rinder und ihr Geſinde in die Kinderlehre zu fchiden. 

Aus diefen Anfängen, d. h. aus dem Intereſſe der Konfir- 
mation und der firdlichen Erziehung erwuchs bier wie überall die 
Lo Uksſchule. Die Kirche legte dieſe erziehende und belehrende 

. Frrforge in die Hand der Eltern, des Pfarrers und beziehungs- 
weiſſe des Küſters als des dienenden Gehülfen des Pfarrers. 

Diefes erhellt vor allem aus der Kirchenorbnung von 1640, in 

welcher die Fatechetiiche Unterweifung der Jugend noch durchaus 

vera Eltern, den Pfarrern und aushülfsweife den Küftern, bie 

ber hierzu von der Synode geprüft und autorifirt fein müßen, 

tg ewielen und in welcher zugleich der erfte Befehl zur Einrichtung 

vor Dorfichulen gegeben wird. Die in erfterer Hinficht in Be⸗ 

barcht kommende Stelle der Kirchenorbnung lautet: „Es follen 

ie Pfarrherrn und Kirchendiener fi) befleißigen, daß fie den 
Cechismum ftetigd auf Eine Form und Weiſe tractiren und im 

Le H ren befielben nicht weit davon ausſchweifen; — — dazu bie 
Paasstores in Städten und Dörfern befonder8 das junge Volk, bie 
Kiander, Knechte und Mägde forbern, und die Eltern, Herren 
um D Frauen ernftlich vermahnen follen, daß fie diefelbigen fleißig 
zu ſolcher Kinderlehre und Auslegung des Catechismi ſchicken und 
bei ernftlicher Strafe ſolche nicht verfäumen; und da ihnen ein 
Stüd des Catechismi vorgehalten und ausgelegt worden, die 

El tern „ Herren oder Frauen fie daheim befragen, was fie Daraus 
gelernt und behalten haben, dadurch fie gleich von Kindheit an 


aufgemuntert und gewöhnt werden, fleißig auf Die Predigt zu 
merken.“ 


— 3556 — 


— — „Da aber in den Dörfern zum Examine 
des Catechismi befonder8 in den Filialen, oder dba 
fonft fo viel Volks in eine Pfarre gewidmet, daß es 
dem Pfarrherrn Alles zu verrihten unmöglid, fol» 
bes den Küftern oder Kirchnern zu halten befehlen 
(welches doch anders nit geſchehen ſoll, denn da 
fie zuvor durch ein ernflli vorgehbend Examen, bei 
dem Synodo gehalten, hierzu tüdtig erfaunt,) und 
joll ihnen gleidhergeftalt eingebunden werden, daß 
fie den Catechismum fleißig treiben, und in Be: 
fragung und Verhörung der Jugend gleihmäßige 
Beſcheidenheit gebrauden.“ 

Zugleich wurde in derjelben Kirchenordnung (Kap. 15) be 
foblen: „Weil auch der gütige Gott indgemein durch den Mund 
der jungen Kinder und Säuglinge fein Rei bauet und dann 
eben jo wol auf Dörfern als Städten gute Auferziehung und 
Unterricht der Jugend böhft nötig, als follen überdies in 
. Städten deutfhe Schulen für die Mägdlein ver 
ordnet, desgleichen auf den Dörfern tüdhtige, gottes— 
fürdtige Custodes beftellt werden, bei welchen bie Knaben 
und vornehmlich armer Hausleute Kinder im Beten, Leſen, 
Schreiben, auch guten Künften einen Anfang legen mögen.” 
Schließlich wurde den Superintendenten (Kap. 16) aufgegeben, 
bei ihren Vifitationen darauf zu fehen, ob etwa „der Pfarrer den 
Küfter zu feiner täglichen Arbeit oder Botenlaufen gebrauche und 
aljo an dem Schulhalten verhindere.“ 

Hiermit war die erfte beftimmte Vorfchrift über Ginrichtung 
von Volksſchulen gegeben, die freilich einftweilen nur hier und 
da wirklich ind Leben treten Eonnte, indem bie wenigften Küfter 
im Stande waren, im Leſen oder gar im Schreiben zu unter = 
richten, weshalb die Landesherrſchaft (1654 am 11. September) € 
an die Kanzlei den Befehl erließ, fänmtliche Pfarrer zu ermahnen, mr 
daß fie „tüchtige Küfter annehmen” jollten, „damit die Zuge” 
auf den Dorffchaften im Lefen und Schreiben informirt werde. — 
Auch jollte Die Kanzlei nicht allein alle „Beamten und Landrichte 
anweifen, die Hanb hierüber zu halten, fondern auch neben jr 


— 357 — 


Bäggen anf Mittel bedacht zu fein, wie in allen Dörfern die ohnfehl- 
Bare Anftalt zu mahen,, damit die Jugend des Leſens und 
SS cHreibend möge erfahren werden.” Den Pfarrern war fchon 
Tr dizher aufgegeben, das Volk über den Segen des Sculbe 
Jas Hos alljährlich Durch zwei „Schulpredigten“ zu belehren. — Von 
Da an galt e8 als felbftverfländlih, daß in allen Pfarreien der 
örfer wie der Städte deutſche Schulen, welche von den Küftern 
geBpalten wurden, beftehn muften, fowie daß dieſelben ald wefentliche 
Zau Behör zur Pfarrei zu betrachten waren. Daher wurben bie 
Inm tereſſen der Volksſchulen auf allen Synoden in derſelben Weiſe 
wie die rein firdhlihen Dinge behandelt. Seit 1678 galt als 
SrDentlihe Behörde der Schulen das in diefem Jahre zu Menge 
rin ghauſen errichtete Gonfiftorium. Seit 1679 war eine auf Be: 
feBHT der Regierung veranftaltete Bearbeitung des Heinen Katechis- 
mus® Luthers das in allen Volksſchulen gejeplich eingeführte und 
neBft der Bibel ausſchließlich geltende Leſebuch. 

Aber obſchon die Landesherrfchaft, die Kanzlei, das Con» 
fift Orium und die Synoden die Hebung der Schulen fortwährend 
im Auge hatten, fo gelang e8 benfelben doch nur ganz allmählich, 
AUS den Küftern wirkliche Schulmeifter zu machen und einen nur 
ein igermaßen regelmäßigen Schulbefuch durchzufegen. Viele Eltern 
ließen lieber ihre Kinder nie eine Schule befuchen, ehe fie dem 
Fünfter das geringe Schulgeld bezalten, weshalb Die Synode von 
1663 verfügte, es follten in Zukunft „diejenigen, weldye aus 
ſo icher Conſideration ihre Kinder aus den Schulen laßen, doch 

er Küſter feinen Lohn, als wenn ihre Kinder in die Schule 
Sirrggen, zalen.” Daneben wurben die Küfter von den Pfarrern, 
te fie al8 Botengänger und Knechte, und von den Gemeinden, 
te fie nicht felten zum Viehhüten gebrauchten, fo fehr in Anſpruch 
Zen ommen, daß diefelben an ihr Schulamt faum denken konnten. 
aber ließ fih die Kanzlei i. J. 1676 von den Vifitatoren über 
AU gKüfter des Landes berichten, „was jelbige füe Dualitäten, 
ch wie und welder Geftalt fie ihre Subfiftenz haben,“ uud 
efoAhl „dahin zu ſehen, damit die Küſter von den Pfarrern zu 
irren Privatdienften inskünftige gebraucht” würden. Zwei Sjahre 
Püter erließ die Kanzlei an die Vifitatoren den Befehl, e8 ferner: 


— 358 — 


bin nicht mehr zu dulden, daß die Pfarrer ihre Küſter willführl 
ein- und abfjeßten, da dieſes nur mit Vorwißen der Kanzlei u 
des zeitigen Superintendenten gefchehen dürfe, und befahl zugle 
jedem Pfarrer aufzugeben, „daß er bei feinen priefterlichen Chr 
ohne einiged Nebenabſehen die Dualitäten feines Schulmeifte 
und Küfterd und ob derjelbe mit Lehre und Leben der Zugeı 
nüglich vorſtehe,“ fchriftlich einzuberichten, auch deſſen „Handſchri 
und Unterfchreibung feines Tauf> und Zunamens“ beizulegen. © 
Folge der hierdurch gewonnenen Grmittlungen beſchloß nun d 
Landeöherrichaft ein- für allemal nur Iehrfähige Küfter in de 
Pfarreien zu dulden. Der Synode zu Corbach i. %. 1683 lin 
diefelbe eröffnen, „daß Feine Küfter, Dpfermänner oder Schu 
meifter binfüro angenommen werben follten, fie produzirten ber 
zuvörderſt von ihrem Leben und Wandel ein gute® Zeugnid, um 
würden dann von den Superintendenten oder ſonſt von bene 
fo es zufömmt und gebüret, examinirt und für tüchtig erfannt 
Noch in demfelben Jahre vifitirte eine landesherrlihe Commiſſi⸗ 
ſäämmtliche Schulen des Amtes Eifendberg um zu.notiren, weld 
Mängel fi) in denfelben vorfänden, und um an die Stelle d 
unbraudhbaren und wibderfpenftigen Küfter tüchtige Schulmeifl 
einzuſetzen. Zwei Jahre fpäter (1685) erhielten ſaͤmmtliche Vi 
tatoren (zu Wildungen, Walded und Landau) den Befehl, al 
Sculmeifter in den Städten und Dörfern des Landes zu prüfe 
und zu erfundigen, „wie fie fich bisher in ihrer information us 
ſonſt verhalten, ob fie auch zu folhem Amt tüchtig, was fie anb 
für Handthierung treiben und wie viel fie an Bejoldung babe 
was fie bid dato bei der Jugend gethan, und wie weit fie felbi 
in ber Pietät, Mufit, Schreiben, Lejen und Rechnen gebracht.“ 
Allein wenn auch durch diefe Anordnungen eine der alle 
weſentlichſten Bedingungen "eines beßeren Gedeihens der Polls 
ichulen verwirklicht wurde, indem bie Zal ber durchaus unbraud 
baren Küfter verringert wurde, jo muſten die Schulen doch daru- 
noch immer in ber traurigften Verfaßung bleiben, weil fie en 
weder gar nicht ober nur ganz unregelmäßig befucht wurden 
Die Synode von 1701 berichtete, daß „auf ben Dörfern > 
Eltern ihre Kinder aus Armut nicht önnten in die Schule ſchicke 


— 359 — 


arı Dre aud) ihre Kinder zum PViehhüten hielten.” Graf Ehriftian 
Xarmwig befahl daher, Daß in Arolfen aus dem Slingelbeutel da- 
jet Bft „den armen Kindern zu Behuf Schulgelded und Erfaufung 
nDtiger Bücher nad Vermögen an Hand gegangen — und daß 
anzch in jeder Gemeinde aud dem Armenfaften zu dieſem Behufe 
fa ce currirt werden” ſollte. Wo diefed nicht möglich fei, jollten Die 
S cHulmeiſter die Kinder umfouft unterrichten und fich der reichen 
Vergeltung Gotted getröften. Dagegen follten diejenigen Eltern, 
welde ihre Kinder zum Hüten des Viehes gebrauchten und da⸗ 
user von der Schule zurücdhielten, dem Pfarrer und dem Kon: 
ſift Orinm zur Anzeige gebracht werben. 

Zugleich wurde damals ein Waifenhaus für die Grafichaft 
errichtet. Sn dem Ausjchreiben vom 14. Novbr. 1702, womit Die 
Kanzlei die Fundation defjelben befannt machte, wurde hervorge- 
hoben: Der Graf habe es fi zu Herzen gehn laßen, daß jo 
viele Waifen und fonft hülfloje Kinder des Landes in höchſter 
Verpflegung und Erziehung herumgingen und weder in der Er: 
fenntnis und Furcht Gottes, noch auch zu Erlernung eines ehr: 
lichen Handwerks genugfame Anleitung und Gelegenheit haben. 
Er Habe ſich daher aus landesväterlicher Fürforge und Liebe zu 
einen getreuen Untertbanen in Gotted Namen entjchloßen, ein 
Waiſenhaus zu ſtiften und dabei ſolche Anſtalten zu machen, daß 
Diejenigen Kinder, fo elterulo® oder fonft hülflos, ſoweit es Die 
Einkünfte der Anſtalt zuließen, dahin aufgenonmen und nicht 
allein mit notdürftiger Speife, Trank und Kleidung verjorgt, 
ſondern auch zu wahrer Gottesfurcht und Erkenntnis angewieſen 
und ihnen endlich zur Erlernung eines ehrlichen Handwerks oder 
Aner andern Profeſſion geholfen werden möchte. Wie nun dieſe 
uſtalt zu Gottes Ehren und des ganzen Landes Beſten augen: 
ein lich gereiche, ſo hege der Graf von feinen getreuen Unter: 

yaneı die Erwartung, Daß dieſelben fämmtlih, namentlich aber 
ob« wohlhabenderen „durch einen erklecklichen Beitrag an Geld 
zu ET Getreide ihre Liebe zu der armen und fonft verlaßenen Jugend 
Ex weijen, und denjenigen, fo zur Gollectirung ſolchen Beitrags 

bo EÜt werden follten, willfährig erfcheinen würden.” Außerdem 
© der Graf, Daß Die Unterthanen „auch binfünftig bei etwaiger 


— 360 — 


Auffeßung dero legten Willens oder anderen Gelegenheiten, da 
von Gott eine fonderbare Wolthat empfangen hätten,” der arm ey 
Waiſen gedenken würden. 

Es war eben die Zeit, wo der Geift und die Wirkfamkeit 
eined Epener und Franfe auch in Waldeck viele empfänglide 
Herzen zu entzünden begann, und wo demgemäß in Walded die 
Ueberzeugung heimifch wurde, daß nicht an der Ausbreitung und 
Verherrlichung der äußeren Kirche, jondern an der Belehrung ud 
Bekehrung der einzelnen Seelen Alles gelegen fei, daß aber mu 
folhe Hirten und Lehrer die Seelen Anderer für den Glauben | 
und das ewige Leben zu gewinnen vermöchten, welche nicht bio? 
Erfenntni® des Evangeliums, fondern dad Evangelium jelbft im 
Herzen beſäßen und wirklich wiedergeborene Chriſten wären. 

Daher begann mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhun— 
derts in Der Grafſchaft Walde mie in den meiften andern deut 
ſchen Landen eine neue, beßere Periode des Volksſchulweſens. 
Im Sahre 1704 wurde in der Perfon des Inſpectors zu Fledt 
dorf ein Vifitator für alle Schulen ernannt, der dieſelben jährlid 
wenigftens viermal befuchen folte. Zugleich gefchahen jept die 
eriten ernftlihen Schritte zur Aufbeßerung der Küfterbejoldungen. 
Auch erließ das Konfiftorium eine Generale (vom 30. Mai 1704), 
worin alle Eltern noch firenger und beftimmter als früher auf die 
Schulpflichtigfeit ihrer Kinder hingewiefen wurden. Daſſelbe lau 
tete nemlih: „Demnach man mißfällig vernommen, was geftalt 
einige Eltern nicht allein ihre Kinder gar unfleißig zur Schule 
ſchicken, ſondern audy auf Nachfragen der Schulmeifter fid ver: 
nehmen laßen, daß fie Diefelben bald unter dieſem, bald untel 
jenem Vorwand nicht zur Schule halten Fönnen; uud aber die 
Erziehung und Unterweifung der Kinder in der Furcht Gottes 
und chriftlichen Lehre allen andern Gejchäften billig vorzuziehen, 
und Diejenigen Eltern, fo darin nachläßig ſich erzeigen, für feine 
Shriften, fondern Heiden und Ungläubige zu halten, jo wir 
Namens guädigfter Herrichaft hiermit verordnet, daß die Kindet, 
ohne von den Schulmeifter erbaltne Erlaubnis nicht aus der Schule 
bleiben, auch nicht eher, als bis fie von ihren PVfarrherm für 
genugfam in der hriftlichen Lehre gegründet erkannt werben, auf 


— 361 — 


Schule genommen werden follen. Wofern fih nun Eltern 
erftehen würden, ihre Kinder, es fei unter wad Vorwand es 
le, ohne obgedadhte Erlaubnis die Schule verſäu— 
n zu laßen, oder fie gar, ehe fie losgeſprochen, aus 
Schule ganz wegnehmen, fo follen fie nicht allein auf 
8 doppelte Schulgeld (davon ein Teil an das Watfenhaus zu 
ibungen verwendet werden ſoll,) exequirt, ſondern auch nad 
finden ald Unchriften vom heil. Abendmal abgewiefen werden. 
ı dem Ende dann die Schulmeifter eine ordentlihe Tabelle 
Iten und darin die Kinder, fo mit oder ohne Urlaub ausbleiben, 
rzeichnen, auch ſolche Negifter alle Monat den Predigern, und 
fe, bie Prediger, dem Konfiftorio einfchiden follen.” 

Die wichtigfte Anordnung indeffen, melde in Betreff des 
hulwejens i. J. 1704 erfolgte, war die @inführung einer 
Shulordnung für die Schulen in der Grafſchaft Waldeck,“ welche 
ter dem 14. Juni 1704 von den Grafen Ehriftian Ludwig und 
iebrich Anton Ulrich publigirt wurde. *) Durch diefelbe wurben 
m erften Male alle Verhältnilfe der Volksſchnle volftändig ge⸗ 
jelt. Die einzelnen auf das Volksſchulweſen bezüglichen Be—⸗ 
nmungen der Schulordnung find folgende: Alle Kinder, Knaben 
d Mägdlein, in Städten und auf Dörfern find vom fünften 
bengjahre an für Sommers: und Winteräzeit zu einem ununter: 
shenen Schulbeſuch jo lange verpflichtet, bis fie von ihren 
hrern entlaßen werden. Und zwar follen fie nicht eher entlaßen 
den, „bis fie nebit erlerntem fertigen Leſen, Schreiben und 
nen (wenigftend jo viel die vier Spezies anlangt,) in ihrem 
tehismo fo weit gefommen, daß fie von der chriftlichen Glau⸗ 
Wlehre und Lebenspflichten genugjame, nicht nur dem Buch: 
ben nach und wie fie es auswendig gelernt, fondern auch bem 
ande nach und aus ihrem Herzen fließende Rede und Ant- 
rt geben können.” — „Damit fid Niemand damit entjchuldigen 
ne, daß er aus Armut die Schulbücher nicht anschaffen oder 
3 Schulgeld nicht bezalen Fönne,” fo follen „diejenigen, jo fid 





*) Diefelbe bezieht fih ſowol auf das lateinische als auf das Boltsfchulmefen. 
werden nur die das leßtere betreffenden Beftimmungen berüdfichtigt. 


— 362 — 


verheirathen, es wären denn ganz Arme, die auch dem Pfarrer 
nicht8 geben fönnten, in Städten einen halben, auf den Dörfer 
einen Ortötbaler dem Kirchenprovifor des Orts, da fie fi häm 
lich niederlaßen, vor der Gopulation erlegen, und von fothar, 
gefammelten Geldern oder, wenn felbige nicht zureichen, aus Der 
Kirchen-Reventen und. Einkünften denjenigen, deren Armut not 
rich, oder von dem Pfarrer ded Orts atteftirt wird, bie nötigen 
Bücher angefchafft werden.” Auf den Dörfern iſt dieſes jebed 
nur vom Katechismus, vom Neuen Zeftament, vom Gejangs ut 
Rechenbuch und etwa noch von Johann Arndt Paradiesgärlian 
zu verftehn. Die Lehrer follen aber darauf Acht geben, „vi 
die armen Schüler die gefchenkten Bücher nicht verderben oder 
gar verfaufen, fondern bei den Examinibus aufweifen, ud 
wenn fie Diefelben nicht mehr brauchen, wieder überliefern 
müßen.“ 

Die Zalung des Schulgeldes betreffend, „jollen alle un | 
jede praeceptores ſowol in Städten als Dörfern, wenn fie ir 
notdürftiged Auskommen haben, ſchuldig und gehalten fein, die 
nigen Kinder, deren Armut notoriſch oder fonft durch des Predi- 
gerd wie auch der Obrigkeit in Städten und der Vorfteher inte 
Dörfern Atteſte befannt ift, um Gottes willen und umjouf # 
informiren, dagegen fie defto reichere Belohnung und andermweitign 
Segen von Gott zu gewarten.” Da wo bad (Sinfommen M 
Schulmeifter unzureichend ift, fol verorbnet werben, daß die be 
treffende Gemeinde „entweder eine beftändige, binlängliche Ye 
dung an Aedern, Wiejen und Gärten conftituire, oder aber mt 
teift einer Gollecte in der Gemeinde und anderer Mittel verjchaft 
daß der Schulmeifter ſich ehrlich ernähren könne.” Hinſichtlich de 
zum Schulmeifterant erforderlichen Dualification {ft leicht zu @ 
achten, „daß ein unbetehrter Menſch, der in di 
Selbftverleugnung nnd wahren Liebe noch Fein gut 
Dament gelegt, niht ohne Murren und Wipderjpet 
figfeit zu diefem Liebeswerk, die armen Kindt! 
umfonft zu informiren, werde zu bringen fein‘ W 
rum follen nur wahre Ghriften zu Schulmeiftern angenommen m 
ben. — Eltern, welche ihre Kinder nichts deftoweniger niht PT | 





— 363 — 


ſchicken, follen von den Eltern dem Pfarrer, durch biejen 
nfiftorium angezeigt, und zur Zalung des doppelten (teils 
ın das Waiſenhaus einzuliefernden) Schulgeldes und zu 
Strafen verurteilt werden. — Zu Oftern wie zu Michae⸗ 
nur je 14 Tage Ferien geftattet. An jedem Tage find 
8 drei und Nachmittags drei Schulftunden zu halten, mit 
me des Mittwoch und Sonnabend, wo die Mittagsfchule 
e Stunde zu beichränften if. Bon Oftern bis Michaelis 
der Unterriht Morgend um ſechs, von Michaelis bis 
Morgens um fieben Uhr. Alle Lectionen find nach 14 
in Beifein des Schulvorftandes zu wiederholen. 
Jie Lehrer follen jederzeit der Bedeutung ihres Amtes wol 
ik fein; fie follen unabläßig Bott bitten, „Daß er ihnen ein 
äterlih Herz und aufrichtige Liebe zu den anvertrauten 
ı geben wolle. Alddann werden fie auch wie Väter mit 
ımgehen, und im Gebet und leben für fie wachen und 
daß ihre Seelen Gott geheiligt und fie bei ſtetem Wachs⸗ 
der Erfenntnid und Liebe Gottes erhalten werden mögen, 
ser Präzeptor dermaleinft fagen fönne: Herr, bie bin ich 
: Kinder, die du mir gegeben haft.” Hat der Lehrer ein 
rlich liebreiches Herz, jo wird e8 ihm nicht ſchwer fallen, 
Herzen der Kinder Gegenliebe und Vertrauen zu erweden. 
ieſes Vertrauen ber Kinder bindert, muß der Lehrer mit 
Sorgfalt vermeiden. Daher jollen die Lehrer „nicht mür- 
gen die Schüler fein, fie nicht ſchelten, — fie nicht Schelme, 
Teufelskinder, Schindhunde u. dgl. tituliven.” Namentlich) 
ie Schulmeifter fi in der Anwendung körperlicher Züchti⸗ 
näßigen und ſich nicht dem Wahne hingeben, als könne 
irch Prügel Luft und Liebe zum Lernen hervorrufen. — 
Ye Schulordnung war publizirt und ihre pünktlichfte Be⸗ 
wurde durch eine Reihe von Verordnungen und Synodab 
en nachdrücklichſt befohlen. Aber Jahre und Jahrzehnte 
en, obne daß das Volksſchulweſen des Landes dem in ber 
rbnung gezeichneten Bilde auch nur einigermaßen entſprach. 
ne Beftimmung über confirmationsfähiges Alter vorhanden 
o ließen viele Eltern ihre Kinder ſchon im dreizehnten Le⸗ 





— 364 — 


bensjahre confirmiren, womit der Schulbeſuch von ſelbſt aufhö — 
Durch Refeript vom 2. Novbr. 1706 verordnete daher das Lamp, 
fiftorium, daß in Zukunft nur foldye Kinder zur Konfirmation 42 
zulaßen wären, die „nicht allein von dem Katechismo einen dee 
Sinne fowol ald Worten nad) genugfamen Begriff, fondern ad ; 
genugjame Kennzeichen einer wahren Aenderung bes Herzens un 
Bekehrung zu Gott von fi fpüren ließen.“ Schlimmer an 
noch war, daß fo viele Eltern ihre Kinder gar nicht ober nur pw 
weilen zur Schule fchidten, daß fo viele Schulmeifter um ih 
Schulamt ganz unbefümmert waren, daß fo viele Pfarrer an ein 
ordnungsmäßige Beauffichtigung der Schule gar nicht dachten, 
und daß es den Schulmeiftern an vielen Orten gar nicht möglid 
war, das ihnen zufländige Schulgeld beizutreiben. Daher mufen 
die Landesherrſchaft, Die Kanzlei, das Konfiftorium und die Ey | 
noden unabläßig neue Verordnungen erlaßen, um auf die Vol— 
ziehung der Schulordnung zu dringen, und um einzelne im Laufe de 
Zeit bervortretende Webelftände zu bejeitigen. Es wurde vermb 
net (14. Mai 1708), daß das Schulgeld nicht mehr von da 
Schulmeiftern ſelbſt, ſondern „von den Vorftehern und Erhebem 
. in jeder Gemeinde beigetrieben und dem Schulmeifter gereiht' 
werden follte; e8 wurde, da auf den Dörfern Die Kinder währe 
des Sommerd gar nicht zur Schule famen, befohlen (24. Wei 
1708), „daß Hinfünftig auf Dörfern nur Einmal Ferien und zwar 
zu der Zeit, da die meifte Arbeit ift, follten geftattet, die übrige 
Zeit aber ſowol Sommers ald Winterd die Kinder befländig zn 
Schule gehalten, oder die Eltern nicht allein aufs doppelte Schub 
geld ezequirt, fondern auch nach dem diesfalld von der Kanyıl 
publizirten Edikt mit den Eltern verfahren werben” follte Um 
die Beftimmung der Schulordnung über die mit dem fünften !e 
bensjahre beginnende Schulpflichtigfeit wirkffam zu machen, wurt | 
vom Konfiftorium angeordnet (17. Juli 1709), „daß bie Pastors 
in Städten und Dörfern aus den Kirchenbüchern die Kinder, I 
das fünfte Jahr erreicht haben und diefelben mit Namen md 
nebft Benennung ihrer Eltern des Jahre zweimal, nemlid m | 
Sonntag nad DOftern und am Sonntag nach Michaelis von de 
Kanzel ablefen, dabei auch den Eltern andeuten follten, daß M 





— 365 — 


8 folgenden Tages fi mit ihren Kindern, fobald die Schule 
mgehet, in derſelben einfinden ſollen, da dann die Paftoresd den 
Eltern nötige Erinnerungen zu geben, daß fie ihre Kinder fleißig 
jur Schule halten und zur Gotteöfurcht aufziehen, auch ihnen mit 
zemplarifchem Leben und Wandel vorgehen follten.” Indeſſen 
ud diefe Verordnung hatte nicht den gewünfchten Erfolg. In 
edem Sabre liefen bei dem Konfiftorium Klagen der Pfarrer dar- 
Iber ein, daß viele Eltern ihre Kinder entweder gar nicht ober 
och nur fehr jelten zur Schule ſchickten, ungeachtet fie das jchul- 
flichtige Alter längft erreicht hätten, weshalb das Konfiftorium 
mter dem 17. October 1723 den Schulmeiftern die forgfältigfte 
sühbrung und Ginreichung der Abjentenliften einjchärfte. Insbe⸗ 
ondre hatte die Durchführung der Sommerſchulen ſolche Schwies 
igfeiten, daß das Konfiftorium ſich i. 9.1725 genötigt ſah, durch 
tejeript vom 6. April die Sommerjchule auf Eine Etunde an 
dem Tag ausdrüdlich zu bejchränfen. Die gröften Schwierig: 
eiten hatte ed jedoch, die Mädchen zum Beſuche des Schreibun: 
errichted zu veranlaßen, indem auch bier die Abneigung der EI- 
ern gegen das Vertrautwerden ihrer Töchter mit der Schreibkunft 
en Anordnungen ber Behörden den hartnädigften Widerſtand 
ntgegenftellte. Dur Gonfiftorialrefcript vom 5. Juni 1707 
wurde daher den Viſitatoren befohlen, „bie Gemeinden ernftlich 
nuhalten, daß die Eltern die Mädchen auch im Schreiben unter- 
ichten und jede Widerjeglichfeit in dieſem Falle mit einer Geld- 
rafe von 12 Gr. (die zur Anichaffung von Papier und Büchern 
it arme Kinder zu verwenden fei,) ahnden follten. 

Allerdings hatte ed die Regierung endlich dahin gebracht, 
aß an die Stelle der früheren durchaus unwißenden Küfter eine 
Tt Lehrerfland getreten war, der zum Unterrichten einigermaßen 
braucht werben konnte. Auch die äußere Lage der Schulmeifter 
ar teilweife eine beßere geworden. Im Sabre 1720 (20. März) 
urde allen Schulmeiftern volle Befreiung von der Geträuf- und 
chrote⸗Acciſe erteilt, und i. J. 1724 wurben biefelben „von ben 
egen ihrer Güter jonft gewöhnlichen Handdienſten“ befreit. Aber 
um hatten fi) Die Schulmeifter den erften Anfang einer Berufs: 
dung angeeignet, als fich auch fofort grade hieraus ein neues 


— 366 — 


Hindernis für das Gedeihen des Dorfſchulweſens ergab. S 
nemlich Schule zu halten, beſchaͤftigten ſich die Schulmeiſter 
Anfertigen von Bittſchriften, Teſtamenten und mit ſonſtiger B 
keladvocatur, weshalb dieſes Treiben den Schulmeiſtern i. J. l' 
(12. Mai) nahdrüdlichft unterfagt werden muſte. Zugleich wu 
in eben biefem Jahre 1723 unter dem 17. October den Su 
intendenten und Bifitatoren aufgegeben: Da „über Die neglige 
und fchlecdhte Information der Schulmeifter, auch daß dieſel 
ohne Haltung gewißer Stunden die Kinder zur Schule fom 
und weggehen ließen, viele Beſchwerden eingekommen,“ fo fol 
fie den Schulmeiftern einfchärfen, „Die Schulftunden au denjeni 
Orten, wo Uhren wären, präci8 mit dem Blodenfchlag anzufan 
und damit fo lange, bi8 die Informationsſtunden wären, zu t 
tinuixen, und während folder Stunden feine Privat-, Handwei 
und Hausgefchäfte zu treiben, jondern der SJuformation fe 
bloßerdings abzuwarten, an denjenigen Orten aber, wo ! 
Schlaguhren wären, nad einer Sanduhr, wenn vorher mit 
Dorfglode ein Zeichen zur Schule: zu kommen gegeben wor 
jet, zu verrichten.” Allein derartige lagen, daß die Schulme 
die Schulftunden moͤglichſt ſaͤumig eröffneten ober während 
jelben ihr Handwerk trieben oder andre Geſchaͤfte verrichte 
liefen immer wieder ein, weshalb das Konfiftorium i. J. 1 
befahl, in allen denjenigen Dörfern, wo feine Uhr fei, für 
Schule eine Sanduhr aus dem Kirchenvermögen anzufchaffen, 

fünf Jahre fpäter (31. Mai 1736) ſich veranlaft fah, den St 
meiftern ihr ärgerliches Treiben und das wegen defjelben jo | 
barnieber liegende Schulweſen ernftlichft vorzubalten. Das | 
fiftorium ließ nemlich den Schulmeiftern eröffnen: „Wan | 
verfchiedentlich zu bejonderem Mipfallen wahrnehmen müßen, 

viele der Küfter und Schulmeifter, beides in Städten und 9 
fern, anftatt fie ihres Amtes und Incumbenz in ftillem, ft 
nüchternem, friedfertig eingezgogenem und unärgerlichem Leben 

Wandel und mit gebürender Treue und Gmfigfeit verrichten, 

nebft auch ihren vorgefeßten Predigern in den. von Amts m 
an fie gefchehenden Erinnerungen eine ſchuldige Ehrerbietigkeit ! 
Folge leiften follten, diefelbigen hingegen ein rohes Leben führ 


— 367 — 


in Öffentlichen Gelagen und fonft dem Saufe nachhängen, allerlei 
Gezänt und Plauderei anrichten, die Schulftunden nicht zu rechter 
Zeit noch der Schulorbuung gemäß abwarten, die Schulftunden 
über entweder ihre Handgefchäfte treiben oder unterbeflen .auslaus 
fen, mithin die Information der auf ihre Seelen und Gewißen 
gebundnen Schulkinder nicht fo, wie es die Pflicht eines rechts 
ſchaffnen Schulmeiſters erfordert, verrichten, ſondern bierunter 
gröblih faul und nadläßig fein, weniger nicht bie Kinder mit 
Beinamen fehelten und excessive ſchlagen, zur Ungebir mißhan- 
dein, ihnen gar fluchen, desgleichen jonder Vorwißen und Erlaub⸗ 
nis ihrer Pastorum über Feld zu gehn fi) anmaßen, denfelben in 
Grmahnungen und Geheiß das Amt betreffend ungehorſam, unbe: 
Iheiden, widerſetzlich, ftörrig und fchnöde begegnen, und was der⸗ 
gleihen unachtbaren Bott und Menfchen mißfälligen,, ärgerlichen 
Beginnens bei ein und andern mehr if. Wodurch dann zu ihrer 
eignen Scham und Schande die leidigen Früchte erfolgen, daß die 
Schulkinder überhaupt, wenn fie zum Unterricht der Gonfirmation. 
lommen, nicht einft fertig lefen können, und in den Gründen 
des Ehriftentums, auch den bloßen Worten des Katechismus 
nach, fremd und unerfahren, gejchweige daß einiger Fleiß etwas 
Tüchtige8 zu ſchreiben oder rechnen, item Uebung im fer- 
tigen Aufſchlagen der Sprüche des neuen Teftaments 
md Pſalters an denfelben follte geſchehn fein.“ 

Die flrengere Disciplinirung der Schulmeifter, welche die 
Regierung ſich jet zur Aufgabe machte, mag immerhin zur Folge 
gehabt haben, Daß wefentliche Hinderniffe, welche der Entwidlung 
des Schulweſens im Wege flanden, bejeitigt wurden; allein 
biele wejentliche Uebelftände waren einftweilen trog aller Anftren- 
Jungen der Behörden nicht zu beſeitigen. Namentlih in den 
itmeren Stlaffen war der Schulbeſuch noch immer ein überaus 
Nangelbafter, und es half wenig, daß das Konfiftorium i. J. 1726 
erordnete, es follten in allen Pfarreien (was hin und wieder 
chon vorher verſucht war,) den Kindern armer Eltern aus den 
lingelbentelgeldern und jonftigen kirchlichen Ginfünften Papier 
m Schreiben gekauft und einige Pfennige zur Anjchaffung von 
inte gegeben werden, wogegen bie frühere Beftimmung, daß jes 





— 3568 — — 


des Brautpaar bei feiner Verheiratung in den Städten 18 Mg, 

in den Aemtern 9 Mor. zur Anſchaffung von Schulbüdern > 
ärmere Kinder zu zalen habe, (i. J. 1731) wieder aufgeboiiS , 
wurde. Die Schulverjäumniffe blieben nad) wie vor, und azg 
die Verfügung, daß diefelben mit Zalung des doppelten Schur 
geldes beftraft werden jollten, war nicht zur Ausführung zu br» 
gen, weshalb dieſe Verfügung i. 3. 1731 wiederholt werden 
muſte. Auch die früher angeordnete Veitreibung des Schulgeldes 
durch den Gemeindevorftand unterblieb faft aller Orten, und an 
manchen nahmen die Gemeindevorfteher für ihre Mühwaltung von 
den Schulmeiftern unerjchwingliche Sporteln in Anſpruch. Nor 
mentlidy in den jahren 1741 und 1742 erließ das Koufiftorum 
die gemeßenften Beftimmungen über die Führung der Abſenten⸗ 
liften, über die Beftrafung der Eltern jäumiger Kinder, u. |. ®., 
wozu i. 3. 1746 noch die Verordnung fam, daß Kinder erft nad 
zurüdgelegtem breizgehnten Lebensjahr confirmirt, und daß es deu 
Eltern nicht geftattet fein follte, „unconfirmirte Kinder außer Lan 
des oder Kirdyjpield und Gemeinde zu vermieten.” Aber die Ans 
ftrenguugen des Kouſiſtoriums, einen ordnungsmäßigen Schule 
ſuch in Gang zu bringen, hatten einen fo geringen Grfolg, daß 
das Konfiftorium, wie eg fcheint, felbft an der Möglichkeit, fein 
Biel zu erreichen, verzweifelte, und daher mehrere Decennien hir 
durch die Schulpflichtigkeit der Kinder in feinem Erlaß zur Sprade 
brachte. 

Eine neue Periode begann für die Entwidlung des Bells 
jchulwejens mit den Jahren 1770 — 1780. Im Jahre 1771 ev 
folgte die erfte landesherrliche Verordnung, worin die Anwendung 
einer zwedmäßigen Methode beim Unterricht beiprochen wurtt. 
Die Pfarrer follten in Städten und Dörfern wöchentlich wenig 
ſtens einmal die Schule vifitiren, auf die Lehrart des Schulmeifer 
wol Acht haben, diejelbe prüfen, und „im Falle fie daran mi 
Grund etwas auszujeßen und zu verbeßern fänden, den Lehr 
ind Geheim zurecht weifen und ihm einen fchidlicheren Weg M 
Drdnung und Deutlichkeit zeigen.” Im Jahre 1780 wurde Mt 
die Schulen auf den Dörfern und in den Fleineren Städten zum 
erften Male die Einführung öffentlicyer Prüfungen und zugleih | 


| 
| 


— 39 — 


ne Abänderung der Ferien angeordnet. Alljaͤhrlich ſollte am er⸗ 
m Montag des Auguft ein Examen, und zwar in den Dörfern, 
o man feine geräumige Schulftube habe, in der Kirche gehalten 
erben. „In diefer Abſicht follten die Kinder des Morgens um 
ht Uhr durch den Schulmeifter dahin geführt und dafelbft in 
legenwart des Richters, Vorftehers, Kirchenprovifors, der Eltern 
id Aller, welche zuhören wollen, im Leſen, Schreiben, Rechnen, 
eligionserfenntnis, biblifchen Hiftorie, Singen ꝛc. vom Schul: 
eifter und auch vom Pfarrer geprüft, und nach geendigtem Exa⸗ 
en die Schulferien auf vier Wochen bis auf den erften Montag 
tonat8 September gegeben, fodann auch von dieſem Montag an 
n Rindern noch vierzehn Tage weiter nur des Vormittags Un- 
richt erteilt, außer Diefen Erndteferien auch noch vierzehn Tage 
der Heuerndte geftattet, Dagegen aber die vorbinnigen Oſter⸗ 
id Michaelis-, fowie auch Weihnachtöferien aufgehoben fein joll- 
a.“ Auch follte e8 nicht den Schulmeiftern überlaßen fein, wos 
a fie egaminiren wollten,’ vielmehr follte von dem Pfarrer und 
ar erft am Tage der Prüfung jelbft ein gewiſſes Penfum ans- 
waͤhlt und die Jugend darüber egaminirt werden. Auch war 
zt zum erften Male von der Uebung des Schönjchreibend in 
n Schulen die Rede, indem der Landesherr Exemplare der „vorzüg- 
Jen Dettmolder Vorfchriften an diejenigen Lehrer erteilen ließ, 
Iche bisher „bie beften Beweiſe ihres Fleißes und ihrer Gefchid- 
Eeit im Borfchreiben gegeben.” Bei den Schulvifitationen und 
ı Öffentlihen Prüfungen follte darauf gejehn werden, ob fidh 
wiſchen „die Hände der Jugend und ihres Schulmeifterd” nad 
len Vorſchriften verbeßert hätten. Die früheren Beftimmungen 
x den Beginn der Schulpflichtigleit wurden um dieſelbe Zeit 
ch einen Gonftftorialbefhluß vom 24. Mai 1784 infofern mo: 
Airt, ats hierdurch der Eintritt in das fechfte Lebensjahr als 
atritt in das fchulpflichtige Alter beftimmt wurde, fo daß die 
Bulmeifter „bei eintretendem diefem Alter ohne Rüdficht auf die 
Breßzeit oder das Schulegamen von den faumfeligen Eltern has 
Bulgeld allenfals mittelft obrigkeitlichen Zwanges einzufordern 
ugt fein follten.” Späterhin (45. Juni 1810) wurde (auf 
deppe, Bollejäulmeien, 2. 2A 





— 3719 — 


Grund der Erfahrung, „daß die zu frühe Anftrengung der Jugend 

zum Edyulunterricht nicht nur keineswegs dazu geeignet fei, ein 

vollfommnere Ausbildung und die Erlangung grünblicyerer, au% 

gebreiteterer Kenntniffe zu bewirfen, fondern vielmehr öfters — 
nur Ueberdruß und Abneigung zum Lernen errege,) die Chur 
pflichtigfeit fogar erft für den Beginn des fiebten Lebensjahte 
feftgejegt, womit zugleich ftatt des dreizehnten das vierzehnte Jahr 
ald das zur Konfirmation erforderliche Alter beftinmt wurde. 

Das Waifenhaus zu Nieder Wildungen (dejfen Frequenz ſich 
pon 30 — 40 Kindern in den legten Jahren bi8 auf 70 Kinder 
gehoben batte,) erlitt in jofern eine wejentliche Veränderung, alb 
i. 3. 1787 das Waiſenhaus gejchloßen und die Waifenfinder un 
ter die Bürgersfamilien in Die Stadt verteilt wurden. 

Die Nüplicyfeitsintereffen wurden in dem Schulweſen des 
Landes ziemlid um dieſelbe Zeit heimisch, in welcher Diefelben 
in den Volksſchulen überhaupt Eingang fanden. Beders Not 
und Hülfsbüdjlein wurde im September 1788 den Pfarren in 
einer Anzal von Exemplaren mit der Weifung zugefandt, „daß 
der Inhalt den Unterthbanen entweder durch Vorlefung des Schul 
meifter8 oder auch dadurch, daß man das Bud, ordentlichen Haus 
pätern zum Durchleſen anvertraue, befannt werde, Jedoch habe 
der Schulmeiſter dafür Sorge zu tragen, daß Dafjelbe in die 
Schulen zurüdgeliefert und dafelbft aufbewahrt werde.” 

Das Bedürfnis eines Echullehrerjeminard wurde wieberbolt 
zur Epradye gebradyt und e8 wurden Pläne entworfen, Die jedod 
nicht ausführbar waren, da es au den erforberlihen Gelbmitteln 
fehlte. 

Die einzige erhebliche Verbeßerung, weldhe das Walbedijche 
Volksſchulweſen bis zur Publication ter „Schulordnung für die 
Hürftentümer Walded und Pyrmont“ von 1846 erfuhr, war bie 
durch Gonfiftorialverordnung vom 20. März 1806 eingeführte 
Klaffeneinteilung, wodurd „der von verfchiebnen Pfarrern gethane 
Vorſchlag, die älteren Echüler in den Dorfſchulen von den jün- 
gern trennen, und eine Klaffe Des Morgens, Die andere aber be? 
Nachmittags, jede aljo beſonders unterrichten zu laßen,“ genehmigt 





— 371 — 


Wurde, — Die wolthätigfte Anregung und Förderung erhielt die 
Volksſchule des Waldecker Landes ſeit 1834 von dem leider zu 
frühe verſtorbenen Konfiftorialrat Carl Curtze“). 





*) Bgl. „Carl Curtze, ein Lebensbild von Carl Bed. Mengeringhauſen, 
66 S. ↄ ff. 


E&neliprefiendrud von Joh. Aug. Koh in Marburg. 


Geſchichte 


des 


deukſchen Volksſchulweſens. 


Von 


Br. B. Feppe. 
Dritter Band. 


Gotha. 
Verlag von Friedrich Andreas Perthes. 


1858, 





Inhaltsugnzeighnis. 


— —— 2 


Fortſetzung der Geſchichte des Volksſchulweſens in den einzelnen 


Territorien Deutſchlands. Seite 
XII. Das Königreich Preußen . . . . 1 
XII. Rheinpreußen (von 1802— 1816) . . . 155 
XIV. Die vorbinnige Grafſchaft Wittgenftein . . 186 
XV. Das fäcularifirte Fürftentum Münfter . . . 192 


XVI. Das fäcularifirte Fürftentum Paderborn . . 202 
XVIL Das vorhbinn. Eurcölnifche Herzogtum W ern alen 207 


XVIL Das Königreih Hannover . 212 
XVOL Das Herzogtum Braunfhweig . . . 235 
ZI. Das Herzogtum Naffau . . . . 262 
XX. Das Fürftentum gippe-Detmolb . . 304 


XXL Das Fürftentum Shaumburgstippe . . 319 


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x. 
Das Königreich Preußen. 


In der Kurmark und in allen denjenigen Landen, welche 
ben Kurſtaat Brandenburg umgrenzten und allmählid mit dem⸗ 
felben vereinigt wurben, war bie ältere Gefchichte des Volksſchul⸗ 
wejend eine und biefelbe. 

Su der Kurmark waren, foviel aus den vorliegenden 
Nachrichten zu entnehmen tft, vor dem Ablaufe des ſechszehnten 
Jahrhunderts nirgends eigentliche Volksſchulen eingerichtet worden. 
Die i. 9. 1573 von Kurfürft Johann Georg publizirte kur⸗ 
märfiiche Viſitations- und onfiftorialordnung handelt allerdings 
m einem bejondern Abjchnitt „von den Echulen, auch Schulmeiftern 
und ihren Geſellen,“ und gebietet, „weil der Scyhulmeifter und 
ihre Geſellen auftatt der Eltern find, follen fie fi) der Jugend 
aufs treulichfle annehmen und fie im Katechis mo und fonft in 
guten Künften mit Fleiß inftruiren und wol lehren, auch die 
Selänge in der. Kirche — zu gebürlicher Zeit mit Fleiß halten 
und fingen.” Allein die Gonfiftorialorbnung ſpricht doch in dem 
ganzen Kapitel nur von den lateinifchen Schulen und fehärft darum 
Den Schulmeiftern ein, den Schülern vor Allem die regulas gram- 
Maticae lat. einzuprägen. Auf ben Dörfern befanden ſich da— 
mals noch nirgends Echulen, und in der Conſiſtorialordnung wird 
Te Einrichtung derfelben auch noch gar nicht geboten. Gleichwol laͤſt 
ie Gonfiftorialorbnung die erften Anfänge und Keime erfennen, 
Dr pp Bolls hulweſen, 8. 1 





— 2 — 


aus denen ſich Die Volksſchulen ſpäterhin entwickeln ſollten, 
fie es den Küſtern zur Pflicht macht, daß fie „auf den 9 
alle Sonntage Nachmittags oder in der Wode 
mit Nat des Pfarrers den Leuten, fonderlich aber d 
dern und Befinde den Heinen Katechismum Ruth 
unverändert vorlefen und beten lehren, auch nach Gel 
umberfragen, was fie daraus gelernt. Desgleichen fi 
vor und nad PVerlefung und Nepetirung des Katechismi 
dem jungen Volke, gute chriftliche deutſche Pjalmen v 
gen und lehren; und da Filiale vorhanden, follen fie 
wechjelmeife, einmal in der Hauptpfarre, das anderemal 
Filialen alſo halten, Damit die Jugend in allen Dörfern I 
nach Notdurft unterwiefen, und ja nicht verfäumt werben 
Nur für die Mädchen wurde die Begründung eigentlidyer 
ſchulen angeordnet, indem ed in der Gonfiftorialordnun 
„Die Sungfrauenfchulen find jehr nüglih und wol erdacht, 
folen die Bürger ihre Töchter darinnen Leſen, Schr 
Beten und hriftlide Geſänge lernen lagen und zu 
tung derjelbigen Schulen den VBorwaltern ihren Lohn treu! 
underzüglic geben. So jollen audy die Räte in Städten 
Gelegenheit mit freien Wohnungen und etlihem Holz 
und mit feinen Schoßen belegen, auch fonft ihnen alle 
Förderung widerfahren laßen.” 

Das ſechszehnte Jahrhundert verging indefjen, ot 
man an die Einrichtung eigentliher Dorfſchulen dachte, u 
war zufrieden, wenn wenigftens annäherungsweile erreicht 
fonnte, was der Kurfürft Johann Georg in feiner für d 
Eichen Lande i. J. 1572 aufgeftellten Kirchenordnung 
hatte: „Dieweil auch zu Erhaltung duriftlicher Religion un 
Polizei aufs höchfte vonnöten, daß die Jugend in ben 
unterweifet werde, und die Echulen etliche Zeit ber in m 
Abfall kommen, wollen wir, daß die in allen Städt: 
Märkten wieberum angerichtet, veformirt, gebeßert u 
bürftiglich verjehn und erhalten werden.” Im Jahre 16 
ordnete Kurfürft Joachim Friedrich in einer Kirchenvif 
Iuftruction vom 9. Febr., daß die PVifitatoren in Betre 


— 3 — 


chule ermitteln ſollten: 1) wie und mit wie vielen Schulgeſellen 
e Schule beſtellt; 2) ob und wie oft jaͤhrlich Examen gehalten, 
D welchergeftalt; 3) wie ſich die Schulgejellen in ihrem Amt 
D Leben verhalten; 4) was fie für einen ordinem lectionum 
ten; 5) ob fie auch mit notdürftigem Unterhalt, Wohnungen 
D Tiſchen verfehen. Indeſſen bezog fich dieſe Verordnung offen- 
r auf die (lateinifchen) Stadtſchulen. Auch im Anfange des 
baehnten Jahrhunderts war im Kurfürftentum Brandenburg von 
UEsſchulen noch nicht Die Rede. Ja felbit ald die Verwüftung 
)  dreißigjährigen Krieges ihr Ende erreicht hatte und die adht- 
ID terzigjährige Regierung des großen Kurfürften Friedrih Wil- 
ma begann, wurde an alles andere, nur nicht an die Volks⸗ 
len gedacht. Indeſſen wurden Doc jet wenigftend einige 
zure wahrnehmbar, weldhe auf den Anfang eines Volksſchul⸗ 
ers im Lande hindeuteten. Unter dem 20. Mai 1662 befahl 

große Kurfürft, „daß die Kirchen und Gemeinden allen Fleiß 
Denden follten, daß bin und wieder, fowol in Dörfern, Flecken 
> _ GStäbten wolbeftellte Schulen angeordnet würden,“ und un: 
Dem 1. März 1683 verordnete derjelbe, daß in den Rejidenz- 
er Nachmittags nach der Predigt Fatechifirt werben follte. Auch 
tete die erfte Gemahlin des Kurfürften das Waiſenhaus zu 
ta nienburg. Weiter aber fonnte das Volksſchulweſen in dem 
ern Kurfürftentum nicht kommen. 

In den meiften derjenigen Territorien, welche fpäterhin dem 
Audenburgiſchen Fürftenhaufe zufielen, war es mit der Volks⸗ 
uLe nicht beßer beftellt. 

In Pommern erfolgte die Errichtung von Volksſchulen 
ag Spät. Allerdings ift es als Eigentümlichkeit der älteren 
n merſchen Kirchenorbnung von 1563 anzufehen, daß in ihr das 
fteramt in nody engere Beziehung als es fonft gejchieht, zum 
A yamt geftellt wird, — indem fie dem Küfter einen eigentlichen 
x eonendienft unveift, denfelben als geiftliche Perſon binftellt 

demgemäß von ſolchen Küftern fpricht, „bei denen Hoffnung 
Zum Predigtamt ;” dagegen von einer Verpflichtung ber Küfter 
m Schuldienft weiß die Kirchenordnung faft gar nichts. Es 


CD wol geſagt, „alfo Fönnen wol in Städten gejchidte Küfter 
4 


— 4 — 


angenommen werden, die da koͤnnen mit in der Schule helfen, 
oder in der Kirche lectiones halten;“ damit find jedoch Preigt 
amtsfandidaten gemeint, welde in den Stadtfchulen aushülfs⸗ 
weiſe verwendet werden follen. 

Die Pommerſche Kirchenordnung fennt noch gar Feine Dort 
fhule. In dem Abjchnitt derjelben, welcher „von ben Säulen“ 
handelt, werden neben den lateinischen Echulen nur „deutſch 
Schreibſchulen“ und „Sungfrauenfchulen” erwähnt, welche in de! 
Städten eingerichtet werden follen. In Betreff der letzteren wiz 
beftimmt: „Die Zungfrauen ſollen des Werfetags vier Stunden #1 
die Schule gehen; die andere Zeit follen fie bei den Eltern leme: 
baushalten. Vor allen Dingen follen fie im Katechismo, in Pia 
men, chriftlicden Geſängen, Sprüchen aus der h. Schrift fleibz: 
unterrichtet, aucy zum Gebet und zur Predigt gehalten werden ° 

Die deutſchen Schulſchreiber follten „vom Rat beftellt un? 
mit Wohnung von dem Kaften verjorgt werden. So fie run 
find und dem Paftori nicht widerwillig, mag man ihnen aus dem 
Kaften ein Geſchenk geben. Befoldung aber nehmen fie von ihre 
Schülern; die follen fie lehren lefen, recht und wol fehreiben un? 
rechnen, und follen fie zum Katechismus und zu den Predigte = 
halten, wie ihnen biervon mit Nat des Paſtoris eine Form jo M 
vorgefchrichen werben.” 

Im Erzftiftslande Magdeburg wurde erſt nad eE 
breißigjährigen Kriege durdy den Adminiftrator Auguft der det 
ſuch gemacht, die Grundlagen eines evangelischen Volksfchulweler® 
zu fchaffen. 

Um tie in der troſtloſeſten Verwüſtung darniederliegender 
kirchlichen Zuſtände des Landes einigermaßen zu regeln, publizir 
Auguſt zunächſt i. J. 1652 eine Kirchenordnung, in welcher d ũ 
dienſtlichen Verhältniſſe der Küſter genau nach den in den UF 
und herzoglich-ſächſiſchen Landen geltenden Beftimmungen normi c 
wurden. Die Küſter wurden angewieſen, den Pfarrer in ale 
dienftlihen Verrihtungen gehorfamlih zur Seite zu ftehen, und 
„die Knaben und Maͤgdlein leſen und ſchreiben lehren, mi 
auch den Katech ismus und die chriſtlichen Kirchengeſänge, 
worauf die Prediger mit Fleiß ſollen Achtung geben, auch da 


— 5— 


olk, ihre Kinder in die Schule zu ſchicken, ernſtlich ermahnen.“ 
ei den Kirchenviſitationen ſollten die Superintendenten darauf 
ren, „ob die Schulmeiſter vor allen Dingen den Katechismus 
bſt den Kirchengefängen mit täglichem Fleiß treiben ,” — aud 
b Mägdleinfchulen feien, wer die Schulmeifterin annehme, und 
‚her fie befoldet, auch was fie zur Befoldung babe, ingleichen 
fie vorher von dem Pfarrer ihres Chriſtentums befragt werde.” 

Indeſſen ſah der Adminiftrator ein, daß die Aufftellung der 
chenordnung allein noch feine fonderliche Frucht bringen könne; 
im gar vieles von dem, was in der Kirchenordnung vorausge⸗ 
t wurde, mufte erft gefchaffen werden. Auguft ordnete daher 
t BZuftimmung des Domfapiteld und der Landfchaft Die Vor⸗ 
IJme einer allgemeinen Kirchenvifitation an, durch welche er 
It nur den wirklihen BZuftand der Landesfirhe nach allen 
iten bin ermitteln, fondern auch die Vollziehung und wirklide 
nführung der Kirchenordnung befördern wollte. 

Aber die Ergebniffe der Vifitation waren über alle Maßen 
urtig. Nur an wenigen Orten waren Knabenſchulen eingerichtet; 
zelne Mädchenfchulen, die früher bin und wieder beſtanden 
Ten, waren ganz verfchwunden. Die Küfter waren nur teil» 
Ve ves Leſens und Schreibens kundig, ſahen neben dem Küſter⸗ 
E die Ausübung irgends eines Handwerks als ihren eigentlichen 
Sufan, wurden von ben Bauern lediglich als gedungene Ges 
Eandebiener behandelt, und daher bei dem Antritt ihred Dienſtes 

Zalung eined Leihkaufes gezwungen. An manden Orten 
en nicht einmal ftändige Küfter vorhanden, indem ſich mehrere 
rer von Einem fogenannten Zauffüfter bedienen ließen, der 
U einem Dorf zum andern lief. 

Um dieſe Uebelftände thunlichft zu befeitigen, verordnete 
E Adminiftrator in dem am 29. Mai 1656 publizirten „Bill 
Kong = Deeret und Abſchied:“ in Zukunft follte der Pfarrer, 
enn er einen Küfter anzuftellen hätte, denfelben zuvor fleißig 
tüfen, „ob er die capita pietatis wiße und verftehe, ingleichen 
b er tüchtig fei, in der Kirche aufzumwarten und die Kinder in 
er Leſe- und Schreibekunft zu unterrichten.” Jeder Küfter follte 
n feinem Ort eine Schule einrichten, und der Pfarrer follte die 





— 6 — 


Schule wöchentlich wenigſtens zweimal inſpiziren. Die Eltern 
folten ermahnt werden, ihre Kinder frübzeitig und fleißig zu 
Schule zu fhiden, und fein Schulkind follte aus der Schule ent 
laßen werben, fo lange es nicht gedrudte und gefchriebene Särit 
leſen, notbürftig fchreiben und den Katechismus, die üblichen Br 
bete und die Palmen auswendig herfagen koͤnne. Sind Eltem 
genötigt, ihre Kinder während der Erndte dem Schulbefuh zu 
entzichen,, fo fol der Schulmeifter mit denſelben an den Sons 
und Feiertagen das Verfäumte nachholen. 

Indeſſen geht Ihon aus der Schulordnung hervor, welde 
Auguft i. J. 1658 nicht blos für die lateiniſchen Stadt⸗, fondern 
auch für die Dorfichulen erließ, daß auf dem Lande die Einrid; 
tung von Schulen immer noch nicht allgemein durchgeſetzt werden 
konnte. In der Schulordnung wurde nemlich beftimmt: „Dieweil 
auch Die Notwendigkeit erfordert und an fich felbft recht und 
Hriftlih ift, Daß die Kinder auf den Dörfern ebenfalls auft 
wenigfte jchreiben und lejen lernen, fo follen, fo viel möglid, 
anf allen Dörfern in unferm Graftift Schulen gehalten, und die 
Kinder durch die Küfter und Schulmeifter mit Fleiß unterridte 
werden.” Außerdem wurden Die bereit in dem Vifitationd-Derrd 
gegebenen Beftimmungen wiederholt. Namentlich wurde verordnet, 
daß die Kinder, „jobald ſichs Alter und der Sprache halber 
redyt fügen will, jowol vor- ald nachmittags” zur Schule gejhidt 
werden follten. Säumige Eltern follten von der Ortsobrigkeit 
mit allem Ernft zur Erfüllung ihrer Pflicht angetrieben werben. 

Dieſes waren die Normen, weldye bis zum Ende des Jahr: 
hunderts für das Volksſchulweſen des Landes galten. Die Magde— 
burger Kirchenordnung von 1685 befahl nur: Die Küfter folten 
„auf den Dörfern fleißig Schule halten und die Knaben und 
Mägdlein lefen und fchreiben lehren, wie auch den Katechiämuns 
und die hriftlichen Kirchengefänge, worauf die Prediger mit Fleiß 
follen Achtung geben, auch das Volk ihre Finder in die Schule 
zu ſchicken, ernftlih anmahnen.” 


— 7 — 


eigentliche Geſchichte des preußiſchen Volksſchulweſens 
t der Geſchichte der preußiſchen Monarchie ſelbſt. 

ih wendete König Friedrich J., der zuerſt die Zus 
8 Haufes ahnte und die Pflege und Vertretung aller 
ntereffen als die Grundlage derfelben erkannte, anfangs 
orge faft nur dem höhern Unterrichtöwefen zu. Er 
Univerfität Halle, zog Reibniß in feine Umgebung, 
ur) denjelben Die Academie der Wißenfchaften, fchuf 
rt a. d. O. die Friedrihsfchule, in Königsberg das 
Fridericianum, in Halle das Gymnasium illustre 
num, in Berlin die Nitteracademie , beftätigte das 
um regium zu Halle durd ein Privilegium u. |. w. 
ber königlichen Munifizenz Friedrichs vereinte fich bald 
‚den Auguſt Hermann Franke durd feine Stif 
Waiſenhauſes zu Halle in das öffentlihe Erziehungs 
jungen Königreiches brachte. Es war eine Frucht der 
Birkfamfeit Frankes, daß fi tief in das Herz des 
Gouvernements der Gedanke einpflanzte, die Obrigkeit 
um Gottes Willen vor Allem ded armen Volkes ans 
d müße Dabei zum Mittelpunkt der WVolkderziehung das 
n machen. Raſch entitand daher eine ganze Reihe von 
, die Frankes Geift durch die Hand des Königs ing 
f. Sriebrich begründete das Waiſenhaus zu Königsberg 
ür die Schweizer- und Drange:Goloniften beftimmten 
und Orange- Stiftungen, legte Den Mons pietatis an, 
n die Einrichtung des großen Waifenhaufes zu Berlin, 
deffen erſt unter feinem Nachfolger zur Vollendung 


an die eigentliche Volksſchule Dachte der edle König, 
n dem „Edikt wegen der Generalvilitation Der Kirchen, 
nd Dabei zu beachtenden Fragen” vom 16. April 1710 
inde zu fragen befahl: 1) ob ein Schulmeifter in einem 
Yorfe vorhanden, der die Knaben im Lefen, Schreiben 
ſismo untermeife; 2) ob er die zu feinem Umte erfors 
tigkeit und Fleiß babe; 3) ob er gutes Leben und 
hre. Freilich war das auch alles, was der König für 


— 8 — 


die Dorfſchule that, Die bis zu ſeinem Tode in derſelbigen trau 

rigen Verfaßung blieb, wie im ganzen fiebzehnten abrhundett, 

indem fie faum exiftirte. Aber das war der Segen, ben die 

Regierung des erften Königs von Preußen dem preußifchen Voll 
jchulwefen brachte, daß der Geift einer edlen, chriftlichen Hw 
manität, Der die pflegende Mutter der Volksfchule werden folte, 
durch fie entwidelt und in dem öffentlichen Leben bes Staates 
heimifch gemacht wurde. 

Erſt unter Friedrih Wilhelm I, dem eigentlichen Va⸗ 
ter Des Volfsfhulmwefend der preußifhen Monar: 
hie, Fam zur Verwirklichung, was bisher nur vorbereitet war 
Wie Eläglich es bei feinem NRegierungsantritt in den Lanudſchulen 
ausfah, erhellt aus der „Anftruction vom 5. März 1715, wonad 
die Superintendenten, Pröpfte und Inspectores der Kurmark Brarı 
denburg, ein jeder in feiner Dioecesi, die Localvifitation anzas 
ſtellen und zu verrichten habe.” *) Die erfte Verordnung, welch 
das eigentliche Vollsſchulweſen betraf , war indeſſen das iz 
Jahre 1716 publizirte Edift, worin befohlen wurde: Die Pröpfk 
follten fi) der Präparation tüchtiger Schulmeifter entweder jelb! 
oder unter ihrer Leitung Durch geſchickte Schulcollegen und fromma 
Studiofen annehmen. Wer gute Schulmeifter wiße, oder wez 
joldye fehlten, der follte e8 dem Propfte anzeigen. Kinder vo 
5— 6 Sahren, welde über Feld zur Schule zu geben hättez 
jollten wenigftend Die Sommerfchule regelmäßig beſuchen; die &7 
wachfenen Dagegen follten auch zum Beſuche der Winterſchu 
verpflichtet fein. Mit den Kleinen könne das, was fie im Sorm 
mer erlernt, durch einen geübten Knaben in Gegenwart eines ve1 
fländigen Mannes wiederholt werden, wofür die Prediger 3 
forgen bätten. Der Schulbeſuch follte fo lange fortgefeßt werden 
bis die Kinder im Lefen, im Katechismus Luthers, in ben Haupf: 
und Kernſprüchen, in der bibliihen Gefchichte, im Singen, 
Schreiben und Rechnen binlänglic unterrichtet wären. 

Zu diefen und andern Beltimmungen des Edikts, , welde 
jpäter durdy einen neuen Erlaß des Könige vom 6. Juli 17% 


) Brgl. Bededorff, Iahrbüher B. II. S. 29, 


— 9 — 


derholt ward, wurde in Den beiden naͤchſtfolgenden Jahren 
h eine Reihe von Verordnungen erlaßen, wodurch einzelne Der: 
tniffe des Schulweſens noch ihre nähere Beftimmung erhielten. 
wurde 3. B. verfügt (1717): Im Winter follten die Schul 
der (gegen zwei Dreier wöchentlichen Schulgelde8 von jedem 
hüler) täglih, im Sommer wöchentlih wenigftend zweimal 
" Schule fommen. Für arme Kinder jollte das Schulgeld aus 
n Almofenfaften eine jeden Orts bezalt werden. Bierteljähr: 
ſollte in Beifein des Pfarrers, des Magiftratd und etlicher 
3 der Gemeinde (auf dem Lande mit Hinzuziehung des Schulzen 
) der Kirchenväter) ein gemeined und jährlich ein feierliche® 
amen ftattfinden. Diejenigen Knaben, welche ſich bei dieſen 
üfungen auszeichneten, follten belohnt werden. Auch wurde 
fügt (30. Septbr. 1718), daß alle Küfter vor ihrer Anftellung 
n Beneraljuperintendenten anzuzeigen, und von dieſem, jedoch 
entgeltlih , zu examiniren wären. — Einige Jahre fpäter 
J. Novbr. 1722) wurde hierzu noch verordnet, daß zu Küftern 
d Schulmeiftern auf dem platten Lande feine andern Hand: 
ter ald Schneider, Xeineweber, Schmiede, Rad—⸗ 
her und Bimmerdleute angenommen werden follten. 
(ch wurde fpäterhin (2. Mai 1736) den Dorflüftern und Schul: 
iftern, weldye das Schneiberhandwerf als Meifter trieben, zur 
licht gemacht, nicht mehr ald zwei Geſellen zu halten und 
ne andern ald Bauernfleider zu verfertigen. Dagegen 
Iten auch (nad) Verordnung vom 17. Septbr. 1738) auf dem 
itten Sande nur Küfter und Schulmeifter ald Schneider gebuldet 
d alle andern Schneider follten in die Städte verwiefen werben. 

Um die in dem Verwaltungdbezirt der Mindenſchen Kammer 
rgefommenen, bei der Beftellung der Küfter und Schulmeifter 
Örgenommenen Mipftände abzuftellen, verfügte der König in 
em Erlaß an die Mindenjche Kammer vom 4. Novbr. 1733, 
aß wenn in den dortigen Provinzen und deren Aemtern einige, 
heiniglich auf dem Lande combinirte Küfter- und Schulmeifter- 
Ien vacant werden, von dem Beamten und Pastor loci zwei 
drei Perfonen, fo dazu die gefchiefteften, dem Gonfiftorio in 
tfchlag gebracht und präfentirt werben follen, damit. basjelbe 


— 10 — 


nach vorhergegangener Eramination den dazu geſchickteſten und befin 
Ariftliches Leben und ehrbarer Wandel befannt ift, Davon nehmen 
möge; daß die Introductiones der Schulmeifter aber von dem 
Conſiſtorio geſchehe, wird nicht nötig, fondern genug fein, wenn 
bon den Beamten und Predigern des Orts die Schulmeifter p 
ihrer Function, zugleich auch von felbigen Die Unterthanen ange 
iwiefen werden, ihre Kinder zur Schule zu fchiden, damit fie m 
Ehriftentum unterwiefen und zum Guten angeführt werben 
können.“ 

Indeſſen beſchraͤnkte fi der König nicht auf das Erlaße 
von Verordnungen, fondern legte rüftig die Hand an, um wirflid 
ind Leben zu rufen und zu fchaffen, was fich fchaffen ließ. & 
vollendete den Aufbau des großen Waifenhaufes zu Berlin, grün 
dete und dotirte i. X. 1722 mit fürftlicher Xiberalität bad ned 
großartiger angelegte Waiſenhaus zu Potsdam für 2500 Kinde 
beiderlei Geſchlechts, unterflügte i. 3. 1729 die Einrichtung dei 
Waiſenhauſes der franzöfiichen Goloniften, ſchenkte für die Schula 
der in Preußen aufgenommenen Salzburger auf Einmal die Sumnt 
von 150,000 Rthl. und gründete i. 3. 1735 in der Laſtadie— 
hen Stiftung zu Stettin das ältefte Schullehrerfeminar ia 
preußifchen Monarchie. *) 


*) Die Nachrichten, welhe Schulrat Bernhardt zu Gtettim über Mt 
Stiftung und die Schidfale diefer Anftalt in Bededorffs Jahrb. B. VI. &. 57 
bis 66 mitgeteilt hat, find fo interefant, daß ich es für nötig halte, diefelbe 
bier vollftändig aufzunehmen: 

„Die Schule, welche von ihrer Lage auf der Laftadie und wegen des Gene 
Königlihen Majeftät darüber zuftehenden Collations Mechtes gewöhnlich da 
Namen der laftadifhen Königlihen Schule führt, wurde im Jahr 1732 geftiftd, 
und war urfprünglihd ein Waifenhaus. Ihr Gtifter war der damalige zmeilt 
Prediger an der Johanniskirche, Johann Chriſtoph Schienmeher, der Bo 
des als Schriftfteller nicht unbelannten Beneral-Superintendenten Schienmept! 
in Lübed. Er hatte in Halle fludirt, das dortige große Waifenhaus in fee 
erften, fehönften Blüte und Aug. Herrmann Franke in feiner frommen Bege 
fterung für die Erziehung und den Unterricht der Jugend geſehen, und fo de 
Gedanken in fih ausgebildet, wie in Züflihau, Bunzlau, Langendorf, Poudan 
Berlin, Königsberg ıc. jo auch in und für Bommern ein Waiſenhau # 
Kleinen anzulegen, 








— 1 — 


eichzeitig nahm Die Kandesregierung jeßt auch allen Eruftes 
zedacht, die äußere Lage der Schulmeifter zu beßern und 


n Zweck, wie er ibn felbft in der erften Nachricht von feinen Anftalten 
fi Effenbart 1732. ©. 31) angiebt, war „die Beförderung der Ehre 
) der Seligteit der Menſchen.“ Er wollte, „auf Antrieb Gottes und 
ißens der entfeglihen IUnmißenheit unter Jungen und Alten fteuern“ 
5 an des Könige Majeftät vom 13. Dezember 1731), und wie in 
‚aifenhäufern gefchieht, arme vater- und mutterlofe Kinder aufnehmen, 
erziehen und unterrichten; dabei eine Schule für andere Kinder aus der 
en, und ein Seminarium für fünftige Küfter und Schullehrer in den 
ıd Heinen Städten anlegen, welche in der Anftalt Wohnung, Koft und 
erhalten und zur Auffiht und Erhaltung guter Ordnung der Kinder 
verden follten.” Beine Idee war alfo die der Krantifchen Stiftungen: 
r zu verforgen, die bürgerlihe Bildung mit der chriftlichen,, die Erzie- 
dem Unterrichte zu verbinden und die künftigen Lehrer in der Gchule 
ie Schule vorzubereiten. Der König Friedrich Wilhelm 1. erteilte 
talten unter dem 27. Mai 1732 eine Stiftungsurfunde und mande 
eutende Begünftigungen 3. B. dad Recht einen eigenen Prediger anzu- 
ıderei und Buchhandel, Brauerei und Bäderei anzulegen, milde Beiträge 
ı des Waifenhaufes zu fammeln, die Acciſefreiheit ꝛc. Gr ſchenkte zur 
des Haufes die nöthigen Baumaterialien und eine Beihülffumme, deren 
ſt bekannt geworden iſt; und bemilligte außerdem ein Deputatholz von 
aus der Stadtheide. Der Prediger Schienmeyer wurde zum Di- 
Barfenhaufes ernannt, und als folder dem Hofe unmittelbar unterge- 
r erhielt die Befugnie, feinen Nachfolger in diefem Amte, fo wie die 
| Lehrer bei feinen Anftalten felbft zu ermwählen, und war von dem 
» Confiftorio ſowohl ald von dem @eneralfuperiniendentn in allen 
n unabhängig. 

der Kabinetsordre vom 5. Dezember 1732 wurde ihm zur befonderen 
nacht: „alles Ernftes bemüht zu feyn, daß bei dem Waiſenhauſe allezeit 
ſar von einigen jungen Leuten angetroffen werde, aus weldem man 
‚chulmeifter und Küfter nehmen kann, und dadurd er einen gnädigen 
Rönig befommen werde;“ und fo blieb das Geminarium — eines der 
Deutſchland — immer ein Sauptgegenftand feiner Fürſorge. Im Jahre 
nden fi in demfelben 24 Präparanden, und in dem Waifenhaufe 24 
Ye Schule beftand aus ſechs Klaffen und hatte im Wefentlichen mit den 
schulen in dem Hallefhen Waifenhaufe, welche damals in Deutfchland 
ſchulen galten, gleiche Einrichtung. 

waren neun Lehrer angeftellt; und unter ihnen befanden fich fünf 
des Predigtamtes, welche fich hier zu dem Lehramte, in der Schule 
yule, praktiſch vorbildeten, 


. 
MIN TITTEN IR m 


Feen Arge 


— 


un 


Bies alles hatte Cin Mann geiler, dem „per klagliche DUf 
Kirche und die Noth und Gefahr fo vieler tauſend Seelen, in und a 
Stadt, dergeftalt zu Herzen ging, daß es ihm mandyen Seufzer und 
getoftet hat; der das Merk getroft auf Gott und deſſen Allmacht, Güte un 
beit anfing, und dem es genug war, wenn er durch afle Arbeit, Kofter 
und Sorge nur eine einzige Eeele reiten und Gott zuführen konnte.“ ( 
©. 25 und 26.) Als er in der Vernehmung am 27. März 1732 gefragt 
woher er die Koften zur Erbauung des Haufes nehmen wolle? antwortete 
Glauben an die herzlentende Kraft Bottes kurz: aus Bottes Beut 
fing an zu bauen. 

Es fehlte feinen Anftalten audy nit an Gegnern, und er mufte, | 
edle Menfchen, durch gute und böfe Gerüchte gehen. 

Sein erſter Plan, in dem ftädtifhen Waifenhaufe eine Am 
anzulegen, welden er in einer freimütig und kräftig abgefaften Borfte 
den Magiftrat, vom 13. Dezember 730 darlegte, hatte fhon großen ®i 
gefunden und kam nicht zur Ausführung. Aus allen feinen Berichten ſr 
Mann, dem das Eine was Noth thut, und alſo auch die befere Bir 
Jugend wirklich am Herzen liegt und deffen Eifer, wenn er audy bier um 
beftehenden Berhältniffe überfah, und dann und wann zu raſch war, doch 
in jener Zeit, wo das Schulwefen jo wenig öffentlihe Teilnahme und Inte 
fand, fehr achtungswerth erfcheint. 

Der damalige General-Superintendent Hornejus und die übrigen @ 
der Stadt fahen e8 ungern, daß das neue Waifenhaus der Aufficht der 
zialbehörden entzogen war, und daß ein einzelner Mann fi) das Berdienfl 
das Schulwefen der Stadt von Grund aus zu verbefern. Dan befdult 
der Eitelteit, des Eigennußes, „der Neuerungen gegen die pommerfcde Ki 
nung,“ der Begünftigung des Separatismus, welchen er durch feine Erl 


— 13 _ 


urde unter dem 18. Septbr. 1737 verordnet: 1) Die bisher 
ter den Bauern verteilt geweſenen Gemeinde⸗- oder Gildewieſen, 


a übrigen Schulen der Stadt Stettin gleihfam combinirt werden fol.“ Uber 
ch dem Abgong ihres thätigen Stifters hörten die Interftüßungen faft ganz auf, 
d die Anftalten Tamen mehr und mehr in Berfal. Mehrere Lehrer muften aus 
angel an dem nötigen Unterhalte entlapen und zwei dem Waifenhaufe zugehö- 
e Häufer verfauft werden, um die Anftalt von der drüdenden Schuldenlaft zu 
teien und dem Stifter die 1720 Rthlr., die er aus eigenen Mitteln hergegeben 
te, wieder zu erftatten. Auch der Fürftengarten konnte ihr nicht erhalten werden. 

Die Stadt hatte außer ihren beiden Gelehrtenfchulen damals keine öffent- 
en Bürgerfehulen, und für den Unterridt der unteren Volksklaſſen war in den 
en Alipp- und den Winkelſchulen fchlecht geforgt. 

Der Prediger Schienmeyer hatte in einer kleinen Schulfchrift („von 
1 Berderben der fogenannten Wintelfhulen”) diefe Mängel Träftig zur Sprache 
taht, und durd feine Waifenhausfchule den Weg gebahnt. Sämmiliche Geift- 
e der Stadt vereinigten fi, dem allgemein gefühlten Bedürfniffe einer guten 
tgerihule abzuhelfen. Der Prediger Schienmeyer hatte in dem fogenannten 
m’shen Haufe in der Königftraße „für diejenigen Kinder in der Stadt, denen 
zu weit in die laftadifche Echule hinauszugehen ift, und die folder Gelegenheit 
bedienen wollen,“ eine befondere Schule angelegt. Diefer „deutſchen Schule“ 
m fi) das geiftlihe Minifterium der Etadt, nad) dem Abgange des Schien- 
her, thätig an, erweiterte diefelbe zu drei Klaſſen und teilte fi) in die 
fficht. Das ift die fogenannte „Minifterialfchule,” bei welcher einige ehemalige 
wer der laftadifhen Schule wieder eine Anftellung fanden, und die, als eine 
»chliche Stiftung im eigentlihen Sinne des Worts und als ein Zweig der 
ifenhausfchule auf der Laftadie noch jept im Segen fortwirtt. 

Der General- Superintendent Nothe, der nah dem Tode des G. ©. 
tnejus die Oberauffiht über die laftadifhe Schule und das Gchullehrer. 
minar übernahm, ließ ſich zwar angelegen fein, beiden Anftalten wieder aufzu- 
m; aber die Schulfaffe war erfhöpft und das hölzerne aus Fachwerk befte- 
de Gebäude feinem Einfturze nahe. Während des fiebenjährigen Krieges wurde 
Eule in ein Lazareth verwandelt, und was der Glaube und die Xiebe ge- 
det hatte, fhien nun dem Untergange geweiht zu fein! 

In diefem traurigen Zuftande fand der General-Superintendent Böhring 
Anftalt, als ihm im Sahre 1784 ihre Leitung übertragen wurde. Er verband 
einer richtigen Einficht in das Schulweſen einen thätigen Eifer, wenn er auch 

überall mit der nötigen Ruhe und Befonnenheit zu Werke gegangen fein 
e. Bu feinen großen Verdienften um die Anftalt gehörte namentlih, daß er 
ie Stelle des alten ein neues, gröftenteil® maffives Schulgebäude aufführte ; 
Die Neue- und Oberwiet und für Srabom neue Schulhäufer erbaute; die 
tſchule auf der Laftadie durch eine dritte (Werk) Klaffe erweiterte und bei 


— 4 — 


welche nicht verſteuert würden, ſollten an den Meiſtbietende 
pachtet und das Geld ſollte zur Unterhaltung der Schul 


derſelben einen beſonderen Uuterricht in weiblichen Handarbeiten einfüh 
Steuermannsſchule anlegte; die Anzal der Seminariſten vermehrte umd f 
Unterweifung in der Baumzuht und dem Seidenbau forgte Auch auf | 
gung einer Kleinen Schulbibliothet nahm er Bedacht, und hatte noch mand 
zeitgemäße Verbeßerungen vorbereitet, al6 ihn im Jahre 1791 der Tod 
Er hinterließ die Schule feinem Nachfolger, dem General Superiniendent 
geltaube, zwar in einem im Ganzen verbeßerten Zuftande, aber aud 
Schuld von beinahe 3000 Rthlr. belaftet. 

Glücklicher Weife hatte er ſchon früher einen Mann für die Anftal 
nen, der ſich durch feine vieljährige, forgfältige Verwaltung unftreitig d 
Berdienft um diefelbe ermorben hat, und mit Recht ihr zweiter Gtifte 
werden Tann. 

Der Prediger Nitfhmann befaß alle Eigenfhaften, um die vor 
Mittel zu der Verbeßerung iyres äußeren Zuftandes flug zu benußen, 
geregelte, ftrenge Ordnung in das Kaffenwefen einzuführen Die ſpezielle 
über die Schule und die Verwaltung ihres Vermögens war ihm ausfchlü 
vertraut, und er hat fie, beinahe ein halbes Jahrhundert hindurch, mit ı 
fiht und Treue geführt, welche dankbare Anerfennung verdient und auch 
bat. Mag er aud, befönders in den letzten Sahren, über der Gorge 
Dekonomiſche die wichtigere für die Verbeßerung des innern Zuſtand 
Schulen in Etwas verfäumt haben: er war doch, von feinem Stantpu 
auch in diejer Beziehung. nicht unthätig, und ed verdient gewiß Entſch 
daß er hierin mit der Zeit nicht mehr gleihen Schritt halten Tonnte, un 
alten, liebgewordenen Formen des Unterrichtes fefthielt. Wenn er aud, 
gebrachten zugethan, in einem und dem andern jungen Lehrer dadurd Di 
Kraft niederhielt und fie bei der Anwendung der „neuen Lehrart“ zu 
bewachte, fo ift doch feine wmohlthätige Einwirkung auf die Jugend und: 
Möchten nur alle Lehrer nod am fpäten Abend ihres Lebens mit diefer 
Treue und Hingebnng für das Befte ihrer Schule arbeiten‘, und, wie ( 
mũde werden!“ 

Das Hauptverdienft des feeligen Ritfhmann befteht in feiner 
tungstunft und in der fihern Begründung des äußern Beftehens feiner ' 
Wenn er gleich die Neben. oder Filialfhulen in Grabow, Neu und Unte 
foldhe, und mit ihnen mande Einnahme der Schultaffe aufhören, das ©ı 
Seminar und fpäterhin auch die Steuermannefhule aus dem Schulverbi 
ſcheiden, und nad) der bewirkten Verbeßerung und Erweiterung der Schul— 
Stadt die feinigen in Abnahme kommen ſah; wenn aud das Badıtgel 
fogenannte Plantage nie regelmäßig eingieng, und die Schule dadurd in 
nehme Gtreitigteiten verwidelt wurde: fo hatte er doch die große Freude 


— 15 — 


angewandt werben. 2) Von den enibehrlihen Kırchenreventien 
ſollte einiges den Schullehrern zu Gute fommen. 3) Für den 
Kal, daß font fein ausreichender Fonds vorhanden jet, follten bie 
Batrone jährlich drei Scheffel Roggen für den Scyulmeifter aus⸗ 
werfen, da ihnen doch vor Allem daran gelegen jein müfte, daß 
Untertyanen al8 gute Chriften erzogen würden. 4) Würden diefe 
Mittel zur Unterhaltung des Schulmeifterd nicht ausreichen, fo 
ſollten dieſelben vierteljährlih ein Beden zur Ginfammlung von 
milden Gaben vor die Kirchenthüren feßen. 5) Uebrigens verftehe 
es ih von felbft, daß bemittelte Elteru das übliche Schulgeld 
nah wie vor zu zalen hätten. Auch follten folde Leute 
als Shulmeifter angenommen werden, welde neben 
ihrer Amtsverrihtung arbeiten und ſich etwas ver- 
dienen Eönnten, damit fie den Gemeinden niht ganz 
und gar zur Laſt fielen. 

Somit war wenigftens der Anfang eines Volksſchulweſens 
geihaffen, welches fich entwideln konnte; und zwar war das Alles 





der Erbauung des fogenannten Sternbergifchen Haufes eine neue ergiebige Quelle 
der Einnahme zu eröffnen. Die Geſchichte diefes Haufes hängt nıit der laftadifchen 
Edule genau zufammen, und ift gewiffermaßen ein Zwei derjelben, weshalb fie 
bier nicht unerwähnt bleiben Tann. 

Ein Seifenfieder, Michgel Gottfried Sternberg, befaß in der Rähe 
der Schule und des Fürftengartens ein Haus, welches er im Iahre 1752 der gan- 
In Rarftadie mit der Bedingung vermachte, daß der untere Stock zu einer Echule 
md Vehrermohnung beftimmt fein und bleiben, aber „wieder an feine Erben 
urũckfallen fole, wenn ſich fein Schulpalter findet, der darin wohnt und zwölf 
me Kinder unentgeltlich unterrichtet.” Außerdem verfchrieb er die Zinfen von 200 
lern, zu demfelben wohlthätigen Zwecke, und zwar zunächſt „zur Anfchaffung 
ME gulbügern, für arme Kinder, welche jene Schulen beſuchen.“ Einige Jahre 
lee ein alter Lehrer jene Bedingung; nad deffen Tode (i. 3. 1794) hatten 
* Erben die Abfiht, das Haus zurüdzunehmen. Da erklärte der Prediger 
u Tchmann den Erben, denen für dad Haus 1400 Rthlr. geboten waren: „fie 
üch ten ihm zu Gunſten feiner Schulanſtalten daſſelbe für 1000 Rthlr. überlaßen; 
tig enfalld er einen Seminariften, der die verlangte Bedingung zu erfüllen 
it wäre, in Vorſchlag bringen, und dadurch den Verlauf des Haufes verhindern 
ID e_« Die Erben mwilligten ein, und fo fam das erwähnte Haus, durch einen 
Minen gerichtlich abgefchlogenen und vollzogenen Kontrakt (dom 12. Mai 1801) 
M Die laſtadiſche Schule. Der Prediger Ritfymann ließ hierauf — mit @e- 


— 16 — 


durch den frommen und landesvaͤterlichen Sinn Friedrich Wilhelnr® 
ind Leben gerufen. Seine bejondere Sorgfalt wendete indefjest 
derſelbe dem eigentlichen alten Preußenlande und der Refi- 
denzftabt Berlin zu. 

- Sn jenem legte Friedrih Wilhelm den erften Grund zu 
einem wirklichen Volksſchulweſen durch Aufftellung und Gine 
führung eined Generalſchulplans, der auf den Antrag der 
Minifter v. Görme, v. Kunheim und v. Bülov durch eine 
königliche Ordre d. d. Königsberg den 1. Auguft 1736 
publizirt wurde”). Sn diefem Sculplan wurde verfügt: 
1. Das Schulgebäude errichten und unterhalten die aſſocür⸗ 
ten Gemeinden auf dem Fuß wie die Priefter- und Küſter⸗ 
bäufer. — 2. Der König giebt freied Bauholz; Thüren, Fenſter 
und Kachelofen werden von den SKollektengeldern angeſchafft. — 
3. Der König giebt auch das freie Brennholz, welches die Gr 
meinden anfahren. — 4. Jede Kirche, ſowol in den Städten, ald 


nehmigung der damaligen königl. Negierung — das alte baufällige Haus nieder 
reißen, und erbaute an deffen Stelle ein neues, aus drei Stockwerken beftehentt 
Gebäude. Der Ban wurde unter feiner Leitung ausgeführt, und er ſchoß daw 
aus eigenen Mitteln zu 5 pCt. 2000 Rthir. vor, die er ſich nach und nad al 
der Schulkaſſe wieder zurüctzalen ließ, fo daß nunmehr die laſtadiſche Schule di 
einzige, rechtmäßige Beſitzerin jenes Hauſes ifl. Die Anftalt gewann durd diet 
Erwerbung die Miete für drei Lehrer und für ſechs Seninariften, und außerden 
noch die Miete für die übrigen darin angelegten fleinen Wohnungen , zufammt 
etatsnäßig 209 Rthlr., fomit ſchon weit über die Zinfen der 2600 Rthlr. weit 
der ganze Bau koſtete. Im dem untern Stode bat die fogenannte Stern 
berg’ihe Schule, die jetzt zu einer Armenfchule beftimmt ift, ihr Qehrzimmer, und 
das mittlere Stockwerk ift an die königl. Edyifffahrtfchule vorteithaft vermiefl 
Schade, daß diefes Haus aus ſechs zu Fleinen Abteilungen, die zu eben fonie 
Familieuwohnungen eingerichtet find, befteht, und darum zu einem Schulhauſe hä 
nit eignet! Der zu den eigentlichen Sculhaufe gehörige arten hat ſcho 
durch den verftorbenen General-Superintendenten Göhring manche Berbebert 
erhelten, und ift fpäterhin duch den Prediger Nitſchmann mod; bedeuten? 
erhöhet, und in eine große Baumfchule umgewandelt worden. Aber das Ham 
jelbft, fo wie das daran ftoßende ift in Innern durdaus verfallen; die Edal 
ftuben’ find eng und feucht, und eine Sauptreparatur, wo nicht der Neubau eis 
ganzen Ylügels, ift dringend nothwendig.“ — 


) Vgl. Neigebaur, „das Schulmwefen in.den preußiſchen Staaten“ 





— 17 — 


dem Lande, zalt zum Unterhalt der Schulmeifter jährlich 
Zhaler. Dagegen hält der Ortspfarrer die Ecyulmeifter dahin 
‚ daß fie den Kirchendienft mitverrichten helfen. Die Praecep- 
es haben an diefen 4 Thalern feinen Anteil, vielmehr werden 
jelben Iediglich zum Unterhalt der Echulmeifter verwendet. — 
‚Sollten einige Kirchen jo arm fein, daß fie diefe 4 Thaler 
wich aufzubringen nicht im Stande wären, fo zalt dieſelben der 
thenpatron. — 6. Zu feinem Unterhalt wird dem Schulmeifter 
ie Kuh und ein Kalb, ein paar Edyweine und etwas Federvieh 
auf Der Weide gehalten, und zwei Fuder Heu und zwei Fuder 
troh geliefert. — 7. Hiezu bekommt er von dem König einen 
torgen Land, der überall hinter dem Schulhauſe anzuweifen ift. 
ie eingepfarrten Dorfichaften ftellen diefen Morgen aus und 
lten ihn im Gehege. — 8. Der Sculmeifter befommt von 
len Bauern feined Diftrictd p. Hufe 4 Roggen und 2 Mepen 
erfte. Geht der Roggen über 4 Winfpel, fo werden bie Por⸗ 
nen der Bauern kleiner; bleibt er darunter, fo legen fie zu. — 
Jedes Schulkind von 5—12 Jahren inclus. giebt ihm jährlich), 
' gebe zur Schule oder nidt, 15 Gr. prß. oder 4 Ggr. — 
I. Iſt der Echulmeifter ein Handwerker, fo fann er ſich ſchon 
näbren; ift er es nicht, fo wird ihm erlaubt, in der Erndtezeit 
hs Wochen lang auf Tagelohn zu geben. — 11.. Der Schul⸗ 
ifter ift frei von Kopf: und Hornſchoß fowie vom Schußgeld. — 
. Im Fall, daß ein Bauer oder Inſtmann mehr als zwei ſchul⸗ 
bige Kinder hat, wird der Ueberreft des Schulgeldes von den 
ıterefjen der 50,000 Thlr. bezalt. — 13. Der zweite Klingel- 
tel ift für die Schulmeiſter — 14. Wo Göllmer wohnen, 
ben diefelben wie die Bauern zwei Mepen Gerfte und 4 Roggen. 
eil diefelben aber in beßerer Lage find als die Bauern, jo zalen 
für jedes Kind jährlid 6 Gyr. Echulgeld. Aus dem Bonds 
- 50,000 Thlr. wird ihnen nichts zugefchoßen. — 15. Die Ber 
ten find zwar frei, ſchicken fie aber ihre Kinder zur Schule, fo 
en fie für das Kind monatli 2 Ggr. Alle übrigen Amtsbe⸗ 
Nten zalen wie die Göllmer p. Kind 6 Ggr. jährlich. Forftbe- 
ten zalen wie die Beamten, Warthen wie die Bauern. — 
. Jedes Schulkind zalt dem ESchulmeifter, wenn es confirmirt 
Deppe, Vollsſchulweſen, 8. 2 


— 18 — 


wird, 6 Ggr. — 17. Aller Orten, wo unüberwindliche impeli- 
menta find, fo daß hinlängliche Societäten nicht zuſammengebrach 
werden koͤnnen, 3. B. da wo Waſſer oder Waldung ſtarke Al 
Schnitte machen, wird der Zufchuß aus dem zweiten Klingelbent: 
gegeben; und weil diefer nicht weit hinreichen wird, kann für jet 
Hochzeit von dem Ortspfarrer 30 pri. oder 8 Ggr. zur Sul 
fiſtenz der Echulmeifter gefordert und zum Zuſchub an folde 
Orten angewandt werden, damit der föniglihe Fonds ber 500C 
Thlr. nicht bejchwert werde. — 18. Jedem Schulmeifter iſt m 
mittelbar Hinter feinem Haufe ein Gartenplag anzumeijen. - 
19. Ter Adel bat fi) nad diefen Vorfchriften zu richten, ur 
wird zur Einridytung der Schulen bülfreiche Hand bieten. Au 
bat jeder Pfarrer die Vollziehung Diefer Stiftung zu überwade 
und die Saumfeligen jofort bei der Kriegd- und Domänenfomm: 
anzuzeigen, die ſodann, wenn ber Beamte längftens binnen 3 
Tagen das volftändige Echulgeld nicht befchafft, Die Beamte 
dazu anzubhalten, und das Geld allenfalld von der Lieferung a 
zuzieben bat. 

Bur Ergänzung und Grläuterung dieſer Ordre erließ d 
König zwei Jahre fpäter eine neue Verordnung vom 28. Apr 
1738, worin befohlen wurde: 1. Der Getreidebetrag, den b: 
Edyulmeifter zu beziehn hat, fol jährlich durch die Schulzen zu 
ſammengebracht, das Echulgeld aber bei der Decemseinnahme b 
zalt werden. Der Prediger giebt dem Schulmeifter das Seinig 
praenumerfando auf ein halbes Jahr, und e8 muß beides, Getreil 
und Echulgeld, bei jeder jährlichen Kirchenpifitation von dem Er 
priefter auf einem befondern Bogen berechnet, und won demſelbe 
bi8 auf weitere Verfügung unterjchrieben werden. — 2. GEs folle 
tüchtige Eubjecte zu Schulmeiftern angenommen werben, und, E 
fie vom Erzpriefter und Prediger zu beftellen, fo haben fie au 
in allen des Lehramt und dad Leben angehenden Fällen die Ar 
fit über dieſelben. Im MUebrigen dagegen ftehn fie unter de 
Jurisdiction des Hauptamts. Was aber die Schulmeifter ba 
Adlichen betrifft, jo übt zwar der Patron die Gerichtsbarkeit übe 
biefelben aus, jedoch bergeftalt, daß mit dem Erzprieſter und Pr 
diger bed Orts bei jeder Bejegung einer Schulmeiſterſtelle ib 


die Fähigkeit des Bewerbers conferirt werde. „Was aber feine 
Kapazität, Lehre, Amt und Aufführung bei der Schule anlangt, 
ſo bleibt e8 dabei, daß ber Erzpriefter und Prediger über ihn die 
Aufficht Haben, und, wenn es daran fehlt, dahin ſehn müßen, daß 
er abgejchafft werde.” — 3. Was Diejenigen Gelder betrifft, jo 
um Zeil aus dem Kirchenpermögen, zum Teil auß dem Klingel⸗ 
läfel, deögleihen von der Konfirmation der Kinder und non ben 
Zrauungen jährlich für den Echulmeifter gezalt werden, fo ſoll 
der Prediger jedes Orts dieſelben einfammeln und beſonders auf- 
bewahren. Und damit diefe Gelder auch blos für den Schulmeifter 
verwendet werben, joll der Prediger über diejelben ordentliche 
Rechnung führen, Diefe Rechnungen dem Erzprieſter bei den jähr- 
lichen Kirchenvifitationen vorzeigen und fie von demfelben unter 
ſchreiben laßen. 

Noch in ſeinem letzten Lebensjahre bewies der Koͤnig, wie 
viel ihm grade an der Hebung des Schulweſens in Oſtpreußen 
und in Litthauen gelegen war, indem er ſich bei feiner legten An- 
wejenheit in Preußen am 9. Auguft 1739 mit ber dortigen Kir 
chenkommiſſion darüber berebete, und ſich erbot, alle Mittel fofort 
zu Beſchaffen, welche etwa erforderlid wären, um die Zal ber 
Schulen zu vermehren, um Bibeln und Geſangbücher an das 
Volk zu verteilen und die Bildung des Volkes überhaupt zu 
heben *). 

Für die „deutſchen Privatfchulen in deu Städten und Vor⸗ 
Rädten Berlin“ publizirte der König am 16. Oftober 1738 auf 
den Antrag bed Magiftrats zu Berlin ein von den oberften Kirchen⸗ 
beh Sxden dajelbft approbirtes Reglement, welches bie vollkommenſte 
Auff fung und Organifation der Volksſchule in ſtaͤdtiſchen Ver⸗ 
UL zT riſſen barftellt, welche aus jener Zeit überhaupt vorliegt. Das 

Reg U ement lautet woͤrtlich: 

— — — 

_ *) Rad einem zuverläßigen Bericht hatte es der König Dahin gebradit, „Daß 
üglü ug, 1300 arme Kinder durd 65 studiosos theologiae im Chriſtentum unter- 
ht u 800 Arme gefpeift und in den Kirchen unterrichtet, daß 40000 Rogafi’ihe 
Gehen an gbicher binnen’ 3 Bohren unter das Volk verteitt, eine poliuſche Bibel ge- 
Bu wurde” m. ſ. v Bol. Jatob ſon, Mehicte dee Duckleu des omangel. 


KH, eures der Provinzen Preußen und Poſen. ©; 106. * 


— 20 — 


„I. Von Beſtellung der Schulmeiſter. 

F. 1. Es muß ſich Niemand des Schulhaltens eigenmäätig 
anmaßen, fondern ein jeder bei dem Inspectore und den Prediger 
des Kirchipiels, wo er Schule halten will, ſich melden, won ihnen 
fämmtlid) egaminirt werden, und wenn er tüchtig befunden, auch 
deshalb ein ſchriftliches Testimonium erhalten, refpective ſich dem 
evang.sreformirten Kirchen-Directorio und Magiftrat allhier ſiſtiren 
und Confirmation ſuchen. Ohne ſolch Testimonium des Minifterti 
wird keiner angenommen. 

6. 2. Gleichergeſtalt wird es auch mit den Schulmeiſterinnen 
gehalten, die mit ben Schulmeiftern darin zwar gleiches Rech! 
haben, daß fie Kinder beiderlei Bejchlechted annehmen dürfen, wo 
nicht aparte Mädchen: und Knabenfchulen find oder auch angerich* 
tet werden koͤnnen; doch mit dem Unterfchied, daß wenn die Kna⸗ 
ben leſen können und etwa Das fichte oder achte Jahr erreicht, fie 
von ihnen genommen und einem Schulmeifter übergeben werdest- 
Die Mädchen aber bleiben bei ihnen, voraus wenn fie zum Naͤhen 
oder anderer Frauenarbeit zugleich angeführt werben, fo lange es 
ben Eltern gefällt. 

6. 3. Hat eine Echulmeifterin Conceſſion in ihrem ledig eu 
Stande erhalten, fie heiratet aber hernach, fo Darf fi der Marıl 
des Schulhaltens nicht anmaßen unter dem Prätext, daß die Frost 
Gonceffion hat, fondern er ift fchuldig fich oben Kerührter Me” 
ordentlich zu melden, egaminiren und confirmiren zu laßen, ehe €" 
fi der Schule annehmen darf. Wird er nicht tüchtig befunde? 
jo muß er mit der Schule nichts zu thun haben. Wäre er g# 
im Leben ärgerlih, daß die Kinder an ihm ein böfes Eremp 
nehmen, ſo bat die Frau, wo er nicht zu beßern ift, fid ihr — 
Conceſſion verluftig gemadht. 

:$. 4. Diejenigen Echulmeifter und Schulmeifterinnen ade = 
jo jetzo wirklich ſchon da find, haben ſich a dato dieſer Veror @ 
nung an bei dem Minifterio, worunter fie ftehn, zu melden, bar 
fie entweder nad) Befinden aufgenommen uud beftätigt, oder abags-“ 
wiefe werden können. Die fi nicht melden, denen wirb —7 
Ungehorſamen das Schulhalten gelegt werden. 





— . 211 — 


6. 5. Wenn ein Schulmeifter, fo auch Schulmeifterin recis 
pirt wird, ſteht ihnen nicht völlig frei, fich in eine Gaße oder 
Gegend zu fegen, wo fie wollen, jontern wo fie nötig thun. Da- 
ber fie mit den Predigern des Kirchſpiels zu überlegen haben, wo 
fie e8 gut finden, Daß fie fich niederlaßen möchten; welches auch 
geihehen muß, wenn.fie ihre fchon einmal betretene Wohnung 
wieder zu ändern und eine andre zu beziehen nötig finden. Dieſe 
aber werben dahin fehen, daß foviel es thunlich und nad jeder. 
Stadt Umftänden möglich, in allen Gaßen oder Gegenden den 
Eltern Gelegenheit gegeben werde, ihre Kinder zur Schule ſchicken 
zu Eönnen. Wo an einem Ort zu viele und am andern gar feine 
Schulen find, entfteht aus beiden Unordnung. 

G. 6. Ob zwar feine gewiſſe Anzal der Schulen in jeder 
Stadt fo feft gefegt werben fann, daß davon nicht abzumweichen, 
ſo ift doch zu verhüten, daß, wie fr nicht an Schulen fehlen muß, 
alſo Hingegen fie nicht gar zu Häufig angelegt werden müßen: 
denn unter andern Inconvenientien, daraus den publiquen Schu⸗ 
Im ein Nachteil erwachjen würde, welches zu präcaniren zugleich 
den BPrivatfchulmeiftern aufgegeben wird, daß fie ſich des lateinis 
ſchen Informirens nicht weiter ald bis aufs Decliniven und Con⸗ 
jugiren, und zwar dieſes nad) dem Gutfinden der Prediger eines 
glichen Diſtricts anmaßen follen. 


l Bon der Tüdhtigfeit und nötigen Gigenfgaften 
der Shulmeifter. 
$. 1. Bor allen Dingen müßen fowol die Echulmeifter als 
Schulmeiſterinnen das Zeugnis einer wahren und ungeheuchelten 
Öottfeligkeit haben, und mit einem egemplarifhen Chriftenwandel 
in Der Schule, bei öffentlichem Gottesdienſt und überall ihren 
en vorgehen, ja gegen jedermann fich unſtraͤflich zu beweiſen 
u en 
82. Und da fie folder Geftalt die Erfenntntd der Wahrs 
ett in reinem Gewißen zu bewahren trachten follen, fo müßen fie 
vor allen unnügen und der Gottjeligkeit hinderlichen Nebens 
nungen und Irrtümern hüten, hingegen bei den heilfamen 
or ten unferes Herrn Jeſu Chriſti und bei ber 


_9 — 


Lehre von der Gottſeligkeit forgfältig bleiben, damit fe 
ihre Kinder auf den Grund lauterlich führen und Bauen koͤnnen, 
den fie jelbft legen. 

8. 3. Hiernaͤchſt müßen fie im Buchftabiren, Leſen, Shm 
Ben und Rechnen die erforderliche Tüchtigkeit, auch eine beutliät 
Methode andere zu lehren beſitzen; ingleichen im Singen wenig 
ſtens eine ſolche Babe haben, daß fie den Kindern Die Melodien 
von den Pſalmen und orbinären Liedern beibringen können. 

8. 4. Und da bei der Information ein Vieles baran gele- 
gen, daß die Kinder in guter Ordnung und Yufmerffamfeit er- 
halten werden, auch gegen ihre Lehrenden Furcht und Liebe haben, 
fo müßen fie fi ſonderlich vor Leichtfinnigkeit und übereilendem 
Zorn hüten, daß fie den Kindern weber in ihren Unarten (vorau® 
wenn fie unter der Information unachtſam find und Mutwillen 
treiben,) nachſehen, noch auch mit unvorfichtiger Härte fie beftrafen. 
Sie haben daher gegen die Informationdftunden mit inbrünz 
ſtigem Gebet ſich allemal zugubereiten und Bott anzurufen, daß 
er ihnen Gnade gebe, mit einem gejeßten und fanftmütigen Geifte 
an der Jugend fo zu arbeiten, daß fie fi) weder auf ber einen 
noch anderen Seite bei ihrer Arbeit verjündigen mögen. 





DL Von ben Pflihten der Schulmeifter. 

$. 1. In der Information jelbft müßen fie ihren Haupt- 
zwed immer vor Augen haben. Diefer ift, daß fie ihre auver- 
trauten Kinder, ald Kinder der Ewigkeit anjehen, fie Chriſt © 
zuführen und dahin befümmert find, daß fie nach Seinem Vor⸗ 
bilde an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menfhert 
wachen und zunehmen. 

$. 2. Zu dem Ende haben fie nicht allein für ibrefim- 
ber herzlich zu beten, daß Gott ihre Arbeit dahin an ihnes® 
jegnen wolle, fondern fie fangen auch billih ihre Schulftunden je 
desmal mit Gebet und Geſang an und jchließen fie bamit, Tapes 
bie Lefung der H. Schrift das Vornehmfte fein, und fuchen dur” 
tägliches Katechifiren der Jugend die erften Gründe des Chris 
tums Deutlich und ordentlich beizubringen, doch fo, daß fie beit 
Beten und Singen die Kinder dahin führen, daß fie Gott Inf® 


— 3 — 


GSeiſt und in der Wahrheit anbeten lernen, alles Bibelleſen zur 
Erbanung anwenden und den Kindern zeigen, wie ſie das, was 
ſie geleſen, zur Lehre, zur Strafe, zur Beßerung oder zum Troſt 
ich zu Nutze machen, und bei dem Katechiſiren eine jede Wahrheit 
ur Gottſeligkeit an ihren Herzen Bringen. 

$. 3. Bei der Katechifation aber muß nicht ein jeder Schuls 
neifter eine Erklärung des rejpectiven Heidelbergifchen und Lutheri 
Satehiämi einführen nach feinem Gefallen, fondern der Juſtruction 
er Prediger, worunter er flebt, hierin folgen. 

6. 4. Und weil die Prediger Fünftighin richt allein bie 
Schulen fleißig befuchen, fondern auch monatlid oder wenn fie es 
on nötig und thunlich finden, eine Gonferenz mit deu Schul⸗ 
yaltern anftellen werden, darin fie Das Befte der Kinder beforgen, 
wie die Lectiones am füglichften einzurichten, verabreden, die Desi- 
deria der Schulmeifter anhören und auf alle Weile das Aufneh⸗ 
men der Schulen zu befördern fuchen merden, jo muß foldye Con⸗ 
eng ein jeder Schulmeifter unweigerlich und bei Strafe ber 

Caſſation mit beiwohnen, demjenigen, was in derſelben ſowol als 
ei Beſuch der Schulen für gut gefunden und verabredet worden, 
dh conformiren und zu dem Eude jedesmal das Nötige aus ber 
on feren; in einem befonderen Buche fich merken und aufzeichnen. 

8. 5. Wenn audy öffentliche Examina gehalten werben, find 
e Sculmeifter ſchuldig, die Kinder nicht allein zuvor Dazu zu 
üpariren und die Lection, fo in demfelben vorfommt, nady der 
rdung des Catechismi mit ihnen vorher vorzunchmen, ſondern 

zmüßen auch die Kinder felbft in guter Ordnung über bie 
Eoufe nad der Kirche führen und beim Examine in der Kirche 
Zeit gegenwärtig fein, damit die Kinder in gehöriger Zucht und 
D zung fönnen erhalten werben, fie felbft auch Ieruen, wie fie 
ra Dlich und erbaulich katechiſiren jollen. 

8. 6. Fallen Sonns, Feſt- und Bußtage ein, fo haben fie 

Binder von dem Zwecke folcher Feier zu unterrichten, fie mit 
—lichen Grmahnungen und Reizungen zu präpariren und beim 
⁊Weggehn ihnen nachbrüdlich einzufchärfen, daß Feind, fonderlich 
den größeften, vom öffentlichen Gottesdienft zurüdbleibe, unter 

Predigt auf den Kirchhoͤfen oder ſonſtwo Mutwillen treiben, 


— 94 — 


fondern alle den ganzen Tag oͤffentlich und beſonders zu 
Erbauung anwenden müßen. Daher fie auch des Montags, 
wenn die Schularbeit am erften ihren Anfang "wieder nimmt, 
zufragen haben, was die Kinder aus den Predigten behalten 
wenn fie vorgeben, Daß fie zu Haus bleiben müßen, bei den 
fih erfundigen, ob fih8 in der That alfo verhalte Air 
überhaupt gut fein wird, wenn Die Informatores zuweil 
Eltern befuchen und ihrer Kinder Verhaltens wegen Erkun 
einziehen. Wenn auch des Mittmochd und Sonnabends 9 
tags die Kinder dimittirt werben, find fie gleichfall zu vern 
daß fie, wie feine Kreiftunden, alfo befonders dieſe Nacın 
ftunden nicht auf den Gaßen oder an foldhen Orten, wo ' 
fahr laufen können, mit fündlichem Lärmen und anderen 
nungen zubringen jollen. 

$. 7. Sn der Schule, welche Vormittags, und 3 
Sommer von 7 — 10, im Winter von 8 — 11, des Nach 
aber Winterd und Sommerd von 1— 3 (Uhr) zu hal 
müßen die Schulmeifter alle Treue und möglichiten Fleiß 
den, daß fie ihren Kindern in Allem (fie bringen ihnen Dir 
ftaben bei, oder laßen fie buchftabiren, lefen, fchreiben, 
den Batehismum, einen Spruch oder Pfalmen lernen,) auft 
lihfte und Leichtefte forthelfen, Damit fie nicht ohne Not 
halten und verfäumt werden; Daher fie auch ihre Schu 
ordentlich abwarten, Feine ausfeßen, noch unter denfelben 
anderes, jo ihres Berufes nicht ift, vornehmen müßen, nı 
unter den Schulftunden ausgehn und ihre Frau fo lange 
halten laßen; fie find auch nicht befugt, auswärtige Rei) 
Borwißen der Prediger vorzunehmen und ohne Jemand 
Schule anzuvertrauen, der fie gehörig in Ordnung halter 

$. 8. Kein Schulmeifter muß endlich die Kinder dı 
erlaubte Wege (daß er 3. &. herumlaufe und die Eltern ı 
fen und jenen Berfprechungen gewinnen wolle, oder ander: 
matores verunglimpfen und vergl.) an fih zu ziehen 
Bringen ihm aber die Eltern ihre Kinder aus eigenem Tr 
fann er nachfragen, ob fie fehon zuvor in eine Schule ge 
und wo, und darüber einen ordentlichen Catalogum ball 


it 


— 25 — 


welchem er ſowol die Namen ſeiner Kinder als auch die Zeit, 
wenn ein jedes angekommen, und wo es zuvor geweſen, auch wie 
es ſich verhalten, wenn es wieder abgegangen, verzeichnet. Finden 
fich hierbei dubia, fo fönnen fie in der naͤchſten Conferenz erörtert 
und abgethan werben. 

G. 9. Wie denn, was bier fonft noch zu orbnen wäre, 
glei chfalls den Konferenzen der Prediger anheim geftellt wird, da 
nackſ vorfommenden Umftänden, was nötig, weiter fann regulirt 
wer Den. 


IV. Vom Gehalt der Schulmeiſter. 


$. 1. Was das ordentliche Schulgeld betrifft, fo bleibts 
bei Mer eingeführten Gewohnheit, ba ind Gemein wöchentlich ge- 
geben wird: für ein Kind, das die Buchſtaben lernt und zält, 
6 — 9 Pf, das Buchſtabiren und Leſen lernt: 1 Groſchen, das 
hreißt: 1 Gr. 6 Pf.; das zugleich rechnet: 2 Or. NB. Bringen 
abe die Schulmeiſterinnen den Mädchen zugleich das Nähen und 
anDere Arbeit bei, können fie ſich deshalb mit den Eltern bejon- 
vers vergleichen. Und überdies dürfen die Schulmeifter nichts 
for Dern. Den Eltern aber bleibt frei, wenn fie der Echulmeifter 
Irenie und Fleiß ſehen und e8 vermögen, ein Mehreres aus freiem 
Wi Men zu geben. 
6. 2. Holz: und Sahrmarktsgeld aber, wo ed eingeführt 
iſt, bleibt; doch werden die Schulhalter hierin mit dem zufrieden 
RR „ was die Eltern aufbringen können, da vielleicht bemittelte 
En das erfeßen werden, was aͤrmere nicht geben fönnen. 


V. Bon dem Verhalten der Eltern. 
F. 1. Weil die beften Schulanftalten unzulänglic find, wo 


nid, audy die Eltern dad Ihre thun, fo werden alle Eltern hier- 
bei nachdrüdlich vermahnt, ihre Kinder bei Zeiten zur Schule zu 
ſchã en, und fie nicht erſt in aller Bosheit aufwachſen und wol 
SM ohne Information wie das dumme Vieh hingehn zu laßen, wor- 
m ihnen eine ſchwere Verantwortung vor Gott, dem gemeinen 


=> Ten, eine dem Namen Ehrifti Höhft ärgerlide Ver— 


te Xhnie in allen Ständen, und den Predigern, die dergleichen 


— 26 — 


verfäumte Kinder hernach zur Präparation zum h. Abendmal te 
fommen, eine unerträgliche Laft und Drud des Gewißens m 
wächft. 

8. 2. Erwählen denn aber Eltern einen chriftlichen Infor 
mator für ihre Kinder, jo müßen fie die Kinder ordentlich ſchicen, 
auch in den Wochen, wo Feſt- und Bußtage einfallen, und nicht 
um deßwillen, daß ein oder etlihe Tage ausgehen, die Kinder bie 
ganze Moche zu Haus behalten, weil daraus gleich ein Verfäum- 
nis und Schaden für die Kinder entfleht. Viel weniger müßen 
die Eltern eine oder paar Wochen die Kinder fchiden, und dann 
wieder etliche Wochen zu Haufe behalten, auf die Weile fie un⸗ 
möglid was gründliches lernen Fönnen. Auch müßen die Kinder 
nicht eher au der Schule genommen werben, bis fie fertig leſen, 
den Katechismus koͤnnen, und wenigftend zur Not fehreiben gelernk ; 
alsdann haben die Eltern dahin Sorge zu tragen, daß die Kinder 
zu Haus nicht wieder vergeßen, was fie in der Schule gelermf 
haben, und bei der Präparation zum Abendmal mit ihnen nidy® 
wieder von vorn angefangen werben müße. 

6. 3. Und da fihs während der information zutrages® 
follte, daß die Eltern wider den Schulmeiſter Klage hätten, ode 
die Kinder wider ihn was anbrädten, fo thun verftändige Glterzs® 
wol, daß fie ihren Kindern nicht Alles glauben, fondern nachfrages® 
und mit dem Schulmeifter in Liebe ſich beſprechen. Wie dens® 
überhaupt fehr dienlich ift, daß die Eltern mit den Schulmeifteres 
in gutem Vernehmen ftehn, ihnen ihrer Kinder Unarten aufrihtigg 
entdeden und gern fehn, wenn fie deshalb Nachfrage haltem— 
Könnten fie aber eine gegründete Klage mit den Schulmeifterss 
nicht abtbun, haben fie felbige den Predigern zu. entdeden, nicht 
aber um beßwillen die Kinder gleich aus der Schule zu nehmen 
und zu einem andern Schulmeifter zu thun. Wie dann das ofl> 
malige Verändern der Schule den Kindern überhaupt fchäblic if, 
und Eltern nicht zu raten. Am wenigften müßen fie um be 
willen die Kinder von einem zu dem andern ſchicken, weil fie bad 
Schulgeld dem erfteren ſchuldig geblieben und damit ihm a 
wifchen wollen. Ein Arbeiter ift feines Lohnes wert, und es if 
feine geringe Sünde, wenn man folchen Lohn zurüdhält, 








— 1 — 


5. 4. Wären aber Eltern fo arm, daß fie das Schulgeld 
nicht aufbringen koͤnnten, fo baben fie fidy bei den Predigern zu 
melden, die alle mögliche Sorge tragen werden, daß die Kinder 
dem ungeadhtet zur Schule gehalten werden können. 

F. 5. Schließlich iſt aller chriſtlichen Eltern Pfliht, für 
ihre Kinder zu beten, ihnen mit erbaulihem Wandel vorzu- 
gehen, fie vom Müßiggang und von der Gaße abzuhalten, hin⸗ 
gegera zu allem Guten, abfonderlih zum Gebet und Gehorfam 
ggen ihre Lehrer anzumahnen, nach dem, was fie in der Schule 
gelewnt, nachzufragen, den Katechismum und bie gelernten Sprüche 
mit ihnen zu wiederholen und alfo den Schulmeiftern zu Hülfe 
u Eommen. Thun fie diefes, fo ift fein Zweifel, ihre Kinder 
werden Gott zu Ehren, dem gemeinen Weſen zum Beften und 
men zur Freude erwachfen oder fie wenigftens ihre Seelen 
an ihnen erretten,” | 


—— — — * 


König Friedrich IL ſah das von feinem königlichen Vater 
beg Tuündete Volksſchulweſen als ein theueres Erbe an, daß feiner 
beſo andern Fürforge anvertraut war. Daher beftätigte er jofort 
nad feinem Regierungsantritt durch Edikt d. d. Ruppin ben 
13. Oktober 1740 „ale von feines in Gott rubenden Herrn 
Vaters Majeität in Schulfachen erlaßenen Befehle und Regle⸗ 
mena Es, daß felbige in der völligen Kraft, Autorität und Verbind- 
lid) FT eit fein und bleiben Sollten.” Indeſſen überzeugte fich Fried⸗ 
rich alsbald ‚ daß die Schulordnung von 1736 in einer großen 
Mal von Parochieen feines Landes, nemlich in faft allen adlichen 
DOoxffgaften noch faft gar nicht vollzogen war. Die meiften 

ED elleute fanden es ebenjo läftig als koſtſpielig, für die Einrich⸗ 
wng von Schulen in ihren Dörfern Sorge zu tragen und dachten 
dar nicht daran, ihre Bauern mit der neuen Bultur zu behelligen. 
Durch Nefeript vom 29. October 1741 erließ baher der König 
an die Regierung zu Berlin und Königdberg den Befehl, alle 
&belleute des Landes durch die Amtshauptleute anzubalten, daß 
„fie ſich die Schuleinrichtung in ihren Dörfern mit Gifer ange 


_ 28 — 


legen fein ließen, mithin folche baldmöglichft zu Stande und |, ur 
Endſchaft bringen würden ;” und zwar follten „in Zeit von einem 
halben Sabre die nötigen Schulen in den adlihen Dürfen ge 
baut fein.” Dabei follte e8 „den Edelleuten zwar freiftehn, den 
Unterhalt der Schulmeifter nach eigenem Gefallen, doch derge- 
ftalt zu reguliren, daß der Schulmeifter von den oneribus frei 
fein und auf einige Stüde Vieh die Weidefreiheit zu geniegen 
hätte. Es müfte audy jedem ein Stud NAder, zwölf Scheffel 
Getreide und 10 Rtbir. Schulgeld fammt dem nötigen Brennholz 
und Futter für fein Vieh ausgemacht werden, damit die Schul- 
meifter den nötigen Unterhalt haben und im Winter fowol als 
im Sommer, wie in den Wemterjchulen, Die Jugend unterrihtet 
und zur Erkenntnis Gotted und feines Morted gebradt werden 
fönne.” Zu diefem Zwecke jollten die Hauptämter „von einezmi 
jeden unter fie gehörigen von Adel eine specifique Nachricht, wa 
der Schulmeifter feines Orts zum jährlichen Unterhalt nebft eine? 
eignen Schulmohnung befommen folle, erfordern und foldhe Nach⸗ 
richten in Zeit von vier Wochen einfenden.” Würde nun wü— 
der alles Verhoffen der eine oder andere Adliche diefem Befehle 
nicht nachkommen, fo follten die Aıntshauptleute die Saͤumigent, 
„wofern nemlich derfelben Güter bdergeftalt fituirt, daß daſelb N 
eine Schule unumgänglich nötig ſei, ohne Die geringſte weite € 
Nachricht mit Ernft anhalten.” Da aber, wo die adlihen Die 
mit den Föniglichen Amtsbörfern zufammen Tagen, follte verfügg* 
werden, „daß die Eigentümer oder Befiger derfelben dem gemeis® = 
Ihaftlihen Unterhalt der Schulen ohne ferneren Verzug beitreten - 
Leider fam es in den nächftfolgenden Jahren und Ja 
zehnten nur zu oft vor, daß die Beamten des Königs von dert 
ihnen in dieſem Refcript erteilten Vollmacht Gebrauch machen us 
die Edelleute zur Befolgung des Königlichen Willend in ernſteſte? # 
Weife anhalten muften. Aber eben jo, wie die Edelleute, be 
durften auch die Schulmeifter felbft einer unausgefehten Zur — 
weıfung und Grmahnung zur Erfüllung ihrer Pflichten, weshal 
Friedrich denjelben dur; das Edikt „von Verbeferung des Shu> 
wejens“ vom 23. Oftober 1742 einfchärfen lie: Da die Shul- 
meifter und ihre Gefellen ftatt der Eltern find, fo follen fie ſich 





— 9% — 


Jugend aufs treulichſte annehmen, und fie im Katechismus 
anderen guten Künſten mit Fleiß unterrichten, auch die Ge⸗ 
e in den Kirchen vermöge der Kirchenordnung zur gebürlichen 
nach der Pfarrer Rat mit Fleiß halten. Aus dem Katechis— 
und der h. Schrift fol nur dasjenige zu lernen aufgegeben 
ven, was auf die Gründung des Ghriftentumd am meiften 
elt. Diejenigen handeln aber ganz verkehrt, welche meinen, 
Augend fei mit dem Auswendiglernen fo viel ald möglich zu 
onen. Don demjenigen, was gelernt wird, muß der nots 
tige Verfland der Worte und der darin enthaltuen Lehren nad) 
nach erklärt werden. Hierbei ift vor Allem das Gewißen 

Buß> und Glaubensprüfung,, zur Erneuerung des Tauf⸗ 
des und zur Furcht Gotted zu führen. Die Pfarrer follen. 
zu wie zu allem Uebrigen den Schulmeiftern die nötige Ans 
jung erteilen. 

Im folgenden Sahre 1743 jah ſich der König veranlaft, die 
dauernde Gültigkeit der früher publizirten Schulgefeße nod- 
8 erinnerlich zu machen und zu gewährleiften, indem er in 
I „Reglement wegen Erhaltung des auf dem platten Lande in 
ußen eingerichteten Schulwefens” vom 2. Januar 1743 be: 
l, „daß es bei dem einmal feftgefeßten Schulenplan und der 
y demfelben gemachten Einrichtung beftändig fein Verbleiben 
en und dawider feine Veränderung, unter welcherlei Vorwand 
auch fein möchte, vorgenommen oder gemacht werden fol.“ 
Vebrigen machten ed die politifchen Unruhen und die krie— 
ſchen Greigniffe, weldye damals eintraten, dem König bis 
Jahre 1763 unmöglidh, dem Volksſchulweſen eine bejondere 
fgfalt zuzumenden. Zu bemerken ift nur, daß Minden und 
vensberg unter dem 6. April 1754 eine Landſchulord— 
ng erhielten, daß namentlich i. %. 1759 in Schlefien einzelnes 
Beßerung der Dorfſchulen geſchah, und daß in Altpreußen 
Schaden, den der Krieg dem Schulmwefen zufügte, teilweife 
der fremden Kriegsmacht, weldye das Land bejekt hatte, 
der bejeitigt wurde. *) 





*) Bgl. was in den Nova acta hist. eccl. IV. S. 1115 — 1116 erält 
: „Obgleich die Landfchulanftalten im Königreich) Preußen antanglih , inlon- 





— BB — 


Um fo bebeutender war dagegen um biefe Beit die Wirle- 
jamfeit eine8 Mannes, der mit zu den Vätern des preußiige = 
Volksſchulweſens zu zälen if. Es war dieſes der eifrige Paͤdago g 
Johann Julius Heder, der ſchon feit 1730 in Berlin Die 
erfte Realſchule Deutſchlands und mit derſelben zugleih eüm 
Schulmeiſterſeminarium errichtet hatte, *) und jegt dadurch men 
noch bedeutenderen Einfluß auf das Volksſchulweſen ded Landes 
erhielt , daß alle Inſpectoren angewiejen wurden, ihm von jeber 
in einem königlichem Amte vorlommenden Vacanz einer Küfer-> 
uud Scyulmeifterftelle fofort Anzeige zu machen und über die Deo: 


derheit in den Hanptämtern Memel, Tilfit, Ragnit und Infterburg und einigen 
angrenzenden Orten einen ziemlich harten Stoß befommen, und durd die imegu- 
lären feindlihen Truppen viele Schulhäuſer ruiniert, aud die Gchulmeifter ſehr 
mitgenommen worden und das ihrige eingebüft hatten: fo bat doch die göttlüge 
Vorfehung und Güte es bald zu ändern gewuſt, indem der damals en che! 
commandirende ruffifch-faiferliche General, Reichsgraf v. Fermor, auf Vorfiefliuy 
der Epezialfhulcommiffion die Reſolution nicht nur erteilt, Daß die guten Cinrih 
tungen des Schulweſens im Königreich Preußen nad wie vor im guten Etandk 
erhalten und darauf aller Fleiß und Mühe verwendet werden folle, jondern auf 
zugleich nachgegeben bat, daß die ſchon vorhin zur Wiederherftellung der verungludter 
Schulmeifter und abgebrannten Schulhäufer angeordnete aber nicht zu Steande 
gefommene Collecte zur Wirklichkeit gebracht werden follte. Hierbei ifts nidt g- 
blieben, fondern es bat auch nachher, da das Schulweſen im Memelfchen Til! 
dur die Kriegsunruhen in Verfall geraten, der damalige Gouverneur zu König 
berg (d Korff) nit nur aus einem außerortentlihen Fonds die erforderlihen 
Belder zum Unterhalt der armen Schulmeifter an den (Erzpriefter zu Memd 
auszalen, fondern aud zur Aufrechthaltung des Schulweſens die nadydrüdlicken 
Befehle ergehen laffen, und unter Anderm auch anbefohlen, die zurüdgebliebenen 
Einkünfte an Getreide beizubringen und den Schulmeiftern zuzuſtellen. Und dt 
nachher bei den Durchmärfchen der ruffifhen Truppen die Schulen bier und de 
mit Einquartirungen beläftigt worden, fo ift auf geſchehene Anzeige fofort von 
dem kaiſ. Gouvernement Befehl an die Beamten ind Land ergangen, daß dk 
Schulen mit inquartirungen und die Schnlmeifter mit Youragelieferungen der 
ſchont bleiben follten. Bei diefen fo günftigen Umftänden für das Schulweſen ins 
geihehn, daß felbft unter den Anruhen im Lande in unterfchiedenen Hauptämien 
noch neue Schulen angelegt und dadurd die vorige Anzal der Landſchulen, Mt 
fi) vor ſechs Jahren ſchon über 1770 erftredte, ziemlich vermiehrt worden“ — 


) Vgl oben B. I 6. 59, 


— 831 — 


n der erledigten Stelle Nachricht zu geben, damit ſodann die 
üften Seminariften auf die geeigneten Stellen befördert wer⸗ 
könnten. Auch wurde den Predigern aufgegeben, jeden Schul- 
er nicht anderd ald mit Vorwißen des Propfted und nad 
egung eined Zeugniffes über feine Lehrtüchtigkeit auzuftellen. 
entlich durh ein Reſcript an alle Kriegs- und Domänen- 
nern vom 8. April 1750 ſowie durch ein anderes Refcript 
25. September 1752 an die Regierung und das Conſiſtorium 
Stettin und an das Gonfiftorium zu &öslin, und durch Gir- 
verorbnung vom 1. Dectbr. 1753 wurde das Hederfche Se- 
r zum Mittelpunkt des geſammten Volksſchulweſens erhoben, 
ı namentlidy verfügt wurde, daß alle zur Grlebigung kom—⸗ 
en Eöniglichen Küfter- und Schullehrerftellen möglidhft mit 
jecten aus dieſem Seminar bejeßt werden follten. Hecker 
wurde zum vortragenden Rat im geiftlichen Departement 
zum Mitglied des Dbereonfiftoriums ernannt. Dem Seminar 
der König zur Unterhaltung von 12 Seminariften eine jähr- 
Unterftügung von 600 Rthlr. zu. Als daher das fieben- 
ge Kriegsgetümmel endlidy verftummte und Friede und Ruhe 
e preußifchen und deutſchen Lande zurüdfehrte, war einer ber 
erſten Gedanken des Königs der, das Volksſchulweſen der 
ardhie von dem neuen Mittelpunfte aus, den es in Heders 
inar gewonnen batte, vollftändig zu reformiren. Schon 
!: dem 8. Febr. 1763, aljo fieben Tage vor dem Abfchluß 
Qubertsburger Friedens, erließ der König von Leipzig aus 
en Eurmärkifchen Kammerdireftor Groschopp eine Ordre, worin 
tmfelben eröffnete: „daß bei der bald und mit Nächftem her⸗ 
enden öffentlichen Ruhe er fein Augenmerf mit darauf ges 
t babe, daß die vorhin und bisher fo gar fchlecht Beftellten 
len auf dem Lande nady aller Moͤglichkeit verbeßert und folche 
nicht fo gar unerfahrenen Leuten weiter-befegt werden müften. 
jet gefonnen, hiermit zuvörderfi den Anfang in den Amts- 
rn der gefammten Kurmark zu machen und wolle, daß zu 
Imeiftern darin feine andern als Diejenigen genommen würden, 
e der K. R. Heder dazu vorgejchlagen oder wenigftend exami⸗ 
und genugjam tüchtig befunden habe, mithin die Veamken 





— 32 — 


mit Beſtelluug der Dorfſchulmeiſter ſich nicht mehr abgeben, ſo ra⸗ 
dern dieſe von der Kammer geſchehn ſollte.“ 

Das Volksſchulweſen war hiermit zum erſten Male unter 
die ordentliche Auffiht und Leitung einer Behörde geftellt. Zus: 
glei) war der Xehrerberuf, indem für denſelben ſeminariſtiſche 
Vorbildung gefordert wurde (wenigſtens für die Zukunft), von 
dem Handwerk emanzipirt — und als eigentümlicher Beruf aner⸗ 
kannt und gewürdigt. Indeſſen genügte der Einfluß des Hederijhen 
Seminare doch nicht, um dem noch ganz im Argen liegenden 
Volksſchulweſen aufzuhelfen. König Friedrich brachte daher aus 
Kurſachſen acht Schulmeifter mit nad) Brandenburg, von denen 
vier in EZöniglichen Amtsdärfern der Kurmark, und vier in koͤnig⸗ 
lichen Amtsdörfern Hinterpommernd ald Muſterlehrer angeſtellt 
wurden. Durch Erlaß vom 12. Febr. 1763 erteilte Friedrid dem 
Staatöminifter v. Danfelmann den Befehl dafür Sorge zu trageıt, 
daß diefe acht Lehrer „alles dasjenige, fo fie bier (in Kurſachſen) 
an Gehalt und Emolumenten jährlidy gehabt, bei ihrem dortigen 
Gtabliffement wieder befommen und nichts deshalb verlieren ſollen,“ 
indem er binzufegte, daß die Landſchulmeiſter in der Kurmarf une 
Pommern „gemeiniglich fchleht im Gehalt und dergleichen feden-“ 

Noch wichtiger jedoch, als diefe Anordnungen, war Die 
Publizirung einer neuen Schulordnung, welche der König beihlo B- 
Friedrich erließ nemlicdy unter dem 1. April 1763 an den Staats⸗ 
minifter v. Danfelmann den Befehl, ein Reglement für das Lan D⸗ 
Ichulwefen der gejammten Monarchie ausarbeiten zu laßen, indez#t 
er zugleich Die Gefichtspunfte, nad) denen das Reglement aufge” 
ftellt werden folte, jelbft angab. Die Vollziehung diefes Befeh 18 
übertrug der Minifter dem Rat Heder, der am 23. Juni beit 
Entwurf eines Reglements demfelben vorlegte. Der Minifter lief 
bierauf die Arbeit Hederd dem Oberconfiftorium zur Begutachtung 
zugehn, von welchem diejelbe, mit einigen Abänderungen verlehn, 
durch den Minifter unter dem 12. Auguft dem Könige zur Prüfung 
eingefandt wurde. Am 23. Septbr. 1763 wurde das Reglement 
vom König unterzeichnet und hierauf durch Girfularrefcript vom 
2. Octbr. 1763 allen Regierungen und Sonfiftorien zur Publication 
zugejandt. | 





Yiefed neue, beziehungsweife erfte Generallandſchul—⸗ 
sent der preußifhen Monarchie war die ausführlichfte 
faßendſte aller bisher erjchienenen proteftantiichen Schuls 
en, Die traditionelle firdyliche Auffaßung der Volksſchule 
3 Schulmeifteramted war in derjelben ftreng feftgehalten 
feiner Weije war den aufflärerifchen Theorieen der dar 
Beit irgend weldyer Einfluß auf das Reglement geftattet. 
x wurde in demjelben verlangt, daß das Volk lediglich 
n, Beten, Singen, im Schreiben und Rechnen, im States 
und in der bibliichen Geſchichte unterrichtet und chriſtlich 
werben follte. 
as preuß. Schulreglement ift jo ausführlich, daß bier, da es 
zu wiederholten Malen abgedrudt ift, (3.8. bei Neigebauer 
(8) nur folgente Stellen aus demjelben mitgeteilt werden, in 
ade der Charakter diefer jo wichtigen Schulordnung hervortritt. 
le Eltern und Pflegeeltern follen ihre Kinder, „Knaben 
ädchen, wo nicht eher, doc höchſtens vom fünften 
ihres Alters an in die Schule ſchicken, audy- Damit 
b bis ins dreizehnte und vierzehnte Jahr 
ren, und fie fo lange zur Schule halten, bis fie nicht nur 
ötigfte vom Chriftentum gefaft haben und fertig - 
d fchreiben, fondern auch von demjenigen Rede und Ant 
ben Eönnen, was ihnen nad den von den Gonfiftoriis 
sten und approbirten Lehrbüchern beigebracht werden fol.“ 
n Betreff der Sommer: und Winterfchulen wurde bes 
„daß die Winterfchulen an allen Wochentagen Vormittags 
-11 Uhr, und Nachmittags, den Mittwod) und Sonnabend 
mmen, von 1—4 Uhr gehalten werden follen. Die Wins 
geht von Michaelis bis Oſtern unausgefegt fort. Die 
richulen aber follen nur des Vormittagd oder nad, den 
ven des Orts Nachmittags in drei Stunden alle Tage 
he gehalten werden. Um weldye Stunden des Tags aber 
terricht feinen Anfang nehmen fol, ſolches werden die 
r nad den Umſtänden ihres Orts beftend zu beſtimmen 
zurichten wißen. Keine Ferien werden verftattet, jondern 
ı der Erndte müßen die Echulen. auf vorgedachte Art ge⸗ 
Boltsſchulweſen, 8. 





— 34 — 


halten werden; doch mit dem Unterſchied, daß im Winter = 
jede Section eine ganze Stunde, Dagegen im Sommer uur ek 
halbe Etunde darauf gewentet werben fol.“ 

Die Küfter und Schulmeifter und deren Anjtellung betreffer 
wurde hefohlen: 

„Es muß ein Schulmeifter nicht nur hinlaͤngliche Geſchic 
lichkeit haben, Kinder in den nötigen Stüden zu unterrichten 
fondern auch dahin trachten, Daß er in feinem ganzen Verhalte 
ein Vorbild der Heerde fei, uud mit jeinem Wandel nicht wiederum 
nieberreiße, was er durch feine Xehre gebaut hat. Daher ſollen 
ſich Edyulmeifter mehr ald Andere der wahren Gottfeligfeit befleipign 
und alles dasjenige verhüten, wodurch fie den Eltern und Kindern 
anftößig werben können. Vor allen Dingen müßen fie ih fr 
fümmern ym bie rechte Erkenutnis Gottes und Ghrifti, dani, 
wenn dadurch der rund zum rechtſchaffnen Wejen und wahre 
Shriftentum gelegt ift, fie ihr Amt vor Gott in der Nachfolge vb 
Heilandes führen, und alfo darinnen durch Fleiß und gutes Exemyel 
die Kinder nicht nur auf Das gegenwärtige Leben glücklich machen 
fondern auch zur ewigen Seligfeit mitzubereiten helfen.“ 

„Es müßen aber überhaupt auf dem Lande feine Küft‘ 
und Echulmeifter ind Amt eingewieſen und angeſetzt werden, el 
und bevor fie von den Inspectoribus egaminivt, im Examı 
tüchtig befunden und ihnen cin Zeugnis der Tüchtigkeit mitgegeb: 
worten. &8 fol aljo Fein Prediger befugt fein, einen als Küft 
und Echulmeifter zur Kirhen> und Schularbeit zu abmittire 
wenn er nicht gedachtes Zeugnid des Examinis und daß 
darinnen wol beftauden,, beigebradyt.” (Kür die Landſchule in d 
Kurmark wurde die ſchon früher erlaßene Verordnung wiederhol 
„daß Feine zu Edulmeiftern und Küftern angenommen werk 
jollen, als weldye in dem furmärfiicen Küfter- und Echuljem 
nario zu Berlin eine Zeit lang gewejen, und darin den Seidenba 
jowol als die vorteilhafte, und bei den deutſchen Schulen di 
Dreifaltigfeitöfire eingeführte Methode des Schulhaltens gefa 
baben.“) 

Die „CS chularbeit” betreffend, wurden die Küfter und Schu 
meifter „vor allen Dingen eruftlich erinnert, ſich jebesmal zu 


— BB — 


Information durch herzliches Gebet für fih vorzubereiten, und 
von dem Geber aller guten Gaben zu ihren Verrichtungen und 
Berufsarbeit göttlichen Segen, Weitheit und Geduld zu erbitten; 
infonderheit den Herrn aufleben, daß er ihnen ein väterlich ges 
finntes, mit Ernſt und Liebe temperirtes Herz gegen die auvers 
trauten Kinder verleihe, damit fie alles willig und ohne Verdruß 
verrichten, was ihnen ald Lehrern zu thun obliegt, eingedenf, daß 
fie ohne den göttlichen Beiftaud des großen Kinderfreundes Jeſu 
unD feines Geifted nichts auszurichten vermögen, auch der Kinder 
Herzen nicht gewinnen Fönnen. Unter der Information felbft 
baben fie nicht weniger aus Herzend Grund zu feufzen; damit fie 
nicht allein felbft ein wolgefafted® Gemüt behalten, fondern audy, 
daß Gott ihren Fleiß fegnen und zu ihrem Pflanzen und Begießen 
ſein guädiges Gedeihen von Oben geben wolle, weil alles wahre 
Bute dur die Gnade Botted und die Wirkung Seines Geiſtes 
in Den Kindern muß gewirkt werben.“ 

Um die Vollziehung und VBefolgung dieſes Generallandidjulr 
reglements thunlichft zu fichern,, wurde al8 Nachtrag zu demfelben 
unter dem 1. März 1764 ein „Circulare an die Inspe- 
Stores, die Shulpifitationen betreffend“ publizirk, 
worin den Inſpectoren aufgegeben wurde, alle Schulen ihres 
Bezirks alljährlidy in der Beit zwiſchen Oftern und der Erndte zu 
ifitiren und dabei über folgende „Schulvifitationsfragen“ 
ürkundigung einzuziehen: *) 

„1) Wie der Schulmeifter heiße und ob er Die nötige Ges 
hicklicyfeit zum gehörigen Unterricht der Jugend beige; 2) ob er 
ie Schulſtunden nad Vorſchrift des Generallandfchulreglements 
ebörig abwarte, und ob die im Neglement befannt gemachten 
Achulbücher in der Schule vorhanden und bei den Kindern ges 
Auıdyt werben; 3) ob ein Inventarium von Schulbüdern für 
me Schulfinder in der Schule vorhanden und was für melde 
> ſeien; 4) ob ſowol der Schulcatalogus vorſchriftsmäßig vor« 
Amden als auch das monatliche Verzeichnis der vorhandnen Schul⸗ 
inder richtig geführt werde; 5) ob der Schulmeiſter auch bes 
— — 


) Bel. Nova acta hist. eccl. V. &. 335— 341. 
ge. 


— 3 — 


Sonntags tie Schulkinder ordentlich in die Kirche hinein: us) 
wieter herausführe; 6) ob die Küſter und Schulmeiſter Pe$ 
Eonntags in der Schule eine Wiederholungsftunde halten, ussd 
fih Darin die unverheirateten Perfonen im Leſen und Schreiben 
üben; 7) ob an ten Orten, wo die Küfter und Schulmeifter mit 
den Predigern tie Filiale nicht bereifen Dürfen, felbige mit dem 
Kindern nah ber Predigt audy in der Kirche fingen und fie den 
Katechismus herſagen laßen; 8) ob in der Gemeinde erhebliche 
und gegründete Klagen vorhanden, daß der Echulmeifter in der 
Zucht der Kinder nicht weislid, verfahre, und ob in Fällen, we 
nahdrüdlichere Beſtrafungen erforderlidy geweſen, derjelbe auch 
des Rats des Predigerd ſich bedient habe; 9) ob alle Kinder, 
die über fünf Jahre alt find, zur Schule gehalten werden; 10) ©E 
auch feine Kinder vor ihrem vierzgehnten Jahre aus der Schule 
genommen werden, ohne Daß zuvor der Jujpector auf vorgängiges 
Zeugnis des Ecyulmeifterd und Predigerd einen Erlaßſchein er» 
teilt babe; 11) ob aud die Eltern und Vormünder die Kinder 
nad) Vorfchrift des Landfchulreglementd zur gehörigen Zeit des 
Minters und Eommerd zur Schule anhalten; 12) ob diejenige 
in der Gemeinde, die hierin ſäumig find, von dem Prediger und 
Edyulmeifter der Obrigkeit angezeigt werden, und ob von te 
Obrigkeit felbige auch durch Zwangsmittel zu ihrer Schuldigkeit 
angehalten und alenfalld die gefegten 16 Gr. Strafgelder beize 
trieben und dem Inſpector zur weiteren Beſorgung zugeftellt wor 
den; 13) ob der Prediger alle Woche die Schule dem Laudfdul 
reglement gemäß beſuche und fi den Ecyulcatalogum vorzeigen 
laße, um, wo ed nötig, Die finder durch dienlicye Grinnerunge 
zu beßern ; 14) ob audy Die Prediger des Sonntags Katechifationk 
und Wiederholungsſtunden in der Kirche halten; 15) ob monatlid 
in der Pfarrwohnung mit den Edyulmeiftern in matre und dm 
Silialen Scyulconferenz gehalten und nach Vorſchrift des Rand 
ſchulreglements $. 25 das Nötige regulirt werde; 16) ob auf 
bie Prediger am Michaelisſonntag die fogenannte Schulpredigt 
gehörig gehalten und das eingefommene Geld dem nfpecter 
überfandt haben; 17) ob die Küfter und Schulmeifter einen aw 
fändigen Wandel führen und weder Eltern noch Kindern in de 


— 37 — 


chule und außer derſelben ein Aergernis geben; 18) ob das 
Aulgeld ordentlich, auch für die armen Kinder, und aus wel 
em Fonds entrichtet werde.“ — 

Allein ſo vortrefflich auch die neuen Verordnungen waren, 
war es doch kaum möglich, dieſelben zur Ausführung zu brin⸗ 
ı, — weil weder Die Gerichtsherrſchaften, noch Die Gemeinden, 
ch tie Schulmeifter derſelben nachleben wollten. Namentlid) fah 
>) die Regierung in den adlichen Törfern faft nach allen Eeiten 
ı gehemmt *); denn Die meiften ablichen Patrone wollten gar 
ht, Daß das Schulreglement vollzogen werde, weil fie befürchtes 
„ daß die flupide Folgfamkeit ihrer Bauern in den Schulen zu _ 
-unde gehn möchte. — Andrerſeits feßten Die Gemeinden na⸗ 
ntlih der Einrichtung der Sommerſchulen den hartnädigften 
iderſtand entgegen. In Pommern muften ſich desfalls bie 
ſtlichen Behörden in der fonderbarften Weife mit den Gemein- 
ı abfinden und an einzelnen Drten die Sommerfcyulen für Die 
it von 5— 8 Uhr, an andern von 10 oder 11—1 Uhr, a 
Sen Abends von 5— 8 Uhr anordnen. — Auch die in dem 
Bulreglement befohlene Erhöhung des Schulgeldes war nur an 
Die Drten durchzuſetzen. — Das jchwierigfte Hindernis fans 

n indeffen Die Konfiftorien in den Küftern, die in Umwißenbeit 
d Rohheit aufgewachfen, zur Vefolgung der Schulordnung ganz 


— — —— 


*), Ein Geiſtlicher berichtete damals (3. Januar 1764) an Hecker zu Berlin: 
ie meiften Unterobrigkeiten und Patrone befümmern fid gang und 
: nicht um das Schulweſen. Weil viele von ihnen Bott felbft nicht kennen, fo 
en fie es nicht einmal gern, daß ihre Untergebenen eine Erkenntnis von Gott 
ven. Denn fie müßen fich ſchämen, wenn ihre Unterthanen hierin klüger wären 
fi. — Biele halten eine vernünftige und hriftlide Erziehung 
rer Unterthbanen für überflüßig und unnötig Wenn der Bauer nur 
gen, mähen und drefchen kann, dann ift er fhon ein guter Bauer, er mag 
'igens wißen, ob ein Gott fei oder nit. Ja folten Em. ıc. mol glauben, 
6 viele Unterobriglfeiten eine anftändige Erziehung ihrer Un- 
:thanen ihrem Intereffe zuwider halten? Man glaubt. je dümmer 
Untertdan ift, defto eher wird er fih Alles mie ein Biel gefallen laßen. 
mm wenn der Bauer nicht fehreiben fann und ohne des Edelmanns Wißen auch 
yt verreiſen darf, fo bleibt die in unſerem Lande befindliche Barbarei noch am 
yerften verborgen.” — 





— 38 — 


unfähig waren. Dazu kam, daß die Schulmeiſter in Folge ihre! 
jämmerlichen Beſoldungen gradezu gezwungen waren, ihr Gewer De 
als ihren hauptſächlichſten Beruf zu betreiben. Daher liefen Em 
Berlin von allen Seiten ber Klagen über die Unausführbartett 
des Meglements ein. Die Regierung und das Gonfiftorium det 
Neumark ftellte den traurigen Zuftand der Schulen dieſes Bezir Es 
vor: „Nirgends feftes Gehalt, allenthalben Hirten oder Han D> 
werfer, bie kaum lejen, gefchweige fchreiben, viel weniger Reik + 
gionsunterricht erteilen fonnten; fchlechte oder gar feine Schu 
bäufer, und Aemter und Patrone, Die ihr Unvermögen vorſchük— 
ten *).“ — Aus dem Magdeburgifchen wurde in anonymen Brit 
fen geflagt, daB das Reglement die Bauern auffäßig mache, inte —M 
fie den Schulmeiftern ihre Fixa entziehen wollten, wenn diefe — 
höhtes Schulgeld forderten. „Auf Nachfrage bei der Magdebu —— 
giſchen Regierung und dem Confiftorium zeigte fi) auch die Wahz 
heit diefer Auflagen, jedody waren von dieſem Gollegio berei"? 
ſehr verftäntige und befonnene Maßregeln ergriffen worden. — 
Die Mintenfhe Kammer berichtete an das Generaldirecteriurm 
unter dem 9. Juni 1764, daß fie zwar dad Reglement den Land 
und Steuerräten, Beamten, Magiftraten, Gerichtd-Obrigkeiten und 
Fiscalen mit dem Befehl, ed publiziren zu Taßen, zugefertigt, dap 
aber die Regierung und das Confiftorium die Publication inhibirt 
und nad) Hofe berichtet babe, damit es bei der Schulordnung 
- vom 6. April 1754 belaßen werde. — Das Oberconfiftorium zu 
Breslau brachte ftatt des Reglements eine abgeänderte und durch 
Hinzunahme der Beftimmungen vom 15. Dechr. 1759 modifiirte 
Schulordnung in Vorfchlag, deren Entwurf auch im Oberconfifte 
rium ſehr zmwedmäßig befunden wurde. — Durch alles dieſes 
wurde nicht allein Die allgemeine und nachdrückliche Durchführung 
der neuen Beftimmungen verzögert und gelähmt, fondern ed wur 
den audy mancherlei Abänderungen, Declarationen und Modifica 
tionen notwendig. Zuerſt wurde der $. 7 für Magdeburg, nad 
mald auch durch ein Refcript an dad Oberconfiftorium zu Verlin 
und an dad Gonfitorium zu Minden dahin erfärt, daß, wenn ber 


*) Bededorff IL. ©. 40. 


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7 





— 39 — 


zulmeiſter außerdem durch fixirtes Einkommen oder Accidenzien 
länglich geſichert ſei, die Erhöhung des Schulgeldes wegfallen 
nte; für Minden und Ravensberg aber ward das neue Regle⸗ 
nt mit der älteren Schulordnung zufemmengefchmölzen; und im 
gemeinen ward Die angeordnete jährlidhe Schulvifitation durch 
Anfpectoren (die für die ihnen zugemutete Mühwaltung ange: 
zene Remmneration verlangt hatten,) wieder aufgehoben und 
t deſſen feftgefeßt, daß über jede Landfchule gewiſſe Catalogi 
ahrt und jährlich) zweimal an das Konfiftorium eingefandt wers 

jollten *).” Außerdem wurde den Beiftlihen in Pommern 
ch ein Regierungsausfchreiben befohlen, daß fie fich nicht allein 
armen Scyulfugend felbft annehmen, fontern auch „bie unwißen: 
Küfter und Schulmeifter zu ihrem Dienfte beftmöglichft zus 
eiten und zu folhem Ende im Frühjahr, Sommer und Herbft 
Hentlid, zwei Tage beftimmen und an denſelben die Schnl 
ter jeglihen Taged auf zwo Stunden zu fidy beicheiten, und 
ıen nicht nur im Lefen, Echreiben und Rechnen Lectiones, fon 
m auch eine Anmweifung zum Satechifiren nnd einer beutlicheren 
brart geben, auch damit einige Jahre fortfahren” follten. 

An den Inſpector des lutheriſchen Miniftertums zu Eleve 
ließ der König durch die Regierung zu Gleve die Verordnung 
. Septbr. 1769), „1) daß fünftig Die Prediger in der Erndte 
ht mehr denn 4 Wochen Serien geftatten und die Echulmeifter 
weifen müßen, binnen folder Zeit, bejonderd an Sonn⸗ und 
iertagen die Wieberholungsftunden fleißig abzuwarten. 2) Haben 
: Prediger auch dahin zu fehen, daß die Jugend fo zur Com⸗ 
mion gehen will, bad Leſen und Schreiben ſattſam gefaft habe, 
D daß dazu Feine jungen Leute zugelaßen werben, weldye nicht 
nigftend das Lefen verftehen. 3) Iſt den Prebigern das fleißige 
techifiren nochmals ernftlich einzubinden, und müßet ihr und Die 
bdelegati darauf Die exactefte Aufficht nehmen. 4) Habt ihr 
bt lüaftig bei Prüfung der Kandidaten des Predigtamtes auf 
Geſchicklichkeit im Katechiſiren vornehmlich eure Aufmerkfamkeit 
tzurichten, und die darin untüchtig befunden worben abzuwelfen. 


*) Cbendaſ. G. 40- 41. 


— 49 — 


5) Iſt es Fünftig mit den Fleinen fog. deutſchen Stabtfhr- 
len, worin feine anderen Lectiones als über das Chriftentum, 
Lefen, Rehnen und Schreiben gefhehen, auf gleichem Fuß 
wie mit den Landſchulen in Anfehung der jährlichen Echulfataloge 
zu balten.” 

Um die Stadtſchulen der Kurmarf zu Heben, befahl 
der König dem Oberconfiftorium , den Zuſtand Derjelben genau ju 
unterfuchen und alle unwürdigen und unbrauchbaren Echulmeifter 
aus denſelben fofort zu entfernen, indem in Zukunft Fein fäbt 
Scher Lehrer in der Kurmark ohne Genehmigung des Oberconfite 
rium3 angeftelt werden follte. Die fpezielle Beaufjichtigung de 
Stadtfchulen wurde den VBürgermeiftern anvertraut. 

Mit befonverem Eifer war ber König inzwifchen für te 
Schulmweien in den fatholifhen Teilen Schlefiens thaäti 
wo eben damals die reformatoriihe Wirffamfeit Felbigers br 
gonnen hatte. Schon im jahre 1764 publizirte Friedrich ein 
Reihe von Beflimmungen *), welche die Reformirung des Fatholr 
ſchen Volksſchulweſens in Echlefien und in der Grafſchaft Olaf 
zum Ywede hatten. 

In der Inſtruction vom 30. Juni 1764, „nach welder Ne 
fatholifhen Dorfſchulen in Ober: und Nicderfchlefien, wie auf 
ber Grafihaft Glatz eingerichtet und verbeßert werten ſollen, 
wird die Schulpflichtigfeit aller Kinder vom vollendeten 5. bil 
zum 13. oder 14. jahre angeordnet. Der Echulmeifter foll „von 
Martini bis Georgii jeden Tag der Woche, an den fein biöper 
firter Feiertag einfällt, zweimal, und zwar frühe von 9 bis Mt 
tags um 12, Nachmittagd aber von 1 bis 3 Uhr Schule halten.‘ 
Damit aber auch „jene Kinter, tie von. ihren Eltern in M 
Sommerszeit zum Hüten nicht gebraucht werden, und die Kleine 
en, jo Dazu noch nicht tüchtig find, — worunter alle zu verftehe, 
bie das achte Jahr noch nicht erreicht haben, — während de} 
Sommers das im Winter Erlernte nicht wieder vergeßen, fo fül 
auch von Georgii bis Martini, aber nur Vormittags, und zwar 





*) Eiche diefelben im Anfange zu Menzels Schrift „Die drei föniglid 
preußifhen Schulreglements.“ 





— 41 — 


3 Michaelis von 8 — 11, von Michaelid aber bis Martini von 
— 12 Uhr Schule gehalten werden.” — Jede Schule ſoll in 
ei Klaffen geteilt werden. In ber unterften Klaffe werden bie 
einen Fragen des Katechismus und die Buchftaben gelehrt. Die 
hüler der mittleren Klaffe werden in ben fog. Artifelöfragen 
8 Katechismus, im Lefen und im Schreiben unterrichtet. „In 
e obere Klaſſe gehören die Kinder, Die im Katechismo von den 
tifeld= zu Erlernung der fog. Sacramentsfragen geführt werben 
nnen; fie müßen foldye ziemlich fertig lefen, ſich im Schreiben 
ch großen Vorjchriften üben, und das Rechnen treiben. — Die 
Hulmeifter wurden, um jede Störung des Schulunterrichtes zu 
"hüten, von ber Pflicht des Gurrendentragens (was von jetzt 
von den Gemeinden durdy fog. Zechboten bejorgt werden follte,) 
'penfirt, und den Pfarrern wurde zur Pflicht gemacht, die Schu- 
' fleißig zu vifitiren. 
Gleichzeitig erbielten die Pfarrer der Provinz die gemeßen- 
a Inſtructionen über die Beanffichtigung der Schulen umd 
Bulmeifter; und durch Lönigliches Nefcerivt d. d. Breslau den 
- uni und Glogau den 12. Inli 1764 wurden alle Landräte 
' Provinz angewiefen, Die für die Landesfchulen angefertigten 
I& +, Buchftabir- und Leſebüchlein zu verteilen, die Einrichtung 
Schulen in Gemäßheit der neuen Schnlordnung zu bewirken, 
» fi bei Bereifung ihrer Sreife über die Vollziehung des 
en Reglements zu erkundigen. Auch wurde den Grundherr- 
ften zur Pflicht gemacht, darauf zu halten, daß die Kinder 
5 bis 13 oder 14 Jahren ordentlih in die Schule gefchidt, 
dag an den Orten, wo die Schulmeilter nur polnifch fprechen 
ten, andre geeignete Lehrer angeftellt würden, Die zugleich ber 
Fichen Sprache mächtig wären. Das Generalvicariat zu Bres: 
und Die Decane der Prager, Ollmützer und Krakauer Diöcefe 
elten diefe Inſtructionen zugefertigt, und wurden zugleich an- 
üeſen, ſich des Schulwefens anzunehmen, und Die nötigen 
ulviſitatoren anzuftellen. Außerdem forgte der König auch für 
„Heranbildung tüchtiger Lehrer und Schulinfpectoren. Er ver- 
te nemlich, daß für Nieverfchlefien die Schule des Breslauer 
mcapiteld zu St. Johann, die Schulen der Gifterzieuferflöfter 





— 92 — 


Leubus und Grüſſau und des Auguftinerftifts zu Sagan, fir 
Dberjchlefien die Schulen zu Natibor und im Gifterzienferflofer 
Rauden, und für die Grafſchaft Glatz tie Schule der EStadt 
Habelfchwerd als Normaljchulen gelten folten. Da indefjen die 
im jahre 1764 erlaßnen Verordnungen zur vollftäntigen Refer— 
mirung des Volksſchulweſens noch nicht ausreichend zu fan 
Ichienen, jo publizirte der König unter dem 3. Novbr. 1765 ein 
neucd Schulreglement,, welches die detaillirteften Vorſchriften über 
die Vorbereitung und Auftellung der Schulmeifter, über die Gir 
rihtung der Schulen, über die dieuftlihde Stellung der Säub 
meifter, über die Beauffichtigung der Schulen durch die Pfamer 
u. ſ. w. enthielt. Es wurde verfügt, daß nur ordentlich geprüft 
und mit Zeugniffen über ihre Lehrfähigkeit verjehene Lehrer auge: 
ftellt werden ſollten; daß alle angehenden Geiftlichen, um fid die 
zur Beauffichtigung der Schulen erforderlichen pädagogifchen Kennt: 
niffe zu gewinnen, das Seminar zu Breslau befuchen, und da} 
olle Ichulpflichtigen Kinder zum Schulbejudy disciplinariſch ange 
balten werden follten. Der „Lectionscatalogus für die Dörfer‘ 
war folgender: 





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yaupaıay) num ’ne paoq 2900 

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— 44 — 


Der König hatte allen geiſtlichen und weltlichen Beamter 
die pünftliche Vollziehung des neuen Neglements zur Pflicht ge 
macht; aber wie überall fo ftand auch bier die allzu Fürglike 
Dotation der Schulmeifterftellen und die Abneigung der Baum 
gegen jede Peiftung zu Gunften des Echulmeifterd der Aufbeperun 
des Schulweſens im Wege. Xiele Eltern jchidten ihre Kinte 
lediglih darum nit zur Schule, weil fie fichy nicht entſchließen 
fonnten, oder nicht im Stande waren, das gefeßliche Schulgdt 
zu bezalen. Der König befchloß daher Die äußere Stellung de 
Schulmeifter ein für allemal dadurch zu fichern, daß er das Sdıl- 
geld als ſolches aufhob, und ftatt deſſen den Echullehrern eine 
fihere, von den Communen zu leiftende Rente zumies. Demgemiß 
wurden durch Verordnung d. d. Breslau den 31. Decbr. 1168 
und Glogau den 17. Januar 1769 alle Landräte der Provinz 
Schlefien angewiefen, den Dominiid und Gemeinden aufzugeben, 
„ein ſolches Geldquantum, als ımgefähr das von fämmtlide 
Ihulfähigen Kindern jedes Orts nah dem Schulreglement zu mt 
richtende Schulgeld betragen wird, auf ſämmtliche (Hans-) Wirte 
der Gemeinden nach gewiffen Sätzen zu repartiren, folches in ne 
natlichen Raten einzuheben, und quartaliter dem Echufmeifet 
ftatt des Schulgeldes auszuzalen.“ — 

Das erfte eigentümliche Seminar erbielt die Volksſchnle det 
fatholifchen Echlefiens i. 3. 1764 zu Habelfchwertt. Zur Unter 
haltung deſſelben wurde auf Befehl der Kriegd- und Domäne 
fammer zu Breslau von jedem neu angeftellten Pfarrer eine I 
gabe im Betrage bes vierteljährlihen Ginfommens der Rforrel 
erhoben, welche Abgabe indefjen fpäterhin in jährliche, von alm 
Pfarrern, Kaplänen und Lehrern zu zalende Beiträge umgewantel! 
wurde. Aus diefen Beiträgen ſowie aus einer Collecte und ein 
fehr beträchtlichen Beiſteuer des Erzbiſchofs von Prag entftand dr 
Seminarfonds *). 

Groß waren die Opfer, die der König zur Aufbeßerung BF 


*, Späterhin änderte das Seminar feine Heimat mehrmale. 3.2. 1m 
wurde e8 nad Glatz, i. 3. 1807 nach Neuneißbach und endlich i. 3. 1808 (M 
Hecbr.) nad) Schlegel verlegt. 


1 





— 46 — 


ergebalte brachte. Für die Kurmark wies der König im Jahr 
| jährlich A000 Thaler Zinfen von einem Kapital von 100000 
er mit dem Bemerfen an: „Die Erziehung der Jugend, ber 
erd auf dem Lande, ift bis daher noch ganz vernachläßigt 
ven, und aljo höchſt notwendig, daß Die ſchlechten Schulmeifter 
und tüchtige, brauchbare Leute Dagegen angefchafft würden.“ 
für Bommern wurden große Summen beftimmt. Indeſſen 
der Plan, fo wie ihn der König entworfen hatte, nicht zur 
übrung. Nur mit einer Zal von Landfchullehrerftellen wurde 
veßeres Einkommen verbunden, wogegen den Inhabern derjels 
die Verpflichtung auferlegt wurde, unentgeltlichen Unterricht 
rteilen. Daher die fogenannten Gnadenjchulen, deren 
ration indeffen gar nicht in dem urfprünglichen Plane Des 
g8 gelegen hatte *).“ 

Ueberbhaupt jcheint dem ‚König Die Aufrichtigfeit und der 
e Wille der Behörden nicht immer helfend zur Seite geftan- 
zu haben. „Es findet fi) wenigftend eine merkwürdige Cor⸗ 
udenz zwifchen dem geiftlichen Departement und dem Direc- 
ed Conſiſtoriums zu Stettin vor, worin unter den Fuß ge 
ı wird, die Echulverbeßerungen hauptjächli auf der Straße 
mehmen, weldye der König zu den Revücn zu nehmen pflege, 
bier die Dörfer, wo umgelpannt werde, und die im Bezirk 
halben Stunde umbergelegenen bejonderd zu berüdijichtt- 
**)1!“ Außerdem ſcheint ed, daß der König in der fo überaus 
erigen Ausführung feiner Reformprojefte allmählich ermüdete, 
tie Anforderungen, die er an die Volksſchule ftellte, um ein 
utendes herabftinmte. Denn während er i. J. 1758 durch 
Iution vom 9. Juli verordnet hatte, daß Schulmeifter- unb 
erſtellen nicht zu Den mit Invaliden zu bejeßenden kleinen 
ienungen gerechnet werden follten, verfügte derjelbe ein und 
izig Jahre fpäter unter dem 31. Juli 1779 dur Ordre an 
Departement der geiftlichen Sachen: „daß, wenn unter den 





) L. ©. Striez, Bericht über das Schullehrerfeminar in Potsdam. 
») Bededorff, II. ©. 43. 


— 46 — 


Invaliden fi welche fänden, die leſen, rechnen und jchreiken 
fönuten und fih zu Schulmeiftern auf dem Lande und fonften 
gut jchidten, fie dazu bejonders an den Orten, wo der König die 
Schulmeifter falarire, employirt werden follten, andy das geiftlike 
Departement darüber mit dem Generalmajor v. d. Schulendur 
zu correöpondiren habe, welcher die Leute, die ſich zu Schulme: 
meiftern jchidten, anzeigen werde.” 

Der König mufte eben erfahren, was alle Regierungen un 
Behörden jener Zeit, die ed mit der Volksſchule wolmeinten, m 
fuhren, daß Maßregeln, Anordnungen und felbft große Op 
noch nicht ausreichten, um die Volföfchule zu derjenigen Bolten: 
menbeit zu erheben, welde ihr zugedacht war. Zu jenen Wer: 
men muſte notwendig der Segen binzufommen, den die perfönlid 
unmittelbare Wirkſamkeit einzelner edler Freunde der Volksſchule, 
wie jened Domherrn von Rochow, ausübte, der damals af 
feinem Gute zu Redan eine Mufterfchule gründete, welche für dad 
ganze Land eine Leuchte war. 

Insbeſondre aber muften die einzelnen Pflanzfchulen fFünftt: 
ger Volksſchullehrer, welche um jene Zeit bier und da erriätt 
wurden, erft wirfjam werden, Damit die Saat, welcdye gejäet wat, 
feimen, aufblühen und wirkliche Früchte bringen konnte. — Eme 
folhe Anftalt war i. 3. 1778 zu Halberftadt von dem dafigen 
Domcapitel gegründet und am 13. Juli in Gegenwart des Tom 
dechanten Spiegel zum Defenberg eingeweiht worden *). — TI 
Brivatanftalt Des Pfarrer Herbing zu Nachterftädt im Yürftentum 
Halberftadt, weldhe i. 3. 1779 die Anerkennung der Staatsregie 
rung erhalten hatte, fuchte zufünftige Volksfchullehrer von ihren 
KRuabenalter an auszubilden **). — Für das Fürftentum Minden 
und die Grafſchaft Navenäberg ftiftete der Staatöninifter vor 
der Ned ein Schullehrerfeminar zu Minden i. 3. 1776) 
Zu Wefel war ſchon i. 3. 1687 die Begründung einer Pfarr 


*) Ausführlichere Nachrichten über das Seminar zu Halberftadt f. in Kin 
Enchelopädie B. 61 ©. 693— 703. 

») S. oben B. 1. ©. 69 ff. 

"*) Krünig, B. 61. ©. 704. 


——— — 


— 411 — 


ſchule für Echulmeifter unter dem Namen eined Kontuberniums 
verfucht worden; i. J. 1786 wurde hieraus infolge einer von ber 
Cleviſchen Eynode gegebenen Anregung ein eigentliches Schulleb- 
terjeminar geichaffen. Der für bafjelbe berufene Juſpector Schehl 
mufte ji) vor feinem Amtsantritt nad Redan begeben, um fi 
nit der Schuleinrichtung und Lehrmethode Rochows bekannt zu 


sachen *). 


Die Regierung Friedrih Wilhelms IL, der im Jahre 
786 den Thron des großen Königs beftieg, fiel grade in jene 
jeit, in welcher der Einfluß des englifchen und franzoͤſiſchen Deis⸗ 
aus in Deutfchland herporzutreten und alle chriftliche Cultur und 
Heſittung zu zernagen begann. Erft in einer fpäteren Beit kounte 
es möglich fein zu begreifen, daß auch Die Todtengräberarbeit ber 
Apoftel der „Aufklärung,“ welche damals den Glauben der Kirche 
ein für allemal aus der Welt zu fchaffen bofften, dem Reiche 
Gottes zum Beſten dienen mufte. Aber diejenigen, welche in je 
nen Tagen das Evangelium noch lieb hatten und den zunehmen: 
en Abfall mit eignen Augen fahen, muften ed ald eine von Gott 
ebot ene Pflicht erachten, dem Geiſte der Zeit zum Trotz über dem 
heilig tum der Kirche zu wachen und zu wehren. 

In diefem Sinne beſchloß Friedrih Wilhelm I. fih nament: 
id die Tflege des Volksſchulweſens feines Neiches angelegen fein 
N laßen; denn namentlich hier glaubte derfelbe dem Gößen ber 
Aufklaͤrung“ die Wege verſchließen und den Glauben der Väter 
ufs Neue befefligen zu müßen. Hierzu ſchien vor Allem die 
ollftändigſte Centraliſation der Verwaltung des Unterrichtsweſens 
forderlich zu fein, damit von Einer Centralbehörde aus Ein 
eiſt allen Schulen eingehaucht und in denfelben erhalten werden 
ante, Noch che daher Friedrich Wilhelm auf Angeben des Ge 
{men Dberfinanzrates v. Wöllner das Religionsedift vom 9. Juli 
— — 


*) Ebendaf. S. 704 ff 


— 48 — 


1788 erließ, in welchem berjelbe der „Aufklärung“ Fühn und ur 
erichroden entgegentrat und dem unveräußerlichen Rechte des fir. 
lien Glaubens das Wort redete, brachte der König (1787) das 
geſammte Unterrichtswejen des Reiches in eine neue Berfafung, 
indem er ale Schulen, hohe wie niedere, Gelehrten= wie Boll 
Schulen unter Eine von ihm gejchaffene Behörde ftellte, weiche nur 
von ihm felbft abhängig war. Diejelbe beitand ald „O berſchul— 
sollegium” aus dem Staatsminifter v. Zedlig, Dem Geheimen 
Oberfinangrat v. Wöllner, dem Kanzler der Univerfität Halle und 
drei geiſtlichen Räten. Zufolge der Suftruction vom 22. Febr. 
1787 war dieſes Oberſchulcollegium Dazu beitimmt, „Das gejammte 
Schulweſen in Unjern (des Königs) Landen auf das Zwedmäigke 
einzurichten und nach den Umftänden der Zeit und der Beſchaffen⸗ 
heit der Schulen inmer zu verbeßern.” CS follte darauf jeher, 
„DaB überall zwedmäßige Schulbücher gebraucht und eingeführt, 
und wo ſolche maugeln, durch tüchtige Männer nach Bejchaffenhrit 
der Umftände und nad) den Fähigkeiten der Schüler angefertigt, 
— und daß die beiten Lehrmethoden beobachtet werden. Seiner 
Oberaufficht ſollten unterftellt fein „alle Univerfitäten, Gymuafien, 
Nitter-Akademieen, Stadt» und Laudjchulen, Waiſenhäuſer, ale 
. Erziehungs- und Penfiondanftalten ohne Ausnahme oder Unter 
Ichied der Religion. Jedoch follten davon die militärischen Schw 
len, au die Schulen der franzöfiichen Golonie und der jüdiſchen 
Nation ausgefchloßen bleiben, als weldye auf eignen bejondern 
Verfaßungen berubten.” Um indefjen den Zweck des Unterridt 
weſens zu erreichen, fei e8 durchaus notwendig, „daß hinfort Nie 
mand mehr als Lehrer, weder bei einer Stadt- nody einer jo 
Gnadenſchule, wo das Gehalt aus unfern Kaffen bezalt wit, 
angejeßt werden oder in eine höhere Schulftelle hinaufrüden dürft, 
der nicht wegen feiner ZTüchtigfeit ein Zeugnis von dieſem Ober 
jhulcollegium aufzuweijen habe. Selbit wenn ein Prediger eb 
weder Rector oder Schullehrer zugleich werde, müße er ein ſolchet 
Zeugnis aufweifen. — Es verftehe fih aljo von felbft, da 
fünftig Feine Kriegs: und Domänenfammer, fein Eönigliched Amt, 
fein Magiftrat und fonftiger Patron in Städten oder Gnader 
ſchulen einen Lehrer beftellen dürfe, der fich nicht Durch ein foldel 


— 49 — 


Zeugnis legitimiren könne.” Bon dieſer Pflicht ſich examiniren 
zu laßen ſollten nur „alle Profeſſoren auf Univerſitäten“ und Dies 
jenigen ausgenommen ſein, „welche das Oberſchulcollegium ſchon 
als bewährte Lehrer zu erforſchen Gelegenheit gehabt habe." Das 
mit es nun in Zukunft an tauglichen Lehrern nicht fehle, werde 
der König auf feine Koften an gelegenen Orten Seminarien ers 
richten laßen; und „damit dad Oberjchulcollegium deſto mehr in 
ben Stand geſetzt werde, ſich Der Verbeßerung des Schulwejens 
auf die wirkfjamjte Weiſe anzunehmen”, erhalte dafjelbe Die Ver 
fugnid, „an alle Landesregierungen und Gonfiftorien, auch an das 
oftpreußiihe Staatöminifterium Reſcripte und Befehle zu erlaßen, 
weshalb ed auch alle Verfügungen in Unferm (te Königs) Na 
mer ad mandatum speciale und Unterfchrift bes Minifterd expes 
diren zu laßen habe.” Außerdem erhalte das Golleg für alle 
Dienftjahen hiermit Voftfreiheit und Stempeffreiheit. 
Nur kurze Zeit ftand dem Oberfchulcolleg der Minifter von 
Ze dlitz vor, an teffen Stelle fehr bald von Wöllner in der 
Ab ſicht trat, um die kirchliche Reaction gegen den modernen Geiſt 
na mentlich in den Volksſchulen mit eiferner Energie zur Durdy 
füh rung zu bringen. Schon vorher hatte Die von dem Oberamts— 
KRegierungspräfidenten von Seidliß ausgegangene Stiftung eines 
Lan dſchullehrerſeminars zu Breslau dem König Veraulaßung ge: 
geben, die Grundfäge, welche er in ter Verwaltung des Schul⸗ 
wefensd befolgt haben wollte, hervorzuheben. In der Cabinets⸗ 
ord re vom 26. Juli 1787, durch weldye der König dieſe Stiftung 
mit dem ihm vorgelegten Organijationsplan *) der Anftalt geneh: 
miggte, erklärte nemlich derſelbe: „Ich bin mit euch,“ fchrieb der 
Köırig, „vollfommen der Meinung, daß die Grundjäge des Chri⸗ 
fferutums vornehmlich jungen Gemütern mit Sorgfalt eingeprägt 
werden müßen, damit fie bei reiferen Jahren einen feften Grund 
ihres Glaubens baben, und nicht durch Die jebt leider fo ſehr 
üBerban genommenen fog. Aufklärer irre geführt, und in ihrer 
eligion wanfend gemacht werben. Ich haße zwar allen Gewißens- 
— —— | 
“) Vgl „Alten, Urkunden und Nachrichten zur neueften Kirchengefchichte" B. J 
S. 87 gu.40 ff 


Deppe Bollsjpulwefen, 8. 4 


— 90 — 
zwang und laße einen jeden bei feiner Ueberzengung; das abe 
werde ich nie leiten, daß man in meinem Lande die Religion Yein 
untergrabe, dem Volfe tie Bibel verächtlich mache und das Panier 
des Unglaubens, des Deismus und Naturaliemus öffentlich af 
pflanze. Diefe meine fefte Gefinnung fönnt ihr zur Richtihnur 
bei euern Schulanftalten nehmen.“ 
Die widhtigfte Anordnung, welche unter Wöllnerd mahge 
bendem Einfluß getroffen wurde, war außer der Einführung eine 
neuen „lutheriſchen Landeskatechismus“ für ſämmtliche lutheriſchen 
Schulen der Monarchie (deſſen ausſchließlicher Gebrauch in einen 
Reſcript des geiſtlichen Departements an die Conſiſtorien vom 
3. April 1794 eingeſchaͤrft wurde,) — die Aufftellung einer neum 
Volksſchulordnung, weldhe unter dem Titel: 
„Anweifung für die Schullehrer in den Tand- und nie 
deren Stadtfchulen zu zwedmäßiger Beſorgung des Un 
terriht8 der ihnen anvertrauten Jugend. Berlin dem 
16. Ecptbr. 1794” 

im Druck veröffentlicht und allen Volksſchullehrern zugefchiekt wurde 

Diefe „Anweiſung“ ift darum von befonderer Bedeutung, 
weil fie ſich ſelbſt als Ausführung der im Religionsedikt von 1789 
präconifirten Grundſätze im Gebiete des Volksſchulweſens verfün 
Digt und daher Die firdylich-reactionäre Tendenz ganz beftinmt er 
fennen läft. Bugleidy enthält dieſelbe in methodologiſcher Hinidt 
allerlei Eigentümliches. Der vollſtändige Wortlaut der „Anmer 
fung“ (durch weldye übrigens das Generallandfcdyulreglement nidt 
aufachoben, fontern vielmehr näher erläutert und vervolitäudigl 
werben follte,) ift folgender: 

„Sinleitung. Seder chriftlich gefinnte Unterthan wir 
aus dem im Jahr 1783 den 9. Juli erfchienenen Religiong-Grik 
und aus ten nachmaligen DVeranftaltungen mit freudigem Dart 
erfaunt haben, daß «8 Seiner Königlichen Majeftät, unfres ales 
gnätigften Heren, ernftlicher und unabänderlicyer Wille ift, jo viel 
Monarchen dazu thun Fönnen, in feinen Lande wahre Grfenntnis 
Gottes in Ehrifto und Achte Oottfeligfeit auszubreiten. 

Beſonders müßen alle dhriftlichen Eltern ihren Landeshern 
jegnen, wenn fie fehen, wie ſehr es ihm anliegt, daß ihre Rinde 





— 61 — 


von der zarteften Tugend an ſowol zu den für ihren Stand and 
deruf nötigen Kenntniffen angeführt, als auch vorzüglich mit der 
eiligen Schrift und dem in derjelben enthaltenen einzigen Weg 
ı ihrem wahren Heil hinlänglidy befannt gemacht, und alfo nicht 
ır zu nüßlicyen Gliedern der menſchlichen Geſellſchaft, ſondern 
ich zu Mitgenoffen der durd Chriftum erworbenen ewigen Seligr 
it erzogen werden. 

Eben dieje wahrhaft landesvaͤterliche Gefinnung ift ed, welche 
rn Monarchen bewogen hat, die bier folgende nähere Anwei- 
ing für die Xehrer in fämmtlidhen evangeliſch lu— 
e riſchen Land» und niedern Stadt:Schulen, zu 
pedmäßiger Beſorgung des Unterrichts abfaßen zu 
Ben; in welcher ihnen diejenigen Mittel an die Hand gegeben 
erben, die fie anwenden müßen, um die ihnen anvertraute Jugend 
wol fiherer und in kürzerer Zeit zu den nötigften Kenutnifjen 
ı Bringen, ald auch ihre Schule immer in Zucht und guter Ord⸗ 
ung zu halten. 

Vorläufig aber ift Folgendes zu bemerfen: 

1. Es ift feineswegs die Abficht, Daß durch Diefe. nähere 
nweifung das im Jahr 1763 den 12. Auguft erfchienene Generals 
and: Schul- Reglement als nidyt mehr gültig aufgehoben werden 
’Ue. Vielmehr werden fämmtlihe Scullehrer auf letzteres, in 
bſicht alles deſſen, was bier nicht entweder im Ginzelnen abge- 
ndert ober doch näher beftimmt worden, hiermit aufs neue au: 
rücklich angewieſen, und ihnen vorzüglich die $. $. 12. 13. 16. 
7. 22. 23. 24. zur fleißigen Beherzigung empfohlen. 

2. Ta vorauszujehen ift, daß einige der gegebenen Vor⸗ 
riften an manchen Orten entweder gar nicht oder doch nicht 
ileich ausgeführt werben können; fo wird ein für allemal bier 
lärt, daß in diefem Fall nach der Abficht des Monarchen nur 
3 verlangt werde, was und wie weit ed möglid zu machen 

So fanı natürlicher Weife in einer allzu Fleinen und engen 
uUbe das, was von der notwendigen Abjonderung der Knaben 
> Mädchen, der größeren und fleineren, leſenden und buchſta— 
en den Finder vorgejchrieben wird, nicht jo ganz befolgt werden, 


ün einer geräumigeren Schulftube. Berner kann in mancher 
4" 





Schule, aus mehreren Gründen, dad Schreiben und Rechnen niät 
in jedem halben Jahr nach der bier gegebenen Vorjchrift getrieben 
werden (und dergleichen mehr). 

Dean führt dieſes bier ein für allemal an, und wird es der 
Klugheit und Treue der Inſpectoren, Prediger und ES chulaufieher 
überlaßen, Die Intention Seiner Königl. Majeſtät Jo auszuführen, 
daß bei näherer Unterſuchung ſich zeige, es fei alles geſchehen, wal 
nach den Umſtäuden des Orts und der Schule geſchehen kounte. 

3. Die Erfahrung bat hinlänglicdy gezeigt, Daß es unter den 

Schulhaltern, befonders auf dem Lande, viele gibt, Denen es nicht 
an gatım Willen und an reblicher Oefinnung, wol aber an Keunt: 
nis einer zweckmäßigen Lehrmethode und verjchtedener Eleiner Vor— 
teile fehlt, um Aufmerffamkeit und Ordnung in ihrer Schule zu 
erhalten. Tiefen gutgefinnten, aber nicht gehörig unterrichteten 
Schullehrern hauptſaͤchlich zu Liebe find die hier gegebenen Bor 
ſchriften zum Teil bis auf das Einzelne und Heinfte Detail be 
ſtimmt worden. 

8. 1. Wahrer Religionsunterridht, im weldem die 
Kinder zur Erkenntnis deffen, was zu ihrer Celigfeit und zur 
chriſtlichen Uebung ihrer Pflichten in den Verhältuiffen dieſes Le 
bens gehört, hinlänglich angeleitet und zur Benußung diefer Gr 
Eenntnis in ihren Geſinnungen und Handlungen gebildet werden, 
ift Die eigentliche Hauptjadye des Unterrichts in niedern Schulen 
auf Tem Lante und in den Städten. Der Prediger muß die 
Kinder aus der Edyule in feinen näheren Unterricht nehmen. Sie 
müßen Daher aus erfterer folgende Arten der Tüchtigfeit mitbringen: 

a) Sertigfeit im rihtig und deutlich Leſen. Hieran 
fehlt c8 bieher, allgemein genommen, mehr, als man denfen jolte. 

b) Hinlänglidhe Ucbung in tem Meinen Katechismus 
Lutheri, den fie fertig answendig gelernt haben müßen. 

ce) Bekanntschaft mit den Hauptfäßen der Glaubens⸗ mb 
Lebenslehre, fo wie fie in dem allgemeinen Katechismus) 
dergefragen und aus der heiligen Schrift erwicjen find. 


*) Peiläufig wird hier angemerkt, daß in allen Schulen, befonders aber # 
denen, wo noch nicht ale Kinder den neuen Katechismus haben, darauf gejeher 


— 5 — 


d) Gehorige Bekanntſchaft mit der Bibel, fo, daß fie bie 
Sauptftellen zur Erklärung und zum Beweis der Grundwährheiten 
auswendig anführen können. Auch müßen fie geübt fein, jede ihnen 
aufgegebene Stelle in ten bibliſchen Büchern ſogleich aufzuichlagen. 

. e) Einen Vorrat auswendig gelernter guter Lieder, das 
mit ihnen im ganzen Leben Erweckungen zur Sottfeligkeit, Abs 
ratungen vom Böſen und Ermunterungen zum Guten im Gemüt 
bleiben. 

Außer dieſen fünf Punkten müßen fie ferner: | 

f) Einige Bertigfeit, leferlih und orthographiſch zu 

ſchreiben und . 
g) einige Uebung in den gemeinften zum Hausweſen nötigen 
Rechnungen erlangt haben. 

6 2. Demzufolge müßen in jeder Lands und niedern Stadts 
ſchule die hier genannten Punkte als Hauptſache getrieben werden, 
und durchaus Feinen anderen Nebenarten des Unterrichts nachſtehen. 
Am wenigiten aber wird den Echullehrern geftattet, mit Burüde 
jeßung oder nur nachläßiger Betreibung dieſer Hauptitüde Gegen⸗ 
fände der Naturgeichichte, Geographie u. f. w. mit den Stindern 
vorzunehmen. | 

Dagegen wird höchſten Orts für ein Schulbuch gejorgt wers 
ben‘, weldyes alles Dasjenige enthält, was aus den vorgenannten 
Punften da, wo die übrigen Umftände der Schule es zulaßen, mit 

ben Größeren und Geübteren vorgenommen werben fann. 
8.3. Wie nun die $. 1 angeführten Punkte den Lehrern 
in allen niedern Ecyulen auf dem Lande und in den Städten als 
ber eigentliche Gegenftand ihres Unterrichts angezeigt worden, jo 
es aud) der Wille Er. Majeftät, daß in allen dieſen Schulen, 
ſo vier als moͤglich, eine gleichförnige Lehrart beobachtet werde, 
Bu tiefem Behuf werden den Schullchrern in den folgenden $. $. 
Hinlängiiche Vorſchriften gegeben, was fie L in Abfiht der alls 
gemeinen Befhäftigung mit den Schulkindern, im Anfang 
und Schluß der Lehrftunden ($. A), IL in Abſicht des Unter⸗ 
werden muß, daß „enigftens jedes neuanfommende Kind, das nicht zu den ganz 
armen gehört, denſelben mit bringe. 


; 


— 54 — 


richts ſelbſt (F. 5) und OL in Abſicht der Zucht und Or; 
nung zu thun haben. 

5.4 Was L die allgemeine Befhäftigung beit, 
jo find: 

1. in Anfehung der Vorbereitung zur Lehrftunde 
folgende Punkte genau zu beobachten: 

a) Der Schullehrer (der fih zur gehörigen Zeit in br 
Schulſtube einfinden muß) ſucht die ſich bei ihm verfammelnde 
Jugend fogleih in Ordnung zu bringen und fieht darauf, def 
jedes Kind ſich an feinen Ort ruhig hinfege*); daß eine allge 
meine Stille herrfhe und daß ein jedes Kind feine Schulbüde 
bei fich habe. | 

b) Er ficht danach, ob die Kinder vollzälig find und merlt 
die Fehlenden an, um fi) nach dem Grund ihres Außenbleibend 
erkundigen, und wenn dieſer unftatthaft ift, bei feiner Behörde 
Anzeige machen zu Eönnen. 

c) Der Lehrer muß feinen Schulunterridyt nicht cher am 
fangen, als bis er Die genauefte Stille und Ordnung unter jeinen 
Kindern bemerft bat und beim Ucherfchauen mit einem ernfthaften 
geſetzten Blick nichts mehr findet, was den Unterricht aufhalten 
fann. 

2. Der Anfang der Lehrftunden geſchieht mit Geſang 
und Öchet und eben fo der Schluß. 

In Abficht Des Geſanges find folgende Negeln zu beobadten: 

a) Das für jeden Monat in dem allgemeinen Landes-Kate 
chismus angegebene Lied muß, je nadydeni es lang oder fur iſ, 
in mehrere Teile (auch nach dem JInhalt der Verje) geteilt wer 
den, damit e8 in den Vor⸗ und Nachmittagsftunden beim Anfanze 
und Schluß der Lection in ein oder zwei Tagen gefungen werden 
könne, und alſo die Kinder ed auf Diefe Art fertig auswendig 
lernen. Diefer Zwed wird um fo leichter erreicht werdep, wenn 
ber Schulhalter dann und wann das gelernte Lied auffagen läſt 


— 


— 


*) Und zwar muß da, wo die Knaben und Mädchen zuſammen unterrichtet 
werben, wenn es nur irgend möglich ift, die Einrichtung gemacht werden, daß Bit 
Anaben und Mädchen abgefondert fipen. 


— 55 — 


und bald dieſen bald jenen Vers, in und außer der Ordnung, den 
Kindern abfrägt. 

b) Der Echullehrer ſelbſt oder einer von den Alteften Kna⸗ 
bern ſpricht jede Zeile, Die gefungen werden fol, (oder wenn ber 
Verſtand es erfordert, mehrere Zeilen) langfam und vernehmlich vor. 

c) Die Kinder müßen nur leife fingen, und ber Schuläulter, 
beffen Stimme allein vorfchallen muß, darf nie leiten, daß ein 
Kind vorſchreie. Denn bei einem wüſten und lauten Geſchrei 
lerıren die Kinder nie gehörig fingen. Wenn eind oder mehrere 
falfch fingen, fo gibt der Schulhalter ein Zeichen, daß alle eins 
halten follen, und hilft ſodann den Falichfingenden in den ‚rechten 
zon ein. Diejed alles wird um fo leichter gehen, je mehr der 
Sſchullehrer darauf hält, daß langfam und mit gemäßigter 
Stimme gefungen wird, 

Bei dem Gebet muß der Lehrer a) vor allen Dingen 
darauf ſehen, daß er durch fein eignes DVeifpiel die Kinder zur 
wahren Ehrfurdt und Andacht ermede, da er fonft durch das 
Gegenteil an ihrer Zerftreuung, Leichtſinn und Gedanfenlojigfeit 
bei der Gebetsübung Schuld wird. 

b) Das Gebet felbft muß Eurz fein, und hauptſaͤchlich die 
Bitte enthalten: daß der himmlijche Vater um Jeſu Chriſti feines 
Sohnes willen die Kinder guädig anfehen, fie unter ker Leitung 
DES heiligen Geiſtes in ihrer Schularbeit fegnen und zu Menfchen 
Bilden möchte, die in feinem Onadenbund ftehen, Ihm wolgefällig 
und dem Naächſten in dem von Gott ihnen angewiefenen Beruf 

Nüplih werden, damit ihr ganzes Leben eine Vorbereitung zur 
ſeligen Ewigfeit fei. 

c) Im Sclußgebet dankt er im Namen der Kinder für Die 

Gnade des chriftlichen Unterrichts, erbittet für alle Verſündigungen 
durch Leichtfinn, Ungehorfam u. |. w. die väterlihe Vergebung 
durch Chriſtum und empfiehlt die Kinder der Aufſicht des Geiſtes 
Gottes auch außer der Schule, damit fie die Freude ihrer Eltern 
werden und an Gnade bei Gott und den Menfchen zunehmen 
mögen. . 

3. Bei dom Ausmwendiglernen der monatlich aufgege- 
benen Palmen und Hauptfprüche zum Beweiſe der im Katechismus 


— 56 — 


vorgetragenen Lehren (wozu auch am Sonnabend das Leien der 
evangeliichen und epiftoliihen Texte fommen kann) iſt folgendet 
zu beobachten : | 

8) Der Schulhalter ſpricht entweder felbft von Vers yı 
Verd (oder nad den Hauptabjchnitten des Verſes) den Plain 
oder Spruch vor, oder er läft dieſes von einem der fertigen 


Knaben thun, und zwar bald von diefem, bald von jenem; dd |: 


auf diefe Art vorgefprodene müßen fämmtliche Kinder fogled, | 
nicht allzulaut, aber tod) verftändlich nachiprechen; wobei bar 
zu ſehen ift, Daß feines ftillfchweigt, oder Wörter vwerjchludt. 

b) Der Echullehrer muß allen Fleiß daran wenden, Mi 
ſowol Bei dem Vorſprechen, ald bei dem Nachiprechen ſämmtlihe 
Kinder Ton nnd Nahdrud auf die Worte gelegt werben, al 
welche ed ankommt, damit der äußerft widrige, fingende und nr 
förmige, mit weldem die Kinder gewöhnlich eine bibliſche Ste 
herſagen, fi aus den Echulen verliere. *) 

c. Pſalmen, längere Eprüche, evangeliſche und epiftolik 
Texte werden cben fo, mie die Lieder, in mehrere Abjchnitte vr: 
teilt, damit es den Kindern leichter werde, fie auswendig 7 
lernen. | 

d) Wenn der Schullehrer glaubt, daß die Kinder ben af 
gegebenen Pfalm u. ſ. w. wißen £önnen, fo läft er ihn, wie mr 
ber bei den Liedern angemerkt worden, von den Kindern eine 
berfagen. Desgleichen läſt er diejenigen, welche leſen könne, 
ben Pialm oder die Stelle in der Bibel laut vorlefen ; wobei ii 
übrigen zuhörenden Kinder aufmerken, ob ber Vorleſer übel 
den Ton recht gejept hat, auch wol, wenn hierin gefehlt worte, 
dieſes jogleich ſelbſt mit deutlicher Stimme, jedoch ohne Belht 
verbeßern müßen. 

4. In den allgemeinen Grmahnungen: im Anfang eM 


*) Prediger und Infpectores müßen, foviel fie immer können, ihre Ede 
ehrer dazu anführen, daß fie eine völlige Fertigkeit erlangen, bibfifde Erl® 


nach ihrem Inhalt und Einn herzufagen. Eben fo müßen fie bei ihrem 6 J 


befuch darauf fehen, daß das fin. und verftandlofe Herfagen und der den Kirk! 
am Ende felbft efelhafte Ton gänzlich abgeitellt werde, 





— 57 — 


der Lehrſtunden ftellt ber Schullehrer den Kindern herz» 
liebreih, aber kurz vor: „welche Ehrfurdt, Liebe und 
m fie dem Vater im Himmel jchuldig find, der feinen 
ir fie Menfch werden ließ und in den Tod dahin gab; 
jei allen ihren Unarten und Verfündigungen liebt, ernährt 
det; der fie in feinem Wort unterrichten und zu Mitges 
ver unbegreiflichen Herrlichkeit des Fünftigen Lebens er- 
iſt.“ 
e fucht den Kindern einzuprägen: „wie unendlich werth 
efus, ihr Heiland, fein müße, der ihre Sünden und deren 
auf fi genemmen, und ihnen mehr erworben habe, als 
ı oder verftehen können, da fie alle zeitliche und ewige 
gfeit nur deswegen erwarten koͤnnen, weil er am Kreuz 
jeftorben; daß ihnen alfo Feine Pflicht Heiliger fein müße, 
daß fie diefen ihren Heiland aufs herzlichfte lieb haben, 
ilich darnach trachten, ihre Liebe durch willigen Gehorfam 
ine Gebote zu beweiſen.“ 
e ftellt ihnen dringend vor, „daß fie den Geiſt Gotied be> 
md ihm wiberftreben, wenn fie ohne an Gott zu denken, 
ben, wenn fie das Gebet vernadjläßigen,, ihre Eltern 
ngehorfam, Müßiggang, Lügen, Zanffucht und Mutwillen 
n, und daß ed das gröfte Unglüd fei, wenn ®ott feinen 
n ihnen nehmen muß.” 
n treuer Schullehrer, der das Chriftentum fich für feine 
fon zur Hauptſache macht, und das wahre Heil der ihm 
uten Kinder auf feinem Herzen trägt, wird gern und mit 
eue die Gelegenheit benugen, wo er auf dieje Art einen 
n die Seelen der Finder legen Fann. 
agegen ein Schullehrer, dem dieſes ſchwer fiele, eben da⸗ 
veifen würde, Daß er weder für feine eigene Seele forgt, 
erfte und wichtigfte Pflicht ſeines Lehramts kennt. 

5. Was nun I. den eigentlihen Unterricht 
trifft, fo ift zuvörderfi überhaupt folgendes anzumerken: 
Der Schullehrer muß feinen Zeil deſſelben für gering- 
(ten und etwa nur oben hin treiben. Er bat nichts 


— 88 — 


gethan, wenn er nicht in einer jeden Art des Unterrich 
geleiſtet hat, was geleiſtet werden konnte. 

b) Eben fo wenig muß eine Art des Unterrichts dei 
weil etwa mit erwachſenen Kindern eben jeßt eine andere 
nehmen ift, zurüdgejegt oder auch nur vernadyläßiget werdeı 
Lehrer muß fi zu gewöhnen fuchen, feine Aufmerkſamk 
alle gleich zu verteilen, jo verjchieden ihre Schularbeil 
mögen, und ein jedes Kind in Dem, was es thun muß, 
zu beſchaͤftigen. 

8. 6. Der Unterriht in der Buchſtabenkenntn 
im Buchſtabiren erfordert vorzüglidhen Fleiß, Unverdri 
und pünktliche Beoachtung der Vorſchriften, durch weld 
Schleppende und Unzweckmäßige, welches dieſen Teil des 
richts bisher verdarb und ohne Not in bie Laͤnge zog, 
abgeſtellt wrd. Mau kann mit Recht gewiſſermaßen ſagei 
der Schullehrer bei dieſer erſten und gewoͤhnlich verachtet 
ſchäftigung entſcheidende Proben ſeiner Tüchtigkeit und 
Fleißes ablegt, wenn er bie Kinder in ein paar Monatı 
es in der That in manchen Schulen geleiftet worden), im 
flabiren zu einer hinlänglichen Fertigkeit bringt, um herna 
viele Mühe Iefen zu lernen. 

Höchſt unzweckmäßig und ſchädlich hingegen ift es 
der Schullehrer kleine Kinder unbeſchäftigt daſitzen läſt, ur 
dann und wann eines nach dem andern aufruft, um (mw 
e8 nennt) aufzujfagen: indem Died nur felten herum 
und alfo die Kinder in langer Zeit müßig bleiben unt 
lernen. Anftatt dieſes in fo vielen Schulen üblichen nad 
Ganges, werben hiermit folgende Vorfchriften empfohlen: 

1. Sin jeder zu dieſem Unterricht beftimmten Sc 
muß, wo möglid), eine große fchwarze Tafel an ber 
hängen, und zwar fo, daß fie von allen Kindern, we 
Buchſtaben kennen lernen follen, völlig gejehen wird, u 
der Schullehrer nicht in die Höhe fteigen darf, um etr 
Diefelbe zu fchreiben. *) 


*) Sehr gut ifts, wenn auf der Zafel durch mehrere Falzen ler 


— 59 — 


2. Auf dieſe Tafel ſchreibt nun der Lehrer (oder wenn ſie, 
unten angezeigt iſt, zum Einſchieben der Tafelchen eingerichtet 
Ihiebt er) einen Buchſtaben, wi er gedrudt ausfieht, nebſt 
Zal die ihn im Alphabet bezeichnet und den ihM gleichgeltene 
gefchriebenen Buchftaben. 

Alsdann verfammelt er die Kinder, weldhe ben Buchſtaben 
en ſollen, läft fie in ihren ABCbüchern denjenigen Buchftaben 
uhen, ber eben fo ausfieht, wie ber angelchriebene. Gr ers 
ıtert diejenigen, die ihn bald finden, zeigt den andern, bie 
faljch angeben, ihren Irrtum, und verfucht ob einige unter 
m ben Unterjchied der Figur des Falſchen von dem Wahren 
eben Eönnen ; läft dieſe Zeichen von mehreren, fonderlid aber 
dem irrenden Finde, wiederholen, bis alle denſelben Buchs 
en haben. Run nennt cr ihn laut, laͤfſt biefen Namen bald 
allen zuſammen, bald von einem jeden beſonders fo lange 
derholen, bis Die Kinder ihn hinlänglich kennen. Hierauf laͤſt 
die Bücher zumachen, verdedt mit der Hand den Buchftaben 
ber Tafel, frägt nad) dem Namen besfelben , läft jodann die 
der alle wegjehen, jchreibt oder ſchiebt einen andern hin, 
it den vorigen und fragt, obs derjelbe fei u. |. w. Auf eben 
e Art macht er den Kindern die Zal bekannt; und hiernächft 
t er ihnen in einem Schreibebuche den auf der Tafel neben 
Zal flehenden Echreib-Buchftaben, bis jedes einzelne Kind 
) diefen gehörig Fennen gelernt hat. Bei diefer Methode wird 
Lehrer zuverläßig in fehr kurzer Zeit auch die kleinſten Kins 
‚ durdy Das gemeinfchaftliche Anfehen, Benennen und Erraten 
den Buchſtaben und Ziffern hinlänglich befannt machen. 

3. Sobald das gejchehen , fängt er an, irgend einen Budj- 
en, der mit mehrern einige Aehnlichkeit bat (3. E. a, c, &, 
, ferner n, m u. ſ. w.) langjam zu jehreiben, und lAft, wenn 





in welde kleine, ebenfalls ſchwarze Quadrattäfelchen eingeſchoben werden 
n. Auf jedes diefer Täfelhen muß ein Buchſtabe des gedrudten Alphabet, 
demfelben eine Zal und neben diefer der obenftehende Buchſtabe, ſowie er 
Mt ausfiehet, alles diefes hinlänglich groß und leferlich mit weißer Farbe 
t fein, | 


— 60 — 
er ben erften Zug gemacht hat, die Kinter erraten, welder Bud 
ftabe das wol werden würde? wobei er Gelegenheit hat, die Uns 
terfcheidungsfennzeichen eines®jeben zu wiederholen, um vie Kinder 
dahin zu bringen, daß fie beim erften Anblid den Buchftaben je 
gleich kennen. 

4. Endlich laͤſt er diejenigen Kinder, weldye alles am rriten 
und beften gefaft haben, vortreten, gibt ihnen Kreide, und führt 
ihnen die Hand an der Tafel, um einen Buchftaben, welchen fie 
wollen , hernach einen andern, den er ihnen aufgibt, und jo mit 
ker Zeit alle zu fchreiben; wobei er auch falſch fchreiben und die 
andern raten und verbeßern laßen kaun. 

5. Sobald die Kinder die Buchitaben fertig kennen, fe 
der Lehrer Vocal und Confonanten zu Silben zufammen (wozu 
in ben ABCbüchern Anleitung genug ift), läſt die Kinder wiede 
die Buchftaben raten und neunen, Die angefchriebenen Sitben in 
ihren ABCbüchern aufſuchen, und hernad) zufammen ausjpreden. 
Diefe Uebung wird fo lange fortgefegt, bis jedes Kind alle ihm 
vorgelegten Eilben ſogleich kennt und ausſprechen kann. Uud 
auch dann müßen dieſe Uebungen, wärs auch nur jedesmal einige 
Minuten, erſt täglich, und hernach bei zunehmender Fertigkeit der 
Lernenden, wöchentlich einige Mal wiederholt werden. 

6. Alddann ift e8 Zeit, die Kinder zuerft in ihrem ABGbuh 
und hernach in der Bibel, im Katechismus, Geſangbuch u. |. w. 
im Buchſtabiren zu üben. Diefes gefchiehet auf folgende At: 
a) Ale Kinder ſchlagen eine und dieſelbe Stelle in ihrem 

Buche auf. 

b) Der Lehrer teilt die buchftabirenden Kinder in drei 
Abteilungen. Die eine muß die Buchftaben, welche eine Silbe 
ausmachen, nennen. Die zweite muß anzeigen, ob ale mw 
jammengehörende Buchftaben genannt find, oder ob einer fält, 
oder zuviel ift? und alfo die Eilbe beftimmen. Die dritte 
muß die Silbe ausſprechen. 

c) Diefe Befchäftigung muß wechfeln, fo daß jede Abteilung 
der Kinder zum Anzeigen der Buchftaben, Beftimmen dr 
Siben und Ausſprechen fommt. Ein andermal Fann ein Kind 
aufgerufen werben, welches die Buchftaben nennt; ein anberd, 


ni 


3 


— 61 — 


welches Die Silben beſtimmt; ein drittes, weldes fie auß- 
ipridt. 

Durch öfteres und mannigfaltiges Abwechſeln bei dieſer 
debung erhält der Lehrer den großen Vorteil, daß ein jedes Sind 
'eftändig aufmerkt, indem e8 nie weiß, ob es wieber aufgerufen 
verde. 

Der Lehrer muß aber genau darauf halten, daß keins von 
en Kindern gar nicht ins Buch, oder auf eine fremde Silbe ſehe. 

7. Eine hoͤchſt nötige und oft zu wiederholende Uebung iſt 
as ſogenannte Buchſtabiren aus dem Kopf; da der Schuls 
brer eine Eilbe, in der Folge mehrere und endlidy ganze, auch 
ugere und jchwere Wörter ausſpricht, und beruach eine Abtei: 
ug der Kinder Die zu diefer Silbe oder dieſem Wort gehören- 
vn Buchſtaben erraten, die zweite die Silbe beſtimmen, und 
SDaun alle zufammen fie ausjprechen IAft. 

Zu Tiefen Mebungen können in der Folge vorzüglich ſchwere 
amen, etwa aus dem 12. und folgenden Kapiteln des Buchs 
Ofua und aus Matth. I. und Luc. 3 genommen werben, wodurch 
u Kindern das nachmalige Leſen in der Bibel um fo mehr ers 
ichtert wird. 

Der Lehrer kann auch die Buchſtaben, welche ihm die Kin— 
T zu folden Silben und Wörtern angeben, fo wie fie gefchries 
N werden, an die Tafel malen, bamit ſich Diefe Figuren den 
dern um jo mehr einprägen, welches ihnen in der Folge, wenn 

ſelbſt fchreiben lernen, fehr zu ftatten kommen wird, 
, 8. Zuletzt iſt noch anzumerfen, daß Die größeren Schulfinder 
ihrend der Zeit, da der Schulhalter fi mit den Kleinen auf 
le Art beihäftigt, ihre Schreibübungen vornehmen müßen, 
U fie in diefer Art der Arbeit weder von den Buchſtabirenden 
T&rt werden, ned auch ihnen Etörung verurfachen koͤnnen. 

$. 7. Weil die Kinder gewöhnlih im Frühjahr und Herbft 
U erjtenmal zur Schule geſchickt werden, fo ift mehrenteils der 
Fang im Buchſtabiren und Lefen für jeden halbjährigen Zuwachs 
T Ecdyule gleih, und können Tiefe neuangefommenen Kinder 

zwei Monaten (vieleicht noch früher, wenn fie ordentlich 


die Schule beſuchen und der Lehrer wahren Fleiß anmwendet,) | 
gleich und zufammen zum Leſen angeführt werden. 

Der Unterridht im Leſen muß nad folgender Bor 
fchrift gegeben werben: 

1. Alle Schulkinder, die größern fowie die kleinen, mühn 
einerlei Stüd, weldyes gelefen werben fol Canfänglid m 
ABCbuch, nad) einigen Wochen in der Bibel, und zwar die aus 
wendig zu lernenden Sprüde, nach weitern Kortjcritn 
im Gefangbud und Katehismus) aufſchlagen. Diefes Aufſchlage 
muß jo lange geübt werden, bis fie nad) einer angegebenen Payin 
alles ohne Zeitverluft finden koͤnnen; wobei ihnen die Kennt 
ber Balen, die fie (nah $. 6) zugleich mit der Buchftabenkent 
nis empfingen, jehr zu flatten fommt. 

2. Nun wird aus dem Buch, weldhes alle Kinder habe, 
(alio zuerft aus dem ABCbuch, als welches alle, auch die gröfem, 
in der Zeit, da Die Lefeübung angefangen wird, mitbringen 
müßen) eine gewählte Etelle, anfänglid, wie $. 5 vorgefchrice, 
von ſaͤmmtlichen in Klaſſen eingeteilten Schulfindern buchſtabirt; wa 
das geſchehen, teilt eine Klafje jedes Wort in feine Silben d | 
(bei einfübigen Wörtern fagen die Kinder nichts weiter, ab: 
ganz; bei mehrfilbigen 3. €. von A—L; von LS u. |. m), 
und alle übrigen ſprechen dad ganze Wort aus. 

3. Iſt das ganze Stüd fo durchbuchſtabirt, fo liefet da J. 
Lehrer laut, langſam und mit gehöriger Tonfegung, und ele 
Kinder ſprechen es ihm leife, doc verftändlich nach (mie bei 
Singen 8. 4). 

4. Hiebei muß der Lehrer darauf fehen, daß ein jedes Kit 
gerade das Wort, welches jeßt ausgejprochen wird, anfieht, m 
zu dem Ende Bald dieſes, bald jenes auf das Wort binzeigt 
laßen. 


| 














5. Alsdann ſchweigt der Lehrer und laͤſt die Kinder jünt J 
lich allein leſen (jedoch immer dasſelbe Stüd); gibt aber # 
jedem Falſchleſen, Verſchlucken der Silben, bei faljcher fon’ J. 
tifcher Abteilung und unrechter Tonfegung fogleich ein Zudt Mi. 
daß eingehalten werden fol: fragt Dabei nad der urſa 
warum er einhalten laßen; verbeßert ſogleich den W 


— 63 — 


gangenen Fehler, wenn diejenigen Kinder, welche ihn gefunden 
haben, ihn nicht ſelbſt gehörig verbeßern koͤnnen, und laͤſt nun 
das Vorhergeleſene noch einmal leſen, bis alles richtig wird. 

6. Eben dasſelbe Stück laͤſt der Lehrer nun von einem 
Kinde der erſten, zweiten oder dritten Abteilung leſen, ruft ſo⸗ 
gleich die andern bald einzeln, bald alle auf, um fort zu fahren; 
dadurch erreicht er auch hier den Zweck, daß ſämmtliche Schul⸗ 
finder zur ununterbrochenen Aufmerkſamkeit gewöhnt werben. 

T. Run nimmt der Schullehrer nad) Belieben einen Keil 
des gelefenen Stücks, fängt an, ihn an die Tafel zu fchreiben 
und laͤſt die kleinen Kinder erft raten, welcher Teil e8 fei; ſodann 
laͤſt er fih von ihnen dictiren, fchreibt falſch, laͤſt Worte aus 
u. ſ. w. und fragt: ob es vecht ift oder nicht? laͤſt auch von den⸗ 
jeniggen Kintern, weldye ſchreiben können, dieſe Uebung wiederholen. 

8. Endlich folgt die Ücbung im Gefhwindlefen. Der 
Lehrer fängt an, das vorbergelefene Stück gefchwinder zu lefen, 
ald gewöhnlich, und bemerkt genau jedes Kind, welches im Buche 
zurüũck bleibt. Nun macht er 1) aus denen, die nicht zurüds 
Bleiben, 2) die nit völlig mit fort kamen und 3) die den 
Bufammenhang ganz verloren, verjchiedene Abteilungen, läft Die 
Kinder einer jeden berjelben fo geſchwind lefen, als fie Fönnen, 
Da Dann dasjenige, welches zurüd blieb, in die nächit untere 

Bteitung fommt u. ſ. w. | 
Eben dieſe Uebung laͤſt er die Kinder unter einander ans 
ſtellen; da Eins, welches fertig lieſet, ſeine Stelle vertreten muß, 
bis ers dadurch ſo weit bringt, daß alle das geleſene Stück ge⸗ 
hwinder, als gewöhnlich ableſen können; welches bei fortgeſetzter 
ebung feinen Nutzen bald zeigen wird. 

9. Eobald alle Kinder wenigftens richtig (wenn auch nicht 
8le th geſchwind) lefen können, wird diefe Art von Uebung 
wõch entlich nur einige Mal vorgenommen. 

Q Dagegen muß das Leſen des Fleinen Katechismus 
WE heri, wie auch das Auswendigherfagen deſſelben 
leig;, fortgejegt und wiederholt werden, damit alle Kinder den⸗ 

I ben fertig lernen. 
10. Zulegt wird der Schullehrer jehr wol thun, wenn ex 


— 64 — 


die Eltern der Kinder zu bewegen ſucht, Daß fie ſich von lehzem 
das monatliche Lied, den Pſalm oder die in der Schule gelejenen 
Hauptiprüde zu Haufe vorlefen laßen. Den größern und fetig 
Lefenden kann er ein Kapitel aus der Bibel, (etwa eine Geſchichte 
enthaltend, 3. E. 1 Mof. 22) ganz oter Stüdweije aufgeben, 
welches fie den Eltern vorlefen und fich ſelbſt bekannt machen 
müßen, damit er e8 hernach in der Schule bei der Katechijation 
zum Grunde legen fönne. 

8. 8. Die Katehifation ift das vorzüglidyfte, was da 
Schullehrer in feinem Religionsunterricht thun kann. So leicht 
manchem dieſe Beſchäſtigung ſcheinen mag, jo viel gehört dazu, 
wenn fie mit wahren Nußen getrieben werden fol. Gin nidt 
genug gefannter und gejchäßter Vorteil, den daher fein Schul 
lehrer aus der Acht laßen muß, ift dieſer: daß er für feine Per 
fon fih aufs allerbefte mit der heil. Schrift befannt 
made. Denn da auch der gelebrtefte und geübtefte Prediger 
ohne gründliche Bekanntſchaft mit der h. Schrift feinen wahren 
Unterrigt im Ghriftentum geben, noch denfelben den Sindern 
durchs Katechiſiren hinlänglich nußbar und faßlich machen 
kann; ſo läſt ſich dieſes von einem unſtudirten und im Denken 
nicht genugſam geübten Manu noch weit weniger erwarten, wenn 
ihm die Wahrheit nicht aus dem göͤttlichen Wort fo bekannt ge 
worden ift, daß fie ihm in der Art, wie fie in der Bibel vorge 
tragen wird, immer vorfchwebt. Dagegen lehrt die Grfahrung, 
daß auch Ungelehrte, wenn ihnen das göttlihe Wort im 
Munde und Herzen nahe ift (Rom. 10. V. 8) und fe 
Demfelben in treuem Gehorfam folgen, mit vielem Segen andere 
im Chriftentum unterrichten und erbauen fönnen. Es wird daher 
allen Schullehrern das fleißige und andächtige Bibelleſen als hei: 
lige Pflihyt and Herz gelegt, und werben zugleich Synfpectored 
und Prediger ermahnt, ihre Schullehrer bei jeder fchicklichen Ge 
legenheit dringend dazu anzuhalten: indem ganz unleugbar unter 
mebrern Schullehrern von jonft gleichen Gaben und Fähigkeiten 
derjenige zum Religionsunterricht der tüchtigfte ift, ber dieſe Pflicht 
vorzüglich beobachtet hat. 

$. 9. Nähft dem, was bier vom Bibelleſen überhaupt 


| 


— 65 — 


ſagt worden, muß ſich der Schullehrer auf den Religionsunter⸗ 
ht des folgenden Tages durch Nachſchlagen der im Katechismus 
geführten Schriftfſtellen hinlänglich vorbereiten. Kann er eine 
zliſche Geſchichte finden, die mit dem, was im Katechismus 
gt, in Verbindung ſteht (z. E. bei der Lehre von der All⸗ 
acht Gottes, den Durchgang der Kinder Israels durchs 
He Meer; bei der Lehre von der Gottheit Chriſti, feine 
ttlichen Wunder, die Sättigung der 5000 Mann, die Aufer- 
dung Lazari ꝛc. x., bei dem vierten Gebot die Gefchichte der 
babiten u. ſ. w.), jo kann er dergleichen Stellen den Kindern, 
e 6. 7 angezeigt worden, zum Durchlefen in Gegenwart ber 
tern aufgeben. Diefe Stellen läjt er hernach in der Schule 
en, wobei er jeden Umftand, der erzält wird, den Kindern ab» 
gt; die ihm dann ſehr leicht antworten werben, wenn er feine 
:agen fo einridhtet, als wiße er niht, was vorge— 
;ngen, oder als vermute er dad, was ein jeder 
rmuten müfte, dem die Grzälung der Bibel nicht ‚bekannt 
re; beögleihen, wenn er in feinen Fragen das Gegen 
il von dem, was erzält wird, vortägt x. x. Bei 
itger Hebung und bei dem redlichen Einn nützlich zu werben. 
rd ihn Die Willigfeit der Kinder, ihn über feine Fragen zu be- 
Iren, bald zu einer Fertigkeit bringen, Die er vielleicht nie zu 
langen glaubte. Auch wird er Gelegenheit genug haben, bei 
lchen Unterredungen fi auf andre ähnliche Schriftftellen zu be 
ben, einige Verſe ans guten Liedern anzuführen, den Kindern 
Jagen, wie er zu Gott gebetet haben würde, wenn er die er- 
te Gefchichte erlebt hätte (3. E. wenn er unter den 5000 
ännern gewejen wäre, die im Außerften Hunger doch immer bei 
ſu ausharrten, um von ihm Worte bed ewigen Lebens zu 
Ten u. f. w.). Diefed wird zugleidy unvermerft eine Anw eis 
ng zum Beten fein, die gewiß nicht ohne Nugen bleibt. 

Endlih kann der Lehrer bei folchen Gelegenheiten manche 
te Ermahnung anbringen, welche die Kinder um fo weniger 
ild vergeßen werben, weil fie mit der ihnen lebhaften darge— 
ellten Geſchichte verbunden war. 

1) Da die heil. Echrift, fonderlih im Alten Xeflament, 
Sepp, Bollsfgußuchen, 8 \ ð 


— 6 — 


und in den Goangeliften, mweldye Dad Leben und die Thaten Jeſu 
erzälen,, jo viele merfwürtige Geſchichten enthält, fo wird nicht 
leicht eine Neligionswahrheit übrig bleiben, zu deren Gxlernung 
die Kinder nicht Durd) irgend eine biblijche Geſchichte ſehr nüplig 
vorbereitet werden koͤnnten. 

2) Von dieſer Art der Betrachtung muß Dann ber Lehre 
zu den im Katechismus enthaltenen Lehren fchreiten; wobei et 
folgente8 zu bimerfen bat: 

1. Gr ſelbſt liefet Die Frage und die Kinder leſen fogleid 
Die zu derſelben gehörige Antwort. 

2. Nun füngt er an die Antwort in ihre mwejentlihe Be 
ftandteile zu zerlegen, 3. E. „die hriftliche Lehre ift ein: 
Unterweifung zur Seligfeit durch den Olauben a 
Jeſum Chriftum.” Hier liegen folgende Säße: 

a) Die chriſtliche Lehre gebt dahin, daß der Maik 
felig *) werten fell. 

b) Der Meufh weiß von felbft nicht, wie er ſeli S 
werden cl. 

ce) Er muß alfo Dazu angemwiejen werden; e mu" 
ihm gejagt werden, was zu feiner Eeligfeit nötig it, nd — 
zu Diefem Zweck thun nnd was er meiden fol; wie er fi dt 
Hülfe, Lie ibm dazu angeboten wird, zu Nuße machen fol. 

d) Die Seligfeit fann nur durh Zefum Chr ° 
tum erlaugt werden. 

ec) An den foll der Menſch glauben. Er fol die Selig⸗ 
feit nicht bei fi) oder andern fuchen und erwarten, ſondern Jeſus 
Chriſtus ſoll ihm die einzige Urſache der ewigen Seligkeit je 
(Chr. 5). 





*) Hier wird hauptſächlich ber wahre ächte biblifhe Begriff des MWorts Er' 
ligkeit und der Unterfhied zwifhen felig fein und glüdlic fein det 
lid gemacht, und gezeigt: daß Seligkeit lediglich den Zuſtand der Eeele be 
treffe; daß ein Menſch, der von der Welt glücklich genannt wird, fehr unfelig 
und umgefchrt ein vor der Welt fehr unglüdlicher ein feliger Menſch fen 
tönne. Dieſes wırd aus der biblifhen Erzälung vom reihen Hanne w 
armen Lazarus (Luc. 16) erläutert, 





— 61 — 


e mehr der Lehrer auf dieſe Art felbft über jeden Saß 
echismus nachdenft, je beßer wird ihm diefe von fo vielen 
ı jchwer ausgegebene Arbeit von flatten geben, und je 
ird der Zweck feines Religiondunterrichts bei den Kindern 
werben, | 

Um die auf ſolche Art Stüdweije vorgelegte Antwort 
dern deſto mehr einzuprägen, ift ed gut, wenn er zuweilen 
genteil fragt; 3. &.: Geht Die chriftliche Xehre dahin, Daß 
nich reich werben fol? oder geehrt? oder daß er ohne 
ten, gute Tage auf der Welt haben könne? Yerner: 
ht der reihe Mann (Luc. 16) ein recht feliger, und 

ein recht glüdlicher Menſch? u. |. w. 
ie Autworten der Kinder werden ihm fogleich zeigen, ob 
Sache verftanden haben oder nicht. 

Er muß die im Katechismus angeführten biblifchen Be⸗ 
len immer gleich zu Hülfe nehmen, und was auswenbig 
n aufgegeben war, ſich herfagen laßen, vorzüglich aber 
ber auf diejenigen Worte aufmerffam maden, welche 
b dad, was in der Antwort ftand, bemeifen. 

jet fleißig fortgefeßter Arbeit diefer Art werben bie Kinder 
erft mit der heiligen Schrift jo befannt geworden fein, daß 
eich weiter fortfahren können, wenn der Lehrer eine aͤhn⸗ 
blifche Stelle mit ihren Anfangsworten anführt. Uub wol 
hullehrer, der auf diefe Art einen Schatz von Wahrheiten 
Herz der Kinder gelegt bat, die ihnen noch im. fpäten 
um Troſt und zur Erweckung dienen und ein Segen für 
ıd Ewigkeit fein koͤnnen. 

. Das Wefentlidhfte von dem, was bei jeder Frage 
twor auf dieſe Weiſe abgehandeit worden, muß ſogleich 
rholt werden. Der Lehrer laͤſt die Kinder ihr Buch zus 
‚ und befragt bald Einen, bald Mehrere, bald Ale über 
as vorgetragen war. 

Im folgenden Tage wird dieſe Wiederholung nochmals fe 

vie möglich, erneuert. Wie denn ber Schullehrer überhaupt 

darauf merfen muß, daß er bei jeder neu vorfomuenden 
v 


— 8 — 


Lehre das Vorige, welches ſich auf dieſe bezieht, nicht aus der 
Acht lade. 

6. 10. Der Unterricht im Schreiben wird auch den Fein 
ften Anfängern um fo faßlicher fein, je forgfältiger Der Lehre 
das, was $. 6 beim Buchſtabiren feſtgeſetzt ift, beobachtet hatte. 
Es kömmt hierbei nur noch auf folgende Punkte an, nach welchen 
der Edyullchrer ſich in diefer Beichäftigung richten muß: 

1) Die Kinder, welche ſchreiben lernen, müßen mehr, ald 
bisher in den meiften Schulen geſchehen, beſchäftiget werden. 
Das gewöhnliche einförmige Vorjchreiben der einzelnen Buchftaben, 
welches oft Schon allein ſogenanute Schreibebücher von mehreren 
Bogen erfordert, verleitet fie nur allzuleicht zur Nachläßigkeit und 
zum Müßigfein. Der Lehrer muß gleich mit Buchftaben, Silben 
und Wörtern, auch Ziffern wechſeln und das Verſprechen hinzu 
fügen, daß wenn die vorgefchriebenen Buchſtaben u. f. w. nad 
gemacht worden, ihnen alsdann bald ganze Zeilen vorgefchrieben 
werden. follen. 

2) Es muß forgfältig darauf gefehen werben, daß die Kin- 
der jetesmal auch wirklicdy fchreiben, weil ohne dieſe genaue Auf 
ſicht gewöhnlich allerlei Ungezogenheiten aus Langeweile einreißen. 

3) Wenn einige vorgefchriebene Beilen erträglid lejer 
lid und mit fichtbarem Fleiß nachgemacht find, fo legt de 
Schulhalter den Kindern eine biblijhe Stelle zum Abſchreiben 
vor. Eo lange aber noch unreinlid) und nachläßig gefchrieben 
wird, muß die erfte Vorfchrift immer aufs neue nachgemacht werden, 
bis Die Kinder zur Ordnung gewöhnt find. 

4) Das fogenannte Gorrigiren heiſt gar nichts, wenn 
ber Edyullehrer, wie in den meiften Schulen gefchieht, fich blos 
die Echreibebüdyer geben läft, bie und da einen Buchſtaben aus 
ſtreicht und ändert, und forann den Kindern ihre Bücher zurid- 
gibt, ohne fie über ihre Fehler und deren Verbeßerung binfänglıd 
belehrt zu haben. Tas, was offenbar nachläßig gejchrieben wor: 
ben, muß ohne weiteres Corrigiren durchgeftrichen werden. Das 
- Gorrigiren muß blos eine Belohnung fein für Diejenigen Kins 

ber, welche tie gehörige Sorgfalt auf ihre Arbeit gewandt haben 
Dieſe kaun der Lehrer einzeln vornehmen, fie felbjt erraten laßen, 


—— leur nr 


— 9 — 


welche Buchſtaben und auf welche Art ſie fehlerhaft ſind, und 
nun erſt ändert er dieſe. Die Kinder ſchreiben alsdann die ge 
änderten Buchſtaben aufs neue nad, bis ihnen Die Züge geläufig 
werten. Zuweilen Tann der Schulmeifter diefes Gorrigiren auch 
den geübtern und fertigern Kindern, jedoch unter feiner Aufſicht 
übertragen, nachdem er felbft ten Nadyläßigefn ihren Fehler ges 
zeigt hat; weldye8 für jene Geübtern eine Art von Grmunterung 

und Belohnung if. 

5) Eobald einige Kinder (find es alle, fo gebt es defto. 
leichter) fo weit gefommen find, daß fie das Vorgefchrichene reits 
ih und Leferlih nachmachen, auch aus der Bibel vorgelegte 
Stelen richtig abfchreiben: muß der Lehrer ſolchen Kindern zuerſt 
einzelne Wörter, ſodann nach einiger Uebung mehrere und: end : 
li ganze Sätze dictiren. Hauptſächlich fommt es hiebei darauf 
an, daß er ſich von den Kinder ſelbſt die Buchſtaben ſagen laße, 
welche zu tem Worte gehören; wozu vorzüglich ſolche Wörter zu 
wählen find, die bei ganz oder body beinahe gleichem Klang fich 
nur dur die Buchftaben unterfcheiden, 3. E Pflug, Fluch, 
Flug u. ſ. w., bier muß er fehr genau nachſehen, ob die Kinder 
bei dem Hinfchreiben den von ihnen felbft bemerkten Unterſchied 
beobadıten oder vernadhläßigen. Denn das Echreiben ift eine 
Arbeit, bei welcher man die Kinder vorzüglidh zur 
Oenauigfeit und Drdnung in allen ihren Hands» 
lungen gewöhnen fann. | . 

6) Nach einiger Zeit kann der Lehrer ben Kinbern Heine 
Briefe dictiren, bei weldyen zugleich auf die Snterpunktion 
und auf das Shönidreiben gejehen wird. 

8. 11. Der Unterricht im Rechnen laͤſt fi tur bie 
Beobachtung folgender Vorſchriften weit kürzer und vorteilhafter 
einrichten , als in fehr vielen Schulen bisher geſchehen ift. 

a) Alle Uchung in den fogenannten fünf Speciebus muß fo 
lange an ber Tafel vorgenemmen werden, bis ein jedes Kind 
Fertigkeit genug hat, das ibm Vorgejchriebene auf dem Papier 
richtig auszuarbeiten. 

b) Bei dem fogenannten Numeriren wirb nad folgendem 
Schema verfahren. 


— 70 — 


No. 8. | Ne. 7. ı No. 6. | No. 5. | No. 4. } No. 3. | No. 2. | No. I. 
Behn.- |Million- | Hmmdert- | Zehntan- | Taufend-| Hundert- | Zehnmal| Einmal 


Million- | mal. | taufend- |fendmal.| mal. mal. 
mal mal. 
2 19 9 9 9 9 9 9 


Diefes Echema fchreibt der Lehrer an die Tafel, zeigt den 
Rindern, daß eine jebe Zal, wenn fie in der Reihe No. 1 fteht, 
ihren Werth Einmal hat, daß fie in der folgenden ihren Wert 
zehnfach empfängt u. |. w. 

Tiefes macht er den Kindern zuerft Durch Die in die Reiben 
gefchriebene Zal 9 Deutlich; fehreibt nun unter die 9 Die Yal 8; 
unter dieſe die Bal 7 u. ſ. w., fragt die Kinder, was ci 
Bal 8, 7,6 u. f. w. in der erften und zweiten Etelle bedeute! 
Was in der fünften und dritten u. f. w.? Wenn fie das fertig 
gefaft haben, Iäft er Die ganze Reihe ausſprechen; fodann ve: 
ändert er die Zalen, fehreibt in jede Reihe verfchiedene und läl 
fie wieder ansprechen. Nun gibt er erft Fleinere, Dann immer 
größere Summen auf, z. E. Sehstaufend und Vier; frag: 
in welche Stelle die Sechstauſend gehören? und in melde bie 
Vier? fchreibt dieſe zwei Zalen bin uud füllt die leeren Plaͤße 
mit Nullen, wodurch er zugleich den Kindern den Sab beibringt: 
daß jede eigentlihe Zal in ihre Stelle, und in die leeren Pläpe 
Nullen gefegt werden müften. 

Auf dieſe Art werden die Kinder ed mit weniger Mühe in 
furzer Zeit zu einer binlänglicyen Sertigfeit bringen. 

6) Gleich bei diefem Numeriren fann bie erfte Anleitung 
zum Addiren und Subtrahiren angebracht werden, und 
zwar auf folgende Art: Wenn der Lehrer eine Reihe Yalen an 
bie Tafel gejchrieben, und fid) durch gehörige8 Hecumfragen ver 
fiyert hat, Daß die Kinder jede Zal nach dem Wert, den ihr 
ihre Stelle gibt, genau zu beftimmen wißen, jo verlangt er, dah 
10,100, etlihe Zaufend u. |. w. weniger genommen und bad 
übrigbleibende durch Veränterung der angefchriebenen Zal beftimmt 
werte. Gben fo gibt er 10,100,1000 u. ſ. w. mehr und IM 
gleichfalls darnach Die Zal verändern. 

Wenn dergleichen Uebungen zuerft mit Heinen, dann mit 


— 1 — 


ern Zalen, oft und mit allen mögliden Veränderungen ans 
lt werben, fo haben die Kinder fchon vorläufiyg das Wefents 
der Addition und Subtraction ohne ed zu wißen 
nt: weldye8 ihnen bernady die Regeln diefer Epecierum deſto 
erleichtern wird. Auch werden fie vorzüglich dadurch geübt, 
topf zu rechnen. 

d) Bei dem eigentlichen Vortrag der fogenannten Specierum, 
such der Regelde Tri, verflehet es ſich von felbft, Daß vors 
ch nur Exempel mit benannten Zalen und zwar, fowie fie 
ausweſen ded Landmanns und des gemeinen Bürgerd am meiften 
ımmen, gebt werden müßen u. |. w. Der Lehrer muß durch 
fleine Ggempel in allen Speciebus die Kinder zum Reſch⸗ 
im Kopf’gewöhnen und diefe Hebung muß mit dem Rech⸗ 
auf dem Papier in gleicher Art fortgehen. Sonderlidy kann 
a8 Corrigiren der den Kindern aufgegebenen Redynencgempel 
diefe Art nüglih machen, wenn er dad Exempel an der 
I vornehmen läft, und nun jedem finde auf dem Papier 
,‚ oder es ſelbſt aufjuchen läft, wo es gefehlt bat. 

Bulegt kann der Schulhalter den gehbteren Kindern ein ers 
etes Haushaltungebudy geben, in weldhem er auf der einen 
e die Sinnahme für allerlei Produkte und Babrifate ſpecifi⸗ 
auf der andern Seite Ausgaben hinſetzt und nun die Kinder 
jet, die Summe zu ziehen und Ausgabe und Einnahme zu 
neiren. Dergleichen erdichtete Exempel werden die Kinder 
ach bald in wirkliche verwandeln können und dadurch unvers 
t im Stande fein, die Heinen Hausrechnungen ihrer Eltern 
Ihren. 

6. 12. Die Anordnung aller diefer verfchiedenen Schul⸗ 
den muß der Einſicht der Prediger und Inſpectoren um fo 
' überlaßen werden, da ſich nidt an allen Orten einerlci 
wng einführen läft. Außerdem was ſchon in dem Gencrals 
Ireglement in Abficht diefer Sache vorgeichricben it, muß 
meifte biebei durch Die befondern Umftände einer jeden Schule 
nmt werden. Nur wird cd den Schulhaltern hiedurch foͤrm⸗ 
unterjagt, ohne Vorwißen des Predigerd und Inſpectors 
d etwas willfürlidy einzurichten oder abzuändern, 


8. 13. Was enblih IIL die Schulzucht betrifft: jo was 
ben zunörberft fämmtlihe Schullehrer auf die in dem General 
Sandfchulreglement ihnen gegebenen Vorſchriften vermwiejen. Und 
wird ihnen beſonders hiemit von neuem eingejchärft, daß fi 
fchlechihin ſich weder Heftigfeit und übertriebene Härte, noch auf 
irgend eine Parteilichfeit, aus welcher Abficht ed immer fein mag, 
erlauben dürfen. Außerdem aber find folgende nähere Anweijungen 
um fo zwedinäßiger und nötiger, je mehr die Erfahrung lehtt, 
wie wenig fich viele Echjullehrer in Abficht der Mittel, Zucht und 
Drdnung zu erhalten, und infonderheit in Abficht der Arten und 
Etufen der Beftrafung zu belfen wißen. 

8) Die Hauptkunft befteht darin, daß der Lehrer Berge 
bungen zu verhüten wiße. Es iſt höchſt unrecht, wenn Lehrer 
nur aufs beftrafen denken. Eie werden Schuld an den Un 
orbnungen, wenn fie nicht alles ihrige gethan haben, um biejelben 
zu verbüten. 

Wenn der Lehrer dasjenige treu beobachtet, was in $. 4 
von der Ordnung, in weldye er die Kinder vor dem Anfang des 
Unterricht8 bringen muß, gejagt ift, und wenn er fie überall in 
jeder Lchrftunde gehörig zu beichäftigen weiß, fo Daß ihnen feine 
lange Weile übrig bleiben kann, fo wird gewiß ſchon dadurch 
fehr viele8 vermieden, 3. E. Plautern, Banken, Nedereien, un 
gebührliche Leibesftelungen, Unachtfamkeit u. |. w.. was fonft bei 
noch fo oftmaliger Beftrafung immer wieder fommt. In da 
That ift die Schule, in welcher viel und oft geflraft werben muß, 
ein Beweis von Ungefchidlichkeit des Lehrers. 

b) Vergehungen, die außer der Schule, befonderd unter: 
wegs, wenn die Kinder in Die Schule fommen und wieber nah 
Haufe gehen, vorgefallen find, können, wenn fie dem Schulmeifer 
befannt werden (und eigentlich fol er auf die gefammte Auffüh 
rung der Kinder, fo viel ihm möglich ift, aufmerkfam fein) mi 
Nugen dadurch beftraft werden, daß die ſchuldigen Kinder, ald 
unwert unter den andern zu figen, eine befondere Stelle haben, 
bis fie ihr Vergehen eruftlich bereuen und dieſes durch ein vor 
züglich ftiles und aufmerkjames Betragen in der Lehrftunde be 


— 173 — 


weiſen. Die Schullehrer thun wol, ſich Darüber mit den Eltern 
des fchuldigen Kindes auf eine gute Art zu beiprechen. 

c) Jedes Vergeben in der Schulftunde wird zum erften 
Mal dadurch gerügt, daß der Schulhalter ftillfchweigt, aud 
die Kinder im Lefen u. ſ. w. einhalten läſt und alddann fagt: 
8 fei Eins unter ihnen, welches jene Unordnung begehe. Zum 
jweiten Mal behält er das Kind zurüd und ermahnt es priva- 
im aufs ernftlichfte; zum dritten Mal läft ers um eind ober 
inige herunter rüden; geht e8 weiter, fo läft ers an die Thüre 
teten; bilft das nicht, fo gibt er Eleinern einige Streiche mit 
ver Rute auf die Hand, und den Grdßern, fonderlid bei 
Boöheiten, Beleidigungen anbrer u, |. w. einige Stockſchläge. 
Die fchwerfte Strafe, wenn entweder das Verbrechen in Beſchaͤ⸗ 
Yigung Anderer oder offenbar vorfäßlichen Störungen befteht und 
ene Mittel nicht Helfen wollen, würde fein: daß ein folches Kind 
‚umgern müfte, und alfo zu Mittage nicht nad Haufe gelaßen 
vürde. Wäre alles dieſes vergeblich), jo muß das nicht in Ord⸗ 
wng zu bringende Sind dem Prediger angezeigt werden, welcher 
8, wenn ed aud fonft Fähigkeiten hätte, in Gegenwart feiner 
SItern mit der Ausfchließung von feinem Unterricht bedroht, 
m Sal es fich nicht in einer beftimmten Zeit beßert. 

d) Sowie die fittfamen und fleißigen Kinder den ungezo> 
jenen und nachläßigen überhaupt bei jeder Gelegenheit vorgezogen 
verben müßen, jo muß ber Schulbalter die Erftern auch insbe—⸗ 
ondere dem Prediger bei deſſen Schulbeſuch vorftellen, deſſen 
Srmahnung zum Fortfahren auf dem guten Wege mandyen von 
en Andern zur Nacheiferung anfpornen wird. 

e) Bor allen Dingen aber wird den Echullebrern wol zu 
edenten gegeben, Daß ihr eigned Vetragen auf das Betragen ber 
kinder einen unglaublichen Einfluß hat; Daß fie durch ein geſetztes, 
enſtes und zugleich liebevolles Weſen vielen Ungezogenheiten und 
Zergehungen der Kinder zuvorfommen und alfo viele Beftrafungen 
riparen koͤnnen; da hingegen fie bei einer leichtfinnigen, oder 
iürriſchen Behandlung der Kinder durd alles Grmahnen und 
Strafen nichts ausrichten werden. Mancher treuer und gefchidter 
—chulhalter hat es fo weit gebracht, daß die Beftrafung mit 


— 74 — 


Aute, Stock, Hunger u. ſ. w. gar nicht mehr vorkam, weile 
durch Beobachtung alles deffen, was in diefem Paragraph vorge 
tragen worden, hauptſächlich aber durch fein geſetztes und gottes⸗ 
fürchtiges , Liebe und Würde zeigendes Betragen den Ton ber 
Ehrerbietung, der Ordnung und Sittſamkeit in feiner Schule 
berrichend zu machen wulfte. 

F. 14. Schließlih haben Sr. Majeftät fo wol zu den Ja⸗ 
ipectoren (Eraprieftern, Präpofiten) ald zu den Predigern bad 
guädigfte Vertrauen, daß jie, ihrer Pflicht gemäß, um fo wiliger 
die ihnen untergebenen Schullehrer zur Befolgung der bier ev 
teilten Vorfchriften anhalten und ihnen in allen Fällen, wo fie 
deflen bedürfen, durch Nat und Anleitung zu Hülfe kommen wers 
den, je ſchmerzlicher es ihnen felbft fein muß, in ihren Diözelen 
und Gemeinden eine vernachläßigte, unwißende und gottlofe Jugend 
heranwachſen zu feben. 

Sämmtlihe Schullehrer aber in den Land» und niederm 
Stabtfhulen werden hiedurch ernftlich und dringend ermahnt, nicht 
nur überhaupt den Zwed und die großen Fflichten ihres Amtes 
vor Augen zu haben, fondern auch infonderheit die ihmen in bieler 
näheren Anmeifung vorgelegten Punkte wol zu beherzigen und 
mit willigem Gehorfam zu befolgen. Einem jeden Schullehrer 
wird die Wichtigkeit feines Amtes und feine künftige ſchwere Ter: 
anfwortung gewiß in die Augen leuchten, wenn er bedenkt, daß 
Jeſus Chriſtus bei feiner Ieten Unterretung mit dem von ihm 
begnadigten Petrus die Worte zu ihm fprah: „Haft du mid 
tieb, jo weide meine Lämmer;” wenn er bedeuft, daß er der 
jenige ift, den der Herr vorzüglich Dazu brauchen will, aus dem 
Munde der Unmündigen fih ein Lob und eine 
Macht zu bereiten, daß von feiner Erziehung oft das ganz 
Leben und Verhalten bed Landmanns und gemeinen Bürgers ab 
bängt, Daß er alfo weit mehr Gutes ftiften, und weit met 
Boͤſes abwehren kann, als er fi vorzuftellen im Stande if; 
und endlich, daß der Herr, welcher gejagt bat: Laſſet die 
Kindlein zu mir fommen, ihn fhägt und Ticht und ihn 
ſegnen und belohnen wird, wenn er auß Liebe zu Ihm das feinige 
thut, damit bie ihm anvertrauten Kinder ſowol nfgliche und 


higefittete Witglieder des Staats als infonderbeit Pflanzen 
m Herrn zum Preife und Bäume der Öeredtigkeit 
rden.“ 


Schon Friedrich Wilhelm IL hatte es erfahren müßen, 

} der Lauf der Dinge mächtiger war, als fein noch fo beharr⸗ 
feftgehaltner königlicher Wille, und daß das Zufammenbrecdhen 

bisherigen morſch gowordnen Stüßen der Kultur nicht mehr 

zuhalten fei. Die Stürme der Revolution waren erbrauft und 
Mindeten wie mit den Pofaunen des Gerichts, daß eine neue 
it gefommen fei, in welcher vor Allem die Pflege der Kultur⸗ 
ereffen auf anderen Wegen verfucht werben müße als bisher. 
iedrih Wilhelm II. trat daher nad dem Tode feines 
ter8 am 16. November 1797 die Regierung mit der Abſicht 
‚ die bisher üblich gewefene NRegierungsweife in jehr weſent⸗ 
en Punkten zu ändern. Mit dem Wöllnerjchen Religionsebift 
rde auch Wöllner felbft befeitigt. An der Stelle des letzteren 
rde der Präfident der Pommerſchen Regierung, v. Maſſov, 
Staatdminifter mit der Leitung des Oberfchulcollegiums und 

geſammten Unterrichtöwejens betraut. Die Wahl war in fo- 
t eine glüdlihe, ald Maflov zu denjenigen Staatdmännern in 
eußen gehörte, welche bie Förderung des Erziehungsweſens als 
allerwejentlichfte Wufgabe des Gouvernementd betrachteten. 

ch hielt derfelbe noch immer daran feft, daß die Schule jo viel 
möglih auf kirchlicher Baſis aufgebaut werben müße. Es 

ft eine fehr umfangreiche Abhandlung vor, weldye Mafjov nod) 
Sommer 1797, alfo noch in Pommern, über die in dieſem 
hre erjchienene Schrift des Gonfiftorialrated Stephani zu 
ſtel „Grundriß der Staats: Erziehungs: Wißenfchaft" ausgear- 
tet bat. Maſſov weift nad, daß die Schule ihrem Begriffe 
d ihrem Intereſſe nad), mwenigftend in der Gegenwart, nur im 
ſammenhange mit dem Sintereffe der Kirche und des Ghriften- 
19 gedacht werden koͤnne. Aber Stephani's Name repräfentirt 


— 78 — 


doch das ganz neue Prinzip, welches für die Volksſchule geltend 
gemacht wurde. J 

Den erſten Schritt zur Hebung bes Schulweſens that Fride | 
rich Wilhelm IIL, indem er unter dem 3. Juli 1798 an tn \ 
Staatsminiſter v. Maflov ein Refeript erließ, worin er erklärte: 
Das Schulweſen fei ein Gegenftand, der die gröfte Aufmerkſamkeit 
und Fürforge der Staatöregierung verdiene. Insbeſondre fei je 
doch für eine zwedmäßige Erziehung ber Kinder von Bürgern mb 
Bauern zu forgen. In den Schulen der neuen Provinzen müle 
der Unterricht in der deutſchen Sprache eingeführt, und abgeſehn 
von der Verfchiedenheit des Religionsunterrichtes müften alle Edu⸗ 
len ganz aleichförmig eingerichtet werben. Die Anſchaffung zwed- 
mäßiger Schulbücher fei durchaus notwendig. Auch fei der gegen— 
wärtige Zuftand der Schulen genau zu unterfuchen, Damit die Ark 
und Weife ihrer Reform ermittelt werben könne. Viele ſog. ge 
lehrten Schulen wären in Bürgerfchulen umzugeftalten. Die um 
den Reformen erforberlichen Koften würden fi aus tem Edul— 
gelbe, aus fixirten Beiträgen der Kämmereien und Gutöherm, > 
wie aus Staatömitteln gewinnen Taßen. 

Die Berichte über den damaligen Buftand ber Schulen, 
welche infolge defien von den Behörden eingezogen wurden, ber 
kunden, wie wenig alle zur Hebung der Volksſchulen in Preußm | 
gemachten Anftrengungen bisber gefruchtet hatten. Syn ber im 
mark befanden fi} damals 242 ftäbtifche, lutheriſche, und 1650 1 
Dorffchulen. Unter den ftädtifchen waren nur 8 eigentliche gelehrte 
Schulen, 6 Mittelfchulen, 55 teils höhere, teils niebere Bürar | 
Schulen und 173 Glementarfchulen, „welche Ießteren in ihrer Ein 
richtung und Beftimmung ſich in nicht® von den Dorfſchulen m 
terfcheiden.” Die Zal der tiber 100 Thaler eintranenden Land⸗ 
fchulftellen belief fih nur auf 195 (worunter 90 koͤnigliche,), ſo 
daß alfo 1455 Dorffhulftellen übrig blieben, und unter dieſen 
befanden fi 861, deren Ertrag fi) noch nicht auf 40 Thal 
belief! — Daneben beitanden in der Kurmark noch 43 reformirtt 
Landſchulen. Eine einzige ausgenommen waren alle FLönigliden 
Patronats. Von diefen 42 bezogen 5 Schulbalter eine jährlidkt 
Einnahme von 100 — 140 Thlr.; eine Lehrerſtelle dagegen tra 








{ 77 
, 


noch nicht 20 Thlr. ein, und 30 Lehrer bezogen weniger als 80 
Thaler Gehalt. In einigen adliyen Dörfern, insbejondre in der 
Altmark, hatte der Schulmeifter gar nichts, ald was ihm die 
Barmberzigfeit der Bauern zufließen ließ. Sein ganzes Einkom⸗ 
men beftand bier in einigen wenigen Thalern, wobei er, jo lange 
er in der MWinterdzeit die Kinder unterrichtete, der Reihe nad) von 
den Bauern gejpeift wurde, und zugleih, wenn es auch an 
einem Schulhaufe fehlte, in irgend einem Winkel, der ihm einge 
raumt war, jchlief und ſeine Handtbierung trieb"). In dieſem 
Falle unterwied der gemietete Schulhalter die Kinder bald hier 
bald dort in den Wohnftuben der Bauern. In fehr vielen Schul- 
häuſern war nur eine einzige Stube vorhanden; in derjelben 
wohnte der Schulmeifter mit feiner Familie ynd mit feinen Hüb- 
nern; in derfelben trieb er feine Schneiderei und Weberei u. dgl! 
und in berjelben mufte er unter dem Lärm und Schmuß feiner 
Daushaltung fünfzig oder ſechszig Kinder unterrichten, die teilweife 
unter den Tiſchen und Bänken Pla zu nehmen genötigt waren. 
— An manden Orten waren Hirten und Nachtwächter im Beſitze 
des Schulamts. — In einzelnen Dörfern war allerdings die Lage 
des Schulmeiſters eine beßere; hin und wieder gab es auch Schul⸗ 
halter, welche in einzelnen Dingen wirklich Unterricht zu erteilen 
dermochten; aber dennoch war der Zuftand, der Beſuch und der 
Erfolg der Schulen faft überall ein gleich ſchlechter. „Der Som- 
merichulen wurde an vielen Orten gar nicht gedacht; — jo gab 
ed auch im Winter, d. h. von Martini bis Oitern, der Verſäum⸗ 
nifje jehr viele. Die Eltern geftatteten oder geboten ihren Kindern 
nidyt allein Tage, ſondern auch Wochen lang aus der Schule zu 
bleiben. Hierzu fam, daß in einigen Gegenden Die Eltern alles 
Schulgehn ihrer Kinder, fobald Diejelben das elfte oder zwölfte 
Jahr erreicht hatten, und bei ihnen nur einiger Maßen Knechte⸗ 
oder Mügdedienfte thun Fonuten, ganz aufhören ließen **).“ 


*) Bergl. die offizielle Darftellung des Oberfonfiftorialrat® Sad in deffen 
Schrift „Ucher die Verbeßerung des Landfchulmeiens, vornemlich in der Kurmark 
Brandenburg. Berlin 1799" ©. 8. ff. 

”) Sad, ©. 35—36. 


— 78 — 


Am vollftändigften erhellt der damalige Zuſtand der kurmis 
tischen Volksſchulen aus den Relationen, welde das Oberkonifs 
rium der Kurmark (unter dem 28. Febr. 1799) an das Ober 
ſchulcolleg einfandte*). Das Oberconfiftorium berichtete nemlid: 
„li. Bei weiten die gröfte Zal ter Landjchullehrer befinde fih in 
einer höchft bebauernswerten Lage. Sehr viele Etellen hätten 
faum ein Einfommen von 5 — 10 Thalern. Die meiften Stellen 
wären von der Art, daß fie nur zwilchen 20 und 30 Thaler ein 
trügen, und daß der Schulhalter, der Feine Profeflion gelernt | 
babe, — gar nicht dabei exiftiren könne, ohne ſich recht eigeutid 
zur Bettelei zu erniebrigen. Stellen, welde 100 Xihaler und 
mehr eintrügen, wären höchft felten. Bei der im Jahr 1771 
gejchehenen Stiftung der fogenannten koͤnigl. Gnadenſchulen 
"hatte man angenommen, daß einem Landſchullehrer wenigftend ein 
Einkommen von 120 Thalern gefihert werden müße. Wenn aber 
jest auch nur 100 Thaler ald das Minimum angenommen wir 
ben, fo laße fi, doc abjehen, daß, um bloß die auf königlichen 
Dörfern befindlihen Schulbalter bi8 dahin zu verbeßern, ein 
jährlihe Summe von wenigftend 24000 Thalern in der Kurmarl 
erfordert werden würde. Dazu fomme, daß viele Dörfer gar 
feinen eignen Schulhalter haben, fondern entweder mit großer 
DBeichwerde und Gefahr ihre Kinder weit über Selb nach einem 
andern Dorfe jchiden, oder fi) Damit begnügen müßen, bloß im 
Winter für das geringe Schulgeld zum Schulhalten irgend ein 
Subjekt zu miethen, dem es gewöhnlich felbft an den notwendig 
ſten Kenntniſſen fehle. 

2. Sn vielen auch Fönigl. Dörfern fehle es entweder gan 
an einem eignen Schulbauje, oder es fei von ber fchlechteften 
Beichaffenheit. Billig follte jedes Schulhaus doch wenigftend 
außer einer geräumigen Schulftube eine befondere Wohnftube en 
halten, damit nicht durch die Familie des Schulhaltere und durch 
die häuslichen Gefchäfte der Unterricht geftört würde. Leider 





*) Siehe diefe und andre dazu gehörende Aktenſtücke, welche hier bemupi 


find, in Friedrih Gedike's Annalen des preußiihen Schul- und Rirdeme 
ſens, 1800. ©. 1. deft 1. 





— 7191 — 


hätten intefjen die wenigften Echulhäufer mehr als eine Stube, 
die noch dazu fo enge fei, daß fie oft die Bal der fchulfähigen 
Kinder gar nicht zu faßen im Stande fei, oder doc ihrer Ge 
ſundheit höchſt nachteilig werden müße. Cine Hauptverbeßerung 
würbe daher der allmähliche Aufbau beßerer und zweckmaͤßig einge: 
richteter Schulbhänjer fein. 

3. Den meiſten Schulhaltern fehle e8 an Brennholz zu 
Heizung der Schulftube. Die Klagen darüber nehmen von Jahr 
zu Sahr zu und die Gemeinden jeien felten im Stande oder ge 
neigt, diefem Bebürfniffe abzuhelfen. Sollte, wie gewoͤhnlich ver- 
langt werde, der Schulhalter ſich felbft in den Haiden Raff⸗ und 
Lefeholz fammeln und zufammenfarren, fo jei der Nachteil für die 
Schule, die darüber verfäumt werde, in die Augen fallend. Ohne⸗ 
bin ſei felbft das Naff- und Lefeholz nicht überall zu haben. Welch 
eine erwünjchte, ja Turdaus notwendige Verbeßerung wäre es 
Daher, wenn ed dahin gebracht werben Fönnte, daß jedem Schul 
balter ein gewiſſes Deputat an Holz ausgefegt würde, das ihm 
von der Gemeinde angefahren werden müfte. 

4. Mit einigen Landjchulftellen fei zwar die Nußung einiges 
Wicjen- oder Gartenlandes verbunden. Indeſſen fei deren doch 
nur eine ſehr Fleine Zal. Und doch wäre zu wuüͤnſchen, daß jeder 
Schulhalter fi wenigftend die notwendigften Kücyengewächle ſelbſt 
zuziehen und eine Kuh futtern könnte. Wielleicht wäre Died wer 
nigftend bie und da ohne beträchtlichen Verluſt von den Pertinen- 
zien der fönigl. Domänen oder auch des Kirchenlandes möglich zu 
machen. Doch werde eine Verbeßerung aus dem Kirchenvermögen 
bei den ſchlechten Wermögensumftänden der meiften Kirchen nur an 
wenigen Orten möglid, immer doch aber nicht jo beträchtlich fein 
können, daß dadurch auch nur für einzelne Stellen andre Quellen 
entbehrlich würden. 

Auf die Erhöhung des durch das Generallandjchulreglement 
von 1763 feftgejegten Schulgeldes fei nicht zu rechnen. Sie 
würde um fo größere Schwierigkeiten haben, da jchon jept bie 
faumfelige oder verfümmernde Entrichtung deſſelben faft überall 
die Schulhalter zu Beſchwerden veranlaße. Es würde Daher eine 
wefentliche Verbeßerung für fie fein, wenn Fünftig dad geſetzmäßige 


— 80 — 


Schulgeld nicht unmittelbar an fie jelbft, jondern an die Dorkge 
richte bezalt würde, die es nachher dem Schulhalter im Ganz 
auszuzalen hätten, und wenn ed Dabei den Eltern nicht verfatte 
würde, willfürliche Abzüge zu machen, ſondern fie vielmehr ange 
halten würden, auch dann, wie bereit8 zwar vorgefchrieben, aber 
nur felten von den Aemtern zur Ausführung gebracht worden, 
das Schulgeld zu bezalen, wenn die Kinder nicht zur Schule ge 
fommen, da fie jet die Kinder blos Darum mehrere Tage ober 
Wochen nicht zur Schule fchidten, um das Schulgeld erjparen 
oder Abzüge davon machen zu können. Man fei nicht der Anlict, 
daß bei der Verbeßerung der Landjchulen blo8 auf unmittelbare 
önigliche Zujchüße zu rechnen fei, weil dazu eine zu große Summe 
erfordert werben würde. 

Man mache daher vorläufig den allgemeinen Vorfchlag, auf 
manchen koͤnigl. Dörfern mit der Zeit die Schulhalterftellen ganz 
- einzuziehen und bei Anfeßung eines neuen Predigers biejen zugleich 
zum eigentlichen Lehrer der Schule zu mahen und ihm dafür bie 
bisherigen Einkünfte der Schulhalterſtelle mit beizulegen. 

Diefer Vorſchlag werde ſich indefjen freilich nur da ausfüh 
ren laßen, wo ber Prediger entweder nur ein einziges Dorf cder 
wenigftens Fein ſehr entferntes Filial zu beforgen habe. Umgekehrt 
werde Fünftig auf manchen Dörfern Die Predigerftelle durch Koms 
binationen einiger Pfarren eingezogen werden koͤnnen und dadurch 
nicht nur eine Verbeßerung mancher jchlechten Predigerftelle, fon 
bern auch die Anjegung eines tüchtigen Katecheten möglich werden, 
der auch zumeilen des Sonntags die Stelle des Predigers, ſei es 
durch eignen Vortrag oder durch zwedmäßiges Ableſen, vertreten 
koͤnnte.“ — | 

In einem zweiten Bericht vom 18. Juli 1799 vervollftän 
dDigte das Gonfiftorium feine Relation über den Beſtand dei 
Schulweſens in der Kurmark und über die Mittel zur Hebung 
befjelben: „Zur beßeren Aufjicht über die Schulen in den Stäbten 
werde in jeder Stadt ein eigned Scholarchat nötig fein, das außer 
dem Juſpector noch aus einem ober zweien Mitgliedern bed Mr 
giſtrats beftünde, weil nicht zu erwarten fei, daß alle Mitglieder 


— 8 — 


ce Magiftrate ſich für die Schiele gehörig zu intereſſiren geneigt 
d geihidt wären. 

Auh in Anfehung der Landſchulen würbe e8 ſehr nüßlicy 

, den Sufpeftoren einige der geſchickteſten und verdienteften 
nbprebiger zu Affiftenten in der Aufjicht über die Landſchulen 
jegen, jo daß jeder diefer Alliftenten eine beſtimmte Anzal von 
orfichulen unter feiner Aufficht hätte, Die jedoch höchſtens zwei 
eilen von feinem Aufenthalt entfernt fein müſten, Damit er ſolche 
n öftern vifitiren könnte. Cine ſolche Einrichtung und Anftels 
ig mehrerer dem Kreisinſpektor untergeordneten Schulinfpektoren 
ırde bejonders bei jehr ausgedehnten Inſpektionen, wie 3. B. 
c Berliniſchen, Frankfurtiſchen, Prenzlauifchen u. ſ. w. von 
oem Nußen ſein. 

Deffentlide Prüfungen würden nur in den menigften 
tädten gehalten und fie erregten mehrenteil® zu weniges Jutereſſe. 
ennoch würde ed gut fein, foldhe allgemein zu verordnen, und, 
a die Teilnehmung zu vermehren, feftzujeßen, daß folche in den 
inen Städten jedesmal an einem Sonntage und zwar in der 
rche gehalten würden. 

Selbſt auf den Dörfern wuͤrde eine ſolche jaͤhrliche an 
tem Sonntage und in der Kirche angeftellte Prüfung von großem 
ißen ſein. 

Auf dem Lande könnte in der Regel von den Predigern viel 
zr für die Schulen geſchehen. Wo der Prediger nur. ein ein: 
8 Dorf zu beforgen habe, würde der im erſten Bericht 
ame Borihlag, den Prediger zugleih zum Schullehrer 
nahen, am erften auszuführen fein. Das Wenigſte, was je- 

ſchon jegt und vor einer neuen Beſetzung geſchehen Fönnte 

müfte, wäre, daß ein jeder folcher Prediger täglid Cine 
inde dem Schulunterricht widmete. Am zwednäßigften würde 
Vein, wenn er täglich die Größeren in einer Stunde in feinem 
ufe unterrichtete, während zu gleicher Zeit der Schulhalter Die 
Inere Jugend in den erften Elementen unterwiefe. 

Die völligen Freiſchulen hatten bisher nicht den Nutzen 
Miftet, den man fich bei ihrer Anlegung verjproden. Der ge 
eine Mann und vornehmlich der Bauer fei nun einmal gencigt, 
Heppe, Boltöigulweien, 3. 6 


— 82 — 


nur das zu ſchätzen, was ihm etwas koſtet. Man winde alle 

. mehr dafür fein, die bisherigen Freiſchulen nad) und nach eingehen 
zu laßen, als ihre Zal zu vermehren, es fei denn an ſolchen Or⸗ 
ten, wo tie Totalität der Sinwohner aus armen Spinnen oder 
Taglöhnern beftebe. 

Die Schulbalter auf den Filialen wären in ex 
Regel in der fchlechteften Lage, und doch wäre zu wünfden, daß 
grade auf den Filialen am erften ein recht brauchbarer Schulhal⸗ 
ter fein möchte, weil bier am wenigften auf Miwirkung de 
Predigers zu rechnen fei. Zu wünjcen wäre daher, daß die 
Schulhalter auf den Filialen zugleih überall die Küfterge — 
ſchäfte und Küftereinfünfte erhalten möchten. Bisher hab 
indefjen das Gefuch der Filialgemeinden, ihren Schulhalter zuglediilt 
zum Küfter zu machen, um nicht wieder die Ginfünfte des SduE—- 
balters im Mutterdorfe zu ſehr zu deterioriren, feinen Erfolg erzieli 

Die Sommerjhule habe bisher nur in den wenige 
Anfpektionen Fortgang gehabt, und es fei nicht zu leugnen, da — 
derfelben faft unüberwindiihe Schwierigkeiten im Wege flüubermmm 
Um fo mehr fei zu wünjchen, daß wenigftens überall eine & on mm 
tagsſchule während des Sommers eingerichtet werde. Da de 
audy bisher die Winterfchule an fehr vielen Orten ungebühricHl 
abgekürzt worten, jo ſei ed durchaus notwendig, daß der terminn-8 
a quo und ad quem genauer feftgefeßt werde. Bisher ſei Exz 
vielen Gegenden kaum ein ganzes Vierteljahr im Winter Schule gehalten 
worden. Das MWenigfte, was gefchehen könnte und müfte, wäre, 
daß die Minterfchule ununterbrochen von Michaelis over bed 
Martini an bis Oſtern gehalten‘ würde. Kür die Heinern Kinde 
Eönnte jedoch audy während des Sommers eine Stunde täglid 
zum Unterridt ausgefeßt werben, wogegen die größern zur Be 
ſuchung ter Sonntagsſchulen angehalten werten müften. Ohr 
Eräftige Mitwirkung der GerichtSobrigfeiten ‚werde indeffen nie en 
ordentlihen Schulbefudy zu rechnen fein. Daß diefe jedoch bin 
bisher überbaupt zu faumfelig in diefer Rückficht uud zu nachfich 
tig gegen folhe Eltern, denen die Ausbildung ihrer Kinder gleich 
gültig jei, gewejen wären, bewieſen die häufigen lagen der Predige 
in den Epecialtabellen. 


— 8 — 


In mehrern felbft kleinern Städten fei neben ter Iutherifchen 
Schule auch eine deutſchreformirte, oft auch noch eine, 
frauzöfifh reformirte Schule. Selbft auf manchen Tör- 
fern fei außer einem lutheriſchen Schulbalter au ein reformirter. 
Diefe Mehrheit der Schulen fei eher ſchädlich als nützlich und es 
fönnte für die allgemeine Schulverbeßerung viel gewonnen werben, 
wenn es möglih wäre, diefe mehreren Schulen zufammen zu 
Ichmelzen, da denn oft mehrere ſchlechte Schulen zu einer einzigen 
guten umgejchaffen werden fönnten. 

Der Ausführung dieſes Wunfches ftünden freilich ſehr große 
Schwierigkeiten im Wege, weil e8 bier auf Bekämpfung und Bes 
flegung des nur zu ſehr verbreiteten Vorurteils ankomme, als ob 
Die Schulen zunädft eine Sade einzelner Religions 
Parteien wären und fein müften. Es ſei jedoch unleugbar, 
Daß die Schulen ald Inftitute des Staats und nicht als 
Anſtalten einzelner Konfeffionen zu betrachten feien. Wenigſtens 
ſei es gewiß eine unſeres Zeitalters und unſerer Regierung wür⸗ 
dige Idee, dahin zu arbeiten, daß die Schulen immer mehr lieber 
arıS jenem als aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet würden. Man 
trage daher fogar Fein Bedenken, den PVorfchlag zu thun, 
Das auf manchen Dörfern, wo zugleich ein reformirter Schul⸗ 
h alter angefegt fei, die Iutberifhe Schulftelle lieber 
Jganz eingezogen werde, um mit ihren Ginfünften eine an- 
dere Stelle zu verbeßern. 

Kein Teil der öffentlichen Erziehung fei bisher mehr zurüd- 

Hefept worden, ald die Unterweifung des weibliden Ge— 
ſchlechts. An zwedmäßigen Töchterjchnien fehle ed faft überall. 
In den meiften Städten fei die Einrichtung, daß blod der Küfter, 
der oft nur fehr geringe Gefchirklichkeit habe, die Töchterfchule 
halte, wo dann die Fleinern und größern Mädchen durcheinander 
ohne eine zweckmaͤßige Abfonderung nach dem Alter und ben Fort 
‚Schritten einen mechaniſchen Unterricht genößen, den fie obenein 
noch häufig mit den Fleinern Kuaben, die der Küfter zur Vermeh— 
rung feiner Einfünfte mit aufuchme, teilen müften. Zu gehöriger 
Anweifung zu weiblichen Arbeiten jei faft nirgends Gelegenheit, 


obwol dies durch Die Ehefrauen der Küfter oder aud ber andern 
Ce 


— 84 — 


Schullehrer leicht zu bewirken ſein würde, wenn nur zu deren 
Aufmunterung und Belohnung ein Fonds ausgemittelt werden 
könnte. 
Die Aufſicht über die Privatſchulen in den größeren 
Städten, vornehmlich aber in Berlin, wo fie immer häufiger wir: 
den, fei noch gar nicht beftimmt genug organifirt. Beſonders ja 
diefer Punkt in Berlin von großer Wichtigkeit, wo eine Meng 
Privatichulen wären und täglidy eutftünden, die ſich aller Aufficht 
entzögen oder ihre Grenzen jo jehr erweiterten, daß das oft zu 
blindling8 vertrauende Publikum bei der Grziehung der Kinder 
von mehr als einer Seite gefährdet werde. Wornehmlich verbien- 
ten die Misbräucde und Unordnungen, Die dus der überhäuften 
und regellofen Anal von franzöſiſchen Schulhaltern ent: 
ftänden, ernitlihe Erwägung.” 

Zur Einrichtung von Induſtrieſchulen war chen damalf 
der erfte Verſuch gemacht. Echon i. J. 1793 hatte das Generel 
direftorium (v. Voß) die Aufmerkjamfeit des Oberſchulcollegs au 
zwei derartige Anftalten gelenft, welche von Dim Prediger Tapı 
zu Klein-⸗Schönebeck im Amte Alt-Landesberg und von dem Schul 
infpeftor Riedel zu Göritz im Amte Srauendorf, wo mit dee 
Schulunterricht allerlei nüglihe Bejchäftigungen der Edulfute 
verbunden wurden, eingerichtet waren. Die Unterhaltung 
foften der erfteren betrugen jährlih 61 Thlr. 8 Gr., te 
ber Icgteren 92 Thlr. 9 Gr., welde Summen einftweile: 
aus einem erjparten Fonds an Spinnpräniengeldern be 
ftritten wurden. Auch bier hatte, wie es ſcheint, das Mogajim 
für Induſtrie und Armenpflege des Göttinger Predigerd Wuge- 
mann die erfte Anregung gegeben. Der Bwed war, die Kinder 
frühzeitig au Urbeitelicbe und Arbeitsgeſchicklichkeit zu gewöhnen 
Indiſſen blieb die Sache einjtweilen auf ſich beruhen, bis endlid 
unter Friedrich Wilhelm III die Einrihtung von Induſtrieſchulen 
befohlen wurde. Auf den Grund cined von dem Nfarrer Tapr 
zu Klein-Schoönebeck fhon i. J. 1796 eingezogenen Butachten? 
(„Gedanken und Vorſchläge, Pie Einrichtung einer Induſtrieſchule 
in dem Alt⸗Landsbergiſchen Amtsdorfe Klein-Schönebeck betreffend”), 
machte nemlich dad General: Directorium in einer Eingabe vom 


— g5 — 


. Decbr. 1798 den König auf das Bedürfnis derſelben aufmerk⸗ 
am. Das Generaldirectorium ſtellte dem König insbeſondre vor: 
„Noch mehr als in den kleinern Stadtſchulen iſt bisher der 
Schulunterricht auf Dem platten Lande vernachläßigt worden. Da 
es hierbei nicht blos auf den Unterricht in der Religion und ans 
tern dem bäuerlichen Etande notwendigen und nüßlichen Kennt⸗ 
niſſen ankommt, jondern aud Darauf Bedacht genemmen werden 
muß, die Dorfjugend in Zeiten zum gefchäftigen Leben zu gemöhs 
nen und in den für ihre fünftige Beſtimmung nützlichen Beſchäfti⸗ 
gungen, ald Spinnen, Striden, Nähen, Baumzudt, 
Gärtnerei, Seidenbau x. zn unterrichten und zu üben, fo 
haben wir fchon feit einigen Jahren die Anlegung der Arbeitds 
und Induſtrieſchnlen auf dem platten Lande ber hiefigen Provinz, 
ald eine auch für Die Landespolizei heilfame Cinrichtung, zu einem 
Begenftande unfrer befontern Aufmerkſamkeit gemacht. Da wir 
indeffen hierzu feine Fonds haben, fo haben wir und darauf eins 
Ihränfen müßen, mit einem erfparten Fonds an Epinnprämiens 
geldern, welcher aber auch bald aufgeräumt fein wird, zu Göritz 
nd Klein⸗Schönebeck dergleichen Schulen einrichten zu laßen. 
Diefe zeigen einen überaus erwinfchten Kortgang, da die dortigen 
zrediger fi) die Sorge für diefe neuen Schulanftalten eifrigft an- 
elegen fein laßen, und es ift daher fehr zu wünfchen, daß auch 
I andern Dörfern dergleichen Induſtrieſchulen mögen angelegt 
erden können, da diefe das wirfjanfte Mittel find, den Müpig- 
ang bei den Leuten bänerliden Standes audzurotten und ber 
serarmung berfelben vorzubeugen. Ob Ew. königl. Majeftät: 
ierzu einen jährlichen etatsmäßigen Fonds von ungefähr 1000 - 
chalern aus ten Weberfchüffen der Städtekaſſe ausjegen zu lagen 
Uergnädigft genehmigen wollen, müßen wir, da wir feinen andern 
lerzu geeigneten Fonds vorzufchlagen wißen, Allerhöchſtdero Ent- 
chließung anheim ftellen.” 

Schon am 8. Decbr. 1798 verfügte der König, daß „von 
en zur Verbeßerung der Buͤrger- und Landſchulen in der Kurmark 
eftimmten jährlichen Ueberſchüſſen in der Stäbtefaffe 1000 Thlr. 
ihrlich beſonders für anzulegende Induſtrieſchulen“ verwendet 
erben follten. Mit dieſer Summe glaubte das Oberſchulcolle⸗ 


— 86 — 


glum in etwa fünfzehn Ortfchaften der Kurmark Induſtrieſchulen 
einrichten oder unterhalten zu koͤnnen. Indeſſen eröffnete daſſelbe 
dem Generaldirectorium (8. Sanuar 1799), daß hierbei folgende 
Punkte zu beachten wären: 

„1) Daß die Auduftriefchulen nur allein auf königl. Amts⸗ 
dörfern angelegt werden, weil alsdann am zuverläßigften ſowol 
bei Anftellung des Predigerd als Schullehrers auf ſolche Subjekte 
Rüdfiht genommen werden faun, wie fie die zwedmäßige Dis 
rection und Ginrihtung der Sinduftriefchulen erfordert, und zwar 

2) in folchen Eönigl. Dörfern, die nicht eine gar zu geringe 
Bevölferung haben, fondern wo die größere Zal der fchulfähigen 
Kinder die Anlegung einer folchen Induſtrieſchule Doppelt wolthätig 
macht. 

3) Nicht auf Filialdoͤrfern, um dieſe Schulen immer unter 
unmittelbare Auflicht der Prediger zu jegen. 

4) Möglihft in der Nähe von Städten, weil daburd für 
den etwaigen Abſatz der verfertigten Arbeiten, wie auch in ande 
rer Rüdjicht mancherlei Erleichterung gewonnen werden dürfte. 

5) Nicht zu ſehr auf einem Flede, fondern vielmehr in einer 
gewiffen Entfernung von einander, und in mehrern reifen de 
Kurmark, jo Daß dieſe Induſtrieſchulen gleihfam zu Normalfchulen 
für die in der Folge zu errichtenden dienen, und den wolthätigen 

Geiſt der Induſtrie in einem größern Umfang zu verbreiten helfen 
fönnen. 

6) Endlih nur in folden Dörfern, wo das Schulhaus eine 
ſolche Einrichtung begünftigt, und wenigftens zwei Stuben hat, 
ober Doch ſolche durch etwaigen Anbau leicht noch erhalten 
kann.“ 

Indeſſen war die Einrichtung von Induſtrieſchulen doc nicht 
jo leicht durchführbar, als es anfangs ſchien. Dem kurmaͤrkiſchen 
Oberconſiſtorium ſtellten ſich nemlich, als es die Ausführung dei 
von dem Oberſchulcolleg desfalls erlaßenen Beſchluſſes verſuchte, 
Schwierigkeiten entgegen, an welche vorher noch Niemand gedacht 
hatte. Das Oberconfiftorium berichtete Daher (13. Juni 1799) au dad 
Oberſchulcolleg, „daß nach den von ben dazu aufgeforderten Zu 
\pectoren eingegangenen Berichten bie Einführung ber Induſtrie⸗ 


— 87 — 


ſchulen auf Lem eigentlichen platten Lande in vielen Gegenden 
jehr erhebliche Schwierigkeiten findet, indem in vielen Inſpectionen 
gar fein qualificirteg Dorf auszumitteln ift, in manchen aber die 
Gemeine ſchwerlich fogleih von der Vorteilhaftigkeit eines folchen 
Inſtituts und von der Nichtigkeit ihrer Vorurteile dagegen zu 
überzeugen fein möchte. Ueberdies ift grade auf den Dörfern die 
ganze Einrichtung höchſt prefär, weil fie an das Leben des gegens 
wärtigen Sculhalterd und deſſen Ehefrau geknüpft ift; daher 
denn zu fürchten ift, daß durch den Tod des einen oder der ans 
bern die ganze Ginrihtung wieder ind Stoden geraten kann. 
Wir fönnen und daher nidyt enthalten, dem von vielen Inſpekto⸗ 
ren in ihrem Bericht geäußerten Wunſch beizutreten, daß der Plan 
nicht einzig und allein auf Dörfer bejchränft, fondern vielmehr 
auch auf ſolche Fleine Landſtaͤdte zugleich mit ausgedehnt werden 
möge, beren Hauptnahrung in der Aderwirtfchaft befteht, und 
die fowol hierin als in anderer Rüdfiht den Dörfern an die 
Seite zu ſetzen find, wie denn auch mehrere dergleichen Fleine 
Städte von den Inſpektoren mit, als vorzüglich zu einer folchen 
Anlage qualificirt, vorgejchlagen worden. So viel fällt wenigftens 
in die Augen, daß in dieſen Heinen Stäbten die Anlegung der 
Induſtrieſchulen nicht nur überhaupt noch notwentiger ift, als in 
Dörfern, teil wegen der größern Menge der Kinder, teild weil 
es in den Etäbten weit mehr ganz arme Kinder gicht, die in 
Ermangelung einer Anweifung zu nüßlichen Arbeiten auf Bettelci 
verfallen, dagegen die Kinder auf den Dörfern in der Regel weit 
früher und fortdauernder von ihren Eltern zu allerlei wein gleich 
fehr einfachen Arbeiten angewieſen und angehalten werben, fonts 
dern, daß auch die ganze Einrichtung in den kleinen Etädten uns 
gleich weniger Schwierigfeiten findet, indem teild leichter geſchickte 
Lehrer und Lehrerinnen zu haben find, teils eine genauere und 
vielfacyere Aufficht möglich ift, teil8 der Verkauf Der in den In⸗ 
duftriefchulen verfertigten Arbeiten leichter zu bewirken ift, teil® 
endlich nicht zu befürchten fteht, daß die Induſtrieſchule, gleich 
dem übrigen Unterricht, wo nicht den ganzen Sommer, doch den 
größten Teil deſſelben hindurch fill ftehen werde, wie dies doch 
faſt auf allen Dörfern ber Fall fein wird, dagegen in ben Heinen 


— 8 — 


Städten doch auch für Die Sommerſchule immer noch mehrere 
Kinder übrig bleiben. Es find namentlidy folgende Städte in 
Vorſchlag gekommen: | 

Dranienburg, 

tiebenwalde, 

Arneburg, 
- Zoſſen, 

Charlottenburg, 
Hiezu ſind noch folgende Dörfer als beſonders qualificirt empfoh⸗ 
len worden: 

Friedrichsfelde, 

Schönerlinde, 

Bornim, 

Letſchin, 

Bechlin, 

Vehlefanz.“ 

Außerdem war das Oberconſiſtorium der Meinung, „daß 
die Induſtrieſchulen auf den ausgewählten Dörfern nur vor der 
Hand auf etwa drei Jahre zur Probe anzulegen fein möchten.‘ 
Auch werde es „gut fein, wenn man nicht auf einmal über den 
ganzen Fonds der 1000 Thaler disponirte,” und daher vorläufig 
„etwa nur zehn Ddergleihen Schulen errichtete.” Die innere Ein 
richtung der Induſtrieſchulen betreffend bemerkte das Dberconfilte 
rium, daß nicht blog in Spinnen, Striden und Nahen zu 
unterrichten, fondern daß der Unterricht „für die männliche Jugend 
auch auf andere Gegenftände, befonders auf Baumzucht auszudeh 
nen fei, wozu freilich Die Beichaffung eine Raumes zur Anlegung 
einer Baumſchule für jede Anftalt nötig wäre.” 

Die Erfahrung zeigte jedoh, daß der ganze Plan einf: 
weilen noch nicht durchzuführen war, und zwar haupfſaͤchlich 
darım, weil Die geeigneten Lehrer und Die erforderliden 
Mittel zur Ausführung bdefjelben fehlten. Nur wo bie Pri- 
vatwoltbätigfeit den Wünfchen der. Staatöregierung zu Hülfe fam, 
wie zu Ellrid in der Grafſchaft Hohenftein, wo ein nah Eng 
land ausgewanderter früherer Schüler der dafigen Ecyule, Johann 
Engelbert Biegenbein, gen. Liebenrood (zu Profpect= Hill in der 





— 89 — 


engliſchen Grafſchaft Reading) den Lehrern derſelben i. J. 1799 
eine jaͤhrliche Zulage von 80 Pfund Sterling, und wo deſſen 
Gattin eine jährliche Epende von 20 Pid. Sterling *) zur Ber 
gründung einer Indnuſtrieſchule für Töchter ded8 Orts legirte, war 
8 möglich, den Abfichten der Regierung entſprechende Erfolge zu 
erzielen. 

In Berlin entitanden feit dem Jahre 1793 nach und nad 
ſechs Erwerbſchulen, die ſich bis 1800 noch um zwei Lehran⸗ 
ſtalten vermehrten. Der Hauptzweck dieſer Schulen war der, daß 
In denſelben arme Kinder der Reſidenzbewohner in der Religions⸗ 
lehre, im Leſen, Schreiben, Rechnen und Singen, auch wol in ber 
Geſchichte, Geographie und Naturgefchichte, im Anfertigen fehrift- 
licher Auffäße und im Zeichnen unterrichtet und außerdem durch 
eine ihren Kräften und Fähigkeiten angemeßene Beichäftigung an 
Thätigfeit und Arbeit gewöhnt würden. Nach beendigten Schul 
befusch wurden fie bei zuverläßigen Lehrherrn oder Herrichaften 
untergebracht, wo fie zuweilen duch noch, wenn es die Mittel der 
Schulen erlaubten, mit Kleidungsftüden unterftügt wurden. Der 
Unterriht wurde an allen MWochentagen Vor⸗ und Nachmittags 
erteilt; nur an den Nachmittagen des Mittwoch und Sonnabend 
wurde berjelbe ausgeſetzt. Aufnahme konnten alle Kinder vom 
7. bis 14. Lebensjahre finden. Dad Direetorium der Schulen 
beftand aus 13 Perfonen. Sche Schule hatte ihren Vorfteher 
und Auffeher, welche die Schule von Zeit zu Zeit befuchten, im 
Anfange eines jeden Monats die angefertigten Arbeiten nachſahen 
und diefelben nebft Angabe der Taxe oder des verdienten Arbeitd- 
Iohnes in die Negifter eintrugen. Nach Verlauf eines Quartals 
wurde den Sindern das verdiente Geld ausgezalt, über befjen 
richtige Ablieferung an die Eltern die letztern in einem Gonto: 


) Rad einer Relation aus dem Jahre 1787 betrug damals zu Ellrich die 
jährlihe Ginnahme des ftudirten Rectors 116 Thlr., die des ebenfalls ftudirten 
Conrectors 91 Thlr. und die der übrigen Lehrer (die Einnahmen für das Neu- 
jahrfingen mitgerechnet,) 171 Thle. 20 Gr. Durch die Siegenbeiniſche Stiftung 
mar die Einnahme der Sehrer jährlih von 378 Thlr. 20 Sr. auf 1028 Thlr. 
20 Gr. erhöht. 


— 90 — 

buche, welches die Anftalt aufbewahrte, quittiren muften. Die 
verfertigten Arbeiten wurden teild in einem Kaufladen, teils in 
einer Verfteigerung an die Meiftbietenden verfauft. Die Aufiehe 
wachten über Regelmäßigfeit im Schulbefuch, über Reinlidfei 
der Kinder und der Schulzimmer, führten Rechnung über bie ver 
brauchten Materialien (Garn, Flachs, Zwirn ıc.), und die Auf 
ſeherinnen unterrichteten die Kinder ftufenweife im Striden, Spin 
nen, Nähen ıc. und halfen in den Arbeitsftunden nad. Jede 
Scyule hatte einen Lehrer, der wöchentlich zwei Stunden zu uw 
terrichten verpflichtet war und oft von einem anderen Lehrer ober 
Candidaten freiwillig unterftüßt ward. Späterhin wurden in bie 
fen acht Erwerbszweigen gewöhnlidy 600 Kinder unterrichtet, nem 
lih 150—160 Knaben und 440—460 Mädchen. Durchſchnittlich 
verdienten diefelben in jedem Sabre 1100 Thlr. Arbeitslohn. Die 
Unterrichts⸗ und Unterhaltungskoſten, welche durch freiwillige Bei 
träge aufgebracht wurden, und wozu feit 1810 der König, jpäter 
bin auch der Kronprinz und die Kronprinzeflin anjehnliche Beiträge 
gaben, betrugen an 5500 Thlr. Jaͤhrlich fand eine öffentliche 
Prüfung ftatt, bei welcher die fleißigften Schüler und Schülerinnen, 
welche ben Religionsunterricht ihrer reſp. Prediger befuchten, mit 
Bibeln befchenkt wurden. Nach der Prüfung wurben die Edub 
finder in einem Garten geſpeiſt *). 


Das von Heder begründete Schullehrerjfeminar zu 
Berlin hatte feit 1770 unter der Direction des Oberconfiftorial 
rated Silberſchlag den glüdlichften Fortgang gehabt. Bon ba 
Hähnfchen Literalmethode war daſſelbe wieder erlöft worben; be 
gegen waren der Anftalt bie erforderlichen Geldmittel zugewendet 
worden, welche die Aufnahme einer größeren Anzal von Yöglingen 
ermöglichten. Diefelben zerfielen in die Abteilung ber Präpas 
randen und in die der Seminariften. Indeſſen befuchten 


*) Krünig, ökonomiſch ˖technologiſche Enchclopädie B. 149 ©. 329 BL 


— 91 — 


zeide benjelben Unterricht und unterſchieden fi) nur dadurch, daß 
ene nur den Unterricht des Seminard genoßen, während biefe 
n bemjelben zugleich verköftigt und unterhalten wurden. Die 
Bräparanden waren gröftenteild Handwerker oder Bedienten, die 
ich mit ſchlechten Stellen begnügen muften und dad Seminar oft 
mr einige Monate hindurch befuchten. Bei ihrer Aufnahme fah 
nan allein darauf, daß fie nicht zu alt waren, nicht durch auffal- 
lende Gebrechen oder unmwirfches und allzurohes Wefen der Jugend 
inftößig werden möchten und daß fie jo viel Verftand Hatten, um 
den Unterricht im Seminar mit Nußen befuchen zu fönnen. Bei 
ben Seminariften wurde ſchon eine größere Befähigung vorausges 
ſetzt. Wurden fie in der unteren Klafje der deutſchen Schule zur 
Aushülfe in der Grteilung bes Unterrichtes verwendet, fo erhielten 
fie Dafür eine entfprechende Vergütung. — Die im Seminar übs 
lichen Lehrgegenftände waren: 1) Religion (Bibellefen, Erklärung 
des Katechismus Luthers, Wiederholung der Predigten, Erflärung 
der Kirchenlieder,), 2) Lefen, 3) deutſche Sprache und Anfertigen 
von Auffäßen, 4) Schreiben, 5) Rechnen, 6) Geographie und 
Statiftif, 7) Geſchichte, 8) Naturgefchichte, 9) praktiſche An- 
weifungen zum Lehren, 10) Pädagogik und Methodologie, 11) Vo⸗ 
calmuſik, 12) chriſtliche Sittenlehre, 13) praktiſche Mathematik, 
14) Gartenbau, Baumzucht, Seidenbau. — Aus einem offiziellen 
Bericht über das Seminar vom Jahre 1788 geht hervor, daß 
Dafielbe Damald vom Könige eine jährlihe Subvention von 1000 
Thalern erhielt und daß e8 von 60 Präparanden befucht wurde. Ges 
Hagt wurde, „daß Rohheit, Stumpfheit, Mangel an Vorkennt⸗ 
niffen, Armut, notwendige Brotarbeiten der PBräparanden die Fort 
ſchritte des Seminarii aufhielten *).” 

Die berühmteſte Lehranſtalt zu Berlin war die von Hecker 
geſtiftete „Königliche Realſchule“ (auch Dreifaltigkeitſchule 
genannt). Sie umfaſte drei Abteilungen: 1) die Penſionsanſtalt 
oder das Pädagogium, 2) die Kunſtſchule, und 3) die deutſche 
Schule. Nur die letzte war als Volksſchule eingerichtet. Die 


) Kräüniz, ökonomiſch⸗ technologiſche Encyclopädie, B. 61 &. 670 — 671, 


— 92 — 


hier eingeführten Lehrgegenſtände waren: Religionslehre, Leſen, 
Schreiben und Rechnen. Auch war die Handlungsklaſſe dieſer Ab: 
teilung einverleibt. Qalentvollere Schüler konnten auch im Yeidr 
nen Unterricht erhalten. Xroß aller Berühmtheit, weldye die Ar 
ftalt erlangt hatte, wurde indeſſen über Die Mangelhaftigfeit des 
katechetiſchen Unterrichtes ſehr geflaat *). 

Einen großartigen Umfang hatten die Waifen- und Armen 
erziehungsanftalten zu Berlin erlangt. In den großen Fried— 
rihshospital zu Berlin wurden durchſchnittlich über dreibun 
dert elternlofe Kinder von beiden Gefcledhtern erzogen. Der Uns 
terriht und die Erziehung dieſer Kinder war in folgender Weile 
geordnet: Ein reformirter und ein Intherifcher Geiſtlicher führten 
die Oberaufjiht über die Anſtalt. Sie muften die Lehrſtunden 
vifitiren, Die Lehrmethode, den Fleiß und die Amtstreue der Lehre 
und den Fleiß ſowie das fittliche Verhalten der Kinder überwaden, 
fie erteilten den Religionsunterricht, hielten öffentliche Katedjifatie 
nen in der Kirche u. f. w. Die Erteilung des übrigen Unterrid- 


*) Ein Augenzeuge, der i. 3. 1778 einer öffentlichen f. g. Erbauungtſtunde 
der Nealfhüler beigewohnt hatte, berichtet über feine Dabei gemachten Wabrnehmungen 
(Allg. Biblioth. für das gefammte Scul- und Erziehungsmefen in Deuticlen, 
2. VIII. Nördlingen 1780. ©. 224): „Defto betrübter war mir die öffentliche 
Prüfung der Schuljugend, die am Mittmod in der Preifaltigkeitäfirche angefelt 
wurde. Ih muß es Ihnen frei fagen, fo erbärmliche Katecheten, als die Schul 
meifter (oder wie fie Namen haben mögen,) der Mealfchule find, hätte ih m 
Berlin nicht erwartet. Es fei fern. daß ich Her Silberſchlag die Schuld bei 
meffen ſollte; dazu mögen viele Urſachen beitragen!“ — 

„Die Iugend wird truppmeife von den Schulmeiſtern in die Kirche ge 
führt. — Als die Cötus der Iungen und Mädchen verfammelt waren, fing det 
ſ. g. Ratechismusegamen mit einem Gefange an. Hieranf fehritt man zur Eade 
felbft. Aus dem kleinen Buche (ip glanbe, es heift Ordnung des Heilt,) 
beriaß.der Lehrer eine Frage, und auf 30 — 40 muften auf einmal eine au 
wendig gelernte Antwort herfagen. Es ift zum Weinen, mie die ehrwür- 
digften Dinge in dem Munde diefer Kinder gemißhandelt wurden. Ich will Wet 
berwetten, was ich habe, waren unter diefen 4N Kindern drei, die die Frage und 
die Antiwort, die fie hörten und herbeten muften, nerftanden haben. — Herr 
Eilberfhlag frug nun zwar verfchiedene von den Meinen Katechumenen, aber all 
feine ragen waren ihnen böhmifhe Dörfer“ u. f. w. 


— 93 — 


3 und die unmittelbare Beauffichtigung der Kinder lag in Den 
inden einer Anzal reformirter und lutherifcyer Candidaten. Die 
‚alle der Schüler und Schülerinnen war in Klaffen geteilt. In 
e unterften Ternten fie Einiges aus der biblischen Gefchichte, 
jen und Echreiben, in der folgenden auch Einiges aus der Ge— 
icyte und Geographie. Dieſer Unterricht wurde fo erteilt, daß 
e Lehrer Stellen aus einem Buche vorlafen und Anleitung zur 
htigen Auffaßung und Beurteilung des Vorgelefenen gaben. Ein 
hrer übte die unmittelbare Aufficht über die Hausordnung aus. 
if Spaziergängen und zum Kirchgang wurden bie Kinder von 
ei Lehrern begleitet. Die Mädchen wurden von einer bazu 
ftellten Srau aud im Gold- und Silberftiden, die Knaben im 
pinnen unterrichtet. Jedes Waiſenkind war blau gefleivet und 
ag einen Schild am Arm. 

Das Schindlerifhe Waiſenhaus zu Berlin hatte 
(gende Einrihtung: Ein Kuabe, der in die Anftalt aufgenommen 
den follte, mufte wenigftend fieben Sahre alt fein. War er 
eipirt, jo konnte er jo lange in dem Haufe bleiben, bis er im 
tande war, ein Haudwerk zu erlernen oder ſich für irgend einen 
deren Beruf vorzubereiten. Diejenigen Zözlinge der Anftalt, 
elche jpäterhin ftudiren wollten, wurden während ihres Aufent- 
lte8 auf dem Gymnaſium und der Univerfität aus der Echind- 
rischen Stiftung unterfiüßt. Auch erhielten diefelben vor ihrem 
intritt in das Gymnaſium in dem Waifenhaus felbft Den nötigen 
pmnafialunterricht. Diejenigen Knaben, welde ein Handwerk 
er Gejchäft erlernen wollten, wurden im Zeichnen und in der 
anzöfiichen Sprache befonderd unterrichtet und erhielten auch 
äterbin mannigfache Unterftügungen. Bon 12 Knaben, für 
elhe die Stiftung urſprünglich beftimmt war, hatte fih, da 
ehrfache Vermächtniffe zum Stiftungsfonds Hinzugefommen wa- 
n, die Anzal der Zöglinge almählih auf 22 gefteigert. All- 
brlih wurde zu DOftern und Michaelis mit den Zöglingen in 
egenwart der Guratoren und Prediger der Nicolaikirche ein dfr 
ntliche8 Examen angeftellt *). 


— nn > 


*) Die Begründer diefer Stiftung waren der Geheimerat Severi 





— 94 — 


Außer diefen Anftalten find noch zwei Schulen zu Ben 
zu bemerfen, die von Zedlitz ganz nach dem Rochowſchen Blau 
eingerichtet hatte. Demgemäß umfafte jede Derjelben zwei Klaſſen 
eine Klaffe der Inzipienten, welche Nachmittags, und eine Ob: 
Elaffe, welche Vormittags unterrichtet wurde. Die eine biefer 
Schulen war für Bürgers-, die andre für Soldatenkinder beftimmt. 
Die leptere war ald Garniſonsſchule des von dem General von 
Pfuhl commandirten Regimentes. organifirt worden. 

Ueberhaupt hatte fi) in der zweiten Hälfte des Yabrkum 
bertö der eben erwachte Eifer für das Volksſchulweſen namentlid 
auch dem Bebürfniffe des Soldatenftanded zugewendet *). Ink 
befondere war das große Föniglihbe Waifenhauß zu 
Potsdam für daffelbe beftimmt. Daſſelbe beſtand aus drei 
Häufern., Das erfte war das Knabenwaiſenhaus, welde 
eine große Anzal, oft über taufend arme Eoldatenfinder aus da 
ganzen Armee umfafte. Diefelben wurden auf Koften des jeht 
reich dotirten Waiſenhauſes nicht nur gefleidet und verköftigt, jew 
dern auch je nad dem Befenntnifje der Eltern oder Kinder i 
den reformirten oder in den Intherifchen Schulen des Haufes (im 
denen 3 reformirte und 14 lutberifche Lehrer beftellt waren,) im 
Ehriftentum, im Leſen, Schreiben und Rechnen unterrichtet. Nag 
ihrer Confirmation wurden die Kinder (mit einer Bibel und einen 
Geſangbuche) zu einem in dem Waifenhaufe oder in der Statt 
wohnenden Handwerker in die Lehre gebracht. Die Lehrer de 


Schindler, welcher 1734 das drei Meilen von Berlin entfernte Dorf Schöneicht 
kaufte, wo er zur Unterhaltung und Erziehung zwölf armer vater- und mutterlefe 
Knaben Iutherifcher Eonfeffion ein Waifenhaus bauen ließ, und deſſen MWittwe, 
weihe das Waifenhaus i. 3. 1741 zum Erben faft ihres ganzen bedeutenden 
Vermögens einſetzte. Die Euratoren der Anftalt haben fpäterhin Schöneiche ver- 
fauft und das Waifenhaus, um es befer beauffichtigen zu können, nady Berlin verlegt. 


») Daher erfchienen damals auch mehrere Schulbücher, welche lediglich für 
Soldatenfchulen geichrieben waren. So gab € D. Küfter zu Etendal 17% 
einen befouderen „Soldatenkatechismus.“ Bu Beeslau erfhien 1785 ein „Lehr 
buch zum Beften der Garnifonsfchulfinder in Breslau,” wozu fpäterhin (1798) 
no ein „Lehrbuch für Soldatenfhulen“ kam. 


1 — 


Watfenhausjchulen genoßen c 199 einem jährlichen Gehalte freie 
Wohnung und Epeifung in vem Haufe. Die Kirche (in welche 
auch das Mädchenwaifenhaus :und das Lazarethaus eingepfarrt 
waren,) befand fih auf diefem Knabenwailenhaufe. Zwei Predi- 
ger, ein lutheriſcher und ein reformirter, übten die Mitaufficht 
über die Schulen des Waifenhaufes aus. 

Das zweite Haus der Potsdamer Waifenanftalt war das 
Mäpdhenwaifenhbaus, in welches alle armen Soldaten- 
töchter and allen Regimentern der Armee aufgenommen werben 
fonnten. Gewöhnlich umfafte Dasjelbe gegen 600 Mädchen, welche 
in den Iutherifchen oder reformirten Schulen des Haufes Reli 
gionsunterricht, Leſen, Schreiben und Rechnen lernten und außers 
dem von den Faktoreſſen, welche in dem Waijenhaufe angeftellt 
waren, in allerlei Yuduftriearbeiten geübt wurden, Bur Unter 
weilung der Mädchen im Spibenfnöppeln war eine Lehrerin aus 
Brüffel berufen. Nach der Konfirmation wurden die Mädchen mit 
ganz neuer Kleidung uud einigen Senden , fowie mit einer Bibel 
und einem Geſangbuche entlaßen. 

Das dritte Haus der Anftalt war das Lazarethaus 
in welchem ein Arzt und ein Felpfcheerer die ärztliche Behandlung 
und ein lutheriſcher Xehrer die fittliche Beauffichtigung der Franken 
Waiſenkinder ausübte. | 

In einzelnen Garnifonsftädten der Provinz war für Das 
Bebürfnid der Soldatenfinder durch Einrichtung von GBarnifonds 
ſchulen geforgt. So beſaß das Kleiftfche Infanterieregiment zu 
Brandenburg eine Schule, welche durch Beiträge der Offiziere des 
Regimentd (vom General bis zum jüngften Kapitän herab) unter- 
halten wurde. Auch mufte jeder Soldat, der fid verheiratete, 
zu Gunſten der Schule 2 Rthlr. zalen. Bon diefen Geldern 
wurde eine monatliche Honorirung des Garniſonsküſters (der mi 
dem Feltprediger den Unterricht erteilte,) ſowie die Anichaffung des 
Holzes zur Heizung der Schulftube, die Anfchaffung der Bücher 
und der Echreibmaterialen, fowie ber Kleidung für die Armften 
Kinder und eine Subvention für Eltern, die viele Kinder hatten, 
beftritten. Uuterrichtet wurden die Kinder in der Religionslehre, 
im Lefen, Schreiben und Rechnen. 


Um in die einzelnen Garniſons- und Regimentsſchulen met 
Planmäßigkeit und uniforme Ordnung zu bringen, publigirte 
Friedrih Wilhelm i. 3. 1799 eine Gircularverorduung, welche 
am Earften darlegt, was fi der König unter einer Garnijons 
Schule und unter der Volksſchule überhaupt Dachte und nad) wel 
hen Geſichtspunkten er dieſelben eingerichtet haben wollte. Da 
alte Begriff der Volksſchule war völlig aufgegeben; die Schule 
follte lediglicdy den Ywed haben, den zukünftigen Soldaten, Hant 
werfämann und Bauern ald Menſchen, als Untertban und für 
feinen Beruf zu bilden und ihn in leßterer Hinficht möglihk 
brauchbar und mit fich felbft und feiner Lebensftellung zufrieden 
zu machen. Demgemäß war der Unterridyt in den zehn Geboten 
die Hauptjache des (übrigens ſehr bei Seite geftellten) Religions 
unterrichtes. Die Gircularverordnung lautete wie folgt: 

„Königliche Gircular - Verordnung an fämmtlide 
Regimenter und Bataillons, die Oarnifon » Schulen kr 
treffend. 

Ich habe mit vieler Zufriedenheit wahrgenommen , das die 
meiften NRegimenter und Bataillons, Meinen Wünfchen gemäf, 
bemüht find, ihre Garnifonsjchulen zu verbeßern und ihnen eine 
dauerhafte Eziftenz zu verichaffen. Verjchiedene Negimenter haben 
bierin fo anſehnliche Fortichritte gemadyt, daß Ich das Bergnügen 
nicht verfagen Fann, ihnen für die Sorgfalt, womit fie dag Bel 
der Fünftigen Generationen zu gründen fuchen, meine lebhaftekt 
Grfenntlichfeit zu bezeigen und fie aufzumuntern, der gröpem 
Bervolfommnung ihrer Schulanftalten fernerhin ihre Kräfte p 
widmen. Bon denjenigen Chefs aber, welche mit dieſer wichtigen | 
Angelegenheit noch zurüd find, hatte Ich Mich überzeugt, dgj 
der Grund davon nicht in ihrem geringen Eifer, fondern nur | 
dem Mangel weniger günftiger Umftände liege, welchem ab 
helfen fie fich zur ftrengften Pflicht machen werden. Anden M Mi 
Mich damit bejchäftige, die innere Einrichtung einiger Garnijenr 
Schulen näher kennen zu lernen, finde Ich jedoch, daß ſich man J 
ein Biel vorgeftedt haben, welches zu erreichen mit greis WM 
Schwierigkeiten verbunden’ ift und welches zu weit außer de 
Graͤnzen einer Garniſonsſchule liegt. Wenn nun gleich jene hu 





— 97 — 


fie durch ausdauernden Eifer und einige Aufopferungen zu 
ı wären, jo kaun der praftiihe Menfchenfenner nicht gleich 
z gegen die Folgen fein, welche mit allen Extremen verbun- 
ind und bei einer zu weiten Ausdehnung des Volfsunterrichts 
als irgendwo nachteilig auf dad Wol des Ganzen wirken 
en. Wahre Aufflärung, fo viel zu feinem eignen 
zum allgemeinen Beften erfordert wird, beſitzt 
reitig derjenige, der in dem Kreije, worin ihn 
Schidfal verſetzt hat, feine Verhältniſſe und 
ten genau kennt und die Fähigkeiten hat, 
n zu genügen. Auf diefen Zwed ſollte daber 
Anterridht inallen Volksſchulen eing eſchränkt 
den. Die Zeit, welche man darin auf den oberflaͤchlichen 
richt in Wißenſchaften verwendet, von welchen der gemeine 
u in feiner Ephäre feinen Gebrauch machen kann, iſt gröftens 
verloren. Er vergift Das gehörte fehr bald, und was noch 
inem &edächtuiffe bleibt , find unvollftändige Begriffe, aus 
en falſche Scylüffe und ſolche Neigungen entjtehen, Deren 
edigung fein Stand ihm nicht geftattet und welche ihn nur 
rgnügt und unglüdlidd maden. Da der Hauptzwed der 
niſonsſchulen die Bildung Fünftiger Soldaten 
9 braucht in ihnen nicht mehr gelchrt zu werben, ald dem 
nen Maun, Unteroffizier und Feldwebel zu wißen nötig ift, 
hre Stellen ald brauchbare und zufriedene Menjchen auszu⸗ 
. So gering diefe Forderung ſcheint, fo ift fie es in der 
doch nicht, wenn ihr ganz genüget werden fol. Zur geis 
Aunsbildung eines Soldaten erfordere Sch, Daß derſelbe 
Ffliht ale Menſch, als Unterthban md ald Soldat 
ı Eenut; daß er von den verfchiedenen Erwerbsarten, welche 
n Stande angemepen find, und von den Mitteln, ſolche aufs 
zu benugen, fo unterrichtet worden, daß er zu feinen fünf 
Nebenverdienft Diejenigen auswälen kann, welche mit feinen 
zfeiten und Neigungen am Beſten übereinftimmen und daß 
wol zur Führung feiner eignen Angelegenheiten, als auch um 
iſt zum Unteroffizier oder Feldwebel zu avanciren, gut leſen, 
ben und rechnen kann und von den einem Profeſſioniſten 
pe Bolläigulwejen, & [ 


— 98 — 


nüßlichen Wißenſchaften die nötigen Kenntniſſe beſitzt. Gin mit 
dieſen Eigenſchaften audgerüfteter Soldat wird auf feinem Play 
gewiß ein brauchbarer Diener des Staats und zugleich ein glüf- 
licher Menfd fein, wenn Niemand das Beftreben nady böhern 
Dingen in ihm zu erweden ſucht. Der Keim zur Unzufriedenheit 
mit feinem Stande wird fich aber in cben Dem Maabe entwideln, 
in weldyem man feinen wißenfchaftlichen Unterridyt weiter ausdehnt. 
Kur wenige Menfchen der untern Volksklaſſe find von ber Ratıt 
jo fehr verwahrloft, daß fie nicht die Fähigkeit haben follte, 
etwas mehr zu leiften als ihr Stand erfordert und fidy datum 
auf irgend einem Wege über benjelben zu erheben. Gin zu wei 
ausgedehnter Unterriht wird das Gefühl foldyer Fähigkeiren in 
ihnen rege machen, durch deren Anwendung fie fich leicht ein 
günftigeree Schickſal, ald das eined gemeinen Soldaten ift, wir: 
den verschaffen fönnen. Daher kömmt es, daß die oberflädlichfe 
Bekanutſchaft mit den Wißenjchaften gewöhnlich eine Abneigung 
gegen Erlernung einer Profeffion einflöf. Die unzäligen Beweiſe, 
welche die größeren Schulen davon liefern, find meiner Aufmerk 
ſamkeit nicht entgangen. Sch weiß ſehr wol, Daß die meiften 
Hantiwerfsjöhne, welche jene Schulen befudyen, wenn fie aud nur 
nmittelmäßige Fähigkeiten haben, licher deu mühjamen und un 
fihern Weg eines Halbgelehrten wälen, ald die einträglicten 
Etabliſſements ihrer Väter annehmen, in welche fie ohne Mühe 
eintreten und bei welden fie ihre erlangten Keuntniffe jomel zu 
ihrem eigenen als zum Beſten des Publikums fehr gut benupen 
könnten. Stolz, igentünfel und Abneigung gegen koͤrperliche 
Arbeiten find gewöhnlidy die Quellen ſolcher thörichten Entichlüft, 
welche unter denſelben Umftänden immer dieſelbe Wirkung hervor 
bringen. Wenn gleich dem Eoldatenfohn Die Wal feines fünfrigen 
Standes mehr befchränft ift, fo muß er fih doch unglüdlich fühlen, 
wenn jene Leidenichaften einmal in ibm gewedt werben und er 
ſolche nicht bejriodigen fann. Die Lehrer einiger Garniſonſchulen 
find in ihrem gut gemeinten Gifer fo weit gegangen, daß fie ihren 
Unterricht auf allgemeine Länderfenntnis und felbft auf die Ar 
fangsgründe der mathematischen Geographie, Weltgeſchichte, Et 
tiſtik, Verhältnis der Staaten gegen einander, ihrer Hantelebi 





— 99 — 


lanzen u. ſ. f. ausdehnen wollen. Dieſer Unterricht mag fo ober: 
flählich fein, wie er wolle, der gröfte Teil davon gehört Doc, 
wie ich fchon gejagt habe, verloren und dient nur dazu, bei 
öffentlichen Prüfungen damit zu prablen. Es wird immer beßer 
fein, wenn der Knabe Die dazu nötige Zeit in der Induſtrieſchule 
zubringt und fi, dort etwad Geld erwirbt, womit er den Eltern 
feinen Unterricht erleichtert und feine Pertigfeiten in nüßlichen 
Handarbeiten vermehrt. Soldaten und Unteroffiziere 
werden ihre Tagemärſche vollenden, ohne die Länge: 
und Breite der Derter zu wißen, und was fie im ger 
meinen Leben von fremden Ländern erfahren, wird ihnen den 
abgegangenen Unterricht in der Geographie hinlänglicdy erjegen. 
Zu welchem Zwecke will man denen, weldye, wenn fie zum Marſch 
beordert werden, nicht einmal fragen Dürfen: warum? und wohin ? 
von den PVerhältniffen der Staaten gegen einander Uuterricht 
geben? Und was foll e8 dem Soldatenfohne, der in feiner Eünfe 
tigen Beitimmung von geringem Solde und mühſam erworbenem 
Nebenverdienfte leben muß, was foll e8 dem helfen, daß man ihm 
die Mittel und Wege zeigt, wodurch er fi als Kaufmann mit 
leicht gewwonnenem Gelde und ohne eigentliche Arbeit den höchften 
Lebensgenuß würde verjchaffen können? Der Geiſt der Zeit bat 
Ihon ohnedies unter allen Menſchenklaſſen ein unaufhörliche Ber 
fireben rege gemacht, fich über ihren Stand zu erheben, oder 
wenigftens die Forderung befjelben immer höher zu jpannen. Ich 
rechne fehr gerne dasjenige ab, was man ald eine notwendige 
Folge des höher geftiegenen Wertes der Dinge annehmen muß. 
Das Uebel liegt aber tiefer nnd e8 muß demjelben mit Gruft 
entgegengearbeitet werben, wenn nicht zuleßt alle Verhaͤltniſſe 
zerftört werben follen. Ich werde Daher mein bejondereöd 
Augenmerk darauf rihten, daß bei allen Volks— 
Schulen folder Unterricht eingeführt werde, welder 
der jungen Generation mehr Liebe und Achtung für 
den Stand ihrer Eltern einflöf. Sämmtliden Militärz 
Chef3 made ich aber hiermit beſonders zur Pflicht, bei ihren 
Barnifonsfchulen diefen Geſichtspunkt nie zu verlieren. Der Sol⸗ 


Datenfohn muß von den Rechten, welche der Etaat auf jeine 
7° 


— 10 — 


Dienſte bat, von feinen Pflichten und Verhältniffen und von ten 
Vorteilen, worauf er Dagegen Anſpruch machen Darf,» jo genau 
unterrichtet werden, Daß ihn fein eigenes Urteil zur Zufriedenheit 
mit feinem Stande leitet und er jo viel ald maglich aufhört, mit 
Neid und geheimen Haß an Höhere hinaufzufehen. Wer ti 
Fähigkeiten befigt, ein auf dieſen Zweck gerichtetes Lehrbud zu 
ſchreiben, kann ſich dadurch ein großes Verdienft um das Fünftige 
Glück der Soldatenföhne erwerben und meiner Ichbafteften Gr- 
kenntlichkeit verjichert fein. Ich wünfche, Daß der Religion« 
unterricht damit verwebt würde, und Daß nad Abhand- 
Iung der 10 Gebote auf alle im bürgerlichen Leben 
verbotene Handlungen und der Darauf gejeßten Stra 
fen in katechetiſcher Form fo kurz ale möglich audein 
andergefeßt würden. Ein ſolches Bud würde felbft dem 
alten Soldaten eine nüßlidhere Lectüre als alle Er 
bauungsbüder fein und ihm vollfommen den Mangel aler 
Volksſchriften und Volkszeitungen erjegen, wo man auf jedem 
Blatte mehr tie Spekulation der Herausgeber, als den Vorteil 
des Publikums wahrnimmt und wodurd nur eine fchädliche Leje 
wut unter dem gemeinen Wanne verbreitet wird. Da indefien 
zur Berfertigung eines foldyen Lehrbuchs mehr eigenes Nachdeuken 
und Zeit erfordert wird, als zur Compilirung aller bisherigen 
Lehr= und Leſebücher, fo kann ich Den Wunfch nicht untertrüden, 
Daß fid nur Männer von annerfannter Popularität und praftijcher 
Menſchenkeuntnis an tiefe Arbeit machen und Dabei fo auf dad 
Allgemeine ſehen mögen, Laß dieſes Lehrbuch nidyt allein für 
Garniſonsſchulen, welche zugleich fünftige Bürger und Bauern, 
fondern auch für die VBürger- und Bauernſchulen, welche zugleih 
fünftige Soldaten bilten müßen, braud;bar werte. Ich habe 
ber Geſchichte nch nicht erwähnt und will alfo nur bemerken, 
daß der Unterricht darin ſich lediglich auf die wichtigften Greig 
nifje Des Vaterlandes einfchränten und Eeinen andern Zweck haben 
bürfe, als Liche und Anhänglicykeit für dasſelbe, Stolz auf bie 
Thaten unferer Vorfahren und Die Begierde zur Nachahmung der 
ſelben zu erweden. Cine befondere Auszeichnung der fähigften 
Schüler, wie 3. B. in einigen Schulen eine Glite aus ber erſten 


\ 


— 11 — 


Klaffe ift, finde ich bei einer Garniſonsſchule nicht zweckmäßig, 
noch weniger, Daß man den jungen Leuten dadurch eine beftimnte 
Ausfiht zum Avancement eröffnen will. Ohne Leſen, Schreiben 
und Rechnen gebörig gelernt zu haben, ſollte eigentlich Keiner 
emancipirt werten; man muß Daher feinem den Mahn laßen, daß 
er dieſerbalb eine befontere Aufmerkjamfeit verdiene. Die Gars 
nifonsfchulen würden nur fchlechte Früchte tragen, wenn die Anzal 
folder Soldaten, weldye Die gemeinen Fertigkeiten befißen,, in 
der Folgezeit nicht größer fein ſollte, als Gelegenheit vorhanden 
fein wird, fie alle zu Unteroffizieren und Seldwebeln zu avanciren. 
Man würde Daher, wenn man einigen ausgezeichneten Zöglingen 
ein Vorzugsrecht zur Beförderung geben wollte, nur einen Ehr⸗ 
geiz in ihnen anfachen, weldyer zu ſpät oder nie befriedigt werben 
und ihnen das Unglüd fehlgeichlagener Hoffnungen in feiner ganzen 
Staͤrke fühlbar madyen würde Mit weit günftigeren Grfolge 
würde man Dem fleißigften Schüler ein feinen Faähigkeiten ents 
ſprechendes Buch zur Belohnung jchenfen können. Ich fordere daher 
jeden einfichtsvollen Patrioten, der meine gute Abficht beherzigt, 
bejonders aber Difiziere und Feldprediger auf, nach diefen Grunds 
fägen einen Unterrihtsplan zu entwerfen, weldyer wo möglıd) 
allen Garniſons-, Bürger: und Bauernſchulen zur Norm dienen 
fönne; dasjenige, wodurch ſich legtere von den beiden erfteren 
unterſcheiden, wird ſich dann leicht ergeben. So widhtig indeſſen 
die Einrichtung der Garniſonsſchulen ift, jo würde doch der Nugen 
derjelben nur unvollkommen fein, wenn wicht zugleich Induſtrie⸗ 
Schulen tamit verbunden würden, worin tie Soldatenfinder ihre 
fünftigen Erwerbömittel lernen und in den Stand gejegt werden, 
ihre Eltern für die Beit, welche fie in der Garniſonsſchule zus 
bringen müßen, durdy einen Geldverdienſt zu entihädigen. Die 
von dem Oberften von Tſchammer beim Regiment Prinz Ferdinand 
eingerichtete Induſtrieſchule, in welder die Kinder, ob fie 
gleich Die Hälfte des Tages in der Garniſonsſchule zubringen 
müßen, dennoch, nad Masgabe ihrer Kräfte und Fertigkeit, mo⸗ 
natlih 2, 3, A, ja fogar 5 Rthlr. und darüber durch ihre Arbeit 
verdienen , Teiftet Alles, was man von einer ſolchen Anftalt er⸗ 


warten ann; weshalb ich ſolche allen Regimentern und Bataillond 
zur Radyahmung beftend empfehle. 
Sharlottenburg, den 31. Auguft 1799. 
Friedr. Wilhelm. 


Die Volksſchulen des GKonfiftorialbezirfed Frankfurt ad. 
Dder hatte der aufgeflärte Frankfurter Profeflor Steinbart 
zu reformiren gejucht, aber fein Bemühen war ohne Grfolg ge 
weſen. Cteinbart hatte, ald die Staatöregierung die Aufmerb 
ſamkeit der Landesbehörden auf die dringende Notwendigfeit einer 
gründlichen Hebung des Volksſchulweſens zu lenken begann, be 
Antrag geftellt, daß man vor Allem neue Schulbücher anfertigen 
möge, worin die Kinder ftatt übernatürlicher Religionslehren ganz 
vernünftige Nealfenntnifje, die fie zu verftändigen Landwirten 
machten, lernen könnten. Derartige Dinge würden die Schul 
meifter ſchon in geeigneter Weife behandeln und Ichren koͤnnen; 
ben Religionsunterricht Fönne man alsdann den Pfarrern, tie 
dazu namentlich im Winter überflüßige Mufe hätten, überlapen. 
— Sn Folge dieſes Antrags wurde Eteinbart von dem Etautk 
miniſter von Münchhauſen aufgefordert, die nötigen Schulbücher 
andzuarbeiten. Steinbart fehrieb Daher nicht nur einige ergentlide 
Schulbücher, jondern auch ein Methodenbuch für Schulbalter. 
Um ſich darüber zu vergewißern, daß dagjelbe auch recht ver 
ſtändlich abgefaft fei, ließ Steinbart in jeder Woche einige Schul: 
halter zu ſich fommen und las denſelben einige Abfchnitte feines 
Manuſcripts vor. Nachdem fo eine Zeit lang Die mühjeligten 
Sgperimente und in Folge deſſen vielfache Abänterungen vorge 
nommen waren, hatte Steinbart endlich einige Bogen zu Wege 
gebradyt, die den Echulmeiftern verftändlich waren. Um indefien 
mit feiner Sache ganz ſicher zu geben, ſchickte Steinbart feine 
Bogen aud) nach Pommern und Weſtphalen und ließ fie bafelbft 
mehreren Schulmeiftern mitteilen. Allein man fchrieb ihm zurüd, 
daß die dortigen Küfter faum den zehnten Teil des Gefchriebenen 
recht veritehen fönnten. 

Steinbart entwarf daher ein neues Projekt; er hoffte in 
allen Gegenden „helldenfende und patriotifche Prediger“ zu finden, 


— 1 — 


he die Mühe übernehmen würden, einerfeitS feine Schulbücher 
mzuarbeiten, daß fie in ihren Schulen Eingang finden könnten, 

andrerjeit8 die Echulmeifter anzuweifen, wie fie dieſelben 
"auchen müften. 

Anzwifchen hatte der König die Verwaltung des geiftlichen 
sartementd dem Minifter Zedlig übertragen. Diefer ermunz 
>» Steinbart zur Fortſetzung feiner Schulverbeßerungsarbeiten 
ihidte ihm mehrere dieſen Gegenftand betreffende Entwürfe 
Vorſchlaͤge, welche bei dem Minifterium eingegangen waren, 
Benußung zu. Zur Grleidhterung feiner Arbeiten erhielt 
inbart auf fein Anfuchen auch Poftfreiheit zugefichert. Gleich. 

blieb Alles, was Steinbart bis dahin ausgeklügelt hatte, 
todtgeborne Frucht. Es kam zu gar nichts. 

Sn Bommern zälte man damals etwa 1250 Küfter und 
diehulen, Die indeffen nur mit dem allergröjten Unrecht fo 
ınnt wurden. Faft nirgends war für den Schulhalter ein 
r Gehalt und nur an wenigen Orten waren Schulhäufer 
handen. Daher gab es auch auf dem Lande nur Winter: 
len, indem die Gemeinde denjenigen für die MWintermonate 
Schulhalten Dingte, der dafür am wenigften forderte. Ganz 
öhnlich war der Kuhhirte, der das Vieh der Bauern im Som— 

auf die Weide trieb, derfelbe, der im Winter die Schul: 
er — ind Hirtenhaus trieb, wo in der Regel die „Schule“ 
lirt wurde. Das Gonfiftorium der Provinz hatte ſchon man— 
lei verfudt, um dieſem Elende ein Gute zu machen. Auf 
ehl des Königs hatte man die Einnahmen verbeßert, jo daß 
icher Lehrer 40 Rthlr., mancher fogar 80 Rthlr. erhielt. Aber 
für jedes Jahr desfalls zur Dispofition geftellte Summe von 
O0 Rthlr. reichte nicht aus, um den armen Küftern nur dag 
rnotdürftigfte zu gewähren und Die Verbeßerung, Die das Con⸗ 
rium an den Schulmeiftern ſelbſt (durch Anordnung von Prü— 
zen derfelben, Entlaßung der gänzlih Unbraudybaren u. |. w.) 
zunehmen verjudhte, führte auch zu nichts. 

Erft mit dem Jahre 1791 begann für die Volksſchulen in 
nmern eine beßere Zeit anzubredhen, indem in PDiefem Sabre 
erfte Verſuch mit Errichtung eines Schulmeijterfeminard ges 


— 10141 — 


macht wurde. Die Kirhen in Pommern und Rügen, mit An 

nabme derer zu Etralfund und Greifswalde, gaben die dazu er 

forderlihen Fonds her. Indeſſen beftand die ganze Einrichtung 
nur darin, Daß einige junge Leute, welche man Seminariften 
nannte, bei einem Stadtgeiſtlichen zu Greifswalde wöchentlidy 
vier Stunden Religiondunterriht und bei den Küftern der Ricolai> 
und Marienkirche Unterriht im Schreiben und Rechnen erhielten. 
Um aud für gänzlicdy Unbemittelte den Genuß dieſes Unterrichts 
zu ermöglichen, war für ficben Seminariften eine monatliche Un> 
terftüßung von 2 bis 3 Rthlr. audgeworfen. Um fidy für ihrem 
Beruf auch praftiich auszubilden, erteilten die Seminariften unter 
Auffiht ihres Lehrers felbit arnen Kindern unentgeltlihen Un⸗ 
terricht. 

Um dieſelbe Zeit wurde auch auf der Inſel Rügen die 
erfte Schule cingerichtet, in der ein methodilcher Unterricht erteilt 
ward, indem ber Prediger Piper zu Guftow auf Rügen einen 
Lehrer aus dem Halberftädter Seminar berief und dadurch nit 
allein feiner Gemeinde, fondern aud den Predigern und Lehrern 
ber Inſel zum erften Male zeigte, was unter einem methodiſchen 
Schulunterricht zu verftchen fei. 

Sn der Stadt Greifswalde erhielt dad Armenfchulmeen 
eben tamals eine fehr erhebliche Erweiterung. Ecyon. früher 
war daſelbſt durch einen Amtsmeifter der Maurer (Göpel) ver 
finderlo8 geftorben war, eine Armenfchule gegründet worben, 
indem derſelbe 800 Rthlr. dazu ausgeſetzt hatte, daß arme Bür 
gerslinter, namentlid) Die aus der Maurerzunft, von ben Küftern 
ber Nicolai» und Marienfirde unentgeltlichen Unterricht in ber 
Religion, im Schreiben und Rechnen erhalten follten. Weit be 
beutender war jedoch Die von tem i. J. 1790 verftorbenen Pre 
feffor ter morgentäudifhen Sprachen zu Greifswalde Oberkam— 
in dem Nicolaifchen Kirchfpiel geftiftete Anſtal. In der Ober 
fampifchen Armens und Freiſchule ſollten nach der Stiftungsurkunde 
15 bi8 16 Stabtfinder, teild Knaben, teild Mädchen, wenn fie 
das 7. oder 8. Jahr erreicht hätten und fertig leſen Fönnten, im 
Ehriftentum, im Schreiben, Rechnen und in gemeinnügigen Kennt, 
niſſen täglich drei Etunden Vormittags und drei Etunden Nach— 


— 


— 105 — 


tags drei bis fünf Jahre lang unentgeltlich unterrichtet werben. 
’eflen follte nur eine Stunde Vormittags und eine Stunde 
Hmittagd zum Schreiben und Red;nen verwendet werden. Für 
Defoldung des Lehrers, Heizung des Schulzimmers, fowie 
Die Beihaffung der Schulbficher und ſelbſt der Kleidungsftüde 
einzelne ganz arme Kinder waren in dem Teſtamente bes 
fters die nötigen Mittel angewiefen. Die Gefammtfumme, 
He derjelbe für die Anftalt gefchenkt hatte, betrug 4800 Rthlr. 
t Michaelid 1800 begann aud der Magiftrat zu Stralfund 
die Erziehung der Armen feiner Stadt fein Augenmerk zu 
“en, Die Einrichtung einer Arbeitsfchule wurde als dringendes 
ürfnis angefehen. Es wurde daher ein beſonderes Gebäude 
Sinrihtung einer Induftriefchule gekauft und ausgebaut und for 
ıı wurden die nötigen Materialien und Werkzeuge angeſchafft. 
a Lehrer und Auffeher der Auftalt unter der Dirertion einer 
den Mitgliedern des Magiftrats und einem Prediger beftehen- 
Schulfommiffion, wurde der Bandidat Piper, ein Bruder des 
Digerd zu Guſtow, gemwält. Außer ihm wurbe eine Lehrerin 
Leitung der Arbeitäftunden angeftellt. Binnen Jahresfriſt 
e fih die Schülerzal um das Doppelte vermehrt. Die erfte 
Ne, die fich in den Lehrftunden mit Buchftabiren und Lefen, 
flandesübungen, Erlernung der Zalen und Kopfrechnen be: 
ftigte, hatte täglich 2'/, Stunden Unterricht und 2 Arbeits: 
iden. Die zweite Klaffe, die außerdem im Schreiben geübt 
rde, hatte 3 Stunden Unterricht und 3 Arbeitöftunden. Die 
te Klaſſe, die in der Religion und gemeinnügigen Kenntnifjen 
' der Geographie, Naturgefchichte, Technologie und Geſund⸗ 
Slehre unterrichtet wurde, hatte 3'/, Stunden Unterricht und 
, Arbeitöftunden. In den legteren wurden die Schüler über: 
pt im Striden, Spinnen, Garnwideln und Nähen bejchäftigt. 
» Kinder armer Eltern wurden mit Kleidungsftüden verjorgt. 
k großer Strenge wurde von Allen ein ununterbrochener Be: 
ı der Schulen gefordert. 

In Halle war das weltberühmte Waifenhaud fjchon im 
ı 1740 zu einer folhen Blüte gelangt, Daß die Zal der auf- 
ehmenden Waifen auf 200 (150 Knaben und 50 Mädchen) 


— 106 -- 


erhöht werden konnte. Die Knaben trugen ſchwarzgraue Röle 
mit meffingnen Anöpfen und Iederne Hofen und Strümpfe von 
derjelben Farbe. Sie wohnten in verfchiednen Zimmern, ſchliefen 
aber alle in einem Saale unter Aufficht einiger Lehrer, Der 
Unterricht war der in den beßeren Volksſchulen gewöhnliche. Die 
Mädchen wurden auch in weiblicdyen Arbeiten geübt. — Die Yand 
Ichulen in der Umgegend von Halle waren im elendeften Zuſtande. 
Der erfte Verfuch zur geiftigen Hebung der Schullehrer ſelbſ 
batte bier der Gonfiftorialrat Senff zu Halle durch Kinrichtung 
einer Leſegeſellſchaft unter den Schullehrern feiner Inſpection im 
Jahr 1789 gemadıt. *) | 

WViel Erfreuliches war dagegen im Magdeburger Lande 
wahrzunehmen. In Magdeburg felbft batte ſich die große Etadt 
Ihule, ein ehemaliges Franziskanerkloſter, der Stadt und ber 
umliegenden Gegend fehr nüglid) gemacht. Der Altftädter Mayr 
ftrat, weldyer Patron der Schule war, hatte feit einer Reihe von 
Fahren die Verbeßerung der Schule betrichen und namentlich anf 
die kümmerlichen Befoldungen ber Lehrer einigermaßen erböbt 
Diefe Stadtfhule und die Domfchule unterhielten einen gut ge 
übten Singchor. — Audy die Neuftäbtifche Schule, an welde 
ein Rektor und drei Schulcollegen wirkten, war großenteild nut 
eine deutjche Schule, erfreute fi) jevody (unter dem Patronat dei 
dafigen Stiftes und Magiftrats) nicht der beften Verfaßung. — 
An der walloniſchen reformirten Gemeinde waren 3 @lementar 
lehrer bejchäftigt, von denen einer in der Stadt, einer in be 
Neuftadt und einer auf Dem gemeinfchaftlichen deutſchen und wal⸗ 
loniſchen Waiſenhauſe wohnte. — Für die Töchter der deutſchen 
und mwallonifchen Gemeinde war eine Mätchenfchulbalterin beftclt- 
Die franzöfifche Gemeinde unterhielt einen Echulmeifter in def 
Stadt und einen in ihren Waiſenhauſe. Außerdem waren in 
jeder Barochie einige fogenannte Winfelfchulen, welche, verhaͤlt⸗ 
nismäßig ganz gut eingerichtet, von dem Stadtjenior und eu 
Pfarrer des betreffenden Kirchfpield beauffichtigt wurden. Au 


5) Vrgl. Krünig, ökonomiſch technologiſche Encyclopädie B. 61, ©. 743 #- 


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befanden eine von dem Abt des Klofterd Bergen, Steinmeß, bes 
gründete Trivialarmenfchule, die ſich mit Recht eines guten Rufes 
erfreute, und fir Die Beſatzung eine Garniſonsſchule. — Für Die 
fatholifchen Kinder war von den Aebtiſſinnen des Neuftädtifchen 
Jungfrauenklofter8 eine vortreffliche kleine Trivialfchule angelegt 
worden, worin nach Felbigers Methode unterrichtet wurde. 

Auch die Dorffchulen waren im Magdeburgifchen weit. beßer 
beſtellt, ald in den meiften andern preußifchen Landen. Denn 
ie meiften Echulmeilter hatten ihre ausreichende Ginnahme, konn⸗ 
en ſich ihrem Amte wirklich bingeben und auf der einmal erlangten 
stelle bleiben. Einige Dörfer hatten fogar zwei Lehrer, einen 
T Die Knaben und einen für die Töchter. Unter den adlichen 
am ilien jener Gegend hatten fi namentlich Die von Alvensleben 

Dundisburg und die von Mündhaufen zu Leizfau um das 
Ayıslwejen ihrer Ortſchaften verdient gemadht. *) 

Im katholiſchen Schlefien rang Felbigerd Reformgeift 
ich fortwährend mit den Hinderniffen, die fi ihm in taufend- 
her Geftalt entgegenftellten. Aber dennoch war die Saganifche 
form in der öffentlihen Meinung zu entfchiedner Anerkennung 
ekommen und war binlänglich gefichert, indem nicht nur eine 
eträchtlihe Anzal von Schulen nach derjelben eingerichtet war, 
»ndern aud die neueren fchulrechtlichen VBeftimmungen und ber 
sinfluß Der eben erft begründeten Seminarien das alte Echulun- 
vejen notwendig mehr und mehr zu Grabe tragen muften. 

En weit Felbigerd Reform reichte, jah man es überall als 
lufgabe der Schule an, das Gedächtnis der Schüler nicht blos 
it Worten, fondern aud mit Sadyen und wirflich verftandnen 
egriffen zu üben und den Menſchen wirflid auszubilden. 
inſichtlich der Sachen, welche gelehrt wurden, unterſchieden ſich 
e deutſchen Etabiſchulen von den Dorfſchulen. Auf den Dörfern 
"ten die Schüler Die Religions- und Pflichtenlehre, das Singen 

Kirchenlieder, dad Buchftabiren und Lefen der deutfchen (in 
— — 


5) Vorſtehende Nachrichten find namentlich aus den Relationen „über den 
AMD des Edul- und Erziehungsmwefens in den preußifchen Staaten“ in der 
3. Bibliothek für das Schul⸗ und Erziehungswefen für Deutfpland“ ® . VIII 

Umgen 1780) geſchöpft. 


— 108 — 


Dberfählefien auch der polnischen) gedrudten und gejchriebenen 
Schrift, Schönſchreiben und Rechnen bis zur Regeldetri. In den 
Städten wurde die Religions» und Pflichtenlehre ausführlige 
und im Zufammenhange mit der Religionsgejchichte vorgetragen. 
Man lehrte die Kinder nicht blos leſen, fondern auch mit da 
erforderlichen Stimme leſen; außerdem übte man fie aud) im Pen 
ber üblichen frangöfifchen und Iateinifhen Ausbrüde. Der Schreib 
lehrer Ichrte die Schüler die Kanzleis und Frafturfchrift, übte fe 
im Scyreiben des Lateinischen, in der Orthographie, im Brid 
fchreiben, im Nachfchreiben von Diftaten u. drgl. Der Unter 
richt im Rechnen war erweitert, Geographie, Geſchichte und Mu 
fit wurde gelehrt und felbft aus der lateinifchen und franzoöͤſiſchen 
Sprache wurde das gelehrt, was nötig war, um Die aus be 
felben in die deutſche Verkehrsfprache aufgenommenen Ausdridt 
Elar machen zu Eönnen. 

Die übliche Lehrart berubte auf den Grundregeln der Ne 
thode Felbigers: Zufammenlehren, AZufammenlernen, Buchftabiten, 
Tabellarifiren und Katechiſiren. 

Zur Erteilung des Religionsunterrichte waren drei Katehi 
men eingeführt. Der erfte derfelben, welcher nur aus kurzen Sägen 
ohne Fragen umd Antworten beftand und nur zur memorielen 
Einübung beftimmt war, wurde von hen Incipienten gebrandt. 
Auch der zweite Katechismus wurde (mit Kindern von 7— 10 
Jahren) eigentlich mr zum Auswendiglernen benupt. Der 
dritte, ſehr ausführliche (aber auch ohne Fragen und Antworten 
zujammengeftellte) Katechismus wurde nicht auswendig gelernt, 
aber fleißig gelefen, indem berfelbe dazu dienen follte, „ältere 
Kinder von der Wahrheit ter Fatholifchen Lehre zu überzeugen‘ 
und „ihren Willen zu bewegen.” Außerdem wurden Felbigert 
„Srundfäge der Eittenlehre” und ein Lehrbuch der biblijcen 
Geſchichte erläutert und durchkatechifirt. — Zur Förderung ber 
Religionskenntnis waren daneben zwei Einrichtungen getroffen. 
Die Pfarrer muften nemlich allmöchentlich zweimal, einmal in der 
Schule an einem von ihnen zu beftimmenden Tage, und jodann 
Sonntags in der Kirche die Schulkinder katechiſiren; und Die aus 
ber Schule entlaßene Jugend war bis zum 20. Lebensjahre ver 





— 109 — 


ichtet, die für jeden Sonntag nah Beendigung des Gottes . 
nfted angeordneten „Wiederbolungsftunden“ zu beſu⸗ 
n, in denen, diefelbe indeffen nicht blos in der Religionslehre 
iter unterrichtet, fondern auch noch im Schreiben und Rechuen 
übt wurde. 

Um tüchtige Schullehrer zu erziehen, waren an mehreren 
rten Seminarien angelegt. Ueberall, in Klöftern wie in Städten, 
iren mit denfelben Ecdyulen verbunden. Indeſſen follten durch 
fe Anftalten nicht blos die zufünftigen Schullehrer, fondern 
h die Pfarrer ald Schulinfpeltoren informirt werden. Als 
chtigſtes Lehrbuch wurde in allen Seminarien’ Felbigerd Schrift 
Sigenichaften der Schulleute x. 2.” behandelt. Die Candidaten 
3 geiftlihen Stande wurden von den Directoren angewiefen, 
bt nur das Amt eines Schulinfpectord erfprieslich zu verwalten, 
dern auch einen methodischen Religiondunterricht zu erteilen und 
: von den Pfarrern zu liefernden Berichte über den Zuſtand der 
hulen anzufertigen. Deshalb waren auch die geiftlichen Candi⸗ 
ten bei den Katechifationen des Directord gegemwärtig und übten 

, in den Seminarien jelbft im Katechiſiren. 
Die Oberanfjicht über dad Schulweſen übten bie koniglichen 
omänenkammern und das biſchoöfliche Generalvicariatsamt zu 
zeslau aus, welches letztere alle halbe Jahre an die erſteren 
richt erftatten mufte. Die bejondere Beaufjihtigung und Leis 
19 der Volksſchulen war auf die Echullehrer felbft, auf Die 
arrer, Erzpriefter und Sculinfpectoren verteilt. — Die Schul⸗ 
hrer muften Verzeichniffe aller Echulfinder führen, monatliche 
Yulcataloge anfertigen, fie muften es notiren, wenn der Pfarrer 
ehifirt hatte u. drgl. m. Die Pfarrer, muften dafür Sorge 
ıgen, daß die jchulpflichtigen Kinder die Schulen und fpäterhin 
: MWiederholungsjtunden ordentlich bejuchten; fie waren ver: 
ichtet, alljäbrlih am erften Sonntag nah dem Feſt der Er- 
einung Chriſti und am zwölften Sonntag nad Pfingften über 
: Pflichten der Kinderzucht und der Barmherzigkeit gegen arme 
hüler zu predigen, an denſelben Tagen Collecten zu verans 
ten, um für arme Schüler das Edyulgeld und die zur An- 
Mung von Büchern und Echreibmaterialien erforderliden Mit: 





— 110 — 


tel aufbringen zu koͤnnen. Sie muſten die Ortsobrigfeiten zur 
Abſchaffung der Winfelfhulen anhalten, Die Hauslehrer, welche 
fid) einzelne Familien hielten, prüfen und waren außerdem ver 
pflichtet, 1) während der Edulftunden den Schullehrer nicht 
zur Afjiftenz bei Krankenbeſuchen rufen zu laßen, 2) ihre Schul 
meifter zu unterrichten und die Schulen in ihrem Pfarrorte we 
chentlich, auf den Filialen und eingepfarrten Ortſchaften wenigſten 
alle vierzehn Tage einmal zu vifitiren, 3) wöchentlich einmal in 
der Schule und allfonntäglid in der Kirdye Religionsunterricht | 
erteilen und 4) alle halbe Jahre über den Zuftand ihrer Schule 
an den Erzpriefter zu berichten und einen Auszug der Schultabellen 
einzufchifen. — Die Erzpriefter hatten die WBilitationen zu 
vollziehen, die nad) einer beftimmten Vorjehrift nach Faſtnacht an | 
geftellt wurden und fich auf Pfarrer, Eltern, Herrn, Schulmeiſte 
und Schüler, ja felbit auf Diejenigen Kinder erftredten, weihe 
von Hauslehrern unterrichtet wurden. — Die Sculinfpel: | 
toren, die aus ben höheren Geiftlichen gewählt wurben, hatten 
bauptfächlicy tie Volziehung der Schulordnung in den ihrer Ober: 
aufficht zugewiejenen Kreifen zu überwachen. Außerdem muften 
fie die Schulen der Erzpriefter und nad Befinden wol aucd, einige 
von den Schulen der dieſen untergebenen Priefter vifitiren, bie 
balbjährigen Berichte der Erzpriefter empfangen und muften aus 
biefen Berichten und aus dem Bifitationsprotocol, wenn fie zu 
Didcefe Breslau gehörten, an das dafige Generalvicariatsamt, 
wenn fie aber unter anderen Bifchöfen ftanden, an die Domänen 
fammern Bericht erftatten. 

Zufolge der neueren Verordnungen wurde fein Schulmeifter 
und aud fein Pfarrer mehr beftellt , der ſich nicht einige Zeit in 
einem Schullehrerjeminar hatte inftrniren laßen. Cine jede Schule 
mufte ihre eigene Schulftube haben. Den Schulmeiftern war es 
verboten, Handel und Wirtfchaft zu treiben, in den Wirtsbäujern 
und bei Feftlichfeiten mit Muſik aufzuwarten. Dagegen wat 
ihnen die Ausübung eines Handwerks außer den Schulftunden 
erlaubt und das Gurrendentragen war ihnen erlaßen. *) 


) Rach „Allg. Bibliothek für das Schul- und Erziehungswefen in Deuiid- 
land, Nordlingen” 1776, B. 4. ©. 234 ff. 





— 11 — 


Es gab Schulen, namentlicdy in der Umgegend von Sagan, 
in welden ſich alle tiefe durch Die Reform Felbigers herbeige- 
führten Anorduungen verwirklicht fanden und die Darum Treffliches 
leifteten; aber im Allgemeinen lieg doch aud in katholiſchen 
Schlefien das Volksſchulweſen noch Vieles zu wiünfchen übrig. 
Audy hier war die Unfähigkeit der meiften Echulmeifter und Die 
Unmöglidyfeit einer ſtrikten Durchführung der gejeglichen Beftim- 
mungen die hauptjächlichite Wurzel des Uebeld. Denn die anges 
ftrengteften Bemühungen Felbigerd und die bisherige Wirkſamkeit 
der jungen Scminare hatte Tod nur auf eine gar Kleine Anzal 
von Lehrern beßer einwirken fönnen. Noch immer tauchten „Schul: 
adjunfkten” auf, die niemald ein Seminar beſucht hatten, auch 
niemals von einem mit der neuen Lehrart vertrauten Lehrer unters 
richtet worden waren und dennoch Lehrerftellen erhielten. ‘Daher 
fam es vor, daß wolhabende Eltern ihre Kinder lieber von 
einigermaßen inftruirten gemeinen Soldaten unterrichten ließen, 
als daß fie diejelben in Die öffentliche Schule ſchickten, wo fie bei 
dem gänzlich unwißenten Schulmeifter doch nichts lernten. Schon 
hieraus erklärt es ſich, daß die vorjchriftSmäßige Inſpection der 
Schulen faum möglih ober von irgend weldyer Bedeutung fein 
konnte. Dem Schulreglement zufolge jollten die Inſpektoren in 
ihren Berichten die unfleißigen jowie die eifrigen Schullehrer nam- 
haft machen, damit jene gemaßregelt und nötigenfalls entlaßen, 
diefe Dagegen mit Beförderung belohnt werden könnten. Indeſſen 
nahmen die Inſpektoren von biefer ihrer Verpflichtung gar feine 
Notiz. Daneben war ed nur an wenigen Orten möglich, die 
Eltern der Schulkinder zur Befolgung der Schulordnung zu nöti- 
gen. Manche ſchickten ihre Kinder zur Schule, ehe fie jchulfähig 
- waren, d. h. vor dem fechsten Jahre, — nicht um fie unterrichten 
zu laßen, ſondern weil fie Diejelben täglid einige Stunden lang 
ans dem Haufe jchaffen wollten. Nach zwei Jahren hieß es dann 
doch: „Die Kinder gehen ſchon jo lange in die Schule und wißen 
wenig oder gar nichts;,“ man nahm alfo an, daß ber Lehrer 
nichts tauge. Andere ſchickten ihre Kinder zu fpät zur Schule, 
die Mädchen überhaupt nur des Morgens, die Knaben oft längere 
Zeit gar nicht. Jene jollten das Schreiben nicht lernen, damit 


— 112 — 


fie nicht zu frühzeitig Liebesbriefe jchreiben lernten. Konnten fe 
im neunten Jahre im Gebetbuche Iefen, jo hatten fie für ih 
ganzes Leben audgelernt. Es gab Eltern, weldye nady der alten 
Lehrart eben nichts gelernt hatten, und ed deshalb nicht gern 
ſahen, daß ihre Kinder klüger werden follten, als fie ſelbſt. Die 
Anfchaffung der neuen Echulbüher war nur bei wenigen Gltem 
durchzuſetzen, weshalb ed Schulen gab, in denen man eben jo 
viele Arten von Schulbüchern antraf, als Schüler da waren. 
Ebenjo fehlte ed faſt überall au dem nötigen Echulgerät. Zwar 
follte zur Anſchaffung defjelben nad dem Scuireglement jährlih 
eine Bollecte eingefammelt werden, aber an manchen Orten war 
nah zehn Jahren noch Fein Groſchen erhoben. Allgemein Hlagte 
das Volk über die unerträglichen Laſten, die ihm durch die neue 
Schuleinrichtungen aufgebürbet wären. Die Kinder konnten nicht 
mehr, wie früher, zur Arbeit im Haufe und auf dem Felde ge 
braucht werden, während Schule gehalten wurde. Hierzu Fame 
die Opfer, weldye für den Aufbau von Sculbäufern gebradt 
werben muften. Am Neiffifchen war daher der Aerger über die 
jungen in den Seminarien gebildeten Schullehrer fo groß, da} 
man dieſelben den zur Recrutirung gekommenen Difizieren am 
zeigte, um fie als Recruten wegnehmen zu laßen. Freiwillig 
Deiträge zur Dedung der Schulbedürfnifje Famen  felten vor. 
Vom Beginne der Schulreform bis zum Jahre 1768 hatte im 
ganzen Fatholifchen Scylefien nur eine alte Frau 500 Rthlr. zum 
Beften der Schulen vermacht und von zweien Geiftlichen in de 
Grafſchaft Glaz hatte der eine 50 Thlr., der audere 60 |. 
gefchenft. *) | 

An Altpreußen hatten die zu Gunften der Volksſchulen 
getroffenen Anordnungen noch fehr wenig gefruchtet. Namentlich 
befanden fid, diefelben in Südpreußen im tiefften Verfall. 

Ein Bericdhterftatter aus dem Jahre 1802 referirte: „Um 
das allgemeine Schulweſen in Südpreußen fieht es noch immer 
gar jehr traurig aus und wird nody lange fo ausjehen, wenn die 


) Nach „Allg. Bibliothek für das Schul- und Erziehungsweſen.“ Rör- 
lingen 1774. 8. 11. ©. 109 ff. 


— 02 


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on von Stanidlaus zum Schulfonds beftimmten Nationalgüiter 
n Sculwejen nicht wieder gegeben werden. Was Eönnen alle 
terfuchungen, Verordnungen und neue Lehrbücher helfen, wenn 
ı Fonds da. ift? Noch immer hoffen wir, daß fid) der für dieſes 
% jo fehr interejfirende König ded erbarmungswürdigen Scul- 
end von Eüdpreußen annehmen und ihm feine Güter wieder 
en wird! Vorzüglich Davon hängt der Gewinn ab, ben die 
niſchheit in Diefem Lande fi) von der preußifchen Bejignahme 
ſprechen darf. — Ehedem hatten aud die Biſchöfe noch die 
-pflidtung, für den Unterriht und Die Erziehung einer gewiſſen 
‚al von Knaben ihrer Didcefen zu ſorgen; jegt hat auch dies 
Jehoͤrt, feitdem allen Geiftlidyen und auch ihnen die Güter ab- 
Ommen wurden, worauf dieſe Verpflichtung lag. Und fo ift 
2r Schulwejen bisher noch fchlechter geworden, als es ehedem 
zı war. Millionen Menfchen, die polnischen Bauern, wachſen 
Z jo auf, wie ihr Vieh, und erhalten nicht den mindeften Uns 
ücht.“) Ihre ganze Religionskenntnis befteht darin, daß fie 
Pater noster und Ave Maria beten, einige firchliche Gebräuche 
Kmiachen und gewißenhaft falten koͤnnen.“ 

ALS Anfang einer beßern Geftaltung des Dorfſchulweſens 
den Damals die Stiftungen des in der Mitte des Jahres 1798 
Danzig verftorbenen polnischen Kammerherrn Carl Friedrich 
an Conradi begrüft. Unter anderen Vermächtniffen,, die in 
m nad feinem Tode geöffneten Teftamente vorgefunden wurden, 
ar auch eins, welches die Schulen betraf. Von den Binjen 
ned Sapitald von 200,000 Rthlrn. follten nemlid 1) zwei 
ndfchulen errichtet werben, Die eine in Nafjenhuben, einem eine 
sine Meile fübliy von Danzig gelegenen Dorfe, die andere auf 
anfau, einem anderthalb Meile ſüdweſtlich von Danzig ent> 
mten Bute. Beide Orte waren nebft mehreren andern Gütern 
8 Verftorbenen Eigentum gewejen. jede Schule follte mit zwei 
htigen Lehrern verſehen fein, von denen Jeder außer freier 
zohnung und Garten jährlidy einen Gehalt von 150 Rthlrn. zu 
ziehen hatte und von denen der Cine reformirten, der Anbere 


Rationalzeitung der Deutfhen. 1802. &. 807. 
OHeppe, Bolloſchulweſen, 8. | 8 


— 14 — 


lutheriſchen Befenntniffes fein muſte. Indeſſen ſollten ſich die 
Lehrer aller Bekenntnisſtreitigkeiten enthalten. Für jede Säule 
war ein Fonds von 200 Rthlr. jährliher Einkünfte zur Unter 
ftügung hülfsbedürftiger Kinder ausgeſetzt. Der jeweilige Pre 
diger in Naſſenhuben ſollte Juſpektor beider Schulen fein. 
2) Eine Provinzialſchule, weldye zur weitern Ausbildung ber in 
den eriten Vorkenntniſſen unterrichteten Schüler der eben genannten 
oder auch anderer Schulen dergeftalt beftimmt war, Daß der gröft 
Teil zu erfahrenen Landwirten, Handwerkern und Schullehrem 
vorbereitet, bejouders begabte Schüler zum Beſuche eines Gym 
naſiums oder einer Academie befähigt würden. Zu den Yant- 
ſchulen ſollten alle Kinder (männlichen und weiblichen Geſchlechts) 
aus den Gütern des Erblaßerd, außerdem auch die Kinder and 
angrenzenden Dörfern Zutritt haben. Die Oberaufjicht über 
das ganze Inſtitut ſollte die weftpreußifche Landesregierung führen. 

Die Errichtung der projectirten Lehranftalten erfolgte einige 
Jahre nach Tem Tode des Erblaßers. Die Schule zu Banfan 
wurde i J. 1800 eröffnet; das höhere Erziehungsinftirut fam 
erft im Herbit 1802 zu Stande. Als Hauptzweck Diefer Anflalten 
wurde in der offiziellen „Nachricht an das Publikum von den 
Conradiſchen Erziehungs und Schulanftalten“ bezeichnet, daß man 
Menjchen bilden wollte, „welche in allen Verhältniſſen ihres Lebens 
aus ſelbſt erfannten Gründen den Vorjchriften der Religion un 
Vernunft gemäß handeln.” Ale Schüler wurden Daher ohne Rüd: 
fidytnabme auf ihre künftige Beſtimmung tbunlichit in allen den: 
jenigen Dingen unterrichtet, Deren Erkenntnis als für jeden Meufchen 
unentbehrlich angejehn wurde. Das Grziehungsinftitut war in te 
Entfernung einer Meile von Danzig in Jenkau errichtet. Zwei 
und fünfzig Schüler founten in Die Anftalt aufgenommen werten, 
teild gegen baare Bezalung einer Benfion von wenigſtens 200 Athlr., 
teils unentgeltlich oder gegen eine geringere Vergütung. Die 
Sreiftellen waren den Eingeborenen des weftpreußifchen Regierung 
Departements vorbehalten. Der Unterricht wurde von dem Tirecter 
des Juſtituts, einem Oberlehrer und fünf Unterlehrern erteilt 
Die beiden erſteren hatten außerdem die Ausbildung von Sew— 
narijten übernommen, 








— 15 — 


Aus keinem Teile der Monarchie lagen damals über das 
Tesfchulw.fen jo günftige Berichte vor, als aus der Inſpektion 
enen in der Grafſchaft Tecklenburg. Der damalige Juſpektor 
wethlage teilte nemlih um 1799 (Jahrbuch Der preußiichen 
onarchie, Nov. Stüd, S. 288) ald Ergebnis einer fehr ſorg— 
tig ausgeführten Haußvifitation mit: „1) daß allen, auch ten 
nften Sitern, nichts mehr am Herzen liege, als daß ihre Kinder 
> Nötige lernen, weil fie diejes mit Recht ald deren beſtes 
bteil anfehen, und fürdten, daß nad ihrem etwaigen Tode 
re fie damit nicht gehörig außflatten werden; 2) daß faft gar 
ie Eltern mehr gefunden werden, die ihre Kinder mit den, 
3Cbuch zur Schule ſchicken. Sie fehen es ein, daß die Schul: 
ter, die 70 — 80 Kinder zu unterrichten haben, bei ſolchen 
nen Kindern, die ſich felbit noch ger nicht zu helfen wißen, 
nig oder gar nichts wirken fönnen; und Daher bringen fie ſelbſt 
jelben des Winter in ihren Epinuftuben bis zum. Lejen; 
daß in allen Häufern die Kinder von 5—6 Jahren durch: 
ngig, die von 7-8 Jahren alle ſchon recht gut lejen konnten ; 
DaB es Geſetz in allen Häuferu ift, Daß alle kleinen Kinder 
Sommer nad) Dem WMittagseßen vor ihren Eltern oder andern 
wachſenen eine Stunde lejen müßen, damit fie Das im Winter 
lernte nicht wieder verlernen und etwas weiter fommen. 5) Ge⸗ 
ı dann die Kinder zum Viehhüten heraus, fo nehmen fie alleut- 
ben ihr Buch mit. Und jo ſehe und höre ich fie in der ganzen 
meinde, wobin ich fomme, in den Wieſen und Kämpen mit 
en Büchern gehen und lefen, und wo mehrere zufanımen find, 
‚ einander aufpaßen und corrigiren. 6) Ein großer Teil der 
der gebt nur etwa zwei Winter zur Scyule, weil fie nidyt eber 
: Schule kommen, als bis fie bereits fertig lefen fünnen. In 
ı jegt von mir vifitirten drei Bauerfchaften Holhaufen, Medel- 
ge und Kottervenne wird feine Seele gefunden über 10 oder 
Sabre, die nicht das Nötige gelernt hätte. Und fo verhält 
ſich auch ungefähr in allen übrigen Gemeinden meiner {ns 
ftion. Gehen gleich Die Kinder, felbft im Winter, der Armut, 
ilte und weiten Wege halber bei weitem nicht alle ordentlich) 
e Schule, fo lernen fie Doch alle das Nötige von Kindesbeinen 

ð 


— 115 — 


an. Die Eltern forgen dafür fo gut und aͤngſtlich, daß man 
nicht8 mehr fordern kann. Eben daher kann man nun aber auf 
fo viele arme und betriebjame Eltern nicht mit der Bezalung dei 
Schulgeldes ftrafen laßen, wenn fie ihre Kinder in den im Schul: 
veglement beftimmten Jahren nicht zur Schule ſchicken. Der 
Schaden davon fällt nur auf den Schulhalter zurück. Daß ühri- 
gend die Winterfchulen doc, fleißig befucht werden, weiſen bi 
Kataloge nah. So ift auch durchgängig, außer Ladbergen, 
mit den Sommerſchulen ein guter, weiterer Fortgang auf de 
Bauerjchaften gemacht worden; denn von den Haupt: oder Mutter: 
Schulen verfteht es fich von felbft, Daß darin des Sommers mit 
des Winters Schule gehalten werde. So oft ich jährlich bei de 
Viſitationen zu Ladbergen auf Sommerfchulen dringe, befomme 
it) vom Presbyterium zur Antwort: Sommerfchulen feien bier 
aus dem bejonderen Grund nicht in Gang zu bringen, weil aus 
diefer Gemeinde felbft alle erwachjenen jungen Leute von Oftern 
bis Sacobi nah Ofte und Weſtfriesland zum Brasmähen und 
Torfmachen reijeten und dann alle zu Haufe bleibenden Kinder 
den Eltern zum Spulen, Weiden, Viehhüten und Kirberwarten 
ganz unentbehrlidy wären.“ 

Bon Beders Not: und Hülfsbüchlein waren In 
jener Gegend an einzelnen Orten viele Exemplare mit dem Auf: 
trag verteilt worden, daß dasſelbe an gewiffen Wochentagen alö 
Leſebuch gebraudt und von dem Schulmeifter erläutert werden 
follte. Mehrere neue Schulen waren in den legten Jahren erbaut 
worden; namentlid) war in der Bauerjchaft Medelmege eine folde 
nad) Felbigerd Anweifung errichtet. Der Gang ging mitten durch 
bie Schulftube, der Ofen ftand gleichfall® mitten in derſelben 
neben dem Gange. Der Schulmeifter faß auf einer Fleinen Gr 
höhung, die Kinder faßen hinter fortlaufenden Pulten, unter 
denen Schichten angebracht waren, Die zur Aufbewahrung be 
Bücher und Schreibmaterialien bienten. Alle Site und Pulte 
erhoben fi), je weiter fie vom Schulmeifter entfernt waren, fe 
daß die hinten Sigenden über die vordern hinwegjahen. 

Aber es gab doch nur wenige Bezirke, über welche in fe 
befriedigenber Weile, wie über die Dorffchulen ber Inſpektion 





— 117 — 


Lienen. ober ber Doͤrfer des Herrn von Rochow berichtet werben 
konnte. Faſt überall mufte die Staatöregierung immer von Neuem 
durch Derordnungen und Maßregeln nachhelfen, um vorläufig 
wenigftend den äußeren Beſtand der Volköfchule im ganzen Be 
reihe der Monarchie zu fihern. So publizirte der. König 3. B. 
unter dem 18, Mai 1801, um dem Schulweſen in Echlefien und 
in ber Grafſchaft Glatz aufzubelfen, ein neues Schulreglement, 
durch weldyes zu den jchon vorhandenen Verordnungen vielerlei 
neue Beſtimmungen binzufamen.. Es wurde in demfelben die 
Art und Weife der Unterhaltung der Schulen beflimmter geregelt 
und ben Sculmeiftern ein angemeßened Einkommen zugewielen; 
die Stellung des Schulmeifterd zum Pfarrer wurde ganau vorges 
Ichrieben; den Landräten wurde aufgegeben, dahin zu wirken, daß 
auf den Dörfern das Einzelhüten des Viehed, wodurd die Kinder 
vom Schulbefuche abgehalten würden, aufhöre. Sn jedem Dorfe, 
wo eine Fatholifhe Schule beftehe, follten von der Gemeinde 
zwei Schulvorfieher gewält werben. Dieſe follten die fäumigen 
Kinder zur Schule anhalten, die obrigkeitliche Eintreibung der 
Strafgelder für vorgefommene Schulverfäumnis beforgen, wenige 
fiend alle 14 Tage die Schule befuchen und nachſehen, ob bie 
Ausftattung der Schule und ded Sculhaufes in Ordnung ſei 
u. f. w. — Schließlich enthielt dDa8 Reglement auch Beftimmungen 
fiber die Einrichtung von weiblichen Snduftriefchulen, welche nas 
mentlich den Zweck haben follten, die Mädchen zu tüchtigen Haus 
frauen beranzubilden. 

Die moderne Auffaßung der Volksfchule als eines lediglich 
zur Erziehung für den bürgerlichen Beruf beftimmten Inſtituts 
batte in dem neuen Reglement den beftimmteiten Ausdruck ers 
halten. 

Die Beftimmungen, welche das durch Patent vom 5. April 1794 
publizirte und durch Patent vom 1. April 1803 für alle preuß. 
Staaten ald Geſetzbuch fanctionitte preußiſche Landrecht 
über dad Schulwefen enthielt, betrafen nur die äußeren Verhälts 
niffe deſſelben. Um den Beſtand der Volksfchulen und die Sub 
filtenz des Lehrers auf einer neuen Baſis zu fihern, war Beftimmt, 
bie Unterhaltung der Schule und des Schullehrers ſollte den 


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fämmtlichen Hausvätern des Orts, möchten fle nun fchulfähige 
Kinder haben oder nicht, „nach Verhältutd ihrer Beſitzungen und 
Nahrungen“ obliegen. ALS fchulpflichtig wurden alle Kinder 
des Landes vom fünften Jahre an bezeichnet. Zum Beften ber 
jenigen Kinder, welche wegen häuslicher Beichäfte die gewöhnliche 
Schulſtunden „zu gewiffer notwendiger Arbeit gewidmeten Jahrei⸗ 
zeit” nicht befuchen können, fol am Sonntage, in den Feierftunden 
zwifchen der Arbeit und zu anderen ſchicklichen Zeiten befondere 
Unterricht erteilt werden. — Wie aber die Verfaßer über dm 
eigentlichen Beruf ber Volksſchule dachten, ergibt ſich aus ber 
Beftimmung, daß jedes Kind fo lange zum Beſuche der Schale 
verpflichtet fein fol, bi8 ed nach dem Urteile feines Seelſorgen 
die einem jeden vernünftigen Menfchen feines Standes notwendigen 
Kenntniffe gewonnen babe. Bon einer Beſtimmung der Schule 
zur religiöfen, chriſtlich-kirchlichen Erziehung des Volkes ift in dem 
Landrechte Feine Rede. 


Eomit war zwar in der lebten Zeit das Gerüft des Volks 
ſchulweſens und alles, was zu den Außeren Einrichtungen gehört, 
vielfadh weiter ausgebaut; aber der Geiſt, der die Erziehung 
eines chriftlichen Volkes tragen fell, war vergeßen und war mb 
wichen. Da Fam die Beit der Erniebrigung und der Buße für 
König und Volk; und Diefe Zeit war eine Zeit des Helles. Da 
König und alle Edleren unter feinen Getreuen erfannten ed, dab 
nur eine gottwolgefällige Selbftbeßerung des Volkes dem preuf. 
Namen eine neue Zukunft fichern koͤnnte. Man mufte zurüd 
ehren zum Glauben der Väter; vor allem aber, das leuchtete 
dem König und deſſen Räten ein, mufte die Volksſchule als eine 
Planzftätte chriftlicher Frömmigkeit und chriftlicher Lebenszucht 
hergeftellt werden. *) Aber es konnte nichts fruchten, wenn, bie 


*) In dieſem Einne ſchrieb z. B. der edle und lebensfriſche Freiherr ». 
Stein in feinem Sendſchreiben an die oberfte Negierungsbehörde des Königreich 
Preußen vom 24. Roveniber 1808: „Damit aber alle diefe Gtantseinridtungen 


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olksſchule, wie es früher gejchehen war, nur als Mittel zur Ver- 
eitung von chriſtlichen und anderen Lehren und Kenntniffen be- 
ndelt wurde. Cine eigentlihe Erziehung des Volkes that 
t. Peſtalozzi hatte eben damals gezeigt, daß und wie bie 
chule als Mittel der Erziehung eingerichtet werben müße, damit 
irflihe3 Leben gepflegt werde. Um daher die pädagogifche 
höpfung Peftalozzis in Preußen beimifh zu machen, that man 
nächit zweierlei: 1) Man fandte eine Anzal junger Leute, großen: 
18 Theologen, teild nad) fferten zu Peſtalozzi, teild an Die 
if Peſtalozzis Grundſätze gegründete Plamannſche Anftalt, von 
o ſie als Pflänzlinge eines neu zu bauenden Erziehungsweſens 
die Heimat zurückkehrten; 2) man berief (i. J. 1809) den 
zürtemberger Pädagogen C. A. Zeller nach Königsberg. Aller⸗ 
ngd war Zellers Auftreten in Königsberg nicht immer das tact- 
fe und ſehr bald ſah fich Das preußifcdhe Gouvernement vers 
Haft, Zeller wieder zu entlaßen; aber fo mächtig war ſein Ein- 
8, den er bier und dort durch Organifirung von Seminarien 
id Schulen ſowie durch Erweckung pädagegilcher Talente aus⸗ 
te, daß feine Wirkſamkeit eine Epoche des geſammten preußiſchen 


⁊ Staats organiſation) ihren Zweck, die innere Entwicklung des Volks vollſtändig 
chen und Treue und Glauben, Liebe zum König und Vaterland in der That 
eihen, fo muß der religiöfe Sinn des Volkes neu belebt werden 
rſchriften und Anordnungen allein können dieſes nicht bewirken. Doch liegt es 
Regierung ob, mit Ernft diefe wichtigen Angelegenheiten zu beberzigen, durch 
fernung unmürdiger Geiſtlichen, Abweiſung leidytfinniger und unwißender 
ididaten und Verbeßerung der theologiſchen Vorbereitungtanſtalten, die Würde 
geiſilichen Standes wieder herzuſtellen, auch durch eine angemeßene Einrichtung 
Pfarrabgaben und durch Vorſorge für anſtändige Feierlichkeir des äußeren 
ttesdienſtes die Anhänglichkeit an die kirchlichen Anftalten zu befördern. Am 
ften aber hierbei wie im Ganzen ift von der Erziehung und dem Unterricht 
- Zugend zu erwarten. Wird durd eine auf die innere Ratıır des Menſchen 
ründete Methode jede Geifteskraft von innen heraus entwidelt, und jedes edle 
ensprinzip angereist und genährt, alle einfeitine Bildung vernieden, und werden 
bisher oft mit höchſter Gleichgültigkeit vernadjläßigten Triebe, auf denen Die 
ft und Würde des Menſchen beruht, Liebe zu Bott, König und Vaterland 
fältig gepflegt, fo können wir hoffen, ein phyfiih und moraliſch träftige® 
chlecht aufwachſen und eine bepere Zukunft fi eröffnen zu ſehn.“ 





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Unterrichtsweſens begründete. *) 8 bildete fich jebt in Preußen 
eine eigentümliche paͤdagogiſche Schule aus, welche die Grundan 


) W. Harniſch („der jehine Standpunkt des geſammten preußiſchen 
Volksſchulweſens“ S. 9 ff.) ſagt über Zellers Berufung nach Preußen: „1. 
Zeller war damals ein junger Theolog, der fi) ganz in Peſtalozzis Ideen hinein 
gearbeitet und hineingelebt hatte, einen regen XThatengeift befaß, darum im Rür- 
tembergiſchen Schullehrer, felbft in Sceunen, verfammelt und fie für Peftaloyi 
und eine beßere Noltserziehung befeelt hatte. Peſtalozzi felbft foll die preukiide 
Regierung auf ihn hingewiefen haben, und er ward unter den allervorteilhaftehen 
Bedingungen nad Königsberg (namentlih 1000 Rthir. Benfion, mern man feise 
nicht mehr bedürfte,) berufen. In Königsberg maren mehrere für ibn gem 
begeiftert. — Schon am Thore erwartete man feiner, und da gerade der groß 
Tonkünſtler, Göthes Freund, Prof Belter in der Zeit auch nad) Königeberg 
kam, fo erhielt derfelbe in einem fehr hohen Haufe eine auetgezeichnete Aufnahme, 
die man dem mürtemberger Pädagogen zugedacht hatte Die Madre am Thor 
hatte nemlich Belter und Zeller verwechſelt. Beller fam aber bald darauf wirtlid, 
und empfahl fi von mehreren Seiten. Er lehrte unter Anderen and den Ober: 
trommlern, wie fie methodifh das Trommeln lehren müften, und feine Anweiſung 
fol fi vortrefflidd bewährt haben. Zeller ward felbft den allerhöchften Herricaften 
vorgeftellt und genoß die gröſten Auszeichnungen. Als nächfter Wirkungstreit 
ward ihm das Königsberger Waiſenhaus angemwiefen. und es fehlte Zeller 
nicht an Geſchick, durd eine neu erfhaffene Welt die alte zu verdrängen. Außerdem 
hielt er Borlefungen, melde von Etaatsmännern, höhern und niedern Geil: 
lichen, Lehrern und Leuten aus allen Ständen gefucht wurden. In diefen, wie m 
feiner Wirkfamteit im WWaifenhaufe, legte Zeller feine &enialität vielfach an der 
Tag. Er regte die Gemüter an, und fprady viele zeitgemäße Wahrheiten aus, wit 
dies auch die bald darauf folgenden neuen Auflagen feiner Schriften zeigten, von 
denen die „Schulmeifterfhule“ immer einen bleibenden Wert bebalten 
wird. Weil Zeller genial lehrte, Tebte und wirkte, fo fäete er oft Unkraut mi 
Waizen aus, rip zuviel ein, indem er neu baute, mar überhaupt feiner Sache niät 
mächtig genug und konnte fie nicht würdig durchführen. Wenn er z. B. in fee 
erften Vorleſung, worin Männer waren, die Minifter, Generale, Prinzen, Räte und 
Präfidenten erzogen hatten, fagte, fie hätten bisher alle Thiere erzogen, indem 
er ihnen die durch Peſtalozzi erfundene Kunft Menſchen zu erziehen und za 
bilden erft lehren wolle: fo warf eine ſolche Aeußerung einen großen Schanen 
auf feine Urteilskraft. Wenn er fpäterhin beim Unterrichte im Chriftentum die 
Kinder felbft praftifch durch das Heidentum und Iudentum zu Chriftus führte, wem 
er bei der Lehre von Gottes Allmacht mit rollenden Augen den Donner und mit 
Kolophonium den Blih darftellte, wenn er anſchaulich die Kreuzigung unſere⸗ 
Bleifches durch Aushauung eines durch das Loos gewählten Knaben zur eier del 


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ſchauung Peſtalozzis, daß die Schule entwideln und erziehen 
müße, was im Schüler als Lebenskeim vorhanden fei, mit dem 
in der Erhebung des preußifchen Volkes erwachten chriftlichreli- 
giöfen und patriotifhen Sinn erfafte und weldhe fomit, die Päda- 
gogik Peſtalozzis eigentuͤmlich mobdifizirend, die Mutter des neuen 
Unterrichtsweſens der gefammten Monarchie geworden ift. Als 
einer der verdienflvollften Vertreter und Pfleger beffelben ift ber 
frühere Seminardirector und nachherige Landprediger Dr. theol. 
Wilhelm Harnifh*) zu nennen. Gine Anzal pädagogifcher 


Charfreitags machte, wenn er einen vollftändigen methodifchen Unterricht im Schnei⸗ 
dern aufftellte; wenn er einen ganzen Anftoltägarten für den Winter in tleine 
Quadrate in der Abficht teilen ließ, damit jeder Zögling alle Morgen ein Quadrat- 
chen bedüngte. und fo die Abtritte entbehrlih machte, fo waren das allerdings 
bedeutende Berirrungen in der Beurteilungsfraft diefes genialen Mannes und zogen 
denen, welche ihn nad Königsberg berufen hatten, mande wBerlegenheiten zu. 
Allein es wäre unrecht, über ſolche Auswüchſe den Keru zu verkennen; es fteht 
feft, daß Zeller in Preußen viele dur die Zeitumftände für alles Neue fehr 
empfänglihe Männer zur Thatkraft außerordentlih anregte, und mach dem Urteil 
von wahrhaft Sachkundigen — verdankt die Provinz Preußen doch Zeller ihren 
erften pädagogifchen Aufſchwung. Ganz richtiger Weife ließ man Zeller nicht lange 
an einem Orte, er mufte mehrere Anftalten neu organifiren.” — 

„Unentfchieden muß es bier bleiben, — ob es gut war nad furzer Wirt- 
famteit Zeller ganz außer Thätigkeit zu ſezen. So weit es aus der ferne ſich 
beurteilen läft, hatte der gewiß parteiifche Bericht eines Schweizer Pädagogen, dem 
man biel zu viel vertraute, (wie fi) nachher thatſächlich bewieſen und defien Ramen 
ich bier feiner Eünden wegen nicht nennen will,) die Behörde dazu bewogen, Beller 
zu entlagen. — Gr zog fi aus Preußen, nachdem er eine Zeit lang auf einem 
Landgut, das er ald Penſion erhalten, gelebt hatte, mol in fich zerfallen, an den 
Khein zurüd, umd trat wieder, nad vieljährigem Schweigen, vor einigen SIahren 
im Würtembergifchen mit Schriften und Thaten auf, wovon die erften zeigen, daß 
er im Innern fi) tiefer begründet hat, äußerlich aber nody auf dem alten pädago- 
giſchen Standpuntte ſteht — Er ift wieder auch im Würtembergifhen von feinen 
neuen Schöpfungen gefhieden.” — 

) Harniſch charakterifirt die Peſtalozziſche Schule in Preußen (a. a. O. 
© 22 — 23) fo: „Es lag in der Natur der Sache, daß dieſe Peſtalozziſche 
Schule im Preußifhen, mie fle einmal der Kürze wegen genannt werden mag, 
(obgleich fie nur von Peftal. ausging, aber teineswegs bei Peſtal. ftehen blieb, 
fondern fi) geiftig und volkstümlich weiter ausbildete,) fi) alles deffen bemächtigte 


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Beitfchriften und Lehrbücher, welche von Freunden des preußiſch 
Peſtalozziſchen Syſtems herausgegeben wurden, trug Dazu bei, 
die anfangs nur in engeren Kreijen gepflegten Ideen mehr und 
mehr zum Gemeingut aller Gebildeten zu machen. Unter ben 
Erjcheinungen der periodifchen Literatur ift namentlich zu nennen 
„der Erziehungs- und Schulrat a. d. Oder“ und „vie Roſſelſche 
Monatsſchrift,“ wozu fpäterhin die „rheinifchen Blätter,“ dad 
„Schulblart für die Provinz Brandenburg” und namentlih Bede 
dorfs „Jahrbücher des preußiichen Volksſchulweſens“ Tamen. 
Als daher nad den Schlachten von Leipzig und Waterloo 
der Friede Europas und durd ihn die fo ſchwer heimgeludte 
preußifche Monarchie wieder bergeftellt worden, war der DBoben, 
auf dem das gejammte Volksſchulweſen in verfüngter Geftalt 
aufblüben follte, bereits in trefflichfter Weiſe vorbereitet. Au 
gleich vermochte die Staatdregierung erft jekt die mannigfaden 
Maßnahmen , die fie in Betreff der Volksſchulen in Abfidyt hatte, 
zur Ausführung zu bringen. — Namentlicdy bemühte man fid, 
Pädagogen von Ruf aus dem Auslande nad Preußen zu berufen. 
Am Jahre 1817 wurde Dinter aus dem Königreich Sachſen 
als Gonfiftorialrat und Schulrat nad) Königsberg vocirt und 
von Türd aus Meiningen (früher ein eifriger Anhänger Peſta— 


oder vielniehr fi) mit allem dem in Berührung febte, mas ihre Richtung förderte. 
Hierzu gehört unter Andern 4) die Beachtung alles Vaterländiſchen, darum der 
deutfchen Epradhe, — fowie der heimifchen Welttunde; 2) Beachtung des Gejang 
weens als eined Belebunysmittels für die Gemeinſchaften; — 3) Beachtung de 
Zeichnenunterricht; — 4) Beachtung der tieferen mufitalifhen Bildung; — 9) 
Aufnahnıe einer vollftändigen Reibesbildung.” — 

„Die preußifch - Peſtalozziſche Schule war innerlid religiös und pofitis 
Hrifilicher, als die Peſtalozziſche Schule überhaupt; doch von verfdiedener Färbung 
des Glaubens. Es fehlte in diefer Beziehung den Beten auch nod viel: abe 
die preußifch-Peftal. Schule war im Ganzen religiöfer als ihr Zeitalter. Die Ehre 
gebührt nicht ihr. Teilweiſe hatte Peftalozzis tiefes Gemüt viele Seelen religiöt 
angeregt, teilmeife ging der Ernft des Berufes die Seelen ordentlidy an, teilmeife 
wirkten Männer wie Nicolodius und Süvern, Schleiermader, Reimer 
Gaß und Andere auf die Wortführer diefer Schule ein, teilweife batten fie von 
Haus aus einen guten Grund in fi; genug, es fehlte in dieſer Hinficht dad 
Rötige nicht, wenn gleich im Einzelnen noch viel fehlte.” — 


— 13 — 


Lozzis) wurde mit ber Stellung eines Schul- und Regierungsrates 
au Potsdam betraut, wo bis bahin der Oberconfiftorialrat Nas 
torp die eifrigfte Thätigfeit zur Verbeßerung bed Schulweſens 
Der Provinz Brandenburg entfaltet hatte. Die i. J. 1816 ge: 
Drudte Verfügung (der Regierung diejer Provinz) über die Schul: 
Berichte bes vorhergegangenen Jahres bewiefen, daß in dem brans 
Denburgiſchen Volksſchulweſen fchon Vieles beßer geworben war. 
Die Mutterfprahe wurde immer allgemeiner als eins ber wid 
tigften Bildungsmittel anerkannt. Nur barüber wurde geklagt, 
daß noch in vielen Schulen ein zu großer Teil der Schulzeit mit 
Lefenlehren hingebracht warb und daß einige Lehrer nody bei ber 
mechaniſchen Buchftabirmethode beharrten. In der neueren Rech⸗ 
nenmethobe fowie in der Formen » und Mafßverbältnisiehre hatten 
viele Lehrer glüdliche Kortichritte gemadt. In den meiften Schu: 
ten wurbe ber Unterriht im Schreiben nad der genetiſchen 
Lehrweiſe erteilt. Hin und wieder war es gelungen, aus ben 
geübteren Schülern einen Sängerchor zu bilden und mit dem Ges 
meindegefang in Verbindung zu feßen. Bereits waren Chor⸗ und 
Wechſelgeſaͤnge an vielen Orten in den Kirchen eingeführt. „Der 
Unterricht felbft ift Fein gewöhnliche, mechaniſches Abrichten ge: 
wefen, wobei ber Lehrer den Schülern die Belänge vorfingt und 
fie diefe fo lange nachſingen Iäft, bis fie biefelben nad dem Ge⸗ 
bör aufgefaft haben.” Einige Pfarrer hatten den für viele Schul: 
Ichrer zu ſchweren Religionsunterricht felbft übernommen und 
viele FKortbildungsvorftände machten ſich ein Verdienſt daraus, die 
Schullehrer felbft in dieſem Face gründlicher zu unterrichten. 
An eine beftimmtere Auswahl des Gemeinnüßigften und Bildendften 
aus dem Fache der fogenannten gemeinnüßgigen Kenntniſſe hatte 
man nur in wenigen Schulen ernftlih gedacht. „Die Zurns 
übungen folten dem Schuiunterriht zur Seite gehen, um die 
Ginjeitigkeit der gewöhnlichen Erziehung aufzuheben und die förper> 
liche Kraft und Gewandtheit zu erhöhen.” — „Ueber die immer 
allgemeiner ſich verbeßernde Schulzucht enthalten die Jahresberichte 
viele erfreuliche Anzeigen.” — Schon damals beſtauden in der. 
Provinz Brandenburg 103 Schullebrerconferenzgefells: 
ſchaften. In einigen berjelben waren methodologiſche Lehrcurje 


mit dem glüdlichften Erfolge erteilt worden. Auch die in mehreren 
Diöcefen errichteten Leſezirkel waren ſowol den Pfarrern ald 
den Schullehrern fehr nützlich geweſen. 

Durch eine im Druck publizirte Verfügung vom 4. Juli 1817 
ward für den Potsdamer Regierungsbezirk den Schulconferenp 
gejellfchaften ein feiter Plan vorgezeichnet, nach welchem die 
Nahbildung der damals vorhandenen Schullehre 
in den nächſten drei Jahren vollendet fein ſollte. — Die Eins 
führung geeigneter Reformen in den Schuljfeminarien war chen 
früher mehrfach erwogen worden. Indeſſen wurde e3 für unthur 
li befunden , diejelben namentlich in dem Seminar zu Berlin 
einzuführen, weshalb man feit 1812 an die Errichtung eines neuen 
Seminars im Dom Havelberg dahte. Da jedoch) dad für 
die Anftalt gewünfchte Local daſelbſt nicht jo bald zu gewinnen 
war, auch mehrere inmittelft noch vorgenommene Verbeßerungs 
verſuche des Seminariums zu Berlin eben jo wenig, .wie bie 
früheren, ein befriedigendes Nefultat ergeben hatten, fo wurde 
i. 3. 1815 befchloßen, einftweilen, und bis über das Havelberger 
Local verfügt werden fönne, das neue Seminar in Potstam er 
zurichten, wozu unter dem 26. Januar 1816 nicht nur die Ge 
nehmigung, fondern auch Die Anweiſung der nötigen Geldmittel 
von Seiten des Föniglichen Minifteriumd des Innern erfolgte. 
Die wirklihe Ausführung des Plans aber verjpätete fih aus 
mannigfaltigen Gründen big zum Jahre 1817 und fo Fam bie 
Einrichtung der Anftalt, deren Unterbringung in den Gebäuden 
des Amts Bornftädt bei Potsdam inzwiſchen auch projectirt aber 
nicht genehmigt war, erft auf Michaelid tes gedachten Jahres 
in Potsdam felbft zu Stande. Das kurmärkiſche Landſchullehret⸗ 
und Küfterfeminar zu Berlin wurde aufgehoben, feine Fonds 
gingen an das neue Seminar zu Potsdam über und die beperen 
Böglinge feiner aufgelöften Anftalt bildeten den erften Stamm 
von Zöglingen des neu errichteten Inſtituts. 

Als Anſtaltslocal acquirirte die Regierung ein ehemaliged 
Sabrifgebäude zu Potsdam, weldyes am 13. Detober 1817 dem 
Seminar, vorläufig gegen Entrichtung eines jährlichen Mietzinſes 


— 15 — 


hergeben , in Folge höherer Genehmigung vom 23. Dee. 1819 
jedoch als Eigentum überlaßen wurde. 

Die Seminariften jolten zwar Wohnung und Beföftigung 
in der Anftalt felbft erhalten, indeffen war der hohe Betrag des 
zu entrichtenden Koſtgeldes und die geringe Zal der Kreiftellen 
(e8 waren ihrer nur 8 ganze und 8 halbe) Urjadhe, daß nad) 
und nach viele Zöglinge an diefe Einrichtung nicht gebunden wur—⸗ 
den. Vorſchriftsmaͤßig follte der Curſus aller Zöglinge im Se: 
minar 3 Jahre dauern; da es aber an hinreichenden Xehrerfräften 
fehlte, um 3 Klaffen zu bilden und jährlid Aufnahme und Ab- 
gang einer Klaſſe von Seminariften Statt finden zu laßen, jo 
mufte man fih mit 2 Klaffen und anderthalbjährlicher Aufnahme 
und Entlaßung begnügen. Zur Uebungsjchule für die Seminariften 
diente Die von der Regierung felbft etablirte Bürgerjchule. Da 
fie fid) aber nicht im Seminargebäubde felbft befand, fo war bie 
Anleitung der Seminarzöglinge in diefer Schule mit manchen 
Schwierigkeiten verknüpft. Zur Unterweifung der Seminariften 
im Gartenbau und in der Baumzuht wurde i. 5%. 1821 ein 
früherer. Begräbniöplaß vor dem Nauener Thore gemietet. Zur 
Grlernung des Schwimmend bot die von dem Regierungs- und 
Schulrat von Zürl nah Pfuhlſchen Grundfäßen eingerichtete 
Schmwimmanftalt vor dem Berliner Thore bald die befte Gelegen: 
heit dar. Die Zal ver Zöglinge betrug bis Michaelig 1824 im 
Durchſchnitt gewönlich über 60 und es wurden, mit Einfchluß 
der auf Michaelid 1824 entlaßenen Seminariften, mehr als eins 
hundert bier gebildete Lehrer in der Provinz angeftellt. 

In dem näcdftfolgenden Jahre erfuhr Die Verfaßung des 
Seminard mannigfache Abänderungen. Statt der biöherigen ans 
bertbalbjährlichen Aufnahme und Entlaßung einer Abteilung von 
Zöglingen wurde eine jährliche eingeführt, und zugleich wurde 
noch eine dritte Klafje errichtet. Die Zal der Seminariften wurde 
erhöht, da die Auflöfung des zu Groß-Bänitz beftandenen Hülfe- 
Seminariums bald zu erwarten war. Hinſichts des von den 
Zöglingen zu entrichtenden Koftgelbes trat eine bedeutende Er— 
mäßigung ein. Die Dekonomie der Anftalt und die Verpflegung 
der jungen Leute erhielt eine andere Einrihtung. Die Beneficien 


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wurben vermehrt und alle Zöglinge verpflichtet, in der Ankalt 
zu wohnen, fidh beföftigen zu laßen und drei volle jahre in der 
felben zu verbleiben. Die Disciplin und das Lehrmweien nahme 
eine hoͤchſten Orts genau bezeichnete Richtung. Durch bie im 
Seminargebäude vorgenommenen baulichen Einrichtungen wurde 
nicht nur die Möglichfeit herbeigeführt, die Zal der Yöglinge, 
wie oben bemerkt, anſehnlich zu vermehren und allen Lehren 
Wohnung im Haufe zu gewähren, fondern auch in bemfelben eine 
eigene Schule von vier Klaſſen, behufd der Uebung und prak 
tifhen Bildung der jungen Seminariften einzurichten. Endlich 
wurde das Sinventarium der Anftalt an Mobilien, Utenfilien, 
Lehrapparaten u. |. w. teild fehr bereichert, teils zwednäßiger 
geftaltet und e8 entging überhaupt kein Zweig des JInſtituts der 
ſorgſamen Berüdfihtigung und thätigen Fürforge der Behörden.“) 

Für die 18 Kreiſe des Regierungsbezirk Frankfurt ad. 
Dder war eine Schullehbrer- Wittwen⸗ und Waifenfocietät er 
richtet und dadurch einem der dringendften Bebürfnifie abgeholfen. 

Bon Münfter in Weftphalen aus fuchte Natorp (der de 
bin in fein Vaterland zurüdgefehrt war), eine größere National 
fraft in der heranwachſenden Generation zu entwideln; und in 
den überrheinifchen preußiichen Provinzen zeigte fich der von dem 
Präfidenten v. Sad angeregte Geiſt nody immer für denſelben 
hohen Zweck thätig. Ebenſo wurde aud im Königreiche Preupen 
und in Echlefien an der Verbeßerung des Volksſchulweſens thätig 
fortgearbeitet. In Breslau entftanden i. J. 1817 fünf nee 
Elementarſchulen. Dabei fam die Hochherzigkeit einzelner Privab 
perjonen den Intentionen der Behörden vielfach unterftügend ent 
gegen. So hatte 3. ®. der Qutöbefiger zu Crunern in Schlefien, 
ber als Chemiker bekannte Director Achard mit Beihülfe feiner 
Gemeinde eine eigene Echule errichtet. Zwei Dorfgemeinden in 
ber Neumark, zu Kammendorf und Jenkwitz hatten aus eigenem 
Antriebe den Gehalt der Lehrer fo verbeßert, daß derſelbe bie 
gejeglihe Summe erreichte. Auf dem Gute Müdendorf in be 
Pıovinz Sachſen hatten die benachbarten Prediger die Ginrichtusg 


*) Rod Kröger, Beriht des x. x. Goufin, U. 6. 282 fi. 


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getroffen, Laß fie fih nad der Neihe alle vier Wochen bei einer 
Schule des Gutsbezirks verfammelten, um ſich praktiſch und theos 
retiſch im Lehrfach zu vervollfommnen. *) 

Allerdings gab es noch immer nicht nur einzelne Doͤrfer, 
ſondern ſogar ganze Diſtrikte, in denen die Schulen ſich faſt in 
demſelben verrotteten Zuftand befanden, welcher dreißig Sabre 
früher faft in allen Schulen wahrzunehmen geweſen war. So 
mufte 3. B. das Gonfiftorium zu Magdeburg noch i. 3. 1816 
(unter Dem 1. October) für die Provinz Sachſen folgende Ver⸗ 
ordnung erlaßen: „Um dem Unfuge, der mit dem Schulweſen 
bisher, bejonders in folchen Orten getrieben tft, in denen ſich 
weder ein Schulhaus noch ein angefteilter Schul: 
lehrer findet, und die Gemeinde ſich in Winter für einige Zeit 
nah Wılfür irgend ein Eubjeft zum Unterricht ihrer Kinder 
mietete, bis die fo hoͤchſt nötige Echulreform eintritt, wenigfteng 
in etwas zu fleuern, wird hiermit angeordnet: 1) Es fol durchs 
aus feine Gemeinde befugt fein, irgend Jemandem den Unterricht 
ihrer Kinder zu übertragen, ber nicht zuvor von dem Superinten- 
denten geprüft und braudbar befunden if. 2) Es follen die 
Gemeinden mit folcyen Lehrern vor dem Superintendenten ber 
Diöces einen chriftlihen Contract wenigftens auf ein halbes Jahr 
Schließen uud nicht befugt fein, vor Ablauf der feftgefegten Zeit 
den Lehrer ohne Bewilligung der obern Schulbehörde der Provinz 
zu entlaßen. 3) Diejenigen, welde auf diefe Art den Schul⸗ 
unterricht übernehmen, müßen fich verpflichten, während ber Lehr: 
ftunden ihre etwaige Hantwerfsarbeiten ruhen zu laßen und in 
Begenftänden, die ihr Verhältnis als Echullehrer betreffen, den 
Vorſchriften des Euperintendeuten der Didced und des Ortspre- 
Digerd pünktliche Folge zu leiften. — Es wird den Herrn Superins 
tendenten aufgegeben, auf das Strengfte auf Die pünftliche Bes 
folgung dieſer VBorfchriften zu achten und in jedem Uebertretungs- 
falle fofort Bericht zu erftatten.” — Aber dem gefammten Ent: 
widlungsgange des Schulwejend der Monarchie gegenüber ftellten 
fi) ſolche Erſcheinungen doch nur noch al8 Ausnahmen dar, Die 


*) Rah Stephani im baieriſchen Schulfreund Yahrg. 1818, ©. 127 ff. 


— 1383 — 


im Verſchwinden begriffen waren. Denn was der ernftliche Wil: 
ber Staatöregierung anftrebte, war längft aud das entſchiedne 
Verlangen der Nation geworden, deren Gemeinden faft überall 
die gröfte Opferwilligfeit bethätigten, wenn ed ſich darum hanbelt, 
den Volksſchulen Die entfprechende Wirkſamkeit zu ermöglichen und 
zu fichern. *) 

Eine Ueberficht über den äußeren Beftand des Schulweiens 
wurde im Anfang der zwanziger Jahre auf amtlihem Wege vers 
anftaltet.**) Im April 1819 befahl nemlih das Minifterium dei 
Innern Jämmtlichen Kreisregierungen gerichtlich beftätigte Tabellen 
über alle beitehenden Schulen ihrer Kreife in Städten und af 
dem Lande einzuliefern. Diefe Tabellen, welche erft im Februar 1821 
beendigt und auf Vefehl des Minifteriumd des Innern in Bede 
dorfs Sahrbüchern veröffentlicht wurden, bewiejen, daß damals 
in der ganzen Monarchie 2462 Stadtſchulen mit 3745 Lehrem 
und 17,623 Dorffchulen. mit 18,140 Lehrern vorhanden waren. **) 





— — 


*) Im Landratsamt Heiligenſtadt z. B. wurden (um 1820) 34 ſchlecht de- 
tirte Lehrerftelen von den betreffenden Gemeinden verbepert. Dieje Berbeperungen 
beftanden gröftenteild in Anweifung von Ader- und Gartenland, im Bermebrung 
des bisherigen Brennholzes und freien Anfuhr defleiben, weniger aber in baaren 
Bulagen (Freim. Jahrbücher der allgemeinen deutſchen Volksſchulen B. III. 6.191). 


) Das zunächſt Yolgende, namentlid) die hier mitgeteilten tabellarifden 
Veberfihten find aus Couſins Bericht über den Zuſtand des öffentlichen Unter- 
richts in einigen Ländern Deutfchlands (überfept von Kröger) ®. II. ©. 164 |. 
entlehnt. 


»5) Ueber die Fortſchritte des preußiſchen Volksſchulweſens in .den nüdhf- 
folgenden Iahren teilt Eoufin (8. I. ©. 164— 166) Folgendes mit: 


„Am Ende des Jahres 1825 ließ der Miniſter des öffentlichen Unterricht 
wie 1819, eine neue Bälung der Anfangsfchulen und ihrer Lehrer anftellen. Dieie 
neue Arbeit umfafte einen Grundbeftandteil, der in der erſten fehlte: die Zal der 
ſchulbeſuchenden Kinder; er unterfheidet Elemientar- und Bürgerfchulen, läft aber 
einen wichtigen Zeil weg, melcher 1821 aufgenommen wurde, die Einnahme der 
Lehrer. Die Erfolge diefer neuen Etatiftit hat die Berliner-Etantszeitung Rr. 79, 
29. März 1823 veröffentliht. Hier ein Auszug dieſes Artikels:“ 

„„Nach der Zälung, Ende des Jahres 1825, redinete man in der ganzen 
preußifhen Monardie 12,256,725 Einwohner, unter diefen waren 4,487,461 Ki 
ber unter 14 Iahren, folglich 366 Kinder unter 1000 Einwohner, aljo j} de 


— 129 — 


Vie diefe Schulen auf die einzelnen Regierung&bezirfe verteilt 
waren, erhellt aus folgenden Zabellen: 





Ration. Rehmen wirnun an, daß der Echulunterricht mit dem vollendeten fiebenten 
Lebensjahre beginnt, fo kann man volle drei Giebentel der Bevölkerung rechnen, 
welche die Schule zu befuchen im Stande find, und würden demnad für die ganze 
Preugifche Monarchie 1,923,200 Kinder zu rechnen fein, welche im Stande find, 
die Wohlthaten des Unterrichts zu genießen. Ende 1825 gab es im Königreidhe: 
Etadt - und Land - Elementarfchulen, gröften- 
teild für beide Gefhlehterr . -. . - -. 20,887 


Bürger- oder Mittelfhulen I. — Br 736 
ur a 
21,623 Schulen. 


it 22,261 Lehrer, 704 Lehrerinnen — 22,%655 wozu nod 2024 Unterlehrer 
nd Unterlehrerinnen gerechnet werden müßen. 
Schüler derfelben: 


Elementarfhüleer = 822,077) 

b \ — 871,246 

Knaben gürherſchäler — 49,169] | 
. Elementarfhülerr = 755,922 

Mid ’ — 792,972 
ädhen | nurgerfgüle = 37.050 


zufammen — 1,664,218 Kinder,“ “ 


Heppe Bollsihulweien, 5. 9 


Nr. 





Regierungsbezirk. 


4| Königsberg 97 
2| Sumbinnen 52 
3| Danzig 49 
4| Warienwerder 57 
5) Pofen 80 
6| Bromberg 26 
7| Berlin 101 
8 Potädam 131 
9| Frankfurt a.d.D.| 155 
10| Stettin 75 
11) Cöslin 35 
12| Stralfund 34 
13| Breslau 58 
14| Oppeln 16 
15| Reichenbach 33 
16) Liegniß 83 
17| Magdeburg 142 
18) Merjeburg 158 
19] Erfurt 67 
20| Münfter 10 
21) Minden 21 
22| Arendberg 89 
23| Köln 5 
24, Düſſeldorf 36 
25| Gleve - 37 
26 Coblenz 29 
27, Trier 10 
28 Aachen 10 


Summa: | 1696 | 766 | 2462 


Einnahme der Eule 


16 | 1:3 28 


78 


53 
57 
81 
151 
62 
102 
132 


157 


75 
35 
35 


103 


58 
66 


108 


149 
159 


8 


102 
34 
150 
67 
71 
69 
72 


3 
88 


— 


> 


Kathol. 


Proteſt. : 


Kathol. 


Proteſt. 
Kathol. 


Proteſt. 
INathol. 


Proteft. 
Kathol. 


Proteft. 
Katbol. 


im Durdfenitt. 


Thlr. 
186. 
119. 
270. 
273. 
201. 


132, 


148. 


218. 
190. 


177. 


*) Unter diefen 36 Echulen waren 13 Eimultan-Schulen, d. h. folde, weil | 
proteſtantiſche und katholiſche Lehrer und Schüler enthalten. 





131 





rungsbezirk. 


berg 
nnen 


werder 


erg 


m 
irt a. d. O. 


ind 
u 


| 
ibach 


burg 
urg 
er 

n 
erg 


dorf 


Summa: 


Landſchulen 








ER 3 
2 |52| 73 
ar|iSr| 8 
1026 1121 
921 924 
227 417 
461 700 
250 446 
205 318 
1329 1329 
1188 1199 
917 917 
847 847 
257 257 
661 852] | 
635 
340 608 
603 709] } 
871 880 
1008 1008 
4086 
331 
466 
626 
351 
183 
375 
786 
566] | 
369 





12809] 4814 |17623 


e diefen 113 waren 37 Simultan-Schulen. 


im Burdfchnitt- 


Einnahme der Echullehrer 


Thlr. Gr. Pf. 
63. 7.4 
109. 4.4 
98. 4.8 
80. 8.9 
50. 2.8 
44. 11.7 
9. 7.1 
80. 11. 4 
71. 5. 
30. 18. 3 
53. 2. 
Protefl. 90. 3. 
Kathol. 107. 10. 
66. 6, 
9. 1. 
Proteft. 144. 1. 
Kathol. 95. 
113. 20. 3 
117. 
95.48 
49. 
119. 19. 
91. 12. 
152. 16. 
80. 
73. 22. 
77. 16. 
Proteft. 106. 2. 
Kathol. 65. 11. 
61. 16. 


132° — 


Die damaligen Gehaltsverhältniffe der Schullehrer ergeben 
fi) aus folgenden beiden Tabellen: 





Stadtfhullehrer. 

Ar. Gehalt der Schullehrer. Proteft. Kathol. — 
| unter 50 Thlr. 68 54 122 
2 | zwilchen 50 u. 100 298 195 493 
3| „100 „ 1450 447 295 742 
4 „ 150 „ 200 506 188 694 
5 „200 „ 250 443 113 556 
6 „ 250 „ 300 344 48 392 
7 „ 300 „ 350 237 24 261 
8 „ 350 „ 400 139 19 158 
9 „ 400 „ 450 108 6 114 
10 „ 450 „ 500 50 9 59 
11 „ 500 „ 550 35 2 37 
12 „ 550 „ 600 102 2 104 
13 „ 600 „ 650 7 — 7 
14 „ 650 , 700 3 — _ 
15 „ 700 „ 1200 3 — 3 

Vchrerftellen : 2790 955 3745 


Die Unterhaltungstoften aller Etabt 
796,523 Thl. ti. Ör., 


ſowol in Geld, als Holz 


ſchulen betrugen jährlik 
wozu der Staat 69,3.9 Thlr. 19 Gr. 
und andern Naturalien bergab. 


— 133 — 
Landſchulen. 





Re. | Gehalt. der Schullehrer Brote. | Mathor. | Befammtgal 























| unter 10 Thlr. 263 323 

2 | zwilhen 10 u. 20 641 857 

3 , 20 „ 40| 1682 2287 

4 , 40 „ 60 2002 2826 

5 „ 60 „ 80| 2116 2957 

6 „80 „ 100 | 1807 2833 

7 „ 100 „130 | 1652 2418 

8 „ 130 „150 869 1152 

9 „150 „ 180 794 1086 

10 „180 „ 200 333 424 
11 „200 „ 220 209 256 
12 „220 „ 250 222 253 
13 „30 „ 300 221 244 
11 „ 300 „ 350 124 132 
15 „30 „ 400 82 84 
16 „ 400 „ 450 12 12 
17 „450 , 500 6 6 
Lehrerſtellen: 13 ,005 18,140 


Die Unterhaltungskoften aller Landſchulen betrugen jährlich 
1,556,229 Thlr., wozu der Staat 79,048 Thlr. jowol in Geld, 
als Holz und andern Naturalien herab, | 


Sin welchem Umfange die Zal der Seminarien und zwar ber 
von dem Staate beauflichtigten Hanptjeininarien in den letzten 
Decennien geftiegen war, erhellt aus folgender Tabelle, die im 
Jahr 1826 angefertigt wurde und in den verfchiedenen Provinzen 
28 Hauptfeminare aufzälte. *) 


*) Weber die zalreihen Hülfsfeminarien, welche meben bdemfelben in der 
preußifhen Monarchie beftanden, gibt Bededorf in feinen Jahrbüchern von 1827 
8. VL Heft 1 Rachricht. 





Jahr der 
Ort —2 

gounigsberg 1701 
Waiſenhaus reorgani⸗ 
u. Seminar,| firt 1809 
evangeliſch. | 

2 | Raralene, 1811 
Erziehungs: 

Anftalt und 
Seminar 
evangelifch. 

3 |Rlein-Degen 1772 
evangelifch. 

4 |Braunsberg| 1810 
Seminar u. 
Erziehungs⸗ 

Inſt., kath. 

5] Jenkau, 1798 
Conradiſches/ geſtiftet 
Schul⸗Inſti⸗/ vor dem 
tut und Se⸗ Kammer: 

minar, berru von 
fimultan. | Gonrabi. 





— 134 — 


über ſämmtliche PBreugifge 





— 


Einkünfte. 


6497 Thlr. 
14 jg.7 Pf. 
(3166 Thlr. 
11 ſg. aus 
Kön. Kaffe.) 
6644 Thlr. 
8 fg. 10 Pf. 
(5984 Thlr. 
8 ſg. 10 Pf. 
a. Staatsk.) 
2828 Thlr. 
23 fg. 5 Pf. 
(2250 Thlr. 
aus Staats⸗ 
fafjen.) 


4100 Thlr. 
aus 
Staats⸗ 
kaſſen. 


15158 Thlr. 





22143j0J1n& 
gun 291095 
239 08 


dm 


Ta 


L Di 





Bundaog 
239 108 
uoloiu 
23q I0g 


[2] 
= 


33 Semi-|? Abs 
nariften. teilun⸗ 

39 Bög:| gen. 
linge. 


44 


12 Semi- 
nariften 
und 10 
Böglinge. 


MM. Be: 


38 GSe| In 
minas |meh 
riften |reren 
Lektio⸗ 
nen 
und 
an⸗ 
dern 
4Rlaf 
jen. 


" — 135° — 





elle 

yaupt-Seminarien. 

reußen. 
Ev Zal der Freiſtellen 

85 und Angabe Bemerkungen. 
&z der Interftüßungen. 








unbe: 30 Freiftellen. 
ſtimmt | - 


Jahr |25 ganze Freiftellen Die Anftalt war auf dem Lande 
und ffür Seminariften undlund hatte ihre eignen Gebäude und 
Jahr |25 drgl. für Böglinge.leine Dorfſchule zur Webungsfchule. 


Sahr | 32 Königl. Koftl- | Yon den 2 Jahren bed Aufent- 
gänger. halts waren 18 Monate vorzüglich 
dem tbeoretifchen Unterricht, Die 
übrigen den praftiichen Webungen 
gewidmet. Die Anftalt hatte ihre 
eigenen ®ebäude auf dem Lande 

und zur Hebung die Dorffchule. 
20 Freiftellen. Die Anftalt Hatte Feine eigene 
Uebungsſchule; einige Zöglinge wohn: 

ten außerhalb des Hauſes. 


reußen. 
unbe⸗ Die Seminariſten/ Die Anſtalt lag abgeſondert auf 
timmt jerhieltenlinterftügung, dem Lande und bildete eine Fleine 
welche teild in ganz Kolonie. Sin der legten Zeit waren 
freier , teild in halbſvorzugsweiſe Fatholiihe Semina- 
freier Koft und in deririften aufgenommen, obgleich die 
Beihülfe zu Kleidung Lehrer evangeliiy waren. Die 
u. Schreibmaterialien|lebungsjchule wurde von den Fin: 
beitand, dern des nahen Dorfes befucht. Auch 
angeftellte Schullehrer erhielten bier 
nachhelfende Unterweifung. Gewoͤhn⸗ 
lich waren ihrer 6 dort. 


— 136 — 











LTE ——— — 
Jahr der 538 * 838 
N. Ort. Einfünfte. 227 —52 15” 
Stiftung. S22 Es 72 
ftung BER 2423 
6| Marien- 3033 Thlr.| 6 56 3 
burg, 10 for. flie- 
fimultan. Ben aus 
Staats⸗ 
Kaſſen. 
7 Graudenz, 1817 2000 Thlr. 4 | 6o 3 
ſimultan. 16 far. 8Pf. und 
fließen aus Darüber 
Staats⸗ 
Kaſſen. 
EI. Brau 
8| Neuzelle, Im Jahreſ8356 Thir| 7 90 3 


Seminar u.|1817 wur⸗2 ſgr. 6 Pf. 
Waiſenhaus, den die Se-l(5509 Thlr. 
evaugeliſch. minare zu2 for. 6 Bf. 
Luckau und) aus 
Zullihau Staats⸗ 
vereinigt Kaſſen.) 
und nach 
Neuzelle 
verlegt. 





Zal der Freiftellen 
und Angabe 
der Wnterftügungen. 





Bemerkungen. 






"Hvdzwanz 


939 1000 











3 Jahr | Zu Unterftügungen) Direktor war der Prediger und 
waren 1256 Thlr. be) Schulinfpeftor Häbler, dem die 
flinmt, die nahjAnftalt ihr Dafein verdanfte. Außer 
5 Abftufungen anſihm waren 5 Lehrer thätig, welche 
46 Zöglinge verteiltiaber nicht der Anſtalt ausschließlich 
wurden. 

Unter 50 Böglingen des vorigen 

Jahres waren 12 Fatholifche, welche 

von dem Fathol. Drtd-Pfarrer den 

Religiondunterricht erhielten. Die un⸗ 

tere Klaſſe diente der obern zur 

Uebung, die obere nahm an dem 

Unterricht in der Stadtſchule Anteil. 


3 Sahr | 40 Seminariften| Die Anftalt hatte ein eigenes, 
erhielten jährlich einelgeräumiges Gebäude, das ehemalige 
Unterftüßung  vonSefuitercollegium, und fland mit einer 
1160 Thlr. Etadtfchule in Verbindung. Der 

Director und 40 Böglinge wohnten 

im Haufe. Der Aufenthalt follte 

3 Sabre dauern, war aber meift 

abgefürgt worden, um dad Bebürf- 

nis der Provinz zu befriedigen. 


Benburg. 


-3 Sahr | 24 Seminariften| Die Anftalt war in den geräu- 
hatten ganze und 22 migen Öebäuden eines aufgehobenen 
balbe Freiſtellen. Kloſters, wo alle Lehrer und Zoͤg⸗ 

linge wohnten. Uebungsſchule war 
dad mit dem Seminar verbundene 


Waiſenhaus. 


Jahr der 
N. Ort Stiftung. 


9 | Potsdam, 1817 
evangeliſch. 


10 [Alt-Stettin,| 1735 
evangeliſch. 


111 Göslin, 1816 
evangeliſch. 


12 Greifswald/ 1791 
evangeliſch. 


5428 Thlr. 


25 ſgr. 


2909 Thlr. 


2516 Thlr., 


(2436 Thir. 


aus 
Staats⸗ 
Kaſſen.) 


266 Thlr. 
toſgr. 4Pf. 


—— . 
SgE| Se 
58 | 88 FH 
—. 
6 63 3 
IV 
5 32 2 
4 34 2 
2 5 unbe 
fimmt 









Bal der Freiftellen 
und Angabe 
der Unterftügungen. 






Bemerkungen. 


099 200 















Jahr 10 Seminariften]| Die Anftalt war urjprünglidy eine 
hatten ganze und eben|Privatftiftung des O. Konfiftorial- 
fo viele hatten halbelRat Heder zu Berlin, und wurde 
Freiſtellen. Außer⸗ſdaſelbſt 1748 errichtet, 1753 als 
dem ward noch einelöffentliche Anftalt eingerichtet; 1817 
nicht genau zu beftim-|mit Vermehrung ihrer Fonds nad) 
mende Summe injPotddam verlegt. Zur Uebungs⸗ 
außerordenilichen Un⸗ſſchule diente eine Freiſchule. Die 
terftügungen verteilt. Anftalt hatte ihr eigenes Gebäude, 
worin auch die Seminariften wohn 
ten und beföftigt wurden. 


mmern. 


Yahr | Zur Unterſtützung— Das Inſtitut war bis jetzt in 
waren jährl. 600 Thl. ſeinem gemieteten Haufe , jollte aber 
im Etat ausgeſetzt. bald ein eigenes erhalten, die Ses 
minariften hatten dort freie Woh⸗ 

nung. | 


Zahr | Fürs Seminariften| Die Anftalt Hatte ein eigenes 
waren 36 Thlr., für®ebäude, welches aber von Grund 
17 waren 24 Thlr.ſaus erweitert werden mufte. Die 
und für 17 anderelSeminariften wohnten im Haufe, 
Seminariften 12 Thlr.|beköftigten ſich aber in der Stadt. 
jährliche Unterftügung Zur MUebungsfchule diente Die 
im tat beftimmt. |Iftäbtifche Elementarfchule. 


Ibee | Zur Unterftüßung| Dieſer Anftalt ftand eine gänz« 
nmt. der Seminariften wa⸗liche Reorganijation bevor, um fo 
ren 128 Thlr. 9 fgr.Imehr, weil Die Anlegung eined neuen 

1 Pf. ausgefept. Seminars für Pommern zu Sammin 

noch verfchoben werden muſte, weil 

die dazu beftimmten Fonds aus den 

Sütern des ehemaligen hohen Stifts 

Cammin noch nicht liguidirt waren, 


— 140 — 














2: aD 
N. Sabe der | gintünfte. | 3 | 3 [3° 
Srrne gs8 | $F A 
13 | Bredlau, | 1768 15038 Thlr.| 6 und 80 2 
evangeliſch. (3400 Thlr. bei der 
aus J Semi⸗ 
f Staate- £ narjehule 
Kaſſen.) 
14 | Bunzlau, 1744 |3700 Thlr.| 15 5 |2 
Seminar u. das Semi: | fürd Se- | welde 
Waiſenhaus, nar feit minar, jaudh teils 
evangeliſch. 1816 (63300 Thlr. beim 
and dem Waiſen⸗ 
Sakſchen Ibaufe be 
Fond.) | fchäftigt 
wurden. 
15 | Breslau, 1765 13137 Thlr. 6 83 
katholiſch. (786 Thlr. 
aus 
Staats⸗ 


Kaſſen.) 


— 141 — 





Tefien. 

* Zal der Freiſtellen 

3 und Angabe Bemerkungen. 
3 der Unterſtütungen. 


zahr 


Jahr 


Jahr 


Zu 44 Freiftelen| Das Gebäude wurde durch Ans 
waren jährl. 829 Thl.|fauf eined Nachbarhauſes erweitert. 
21 jgr. Pf. beftimmt.\ Das Seminar hatte feine eigene 
Nach dem Bedürfniffellebungsfchule und noch eine bejon- 
wurden ganze u. halbeldere Präparandenklaſſe. Zwei Lehrer 
Freiftelen gewährt.wohnten ſchon jegt im Haufe; leßtere 
Außerdem feßte derſwurden auch Darin beföftigt. 

Stat noh 26 Thlr. 
8 for. 7 PR zu 
außerordentlichen 
Geldunterftügungen 
aus, 


Für 19 fchlefiihe Die Anftalt hatte anfehnliche 
Seminariften war eine Gebände und eigene Ländereien. 
jaͤhrl. Unterftüßung Zur Uebung diente die ftädtifche 
v. 36 Thlr., u. für 22|Sreifichule Die Anſtalt war ur 
andere eine bergleicheliprünglidy Privatftiftung des Mau- 
von 18 Thlr. auöge:irermeifter Zahn in Bunzlau; fie 
jegt. 12 Lauſitzer aberſbegann als Armenjchule 1744 ehr 
erhielten jaͤhrlichſklein, wurde 1753 als Waiſenhaus 
36 Thlr. Dieſe Un-ſbeſtätigt, erhielt 1805 Vermehrung 
terſtützung erhieltenſſeines Fonds und wurde 1816 zu: 
ie in NaturalsVer:igleih Seminar. 
pflegung bei der Wai: 
jenhaugs-Anftalt durd) 
ganze und halbe Koft: 
ſtellen. 


Der Etat feßte zul Im Seminargebaͤude, worin auch 
einem Mittagstiſchſdie Uebungsſchule war, wohnten der 
für 31 Seminariften] Director, ein Hauptlehrer und 
584 Thlr. 17 fg. 2 Pr.,liämmtliche Zoͤglinge, Die audy dort 
und zu außerordent |beföftigt wurden. 
lihen Geld : Unter: 
ftügungen 65 Thlr. 

12 fgr. 10 Pf. aus. 


— 142 — 











Stiftung. Einkünfte. 






u⸗olorv 
23Qq 19€ 





16| Ober: 1801 1|2628 The) 4 67 
Glogau, 1 far. 5Pf. 
katholiſch. (325 Thlr. 
aus der 
Provinz. 
Geiſtl. u. 
Schulkaſſe 
zu Oppeln 
und 2300 
Thlr. aus 
"dem Neuzel⸗ 
ler Fond.) 
VI. 
17 | Bromberg,| 1819 12638 Thlr.| 4 si |2 
bis jeßt ©i- 10 fer. | 
multan = Ans 
ftalt, fünftig 
rein evangel. 
18 | Pofen, 1804 14205 hl 5 40 
bis jeßt aus ber 
fimultan, Provinz 
fünftig rein Schul⸗ 
kathol. Fondskaſſe 
zu Poſen. 
VII. 
19 |Magbeburg,| 1790 vorläufig 12 70 2 


evangeliſch. Reorgani- auf 
ſirt im 13607 Thlr. 
Jahr 1824.12 ſgr. 6Pf. 
ange⸗ 
nommen. 





— 13 — 


und Angabe Bemerkungen. 
der Unterſtũßungen. 


—XXL 


4 Zal der Freiftellen 
8 


Jahr | Zur Verpflegung) Die Anſtalt hatte ein eigenes 

von 36 Seminariften®chäude, und eine ftädtifche Schule 
waren 1080 Thlr. im|diente zur Uebung. 
Stat ausgefegt, in der 
legten Beit hatten je 
doch 52 Seminariften 
biervon Mittagstijch 
erhalten koͤnnen. 


fen. 


Jahr | Zu Seminariften| Für ein eigened Gebäude follte 
Stipendien und Unsigeforgt werden, da das jetzige ges 
terftüßungen warenimietet war. Ä 
518 Thlr. 10 Ser. 
jährlich ausgeſetzt. 

Yahr | 18 freie Koſtſtellen. Das Seminar hatte fein eigenes 

Gebäude, auch eine Uebungsſchule 
mit 3 Klaffen und 200 Schulfindern. 


ıhfen. 


Sahr | 24 Seminariften| Außer dem Director waren nur 2Reb- 
erhielten freien Mit-|rer ausſchließlich für das Seminar an⸗ 
tagstifch. geſtellt, die übrigen waren als Hülfs⸗ 

lehrer zu betrachten und groͤſtenteils 
Lehrer an Stadtſchulen, mit denen 
die Anſtalt in eine ſehr zweckmaͤßige 
Verbindung geſetzt war. Das Ses 
minar batte fein eigened Gebäude, 
worin die Seiinariften wohnten 
und beföftigt wurden, und feine 
eigene Uebungsſchule. 


— 14 — 













Jahr d 
N. Ort. nur Det Einkünfte. 23 
Stiftung. 8 
20 Halberſtadt, 1778 12145 8hle.6f]| 4 
evangelifch. | Reorganis |1PI. H100EHL 
et im | 2 I 6,0 
| J aus der , 
Jahr 1822, Klofter - Ber- 
geih. Stiftung, 
317 Thlr. 3 fgr 
7 Bf. aus 
Staatskafſen.) 
21 Weißenfels, 1794 un 6 
evangelijch. Reorgani⸗ aus Stontstaff 
firt im und 1266 Tplr. 
Jahr 1822.77 gr. 6 Bf. aus 
der Königlich. 
Sächſiſchen 
Schullehrer⸗ 
Seminarien⸗ 
Hauptkaſſe zu 
Dresden.) 
13 


22| Erfurt, beſteht ſeit 
Simultan⸗1820 pro⸗ 
Seminar.viſoriſch. 


220 og 


Bundgg 
12q 1v8 


En 
we 


119 
im Sabr 
1824; 
80 fol 
die 
Normal: 


"uallurgg 


zal fein. 


aaQq 10g 


2 


— 145 — 





Bel der Freiſtell en 
und Angabe Bemerkungen. 
der Unterftügungen. 


br | Bur Unterfüßung) Die erfte LXehrerftele war nur 
für 12 Seminariftenlinterimiftifhy beſetzt. Die An- 
waren 360 Thlr besiftalt hatte ihr eigenes Gebäude in 
ftimmt. einer ehemaligen Domherrn - Gurie, 
wo der Director, zwei Lehrer und 
die Böglinge wohnten, und fand 

mit zwei Schulen in Verbindung. 


8 ftädtifche Stipen:| Die Anftalt hatte ihre eigenen 
bien jedes zu 30 Thlr. Gebaͤude und. große Gärten, follte 
4 alte Königl. Stipen-|aber aus der Vorflabt in das 
dien zu 30 Thlr. DiefelClara » Kloftergebäude kommen; Die 
12 Stipendiaten er-|Seminariften wohnten in der An- 
bielten noch außerdemiftalt und wurden dort beföftigt. 
2 Thlr. Papiergeld.|Eine zalreiche vorſtaͤdtiſche Schule 
11 neue Koͤnigl. Sti⸗ſin demſelben Lokal diente zur Ue- 
pendien, jedes zuibung. 

24 Thlr. und ein 
ritterfchaftlihe® zu 
24 Thlr. Ä 


ıhr Feſte Einkünfte fehlten bis jetzt; 
nur ein Lehrer war als Inſpektor 

eigens für dad Seminar beflimmt, 

die übrigen flanden zugleich in an- 

dern Verhältniffen. Ginige unter- 
richteten unentgeltlich, andere für 

eine geringe Vergütung. Das Lokal 

war bis jegt das Auguſtinerkloſter. 

> Es ftanden mehrere Anftalten mit 
diefer in Verbindung: eine Mufter- 

fchule, eine Handwerksſchule, eine 

oͤhere Töchterfchule, eine Taub⸗ 
ummen-Anftalt. Nach Verlegung 

in ein andere Gebäude follte es 
organifirt und vereinfacht werden. 


pe, Vollsſchulweſen, 3. 10 


1823 Staats⸗ 
kaſſen. 


vo. Bet 
Tel se 
N. Ort —2 Einkünfte. € 2 * & m { 7 
23) Soeft, Das Se⸗- |3070 Thlr.| 3 57 ? 
evangeliſch.ſiminar war (2506 Thlr. 
früher in aus 
MWejel, es Staats: | | 
wurde je | Kaffen.) 
doch nad 
Decupation 
diefer Stadt 
durch Die 
Franzoſen 
nach Soeſt 
verlegt. 
24 | Büren, 1825 ungefähr 3 50 | 2 
kathol. 4000 Thir. 
IX. und X. Re 
25 | Neuwied, | 1818, |2999 Thr| 4 38 | 2 
epangelifch.| definitiv [17 jgr. 6 Pf. 
organifirt aus 


— 147 — 


Ep Bal der Freiftellen S 
83 und Angabe Bemerkungen. 
z der Unterftügungen. 











Jahr | 1100 Thlr. waren) Die Anftalt erhielt 1818 den 
zu 36 Stipendien versigröften Zeil eines aufgehobenen 
teilt. 16 Stipendiaten Kloſters. Die Schule ded Stadt- 
erhielten 25 Xchlr.,jvierteld war jeit 1819 Webung®- 
10 andere 30 Thlr.iihule, 44 Seminariften wohnten 
und 10:40 Thlr.imit dem Director und Muſiklehrer 
jährlich. in der Anftalt und beföftigten ſich 

außerhalb. 


Jahr Ein Teil des ehemaligen Jeſuiten⸗ 
Seminar⸗Gebaͤudes war der Anſtalt 
überwieſen; in demſelben war auch 
eine Uebungsſchule eingerichtet wor⸗ 
den. Die Eröffnung des Seminars 
ftand bevor. 


ifhe Provinzen. 


Sahr| 1130 Thle, waren; Die Anftalt hatte ihr eigenes 
zu 30 Seminariften:|Gebäude, worin ber Director, Der 
Stipendien in der Artlerfte Lehrer und die Seminariften 
beftimmt, daß 3 Se:|wohnten. Diejenigen von ihnen, 
minariften jaͤhrlichſwelche 80 Thlr. Stipendien erhiel« 
80 Thlr. 4:50 Thir.,\ten, waren verpflichtet, Dafür im 
5:40 Thl, 8:30 Thl.\ Seminar Unterricht an jüngere Se 
und 10:25 Thlr. ersiminariften zu erteilen. 
bielten, 


10° 


— 148 — 









— S 8 
Esw| Zu 38 
N, Stiftung. Einkünfte. zen == |, 
Ss: | 83 |# 
26| Mörs, 1820 [3000 Thlr.) 3 | 30 ? 
evangeliich. | definitiv 12 ſg. 6 Pf. 
organiſirt aus Staats: 
1823 Fallen. 
27 | Brühl, 1823 6661 Thlr. 5 100 | 2 
katholiſch. 10 far. nad) 
(6599 Thlr.| dem 
10 for. Gtat. 
ans Stuat- 
kaſſen.) 
28 St. Mathias 1810 |753 Thlr.2 45 


bei Trier, | Während aus Staate- 
katholiſch. der Kriegs- kaſſen. 
jahre 1813 
u. 1814 war 
ed aufgelöft 
und wurde 
erft im 
Sabre 1816! 
wieder er— 
richtet. 


— 149 — 








Zal der Freiftellen 
und Angabe Bemerkungen. 
der Unterſtützungen. 


br) So wie bei Neu] Eignes Gebäude, eigne Uebungs— 

wied waren auch bieriichule. Director, Lehrer und Ges 

1130 Thlr. zu 3Ojminariften wohnten im Haufe und 

Seminariften-Stipenz|tegtere wurden auch darin beföftigt. 

dien und zwar in ber-|Die, welche 80 Thlr. erhielten, hat- 

jelben Art beftinmt.iten Ddiefelbe Verpflichtung zum Un: 
terrichten wie in Neuwied. 


hr | 3150 Thlr. waren] Das Gebäude, worin ſämmtliche 
zu 87 Stipendien be⸗Lehrer und Yöglinge wohnten, war 
fimmt. Davon erxz|jonft ein Franziskaner-Kloſter. Die 
hielten 6 Seminariften] Stipendiaten zu 80 Thlr. muften 
jährlid 80 Thlr.,jebenfalld den jüngern Seminariften 
12 andere 50 Thlr.,|Unterricht erteilen. Bis jept waren 
15 zu 40 Thlr., 24nur 4 Lehrer bejchäftigt. 
zu 30 Thlr. und end» 
(ih 30 Seminariften 
jährlich 25 Thlr. 


ıbr | Zur Unterftügung) Die Seminariften wohnten bei 

b der Seminariften war|den Bürgern von Trier oder in den 

ihr [nichts beftimmt. zur Vorftadt gehörenden Ortfchaften. 
Der Unterriht wurde in einem 
Saale des Pfarrhanjed erteilt. 


— 10 — 


Die gejeglihe PVerfaßung des Volksſchulweſens in der 
preußiſchen Monarchie war um dieſe Zeit (1824) folgende:*) 

Zunächſt fanden den einzelnen Schulen die @eiftlichen vor, 
denen der Schulvorftand, in Städten die Schuldeputation beige 
geben war. Die Schulen einer Superintendentur flanden unte 
dem Superintendenten, welcher das Werfzeug der Regierung war 
Derjelbe führte die Aufficht über das geſammte Elementarſchul⸗ 
wejen. 

Ale fchulpflichtigen Kinder, ohne Unterſchied des Glaubens—⸗ 
bekenntniſſes, gehörten zu derjenigen Schule, in deren Sprengel 
fie wohnten. Indeſſen Eonnte ein Vater, der Bedenken trug, feine 
Kinder in die Ortsfchule zu ſchicken, welche etwa nicht zu feiner 
Slaubenspartei gehörte, fi Die Erlaubnis erbitten , diefelben die 
naͤchſte Schule feiner Glaubensgenoſſen befuchen zu laßen. 

Die Schule war in die Wochentags- und Sonntagsſchule 
abgeteilt. 

In der Wochentagsfchule wurde bie Jugend vom Austritt 
aus ber zarteren Kintheit bis zum Uebergang in die kirchliche 
Geſellſchaft gebildet. In dieſer Schule wurde täglid 8 Stunden 
lang Unterricht erteilt, Mittwochs und Sonnabends Nachmittag 
dagegen fiel der Unterricht aus. Den Eommer über wurde für 
die obern Klafjen nur einige Stunden Unterricht erteilt, damit 
Eltern und Herridaften ihre Kinder und Dienftboten die übrige 
Zeit ungehindert zur Arbeit brauchen konnten. 

Alle Kinder, weldye das ſechsſte Jahr erreicht Hatten, waren 
ſchulpflichiig. Ihre Aufnahme gefchah des Jahres zweimal, nem 
lid) zu Dftern und zu Michaelis. Das fchulpflichtige Kind war 
verpflichtet, Die Schule ohne Unterbrechung zu befuchen.- 

Von jedem Wochentagsſchüler hatte der Schullehrer nad 


*) Rad einem Auszug aus der 1824 zu Liegniß erfhienenen Schrift: „Ueber: 
fit der preußifchen Volksſchulverfaßung, bearbeitet und geordnet nach den Bor- 
fhriften des allgemeinen Landrechts, des General - Landfchulen - Reglements in den 
erſchienenen Amtsblait-Verordnungen zum Gebraud für Schullehrer und Edel. 
vorflände von F. A. W. Schmalz“ — in den Freimütigen Jahrbüchern der 
allg deutſchen Volksſchulen. 1825. ©. 15 ff. 


— 1511 — 


ben verfchiedenen Klaffen 6, 9 und 12 Pfenntge Schulgeld zu 
beziehen, falls dasſelbe nicht in einen fizen Betrag verwandelt 
worden war. Der Unterrit in der Wochentagsſchule durfte von 
dem Lehrer nicht willfürlich angeordnet werden, fondern mufte ſich 
Im Ganzen nad) dem vorgefähriebenen Lectiondplane richten, wel: 
her mit Genehmigung des Reviford den Ortsverhältuiffen einer 
jeden Schule angepaft wurde. In jeder Schule follte ein Lections— 
plan oder Stundenverzeichnid vorhanden fein, an welches fich der 
Lehrer genau halten mufte. 

Der Unterricht ſelbſt erftredte fi auf Lefen, Kopf- und 
fhriftliched Rechnen, Schreiben, Sitten: und Religionslehre , ge 
meinnüßige Kenntniſſe aus dem Gebiete der Natur und Kuuft, 
Geographie und Geſchichte, Denk- und Sprehübungen. 

Ale drei Klaffen nahmen entweder am Unterrichte gleich⸗ 
zeitig Teil, ober wo die Beichaffenheit des Lehrftoffed dieſes nicht 
geftattete, wurde eine der Klaffen zu nüßlichen Beſchäftigungen 
unter Aufſicht des Lehrers angeleitet. 

Die ſaͤmmtliche Wochentagsſchuljugend wurde in drei Klaſſen 
eingeteilt: die oberſte umfaſte die Schüler und Schülerinnen, welche 
fi in allen Unterrichtögegenftänden eine vorzügliche Fertigkeit . 
erworben hatten; die zweite alle diejenigen, welche fertig mecha— 
niſch leſen konnten und fich im Schreiben und fchriftlichen Nechnen 
übten; in der dritten faßen alle Anfänger. 

Die Schulzucht Tag dem Lehrer zunähft ob, der dieſelbe 
mit dem gehörigen Ernſte und mit der erforderlihen Milde aus: 
üben ſollte. Sie durfte niemald bis zu Mißhandlungen, weldye 
der Gefundheit der Kinder auch nur auf entfernte Art ſchaͤdlich 
werben konnten, ausgebehnt werben. 

Blaubte der Schullehrer , daß durch geringere Züchtigungen 
der eingemwurzelten Unart eined Kindes oder dem überwiegenden 
Hange defjelben zu Laftern und Ausſchweifungen nicht binlänglich 
gefteuert werden koͤnnte, fo mufte er der Obrigkeit und dem geiſt⸗ 
lichen Schulvorftande davon Anzeige machen. Diefe ergriffen dann 
nady näherer Prüfung der Sache die zmwedmäßigften Beßerungs⸗ 
mittel. 

Um öffentlich Beweiſe von dem Fleiße der Lehrer und Korte 


— 152 — 


fchreiten der Schüler zu geben, mufte jeder Lehrer jährli und 
zwar zu Dftern eine Prüfung veranftalten. Wo es die Schul⸗ 
fafje erlaubte, wurden Bei dieſen Prüfungen Preiſe öffentlid, aus: 
geteilt. Diefe beftanden meiftenteild aus Schulbüchern. 

Schulferien fanden an hohen Feften und in der Woche bes 
Mittwochs und Sonnabends Nachmittags ſtatt. Desgleichen wurde 
an jedem erften Tage eined Monated der Unterricht außgejekt, 
weil da der Lehrer den angeorbneten monatlichen Konferenzen in 
der Pfarrwohnung beimohnte. 

In einem Buche fand man außer Der Angabe des Namen 
und des Alterd der Schulfinder, Ded Namend und ‘Standes dei 
Baterd, und des Tages, an welchem das Kind in die Schule 
eingetreten war, auch eine Schilderung jedes einzelnen Schülers 
nach feiner Geiftesfähigfeit, Fleiß und fittlichem Betragen ver 
zeichnet. Dieſes Buch mufte regelmäßig fortgeführt werben. 

Ein Grundbuch enthielt 1) eine kurze Gefchichte der Schule 
von ihrem Entftehen an bis auf den Tag der Anlegung be 
Grundbuchs; 2) Angabe der zu dieſer Schule gehörigen Ort 
ſchaften und der darin befindlichen zu einem Schulfyfteme geh& 
rigen Poſſeſſionen. 

Jede Schule wurde monatlich zweimal von dem Reviſor vi 
fitirt, wobei dieſer feine Aufmerfjamfeit auf alles richtete, was 
die Schule anging. Die Entlaßung aus der Wochentagsſchule 
gefhah mit der Konfirmation. Nur diejenigen Kinder, welche zur 
Zufriedenheit des Lehrerd nnd des Schulrevifors in der hoͤchſten 
Klaſſe beftanden, wurden zum Katecyunenenunterrichfe angenommen 
und mit einem vom Paftor ausgeftellten Dimiffioriale verjehen. 

Die Sonntagsfchule, welde alle Sonn= und Feiertage, die 
hoben Fefte und das Kirchweihfeft ausgenommen , gehalten wurde, 
nahm alle aus der Wochentagsſchule Entlafjenen, ſelbſt auch Er 
wachjene auf. 

Das Biel derfelben war Belehrung der reiferen Jugend 
über mancherlei Gegenftände ihres Berufs, teild zur Verhütung 
des Schadens und Unglüds, teild zur Erzielung gewifjer bürger 
licher Wohlfahrt über die wichtigften Wahrheiten ber Religion, 
über Die Vorzüge der vaterländifchen Staatöverfaßung, über Lan 


— 193 — 


desgeſetze und obrigfeitliche Verordnungen, deren Zweck und Not: 
wendigfeit über die Pflichten und PVerhältniffe gegen das Vater: 
land, den König und die Staatsbehörden. 

Am erften Tage jedes Monatd wurde von dem Prediger 
mit den feiner Aufficht anvertranten Schullehrern in feiner Pfarr: 
wohnung eine Schulconferenz gehalten. Gegenftände der Ber- 
handlung bei dieſen Gonferenzen war alles, was fih auf Un: 
terriht, Methode und Schulzeit bezog. 

Zur Uuterweifung der Jugend in der Obftbaumzucht follte 
wo möglich bei jeder Schule ein Garten angelegt und auf Koften 
der Gemeinde umzäumt und urbar gemacht werden. 

Aecker, Wiefen, Holsflede n. f. w. wurden dem Schullehrer 
von dem Schulvorfiande gehörig angewiefen. Das zur Heizung 
bes Lehrzimmers erforderliche Holz wurde von der Gemeinde des 
Schulfprengeld angefahren. 

Bei jeder Schule follte eine Schulfafje beftehen, von wel: 
her alle Binfünfte des Schullehrers eingenommen und veraus— 
gabt werden jollten. 

Am Ende eined Etats-Jahres wurde eine Rechnung über 
Einnahme und Ausgabe der Schulfafle gefertiget, welche von dem 
Schulvorftande revidirt wurde. Dieſe revidirte Rechnung wurde 
fodann unter Zuziehung des Schulvorftandes abgehört und von 
allen Mitgliedern besfelben unterjchrieben.. Der Scyullehrer be: 
forgte gewöhnlich die Aufftellung der Rechnung. 

Der Schulfaffen-Rechnung war am Schluſſe ein Inventarium 
über alles der Schule zugehörige unbewegliche und bewegliche 
Eigentum angehängt, in welchem alle Ab⸗ und Zugänge ſorg⸗ 
fältig angemerkt werden muften. Für alles, was das Inven⸗ 
tarium enthielt, hatte der Schullehrer zu haften. 

Jedes Jahr wurde von dem Reviſor ein Bericht über den 
Buftand der Schule, eine Gharafteriftift des Schullehrerd mit 
Angabe von Münfcen und Vorfchlägen zur Verbeßerung der 
Schule, an den Superintendenten eingefandt, welcher denfelben 
mit einem begleitenden Berichte über das Schulweſen des ganzen 
Sprengeld an die Regierung einfandtee 

Der Schullehrer war von der Gemeinde durchaus unabhän: 


— 154 — 


gig. Die Gemeinde durfte denjelben nicht als einen Lobhndiener, 
Sondern mufte ihn als einen Mann betrachten, der die Pflichten 
auf ſich hatte, den Eltern gute Kinder erziehen zu Helfen, 

Die Beftallung der Echullehrer Fam in der Regel der Gr: 
rihtöobrigfeit zu. Durch wen Diefe Befugnis in Anjchung der 
auf Domänen oder andern Königl. Gütern zu beftallenden Schul: 
meifter auszuüben fei, war in den Verfaffungdurfunden einer jeden 
Provinz angegeben. 

Die Volksſchullehrer hatten feinen privilegirten Gerichtsſtand, 
fondern waren der ordentlichen Gerichtsobrigfeit des Orts unter: 
worfen. | 

Die Gemeinden waren in der Regel verbunden, den Schul 
lehrer nebft den zu feiner Familie gehörigen Perfonen und was 
derfelbe an Kleidung, Wäfche u. drgl. mitbracdhte, herbei zu holen. 

Die Unterhaltung des Lehrers lag den fämmtlichen Haus 
vätern jedes Orts ob. Hierbei waren aber die Gutsherrſchaften 
verpflichtet, ihre Gemeinde mit Beiträgen fräftig zu unterftüben. 
An der Regel waren die Schullehrer, bejonderd auf dem Lande, 
auch Gantoren, Organiften und Küfter, und wurden als folde 
mit verpflichtet. Auch waren fie Gerichtsſchreiber, wofür ihnen 
eine verhältnigmäßige NRemuneration zugefichert war. Dagegen 
war ihnen das Aufwarten bei Hochzeiten und Tänzen ganz unter 
fagt. Selbft das Pathens und Hochzeitbitten galt als unſchid⸗ 
ih, wie denn auch alle Brotumgänge überall abgejchafft werben 
- folten. Bon allen öffentlichen Laften und Abgaben waren bie 
Schullehrer frei. 

Scullehrer, welche fi von ihrem Schulort entfernen wollten, 
hatten jedesmal vorher von dem Revifor Erlaubnis einzuholen. 
Urlaub auf adıt Tage fonnte nur der betreffende Superintendent 
gewähren. | 
Sämmtlidye Gerichtöbehörden follten die Schullehrer nidt 
während der Schulftunden vor Gericht erfcheinen laßen. Bar 
diefes aber dennoch notwendig, jo mufte der Revifor jederzeit von 
ber citirenden Gerichtöftelle davon in Kenntnis gefegt werben. 

Es follten Fortbildungsanftalten aus einer Berfammkmg 
von Schullehrern beftehen welche ale Monate zufammen Samen, 


— 1565 — 


um ſich gegenfeitig tiber alles, was. ber Schule Not that, im All⸗ 
gemeinen fowol ald im Beſondern zu beraten. 

Junge Leute, welche Schullehrer zu werden wünfchten, muften 
ch dazu beſonders vorbereiten laßen. Wer in eind der Schul 
lehrerfeminarien eintreten wollte, mufte das 17. Jahr zurüdgelegt 
haben, audy mufte er fich einer Prüfung unterwerfen; diejenigen, 
welche fih nicht durch gute Geiſtesgaben und untablige Sittlichkeit 
auszeichneten, wurden zurüdgewiefen. Der Unterricht im Seminar 
dauerte 2 Jahre, und fchloß mit einer Prüfung, nach weldyer dem 
Präparanden ein Zeugnis zugeftellt wurde. 

Jeder Präparand war nad den beftehenden Gejegen ver- 
Bunten, feine Militärbienftpflicht zu erfüllen; indeſſen war ihnen 
ber Eintritt in das Heer als Freiwillige auf ein Jahr geſtattet. 


XIII. 
Nheinpreußen 


(von 1802—1816). 

Als das linke Rheinufer im Anfange dieſes Jahrhunderts 
unter franzoͤſiſche Herrſchaft Fam, wurde natürlid; auch das Volks⸗ 
ſchulweſen daſelbſt nad der modernen franzöfifchen Geſetzgebung 
umgemobelt, Der neusfränfifche Geift Eonnte von einem innern 
 Bulammenhang des Schulweſens und der Kirche nichts wißen. 
Das Geſetz fiber den Hffentlichen Unterricht vom eilften Florial X 
(1. Mai 1802) ordnete als öffentliche Unterrichtsanftalten a) Pris 
maͤrſchulen, b) Secundärfchulen, c) Lyceen, d) Specialfchulen an 
(d. 5. Volks⸗, Bürger, lateinifhe und Berufsſchulen des ges 
lehrten Staatsdienfte8), welche jämmtlid außer aller Beziehung 
zu den kirchlichen Behörden ftanden, und von denen namentlich bie 
Primaͤrſchulen ausſchließlich dem Auffihtsrecht der Präfekten unter: 
ftellt waren. Aber dem dejpotifchen Principe des neuen Kaiſer⸗ 
reichs ſagte dieſe Einrichtung noch nicht vollftändig zu. Ihm war 
ed Bedürfnis, in dem gefammten höheren und niederen Unterricht: 
weſen Einen Willen herrſchen und dasſelbe ald Eine monardifche 
Gliederung geftaltet zu fehen. Auf dem Schlachtfeld zu Aufterlig 
entwarf Napoleon zuerft den Plan, der i. J. 1808 zur Aus: 


führung gebracht wurde. Als Gentralbehiörde des gefammten Ust‘ 
terrichts- und Erziehungswefend wurde die „Eaiferlidhe nz * 
verfität” eingerichtet, deren Verwaltung zu Baris war. Tre 
Facultäten der Berufswißenfchaften waren unter dem Titel voFl 
Afademieen in den Provinzen verteilt. Die philoſophiſchen Facul⸗ 
täten hatte man jedoch unter dem Titel der Lyceen von denſelben 
losgerißen. Dad Ganze war militärisch organifirt, der Beginn 

der Unterrichtsftunden ward durch die Trommel verfündet. Der 

Unterricht in der Religion und in der Moral follte nad dem 

i. J. 1806 publizirten Katechismus des Kaiferreich8 erteilt werden. 

Bur vollen Verwirklichung kam indeſſen der beabfichtigte Organik 

mus nie. In Frankreich wollte e8 mit den Secundärfchulen nicht 

vorwärts gehen und Primärfchulen kamen faft nirgends zu Stande, 

In Deutichland, auf dem Linfen Nheinufer, blieben die Volk 

Schulen im Ganzen in demſelben Zuftande wie früher, fie waren 

allerdings der nächften Academie und den Statuten der Faller 
lichen Univerfität unterworfen; allein die völlige Lostrennung ber 
Volksſchule von der Kirche konnte nicht zur Durchführung ge 
bracht werden. Erft i. %. 1812 wurde die Verfaßung der Pfarr 
ſchule und die Stellung derjelben zum Staat und zur Kirche durd 
den Oberconfiftorialpräfidenten Jacobi zu Aachen definitiv geregelt. 
Unter dem 15. Juli 1812 erließ nemlich derjelbe folgendes Cir— 
cular:*) 

„Nach gefchehener pflichtmäßiger Ueberſendung meines Circu— 
lärd vom 20. Februar jüngfthin an ihre Excellenzen den Gultus: 
minifter und den Großmeifter der Univerfität, geruhten Lepterer 
mir in böchft Dero beiden Schreiben vom 28. März u. 31. Mai 
zu bemerfen: Daß die bei proteftantifchen Gemeinen zu Lehrern an 
den untern Schulen anzuftellenden Subjecte zwar allerdings durch 
die Gonfiftorien vorzufhlagen wären, dieſe denſelben 
eingeräumte Befugnis inzwifchen die Befolgung der Kormalität 
nicht hindern müße, welcher alle Vorfchläge dieſer Art ohne Aus 





— — 


*) Jacobfon, Urfundenfammlung von bisher ungedrudten Geſeßen 
nebft Weberfichten gedrudter Verordnungen für die evangeliſche Kirche von Rhem- 
land und Weftphalen, Königsberg 1844. 


— 157 — 


Inne unterworfen wären; nemlich Diefelbe mit dem Gutachten 
8 Maire und des Gemeinderaths an den Nector der 
ademie gelangen zu InBen, unter deſſen Bezirk der Schulort 
)ött. 

Diefer hoben Verfügung gemäß erleidet mein gedachtes Cir— 
lar folgende Motification: Der Präfident des Local-Conſiſtoriums 
verichickt mir das darin begehrte Gertificat der guten Aufführung 
x Schullehrer-Candidaten, ferner die Propofitionglifte, weldye 
ie Vor- und Bunamen und das Alter derfelben enthalten muß, 
dann den Verbal-Prozeß über dad Examen und endlich den Be— 
MDungs:-Etat. Aus dieſen Stüden werde ich alddann einen Pro- 
ofitiond-Etat verfertigen und dem Herrn Präfecten mit der Bitte 
erfenden, den Maire des Ortes, wo fih Die erledigte Schulftelle 
findet, zu aurorifiren, den Gemeinderat zujfammen zu berufen, 
ı das begehrte Gutachten darunter zu jeßen und mir demnaͤchſt 
8 Stück wieder zufommen zu laßen, num ed an den Nector der 
tschlägigen NAcademie gelangen laßen zu können. Wenn Die 
rfegung eines Schullehrers. von einer Gemeine in eine andere 
gehrt wird, jo ift erforderlich, Daß den übrigen Stüden eine 
eclaration desjenigen Maire beigefügt werde, in deſſen Mairie 
r abgehen wollende Schullehrer fteht, woraus erhellt, Daß der— 
be vertragsmäßig jeinen damaligen Poften aufgefündigt habe, 
ver Daß überhanpt nichts feiner Verfeßung entgegen ſtehe. Nach: 
m nun auf diefe Weiſe alles dasjenige geordnet ift, was Die 
iſtellung unferer Pfarr = Schullehrer betrifft, jo bleibt mir nod) 
rig, einige Worte über die mit denfelben zu fchließenden Wer: 
ige und über ihre Pflichten gegen die geiftlichen Behörden zu 
zen. 

Was den erften Punft anbelangt, fo verfteht es ſich von 
bit, daß Fein Vertrag mit einem Pfarr -Schullehrer dag Min- 
fte enthalten dürfe, was dem Text der Statuten und Verord- 
ngen der Faiferlichen Univerfität entgegen wäre, wobei beſonders 

bemerken ift, Daß Fein Proteftant Anftoß an dem 38. Artifel 
8 Faiferliden DecretS vom 17. März 1808 nehmen muß, laut 
elchem die Fatholifche Neligion die Baſis des Unterrichts in 
ten Schulen der Univerfität fein fol. ft es überſehen 





— 158 — 


worden, der Proteftanten bier zu gedenken, fo ift kein Yweild, 
Daß es fpäterhin noch gefchehen werde; welches ſchon daraus er 
heilt, daß die Proteftanten von den öffentlichen Lehranftalten nit 
ausgefchloßen find, und man ihnen audy nichts zumutet, was 
ihrer Gewißenäfreiheit entgegen wäre. Ueberdies haben bes Herm 
Großmeifters Excellenz fich ſchon verſchiedentlich über dieſen Punkt 
auf eine für die Proteftanten beruhigende Weife zu erklären 
geruht. 

Im Uebrigen müßen die Vorträge von dem Ortspfarrer, 
mit Zuziehung des Kirchenvorſtandes, aufgeſetzt werden; und da, 
wo die Municipalkaſſe zum Unterhalt des Schullehrers beitraͤgt, 
muß man keine ſchuldige Rückſicht gegen die Municipalbeamten 
und Räte außer Acht laffen, welche zur Erhaltung und Vermehrung 
ſolcher Beiträge dienen fanın, und überhaupt des Spruches: Habt 
Srieden unter einander, ſtets eingedenk fein. Keiner be 
gehre mehr Gewalt zu befiken als er Recht bat, und Seiner 
ftemme fich gegen die auf Recht gegründete Gewalt. 

Der Pfarrfchullehrer fei nun zugleich Küfter und Organiſt, 
oder eines von beiden, oder auch blos Schullehrer, fo darf in 
dem Vertrag, den die Kirchengemeine mit ihm fchlieft, die Clauſel 
nie fehlen, daB er verjpriht: Die Kinder der Pfarrgemeine, wo 
bei er angeftellt ift, in den Grundfäßen des evangelifchen Chriſten⸗ 
tums zu erziehen, ihnen durch feinen eigenen Lebenswandel darin 
unaudgefeßt zum Wufter zu dienen, die Autorität der geiftlichen 
Behörden und des Ortöpfarrerd in dieſer Hinficht anzuerkennen 
und feine religiöfe Vorübungen als folche, die den kirchlichen Die 
ciplinargefeßen gemäß von den obgedachten Behörden verordnet 
oder genehmigt find, mit feinen Schülern vorzunehmen, in bem 
Choralgefang fie fleißig zu unterrichten und auf Anftand beim 
Singen, Beten und dem Herfagen biblifher Sprüche zu halten. 

Es ift ein faft unbegreiflicher Irrwahn einiger Pfarrſchub 
lehrer, zu glauben, daß fie feit der Errichtung der Faiferlichen 
Univerfität Feine Verbindung mit den geiftlichen Behörden, noch 
Verpflichtungen gegen biefelben mehr hätten. Unſerm allergn& 
bigften Monarchen verdanken wir bie gefegliche Anerkennung un 
ſeres religiöfen Glaubensſyſtems und den Schuß bei der freien 


— 159 — 


Ausübung unfers Gultus. Niemald waren Kirchen und Schulen 
bei den Proteftanten von einander getrennt, fondern vielmehr 
waren die Pfarrichulen (welches die Volksſchulen find) ſtets 
notwendig mit der Kirche verbunden und der Grund dieſer 
Notwendigkeit liegt am Tage. — Der proteftantifche Cultus Fennt 
feinen Geremonienzwang. — Umwandlung des ftet8 mehr 
zum Böſen wie zum Guten geneigten Menschen, laut 
den Vorſchriften Jeſu Chriſti, ift Die Religion der evan- 
geliichen Ghriften oder fogenannten Proteftanten. Die Vorberei⸗ 
tung zu dieſer Umwandlung ift aber jchwerer wie das Grlernen 
und Befolgen vieler Gebräuhe und Geremonien; und frühzeitig 
muß darum die Jugend die Bibel ald das Buch aller Bücher vers 
ehren und den Juhalt derjelben mit den zunehmenden jahren alls 
mäblich kennen lernen. In den Schulen muß fie Kernſprüche daraus, 
ſowie geiftliche Lieder auswendig Iernen; indem hierdurch das Bes 
dürfnis der täglichen häuslichen Andachten erwedet wird, und weil 
joldye Sprüde und Lieder dem religidd erzogenen Menſchen fpä« 
terbin das ganze Leben hindurch zu Wegweifern, Leuchtthürmen 
und Notanfern dienen und ihn fanft in eine beßere Welt hinüber 
leiten. Die religiöfe Erziehung ift demnach bei den Proteftanten 
mit der fittlichen ganz identiſch, und der wißenfchaftlichen auf Feine 
Art und Weije entgegen oder binderlih, vielmehr förderlich und 
nüglih. — Wer nicht Gott gibt, was Gottes ift, der wird auch 
dem Kaiſer nicht geben, was bed Kaiſers if. — Würde man auf: 
bören, die proteftantijche Jugend auf die herkömmliche Weiſe zu 
bilden, jo würde fie jehr bald in einen Bufland Der völligen 
Öleichgültigfeit gegen alle Religion verfallen, weder Gott nody. 
jein Gebot mehr achten, das hoͤchſte Gut, Glauben, Hoffs 
nung und Liebe entbehren, und nichts weiter Tennen und 
ſcheuen, als die ftrafende Geredtigfeit. 

Die wißenſchaftliche Bildung der Jugend in allen 
öffentlichen Lehranftalten ift allein dasjenige, worüber die Faifer- 
liche Univerfität die ausfchließliche Leitung erhalten bat, und 
eben darum ift auch in ihren Statuten von Religion nie anders 
die Rede (dem einzigen oben angeführten 38. Artikel des Decretd 
vom 17. März 1808 ausgenommen), als inſofern fie als eine zu 





— 160 — 


erlernende Wißenſchaft betrachtet wird, und als ſolche ift fie and 
von jeher erft auf höheren Schulen gelehrt worden ; FTeineswegs 
ift e8 aber je die Meinung unfered glorreichen Monarchen ge 
weien, die Gewißensfreiheit dur Störung der religidfen 
Lehrfreiheit zu bejchränfen. 

Je größer nun die Pflichten der Dankbarkeit find, die wir 
gegen unjeren Kaifer und Herrn ald den großmütigen und mid 
tigen Befchüger unferer Religion haben, deſto mehr müßen wir 
trachten, dieſe Pflichten durch ein fortgefeßtes Streben zu erfüllen, 
foldye Lehrer in unfern Volköfchulen zu erhalten, die fähig fin, 
eine Generation zu bilden, wie ein weifer Regent fie mit froben 
Hoffnungen kann aufwachfen jehen. — Tapferkeit, Großmut, de 
rechtigfeit und allgemeines Wolwollen find Tugenden, welche jedem 
Menfcyen adeln, er befenne fich zu welcher Religion er wolle, und 
in diefem Sinn und Geift müßen unfere Schullehrer wirken.” — 

Indeſſen hatte das Gircular für Die Hebung des Volksſchub 
wejend durchaus feinen Erfolg, und zwar hauptjächlid darım, 
weil e8 dem franzöjifchen Gouvernement gar nicht ernſtlich darım 
zu thun war, ben Volfsfchulen zu helfen. Das gejammte Gle 
mentarslinterrichtöwefen Fam daher in den rheinischen Tepartemente 
unter der franzöfiichen Herrichaft in den allertiefften Verfall. *) 

Nicht blos Die zwedmäßigften, den Ortöverhältnifjen ange 
meßenften Vorſchläge von Privatperfonen, jobald fie dieſen Gegew 
ftand betrafen, wurden bei Seite gelegt, auch die ſchon eingeler 
teten, auf dieſe Verbeßerung abzwedenden Maßregeln beßer ge 
finnter Landes- und Kreis-Behörden wurden abfichtlicy gehemmt 
und unterdrückt, wozu auch in den rheinifchen Departements Be 
lege ſich vorfinden. 

Doc zeigte fi) der Mangel au gutem Willen weniger in 
biefer Directen Gegenwirfung, wozu fi) nur bin und wieber un 





*) Da mir für die Gefchichte des Schulweſens am Mhein im dieſer Bere 
nur Neigebaurs trefflide Schrift: „Pie Verwaltung des öffentlichen Unit 
richts am Rhein nach Vertreibung der Franzoſen“ (abgedrudt in den reimäfigts 
Sahrbüchern der allg. dentſchen Volksſchulen, Sahrg. 1822, &. 255 ff.) als Out 
zu Gebote fteht, fo teile ich hier aus derfelben mwörtliche Anazüge mit. 





— 161 — 


felten einmal eine Gelegenheit darbot, mehr noch zeigte ſich der⸗ 
ſelbe indirect durch Unterlaßung aller fräftigen Maßregeln, welche 
die Regierung zur Verbeßerung des Volksſchulweſens hätte treffen 
koͤnnen. Nur die auffallendften Belege dazu wollen wir kurz be- 
rühren. 

Weder die nähere noch bie entferntere Aufſicht über Die 
Primaͤrſchulen war im geringften geeignet, einen beßeren Geiſt in 
denfelben zu erregen ober zu erhalten. Jene war von den Geift- 
lihen, denen fie in mehrfacher Beziehung gebührte, auf die Bür- 
germeifter übergegangen, die zum Teil bei einer ‚gänzlichen: Un⸗ 
funde in allem, was zum Wejen des Glementarunterrichts gehörte, 
und bei einer Menge anderer fie zerfireuender, häuslicher und 
öffentliher Geſchaͤfte, fih um ihre Schulen in der Regel wenig 
oder gar nicht befümmerten, und fehr zufrieden waren, wenn fie 
mit Klagen von diejer Seite gar nicht behelligt wurden, Wo ja 
ein folher von der Regierung autorifirtee Schulauffeher glaubte 
diefer Pflicht genügen zu müßen und audy genügen zu Eönnen, da 
fand er nur zu oft in dem Pfarrer, der dieſe Kränkung feiner 
Rechte nur mit Unwillen ertrug, einen offenen oder verftedten 
Widerſacher und durch ein wiederholtes wolberechnetes Mißlingen 
feiner Verbeßerungspläne der Luft und des Mutes beraubt, ließ er 
bie ganze Sache liegen, ohne fich weiter in Diefelbe zu mifchen. 
Der Pfarrer hingegen, der fich in der Regel mit diefer indirecten 
Einwirkung begnügen mufte, fand auch zu wenig feflen Grund, 
auf dem er felbft die vollen Zügel hätte ergreifen können, und fo 
bebielt der Schullehrer einen freien Spielraum, in welchem feine 
Unwißenheit, feine Bequemlichkeit, fein Eigendünfel fih nach Will 
für geben ließ, und oft zu den unangenehmften Gonflikten Veran⸗ 
laßung gab. 

Am häufigften zeigte fich Diefe Spannung zwilchen dem Schul- 
lehrer und dem Pfarrer, gegen welchen der erftere aller Verbind⸗ 
lichkeit glaubte frei gefprochen zu fein. Auch machte die franzd- 
fiſche Communal » Verfaßung den Pfarrer gar oft abhängig von 
dem Lehrer, wenn biefer ald Beigeorbneter ober ald Sekretär des 
Bürgermeifterd fungirte, in welchem Verhältniffe vielleicht ein Vier⸗ 


teil der Lehrer, wenigftend die beßeren, überall fanden ,‚ denn 
Deppe, Bolkeſqqulweſen, &. 


— 162 — 


ſelten fand ſich in der Gemeinde ein anderer Mann, der den Be 

richten und Tabellen, welche Die Bürgermeiſter einzureichen hatten, 

die einzige von den Behörden geforderte Eigenfchaft, die kall⸗ 
graphifche Vollkommenheit hätte geben Fönnen. Durch dieſe Zer— 
ftreuung des Lehrers wurde die Schule, die überall in den Hin 
tergrund trat, ganz vernacdhläßigt, und was dem Lehrer nod an 
Luft und Liebe für fein Fach, was ihm an moralifchem Gefühl 
geblieben war, ging in dieſem Schlamme eined dem Eigennuß und 
anderen Heinlichen Rüdfichten dienenden Geſchaͤftslebens völlig zu 
Grunde. Mittel-Behörden, welche ihn in nähere und anhaltende 
Auffigt hätten nehmen Fönnen, gab ed nit. Der Inſpettor für 
das ganze NRoer-Departement hatte zu Lüttich, der für das Rhein 
und Mofel » Departement zu Wainz feinen Sit. Beide, geborene 
Franzoſen, ohne alle Kenntnis des Deutfchen, konnten nicht Auf 
feher über deutſche Schulen, konnten nicht Ratgeber für deutſche 
Lehrer fein. Sie waren nur Vifitatoren für Die außer dem oben 
bezeichneten Trivium etwa eingefchwärzten Gontrebande , fie waren 
nur die Zuthat aller der Lehrer, denen es fchwer fiel, noch in 
ihrem Alter die franzöftiiche Sprache zu lernen und in derjelben 
zu lehren. Auf ihren jährlihen Rundreiſen fpielten fie eine ver- 
bafte, oft auch eine fehr laͤcherliche Rolle. 

Daß die franzöfiiche Regierung das Emporkommen ber Gle 
mentarjchule in Feiner Art wollte, ergibt fich endlich auch aus dem 
gänzlihen Mangel an Unterftüßung, durd welche fie jowol aus 
Staatöfafien, als durch die Gemeinen ihnen hätte aufhelfen 
fönnen. Von den erfteren findet fich gar Fein Beiſpiel, eben jo 
wenig, als auch nur in einem ihrer Decrete ben Gemeinen dide 
Verpflichtung wäre nahe gelegt worden. Ja, was noch mehr if, 
fie nahm felbft diefen Schulen ungejcheut Die vorhandenen Mitte, 
jobald dieſe nur irgend unter einem Titel als ehemaliges Klofter: 
oder als Kirchengut angejehen werden konnten, und indem fie die 
auf biefe Art beraubten Schulen an die Gemeinen verwies, war 
ed ihr gleichgültig, ob biefe den ihnen übertragenen Verpflichtungen 
genügten oder nicht. — Was endlich dieſer verderblichen Ginmir- 
fung ber Napoleonifchen Regierung auf die Schulen ber Rheiniſchen 
Provinzen die Krone auffepte, war die geiftige Douanerie, bie 


— 183 — 


literariſche Rheinſperre, wodurch alle geiftige Berührung der beiden 
Rheinufer aufgehoben wurde, um den Zweck der Entdeutjchung 
der Provinzen um fo leichter zu erreichen. Auf die Elementar- 
ſchulen bat Diefe Gejchiedenheit von dem jenfeitigen Deutfchlande 
einen um ſo nadhteiligeren Einfluß gehabt, weil gerade in der 
Epoche ihrer Dauer die mächtigen Kortjchritte in der neuern Me⸗ 
thodik des Elementarunterrichts gemacht find, wovon diesſeits 
nicht8 oder nur einzelne Fragmente bekannt wurden, aus Denen 
fih Fein Ganzes zuſammenſetzen ließ. — Dad Ganze war freilich 
über alle Bejchreibung ſchlecht und entſprach vollfommen den 
Grundfäßen, aus deuen e8 hervorgegangen war. Viele Gemeinen 
waren ohne allen oͤffentlichen Unterricht. Zum Teil hielt die Armut 
und ber Drud des Krieges fie Davon zurüd, zum Teil fühlten fie 
auch das Bedürfnis nicht. An vielen Orten, wo der Vicarius 
zugleih zum Schulhalten verpflichtet war, fehlte- diefer entweder 
ganz, oder feine Verpflichtung war in Vergeßenheit geraten. In 
die Stelle des mangelnden öffentlichen Lehrers zog dann, etwa im 
November, von einigen Kamilien gedungen, ein wandernder Schul- 
meifter ein, eröffnete jeine Bude auf irgend einer Scheuntenne, 
wo denn abwechjelnd bald Korn, bald Kinder gedrofchen wurden, 
und feßte, jedoch mit Zurüdlaßung feiner Heerde, beim Anbruch 
des Frühlings feinen Nomadenftab weiter. Acht Monate im Sabre 
übte fi die Hoffnungsvolle Jugend im glüdlichen Vergeßen des 
Belernten und erwartete gegen den Winter einen neuen Hirten, 
der fie wieder auf eine andere Weide führte Das ift ein treues 
Bild der Dingfchulen, wo fie in den ärmlichen Gegenden der Eiffel, 
des Hundrüdd und der Ardennen faft überall gefunden wurden. 
Nicht viel erfreuliher war der Anblid der ftehbenden Schulen in 
den weniger armen Gegenden. Auch in ihnen ward nur etwa 
5 Monate im Jahre unterrichtet, auch in ihnen zog der Lehrer 
von Haus zu Haus, oder wenn er ja ein eignes Schulhaus be⸗ 
ſaß, jo trieb er in einem engen, niedrigen, dumpfen, faſt vers 
pefteten Zimmer bie Kinder des Dorfs mit feinen eignen zufammen ; 
jedes vertrieb fich, fo gut es Fonnte, Die Zeit, und ging, wenn Die 
Schule vorüber war, wieder zu Haufe; dann war es zur Schule ges 
weien. — Daß nicht alle Schulen diefer Provinzen, Daß nicht 
11* 





— 164 — 


alle Lehrer derſelben biefem Bilde entſprachen, Tag in der Natur 
der Sache und in mancherlei günftigen Verhältniffen, die ſich an 
dem einen Orte mehr, an dem andern weniger fanden. 

In dem Generalgouvernement des Niederrheing waren auf 
eine Bevölkerung von 1,129,000 Seelen etwa 180,000 ſchul⸗ 
fähige Kinder zu rechnen. Dieſe hätten, mit Ausſchluß aller höheren 
und Specialfehulen, wenigftend 1800 &lementarfchulen bedurft; 
dennoch gab es der leßteren im ganzen Gouvernement nur 1270 
und nur etwa 7200 Kinder befuchten wirklich den öffentlichen Un: 
terriht. An Gollegien des zweiten Grades wurden 12, des erften 
Grades 2 gezält. Außerdem beftand zu Lüttich ein Lyceum und 
eine Jogenannte Academie. Un Kunſt- und anderen Specialjhulen 
fand fih, außer einer Handlungsjchule zu Brühl bei Göln, in 
dieſem Gouvernement nichts vor; ein Privat-Taubftummeninftitut 
von 3 BZöglingen war zu Greveld. In dem Generals®ouvernement 
des Mittelrheins betrug die Bevölkerung gegen 500,000 Seelen 
mit etwa 80,000 jchulfähigen Kindern. Anftatt der für dieſe er 
forderlihen 800 Elementarjchulen wurden nur etwa 570 gezält, 
in allen Schulen zuſammen Taum 32,000 Kinder. Gollegien dei 
zweiten Grades fanden fi 3, des eriten Grades 2; das Lyceum 
zu Bonn war nad Frankreich gewandert und ein Gollegium an 
feine Stelle getreten. Spuren einer Academie zeigten fidh in der 
Rechtsſchule zu Coblenz. Alle dieſe Anftalten litten mehr oder 
weniger an großen Gebredhen. Zu deren Abftellung eilte der 
Beneralgouverneur den Plan zu entwerfen, Die dee anzugeben 
und wälte zu ihrer Ausführung Männer von erprobter Umfidt, 
Sachkenntnis und Thätigkeit. Dieſe zu gewinnen war feine erſte 
Sorge. Für das Gouvernement des Mittelrheind Hatte er den, 
von feinem Vorgänger in der Verwaltung, dem Generalgouver⸗ 
neur Gruner, bereits angejtellten Director des öffentlichen Unter 
richts, den Dr. Görres zu Goblenz übernommen, und in biejer 
Eigenſchaft beftätigt. Auch für das Gouvernement vom Nieder 
Rhein fand er einen, dem Geſchäfte vorzüglich gemachjenen Mann 
in der Perfon eines Dr. Grashoff , der 20 Jahre ang in den 
altpreußifchen Provinzen als Schulmann gedient hatte, zulept ald 
Rector des Gymnaſiums zu Prenzlau zugleich mit feinen erwachlenen 


Böglingen dem Rufe des Vaterlandes gefolgt war, und jebt mit 
dem Hauptquartier ded Dritten Armeecorp8 durch das Rheinland 
zurüdtehrte. Der Generalgouverneur nahm feine ihm angebotenen 
Dienfte an und ernannte ihn zum proviforifchen Director des 
öffentlichen Unterricht3 für die Provinzen des Niederrheind. Beide 
Ernennungen brachte er in einer Bekanntmachung v. 24. Juli 1814 
zur Kenntnis des Publikums, in der zugleich jedem der Directoren 
fein Geſchaͤftskreis überhaupt und Die nächften Verpflichtungen an 
denſelben insbeſondere angewieſen wurden. 

Die in eben dieſer Bekanntmachuug verheißenen Schul⸗ 
inſpectoren wurden ſpäterhin, und wo es während des Laufes 
dieſer Periode der Gehülfen bedurfte, durch Diätarien erſetzt, da 
e8 fchwer hielt, Männer zu finden, denen mit einigem echte Die 
Ausfiht auf eine Fünftige definitive Anftelung in dieſem Fache 
gegeben werben konnte, am wenigften im Generalgouvernement des 
Niederrheind, wo neben dem proteflantijchen Director notwendig 
ein katholiſcher Inſpektor hätte ftehen müßen. Im Gouvernement 
des Mittelrheind, defjen Bezirt nur etwa Die Hälfte von jenem 
umfafte, wurde die Notwendigkeit eines Inſpektors weniger drin⸗ 
gend gefühlt. 

Die nächfte Aufficht über die Elementarjchulen wurde zwar 
den Ortsbürgermeiſtern nicht genommen, jedoch wurde, indem ber 
Beneralgouverneur den Pfarrern gleiche Rechte eincäumte und 
diefe öfters und in fpeciellen Fällen zu Vollftredern feines Willens 
machte, zwiſchen beiden Behörden die Verteilung dieſes Einfluſſes 
allmählich dahin eingeleitet, daß jenen mehr die Sorge für die 
äußeren, dieſen mehr die Sorge für die inneren Verhältniffe der 
Schule blieb. Durdy eine eigentliche Verordnung konnte indeſſen 
diefe Abficht noch nicht allgemein ausgefprochen werden, weil fie 
nicht überall anwendbar war, und die nähere Inſtruction Darüber 
einer allgemeinen Schulordnung für das ganze Land vorbehalten 
werden mufte Für die höheren Unterrichtsanftalten beftanden 
zum Teil noch aus der früheren Periode Schulverwaltungen, deren 
Begenftand jedoch mehr die Äußeren Verhältnifje, ald das Wißen⸗ 
Schaftliche der Anftalten betraf. In dieſer Beſchränkung wurden 
fie auch beibehalten, jedoch an den meiften Orten entweder teils 


— 16 — 


weife oder ganz umgefchaffen. Das innere Diefer Schulen nahmen 
die genannten beiden Directoren unter ihre unmittelbare Aufſich. 

Mittelbehörden konnten in dieſer Periode weder für bie 
höheren noch niederen Schulen eingerichtet werden, Da der ihnen 
anzumweifende Wirfungsfreis erft mit der Feſtſetzung allgemeine 
Reorganifationggrundfäße eine eigentliche Bedeutſamkeit erhielt und 
fie bi8 dahin nur unnüß Ddageftanden haben würden. Zur Rege 
lung der zeitlichen Verhältniffe der Schulen wurden Die allge 
meinen Kreid- und Kantonsverwaltungsbehörden als ſolche benußt, 
indem man diefe in vorfommenden Fällen mit der Ausführung 
allgemeiner Maßregeln beauftragte. 

Sin zweiter wefentliher Punkt, der nad Feftftellung der 
oberen Schulbehörden berüdfichtigt werden mufte, um burd ihn 
eine fefte Grundlage der beabfichtigten Reorganifation der Schulen 
zu gewinnen, war die Erwerbung einer möglichft genauen und vol; 
ftändigen Kenntnis von dem Zuftande der Schulen, der Beſchaffen⸗ 
beit der Xehrer, der vorhandenen Hinderniffe der Schulverbeßerung, 
ihrer Beförderungsmittel u. |. w. Dieje war auf einem doppelten 
Wege zu erlangen, fchriftlih und mündlich, durch Berichte und 
durch eigene Anficht. Der erftere Weg fonnte zwar eine geordnetere 
und vollftändigere Ueberficht in Ffürzerer Zeit gewähren, allein et 
war dafür in vielen Fällen weniger ficher und mufte, allein ge 
nommen, notwendig zu Srrtümern führen. Es wurde baburd 
notwendig beide Wege zugleich einzufchlagen, und nur durdy ihte 
Verbindung war ein möglichft fichered Reſultat zu gewinnen. 

Dies veranlafte daher den Generalgouverneur in der Be 
fanntmachung von 24. Juli im Allgemeinen und Durch) eigene 
Schriftliche Suftruftionen im Bejonderen die beiden Directoren bei 
öffentlichen Unterrichtd fowol mit der Entwerfung allgemeiner, dad 
Schulweſen betreffender Fragen, durch deren Beantwortung eine 
genaue und vollftäudige Ueberficht von dem Zuſtande ſämmtlicher 
Schulen des Landes gewonnen werden konnte, als auch mit der 
Erwerbung einer eigenen Anficht und Kenntnis des von ihnen ju 
bearbeitenben Bodens durch Bereifung der wichtigften Orte ihrer 
Directionsbezirfe zu beauftragen. — Tie auf diefem Wege a® 
wonnenen tabellarifchen Ueberfichten dienten zugleich zum Belege 





— 167 — 


er.im Ganzen fehr traurigen Lage des Schulwefens diefer Pro- 
ingen. Sie zeigten, Daß: von der zum minbeften erforderlichen 
‚al der &lementarfchulen, auf je 100 jchulfähige Kinder eine 
schule gerechnet, nur etwa ?2/; wirklich befanden, Daß daher 
enigftend '/; der Gemeinden gar Feine öffentlichen Schulen hatte; 
aß von den vorhandenen fehulfähigen Kindern vom 6. bis 14. Jahre 
ar %/, eine Öffentliche Schule bejuchten, %, aber von einem wan- 
enden oder einem Winfellebrer abgerichtet wurden, oder ganz 
5 aufwuchſen; daß nur wenige als volllommen tüchtig, dagegen 
ele als geiftig ſchwach und unbrauchbar angejehen werden Eonn- 
n, und daß unter den vollkommen brauchbaren wenigftend %,, 
roteftanten waren. Sie zeigten ferner, Daß nur etwa 7/,, der 
ftehenden Schulftellen einer Wohnung fich erfreuten, von Denen 
zerdies noch ein großer Teil mehr dem Küfter- ald dem Schul- 
nte angehörte, daß nur etwa 4/, derjelben mit irgend einem ge- 
öhnlich ganz unbedeutenden figen Gehalte dotirt war und Daß 
ıf 1000 Schulen nur etwa 60 ald abgejonderte Mädchenjchulen 
rechnet werden fonnten. 

Auch der zweite, den beiden Directoren gegebene Auftrag, 
re Diftricte zu bereifen und Durch eigene Anſicht Stoff zur Be⸗ 
;beitung für ihre Zwecke zu fammeln, wurde zum Teil noch in 
mjelben Jahre erledigt. — Nachdem nun auf dieſem doppelten 
jege eine genauere Kenntnis des zu bearbeitenden Stoffes ge- 
onnen, ein großer Teil der Materialien für den neuen Bau be 
it3 gefammelt war, kam es darauf an, einen den Localverhälts 
fen angemeßenen Plan zu entwerfen, um wenigftens Das Funs 
ıment bald möglichft legen zu Eönnen. Auch Died Gejchäft wurde 
m Director des Niederrheind übertragen, in deſſen Händen Die 
eiften Materialien dazu fi) gefammelt fanden. Um jedoch ſowol 
infeitigfeit zu vermeiden, ald auch den, aus Unkunde des Bo- 
nd etwa zu befürchtenden Mißgriffen vorzubeugen, gab ber 
jeneralgouverneur demſelben auf feinen Antrag 5 Gehülfen ale 
titglieder einer Kommilfton, Die unter feiner Leitung arbeiten, 
ıd nach gemeinfamer Beratung den verlangten Plan anfertigen 
Üten. Als Mitglieder dieſer Kommijfion waren zwei Fatholijche 
eiftlihe aus dem Bergiſchen herüberberufen, wo das Schulmelen 


— 168 — 


ſchon früher einen höheren Grad der Volllommenheit gewonnen 
hatte, als auf dem linken Rheinufer. Der Generalgouverneu 
glaubte zugleich auf diefem Wege durch Verſchmelzung der auf den 
beiden Rheinufern herrjchenden Grziehungsgrundfäße den Grund 
zu einer Verſchmelzung der beiden Nationen felbft zu legen, bie 
fünftig, wie es damals immer wahrfcheinlich war, unter einen 
Reiche vereinigt werben jollten. 

Die Kommiffion fing ihre Verhandlungen am 19. December 
an, und reichte dad Protocol derfelben ſchon unter dem 30. em, 
in welchem die Hauptgrundjäße einer Reorganifation des Elm 
tarfchulwefend diefer Provinzen fi) entwidelt fanden. Man hatte 
darin vorzüglich die zunaͤchſt zu berüdfichtigenden äußeren Berbält 
-niffe ind Auge gefaft, Die inneren nur furz berührt, und ber 
Auseinanderfegung fünftigen Verhandlungen vorbehalten, wenn die 
Schulen felbft erft äußerlich begründet fein würden. Nur dad 
Elementarjchulwejen jollte Gegenftand der Beratfchlagung für biek 
Kommilfion fein, nur dieſes ganz rein, ohne Vermiſchung mit 
Fremdartigem , dargeftellt zu jeben, darauf war auch ſelbſt die 
Wahl der Mitglieder berechnet. — Gleich die erfte Bekann— 
madhung vom 16. Juli 1814, in welcher der Generalgouvernen | 
zwifchen napoleonifchen und deutſchen Grziehungsgrundfägen bie 
Parallele zog, in welcher er feine Abſicht — die Schulverbeßerung 
— zuerft zur Kunde des Publikums brachte, in welcher er alk 
eblen und aufgeflärten Männer des Volks zur Unterflügung auf 
forderte, gab einen höchft erfreulichen Beweis von dem, was er 
leiften wollte," und Die gute Aufnahme diefer Bekanntmachung 
zeigte, weldy einen fruchtbaren Boden der ausgeſtreute Samen 
gefunden Hatte, 

Bon allen Seiten her, vorzüglich aber aus dem Roerdepar 
tement, am allerwenigften aus den wallonifchen Provinzen, ge 
langten Dankffagungen an ihn für diefes tröftende Wort und mir 
unter vol reiner Gutmütigkeit und ebler Freimütigkeit. — Doqh 
konnte der Verfolg im Laufe diefer Periode den Grwartungen, 
welche der Anfang erregte, weniger entfpredyen, und ſelbſt der 
Eifer der Behörden wie die Teilnahme des Volkes muften er 
falten. Denn wenn die Natur eines pro viſoriſchen Zuſtandes on 





— 169 — 


fi) ſchon allen den Verbeßerungen ungünftig erfcheint, wobei ed 
auf Gefinnung, wobei e8 auf den guten Willen des Volkes an- 
fommt: fo muften die Beichen immer ungünftiger, der Einfluß 
immer nachteiliger werden, je mehr Die Umftände eine lange Dauer 
dieſes Zuftandes geboten! ja die Arbeit mufte ganz in ihrem Laufe 
til ftehen, als auf einmal die Fadel des Krieges fich wieder 
entzündete, den Kern des Volkes zu den Waffen rief, und an 
der endlichen Erſcheinung des lang erjehnten, feften, ruhigen Zu⸗ 
ftandes der Dinge faft verzweifeln ließ. — Der den Pfarrern 
wiebergegebene,, wiewol durch den Staat gehörig begrenzte Ein- 
fluß auf ihre Schulen wirkte fehr wolthätig auf ihre Befinnung, 
wovon ber Generalgouverneur, zumal ſpaäterhin, jehr viele und 
unzweideutige Beweije erhielt. Am meiften fand er jedoch Unter: 
ftüßung bei den Pfarrern auf dem Lande und in foldhen Städten, 
wo nur ein Pfarrer allein fand. In den größeren Städten, in 
den Paftoralcollegien bildete fich leichter ein widerftrebender Cor⸗ 
porationdgeift, der es einzelnen wolgefinnten Mitgliedern nicht 
geftattete, fich öffentlich für Die gute Sache zu befennen. Doch 
ward ein folder Widerftand durch Bebarrlichkeit auf einem als 
richtig anerkannten Grundſatze bald überwunden. Es hatte nems 
lid der Misbrauch des Lateinlehrens felbft in den kleinſten Ele 
mentarjchulen, woburd die Begenftände bes eigentlichen Elemen- 
tarunterrihtd ganz aus denſelben verbannt und Eingriffe in bie 
Rechte der höheren Schulen verurfacht wurden, die Veranlaßung 
gegeben, diefen Unterricht in den niederen Schulen der drei größern 
Städte Coͤln, Lüttich und Aachen, welche bereit neue und gute 
Gymnaſien erhalten hatten, ganz zu verbieten. Das Collegium 
ber Pfarrer einer dieſer Städte wendete dagegen die ihnen ge 
bührenden und nur durch Dig franzöfifche Herrichaft ihnen gewalt- 

fam entrißenen Rechte ein, nicht allein die Elementarfchulen zu 
befegen, ſondern auch deren Lectionsplan einzurichten, aus welchem 
fie das Latein ungern verdrängt fehen würden. Dagegen wurbe 
ihnen bewiefen, daß die Anmweifung des Jugendunterrichts an bie 
Fürforge des Staated eines der wolthätigften Zeichen der Zeit fei, 
und daß gerade ber preußifche Staat dieſes Recht am wenigften 
veräußeren, noch weniger mißbrauchen werde, wie dies wol unter 


— 1710 — 


einer früheren Regierung gefchehen fein Tönne. Das Verfügte 
blieb in feiner Kraft und von feiner Seite find Dagegen femere 
Einwendungen erfolgt. — Hinfihtlih der wirklichen Verbeßerung 
des Elementarſchulweſens Tonnte vorläufig natürlich nur wenig 
gefhehen. Mehrere Fonnte nur im Plane aufgefaft und vorbe 
reitet werden. Die äußeren temporellen Berhältniffe dieſer Schulen 
betreffend ift dahin zu rechnen eine unter dem 26. Januar 1815 
an ſaͤmmtliche Gouvernementsfommilläre erlaffene Verordnung, bei 
der Revifion der Gemeinde Buchöts überall, wo und inwieweit 
es die Umftände nur irgend erlaubten, auf ein dem Scullehre 
auszumerfendes fixes Gehalt Rüdficht zu nehmen; auch darauf zu 
jehen, daß jeder derfelben eine Wohnung und einen Gartenplap 
erhalte. Der Generalgouverneur glaubte. dieſe Angelegenheit um 
jo eifriger betreiben und um fo dringender empfehlen zu müßen, 
al8 gerade der einzige fihere Grund zu allen innern Schulver 
beßerungen zu fuchen war, und die Abficht, das herrfchenbe Uebel 
mit der Wurzel zu vertilgen, nur auf diefem Wege erreicht wer 
den konnte. Als der Generalgouverneur diefe Verordnung erließ, 
ahnete er noch nicht, daß der Krieg für dieſes Jahr alle fein 
auf die Bereitwilligkeit der Gemeinden berechneten Pläne vereiteln 
folte. — Mehrere Anträge einzelner Schulen, welde bie durch 
Einztehung der Klöfter- und Kirchengüter unter franzöfifcher Re 
gierung verlorenen Einfünffe reflamirten, oder die Aufhebung des 
faiferlichen Decretö verlangten, Durch welches den Gemeinden alle 
Rapitalien, welche fie an ihre wolthätigen Anftalten und Schulen 
verfchuldeten,, erlaßen wurden, wie auch alle Geſuche reformirte 
Lehrer aus den chemaligen preußijchen Provinzen dieſes Gouverne⸗ 
ments, welche Unterftügungen aus ber Kaſſe des montis pietatis 
oder aus andern Staatsfaffen gezogen hatten, muften an eine 
fünftige definitive Organifation diefer Provinzen verwiejen wer: 
den, da die Natur eines proviforifchen Zuftandes nicht dazu ge 
eignet war, fie zu erledigen. Nur in einzelnen Fällen war es 
erlaubt, dem bdrüdendften Elende unter den Lehrern durch Unter 
flügung aus Landeskaſſen beizufpringen. Mehr als für das Aeupere 
wurde damals, auch felbft während der Kriegsrüftungen , für dad 
Innere der Elementarſchulen, für die Nachhülfe der beftehenden, 


— 171 — 


für den Unterricht der angehenden Lehrer geleifte. Der durch 
mehrere dahin abzwedende Verordnungen erregte Siun für das 
Beßere konnte auch feine Einwirkung auf dieſe nicht verfehlen; 
fie wurden auf fich felbft aufmerfjam gemacht, mehrere Pfarrer 
nahmen fi ihrer und der Schulen an, und fo kehrte wenigftens 
eine gewifje Ordnung und Regelmäßigfeit in biefelben zurüd, die 
bis dahin fo gut als verſchwunden war. 

An einer eigentlihen Bildungsanftalt für Glementarfchul- 
lehrer fehlte e& faft überall; nur das Rhein» und Moſeldeparte⸗ 
ment batte eine fogenannte Normalſchule, auf 45 Böglinge be- 
rechnet; allein diefe reichte für dieſes Departement nicht hin, aud 
zeigte fi) in ihr wenig Bekanntſchaft mit den Fortſchritten der 
neuen Methodit. Im Wälderbepartement fehlte eine foldye Anftalt 
ganz; auch war nicht abzufehen, durch wen dort auch nur einiger 
Erſatz für dieſen Mangel hätte bejchafft werben können. Im Roer⸗ 
bepartement bot fih eine günftige Gelegenheit dar, wenigſtens für 
ben Kreis Cöln und fpäterhin auch für den Kreis Aachen 4 bis 
6 wöchentliche Uebungscurfus zu eröffnen, Deren Abficht vorzüglich 
dahin ging, die beftehenden jchwächeren Lehrer mit Den beßeren 
Methoden im Leſen, Rechnen und Schreiben wie mit Dem eigents 
lich Elementarifchen des Unterrichts überhaupt bekannt zu machen, 

Der fehr wadere Vorfteher der Handlungsfchule zu Brühl 
bei Coͤln und drei feiner Gehülfen erboten fich mit einer rühm- 
lichen Uneigennüßigfeit für dergleichen Uebungscurſe einen Zeil 
ihrer Beit und ihrer Kraft zu verwenden; weshalb die Bekannt⸗ 
mahung vom 18, Auguft und 7. November 1814 teild die Uns 
fündigung diefer Curſe, teild die Nefultate der erfteren und die 
Fortjegung und Erweiterung derſelben lieferten. 

Am Laufe der nächftfolgenden Jahre wurden brei folche Curſe 
zu Brühl gehalten und in ihnen 73 Lehrer, gröftenteild von 
Landſchulen, mit mehr oder minder glüdlichem Erfolg unterrichtet. 
MWenigftens wurde in ihnen Allen die Heberzeugung gegründet, Daß 
ed außer dem, was fie bisher in ihren Schulen allein für Unters 
richt gehalten hatten, noch etwas Anderes und Beßered gebe, 
welches erftrebt zu werben verdiene. Jeder von ihnen trug ein 
Samenkorn dieſes Beßeren mit fich zurüd in jeine Umgebung. 


— 172 — 


Durch zweckmaͤßige Schulbücher, welche den Teilnehmern an digen 
Mebungscurjen aus der Staatöfaffe zur Aufmunterung bewilligt 
wurden, wurde das Bebeihen der Schulen noch mehr befördert. 

Durch diefes Inſtitut wurde Die Bahn gebrochen, und wenn 
auch einzelne Gemeinden mit ber neuen, von ihnen jogenannten 
preußifhen Lehrart fi) wegen mandherlei Vorurteile nidt 
befreunden Eonnten, fo freuten fich Dagegen Andere des guten Er 
folgs, und aus den nördlichen Kreifen wenbeten fich Pfarrer und 
Gemeinden an das Gouvernement mit dem Geſuch, aud ihre 
Lehrer an diefen Orten Teil nehmen zu laßen. Se mehr bie 
ganze Sache eine Angelegenheit des Volkes wurde, um fo mehr 
durfte auf Die Teilnahme desſelben bei einer allgemeinen Reorgani 
fation des Schulweſens gerechnet werden, und dahin war bie ganje 
Abficht gerichtet. 

Indeſſen mufte es in biefer Periode bei dem, mas biete 
Mebungscurfe bewirkt hatten, Bleiben; — an eine weitere Aus⸗ 
dehnung war bei dem wieder angefangenen Kriege nicht zu denken 
und die Errichtung bleibender Seminarien durfte keineswegs über: 
eilt werben. Gben fo wenig konnte man jegt ſchon daran denken, 
den Glementarfchullehrern eine ausführliche Inſtruktion vor 
fchreiben, für deren Anorbnung nur wenige unter ihnen rei 
genug waren. 

"Mit vorzüglicher Anerkennung ift noch eine, feit dem Un 
fange des Jahres 1815 in Goblenz entflandene Peſtalozziſche 
Lehranftalt zu erwähnen, die freilich anfangs mit vielen Vorur 
teilen zu kämpfen hatte, aber durch bie Beharrlichkeit ihres Um 
ternehmerd und durch den binnen Kurzem fich zeigenden Gontraf 
in den Nefultaten dieſer und anderer dortiger Schulen bald dad 
Butrauen des Publitums gewann und fehon nach) wenigen Jahren 
in voller Blüte fand. 

Als nah den blutigen Tagen von Belle Alliance und 
Waterloo der Friede abermals hergeftellt war, wurbe ber Umfang 
beider rheinischen Gouvernementd bedeutend vermindert. Gin 
Strich an der Maas hinauf und das ganze wallonifche Land nebt 
einem beutfchen Anteil des MWälberbepartements ging an Belgien 
verloren, und nur etwa ein Dritteil des Verlorengegangenen wurde 


— 173 — 


auf dem rechten Mofelufer wieder gewonnen. Außer dieſem neuen 
Beftandteile blieb von dem vormaligen Umfange nur das ehema- 
lige Roerdepartement mit 720,000 Seelen; auf diefe kamen etwa 
120,000 jchulfähige Kinder, von denen aber nur 50,000 den 
öffentlichen Unterricht befuchten, für welchen 820 Glementarfchulen, 
8 Gollegien und 2 Öpymnafien gezält wurden. Die beiden De- 
partenıent3 der Saar und Rhein und Mofel hatten fchon unter 
franzoͤſiſcher Herrichaft über 1000 Elementarſchulen, 5 Gollegien 
bed zweiten, 2 bed erften Grades und ein Lyceum; Doch mögen 
in der Zal der Elementarſchulen wol alle Diejenigen mitgerechnet 
worden fein, welche als öffentliche Schulen gar nicht anerkannt 
werben konnten. | 

Was nun die zur Verbeßerung des Schulwefens im Allge⸗ 
meinen in dieſer Periode getroffenen Weranftaltungen betrifft, fo 
gehört dahin zupörberft die Anordnung von Lofalfchulbehörden, 
welche dag Schulweſen der einzelnen Gemeinden an Ort und 
Stelle zu leiten und die wolthätigen Abfichten der Regierung nach 
den Ortöverhäliniffen in Ausführung zu bringen beftimmt waren. 
Sie hatten zuerft nur im Roerdepartement eingerichtet werben 
fönnen. Die Einleitungen zur weiteren Vorbereitung waren zwar 
ſchon früher getroffen worden, indefjen verzögerte die Wahl brauch- 
bärer Kommiffarien, welche unter der Leitung des Directors Kleinere 
Diftritte bearbeiten und daſelbſt die Vorftände zwedmäßig ein- 
richten konnten, die Ausführung, und erft unter dem 10, Dec. 1815 
konnte in einer Bekanntmachung das Publitum officiel davon in 
Kenntnis gefeßt werden, indem folgende 


Snftruftion für die 
Schulorganifations-Kommiffarien zur Einrichtung 
der Lofalfhulvorftände 

publizirt wurde: 

„Nachdem bis zur definitiven Organifation des gefammten 
Schulweſens dieſer Lande für jeden der jeßt beftehenden Kreiſe 
des Roerdepartements ein fatholifcher ſowol als proteftantijcher 
Schulorganifationsfommifjarius ernannt und jedem berjelben eine, 
den Umftänden nad) ermäßigte Anzal von Behülfen beigegeben ift, 





— 14 — 


haben alle dieſe Kommifjarien, außer den von ber Oberbehoͤrde 
ihnen noch beſonders aufzutragenden Geſchaͤften, zunächft und vor 
züglih auf eine zwedmäßige Einrichtung der Lokalſchulvorſtaͤnde 
ihr Augenmerk zu richten, wobei ihnen folgende Grundfäge zu 
Richtſchnur geftellt werben: 

1) Seder Hauptlommilfartus verteilt den ihm übertragenen 
Kreis zwilchen fi und feinen Gehülfen, wobei möglichft zu ver 
meiden ift, daß weder die Bürgermeiftereien noch die Pfarreien 
zerfchnitten werden. Auch ift die Trennung nad) den Fünftigen 
Regierungsbezirken ſchon jetzt überall zu berüdfichtigen. 

2) Für die Leitung und Ausführung des ganzen Geſchäftes 
bleibt der Hauptlommifjarius jelbft verantwortlich, ohne daß je 
doch das Verhältnid zu feinen Gehülfen ein anderes fei, als eine? 
primi inter pares. 

3) Alle höheren Schulen, ebenfo alle Städte von ober über 
5000 Einwohner bleiben von dem Organiſationsgeſchaͤfte dieſer 
Kommifjarien ausgeſchloßen. Die gedachten Städte erhalten ihre 
bejonderen Schulfonmiffionen. 

4) Nachdem die Verteilung gejchehen und einzelne Bezirke 
gehörig abgegrenzt find, entwirft jeder Kommifjarius ſich zunaͤchſt 
ein genaues Verzeichnis aller Schulen feines Bezirks und feiner 
Konfeffion, wohin denn auch alle die Derter zu ziehen find, welde 
noch feine Schule haben, aber nach ihrer Größe und Lage fie 
haben müßen. Bei jedem Orte muß bemerkt fein, zu welde 
Pfarri und zu welcher Bürgermeifterei er gehöre. 

5) Ueber die Verhältniffe eines jeden Orts und einer jeder 
Schule feined Bezirks fucht der Kommifjarius fi) durch mündlide 
und jchriftliche Verhandlungen mit anerkannt rechtlichen , einfidt% 
vollen und unparteiifchen Männern in genaue Kenntnis zu jegen, 
auch vorzüglich der Gefinnungen und der Teilnahme aller dera 
fich zu verfichern, von denen die meifte örtliche Ginwirkung anf 
die Schulen zu erwarten ift. 

6) In allen Dingen, worüber die refpeftiven Kantondtom 
miffarien und Bürgermeifter nad) der ihnen beimohnenden Kenntaid 
dem Kommiffarius die ficherfte Auskunft geben können, darf er 
auf deren DBereitwiligfeit und Mitwirkung rechnen, auch ei 





— 175 — 


Gleiches von feinen reipeftiven Amtsbrüdern, den Ortöpfarrern 
erwarten, 

7) Nachdem der Kommiſſarius von den in ſeinem Bezirk 
liegenden Schulen genaue Kenntnis eingezogen bat, ſchreitet der⸗ 
jelbe zu der Wahl der Lofalfehulvorftände nach den in folgenden, 
Paragraphen enthaltenen Grundjägen. 

8) Ueberall, wo der Sitz eined Pfarred oder eines Bicarius 
ft, wird aud ein Schulvorfland erwält, unter deſſen unmittel- 
barer Auffiht alle Schulen derjelben Konfeſſion, die zu dieſer 
Pfarrei oder Vicarie gehören, ftehen. 

9) Diefer Schulvorftand wird auch felbft dann an dem ge- 
nannten Orte erwält, wenn derjelbe noch Feine Schule haben follte; 
es müfte denn fein, daß er wegen jeines zu geringen Umfanges 
auch feine erhalten Eönnte und Die Schulen fid) auf einem Filial- 
oder eingepfarrten Orte befänden. In Diefem Falle ift der Si 
des Schulvorftandes an-diefem Schulorte. | 

10) Hat ein Drt mehrere Pfarrer derjelben Konfejfion, fo 
behält er deswegen Doch nur Einen Schulvorftand. 

11) Hat ein Ort mehrere Pfarrer verſchiedener Konfeſſion, 
aber nicht für jede Confeſſion eine befondere Schule, jo haben 
fie auch nur einen gemeinfchaftlichen Schulvorftand, wenn nicht 
etwa $. 9 auf Die eine oder andere Konfeſſion anwendbar ift. 

12) Hat ein Drt mehrere Pfarrer und Schulen verfchiedener 
Konfeffion, jo erhält in der Regel jede Konfeſſion ihren befonderen 
Schulvorftand unter der Leitung eines bejonderen Kommiſſarius. 
Sollte aber eine Vereinigung unter demjelben Vorſtande von bei- 
ben Seiten gewünjcht werden, jo haben die beiden dahin gehörigen 
Kommiſſarien fich Darüber mit einander zu benehmen und die Ein- 
leitung gemeinschaftlich zu treffen. Die erften Anträge gejchehen 
von dem Komifjarius derjenigen Konfefjion, weldhe an dem Ort 
die meiften Schüler oder jchulfähigen Kinder bat. Die Vorjchläge 
bei der obern Behörde müßen aber von beiden Kommiljarien uns 
terzeichnet fein. 

13) Wejentlihe Mitglieder eines jeden Schulvorftandes find 
1. der Pfarrrr des Orts oder der PVicarius desſelben. 2. der 
DBürgermeifter oder an jeiner Stelle ein Mitglied des Gemeinde- 


— 1716 — 


rats. 3. Ein Familienvater für jebe unter dieſem Borftande fe 
bende Schule, der aus dem Orte, wo dieſe Schule ift, und aus 
der Konfeifion, weldyer fie — wenn dies überhaupt der Fall if 
— ausfchließend angehört, genommen jein muß. 

14) Gehoͤrt ein Ort, der eine Schule, aber feinen eigenen 
Schulvorftand bat, unter eine andere Bürgermeifterei, als ber 
Ort, wo ber Schulvorftand ift, jo muß jeder, außer einem Fe 
milienvater, auch noch ein Mitglied feines Gemeinderates zu bem 
Sculvorftande ſenden; doch Fönnen beide in einer Perſon ver 
einigt fein. 

15) An einem Orte, der eine Schule, aber feinen Schul 
vorftand Bat, bildet der zum Schulvorflande ermwälte Deputirte 
einen Untervorftand für Diefe Schule, der in dringenden Fällen, 
nach den ihm befannten Brundfägen des Obervorftandes , in An 
gelegenheiten feiner Schule entjcheibet. Zu Diefem Ende werben 
ihm noch zwei Beifiger aus der Zal der Familienvaͤter gegeben, 
die aber feinen Sig im Oberſchulvorſtande haben. 

16) Andere, in dem Bezirke des Schulvorflandes mwohnende, 
aber unter feinem der vorigen Titel Dazu gehörigen Perjonen, 
welche fi) durch Kenntnis des Schulweſens und Durch Teilnahme 
an den Fortjchritten desſelben auszeichnen, koͤnnen von dem Schub 
vorftande in vorkommenden Fällen zu Rate gezogen, auch ald 
Ehrenmitglieder zu den Sigungen eingeladen werben. Wo aber 
dergleichen Männer unter einem ber obigen Titel in den Schulb 
vorfland eintreten können, ba werben die Kommifjarien beſonders 
auf fie ihr Augenmerk richten. 

17) Sind an dem Orte mehrere Pfarrer derfelben Kon 
feifion, fo treten fie als Mitglieder in benfelben Schulvorſtand, 
und derjenige unter ihnen, welcher am längften im Amte ift, hat 
den Vorrang. 

18) Wenn die verſchiedenen Konfeffionen an einem und dew 
felben Orte nur Einen Schulvorftand haben, jo gehören aud ihre 
refpectiven Pfarrer, als ſolche, zu demfelben; ber Vorrang wedlel 
jedoch unter den älteften Pfarrern der verfchiebenen Konfeffionen. 

19) Sind an einem Orte mehrere Schulvorftände verſchie 
dener Konfeffion, fo treten fie doch in allen Fällen, wo von Ar 


— 1717 — 


gelegenbeiten der ganzen Gemeinde die Rede ift, zufammen, ober 
enden ihre Deputirten zu einer bejondern Beratjchlagung. 

20) Sämmtlihe Mitglieder des Schulvorftandes befleiden 
diefe Stelle als Ehrenamt; der Pfarrer oder Vicarius, jo lange 
er, als folher, am Orte iſt; die übrigen Mitglieder verpflichten 
fi auf mwenigftens drei Jahre, nad) deren Verlauf fie durch an- 
dere erjeßt werden Fönnen. 

21) Unter den eigentlihen und wefentlihen Mitgliedern 
des Schulvorftanded wird von Seiten der Kommillarien einer als 
Dirigent in Vorjchlag gebracht, doch aber zugleich ein zweiter nächft 
ihm bezeichnet, der im Verhinderungsfalle des erfteren eintritt. 
Der Dirigent verfieht fein Amt ein Jahr lang, worauf eine neue 
Wal flatt hat. 

22) Jeder Schulvorſtand wält aus feiner Mitte einen Ges 
Eretär, und es Tann auch dieſes Amt jährlich wechjeln. 

23) Der Polizeidiener des Orts, oder einer derſelben, dient 
dem Schulvorftande zur Aufwartung und zu den nötigen Verſen⸗ 
dungen; innerhalb des Schulbezirfed werben Boten auf Koften der 
Bemeinden genommen. 

24) Ueber den eigentlichen und regelmäßigen Beichäftögang 
der Schulvorftände wird eine beſondere Snftruftion bearbeitet und 
denfelben zur Nachachtung zugeftellt werden. 

25) Die Kommifjarien werden ſich bemühen, die erforder- 
lichen Notizen aus den zu ihrem Bezirk gehörenden Orten jo bald 
als möglich einzuziehen, um ihre Vorjchläge über die Zujammens 
ſetzung der Schulvorftände wenigftend gegen die Mitte ded Janu⸗ 
ars 1816 einreichen zu koͤnnen, doch werden die Kommifjarien vor 
Einreichung der Vorfchläge ſich möglichft zu vergewißern juchen, 
daß die vorgejchlagenen Mitglieder zur Uebernahme des Amtes 
auch wirklich geneigt und bereit find. 

26) In zweifelhaften Fälen wendet fich jeder Kommiſſarius 
unmittelbar an die Direction des öffentlichen Unterrichts. 

27) Jeder Kommiljarius entwirft dieſe Vorfchläge in tabel- 
Larifcher Form, wozu ihm die Schemata gedrudt mitgeteilt werden 
und fendet fie mit feinen Bemerkungen gegen Mitte des Januar 1816 
an den Hauptfommiffarius, welcher fie zufammen, gegen dad Ende 

Heppe, Boltsigulweien, 5. 12 


— 178 — 


veffelben Monats, an die Direction des öffentlichen Unterrichts 
einjchict, von der fie an bie Departementöbehörden und von dieſen 
an mich zur Betätigung gehen. 

Aachen, den 10. ‘Dezember 1815. 

| Der geheime Staatsrat und Oberpräfident der 

Königlich Preußifhen Provinzen am Rhein. 
Sad. 

Somwol um die Arbeit jelbft zu beichleunigen, als auch, um 
mehrere Arbeiter zu prüfen, auf deren Thätigfeit bei einer bevor: 
ftehenden definitiven Organifation des Schulwejend vorzüglich ge 
rechnet werben Fönnte, endlich auch, um durch einen ehrenden 
Auftrag Diefer Art die würdigften unter den Geiftlichen für de 
Sache felbft zu gewinnen und fo möglichft viele Anregungspunkte 
für das Beßere in verfchiedenen Richtungen aufzuftellen, wurden 
diefer Schulorganifationstommiffarien mehr ernannt, ald es derm 
unter andern Umftänden beburft hätte. Es waren 37 katholiſche, 
9 veformirte und 2 Iutherijche Geiftliche, welche mit biejer Arbeit 
beauftragt wurden. 

Für die acht größeren Städte dieſes Gouvernement wurde 
an die Stelle der ifolirt ſtehenden Kommifjarien eine Bereinigung 
mehrerer, durch Einſicht gleich geachteter, Männer für dienlich 
erfannt, welcher als einer das Geſchäft im Allgemeinen leitenden 
Schulfommiffion der Stadt die Einrichtung und Befchäftigung der 
einzelnen Schulvorftände übertragen werden könnte. Auch dafür 
wurde unterm 4. Januar 1816 eine Inftruktion folgenden Inhalts 
erlaßen, worauf die Sache felbft in den meiften dieſer Städte 
wirklich bald im vollen Gange war. 


Anftruftion für Die 
Schulfommiffionen in den größeren Städten 
des Gouvernements. 

„An die Stelle der Schulorganifationsfommiflarien treten 
in den Städten, welche an 5000 Einwohner und darüber haben, 
Schulorganifationsfommiffionen, welche ebenfalls zuwörderft mit ber 
Einrichtung der unmittelbaren Schulvorftände beauftragt fit. 
Dieſe Kommiffionen beftehen 


— 19 — 


1. Aus dem erften Bürgerimeifter der Stadt. 

2. Aus dem erften fatholifchen und dem erften proteftan- 
tiſchen Geiſtlichen derſelben. 

3. Aus dem Director des Gymnaſiums daſelbſt, oder, 
wenn kein ſolches da iſt, aus einem angeſehenen und 
um dad Schulweſen verdienten Schulfreunde. 

4. Aus noch einem andern erfahrnen Schulmanne, Der 
zugleich die jchriftliche Verhandlung führt und die 
Beſchlüͤſſe vollzieht. 

Eines unter diefen Mitgliedern führt das Praͤſidium, worüber 

oberfte Behörde der Provinz entſcheidet. Zu den Städten, 
Ihe eine Schulkommiſſion erhalten, gehören im Umfange des 
erbepartements: Köln, Aachen, Gleve, Grefeld, Neuß, Düren, 
pen und Malmedy. 

In dieſen genannten Städten treten die unter den obigen 
i erften Männern bezeichneten Mitglieder der Schullommilfion 
leich zufammen, um das noch fehlende Mitglied Nr. 4 durch 
timmenmehrbeit zu wälen und Die getroffene Wal bei dem Ober- 
äſidium zur Beftätigung ſofort einzureihen. Sie machen in- 
iſchen, bis Dieje erfolgt, Die nötigen Vorbereitungen zur Ein- 
htung der Schulvorftände ihres Orts. 

Der Wirkungskreis diefer Schulkommiſſionen erftredt ſich 
f alle niederen und mittleren Schulen der Stadt. 

Die Gymnaſien, im Sinn des $. 3 der Snftruftion vom 
. Dezember, ftehen in Hinficht des Innern, Wißenjchaftlichen 
r unter der Auffiht der Direction des öffentlichen Unterrichts, 
Hinfiht der äußern, temporellen Verhältniffe unter der Auf— 
t der Departementalbehörbe, an deren Stelle künftig die Kon⸗ 
torien und Regierungen treten. Die Aufficht über Die mittleren 
chulen führen die Schullommiffionen unmittelbar, jo weit Die 
ben überhaupt zum Gefchäftskreife der Mittelbehörden gehörten, 
rüber Fünftig Snftruftiouen für Schullommiffionen und Schul 
ſpektoren das Nähere beftimmen werben. 

Für alle niederen Schulen der Stadt beftehen als 
chſte Behörden die Schulvorftände, deren Bufammenjegung 
zt von den Schulfommiffionen nach folgenden Grundſätzen zu 

12° 


— 10 — 


entwerfen und bei dem Oberpräfibium zur Beflätigung ein 
zureichen if. 

1) Hat eine Stadt nit mehr ald hoͤchſtens fünf Pfarre 
zirke derſelben oder verſchiedener Konfeffion, fo erhält fie nur einen 
Schulvorſtand. 

2) In dieſem Falle conſtituirt ſich die Schulkommiſſfion 
ſelbſt zu einem ſolchen Schulvorſtande, indem fie die erſten Geif⸗ 
lichen eines jeden Pfarrbezirks und außerdem noch eine der Zel 
der Pfarrbezirke gleiche Anzal ſachkundiger Männer, die teils aus 
den Mitgliedern des Gemeinderats, teils aus den Familienvätern 
genommen werden, zu ſich heranzieht. 

3) Bei der Wal ter letzteren, die von der Schulkommiſſior 
böbheren Orts in Borfchlag gebracht werben, ift Darauf zu fehen, 
daß von jeder Konfejfion nad) Dem gegenjeitigen Bergättnife ihrer 
Schulen geeignete Männer eintreten. 

4) Der Prafident der Schulkommiſſion führt das Prafidium 
aud in dem Schulvorftande. 

5) Die Schullommiffion felbft bildet jedoch immer den engeren 
Ausſchuß des Schulvorflandes und an fie bleiben die Verfügungen 
der obern Behörden gerichtet; ſowie auch umgekehrt von ihr and 
bie Berichte an die obere Behörde gehen. 

6) Jeder zu dieſem Schulvorftande gehörige Pfarrer bilde 
wiederum für feinen Pfarrbezirf einen Unteroorfland mit Zuzie⸗ 
bung jo vieler Zamilienväter dieſes Bezirks, ald Schulen in dem 
jelben unter feiner naͤchſten Aufficht ftehen, jo daß jede Schule 
ihren bejonderen Vertreter erhält. 

7) Dieſe Familienväter, die von der Konfeffion fein müpen, 
welder die Schulen angehören, werden von dem Schulvorſtande 
gewält und von der Schulfommiffion beftätigt, find aber nift 
Mitglieder des erften. 

8) Hat eine Stadt mehr als fünf Pfarrbezirke, wohin alſo 
unter den oben genannten Städten Köln und Aachen gehören, ſo 
befommt fie für jede Section einen beſonderen Schulvorftand, je 
doch jo, daß die Pfarrbezirke nicht dadurch zerfchnitten werben. 

9) Zn einen folden Schulvorftand treten mit Ausnahme 
derer, bie ſchon zur Kommiffion gehören, 





— 181 — 


1) Ale Pfarrer der Section. 

2) Zwei Mitglieder des Magiftrates oder Gemeinderates, 

3) Eine Anzal von Familienvätern dieſer Section, welche 
gleich Eommt der, in berjelben befindlichen und zu dem 
Schulvorftande gehörigen Zal der Pfarrer. 

10) Erfordern e8 die Verhältnifie, worüber die Schulfom- 
iffion ihr Urteil gehörig motiviren wird, fo erhalten die prote- 
intifchen Schulen ihren eigenen Schulvorftand,, der dann auf 
mliche Art, wie im $. 9, aus proteftantifchen Mitgliedern, viel- 
icht mit nur einer Magiftratöperfon zufammengefeßt fein muß. 

11) In Hinficht der Zufammenfegung der Unter: Schulvor- 
inde für jeden Pfarrbezirt gelten auch bier die Beftimmungen 
ı 6. 6 und 7. 

12) Sämmtliche Mitglieder der Schulfommiffion befleiden 
efe Stelle ald ein Ehrenamt, fo lange ihre oben angegebenen 
irgerlichen oder geiftlichen Aemter fie dazu verpflichten und es 
nn höchſtens der unter Nr. 4 genannte Gejchäftsführer auf eine 
ıgemeßene Entfhädigung für feine Arbeit aus der ftädtifchen Kaffe 
nfpruch maden. 

13) Zu ihren Sigungen muß ein bejonderes Zimmer des 
jemeindehaufes beftimmt werden, welches auch ihre Regiftratur 
thaͤlt. 

14) Sänmmtliche Mitglieder der Schulvorſtände bekleiden 
eſe Stelle als ein Ehrenamt, die Geiſtlichen, ſo lange ſie als 
lche dazu gehoͤren; die übrigen verpflichten ſich auf drei Jahre, 
ich deren Verlauf fie durch andere erſetzt werden koönnen. 

15) In jedem Schulvorftande führt ein Mitglied das Prä- 
yium auf ein Jahr, und wird Diejes jet von der Schulkom⸗ 
iffion in Vorfchlag ‚gebracht, künftig aber von Mitgliedern des 
‚hulvorftandes jelbft gewält. 

16) Jeder ES chulvorftand wält aus feiner Mitte einen Se⸗ 
etär, der fein Amt ein Jahr lang verfieht und alsdann durch 
nen andern erjeßt werden fann. 

17) Jedem Schulvorftande wird ein Polizeidiener in ben 
igungen fowol, ald den Dirigenten außer den Sigungen zum 
Yienft angewiefen, 


— 132 — 


18) Jede Schulkommiſſion der oben genannten 8 Städte des 
Roerdepartements reicht nun ihre Borfchläge über Die Yufammen- 
jegung der Schulvorflände gegen Ende des Januars in der nad 
beiliegendem Schema eingerichteten tabellarifhen Form an bie 
Direction des öffentlichen Unterricht3 ein, durch melde fie an bie 
Devartementalbehörde und von diefer an mich zur Beflätigung 
gehen. 

Aachen, den 4. Januar 1816. 

Der geheime Staatsrat und Oberpräfident be 
Königlich Preußifchen Provinzen am Rhein. 
Sad.“ 


Wenn aud diefe ganze Anordnung der Local-Schulbehörben 
mehr die &lementarfchulen befonders , ald das Schulweſen im 
Allgemeinen anging, jo war fie Doch auch auf das letztere nit 
ohne allen Einfluß, und namentlich gehörten alle mittlexen oder 
allgemeinen Stadtſchulen, wenn fie nicht Gymnaſien waren, zum 
Reſſort derfelben. Die eigentliche unmittelbare Leitung ber Gym 
nafien blieb auch jebt den Directoren felbft vorbehalten. 

Die Kenntnis des vorhandenen Stoffes, deflen Bearbeitung 
ein Gegenftand der oberen und unteren Schulbehörben fein follte, 
wurde zum Teil durch Ergänzung der früher gelieferten Berichte, 
zum Teil durch fortgejeßle Reifen der Directoren vervollkäntigt. 

Was Die früher niedergefehte Kommiffion an Materialien 
für eine Schulorganifation dieſer Provinzen gefammelt hatte, wurde 
zum Zeil durch Die, aus näherer Bekanntſchaft gewonnenen neuen 
Anfichten, zum Teil durch beſondere minifterielle Verfügungen, 
vorzüglich aber durch Mitteilung ter wefentlichften Artikel einer, 
für alle preußifchen Lande künftig zu publizireuden , allgemeinen 
Schulordnung ergänzt und berichtigt und diente jo als leitende 
Prinzip für die oberen Schulbehörden in einzelnen Fällen, welde 
ſchon jeßt eine foldye Anwendung erlaubten. Zu einer allgemeinen 
Reform war Die Zeit der Reife noch nicht eingetreten. 

Wie das Publikum im Allgemeinen, wie die beim Schul⸗ 
wejen am meiften intereffirten Perfonen, Gltern und ehren, 
wie auch die Geiftlichfeit aller Konfeffionen in Diefer Periode fort 





— 13 — 


auernd den lebhafteften Anteil an allem nahmen, was in ber: 
Iben in Beziehung auf Schulverbeßerung geſchah, Davon wurden 
ie erfreulichften und unzweideutigften Beweiſe überall fichtbar. 
Jie wiederkehrende Ruhe, die erhöhte Achtung für den Geift und 
ie Kraft einer Nation, welche der Welt diefe Ruhe wiedergab, 
nD Die Gerechtigkeit der Regierung wirkten zur Erweckung diefer 
Ügemeinen Teilnahme zufammen.” Die richtigeren Begriffe, die 
elleren Anfihten von dem, was die Schulen eigentlich Teiften 
ollen, gewannen den ebleren Teil des Volkes für die Sadıe. 
Die Achtung , welche die Regierung felbft den Lehrern zollte und 
on dem Publikum für fie verlangte, gab diefen die Achtung für 
bren Stand und für ihr Gejchäft wieder; ber Einfluß, welder 
en PBfarrern überhaupt auf ihre Schulen, welcher den Würdigiten 
inter ihnen auf Die obere Leitung des Schulweſens eingeräumt 
vurde, zog den ganzen Glerus, mit Ausnahme weniger finfterer 
Sanatifer, in das Intereſſe der Regierung. — Selbft da, wo ein 
olcher dem Beßern widerftrebender Geift bei dem einen oder dem 
ındern Pfarrer noch im Hinterhalte lag, wagte man doch nie, 
eradezu einen Angriff auf die von der Regierung aufgeitellten 
Srundjäße der Erziehung und des öffentlichen Unterrichts. 
Merfwürdig war e8 nur, daß gegen einzelne in den Fatho- 
iſchen Schulen eingeführte Lehrbücher, felbft gegen ſolche, bie 
inter einer andern bilchöflichen Cenſur gedrudt und mit der Er- 
aubnis geiſtlicher Obern eingeführt waren, Einwendungen gemacht 
vurden. 
In den Elementarſchulen felbft hatten die jeit 1813 getrof- 
enen DVeranftaltungen ſchon manche erfreuliche Frucht getragen. 
— Die Einritung neuer dffentliher Schulen an Orten, wo ed 
deren bis dahin feine gab, die Miederbefeßung lang erledigter 
ind vernachläßigter Schulftellen hatte Die Aufmerkjamfeit des Gou- 
syernement3 unausgefeßt bejchäftigt und die Bemühungen deſſelben 
waren nicht ohne glüdlihen Erfolg geblieben. Ernſte und nach⸗ 
rüdlihe Maßregeln erforderte die ftrafbare Gleichgültigkeit gegen 
ven Unterricht der Jugend in Fabrikörtern. Mannigfache Ver: 
bandlungen waren barüber mit den Magiftraten, den Hanbels- 
fammern, den gemerbyerftändigen Zabritunternehmern und den 


— 184 — 


Pfarrern gepflogen worden. Zu allgemeinen Refultaten Tonnte 
man nicht gelangen: fowol über die Beſtimmung der Zeit de 
Unterricht8 für die Kinder, mweldhe in den Fabriken arbeiteten, old 
über die Beifchaffung der Fonds waren Differenzen geblieben, ber 
Löſung eine der erften und wichtigften Arbeiten der OrtdsScul 
vorftände und der ſtädtiſchen Schulfommilfionen fein follte. 

Das Annere des Elementarſchulweſens machte jebt chen 
bedeutende Fortfchritte. — Die Normalfchule zu Koblenz befand 
fort; auf die Miederherftellung einer ehemals in Trier beftehenen 
Normalſchule wurde gegen das Ende des Jahres 1815 angetragen; 
für den nördlichen Teil des Roerdepartements follte ein Schul 
Iehrerfeminarium in Cleve errichtet werden. Der Antrag dazu war 
bereit8 höheren Orts genehmigt, ald die Errichtung einer Regie 
rung zu Gleve und die Verlegung eined Obexrlandesgerichts dahin 
die Disponiblen Gebäude dafelbft in Anfpruh nahmen und ber 
Ausführung des erften Planes in den Weg traten. Ehe nod die 
Mal eined andern zwedmäßigen Ortes getroffen werden konnte, 
fam das Ende des Jahres immer näher und mit ihm wuchs bie 
Hoffnung, den überall bemmenden proviforifhen BZuftand bald in 
einen dauernden übergehen zu jehen, fo daß ed am ratfamften 
war, die Vorjihläge über Ort und Art der Einrichtung eine 
Lehrerfeminard der Fünftigen Regierung dieſer Provinz zu über 
laßen. 

Der Uebungscurfus in Brühl wurden vom Wieberbeginn 
bes Krieges an bis zur Vereinigung des Landes mit der preuf. 
Monarchie in dieſer Periode zwei gehalten, denen zufammen 78 
Schullehrer aus dem füblichen Teile des Roerdepartements bei: 
wohnten. Als Refultat aller 5 Brühler Curſe ift anzuführen, daf 
dur fie in 80 Schulen des Roerdepartementd die Stephaniſche 
Lehrmethode und in einigen 20 die Natorp’fhe Geſangmethode 
eingeführt wurden, welche Methoden in feiner diefer Schulen vor 
her auch nur dem Namen nad) befannt waren. 

Da für den nördlichen Teil des Roerdepartements bis dahin 
in dieſer Hinficht noch nichts hatte gefchehen Eöunen, fo wurde im 
Auguft und September 1815 auf PVeranlaßung einiger wadern 
Pfarrer der veformirten und Fatholifchen Konfeſſion ein zweimonat 


— 185 — 


licher Lehrcurſus für 20 rveformirte und 14 katholiſche Schullebrer 
zu Meurs eröffnet, der teild durch feine längere Dauer, teild durch 
die Teilnahme eben dieſer Pfarrer an der Erteilung des Unterrichts 
vorzüglich fruchtbar war. 

Auch für Die Stadt Aachen, wo das Elementarfchulweien 
noch in einem tiefen Verfalle lag, fowie für die nädhften Umge: 
bungen der Stadt, hatte der reformirte Lehrer zu Burtfcheid einen 
methodologijchen Lehrcurſus bereitö im Juli 1815 eröffnet. Dreißig 
katholiſche Lehrer dieſer Gegend befuchten diefen Curſus regelmäßig 
und mit glüdlichem Erfolg. 

Einen ganz andern, nicht minder erfreulichen Bang nahm 
das Streben nad Bervollfommnung für ihr Zach unter deu Ele: 
mentarfchulen in Eöln. Diefe bildeten unter fih eine Kon⸗ 
ferenzgefellfhaft, in welcher Vorträge über Lehrgegenftände 
gehalten, pädagogifche Schriften gelefen und die darin enthaltenen 
Ideen verhandelt, Meinungen ausgetaufcht, alte und neue Me- 
thoden forgfältig verglichen und die Reſultate dieſer Vergleichung 
zu Veränderungen in der Lehrmethode einzelner Schulen benutzt 
wurden. Diefer Verein hatte das Charakteriftifche, daß ſich in 
ihm das Beßere von innen heraus bildete und geftaltete, und daß 
in ihm weniger gelehrt als gedacht und gefprodhen wurde. Nach 
dem Mufter dieſer Konferenzgefellfchaft bildete fich eine ähnliche in 
Grefeld, welche denjelben Plan mit Liebe ergriff und treu befolgte. 

Außerdem entftanden im Gefolge des allgemeinen und Eräftig 
aufgeregten Beiftes aus dem Uebungscurfus zu Meurs ſechs Schul: 
meifterfchulen, drei proteftantifche und drei Fatholifche, in denen 
durch leitende Vorfteher der Unterricht der Lehrer nach dem Plane 
jene Curſus in wöchentlichen Zufammenfünften fortgefeßt wurde. 
Eine ähnliche Schule ging aus dem Brühler Inſtitut hervor und 
an den Burtſcheider Curſus ſchloß fi) ein gleicher Verein zur 
Fortjegung des angefangenen Werkes unter der Leitung ber beiden 
brüderlich vereinten Schulorganifationsfommifjarien dieſes Kan: 
tond an. 

Bon diefen glüdlichen Refultaten eines regen Strebend un: 
ter den Schulbehörben, Pfarrern und Lehrern ward in einer Be⸗ 
kanntmachung vom 20. November das Publikum in Kenntnis ges 


— 186 — 


jebt; fowie in einer zweiten vom 13, Januar 1816 von dem aus 
der Coͤlner Konferenzgefellichaft hervorgegangenen Verein zur Bil 
dung und Vorbereitung angehender flädtifcher Elementarlehrer 
hauptfächlid, in Beziehung auf die Stadt Göln felbft. 

Die Peſtalozziſche Schule in Coblenz ſchlug durch die Aus: 
dauer ihres Lehrers Rößler, wie durch die ihr gewidmete Aufs 
merkjamfeit des Directord vom Mittelrhein, des freilinnigen 
Goͤrres, und Durch die Unterftüßung bed Gouvernements in dieſem 
Zeitraum immer tiefere Wurzeln und erfeßte den Mangel eine? 
guten BorbereitungdunterrichtS in dem und für das Gymnafium 
daſelbſt. In ihr hatten auch auf dieſer Rheinfeite Die Turnübungen 
den beften Fortgang. 


XIV. 
Die vorhinnige Grafichaft Wittgenftein. 


In der Graffchaft Wittgenftein, die i. 3. 1607 in bie beis 
den Grafſchaften Wittgenftein-Berleburg und Wittgenftein-Wittgen 
ftein geteilt wurde, konnte es bei der Armut des Landes nur ſehr 
ſpät zur Organifation eines eigentlichen Volksſchulweſens kommen. 
Im ganzen fiebzehnten Jahrhundert werden nur Winterfchulen er- 
wähnt und die Küfter galten durchweg nur als eigentliche Pfarrei 
Diener, die fi nur gelegentlich zur Einrichtung einer Schule be 
quemten. Auch mufte die Kirche, wollte fie ander8 nur die Wins 
terfchulen ind Leben rufen, wol häufig den Küfter für das Schul 
halten aus ihren eignen Mitteln befolden. — Wie das Verhältnis 
bes Küfter- und des Schulmeifteramtes aufgefaft wurde und mie 
unficher noch der Beſtand der Dorffchulen war, erhellt 3. B. aus 
dem Berichte des Pfarrers zu Feidingen i. J. 1646, worin der 
jelbe den firchlichen Dberen anzeigt, er habe einem ihm zur An 
ſtellung zugeſchickten Schulmeifter vorgeftelt, daß er zwei Aemter 
zu verrichten habe, „das Opferamt, da er dann frühe und fpät, 
wennd nötig, in Die Kirche zu läuten, das Gejänge zu führen, 
die Kirche zu fäubern und rein zu halten, das Sädlein umzu⸗ 
Fragen, bei der Taufe Waßer zu tragen, die Uhr zu verforgen, 


— 187 — 


wann eine Leiche vorhanden, zu laͤuten, zu gewiſſer Zeit im Som⸗ 
mer — Mittag zu läuten, des Sonnabends um 4 Uhr Nachmit- 
tags ein Zeichen zu geben und was deſſen mehr bei dad Opfer: 
amt gehörig. Hiergegen gibt das Kirchiptel hiefigen Orts jeder: 
mann ein Mefte Opferhafer und auf Chrifttag einen Laib Brod 
und auf Oftern einen Laib dito; von einer Leiche einen Laib, 
wann ein Kind getauft wird 2 Pfund. — Hierzu muß er die 
Schule verfehen, davon die Kirche ihm gibt 5 fl, 
von der Gemeinde aber hat er nichts, der er doch dient; darüber 
ich mich heftig beſchwere, denn unfere Kirche Baufällig, und mit 
ihren Renten nicht länger kann noch fol felbige der Gemeinde 
einen Schnimeifter halten; ift noch quaestonis, ob dazu die Kirche 
ſchuldig, denn es feine Stiftung von Alters if.” — 

Bis in die erfien Decennien des 18. Jahrhunderts blieb 
daher das Wittgenfteiner Volksſchulweſen in der traurigften Ver: 
faßung. Denn noch zur Zeit ald Graf Gafimir in Berleburg 
regierte (F 1741), waren feſt angeftellte Lehrer in dieſer 
Grafſchaft noch eine Seltenheit. „Nur in den Wintermonaten 
wurde Schule gehalten von einem vom Konfiftorium als fähig 
dazu erflärten Manne, gewoͤhnlich dem Kuhhirten. Der Graf 
hielt zwar mit Strenge darauf, daß die Winterfchule zur rechten 
Zeit angefangen und fleißig bejucht wurde. iner Gemeinde, 
welche ſich nachläßig gezeigt hatte, mufte der „„Ehrn. Pfarrer 
fothanen, zur Verfäumung der unmwißenden jugend gereichenden 
Verzug ernftlich verteilen, daneben auch andeuten, daß fie ohne 
Anftand zu Verfehung der Schule fo viel möglich tüchtige Per: 
fonen auserfehen, mithin dieſe am naͤchſtkommenden Dindtag bei 
Sräfl. Konfiftorio präfentiren follen, alfo daß am Mittwoch dar- 
auf der Unterriht unfehlbar feinen Anfang nehmen konne.““ 
(Verordnung vom 12. November 1735). Nur in dem größeren 
Filialdorfe Berghaufen war ein Lehrer angeftellt, weldyer auch im 
Sommer Schule zu halten verpflichtet war; felbft hier aber war 
beftändige Klage über Vernadhläßigung der Sommerfchule, mobei 
die Gemeinde die Schuld dem Lehrer, und dieſer umgefehrt Der 
Gemeinde zufchob.” *) | 


) Entlehnt aus J. W. Windels „Aus dem Leben Cafimirs,“ S. 106. 


— 1718 — 


beffelben Monats, an bie Direction des Öffentlichen Unterriäts 
einfchiet, von der fie an die Departementöbehörden und von dielen 
an mich zur Beftätigung gehen. 

Aachen, den 10. Dezember 1815. 

Der geheime Staatsrat und DOberpräfident der 
Königliche Preußischen Provinzen am Rhein. 
Sad. 

Sowol um die Arbeit felbft zu befchleunigen, als auch, um 
mehrere Arbeiter zu prüfen, auf deren Thätigfeit bei einer bevor 
ftehenden definitiven Organtfation des Schulweſens vorzüglid ge 
rechnet werden könnte, endlich) auch, um durch einen ehrenden 
Auftrag Diefer Art die würdigſten unter den Geiftlichen für de 
Sache jelbft zu gewinnen und fo möglichft viele Anregungspunkte 
für das Beßere in verjchiedenen Richtungen aufzuftelen, wurden 
diefer Schulorganifationsfommiffarien mehr ernannt, als es berm 
unter andern Umftänden bedurft hätte. Es waren 37 katholiſche, 
9 reformirte und 2 Iutherifche Geiſtliche, welche mit dieſer Arbeit 
beauftragt wurden. 

Für Die acht größeren Städte dieſes Gouvernements wurd 
an die Stelle der ifolirt ftehenden Kommifjarien eine Vereinigung 
mehrerer, durch Einficht gleich geachteter, Männer für dienlid 
erfannt, welcher als einer das Gejchäft im Allgemeinen leitenden 
Schulkommiſſion der Stadt die Einrichtung und Beichäftigung de 
einzelnen Schulvorftände übertragen werden fünute. Aud, dafür 
wurde unterm 4. Januar 1816 eine Inftruktion folgenden Inhalt? 
erlaßen, worauf die Sache felbft in den meiften dieſer Städte 
wirklich bald im vollen Gange war. 


Inſtruktion für die 
Schulflommiffionen in den größeren Städten 
bes Gouvernements. 


„An die Stelle der Schulorganifationsfommifjarien treten 
in den Städten, welche an 5000 Einwohner und darüber haben, 
Schulorganifationsfommiffionen, welche ebenfalls zuvoͤrderſt mit der 
Einrichtung der unmittelbaren Schulvorftände beauftragt ſiud. 
Dieje Kommiffionen beftehen 





— 179 — 


1. Aus dem erſten Bürgermeifter der Stadt. 

2. Aus dem erften katholiſchen und dem erften proteitan- 
tiſchen Geiftlichen derſelben. 

3. Aus dem Director des Gymnaſiums daſelbſt, oder, 
wenn kein ſolches da iſt, aus einem angeſehenen und 
um das Schulweſen verdienten Schulfreunde. 

4. Aus noch einem andern erfahrnen Schulmanne, der 
zugleich die ſchriftliche Verhandlung führt und die 
Beſchlüſſe vollzieht. 

Eines unter dieſen Mitgliedern führt das Praͤſidium, worüber 
? oberfte Behörde der Provinz entjcheidet. Yu den Städten, 
Ihe eine Schulkommiſſion erhalten, gehören im Umfange des 
verdepartements: Göln, Aachen, Cleve, Grefeld, Neuß, Düren, 
upen und Malmeby. 

In dieſen genannten Städten treten die unter den obigen 
ei erſten Mäunern bezeichneten Mitglieder der Schulfommilfion 
gleich zufammen, um das noch fehlende Mitglied Nr. 4 dur 
stimmenmehrheit zu wälen und Die getroffene Wal bei dem Ober- 
räſidium zur Betätigung fofort einzureihen. Sie machen in- 
oiſchen, bis Diefe erfolgt, die nötigen Vorbereitungen zur Ein- 
tung der Schulvorftände ihres Orts. 

Der Wirkungsfreis diefer Schulkommiſſionen erftredt fich 
af alle niederen und mittleren Schulen der Stadt. 

Die Gymnaſien, im Sinn des $. 3 der Inftruftion vom 
D. Dezember, ftehen in Hinficht des Innern, Wißenfchaftlichen 
ur unter der Auffiht der Direction des öffentlichen Unterrichts, 
Hinſicht der äußern, temporellen Verhältniffe unter der Aufs 
ht der Departementalbehörde, an deren Stelle fünftig Die Kon⸗ 
Korien und Regierungen treten. Die Aufſicht über Die mittleren 
Schulen führen die Schulfommiffionen unmittelbar, jo weit Dies 
ben überhaupt zum Geſchaͤftskreiſe der Mittelbehörden gehörten, 
orüber Fünftig Inftruftiouen für Schullommiffionen und Schul 
iſpektoren das Nähere beftimmen werben. 

Für alle niederen Schulen der Stadt beitehen ale 
ächfte Behörden die Schulvorftände, deren Bufammenjegung 
eBt von den Schulfommiffionen nad folgenden Grundfäßen zu 

AR* 


— 1% — 


deſſen verfügt wurbe, daß die Gemeindéleute und Aelteſten, welche 
dieſes Verlangen Tundgegeben hätten, fofort angeben follten, wie 
viel fie zur Unterhaltung eines ftändigen Schulmeifterd aufzuwen⸗ 
den gebächten, wibrigenfalld der Inſpektor zu Raasphe felbit be 
rechnen follte, wie viel Gehalt einem Schullehrer zu Dem, was 
er für die Winterfchule befomme, zuzulegen ſei, — fo mochten 
fi) Doch die Gemeinden faft nirgends entjchließen, für ihre Schulen 
auch nur das geringfte Opfer zu bringen. Bei einer i. 3. 1753 
vorgenommenen Slirchenvifitation wurbe angezeigt, „Daß zu Puder 
bach der Schulmeifter nach DOftern abgegangen, zu Niederlaasphe 
auch abgehen müßen, weil die Leute ihm bereitd in 14 Tagen 
feine Koſt gereicht noch ein einziges Kind geſchickt hätten. Zu 
Laasphe wurden auch wenige Kinder den Sommer über in die 
Schule geſchickt. Die Gemeinde Rüchftein habe ohne Vorbewuſt 
des Pfarrers und der Xelteften ihren Schulmeifter abgeſchaftt, 
„welcher dermalen das Wild auf dem Hülshof hütet.“ Nirgendd 
wurden Sommerfjchulmeifter eingerichtet und da daher jede Gr 
meinde zu Oftern ihren Schulmeifter entließ, um zu Michaelis 
einen. andern zu Dingen, jo war ed natürlich, Daß bag Schulweſen 
nach wie vor im elendeſten Zuſtande blieb. 

Das gräflihe Konſiſtorium zu Laasphe erließ daher im 
Iandesherrlichen Auftrag — wahrfcheinlih i. J. 1777 — ein 
Verfügung, worin Die Vollziehung der Schulorduung von 1746 
mit der weitern Beftimmung nochmals eingejchärft wurde: 1) Am 
Zukunft follte in allen Gemeinden durch das ganze Jahr hin Schule 
gehalten werden. 2) Diejenigen Kinder, welche von ihren Eltern 
zu häuslichen Verrichtungen notwendig verwendet werden müften, 
jolten den Schulunterricht wenigftend teilweife befuchen. 3) Du 
wo noch Fein Schulhaus vorhanden fei, jollte wenigftens, um das 
Umberziehen der Schule abzuftellen, ein beſonderes Schulzimmer 
gemietet werden. 4) „Damit auch die Gemeinde mit der Zeit 
eine völlig freie Schule befomme und des beſchwerlichen Unter: 
haltens der Schule überhoben werde, follten bei jeder Hochzeit 
Braut und Bräutigam etwas zur Schule fteuern, die vermögenden 
1 Rthlr., Die geringeren aber weniger, doch nicht unter !/, Rihlr.; 
Jo fol auch von den Hochzeitsgaͤſten eine freiwillige Steuer ein 


— 191 — 


geſammelt, nicht weniger bei jedem &rbfall einer ledigen Perfon, 
wenn diejelbe die Schule mit einem freien Legat felbit nicht be 
dacht, der zehnte Pfennig der Verlaßenfchaft in fo lange hierzu 
abgegeben werden , bis ein folches Kapital zuſammengebracht wor: 
den, daß ein Schulmeifter davon jubfiftiren Fan.” 5) Bid dahin 
„müßen alfo die Schulmeifter gemeinſam verjorgt werben, und ift 
denjelben der Lohn geringer nicht als monatlich 1 Rthlr. zu be- 
ftimmen, wobei der Schulmeifter außer den geſetzten Schulftunden 
entweder mit befonderer Unterrihtung oder auf andere Art fidh 
noch etwas zu verdienen beftreben muß." (Hierauf folgen nod 
Beftimmungen über den Betrag des Schulgelded, das für noto> 
riih Arme aus dem Sirchenfaften gezalt werden fol, und über 
andere Emolumente der Schulmeifter.) 

Es Tiegen nun fehr ſpaͤrliche Nachrichten über den Erfolg 
diefer neuen Verordnungen vor, welche damals von allen Kanzeln 
in den Kirchen der Grafſchaft Wittgenflein-Wittgenftein vorgelejen 
wurden. Aber wenn berichtet wird, daß i. J. 1791 nur zwei 
Dörfer der Graffchaft, Fendingen und Erudtebrüd, Sommer: 
Schulen hatten, und daß um dieſe Zeit in Niederlaadphe der 
Schullehrer mit dem Kuhhirten und deſſen Yamilie in Einer Stube 
wohnte, jo ift deutlich genug zu erjehen, daß das Schulwefen da- 
jelbft am Ende des 18. Jahrhunderts nod ganz im Argen lag. 
Und jelbft zu Anfang des neuen Jahrhunderts war das Schul: 
wejen im Wittgenftein’fhen noch nicht befer. Unter dem 13. Juni 
1802 ließ der Graf Ludwig zu Wittgenftein in allen Kirchen des 
Landes eine Schul» und Erziehüngspredigt über 1. Sammel 3, 
11—13 halten, worin die Prediger die verderblichen Folgen einer 
ſchlechten häuslichen Erziehung und eined Mangels an nötiger 
Schulbildung Darftellten. Die Gemeinde Schammeder im Kirdh- 
fpiel Erndtebrüd ging den übrigen Dörfern mit einem loben$- 
werten Beifpiel voran, indem fie noch vor der landeöherrlichen 
Verordnung einen geſchickten Lehrer zu ihrem fländigen Winter: 
und Sommerfchulmeifter aus eignem Antriebe annahm. Aber in 
allen andern Gemeinden dauerte ed noch lange, bis dieſelben ftäns. 
Dige und ordnungsmäßig eingerichtete Schulen erhielten. — Erft 
ald das Wittgenfteiner Land mit der preußifchen Monarchie 


— 192 — 


vereinigt wurde, konnte eine glüdlichere Periode des Dafigen Volt 
Ichulwejend beginnen. 


xV, 
Das ſaͤculariſirte Fürftentum Münſter. 


Die erften Anfänge des Volksſchulweſens im Münfterer Lande 
batiren (abgejehen von dem, was hier und da ſchon vor dem 
breißigjährigen Kriege befanden hatte und in demſelben zu Grunde 
gegangen war,) aus der Regierungszeit des (in der Gejchichte feiner 
Beit freilich mehr als weltlichen Herrn, Politikers und Kriegsmannes, 
denn als geiftlihen Herrn bekannten) Fürſtbiſchofs Chriſtoph 
Dernhbard (von Balen, 1650—1678).*) In dem unter dem 
Namen Constitutio Bernardina befannten Synodaldecret, welded 
berfelbe i. 3. 1655 publiziven ließ, wurde nemlich in Betreff des 
Schulweſens beftimmt: „Es follen keine Schullehrer und Schul⸗ 
lehrerinnen zugelaßen werden, als katholiſche; fie jollen auch nur 
katholiſche Bücher leſen und vorlefen laßen; insbeſondere fein neues 
Teftament nad) der Ueberſetzung der Jrrgläubigen gebrauchen. 
Sie follen ihre Schüler zu einer gründlichen Frömmigkeit anleiten, 
fie zu den fatechetifchen Lectionen führen, und bei denſelben fe 
durch ihre Gegenwart in Sittſamkeit und Ordnung halten. Sie 
jollen eifrig Dahin wirken, Daß diejelben Die Art und Weiſe zu beten 
und recht zu beichten lernen; und wo es immer gefchehen Tann, follen 
die Schulen der Knaben und Mädchen von einander getrennt wer 
den. — Die Pfarrer werden die Gemeinden ermahnen, daß fie 
das Schulgeld für ihre Kinder defto freigebiger feftjegen, damit 
die Armen, welche Fein Schulgeld zalen können, von dem notwer 
digen Unterrichte nicht ausgefchloßen werden. — Wir empfehlen 
diefe Sache auf das angelegentlicdhfte unfern Archidiakonen, und 
befehlen gnädigft, daß unſere Beamten dazu mitwirken,” 

Auch die Synodalabſchiede der nächftfolgenden Jahre ent 


*) Bgl. Münfterifhe Monatsblätter für Latholifches Unterrichts. und Er- 
jiehungswefen. Heft X. ©. 320 ff. 


— 193 — 


hielten zalreihe Beftimmungen, wodurch einzelne Verhältniffe des 
Volksſchulweſens geregelt wurden. Namentlich ward durch bie 
Spynodalverordnung vom 23. März 1675 beftimmt, es follten „Die 
in den Städten, Fleden, Dörfern und andern Orten für Kinder 
beiderlei Geſchlechts früher errichteten deutfchen Schulen gepflegt 
und gehoben, da, wo fie in Verfall geraten, ohne Verzug wieber 
hergeftellt, da, wo nie weldye beftanden, beſonders audy in den 
entfernteren Bauerjhhaften an einem den Gingefeßenen bequemen 
Plage mit allem Eifer und aller Sorgfalt fobald ala moͤglich er- 
richtet werden.” Werner warb verordnet: „Da mitunter große 
Mißbraͤuche entftehen, wenn Knaben und Mädchen unter demjelben 
Lehrer und in demfelben Locale zufammen unterrichtet werden, fo 
wollen wir, daß da, wo die Gemeinde und die Jugend zalreicher 
ift, beiondere Lehrerinnen für die Mädchen angeflellt werden, und 
wo dieſes noch nicht zu erreichen ift, DaB da die Knaben und Die 
Mädchen wenigftens örtlid durch eine zwijchengeitellte Wand ge- 
fondert fiten und unterrichtet werden. Sämmtlidye Kinder follen 
von den Eltern zur Schule gejchidt werden, und Damit den Armen 
fein Anlaß gegeben werde, fich ihrer Armut wegen zu beflagen, 
oder die Kinder von der Schule abzuhalten, jo beftlimmen wir, 
daß die Dürftigen unentgeldlic unterrichtet werden; Damit aber 
den Schullehrern von dem Schulgelde derjelben nichts entgehe, fo 
ſollen denſelben die anderweit für fie feitgefeßten Gehalte, oder in 
deren Grmangelung eine beftimmte Summe aus den allgemeinen 
Armenftiftungen angewiejen werben. Diejenigen Eltern, welde 
ihre Kinder zur Schule zu ſchicken verfäumen, follen, auch wenn 
fie dürftig find, geftraft werden; find fie aber vermögend, fo follen 
fie überdies nody das doppelte Schulgeld den Schullehrern zalen. 
Damit aber für die Schulen und die Schulfinder um jo beßer 
gejorgt und das Hier Beftimmte um jo gewiſſer zur Ausführung 
gebracht werde, follen die Pfarrer und Kapläne die Schulen 
wöchentlicy wenigftend Einmal beſuchen und über ihren Buftand, 
Fortgang und Erhaltung, über die Anzal der Schüler u. |. w. 
einige Male im Jahre genauen Bericht abftatten. Die Schullehrer 
und Schullehrerinnen follen eine durchaus ungejchränfte Simmunität 
genießen, und follen von unfern Beamten oder den Ortsmagiftraten 
Sepve, Boltsigulmeien, 3. 13 


— 194 — 


mit feinen öffentlichen Laften, fei e8 auch unter welchem Borwante, 
belegt werden. Damit die Jugend mit defto größerem Gifer bie 
notwendigen Glaubenswahrheiten erlernen, follen die Pfarrer ober 
andere Geiftliche in ihrem Auftrage ſich durchaus nicht unterfangen, 
Brautleute zu trauen, wenn Diefelben nicht in einer vorberge 
gangenen Prüfung in den Glaubensfachen, weldye zu wißen und 
zu befolgen zur Seligfeit notwendig find, gehörig unterridtet be 
funden worden find.” 

Diefe und ähnliche Verordnungen blieben allerdings formel 
jelbft noch damals in Gültigkeit, al8 der Fürftbiichof von Münfter 
und Kurfürft von Köln, Maximilian Friedrich, oder vielmehr 
deſſen unumſchränkt regierender Domberr und Minifter Kriedrid 
Wilhelm Franz, Freiherr von Fürftenberg, eine neue 
Schulordnung i. 3. 1770 ausarbeitete und i. J. 1776 publizirte, 
welche zunächit nur für die höheren Schulen berechnet war, aber 
auch für die Volksſchulen infofern Bedeutung hatte, als fie den 
ganz veränderten Geſichtspunkt beurfundete, von dem aus dad 
geiftige Leben des Volkes jebt gepflegt werben follte. 

Allerdings führte dieſe Schulordnung den Titel: „Verord⸗ 
nung, die Lehrart in den unteren Schulen des Hod; 
Rift Münfter betreffend”; indeffen war diefelbe doch haupt 
ſaͤchlich für die lateiniſchen Schulen des Landes beftimmt. Der 
Geiſt, in welchem die Schulordnung verfaft war, erhellt am beften 
aus der Einleitung derjelben, weldye ſo lautet: 

„Die Erfahrung, welchen Einfluß die Begriffe und Gewohr 
beiten, die der Menſch in der früheren Jugend zu Triebfedern 
feiner Fünftigen Handlungen fammelt, auf die Glückſeligkeit feines 
Lebens und auf das Wol der Menfchheit haben, veranlafte Gr 
ziehungsanftalten, und wenn man auch bei dem Entwurfe derſelben 
an einigen Orten glüdlich genug gewejen wäre, ihren Endzwed 
völlig zu erreichen, jo blieben doch die näheren Beftimmungen, die 
Beit und Ort bier den allgemeinen Bedürfniffen geben, immer 
noch wichtig genug, nach den mandyerlei Verordnungen diefer Art 
auch noch Die gegenwärtige nötig zu machen. Die allgemeiwe 
Wolthat, die der Menjch feiner Erziehung fol zu danlen haben, 
iſt, daß ihm die Sphäre feiner Thätigfeit erweitert 


— 19% — 


und Die Art, fie zu befhäftigen, nah ihrem Werte 
beftinmt werde Sie foll feinen Verſtand mit reellen 
Kenntniſſen, diefe ven ganzen Umfang jeiner Pflid- 
ten umfaßen, und fein Herz fühlen lehren, daß nur ihre Erfül- 
lung wahre Glüdfeligfeit it, Damit ibm Pfliht zur Nei— 
gung und Tugend zur Gewohnheit werde“ 

„aber die Natur macht der Erziehung dieſes Geſetz ſchwer, 
da fie Wefen mit fo verjchiedenen Graden von Fähigkeiten liefert: 
Weſen, auf die jelbft ihre Abfichten jo aͤußerſt verjchieden find. 
Die erſte Vorforge bei der Unterweifung jet alfo diefe, daß kei⸗ 
ner Art von Schülern das Nötige zu ihrem Berufe 
entgehbe, daß mit dem Ueberflüßigen Feine Zeit verborben werde, 
und daß ohne das beßere Talent im Kortgange aufzuhalten, auch 
das mittelmäßige den Unterricht vollftändig genieße.“ 

„Der Öffentliche Unterricht fol dem Schüler Begriffe und 
Kenntniffe von Bott, von fih und feinen Pflichten, 
von den Wefen um ihn ber und von den Schidfalen der 
Menſchheit verſchaffen; er fol ihn feine Begriffe prüfen, 
vergleihen und bezeichnen lehren. Der Begenftand des— 
felben ud alfo Religion, Sittenlebre, Pſychologie, Nas 
turkunde, Matbematif, Geſchichte, Logik, Sprad- 
kunde, Redekunſt und Dichtkunſt.“ 

„Alle dieſe Wißenſchaften ſollen in einer genauen Verbin⸗ 
dung bearbeitet werden, ſodaß von dem erſten Schuljahre an bis 
zu dem letzten der Unterricht eines jeden Jahres die Lehren des 
folgenden vorbereite, und unter ſich ſelbſt eine jede Wißenſchaft 
der andern die Hand biete, damit die Erkenntnis des Schülers 
von ihren erften Gründen an durch eine allmähliche Entwicklung 
bis zur Vollkändigkeit und Anwendung fortjchreite.” 

Bon dem Religionsunterrichte wurde in der Schulorbnung 
ganz im Geiſte des damaligen Geiftes der Fatholifchen Kirche ge: 
rebet, d. h. die Religion wird fo ziemlich nur als Sittenlehre und 
als ein Gegenftand in Betracht gezogen, der andemonftrirt werben 
Bönne. Mit pomphaften Phrafen wird der Wert einer feft bes 
gründeten Religionstiberzeugung und Religionsempfindung verfündet, 


dagegen vom fpezififchen Chriftentum ift faum andeutungsweiſe die 
1° 


— 196 — 


Nede. Es heiſt: „Die Pflichten der Religion und Sittenlehre 
muß der Schüler in ihrem ganzen Umfange Tennen. Der Lehre 
bemühe ſich alfo, in diefem Teile des Unterrichts fo Deutlich, ſo 
faßlich und vollftänbig zu fein, als möglid. Gr arbeite mit der 
Ueberzeugung, daß nirgends im ganzen Gebiete menfchlicyer Kennt 
nifje eine Lüde, ein ſchwankender Begriff oder Mangel an Gründen 
von fchädlicheren Folgen if. Die Religion fol nad) Vorſchrift 
des fatechetifchen Unterrichts gelehrt werden, und mit den Beweiſen 
ihrer Wahrheiten rüde der Lehrer in gleichem Maße mit der 5% 
bigkeit der Schüler vor”, u. f. w. Trefflich find Dagegen bie 
hinſichtlich der meiften anderen Unterrichtögegenftände gegebenen 
Vorſchriften, in denen bereits einzelne der beften Gedanken Peſta⸗ 
103318 anticipirt werden. Den Unterricht in der Pſychologie be 
treffend wird der Lehrer angewiejen: „Allee was er hier da 
Schüler durch Terminologie, bei der er fich nichts vorftellte, nichts 
empfand, lehren wollte, das hat er ihn gar nicht oder zu feinem 
Nachteil gelehrt. Jeden Begriff muß diefer felbft empfinden, jede 
Wahrheit, jedes Geſetz muß hier Erfahrung fein. Statt ein 
Menge theoretifcher Säge führe der Lehrer ihn zu@rfcheinungen, 
bei denen er beobachten und erfahren, und von denen er die Gründe 
finden und angeben kann. Den Anfang mache ber Lehrer mit den 
Erſcheinungen, bie die geringfte Anftrengung ber Aufmerkjam 
feit fordern. Mit dem, was die Sinne angeht, muß er ihn hin 
länglich befannt gemacht haben, ehe er ihn zur Einbildungskraft 
fortführt, und fo muß er erft das ganze ſinnliche Erkenntnisver⸗ 
mögen zergliedert haben, ehe er ihn auch das abftrahirende kennen 
lehrt.“ In dem naturgefhichtlichen Unterricht „gehe der Lehrer 
feinen Schritt über das Sinnliche hinaus; alled fei Natur oda 
Bild”. In dem mathematifchen Unterricht ift neben dem prafti 
ſchen nod ein höherer Nugen ins Auge zu faßen. „Dur die . 
genauefte Verbindung, die ihr (dev Mathematik) eigen ift, durch 
die Evidenz, mit der fie jede ihrer Wahrheiten dem Verſtande 
darbeut, ſoll der Lehrer das Gefühl des Wahren bei bem 
Schüler jhärfen, daß er auch Bei anderen Wahrheiten fich nicht 
mehr mit bem Ungewiſſen berubige, daß er in den Gang feines 
Nachdenkens und in die Entwidlung feiner Vegriffe Deutlichkeit 


— 17 — 


und Zufammenhang bringe, und in feinen Schlüßen und Beweifen 
von ſich felbft Strenge und Gründlichfeit zu fordern lerne.“ Noch 
beftimmter wird bie eigentliche Erziehungsidee der Schulorbnung 
in den Vorſchriften über die „Anfangsgründe einer praftifchen 
Logik" dargelegt: „Der Lehrer dringe dem Schüler feine Wörter 
auf, die ihm Bloß Wörter bleiben müßen; er fol ihn empfinden 
und denken lehren. Die Begriffe, die der Menſch durch bie 
äußeren Sinne erhalten muß, fol er dem Schüler durch Vorzei⸗ 
gung der Sache felbft oder im Bilde, und jene, die für den in« | 
neren Sinn gehören, durch Aufmerkſamkeit auf das, was in feiner 
Seele vorgeht, verjchaffen, und bei abftracten Begriffen dem Bang 
bed DVerftandes nachfolgen, wie er fie von den finnlichen abzog. 
Hier überzeuge er ſich felbft, Daß es einem endlichen Verftande 
nicht vergönnt ift, eine große Menge bildlicyer Begriffe auf ein» 
mal zu faßen und zu bearbeiten, daß feine Schwäche ihm bie 
Verfürzung feiner Operationen durch Abftraction nötig machte; 
— daß aber aud die Abftraction nie ihren Urfprung verleugnen 
darf, damit fie nicht in leeres Wortſpiel ausarte, dem in ber 
Seele nichts reelled mehr entjpricht, daß das Bildliche, das An⸗ 
jchauende der Erkenntnis zur Wirkſamkeit Xeben und Kraft geben 
muß, daß ed unter die jchädlichften Mißverftändniffe des Erziehers 
gehört, ein herrſchendes Seelenvermögen zu unterdrüden oder zu 
ſchwaͤchen“ u. ſ. w. „Zur Richtigkeit im Schließen führe er ihn 
dadurch an, daß er ihn felbft Wahrheiten aus Erfahrungen fols 
gern lehre.“ Hinſichtlich des Spracdunterrihts wird beftimmt: 
„Schon die Ausſprache ſoll der Lehrer zur Reinigkeit und Wahr⸗ 
heit zu bilden ſuchen; ſie ſei frei von Provinzialfehlern und deut⸗ 
lich, daß der Schüler auch das Harte und Starke, nicht blos das 
Sanfte unfrer Sprache, ſchon bei der erften Zuſammenſetzung ber 
Töne in Silben und Wörtern fühlen lerne. Gr lehre ihn richtig 
Iefen mit der Tonbildung nach Zeit und Empfindung, daß er fein 
Ohr ſchon früh an Tonmaß, Wolklang und Ausdrud 
gewöhne. Bu dem Endzwed wäle er auch fchon gleich anfangs 
leichtere Verſe.“ Hierzu noch die Bemerkung: „Die Bezeichnung 
feiner (des Lehrers) Gedanken fei im Einzelnen richtig, aber auch 
in der Zufammenjeßung deutſch, Damit er früh den Vorteil ers 





— 1% — 


halte, daß einft in feinen Reden und Schriften ähter dentſcher 
Geist wehe.“ 

Indeſſen waren es nicht blos Die unteren lateinijchen, fon 
dern auch die eigentlihen Volksſchulen, denen Fürſtenberg, von 
dem unermüdlichen Eifer des Pfarrerd Overberg unterflügt, feine 
Fürforge zumendete. Fürftenberg ſchuf eine Gentralverwals 
hungsbehörde für das gefammte Unterrichtsweſen des Landes, 
gründete eine Normaljchule und ein Schullehrerfeminar, *) woz 
die Landftände i. J. 1790 die erforderlide Summe bewilligten,) 
baute Schulhäufer, erhöhte das Dienfteinfommen der Lehrer, 
forgte für Ausbildung von Lehrerinnen u. drgl.*) Außerden 
publizirte Fürftenberg unter dem 2. September 1801 audy eine 
Schulordnung für die Volksfchulen des Hochſtifts, welche zur Zeit 
ihres Erſcheinens ald Mufter einer vollfommenen Organifation des 
Schulweſens galt, weldye wegen der außerorbentlichen Ueberſicht 
und Sorgfalt, mit der alle Berhältuiße des Schulweſens berüd: 
fichtigt wurden, und wegen der mannigfachen Gigentümlichkeiten, 


*) Urfprünglid war das Seminar nichte anderes als Rormalſchule, d. h. ein 
methodologifcher Lehrcurſus, den die ſchon angeftellten Lehrer zu beſuchen ver 
pflitet waren. Bis 1801, in welchem Jahre aud) die Lehrerinnen zum Veſuche 
der Normalfchule genötigt wurden, hatte diefelbe nır Einen Lehrer, der zugleich 
Euratgeiftliher war, nemlich den Konfiftorialrat Overberg. Seitdem kam uod din 
zweiter Geiftlicher in die Anftalt. 


**) Indeſſen gilt es doch mehr von den Berdienften Yürftenberge um die 
Stadt-, ald um die Dorffhulen, was in der topogr. hiſtor. ftatift. Befchreibung 
der Stadt Münfter (1836) gerühmt wird: „Dem großen Fürftenberg wear e 
vorbehalten , die fchmwierige Aufgabe einer Verbeherung der Schulen zu loöſen. 
Der, Bollsunterriht war im Wüniterlande in einer fo traurigen Befdhaffenbeit, 
daß man faft fagen kann, ed gab gar keinen. Gchullehrer muften gebildet, 

Schulen gebaut, Befoldungen für die Lehrer ausgemittelt und die Eltern bewogen 
und angehalten werden , ihre Kinder in die geöffneten Schulen zu fenden. Hätte 
Fürftenberg gar kein anderes Berdienft, als dab er der Verbeßerer des Volke 
unterricht8 war, die Rormalfchule gründete und den Lehrer der Lehrer, Over- 
berg, aus der Verborgenheit feiner Kaplanei zum Lehrer der Normalſchule be 
rief, fo würde es ſchon ſchwer fein, den Gegen zu fchildern, der fi) aus dieſer 
Stiftung in taufend Strömen über das Rand verbreitet hat.” 


— 199 — 


bie fie darbietet, immerhin eine bejondere Bertdfichtigung ver: 
dient, weshalb fe bier in einem moͤglichſt voltändigen Auszug 
mitgeteilt wird. 

Ihre wejentlichiten Beftimmungen waren: folgende: *) 

$. 1. Alle Kinder follen vom 6. bis zum 14. Lebensjahre 
die Schule beſuchen, wenn fie nicht ein pfarramtliches Zeugnis 
darüber beibringen, daß es ihnen fo frühe nicht möglich iſt, ober 
daß fie der Schule früher wieder zu entnehmen find. Handeln 
Eltern gegen dieſe Beftimmung, jo müßen fie nicht3 defto weniger 
das Schulgeld bezalen, und die ärmeren unter ihnen werben bei 
der Almofenverteilung übergangen. Außerdem follen zuwiderhan⸗ 
deinde Eltern mit den nötigen Zwangsmitteln zur Befolgung der 
Schulordnung angehalten werden. — Diejenigen Slinder, welche 
in Dienfte geben, find ebenfall8 zur Zalung des Schulgeldes ver- 
pflichtet,, und die Brodherrn find nötigenfalls durch Strafen anzus 
halten, Daß fie die in ihren Dienften ftehenden Kinder zur Schule 
Ihiden. Auch in Anfehung derjenigen, die aus fremden Kirch: 
Ipielen gebürtig und in Dienften find, bat der Pfarrer dafür zu 
forgen, Daß fie zur Schule gehen, oder er bat, wenn fie aus er: 
beblicyen Urſachen dDispenfirt werben, durch eignen Privatunterricht 
oder auf andere Art für deren Religionsunterricht zu forgen. Ohne 
Vorwißen des Pfarrerd fol Fein Kind in dem zum Schulgehen 
beitimmten Alter in ein auswärtiged Kirchjpiel in Dienft gehen. 
Auch Hat der Pfarrer des Kirchſpiels, aus weldhem das Kind 
wegzieht, den Pfarrer desjenigen Kirchipield, in welches es zieht, 
davon zu benachrichtigen. 

$. 2. Unter die Lehrgegenftände ift auch aufzunehmen bie 
Uebung im Aufſetzen eines deutſchen Briefe, einer Rechnung, 
Quittung oder eines ſonſtigen Aufſatzes. Auch in den erften 
Orundfäpen des Aderbaues und der Landwirtfchaft fol (nach An: 
leitung der von dem Kanonikus Bruckhauſen darüber angefertigten 
Schrift, welche den Schulmeiftern mitgeteilt wurde ,) Unterricht 





) Der Inhalt der Schulorduung wird hier nad) dem Auszuge aus derfelben 
mitgeteilt, der fih in Schlegels Schrift über Schulpflichtigkeit und Schulzwang 
S. 140-146 vorfindet. 





— 200 — 


erteilt werden. So viel als möglich find in den Schulen a 
Uebungen in Induſtrie- und Handarbeiten anzuftellen. 

Durch Prämien werden die dazu fähigen Lehrer ermunter, 
denjenigen Schülern, welche dazu Muße und Fähigkeit haben, 
einen zmwedmäßigen Unterricht in der höheren Anwendung ber 
Rechenkunſt, in den Anfangsgründen der Geometrie und Medanit, 
wie auch vorzüglich in der Seelenlehre zu geben, jedoch jo, daß 
dadurch der Allen zu erteilende Unterricht nicht verabjäumt werde, 
worauf auch die Pfarrer zu feben haben. 

$. 3—6. Rein Schullehrer darf ein Nebengewerbe treiben; 
jeder muß vor feiner Anftelung von der Schulkommiſſion geprüft 
werden, auch zuvor einen Curſus in der Normalfchule oder in 
dem Seminar zu Münfter durchgemacht haben. Iſt ihm über 
feine Fähigkeit ein Zeugnis von der Schulfommiffion erteilt, je 
erhält er auf drei Jahre eine Zulage, nad) deren Ablauf er ſich 
zur neuen Prüfung melden muß, wobei aber auch auf fein fitt- 
liche8 Verhalten Rüdficht genommen wird. Auch Diejenigen Schul 
lehrer, weldye Feine Zulage genießen, müßen alle drei Jahre von 
der Schulfommilfion geprüft und nad Befinden an die Normal 
ſchule veriwiefen werben. 

$. 7. Diejenigen Schullehrer oder Schullehrerinnen, welde 
die Normalſchule aus eignem Antriebe oder auf Anweifung frequen 
tiren , erhalten aus derſelben zu ihrem Unterhalt 11 Rthlr.; wer: 
den fie aber zum zweiten Mal dahin verwiejen, jo baben fie fih 
auf eigne Koften zu unterhalten. 

$. 8. Nach Ablauf eines jeden Halbjahre® wird eine öffent: 
lihe Schulprüfung in der Kirche gehalten, wo die ſich auszeich— 
enden Kinder öffentlich namhaft gemacht und am Ende des Jahres, 
wenn dazu Mittel vorhanden find, belohnt werden. 

$. 9. Wo es ausführbar ift, follen bejondere Mädchen: 
Ihulen errichtet werben. 

$. 10. Da den Schullehrern und Schullehrerinnen Fünftig: 
bin audy für den Sommercurs Schulgeld bezalt werben fol, jo 
find fie auch verpflichtet, in den Sommermonaten Schule zu balten. 
Sind die Kinder mit Arbeiten bejchäftigt, fo haben fie die Som 
merjchule mwenigftens an einigen MWochentagen zu befuchen, und es 


— 201 — 


fol dann die Schule zu derjenigen Tageszeit gehalten werden, mo 
fie am füglichften abfommen können. Wo aber unüberwindliche 
Hinderniffe vorliegen, müßen auch jelbft Die Fleineren fchulfähigen 
Kinder die Sonn- und Fefttagsichulen befuchen. 

8. 12. Die Kinder haben auch während des erften ober 
der beiten erften Jahre nach der erften Zulaßung zur Communion 
die Kinderlehre in der Kirche und die Sonntagsfchule zu befuchen 
und müßen fi) vor jeder neuen Communion prüfen laßen. Auch 
haben fih alle vor der Eingehung der Ehe einer Prüfung zu 
unterwerfen. 

6. 13. „Die Präceptoren oder Lehrerinnen, welche hin und 
wieder von dem Schulzen oder den Bauern gehalten werden, follen 
nur mit Erlaubnis und unter Aufficht des Pfarrerd gehalten 
werden dürfen.” 

6. 14. Die Küfter, welche zugleich Schullehrer find, müßen, 
wenn während der Schulzeit Küftergeichäfte vorfallen , diejelben 
allenfalls einem andern auftragen, wibrigenfalls ihm ein Subfti- 
tut gefegt werden fol, der Diele SKüftergefchäfte auf feine Koften 
verrichtet. 

6. 15. Die Schullehrer dürfen ſich keine Subftituten halten, 
fie müften denn durch Alter und Krankheit an eigner Verwaltung 
bes Dienftes gehindert fein. 

6. 21. Kinder, welche von einer Kirchipielsfchule nicht be 
trächtlich weiter entfernt wohnen, ald von einer Nebenfchule, jollen 
ſich zur Kirchſpielsſchule halten. Muſten fie fich jebody wegen der 
Lage ihres Wohnorts in Die Schule eines fremden Kirchipiels 
einweifen Iaßen, fo fol dahin gejehen werben, daß fie vom 12. 
bis zum 14. Jahre in die Kirchfpielsfchule gefchict werben. 

6. 22. Sollte eine Gemeinheit mwünjchen, ihre Kinder in 
eine bequemer gelegene Schule zu fchiden, jo fol ihr dies nur 
unter der Bedingung erlaubt jein, wenn ber Ardidiafonus auf 
den erftatteten Bericht des Predigerd nicht? dagegen zu erinnern 
bat, und wenn fie fernerhin die Finder einige Male im Jahre 
ihrem Pfarrer mit einem Zeugnis des Schnllehrerd und des aus⸗ 
wärtigen Pfarrer zum Examen ftellen, Dasfelbe fol auch Bei 





— 208 — 


einzelnen Rindern geſchehen, welche cine auswärtige Schule be 
ſuchen wollen. 

F. 28-32. Jeder für lehrfähig erklärte Schullehrer erhält 
eine Zulage von 30 Rthlr., und die vorzüglicheren daneben noch 
eine Belohnung von 10 oder 20 Rthlr. Die für fähig erflärten 
Schullehrer erhalten eine Zulage von 10 Rthlr. Die für fähig 
erflärten Schullehrerinnen erhalten eine Zulage von 20 Rihlr. 
Die zu Diefen Zulagen und Belohnungen erforderlichen Gelder 
werden durch eine Steuer aufgebradht. 

$. 35—36. Das Schulgeld beträgt halbjährlich für jedes 
Kind 6 Ggr., wofern nicht ein höheres Schulgeld hergebracht if. 
Die Befreiten bezalen jährlid für jedes Kind !/, fl. mehr als das 
gewöhnliche Schulgeld. 

G. 37. Das Schulgeld foll auch für diejenigen Schulen 
und Bauernkinder fowie für alle übrigen nicht für die höheren 
Studien beftimmten Kinder bezalt werden, welche von eignen 
Präceptoren Unterricht erhalten. 

6. 39. Das Schulgeld wird nicht von dem Schullehre 
jelbft,, fondern auf Grund eined von dem Pfarrer balbjährig ge 
nehmigtes Verzeichnis der fchulpflichtigen Kinder vou dem Orte: 
veceptor erhoben. 

Schon im folgenden Jahre 1802 wurde Münfter von preuß. 
Truppen bejeßt und der Gefchichte des HochftiftS hiermit ein Ende 
gemacht. 


XVI. 
Das ſacularifirte Fürſtentum Paderborn. 


Die geringen Anſätze, welche zur Ausbildung eines geord⸗ 
neten Schulweſens in den Städten des Paderborner Fürſtentums 
im Anfange des 17. Jahrhunderts gewonnen waren, hatte der 
dreißigjaͤhrige Krieg ſaͤmmtlich vernichtet, und der allen hoͤheren 
Intereſſen rühmlichſt ergebene Fürftbifhof Fer dinaud IL 
(v. Fürftenberg), der i. J. 1661 zur Regierung kam, ſah fich 

daher genoͤtigt, die Schulen des Landes geradezu von Neuem zu 


— 203 — 


Ichaffen. Indeſſen wollte ſich der Biſchof nicht auf Die Herftellung 
der Stadtſchulen beichränfen; er wollte auch dem chriftlichen Land⸗ 
volfe Die Mittel gewähren, Die zur chriftlihen Erziehung der 
Jugend und zur Förderung derjelben in der Erkenntnis der Heils⸗ 
lehre notwendig waren. Kerdinand erließ Daher unter dem 30. Octo⸗ 
ber 1668 eine Neihe von Verordnungen, worin er den Bfarrern 
zur Pflicht machte, felbft oder durch einen andern Geiſtlichen an 
jedem Sonntag Nachmittags, auf den Zilialdörfern an den Feft: 
tagen, Alt und Jung im Katechiſsmus zu unterrichten. Auf den 
entfernter gelegenen eingepfarrten Dörfern jollte der Pfarrer dieſen 
Unterricht durch einen feiner Sacellane erteilen laßen. Das Bolt 
jolte daran erinnert werben, daß diefer linterricht nicht blos für 
die Jugend, fondern auch für die Srwachlenen beftimmt ſei. Da 
aber , wo man fehon eigentliche Schulen gehabt habe, jollten die 
verwüfteten Schulhäufer wieder aufgebaut und fromme Tatholifche 
Schulmeifter und Schulmeifterinnen angeftellt werden, und alle 
Kinder unter zwölf Jahren, „welche zu anderer Arbeit. oder 
einem Handwerk noch nicht tauglich find,” follten zum Beſuche der 
Schulen angehalten werben. 

Somit waren die erften Keime, aus denen das Dorfſchul⸗ 
weſen hervorgehen ſollte, geſchaffen worden, indem die Pfarrer 
beauftragt waren, beſondere katechetiſche Lehrſtunden einzurichten, 
oder dieſelben durch ihre Sacellane einrichten zu laßen. Aber 
nachdem der Verſuch gemacht war, dieſe Einrichtung ins Leben 
treten zu laßen, muſte es ſich alsbald herausſtellen, daß dem Be⸗ 
dürfnifje, welche in der angegebenen Weiſe befriedigt werden ſollte, 
nur durch wirflide Schulen genügt werben konnte. Der Nach⸗ 
folger Ferdinands, der Biihof Hermann Werner, Freiherr 
von Wolfe Metternich zur Grat, der i. 3. 1683 zur Regierung 
fam, publizirte daher unter dem 6. September 1686 eine neue 
Kirhenordnung, worin er, die Grlafle feines Vorgängers beſtaͤ⸗ 
tigend, verordnete: „Die Schulmeifter und Schulmeifterinnen 
follen Die unfchuldigen Kinder vor Allem zur Andacht, Oottes⸗ 
furcht und zum Beten fleißig anführen, auch Biefelben in den 
rudimentis fidei und im Catechismo wol inftruiren, 
damit, wenn fie bes Sonntags in dem Catechismo von bem 





— 204 — 


Paſtor oder Catechista aufgefortert und befragt werden, darinnen 
beſtehen fönnen; follen auch alle Wochen mit ihren unſchuldigen 
Kindern dreimal den heiligen Rojenfranz mit den Geheimniſſen, 
entweder in der Kirche unter der Meſſe, oder in der Schule, wann 
fie geendigt, beten; und alfo die blühende Jugend zu allem Gu- 
ten anreizen, und zu foldem Ende lieber die Schule und Lehre 
etwas früher abbredyen, als ſolches unterlagen.” Wuch follten die 
Lehrer oder Lehrerinnen mit den Kindern „in guter Ordnung alle 
Samstag Nachmittags, wenn das Zeichen zur Vesper gegeben, 
nach den Kirchen gehen, und allda (nachdem die Vesper abjolvirt 
ift,) die Litanias Lauretanas auf lateinijch ober deutſch fingen und 
demnächſt die Kinder nad, Haufe gehen laßen.“ 

Was Biſchof Hermanı Werner verorbnet hatte, wurbe burd 
die Beichlüße einer am 10. Juni 1688. 3u Paderborn gehaltenen 
Discefanfynode wiederholt und beftätigt. Die Synode fchärfte es 
nochmals allen Pfarrern ein, daß fie felbft oder durch ihre Kate 
hiften Die fonntäglichen Katechifationen mit gröftem Fleiße zu 
halten, auch das Volk zu bejcheiden hätten, daß in Zukunft Kie 
mand zum Genuffe des Altarſakraments zugelaßen auch Niemand 
getraut werben follte, der nicht mit dem Katechismus vertraut fei. 
Außerdem follten aber auch überall Schulen eingerichtet und we 
ſie bereits beftanden, hergeftellt werben, doch in ber Regel in 
jeder Parodhie nur Eine Die Schüler follten im katholiſchen 
Glauben unterrichtet und mit dem Gebet des Herrn, dem Engel& 
gruß, dem apoftoliihen Glaubensbekenntnis, dem Decalog und 
der Defenntnisformel (von Trident) befannt gemadt werben. Die 
Geſchlechter follten in den Schulen getrennt fiben und die Mädchen 
jollten von einer befondern Lehrerin unterrichtet werben. Wo 
noch feine Schulen beftünden, follten Die Pfarrer Die Begründung 
derfelben mit den DOrtövorftänden und Behörden in &rwägung 
ziehen. Die Schulen follten von den dazu bevollmäcdhtigen Schul: 
vorftänden fleißig vifitirt werden. Die Pfarrer follten von den 
Kanzeln herab alle Eltern ihrer Gemeinden ermahnen, daß fie 
ihre Kinder zur Schule ſchickten. Die Schullocale follten we 
möglid immer unweit der Kirche eingerichtet werden. Die Pr& 
jentation der Schulmeifter follte von den Pfarrern und Orte 


— 205 — 


obrigkeiten, die Beftätigung derfelben von den Archidiakonen ab- 
hängen u. f. w. 

Bon diefen Verordnungen Fam indeflen nur jo viel zur Aus⸗ 
führung , als die Neigung der Pfarrer und der Gemeinden und 
die Fähigkeit der Küfter ermöglihte, — d. b. ed kam von den⸗ 
jelben nur Weniged zum Vollzug. Erſt unter den beiden lepten 
Fürftbiichöfen von Paderborn Frie drich Wilhelm (von Wefts 
phalen) und Franz Egon (von Färftenderg) konnte die Aufr 
beßerung des Schulwejend mit beßerem Grfolg betrieben werben. 
Der erftere wies durch eine Verordnung vom 31. Auguft 1788 
auf die Wichtigkeit des Volksſchulunterrichts hin, erklärte alle 
Kinder vom 6.— 14. Lebensjahre für fchulpflichtig und fegte eine 
bejondere Kommiffion nieder, welche mit der Beauffichtigung des 
gefammten Unterrichtöwejens betraut wurde. *) — Indeſſen war 
Friedrich Wilhelmd Regierung von zu kurzer Dauer, ald daß 
biejelbe zu einer umfaßenden und durchgreifenden Schulreform füh⸗ 
ren fonnte, Als Franz Egon (1789) Die Regierung antrat, waren 
daher die Dorfichulen des Landes noch immer in der fchlecdhteften 
Verfaßung. Allerdings ftellte Kranz Egon zur Belehrung ber 
Schulmeiſter und zur Verbeßerung der Landſchulen in der Haupts 
ftadt einen Normallehrer an, und allen Landſchullehrern war es 
zur Pflicht gemacht, während einer gewißen Zeit im Jahre den 
Unterricht defjelben zu bejuchen. Allein Damit war der Volksſchule 
noch gar nichts genügt, denn der Normallehrer war in der Regel 
ein mit dem Schulwejen wenig vertrauter Franzisfanermönd und 
die Schulmeifter waren jo arm, daß fie fih nur ganz furze Zeit 
in der Hauptftadt aufhalten fonnten. 

In der Stadt Paderborn jelbft gab es bis zum Ende des 
18. Jahrhunderts, abgejehen von ben drei beftehenden Mädchen, 
ſchulen, gar feine Volksſchule. Alle drei in Paderborn eingerich⸗ 
teten Knabenſchulen waren lateinifche Lehranftalten. Da es aljo 
für die Kinder der Armeren Volksklaſſen Feine Schule gab, fo 
legten fich dieſelben von ihren erften Lebensjahren an auf die 


— — 





) G. 3. Beſſen, Geſchichte des Bistums Paderborn, B. Il. G. 377. 





— 206 — 


Bettelei und ſchwaͤrmten ſchaarenweiſe auf den Straßen umher, 
um ſich von Vorübergehenden Almoſen zu erpreßen. Da unte: 
nahm es ein würdiger Geiſtlicher, der Pfarrer Fechteler an der 
Univerfitätäfirche, eine eigene Schule zu errichten, worin die Kin 
der aus den Armften Volksklafſſen diejenige Bildung erhalten 
tönnten, die ibnen als fünftigen Handwerkern, Dienftboten u. dgl. 
notwendig wäre. Fechteler befchäftigte fi) lange Zeit mit diejem 
Plane, der Manchen auch in der Hinficht abgeichredt haben würde, 
weil es durchaus an einem Fonds fehlte, woraus Die mit einem 
foichen Unternehmen verbundenen großen Koften hätten beftritten 
werben koͤnnen. Fechteler legte feinen reicheren Mitbürgern, fowie 
auch dem Landesheren feinen Plan vor, und es gelang ihm, 
Menichenfreunde zu finden, Die ſich zu jährlichen freiwilligen Beis 
trägen zur Unterftügung der Schule erboten. Dieſe Beiträge 
wuchjen bald jo jehr an, daß der edle Manı in den Stand ge 
jet wurde, ein Bürgerhaus zur Ginrichtung der Schule an 
kaufen und einen Lehrer zu beſolden. Das was von den jähr: 
lichen Beiträgen übrig blieb, wurde zu bleibenden Kapitalien au 
gelegt, damit die Schule nad) und nad, ein für fich felbft beſte⸗ 
bendes Inſtitut werden koͤnnte. Die Obrigkeit begünftigte ben 
Fortgang der guten Sache vorzüglich dadurch, daß fie alle ärmeren 
Eltern anhielt, ihre Kinder unausgefept zur Schule zu fchiden, 
widrigenfalld fie feine Anfprüche auf Unterflügung aus der öffent. 
lichen Armenkaſſe haben ſollten. Dieſes und die öffentliche, herz⸗ 
liche Aufforderung, die Fechteler vor der Eröffnung der Schule 
an alle arme Eltern ergehen ließ, wirkte jo viel, Daß Die Schule 
Ihon im erften Jahre von 100 armen Kindern beſucht wurde und 
kurz darauf ungefähr 150- Schüler zälte. 

Die Einrichtung det’ Schule war folgende: Da fie ihrem 
Endzwede nad) ein Inſtitut fein follte, worin arme Kinder den⸗ 
jenigen Unterricht erhielten, deflen fie in Anfehung ihrer fünftigen 
Beftimmung zunächft beburften, jo hatte der eigentlihe Schul 
unterricht nur Die gemeinnügigften und einem Jeden notwendiger 
Kenntniffe zum Gegenftande, nemlich Religions⸗ und Sittenlehre, 
fertige Lefen, Schönfehreiben, Rechnen, Geichäftsftil und das 
Bemeinnügigfte aus der Geſchichte und Naturgefhichte. Den Un 


— 207 — 


terricht genoßen fämmtliche Kinder unentgeltlih, da dem Lehrer 
ein fizer Gehalt zugefihert war. Eben jo wenig brauchten die 
Eltern auch in anderer Hinficht für ihre Kinder Auslagen zu mas 
hen, da diefen Bücher, Papier, Federn, Tinte und fonftige 
Schulgerätjchaften unentgeltlich verabreicht wurden. 

Die fegensreihen Wirkungen dieſer erften Bürgerjchule Pa- 
derborus waren Schon im erften Jahre ihres Eutftehend unverkennbar 
wahrzunehmen; diefelbe war aber auch Die einzige wol eingerichtete 
Volksſchule, welche fi im Hochftift Paderborn vorfand, als die 
jeibe i. 3. 1802 mit der preußiſchen Monarchie vereinigt wurde. 


XVII. 


Das vorhinnige kurcolniſche Herzogtum 
Weſtphalen.“) 


Die erſten ſichern Nachrichten aͤber die Pflege des Volks⸗ 
ſchulweſens in dem Kurfürſtentum Cölu und in dem zu demſelbigen 
gehörigen Herzogtum Weſtphalen liegen aus der Regierungszeit 
des Kurfürften und Erzbiſchosfs Magimilian Heinrid 
(1650—1688) vor. Durch Ausjchreiben vom 12. October 1656 
verordnete nemlich der Kurfürft, jedoch nur ganz im Allgemeinen, 
daß überall die nötigen Schulen angelegt und den Schulmeiftern 
der erforderliche Unterhalt gereicht werden ſollte. Indeſſen hatte 
dieſe Verordnung ſchwerlich einen erheblichen Erfolg, inden noch 
im Anfang des folgenden Jahrhunderts fortwährend über den 
Mangel woleingerichteter Schulen von allen Seiten her Klagen 
laut wurden. Joſeph Clemens, des Vorigen Nachfolger, 
fuchte, nachdem er in Folge feiner unglüdlihen Verbindung mit 
Frankreich längere Zeit hindurdy von feinem Lande getrennt war, 
nad feiner Rückkehr in dasſelbe i. 3. 1715 wirklich zur Aus: 
führung zu bringen, was fein Vorgänger beabfichtigt hatte. Er 


*) Nah Seiberp, weftphäliiche Beiträge zur deutſchen Gedichte. B. 11. 
©. 393—438. 





— 208 — 


verorbnete nemlich, 1) daß die zum Schulhalten verbundenen Beif: 
lichen diefer ihrer Pflicht auf das Pünftlichfte nachkommen , widrigen- 
falls ihnen auf ihre Koften Subftitute beigegeben werben jolten, 
2) daß die weltlichen Schullehrer immer amovibel bleiben und bei 
fahrläßiger Vewaltung ihres Amtes jofort abgejeßt werden ſollten; 
au follten ihre Stellen von den betreffenden Patronen binnen 
Monatsfrift jo gewiß wieder befeßt werden, als ſonſt für Diesmal 
der Erzbiſchoff oder defjen Vicariat dafür Sorge tragen würde; 
3) daß an allen Orten, wo bisher aus Mangel an Fonds fein 
Scyulmeifter gehalten worden fei, vorläufig durch offizielle Col⸗ 
lecten für deſſen Unterhalt geforgt werden ſollte. Dieje PVerord: 
nungen des Kurfürften bewirkften es, daß wirflidy eine Anzal von 
neuen Sculen entftand; aber obgleich der Kurfürft Glemend 
Auguft (1723 — 1761) die Verordnung feined Vorgängers von 
1715 durch ein Patent vom 15. Februar 1740 erneuerte, jo fam 
ein einigermaßen geordnetes Volksſchulweſen doch nur in dem weis 
phäliihen Süderland zur Ggiftenz. Einzelne Dörfer in demſelben 
namentlid) das Kirchjpiel Wenden im Amisbezirk Dipe lieferten 
für das ganze umliegende Land, wo man nur Winterjchulen hatte, 
eine große Anzal wandernder Lehrer, welche gegen freie Beköftigung 
von Seiten der Eltern, deren Kinder fie unterrichteten, und gegen 
ein fehr geringed Schulgeld den Winter hindurch Schule hielten, 
während fie im Sommer irgend eine Handtierung trieben oder bei den 
Bauern tagelohnten. Die Beauffichtigung des Schulwefend lag 
im ganzen Kurfürftentum in den Händen der Geiftlichfeit. Der 
Pfarrer allein prüfte Die Bewerber um erledigte LXebrerftellen, ftellte 
den Lehrer an und übte ohne Mitwirkung einer andern Behörde 
die Aufficht über feine Dienftführung aus. ‘Die Oberaufjicht war 
den Decanen und weiterhin dem Generalvicar des Erzbiſchofs vor 
behalten, von denen auch vorkommende Streitigfeiten unterjudt 
und geregelt wurden. Schulvijitationen fanden nur bei Belegen 
heit der Kirchenvilitationen Statt. Außer dem Karehismus waren 
feine beftimmten Lehrbücher, außer Religionslehre, Leſen und 
Schreiben feine Unterrichtöfächer vorgejchrieben; nur Verbote ein 
zelner Bücher und Lehrobjecte waren daneben vorhanden. 

Erf unter der Regierung Magimilian Friedrichs, 


— 209 — 


Grafen von Königsegg-Rothenfels (1761—1784), weldhe in der 
Keriode der Felbigerſchen Schulreform fiel, nahm für das Wolfe: 
ſchulweſen des Kurfürftentums eine neue glüdlichere Zeit ihren 
Anfang. Natürlich zeigte fi) auch hier der Geift, von dem die 
Reformthätigkeit im Fatholifchen Deutjchland überhaupt ausging, 
in feiner vollen Gigentümlicyfeit wirkſam. Zunächſt wurde durch 
Verordnung vom 14. Juli 1764 den betreffenden Geiftlichen Die 
Abhaltung von Kirchen» und Schulvifitationen eingefhärft. Am 
11. Mai 1770 wurden die kurz vorher vom Erzbiſchof abgefchafften 
Feiertage ganz bejonders für Scyultage erklärt. Am 20. uni 1778 
wurden Die Schulhäufer in die allgemeine Brandfocietät aufge⸗ 
nommen und durch eine Verordnung vom 19. December 1783 
wurde befohlen, daß jeder neu angeftellte Yehrer vor feinen Amts⸗ 
antritt fi) von dem Wcademierat prüfen und fi) durch eine 
von demjelben zu erwirfende Bejcheinigung zur Uebernahme feines 
Amtes qualificiren laßen ſollte. Für das Herzogtum Weftphalen war 
ſchon i. 3. 1781 eine befondere Schulfommiffion angeordnet worden. 

AS Maximilian Friedrih i. 3. 1784 ftarb, überzeugte fich 
deſſen Nachfolger Maximilian Franz (Erzherzog von Defter- 
reih, 1784—1801) alsbald, daß von den Verordnungen feines 
Vorgängers leider noch wenig zur Ausführung gekommen war. 
Er verordnete daher am 24. November 1787 von Neuem, daß 
fein Schullehrer mehr angeftellt werden follte, der nicht vorber 
von der Schulfommilftion zu Bonn geprüft und fähig befunden 
ſei. Zugleich fügte er Hinzu, daß dafelbft in den Monaten Mai, 
uni, Juli, Auguft und September befondere unentgeltliche Vor: 
lefungen zur Befähigung der Schullehrer gehalten werden follten, 
und Iud alle Schulamtöcandidaten ein, dieſe Vorlefungen zu be- 
Juden. Hiermit war der erfte Anfang zur Begründung einer Nor- 
maljcyule für das Kurfürftentum gemacht. Indeſſen konnten doch 
diefe Anordnungen dem Schulwefen nicht viel helfen. Selbſt die 
zu Bonn gebildeten Schulamtscandidaten leifteten bei Weitem das 
nicht, was von ihnen erwartet war, und zwar hauptſaͤchlich darum, 
weil es dem Unterrichte in der Normaljchule an aller methodiſchen 
Drdnung fehlte. Außerdem ſah man ein, daß für dad Herzog— 
tum Weftphalen die Einrichtung einer mit allen Localverhältuiffen 

Heppe, Boltsfhulweien, 8. 14 


— 210 — 


vertrauten Provinzialichulbehörte dringendes Bedürfnis war. Mari; 
milian Sranz ſchuf daber am 9. Mai 1791 für das Herzogtum 
MWeftphalen eine neue von den Schulbehörden in Bonn ganz un: 
abhängige Schulkommiſſion. Zugleich wurde für Die Verwaltung 
der Schulangelegenheiten ein beftimmter Geſchäftsgang vorgeſchrie⸗ 
ben, der Beſuch der Normaljchule in Bonn wurde i. J. 1792 
den Schulcandidaten des Herzogtums ausdrüdlich zur Pflicht ge 
macht ‚und zwei Jahre jpäter wurde für das Herzogtum ein be 
jonderer Normallehrer beſtellt. Im Jahr 1797 wurde verfügt, 
daß das Generalvicariat einem Geiftlichen, mit deſſen Beneficium 
eine Schule verbunden fei, nur dann die Inveſtitur erteilen folte, 
wenn ſich derſelbe durch ein Zeugni der Schulfommilfion über 
feine Fähigkeit zum Schulhalten ausgewiefen habe. In den nächſt— 
folgenden Jahren publizirte der Kurfürft eine Reihe treffliher 
Verordnungen, durch welche dem Schulwefen nad) den verſchie⸗ 
denften Seiten hin aufgeholfen wurde. So wurden am 19.Maärz 1798 
die Schulbefuche der Pfarrer, die Vifitationen der Schulen durch 
die geiftlichen Sonferenzen und deren Berichtderftattung verordnet; 
am 26. Detober 1799 wurden diejenigen Gemeinden, weldye eigene 
Schulgebäude unterhielten, von der Verbindlidyfeit zum Pfarr 
ſchulbau entbunden; am 5. April 1800 wurde vorgefchrieben, daß 
die Gemeinden , welche neue Schulgebäude errichten oder an alten 
bedeutende Reparaturen vornehmen wollten, darüber zuvor einen 
Bauriß zur Prüfung an die Schulfommifjion einjenden ſollten; 
am 15. December 1800 wurden in einem , auf befonderen Befehl 
des Kurfürften erlaffenen Vicariatscirculare die Gegenftände und 
die Methode des Schulunterricht3 beftimmt; durch den Meſcheder 
Bifitationsreceß vom 23. Juni 1800 wurden genauere Vorſchriften 
über den Pfarrgottesdienft, das Pfarramt, NMufficht über bie 
Sitten, Armenpflege, Unterricht der Jugend und über das Kr 
henvermögen gegeben. Das Induſtrieſchulweſen war jeit dem 
Jahr 1769 im Lande heimifch geworden und verbreitete fid 
jehr bald von der erften zu Hönkhauſen errichteten Suduftrie 
ſchule über die meiften Schulen des Herzogtums.*) 

) Nach den Verzeichniffen der Schulinduflrieprodnfte, die fpäterhin der Kirden- 
und Schulrat jährlid bekannt machte, betrug i. 3. 1808 die Zal der Schulm 


— 2ll — 


Durch den Lüneviller Frieden, 1801, wurde das Erzftift 
fäcularifirt: Der auf dem linken Rheinufer befjelben gelegene Teil 
fiel an Franfreich, während das Herzogtum Weftphalen an Heſſen⸗ 
Darmftadt und die übrigen Refte des Erzftiftes an verſchiedene 
Herren famen. An die Stelle der früheren Eurfürftlichen Schul- 
fommiffion zu Arnsberg trat jet ein beffifcher Kirchen- und 
Schulrat dafelbft, und der rege Eifer, mit dem die Heſſen-Darm⸗ 
ſtaͤdtiſche Landesregierung das Schulweſen in allen Teilen ihres 
Landes zu heben fuchte, Fam natürlidy auch den Volksschulen des 
Herzogtumd zu Gute. Der Attendorner - Vijitationsreceß vom 
14. April 1804; die Beitätigung des jährlichen ſchon feit 1795 
von Sauer durchgeführten Normalcurfes durch die Verord⸗ 
nung vom 3. Mai 1804; die Vorfehrift vom 17. Septr. 1804 
über die jährlichen Prüfungen der Schullehbrer und Kandidaten; 
die Einführung der jährlichen tabellarifchen Weberfichten über die 
Kirhen und Schulen vom 6. December 1804; Die Anordnung 
vom 3. October 1805, daß jährlich eine allgemeine Weberficht 
jämmtlicher Induſtrieprodukte der Landesſchulen gedrudt und aus: 
geteilt werden folle; die Vorjchrift vom 30. Januar 1806, daß 
Lehrer und Lehrerinnen ihre Stellen nicht ohne Dienftentlaßungs- 
gefuch und erfolgte Genehmigung verlaßen follten; die Ausfchließung 
der Ausländer von Pfarr: und Schuldienften vom 18. April 1807 
und noch mehrere fpätere Verordnungen, welche ſowol die immer 
fortjchreitende Bildung des Lehrerperſonals, als deſſen anftändige 
Verſorgung zum Zwede hatten, lieferten biefür Die ſprechendſten 
Beweiſe. 

Als daher das Herzogtum Weſtphalen durch den Wiener 
Frieden, 1815, vom Großherzogtum Heſſen-Darmſtadt getrennt 
und dem Königreich Preußen einverleibt wurde, fand ſich in allen 
Teilen des Landes ein mit großem Segen wirkendes Volksſchul⸗ 
weſen vor. In den 119 Pfarreien des Herzogtums beſtanden 
(mit Einſchluß von etwa 17 Mädchenfchulen) 271 Lehranſtalten 


worin Induftrie getrieben wurde (im ehemaligen Herzogtum Weftphalen) 156, die 
Bat der arbeitenden Kinder 5591 und der Wert der gefertigten Arbeiten 
11,756 Thlr. In jedem der folgenden Jahre fteigerten fich diefe Balen. 

Ar 





— 212 — 


mit ftändigen im Normalcurs unterrichteten Lehrern und Xehrerinnen, 
Alle Kinder waren im Schulorte vom 6. und außer vdemfelben 
vom 7. bis 14. Lebensjahre ſchulpflichtig. Alle muften mit den 
gejeglih eingeführten Lehrbüchern zur Schule kommen, welche das 
ganze Jahr hindurch, im Sommer wie im Winter, gehalten wurde. 
Gelehrt wurde nicht blos Religion, ſondern audy andere Gegen: 
ftände, als „Erziehungslehre in phyſiſcher und moralifcher Hinſicht, 
Lefen nad) Sprachregeln, Schön», Recht- und Gefchwindfchreiben, 
Schriftliche Auffäße fürs Leben, Briefe, Duittungen, Rechnungen 
u. drgl., ſchriftliches und Kopfrechnen, allgemeine Moral uud be 
fondere Glaubenslehre, bibliſche Geſchichte mit Nutzanwendungen, 
Sinn des Gebets, und als Nebengegeuftände in Zwiſchenſtunden 
die Vorkenntniſſe von Naturgeſchichte, Erdbeſchreibung, Geſund⸗ 
heits- und Hoͤflichkeitslehre, Haus- und Landwirtſchaft; wiewol 
der Unterricht in dieſen Gegenſtänden, je nach Bedeutung der 
Schule, mehr oder minder vollfommen ift.” Kirchen, Schulen: und 
Volkzlieder wurden nad) der Methode der Gefangesubung mit 
Ziffern in den Schulen eingeübt. Neben der Beichäftigung mit 
induftriellen Arbeiten wurden auch gumnaftifche Uebungen veran 
faltet. Einzelne Schulen befaßen eigne Fonds aus Gemeinde 
mitteln oder Privatgefchenfen. An der Stelle der früheren elenden 
Hütten, in denen der Schulmeifter mit feiner Schule gehauft hatte, 
waren zwedmäßige Schulhäufer aufgeführt und durch die Cr 
rihtung von Schuldiftriften war erft in Die Verwaltung unb 
Beauffichtigung des Schulweſens die erforderliche Gliederung und 
Ordnung gekommen. 


XVII. 
Das Königreich Hannover. 


Die ältefte Beitimmung über die Einrihtung von Dorf 
ſchulen in den jet zum Königreid) Hannover gehörenden Landen 
enthält Die von dem Herzoge Julius i. J. 1569 für den Wolfen: 
büttler Landesteil aufgeftelte, aber feit 1593 auch in dem 
Fürſtentum Kalenberg und Göttingen eingeführte Kirchenorbnung. 


— 213 — 


Diefelbe beflehlt, daß, da die Eltern oft nicht Zeit genug hätten, 
um ihre Kinder ſelbſt zu unterrichten, auf den volfreicheren Dör- 
fern von den Küftern deutſche Schulen eingerichtet werden follten. 
Indeſſen blieb dieſe Verordnung, wie alle derartigen Vorfchriften in 
jener Zeit, ohne Erfolg, und die nächften Nachfolger des Herzog 
Julius jcheinen an die Vollziehung derſelben wenig gedacht zu 
haben. Als dagegen das Fürftentum Kalenberg und Böt- 
tingen nad dem Erlöjchen des Wolfenbütteler Haufes dem Her- 
zoge Georg von der Tüneburger Linie zufiel, begann fich in 
demfelben allmählich, ein Volksſchulweſen aufzubauen. Die eigent- 
liche Anregung zur Begründung der erften Anfänge des Volks⸗ 
ſchulweſens gab indeſſen der damals in Helmftädt durch Georg 
Galizt erwedte eigentümliche Geift, der in ähnlicher Weiſe wie 
der fpätere Pietismus chriftliche Frömmigkeit für höher Haltend 
als confeflionelle Rechtglaͤubigkeit auch in ähnlicher Weiſe wie der 
Pietismus den kirchlichen Katechifationen feine bejondere Fürjorge 
zuwendete. Einer der treueften Anhänger Calixts, der nach⸗ 
herige Gonfiftorialrat Dr. Juſtus Befenius*), gab damals 
(1631) eine im ®eifte Caligtd ausgeführte Bearbeitung des Ka⸗ 
tehismus Luthers ald „Katechismusſchule“ Heraus, durch 
welche er das Wefentliche der Katechismuslehre nicht blos dem 
Gedaͤchtnis, fondern auch dem Verftändnis und dem Herzen ber 
Einzelnen näher bringen wollte. Um das Büchlein noch praftifcher 
einzurichten, veranftaltete Gefenius i. J. 1635 aus Demfelben einen 
„kurzen Auszug, darin die bloßen Fragen und Antworten zujam- 
mengezogen find für Diejenigen, fo fih im Katechismo unterweifen 
laßen”, worauf derfelbe im jahre 1639 noch eine zweite revibirte 
Auflage des Auszugs folgen ließ. Zugleich verordnete jetzt das 
Konfiftorium durch Ausfchreiben vom 29. Aug. 1639 gegen den 
Widerſpruch der orthobor-Iutherifchen Theologen, daß dieſes Büch— 
lein für Prediger und Schullehrer auf Koften der Kirchen ange- 
ſchafft und daß in den Heinen Städten und auf dem Lande ftatt 
der bisherigen Nahmittagspredigten mit Ausnahme 


*) Späterhin murde Geſenius Generalfuperintendent und Oberhofprediger 
zu Hannover. | 


— 214 — 


der Fefttage, die Jugend in der Kirche, ſo wie aud in 
den Schulen darnach unterrichtet und auf deren Beſuch 
nötigenfall® mit Gelbftrafen gebrungen werden follte.*) €» 
entftanden daher jebt infolge der inneren geiftigen Befrudtung, 
welche die Kirche im Kreiſe Calixts erhalten Hatte, einzelne Kate: 
chismusſchulen, die indeflen faft nur im Minter (von Kindern, 
von der erwachjenen Jugend und auch wol vom Gefinde) beſucht 
wurden. — Die Einrihtung von Sommerfchulen gebot zuerft 
Herzog Chriftian Ludwig unter Dem 12. Mai 1646; indefien 
wurde von denjenigen Eltern, welche ihre Kinder zur Sommer! 
zeit bei der Arbeit nicht gut entbehren Fönnten, nur gefordert, 
daß fie Diefelben wo möglich Sonnabends Nachmittags, in jedem 
Falle aber Sonntags vor oder nach dem mittägigen Gottesbienfte 
eine Stunde lang zur Schule ſchicken follten. 

Aber noch immer fehlte den Schulen des Fürſtentums Ka: 
lenberg eine beftimmte Regel ihrer Einrichtung. Um dieſem 
Mangel abzuhelfen, erließ der Herzog Georg Wilhelm unter dem 
9. October 1650 eine Schulordnung, welche eine Neibe von De 
“flimmungen über Schulpflichtigkeit, Beſuch Der Sommerſchulen, 
Entrichtung des Schulgeldes, Schulvifitation, Schulzucht und 
Erteilung des Fatechetifchen Unterrichts enthielt. Es wurde ver 
ordnet, daß alle Kinder vom ſechſten Jahre an bis zum zwölften 
oder wenigftens fo lange die Schule befuchen follten, Bis fie den 
Katechismus ordentlich gelernt hätten. Täglich follte der Lehrer 
Morgens und Nachmittags je drei Stunden lang im Lefen, Schrei⸗ 
ben und im Katechismus unterrichten, an jedem Morgen follte die 
erfte Stunde mit Geſang und Gebet eröffnet werben. 


*) Brgl. Hente, „Georg Caliztus und feine Zeit“ B. IT. S 116 u. 184; 
Schlegel, „SKirdhengefhidte von Hannover,“ ® I. ©. 524 und Cherbep. 
„Geſchichte der Gefeniusfhen Katehismusfragen” in dem Braunſchweigiſchen Magazin, 
1856. S. 53— 379. — Diefer caligtinifche Katechismus, gegen das Wider 
ftreben der ftreng Iutherifchen Gegner Galigts Büſcher in Hannover, Mid. Walther 
in Celle (Berfaffer eines andern Katechismus) von der Regierung eingeführt, wird 
n Kliefoths kirchlicher Zeitfehrift Jahrg. 1856 durch ein Noftoder Rechtegutochten 
(Mejers) vom 25. Februar 1856, S. 341—360 als der allein zu Recht beſtehende 
lutheriſche Katechismus gegen eine Reihe anderer auf dieſelbe Weiſe von der Re 
gierung eingeführten Katechismen vertheidigt. 


— 215 — 


Natürlich waren alle damals beftehenden Schulen in ben 
Pfarrdörfern errichtet, weil die Einrichtung derjelben Sache ber 
Küfter war. Jedoch wurde ſchon in der am 14. October 1656 
landesherrlich beftätigen Kalenbergifchen Superintendentenordnung 
(Rap. 2, $. 4—6) geftattet, daß auf folchen Dörfern, welche 
vom Pfarrdorfe weit entlegen wären, eigene Lehrmeifterinnen oder 
auch Scyulmeifter angenommen werden dürften. Indeſſen ſollten 
die Kinder nur bis zu ihrem neunten Lebensjahre dieſe Neben- 
Ichulen beſuchen dürfen, und die Gemeinden follten nach wie vor 
verpflichtet fein, zur Unterhaltung der Pfarrfchule beizufteuern. 

Die Schulordnung von 1650 wurde fpäterhin zu wieder: 
holten Malen in neuen Ausgaben publiziert, zunächft von dem 
Herzoge Johann Friedrih unter dem 14. Dezember 1676 und 
von dem Herzoge Ernft Auguft unter dem 9. Dftober 1681. Die 
Abänderungen, welche Die alte Schulordnung in dieſen neuen 
Ausgaben erlitt, betrafen eigentlicd nur die Beſtimmungen über 
die Handhabung der Didciplin und über die Entrichtung des 
Schulgelded. In Betreff der erfteren wurde angeordnet, Daß jede 
Berabjäumung der kirchlichen Katechifationen (jeitend Erwachſener) 
mit 1 ©gr. Strafe geahndet werden follte Für Schulverfäums 
niſſe, deren Schuld Die Eltern trügen, follten dieſelben willfürlich 
und nach Beichaffenheit der Umstände geftraft werden. Von den 
eingehenden Strafgeldern follte '/, dem Kirchenärar, ?/, der Obrig- 
feit, '/, dem Schulmeifter oder Küfter '/; demjenigen, durch wel: 
chen die Obrigkeit jedes Orts die Strafe vollzieht, zufallen. — 
Die Entrichtung des Schulgeldes betreffend wurde beftinmt, daß 
dasfelbe von den Eltern der Schulkinder quartalweije gezalt wer: 
den jollte. 

Für das Fürftentum Lüneburg wurde zuerft durch Die 
Polizei- und Kirchenordnung des Herzogs Chriftian von Braun⸗ 
ſchweig von 1619 die Einrichtung von Volksſchulen angeordnet. 
In der Polizeiordnung wurde nemlih (S. 9) befohlen: Da es 
leider „hell am Tage, daß die Jugend faft ind Gemein jehr 
verabfäumt, und Gott den Allmächtigen erfennen zu 
lernen aus Mangel der Schulen nicht recht unterwiejen werde,“ 
fo habe das Konfiftorium Dafür zu jorgen, Daß ſoviel immer 


— 214 — 


der Fefttage, die Jugend in der Kirche, fowieaudin 
den Schulen darnad unterrichtet und auf deren Beſuch 
nötigenfall® mit ©eldftrafen gedrungen werden follte*) Co 
entftanden Daher jeßt infolge der inneren geiftigen Befruchtung, 
welche die Kirche im Kreiſe Galixtd erhalten hatte, einzelne Kate: 
chismusſchulen, die indeſſen faft nur im Minter (von Kindern, 
von der erwachſenen Jugend und auch wol vom Gefinde) beſucht 
wurden. — Die Einrihtung von Sommerſchulen gebot zuerf 
Herzog Ehriftian Ludwig unter dem 12. Mai 1646; indeſſen 
wurde von denjenigen Eltern, weldye ihre Kinder zur Sommer 
zeit bei der Arbeit nicht gut entbehren Fönnten, nur gefordert, 
daß fie diefelben wo möglich Sonnabends Nachmittags, in jebem 
Falle aber Sonntage vor ober nad) dem mittägigen Gottesdienfte 
eine Stunde lang zur Schule ſchicken follten. 

Aber noch immer fehlte den Schulen des Fürftentumd Ka— 
lenberg eine beitimmte Regel ihrer Einrichtung. Um dieſem 
Mangel abzubelfen, erließ der Herzog Georg Wilhelm unter dem 
9. October 1650 eine Schulordnung, welche eine Reihe von Bes 
ſtimmungen über Sculpflichtigkeit, Beſuch der Sommerſchulen, 
Entrihtung des Schulgeldes, Schulvifitation, Schulzucht und 
Erteilung des Fatechetilchen Unterrichts enthielt. Es wurde ver 
ordnet, daß alle Kinder vom fechsten Jahre an bis zum zwölften 
oder wenigftend jo lange Die Schule befuchen follten, bis fie den 
Katechismus ordentlich gelernt hätten. Täglich follte der Lehrer 
Morgend und Nachmittags je drei Stunden lang im Lefen, Schrei⸗ 
ben und im Katechismus unterrichten, an jedem Morgen follte die 
erfte Stunde mit Geſang und Gebet eröffnet werden. 


) Vrgl. Henke, „Georg Galirtus und feine Zeit“ 3. II. & 116 u. 1%; 
Schlegel, „Kirhengefhidte von Hannover,“ ® I. ©. 524 und Oberbev. 
„Geſchichte der Gefeniusfhen Katehismusfragen” in dem Braunſchweigiſchen Magazin, 
1856. S. 53—379. — Diefer caligtinifche Katechismus, gegen das Mile: 
ftreben der ftreng Iutherifchen Gegner Calizts Büfcher in Hannover, Mid. Walther 
in Celle (Verfaſſer eines andern Katechismus) von der Megierung eingeführt, wird 
n Kliefoths kirchlicher Zeitfchrift Sahrg. 1856 durch ein Roſtocker Rechtsgutachten 
(Mejers) vom 25. Februar 1856, S. 341—360 als der allein zu Recht beftehende 
lutheriſche Katechismus gegen eine Reihe anderer auf diefelbe Weife von der Re 
gierung eingeführten Katechismen vertheidigt. 


— 215 — 


Natürlih waren alle damald beftehenden Schulen in den 
Pfarrdörfern errichtet, weil Die Einrichtung derſelben Sache der 
Küfter war. Jedoch wurde ſchon in der am 14. October 1656 
landesherrlich beftätigen Kalenbergifchen Superintendentenordnung 
(Rap. 2, $. 4—6) geftattet, daß auf ſolchen Dörfern, welche 
vom Pfarrdorfe weit entlegen wären, eigene Lehrmeifterinnen ober 
auch Schulmeifter angenommen werden bürften. Indeſſen follten 
die Kinder nur bis zu ihrem neunten Lebensjahre diefe Neben- 
Ichulen bejuchen dürfen, und die Gemeinden follten nad) wie vor 
verpflichtet fein, zur Unterhaltung der Pfarrjchule beizufteuern. 

Die Schulorbnung von 1650 wurde fpäterhin zu wieber- 
holten Malen in neuen Ausgaben publizirt, zundchft von dem 
Herzoge Johann Friedrih unter dem 14. Dezember 1676 und 
von dem Herzoge Ernft Auguft unter dem 9. Oftober 1681. Die 
Abänderungen, welche die alte Schulordnung in dieſen neuen 
Ausgaben erlitt, betrafen eigentlidy nur die Beſtimmungen über 
die Handhabung der Diöciplin und über Die Entrichtung des 
Schulgeldes. In Betreff der erfteren wurbe angeordnet, daß jede 
Berabjänmung der Eirchlihen Katechifationen (jeitend Erwachfener) 
mit 1 Ggr. Strafe geahndet werden follte Für Schulverfäums 
niffe, deren Schuld die Eltern trügen, follten dieſelben willfürlich 
und nad) Bejchaffenheit der Umftände geftraft werben. Bon den 
eingehenden Strafgeldern follte 1/, dem Kirchenärar, 1/, der Obrig- 
feit, 1/, dem Schulmeifter oder Küfter !/; demjenigen, durch wel: 
hen die Obrigkeit jedes Orts die Strafe vollzieht, zufallen. — 
Die Entrihtung des Schulgeldes betreffend wurde beftimmt, daß 
dasjelbe von den Eltern der Schulkinder quartalmeije gezalt wer⸗ 
den follte. | 

Für das Fürftentum Lüneburg wurde zuerſt Durch Die 
Polizei und Kirchenordnung des Herzogs Ghriftian von Braun 
fchweig von 1619 die Einrichtung von Volksſchulen angeordnet. 
In der Polizeiordnung wurde nemlih (S. 9) befohlen: Da e8 
leider „bel am Tage, daß die Jugend faft ind Gemein jehr 
verabfäumt, und Gott den Allmädtigen erfennen zu 
lernen aus Mangel der Schulen nicht recht unterwiefen werde,“ 
fo habe das Ktonfiftorium dafür zu forgen, Daß ſoviel immer 


— 216 — 


möglich bei allen und jeden Pfarreien auf dem Lande Schu 
len gehalten, auch die Prediger und Küfter die Jugend zu 
untermweifen und die Hauswirte ihre Kinder, wenn fie zum längften 
fünf oder ſechs Jahre alt find, die Schulen fleißig zu be 
juchen, darin lefen, Jhreiben und beten zu lernen, nad 
eines jeden Gelegenheit und Vermögen angehalten werben.” Kit 
diefe Mühe follen Diejenigen, „Die ed im Vermögen haben, 
den Präceptoren die Gebür mildiglich entrichten;” wogegen die 
Armen mit gleiher Sorgfalt wie Die MWolhabendern unentgeldlih 
unterrichtet werden follen. — Wo jedoch ein Filialdorf von dem 
Pfarrdorf und deffen Schule zu weit entfernt ift, follen die Ein 
wohner „Io viel contribuiren, daß ein Schulmeifter oder Schul: 
meifterin, die Jugend zu unterweifen, Davon unterhalten werten 
koͤnne.“ 

Den Küſtern wurde daher gleichzeitig in ihre Inſtruktion 
geſchrieben: „Auf den Dörfern, da Knaben und Kinder zu lehren 
vorhanden, und keine andre Schulen und Schulmeiſter ſind, da 
ſollen die Custodes nach jedes Orts Gelegenheit Schulen anrichten, 
die Kinder Beten, Leſen, Schreiben und Rechnen lehren, 
den Katechis mum und Sprüche üben und der Jugend flär- 
lich inkulkiren.“ 

Die Verordnungen, welche Die Landesregierung in ben 
Jahren 1653 und 1654 erließ, beweifen jedoch, daß die Dorf 
füfter die ihnen in der Polizei und Kirchenordnung auferlegten 
Verpflichtungen wenig oder gar nicht beachtet hatten. Damals 
hatte der Generaliffimus zu Lüneburg, Dr. Michael Malter, 
eine Bearbeitung des Eleinen Katechismus Luthers ®) edirt, die um 
ihrer correcten Vertretung des Lehrbegriff der Koncorbienformel 
willen in orthodox Iutherifchen Kreifen um jo höher geſchätzt wart, 
ald man in dem Katechismus des Dr. Geſenius nichts anteres al 
eine den Iutherifchen Gemeinden böchft verberblicdye Bevorwortung 
des Galixtinifchen Eyneretismud oder Indifferentismus zu finden 
vermochte. Durch Verordnung vom 25. Mai 1653 wurde dieler 


*) Schlegel, Kirchengefhihte von Hannover, B. IT. ©. 11. 


— 217 — 


Katechismus in dem Fürſtentum Lüneburg, Gellefchen und Gruben: 
hagenſchen Teils und dazu gehörenden Graf- und Herrſchaften 
mit der an die Superintendenten erlaßenen Vorſchrift publizirt, 
daß fie die Prediger hierauf verweilen, auch bei den dreijährigen 
Bifitationen und jährlihen Synoden auf die Befolgung dieſer 
Verordnung achten oder über Die fich etwa vorfindenden Hinderniffe 
berichten, wie Denn auch Der Generalfuperintenbent bei Den General: 
vifitationen jeine Aufmerkſamkeit darauf richten follte. Es war die 
Abficht der Verordnung, daß diefer Katechismus zum Nugen nicht 
nur der finder, jondern auc der Erwachjenen gebraucht werden 
follte. Aud war den Beamten, um der Verordnung mehr Nach—⸗ 
drud zu geben, befohlen worden, den Firchlichen Katechifationen 
regelmäßig beizumwohnen, oder wenigftens , wenn fie durch erheb⸗ 
liche Verhinderungen davon abgehalten würden, ihre Kinder und 
ihr Geſinde dahin zu ſchicken. Auch wurde bei Diefer Gelegenheit 
den Eltern ſelbſt eingefchärft, ihre Kinder fleißiger zur Schule zu 
ſchicken, da dieſe nicht eher zum Genuſſe des heiligen Abendmales 
zugelaßen werben follten, bis fie gehörig unterrichtet wären. 

Indeſſen hatten diefe Maßnahmen der Landesregierung fo 
geringen Erfolg, Daß diefelbe durch Ausfchreiben v. 14. Juli 1654 
allen Beamten befehlen mufte, den Predigern zur Ausführung Der 
Verordnung vom 25. Mai 1653 eifrigft zu Hülfe zu kommen, 
wobei zugleich vorgefchrieben wurde, daß die Eltern ihre Finder 
im Sommer wöchentlich wenigftend zweimal, nemlic Montags und 
Freitags Vormittags, zur Schule ſchicken und inzwifchen das Vieh- 
hüten durch das Gefinde verrichten laßen follten. 

Sm Stift Verden datiren die eriten Anfänge des Volks— 
ſchulweſens aus dem Jahre 1606. Allerdings war für die Stadt 
Verden ſchon i. J. 1578 die Einrichtung einer „Kinderſchule“ mit 
einem Rector, Conrector, Bantor und Infimus angeordnet; allein 
diefe Schule war, wie ſchon aus der Zufammenjeßung des Lehrer: 
perfonals erhellt, nicht eine Volks =, ſondern eine lateinifche Schule. 

Die Kirchenordnung, welche der poftulirte Biſchof der Stifte 
Denabrüd und Verden unter dem 18. Januar 1605 publizirte, 
gab die erfte Anregung zur Einrichtung eines eigentlichen Wolfe: 
ſchulweſens. Es wurde nemlich in derfelben den Küftern zur Pflicht 


— 218 — 


gemacht, fie follten „in Flecken und auf den Dörfern Kinderfchulen 
halten und die Kinder im Leſen, Schreiben z2c. untermweilen, 
vornehmlich aber follten fie den tenellulisanimis 
den heiligen Katehismum wol einbilden, und den; 
felben ohne Unterlaß und Aufbören fleißig trei- 
ben.” — Natürlich fonnte man zunächft nur daran deufen, für jede 
einzelne Pfarrei (nicht für jedes Dorf) Pfarrfchulen zu errichten, 
weshalb zur näheren Crläuterung der angegebenen Beftimmung 
nod) verordnet wurde: „daß in den Dörfern des Stifts Verden, 
da Kirchen find, die Küſter Schule halten, und der einge 
pfarrten Leute Kinder fleißig und treulich ihren Gaben und Ber 
mögen nach untermeifen jollen, Daß fie lefen, deutſche Pjalmen 
fingen und fein fertig den Katechismus recitiren lernen. Es jollen 
aud) die Eltern ihre Kinder nicht müßig gehen laßen, jondern ernft- 
lich und unverfäumt zur Schule halten, dazu follen fie Die Pastores 
pro concione ihre8 tragenden Amtes halber ernſtlich und niit Fleiß 
vermahnen.” 

Dieſes waren die Dürftigen Beſtimmungen, welche vie Kir 
chenordnung über die Einrichtung der Volfsfchulen enthielt, wäh: 
rend in Derfelben in Betreff der lateiniſchen Schule zu Verden 
eine ziemlich ausführliche Schulordnung aufgeftellt wurde. 

Indeſſen vermochte Diefe für das Gtift Verden erlaßene 
Kirchenordnung ebenfowenig als die in den hannöverſchen Yanden 
publizirte Verordnung dem Volksſchulweſen aufzubelfen. Das gröfte 
Hindernis aller Schulreformen lag im Stift Verden wie in ben 
bannöverfchen Landen in der Eläglichen Yage und in der Rohheit 
der Echulmeifter ſelbſt. Iun Der Hoyaiſchen Kirdyenordnung von 
1581 S. 31 und 32 war über die Küſter geklagt worden: „Alt 
man denn unter den Küftern zu Zeiten wol ungetrene Gejellen 
findet, welche mehr mit Schalfen und Buben fidy unterjchleifen 
und fich zu denfelben gefellen, als daß fie ihrem Pastori in jeinem 
Amt — — beiftehen follten 2c. 2c.,“ worauf die Verordnung folgte: 
„daß fich Die Küfter der unförmlichen landsknechtiſchen, reiteriſchen 
Hofen, Wämmſer, furzen Kappen, Kolben und dergleichen Klei⸗ 
dungen, fo Kirchendienern nicht anftehen, enthalten ſollen, und 
feine fchlechte Hofen, Wämmſe und lange Mäntel und NRöde tra 


— 219 — 


gen — — Sollen.” Die meiften Schulmeifter trieben auch hier 
vorzugöweile ihr Handwerk und nebenbei die Schulmeifterei. 
„Trieben fie aber fein Handwerk, fo muften fie fich durch Feld: 
arbeit ihren notdürftigen Unterhalt erwerben, wozu fie oft die 
Schuljugend zu Hülfe nahmen. Hatten fie fein eignes Land oder 
feing in Pacht, fo verdingten fie fid) im Sonmer als Taglöhner 
bei den Bauern, gewöhnlid, im Lüneburgiſchen als VBienenwärter, 
im Kalenbergifchen zur Felbarbeit oder zum Torfſtich. Im Hoyaifchen 
gingen fie wol auf einige Monate als fogenannte Hollandsgänger 
nach Holland, wo dann die Sommerjchule von jelbft hinwegfiel.”*) 

Am Fürftentum Lüneburg führte der i. J. 1665 erfolgende 
Tod des Herzogs Chriftian Ludwig und der dadurch über den 
Befitz des Fürftentums herbeigeführte Streit Der beiden älteften 
Brüder desselben nad) vorgängig getroffener Ausgleichung desſelben 
zur Thronbefteigung des Herzogd Georg Wilhelm von Kalenberg 
der fofort zur Regelung der kirchlichen Verhältniffe eine Generals 
vifitation anordnete, Die Dem Dberjuperintendenten Dr. Hilde- 
brand unter dem Beiftande der Beamten jedes Orts übertragen 
wurde. Diefe Generalvifitation, welche im Fürftentum Lüneburg 
in den Jahren 1667—1669 ftatt fand, zeigte indeſſen nur allzu 
deutlich, daß das Volksſchulweſen des Landes kaum dem Namen 
nad exiftirte. Die meilten Schullebrer waren nicht nur zugleich 
Küfter, fondern auch zugleich Krüger (d. 5. Bierfchänfer), Schnei⸗ 
ber, Tiichler, Glafer oder Aderleute., Daher überließen die meiften 
Schullehrer Die Schulmeifterei ihren Kindern (3. B. in Hermanns 
burg und Elding) oder ihren Frauen (3. B. in Ramelsloch). In 
Molzen war damald ein junger Burſche Schullehrer, der nod) 
nicht zum 5. Abendmal zugelaßen war, der aber doch, wie man 
erzälte, ganz gut unterrichtete. Der Schullehrer zu Thönfen im 
Kirchfpiel Molzen pflegte im Sommer die Kälber zu hüten und im 
Winter Schule zu halten. In manchen Orten oder Außenbörfern 


) Vrgl. 3. 8 % Schlegel: Leber Schulpflichtigkeit und Schulzwang, 
©. 36. — Noch in dem Bifitationsdirectorium von 1734 wurde die Frage ange- 
merkt: „ob der Echulmeifter während der Kehrftunden Zabad raue, einen Bier- 
trug oder eine Branntmweinflafhe vor fih ftehen habe.“ 





— 220 — 


3. D. in Nienhagen, in denen man noch Fein Schulhaus hatte, 
beftand nur eine Reiſeſchule, weshalb daſelbſt der Pfarrer, 
weil man nie wufte, wo die Echule zu finden war, nicht einmal 
eine Schulvifitation zu halten vermochte. Insgemein begnägten 
fi) die Schullehrer damit, den Kindern nur die Worte des Ra 
techismus beizubringen, indem fie die Erflärung des Katechismus, 
oder wie man damals fagte, den „Verſtand“ desfelben dem Pre 
diger in der Katechismuslehre überließen. Schreiben Eonnten fie 
nicht immer, und rechnen nur felten, wenigftend nicht mit ber 
Feder, da 3. B. der Schulmeifter zu Iſenbüttel mit Balpfennigen 
zu rechnen oder rechnen zu lehren verjudhte. Größere Schulen, 
3. B. die zu Sülfeld und Ilten, waren in drei Klaffen geteilt; 
in die erfte Klafje gehörten diejenigen, welche laſen und Luthers 
Katechismus lernten, in Die zweite Die, welche daneben die Frage 
ftüde auswendig lernten, und in die dritte diejenigen, welche ten 
„Verſtand“ wißen follten. Nah einer ſolchen Klafjeneinteilung 
richtete fich zuweilen auch dad Schulgeld. In Plate muften bie, 
welche blos in der Bibel lafen, einen Deut, die im Katechismus 
lajen, 1 jgr., und die fehreiben lernten, 1 ggr. bezalen. — Die 
Verordnung von 1654, weldye auch für den Sommer einen regel 
mäßigen Schulbeſuch verlangte, war nirgends durchzufegen. In 
den über Müden an der Derze aufgenommenen Protokoll findet 
fi) bemerkt, „der Amtsvogt habe Die Leute zwingen wollen, bie 
Kinder auch des Sommers zur Schule zu fchiden; da dieſes aber 
vor das Landgericht gekommen, habe der vorige Großvogt gejagt, 
man folle es bleiben laßen, man folle es nicht praftiziren.” Wan 
war Daher zufrieden, wenn Die Kinder im Sommer nur am 
Freitag zum Sermon und zur Katechismuslehre famen. Aber auf 
im Winter wurde die Schule fait von feinem Finde regelmäßig 
befucht. Daneben war in vielen Gegenden die Winterjchule auf 
die Zeit von Weihnacht bis Faftnacht beſchränkt. An manden 
Drten, 3. B. zu Oberdhagen und Müden an der Derze wurden 
die Kinder jchon im zehnten oder eilften Jahre gradezu wieber aus 
der Schule genommen, während fie an andern Orten, z. ©. zu 
Himbergen, erft von zwölften Jahre an in die Schule gejdidt 
wurden. Sn der ganzen Inſpection Bardowieck gingen die Kinder 


— 21 — 


faft gar nicht zur Schule. Die Einwohner des Fleckens Bardo⸗ 
wie fhüßten vor, fie hätten früberhin bei dem daſigen Kapitel 
freie Schule gehabt, und die Armenfinder wären außerdem von 
dem Kapitel mit Büchern und Papier und mit Tuch zur Kleidung 
verjehen worden. Um dieſem Unmwefen zu fteuern, wurde jet für 
das ganze Fürftentum verordnet, Daß alle Eltern, fie möchten ihre 
Kinder zur Schule ſchicken oder nicht, für jedes Winterhalbjahr 
ein Schulgeld von 18 Ngr. bezalen follten. 

Sn dem Dannenbergifhen Anteil des Fürftentums 
Lüneburg, welcher feit 1569 feine jelbftändige Regierung gehabt 
hatte, aber i. 3. 1671 dem Herzog Georg Wilhelm zufiel, ſah 
es noch ungleih trauriger aud.*) Auf dem Lande waren fait 
nirgends Schulen, auf ben Nebenbörfern überall nicht, auch nicht 
einmal in allen Kirchorten, 3. B. in Ribrau. Wo fich indeſſen 
Schulen befanden, wurden diefelben nicht beſucht, was von den 
Eltern mitunter mit den feltfamften Vorwänden befchönigt wurde. 
In Krummafel 3. B. wollte Jemand feinen Sohn nicht zur Schule 
ſchicken, weil er heiraten follte und ihn die andern auslachen wür- 
ben. Auf Befragen gab er an, daß der Sohn 14 Jahre alt fei. 
Ein anderer wollte fein Kind nicht zur Schule gehen laßen, weil 
ed noch unmündig und erft 9 jahre alt fei. Als der Oberfuperin: 
tendent Dr. Hildebrand die auch bier veranftaltete Kirchenvifitation 
beendet hatte, berichtete derjelbe: Die Unwißenheit fei jo groß, 
daß Viele nicht einmal das Vater Unfer recht hätten beten Eönnen, 
noch weniger ein Tiſchz⸗, Morgen oder Abendgebet. Diele wüſten 
nicht einmal, wer fie erjchaffen habe und wie viele Götter wären, 
warum fie zur Beichte gingen und was fie im Abendmal emyfingen. 
Die Prediger hätten ſich wegen des unterlaßenen Fatechetifchen 
Examens damit entjhuldigt, daß fie dazu außer Stande wären, 
da die Kinder nit zur Schule kaͤmen und daher auch den Ka- 
techismus nicht Iernten. Viele Eltern hätten fi wegen Burüd- 
baltung ihrer Kinder von der Schule mit ihrer Armut entfchuldigt, 
obgleic) fie zum Saufen Geld finden könnten. Andere behaupteten, 
daß fie die Kinder zum PViehhüten und im Haushalt gebrauchen 


NR Schlegel, II. ©. 139 ff. 


— 222 — 


müften. Sa „viele glaubten Gott einen Dienft damit zu than, 
wenn fie die Kinder nichts lernen ließen, indem fie fagten: Unfre 
Boreltern baben auch nicht beten können und bo 
mehr Brod gehabt als wir: mein Sohn foll fein 
Doctor werden.“ 

Im Jahr 1673 wurde dem Oberfuperintendenten Hildebrand 
andy die Vifitation der Grafſchaft Hoya übertragen, wo es mit 
dem Schulweſen im Ganzen beßer ftand.*) Indeſſen kam auch 
hier bei einigen älteren Leuten eine entſetzliche Unwißenheit vor. 
In Wechold z. B. wuſte man nicht, ob Knechte und Maͤgde 
ſelig würden, — weil es nicht im Katechismus ſtehe. Auf die 
Frage des Oberſuperintendenten, „ob nicht, da doch Alles, was 
lebe, ſterblich ſei, Gott auch ſterben müße,“ gab ein alter Bauer 
zur Antwort: „Ja, Herr, be is wol old, endlich motte 
ofwoldran!“ 

Uebrigend war die unermüdliche Thaͤtigkeit, welche Hilde: 
brand in den fünf Jahren, während welder er feine Kirchen⸗ 
vifitationen ausführte, entfaltete, für das Schulwefen nicht ohne 
fegensreiche Folgen. *%) Namentlich gelang e8 ihm wenigftens für 
die Winterzeit einen regelmäßigen Schulbeſuch herzuftellen. Da: 
gegen war ed zur Zeit noch unmöglih, den Sommerſchulen zu 
helfen. In allen Dörfern fand die Schule während des Som 
mers ganz verlaßen, wenn nicht etwa in ber @eineinde einige 
ganz Heine Kinder vorhanden waren, mit denen bie Eltern weder 
im Haufe noch im Felde etwas anfangen Fonnten. In Alten-Gelle 
wurde das Verhältnis der Sommer: und Winterfchulen von dem 
Schullehrer fo angegeben, daß er im Sommer 5, im Winter 
88 Schulkinder habe. An Wienhauſen hatte der ftudirte Schul⸗ 
lehrer im Winter 8SO— 90, im Sommer kaum 10 Kinder. In⸗ 
befien pflegten dody die lernbegierigen Kinder im Sommer ihren 
Katechismus mit ind Feld zu nehmen, weshalb der Gemeinde 
Bergen angedeutet wurde, „fie jollten bei der feinen Gewohnheit 
bleiben ihre Katechismusbücher mit ind Feld zu nehmen, ober ge 


) Schlegel, Il. ©. 152—-159. 
») Ebendaf. ©. 168. 


— 23 — 


ftraft werden.” — Aus Mangel an Edulen und Filtalfchulen 
hatte man es bisher gefchehen laßen, daß die Bauern in Filial- 
dörfern nach vorgängiger Anzeige bei dem Pfarrer für den Min- 
ter fich einen Schulmeifter mieteten, den fie im Frühjahr wieder 
entließen.. Zur Abftellung dieſes Uebelſtandes veranlafte Hilde- 
brand an vielen Orten die Einrichtung ftändiger Gemeindeschulen. 

Das wichtigfte Nefultat, zu weldem die Bifitationen Hilde 
brands in Betreff des Schulweſens führten, war indefjen Die 
Publizirung neuer Schulordnungen. Im Jahr 1686 ftellten nem— 
li die Stände den Antrag, der Herzog möge zur endlichen und 
gründlichen VBefeitigung der Mängel, an denen das Schulweſen 
leide, eine volftändige Schulordnung aufftellen. Der Herzog 
ging alsbald auf den Antrag der Stände ein, und publizirte ſchon 
i. 3. 1687 eine zunädhft nur für die Grafſchaft Dannenberg 
beftimmte Schulordnung, weldye über alle Verhältniffe der Schule 
und des Lehrers ziemlich vollftändige Vorfchriften enthielt. Auch 
die Einrihtung von Sommerfcdyulen wurde befohlen, jelbft für 
den Fall, daß ſich nur wenige Kinder zu derſelben einfinden wür- 
den. Doc follte e8 den Aderleuten, welche ihrer Kinder zur Ar: 
beit nicht entraten Könnten, frei ftehen, die erwachlenen (nicht 
aber die Heinen) Kinder während des Sommers zu Haufe zur 
Arbeit zu behalten, und fie nur an Regentagen, wenn nichtd jon- 
derliches zu thun wäre, zur Schule zu ſchicken. Dagegen follten 
fie die ewachfenen Kinder während des Sommers alle Sonntage 
Nachmittags, oder wo dieſes nicht anginge, Vormittags in Die 
kirchlichen Katechifationen fchiden, und die Schulmeifter follten 
dann entweder am Sonntage Morgens oder Freitags eine Nepe- 
tition der Katechifationen anftellen. 

Unter die Lehrgegenftände wurde in der Dannenbergifchen 
Schulordnung auch das Rechnen aufgenommen. 

In Betreff der Entrihtung des Schulgelded wurde in der 
Schulordnung beftimmt, daß jeder Hauswirt, der ein oder mehrere 
Kinder habe, Die über 6 Jahr alt wären, ed möchten nun Dies 
jelben in die Schule gehen oder widerrechtlich zurüdbehalten werben, 
Schulgeld zu zalen babe. Der Betrag desjelben jollte ſich dar- 
nad) richten, ob der Schullchrer and) Küfter ſei oder nicht; erfteren 


— 24 — 


Falls folten außer den jonft beftimmten Gebüren jährlih 12 Bar., 
in leßteren 16 Ggr. bezalt werden. Die Zalung des Schulgeldes 
follte fi) alfo nicht nach der Zal der Kinder, fondern nad de 
der Häufer richten, in welchen fich jchulfähige Kinder vorfänden. 

Außer dieſer Schulordnung publizirte Georg Wilhelm unter 
dem 22. März 1689 eine Verordnung über Einrichtung der Got- 
tesdienfte und des Schulweſens in der Stadt Selle und deren 
Umgegend, in welcher ebenfalld das Rechnen unter Die Unterrichts⸗ 
gegenftände aufgenommen, aber in Betreff der Sommerſchulen 
angeordnet wurde, daß von Dftern bi8 Michaelis woͤcheutlich nur 
an Sinem Tage Schule gehalten werben follte. — Um indefien 
dem Schulweſen des ganzen Lüneburger Landes eine möglichſt 
conforme Geftalt zu geben, wurde durch Regiminalausfchreiben 
vom 11. Juli 1692 und vom 5. November 1696 befohlen, alle 
Schulen des Landes fo viel ald thunli nad der Dannenber- 
gifchen Schulordnung einzurichten. Zugleich wurde in dem erſt⸗ 
genannten Ausfchreiben verordnet: 1) An den Orten, wo noch 
feine Schulen wären, wo man diejelben jedoch nötig finde, follten 
alsbald Schulen errichtet werden, 2) die Kinder follten vom 
ſechſten jahre an ununterbrochen fo lange die Schule befuchen, 
bis fie auf den Bericht des Pfarrers von dem Superintendenten 
geprüft uud confirmirt wären; 3) fein Schulmeifter follte ohne 
Vormwißen des Spezialfuperintendenten angeftellt werben; 4) bie 
Jugend follte unter dem Vorwande des Viehhütens fo wenig von 
dem Beſuche der Schule ald des Katechismusunterrichts in ber 
Kirche abgehalten werben; deshalb follten 5) die Gemeinden, 
welche die Hütung des Viehes bisher den Kindern überlaßen 
hätten, Gemeindehirten annehmen. 

Die wefentlihften Umgeftaltungen erfuhr das Schulweien, 
ſeitdem (1705) alle Braunfchweigifch = lüneburgifchen Lande wieder 
unter Einer Herrſchaft vereinigt waren. Im jahre 1734 veran⸗ 
ftaltete der König Georg eine neue Ausgabe der älteren Kalen⸗ 
bergifchen Echulordnung , und erließ zugleih eine neue Schulord⸗ 
nung für das Fürftentum Lüneburg (mit Ausfchluß der Grafſchaft 
Dannenberg) und für Die Dber- und Niedergrafihaft Hoya. Die 
in derjelben enthaltenen Beftimmungen über den Beſuch ber 


— 25 — 


Schulorduung waren noch immer fehr lager Art. &8 wurde nems 
lich allen Eltern freigelaßen, in dem Quartal von Johannis bis 
Michaelis, wenn fie ihre Kinder zur Arbeit nötig hätten, Diejelben 
nach vorgängiger Anzeige bei dem Pfarrer vom Schulbejuche zu- 
rüdzubalten, und fie ftatt deifen nur an Sonn: und Fefttagen in 
die, kirchlichen Katechifationen, und zweimal in der Woche, nemlich 
zu einer Stunde nach beendigter Katechifation und zu einer ſonſtigen 
Stunde an einem Wochentage zur Schule zu ſchicken. 

Aber gerade jetzt, wo die Landesregierung mit Ernſt und 
Nachdruck auf ordentliche Einrichtung der Volksſchulen drang, er⸗ 
gab es ſich, daß bisher von den publizirten Schulordnungen nur 
ſehr wenig zur Ausführung gekommen war. Als z. B. das Kon⸗ 
fiftorium zu Hannover unter dem 31. Auguſt 1736 zwei Aus— 
fchreiben erließ, worin den Beßeren neben Anderem auch die Er⸗ 
teilung des Rechnen- und Schreibunterrichtes eingejchärft wurde, 
ftellte e8& fi) heraus, Daß viele Schulmeifter bisher noch gar feinen 
Schreibunterriht erteilt Hatten und deshalb jebt eine bejondere 
Vergütung für denſelben beanspruchten. 

Unter den einzelnen Beftimmungen, welche die beiden ange- 
gebenen Konfiftorialausfchreiben mitteilten , find folgende hervor⸗ 
zubeben: 1) Den ärmeren Hauswirten, welchen es zu jchwer fallen 
jollte, ihre Kinder Bid zum 14. Jahr zu ernähren, follte e8 nach⸗ 
gelaßen werben, daß jelbige, wenn fie bejcheinigen Eönnten, daß fie 
die Schule vom 6. bis zum 12. Jahre regelmäßig beſucht hätten, 
in einen Dienſt eintreten bürften. Doc jollte ihre Dienftherrichaft 
verpflichtet fein, fie von Oftern bis Michaelid wöchentlich wenig- 
fiend zweimal, und von Michaelis bis Dftern viermal zur Schule, 
an allen Sonn= und Fefttagen in die firdhlichen Katechifationen 
und wenigftend ein halbes Jahr vor der Konfirmation ununter- 
broden zur Schule zu fchiden. — 2) Den Schulmeiftern jollte 
es nicht geftattet fein, die Schulkinder zu ihrer Haus⸗ und Felds 
arbeit zu gebrauhen, den Unterriht durch ihre Frauen erteilen 
zu laßen, ober die Unterrichtsftunden wegen vorfallender Begräb- 
niffe und Tranungen zu verabfäumen. — 3) Wöchentlich jollen 
von den Schulmeiftern den Pfarrern Abjentenliften eingereicht, und 


wenn fein genügender Grund zur Schulverjäumnis vorliegt, an 
Heppe, RVoltsfhulweien, 8. 15 


— 26 — 


die Beamten abgegeben werden. — 4) Die Schulmeifter jollten 
regelmäßig den von den Pfarrern in der Mutterkirche zu halten 
den öffentlichen Katechiſationen beimohnen. Nur denjenigen, welde 
auf zu weit entlegenen Filialdörfern wohnten, jollte es nachgeſehen 
werden, daß fie nur alle 3 oder 4 Wochen mit ihren Schulfindern 
in der Mutterfirche erjchienen. ‘Dagegen jollten diefelben an den 
übrigen Sonntagen, weunn fie dazu geſchickt wären, in der Kapelle 
oder im Schulhaufe eine öffentliche Katechifation Halten. 

Zur Vervollftändigung. der neuen Lüneburgiſchen Schulord⸗ 
nung wurde zwei Jahre jpäter (1. Juli 1738) eine Declaration 
erlaßen, worin einzelne Beſtimmungen berjelben modifizirt wurden. 
Namentlich wurde verordnet: 1) Denjenigen Gemeinden ober 
Eltern, welche die Kinder wegen des Viehhütend oder der Wirt 
Schaft nicht entbehren Fönnten, ober welche genötigt wären, bie 
jelben in beiden Sommervierteljahren in Dienft zu geben, jollte es 
erlaubt fein, ihre Kinder während des Duartald von Oftern bie 
Johannis nur für zwei Stunden in der Woche zur Schule zu jchiden. 
Doch jollten jene Umftände vorher durch eine glaubhafte obrigkeitliche 
Beicheinigung Documentirt, und in Betreff der Kinder jollte Darauf ge 
fehen werden, ob fie ſchon Iefen und fomit ihre Mufe bei dem Vieh— 
hüten angemeßen beuugen Eönnten. — 2) Rechnen unterridt 
jollte erteilt werden, wenn es die Eltern wünfchen würden. — 3) Die 
Eltern der Schulkinder jollten fowol in Predigten von den Pfarren, 
als in Vifitationdreden von den Superintendenten ermahnt werden, 
die Kinder zum fleißigen Schulbefuch anzuhalten, und den Lehrern 
in ihrem mühfamen Amte die ſchuldige Achtung und Ehre zu vw 
weifen. — 4) Die Eltern derjenigen Kinder, welche nicht zur 
Schule oder zur Kirche kommen würden, follten für jede Verſaͤum⸗ 
nis mit 1 Nor. beftraft werben. 

Hiermit war die Periode der erften Einrichtung deutſcher 
Volksſchulen beendet, und in den nächftfolgenden Decennien , wo 
(1739) die Dannenbergifhe Schulordnung von 1687 für bie 
Grafſchaft Dannenberg nochmals beftätigt und durch wieberholte 
Erlafje der Landesregierung (1746 und 1748) allen Schulmeiftern 
die genauefte Befolgung der beftehenden Schulorbnungen zur Pflicht 
gemacht wurde, begann das Schulweſen allmählich eine geordnete 


— 27 — 


Verfaßung anzunehmen. Insbeſondere wurde auch in Betreff Der 
Beſetzung erledigter Schullehrerftellen, welche bisher ganz den 
Superintendenten überlaßen war, verordnet, daß in jedem ein- 
zelnen Falle dem Konfiftorium zwei Bewerber mit Hinzufügung 
einiger Proben ihrer Gejchidlichfeit zur Betätigung empfohlen 
werben follten. Freilich warf der fiebenjährige Krieg wiederum 
Vieles nieder, was eben erft ins Dajein gerufen war, und wie 
ſchwierig noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die 
Einrihtung von Sommerſchulen war, zeigt das Konfiftorialaus- 
Ichreiben vom 16. Dftober 1764, worin befohlen wurde, die 
durch den Krieg in Abgang gekommenen Sommerfchulen herzu: 
ftellen, und in denjenigen außerorbentlichen Fällen, wo auch das 
Wenige, was in Anjehung der Sommerjchulen verordnet fei, nicht 
ausgeführt werden Eönnte, an das Konfiftorium zu berichten und 
darüber Anträge zu ftellen, wie ſolchen Kindern allenfalls durch 
ein von dem Schulmeifter ihnen allein, gegen eine Vergütung aus 
der Armenkaſſe, zu erteilende bequemere Stunde zu helfen wäre. 
Zugleich wurde befohlen, die im Sommer beftändig zur Schule 
fommenden Kinder von den feltner erjcheinenden abzufondern, 
mit legtern nur das im Winter Erlernte zu wiederholen, und 
überhaupt beim Zurüdbleiben der Größern auf Die Kleinen im 
Sommer den meiften Fleiß, fowie im Winter auf jene zu wenben. 

Eine neue Periode der Entwidlung trat für das Volksſchul⸗ 
weſen im Kurfürftentum Hannover wie überall mit dem Ende des 
18. Jahrhunderts ein. Es brach ſich auch Hier die Anfchauung 
Bahn, daß die Volksſchule, ohne ihren eigentlichen Charakter als 
kirchlicher Erziehungdanftalt zu verleugnen, doch wejentlih zur 
Verbreitung der im Berufsleben des Landmanns und Bürgers 
unentbehrlihen Kenntniſſe beftimmt fein müße. Auch ſah man 
allmählich ein, daß das Schulweſen nur dann zu wirklicher Blüte 
gelangen Fönnte, wenn man tüchtig vorbereitete Lehrer habe, und 
für deren Vorbereitung und fernere Ausbildung Sorge trage. Es 
war Daher ein Segen für das Hannöveriche Land, als die Muni- 
figenz des Kaufmanns Ernft Chriftoph Böttcher der Staats- 
regierung i. J. 1751 die Errichtung eines Schullehrerfeminars zu 

15* 


— 228 — 


Hannover ermöglichte. Böttcher *) ſchenkte nemlich zu dieſem Zwede 
drei von ihm felbft erbaute Häufer auf der Aegidien-Neuftadt, damit 
darin eine Freifchule gehalten werde und in berjelben ein ge 
ſchickter, von ihm jelbft falarirter Candidat Unterricht erteilen könne, 
den auch angehende Schullehrer, um ſich in der Methodik aus 
zubilden, anhören koͤnnten. In diefer befchränften Weiſe wurde 
das Inſtitut am d. Januar 1751 eröffnet, von der Landesregie⸗ 
rung autorifirt und unter die Oberauffiht des Konfiftoriumd 
geftellt. Schon i. J. 1754 wurde der Seminarfouds beträdhtlid 
erhöht, indem zu den fortdauernden Zuſchüſſen Böttcher damals 
noch ein anſehnliches Vermächtnis des Konfiftorialbirectors Toppen, 
fowie ein Beitrag der Kalenbergiſchen Landſchaft und Tpäterhin 
einzelne Schenkungen, namentlich von König Georg II, binzw 
famen. Daber konnte das Inſtitut allmählidy erweitert und man 
nigfach vervollfommnet werden. **) 

Zugleich erließ die Staatdregierung eine Reihe von Verord⸗ 
nungen , welche den Zwed hatten, die Wirkſamkeit des Seminars 
nach allen Seiten hin zu unterflügen und zu ſteigern. Durd ein 
Poftfeript zu dem Ausfchreiben vom 16. October 1764 wurde 
verordnet, daß, injomeit es möglich fei, nicht gar zu jugenblide 
Subjefte zur Befeßung von Lehrerftellen präjentirt werben follten. 
Durch Univerfalverordnung vom 11. April 1769 wurde es den 
Predigern zur Pflicht gemacht, an jedem Sonntag mit allen 
Schullehrern ihres Kirchſpiels Konferenzen zu halten, um dieſelben 
über die Einrichtung und Erteilung des Unterrichts zu belehren. 
Auch wurde e8 jebt, da man ganz andere Anforderungen an einen 
Lehrer ftellte, al& früher, für angemeßen befunden, durch koͤnig⸗ 
liche Verordnung vom 1. Mai 1770 diejenigen Lehrer, welche ben 
Unterricht zu ihrer Hauptbejchäftigung machten, Der Gerichtsbar⸗ 
feit der Untergerichte zu entziehen und fie in allen Perfonalpre 
zeſſen unter die Gerichtöbarfeit der Gonfiftorien zu flellen. Im 


*) Eine Biographie Böttchers findet fih in Salfelds Beiträgen des Kirchen 
und Schulweſens 3. 4. Heft I. 

*) Brgl. Salfelds „Geſchichte des Töniglichen Schulmeifterfeminors zu 
Saunover und deffen Freifchule.“ ’ 


— 229 — 


folgenden Sabre, 1771, wurden Göttend „Grundfäße der Anwei⸗ 
fung fünftiger Tehrmeifter in deutfchen Schulen“ im Drud veröffent- 
licht, damit die Schullehrer Gelegenheit haben follten, ſich über 
die Vorausſetzungen eines tüchtigen Unterricht8 felbft zu belehren. 

Die Fortfchritte, welche von nun an das Volksſchulweſen 
im ganzen Sande machte, ftellten fi am erfichtlichften in ber 
Hauptftadt Ddesfelben heraus. Die Gelehrtenfchule, welche auf 
der Neuftadt zu Hannover beftand, wurde in den jahren 1795 — 
1801 in eine aus zwei abgefonderten Anftalten beftehende Bürger- 
Ichule für Söhne und Töchter der Neuftädter Bürger umgewans 
belt. Mit der Töchterfchule wurde auch eine Induſtrieſchule vers 
bunden. Außerdem beftanten bei jeder Pfarrkirche bejondere Pas 
rochialfehulen, welche von den betreffenden Pfarrern beauffichtigt 
wurden. Auch war in dem von Johann Duwe i. %. 1643 ger 
ftifteten Armen-Waifenhbaufe eine Waiſenſchule, fowie 
i. J. 1779 in einem außerhalb des Steinthores gelegenen Arbeits⸗ 
und Werfhaus eine zweite Schule für verwaifte und arme Kinder 
errichtet worden. Zu diefen Schulanftalten Fam ti. J. 1800 noch 
eine mit einer Arbeitsanftalt verbundene Garniſonsſchule 
Hinzu, beftimmt für die Kinder der Soldaten und Invaliden vom 
Feldwebel abwärts. 

Ihr eigentliches Gentrum hatten alle diefe Schulen in dem 
Seminar und in der mit derjelben verbundenen Freifchule. 
In dem erfteren erhielten (um 1796) etlihe und dreißig Semis 
nariften völlig Eoftenfreien Aufenthalt und Unterricht; in den Neben« 
gebäuden der Anftalt wurden außerdem die Landſchullehrer beher: 
bergt, weldhe im Sommer einige Wochen hindurch das Seminar 
befuchten, um fi mit der neueren Unterrichtöweife befannt zu 
machen. Seder, der Seminarift werden wollte, mufte die im 
Seminar erteilten Unterrihtöftunden vor feiner Aufnahme in dass 
felbe ein oder zwei Vierteljahre lang ald „Exſpectant“ beſuchen. 
Nur diejenigen Exſpectanten, welche zu guten Hoffnungen berech> 
tigten , wurden in das Seminar wirklich recipirt. *) 


*) Brgl Horſtigs „Nachrichten von den vortrefflichen Schulanftalten in Han- 
nover” in Henkes Archiv für die neueſte Kirchengefchichte. B. II. &. 42—51. 


— 230 — 


Die Freifhule des Seminard war nad) der Berfchiebenkeit 
des Alterd und der Kenntniffe der Schüler in verfchiedene Klaflen 
geteilt, in deren jeder Kuaben und Mädchen zufammenfaßen und 
zwar „jene auf ber einen, dieſe auf der andern Selte auf ge 
räumigen Bänfen, die ſich ftufenweife über einander erhoben. Sie 
faßen in einer doppelten Ordnung: hintereinander waren fie nad 
ihren Fähigkeiten und nebeneinander nach ihrer Sittlichfeit ge 
ordnet. Jede Bank Hatte ihren Aufjeber oder ihre Aufjeherin, 
welche von den Kindern ſelbſt gewält wurden. An den Seiten 
der Bänfe hatten die Seminariften, von denen immer eine gewiſſe 
Anzal bei den Stunden gegenwärtig fein mufte, ihre abgejonderten 
Standpläße. Jede Bank hatte ihre befonderd numerirten Sige. 
An der Thüre des Unterrichtäzimmerd waren die Schulgefege, mit 
großen Lettern gedrudt, aufgehängt. In jedem Lehrzimmer waren 
verfchiedene Sittentafeln aufgehängt, weldhe die Namen vorzügli 
fleißiger oder nachläßiger Kinder enthielten. Mitten im Zimmer 
der oberften Klaſſe ftand ein Flügel, auf welchem einer der Se 
minariften den Gejang der Kinder zu begleiten pflegte.” — Ueber 
den innern Buftand der Schule berichtet Horftig: „Unter allen 
Kindern wird man Fein einziges bemerken, welches nicht Durch fein 
guted Aeußere, bejonderd durch eine forgfältige Reinlichkeit und 
Anftändigkeit in Körper und Kleidung den beften Eindruck auf 
jeden Zufchauer made. — Die Behandlung der Lehrer ift muſter⸗ 
haft. Der jchmeichelnde BZuruf „liebe, gute Kinder, liebe Töchter, 
liebe Söhne” Taft die Jugend Feinen Augenblid vergeßen, daf ihr 
Vater mit ihnen ſpricht. Hier ift an Fein hartes Wort, an feine 
Drohung, an Fein Schelten zu denken. Jede Bank wird von 
ihrem Auffeher in Ordnung gehalten. Was der Lehrer fagt, ges 
ſchieht augenblidlih, und an Unarten läft man die Kinder gar 
nicht denfen , weil fie jeden Augenblid auf die angenehmfte Weile 
beihäftigt werden. Ueberdies ift jedes Kind fo frei Hingeftellt, 
daß es nicht Die Eleinfte Bewegung machen kann, die nicht ſogleich 
in die Augen fiele. Auch find Die gegenwärtigen Seminariften, 
die an der Seite ftehn, ebenjo viele Aufjeher auf das Verhalten 
der Kinder. — Lefen lernen die Kinder beinahe vom Hören; unb 
fie leſen alle ohne Ausnahme muſterhaft. Es ift eine Freude zu 


— 2311 — 


hören, mit welchem natürlihen Ausdrud in Ton und Miene fie 
jedes Wort begleiten. Für Abwechſelung iſt durd die Mannig- 
faltigfeit im Unterricht geforgt, worunter beſonders ber fehöne 
Geſang der Kinder eine Hauptrolle ſpielt. Unvermutet fingen die 
Kinder einige Volkslieder, nicht einftimmig allein, ſondern viel- 
ſtimmig, jo rein, weich und fanft, daß die Seele bewegt wird. 
Die Berwunderung fteigt, wenn man bemerkt, daß die Kinder 
fein Wort weber leſen noch fingen, was fie nicht verftehen und 
fühlen. Dazu dienen beſonders die traulichen Unterredungen der 
Lehrer mit den Schülern. — Ahr Gedächtnis wird auf Feine 
Weife geplagt, und doch find fie im Stande, faft alle Lieder und 
Sprüde im Hanndver/jhen Katechismus auswendig herzufagen, 
die fie vom bloßen Hören durch Wiederholung gelernt haben.” 

Die Bücher und Schreibmaterialien der Kinder wurben in 
der Schule aufbewahrt und denjelben von den Banfaufjehern zus 
geteilt. Die, Schreibebücher wurden den Kindern von den Semis 
nariften (welche ſich nicht blos mit Barten- und Obftcultur, Sei: 
bens und Bienenzucht, jondern auch mit Buchbinden befchäftigten,) 
ſaͤuberlich eingebunden. 

Die Früchte, welche das Seminar zu Hannover für das Volfs- 
ſchulweſen der Hauptftadt jelbft brachte, veranlafte es, daß fehr 
bald noch zwei andere Seminare zu Grefeld und zu Stade 
(feit 1794), ſowie (1806) zu Salzdetfurt (i. J. 1809 nad) 
Alfeld verlegt,) und zu Dsnabrüd (letzteres durch den Kon⸗ 
fiftorialrat Dr. Bradmann) errichtet wurden. Denn das Bes 
dürfnis, wo mögli alle Schulen des Landes nur foldhen Lehrern 
anzuvertrauen, die wenigftend einige paͤdagogiſche Bildung erlangt 
hätten, wurde ſehr bald fo fühlbar, daß das Konfiftorium zu 
Hannover unter dem 12. November 1799 befahl, folche junge 
Leute von 16—20 fahren, welche zur einftweiligen Annahme der 
geringften Schulftellen Luft hätten, auf den Vorfchlag der Superin- 
tendenten für die Drei erften Monate jedes Jahres in das Semi- 
nar aufzunehmen, um fie für ihren Beruf thunlichft zu präpariren. 

In Betreff der in den Schulen zu behandelnden Unterrichts- 
gegenftände befahl das Konfiftorium durch Ausfchreiben von 
T. April 1785, daß fünftighin in allen Schulen auf dem platten 


— 232 — 


Lande wenigſtens die vier Spezied des Rechnens, aud das Schrel⸗ 
ben der Buchftaben, Silben, Wörter und Reiben öffentlih und 
unentgeltlich gelehrt werden follte Kür die Kinder unbemittelter 
Eltern follte das zum Schreiben nötige Papier, fowie nach einem 
Konfiftorialrefeript vom 30. Januar 1776auch Rechnentafeln unentgelt: 
lich geliefert werden. — Um außerdem den Lehrern tie Möglid- 
feit zu gewähren, den Schulfindern auch anderweitige müplice 
Kenntniffe beizubringen, follte für Die Lehrer nach einem Konf: 
ſtorialausſchreiben vom 18. November 1788 Fröbings Bürgerjchule 
und nad einem Konfiftorialrefeript vom 16. Dezember 1802 Weite 
manns Verfuch einer kurzen Darftellung der gemeinen Rechte und 
Landesverordnungen auf often der Kirchenkaſſen angefchafft wer: 
den. Gine fehr einflußreiche Thätigfeit entfaltete damals der Se 
minarbirector Dr. Salfeld, der feit 1800 eine Zeitjchrift unter 
dem Titel „Beiträge zur Kenntnis und Verbeßerung des Kirchen: 
und Schulweſens in den Eönigl. Braunfchweigifch = Küneburgijchen 
- Kurlanden” berausgab. 

Die Einrihtung von Induftriefhulen, weldhe in Har- 
nover fchon i. J. 1785 verfucht war, wurde namentlich feit 1790 
allgemeiner , indem das Konfiftorium durch Ausfchreiben v. 14 De 
zember 1790 den Kirchenfommillarien der Provinzen Kalenberg, 
Göttingen und Grubenhagen befahl, bei Einrichtung von Induſtrie⸗ 
Schulen ihre Aufmerkjamfeit auf die Einführung des Wolleſpinnens 
und infonderheit des Spinnen der feinen Kammmolle zu richten. 
— Als Mufterfchule wurde die Snduftrieanftalt Wagemannd 
zu Göttingen von der Staatsregierung vorzugsmweife begünftigt. *) 

An die Aufbeßerung der über alle Maßen geringen Lehrerge⸗ 
halte **) war erſt feit 1769 ernftlich gedacht worden. Als Damals 
das Konfiftorium zu Hannover über die Dotationsverbältnifle der 
Lehrerftellen Bericht einzog, ergab es fi), daß in dem Konfiftorial 
bezirt Hannover über 700 Lehrer vorhanden waren, die jährlich 


*) &. oben B. I. ©. 223, 
») Meber die allmählih bewirkte Dotirung der Küfter- und Lehrerfielen m 


den Hannoverfhen Landen vrgl. Schlegels Kurhannöver’fches Kirchenrecht 8. V. 
S. 15—D. - 





\ 


— 233 — 


nicht über 30 Rthlr. einnahmen, und darunter befanden fich viele, 
die jährlich noch nicht 10 Rthlr. zu beziehen hatten! Im Jahr 1756 
verwilligte daher König Georg III. den ärmften Schulmeiftern 
ein jährliches Onadengefchenf von 1000 Rthlr., wovon 800 Athir. 
durch das Konfiftorium zu Hannover, 140 Rthlr. Durch das 
Bremifhe und 60 Rthlr. durch Tas Lauenburgiſche Konfiftorium 
verteilt werden follten.*) Hierzu kamen fpäterhin noch einzelne 
wolthätige Stiftungen, welche die Aufbeßerung einiger Tehrerftellen 
ermöglichten. *) Im Lüneburgifchen wurde namentlich Durch die 
Gemeinbeitsteilungsorduung von 1802 die Erhöhung der Schul: 
ftellendotationen ausbrüdlich berüdfichtigt. 

Indeſſen blieb doch immer Die Lage der meiften Schullehrer 
im Rurfürftentum und in dem fpäteren Königreih Hannover fo 
elend, wie faum in irgend einem Lande, Namentlich war biefes 
in den Heidegegenden des Fürftentumd Lüneburg und des Herzog. 
tums Bremen und Verden der Fall. Es gab dafelbft bis zum 
Sabre 1815 viele Landfchullehrer, Deren jährlihes Einkommen 
nicht mehr als 10, 20 bis 30 Rthlr. betrug; eine Landſchullehrer⸗ 
ftelle, die 80 bis 100 Rthlr. einbrachte, gehörte daſelbſt "zu den 
beßeren und nur fehr wenige hatten ein jährlihes Einkommen 
von 150 bi8 200 Rthlr. 8 fehlte daſelbſt nit an Schulge- 
meinden, wo nicht einmal ein Schulhaus vorhanden war, wo der. 
Schullehrer wochenweiſe von Haus zu Haus wanderte und da, 
wo er für diesmal einquartirt war, auch Schule hielt. 

In dem fühlichen Teil des Königreih8, in den Fürſten⸗ 
tümern Kalenberg, Göttingen und Grubenhagen, wo der Boden 
den Aderbauern günftiger ift, wo deshalb auch größere Gemeinden 
find, ſah es in dieſer Hinficht etwas beßer aus, obgleich auch hier 
Schuldienfte von 20 bis 25 Rthlr. Einnahme nicht felten waren 
und wohl wenige zu finden fein mochten, die ein jährliches Ein- 
fommen von 150 bis 200 Rrtbl. gaben. 

Auch in dem Fürftentume Hildesheim war es fo, bis im 


Sabre 1815 durch die Fürforge des königl. Kabinetsminifteriume 


*) Vrgl. Acta hist. eccles. vol. IN. Weimar. 1776, 5. 585—691. 
**) Ausführlichere Nachrichten fiehe bi Schlegel III. ©. 491 ff. 


— 234 — 


zu Hannover eine Verbeßerung der gering dotirten Schulen ver- 
fügt wurde. Die Abficht diefer Behörde ging dahin, daß das 
geringfte Einfommen eines Landjchullehrerd mit Einſchluß des 
Schulgeldes 100 Rthlr. betragen follte. Zufolge diefer Verfügung 
(vom 26. October 1815) wurden die Dienfteinfünfte der Land- 
fchullehrer nach einem billigen Maßſtabe veranfchlagt, und wurden 
unter beinahe 200 Schulftellen evang. Konfeffion, 121 Schullehrern, 
deren jährliches Einkommen nit 100 Rthlr. betrug, zum Teil 
bedeutende Zulagen gegeben. Eben diejer Begünftigung hatten in 
derfelben Art fih auch Die Fatholiichen Landſchulen des Fürften 
tumd zu erfreuen; dahingegen wurden die geringen evangelischen 
Schuldienfte in den Eleinen Landftädten ganz unberüdfichtigt ge 
laßen, während doch den Opferleuten der Stadt Hildesheim bei 
ziemlich guten Ginfünften eine jährlihe Zulage von 100 Rthlr. 
jedem verwilliget wurde. Auch wurde ebenfalld für das, freilid 
ſchon feit einigen Jahren beftehende, aber undotirte evangelifche 
Schulmeifter-Seminar zu Alfeld gejorgt. 

Es wurde nun aber auch den Schullehrern, deren Dienft: 
einnabme verbeßert wurde, zur Pflicht gemacht, den öffentlichen 
Schreibunterricht, welcher jonft beſonders vergütet wurde, künftig⸗ 
bin allgemein unentgeltlich zu erteilen, wodurd dann bier und da 
mancher Echullehrer das wieder einbüfte, was er durch die Zu: 
lage gewann, und wodurch die Gemeinden, deren Schulftellen an 
diefer Wolthat feinen Teil nehmen konnten, und daher den Schreib 
unterricht noch immer bezalen muften, gegen jene Gemeinden zu 
rüdgefegt wurden, und bie und da die Lehrer in ſolchen Gemein 
den nur mit Mühe die herfömmliche Bezalung für den Schreib: 
unterricht erhalten Fonnten, indem diefe fi) auf Die begünftigten 
Gemeinden zu berufen pflegten. Noch auffallender war biejes 
Mipverhältnis in den Gemeinden, wo zwei Schulftellen waren, 
von denen nur eine verbeßert wurde, die andere aber nicht, wo 
der eine Schullehrer daher den Schreibunterricht unentgeldlich ers 
teilte, der andere aber ihn fich bezalen laßen mufte, wenn er 
nicht an feiner, der Regel nach doch noch immer geringen Dienf- 
einnahme verlieren wollte. Hier waren unangenehme Auftritte 
zwilchen Eltern und Lehrern faft unvermeidlich. 


— 235 — 


Zu gleicher Zeit erhielt das Schulweſen des Fürſtentums 
auch dadurch eine bedeutend verbeßerte Einrichtung, daß Die bis⸗ 
ber beftandene Obſervanz, nach welcher der gröfte Teil der Ge⸗ 
meinden ihre Schullehrer felbft wählte und dem Tandes-Konfiftorium 
präfentirte, durch eine Konftftorialverordnung vom 26. Mai 1815 
aufgehoben wurde. *) 


XVIII. 
Das Herzogtum Braunſchweig. 


Als Herzog Julius zu Wolfenbüttel ſeit 1669 in ſeinem 
Fürſtentum die Reformation einführte, dachte weder dieſer ſelbſt 
noch deſſen geiſtlicher Rat und Helfer, der Tübinger Propſt Dr. 
Jacob Andrä, an die Errichtung deutſcher Volksſchulen. Eifrigft 
bemühten ſich beide dafür, durch Reformirung der Klöfter und 
Einrichtung von Klofterfchulen dem Lande den Segen lateinischer 
©elehrtenbildung zu fihern; Dagegen von deutfchen Schulen, die 
einer chriftlichen Volkserziehung dienen jollten, war nicht die Rede. 
Nur die Schulen in den Frauenklöftern geftalteten fi), was in 
der Natur der Sache lag und fich von jelbit ergab, als weibliche 
Volksſchulen, mit denen zugleich Snduftriefhulen verbunden wur⸗ 
den, indem bier nicht blos im Katechismus, im Leſen und Schreis 
ben, fondern auch im Spinnen, Weben und Nähen Unterricht 
erteilt wurde. 

Den erften eruftlichen Verſuch, neben den gelehrten lateiniſchen 
auch deutfche Volksſchulen für beide Gefchlechter einzurichten, machte 
der Magiftrat der von der fürftlihen Landesregierung zu Wolfen: 
büttel unabhängigen, faft reichöfreien Stadt Braunſchweig.“ 
Und zwar wurde dieſer Verſuch hier fchon lange vor dem Regie 
rungsantritt des Herzogs Julius, nemlidy bereits i. %. 1531 durch 
die von Bugenhagen aufgeftellte Kirhenorbnung gemacht, welche 


*) Das Lepte ift nad den Freimüt. Iahrbühern der allgemeinen deutfchen 
Bolfsihulen, 1819, ©. 425 ff. mitgeteilt. 


— 236 — 


zugleich beweift, Daß die eigentümliche Wurzel, aus welder bie 
Volksſchule erwuchs, und das Intereſſe, in welchem fie gepflegt 
wurbe, nichts anderes als die proteftantifche Lehre von der 
Tanfe und von der Taufgnade war. 

In dem betreffenden Stattut („der ehrbaren Stadt Braun: 


ſchweig Kriftlihe Ordnung dur Joh. Bugenbagen 1531”) 
heift es nenlid) : 


„Don den Schulen”: 

„Es iſt Billig und chriftlich recht, daß wir unſre Kindlein 
Chriſto zur Taufe bringen; aber, ach leider, wenn fie aufwachlen 
und Die Zeit fommt, daß man fie lehren fol, fo ift Niemand 
daheim, niemand erbarmt fich über die armen Kinder, Daß mans 
alfo lehrte, daß fie möchten bei Chrifto bleiben, dem fie in der 
Taufe geopfert find. Niemand verfäumt gern den Kindern bie 
Taufe, als auch recht ift: aber wiederum Niemand gedenkt, daß 
ung nicht allein befohlen ift, die Kinder zu taufen, fondern 
auch, wenn die Zeit fommt, zu lehren, als gefchrieben ift zw 
vor von ber Taufe. Die getauften Kindblein leben in der Gnade 
Gotte, ald Adam und Eva vor der Sünde im Paradied, wipen 
nichts Gutes noch Böſes, wiewol fie von unfrer jündlichen Natur 
wegen zu Zorn und zum Böfen geneigt find. Sie haben die Zu- 
fage Chriſti: Solchen ift Tas Reich Gottes. Wenn aber Die Zeit 
fommt, daß fie vernünftig beginnen zu werden, fo fommt auf 
die Schlange als zu Adam und Eva und beginnt Die Kinder zu 
lehren alle Untugend und dazu die Vernunft dahin leiten, daß fie 
läftern die Artikel des chriftlichen Glauben und verachten den 
Bund mit Chrifto, gemadt in der Taufe. Dann if es 
Zeit, dann wird von uns gefordert, daß man fie lehren fol; 
aber leider, man hält fie nicht dazu, Daß fie Gottes Wort hören 
und lernen. Man lehrt fie auch nicht in den Häufern Gottes 
Furt und Gebote, man achtet nicht, daß fie das heilige Evan 
gelium Chrifti Ternen, daß fie alfo möchten bleiben bei Chriſto, 
dem fie zuvor in der Taufe geopfert find, — — So 
gehet e8 denn, daß gottlofe Eltern aufziehen gottlofe Kinder; ald 
fie von ihren Eltern gehalten find, jo halten fie ihre Kinder fortan, 


— 237 — 


Boͤſes Ei, böfe Junge, daß ja alfo des Teufeld Regiment, der 
ein Fürft der Welt von Chriſto genannt wird, ftarf und mächtig 
bleibe." — — Ä | 

„Alle dieſe genannten Unglüde fommen daher, daß wir ver- 
geßen, ja auch nicht wißen Den Bund, den wir gemadt 
baben mit Ehrifto in der Taufe, da wir gewafchen find 
mit Chriſti Blut. — — Darum ift bier zu Braunfhmweig 
Durch den ehrbaren Rat und die ganze Gemeinde vor 
allen andern Dingen für nötig angefehen gute 
Schulen aufzurichten, — darinnen die arme unwißende Jugend 
möge züchtig gehalten werden, lernen die zehn Gebote Gottes, den 
Blauben, das Vater Unſer, die Sacramente Chrifti mit der Ausle⸗ 
gung, jo viel ald Kindern dient, item lernen fingen lateiniſche 
Pfalmen, lefen aus der Schrift, Iateinifche Lectionen alle Tage, dazu 
die Echulfünfte, daraus man lerne ſolches verftehen, und nicht allein 
Das , jondern auch daraus mit der Beit mögen werben gute 
Schulmeifter,, gute Prediger, gute Rechtsverftändige, gute Herzte, 
gute, gottesfürchtige, züchtige, ehrliche, redliche, gehorſame, freund: 
liche, gelehrte, friedſame, nicht wilde, fondern fröhliche Bürger, 
die auch fo fortan ihre Kinder zum Beten mögen halten, und fo 
fortan Kindes Kind. Solches will Gott von uns haben; er wird 
auch bei und fein mit feiner Gnade, daß ſolches wol gedeihe und 
fortgehe.” — Nachdem nun zunächft in Betreff der Iateinifchen 
Schulen das Nötige gejagt ift, heiſt es weiter: 

„Von den deutſchen Schulen:” „Bei den Deutfchen 
Sculmeiftern, von dem ehrbaren Rat angenommen, ſoll man des 
Jahres aus dem gemeinen Kaften Geſchenk geben. Dafür follen 
fie jchuldig fein, ihre Jungen zu etlichen Zeiten was Gutes zu 
lehren aus dem Worte Gottes, die zehn Gebote, 
den Blauben, das Vater Unfer, von beiden von 
Chriſto eingejegten Sacramenten mit kurzer Deu— 
tung und hriftliden Gefängen. Sonft follen die Zungen, 
die fie lehren, ihnen den Sold und Lohn für ihre Arbeit geben 
defto reichliher und mehr, dieweil fie nicht fo lange dürfen lehren 
als die lateinifchen, auch darum, daß ſolche Meifter feinen andern 
Sold haben.“ 


— 238 — 


Hierauf wird in Betreff der „Jungfrauſchulen“ vers 
ordnet: „Vier Jungfrauſchulen follen gehalten werben an vier 
Drten der ganzen Stadt wol gelegen, darum daß die Zungfrauen 
nicht fern von ihren Eltern jollen gehen. Die Schulmeifterinnen 
will ein ehrbarer Rat verfchaffen und annehmen, die in dem Gvaw 
gelio verftändig find und von gutem Gerücht. Dann fol man 
auch einer jeglichen von dem gemeinen Schaßfaften Geſchenk geben, 
und fie laßen feine Not leiden, ald der ganzen Stadt chriftlide 
Dienerinnen. Dafür follen fie wißen, daß fie der Stadt mit ſol⸗ 
hem ihrem Dienft verpflichtet find.” 

„Den Sold aber und den Lohn für ihre Arbeit follen bie 
Eltern der Jungfrauen, fo fie vermögend find, deſto mehr und 
reichlicher geben und bezalen, ale Jahre, und einen Zeil be 
Jahrlohns alle Vierteljahr und zu Zeiten etwas in die Küche, 
dieweil folche Lehre Mühe und Arbeit bei fi hat, und wirb doch 
in geringer Zeit ausgerichtet. Denn die Sungfrauen Dürfen allein 
lehren lernen und hören etlihe Deutungen über bie 
zehn Gebote Gottes, auch den Ölauben und Pater 
Unſer und was die Taufe ift und Sacrament des Leis 
bes und Blutes Chrifti und lernen auswendig auffagen 
etlihe Sprüde aus dem Neuen Teftament von dem 
Glauben, von der Liebe und Geduld oder Kreuz und 
etliche heilige den Jungfrauen dienende Hiftorien oder 
Geſchichten zur Uebung ihrer Memorien oder Gedächtnis, auf 
mit jolcher Weife einzubilden dag Evangelium Ghrifti, day 
auch chriſtliche Geſaͤnge lernen. Solches können fie in einem 
Jahre oder zum höchften in zweien Jahren lernen. Darum ge 
denken die Eltern au, daß fie den Meifterinnen nicht zu ein ge 
ringes geben für jolche Arbeit, wiewol in kurzer Zeit gethan.“ 

„And die Jungfrauen follen nur eine Stunde oder zum 
höchſten zwo Stunden des Tages in die Schule gehen. 
Die andere Beit follen fie überlefen, item den Eltern dienen und 
lernen baushalten und zuſehen.“ 

Bid über den dreißigjährigen Krieg hinaus verblieb das 
Schulweſen in der Stadt Braunfchweig wie in dem gefammten 
Wolfenbüttlerlande in der Verfaßung, welche ihm durch die ange 


— 239 — 


gebenen Verordnungen verliehen war. ine Gefchichte erlebte das⸗ 
jelbe in diefer Zeit nur infofern, als der dreißigjährige Krieg auch 
bier zerftörte, was in beßerer Zeit gejchaffen war. Erſt nad der 
Herftellung des Friedens wendete Herzog Auguft dem Schulwejen 
feine Fürjorge zu, indem er (Allg. Landesordnung Art. 2) befahl, 
DaB an jedem Sonntag vor und nad) dem Nachmittagsgottesdienft 
Katehismusfchule gehalten werden follte, aud unter dem 
24. Febr. 1651 eine Schulordnung publizirte und durch fpätere 
Verordnungen (vom 15. Auguft und 20. September 1651) deren 
pünttlihe Befolgung einjchärfte. 

Sn der Stadt Braunfchweig bejchränfte man fich Darauf, 
die Beſtimmungen der Kirchenordnung von 1534 thunlichſt wieder 
ing Leben zu rufen. Zugleich aber nötigte das über jo viele Fa⸗ 
milien gefommene Elend, auch an die Einrichtung eigentlicher 
Armenjchulen zu denken. 

Eins der älteften Hospitalien der Stadt, zugleich das reichite 
derjelben, war das der heiligen Jungfrau gewibmete, an ber 
langen Brüde gelegene Hospital. Das aus zalreihen Schen⸗ 
tungen und Zufchüflen der Bürgerfchaft erwachjene Vermögen der 
Stiftung war bis zum Jahre 1671 ale eigentliher Armenfonds 
angejehen worben, indem aus demſelben reichliche Almofen gefpendet 
und Hülfsbebürftige und Gebrechliche aller Art in dem Hoöpitale 
beatae virginis Mariae untergebracht wurden. Bald nad} jenem jahre 
gab man -indefjen der Stiftung eine andere Beftimmung. Die 
darin verpflegten Perfonen wurden auf andere Wolthätigfeitdan- 
anftalten augewiefen, und nachdem unter der Leitung einiger Mit- 
glieder des Magiftratd dad Hospital in dem Zeitraum von 1676 
bis 1678 mit neuen Gebäuden verfehen war, wurde basjelbe zu 
einem Armen-, Waifen-, Zucht: und Werfhbaufe einge 
richtet, in welchem man auch eine Schule anlegte. *) Dieſe wurde 
bei den zu Gebote ftehenden bedeutenden Fonds in der Folge ers 
weitert und fpäter mit der Aegidienfchule vereinigt. Nach dem 
Ableben des legten Nectord dieſer vormaligen Klofterjchule wurde 


*) „Ordnung des Armen», Waifen-, Zucht ˖ und Werkhauſes der Stadt 
Braunfchweig von 1677“. Kap. 10 u, 11. 


— 240 — 


nemlich die erfte Klaſſe derjelben und der Singchor im Anfange 
des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Martineum verbunden. *) 
Die Negidienfchule beftand darnach anfangs als eine für Die Magni⸗ 
und Negidiengemeinde beftimmte Bürgerſchule fort, wurde aber 
dann mit der Waifenhausfchule vereinigt. 

Bu einer andern Unterrichtsanftalt für Kinder armer Gltemn 
dienten nach und nah auch die Surrenden. Diejelben waren 
zu St. Martin, St. Katharinen und St. Yegidien zur Zeit der 
Reformation, um dem Firchengefang eine Stüße zu geben, er 
richtet. Auch waren die Surrendarien verbunden, an gemillen 
Tagen auf den Straßen zu fingen, wofür fie Brot und andere 
Almofen einfammelten. Zur Erhaltung der Inſtitute waren von 
dem Rate und einzelnen Bürgern nicht unbedeutende Fonds ge 
bildet, deren zwedmäßige Verwendung der Stabtfuperintendent 
Martin Chemnitz i. 3. 1570 geordnet hatte Später wurden 
indeſſen auch dieſe urfprünglichen Singſchulen überflüßig. Die 
Melodieen der Kirchenlieder waren den Gemeinden geläufig ge 
worden und der Geſang auf den Straßen war nicht jehr erbaulid, 
weshalb dann, nachdem früher fehon die Martini= und Katharinen- 
Currenden zufammengezogen waren, i. J. 1791 alle zu einer Frei 
ſchule umgeftaltet wurden. **) 

Indeſſen begann die eigentliche Gejchichte eines Das ganze 
Volt umfapenden Volksſchulweſens wie überall, jo auch im Braun 
ſchweigerlande, erft mit Dem Anfange des achtzehnten Jahrhundertt. 
Erft i. J. 1709 wurde die erfte Verordnung publizirt, welche, 
nachdem auf den Dörfern bisher nur audnahmsweife Schulen 
vorgefommen waren, biefelben in allen Ortfchaften einzurichten be 
fahl. Nachdem nemlich durch ein an alle Generalfuperintendenten 
bes Landes gerichtetes Ausſchreiben des Konfiftoriums zu Wolfen⸗ 
büttel unter dem 31. Dftober 1708 angeordnet war, daß auf 
allen Dörfern auch während des ganzen Sommers, mit Ausnahme 


*) Mandat, das Hectorat an der Aegidienfchule betreffend, vom 30. Dezen 
ber 1708. 


) Beitrag zu der Geſchichte der Unterrichtsanftalten befonders der Bürger 
ſchulen der Stadt Braunfchweig vom Wagiftratsdireltor Dr. Bode, 


— 241 — 


ber Erndtezeit die Eltern ihre Kinder „alle Tage wenigftens nur 
zwei Stunden gegen Entrichtung des halben Schulgeldes unnach⸗ 
laͤßig zur Schule, auch im Uebrigen fleißig in die Katechismus: 
tehre ſchicken“ ſollten, „Damit fie um jo viel eher im Ghriftenthum, 
auch jonft im Lefen und Schreiben unterrichtet würden,” — ers 
Schien im folgenden Sabre 1709 auf Befehl des Herzogs Anton 
Ulrich die neue Braunfchweiger Kirchenorduung, worin die das 
mals noch jehr Dürftigen gejeglichen Beftimmungen, welche in Be⸗ 
treff des Volköfchulwejend vorhanden waren, zufammengefaft und 
auch auf die Dorfichaften angewandt wurden. &8 wurde nemlich 
in der Kirchenordnung (Kap. 18) angeordnet, Daß auf den Dörfern, 
wo feine beſonders angeftellten Schulmeifter feien, die Küfter nach 
jedes Orts Gelegenheit die Schulen halten, die Kinder im Beten, 
Leſen, Schreiben, auch im Rechnen fowol im Sommer ald im 
Winter fleißig informiren, Diefelben den Katechismus und die dazu 
gehörigen Sprüche wol auswendig lernen und die gewöhnlichen 
Kirchenlieder langſam und deutlich fingen Iaflen follten. Hierfür 
follte von einem jeden Kinde ein billige Schulgeld, jowie es an 
einem jeden Orte bräuchlich fei, entrichtet werben. Sei die Be⸗ 
foldung gar zu gering, fo ſollten die Vifitatoren darauf Bedacht 
nehmen, wie man dieſelbe ohne merfliche Befchwerung der Ges 
meinden aufbeßern könnte. ALS befonderes Emolument wurde den 
Schulmeiftern noch bewilligt, daß fie auf den Filialdörfern zur 
Maftzeit „gleich einem Kothſaßen der Maftung zu genießen haben 
jollten.“ 

Aber ebenfo wie auf dem Lande, mar die Beßerung des 
Schulweſens in der (jeit 1671 den Herzögen zu Wolfenbüttel voll- 
ftändig unterworfenen) Stadt Braunfchweig dringend notwendig. 
Die alten fieben Gemeindeſchulen waren Längft nicht mehr hin⸗ 
reichend, weshalb die Bürgerfchaft fich teilmeife mit Privatjchulen 
behelfen muſte. Dagegen ergingen nun ſcharfe Strafmandate. 
Auf höheren Befehl vom 25. Septbr. 1703 wurden alle Winfel- 
Schulen geſchloßen. Späterhin (12. Auguft 1723) wurde die Zal 
der conceffionirten Lehrer auf 40 figirt, obwol e8 bei dein Mangel 
an Öffentlichen Schulgebäuden vorzüglih von dem Umfange ber 
mietweife zu erlangenden Schulzimmer abhing, in wie vielen Ab⸗ 

Heppe, Bolteihulweien, 3. 16 


— 242 — 


teilungen die Kinder unterrichtet werden konnten, und wie wiele Kons 
zejfioniften erforberlih waren. Die vielfach fi Außernde Un: 
friedenbeit der Bürgerfchaft über den mangelhaften Zuftand ihre 
Schulen veranlafte Daher i. J. 1743 eine an das geiftliche Gericht 
gelangenbe Aufforderung, Vorſchlaͤge zu einer zwedmäßigeren Gin 
richtung der Schulen hoͤchſten Orts einzureihen. Der verlangte 
Bericht wurde zwar erft nad Verlauf von 5 Jahren vorgelegt, 
indeffen hatte man inmittelft den bei dem Werfbaufe angeftellten 
Prediger Uthenius und bald darauf auch defien Nachfolger Zwid 
mit der fpeziellen Beauffihtigung diefer Schulen und mit be 
Abfagung eined Planes zur Verbeßerung berjelben beauftragt, und 
Zwick vorzüglih nahm ſich der Angelegenheit mit Eifer an. Rad 
feinen Vorjchlägen wurde feftgejegt, Daß nur in Den Elementar⸗ 
klaſſen Knaben und Mädchen zufammen unterrichtet, die erwachjenen 
Kinder aber in drei Stufenflaffen für Knaben und zwei Stufen 
Hafen für Töchter unterwiefen, die Verfegungen in höhere Klafen 
nur nach der Anordnung des Inſpektors geſchehen und tauglide 
Lehrer aus dem damals ſchon errichteten Seminar gezogen werben 
jollten. Späterhin ordnete man noch an, daß Fein Kind zur Kow 
firmation zugulaßen fei, welches nicht in der höchften Klaſſe den 
Unterricht genoßen habe (31. Auguft 1752), daß die Schulverjäum 
niffe von den Lehrern zur Anzeige gebracht werben follten (18. Ro 
vember 1752), daß eine jede Anftalt, worin mehr als 6 Kinder zufammen 
privatim unterrichtet würden, als verbotne Privatfchule anzujehen 
jet (12. Febr. 1754), und daß alle fehulfähigen Kinder von ben 
Dpferleuten, bei Einziehung des Duatembergeldes, verzeichnet und 
daß die Verzeichnige der in höhere Klafien verfegten Schulkinder 
durch den Drud bekannt gemacht werden follten (13. Nov. 1754). *) 

Das durch den Pietismus erwedte JIntereſſe für Waiſen⸗ 
und Armenfchulen führte auch in Braunfchweig i. 3. 1742 zu 
vollftändigen Umgeftaltung der Armenanftalten und zur Ginrichtung 
einzelner neuer Armenfchulen. So wurde 3. B. zu Helmfteit 
i. J. 17365 von einem früheren Kaufmannsdiener, der aus Herzen 


*) Beitrag zur Gedichte der Unterrichtsanftalten ꝛc. ꝛc. von Dr. Bode 
©. 13— 14, 


— 243. — 


drang fi) der Armen» und Waifenerziehung gewidmet hatte, mit 
Genehmigung des Magiftrats eine Armenſchule errichtet, worin 
bie Finder im „Beten, Leſen, auch fonft in der Gottesfurcht und 
chriſtlichen Tugenden privatim, jedoch ohne Entgeld“ unterrichtet 
werden ſollten. Gin amtlicher Bericht vom 27. Dechr. 1735 teilt 
über dieſe Schule mit: „Auf erfolgte Eonceffion des Magiftratg, 
auch Approbation des hiefigen Minifterii, mit welchem man es 
ebenfall8 vorher communizirt hatte, iſt die vorgejchlagene Armen- 
kinderſchule den 1. Juni (den Tag gleich nach dem erften Pfingft- 
feiertage) mit Gott wirklich angefangen und mit Gebet und Ge- 
fang eingeweiht worden. Zum Grund der Erbauung wurde ges 
legt 1. Petri 5, 2—11 und daraus vorgeftellt Die Pfliht und der 
Lohn der Lehrenden und Lernenden. Bei dem Anfange waren 
10 arme Kinder angenommen, jeßo aber find 32 darinnen, bie 
nicht allein in Allem, was zur Schule, als Bücher, Federn, Tinte, 
Papier , Rechnentafeln, Schulgeld gehört, frei gehalten werden, 
jondern auch noch alle Sonnabende ein Elein Almoſen an Geld 
befommen, um fie dadurch zu befto mehrer Luft und Fleiß im 
Lernen aufzumuntern, welches aud Bid daher nicht ohne gute 
Wirkung geweſen ift. — Wöchentlich halte ich dreimal, als Mon- 
tage, Mittwoch und Sonnabends Kinderlehre und Betſtunde. 
Den Tag vor Weihnachten ift einem jeden ein zu MWernigeroda 
gebrudtes Neues Teftament, Pjalter, Sirach, Katechismus Lutheri 
und Geſangbuch, in Einem Band nebft einem Wede und etwas 
Geld verehrt worden. Den Kindern kann ich überhaupt das 
Zeugnis geben, daß fie nicht allein gern zur Schule gehen , fon- 
dern auch in ihrem Lernen, Thun und Aufführung ſich fo ver: 
halten, daß man mit ihnen zufrieden fein und ald man von der⸗ 
gleichen Kindern fordern kann, und babe ich e8 mir vorher nicht fo 
gut vorgeftellt. Denn weil fie ſehen und überzeugt find, daß man 
nicht das Seinige bei ihnen, jondern blos ihr Beſtes ſucht, fie 
herzlich liebt, und ihnen noch Liebe und Wolthat erweift, jo find 
fie defto williger und lieben ung wiederum , wodurdy man mehr. 
bei ihnen ausrichtet und erhält, ald mit aller jonft gewöhnlichen 
Schärfe, Strenge und Strafen.” 


16° 


— 244 — 


Eine neue Periode der Geſchichte des Volksſchulweſens be 
gann mit dem Aufange der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahr⸗ 
bundert8 unter der Regierung des Herzogs Karl, der feine Re 
fidenz von Wolfenbüttel nah Braunſchweig verlegte und zwar 
durch unmäßigen militärischen und andermeitigen Luxus das Land 
in unerhörte Schulden ftürzte, aber auch zur Hebung der wirt 
lichen Volksbildung in wirkſamſter Weife thätig war. Bunädft 
wurde die Waifenhausjchule, in welcher bisher der gewähnlide 
Schulunterricht (Katechismus, Leſen, Schreiben und Rechnen) in 
ben verjchiedenen Klaffen von vier Lehrern erteilt worden war, zu 
einer höheren NRealjchule, in welcher man faft alle technifchen Lehr⸗ 
gegenftände behandelte, erweitert, beziehungsweife in ein mit einem 
von vielen Schülern aus der Stadt bejuchten technifchen Inſtitut, 
mit welchem auch ein Penfionat verbunden war, umgewandelt. ®) 
— Sodann ließ Karl von 1750 an in der Druderei des großen 
Waifenhaufes zu Braunfchweig eine Reihe neuer Schulbüder 
drucken, welde in allen Schulen des Landes eingeführt werben 
jollten, nemlid eine Schrift unter dem Titel „Unterricht, wie dad 
Buchſtabiren und Leſen auch der zarteften Jugend leicht und gründ» 
li) beizubringen,” eine „&inleitung in die Bücher und Gedichte 
der heil. Schrift" mit einen Vorwort über die Methode, nad 
welchem dieje „Einleitung“ zu gebrauchen fei, und eine Ausgabe 
des Buches Sirach, des Pſalters, des Roͤmerbriefes und ber 
Evangelien. Unter dem 18. Mai 1752 erließ ſodann Herzog 
Karl eine Verordnung, durch welche er befahl, „daß an 
jedweden Orte hiefiger Lande nach Beichaffenheit und Größe der 
Schulen eine gewiſſe Anzal von vorgedachten Schulbüchern ange 
Ihafft, der Vorfhuß dazu von den Armenanftalten genoınmen, 
und aus ſolchen den Kindern armer Leute gedachte Bücher, fowie 
fie deren bedürfen, umfonft gereicht, denen aber, welche jolche zu 
bezalen vermögend, gegen den gejeßten Preis verabfolgt und ben 
Armenanftalten berechnet werben follten.” Zugleich wurden in 


) 3wick, Vorläufige Rachricht von der gegenwärtigen Verfaßung der 
Säule im hochfürſt großen Waiſenhauſe zu Braunſchweig 1754 und Acta hist. 
eccles. von 1754, ©. 364—379, 


— 245 — 


diefer Verordnung die erften allgemeinften Vorfchriften über die 
Einrichtung des Schulunterricht8 gegeben, indem die Prediger ans 
gewiejen wurden, den Schulmeiftern ihrer Gemeinden die desfalls 
nötige Anleitung zu geben und dafür Sorge zu tragen, „daß die 
Schulen in gewiſſe Klaffen, oder wo foldyes nicht thunlich, doch 
in gewifle Bänke nach der Fähigkeit ber Kinder eingeteilt” wuͤr⸗ 
den. Die Pfarrer follten ihre Schulen wöchentlich wenigſtens 
Einmal vifltiren, und alle Ober- und Unterbeamte des Landes 
folten darüber wachen, daß Diefe Verordnung, welche jährlich 
zweimal von ben Kanzeln herab zu verlefen ſei, puͤnktlich voll⸗ 
zogen werde. u 

Indeſſen follte diefe Verordnung nur zur Vorbereitung der 
fundamentalen Reform dienen, weldye Die Landesregierung für das 
gefammte Unterrichtöwefen des Landes, indbejondere für die Volks⸗ 
ſchulen bereit beichloßen hatte. Diefelbe wurde durch Verkündi⸗ 
gung der erften eigentlihen und vollftändigen Volksſchulordnung 
begonnen, welche i. J. 1753 unter dem Titel erſchien: „Ords 
nung für die Schulen auf dem Lande in dem Herzog 
tum Braunfhweigs Wolfenbüttel und Fürftentum 
Blankenburg. Braunfchweig, den 22. September 1753.” 

Die hauptſaͤchlichſten Beftimmungen biefer (für die Geſchichte 
des Volksſchulweſens ſehr wichtigen) Schulorbnung find folgende: 


Ray. I. 
Bon den Schülern oder den Kindern, welche die 
Schule befuchen. 


F. 1. „Unter den Schulen jelbft ift zwar ein großer Unter: 
fhied; darin aber fommen fie indgefammt überein, daß in den: 
felben die Jugend in ſolchen Dingen, Künften und Wipenfchaften 
unterrichtet wird, Die zu ihrer entweder Außeren und zeitlichen 
oder geiftlichen und ewigen Wolfahrt gehören. Die Landſchulen, 
auf welche diefe Ordnung injonderheit gebt, zielen iusgemein nur 
darauf ab, daß die Jugend im Leſen, Schreiben, Rechnen, 
Ehriftentum und einigen andern Landleuten zu wißen nötigen 
Dingen unterwiefen merbe.” 


— 2146 — 


$. 3. „Ob nun aber glei die Fähigkeit der Kinder jehr 
verfchieden tft, — fo kann man aber doch gewiß annehmen, dahß 
Kinder, die A Jahre alt find, in Die Schule geſchickt werben mühen, 
und daß vor dem 14. Jahre Eltern nicht viel Haus- und Land: 
arbeit von ihnen fordern koͤnnen.“ — „Die Jahre zwilchen dem 
4. und 14. Jahre müßen alfo inſonderheit auf den Unterricht ber 
Jugend verwendet werben, obgleich nicht gefordert wird, daß 
Eltern diefe Zeit hindurch ihre Kinder den ganzen Tag in bie 
Schule lagen und fie zu ſonſt Feiner Verrichtung gebrauchen ſollen.“ 
— „Es iſt inzwijchen ein nicht feltner Einwurf der Eltern, die mit 
vielen Kindern gefegnet find, daß fie Diefelben nicht alle ernähren 
könnten, und daher die älteften Davon bei Andern vermieten müften. 
— Um audy bierunter zu Hülfe zu kommen, wird foldhen armen 
Eltern die Vermietung ihrer Kinder jedoch mit folgender Ein⸗ 
Ichränfung geftattet: a) Sollen die Eltern ſolches dem Prediger 
anzeigen. b) Muß das Kind fo vermietet werden, Daß es ohne 
Lohn, nur ums Brod dient. c) Dahingegen joll es fein Brob- 
herr täglich wenigftend 2 Stunden in die Schule ſchicken und dem 
Schulmeifter das halbe Schulgeld bezalen. d) Die Gemeinde ifl 
zu ermahnen, für die Kleidung folder Kinder aus chriftlicher Liebe 
zu forgen, allenfall® aber ſolche aus den Armenanflalten zu be 
ſtreiten. e) Wenn ber Vater vorgäbe, daß er Feine Gelegenheit 
wüfte, fein Kind auf eine ſolche Art zu vermieten, muß der Pre 
Diger ſichs angelegen fein und durch den Wltariften dafür forgen 
laßen.” 

$. 4. Alle Kinder find alfo vom 4. bis zum 14. Lebens: 
jahre ſchulpflichig. „Säumige und unverantwortlich gleichgültige 
und nadläßige Eltern follen durd Straf» und Zwangmittel zu 
ihrer Schuldigfeit angeftrengt werden.” — „Damit aud die Eltern 
das Alter ihrer Kinder gegen den Pfarrer nicht verleugnen können, 
fo fol dieſer ein ordentliches paftoraliiches Kinderverzeichnis halten.“ 


Rap. I. 
Don den Schulmeiftern. 


$. 5. „Der Schulmeifter ift diejenige Perjon, der auf bem 
Lande der Unterricht der Jugend anvertraut wird, er muß dahet 


— 247 — 


nicht nur die dazu erforderliche Gefchidlichkeit haben, fondern auch 
in feinem ganzen Verhalten fidh jo bezeigen, daß er ein Vorbild 
der Heerde fein kann, die ihm anvertraut ift und für bie er einft 
dem Herrn Rechenfchaft geben muß.” 

F. 6. „Die Schulmeifter haben aljo injonderheit ſich eines 
gottfeligen Wandels zu befleißigen und ſich vor alle dem forgfäl- 
tig zu hüten, was die Frucht ihres Amtes Hindert und fie bei 
ihren Schülern fowol als den Eltern derſelben anftößig machen 
könnte; hingegen ſich deſſen aus allen Kräften und nad) allem 
Vermögen zu befleißigen,, daß Diejenigen, welche von ihnen unters 
richtet werden, das an ihnen felbft jehen mögen, was fie nad 
Anleitung des göttlihen Worted und des daraus genommenen 
Katechismi von ihnen forbern.” 

($. 7 — $. 11. Pflihten der Schulmeifter gegen andere 
Menichen, gegen die Obrigkeit, gegen ihren Superintendenten, 
gegen ihren Prediger und gegen die Schulfinder, welche fie nicht 
mit Fluchen und Schimpfwörtern und mit Schlägen an den Kopf 
und an Die Schienbeine tractiren follen. ) 

F. 12. „Die Treue ift die vornehmfte Eigenfchaft eines 
Schulmeiſters, und er bewährt diefelbe, wenn er alle feine Kräfte 
und jeine Zeit dazn anwendet, daß die Abſicht feines Amtes er- 
reiht und die ihm anvertraute Jugend wol unterrichtet werde. 
Er muß daher nicht nur die ganze Beit, die zum Schulhalten be: 
flimmt ift, zum Unterrichte der ihm anvertrauten Jugend wirklich 
anwenden und brauchen, ondern auch dieſelbe auf die vorteil 
baftefte Art einzuteilen fuchen. Die Schulmeifter follen daher bei 
Berluft ihres Dienftes nicht nur die Schule mit dem Schlage der 
Stunde, da fie anzufangen ift, wirklich anfangen, und nicht eher 
als bis die Zeit wirklich verfloßen ift, befchließen , ſondern auch 
feine Stunde ohne dringende Notwendigkeit und ohne daß fie 
dieſes vorher wenigftens ihrem Prediger angezeigt haben und von 
demfelben entjchuldigt worden find, ausfallen laßen, und während 
der Schulzeit fi nie weder von ihren Kindern entfernen und den 
Unterricht derfelben ihren Frauen oder jonft Jemandem auftragen, 
noch and fonft in der Kinder Gegenwart einiged Gewerbe und 
ihre etwa gelernte Handthierung treiben, auch Alles vermeiden, 


— 245 — 


wodurch Die Aufmerkſamkeit der Kinder geftört und ihr Zunehmen 
verhindert werden Fönnte.“ 

$. 14. „Auf dem Lande find Winter- und Sommerſchulen 
zu unterfcheiden. Die Winterfhulen werden von Michaelis bi 
Dftern und die Sommerfähulen von Oftern bis Michaelis gehalten. 
Beide kommen zwar, was Die Hauptfache ift, mit einander überein, 
jedoch wird in Abficht auf die Sommerſchulen den Bifitatoribus 
frei gelaßen, nach den Umftänden jedes Orts zu beftimmen, mie 
viele Tage dem Schulmeifter in der Erndtezeit zur Erndte frei ze 
lagen find.” 

$. 15. „Die Winterfchulen follen täglich Morgend von 8- 
11 Uhr und Nachmittags von 1—3 Uhr pünktlich gehalten wers 
den. Sind um 8 und 1 Uhr die Kinder noch nicht fämmtlid 
verfammelt, jo bat der Schulmeifter nichts deſto weniger ben 
Unterricht mit den Anwejenden zu beginnen und Die Säumigen oder 
Abjenten aufzuzeichnen.” 

8. 16. „Der Unterricht in den Schulen wird ſowol im Win 
ter ald Sommer, ſowol Vor⸗- ald Nachmittags mit Gefang und 
Gebet angefangen und beſchloßen. Die Superintendenten haben 
den Schulmeiftern in ihren Inſpectionen alle Vierteljahre eine 
Vorjehrift zu geben, was an jeglihem Tage aus der Bibel zu 
lefen und welche Gejänge, ganze oder halbe, oder auch, welde 
Verſe Daraus gejungen werben follen. Der Schulmeifter laͤßet 
alfo diejenigen Gefänge oder Verfe fingen, welche in der Vorſchrift 
auf jeden Tag geordnet find. Er bat fih auch dahin zu befleißigen, 
daß er die nicht gar zu bekannten Melodieen zuvörderft ſelbſt 
lerne, und ſie darauf auch den Kindern wieder bekannt made, 
damit alle Lieder unſeres Geſangbuchs ohne Unterfchieb in ben 
Kirchen gefungen werden fönnen. Und damit alle Kinder, auch 
die, welche noch nicht leſen, doch mitfingen können , fo lieſet ber 
Sculmeifter einen ganzen oder halben Verd deutlich und laut 
vor, und finget das Vorgelefene gleich darauf mit den Kindern. 
Wenn das Lieb oder ein Stüd defjelben _gefungen iſt, läßet er 
die Kinder den Morgenjegen und einige andere Gebete beten, und 
die Größeren darauf ein Kapitel aus der Bibel vorlefen, che er 
jeine Lection wirklih anfängt. Bei Vorlefung der Kapitel aus 





— 249 — 


der Bibel folget der Schulmeifter der ihm von dem Superinten- 
denten erteilten Vorfchrift, was auf jeden Tag im Jahre zu lefen 
ift. Bei dem Befchluffe der Schule Iäft er abermals beten, und 
Darauf einen oder einige Verſe aus einem Liebe fingen. Nach— 
mittags fängt er entweder mit einem Tiſch⸗ oder Lobgefange, 
oder einigen Verſen aus einem ſolchen Liebe an und befchlieft die 
Schule mit Gefang und Gebet. Des Morgens läft er gleich nad 
dem Bibellefen ein Hauptftüd bes Kleinen Katechismi entweder 
Deutlich auswendig berfagen oder vorlefen, damit die Größeren 
Dadurch den Heinen Katechismus beftändig wiederholen, die Kleinen 
aber nach und nach durch das beftändige Hören ohne Mühe aus⸗ 
wendig lernen.” 

6. 17. „Da auch Vielen daran gelegen ift, daß Die Kinder 
bei Zeiten lernen, wie fie eine Predigt brauchen follen, fo hat 
ber Schulmeifter die Kinder nicht nur dazu anzuweiſen, fondern 
fie auch dahin anzuhalten, daß fie fi etwas aus der Predigt 
merfen und diefelbe den Montag früh gleich nach dem Gebet wies 
derholen müßen. Gr kann dieſes leicht erhalten, wenn er einige 
von den größeften Kindern in der Kirche nahe bei fich fißen läft, 
und fie durch ein Zeichen erinnert, wenn fie das eben Vorkommende 
merfen follen. Wenn er auch felbft das Wichtigfte und Merkwür- 
digfte aus der Predigt aufjchreibt und Dies bei der am Montage 
Darauf vorzunehmenden Wiederholung zu Hülfe nimmt, fo wird 
er es auch hierin in kurzer Zeit weiter bringen, al8 mancher dent. 
Er thut wol, wenn er bei diefer Wiederholung Die Kinder anweiſt, 
wie fie das Gehörte ſich zueigen und fonft eine gehörte Predigt 
recht gebrauchen jollen, welches in einigen Minuten gefchehen kann 
und einen fehr großen Nuben bat. Diejenigen Kinder, welche 
Schreiben können, müßen etwas, und zwar das Wichtigſte aus der 
Predigt unter feiner Anweifung auffchreiben, die übrigen aber 
etwas, einen Spruch und dergleichen, behalten. Und damit dieſes 
um jo beßer gejchehen könne und möge, fo follen fich die ſaͤmmt⸗ 
lichen Schulkinder, nur bie Heinften, welche die Buchftaben und 
das Buchftabiren noch lernen, al8 welche man der Aufficht der 
Eltern überläft, ausgenommen, in dem Schulhaufe vor der Pre- 
digt verfammeln, und darauf von dem Schulmeifter ordentlich in 


— 250 — 


Die Kirche geführt und an ihrer Stelle zur Ruhe und Stile ge 
bracht werden, ehe der Bottesdienft angeht.” — (Dawiderhandelnde 
find zu beftrafen.) 

F. 18. „Was aber den Unterricht jelbft betrifft, fo iſt es da⸗ 
mit in allen Landſchulen folgendergeftalt zu halten: Wenn die Schule 
früh um 8 Uhr angeht, jo muß das Singen, Lejen und Bibellefen 
nicht über eine halbe Stunde, alfo nicht laͤnger, al& bis 84 Uhr 
währen; die übrige Hälfte dieſer erſten Stunde wird darauf ver: 
wendet, daß diejenigen, welche bereit3 leſen fönnen, ſich mit Leſen 
und Aufichlagen üben, bei welcher Uebumg ſich der Schulmeiſter 
nach dem zu richten und das zu beobachten hat, was in dem 
dritten Kapitel des zu Braunfchweig im großen Waifenhaus ge 
drudten Unterrichts, wie der Jugend das Buchſtabiren 
und Leſen leiht und gründlih beizubringen, vorge 
fchrieben worden if. Er nimmt zu Diefer Webung entweder 
das Evangelienbuch , welches naͤchſtens zum Gebrauch der Schulen 
diejes Landes in dem Waiſenhaus zu Braunfchweig herauskommen 
wird oder den Sirach, Pfalter und Epiftel an die Römer, welde 
zu dieſem Zwecke bereit bejonderd gebrudt und in gebadhtem 
Waifenhaus zu haben find oder bie Bibel felbft, wenn die Kinder 
damit verfehen find. Mit dem Schlage Neun oder doc gleich 
Darauf Hört dieſe Uebung auf und diejenigen, Die fie gehabt, 
Schreiben entweder oder rechnen oder lernen den Katechismus aus⸗ 
wendig und muß der Schulmeifter durchaus dahin fehen, Daß keins 
von ihnen müßig fei. Gr geht darauf zu den Mittleren fort und 
übt fie im Buchftabiren und Zuſammenleſen — bald einzeln, bald 
ihrer Einige, bald an der Tabelle, bald in den Buchſtabirbüchern. 
Wenn dies an der Tabelle gefchieht, fo läft er auch die, welde 
noch die Buchftaben lernen, dabei zufehen, weil fie Dadurch bald 
diefen, bald jenen Buchftaben fennen lernen. — Wenn er fie auf 
diefe Art eine halbe Stunde geübet hat, fo nimmt er Die, melde 
Buchftabiren und Buchſtaben lernen, zufammen, Iäßet von einigen 
der Größeften einen Spruch oder Vers aus einem Liebe, welchen 
die Kinder Die Woche lernen, herfagen und ſpricht ihnen darauf 
ein Komma nad dem andern laut und deutlich vor, und Iäßet es bie 
Kinder fo lange nachfagen, bis fte e8 auswendig können. Wem 


— 251 — 


er darauf alle Vormittage eine Halbe Stunde wendet, fo werben 
die Kinder gewis wöchentlich einige Sprüche ober einige Verfe aus 
einem Gejange oder einen kurzen Geſang auswendig lernen. Mit 
den fünf Hauptftüden machet er es ebenjo und gehet von einem 
Hauptftüde zum andern nicht eher fort, bis fie das vorige können, 
welches er auch bei dem Anfange der folgenden Lection jedesmal 
repetiret. &r kann mit ben Sprüchen oder Liedern und dem Ca⸗ 
techismo abwechſeln, und einen Tag um den andern eins davon 
nehmen, bei dem Gatechismo aber die Erflärungen fo lange weg⸗ 
lagen, bis fie” die eigentlichen Worte deſſelben erft einmal durch⸗ 
gelernet haben. Um zehn Uhr oder gleih darauf nimmt er Dies 
jenigen, welche die Buchftaben lernen, vor. Wenn es halb eilf 
gefchlagen hat, flieht er das Gejchriebene derer, die gejchrieben 
haben, dur und befchließt mit Beten und Singen. Der Schul- 
meifter aber muß für Diejenigen, welche das Schreiben lernen, 
entweber ſchon Vorſchriften fertig haben ober ihnen außer den 
Schulſtunden in ihren Büchern Etwas vorfchreiben, das von ihnen 
Gefchriebene aber in ihrer Gegenwart durchſehen, ihnen die ge 
machten Fehler zeigen und Darauf corrigiren. — Und damit man 
um fo viel beßer ſehen koͤnne, ob der Schulmeifter in diefem Stüd 
feiner Pflicht ein Genüge leifte, jo ſoll er auf jeder Seite unten 
den Tag anmerken, da er fie corrigirt hat. — Des Nachmittags 
muß er dahin fehen, daß er mit dem Singen und Beten in der 
erften Viertelftunde fertig werde. Wenn diefes gefchehn ift, Taft 
er ein Kapitel aus dem alten Teftamente, fowie Vormittags aus 
dem neuen Teflamente von den Groͤßeren vorlefen, und nimmt 
darauf einige ſchwere Wörter aus demjelben, fchreibt fie an Die 
Tafel und läßt fie von den Groͤßeren und Mittleren buchſtabiren 
und ordentlih nah den Silben abteilen. — Diefes muß nicht 
länger bis nad halb zwei währen. Wenn diefes geſchehen ft, 
rechnen, fchreiben oder lernen die Örößerenauswendig und er übt 
die Mittleren bis um zwei Uhr im Buchftabiren wie Vormittags, 
und läft diefe Hebung auch von denen mit vornehmen, die noch 
nicht vollfommen lefen koͤnnen. Von zwei bis gegen halb drei übt 
“er die Allerfleinften in der Erkenntnis der Buchſtaben; er IAft 
darauf von den Größeren das aus dem Katechismus berjagen, 





-- 262 — 


was ſie den Tag über gelernt haben, und beſchlieſt die Schule 
mit Gebet und Geſang. Auf dieſe Art kann er den Montag, 
Dinstag, Donnerstag und Freitag halten. Am Mittwoch und 
Sonnabend foll er die Vormittagsftunden etwas anders einteilen. 
Nach geendigtem Gebete und Bibellefen nimmt er bis um 9 Uhr 
ein Stüd aus der zu Braunfchweig im Waifenhaufe gebrudten 
Einleitung in die Büher und Geſchichte der heil 
Schrift nad der in der Vorrede vorgejchriebenen Art vor, frägt 
infonderheit die Großen und laͤſt alle übrigen mit zubören. Um 
9 Uhr nimmt er bis um zehn diejenigen vor, die entweder wirt 
lich rechnen oder den Anfang dazu machen wollen. Er fieht zuerf 
die Exempel, die in den vorigen Tagen gerechnet find, durch und 
corrigirt fie Dernächft, fchreibt darauf einige Zalen an die Tafel 
und ſucht diefelben den Kindern befannt zu machen, wobei all 
übrigen zuſehen Fönnen. Sodann feßt er mehrere Zalen zufam- 
men und zeigt, wie dieſelben ausgefprocdhen werden müßen und üßt 
die Kinder darin. Wenn diefes geſchehn ift, nimmt er die Red> 
nungsart infonderheit, in der feine Schüler ſtehn oder zu der fie 
fortgehn wollen, und macht an die Tafel, dergleichen in allen 
Schulen diejes Landes fein follen, ein oder einige Exempel den 
Kindern vor, oder läft fie von einem Schüler, den er zurechtweiſt, 
vormachen, die andern aber nachſchreiben, und lehrt fie dadurch, 
wie fie" e8 in andern, ähnlichen Fällen zu machen haben. Zuleßt 
Schreibt er einige Exempel vor, welche jeine Rechenjchüler in den 
folgenden Tagen in der Zeit, da er ſich mit den Kleinen beichäl- 
tigt, zu machen haben. Von 10 Uhr bis gegen elf führt er bie 
Kleinen zum Buchſtabiren und zur Erfenntnid der Buchſtaben an 
und  fchlieft mit Geſang und Gebet. Des Sonnabends Iäf a 
von 11 Uhr an die Gebete, Sprüde oder Verſe indgefammt wie 
derholen, welche die Kinder in der zu Ende gehenden Woche ge 
lernt haben.” In allen Landjchulen follen daber Drei Claſſen 
eingerichtet werden, von denen die erfte Die, welche den Katehik 
mud, Rechnen und Schreiben lernen, die zweite Die, welche Leſen 
lernen, die dritte die, weldye das Buchftabiren und das Buchſta⸗ 
benlernen zu umfaßen hat. Die Kinder jeder Claſſe follen bei⸗ 
jammen figen. 





— 253 — 


6. 19. „Ein jeder Schulmeifter fol eine Tabelle in feiner 
Schule an einem bequemen Orte anheften, auf welcher genau ans 
gezeigt wird, wie und womit er fi in jeder Stunde bejchäftige, 
und er muß fich bei der in der Tabelle auf eine jede Beit gejeßten 
Beihäftigung zu der Zeit (von den Bifitatoren) jedesmal ans 
treffen laßen.“ | 

8. 20. „Ob man nun aber wol von den Schulmeiftern nicht 
fordern kann, daß fie den Kindern, die fie unterrichten, den Kate⸗ 
chismum erklären jollen, Died auch von ihnen gar nicht verlanget, 
jo muß doch der Schulmeifter wenigftend fo viel Gefchiclichkeit 
haben, daß er die weitläufigen Antworten deſſelben in mehrere 
fürzere zergliedern, auch die Fragen in mehrere verwandeln Fönne. 
Er thut dieſes daher auch billig, und fiehet überhaupt jo viel, als 
möglich ift, dahin, daß die Kinder das, was fie auswendig lernen, 
auch verftehen mögen. Er fann, ob ſie dieſes verftehen, bald 
merken, wenn er die Krage in eine Antwort, und die Antwort in 
eine Frage verwandelt, aus einer Frage mehrere madyet, und aljo 
auch aus einer Antwort mehrere machen laͤſt, ohne fich dabei in 
Erklaͤrungen, derer er fich vielmehr zu enthalten hat, einzulaßen.“ 

6. 21. „Weil auch die Kinder, wenn fie fchreiben zu lernen 
anfangen, viel Papier verderben, ehe fie noch die Buchſtaben einiger- 
maßen ſchicklich machen gelernt haben, joll er Die Buchftaben entwe- 
der auf einer ſchwarzen Tafel mit zugelpißter Kreide, oder auf einer 
Schiefertafel mit einem Stifte vorzeichnen und fie Darauf: die 
Kinder nachmachen lagen. Und Damit Diejes defto füglicher ge- 
ſchehen Eönne, fo ſollen für eine jede Schule einige ſolche Tafeln, 
derer fi) auch die Kinder zum Rechnen bedienen Können, vorerft 
von den Mitteln der Kirchen angeſchaffet und demnaͤchſt von den 
Strafgeldern, welche nachläßige und fäumige Eltern erlegen müßen, 
und die von eines jeden Orts Obrigkeit eingetrieben werben, 
wieder bezalet, die Tafeln aber zum Inventario der Schule ges 
rechnet werben.” \ 

F. 22. „Die Sommerfchulen, welche wenigftend an einigen 
Drten des Landes entweder ganz oder doch beinahe eingegangen 
find, follen Durch das ganze Land wieder bergeftellt werben.” 

$. 23. „In der Zeit von Oftern bis Johanni dürfen bie 


— 24 — 


Eltern ihre Kinder nur, wenn diefelben zu dringender Arbeit zu 
verwenden find, dann und wann auf einige Stunden aus ber 
Schule nehmen. Jedoch muß in diefem Falle dem Echulmeifter 
jedesmal ein von dem Pfarrer gejchriebener Entichuldigungszettel 
vorgelegt werden. Andrerſeits ift dem Schulmeifter für diejes 
Vierteljahr geftattet, die Schule früher ald im Winter, nämlid 
um 6 oder 7 Uhr anzufangen und aljo um 9 oder 40 Uhr zu 
Schließen.” 

8. 25. „In den Sommerſchulen, d. 5. in dem Vierteljahr 
von Johannis bis Michaelis nimmt der Schulmeifter die größeren 
Kinder und welche die Eltern nach diesfalls erhaltener jchriftlicer 
Erlaubnis bei ihrer Feldarbeit gebrauchen dürfen, jedesmal jzuerft 
por und widmet ihnen die erfte Stunde lediglich und bergeftalt, 
daß fie fi) bald im Leſen, bald im Schreiben, bald im Rechnen 
ben, je nachdem es ihre bereitd erhaltene Fertigfeit erfordert 
und zuläft, bald aber aud den Katechismus wiederholen. Gr kann 
die Woche fo einteilen, daß er in dieſer erften Schulftunde bald 
dieſes, bald jenes mit den größeren beſonders treibt und dadurch 
ihr Abnehmen und Burüdgehen in allen Stüden verhütet. “Die 
Kinder aber, welche noch nicht 8 Jahre alt find, bleiben in biejem 
Duartale wie in dem vorigen in der Schule, und fangen, obgleich 
die größeren zuerſt allein vorgenommen werden, ordentlich mit an, 
weil fie jelbft aus dem Zuhören und durch daſſelbe Manches ler- 
nen können und wirklich lernen.” 

$. 27, „Die Prediger werben ſich, fo viel es immer möglid 
ift, (mit ihren pfarramtlichen Verrichtungen) fo einzurichten juchen, 
dad fie die Schulmeifter felten und nie ohne Not, und wenn bie 
Handlung, bei weldyer der Opfermann nötig ift, vor oder nad 
der Schule geſchehn Fan, von der Schule abhalten. Die Girar- 
Iarbriefe der Superintendenten aber follen von Der Gemeinde nad 
ber Reihe von einem Drt zum andern gebracht werden.” 

$. 28. Die Schulmeifter follen ein doppelte Verzeichnis 
halten, 1) ein Verzeichnis der Abfenten und 2) ein Verzeichnis 
über die Fortichritte der Schulfinder. „Die erfte Tabelle wird 
ale Monate erneuert, und am Ende eined jeden Monats wird 
eine Abjchrift davon den Beamten und eine andere dem Prediger 


— 205 — 


zugeftellt, Damit letzterer den nachläßigen und pflichtvergeßenen 
Eltern zureden, erftere aber fie befundenen Umftänden nach be- 
firafen und zur Beobachtung ihrerPfliht anhalten koͤnnen.“ 

„Die andre Tabelle übergiebt er an dem Ende eines jeden 
Halbjahres bei dem in feiner Schule anzuftellenden Examen dem 
Superintendenten, Paftor und Beamten, und führt in Derfelben 
nicht nur das Alter eines jeden Kindes an, fondern berichtet auch, 
wie weit ein jedes Kind jego wirklich in allem dem gefommen jei, 
was in feiner Schule gelehrt wird, damit weltliche und geiftlidhe 
Viſitatoren defto beßer jehen können, ob er die gehörige Treue und 
den rechten Fleiß bewiejen habe.“ 

8. 10. „Der Schulmeifter empfängt für ein Kind, welches 
im Ghriftentum und Schreiben, auch Rechnen unterrichtet wird, 
wöchentlich 1 Mgr., für ein Kind aber, welches das Leſen Iernt, 
woͤchentlich 6 Pf., und für die Kleinften, bis fie zufammenlejen, 
4 Pf.” Nötigenfalld iſt das Schulgeld dur die Ortsobrigkeit 
beizutreiben. „Diejenigen Kinder, welche in dem Duartal von 
Johanni bis Michaeli Die Schule nur eine Stunde täglich bejuchen, 
bezalen für dieſes Duartal überhaupt 3 Gr. Diejenigen Eltern 
aber, die das Schulgeld aus wahrer Armut nicht aufbringen kön⸗ 
nen, haben fi) deshalb bei den Armenfafjen zu melden und von 
denſelben alle Hülfe zu erwarten, 


Cap. DL 
Bon den Predigern und ihrem Verhalten gegen die Schulen. 


Gap. IV. 
Don den Superintendenten und ihrem Verhalten gegen 
ihre Schulen. 


8. 41. Bon Beit zu Beit ift in den Landſchulen eine Art 
öffentliher Unterfuhung in folgender Weile anzuftellen, 
und zwar um Oſtern und Michaelis: „Der Superintendent ſetzt 
nad vorher gehaltener Rückſprache mit dem Amt oder Der Obrig- 
feit jedes Orts den Tag zu dieſer Unterfuhung an und macht 
denjelben dem Prediger des Orts jo früh befannt, daß dieſer es 


— 256 — 


den Sonntag vorber von der Kauzel abfündigen und Die Obrigs 
feit ſowol ald die Eltern einladen könne. Die Obrigkeit wird 
dabei, wenn ed irgend möglich ift, der Superintendent und Pre 
diger aber unauöbleiblich gegenwärtig fein; und damit auch bie 
Eltern diejer Unterſuchung beimohnen können, fo fol dieſe öffent 
liche Unterfuchung in der Kirche jedes Orts angeftellt werden, der 
Superintendent oder Prediger fängt diefelbe mit einer Eleinen An 
rede an Gltern und Kinder an und vermahnt fie darin zur Dank 
barfeit gegen Gott und die Obrigkeit für die durch die gute Gin 
richtung der Schulen ihnen erzeigte Woltbat und zur Beobachtung 
ihrer Pflicht in dieſer Abficht. Wenn dieſes gejchehen ift, übergibt 
der Schulmeifter die Tabelle von den profectibus der Kiuber, 
weldhe der Superintendent und Paſtor fodann mit der vom vo 
rigen halben Jahre nicht nur zu vergleichen haben, um zu jeben, 
ob und inwiefern die Kinder wirklich zugenommen haben, jondern 
beide müßen auch darauf merken, ob Die Finder wirklich jo weit 
gefommen find, al8 der Schulmeifter in der Tabelle angegeben bat. 
Der Schulmeifter nimmt darauf alle vorhin befchriebenen Uebungen 
mit feinen Kindern nach und nach vor, woran dann auch der Su 
perintendent und Paftor fowol Teil nehmen, als Die Schreib- und 
Rechnenbücher der Kinder burchfehen jollen. Einer von ihnen be 
ſchließt darauf d ieſe Unterſuchung mit einer Keinen Anrede und 
der Superintendent ſchickt einen fpecifiquen und umfländlichen Be 
richt unausbleiblich alle halbe Jahr an feinen Generalfuperintens 
benten ein, fowie diefer ſolchen dem Fürftlichen Conſiſtorio darauf 
erftattet.” „ine gleiche Art des öffentlihen Schulegamens, bei 
welchem gleichwol der Superintendent, wenn er nicht will, nicht 
gegenwärtig fein darf, wird den zweiten Nachmittag in den drei 
hoben Feten, mit Einftelung des fonften an demjelben gewöhn- 
lichen Gottesdienftes, von dem Prediger und Schulmeifter folgen: 
der Geftalt gehalten: 1) verfammeln fi die Kinder mit ihren 
Eltern, dem Prediger und Echulmeifter des Nachmittagd um 1 Uhr 
in der Kirche; 2) der Prediger Hält eine Furze Anrede an bie 
Eltern von ihrer Pflicht, die Kinder wol zu erziehen; 3) der 
Schulmeijter examinirt die Kinder aus dem Ghriftentum und im 
Deten, Lejen, Schreiben und Rechnen; 4) der Prediger unterbridt 


diefe Arbeit dann und wann Durch eigened Fragen. 5) Nach ges 
endigter Prüfung wird das Verzeichnid der Gltern, die der Schul: 
ordnung gehorſam oder nicht gehorjan geweſen, öffentlich abgelefen ; 
jene werden gelobt, dieſe aber liebreich zur Beßerung ermahnt. 
6) Die Brotherrn und Wolthäter der armen Kinder werben df- 
fentlicy genannt, gelobt und zur Beftändigfeit im Wolthun ermabnt. 
7) Darauf werben die Kinder, die das vierte Jahr erreicht haben, 
abgelejen und für jchulfähig erklärt. 8) Den Schulmeiftern wird 
das Verzeichnid davon Durch den Prediger öffentlich zugeftellt. 9) 
An dem zweiten Weihnachtstage werden endlich mit dem Beichluß 
des Examens die Kinder genannt, die im Fünftigen Jahre zum 
Tiſche des Herrn zugelaßen werden follen; und was von den 
eingefommenen Strafgeldern nah angeſchafften Schulbedürfnifjen 
etwa übrig geblieben ift, ſolches wird unter die Kinder, die wol 
beftanden haben, verteilt. 10) Das Gramen wird mit dem Ge: 
fange „„Hilf Gott, daß ja die Kinderzucht““ ꝛc. gejchloßen. 


Rap. V. 
Bon der Obrigkeit und deren Verhalten gegen die Schulen. 


F. 47. „Die Beamten werden dahin jehen, Daß die Schul- 
fluben in gutem Stand erhalten werden, und joldhe, wo ed mög- 
lich ift, jo einrichten, Daß der Schulmeifter mit feinen Schulkindern 
allein fein koͤnne und durch die Gegenwart feiner Familie und 
übrigen Hausgenoßen und Das daher entſtehende Geraufch nicht 
gekört werde. Zu weldhem Ende eigne Schulftuben an dem 
Orte, wo fie ermangeln, aus dem Vorrat der Kirchen zu erbauen 
find, wozu gleihwol die Gemeinden die nötigen Fuhren und Hand- 
arbeiten leiften müßen. Was zur Einrichtung der Schulen auf 
dem -befohlenen Fuß an Bänken, Tifchen, ſchwarzen Tafeln erfordert 
wird, ift aus dem Vorrate der Kirchen anzujchaffen und demnaͤchſt 
das dafür verfchoßene Geld den Kirchen von den von nacdjläßigen 
Eltern beigetriebenen Strafgeldern wieder zu bezalen.“ 

Daß mit der Durchführung diefer Schulordnung wirklich 
Ernſt gemacht wurde, beweifen die nachträglichen Beftimmungen, 
welche als „Anhang zur Erläuterung einiger Punkte der Land⸗ 

Heppe, Bolleſchulweſen, 3. 


— 258 — 


Schulordnung” unter dem 19. November und dem 10. Dezember 
1754 publizirt wurden. Die Erfahrung lehrte, daß man die Ber: 
fügungen über den Beſuch der Sommerfchule ermäßigen mufe, 
indem die über 8 Jahre alten Kinder in den Monaten Suli, 
Auguft und September wöhentlih nur am Dinstag und Freitag 
Vormittags in der Schule zu erjcheinen verpflichtet wurden, wo 
gegen aber auch zumiderhandelnde Eltern mit den gemeßenften 
Strafen, eventuell mit Einferferung im Hundelody bei Waßer un) 
Brot bedroht wurden. Ebenſo ſah man fi) genötigt, Die übe 
die Entrichtung des Schulgelded gegebenen Verordnungen zu Bunften 
unbemittelter Eltern mannigfady zu modifiziren. Außerdem wurde 
verfügt (19. Februar 1754), daß Opferleute und Schulmeiſter 
vor jeder Beförderung auf eine befere Stelle jorgfältig geprüft, 
und wenn das Nejultat Ddiefer Prüfung ein ungenügendes fein 
würde, entweder nicht befördert oder aus dem Schulmeifter 
dienfte gänzlich entlaßen werden follten. 

Gleichzeitig wurde aud die Umgeftaltung des gejammten 
Schulweſens zu Helmftedt in vielfache Erwägung und Beratung 
gezogen, als deren Refultat der Herzog unter dem 18. Juli 1755 
eine „Schulordnung für die Stadt Helmſtedt“ veröffentlichen ließ. 
Zufolge derfelben ſollten in Helmftedt außer den für fi befteben- 
den Armen: und Waiſenhausſchulen unter der Aufficht eines be 
jonderen Inſpectors wenigftend noch 4 kleine Winkelſchulen fort 
geführt werden. Jede derjelben wurde in zwei Klafjen geteilt, 
von denen die untere ihre Schüler jo lange zurüdhielt, bis die 
jelben lefen und die fünf Hauptitüde des Katehismus auswendig 
berjagen founten. Die Geſchlechter wurden nach Baͤnken gejondert. 
Für diejenigen Schüler, welche entweder das Pädagogium befucen 
oder einen höheren realiftiichen Unterricht genießen wollten, dienten 
diefe Winfelfchulen al8 Vorbereitung einerjeitd für den Beſuch der 
Realſchule, andererfeitd für den der lateinifchen Trivis 
alfyule In der Realſchule wurde anfangs nur im Schreiben, 
Rechnen, Zeichnen und in den Elementen der Mathematik Unter 
richt erteilt, welcher Unterricht teilweife auch von Geſellen und 
Lehrlingen der Handwerker und Kunftverwandten ſowie (jedoch nur 
in befonderen Privatftunden) von Mädchen bejucht werben Fonnte. 


— 259 — 


In der Trivial⸗ ober lateinischen Schule erteilten drei Schul⸗ 
collegen, ein Rector, Gonrector und Gantor in allen Gymnafial- 
Disciplinen Unterricht. 

Die legte allgemeine Verfügung in Schulfachen, welche von 
H. Garl publiztrt wurde, war die „Inſtruction für dieje— 
nigen, jo fih zu Shuldienften aufdemplatten Xaude 
melden“ vom 5. Kebruar 1767. Die Erfahrung hatte nemlich 
gelehrt, „daß die zu Schuldienften auf dem Lande ſich angebenden 
oder von Patronen präjentirten Subjecte die Schulordnung ent: 
weder gar nicht gelejen, oder Doch, was eigentlich von ihnen ges 
fordert werde, wenn fie ihrem Amte ein Genüge thun wollten, 
nicht binlänglich begriffen hatten, wie danı auch öfters ſelbſt 
Diejenigen, die Luft und Fähigkeiten zu Schuldienften auf dem 
Lande bejaßen, nicht wuften, wie fie ed anzufangen hatten, um 
das zu erlernen, was in dieſer Abficht von ihnen erfordert wurde.” 
Auf Vorftellung des Konfiitoriums ließ daher H. Carl die er- 
wähnte Sinftruction ausgehen, um „in der Kürze zu zeigen, teils 
was ein Schulmeifter auf dem Lande eigentlich wien müße, teils 
aber auch durch was für Mittel er zu diefer Wißenjchaft gelangen 
fönne.” ‘Demgemäß enthielt die Anftruction ein Verzeichniß Der 
wefentlichften Beftinmungen der Sculordnung von 1753 fowie 
die Weifung, daß diejenigen, welche Luft und Fähigkeit zur Ueber⸗ 
nahme eines Schuldienfte auf dem Lande bejäßen, zu ihrer Vor⸗ 
bereitung „ſich entweder bei den MWolfenbüttelfchen oder Braun- 
ſchweigiſchen Schulanftalten melden, oder wofern ihnen der Auf- 
enthalt bei dieſen beiden Schulanftalten ſollte zu Eoftbar fallen, 
fih zu einem Schulmeifter auf dem Lande, der in den gedachten 
beiden Schulanftalten Seminarift gewejen fei, zum Unterricht 
begeben“ Tönnten. ”) 

In den nächſten Decennien nad) Carls Tod (1780) wurde 
in den Verbältnifien des braunfchmweigifchen Schulweiend nur We: 
niged geändert. Gin durch die Landtage von 1768 und 1775 
veranlafter Verſuch der Herzogs Karl Wilhelm Yerdinand, das 
gejammte Unterrichtäwejen durch ein beſonderes „Schuldirectorium“ 


*) Bsl. Nova geta hist, eceles. vol. VII. &. 526 — 532. 
—X 


— 260 — 


abminiftriren zu Taßen, Damit „ale Schulen, von der unterſten 
an, in eine zur gemeinfchaftlichen Erhaltung und Aufnahme ge: 
reichende Verbindung gejegt werden möchten,” mißlang. Zufolge 
einer landeöherrlichen Verordnung vom 12. Juni 1786 trat dieſes, 
dem Herzog unmittelbar untergebene „Schuldirectorium‘ 
zu Michaelis 1786 in Thätigkeit. Nur einige Schulen (nemlic 
die dem geiftlichen Gericht zu Braunfchweig untergebenen Stadts 
ſchulen daſelbſt, Die Klofterfchule zu Holzmünden und die Schub 
anftalten zu Helmftädt) waren von dem Directorium eximirt. 
Indeſſen entjprad) „das Vertrauen des Publicums“ dieſer neuen 
Einrichtung fo wenig, daß man ſich 4 Jahre fpäter genötigt fab, 
die Verordnung vom 12. Juni 1786 zu fuspendiren. ine neue 
Verordnung des Herzogs vom 6. April 1790 wies daher alle 
Schulſachen wiederum den Gonfiftorien zu Wolfenbüttel und Blan- 
fendburg zu. Außerdem erlieg Herzog Karl Wilhelm Ferdinand 
noch einzelne andere Verordnungen, Die jedoch nur eine leichtere 
und fichere Ausführung der Landſchulordnung von 1753 zum Zwecke 
hatten. So wurde durch Gonfiftorialausjchreiben vom 22. Nov. 
1796 verordnet, daß in Zukunft alle Schulkinder ohne Unterſchied 
des Alters in den Monaten Juli, Auguft und September nur 
Morgens von 6 — 8 Uhr zur Schule fommen, dieſe beiden Lehr: 
ftunden aber unausgeſetzt beſuchen follen. An denjenigen Orten, 
wo mehrere Schulen wären, die aus mehr ald 40 Sculfindern 
beftänden, follte jede derjelben in der Weiſe in zwei Claſſen ab 
geteilt werden, daß die größeren Schulkinder nur Vormittags, bie 
Heineren dagegen, welche erſt Das Buchftabiren lernten, nur Rad; 
mittags die Echule beſuchten. Zur Erläuterung des $. 47 ber 
Landfehulordnung verortnete der Herzog unter dem 6. Augufl 
1802, „daß derjelben gemäß nach wie vor Die Anlegung beſon— 
derer Schulftuben in ſolchen Schulhäufern auf dem Lande, in 
welchen fie annoch ermangelten, aus den Mitteln der Kirchen, weun 
diefe des Vermögens wären, bejchafft werden follte, daß aber, 
wenn diefe Vorrichtung einmal gefchehen, fodann die in ber 
Kirhenordnung am angezogenen Orte beftimmte Verbindlichkeit der 
Gemeinden zur Erhaltung des ganzen Echulhaufes , deffen Teil 
bie foldyergeftalt vorgerichtete Schulftube ausmache, wieder eintrett, 


— 261 — 


mithin eine jede Gemeinde auch für Die Sinftanderhaltung ober 
etwa erforderlide Grweiterung folder Schulftuben zu forgen 
ſchuldig fei.” 

Allerdingd war zu Anfange des neuen Jahrhunderts von 
einer erheblichen Ginwirfung der Volksſchulen auf die Bildung 
des Volkes noch wenig wahrzunehmen; aber die Volfsjchulen hatten 
doch nunmehr in allen Gemeinden des Landes ihren geficherten 
DBeftand. Schullehrerjfeminarien waren zu Wolfenbüttel, 
Helmftädt und Braunſchweig in Verbindung mit den dafigen 
Waifenhäufern errichtet. Unter ihnen war das Seminar zu 
Wolfenbüttel das bedeutendftee Die Anftalt zu Helmftädt war 
mit Iandesherrliher Genehmigung von dem Dberhofprediger und 
Abt Dr. Hafjel zu Klofter Marienthal errichtet, um in berfelben 
Knaben für den Beſuch der Seminarien zu Braunfchweig und 
Wolfenbüttel vorzubereiten, und war nach deſſen Tode nach Helm> 
fädt verlegt worden. In der Stadt Braunfchweig hatte ſich die 
Zal der Volksfchulen, nachdem die Stadt eine bedeutende Garni- 
jon erhalten hatte und neue Schulanftalten für Kinder hülfsbe- 
bürftiger Eltern erforderlich geworden waren, durch Anlegung von 
Sarnifonsfhulen vermehrt. Die LXocale derjelben waren 
anfang® gemietet; indefjen wurden dieſe einzelnen Garnifons- 
jchulen im Sahre 1792 in ein geräumiged nnd zwedmäßig einge 
richteted Gebäude zu Giner aus mehreren Klaffen beftehenden 
trefflichen Lehranftalt zufammengezogen. 

Auch einzelne Induſtrieſchulen waren in Braunfchweig 
entftanden. In den Kahren 1792 und 1794 Hatte man nemlid 
den Verſuch gemadt, derartige Anftalten mit Den Armenfchulen 
der Katharinen- und Andreadgemeinde zu verbinden, *) wodurch 
diefe Armenfchulen felbft wejentlidy gehoben wurden. Eine ihrem 
Zwecke wahrhaft entiprechende Einrichtung erlangten indeffen die Ar- 
men= und Freifchulen zu Braunfchweig erft infolge der völligen Umge- 
ftaltung, weldye die Armenanftalten dafelbft i. J. 1804 erfuhren, 
indem die Stadt bezüglih des Armenſchulweſens in Bezirke 
geteilt, in den verfchiedenen Schulen Stufenflaffen geordnet, auch 


*) „Kurze Nachrichten von der Imduftriefchule hinter der Burgmühle zu 
Braunfhweig.“ 


— 262 — 


für Abendſchulen geforgt und das Ganze unter die fpezielle Auf 
ficht der Armendirection, der Sugendpfleger, auch einer aus Bürgern 
beftehenden Schuldeputation geftellt wurde. *) 

Die Kinder römiſch-katholiſcher Eltern zu Braunfchweig wurden 
in einer daſelbſt beftehenden katholiſchen Schule unterrichtet, in 
Betreff deren jedoch Folgendes beftimmt war: Kinder, die aus 
einer gemijchten Ehe hervorgegangen waren, wurden gemäß ber 
bei der Verlobung getroffenen Abrede in der für fie beftimmten 
Confeſſion jo lange unterrichtet, bis fie die Unterfcheidungsjahre 
erreicht Hatten. In dem Falle, daß keine desfallſige Abrede ftatt 
gefunden hatte, durften nur die Söhne des Fatholifchen Waters 
die katholiſche Schule beſuchen.“») Diefe Schule war von bem 
Beauflichtigungsreht der Braunſchweigiſchen Schulinfpection bie 
auf Weitered eximirt worden. Damit jedoch nicht etwa Kinder 
evangelifcher Eltern ohne deren beiderfeitige Zuftimmnug in dieſelbe 
aufgenommen würden, war e& den Fatholifchen Geiftlichen zur Pflicht 
gemacht, alle Vierteljahre ein Verzeichnis ihrer Schulkinder an 
daß geiftliche Gericht einzufchiden, und diejenigen zu bemerken, 
deren Eltern verfchiedener Gonfejfion waren. ***) 


xIX. 
Das Herzogtum Naſſau.P) 


In der Geſchichte des Volksſchulweſens der Naſſauiſchen 
Lande find die beiden in ſich wiederum unzäligemal geteilten und 


*) Beitrag zur Geſchichte der Unterridhtsanftalten x. von Dr. Bode, 
S. 17. 


**) Reglement vom 9. April 1768, $. 6. 8. 


») Reſer. vom 26. Septbr. 1760. — 2gl. Stübners hiſtor. Beidre- 
bung der Kirchenverfaßung in den Braunſchw. Lüneb. Landen feit der Reformation, 
Th. II. ©. 448 — 449. 


+) Als Hauptquelle ift außer „Steubings Kirchen und Reformationsgefdictt 
der Oranien-Raff. Lande” die trefflide „Geſchichte des Volksſchulweſens im Her- 
zogtum Naſſau“ in den Freimütigen Iahrbüchern der allgemeinen deutſchen Bollt 
Schulen (redigirt von Schwarz, Wagner, d’Autel, Schellenberg), und zwar in du 


— 263 — 


wiederum vereinigten Dynaſtien des Hauſes Naffau, nämlich die 
Ottoniſche und die Walramifche Linie zu unterſcheiden. 
Jene befaß die rechts von der Lahn und diefe die links von der 
Lahn gelegenen Lande. 

I. In dem Ottonifchen Naffau fand die Reformation früh: 
zeitig Eingang. Bis zum Sahre 1552 war die Mefje allenthalben 
abgeſchafft, aus den Einkünften der aufgehobenen Stifte und Klöfter 
Dietz, Gnadenthal, Dirftein, Thron wurden Fonds zu fronmen 
Stiftungen, zur Aufbefjerung einzelner Pfarrei- und Schuldota⸗ 
tionen und zur Unterftüßung Studirender gebildet; aber das Alles 
fam nur der lateinifchen Gelehrtenbildung zu Gut. An die Ein- 
rihtung von Volksſchulen wurde vorläufig noch gar nicht gedacht, 
Erft auf einem Convente zu Dieß im Jahre 1582 wurde beraten, 
ob man nicht neben den lateinifchen Schulen auch deutſche errichten 
folle. Es wurde auf diefem Gonvente berichtet, DaB an zweien 
Orten, zu Hahbnftetten und Flacht, deutſche Schulen beitänden, 
daß jedoch der Lehrer der lekteren feine Schüler auch in den 
lateinifchen Declinationen und Conjugationen unterrichten wolle. 
Dad gröfte Hindernis, welches der Einrichtung der deutſchen 
Schulen entgegenftand, war der Mangel an Lehrern. Die Glöd- 
ner auf den Dörfern waren faft fammtlidy des Leſens unkundig. 
Zu Dauborn war allerdings ein Glödner, der das Leſen verftand, 
dieſer hatte aber Feine Luſt, eine Schule einzurichten. Daher erboten 
fih die Pfarrer zu Weyer, Dauborn und Obermeyijen felbft 
Schule zu halten; und 8 Jahre fpäter wurde durch Generalviſi⸗ 
tationg-Abjchied vom 11. Zuli 1590 für die Grafihaft Dietz ver- 
orbnet: „Wo es der Dieuft leidet, follen Paſtors gegen bie 
Blödnergebühren de utſche Knaben⸗ und Mädchenjchulen anftellen 
und halten, als zu Hirdberg, Eggenrod, Flat, Rotzenhain.“ 
Zugleich wurde verordnet, daß die Schüler von den Pfarrern zum 
Predigtfchreiben verwendet werben ſollten. Demgemäß übernahm 
3. DB. der Pfarrer zu Flacht zugleich den Scuidienft in feinem 
Kirchipiele gegen eine jährliche Belohnung von 10 Gulden, Flagte 
aber jpäter, daß er, ob er gleich die Schule treu gehalten, den 


Regel mwörtlih benugt. Biefelbe ift verfaft von dem verdienten Raff. Kirchen und 
Oberſchultat Dr. Schellenberg. 


— 4 — 


Gloͤcknerdienſt reblich verjehen und feit 20 Jahren bei Leichen, 
Hochzeiten und in der Kirche vorgefungen babe, dennody feine 
ſauer verdiente Befoldung nicht ordentlich erhalten Fönne. — In 
den beiden geiftlihen Inſpecturen Dillenburg und Herborn wurden 
in den Jahren 1588 — 1594 an folgenden Orten Schulen einge 
rihtet: Marienberg, Gmridhenhain, Liebenſcheid, Drieborf, 
Mengerskirchen, Beilftein, Schoͤnbach, Breitſcheid, Selbach, Biden, 
Eiſenrod, Oberſcheld, Hirzenhain, Eibelshauſen, Ebersbach, Frohn⸗ 
haufen, Oberroßbach, Sechshelden, Holzhauſen, Langenaubad, 
Drefſelndorf und Burbach. Madchenſchulen wurden gleichzeitig in 
Herborn, Dillenburg und Haiger errichtet. Im folgenden Jahre 
1595 entſtanden deutſche Schulen zu Ockersdorf, Merkenbach und 
Fleißbach. | 

Auch die Zal der Maͤdchenſchulen mehrte fi, allmählig, wenn 
auch nicht in gleichem Schritt mit der Erridtung von Knaben 
Ihulen. Im Jahre 1617 wurde in Dieß eine Schulfrau mit 20 
Gulden und 3 Malter Korn jährliher Befoldung angeftellt. Zu 
Beit des Dreißigjährigen Kriege wird eine gewiffe Katharina 
Mohr ald Lehrerin gerühmt, welde 25 Jahre in verfchiedenen 
Dörfern an der Aar mit großem Beifall die Jugend unterrichtet 
babe. Schon früher hatte die Gräfin Sohannette von Sapn, 
Mutter des Grafen Johann Ludwig von Hadamar, 50 Gulden 
gejchenft, Damit eine eigene Mädchenfchule errichtet werde, indem 
die fämmtlihe Jugend bisher nur Cine Schule befucht Hatte. 
Die Sache wollte feinen Fortgang gewinnen, bis fich die Gräfin 
Ursula von der Rippe, Gemahlin des Grafen Johann Ludwig, 
entſchloß, in einer Schentungsurfunde unter dem 16. October 
1626 noch 50 Reichsthaler auzulegen. Die Mädchenfchule Fam auf 
1627 wirklih zu Stande, Doch mufte jedes Kind auf Martin 
noch 2 Meften Korn beitragen. 

Die erfte Verordnung, in welcher fich die Qandesregierung 
in Naffau-Siegen des Schulmejend annahm, erfolgte im J. 
1621, indem der Graf Johann der Aeltere befahl: „Daß zu 
beiferer Erbauung des Reiches Chriſti die Eltern ihre 
Kinder, jo fie Daheim zu ihrer Arbeit nicht notwendig gebrauden 
und zum wenigften diejenigen, fo noch nicht das fiebte oder adıte 





— 265 — 


Jahr ihres Alterd erreicht haben, au des Sommers über 
zur Schule ſchicken“ folten. Indeſſen blieb diefe Anordnung 
ohne Bedeutung, indem die Pfarrer bei den Vifitationen fortwäh- 
rend Flagten, daß die Kinder faum im Winter, gefchweige denn 
im Sommer zur Schule zu bringen wären. Namentlich glaubten 
die auf den Filialdörfern wohnenden Eltern geradezu ein Recht 
auf Zurüdhaltung ihrer Kinder von dem Beſuche der Schule des 
entfernt gelegenen Pfarrdorfes zu haben. 

Als Hanptzwed der Schule galt aud in den Nafjauifchen 
Landen Die kirchliche Erziehung der Jugend. Aber Decennien 
vergingen, ehe der Segen des Volksſchulweſens hier wahrnehmbar 
werben fonnte, indem die Gemeinden, jebed neue Opfer jcheuend, 
lieber ihre Kinder vom Schulbefuche zurückhielten, als das ange- 
ordnete Schulgeld bezalten.. Die Gemeinde Hilgenbadh in der 
Grafſchaft Siegen 5.8. beſchwerte ſich bei Gelegenheit einer Kirchenvifi⸗ 
tation am 17. November 1611 „über die zwei Gulden Schulgeld, wes⸗ 
halb viele Leute die Kinder aus der Schule ließen und baten, Die 
24 Malter Hafer, welche dem Pfarrer zugeordnet worden wären, 
wieder an die Schule zu geben, damit das Schulgeld frei kaͤme.“ 

Die Lebensverhältniffe der Küfter oder Schulmeifter waren 
in den Naflauifhen Grafjchaften natürlich wie in allen Orten. 
Ale trieben, um ihr trauriged Dafein zu friften, irgend ein 
Bewerbe. Ein Schulmeifter in Ferndorf, über ben bei einer 
Kirchenvifitation 1612 geklagt wurde, hatte Branntwein und 
Krämerwaren feil. — Bon einer berufsmäßigen Vorbildung der 
Lehrer war natürlid, Feine Rede; im günftigften Falle richtete der 
Bater feinen Sohn zum Schulmeiftergefchäfte ab, indem er ihn 
buchſta biren, leſen, notdürftig fchreiben, rechnen in den 4 Specieß, 
den Katechismus und Die Kirchenmelodien nady dem Gehöre fingen 
lehrte. Auch gab ed wol einige Schulmeifter von bejonderer 
Gelebrität, denen Afpiranten zugefandt wurden, um ſich von ihnen 
ein halbes Jahr lang zuftugen zu laßen und fodann als Bewerber 
um Winterfchulen auftreten zu ſehen. Wiederholt wurde verord- 
net, daß Fein Schullehrer ohne Anzeige bei dem Conſiſtorium und 
ohne defien Erlaubnis dürfte angenommen und abgedankt werben 
und in manchen Dörfern waren fländige Schullehrer vorhanden ; 


— 26 — 


aber in vielen Gemeinden wurden nur für einen Winter fogenannte 
Dinglehrer gemiethet, weldye von Martini bis zum 1. Mai Schule 
hielten und Dafür von den Eltern der jchulfähigen Kinder die 
Umgangsfoft und einen fehr geringen Lohn erhielten. Die Be 
foldung der ftändigen Lehrer beftand in den Einkünften von dem 
Kirchen und Kapellandienft und einer Abgabe von Mangfrudt 
(Serfte und Hafer), welche nad) den Köpfen der Kinder beredinet 
war und von dem Schulmeifter, mit dem Sade unter dem Arme, 
in den Häufern erhoben wurde. Wenige Scuiftellen in den 
Aemtern Dillenburg und Herborn hatten ein jährliches Einkommen 
von 200 Gulden, doch audy wenige unter 100 Gulden. In den 
Aemtern Marienberg, Rennerod und Hadamar waren einige befier 
Dotirte Kirchipielfchulen; die übrigen aber, und befonders die Ding: 
jchulen hatten ein fehr geringes Einfommen. Die Scuiftuben 
befanden ſich Häufig in der eigenen Wohnung des Lehrers. Wo 
dies nicht der Fall war, waren diefelben in dem Gemeindehaus, entweder 
über dem Badofen, der Schmiede, Dem Behältnis der Fenerfprigen oder 
neben der Berfammlungsftube der Gemeinde, bäufig auch neben 
dem Hirten. Nicht felten fand man die Schulftube auch in der 
Kapelle, wo dann dad Glodenfeil in ihr herabhing, um von dem 
Lehrer jederzeit bequem gezogen werden zu fünnen. Die Ding 
fchulen hatten in der Regel Feine eigentliche Schulftube, jondern 
zogen mit ihrer Schule im Dorfe herum von Haus zu Hand. 
Das Wenige, was zur Begründung eines Volksſchulweſens 
bisher gefchehen war, ging in der Verwüftung des breißigjährigen 
Krieges faft überall raſch zu Grabe, denn gerade die Naſſauiſchen 
Lande gehörten zu denjenigen, weldye Durdy die wilde Roheit ent- 
menjchter Kriegshorden, durch Plünderung und Brandichapung, 
Durch Feuer und Schwert am meiften zu leiden Hatten. Auch 
ber Uebertritt des Fürften Johann Ludwig von Hadamar 
(1630) zur Eatholifchen Kirche und die gewaltſame SHerftellung 
des fatholifchen Cultus in zalreichen Gemeinden war wenig ge 
eignet, eine ruhige und georbnete Pflege der Gulturverhältnifje im 
Lande zu begünftigen. Daher erfolgte gerade in den Raffaw 
Oraniſchen Landen die Neftauration des Volksſchulweſens ziemlich 
ſpaͤt, und murbe eigentlich erft, ald der Spenerſche Pietismus 


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feinen Einfluß weithin auszuüben begann, ernftlih in Angriff ges 
nommen. In Naffau- Siegen publizirte Johann Morig unter 
dem 21. Januar 1664 die erfte Schulverordnung, indem er befahl, 
daß die Pfarrer, damit die Jugend in den Lehren des Ghriften- 
tum gehörig unterrichtet werde, die Schulen fleißig vifltiren, und 
fi Halbjährlih Verzeichniße der fchulpflichtigen Knaben und 
Mädchen einliefern laßen follten. Auch folten fie die kleinen Kinder, Die 
zur Arbeit noch untüchtig wären, zum Beſuche der Sommerjchulen 
anhalten. Alle Nebenfchulen follten geichloßen werden; dagegen 
jollte e8 den von dem Pfarrborf entfernt wohnenden Bauernichafs 
ten geftattet fein, mit Genehmigung des Pfarrerd und unter dem 
Vorbehalt, daß fie dem Echulmeifter des Pfarrdorfes feinen gebü- 
renden Schullohn zalten, fich eine eigene Schule einzurichten. Auch 
jollten alle Diejenigen Eltern, weldye ihre Kinder nicht vom fünften 
Lebensjahre derſelben an die Schule beſuchen ließen, nichtsdeſto⸗ 
weniger zur Balung des Schulgeldes herbeigezogen werben. 
Außerdem wurde noch verordnet, „die Schulmeifter und Schulfrauen 
folten vier oder fünf Knaben und Mägdlein, jo die Woche vorher 
in der Schule geübt, allemal, wann die SKinderlehre verrichtet 
wird, vorftellen, fo ihre Specimina in dem Katechismo vor andern 
ablegen, und damit folle nach der Ordnung der Kinder an den 
Katechiömentagen verfahren werben.” 

Diefe Verordnung bildete die Grundlage für die Geftaltung 
bes Dorfſchulweſens bis in Die Mitte des 18. Jahrhunderts. Syn 
Detreff der Ddeutfchen Knaben und Mädchenfchuien zu Siegen 
machte e8 der Fürft Johann Morig in feiner am 28. Juni 1669 
publizirten Kirchenordnung dem geiftlichen Inſpector zu Siegen zur 
Pflicht, Diefelben wenigftend alle acht Wochen zu vifitiren, bie 
Sculmeifter auf die Mängel ihrer Lehrweiſe aufmerkfam zu machen, 
die balbjährigen Prüfungen ordentlicdy zu halten und nach Kräften 
dafür Sorge zu tragen, „daß die Jugend zeitig in reiner Lehre 
und gottjeligem Leben wol angeführt werde.” 

Sn Betreff der Mädchenſchulen zu Dieß traf die 
Fürſtin Albertine zu NaffausDieß im Jahre 1672 die Anorbnung, 
daß dieſelbe nad, Ablauf des Jahres männliche Lehrer erhielt, 
welche Die Mädchen im Leſen und Schreiben beßer unterrichten 


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follten, als ed bisher geſchehen war. Zugleich erließ die Fürſtin 
neue Verordnungen, durch welche die Firchlichen Katechifationen 
beftimmter geregelt wurden. 

Aber alle diefe Befehle und Anorönungen waren doch nicht 
im Stande, einen geregelten Schulbeſuch zu erwirfen, indem in 
einzelnen Gemeinden nicht nur während des Sommers, jonden 
auch zur Winterszeit Die meiften Kinder gar nicht zur Schule 
famen, jo daß fih das Gonfiftorium zu Siegen im März 1709 
veranlaft ſah, namentlich die Gemeinde Crombach deshalb mit 
Strafen zu bedrohen, weil fie „ihre Kinder entweder unfleißig oder 
gar nicht zur Schule ſchicke, fondern Tieber umherlaufen und mit 
dem Viehe gehen laße.“ 

Sleidyzeitig fuchte das Gonfiftorium zu Siegen das Schul 
weſen bed Landes auch dadurch zu heben, daß es feine Fürforge 
der äußeren Lage der Schulmeifter zuwendete. Das Gonfiftorium 
befahl nemlich, um vorläufig wenigften® jede Schmälerung der 
Scyulmeiftercompetenzen zu verhindern, genaue Kompetenzverzeid- 
niffe der einzelnen Lehrerftellen anzufertigen, welche in einer Aub 
fertigung in der Konfiftorialrepofitur, in einer andern in den 
Schulhäuſern deponirt wurden. 

Ebenſo erließ auch das Bonfiftorium zu Dieg eine Reihe 
von Verordnungen, wodurch die wejentlichften Mängel des Schul: 
weſens befeitigt werben follten. Zu diefen Mängeln gehörte ei 
namentlich, daß die Schulmeifter ganz beliebig ihre Stellen auf 
gaben, wenn ihnen die Schulmeifterei nicht mehr zufagte, oder daß 
fie von den Gemeinden, die den Lehrer nur als ihren Miethling 
betrachteten, ganz willfürlic, entlaßen wurden. Das Konfiftorium 
zu Dieß verorbnete daher im Juni 1739, daß „Fein Schulmeifer 
ohne Vorwiffen feines Pfarrers die Zeit des Schulhaltens nad 
feinem oder der Leute Gefallen ändern, und noch viel weniger fid 
einen Tag von feiner Schule entfernen, fondern ein jeder das eine 
ſowol ald das andere, wenn er erhebliche Urjachen Dazu hat, 
feinem Pfarrer vorher gebürend anzeigen, auch demfelben all 
Monate eine fchriftliche Nachricht, wie die Kinder zur Schule gingen 
ober ſolche verfäumt haben, übergeben fol.” Bugleich wurde 


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befohlen, daß ſich die Schulmeifler während der Unterrichtöftunden 
aller andern Beſchaͤftigung enthalten follten. | 

Außer diefen allgemeinen Verordnungen wurde um Diele 
Zeit (1731) aud eine fpecielle Inſtruction für die Lehrer der 
Bürgerſchule zu Herborn publizirt; nach derſelben jollen Die 
Lehrer täglich Morgens zwei und des Nachmittags drei Stunden lang 
Schule halten, ausgenommen Mittwochs und Sonnabend Nach—⸗ 
mittage, wo von 12 — 1 Uhr Rechnen und Muſik gelehrt wird; 
fie jollen mit dem Glockenſchlage in die Schule eintreten und Dies 
felbe niemald vor dem Glodenfchlage verlaßen. Der Unterricht 
ift mit vorgefchriebenen Gebeten anzufangen und zu fchließen; 
die Kinder follen zur Andacht bei dem Gebete angehalten werben, 
damit fie fein Gefpötte treiben; der Heidelberger Katehismus ift 
fleißig zu üben und es ift darauf zu ſehen, Daß alle Kinder ben: 
jelben nicht nur auswendig lernen, fondern auch von den religiöjen 
Wahrheiten einen Begriff befommen; auch follen die Kinder aus⸗ 
erlefene Pfalmen, ald Pf. 8, 19, 25, 34, 51, 130 u. a., ferner 
Ichöne Lieder, Morgen: und Abendgefänge, vorzüglih Die Nean- 
drifchen auswendig lernen. Das fleißige Lejen der biblifchen 
Bücher, und zwar nad einer beftimmten Reihenfolge, ift zu em⸗ 
pfehlen. Das Buchſtabiren ald Grundlage des Unterrichts im 
Lejen ift möglichft lange zu treiben, auch find die Kinder im Lefen 
von Briefen zu üben, weil foldyes den Profeffioniften ſehr nützlich 
if. Es jollen beſonders die Knaben angewieſen werden, eine feine 
Hand zu ſchreiben; zu diefem Zwecke find zierliche Vorfchriften zu 
fertigen und das Nachgefchriebene ift füglich zu corrigiren. Syn 
dem Singen nad) Noten follen die Kinder Mittwochd und Sonn 
abends dergeſtalt geübt werben, daß alle Tage nach gefchloßener 
Arbeit ein Knabe nach dem andern einen jchiclichen Werd anzu- 
fangen und den Anderen vorzufingen befähigt ſei; im Rechnen 
jollen die Kinder wenigftens Die 4 Spezies verftehen; in Anſehung 
der Zucht find die Kinder bei Zeiten vom Fluchen und von garftigen 
Reden abzuhalten, dagegen zu guten Maniren, Chrerbietigfeit 
gegen alle Menfchen auf den Straßen, mit Hutabziehen, Vorbüden 
und ſonſt zur Ehrbarfeit zu gewöhnen, abjonderlih zur Stille, 
und zwar vor Allem in der Kirche, weshalb den PBräceptoren 


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geftattet wird, die Mutwilligen vor der ganzen Gemeinde mit 
einem Stod über den Budel zu zücdtigen, damit Andere ein 
Exempel daran nehmen. Der Bräceptor, weldyer den Gejang 
führt, jol alle Zeit in einen Mantel vor dem Pulte ftehen, wie 
überhaupt beide Präceptoren ſchwarz gekleidet mit einem Mantel 
in der Kirche erfcheinen follen. Neben jenem eriten Präceptor ſollen 
nicht nur die Knaben ftehen welche die Schule beſuchen, fondern 
auch die, welche daraus entlaßen find und eine gute Stimme 
haben, damit ein guter Geſang ausgeführt werde; firenge Aufficht 
ft namentlich audy bei den Leichenbegängnifien auszuüben; und 
weil überhaupt an der Zucht gar viel gelegen ift, fo follen die 
Präceptoren diejelbe fireng handhaben, die Straffälligen ohne An- 
jehen der Perſon züchtigen, doch alle Zeit mit Verſchonung des 
Kopfes, auch follen fie die Schulverfäumniffe gehörigen Orts an 
zeigen, damit jaumfelige Eltern zwangsweije zur Erfüllung ihrer 
Pflicht angehalten werden koͤnnen. Endlich jollen fie ihren Schülern 
mit einem guten nüchternen Wandel vorangehen und ihr Amt fo 
thun, wie fie es hoffen vor Gott und ihren Vorgeſetzten verant⸗ 
worten zu fönnen. 

Eine umfaßendere Schulordnung publizirte das Gonfiftorium 
zu Dieß unter dem 10. Februar 1736. Eiugangs derjelben wird 
über den Verfall der Schulen bitter geklagt. Die Pfarrer jollen 
daher ihre Schulen wöchentlich mwenigftens einmal bejuchen, genau 
infpieiren und die Lehrer anweijen. Lebtere jollen aber auch durd 
guten Wandel die Schuljugend erbauen, die Kirche jelbft fleibig 
beſuchen und die Schulkinder zum regelmäßigen Bejuche ber Kirche 
anhalten. Im Sommer ift Morgens von 7 — 9, im Winter von 
8— 10 und Nadymittagg von 1— 3 Uhr und zwar pünltlid 
Säule zu halten. Während des Unterrichtes fol der Lehrer fein 
andere® Geſchaͤft treiben, auch fich nicht Durch einen Schüler ver- 
treten laßen; bei Strafe eined Guldens für jeden Tag darf fein 
Lehrer ohne Genehmigung feined Inſpectors verreifen oder bie 
Schule ausfeken. Alle Lehrer follen fich über die Methode und 
die Xehrbücher, nach denen fie Unterricht erteilen, berichtlich äußern; 
fie haben die Schüler anzuhalten, daß fie laut und deutlich ſprechen 
und haben das Gelernte mit ihren Schülern oft zu wieberbolen. 


— 271 — 


Die Lehrer follen ihre Schliler wöchentlich einmal im Rechnen und 
Schönfhreiben üben und follen unter jede gejchriebene Seite das 
Datum feben laßen. Jede Schulverfäumnis ift zu vermerfen, 
damit faumfelige Eltern geftraft werden können. Die Ferien find 
nicht wie bisher auszudehnen. Nur während der Hundstage und 
zu 2 Tagen vor den Hauptfeften find Ferien geftattet; vor ben 
Hundstagsferien ift die jährliche Prüfung zu halten. Am Schluße 
heift e8: „Da die Schuljugend fo äuſerſt verwildert, die Bosheit 
ſchier auf die höchſte Staffel geftiegen ift und Die Bosheit das 
Alter jelbft übertrifft, jo follen die Schullehrer beßere Aufficht 
über Die Jugend führen, fie ernftlicher ermahnen, fie ftrenger zur 
Gottesfurdht und guten Sitten, zur Ehrerbietung gegen Eltern 
und Vorgejeßte, zur Ordnung und Stille auf der Straße und in 
der Kirche anhalten. Nad) beendigtem Gottesdienft ift über Die ge- 
hörte Predigt eine Prüfung anzuftellen. Unter den Schülern follen 
Einzelne ald Wächter über die Andern beftellt werden. “Die 
Presbyterien haben die Eltern ftreng anzubalten, Daß fie die Kinder 
zur Schule ſchicken und zur Gottesfurdht erziehen. 

Dur den im Sjahre 1739 erfolgten Tod des Fürften 
Shriftian zu Dillenburg wurde das Dillenburger Land mit Naſſau⸗ 
Dieß vereinigt; dad Conſiſtorium zu Dillenburg wurde zum Ober- 
conjiftorium des ganzen Fürftentumsd Oranien⸗Naſſau erhoben und 
mit der Beauffichtigung des geſammten Landesſchulweſens beaufs 
tragt. Die von dem Oberconſiſtorium eingezogenen Berichte 
über den Zuftand der Schulen im Siegenfchen ergaben, daß dafelbft 
die Gemeinden fi) noch immer das Recht anmaften, den Schul: 
meiftern beliebig den Dienft kündigen zu dürfen. Das Oberconfiftorium 
erließ Daher alsbald (22. November 1745) den Befehl, „daß hinfüro 
fein Schuldiener in dortigen Landen ohne Vorwißen des Fürftl. 
Confiſtoriums zu Siegen angenommen oder abgejchafft werden 
follte.” Mehr aber noch als diefe Anmaßung der Gemeinden, 
bie von einer würdigen Selbftändigfeit des Lehramtes nichts wißen 
wollten, war dem Aufblühen der Schulen die durch alle vorhan⸗ 
denen Geſetze noch nicht überwundene Gleichgültigkeit derjelben 
gegen den Schulunterricht hinderlich, weshalb dad Dberconfiftorium 
zu Dillenburg durch ein Ausſchreiben vom 5. October 1761 


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befahl, daß in Zukunft „diejenigen Kinder, welche ohne erheblide 
Urſache aus der Schule bleiben würden, von jedem Tage 1 Ar. 
ad pios usus erlegen” follten. 

Wie e8 fcheint, gelang es jegt den Behörden, einen regel- 
mäßigen Beſuch der Schulen zu erwirken. Wenigftens findet fih 
in den Gonfiftorialverordnungen des nächftfolgenden Jahrzehntes 
feine Klage über fernere Widerfeplichfeit der Gemeinden, dagegen 
ſah fih die Dranien-Naffauifhe Landesregierung i. J. 1773 ges 
nötigt, durch Erlaß vom 7. Dezember die „Dienftfreibeit” der 
Sculmeifter gegen die Zumutungen der Gemeinden in Schuß zu 
nehmen, freilich zugleich aud), um ungebürlichen Anmaßungen ber 
Sculmeifter zu begegnen, die Grenzen der den Lehrern zuftehenden 
Dienftfreiheit zu beftimmen. Die Regierung befahl nemlich: „1) 
daß ein Schulmeifter an dem Orte, wo er Schule hält, er may 
dajelbft wohnhaft fein oder nicht, Die Freiheit für feine Perſon, 
jowol von allen berrichaftlihen ald &emeinde:Handdienften und 
Frohnen genießen; dagegen aber 2) ein Schuldiener, der an dem 
Orte, wo er Schule hält, nicht zu Haufe ift, deshalb in feinem 
Wohnorte Feine Freiheit verlangen folle; 3) von den Spanndienften 
und dem Zugviehe bat Fein Schuldiener einige Freiheit zu begeren; 
indeffen wird ihm nachgelaßen ſowol die herrſchaftlichen als Ge— 
meindsdienfte mit Geld zu bezalen; übrigens verfteht es ſich hier 
nähft von ſelbſt, Daß mehrbefagte Schulmeifter den gemeinen 
Nutzen am Waidgange, Losholz und was für Vorteile ſonſt ein 
Gemeindsmann genieft, ungejchmälert zu ziehen haben, und ihnen 
nicht weiter ftreitig gemacht werden ſollen.“ — Außerdem wurden 
in den Jahren 1777 und 1781 noch andere Verordnungen er 
laßen, welche die Beßerung der Tage der Schulmeifter zum Zwede 
hatte. Es wurde verfügt, daß die Fruchtbefoldung nicht mehr 
von Haus zu Haus von dem Scullehrer eingefammelt, fonbern 
von ben einzelnen Gemeindegliedern in des Heimbergers (Schulzen) 
Haus gebracht, Dafelbft befichtigt und alsdann im Ganzen an 
ben Lehrer abgeliefert werden ſolle. Die Schulfinder- follen aud 
die Schulſcheiter nicht einzeln zujammentragen, fondern das zum 
Heizen der Schulftube erforderliche Holz follte von den Gemeinden 
angeihafft und vor das Schulhaus gejchafft werden. 


— 273 — 


Bon anderer Seite her wurde um diefelbe Zeit auch Die 
geiftige Hebung des Lehrerſtandes berüdjichtigt. ‘Der Juſtizrat 
Stühl von Lilienftern brachte im Jahre 1779 im ATten Stüd des 
Dillenburger Jutelligenzblattes die Errichtung einer Bibliothef zur 
Fortbildung der Glementarlehrer in Vorſchlag; er forderte wieder: 
bolt die Freunde des Schulwejens auf, zur Ausführung feines 
Planes zwedmäßige Bücher oder auch Geldbeiträge zu ſchenken. 
Der Vorfchlag fand Beifall und Unterſtützung. Schon am 1. 
Februar 1780 konnte an jeden Schullehrer ein nützliches Buch 
auf 4 Wochen zum Lejen abgegeben werden, und in wenigen 
Jahren war die Bücherfammlung auf einige hundert Bände 
angewachſen. 

Aber noch fehlte dem Lande Naſſau-Oranien die weſentlichſte 
Bedingung eines glücklicheren Fortſchrittes des Volksſchulweſens, 
naͤmlich en Schullehrerſeminar. Die Gründung deſſelben 
wurde allerdings im Jahre 1775 angeregt, konnte jedoch ſobald 
noch nicht zur Verwirklihung gelangen. Als nämlih Wilhelm V 
unter dem 13. Juli 1775 ein Gnadengeſchenk von 1500 Reichs⸗ 
thalerı ad pios usus angewiefen hatte, fragte Die Yandesregierung 
bei dem Gonfiftorium an, auf welde Weile dieſe Summe am 
beften verwendet werden koͤnne. Das Eonfiftorium war der Mei- 
nung, daß die angewiefene Summe wol am zwedmäßigften als 
Fonds für ein zu errichtendes Schullehrerjeminar anzulegen fei. 
Die Regierung wünjchte daher fofort einen Plan zur Einrichtung 
einer foldyen Anftalt zu baben, überzeugte fich jedoch, ald der 
Plan ihr vorgelegt wurde, daß die Zinfen des Fonds zur Do: 
tation eine8 Seminars bei weitem nicht ausreichten, weshalb man 
beichloß, das Gapital einftweilen anzulegen und die Zinfen zur 
Unterftügung folder jungen Leute zu verwenden, welche befondere 
Fähigkeiten für den Lehrerberuf zeigten. In der Folge wurde der 
Plan des Naſſau⸗Uſingiſchen Seminars in Idſtein eingeholt und 
dem academijchen Senate in Herborn zur Begutachtung vorgelegt. 
Auf Grund der Vorſchlaͤge, weldye der Senat einfandte, entwarf 
hierauf das Bonfiftorium einen neuen Plan zur Errichtung eines 
Seminars, der jedoch auch nicht zur Ausführung fam. 


Heppe, Bollsiulweien, 3. W 


N 5 


— 2714 — 


Unter dem 10. Zuli 3781 beflimmte der Geheime Kath 
Winter in Oranienftein eine MWechfelforderung von 2000 @ulten 
nebft 80 Bulden rüdftäntiger Zinſen zur Verbefjerung der niederen 
reformirten Schulen in den Oraniſch-Naſſauiſchen Landen, bebieit 
fih aber die Binfen dieſes erſt einzuflagenden Gapitald Ichen®- 
länglih vor. Durch einen Vergleih unter dem 27. März 1783 
gingen dem Capital 5 Procent und die rüdftändigen Zinſen verloren, 
und als im Jahre 1789 Winter ftarb, betrug der Kapitalfonds 
nur 1041 Gulden, weldye8 fpäter Durch dad Hinzukommen der 
Binfen auf 1588 Gulden anwuchs. Hierzu kam nody das von ber 
Holländiſchen Oſtindiſchen Compagnie für geftattete Werbung be 
zalte Conceſſionsgeld mit 2846 Gulden 6 Sreuzer, weldye dem 
Seminarfonds zufloßen, der daber im Jahre 1783 aus 7616 fi. 
beftand. Im Sabre 1785 wurde weiter dazu bewilligt Der zwan- 
zigjährige Genuß der geöffneten und heimgefallenen überrheinijchen 
Mohr von Waldifchen Kirdhengütern, welche zwar 1794 von 
ber franzöfiichen Regierung eingezogen wurden, jedoch bis dahin 
7800 Gulden betragen hatten, ſodaß der Fonts im Sabre 1795 
auf 15424 Gulden angewachſen war. Die Zinfen dieſes Capitals 
wurden teild für fähige Aſpiranten des Schullebrerftandes, teild 
zu Öratificationen für Pfarrer, Pfarrpicare und Schulmeifter ver- 
wendet, welche fi um Die Bildung angeftellter oder zukünftiger 
Lehrer beſondere Derdienfte erworben hatten. Hin und wieder 
machten ſich nämlich einzelne Pfarrer und Gandidaten die Ausbil: 
Dung zukünftiger Volfsfchullehrer zur befonderen Aufgabe und 
errichteten jomit in ihren Häufern Kleine Scullebrerjeminare. 
Unter diefen um die Entwidlung des Naſſauiſchen Volksſchulwe⸗ 
ſens Hochverdienten Pfarrern ift zu nennen Georg Wilhelm 
Jüngſt, der ald Pfarrer zu Niederdrefjelndorf, wohin er im 
Sabre 1794 berufen war, zunädft um die Schullehrer feine 
Kirchſpiels mit einer beßeren Lehrmethode bekannt zu machen 
ſuchte. Da jedoch feine Bemühungen nicht den gehofften Erfolg 
hatten, fo nahm er den Sohn eined dafigen Schulmeifters und 
noch einen andern Knaben in eigentlichen Unterricht. Allmähliz 
entwidelte fih nun bei ihm der Gedanke, ſich den Echullehrem 
ſeines Vaterlandes überhaupt nüglid) zu machen. in Plan, ben 


— 2715 — 


er desfalls dem Gonfiftorium vorlegte, wurde von demjelben ges 
nehmigt. Im Jahre 1797 eröffnete daher Juͤngſt feine Schul: 
meifterfchule, die von der Regierung bis zum Jahre 1806 reichlich 
unterftügt, al8bald in erfreulichfter Weile aufblühte und auch noch, 
als die Unterfügungen ausblieben, mit einer geringeren Anzal 
von Zöglingen fortbeftand, bis endli der Tod ihred Gründers 
im Sabre 1809 auch ihr ein Ende machte. Unfänglich hatte 
Jüngſt den Unterricht in allen Lehrgegenftänden allein in feinem 
Pfarrhaufe erteilt; nur der Unterricht in der Muſik war einem 
benadybarten Schullehrer übertragen. Sin der Folge jedoch nahm 
Jüngſt noch einen Gehilfen an, miethete bejondere Lehrzimmer 
und Ichaffte einen eigenen Lehrapparat an, wofür die Koften 
jänımtlid, aus dem Seminarienfonds beftritten wurden. Da Juͤngſt 
die befähigten Jünglinge möglidhft bald als Gehilfen verwenden 
wollte und mufte, jo war er in der Auswal und Aufnahme der: 
jelben beſonders vorſichtig; viele Zöglinge erhielten Stipendien, 
welche fie jedoch, wenn fie einen andern Beruf wälten, wieberer- 
ftatten muften. Die Koften waren nicht fehr bedeutend, weil 
mehrere BZöglinge ded Abends in das elterlihe Haus zurüdtehrten, 
andere dieſes wöchentlich wenigſtens ein- oder zweimal thun 
konnten. Der Lehrkurſus war auf 3 Jahre beſtimmt. Die Lehr⸗ 
gegenftände waren: Die deutſche und franzoͤſiſche Sprache, Welt⸗ 
geſchichte, bibliſche Geſchichte mit Religionslehre, Kopf- und Tafel 
rechnen, Schönfchreiben, Methodenlehre, Clavierſpielen und Geſang⸗ 
lehre. Die Fähigeren wurden auch in der reinen und angewandten 
Geometrie, in der lateiniſchen und ſelbſt in der griechiſchen Sprache 
unterrichtet. 

Große Verdieuſte erwarb ſich um die Ausbildung zukünftiger 
Schullehrer auch der Lehrer Johann Auguft Steub. Nachdem 
er 14 Jahre lang in mehreren Eleinen Dorfichulen fungirt hatte, 
wurde er im Sabre 1771 zum Glementarlehrer nad) Dillenburg 
berufen. Hier wirkte Steub 41 Yahre lang mit rührigfter Ihä- 
tigfeit, erhob feine Schule zu einer Muſterſchule und bildete 40 
junge Leute für den Lehrerberuf aus. 

Für die Vorbildung der Schullehrer in den drei Fatholifchen 
Aemtern wurde von Staats wegen eine mehr öffentliche Anftalt 
18° 


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begründet. Am Sabre 1787 wurde nämlih in Hadamar ein 
Lehrer, Joſeph Schneider, beauftragt, fowol den bereits ange 
ftellten katholiſchen Schulmeiftern al8 den Sculamtsafpiranten 
befonderen Unterricht zu erteilen. ‘Die geringe Beſoldung des 
Lehrers, kaum 100 Gulden betragend, jowie die Nebenkoſten 
wurden aus dem Hadamarſchen Schulfonds beftritten, doch ftand 
die ganze Anſtalt mit dem dortigen Gymnafium nie in näherem 
Bufammenhange. An dem Stiftungsjahre waren fämmtliche an⸗ 
geftellte Schullehrer einfchlieslih der Dinglehrer aufgefordert 
worden, fih in Hadamar für ihren Beruf beßer inftruiren zu 
laflen; zugleich wurde befannt gemacht, daß in Zukunft fein fa 
tholifcher Lehrer angeftellt werben follte, der nicht in Hadamar 
geprüft und für fähig erklärt worden fei. Der Unterricht wurde 
nur während des Sommers erteilt, denn die Lehrlinge kamen des 
Morgens in die Stadt und Eehrten des Abends nach Haufe zurüd. 
Deswegen wurbe au den von Hadamar entfernt wohnenden 
Schulmeiftern und Afpiranten freigeftellt, bei dem ſehr gebildeten 
damaligen Lehrer Heinrich Klein in die Xehre zu gehen, Die Prü- 
fung mufte in Hadamar gefchehen. Sehr dürftige und fleipige 
Schüler erhielten zuweilen Unterflügungen und Prämien aus dem 
Schulfonds. Die Fatholifchen Lehrer im Siegner Lande entbehrten 
jelbft diefes geringen Vorteild. Nach den Verordnungen der Regierung 
vom 11. März 1784 und vom 14. Februar 1786, in denen über 
ben traurigen Zuſtand der dortigen Schulen ſehr ernft geklagt 
wurde, erhielten die Schulweifter die Weiſung, daß fie zur Gr 
lernung einer beßeren Methode alle Sonn: und Feiertage nad 
dem ©ottesdienfte zu ihren Pfarrern gehen, über ihre Schulen 
Bericht erftatten und ſich Belehrung holen follten. Zumwiderhan 
delude follten mit Strafen belegt werden. In jebem Pfarrorte 
jolten alle 8 oder wenigftend 14 Tage, und au Filialorten jeden 
Monat die Schulen genau vifitirt werden, wobei die Pfarrer ind 
befondere darauf ſehen follten, daß das gedankenlofe Auswendig- 
lernen und Herplappern aufhöre, daß die Kinder Gebrudtes und 
Geſchriebenes erſt richtig Buchftabiren, dann leſen lernten, und daß 
Knaben und Mädchen im Schön: und Rechtichreiben und Rechnen unter 
richtet würden. Die Schulmeifter ſollten Meyers Feldbaukatechismus 


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in den Schulen erflären und die Sittlichkeit zu heben fuchen. 
Alle Kinder follten vom 6. bis zum 12. Jahre fchulpflichtig fein, 
für jede Verfäumnis follte auf dem Lande 1, in der Stadt 4 
Kreuzer bezalt werden, die Strafe von 5 verfäumten Tagen follte 
jedoh durch 1 Tag Öffentliche Arbeit abgetragen werden können. 
Die Winterfchule folte von Martini bis zum 1. Mai dauern und 
zwar tägli 8 oder wenigftend 6 Stunden lang; über die Ein- 
richtung der Sommerfchulen follte noch das Nötige verfügt werben. 
Der Pfarrer follte den betreffenden Schullehrer vor feiner Anftel- 
lung prüfen und einen ausführlichen Bericht nebft beizulegenden 
Proben feiner Fertigkeit im Schreiben und Rechnen an die höhere 
Behörde einjenden. 

Bid zum Anfange des 19. Jahrhunderts blieb das Volks—⸗ 
ſchulweſen im Oraniſchen Naffau wejentlih in derjelben Faßung, 
welche es etwa bis zum Sabre 1770 erhalten hatte Eine Er- 
weiterung und neue Anregung erhielt Dafjelbe nur dur das auch 
in Naſſau frühzeitig erwedte Intereſſe für Induſtrieſchulen. 
Die erfte Anregung zur Begründung derfelben gab die Gemahlin 
Wilhelms I, welche die Snduftriefchulen in Hannover und Braun- 
ichweig Fennen gelernt hatte. Einen Mann, durch den ji 
Aehnliches auch in Naffau herftellen Lich, fuchte und fand Die 
Zürftin in dem dritten Pfarrer zu Herborn, Johann Kaspar Dörr, 
ber auf Koften der Fürftin nach Braunfchweig und Hannover 
reifte, um ſich mit den dortigen Induftriefehulen genau befannt zu 
machen. Nach feiner Rückkehr entwarf Dörr einen Plan zur 
Induſtrieſchule, zu deffen Ausführung die Fürftin in Dieg alsbald 
vorzugehen beſchloß. Nachdem die Fürftin ein geräumiges Haus 
mit Zubehör in Dieß gekauft und die (freilich nicht ausreichenden) 
Binfen eined Capitals von 5000 Gulden zur Unterhaltung der 
Anftalt angewiefen Hatte, wurde Diefelbe am 30. Juli 1805 in 
Begenwart des ganzen Hofes feierlich eröffnet. Worläufig waren 
nur 22 Knaben und 23 Mädchen, fämmtlich von ehelicher Geburt, 
welche zuvor von Kopf bis zu den Füßen reinlich gefleidet waren, 
aufgenommen worben; fpäterhin flieg die Zal der Schulkinder 
anf 40 Knaben und 40 Mädchen. Die Kinder wohnten jämmtlich 
bei ihren Eltern, bei denen fie auch Unterhalt und Pflege hatten; 





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in Srankheitäfällen wurden jedoch der Arzt und die Arzneien aus 
dem Fonds bezalt. Die Unterrihtögegenftände waren: Leſen, 
Schön, und Rechtſchreiben, Kopf: und Tafelrechnen, Singen nad 
dem Gehöre ohne Noten, natürliche und chriftliche Religions und 
Sittenlehre, Denkübungen, allgemeine Erdbeſchreibung und das 
wichtigfte aus der biblifchen und Weltgefchichte. Die Handarbeiten 
beflanden in Nähen, Striden, Stopfen, Wollens, Flachs⸗ und 
Baumwollenfpinnen, Kragen und Schlumpen, Dupliren, Ywirnen, 
Netzzemachen, Flechten, Sodenmachen, Schnur: und Schnürriemen: 
weben, Klöppeln, Berfertigung ter Bfeifendedel aus Drath x. 
Welche Arbeiten für beide Gejchlechter und welche nur für Eins 
anwendbar waren, darüber entfchied das Verhältnis, das Bebürf- 
nis und die Perfönlichkeit der Kinder. Den Unterricht in den 
eigentlichen weiblichen Arbeiten bejorgte die Lehrerin, in den 
übrigen ter Lehrer, oder man mufte durch Probiren nach Muftern 
fertig zu werben ſuchen. In der Kolge wurde ein Kind ber 
Lehrmeifter des andern. Epäterhin wollte man die Grenzen er 
weitern und eine Strumpfweberei damit verbinden, wurde aber 
bald mit Schaden dad Unzweckmäßige gewahr. Der eigentliche 
Sculunterriht und die Uebung in den Handarbeiten wurden zwar, 
da die Kinder in Claſſen verteilt waren, abwechjelnd und in ver: 
Schiedenen Zimmern erteilt und getrieben, aber dennoch muften bei 
erfteren auch ſolche Handarbeiten, die fein Geräufch verurjachten 
und zur gehörigen Kertigfeit gebracht wurden, mitgetrieben werten. 
Die feftgefeßte Schulzeit war das ganze Jahr hindurch von Morgens 
8 bis 11 Uhr und Nachmittags von 1 bis 5 Uhr. Nur des Sonn- 
abends war der Nachmittag ganz frei. 

Die Deconomie, das Nechnungswejen, das Unfchaffen ter 
Materialien, der Werkzeuge und deren Verwahrung, der Vertrieb 
der im Inſtitut verfertigten MWaaren 2c. mufte von bem Lehrer 
beforgt werden. Der Ankauf der Materialien fowie der Arbeits 
lohn wurden aus dem Fonds beftritten, wohin auch der &rlös für 
die verkauften Waaren zurüdfloß. Jedes Kind hatte ein beſonderes 
Bücheldyen, in welches jedesmal feine verfertigte Arbeit mit dem Betrag 
des Arbeitölohnes aufgezeichnet wurbe, und wonach e8 am Ende 
jeden Quartals feinen Verdienft ausbezahlt erhielt, den es feinen 


— 279 — 


armen Eltern zur Unterftübung brachte. Die neuen Kleider 
wurden aus dem Fonds angefchafft, aber für das Ausbehern wurde 
nicht8 vergütet. Am Ende des Jahres mufte der Lehrer als 
Rehnungsführer über die ganze Wirtfchaft eine genaue Rechnung 
ftellen, folche der eigendd dazu ernannten Commiſſion zur Revifion 
und zum Abjchluß vorlegen. Das Inſtitut bewährte fid) als zweck⸗ 
mäßig und wolthätig befonderd für das meibliche Geſchlecht und 
erbielt fi unter dem Schuhe jeiner großmütigen Stifterin felbft 
über das Jahr 1806 hinaus, bis es fich endlich mit dem Schluße 
des Jahres 1808 auflöfte. 

Die Lehrbücher, welche in den Schulen des Landes gebraucht 
wurden, waren 1) die Bibel, von welder im Sabre 1590 zu 
Herborn eine Ausgabe unter dem Titel veranftaltet: „Biblia,” 
das ift die ganze heilige Schrift; deutſch Dr. Martin Lutber. 
Mit den Summarien, Chronologie, auch unterjchiedenen Regiftern 
der Hiftorien und SHauptlehren, endlich dem Gefangbuche und 
Catechismo verbeßert und, geziert.“ Man hatte die 
lutheriſche Ueberſetzung nicht aus der Wittenberger, ſondern aus 
der Frankfurter Ausgabe unverändert gelaßen, aber den Inhalt 
der bibliſchen Bücher und Capitel und die Abteilung der Verſe 
hinzugefügt, angehängt waren die Pſalmen von Lobwaſſer und der 
Heidelberger Catechismus. Trotz des Verdammungsurteiles, welches 
dieſe Bibelausgabe in Wittenberg erfuhr, wurde dieſelbe in Kirchen 
und Schulen eingeführt und in Herborn fünfmal in 80 und drei⸗ 
mal in 40 aufgelegt. 2) Der Heidelberger Catechismus, deffen 
Einführung von der Dillenburger Synode im Jahre 1582 be 
ſchloßen wurde, während vorher Luthers Catechismen ziemlich ver: 
breitet gewejen waren, die auch fpäterhin noch (und neben ihnen 
der Wittenbergifche Catechismus von 1572 fowie die Fragftüde 
von Zegger) von einzelnen Pfarrern gebraudyt wurden, bis das 
Kirchenregiment im Jahre 1611 die ausfchliesliche Geltung des 
Heidelberger Catechismus verfügte. Im Auguſt 1691 wurde bes 
fohlen, daß in allen Schulen ſtatt des groͤßeren Heidelbergers 
künftig nur der kleine Heidelberger Katechismus gebraucht werden 
ſollte, und Fürſt Heinrich bedrohte jeden Zuwiderhandelnden mit 
einer ſtrengen Strafe. Spaͤterhin (im Jahre 1750) gab der 





— 280 — 


Sonfiftorialrat Salomon Morff zu Herborn tenfelben mit Erfiö- 
rungen heraus, von welcher Bearbeitung im Sahre 1793 die 8. 
Auflage erfchien. Indeſſen begannen ſchon damals einzelne 
Pfarrer und Lehrer ftatt des Firchlihen Catechismus allerlei Pr 
vatcatechismen ihrem Unterrichte zu Grunde zu legen. 3) Das 
Geſangbuch. Seit 1582 bediente man ſich der Lobwaſſerſchen 
Pfalmen. Am Jahre 1654 erfchien zu Herborn ein neued Ge 
fangbuch, welches außer den Lobwaſſerſchen Palmen bie 10 Ge 
Bote, den apoftoliihen Glauben und das Gebet des Her in 
Liedern und dann noch in einem Anbange auf 10 Blättern Ge 
fänge auf verfchiedene Zeitumftände und Tebensverbältniffe enthielt. 
Im Jahre 1708 wurde in Herborn das neue vollftändige Naſſau⸗ 
Dillenburgifche Geſangbuch gebrudt, welches die älteren Pfalmen 
und Liederfammlung durch Hinzufügung mehrerer neuer Lieber 
bereicherte. Daffelbe wurbe im 18. Jahrhundert noch ſechsmal 
aufgelegt, bis es durch das anf Befehl des Prinzen Wilhelm V 
mit Benußung des Berliner und anderer neuer Geſangbücher ent 
ftandene nene Geſangbuch, welches im Jahre 1786 zu Herborn 
erichien, verbrängt wurde. 4) Die Fibeln oder ABCbücher wur 
den von den Schulmeiftern oder Pfarrern nach ihrem Gutdünken 
ausgemwält und in den Schulen eingeführt. 

In Folge der Ereigniffe des Jahres 1806 wurden alle anf 
der rechten Lahnſeite gelegenen Naffanifchen Lande dem neugebil- 
deten Großherzogtum Berg einverleibt und erhielten die franzoöͤſiſche 
Verfaßung. Demgemäß wurde das Gonfiftorium in Dillenburg, 
unter deffen Anfficht die Schulen bisher geftanden hatten, am 25. 
Januar 1809 aufgelöft. Die Prüfung und Anftelung der Schul: 
lehrer wurde der Generaldirection des öffentlichen Unterricht zu 
gewiefen. Die Primär oder Glementarfchulen der einzelnen 
Gemeinden wurden der Aufficht der Maires überlaßen, welche über 
biefelben an den Unterpräfecten zu berichten hatten. Den Pfarr 
geiftlichen wurde anempfohlen, die Schulen wöchentlich zu beſuchen 
und Die Lehrer anzuweifen. Das Eieg-Departement erhielt an 
dem Präfeeten Schmids einen Vorſtand, dem die Schule und das 
Erziehungsweſen am Herzen lag. Um den Seminarfonds feiner 
Beſtimmung näher zu bringen, entwarf derjelbe eine Studienordnung 


— 2831 — 


für Schulamtsafpiranten, welcher der Plan zu Grunde Tag, daß 
für diefelben ein ſechswoͤchentlicher Lehrcurſus eröffnet und Jedem, 
der daran Teil nehmen würde, aus diefem Fonds täglich 24 Ar. 
Koftgeld bezalt werden follte Allein der nad Düffeldorf über: 
ſchickte Plan kam nicht wieder zurüd, weil man Damit umging, 
diefen wie andere Fonts zur Dotation einer Univerfität in Düf- 
feldorf zu verwenden. Kür die Katholischen Schullehrer in dem 
Hadamariſchen wurde indeſſen ein ganz ähnlicher Plan wirklich zur , 
Ausführung gebracht. Die jüngeren Lehrer erhielten den Befehl, 
zur Abfjolvirung eines Lehrcurſes bei dem Dberfchulinfpector Hirſch 
nad Düffeldorf zu reifen, wofür ihnen von der Mimicipalität 30 
Kr. Diäten gezalt werden muften. 

Unter dem 17. December 1811 wurde das die Organifation 
des öffentlihen Unterrichts im Großherzogtum Berg betreffente 
Decret erlaßen. Diefem zufolge wurben die Fonds der hohen 
Schule zu Herborn, des Gymnaſiums zu Hadamar und anderer 
Anftalten zur Dotation der Univerfität zu Düffeldorf überwieſen. 
Nady Herborn, Hadamar und Dillenburg follten Secundärjchulen 
fommen. Für je 80 Kinder follte eine Primärjchule eingerichtet 
werben, und der Schulort wo möglich in der Mitte liegen, fo daß 
ein Kind nicht über eine halbe Stunde zur Schule zu gehen habe. 
Die Unterhaltung ver lebteren Anftalt follte der Commune zur 
Laft fallen. Man wünfchte hierbei von feiten der Präfectur jedem 
Drte Gelegenheit zu verfchaffen,, feine Kinder im Winter und 
Sommer unterrihten zu laßen. Allein der Mangel an Schul 
häufern und beſonders an Fonds zur Dotirung der Lehrerftellen 
jeßte einer durchgreifenden Verwirklichung dieſes Planes die gröften 
Hinderniffe in den Weg, weshalb man mit der Bildung der Schul: 
diftricte nicht ind Reine fommen fonnte. 

Im Juni 1812 erließ daher der Minifter des Innern, Graf 
Neffelrode, eine Verfügung des Inhalts: Jeder Schulbiftrict follte 
hundert Kinder umfaßen. Bei feiner Bildung fönnte man zwar 
die Mairie und den Kirchſpielsverband nicht ganz unverlegt bei: 
behalten, doch fei nur im höchften Notfall davon abzuweichen. Die 
Entfernung von dem Schulorte dürfte nur im aͤußerſten alle 
breißig Minuten betragen. Jede Confeſſion follte eine Brimärjchule 


— 232 — 


haben. Wo die Anzal der Kinder groß und zwei Lehrer erforder⸗ 
lich waͤren, ſollte der auch geringeren Anzal von Kindern einer 
andern Confeſſion Durch einen Lehrer der ihrigen Religiondunter: 
richt erteilt werden. Die Unterhaltung der Primärfchulen folte 
der Mairie zur Laft fallen. — Die Localfond8 wurden demgemäß 
zur Communalcaſſe eingezogen. Der geringfte Gehalt eined Gle 
mentarlehrerd wurde außer einer freien Wohnung auf 250 Yrancd 
feftgefebt, das Schulgeld auf dem Lande im @eringften auf 40 
Centimes, in den Städten auf 50 Sentimes, welches für Die Armen 
aus dem Armenfonds bezalt wurde. 

Mit dem Ende des Jahres 1813 erreichte Die franzöfifce 
Herrihaft ihr Ende, noch che die Traugferirung der öffentlichen 
Schulfonds nah Düffeltorf ausgeführt werden Eonnte. Zwei 
Jahre Später wurben die Länder der Ottonifchen Linie dem Wal: 
ramifchen Haufe übergeben, infolge deffen die Schulverhältmifi 
jener fich durchaus nach der neuen Organifation des Schulweſens 
Naſſaus unter der neuen berzoglichen Regierung geftalteten. 

DO, Ueber die Geſchichte Des Volksſchulweſens in den Yanden 
der Walramifchen Linie liegen bis zum Ende des fiebzehnter 
Jahrhunderts nur wenige Nachrichten vor. — Bon dem Beil; 
burger Lande wißen wir, daß für daſſelbe i. J. 1602 verordnet 
wurde, wo Schulen von den Einkünften des Glöckneramtes unt 
anderen Gefällen errichtet wären, dafelbft follte Das Pfarrvoll 
mit Zuthnun der Filiale bequeme Schulhänfer für Schulmeifter und 
ihre Rinder mit fehuldiger Dankbarkeit erbauen und im Bau et: 
halten. Weiterhin wird erzält, daß in den erften jahren des 
dreißigjährigen Srieges die Gemeinden Allendorf und Mehrenberz 
baten, ihnen Die 48 Qulden, mweldye aus dem Kirchenkaften auf 
ein Haus bypothecirt feien, das fie zum einem Schulhaus ankaufen 
wollten, gejchenkt werden möchten, indem fie den Reſt auf die 
Gemeindefaffen übernehmen wollten. Um in der Stadt Weilburg 
die Schulfinder nad) dem Geflecht jondern zu können, made 
um dieſe Beit die Gemahlin des Grafen Ludwig, Anna Maria, 
eine Stiftung zur Unterhaltung eined Mätchenlehrerd. Bon dieſen 
Mädchenlehrer wird berichtet, daß derſelbe Die fchredtlichften Kriege 


— 283 — 


drangſale und die Peſt überlebte, während ihm aus der Stiftung 
nur ein Gulden und drei Albus ausbezalt werden fonnten. 

| Erſt feit dem Anfange des 18. Jahrhunderts waren in den 
meiften Bfarrorten des Amtes Weilburg einige Schullehrer ange: 
ftellt, welche zugleich die Küſter- und Organiftenftellen verjahen. 
Der Unterricht beftand in mechanifchem Leſen, wobei man fich des 
ABCbuches, der Palmen, ded Neuen Teftamentd und der ganzen 
Bibel bediente (dieſe Lehrbücher beſtimmten die Claſſeneinteilung 
der Schulkinder); ferner im Ausmendiglernen und Abfragen des 
Iutberifchen Katechismus, in etwas wenigem Rechnen und im Ein- 
üben der Firchenmelodien nad) dem Gehör. Das Schreiben wurde 
meiftens im Privatunterricht gelehrt. Der Unterricht dauerte nur 
ben Winter hindurch und fiel während des Sommers ganz weg, 
bi8 eine landesherrliche Verordnung befahl, daß auch im Sommer 
wenigftend an zwei Tagen follte Schule gehalten werden. Als 
die Anzal der Schulkinder in den Filialorten immer größer wurde, 
nahm man für den Winter Dinglehrer an. 

Während ber Regierung des Fürften Karl (1754 — 1788) 
wurde beſonders für Kirchen ımd Schulen fowie für die Armen 
Vieles gethan. In feinen Bemühungen für Hebung des Schulwes 
ſens wurde der Fürft namentlid von feinem Prafidenten Botzheim 
unterftügt. Leßterer nahm an der von zwei Inſpectoren bejorgten 
Ausarbeitung eined ABCbuches oder einer Tchrfibel für Die unterfte 
Schülerflaffe jelbft Anteil. Der Titel diefe8 merhvürdig gewor⸗ 
denen Buches ift folgender: „ABE-, Buchſtabir- und Leſebuch zum 
Gebrauch in den proteftantifchen Schulen der fürftlichen Naffau: 
MWeilburgiichen Lande. Aus gnädigftem Befehl herausgegeben von 
der gemeinfchaftlihen Grziehungsanftalt zu Kirchheimbolanden. 
Worms, 1776." — Diejes Büchelchen (in Klein 8.) füllt mit dem 
Titelblatte nur zehn unpaginirte Blätter. Die drei erften Blätter 
enthalten Buchftaben, Silben und Wörter, Die übrigen nur Eurze 
moraliſche Erzählungen in Rrofa, ſodann ein Kinderlicd und zwei 
fleine Gedichte vom Nugen der Frömmigkeit und vom „Vorſatz“. 
Auf der letzten Seite fteht das Einmaleins. — Kaum war diejes 
Büchlein im Drud erjchienen und follte in den Schulen der 
Herrſchaft Kirchheim eingeführt werden, als das Volk in die gröfte 


— 234 — 


Bewegung geriet, indem ed den vaterländifchen Glauben als ent: 
ehrt und bedroht anfah, weil man weder die zehn Gebote noch 
ben Glauben und das Gebet des Herrn darin aufgenommen habe. 
Man befürchtete ernfte Auftritte, weshalb der Fürft fich in feiner 
Refidenz nicht mehr für ficher hielt, und bei Kurpfalz Hülfe fuchte. 
Es rücten daher 800 Mann Eurpfälziiche Truppen bis Albißheim 
ein. Späterhin fam ed zum Prozeß vor dem Reichskammergericht 
in Weplar, bis man endlich nachgab, daß das Büchlein nicht in 
den Schulen eingeführt werden follte. Dieſer AS · arie ſoll an 
60,000 Gulden Koſten verurſacht haben. *) 

Ein Schullehrerſeminar hat im Weilburgiſchen nie beſtanden; 
indeſſen wurde doch einiges wenigſtens für die Bildung Fünftiger 
Bolksfchullehrer getban. Der Lehrer Georg Peter Sartorius 
in Weilmünfter erteilte feit 1776 den Aſpiranten des Lehrerftandes 
in manchen Rehrgegenftänden, befonders auch in der Mufif, Unter 
richt; und die Superintendenten zu Weilburg unterrichteten eine 
Reihe von Yahren die der Stadt näher wohnenden Yünglinge 
alwöchentlich an zwei Tagen, worauf diejelben nach überftandener 
Prüfung zuerft auswärts, und vorzüglid im Weſterburgiſchen 
Dingfchulen übernahmen und alddann, auch praktiſch gebildet, in 
da8 Vaterland zurüdkehrten. 

Noch verdient bemerkt zu werden, daß im Weilburgiſchen, 
früher ald anderswo eine Wittwen- und Waifenfafle für Volke 
Ichullehrer geftiftet wurde. Die erfte Anregung zu einer folden 
Stiftung gab der Superintendent Gramer, der zu dieſem Zwede 
ein kleines Gapital legirte. Alsbald bejchloß der Fürft Karl eine 
joldde Stiftung ins Leben zu rufen, indem er und feine Gemahlin 
namhafte Summen zu bderfelben jchenften. Unter dem 18. Februar 
1777 wurde der Plan publizirt. Die Einrihtung war im Ve 
jentlihen folgende: Wer die Eintrittöfumme von 10 fl. und als 
jährlichen Beitrag 1 fl. 30 &r. zalte, war Mitglied der erfim 
Glaffe; wer von beiden Beiträgen die Hälfte zalte, gehörte zu 
zweiten Claſſe. Zwei Dritteile der Sapitalzinfen unb zwei Dritteile 


) Ausführlide Nachrichten über diefe Händel find in den „Religiomsbege 
benheiten” von 1778 mitgeteilt. 


— 285 — 


der Beträge wurden jährlich unter die Wittwen und Waifen der 
verfchiedenen Glafjen verteilt, und ein Dritteil wurde ald Capital 
angelegt. Im Jahre 1816 erhielt eine Wittwe der erften Claſſe 
14 fl. 37 &r., in der zweiten Glafje die Hälfte. 

Auch in den übrigen Landen der Walramiſchen Linie wurde 
den Volksſchulen erft in der Zeit des Epenerjchen Pietismus eine 
größere Aufmerkfamteit zugewandt. In der Grafihaft Ufingen 
wurde uun 1624 durch den Fürſten Walrad verordnet, daß in 
volfreichen Gemeinden Sommers und Winters ſolle Schule gehalten 
werden. Alle jchulfähigen Kinder follten zum Schulbefuche mit 
Strenge angehalten, im Unterlaffungsfalle in den Schulen koͤrper⸗ 
lich gezüchtigt,, und die Eltern follten für jeden verfäumten Tag 
mit 5 Albus beftraft werden, welche Strafe fie jedoch durch öf- 
fentliche Arbeit abverdienen könnten. Im jahre 1700 wurde ein- 
geſchärſt, daß mit den Schulfindern die Sonntagspredigt zu 
wiederholen fei, Dagegen follten die Schulmeilter dad Auswendig⸗ 
lernen der Kinder beichränfen und Diefelben nicht blos nach der 
Seelenkraft des Gedächtniffes ſetzen. Im Jahre 1702 wurde 
den Lehrern aufgegeben, ihren Schülern bejonderd Gehorjam gegen 
die Obrigkeit, jowie überhaupt gegen ihre Vorgefeßten zu em⸗ 
pfehlen. Wie Häglih Die Außere Tage im Amte Ufingen war, 
erhellt aus Folgendem: Als 1744 in der Stadt Uſingen flatt des 
bisherigen Gonrectord ein Mädchenjchulmeifter angeftellt werben 
follte, wurde diefe Stelle dem dafigen Bürger und Schuhmacher: 
meifter Henkel übertragen und ihm dafür eine Befoldung von 84 
Achtel Korn, 4 Klafter Holz, fowie freier Wohnung und Benutzung 
eines Gaͤrtchens zugelihert. Im folgenden Jahre wurde er Glöck⸗ 
ner an der Stadtkirche und erhielt dafür 9 Gulden baar und bie 
Accidenzien, die er wegen Verlegung der Reſidenz jährlich zwilchen 
8— 10 Gulden anſchlug; von diefer feiner Beſoldung hatte ber 
Mädcheniehrer an den Orgelbalkentreter jährlich einen Reichsthaler 
und fo oft er ihm Die große Glocke läuten haff, freie Verköftigung 
zu geben. Als nun der Schul: und Schuhmachermeifter fpäter um 
eine Zulage anhielt, weil damit Weib und Kind nicht leben könne: 
und feine Profejlion verfäumen müffe, fo erhielt er den Beſcheid, 
daß feinem Geſuch Nicht gewillfahrt werben koͤnne, weil er jetzt 


— 286 — 


durch die Glöcknerei eine ziemliche Beſoldung erhielte. Doch 
wirkte dieſer Mann mit vieler Treue 15 Jahre lang und feine 
Befoldung wurde fpäter mit 9 Gulden und 4 Achtel Korn ver 
mehrt. — Erft nah dem Jahre 1778 wurden die Schulmeifter 
im. Amte Ufingen befjer geftellt. 

Sn den Idſteiniſchen und Wiesbadenſchen Landen 
fonnte bei den ergiebigen. Hilfßquellen für die Volksſchulen ſchon 
mehr gethban werden. Das GEymnaſium in Idſtein hatte auf bie 
Bildung der Schulafpiranten großen Einfluß; denn bier waren 
neben den gelehrten Schulmännern auch tüchtige Unterlehrer an: 
geftellt, Die meiftend aus dem Auslande berufen und gejdidte 
Mufiter waren. Wennjchon daher der Kantor in Sdftein erft im 
Jahre 1724 lediglich auf die deutihe Sprache beſchränkt wurde, 
fo fanden doch manche junge Leute ſchon früher Gelegenheit, fid 
unter Leitung der Unterlehrer dafelbft für den Lehrerberuf befonders 
in der Muſik vorzubereiten. — Su den volfreichen Gemeinden des 
Amtes Wiesbaden, in deren Kirchen ſich Orgeln befanden, wurde 
die Auftellung beſonderer Schullehrer früher ein Bedürfnis, ale 
in den Spfteinifchen , wojeldft lange Zeit felbit die Pfarrer das 
Schulamt verwalteten und fpäter auch Dingjchullehrer angeftelt 
wurden. Sn den meiflen Schulorten wurde jedoch aud) während 
des Sommers, wenn auch nur an einzelnen Tagen, Schule ge: 
halten. Mit großem Gegen wirkten der Generalfuperin, 
tendent und Scholar Dr. Lange zu Spftein (1722 Bis 
1756) und der Hofprediger und erſte Stabtpfarrer Egid 
Sünther Hellmund zu Wiesbaden für die Verbeßerung des Bolt: 
ſchulweſens. Der letztere ift der Begründer des erſten 
Naſſauiſchen Schullehrerſeminars. Angeregt durch den von Spener 
in der Kirche erwedten Geift hatte nämlidy die Fürſtin Henriette 
Dorothee im November 1721 wenige Wochen nach dem Tode 
ihres Gemahles, des Fürften Georg Auguft, in Wiesbaden ein 
Waiſenhaus gegründet, mit deſſen DBeaufjihtigung und Leitung 
Hellmund betraut wurde. Mir diefem Waiſenhauſe verband nun 
Helmund im Sahre 1734 ein Schullebrerjeminar, über deflen 
Einrichtung ſich Hellmund in feinen Nachrichten von dem Waiſen⸗ 
bauje zu Wiesbaden unter den 2. Januar 1735 in folgender 


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Weiſe ausſpricht: „Da leider! gar felten ſolche Leute oder Subjecte 
zu deutihen Schulen vorhanden find, welche Die allernöthigite, 
allervornehmſte und allerbefte Eigenſchaft wirklich befigen, bie zur 
Auferziehbung der Schulfinder in der wahren Got— 
tesfurcht erfordert wird, nämlich die eigene Hebung 
und Erfahrung in Derfelben; indem ed gemeiniglich genug 
ift, wenn ein folder Menſch lefen, Jchreiben, rechnen, fingen und 
die Orgel jchlagen kann, oder zu allem weiteren Ueberfluß aud) 
noch äußerlich einen ehrlihen Wandel vor der Welt führt, oder 
wol gar nur einige Hoffnung zu feiner Beßerung 
von feinem fündlihen Leben und Wandel verjpridt, 
übrigend aber nicht darnach gefragt wird, ob er felbft ein 
wahrer Chriſt und gefhidt fei, Die Kinder zum wah— 
ren Chriftentum anzguführen und aufzuweden ıc., ob 
er die Gabe des Vortrags, der Aufmunterung, der 
Prüfung, des Gebetes und einen geiftlihen, göttliden 
und chriſtlichen Sinn babe? welches dann obuftreitig die 
allervornehmfte Haupturfach des allgemeinen Verderbens an allen 
Drten in der Chriftenheit ift, indem dadurch Die Jugend im Beften 
verfäumt wird, und hernach ungeſchickt ift, fich das öffentliche 
Lehramt in der Kirche zu Nug zu machen, wie die Erfahrung 
allenthalben augenjcheinlich Iehrt, und felten vom Prediger 
in der Kirche wieder gebeßert wird, was vom Schul: 
meifterinder Schuleverjäuamt oder verdorbenworden 
if. Wenn dann aus der Schuljugend allenthalben die fünftige 
Bemeinde befteht, mithin Durch beßere Beftellung der Schulen und 
Auferziehung der Kinder in furzer Zeit alle Gemeinden gebeßert 
werden Eönnten, welches außerdem den gröften Potentaten in ber 
Welt ohnmöglih ift, fo wäre ja nichts nöthiger, nüßlicher und 
billiger, noch zur allgemeinen Beßerung leichter, als daß, nach dem 
Willen Gottes, auch in diefem Stüde Die Aemter mehr mit 
Leuten als Die Leute mit Aemtern verfehen, und bei 
den Beftellungen der deutſchen Schulen alle Nebenqualitäten oder 
Künſte der Hauptjache nacdhgefeßt würden.” — „Und wiewol heu- 
tiges Tages, zumablen bei der gewöhnlichen indiscreten Anhaltung 
zum Studiren, viele Literati oder Studirten aus Noth aud 


— 288 — 


deutſche Kinderfehulen fuchen und annehmen, auch einige von ihnen 
Gott fürchten, und alle nöthigen Gigenfchaften dazu befißen, fo 
find ihrer doch, der Erfahrung nad), jehr wenige, Die nicht entweder 
zu der groben Diät und Lebensart bei ſolchen armen Schuldienften 
von Natur untüdhtig, oder, der faft auf allen Dörfern eingeführ- 
ten Mufif und des Claviers unerfahren, oder dem Leibe nad zu 
der täglihen Schularbeit, abſonderlich bei vielen Kindern, zu 
ſchwach, gleih auch der mit gemeinen Schuldienften insgemein 
verbundene Glodendienft und nöthige Aufwartung beim Pfarramt 
fich nicht wol für folche ſchicken, worunter in ſolchen Fällen die 
Pfarrer und Gemeinden leiden müſſen: daher dergleichen Praͤcep⸗ 
toren ihre Schuldienfte, wiemohl aus menfchliher Schwadhheit, 
gemeiniglich für ein großes Kreuz halten und wünjchen, daß 
fie davon bald wieder erlöjet würden, welched aber mannichmabl, 
gewilfer Umftände wegen, entweder gar nicht oder Doch jehr ſpaͤt 
erfolgt, weöwegen fie dem ſchwachen Fleiſche nach ihr Amt nicht 
mit Luft fondern mit Ungeduld verrichten; daher denn bei den 
Gemeinden allerhand Mißhelligfeiten entftehen, mithin cin Illiteratus 
oder gejchicdter Deutfcher Schulmeifter zu folchen Dienften viel 
nutzlicher iſt. — „Weil nun mit Votirung oder Beiſtimmung zu 
untüchtigen Schulmeiftern in effectu, oder wegen der wirklichen 
und ewigen, wiewohl unverminderten Berwabrlofung Jo 
vieler Seelen, ald der Schulkinder find, eine größere 
Sünde begangen werden faun, als alle leibliden Uebels 
tbaten in der Welt find, man fi) auch die zumahl wiſſent⸗ 
liche Unterlaßung defjen, was zur Steuerung dieſes allergröften 
Uebel in der Welt uöthig, nützlich, möglich und bekannt if, 
mehr ald hundert Blutfchulden über den Hals zieht, jo Habe fon 
berlih das vergangene Jahr her Feine Ruhe in meinem Gewiſſen 
gehabt, bis der Schluß wegen obengedadhten Schulſeminars mit 
Gott gefaffet, und von der Sache felbft ein, wiewohl nody zur 
Beit geringer, Anfang gemacht worden ift.” 

Die Worte Helmunds beweilen, daß es der Achte Geiſt 
Speners war, der dad Waiſenhaus und das Schullehrerfeminar 
zu Wiesbaden gefchaffen und in demjelben eine Pflanzftätte ge 
funden hatte. Das Seminar war mit dem Waiſenhauſe ſo 


— 289 — 


verbunden, daß der befähigten Waiſenknaben oft 3 — 4 zugleich 
in jener aufgenommen wurden. Diefe wurden danıı nicht wie Die 
Mebrigen nach zurüdgelegtem 14ten Lebensjahre entlaßen, jondern 
blieben noch 2 oder mehrere jahre in der Anftalt, wo fie dann 
von dem Director und dem angeftellten Lehrer forgfältiger in den 
nötigen Senntniffen, auch in Gefang und Muſik unterrichtet wurden 
und den legten zugleich in feinem Amte unterftüßten. 

Indeſſen Fonnte doch das Inſtitut zu Wiesbaden für Die 
Bedürfniffe der Volksſchulen des Landes nicht ausreichen. Man 
erkannte es allmählich, daß für die Vorbildung zufünftiger Schul- 
lehrer noch umfaßender gejorgt werden müße. Da brachte der 
damalige Nector des Gymnaſiums zu Idſtein, Wagner, in Erfah- 
rung, daß zu Karlsruhe ein Schullehrerjeminar im Zuſammenhang 
mit dem dortigen Gymnasium illustre errichtet ſei, und erbat ſich 
über dafjelbe zu Karlsruhe im Sommer des Jahres 1776 fehrift- 
lihe Auskunft. Die officiele Benachrichtigung , weldhe Wagner 
hierauf erhielt, ſchickte derſelbe mit einem ausführlichen Berichte 
an das Gonfiftorium ein und ftellte den Antrag, Daß man zu Id⸗ 
ftein in Verbindung mit dem daſigen Oymnafium ein Schullehrer- 
feminar erridhten möge. Der Fürft wie die Behörden befjelben 
gingen mit Freuden auf den Vorſchlag Wagners ein, und ſchon 
im Anfang des Jahres 1777 war der Beichluß gefaft, Daß in 
Verbindung mit dem Gymnafium zu Idſtein ein Schullehrerfeninar 
errichtet werden folle. Ein bejonderer Director jollte Das Ganze 
leiten, und ein Lehrer jollte die im Gymnaſium nicht vorgetragenen 
Lehrgegenftände für die Seminariften ausjchlieslich lehren. Indeſſen 
fonnte der Lehrplan nody nicht feftgeftellt werden; auch wegen der 
Localitäten traten Schwierigkeiten hervor. ALS indeffen im Früh— 
jahre 1777 der Superintendent Doorfte in Idſtein, der Ickte 
Scholarch des dafigen Gymnaſiums, ftarb und fich in Folge defjen 
in Beſetzung der Pfarrerftellen und in der Verwendung der ein- 
zelnen Rocalitäten Manches änderte, jo konnte nun zur Ausführung 
des Planes vorgefchritten werben. Aber dennody verzögerte ſich 
diefelbe bi8 zum Sahre 1779. | 

Dieje Verzögerung wurde von dem edlen Fürften Karl Wilhelm 
veranlaft, der von dem Gedanken ausging, daß, wenn man ein 

Heppe, Bolfsfhulwefen, 3. “ 


— 290 — 


Seminar fhhaffen wollte, welches in das gefammte Volksſchulweſen 
eingreifen jollte, notwendig dieſes felbft erft organifirt werben 
müfle. Gr meinte, man müße notwendig erft eine eigentliche 
Schulordnung für das Elementarunterrichtsweſen entwerfen, damit 
man ein feftes Ziel babe, dem man mit dem Seminar entgegen 
firebe und damit man wiße, welde Kenntniſſe ſich der zukünftige 
Lehrer anzueignen babe. Außerdem fei, da durch Einführung der 
Sommerſchulen ſich die Arbeit der Lehrer vermehre und ein Le 
ver, der Zeit und Vermögen auf feine Ausbildung verwendet habe, 
auch auf eine angemeßene Befoldung Anfprüce machen koͤnne, vor 
Allem auf Verbeßerung der LXehrerbefoldungen, namentlich an den 
Drten, wo bisher Dinglehrer geftanden hätten, Bedacht zu 
nehmen. Erſt wenn dieſes Alles geordnet fei, fönne an die Gin 
richtung eines Seninard gedacht werden. 

Mit rührigem Eifer wurde jofort i. J. 1773 zur Ausführung 
der Projekte des Fürften vorgejchritten, durch welche eine neue 
Periode der- Entwidlung des Naſſauiſchen Volksſchulweſens be 
gründet wurde. Zunächſt wurde über die Ausarbeitung einer neuen 
Schulordung beraten. Bisher hatte man in den deutfchen Schulen 
des Ufingifchen und auch des Idſteiniſchen Landes Die von dem 
Pfarrer Löjede in Plauen verfafte Schrift: „Anweifung und 
Unterricht für Schulmeifter” (in Idſtein öfters, zuleßt 1747 ab 
gedrudt) befolgt. An deren Stelle trat nun die i. 3. 1778 
publizirte „Naffauifhe Schulordnung,” welde im Wejent- 
lichen bis 1817 gültig blieb. SDiejelbe fchreibt in 89 Paragraphen 
Folgendes vor: 

Lehrgegenftände. Leſen und Schreiben in der Mutter⸗ 
ſprache. Die hriftlihe Glaubenslehre, die natürliche und chriftliche 
Moral, bibliihe Gejchichte, Singen und Beten, Auswendiglemen 
außerlejener Lieder und der Bußpfalmen. Elemente der Landwirt: 
ſchaft. Rechnen. Practiiche Anweifung zu practifchen Auffäpen 
für das bürgerliche Leben. 

Shulbüder Ein ABCbuch. Luthers Kleiner Katechis⸗ 
mus. Seilers evangeliſche Glaubens- und Sittenlehre. Die 
Halliſche Bibel oder doch das neue Teſtament mit den Pfalmen. 
Dad neue Naſſau-Uſingiſche Geſangbuch. Hübners bibliſche 


— 291 — 


Hiftorien. Die Lehrbücher von der natürlichen Sittenlehre und 
von der Landwirtjchaft 

Bücher für die Lehrer „Unterriht, wie das Buchſta⸗ 
biren und Lefen der zarteften jugend leicht und gründlich kann 
beigebracht werden. Braunfchweig 1752.” Mahlers „Kurzer 
und deutlicher Unterriht im Rechnen, 1777." Gin Ghoralbud. 

Ginteilung der Lehrgegenftände Im Winter 
(Michaelis bis Pfingften) fol wöchentlih 32 Stunden lang unter 
richtet werben, Vormittags 3 und Nachmittagg 3 Stunden, mit 
Ausnahme ded Sonnabend und Mittwochs, mo Nachmittags nur 
Eine Stunde Unterricht ift. Für Geſang, Gebet, Lieder, Palmen, 
chriſtliche Glaubens⸗ und Sittenlehre wöchentlih 10, für ABC, 
Buchſtabiren und Leſen 9, für Seilerd Ginleitung in die biblische 
Geſchichte, Hübners bibliſche Hiftorie, natürliche Sittenlehre 2, für 
Schreiben 3, für Rechnen 2, für Landwirtichaft 2, für praftifche 
Anweiſung zu Jchriftlichen Auffäßen 2 Stunden feftgejegt. 

Ginteilung der Schüler. Es befteben drei Klaffen; 
in der unterftien das ABC, Buchſtabiren einzelner Sylben. 
Diefe Kinder lernen noch nicht auswendig, e8 fei Denn, daß fie es 
vom Hörenjfagen behalten. Daher follen fie während des Unter⸗ 
richts der höheren Klafje ftil zuhören. Die mittlere Klaſſe 
lieft im Katechismus, lernt den Fleinen Katechismus Luthers, 
Seilerd Heildordnung und die dahin gehörigen Bibelſprüche auss 
wendig, madt den Anfang mit Schreiben, lernt die Zalen und 
das Einmaleins, fängt an die Kirchenmelodien nad) dem Gehör 
mitzufingen. . 

Die oberfte Klaffe lieft die Palmen, das Neue und 
Alte Teftament mit Verftand und Ausdrud, jchreibt Zalen, lernt 
fremde Hände Iejen, lernt Lieder des Geſangbuchs, Die Bußpfals 
men, Seilerd Sittenlehre mit den Bibeljprühen auswendig, und 
die übrigen Lehrgegenftände werden diefer Abteilung erklärt, wobei 
die beiden andern Klaſſen Zuhörer find. 

Sm Sommer fjollen an allen Schulorten jämmtlihe Schul: 
finder wöchentlih an zwei Tagen zwei Stunden lang unterrichtet 
werden, damit fie das Erlernte nicht vergeßen. Sonntage vor der 
Frühkirche fingen fie in der Schule die Lieder, welche während 

19* 





des Gotteödienfted gejungen werden; und vor dem nachmittägigen 
Öotteödienft jagen fie das Hauptftüd her, weldyes in der Kate 
chismuslehre erklärt wird. 

Methode. Während der Lehrer vorjchreibt oder Aufjäpe 
eorrigirt, beforgen Die fähigeren Knaben Das Auffagen des ABE 
und Syllabiren bei den Anfängern. Bei dem Herjagen des Auf 
wendiggelernten werden die Befähigteren zuerft aufgerufen. Bei 
dem Leſen ift auf Deutliche Ausſprache zu ſehen, und falſch aus: 
geſprochene Wörter müßen fogleich buchftabirt werden. Auch wird 
ber Lehrer mitten im Wort ein anderes Kind weiter lefen lapen, 
damit Die Aufmerfjamkeit erhalten und alle Kinder befchäftigt 
werden. Jeden Sonnabend wird das, was die Kinder während 
ber Woche auswendig gelernt haben, wiederholt. Jede Schulzeit 
wird mit Geſang angefangen und gefchloßen. Dabei wird mit 
den Melodien abgewechſelt, damit ſaͤmmtliche Melodien ded Ge 
ſangbuches allmählich eingeübt werden. Bevor die Kinder einen 
Abſchnitt auswendig lernen, jol er ihnen erklärt werden. Auf 
das Memoriren der Lieder, der Buß⸗ und anderer Pfalmen ift 
befonderd zu dringen. Die Lehrer jollen fi) bei der Wiederholung 
der biblifchen Gejchichte der in den Lehrbüchern von Seiler uud‘ 
Hübner unterlegten Fragen bedienen. Das Schreiben ift Gegen 
ftand bes Unterrichts für beide Gefchlechter in Beiden oberen 
Klaffen; in der oberften Klafje jol auch Anweiſung im Yeber- 
Ichneiden erteilt werden. Den Anfängern wird mit Bleiftift vors 
gefchrieben, damit fie das Vorgefchriebene mit Tinte überfahren. 

DasRechnen fol mehr mechanijch ald mathematiſch gelehrt werben. 
Das Biel ift: Erleruung der 4 Spezies, auch der Regel de Tri. 
Weitere Belehrung kann nur Durch Privatunterricht erlangt werben. 
Doc follen die Schüler auch mit den römischen Ziffern befaunt 
gemacht werden. Bon der Laudwirtfchaft ift jedem Kinde eine 
biftorifche Kenutnid nötig. Die praftifche Anweifung zu fchriftlichen 
Aufſätzen bat noch den Nebenzwed, die Orthographie einzuüben, 
welche mehr aus Beiſpielen ald nach Regeln erlernt werden ſoll. 
Nach den ortbographifchen Fehlern wird in der oberften Klaſſe 
certirt. Briefe, Quittungen, Rechnungen werden dictirt, fobann 
eorrigirt und zu Haufe rein abgefchrieben, 


— 293 — 


Pflidten der Ediullehrer. Amtstreue, gottfeliger 
Wandel, pünktliches Abwarten der Lehrftunden. Die Lehrer follen 
während der Echulzeit Feine fremde Arbeit vornehmen, nicht aus 
der Schule gehen und dann einen Schuͤler an feine Stelle fegen, 
welches nur in feiner Gegenwart geftattet ift. Auch darf der Lehrer kein 
Kind zu feinen häuslichen Arbeiten gebrauhen. Die Schulverfäums 
nifje der Kinder find von ihm genau aufzuzeichnen, und das Verzeich- 
nis ift jeden Sonnabend dem Pfarrer einzureichen. Wo möglich follen 
die Lehrer während des Unterrichtes Feine Hunde und Katzen in 
der Schulftube halten. Der Lehrer fol ein väterliches Herz gegen 
alle Kinder haben, und fie unparteiifch behandeln, nichts von ben 
Kindern verlangen, was über ihre Kräfte ift, feinem feine Eörper- 
lichen Gebrechen vorwerfen, wie die ihm von den Eltern zugefüz- 
ten Beleidigungen an den Kindern rächen, nicht von häuslichen 
Angelegenheiten anderer Familien in der Schule reden. Ter 
Wettftreit unter den Kindern tft möglichit zu befördern. Der Lehrer 
darf Die Kinder nidyt ermuntern, ihm die gewöhnlichen Gefchenfe 
zu Martini, Neujahr, Faſtnacht oder an feinem Geburtstage zu 
bringen, oder wol gar zu Haufe etwas heimlich zu entwenden. 
Er ſoll nicht zu gelinde, aber im Strafen auch nicht zu ftreng 
jein. Wegen des Lernens darf Feine koͤrperliche Zuͤchtigung ftatt 
finden, fein AZurjchandeftellen, Fein Snieen, andy fein Aufgeben 
größerer Lectionen zum Auswendiglernen. Der Stod gehört für 
den Rüden und den Hinteren, nicht aber für die Fingerfpißen. 
Rein Kind fol zu lange und blutrünftig gefchlagen werden. Die 
Ruthe auf den entblöften Hinteren Darf nnr dann gebraucht werden, 
wenn fich jämmtliche Kinder von der Seite, wohin das zu beftra- 
fende Kind ſich wendet, entfernt haben. Der Lehrer firafe nie 
leichtfinnig und nie höhnend. 

In feinem Haufe joll der Lehrer durch feine eigene Kinder: 
zucht ein gutes Beifpiel geben; er foll gegen feine Vorgeſetzten 
befcheiden und geborfam fein. Die aus dem Seminarium Ent- 
laßenen follen die älteren Lehrer nicht verfleineren und fich nicht 
über diefelben erheben. Die Lehrer jollen bejonderd Höflich und 
dienfifertig fein, ſich nicht felbft rächen und nicht Die Advocaten 
und Mäfler fpielen. 


— 294 — 


Pflihten der Schüler. Dom 6ten Bid zum I4ten Jahr 
oder bis zur Konfirmation müßen alle Kinder die Schule fleikig 
beſuchen, pünftli in der Schule erfcheinen, und ſtill, gehorſam 
und aufmerffam fein. Sie follen paarweile aus der Schule und 
ftill über Die Straße geben, u. |. w. 

Während dieſe Schulorbnung ausgearbeitet wurde, gingen 
die Behörden zu gleicher Zeit auch über die Ausmittelung eines 
Fonds zur Verbeßerung der Lehrerftellen zu Rate. Da nemlich für 
die Zufunft in allen Schulen auch während des Sommers wenigftend 
an einigen Tagen Unterricht erteilt werben follte, wodurch ſich die 
Arbeiten der Lehrer vermehrten; da ferner die Dingſchulen abgefchafft 
werden und den feminariftifch gebildeten Xehrern eine jährliche 
Bejoldung nicht unter 100 fl. zugefichert worden war, fo muften neue 
Hülfsquellen entdedt werden. Man machte mancherlei Vorſchlaͤge; 
man proponirte eine Anleihe von einer halben Million Gulden zu 
3 Procent und die Bezalung der Kriegsſchulden gegen 44 Procent, 
wodurd dem Schulfonds eine jährliche Rente von 7500 fl. zu 
flöße; ein Privilegium zu einem Lotto, deſſen Ertrag am Beſten 
zu guten Zwecken verwendet werde; die bei der neuen Vermeßung 
des Landes überfchießenden Grundſtücke, beſonders Triſche den 
Schullehrern zur Rottung und Benußung zu überlaßen. Die Schul 
lehrer jollten zur WVerbeßerung ihrer Tage nebenbei ein Handwerk 
lernen, welches fie in Teinem Falle mit dem Landmann in Berüh—⸗ 
rung bringe und bei den Kindern verächtlich made. Daher fei 
eine Manufactur von Leinene und Baummollenzeugen anzulegen, 
für welche die Schullehrer aber nur während des Sommers fpin- 
nen und weben fönnten; Anpflanzungen von Maulbeerbäumen und 
Einführung des Seidenbaues; Anftellung der Echullehrer als vers 
eidigte Zehnterheber u. |. w. 

Indeſſen erhielten dieſe Vorſchläge die Genehmigung des 
Fürften nicht. Derſelbe beabfichtigte den Lehrern in anderer und 
einfacherer Weife zu helfen. Es waren von Frankreich für bie 
im fiebenjährigen Kriege gelieferte Sourage 20,000 fl. ausbezalt 
worden, wovon die einzelnen Greditoren gar nicht oder nur äuferfl 
Ihwierig konnten aufgefunden werden. Zu biefer Summe Iegte 
Karl Wilhelm aus der Hoffammerreceptur noch baar 10,000 fl. hinzu, 


.— 295 — 


fo daß eine Obligation zu 30,000 fl. üiberwiefen wurde, wovon 
die jährlichen Intereſſen zum Beften der deutſchen Schulen follten 
verwendet werden. Auch follten in Zukunft alle Vermächtniffe zu 
milden Stiftungen nach authentiicher Auslegung in diefen Fonds 
fließen. Die Verwaltung deffelben wurde unter Aufficht des Con⸗ 
filtoriums der Präjenz (d. h. Stiftöverwaltung) in Idſtein über- 
tragen. Dieſe wichtige Schenkung wurde unter dem 13. April 
1780 vollzogen. 

Nun wurden die Convente in den Aemtern Wiesbaden, Id—⸗ 
ftein, Ufingen, Wehen, Burſchwalbach und Lahr aufgefordert, ge: 
naue DVerzeichniffe der Competenzen ſaͤmmtlicher deutſchen Schulen 
aufzuftellen, dabei aber weder Wohnung noch Die Schulfcheiter und 
das Holz in Anfchlag zu Bringen. Dem Scullehrer fjollten in 
billigem Anſchlag nur zwei Morgen Wiefen und ein Morgen 
Aderland belaßen, ver Mehrbetrag an Feldgütern hingegen vers 
fauft werden, weil der Fürft ſchlechterdings den Schullehrer nicht 
wollte verbauern laßen. Die Veräußerung unterblieb jedoch, weil 
nur wenige Schulftellen einen bedeutenden Weberfchuß hatten. Auch 
follte fie erft nad) Erledigung dergleihen Stellen eintreten. 

Nachdem die Aufnahme mit möglichfter Genauigkeit vorge- 
nommen worden war, wurden ſaͤmmtliche deutſche Schullehreritellen 
in vier Klaffen geteilt. In der eriten Klaffe befanden fich alle 
- Schulen, welde ein jährlihes Einfommen von 150 fl. wirklich 
hatten, (die meiften in den Städten,) 15 an der Bal; in der 
zweiten die, welche über 70 Schulkinder zälten, mit 150 fl. Be- 
foldung, 17 an der Zal; in der dritten Klafje Die, welche von 
50 — 70 Kindern bejucht wurden, mit 120 fl., ihrer waren 14; 
zur vierten Klaſſe gehörten alle diejenigen, welche weniger als 50 
Kinder zälten und 100 fl. erhielten; deren waren 30. Es befan⸗ 
den ſich alfo im Fürftentum Naffau:Ufingen 76 Schullehrer. Bon 
ben vorgefundenen 17 Dingfchulen wurden 9 in Die vierte Klaſſe 
aufgenommen; die übrigen 8 aufgelöft, und ihre ohnehin geringe 
Kinderzal den nädyften Schulen zugewiefen. Der jährliche Zufchuß, 
welcher erforderlich war, um die Normalbejoldungen aufzubringen, 
betrug 2140 fl., wovon 660 fl. allein für die 9 früheren Ding- 
Schulen aufgingen. Da indefjen die Auszalung der Normalbejoldung 





— 296 — 


mit der Anſtellung der im Seminar gebildeten Lehrer und bei 
deren künftiger Beförderung ihren Anfang nehmen ſollte, jo unter 
ftellte man mit Recht, daß erft nach einer Reihe von Jahren der 
ganze Zufchuß erfordert und unterbeflen das Kapital fich vermehren 
werde. 

Nachdem fomit der Plan einer allfeitigen Reorganifiation 
des Schulweſens feftgeftellt war, Fonnte auch der Plan zur Ein 
rihtung de8 Seminars gründlid entworfen werden, wobei der 
Plan des Karlsruher Seminars zum Grunde gelegt wurde. Tod 
wurde er erweitert, weil auch bier der Fürft ein Kapital von 
9480 fl., welches während der Sequeftration von den Mieler 
heimer Behntgefällen ausgeliehen worden war, zum Fonds für das 
Seminar ftiftete. Schon i. 3. 1778 Hatte der Baufchreiber Koch 
zu Idſtein in Die projeftirte Anftalt 40 fl. Iegirt, Hatte indeſſen 
keinen Nachfolger gefunden. Nun konnte auch ein befonderer Lehrer 
oder Collaborator angeftellt werden. Das Iandesherrlicdhe Ebikt, 
die Gründung eines Scullehrerfeminars in Idſtein betreffend, ift 
von dem Fürften Karl Wilhelm zu Biberich den 2. Januar 1779 
unterzeichnet. Am 1. Mai wurde die Anftalt von 4 Zoͤglingen 
eröffnet, 

Die wichtigften Beftimmungen des über die Einrichtung des 
Seminars aufgeftellten Regulativs find folgende: $. 1. Lehr: 
gegenftände: Der Katechismus nebft einer weiteren Ausführung ' 
der chriſtlichen Glaubens- und Sittenlehre und bibliſchen Gefchichte; 
Lefen der lateinischen Sprade und die Anfangdgründe der Ety⸗ 
mologie; die Grundfäße der natürlihen Moral und der Landwirt 
ſchaft; Schreiben und Rechnen; Singen; Glavier-, Drgel- und 
Biolinfpiel; Unterriht über die Pflichten und über Die nötige 
Amtsflugheit des Schulmeifterd, und praftiiche Anleitung zum 
Schulhalten und Katechifiren. — $. 2. Aller Unterricht, außer dem 
in der Inſtrumentalmuſik, wird unentgeldlidy erteilt. — F. 3. Die 
in $. 1 angegebenen Gegenftände ift jeder Seminarift zu erlernen 
verpflichtet; Dagegen ſteht es ihm frei, Die Lehrſtunden in der 
Geographie, Geſchichte und Geometrie im Gymnaſium zu be 
ſuchen. — $. 4. As Unterftüßung ſollen ſtets 4 Drbinarien 
(d. h. ordentliche Seminariften), welde auf Einer Stube wohnen, 


— 297° — 


freie Logis, Bett, Holz und Licht nebft der halben Koft erhalten; 
das Uebrige an Lebensmitteln, Kleidung, Leinwand, Büchern, 
Schreibmaterialien müßen fie auf ihre Koften anfchaffen, auch den 
Privatunterricht in der Muſik Bezalen. — 8. 5. Die Befähigung 
zur Aufnahme giebt ein Alter nicht unter 18 und nicht über 25 
Jahren, fertiged Leſen und Schreiben, memorielled Herſagen des 
Katechismus, einige Uebung im Glavierfpiel und ein Vermögen, 
das zur Beſtreitung der im$.4 angeführten Auslagen hinreicht. — 
6. 6. Jedes Jahr, 4 Wochen vor Oftern, haben ſich die Adſpi— 
ranten des Schulftandes bei dem Director des Seminars zu 
melden, ihre Tauficheine und Beugniffe von dem Ortögeiftlichen 
vorzulegen und nach vorgenommener Prüfung die höhere Entfchei- 
dung über ihre Aufnahme abzuwarten. — $. 7. Die nicht ordi- 
nären Böglinge, deren Zal vorläufig ebenfalls auf 4 feſtgeſetzt 
wird, müßen alle Koften, bis auf den Unterricht in Sprachen und 
MWißenfchaften, aus eigenen Mitteln beftreiten. — $. 8. Die Zeit 
des Aufenthaltes im Seminar ift auf 2 Jahre feftgefegt. Wer 
aber nicht fleißig ift, muß ein halbes, ja ein ganzes Jahr Länger 
in demſelben verbleiben. — $. 9. Der ald befähigt aus der An⸗ 
ftalt Entlaßene fol bei der erften Vacanz zum Schuldienft bes 
fördert werden. Im Falle, daß die Stelle nicht 100 fl. eintragen 
würde, fol Ddiefelbe aus dem Schulverbeßerungsfonds bis auf 
diefe Summe erhöht werden. — $. 10. Künftig fol Niemand 
als Volfsfchullehrer angeftellt werden, der nicht vorher das Se⸗ 
minar zu Idſtein befucht Hat und für befähigt erklärt worden 
ift. — $. 11. Diejenigen Dingfchullehrer, weldye das 25. Lebens⸗ 
jahr noch nicht überfchritten haben und noch unverheiratet find, 
werden in dad Seminar aufgenommen. 

In den näcftfolgenden Jahren bis zur Organifation des 
gefammten Schulwefens im Herzogtum Naffau erfuhr das Seminar 
in feinen Einrichtungen mannigfache Reformen. Die Bonds und 
die Zal der Lehrer fo wie die Zal der ordentlihen und außer: 
ordentlihen Seminariften mehrten fi, neben ben evangelifchen 
fanden fpäter auch Fatholifche Schulamtsafpiranten Aufnahme, Die 
Verbindung des Seminars mit dem Gymnaſium wurbe aufgehoben 
und der Lectionsplan wurde mehrfach verbeßert. — Wichtiger 


— 298 — 


indeſſen als dieſe fpäteren Reformen des Seminard waren für bie 
Geſchichte des naffauischen Volksſchulweſens die Veränderungen 
und Erweiterungen, welche die Ereigniffe diefer Zeit für den Ter⸗ 
ritorialumfang des Fürftentumsd und nachherigen Herzogtums her- 
beiführten. Außer den beutfchen Naſſau-Oraniſchen Landen erhielt 
nemlich das verjüngte Naffau Teile der Erzftifter Mainz und Trier, 
ber Grafichaften Wied, Neuwied und Runkel, Sayn-Hachenburg 
und Anhalt-Schaumburg, ſowie des Kurfürftentums und bed Groß: 
berzogtums Heſſen. 

Zum vormaligen Grabistum Mainz gehörte der gröfle 
Zeil der naffauifchen Aemter Königftein, Höchft, Hochheim, Eltville, 
Rüdesheim und Braubah. Die legten Kurfürften des Graftifte 
hatten fi) durch ihre Fürforge für das Schulwefen rühmlichſt 
ausgezeichnet. Die in Mainz eingerichtete Normalfchule bildete viele 
tüchtige Lehrer. Man führte eine beſſere Methode ein und forgte 
für zwedmäßige Lehrbücher. In den meiften Orten waren fländige 
Schullehrer; Dinglehrer kamen felten vor. Diele Lehrer waren 
muſikaliſch gut gebildet, da man namentlih im Rheingau von dem 
Lehrer verlangte, daß er nicht nur einen Choral zu fpielen, fondern 
auch eine Kirchenmufif zu dirigiren und Glavierunterricht zu erteilen 
verftebe. In volfreichen Gemeinden waren die Schulkinder häufig 
nach den Gefchlechtern getrennt und neben dem Knabenlehrer war 
ein Mädchenlehrer angeftellt. 

Zum Kurfürftentum Trier gehörten die Aemter Montabaur, 
Maudt, Herfchbach, Limburg und der zum Amt Idſtein gezogene 
Gamberger Grund. Der Zuftand der dafigen Schulen war mit 
dem in den Mainzifhen Dorfjchulen kaum zu vergleichen. Die 
Scyulmeifter waren unwißend und arm, trieben daher ihr Hand» 
wert weit mehr ald die Schulmeifterei. Erſt als die genannten 
Aemter i. 3. 1803 mit Nafjfau-Weilburg vereinigt wurden, wurde 
ber Zuftand der Schulen daſelbſt allmählich ein beßerer. Der 
Fürft Friedrih Wilhelm von Naffau-Weilburg befchloß nemlid 
fofort den beträchtlichen Fonds der Eurtrierifchen Gelehrtenſchule 
zur Errichtung eines Gymnafiums und einer damit verbundenen 
Normalſchule in Montabaur zu verwenden. Die Oberauffiät 
über jämmtliche katholiſche Schulanftalten des Regierungsbezirkes 


— 29 — 


Ehrenbreitenſtein wurde einer beſonderen Schulcommiſſion über⸗ 
geben, welche aus einem Director und drei ordentlichen Mitgliedern 
beſtand. Die Lehrgegenftände der Normalſchule zu Mon⸗ 
tabaur (die von dem Director des dafigen Gymnafiums geleitet 
wurde,) waren Vernunft: und chriftfiche Religion und Sittenlehre, 
deutſche Sprache, Anleitung zu den im gemeinen Leben vorkom- 
menden fchriftlichen Aufſätzen, Schönjchreiben, Bifferrechnen mit 
häufigem SKopfrechnen, die gemeine Feldmeßkunſt, eine gedrängte 
Körper: und Seelenlehre, Erdbeſchreibung, Geſchichte, vorzüglich 
bie bibliſche mit einer tabellarifchen Weberficht über die allgemeine 
Weltgefchichte, Das Wißenswürbigfte aus der Naturgejchichte und 
Naturlehre, Methodik, Katechetif und Geſanglehre. — Bei Erridy 
tung dieſer Normaljchule wurde verordnet, daß alle angeftellten 
Glementarlehrer Fatholiicher Religion im Regierungsbezirk Chrens 
breitenftein jährlih von den Lehrern der Normalfchule geprüft 
werden, und daß die nicht gehörig Befähigten noch auf etliche Zeit 
in der Anftalt zurüdgehalten werden follten. In Zukunft follte 
fein katholiſcher Volksſchullehrer angeftellt werben, der nicht den 
Unterricht in Montabaur genoßen oder von den dortigen Lehrern 
geprüft und für befähigt erflärt worden fei. Die Bedingungen 
zur Aufnahme waren: ein Alter von wenigftend 15 Jahren, För- 
perlihe Fehlloſigkeit, die Kenntniffe eines befähigten &lementare 
Ihüferd und ein Zeugnis über Wolverhalten, von Beamten und 
Pfarrern ausgefertigt. In Grmangelung bejonderer Realfchulen 
wurde auch andern jungen Leuten, welche fich nicht dem Lehrers 
beruf gewidmet hatten, der Beſuch der Lehrftunden in der Nor- 
malfchule geftattet. Der Curſus war balbjährig, fo daß im 
Frühjahr und im Herbft neue Ajpiranten eintreten Eonnten. 

Bon der Graffhaft Neumied erhielt Naffau das Amt 
Selterd mit ſechs Pfarrgemeinden. Der Fürft Friedrich Alexander 
that in feiner fünf und vierzigen Regierung Vieles zur Hebung 
der Schulen. Im Jahre 1779 fchidte er zwei junge Männer auf 
feine Koften nad Deſſau, wo ſich Diefelben in Baſedows Philan- 
thropin mit der neuen Didaktik und Methodik befannt machen 
ſollten. Als einer derjelben, Eder, nach einiger Zeit in die Hei- 
mat zurüdfehrte, wurde er Schulmeifter zu Heddersdorf, einem 





— 300 — 


nabe bei Neuwied gelegenen Dorfe. Daſelbſt richtete Eder eine 
Sculmeifterfchule ein, welche von den in den 13 Kirchſpielsſchulen 
angeftellten Lehrern fowie von den Dinglehrern und Schulamtk 
afpiranten befucht wurde. Der Fürft und deſſen trefflide Ge 
mahlin wohnten oͤfters dem Unterriht und den Prüfungen bei, 
und ermunterten aufs thätigfte Lehrer und Schüler. 

In den Grafihaften Wied, Runkel und Hadhenburg 
waren die Volksſchulen in der traurigften Verfaßung. Die meiften 
Orte hatten nur Dinglehrer, von denen das Echulamt als gele 
gentliche8 Nebengemwerbe betrachtet wurde. Indeſſen wurde nad 
dem jahre 1790 aus einer urfprünglih von dem nachherigen 
großherzoglich heffifchen Kirchen: und Echulrat Fr. 8. Wagner zu 
Hachenburg geftifteten Privatlehranftalt allmählich eine Pflanzfchule 
für fünftige Lehrer geftiftet. Der nachherige Vorftand diefer An 
ftalt Koh. Juſt. Schulz übernahm nemlich gegen einen ihm vom 
Staate verwilligten firen Gehalt die Verpflichtung, den Schulleh 
rern und Schulamtscandidaten der umliegenden Gegend Unterridt 
zu erteilen, welchen zwei unentgelblich, die übrigen jeder für einen 
halben Reich&thaler monatlich benugen fonnten. Der bafige Cantor 
hatte Die Lehrer im Singen zu unterrichten, wofür derſelbe eine 
Heine Gratification erhielt. Die Schullehrer Famen wöchentlich 
zweimal frühmorgens in die Stadt, beſuchten Die Unterrichtsftunden 
und Tehrten Abends in die Heimat zurüd, Die Anftalt, welde 
Ipäterhin noch vervollfommmet wurde, erlofch, als Die neue herzoglich 
Naſſauiſche Schulordnung ind Leben trat. 

Erfreulicher als in den zuleßt genannten Territorien ents 
widelte fih das Volksſchulweſen feit 1779 in dem Fürftentum 
Naffau-Ufingen. Die zugefiherten Bejoldungserhböhungen wurden 
nah und nad) in Vollzug geſetzt, und durch die Vermehrung des 
Schulverbegerungsfonds konnten in der Folge Die geringeren 
Schuldotationen auf 125 fl. erhöht werden. Abgeſehen von eins 
zelnen Berhältniffen, welche durch fpätere Verordnungen geändert 
wurden, blieb die Schulordnung bis zum Anfang Des neuen 
Jahrhunderts in Geltung. Als i. J. 1803 das Fürftentum einen 
Zuwachs von Territorien erhalten hatte, deren Gemeinden meiftens 
ber Fatholifchen Religion zugetban waren, wurden die Schulen 


— 301 — - 


berjelben fo wie deren äußere kirchlichen Verhaͤltniſſe der eigens 
hierfür errichteten Adminiftrationscommiffion, und nach deren Aufs 
löſung i. 3. 1808 der berzoglichen Landesregierung untergeordnet. 
Die evangelifchen Schulanftalten blieben unter der Aufficht des 
Confiſtoriums. Die Unficherheit und der fortdauernde Wechfel 
der politiichen und territorialen Verhaͤltniſſe verftatteten es nicht, 
eine Reform des Schulweſens vorzunehmen, obgleich dieſelbe öfters 
angeregt wurde. Endlich wurde höheren Ort3 bejchloßen, eine 
Gentralftelle für das Schul» und Erziehungswejen im Herzogtum 
zu errichten, Damit in Die bisher von verfchiedenen Behörden vers 
walteten einzelnen Xeile des Unterrichtöwejend Ginheit, Plans 
mäßigfeit und fyftematifcher Zufammenhang fäme. Zu Anfang des 
Jahres 1813 wurde daher C. U. Schellenberg, welder 24 
Sabre ald Pfarrer und 14 Jahre ald Vorfteher einer blühenden 
Erziehungsanftalt in Neuwied gewirkt hatte, in fein Waterland 
zurüdgerufen, und zum zweiten Stadtpfarrer in Wiesbaden, ſowie 
zum Referenten bei der Minifteriallanzlei in Schulfachen ernannt. 

Die Eriegeriihen Unruhen in diefem und in den beiben 
zunächftfolgenden Jahren und der Länderwechſel, welcher erft 1816 
aufbörte, ließen Pläne, die nur in Frieden und bei feftem Beftand 
der Dinge gedeihen können, nicht zur Ausführung fommen. Doc 
gewann man Zeit, um einen jo wichtigen Gegenftand ruhig und 
allfeitig zn prüfen. Nachdem daher das wichtige landesherrliche 
Edikt, Die Verwaltungs- Drganifation des Herzogtums betreffend, 
unter dem 9. und 11. September 1815 erjchlenen und in ber 
Landesregierung eine eigne Section fir das gefammte Schul» und 
Erziehungswefen eingerichtet war, auch andere Verordnungen außs 
geführt waren, welche einer beßeren Schulverfaßung den Weg 
babnten; nachdem durch den Inſpektor des Schullehrerfeminars 
Denzel zu Eplingen im Nachſommer und Herbſt 1816 ein Lehr⸗ 
kurſus für die Schullehrer zu Idſtein gehalten und dadurch im Kreiſe der 
Lehrer ein neues Leben und Streben erwedt worden war, jo fonnte nun 
nach reiflicher Erwägung zur Aufftellung einer neuen Schulordnung *) 
gefchritten werden, welche unter dem 24. März 1817 publizirt wurbe. 


*) Diefelbe findet fi abgedrudt in den freimütigen Jahrbüchern der all- 
gemeinen deutfhen Volksſchulen, B. I. 





— 302 — 


Ein offizieller Bericht”) vom Jahre 1819 teilte über bie 
Entwidlung des Volksſchulweſens in Naſſau mit: „Die Eintid- 
tung der Volksſchulen nad) Maßgabe der vorliegenden landesherr⸗ 
lichen Edicte fchreitet fort. 618 Schulbezirfe find gebildet worden, 
in welchen fi 828 einzelne Schulen befinden, in welchen ber Un 
terricht durch 12 Reale, 677 Glementarlehrer und 136 Gehülfen 
oder Stellvertretern erteilt wird. Der Gehalt dieſer Lehrer nähert 
fih 200,000 fl. und bat aus Beiträgen aus dem Kirchenfonds 
und den Gemeindefaffen um mehr ald 4 Theil, ben beftehenden 
Verordnungen gemäß, erhöht werden koͤnnen. Nur in einigen 
jeltenen Fällen wird ein Beitrag aus der Landesſteuerkaſſe, der 
2000 fl. nicht erreicht, zur Beſoldung der &lementarlehrer in An 
ſpruch genommen werben müßen. 

Regelmäßige Glementarjchulen find an die Stelle der joge: 
nannten Ding- oder Winterjchulen in den ärmeren Gebirgägegen- 
den getreten. 65,000 Sinder beiderlei Geſchlechts erhalten in 
diefen Schulen den Elementarunterricht. 

87 neue Schulhäufer werben erbaut, und 279 nen einge 
richtet oder erweitert. Die Bildungsanftalt der Schullehrer zu 
Idſtein hat einen erwünfjchten Fortgang. 160 nach ber neu ein- 
geführten Lehrmethode gebildete Lehrer find bereits zur Beſetzung ber 
Schulen aus dieſer Anftalt entlaffen worden; ihre Anzahl wird 
fich bald vermehren. 

Das neue Gebäude, dad zu Idſtein hat für Die Bildungs 
anftalt der Schullehrer aufgeführt werben müßen, ift feiner Vol 
lendung nahe und wird im Fünftigen Sommer ſchon zu feinem 
Zweck benußt werben können.” 

Auf die Pflege der Baum- und Snduftriefchulen wurde 
faum anderswo ein folcher Wert gelegt als in Naſſau. Die 
Böglinge des Schullehrerfeminars zu Idſtein wurden in der Land: 
wirtichaft, und vorzüglich in der Baumzucht theoretisch und praf: 
tifch unterrichtet. An jedem Schulorte war, wo möglich in der 
Nähe des Schulhaufes, eine Baumſchule angelegt, welche auf 


*) Vortrag des Staatsminiftere v. Marfchall in der Ständefammer zu 
Wisbaden am 20. Februar 1819. 


— 3083 — 


Koften der Gemeinde angelegt und umzäumt und mit Sternen 
befäet oder mit wilden Seßlingen bepflanzt war. Die Baumfchule 
fand unter der Aufficht und ferneren Beforgung ded Schullehrers, 
der dabei von den größeren Schulfnaben unterflügt ward. Un 
freien Nachmittagen erteilte der Schullehrer den älteren Schul 
fnaben Unterricht im Oculiren, Pfropfen, Gopuliren, im Beſchneiden 
und überhaupt in der Behandlung der Bäume. Won dem Erlös 
der veredeiten Stämmchen bezog der Schullehrer den vierten Teil. 

Wie die Baumfchulen, -fo hatten auch die Induſtrieſchulen 
den erwünfchten Fortgang. Im Sabre 1825 waren an allen 689 
Schulorten eben jo viele Anduftrielehrerinnen angeftellt. Diefelben 
batten die Verpflichtung, au den beiden freien Nachmittagen, 
Mittwochs und Sonnabends, jedesmal 3 Stunden die weiblichen 
Schulkinder im Striden, Nähen, Fliden u. dgl. zu unterrichten. 
Ihre Befoldung, Die auf dem Lande jährlich zwifchen 12 und 30 
fl. betrug, erhielten fie aus der Gemeindekaſſe. Das Vorurteil, 
mit welchen früher viele Mütter gegen die Induſtrieſchulen einge- 
nommen waren, war allmählich einer beßeren Einficht gewichen. 
Die Mütter befuchten fleißig die öffentlichen Prüfungen, an deren 
Schluß die weiblihen Handarbeiten vorgezeigt wurden, und Die 
erwachjeneren Mädchen fuchten an mehreren Orten einen befon- 
deren Stolz darin, in gleichfarbigen Miedern und Säden, wozu 
fie die Wolle gejponnen und hernach geftridt Hatten, auf ber 
Prüfung zu erjcheinen. In den 12 Schulorten ded Amtes Wied, 
baden, in denen die Induſtrieſchulen von 568 Mädchen befucht 
wurden, waren im Sculjahre 1824 verfertigt: 1199 Paar 
Strümpfe für Erwachjene, 1155 Paar für Kinder, 128 Mübchen, 
84 Wämje, 62 Paar Handſchuhe, 95 Hofenträger, 98 Paar 
Strumpfbänder, 3 Hofen, 1 ganzes Kleid, 26 Paar Soden, 1 
Kappe; 469 Paar Strümpfe waren angeftridt; an Näharbeiten 
waren verfertigt 209 Hemden, 124 Schürzen, 22 Leibchen, 72 
Halstücher, 98 Sadtüher, 67 Hauben; 44 Kinderkleidchen; 203 
Stüde wurden geflidt, 46 Paar Strümpfe geftopft und 69 Stüde 
wurden gezeichnet. Geſponnen wurden 2 Pfund Wolle, 2554 
Pfund Hanf und 123 Pfund Werg. 





— 304 — 


Schwierig war in den ärmeren Gemeinden das Herbeiſchaffen 
des Materiald zur Arbeit, während in den Städten die Frauen 
vereine Unterftügung leifteten. Die Amtsarmencommilfionen hatten 
daher den ärmeren Gemeinden ein Fleines Betriebsfapital ange 
wiejen, wovon Material angefauft und der Arbeitölohn bezahlt 
wurde. — Der Unterricht durfte fih nur vom Striden bis zum 
Schneiden und Nähen eined Hemdes erfireden, indem alle feineren 
Arbeiten einem anderweitigen Unterrichte vorbehalten waren. Den 
Knaben war e8 freigeftellt, die Snduftriefchulen zu befuchen, was 
indefjen nur an wenigen Orten geſchah. Gleichwol erblickte man 
in den Dörfern nicht felten Knaben mit Stridarbeiten in ben 
Händen, während die Schaaren beitelnder Kinder, welche früher 
von Ort zu Ort zu wandern pflegten, faft überall verfchwunden 
waren. 


X, 


Das Fürftentum Lippe-Detmom. 


Die Kirchenordnung, weldhe die Grafen Hermann Simon 
und Simon zu Lippe i. J. 1571 (20. April) für die Grafichaften 
Lippe, Spiegelberg und Pyrmont erließen, beweift, daß um 
diefe Zeit in den genannten Territorien Dorfſchulen noch nire 
gends beftanden und auch nicht beftehen konnten. Denn «8 
wird in der Kirchenorbnung geflagt, daß „die Leute” Bisher 
zum Verdruß der Pfarrer „ihres Gefallend ungefchidite, leichte 
fertige, ärgerliche, frevelhafte, mutwillige und gottlofe Buben“ 
zu Küftern angenommen bätten, und Daß dieſe „ſich hernach der 
Ihwarzen Kunſt, Wahrfagens, Segenſprechens, ftetigen Bolljaufens, 
Schatzgrabens oder Geldſuchens ober anderer abergläubifchen zaus 
beriichen Narrenteidungen — zum höchften geflißen und gebraudt.“ 
Unter jo traurigen Verhältniffen fonnten die Grafen nicht daran 
denken, den Küftern die Einrichtung von Schulen zu befehlen; fie 
wollten nur, daß ber Küfter den Kirchengefang ordentlich leite und 
den Pfarrer in den fonntägigen Katechifationen einigermaßen un 
terflüße. Sie verordneten daher in der Kirchenordnung, daß in 


— 305 — 


Zukunft Feine Küfter anders als durch den Pfarrer und die Be- 
amten des Orts angeftellt, und daß jeder darüber geprüft werden 
jollte, „ob er auch jehreiben und Iefen könne, auch die Hauptftüde 
der dhriftlichen Lehre, aus der H. Schrift alten und neuen Teſta⸗ 
mentd gezogen und im Heinen Kinderfatehismus kürzlich verfaft 
und begriffen, ziemlicher Maßen verftehe und ftudirt Habe, damit 
er die Kirchengefänge felbft lefen, recht fingen und andere Laien 
lehren möge, auch den heiligen Katechismus bei der jugend (mie 
denn von Alterd ber in der Gemeinde Gottes der Küfter Amt 
gewejen ift,) des Sonntags neben dem Paftor oder 
Kaplan, nah den Gaben fo ihnen Gott der Herr verliehen, 
lehren und treiben Eönne.” Zugleich wurde befohlen, um dem 
unter den Küftern im Schwange gehenden Unwejen augenblidlich 
zu fleuern, daß jeder Klüfter, der noch „mit gottlofem Teufelsfegen 
und Arznei umgehe und (wie auf etlihen Dörfern gejchieht)- St. 
Johannis⸗Evangelium fchreibe, den Leuten an die Hälfe hänge für 
allerlei Krankheit und Zauberei, oder der noch öffentliche Wein⸗ 
und Bierfrüge und Schänfe halte oder ſonſt unehrliche Handthie⸗ 
rung übe, item ein ruchlos, Argerlih Leben führe mit Saufen, 
Spielen, Zanken, Doppel oder anderem — gottesläfterlichen Wandel“ 
fofort von feiner Stelle entjegt werden ſollte. 

Erft im 17. Jahrhundert entftanden in ber Graffchaft Lippe 
die erften Volksſchulen; und Die erfte Schulordnung, nach welcher 
diefelben eingerichtet werben follten, erfchien unter dem 4. Septbr. 
1665, auf den Antrag des Generalconfiftoriumd und mit Geneh- 
migung des Grafen Hermann Adolph. 

In vortreffliher Weile wird in dieſer Schulordnung Die 
Volksſchule ald ein lediglich zur Erziehung des Volkes in chrift- 
licher Gottfeligfeit beftimmted Inſtitut charakterifirt, das Dazu 
dienen folle, der überhand nehmenden Gottlofigfeit zu wehren und 
Gottes Zorn von dem Lande abzuwenden. Die Volksſchule wird 
durchaus nur im Zufammenhange mit der kirchlichen und mit 
der häuslichen Erziehung aufgefaſt. Es wird daher verordnet, 
„daß alle und jede dieſes Landes Unterthanen ihre Kinder, ſo⸗ 
bald fie zur Sprade kommen, in aller Gottesfurdt, 
Ehrbarfeit, Zucht and Tugend auferziehen, und biefelbigen 

Heppe, Boltsfgulwefen, 8. 20 


— 306 , — 


zu dieſem Behufe nicht Iypäter als im fiebten Jahre ihres 
Alters dem Schulmeiſter liefern und anbefehlen, und nach der 
Hand fleißig zur Schule ſchicken und darin zu aller heilſamen Gr: 
kenntnis und chriftlihen Tugend anführen laßen follen“. Kinder, 
welche von ihren Eltern bei den häuslichen Arbeiten nicht entbehrt 
werden Fönnen, follen täglich mwenigftend zwei Stunden zur Schule 
Eommen und fi) im Lefen, Singen und Beten unterrichten laßen. 
An den fonntägigen Katechifationen in der Kirche foll neben den 
Kindern auch das Gefinde des ganzen Kirchipield Teil nehmen. 
Die Eltern, weldhe ihre Kinder nicht zur Schule jchiden , follen 
bei den Bifitationen angezeigt werben. Als Mufter zur Einrich⸗ 
tung der Lectionen ift das für Die Landſchule zu Detmold befte 
hende Regulativ anzufehn. 

Die nächſte Verordnung, welche in Betreff der Schulen er: 
laßen wurde, zeigt, Daß die Anordnungen des Grafen Hermann 
Adolph nicht ohne Erfolg geblieben waren. In der Kirchenord⸗ 
nung nemlich, welche die Gräfin Auna Memilie durch den Super 
intendenten zu Detmold Johann Jacob Zeller aus Zürich ausar- 
beiten und i. J. 1684 befaunt machen ließ, wurbe bereits bie 
Errichtung von Filialſchulen geflatter und die ganze Organijation 
des Schulweſens beſtimmter geordnet. Das gefammte Schulweſen 
des Landes wurde nemlich unter Die Dberaufficht des Konfiftoriums 
geftellt, und demgemäß verordnet, daß in Zufuuft Niemand ohne 
Genehmigung des Konfiftoriumd eine Schule einrihten, und daß 
Niemand zu einem Schuldienft angenommen werden follte, ber 
nicht vom SKonfiftorium mit Buziehung eines Superintendenten 
gehörig geprüft und im Lefen, Schreiben, Rechnen, Singen und 
vor Allem in der Erkenntnis der chriftlichen Lehre tüchtig befunden 
fei. Der Beginn der Schhulpflichtigfeit ward (nicht für das fie 
bente, fondern) für das achte Lebensjahr feftgejeßt. Den vereinzelt 
und vom Pfarrjige entfernt wohnenden Bauerjchaften warb ges 
ftattet, ih mit Vorwißen des Superintendenten einen bejonderen 
examinirten Schulmeifter zu halten. Doc fjollten fie nichts deko 
weniger, wenn es not thue, verpflichtet fein, für Die Bebürfnifle 
der Bfarrjchulftelle zu contribuiren. Den Pfarrern wurde ed zur 
Pflicht gemacht, die Schulen fleißig zu vifitiren. Ueber die Anite 


— 307 — 


pflihten der Schulmeifter und über die Einrichtung des Unter: 
richtes enthielt die Schulordnung die gewöhnlichen Beftimmungen. 
Beſondere Fürforge befahl die Kirchenordnung den armen Kindern 
zuzuwenden, die aus Mangel an Kleidern und weil fie das Schul: 
geld nicht zalen koͤnnten, die Schule verjäumten. 

Diefe Verordnungen blieben bis in die zweite Hälfte des 
18. Jahrhunderts die Grundlage, auf der ſich die Volksfchule in 
dem Lippifchen Lande aufbaute. Cine Verordnung, welche der 
Graf Simon Heinrich Adolph unter dem 16. September 1723 
über den Gebrauch des Heidelberger Katechismus und über den 
Beſuch der Sommerfjchulen erließ, änderte an der beftehenden 
Ordnung nur fehr Unwefentlihes. Dagegen war die „Schulord- 
nung fürs platte Land“ des Grafen Simon Auguft vom 28. März 
1767 von größerer Bedeutung. In derjelben wurden die in der 
Kirhenordnung von 1684 enthaltenen Beftimmungen über das 
Schulwesen beftätigt und außerdem verordnet: Im Sommer follte 
in der Mittagszeit wenigftensd zwei oder drei Stunden lang Schule 
gehalten werben. Das in der Kirchenordnung beftimmte Schul- 
geld follte im Winter ganz, im Sommer zur Hälfte bezalt werben. 
„Jedoch werden diejenigen Eltern, welche aus Liebe zu Gott und 
feinem Wort ihre Kinder des Sommers ſowol als ded Winters 
Bor und Nachmittags zur Schule fchiden, das völlige Schulgeld 
zu bezalen fich nicht entfagen.” Auch Diejenigen Eltern, die ihre 
Kinder nicht zur Schule ſchickten, jollten zur Zalung des Schule 
geldes angehalten und außerden noch bejtraft werden. „Diejenigen 
Kinder Hingegen, welche wegen Außerfter Armut ihrer Eltern das 
tägliche Brot zu verdienen fi) des Sommers bei andre Leute in 
Dienft begeben müften, und dadurch jo weit von der Schule ent- 
fernt würden, daß ſie von ihren Dienftheren Feine Erlaubnis nad) 
der Schule zu gehen erlangen könnten, follten von Bezalung des 
Sommerjchulgeldes zwar befreit fein; Dagegen jollte aber aud) 
Niemandem leicht verftattet werben, feine Kinder,’ ehe fie zum 5. 
Abendmal gelapen, ohne Vorwißen des Predigerd in andre Ge— 
meinden und Kirchſpiele in Dienfte zu bringen.” Kinder aus 
anderen Gemeinden follten nur mit Zuftimmung ihres Sceelforgers 


von einem anderen Pfarrer zur Confirmation angenommen, und 
2Q* 


— 308 — 


fein Kind follte vor dem vierzehnten Jahre confirnirt werben. 
Kein Küfter oder Schulmeifter ſoll feine Schule ohne erhebliche 
Urſachen verabjäumen, oder dieſelbe „Durch feine Ehefrau und 
Kinder, wie öfters gejchieht”, verwalten laßen. In wirklichen Ber: 
binderungsfällen follte feine Stelle von geeigneten Leuten verfeben 
werben. Nur Mittwoch und Sonnabends nach Mittag follte die 
Schule geſchloßen fein. Das Schulgeld jollte der Schulmeifter 
halbjährlich oder alle Sahre erheben. Würde dagegen ein Schul: 
meifter fein Schulgeld über das Jahr hinaus ftehn laßen, fo fol 
er mit einer Klage, Die er etwa erheben dürfte, abgewiefen werben. 
Die Pfarrer fjollen die Schulen wenigftend monatlich vifitiren, 
Diefe Schulordnung fol alle Jahre am Sonntage nad) dem halb⸗ 
jährlichen Bettage vor Michaelis von den Kanzeln herab vorge 
lefen werben. 

Eine weſentliche Veränderung ihrer ganzen Stellung erlitt 
die Volksſchule durch Die unter der vormundjchaftlichen Regierung 
bes Grafen Ludwig Heinrid) Adolph unter dem 23. Septbr. 1783 
erlaßene Verordnung „wegen der Schulgelder aufm Lande". 
Bisher hatte nemlich Die Schule mit der Pfarrei zufammengebört, 
und das Volf war genötigt, feine Kinder iu die Schule des eignen 
Kirchipield zu jchiden. Für Die ſehr zerftreut wohnenden Bauer 
familien des Landes verurfacdhte Dies den Uebelftand, daß Gitern 
oft genötigt wurden, ihre Kinder in die fehr weit entfernte Schule 
ihres Kirchſpiels zu ſchicken, während fie die Schule einer andern 
Pfarrei ganz in der Nähe hatten. In einzelnen Fällen war es 
allerdings vom Konfiftorium bereit3 geftattet worden , daß Eltern 
mit Umgehung ihrer Pfarrfchule Kinder in eine andre Pfarrfchule 
Ihidten. Aber in Diefem Falle war ed den Eltern immer zur 
Pflicht gemacht, auch dem Küfter ihres Pfarrer das Schulgeld zu 
zalen. Als daher die bei dem Konfiftorium zu Detmold über ben 
befteheuden Sculzwang einlaufenden Bejchwerden ſich mehrten, 
fam dieſes felbft auf den Gedanken, den Zufammenhang der Schule 
mit der Pfarrei grabezu aufzulöfen und die Wahl der Schulen 
für jedermann völlig frei zu geben. Der Graf Ludwig Heinrid 
Adolph genehmigte den Antrag des Konfiftoriumd und verordnete 
Dengemäß unter dem 23. Sptbr, 1783, daß „vom 1. Januar 1784 


— 309 — 


an alle Eltern die Freiheit haben follten, ihre Kinder, ohne dop⸗ 
pelte8 Schulgeld zu erlegen, demjenigen Schulmeifter, es fei in 
oder außer ihrem Kirchſpiel, zu fchiden, zu dem fie das meifte 
Vertrauen haben”. Natürlich machte Diefe fundamentale Umge- 
ftaltung der beftehenden Verbältniffe eine Abänderung aller der- 
jenigen Beftimmungen notwendig, welche lediglich mit Beziehung 
auf die bisherige Stellung der Schule zur Pfarrei getroffen waren. 
68 wurde daher in der Verordnung vom 23. September 1783 
weiterhin verfügt: 1) Alles Schulgeld follte quartalweife von den 
ordentlihen Rendanten erhoben und an den SKonfiftorialfecretar, 
der den Schulmeiftern nach Maßgabe der Zal ihrer Schulkinder 
das objervanzmäßige Schulgeld auszuzalen habe, abgeliefert werden. 
2) Damit fein Schullehres fi) durch Habfucht verleiten laße, 
mehr Schulkinder anzunehmen, ald er in den ordnungsmäßigen 
Schulftunden unterrichten könne, fo follte feinem derſelben für 
mehr al8 60 Schulkinder Schulgeld gezalt werten. 3) Die Schul⸗ 
meifter follten nicht nur in der bisherigen Weiſe alle Vierteljahre 
Liſten über den Schulbefuh und Fleiß aller Schulkinder einfenden, 
Sondern follten auch über die Schuler, welche aus anderen Scul- 
diftrieten zu ihnen fämen, an die betreffenden Pfarrer berichten. 
3) Seder Pfarrer habe zwar die Schulen feines Kirchſpiels nad) 
wie vor ausfchließlich zu überwachen; doc follte es auch anderen 
Pfarrern, deren Kirchſpielsangehörige die Schule befuchten, unver: 
wehrt fein, auf die Kinder aus ihrem Kirchjpiel zu fehen. 

Sin der fpäteren Zeit änderten fich die Verhältniffe des Lips 
pifhen Volfsfchulwefens nur in fofern, als aud bier durch Be- 
gründung eines Schullehrerfeminars für Heranbildung eines tüdhs 
tigen Lehrerſtandes geforgt und außerdem dem Schulmeifter auf- 
gegeben ward, fi in der Schule und außer derjelben Durch Ver⸗ 
breitung allerlei nüßlicher Kenntniffe und Künfte möglichft nuͤtzlich 
zu machen. 

Nach vielfeitigen Beratungen, weldhe i. J. 1780 über bie 
Einrichtung eined Seminars angeftellt waren, wurde endlich bes 
fhloßen:*) dad Seminar fei in Verbindung mit dem fchon 


*) Das Nähftfolgende ift nach der Schrift „Leber die Elementarſchulen im 
Fürſtentum Lippe, im biftorifchen Bericht‘ von Wert (1810) mitgeteilt. 


— 310 — 


beftebenden Waifenhaufe zu organifiren. Einem der Seminar 
lehrer, der zugleich die Seminariften zu beauffichtigen babe, fowie 
denjenigen Seminariften, welche vom Staate durchaus unentgeltlich 
zu unterhalten wären, habe man in dem Waiſenhauſe Wohnungen 
anzuweifen. Aud würden fih im Waifenhaufe Wohnungen aus 
findig machen laßen. Es fei ganz ſchicklich, daß Die Waiſenhaus— 
ſchule zugleich Uebungsſchule für die Seminariſten ſei. Ein Gym⸗ 
naſiallehrer ſolle den Unterricht in der Religion und Methodik 
erteilen. Außerdem koͤnne man noch einen geſchickten Predigtamts⸗ 
candidaten auf 3—4 Jahre an das Seminar heranziehen. Wenn 
nach mehreren Jahren ein im Seminar gebildeter junger Mann 
vorhanden ſei, der ſich auszeichne, jo konne dieſer als Gehülfe 
angeſtellt werden. Zum Hauptlehrer ſei der Gymnaſiallehrer zu 
ernennen, der Die Schule zu Red und das Seminar zu Hannover 
befucht und kennen gelernt habe. Der in den genannten Lehran- 
ftalten gebräuchliche Unterrichtsplan folle auch für Das zu erric: 
tende Seminar, jedoch mit Modificationen, Die das Land und bie 
Confeſſion erforberten, adoptirt werben. Zur Beltreitung der Koften 
müften die Landſtände um eine ausreichende Bewilligung augegan 
gen werden, und ſobald Dieje erfolgt fei, babe.man die Ausführung 
des Planes in Gotted Namen zu beginnen. 

Die Waifenhauscommiffion Tieß ſich willig finden, in dem 
MWaifenhaufe die zur Aufnahme des Seminarlehrer8 und der Se 
minariften erforderlichen Beränderungen vorzunehmen. Zwei Lehrer 
wurden ernannt, die Statuten des Seminars wurden ausgearbeitet, 
die Landrenterei gab, da die Landftäude durch Beitverbältnifle 
gehindert waren, Die nötigen Summen zu verwilligen, Die zur 
erften Einrichtung nötigen Geldmittel her, fo daß das Seminar 
am 30. November 1781 feierlich eingeweiht und am folgenden 
Zage eröffnet werden konnte. Die Unterrichtögegenftände waren: 
1) Religionslehre nady der Bibel und dem Heidelberger Katechis⸗ 
mus, 2) Lefen, Schreiben, Rechnen, 3) Geographie, 4) Natur 
gefchichte, 5) Gemeinnügige Kenntniſſe, Yandwirtfchaft, Bienenzucht 
nad) Rochows Lehrbuch, 6) Methodif, 7) Mufil. — Die Semi- 
nariften, welde an Dem MUnterrichte Teil nahmen, waren teil 
junge Leute, die ſich erft. zu einem Amte vorbereiten wollten, teild 


— 311 — 


ſchon angeftellte Schullehrer, die nur in gemwißen Wochen, in denen 
ihre Schulen faft gar nicht befucht wurden, vorübergehend den 
Unterriht anhörten. Der erfteren waren es anfänglich zwölf, von 
denen vier unentgeltlich Wohnung, Koſt, Kleidung, Waſche, 
Feuer, Licht und Schreibmaterialien erhielten. Außer dieſen 4 
jog. „freien Seminariften” hatten noch einige andere freie Woh- 
nung, muften fich jedoch im Uebrigen felbft unterhalten. Mehreren 
wurde dieſes damals nicht ſchwer, „ba fie ald Bedienten bei 
einem ber Sonoratioren Logis und Tiſch frei hatten.” Keiner 
wurde aufgenommen, wenn er nicht vorher von dem Prediger und 
Beamten feines Wohnort? ein Zeugnis feined guten Betragens 
und feiner Befähigung zum Lehrerberufe beigebracht hatte. Jeder 
wurde indeffen nur auf Probe angenommen und erft fpäterhin in 
das Regifter der Seminariften eingetragen. 

Es war damals noch Feine beſtimmte Zeit des Aufenthaltes 
im Seminar feftgefeßt. Der Seminarift wurbe entlaßen, wenn 
derfelbe eine gewiße Reife erhalten zu haben jchien und wenn eine 
Lehrerſtelle vacant wurde. 

In den nächftfolgenden Decennien erfuhr das Seminar 
mannichfache Veränderungen. Da das urfprüngliche Gebäude des 
Waifenhaufes eine anderweite Beftimmung erhielt, fo wurde i. J. 
1801 ein anderes geräumiges Haus gekauft, welches nicht nur Die 
Waifen und den Waifenvater mit defjen Familie aufnehmen konnte, 
fondern au für eine Erwerbsſchule Raum gab, und dem 
Seminar zwei Unterrihtäftuben fowie 12 Seminariften freie 
Wohnung gewährte. Die Erwerbsfchule wurde von 120 Kindern 
aus der Stadt befucht, die nicht nur zu Handarbeiten fondern 
auch zu allen den Fertigkeiten und SKenntniffen Anleitung erhielten, 
welde in Glementarjchulen gelehrt zu werden pflegten. Den Un⸗ 
terricht in der Religionslehre erteilte der erfte Lehrer des Seminars 
in ®egenwart der Seminariften, und unter feiner und Des zweiten 
Lehrers Leitung wurde von den älteren Seminariften in verjchies 
denen Klaſſen unterrichtet, jo daß es Feines befonderen Lehrers für 
diefelben bedurfte. 

Anfangs, fo lange es an einer Klaffeneinteilung fehlte und 
alle Seminariften gemeinfchaftlih an einem und demfelben Unter: 


— 312 — 


richt Zeil nahmen, wurden Afpiranten zu jeber beliebigen Zeit in 
das Seminar aufgenommen. Späterhin wurde immer nur eine 
ganze Klaffe recipirt. Sämmtliche Seminariften wurben nemlid 
in zwei Klaſſen geteilt, Die nur einige gemeinjchaftliche Unterricht 
ftunden hatten. Der Curſus wurde auf3 Jahre beredhnet. Die 
gereifteften Seminariften wurden mit dem Beginn der Winterfchulen 
entweder ald Scyullehrer irgendwo angeftellt oder wurden als 
Gehülfen in der Stadt und auf dem Lande verwendet. 

Im Sahre 1810 zälte dad Seminar 20 Zöglinge, von denen 
12 in der fog. Pflegeanftalt, in der fi) aud das Maifenhaus be 
fand, wohnten. Giner, der aus der Stadt gebürtig war, wohnte 
bei feinen Eltern. Für die übrigen 7 war in der Nähe des Se 
minars eine Wohnung gemietet, Die fie unentgeltlich benußten. 
Seder hatte fein eigenes Bett; Diejenigen, welche nicht ganz frei 
gehalten wurden, muften es von Haufe mitbringen. Die wenigften 
Seminariften waren in der Lage, ſich drei Jahre lang felbft ver 
föftigen zu koöͤnnen. Die mildthätigen Bewohner Detmolds ge 
währten Daher den meiften Seminariften tägliche Umgangsfofl. 

Ein Hauptaugenmerk hatte die Landesregierung darauf ges 
richtet, Daß durch das Seminar namentli auch das zur Zeit 
der Begründung defjelben angeregte Jutereſſe für Snduftrie- 
ſchulen gewedt und gefördert werben ſollte. Daher wurbe durch 
Verordnung vom 20. Februar 1786 den Schulmeiftern und Se— 
minariften aufgegeben, ſich die Verbeßerung der Obſtzucht und 
die Anlegung von Baumſchulen angelegen fein zu laßen und fi 
desfals vom Gonfiftorium Sinftructionen einzuholen. Wenn ein 
Seminarift zum Schuldienft befördert werde, fo follte derfelbe „in 
feinem Garten — oder jonft auf einem dazu bequemen Platze auf 
der Gemeinheit eine Baumſchule anlegen und ihn nicht nur zur 
praktiſchen Anweifung feiner Mitjchüler dafür nugen, fonderu auf 
daraus verpflanzbare Stämme den Einwohnern in feiner Schul 
gemeinde zum Anpflanzen gegen billige Vergütung überlaßen“ u. |. w. 

Die erften Verfuche einer Einrichtung von Induſtrieſchulen 
wurden i. J. 1788 zu Varenholz, hernach auch zu Lage gemadt, 
mißalüdten jedoch. Erft ſeit 1799 gelang ed, AInduftriefchulen 
im Lande wirklich heimisch zu machen. Einige Jahre ſpaͤter 


— 313 — 


(i. 3. 1801) ſchuf die Fürftin Pauline in Detmold ein größeres 
Anftitut, die „PBflegeanftalt”, durch welche die Fürftin den 
Gewinn der Anduftriefchule auch der Armeren Bevölferung der 
Refidenzftadt zu gewähren und dem Volksſchulweſen in berjelben 
zugleih eine neue Grundlage zu geben ſuchte. In dieſer Pflege: 
anftalt befand ſich nemlich außer vielen Mildthätigfeitsanftalten 
(Krantenhaus, Arbeitszimmer für Perfonen beiderlei Geſchlechts, 
Suppenanftalt, Kleinkinderbewahrungsanftalt) auh eine Frei- 
ſchule, welche zugleich Erwerb⸗ oder Induſtrieſchule war. — Die 
Errichtung planmäßig eingerichteter Schulhäufer wurbe i. J. 1795 
begonnen. 

Es konnte nicht fehlen, daß das Schulwelen des Landes 
nach einigen Decennien den von dem Seminar auögehenden Ein- 
fluß merfli erkennen ließ. Wie überall, fo war freilich auch hier 
die Bleihgültigkeit der Eltern ein ſchlimmes Hindernis aller derer, 
weldhe das Schulweſen zu heben fuchten. Im Jahre 1798 übers 
zeugte ſich die Regierung aus den ihr von dem Konfiftorium über: 
jandten General: Schulberichten, „daß der Echulfleiß der Kinder 
faft überall jährlih mehr ab: als zunahm, und daß befonderd im 
Sommer die meiften faft gar nicht zur Schule famen und darüber 
wieder vergaßen, was fie im Winter gelernt hatten. Daher wurde 
unter dem 5. März 1799 allen Droften und Beamten des Landes 
eingefchärft, „Daß fie auf Die ergangenen Schulordnungen genau 
balten, beſonders auch bei jeder fich ihnen fo oft darbietenden Ge⸗ 
legenheit die pflichtvergeßenen Eltern zum fleißigeren Schulichiden 
ihrer Kinder ernſtlich ermahnen, Diejenigen aber, die es dennoch 
ohne gültige Entjchultigung aus träger Bleichgültigfeit oder aus 
widerfpenftigem Cigenfinn unterliegen, dazu durch Zwangsmittel 
anhalten, dabei ihre Beftrafung am Gaugericht befördern, auch Die 
Namen der dur unverantwortlihde Schuld folder Eltern die 
Schule verfäumenden Kinder, zur Beichämung jener, von Zeit zu 
Zeit Öffentlih von ber Kanzel verlefen laßen“ follten. Da man 
außerdem wufte, daß eine „Haupturfadye der Schulverjäumnig im 
Sommer in dem Privathüten des Viehes durch die fehulfähigen 
Kinder” Tag, indem „dieſe verberbliche Eitte noch an mehreren 
Drten herrfchte, wo nad) einer Iandeöherrlihen Verordnung vom 





— 314 — 


4. December 1770 gemeine Hirten gehalten werden follten und 
fönnten“, jo wurde den Droften und Beamten insbejondere aud 
aufgegeben, „nicht nur ihre bejondere Aufmerkſamkeit auf Die beßere 
Beachtung dieſes heilfamen Geſetzes zu richten, ſondern auch ihre 
gutachtlichen Vorjchläge, wie ſich das Gemeinhüten, wo ed nur 
irgend die Rocalität erlaube, noch allgemeiner einführen und das 
Privathüten noch mehr einfchränfen laße, einzufenden, wo aber 
letzteres fchlechterdings nicht abzufchaffen ſtehe, doch die Eltern 
und Dienftherrn nachdrüdlichit anzubalten, Daß fie die Hirten: 
finder in bie für dieſe beftimmten Mittag 8ſchulen ſchickten.“ 
Zugleid wurde den Beamten bemerklich gemacht, Daß man ed gern 
jehe, wenn diejelben „die Beförderung der gemeinnügigen Induſtrie⸗ 
Anfltalten, wofür. jchon in einigen Schulen wolthätig gewirkt werde, 
ſich beſtens angelegen fein ließen.“ 

Im Anfange des neunzehnten Jahrhunderts war der YZuftand 
des Lippiſchen Volksſchulweſens folgender: Außer einer Gelehrten⸗ 
ſchule und einer Bürgerſchule zu Detmold waren 110 Glementars 
Schulen im Lande vorhanden. In denſelben wurde gelehrt: Lefen, 
Schreiben, Kopf- und Zafelrechnen, Religion und gemeinnüßige 
Kenntniffe. Von Beit zu Zeit wurde den Kindern aus einer für 
fie intereffanten Schrift, 3. DB. au8 Salzmanns Gittenlehre, 
vorgelejen. In allen Schulen war fchon feit den 1790er Jahren 
durch den Generalfuperintendenten Ewald eine Leſemaſchine 
eingeführt. In einigen Schulen war die Böhlmann’fche oder 
die. Stephani'ſche Wandfibel üblich; in den meiften wurde bie 
Fibel und das Lefebücdjlein von Holthaus in Schwelm, aud 
wol die Trefurter Fibel gebraucht. Eines befonderen Anſehens 
erfreute fich außer den Lefebüchern von Ewald und v. Gölln 
der Kinderfreund Rochows. Der Heibelberger Katechismus 
war von vielen Schulmeiſtern zurückgelegt. 

Schulpflichtig waren alle Kinder vom fiebenten bis zum 
vierzehnten LTebensjahre. Bon den 3 Klaſſen, in welche jede 
Schule eingeteilt war, umfafte die erfte diejenigen Schüler, melde 
die Buchftaben erft kennen lernten, bie zweite diejenigen, welde 
Anfänger im Lefen waren, und die dritte die, welche ſchon mit 
einiger Fertigkeit Iafen.. Im Winter. wurden. Vormittags 3 und 


— 315 — 


Nachmittags 2 Schulftunden gehalten. Im Sommer kamen an 
ben meiften Orten die Kinder nur von 12 — 2 Uhr zur Schule. 
Indeſſen nahmen die meilten Kinder au dem Sommerunterricht 
nur fehr unregelmäßig Teil. Auch wurden die Nachmittagsſtunden 
im Winter weit nachlaͤßiger befucht ald die Morgenftunden, indem 
namentlich entfernt wohnende Kinder, die fi Tein Mittagsbret 
mit zur Schule bringen Fonnten, zur Nachmittagsfchule gar nicht 
famen. Manche Lehrer pflegten daher den Morgenunterricht um 

eine Stunde zu verlängern. 

Die unmittelbare Beauffichtigung der Schule übte der Pfarrer 
aus. Jeder Prediger war nemlicy verpflichtet, feine Schule mo- 
natlich einmal zu bejuchen und in einem alle halbe Jahre an feinen 
Slaffical = Superintendenten einzuliefernden Berichte zu bemerken, 
wann er in ber Schule war, wie viele Kinder er in berfelben 
fand, und womit und wie bie Kinder befchäftigt wurden. Da für 
jede Schule halbjährig von dem Schullehrer ein Unterrichtsplan 
dem Prediger zur Reviſion eingereicht wurde, den man nachher in 
der Schule aufhing, fo. war es für den Prediger leicht, den Schuls 
meifter zu controliren. Säͤmmtliche Schulberichte wurden dem 
Beneralfuperintendenten zugejchict, der fie mit feinen Bemerkungen 
dem Konfiftorium übergab, von wo fie an die Regierung und in 
die höchften Hände Famen. Durch diefe Schulberichte wurden 
regelmäßig allerlei Rejcripte an Prediger und Schullehrer verans 
laſt. Bemerkungen von allgemeinerer Wichtigkeit, wozu Die Schul- 
berichte Gelegenheit gaben, wurden den Predigern in einen Gire 
cularjchreiben mitgeteilt. — Außerdem wurde jede Schule alle drei 
Jahre von dem Generalfuperintendenten vifitirt. 

Zum Zwede gegenfeitiger Anregung und Fortbildung hatten 
fih die Schullehrer bin und wieder zu Schullebrerconfes 
renzen vereinigt. Die Einrichtung dieſer Konferenzen war ver: 
ſchieden; alle aber hatten das gemeinfam , daß in ihnen Arbeiten 
über verjchiedene Unterrichtögegenftände vorgelegt und beurteilt 
wurden. Audy wurde wol von den Predigern den Schullehrern 
über Ginzelned Unterricht erteilt. Außerdem beftand eine „Lefe- 
fabinet“, welches faft ausſchließlich als Bibliothek der Schullehrer 
eingerichtet war. In der Regel ließen ſich Die Schullehrer einzelne 


— .316 — 


Bücher aus demfelben an den Tagen geben, an welden fie ihr 
Duarta-Scyulgeld abholten. 

Im Sabre 1807 machte die edle Fürftin Pauline den erften 
Verfuh, die Schullehrer fi über Fragen ihres Berufed nad 
eignem Urteil ausfprechen zu lagen, indem fie jeden derſelben durch 
das Konfiftorium auffordern ließ, über feine Schule, über Lehr⸗ 
gegenftände, Lehrmethode, über die Hinderniffe ihrer Wirkjamteit 
u. ſ. w. felbft zu berichten. Sim Jahre 1808 wurden für fämmt- 
liche Schullehrer ded Landes zwei Preisfragen geftellt, eine für 
die älteren Lehrer über die Hinderniffe einer gefegneten Wirkfam: 
feit des Schullehrerd im Allgemeinen und binfichtlich der Gegent, 
in welcher der Verfaßer lebte, und eine andere für jüngere Lehrer 
über die Frage: „Wie bat ein Schullehrer, der im Seminar nad 
Vorſchrift feinen Curſus gemacht hat, fih, wenn er angeftellt 
worden ift, weiter auszubilden 2! Für die befte Abhandlung der 
älteren Lehrer war ein Preis von 6, für die befte Abhandlung ber 
jüngeren Lehrer 3 Louisd'or, für das Acceffit ded erfleren 2, für 
das Acceſſit des letzteren 1 Louisd'or beftimmt. Außerbem be: 
mühte fi) Die Regierung, auf jedem nur möglichen Wege die 
Schullehrer und die Schulen mehr und mehr zu heben. “Die 
jährlihen Prüfungen der Seminariften wurden mit großer 
Feierlichfeit eingerichtet; die höheren Beamten, bie Geiſtlichkeit 
und felbit die Regentin wohnten benfelben thätig bei. Zur 
Ermunterung der Schulfinder wurden nad) dem Vorgange de3 
Pfarrers Dietrih v. Coͤlln in Derlinghaujen Hier und da Schul: 
fefte veranftaltet. 

Der Schulbeſuch war leider noch immer ein fehr mangel- 
bafter. Man nannte ein Kind auf dem Lande fleißig, wenn cd 
wenigftend zwei Drittel der Schulftunden in einem Semefter be 
Sucht hatte. In jeder Schule wurden Fleißliften geführt, die 
balbjährig mit den Schulberidten von dem Pfarrer an das Kon- 
fiftorium eingefandt werden muften. Uber dieſe Fleipliften ergaben 
die traurigften Refultate. Im Sommer arbeiteten die Schulkinder 
während der Echulzeit faft jämmtlich auf den Feldern oder hüteten 
Vieh. E3 kamen hier Iocale Verhältniffe in Betracht, Die vorläufig 
gar nicht zu überwinten waren. Die Stalfütterung war im Lande 


— 317 — 


noch nicht eingeführt. Allerdings war den Gemeinden aufgegeben, 
Gemeindehirten anzunehmen; allein an vielen Orten war dieſes 
noch gar nicht gefchehen, und da, wo man Gemeindehirten hatte, 
machten nicht alle Dorfbewohner von denfelben Gebrauch, indem 
viele Leute einzelne ihnen eigentümlich gehörige Diftrifte befaßen, Die 
fie nicht abweiden laßen Fonnten, wenn ihr Vieh fich immer bei 
der großen Heerde befand, der ed auf den Gemeindehuten nicht 
felten an Futter gebrach. Außerdem war e8 dei zerftreut Tiegen- 
den Golonaten, die zu einem Schuldiftrift gehörten, gradezu uns 
möglich, ſich einen gemeinfchaftlichen Hirten zu halten. Man mufte 
fid) daher, da ein ganz regelmäßiger Schulbefuch nicht zu erzwingen 
war, darauf bejchränfen, Die Prediger anzumeifen, daß fie nach 
Pflicht und Gewißen nur das Mögliche durchzuſetzen fuchen follten. 
Halbjährig follten fie die ſaͤumigen Eltern zur Rede ftelen. Wenn 
diefelben auf Erfordern nicht erfchienen, jo war der Pfarrer er- 
mächtigt, die Nenitenten Durch den Untervogt citiren zu laßen, 
was, da für die Gitation eine Gebür zu zalen war, als Strafe 
gelten Fonnte. 

Die Induſtrieſchulen wurden im Tippifchen nicht fowol 
ald Mittel zur Uebung der Arbeitsluft und Arbeitstüchtigfeit, ſon⸗ 
dern vielmehr ald Auftalten betrachtet, in denen fich die Kinder 
ſchon während ihrer Schulzeit etwas verdienen follten. Die Schul- 
finder lernten bier Flachs und Wolle fpinnen, ftriden, nähen, 
fliden. Eine Lehrerin unterrichtete fie, reichte ihnen, wenn fie Fein 
Material von Haufe mitgebracht hatten, das Nötige, nahm nachher 
die gefertigte Arbeit zurüd und zalte den Arbeitslohn. Die 
Lehrerin war gewöhnlich des Schullehrers Frau, Mutter ober 
Schweſter oder irgend eine andere Perfon, die ſich, bevor fie an: 
geftellt war, in einer Prüfung über ihre Gefchidlichfeit ausgewieſen 
hatte. Bot fih in einer Gemeinde, wo eine Sinduftriefchule anges 
legt werden follte, Niemand an, der bie erforderliche Befähigung 
befaß, fo wurde von dem Pfarrer oder Schullehrer eine Perjon 
aufgefucht, Die zu einer Induſtrielehrerin fich ausbilden zu wollen 
Neigung hatte. Diefe ging dann nach Detmold und eignete fich 
in der dafigen Erwerbfehule unter der. Anleitung der beiden Leh⸗ 
rerinnen nicht nur die ihr noch fehlende Fertigkeit in den gemöhns 





— 318 — 


lichen Handarbeiten an, fondern ließ fi auch mit dem ganzen 
Mechanismus einer Anduftriefchule näher befannt madyen. ine 
jede angeftellte Lehrerin erhielt jährlich 15 Rthlr. Befoldung. — 
Da in vielen Schulen die Kinder von Haufe gar Fein Arbeits 
material mitbracdhten, jo wurden alljährlich für Rechnung der In— 
duftriefchulfaffe 8— 10 Gentner Wolle gekauft, in Detmold zu 
Garn verarbeitet und an die LXehrerinnen nad Bebürfnis verteilt. 
Bon dieſen erhielt der Waifenvater zu Detmold, der als Aufſeher 
der Induſtrieſchulen diefelben im Winter ein- oder zweimal viſi⸗ 
tirte, das Fabricat zugeliefert, für welches er den Arbeitslohn 
vergütete. Auf ſolche Weife verdiente ſich manches Kind während 
feiner Schulzeit 20 — 30 Rthlr.; ein im Frühjahr 1809 aus der 
Erwerbſchule zu Detmold entlapened Mädchen hatte fich währen 
feiner Schulzeit fogar 78 Rthlr. erarbeitet. — Im Jahre 1809 
beftanden in Lippe 26 Induſtrieſchulen, faft alle mit zwei Stuben, 
nemlich mit einer Arbeitsftube und einer Lehrſtube eingerichtet. 
Es gab wenige Tandesregierungen, welche zur Hebung be 
Volksſchulweſens jo bedeutende materielle Opfer brachten, wie die 
Lippiſche. Das Schulgeld war gering (gewöhnli 1 Rthlr. und 
einige Groſchen jährlich) und war daher nur ein untergeordnete 
Dienftemolument der Schulmeifter, welches ihm jedoch ſehr bequem 
jo behändigt wurde, daß der Beamte, welcher Verzeichnifje aller 
Ichulfähigen Kinder aus den Kirchenbüchern extrahirt und zugefandt 
erhielt, das Schulgeld Durch den Untervogt eintreiben ließ. Bier 
teljäbrlih wurde e3 dann von dem Beamten an den Rendanten 
eingefandt, bei dem es die Schulmeifter abholten oder abholen 
ließen. Den Abzug von 4 Procent, der dem Rendanten zu Gute 
fam, ließen fi) die Schulmeifter gern gefallen. Für ganz arme 
Kinder wurde das Schulgeld jo bezalt, daß die Regierung jährlid 
500 Rthlr. nach einem gewiſſen Verhältnid unter Die Lehrer ver: 
teilen ließ. Ebenſo waren jährlih 80 Rthlr. zur Anfchaffung der 
nötigen Schuls und Schreibebücher für ganz arme Kinder beftimmt, 
welche Summe indefjen durch anderweite Zufchüße (auch aus dem 
Kirchenärar) noch erhöht werben nıufte. — Große Anftrengungen 
wurden auch gemacht, um überall geeignete Schufhäufer herzu⸗ 
ftellen. Sn dem Zeitraum von 1780—1809 wurden nicht weniger 


— 319 — 


ald 24 neue Schulhäufer gebaut; in den letzten 11 Jahren dieſes 
BZeitraumd wurden zu Bauten und Reparaturen 12329 Rthlr. 
verwendet. — Demgemäß waren. auch die Bejoldungen der Schul: 
lehrer beßer als irgendwo. Mit weniger ald 60 Rthlr. war fein 
Lehrer bejoldet; die meiften Lehrerftellen trugen jedoch weit mehr 
ein, nemlich 59 Etellen hatten eine Sompetenz von 60— 100 Rthlr., 
24 Stellen 100 — 150 Rthlr., 15 Stellen 150 — 200 Rthlr., 12 
Etellen 200—400 Rthlr. — Die erften Bulagen zu den urjprüng- 
lien Gompetenzen waren 1. %. 1796 verwilligt worden, und zwar 
im Betrage von 117 Rthlr. 20 Gr. 54 Pf. In den folgenden 
jahren wurden dieſe Zufchüße indeſſen fortwährend fo gefteigert, 
daß diejelben im Jahre 1809. über 880 Rthlr. betrugen. — Eine 
große Grleichterung wurde ben neu angeftellten Xehrern auch da⸗ 
durch gewährt, daß fie zu ihrer erften Ginrichtung von ber 
Leihekaſſe-Commiſſion einen unverzinslichen Vorſchuß erhielten, den 
fie erfi dann in gewilfen Terminen zurüdzuzalen hatten, wenn fie 
eine Befoldung von wenigftend 120 Rthlr. erhielten. Sechs junge 
Leute, welche i. 3. 1809 dad Seminar verließen, wurden fo (zu⸗ 
fammen) mit einer Summe von 426 Rthlr. audgeftattet. 


XXI. 
Das Fürftentum Schaumburg · Lippe.*) 


Soviel aus der Kirchenordnung zu entnehmen iſt, welche 
Graf Ernſt zu Holſtein und Schaumburg (1601 — 1622) i. J. 
1614 für die Graffchaft Schaumburg publizirte, waren in derfel- 
ben Dorffchulen noch nirgends vorhanden, In dieſer Kirchenord⸗ 
nung wird nemlich nur verordnet: „Inſonderheit fol in der Viſi⸗ 
tation Befehl geihehn, daß in allen Städten und Dörfern 
die Pastores und Diaconi am Sonntage zur Vesper 
die Kinder ordentlid unterweifen im Catechismo, alſo 
daß fie die Kinder nadheinander fragen und öffentlich 


*) Sauptquelle: Schaumburg-Rippifche Laudesverordnungen, 3 Bde. Büde- 
burg, 1804, 


— 320 — 


in der Kite Antwort von ihnen anhören. Und foll 
den Hausvätern Dur die Vifitatoren ernſtlich gebo- 
ten werden, daß fie ihren Kindern zu dDiefem VBerbör 
des Catehismi alle Sonntage zu fommen gebieten.” — 
Statt der Schule finden wir aljo hier nur den fonntäglidhen Ka⸗ 
techismusunterricht des Pfarrers in der Kirche, zu deſſen Beſuche 
die Kinder durch die Hausväter angehalten werden follten. 

Wie es fcheint, wurde die Errichtung von Pfarreifchulen erft 
nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges verfucht; wenigftens 
gehört die ältefte Verordnung, welche über die Einrichtung von 
Volksſchulen in der Grafſchaft Schaumburg-Tippe vorliegt, erft dem 
Sabre 1653 an. Diefelbe beweift, daß die Begründung eines 
Volksſchulweſens bier ebenfo fehwierig war, wie anderswo. Die 
Verordnung, welche Graf Philipp unter dem 9. Juni 1653 publi⸗ 
zirte, lautet nemlich: 

„Wir mögen euch hiermit nicht verhalten, wie wir in glaub- 
bafte Erfahrung kommen, daß unfre Unterthanen auf dem Lande 
ihre Kinder ſehr nachläßig zur Schule und chriftlichen Erziehung 
anhalten, auch für fich jelbft zum Teil von den Viſitationen ab- 
jentiren follen. Wann uns dann nicht gebüren will, ſolchem länger 
nachzufehen, fondern vielmehr obliegen thut, alles Ernſtes darüber 
zu halten, damit fowol die Jugend zur Gottesfurcht angemahnt 
und unterwiefen, al8 auch die Alten in ihrer Wißenſchaft von 
Chriſti Lehre und Glauben beftätigt werden, als befehlen wir euch 
hiermit gnädig, den Pfarrern eures befohlenen Amtes foldyes an- 
zubeuten und durch diefelben von den Kanzeln publiziren zu laßen, 
daß ein jeder Unterthan unausbleiblich feine Kinder zur Schule 
\hiden und halten, oder in BVerbleibung deſſen gleichwol dem 
Schulmeiſter jeinen Lohn, als wenn die Kinder zur Schule kommen, 
unmeigerlih entrichten, und wegen des Ungehorſams uns alle 
Quartale, darin er die Kinder nicht zur Schule fendet, 1 Rthlr. 
in Strafe verfallen fei.” 

Somit war der erfte ernftliche Schritt gethan, um im Lande 
Schaumburg » Lippe den Segen eines hriftlichen Volksſchulweſens 
heimiſch zu machen, indem jebt die Schulpflichtigkeit aller 
Kinder gejeglich ausgefprochen war. Aber die Hinberniffe, welde 


— 321 — 


der Durchführung diejed Geſetzes im Wege flandeı, waren fo groß, 
daß Graf Philipp fi vier Jahre jpäter genötigt ſah, zur Unter- 
ſtützung befielben eine neue Verordnung (unter dem 29. Dechr. 
1657) zu erlaßen, worin derſelbe die Vernachläßigung des Schul- 
befuches mit noch härteren Strafen bedrohte und zugleich auf das 
Beftimmteite ausſprach, daß die Volfsfchule Lediglich den Zweck 
babe, die chriftliche Kugend zum Genuße der Kommunion vorzus 
bereiten. Die Verordnung lautete: — „Wann aber Gott, foviel 
die menſchliche Schwachheit zuläft, recht zu erkennen, ein jeder 
Menſch ſich befleißigen fol, und zu dem Ende die Schulen funs 
dirt, und in den Kirchen die Katechismuslehren angeordnet, und 
dieſes beides unfrer Verordnung nach nicht wird beachtet, ald be: 
fehlen wir hiermit ernftli, daß Junge und Alte bei der Katechis⸗ 
muslehre ſich einftellen und auf die vortragenden Fragen Achtung 
geben, die Prediger auch nicht allein die Jungen, fondern die Alten 
fragen, — die Eltern aber ihre Kinder zu den Schulen, ſowol im 
Winter ald im Sommer anhalten, und ohne Vorwißen der Pre⸗ 
Diger nicht herausnehmen, jedoch mit der Moderation, daß dafern 
den Eltern ihre Kinder gänzlich zu entraten unmöglid, die Pre- 
diger gegen Bufage, nad) verfloßner Zeit fie wieder zu ftellen, 
aus den Schulen auf eine Zeitlang zu nehmen, wenn fie mit 
unfern Superintendenten hierüber communizirt, ihnen erlauben; 
inmittelft der Schulmeifter alle Duartale den völligen Lohn zu 
erheben hat, und unſre Beamten ‘Diejenigen, weldye die Kinder in 
die Schule zu bringen mutwilliger Weife unterlaßen, und von ben 
Predigern und Schulmeiftern ihnen defignirt werden, mit 2 Thlr. 
zum Brüche anfeben follen; die Prediger aber ſowol bei ben 
ungen, ehe und bevor fie felbige zu der Communion zulaßen, ob 
fie dasjenige, was ein Ghrift notwendig wißen muß, wißen, fich 
erkundigen, und bei verfpürendem Mangel fie abweifen, jedoch fie 
jelbft oder durch Die Schulmeifter unterweifen jollen, damit fie von 
den notwendigen Fragen gebürend unterrichtet, zur Communion 
fich einfinden.” 

Für die reformirte Hofgemeinde zu Büdeburg wurde das 
mald (um 1664) eine Parochialſchule eingerichtet; aber für bag 
eigentliche Landesſchulweſen blieb au die Verordnung von 1657 

Geppe, Boltefäulmeien, 3. 21 





— 322 — 


ohne allen Erfolg, hauptjächlich wol darum, weil es die Regierung 
verabfäumt hatte, die Mittel zur Erleichterung des Schulbeſuches 
und zur wirklichen Pflege des Schulweſens an die Hand zu geben. 
Diefem Mangel juchte das Landesconfiftorium zu Bückeburg durd 
ein Ausjchreiben vom 4. October 1681 an alle Pfarrer abzuhelfen, 
indem es biefelben Darauf hinwies, daß e8 vor Allem Pflicht fei, 
dafür Sorge zu tragen, „daß die Jugend zur Gottesfurcht ange 
führt und in dem Grunde des GChriftentumd wol unterrichtet 
werde, ehe und bevor der liebe Gott nach feinem allweiſen Rat 
um der Menſchen Bosheit willen, wie wol zu beforgen ftehe, neue 
Kriegdnot verhänge,” worauf e8 den Pfarrern zur Pflicht made 
1) darauf zu ſehen, daß die Schulen von allen Kindern ihrer 
betr. Gemeinden regelmäßig bejucht würden; 2) follten fie „die 
Leute, die darin ſäumig fein möchten, privatim mit Woritellung 
ihrer Pflichten getreuli vermahnen, und wenn in den nächften 
acht Tagen nicht gejpürt werde, daß die Erinnerung etwas ge 
fruchtet, (desfalls von dem Schulmeifter gehöriger Bericht zu 
fordern,) aljofort dem Amtmann Diejelben denunziren.“ Zugleich 
wurden an die Amtleute die nötigen Befehle über die Art und 
Weiſe erlaßen, in der fie gegen Eltern jchulfäumiger Kinder ver- 
fahren follten. Um aud den Kindern armer Leute den Schulbe⸗ 
fuch zu ermöglihen, wurden die Pfarrer angewiefen, Xiften der 
wirflih armen Familien an den Amtmann einzuliefern, der fie at- 
teftirt dem Gonfiftorium vorlegen jollte, damit dafjelbe nad Ber: 
mögen der betreffenden Armenfaffen Unterftügungen verwilligen 
fönnte. Außerdem follten die Pfarrer ihre Schulen allwöcheutlich 
pifitiren, in jedem Monat mit den Schullindern eine Prüfung aw 
ftellen und darauf ſehen, daß der Schulmeifter getreulich feine 
Staatspfliht erfülle. 

Aber die große Reihe landesherrliher Verordnungen, welde 
in Betreff ded Schulweſens bid in das dritte Jahrzehnt des ad: 
zehnten Jahrhunderts publizirt wurden, bewies, Daß es immer 
noch nicht möglich war, die Volksſchulen zu einem fichern Beſtand 
und zu fräftigem Gedeihen zu bringen. Namentlich ließ Graf 
Friedrih Chriftian dur Verordnung vom 20. Juli 1692 alle 
Pfarrer des Landes anweiſen, den Unterthanen von der Kanzel 


— 323 — 


die Pflicht, ihre Kinder zur Schule zu fchiden, nochmals einzu= 
Schärfen. Außerdem verorbnete Graf Friedrich Chriſtian (unter 
dem 29. Aug. 1713), da es häufig vorfomme, daß die Eltern 
ihre Kinder confirmirt haben wollten, „da fie dody nicht allein 
ſpät und unfleißig zur Schule fommen, fondern auch ihr Chriſten⸗ 
tum nicht verfiehn, jo gar daß fie Feine Zeile recht lefen, noch 
einen Geſang, damit fie in der Gemeinde Gott loben, auffchlagen 
fönnen,” — „daß die Kinder, fo nah Erfüllung des fechften 
Jahres zur Schule fommen, wenn fie zwölf Sabre alt, und ihr 
Berftand ed zuläft — (zur Gonfirmation) abmittirt werden moͤ⸗ 
gen; diejenigen aber, welche fieben Jahre alt von ihren Eltern zur 
Schule gejandt werden, nach angeführten Umftänden, wenn fie 
das 13. Jahr erfüllt, und Die fo acht Jahre alt erft zur Schule 
gefandt worden, gleichfalls, wenn fie beftändig darin gegangen 
und Die ſechs Schulfahre ausgehalten, im 14ten Jahre; diejenigen 
aber, fo von acht oder mehr Jahren find und von ihren Eltern 
dennoch von der Schule zurüdgehalten werben, follen die Schuls 
diener den Beamten, auch Bürgermeifter und Rat in den Städten 
anzeigen, und deren Hülfe und Beiftand erwarten.” 

Eine neue Periode begann für die Entwidlung des Schul- 
weiend in Schaumburgstippe mit dem Ende des Jahres 1733, in 
weldem unter dem 23. December der Graf Albrecht Wolfgang 
die erſte „Laudſchulordnung“ publizirte In derjelben wurde 
zwar über die innere Einrichtung der Schulen nur weniges feft- 
geftelt; dagegen wurden die genaueften Beftimmungen über die 
äußeren Verhältniffe des Schulmejend erlaßen. Als Zweck der 
Volksſchule wurde bezeichnet, daß die Unterthanen „nicht allein ale 
Menſchen, fondern auch vornehmlich als Ghriften erzogen” werden 
jollten. Die Integrität der urfprünglichen Katechismusſchule wurde 
daher vollfommen erhalten. Doch wurde es jebt zuerft beftimmt 
außgefprocdhen, Daß die Schulkinder im Leſen und Schreiben, und, 
wenigftens die Knaben, im Rechnen unterrichtet werben follten. 
Auch ſollte der Unterriht im Sommer fortgefegt werden. Syn 
Betreff derjenigen Kinder, welche bei der Feldarbeit unabkömmlich 
wären, wurde feftgefeßt, Daß dieſelben während des Sommers 
wöchentlich mwenigftend zweimal die Schule zu befuchen hätten. In 

21° 


— 324 — 


fremde Dienfte follten Kinder nur Dann gegeben werben, wenn fie 
„zum wenigften leſen und notdürftig fchreiben könnten und aus 
dem Katechismus den Grund ihres Glaubens zur Genüge gefaft, 
oder fonft der Dienftherr fie noch zu ſolchem Ende zur Schule zu 
halten fich anheiſchig machen und verfprechen wollte.” Damit bie 
Kinder nicht durch Viehhüten von der Schule abgehalten würden, 
follten in allen Gemeinden Viehhirten beftellt werden. Gegen 
Eltern und VBormünder, welche die Kinder nicht zum Schulbeſuche 
anhalten würden, follten die Beamten mit Zwangsmaßregeln vor: 
ſchreiten. Wohlhabende Väter unehelich geborner Kinder follten 
gezwungen fein, das Schulgeld für diefelben zu zalen. Geſuche 
um Erlaß des Schulgeldes follten bei dem Superintendenten. ein 
gereicht und von Diefem mit den erforderlichen Armutszeugnifien 
an das Gonfiftorium eingefandt werden. Dann follte das Gonfis 
ftorium über die eingegangenen Geſuche an den Landesherrn be 
richten, der eventuell das Schulgeld aus den landesherrlichen 
Gnadengeldern auszalen Taßen werde. „Sollte nun von den ein 
mal in foldhe Anzal (der Gratuiten) aufgenommenen Kindern eins 
oder mehrere aud der Schule dimittirt werben oder fonft abgehen, 
jo bat der Paftor — fothane Veränderung dem Superintendenten 
Sofort, diefer aber ad Cameram davon zu berichten.“ 

An Betreff der Schulmeifter wurde verordnet, dieſelben folls 
ten „jammt ihren Angehörigen und Hansgenoßen der wahren 
Gottesfurdt und eined eingezogenen und friedfertigen Lebens und 
Wandels fich befleißigen, Die ihnen amvertraute Jugend zu ber 
wahren Glaubenslehre Augsburgiſcher Confeſſion, zur beftändigen 
Gottfeligfeit, guten Sitten und nötiger Wißenfchaft treulich an- 
führen, insbeſondere Diejeiben nach der vorgefchriebenen Lehrart im 
Catechismo, auch Lejen, Schreiben und Rechnen täglich, zur 
Winters: und Sommerszeit, Vor: und Nachmittags, fleißig und 
unverdroßen unterweifen.” Die bis dahin üblichen Ferien follten 
auf ein Minimum für die heißen Sommertage zurüdtgeführt werben. 
Die Schulmeifter follten fi aller Nebengefhhäfte enthalten und 
ohne Erlaubnis des Pfarrers auch nicht auf einen halben Tag 
verreifen. Das Schulgeld follte vierteljährlich entrichtet und noͤ— 
tigenfalld Durdy die Beamten eingetrieben werden. Jeder Schul⸗ 


— 325 — 


meifter follte ein Verzeichnis aller Kinder feines Orts vom fechften 
bis zum zwölften Sabre aufftellen und fortführen: In der Kirche 
jollten die Schullinder Elafjenweife an einem befonderen Ort 
fitzen. Die Bewerber um Lehrerftellen follten ſich bei dem 
Superintendenten anmelden und ſich von demſelben prüfen laßen. 
Die Pfarrer follten die Schulen ihrer Gemeinden fleißig inſpizi⸗ 
ren, zu Anfang jeden Quartals Prüfungen anftellen und über das 
Ergebnis derfelben an den Superintendenten berichten. Die in 
auswärtige Kirchen eingepfarrten Echulen betreffend follte der je- 
desmalige Pfarrer zu Steinbergen die Schule zu Luhden und 
Hiefen, der Pfarrer zu Sülbeck die Schule zu Gelldorf und der 
Pfarrer zu Vehlen die Echule zu Bergkrug infpiziren. — Außer⸗ 
dem enthielt die Echulordnung mehrere Beftimmungen über bie 
an Schulamtscandidaten zu ftellenden Anforderungen (wobei Fer: 
tigfeit im Lefen, Schreiben, Rechnen und „eine gründliche und 
herzliche Erkenntnis und Furt Gottes“ gefordert wurde,) und 
über den Modus der Beſetzung erledigter Lehrerſtellen. Namentlich 
wurde verordnet, daß bei eintretender Vacanz das Conſiſtorium 
aus der von dem Superintendenten vorzulegenden Candidatenliſte 
den @®eeignetften erwählen und dem Landesherrn zur Beftätigung 
vorſchlagen follte. | 

Auf Grundlage diefer Schulordnung wurbe nun das Volks⸗ 
ſchulweſen der Grafſchaft allmählich reorganifirt. In den naͤchſt⸗ 
folgenden Decennien begegnen wir daher nur ſehr wenigen, die 
Dorfſchulen betreffenden, neuen Verordnungen. Nur eine noch⸗ 
malige Grinnerung an die Ginricdytung der Sommerfchulen und 
deren Beſuch wurde i. J. 1749 vom Gonfiftorium zu Büdeburg 
den Pfarrern infinuirt. Bon der i. J. 1766 publizirten neuen 
Schulordnung wurben die Volksſchulen gar nicht berührt, da fich 
biefelbe nur auf die lateinifchen Schulen des Landes zu Büde- 
burg und Stabthagen bezog. Indeſſen ift zu bemerken, daß 
nach dieſer Schulorbnung die unteren Klaſſen der beiden Schulen 
ganz im Geifte der Volksſchulen eingerichtet wurden, indem in 
denjelben die Schüler vorzugsweiſe in der Glaubenslehre, in ber 
Dibel, im Katehismus und in den Kirchenliedern unterrichtet 
werden follten. 


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Inzwiſchen Hatte jedoch die Baſedowſche Auffaßung ter 
Volksſchule, wonach diefelbe nicht mehr Katechismus⸗ fondern bür: 
gerliche Berufsschule fein follte, auch in dad Echaumburger Land 
Eingang gefunden, wo fie alsbald als untrügliches Mittel ber 
Volksbeglückung praktiſch gemacht werben folltee Demgemäß 
publizirte Graf Wilhelm unter dem 8. Januar 1777 eine neue 
Schulordnung, welche dieſer modernen Auffaßung der Volksſchule 
genau entſprach, indem fie dieſelbe, und zwar in exemplariſcher 
Weiſe, lediglich als Bildungs: und Nüplichkeitsinftitut hinſtellte. 
Die Hauptftellen dieſer Schulordnung find folgende: 

„Es ift ſchaͤdlicher Irrtum, wenn geglaubt wird, daß der 
Landmann, entweber weil er hauptfächlich mit ſchwerer Handarbeit 
ih zu befchäftigen beftimmt ift, oder anderer Urſachen wegen, 
denjenigen Unterricht entbehren müße, wodurd in andern Ständen 
bei der erften Schulerziehung jedem wenigftend bie Mittel an bie 
Hand gegeben werben, nad) Gelegenheit, gutem Willen und Um: 
ftänden fich auszubilden, und eigne Kenntniffe durch Hülfe einigee 
Leſens, mit Erfahrungen, Kenntniffen und Früchten des Nachden⸗ 
kens Anderer zu erweitern, und mit Einem Wort, die wichtigften 
Vorteile einer wolgeleiteten Vernunft, als der ächteften Duelle 
aller moralifcd) guten als fonft nüglichen Handlungen der Men: 
hen, zu ihrer eigenen und Anderer Wolfahrt und Verbeßerung 
teilhaftig zu werden.“ 

„Wir glauben, daß es Pflicht fei, auf die Erziehung der 
Jugend auf dem Rande etwas mehr Aufmerkjamfeit wie bisher zu 
wenden, damit der zalreihe-und fo nügliche Stand des Landmann 
hierin nicht verabfäumt und aus Mangel von Einfidhten, bei vie 
len Gelegenheiten der Gefahr, nad Blinden Vorurteilen, Gewohn⸗ 
heiten, — oder gar nad Aberglauben zu handeln überlaßen 
werde." — — 

„Holgende Befehle find den bißherigen Einrichtungen, die 
Landſchulen betreffend, beizufügen und zu befolgen:“ 

„8. 1. Es fol der Unterriht im Leſen fo eingerichtet 
werben, daß die Rehrlinge nicht bloß mechanisch eine Neihe von 
gebrudten oder gejchriebenen Worten laut nachiprechen lernen, 


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iondern daß der Sinn von dem, was fie gelejen haben, von dem 
Berftande begriffen werde." — — 

„5. 2. Das Schreiben fol auch fo gelehrt werden, daß 
die Lehrlinge nicht allein deutlih in Anfehung der Zeichnung 
Schreiben, ſondern auch ihre Gedanken fchriftlich auszudrüden lernen. 
Im Rechnen follen fie die fünf Spezies lernen, und ihnen ber 
Augen des Rechnens zu einer ordentlichen Haushaltung praftifch 
gelehrt werden.” 

„$. 3. Außer den bereits $. 1 erwähnten allgemeinen wichs 
tigen Endzweden wird durd etwas mehr Unterricht wie bißher ein 
ebenmäßig wichtiger, nemlih die genaue Befolgung der 
Landesgeſetze befördert werben. Die Erfahrung lehrt nur 
gar zu oft, daß täglich Verordnungen übertreten werben, und bie 
Uebertreter fich entweder mit Unwißenheit der Geſetze ober mit 
Einfalt und Unvermögen, dieſelben zu verſtehen, entjchuldigen. 
Es jollen desfalls“ 

„$. 4. diejenigen Verordnungen, welche den Landmann an⸗ 
gehen und zur beſtaͤndigen Befolgung beſtimmt ſind, in Büchern 
geſammelt, bei den Schulen aufbehalten, und die Jugend davon 
ſo frühzeitig, fortdauernd und ſorgfältig unterrichtet werden, daß 
ſolche in dem Gedaͤchtnis feſt eingeprägt und nad dem wahren 
Sinn verſtanden werden.“ — — 

„8S. 5. Wir werden die Küfter und Schulmeiſter mit nuͤtz⸗ 
lichen Iandwirtjchaftlihen und andern, zu einer bier erwähnten 
Abfichten gemäßen Erziehung dienlichen Büchern und Aufjägen 
verjehen laßen, woraus die fähigften der Lehrlinge aud das No- 
tigfte zu ihrem Gebrauche entweder fich jelbft abjchreiben Fönnen, 
um zu Haufe bei müßigen Stunden nacdjzulefen, oder es werden 
ihnen Abjchriften davon mitgeteilt.” 

„Ss. 6. Jahrlich follen einmal in jeder Landſchule Examina 
in Gegenwart der dazu von Uns express committirten Perfonen 
und Beamten gehalten werden, wie weit die Lehrlinge in An⸗ 
jehbung des Lejens, Schreibens und Rechnens und 
Erlernung der Berordnungen*) nah oben fiehenden Pa- 
ragraphen gekommen.” 


*) Bon Katechismus, Bibel und Geſangbuch ift Feine Rede. 


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(Hierauf folgen dann noch drei GG. über Belohnungen ver 
dienter „Lehrer“ und „Lehrlinge.”) 

Die Schulordnung, welche i. 3. 1794 für das Gymnafium 
zu Büdeburg aufgeftellt wurde, kam für das Volksſchulweſen ins 
jofern einigermaßen in Betracht, als die zwei unteren Klaſſen 
biefer (aus fünf Klaffen beftehenden) Anftalt als Bürgerſchule 
eingerichtet waren. — Seit 1783 wurde mit dem Gymnaſium zu 
Büdeburg auch ein Schullehrerfeminar verbunden, deſſen Zoͤglinge, 
die aus einem zu dieſem Bwede gegründeten Fonds Stipenbien 
erhielten, da8 Gymnaſium befuchten und Daneben von einem eigens 
dazu beftellten Lehrer (gewöhnlich einem der lutheriſchen Prediger 
der Stadt) in Katechetit und Methodik, ſowie von einem Mufit 
lehrer im Orgeljpiel unterrichtet wurden. Die Ginrichtung einer 
Aufnahme und Entlafungsprüfung der Seminariften ift leider bis 
auf diefen Tag verabfäumt worden. 


Sc ELFTT- 


Gänelpreflendend von Ich. Ming. Kol in Marburg.