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Full text of "Geschichte des deutschen Sprachstammes"

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Geschichte 



I 



deutschen Sprachstammes. 



Elriist ForstciuniiD. 



Z w ß i 1 L- r U Ji n d. 






Nonlbaiuen. 

\'0rtaff rnii f^ril. Fß'tteman». 




Geschichte 



des 



deutschen Sprachstammes. 



Von 



Ernst FSrsteiiiRiiii. 



Zweiter Band. 



NordhsDsen. 
Verlag ron Ferd, Fö'rtlemanm. 

1875. 



OiC^ 



r ruber, als ich vermuthet hatte, kann ich den zweiten Band dieaes 
Werkes ans Licht treten lassen; er ist kleiner aasgefallen als der erste^ 
da ich nicht den nordischen Sprachzweig auf zwei Bände vertheilen 
mochte und das vierte bis sechste Buch so dem ersten bis dritten in 
besserem Ebenmass entspricht. Wichtig ist es mir, noch einmal zu 
bemerken, dass ich hier nur ein Gerüst oder, in anderem Bilde ge- 
sprochen, nur eine Skizze des Gegenstandes liefern kann, die in einem 
Punkte mehr, im andern weniger ausgeführt ist, aber doch ein festes 
und auch noch nirgend angegriffenes GefUge bietet; darin lassen sich 
leicht tausende von Einzelnheiten bessern oder nachtragen, wie ich es 
beim ersten Bande schon reichlich, zunächst für mich, gethan habe. 
Mögen auch Andere zu diesem zweiten Bande solche Nachbesserungen 
liefern, sei es in anständiger oder, wenn ihnen die nicht gegeben ist, 
in anderer Weise, was ja für die Sache gleichgültig ist. Ausgezeich- 
nete Einzelnheiten liefern oder im Einzelnen den Andern verbessern 
kann so Mancher; aber einen von einheitlichem Gedanken durchdrungenen 
Organismus herzustellen, wie es der Gang der Wissenschaft von Zeit 
zu Zeit fordert, das ist nur eine Aufgabe für Opferwilligkeit und Selbst- 
verleugnnng. 

Dresden, den 17. Mai 1875. 

E. Forstemaim. 



Inhalt 



Seite 

Vicrtet Bucb. Iß'kn ^^otbeo 1 

AbAcbalU 1. Uut 5 

~ 'J. HyrsuduKchMXz 40 

3. WorthMung 82 

- 4- inexMim 113 

- 5. h^eutmi^ 119 

- «. Hyuux 127 

- 7. ELufloM irtwüAer Spx«cben 136 

l'nterfaiwr des GothiBehen 144 

Fiiifti*t Kuck. L'nUTiifaiig anderer deutscher Völker iio Römerreicbe. 171 

AbMbDftt 1. BmUfd^ 173 

2. Heruler 177 

3. Gepidim 181 

4. VaDd«l«n 184 

b, Burguo<ler 191 

6. I^Df^ob'irden 205 

ll»«hiil«M Bucb. Dais Mittelurdeutscbe 245 

AbaohDiU 1. Uut 248 

- 2. Sprachschatz 290 

- 8. WiirtbllduDK 295 

- 4. Ficijon 308 

- 5. Jiedeutunff^ , , 310 

- 6. HynUx 316 

-- 7. Kfoflutt fremder Sprachen 319 




Viertes Buch. 

Die Gothen. 



Wi 



äbrend wir ans im dritten Bache mit der angetheilten deut- 
Bchen Sprache and dem angetheilten deutschen Volke beschäftigt 
haben, treten wir jetzt zar Betrachtang der einzelnen Zweige dieser 
Sprache und dieses Volkes heran. Die Theilang dieser Zweige 
liegt in vorhistorischer Zeit; wir müssen also, um sie uns denken 
za können, nothwendig eine Hypothese aufstellen. Eine solche 
and nichts mehr liegt in der folgenden Erwägang; diese Hypothese 
hat 80 lange zu gelten, bis eine andere aufgestellt sein wird, die 
ans in der Erklärung der sprachlichen Ereignisse noch weiter zu 
fuhren im Stande ist; Hypothesen and Principien länger festzuhal- 
ten als sie brauchbar sind, ist eine Art Qötzendienst 

Wie haben wir uns also, das ist die erste Frage, die Bildung 
eines besonderen Gothenvolkes und einer besonderen gothischen 
Sprache zu denken? 

Ist die Bd. I, S. 336 entwickelte Ansicht richtig, dass die 
Urdeutschen vom schwarzen Meere den Dniestr aufwärts und dann 
die Weichsel abwärts gegangen sind, so liegt es nahe die erste 
Spaltung des Urdeutschen darin zu sehn, dass ein Thdl des Volkes 
auf seiner Wanderung in südöstlichen Sitzen zurückblieb. Treffen 
wir nun wirklich in jenen südöstlichen Gegenden, wie es der Fall 
isty einen deutschen Volksstamm, dessen alterthümlicherer Sprach- 
zustand auf eine verhältnissmässig kürzere Wanderung hindeutet, 
80 liegt es femer nahe in diesem Volksstamme die Nachkommen 
jener zurückgebliebenen Deutschen zu sehn^ die sich immerhin 
durch Zuzüge aus dem Norden zu der Zeit verstärkt haben mögen, 
als die deutschen Völker in die allgemeine Bewegung gegen die 
römische Grenze eintraten. 

So weit halte ich Grimmas Hypothese, die er so scharfsinnig 
namentlich in der Geschichte der deutschen Sprache entwickelt 
hat, allerdings für richtig, während ich doch anderseits der allge- 
meinen Ansicht folge, dass seine Gleichsetzung der Gothen mit 
den Geten nicht als fester Gewinn für die Wissenschaft zu betrachten 
ist i über den etwa vorhandenen thrakischeu und skythischen Hinter- 
grund zu reden gehört für jetzt noch ganz in untersuchende Einzel- 
forschnngen. 
FSrtfemmm, Ge$ch, d, d. Sprachstammes. If. \* 



4 IV. Einleitung. 

So dunkel auch die Nachrichten über jene südöstlichen deut- 
schen Stämme sind, so mangeln sie doch nicht gänzlich. Schon 
Plinias kennt ausser den drei von Tacitns erwähnten Zweigen der 
Germanen noch zwei andere im Osten, die Vandili and als fünften 
Zweig die Peucini und Basternae. Dieser fünfte Zweig wird von 
ihm, während die Vandili nördlicher zu setzen sind, als den Daciem 
benachbart (contermina Dacis) angegeben. In dieser Gegend finden 
wir auch die entschieden deutschen Namen 0£fa and Gildo auf den 
siebenbörgischen Wachstafeln von 167, also aas einer Zeit, die 
vor der allgemeinen Bewegung der Germanen liegt, sie werden einem 
jener kleinen Völker angehören, die später unter den Oothen ver- 
Bchwunden sind. 

Namentlich die Bastamen, deren Name uns schon fast zwei* 
hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung bekannt ist, als sie in die 
Kriege des macedonischen Perseus verwickelt waren, scheinen nach 
allem, was wir Von ihnen wissen^ com deutschen Blute gehört 
zu haben. Mit Grimm übereinstimmend spricht auch Holtzmann 
germanische Alterthümer (1873) S. 260 diese Ansicht aus, wenn 
er auch freilich darin zu weit geht, dass er in ihnen gradezu die 
ältesten Gothen sucht. Das grosse Gothenvolk, welches wir mit 
so ungeheueren Heeresmassen während der Völkerwanderung auf- 
treten sehen, scheint sich vielmehr erst um diese Zeit, namentlich 
durch die Stiftung des grossen Gothenreiches des Ermanarich, aus 
zahlreichen kleinen und unter sich vielleicht erheblich verschiedenen 
Volksstänunen gebildet zu haben. Von diesen Volksstämmen sind 
uns sicher die meisten, besonders die tief im Innern des Landes 
sitzenden nicht einmal dem Namen nach bekannt geworden, doch 
deuten noch solche Bezeichnungen wie Astingi, Taifali, Greutangi, 
Thervingi auf einzelne dieser ursprünglichen Elemente hin. Eins 
unter diesen Elementen muss das tonangebende in Politik und 
Sprache geworden sein und die andern verschlungen haben, viel- 
leicht schon ehe vom hohen Norden her auch Guttones mit andern 
Ostseevölkern in die Gemeinschaft eintraten. Auch die spätere 
Scheidung von Ostgothen und Westgothen mag schon einen sehr 
tiefliegenden Grund haben; was wir gothisch nennen und im fol- 
genden betrachten, ist im Wesentlichen nur die Sprache der West- 
gothen, unter denen Ulfilas lebte; vom Ostgothischen hätte uns 
ein anderer Mann, Jemandes, der bei ihnen wohnte, berichten 
sollen und das würde für uns um so höheren Werth gehabt haben, 
da die Ostgothen noch im fünften Jahrhundert Heiden waren, die 
sich deshalb auch unter Attila mit den Hunnen verbündeten. 

Das Wort Gothen ist uns in seinem appellativen Sinne nicht 



IV. Lautsystem. 5 

mehr ventandlich; in den nordischen Quellen von der alten Edda an 
begegnet nns gotnar in der Bedeutung von Tiri, homines, milites 
nicht selten, was doch kaum erst aus dem Gothennamen herge- 
leitet ist. Die zuräckbleibenden Volkstheile werden sich am ein- 
fachsten und ursprünglichsten urdeutsch Gutas benannt haben; 
wo der Name von einzelnen Stämmen auf der Wanderung mit- 
genommen wurde, erweiterte er sich durch Ableitung in Gutanas 
oder Vocalsteigerung in Gautas. 

Die sprachlichen Ereignisse, die wir im folgenden wesentlich 
anf Ulfilas gestützt darstellen, sind sicher während einer langen 
selbständigen Entwickelung des Volkes vor sich gegangen; ich 
schätze die Dauer dieser selbständigen Entwickelung auf mindestens 
ein halbes Jahrtausend, setze ihren Beginn also weit vor den An- 
fang unserer Zeitrechnung. 



Erster Abschnitt. 

Die liaiite. 

I. Lantsystem und Lautmischnng, 

Der erste Vorgang, mit dem wir es hier zu thun haben, stellt 
sieh als eine Verengerung des alten Lautsystems auf dem Gebiete 
der Vocale dar; ich meine den Untergang des 1 Wir hatten 
schon im zweiten Buche (Bd. I, S 246) und im dritten (Bd. I, S. 
341) gesehen, wie die Sphaere dieses Lautes sich durch massen- 
hafte Verdunkelung zu 6 in vorgothischen Sprachperioden vermindert 
hatte. Doch blieben noch bis auf den Beginn der gothischen Zeit 
herab ziemlich viele ä unangetastet. Es ist noch nicht recht 
ausgemacht^ welches Princip dieser verschiedenen Behandlung des 
Lautes zu Grunde liegt, auch nicht nach den Untersuchungen von 
Holtzmann in der Germania IX, 181 ff.; in vielen, vielleicht in den 
meisten Fällen scheint ein in der folgenden Sylbe stehendes i oder 
ia die Verdunkelung verhindert oder ein unmittelbar auf das ä 
folgender Consonant, zum Theil ein später verschlungener Nasal, 
den Laut festgehalten zu haben. 

Das Gothische hat nun alle diese ihm noch verbliebenen ä zu 
i erhöht. Es ist das eine speciell gothische Eigenthümlichkeit, 
wenn auch einzelne Mundarten später selbständig eine gleiche 
Erhöhung eintreten lassen, wie das Ags. in seinem ue^ das Frie- 
dsebe in seinem i und eben so das Altfränkische. Das Ahd., das 



6 IV. ft : e. 

Alts.; das AltD. behalten dagegen das ä, eben so galt es bei den 
Langobarden, ja selbst in den westfränkischen Namen bei Irmino. 
Wir geben jetzt eine Uebersicht dieser gothisehen S ans &: 

1) In Stammsylben, geordnet nach dem anf den Vocal folgen- 
den Gonsonanten: 

r. jer Jahr, fSrja Nachsteller, berusjOs Eltern, svers geehrt, 
merjan verkünden (dazu vailamers und meritha), nnveijan unwillig 
sein, tuzverjan zweifeln. 

I. kelikn oberstes Stockwerk, Thnrm, mel Zeit, Stande^ mela 
Scheffel, sels gütig, tauglich, m^ljan sehreiben. 

m. gatemiba passend, geziemend. 

n. mena Mond (nebst menSths Monat), qvens Weib, vens 
Hoffnung (nebst venjan erwarten). 

s. sves Eigenthum, blesan blasen. 
• V. teva, tevi Ordnung, Schar (nebst gatevjan ordnen), thevis 
Diener, alev Oel, lev Gelegenheit, Anlass (nebst levjan verrathen), 
skevjan gehn. 

k. meki Schwert, lekeis Arzt, bireks gefährdet, flekan be- 
klagen, tekan berühren (dem ein altn. taka und ags. tacan mit 
kurzem a gegenüber steht). 

h. garShsns Bestimmung, Rathschluss, gafShaba anständig, 
ehrbar. 

g, megs Schwiegersohn, yggs Bewegung, Sturm. 

t. afgtja Fresser, usmSt Aufenthalt, Wandel^ azgts leicht, fg^an 
schmücken, grStan weinen (nebst Subst. grfits), IStan lassen (nebst 
andlgtnan entlassen werden); in akSt Essig steht das S demselben 
Laute im latein. Worte gegenüber. 

th. manasSths Menschensaat, Welt, nSthla Nadel, h6thj6 
Kammer. 

d. dSds That, grSdus Hunger (nebst Adj. grSdags und Ver- 
bum grSdön), spgds spät, unlSds arm (nebst Subst. unlSdi), garddan 
sich befieissigen, undrSdan besorgen, gewähren. 

p. ySpn Waffe, slSpan schlafen (nebst' Subst. slSps). 

t. gagrSfts Beschluss. 

Dazu kommen die aus zweien a zusammengezogenen i in den 
pluralen Perfecten der giba- und nima-Conjugation, über deren 
Entstehung ich meine Ansicht Bd. L, 563 auseinander gesetzt habe, 
also gSbum, sfitum, nSmum, bSrum u. s. w.; die wirklich belegten 
Formen dieser Classe yerzeichnet Leo Meyer die goth. Sprache (1869) 
S. 593 ff. 

2) in Flexionssylben : 

Zuerst Instrumentale der Pronomina, über deren Entstehung 



IV. ä : 6. 7 

ans Foimen anf -& man Bd. I, 529 yergleiche. Dahin gehört thS, 
hyfi, wol anch noch die Formen byS, svarS, thandS, simig, bisanjandy 
hvadrdy hidr^ jaindrS; ferner schliessen sich hier an die Zusammen« 
Setzungen hvölands und hv^leiks, endlich auch noch die eigenthüm- 
lieh erweiterten Dative einiger Pronominalformen wie hvammSh, 
hiraijammSh, ainnumShnn (neben ainömShun). 

Zweitens der Gen. Plnr. bei Masc. und Neutren, z. B. fiskd, 
balgg; yaurdS, sunivd, blindaizS, wo das alte ft (oder daraus ver- 
kürztes a) noch altn., ahd., ags. erscheint; eben so bei Masc. und 
Neutren der schwachen Declinatiou, z.B. hanane, viljane, hairtdne. 
Bei den Femininen tritt das e nur in den i-Stämmen ein, z. B. anste. 

Endlich ist hier noch zu erwähnen die zweite Person Sing. 
Perf. der schwachen Gonjugation. z. B. nasides (wo man nach ahd. 
oeritds Verdunkelung erwarten sollte), satides u. s. w.; dasselbe 6 
erscheint femer im Dual und Plur. Perf. so wie im ganzen Opt. Perf., 
wo sich die fibrigen Sprachen nicht vergleichen lassen. 

Es muss in einer Sprachgeschichte noch danach gefragt werden, 
in welche Zeit wol der Uebergang vom urdeutschen ä zum gothi- 
schen § zu setzen ist. Die Antwort auf diese Frage liesse sich 
nur geben, wenn wir gothische Eigennamen aus bestimmter alter 
Zeit mit dem alten ft aufweisen könnten. Eine Spur solches 
Namens liegt vielleicht noch in der Stelle Jemandes cap. 5: Ante 
quos etiam cantn majorum facta modulationibus citharisque canebant, 
Eterpamarae, Amalae, Fridigerni, Vidigoiae et aliomm, quorum in 
hac gente magna opinio est. Ich schlage hier vor zu lesen: Anti- 
que etiam cantu — canebant et Erpamarae, Amalae — et alio- 
lum etc. Wir hätten dann in dem ersten der vier Namen ein 
Ulfilauisches AirpamSrs, d. h. wol einen durch Kämpfe mit dunkel- 
farbigen Völkern berühmten; die Form wäre auf ein urdeutsches 
Irpamäras zurUekzufnhren. Aber in welche Zeit wäre diese Helden- 
gestall zu setzen? Der Amala gehört nach der Anschauung des 
Jornandes (cap. 14) dem zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung 
an, Fridigera ist eine historische Person des vierten, Vidigoia des 
fünften Jahrhunderts; diese drei folgen also bei Jornandes der Zeit 
nach; jenen Irpamäras hätten wir also wol etwa dem 1. oder 2. 
Jahrhundert zuzuschreiben; doch was darf man auf eine so verein- 
zelte Spur geben? 

So steht also an der Spitze des selbständigen gothischen 
Sprachlebens die Thatsache, dass das Oothische den edelsten und 
reinsten Laut der menschlichen Sprache aufgegeben hat; es steht 
diese Thatsache da wie ein Vorzeichen davon, dass Volk und 
Sprache dem Untergange geweiht waren. 



8 IV. f,ü. 

Uebrigens erschöpfen die hier erwähnten Fälle nicht den gan- 
zen Umfang des gothisehen 6; es giebt anch noch (ygl. Bojohemom) 
ein älteres aus ai verengtes e (s. Bd. I; 337), %. B. im gothischen ne, 
altn. nei> ags. nä, ferner aber anch ein merkwürdiges wie es 
seheint aus dem Zasammenrücken von i -j" ^ entsprungenes, end- 
lich ein jüngeres, das neben ei und i unorganisch vorkommt; 
hierüber zu reden ist erst weiter unten der Ort 

Während so das Gentrum der Lautreihe im Gothischen eine 
Schwächung erleidet, erfahren die beiden Endpunkte derselben 
eine Stärkung und Entfaltung, Im ersten Bande S. 337 wurde 
bemerkt; dass zu einem t und ü bereits im Urdeutschen An- 
sätze vorhanden gewesen sein mögen; diese Ansätze haben 
sich im Gothischen sicher schon weiter entwickelt, so dass wir 
die frühere Lehre von dem Mangel dieser langen Vocale auf- 
geben müssen. 

Ein t ist freilich im Gothischen nur schwer aufzuspüren, doch 
deutet der öftere Wechsel des i mit e und ei schon fast auf das 
Vorhandensein eines solchen hin. Gkinz anders freilich steht die 
Sache, wenn jedes gothische ei nicht bloss den grammatischen 
Werth, sondern auch den wirklichen Ton eines t hat. Auch der 
Mangel der Brechung in hiri, hirjats, hirjitb könnte auf ein t hin- 
weisen. 

Deutlicher sind die Spuren eines fi; dasselbe wird bereits von 
Bopp, dann auch von Gabelentz und Lobe angenommen; s. z. B. 
Euhn's Zeitschrift VII, 233, vgl. auch Leo Meyer die goth. Sprache 
S. 648. Hieher gehören folgende Fälle: 

1) wo u vor h und r nicht gebrochen ist. Also brühta, -üb, 
nfih, ühteigs, ühtvö; dochjühiza, thühta, hührus sind nicht so leicht 
zu beurtheilen; sie gehören nur dann hieher, wenn die Vocaltrü- 
bung von u : au im Goth. älter war als der Ausfall des n in diesen 
Formen. Entsprechende Beispiele vor r sind skfira und ftr-, z, B. 
in ürreisan, ürrinnan u. s. w. 

2) in hrükjan und brükjan (wo es einem langen Vocale gemäss 
hrukeith, brukeith, nicht hrukjith, brukjith heisst), wol auch in 
läkan; 

3) wahrscheinlich, was die andern deutschen Sprachen glaub- 
lich machen, in mal, ffils, hfis, rüms, brfiths, dfibö, stübjus, rüna, 
thüsundi, dügan, vfilan u. a. m. 

In dem Gonsonanteusystem erleidet das Gothische keine 
Einbusse, erfahrt aber eine Bereicherung. Das 9 nämlich hat in 
mehreren indogermanischen Sprachen die Neigung in einen weiche- 
ren tönenden Laut überzugehn, den wir mit % zu bezeichnen 



IV. 8 : E. 9 

pflegen (ganz abweichend yon unserm nhd. z). So finden wir im 
Altpersischen Fälle wie Kamboziya (vgl. Enhn's Beiträge II, 13), 
im Altslav. mizgü neben miskü, im Lit. barzda Bart; im Oakischen 
ist die Eindang des Geu. Plur. -azurn für lat -aram (aas -asnm) 
bekannt; so wie das Futuram censazet aus ^ceosasent = lat. 
censebunt 

Das Urdeatsche finden wir yon dieser Neigung noch frei; unter 
den deutschen Sprachen sehen wir sie nur im Oothischen, während 
die andern deutschen Idiome, wie wir weiter unten sehen werden, 
in ihrer Verwandlung des s zn r noch einen Schritt weiter gehn; 
diesen machte dagegen das Gothische noch nicht mit, es müsste 
denn in jenem gairuy das wir am Rande der Handschrift für hnuthd 
beigeschrieben finden, schon eine Spur davon vorliegen. 

Näher bestimmt sich der gothische Uebergang von s : z so, 
dass die eigentlich wurzelhaften 8 sowol im Anlaut als Auslaut 
fast immer von ihm frei bleiben, wogegen er in den leichteren, 
flüssigeren Lauten der Wortbildungs- und Flexionssuffixe, nament- 
lich vor angehängten Partikeln ungemein häufig eintritt, auch in 
den Vorsylben us-, tus- und dis-. Ueberall aber erscheint der Laut- 
wechsel nicht als ein zwingendes Gesetz, wenigstens nicht als so 
bedeutend, dass die Orthographie diesen leisen Vorgang immer zur 
Anschauung bringen müsste. 

Ich ordne die vielen Fälle in fünf Classen: 

1) zwischen zwei Vocalen, gewiss der älteste Fall; wir zerlegen 
die Beispiele nach dem vorhergehenden Vocale: 

L is (Stamm {): izds, izai, izei, ize; Gen. this (Stamm tha): 
thizei, thize, thizö; Gen. hvis (Stamm hva): hvizai, hvizuh; hvarjis: 
hvarjizuh; Conjunction andizuh; izvis: izvizei; das Gomparativsuf- 
fix is : iza ; das neutrale Substantivsuffix -is, z. B. in riqvis : riqviza, 
riqvizeins, hatis : hatiza, hatizön, baris : barizeins; svartis : svartiza, 
doch kommt auch der Gcnet. agisis vor. Die Vorsylbe dis- in 
dissitan : dizuh-than-sat. Ausnahmsweise auch ein wurzelhaftes s in 
visan : vizön. 

a. Stamm hva: hvazuh; Endung der 2. Fers. Pass. in bairaza 
und haitaza. Auch hier ein wurzelhaftes 8 in azets. 

u« thus : thuzei; jusijuzei (juzuth-than ihr aber); ferner die 
Vorsylbe us : uzuh (uzuhiddja, uzuhhöf), us-ana:uzdn, us-ita:uzeta 

S. Joses: Jösezis, Moses: Mösezis. 

ö. Stamm tha : thözei ; desgleichen im Gomparativsuffix -öza. 

ai. Neutrales Substantivsuffix ais : aizis, hais : haizis; Gom- 
parativsuffix mais: maiza (maizuh-than) ; Genetiv der Pronominal- 
deelination -aizds, -aize, -aizö; zweite Person Sing. Opt. fraisaizau 



K> IV. 8 : «. 

JNt wtt^tsl Temichty gajiokaizaa da werdest besiegt. Dazu end- 
t^ ^ firemden Grenetive Jaissaizis nnd Faraizis. 

«iL Nar in Fremdwörtern Bauaas : Bauaazis, Filippaus : Filip- 
yiw wjiti (Qod des Philippas). 

«i« TÜeis: yileiza (vileiz-ah); veis: veizath-than. 

i«. dias: diazis. 

Ueberall begegnen neben solchen Formen anch andere mit 
tWin orspränglichen s, z. B. agisa^ rimisa« Ganz frei aber bleiben 
von dem Wandel die aaf s ansgebenden Verbal wurzeln, wie visa 
vas yesnm (auch vasah kommt vor), lisa las lesum, kiusa kaus 
kusum. Wir werden weiterbin sehn, dass sie sich auch dem späte- 
ren Uebergange von s : r nur sehr schwankend fügen ; 

2) vor weichen Gonsonanten nach Vocalen: 
I. saislep neben saizlep, svartizla. 

n. anabasns : anabuzns ; razn; andavleizn; andavizns, vailavizns, 
vizneigs. 

j. hazjan, vlizjan mit wnrzelhaftem Zischlaut, ausserdem 
riqvizjan; sj ist sonst häufig, z« B. in vasjan, kasja. 

V. ubizva; ferner in der Präpos. tus: tuzverjan. In izvis und 
izvar scheint, wie das altn. yöwr wahrscheinlich macht, das z aus 
einem unorganisch eingeschobenen d hervorgegangen zu sein; Mittel- 
stufe wäre auch hier s. 

g. azgö (wo das s in den andern Sprachen bewahrt ist, altn. 
aska, ahd. asea, ags. asce). Doch kommt auch sg vor, z. B. in 
trusgjan. 

d. mizdö (doch auch misdö wird geschrieben), huzd, razda, 
gazds, Azdiggs; über diese Verbindung %d ein besonderer Aufsatz 
von Bfihler in Kuhn's Zeitschr. VIII, 148. 

b. Nur im Fremd worte praizby terei ; 

3) vor Vocalen, nach Gonsonanten; ich ordne wiederum nach 
den letzteren: 

m. mims : mimza, doch kommt auch z. B. amsa vor. 
n. ans:anza; thans : thanzei, thanzuh; hvans : hvanzuh; ains: 
aiuzu (allein, fragend). Dagegen s in bijandansuh, sumansuh. 
d. bijandzuh. 

4) zwischen zwei Gonsonanten (der zweite ist entweder^ oder n) : 
r. airzja, fairzna, marzja. 

I« talzjan. 
n« minznan. 

Dagegen wird svamsl geschrieben; gramst und thramstei ver- 
stehen sich wegen der folgenden Tennis von selbst. 

5) Auslautend : mimz, minz, auch riqviz und aiz neben riqvis 



IV. Laatmiachung. H 

und ais ; das % wird hier dareh die das folgende Wort anlautenden 
Vocale hervorgerufen. 

In den gothisehen Eigennamen begegnet nirgend eine Spnr 
dieses 9; der Unterschied der Aassprache desselben vom s war 
gewiss gering und konnte von Griechen und Römern nicht wieder- 
gegeben werden; so schreiben z. B. die ersteren OvtsdqiXaq und 
Ov(Sirißaiog. Der Uebergang zu r ist dem Gothisehen ganz fremd 
geblieben; noch im achten toletanischen Concil hat Osdulfus den 
Zischlaut; unter den uns aus der Sprache der tetraxitischen Gothen 
bewahrten Wörtern fehlt ein hier einschlagendes Beispiel. 

Die bis hieher behandelten Verengerungen und Erweiterungen 
des Lautsystems so wie die unten zu besprechenden Fälle des 
Lantwechsels haben zu ihrem Resultate die gothische Laut- 
mischung. Wie es sich mit dieser verhält; wiederhole ich hier 
im Auszuge aus meinen vor mehr als zwanzig Jahren angestellten 
Zählungen^ die ich im zweiten Bande von Kuhn's Zeitschrift (1853) 
S. 35 ff. niedergelegt habe. 

Dort zeigte sich das Verhältniss zwischen Vocalen und Conso- 
nanten so, dass erstere 41, letztere 59 Procent aller Laute bilden, 
ein Verhältniss, in dem die Consonanten mehr vorherrschen als im 
Lateinischen, Griechischen und sogar im Sanskrit. 

Die Vocale ordnen sich in der Weise, dass auf 100 Vocale 
35 a, 18 1, 12 ai, 11 au, 9 u, 6 ei, 4 6, 4 ö und 1 iu kommen; 
die langen t und fi sind hier noch nicht von den kurzen geschieden. 
Das oben besprochene Schwinden des ä ergreift also (da nicht 
alle 6 aus ä entsprungen sind) etwa den dreissigsten Theil des 
gothisehen Vocalismus. Im Uebrigen giebt diese Häufigkeitsscala 
klares Zengniss von der hohen Ursprünglichkeit dieses Vocalismus 
und von der langsamen Sprachbewegung, auf der derselbe beruht; 
das a ist weit den andern Vocalen voran, dann folgt mit vollem 
Rechte das iy und nun die beiden ältesten und schönsten der 
Diphthonge ziemlich gleich mächtig, doch mit einem recht organischen 
Uebergewichte des a 4~ ^ ^ber das a 4~ ^9 ^ ^^^ ^ stehen im 
schönsten Ebenmass; der letzte Laut, das iUy ist zugleich der am 
meisten unorganische. Die ganze Reihe zeigt eine weit höhere 
Eleganz, als sogar die entsprechende des Sanskrit und das Auge 
des Sprachforschers ruht auf ihr mit demselben Wolgefallen wie 
auf einer eleganten Formel der Blick des Mathematikers. 

Dem gegenüber bilden die Consonanten folgenden Reihe : 18 n, 
12 8, 11 th, 9 m, 8 r, 8 h, 7 V, 6 i, 5 d, 4 t, 3 g, 3 f, 3 1, 2 z, 
1 k, wogegen p, b und qv nur mit Bruchtheilen eines Procentes 
erscheinen ; die so eben behandelte Entstehung des « erstreckt sich 



12 IV. Vooale selbstäiidig. 

also auf den fünfzigsten Theil des Gonsonan^ismns. Die starke Beror- 
Zugang der Liquiden und des thj die aufifällige Zurücksetzung der 
Labiale und der Tenues bilden das Charakteristische des Gothischen 
auf diesem Gebiete, welchen Charakter es jedoch mit den andern 
deutschen Sprachen im ganzen theilt. 

Am angeführten Orte Seite 41 habe ich den Abstand des Goth. 
vom Skr. in der Lautmischung durch die Zahl 152, die des Goth. 
vom Lat. durch 174| die des Goth. vom Griech. durch 182 ansge- 
drückt; das spricht um so mehr für eine langsame Sprachbewegung 
des Gothischen, als die Zeit, aus der wir diese Sprache kennen^ 
eine so viel jüngere ist als bei den andern drei Sprachen. 

Aber hier halten wir an. £s ist unmöglich über den Gegen- 
stand so wie es sich in einer Sprachgeschichte gehörte zu reden, 
so lange wir nicht von der Lautmischung des Urdeutschen eine 
klarere Vorstellung haben; denn was uns hier angeht, ist ja eigentlich 
nur der Abstand zwischen Urdeutschem und Gothischem. 

IL Lautweehsel. 

A. >'oeale* 

1. Vocale selbständig. 

Vocalerleichterung. 
Wir haben Bd. I, 338 erwogen, dass die Erhöhung des a : i 
schon im Urdeutschen ziemlich zum Stillstande gekommen war. 
Beim Gothischen, welches, wie wir so eben sehen, das a so ausser- 
ordentlich bevorzugt, dürfen wir keine grosse weitere Entartung 
dieses Lautes erwarten. Trotzdem sind doch auch hier noch einige 
Fälle zu erwähnen: 

a) in Stammsylben. Ich erwähne hier goth. ibuks gegen ahd. 
abali, abuh, altn. öfugr, engl, awk in awkward (auf dem Rücken 
liegend), welches Wort zur Praepos. af gehört ; femer die Praepos. 
inu gegen ahd. änu, äno^ altn. an, dn; doch s. unten. 

b) in Bildungssjlben. Hier steht das Goth* in Formen wie 
ragin, manrgins und ubizva allein unter den deutschen Sprachen 
entschieden auf der Seite des i; das Ahd. betrachtet solche Vocale 
ziemlich als irrationale Laute und schwankt zwischen ragan und 
ragin, morgan und morgin, opasa und obisa, auch das Altn. ist 
schwankend, das Alts, bevorzugt in solchen Fällen das alte a, das 
Ags. ein e. Endlich bricht speciell im Gothischen in dem SnfSxe 

an der schwachen Declination mit voller Entschiedenheit der hohe 
.Vocal im Gen. und Dat. Sing, des Masc. u. Ntn hervor (hanins, 
banin^ hairtins, hairtin). 



IV. Vocalerldchtenmg. \^ 

c) in Fleiioussylben geht das nrdeutsche 'OS des Gen. Sing. 
Masc. a. Ntr. der A-Stämme (fiskas, vulfas, vurdas, s. Bd. I, 523) 
ausnahmslos in ^is über (fiskis, vulfis, vanrdis), wo andere Mund- 
«irten noch öfters den alten Vocal zeigen. Mit voller Entschieden- 
heit hat auch das Goth. -iM in der 2. Plur. Praes. Ind. der Verba, 
z. B. nimith; wo das altn. ein -slÖ, ahd. -at, alts -ad aufweist. Eine 
gewisse Neigung in Flexionssylben den höchsten Vocal eintreten 
zu lassen, kann man auch in vereinzelten Dativen und Accus. Plur. 
von A-Stämmen sehen wie vSgim (Wellen) für vdgam oder aivins 
(Zeiten) für aivans. 

Eine Erleichterung und Erhöhung von u : i begegnet vereinzelt 
im goth. haubith, wo doch altn. höfud, ags. heäfud; hedfod noch 
auf den alten Vocal des lat. caput hinweisen und nur das ahd. 
honbit dem Goth. gleich, aber unabhängig von ihm, die Erhöhung 
eintreten lässt. Nicht hieher gehört es wol dagegen, dass einige 
fremde U-Stämme im Plur. in die I-Declination übergehn, wie von 
aggilus der Plur. aggileis; hier scheint der Grund vielmehr in einer 
Anlehnung an das lat. angeli zu liegen. 

• Einen dritten Fall von Erleichterung und Erhöhung zugleich 
bemerken wir in dem nicht seltenen Eintreten eines i (wol i) für i\ 
Tgl. Leo Meyer die goth. Sprache S. 536. Hier sind solche Formen 
zu erwähnen, die meistens nur als Varianten neben echteren mit g 
erscheinen, wie spidist, azitizd, svignitha, birusjös, snivun^ qvimi, 
qvitbeina, fravaurhti, spilli; auch das eben erwähnte ahd. änu, äno 
(sine), altn. an mag erst ein goth. *Snu voraussetzen, statt dessen 
wir ein inu, inuh finden. Hieher gehören auch die Namen wie 
Vidimir (rec. 4) neben Videmgr, Theodemir (sec. 5) neben ThendimSr, 
u. s. w. ; bei den Westgothen werden wir das i in solchen Formen 
noch mehr vorherrschen sehn. 

Ein vierter Fall der Vocalerleichterung ist nicht mit Erhöhung 
verknüpft, sondern zeigt sich einfach als Verkürzung. Während 
nämlich das lange & sich im gothischen in ö und 6 spaltete, scheinen 
einige Fälle dieser Erhöhung oder Verdunkelung durch Verkürzung 
entgangen zu sein. So werden wir ein urdeutsches fähan und 
brähta (wie noch die ahd. und alts. Formen lauten) annehmen 
müssen, dessen ä den Ersatz für den ausgefallenen Nasal enthält, 
das Goth. hat hier Kürze in fahan und brahta. Auch dem in- 
strumentalen altn. und ags. svä und thä steht im Goth. sva und 
tba gegenüber. 

Der erhöhenden steht eine jüngere verdunkelnde Vocal- 
erleichterung gegenüber. Wie sie noch im Urdeutschen (s. Bd. 1, 339) 



14 ^V. A : lu 

keineswegs zum Stillatande gekommen ist, so zeigt sieh dieser Zug 
auch im Gothiscben noch recht lebendig« 

Zuerst Beispiele vom Uebergange des a : u, wie im ersten 
Bande, den man hier fortwährend vergleichen muss, nach dem auf 
den Vocal folgenden Conson. geordnet: 

r. Dass die Stämme aaf indogerm. tar (bröthr, svistr) im Piaral 
in die U-Declination ausweichen, scheint weniger ein lautlicher als 
flexivischer Vorgang zu sein, vgl. deshalb den vierten Abschnitt. 

1.. Hier ist etwa goth. hakuls zu erwähnen, wo das Ahd. in 
seinem hachal neben hachul schwankt. 

m. Während das Superlative Suffix -ma sich ursprünglich durch 
ein a an die Stammsylbe anknüpft (abd. mittamo, metam), bat das 
Goth. in seinem miduma, auhuma, innuma u. s. w. stets den dunkeln 
Vocal. Hieher rechne ich auch das specielj gothische Suffix -ufni, 
das wir uns doch nicht anders erklären können als aus einem -amni 
durch die Mittelstufe -umni hervorgegangen; das goth. valdufni 
steht in seiner Bildung dem lat. calumnia sehr nahe, doch nicht 
so ganz gleich als es den Anschein hat. 

n. Man vergleiche hier das goth. Suffix -huni mit skr. -Sana, 
das goth. taihnn mit skr. dagan und ahd. zehan, endlich aber die 
Gestalt des Suffixes -man im goth. lanhmnni nnd glitmunjan. 

h. Formen wie thatuh, thammuh, thanuh, thizub, thiz6zuh, 
thanzuh, thözuh, thaimuh werden im Goth. aus thata-h, thamma-fa 
n. s. w. hervorgegangen sein, denn mit Grimm Gesch. d. dtsch. 
Spr. 64G 'Uh als die ursprüngliche Form des Suffixes anzunehmen 
vermag ich nicht. 

g. Vergleicht man die Themen vulthaga und grSdaga mit vultbu 
und gredu, so kann man schwanken, ob letztere durch Verdunkelung 
aus den ersteren, oder jene durch die Macht der Analogie aus diesen 
hervorgegangen sind. 

n 4* Cons. Der erste Vocal von goth. iunthns (dens) gehört 
wol eher hieher als zu Bd. I, 340, da das ahd. zand, alts. tand, 
altn. tonn, ags. töd noch sämmtlich auf das a zurückweisen. 

Der zweite wichtige Fall von Vocalverdunkelung ist der Ueber- 
gang von ä : ö. Wir sahen Bd. I, 341 f., wie dieser Wandel^ am 
Ende der slavogermanischen Periode begonnen, noch in der ur* 
deutschen Zeit fortdauerte; er dauerte aber über diese hinaus bis 
ins Gtotbische hinein nnd erst als er völlig zum Stillstande gekommen 
war, haben die dann noch übrigen ä die oben besprochene Erhöhung 
zum g erlitten. So vollzog sich jene merkwürdige Spaltung des 
alten ä in zwei Laute, über deren Verhältniss zu einander schon 
Jakbbi in den Beiträgen zur deutschen Grammatik und Bopp in 



IV. ä : 6 15 

der vergleichendeii Grammatik 1^, 94 ihre Ansicht aus einander 
gesetzt haben. Im allgemeinen gilt das ö für einen schwereren 
Lant als das 6, wie aus dem Verhältnisse des Praes. grgta zum 
Perf. gaigröt hervorgeht; eben so ist ja im Griech. co eine stärkere 
Steigerang des a als rj vgl. ^rjp^fu e^^mya. 

Speciell gotbische Fälle oder wenigstens solche, in denen das 
Material zar Vergleicbnng des Gothischen mit den Schwestersprachen 
fehlt, sind folgende; 

a) in Stammsylben: 

In Fällen wie haban: gahöbains oder dags: ahtanddgs ist die 
Verdankelang mit der Steigerung verbanden and diese Fälle werden 
daher bei letzterer erwähnt werden; der damit verwandte Per- 
fectablaat hat natürlich seine Stelle schon im dritten Buche gehabt. 
Recht sicher in Kenntniss gesetzt, dass noch im Gothischen &eue 
Fälle von Vertretung des ä durch ö vorkommen, werden wir durch 
das Fremdwort Bumoneis aus Bomäni. Wie mag wol die Donau, 
über welche die Gothen so oft gesetzt sind, in ihrem Munde ge- 
klpngen haben? ist der dunkle Vocal der ersten Sylbe, den wir bei 
unsem Mitteln freilich erst seit dem achten Jahrhundert belegen 
können, nicht schon damals vorhanden gewesen? 
ß) in Bildungssy Iben : 

Hieher ist nichts sicheres zu stellen. Denn erstens gehören 
die schwachen Verba auf -dn, so weit sie speciell gothisch sind, 
kaum hieher; sie sind einfach der einmal bestehenden Analogie der 
schon vorhandenen älteren Formen auf -On gefolgt. Zweitens ist 
es kaum als ein lautlicher Vorgang anzusehn, wenn die siugnlaren 
Nominative von schwachen Neatren wie augö, hairtö, ausö, kaumo 
und anderen nur im Gothischen ein d haben (ahd. auga, herza, 
ora ü. s. w.); das ist wol nur als ein Uebergriff der femininalen 
Form (tnggö u. s. w.) anzusehen und deshalb in die Flexionslehre 
zu setzen, zumal da hier eine ganz nnmotivirte Verlängerung ein- 
tritt; bei langer vorhergehender Sylbe überträgt sich diese Ver- 
längerung speciell gothisch auch auf den Plural, z, B. hairtöna, 
ausdna, augöna. 

y) in Flexionssylben : 

Im Gen. Sing« haben wir ordentsch gibäs, gothisch gibds, ahd« 
mit demselben Vocal gebö, alts. gebä, altn. and ags. verkürzt. 

Im Nom. Plur. urdeutsch vulias, gibäs, nur gothisch in beiden 
Fällen d, vulfSs, gibös; dagegen ahd. vulfä, abergebd, alts. vuliös, 
aber gebä; altn. und ags. verkürzt. 

Im Gen. Plur. Fem. urdeutsch gibäm, gothisch gibö (doch bei 
I-Stammen anste); in der Pronominaldeclination urdeutsch bliudaisäm, 



lg IV. Vocalsteigerung. 

gotb. blindaizd. Altn. gilt hier -a und -ra, abd. (neben -6no) 
-ero, alts. (neben -ono) -aro, ags. (neben -ena) -ra, wo fiberall der 
gothisebe Unterschied des Fem. vom Mse. und Ntr. in Bezog aaf den 
Endvoeal nicht eingetreten (wol kaum verwiscbt) ist. Dieser 
Fall ist schon beim Urdentschen (Bd. I, 342) erwähnt und man 
kann zweifeln; wohin er zu setzen ist. 

Acc. Plor. urdeutsch gibäns, goth. gibös mit Ausfall des », 
ahd. gebO; alts. gebä; altn. verkürzt -ar, ags. -a; es lautet hier 
überall die Form gleich dem Nominativ; es liegt hier also wol kaum 
ein besonderer lautlicher Vorgangi sondern nur eine flexivische 
Uebertragung vor. 

Ein dritter Fall von Verdunkelung hat zum Theil mehr nur 
den Charakter einer unorganischen Schreibung. Ich meine das f&r 
öfters eintretende u (wol ü}, über welches Leo Meyer goth. 
Spr. S. 578 f. und 616 spricht und womit man unter Vocalsteigemng 
auch das umgekehrt für u auftauchende 5 vergleiche. Beispiele 
sind ohtedun: ühtedun, supoda: snpüda, krotöda: krötüda, lauhmöni: 
lauhmüniy fon: fftninS; fünin. Dazu die Fremdwörter spaiknlatür 
und Rdmoneis. 

Vocalsteigerung. 

Mit diesem uralten Vorgange haben wir uns zuletzt Bd. I, 343 
beschäftigt, auch die ganze Steigerung im Ablaute der Verba schon 
im dritten Buche behandelt. Es fragt sich nun, wie weit sich noch 
im Gothischen Fälle nachweisen lassen; die ihm eigenthümlich sind. 

A-Vocal. 

Wir haben hier dem a gegenüber zunächst den älteren Vertreter 
seiner Länge, das ö zu erwarten. Der Fall dags: fidurdögs wird 
wegen altn. docgr schon vorgothisch sein, auch gadaban : gadöbs 
wegen ags. defe, vollends ist die Steigerung von fratbjan: fröds 
nach Bd. I, 430 schon urdeutsch. Auch sakan: sokjan muss, wenn 
die Zusammenstellung Bd. I, 94 Grund hat^ schon auf einem uralten 
Vorgange beruhn und in sökns, sökareis, sökeins, uoandsöks hat 
sich derselbe nur in mehrfachen Bildungen fixirt;. agjan: ögjan wurde 
schon Bd. I, 447 mit altn. oegja zusammengestellt. Am meisten 
für die bleibende Lebendigkeit dieser Steigerung im Gothischen 
spricht verhältnissmässig standan: angastöths, anastodjan u. s. w., 
auch vakan: vökains, haban: gahöbains. 

Auch einige Fälle, wo als gothischer Steigerungsvocal des a 
das ä erscheint, haben schon vorgothischen Grund und mfissen 
Bd. I; S. 343 hinzugefügt werden^ wie magus: megs, altn. mägr, 
ahd. mag, Wurzel vrak: goth. vrSkei, ags. vraecu, Wurzel nam: 
goth. andanemSi ahd. nämi, Warzel tarn: goth. gatSmiba, ahd. 



IV. VocalBteigdruog. 17 

gizftmi, Wurzel vag: goth. vegs, ahd. wäc. Danach wird es doch 
ziemlich unsicher, ob wir in dem Verbältniss von Wurzel at: aietja 
und Wurzel mat: usmet eine Thätigkeit erst des gothischen Sprach- 
lebens zu sehn haben. 

I-Vocal. 

Hier sind ein Paar merkwürdige Fälle von Steigerung des t: 
ai dem Gothischen zuzuschreiben, nämlich vaila (ahd. wela), baitrs 
(ahd. bittar) und aiththau (altn. eda, ahd. eddo, ags. odde). Und 
so glaube ich auch, wie bereits Bd. I, 15, 344, 543 erwähnt wurde, 
der Reduplicationssylbe in den Perfecten eine speciell gothische 
Steigerung zuschreiben zu müssen. 

Eine Steigerung, doch keine beabsichtigte und organische, liegt 
auch in der Vertretung des i durch eiy wie wir sie finden in us- 
dribeina : usdreibeina, gabigs : gabcigs, mit Schwinden eines Nasals 
verbunden in sinteius .seiteios; vielleicht endlich auch in ni: nci 
(wenn letzteres nicht für ne steht). 

Drittens kommt auch ein i : e vor. So thius (Stamm thiva): 
thevis, sineigs zweimal: seueigs; usdribi, usdribeiua: usdrebi, usdre- 
beina; svignjan: svegnjan; hvileiks: hveleiksundhvelauds; svikunth: 
svekunth. Während man in diesen Fällen annehmen kann, dass 
wirklich eine Stdgerung beabsichtigt sei, wenn auch nur von dem 
einzelnen Schreiber der gesteigerten Formen, so liegt die Sache 
anders, wo nicht die eigentliche Wurzelsylbe von dem Vorgänge 
getroffen wird; so in avi, avistr: avethi, ubils einmal: ub^ls, filigri: 
filegri. Diese Fälle haben (vielleicht den ersten ausgenommen) 
keinen höheren Werth als sonst irgend welche Schwankungen in 
der Orthographie. 

U-Vocal. 

Als wenn es sich hier um etwas sehr Organisches handelte, 
entsprechen den drei eben erwähnten Vorgängen i : ai, i : ei, i : e 
beim u die drei Lautwandel u : au, u : in und u : ö ganz genau; 
und doch handelt es sich hier gewiss noch weniger als dort um 
Ereignisse von sprachwissenschaftlichem Werth, fast nur um ortho- 
graphische Schwankungen, die allerdings eine gewisse Unsicherheit 
der Sprache bezeugen. 

Das trifft namentlich beim u : au ein, worüber man Leo Meyer 
goth. Sprache S. 574 oder Kelle vergleichende Grammatik Bd. I 
(1863) S. 191 und 193 vergleichen möge. So findet man die Formen 
Runans, skalkinassaus, vnlthaus, fairhvaus zuweilen als Nominative, 
handau, thiudinassau, daudau, hairau, ufarassau, vaddjau als Aecu- 
sative, simaQ, magau als Vocative; in allen diesen Fällen hat der 
F9r$temmm, Gesck. d. d. Sprachitammes. IL 2 



lg IV. Yocale im AoBlatit. 

Oenetiv and Datiy eine Einwirkung auf die Sprache oder wenigstens 
anf den Schreiber ansgeäbt. 

Der Fall n : in liegt nur in einem einzigen Worte yor, nämlich 
in nrdeutschem up : inp nebst seinen Weiterbildungen iupa, iupana, 
iapathrö. Das altn. upp und ags. up wissen nichts yon der Steigerung, 
das ahd. äf zeigt yiclleicht einen ähnlichen Vorgang, yielleicht aber 
auch nur unorganische Verlängerung. Dieser einzeln dastehende 
Fall hat allerdings ein hohes sprachliches Interesse, besonders 
wenn wir dabei das goth. uf snb noch berücksichtigen. 

Der dritte Fall, u : 6, über den Leo Meyer goth. Sprache 
579 handelt, zeigt sich in Stammsylben nur bei aljaknns: aljakons, 
yundön: gayöndön und uhteigs: ohteigo. Hier mag wirklich ein 
gewisses Sprachgefühl der Anlass des Wandels sein, während die 
andern Fälle doch wieder wol nur orthographische Schwankungen 
zeigen; so faihu : faiho, fraistubni: fraistobni, yiduyo : yidoyö, sunjus: 
sunjos (Nom. Flur.)» ushofun : ushöfon, ainumm^hun : ainömmehun. 

2. Tocale im Auslaut 

Die grosse im ürdeutschen eingetretene, Bd. 1, 365 ff. besprochene 
Erscheinung, dass auslautende a und / abfallen, ist im Gothischen 
bereits zur Ruhe gelangt; nur ganz yereinzelte Nachzügler bieten 
sich hier dar. So ein Fall ist es, wenn in einigen femininen 
Datiyen Apokope des a eintritt, wie in baurg neben baurga. Ge- 
fragt werden darf, ob das gothische Femininum si (ea) erst im 
Oothischen apokopirt worden ist; das yoransgesetzte sja hat sich 
im ahd. siu noch besser erhalten. 

Speciell gothischer Abfall des i ist nicht zu leugnen; so im 
Dat. Sing, bröthar aus bröthari oder im Voc. Sing, anst ans ansti. 
Dass die Participia auf Suffix -ant imDat Sing., wenn sie substantivisch 
gebraucht werden, den Vocal apokopiren (z. B. nasjand), glaubte 
ich schon dem Urdeutschen zuschreiben zu müssen; s. Bd. I, 525. 

Eine Spur yon Verkürzung eines langen auslautenden Vooals, 
wie wir im Altn. und Ags. so häufig finden, sehn wir in den per- 
fecten Optativen, wo dem ei der äbrigen Personen (bereis, bereima 
n. 6. w.) in der dritten Singularis ein blosses / entspricht (b£ri); 
doch könnte hier die Kürzung schon urdeutsch sein. 

Oenug, von einem yocalischen Auslautsgesetz im Gothischen 
ist mir nichts bekannt. Auch von dem Gegentheile der Apokope, 
der Anhängung eines unorganischen Vocales, ist das Gothische 
ganz frei. In den Neutren der Pronomina wie thata od^r ita haben 
wir Bd. I, 195 und 250 eine urdeutsche Anhängung des ganzen 
Pronomiualstammes ta angenommeni in den masculinen Aoeusativen 



IV. DiphthongenasrimilatioD. 19 

tbans, ina Bd. I, 533 f. eine nrdeutsche Formenassimilation. Die- 
gelbe^ und zwar in derselben Zeit, glaubten wir auch in der 3. Plnr. 
Optat (Praes. bairaina, Perf. bereina) zu sehn Bd. I, 348. Vollends 
die 1. Dn. Opt (Praes. bairaiva, Perf. bereiva) und die 1. Plur. 
Opt (Praes. bairaima, Perf. bereinia) sind hierher nur irrthümlich 
gerechnet worden, da hier Skr. und Lit. so wie Altir. schon die 
Formen -va, -ma, -me bestanden haben, also nicht einmal das Ur- 
deutsche eine Veränderung erlitten hat. Wir werden dagegen unten 
beim Mittelurdeutschen noch einmal auf diese Bildungen zurück- 
kommen. 

Die Verlängerung des auslautenden ä in ö bei einigen neutralen 
D-Stämmen wie namö, augö, gehört in den vierten Abschnitt zur 
Flexion. 

8. Tooale abhängig, 
a. Einfluss von Vocal auf Vocal. 

Diphthongenassimilation. 

Während wir Bd. I, 349 die Verengung von Diphthongen dem 
Urdentschen noch glaubten gänzlich absprechen zu müssen, ist sie 
im Gk)thi8chen ziemlich häufig, wenn auch zum Thoil nur unter die 
Willkür einzelner Schreiber zu rechnen. Sie tritt bei allen vier 
gothischen Diphthongen ein. 

ai. ai : § begegnet in dem neben taihund vorkommenden 
tehnnd, ferner auslautend in ne, das mit dem altn. nei und ags. 
nä auf ein älteres nai hinweist. Unter den Namen haben wir sec. 
4 noch Gainas, sec. 5 dagegen schon Gesimund neben Radagais. 

ai : a (also gewissermassen eine vereinzelte Fortwirkung des 
nrdeutschen Auslantsgesetzes) findet sich im Neutrum tva (duo), 
wo ahd. zwei und ags. tv& eben so wie skr. dve auf ein urdeutsches 
tvai hinweisen, das altn. tvö schlägt hier seinen besondem Weg ein. 

ei. Vgl. für diesen Diphthong Leo Meyer die gothische Sprache 
S. 634 ff. So gewiss es auch ist, dass wir im gothischen Laut- 
system hier einen Vertreter des t haben, so scheint doch die Aus- 
sprache wenigstens zuweilen diphthongisch gewesen zu sein, nament- 
lich in den Fällen, wo ei aus älteren ai entstand, nicht ans kurzem 
i gesteigert ist. Bemerkt werden muss hier noch, dass in dem 
oberländischen Dialect des Lettischen, welches ja dem Deutschen 
besonders nahe Hegt, sich oft t zu ei verbreitert; Bielenstein I, 97. 

ei : e vgl. Leo Meyer S. 603 f. So speivan ; spevan, vcihsa : 
v^bsa, skeireins: sk6reins, hleithra: hlethrastakeins; man vergleiche 
auch hindarveis: balvavesei. In einer Gasusendung aipistauleim : 

2* 



20 IV. Diphthongenassimilation. 

aipistaulem (Dat Pinr.). So ancb aoslaatend izei; izS, akei: akS, 
thanei: tbane, faarthizei: fanrthiz6, blötandei: blötandS. 

ei : i (das dann als lang gelten mnss); Beispiele (vgl. Leo 
Meyer S. 536) sind dtgunds^ laisarts, gabtgs, Anantas, silnbrinSy 
thngkttb, alles nur nnorganisebe Sehreibnngen; bei gabtgs kann 
man schwanken, ob hier wirklich Entstehung ans ei nnd langer 
Voca] anzunehmen ist Auch für das ans ß entstandene ei (s. die 
Consonanten) tritt öfters ein i ein, z. B. *sntis süss, airknis heilig, 
skeiris (Oen. Sing.) für skeirjis; ja es wird dieses / sogar synko- 
pirt (suts). In den Gomparativen anf -?«/i ist dagegen die Ver- 
kärznng viel älter. 

au. vgl. Leo Meyer S. 388. 

an: 6 in tani: Gen. töjis, tanjis: follatöjis, stavida (ans 
*staaida): stöjan. Ans afmauiths ist wol der Infin. afmöjan, ans 
afdaniths ein afdojan zn folgern. Ueberall wird ein nahe liegen- 
des 6v ebenso wie ein ej im Gothischen vermieden; vgl. unten 
die Vocalisirnng von Consonanten. Der Uebergang geht im späteren 
Qothisch noch weiter; während Ulfilas an ganja keinen Anstoss 
nimmt, schreibt Jemandes einen Namen des fünften Jahrhunderts 
schon Vidigoja, einen des sechsten sogar Ostrogotho für Anstr-. 

au : u kommt einige Male in den Genetiv- und Dativendungen 
der u-DecIination vor, wo ein -ns, -u statt des organischen -ans, 
•au begegnet. Sollte das ohne etymologische Anknüpfaug da- 
stehende huhjan sammeln etwa für hauhjan stehn und zunächst 
aufhäufen bedeuten? Im sechsten Jahrhundert begegnet schon die 
Schreibung OviS%(^yo9og, 

in; dieser Diphthong scheint vereinzelt zu ü überzugehn; so 
werden wir ein Präsens Idka (aus liuka) aus dem Praeteritum 
galauk schliessen müssen, und in vülan sieden steht es vielleicht 
eben so. Auch brusts weist (wie im Ahd.) auf ein älteres iu hin 
(ags. breost, altn. brjost, altfries. briast). 

Vom fünften Jahrhundert ab erscheint im Gothischen für iu 
ein eu oder eo z. B. in Leuvigildus, Leubericus, Leuuina, Leubina, 
Teudefrcdi, Leovigildus, Teodomirus; ganz eben so steht es bei 
Burgundern, Langobarden und Salfranken. Dem Jemandes scheint 
als seine eigene Aussprache eu gegolten zu haben, eo und iu von 
ihm nur aus seinen Quellen entlehnt zu sein. Setzt Eutharicus 
(sec. 5) ein Jutharicus voraus? 

An die Betrachtung der vier gothischen Diphthonge scbliesse 
ich hier noch die vereinzelten Fälle an, wo das gothisehe e aus 
aus einem älteren ia entsprungen zu sein scheint. Diese schwierigen 
und anziehenden Fälle sind folgende. Erstens goth. her (huc, hie). 



IV. Apostrophirung. 21 

welches mit demselben Vocale im alto. und ags. her erscheint; es 
geht jedenfalls ans einem urdeatscben ^hithra oder hiar hervor, 
(ia8 noch am besten im ahd. hiar, hear erhalten ist. Dann goth. 
fera (latus), mit dem wir das altn. Qara Ufer, Strand, Ebbe verbinden, 
ahd. fiara neben fära, in den andern deutschen Sprachen nicht erhalten ; 
Leo Meyer knüpft es an skr. pära, dann müsste das ia auf ur- 
deutschem Boden entsprungen sein. Drittens goth. mes, auch ags. 
mese, dem ein ahd. mias, sogar ein altir. mias meas gegenüber steht. 
Endlich mag auch Goth. Kreks Oraecus erwähnt werden, wofür 
wir wiederum im Ahd. ein Chriah, Chreah haben. Es erinnert 
dieses spracbgescbichtlich so räthselbafte e an die reduplicirten 
Perfecte wie alts. held, ags. geng, auch ahd. fenc aus hihalt u. s. w. 

Eine Folge dieser sporadischen Diphthongenverengung ist es, 
dass sich die Grenze zwischen dem Diphthongen und dem einfachen 
Vocale überhaupt verwischt und nun auch zuweilen jener ganz un- 
organisch für diesen steht. So wird e : ei in afletan : afleitan, 
galevjan : galeivjan, gretan : greitan, saislep : saisleip, veseis: 
yeiseis; dazu in den pluralen Genetiven dalei, gardei, Fareisaiei. 
Für ö tritt au ein in Trauadei. Die Vertretung endlich von u 
durch au sieht wie eine Steigerung aus und ist deshalb schon unter 
dieser erwähnt, gehört aber ihrem Wesen nach mehr hieher. 

Apostrophirung. 

In Bezug auf die Vermeidung des Hiatus durch den Ausstoss 
des ersten der zusammentreflfenden Vocale zeigt sich das Gothische 
als eine durchaus feinhörige Sprache; so wird ihata ist: thatist, kara 
ist : karist, thata uh : thatuh, antharana uh : antharanuh. Ein / fällt 
aus in ni ibai : nibai; nist aus ni ist wurde Bd. I, 350 schon dem Ur- 
deatscben zugeschrieben; ni im und ni is bleiben dagegen getrennt. 
Innerhalb eines Wortes zeigt sich der Ausfall des / vor einem S in den 
Pluralgenetiven der i-Stämme (anste, gaste), welche an Alterthüm- 
lichkeit altsächsischem enstio, dädio, althochdeutschem gestio, alt- 
nordischem drengia nachstehn. Schwerer geht man daran den 
Ausfall eines Diphthongs vor einem Vocale anzunehmen; das würde 
der Fall sein bei den schwachen Verben mit dem Charakter ai^ 
welche dieses ai schwinden lassen in fünf Personen des Präs. 
Ind., einer des Präs. Opt., im Partie. Praes. und Infin.; hier lautet 
es für habaia u. s. w. vielmehr haba, habös, habats, haham, haband; 
habau; habands und haban; soll man aber hier den Vorgang für 
rein lautlich ansehn oder nicht vielmehr für flexi visch, für eine 
Uebertragung aus der Bildungsweise der starken Verba? 

Den Gegensatz der Apostrophirung, das Auswerfen des zweiten 
der zusammentreffenden Vocale, pflegt man zu sehn bei der angehäng- 



22 IV. Einflass von Com. auf VocaL 

ten Partikel -nh. Dieses Aaswerfen findet statt: 1) bei einsylbigen 
Wörtern immer, z. B. sa ah : isah, bva ab : bvab, ni ab : nib, du 
uh : duh, so üb : s6b, bvö ab : bvöb ; 2) bei mehrsylbigen, wenn 
der Endvocal des Wortes, woran oh tritt, lang ist, z. B. aamai 
ah:6omaih, viljaa abrviljaah, samaleikö ab: samaleikdb; dagegen 
fallen kurze Voeale aus wie in tbata üb : tbatab, antbarana ob: antba- 
ranob. Ich glaube übrigens kaum, dass man von einem Ausfalle 
jenes u reden darf, denn da dieser Vocal nicht ein wesentlicher 
Bestandtbeil jener Partikel, sondern em blosses Fulcrum ist, so 
werden jene Formen ihn wol nie besessen haben. 

Consonantirung. 

Dass u in Formen wie Gen. Plar. sunivS vor Vocalen za r, / 
in Formen wie Nom. Plur. sunjus oder handjus vor Vocalen zu J 
wird, wurde in den Paradigmen der Dedination Bd. I, 524 schon 
dem Urdeutschen zugeschrieben. Eher speciell gothiscb ist die 
Consonantirung in bai: bajöths and vai : vajamereins. Am com- 
plicirtesten ist der Fall in ajukdutbs; wir werden von einem 
*aivakdutbs ausgehn und dann ein *aiakduths annehmen müsseui 
das sich, nur mit Unterschied der Quantität des a, zu jener ersten 
Form verhält wie gotbisches suti zu urdeutschem sv&ti. 

Auch die Erscheinung gehört bieher, dass langes t, welches 
vor Consonanten durch ei vertreten wird, vor VooaJen sich in (/ 
auflöst, z. B. Nom. n. Gcnet freis, aber Dat frijamma. Femin. 
frija firijaizös, frijai, Ntr. frijata. Desgleichen das Zahlwort threia: 
thrijös, thrija, thrije. Ein gleiches (besetz findet sich auch im Skr. 
und Altslav. (Bopp vergl. Gramm IP, 358), doch scheint es bedenklieb, 
dasselbe schon aus der Zeit vor der Sprachtheilung herzuleiten. 

Beispiele von Umlaut oder Epenthese sind als speciell 
gothiscb keine anzuführen; die urdeutschen Fälle wurden Bd. I, 
349 besprochen. 

b. Einfluss von Consonant auf VocaL 

Synkope. 

Die Synkope des a in den Endsylben wurde als urdeutsch 
schon Bd. I, 351 besprochen. Speciell gothiscb mag sie erst bei 
einigen Formen auf Suffix -ra eingetreten sein, wodurch harte 
Formen wie akrs, fingrs, ligrs erzeugt werden, in denen das r fast 
als Vocal anzusehn ist; dazu stelle ich auch gleich den G^n. Sing, 
bröthrs aus brotharas. Ferner ist gothiscb die Synkope eines a 
zwischen zwei n in ainanöhun : ainnöhun, wofür dann auch ainohun 
geschrieben wird ; dazu sind gleich die Formen maus für mannans 
(Nom. u. Acc. Plur.) und rnann^ für mannane (Gen. Plur.) zu stellen. 



IV. Synkope. 23 

Bemerkenswerth ist die Synkope im Plnral der Nentra aaf 
•an, wenn eine kurze Sylbe Yorhergeht. So im Nom. Plur. namna 
ood Gen. Plur. namne fdr namana and namane^ im Gen. Plur. 
anbsne and abne fttr ausane und abane, im Dat. Plur. vatnam and 
abanam. 

In einzelnen Fällen mag vor Eintritt der Synkope Scbwächung 
des a zu i anzunebmen sein. 

Die Synkope des /, zu der wir nun kommen, fand in den 
Endsylben gleicbfalls sehen im Urdentscben Statt und hat ihre Stelle 
bereits Bd. I, 351 gefunden. Speciell gothisch ist nur die Er- 
scheinung in solchen Genetiven wie guthis : guths , menöthis : m^* 
nothSy brötharas : brotharis : bröthrs; ähnlich auch im Gen. Sing. 
mannins : maus, im Dat. Sing, mannin : mann. 

Es findet sich femer eine Synkope des i im Praeteritum einer 
Anzahl schwacher Verba auf -jan, doch scheint dieselbe bloss in 
einem derselben, in kaupasta (aus kaupatida) von kaupatjan ohr- 
feigen erst im Gothischen eingetreten zu sein. Die anderen Formen 
(skulda, vilda, montha, kuntha, mahta, aihta, bauhta, brahta, thahta, 
thühta, vaurhta, thaurfta^ gadaursta, gamösta, vissa) werden, wie 
Begemann das schwache Praeter. (1873) S. 25 n. 41 wahrscheinlich 
macht, die Synkope schon seit dem Urdeutschen haben und waren 
deshalb Bd. I, 351 hinzuzufügen. 

Fraglich ist es, ob Synkope des i in goth. fatha Zaun statt- 
finde I das man aus *fahitha, *fahtha ableiten und zu fahan stellen 
möchte. 

Ganz vereinzelt begegnet auch Synkope von langen Yocalen 
und Diphthongen. So vom ö im Nom. Plur. reikös: reiks, ebenso 
in den praesentischen Participien, die als Substantiva gebraucht 
werden, wie nasjandös :nasjands; desgleichen vom ai in singularen 
Genetiven wie baurgais : baurgs, alhais : alhs und einigen anderen ; 
endlich vom ei in einigen femininen Nom. Plur. wie baurgs, alhs 
u. s. w. 

Auf die Synkope müsste die Lehre vom Vocaleinschube 
folgen, doch sind Fälle desselben, ganz im Gegensatze zum Alt- 
bochdeutschen, bei dem gegen consonantische Härten so unempfind- 
lichen Gothischen nicht zu erwarten. 

Vocaltrübung durch Consonanten. 

Hieher gehört die wichtige und echt gothische Erscheinung, 
dass vor A und r nicht / und n, sondern at' und au geschrieben 
werden. 

Grkam hält diese Diphthonge für kurz (Gramm. P, 51); Ebel 
in Kohn's 2Mt8chrifl IV, 283 stellte die Ansicht auf, dass hier kurzes 



24 IV. i, a : ai, an. 

e und o gesprochen sei, nnd dieser Meinung sind bisher wol die 
Meisten gefolgt. Leo Meyer die gothische Sprache (1869) S. 537 
sieht dagegen die Frage noch ftir eine offene an nnd meint, dieselbe 
könne keineswegs endgiitig dnrch die Wahmehmnng gelöst werden, 
dass dem Gothen zar Wiedergabe des griechischen b nnd o nnr 
sein ai nnd au zn Gebote stand (z. B. Gaiainna, Paitms, Sanlau- 
mön, Kanlaussaim). Vgl. auch R. Westphal philos.*hist Grammatik 
der deutschen Sprache (1869) S. 47 ff. 

Aus den vier nrdeutschen Verbindungen ih^ ir, uä, ur wird 
also im Gothischen ai/iy air^ auhy aur. Es ist nicht nöthig, hier 
die ganze Fülle von Beispielen für diesen Uebergang zu sammeln; 
die Sammlung ist bereits von L. Meyer (die goth. Sprache 537 ff. 
nnd 579 ff.) gemacht worden. Nnr der Eintritt dieser Erscheinung 
in den starken Verben ist wegen des Einflusses auf das System 
des Ablauts wichtig genug, um hier besonders erwähnt zu werden. 
Sie tritt also ein 

1) bei I-Stämmen im Dual und Plur. Perf. Ind. und im ganzen 
Opt. Perf. so wie im Part. Pass., z. B. taihum, thraihum^ thaihum, 
vaihum, laihvum, Part, taihans; 

2) bei U-Stämmen in denselben Formen, z. B. tanhum, thlau- 
hum, Part, tauhans; 

3) bei A-Stämmeu der schwächenden Gonjugation 

a) im Praes. und Inf. aller drei Glassen; z. B. fraihna, taira, 
baira, bairga, vairpa, hvairba, svairba, gairda, vairtha, thairsa; 

b) im Perf. Ind. Dual, und Plur. so wie im ganzen Opt Perf. 
und im Part. Pass. der binda-Gonjugation, z. B. vaurthum, banrgum, 
vaurpum, hvaurbum, svaurbum, gaurdum, thaursum, gadaursum, 
thaurbum; 

c) im Part. Pass. der giba-GonjugatioU; z. B. saihvans, fraihans ; 

d) von den Praeteritoprae49entibus binah und ganah können wir 
nach Analogie von skulan und munan die Infinitive binanhan und 
ganauhan wenigstens vermuthen. 

Man erwäge noch den ostgothischen Namen Ermanaricus so wie 
das ostgoth. Femininum Erelieva, beide aus sec. 4. 

Auch mag noch bemerkt werden, dass ^EqovXo^ (Procop) = 
Heruli, wenn es zn eorl, jarl gehört, wol gleichfalls ein Beispiel 
des aus / gebrochenen ai ist; die Erscheinung wird sich also wol 
weiter fiber die eigentlichen Gothen hinaus verbreitet haben. 

Nun aber giebt es von diesem Gesetze einzelae anziehende 
Ausnahmen; es zeigt sich nämlich 

j ) / fär erwartetes ai in der Negation nib, in der Inteijeetion 
hin nebst hirjats und hirjith und endlich im Adjeot tbaribs. Dagegen 



IV. Spirans: Media. 25 

ist birofijös fdr berosijös wol nur als falsche Schreibaag.anzusebn. 

2) u fdr erwartetes au erstens in dem bloss eingeschobenen 
u der Sylbe -oh, z. B. in tbatuh, thanuh, inuh n. s. w. Femer im 
Zahlworte fidor-, wenn es in Zosammensetzangen für fidvor steht. 
Anderes aber müssen wir von diesen Fällen trennen: in brnbta, 
ahtvo, nhteigs ist das u wol als lang anzusehn; dasselbe ist viel* 
leicht der Fall in huhrns, thnhta (haohthuhts etc.), jahiza; hier ist 
ein n Tor h verloren nnd in Folge dessen wol der vorhergehende 
Vocal verlängert. Oder es kann auch die Zeit, in welcher die 
Vocaltrfibung vor sich ging, schon vorüber gewesen sein, als der 
Ausfall des n in diesen Formen erfolgte; letzteres ist mir unwahr- 
scheinlich. Paurpura neben paurpaura ist bloss ungenaue Schreibung, 
eben so uhtedun neben öhtedun. Huhja (sammeln?) 1. Gor. 16, 2 
ist ganz duukel, vielleicht zu hauhs gehörig. 

Uebersieht man die wirklichen Ausnahmen dieses Brechungs- 
gesetzes, 80 machen sie den Eindruck, als habe die Sprache hier 
besonders leichte Vocale gesucht; wären das gebrochene ai und 
au wirklieh solche leichten Vocale (e, o) gewesen, so hätte die 
Sprache an ihnen keinen Anstoss genommen. Es sprechen also 
jene Ausnahmen gegen die Aussprache des ai und au als e und o. 

Damit ist die Lehre von dem Leben des Vocalismus im Grothi- 
schen geschlossen, denn Verlängerung oder Verkürzung von Vocalen 
durch vorhergehende oder folgende Consonanten bietet sich nicht dar. 

•B. Consonanten. 

1) Consonanten selbständig. 

Aller selbständige Consonantenwechsel ist entweder ein Wech- 
sel zwischen Lauten desselben Organs oder verschiedener 
Organe. Wir beginnen mit dem ersteren und betrachten ihn nach 
seinen drei möglichen Seiten: a) Wechsel zwischen Aspirata (Spi- 
rans) und Media, b) zwischen Media und Tennis und c) zwischen 
Tennis und Aspirata (Spirans), also ganz entsprechend den drei 
Richtungen, in denen sich die Lautverschiebung bewegt. Der bei 
weitem gewöhnlichste Fall ist der erste. 

a) Wechsel zwischen Aspirata (Spirans) und Media. 

Die Vertretung der Spirans durch Media ist eine Erscheinung, 
die im Goth. nie anlautend, nicht häufig auslautend, sehr oft inlau- 
tend begegnet. Sie ist eine Fortsetzung der im Urdeutschen schon 
vorkommenden und Bd. I, 372 ff. besprochenen beschleunigten 
Lautverschiebung. Man muss sich aber hüten hieher zu viele Fälle 
ZQ rechnen, denn wo eine urdeutsohe Media im Gothischen bleibt, 
im Altn. und Ags. aber zur Spirans verschoben wird, liegt eine 



26 IV. Spirans: Media. 

unorganische Thätigkeit dieser letzteren Sprachen Tor und wird 
bei ihnen zu erwähnen sein, während es dem Gothischen nur zu- 
zuschreiben ist, wenn eine urdeutsche Spirans (indogermanisohe 
Tennis) speciell im Qoth. durch Media vertreten wird. 

Nun geschieht aber diese Vertretung entweder so, dass im 
Gothischen nur die Media, nicht mehr die organische Spirans er- 
scheint, oder so, dass bei Wortern desselben Stammes beide Lauto 
mit einander wechseln. 

Der erste dieser beiden Fälle ist ausserordentlich selten. Bei 
den Gutturalen erwähne ich nur ddx^ lacrima: altn. t&r, ahd. zahar, 
ags. täher: goth. tagr, bei den Labialen nur die doch wol nicht 
ganz sichere Gleichung skr. apäkas : goth. ibuks (altn. öfugr). Bei 
den Dentalen weiss ich Tollends keinen einzigen speciell gothischen 
Fall. Denn solche Bildungen wie die mit Suffixen -ta, -ti, -tu, -tar 
oder die medialen Endungen -da, -dau wurden theils schon beim 
Urdeutschen Bd. I, 372 erwähnt, theils sind sie dort noch hinzu- 
zufügen; man darf also hier nicht die Erwähnung von goth. Formen 
wie alitnda (auch wol skaudaraip gegen griecb. <fxStog\ gardi, 
haidu, fadar oder mediales danpjada erwarten. 

Der zweite der beiden Fälle, wo im Gothischen noch die 
Spirans, aber auch schon die Media bei demselben Wortstamme 
erscheint, Ist dagegen ansserordtentlich häufig; wir mfissen annehmen, 
dass die Bd. I 371 ff. behandelte beschleunigte Lautverschiebung 
noch nicht zum Stillstande gekommen war, als sich das Gothischc 
vom Urdeutscben sonderte und dass das Schwanken zwischen 
organischer Spirans und unorganischer Media sich wählend der 
ganzen Lebenszeit des Gothischen erhalten hat. 

Betrachten wir zuerst die Gutturalen. Da sind zunächst 
solche Fälle wie juhiza: juggs, huhrus: huggijan, fahan:figgrs hier 
nicht mehr zu erwähnen; sie erklären sich durch das urdeutsche 
Vermeiden der Gruppe nA und sind deshalb Bd. I, 391 f. besprochen. 
Auch das Schwanken in dem indogermanischen Adjectivsuf&x -ka, 
das im Goth. als -ha und auch als -ga erscheint, wurde schon I, 
371 erwähnt. Wenn goth. aihauds neben aigands, aihum neben 
aigum steht, so ist nach I, 372 nicht sowol das Eintreten der un- 
organischen Media, sondern mehr das Bewahren der organischen 
Spirans zu bemerken; eben daselbst wurde es schon erwähnt, wie 
die Zebnzahl, wo sie selbständig gebraucht wird, regelmässig 
verschiebt, als zweiter Theil der Zusammensetzung aber Media hat, 
also goth. taihun: -tigus, -tigjus. So werden wir auch bei dem 
Verhältnisse von fahSths: fagindn und von derselben Wurzel gafthijan : 
fagFS dem Urdeutacken schon das g zusobreibeo müssen (Fick 788), 



ly. SpiraoB: Media. 27 

eben so beim Perf. vaih : viga^ vigum, vigans (pngiio)i auch Subst 
vigans; bier ist der Uebergang von h\g sichüicb schon älter als 
der von ixai vor h. In dieselbe Kategorie gebort fraibnan: fra« 
gan. Also überall Fortsetzung des nrdeutschen Schwankens; nur 
etwa in filhan : fulgins, filigri können wir mit Fick 796 noch dem 
Urdeutschen ein h zuschreiben. 

Wir kommen zu den Dentalen, lieber sie wurde Bd. I, 372 
schon erwähnt, dass die alten t-Saffize bereits im Urdeutschen die 
entschiedene Neigung haben in d-Sufl6xe überzugehn und bier treffen 
wir im Gothischen wiederum dasselbe Schwanken, so dass nament- 
lich die Stellung des Lautes zwischen zwei Vocalen den Eintritt 
der Media begünstigt, während das th vorherrschend in der Nach- 
barschaft von Consonanten erscheint Wir geben hier Beispiele von 
den verschiedenen Suffixen: 

-/a : veitvöditha neben veitvodida, liuhath (doch einmal auch 
liuhad) : Thema liuhada, haubith : Thema haubida, naqvaths : Thema 
naqvada, Partie. Pass. ufarhauhiths : Thema hauhida, sokiths : Thema 
sökida. Weniger deutlich ist die suffixale Natur des Lautes in 
aviliuth : Thema aviliuda und fröth, frathjan : Thema fröda. 

"W. manaseths (doch auch seds) : Thema manasedi, faheths : 
Thema fahedi, gabaurthi : gafaurdi, staths (auch Accus, stath) : 
Thema stadi, auch stads und stad. kommt vor; faths (doch auch 
fads): Thema fadi« A(^ectivthema althja neben dem Substantiv- 
thema aldi; nautbi, nautbjan (cogere) : naudibandi, juggalauths : 
juggalaudi. Weniger klar ist das Suffix in saths, gasötlgan (satiare) : 
Thema sadi, arbaiths (neben arbaids) : Thema arbaidi, sauth (doch 
auch Saud): Thema Saudi, brüths: Thema brfidi. 

-M, Personalendnng in der dritten Singul, erscheint öfters als 
//, z. B. in bairid, drigkid, qvimid, gibid, skadveid, svegneid ; Bopp 
nimmt vergleich. Gramm. I^, 131 hier sogar wol mit Unrecht ur- 
deutsches d an. Eben so zeigt sich ein gitid in der 2. Plur. 
Besonders scheinen zwei Consonantenverbindungen, was wir doch 
gleich hier mit erwähnen wollen, den Eintritt der Media zu be- 
günstigen, nämlich 

1) ein auf den Dental folgendes j. So haben wir sinths neben 
sandjan, leithan neben lai^jan, Wurzel stath neben stödjan, vairthan 
neben fravardjan. Auch steht sleithjan neben dem Thema sieidja. 

'2) ein dem Dental vorhergehendes n. Wir haben schon Bd. 
I, 390 erwogen, dass die. indogermanische Gruppe nt die deutliche 
Neigung hat im Urdeutschen zu nd zu entarten. Einige solcher 
Fälle bringen nun gleichfalls ein Schwanken im Gothischen hervor. 
So steht hier muntbs neben ainamunditha ; in untbatbliuban ent- 



28 IV. Te nais : Media. 

fliehen haben wir ein iA^ während sonst das Praefix und- lautet 
Besonderer Forschung werth ist aihvatundi (Thema auf -dja) der 
Domstranch ; ich möchte hiebei nicht mit Grimm an tundjan zünden 
denken, sondern eher an tunthus Zahn. Sollte nicht eine domige 
Pflanze, die in der Oegend der unteren Donau vorkommt, bei 
einem der dort wohnenden Völker als Pferdezahn bezeidmet 
werden? etwa eine Art equisetum? oder Hippophaes oder Hippophyes 
Tanrica? Bis jetzt habe ich Hälfe von botanischer Seite vergebUch 
gesucht 

Endlich die Labiale. Während wir Bd. I, 372 für die be- 
schleunigte Lautverschiebung kein einziges sicheres Beispiel im 
Urdeutschen fanden, zeigt sich im Qothischen dasselbe Schwanken 
wie bei den andern Organen. So haben wir uf : ubuh, af : abu, 
ainlif (Nom.) : Dativ ainlibim, femer tvalibvintras; dann hlaifs : 
hiaibs, Thema hlaibaBröd, afskaufrskiuban, 8vaif:sveiban, sämmt- 
lich Fälle, die wol auf indogermanischer Tennis bernhn. Wie sehr 
diese Verschiebung erst innerhalb des Qothischen vorgeht, zeigen 
am besten Fremdwörter wie Nom. Asaph und Joseph : Qen. Asabis 
and Josebis. Dass aber keineswegs ein Sprachgesetz inlautende 
Media fordert, ersehn wir aus Formen wie afar, ufar, hufbm, lofa, 
haQan, lifnan. 

So weit die Lehre von der Vertretung der Spirans durch Media; 
wie schwierig sie aber ist, wird sich erst vollständig bei Behand- 
lung des Auslautes zeigen. 

b) Wechsel zwischen Tennis und Spirans. 

Die hier zu erwähnenden Beispiele haben sprachgeschichtlich 
keinen Werth, es sind nur ungenaue Schreibungen, und zwar stets 
in der Richtung vor sieb gegangen, dass die Tennis das Echtere, 
die Spirans das Fehlerhafte aufweist So vituts (ihr beiden wisset) : 
vitutbs ; so gatarhiths (beschuldigt) : gatharhiths. Neben dem Thema 
bnutön Anden wir auch hnuthön, von blotan zeigen sich einzelne 
Formen mit th, und von letan findet sich einmal aflethanda sie 
werden erlassen so wie afleithaudans erlassend. 

Ein Uebergang von t:s nach griechischer Weise ist mit Leo 
Meyer die goth. Sprache S. 170 in den Thematen garunsi und 
urrunsi von rinnan anzunehmen, wenn hier wirklich das Suffix -ti 
vorliegt; Mittelstufe wäre jedoch th. Doch bleibt das ungewiss. 

c) Wechsel von Tennis und Media. 

Ein besonders wichtiger speoiell gothischer Uebergang von 
Tennis zu Media liegt vor in zwei Praepositionen , nünlioh in 
goth. du und dis» die beide auf urdeutsche Tennis zurückweisen, 



IV. f : th. 29 

ags« to, ahd. zno und zir, die also im Oothischen ganz aaf den nr- 
sprfinglicben Standpunkt von lat. in-da, altsl. do, altir. do and 
von lat. dis zorückkebren. Ist das ein Einfluss irgend einer an- 
dentschen anverschobenen Sprache? 

Urogekebrt begegnet eine Verscbiebang von Media za Tennis 
in den Fremdwörtern fiaQyoQCTrjg : marikfeiins y Mdyeßig: Makebis 
nod Graeeas : Kreks; die Sprache scheint noch das Gefühl dafür 
gehabt za haben, dass in dieser Verscbiebang eine wahre Ver- 
dentschang liegt. 

Die bei Jomandes erscheinenden Namen brauchen wegen des 
Verhältnisses von Tennis, Media nnd Spirans nicht genauer erwogen 
za werden, da theils die Lesarten zo sehr schwanken, theils auch 
der Schriftsteller selbst schon stark geschwankt hat; es ist nicht 
nothig das durch Aufstellung eines Verzeichnisses zu beweisen. 

Wir kommen nun zu dem Wechsel von Consonanten yer- 
scbiedener Organe. Dass ein solcher im Gothischen, doch nor 
in der Reihe der Spiranten, nicht unter den Tenaes und Medien, 
stattgefunden habe, ist allerdings die Ansicht der verschiedensten 
Sprachforscher. Fünf Wörter, thiiuhan, thlaqvns, thlaihan, thrafst- 
Jan und nithjo, sind im Verdacht ein aus f entstandenes iA zu 
enthalten, zwei andere, auhumists und auhns, sollen ein fröh^es 
f za // entwickelt haben. Die Fälle sind so anziehend, dass wir 
sie näher betrachten müssen, wobei ich vom Wahrscheinlicheren 
znm Unwahrscheinlicheren herabsteige. 

1) Indogerm. Wurzel plu, ahd. fliohan, alts. fliohan, altn. flya, 
ags. fleön, aber goth. thiiuhan. Mir wird es sehr schwer das goth. 
Wort von den andern losznreissen und ich habe sie auch Bd. I, 
441 zusammengestellt Nur Fick europäische Spracheinheit (1873) 
bringt S. 326 thiiuhan zu rgvxf» zerreisse und lat. trucido, was mir 
widerstrebt. Diesen Fall halte ich für den, welcher am meisten 
für den Uebergang f : iA im Gothischen spricht. 

2) Lat. flaccus, goth. thlaqvs, schon Bd. I, 76 zusammen- 
gestellt. Zwar könnte flaccus sein f selbst aus einem Dentale ent- 
wickelt haben, bis jetzt ist aber noch nirgend der Versuch einer 
entsprechenden Etymologie gemacht worden. Ich halte daher auch 
die Richtigkeit dieser Gruppe tür ziemlich wahrscheinlich, sei es 
dass flaccus sich an skr. Wurzel mlä (Kuhn's Zeitschr. VI, 222) 
oder an skr. Wurzel bbra;, (ebds. XVIII| 16) anscbliesst. Das 
ahd. flah halten wir hier fern und haben es schon Bd. I, 77 mit 
lat. planus und griech. nXaxoeig verbunden. 

3) Lat. flagito, shd. flehan, goth. thlaihan, welche Gruppe ich 
Bd. I noch nicht gewagt habe aufzustellen. Sie wird mir aber 



80 IV. f:th, f:h. 

doch Dan auch wahrsobeinlieh , trotzdem ibr die wol von Gab« 
lentz and Lobe herrfibrende Vcreinigang von tbiaiba and ^iXyy 
gegenäber 8tebt. Za sebeiden ist diese Qrappe von gotb. flekan 
lat. plangOy lit. plekiu, griceb. nlijöam, die icb Bd. I, 94 aüfge 
nommen babe. 

4) Die Grimm'scbe Zasaroineostellang von agfl. frefrian, alts. 
fraobrian, abd. flaobiran mit gotb. tbrafstjan. Sie mnssen wir 
jetzt verwerfen, naebdem tbrafstjan mit r^rco and skr. tarpftmi 
bei Fick und bei mir Bd. I, 95 so viel wabrscbeiniicber vereint ist. 

5) Skr. naptt^ lat neptis, griecb. dvetfm, abd. niftila, altn. 
nipt gegen gotb. nitbjö. Hier vertritt das gotbiscbe fh sieber nicbt 
den Labial, der ausgefallen ist wie im altsl. netij, böbm. neti| ja 
aaeb im altn. nidr, sondern den daranf folgenden Dental. 

Resultat ist also, so weit icb jetzt sebe^ dass gotb. fh aller- 
dings, doch narjip drei mit tJil anlaatenden Wörtern aas älterem 
Labial hervorglPnigen ist. Wir werden einen weiteren Wechsel 
von ih and f antf zwar einen, wie es scheint, in beiden Rieb- 
tangen erfolgenden, später im Altnordischen beobachten. 

Es folgen die beiden Fälle, in welchen das Gotbisehe der 
labialen Spirans nicbt nach dentaler, sondern nach gottaraler 
Richtung hin ausgewichen sein soll: 

1) Indogerm. op, ags. yfemest, ufemest, abd. oban u. s. w. 
gegen gotb. aubumists, während sonst das Gotb. in seinem nf, ufar 
den Labialen bewahrt. Man hat deshalb aubumists ganz faievon 
zu trennen versucht und das wird auch wol schliesslich das Richtige 
sein, wenn auch die beiden mir bekannten Versuche nicht fdr ge- 
lungen zu erachten sind, weder die Verbindung mit baubs altus noch 
die Anknüpfung an skr. ucda altus (von ut sorsum). 

2) Altn. ofn, abd. ofan, ags. ofen fomax gegen gotb. aahns. 
Aber dass hier der gutturale Laut grade der ursprünglichere ist, 
wird durch die Zusammenstellung von aubns mit skr. a^na, gr. 2;ivo( 
wahrscheinlich (s. Bd. I, 65). Wir werden dann grade den übrigen 
deutschen Sprachen den Uebergang in den Labial zuschreiben and 
annehmen, dass der Bd. I, 374 wahrscheinlich gemachte keltische 
Einfluss sich auf die westlichen deutschen Sprachen auch noch 
nach der Trennung des Gotbischen in dieser Richtung fortgesetzt 
habe. 

Nach alle dem erscheint ein Uebergang von f: h im Gotbischen 
bisher noch nicbt wahrscheinlich. 

2. Consoniaten im Aaslaat 
Wir haben Bd. I, 375 ff. gesehn, dass im Urdeatschen der 



lY. Cons. Antlaut. 31 

scboB früher begonnene Kampf gegen auslantendea m and s sieb 
noch weiter fortsetzte. Bei dem m ist nun im Qotbiseben der 
Vorgang znm völligen Stillstande gekommen, beim s aber sebn wir 
ihn noch in weiterer Bewegung, wie uns ja schon oben die Ent- 
stehung des z eine gewisse Unruhe in der Sphaere des Zischlautes 
zeigte. 

Im Datiy Plur. haben wir dem ältesten Urdeutsch noch ein 
-miSy dem späteren jedoch schon (mit Ausnahme einiger pronomi- 
nalen Formen) ein blosses -m zuzuschreiben (s. Bd. I, 523 ff); im 
6oth. giebt es keine einzige Form mehr mit Sy auch nicht in der 
pronominalen Declination. 

In der 1. Pers. Flur, nehmen wir an, dass das 6oth. kein s 
mehr vorfand, das es hätte abwerfen können; wir werden beim 
Ahd. noch einmal auf diesen Gegenstand zurückkommen. 

Im Wesentlichen beschränkt sich gotbische Apokope auf den 
Nom. Sing., doch tritt dieselbe erst kurz vor dem Untergange der 
Sprache im sechsten Jahrhundert ein, während Ulfilas davon noch 
keine »^nr hat. Die Urkunde von Bavenna zeigt schon ein Ufita- 
hari und ein Viljarith, während die von Arezzo noch Gutilaibs hat 
Dass das nominative s an einem schon auf s ausgebenden Stamm 
nicht weiter angehängt wurde (Nom. ans, hals, sves. Gen. anzis, 
halzis, svesis), ist selbstverständlich und sicher keine speciell 
gotbische Erscheinung. 

Auch sonst bietet das Gothische keine Beispiele von Apokope 
dar, man müsste denn etwa die unorganische Schreibung hvamme 
fnr hvammeh dahin rechnen, denn dass r nach i und u auslautend 
vocalisirt wird, gehört nach unten unter die Abhängigkeit der 
Consonanten von Vocalen und dass hva für hvat steht, ist nach 
Bd. I, 194 in keinem Falle das Resultat eines gothiseben Vor- 
gangs. 

Ausser diesen wenigen Spuren von Apokope begegnen wir 
aber noch einem andern pathologischen Vorgange bei auslautenden 
Consonanten im Gothiseben. Wir sahen oben (Seite 26), dass 
das Gothische die Neigung bat Spiranten namentlich inlautend zu 
Medien umzuwandeln; jetzt haben wir zu erwähnen, dass es auch 
die Neigung besitzt Medien auslautend in Spiranten zu verändern. 
Beide Erscheinungen wirken eigentlich auf dasselbe, doch nie von 
der Sprache erreichte Ziel hin, dass nämlich die Media der Con- 
sonant des Inlauts, die Spirans der Gonsonant des Auslauts werden 
sollte. Beide Erscheinungen wirken zusammen, doch von entgegen- 
gesetzten Richtungen her. Wo indogermanische Tenuis und urdeutsche 
Spirans im Gothiseben durch Media vertreten wird, gehört die 



92 !▼• (^B* Auftlaut 

Erscheinung nach oben, wo dagegen indogermanUohe Aspifata, 
ordeutsche Media als gothisch aaslaatende Spirans erscheint, müssen 
wir den Fall hier anführen. Die Sache wäre ziemlich einfach, stösst 
aber auf zwei Schwierigkeiten; erstens kennen wir nicht immer 
genan den indogermanischen Lantstand nnd zweitens geräth schon 
das Urdeutsche durch beschleunigte Lautverschiebung (Bd. I, 372) 
vielfach aus den Fugen. Es wird deshalb zwischen beiden Er- 
soheinungen die Grenze nur äusserst schwer zu ziehen sein; auf 
keinen Fall darf man die hiebe r gehörigen Fälle zu sehr auf 
Kosten der nach oben hin gehörenden ausdehnen, wie es vielfach 
geschieht. 

Der besprochene Vorgang kommt aber nur bei Dentalen und 
Labialen, nicht bei Qutturalen vor; bei letzteren heisst es ohne 
Anstoss lag, staig, bang, vig, dag. Bei Dentalen rechne ich hieher 
budum : bauth, heida : baith, rddan : rairöth, vidan : gavath, wo überall 
indogermanische Aspirata, urdeutsche Media anzunehmen ist. Dahin 
wird denn auch bidjan:bath gehören, dessen Verwandschaft (s. 
Bd. I, 444) nicht sicher ist, dem aber jedenfalls urdeutsche Media 
zugeschrieben werden muss. Skaiskaid von skaida bleibt unver- 
ändert, vielleicht noch in Folge von ausgefallenem Nasal. Bei 
den Labialen endlich haben wir gadaban : gadöf, graban:gröf; 
thairban, thaurban : tharf, alle aus indogermanischer Aspirata, nr- 
deutscher Media erwachsen. Bei giban : gaf, Imper. gif kennen wir 
den indogermanischen Zustand nicht (lit. heisst es gabenu), es ist 
aber sicher urdeutsche Media anzunehmen. Auch goth. laiba, 
leiban : bilaif (nebst aflifnan) erwächst aus urdeutscher Media, die 
wol in Folge von ausgefallenem Nasal (Bd. I, 92) aus Tennis ent- 
sprungen ist Endlich haben wir noch die beiden Wörter laubs 
und thiubs : Acc. lauf und thiuf zu nennen, die gleichfalls aus ur- 
deutscher Media, aber indogermanischer Tennis erwachsen sind; 
so ist wenigstens der wahrscheinlichere Vorgang. 

Bedenkt mau, dass im Gothischen das ö ein recht seltener 
Laut ist (auf 5 d kommt noch nicht ein />), so können wir sagen, 
das bei der dentalen Media nur eine Neigung vorhanden ist aus- 
lautend in Spirans uberzugehn, während dieser Uebergang bei der 
labialen förmlich zum Gesetze wird, einem Gesetze, das nur durch 
eine benachbarte Liquida, z. B. in halb, svarb (tersit), lamb, dumb 
eine Hemmung erfährt. 

8. Consonanten abh&ngi;. 
a. Einfluss von Consonant auf Consonant. 
Im Allgemeinen ist dieser Einfluss lange nicht so gross als in 



IV. Consonantengrappeiu 33 

andern Sprachen. Namentlich im Auslaute bleiben nicht nur Gon- 
sonantenverbindnngen von einer für uns grossen Härte, sondern es 
werden dazu durch Synkope noch ohne Scheu neue geschaffen; 
Westphal hat in Euhn's Zeitschrift II, 162 eine reiche Sammlung 
solcher Verbindungen. Auch im Inlaute zeigt das Gothische eine 
ziemlich grosse Unempfindlichkeit; nicht einmal zu einem so nahe 
liegenden Uebergang wie ms:ns hat es eine Neigung; vgl. amsa 
svumsli mimza. 

Von derErweichung anlautender Consonantengrnppen, 
worüber doch Bd. I, 378 für das Urdeutsche manches beizubringen 
war, kann deshalb in einer Sprache nicht die Rede sein, die sich 
sogar vor der Form qvrammitha (Feuchtigkeit, von unsicherer 
Etymologie) nicht scheut; höchstens kann man in goth. ganipnan 
(betrübt werden); wenn man es zu altn. hnipna hält, eine Ausstossung 
des h vermuthen. 

Wir kommen deshalb sogleich zur Entartung inlautender 
Consonantengruppen, wofür Bd. I, 388 ff. zu vergleichen ist. 
Von einer Erweichung dieser Gruppen (ohne völligen Verlust eines 
ihrer Bestandtheile) finden wir im Gothischen keine Spur, dagegen 
mehrere Beispiele von völliger Unterdrückung eines unter mehreren 
Lauten, eines Vorganges, den man fast versucht wäre eine unge- 
schriebene Assimilation zu nennen. 

Wir reden zuerst von dem Ausfalle eines n vor folgenden 
Gonsonanten. Dahin sind nun aber solche Doppelformen wie huggr- 
Jan und huhms, juggs und juhiza nach dem, was Bd. I, 392 er- 
örtert wurde, nicht mehr zurechnen; eben so wenig standa : stöth, 
da hier das n wol nicht im Perf. ausgefallen, sondern im Praesens 
eingeschoben ist; vgl. Bd. I, 581. Dagegen ist wirklicher Ausfall 
(mit Vocalaffection) in seiteins aus sinteins anzunehmen. Neben 
diesem vereinzelten Beispiele ist nur noch der Uebergang von ng 
{gg) : g zu erwähnen, den wir mehrfach finden, z. B. gageiggan ge- 
winnen : gageigan, gaggan : fauragagja, huggrjan : hugrjan, unma- 
nariggvs neben -rigvs. Noch öfter ngk (ggk) : gk, wie thagkjan neben 
fhaggtgan, drigkan neben driggkan, ugkis neben uggkis u. s. w. 
Letzteres ist wol keine sprachUche, sondern nur eine orthographische 
Erscheinung. 

Wie das ;i, so schwindet auch das h zuweilen vor andern 
Consonanten, doch immer nur sporadisch, nie gesetzmässig. So 
hs : 8 in drauhsnos : drausnös, ferner in vaurstv, das doch ein 
^aurhstv voraussetzt, vereinzelt auch im Genetiv als für alhs. Sehr alt, 
vielleicht schon urdeutsch, ist der Fall hv : v im Thema *nahvi : *navi, 
dann weiter vocalisirt zu naus (altn. när); desgleichen in saihvan 
Fdrttemann, Gesch. d. d. Sprachstammes. IL 3 



34 I^« ABsimilation. 

za ^sihyniy woraus siuni noch vor der Zeit entstanden sein mnss 
in welcher ih : aih überging. Ein hm : m haben wir in hioma neben 
• hiahma, ein ht:t in liuteith fdr liuhteith, endlich ein hthrth in 
fatha Zaun, wenn dieses^ wie es scheint, aus ''^ahitha '^'fahtha ent- 
sprangen ist 

Die Verbindung gv wird zwar, wie Bd, I, 395 erwähnt wurde, 
im Urdeutschen gradezu als beliebt gesucht, tritt jedoch hinter sie 
noch ein ableitendes j\ so meidet selbst das Gothische diese Härte. 
So wird das Thema ''^magvja : *mavja : mauja (Nom. mavi); und 
sollte es sieh nicht erweisen, dass taujan gradezu = did(o(u ist, so 
wäre der Uebergang *tagyjan : *tavjan : taujan (Substantivthema 
tauja, Nom« tavi) denkbar. 

Ein r vor andern Consonanten schwindet in spaiskuldrs aus 
spaivskuldrs. Ausfall des letzten Gliedes einer Consonantengruppe 
lässt sich nur in dv:d beobachten; so in fidv6r:fidur (fidrörtiguns 
gegen fidurdögs); auch ist das Thema skadu wol aus skadva (vgl. 
skadvjan) entsprungen; der erste beider Fälle findet sich auch im 
ags. üÖQf wieder, während für den zweiten das v noch z. B. im 
ahd. Dativ scatewi u. s. w. erscheint. In beiden Fällen stösst das 
(rothische das r übrigens nicht spurlos aus, sondern lässt erst da- 
durch den folgenden Vocal trüben. 

Endlich Ausfall des mittleren von drei Consonanten wie es 
scheint in kukjan küssen, das ich nicht gut anders mit altn. kyssa, 
ahd. chussjan und ags. cyssan zu vereinen weiss als durch Annahme 
einer älteren Form "i^kuksjan (wenn wirklich kukjan und küssen 
dasselbe Wort ist). 

Für die eigentliche Assimilation, zu der wir jetzt anserm Plan 
gemäss kommen, haben wir die Fälle sm : mm, nv : nn, nd : nu, In : 11, 
Iv : 11, st : SS bereits beim Urdeutschen Bd. I, 393 ff erwogen. 

Nur der letzte dieser Fälle, st:ss, wobei das st bekanntlich 
oft aus tt, tht, dt entstanden ist, wirkt im Gothischen noch weiter 
fort. So ist das Suffix -assu, das dem Gothischen eigenthümlich 
ist (Bd. I, 491| 516), sicher aus as-tu assimilirt, vielleicht jedoch 
schon im Urdeutschen. Zum Verbum standa gehören die Formen 
afstaf^s, usstass, tvisstass, auch faurstasseis (das ein Thema *fanr- 
stath-tja voraussetzt), zu hvatjan das Substant. hvassei und das 
Adverbium hvassaba (aus hvat-Qa, hvat-taba). Nach dem Vocal i 
sahen wir die Assimilation schon urdeutsch in manchen zum Ver- 
bum wissen gehörenden Formen wie goth. mithvisseL Zu qvithan 
gehört ein aus *qvithti entsprungenes qvissi^ das wir in den Com* 
positen ga-, ana-, missa-, sama-, thiuthi-, us-, vaila-qviss finden, das 
aber sogar schon urdeutsch sein könnte; vgl. altn. kvis (Ntr., rumor), 



IV. Assimilation. 35 

ags* cviss (Fem., sermO; dictam). Hieher aach goth. gaviss (janctura) 
Yoo gavida; vielleicht ist auch missö wechselseitig aus mit-to ent- 
sprangen. Unsicher bleibt, ob auch in nngatass oder in knossjan 
diesselbe Assimilation anzunehmen ist. Nach langem Vocal bleibt 
übrigens das sl stets unangetastet wie in mösta und vaist. Zu be- 
merken ist endlich, dass dieser an sich sehr merkwürdige Fall der 
Assimilation von sliss sich auch im Altirischen wiederfindet 

Von anderen im Gothischen begegnenden Assimilationen fanden 
wir noch keine urdeutschen Beispiele. So zeigt sich häufig, doch 
nicht nothwendig, das 8 der Praeposition us einem folgenden r an- 
geglichen, so in usruns : urruns, usrinnan : urrinnan, usreisan : urrei- 
san, usredan : urredan, us riqviza:ur riqviza, usrümnan : urrümnan 
(2. Cor. 6; 11 steht in der einen Handschrift usrumnöda, in der 
andern nrrumnoda). 

Bei goth. svamms Schwamm, wenn es zu Griech. aofig>6g ge- 
hört, würde man auch geneigt sein Assimilation anzunehmen and 
könnte diese Ansicht durch altn. svampr bestätigt finden; doch 
ist hier das p vielleicht eingeschoben und Schwamm mag zu 
schwimmen gehören (vgl. auch lett. swammis, lit. szamas). 

Ein kv : kk findet sich in altsl. smokva : goth. smakka. 

Bis zuletzt habe ich mir den sehr häufigen Vorgang aufgespart, 
dass ein A sich einem folgenden Consonanten assimilirt. Genauer 
genommen tritt dieser Fall aber nur bei der angehängten Partikel 
-üb ein, es müsste denn etwa nngatass auf ein ^ungatahs zurück- 
weisen und zu tekan zu setzen sein. Das -uh aber wird im Gothi- 
schen gradezu schlecht behandelt; bei den Vocalen sahen wir, wie 
es sein u oft verliert und hier sehen wir sogar seinen Consonanten 
antergehn, so dass von dem Wörtchen gradezu nichts mehr übrig 
bleibt Vor nicht weniger als zehn Consonanten finden wir dies 
Schwinden des A: 

1) hr : rr, jah ragin : jar ragin. 

2) hl: II, duh leitilai : dul leitilai, jah liban:jal liban, jah 

lAggei-J^ laggei. 

3) hm : mm, jah munddth : jam mundöth. 

4) hn : nn, jah ni : jan ni. 

5) h8:ss, jah sunjöstjas sunjös, jah saeiijas saei, nih sijai: 
nis sijai. 

6) hk : kk, nuh kannt : nuk kannt. 

7) hg:gg, jah gabairaidau : jag gabairaidan, jah galaith:jag 
galaith, jah gahausida : jag gahausida, jah gatraua : jag gatrana; es ist 
zu bemerken, dass von diesen vier Beispielen kein einziges aus dem 
codex argenteus stammt, 

n* 



36 IV. Halbe Assimilation. 

8) hth:thth; der häufigste aller Fälle; jah than: jath than, jah 
tbairh : jath thairh, jah the : jath the, nih than : nith than, vasah than ; 
▼asQth than, inuh this : inuth this, dah the (das nur selten erscheint) : 
dnth th^, sumaih than : sumaith than. 

9) hd:dd, jah da:jad du. 

10) hb:bb, jah bindis:jab biudis, jah brust8:jab bmsts. 

Wir gehn über zur halben Assimilation. Sicher ist eigent- 
lich nichts hieher zu rechnen. Die Fälle von dn:8n (anabiudan: 
anabusnSi usbeidan : usbeisns) so wie von tn : sn (vlits : andavleizn) 
wurden schon Bd. I, 393 angeführt; Grimm nahm Ctesch. d. dtsch. 
Spr. 256 hier mit Unrecht ausgefallenes / an. Ein gn : hn wäre 
anzunehmen, wenn goth. tveihnai wirklich auf einem urdeutschen 
tvigina, ags. tvegen (Bd. I, 398) beruht, doch ist hier auch altn. 
tvenn, ahd. zwene zu erwägen. 

Einen weiteren Punkt hätte ich schon Bd. I, 390 eingehender 
behandeln sollen. Es ist die gewiss schon urdeutsche Erscheinung, 
dass in den sjTikopirten schwachen Perfecten (auf urdeutsches -da) 
die Verbindungen bd, pd, kd, gd, td, sd durch eine Umwandlung 
des rf in / vermieden werden, vor welchem i dann als Vertreter 
der Gutturalen, Dentalen und Labialen nur ein A, «, f erscheinen 
darf, so dass die beliebten Verbindungen ht, st^ ft förmlich gesucht 
werden. Aus dem Gothischen gehören hieher mit Guttural mahta, 
aihta, öhta, bauhta, brahta, brflhta, andthahta, thühta, fravaurhta, mit 
Dental gamosta, kaupasta, mit Labial thaurfta. Im Altn., wo das 
Praeter, auf Öi ausgeht, stellt sich die Regel so, dass nach /?, /, 
k und s -ti eintritt, z. B. glapti, malti, lukti^ thusti, doch nicht nach 
f (kraf^i); im Ags., wo -de gilt, tritt nach p, t, h, s -te ein, z. B. 
raepte, hvette, plihte, lyste. Im Ahd., wo das Suffix überhaupt -ta 
lautet, verschwindet alles Unregelmässige. 

Ein gewisser, jedoch nicht kräftig durchgreifender, aspirirender 
Einfluss des nominativen s auf vorhergehendes d lässt sich be- 
obachten in dem Nomin. bauths vom Thema bauda (altir. baodh, 
skr. bandhura), desgleichen in dem nur einmal erscheinenden göths 
(das sonst immer gods lautet) vom Thema göda (griech dya^gy 
altslav. godin placens). VITenn aber Grimm Gesch. d. dtsch. Spr. 
zweite Aufl. S. 255 auch in hiaifs hlaibis, faths fadis, seths sedais, 
froths frodis, saths sadis denselben aspirirenden Einfluss findet, so 
steht dem meine Auffassung, nach welcher ich vielmehr die Spirans 
für das Ursprünglichere, die Media für deren Erweichung ansehe, 
gradezu entgegen. 

Gemination neben einfacher Consonanz liegt nur selten 
vor. Die gothischen Formen kuni, fani, munan haben vielleicht 



IV. • Einfluss von Vocal auf Consonant 37 

die Erinnening an frühere AssimilatioDen eingebässt und sind dann 
anorganischer geschrieben als ahd. kanni, fenni, minna oder goth. 
ufarmnnnon. Dagegen scheint goth. kann anorganische Gemination 
za haben. Wenn aber Grimm Gesch. d. dtsch. Spr. zweite Aofl. 
S. 625 auch in rinnan und brinnan solche anorganische Gemination 
sacht, 80 irrt er wol^ da hier Assimilation aas rinvan, briknan (s* Bd. 
If 393, 394) wahrscheinlicher ist. In Bezag aaf r hat fairriodth 
unorganische Schreibang gegen fairindn; angewiss ist es, wie es 
mit qvairras, fairra, andstaarran stehn mag. Wenn statt thai than 
und samai than die Schreibangen thaiththan and samaiththan be- 
gegnen, 80 liegt hier wohl Assimilation eines dazwischen stehenden 
thaih and samaih vor. 

In Bezag aaf die Erzeagang von anorganischen Oon- 
sonanten verhält sich dasGothische so gat wie ganz passiv, denn 
den Einschab des s vor t hat es aas dem Slavogermanischen geerbt 
(Bd. I| 252), die Erzeagang eines ^ vor r and eines dd vor J aas 
dem Urdeatschen (Bd. I, 395 f., 397). In andannmfts mag das f 
zwischen m and i erst im Gothischen eingefdgt sein, obgleich das 
Ahd. mehr Beispiele dieses Vorganges darbietet; derselbe ist eben 
ein sehr natürlicher and es findet sich Aehnliches aach im Griechi- 
schen, Lateinischen and Persischen (Bopp vergl. Gramm. P, 167). 
Svumfsl Teich, za svimman gehörig, zeigt sich neben svamsl, wie 
ja aach sonst das Zasammentreten von m and s keineswegs an- 
stossig ist. 

b. Einflnss von Vocal aaf Consonant. 

Den Aasfall and den Einscbab eines Consonanten 
zwischen zwei Vocalen können wir gleich zasammen be- 
sprechen fdr solche neben einander stehende Formen wie frijathva 
und fijands neben friathva and fiands, sijam and sijuth neben siam 
und siatb, frijön and friön, fijais, fijaith ond sijai neben fiais, fiaith 
and siai, sijaa, ijaa neben siaa, iaa. Ueberall ist der erste Vocal 
ein i, der zweite beliebig, der zwischen beiden stehende oder 
fehlende Consonant ein J\ die Formen mit dem J sind überall weit 
häafiger als die ohne dasselbe. Eine vollständige Sammlang hiefdr 
hat Begemann das schwache Praeteritam (1873) S. 91 ff. Die 
Sache ist wol so anzasehen, dass der gothischen Sprache hier von 
Anfang an ein anorganisch eingeschobenes J zukam, dass dieses 
aber später zuweilen aasfiel and dadurch die theoretisch ältesten 
des Einschubs nach entbehrenden Formen wieder hergestellt wurden. 
In thrije (triam) and thrija (tria) sind keine Formen belegt, die 
den Consonanten entbehren. " 



38 IV. Voealisirang. • 

Sollte nicht ein g zwischen zwei Vocalen ansge&llen sein in 
nndarleija (infimns), bo dass ein ^nndarligija roranzasetzen ist? 
Im Uebrigen nimmt das Gothische noch einige Formen mit ans- 
gestossenen Consonanten ans dem Urdeatschen herüber (s* Bd. I, 
397), schafft aber nichts Nenes hinzn. 

In Bezug auf die Vocalisirnng eines Consonanten 
durch vorhergehenden Vocal möchte ich zunächst glauben, 
dass der Untergang des n in den weiblichen a-Stämmen (gibans: 
gibos) doch auch schon urdeutsch sei, wie in mehreren Bd. I, 398 
erwähnten ähnlichen Fällen. Dem Gothischen zuzuschreiben ist 
nur, dass ein j oder t> mit vorhergehendem i oder a einen Diph- 
thongen bildet. Beispiele: 

1) ij: ei\ *fr\ja8; *frij8: freis, *kijanan: keinan (germinare). 

2) iv: iu; *thivas *thiv8: thius (servas, Voc. thiu); *qviva8: 
qvius (vivus, dazu gaqviujan und gaqvivnan); *kniva: kniu (genu); 
^riva : trin (arbor); *niva : niu (novus, z. B. niuklahs, niujitha); 
*sivjan : siujan (suere); *sivni (aus sihvni): siuni (visns); *sunivas: 
suigus (filii, Nom. Plur.); goth. snivan (festinare) : sniu (in sniumjan, 
sniumundo). Endlich uhtiugs (tempus habens) möchte man aus 
*uhtivagas herleiten. 

3) äj : ai; '*'säja, '*'väja : saia, vaia. In den Formen bajöths 
und vajamereins liegt dagegen wol umgekehrt nicht Vocalisirnng, 
sondern Consonantirung vor (vgl. oben Vocal abhängig von 
Vocal, S. 22). 

4) av: au; faviza (Comparat.): faus (Posit.) paucus; *navi8: 
naus (mortuus); skavjan, ^sskavis : skauns (pulcher), usskaus 
(providus); tavida : taujan; stravidedun: straujan. Endlich nom. 
gavi, havi, mavi : Thema gauja, hauja, mauja. 

Nach ai kann dagegen das v nicht vocalisirt werden, da sich 
hier kein Diphthong darbietet; so bleibt saivs, snaivs, aivs, hlaiv 
unverändert. 

Wir kommen zur Vocalisirnng eines Consonanten durch 
folgenden Vocal. 

Der bei weitem wichtigste Fall htja:ji: ei. Dieser gevriss 
schon im Urdeutschen wurzelnde Uebergang (s. Bd. I, 398) 
tritt im Gothischen ein (oder zeigt sich als früher eingetreten) in 
folgenden Fällen: 

a) am Schlüsse des Wortes; vgl. Leo Meyer goth. Sprache 
S. 362* So in nasei, sökei, den Imperativen von nasjan, sökjan, 
desgleichen in bidei, ushafei, frathei etc. Die Relativpartikel ei 
(thatei u. s. w.) ist wol nichts anderes als das Neutrum des indoger- 
manischen Relativstammes Ja. 



I 



IV. Vocalisirung. 39 

ß) bei Yorbergebender langer Sylbe; vollständige Beispiele bei 
Xeo Meyer S. 361. Hieber gebort also *andji8 : andeis (Ende); 
"^^hairdjis : hairdeis (Hirt); *altbjis : altbeis (alt); *viltbjis : viltheis 
(wild); femer in *s6kji8: sokeis (du sucbst), *sokjith: sokeith (er, 
ihr sucht) und allen äbnlicben Verben. Oehn aber Vocale vor dem 
^ vorber, so unterbleibt die Vocalisirung; es beisst z. B. niujis, niebt 
niveis, eben so stöjis^ stöjitb. Desgleicben bei kurzer vorbergeben- 
der Sylbe, also baijis, nasjis, nicbt bareis, naseis. 

y) wenn mebr als eine Sylbe vorbergebt, t. B. *raginjis: 
ragineis, ^bokarjis : bökareis, *gavairtbjis : gavairtbeis, '^'andbabtjis 
andbahteis. 

Nocb einen Schritt weiter, bis zum blossen kurzen iy entartet 
das ja in einigen Fällen des Auslautes; s. auch oben schon ähn- 
liches bei der Lehre von den Vocalen; Leo Meyer behandelt den 
Gegenstand S. 359, 516, 533. Es tritt diese Verkürzung ein 

1) bei Masculinen auf ja^ die im Acc. und Voc. Sing, auf 
blosses i ausgehn, z. B. hari, hairdi. 

2) bei einigen Femininen auf ja^ die im Nom. Sing., wo lange 
Sylbe oder mehrere Sylben vorhergehn, blosses i haben, z. B. bandi, 
hvoftuli, doch auch bei kurzer Sylbe wie in mavi, thivi vom Stamme 
mavja, thivja, der aber nach dem Vorhergehenden im Gotbischen 
als mauja, thiuja erscheint. 

3) bei manchen i/?- Stämmen, wo sie als erster Theil von Zu- 
sammensetzungen erscheinen, z. B. arbinumja, thusundifaths, andi- 
lans u. s. w. für arbjanumja etc. Dieses arbinumja ist also ent- 
arteter als das arbeolaosa des Hildebrandsliedes, woraus man sieht, 
dass hier ein speciell gothischer, nicht ein urdeutscher Lautwechsel 
vorliegt. Wenn dem abd. kuniowidi (in den Merseburger Sprüchen) 
ein goth. kunavida gegenüber steht, so ist hier kein Lautwechsel^ 
sondern eine völlig andere Bildung des ersten Theiles anzunehmen. 
Das volle -ja im ersten Theile findet sich noch in goth. vadjabokös 
vom Neutrum vadi. 

Mit einigen andern Fällen haben wir es hier nicht mehr zu 
tbun. So gehört der Uebergang von ja : i in den schwachen Per- 
fecten wie nasja : nasida oder tauja : tavida oder strauja : stravida 
bereits dem Urdeutschen an (Bd. I, 398). Ferner ist noch folgen- 
des zu beachten: Während das j des ComparativsuflFixes jans 
schon weit jenseits des Gotbischen vocalisirt ist (s. Bd. I, 150) 
und sich daraus schon urdeutsch ein isan und äsan entwickelt hat, 
müssen die Adjectiva auf ya dieses Suffix noch urdeutsch im Gom- 
parativ und Superlativ gezeigt haben, es müssen also diese Formen 
auf jisan, jdsan, jista^ jästa ausgegangen sein, wie das Altsäch* 



40 I^* Vocalisirung. 

siscbe zeigt; 8. Grimm Gramm. UI^ 577 f. Hier hat nun das Gothi- 
sehe und ebenso die übrigen Mundarten, jede fdr sich, gleichfalls 
keine Spur mehr von jy doch scheint es richtiger, diesen Fall nicht 
als Vocalisirung, sondern als Ueberwncberung durch die Bildung 
der Adjectiva auf -a anzusehn. 

Ausser vor a und i wird das j auch noch in zwei andern 
Fällen von einem folgenden Vocale verschlungen^ nämlich 1) vor 
der Endung au im Opt. Praes., z. B. '^'bairjan : bairau, nimjau : 
nimaUj wo dasAltn. ein -i, die andern Sprachen ein -e haben; es 
ist schwer zu beurtheilen, ob dieser Fortfall schon urdeutsch ist; 
2) vor der Endung -6 im Gen. Flur, der i-Stämme, also urdeutsch 
baigjä, anstjä : goth. balge, anste; hier lautet es noch ahd. belcjo, 
enstjö, altn. noch belgja, doch schon ästa. 

Ausser dem j wird auch das r durch folgenden Vocal ver- 
schlungen, doch nur in drei vereinzelten Fällen: 

1) va : u in der 1. Du. Perf. Ind., also indogerm. babhärva : 
goth. beru, wo das a im Urdeutschen nicht abgefallen ist; vgl. 
den Optativ babhärjava : bereiva. 

2) vä : u in Skr. svädus, lat. suavis u. s. w., also urdeutsch Thema 
sväti : goth. suti. Das altn. soetr, ahd. suazi sind hier weniger entartet. 

3) vu : u nur im Namen Athaulf, dem Vorläufer von so vielen 
späteren Beispielen derselben Art. 

Am Schlüsse der ganzen Lautlehre ist noch der in Folge des 
Gleichklangs geschehene Ausfall einer ganzen Sylbe im Acc. Flur, 
nasjandans : nasjands zu erwähnen, auch die in einigen Femininen wie 
baurgins : baurgs eintretende Verstümmelung. 

Von Metathesen hat das Gothische keine Spur. 

Wer das im Vorhergehenden Dargestellte mit dem eben so 
geordneten Stoffe in Bd. I. S. 337—399 Schritt für Schritt ver- 
gleicht, wird sehen, auf wie viele Schwierigkeiten der erste Ver- 
such stösst, die urdeutsche Lautlehre von der Gothischen zu son- 
dern, wird aber auch erkennen, wie viel klarer als bisher sich die 
sprachlichen Ereignisse selbst in diesem ersten mangelhaften Ver- 
suche ans einander legen und darstellen lassen. 



Zweiter Absehiim. 

Der Sprachschatz« 

Um die eigentliche speciell gothische Sprachthätigkeit in Bezug 
auf den Wortschatz zu beurtheilen, müssen wir aas dem uns über- 
lieferten gothischen Sprachschatz ausscheiden: 



IV. Sprachschatz, Sabstantiva. 41 

1) alle Fremdwörter, über welche weiter unten. 

2) alle solche Wörter, welche sich schon als urdentsch erwiesen 
baben (s. die drei zweiten Abschnitte des ersten Bandes). 

Ferner sind ansznlassen alle solche Bildungen, in welchen 
sich die Sprache mit völliger Ungebundenheit bewegt, also 

3) die mit Negationen zusammengesetzten Wörter, wofür wir 
nur das positive Wort rechnen; 

4) die zusammengesetzten Zahlwörter; 

5) die verschiedenen Zusammensetzungen desselben Verbums 
mit Praepositionen, wofür wir nur das Simplex in Anrechnung bringen; 
bei Kominen, wo die Zusammensetzung eine festere ist, nehmen 
wir dagegen auch diese auf; 

6) adjectivisch gebrauchte Participien, wo nur die Verba ge- 
rechnet werden; 

7) Comparative und Superlative, statt deren wir nur die Positive 
yerzeichnen; 

8) die regelmässig gebildeten Adverbia, wofür nur die Adjectiva 
angesetzt werden; 

9) Zusammensetzungen mit angehängten -h (-uh) und -ei. 
Nach Abzug aller dieser Wortclassen erweist sich der speciell 

gothiHche Sprachschatz, so weit wir ihn kennen, als folgender: 

SUBSTANTIVA. 

Thiere. 

Unbiari, starkes Ntr., Thier (un I; wegen des zweiten Theils 
vgl. lit. zveris fem« und altsl. zvjeri msc, wildes Thier). Es liesse 
sich manches über das Wort sagen, doch leider noch nichts Wahr- 
scheinliches. 

Ahaks, st. Fem.? Taube (unsichere Anklänge bei Diefenbach 
goth. Wbch. I, 7). 

Hraivadubö, schw. fem., Turteltaube (hraiv I -j- dubo lü). 

Thramstei, schw. fem., Heuschrecke (unsichere Ableitung von 
einem thrimman = lat. tremere, rgefielv). 

So finden wir bei dem geringen Anlass, welchen dem Ulfilas 
sein Text zur Verwendung von Thierbezeichnungen gab, schon zwei 
räthselhaite Wörter, ahaks und thramstei, über welche beide übri- 
gens Grimm in den Monatsberichten der Berliner Akademie von 
1861, S. 837 ff. spricht; danach mag man den Verlust ermessen, 
den unsere Sprachkenntniss erlitten hat. 

Der Mensch. 
1) Allgemeines: 
Aba, schw. Msc, Mann (zu gäl. ab, aba pater? altn. afi pater, avns?), 



42 IV. SprachBchatz, Substantiva. 

Jaggalantbs, st Hsc^ Jüngling (juggs I -{^ ^laaths, Thema 
laudi Mann, s. die Adjectiva, zur Wurzel rah, rndb wachsen). 

MagaUty schw. Msc., Knäbchen (magas I). 

Maviloy schw. Fem., Mägdlein (mavi III). 

Frasts, st. Msc, Band (nnsichere Vermathungen bei Diefen- 
bach I, 400). 

2) Verwandschaft: 

Oanitbjis, st. Msc, Verwandter (ga I -j- nitl\j5, ^nithjis I). 

Inkanja, schw. Msc, Stammgenoss, Plnr. Landslente (in I -|- 
knni I). 

Ayö^ schw. Fem., Grossmutter (altn. ai I). 

Fadrein, st. Ntr., Vaterschaft (fadar I). 

Beruseis, st. Msc. Flur., Eltern (bairan I). 

Liuga, st Fem., Ehe (zu liugan II? vgl. lat. nubere). 

Bruthfaths, st. Msc, Bräutigam (bruths III -{- faths I). 

Brdthrahans, Msc. Flur., Gebrüder (bröthar I). 

Frastisibja, st. Fem., Kindschaft (frasts s. oben -f- sibja I). 

Ainabaur, st. Msc. der Eingeborene (ains I -j- bairan I). 

Frumabaur, st. Msc, der Erstgeborene (fruma I -{^ bairan I). 

Bamild, schw. Ntr., Kindchen, Söhnchen (bam II). 

Gaarbja, schw. Msc, Erbe (ga I -f- ^^^bi III). 

Arbjo, schw. Fem., Erbin (arbja I). 

Stairo, schw. Fem., die Unfruchtbare (zu lat. sterilis, griech. 
(SxB^^og u. s. w.? vgl. altn. star I). 

Viduvairna, schw. Msc, der Verwaiste (viduvo I). 

3) Stand. 

Kindins, st. Msc, Statthalter, Landpfleger (wahrscheinlich zu 
altn. kind I; zwischen beiden könnte ein Wort *kinda oder *kindi 
liegen, das etwa Stamm, Verwandtschaft bezeichnen müsste). 

Hundafatbs, st. Msc, Hauptmann (hund I -|- faths I). 

Thusundifatbs, st. Msc, Oberhaaptmann (thusundi II -f- faths I). 

Fauragagga und fauragaggja, schw. Msc, Vorsteher, Verwal- 
ter (faur I -|- gaggan I). 

Fauramathleis, st. Msc, Sprecher, Vorsteher (faur I -}- mathl- 
jan III). 

Faurstasseis, st. Msc, Vorsteher (faur I -{- standan I). 

Gardavaldands, st. Msc, Hausherr (gards I -f- valdan II). 

Ragineis, st. Msc, Rathgeber, Rathsherr (ragin HI). 

Staua, schw. Msc, Richter (staua Gericht, s. unten). 

Vitödafasteis , st. Msc, Bewahrer des Gesetzes (vitoth zu III 
-f- fastan I). 



rv. Sprachschatz, SubstantiTa. 43 

Vitödalaisareis, st Msc, Schriftgelehrter (vitöth zu III -\- lais- 
jaxi III). 

Ufargudja, schw. Msc, Oberpriester (ufar I + gudja III). 

Veiha, schw. Msc, Priester (veihs HI). 

Aurtja, schw. Msc, Gärtner (zum ersten Theile von aurtigards, 
<l3^ noch Buch III hinzuzufügen ist). 

Baurgja, schw. Msc, Bürger (vgl. den Personennamen Burgio, 
2X1 baurgs I). 

Fiskja, schw. Msc, Fischer (fisks I). 

Haumja, schw. Msc, Hornbläser (haurn I). 

Kasja, schw. Msc, Töpfer (kas I). 

Skilja, schw. Msc, Fleischer (nach Leo Meyer zu xeiqm, 
ciilter etc.). 

Sviglja, schw. Msc, Pfeifer, Flötenspieler (sviglön III). 

Timrja, schw.. Msc, Zimmermann (timijan zu III). 

Vardja, schw. Msc, Wärter (vards III). 

Vullareis, st. Msc, Tuchwalker (vulla I). 

Mötareis, st. Msc, Zöllner (mdta s. unten). 

Dauravarda, st. Fem., und dauravardo, schw. Fem., Thürhüterin 
C^aur I -|- vards III). 

Gaskalki, st. Ntr., Mitknecht (ga I •+- skalks III). 

Thevis, st. Ntr. Plur., Diener, Knechte (thius II). 

Thiumagus, st. Msc, Knecht (thius II -f- magus I). 

Vaurstva, vaurstvja, schw. Msc, Arbeiter (vaurkjan I). 

Gavaurstva, schw. Msc, Mitarbeiter (ga I -f- vaurkjan I). 

Gadrauhts, st. Msc, Kriegsmann, Soldat (ga I -|- drauhts III). 

Bidagva, schw. Msc, Bettler (bidjan III). 

4) Eigenschaft und Thätigkeit. 

Gadaila, schw. Msc, Theilnehmer, Genosse (ga I -j- dailjan II). 

Gabaurgja, schw. Msc, Mitbürger (ga I -|- baurgs I). 

Gadauka, schw. Msc, Hausgenoss (ga I; der zweite Theil ist 
unsicher, s. Diefenbach II, 616). 

Gahlaiba, schw. Msc, Genoss, Mitjünger (ga I -f- hlaibs I). 

Gajuka, schw. Msc, und gajuko, schw. Ntr., Genoss (ga I -|- 
juk I). ^ 

Galaista, schw. Msc, Nachfolger (ga I + laistjan fll). 

Galeika, schw. Msc, eines Leibes, Miteinverleibter (ga I -[- 
leik I). 

Gamainja, schw. Msc, Theilnehmer (gamains I). 

Gaman, st. Ntr., Mitmensch, Genoss (ga I -f" nianna I). 

Gamarkö, schw. Fem., Grenznachbarin (ga I -\- marka HI). 

Garazno, schw. Fem., Nachbarin (ga I -|- razn III). 



44 IV* SprachsehatZy SubstanÜYa. 

iDgardja, schw. Msc, Hansgenoss (in I -f- giurds I). 

Nehvandja, schw. Msc, der Nächste (nShv III). 

Frijondi, st. Fem., Freundin (frijon I). 

Mithgasinda, schw. Msc, Reisegeföhrte (mitb I -{^ gasinda zu UI). 

Afdrngkja, schw. Msc, Trinker (vgl. veindmgkja; af I -f- drig- 
kan III). 

Afetja, schw. Msc, Fresser (af I -}- itan I). 

Bihaitja, schw. Msc, streitsüchtiger Mensch, Prahler (bi I -1- 
haitan I). 

Galiugabröthar, st. Msc, falscher Bruder (galiug s. unten -f- 
brothar I). 

Galiagaveitvöds , st. Msc, falscher Zeuge (galiug s. unten -j" 
veitvöds s. unten). 

Ealkjö, schw. Fem., Hure (unsicheres bei Diefenbach II, 439). 

Launavargs, st. Msc, der Undankbare (laun m -f- "f^ftrgs II). 

Liugnavaurds, st. Msc, Lügenredner (liugn zu III -^ vaurd I). 

Liugnja, schw. Msc, Lügner (lingan II). 

Liuta, schw. Msc, Heuchler (Adj. liuts, s. unten). 

Manama urthija, schw. Msc, Menschenmörder (manna I -}' 
maurthrjan IH). 

Ufarsvara, schw. Msc, der Meineidige (ufar I -f- svaran HI). 

Unvaurstvd, schw. Fem., die Unthätige, Müssige (un I -{- vaurk- 
jan I). 

VaidSdja, schw. Msc, Uebelthäter (vai I -}" ^^^s I). 

Vilva schw. Msc, Räuber (vilvan I). 

Andastathjis, st. Msc, Widersacher (and I -{- staths I). 

Andastaua, schw. Msc, Widersacher (and I -|- staua s. oben). 

Bandja, schw. Msc, der Gefangene (bindan I). 

Dulgahaitja, schw. Msc, Gläubiger (dulgs I -{- haitan I). 

Faihuskula, schw. Msc, Schuldner (faihu I -{- skulan I). 

Ganja, schw. Msc, Ganbewohner (gavi I). 

Guthbldstreis, st. Msc, Gottesverehrer (guth I -|- blötan III). 

Mithgaleikonds, st. Msc, Nachahmer (niith I-j-galeikön zu IH). 

Niujasatiths, st. Msc, Neuling (niujis I -|- sitan I). 

Silbasiuneis, st. Msc, Augenzeuge (silba I -|- siuns HI). 

Svultavairthja, schw. Msc, ein dem Tode Naher (sviltan III 4- 
vairths zu tll). 

Uslitha, schw. Msc, Gichtbrüchiger (us I -f- lithus III). 

Veitvöds, St. Msc, Zeuge (vitan I; vgl. über dies Wort Bd. 
I, 492). 

5) Verbindung von Menschen. 
Fadreins, st. Fem., Geschleoht (fadar I). 



IV. Sprachschatz, Snbstantiva. 45 

Manaseths , st. Fem. MenscheDsaat , Menschenmenge , ^ Welt 
(manna I + seths II). ^ 

Gafanrds, st. Fem., Gericht, hoher Rath (ga I + '^^an I?). 
Hier, wo wir es zum ersten Male mit einer wirklich vorliegen- 
den, nicht bloss hypothetisch erschlossenen Sprache za thun haben^ 
sind wir auch zum ersten Male im Stande, etwas näher auf die 
Personennamen einzngehn. Ich gebe deshalb hier nach Jahr- 
hunderten (so weit das möglich ist) geordnet ein Verzeichniss 
derjenigen Namen bis znm sechsten Jahrhundert herab, als deren 
Träger uns ausdrücklich Oothen angegeben werden. Nur lasse ich 
hier alles aus, was uns speciell als westgothisch angeführt wird, 
um es für eine spätere Stelle zu versparen; dagegen mögen auch 
die fabelhaften Namen aus Jomandes hier stehn, die doch auf 
irgend einem uns noch unbekannten Grunde beruhn müssen. 

4 V. 0. Medopa (Medumpa, Medompna), fem.; Gothila; Sitalcus. 
1 Y. C. Diceneus; Comosicus. 

1. Corillus; Oatualda; Hulmul; Boroista (Buryista, Borbista); 
£rpamara? (Eterpamara?); Gapt (Gaut?); Augis. 

2. Amala; Isama; Ostrogotha, msc. 

3. Achiulf; Ansila; Argaitus; Athal; Oduulf; Oyida; Gniva; 
Ediulf; Filimer; Gandaricus; Gundericus; Hunila, fem.; Hunvil; 
Micca, msc.; Nidada; Respa; Vedueo, msc.; Vultnulf. 

4. Alatheus; Athalaricus; Athanaricus; Erelieua, fem.; Friti- 
gem (Fritegem, Fridigem, Fredigern); Giberich; Gaatho, fem.; 
Gainas; Ariaricus; Ilderich; Hunimund; Ermanaricus; Jungericus 
(Wingericus); Safracb (Saphrax); Valaravans; Vidimir; Vitirichus; 
Theudigotho, fem. 

5. Alanowamnth; Amalafrida; fem.; Amalasvintha, fem.; Anaolf; 
Andala; Andagis; Aspar; Cyrola; Eutharicus; Gesimund; Gunthigis; 
Ibba, msc; Igila, nuBc; Paria, msc; Badagais (Vandale?); Sabas, 
msc; Tancila, msc; Theudimer; Theodericus; Thurismund; Vala- 
mir; Vadamercam (Acc Fem., ?ar. Valadamarcam) ; Vandalarins; 
Yinitharius; Yidigoia, msc. 

6. Alamoda (Dat.) ; Amalabirga, fem.; Athalaricus ; Ustrigotthus; 
Ostrogotho, fem.; Baduilla; Gildia, msc; Ildibad; Hunila, msc; 
Indulf; Markias; Mathasuenta, fem.; Sinderith; Theudatus (Theo- 
dohad); Totila; Ufitahari (Optarit); Vitigis; Villienant; Viljarith. 

Nicht volle hundert gothische Personennamen mit Ausnahme 
der westgothischen sind uns also bis aufs sechste Jahrhundert 
herab überliefert. Die bei weitem meisten unter diesen zeigen 
uns .dieselben Elemente, welche auch bei den andern deutschen 
Völkern als namenbildend bekannt sind; einige andere dagegen 



46 ^* Sprachschatz, SabstimtiTa. 

(Medopa, SitalcaS; Diceneas, OoriUas, Hulmul, Ovida, Respa, Cyrola^ 
Paria) spotten noch jeder etymologischen Deutung. Zwischen beidea 
Classen aber in der Mitte liegen einige Formen^ die nicht so ganz 
unbekannt aussehen, dennoch aber in unserm deutschen Namen- 
schatze eine ziemKch abgesonderte Stellung einnehmen; in ihnen 
ist am ersten eine speciell gothische Weise der Namenbildung zu 
yermuthen. So begegnet schon vor unserer Zeitrechnung die Form 
Comosicus, bei der man gleich an die beiden Nameneiemente ffuma 
und si'ff zu denken veranlasst ist, von denen freilich das letztere 
sonst nur als erster Theil von Namen begegnet; es läge ein deut- 
scher Andronicus in dem Worte; aus welcher speciellen Mundart 
die beiden Tenues stammen mögen, bleibt uns verborgen. In 
Boroista (sec. 1) steht der erste Theil ganz vereinzelt; wenn der 
zweite zu Ariovistus stimmt, so wären dieses die beiden letzten 
Ausklänge einer vielleicht vor der Zeit unserer Ueberlieferung 
weiter verbreiteten Namenclasse. Cniva (sec. 3) lässt fast unab- 
weisbar an ags. cnif culter denken, das wir sonst in Namen nicht 
finden; wenn wir statt der Lesart Nidada (gleichfalls sec. 3) die 
überlieferte Variante Cnivida vorziehn, so stimmen hier schon zwei 
Formen als specifisch gothisch willkommen zusammen. Micca (sec. 
3) seheint auf einer auch sonst wahrscheinlichen primitiveren Form 
des goth. mikils zu beruhn, die vielleicht noch sec. 11 in Mechin 
und Michard erscheint. Gaatho (sec. 4) mag sich mit manchen 
späteren Namen an ein vorauszusetzendes *gadan jungi anschliessen ; 
es könnte hier sogar der älteste Ausdruck für Gattin vorliegen, 
doch ist die Schreibung jedenfalls barbarisch. Sabas (sec. 5) und 
Safrach oder Saphrax (sec. 4) lassen zusammen mit jüngeren Namen 
wie Sabulo und Sabaricus an ein verlorenes '*'safjan = lat sapere 
denken, wovon ein *safr oder ^safrs dem lat. sapor gleichstehn 
würde; davon wäre Saphrax wieder durch AdjectivsufGx (also goth. 
^fiafrags) hergeleitet. Aspar (sec. 5) scheint Espe, populus tremula, 
zu enthalten, welcher Baum sonst in Namen nicht nachweisbar ist. 
In Alanowamuth (sec. 5)? dem Vater des Jemandes, haben wir 
noch ein rechtes Denkmal der Völkerwanderung; kein einziger 
anderer Name weist in seinem ersten Theile auf die Alanen hin. 
Auch noch in andern gothischen Namen liegt die Erinnerung an 
jenes Völkergewühl lebendig vor uns ; in Hunila, Hunvil, Hunimnnd 
finden wir die Hunnen, in Valaravans und Valamir die Walchen, 
in Vandalarius die Vandalen, in Vinitharius die Wenden; wie viel 
kostbare Reliquien dieser Gattung mögen für uns verschollen seinl 
Nur den eigenen Volksnamen brauchen die Gothen auch als 
Grundwort von Personennamen, in Ostrogotha, Ostrogotho und 



IV. SpraohflchatZy Sabstantiva* 47 

niieadigotho. Sebr beliebt ist auch die Anknüpfang an ibr edelstes 
Königsgeschlecht in Amala, Amalabirga, Amalafrida, Amala- 
^vintha. 

Wir fahren weiter fort in der Aufzählung der Appellativa. 

Thieriseher Körper. 

Manleika, schw. Mse., das dem Menschen Gleiche, sein Bild 

^man I 4" l^i^ I)- 

Manauli, st. Ntr., Gestalt. Conrad Hofmann (Germania VIII, 2) 
Trermnthet hier einen Lese- oder Schreibefehler für manludja, wie 
es schon vor ihm Massmann und die Altenburger Herausgeber ge- 
than hatten QüdjSL Gesicht gehört zu III); weniger spricht die Con- 
jectur von Grimm in Schnlzes Glossar manaldmi an. 

Libains, st. Fem., Leben (liban III). 

Andaugi, st. Ntr., Antlitz (and I -f- augjan III). 

Andavleizn, st. Ntr., Angesicht (and I -f- vlaiton III). 

Balsagga (Halsagga?), schw. Msc, Hals, Nacken? (hals I -f- 
skr. ankas, ntr., Biegung, Leo Meyer). 

Suthns, St. Msc, Magen (zu altn. sjöda III?). 

Kilthei, schw. Fem., Mutterleib (vgl. Bd. I, 373; unsicheres 
bei Diefenbach II, 451). 

Magathei, schw. Fem., Jungfrauschaft (magaths I). 

FaurafiUi, st Ntr., Vorhaut (faur I + fill I). 

Vdkains, st. Fem., das Wachen (vakan I). 

Brinnö, schw. Fem., Fieber (brinnan UI). 

Vunns, st. Fem., Schmerz, Leiden (vinnan III). 

Staks, St. Msc, Maal, Wundmaal (altn. stika I). 

Vundufni, st. Fem., Wunde, Plage (ahd. wunta I). 

Thrutsfill, St. Ntr., Aussatz (zu thriutan I -|- fiU h eigentlich 
mit verletzter Haut). 

Smama, st. Fem.^ Mist, Eoth (altn. smjör I?). 

Spaiskuldrs, st. Msc. oder Ntr., Speichel (speivan I; der zweite 
Theil ist unsicher; vgl. Diefenbach II, 254). 

^anbei, st. Fem., Taubheit, Verstocktheit (daubs HI). 

Pflanzen and Minerale. 

Aihvatundi, st Fem., Domstrauch (goth. '*'aihvus I -{- tunthus 
I? also Pferdezahn? Grimm denkt an goth. tandjan zänden I). 

Bairabagms, st. Msc, Maulbeerbaum (zu lat. pims nach Leo 
Meyer + bagms II). 

Vigadeinö, schw. Fem. (vigs I; der zweite Theil ist unhekannt). 

Nidva, St. Fem., Rost; etwa zu neith invidia III? 



48 IV. Sprachschatz, Snbstantiya. 

Nahrung. 

Daahts, st. Fem., Gastmahl (goth. dngan II?). 

Gabaar, st Msc, gemeinschaftliches Mahl, Schmanserei (s 
baira I? also Zusammengetragenes, Collation?). 

Nahtamats, st. Msc, Nachtessen, Abendmahl (nabts I -{- mats III). ^ 

Undaumimats, st. Msc, Mittagsmahl (andaurns III 4^ mats III). 

Födeins, st. Fem., Nahrung, Speise (födjan II). 

Drauhsna, st. Fem., Brocken, Stückchen, Bissen (nach Leo 
Meyer zu griech. d'^avm, d'gavfffia). 

Mammo, schw. Fem., Fleisch (unsicheres bei Diefenbach II, 29). 

Smairthr, st. Ntr. Fett, Fettigkeit (altn. sn^ör I). 

Unbeistei, schw. Fem., das Ungesäuertsein (beist zu III). 

Lausqvithrei, schw. Fem., Nüchternheit, Fasten (Adj. laus- 
qvithrs s. unten). 

Kleidung. 

Gafgteins, st Fem., Kleidung, Schmuck (fS^an s. unten). 

Gaskadveins, st Fem., Bedeckung, Kleidung (eigentlich Be- 
schattung, skadus I). 

Gavaseins, st Fem., Kleidung (goth. vasjan I). 

Snaga, st. Msc, Kleid, Mantel (sehr unsicheres bei Diefenbach 
n, 281). 

Gairda, st. Fem., Gürtel (gairdan III). 

Vaips, st. Msc, und vipja, st Fem., Kranz, Krone (veipan, zu III). 

Wohnung. 

1) Ganze Wohnungen: 

Bauains, st Fem., Wohnung (bauan I). 
Gatimijö, schw. Fem., Gebäude (timrjan zu III). 
MStastaths, st. Msc. Zollstätte, Zollhaus (möta s. unten -{- 
staths I). 

Gudhus, st Ntr., Gotteshaus (guth III -{- hus II). 
Gafilh, usfilh, st Ntr., Begräbniss (filhan III). 
Hlaivasna, st Fem., nur Flur., Gräber (hlaiv I). 

2) Theile von Wohnungen: 

Vaihstastains, st. MsC; Eckstein (vaihsta s. unten -{^ stains I). 

Tulgitha, st. Fem., Befestigung, Grundfeste (tulgus zu III). 

Fatha, st Fem., Zaun, Scheidewand (zu fahan I? etwa aus 
*fahitha? grossentheils unsichere Vergleichungen bei Diefenbach 
I, 344). 

Bauvgsvaddjus, st. Fem., Stadtmauer (baurgs 1 4^ vaddjus zu III). 

Mithgardavaddjusi st Fem., Scheidewand (mith I -|- gards 
I -f vaddjus zu III). 



lY. Sj^chflchatZy Sabstantiva. 49 

Faarahah, fanrhah, st. Ktr., Vorhang (goth. faura I, -f- goth. 
baban III). 

Daorö, 8chw. Fem., ThSr^ Thor (daar I). 

Bansts, st. Msc, Scheuer (wol ea bindan I). 

Gathrask, st. Ntr., DreschteoDe (thriskan II). 

Röhsns, st. Fem.^ Hof, Vorhof (unsicheres bei Diefenbach U, 178). 

3) Verbindung von Wohnungen: 

Garuns, st. Fem. (Dat. garnnsai), Markt, Strasse (rinnan I). 
Fauradauri, st. Ntr., Gasse (faura I -j* daur I). 
Bibaurgeins, st. Fem., Befestigung, Lager (baurgs I). 

Feuer, Licht, -Wärme. 

Fnna, schw. Msc, Feuer (fön I). 

Lauhmuni, st. Fem., leuchtendes Feuer, Blitz (zur Wurzel von 
Uahath I). 

Linhadei, schw. Fem., Licht (liuhath I). 

LinhadeinS; st Fem., Licht, Erleuchtung (liuhath I). 

Oabairhtei, schw. Fem., Erscheinung (bairhts III). 

Oakunths, st. Fem.^ Erscheinung (kunths I). 

Frins, st. Ntr., Frost, Kälte (vgl. lat. pruina, ahd. friusu = 
lat prurio I). 

Luft und Schall. 

Hauseins, st. Fem., das Gebor, Gehörte (hausjan I). 

Hlinma, schw. Msc, Gehör, Ohr (zur Wurzel von hliuth u. s. w. I). 

Gahauseins, st. Fem., Gehör, das Anhören (hausjan I). 

Theihvö, schw. Fem., Donner (unsicheres bei Diefenbach II, 704). 

Krnsts, st. Fem., das Knirschen (kriustan s. unten). 

Wasser. 

Qyrammitha, st. Fem., Feuchtigkeit (unsicheres bei Diefen- 
bach II, 488). 

Oarunjö, schw. Fem., Ueberschwemmung (rinnan I). 

MidjasveipainS; st. Fem., Ueberschwemmung, Sundfluth (midjis 
I -f einem sonst unbekannten goth. sveipan, etwa agitari^ moveri, 
wozu Diefenbach II, 360 zu rergleichen). 

Hrathö, schw. Fem., Schaum (hvathjan I). 

Svarnfsl, st. Ntr., Teich (altn. svimma III). 

Ufarranneins, st. Fem., Besprengung (ufar I -f- rinnan I). 

Vis, St. Ntr., Meeresstille (unsicheres bei Diefenbach I, 227 
n»d n, 746). 

Erde, Land. 

Hags, 8t. Ntr. (Gen. hugsis), Feld, Landgut (unsicheres bei 
Diefenbach II, 577). 
fßrsiemann, Gesch. d. d. Spracfattvnmet, II. i 



50 IV. Spraohschata, SabatantivA. 

Authida st. Fem., Wüste (aatbs III). 

IIuDslastatbs, st. Msc, Opferstätte (gotb. bnnsl III -j- statha I). 
Bairgabei, scb w. Fem., Berggegend (ans ^bairgabs, za'^bairgs, zu II). 
Hlains, st. Msc, Hügel (ahd. blinSm I). 
Ibdalja, scbw. Msc, Abbang, Thal (dal I, der erste Theil ist 
anbekannt). 

Drinsö, scbw. Fem., Abbang (drinsan I). 
Afgmnditba, st. Fem., Abgrund (af I -f- gmndus I). 
Graba, st. Fem., Graben (graban I). 
Hulundi, st. Fem., Hole (abd. bol I). 

Gott nnd Himmel. 

Allvaldands, st. Msc. Allmäcbtiger (alls I -j" valdan II). 
Galiugaguth, st. Ntr., falscher Gott (galing s. unten -f- gutb III). 
Sköbsl, St. Ntr., böser Geist, Teufel (unsicheres bei Diefen- 
bach II, 260). 

Unhulthö, schw. Fem., Unhold (un I -f- hulths III). 

Zeit. 

Aids (altbs), st. Fem., Alter, Zeit (altheis I) 
Aldöma, schw. Msc, Alter (altheis I). 
Ajukdutbs, St. Fem., Zeit, Ewigkeit (aivs I). 
Theibs, st. Ntr., Zeit (theiban II). 
Kiujitba, st. Fem., Neuheit (niujis I). 
Ussateins, st. Fem., Ursprung (saljan I). 
Anastödeins, st. Fem., Anfang (anastodjan, s. unten). 
Aftraanastödeins, st Fem., Wiederanfang, Erneuerung (aftra 
in -[- das vorige). 

Frums, st. Msc, Anfang (fruma I). 

Frumisti, st. Ntr., Anfang (frumists IH). 

Ustauhts, st. Fem., Vollendung, Erfüllung (us I -f- tiuhan I) 

Ananiujitha, st. Fem., Erneuerung (niujitba s. oben). 

Undivanei, schw. Fem., Unsterblichkeit (un I -f* divan III). 

Bamiski, st. Ntr., Kindheit (barnisks II). 

Athn, St. Nlr., Jahr (biezu vielleicht altn. Adv. äöan vor Kurzem; 
nach Leo Meyer wäre athn =^ lat. annus, doch steht letzteres für 
acnus; umbr. peraknem »= perennem, sevaknim = sollemnem). 

Atathni, st. Ntr., Jahr (das vorige Wort mit einer Partikel zu- 
sanmiengesetzt, wenn nicht die beiden ersten Buchstaben auf einem 
Versehn des Schreibers beruhn). 

AfSurdagSi st. Msc der folgende Tag (afar I -^ dags lU). 
Andanahti, st. Ntr., Abend (and I -f* nabts I). 



IV. SprachsehatZy SubBtantiva. 51 

HIethrastakeins, st. Fem., Laubhüttenfest (hleithra zu III -{- 
siltn. stika etc. I). 

Inninjitbay st. Fem., Fest der Erneuernng des Tempels (ninjitha 
B. oben). 

Waffen undWerkzeuge. 

1) zum Verbinden: 

Gabnndi, st. Fem., Band (bindan I). 

Naudibandi, st. Fem., Zwangsfessel^ Band (nauths II -{- bandi I). 
Fötubandi, st. Fem., Fussfessel (fötus I 4* I)äiidi I). 
Hlamma, st. Fem., Schlinge, Fallstrick (Leo Meyer stellt es 
zu xQSfidwvixVf doch vgl. hramjan I; die Herkunft ist ganz unsicher). 
Jnkuzi, St. Fem., Joch (juk I). 

2j zum Theilen, Schneiden, Stechen: 

Hrugga, St. Fem., Stab, Ruthe (die Etymologie ist unsicher; 
ygl. altn. den Namen des Riesen Hrfingnir). 

Giltha, St. Fem., Sichel (Leo Meyer setzt das Wort zu skr. kart 
schneiden; manche bei Diefenbach II, 404 erwähnte Ausdrücke 
mögen verwandt scin)^ 

AsiluqvaimuS; st. Fem«, EselmühlC; Mühlstein (asilus I -4~ goth. 
qvairnus 11). 

3) Gefässe. 

Snorjo, schw. Fem., Flechtwerk, Korb (ahd. snuor I). 
Uzeta, schw. Msc, woraus gefressen wird, Krippe (us I -f" 
itan I). 

4) üebriges. 

Fötubaurd, st. Ntr., Fussbrett, Schemel (fötus I + baurd zu III). 

Stauastols, st. Msc, Richterstuhl (staua s. oben -f- stöls I). 

Hais, St. Ntr., Fackel (unsichere Vergleichungen bei Diefen- 
bach II, 506). 

Thuthaum, st. Ntr., Hörn, Trompete (ahd. diozan III -(-* g^^h. 
haum I). 

Hvilftri, st. Fem., Bahre, Sarg (Leo Meyer stellt es zu griech. 
xoXnog, unsichere Verwandschaft). 

KlismO, schw. Fem., Klingel, Schelle (unsicheres bei Diefen- 
bach II, 460). 

Nöta, schw. Msc, Hintertheil des Schiffes (unsichere Ver- 
wandschaft) 

Besitz. 

Aihts, st. Fem., Eigenthum (aigan I). 
Gabei, schw. Fem., Reichthum (giban II). 

4* 



52 IV. Sprachschats, SubstanÜTa« 

Faihuthraihns, st Msc, Reichthom (faihn I -j- tbreihan I). 
Ufarassns, st. MsC; Ueberfloss (ufar I). 
Unledi, st. Ntr.^ Armath (anleds s. imteii). * 
VaD, st. Ntr., Mangel, Verlust (vans I). 
Vaninassas, st. Msc, Mangel (vans I). 

Gewinn und Verlust 

Aibr, st Ntr., Gabe, Opfergabe (unsichere Vergleichungen bei 
Diefenbach I, 11). 

Sauths; St. Msc., Opfer (wol zu altn, sjoda sieden III). 

Alabrunsts, st. Fem., Brandopfer (alls I -|~ brinnan III.). 

Gabaur, st. Ktr., das Zusammengebrachte, Sammlang, Steuer 
(bairan I). 

Möta, st Fem., Zoll (bei Zusammenstellung mit altn. müta 
munus, largitio und ahd. muta Mauth macht die Verschiedenheit 
der Laute Schwierigkeit; vgl. auch Diefenbach II, 90). 

Gilstramdleins, st. Fem., Steuerbeschreibung (gilstr zu III -j* 
meljan III). 

Faihugavaurki, st. Ntr., Geldgewinn (faihu I -f~ gavaurki zu UI). 

Manvitha, st Fem., Bereitschaft, bereite Mittel, Kosten (manvus 
8. unten). 

Andalauni, st. Ntr., Gegenlohn, Vergeltung (and I -|- ^^^ ni). 

Andavairthi, st. Ntr., Preis, Werth (and I 4~ vairths zu III). 

Andavizns, st. Fem., Unterhalt, Unterstätzung (and I -f~ vizon 
leben? s. unten). 

Sigislaun, st Ntr., Siegeslohn, Preis (sigis III -(-* l^^ui III). 

Fragifts, st Fem., Verleihung, Verlobung (fra I -f- giban II). 

Andstald, st Ntr., Darreichung, Dienstleistung (and I -f- stal- 
dan III). 

Fraqvisteins, st. Fem., Verschwendung (fra I -|- qvistjan III). 

Andanem, st. Ntr., die Annahme, das Empfangen (and I mi- 
nima I). 

Sleitha, st. Fem., der Schaden (vgl. alts. sliöe malus, pericu- 
losus, ahd. slidic). 

Vulva, st. Fem., Raub (vilvan I). 

Faurbauhts, st Fem., Loskaufung, Erlösung (faur I -f- bugjan 
zu lU). 

Andabauhts, st Fem., Losegeld (and I -f- bugjan zu ÜI). 

Fralets, st. Msc, Eriass, Vergebung, Erlösung (fra I -f- I^tan 11). 

Lnn, st. Ntr., Lösegeld (mit laun I zu Wurzel lu gerinnen). 

Usluneins, st. Fem., Erlösung (us I -}- obigem lun). 

Uslauseins, st. Fem., Erlösung (u« I -{- lau&jan I). 



IV. Sprachschatz, Substantiva. 53 

Form. 

Digrei, schw. Fem., Dichte, Menge, üeberfluss (allD. digr III). 

Filusna, st. Fem., Vielheit, Menge (filu I). 

Fulleiths, st. Fem., Fülle (fuUs I). 

lumjö, schw. Fem., Menge (Unsicheres bei Diefenbach I, 97). 

Managdaths, st. Fem., Menge, Üeberfluss (manags I). 

Mikilduths, st. Fem., Grösse (mikils I). 

Hiahma, schw. Msc, Haufen, Menge (Leo Meyer stellt es zu 
lat. cnmulus; Unsicheres bei Diefenbach II, 553; wahrscheinlich 
zu huhjan sammeln, s. unten). 

Ganauha, schw. Msc, Genäge (ganohs III). 

Mitadjo, schw. Fem.^ Mass (mitan I). 

Mitaths, st. Fem., Mass (mitan I). 

Ibnassus, st. Msc, Gleichheit, Billigkeit (ibns III). 

Galeiki, st. Ntr., Aehnlichkeit (galeiks II). 

Antharleikei, schw. Fem., Verschiedenheit (anthar I -|- leik I). 

Teva, st. Fem., Ordnung (wahrscheinlich zu taujan III). 

Tevi, St. Ntr., Ordnung, Schar, Abtheilung von fünfzig (dsgl). 

Guthaskaunei, schw. Fem., Gottesgestalt (guth III -{- skauus III). 

Hraiuei, schw. Fem., Reinheit (hrains II). . 

Airknitha, st. Fem., gute Art, Reinheit (airkns I). 

Unvammei, schw. Fem., Unbeflecktheit, Reinheit (un I 4~ 
^ammjan III). 

Naqvadei, schw. Fem., Nacktheit (naqvaths I). 

Bisauleins, st. Fem., Befleckung (bi I 4~ sauljan III). 

Gabruka, st. Fem., das Abgebrochene, der Brocken (ga I -j- 
^Tikan I). 

Kaurnö, schw. Ntr., Korn, Körnchen (kaum I). 

Gramst, st. Ntr., Splitter (ansicheres bei Diefenbach II, 427). 

Usdrusts, st. Fem. Ausfall, Loch; schlechter, rauher Weg (us 
X; -f" driusan I). 

Thairkö, schw. Ntr., Loch, Oehr (vielleicht zu thairh III; Leo 
^eyer setzt dazu dagegen gr. rQwyXri Loch, Hole). 

Gataura, schw. Msc, Riss (ga I 4~ tairan I). 

Gajuk, st. Ntr., Joch, Paar (ga I + juk l\ 

Ufsvalleins, st. Fem., das Anschwellen, der Hochmuth (uf I -f* 
altn. svella III). 

Ort. 

Haubisti, st. Ntr., die höchste Höhe (hauhs II). 
Mundrei, schw. Fem., Ziel (mundön III). 
Filigri, st. Ntr., Versteck, Hole (filhan III). 



54 I^* SpraohschatZy Substantiva. 

Vaihsta, schw. Mso., Winkel, Ecke (ahd. wicha I, vgl. Diefen- 
bach I, 139). 

Midamai st Fem., Mitte (midjis I). 

BewegniDg. 

VratödaSy st. Msc. Reise (vratön zn III). 
Vrakja, st. Fem., VerfolgUDg (vrikan I). 
Thlauhs, st. Msc, Flacht (thliuban III). 
Usvahsts, St. Fem., Wachstham (ns I -}- vahsjan I). 
Inmaideins, st. Fem., VeräDdernng, VertaaschuDg, Einlösaog 
(in I -{- maidjan I). 

Usvalteins^ st. Fem., ümwälzangi Untergang (os I -f* valtjan I). 

Berührung. 

Gamaindutbs, st. Fem., Gemeinschaft (gamains I). 

Gasateins, st. Fem., Feststellung, Grundlegung (ga I -{- satjan I). 

Analageins, st. Fem., Auflegung (ana I 4* lAgj^n H). 

Faurlageins, st. Fem., Vorlegung (faur I -[- lagjan II). 

Atgaggs, st. Msc, Zugang (at I 4- S^SS^t^ I). 

Innatgahts, st. Fem., Eingang, Eintritt (inna s. unten -f- ^t I 
-f- gaggan I). 

Gaqvumths, st Fem., Versammlung, Zusammenkunft (ga I -f~ 
qviman I). 

Bistuggqv, st. Ntr., Anstoss (bi I -f- stiggqvan III). 

Gaviss, st. Fem., Verbindung, Gelenk (ga I + vidan ni). 

Trennung: 

Afsateins, st. Fem., Absetzung (af I -|- Batjan I). 
Afstass^ st Fem., Abstand, Abfall (af I 4* standan I). 
Distabeins, st Fem., Zerstreuung (dis I -\- tabjan I). 
Disviss, st Fem., Auflösung (dis I + vidan III). 
Gaskaideins, st. Fem., Scheidung, Unterschied (ga I 4~ skai- 
dan I). 

Gamaitanö, schw. Fem., Zerschneidung (ga I -j- maitan lU). 
Gamalteins, st Fem., Auflösung (ga I 4* maltjan I). 
Urruns, st. Fem., Ausgang (us I 4~ nnnan I). 
Usluks, st. Msc, Eröffnung, Oeffnung (us I 4~ lokan III). 
Usstass, St. Fem., Auferstehung (us I 4- standan I). 

Ruhe. 

Usmet, st Ntr., Aufenthalt, Verhalten, Wandel, Umgang, Ge- 
meinschaft (us I 4* mitan I). 

Gahveilains, st. Fem., Verweilen, Ruhe (ga I 4" hyeilan III). 



IV. Sprachschatz, Sabstantiya. 56 

Vermischte Gegenstände. 

Baareii schw. Fem«, Bürde? (unsicher, goth. bairan I). ^ 
üsvaurpa, st Fem., Auswurf, Frühgeburt (us I -f" vairpan I). 
Eaurei, st Fem., Last, Gewicht (kaurs I). 
Eaureins, st Fem., und kauritha, st Fem., desgl. (kaurs I). 
GadigiH, st. Ntr., Gebilde, Werk (ga I -f- digan I). 
Randva, st. Fem., Zeichen (wol zu g>alv<o etc.) 
Bandyö, schw. Fem., Zeichen (desgl.). 
Tani, st Ntr., Zeichen (Unsicheres bei Diefenbach II, 658). 
Fauratani, st Ntr., Wunderzeiohen (faura I -f- dem vorher- 
gehenden). 

Frisahts, st. Fem., Bild (fri I -j- sakan III). 
Fairveitl, st. Ntr., Schauspiel (fair I -f" veitan III). 
Salböns, st, Fem., Salbe (salbön I). 
Srartis st Ntr.? Schwärze, Tinte (svarts I). 
Svartizl, st Ntr.? desgl. (desgl.). 

Kraft (Amt). 

Svinthei, schw. Fem., Stärke, Kraft (svinths I). 

Fraujinassus, st. Msc, Herrschaft (fraujinön s. unten). 

Ondjinassus, st Msc, Priesterthum (gudjinön s. unten). 

Thiudinassus st. Msc, Königreich (thiudanön s. unten). 

Tbiudangardi, st Fem., Königshaus, Regierung (thiudans III 
+ gards I). 

Drauhtinassns, st Msc, Kriegsdienst, Kampf (drauhtinön s. unten). 

Dranhtivitöth, st Ntr., Kriegsdienst, Kampf (drauhts III -f~ 
vitöth zu III). 

Fidurragini, st Ntr., Amt eines Vierfursten (fidvor I -f- ragin HI). 

Fauramathli, st. Ntr., Vorsteheramt (faura I -f- mathljan III). 

Fauragaggi, st. Ntr., Vorsteheramt (faura I -|- gaggan I). 

Skalkinassus, st. Msc, Dienstbarkeit (skalkinön s. unten). 

Valdufni, st. Ntr., Gewalt, Herrschaft (valdan II). 

Frumadei, schw. Fem., Vorrang (fruma I). 

That 

1) Allgemeines: 

Vaurstvei, schw. Fem., Verrichtung (vaurstv s. unten). 
Usthröteins, st Fem., Uebung (us I -4~ thrötjan s. unten). 
Vaurstv, st Ntr., That, Werk (vaurkjan I). 
Gadeds, st. Fem., That, Handlung (deds I). 
Fastnbni, st Ntr., Haltung, Beobachtung, Dienst, Fasten 
(fastan III). 

Taui, St. Ntr., That, Werk (taujan JH). 



3|^ IV« Sprachschatz, Sobstantiva. 

2^ Gutes (Religiöses): 

GafMdeins, st. Fem.j YerschonaDg^ Erhaltung (ga I -j- freid — 



st Fem.y Wiederherstellung, Besserung (ga I 4~ 

raihtsl). 

TimreinSi gatimreins, st. Fem., Erbauung, Auferbauung (timr- 

jan 10 lU). 

losila, st Fem., Besserung, Erleichterung (ins s. unten). 
Sfikneins» st. Fem., Reinigung (sTikns zu lU). 
Uraineins, Gahraineins, st Fem., Reinigung (hrains II). 
Lfikinassus, st Msc, Heilung (leikinon III). 
Kaseins, st. Fem., Rettung, Heil (nasjan III). 
lUotinassus, st Msc, Verehrung, Gottesdienst (blötan III). 
I>aopeins, st Fem., Taufe (daupjan UI). 
Bimait, st Ntr., Bescbneidung (bi I -|- maitan III). 

3) Böses (Feindliches): 

Ilorinassus, st Msc, Hurerei, Ehebruch (hörinon lU). 

Kalkinassus, st Msc, Hurerei, Ehebruch (kalkjö s. unten). 

Aglaiti, st. Ntr., Unschicklichkeit, Unzucht (aglaitei zu III). 

llnaiveins, st. Fem., Erniedrigung (hnaivjan zu lU). 

Auhjödus, st Msc, Lärm, Aufruhr (auhjön s. unten). 

Unsuti, st Ntr., Aufruhr (un I -f- ^^^ I)* 

Anamahts, st. Fem., Gewalt, Schmähung (ana I -{- mahts I). 

Dröbna, schw. Msc, Aufruhr, Empörung (dröbjan III). 

Bihait, st Ntr., Streit (bi I + haitan I). 

Brakja, st Fem., Kampf (brikan I), 

Yaihjd^ schw. Fem., Kampf (veihan kämpfen I). 

Vigans, st Msc, Krieg (desgl). 

Gataurths, st Fem., Zerstörung (ga I -|- tairan I). 

Barniski, schw. Fem., Kinderei (barn II). 

Sprache. 

1) Allgemeines : 

Mathleins, st Fem.^ Rede, Sprache (mathljan HI). 
Filuvaurdei, schw. Fem., vieles Reden (filu I + vaurd I). 

2) Denken, wissen, lehren: 

Andahait, st. Ntr., Bekenntniss (and I -f- baitan I). 
Gahait, st Ntr., Yerheissung (ga I 4* haitan I). 
Insahts, st. Fem., Anzeige, Erzählung, Beweis (in I -j- sakan III). 
Veitvddei, schw. Fem., veitvödeins, st. Fem., veitvddi, st Ntr., 
veitvöditha, st Fem., Zengniss (reitvöds, s. oben). 

Skeireins, st. Fem., Erklärung, Auslegung (skeirs U). 



IV. Sprachschatz, Substantiva 57 

Talzeins, st Fem., Lehre, UnterweisoDg (talzjan s. unten). 

Ustaikneins, st Fem., Darstellung, Erweis, Beweis (us I -{- 

ojan III). 

Vailamereins, st Fem., frohe Botschaft, Predigt (vaila I -4~ 
erjan III). 

Mereins, st Fem., VerkUndigung, Predigt (meijan III). 

Laiseins, st Fem, Lehre (laisjan III). 

Andahafts, st. Fem., Antwort, Vertheidigung, Urtheil, Beschluss 
C^nd I + haban I). 

Gajukö, schw. Fem., Gleichniss (ga I -|- juk I). 

Snnjons, st Fem., Vertheidigung, Verantwortung (sunjön s. 
^Ä^[iten). 

San^aqyiss, st. Fem«, Uebereinstimmung (sama I -|- qvithan I). 

3) Wollen: 

Bilagineis? Jörn. 11: (Diceneus Gothos) propriis legibus viyere 
S>Taecepit, quas usqne nunc conscriptas Bellagines nuncnpant; vgl. 
C^rrimm Gesch. d. dtsch. Spr., erste Aufl., S. 453; etwa Belege? 
CW I + lagjan II?) 

Anabusns, st. Fem., Gebot, Befehl (ana I -|- biudan I). 

Garaidains, st. Fem., Anordnung^ Regel, Richtschnur (ga I -|- 
X'sidjan III). 

Gagrefts, st Fem., Beschluss, Befehl (setzt ein Thema grefan, 
^om. grefa Graf voraus). 

Gaqviss, st Fem., Verabredung, Uebereinkunft (ga I -{- qvithan I). 

Lathöns, st Fem., Einladung, Berufung (lathön I). 

Kehsns, garehsns, st. Fem., Bestimmung (unsichere Etymologie; 
vgl. Diefenbach II, 169). 

Liteins, st Fem., Fürbitte (wol zu litjan, zu III). 

Aihtröns, st. Fem., Bitte, Gebet (aihtrön s. unten). 

Ufblöteins, st Fem., Gebet, Flehen (uf I -f blötan III). 

Birunains, st Fem., Anschlag, geheimer Beschluss (bi I -f~ 
runa I). 

Inilö, schw. Fem., Entschuldigung, Vorwand (unsicher, vgl. 
Diefenbach I, 96). 

3) Für Freude und Trauer findet sich nichts speciell Gothisches. 

4) Liebe und Hass: 

Gathlaihts, st Fem., Trost, Ermahnung (ga I -^ thlaihan 
8. unten). 

Thrafsteins, gathrafsteins, st. Fem., Trost (thrafstjan I). 
üvoftuli, st. Fem., das Rühmen, der Ruhm (hvöpan s. unten). 



58 ^y* Sprachschatz, SubBtantiva. 

Thiathiqviss^ st. Fem«, Segnang (thiath 8. unten -{- qnthan I) - 

HazemSy st. Fem., Lob (hazjan m). 

Gdleins, st. Fem., Gruss (göljan s. unten). 

Aglaitivaurdeiy schw. Fem., unschickliche Bede (aglaitei zu lUT' 
-{- vaurd I). 

Vanrdajiukai st. Fem., Wortstreit (vaurd I -|- jioka s. unten). 

Missaqviss, st. Fem.^ Wortstreit (missö III -f" qvithan I). 

Sakjö, schw. Fem., Streit, Zänkerei (sakan lU). 

Usqviss, st. Fem.,*fibles Gerücht, Beschuldigung (us I -|- 
qvithan I). 

Vajamerei, schw. Fem., und vajamereins, st. Fem., Lästerung, 
schlechter Ruf (vai I + merjan III). 

Anaqyiss, st Fem., Lästerung (ana I -^ qvithan I). 

Birodeins, st. Fem., Gerede, Verläumdung (bi I -|- rodjan III). 

Gasahts, st. Fem., Vorwurf, Tadel, Zurechtweisung (ga I -[- 
sakan III). 

Afdöroeins st. Fem., Verdammung (af I -|- dömjan III). 

Gavargeins, st. Fem. Verdammung (ga I -f- vargjan III). 

Andabeit, st Ntr., Tadel (and I -f~ heitan I). 

5) Vermischtes. 

Dvalavaurdei, schw. Fem., thörichtes Gerede (dvals zu lU -f- 
vaurd I). 

Lausavaurdei, schw. Fem., lausavaurdi, st Ntr., loses Geschwätz 
(laus II -f- vaurd I). 

Saldra, st Fem., schmutziger Witz, Possen (unsicher, s. Diefen- 
bach II, 187). 

6) Schweigen: 

Thaheins, st. Fem., das Schweigen (thahan I). 

7) Lesen und Schreiben: 

Anakunnains, st. Fem., Lesung (ana I -[- kunnan I und III). 

Gabaurthi vaurd , st Ntr., Geschlechtsregister (gabaurths III 

-}- vaurd I). 

Gameleins, st. Fem., Schrift (ga I -f- meljan III). 

UfarmSleins, st Fem., ufarmeli, st Ntr., Ueberschrift (ufar I 
-|- ineljan III). 

Vadjabokös, st Fem. Plur., Pfandbrief, Handschrift (vadi III 

+ boka I). 

Geist 

1) Denken, wissen: 

Aha, schw. Msc, Sinn, Verstand (unsichere Etymologie, vgl. 
Diefenbach I, 6). 



IV. Sprachschatz, Substantiva. 59 

Ahma, schw. Msc.^ Geist (zn ahjao, s. nnteo; vielleicht gleich 
lat. omeiiy aus *ocmen?) 

AhniateinSy st. Fem., Wehen des Geistes, Eingebung (zu dem 
vorigen ahma, unmittelbar zu einem *ahmatjan). 

Gakunds, st. Fem., Ueberzeugnng (ga I -j- kunnan I). 

Galaubeins, st. Fem., Glaube (galaubjan zu lU). 

Gamaudeias, st. Fem., Erinnerung (maudjan s. unten). 

Gaminthi, st. Ntr., Andenken, Gedächtniss (ga I -j- uiunan I). 

Gamunds, st. Fem., Andenken, Gedächtniss (ga I -f- munan 1). 

Mithvissei, schw. Fem., Mitwissen, Gewissen (mith I -f- vitan I). 

Sildaleik, st. Ntr., Staunen, Verwunderung (Adj. sildaleik s. 
Outen). 

Sunja, st. Fem., Wahrheit (Adj. sunjis s. unten). 

Thvastitha, st. Fem., Sicherheit (gathvastjan s. unten). 

Ufkunthi, st. Ntr., Erkenntniss (uf I -j- kunthi I). 

Usvaurhts, st. Fem., Gerechtigkeit (ns I -f- vaurkjan I). 

Andhnleins, st. Fem., Enthüllung, Offenbarung (and I -l- huljan I). 

Astaths, St. Fem., Wahrheit ^Wurzel as, im I? vgl. Diefen- 
l>ach I, 75). 

Atvitains, st. Fem., Wahrnehmung (at I -}^ vitan, schwaches 
Verbum zu III). 

Filudeisei, schw. Fem., Schlauheit (filu I -|~ deisei, welches 
ein Adj. deis voraussetzt; Leo Meyer knüpft das Wort an die 
Sanskritwurzel dhjä, dhi denken). 

Gakusts, st. Fem., Prüfung, das Geprüfte (ga I -{- kiusan I). 

Gamitöns, st. Fem., Gedanken (ga I 4~ niitöns, s. unten). 

Gathagki, st. Ntr., Bedacht, Sparsamkeit (ga I -f- thagkjan I). 

Mitöns, St. Fem., Ermessen, Gedanke, Rathschlag (miton I). 

Sautha, st. Fem., Grund, ratio (von unsicherer Herkunft, s. 
Diefenbach II, 193). 

Snutrei, schw. Fem., Weisheit (snutrs III). 

Staua, St. Fem., Gericht, Urtheil, Rechtsstreit (von unsicherer 
Etymologie, s. Diefenbach U, 313). 

Vitubni, st. Ntr., Kenntniss, Erkenntniss (vitan I). 

2) Nicht denken. Nicht wissen: 

Faurdömeins, st. Fem., Yornrtheil (faur I -{' dömjan III). 
Frathjamarzeins , st. Fem., Verstandesverwirrung, Täuschung 
(frathi I 4" marzjan III). 

Liutei, schw. Fem., Heuchelei (liuts s. unten). 
Sökeins, st. Fem., Untersuchung, Streitfrage (sökjan I). 
Unkunthi, st. Ntr., Unkunde (an I -f- kunthi I\ 



60 1^* SprachschatZy SubBtantiva. 

lüTinditha, 8t. Fem., Ungerechtigkeit (Adj. invinds 8. anten^^ 
Analaugnei, schw. Fem., Verborgenheit (ana I -|- langnjan III)^ 
Fnlhsni, st Ktr., das Verborgene, Geheimniss (filhan III). 
Galiug, st. Mtr., Lüge, Götzenbild (ga I -f- liugan U). 
Tveifleins, st. Fem., das Bezweifeln (tvei^an III). 
Ufarmaadei, schw. Fem., Vergessenheit (afar I -f- maadjan 
8. unten). 

3) Wollen: 

• 

Faihafrikei, schw. Fem., Ebtbsacht (faihn I -(- fnks III). 

FaihQgaimei; schw. Fem., desgl. (faihn I -f- gaimjan III). 

Faihngeigd, schw. Fem., desgl. (faihn I -f- geigan s. unten). 

Bifaihö, schw. Fem., Uebervortheilung, Habsucht (bi I 4* ^^^^ 
s. unten). 

Faih, st. Ntr., Bevortheilung, Betrug (verwandt mit faihs bunt 
I? vgl. gr. TWucUofiTJtrig). 

Airzei, schw. Fem., Verführung, Betrug, Irrthum (airzjan III). 

Fraistubni, st. Fem., Versuchung (fraisan I). 

üsvandeins, st Fem., Verführung (us I + vandjan III). 

Gavandeins, st. Fem., Bekehrung (ga I + vandjan III). 

Garehsns, st Fem., Bestimmung, Rathschluss, Plan (rehsns 
s. oben). 

Anafilh, st. Ntr., üeberlieferung, Vorschrift (ana I + filhan HI). 

Gavaleins, st. Fem., Wahl ^ga I + valjan III). 

Hauhhairtei, schw. Fem., Hochmuth (hauhs II -f- hairtö I). 

Ufhauseins, st Fem., Gehorsam (uf I -|- hausjan I). 

4) Nicht wollen: 

Gahobains, st. Fem., Enthaltsamkeit (ga I -{~ haban I). 
Ufarhauseins, st. Fem., das Ueberhören, Ungehorsam (ufar I 
-{- h&usjan I). 

Unvereins, st Fem., Unwille (unveijan II). 

5) Freude: 

Audagei, schw. Fem., Seligkeit (audagjan III). 

Faheths, sf. Fem., Freude (faginon III). 

Hlasei, schw. Fem., Fröhlichkeit (blas s. unten). 

Svegnitha, st Fem., Frohlocken, Freude (svegnjan s. unten). 

Gabaurjöthus, st. Msc, Lust, Wollust (vgl. gabaurjaba unten, 
zu bairan I). 

Gavairthi, st. Ntr., Friede (vairths III). 

Leikains, st Fem., Wohlgefallen, Beschluss, Vorsatz (lei- 
kan III). 

Lubains, st Fem., Hoffnung ("'luban s. liubs H). 



IV. SprachBchaiZy SnbBtantiva. gl 

TailaTiznS} st. Fem., Wohlsein, gute Kost, Nahrung (vaila I 
-f- ^v'izon, 8. unten). 

€) Traner; 

Aglitha, st. Fem., Trübsal, Schmerz (agls zu III). 

Agio, schw. Fem., Trübsal, Bedrängniss (agls zu III). 

Gaurei, schw. Fem., Betrübniss (gaurs s. unten). 

Oauritha, st. Fem., Betrübniss, Traurigkeit (gaurs s. unten). 

Trigö; schw. Fem., Traurigkeit (fernere Verwandte bei Diefen- 
ba(^li II, 679; vgl. auch altn. tregi Schwierigkeit, Trauer, trega 
betrüben). 

Tbreihsl, st. Ntr.^ Bedrängniss (tbreihan I). 

Gaunötha, st. Fem., Trauer, Klage (gaunon s. unten). 

£eirö, schw. Fem., Zittern, Schreck (reiran s. unten). 

Filmei (usf-), schw. Fem., Schrecken (Adj. usfilma s. unten). 

Bireikei, schw. Fem., Gefahr (A^j. bireks s. unten). 

Sleithei, schw. Fem., Gefahr (Adj. sieiths zu III). 

Dantheins, st. Fem., Todesgefahr (dauthjan III). 

Balveins, st. Fem., Qual, Pein (balvjan s. unten). 

Marzeins, garoarzeins, st. Fem., Aergerniss (marzjan III). 

Idreiga, st. Fem., Reue, Busse (Leo Meyer setzt das Wort zu 
lat. iterum, iterare; vgl. auch Diefenbach I, 94). 

7) Liebe; 

Aflageins, st. Fem., Ablegung, Vergebung (af I + lag) an II). 
Ainamunditha, st. Fem., Einmüthigkeit (ains I 4~ mundön III). 
Ainfalthei, schw. Fem., Einfalt, Gutmüthigkeit (ainfalths zu III). 
Allsverei, schw. Fem., Achtung gegen Jedermann (alls I -f- 
sverei s. nnten). 

Armahairtei, schw. Fem., und armahairtitha, st. Fem., Barm- 
herzigkeit (arman UI + bairto I). 

Armaiö, schw. Fem., Barmherzigkeit (arman III; vgl. auch 
Grimm Gramm. III, 508). 

Bleidei, schw. Fem., Mitleid, Barmherzigkeit (bleiths I). 
Bröthralubo, schw. Fem., Bruderliebe (brothar I -f 'i^l>8 H)- 
Frijathva, st. Fem., Liebe (firijön II). 

Fryöns, Gafrijftns, st. Fem., Liebeszeichen, Kuss (frijon I). 
Gableitheins, st. Fem., Erbarmen (ga I + bleiths I). 
Gastigödei, schw. Fem., Gastfreundschaft (gasts 1 4~ g^dei zu III). 
Hanheins, st. Fem.; Erhöhung, Ehre (hauhjan III). 
ManniskoduS; st. Msc, Menschlichkeit (mannisks III). 
Sv6rei, schw. Fem., und svßritha, st. Fem., Ehre, Achtung 
(svers s. unten). 



Q2 IV- Sprachschatz, Substantiva. 

Viljahaltbeiy schw. Fem.; Zuneigung, Gunst (vilja II -f- lialdan m 
wenn nicht zu einem erschlossenen *hilthan). 

Gagudeiy schw. Fem., Frömmigkeit (ga I -{~ g^th III). 

8) Hass: 

Afmarzeins, st. Fem., Aergerniss, Betrug (af 1 4- marzjan III) 
Fyathva, st. Fem., Feindschaft (fijan I). 
Harduhairtei; schw. Fem., Hartherzigkeit (hardns I + hairtö I) 
Tvisstass, st Fem., Zwiespalt (tvis I 4~ standan I). 
Thrasabalthei, schw. Fem., Frechheit, Streitsucht (thrasa zu n: 
+ balthjan III). 

Thvairhei, schw. Fem., Zorn, Streit (thvairhs III). 
Unfreideins, st. Fem., Nichtschonung (un I + freidjan III). 
Unselei, schw. Fem., Bosheit, Schlechtigkeit (nn I + s^Js I) 
Jiuka, st. Fem. (vielleicht zu juk I; vgl. auch Diefenbach I, 121) 
Afgudei, schw. Fem., Gottlosigkeit (af I + guth III). 

9) Verschiedenes Geistige: 

Anaviljei, scbw. Fem., Willigkeit, Sittsamkeit, Bescheidenhei 
(ana I + vi\jan I). 

Gariudi, st. Ntr., Ehrbarkeit (Adj. gariuds s. unten). 

Gariudjo, schw. Fem., Schamhaftigkeit (dsgl.). 

Hauneins, st. Fem., Erniedrigung, Niedrigkeit, Demuth (haun 
Jan ni). 

Hlutritha, St., Fem., Lauterkeit, Aufrichtigkeit (hlutrs zu III) 

Inahei, schw. Fem., Sittsamkeit, Nüchternheit (Adj. inahs s.unten] 

Leihts, St. Msc, Leichtsinn (Adj. leihts I). 

Mukamddei, schw. Msc, Sanfkmutb (altn. miukr II 4~ niods I] 

Niuklahei, schw. Fem., Kleinmuth (niuklahs s. unten). 

Qvairrei, schw. Fem., Sanftmnth (qvairrus I). 

S^lei, schw. Fem., Güte, Milde, Rechtschaffenheit (sels I). 

Stiviti, st. Ntr., Geduld (ohne klaren etymologisehen Zusammeii 
hang, vgl. Diefenbach II, 337) 

Sviknei, schw. Fem., sviknitba, st. Fem., Reinheit, Keuschhei 
(svikns zu III). 

Trauains, st. Fem., Vertrauen, Zuversicht (trauan II). 

Thiutheins, st. Fem., Güte, Segen (thiuthjan s. unten). 

Thulains, st. Fem., das Dulden, die Geduld (thulan I). 

Usthulains, st Fem., Geduld (us I -f~ thulan I). 

Usbeisneiy sehw. Fem., Geduld, Langmuth (usbeisns s. unten] 

Usbeisns, st Fem., Erwartung, Geduld (us I -j* beidan I). 

Usdaudei, schw., Fem., Ausdauer, Beharrlichkeit (Adj. usdaud 
8. unten). 



IV. SpraobschatZy AdjectivA. ß3 

Vermischte Snbstantiva. 

AnafulhaDÖ, scbw.^ Ktr., Ueberlieferong (ana I -[~ fiihan III). 
ÄDdvairtbiy st Ktr., Gegenwart^ Angesicbt, Person (and I -}' 

Ädj. vairths zu III). 

Äzetiy st. Ntr.y Leiobtigkeil^ Annebmlicbkeit (Adj. azets s. unten). 

Fravardeins, st, Fem. Verderben (fra I -f- var^an III). 

Qvisteins, st. Fem., Verderben (qvistjan III). 

Rinrei, schw. Fem., Vergänglichkeit, Verwesung, Verderben 
(riurs zu III). 

Thiuth, St. Ntr., das Gute (nicht sichere Verwandschaft, vielleicht 
ZQ thivan III, s. Diefenbach II, 708). 

Ufhnaiveins, st. Fem., Unterwerfung (uf -f- hnaivjan zu III). 

Unkanreins, st. Fem., ünbeschwerlichkeit (un I -f" kaurjan s. 
unten). 

Usfulleins, st. Fem., Erfüllung, Fülle (us I + fulljan II). 

Vargitha, st. Fem., Verdammnis (vargs II). 

ADJECTIVA. 

Baum. 

1) gross klein, lang korz^ dick dünn: 

Hvelautbs wie gross (hvas I -f~ "^lauths, zu Wurzel ruh, rudh 
crescere; vgl. auch juggalauths). 

Svalauths so gross, so viel (sva I -|- ^lauths). 
Samalauths gleich gross, gleich (sama I -|~ ^lautbs). 

2) hoch tief, recht link, vorn hinten: 

Auhuma erhaben, höher, Superl. auhumists (vgl. Skr. uk£a hoch, 
gr. vtpv? s. auch Diefenbach I, 59). 

Undarleija unterster, geringster? (undar I -f- wahrscheinlich 
ligan I). 

Hleidumei linke (Leo Meyer setzt das Wort zu xXiv(o u. s. w., 
Bopp vergleichende Gramm. II, 30 zu skr. ^ri Glück ; man erwäge 
auch ir. cle die Linke, du-chli zur linken Hand); vgl. übrigens 
einige keltische Formen in Kuhn's Beiträgen IV, 397. 

Hnaivs niedrig (hneivan I). 

Hindumists hinterster, äusserster (hindar I). 

Iftuma der Nächste, Folgende (vielleicht nur eine Nebenform 
des folgenden). 

Aftuma, aftumists der Letzte (af I). 

3) voll leer, nah fem, drinnen draussen: 
Ufarfulls übervoll (ufar I -f- fulls I). 
Innuma der innerste (Adv. inna s. unten). 
Ingards im Hause befindlieh (in I -f- gards I). 



64 nr. Sprftchaohats, AdjeetiTA« 

Innakonds zam Hanse gehörig (Adr. inna s. unten 4" ^^^^ Q* 
Anahaims daheinii anwesend (ana I -{- haims). 
Aljakons anderswoher stammend (alis I -|- knni I). 
Afhaims von der Heimath entfernt, abwesend (af I -}- haims I). 
Andvairths gegen&ber (and I -{' vairths zn III). 
Vithravairths gegen&ber liegend (vithra HI 4~ vairths zq III). 

Licht, Farbe, Wärme. 

Anasiuns sichtbar (ana I -{- sions III). 

Linhadeins leuchtend (liuhath I). 

Fonisks fearig (fana s. oben). 

Biqvizeins finster, dankel (riqvis I). 

Ad?« andaagiba, andaagjö offen, offenbar (and I -}- augjan III). 

Schall fehlt. 

Zeit. 

Uhteigs, uhtiags Zeit habend (aht?d III). 

Hveilahvairbs eine Zeit lang dauernd (hveila III -f- hvairbao III). 

Unhveils unablässig (un I -{' hveila III). 

Anavairths zukünftig (ana I -}* vairths. zu III). 

Andilaus endlos (andeis I -f* ^^^ H). 

Sinteins täglich (vgl. skr. san&tana ewig?). 

Fidurdögs viertägig (fidvdr I -^ dags III). 

Ahtaudögs achttägig (ahtau I -f* dags HI). 

Tvalibvintrus zwölfjährig (tvalif I -(- vintrus III). 

Framaldrs bejahrt (fram I -{' altn. aldr III). 

Gefühl, Geschmack, Geruch. 

Aglus schwer, schwierig (agljan UI). 

Azets leicht (Unsicheres bei Diefenbach I, 61). 

Raths leicht (Unsicheres bei Diefenbach II, 159). 
Unbeis^oths ungesäuert (un I -^ beist zu HI). 

Stoff. 

Blötharinnands blutflüssig (blöth UI -l- rinnan I). 
Gavamms unrein (ga I -f- vamm III). 
ThrutsfiUs aussätzig (thrutsfill s. oben). 
Leikeins fleischlich, leiblich (leik I). 
Muldeins von Staub, irdisch (mulda III). 
Gasköhs beschuht (ga I -f- sköhs HI). 

Form. 

Gadobs schicklich, passend (ga I -{' daban H). 

Gatils passend, tauglich (ga I -{- tils II). 

Adv. gatemiba passend, geziemend (gatiman zu III). 



IV. Sprachschats, Adjeetiva. g5 

Ady. gahabjo zusammeDhangend (hahan III). 
Gaqviss äbereinstimmend (ga I 4- qvithan I). 
IbDaskauns gleich gestaltet (ibDS III -f- skauns III). 
Adv. galeikö ähDiich (ga I -j- leik I). 
Aljaleiköths anders gebildet (alis I -^ ^^^^ I)* 
Filufaihs sehr maDDigfach (filu I -|- faihs I). 
Gumeins männlich (guma I). 
Gamakands männlich (guma I 4~ ^^^^ !)• 
Qvinaknnds weiblich (qvinö I -j- ^^^^ !)• 
Tharihs fest, dicht (nach Diefenbach II, 699 und Leo Meyer 
ZQ tQaxvg). 

Tass geregelt, geordnet (Unsicheres bei Diefenbach II, 661). 
Ungatass ungeregelt, ungeordnet (uu I -f- ga I + ^^s^ s. oben). 
Galaubs (galubs) werthvoll, kostbar (galaubjan zu III). 
Filugalaubs sehr kostbar (filu I -|- galaubjan zu III). 

Bewegung. 

Ungastöths ohne bleibende Stätte (un I -f* g^ I -f- standan 1), 

Kraft. 

Vaurstveigs wirksam (?anrstv s. oben). 

Allayaurstva aus allen Kräften wirkend (alls 1 4- vaurstv s. oben). 

Afmauiths ermüdet (ahd. muojan III). 

Gamaids gebrechlich, schwach, zerschlagen (ga I -f- maidjan I). 

Usgrudja, schw. Adj., träge, muthlos (Unsicheres bei Diefen- 
bach n, 433). 

Halks gering, dürftig (Unsicheres bei Diefenbach II, 520). 

Alatharba, schw. Adj., ganz arm (alls I -\- tharhs II). 

Unleds arm (= ags. unlaed inexcnsabilis, improbus, perditus, 
miaer?). 

Ushaists bedürftig, dürftig (us I; den zweiten Theil knüpft 
Leo Meyer an die Skrwurzel fis ausscheiden). 

Leben. 

Airthakunds irdischer Abkunft (airtha III -f- kuni I). 
Gödakunds von guter Abkunft, vornehm (göds I -\- kuni I). 
Himinakunds himmlisch (himins III -|- kuni I). 
üfarhiminaknnds bimmlisch (ufar I -}~ das vorige). 
Inkilthö, schw. Fem. schwanger (in I -\- kilthei s. oben). 
Qvithuhafts schwanger (qvithus I -|- hafts I). 
Unbarnahs kinderlos (un I -j- ^^^^ II)* 
Unqv^niths unbeweibt (un I -}- qvens). 
Kinklahs neu geboren (niigis I -\- altn. kiek ja ausbrüten ; vgl. 
altn. nyklakii^n == niuklahs). 
Föntemann, Gesck. d, d. Sprach$tamme$. IL 5 



gg IV. Sprachschatz, Adjectiva. 

Gahails ganz, heil, gesund (ga I + hails I). 
Lausqvithrs leeren Magens (laus 11 -{- qvithus I). 
Bireks gefährdet (bi I + rikan I? 
Dauthubljis zum Tode bestimmt (dautbus UI). 

•Geist. 

1) Denken, wissen. 

Ahmeins geistig, geistlich (s. oben). 

Andathahts bedächtig, vernünftig (and I -f- thagkjan I). 

Inahs verstündig, klug (in I + aha s. oben). 

Usskavs vorsichtig, nüchtern (us I + skavjan I). 

Vis (Gen. visis) gewiss (vitan I). 

Adv. unsahtaba unbestritten (un I -{- sakan III). 

Unandsoks unwiderleglich (un I -|" ^^^ ^ + sokjan I). 

Sunjis, sunjeins wahr, wahrhaft (wol zu siuns III und hiedurch 
zu saihvan I). 

Svikunths offenkundig, bekannt (Pronomen sva I -j- kunths I). 

Galaubeins gläubig (galaubjan zu III). 

Samafrathjis gleichgesinnt (sama I -}- frathjan I). 

Unfaurveis (Gen. -veisis), unbedacht, unvorsätzlich (un I + 
faur I + veis lU). 

Fulgins, gafulgins verborgen (filhan III). 

2) Wollen: 

Adv. gabaurjaba gern (gabaur s. oben). 

Adv. lathaleikö sehr gern (lathon I -|- leik I). 

Usdauds eifrig (us I, der letzte Theil ist unbekannt; Leo 
Meyer knüpft das Wort an lat Studium). 

Gahvairbs fügsam, gehorsam (ga I -j- hvairban II). 

Gathaurbs enthaltsam (ga I 4~ thaurban II). 

Andanems gern annehmend (and I -f- niman 1). 

Seinaigairns eigensüchtig (seins lU 4~ gairns III). 

Faihufriks habsüchtig (faihu I -f" friks III). 

Aglaitgastalds nach schändlichem Gewinn trachtend, habsüchtig 
(aglaitei zu III 4^ gastaldan III). 

Haithivisks wild (haithi III). 

Unmanariggvs wild, grausam (un I; über den unsicheren zweiten 
Theil vgl. Diefenbach II, 172). 

Slahals zum Schlagen geneigt (slahan I). 

Adv. usstiuriba ausschweifend (us I 4~ stiurjan I). 

Untilamalsks voreilig, unbesonnen (un I -f-tils II-}-iualsks zu III). 

Ungahvairbs unfügsam, widerspenstig (un -f- gahvairbs s. oben). 

Untals unfugsam, ungehorsam (un I -|~ ^^s U). 



IV. Sprachschatz, Adjectiva. ^7 

3) Fifeude und Trauer: 

Audahafts beseligt, beglückt (altn. auör III -\- hafts I). 
Gamneigs freudig (ga I -f" vizön s. unten). 
Hauhthnhts hoebmütbig (baubs II -\- thugkjan II). 
Mikiltbubts (mikils I -J- tbugkjan II). 
HIas freudig, beiter (zu blabjan I? Leo Meyer). 
Gaurs betrübt, traurig (ohne sichere Verwandsebaft, s. Diefen- 
baeb II, 389). 

Grindafrathjis kleinmütbig (vgl. ags. grindan molere -{- fratbjan I). 
Usvena, scbw. Adj., ohne Hoffnung (us I -f- vens I). 

4) Liebe, Gutes: 

Andanems angenehm, wohlgefällig, gnädig (and I -j- niman I). 

Friathvamilds liebreich (friathva s. oben -f" nailds I). 

Gafaurs gesetzt, nüchtern, bescheiden (ga I -f- altn. föra III). 

Gaguds fromm (ga I -j- guth III). 

Gastigods gastfrei (gasts I -f- gods I). 

Gavairtbeigs friedfertig (gavairthi s. oben). 

Hrainjabairts reinberzig (brains II -{- bairtö I). 

Ins gut (Unsicheres bei Diefenbacb I, JOl). 

Samasaivals einmütbig (sama I 4' saivala III). 

Silbaviljis freiwillig, willfährig (silba I -{" viljan I). 

Tbiutbeigs gut, gesegnet (thiutb s. oben). 

ünliuts ungeheucbelt (un I -^ liuts s. unten). 

Unvabs untadelhaft (un I; das Weitere ist unsicher; vgl. Diefen- 
bacb I, 127). 

Usbeisneigs geduldig, langmütbig (us I -f- beidan I, usbeisns 
8. oben). 

Usfairina, scbw. Adj., ausser Schuld, ohne Tadel (us I -{" 
fairina III). 

Adv. Unfairinödaba desgl. (un I -|~ fairindn III). 

Usvaurbts (us I -|- vaurkjan I). 

Vailamers löblich, was guten Namen macht (vaila I -f- altn. maer I). 

Valis (Gen. valisis) auserwählt, echt, treu (viljan I). 

Adr. garedaba ehrlich (garedan s. unten). 

Adv. vitodeigo gesetzmässig, recht (vitotb, zu III). 

Gariuds ehrbar (vielleicht zu raads I). 

Adv. gafebaba wohlanständig, ehrbar (zu faban u. s. w. L.Meyer). 

5) Hass, Böses; 

Afguds abgöttisch, gottlos (af I -{- guth III). 

Audaneitbs entgegen, feindlich (and I -j- neith III). 

Andasets verabscbeuungswürdig (and I -j- sitan I). 

ö* 



53 IV* Sprachschatz, Adjectiva. 

Gastöjans gerichtet; verdammt (ga I -j- stöjan m). 
Hindarveis hinterlistig (hindar I -j- veis III). 
Invinds ungerecht (in I -^ vindan II). 
Liuts heuchlerischi betr&gerisch (laton I). 
Sakuls streitsüchtig (sakan III). 
Ubiltojis äbelthäterisch (nbils III -{- taujan III). 
Urrugks verworfen (us I; der zvsreite Theil ist von unbekannter 
Herkunft, s. Diefenbach II, 176). 

Usveihs unheilig (us I -f- veihs III). 
Vitodalaus gesetzlos (vitdth zu III -{- laus II). 

6) vermischtes Geistige: 
Unfaurs geschwätzig (un I -{- altn. fora III). 
Lausavaurds eitles redend (laus II -f- vaurd I). 
üsfilma, schw. Adj., erschrocken, erstaunt (vgl. altn. felmr 
Schrecken). 

Vermischte Adjectiva. 

Akranalaus fruchtlos, ohne Frucht (akran III + 'aus II). 
Biuhts gewohnt, gebräuchlich (nicht sichere Etymologie, wenn 
nicht zu bugjan kaufen). 

Fralets freigelassen (fra I -{" '^tan II). 

Fullatojis vollkommen (fulls I 4~ taiyan III). 

Fullaveis vollkommen (fulls I -f" veis III). 

Fullavita, schw. Adj., vollkommen (fulls I + v^**^ ')• 

Gudisks göttlich (guth III). 

Invitoths dem Gesetze unterworfen (in I -j- vitoth zu III). 

Manvus bereit (ganz Unsicheres bei Diefenbach II, 35). 

Sildaleiks wunderbar (altn. sjaldan III -f* ^^^^ !)• 

üfaiths vereidet, zugeschworen (uf I -f- aiths I). 

Unatgahts unzugänglich (un I + ^^ I -{- gaggan I). 

Unhunslags ohne Opfer, unversöhnlich (un -j- hunsl III). 

Unnutjis unnütz (un I -f- *nut8 III). 

Unqveths unaussprechlich (un I + qvithan I). 

üsviss losgebunden, getrennt, eitel (us I + vidan HI). 

Vaurdahs wörtlich, in Worten sich zeigend (vaurd I). 

Veinuls dem Trünke ergeben (vein III, Bd. I, 616). 

Vulthags herrlich, verherrlicht (vulthus I). 

Vulthrs wichtig, werth (Subst. vulthrs zu III). 

Adv. unveniggo unverhofift, plötzlich (un I + vens III), 

PRONOMINA. 

Ainhvarjizuh Jeder (ains I -j- hvarjis II). 
Ainhvatharuh Jeder von Beiden (ains I -}- hvathar I). 



IV. SprachsehatZi Verba. 69 

Ainshun irgend Einer (ains I). 

Hvashnn Jemand (hvas I). 

Mannahan Jemand (manna I). 

Sabrazoh Jeder (sa I -f- hvas I). 

Thishvah was nnr immer (Pronominalstamm tba I -|~ hva I). 

Tbishvazah wer nur immer (tba I -{' hvas I). 

NUHERALIA. 

Ainakis einzeln (ains I). 

Taihnntaibundfaltbs bandertfaltig (taibantebund III -f- faltban I). 

VERBA. 

Essen, trinken, Stimme, Sinne (inel. der Cansative). 

Aljan anfzieben, mästen (alan I). 

Syögatjan seufzen (svogjan II). 

Fairveitjan nmberspähen (fair I -j- veitan lU). 

Bandvjan Zeicben geben, andeuten (bandva s. oben). 

Hausjon boren (bausjan I). 

Afdaubnan taub, verstockt werden (af -\- daubjan III). 

Sutlyön kitzeln (Unsicheres bei Diefenbacb II, 288). 

Vermischte Eörperfnnctionen. 

Fitan gebären (Unsicheres bei Diefenbacb I, 382). 

Gavaknan erwachen (vakan I). 

Vizon leben (visan I). 

Gabailnan gesund werden (bailjan II). 

Svinthnan stark werden (svinthjan III). 

Reiran zittern, beben (ganz unsichere Verwandschaft). 

Oredon hungern (gredus lU) 

Balvjan quälen (^balvs I). 

Afdaujan abmatten, machen dass jemand stirbt (divan III). 

Dauthnan sterben (dauthjan UI). 

Nehmen, geben u. s. w. *Die nächsten Begriffskategorien 
bis zu der des Drehens und Biegens (vgl. Bd. I, 436) haben so 
wenige speciell gothische Vertreter, dass ich sie hier alle zu- 
sammenfasse : 

Rahtön hinreichen, darreichen (unsichere Verwandtschaft; L. Meyer 
setzt das Wort zur Sanskritwurzel ra^ sich recken, sich strecken). 

Tamjan berauben (nicht „verhüllen^, zu tairan I). 

Gastöthan feststellen (standan I). 

Staggan stechen (stiggan I). 

Vlizjan ins Gesicht schlagen (vlits zu III)* 

Valvisön sich wälzen (valvjan I). 



70 l^' Sprachschatz, Yerba. 

Verbinden: 

Fanrvaipjan verbinden (faur I -|- vaips s. oben). 

Faurmuljan das Maul verbinden (taar I -{' altn. müli lU). 

Galiaftnan sieb anheften, anhangen (ga I -f- haftjan I). 

Galnknan verschlossen werden (ga I -{- Inkan III). 

Huhjan sammeln? (das Wort übersetzt das griech. ^(Xccv^cor 
ohne genauere Verwandte; zu hauhs II? vgl. Diefenbach II| 578). 

Liugan heirathen (Leo Meyer setzt es zo ligarOi griech. Xvyovv 
biegen, flechten). 

Trennen. 

Usskaijan herausreissen, herausschneiden? (die Lesart und des- 
halb auch die Verwandtschaft ist unsicher, s. Diefenbach 11, 242). 

Andbundnan gelöst werden, sich lösen (and I -{- bindan I). 

Gaskaidnan sich scheiden (ga I 4~ skaidan I). 

Dishnupuan zerrissen werden, zerreissen (dis I -{' hniupan 
8. unten). 

Disskritnan zerrissen werden, zerreissen (dis I -f- skreitan zu TU). 

Hniupan reissen, brechen (nach Leo Meyer zu xvvo), vgl. Diefen- 
bach II, 573). 

Hnupnan zerrissen werden (zum vorigen). 

Andlgtnan entlassen werden (and I -{- l^tan II). 

Af-, ga-, dis-taurnan zerreissen (af, ga, dis I -f- tairan I). 

Usbruknan abgebrochen werden (us I 4- brikan I). 

Usluknan sich öffnen, geöffnet werden (us I -f- lukan III). 

Fralustnan verloren gehn (fra I -{- liusan I). 

Fraqvistnan verloren gehn (fra I + qvistjan III). 

Ackerbau: 

Intrusgjan einpfropfen (in I; der zweite Theil ist unsicher, 
8. Diefenbach 11, 683). 

Vrisqvan Frucht bringen (Unsicheres bei Diefenbach I, 241). 

Technologie: 

Usfratvjan zubereiten, zurichten (L. Meyer setzt es zu fratl\jan (?) ; 
vgl. auch Diefenbach I, 394). 

Manvjan zubereiten (manvus s. oben). 

Gabeistjan durchsäuern (beist zu III). 

Gapaidön bekleiden (paida III). 

Fetjan schmucken (Unsicheres bei EMefenbacb I, 373). 

Gasuljan gründen (sulja I). 

Ufarhleithrjan das Zelt aufschlagen über Jemand (ufar I -f" 
hieithra zu III). 

Usbaugjan fegen (Unsicheres bei Diefenbach I, 278). 



rV. SprachBchatz, Verba. 7X 

CkinayiBtrön begraben (ga I -{' ^navistr, za nans I). 
Gafrisahtjau abbilden (frisahts s. oben). 
Gafrisahtnan abgebUdet werden (zam vorigen). 

Licht, Wärme, Schall, Lnft: 

Glitmnnjan glänzen (*glitmnni, zn altn. glita 11). 

Tandnan entzündet werden, brennen (tandjan I). 

Riqvizjan sich yerfinstem (riqvis I). 

Afbyapnan ersticken, erlöschen (zu hvapjan II; Tgl. unhyapnanda 
onanslöscblich). 

Auhjon lärmen (za skr. Wurzel väg, schreien, heulen nach Leo 
Meyer; s. auch Diefenbach I, 58). 

Eriustan knirschen (nach Leo Meyer zu y^virn grunze, skr. 
Wurzel ^ar knistern, ertönen; fernere Verwandte bei Diefen- 
bach n, 468). 

Elismjan klingen (klismö s. oben). 

Haumjan, thnthaurojan auf dem Home blasen (haurn I, thut- 
haum s. oben). 

Wasser: 

Trusnjan besprengen (unsicherer Herkunft). 
Usgutnan ausgegossen werden (giutan I). 
Vulan aufwallen, sieden (zu altn. vella, ahd. wallan lU). 
Staurknan erstarren, verdorren (vgl. altn. storkna congelare, 
^igescere, zu altn. Adj. sterkr, ahd. starah lU). 

Vergrösserung, Verkleinerung: 
Managnan sich mehren (manags I). 
Auknan sich mehren (aukan I). 
Fullnan voll werden (falls I). 

Urrumnan, usrumnan sich erweitern (us I -{- rums IH). 
Usmeman sich ausbreiten (us I -{- mSrjan III). 
Bnauan zerreiben (unsicheres bei Diefenbach I, 314). 
Erötön zermalmen (zur skr. Wurzel ^ar zerreiben nach Leo 
lifeyer; Unsicheres bei Diefenbach U, 469). 

Maurgjan kürzen (vgl. mittellat. murcus verstümmelt). 
Minznan geringer werden, abnehmen (mins I). 

Bewegung, Ruhe: 

Anapraggan drängen (ana I, zu lat. premo nach Leo Meyer; 
vgl auch mhd. phrengen drängen). 

Trimpan treten (nach Leo Meyer zu gr. tQaneXv) 

Airinon Bote, Gesandter sein (airus III). 

Vithön schütteln (nach Leo Meyer zu quatio, gr. natdififmy doch ist 
cutio = schiesse Bd« 1, 86 zu erwägen ; unsicheres bei Diefenbachl, 154)« 



72 ^* Sprachschatz, Verba. 

Aflifnan übrig bleiben (leibao I). 

Usaivjan ausdauerc (as I 4' ^^^^ I)* 

BeginDy Ende: 

Anastodjan, dustödjan anfangen (ana I, da I -f* standan I). 

Blautbjan aufheben, abschaffen (unsicheres bei Diefenbach 
I, 306). 

Sveiban aufhören, ablassen (vgl. altn. svta remitiere, cederei 
8. auch Diefenbach II, 357). 

Erhöhung, Erniedrigung (herrschen, dienen): 
Fraiyinon Herr Sein (frauja III). 
Gudjinön das Priesteramt verrichten (gudja III). 
Thiudanön König sein, herrschen (thiudans III). 
FuUafahjan ein Genüge thun (falls I; der zweite Theil gehört 
mit fagrs, gafShaba u. s. w. zu fahan I). 

Skalkinön dienen, dienstbar sein (skalks III). 

Besitz, Gewinn, Verlust: 

Ufarassjan Ueberfluss hervorbringen, Genüge haben (ufarassus 
8. oben). 

Faihugeigan geldgierig sein (iaihu I -f~ g^ig&i^ s. unten). 

Gabigjan bereichem (gabeigs III). 

Gabignan reich sein (vom vorigen). 

Geigan, gageigan gewinnen (nach Leo Meyer zu skr. gi, ga- 
jämi siegen, gewinnen; unsicheres bei Dielenbach II, 395). 

Ganöhnan genügt werden, zur Genüge versehn sein (ganöhs III). 

Gatharban sich enthalten (ga I 4~ tharba 11). 

Ga-unledjan arm machen (ga I -f- unleds s. oben). 

Zur Sphaere des Lachens und Weinens ist nichts speciell 
Gothisches anzuführen. 

Sprache: 

Filuvaurdjan viele Worte machen (filu I + vaurd I). 

Gasvikunthjan bekannt machen, rühmen, loben (Adj. svikonths 
s. oben). 

Taizjan belehren, unterrichten (vgl. oben das Adj. untals). 

Veitvodjan zeugen, bezeugen (veitvods s. oben). 

FuUaveisjan überzeugen, überreden (fulls I -f- veisjan). 

Gatßvjan verordnen (ga I -|- tevi s. oben). 

Aviliudön danken, preisen (avilind III). 

Thlaihan liebkosen, trösten (zu ahd. j9ehön u. s. w.? vgl. 
Diefenbach II, 711). 

Hvöpan sich rühmen (zu hvapjan II? vgl. Diefenbach n, 604; 
Leo Meyer setzt das Wort zu skr. Wurzel gvi wachsen, schwellen). 



I 



lY. Sprachschatz, Verba. 78' 

Gdljan grossen, begrässen (altn. gala in? nach Leo Meyer 
zu x^i^ofiai). 

SuDJön rechtfertigen, vertheidigen (Adj. sunjis s. oben). 

Tbintbjan segnen (thiuth s. oben). 

Thinthspillon Gates verkündigen (thiatb s. oben 4* spillön III). 

Vailamerjan frohe Botschaft bringen, predigen, verkünden (vaila 
I -f- meijan III). 

Vailaspillön frohe Botschaft bringen u. s. w. (vaila I -f- spil- 
lön m). 

Ubilvaurdjan schmäben (ubils III -{- vaard I). 
Vajameijan lästern (vai I -f" meijan III). 
Afdambnan verstummen (af I -f- dnmbs III). 

Geist: 

1) denken, wissen: 

Fullafrathjan bei vollem Verstände sein (falls I -f~ frathi I). 
Maadjan erinnern (möds I?). 
Abjan glanben, wähnen (aha s. oben). 

Hmskan (and-) prüfen? (Leo Meyer setzt es zu lat. scrutari; 
unsicheres bei Diefeubach II, 591). 

Dröbnan verwirrt werden (drobjan IIl). 

2) wollen: 

Aihtrön haben wollen, erbetteln (wahrscheinlich mittelbar zu 
aigan I). 

Usdaadjan sich beeifern, bestreben (Adj. usdaads s. oben). 

3) Freude und Trauer: 

Svegnjan frohlocken, triumpbiren (Leo Meyer verbindet es mit 
^^iyyoficu] eben so Unsicheres bei Diefenbach II, 357). 

Tarmj an jauchzen, frohlocken, vielleicht eigentlich hervorbrechen 
und in diesem Falle zu skr. darma, darman Zerbrecber, doch ist 
das ganz unsicher. 

Gaunön trauern, wehklagen (nacb Leo Meyer zu gr. /oaco; 
unsicheres auch bei Diefenbach II, 388). 

Idreigon bereuen, Busse thun (idreiga s. oben). 

Nipnan betrübt sein, trauern (die Etymologie ist ganz unsicher; 
vgl. altn. bnipna verzweifeln). 

Usthuljan dulden (us -4~ tbulan I). 

Gaurjan Betrübniss verursachen, betrüben (Adj. gaurs s. oben). 

4) Liebe und Hass: 

Ga-gavairthjan versöhnen (ga I 4~ gavairthi s. oben). 
Ga-gavairthnan versöhnt werden (ga I -{' gavairthi s. oben). 



74 ^y* Sprachschatz, Verba. ^ 

Infeinan gerührt werden, sich erbarmen (nach Leo Meyer wol 
sa noivtjy poena, poenitet). 

^Aislautbjan in Angst versetzen (af I 4~ einem vielleicht mit 
slavan III zusammenhaugCDden Worte). 

Thiahsjan jemand schrecken, (sehr fraglich ist Leo Meyers 
Verbindung mit skr. tras erschrecken, r^ao, rQifio), terreo, tremo). 

Anamahtjan Gewalt anthun, beleidigen (ana I -j- mahts I). 

Faihön (bi-, ga-) betrügen (Sahst, faih s. oben). 

Hatizön zürnen (hatis III). 

Rauh tj an zürnen (das Leo Meyer zu o^^ecx^ot, skr. rghä- 
jämi setzt). 

b) übriges Geistige: 

Sveran ehren, achten (svers III). 

Barusnjan kindlich ehren (za b€ruseis s. oben). 

Mikilnan verherrlicht werden (mikils I). 

Ushauhnan erhöht, verherrlicht werden (us I -f- hanhjan III). 

Veihnan geheiligt werden (veihs III). 

Sildaleikjan staunen, sich verwundem (Adj. sildaleiks s. oben). 

Sildaleiknai^ bewundert werden (desgl.). 

Afslauthnan sich entsetzen (afslauthjan s. oben). 

Biabrjan sich entsetzen (bi I -f- abrs III). 

Gathlahsnan über etwas erschrecken (thiahsjan s. oben). 

Usagjan erschrecken (us 1 -|- agis I). 

Ufarhafnan sich überheben (ufar I -[- haQan I). 

Sein und thun: 

Thröthjan üben (von unsicherer Herkunft; Leo Meyer setzt es 
zur Skr. Wurzel trand sich bemühen). 

Gansjan verursachen (Unsicheres bei Diefenbach II, 386). 
Aiviskön schändlich handeln (aiviski zu III). 
Missataujan sündigen (missö III -{- taujan UI). 

Uebrige Verba: 

Bisaulnan befleckt, verunreinigt werden (bi I -[- sauljan HI). 
Gasleithjan schaden, beschädigen (ga I -|- sleiths zu III). 
Gathvastjan befestigen, stärken (nichts Sicheres, s. Diefenbach 
n, 721). 

Haifstjan streiten, kämpfen (haifst III). 

Jiukan kämpfen, siegen (jiuka s. oben). 

Kaurjan beschweren, belasten (kaurs I). 

Saljan herbergen, Herberge finden, bleiben (altn. salr U). 



IV. Sprachschatz» Adverbia. 75 

ADVERBIA. 

1) Raam: 

Aljar anderswo (alis I). 

Jainar dort (jains UI). ^ 

Thishvaruh wo nur immer (Stamm tba I 4" hva I). 
Inna im lanern, innen (in I). 
lapa oben; hinauf (iup I). 
Uta draussen (ut I). 
Dalatba unten (dal I). 
Undarö unten, drunter (undar I). 

Bisunjane umher, ringsumher (bi I; der zweite Theil wol zu 
ms lU). 

Aftaro von hinten, nach hinten (afta, aftra III). 

AJjathrö anderswoher (alis I). 

Allathrö von allen Seiten her (alis I). 

Dalathrö von unten (dal 1). 

Fairrathro von ferne (fairra I). 

Hvathro von woher (Stamm hva I). 

Innathrö von innen her, inwendig (in I). 

lupathro von oben her (iup I). 

Jainthrö von dort (jains III), 

Utathrö von draussen her (ut I). 

Aljath anderswohin (alis I). 

Dalath abwärts (dal I). 

Hvath wohin (Stamm hva I). 

Thishvaduh wohin nur immer (Stamm tha I -{' hva I). 

Inn hinein (in I). 

Jaindre dorthin (jains III). 

Jaindvairths dorthin (jains III 4' vairths zu III). 

Ufaijaina darüber hinaus (ufar I 4- j^^QS lU). 

2) Zeit: 

Framvigis fortwährend, für immer (fram I -f- vigs I). 

Sinteinö immer, alle Zeit (sinteins s. oben). 

Hveilöhun eine Zeit lang (hveila III). 

Miththan während des, inzwischen (mith I -f- tban III). 

Faurthis zuvor, früher (faur I -{- Stamm tha I). 

Suman einst, ehemals (sums III). 

lupana von Alters her (iup I). 

Sprautö schnell, ohne Zögern (wol zu ahd. spriuzan III). 

Suns bald, plötzlich (zu sama I und sums III?). 



I 



76 IV. Spraehscbatz, AdverMa. 

Anaks plötzlich, sogleich (ana I? abgeleitet dnreh das in mik 
n. s. w. erBcheinende -k?) 

SuDsaiv sogleich (sans s. oben 4~ &i^ !)• 

Hva^han jemals (Stamm h?a I). 

Halisaiv kaam je, jemals (der erste Theil ist ansicher , Tgl. 
Diefenbach II, 519, + aivs I). 

Jntban schon (ju I -j- than III). 
Nauhthan noch (nanh III -j- than III). 
Nauhoththan noch (nauh III -[- than III). 

3) übrige Adverbia: 

Uftö, auflö etwa, vielleicht (uila ITI). 

Thiubjö heimlich (thiubs III). 

Arvjö umsonst, unentgeltlich (?on unsicherer Herkunft, s. Diefen- 
bach I, 71). 

Hve womit, um wie viel, etwa (Stamm hva I). 

Svare vergebens, umsonst (vgl. unser schwerlich; wol zn 
svgrs III). 

Nei Fragewort, nicht? (ni- I). 

Arniba sicher, behutsam (unsichere Etymologie; vgl. Diefen- 
bach I, 69). 

Hvaiva wie (Stamm hva I). 

Alakjo insgesammt, zusammen (alls I; vgl. auch ahd. alluka 
omnino). 

Bijands in bijandzuth-tban zugleich aber auch (vielleicht eigent- 
lich ^hinzufügend^ bezeichnend, zu einem Verbum "^bijan, vielleicht 
von der Praepos. bi I). 

Thishun meist, besonders, vorzüglich (Stamm ttia I). 
Svau so? (sva I). 

Svasvg so wie, gleich wie (sva I). 
Svaththan so nun (Stamm sva I -f- than III). 
Aljaleikö, aljaleikös anders (alis I -{■• leik I). 
Antharleiko anders, verschieden (anthar I -}- l^^^ !)• 
Thanamais weiter, noch (than III -{" ™ais I). 
Thanaseiths weiter, noch (than III -f- seithus II). 
AUandjö vollständig, vollkommen (alls I 4~ andeis I?). 
Ussindö ausnehmend, sehr (us I -^ sinths I). 
Yaiuei wenn doch, möchte doch (von sehr unklarer Bildung, 
vgl. Diefenbach I, 162). 

Auf dem Gebiete der Praepositionen bietet das Gothische 
nichts Selbständiges dar. 



IV. Sprachschatz, ConjanctJonen. 77 

CONJUNCTIONEN. 

Alja (nach Negationen) nur, sondern (alis I). 

Athtban aber, doch (ak III -j- ^^^^ HI)- 

Ei dasSy damit (wol zum Prouominalstamm ja I). 

Eitban daher, mitbin (ei 4* ^^^^ ^^^* 

Eitbau wo nicht (ei -{- thau III). 

Jau ob (Stamm ja I). 

Svetbaub doch, zwar, wenigstens (Stamm sva I -{- thau III). 

Thande, thandei wenn, weil, da (tbanlll; auch abd. begegnet 
«in danta deshalb, weil). 

Thaubjabai wenn auch (than III -{- Stamm ja I). 

Als speeiell gothische Interjection ist höchstens bin (nebst 
liirjith, birjath) komm! bieher! zu erwähnen (zu her III). 

Das ist also der einseitig gothische Sprachschatz, so weit 
wir ihn kennen. Erwägt man, einen wie dürftigen Theil des 
gotbischen Lexicons wir überhaupt überliefert erbalten babeü 
(welche Dürftigkeit sich nirgend stärker zeigt als bei den ver- 
schiedenen Naturproducten) und wie reichhaltig uns dagegen für 
die andern deutschen Sprachen das Wörterbuch vorliegt, so dass 
es ans kaum entgehn kann, wenn diese andern Sprachen den gotbi- 
schen genau entsprechende Bildungen besitzen, so staunt man über 
die grosse Selbständigkeit des Gotbischen dem übrigen Deutschen 
gegenüber. Mag auch zugegeben werden, dass ein grosser Tbeil 
dieser Selbständigkeit in der näheren Verbindung des Gotbischen 
mit dem Urdentschen begründet ist, so dass die übrigen Sprachen 
einen erheblichen Verlust an dem urdeutsch-gothischen Besitz erfah- 
ren haben, so bat doch ein grosser Theil des eben verzeichneten 
gotbischen Sprachschatzes durchaus nicht das Ansehn von besonders 
altertbümlicben , sondern grade von jüngeren Bildungen, zu denen 
es die deutschen Sprachen noch nicht gebracht hatten, als das 
Gothische seinen eigenen Weg antrat. Wir werden hiedurch in der 
schon bei der Lautlehre gemachten Wahrnehmung bestärkt, dass 
das Gothische dem Urdeutschen in der That gar nicht so nahe steht 
als man früher fast allgemein und jetzt noch häufig annimmt, dass 
vielmehr das Gothische zu der Zeit, als Ulfilas schrieb, schon eine 
Jahrhunderte lange selbständige Entwickelung hinter sich hatte. 
Freilich ist dabei nicht aosser Acht zo lassen, dass gewiss nicht 
alle mitgetheilten Wortbildungen bereits vor Ulfilas oder selbst zu 
seinerzeit Eigenthom des gotbischen Volkes gewesen sind; es lässt 
sich vielmehr denken, dass der Bisehof durch den ihm vorliegen- 
den Text, der ihm sicher die erheblichsten Schwierigkeiten darbot, 
gradezu gezwungen wurde neue Ableitungen und Zusammensetzungen 



78 ly. Sprachschatz. 

zu bilden; die geistigeren und speciell religiösen Begriffe der 
heiligen Schrift nöthigten ihn sicher dazu; die klare und geregelte 
gothische Sprache machte ihm möglich, dieser Nothwendigkeit nach- 
zukommen; sein hlethrastakeins und gewiss so manches andere 
Wort hat sich sicher zuerst durch seinen Griffel gebildet und ist 
dann erst gesprochen worden. 

Auch von einem andern Standpunkte her zerfällt der gothische 
Sprachschatz in zwei verschiedene Theile. Der bei weitem grössere 
besteht aQS klaren Ableitungen oder Zusammensetzungen von Wör- 
tern, die in den drei Büchern des ersten Bandes erwähnt sind oder 
wenigstens im dritten Buche hätten erwähnt werden sollen; diese 
letzteren Zusätze zum dritten Buche ergeben sich in denjenigen 
Fällen, wo ich in dem eben mitgetheilten Verzeichnisse nicht DI, 
sondern ^zu III^ gesetzt habe. Daneben geht aber doch eine 
nicht kleine Zahl von Wörtern her, die noch aller Einfügung in 
die Genealogie einer Wurzel gradezu spotten ; ich habe bei diesen 
Wörtern häufig Diefenbach citirt, der sich bei manchen derselben 
wahrhaft erstaunlich abgemüht hat, ohne doch dio Sache aufs 
Reine bringen zu können; häufig habe ich auch die Zusammen- 
stellungen meines Freundes Leo Meyer angeführt, der doch mit 
diesen unmittelbaren Anknüpfungen an's Sanskrit oder Griechische 
selten den sprachgeschichtlichen oder lautlichen Forderungen volle 
Genüge leisten kann. Der dritte, der sich tiefer eingehend mit 
diesen sprachlichen Räthseln beschäftigt hat, ist Jacob Grimm in 
der 1847 geschriebenen Vorrede zu Schulzens gothischem Glossar; 
auch diese reichhaltigen und feinen Bemerkungen lassen doch die 
Räthsel fast alle bestehn und so bestehn sie noch heute. Das 
Gothische steht aber für unsere Kenntniss so vereinzelt und so 
umgeben von ganz unbekannten Sprachen da und sein Sprachschatz 
liegt uns ausserdem so trümmerhaft vor, dass wir hier nicht weiter 
können; vielleicht ist die Zeit nicht mehr fem, wo ein ungeahntes; 
grossartiger Fund uns hierin ein gutes Stück vorwärts bringt und 
daneben — wieder neue Räthsel schafft. 

An dieser Stelle habe ich in den drei ersten Büchern cultnr- 
historische Folgerungen aus dem mitgetheilten Wortschatze gezogen ; 
solche Folgerungen sind aber in diesem vierten Buche und den 
meisten folgenden nicht mehr am Platze, da wir über gothische 
Cultur so me über die aller Völker, die uns eine Literatur 
hinterlassen haben, aus andern Quellen besser unterrichtet sind. 
Zudem Hegt uns aber in unseren gothischen Spracbresten nicht 
einmal die eigentliche Cultur der Gothen, sondern eine bei den 
Gothen erst vor Kurzem eingeführte fremde vor; die Sprache 



IV. Sprachschatz, Verhiste des Grothischen. 79 

ist ans also in diesem Punkte eine scblecfatere Leuchte als irgend- 
wo sonst. 

Hat das Gothische aber eine lange Zeit selbständiger Ent- 
Wickelung hinter sich, so kann es während dieser Zeit nicht bloss 
einseitig geschaffen, sondern muss auch anderseits urdeutschen 
Sprachbesitz verloren haben und die Frage nach diesem Verluste 
tritt uns jetzt entsprechend wie im dritten Buche Seite 458 in den 
Vordergrund. Diese Frage aber zu entscheiden hat für uns seine 
besondere Schwierigkeit dadurch, dass wir sicher nur einen ziemlich 
kleinen Theil des gothischen Sprachschatzes kennen; viele Wörter 
hat das Gothische sicher besessen, die ihm bisher zu fehlen schei- 
nen. Doch giebt es manche Fälle, in denen die Vermuthung, dass 
das Gothische die betreffenden Wörter nicht besessen habe, eine 
gewisse Wahrscheinlichkeit hat; es sind das solche Fälle, in welchen 
wir in dem erhaltenen Theile der gothischen Literatur den Begriff 
des mangelnden Wortes deutlich durch ein anderes Wort ausge- 
druckt finden, in denen also die Gelegenheit jenes fehlende Wort 
anzuwenden nicht benutzt wurde. Aber auch hier ist noch wieder 
eine Scheidung zu machen, zwischen solchen Wörtern, die das Ur- 
deutsche besessen, das Goth. aber verloren hat, und solchen, die 
zur Zeit der Absonderung des Goth. vom Urdeutschen in letzterem 
noch nicht gebildet waren. Nur die erstere dieser beiden Klassen 
gehört hieher, über die zweite wollen wir versuchen beim Mittel- 
nrdeutschen einiges beizubringen. 

Jacob Grimm Gesch. d. dtsch. Spr, zweite Auflage Seite 716 
hat die Bemerkung, dass dem Gothischen namentlich manche Wörter 
fehlen, die den. andern deutschen Sprachen mit dem Litauischen 
und Slaviscben gemeinsam sind. Ist das nicht Täuschung, so scheint 
jene Gemeinsamkeit, die ja nicht eine sehr lange dauernde gewesen 
sein kann, durch die frühe Trennung der Gothen ihren Halt ver- 
loren zu haben. 

Ich versuche nun hier ein Verzeichniss jener gothischen Ver- 
laste aufzustellen und gebe dabei gleich die gothischen Vertreter 
des Verlorenen, 

SUBSTANTIVA. 

Altn. smali pecus (Bd. I, 50); goth. dafür faihu und avis. 

Altn. farri bos, taurus, ahd. phar, nhd. Farre (I. 51); goth. 
stior, auhsus. 

Altn. bokkr Bock, abd. ram Widder (I, 51); goth. vithrus. 

Altn. mödir Matter (I, 55); goth. aithei; auch Vater wird 
selten gebraucht, dafür atta. 



80 IV. Sprachsdiats, Verlaste des Oothischeo. 

AltD. kind Kind (I, 55); gotb. barn. Kind ist vieneicbt in Folgf 
von Bedeutungsverschiebung untergegangen; vgl. kindins fJYSfioiv. 

Altn. folk, fylki Volk (I, 259) und altn. IjoÖr, \yÖT Leute (I, 
260); goth. thiuda. 

Ahd. lefsa, nhd. Lippe (I. 57); goth. vairilo. 
Altn. hnakki Nacken (I, 261); goth. halsagga (balsagga?). 
Ahd. folma, altn. mund Hand (I, 58); goth. handus. 
Altn. fax und altn. här Har (I, 59); goth. tagl. 
Ahd. href Uterus (I, 59); goth. kilthei. 
Altn. hräki Sputum (I, 261); goth. spaiskuldrs. 
Ahd. drech Dreck (I, 60); goth. smarna. 
Altn. hrufiy hryfi Aussatz (I, 261) und ags. teter Hautkrankheit^ 
(I, 60); goth. thrutsfili. 

Altn. uud Wunde (I, 60); goth. erweitert vundufni. 
Altn. svefn somnus (I, 60); goth. sleps. 
Ahd. sämin Samen (I, 60); goth. fraiv. 
Altn. holt Holz (I, 61); goth. triu. 
Altn. tjalga Zweig (I, 262); goth. asts. 
Ahd. gersta Gerste (I, 62); goth. baris. 
Altn. ryÖ Rost (I, 63); goth. nidva. 
Altn. sandr Sand (I, 263); goth. malma. 
Altn. flesk Fleisch (I, 264*); goth. hraiv; mammö.j 
Altn. serkr Kleid, Hemd (I, 264) ; goth. gaskadveins, gavaseins, 
snaga. 

Altn. bü Bau (I, 265); goth. abgeleitet bauains. 
Altn. hof Hof (I, 64); goth. röhsns. 

Altn. thak Dach (I, 65); und altn. hrafr, raefr Dach (I, 265); 
goth. hrot. 

Altn. myrkr Dunkelheit (I; 266); goth. riqvis. 
Altn. unn Welle (I, 66); goth. vegs. 
Altn. skümi Schaum (I, 67); goth. hvathö. 
Altn. hlia Hügel (I, 68) und haugr dsgl. (I, 296); goth. hiains. 
Altn. brynja Panzer (I, 267); goth. sarva. 
Altn. fetill Fessel (I, 69) und altn. hapt desgl. (I, 70); goth. 
naudibandi, fötubandi. 

Altn. lyna, hänkii ahd. riumO| nhd. Kiemen (I, 267 u. 268); 
goth. bandi, gabundi. 

Altn. stafr Stab (I, 268); goth. valus^ hmgga. 

Altn. mylna Mühle (I, 70); goth. qvaimus. 

Altn. korfr Korb (I, 70) and altn. meiss Korb, Netz (I, 70); 
goth. snöijö. 



VL SprftehBchati, VerloBte des GoihiaeheiL gl 

Altn. böpr Hanfe (I; 72) ; goth. hiahma, iaipjfiy digrei, foUeiths, 
lasoa. 

Altn. egg Ecke (I, 72); goth. vaihsta. 

Altn. yerk Werk (I, 72); goth. yaorstv, tani, gadeds. 

Altn. gnnnr, gadr bellom (I, 270) ; goth. brakja, vail^jo n. s. w. 

Altn. sinni Sinn (I, 73); goth. aha. 

Altn. angist Angst (I, 271); goth. aggyitha. 

Altn. log Gesetz (I, 73); goth. vitöth. 

Altn. lof Lob (I, 271); goth. hazeins. 

Altn. saell Glück, Seligkeit (I, 73); goth. andagei; vailavizns. 

Altn. aera Ehre (I, 73); goth. syeritha, hauheins. 

Altn. striö Streit (I, 74); goth. sakjo, jiuka. 

Altn. harmr Harm (I, 271); goth. aglitha, aglö, ganrei; trigd 
8. w. 

Altn. tal List (I, 74); goth. varei, filudeisei. 

ADJECTIVA. 

Altn. störr, ahd. magan, ahd. groz gross (I, 74); goth. mikils, 
inths. 

Ahd. lenka die Linke (I, 75); goth. hleidnmei. 

Altn. thettr dicht (I, 77); goth. tharihs. 

Ahd. swach schwach (I, 78); goth afmanithS; gamaids. 

Altn. stoltr stolz (I, 79); goth. hauhthnhts, mikilthnhts. 

Ahd. geil laetns (I, 79); goth. andahafts, gavizneigs, blas. 

Ahd. war wahr (I, 78); goth. sunjis, sunjeins. 

Altn. tanir zahm (I, 79): goth. manariggvs. 

Für die Pronomina nnd Zahlwörter ist höchstens zu bemerken, 
m die alten Theilnngszahlen (altn. noch tvennir, thrennir, fernir, 
^. noch Adject. thrtnen trinus) schon vermieden nnd, wo sich 
ir sie Gelegenheit bot, umschrieben werden ; nnr tveihnai ist noch 
'legt. 

VERBA. 

Altn. kvelja quälen (I, 275); goth. balvjan. 

Altn. fata fassen (I, 275); goth. fahan, hinthan u. s. w. 

Altn. höggva hauen, altn. drepa treffen, altn. berja ferire (I, 
)), altn. bauta schlagen (I, 275); goth. bliggvan, slaban. 

Altn. spenja spannen (I, 275); goth. thinsan. 

Altn. blikja glänzen (I, 89); goth. glitmunjan. 

Altn. vaska waschen (I, 90); goth. thvahan. 

Altn. gä gehn I, 91; goth. gaggan. Vgl. unten stehe und thun; 
i sind also die Praesentia ohne Bindevocal untergegangen. 

F&ntemann, GeicA. d. d. Sprachstofnmes. IL 



g2 IV. SfirachsdiatsK, Verioste des Gothiiehei» 

Alts, stapan ire (I, 91); goth. trimpan. 

Ahd. stän stehn (I, 91); goth. staodau. 

AltD. fljöta fliessen (I, 277); gotb. rinnan. 

Altn. falla fallen (I, 92); gotb. drinsan. 

AltD. seggja sagen, abd. sprebban sprechen (I, 92); goth. qvithan. 

Ahd. tuom thue (I, 95); goth. taoja, vaurkja. 

Ahd. bim bin (I, 95); gotb. im. 

Partikeln. 

Altn. nidr abwärts (I, 96); gotb. dalatb. 

Sehr merkwürdig ist auch im Gotb. das Fehlen der Prae- 
position um (altn. um, ahd. umbi, alts. umbi); sie wird namentlich 
durch bi vertreten. 

Alles das sind Fälle, wo Wörter, die wir bereits ins Vor- 
slavogermaniscbe oder mindestens insSlavogermanische gesetzt haben, 
im Gotbischen verloren zu sein scheinen. Noch viel schwieriger 
gestaltet sich die Entscheidung, wenn wir au den Sprachschatz 
herantreten, der sich erst im Urdeutschen gebildet hatte. In dem 
Bd. L 401 ff. gesammelten Verzeichnisse sind regelmässig sp]che 
Wörter aufgenommen, die im Gotbischen fehlen, im Altn. aber und 
mindestens einem der beiden andern Zweige vorkommen. In der 
That werden sie in den bei weitem meisten Fällen im Gotbischen 
vorhanden gewesen sein und nur zufällig uns entgebn; in apdern 
Fällen können sie aber auch erst mittelurdeutsche Bildungen sein; 
in noch andern sind sie im Gotbischen verloren. Die zweite und 
dritte Klasse werden wir mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen 
haben, wenn das Gotbische uns für denselben Begriff einen andern 
Ausdruck bietet. Aber wie zwischen diesen beiden Fällen scheiden? 
Da einer solchen Scheidung bis jetzt noch aller reale Boden fehlt, 
ziehe ich es vor, diese Ausdrücke vorläufig noch beim Mittelurdeut- 
schen zusammen zu lassen, wohin ich also verweise. Hieher werden 
wir höchstens solche Wörter setzen können, von denen das Gotbische 
deutliche Ableitungen bat, so z. B. wegen ansts das Praeterito- 
praesens altn. ann, ahd. an, ags ann (altn. unna s. I, 279). 



Dritter Abschnitt. 

Die Wortblldunfr« 

A. Zusammentetiung. 

Ich gedenke im Folgenden, was sich in den späteren Btehem 
von selbst verbietet, die uns bekannten gotbischen znaammeiH 



VI. ZuMunmenaetsangv g3 

gesetzten Wörter nocb vollständig anzufahren, das heisst alle die- 
jenigen, welche nicht schon dem Urdentschen angehören, sei es dass 
sie schon im dritten Bache ihre Stelle gefanden haben oder sie 
hätten finden sollen. 

1. Sabstantiva. 

Wir ordnen das folgende Verzeichniss ganz wie das entsprechende 
Bd. I, 469 alphabetisch nach dem Grundworte, and zwar zuerst 
nnr diejenigen Sabstantiva, deren erster Theil ein Nomen ist: 

Halsagga (balsagga?) Hals, Nacken? (der zweite Theil nach 
L. Meyer zu skr. ankas Biegung). 

Manauli Gestalt (zweiter Theil unsicher; vgl. oben den Sprach- 
schatz). 

Bairabagms Maulbeerbaum, smakkabagms Feigenbaum. 

Thrasabalthei Frechheit, Streitsucht. 

Fötubandi Fussfessel, naudibandi Zwangsfessel, Band. 

Ainabaur der £ingeborne, fruraabaur der Erstgeborene. 

Fotubaurd Fussbrett, Schemel. 

Guthblostreis Gottesverehrer. 

Vadjabokös Pfandbrief, Handschrift. 

Galiugabröthar falscher Brader 

Alabrunsts Brandopfer. 

Vaid^dja Uebelthäter. 

Vigadeinö Distel. 

Filudeisei Schlauheit. 

Hraivadnbo Turteltaube. 

Ainfalthei Einfalt, Gutmfithigkeit; ist aber Ableitung von einem 
Compositum. 

Vitodafasteis Bewahrer des Gesetzes. 

Bruthfaths Bräutigam, hundafaths Hauptmann, thusandifaths 
Oberhauptmann. 

Thrutsfill Aussatz. 

Faihufrikei Habsucht (Ableitung von faihufriks). 

Faihugairnei Habsucht (Ableitung von faihugairns). 

Thiudangardi Königshaus, Regierung. 

Faihugavaurki Geldgewinn. 

Feihugeigö Habsucht. 

Gastigödei Gastfreundschaft (Ableitung von gastigöds). 

Galiugagath falscher Gott. 

Harduhairtei Hartherzigkeit, hauhhairtai Hochmuth, armahairtei, 
armahairtitha Barmherzigkeit (Ableitangen von einem ^harduhairts 
Q. 8. w.). 

6* 



34 ly. Zusammensettuiig. 

Dalgahaitia Gläubiger. 

Viljahalthei Zaneignng, Gunst (setzt ein Adj. *viljahalths voraus). 

Thuthaum Hom, Trompete. 

Gudhns Gotteshaus. 

Vaurdajiuka Wortstreit. 

Niuklahei Kleinmuth (abgeleitet vom Adj. ninklahs). 

Yitödalaisareis Schriftgelehrter. 

Sigislaun Siegeslohn, Preis. 

Juggalauths Jüngling. 

Sildaleik Staunen, Verwunderung, manleika das dem Menschen 
Gleiche, Bild, antharleikei Verschiedenheit (vom Adj. antharleiks, 
Adv. antharleikö). 

Brothralubö Bruderliebe. 

Thiumagus Knecht. 

Frathjamarzeins Verstandesverwirrung, Tätcschung. 

Nahtamats Nachtessen, undaumimats Mittagessen. 

Manamaurthija Menschenmörder. 

Gilstrameleins Steuerbeschreibung. 

Mukamödei Sanftmuth (zu einem Adj. *mukamöds). 

Ainamunditha Einmüthigkeit (zu einem Ad), ^ainamunds). 

Asiluqvaimus Eselmühle, Mühlstein. 

Thiuthiqviss Segnung, samaqviss Uebereinstimmung. 

Lausqvithrei Nüchternheit, Fasten (vom A^j. lausqvithrs). 

Fidurragini Amt eines Vierfdrsten. 

Niujasatiths Neuling. 

Manaseths Menschensaat, Welt; das häufig vorkommende Wort 
sieht aus, als müsste es den Gothen schon aus ihrer Poesie bekannt 
gewesen sein. 

Frastisibja Eindschaft. 

Silbasiuneis Augenzeuge. 

Guthaskauni Gottesgestalt. 

Faihuskula Schuldner. 

Spaiskuldrs Speichel. 

Vaihstastains Eckstein. 

Hlethrastakeins Laubhüttenfest. 

Hunslastuths Opferstätte, mötastaths ZoUstätte, ZoUhsuis. 

Stauastols Richterstuhl. 

Midjasveipains Ueberschwemmung ; auch dies Wort könnte 
schon lange in poetischem Gebrauche gewesen sein. 

Allsv^rei Achtung gegen Jedermann. 

Aihvatundi Domstrauch ; über den zweiten Tfaeil s. den Spraeb« 
schätz. 



IV. ZusammeosetzuDg. 35 

Faihntbraihos Reichtham. 

Baurgsvaddjns Stadtmauer, mithgardavaddjus Scheidewand. 

Svaltavairthja ein dem Tode Naher. 

AllvaldandB Allmächtiger, gardavaldands Haasherr. 

Dauravarda, danravardö Tbürhüterin. 

Laanayarg8 der Undankbare. 

Lingnavaurds Lügenredner. 

Gabaurtbivaurd Gescblechtsregister. 

Aglaitivaurdei nnscbickliche Bede, dvalavaurdei tbörichtes Ge- 
rede, filavaurdei vieles Reden, laosavaurdei und laasavanrdi loses 
Geschwätz, sämmtlich von Adjectiven auf -vaards abgeleitet. 

Galiagaveitvods falscher Zeuge. 

Veitvödei, veitvodeins, veitvodi, veitvoditba Zeugniss, Ablei- 
tungen von veitvods. 

Drauhtivitöth Kriegsdienst, Kampf. 

Zusammengesetzte Substantiva mit einem Verbum als erstem 
Theile giebt es eben so wenig im Gothischen wie im Urdeutschen. 

Es folgen die Substantiva, deren erster Theil von einer Par- 
tikel gebildet wird, und zwar alphabetisch nach dieser geordnet: 

(af) Afdömeins Verdammung, afdrugkja Trinken (vgl. vein- 
drngkja), afötja Fresser, afgrunditha Abgrund, afgudei Gottlosigkeit^ 
aflageins Ablegung, Vergebung, afmarzeins Acrgerniss, Betrug, af- 
sateins Absetzung, afstaes Abfall, Abstand. 

(afar) nur in afardags der folgende Tag. 

(aftra) nur in dem Decompositum aftraanastödeins Wieder- 
anfang, Erneuerung. 

(ana) anabusns Gebot, Befehl, anafilh Ueberlieferung, Vorschrift, 
anafnlhanö Ueberlieferung, anakunnains Lesung, analageins Auf- 
legung, analaugnei Verborgenheit, anamahts Gewalt, Schmähung, 
ananiujitha Erneuerung, anaqviss Lästerung, anastödeins Anfang, 
anaviljei Willigkeit, Sittsamkeit, Bescheidenheit, 

(and) andaugi Antlitz, andabauhts Lösegeld, andabeit Tadel, 
andahafts Antwort, Vertheidigung, Urtheil, Beschluss, andahait Be- 
kenntniss, andhuleins Enthüllung, Offenbarung, andalauni Gegen- 
lohn, Vergeltung, andanahti Abend, andanem das Annehmen, Em- 
pfangen, andstald Darreichung, Dienst, andastathjis Widersacher, 
andastaua Angesicht, andvairthi Gegenwart, Angesicht, Person, an- 
davizns Unterhalt, Unterstützung, andavleizn Angesicht. 

(at) atgaggs Zugang, atvitains Wahrnehmung. 

(bi) bibaurgeins Befestigung, Lager, bifaiho Uebervortheilung, 
Habsucht, bihait Streit, bihaitja streitsüchtiger Mensch, bimait Be- 
schneidang, bireikei Gefahr, birödeins Gerede, Verläumdung, birunains 



36 IV. ZusammensetziiDg. 



"x 



Anschlag, geheimer Bcscbluss, bisaaleins Beflecktmg, bistoggqT 
Anstoss. 

(dis) distaheins Zerstreunng; disviss Aaflösang. 

(fair) fairreitl Schanspiel. 

(fanr, fanra) faarbauhts Loskanfnng, Erlösung, fanradaari Gasse, 
fanrdomeins Vornrtheil, faurafilli Vorhaut, faaragagga, fauragaggja 
Vorsteher, Verwalter, fanragaggi Vorsteheramt, faurahah, fanrbah 
Vorhang, faarlageins Vorlegung, fauramathleis Sprecher, Vorsteher, 
fauramathli Vorsteheramt, fanrstasseis Vorsteher, fauratani ViTunder- 
zeiehen. 

(fra) fragifks Verleihung, Verlobung, fralets Erlass, Vergebung, 
fraqvisteins Verschwendung, fravardeins Verderben. 

(fri) nur in frisahts Bild. 

(ga); bei weitem das häufigste aller dieser vorgesetzten Ele- 
mente: gaarbja Miterbe, gabairhtei Erscheinung, gabaur das Zu- 
sammengebrachte, Sammlung, Steuer, gabaur gemeinschaftliches 
Mahl, Schmausen, gabaurgja Mitbürger, gabaurjothus Lust, Wollust, 
gabaurths Geburt, gableitheins Erbarmen, gabruka das Abgebrochene, 
der Brocken, gabundi Band, gadaila Theilnehmer, Genoss, gadaoka 
Hausgenoss (setzt ein *dauks Haus voraus), gadeds That, Handlung, 
gadigis Gebilde, Werk, gadrauhts Eriegsmann, Soldat, gafaurds 
Gericht, hoher Rath, gafeteins Schmuck, Kleidung, gafilh Begräbniss, 
gafreideins Verschonung, Erhaltung, gafrijons Liebeszeichen, Euss, 
gagrefts Beschluss, Befehl, gagudei Frömmigkeit, gahait Verheissung, 
gahauseins Gehör, das Anhören, gahlaiba Genoss, Mitjünger, ga- 
höbeins Enthaltsamkeit, gahraineins Reinigung, gahreilaina Ver- 
weilen, Ruhe, gajuk Joch, Paar, gajuka, gajuko (}enoss, gakunds 
Ueberzeugung, gakunths Erscheinung, gakusts Prüfung, das Geprüfte, 
galaista Nachfolger, galanbeins Glaube, galeika Miteinverleibter, 
galeiki Aehnlichkeit, galiug Lüge, Götzenbild, gamaitano Zerschnei- 
dung, gamalteins Auflösung, gaman Genoss, gamarkö Grenznach- 
barin, gamarzeins Aergerniss, gamaudeins Erinnerung, gameleins 
Schrift, gamitöns Gedanke, ganauha Genüge, ganithjis Verwandter, 
gaqviss Verabredung, Uebereinkunft, gaqvumths Versammlung, Zu- 
sammenkunft, garaideins Anordnung, Regel, Richtschnur, garaihteins 
Wiederherstellung, Besserung, garaznö Nachbarin, garehsns Be- 
stimmung, Rathschluss, Plan, gariudi Ehrbarkeit, gariudjö Scham- 
haftigkeit, garuns Markt, Gasse, gasahts Vorwurf, Tadel, Zurecht- 
weisung, gasateins Feststellung, Grundlegung, gaskaideins Ver- 
änderung, Vertauschung, Einlösung, gaskalki Mitknecht, gataura 
Riss, gataurths Zerstörung, gatimreins Erbauung, gatimijö GebMde, 
gathagki Bedacht, Sparsamkeit, gathlaihts Trost, Ermahnung, 



IV. Zusammensetzuiig. 37 

gathrafsteios Trost, gathrask Dreschtenne, gavairthi Friede; gavaleins 
WabI, gavandeins Bekehrang, gavaseins Kleidung, gayaurstva Mit- 
arbeiter, gaviss Verbindung, Gelenk. 

(in) inabei Sittsamkeit, Bescheidenheit, ingardja Hausgenosa^ 
inkanja Stammgenoss, inmaideins Veränderung, Vertauschang, Ein- 
lösung, inninjitha Fest der Erneuerung des Tempels, insahts Anzeige, 
£r£äblung. Beweis, invinditha Ungerechtigkeit. 

(inn) iunatgahts Eingang, Eintritt 

(missa) missaqviss Wortstreit. 

(mith) mithgaleikonds Nachahmer, mithgasinda Beisegefährte, 
mithvissei Mitwissen, Gewissen. 

(tvis) tvisstass Zwiespalt. 

(uf) nfblöteins Gebet, Flehen, ufhauseins Gehorsam, ufhnaiveins 
Unterwerfung, ufkuuthi Erkenntniss, ufsvalleins das Anschwellen, 
der Hochmuth. 

(afar) ufargudja Oberpriester, ufarhauseins das Ueberhören, 
der Ungehorsam, ufarmaudei Vergessenheit, ufarmeleins, ufarmeli 
Ueberschrift, ufarranneins Besprengung, nfarsvara der Meineidige. 

(an) nnbeistei das . Ungesäuertsein, unbiari Thier, undivanei 
Unsterblichkeit, unfreideins Nichtschonung, unbulth6 Unhold, un- 
kaoreins Unbeschwerlichkeit, unkuuthi Unkunde, nnlSdi Armuth, 
unselei Bosheit, Schlechtigkeit, unsuti Aufruhr, unvammei Unbefleckt- 
heit, Beiuheit, unvaurstvö die Uuthätige, Müssige, unvereins Unwille. 

(us) usbeisnei, usbeisns Geduld, usdaudei Ausdauer, Beharr- 
lichkeit, usdrusts Ausfall, Loch; schlechter, rauher Weg; uzeta 
woraus gefressen wird, Krippe, usfulleins Erfüllung, Fülle; uslauseins 
Erlösung, nslitha der Giehtbrüchige, nsluks Oeffnung, Eröffnung, 
usloneins Erlösung, usqviss übles Gerücht, Beschuldigung, urruns 
Ausgang, ussateins Ursprung, nsstass Auferstehung, ustaikneins 
Daretellang, Erweis, Beweis, nstaubts Vollendung, Erfüllang, usthrö- 
theins Uebung, usthulains das Dulden, Geduld, usvahsts Wachsthum, 
nsvalteins Umwälzung, Untergang, usvaurbts Gerechtigkeit, usvaurpa 
Auswurf, Frühgeburt. 

(vai) vajamerei, vajamereins Lästerung, schlechter Buf. 

(vaila) vailamereins frohe Botschaft, Predigt, vailayizns Wohl- 
sein, gute Kost, Nahrung. 

Es gewährt ein .gewisses Interesse zu sehn, wie sehr oder wie 
wenig beliebt die einzelnen Praepositionen als erster Theil von 
nominalen Bildungen gewesen sind, die das Gothische erst ge- 
schaffen hat, man sehe den grossen Abstand zwischen ga und den 
nur in je einem Beispiele begegnenden afar, fair (jfri). Ja einige 
kommen gar nicht vor, nämlich alja, du, inuh, uehva, thairh, und 



gg IV. Zupsnuneiuetzung. 

nndar and vitfara; fram and bindar fehlen bei den Substantiven, 
nicht hei den AdjectiFen, wie wir gleich sehn werden. 

Drei gothische Substantiva Yon nngewisser Etymologie können 
möglicherweise mit Partikeln componirt sein, nämlich atiUhni 
Jahr^ ibdalja Abhang, Thal, idreiga Rene, Bosse. 

2) Adjectiva. 

Das Verfahren igt hier ganz dasselbe wie bei den Snbstantiven; 
zuerst also die mit Nominen (auch Pronominen and Zahlwörtern) 
als erstem Theile zusammengesetzten: 

Ahtaudögs achttägig, fidurdögs viertägig. 

Filufaihs sehr mannigfach. 

Grindafrathjis kleinmüthig, samafrathjis gleichgesinnt. 

Faihufriks habsüchtig. 

Seinaigaims eigensüchtig. 

Filugalaubs sehr kostbar. 

Agiaitgastalds habsüchtig. 

Gastigods gastfrei. 

Audahafts beseligt, beglückt, qvithuhafts schwanger. 

Hrainjahairts reinherzig. 

Hvailahvairbs eine Zeit lang dauernd. 

Ninklahs neu geboren. 

Aljaknns anderswoher stammend. 

Airthakunds von irdischer Abkunft, gödakunds von guter Ab- 
kunft, vornehm, gumakunds männlich, himinakunds und ufarhimina- 
kunds himmlisch, qvinakunds weiblich. 

Svikunths offenkundig, bekannt. 

Akranalaus fruchtlos, andilans endlos, vitödalaus gesetzlos. 

Hvelauths wie gross, samalauths gleich gross, svalauths so 
gross, so viel. 

Sildaleiks wunderbar; Adv. lathaleikö sehr gern; a\)aleik6ths 
anders gebildet. 

Tilamalsks s. ontilamalsks. 

Friathvamilds liebreich. 

Lausqvithrs mit leerem Magen. 

Manariggvs s. unmanariggvs. 

Blötharinnands blutflüssig. 

Samasaivals einmüthig. 

Ibnaskauns gleich gestaltet. 

Fullatojis vollkommen, ubiltöjis übelthäterisch. 
i Alatharba ganz arm. 

Hauhthuhts und mikilthuhts hochmüthig. 

Lausavaurds eitles redend. 



IV. ZuBammengetzung. 89 

AUayaarstva aus allen Kräften wirkend. 

Fallaveis yoUkommen. 

Silbaviljis freiwillig, willfährig. 

Tvalibyintrus zwölQährig. 

FuUavita yollkommen. 

Adjeetiya mit Verben als erstem Theile kommen eben so wenig 
yor als solehe Sobstantiya; wir haben deshalb nun die Partikel- 
eompositionen zu mustern: 

(af) afguds abgöttiseh, afhaims yon der Heimath entfernt, ab- 
wesend, afmauiths ermndet. 

(ana) anabaims anwesend, anasinns sichtbar, anayairths zu- 
künftig. 

(and) andaugiba, andaugjo offen, offenbar, andaneiths feindlich, 
andanenis gern annehmend, angenehm, andasets yerabscheuungs- 
würdig, andsöks s. unandsöks, andathahts bedächtig, yernünftjg, 
andvairths gegenüben 

(at) atgahts s. unatgahts. 

(bi) birßks gefährdet 

(fra) fralets freigelassen. 

(fram) framaldrs bejahrt. 

(ga) Ady. gabaurjaba gern, gadöbs schicklich, passend, gafanrs 
nüchtern, bescheiden, Ady. gafehaba ehrbar, gafalgins yerborgen, 
gaguds fromm, Ady. gahahjö zusammenhangend, gahails ganz, heil, 
gesund, gahyairbs fugsam, galaubeins gläabig, galaubs werthyoll, 
kostbar, gamaids gebrechlich, schwach, gaqyiss übereinstimmend, 
Ady. garedaba ehrlich, gariuds ehrbar^ gaskohs beschuht, gastöjans 
gerichtet, yerdammt, gatass geordnet, Ady. gatemiba passend, 
ziemend, gatils passend, tauglich, gathaurbs enthaltsam, gayairtheigs 
friedfertig, gayamms unrein, gayizneigs freudig. 

(bindar) hindaryeis hinterlistig. 

(in) inahs yerständig, klug, ingards im Hanse befindlich, in- 
kiltho schwanger, inyinds ungerecht, inyitoths dem Gesetze unter- 
worfen. 

(inn) innakunds zum Hause gehörig; doch ist der erste Theil 
yielleicht als Nomen anzusehn. 

(uf) ufaiths yereidet, zugeschworen. 

(ufar) ufarfulls überyoll. 

(un) unandsöks unwiderleglich, unatgahts unzugänglich, un- 
bamahs kinderlos, unbeistjdths ungesäuert, Ady. unfairinödaba 
schuldlos, unfaurs geschwätzig, unfauryeis unbedacht, unyorsätzlich, 
ungahyairbs unfügsam, ungatass ungeregelt, unordentlich, ungastöths 
ohne bleibende Stätte, unhunslags ohne Opfer, unyerflöhnlicb, un- 



90 IV*. ZuMmmensetzun;. 

hveils unablässig, onledsanD, unniManggFi» wildy graotfUff, vnniiQis ' 
unnütz, unqveniths unbeweibt^ unqveths unaussprechlich, Adr. un- 
sabtaba unbestritten, untals unfugsam, untilamalsks voreilig, unbe- 
sonnen, unvahs untadelhaft, Adv. unveniggo unverhoilt. 

QjnJar) undarleija unterster, geringster? 

(us) usbeisneigs geduldig, langmuthig, usdauds eifrig, usfairina 
schuldlos, usfiima erschrocken, erstaunt, usgmdja trage, mathlos, 
ushaists bedürftig, dürftig, urragks verworfen, usskavs vorsiehlig, 
nüchtern, Adv. usstiuriba ausschweifend, usvaurhts gerecht, usveihs 
uuhcilig, usveiia hoffnungslos, usviss losgebunden, getrennt, eitel. 

(vaila) vailamers löblich, was guten Namen macht. 

(vithra) vithravairths gegenüber liegend. 

3) Pronomina. 

Hier sind zuerst zu bemerken ain-hvarjizuh Jeder, ain-hvatharoh 
Jeder von Beiden, sa-hvazuh Jeder, this-hvah was nur immer, 
tLis-hvazuh wer nur immer, also lauter schwerfällige Bildungen, 
die ausser dem vorgesetzten ain, sa, this noch mit der beliebten 
Ableitung durch -uh belastet sind. 

Die wichtigste That des Gothischen auf diesem Gebiete ist 
aber die massenhafte und beliebte Anhäugung der Partikel ei an 
verschiedene Pronomina, um denselben relative Bedeutung zu 
geben; es ist das gewissermassen eine Fortsetzung der urdeutschen, 
ja schon slavogermanischen Bildung der starken Ac|jectivdeclination, 
da hier derselbe Pronominalstamm Ja verwandt wird, dem auch 
das ei angehört. Dieses ei tritt erstens an die persönlichen Prono- 
mina erster und zweiter Person, von welchen Bildungen die Formen 
ikei ego qui, juzei vos qui, thuzei tibi qui und thukei te qui belegt 
sind; zweitens an das geschlechtige Pronomen dritter Person in 
izei is qui und sei ea quae; drittens an das demonstrative sa, so, 
thata in den verschiedensten Casus, wovon bloss der Gen. Plur. 
Fem. unbelegt ist, also saei, thammei, thoei, thözei, thatei^ thaimei 
u. s. w. Die Anhängung dieses ei greift sogar über die Sphaere 
der Pronomina hinaus und geschieht auch bei den Partikeln wie 
akei, svaei, thanei, sunsei, vainei, miththanei. Die Spureuj welche 
man von allen diesen Bildungen in andern deutschen Sprachen zu 
finden geglaubt hat, entbehren noch der Sicherheit. 

Bei den Zahlwörtern, deren mathematische Bestimmtheit 
einer freien Composition am meisten widerstrebt, ist höchstens das 
taihuntaihundfalths als speciell gothisch zu erwähnen. 

4) Verba. 

Die gewöhnliche Compositioo von Verben mit PraepoBitionen, 



IV. Zusammen Setzung. « Ql 

^a sie vollkommen frei und ohne beschränkende Regel ist, bleibt 
lier eben so anerwogen wie oben im Spraebsehatze. Zu bemerken 
ist jedoch, dass diese Verbindung im Gothischen eine weit innigere 
ist als im Ahd.; das Gothische, in welchem nur noch inn, iup und 
ut zuweilen vom Verbnm getrennt werden können, muss sich hier 
von dem ursprünglichen Stande besonders rasch entfernt haben. 
Oder ist die gesprochene Sprache hierin noch etwas freier gewesen 
als Ulfilas mit seinem griechischen Vorbilde? 

Was im Uebrigen noch den Schein von zusammengesetzten 
Verben hat, erweist sich wol überall als Ableitungen von zusammen- 
gesetzten NomineU; so dass nicht die Composition, sondern die 
Derivation es ist, welche zuletzt dem Verbum seine Gestalt gegeben 
hat; auch Bin^ jene componirten Nomina noch in den meisten 
Fällen nachzuweisen. Solche Verba sind: 

Aviliudön danken, preisen (aviliud Dank). 

Faihugeigan geldgierig sein (faihugeigö Habsucht). 

Filuvaurdjan viele Worte machen (filuvaurdei vieles Reden). 

Fnllafahjau Genüge thun, dienen; fuUafrathjan bei voUem 
Verstände sein; fullaveisjan überzeugen, überreden (fullaveis voll- 
kommen). 

Gasvikunthjan bekannt machen (svikunths bekannt). 

Idreigon Busse thun (idreiga Busse). 

Missatanjan sündigen. 

Sildaleikjan staunen und sildaleiknan bewundert werden ^silda- 
leik Verwunderung). 

Thiuthspillon Gutes verkündigen. 

Thuthaumjan auf dem Home blasen (thuthaurn Trompete). 

Ubilvaurdjan schmähen (ubilvaurds schmähsüchtig). 

VajamSijan lästern (vajamßrei Lästerung). 

Vailamgrjan und vailaspillön frohe Botschaft bringen (vailamers 
löblich). 

5) Partikeln. 

Wir verzeichnen zuerst diejenigen, deren erster Theil ein 
Nomen oder Pronomen ist: 

Thishvamh wo nur immer, thishvadnh wohin nur immer. 

Aljaleiko, aljaleikös, antharleiko anders, verschieden. 

Thanamais und thanaseiths weiter, noch. 

Sunsaiv sogleich, halisaiv kaum je, kaum. 

Jaindvairths dorthin. 

Allandjö vollständig, vollkommen. 

Die Bildung von alakjd insgesammt, zusammen ist noch nicht 
vollständig erkannt. 



92 rv, Ableitung, alte Endungen. 

Zweitens giebt es noch eine Anzahl von Compositionen, deren 
erster Theil selbst eine Partikel ist: 

a) ein Adverbium: syasre so wie, gleichwie, svaththan so nun, 
svSthauh doch, zwar, wenigstens. 

b) eine Praeposition : bisunjanfi umher, ringsumher; (ramvigis 
fortwährend, für immer, nfarjaina darüber hinaus, ussindö ausneh- 
mend, sehr. 

c) eine Gonjunction: aththan daher, mithin, eithan daher, mit- 
hin, eithan wo nicht, nauhnththan noch^ thauhjabai wenn auch, 

d) eine Interjection : vainei wenn doch, möchte doch ; das nei 
muss hier dem lat. ni, Üisi gleichstehn, das Ganze also „wehe 
wenn nicht" bedeuten. 

Dem Plane dieses Buches gemäss müsste jetzt #von dem Unter- 
gange älterer Coropositionsciasseii die Rede sein, doch hat es 
solclje im Urdeutschen noch nicht gegeben. Zu bemerken ist (vgl. 
Bd. I, S. 472); dass die uralten componirten Substantfva auf -dorn 
und -skap so wie die Adjectiva auf -sam im Oothischen, so weit 
wir es kennen, durchaus keine weitere Vermehrung erfahren, die 
Abschwächung dieser Bildungen zu blossen Ableitungen also keinen 
Fortschritt macht; dagegen bei den Adjectiven auf -leik scheint 
das allerdings der Fall zu sein; das Goth. hat sein sildaleiks und 
die Adverbia lathaleikö, aljaleikö, antharleikö, als Ueberschnss 
über die andern Sprachen. 

B. Ableitung. 
1. Bildung neuer Worte mit alten Endungen. 

Wir beginnen hier wieder mit den Nominen und lassen die 
SufSxe in der Reihe folgen wie Bd. I, 473 ff., zuerst also die rein 
vocalischen. Die einzelnen Wörter müssen hier in der thematischen 
Form verzeichnet werden. 

-a. Msc. gabaura Schmauserei, atgagga Zugang, fraleta Ver- 
gebung, qvuma Ankunft, thlauha Flucht, vaipa (vaipi?) Kranz, 
lauuavarga der Undankbare. Ungewiss, ob Msc. oder Ntr., sind 
skaudaraipa (skaudaraipi ?) Schuhriemen, andstalda Darreichung 
und '^'thuta Klang. Unbestimmt ist auch das Genus von *skauda 
Leder. Im Ganzen bildet also das Gothische nur sehr wenige 
neue Masculina auf blosses -a. 

Fem. *baira Birne, gabruka Brooken, fatha Zaun, gairda 
Gürtel, giltha Sichel, graba Graben, hiamma Schlinge, hrugga Stab, 
jiuka Streit, krusta (krusti?) das Knirschen, liuga Ehe, mota Zoll, 
staua Gericht, teva Ordnung, usvaurpa Auswurf, vinna (vinnön) 
Schmerz, vulva Raub, 



IV. Ableitung, alte EnduBgen. 93 

Ntr. gabanra die Steuer; andabeita Tadel, faiha Betrag, ana- 
filha Satzung; gafilha BegräbnisS; usfilha dsgl., friusa Frost, faura- 
haha Vorhang, baisa Fackel, andabaita Bekenntniss, gahaita Ver- 
beissung, brdta Dach, sildaleika Staunen, aviliuda Gnade, bimaita 
Bescbneidnng, unbimaita Nicbtbescbneidung, gamana Mitmensch, 
osmeta (yielleicht Msc.) Aufenthalt, andangma Annahme, bistnggqva 
Anstoss, gatbraska Dreschtenne, fraveita Bache, visa Meeresstille. 
Das Suffix scheint also eine gewisse Vorliebe für neutrale Function 
zu haben. 

Ädject. usdauda eifrig, *gafeha schicklich, unfröda thöricht, 
*grinda klein, gahaila ganz, unbaila kr^nk, hlasa freudig, hnaiva 
niedrig, gahvairba fügsam, hveilahvairba wetterwendisch, iusa gut, 
galauba werthvoll, filugalauba sehr werthyoll, hvSlauda wie gross, 
samalauda gleich gross, svalauda so gross, akranalausa fruchtlos^ 
andilausa endlos, vitddalausa gesetzlos, *aljaleika und *antharleika 
anders, lathaleika willig, '^'lubjaleisa giftkundig, fraleta freigelassen, 
*galinga falsch, liuta heuchlerisch, galuba kostbar, *muka sanft, 
^qyramma feucht, gareda und gariuda ehrbar, urrugka yerworfen, 
usskava vorsichtig, ungastotha unstät, svera geehrt, unsvera verachtet, 
gathanrba enthaltsam, *vairtha (and-, an-, jaind-, vithra-) gewendet, 
^balvaveisa boshaft, fullaveisa vollkommen, hindarveisa hinterlistig, 
nnfaurveisa unbedacht, invinda ungerecht, ^visa gewiss. Dazu 
kommt noch eine grosse Anzahl von Substantiven abgeleiteter 
Adjectiva: fidurdöga viertägig, ahtauddga achttägig, filufaiha mannig- 
fach, usfairina schuldlos, thrutsfiUa aussätzig, gafratbja verständig, 
grindafrathja kleinmüthig, samafrathja gleichgesinnt, gaguda fromm, 
afguda abgöttisch, unhveüa unablässig, "^inkiltha schwanger, aljakunja 
fremd, inkunja stammverwandt, unlSda arm, untilamalska unbesonnen, 
ainamunda einmüthig, andaneithafeindlich,^lausqvitbra leeren Magens, 
gasköha beschuht, untala ungehorsam, gatila passend, fullatoja voll- 
kommen, ubiltöja äbelthäterisch, unvaha untadlig, gavamma unrein, 
^aglaitivaurda unzüchtiges redend,*dvalavaurda thörichtes redend,^la- 
vaurda viel redend, lausavanrda unnützes redend, liugnavaurda lügne- 
risch, usvena hoffnungslos, invitöda gesetzlich; endUch gehören hieher 
wol noch *unaga furchtlos, *filudeisa schlau, fuUafaha genügend, 
*viljahaltha wohlwollend. 

Von Substantiven auf das Thema -an stammen gleichfalls einige 
Aöj. auf -a, nämlich inaha verständig, *harduhairta hartherzig, 
hraii\jahairta reinherzig, ^anavilja willig, silbavilja freiwillig. 

-1. Während schon im Urdeutschen (Bd. I, 475) dieses Suffij^ 
nur Masculina und Feminina, keine Neutra und Adjectiva bildete, 
wird es im Qothischen auch für die beiden ersten Klassen fast nur 



94 I^* Ableitang, alte Endungen. 

noch geduldet, kaum in einigen wenigen Beispielen neu ver 
Ich habe hier nichts zu nennen als '*^laudi Mann (in jnggal 
als Fem. yunni Schmerz, als zweifelhaften Geschlechtes staki 
Wundmaal; banri der Geborene muss schon dem Urdev 
zugeschrieben werden, seine Composita ainabauri der Einge 
und frnmabauri der Erstgeborene sind speciell gothisch. 

-n. Verglichen mit Bd. I, 475 zeigt sich, dass dieses 
vollends im Gothischen alle Lebenskraft eingebüsst hat; abj 
von den ans älterer Zeit ererbten Wörtern finden wir nur das 
Thema valu Stab, das also gleichfalls wol nur für unser 
ein speciell gothisches Wort sein wird. Die adverbialen F 
hardaba neben hardnba und glaggvaba neben glaggvuba 2 
dnss das Gothische selbst an dem geringen alten Bestände 
Bildungen zu rütteln beginnt. 

Wir gehn zu den Sufßxen über, welche einen einzigei 
sonanten enthalten. 

-ra. Der gothische Vorgang ist hier der, dass dies 
[Jrdeutschen noch völlig lebendige Suffix (vgl. Bd. I, 476] 
einziges neues Substantivum mehr bildet; auch von den Adj< 
sind nur ein Paar in eine so junge Periode zu setzen; ich 
gaura betrübt und vulthra werth; framaldra bejahrt scheint 
eine vorgothische Bildung zu sein. 

•la. Auch hier geht die urdeutsche Lebenskraft (Bd. 1 
fast völlig unter. Kein einziges neues Masculinum ist zu verzei 
als Fem. nur das einzige iusila Besserung, als Neutrum ni 
einzige fairveitla Schauspiel. Bei den Adjectiven zeigt siel 
gewisse schöpferische Thätigkeit in einigen Formen, die an 
skathuls, ags. scadal schädlich, also wol schon eine urde 
Bildung sich anlehnen; ich meine die Themen saknla streitsi 
slahula (neben slahala) zum Sehlagen geneigt und veinuli 
Trünke ergeben, so dass also mit vorhergehendem u das 
-la zum Ausdrucke einer bösen Neigung gebraucht wird. E 
-la verdunkeltes -lu ergiebt sich aus dem Thema aglu schwe 
aus dem Adverbium agluba zu schliessen ist. 

-ma. Noch weit mehr als die vorigen Suffixe hat dieses, 
für das Urdeutsche Bd. I 478 zu vergleichen ist, im Groth 
alle Lebenskraft eingebüsst; kein einziges Wort ist zu verzei 
worin diese Sprache durch -ma oder das daraus gesch^ 
-mi eine Neubildung versucht hätte. Bei den unten a 
wähnenden Erweiterungen des Suffixes zu -man ist das alle 
der Fall. 

Diesen verschiedenen Zfigen von verkümmerter alter L 



IV. AbleituQg, alte Endongen. 95 

kraft gegenüber entrollt sich nun im Folgenden ein gradesia ent- 
gegengesetztes Bild. 

•4U1. Die schon im Urdentscben sehr beliebte Erweiterung 
nominaler Stämme durch dies Suffix (vgl. Bd. 1,479 und 513) schreitet 
jedenfalls im Gothischen noch bedeutend weiter fort Manche hieher 
gehörige Bildungen sind gradezu dem Grothischen eigenthümlich, 
auch wenn dasselbe Wort in den andern deutschen Sprachen vor- 
kommt, wie goth. aizasmitha (Thema auf -an) Erzschmid gegen 
ah<L Sramid und ags. ärsmiö. Am meisten zeigt sich die Jugend 
dieses Suffixes in solchen Fällen, wo das Oothische eben herüber- 
genommene Fremdwörter schon damit bekleidet wie drakman, 
spjreidan, maimbranan, faskjan, aikklesjön, sogar Eigenuamen wie 
Nerin für Neri, Mailkin für Melki; dann aber auch in dem Neben- 
einanderstehn von Themen wie kauma und kauman, daura und 
dauran. Gleichfalls auf die unverkümmerte Lebendigkeit dieses 
Suffixes deutet es, dass die schwache Form von Adjectiven. z. B. 
die Themen blindan und tharban, zuweilen als Substantivum 
gebraucht wird. Aus den dem Gothischen eigenthümlichen Sub* 
stantiven sind hier zu nennen: 

Msc. a) einfache: aban Mann, ahan Verstand^ Hu tan Heuchler, 
n&tan Schififshintertheil, snagan Kleid, stauan Richter, vaihdtan 
Winkel, vilvan Bäuber; auch mannan Mann seheint diese Erweite- 
rung erst im Goth. erfahren zu haben; b) zusammengesetzte: bal- 
saggan Nacken, gadailan Theil nehmer, gadaukan Hausgenosse, 
uzetan Krippe, fauragaggan Vorsteher, gahlaiban Genosse, gajinkan 
Genosse, inkunjan Stammgenosse, galaistan Begleiter, galeikan 
Einverleibter, manleikan Bild,^ uslitban Gichtbrüchiger, ganauhan 
Genüge, aizasmithan Schmid, lukarnastathan Leuchter, ufarsvaran 
Meineidiger, gatauran Riss, unvitan Thörichter. 

Fem. a) einfache: arbjön Erbin, arm aiön Bannherzigkeit, a von 
Grossmutter, brinnön Fieber, daurön Thür, driusön Ahhang, mavilön 
Mägdlein, reirön das Zittern, stairön die Unfruchtbare, trigön 
Traurigkeit, theihvön Donner; b) zusammengesetzte: faihugeigon 
Habsucht, unhulthön Unhold, gajukön Glcichniss, brothralubön 
Bruderliebe, gamarkön Grenznachbarin, garaznön Nachbarin, vinthis- 
kauröi» Wnrfschaufel , daura vardon Thürhüterin, unvanrstvön un» 
tbärtiges Weib. 

]^tr* a) einfache skuldan das Schuldige, thairkan Loch; 
b) zusammengesetzte nur gajukan Genoss. 
. r «MBA (b- Bd. I) erscheint nur in d^n Msc, vigaaa Krieg und dem 
wabtscbeinlich femininen unsibjana Gesetzlosigkeit» Ob Idndina Statt- 
halter hieher oder zn -ina oder zu -na gehört, kann bezweifelt werden« 



gg IV. Ableitung, alte Endungea. 

-ina; hier haben wir zaerst einige Adjectiva anf »eins (Thema 
•eina) zu erwähnen, die den Bd. I; 482 genannten nrdeatschen 
entsprechen; speciell gothisch scheinen zu sein ahmeins geistig, 
geistlich, galaobeins gläubig, leikeins fleischlich, leiblich, liubadeins 
leuchtend, riqvizeins dunkel, sinteins täglich, sunjeins wahr. 

Femer ist das ganz vereinzelte Neutrum fadrein Vaterschaft 
anzufahren. 

Ausserdem aber benutzt das Gothische dieses SnfBx, Indem 
es dessen letzten Vocal zvTi schwächt, zu seiner eigentlichen Liel>- 
lingsbildnng, nämlich zu dem besonders für Abstracta, stets für 
Feminina gebrauchten -eini, -aini, -dni (Nom. -eins, -ains, -öns), 
das sich in jeder dieser drei Formen an eine der drei schwachen 
Conjngationen anlehnt und öfter auf Verba schliessen lässt, die in 
dem uns erhaltenen Sprachschatze nicht mehr begegnen. 

1) -eini, wie die Verba auf -jan bei weitem die häufigste 
Klasse. 

a)einfache .ahmateini Wehen des Geistes, Eingebung, balveini Qual, 
Pein, danpeini Taufe, dautheini Todesgefahr, fadreini Geschlecht, 
födeini Nahrung, Speise, göleini Gruss, bauheini Erhöhung, Ehre, 
hauneini Erniedrigung, Demuth, hanseini Gehör, hazeini Lob, hnaiveini 
Erniedrigung, hraineini Reinigung, kaureini Last, Beschwer, laiseini 
Lehre, liteini Fürbitte, liuhadeini Licht, Erleuchtung, marzeini 
Aergemiss, mathleini Rede, Sprache, mereini Verkündigung, Predigt, 
naseini Rettung, Heil, qvisteini Verderben, skeireini Erklärung, 
Auslegung, sökeini Untersuchung, Streitfrage, svikneini Reinigung, 
talzeini Lehre, Unterweisung, timreini Erbauung, tveifleini Ver- 
gessenheit, thiAeini das Schweigen, thintheini Güte, Segen, thraf- 
steini Trost. 

b) zusammengesetzte, von ganz besonderer Häufigkeit: bibanr* 
geini Befestigung, Lager, gableitheini Erbarmen, ufblöteini Gebot, 
Flehen, afdömeini Verdammung, faurdomeini Vorurtheil, gafSteini 
Schmuck, Kleidung, gafreideini Verschonung, Erhaltung, unfreideini 
NichtSchonung, usfiilleini Erfüllung, Fülle, gahauseini Gehör, das 
Anhören, uf hanseini Gehorsam, nfarhauseini das Ueberhören, 
ufhnaiveini Unterwerfung, gahraineini Reinigung, andhuleini Ent- 
hüllung, 0£fenbarung, unkaureini Unbeschwerlichkeit, aflageini Ab- 
legung, Vergebung, analageini Auflegung, faurlageini Vorlegmigy 
galaubeini Glaube, uslauseini Erlösung, usluneini Erlösung, 
inmaideini Veränderung, Vertauschung, Einlösung, gamalteini 
Auflösung, afmarzeini Aergemiss, Betrag, gamarzeini Aeif^emiss, 
frathjamarzeini Täuschung, gamaudeini Erinnerang, gam^eiiii 
Schrift, gilstrameleini Steuerbeschreibung, ufarmdldni Ueberschrift, 



IV. Ableitung, alte Endnngen. 97 

Failamereini frohe Botschaft, Predigt, vajamSreioi Läatemng, schlech- 
ter Raf^ fraqyiateini Verschwendung, garaideini Anordnung, Beget^ 
Richtschnur, garaihteini Wiederherstellnng, Besserung, nfarranneini 
Besprengnng, birddeini Gerede, Verleumdung, afsateini Absetzung^ 
gasateini Feststellung, Grundlegung, ussateini Ursprung, bisauleini 
Befleckung, gaskadveini Bedeckung, Kleidung, gaskaideini Scheidung, 
Unterschied, hlethrastakeini Laubbüttenfest, anastödeini Anfang, 
aftraanastödeini Wiederanfang, ufsvalleini das Anschwellen, der 
Hochmuth, distaheini Zerstreuung, ustaikueini Darstellung, Erweis, 
Beweis, gatimreini Erbauung, gathrafsteini Trost, usthröteini Uebung, 
gavaleini Wahl, usvalteini Umwälzung, Untergang, gavandeini 
Bekehrung, usvandeini Verfuhrung, fravardeini Verderben, gavargeini 
Verdammung, gavaseini Kleidung, unvereini Unwille, endlich eine 
Ableitung von einzeln stehender Art veitvodeini Zeugniss." 

2) -aini. a) einfache: bauaini Wohnung, leikaini Wohlgefallen 
n. s. w., libaini das Leben, lubaini Hoffnung, trauaini Vertrauen, 
Zuversicht, thulaini Geduld, vökaini Wachen; b) zusammengesetzte: 
gahöbaini Enthaltsamkeit, gahveilaini Verweilen, Ruhe, anakunnaini 
Lesung, bimnaini Anschlag, geheimer Beschluss, midjasveipaim 
Ueberschwemmung, Sündfluth, usthulaini Geduld, atvitaini Wahr- 
nehmung. 

3) -öni. a) einfache: aihtröni Bitte, Gebet, lathoni Einladung, 
Berufung, mitöni Gedanke, salböni Salbe, sunjöni Vertheidigung, 
Verantwortung; b) zusammengesetzte: gamitoni Gedanke. 

-na. Dies Bd. I, 482 besprochene Suifix wirkt im Gothischen 
nur mit massiger Lebensfähigkeit weiter, wenn wir von den eigent- 
lichen Participien der starken Verba absehn. Als Masculina erwähne 
ich hiaina Hügel, suthna Magen und faihuthraihua Reichthum, als 
Fem. nur smarna Mist, als Ntr. luna Lösegeld und andavieizna 
Angesicht. Unter den Adjeetiven sind diese Bildungen wol ganz 
erstorben, denn divana sterblich ist wol Partie, von divan (mortnus)i 
fulgina verborgen kann zum Suffixe -ina gehören; allenfalls ist ein 
"^usbeisna langmüthig zu schliessen aus usbeisuei (von beidan). 

-ni (Bd. I, 483) weist noch einige Neubildungen auf, nämlich 
röhsni Hof, usbeisni Langmuth, garebsni Rathschluss, andavizni 
Unterhalt, endlich das aus gavizneigs zu folgernde '*'gavizni Freudig-, 
keit, sämmtlich Feminina. Sie schliessen sich den eben verzeich- 
neten zahlreichen Bildungen auf -eini, -aini, öni als vierte Klasse an. 

Für das dunkelvocalige 'uu schafft das Gotbische nichts 
Neues mehr. 

-as (-isa). Einige gothische Wörter mögen dieses Bd. I, 512 
schon besprochene SufQx erst nach der Besonderung der Sprache 
Förstematm, Gesch, d, iL SpracAstafnmes, IL 7 



gg lY, Ableitung, alte Endungen. 

angenommen haben, namentlich hals Fackel, svartia TintCi theihs 
Zeit| thfivis Diener, gadigis Gebilde, Werk, nat&rlich alle neutral. Am 
angefahrten Orte wurde schon erwähnt, dass es vielleicht auch 
einigen Adjectiven angehörte, nämlich valis echt, vairs schlimm 
(aus vairsiza zu schliessen) und thruts verletzt (aus thrutsfills). 

-ja (vgl. Bd. I, 483). Hiemit betreten wir wiederum das 
Gebiet eines im Gotbischen, besonders bei neutralen Substantiven 
und bei Adjectiven, ausserordentlich lebendig gebliebenen Suffixes. 

Masc. (Nom. -eis oder -jis). 

a) einfache: nur raginja Rathgeber. b) zusammengesetzte: 
guthblostrja Gottesverehrer, vitödafastja Gesetzgeber, fanramathlja 
Sprecher, ganithja Verwandter, silbasiunja Augenzeuge, faurstassja 
Vorsteher, andastathja Widersacher. 

Fem, (Nom. -i oder -ja). 

a) einfache: brakja Kampf, frijondja Freundin, hulundja Höhle, 
hvilftija Sarg, hvöftulja das Rühmen, sunja Wahrheit, thiuja Magd, 
vipja Kranz, vralga Verfolgung, b) zusammengesetzte: thiudangarclja 
Königshaus, aihvatun^ja Dornstrauch. 

Ntr. (Nom. -i). 

a) einfache: aglaitja Unzucht, atathnja Jahr, az^tja Leichtigkeit, 
bamiskja Kindheit, biuhtja Gewohnheit, filigrja Versteck, frumistja 
Anfang, fulbsnja Geheimniss, fastubnja Fasten, Haltung (vielleicht 
zwei verschiedene Wörter), hauhistja höchste Höhe, stivitja Geduld, 
t§vja Schar von funfzigen, toja, tauja Werk, thiubja Diebstahl, 
Taggarja Kopfkissen, valdufnja Gewalt, vitubnja Kenntni^s. b) zu- 
sammengesetzte: andaugja Antlitz, mananija Gestalt, unbiarja Thier, 
fauradaurja Gasse, faurafillja Vorbaut, fauragaggja Vorsteheramt, 
unhailja Krankheit, andalaunja Lohn, unledja Armuth, galeikja Aehn- 
lichkeit, fauramatb^ja Vorsteheramt, ufarmSlja Ueberschrift, gamintl^a 
Gedächtniss, andanahtja Abend, haimöthlja Heimathsland, fidurra- 
gipja Vierffirstenamt, gariudja Ehrbarkeit, gaskalkja Mitknecht, 
unsutja Aufruhr, fauratanja Wunderzeichen, gathagkja Bedacht, 
andvairtlua Gegenwart, andavairtl^ja Preis, gavairthja Friede, lau- 
savaurdja (beschwätz, unvitja Unwissenheit, usvissja Eitelkeit. 

Ad). 

a) einfache: alSvja auf Oel bezSglich, *am)a sicher (aus amiba 
zu schliessen), sunja wahr, *vrSkja verfolgt (aus vrekein zu schliessen), 
Sonst sind die einfachen Adjcctiva dieser Klasse schon älter. Qe^ 
häufte Ableitung hat dauthublja zum Tode bestimmt 



IV. Ableitung, alte Endungen. 9g 

b) znsammeDgesetzte: nfaitbja vereidet, '^^gabaurja freudig (aus 
gabaorjaba za schliessen), gafaoija DüchterD, anfanrja geschwätzig, 
grindafratbja kleinmüthig, samafratbja einmätbig, ingardja im Hause 
befindlich, usgrudja träge, aihaimja von der Heimath entfernt, un- 
kaija sorglos, aljaknnja unverwandt, inkunja stammverwandt, un- 
darleija unterster, "^vaiamerja übellantend (aus vajamerein zu 
sehlieasen), vailamSrja löblich, andanemja angenehm, unnntja unnütz, 
unqvetbja unaussprechlich, bireikja (birekja) gefährdet, andasetja 
verabscheuungswerth, anasiunja sichtbar, uuandsökja unwiderleglich, 
^usstinrja ungezügelt (aus usstiuriba zu schliessen), *gatgmja ge- 
ziemend (aus gatemiba zu schliessen), fullatöja vollkommen, ubiltöja 
übelthäterisch, svultavairtl^a dem Tode nahe, veitvödja Zeugniss 
gebend. Hiezu kommen noch einige Adverbia auf -jö, die auf Ad- 
jectivamit-jazurückgehn: alakjo insgesammt, arvjö umsonst, thiubjö 
heimlich, uQö überflüssig, allandjd vollständig, audaugjö offenbar, 
gahahjö zusammenhangend. 

Man sieht in mehreren der eben erwähnten Fälle, wie leicht 
rieh das -ja an ein anderes schon im Worte vorhandenes SufBx 
anschliesst, doch ist diese Verbindung nirgends so innig, dass man 
beide Elemente vereint als eine einige neue SufQxbildung betrachten 
kann. 

Das ans -ja geschwächte -ju hat im Gothischen kein Leben 
mehr; drunjus, stubjus und vaddjus sind nur noch alte Erbstücke 
der Sprache. 

-va^ dessen Bildungstrieb wir schon Bd. I, 485 im Erlöschen 
sahen, führt nur noch ein kümmerliches Nachleben; zu erwähnen 
ist etwa das Thema unmanariggva ungezähmt. Aus haithivisks 
liesse sich auf ein Thema "^haithiva Haide schliessen. Ein ver- 
dunkeltes -vu von nicht ganz gewisser Natur begegnet in manvu 
bereit 

-ka, (vgl. Bd. I, 485). Von neu gebildeten Substantiven mit 
diesem Suffixe hat das Gothische keine Spur. Ueber die Adjectiva 
findet man eine Sammlung in Benfey's Orient und Occident H, 79 f Auf 
-ahs und -ags gehn aus bairgahs bergig (das aus bairgahei zu 
schliessen ist), vaurthahs wörtlich, vulthags herrlich, unbarnahs 
kinderlos. Der I-Vocal erscheint (ähnlich wie bei dem Suffixe 
•ina == -eina) stets in verlängerter Gestalt, z. B. in thiutheigs gut, 
gesegnet, uhteigs (uhtiugs) Zeit habend, vaurstveigs wirksam, us- 
beisneigs langmüthig, geduldig, gavairtheigs friedfertig, gavizneigs 
freudig; daran schliesst sich das Adverbium vitödeigö gesetzmässig, 
recht. Vereinzelt steht das vielleicht nicht hieher gehörige tharihs 
fest, dicht; eben so das Adverbium alakjo insgesammt vom Stamme 



100 IV. Ableitung, alte Endungen. 

ala, alla. Das Substantivum ajukduths Ewigkeit weist auf einen 
Adjectivstamm *ajaka oder *ajuha zurück. Auch dem erweiterten 
Plural brötbrabans Gebrüder liegt dies Suffix zu Grunde. Ein aus 
-ka geschwäcbtes -ki findet sich möglicherweise in dem wahr- 
scheinlich femininen Stamme ahaki Taube. 

-ta. Bei den Substantiven, bei denen (s. Bd. I, 486) dieses 
Suffix noch im Urdeutschen allen drei Geschlechtern gemeinsam 
war; zieht es seine Thätigkeit im Gkithischen ganz auf die Feminina 
zurück, die freilich schon urdeutsch an Zahl überwogen. Seine 
gewöhnliche Gestalt ist hier -itha, wovon folgende Fälle gothische 
Neubildungen zu sein scheinen: 

a) einfache: aglitha Trübsal, Schmerz, gauritha Betrübniss, 
Traurigkeit, hlutritha Lauterkeit, kanritha Last, manvitha Bereite 
Schaft, niujitha Neuheit, qvrammitha Feuchtigkeit, svegnitha Froh- 
locken, Freude, sveritha Ehre, Achtung, sviknitha Reinheit, Keusch- 
heit, tulgitha Befestigung, Grundfeste, thvastitha Sicherheit, vargitha 
Verdammniss; in authida Wüste hat man wahrscheinlich zwei hinter 
einander mit ih anlautende Sylben vermeiden wollen; 

b) zusammengesetzte: afgrnnditha Abgrund, armahairtitha Barm- 
herzigkeit, ainamunditha Einmüthigkeit, ananii\jitha Neuheit, inniu* 
jitha Fest der Erneuerung des Tempels, invinditha Ungerechtigkeit. 

Vielleicht können hieher noch gehören fatha Zaun (synkopirt 
aus fahitha?), sleitha Schaden und '^uhta Zeit, Müsse (zu folgern 
aus uhteigs). 

An die schwachen Verba auf -6n schliesst sich nur das einzige 
gaunötha Trauer, Klage an; anderes der Art ist sicher untergegangen. 

Das masculine oder neutrale Thema gramsta Splitter von un- 
bekannter Etymologie mag neben allen diesen Femininen wenigstens 
noch erwähnt werden. 

Die Adjectiva dieser Bildung, bei denen wir aber von den 
gewöhnlichen Participien schwacher Verba absehn, zeigen imGothi- 
scben noch eine Anzahl ihm eigenthümlicher Beispiele; dass der 
Dental hier in allen drei möglichen Gestalten erscheint, liegt an 
theils gothischen tbeils urdeutschen Lautgesetzen, deren Besprechung 
nicht mehr hieher gehört. So haben wir 

a) die Gestalt -ta in unatgahta unzugänglich, andathahta be- 
dächtig, hauhthuhta und mikilthuhta hochmüthig, binhta gewöhnlich, 
usvaurhta gerecht, Adv. unsahtaba unbestritten, ushaista bedürftig, 
auch wol in azSta leicht. 

b) die Gestalt -tha in hvelautha wie gross, svalautha so gross^ 
juggalauiha Jüngling, unbeistjötha ungesäuert, aljaleikotha andera 
gebildet, afmauitha ermüdet, unqvenitha unbeweibt« 



IV. Ableitung, alte Endungen. XOl 

c) die Gestalt -da in airthakunda von irdischer Abkanft, göda- 
kanda von guter Abknnft, gnmakunda männlich, himinakunda himm- 
liäcb, innaknuda zum Hause gehörig^ qvinaknnda weiblich^ ferner 
in aglaitgastalda nach scbimpäichem Gewinne trachtend, dann im 
Adverbinm unfairinodaba schuldlos, endlich in dem Thema '*^frnmada 
der Erste, das aas frumadein Vorrang zu erscbliessen ist. 

-ti erhält sich wie -ta vollkommen lebendig und zwar ganz 
in der Sphaere, die wir für das ürdeutsche Bd. I, 487 kennen 
lernten, d. h. es fehlt bei Adjectiven und bei Substantiven NentriSy 
ist selten bei Masculinen und häufig. bei Femininen. Als muthmass- 
licb gothische Neubildungen haben wir bei den Masculinen nur zu 
erwähnen bansti Scheuer, frasti Kind, saudi (santhi) Opfer und ga- 
drauhti Krieger; bei den Femininen folgende: 

a) einfache: aihti Eigenthnm, aldi, althi Zeit, dauhti Gastmahl, 
fahedi, fahethi Freude, fulleithi Fülle, mitadi, mitathi Mass; 

b) zusammengesetzte: taurhauhti Loskaufung, alabrunsti Brand- 
opfer, usdrusti Ausfall, gaiaurdi Gerieht, fragifti Verleihung, ga- 
grSfti Beschluss, innatgahti Eingang, andahafti Erwiderung, gakunthi 
Erscheinung, gakusti Prüfung, frisahti Bild, gasahti Vorwarf, insahti 
Beweis, ustauhti Vollendung, gataurthi Zerstörung, gathlaihti Trost. 

-tn bleibt noch im Gothischen für Mascnlina lebendig, ganz 
so wie wir es Bd. I, 488 im Urdeutschen gesehn haben; doch be- 
schränken sich die Neubildungen ganz auf die specielle Form -ödu, 
also auf Ableitungen von den schwachen Verben auf -on; so haben 
wir auhjödu Lärm von auhjön, vratödu ßeise von vratön, gabaur- 
jöthu Wollast setzt ein ^gabaurjön voraus, und nach derselben 
Analogie ist mannisködu Menschlichkeit gebildet, ganz so wie etwa 
die lateinischen Thenen senatu, magistratu. 

Hiemit ist die Uebersicht über die Endungen mit einem Con- 
sonanten geschlossen ; wir kommen nun zu den mehrconsonantigen 
Suffixen, bei denen wir aber die im dritten Buche beobachtete 
Ordnung in so fern unterbrechen müssen, als wir die indoger- 
manischen Bildungen, welcheBd. 1, 489 — 494, die slavogermanischen^ 
welche 510 — 511, und die urdeutschen, welche 511 — 516 behandelt 
wurden, nun in ein Alphabet zusammenzufassen haben, da es für das 
Gothische gleichgültig ist, aus wie alter vorgothischer Zeit eine 
Formation stammt 

-ro; hierüber wurde Bd. I, 489 schon erwähnt, dass diese 
Bildung schon im Urdeutschen ihr Leben verloren hiat und nur das 
goth. Thema ^iduvaiman den Schein einer neuen Schöpfung bewahrt, 

-arja (Bd. I, 489) behält sein urdeutsches reges Leben noch 
im Gothischen; davon geben noch mötarja Zöllner, vullarja Tuch- 



102 1^* Ableitung, alte Endungen. 

Walker und das zasammengesetzte vitödalaisaija Schriftgelebrter 
Zeagoiss; wir würden gewiss viel mehr Beispiele kennen^ wenn der 
Text des neuen Testamentes dazu mehr Anlass gegeben hätte. 

-lau und -Ion (Bd. I, 513) erhält sieh gleichfalls noch lebendig; 
für ersteres haben wir das Msc. magalan Knäbchen and das Neutrum 
barnilan Kindchen, für letzteres die Feminina aglön Trübsal, inilön 
Entschuldigung und mavilön Mädchen, wovon doch das mittlere in 
seiner Bildung nicht ganz sicher ist. 

-linga (Bd. I, 516) scheint kein speciell gothisches Eigenthum 
mehr zu erzeugen. 

-man und -mön sind theils indogermanische Formationen (Bd. 
I, 489) theils urdeutsche (Bd. I; 513). Sie zeigen sich, abgesebn 
von den im dritten Buche schon besprochenen Comparativen und 
Superlativen, als eigentlich gothische Bildung in den Masculinen 
ahman Geist, hiuhman Haufen, hliuman Gehör, aldoman oder aldomin 
Alter, auch in dem nur schwach vorkommenden Adjectivum usfilman 
erschrocken, dann aber in dem Fem. klismön Schelle und vielleicht 
mammon Fleisch. Weitere Ableitungen scheinen sich an dies Suffix 
anzusetzen im Verbum glitmunjan glänzen und im femininem Thema 
lauhmönja (lauhmunja) Blitz. 

•mista (Bd. 1, 516) istspeciell gothisch in aftumista der letzte, auhn- 
mista der höchste, hindumista der hinterste und spedamista der letzte. 

-inga^ welches Bd. I, 511 erwähnt wurde, hat durchaus nicht 
mehr die Lebendigkeit, welche es in den andern deutschen Sprach- 
zweigen bewahrt; kein einziges speciell gothisches Subst. oder Adj. 
lässt sich anführen, höchstens das Adverbium unveniggo. 

-anda^ die Bd. I, 513 besprochene Form der praesentischen 
Participia, zeigt sich noch in den speciell gothischen Substantiven 
allvaldanda Allmächtiger, gardavaldanda Hausherr, mithgaleikönda 
Nachahmer, im Adjectivum bldtharinnanda blutflüssig und im Fem. 
frijondi Freundin. Mit Vocalverdunkelnng müssen wir bieher auch 
das Adv. sniumundö eilig rechnen. 

-andan, die erweiterte Gestalt des Participiums, theilt das 
Gothische mit dem Urdentschen, s. Bd. I, 514. 

-inassn^ diese sprachgeschichtlich schwierige Erweiterung des 
indogermanischen -astu, welche in dieser Gestalt eigentlich ein 
speciell gothisches Suifix ist, wurde schon Bd. I, 516 besprochen 
und es sind zu den dort angeführten Formen höchstens noch fran- 
jinassu und skalkinassu hinzuzufügen. Ufarassu ist das einzige Wort, 
welches sich noch der einfacheren alten Gestalt des Suffixes bedient 

-isan und -ftsan wurden Bd. I, 515 als die beiden urdeutschen 
Formen, in welche sich das indogermanische Comparativsuf&x -jans, 



ly. Ableitung, alte Endungen. X03 

V 

-ijans gespalten hat, näher erwogen. Nenes fdr das Qotbische ist 
hierüber nicht zu bemerken; die gothischen Formen anf -izan und 
-özan sammelt Leo Meyer gothische Sprache Seite 179, die 
dazn gehörigen Adverbia S. 181 Bemerkenswerth sind etwa als 
eigenthümlich die Adverbia sniamnndös anovdaunBqiDg und alja- 
leikös hiQ(og. 

Hsala (s. Bd. I; 490) hat im Gothischen seine Lebenskraft 
noch nicht eingebSsst; wir finden als neue Beispiele hier die Neutra 
Bvartisla Schwärze, svumfsla Teich, threihsla Bedrängniss, vielleicht 
auch sköhsla böser Geist; wenn es von unserm Scheusal ganz 
unabhängig sein sollte. Leo Meyer spricht weiter über diese For- 
mationen in Kuhn's Zeitschn VII, 131. 

-iska (s. Bd. I^ 490) bleibt gothisch als AdjectivsufBx erhalten, 
doch sind dieser Sprache keine weiteren Wörter eigenthümlich als 
füniska feurig und gndiska göttlich. 

•ista als Superlativsuffix fand seine Stelle Bd. I, 491; die 
jüngere Nebenform hat sich gothisch nur in den beiden Beispielen 
armosta und lasivosta entwickelt. 

Hsta^ -sti^ HStn^ Hstra^ diese bloss euphonischen Erweiterungen 
älterer DentalsufBxe, sind schon Bd. I, 510 und 511 erwogen und 
auch manche gothische Beispiele davon angeführt; als speciell 
gothisch könnten wir nur das aus dem Verbum naviströn zu folgernde 
*nayistra Grab erwähnen. Formen wie blostra, gakusti u. dgK 
gehören natürlich nicht hieben 

-astn hat sich, wie wir eben sahen, nur in ufarassu erhalten 
und ist sonst ganz in erweitertes -inassu übergegangen. 

Während bis hieher die mehreonsonantigen Suffixe durchaus 
nicht so stark im Gothischen wuchern, dass sie irgendwie erheblich 
zu dem eigenthümlichen Gepräge der Sprache beitragen, ist es 
wiederum , wie schon oben, eine mit J beginnende Bildungsweise^ 
die ganz hervorragend dem Gothischen seinen specifischen Charakter 
giebt: 

-Jan und -jön^ worüber man fdr die ältere Formation Bd. I, 
491, für die jüngeren Bd. I, 514 vergleiche, obwol sich die an 
letzterer Stelle gegebenen Beispiele von Uebereinstimmungen unter 
den deutschen Sprachen noch ganz bedeutend vermehren lassen* 
Specieller dem Gothischen gehört folgendes an : 

1) Masculina. 

a) Einfaches: aurtjan Gärtner, bandjan Gefangener, baurgjan 
Bürger, fiskjan Fischer, gaiyan Ganbewohner, hauriyan Trompeteri 



;104 IV. Ableitung, alte Endungeik. 

kacyan Töpfer, liagnjan Lügner, nehvandjan Nächster, skiljan 
Fleischer, svigljan Pfeifer, timrjan Zimmermann^ vardjan Wärter, 
vanrstjan Arbeiter. 

b) Zusammengesetztes: gaarbjan Erbe, vaidSdjan UebelthiUer, 
afdrugkjan Trunkenbold, ufargadjan Oberpriester, afe^an Esser, 
gabaurgjan Mitbürger, fauragaggjan Vor3teber, ingardjan Hansgenoss, 
bihaitjan Prahler, dulgahaifjan Gläubiger, inknujan Hausgenoss, 
gamainjan Theilnehmer, manamaurthrjan Mörder, svnltavairtbjan 
ein dem Tode Naher. Ganz vereinzelt neben allen diesen Bezeich- 
nungen von Personen ibdaljan Abhang. 

2) Feminina, 

a) in der Gestalt -ein: 

a) Einfaches: airzein Irrthum, audagein Seligkeit, bairgahein 
Berggegend, barniskeiu Kinderei, baurein Bürde, bleithein Mitleid, 
daubein Taubheit, digrein Dichte, Menge, frumadein Vorrang, 
gabein Reichthum, gaurein Betrübniss, hiasein Fröhlichkeit, hraineio 
Reinigkeit, kaurein Fülle, kilthein Mutterleib, liuhadein Licht, liutein 
Heuchelei, magadein Jnngfrauschaft, mundrein Ziel, naqvadein Nackt- 
heit, qvairrein Sanftmuth, riurein Vergänglichkeit, seiein Güte, 
sleithein Gefahr, snutrein Weisheit, sverein Ehre, sviknein Reinheit, 
svinthein Stärke, tbramstein Heuschrecke, thvairhein Zorn, vanrst- 
vein Verrichtung, veitvodein Zeugniss. 

ß) Zusammengesetztes: unagein Furchtlosigkeit, gaaggrein 
Beengung, inahein Sittsamkeit, gabairhtein Erscheinung, usbeisnein 
Geduld, tbrasabalthein Frechheit, usbeistein das IJngesäuertsein, 
usdandein Eifer, filudeisein Schlauheit, undivanein Unsterblichkeit, 
ainfalthein Einfalt, usfilmein Schrecken, faihufrikein Habsucht, 
faihugaimein Habsucht, gastigödein Gastfreundschaft, gagndein 
Frömmigkeit, afgudein Gottlosigkeit, armahairtein Barmherzigkeit, 
hauhhairtein Hochmnth, harduhairtein Hartherzigkeit, viljahalthein 
Gunst, niuklahein Kleinmuth, analaugnein Verborgenheit, lubja- 
leisein Giftknnde, antharleikein Verschiedenheit, ofarmaudein Ver- 
gessenheit, vajamerein Lästerung, mukamödein Sanftmuth, laus- 
qvithrein Nüchternheit, bireikein Gefahr, unsSleiu Bosheit, gutha- 
skaunein Gottesgestalt, usstiurein Ausschweifung, unsverein Schande^ 
alls verein Achtung gegen Jedermann, unvammein Reinheit, aglaiti- 
vaurdein unschickliche Rede , dvalavaurdein thörichtes Reden, 
filuvaurdein Schwatzhaftigkeit, lausavaurdein unnützes Geschwätz, 
bindarveisein Hinterlist, balvavesein Bosheit, anverein (oder -eina) 
Unwille, anaviljein Willigkeiti mithvissein Mitwissen» 



IV. Ableitung, alte Endungen. 105 

b) in der Gestalt -jön: 

a) einfaches: arbjön Erbin, mitadjon Mass, iumjon Menge, 
sakjön Streit, snorjon Flechtwerk, vaihjön Kampf, vielleicht auch 
kalkjön Hnre. 

ß) zusammengesetztes: garunjon Ueberschwemmuug, gariudjon 
Scbamhaftigkeit, gatimrjön Gebäude. 

3) Neutra. Nur das Fremdwort sigljan Siegel. 

-vat (Bd. 1, 492). Hierüber ist bereits im dritten Buche mit- 
getheilt, was sich von unsicheren Spuren dieser Bildung im Deut- 
schen anführen lässt. 

-tar, -tara^ -tra^ diese drei zusammengehörigen Formen, die 
Bd. I, 492 besprochen wurden, führen nur in der letzten Gestalt 
ein Nachleben im Gothischcn. Hier ist zu erwähnen smairthra 
(Ntr.) Fett, dann aber einige andere Neutra, die wenigstens aus 
weiteren Bildungen geschlossen werden können: *aihtra Bitte, (aus 
aihtron), *bl6stra Verehrung (aus guthblostreis, Thema -ja), *hvi]ftra 
Wölbung (aus hvilftri, Thema -ja), *uavistra Grab (aus navistron), 
*qvithra Magen (aus lausqvithrs). Das Msc. spaiskuldra Speichel 
and das Fem. saldra Possen werden ebenfalls hieher zu stellen 
seio, nicht aber etwa das Thema mundrein Ziel, das zu mundön 
gehört. 

-taman (Bd. I, 514); dies erweiterte Superlativsuffix ist dem 
Gothischcn eigenthümlich in den Themen aftuman der Letzte, 
iftuman der Nächste und dem nicht ganz sicher hieher gehörigen 
bleiduman link; aus den noch mehr erweiterten Formen hindumista 
und spedumista sind ähnliche Bildungen zu crschliessen. 

-tja (Bd. I, 493) ist dem Gothischcn eigenthümlich in stivitja 
[Ntr.) Geduld und gaminthja (Ntr.) Gedächtniss, die doch kaum 
berechtigen von einem Nachleben dieses Suffixes zu reden, eben 
30 wenig wie die Erweiterungen zu -tjan und -tjOn in den Femi- 
uinen kilthein Mutterleib und mitadjon Mass. 

-tva (Bd. I, 494), das sich noch im Urdeutschen als lebendig 
erwies, hat auch noch einige specicll gotbische Beispiele; am 
klarsten sind die Feminina fijathva Feindschaft und frijathva Liebe, 
ftuch bandva Zeichen wird hieher gehören, was bei nidva Rost 
zweifelhaft ist. Dazu kommen die Neutra vaurstva Werk und 
gaidva Mangel. 

Von -tati und -tutl endlich wurden Bd. I, 494 die wenigen 
gotbischen Spuren erwähnt und mussten dort erwähnt werden, da 
die andern deutschen Sprachen nichts Aehnliches mehr aufweisen. 



106 IV. Ableitung, alte Endungen. 

Die alten nominalen Bildungen im Gotbisehen sind damit^ 
abgeschlossen; wir kommen zu den Verben nnd zwar zuerst zn . 
den drei gewöhnlichen Klassen schwacher Verba, für die wir Ver- 
zeichnisse des speciell gotbisehen Eigenthnms aafzustellen habeni 
wie wir es Bd. I, 495 ff. mit dem urdentscben thaten. 

1) Die ja-Gonjugation: abijan staunen, algan glauben^ airjan 
danern, aljan nähren (geht altn. n. ags. stark), balvjan quälen, 
barnsnjan kindlich ehren, bangjan fegen, beistjan säuern, blautlgan 
abschaffen, (us-) daudjan sich bestreben., danjan tödten, fetjan 
schmücken, (ns-) fratvjan ausrüsten, frisahtjan abbilden, fullafahjan 
dienen, fullafrathjan bei yoUem Verstände sein, gabigjan bereichern, 
gansjan verursachen, gaurjan betrüben, glitmunjan glänzen, göljan 
grüssen, haifstjan streiten, haurnjan das Hom blasen, hleitbrjan ein 
Zelt machen, huhjan sammeln? kaupatjan ohrfeigen, kaurjan drücken, 
klismjan klingeln, kumbjan sich legen (lat. Fremdwort), unle^jan 
arm machen, mahtjan Gewalt anthun, manvjan bereiten, maudjan 
erinnern, maurgjan kürzen, faurmuljan das Maul verbinden, plinsjan 
tanzen (slav. Fremdwort), rauhtjan zürnen, riqvi^^an verfinstern, 
saljan beherbergen, sigljan siegeln, (lat. Fremdwort), sildaleikjan 
staunen, sipönjan Schüler sein (wol slay. Fremdwort), usskavjan 
herausreissen, slauthjan ins Gleis bringen? sleithjan beschädigen, 
stödjan feststellen? sv6gnjan frohlocken, svikuntlyan offenbaren, 
svögatjan seufzen, talzjan belehren, tarmjan hervorbrechen, tamjan 
berauben, tevjan ordnen, trusgjan pfropfen, trusnjan sprengen, 
thiuthjan segnen, thlahsjan schrecken, thrötlgan üben, (us-) thuljan 
dulden, thvastjan befestigen, ufarassjan Ueberfluss machen, (ga-) 
gavairthjan versöhnen, veitvödjan bezeugen, (fair-) veitjan umher- 
spähen, vlizjan ins Gesicht schlagen. 

2) Die 6-Gonjngation: aihtron erbitten, airinön Bote sein, 
aiviskön schmähen, auhjön lärmen, aviliudön preisen, drauhtinön 
Kriegsdienste thun, faihön betrügen, fraujinon herrschen (ahd. fron- 
jan ist wol jüngere Bildung), gaunön trauern, grSdön hungern, gnd- 
jinon ein Priesteramt versehen, hatizön zürnen, hausjdn hören, 
kaupon handeln (slav. Fremdwort), kr5ton zermalmen, (ufar-) roun- 
non vergessen, navistron begraben, gapaidon bekleiden, rahtön 
reichen (mhd. rahten?), skalkinon dienen, suigdn rechtfertigen, sutb- 
jdn kitzeln, thiudanön König sein, valvisön sich wälzen, vithon 
schütteln, vizdn leben. 

3) Die ai-Conjugation: (in-) feiuan sich erbarmen, (ga-, faihu-) 
geigan gewinnen, geldgierig sein, hruskan prüfen? jiukan kämpfen, 
siegen, liugan heirathen, reiran zittern, sveran ehren, gatharban sich 
eq^halten, vunap sich freuen. 



IV. Ableitung, alte Endungen. 107 

Hier könDcn wir einmal an einem bestimmten Stoffe sehn, wie 
sieh, so weit unsere jetzige Kenntniss reicht, die nrdentsohe 
Sprach thätigkeit ihrer Stärke nach zur gothischen verhält. Wir 
fanden im dritten Bache fär die ja-Gonjngation 229, für die ö-Gon- 
jagation 66, fär die ai-Conjugation 19 Verba; im Gothischen ent- 
sprechen dem nach den eben mitgetheilten Verzeichnissen die 
Zahlen 65, 26 nnd 9. Das heisst, für die ja-Conj. fanden wir im 
Goth. 28 Procent, für die ö-Gonj. 39 Procent, für die ai-Conj. 47 
Procent von der Anzahl der nrdentschen Nenbil düngen, also darcb- 
aas noch keine Spar davon, dass das Gothische etwa die seltnere 
Weise auf Kosten der reicheren unterdrücken will. 

Auch die Bd. I, 505 erwähnten Ableitangen schwacher Verba 
fon abgeleiteten Substantiven kommen bei mehreren speciell goth. 
Verben vor: 

1) -ina -f- j^: airinön Bote sein, drauhtinon Kriegsdienste than, 
fraajinön herrschen, gudjinon ein Priesteramt versehen, skalkinon 
dienen, thiadanön König sein; Leo Meyer spricht über diese 
Bildongen S. 225; 

2) -isa -}- ja: hatizön zürnen, valvisön sich wälzen; 

3) -ta Hh JA* kanpatjan (fremder Stamm) Ohrfeigen geben, 
svöga^an seufzen, dazu noch das aas ahmateins zu folgernde 
*ahma^ac begeistern; 

4) -iska -4~ JA* aiviskon schmähen. 

Ausser den mit dem Elemente -Ja gebildeten Verben sind es 
zweitens jene passiven auf -na, die bereits Bd. I, 506 ff. bebandelt 
wurden, auf die wir nun unsem Blick zu richten haben. Näher 
als an jener Stelle betrachtet zerfallen die dem Gothischen eigen- 
thümlichen Verba dieser Art in zwei Klassen: 

1) solche, die sich an starke Verba anlehnen: auknan (aukan), 
osbmknan (brikan), andbundnan (bindan), usgutnan (giutan), ufar- 
hafnan (haQan), hnupnan, dishnupnan (hniupan), andletnan (IStan), 
aflifnan (leiban), ga-, usluknan (lükan), gaskaidnan (skaidan), dis- 
skritnan (skreitan), af-, dis-, gataurnan (tairan), also von den ver- 
schiedensten Gonjugationen der starken Verba; 

2) solche, die von schwachen Verben stammen : afdaubnan 
(danbjan), dauthnan (dautlyan), dröbnan (drobjan), afdumbnan 
(*dumbjan),gafrisahtnan (frisahtjan), fuUnan (fnlljan), gabignan (gabig- 
jan), ganöhnan (ganöhjan), gahaftnan (haftjan), gahailnan (hai^jan), 
ushauhnan (haulüan)i afhvapnan (aihvapjan), managnan (managjan)^ 
mikilnan (mikiljan), usmeman (usroerjan), minznan ('^ins^an), fra- 
qvistnan (qvis^an), usrumnan (^umjan), bisaulnan (sauljan), silda- 
leiknan (sildaleikjan), afslauthnan (afslauthjan), gastaarknan (staurk- 



108 ^V. Ableitung, alte EadangeiL 

Jan), 8?intbnBn(8yiiithjan), tOQdDaD(*tnndjan),gathlab8Daii(thlahsjaD) 
gagavairthnan (gagavairthjan) ui^ veihnan (vdhan). Nnr d 
letzte dieser Verba stammt aus der ai-Oon)ugatioD, jedeDfallg wege 
ihrer nahen BerUbrang mit den starken Verben, alle übrigen an 
der ja-ConJng.; die ö-Conjag. hat überhaupt keine Beziehung zn 
diesen passiven Verben. Schliesslich citire ich für diese noch Leo 
Meyer goth. Sprache S. 216 f. 

Gleichfalls an die starken Passivparticipia sich anschliessend, 
aber von der eben erwähnten Klasse ganz verschieden und gewiss 
von jüngerer Bildung sind die goth. Verba gastothanan aofrichten 
und gaalnanau verlassen. 

Aaf diese beiden Arten, die dreigestaltigen Verba mit dem 
Elemente -ja und die passiven mit -na beschränkt sieh hier die 
got bische Sprachthätigkeif. Die sechs andern verbabildenden 
Elemente, welche das erste Bnch verzeichnete, sind bereits Bd. I, 
506 als im Urdeatscben verdorrt angesehn worden. Um so weniger 
ist hier ein gothiscbes Sprachleben zu erwarten; wenn das für 
uns speciell gothiscbe Verbum hninpan^ hnupnan wirklich dem 
griech. xvvio entspricht, so mag die Erweiterung durch den Labial 
irgend einer andern Sprachperiode angehören, eine gothiscbe 
Thätigkeit liegt darin gewiss nicht. 

Weiter ist noch zu erwägen, wie weit etwa im Gebiete der 
Partikeln das Gothiscbe die ererbten Bildungsweisen noch selb- 
ständig verwendet. Hier haben wir es, abgesehn von instmmen- 
talen Formen wie hve, svare, svasve, mit den sechs Arten zu thun, 
die zuletzt im dritten Buche Bd. I, 508 durchgegangen wurden: 

1) Indogerm. -m, urdeutsch -na; im Gothischen fanden wir 
an der angeführten Stelle Formen mit erhaltenem Endvocal neben 
solchen mit Apokope. Je eine beider Formen zeigt sich auch 
bei den dem Gothischen eigenthümlichen Wörtern, die erstere in 
iupana von Alters her, die zweite in suman einst, ehemals. 

2) Indogerm. -va hat kein Leben mehr im Gothischen. 

3) Indogerm. -ät, nrd. -ä, ö. Gothisch scheint trotz des Ueber- 
haudnebmeus der Endung -ba doch immer noch das -o zur Neu* 
bildung von Adverbien verwandt zu sein. Beispiele sind aljaleikö 
anders, allandjö vollständig, vollkommen, antharleiko anders, aufto, 
uftö etwa, vielleicht, arvjö umsonst, unentgeltlich, alakjo insgesammt, 
zusammen, hveilöhun eine Zeit lang, sinteino immer, sprauto schnell, 
thiubjö heimlich, uasindö ausnehmend, sehr. Neben diesen Formen 
scheint sich in einigen auch schon gothisch die Verkürzung des 
Vocals zu zeigen, welche in den andern deutschen Sprachen durch- 
dringt; ich meine die Adverbia dalatha unten, inna innen, Uta 




IV. Ableitnng, alte Endungen. 1Q9 

^uiflseD, nfarjaina darüber hinaus; vielleicht ist denselben auch die 
Coojanction alja (nur, sondern) anzuschliessen. 

4) Indogerm. -dha, urd. -th; es zeigt sich gothisch noch lebendig 
in aljath anderswohin, dalath abwärts, hvath wohin (thishvadnh 
wohin nur immer) und dem aas faarthis (vorher, früher) zu folgern- 
den *faartb. 

5) Indogerm. -bhi, nrdeutsch -ba. Im Urdentschen scheint 
diese Bildungsweise nur wenigen Ableitungen, namentlich von 
Pronominalstämmen angehört zu haben; im Gothischen dagegen 
breitet sie sich bis zur Bedeutung des allgemeinsten Adverbial- 
suffixes aus, wodurch die andere allgemeine Endung, jenes aus 
-ät entsprungene -ö^ sehr in den Hintergrund gedrängt wird. Wir 
liaben für -ba eben seiner Allgemeinheit wegen keine besondere 
Sammlung anzulegen; man findet die dazu gehörenden Formen bei 
Leo Meyer goth. Sprache S. 67 ff. zusammen. Zu erwähnen ist 
amiba sicher, behutsam,^ ohne entsprechendes Adjectivum. 

6) Indogerm. -tra. Von den drei Formen, in welche sich nach 
Bd. I, 509 im Urdeutschen die Bildung spaltet, ist die erste, -thra, 
im Gothischen nicht mehr zu Neubildungen verwendet worden. Die 
zweite, -tfarä, erscheint als goth. -thro in allathrö von allen Seiten, 
aljathrö anderswoher und andern am angeführten Orte schon ver- 
zeichneten Formen, in ihrer Nebengestalt -dre in jaindrg dorthin, 
hvadre wohin, hidre hieher. Die dritte Form endlich, -r, begegnet 
in den speciell gothischen Wörtern aljar anderswohin und jainar 
dort, mit weiteren Znsätzen in thishvaruh wo nur immer, undarö 
dmnter, aftarö hinten, nach. 

Neben diesen sechs uralten Bildungsweisen von Adverbien hat 
nun, wie wir Bd. I, 519 und' 596 sahen, das Urdentsche auch 
genetivische Formen in adverbialem Sinne verwandt Dem Gothi- 
schen sind einige derselben eigenthümlich, wie diese Bildung auch 
noch in jüngeren Sprachen sich völlig lebendig erhält. Ich erwähne 
filans um vieles (bei Gomparativen), framvigis fortwährend, für 
immer, allis überhaupt, gar, raihtis denn, nämlich, suns bald, plötz- 
lich (suns-aiv sogleich); auch halisaiv kaum wird eine solche Bild- 
ung enthalten. Die Adverbis thishun, thishvadnh, thishvah, thishvaruh, 
haben in ihrem ersten Theile Genetive des Pronotninalstammes 
tha. Bei aljaleikös anders und bei anaks plötzlich ist man nicht 
recht sicher, ob hier solche genetivische Formen vorliegen. Adverbia 
in der Form des Dat. Plur. fehlen noch im Gothischen. 

2. Bildung und Gebrauch neuer Endungen« 

Wir sahen Bd. I, 512> dass das Urdeutsehe die Neigung hat 



)|0 IV. Ableitang, neue Endangeo. 

lüte Safixe durch angehängtes a zu erweitern. Im Gk>th. kommi 
diese Neigung zum Stillstände, denn etwa ein -Jana (ans -jan 
in nnsibjana Gesetzlosigkeit oder dem Adverbium bisnnjanS (i 
der Nähe) anzunehmen fehlt der Grund, da hier vielmehr blossem 
•UMa vorliegti das j aber zum Stamme gehört. 

Dagegen wirkt die Bd. I. 513 erwähnte urdeutsche WeisCi 
andern Suffixen ein n anzuhängen, augenscheinlich noch im Gothi- 
schen weiter, obwol die neuen Bildungen doch nur stets vereinzelt, 
nie in solcher Anzahl auftreten, dass sich das Gefühl von einer 
neuen Wortbildungsklasse erzeugt haben könnte. So haben wir 
-nan (na -l- an) in dem Msc. gadröbnan Aufruhr, -nön (nä -{' ^°) 
in den Fem. gamaitanön Zerschneidung, haithnön Heidin, deinön 
Distel, ein -von (vä -j- &d) i^ F^™- theihvön Donner, ein -kan 
(ka -^ an) im Masc. bröthrahan Gebrüder und mit femininer Form 
in bairgahein Gebirge, ein -tön (ta -|- an) im Fem. usfarthon Aus- 
fahrt, ein -tvan (tva ^ an) im Msc. vaurstvan Arbeiter und 
gavaurstvan Mitarbeiter, ein -tvon (tvä -^ an) im Fem. unvaurstvon 
unthätiges Weib und bandvön Zeichen. 

So wie das urdeutsche Lieblingssuffix -an, so tritt aack das -ja, 
welches wir als gothisches Lieblingssuffix oben kenoea lernten, 
gern und ungehindert an andere Endangen. Wir finden ein -andija 
im Fem. hulun^ja Höle^ sogar um -n erweitert im Msc. nehvnndjan 
der Nächste; diese Bildung, die übrigens auch im Volksnamen 
*Burgundjan vorliegen könnte, erinnert mit Ausnahme des j sehr 
an lit oriundus u. s. w. Femer ein -vatja im Stamme beroqa 
(PL berusjös) Eltern und im Fem. juknzi Joch. Daan ein ^skja 
im Ntr. barniskja Kindheit, woneben ein feminines Thema bamisk- 
jan besteht Endlich ein -istja in den Neutris frumistja Anfang 
und hauhistja höchste Höhe. Auch hier ist überall nur zufällige 
Anrnckung eines Suffixes an das andere, nie ein völlig legitimes 
neues Suffix zu spüren. 

Sonst kennt das Gothische nur nodi ein Paar ganz vereinaelte 
und noch nicht recht klare Fälle von Wortbildungen. Ainakls 
einzeln erinnert in seiner Endung sehr an das lateinische singulus; 
es enthält vielleicht ein ka -^ la. Bidagvan (Nom. bidagva) Bettler 
(zu bida Bitte) möchte Leo Meyer aus indogermanischem -tvan 
herleiten und etwas besseres fällt mir auch nicht ein. lieber das 
räthselhafte veitvöda (Nom. veitvöds) Zeuge ist Bd. I, 492 ond 
Leo Meyer gotbische Sprache S. 379 zu vergleichen; man kann 
noch immer zwischen Ableitung und Zusammensetzung schwanken. 

Alle bisher erwähnten Fälle geben also keinen Anlass zur An- 
nahmCi dass das (^ethische wirklich schöpferisch ein neues Suffix 



IV. Ableitung, neue Endungen m 

gebildet habe. Für solche Annahme bleiben in Folge dessen nur 
zwei Fälle fibrig: 

1) -sna in den weiblichen Themen arhvazna Pfeil, ^barnsna 
Ehre (ans harusnjan zu schliessen), dranbsna Brocken, filusna Menge, 
hlalFasna Grab, rohsna Hans, mit Erweiterung anch in dem neutralen 
fnlhsiga (Nom. fnlhsni) das Verborgene. Das im ersten Buche schon 
yerzeichnete fairzna Ferse hat mit diesen Formen wol nichts zu 
thnn. Wir erklären dieses -sna ganz ähnlich wie Bd. I, 490 -sala, 
lehnen anch hier slavogermanischen Einschub von s ab und sehn 
hierin eine Erweiterung des neutralen -as durch das SufGx -na; 
aus arhvazna und hlaivasna wurde auch schon Bd. I, 512 auf ein 
Terlorenes ^arhvis und ^hlaivis geschlossen; so könnte auch in filusna 
ein ^us oder *filvis stecken, das dem griech. nXrj&og eben nicht 
fem stände; jenes ^barusna würde wiederum auf ein *barus fuhren, 
das leicht den Sinn von Dargebrachtem oder Tribut haben könnte, 
etwa wie das zu demselben Worte gehörige goth. Ntr. gabanr, 
wenn nicht bamsnjan (kindlich ehren) zu bgrusjos Eltern gehört. 

2) -nbiga^ -nfiga^ Nom. -ubni, -nfni. Wir finden diese merk- 
würdige Bildnng in fünf gothischen Wörtern, nämlich den beiden 
Feaiininen fraistubni Versuchung (zu fraisan, altn. dafür freistni) 
und vnnduiiii Wunde (zu gavnndön) und in den drei Neutren fastnbni 
Pasten (zu fastan), valdnfni Gewalt (zu valdan) und vitubni Weis- 
heit (zu vitan). Wie ist nun die Entstehung dieses Suffixes zu 
denken? zunächst durch Hinzufiigung des bekannten -Ja an ein un- 
bekanntes -ubn oder -ufn. Für dieses letztere sind mir nun zwei 
Erklärungen bekannt; die eine derselben findet sich in Leo Meyers 
goth. Sprache S. 68 f. und 227; danach läge hier eine ganz be- 
sondere Entartung des indogermanischen -vant oder -vat vor; diese 
Deutung steht und fällt mit Meyer's ganzer ihm eigener Lehre von 
der Transformation der Suffixe. Die andere Ansicht ist die von 
Bopp (vergleich. Gramm, zweite Ausg. III, 181), der das -ubni für 
eine Entartung aus -umni hält und damit z. B. die Bildung von lat. 
alnmnus vergleicht, also das indog. Suffix -man annimmt. Die 
Vertretung des m durch 6 oder f wäre ganz wie die in altn. safna 
and nafn aus samna und namn, wie Paul in den Beiträgen zur 
Gesch. d. dtsch. Spr. u. Liter. Bd. I (1874) S. 159 passend anfuhrt. 
Man. kann auch das noch für die Bopp'sche Deutung anführen, dass 
daa Gothische (s. Bd. I, 489) das alte Suffix -man nur noch zur 
Bildnng von Masculinen anwendet, tür die beiden andern Genera 
also sehr natürlich sich eine neue Form schafft. Nichts desto weniger 
darf man auf diese Erklärung keineswegs fest bauen; sie mag als 
Hypothese bestehn, bis sich eine bessere findet. Vielleicht lässt 



]12 IV. Ableitung, neae Endungen, 

sich ein Weg finden, wonach die labiale Muta sich als echt, nid 
als Entartung aus v oder in darstellt; ich erinnere hier aus der dei 
Deutschen am nächsten stehenden Sprache, dem Lettischen, an di 
dort zahlreichen Feminina auf -iba, lit -yba, -ybe, z. B. lett. zerib 
Hoffnung, gädiba Massigkeit, )auniba Jugend, wesseliba Gesundbd 
musohiba Ewigkeit, mit merkwürdiger Erweiterung milestiba Lieb« 
Sollte dieses Suffix, durch -n erweiteii;, in der That den goth. Wörtei 
zu Grunde liegen, dann hätten wir hier das einzige Beispiel vo 
der Verwendung labialer Muta als nominales Suffix im Deutschei 
Von Gewissheit darüber und namentlich über die sprachgeschichtlich 
Seite des Vorganges ist freilich noch lange nicht die Bede. Abc 
es giebt im Gothischen merkwürdiger Weise noch ein Wort, welche 
sonst ganz vereinzelt dasteht, sich aber leichter zu jenen fünf Snl 
stantiven fügt, wenn man in ihm eine Erweiterung des Suffixes durc 
/ wie in jenen durch n annimmt; ich meine das Adj. dauthublji 
zum Tode bestimmt, worin Leo Meyer goth. Spr. S. 69 gleichfall 
-vat oder -van sucht, das er aber nach seiner Weise zugleich t 
lat. -bilis stellt. Diesem dauthubljis steht sehr nahe das altn. Neutmi 
daudyfli Gerippe, lebloses Ding; ist die goth. und altn. Form identisol 
so ragte sie ins Urdeutsche hinein und dadurch wäre die Anknüpfitn 
an's Lettische schon erleichtert. Wir hätten slavogermanisches -b 
anzunehmen, das sich im Deutschen nur unter dem Schutze vq 
erweiternden Lauten erhalten hätte. 

Das ist alles, was sich von gothischen neuen Suffixbildunge 
auf nominalem Gebiete sagen lässt; auf dem der Verba und Pai 
tikeln haben wir keine Spur solcher Neubildungen. 

Es wäre nun von dem Untergange alter Endungen ii 
Gothischen zu reden, aber hier mangelt es an allem Stoffe; da 
Gothische hat zwar bei mehreren Suffixen ihre Triebkraft eingeh 
und sie verdorren lassen, doch giebt es kein Beispiel, dass di 
Sprache die mit ihnen ererbten Bildungen ganz ausgerottet hät(< 

Fassen wir nun schliesslich alle die einzelnen Züge, welch 
auf dem Gebiete der Ableitungen begegneten, in ein Gesammtbil 
von den Sprachleben des Gothischen auf diesem Felde zusammei 
so ergiebt sich Folgendes: 

1) Das Gothische hat in hohem Grade gepflegt, d. h. zu zah 
reichen Neubildungen benutzt die Suffixe -a, «an, -ina^ -ja^ -ka b< 
Adjectiveu, -ta bei Femin. u. Adject, -ti bei Fem.., -arja, -jan an 
-Jon und die ComparativsuilGxe isau und äsan, sowie das Sapei 
lativsuffix -ista; ferner bei den Verben -ja und -na, bei den Partikel 
-ät (-6), -bhi (-ba) und -is. 

2) Es hat in geringem Grade noch lebendig erhalten die Saifix 



ly. Flexion, Dedination. 1]3 

-i, -ra bei Adjectiven, -la, -ana^ -na, -ni, -as, -va, 'ti bei Hasen]., 
-tu bei Hasenl., -lan nnd -Ion, -man, -mista, -anda, -iska, -vat, -tra, 
-taman, -tja, -tya, -tati, -tnti nnd das Snperlativsnffix -ästa; dazu 
die Partikelbildnngen anf -m (-na, -u), -tb, -tra (-tbrö, -dre, -r). 

3) Es hat die Lebenskraft völlig eingebüsst bei -n, -nn, -jn, 
-ra bei Snbstant, -ma, -ka bei Substant., -ta bei Mascul. nnd Neutren, 
•m, -inga nnd -linga, -sta, -sti, -stn, -stra, endlieh bei den Partikeln -va. 

4) es hat nen geschafifen -sna und -ubnja, dazu aneh ans -assn 
erweitert sein -inassn. 



Vierter Abschnitt. 

Die Flexion. 

k. Deelination. 

Man wird hier von vorne herein kein reichhaltiges Gapitel er- 
warten, da schon das Urdentsche (Bd. I, 528) in der Deelination 
keine Schöpferkraft mehr entfaltete, das Gothische aber dem Ur- 
deutschen verhältnissmässig nahe steht nnd sich andrerseits von 
unorganischen Vorgängen ziemlich frei hält. Einiges, was sonst 
hier erwähnt zn werden pflegt, rechne ich meiner Anschauung nach 
in die Lautlehre und bespreche es dort mit den verwandten Er- 
scheinungen; so z. B. den Gen. gaths für gnthis bei der Synkope, 
und anderes mehr. Nicht dem Gothischen schreibe ich es femer 
zn, dass hier das -n im Accus. Sing, aneh bei Eigennamen fehlt, 
während es im Hochdeutschen bis aufs Nhd. hin bewahrt bleibt; 
ich glaube vielmehr hier erst eine im Hochdeutschen eingetretene 
Neuerung, ein Eindringen der pronominalen Deelination zu erblicken. 
Auch die Einbusse des Duals, des Ablativs und des Locativs ist 
gewiss nicht erst dem Gothischen zuzuschreiben; beim Instrumental 
ist dagegen das Gothische in so fem selbständig, als es mit diesem 
Casns völlig bei Substantiven und Adjectiven aufräumt, wo sich 
doch die andem deutschen Sprachen noch weit conservativer zeigen« 
Dies vorausgeschickt haben wir folgende speciell gothischen 
Entartungen zn verzeichnen: 

1) Umsichgreifen der schwachen Deelination, welches sicher 
mit der grossen Beliebtheit der Suffixe -an nnd -jan (s. oben Seite 
95 und 103) zusammenhängt. So haben wir von dem starken 
anhBns doch Luc. 14, 19 ein juka auhsne, so neben dem starken 
gards ein Bohwacbes garda, neben dem starken Neutram fon ein 
schwaches Mae. funa, neben dem starken Ntn daur das schwache 

Försternann, Gesch. d. d. Sprachstanimes. 11, 8 



114 IV. Flexion, Declination. 

Fem. dauro, neben dem starken Ntr. kanrn das schwaehe Ntr. 
kanrnö ; hier wären bei längerem Leben der Sprache wabrscheinliefa 
die älteren starken Formen alle untergegangen. Aach das hängt 
damit zusammen^ dass die adjectivisch gebrauchten praesentiscfaen 
Participia schwach wie die Gomparative gehn (Stamm im Msc. und 
Ntr. -an, Fem. -ein)^ wo die starke Form nur im Nom. Sing. Msc. 
(gibands) bleibt Ja als sollte die schwache Declination am jeden 
Preis gepflegt werden, so dringt das n in die Plnraldative vatnam 
and namnam aas den andern Casus wieder ein, während jene 
Formen nach meiner Ansicht doch schon im Urdeutschen diesen 
Consonanten eingebusst hatten. Bei manna ist dagegen wol weniger 
Vermischung starker und schwacher Formen anzunehmen als viel- 
mehr eine durch das wiederholte n herbeigeführte Synkope und 
in Folge derselben Vereinfachung der Orthographie. 

2) Unsicherheit in der Gestaltung der verschiedenen N-Suf&xe. 
Hieher rechne ich, dass von fruma das Fem. frumei heisst, als wäre 
es Comparativ, da es doch ursprünglich Superlativ ist Femer ge- 
bort dahin (und nicht in die Lautlehre) die speciell gothische Ver- 
längerung des Vocals in hairtö u. s. w.; das scheint falscher Ein- 
fluss der Feminina wie tuggO zu sein, der sich dann weiter in den 
Pluralen bairtöna u. s. w. fortsetzt 

3) Schwanken in Bezug auf die thematischen Vocale a und i 
und zwar wie es scheint nach beiden Richtungen hin. Aivs und 
v6gs gehören wahrscheinlich ursprünglich zu den A- Stämmen, 
schwanken aber zu den I-Stämmen hinüber; es heisst aivam und 
v6g0s neben aivins und vegim. Andrerseits finden sich mehrte 
I-Stämme, welche im Plural dem starken Einflüsse der A-Declination 
nachgeben. So zeigt sich von dem Fem. dails ein Plar. dailös, von 
nahts lautet der Dat. Plur. nahtam statt nahtim, von haims, das 
im Sing, nach der LDeclinaiion geht (Gen. haimais), der Plaral 
haimdSy haimö. Besonders aber ergreift dieses Schwanken die 
Plurale der femininen Abstracta auf -eins (Thema -eini, s. oben 
Seite 96), doch mit merkwürdigem Unterschied zwischen den 
einzelnen Casus. Der Nom. Plur. geht nämlich auf -ös (statt -eis) 
aus; die Beispiele sind naiteinös, birödeinos, ufsvalleinös. Eben so 
endet der Gen. Plur. -ö (statt -e) in ufarhauseinö, hazeino, andhuleinöi 
laiseinO, gathrafsteinö, bisauleinö. Der Dat Plur. zeigt dagegen nur 
einmal -6m in unkaureinöm neben acht regelmässigen Beispielen auf 
^m, der Accus, sogar kein -0ns gegen vier -ins. Auch das ist merkwfirdigi 
dass nur die Abstracta auf -eini, nicht die auf -aini und -dni von diesem 
Schwanken ergriffen werden, doch ist zu vermuthen, dass sich bei 
grosserer Ausdehnung der gothischen Sprachreste auch för diese 



IV. Flexion, Declinatioii. 115 

beiden Klassen Aefanlicbes finden würde. Die CÜtate fär die ganze 
Eneheinnng finden sich bei Leo Heyer gotb. Sprache S. 528 f. 

Den Schwankungen der thematischen Vocale steht es sehr 
nahei dass die Wörter brötbar, fadar^ danhtar und svistar den 
Plural vom Stamme brötbra n. s. w. bilden, also brötbijns, bröthrnm, 
bröthmns; doch im Gen. lautet es bröthre, nicht brotbrive. Dahin 
gestellt muss es bleiben, ob hier das altslav. bratru einen Einfluss 
ansge&bt hat; im Gothischen selbst mag vielleicht die Analogie von 
sunjus filii mitgewirkt haben, ja sogar der Anklang an jus vos. 
Man erwäge übrigens auch das angelsächsische brö^ru fratres. 

Zwischen substantivischer und pronominaler Declination in der 
Mitte steht die Erscheinung, dass das Wort fadrein (im Sing. Vater- 
schaft, im Plur. Eltern), eigentlich das substantivisch gebrauchte 
Kentmm des A4j. fadreins patemus, durch Synesis im Nom. und 
Acc als Hsc. Plur. gebraucht wird, also thai fadrein, thans fadrein; 
sonst declinirt es regelmässig fadreina, fadreinam; andere Formen 
begegnen nicht. 

Auf die Declination der Fremdwörter wird hier nicht näher 
eingegangen, da sie nur zum Theil für gothisch gelten kann ; Heyne 
in der Grammatik zu seinem Ulfilas hat eine Uebersicht über die 
Formen. Auch hier zeigen sich mehrfache Schwankungen in den 
thematischen Vocalen, auch die sehr naturliche Erscheinung, dass 
der Gothe das nominstive -s der griechischen Formen als stamm- 
hatt ansah. Eine bemerkenswerthe Abhängigkeit vom griechischen 
Texte liegt auch darin, das Atheineis als Pluralis gilt; das gothische 
Volk selbst wird den Namen wol Singular gebraucht haben. 

Auch die pronominale Declination zeigt im Gothischen 
schon manche Schritte zur Verkümmerung der alten Mannigfaltig- 
keit und Begelmässigkeit; bei manchen Adjectiven, besonders bei 
solchen, die substantivisch gebraucht werden, ist sie schon ganz 
untergegangen, wie bei alatharba, fullavita, gavilja, ingardja und 
ingardjö, inkilthö, usfairina, usfilma, ushaista, usgrudja, usvena, 
unkaija und anderen. Im Uebrigen erweist sich namentlich ein 
Uebergreifen der Substantivdeclination darin, dass das eigentliche 
Hauptkennzeichen pronominaler Flexion, das Element -ja mehrfach 
beeinträchtigt wird. Dieses Element geht völlig unter im Nom. 
Sing. Masc. und Feminin., wo es ganz substantivisch blinds blinda 
wie ynlfs giba lautet, ein Vorgang, der sich lautlich nicht erklären 
lässti aber auch nicht erklärt zu werden braucht, da er eben 
flezivisch ist; hier scheint nur das Ahd. die Ueberbleibsel der älte- 
ren Bildung (Bd. I, 309) bewahrt zu haben, nicht mehr das Altn., 
Alts, und Ags., die mit dem Gothischen stimmen, nicht in Folge 

8» 



116 IV. Flexion, Goi^iigatioii. 

einefl näheren Verwandscbaftsverbältnisses zu ihm^ sondern in Folg^ 
der grossen Natürlichkeit des Vorgangs. Auch im Dativ Sing. 
Fem. schwindet das pronominale Element völlig; es lautet blindai 
wie gibai und hierin ist das Gotbisohe allein entartet, während 
Altn.y Ahd.| Alts, and Ags. noch den ursprünglicheren Typus er- 
halten haben. 

Auch das Farbenspiel der Genera beginnt in den gotUschra 
AcUectiven zu verblassen; seinem völligen Schwinden kam der 
Untergang der Sprache zuvor. So wird das Femininum vom Mas* 
culinum überwuchert bei einigen Adjectiven auf -ja und bei denen 
auf -u; es heisst hraius pura (gegen blinda caeca) und eben so 
hardus dura. Eben so ist die ' neutrale Endung -ata sehr dem 
Abwerfen ausgesetzt, was nach Bd. I, 539 schon im Urdeutschen 
begonnen zu haben scheint, doch im Gotbischen weiter fortgeschritten 
ist als im Altn. So heisst es blind neben blindata caecum, von 
einem Stamme auf -ja brain purum, von einem auf -u hardu durum; 
niemals erscheint im eigentlichen Pronomen ein antharata oder ein 
unsarata und izvarata, wo selbst unser Neuhochdeutsches ursprüng- 
licher ist als das Gothische. 

Endlich ist zu bemerken, dass in dem Pronominalstamm My 
der nur im Ags. noch völlig erhalten ist, das Gothische in einer 
von den andern deutschen Sprachen ganz verschiedenen Weise eine 
Verkümmening erlitten hat; vgl. Bd. I, 537. 

B. Conjugation. 

Bei den Personalendungen zunächst bemerken wir, dass 
im Gotbischen ^wie im Altnordischen) das m der ersten Pers. Sing, 
mit Ausnahme der Form im völlig geschwunden ist; wären nicht 
die ahd. Formen wie gäm, stäm, tnom, bim, habem, salbom u. s. w« 
vorhanden, so würde man diese Verwitterung schon dem Urdeut- 
schen zuschreiben, während man jetzt genöthigt ist anzunehmen^ 
dass sie in jedem der andern Sprachzweige selbständig eingetreten 
ist. In Bezug auf die 2. Sing. Perf. saisost wurde Bd. I, 541 
wahrscheinlich zu machen gesucht, dass bei dieser Person schon 
im Urdeutschen eine falsche Analogie eingewirkt habe, doch lässt 
sich nicht ergründen, in wie hohes Alter grade bei der vorliegenden 
Form die Unregelmässigkeit zu setzen ist. In der 3. Pers. Sipg. 
sind einige Optativformen mit -aith statt -ai merkwürdig, nämlich 
bairaith {ßatfrätfei), tiuhaith (a$6t) und svignjaith (ßQaßevh(o); hier 
scheint ein Einflnss des indicativen -ith vorzuliegen, erleichtert 
durch die futurische oder Imperativische Bedeutung dieser Formen; 
es entspricht dieser Vorgang etwa dem griechischen -ai/tu oder 



VL Flexion, Ck)idiigation. 117 

"Wfu statt -iify. Bei der 1. Fers. Flor, hindert uns das Ahd« 
mit seinem -mes eben so wie bei der 1. Sing, die gotbische Ver- 
kürzung zu -m schon ins Urdeutsche zu setzen. Es scheint hier 
noch im Gothischen das urdeutsche Auslautsgesetz nachgewirkt zu 
haben und so -mas zu -ms geworden zu sein, worauf denn das s 
abfallt wie im Dativ Fluralis ; doch ist oben in der Lehre von den 
auslautenden Gonsonanten eine andere Ansicht vorgetragen. In 
Bezug auf die 2. und 3. Flur, so wie auf den Dual hält sich das 
Gtothische ganz frei von einer Trübung des ererbten Verhältnisses. 

In Hinsicht der Tempusbildung ist vor allem die Frage 
aufzuwerfen, in wie fem der gothische Sprachgeist die starke Gon- 
jugation gepflegt und in wie weit er sie beeinträchtigt hat. 
Die Frage^ ob das Gothische noch neue starke Verba geschalffen 
habe, wird man nicht für eine massige halten, wenn man daran 
denkt, dass das Deutsche sogar noch in späterer Zeit die Fremd- 
wörter schreiben, pfeifen und preisen der starken GoDjugation 
zugeführt hat Es giebt in der That etwa dreissig starke gothische 
Verba, die entweder nur in dieser Sprache vorkommen oder nur in 
ihr stark sind; es sind das die folgenden: Nach beita geht keia 
germino, leisa experior, neiva irascor, deiga depso und skreita 
mmpo, finde; nach laika geht fraisa tento und thlaiha blandior; 
nach biuda nur krinsta fremo; nach fara conjugirt ana spiro, aga 
timeo, das zu vermuthende hatja odi, frathja intellego, rathja numero, 
gadaba decet, draba ferio; nach släpa (slepa) und hvöpa laia 
maledico und fleka plango; nach halda gastalda possideo, usaltha 
senesco, pragga urgeo, usstagga steche aus; nach giba geht sniva 
festino, nitha juvo und hlifa furor; nach binda endlich gair&a gürte, 
vilva latrocinor, trimpa trete, vrisqva fructum fero und trisga pfropfe; 
nur die stauta- und die nima-Gonjugation haben keine speciell gothi» 
sehen Vertreter. Die meisten der angeführten Verba hat das 
Gothische sicher schon aus dem Urdeutsoheu als starke übernommen, 
die andern deutschen Mundarten sie nur verloren, vielleicht aber 
gelingt es doch auch in Zukunft einige als speciell gothische 
Schöpfungen zu erweisen. Ein Uebergriff der starken Gonjugation 
findet sieh auch wol darin, dass die schwachen Verba der AI- 
Conjugation durch Ausfall dieses Diphthongs ganz den Anschein 
von starken in fünf Formen annehmen. 

Drei gothische Verba gehn im gothischen nach einer anderen 
starken Gonjugation als in den übrigen Sprachen; bei bliggva ferio, 
das nach binda, sonst aber nach biuda conjugirt, ist es sicher, dass 
das Gothische den älteren Standpunkt gewahrt hat; nicht ganz so 
sicher, doch wahrscheinlich ist es bei aika ajo, das gotbisch dem 



113 ^^' Flexion, Conjugation. 

l^us von laika, sonst dem von giba angehorti und bei diva morior^ 
das gothisch zu giba, altn. zu fara zu stellen ist. 

Sicherer, doch wenig erheblich sind die Sparen, dass schon im 
Oothischen die starke Gonjagation Einbusse erlitten bat Schon 
dadurch wird sie beeinträchtigt, dass bei Verben, die mit Conso- 
nantengrappen beginnen, die Rednplicationssylbe öfters nur einen 
der Consonanten wiederholt, wie Bd. I, 544 angegeben wurde. 
Zwei Verba treffen wir in einem deutlichen Uebergange von der 
starken zur schwachen Conjugation begriffen; das erste ist bauaui 
wovon die Form bauith auf ein starkes Verbum schliessen lässt, 
während bauaida und das Substantivum bauains einem schwachen 
angehören ; auch in den andern Mundarten tritt hier ein Schwanken 
ein, man vgl. Grimmas Wörterbuch, der sich weiter aber das Wort 
auslässt. Das zweite Verbum ist gaggan, wovon im Perfectum 
ein reduplicirtes gaigagg erwartet wird, an dessen Stelle im Oothi- 
schen ein schwaches gaggida erscheint Einige starke Verba gehn 
jedenfalls in Folge von lautlichen Schwierigkeiten unter ; ich meune 
namentlich solche, bei denen die Lautverbindung 8v organisoh ist, 
welche im Goth., wie Leo Meyer goth. Sprache S. 616 zeigt, nicht 
geduldet wird ; daher erklärt es sich, dass die Bd. I, 559 angeführ- 
ten sechs ags. Verba blöve blühe, flöve fliesse, gröve wachse, hlöve 
brülle, rove rudere und spove habe Erfolg im Gothischen gar keine 
Spur hinterlassen haben. 

Bei dem viel besprochenen Verbum trudan (mit der passiven 
Form trudanda), das statt des u ein / erwarten lässt (s. Bd. I, 567), 
ist vielleicht die dunkele U- Färbung der Praeteritopraesentia (s. 
Bd. I, 5S6) von einem die Sprache irre leitenden Einflüsse gewesen« 

Eine eigenthümliche unorganische Form liegt in dem imperati- 
ven ogs (ni ogs furchte dich nicht); ich nehme hier nicht ein 
Erhalten alter Bildung, am wenigsten eine Gleichstellung des s mit 
dem griechischen in '^^i^, dos Q. b. w. an, sondern vielmehr einen 
Einfluss der 2. Sing. Indic. Man könnte meinen, solcher Einflnss 
sei eingetreten, um das 6g vor einer Verwandlung in öh zu bewah- 
ren, das würde jedoch mit meiner oben (Seite 32) gegebenen 
Darstellung der Auslautsgesetze nicht stimmen, wonach die gutta- 
nde Media der Verwandlung in Spirans nicht unterliegt 

Auf dem Felde der defectiven Verba ist es vor allem von 
der Wurzel as zu erwähnen, dass dem Gothischen im Praes. Ind. 
die beiden dualen Formen siju und sijuts so wie die beiden ersten 
pluralen Personen s\jum und syuth, diese halb optativischen halb 
perfecten Gestalten, ganz eigenthümlich und wahrscheinlich Nea- 
bildungen sind, die durch das organische sind der dritten Person 



VL Bedentung. 119 

herbeigezogen wurden (vgl. Bd. I^ 588)> Neubildungen, wie sie 
nocb das Mbd. in seinem sin, stt im Gegensatze zum Ahd. ge- 
schaffen bat 

Von den Trümmern der Wurzel /, dem imperativischen bin, 
hiijats, biijitb und dem wunderbaren Praeteritum iddja wurde scbon 
Bd. ly 587 gesproeben und die Vermutbung geäussert, dass die Form 
iddja erst im gesonderten Gothischen dureb die falscbe Analogie 
von sebwacben Verben wie nasja bervorgerofen sein könnte; belegt 
sind übrigens nur die Formen iddja, iddjedum, iddjedutb, iddjedun 
und der Optativ atiddjedeina. Leo Meyer gotbiscbe Spracbe S. 115 f. 
spriebt ausfubrlieb über diese Formen, in denen dem Spraebsinne 
gewissermassen ein nasja und ein nasida verschwommen sind. 

Unter den Praeteritopraesentibns ist dem Gotbiscben nur lais 
(novi) eigentbämlieb, schwerlich aber eine Neubildung, wabrscbeinlicb 
in den andern Sprachen nur untergegangen. 

So zeigt sich auch in der Gonjugation, in wie vielen Punkten 
das Gk)tbiscbe scharf vom Urdeutschen geschieden werden muss, 
andrerseits aber auch, wie unvollkommen nocb ein erster Versuch 
sein muss auf diesem Felde, das nur in einzelnen Bemerkungen, 
niebt in einem ganzen Systeme bisher angebaut wurde. 



Fünfter Abschnitt. 

Die Bedeatiing^. 

Dem bedeutenden Abstände zwischen dem Urdeutscben und 
Gothischen gemäss, wie er sich aus den vorigen vier Abschnitten 
ergeben hat, werden wir dem letzteren scbon eine ziemliche Menge 
von Bedeutungsverschiebungen zuzuschreiben haben, die ihm eigen- 
tbämlicb sind; doch werden wir dabei kaum auf solche Fälle ein- 
gehn, die dadurch hervorgerufen wurden, dass ein gotbischer Be- 
griff noth wendig einem biblischen angepasst werden musste. 

Unter den Substantiven begegnet uns zunächst eine Gruppe, 
in welcher stets ein allgemeinerer Begriff durch Beziehung auf ein^ 
bestimmte Sphaere specialisirt wird. So wird der Begriff der 
beiden Wörter fullitha und saggqvs, die an sich nur die Fülle und das 
Sinken bedeuten können, auf die Sphaere des Himmels bezogen 
und so nimmt jenes den Sinn von Vollmond, dieses den von Westen 
an. Wie wäre es, wenn theihvö der Donner zu theiban zunehmen 
geborte und zunächst nur den Donner des heranziehenden (Ge- 
witters bedeutete, wie sein Schall allmählich heranwächst? Auf 



120 I^* Bedeutung, Substantiva. 

die Sphaere des Meeres beschränken sich zwei Wörter, die eigent- 
lich nichts als Bewegung und Ruhe bedenteni nämlidi vSgs und 
vis; jenes nimmt im Plural den Sinn von Wellen an^ dieses, wahr- 
scheinlich doch zu visan bleiben^ verweilen gehörig, den von Meeres- 
stille. Dnrch Anknüpfung an das Gebiet des menschlichen Körpers^ 
nimmt nsvanrpa neben seinem echteren Sinne von Auswnrf, Yer* 
werfnng auch den von Frühgeburt an; brinno, eigentlich nnr das 
Brennen, wird auf das pathologische Brennen bezogen und beisst 
das Fieber; das synonyme heitö kann diesen Sinn schon im Ur- 
deutschen gehabt haben. Gabanr (Ntr.) und garuns haben an sich 
nur mit dem farblosen Zusammenbringen und Zusammenkommen 
zu thun, das Gothische färbt jenes Wort finanziell, so dass es das 
Zusammengebrachte, die Sammlung, Steuer bedeutet, dieses dagegen 
local, so dass darunter der Ort des Zusammenkommens, der Markt 
oder die Strasse verstanden wird, vielleicht ursprünglich der Alarm« 
platz. Eine Specialisirung derselben Art erleidet uzeta, indem es 
an die Sphaere der Hausthiere angeknüpft wird und nun die Krippe 
(g>ntvri) bedeutet. Das goth. vaggs, allgemein deutsch im Sinne 
von Campus, fällt auf durch seine Beschränkung auf ein überirdisches 
Gefilde, das Paradies. 

Andere Bedeutungsübergänge haben mehr den Charakter der 
Verallgemeinerung, obgleich sich auf dem Gebiete der Sema- 
siqlogie die Specialisirung von der Generalisirung nicht ganz scharf 
trennen lässt, da man manchen Bedeutungswechsel als beides zu- 
gleich fassen kann. Da haben wir z. B. das ganz allgemeine 
Wort Stoma StofT, Gegenstand, welches in den andern deutschen 
Sprachen fehlt, nach seiner Bd. I, 72 mitgetheilten Verwandschafk 
aber von dem zum Weben oder Spinnen vorliegenden Stoffe aas* 
gegangen zu sein scheint. Für den allgemeinen Begriff eines Ge- 
nossen oder Begleiters hat das (xothische die drei Wörter gahlaiba, 
gajuko und galaista, die doch von ganz verschiedenen speciellen 
Grundanschauungen ausgehn, von der Gemeinsamkeit des BroteSi 
des Joches oder des Weges. 

Zwei zum Verbum satjan gehörige componirte Substantiva 
nehmen einen eigenthümlich vergeistigten Sinn an ; erstens afiEUiteins 
die Absetzung, daher bökös afsateinais der Scheidebrief, zweitens 
ossateins der Ursprung (Glosse zu Eph. 2,3), welches nhd. Wort 
von einer ganz ähnlichen Grundanschaunng wie das gothisdie 
aasgeht; doch kommen beide Wörter auf verschiedenem Wege za 
dem abstracten Sinne, denn das goth. ussatjan bedeutet pflanzen^ 
dann gründen, endlich erzeugen, während unser Ursprung geachicbt- 
licb von dem Begriffe einer Wasserquelle ausgeht' 



IV. Bedeittimg, Adjeetiva. 121 

Zuweilen wird in zoBammengesetzten Sabstantiven der klare 
Begriff des einen Theiles durch den anderen Theil in einer nicht 
sogleich verständlichen Weise modificirt. Was mag der zweite Theil 
von dnlgahaitja der Oläubiger zunächst für eine Function haben? 
ist einer gemeint, der seine Forderung anmeldet? Umgekehrt, wie 
kommt der erste Theil von hraivadubö die Turteltaube (eigentlich 
die Leichentaube) zu seiner speciellen Function? etwa auf mytho- 
logischem Wege als eine Art Leichenhuhn? oder durch Vergleichung 
des Giirens der Taube mit dem Röcheln des Sterbenden? Ueber 
den zweiten Theil von aihvatundi wurde schon oben gesprochen. 
Einige Male haben griechische Wörter, denen die gothischen 
nachgebildet sind, den Anlass zur besonderen Bedeutung der 
gothischen gegeben ; so oloxavrwfAa dem goth. alabrunsts Brandopfer, 
a^edi^ dem gotb. aflageins die Vergebung, yevealoyia wahrscheinlich 
dem goth. gabaurthivaurd Geschlechtsregister. 

Auch bei den Adjectiven finden wir jene Specialisirung durch 
eine Beziehung auf eine bestimmte Sphaere von Begriffen. Gaguds, 
eigentlich zu Gott gehörig, wird auf das Gebiet des menschlichen 
Herzens beschränkt und bedeutet fromm. Während gafaurs gesetzt, 
nüchtern, bescheiden heisst, scheint sich sein Gegentheil unfaurs, 
das freilich nur an einer einzigen Stelle erscheint, auf die Sphaere 
der Sprache zurückzuziehn, wo es den Sinn von geschwätzig 
annimmt 

Eine Verallgemeinerung haben wir in biuhts gewohnt, ge- 
wöhnlich (dazu Subst. biuhti Gewohnheit), wenn es wirklich zu 
bugjan kaufen gehört; man scheint dabei an das gedacht zu haben, 
was überall zu kaufen ist, vielleicht auch an den feststehenden 
Preis. Eben so bedeutet ushaists ganz allgemein bedürftig, während 
es doch wol ursprünglich, zu ushaitan herausfordern gehörig, nur 
vom fordernden Bettler vl s. w. gebraucht wurde. 

Vergeistigungen bei den Adjectivbegriffen begegnen mehrere. 
Abrs, eigentlich körperlich stark, schwächt und vergeistigt seinen 
Sinn, so dass abraba gradzu sehr, biabrjan sich entsetzen heisst; 
zu bemerken ist die Nachstellung in ras auk mikils abraba von dem 
Stein auf Christi Grabe. Die Gruppe airzjis, airzei, airzitha, airzjan 
scheint die sinnliche Bedeutung des Irrens, die doch in den andern 
deutschen Sprachen noch klar genug erscheint, ganz aufgegeben 
zu haben und sich nur auf Betrug und Verführung zu beschränken. 
Invinds, zu vindan winden gehörig, muss ursprünglich das räumlich 
Verkehrte bezeichnet haben; vergeistigt bedeutet es ungerecht wie 
invinditha die Ungerechtigkeit Usskavs vorsichtig, nüchtern gebt 
vom körperlichen Ausschauen zur geistigen Umsicht über. Während 



122 IV. Bedeutung, Verba. 

usvanrkjan noch wirken^ bewirken^ Tollenden beseiohnet, bezieht 
sich nsyanrhts schon auf die sittliche Vollendang und bedeutet ge- 
recht, als Substantivom die Gerechtigkeit Auch in andanfims a&- 
genehnii wohlgefällig, gnädig liegt eine Vergeistignng wie in dem 
griechischen dmiBxxoq, evTiQosi&efos, das es übersetzt Anayairthi 
zakSnftig hat zeitliche Bedeutung, die andern Composita aof yairthi 
noch die ursprünglichere räumliche, von der das Verbnm yairtfaa 
es verto ausgeht Svirs heisst vergeistigt geehrt, wogegen altn. 
svarr, ahd. swäri, ags. svaerr gravis bezeichnen. 

Oanz vereinzelt ist svikunths (sveknnths) offenbar, bekannt, 
eigentlich durch sich selbst erkannt, durch seine Eigenschaften der 
Erkenntniss entgegenkommend. 

Die Gruppe usdauds eifrig, usdau^jan sich beeifem, usdandei 
Ausdauer, Sorgfalt mnss diesen Sinn auch in Folge einer Bedeutungs- 
Verschiebung angenommen haben, doch ist uns die Etymologie und 
damit die Art jener Verschiebung unbekannt 

Im Gebiete der Verba haben wir zunächst aber die einfachen 
Verba nur wenige Bemerkungen zu machen. So ist blOtan ver- 
ehren, blötinassus Gottesdienst, vom speciellen Sinne des Opfems 
aus verallgemeinert. Vdpjan rufen wird auch auf das Krähen des 
Hahnes übertragen. Wichtiger ist die grosse Expansivkraft, welche 
die Bedeutung von haban besitzt; bei Adverbien stehend geht es 
in den Sinn des lat se habere über, wie in ubilaba haban sich 
übel befinden, mais vairs haban sich immer schlimmer befindeui 
mehrere andere Beispiele findet man in den Wörterbüchern; bei 
Zahlwörtern dagegen wird os zur Bestimmung der Zeit gebraacht, 
z. B. fimf tiguns j^re haban fünfzig Jahre alt sein^ fidvOr dagans 
habands vier Tage lang; mit Substantivum vergeistigt es sich öfters 
wie das lat. habere, z. B. habaidedun Johannen thatei praufStSs 
vas sie hielten den Johannes für einen Propheten; mit Verben endlich 
nimmt es jene Kraft an die Zukunft (ein Werden oder Wollen) zu 
bezeichnen, wie wir dieselbe Kraft in dem romanischen Futurum 
sehn; so z. B. thatei habaida taqjan was er thun wollte, thfiei 
habaidedun ina gadaban was ihm widerfahren werde, visan habaith 
er wird sein^ taujan haba ich werde thun, als Ausdruck der Absicht 
in sa auk habaida ina galevjan er wollte ihn verrathen. Ein anderes 
Verbum, das schon halb zum Hülfsverbum herabgesunken ist und 
eine ganz allgemein causative Bedeutung angenommen hat, ist 
briggan, gewöhnlich bringen, führen; man erwäge Verbindungen 
wie frijana briggan befreien, vairthana briggan würdigen, vundan 
briggan verwunden; in den andern deutschen Sprachen findet sich 
nur leise an diesen Gebrauch Anstreifendes. 



rV. Bedoutang, Verba. 123 

Sehr viel häufiger finden wir den Vorgang^ dass Verba, die mit 
aepositionen zusammengesetzt sind, einen Begriff annehmen, der 
)bt sowol das natürliche Resultat der beiden zusammengesetzten 
igriffe als vielmehr ein conventioneil erzeugter oft ziemlich weit 
liegender ist. Beginnen wir mit einigen Verben, die ein Gehn 
er Kommen bedeuten, so finden wir zunächst afargaggan nach- 
hn, das neben der sinnlichen Bedeutung auch die geistige wonach 
r e b e n angenommen hat, z. B. afargagga afar sigislauna ich strebe 
eh dem Siegeslohu ; eben so vergeistigt sich das gleichbedeutende 
urlaistjan, wo ebenfalls noch im Gothischen der ältere Sinn 
neben besteht. Viel merkwürdiger ist es, dass usquiman, mit 
m Äcc, doch gewöhnlich mit dem Dativ, den Sinn von todten, 
ibringen annimmt; es scheint hierin ein eigenthümlicher Euphe- 
amus zu liegen (etwa an einen herankommen). Setzen wir 
esen Verben der Bewegung gleich einige der Buhe entgegen, so 
den wir zunächst visan bleiben, verweilen ; das Compositum bivi- 
D beisst froh sein, €vg>Qah€(Sd'(u, also mit Wohlgefallen bei 
was weilen. In ein ganz anderes Gebiet geht das transitive 
ivisan über, das den Sinn von verbrauchen, verschwenden annimmt, 
lo fast einem Transitivum unseres nhd. verwesen gleichkommt, 
idsitan heisst scheuen, fürchten, achten, andasets verabscheuungs- 
irdig; unser nhd. entsetzen hat ganz denselben Weg der 
>8traction durchgemacht. Man erwäge ferner anastddjan im 
one von anfangen, wozu auch anastodeins der Anfang; die Begriffs- 
ischichte ist hier ganz dieselbe wie in unserm anstellen (z. B. 
ie soll ich es anstellen?) 

Die Sphaeren der Begriffe des Ziehens, Wendens, brechens, 
eilens, hebens und gebens liefern gleichfalls einiges hieher Gehö- 
re. Ustiuhan hinausziehen nimmt dann auch den Sinn von voll- 
Ingen an, ustauhts heisst die Vollendung; eine höchst eigenthnm- 
^e Verallgemeinerung, deren geschichtlicher Gang sich kaum 
igeben lässt. Usvandjan sich abwenden, abweichen wird ver- 
ästigt in der Verbindung thamma viljandin af thus leihvan sis ni 
ivandjais (schlage ihm nicht ab); ganz anders usvandidedun du 
osavaurdein (sie verfielen auf Geschwätz). Auch das Wort brechen 
»hört zu denjenigen, die in den germanischen Sprachen sehr ver- 
hiedenen Functionen dienen müssen, man erwäge die gewaltig 
iseinander gehenden Bedeutungen unserer Wörter anbrechen, at(f- 
ecben, unterbrechen, Verbrechen und anderer; im Gothischen 
genthümUch ist es, dass ufbrikan den Sinn von verachten, über- 
iithig behandeln annimmt, worin es allerdings zum Bruche zwischen 
rei Personen kommt. Usmitan, eigentlich ausmessen, geht in den 



124 VI. Bedeutung, Partikelu. 

Sinn Yon sich aufhalten über, nsmet ist der Anfrathalt; man 
möchte als Uebergangsbegriff den der Landtheilnng Tor dei 
Ansiedelung ansehn. Ein anderes Verbnm des Theilens ist orsprfiDg- 
lich beitan beissen, dessen Vergeistignng in andbeitan schelten nnd 
andabeit Tadel nicht unnatürlich ist; vom Beissen znm Bellen 
schwebt ja der Gedanke leicht hinüber. Andhai^an heisst ant- 
worten, andahafts die Vertheidigung, Verantwortung; man denkt 
dabei an unser eine Bede anheben; oder an das Ergreifen 
des Wortes. Sehr merkwürdig stimmt mit dem Nhd. das gothi- 
sehe afgaf sik er begab sich fort; zunächst auffallend genug, daas 
eine Person sich selbst zum Gegenstande des Gebens macht. 

Auch das Reden, Denken und Vernehmen sind leicht 
übertragbare Begriffe. Andqvitban mit Jemand sprechen heisst 
auch Abschied nehmen, gleichsam einem absagen. Anaqyithan 
dagegen nebst dem Substantivum anaqviss geht aufs Lästern und 
Schmähen, ähnlich wie wir sogar jemand anfahren. Birödjan, zu 
rödjan reden, heisst murren, sich unwillig äussern, gehört also zu 
den specialisirten Begriffen. Atkunnan heisst zuerkennen, gewähren; 
es scheint also kunnan schon ein Rechtsausdruck im Sinne unseres 
erkennen gewesen zu sein. Frakunnan dagegen bedeutet ver- 
achten, übermüthig behandeln, steht also dem Gebrauche des nhd. 
verkennen ziemlich nahe. Dass anakunnan den Sinn von Lesen 
annimmt (was sonst gothisch ussiggvan heisst), geschieht nur in 
Nachbildung des griech. dvayiYV(6(fxa>. Andhausjan empfängt den 
geistigen Begriff von erhören, grade wie das griech. eTroxovco, das 
es übersetzt. Ganz vereinzelt ist in Hinsicht der Bedeutung fra- 
vardjan verderben, entstellen, zu vardja Wärter. 

Nicht hieher gehört wol der Bedeutungsunterschied von goth. 
haurnjan (das Hom blasen) und ahd. homgn, alts. humjan (mit 
einem Home versehen); hier scheint vielmehr das Wort im Gothi- 
schen unabhängig entstanden, mit dem andern also nicht schlecht- 
hin identisch zu sein. Aehnlich kann innerhalb des Gothischen 
selbst das Verbum afhugjan jemand verblenden, die Sinne umstricken, 
nicht das Compositum von hngjan denken, sondern es muss viel- 
mehr eine Ableitung von einem *afhugs sinnlos sein. 

Wir kommen endlich zu den Partikeln« Zu lathon rufen, 
laden gehört mit sehr abstracter Bedeutung lathaleikö sehr gern; 
das Wort muss schon früh veraltet sein, da der eine Codex dafttr 
als Bandglosse gabaurjaba, der andere nur das letztere Wort bietet 
Ussindö heisst ursprünglich aus dem Wege, in vergeistigter Beden- 
tong aber ausnehmend, vorzüglich, sehr; man vergleiche den ent- 
(^egengesetzten Begriff in onserm trivial (was am triviom liegt). 



IV. Genus. 125 

Dass gistradagis an der einzigen Stelle, wo es vorkommt, den Sinn 
von morgen annimmt, ist eine Eigenheit, die sich ähnlich auch 
in andern Sprachen, sogar germanischen findet ; überall aber ist der 
Bedentungsübergang wol selbständig und nicht durchgreifend ein- 
getreten. Während sans plötzlich, auf einmal, sogleich bedeutet, 
heisst bisnnjane umher, rings umher; man möchte fragen, auf welcher 
Seite da der ältere Sinn liegt; in der Regel auf der localen, nicht 
aof der temporalen. Selbst die temporale wird noch weiter ver- 
geistigt ; während ufta oft wol den älteren Sinn festhält, nimmt das 
gesteigerte auftd die Bedeutung von vielleicht, freilich an. Auch 
Yaitei vielleicht muss seinen Sinn durch conventioneile Ellipse 
erbalten haben; zu denken ist an ein „Gott weiss ob^. Bemerkens- 
werth ist auch die Abweichung einiger Fraepositionen von dem 
ursprünglicheren Begriff. So fällt die verstärkende Bedeutung von 
af auf in afdrugkja Säufer und afetja^ Fresser; auch afthaursjan 
verhält sich wol so zu einfachem thaursjan. Das untrennbare dis« 
hat in fünf Verben eine Bedeutung, wie es diese sonst nirgend im 
Deutschen besitzt und ihrer Verwandschaft nach nicht besessen 
haben kann; es sind das disdriusan (befallen, enimTnevv)^ dishaban 
(ergreifen, neqvixBWj (Svvbxbw), dishuljan (verhüllen, xaXvjnew), 
disniman (zusammennehmen, besitzen, xcnixBw)^ dissitan (überfallen, 
dissat Bhißs) ; in der That ist ja eine Bewegung zum Einen zugleich 
eine Entfernung vom Andern. Unter den Conjunctionen fallt auf, 
dass auk im Gothischen enim, in den andern germanischen Sprachen 
et, etiam bezeichnet; die letztere Bedeutung scheint die echtere zu 
sein. Am merkwürdigsten ist das gothische ei, welches zum Tbeil 
noch deutlich seine alte Belativbedeutung hat, daneben aber doch 
auch als Fragpartikel (ob) erscheint, endlich zur Einleitung von 
Finalsätzen (dass, damit) verwandt wird; das griech. ort macht 
einen ähnlichen Gang durch; svethauh ei heisst obgleich wie ovx 
09» im Nachsatze. 

In Bezug auf das Genus zeigt zwar das Gothische nicht 
wenige Abweichungen von den übrigen deutschen Sprachen, doch 
neige ich Allgemeinen der Ansicht zu, dass die Verschiebung in 
den letzteren nach Absonderung des Gothischen eingetreten ist und 
verweise deshalb auf das sechste Buch. Hier nur wenige Bemer- 
kungen. Die Bd. I, 598 erwähnte Genusverschiebung des Wortes 
Gott bestimmt sich für das Gothische so, dass das Wort guth 
ganz neutrale Form besitzt, aber im Sing, als Masc. gebraucht 
wird. Hienach scheint das Neutrum das Aeltere zu sein und darauf 
wird bei Aufsuchung von Etymologien, deren keine bis jetzt allge- 
mein anerkannt ist, Bücksicht zu nehmen sein. Bei marei Meer 



126 rV. Volksetymologie. 

fallt das feminine Geschlecht anf ; freilich ist das Wort etwas anders 
gebildet als in den andern deutschen Sprachen ^ wo es zwischen 
Msc. nnd Ntr. schwankt. 

Ziemlich stark ist dagegen der Genaswechsel bei den ins 
Gothische entlehnten Fremdwörtern; wir mausen dabei von den 
Themen der letzteren ansgehn. Stämme anf griech. — lat -a haben 
nat&rlich eine Neigung im Goth. männlich gebraucht zu werden, 
so lat. fascia goth. faskja, eucharistia aivxaristiai drachma drakma, 
uncia unkja, die alle als schwache Masculina behandelt werden; 
auch aus dem Acc. Plur. aipistulans ist auf ein Masc. zn schliessen, 
während dagegen der Nom. Sing, uns mit rein griechischer Endung 
als aipistaule fiberliefert ist. Vereinzelt steht lat. lucema, welches 
im Goth. wol durch Anlehnung an ein synonymes Wort als Neutrum 
erscheint. Die Stämme auf fremdes -o neigen natürlich im Goth. 
zum Uebergang ins Fem.; so ist wirklich evangelium im Goth. ein 
feminines aivaggS^ö, daneben jedoch auch ein neutrales aivagg^li ; 
das Neutrum vein folgt dem Genus des lat. Tinum, nicht dem des 
griech. olvog. Ein Stamm mit nasalem Ausgange ist das lat. soorpio; 
es behält im Goth. skaurpjö ganz seine Form, muss also Fem. 
werden. Endlich der dentale Stamm, der im griech. spyris vorliegt, 
war im Goth. in dieser Weise gar nicht zu brauchen; das W<Mi 
wurde unter die Themen auf -an hinfibergefuhrt, lautet also ira 
Nom. spyreida und das griech. Fem. ist goth. Msc. geworden. 

Auch einige Spuren von Volksetymologie ergeben sich ans 
dem Gothischen. Schon Bd. I, 608 wurde die Ansicht geäussert, 
das goth. andbahts famulns sei ein aus dem Keltischen in alle 
germanischen Sprachen entlehntes Wort, welches speciell im Gothi- 
sehen sich an die Menge der Composita mit and- angdehnt habe. 
Desgleichen wurde Bd. I, 489 erwähnt, das nur im Gothischen vor- 
kommende viduvaima Wittwer enthalte eine volksetymologische 
Anlehnung an vair vir, gewissermassen den Gedanken an ein vi- 
duvavair. Hier ist ferner zu bemerken, dass einige jedenfalls (wie 
aljakuns und samakuns) zu kuni genus gehörige Composita in ihrem 
letzten Theile auf -kunds ansgehn, als gehörten sie zn konths notns; 
so airthaknnds, gödakunds, gumakunds, himinaknnds, nfarhimina- 
kunds, innakunds und qvinakunds. Auch meine Ansicht über den 
Namen des Jordanes oder Jomandes möchte ich äussern ; ich glaube, 
dass er wirklich Jordanes geheissen hat, wie dieser Name bei 
bei deutschen Personen schon seit sec. 5 mehrfach vorkommt; der- 
selbe wird Fremdwort sein und eignet sich wegen der Taufe im 
Jordan vortrefflich als Taufname, hat ja auch im 8. Jhdt (vgl 
mein Namenbuch) noch ein Fem. Jordana und die beiden West- 



IV. Syntax. 127 

fränkischen Composita Jordildis und Jordoin erzengt. Trotzdem 
halte ich Jomandes fdr eine nicht so ohne weiteres za yerwerfende 
Form, sondern glaube, dass die Gothen, eingedenk der andern zn 
nautlyan gehörigen Namen, sich das Wort in ihrer Aussprache auf 
diese Weise mundgerecht gemacht haben. An ein Ibumanths mit 
Grinmi brauchen wir nicht zu denken. 

Dass in irgend einer Weise das Gothische vom urdeutschen 
Accente (s. Bd. I, 599) abgewichen sei, ist nirgend ersichtlich und 
kaum glaublich« 



»>^»^^^^^^^^^i^»^^S^>^^>'>^^^^ 



Sechster Abschnitt. 

Syntax. 

Hier ist es sehr schwer das eigenthfimlich Gothische voii dem 
der griechischen Sprache Nachgebildeten zu scheiden. Wir werden 
deshalb im Folgenden dem gothischen Ausdrucke den damit über- 
setzten griechischen mdfstens gegenüberstellen; in der Begel sind 
nur diejenigen Fälle für uns Ton Wichtigkeit, in denen das Gothi- 
sche Ton der Wortfügung des Griechischen abweicht; Ueberein- 
stimmnng kann eher auf blosse Nachbildung schliessen lassen. Ist 
stnch letztere vielfach nicht zu leugnen, so zeigt sich doch nament- 
lich, wenn man die von Ulfilas angewandten Verbalformen den 
dadurch übersetzten griechischen gegenüberstellt, dass Ulfilas durch- 
aus nicht sclavisch nachbildet, sondern seiner eigenen Auffassung 
des Sinnes folgt, dass wir also in der That z. B. eine speciell 
gothische Moduslehre construiren können. Ich erwähne hier z. B. 
Burckhardt der goth. Conjunctiv (Zschopau 1872). Man erwäge 
solche Fälle wie z. B. Böm. VIII, 35 hras uns afskaidai (gr. 
Xfo^Bij Ind. Fut) af friathvai Xristaus. Die schöne Inauguraldis- 
sertation meines früh yerstorbenen Freundes Artur Köhler über den 
syntaktischen Gebrauch des Dativs im Gothischen (Dresden 1864) 
werde ich im Folgenden mehrfach benutzen. 

Ist es so schon schwer eine gothische Syntax aufzustellen, so ist 
es noch viel schwerer (was hier unsere Aufgabe ist) den Unter- 
schied zwischen gothischer und urdeutscher Syntax zu fixiren, da 
die letztere ja noch (s. Bd. I, 599) für uns eine so gut wie unbe- 
kannte Grösse ist. Die Dürftigkeit der folgenden Bemerkungen 
rechtfertigt sich daher von selbst 



128 IV. Syntax. 

Für die VerbinduDg von SnbstantiT and SnbstantiT werdm 
wir dem Urdentsehen noeh eine grosse Freiheit in der Stellung der 
abhängigen Genetive zuzuschreiben haben; die Menge der gemein- 
dentschen uneigentlichen Gomposita erklärt sich nur daraus^ dass die 
Voranstellung des Genetivs vor das regierende Wort etwas sehr 
gewöhnliches war, wie sie im finnischen Sprachstamme sogar Ge- 
setz ist Im Gothischen nun sehn wir diese Freiheit ausserordent- 
lich beschränkt, der Genetiv wird fast immer nachgesetzt und Orioim 
kann Gramm. II (1826)^ S. 598 nur neun Beispiele aus Ulfilas fir 
den vorangestellten Genetiv anführen. 

Unrichtig ist es, wenn man es für eine speciell gothische 
Eigenthümlichkeit hält, dass bei den Substantiven fraiga, skalks, 
siponeis und svaihra zuweilen der Dativ stehen könne; in den Bei- 
spielen kommt stets das Verbum visan, einmal auch vairthan vor 
(thu is siponeis thamma, ni vairthaith skalkos mannam) und diese 
Hülfsverba, nicht jene Substantiva sind jedenfalls die Veranlassung 
zu den Dativen. 

In Bezug auf die Verbindung des Substantivs mit dem praedi- 
cativen Adjectiv hat sich ins Gothische schon hie und da eine 
Abweichung von der geforderten Formencongruenz eingeschlichen. 
So Gal. 2,16 ni vairthith garaihts (Masa) us vaurstvam vitödis 
ainhun leike; Eph. 3,10 ei kannith (Ntr.) vesi handugei guths; 
Gal. 5, 11 gatauran (Ntr.) ist marzeins galgins; Hatth. 8,31 tho 
sköhsla bedun ina qvithandans (Msc); Mtth. 9,33 usdribans 
(Msc.) varth unhultho. CoIIective Substantiva haben auch im Singular 
mehrmals das Adjectivum im Plural nach sich, doch ist diese Weise 
so weit durch die Sprachen verbreitet, dass wir darin kaum eine 
That des Gothischen sehn können. 

Wo ein Substantivum von einem Adjectivum in der Weise 
abhängt, dass es anzeigt, in Bezug auf welchen Gegenstand die 
Eigenschaft eines andern stattfindet, scheint im Gothischen schon 
eine Unsicherheit der Construction eingetreten zu sein, die bei 
längerem Leben der Sprache dem Gebrauche von Praepositionen den 
Weg gebahnt hätte. So heisst es Eph. 614 für neQtCoKUifievok w^ 
öftqnSv zwar afgaurdanai hupins, dagegen im folgenden Verse für 
vnoSfi<fdii€V(H tavg noSag gasköhai fotum. Liegt hier der UntM^ 
schied darin, dass im ersten Falle ein Participium, im andern ein 
Adjectiv steht? Job. 11, 44 steht dedefiivog %ovg noiag «al %dg 
%B%Qag und eben so gothisch gabundans handuns jah f5tun8. 

Substantivum und Pronomen. Wir bemerken hier «nuTi 
dass der Artikel sa im Gothischen gewiss schon häufiger als im 
Urdeutschen zum Substantivum gesetzt wird, doch sind die Regeln 



IV. Syntax. 129 

ziemlich nDbestimmt und der Fortschritt Tom Urdeutschen znm Goth. 
8t noch nicht zu ergrönden. Sehr conservativ ist das Oothische darin, 
idass es bei gewissen Wörtern, die nach altheidnischer Anschannng 
gottliche Wesen ausdrücken mnssten, stets den Artikel entbehrt, so 
bei gnth, ferner bei atta und frai^ja, wenn sie für guth stehn, bei 
snnnö, himins, airtha, halja und dauthus; endlich bei dags und 
nahts, wenn sie nicht ein Zeitmass, sondern mehr die astronomische 
Erscheinung ausdrücken. 

Snbstantivum und Verb um. Wir ordnen hier nach den 
Casus des Substantivs. Im Gebiete des Nominativs ist es als eine Ver- 
dunkelung des echten Sprachgefühls anzusehn, wenn Job. 13, 13 
Jus vopeid mik laisareis jah frauja statt des Acc. steht, wenn hier 
nicht das griech. vfistg gxovette fie 6 SiSdtSxalog xcu o xvQU)g (Vnlg. 
TOS vocatis me magister et domin^?) von Einfiuss gewesen ist. 
Merkwürdig ist auch, dass das griech. eVrl beim Neutr. Plur. 
zweimal (Job. 6, 63 und 1. Gor. 12, 12) im Gothischen durch den 
Sing, isl wiedergegeben wird. 

Für den Genetik bemerken wir, dass dieser Casus öfters in 
einer an den partitiven Gebrauch streifenden Weise unabhängig 
Tom Griechischen gesetzt wird, was schwerlich schon urdeutsch 
war; so Malth. 9, 36 ni habandona hairdeis, Marc. 8, 12 jabai 
gibaidau kunja thamma taiknS, Marc. 12, 2 ei at thaim vaurstvjam 
nemi ak ran i s this veinagardis, Marc. 12, 19 jah barne ni bileithai, 
Luc. 1, 7 : jah ni vas im barne. Aufifallend ist, dass bei hausjan, 
das sonst auch den Accusativ und Dativ regiert, zuweilen der 
Genetiv steht, wenn dabei der Begriff des gehorsamen Aufmerkens 
im Hintergrande liegt; so Job. 19, 13 thanuh Peilatus hausjands 
thize (vaurde), griech. o ovv üiXAtog dxovcfag tovrov tov Xoyov; man 
vergleiche auch Job. 10, 16 stibnös meinaizos hausjand und ähn- 
lich Job. 18, 37 bauseith stibnos meinaizos. Räthselhaft bleibt 
der Grenetiv bei bilpan und gahilpan, womit das griech. ßotid'S'Sv twi^ 
(fvXXaiißdvBC^ai %ivi wiedergegeben wird; so Marc. 9, 22 hilp unsara, 
Marc. 9, 24 hilp meinaizos ungalaubeinais, Luc. 5, 7 ei atiddjedeina 
hilpan izS, II. Cor. 6, 2 gahalp theina. 

Dass dem gothischen Dativ vieles aufgebürdet wird, was 
ihm eigentlich nicht zukommt, geschieht wesentlich aus dem Grunde, 
weil dieser Casus auch den Ablativ und Instrumental mit vertreten 
mnss. Dass er den vor undenklicher Zeit verlorenen Ablativ ersetzt^ 
ist weniger auffallend und nicht als speciell gothischer Vorgang 
anzusehn; Köhler giebt in der angeführten Schrift S. 49—51 zahl- 
reiche Beispiele solcher ablativischen Dative; aber dass der erst 
jüngst verlorene Instrumental auch in den gothischen Dativ eingeht| 
förstematm, Gescä, d, d. Sprw}h9tamme$. //. 9 



130 IV. Syntax. 

ist schon mehr ein hieher gehöriges Sprachereigniss; so Marc. 8, 4 
gasottyan hlaibam, Marc. 9, 49 fnnin saltada n. s. w.; in der 
neapolitanischen Verkanfsurkunde steht yiennal nfmelida handaa 
meinai. Aber aach ausser diesen ablativisehen und instrumentalen 
Dativen erscheinen noch viele, die unsere Aufmerksamkeit in hohem 
Grade in Anspruch nehmen. Mag auch bei manchen Verben die 
Präposition, mit der sie zusammengesetzt sind, einen EiniBuss auf 
die Wahl des Casus ansähen (Köhler S. 47 hat solche Beispiele 
gesammelt), mag auch bei andern der Dativ sich durch eine frühere 
uns verlorene Bedeutung des Verbums erklären, immer bleibt hier 
noch genug des Aufifallenden und speciell Gothi sehen übrig; ich 
glaube, dass hier vielfach noch eine Erschütterung des Sprach- 
gefühls nachwirkt, die eintreten musste, als die alte Accuaativ- 
endung im Singular unterging und nun der Oenetiv und Dativ dio 
beiden ganz klar ausgebildeten Casus blieben; da übernahm der 
Dativ in höherem Masse die Function für das Ziel, für das Wohin,, 
als ihm gewiss ursprünglich zukam. Hiemit scheint es zusammen- 
zuhängen, dass manche Verba, wie wir gleich sehn werden, in der 
Wahl zwischen Dativ und Accus, schwanken. 

Zunächst haben wir hier eine Anzahl Verba zu verzeichnen, 
denen das gemein ist, dass sie eine feindselige Handlung oder 
Gesinnung ausdrucken. Für den Begriff des Tödtens finden wir 
zwar bei dauthjan, afdauthjan, afslahan und maurthrjan stets den 
Accusativ, bei dem gleichbedeutenden usqviman jedoch nur selten 
diesen Casus, gewöhnlich den Dativ; ich stelle dazu gleich usqvistj an 
und fraqvistjan, die beide gleichfalls schwanken, doch so, dass 
jenes den Acc, dieses den Dat. vollzieht; beim einfachen qvistjan 
steht gleichfalls der Dat. (Luc. 9, 56 unte sunus maus ni qvam 
saivalom qvistjan, ak nasjan). Für den Begriff des Schmähens, 
Hassens, Verachtens findet sich Mehreres; so zuerst laian mit 
dem Dat. Joh. 9, 28 (thanuh lailöun imma); dann hvotjan drohen, 
das nebst seinem Compositum gahvotjan an verschiedenen Stellen 
den Dativ hat, eben so sakan, das im Sinne von zurechtweisen 
zweimal den Dativ hat, während das Compositum gasakan zwischen 
beiden Casus schwankt. Bei balvjan quälen ist der regelmässige 
Casus der Dativ (z. B. Matth. 8, 29 qvamt h6r faur mel balvjan 
unsis?), eben so bei usthriutan belästigen (z. B. Marc. 14, 6 duhve 
izai usthriutith?), femer bei usagljan misshandeln (z. B. Luc. ISy 5 
ibai und andi qvimandei usagljai mis). Zum Verachten gehört auch 
das Verwerfen und Verlassen; ich erwähne uskiusan verwerfen 
(z. B. Luc. 20, 17 stains thammei uskusun timijans), usvairpan 
desgl. (z. B. Luc. 6, 22 nsvairpand namin izvaramma sve ubilamma), 



IV. Syntax. 131 

bei welchem Verbum jedoch auch öfters der Acc. steht, afbrikan 
nicht erhöreoi abweisen (z. B. Marc. 6| 26 ni vilda izai nibrikan), 
frakannan verschmähen (z. B. 1. Thess. 5, 20 pranfeljam ni fra- 
konneith), bileithan verlassen, das viel häufiger den Dativ als den 
Acc. regiert. Am Schiasse dieser Gruppe erwähne ich noch hatizön, 
das im Gegensatz zu dem primitiven hatan den Dativ verlangt, also 
mehr unserm zürnen entspricht 

Eine andere Begriflfsgruppe, die sich der dativen Gonstruction 
zuneigt, bilden die Verba, die ein Herrschen und Regieren be- 
zeichnen. Da ist zunächst valdan, z. B. 1. Tim. 5, 14 garda valdan 
cixoieffnotsZvy und in der etwas aufiTälligen, doch nicht unerklärlichen 
TTebersetzung von xcu dqxBl^^B %olg oifHxyvtoig vfKSv (Luc. 3, 14) 
durch j»b valdaith annom izvaraim. Dann reikinon, welches nie 
anders ^Is mit dem Dativ vorkommt und so das griechische a^erv 
mit dem Genetiv übersetzt, z. B. Joh. 14, 30 qvimith saei thizai 
manasedai reikinöth. Dann auch frai^inon, z. B. Luc. 2, 29 frauji- 
nönd fraiga, und so an manchen andern Stellen. 

Die übrigen Verba, bei welchen dem Gothischen, so viel ich 
sehe, der Dativ eigenthümlicb ist, fasse ich in ein nach dem ein- 
fachen Worte geordnetes alphabetisches Verzeichniss zusammen. 

bairgan, bewahren, schützen; so Joh. 17, 15 ^i baii^ais im 
und Joh. 12, 25 bairgith izai. Ja sogar im Passiv hat gabairgan 
den Dativ bei sich Matth. 9, 17, wo dfig>6teQov <fwrriQovvTcu über- 
setzt wird mit bajöthum gabairgada. 

usdreiban, womit das griech. ixßdXXew, dmxitiXkaw übersetzt 
wird, hat nur an drei Stellen (Marc. 5, 10 und Luc. 9, 40 und 43) 
den Dativ, an sieben andern den Acc. bei sich. 

frathjan ^^or^Iv, selbst ni frathjan dpfoelkfd^cu hat an zehn 
Stellen den Dativ (stets von Sachen, nie von Personen), so dass 
die Gothen das Wort intransitiv (klug, verständig sein) gefasst haben 
werden. 

gaumjan wahrnehmen zeigt sich an vier Stellen mit dem Dativ, 
nie mit dem Acc. 

hausjan hören regiert zwar den Acc, wenn das bloss sinnliche 
Wahrnehmen des Schalles gemeint wird, den Dativ aber, wenn 
dabei an das geistige Aufmerken oder gar das Gehorchen zu denken 
ist Dass andhausjan und ufhausjan in dem letztgenannten Sinne 
den Dativ haben, fällt nicht auf, aber auch in der Bedeutung von 
erhören hat andhausjan dreimal den Dativ. 

hleibjan schonen zeigt nie den Acc, den Dativ dagegen Luc 
1, 54 hleibida Israela thiumagu seinamma (griech. dvtiXaiißdvec&ai). 

9» 



132 IV, Syntax. 

borinöo (moechariy iioixevsi/v) bat den Dativ Mattb. 5> 28: ga- 
borinoda izai. 

kukjan kässen ist eins der auffallendsten anter diesen Verben; 
80 steht Marc. 14, 44 thammei kakjau; wo Otfrid sagt tben ih küsse; 
im Afad. steht hier immer der Aeens», so anch im Heliand kossin 
ina; aaeh altn. kyssa hat wol immer den Aecns. Noch in vier 
andern Stellen ausser der angefahrten bat kukjan bei Ulfilas 
den Dativ. 

galukan xXeisi/v finden wir mit dem Dativ Hatth. 6, 6: gala- 
kands haurdai theinai, während sonst dieses Verbam immer den 
Accus, bei sich hat. 

fraqviman, mit der auffallenden Bedeutung von aufwenden, ver- 
zehren (dvaU(fx€iVy nqogavaXi(Sxew^ icmaväv) zeigt wie das schon 
oben angeführte nsqviman den Dativ Marc, ö, 26: fraqvimandei 
allamma seinamma so wie noch an zwei andern Stellen. 

skaidan scheiden xoaqiCByv regiert den Dativ Marc. 10, 9 : manna 
thamma ni skaidai, in andern Stellen stehn dabei Praepositionen. 

t6kauy attekan berähren, anfassen, amsa&ai, verbindet sich ganz 
regelmässig an einer grossen Anzahl von Stellen mit dem Dativ, 
dreimal sogar mit dem doppelten Dativ, nämlich an den gleich- 
lautenden Stellen Matth. 8, 3 und Luc. 5, 13 handu attaitok imma 
und Marc. 5, 30 hvas mis taitök vastjöm (griech. lig fiov ^ipmo 

gathlaihan umarmen, liebkosen hat in ähnlicher Anschauung 
wie kukjan den Dativ, z. B. Marc. 10, 16 gathlaihands im. 

vairpan werfen (usvairpan begegnete schon oben) schwankt in 
der Rection zwischen Dativ und Accusativ; jener z. B. steht Marc. 
4, 26: vairpith fraiva {ßdXri %6v (Snoqov). 

vitan beobachten, bewachen verbindet sich regelmässig, and 
zwar an nicht wenigen Stellen, mit dem Dativ, z. B. Marc. 6, 20 
vitaida imma jah hausjands imma manag gatavida jah gabauijaba 
imma andhausida, wo wir drei der hier erwähnten Verba in einem 
halben Verse mit dem Dativ construirt sehn. 

Ueber alle diese Verba so wie auch über diejenigen, bei denen 
der Dativ weiter nicht auffallend ist, findet man Näheres in der 
angeführten Schrift von Köhler mit manchen feinen Bemerknngen. 

Ueber den Accusativ ist kaum etwas Auffallendes zu bemer- 
ken. Den Acc. c. Inf. kennt das Gothische etwa in demselben 
Umfange wie das Altslavische, scheint also ^^^gte dessen Sphaere 
ausgedehnt noch bescliränkt zu haben. Ißit^gl^^nQiiYi. stimmt es 
hierin Marc. 8, 27 hvana mik qvithand maris vlsan? = xS^a iie 
k^wffw oi ävd'Qfonoi ehm\ und eben so Marc. 10, 36 hva vileits 



IV. Syntax. I33 

taajan mik igqvis? == tt d^ilete jioi/^aai fis vfjttv] dagegen gebrancht 
das Goth. die Gonstraction, wo sie das Grieeb. nicbt bat, Lac. 4' 
36: jah yarth afslaathnan allaus ==■ xal iyiveTO •S'dfißog imndvxag. 

Fär den Instrumental ist merkwürdig der Gebraneh dieses 
Casus bei galeikön {ofWLovv, 6fwu>va&(u\ das sonst den Dativ regiert, 
in den beiden Stellen Marc. 4, 30 hve galeikdm thiudangardja 
gutbs, und Luc. 7, 31 hve nu galeiko tbans maus tbis kunjis jah 
hve sijaina galeikai? n 

Substantivam und Partikel. Speciell gotbisch ist es, dass 
die Praeposition in (ausser den Dat und Acc.) aucb den Genetiv 
regiert, letzteren namentlicb in der Bedeutung von wegen als 
Uebersetzung von dtd mit Gen. oder Acc, inl mit Dat., vtisq mit 
Gen., n€Ql mit Gen., x^Q*^ ^^ Gen.; zu bemerken sind die adver- 
bialischen Verbindungen in tbis oder inuh this darum, deshalb, in 
thizei, in thizeei weil, weshalb, in thizözei vaihtais um deswillen, 
in bvis weshalb. 

Bei den Begriffen legen, setzen u. dgl. steht m mit dem 
Dativ, bei qviman in und ana meistens auch mit dem Dativ: Marc. 
6y 29 galagidSdnn ita in hlaiva = ed^xav avrd iv iivri(iBiv^\ 1. Cor. 
12, 18 gasatida lithuns in leika = id-eto id fiiXri iv reo awfum', 
Luc. 3, 17 briggith kaum in bansta seinamma = awa^ev tov tfttov 
Big Tiiiv dno&TJxriv avrov] Marc. 6, 1: qvam in landa seinamma =s 
tfld-ev eig t/jv natQiSa avtov-^ Luc. 19, 5: qvam ana Stada = riXB-ev 
inl ToV tonov. Dagegen heisst es altn. kominn i höll anlam ingres- 
sus. Bei leggja schwankt der Gebrauch der Praep. ä mit Dat. 
oder Acc; letzterer scheint häufiger; bei setja z. B. stafn i haf 
naves in altum dirigere. Ahd. kumit in gotes antwart, qvam in 
werlt, chome in not u. s. w.^ legeti sina baut an inan, legent dea 
in fiures ovan, legitun iro haut in then heilant; bei sazjan steht in 
oder ana mit Dat. und Acc. Also iiberall sehr abweichend vom 
Gothischen. 

Sehr auffallend ist, dass für den Sinn zu jemand reden bei 
rödjan, das sonst gewöhnlieh du mit Dat., oder seltener den blos- 
sen Dativ, zweimal auch tnith c. Dat. hat, einmal in c. Dat. steht 
Luc. 2, 38 rödida bi ina in allaim thaim iXdXei neQl avrov näöi rötg. 

Adjectivnm und Verbum. Die Zusammensetzung des Par- 
ticipiums mit dem Verbum im dient schon gewiss mehr als im 
Urdentschen zum Ersatz für Verbalformen, theils für noch vorhandene 
wie sitands ist er sitzt^ theils für untergegangene wie tauhans vas 
er wurde geführt oder faauhiths im ich bin verherrlicht worden. 

Pronomen und Numerale. Da die Distributivzahlen im 
Gothischen alle bis auf tveihnai untergegangen sind, so macht sich 



134 IV. Syntax. 

hier eine Umschreibnng notbig, die in der Weise eintritt, daas die 
Cardinalzahl mit dem Pron. hvaznli oder hvaijiznh yerbunden wird; 
SL B. insandida ins tvans hyanznh Lac. 10| 1; gayaurkeith im 
anakombjan knbitons ana hvarjandh fimftigans Lue. 9| 14. Statt 
des Pronomens kann aaeb die Praeposition bi eintreten, z. B. bi 
tvans aitthan maist thrins 1. Cor. 14, 27. 

Ffir die Verbindung TOn Pronomen und Verbnm weiss icb 
als speciell gothisch nur zu erwähnen das sehr auffallende m/A isl 
kara fiiXei fioi, welches an fünf Stellen vorkommt; man wird mit 
Grimm annehmen mässeui dass der Gothe damit ein ihm wol 
erlaubtes, für uns freilich nicht nachzuweisendes näk karaith ersetzen 
wollte. 

Die Verbindung von einzelnen Pronominalcasus mit Partikeln 
führe ich unten an, da jene Casus selbst schon zu Partikeln ver- 
steinert sind. 

Verb um und Verb um. Wir sehn das Gothische mehrfach 
in einer ihm eigenthämlichen Weise auf dem aus den verschieden- 
sten Sprachen so vielfach bekannten Wege fortschreiten, dass die 
Einbussen des alten Gonjugationssystems durch Hfilfsverba ersetzt 
werden, welche die Form des Hauptverbums vertreten, während 
letzteres nur noch seine Substanz, nicht mehr seine Form zur 
Geltung zu bringen hat. 

Träger des Futurbegriffs sind in dieser Weise die drei Verba 
skulan, haban und duginnan, das erste wie im Angelsächsischen, 
das zweite wie in den romanischen Sprachen, das dritte als gothische 
Besonderheit. Beispiele sind: hva skuli thata bam vairthan 
Luc. 1, 66> saei skal stöjan 2. Tim. 4, 1; tharei ik im, thamh 
sa andbahts meins visan habaith Job. 12, 26> ith thatei tauja 
jah tau Jan haha 2. Gor. 11, 12; unte gaunon jah gretan 
duginnid Luc. 6, 25, in thamma faginö jah faginon duginna 
Phüipp. 1, 18. 

In einer eigenthämlichen Gährung finden wir das Gothische 
in dem Bestreben den Begriff des Infin. Passivi auszudrucken. Ab- 
gesehen von der nicht hieher gehörigen Vertretung desselben durch 
den blossen Activinfinitiv oder durch denselben mit dem Beflexiv- 
pronomen sehn wir hier die Verba vairthan und skuld visan helfend 
eintreten; z. B. skal sunus maus manag vinnan jah uskusans 
vairthan Luc. 9, 22, ganz nach unserer Weise, sunus maus 
sknlds ist atgiban Luc. 9, 44^ so dass in dem letzteren Falle 
der Infinitiv durch den Znsatz passivisch verstanden wird, während 
im ersteren das vairthan gewöhnliches Hiilfsverbum ist. 

Hervorgehoben zu werden verdient auch der eigenthumliche 



IV. Syntax. 135 

Gebrauch dieses vairthan mit dem Infinitiv und einem dazu gehörigen 
Dativ, wo der Infinitiv ganz für ein Substantivum steht, z. B. 
2. Cor. 7, 7 svaei mis mais faginon varth, Marc. 2, 23 jah varth 
thairhgaggan imma thairh atisk, Luc. 6, 1 jah varth gaggan imma 
thairh atisk, Luc. 6, 6 jah varth galeithan imma, Luc. 6, 22 varth 
than gasviltan thamma unledin; hier finden wir überall im griech, 
Text iyevezo mit Acc. c. Infin. 

Verb um und Partikel. Hier erwähne ich zuerst, dass faur- 

thizei (bevor, ehe) ganz wie das lat. priusquam den Optativ 

regiert. So tritt es ein in Stelle des griecb. ngd rov mit Acc. c. 

Inf. Matth. 6, 8 faurthizai jus bidjaith ina, Luc. 2, 21 faurthizei 

ganumans vesi in vamba, Joh. 13, 19 faurthizei vaurthi, Joh. 17,5 

faurthizei sa fairhvns vesi, Gal. 2, 12 faurthizei qvemeina sumai; 

ferner für nQlv mit Acc. c. Inf. Joh. 8, 58 faurthizei Abraham 

vaurthi, Joh. 14, 29 faurthizei vaurthi, Marc. 14, 72 faurthize hana 

hrukjai; endlich auch für nQlv rj mit Conj. Luc. 2, 26 faurthize sehvi. 

Bemerkenswerth ist auch, wie das Gothische die Gonsecutiv- 
sätze mit griech. äa%€ wiedergiebt. Wir finden für äare t6 nXolov 
Mkv7vtB(S^(u Matth. 8, 24 svasve thata skip gahulith vairthan, und 
für oKfre omov xa^ifd'av Marc. 4, 1 svasve ina gasitan. Ist das 
echt gothisch, wie es kaum anders sein kann, so ist es dem 
Gothischen eigenthümlich ; natürlicher heisst es vom deutschen 
Standpunkte aus für ätfte ^avfid^ei/v tov 'qyefiova Matth. 27, 14 
svasve sildaleikida sa kindins und für &(fte aw^rirsTv Marc. 1^ 27 
svaei sökidedun mith Bis. 

Partikel und Partikel. Es ist ein Zeichen vorgeschrittener 
syntaktischer Feinheit und logischen Bedürfnisses, wenn die Sprache 
das lebhafte Streben zeigt eine Partikel mit der andern, die im- 
merhin ein versteinerter Fronominalcasus sein kann, zu einer 
höheren formelhaften Einheit zu verschmelzen. Davon giebt das 
Gothische mehrfache Belege; ich erwähne in this deshalb, darum, 
faurthizei bevor, ehe, fram vigis fortwährend, für immer (hier also 
sogar mit ursprünglichem Substantivum), bi thamma auf dieselbe 
Weise, eben so, hvan filu mais thamma je mehr, desto mehr, in 
thammei darüber dass, als, wenn, weil, ei than daher, mithin, ju- 
than schon, du th^ deshalb, darum, du hve weshalb, warum, bi 
the nachher, späterhin (als Conjunction als, wenn), eithau wo nicht, 
ei aufto ob etwa. 

Wir kommen nun zu den zusammengesetzten Sätzen, die 
wesentlich darauf hin anzusehn sind, wie weit etwa der Indicativ 
in das dem Optativ gebührende Oebiet hinübergreift und wie weit 
der letztere etwa dem ersten in den Weg tritt. 



186 IV, Syntax. 

Als Beispiel des ersteren Falles fallt der specieü gothisdie 
Gebraacb auf, dass in abhängigen Sätzen das Praes. Ind. öfters 
steht, wo das Praet. Opt. logisch richtiger wäre, z. B. gahaosjands 
thatei Jesus sa Nazöraios ist Marc. 10, 47, oder thamh than 
gasahv managei, thatei Jesus nist jainar Job. 6, 24 

Wichtiger sind die Uebergri£fe des Optativs, die stets einen 
siegreichen Kampf der Gefügigkeit gegen die Starrheit bekunden. 
So scheint es speciell gothisch zu sein (wenn auch das Ahd., wie- 
wol weniger ausgeprägt, diesen Gebrauch kennt), dass der Optati? 
bei temporalen Nebensätzen mit than und bith6 gebraucht wird, 
wenn die Hauptsätze selbst optatiriseh oder Imperativisch sind, z. 
B. Gol. 16, 2 ei ni, bithS qvimau, than gabaur vairthai (damit nicht, 
wenn ich komme, dann erst die Steuer geschehe), und so noch 
in manchen andern Fällen« In ganz ähnlicher Anschauung wirft 
der Hauptsatz seine Färbung auf den Nebensatz hinüber in dem 
Falle, wo eine Negation oder ein Fragwort in jenem steht, dieser 
aber ein Relativsatz ist. So z. B. Marc. 10, 29—30 ni hvashun 
ist, saei aj9ailöti gard, -saei ni andnimai, Marc. 7, 15 ni vaihts 
ist utathrö maus inn gaggandö in ina, thatei magi ina gamainjan, 
Luc. 1, 61 ni ainshun ist in kuiga theinamma, saei haitaidau 
thamma namin, 2. Gor. 12, 13 hva auk ist, thizei vanai veseith, 
Marc. 8, 2 ni haband, hva matjaina, Matth. 9, 28 gaulaubjats, 
thatei magjau thata taujan? 

In den absoluten Participialsätzen ist es sehr zweifelhaft, ob 
das Gothische die urdeutsche Stufe überschritten hat, denn bei den 
geneÜTisohen und dativischen Wendungen bieten die andern deut- 
schen Sprachen Parallelen und für die wenigen Fälle, wo man 
absolute Nominative oder Accusative annehmen könnte, lassen sich 
auch andere Wege zur Erklärung finden. 



Siebenter Absehnitt. 

Elnfluss fremder Sprachen« 

Da uns vom Gothischen keine Volksliteratur, sondern nur 
eine Uebersetzung erhalten ist, so werden uns die in letzterer ent- 
haltenen Fremdwörter nur ahnen lassen, wie weit der gothische 
Sprachgeist dem Fremden Zutritt gestattete, durchaus aber nicbt 
im einzelnen Falle zu dem Schlüsse berechtigen, dass dieses oder 
jenes Wort sich auch im Gothischen Volksmunde heimisch gemadit 



IV. EinflüSB des Griechischen. 137 

labe. Gar nicht ist das der Fall gewesen mit den meisten Fremd- 
wörtern zweiter Potenz, ich meine mit denjenigen Ausdrücken, 
die bereits im griechischen Texte aus dem orientalischen Sprach- 
schatze herüber genommen sind, wie abba Vater, ailöe und helei 
mein Gott, bauanairgais Donnerkinder, gaiainna Hölle, kaurban 
Gabe, kaurbanus Tempelschatz, mammöna Reichthum, manna Manna^ 
rabbi, rabbaunei Rabbi, raka Taugenichts, saban feine Leinwand, 
sikls Sekel, taleitha Mägdlein, aiffatha öffne dich, kumei stehe auf, 
maran atha der Herr kommt, sibaktbani du hast mich verlassen, 
ftsanna Hosianna, lima warum ; als wirklich in das Volk übergegangen 
sind von diesen hebraeischen Wörtern nur amen Amen und sabbatus 
Sabbat anzusehn, von welchem Ulfilas auch das hybride afarsabbatö 
Hachsabbat bildet. 

Von den griechischen Fremdwörtern, die wir im Gothischen 
finden, ist schon Bd. I, 612 ff. eine Anzahl vorweg genommen, da 
sie dem ganzen deutschen Sprachstamme gemeinsam sind. Von 
diesen ist hier weiter nichts zu sagen, als dass sich von mehreren 
im Gothischen noch deutsche Bildungen und Ableitungen finden, 
die recht ihren Uebergang in den gothischen Sprachschatz bekunden; 
so von episcopus (Bd. I, 613) das Fem. aipiskaupei-n Bischofsamt; 
evangelium (s. ebds.) erscheint im Gothischen als starkes Neutrum 
aivaggeli und als schwaches Fem. aivaggeljö-n, femer mit griech. 
Endung aivaggelista Evangelist und als deutsches Wort aivaggSljan 
das Evangelium verkünden; von eXttMv oleum (Bd. I, 616) haben 
wir das Adj. alevs (fairguni alevjö Oelberg) und das hybride Subst. 
alevabagms Oelbaum; von apostolus (Bd. I, 612) bildet Ulfilas 
das Fem. apaustaulei-n Apostelamt und das hybride galiuga- 
apaustaulus Lügenapostel; von purpura (Bd. I, 616) das Verbum 
paürpurön mit Purpur färben; von diabolus (Bd. I, 613) das Fem. 
diabula Verläumderin; von presbyter (Bd. I, 613) das Fem. praiz- 
bytairei-n Priesterschaft; von propheta (s. ebds.) das Fem. prau- 
ieteis Prophetin, das Neutrum praufSti Pro]Aiezeinng, das Verbum 
praufetjan prophezeien und die beiden hybriden Zusammensetzungen 
galiugapraafgtus und liugnapraufetus (vgl. auch galiugaxristus) ; 
psalma (s. ebds.) erscheint nicht bloss als starkes Fem. psalma, 
sondern auch als schwaches psalmö. 

Bekunden schon diese Fälle die Leichtigkeit, mit der der Gothe 
sich die griechischen Ausdrücke assimilirte, so thut das noch mehr 
der Ueberschuss, den das Gothische vor dem gewöhnlichen 
deutschen Masse griechischer Fremdwörter voraus hat. Es sind 
etwa folgende: aikklesjö-n (also mit deutscher Endung) Kirche, 
aivlaugia (schwaches Msc; Segen ^ aivxaristia (schwaches Msc.) 



138 IV. EmflnBB des GrieohiBchen. 

Danky anathaima Verflachang, aromata Specereien , anrahi (st fem.) 
Grab (doch wol das griecb. 6qvxij)f azymos angesäuertes Brod, 
barbams Barbar, byssus feine Leinwand/ daim6nareis (mit dentscber 
Endung gegen griecb. daifwviiofiBvog) der Besessene^ drakma (achw. 
Msc.) Drachme, gazanfylakiaun Schatzhaas , hairaisis Ketzerei, 
hyssöpo Ysop, jöta (schw. Msc.) P&nktohen, martyr (im Calender) 
Märtyrer, nardns Narde, paraUetus Tröster, paraskaivS Bfisttag, 
smym Myrrhe, spyreida Korb ^7tvQlg\ synagöge Synagoge nebst 
dem hybriden synagogafaths, zelötes Eiferer. Bemerkenswerth ist, 
dass Ulfilas zweimal das griecb. taitrarkes Vierfärst nnfibersetzt 
lässt, während er Lac. 3, 1 TetQOQxoSvtog vijg Faldaiftg 'Hq{6Sov ete. 
mit fidarraginja a. s. w. dreimal wiedergiebt, und zwar begegnet 
taitrarkes Luc. 3, 19 und 9, 7; es ist als bereute der Uebersetzer 
die vorhin gebrauchte Uebersetzung, bei der sich die Gotben doch 
keinen recht klaren Begrifif machen konnten. Von Acijectiven ist 
judaivisks jüdisch nqch dem dritten Buche zuzurechnen, aber das 
Adv. judaiviskö und das Verbum judaiviskön zeigen die Assimi- 
lationsgabe des Gothischen; sonst ist noch zu erwähnen das Adj. 
pistikeins (das griecb. m(ftix6g, aber mit deutscher Endung); auch 
der lateinische Text hat hier (Job. XII, 3) das entlehnte pisticus 
Sehr auffallend ist das einzige in diese Beihe gehörige Verbum 
kaupatjan ohrfeigen, womit an den vier Stellen, da es vorkommt, 
das griecb. xoXag^i^etv übersetzt wird; wie Ulfilas dazu kam, dies 
Wort nicht durch ein gotbisches wiederzugeben und zweitens so 
umzuwandeln, ist kaum einzusehn; und doch scheint es dies griechi- 
sche Wort zu sein, denn zur Herübemabme von xotttoo wäre vollends 
kein Grund abzusehn; die Deutung aus dem Deutschen ist nicht 
gelungen. 

Bei manchen dieser Wörter befremdet es überhaupt, . dass der 
GU)the das griechische Wort stehn liess; wie viefl geschickter (zum 
Theil sogar schön) hat Luther einige dieser Ausdrucke behandelt! 

Einen mehr innerlichen Einfluss des Griechischen sahen wir 
schon oben in der Wiedergabe von dvayiyvokxo) lesen durch anaknn- 
nan (wovon sogar dasSubst. anakunnains Lesung) und lonoXoxavtwfMa 
Brandopfer durch alabrunsts. Luc. 2, 1 bildet Ulfilas dnoyQdg>ea&M 
genau durch sein gamgljan nach, aber im folgenden Verse scheut 
er sich das Substantivum dnoyQagyq etwa durch gam@leins wieder- 
zugeben, da dies doch nicht recht den technischen Begriff von 
census ausgedrückt hätte; er setzt dafür gilstrameleins, so dass 
man hier deutlich die Grenze der Nachbildung sieht. 

Genauer müssen wir die bei Ulfilas begegnenden lateinischen 
Ausdrücke ins Auge fassen, da sich an diese eine sehr wichtige 



ly. EinfliiBS des Lateinischen. 139 

Präge knüpft. Wir haben hier drei Glassen dieser Ausdrücke za 
scheiden. 

1) die lateinischen Wörter sind bereits in den griechischen 
3nmdtext übergegangen , wo sie also Ulfilas bereits vorfand; sie 
leweisen daher nur für das Eindringen römischen Wesens in Fa- 
ästina, kaum etwas für das Gothische. Hieher gehört vor allem 
Caisar, das an nenn Stellen dem schon griechisch gewordenen 
talaaQ entspricht und wofür der Oothe bei der völligen Verschieden- 
lieit des germanischen Eönigthums von dem römischen Imperatoren- 
Riesen unmöglich eins seiner Wörter für Herrscher anwenden konnte. 
Einmal wird das Wort sogar, wo es im Griechischen nicht steht, 
EU einer jedenfalls erst von Ulfilas geschaffenen Neubildung benutzt, 
Dämlich zu den zusammengesetzten kaisaragild; hiemit wird das 
ins Griechische übergegangene xijv<fog (census) wiedergegeben, für 
das der Gothe kein gothisches Wort fand, da eine regelmässige 
Besteuerung der freien Volksgenossen ihm völlig unbekannt war. 
Andere solche lateinische sowol in den griech. als goth. Text über- 
gegangene Ausdrücke sind assarius d<f<fdQu>v (mit griechischer 
Ableitung), laigaiön XeyuoVj das an zwei Stellen begegnet, wäh- 
rend an einer dritten das Fremdwort, obwol es als Name gebraucht 
ist, dennoch durch harjis übersetzt wird; maimbrana (schwach decli- 
nirt) iMixßqdva; praitöria, praitöriaun nqcutioqiovy an fünf Stellen; 
spaikulatur anBxovXdt(üq, 

2) die lateinischen Ausdrücke sind selbst griechische Fremd- 
wörter; das Gothische lehnt sich bei ihrer Wiedergabe aber nicht 
an die im griechischen Text vorgefundene, sondern an die lateini- 
sche Form an. So heisst es griech. cxoqniog^ im Goth. aber mit 
schwacher Form skaurpjö (als Fem.); das griech. noQg>vQovg wird 
im goth. paurpurods, das zweimal begegnet, nicht herübergenom- 
men, sondern vielmehr das lat. purpuratus, das eben so wie das 
goth. Wort eine Participialbildung ist. Dass nicht das griech. olvog, 
sondern das lat. vinum dem deutschen Worte zu Grunde liegt, ist 
allgemein deutsch (Bd. I, 616); dem Gothischen fugt sich das 
Wort mit grosser Leichtigkeit zu den hybriden Bildungen veinabasi, 
veinagards, veinatains, veinatriu, veindrngkja. 

3) der gothische Text hat das lateinische Wort nicht vorge- 
funden, sondern gewählt; der wichtigste Punkt. Unter den hier 
zu erwähnenden Ausdrücken ist zuerst auszusondern das oft am 
Rande zur Bezeichnung von Perikopen beigeschriebene laiktjo 
(lectio), welches sich nur im Cod. Ambros. B findet, also durchaus 
nicht von Ulfilas herrührt, sondern jünger ist Die übrigen latei- 
nischen Ausdrücke sind neun an Zahl ; sehn wir zu, ob der Gt)the 



140 ^* £inflii8B des Lateinischen. 

sie als volksthümlich gewordene Fremdwörter vorgefunden oder 
in einer gewissen Noth gesucht hat Häufig unter ihnen begegnet 
nur das Verbum anakumbjan, womit das griechische dvaMela&at, 
dvaxXlveif^cUy dvamjrtsw und andere Ausdrucke wiedergegeben 
werden und womit das römische, den Deutschen unbekannte Nieder- 
legen zu Tische bezeichnet wird, also gewiss kein den Gk>then 
geläufiges Wort; dazu gehört gleich das Substantivum kubitus, das 
Niederlegen zu Tische, das nur einmal begegnet und das griech. 
xkiASia übersetzt. Viermal bei Ulfilas und einmal in der Skeireins 
zeigt sich lukam {}.v%vog)y ausserdem dreimal in der Zusammen- 
setzung lukamastatha {Xvxvla); in den römischen Kerzen und 
Leuchtern begegnete allerdings den Gothen ein ganz fremdartig 
eingerichtetes Geräth, das ihnen überall in grosser Anzahl aufstiess. 
Zweimal finden wir als Uebersetzung des griech. öipwviov das 
lat. annona als gothisches Fem. anno; mit annöna wurden jene 
Tributzahlnngen bezeichnet, zu denen sich seit lange Born den 
Gothen gegenüber hatte verstehn müssen; im einheimischen gothi- 
schen Leben ist das Wort gewiss unbekannt gewesen. Aurkeis 
urcens haben wir an zwei einander benachbarten Stellen, wo schon 
als Synonyma die gothischen Ausdrücke katils und stikls gebraucht 
werden, also eine gewisse Noth um ein Wort eintrat, da kas wol 
zu allgemein war. Die vier andern Wörter sind ämx^ IsYOfievay 
also gewiss nicht den Gothen in Fleisch und Blut übergegangen. 
Zwei derselben zeigen sich noch dazu in einem Verse zusammen. 
Es heisst nämlich Job. 11, 44 Jah urrann sa dautha gabundans 
handuns jah fötuns faskjam, jah vlits is auralja bibundans; 
dafür lautet es im Griechischen Kai i^rjX&ev 6 Tedyrjxcigy dedeixevog 
tavg nodag xdl rdg x^*^Q^^ xet^laig xal rj oxf)vg avtov dovdaqU^ 
neQvedideto. Man sieht also, dass schon das Griechische seine Noth 
hatte, diese eigenthümlichen an die ägyptischen Mumien erinnern- 
den Hüllen hebräischer Leichname auszudrücken, da es das sehr 
seltene xei^la (Bettgurt u. dgl.) und das dem Lateinischen entlehnte 
(SovSdqwv nimmt; das Gothische setzt für das erste das lat. fascia^ 
für das zweite das vulgärlateinische orale. Endlich bieten die 
gothischen Wörterbücher auch zwei dem Lateinischen entlehnte 
Verba. Das erste ist kapillön die Haare scheren; auch hier tritt 
wol eine gewisse Verlegenheit des Uebersetzcrs ein, da er an der 
Stelle (1. Gor. 11, 6) zwei Synonyma braucht, die er durch kapillön 
und skaban wiedergiebt; zu ersterem hätte er unser scheren ver- 
wenden können, wenn das Wort nicht, wie es scheint, im Gothischen 
ganz verloren wäre. Das zweite Verbum ist militön; ich bezweifle 
aber, dass Ulfilas eine wirkliche Verbalform dieses Wortes würde 



ly. £iiifliiB8 des Lateinischen. J4X 

gebraHcht haben; er will an der Stelle Luc. 3, 14 römische Soldaten 
bezeichnen und zwar durch ein Participium, dem tftQatevoixevoi des 
Gmndtextes entsprechend, deshalb wählt er militöndans ; ich glaube, 
er hat ein gothisches drauhtinöndans vermieden, weil er damit nach 
gothischer Anschauung den im Kriege befindlichen freien Bürger 
gemeint hätte, nicht denjenigen, welcher auch im Frieden dem 
Soldatenstande angehört. 

Nimmt man zu alle dem noch die schon im dritten Buche er- 
wähnten, nicht bloss ins Gothische, sondern überhaupt in die 
deutschen Sprachen eingedrungenen lateinischen Wörter, so finde 
ich unter ihnen nur sechs, die in der gothischen Bibelübersetzung 
unabhängig vom griechischen Texte gewählt sind. Akeit o^og, 
katils xahciov (hier wahrscheinlich Uebersetzung eines technischen 
hebräischen Ausdrucks), pund Utqa, sigljö (Sq>qaylg sind allem An- 
scheine nach dem G^then fremde Begriffe gewesen. Arka xi^ßanög 
übersetzt Noahs Arche^ deutet also auf Bekanntschaft mit der la- 
teinischen Bibelübersetzung, zweitens aber bezeichnet es yho(S(Sox6iwv 
(zunächst wol Erstehen zum Aufbewahren der Flötenmundstücke) 
Geldkasten, gewiss etwas den Gothen Neues. Earkara endlich ist 
3€(ffiayr)JQiaVj g)vXcat7J; die Gothen aber hatten kein Gefängnisse da 
ihr Volksrecht keine Freiheitsstrafe kannte. 

Alle diese entlehnten lateinischen Wörter machen den Eindruck, 
als seien sie zwar den Gothen bei ihrem Verkehr mit den Römern 
und bei ihren Wohnsitzen innerhalb des römischen Reiches ver- 
ständlich gewesen, aber doch nicht eigentlich in die Sprache auf- 
genommen. Nun hat man neuerdings, um gewisse Hypothesen über 
die Geschichte der Vocale in den deutschen Sprachen wahrscheinlicher 
zu machen, die Ansicht aufgestellt, dass wir in der uns vorliegenden 
Gothischen Bibel gar nicht mehr die Uebersetzung des Ulfilas in 
ihrer ursprünglichen Gestalt, sondern schon ein hinein corrigirtes 
italisches Ostgothisch des 6. Jahrhunderts haben. Um diese An- 
sicht zu stützen, sind dann auch jene lateinischen Fremdwörter zur 
Hülfe lierbeigerufen worden. Ich kann mich solcher Hypothese 
nicht anschliessen ; wir müssten erstens eine sehr geringe Pietät 
der gothischen Bischöfe gegen den heiligen Text annehmen; zweitens 
müsste ein wunderbar geschickter Erneuerer angenommen werden, 
der alles wieder doch so harmonisch gestaltet hätte; drittens würde 
derselbe doch vor Allem die bei Ulfilas noch sehr deutlichen Spuren 
der Uebersetzung aus dem Griechischen mehr verwischt haben; 
viertens aber wäre gewiss eine ganz andere Reihe sehr geläufiger 
Fremdwörter eingedrungen, z. B. solche wie murus, turris, palatium, 
Valium, scribo u. a., zu denen Anlass genug war. In den Glossen 



142 ^* £infln08 des Slaviseheii, Kelttochen» FfmiisoheiL 

zum Teite Hegt Belehrendes für den Unterschied der Sprache 
zwischen der Zeit des Ulfilas und der Niederschrift der Handschriften; 
diese Olossen verlören bei jener Hypothese alle sprachmssenschaft- 
liehe Bedeutung. 

Der Einflnss anderer als der bis hieher erwähnten alten 
Sprachen auf das Gothische lässt sich nur mit Mühe und in geringem 
Masse aufspüren. Wenn wir zunächst des Slavischen gedenken, 
so sind einige Wörter, welche dem Gothischen mit den andern 
deutschen Sprachen gemeinsam sind, bereits im ersten Bande 
erwähnt worden, nämlich arbaiths (I, 606); stikls (I, 268)i kanpön 
(ly 606), und ulbandus (I, 615). Aber auch noch ?ier andere, die 
dem Gothischen eigenthümlich sind, erregen den Verdacht einer 
Entlehnung aus dem Slavischen, nämlich: 

kintus xoSfdwifig, zu altsl. c^ta denarius, nur an einer Stelle. 

plinsjan 6q%Bl(S'^ai^ zu altsl. plesati taiizen, an drei Stellen. 

siponeis, jtux^i^^V; ein sehr häufiges Wort. Grimm setzte es schon 
in der Vorrede zu Wuk Stephanovntsch S. H. zu altsl. 2upanu; 
das davon abgeleitete Verbum siponjan iia^rfisvBw begegnet nur 
einmal. Bemerkenswerth ist, dass Cleasbj im altn. Wörterbuche 
fragend ein sifuni (a companion?) anführt, allem Anscheine nach 
dasselbe Wort, doch mit verschobenem Labial. 

smakka (Thema smakkan) iSvxw, an drei, dazu an fünf Stellen 
das hybride smakkabagms, wol sicher aus altsl. und russ. smokva. 

Vielleicht findet sich dazu in Zukunft noch mehr, doch scheint 
jedenfalls der slavische Einfluss auf das Gothische nur gering zu 
sein. Noch geringer scheint, wie schon durch die östliche Lage 
der Gothen von vorne herein zu vermuthen ist, die Anfiiahme 
keltischer Wörter. Ueber andbahts, das den deutschen Sprachen 
gemeinsam ist, im Gothischen aber noch ein Neutrum andbahti 
und ein Verbum andbahljan bildet, ist schon Bd. I, 608 gesprochen. 
Zu erwähnen ist noch erstens idreiga Reue, Busse, dem ein irisches 
aidrech, ein comisches eddrek u. s. w. sehr nahe steht, nnd 
zweitens kelikn mqyog^ das man schon lange für keltisch gehalten 
und zu dem sich nun auch noch ein gleichfalls neutrales gallisches 
celicnon gefunden hat; ausführlich über dieses Wort wird in den 
Beiträgen zur vergl. Sprachf. IV. (1865) S. 136 ff. gesprochen. 

Für das Finnische hebe ich das nur einmal begegnende 
goth. kallgd TioQyri hervor, ein Begriff, für dessen Bezeichnung 
überall gern Fremdwörter gewählt werden; man vergleiche das 
lappische kalgo uxor minori cum observantia appellata. 

Wir haben bisher nur von fremden Einflüssen auf den goth. 
Sprachschatz gesprochen; andere aufzuspüren ist uns noch nicht 



ly. Emfluss fremder Sprachen. 143 

gelimgeD. Aber in dem Sprachschatz mag noch manches Fremd- 
artige von höchstem Interesse stecken, zum Theil aas Sprachen, 
von denen nns alle Rande abgeht; ich erwähne z. B. das Alanische; 
bei dem wirren Darcheinander der Völker in den Zeiten der 
Völkerwanderang sind reichliche Mischangen gewiss nnvermeidlich 
gewesen; ein gothischer Krieger des vierten Jahrhanderts masste 
es ja gewohnt sein anaafhörlich die verschiedensten Sprachen za 
vernehmen. In der That sind selbst in dem ans überlieferten 
Theile des gothischen Sprachschatzes die ganz verwaisten and zam 
Theil aach sonst auffallenden Wörter ziemlich zahlreich, nnter 
denen solche Entlehnangen stecken mögen. Ich stelle hier karz 
das Verzeichniss dieser Wörter sachlich geordnet zasammen, ohne 
mich indessen daraaf einzulassen, die alten ansicberen Vermathangen 
aber sie za wiederholen oder neue hinzazaftigen : 

Sabstantiva. Ahaks Taabe, thramstei Heaschrecke, frasts 
Kind, skilja Fleischer, gadaaka Haasgenoss, manaali Gestalt^ 
balsagga (h-?) Hals, Nacken, satbns Magen, peikabagms Palmbaam ? 
(viga-) deinö Distel^ nidva Rost, dranhsna Brocken, Stückchen, 
Bissen, mammö Fleisch, snaga Kleid, Mantel, rohsns Hof, Vorhof, 
hrot Dach, theihvo Donner, qvrammitha Feochtigkeit, vis Meeres- 
stille, hags Feld, Landgut, sköhsl böser Geist, Teafel, athn Jahr, 
hlamma Schlinge, Fallstrick, hrugga Stab, Bathe, giltha Sichel, 
bais Fackel; klismö Klingel, Schelle, nöta Schiffshintertheil, aibr 
Gabe, Opfergabe, möta Zoll, Abgabe, inmjo Menge, gramst Splitter, 
tani Zeichen, rehsns Bestimmung, inild Entschuldigung, Vorwand, 
saldra schmutziger Witz, Possen, aha Sinn, Verstand, astaths 
Wahrheit, sautha Grund, staua Gericht, Urtheil, Rechtsstreit, trigö 
Traurigkeit, jiuka Zorn, Streit. 

Adjectiva. Auhuma erhaben, höher, azSts leicht, raths leicht, 
tass geregelt, tharihs fest, dicht, halks gering, dürftig, usgrudja 
träge, mathlos, unmanariggvs wild, grausam^ usdauds eifrig, blas 
freudig, gaurs betrübt, traurig, ins gut, unvahs untadelhaft, manvus 
bereit. 

Verba. Suthjon kitzeln, reiran zittern, rahtdn hinreichen, 
darreichen, huhjan sammeln, usskavjan herausreissen , heraus- 
schneiden? hniupan reissen, brechen, intrusgjan einpfropfen, vrisqvan 
Frucht bringen, usfratvjan bereiten, zurichten, fetjan schmücken, 
osbaagjan fegen, auhjön lärmen, trusiyan besprengen, krötön 
zermalmen, maurgjan kürzen, vlthdn schütteln, blauthjan 
aufheben, abschaffen, geigan gewinnen, hruskan prüfen, maud- 
jan erinnern, svSgnjan frohlocken, triumphiren, tarmjan froh- 
locken, jauchzen, gaunon trauern, wehklagen, nipnan betrübt seiny 



144 IV. Untergang des Qothiachen. 

ranbtjan zärnen, tiüahqan jemand schrecken, ganigan Temrsacheny 
thrötbjan üben, gathvastjan befestigen, stärken. 

Partikeln. Anaks plötzlich, halis-aiv kaum je, kaum, bijands 
ausserdem? zugleich? amiba sieber, behutsam, vainei wenn doch, 
möchte doch. 

Untergang des Gothischen. 

Hier, wo wir an entsprechender Stelle sonst ein Buch zu 
enden pflegen, haben wir noch einen Anhang von tragischer Färbung 
zu machen. Es handelt sich darum, dass das Volk, von dem wir 
bisher redeten, sich weithin in einzelne Theile zersplitterte, dass 
diese einzelnen Theile sich unter einer Ueberzahl von andersreden- 
den Menschen niederliessen, deren Weise mit germanischer Qefdgig- 
keit leicht annahmen, durch Kämpfe und neue Sitte überdies 
geschwächt wurden und endlich den Einfluss anderer Sprachen, 
von dem wir in diesem Abschnitte handelten, so gross werden Hessen, 
dass sie in ihrer sprachlichen und damit politischen Selbständig- 
keit untergingen. Wir werden diesen Untergang bei den Gothen 
und bei denjenigen Völkern, die mit ihnen dasselbe Schicksal auf 
dem Boden des römischen Reiches theilten, mit steter Hervorhebung 
des Sprachlichen betrachten, müssen aber die zu diesem Ergebniss 
führenden politischen Vorgänge^ die uns in leidlicher Klarheit vor- 
liegen, dabei stets im Auge behalten. 

Sogar in denjenigen Oegenden, aus welchen unsere Kenntniss 
des Gothischen stammt, und in welche Ulfilas seine Landsleute 
geführt hatte, treffen wir schon zwei Jahrhunderte später auf ein 
jedenfalls im Untergehn begriffenes Volk, wie schon aus den 
geringschätzigen Worten hervorgeht, mit denen es Jemandes im 
Anfange des 51. Gapitels erwähnt: Erant siquidem et alii Gothi, 
qui dicuntur et literas instituisse. Hodieque sunt in Moesia regio- 
nem incolentes Nicopolitanam ad pedes Haemi montis, gens multa, 
sed paupera et inbellis, nihil abundaus etc. Ueber ihre weiteren 
Schicksale weiss ich nichts weiter beizubringen; sie werden unter 
den Bulgaren verschollen sein. Viel eher mag das schon geschehen 
sein mit denjenigen Gothen, die sich, wie der 403 gestorbene 
Epiphanius berichtet, sogar in der Nähe des Euphrat angesiedelt 
hatten. 

Aber auf drei andere Gegenden müssen wir unsem Blick 
genauer richten, da in zweien derselben die Gothen zur Herrschaft 
gelangten und sich länger hielten, während sie in der dritten durch 
ihre isolirte Lage am allerläugsten vom Untergange verschont 
blieben. Wir haben also zunächst die am frühesten verschwinden- 



iV. Ostgtoilieli. 145 

den Ostgotheiiy dann die Westgoiben, endlich die Erimgotben zu 
betrachten. 

Ostgothen« In der nns überlieferten Reihe der alten gotb. 
Eonige begegnet während des zweiten Jahrhunderts nnserer Zeit- 
rechnung der vollkommen historische Ostrogotha. Das scheint nach 
allem der Beiname desjenigen Fürsten zu sein, unter dem sich die 
östlichen Stämme der Gotben nm ihren Eern, die Greuthnngen, 
herum zu einer engeren Einheit zusammenschlössen, während 
die Westgothen von nun an ein selbständiges Dasein fährten; s. 
Dahn Eönige der Germanen V (1870) S. 1. Selbst Ermanarichs, 
des mächtigen Ostgothen Reich scheint über die Westgothen keine 
eigentlich straffe Regierung ausgeübt zu haben. Die nächst- 
folgenden Schicksale der Ostgothen gehn uns hier nichts an, da 
ein Einflass derselben auf die Sprache sich unserer Beobachtung 
entzieht Aber mit dem Eintritt der Ostgothen in Italien im Jahre 493 
beginnt schon die Zersetzung und Verwesung ihrer Sprache; Theo- 
dorich der Grosse^ der gewaltige 'Held der deutschen Sage^ ist 
Tum geschichtlichen Standpunkte aus gesehen deijenige, welcher 
den Grundstein zum Verderben seines Volkes legte« Von seinem 
achten bis achtzehnten Lebenjahre (etwa Ton 462 bis 472) am 
Hofe zu Byzanz erzogen war er persönlich schon so gut als ganz 
romanisirt und seine ganze Politik ist wesentlich romanisirend. 
Eaum hatte er den Heerkönig Odovacar besiegt, da nahm er schon 
493 den römischen Purpur an und legte die gothische Eleidung 
ab; das Römerthum ist sein Ideal und er nennt sich selbst mit 
Vorliebe einen römischen Fürsten; nur vor der Annahme des 
Eaisertitels trägt er Scheu, da seine Gotben diese Bezeichnung 
mit ihrer Vorstellung vom germanischen Volkskönigthum nicht 
hätten vereinigen können. Sein Hauptwerkzeug bei dieser romani- 
sirenden Richtung ist Cassiodor, selbst Römer und ganz römisch 
denkender Rhetor, dessen Einfluss im Staate unter Theodorichs 
Nachfolgern noch entscheidender wurde. Auch zur Aufzeichnung 
eines besondem ostgotbischen Volksrechtes ist es, so viel wir 
wissen, deshalb nicht mehr gekommen; dass sich die alten von 
Jemandes erwähnten bellagines noch bis auf diese Zeit unter den 
Gotben erhalten hätten, ist wenig glaubhaft, obgleich die Gotben 
gewiss nach heimischem nngeschriebenem Rechte lebten. Das 
edictnm Theodorici zählt nur diejenigen Rechtsfälle auf, in denen 
Gotben und Römer concurrirten. Ueberall tritt als Ideal des von 
Theodorich erstrebten Rechtszustandes die civilitas auf; diese 
römische Civilisation, deren lebhaftester Bewunderer der König 
ist, bildet aber den scbrofibten Gegensatz gegen das germanische 
Föntematm, GescA. d. d. SpradUtammeM. IL 10 



14g IV. Ottgotheo. 

System der SelbsthUlfe und Fehde; weiter aosgefährt wird das in 
Dahn's vortrefflichem Werke über die Könige der Germanen, dem 
ich hier and im Folgenden Manches entnehme. 

Die vortibergehende Rahe der Ostgothen im ravennatischen 
Reiche hat für ans doch immer^ and zwar wol noch anter Theodo- 
richs Regierangy die anschätzbare Folge gehabt, dass des Ulfilas Bibel- 
äbersetznng ans theilweise erhalten warde; nach des grossen Königs 
Tode wäre daza nicht lange mehr Zeit gewesen. Schon Amala- 
snntha, seine Tochter, die für ihren Sohn (ganz angermanisch) 
Mandschaft and Herrschaft führte, zeigte sich ihrem Volke TöUig 
entfremdet, da sie in Folge ihrer griechisch-römischen Bildang 
gänzlich romanisirt war, wenn ihr auch Casdiodor noch abertas in 
gothischer Rede nachsagt; sie erbitterte darch die ganz römische 
Erziehung die national gesinnte Partei der Gothen, die gradeza 
ein anderes Erziehangssystem verlangte and auch durchsetzte« Durch 
seine neuen gothischen Genossen wurde Äthalarich freilich völlig 
verdorben und frühem Tode geweiht und Amalasuntha sah sich 
schliesslich zum engen Anschluss an Byzanz und damit zum Ver- 
rathe ihres Volkes genöthigt. 

Auch Theodorichs Schwestersohn Theodahad war zwar Plato- 
niker und Theologe, aber kein Gotbenfurst, und brachte durch seine 
sonstigen bösen Eigenschaften das Volk um ein gutes Stuck dem 
Untergang näher. 

Die Vereinzelung der Gothen auf ihren rings von römischem 
Besitz umgebenen Ansiedlungen in Italien, der lange Solddienst 
für Byzanz, die vielen Parteiungen unter ihnen erklären den schnellen 
Untergang des Volkes und seiner Sprache, und es ist nur die letzte 
Macht des aufflackernden Feuers im endlichen Kampfe zu bewundern, 
als das Volk sich entschliesst, in der Wahl des Vitiges gänzlich 
mit dem verwälschten Geschlechte der Amaler (a. 536) zu brechen. 
Mit dem Heldenkampfe des gewaltigen Teja am mens laetarius 
(a. 552) schliesst die gothische Geschichte rühmlich genug; nur noch 
schwache Zuckungen und das Volk ist verschwunden« Nur 60 
Jahre von 493 ab hat das ostgothische Beich in Italien gedauert, 
eine zu kurze Zeit, als dass wir auch nur Spuren seiner Sprache 
in der späteren Sprache Italiens erwarten könnten. 

Von der Entwickelnng des Gothischen während dieser kurzen 
Zeit entgeht uns die Kunde. Massenhaftes Eindringen romanischer 
Elemente wird die Signatur dieser Entwickelung gewesen sein; 
wir sehn in der That, wie sich echte Gothen nicht mehr scheaen, 
der eine in der Urkunde von Neapel das Wort kavtsj6 Wechsel, 
Caution, der andere in der Urkunde von Arezzo das Wort onhja 



tV. Osti^otheD, Westgothen. 147 

Unze niederzuschreiben« Auch das im gothischen Kalenderbmcb. 
Stacke erhaltene Nanbaimbair November ist ein bedeutsamer Fioger- 
zeigy dass auch wol, wenigstens im schriftlichen Gebrauche, die 
andern Monatsnamen ^in lateinischer Form angewandt worden sind. 

Doch auch ein echt gothisches Wort; das uns nur aus der 
Zeit dieses Reiches von Italien aufbewahrt ist, muss hier erwähnt 
werden. Ich meine die unter Theodorich begegnenden ostgothi- 
schen Sajones, Beamte, welche an Bang unter den Grafen stehn 
und sowol dem Heere als der Civilverwaltung angehören. Wie 
Dahn Könige der Germanen III (1866) S. 181 ausführt, sind sie 
die Vollstrecker des unmittelbaren königlichen Gebots und werden 
deshalb oft zu ausserordentlichen Sendungen gebraucht; sie sind 
stets Gothen, nie Römer und der König nennt sie daher vorzugs- 
weise Sajones nostri. Aber wie ist das Wort an den uns sonst 
bekannten Sprachschatz anzuknüpfen? denkbar ist, dass wir eine 
Erweichung aus einem echteren *sakja anzunehmen haben, das 
einen Beamten bezeichnen würde, der eine Streitsache schlichtet^ 
gewissermassen einen Sachwalter. 

Länger, weil er länger dauerte, hat uns der zweite gothische 
Zweig zu beschäftigen. 

Westgothen. Nachdem die Thervinger und wol eine Anzahl 
anderer uns unbekannter Stämme sich zu einer westgothischen 
Einheit zusammengeschlossen hatten, sehn wir dieses Volk in den 
Kreis der uns bekannten Geschichte mit seinen zahlreichen 
Kämpfen und Wanderungen während des vierten und fünften Jahr- 
hunderts eintreten, auf die wir hier nicht näher einzugehn brauchen. 
An den Namen des Alarich und damit an das Geschlecht der 
Balthen knüpft sich ein grosser Theil jener kriegerischen Irrfahrten, 
an seinen Schwager Athaulf die endliche Niederlassung. Athaulf 
breitet bereits in Gallien die neue Herrschaft aus und führt schon 
a. 414 sein Volk über die Pyrenäen. Bereits aber vor der Ueber- 
siedelung auf römisches Gebiet und seit der theilweise noch älteren 
Annäherung an das Ghristenthum kann man unter den Westgothen 
eine zu Rom und römischer Cultur neigende Partei unterscheiden 
von der nationalen, freien, zum Theil noch heidnischen Richtung, 
welche an den alten Zuständen hängt. Das führt Dahn VI, 75 ff. 
sehr schön aus. 

Neben diesem Auseinandergehn in der politischen Richtung 
war es für die Erhaltung des Gothischen ein ungünstiges Moment, 
dass das Westgothenreich geographisch in zwei Theile zerfiel, einen 
gallischen und einen spanischen. Der erstere verlor seine politische 
Seibitändigkeit im Jahre ö07 durch die Schlacht bei Vouglö an 

10» 



148 tV. Westgotheta. 

die Frankep; ein Stück des Landes^ das den Alpen zunächst lag, 
kam sogar vorübergehend an die Ostgotben. Doch scheint sich 
das Gothische auch noch in Gallien ziemlich lange unter dem Volke 
gehalten zu haben; Smaragdus, Abt zu St. Michael an der Maas 
Ton 805 bis nach 825, der selbst von gothischer Herkunft gewesen 
sein mag, bespricht die gothische Sprache als eine noch lebendige 
und führt namentlich die wichtige Thatsache an, dass die (schwachen) 
Masculina auf -a, die Feminina auf -ö ausgehn; s. Massmann in 
Haupt's Zeitschrift I, 388 ff* 

Zweihundert Jahre länger, im Ganzen also fast durch drei- 
hundert Jahre, hielt sich die westgothische Herrschaft in Spanien. 
Aber schon seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts (zu der Zeit, 
als in Italien das Ostgothenreich schon fiel) dringt die Romanisirung 
unter den Westgothen unaufhaltsam weiter und macht unter Königen 
wie Reccared, Sisinanth, Reccisvinth und Erwich sowol auf natio- 
nalem wie auf kirchlichem Gebiete die stärksten Fortschritte; 
Dahn VI, 77. 

Namentlich ist Reccareds Regierung (586—601) eine Haupt- 
periode des Romanisirens; unter diesem Könige wird der Arianis- 
mus, den die Ostgotben doch bis zuletzt festhielten, abgeschafft 
und damit die bedeutendste Scheidewand niedergerissen, die bisher 
Gothen und Romanen trennte; zugleich wird auch die römische 
Zeitrechnung angenoidmen, die zwar nicht der Gothe Johannes 
von Biclaro, wol aber der Romane Isidor braucht. In das Gesetz- 
buch Reccareds dringt massenhaft römisches Recht ein, besonders 
aus der lex Alarichs für die Römer im Gothenstaat. Seit derselben 
Zeit wird die gothische Sprache aus den höheren und gebildeten 
Kreisen verdrängt; länger bleibt sie natürlich auf dem Lande nnd 
unter dem niederen Volke. So Dahn Könige der Germanen Bd. 
V (1870) S. 169 ff. 

Bei solchen Zuständen ist es nicht zu verwundern, dass von 
König Sisebut (612—620) in der lateinischen Anthologie (ed. Meyer, 
Lipsiae 1835) No. 388 ein 61 Verse langes carmen de eclipsibus 
solis et lanae erscheint. König Recciswinth endlich (649—672) 
führt das bis dahin verbotene Connubium zwischen Gothen und 
Romanen ein und trägt damit wesentlich zur völligen Verschmelzung 
beider Völker bei. 

Aus diesen Ursachen ist es natürlich, dass das Gothische in 
Spanien literarisch nicht mehr lebhaft gepflegt werden konnte, wenn 
auch die gothische Bibel sicher dem Volke mit in dieses Land 
gelolgt ist (vgl. Haupt's Zeitschrift U, 203) und wir die Hoffimng 



IV. Westgothen. 149 

nicht aufgeben dürfen^ von dort her noch weitere Bereiehernng 
unserer Kenntnisse zu erlangen. 

Unser Wissen vom Westgotbischen ist daher sehr gering; nur 
wenige einzelne Worte sind uns in den lateinischen Texten erhalten. 
So ist es nicht ohne Bedeutung, dass uns für die westgotbischen 
Eönigsfahnen der Ausdruck signa bandoruro (Ulf. bandva bandvö 
Signum) überliefert ist Auch für zwei Aemter kennen wir die 
westgothische Bezeichnung. Das erste ist gardingus und gardin- 
gatus^ ein schwer zu definirendes Amt, jedenfalls von gard$ ab- 
geleitety so dass das Wort sich wol mit dem römischen palatinus 
vonpalatium deckt, Dahn VI, 111. Zweitens Mi2//V/£f//^^ über dessen 
Würde weitläufiger Dahn VI, 341 flF. spricht; damit wird das 
lateinische millenarius übersetzt, obwol eine Entstellung des 
Wortes aus thusundifaths kaum möglich ist; wir werden darin ein 
*thivafaths Herr der Dienerschaft sehn müssen, also etwa denselben 
ursprünglichen Begriff wie in siniscalc, welches Amt indessen weit 
von dem des thiufadus verschieden gewesen ist. 

Aber trotz des Mhen Unterliegens der westgotbischen Sprache 
hat sie doch lange genug gedauert, um, im Gegensatz zum Ost- 
gothischen, noch ein Nachleben im Südwesten Europas zu haben* 
Durch die Ausgabe des Harpokration von Ph. J. Maussac (Parts 
1614) erfahren wir S. 355, dass zu jener Zeit noch ein von dem 
ün zehnten Jahrhunderte lebenden Bischöfe Ansileubes verfasstes 
glossarium existirte, erutum ex veteri codice bibliothecae Moyssia- 
censis (Moissac bei Toulouse), in quo multa Gotthorum aliorum- 
que populorum barbara vocabula explicantur ; s. Massmann in Haupts 
Zeitschrift I, 387. Auch das ist zu erwähnen, dass erst im elften 
Jahrhundert eine toletanische Synode die Abschaffung* der gothi- 
schen Buchstaben befiehlt, um dafür die fränkische Schrift ein- 
zuführen. 

Wir werden nach alle dem sowol im Spanischen als in süd- 
französischen Mundarten noch nach Spuren von gothischer Einwir- 
kung forschen dürfen. Ist doch eine gothische Flexion in spanischen 
Eigennamen wie Diaz, Rodriguez, Olivarez u. s. w. noch bis heute 
erhalten. Ich erwähne zwei einander im Lexicon nahe stehende 
Wörter, die sich aus dem spanischen Latein bei Du Gange finden^ 
nämlich brana juvenca und britare destruere; beide lassen an west- 
gotbischen Ursprung denken, wenn man sich bei dem ersten an 
altn. brana Kuh, bei dem andern an altn. brjota brechen, ags breö- 
tan zerstören erinnert. 

Viel reicher als die übrige Sprache sind die persönlichen Eigen- 
namen der Westgothen zu uns herabgeströmt. Ich gebe hier ein 



150 ^' Westgothen. 

Verzeichniss derselben, gegen den ersten Band meines Namei 
buches bedeutend vermehrt , so z. B. dnreh die mir jetzt vollstäi 
diger vorliegenden Unterschriften der Goncilien so wie auch dnrc 
diejenigen Formen, welche ich im 20. Bande von Enhn's ZeitschrÜ 
S. 430 ff. zusammengestellt habe. Wo ich nicht durch eine ZaI 
das Jahrhundert des ersten Vorkommens ausdrucke, ist das reichst 
an Ueberlieferung, das siebente zu verstehn. 

Aya, Ega (msc, = Agja); Egica; Agila 6 (Egila 7); Agera 
(Egired). — Agio. — Alaricus 5. — Aldericus. — Alvar. — EDec 
9 (msc). — Amalaricus 6. — Amanung; Amansvind (msc.) 9. - 
Annila (msc.) — Andebert. — Ansileubes 10; Ansericus; Ansiul 

— Ära (msc.) ; Aragiscius. — Argebad (Ergobad) ; Argebert ; Arg« 
fred ; Argimir 6 ; Argemut 6 ; Argemund ; Argesind. — Ascalc? 4. - 
Ascaricus. — Astald. — Adefons 6 (noch sec. 10 Adephots, späte 
Alfons); Adeliub; Adeliuva; Adamir; Athaulf 5 (Adulf 7). — Atal^ 
Attila (msc). — Athanagild 6. — Andebert; Audemund; Hodoagrai 

— Onegis; Onemund. — Ostrulf (Hostrulf). — Aured. — Babilo. - 
Badda 6. — Baltha* (Oeschlechtsname 4) ; Baldered; Baldvigius.- 
Basuald. — Bigesuind. — Bracari (Zeit unbestimmt). — Brandil 
(msc.) — Brunihild (fem.) 6. — Chintila; Ghindasvinth. — GuniuU 
Cumefrend (Guniefrend?). — Dadila (msc). — Danila (msc). - 
Dudila (msc). — Domarius. — Dunila (Tunila, msc). — Trncfa 
mund. — Tulga (msc). — Eburin (unbestimmte Zeit). — Eurec 
Euricus 5; Eurid; Eusendus. — Fandila (msc). — Favila (Fafih 
msc.) 8. — Filomar (Filimir). — Floresindus. — Froila (msc) 7— 1( 
Freiseins 6; Froiliuba 8; Froaricus 6. — Fredebad; Fridericus 5. - 
Fngila (msc). — Fonsa (msc) 6. — Gibericus (Givericus, CAhi 
rius). — Gailswindis 6; Geloyra 9. — Gildimir. — Gamius an 
Gamio (aus unbestimmter Zeit). — Garding 6. — Gaudila (msc] 
Gausericus. — Goisvintha (fem.) 6. — Gisand 10; Gisebert; Gisi 
leicus 6. — Gisclus 10; Gisclamund. — Godescalc; Godosteni 
Gottomar. — Guda (msc); Gudila (msc); Gudisclus (Gutisdus] 
Guterins. — Gundila (msc); Gundericus; Gundulf; Gundebebii 
(Gundelebius?); Gundisalvi (nom.) und Gundisalins, beide aus m 
bestimmter Zeit. — Ervig. — Hiccila (msc). — Ildisclus ; üdifoni 
Ildigis; Hilduara (Ilduara fem.) 6—10; Ildulf. — Himmerith 
(Lesart unsicher). — Rndorich 8; Hrothisthius 4; Budesind 9— 1( 
Huniruc? (unbestimmte Zeit). — Eppa (msc). — Ella (msc). - 
Emmila (neben Emila, msc). — Ingildus. — Ermulf. — Ermenfre 
(Hermefred); Erminigild 6—10; Ermengond (fem.) aus unbestimmte 
Zeit. — Landerich. — Laulf. — Liuva (msc) 6; Liuvigild f 
Leovigotho (fem.); Leovericus (Leubericus); Lewina (Leubina) 1( 



IV, Westgotheiu 151 

— Lendefred. — Miro; Marispalla? (fem.) 5. — Modefred 7 oder 8; 
Modarins. — Mammnlns. — Munnlus; Monefous. — Nausti? — 
Neufila (msc.) 6. — NudIo (fem.) 10. — Osdulfus; Osdulg; beide 
hieher, zn ORT, oder za AUST? — Retemeres 5. — Ranarina; 
Ranimir 9 (Ramims 10) ; Ranulf 9. — Riccila (msc.) ; Riqnira (msc.), 
Richimer; Reccared (6—9); Requisind; Reccesvinth: Recaulf. — 
RemesariuB. — Sabaricns. — Salamir. — Sclaa? (al. Silva, Selva). 

— Segerich. — Silo 8. — Sintila (msc.) 10; Sindigis; Sinduit? — 
Sisebad; Sisebald; Sisebert; Sisebnt; Sisisclus; Sisemir; Sisemund; 
Sisenand 7—10; Sesuld (Sisald 7); hiezu wol kaum Zerezindo 6 
und Zerimnnd aus unbestimmter Zeit. — Sona, Sonna (msc): 
Sonnica (msc). — Spasand (Spassand). — Snnnila (msc.) 6; Sunie- 
fred; Snniagis; Suniemir; Snniered 8; Suniericus 5; Suniaguisid? 
Snninlf. — Suttericus. — Suanila (Suabila? msc). — Suinthila 
(Snintila, msc); Suintbiliuba (fem.); Suintericus. — Tayo. — Theuda 
(msc.) 6; Teudila (insc); Theudefred (7—10); Theudegisil (Theu- 
gisclnsß, Theudisclus) ; Teodahittus; Teodemir (Teudimir); Teude- 
mund; Tbeoderacius (Thenderacins); Theudered 5; Theudoricus 6 ; 
Theudulf (Theodulf, Teudulf). — Trasimir; Trasemund; Trasaricus. 

— Thurismund 5. — Offilo. — Oppa (msc); Oppila (rase). — 
Wadila; Wadamir; Vadered. — Valding; Waidefred; Waldemar; 
Valdered; Valdericus (Valdrig). — Valia (msc.) 5. — Belesar 7. — 
Wamba (msc). — Veremund 5—11. — Wiaricus (neben Wialicns); 
Wimar; Wifred 10. — Vitulus; Witiza (msc) 8-9; Vitisclus; 
Widericus (Wit — ). — Huicrud? — Wiliang; Villiefons; Viligisclus 
6; Villiedus; Wilicdeus; Wiilnlf 6. — Vinibal; Winibald; Quinigia. 

— Wenedarius. — Wisand ; Wisefred. — Quistricia (fem.) 8. — 
Oalfinus 6. — Oscand. 

Diese westgothischen Namen sind in mehr als einer Hinsicht 
lehrreich. Zuerst lehren sie, dass sie noch ein langes Nachleben 
fährten, nachdem in der Schlacht bei Xerez de la Frontera a. 711 
die Westgothen den Arabern in unriihmlichem einmaligem Kampfe, 
ganz unähnlich ihren ostgothischen Brüdern, unterlegen waren. 
Solches Nachleben erklärt sich aber nicht bloss durch die in den 
Bergen Ton Galizien und Asturien fortdauernden christlichen Reichet, 
die später die Grundlage der spanischen Monarchie bildeten, sondern 
besonders durch die lange Dauer des westgothischen Volksthnms 
und durch die starke Mischung der Bevölkerung der pyrenäischen 
Halbinsel mit germanischem Blute. Hätten sich meine Sammlungen 
bis auf spätere Zeit systematisch erstrecken können, so würde sich 
dieses Nachleben noch deutlicher zeigen, wie es ja in der That 
noch bis heute fortdauert ; die Alfonso, Hemando, Ramiro, Rodrigo 



152 IV- Westgothen. 

UDd Andere sind des Zenge. Doch haben anch schon frfihe echte 
Westgothen fremde Namen angenommen; so begegnen im T.Jahr- 
hundert Westgothen mit den Namen Adelphas, Afrila, Bacanda, 
Bela, BranliOi Cixila, Etherins, 6eta, Mositacias (neben Mastacias) 
and anderen, von denen kaum einer dentsch ist. Germanische Per- 
sonennamen beweisen in diesen Jahrhunderten germanische Nationali- 
tät, dagegen romanische, keltische, iberische und biblische in keiner 
Weise ungermanische. 

Zweitens aber lehren diese Namen, dass ihre Substanz, d« L 
die ihnen zu Grunde liegenden Wortstämme, im Ganzen dieselbe 
ist, wie bei den übrigen germanischen Volkszweigen; das lehrt ein 
flüchtiger Blick auf das obige Verzeichniss. Einige dieser Wort- 
stämme werden in diesen Namen besonders geflegt So sind die 
mit Arg- beginnenden im Westgothischen augenscheinlich beliebt, 
in andern deutschen Sprachen viel seltener; Ghintila und Ghinda- 
svinth haben im sonstigen Deutschen nichts Aehnliches zur Seite, 
nur Namen, die auf diesen Stamm ausgehn. Auch die mit Sis- 
anfangenden, bei denen ich doch nicht ohne Weiteres Zusammen- 
ziehung aus Sigis- annehme, sind rorzugsweise dem Westgothischen 
eigenthümlich. Sehr beliebt sind die auf -la (Thema -lan) aus- 
gehenden Deminntiva, auch wol die mit einer aus assimilirtem y 
hervorgehenden Gonsonantengemination, wie Eppa, Ella, Sonna, 
Oppa, die natürlich in feierlichen Actenstücken gewiss weniger er- 
schienen als im gewöhnlichen Leben. Die Bildungen auf -sinth und 
-swinth werden etwas über das gemeindeutsche Mass gehegt; auch 
dass von den überhaupt bekannten neun deutschen Namen auf 
-funs, -fons sich Adefons, Ildifons, Monefons, Villiefons (wol auch 
Valafons) in dem winzigen westgothischen Namenschatze aufweisen 
lassen, fällt auf. Andere gemeindeutsche Bildungen sind dagegen 
im Westgothischen aus der Mode gekommen. So ist es z. B. be- 
merkenswerth, dass Namen fehlen, die mit Athal-, Berin-, Berht-, 
Ercan- beginnen, oder dass solche, die auf -bald ausgehn, selten 
sind; von den fünfzig altdeutschen Namen auf -brand, die wir kennen, 
scheint kein einziger im Westgothischen zu begegnen. 

Aber nicht bloss gepflegt oder ausser Umlauf gesetzt haben 
die Westgothen einige Namenklassen, sondern auch gewiss neue 
geschaffen, wenn auch nur in vereinzelten Bildungen. Solche Eigen- 
thümlichkeiten sind schwer aufzuspüren, denn man kann einerseits 
Deutsches seiner Besonderlichkeit wegen leicht als Fremdes oder 
Verderbtes ansehn, leicht aber auch anderseits gradezu in Ver- 
derbtem oder Fremdem etwas richtig Deutsches wittern wollen; es 
sind schon in dieser Weise von namhaften Forschem Formen ab 



IV. Westgothcn. 15ß 

höchst merkwürdig entdeckt; die sich Dachher in ein Nichts auflöseD. 
Unter solchen Erwägungen erwähne ich das westgothische Ganiefrend, 
das sich, wenn so wirklich statt Cumefrend zu lesen ist; als ein 
schönes Eunjafrijdnds darzustellen scheint; bei Gundisalvins, das 
wol nur westgothisch ist; kann man fragen, ob der letzte Theil zu 
lat. salvus oder zu ahd. salo, salawer gehört; Hiccila entzieht sich 
noch genauerer Erklärung; Himmerith ist eine unsichere Lesart 
(unter den Varianten begegnen auch das ganz natürliche Huuerit 
und Hunnericus). Ganz vereinzelt steht auch das Fem. Marispalla 
ans sec. 5 da; auffallend auch wegen des a in der ersten Sylbe. 
Nausti ist fraglich, eben so wie Sclua (neben Silva, Selva). Zere- 
zindo sec. 6 und Zerimund aus unbestimmter Zeit erregen die Auf- 
merksamkeit und gehören kaum zu SIS. Spasand oder Spassand 
ist sicher beglaubigt, wahrscheinlich deutsch und doch noch räthsel- 
haft. Was man aus dem letzten Theile von Suniaguisid machen 
soll, bleibt sehr fraglich, eben so das nur einmal begegnende Suttericus. 
Teodahittus hat einen zweiten Theil, der sonst nur als erster vor- 
kommt. Theoderacius (Theuderacius) stützt sich gut durch ein 
Thiotrach des neunten Jahrhunderts im codex Laureshamensis and 
könnte ein anziehendes Thindavrakja sein. Von Wamba ist es 
zweifelhaft, ob der Name auch ausserhalb des westgothischen Ge- 
bietes vorkommt. Huicrud beruht vorläufig nur auf einer Conjectnr 
von mir in Kuhn's Zeitschrift XX, 437. Oscand bleibt noch ganz 
unerklärlich. 

Auch auf die Form der Namen, d. h. auf die Lautverhältnisse, 
ist der Blick zu richten, doch kann man hier leicht des Guten zu 
viel thun, da in diesen Dingen oft mehr die Auffassung des roma- 
nischen Schreibers als der germanischen Bevölkerung zu Grunde liegt. 

Für den selbständigen Vocalwechsel zeigt das Westgo- 
thische vier Lautneigungen, die zusammen ein Ganzes von einer 
gewissen Eleganz bilden. Die kurzen Vocale i und u verrathen 
einen centripetalen Zug zum a hin, erscheinen also oft als e und 
Oy die langen Vocale d und 6 dagegen einen centrifugalen Trieb 
vom ä fort; werden also oft durch i und ü vertreten. Der west- 
gothische Vocalismus wird also in Spanien gegen den des Ulfilas 
erheblich erweitert. Betrachten wir nun das Einzelne: 

1) i : e. Im Ganzen bleibt das / in seiner Beinheit unange- 
tastet, vor einer Verbindung von zwei verschiedenen Gonsonanten 
sogar fast ausnahmslos (Suinth-, -suinth, Sind-, -sind, Ild-, -hild, 
Chind-). Vor einfachen oder geminirtem Gonsonanten dagegen 
zeigt sich häufig die Trübung. Sec. 5 heisst es noch Fridericas, 
sec. 7 schon Fredebad und immer -fred; neben Sisuld kommt schon 



154 ^« Westgotiieii. 

see. 6 Sesnld vor; man beachte ferner Fontien wie Remesarios, 
WenedarioSy Segericb, Beccared, Beqoisind, Keccesvinthy Becaolf, 
Eppa, sogar einmal ror einer Gonsonantengmppe Eosendas. Das 
gotbische gebrochene / vor r wird in den Formen mit Ermen- e 
geschrieben. In Bildangssylben wie in Tmctemond ist das e 
völlig Begel. 

2) n : 0. Die Fälle mit u sind die häufigeren, doch findet sich 
neben Gand- ans unbestimmter Zeit auch -gond in Ermengond, 
neben Gada, Gadila o. s. aach Godesoalc, Godostens, Gottomar, 
die ich alle lieber za goth als za göds stelle, femer vor Gemi- 
nationen Oppa, Oppila, Offilo. Ganz durchgedrungen ist der jüngere 
Vocal in dem Stamme FUNS; es heisst schon sec 6 Fonsa und 
sec. 7 stets Adefons, Bdifons, Villiefons und Monefons, letzteres 
sogar auch in erster Sylbe mit o. Die Namen auf -ulf, -mnnd, 
-ung bleiben stets unangetastet 

3) e : 1. Am häufigsten tritt die Erscheinung bei den zu goth. 
mers gehörigen Formen ein; es lautet zwar Betemeres, Bichimer, 
aber Argimir (schon sec. 6), Filimir, Gildimir, Banimir, Salamir, 
Sisemir, Snniemir, Teodemir, Trasimir, Wadamir, deren letzten 
Theil deshalb Smaragdus sec. 9 durch lat mihi fibersetzte, auch 
einfach Miro. Dem Veremund steht im zweiten Theile ein Biquira 
und ein Geloyra gegenüber. Auch Eurid könnte lür EurSd stehn; 
sonst lautet es Aured, Baldered, Egired, Eured, Beccared, Snniered, 
Theudered, Vadered, im ersten Theile Betemeres. Was aber das 
Merkwürdigste ist, alle drei hier erwähnten Stämme, urdeutsch mär, 
yär, räd kommen auch mit dieser urdeutschen Form vor, also Fi- 
lomar, Gottomar, Waldemar, Wimar, Marispalla (sec 5); Hildnara 
(sec. 6 u. s. w.); Agerad. Ich weiss dafür nur die Erklärung, dass 
dieses Zeugnisse sind für andere germanische Volksstämme, die 
sich in Spanien unter die Westgothen gemischt hatten. 

4) : ü. Sec. 4 heisst es Hrothisthius, doch sec. 8 Budorich, 
sec. 9—10 Budesind. Neben Modefred und Modarius ans sec. 7 
lässt sich schon sec 6 Argemut nachweisen. Andere Zeugen des 
älteren Vocals sind Sona und Domarius, des jüngeren Dudila. In 
Tructemund vertritt das u den getrübten Laut im gotbisehen dranhts. 

Abhängiger Vocalwechsel zeigt sich namentlich in der 
Einbusse, welche die alten Diphthonge erleiden. Das ai findet sich 
unverändert in Aigo und Gailswindis, als ei in Gisaleicus (sec 6), 
als ^ in Geloyra (sec 10). Das au haben wir in ahem Zustande 
in Audebert, Audemund, Gaudila, Gausericus, als 6 in Onegis, 
Onemund, Hodoagrus, Goisuintha (schon sec. 6), Ostrulf, wahr- 
fscheinlich auch in Osdulf und Osdulg. Auch das lii ist noch öfters 



TV. Westf^oth^ 155 

in seiner Reinheit erhalten wie in Linva, Liavigild, Adeliub, Adelinra, 
Froiliaba^ auch in Hrothisthias; sein gewöhnlicher Vertreter ist je- 
doch euj 80 in Leabina, Leabericus, Ansileubes (sec. 10), Leudefred, 
Nenfila (sec. 6), Wilicdeus and Godostens, vor allem aber in den 
Formen mit Thend-, die schon seit sec. 5 begegnen, während Thiud- 
gar nicht mehr za belegen ist. Seltener^ erst seit sec. 7, findet sich 
Theod-, auch Leovigotho und Leovericns. 

Von einem Umlante des a zn e dnrch folgendes i finden sich 
seit sec. 7 Spuren in Ella, Guterius, Elleca; neben Aya (aus Agja) 
steht Ega, neben Agila Egila, neben Agerad Egired. 

Synkope begegnet selten; der Themavocal des ersten Theiles 
ist meistens erhalten, geschwunden jedoch in Ervig und Hilduara. 

Selbständigen Gonsonantenwechsel beobachten wir mehr- 
fach, und zwar theils völliges Schwinden theils Entartung. 

Dem Schwinden unterliegt namentlich das A. So in den mehr- 
fachen Formen mit Ild* (woneben doch auch Hilduara begegnet), 
femer aber am Anfange des zweiten Theiles in Modarius, Wene- 
darius; Guterins, Villiedus, wol auch in Belesar (sec. 7) und Ingildus. 
Diese sicher dem romanischen Einflüsse zuzuschreibende Unsicher- 
lieit in der Aspiration spricht sich auch in dem unorganischen An- 
laute von Hodoagrus aus. Eben so schwindet das v in den zahl- 
reichen Formen auf -ulf und in denen auf -uld, die wol zu goth. 
ynlthns gehören, femer in Geloyra (sec. 9 = Gaüarera). Eigen- 
thnmlich sind auch die Formen Gudisclus, Sisisclus, Vitisclus, bei 
denen doch eine Aphaerese des g von gisal, gisil wird müssen an- 
genommen werden. 

Eine Entartung nehme ich bei den fünf Lauten k, g, th, b und 
▼ wahr. 

Das Ar, gewöhnlich wohl erhalten, zeigt doch eine Neigung in 
die Spirans überzugehn in Ghintila, Ghindasvinth, Richimer und 
Landerich (neben den mit Ric- und Rec- beginnenden Formen). 
Erweichung zu Media lässt sich belegen in Hodoagrus und Valdrig. 

Beim g ereignet sich Uebergang in den Zischlaut bei dem 
späten Cisclus (sec. 10). Sollten die älteren Formen Zerezindo 
und Zerimund etwa gar fdr Geresind und Gerimund stehn? mit 
Gar-, Ger- beginnende Namen begegnen sonst im Westgothischen 
gar nicht. Auch das z von Witiza verdient Erwägung. 

Das gothische tA finden wir unangetastet sec. 4 in Baltha, 
sec. 5 in Athaulf und Thurismund, sec. 6 in Athanagild, sec. 7 in 
Suinthila, Suinthiliuba und Ghindasuinth. Doch sind diese genaueren 
Schreibungen rerhältnissmässig selten; viel häufiger begegnet an 
deren Stelle ein i/, so heisst es zwar sec. 4 Baltha, aber später 



156 IV. Westgothen. 

stets Bald-, eben so sec. 5 Athaulphi aber später stets Adefons, 
Adeliab, Adeliuva, Adamir. Schon seit sec. 5 sind die Schreibungen 
Frid-, Fred-, -frid die einzig geltenden, besonders aber ist natärlich 
nd fär nth beliebt, so in Sindigis, Sindoit, Argesind, Bigesuind, 
Sisenand, auch in denen auf -mand; die Media ist in solchen Fällen 
ja auch im Urdentschen gewöhnlich, vgl. Bd. I, 390. Aber auch 
die Schreibang mit der Tennis is^ im Westgothischen nicht selten; 
für Thras- begegnet immer Tras-, für Thcud-, Theod- häufig Teud-, 
Teod-; dahin geboren auch Suintila, Suintericus, Sintila, Godesteus, 
vielleicht auch Sisebut, wenn hier die Media des Stammes aus- 
lautend in Aspirata verhärtet war. 

Das 6, zu dem wir jetzt kommen, finden wir nicht selten zur 
weichen Spirans entartet; so zeigt sich nebea Gibericus ein Give- 
ricus, besonders aber vom Stamme LIUB neben Leubina, Leube- 
ricus, Adeliub schon sec. 6 ein Liuva und Liuvigild, sec. 7 ein 
Adeliuva, Leovigotho, Leovericus. 

Dass sich umgekehrt das r durch b vertreten lasse, davon liegt 
kein sicheres Beispiel vor, denn wenn auch wirklich das westgothische 
Belesar aus sec. 7 ein Valisaharis sein sollte, so verdankt es seine 
specielle Form doch wol nur einer Uebertragung aus dem Namen 
des grossen Byzantiners. Dagegen sind Spuren vorhanden, dass 
das V sich zur härteren Spirans /* umgestaltete, nämlich Nenfila 
sec. 6 und Fafila (neben echterem Favila) sec. 8. Ja auch die 
sonstige romanische Neigung, dasr in die gutturale Reihe hinüber- 
zuziehn, erlangt Einfluss auf das Westgothische, wo die Schreibungen 
Gulfinus (sec. 6), Quistricia und Quiuigia (beide sec. 8); vielleicht 
auch Suniaguisid und Huicrud davon Zeuge sind. 

Von einer Verwandlung des s : r weiss ich im Westgothischen 
kein Beispiel beizubringen; sollten Osdulf und Osdulg wirklich 
nicht zu AUST, sondern zu ahd. ort gehören, so würde das 
grade für Bewahrung der alten Sibilans sprechen. 

Endlich noch einige Bemerkungen über abhängigen Con- 
sonantenwechsel. Verstümmelung anlautender Gonsonanten- 
gruppen begegnet kaum; ich erwähne nur, dass dem Hrothisthius 
des 4. Jahrhunderts im achten ein Budorich, im 9. bis 10. ein 
Rudesind gegenübersteht, wir werden H vor andern Gonsonanten 
wol schon im 7. Jahrhundert nicht mehr erwarten dürfen. Er- 
weichungen im Inlaute sind zahlreich eingetreten; man vergleiche 
Wifred, Wimar und andere Formen des obigen Verzeichnisses. 
Ein rechter Beweis für das Eindringen lateinischer Lautgesetze 
ist die Schreibung Tructemund, da dem Römischen sowol anlauten- 
des dr als inlautendes ht widerstrebte. 



IV. Westgotheü. 157 

Assimilationen eines i an einen yorhergebenden Gonsonanten 
schreiten schon weit über die Weise des Ulfilas hinaus, wie die 
Formen Ella, EUeca, Badda (dieses schon sec. 6); Oppa, Oppila, 
Eppa beweisen. 

Für die Erzengang unorganisch eingeschobener Gonsonanten 

sind zunächst zu erwähnen die beiden Namen Godosteus (sec. 7) 

und Hrothisthius (sec. 4) mit ihrem «, das an die zahlreichen 

Bildungen auf -sta, sti, -stu und -stra erinnert, welche Bd. I, 510 

erwähnt wurden. Sind die Formen wirklich echt, so scheint fast 

das Volksbewusstsein in dem zweiten Theile nur ein Suffix gefühlt 

zu haben. Sehr merkwürdig ist der Einscbub eines unorganischen 

c in dem Stamme G I S A L ; das obige Verzeichniss bietet ein 

Cisclus (sec. 10), Gisclamund^ Aragisclus, Freiseins (sec. 6), Gudis- 

clus, Sisisclus, Theudegisclus und Vitisclus; mein Namenbuch liefert 

noch ein wahrscheinlich gleichfalls westgothisches Gisclafrid aus 

sec. 9 und ein Idisclns. Dieser Einscbub ist nicht auf das West- 

gothische beschränkt; Procop kennt einen Vandalen Godigisclus 

und einen Warner Ermegisclus, Theophanes einen Modigisclus, 

Cassiodor einen Witigisclus. Es zeigt sich hier, wie der Einscbub 

anf griechisch römischem Einflüsse beruhte, und wie durch theil- 

weise dazu getretene Aphaerese ein deutscher Nominalstamm form* 

lieb das Gepräge eines undeutschen Suffixes erhält. Ganz vereinzelt 

ist dagegen der Einscbub des c in Wilicdeus; es könnte vielleicht 

Wiliedeus (Viljathius?) zu lesen sein. 

Ausfall des Gonsonanten zwischen zwei Vocalen ereignet sich 
im Deutschen vorzugsweise bei dem g; schon das Westgothische 
scheint davon Beispiele zu liefern, erstens in Wiaricus (wenn es für 
Wigaricus steht, woran jedoch die Nebenform Wialicus zweifeln 
lässt) und zweitens in den Formen Ranarius, Ranimir und Ranulf 
(beide letzteren aus sec. 9), wenn sie wirklich Ragan- stehn; ich 
habe in meinem Namenbuche I, 1031 noch mehrere solche Formen 
beigebracht, z. B. ein auch wol westgothisches Ranimund und 
Ranosind. 

Endlich die Vocalisirung eines Gonsonanten, zu dem Zwecke, 
um sich enger an einen vorhergehenden Vocal anzuschliessen. Auch 
ihr unterliegt des g wahrscheinlich in den Formen Aya und Tayo, 
sonst aber am leichtesten das v und das y, die dann in ihre 
Nachbarvocale übergehn. So wird ced zu au in Aured, eviXi eu \xi 
Eured, Euricus (sec. 5)i Eurid, Eusendus, wo überall ein dritter 
folgender Vocal ausgestossen ist. Ohne dass ein Vocal vorher- 
zugehn braucht, haben wir » für t; in Hilduara, in den Formen auf 
-uald und in der Schreibung -suinth für -swintb, welche letztere 



156 ^' Weitgothen, Krimgothen. 

doch zu nnromisch erschien. Das J wird endlich vocalisirt in Froila 

(sec. 7—10), Froisclus (sec. 6), Froiliuba (sec. 8) und Goisuintha 
(sec. 6), während in Froaricus (sec. 6) ein völliger Ausfall stattfand. 

Ehe wir aber die Westgothen verlassen, ist hier noch des 
Bruchtheils der alten mächtigen Sueven zu gedenken, welche den 
Gothen vereint mit andern Völkertheilen nach Spanien folgten und 
dort ein besonderes Reich im Westen der iberischen Halbinsel 
stifteten, so dass die beiden grossen CoUectivnamen Gothen und 
Sueven, wie sie einst in Deutschland gegolten hatten, so auch im 
fernen Südwesten neben einander galten. Ueber ihre Geschichte 
giebt Dahn die Könige der Germanen am Schlüsse des sechsten 
Bandes eine vortreffliche Uebersicht. Gegen Schluss des sechsten 
Jahrhunderts verlor ihr Reich seine Selbständigkeit an das der 
Westgothen; aber noch lange nachher wird die Erinnerung an sie 
und auch manche Besonderheit bei ihnen lebendig geblieben sein; 
noch unter Philipp IL gaben die Gastilianer den Portugiesen das 
Scheltwort los Sevosos, Suevosos, worin bis man besseres weiss 
eine Verderbniss des alten Suevennamens zu sehn ist. Ueber die 
Gestaltung ihrer Sprache wissen wir so gut als nichts. Die aus 
ihrer Mitte überlieferten Eigennamen des fünften und sechsten Jahr- 
hunderts sind etwa ein Dutzend: Anila, Audica, Kichila, Franta, 
Maldra (Masdra?), Adoricus, Frumari, Hermigar^ Hermericus, Re- 
misol, Rimismund, Witimer. Es sind ihrer zu wenige und ihre 
Schreibung ist wol zu sehr von westgothischem und römischem Ein- 
flüsse bestimmt, .als dass wir Betrachtungen an sie knüpfen dürften; 
Franta und Maldra sind unter ihnen die anziehendsten. Masculines 
-a hat, wie man sieht, damals auch noch bei den Sueven gegolten. 

Wir haben Ostgothen und Westgothen betrachtet und fassen 
nun den letzten gothischen Stamm, die Er im gothen ins Auge. 

Die Mehrzahl der Gothen war auf das rechte Donauufer hin- 
übergegangen und hatte im römischen Reiche sich niedergelassen. 
Durch die entvölkerten nördlicheren Gegenden war der wilde Völker- 
sturm der Hannen, Avaren, Alanen bis ins westliche Europa dahin- 
gebraust; Zur Linken dieses Weges musste eine Landschaft weniger 
von diesem Sturme getrofifen werden, die von der eigentlichen 
Heerstrasse abliegende und durch ihre merkwürdig gezackte Form 
leichteren Schutz gewährende Küste des schwarzen Meeres etwa 
zwischen der Mündung des Don und der des Dniestr, zwischen 
welchen beiden in der Mitte sich die taurische Halbinsel in ver- 
doppelt geschützter Lage vom Festlande absondert. Es war natürlich, 
dass in den sicher alten Gothensitzen auf dieser Küste, namentlich 
aber auf dieser Halbinsel sich Reste des Volkes bis in späte 2ieit 



IV. KrimgotheiL 159 

hielten. Die Nachrichten von diesen Resten hat der für Gothisches 
so unermüdliche Massmann 1841 in seinen Ootthica minora im ersten 
Bande von Haupt's Zeitschrift, dann aber kiirzer 1857 auf Seite' 
XXVII — XXVIII der Einleitung zu seiner Ulfilasausgabe zusammen- 
gestellt. In Folgenden liefere ich nur, was als wirkliche Quelle 
erscheint, wobei zugleich einige Angaben Massmann's etwas genauer 
gefasst oder berichtigt werden. 

Als erste Quelle über diese Gothen des schwarzen Meeres 
erweist sich Procop, der im bellum Gotthicum IV, 4 erzählt : noQci 
Se rov xcSßOv avror, o^ev rj Trjg Xifivrig [Maiwtiiog] ixßokTJ aQxsrai, 
rövd'ov ot TeTQO^rai, xcdovfievoi (pxtjvrcuy ov noXkol ovteg, oV drj %d 
XQUftiavöüv vofjiifjia <feß6iJ,Bvoi, 7€Bqus%iXlov(Sw ovSsvdg 7j<f<fov: Hierauf 
erzählt Procop die bekannte Geschichte, wie diese Tetraxiten an 
den Kaiser Justinian vier Gesandte abfertigen, uhi von ihm einen 
Bischof zu erbitten, den sie auch erhalten; denn der Arianismns 
^ar in jenen Gegenden schon längst untergegangen. Dann fährt 
Procop IV, 5 fort: yiifxvriv de tijv Mou^lkw x(ü tijv i^ avtijg ixßoXrjv 
vneqßdvTi evSvg fiiv ig avrrjv nov nijv tavvrig dxnijv ot Tfr^o^rai 
TtaXovpiBvoi Tot^oi x6 nalaidv ^xr^vrOy wv ensfivrjtf&tjv dgrioogy nolXtf 
Se anod^ev Ford^ov re xai Ovufiyotd'Oi xai BaviiXov xal %d aXXa 
Find^ued yivri ^vfinavra tSqvvro. Zuletzt kommt er IV, 18 darauf 
zu sprechen: ot Si F&v^mv xäv (Sq>Usv [OvtovqyovQpi>g\ TiQogolxoyVy ot 
&»{ Tergal^ttou, xaXovvxav^ iuSxiXiovg ig ^vfxfiaxiav inafofiBvoi Siißriöav 
nccvSijfiel noftapiov Tdvahf. 

Der Name Tetraxiten erscheint weder vor Procop noch kommt 
er nach ihm yor, ausser an Stellen, die aus ihm geschöpft sind. 
Seine Bedeutung entgeht uns; ist er griechisch, so könnte er von 
vier einzelnen Stämmen oder auch von einem uns sonst entgehenden 
Namen der Krim (von ihrer wesentlich viereckigen Gestalt) herge- 
leitet sein; oder sind es Umwohner des Tschatyr-Dagh, in dessen 
Nähe die Alma entspringt? 

Zweihundert Jahre nach Procop hören wir wieder von dem 
tetraxitischen oder gothischen Bisthum. In den Acta Sanctorum 
Tom. V Junii (25. — 30. Jun.) der Ausgabe Antverpiae 1709 finden 
wir S. 184 — 194 den Abschnitt „de sancto Johanne, episcopo 
Gothiae. E codice Vaticano" und erfahren hier manches, jedoch für 
uns nicht Erhebliches über diesen Mann, der aus „Tauroskythien^ 
geboren war und etwa um 754 Bischof wurde. 

Im 9. Jahrhundert kennt noch Walafrid Strabo, der 849 stirbt, 
in Tomi am schwarzen Heere gothische Sprache und gothischen 
Gottesdienst. 

Um das JahJr 900 Hess Kaiser Leo (der Philosoph) eine Liste 



160 IV. Sjia^tlieit 

der Bischöfe aufstellen; die von Constantinopel abhängeo, und in 
dieser ist der za Capha residirende gothische Erzbischof der 34ste. 
Ich setze die darauf bezügliche Nacbrichti welche aoch sonst be- 
achtet zu werden verdient; bieber ans Le Quien oriens christianiis. 
Parisüs 1740 fol. Hier beisst es, nachdem erst die Notiz des Procop 
fiber die Tetraxiten wiedergegeben ist, folgendermassen : Ex quibos 
colligere est jam olim ab antiquo Gottboram illonun ecclesiam 
Byzantinae sedi fuisse obnoxiam. Hi itaqne Gottbi regionem eis 
Tanaim flnviam ad Tyram nsque amnem tenebant, quae Osia bodie 
Ferrario dicitur; immo at in actis fertar Betbleemitanae synodi 
Sphetzia, FoTd-ia tj vvy Sg>€T(fia primariamqae illins nrbem de 
gentis noDodne dietam Oottbiam anno 1475 Mahometas II Tarcarom 
Snltanos expngnavit Oottbiae vero archiepiscopas in Notitia Leonis 
imp. trigesimas 'quartas est eomm, qui ad Constantinopolitanam 
thronam spectent, qoi et metropolitae titolo bonoribasque sabinde 
donatos est; ejasqae sedes est Capba civitas in Bosporo. 

Erst viertebalb Jahrhunderte nach jener Notitia Leonis impera- 
toris erbalten wir eine neae kleine Nachricht über diese Gotben, 
and zwar von dem Brabanter Wilhelm Roysbroeck oder Kabriqois, 
der 1253 im Auftrage Ludwigs IX. von Frankreich zum mongoli- 
schen Kaiser reiste. Seine Beise ist früher in Bruchstücken, dann 
ganz im Recueil des voyages et des mömoires der Sociäte de 
göographie t. 4| 213—396 herausgegeben und hier beisst es (nach 
Massmaun in Haupt's Zeitschrift I, 351): Sunt autem alta pro- 
montoria super mare a Kersona [Oberson an der Mündung des 
Dniepr] usque ad orificium Tanais et sunt quadraginta castelia 
inter Kersonam et. Soldaiam [Sudagh im Südosten der Krim], 
quorum quodlibet fere habebat proprium idioma et inter quos erant 
multi Goti, quorum ydioma est Teutonicum. In der französischen 
Uebersetzung zu Paris 1634 heissen die letzten Worte auf Seite 9: 
et lä sont aussi plusieurs Goths, qui retienneut encor la langue 
Allemande. Ob der Reisende auch speciell die Krim in den Bereich 
seiner Untersuchung gezogen habe, wird nicht gesagt. 

Wiederum fast zweihundert Jahre später begann im Jahre 
1436 der Venetianer Josephus (oder Josaphat) Barbaro eine Reise 
nach Tanais (Asow) uud dann weiter nach Persien. Mir liegt hieven 
eine lateinische Uebersetzung vor unter dem Titel Josephi Barbari, 
patr. Veneti, itineris, quod ad Tanaim et in Persiam suscepit, de- 
scriptio. Sie steht im Appendix zu P. Bizarus rerum Persicarum 
historiä (Francofurti 1601» foL). Hier beisst es pag. 455: Post 
Gapham insulam circum ad mare Magnum Gotthia est, deinde 
Alania^ quae per insulam versus Moncastrum it| ut dictum ^ nobis 



IV. Krimgothdiu 161 

superiiis est Ootthi Oermaaica ÜDgna ntantor, qnod inde BoiO| 
quia cum iamnlam haberem Oermannm, ona coUoqnebantar, et satia 
86 iniricem inielligebaiit: eo modo quo forte colloquentes Foriolensia 
et Florentinus aliqais alter alterias animi senBum assequitor, ae 
sermonem pereipit. Ab hac vicinia Gotthomm enm AlanlB nomen 
Qototeloram (!) derivatum est Alani primo in locis illis erant 
Sapervenere Ootthi et regiones illas oceaparant et mixturam ex sqo 
Alanoramqne nomine fecerant. Et sicabi inyieem permixtae [sie] 
•ont, exinde Ootitelani [also grade wie Catalonien = Gotalania] 
yoeari coepemnt Hi omnes ritu Graeco Tivnnt, itemqne Circassi 
Dieselbe Naehrioht drackt Massmann in Hanpt's Zeitschrift I, 353 
italiänisch ab, wie sie sich schon in Jos. Barbaro Yiaggi fatti da 
Venetia alla Tana etc. (Venedig 1543. 8) findet nnd dann noch 
mehrfach wiederholt ist 

Ans dem 16. Jahrhundert können wir nicht weniger als vier 
▼on einander unabhängige Nachrichten über jene Oothen beibringen. 

Znerst Mathias de Miechow de duabas Sarmatiis, Asiana et 
'Eoropiana, Gracoviae 1517 (nicht 1521), 4. Hier lautet es auf 
S^te 22 des unpaginirten Werkes, nachdem vorher von Ostgothen 
und Westgothen gesprochen ist, weiter in ziemlich barbarischer 
Weise so: Juhris autem sive Hnngaris de Sarmatia Asiana in 
Pannoniam abeantibns reliqaiae Gottorum aactae et maltiplicatae 
sunt: quas Thartari ab Oriente supervenientes in toto delevemnti 
sed et civitates castraque demoUti sunt, at solnm in Thaarica in- 
anla residui reperirentur. Yernm Januenses ex Italia Theodosiam 
aen Caffam urbem famosam in Thaarica insola sab ipsis obtinne- 
rnnt et coloniam fecerunt Tandem Thartari de familia Ulanonmii 
de qnibns infra dicetar, per portam septentrionalem ingressi, totam 
com oppidis, pagis et campis occupaverant, ducibus de Manknp 
(qui generis et linguae Grothomm fneront) dnntaxat castrum Man- 
knp retinentibus. Postremo Machomet octavns imperator Thuroorymi 
avns modemi Selambeci imperatoris Thanricam insolam comprehen- 
dit Caffam expagnavit, Thartaros Perekopenses seu Ulanos com 
toto Chersoneso omagiales sibi fecit. Et ultra insulam ad septen- 
trionem castrum Azow in ripa Tanais incastellavit et in hunc diem 
Thurci tenent Binos quoque duces et fratres de Manknp unicos 
GotMci generis ac linguagii superstites (hanc spem gregis Gotho* 
nun prolificandorum) gladio percussit et castrum Manknp possedit 
Sicqne Gothi penitu»! tam circa Sarmatias quam in Italia, Hispania 
et Gkülia extincti sunt, nee corum genologia (!) per amplius comparet 

Der hier genannte türkische Sultan ist Mahomet 11.^ der von 
1445^1481 regierte; sein Feldzug in der Krim fand 1476 statt Das 
försieaumn, Quch, d. d. Sprackitammei. iL 11 



j> 



IQ^ IV. Krimgothen. 

bier zuerst erwähnte Manknp (aoch in manchen Scfarifkstdlem 
Mangnt genannt) liegt im sädwestlichen Theile der Krim, bei 
Baktschisarai, zwischen Sebastopol and Simferopel, und ist eine 
interessante und noch neuerdings yielfacb beschriebene Boinenstatte. 

In das Jahr 1555 fällt die zn Zürich geschehene Aasgabe des 
Hithridates von Conrad Oesner. Derselbe citirt auf Blatt 42 znerst 
den Matthias von Miechow, zieht dann den Jos. Barbaras aas, giebt 
dann wieder einige Notizen ans jenem Matthias and ingt endlich 
hinzu: Gk)thi yerO| qui adhuc in montibus supersunt, ut pinrimum 
yineas oolunt et inde vitam sustentant. Er beschränkt auch jene 
Nachricht des Matthias aber den Tod der Bruder von Mankup dahin, 
dass durch denselben ^tota Gothorum illorum nobilitas cessavit*' 
In der Tiguri 1610 erschienenen Ausgabe des Gtesnerschen Mithri- 
dates hat Caspar Waser noch einen Gommentar hinzugefügt und 
giebt darin nun schon eine Abschrift des Berichtes von Busbeck. 

Dieser Augerius Oislenius von Busbeck in Flandern, der Ton 
1522 — 1592 lebte, hatte 1562 in Constantinopel Qelegenheit zwei 
Gesandte der Krimgothen zu treffen und forschtet sie mit dem ihn 
vor vielen seiner Zeitgenossen auszeichnenden Wissensdrange über 
ihre Sprache aus. Wir brauchen seinen vielfältig gedruckten Bericht 
(der aber nicht erst nach seinem Tode erschienen ist) hier nicht 
vollständig wiederzugeben und verweisen namentlich auf die genauen 
Untersuchungen von Massmann in Haupt's Zeitschrift I, 345 ff. Das 
wichtigste für uns aus diesem Berichte, die Sprachreste selbst, 
werden wir unten mittheilen. Auch Busbeck erwähnt jenes Mankup 
als eine Gothenburg, daneben aber noch ein viel deutscher klingen- 
des sonst nicht bekanntes Scivarin. 

Wenig werth ist die letzte Nachricht aus dem 16. Jahrhundert 
Sie findet sich in Martini Broniovii (nicht Broncovii) de Biezdzfedea 
Tartariae descriptio, welche angehängt ist an Possevino^ Ant., Mos- 
coyia. In diesem ohne Ort a. 1595 in Fol. erschienenen Werke 
erwähnt auf Seite 7 des Anhangs Broniovius jenes Ereigniss von 
1475 als ein vor 110 Jahren geschehenes, bezeichnet aber als Opfer 
des Sultans zwei Fürsten aus griechischem oder trapezunti- 
Bchem Eaisergeblüte, Oheim und Neffe, denen die Eroberung von 
Mancopia seu Mangutum den Tod gebracht habe. Den betreffen- 
den Sultan nennt er Selim; Selim I. regierte aber erst von 1512—1520. 

Nur eine einzige Nachricht giebt uns das 17. Jahrhundert, 
dafür aber eine merkwürdige und fast unerklärliche. Ich entnehme 
sie aus Jos. Just. Scaliger thesaurus temporum (Amstelodami 
1658 foh). Am Schlüsse dieses Bandes sind Scaligers Isagogi- 
eorum .eanonum libri m angehängt, und hier heisst es Seite 847 



IV. Krimgothen. 160 

von den Erimgothen: Etiamnum in iisdem regionibns degnnt snb 
Praecopensi Tatarorum djnasta et utramqae testamentum iisdem 
literis, qnas excogitavit Walfila, conscriptnm, et eadem lingna, qna 
tempore Ovidii utebantur, interpretatum legnnt. Sermo enim eonun 
bodiemns majori ex parte Teutonicus est etc.; in den nun folgenden 
Worten ist aber Scaliger nicbt mebr Quelle, sondern zieht nur den 
Josaphat Barbaras und den Busbeck aus. 

Auch aus dem 18. Jahrhundert haben wir nur eine einzige 
Mittheilung; die sich auf diesen Gegeustand bezieht. In Büschings 
neuer Erdkunde, sechste Auflage (Hamburg 1770) Theil 1,^ lesen 
wir Seite 16Ö4: ,,Unter denselben [den Tataren]^ und zwar an der 
Küste des schwarzen Meeres, von der Donau an bis zum asow- 
schen Meer^ )a auch auf der asiatischen Seite des schwarzen 
Meeres, wohnt ein heidnisches Volk, ohne besonderen Namen, dessen 
Sprache der deutschen verwandt ist. (In dieser Gegend haben die 
Gothen vor Alters gewohnet, von welchen diese Nation vielleicht 
ein Ueberbleibsel ist, bei welchen die christliche Lehre wieder 
untergegangen). Der erfahrene Jesuit Mondorf, von welchem ich 
diese merkwürdige Nachriebt 1760 aus Wien empfangen habe, bat 
einen Rudersclaven von dieser Nation, den er auf einer türkischep 
Oaleere angetroffen, getaufet, und von demselben erfahren, dass ihr 
ganzer Gottesdienst in der Verehrung eines alten Baumes bestebe^^ 
Weiter folgen wieder Mittheilungen aus Barbaro und Busbeck. In 
der achten Auflage der Erdbeschreibung (Hamburg 1787, 8) Bd. 1, 
Seite 1209 hält dagegen Bnsching die Gothen in der Krim für be- 
reits verschwunden. In der That nimmt man an, dass ihre Reste 
in Folge der Eroberung der Krim durch die Russen und durch die 
Verpflanzung der Einwohner, die Potemkin nach seiner gewöhnlicheii 
gewaltsamen Weise betrieb, völlig untergegangen seien. 

In den Schriften der Petersburger Academie habe ich nichts 
auf diesen Gegenstand Bezügliches entdecken können. Auch etwa 
zwanzig bis dreissig neuere Geschichten und Beschreibungen der 
Krim so wie Reisen durch dieselbe habe ich vergeblich durchge- 
sehen. Die meisten dieser Bücher erwähnen die Gothen nicht ein- 
mal, von den merkwürdigen Ruinen von Mancup ist allerdings viel- 
fach die Rede. Einen nach dem Augenmasse gezeichneten Plan 
von Mancup finde ich in Murawiew- Apostel Reise durch Tannen 
im Jahre 1820, aus dem Russischen von W. v. Oertel (Berlin und 
Landsberg 1825, 8); aber an der betreffenden Stelle Seite 146 ff. 
nichts von Werth. Auch Koch die Krim und Odessa (Leipzig 1854) 
hat auf Seite 65 f. zwar Notizen über die Gothen, bringt aber 
nichts Erhebliches bei. Massmann in der Einleitung zu 8eii^|W( 



164 tV. Knmgothdft. 

Ulfilas Seite XXVni erwähnt| dass Mnias Bschkraots in seiner 
armenischen Reise nach Polen n. s. w., die in Venedig 1830 er- 
schienen sei, ancb von Oothischen Denkmälern in Mancnp nnd 
Sodagh mit Inschriften in alten gothischen Buchstaben and von 
manchen unleserlichen Inschriften rede, doch alles das scheint 
nichts znr Beantwortung unserer Frage beizutragen. Aber die 
Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben, dass vielleicht noch nnsere 
Reihe von Nachrichten sich aus entlegenem Winkel her ergänze. 

Nun zur Betrachtung der von Busbeck uns fiberlieferten gothi- 
schen Sprachreste. Sie haben mir in folgenden zehn Abdrucken 
vorgelegen, für deren Bezeichnung ich später die hier vorgesetzten 
Zahlen verwenden werde: 

1. Augerii Gislenii Busbeqvii D. legationis Turcicae epistolae 
quatuor. Parisiis 1589. 8. Bd. 136 f. 

2. desgl. Francofurti 1595. 8. S. 259 f. 

3. desgl. Hanoviae 1605. 8. S. 244 f. 

4. desgl. Monaci 1620. 12. S. 378 f. 

5. desgl. Hanoviae 1629. 8. S. 244 f. 

6. A. Oisleni Busbeqvi epistolae deque rebus Turcicis quae 
extant. Lipsiae 1689. 12. S. 386 f. 

7. A. Gislenii Busbeqvii omnia quae extant. Lugd. Batav. 
(Elzevir) 1633. 12. S. 323 f. 

8. A. Gislenii Busbeqvii omnia quae extant. Oxoniae 1660. 8. S. 2 18 f. 

9. desgl. Amstelodami (Elzevir) 1660. 12. S. 323 f. 

10. desgl. Basileae 1740 8. S. 305 f. 

Dass irgend eine der Ausgaben 2—10 erneut auf handschrift- 
liches Material zurückgegangen sei, ist nicht ersichtlich, obwol ein 
Paar offenbare Druckfehler der ersten Ausgabe' in den späteren 
zum Theil verbessert sind; No. 8 enthält den nngenauesten Abdruck. 

Busbeck beginnt mit dei^enigen Wörtern, die er nostratia aut 
parum differentia nennt; es sind folgende: 

Theo oder the, der Artikel; nicht zu entscheiden ist, ob mit 
beiden Formen die verschiedenen Genera gesondert werden sollen. 

— Broe panis. — Plut sanguis. — Stul sedes. — Hus domus. — 
Wingart vitis (wol statt vinea irrthümlich). — Reghen pluvia. — 
Bruder frater. — Schwester soror. — Alt senex. — Wintch ventus* 
Siluir argentum (siuir 8). — Goltz aurum (golz 6). — Kor triticunt 

— Salt sal. — Fisct piscis (des t nur Druckfehler?) — Thurn 
porta. — Stern Stella (stein falsch 1. 2). — Sune sol. — Mine 
luna. — Tag dies. — Oeghene oculi. — Bars barba. — Handa 
manus. — Boga arcus. — Miera formica (schwed. myra, dän. myre 
mnl« miere o. s. w«). — Einck, ringo annulus. — Brunna fons« — 



IV. Krimgotheiu 165 

Waghen corrns (waghenn 4). — Apel pomam. — Schieten mittere 
sagittam. — Schlipen dormire. — Kommen venire. — Singhen 
canere. — Lachen ridere. — Griten flere (so steht es in 6—10, 
dagegen kriten in 4, ganz falsch eriten in 1 — 3; es ist das goth. 
gretani das dem Bnsbeck als allgemein deutsch bekannt sein mosste). 
— 6een ire. — Breen assare. — Schwalth mors (in 5—9 steht 
falsch schwalch; es mnss wie goth. svnltSy doch mit anderem Ablant, 
schwerlich ans svnlts entstanden, zu goth. sviltan mori gehören). 

Bei diesem Worte mnss dem Basbeck eingefallen sein, dass er 
schon unter die AnsdrUcke gerathen ist, welche er com nostra lingna 
non satis congmentia nennt. Diese AnsdrUcke geben theils durch 
ihre Schwierigkeit, theils durch ihr dennoch yorhandenes Ueberein- 
stimmen mit dem uns nun so viel mehr bekannten Oothischen recht 
den Beweis her, dass wir es bei Basbeck mit einem unverfälschten 
(wenn auch sicher ungenau geschriebenen) gothisohen Wörterver- 
zeichnisse zu thun haben; ich setze sie nun gleichfalls hieher: 

Enanen tag bonus dies; knauen ist noch unerklärt; s. Diefen- 
bach goth. Wbch. 11, 460. 

lel vita sive sanitas, ieltsch vivus sive sanus (iltsch 8), jeden- 
falls zu goth. haili und hails. Dazu noch lel uburt (6, 7, 9, 10; 
die übrigen Ausgaben schreiben vburt), welches einem altgotbischen 
liail vairthai zu entsprechen scheint. 

Marzus nuptiae ; im Deutschen fehlt entsprechendes ; am nächsten 
klingt litauisches marti Braut und martauti Braut sein an ; s. Diefen- 
l)ach n, 49. 

Schuos sponsa; auch hier liegt Litauisches nahe, z. B. das um 
Memel gebräuchliche swotas (sonst swodba) Hochzeit; sind die 
Anklänge bei diesen beiden Wörtern begründet, so darf man auf 
die Vermuthung kommen, Busbeck habe umgekehrt marzus sponsa 
und schuos nuptiae schreiben wollen« 

Statz terra; es findet im Oothischen die natürlichste Anknüpfung 
an staths locus. " 

Baar puer, sicher das gemeüideutsche bam. 

Ael lapis, wahrscheinlich goth. hallus petra. 

Menüs caro (meuus 8 falsch), goth. mimz caro. 

Rintsch mens (rintsh 8), noch unerklärt; Verrauthungen bei 
Diefenbach II, 175. 

Fers vir; goth. vair. 

Lista parum; scheint aus einem Neutrum litata parvum zu 
deuten, das die Endung des gothisohen leitils entbehrte. 

Ada Ovum ist das gemeindeutsche Wort, das sich zu altn. egg 
so verhält wie goth. vaddjus zu altn. veggjar, goth. tvaddjS zu altn« 



IQQ IV. Krimgothen. 

tyeggja, gotb. daddjan zu altschwed. dSg^a. Ada setzt danach 
ein Thema addija and dieses wol ein avja yorans. 

Ado gallina, fem. zu goth. faana gallosi merkwürdig wegen de8 
noch zam Altgoth. stimmenden femininen Ausgangs auf -o. 

Telich staltns (tilch 8); man denkt an eine Ableitung von gofb. 
dvals, also etwa an ein *dya1aleiks. 

Stap capra; Vermutbungen bei Diefenbacb n, 318. 

Gadeltha pulchrum (falsch gadeliba 8); etwa gleich goth. gati- 
lata aptum? 

Atochta malum ; etwa goth. *hatugata, nbd. ge-bässiges ; Diefen- 
bacb I, 89; Bezzenberger A-Reibe im Gotb. S. 14. 

Wichtgata album; nahe liegt hveitata, obwol die Form wicht- 
gata sich noch auf verschiedene Weise erklären lässt. 

Hycha ensis; goth. m^keis gladius. 

Schediit lux (schedit 6 — 10). Noch nicht sicher erklärt; auch 
hier liegt wieder ein Wort des lettischen Sprachstammes am näch- 
steuy nämlich lettisch skaidrs clarus; Diefenbacb 11, 261. 

Borrotsch volnntas, liegt dem gotb. ga-baurjotbus Toluptas 
auffallend nahe, wie schon Massmann sah; volnntas und voluptas 
Sind sehr benachbarte Begriffe. 

Gadariou miles. Hier kommen wir über yermutbungenniebtbinaus, 
wie sie Diefenbacb II, 436 mittbeilt. 

Eilemscbkop ebibe calicem. Die letzte Sylbe scheint allerdings 
zu schöpfen u. s. w. zu geboren und also für ein Trinkgefass ge- 
eignet zu sein. Oder ist an abd. coph crater, calix zu denken? 
Dann wäre das vorhergebende scA wol eine Yerscbleifcmg des 
krim. Artikels the. In keinem von beiden Fällen kommt man aber 
über die beiden ersten Sylben ins Klare. 

Es folgen nun die drei Yerbalformen tzo wartbata (watbata 8) 
tu fecisti, ies vartbata ille fecit und ich malthata ego dico. Sollte 
nicht statt dico vielmehr dixi stebn? Dann hätten wir drei Praete- 
rita. Das letzte, malthata, muss zu goth. mathljan mit Hetatbesis 
der Gonsonanten geboren. Steht die Form wirklich grammatisch 
dem wartbata gleich, so ist sie wol als ein maltbtbata anzusehn. 
In warthata müsste gotb. vaurkjan liegen, wenigstens liegt sonst 
nichts Deutsches näher. Aber wie erklären sich die beiden hinter 
einander mit Dental beginnenden Sylben? Durch ein angebängtes 
Objectspronomen? dann wäre ies wartbata = is vaurbta thata. 
Bochfliegende Gonjectur aber könnte sogar hier noch ein Ueber- 
bleibsel urdeutschen Zustandes sehn und in dem -thata nocb eine 
reduplicirte Form jenes Hülfsverbums erblicken, welche im Singular 
scbon bei ülfilas untergegangen ist (s. Bd. I, 583). 



IV. Krimgothen. Ig7 

Nan verzeichnet Basbeck die Zahlwörter: ita (= goth. Ntr. 
ainata; vgl. altn. eitt, schwed. 6tt; dän. et); tua (wiedemm = goth. 
Ntr. tva); tria (goth. Ntr. thrija); fyder (ein rechter Beweis echt 
gothischen Stammes); fynf (finff 4); seis (falsch scis 8); seuene; 
atbe; nyne; thiine; thiinita und thiinetaa (nur in 6 und 9, sonst 
wol falsch thanetua) zeigen, dass das gemeindentsche elf und zwölf 
untergegangen sind; fdr dreizehn folgt thiinetria (nur in 9; sonst 
thanetria). Sehr auffallend ist stega für zwanzig, dieses sonst fast 
mir den neueren deutschen Mundarten eigene Wort. Treithyen für 
dreissig und furdeithien (furdethyen 8) für vierzig verlassen ganz 
das alte deutsche Priucip und können es auch verlassen ; nachdem 
ein zehndrei an die Stelle des dreizehn getreten war, konnte letz- 
teres in den Platz des dreissig einrücken. Diese krimgothischen 
Zahlen, bis zur Vier wunderbar gut erhalten , von der Fünf bis zur 
Zehn leidlich bewahrt, in den zweistelligen Reihen ganz umgewälzt, 
verlieren in den Ausdrücken für hundert und tausend ganz die 
deutschen Wörter und entlehnen eranische Gebilde. Busbeck giebt 
f&r hundert sada, für tausend hazer; man vergleiche für jenes 
namentlich persisch szad, für dieses armenisch hazar. Wann und 
wo zuerst mögen diese Entlehnungen geschehen sein? Und von 
welchem Volke? von den Alanen? 

Das Yerzeichniss Busbecks beginnt mit klaren Ausdrucken, dann 
häufen sich die Räthsel, zuletzt aber kommt das Räthselhafteste, 
jener Anfang eines krimgothischen Liedes: 

Wara wara ingdolou 
Scu te gira gaüzu 
Hoemisolep dorbiza ea. 

Die Abweichungen der einzelnen Drucke sind: Im dritten 
Worte der ersten Zeile ingdolois 4, im ersten der zweiten 8ecf6, 9» 
wo im ersten Drucke undeutlich ist, ob scu oder seu; endlich im 
vierten Worte der zweiten Zeile galtzou in 1—3 

Gtestehn wir es, damit nichts machen zu können; frühere 
Erklärungen sind erwähnt und neue versucht bei Massmann in 
Hanpf B Zeitschrift I, 365 und bei Mannhardt in Euhn's Zeitschrift 
V, 168. Aber einen Einfall will ich doch mittheilen; jene Gothen 
könnten einem jungen Menschen, der zum Gelage eilt, warnend 
zngesungen haben: „Wohin, wohin, junger Thor? Spheue (dich) zu 
begehren die Becher; Hausbrod (ist) immer derber^. Ich halte 
den Einfall nicht für wichtig genug, um ihn zu vertheidigen, wozu 
auch hier nicht der Ort ist; die Schwierigkeiten übersehe ich keines- 
wegs; nur erwähnen will ich, dass ich bei galizu an abd. gellida 
und ags. gellet gedacht habe. 



168 ^- Syntax. 

So viel Sber den Sprachstoff, der nns ans der Handart der 
Erioigotben yorliegt; nun noch einige Bemerkungen über die laut- 
liche Sprachform, nicht in so fem sie das Alte erhält, sondeni 
nur so weit sie es entarten lässt Zu weit darf man indessen 
dabei in den Folgemngen taicht gehn, da Basbeck sicher nicht 
sehr genau die Laute wiedergegeben und sich bei dieser Wieder 
gäbe auch von der Schreibung seiner eigenen Sprache hat leiten 
lassen. 

In den Vocalen bemerken wir einen Mangel in der Bestimmt- 
heit der unbetonten Laute und ein mehrfaches Eindringen des 
stummen e^ so in sune sol, mine luna und besonders in den starken 
Infinitiven schieten, schliepen, criten, breen, kommen, singhen ; wenn 
in obigen Versen gira wirklich Infin. eines schwachen Verbums 
(ahd. gerön) ist, so wäre die Abweichung bemerkenswerth. 

Im Uebrigen unterliegt a des goth. hallus in ael lapis einer 
Schreibung, mit welcher Basbeck nach mittelniederländischer und 
noch bis ins yorige Jahrhundert dauernder Weise wol nichts als 
langes ä hat bezeichnen wollen. Das goth. / erscheint auch in 
betonten Sylben zuweilen als ^, z. B. in reghen pluvia, Schwester 
coror, menus caro; das vor r und h gebrochene / dagegen scheint 
Ycrschieden entartet zu sein; man vergleiche stem Stella mit seis 
sex und thiine decem. Dass goth. u jemals hier als a erscheine, 
ist zweifelhaft, denn handa manus verdankt sein zweites a wol 
dem Uebergange in eine andere Declination, schwalth mors ist wol 
anf anderer Ablantstufe gebildet als goth« svults, und in warthata, 
wenn es wirklich zu goth. vaurlgan gehört, ist im Gk>th. selbst das 
u schon getrübt. Aber ein Uebergang von u : o, g^nz dem von i : e 
parallel, ist nicht abzuleugnen, so in goltz aurum, tzo du, wol 
auch in atochta malum, selbst in dem vor r gebrochenen u bei 
kor triticum. 

Die beiden langen Vocale i und 6 zeigen im Krimgothischen 
eine centrifugale Bewegung, so dass jenes als I, dieses als i^ 
erscheint; man vergleiche mine luna, schlipen dormire, criten 
flere, auch mycha gladius mit bruder frater, stul sedes und plut 
sanguis. 

Die alten gothischen Diphtonge schwinden« Das goth. ai ist 
(wol durch die Zwischenstufe i) in i fibergegangen bei ainata: 
ita, ffir welches i auch ie geschrieben wirä in iel aus hails, wahr- 
soheinlioh in ies ille, wenn es aus ains entsprungen ist Auffallend ist 
das oe in boemisclep, falls es wirklich zu haims gehört. Ganz 
entsprechend geht goth. au in den Laut ü fiberi denn diesen meint 
gewiss Busbeck mit seiner Schreibung oe in broe paniSi hoef oapat. 



IV. KiimgotJiea. 169 

oeghene oonli; merkwürdig ist, dass er nielit aodi broeder, stodi 
ploet, sondern brnder, stnl, plnt scbreibt I>as gofh. iu endlieh 
zeigt sich als ie in schieten mittere sagittam, wol auch in miera 
fonnica. 

Im Bereiche der Gonsonanten verräth das Wortrerzeichniss 
eine eigentbfimlicbe Neigung znr Verstärkung der Anlaute und 
Anslaute; im Anlaut haben wir g:k in criten flere^ d:t in tag 
dies, auch wol in te = goth. du und thum porta^ b:p in plut 
sanguis, auch y:f in fers vir; im Auslaut dagegen g:k in rinok 
(neben ringo) annnlns, d:t in wingart vitis und auch wol in plut 
sanguis, b:p mutmasslich in hoemisclep. 

Das goth. M wird inlautend durch d ersetzt in bruder frater, 
an- und auslautend aber theils durch i wie in tria treS; treithyen 
triginta, alt senex, theils durch /s wie in tzo tu, goltz aurum, statz 
terra; im Artikel tbo the schreibt Busbeck noch th. 

Auffallend ist die Vertretung von A durch cA in ich ego und 
mycha ensis. Der Wandel von b : v in silvir argentum und seuene 
Septem, so wie der von g : gh in reghen pluvia, oeghene oculi, 
singhen canere, waghen currus beruhen wol zum Theil auf dem 
Einflüsse niederländischer Schreibung. 

Bemerkt zu werden verdient die Aphaerese in ano gallina, iel vita 
sive sanitas nebst dem davon abgeleiteten ieltsch, auch wol in ad 
lapis. 

Apokope eines schliessenden t-Lautes begegnet in hoef caput 
und broe panis. Das n scheint nach einem r gern abzufallen wie 
in kor triticum und haar puer; ähnlich vielleicht in gira, wenn es 
wirklich gleich ahd. gerdn ist; dagegen scheint thum porta ein 
überschiessendes n zu haben, falls es nicht etwa schwacher Plural 
ist Das nominative*5 schwindet gewöhnlich, um so auffallender 
ist seine Erhaltung in fers vir (sogar gegen goth. vair) und in 
ieltsch vivus; zweifelhaft ist, ob man es auch in statz terra, 
rintch mens, wintch ventus, bars barba, borrotsch voluntas an- 
nehmen darf. 

Gonsonantenausfall im Inlaute zwischen zweien Vocalen zeigt 
sich in breen assare. Häufiger sind Beispiele von Erweichung in- 
lautender Gonsonantengruppen ; dj : d liegt wahrscheinlich vor in 
ada Ovum (vgl. Bd. I, 397), mf : f in fyuf quinque (also wie sonst 
innerhalb des sächsischeu Sprachzweiges), ht:t in athe octo und 
vielleicht in warthata, wenn es gleich goth. vaurhta ist, dv:d in 
fyder quatuor (schon im Goth. in Zusammensetzungen), gv:g in 
singhen canere, dr : r vielleicht in wara, wenn es für goth. hvadre 



i 



170 IV. Kiitttgothen. 

steht. Die urdentsche und noch ältere Verwandlung von tt:8t 
Boheint sich in lista pamm fortznaetzen. 

Bemerkenswerth ist endlich die KomNenhochdeatschen stinuneikde 
Anlautsverhärtang in schlipen, Schwester, schwalth. 

Zu andern Bemerknngen giebt das dürftige Verzeichniss keinen 
Anlass; aber bedanem moss man diese Dürftigkeit am so mehr, als 
wir hier neben Zeugnissen der grösten sprachlichen Entartung doch 
den unzweideutigsten Spuren echt gothischer Rede mehrfach 
begegnen. 



^^N^N^^N^^^^^^^^^^^^^^^ 



( 



Fünftes Buch. 

Untergang anderer deutscher Völker im 

Römerreiche. 



Der letzte Abschnitt des vorigen Baches hat sich dadurch aus- 
gedehnt, dass der Einfloss fremder Sprachen auf ein deutsches Volk 
in dessen yerschiedenen weit zerstreuten Theilen den völligen Unter- 
gang von dessen Sprache in allen ihren Hundarten herbeigeführt hat. 
Kon ist aber das Schicksal der Gothen noch von einer Reihe anderer 
ihnen geographisch oder etünographisch nahe stehender Völker- 
schaften getheilt worden^ deren Sprachen wir, wenn sie uns genauer 
bekannt wären, gleichfalls wol je ein Buch unserer Darstellung 
XTvidmen müssten. Aber diese Sprachen sind uns so gut wie unbe- 
kannt, da sie keine Literatur hinterlassen haben und wir von ihnen 
eigentlich nur noch erfahren, wie sie von fremden Idiomen über- 
i^uchert und erstickt werden. Wir haben also so zu sagen von 
allen jenen Büchern nur die siebenten Gapitel vor uns; aller Reich- 
tham sprachgeschichtlicher Thatsachen, die gewiss in manchen vor- 
bergehenden Jahrhunderten sich ereignet haben, sind für uns in 
Dunkelheit gehüllt, deren Lichtung nicht einmal mehr zu hoffen 
ist; deshalb sind diese linguistischen Sterbeprotocolle hier in ein 
Ganzes zusammenzufassen. 

Grade im Osten, wo wir gothischen Namen und gothische 
Sprache am längsten haften sahen, verschwinden ein Paar deutsche 
Völker schon frühe vom Schauplatz. Mit ihnen beginnen wir. 

L Die Bastarnen. 
Im ersten Bande Seite 336 wurde die Ansicht ausgesprochen, 
die Germanen seien bei ihrer Einwanderung in Europa von Osten 
kommend am Nordnfer des schwarzen Heeres bis in die Gegend 
vonDniestr- und Istermündung vorgedrungen, hätten dann aber die 
Richtung ihres Weges geändert und den Weg nach Nordwesten 
eingeschlagen. Diese neue Richtung ist aber gewiss durch das 
Entgegenstehen eines Hindernisses veranlasst worden, denn aus 
freiem Willen wird kein Volk an jenem Punkte so die Richtung 
ändern, viel eher nach Südwesten. Jenes EQndemiss kann nicht 
in der Natur des Landes, muss also in einem andern vorausge- 
zogenen Volke gelegen haben. Die ersten der Germanen mögen 
dort auf die letzten, östlichsten der Kelten, vielleicht aber auch 
ganz fremde uns unbekannte Völker gestossen sein. Aus solchen 
Völkerbrandungen aber entstehen Hischvölker und als ein solches 
Mischvolk, vielleicht nicht das einzige jener Gegend, sehe ich am 



174 V. BasUrnen. 

liebsten die Bastarnen an. Ich halte sie für Oermanen, die aber 
wesentlich aus germanisirten Kelten bestehn. Hiemit erklärt sich 
auch das Schwanken der alten Schriftsteller in Bezug aaf die 
Nationalität des Volkes. Appian bezeichnet sie als Geten^ Polybius 
und Platarch nennen sie, worauf freilich nicht viel zu geben ist, 
Galater, aber auch Livius rechnet sie unter die Gallier ; am leichtesten 
macht es sich Dio Gassius, der sie mit dem Namen Scythen be- 
legt, worin ihm im 5* Jahrhundert, als das Volk schon längst nicht 
mehr bestand, auch Zosimus folgt. Dem gegenüber stehn nun aber 
diejenigen drei Schriftsteller des Alterthums, welche sich am eia- 
gehendsten mit deutschen Völkerverhältnissen beschäftigt haben 
und die alle drei sehr leicht lebende Bastarben konnten gesehn 
haben. Tacitus nämlich sagt Germ. 46: Peucinorum Venetorumqoe 
et Fennonim nationes Germanis an Sarmatis ascribam dubito: 
quamquam Pencini, quos quidam Bastarnas vocant, sermone culta 
sede ac domiciliis ut Germani agunt. Von keltischer Mischung ist 
also nicht mehr die Rede, höchstens von der mit nachdringenden 
östlicheren Völkern. Strabo aber erzählt: iv 3i t^ fjteffoyaia 
BacrdQVfu fih wZg TvQeyhaig ofiOQoi, xal FeQfiavolgy c%Bi6v %i xci 
avTol tov FeQfiavixov yhovg ovt€g\ schon vorher hat er das Volk 
als Grenzvolk von Germanien angeführt, ohne indess anzugeben, 
ob er sie sich innerhalb oder ausserhalb der Grenze denkt. Ganz 
ohne Zweifel an dem Deutschthum des Volkes drückt sich nur 
Plinius IV, 28 aus, der als fünften Stamm der Germanen ansetzt: 
Peucini, Bastemae snpra dictis contermini Dacis. 

• In solcher Unsicherheit wären uns einige Worte aus der bastar- 
nischen Sprache sehr erwünscht. Kein einziges solcher Worte ist 
uns aber überliefert; zu ihrem Ersätze müssen wir mit acht Eigen- 
namen, «darunter vier Völkernamen und vier persönliche, vorlieb 
nehmen. Kein einziger von allen acht ist sicher germanisch, ob- 
wol sich bei mehreren germanische Anklänge finden. Es sind 
folgende. 

Bastamae {Bastemae), der Name des Volkes selbst Das 
Suffix -rn erweist sich (s. Bd. I, 141) als wesentlich keltisch; von 
den Völkemamen, die es besitzen, sind kaum die Gugerni am 
Niederrhein deutsch benannt, viel weniger die Liburni in Illyrien, 
die Arvemi in der Auvergne, die Dalitemi an der oberen Rhone, 
die Ivemi in Irland. Auch die erste Sylbe des Wortes will sich 
nicht recht zu einem deutschen Stamme fügen; kannten wir genauer 
den Ursprang des deutschen (ursprünglich wol normannischen) 
Bastard, so ginge uns vielleicht daher ein Licht auf, das sogar 
die Mischlingsnatur des Volkes bestätigen könnte. 



V. Bsvtsnien. l'ffS 

Peacini. Dieses fast immer (so schon in zwei eben angefahrten 
Stellen) mit den Bastamen zasammen erwähnte Volk hat sicher von 
der zwischen den Donanmfindungen gelegenen Insel Penke den 
Namen, von der z. B. Strabo VU, p. 305 sagt: xecraaxdvteg S' av- 
fi|^ Ba&fdqycu, JlevxTvob rtQogriYOQBv9ij(fav. Ihre Endung klingt eher 
an deutsche Völker an, z. B. an die wahrscheinlich zu den Rugiem 
gehörigen Seidini^ an die gleichfalls norddeutschen Varini, während 
die Gotini und die Morini eher gallisch sind. Die Insel Peuke hat 
wol von Fichtenwaldungen den Namen, aber wir wissen nicht, von 
welchem Volke es ihn empfangen hat; leider entgeht uns das be- 
treffende Wort im Keltischen. In mehreren Stellen der Alten er- 
leheinen die Peucinen und die Bastamen als gradezu identisch, 
vrabrend in andern der eine Name als das Allgemeinere, der andere 
da das Besondere genannt wird. 

"Axfwvoij nach Strabo VII ein Stamm der Bastaraen, nur an 
lieserstelle genannt; wir können über dasWq;rt nicht einmal eine 
^ermuthung aufstellen. 

SkdovB^y ein zweiter Bastaraenstamm; gleichfalls nur an jener 
Stelle vorkommend. Dies Wort klingt allerdings in Stamm und 
Endung vielfach an deutsche Völkemamen an, am nächsten an die 
Sitonum gentes, die Tac. Germ. 45 in Schweden neben den Suiones 
aennt. Sind es Küstenbewohner, zu altn. st&a Seite, Küste? 

Glondicus, ein bei Livius im zweiten Jahrhundert vor Chr. 
begegnender bastamischer König, leider eine nicht ganz sichere 
Form, da Appian dafür KXoiXtog setzt Man denkt dabei an den 
von Orosius angeführten cimbrischen König Glaodicus und mit diesem 
an den deutschen Namenstamm HLOD; ein niederrheinischer Luo* 
thecho begegnet noch im Jahre )033. 

Getto, bastamischer König im 2. Jhd. v. Chr., von Livius ge- 
nannt, allerdings ganz deutsch klingend, wie z. B. mein Namenbuch 
I, 320 einen Gottus aus dem concil. Bracarense von 563 erwähnt; 
auch die Ortsnamen Guttingas, Guttenheim, Guttinwane schlagen 
dahin ein; aber von Sicherheit ist nicht die Rede. 

JiXimf (var Ji38wv\ bastamischer Fürst sec. 1 v. Chr., eben 
so gebildet wie der vorige Name, doch ohne allen Anklang an 
deutsche Namenformen. 

Teutagonus, in den Argonautica des Valerius Flaccus als bastar- 
nischer Anführer genannt, doch viel eher gallisch als deutsch in den 
Lauten geformt; ein gothisches Thiudakuns würde ihm entsprechen. 

Für die bastaraische Sprache ergiebt sich also nichts, und doch 
rauss das Volk mindestens ein halbes Jahrtausend bestand^ haben 
ud zi^eieh genug gewesen sein« Schon um das Jahr 180 vor 



176 V. Bastarnen« 

Chr« erscbeiDen sie als Verbfindete des macedomscben Penens im 
Kriege gegen die Römer; ihre Wohnsitze werden bei dieser Gelegen- 
heit nicht näher bestimmt^ doch werden sie schon damals nör^ioh 
Ton der Donaomändong gelegen haben. Anderthalb Jahrhanderte 
später drangen die Bastamen ins römische Gebiet feindselig bis 
Macedonien yor^ bis ihnen im Jahre 29 der macedonische Proconsol 
M. Licinias Crassos^ der Enkel des Triamvirn, in demselben Moesien 
eine Niederlage beibrachte, das nachher der Wohnsitz des Ulfilas 
sein sollte. Aach aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung 
werden Kämpfe zwischen Bastamen und Römern gemeldet Doch 
scheinen sie stets in den alten Sitzen geblieben zu sein. Strabo 
im zweiten Buche scheint sie an den Dniepr zu setzen, Pliniiu 
nennt Peucini und Basternae contermini Dacis und noch genauer 
giebt Ptol. an: Ilevxtvol %b mcu Bouniqyok vnsQ ttjv Jaxiav. Der 
Untergang des Volkes muss im Wesentlichen in das dritte Jahr- 
hundert fallen; Kaiser Probus (276— 282) soll^ wie Vopiscus erzählt, 
hunderttausend Bastamen auf römisches Gebiet verpflanzt haben; 
gewiss auch ein Anlass, dass die nördlicheren Gothen schon damals 
von diesen südlicheren Landschaften Näheres erfuhren und nach 
ihnen Lust bekamen. Die im Norden noch zurückgebliebenen 
Bastamen werden unter den Gothen aufgegangen sein, namentlich 
in Folge der Stiftung von Ermanarichs grossem Reiche. Wenn die 
Bastarnen noch bei Zosimus, ja bei Jemandes erwähnt werden, 
so ist das doch durchaus nicht bei Ereignissen der Fall, denen diese 
Schriftsteller gleichzeitig waren. 

Spuren einstigen bastamischen Lebens liegen vielleicht noch 
in jenen Orts- und Flussnamen deutschen Klanges, die ich Band 
I, Seite 334 ff. aus der Gegend nordöstlich von der Donaumündung 
nannte; hoffentlich werden sich diese Spuren in Zukunft noch mehren. 
Ja auch die Gothen des schwarzen Meeres, welche im Mittelalter 
erscheinen und die am Schlüsse des vorigen Buches besprochenen 
Krimgothen mögen starke Beimischung alten bastamisch-peucinischen 
Blutes gehabt haben. 

Wie die Bastamen die Plänkler für die Einfälle der Gothen 
ins römische Reich abgaben, so hatten die Gothenheere bei diesen 
Ereignissen einen gewaltigen Nachtrab; und mit diesem haben wir 
es nun zu thun. An die eigentlichen Gothen^ die nordwärts bis an 
die untere Weichsel gereicht haben mögen, schloss sich nämlich 
an der Südküste der Ostsee vielleicht bis zur Elbe hin eine Reihe 
gothonischer Völker an, und diese setzten sich allmählich in die 
Landschaften in Bewegung, aus denen die Gothen abgezogen oder 
in denen sie bedeutend vermindert waren. Ihrem Zuge nach dem 



V. Hernto. 177 

romsniscbeii Süden ist das gemeinsam, dass er nicht in grader 
Linie dnrcb die suebischen Stämme bindarch erfolgt, sondern stets 
in einem grossen Bogen nach Osten durch das alte Gothenland 
hindnroh "btattfindet. 

Alle diese Völker standen sich unter einander sehr nahe und 
bildeten oft mit den eigentlichen Gothen zusammen einheitliche Heere. 
So nennt Trebellius Pollio als Verbündete; die a. 269 von Kaiser 
Claudius in der Schlacht beiNaissus in Obermoesien besiegt wurden: 
Scytharum diversi populi^ Penci, Grutungi Austorgoti, Tervingi Visi, 
Oipedes (Geltae etiam) et Eruli. Der Kaiser Claudius selbst aber 
bezeichnet in seinem Briefe an den illyrischen Statthalter Julius 
Broccbus diese ganze Völkermasse als trecenta milia Gothorum, 
Ganz dieser Stelle gemäss haben wir auf die beiden in ihr erwähnten 
und noch nicht besprochenen deutschen Völker jetzt den Blick zu 
richten, die Heruler und die Gepiden. 

2. Die Heruler. 
Nur durch drei Jahrhunderte, vom dritten bis sechsten, können 
wir diesen unstätesten aller deutschen Stämme verfolgen, von dem 
es scheint, dass er wesentlich auf den Ostseeinseln gehaust habe, 
ehe er auf den Schauplatz der Geschichte tritt. Im vierten Jahr- 
hundert finden wir einen Theil von ihnen unter einem Könige 
Alarich an der Maeotis, wo sie von Ermanarich besiegt werden; 
ziemlich gleichzeitig aber verheert ein anderer Theil Pallien. 
Während herulische Scharen gegen Ende des fünften Jahrhunderts 
an der Vernichtung des weströmischen Reiches in Italien Theil 
nahmen, einzelne Theile sich gewiss auch dauernd auf römischem 
Gebiete niederliessen, soll nach Procop ein anderer Schwärm, kaum 
glaublich, nach Scandinavien gezogen sein, und von dort sollen sich 
später die südlichen Heruler einen König ihres Stammes erbeten 
haben. Unter allen möglichen Heeren jener Jahrhunderte finden 
wir Heruler als Soldtruppen, auch unter Theodorich dem Grossen. 
Bei solcher Zersplitterung ist es natürlich, dass sie im sechsten 
Jahrhundert erlöschen und zwar abweichend von andern deutschen 
Völkern so, dass man nicht einmal ihre Grabstätte angeben kann; 
sie sind überall verschollen, sobald. das wilde Völkergewirre neuen 
Staatenbildungen Platz gemacht hatte. In den ags. Herelingas und 
den mhd. Harlunge scheint ihr Name noch ein Nachleben zu fristen. 
Grade dieser Name verdient aber nähere Beachtung. Die For- 
men, in denen derselbe überliefert ist (welche ich hier aus der 
zweiten Ausgabe meines Namenbuches nicht zu wiederholen brauche) 
entbehren bei den älteren griechischen Quellen aller Aspiration 
PSr$tema$m, 6e$cA, d. d, Sprach$tamme$. IL 12 



tXS V. Herulöi*. 

m AnUitc; dii^ bildu$chen Schriftsteller beginnen ihn mit H (bis 
attf eiM V«tiäulll^ Aendi bei Amm. Marc); niemals erscheint wie 
bei CbimHari «nU anderen Formen ein stärkeres Ch. Grade dieser 
Viiv$l;iuid >fiirft du Gewicht dafür in die WagschalC; den Namen 
nicht vim pub. bairns gladius, sondern von altn. jarl, ags. eorl 
nobili« abuileilen. Ja die vielen Personennamen mit Erl-, Herl-| 
bei d^-ncn die aspirirte Form mehr den westlichen Landschaften 
angchtirt und viel seltener ist als die unaspirirte, mögen zum Theil 
noch von den Zeiten der Hernier her unmittelbar aus diesem Volks- 
namcn vorerbt sein; sonst erklärte sich kaum ihre Häufigkeit 
Genug, für jetzt neige ich mich mehr dazu, die Aspiration für 
unorganisch anzusehn. 

Aus dem herulischen Sprachschatze ist uns bloss ein einziges 
Appellati vum überliefert; nach Paul, diac* hiess nämlich die Fahne 
des Herulerkönigs bamiuSy benannt mit jenem bekannten Worte, 
das wir oben schon in den westgothischen signa bandorum gefunden 
haben, das also für die gothonische Natur der Heruler spricht. 

Ucrulische Personenamen weiss ich 15—16 beizubringen; davon 
stammt Naulobatns aus dem dritten, Alaricus aus dem vierten, 
Hrodulf und Graitis aus dem fünften, alle andern aus dem sechsten 
Jahrhundert. Davon sind sechs wolbekaunie auch sonst begegnende 
Namen, nämlich Alaricus^ Hrodulf^ Arulf, Wisand, Fulcaris und 
Sinduald (in griechischer Quelle auch Sindual genannt). Ihnen 
zunächst steht Filimuth, ein zwar sonst nicht begegnendes, aber 
aus zwei sehr bekannten Nameiielementcn bestehendes Wort, femer 
auch Alveth, das wol dem westfränkiscben Alfaidus gleich zu setzen 
und als alf -f- haid anzusehn ist. In Phanitheus ist der zweite 
Theil sehr bekannt, der erste in deutschen alten Namen unerhört; 
ein Fahnendiener, Fahnenträger gäbe schicklichen Sinn, doch ist 
zweifelhaft, ob Fahne bei den Herulem neben bandus schon diese 
Bedeutung gehabt hat. Aruth scheint ein Abkömmling aus haru- 
dischem Stamme zu sein, wovon noch deutlichere Nachklänge in 
dem hessischen und sächsischen Namen Harud, Haruth dea 8* und 
9. Jahrhunderts begegnen; wenn Aordus als der Name eines andern 
Herulers erscheint, so ist das wol nur eine noch weiter entartete 
Form desselben Namens. Ganz räthselhaft ist der älteste Heruler- 
name Naulobatus, der fast griechisch aussieht; sein Träger war 
sogar Gonsul unter Kaiser Gallienus (260—268)* Nun bleiben noeh 
vier unzusammengesetzte Namen übrig, die alle bemerkenswerth 
sind. Zuerst Suartuas, ganz einzeln dastehend, während sonst der 
Stamm ^varty swam nur als erster Theil deutscher Personennamen 
erscheint; auch ist das ableitende u auffallend. Ganz ähnlich ist 



V. Hertiler, Sciren, Rugier. 1^9 

Farafl eine vereinzelte Forni; während der Stamm far als Bestim- 
mungswort von componirten Namen sehr gebränchlich ist, für die 
dann auch einfach abgeleitetes schwaches Faro steht; fara hat bei 
Burgunden und Langobarden die Bedeutung generatiO; linea und 
an diesen Sinn wird auch wol Faras anknüpfen. Drittens das bei 
Procop begegnende ^O^wv (var. "Ovixyv^ ZcoW), das man nirgend 
sicher anknüpfen kann; ein sächsischer Occo des neunten Jahr- 
hunderts bietet die einzige Parallele. Ganz vereinzelt ist endlich 
der bei Theophanes begegnende Name Graitis (Gretes, Getes), 
dem man vielleicht einen wol langobardisch benannten Graido des 
sehnten Jahrhunderts zur Seite stellen kann. Genug; schon in 
iiesen wenigen Namen zeigt sich manches recht Eigenthümliche 
lod deatet auf eine gewisse Selbständigkeit der Herulersprache. 
^eider ergiebt sich für die Lautverhältnisse kaum etwas; gehört 
ler zweite Theil von Filimuth zu MUND, so hätten wir hier Aus- 
tossung des Nasals nach alts. und ags. Weise; zu bedauern ist; 
lass sich kein Beispiel des Stammes SVINTH vorfindet. Alveth 
cheint auf Diphthongenvereugung von ai : e hinzudeuten, was 
vieder besonders zum Sächsischen stimmen würde. 

Mit den Herulcm meistens vereint zersplittern mit ihnen noch 
linige andere Völkchen, die alle unfern der Odermündung zu 
lanse gewesen sein müssen. Zuerst die nicht selten genannten 
Jciren, deren Name wol zu goth. skeirs clarus gehört. Sie er- 
cheinen schon weit früher als die Heruler, schon sec. 1, zuerst 
m der Ostsee, dann in Galizien, später an der obern Donau, in 
talien, in Attilas Heer u. s. w. Dass die bairischen Oerter Scheiem, 
Jcheyern, Scheuern noch Spuren von ihnen enthalten, ist immerhin 
nöglich, von Sicherheit darf aber nicht die Rede sein. Grimm in 
ler Gesch. d. dtsch. Spr. verfolgt die Nachrichten über sie nament- 
ich mit Hinblick auf die deutsche Heldensage, die uns hier nichts 
mgeht. Als scirischer Name aus sec. 5 wird uns Wulfo erwähnt. 
nTahrscheinlich ein Scire, obwol ihn Jemandes einen Rugier nennt, 
¥ar auch Odovacar, also auch sein Vater Aedico, sein Bruder 
\.onu]f, sein Sohn Thela; nur dieser letzte Name ist sonst unbe- 
kannt und seine Deutung noch unmöglich. -' 

Ferner die Rugier, deren Spur noch heote in Rügen und viel- 
eicht in Rügenwalde lebt. Denn sowol auf Inseln als auf dem 
Peatlande scheinen sie ansässig gewesen zu sein, auf ersteren 
iie Ulmerugi, auf letzterem die Ethelrugi des Jornandes. Tacitus 
aennt die Rugii gewiss richtig gleich neben den Gothonen, irrt aber 
dann, wenn er sie mit den Gothonen zu den Sueven rechnet; nach 
E^rocop sind sie gradezu ein l^oq yord-utöv, und zu den Gothonen 

12* 



lÖO V. Eagier. 

gehören sie gewiss, lieber die Ostsee hinweg hat sich der Name 
der xingier nach Scandinavien verbreitet^ worauf wir später zuruck- 
zakommen haben; im Uebrigen aber machen sie mit den andern 
Gothonen den grossen östlichen Bogen mit^ so dass wir im fünften 
Jahrhandert dieses Vo]k sowol an der untern Donau als in dem 
Rugiland des jetzigen Oestreich als auch in Italien wiederfinden. 
Namen von Rugiern liefert uns nur das fänfte Jahrhundert^ zuerst 
das msc. Friderieus und das fem. Gisa, zwei wolbekannte Bildungen; 
dann aber den Rugierkönig Flaccitheus, dessen erster Theil auf- 
fällt und in deutschen Namen unerhört ist. Soll man dabei an 
unser Flagge denken, das den älteren Mundarten abgeht, und in 
dem rugischen Flaccitheus denselben Sinn finden wie in dem oben 
erwähnten herulischen Phanitheus? oder ist altn. flakka oberrare, 
vagaii (flakkr poet. Inpus) hcrbeizuziehn, dessen erstes k doch wol 
aus einem Nasal assimilirt ist? Dieser Flaccitheus hat einen Sohn 
Feletheus (auf die Variante Felecteus, die noch mehr an den Namen 
des Vaters erinnert, ist wol nichts zu geben) und dieses Feletheus 
scheint zu filu (multus) zu gehören wie manche andere deutsche 
Namen^ hat aber dann gleich andern Mundarten den Vocal des 
Stammes schon früh entarten lassen. Feletheus ist aber auch noch 
in anderer Hinsicht bemerkenswerth, da seinem Namen sowol in 
der vita S. Severini als bei Paul. diac. die Worte „qui et Fava 
(Feva)" beigefügt werden, d. h. doch wohl der Kleine, also wie 
im lat. Aemilius Paulus, eins der ältesten Beispiele deutscher 
Doppelnamen, hier wie es scheint hervorgerufen durch die Aehnlich- 
keit zwischen dem Namen des Vaters und dem des Sohnes. 

Uebrigens gehn auch die Rugier bereits im sechsten Jahrhundert 
unter; Spuren von ihnen mögen jedoch noch in einigen alten Orts- 
namen haften; ausser dem östreichischen Rugiland ist noch ein 
Ort desselben Namens im 9. Jahrhundert nordöstlich von Luxem- 
burg, südwestlich von Echteruach zu nennen, später Rauland oder 
Reuland; dann ein thüringisches Rugehusen des 11. Jahrhunderte, 
ein ostfränkisches am oberen Main gelegenes Rugiheim des 9. 
Jahrb., ein westfälisches Rugikampon aus sec. 11. Auch muss 
unweit des alten östreichischen Rugiland der Personenname Rugin 
gegolten haben, den wir im ersten Theile des Ortes Ruginesfeld 
sec. 9 und 10 wiederfinden. Auch im Angelsächsischen erinnern 
die Rugas noch an dieses Volk. Den Namen desselben vermögen 
wir nicht zu deuten ; nach den Formen 'Poyoij Rugas und dem neben 
Rugii begegnenden Rugi scheint er wie Chauci, Gothi, Quadi, 
Cbatti einer besondern Ableitungssylbe zu entbehren, was auf hohes 
Alter und einfach a^ectivischen Begriff schliessen läset; Giimm's 



V. Ragier, Gepiden. 181 

mathangen sehe man in der Geschiebte der deutschen Spr. 470 

AuflO. 

Wahrscheinlich nur ein Theil der Rngii sind die mit ihnra 
irfach zusammen genannten Turcilingi; sie erscheinen nur seo. 
nd zwar nur bei Jörn., bei Paul. Diac. und in der bist. misc. 
liegt also die Vermuthung nahe, dass auch sie schon an der 
äeeküste werden gehaust haben; wo man sie vermuthet, nennt 
lemaeus die 'PomixXsioi zwischen Oder und Weichsel, die an 
^er eben so wie an Turcilinge anklingen, das Räthsel also nur 
h mehr verwickeln. Grimm will Thuriliugi aus Turcilingi machen, 
u älteste Thüringer. 

In dieser Völkergruppe werden auch wol schon früh die Lemovii 
r. Lemonii) aufgegangen sein, die Tacitus an zwei Stellen 
ahnt und dicht neben die Rugier stellt, die aber sonst nirgend 
annt werden. Das e der ersten Sylbe kann aus af verdichtet 
i (vgl. oben das herulische Alveth); dann wären die Lemovii 
a Laimaujös, Bewohner einer Gegend^ die etwa dem ahd. 
mowa, Laimauga (Namenbuch 11, 960) sprachlich entspräche. 

Auf dieselben Südkttsten der Ostsee führen uns nun aber ausser 

Herulergruppe noch vier andere weit wichtigere Völker, wich- 
r dadurch, dass sie lange Jahrhunderte hindurch in den Gang 

Geschichte kräftig eingreifen, dass drei von ihnen prganisirte 
Eiten in römischen Reichstheilen bilden und zwei dieser Staaten 
h heimische Rechtsbücher, leider in römischem Gewände hinter- 
en haben. 

3* Die Gepiden. 

Wenn ich oben den Ausdruck gebrauchte, die Gothen hätten 

ihren Zügen in den Süden einen starken Nachtrab gehabt, so 

dieser Ausdruck nirgends richtiger als bei diesem Volke; es 

it sich mehrfach verfolgen, wie sie hinter den Gothen herziehn, 

sie endlich an der nordöstlichen Grenze des Ostgothenreiches 

m bleiben. Selbst in der bekannten von Ji)mandes aufbewahr- 

Stammsage der Gothen werden sie schon als die trägen Nach- 

ler des mächtigeren Stanmies aufgefasst Sie sind aber nicht 

)8 geographische, sondern auch ethnographische Nachbarn der 

hen, ja sie stehen diesen, wie sich auch in der Geschichte erweist 

>hn die Könige der Germanen kommt darauf mehrmals zurück), 

sr allen Völkern am nächsten. Ihre echt gothonische Natur wird auch 

Procop bestätigt, nach welchem sie eben so wie die Vandalen die 

bische Sprache reden; eben so von Jornandes (sine dubio ex 

liomm prosapia ducnnt originem). Den älteren Scbriftstellem über 



182 V. Gepiden. 

deutsche Völker sind sie unbekannt; auch findet sich nicht, dass sie dort 
etwa un|er einem andern Volksnainen versteckt seien. Erst im vierten 
Jahrhundert, kurz nach den Herulern, treten sie auf; vorher scheinen 
sie, wie Jemandes berichtet, ruhig auf jenen Weichselwerdem an der 
Ostsee gesessen zu haben; später wird die neue Gepidia in Pan- 
nonien ihr Wohnsitz bis zu ihrem Untergange, einzelne Streifzuge 
abgerechnet. Nationaler Sinn scheint ihnen (und das ist ja immer 
für die Sprache wichtig) schon frühe abhanden gekommen zu sein; 
im 5. Jahrhundert stehen sie treuer als die andern deutschen Völker 
zu den Hunnen; doch machen sie die Sünde später wieder gut, 
da sie es grade sind, die nach Attilas Tode durch die Schlacht 
am Netad in Pannonien das hunnische Joch brechen. Ihr Unter- 
gang wird im sechsten Jahrhundert durch die Langobarden herbei- 
geführt und dann durch die Avaren vervollständigt. Doch heisst 
es noch um 600 von dem Heere des römischen Feldherrn Priscus, 
das über die Theiss gegangen ist, bei Theophylactas VHI, 3: 
nequtvyxdvovtsv roiyaqovv xfaqloiq Frinaidwv xqiav^ die dann überfallen 
werden. Und sogar noch in Kleinmayerns Juvavia (Salzburg 1784} 
foL) wird ein anonymus Salisbnrgensis abgedruckt, der zum Jahre 
863 Reste von ihnen in Dacien findet: „de Gepidis autem qoidam 
adhuc.ibi (d. h. an der Donau) resident^; vgL Kopitars GlagoL 

Lxxra. 

Dass irgendwo Splitter dieses Volkes einem Orte seinen Namen 
gegeben haben, ist kaum ersichtlich; ein im 8. — 10. Jahrhundert in 
Baden begegnendes Gehfida (Gehfrida, Gihtfida, Gifido) ist doch 
allzu unsicher. Eher mag der zu Weissenburg im Elsass a. 716 
erschallende Personenname Gebetho oder der zu Gorvei sec. 9 vor- 
kommende Kippid auf die Gepiden zurückzuführen sein. Einflnss 
könnte ihre Sprache noch bis aufs Magyarische hin erstreckt haben; 
schon Bd. I, 356 wurde erwähnt, dass finnisches p und k zu un- 
garischem f und h ganz nach deutscher Lautverschiebung werden. 

Auch von der Gepidensprache sind die Reste mehr als 
kümmerlich. Jornapdes berichtet zunächst über den Namen des 
Volkes, nach seiner Auffassung bedeute das Wort den Trägen oder 
Langsamen ; es sei dem Volke zum Spotte beigelegt, weil dasjenige 
Schiff^ welches die Gepiden nach den Südufer der Ostsee aus Scandi- 
navien hinübergefuhrt habe, langsamer gefahren sei als die beiden 
Gothenschiffe ; gepanta habe den Sinn von pigrum aliquid tardumque. 
Die Deutung des Jemandes ist sicher eben so falsch wie die des 
Isidor, der die Gepiden von pes, und die der Griechen, welche sie 
von nc&g herleiten und sogar Erdsöhne aus ihnen machen. Aber 
ein wirklich gepidiscbes Wort mag ihm vorgescbwebt haben, und 



V. Gepiden. 18* 

zwar ein schwaches Verbum, zo dessen beiden Participien sich 
gepanta und Gepida gut fügen würden; jenes wäre tardans, dieses 
tardatus. Im Bereiche germanischer Sprache will sich nun nach 
unserer Kenntniss ein solches Verbum nicht finden; es entspräche 
dem meines Wissens vereinsamten hebeo, hebesco nicht übel im 
Sinne, sehr, gut im Laute. In der ersten Sylbe schwankt übrigens 
das Cy welches fast ausnahmslos kurz gebraucht wird, in ein i 
hinüber. 

Dem Namen des Volkes steht am nächsten der seines Wohn- 
sitzes; jene Weichselinseln, die Jomandes falsch als eine einzige 
bezeichnet, werden von ihm Gepidos genannt; die Varianten Ge- 
pidojos, Gepedojos sind besser, da sie sich unmittelbar an das 
gothische aujös insulae anschliessen. 

Vierzehn gepidische Personennamen weiss ich als die einzigen 
weiteren Reste dieser Sprache anzuführen. 

Der älteste derselben, der schon aus sec. 3 überlieferte Fastida, 
zeigt eine Bildung grade wie Gepida selbst und einen Stamm, der 
den Personennamen aller deutschen Volkstämme mit Ausnahme der 
westlichen Franken sehr gewöhnlich ist. Alle andern Namen be- 
gegnen erst sec. 5 und 6. Unter ihnen deutet das Masc. Ustrigothus 
und das Fem. Austrigosa (doch wol für Austrigotho) recht auf die 
von der Geschichte so deutlich bezeugte enge Verbindung zwischen 
Gepiden und Ostgothen hin. Von den übrigen Namen sind einige 
ohne alle Bedenken, da sie aus ganz bekannten Elementen bestehui 
so Ardaricus oder Harderich, Ghunimund, Gunderith, ßosamunda, 
Transaricus, wie Jomandes, oder Trasaricus, wie Ennodius schreibt ; 
Thurisind und dessen Sohn Thurismod. Nur vier Namen bleiben 
als vereinzelt und auffallend zurück; Usdebad, ein mehrmals bei 
Menander exe« de legatt vorkommender Gepide, scheint im ersten 
Theile das bekannte Namenelement ahd. ort u. s. w. zu habefi, 
das an zwei Stellen Procops vorkommende Asbad aber nur eine 
starke Entartung derselben Form zu enthalten. Zweitens Elemund 
bei Procop; der erste Theil ist unsicher; vielleicht ist die neben 
'EXcfwvviog stehende Variante Ovelefwvvtog vorznziehn und auf ein 
Willimnnd, Viljamund, einen sehr bekannten Namen zu deuten. 
Endlich bleiben noch zwei ganz gleich gebildete männliche Demi- 
nutive übrig, die ihres Gleichen sonst im Namenschatze nicht haben, 
nämlich Trafstila und Reptila. Jenes, mit mehreren Varianten, wie 
z. B. Trapestila, hat nur im westfränkischen Thrasteberga (aus 
sec. 7) eine verwandte Form; es steckt darin gewiss goth. thrafstjan 
trösten; der kleine Tröster und die Trostbergerin gehören zu unsern 
schönsten Eigennamen. Auch Reptila ist ganz vereinzelt, der Stamm 



.jg4 V. Gtopiden^ Vandalen. 

des Namens wird jedoch durch den Vandalenkönig Raptus beglaubigt 
Man denkt an das aJtn. schwache Verbum hrapa, rapa decidere» 
cader e; sind die^e Namen wegen eines Vorganges bei der Gebart 
ertheilt worden? 

Ans so geringen Resten ist fdr Lantverhältnisse des Gepidischen 
nichts Sicheres zu entnehmen, mehr fast fdr die Neigung der be- 
treffenden lateinischen oder griechischen Schriftstellör, daher ein 
solches Schwanken, wie z. B. in dem alten Diphthongen auy der 
erhalten bleibt in Austrigosa, als ^ erscheint in Gepidojos, als u 
endlich in Ustrigothus. Ein Umlaut begegnet in Reptila auffallend 
frfih. Zu bemerken ist das Eindringen des Zischlautes für altes 
M in Austrigosa. Anlautendes A fällt ab in Ardaricus (schwerlich 
in Asbad) und sehr natürlich vor anderm Consonanten in Rosamonda 
and Reptila, wenn meine Deutungen von beiden gegründet sind. 

4. Die Vandalen. 

Wiederum ein sicher zur gothonischen Gruppe gehöriger Volks- 
stamm; das bezeugen nicht bloss die von ihnen erhaltenen Eigen- 
namen, sondern auch die alten Schriftsteller. So sagt Procop, die 
rdvd'Oi, BavilXoi, OvusiyQ%9^oi, und FiJTraideg seien Fm^utd Idvi], 
Plinius IV, 28 aber stellt zusammen Vandili, quorum pars Bnrgon- 
dioneSy Uarinne, Gharini, Gutones; der Relativsatz muss bei Bor- 
gondiones enden. 

Auch die Vandalen, die uns schon seit der Zeit des Plinius 
und Tacitus bekannt sind, gehn von der Ostseeküste aas, was 
durch Erwägung aller über sie erhaltenen Nachrichten mindestens 
wahrscheinlich wird. Einer ihrer Stamme erscheint sogar im nord- 
liehen Jätland, so dass auch auf jetzt skandinavischem Boden nahe 
Berührung zwischen den Vandalen und den vorhin behandelten 
Herulern waltet Sie haben sich weiter zerstreut als die Heruler, 
müssen aber grössere Volkszahl und Lebenskraft gehabt haben, da 
sie mehr Spuren hinterlassen. Während im dritten Jahrhunderte 
ein Theil von ihnen unter Probus nach Britannien geschickt wurde, 
sagt Dio Cassius von dem Ursprünge der Elbe; qel ie ix %äv 
OvanfiaXutm oqwv; er wird den Böhmer Wald meinen und die 
Moldau eben so wie Tacitus die Saale als den eigentlichen Quell* 
fluss der Elbe ansehn. Damit stimmt auch, dass die Peutingersche 
Tafel ihre Vanduli unter die Marcomanni, etwa Regensburg gegen- 
über an das Nordufer der Donau schreibt. Später erscheinen sie 
mit der gewöhnlichen Abweichung nach Osten mehrfach in Pannonien 
und Dacien, ja Procop giebt sie als Umwohner der Maeotis an. 
Von diesen in Europa zurückgeliebenen Vandalen noch einen SesI 



V. Vandalen. 185 

in den Gotscheern bei Laibach finden zu wollen liegt kein genügender 
Grand vor. 

Unterdessen ist schon längst das wichtigste nnd verhängniss- 
Tollste Ereigniss in dem Leben dieses Volkes eingetreten, das ihr 
Andenken mehr als alles Uebrige verewigt hat. Als einziger Zweig 
der Germanen betritt ein grosser, vielleicht der gröste Theil von 
ihnen den africanischen Boden und gründet dort ein deutsches 
Reich. Diese Vandalen waren schon seit 375 in Gallien einge- 
brochen; dann hatten sie sich etwa zwanzig Jahre mit den West- 
gotbeu in Spanien aufgehalten, nnd zwar mehr in dessen südlichen 
Theilen, wo noch heute die reiche Ebene am Guadalquivir nach 
ihnen den Namen Andalusien fuhrt. Im Jahre 429 wurde das 
africanische Reich gestiftet, dessen Hauptstadt zehn Jahre später 
Karthago wurde. Von dort aus wird 440 Sicilien verwüstet, 455 
sogar Rom geplündert, aber auch auf die Dauer Land erobert, so 
dass Genserichs Sohn Hunerich von Gibraltar bis Gyrene herrscht. 
Aber nicht lange dauert die Blüthe des Reichs; seit 527 mischen 
sich die Byzantiner in die vandalischen Angelegenheiten. Der Sieg 
über den König Gelimer wurde den Oströmern ungemein leicht, da 
die Vandalen jedenfalls wenig zahlreich und zugleich sehr in Ueppig- 
keit verweichlicht waren, auch zugleich mit ihren natürlichsten Ver- 
bündeten, den Ostgothen, in Feindschaft lagen. Im Jahre 533 endet 
dies vandalische Reich durch Belisar, nachdem es 105 Jahre be- 
standen, länger als das ostgothische, kürzer als das westgothische. 
Das -ganze Volk als Gesammtheit wurde dabei völlig vernichtet; 
nnr noch kurze Zeit hindurch hören wir von seinen Resten. 

Bei so gewaltigen Ereignissen und Wanderungen ist es natür- 
lichy dass dieses Volk im Bereiche sowol der örtlichen als der 
persönlichen Eigennamen tiefe Spuren hinterlassen hat. Ich er- 
innere zuerst an den Wentilseo des Hildebrandsliedes, den Vendelsae 
der angelsächsischen Schriftsteller; noch im-Mhd. begegnet mehr- 
fach wendeise und wendelmere. Möglich ist, dass der Ausdrack, 
in welchem man am natürlichsten ein Vandalenmeer zu suchen hat, 
zuerst die Ostsee bedeutet; doch keine der Stellen beweist das mit 
Sicherheit; an mehreren Stellen wird damit das mittelländische 
Meer ausgedrückt, zuletzt darunter allgemein der Ocean verstanden 
und nun, mit volksetymologischer Anlehnung an wenden, sogar 
im vocabularius optimus gedeutet: amphitrites, oceanus, wendelmer 
vel umgendes mer. Von den Vandalen im nördlichen Jütland, die 
jedenfalls auch mit den ags. Vendias gemeint sind, heisst jener 
Landstrich altn. Vendill, seine Nordspitze Vendilskagi (das Vor- 
gebirge Skagen), ein Bewohner des Landes Vandilsbyggi; mit Van- 



186 V. Vandalen. 

dils jörmimgnind und Vandils ve wird wol Jütland fiberhaiipt be* 
zeichnet; ein Spottname Vendilkraka zielt eben dabin; nähere Citate 
darüber fitidet man namentlich in dem Wörterbuch von Cleasby- 
Vigfasson. Ein Ortsname Waudalem, der sec. 9 und 11 in Brabant 
vorkommt, könnte leicht gleichfalls nach den Vandalen benannt sein. 

In Betreff der Personennamen stört an klarer Erkenntniss auf 
altnordischem Gebiete das Wort vandill, vendill ramulus, Dcminn- 
tivumvon vöndr (=goth. vandus), dem man die Schwerterbezeich- 
nnngen dragvandill, heinvandill, ijödvendill, snarvendill unbedenk- 
lich anknüpfen muss. Aber das einfache Vandill kommt auch als 
Peri^onenname, sogar als mythischer Riesenname vor; bekannt ist 
auch der Riese Oervandill, der sogar in der Composition Oervan- 
dilstä in der nordischen Astronomie auftritt, eben so Höggvandill; 
diese Formen wird man gewiss besser thun zu dem Volksnamen 
als zu dem oben genannten Appellativum zu setzen, wie fremder 
Völker Namen so leicht zu Eigennamen und specielT zu Riesenbe- 
zeichnungen werden. Jener Name Vandill, Vendill ist übrigens 
keineswegs speciell isländisch, sondern zeigt sich auch auf einem 
in Oeland gefundenen, vielleicht dem zehnten Jahrhundert ange- 
hörigen Runensteine. 

Aber auch ausserhalb des nordischen Gebietes ist dieses Ele- 
ment in Personennamen häufig. Schon im fünften Jahrhundert 
begegnen die gothischen Namen Wandil und Wandalhari (Yanda- 
larius), im sechsten und den folgenden erscheint eine Unzahl 
Ableitungen und Zusammensetzungen desselben Stammes, die man 
in meinem Namenbuche nachsehn kann und die dann wieder den 
ersten Theil von Ortsnamen wie Wendilburgoroth, Wentilgereshusun, 
Wendolmeresborch , Windelmuoderode liefern. Mögen in solchen 
Personennamen auch einzelne Erweiterungen eines einfacheren Vand- 
stecken, gebildet nach einer besonders bei den Westiranken üblichen 
Weise , so ist es doch wegen der grossen Verbreitung dieser For- 
men unmöglich, die Verwendung des Vandalennamens in ihnen 
ableugnen zu wollen. 

Und ein Volk, dessen Fusstapfen man so deutlich und zahl- 
reich verfolgen kann, sollte von seiner Sprache keine erheblichen 
Spuren hinterlassen haben? Und doch ist es so; ausser einer 
befriedigenden Anzahl persönlicher Namen sind diese Ueberbleibsel 
fast Null. Viel besprochen ist die Stelle bei Augustin epist 178 
(welcher Brief übrigens vielleicht nicht durch Augustin, sondern 
durch Vigüius von Thapsus geschrieben ist), worin es lautet: Si enim 
licet dicere non solum Barbaris lingua sua, sed etiam Romanis 
Sihora armen, quod interpretatur Domine miserere ü. s. w. Es ist 



V. Vandalen. 187 

lort von der Homoosie die Rede und der Text hat weiter keine 
Bedeutung für uns. Das erste Wort Hesse man sich im Hinblick 
»af ags. sigora victor, deus mit Grimm allenfalls gefallen, obwol 
in letzterem doch nur eine poetische Bezeichnung Gottes zu 
liegen scheint; das zweite hat eine nicht befriedigende Eudnng, da 
»an eine zweite Person des Optativs oder Imperativs erwartet 
^un soll nach Du Gange (neue Ausgabe) in dem Exemplare des 
iugustin, welches dem Rigaltius (d. h. Nie. Rigault, um 1600) 
gehörte, von diesem am Rande bemerkt sein, dass eine alte Hand- 
schrift dafür Fhrota armes habe; dem zweiten Worte wäre damit 
abgeholfen und das erste zu der ganzen Verwandschalt von goth. 
roths prudens, sapiens gewiesen. Die Verbesserung von Fhrota 
n Throta, die im Du Gange vorgeschlagen wird, um ahd. truhtiu 
1. 8. w. herauszubekommen, verschlägt nichts. Unsicher bleibt die 
Sache, und nicht einmal das ist sicher, dass an jener Stelle van- 
laiische Sprache gemeint sei. Ausser diesem immerhin merkwür- 
ligen KvQie ikiriaov weiss ich von Appellativen nur anzuführen, 
lass das Amt der gardingi wie bei den Westgothen (was nicht 
inwichtig ist) auch bei den Vandalen vorkommt ; nach Victor Tun- 
lensis sind die Brüder Gunthimer und Gebamund gardingi (dome- 
»tici) des Königs Gelimer. 

Alles Andere, was uns noch aus dem Vandalischen herüberklingt^ 
sind Eigennamen. Der Name des Volkes selbst erfordert zuerst 
Betrachtung. Was seine Form angeht, so ist der Vocal der ersten 
äylbe unbestritten a, denn die Lesart Vindili bei Plinius scheint 
lur aus einer Verwechselung mit Vindelici hervorgegangen. Die 
sweite Sylbe ist eine ganz irrationale Kürze, zunächst wol i^ denn 
luch Vandilii bei Tac. scheint die bessere Lesart zu sein und 
lerselbe Vocal herrscht auch bei den Griechen vor, zuweilen aus- 
iveichend in ij ; die Römer haben mit wenigen aber alten Ausnahmen 
vorherrschend a^ das als Kürze anzusehn ist (Goripp: primus ut 
niaustas contingens Vandalus undas); ganz vereinzelt ist Vandoli 
luf der peutingerschen Tafel; Synkope des Vocals femer ist ein. 
getreten in dem ags. Vendias. Die Deutung des Namens macht 
Schwierigkeit; die Anknüpfung an das goth. vandus, altn. vöndr, 
rendill, die oben erwähnt wurden, so dass das Wort den abgeson- 
derten Zweig eines Volkes bedeute, ist ziemlich unwahrscheinlich. 
Brwägt man die an verschiedenen Stellen Europas auftauchenden 
Veneti, wol ein Ueberrest der ältesten Bevölkerung des Erdtheils, 
die keltischen Vindelici, die slawischen Vinidi, so drängt sich die 
Vermuthung auf, auch ein deutsches Volk könne hier seinen Namen 
7on einer vordeutschen Einwohnerschaft entlehnt and abgeleitet 
haben. Weiter giebt es nur unsichere Vermuthangen. 



188 V. Vandalen. 

Zwei andere Namen bezeichnen die beiden Stämme, in welche 
das Volk zerfiel, die Aldingen und die Silingen. Die Asdingen, 
welche bei den alten Schriftstellern mehrfach als Gothen angesehn 
werden, sind aber auch der Name des herrschenden Eönigsge- 
schlechtes der Vandalen; es fragt sich, ob der Volksstamm oder 
dieses Geschlecht früher so benannt sei. Ich vermnthe das letztere 
nnd glaube, dass der Stamm des Volkes danach in ähnlicher Weise 
benannt sei wie Gnntbadingi, Lotharingi, Earolingi, auch Nibelonge ; 
aber eine Ableitung von art genns, das ein ursprüngliches, nicht 
ein aus s entartetes r zu haben scheint, ist höchst misslich. Auch 
Silin gi mögen zuerst ein altes, für uns verschollenes Fürstenge- 
schlccht sein; man denke an die im neunten Jahrhundert vorkom- 
menden Personennamen Silhard und Siliheri. 

Dreissig bis vierzig alte Personennamen endlich lassen sich 
mit grosser Wahrscheinlichkeit vandalischen Trägem zuweisen. 
Davon sind ganz sagenhaft die von Paulus diac 1,7 erwähnten duces 
Vandalorum Ambri nnd Assi; dann folgen die beiden zum Jahre 
174 von Dio Gassius 7142 genannten etwas verdächtig alliterirenden 
Könige Raus und Raptus. Das vierte Jahrhundert liefert Godegisil, 
Stilico und Visimar, alles Uebrige gehört dem fünften und sechsten an. 

Der gröste Theil dieser Namen besteht aus völlig alten 
Bekannten. Unter den einfachen gehören hieher Godas, Salo, Tzazo; 
auch Ammatas, das wol richtiger Amatas zu schreiben ist und mit 
Amizo, Amaza, Amathildis Amatlaicus zusammengehört; selbst das 
an sich räthselhafte Fuscias, das doch im sonstigen Namenschatze 
noch Fusco, Fusca, Fusculo, Fuscari^ Fuscildis neben sich hat. 
Dazu kommen die ganz bekannten Zusammensetzungen Godegisil, 
Gunthimer, Gundericus, Hildimer, Hildericus, Hunericus, Thrasamund, 
Vitared und das aus dem Beovulf bekannte Vulfgar. Eine andere 
Gruppe ist zwar nur als diese vandalischen Namen belegt, doch 
sind die Elemente, aus denen jede Form besteht, sonst hinreichend 
bekannt; so in Crebamund, Geilamir (Gelimer), Gelaris, Gunthamund, 
Ariarith, Hoamer (wenn der erste Theil wirklich zu goth. hauhs gehört), 
Visimar; bei Fronimuth ist der erste Theil, bei Radagais, Fredibal, 
Abragila der zweite ziemlich selten, doch findet man fttr alle diese 
Fälle im Namenbuche einige Belege. 

Anziehender sind diejenigen Formen, die, soweit unser Auge 
reicht, dem Vandalischen allein angehören. Zuerst hebe ich den 
Genserich und seinen Sohn Genzo, Gento hervor. Gehören sie 
beide, wie höchst wahrscheinlich ist, etymologisch zusammen, so 
muss Genserich fiir Genzerich stehn und beide müssen mit solchen 
Formen wie Ganspaldy Gkuiciofrid, GtentierdiS; Gtentsar, GteBsimond, 



V. VandaleiL 18d 

Cantsoald dasselbe Element besitzen, sei es (nach Orimm) Gans 
anser oder onser so merkwürdiges bocbdeutsches ganz totns oder 
endücb ein ganz anbekanntes Wort. Geisericb möchte ich eben so 
wenig vorziehen als Grimm ; denn das gnt belegte nnd durch Cassio- 
dors Gensimond bestätigte Genserich konnte leicht, zum Theil 
durch griechischen Einfluss, zum Theil auch wol in Folge einer 
deutschen Lautneigung in Geiserich fibergehn (vgl. z. B. Kustan* 
teinus für Gonstantinus im goth. Calender; sogar die Nachbarn der 
Cherusker, die Fosi, wenn sie zu funs promtus gehören); nie aber 
ist Gensericb als Umwandlung von Geiserich zu verstehen. — Noch 
ein zweites Paar von Vater und Sohn giebt zu denken; der Vater 
ist der bekannte Stilico, ein sonst gar nicht vorkommender Name, 
dessen Stamm jedoch in Stilla, Stillina, Stilburg, Stillihere, Stillimot, 
Stillerat, Stillolf wiederzukehren scheint, obwol seine Zugehörigkeit 
zu abd. stilli quietns sehr zweifelhaft ist. Der Sohn ist mir in der 
Form Euchericus unverständlich ; darf man bei Severus Snlpicius 
Euthericus lesen, so wird der Name identisch mit Eutharicus, dem 
Schwiegersohne Tbeodorichs des Grossen, und tritt mit .diesem in 
eine gar nicht unbedeutende Namengruppe ein, die ich Namenbuch 
S. 391 f. gesammelt habe. Raptus femer wird bestätigt durch den 
GepidenReptila und ist bereits oben mit altn. hrapa cadere zusammen- 
gebracht worden. Bei dem mit Raptus zusammen genannten Raus 
fragt es sich, ob hier -us wirklich die lateinische Nominativendung 
sein soll; ist das der Fall, so muss vorher ein Gonsonant ausge- 
fallen sein, doch bleibt es unsicher welcher und daran scheitert 
die Deutung des Namens. Ist aber einsylbiges Raus zu lesen, so 
läge das ags. hreöse nahe und dieses bedeutet merkwürdiger Weise 
grade wie altn. hrapa ruo^ cado. Erinnert werden darf an einen 
angeblich sauromatischen Feldherm des vierten Jahrhunderts bei 
Zosimus, Namens 'PavtfifioSog. 

Nun bleiben noch die beiden sagenhaften Vandalenfnhrer Ambri 
und Assi übrig. Den in dem ersteren Namen enthaltenen Stamm 
finden wir auch in dem häufigen Ambricho und in Ambremar wieder 
und denken dabei an das Volk der Ambronen, mögen diese nun 
Deutsche gewesen sein oder nicht. Sollte es einen tiefem Hinter- 
grund haben, dass einst Cimbern mit Ambronen vereint gegen 
Italien zogen und dass anderseits auf der cimbrischen Halbinsel 
hausende Vandalen einen Ambri in ihrer Sage besitzen? Auch der 
andere Name, Assi, klingt nicht fremdartig; der Ort Assesberg, 
vielleicht Hohen-Asperg bei Stuttgart, begegnet schon im neunten 
Jahrhundert und zahlreiche mit As- beginnende Personennamen 
findet man bei mir unter dem Stamme ANS verzeichnet , zu dem 



f|l^, y. Vandalen. 

|!t%^ ^it) Vthni) xvtt ikBen gebort, während ein anderer , dessen Aas- 
^MT^Hfm^ ^>iM- «iK'lil gelingen will, gewiss nie den Nasal besessen bat 

V<;>ve ;iii ^ AQ«gabe der lateinischen Anthologie (Leipzig 1835) 
)»i> 4>r VnnIm Dichter Taccian und Etemund, von denen dort die 
IV^U^n^i^f^Mi Nr. &4Ö — 547 herrühren, der Namen wegen für Yandalen, 
>Mtf^ K^ ttkhl sehe; der zweite ist wenigstens germanisch, der erste 
iMiV<4Anttt«r Herkunft. 

Xocb anf einen Ort, wo wahrscheinlich vandalische Personen- 
Minen stecken, muss ich aufmerksam machen. Die noch im sechsten 
Jahrhundert gedichtete Johannis des Atricaners Corippus besingt 
den Krieg, welchen um 550, also gar nicht lange nach dem Unter- 
gange des Vandalenreiches, Justinians Patricias Johannes in Africa 
gegen die Mauren führte. In diesem merkwürdigen Gedichte werden 
mehrere Vandalen mit Namen genannt, die ich oben schon mit er- 
wähnt habe. Ausserdem aber nennt der Dichter in der Reihe der 
Feinde eine sehr grosse Anzahl von Personen, die zum Theil höchst 
fremdartig klingen. Bekker in der Ausgabe des Corippus (Bonn 
1836) bezeichnet diese Personen im Index alle einfach als Mauren 
und das sind sie meistens gewiss, da an Erfindung der Namen 
durch den Dichter nicht gedacht werden darf; diese maurischen 
Namen werden einst für ein künftiges nordafricanischcs (numidisches 
u. s. w.) Namenbuch höchst wichtig sein. Aber mit dieser maurischen 
Bevölkerung werden sich Reste der Vandalen vermischt haben, um 
so mehr als es den Kampf gegen Byzanz galt In der That sind 
manche der angeblich maurischen Namen sehr anklingend an 
Deutsches. Ich erwähne hier: Audiliman (vgl. Namenb. 180, z. B. 
Audelbert, Autlemar u. s. w.), Camalus (vgl. Namenb. 466, z. B. 
Gamalbert, Gamalfred u. s. w.), Eilimar (vgl. Namenb. 28 Ailemar 
u. s. w.), Enardus (vgl. Namenb. 34 Aiuard, Enhard u. s. w.), 
Gardius (vgl. Namenb. 491 Gardila, Gardin u. s. w.), Lanzus (vgl. 
Namenb. 830 Landeus, Lanzo u. s. w.), Mantus (vgl. Namenb. 906 
Manto), Marzin (vgl. Namenb. 916 Martoin), Solomuth (vgl. Namenb. 
1115 Solimar), Suartifan (vgl. Namenb. 398 Ebrefanus und 1134 
diemitSwarz- beginnenden), Suietira (vgl. Namenb. 1140 Suinderad; 
das Beibehalten des Auslauts hätte dem Dichter eine hindernde 
Position veranlasst), Urtanc (vgl. Namenb. 1217 die mit Ur- be- 
ginnenden und 1149 die mit -thanc endenden, z. B. Wolfdanc), 
Varinnus (vgl. Namenb. 1264 Varin o. s. w.). Ich glaube, dass 
diese Formen, von denen ich aber fern bin vandalischen Ursprung 
zu behaupten, Erwägung verdienen; ihre Anzahl lässt sich noch 
vermehren, wenn man berücksichtigt, dass der Dichter manche ge- 
vriss etwas gewaltsam in den Hexameter hineinzwängen mnsstet 



V. Vandalen, Bargander. 191 

Die Betrachtung der sicher vandalischen Namen in Hinsicht 
auf ihre Lantverhältnisse zeigt im Ganzen dieselben Erscheinungen, 
wie bei den übrigen von romanischem Wesen getroffenen deutschen 
Völkern. So wird i:e in Fredibal; gothisches e bleibt in Vitared, 
Gelimer, Hoamer, erscheint jedoch als t in Geilamir, als ä in Visi- 
mar. Die Diphthongen ai und au werden zu e und ö verengt in 
Gelimer und Fronimuth, ö wird ü in dem letztgenannten Namen. 
Anlautendes h wird apocopirt in Ariaritb, th und d wechseln in- 
consequent mit einander. Bemerkenswerth ist Uebergang von altem 
t in den Zischlaut bei Genzo und Tzazo; wol noch weiter entartet 
in Genserich, während die alte Tennis bleibt in Anmiatas; jenes % 
erinnert an die BovQyowCCixyveg bei Procop, Agathias, Socrates, und 
fuhrt uns damit zu dem folgenden Volke. 

5. Die Burgunder. 

Wie die Vandalen und mit diesen wird dies Volk seit dem 
ersten Jahrhundert bekannt, ja wir hoben vorhin die Stelle des 
Plinius aus, in welcher die Burgondiones als ein Theil der Vandili 
bezeichnet werden. Tacitus kennt sie gar nicht, aber bei Ptole- 
maeus erscheinen sie wieder, wenn auch in unklarer Weise; seine 
BovyovvraL sitzen zwischen Oder und Weichsel, dagegen kennt er 
^QOvyowSicDVBg in Sarmatien östlich von der Weichsel ; weiter nach 
den Earpathen zu BovQyioyvsg; das scheinen alles Variationen des- 
selben Namens zu sein. Während des dritten Jahrhunderts scheinen 
sie sich wie andere Völker in Südosten aufgehalten zu habeu; darauf 
deuten ihre von Jornandes überlieferten Kämpfe mit dem Gepiden- 
könig Fastida; in diese Gegend ist auch das Burgundhaib des 
Langobardenzuges zu setzen. Zu den gothonischen Völkern gehören 
sie jedenfalls und so sind sie den Gothen auch auf den ferneren 
Wanderungen mehrfach benachbart; in Scandinavien haben wir ein 
Gothland neben dem Burgnndarholm (Bornholm), im Südwesten 
Gotalanien (Gatalonien) fast neben Burgund. 

Das vierte Jahrhundert giebt ihrer Wanderung die letzte ent- 
scheidende Richtung nach Westen; seit den Zeiten des Kaisers 
Valentinian, der von 364 an regierte, haben sie gallischen Boden 
betreten, nachdem sie im Jahre 359 bereits neben den Alemannen 
rechts vom Rheine gesessen hatten, wie Ammiau zu diesem Jahre 
berichtet: ad regionem, cui capellatii vel palas nomen est, ubi ter- 
tninales lapides Alamannorum et Burgundionum confinia distin- 
gaebant. Beide Völker streiten um diese Zeit, wie gleichfalls Am- 
tnian erzählt, um Salinen, die man wol nur bei schwäbisch Hall 
Eun Kocher suchen kann. Jenes capellatium vel palas scheint den 



192 V. Bar^nnder. 

römischen befestigten limes zu bezeichnen; man wird dabei, viel- 
leicht mit Recht, an den späteren Namen der Pfalz erinnert. Ans 
dieser Zeit mag der Name Bnrgunthart im Odenwalde herrühren, 
der uns ans dem Jahre 795 überliefert ist und den man in der 
Hart bei Hiltersklingen wiederfindet, s. mein Namenbuch. Gtegen 
Ende des vierten Jahrhunderts verschwindet das borgundische Volk 
ganz von der rechten Seite des Rheins nnd erscheint, nur zu kurzem 
Glänze, nur noch links vom Flusse. Zuerst haben die Burgunder 
wahrscheinlich bald nach 400 im Elsass ihre Herrschaft gegründet, 
doch dreissig Jahre später rücken sie weiter südwärts ; man erinnere 
sich daran, dass grade mitten in dieser Zeit die Westgothen 
zuerst unter Athaulf die Pyrenäen überschritten. Die Burgunder 
verhalten sich also wie ein Nachtrab zu den Westgothen wie die 
Gepiden zu den Ostgothen. 

Die Geschichte dieses gallischen Burgunderreiches hat eine 
gründliche Darstellung von Carl Binding (Leipzig 1868) erfahren. 
Darin ist ausserordentlich viel Unsicheres in volle Klarheit gesetzt 
worden; was Grimm in der Geschichte der deutschen Sprache über 
die burgundischen Könige beibringt, darf durchaus nicht mehr 
weiter wuchern. 

Nach zwei furchtbaren Niederlagen, die das Volk a. 435 durch 
Aetius, a. 437 durch die Hunnen noch in seinen nördlichen Wohn- 
sitzen erlitten hat und durch die auch sein ganzer Königsslamm 
mit dem Könige Gundahar unterging, wird den Resten des Volkes 
die Sabaudia im Jahre 443 abgetreten, von welcher wir annehmen 
müssen, dass ihre Grenzen sich nordwärts bis zum See von Neuf- 
chatel erstreckten. Dies neu gegründete Reich wurde bis zu seinem 
Untergange (443 — 532) von einem neuen Königsstamme beherrscht, 
von welchem es scheint, dass er mit dem westgothischen Königs- 
hause nahe verwandt ist. Dies sind die Könige aus dem Hanse 
Gundiocs, die in drei Geschlechtern regieren, in jedem derselben 
zwei oder drei Brüder theilweise gleichzeitig, im ersten Geschlechte 
Gundioc (etwa 437—473) und Hilperic (der gleichzeitig mit seinem 
Bruder zur Regierung kam, aber friiher starb); im zweiten Geschlechte 
Gundiocs Söhne, der zweite Hilperic (473 bis etwa 493)» Gode- 
gisel (473— 500) und Gundobad (473-616); im dritten endlich 
Gundobads Söhne, Sigismund (516—523) und Godomar (524—532). 
Unter der Herrschaft dieser Könige dehnt sich zunächst das Reich 
erheblich ans, von der Biegung der Rhone bei Lyon ab über 
Vienne und so den ganzen Fluss hinunter bis nach Arles, theil- 
weise auch westlich über den Fluss hinüber. Die grösste Aus- 
dehnung erreichte es zwischen 490 nnd 500t oftohdem es aich 



V. Bargander. 193 

stnfenweise mehrmals erweitert hatte. Aber sein Ziel war ihm 
dadarch gesteckt, dass es eingekeilt war zwischen die mächtigeren 
Reiche der Westgothen, der Ostgothen und dann der neu aufstre- 
benden Franken. Schon 510 wurde es durch die Ostgothen erheb- 
lich beschränkt; später wurden die Franken seine gefährlichsten 
Feinde und nachdem das Reich schon mehr als einmal am Kande 
des Abgrunds gewesen war, ward es durch diese Franken im Jahre 
534 völlig anfgetheilt; doch bleibt sein Name und eine gewisse 
Selbständigkeit der Verfassung. 

Von den Herrschern des Landes ist weitaus die grossartigste 
Gestalt der 43 Jahre regierende Oundobad, der sogar 472 ein halbes 
Jahr lang der herrschende Machthaber im weströmischen Reiche 
war, es aber in dem faulenden Italien nicht länger aushielt, ein 
Mann voll erhabenen Sinnes für Ausgleichung zwischen romanischem 
und germanischem Wesen und besonders aus diesem Gesichtspunkte 
grosser Gesetzgeber, dem ostgothischen Theoderich in vielen Stücken 
ähnlich; auch darin, dass er den grossen Romanisirungsprocess, den 
alle diese Germanen durchmachen mussten, auch auf seine Person 
ungehindert einwirken Hess. Der zweite Preis unter diesen Fürsten 
gebührt dem letzten derselben, dem Godomar, welchem man treue 
Sorge für sein Reich und festes Ausharren im Unglück nach- 
rühmen muss. 

Dass das Volk und mit ihm die Sprache der Burgunder unter- 
ging, hat ganz ähnliche Gründe wie bei den andern in diesem Buche 
behandelten Völkern ; wir werden bei dem einen dieser Gründe be- 
sonders an die Ostgothen, bei dem andern namentlich an die West- 
gothen erinnert. Der erste Anlass zu diesem Untergange liegt in 
der Theilung des Landes gleich bei der Besitznahme, bei welcher 
jedes Grundstück eines bisherigen Bewohners einen Theil an eine 
burgundische Familie abgeben musste, so dass diese Burgunder durch 
das ganze Land hin dünn gesät waren und stets von Fremdlingen 
umgeben wurden, deren Sprache, Sitte und höhere Bildung täglich 
auf sie, namentlich wol auf die Kinder einwirken musste. Dazu 
aber kam nun zweitens der Gegensatz zwischen der arianisehen 
Landeskirche der Germanen und der katholischen Weltkirehe der 
Romanen. Die erstere gab selbst den Anlass zu ihrem Untergange; 
dem grossartigen Organismus der römischen Kirche gegenüber 
brachten die arianisehen Landeskirchen es nicht einmal zu irgend 
einer Verbindung unter einander. Katholicismus aber und Romani- 
sirung waren in jener Zeit fast identisch. Als die letztere schon 
soweit vorgeschritten war, dass die Burgunder etwa seit 490 nach 
einem Gesetzbuch voll römischer Anschauungen, das nur wenige 
I'öriternann, Getch. d, d. Spracfatamme». IL 13 



194 ^* Burgunder. 

germanische Bezeichnongen enthielt, zu leben verstanden, da trat 
ein fdr den Sieg des ersteren entscheidendes Ereigniss ein, die 
Taufe des mächtigen Franken Chlodovech dorch Remigios im Jahre 
496. Damit war der Schwerpunkt in den Eatholicismns gelegt 
und schon vor 499 sehen wir den Burguuderfnrsten Sigismund zu 
dieser Lehre sich bekehren, während Gundobad an dem Ghiuben 
der Mehrzahl seiner Stammgenossen festhält, ohne aber sich schroff 
dem Katholicismus gegenüberzustellen. Schon der erste Krieg mit 
den Franken im Jahre 500 versetzte dem Arianismus einen be- 
deutenden Schlag; man beginnt in Burgund dem Katholicismus sieb 
immer mehr zu nähern; je mehr das Reich in seinen letzten Jahr- 
zehnten sinkt, desto glänzender werden die Triumphe der katholischen 
Lehre, desto massenhafter die Uebertritte zu derselben. So geht 
burgundisches Wesen in römischem unter; die späteren burgundischen 
Reiche sind rein romanisch. 

Das waren also in den Hauptzügen auch die Bedingungen^ 
unter denen die Sprache der Burgunder ihr Ende fand; dies Ende 
lässt sich besser als bei den vorhin besprochenen Völkern, doch 
noch lauge nicht mit der gehörigen Klarheit beobachten. Es war 
eine der letzten Arbeiten Wilhelm Wackernagels, dass er seine 
Abhandlung über Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden 
schrieb, die als Anbang an Bindings Geschichte des Burgundisch- 
romanischen Königreichs (Leipzig 1868) S. 331—404 gedruckt ist, 
eine Arbeit, voll von liebevoller Hingabe an den Stoff und wolthuender 
Sauberkeit der Ausfuhrung, wie wir es bei Wackemagel nicht 
anders gewohnt sind. Was ich im Folgenden mittheile, ist selbst- 
verständlich mit stetem Hinblick auf diese Arbeit geschrieben und 
verdankt ihr manches. 

Hier sind zum ersten Male in diesem Werke auch die reinsten, 
unmittelbarsten Quellen fdr eine Sprache, die Inschriften, zu 
erwägen, freilich in äusserst beschränktem Masse. Da wir die 
burgundischen Eigennamen weiter unten behandeln, so gehn uns 
hier diejenigen Inschriften noch nichts an, welche nur Eigennamen 
enthalten, sondern nur die beiden, die auch sonstige Wörter auf- 
weisen. Die erste derselben ist der zu Broholm auf Fünen gefun- 
dene grosse Goldbracteat, welcher neben dem Fürstenbilde als 
dessen Namen in Runenschrift Gnnthious hat, dann aber die beiden 
Worte Vithuluf hag d. h. Vithulf hieb (ritzte) die Runen ein. Da 
es höchst wahrscheinlich ist, dass der König der sonst bekannte 
burgundische Gundioc des fünften Jahrhunderts, der Bracteat aber 
durch unbekannte Vorfälle nach Fünen verschlagen ist, so ergiebt 
sich ein burgundisches Praeteritum hag; zu welchem aber das ahd. 



y. Bargander. 105 

bio von honwn, das altn. (auf Rnnenstemen öfters begegnende) hiag, 
hiogy biug von bögg, das ags. beöv von beäve lautlicb nicbt stimmen 
will. Wir werden desbalb ein ablautendes bnrgundiscbes Verbnm 
bigan (kaum bigvan) annebmen müssen, von dem aücb sonst in 
den deutschen Spracben Spuren begegnen; Näberes vgl. in dem 
Aufsatze von Dietrieb inHaupfs Ztsebr. XIII, 50 und bei Wacker- 
nagel S. 376. 

Nocb merkwürdiger ist die auf burgundiscbem Gebiete bei 
Gbarnay an der Saone gefundene und 1860 von Baudot publicirte 
Spange von Gbarnay. Sie enthält auf der oberen Seite ein nicbt 
ganz vollständiges Rnnenalpbabet, rechts und links aber in Runen- 
-schrift die Worte 

untbf(a)ntbai id — dan kiano. 

Das mittlere Wort ist, wie allgemein angenommen wird, iddan 
and entspricht gothischem iddj6dun, angelsächsischem eodou iverunt, 
Kiano wird auf ein kiuno und dies auf einen Stamm kun zurück- 
geführt und durch ncriter, fortiter gedeutet. Das erste Wort endlich 
nnthfantbai ist ein masculiner Nom. Plur. Adj. eines zusammen- 
gesetzten Wortes; dessen zweiter Theil muss dem abd. fendeo, 
dem ags. feda Fussgänger, Fusskrieger entsprechen. In Hinsicht 
auf den ersten Theil gehn.die Deutungen von Dietrich in Hauptes 
Ztsebr. Xni, 114 und von Wackemagel S. 366 aus einander; der 
erstere sucht darin eine dem goth. untha-, dem ags. ÜÖ- ent- 
sprechende hier in verstärkender Bedeutung gebrauchte Partikel, 
der zweite erinnert an abd. unda, ags. yÖ Welle, Woge. Es würde 
also milites (oder navigatores) iverunt fortiter der Sinn des Satzes 
sein; wie das Vorkommen eines solchen Satzes auf einem Schmuck- 
gegenstande gerechtfertigt wird, sehe man an den beiden erwähn- 
ten Stellen selbst nach; ich muss gestehn, dass mir die ganze 
Deutung noch ziemlich zweifelhaft ist. Ausser Zusammenhang mit 
diesem Satze steht der unten auf der Spange befindliche Name 
Fnsia, wahrscheinlich der Verfertiger des Schmuckes. 

Unsere zweite Quelle für burgundische Sprache sind die Gesetz- 
bücher des Volkes. Sie beruhn auf einer Sammlung und Erweiterung 
älterer Gesetze, die König Gundobad zuerst gegen das Jahr 490 
veranstaltete, später aber vermehrte und die dann, in abermaliger 
Vermehrung durch König Sigismund, bis auf uns gekommen ist 
Ihre Ausgabe ist zuletzt im 15. Bande der monumenta Germaniae 
durch Bluhme veranstaltet worden, ohne dass jedoch dazu der hand- 
schriftliche Apparat vollständig benutzt wäre. Wichtig für uns ist 
übrigens nur die eigentliche lex Gundobada, nicht die auf jener 
zum Theil beruhende lex Romana Burgundionum. Nur neun deatsohe 

13* 



196 V. Bargander. 

AosdrScke, für die sich kein eben so klarer lateinischer fand, sind 
in diese Gesetze anfgenommen : 

FaramannuS; wofür Fredegar anch burgnndofaro schreibt, 
bezeichnet den eingewanderten Burgnnder, insofern er Theil an 
dem ehemaligen Besitze seines romanischen hospes hat Dass das 
einfache fara Bezeichnung eines bnrgnndischen Geschlechtes sei, 
ist zweifelhaft, denn die Stelle des Gesetzes, wo die Handschriften 
infra lesen, ist vielleicht nicht mit Recht von Bluhme zn in fara 
dnrch Conjectur verändert Wackemagel sieht das erste a für lang 
an und knüpft das Wort an goth. fera Seite, Theil, Glied; sieht 
man es dagegen als kurz an, so stellt sich der Aasdmck nnmittel- 
barer zu faran und faramannus bedeutet gradezu den Einwanderer. 
Auch den Langobarden ist das Wort nicht unbekannt gewesen. 

Leudus (Var. leudis, leodis^ leudes), das anch in anderen 
germanischen Gesetzen bekannte Wort, ahd. Hut, nhd. Leute, ist 
im burgundischen Gesetze ein bestimmter amtlicher Ausdruck gewor- 
den, die Benennung eines freien Burgunders von geringerem Stande 
als dem eines optimas oder mediocris. 

Malahareda (allerdings in keiner Handschrift so überliefert, aber 
aus den Lesarten sicher herzustellen) bezeichnet Vermögenszurnstung, 
Ausstattung, hat also Umstellung der Liquiden aus echterem maha- 
lareda erlitten und ist eine Zusammensetzung aus zwei bekannten 
Wörtern^ mahal (hier etwa Verlöbniss, Vermählung) und fränkisch 
raida, altn. reiöa Zurichtung, Zubehör. 

Morgengeba, das allgemein verbreitete Morgengabe. 

Novigildum, der neunfache Ersatz, im zweiten Theile klar 
deutsch, im ersten romanisirt. 

Trigildum, der dreifache Ersatz, gleich dem vorigen. 

Vegius, veius, eine Art Spurfinder, der gestohlenes Vieh 
n. 8. w. aufsucht, würde einem gothischen ^vigja gleichstehn, zn 
vigs Weg; veiatura ist im burgundischen Gesetze der Lohn, den 
ein solcher Mann vom Beschädigten erhält. 

Wittimon, jedenfalls der auch als Nominativ gebrauchte Stamm 
eines schwachen Substantivs, bedeutet das Kaufgeld einer Frau. 
Es steht dem ags. veotuma, altfries. witma oder wetma, ahd. widnmo 
gleich. Die eigenthümliche Unregelmässigkeit des Dentals erklärt 
sich am besten aus Volksetymologie; die Burgunder scheinen dabei 
an eine Art Strafgeld gedacht zu haben, vielleicht nicht ganz mit 
Unrecht. Genauer als es hier geschehn kann, legt Wackemagel 
die Schwierigkeit dar S. 349. 

Wittiscalc, einer der die Busse eintreibt, zu goth. veitan, ani- 
madvertere, alts. witi poena. 



V. Borg^uider. 197 

Minder sicher als bei diesen Wörtern bin ich des deutschen 
Ursprungs bei segutius, das eine Art Jagdhund bezeichnet und auch 
in der lex Salica als sigusius begegnet. Im burgundischen Gesetze 
wird es mit zwei Synonymen yerbundeu, nämlich mit veltravuSi 
welches sicher der schon aus Martial bekannte vertragus ist, höchst 
wahrscheinlich ein gallisches Wort, und mit petrunculus, das die 
gallische Form der Vierzahl in weiterer Ableitung zu enthalten 
scheint. So 'möchte auch wol der Schein, als könne in den beiden 
ersten Vocalen von segutius ein distrahirter Diphthong liegen, nur 
ein trügerischer sein. 

An diese Wörter aus der lex Gundobada schliesse ich noch 
zwei ältere burgundische Ausdrücke, die uns Animian 28,5 bewahrt 
bat, der uns überliefert, die Burgunder bezeichneten ihren König 
mit hendinos, den Oberpriester mit sinistus. Das letztere Wort ist 
sicher das gothische sinista und bedeutet gewissermassen den 
Gemeindeältesten; über das erstere ist Zwiespalt, da Grimm in der 
Gesch. d. dtsch. Spr. darin das goth. kindins Anführer sucht, 
Wackernagel aber hundinos centenarius (vgl. hunno judex schon 
im Heliand) vermuthet. 

Alles Uebrige, was uns von der Sprache der Burgunder noch 
übrig ist, sind Eigennamen. An der Spitze steht der Name des 
Volkes selbst, Burgundiones, was im ersten Jahrhundert einheimisch 
Burgundjanas gelautet zu haben scheint. Dass in der ersten Sylbe 
bürg liege, ist unbestritten; das folgende wird eine Ableitungssylbe 
sein wie in goth. nehvundja Nachbar und hulundi Höhle; hat doch 
in Beiden das Suffix nahezu dieselbe Function, wir haben Burgbe- 
wohner wie Nahewohner und Höhlenwohnung. Die jedenfalls seltene 
Endung erregte schon früh Anstoss und wurde durch häufigere er- 
setzt, daher schon bei Amm. Marc. Burgundii, noch später Burgundari ; 
das Ags. hat Burgendas; in der lex Gundobada wird in der lieber- 
Schrift noch das alte feierliche Burgundiones verwandt. Die Fülle 
und Seltenheit der Endung hat aber noch eine andere Folge ge- 
habt; gewiss löste sich schon früh im Volksbewusstsein (durch 
Volksetymologie) ein gund bellum aus der Lautfolge heraus^ der 
erste Theil nahm dann die Maske von bür habilatio oder von 6öar/ 
colonus an und die Burgunder des fünften Jahrhunderts mögen sich 
schon (sprachlich etwas wunderbar) als colonisirte Krieger gefühlt 
haben. Dass neun burgundische Namen, darunter mehrere Fürsten- 
namen, mit Gund- beginnen, ist wol nicht Zufall, sondern beruht 
auf dieser volksmässigen Anschauung. 

Nahe an 120 Personennamen sind uns bis zum sechsten Jahr- 
hundert als burgundisch überliefert; aus späterer Zeit mag noqh 



198 V. Burgunder. 

manche nns bekannte Namenform bnrgnndi8ch sein, ohne dass wir 
es wissen können. Ich führe hier wiederum zuerst diejenigen an, 
welche aus Elementen bestehen, die nns auch sonst ans dentschen 
Kamen bekannt sind, welche also höchstens in Bezug anf ihre 
lautliche Form lehrreich sind: 

Agano (vgl. Agino Namenbuch 31 oder Hagano 577); Agathens 
(vgl. Agateus Nhch. 19) ; Aliberga (vgl. Aliberca Nbch. 64) ; Andaharins 
(vgl. Antheri Nbch. 85); Ansemund (vgl. Ansemund Nbch. 109); 
Ansleubana fem. (vgl. Ansleubana Nbch. 109); Arenberga, fem. (vgl. 
Arin- Nbch. 116 und -bergaNbch. 262); Aridius (vgl. Herideo Nbch. 
631); Arigunde, fem. (vgl. Harigundis Nbch. 624); Arimund (vgl. Chari- 
mund Nbch. 629); Athala (vgl. Athala Nbch. 137); Audemund (vgl. 
Audemund Nbch. 173); Andericus (vgl. Audericns Nbch. 175); 
Audolena, fem. (vgl. Autlina Nbch. 165); Annegildis, fem. (Ann- vgl. 
Nbch. 181» -gildis Nbch. 463); Aunemund (vgl. Anneround Nbch. 182); 
Aunihilde, fem. (vgl. Aouilt Nbch. 182); Baldarid, -red (vgl. Baldarat 
Nbch. 207 und Baldarith 208); Balthamod (vgl. Baldmuot Nbch. 
207); Baltho (vgl. Bald Nbch. 204) ; Burgundio (vgl. Burgundo Nbcb. 
297); Chrodechildis, fem. (vgl. Hrodhildis Nbch. 734); Conia (vgl. 
Ghuno u. s. w. Nbch. 311); Conigisclus (vgl. das vorige u. -gisil 
Nbch. 519); Coniaricus (vgl. Chunirih Nbch. 316); Ememund (vgl. 
Immunt Nbch. 779); Engevald (vgl. Ingold Nbch. 786); Eunand 
(vgl. Eu- Nbch. 394 und -nand 949); Fagila, msc. (vgl. das fem. 
FagilaNbch. 396); Fastila (vgl. Fast- Nbch. 401); Föns (vgl.Fonsa 
Nbch. 448); Fredebold (vgl. Frithubald Nbch. 424); Fridigern (vgl. 
Frithigem Nbch. 426); Fredemund (vgl. Fridamund Nbch. 428); 
Fridigisclus (vgl. Fridugisal Nbch. 426); Fusia (vgl. Fonsa Nbch. 
448); Gebeca (vgl. Oibica Nbch. 450); Oisclad (vgl. Oislchad Nbch. 
524); Gisciabad (vgl. Gisal- Nbch. 519 u. -bad 196); Gislaharius 
(vgl. Gisilhar Nbch. 523); Godegisel (vgl. Godigisil Nbch. 534); 
Godemund (vgl. Codemund Nbch. 538); Gotia oder Gutia (vgl. Gotta 
u. s. w. Nbch. 530); Gudomar und Godomar (vgl. Godomar Nbch. 
537); Gundaharius (vgl. Gundachar Nbch. 562); Gundemund (vgl. 
Gunthamund Nbch. 567); Gundiisclus (vgl. Gundegisil Nbch. 562); 
Gundomares (vgl. Gundemar Nbch. 567) ; Gundubada, Gundobandus 
u. 8. w. (vgl. Gundobad Nbch. 557); Guntello, fem. (vgl. Gundila 
Nbch. 556); Hildegem (vgl. Hildigem Nbch. 674); Hildeulf (vgl. 
Hildulf Nbch. 683); Hilpericus (vgl. Hilpericus Nbch. 685); Ddelo 
(vgl. Hildulo Nbch. 665); Ingild (vgl. Ingild Nbch. 784); Leubared 
(vgl. Liubarat Nbch. 855); Leuvera (vgl. Leubovera Nbch. 856); 
Hagan (vgl. Magan Nbch. 887); Obtulf (vgl. Opt- Nbch. 1210 u. 
•▼nlf Nbch. 1340); Offo und Uffo (vgl. Uffo Nbch. 1209); Badoara 



V. Bargander. jpg 

(vgl. Radoara Nbch. 1004); Remila, fem. (vgl. Bemila Nbch. 1055); 
Rico (vgl. Rico Nbch. 1039); Riculf (vgl. Riculf Nbch. 1051); Sara (vgl. 
Sario u. s. w. Nbch. 1074); Sigismund, Segismund (vgl. Sigismund Nbch. 
1101); Sigisvuldus, Segisvuldus (vgl. Sigisvulthuß Nbch. 1101); 
Siggo (vgl. Sigo Nbch. 1086); Sigifuns (vgl. Sigifans Nbch. 
1092); Sigißricuß, Segis-, Sigi-, Sige- (vgl. Sigarich Nbch. 1097); 
Sunia (vgl. die andern Namen desselben Stammes Nbch. 1128); 
Teto (vgl. TattoNbch. 1143); Theudelinda (vgl. Theudelinda Nbch. 
1182); Theudemod, -mond (vgl. Theudemod u. Theudemund Nbch. 
1185); Unan (vgl. Unan Nbch. 1213); Wadamir (vgl. Vadomarigs 
Nbch. 1226); Walaharius (vgl. Walahheri Nbch. 1232); Walarim 
(vgl. Walah Nbch. 1229 u. -rim Nbch. 1055); Wenaharius (vgl. 
Winiheri Nbch. 1319); Wideraer mit Var. Windemer (entweder zu 
Widiomar Nbch. 1287 oder zu Winidmar 1324); Viliaric (vgl. 
Willierich Nbch. 1313); Villigisclus (vgl. Willegisclus Nbch. 1308); 
Willimeres mit Var. Weliemeres (vgl. Willimar Nbch. 1312); Villio- 
berga (vgl. Willibirg Nbch. 1306); Vistrigilde (vgl. Wistri- Nbch. 
1278 u. -gild Nbch. 463); Vithuluf (vgl. Widulf Nbch. 1289); Vulfia 
(vgl. Vulfio Nbch. 1342); Vulfila (vgl. Vulfila Nbch. 1343). 

Nach Ausscheidung aller dieser Namen bleiben als der an- 
ziehendere Theil des bnrgundischen Namenschatzes noch die folgenden 
zwanzig bis dreissig Formen übrig; die noch zu besondem Bemer- 
kungen Anlass geben und vielleicht dem Burgandischen eigenthüm- 
lich gewesen sind: 

Abcaris (Var. Abacaris^ Abhaaris, Abgaris). Der erste Theil 
ist sicher der Stamm Ab^ der zweite in seiner schwankenden Schrei- 
bung lässt ungewiss, ob hier ein gar oder hart anzunehmen ist; 
der Name kommt sonst nirgend weiter vor. 

Aisaberga^ in einer Grabschrift von 491 begegnend, ist ein 
höchst anziehender Name. Halten wir ihn zu den zahlreichen vorn 
mit era honor zusammengesetzten Formen, so ergiebt sich als die 
wahrscheinlichste Annahme, dass wir hier noch die gothische Form 
des Wortes, die uns sonst entgeht, vielleicht in dem einzigen noch 
erhaltenen Beispiele vor uns haben. An ^r Erz oder an eine Zu- 
gehörigkeit zu goth. agis timor denke ich weniger gern, letzteres, 
weil der Vocal zwischen beiden Theilen des Namens auffällt. Auf- 
fallend ist freilich anderseits, dass die gleichfalls im 5. Jahrhundert 
lebende Mutter Theodorichs des Grossen von Jornandes schon Erelieva 
genannt wird. Vgl. hier wie überall in diesem Abschnitte die ent- 
sprechenden Ansichten von W. Wackemagel. 

Alifius, nur einmal begegnend, und zwar um das Jahr 5(X)9 
soll nach Wackemagel fdr Alithius stehn. Der Lautwecbsel ist 



V; 



200 V. Bargander. 

ganz vereinzelt; im Gothischen haben wir ein paarmal den entgegen- 
gesetzten; anderwärts allerdings ein th: f; der Fall ist noch be- 
sonderer Aufmerksamkeit zu empfehlen. 

Baadomallas scheint sich zu ergeben aus einer Inschrift, die 
das ma der dritten Sylbe nicht erkennen lässt; das scheint aller- 
dings die richtige Lesung, um so mehr, als ein Baudomalla (fem.) 
des sechsten Jahrhunderts anderweit gesichert ist. 

Garetene und Chartenius sind schwerlich als eigentlich bnr- 
gundische Namen anznsehn; gehört der erste Theil zu Hari-^ so 
ist er eher fränkisch ; eben so zeigen sich Namen auf -tena (Auliatena, 
Mellatena u. s. w.) nur auf fränkischem Gebiete. 

Chrona; so oder auch Mucuruna war der spätere Name der 
burgundischen Fürstin Sedeleuba, nachdem sie ins Kloster ge- 
gangen war. Die Form ist auch hier, wenn der Name wirklich 
deutsch ist, eher fränkisch als burgundisch. Aber seine Deutung 
aus dem Deutschen erregt Schwierigkeit; es könnte gradezu eine Ab- 
kürzung von Mucuruna mit Einfluss des lat. Corona sein, für einen 
Elostemamen nicht unpassend. 

Emiocer enthält in seinem ersten Theile den auch sonst aus 
Namen bekannten Stamm Im-^ Em-; der zweite kann nur, wie in 
Odovakar, das Adj. wacar wach, munter sein. Der Name kommt 
nur als Inschrift eines Schmuckes vor. 

Felocalus wird, wenn der Name wirklich deutsch ist, im ersten 
Theile das auch sonst in Namen begegnende Filu- multum haben; 
der zweite Theil entzieht sich eben so wie der des bei Tacitus 
überlieferten ampsivarischen Boiocalus noch einer einigermassen 
wahrscheinlich zu machenden Deutung. 

Gemola stellt sich zu andern mit Gem-, Gim- anlautenden 
Namenformen, die noch einer irgend glaubhaften Erklärung harren. 

Gundefuld, im ersten Theile mit ganz bekanntem Worte, bietet 
durch den zweiten Schwierigkeit, namentlich auch mit Hinblick auf 
die Varianten Gundefulf, Gundefuls, Gundeulf. Ich möchte am liebsten 
an vergröberte Schreibung des goth. vulthus denken, welches ja 
auch in Sigisvulthus und einigen zweifelhafteren Beispielen vor- 
kommt; folda terra anzunehmen ist mir weniger wahrscheinlich. 

Gundioc, der bekannte Burgunderkönigi ist uns in den ver- 
schiedensten Schreibungen überliefert. Ich habe unter diesen früher 
die Formen Gundivicus, Gundevechus, Gundeveus als die echtesten 
angesehn und danach auch in dem zweiten Theile einen vielfach 
bekannten Wortstamm zu finden geglaubt. Alles erwogen wird es 
doch wahrscheinlicher, dass wir hier von einer Grundform Gundivac 
aoazugehn und den Namen (der ausser bei dieser Person sonst 



V. Burgander. 201 

nicht za belegen ist) an den altn. Yak und den langobardiscben 
Wacho anzuknüpfen haben. Es wird hierin wie in dem weiter zu 
erwähnenden Onovaccus die einfachere Form von wacar vigil liegen. 
Guntheuca, Gunthiucha ist jedenfalls das Femininum des vor- 
hergehenden Namens. 

Mucuruoa, im zweiten Theile sehr bekannt, lässt sich im ersten 
passend an das im goth. mnkamödei Sanftmnth enthaltene Wort 
anknüpfen. 

Nasualdus Nansa, so stehn diese beiden Namen zusammen 

auf einem Sehmuckgegenstande. Sollten sie wirklich dieselbe Person 

bezeichnen und nicht vielmehr zwei, etwa den Geschenkgeber und 

den Beschenkten? Wackernagel nimmt ersteres an, hält den Nasal 

in Nansa für eingeschoben und setzt beide Formen zu ahd. nasa 

^ase. Ich möchte lieber Nasuald gleich dem bairischeu Nasolt des 

9. Jahrhunderts und mit dem alten suevischen Nasua zu goth. nas- 

Jan u. 8. w. stellen, Nansa aber etwa gleich dem von Cassiodor 

überlieferten Nandius setzen; Nansa stände für Nanza und dieses 

wäre etwa wie die Form Burgunziones zu beurtheilen; vgl. das oben 

über den Vandalen Genserich Gesagte. 

Onovaccus, sonst unbekannt, enthält im ersten Theile den be- 
kannten Stamm Ann-; der zweite muss wie der in dem oben ange- 
führten Guudioc beurtheilt werden. 

Orovelda will Wackernagel, da es der Name einer Sclavin ist, 
im ersten Theile zu ahd. horo (Thema horaw) Schmutz setzen. Ich 
sehe darin lieber den Stamm Aur-, der z. B. in den Namen Auripert, 
Aurildis (Orieldis), Aurevera, Aurulf (Oriulf) grade auf gallischem 
Boden nicht selten ist. Der zweite Theil würde zu beurtheilen sein 
wie in Arowildis, Fridwild, Hadowildis, SelbwiJt, Waldovildis. 

Raspso sieht Wackernagel als verschrieben für Rapso an und 
deutet es danach; ich erachte lieber das zweite s für unrichtig 
wiederholt und gewinne damit denselben Namen, den Jemandes als 
einen gothischeu in der Form Respa aus dem dritten Jahrhundert 
überliefert. 

Scudilio wird mit dem alamanischen Scudilo des vierten Jahr- 
hunderts zusammenzustellen sein. Den letzteren Namen wollte 
Grimm mit scutum und unserm Schild vereinen; Wackernagel 
setzt beide lieber zu ahd. scutjan schütteln, erschüttern. Etwas 
gewisseres ist darüber noch nicht zu sagen. 

Sedeleuba, aus goth. sidus Sitte und Hubs lieb. 
Suavegotta, jedenfalls aus den beiden Völkernamen der Schwaben 
und der Gothen zusammengesetzt. 

Tollii major domus bei Avitus epist 35 ist jedenfalls mit 



202 V. Bargander. 

Tulnni, einem Feldbeim Theodoricbs d. Or. and mit den hoch- 
deutschen Namen Zulling und Zullini zu vereinen; die Deutung 
des Stammes will noch nicht irgend welche Wahrscheinlichkeit 
gewinnen. 

Usgildus hält Wackemagel, und ich weiss nichts Besseres, 
f&r so viel als Vergelter und setzt es zu gotb. usgildan. 

Uthila ist wahrscheinlich zu streichen, da in der betreffenden 
Stelle der lex Burgundionum (LI, 1) Athala die bessere Lesart 
zu sein scheint, so viel sich aus dem in den Handschriften gan^ 
verderbten Text entnehmen lässt. 

Walesta, msc, scheint (gegen Bluhme) die Lesart der besseren 
Handschriften in der lex Burgund. zu sein; es liegt wol hier eine 
superlativische Bildung vor wie etwa in den femininen Namen 
Herosta, Liebesta, Pezzista. Das goth. Adj. valis auserwählt mag 
der Positiv sein, dann wurde Valista, welches dem Walesta zu 
Grunde liegen muss, aus Valisista entspringen. 

Vassio ist wol eine Herleitung von dem anderweit bekannten 
vassus Knecht; ob aber das letztere Wort deutsch ist? Einen viel- 
leicht schon dem dritten Jahrhundert angehörigen Dagovassus aus 
einer bei Neuwied gefundenen Inschrift habe ich im Namen- 
buche angeführt. 

Das wären die burgundischen Namen, so weit man sie bis jetzt 
kennt. Es ist nun entsprechend dem bei andern Völkern gesagten 
dasjenige zusammenzustellen, was sich aus dem ganzen burgun- 
dischen Wortschatze für die Lautverhältnisse dieser Sprache ergiebt, 
immer aber mit der Vorsicht, die solche in romanischer Umkleidung 
erhaltenen Formen heischen. 

Eine Schwächung des alten a zn e zeigt sich meistens am 
Ausgange der Themen und auch das alte i und u folgen nivellirend 
demselben Zuge (eben so wie im Fränkischen); vgl. Ansemundus, 
Andericus, Engevald, Godegisclus, Hilpericus, Hildegemus, Frede- 
boldus, Sedeleuba; für dieses e tritt auch ein i ein in Fridigemus 
Damit ist denn völlige Synkope leicht vorbereitet, wie wir sie 
z. B. in Ansleubana (neben Ansemundus) haben. 

Wie im Westgothischen, so tritt auch im Burgundischen für 
altes i und u leicht e und o ein, doch nicht als Gesetz, sondern 
in ganz regellosem Schwanken, zum Zeichen, wie die volle Krafl 
der Sprache schon gebrochen ist; selbst die Handschriften in ihren 
verschiedenen Lesarten desselben Wortes theilen dies Schwanken. 
Beispiele solches e sind Engevald, Felocalus, Fremodus, Gemola 
Audolena, Sedeleuba, Teto, Orovelda, auch die auf -berga und 
•gemns; Beispiele von o Obtnlf, Orovelda, morginegyba. Von 



V, Bargnnder. 203 

scbwaDkenden Formen fährt Wackemagel S. 362 f. eine grosse 
Anzahl an. 

Ab der Erhöhung des urdentschen ä : e nehmen nicht blos alle 
gotbischen Völkszweige, auch das Westgothische und sogar das 
Erimgothische Theil^ sondern auch das Vandalische; das Burgun- 
dische dagegen hält sich, so viel wir sehen, davon ziemlich frei. 
Dagegen theilt es mit Westgothischem und Vandalischem die An- 
gnffe auf den Lantbestand der alten Diphthonge. Wir finden zwar 
noch anfanthai und Aisaberga^ doch auch schon malahareda und 
Chartenius (wenn es zu tains ramus gehört). Das au bleibt ge- 
wöhnlich unangetastet, wird jedoch zu ö z. B. in Onovaccus, auch 
wol in Orovelda. Wo / zu ^ herabsinkt, da wird folgerichtig auch 
iu zu eu; wir sehn daher dieses eii ganz gemeinsam dem West- 
gothischen, Vandalischen, Westfränkischen und Burgundischen; in 
letzterem tritt es völlig ausnahmslos ein, z. B. in Eunemund, Len- 
bared, Leuvera, Manneleubus, Sedeleuba, Ansleubana, leudus, Aga- 
thens, Aogatheus, Theudelinda, Theudemod, Theudemond^ Lendomar. 
An dem Ersätze des iu durch eo nimmt das Burgundische durch- 
aus nicht Theil. Eben so wenig wird altes iu erhalten; Formen 
wie Aridius für -theus sind nur tur latinisirt zu erachten. 

Von abhängigem Vocalwechsel lässt sich kaum etwas beobach- 
ten; wenn Bandomallus, Gundobaudus u. s. w. wirklich, wie Wacker- 
nagel annimmt^ zu badu pugna gehören, so ist darin allerdings ein 
Ansatz zum U- Umlaute. Verdunkelung des a zn o vor Id tritt 
schon ein in Fredeboldus, neben welchem doch noch Gundobal- 
dus gilt. 

Gonsonantische Entartungen pflegen sich in allen diesen Sprachen 
vielfaltig zu zeigen, vor allem im Gebiete des alten gotbischen th. 
Besonders geht das t/i häufig in d über, besonders natürlich nach 
n (vgl. Bd. I, 390), wie in den Namen mit Gund-, -gund oder 
Nand-, -nand, dann aber auch sonst: Aridius, Baldaridus, Frede- 
boldus, Fridigemus, Fridigisclus, Fredemundus, Giscladus, Segis- 
vnldus. Zuweilen tritt dafür auch ein t ein wie in Chrotechildis, 
Gotia, Suavegotta. Den fraglichen Uebergang von th:f in Alifius 
habe ich schon oben besprochen. Wie die aus th entstandenen 
d und t mit einander wechseln, so hat auch organisches d in 
Gnndebadus die Variante Gnndebatns neben sich. 

Im Gebiete der gutturalen Laute hat jedenfalls das h nur 
einen sehr leisen Hauch gehabt und verliert sich daher oft wie 
in Andearius, Gislarius, Gundarius, Giscladus. Dasselbe geschieht 
auch im Anlaute, wo noch entschiedener ein romanischer Einflnss 
vorliegt wie in Agano, Arimundus, Ildelo, kaum in Orovelda (s. 



204 V. Burgunder. 

oben). Eben so schwindet auch das g zuweilen dnrcb Erweichung; 
80 in Hildigemus: HildiernaS; Gundigisclus: GundiselaSi Godigisclos: 
Godisclns. 

Unter den Labialen geht das r leicht dnrcb Einfluss eines 
folgenden Vocals selbst in einen Vocal ober; so va : oa in Nasnal- 
dus, va : oa in Badoara, va : ö in Emiocer (aus Emiwacar). 

In Bezug auf den Auslaut ist zu bemerken, dass von dem -s 
des Nom. Sing, das Burgundische keine Spur mehr erhalten bat. 

Dass Deutale durch einen Zischlaut vertreten werden, ist wo! 
nicht eigentlich der burgundischen Sprache zuzuschreiben, sondern 
mehr den Quellen, in denen uns die Formen überliefert sind; so 
haben wir Burgunziones in dem die Notitia gentium enthaltenden 
Veroneser Codex des 7. Jahrhunderts, eben so bei Procop, Agathias, 
Socrates, eben so wie Tzazo (vandalisch) ebenfalls bei Procop, 
Genzo (vandalisch) bei Procop und Theophanes. So ist ja auch 
die Form Gozia fdr das Gothenland überliefert; man muss noch 
weiter nach der eigentlichen Quelle dieses % forschen. 

Für die Wortbildung ist nur wenig zu bemerken. Die strenge 
Scheidung zwischen den auf -a und den auf -i ausgehenden Stämmen 
beginnt sich etwas zu verwischen durch Umsichgreifen des -a; so 
in den zu ahd. märi clarus gehörigen Namen wie Gudemarus, Vin- 
demarus für -marius, vereinzelt auch Andaharus für -harius; doch 
giebt es daneben noch mehrere Formen auf -mores. 

Das Suffix -is lässt sich nur in dem einen Worte sigis victoria 
betrachten; dasselbe erhält sich noch ziemlich oft in überlieferten 
Namen wie Sigisricus, Sigismundus, Segisvuldus ; jedoch zeigt sich 
auch schon das jüngere Sigifunsus, Sigimundus. 

Recht auffallend ist das Auftreten des deminutiven -ka, von 
dem uns weder das Urdeutsche noch das Gothische eine Spur zeigte, 
in den burgundischen Eigennamen Gibica und Athica. 

Die Declination gewährt uns einige von Wackemagel hervor- 
gehobene Besonderheiten, die doch weniger auf das Burgundische 
als auf die Behandlung des Burgundischen durch das Lateinische 
schliessen lassen. Die Erstarrung des nominalen Stammes wittimon, 
so dass das Wort in dieser Form sogar nominativisch gebraucht 
werden konnte, wurde schon vorhin hervorgehoben. Eben so sind 
oben die beiden einzigen erhaltenen Verbalforraen hag und iddan 
erwähnt. 

Der Einfluss des Lateinischen ist schon sicher zur Zeit der 
Selbständigkeit des burgundischen Reiches ein grosser gewesen, 
bis endlich die Sprache der Besiegten zur siegenden Sprache wurde. 
Aber dieser Einfluss liesse sich nur dann gut beobachleni wenn 



V. Langobarden. 206 

wir wirklich zusammenbangende borgundiscbe Texte bätten; ro 
wie die Sacbe jetzt liegt, könnte man eber den Einfluss des Bur- 
gondischen auf das Lateinische besprechen. Erwähnt wurde schon 
die latinisirte Form Aridins fiir Aritheus; femer die Aphaerese 
des H-, die das Burgundische mit dem Westgothischen und Van- 
daliscben gemein hat, d. b. in den lateinisch überlieferten germani- 
schen Worten. Auf die hybride Art der Wortbildungen trigildus und 
novigildus wurde gleichfalls hingewiesen. 

6. Die Langobarden. 

Weit später als alle genannten Völker treten die Langobarden 
in den Bereich romanischer Zunge ein und noch zweihundert Jahre 
halten sie sich hier als herrschendes Volk; deshalb stebn sie hier 
mit Fug an letzter Stelle. Begünstigt durch diese lange Dauer 
und durch das Glück, dass ihnen ein grosser einheimischer Schriit- 
steller zu Theil geworden ist, konnten sie mehr Spuren ihres 
einstigen Lebens bis auf unsere Tage hinterlassen als jene 
anderen Völker, und deshalb haben wir auch bei ihnen länger zu 
verweilen. 

Wir haben wiederum zuerst nnsern Blick auf die Geschichte 
des Volkes zu werfen, doch nur so weit diese Geschichte von 
Einfluss auf die Sprache gewesen sein kann. 

Als erster fester Punkt in dieser Geschichte ist die Thatsache 
anzusehn^ dass in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung 
die Langobarden an dem untersten Tüeile des Laufes der Elbe 
wohnten. In Folge dessen tritt an uns die Frage heran, ob wir 
nicht auch berechtigt sind, Vermuthungen über ihre noch früheren 
Wohnsitze zu hegen. Und in der That bieten sich solche Ver- 
muthungen in zwei verschiedenen Weisen dar. 

Schon früher (Bd. I, 336) wurde hervorgehoben, dass die 
deutschen Völker der südlichen Ostseeküste sich im Wesentlichen 
von der Weichsel her nach Westen scheinen ausgebreitet zu haben. 
Ist das der Fall, so werden wir nach älteren Spuren ihrer Wohn- 
sitze besonders in den Gebieten des heutigen Ost- und Westprenssens 
suchen müssen. Nehmen wir nun femer an, dass das hier be- 
sprochene Volk, wie auch bereits von andern Forschem vermuthet 
ist (s. Namenbuch IP, 970), sich zunächst nicht Langobarden, 
sondern einfach Barden genannt habe (etwa mit der Bedeutung 
Männer oder Helden) so fällt uns vor allem die ostpreussische 
Landschaft Barten auf, welche die deutschen Ritter im dreizehnten 
Jarhundert vorfanden. Diese Landschaft liegt neben der Land- 
schaft Sassen wie im Westen die Gebiete der Langobarden und 



206 V. LangobwdeiL 

Süchsen an einander streifen. Jenes Barten (urkundlich auch 
Barta, Bartha, Barthen, Bartenland geschrieben) erstreckt sich 5st- 
ich von der Alle um den Mauersee; davon ist (man sehe die 
Register der scriptores rerum Prussicarum nach) der Ort Partegul 
benannt, ferner Bartinburg (die Burg Barten im Qebiete des 
preussischen Brandenburg). Die Stadt Bartenstein liegt noch jetzt 
an der Alle, ein anderes Barten östlich davon. So wenig Sicheres 
auch diese Spur hat, so ist sie doch weiter im Auge zn behalten. 

Anders gestaltet sich die Ansicht von der Urzeit der Lango- 
barden in der einbeimischen Sage des Volkes. Für diese kennea 
wir erst seit wenigen Jahrzehnten eine kostbare Quelle in der soge- 
nannten origo gentis Langobardorum, die wahrscheinlich im Jahre 
669 geschrieben ist und die mehr als hundert Jahre später von 
Paulus diaconus zum Theil wörtlich benutzt wurde. Sie liegt uns 
vor in Abels Uebersetzung in den Geschichtschreibem der deutschen 
Vorzeit (1849) und in Bluhme's Ausgabe im vierten tomus legam 
der monumenta Germaniae (1868). Der Anfang dieser Schrift giebt 
sicher ein altes volksthümliches Lied wieder, welches in der ans 
Paulus diaconus bekannten Weise erzählt, wie die Langobarden 
zu ihrem Namen gekommen sind. Hier wird erwähnt, unter den 
Völkern der Landschaft Scadan (var. Scadanan) seien auch die 
Vinnili (Vinnoli, Guinnili) gewesen, über welche die Fürstin Gam- 
bara mit ihren beiden Söhnen Ibor und Aio geherrscht habe; sie 
hätten mit den Vandalen und deren Anführern Ambri und Assi 
gekämpft u. s. w. (man bemerke die Alliterationen Vinnili- Vandali, 
Ibor-Aio, Ambri-Assi). 

Hieraus macht Paulus die Angabe, die Vinili seien aus Scan- 
dinavien (ihm, dem Gelehrten, wird ans jener obigen Form gleich 
der bekannte Name) nach einer Landschaft Scoringa gezogen (weder 
von diesem Auszüge noch von Scoringa weiss die origo etwas) und 
hier sei der Kampf mit den Vandalen erfolgt. 

Hiezu müssen wir nun noch eine dritte Fassung der Sage halten, 
die in dem sogenannten chronicon Gothanum vor dem Gothaer 
codex des langobardischen Gesetzbuchs erhalten ist; es ist das 
dieselbe Quelle, die mau früher „den anonymus Langobardus bei 
Ritter^ nannte; sie ist jetzt gleichfalls in demselben Bande der 
Monumenta gedruckt. Obwol diese Schrift ebenfalls von jener origo 
abhängig ist, erzählt sie doch die Ursprangssage mit Auslassung 
von Wodan und Frea ganz selbständig, und zwar in höchst wunder- 
licher Weise, die ich nur durch das Original wiedergeben kann, 
mit folgenden Worten: Vindilicus dicitur amnisab extremis Galliae 
finibus; juxta eundem fluvium imprimis habitatio et proprietas eoram 



y. Langobardem 207 

fiut. Primis Winili proprio nomine seu et parentela . Hie 

snpra dictos Liga r in 8 flavius, Albiae flavii cannalis itiundans, et 
nomen finitnr. Postqaam de eadem ripa, ut supra dictum est^ Lan- 
gobardi exierunt^ sie Scatenaugae Albiae flavü ripa primis novam 
habitationem posuerunt. 

Aus diesem galliscb- ligarischen Flasse Vindelicas, der ein 
Nebenfluss der Eibe sein zu sollen scheint (oder in den endlich die 
Elbe aafgeht), weiss ich absolut nichts za machen. Za bemerken 
aber ist, dass hier als zweiter Wohnsitz des Volkes ein Scaten- 
augae an der Elbe vorkommt, das doch wol jenem Scadan oder 
Scadanan der origo gleichstehn muss. 

Blubme die gens Langobardorum (Rom 1868) S. 7 zieht aus 
diesen Quellen den Schluss, die Langobarden seien erst kurz vor 
Christi Geburt aus Jütland an die Niederelbe gelangt. Als Haupt- 
stütze seiner Ansicht gelten jene jütischen Namen Vendill, Vendils- 
kaga u. s. w., die ich schon oben für die Vandalen brauchte; dazu 
stellt er den Fluss Vindelicus als den Limijord. 

Die von Bluhme ferner hervorgehobene allerdings auffallende 
IJebereinstimmung der Langobarden mit den Angelsachsen in Sprache 
Sitte und Recht erklärt sich wol aus einer niederelbischen Heimath 
eben so gut als aus einer jütischen. 

Ohne also mit Bluhme Scadanan in Scaganan (Skagen) ver- 
bessern zu wollen, sehn wir in diesen Nachrichten, so weit sie 
verständliöh sind, nichts als eine Bestätigung der Thatsache, dass 
die Langobarden an der Niederelbe wohnten. Das Scadan, Scada- 
nan, Scatenaugae (Fredegar um das Jahr 640 schreibt Schatanavia) 
mag eine vor der Eibmündung liegende jetzt untergegangene Insel 
gewesen sein, vielleicht auch ein Theil des jetzigen Holstein. Ob 
die Vinili und die Vandili wirklich zusammenhangen, muss dahin 
gestellt bleiben ; es lassen sich Wege denken, auf denen der erste 
Name gradezu unter dem Einflüsse des zweiten in die Sage ge- 
kommen ist. 

Wer in dieser Sage eine historische Heimath der Langobarden 
vor der niederelbischen findet, muss annehmen, dass der Mythus 
in eine ausserordentlich hohe Zeit hinaufreicht. Das ist aber gradezu 
undenkbar, er wird nicht höher hinaufreichen als etwa der Gaut 
im Amalerstammbaum des Jemandes; und das fällt schon in eine 
Zeit, wo wir zwar nicht für die Gothen, wol aber für die Lango- 
barden die Geschichte zu Hülfe rufen können. 

In der That fähren die römischen Schriftsteller seit dem ersten 
Jahrhundert die Langobarden an der Niederelbe an. Plinius freilich 
und Dio Cassius erwähnen sie gar nicht, was vielleicht mit der von 



20g V. Langobarden. 

Tacitns erwähnten geringen Zahl derselben zusammenhängt. Da- 
gegen Veliejus Paterculns nennt sie bei Gelegenheit von Tiberias 
Feldzug im Jahre 5 gleich neben den Ghanken, ohne indessen 
näher ihre Lage anzugeben. Bei Strabo VII, p. 290 wohnen sie, 
und zwar merkwürdiger Weise mit den Hermunduren zusammen, 
noch jenseits der Elbe. Tacitus Germ. 40 setzt sie s wischen süd- 
elbische und nordelbische Völker und berichtet in den Annalen voa 
ihrer Freundschaft mit den Cheruskern in den Jahren 17 und 47 • 
Beide letztgenannte Schriftsteller rechnen sie zu den Sueven, wo- 
durch also die Langobarden in einen deutlichen Gegensatz zu derr: 
vorhin besprochenen gothonischen Völkern treten. Noch Prospe^ 
von Aquitauien führt an, sie kämen ab extremis Germaniae finibus^ 
oceanique protinus litore. Ganz entschieden südelbisch wird ihim 
Wohnsitz im zweiten Jahrhundert. Bei Ptolemaens kommen die^s 
2ovrjßoi Jayyoßäqdoi zwischen Sigambern und Tencterern vor, spätere 
nennt er Jaxxoßdqioi (doch auch hier mit der Variante JayyoßdQSoi)^ 
hinter den Angrivariern. Liegt dem etwas Wahres zu Grunde, so^ 
hätten sich die Langobarden nach dem Betreten des südlichen a 
Eibufers gespalten; ein Theil wäre nach Südwesten in die Gegend 
von Westfalen gegangen, ein anderer südlich von der Niederelbe 
geblieben. 

Dass allerdings das Volk schon im zweiten Jahrhundert nicht 
mehr ganz beisammen und ruhig südlich von der Elbe geblieben 
ist, geht auch aus der Nachricht hervor^ dass laugobardische Scharen 
(wol nur auf einem Kriegszuge) momentan zur Zeit Marc Aureis 
an der Donau erscheinen. Was nun aber insbesondere jene süd- 
westliche Abzweigung nach Westfalen angeht, so finden wir von ihr 
noch eine zweite Spur iu eben jenem chronicon Gothanum. Dort 
faeisst es, nachdem von der Niederlassung in Scatenaugae gesprochen 
ist: Sic deinde certantes Saxoniae patriam attigerunt, locus ubi 
Patespruna cognominantur, ubi sicut nostri antiqui patres longo 
tempore asserunt habitasse. Der Urheber dieses furchtbaren Lateins 
schrieb (wie Bethmann im Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche 
Gescfaichtknnde Bd. X, a. 1851, S. 365 darthut) zwischen 807 und 
810 in Italien und war ein begeisterter Anhänger Karls des Grossen. 
Denkt man nun daran, dass Paderborn in Karls Geschichte eine 
bedeutende Rolle spielt, dass aber namentlich hier die Huldi- 
gung der Umwohner auf dem Reichstage des Jahres 777 stattfand, 
so sagt der Verfasser, es sei altes langobardisches Gebiet gewesen, 
über welches Karl seine Macht auch im Norden ausgedehnt habe. 
Ja es scheint, als leite er den Namen Paderborn gradezu von den 
Langobarden her; vgl. in meinem Namenbuche die verderbten 



V. LangobatdeD. 209 

Formen ParderbranniiDy Parderbrnnn, ParterbraDoenais. Weiter tat 
noch za erwäbncD, dass Blahme die gena LaDgobardornm (1868) 
S. 22 die langobardische Ansiedlnng in Westfalen als sicher an- 
nimmt nnd, ausser andern Momenten, anch die Abhängigkeit des 
Soester Stadtrecbts von dem Lübecker für diese Ansicht verwerthet. 
Auch die Verbreitung gewissei" Ortsnamenbildungen, wie ich sie in 
meinen deutschen Ortsnamen (1863) im neunten Abschnitt bespro- 
chen habe, Hesse sich dafür noch ausbeuten. 

Viel sicheier sind die Spuren, welche die südelbischen Lango- 
barden, jedenfalls die Hauptmasse des Volkes, dort hinterlassen 
haben. Er herrscht bei allen Forschem Einstimmigkeit darüber, 
dass der seit dem achten Jahrhundert bekannte Bardengau mit 
seiner alten noch jetzt bestehenden, aber von Lüneburg verdunkel- 
ten Hauptstadt Bardowiek ein grosses Denkmal der Langobarden 
ist, mögen auch die in den Act Sanct. Sept. VI, 483 erwähnten 
Porahtani nur unsicher auf unser Volk bezogen werden. Es hat 
sich glücklich getroffen, dass unmittelbar nachdem 1868 die lango- 
bardischen Rechtsqnellen uns in sauberer Gestalt vorgelegt wurden, 
schon 1869 der Minister v. Hammerstein-Loxten sein Werk „der 
Bardengau^ erscheinen Hess. In dieser ausserordentlich reichhalti- 
gen und sorgfältigen Schrift wird dieser Gau der eingehendsten 
Betrachtung unterzogen, die namentlich darauf hinausgeht, alt lango- 
bardisches Wesen von später eingedrungenem theils sächsischem 
theils wendischem zu scheiden. Soll ich unter den zahlreichen 
fiesultateu dieser Schrift eins besonders hervorheben, so ist es das, 
dass die im Bardengau und dem benachbarten Loingo in etwa 
hundert Beispielen auftretenden Namen auf -ingen, die sonst in 
Niederdeutschland nur ganz sporadisch vorkommen, echt suevisch- 
langobardisch sind, wie sie das suevische Deutschland im Süden noch 
in unendlicher Fülle aufweist. Dass diese Namen sogar mit den 
Langobarden nach Italien gegangen, ist erst neuerdings entdeckt 
worden, wie unten besprochen werden wird; v. Hammerstein konnte 
davon noch nichts wissen. Wir werden demselben -ingen nun 
auch sofort auf dem weiteren Zuge der Langobarden begegnen. 

In dem Bardengau und seiner Umgebung müssen die Lango- 
barden, um solche Spuren hinterlassen zu können, Jahrhunderte 
lang gesessen haben, dann sind auch sie, jedenfalls in ziemlieh 
rasehem Zuge, nach Südosten aufgebrochen und, wiederum mit dem 
bekannten Bogen über Osten, ihrer endlichen Bestimmung und 
ihrem Untergange entgegen gezogen. Rechnet man alle Angaben 
zusammen, so ist der Aufbruch im vierten Jahrhundert erfolgt 
Aber die Stationen dieses Zuges sind uns in merkwürdig veraebie- 
Pöntemafm, Ge$ch. d, d, Sprach9tafntnet. IL 14 



210 V. Laogobardeo* 

dener Angabe und jedenfalls obne klarere Anschanung der Verfasser 
jener Nachrichten überliefert. 

In der origo, als der ältesten Quelle, zieht das Volk von 
Scadan aus; dann heisst es weiter: venerunt in Golaidam et postea 
possederant aldones (d. h. als Aldionen, auf fremdem Boden an- 
gesessene Mittelfreie) Anthaip et Baynaib et Burgundaib. Femer 
kDnimen sie, nachdem die Rugier von Odovaker besiegt sind, nach 
Rugilanda; endlich wohnen sie drei Jahre in „campis feld^. 

Die zweite Quelle ist Paulus diaconus. Bei ihm geht das 
Volk wie gesagt von Scandinavien nach Scoringa, dann ist da» 
Land der Assipiter, dann Mauringa ihre Station; hierauf kommen, 
sie nach Golanda, Anthaib, Banthaib und Burgundhaib. Darauf 
kämpfen sie bereits mit Bulgaren. Nun ziehu sie nach Bugiland 
zur Zeit Odovakers; endlich nehmen sie Wohnung in campis patentibnS| 
qui Sermone barbarico feld appellantur. 

Drittens das chronicon Gothanum meldet den Auszug von 
Scatenaugae nach Paderborn, dann nach dem Gebiete der Beovinidi, 
hierauf nach Pannonien, wo sie mit den Avaren kämpfen, femer 
nach Rugilanda (Rudilanda); endlich wohnen sie drei Jahre in 
campis filda. 

Bei dem späteren Saxo Grammaticus fahren sie bei Blekingia 
und Moringia vorüber, ehe sie Gutlandia erreichen und nach Rugia 
kommen, wo sie die Schiffe verlassen. 

Man sieht, dass die Quellen alle aus verschiedenartigem Dunkel 
in gemeinschaftliches Licht führen. Die jüngste dieser Quellen, 
den Saxo Grammaticus müssen wir ganz aus dem Spiele lassen; 
er scheint echt patriotisch das Volk am südlichen Schweden vorbei 
nach Gothland und Rügen zu fähren. Auch das schon besprochene 
Paderborn lassen wir jetzt ausser Betracht. So bleiben uns als 
erste Stationen in der origo Golanda (wie aus Golaida zu bessern 
ist) und Anthaip, bei Paulus Scoringa, das Gebiet der Assipiteri 
Mauringa, Golanda, Anthaib. 

Ganz allein steht also bei den drei ersten Stationen Paulus; 
er mag sie aus der Langobardengeschichte des Secundus entlehnt 
haben, die er Buch IV, 41 erwähnt. Scoringa, wofür auch in einem 
alten Auszuge aus Paulus, den von Christ 1728 herausgegebenen 
hallisehen origines, Sciringa geschrieben steht, wird in den nordal- 
bingischen Studien I (1858) aus ags. score ripa durch Ufergau ge- 
deutet; es wäre also eine ArtRipuarien an der Elbe. Hammerstein 
dagegen S. 56 geht davon aus, dass Paulus diaconus selbst cap. 
13 sagt, jene Wanderstationen könnten vocabula pagoram sen 
quorumcumque locorum sein, zieht die Lesart Sciringa vor und 



V. Langobarden. ;2ll 

halt es für Schieringen bei Bleckedc, östlich yod Lanebarg. Dort 
sei der Saiumelplatz der AasziehendeD gewesen. Bei dieser Ver« 
mathuDg kommt auch sogar das Biekingia des Saxo in jenem 
Bleckede noch zu (zweifelhafter) Ehre. Bings um Schieringen liegt 
eine Reihe grosser Steindenkmäler. 

Sehr unsicher werden die Assipitti, die sonst nirgends erwähnt 
sind, von Bluhnie als die Anwohner der Asse, jenes Höhenzuges 
bei Wolfenbüttel erklärt. 

Es folgt Manringa, das natürlich nicht etwa in Holstein zu 
suchen ist. Verschiedene Forscher (s. Erhard regesta Westfaliae 
I, 160) Laben es in der Gegend von Magdeburg gesucht, Bluhme 
dagegen S. 23 findet es in Moringen bei Nordheim, nordwestlich 
von Göttingen, was ihm sehr gelegen ist, um daran den Zug nach 
Westfalen zu knüpfen. Möglicherweise ist es auch identisch mit 
dem Maurungaui (-gavi?) des Geographen von Ravenna. 

Bei dem vierten Namen, Golanda, wird Paulus schon durch 
seine Quelle, die origo, bestätigt. Das Wort deutet sich am leich- 
testen aus einem älteren Gaviland (Gaujaland) und würde passend 
sein für eine ausgedehnteEbene von Ackerland. Kommen die Lango- 
barden dahin aus der Göttinger Gegend, so könnte es etwa die 
goldene Aue bei Nordhausen sein, kommen sie längs der Elbe her- 
auf, so kann man etwa an die Magdeburger Börde denken, die 
man schon früher (aber auf falschem etymologischen^ Wege) mit 
den Langobarden hat in Verbindung bringen wollen. 

Auch 46r fünfte Name ist durch die beiden genannten Quellen 
bezeugt. Er knüpft sich wahrscheinlich an die Anfäe, dieses schon 
bei Proccp und Jornandes im fernen Südosten erwähnte slavisehe 
Volk, von dem man dann also annehmen muss, dass es sich be- 
reits im vierten Jahrhundert weit nach Deutschland hinein erstreckt 
habe. Die Gegend muss östlich von der Saale liegen, etwa im 
heutigen Königreich Sachsen. Im' letzten Theile dieses und der 
beiden folgenden Namen muss das verschollene Wort für regio 
oder pagus liegen, das wir ausserdem nur in zwei seit dem achten 
Jahrhundert begegnenden Namen, Wedereiba und Wingarteiba finden, 
beide weit im Westen, doch wahrscheinlich auf altsuevischem Boden, 
was wieder für die Abstammung der Langobarden wichtig ist 

Nun kommt mehr Licht in die Wanderung. Das Baynaib der 
origo und das Banthaib des Paulus vereinigen sich am besten zur 
Lesung Bainaib, und das Beovinidi des chronicon Gothanum tritt 
bestätigend hinzu. Es ist jedenfalls das alte Bojenland, Böhmen 
gemeint Ob dort schon slavisehe Stämme gehaust haben (Vinidi), 
oder ob das chronicon Gothanum erst von späterer Zeit her diesen 

14» 



212 ^* I«angobaiden. 

Namen entnimmt, ist nicht anszumaehen. Das Einrücken der 
Langobarden in Böhmen mag dem Ansrficken ihrer früher hier 
ansässigen snevischen Brüder, der Marcomannen, rasch gefolgt sein. 

Der siebente Aufenthalt findet in Bnrgandhaib statt, wie uns 
die origo und Paulus berichten. Dafür steht im chron. Goth. das 
bekannte Pannonien. Hier hatten in der That einst Burgander ge- 
haust und im dritten Jahrhundert ihre Kämpfe mit dem Oepiden- 
köuig Fastida ausgefochten; um die Mitte des vierten Jahrhunderts 
waren sie abgezogen und in ihre Stelle rücken, noch in demselben 
Jahrhundert, die Langobarden ein. Hier erst kommt der Zug et- 
was zur Ruhe, statt der Anführer werden Könige gewählt, also eine 
Art von Staatswesen gegründet Agilmund und Lamissio, die beiden 
ersten Könige, die beiden einzigen aus dem Hause der Gunginger 
(Guginger) fallen jedenfalls noch vor 400. Auch noch die drei ersten 
Könige der zweiten Dynastie Lethu, Hildehoc und Godehoc müssen 
in Pannonien geherrscht haben. Hier in Pannonien erreicht ihre 
Wanderung den östlichsten Punkt; Kämpfe mit Bulgaren, Avaren 
und sogar Amazonen bezeichnen das Ende der ihnen bekannt ge- 
wordenen Erde. Um diese Zeit scheint das Christenthum bei dem 
Volke Eingang, doch noch lange nicht allgemeine Verbreitung ge- 
funden zu haben, unter Godehoc oder dem folgenden König Claffo. 

Unterdessen hat Odoaker 487 die Rugier in Niederöstreich 
besiegt und ^ist dann wieder nach Italien gezogen; die Langobarden 
rücken nach in das Rugierland. Das offene Feld, in welchem sie 
darauf drei Jahre wohnen, ist am besten mit Bluhme alstdas March- 
feld zu versteht. Der sechste und siebente König des Volkes 
Claffo und Tato fallen in diese Zeit; unter dem letzteren werden 
Kämpfe der Langobarden mit den Herulern berichtet (zwischen 
50(5 und 512). Unter dem achten Könige, Wacho, den Paulus zwar 
erwähnt, aber merkwürdiger Weise nicht mitzählt, muss sich die 
Langobardenherrschaft bedeutend ausgedehnt haben, über suevische 
Stämme (vielleicht in der Suavia zwischen Venetiern und Karniem) 
und nach Böhmen hin, wie das erste von Paulus, das zweite vom 
chron. Gothanum berichtet wird. Für die Sprache geht daraus mit 
Wahrscheinlichkeit die wichtige Thatsache einer starken Dialekt- 
mischung hervor, die wol schon in den vorhergehenden Wanderungs- 
zeiten begonnen hatte. 

Es folgt der neunte König Waltari, dann der zehnte Audnin, 
letzterer wieder aus einem andern Geschlecht, vielleicht aus einem 
andern Volksstamm, ex genere Gausus, wie der Prolog zu Rotharis 
Gesetzbuch sagt; ist das Gauzus und bezeichnet es in irgend einer 
Weise sogar gothische Abstammung? Er rückt die Herrschaft wie- 



V. Langobarden. 213 

ieram nach Pannonien Yor, wo er 551 den Untergang der Gepiden 
lerbeifbhrt. Sein Sohn Alboin fahrt a. 568 nach Italien die Lango- 
)arden oder vielmehr ein Gemisch von Völkern, worunter auch 
swanzigtausend Sachsen gewesen sein sollen und in das auch ge- 
^ss die Reste der Gepiden aufgegangen waren. Es war mehr ein 
leer als ein Volk; noch König Rotharis nennt die Langobarden 
'elicissimus exercitus. 

Jene Völkermischung wurde durch den Eintritt dieser Scharen 
lach Italien noch eine viel stärkere; Reste der Ostgothen und all 
!er andern Völker, die sich zeitweilig in Italien niedergelassen 
latten, traten hinzu. Dazu kommen die vielen Ehen zwischen Lango- ' 
)arden und andern deutschen Völkern, wovon uns namentlich das 
Königshaus viele und frühe Beispiele liefert. Unter diesen Um- 
ständen konnte sich das Langobardische nicht einmal andern Mund- 
arten gegenüber in Italien selbständig erhalten, geschweige denn 
jegenüber der romanischen Volkssprache. Die Verwälschung des ' 
iTolkes begann entschieden sofort nach dem Einzüge in Italien; 
tm engsten hielten sich die Langobarden gewiss in der Nähe der 
lauptstadt Pavia zusammen, dort ist deshalb der Name Lombardei 
mch haften geblieben. Wenig berührte ihre Herrschaft die Küste, 
wo grossentheils die Griechen herrschten; in Toscana waren die 
neisten Reste der Gothen. 

Die Romanisirung der Langobarden ging fast in gleichem 
Schritte mit der oben besprochenen der Westgothen. Schon der 
bitte König in Italien, Autharis (585—591) nahm den römischen 
Laisertitel Flavius in Anspruch, grade wie es der Westgothe Reccared 
L 589 gethan hatte. Bis dahin waren die Langobarden noch 
Uianer, zum Theil gewiss noch Heiden; unter dem aus thüringischem 
J-eschlechte stammenden Agilulf (591 — 615) macht ihre Bekehrung 
mr römischen Kirche, gewiss unter Einfluss des grossen Gregor, 
Bsche Fortschritte, grade wie der Arianismus zu gleicher Zeit bei 
len Westgothen abgeschafft ward; die Königin Theodelinda war 
ds Baierin und Tochter einer Merovingerin schon in der römischen 
Kirche erzogen; Annahme des kirchlichen Romanismns aber bedeutet 
n dieser Zeit in Südeuropa Aufgabe des deutschen Wesens. Gegen 
)50 wird das lateinische Gesetzbuch des Rotharis verfasst, zwar 
leatsches Recht, doch gewiss nicht mehr reines Volksrecht, nament- 
ich in Bezug anf die Stellung des Königs. Rotharis war übrigens 
loch Arianer; seit 664 aber, als Grimuald von Benevent König 
inirde, verloren sich die arianischen Bischöfe allmählich und der 
irianische Glaube verschwand dann bald ganz. Von der Zeit des 
[iadprand (713 — 744) zeigen sich die Langobarden ganz als Wälsche 



214 V- LangobardeD. 

in ihrem Charakter, obgleich die Sprache sich noch immer strich- 
weise erhielt. Am Hofe des Königs Ratchis (744—749) waren die 
roheren Sitten der früheren Könige nur noch Gegenstand historischer 
Erinnerungen. Paulas diaconus, der sein Geschichtswerk um 790 
schrieb und etwa 730 geboren war, weiss die alte Nationaltracht 
seines Volkes nur nach den Wandgemälden im Palast zu Monza 
zu schildern, die doch kaum über das Jahr 600 hinausreichten. 
Derselbe erzählt, dass Alboins Thaten bei den Baieni, Sachsen 
und „andern Völkern dieser ^Sprache** gepriesen wurden, von den 
Langobarden schweigt er hier. Als Desiderius sein Reich a. 774 
dem grossen Franken gegenüber verlor, war der deutsche Geist 
daraus entflohn und im Herzogthum Benevent wird er auch gewiss 
nicht gehegt worden sein. Die um 978 geschriebene Chronik vod 
Salemo spricht von der lingua todesca, quod olim Langobardi 
loquebantur. 

Eine gewisse Sorgfalt müssen wir auf Zusammenstellung der 
von der langobardischen Sprache noch übrigen Reste verwenden, 
die zahlreicher sind als bei den fünf vorher behandelten Völkern, 
leider aber keinen zusammenhangenden Satz, sondern nur vereinzelte 
Wörter, zum Theil von grosser noch unerforschter Dunkelheit, aber 
um so grösserem Werth enthalten. Wir beschränken uns aber dabei 
auf die Zeit bis zum Ende des achten Jahrhunderts ; später dringt 
in die Gesetze so viel fränkischer Spracbstoff ein, dass dieser die 
Klarheit des Gesammtbildes trüben würde. Zuerst gebe ich ein 
alphabetisches Verzeichnisse in das ich die Eigennamen nicht auf- 
nehme, welche nachher besonders sollen erwogen werden. Von den 
Varianten der Handschriften übergehe ich alle diejenigen , welche 
für die Beartheilung des Wortes unmöglich Werth haben können. 

Actugild (actogild), öfters bei Rotharis und Liudprand, auch 
dnplum actogild Liudpr. 59. Das Wort begegnet auch im alaman* 
nischen Gesetze, sonst wol nirgend weiter. Es bedeutet den acht- 
fachen Ersatz des Schadens, wie das oben erwähnte burgnndische 
trigildam und novigildum den dreifachen und neunfachen. Sehr 
ungenau erklärt die glossa Cavensis sowol als die Vaticana >darch 
„quod iniquo animo qnaeritur^. 

Aidi. Nur bei Rotharis 359: jurit cum duodecim aidos soos, 
id est sacramentales. Die glossae Gav. haben aydones sacramen- 
tales le^timos. Das Wort setzt ein goth. '*'aithja voraus. 

Aldi US (aldio^ haldius), aldia sehr häufig. Auch proaldio 
begegnet (qui haldü conditioni salva libertate subit); die AbleitoDgen 
aldiaeritia und aldiaricia, die z. B. im liber Papiensis begegnen, 
sind jfinger. Auch in Baierui im achten Jahrhundert, kommen die 



V. Langobarden. 215 

aldiones vor. Das Wort bezeichnet den Stand eines Halbfreien, 
des sonst so genannten Utas; die gl. Cav. nnd Vatic. deutet nicht 
genau aldia durch de matre libera nata. Sehr ausführliche Mit- 
theilungen über die ganze hiezu gehörende Wortfamilie hat Du Gange. 
Das Wort mit Bluhme (im Register zu den Monum. Germ. XV) zu 
haldan teuere zu stellen geht nicht wol an ; ihm gebnrt vocalischer 
Anlaut. Grimm Rechtsalterthnmer Seite 309 erinnert an das spanische 
aldea (pagus, vicus), aldeano (paganus, vicanns), das gothisch zu 
sein scheint. Sind etwa ursprünglich die alten vorgermanischen 
Einwohner gemeint? 

Ambasias in einer Urkunde von 740 (Mon. Germ. XV, 659): 
„cot feceset ei operas a prados et a vitis et ambasias per ebdo- 
matas^. Das Wort setzt einen Stamm ^ambahtja voraus und ist 
natürlich das goth. Ntr. andbahti^ ags. ambeht Dienst. 

Amund (ahamund, aamund) öfters ^ei Rotharis und Liudprand, 
einmal auch bei Aistulf. Es lautet Roth. 224: Qui fulcfree etase 
extraneum, id est aamund facere voluerit. Aehnlich Liudpr. 55: 
Si quis servum suum fulfreal thingaverit et haamund a se fecerit. 
Es bedeutet also frei von der Mundschaft, mit jenem privativen a-^ 
von dem schon Graff I,i5 einige Beispiele anfuhrt. 

Anagrif (anagrifl, anagrip, anagriph), mehrfach in den Gesetzen 
vorkommend. Die gl. Cav. haben als Erklärung faida, inimicicia, 
die gl. Vatic. faida vel manu aliquid apprehendere. Es ist unser 
Angriff, übersetzt aber z. B. Roth. 189 das lat. culpa, bedeutet 
also wol nur einen Angriff auf das Recht. 

Andegawerc (andegawere). Nur in der Stelle Roth. 225: 
Si judicaverit se vivo res suas proprias, id est andegawerc et ari- 
gawerc secundum legem Langobardorum, liabeat cui donaverit. Die 
Glossen (Cav., Vatic, Matrit.) verstehn die beiden Wörter schon 
nicht mehr, die wir hier zusammen besprechen müssen. 

Dass Hand nnd Heer die beiden ersten Theile derselben sind, 
ist wenigstens höchst wahrscheinlich, wenn nicht sicher. Schwieriger 
ist der letzte, beiden gemeinsamen Theil; liest man mit der neuesten 
Ausgabe gawere, so hat man zwar das bekannte ahd. gaweri 
investitura, rechtskräftige Uebergabe, doch hat das erstlich hier 
keinen rechten Sinn und zweitens wäre das e der zweiten Sylbe 
ein bedenkliches einziges Zeichen von Umlaut im Langobardischen. 
Es wird also -werc zu lesen sein und das Hand- und Heerwerk 
die beiden Theile des Besitzes eines Langobarden bezeichnen. An 
den Gegensatz von liegender und fahrender Habe ist hier nicht zu 
denken, nur an letztere ; was man sonst hergewaete nennt, die Habe 
eines Mannes, zerfällt hier genauer in Hausrath und Kriegsgeräth, 



2jg V. Langobarden. 

denn so scheint der Sinn beider Worte zu sein. Karl Meyer in 
der Germania XIX,ld7 hat in demselben Sinne darüber gesprochen. 

Angargathongi (argargatbungi^ angarthungi n. s. w.). Das 
schwierige Wort begegnet dreimal. Kotb. 14: si ingenuns, qnaliter 
in angargathongi. Roth. 48 : qnaliter in angargatbungi, id est secon- 
dorn qoalitatem personae. Dieselben Worte wiederholen sich Roth. 
74 Die gl. Vatic. schreibt ingargatbugi nnd deutet dnrch sicut 
appreciatus fait jaxta qnalitatem personae. Der zweite Theil ist 
klar SU altn. thungr gravis, alts. githungan, ags. gethnngen tüchtig, 
trefilich, ags. gethyngön gravitas^ honpr, dignitas gehörig. Den 
ersten Theil hält Meyer in dem eben angeführten Aufsatze S. 137 
fttr ahd, angar, nhd. Anger pratum. Wird hier der Werth der 
Person nach dem Werthe des von ihr besessenen Landstücks ab- 
geschätzt? recht klar ist die Sache noch nicht. 

Arga, unser arg, bei Paulus diac. VI;24; dsgl. Roth. 381: 
81 quis alium arga per furqrem clamaverit. 

Arigaverc s. andegawerc. Bluhme denkt beim ersten Theile 
entschieden falsch an ör auris. 

Arimanna. Ratchis 6: Si antem amodo presumpserit cujus- 
ounque servus arimanna ducere uxorem. Das Fem. des folgenden 
Wortes. 

Arimannus kommt mehrfach vor und bezeichnet einen Freien, 
wie auch das ags. hereman; dieser Sinn liegt auch dem Namen 
Hariman zu Grunde. Die gl. Gav. und Vatic. geben die Deutung 
qui scutum dominicum sequitnr, später setzen die gL Gav. dazu: 
arimannus homo muudus Über. 

Dazu scheint auch (trotz des bedenklichen Umlauts) die merk- 
würdige Form zu gehören, welche sich.Monum. Germ. XV,182 in 
Liudprands notitia de aotoribus regis findet: Quoniam nos illnm 
relaxavimns a livero eremmannos. Hier sagt Bluhme zu den drei 
letzten Worten, dass er über ihren Sinn völlig im Unklaren sei. 
Ich glaube, dass an ein „a liberis arimannis^ zu denken ist; es 
wird heissen: weil wir jenes von freien Heermännem (als Steuer) 
erhoben haben; illum für illud; bei relaxare ist die Bedeutung 
gemäss anderen Stellen nicht auffallend ; es heisst öfters soviel als 
eximere, aussondern, der Privattheilung entziehn. 

Ariscild (arischild, arschild, etwas unschicklich auch arsgild). 
Es kommt vor bei Verbrechen von Frauen Liudpr. 134: non potai- 
mus causam istam adsimilare neque ad arischild neque ad oonsilium 
msticanorum ; und ganz ähnlich Liudpr. 141 : non potuimus mulierum 
collectionem ad arschild consimilare neque ad seditionem rusticano- 
rorn. Die gl. Cav. uqd gl. Vatic. erklären es unbestimmt durch 



V. Langobarden, 2t7 

adonatio. Es ist sieber die Vereinigang der beerberecbtigten freien 
Männer; der Scbild ist sebon bier als Symbol der Standesebre das 
Grundwort der Zusammensetzung äbnlich wie bei den sieben Heer- 
sebilden des Schwabenspiegels, ähnlicb auch wie dem Bundschuh 
des sechszehnten Jahrhunderts. 

Aritraibus (aritraib, haritraib, baritraibns). Das wunderbare 
Wort zeigt sich nur in einer Stelle, Koth. 379: Si casa, ubi habi- 
tatur, disturbaverit, componat, sicnt in hoc edictum legitur, aratrai- 
bus. Man hat in dem Worte die Dreizahl finden wollen und an 
Roth. 146 und 149 erinnert, wo der, welcher eine Mühle oder 
unbewohnte Hütte anzündet, mit dreifachem Ersatz bedroht wird; 
aber hier liegt die Sache anders. Die glossae Cavenses setzen 
dazu solidos nungentos, auch in der einen Handschrift des Edicts 
steht bei dem Worte sol. DCCCC. Neunhundert solidi sind aber 
die auf den Mord gesetzte Strafe. Die letzten sechs Buchstaben 
erinnern an die Abgabe, welche im salischen Gesetze reipus heisst, 
das ganze Wort an die malbergische Glosse andreiphus, die beim 
widerrechtlichen Binden eines freien Mannes steht Besserung in 
mort-raibus wäre gegenüber der FtlUe von Handschriften zu kühn; 
die Sache bleibt noch dunkel. Was mag der Personenname Hand 
(in Corvei) und Harit (in Fulda) bedeuten? den zum Heere gehörigen 
Freien? dann könnte arit-raibus das Wergeid eines Freien sein. 
Andere mögen Besseres bringen. 

Astalin (anstallin, aftalin). Nur Roth. 7: Si quis contra ini- 
micüs pugnans collegam suum dimiserit, aut astalin fecerit^ id est 
si cum deceperit aut cum cum non laboraverit, animae snae incur- 
rat periculum. Die gl. Cav. und Vatic. setzen zu astalin deceptio 
aut fraus. Du Gange leitet das Wort von dem folgenden asto ab. 
Es kommt darauf an, ob astalin eine Eigenschaft des im Kampfe 
Verlassenen oder eine Thätigkeit des Verlassenden ist; beides passt 
in das Satzgefüge. Die Bedeutung deceptio oder Irans lässt daran 
denken, dass der anlautende Vocal dieselbe Function hat wie in 
amund. Zu erwägen ist aber auch, dass das Wort in drei Hand- 
schriften mit an- anlautet und dass unser anstellen zuweilen simu- 
lare bedeutet. 

Asto. Begegnet öfters bei Rotbaris, Grimoald, Liudprand, 
auch in der Verbindung asto animo, z. B. Roth. 146: si quis casam 
alienam asto animo, quod est volontarie, incenderit, wo in einer 
Handschrift über der Zeile steht „vel astuto^. Grimm in den 
Rechtsalterthümern S. 4 hielt das Wort für deutsch und stellte 
ähnliche Ausdrücke aus Weisthümem zusammen, welche auf anlau- 
tendes h hindeuten; bd Du Gange dagegen wird hierin ^n al^- 



21g V. Langobarden. 

lateinisches schon bei Plantna nnd Accins begegnendes Wort gesucht, 
das dann aus der Volkssprache wieder zu neuem Leben erwacht 
ist. Entschieden scheint die Sache nicht zu sein. 

Barbas (Var. barbanns) zeigt sich Liudpr. 145. Bei Roth. 
163 heisst es: fratris sui aut barbanis, quod est patrnns. Weit 
später wurden die Vorsteher der Waldenser barbani genannt Es 
kann ein echt langobardisches Wort für Oheim sein, aber Sicheres 
darüber ist noch nicht darzubieten. 

Camfio (camphio, campio) kommt öfters vor. Camphio pugna 
seu pugnator Gl. Gav. et Vatic, also sowol = ags. camp pugna 
als auch = cempa bellator. Bekanntlich lateinischen Ursprungs, 
aber durch merkwürdige Bedeutungsverschiebung ganz zu deutschem 
Eigen thum geworden. 

Elm. In der origo Langob. steht (Monura. Germ. XV,643) zu 
capsidem (d. h. cassidem) im cod. Mutin. die Glosse quod nos 
elmos Yocamus, wodurch also auch der Gebrauch des Wortes Helm 
im Langobardischen bezeugt wird. 

Faderfio (faderfyo, fadrin) dreimal bei Rotharis. In den gl. 
Gay. heisst es: faderfido, quod adduxit da parentibus. Also das 
ererbte Eigenthum der Braut, unterschieden von roetfio. 

Faida Fehde begegnet öfters. 

Fara. Bei Paul. diac. 11,9 farae im Sinne von Geschlechter. 
Bei Roth. 177: liber homo potestatem habeat intra dominium regni 
nostri cum fara sua megrare ubi voluerit. Die Gl. Gav. haben dazu 
die Deutung parentela, die gl. Vatic. genealogia, generatio, aber 
die gl. Matrit. schon falsch fara id est rebus. 

Die Bedeutung Geschlecht, Familie hat das ags. iaru gleich- 
falls und wir begegneten dem Worte auch schon oben in dem bur- 
gundischen faramannus. 

Farigaid. In der origo Langob. (Mon. Germ. 644) heisst es: 
Mortuus est Wacho et regnavit filius ipsius Gualtari annos Septem, 
farigaydns. Isti omnes Lethinges fnerunt. So im cod. Matr., dafür 
et farigaldus cod. Gav., im cod. Mut. fehlt das Wort Im chron. 
Gothanum heisst dieselbe Stelle: filius ipsius Walteri annis Vn 
fargaetum, ganz unverstanden. Der Sinn des so viel ich sehe noch 
nirgend besprochenen Wortes ist einfach der von Aussterben 
der Familie, defectus generis; vorher sind die sieben Lethinger- 
könige genannt, später folgt Audoin ex genere Gausus. Dazwischen 
hat nun der langobardische Schreiber, zunächst wol nur an den 
Rand der Handschrift, sein farigaidus gesetzt, von dem eben erwähn- 
ten fara und goth. gaidv, ags. g&d defectus. 

Fegangi (fegangit, figangit, figangi, fegangin, figangin, figan- 



V. Langobarden. 219 

das, fagaogi, feogandi, figang, figangitna, figaDgis, fecangit, fegaogit, 
figantes a. s. w.) Das merkwürdige Wort steht an fünf Stellen 
der Gesetze. Hier heisst es Roth. 253: Si quis über homo fur- 
tum fecerit et in ipsam furtum temptns fuerit, id est fegangit 
Roth. 291: Si für ipse super tentus fuerit, non sit figaogit, nisi 
tantnm couponat sicut constitutum est. Roth. 372: Si servus regis 
furtum fecerit, reddat in actogild, et non sit figangit. Grimnald 9: 
pro culpa, id est fegang. Liudpr. 147: Si servus aut haldius in 
farto conprehinsi fuerint et dominus eorum neglexerit eos liberare^ 
— sint figanges. Dazu kommt noch eine Urkunde bei Fumagalli a. 
796: Si liberare neglexeriraus de quod vos detenuaeretes, tune 
fegangas in vestras maneat potestatem faciendum quod voluaeretes. 

In allen diesen Stellen liegt ein Compositum aus goth. faihu 
und goth. gaggan vor, vielleicht aber nicht immer dasselbe, sondern 
theils ein Abstractum fegang im Sinne von Diebstahl, theils ein 
masculines fegangi oder fegangit, welches den als Dieb pfandweise 
festgehaltenen bezeichnet, jenes wäre goth. *faihugaggs, dieses etwa 
*^faihugaggja. In jenem kann man mit Grimm Rechtsalterthnmer 
637 das Fortgehn mit dem Viehe (der fahrenden Habe) erblicken, 
in diesem zunächst den Dieb, aber mit einer bestimmt beschränkten 
Bedeutung. Ja es ist vielleicht noch ein ^aihugaggjan jemand als 
Dieb ergreifen anzunehmen und in fegangit das Part. Pass. davon 
zu sehn. 

Feld, bei Paul. diac. I,2o; desgleichen in der origo; das 
chron. Gothanum hat in campis filda. 

Fereha. Roth. 300: hisclo quod est fagia; für dies fagia 
giebt es die Varianten ferea, fereha, fereha, glandefera, faia; die 
gl. Cav. hiezu setzen ferea = esclum, die gl. Vatic. eben so. Es iat 
jedenfalls eine Art Eiche gemeint, was noch deutlicher aus solchen 
Fonnen wie wereheih hervorgeht, wie sie Graff I, 127 anfuhrt. 

Wir haben Bd. I, 374 lat. quercos mit ahd. foraha etymologisch 
zusammengestellt; in dem langobardischen fereha hätten wir eine 
an Form und Sinn dem lateinischen Worte noch näher stehende 
Bildung. 

Ferquido (ferquidus) begegnet im Sinne von similis öfters, 
z. B. Roth. 147: damnum conponat ferquido, id est similem, ideo 
quod nolens fecit; Roth. 175: reddat ei ferquido, id est similem. 
Es kann nicht gut etwas anderes sein als ein verstümmeltes Part. 
Pass. eines Verbums ferquidan und dies muss dem goth. fauraqvi- 
than gleich stehn; schon a. 1829 fasste Leo in der Gesch. der 
ital. Staaten I, 131 das Wort im Sinne von antedictum, eben- 
beschrieben (ital. ditto) auf. 



220 ^« Langobarden. 

Fornaccar. Das Wort findet sich nur Roth. 358: de arvo 
campo, qaod est fonsaccri. Es ist hier vom Stoppelacker die Rede. 
VarianteD sind: fosinacecharum, fossinachar, fosangar, fumaccar, 
foDsacar, fornaccar, fosnacar, fosnachar, fons accar. Die g]. Ca?* 
haben fumachar id est arvo campo tuppla, die gl. Vatic. famacar 
Campus non clasus, das letztere nicht zur Worterklärung gehörig. 
Zieht man die Lesung fornaccar mit mir vor und erinnert man sich 
an die altn. Composita mit forn- (priscus, antiquus), so scheint mit 
dem Worte der Stoppelacker einfach als der alte, gewesene Acker 
gefasst zu werden. 

Fraida. Nur Roth. 275: Si mancipium alienum refugium post 
alium fecerit, id est in fraida u. s. w. 

Die Glossen ergeben hier nichts weiteres. Vgl. Graff. ni, 792 
freidi profugus, goth. frei^an parcere; fraida ist ein dazu gehöriges 
Substantivum. 

Frea. Liudpr. 94: Si quis fream alienam sine volontatem 
de mundoald ejus movere de casa, ubi inhabitat, presumpserit --. 
Liudpr. 120: fream suam, qui eam male tractaverit. Also ganz = 
Frea (altn. Frigg) in der origo Langob. 

Fulborn. Nur Roth. 154: Si quis dereliquerit filium legiti- 
mum, quod est fulborn (Var. fulboran u. s. w., in den Glossen ver- 
derbte Formen) etc. Ags. fulboren nobilis genere. 

Fulcfree öfters in den Gesetzen im Sinne von gemeinfrei; 
mehi^mals in der Phrase fulcfree thingare für gemeinfrei erklären. 
Auch hier steht das Ags. mit seinem folcfri ingenuus, liber am 
nächsten ; diese öfters sich zeigenden besonders nahen Beziehungen 
zwischen Ags. und Langob. sind aus oben angeführten Gründen 
von grosser Wichtigkeit. 

Als Fem. haben wir fulcfrea z. B. Roth. 257. Besonders zu 
beachten aber ist unter den Varianten das öfters wiederkehrende 
fulcfrealy fulcfrealti welches gewiss nicht zufällig falsche Schreibung 
ist, sondern den Beweis liefert, dass die Langobarden auch das 
goth. freihals u. s. w. müssen gekannt haben. 

Gafand: Nur Roth« 247: Null! leeiat alium pro alio pignerare, 
excepto illo qui gafan esse invenitur, id est coheres parens 
proximior (Var. gaffant, gafant, gafandus, gafrand, cafrandes, cafono). 
Gafand ist also eigentlich jemand, der vermöge seiner nahen Ver- 
wandschaft gesetzlich als Mitbürge, Mithafter für einen anderen 
herangezogen werden kann; Bluhme bringt im Index zu Monum. 
Gtorm. XV. noch mehrere Beispiele des Wortes ausserhalb des 
Langobardischen bei. Es gehört natürlich zu ahd. phantön pig- 
iiorare, gaphantot, kifantoten pignoratis (Graff. III, 341), einem 



V. Langobarden. 221 

gewiss fremden Worte, dessen Abknnft doch immer noch nngewiss 
zu sein scheint. 

Gahaginm^ Gehege. Roth. 319 nnd 320 excepto gahagio 
regis, andern Wäldern entgegengesetzt. 

Gaida. Nur Roth. 224: Ipse ducat (den freizulassenden 
Sclaven) in quadrabium et thingit in gaida et gisil (eine Hand- 
schrift hat sicher falsch gaaidagisil). Vgl. auch gisil. Als Er- 
klärung geben die gl. Matrit. gaida et giseleum et astnla sagittae, 
die gl. Vatic. gaida et giseleum ferrum et astula sagipte; dagegen 
falsch verstanden die gl. Gav. gaida casindios, gisil liberi homines. 
Eben so falsch ist die Deutung von Bluhme, der an gaaida Eid- 
helfer denkt. Es liegt hier vielmehr das ags. gädu (unorganisch 
verkürzt gadu) vor, welches cuspis, mncro bedeutet. Paulus diac. 
I; 13 giebt zu dem ehrwürdigen Branche die Erklärung: Flures 
a servili jugo ad libertatis statum perducunt, utque rata eorum 
haben posset libertas, sancinnt more solito per sagittam, immur- 
murantes nihilominus ob rei firmitatem quaedam patria verba. 
Jedenfalls werden, wenn auch nur symbolisch; dem Freizulassenden 
die Waffen eingehändigt und zwar mit einem allitterirenden Spruche^ 
in dem gaida und gisil vorkommen. Bei den Angelsachsen werden 
in den leges Guilielmi bei diesem Gebrauche lancea et gladius 
erwähnt. 

Gairethinx (garethinx), sechsmal bei Rotharis, einmal bei 
Liudprand. Roth. 167: Si quis fratribus ^gairethinx feeerit, habeat 
in antea cui factum fnerit. Roth 172: Si quis res suas alii thingare 
voluerit, non absconse, sed ante liberos homines ipsum garethinx 
faciat« Roth. 174: Qui garethinx susceperit, tales culpas non faciat 
donatori suo, quales solent ingrati filii parentibus suis facere. 
Roth. 222: Legitimam facere (ancillam) per gairthinx; Roth. 375: 
Si aliquid per gairethinx^ id est donationem, conquesierit. Roth. 
386: per gairethinx secundum ritus gentis nostrae confirmantes 
(Bestätigung der Gesetze). Liudpr. 54: Si quis cartolam per gaire- 
thinx facta aut per susceptum launigild ostenderit. 

Es ist also jedenfalls eine feierliche Schenkung mit dem Worte 
gemeint, obwol keineswegs eine gegenseitige, wie der hochver- 
diente Bluhme will. Es ist eine geschäftliche Abmachung, bei 
welcher der Speer (altn. geir, ags. gär) eine symbolische Rolle 
gespielt hat; vielleicht wurde er aufgesteckt um anzuzeigen, dass 
Männer des Heerbannes, des ariscild, als Zeugen dabei seien. 

Gamahali. Nur Roth. 362 : Potestatem habeat in locum 
mortui alium similem nominare de proximüs legitimus, aut de natüs, 
aut de gamahalos id est confabolatüs. Das Wort bedarf keiner 



222 ^* L&ngobarden. 

Erklärung; ob danmter speciell angebeirathete Verwandte zu 
verstehu sind, ist schwerlich auszumachen. 

Gasindio (gasindius) regis mehrmals. Gl. Cav.: casindios 
regis = qni palacio regis custodiunt. 

Gastaldius oft, auch bei Paul. diac. V, 29, davon auch 
gastaldatus. In den langobardischen Gesetzen noch eine der höchsten 
Würden, während später die Bedeutung des Wortes sehr herabsinkt. 
Zu goth. gastaldan erwerben, besitzen, haben, ahd. gastaldjo gestor, 
minister. 

Gawarfida? Nur in wenigen Stellen. Liudpr. 77: Omnes 
judices et fideles nostri sie dixerunt, quod cawerfeda antiqua usque 
nunc sie fuissit (Var. warfida, cadarfeda, cadarfida, cadarfedas, 
guaderfia, catarfeda, caterfeda). Liudpr. 133: Semper et anteces- 
sorum nostrorum tempore et nostro per cawarfida sie judicatam 
(so) est, nam in edicto scripta non fuit (Var. quauarfeda, qua uarfita, 
cadarfaeda, warfida, guarfida, wadarfida, gadarfeta). Chron. Gotha- 
uum: Kothari per quem leges et justitia Langobardis est inchoata, 
et per conscriptionem primis judices percurrerunt. Nam antea per 
cadarfeda et arbitrio seu ritus fierunt causationes. 

So viel ist klar, dass wir hier einen höchst merkwürdigen 
Ausdruck haben, der bei den Langobarden das ungeschriebene 
Volksrecht bezeichnet; auch die gl. Cav. haben warfida i. e. con- 
suetudo. Aber wie ihn deuten? Sehn wir ab von der Besserung, 
die Grimm Gesch. d. dtsch. Spr. 694 in gadawida versuchte, eine 
Besserung, die nur möglich war, ehe eine kritische Ausgabe der 
langobardischen Gesetze vorlag , so bieten sich zwei Möglich- 
keiten dar. 

Erstens, wenn gawarfida zu lesen ist, denken wir an ags« 
gehveorfan ire, verti, converti und können davon diesen Ausdruck 
für das Sittenrecht ähnlich ableiten, wie man lat. mos von meare 
oder ritus von einer indogermanischen Wurzel des Gehens abgeleitet 
hat. Das ahd hwarbida wird durch gestus, gahwarbida durch 
conversio gedeutet ; das langobardische Wort entspräche etwa unserem 
Verkehr. 

Zweitens aber, wenn man gadarfida liest, kommen wir auf 

nrdeutsch tharf indigeo, ags. thearf, gethearf, ein Wort, das mit 

uralten heiligen Handlungen in unleugbarem Zusammenhange steht; 

ahd. gabiderbjan heisst gebrauchen, benutzen. Gadarfida wäre also 

unser Gebrauch. 

Die Handschriften scheinen darauf hinzudeuten, dass auch hier 

nicht blosser Schreibfehler, sondern eine im Laufe der Zeit und in 

verschiedenen Gegenden eingetretene volksetymologische Umwand- 



y. Langobarden. 223 

lang vorliegt und dass beide Anffassungen berechtigt seien. Welche 
Ton beiden die ursprünglichere ist, wage ich nicht aoszumachen. 

Oisil. Die Stelle Roth. 224 8. oben unter gaida*, im Altn. 
heisst gisli der Strahl und das kann wie das mhd. sträl leicht den 
Sinn von Pfeil angenommen haben. Vielleicht ein ganz anderes 
Wort (wenn nicht Aufklärung aus der Sittengeschichte erfolgt) liegt 
vor Roth. 172: qui thingat et qui gisel fuerit, liberi sint (Geschenk- 
geber und Geschenknehmer). Damit stimmen die gl. Matrit. : gisil 
id est qui donum recipit. Diese Bedeutung ist sonst nirgends zu 
finden; sie könnte später in die bekannte von obses übergegangen 
sein und leicht auch noch den Eigennamen zu Grunde liegen; man 
lege einmal diese Auffassung an die Namenbuch I, 519 verzeichneten 
Formen. 

Grapworfin. Roth. 15: De crapworfin (crapouurfin, rapuer, 
rapuuor, grap uuorf, marauuorf etc.). Si quis sepulturam hominis 
mortui ruperit et corpus expoliaverit aut foris jactaverit. Ich sehe 
darin ein Femininum grapworfi das Herauswerfen aus dem Grabe* 

Haistand. Nur Roth. 277: De aistandi (aistant, haistan), id 
est furorem. Si quis in curtem alieuam haistan, id est irato animo, 
iogressus fuerit. Natürlich zu goth. haifsts, ags. haest violentia, 
contentio; vielleicht ist haistand als Participium zu fassen. Bluhme 
bringt darüber Irrthümliches vor. 

Hober US (hoberos; oberes, oueros, operus, oberus etc.). Roth. 
278: De hoberos, id est curtis ruptura. Mulier curtis rupturam 
facere non potest, quod est höheres; absurdum esse videlur ut 
mulier quasi vir cum armis vim facere possit. Roth. o73: Si servus 
regis hoberus — fecerit. Roth. 380: Si quis peculium suum de 
clausura aliena occulte tulerit et non rogaverit, componat curtis 
rnpturae, id est hoberos, solides 20* Die Glossen ergeben nichts 
Näheres. Der erste Theil des Wortes ist klar; ob der zweite zu 
ags. hreösan ruere, cadere oder zu lat. ruptns gehört, muss noch 
unentschieden bleiben. 

Hovescario. Nur Aistnlf 20: Si quis cum curte regis causam 
habuerit; et evenerit, ut pars curtis regis sacramentum deducere 
habeat, si major causa fuerit, per sacramentum ovescarioni (obsca- 
rioni| ubiscariones etc.) cum actoribus finiatur. Es ist also der scario 
(s. unten) des königlichen Hofes gemeint. 

Hosa, die Hose. Paul. diac. IV, 22. 

Idertzon (iderzon, hiderzon, eterzon, erzon). Nur Roth. 285: 
De idertzon. Si quis sepem alienam ruperit, id est idertzon, con- 
ponat solides sex. In dem folgenden Paragraphen kommen zwei an- 
dere Arten Zäune vor, auf deren Verletzung aber eine geringere Strafe 



224 V. Langobarden. 

steht; der idertsM>n ist jedenfalls der eigentliche Bfetterzann; ags. 
edor; ahd. etar sepes. 

Inpans (infans). Nnr Roth. 224: Qai inpans, id est in votam 
regis demittitar, ipsa lege vivat, sient et qui baamnnd factns est. 
Der Ausdrack bleibt unklar. Grimm Oesch. 697 sagt: „Wenn im- 
pans oder inpans votam ausdrücken soll, so ist vielleicht die Zu- 
sammensetzung des ahd. unnan mit Partikeln zu berücksichtigen; 
wie arpan invideo aus ar-pi-an, urpunst invidia aus ur-pi-unst, könnte 
ein inpan faveo inpanst favor aus in-pi-anst entspringen^ u. s. w. 
£s kommt darauf an den nicht ganz klaren Sinn der lateinischen 
Worte zu erfassen; was heisst in votum regis demittere? Leicht 
könnte inpans für in bannus stehn. 

Lagi. Nur Roth. 384: Coxa super genuculum, quod est lagi. 
Engl, leg u. s. w. 

Lama. PauL diac. I, 15 mit der Uebersetzung piscina. Orimra 
Oesch. 694 zieht herbei das finnische lammi lacus minor, stagnnm, 
piscina und das lat. lama locus humidus, palustris, das lit. loma 
locus depressus in agro. Otto Abel in der Uebersetzung des Paulus 
diac. erklärt lama durch Lehm. Karl Meyer in dem oben erwähn- 
ten Aufsatze S. 132 erinnert an alts. hlamön, ags. hlemman rauschen, 
tosen; ein Subst. davon könne das Wasser und dann einen (nicht 
rauschenden) Wasserbehälter bezeichnen. Alle diese Gleichungen 
sind bedenklich mit Ausnahme des lat. lama; ungewiss bleibt, ob 
hier gradezu ein lateinisches Wort vorliegt (dann hätte Paulus 
geirrt) oder ein mit dem lateinischen identisches langobardisches. 

Launegild (launechild, lanechil, lunicild u. s. w.) Lohngeld, 
ahd. Idngeld.. 

Lidinlaib (Var. unerheblich). Nur Roth. 173: Si quis res 
suas alii thingaverit et dixerit in ipso thinx lidinleib, id est, quod 
in die obitus sui reliquerit. Der zweite Tbeil ist selbstverständ- 
lich das goth. laiba, ahd. leiba, ags. läf reliquiae u. s. w., das am 
Ende so mancher Zusammensetzungen auftritt. Der specielle Sinn 
des Wortes ist der von ahd. tdtleiba; was ist also der erste Theil? 
Man denkt zunächst an ags. liöan proficisci, ire; das könnte hier 
euphemistisch den Sinn von mori haben, wie das verwandte zend. 
irith sterben bedeutet. Oder liegt hier schon der Sinn von ahd. 
Itdan pati leiden vor? 

Marahworfin. Roth. 30: De marah worfln. Si quis homlnem 
liberum de caballo in terra jactaverit. Roth. 373: Si servus regis 
hoberus aut wecvorin seu marahuorf fecerit. Der Sinn ist klar; es 
heisst das Herabwerfen vom Pferde und ist gebildet wie das oben 
erwähnte griqtworfin. 



V. Langobarden. 225 

Marpahis, Paul. diac. II, 9; VI, 7. Dazu gl. Cav. marphais 
id est statutor, gl. Vatfc. marpaheis strator. Grimm Gesch. d. dtsch. 
Spr. 693 hat dieses langobardische Hofamt zuerst richtig gedeutet 
aus ahd. marah equus und ahd. beizan, ags. baetan frenare. 

Mas ca. Roth. 197: Si quis eam strigam, quod est mascam, 
clamaverit. Roth. 376: Strigara quam dicunt mascam. Maske scheint 
ursprünglich Gespenst oder Hexe zu bedeuten, unser Maske hat 
die abgeleitete Bedeutung von Hexengesicht oder dergleichen; vgl. 
GraflF II, 877. 

Meta begegnet öfters; dieses Wort, das ahd. miata, ags. m6t, 
bezeichnet langobardisch speciell das Geschenk, welches der Bräuti- 
gam der Braut giebt. Bei Aistnlf 14 wird mehrmals meta und 
morgineap verbunden. 

Metfyo (mithio, meffio) mehrmals, = bona metae nomine uxori 
quaesita. In den Glossen wird das Wort durch arre erklärt; zur 
arra nuptialis vgl. namentlich Du Gange. 

Modola. Roth. 300: Quercum quod est modola. Das Wort 
ist sonst ganz unbekannt, auch bei Du Gange begegnet kein anderes 
Citat. Grimm hält dazu Gesch. d. dtsch. Spr. 696 das mednla, medela 
des alamann. Gesetzes 96 für das eichene Wagenholz. 

Mordh (morth u. s. w.) Mord, dreimal bei Rotharis. 

Morgingab (morgineap u. s. w.) Morgengabe, mehrmals. 

Muudium (mundius) sehr oft; die Mundschaft, davon z. B. 
mundiare, mutidiator. Ganz deutsch ist die Zusammensetzung: 

Mundowald (mundoald) der Vormund, noch nicht bei Rotharis, 
wol aber bei Liudprand und Aistulf ; im Ags. wird der Begriff durch 
mundbora ausgedrückt. 

Murioth (morioth u. s. w.) Roth. 384: Si quis homini libero 
brachium super cnbitum, hoc est murioth, ruperit. Graff II, 846 
fuhrt aus den Glossen Salomons murioth und murigot an, welches 
dort aber mit diech (also Oberschenkel) übersetzt wird; überdies 
könnte leicht jene Glosse selbst aus dem langobardischen Gesetze 
entnommen sein. Sonst ist das Wort ganz unbekannt, auch Du 
Gange (unter morioth) kennt keine weiteren Stellen. Auch Grimm 
Gesch. 696 weiss nichts zur Erklärung beizubringen. Vgl. unten 
treno. 

(Orbitaria Roth. 26 hältBluhme im Index für deutsch; doch 
ist das Wort wol lateinisch; man sehe bei Du Gange orbita via 
publica, orbitare recurrere, redire). 

Plodraub. Nur Roth. 14: Si expolia de ipso mortuo tulerit, 
id est plodraub. Plodraub (Blutraub) ist Raubmord, rairaub die 
Beraubung einer Leiche. 
FÖrttemann, GescA. d. d, Sprachstammes, IL 15 



226 ^* Langobarden. 

Plovam. Nur Roth. 288: Si qais plovum aat aratmm alienum 
iniqao animo capellaverit, coDpoDat eolidos tres. Es scheinen also 
zwei Arten von Pflügen gemeint zu sein, deren Unterschied uns 
aber entgeht, vielleicht ein romanischer und ein germanischer Pflug. 

Pollen US, nur Liudpr. 137. Unser Füllen, doch mit merk- 
würdiger Mischung zwischen dem Stamme von ndiXog puUus und 
der deutschen Bildung. 

Pulslahi (Var. pluslais, pluscla, puslai etc.). Nur Roth. 125: 
Si quis servum alienum rusticanum percusserit, pro unam feritam, 
id est pulslahi, si vulnus aut libor apparuerit, conponat solido medio. 
Wol zu ahd. biula, ags. ,byle Beule. Bulislegi begegnet auch im 
ripuarischeu Gesetz 19; desgleichen pulislac im alamannischen und 
bairischen. 

Rairaub (trairaub etc.). Nur Roth. 16 : De rairaub. Si quis 
hominem mortuum — invenerit — aut spoliaverit. Goth. hraiv Leiche 
u. s. w., ahd. hreoroup. 

Sala Sal, Wohnung, Roth. 133 und 136. 

(Saltarius ist wol lateinisch. Liudpr. 44 : decauus aut salta- 
rius qui in loco est. Liudpr. 83: judex vel sculdahis aut saltarius. 
Liudpr. 85: decanus aut saltarius. Bei Du Gange wird saltarius 
durch villicus, custos praedii angeführt und aus saltuarius gedeutet, 
daneben auch ein ogeo^Xa^ oder 6Qog>vXa:^ erwähnt. Vielleicht 
steckt in saltarius ein deutscher marcward). 

Saumae Gepäck; Liudpr. 83 :tollant ad saumas snas cavallos 
sex. Zu ahd. säum u. s. w. 

Scala, Paul. diac. I, 27, Trinkschale. 

Scamara. Nur Roth. 5 : Si quis scamaras caelaverit aut anouam 
dederit. Dazu gl. Cav. scamara furones, gl. Vatic. scamara furto. 
Das Wort begegnet auch bei Menander de legatt., Eugippius und 
Jornandes; s. Graff VI, 497; Grimm Gesch. 695. Ist das Wort 
deutsch, so lässt es sich vielleicht mit jenem scam parvus vereinen, 
das ich im Namenbuche am Anfange von Ortsnamen nachgewiesen 
habe und das wol seinerseits mit goth. skaman schämen u. s. w. 
in naher Verbindung steht. Die Art des Begriffsüberganges freilich 
lässt sich noch nicht darlegen, doch Hesse sie sich denken. 

Scara Schar begegnet im Langobardischen erst sec. 9, z. B. 
a. 851 (Monum. Germ. XV, 221), doch wird das frühere Vorkommen 
des Wortes dargethan durch dä& abgeleitete scario, Anführer einer 
Schar; vgl. auch das zusammengesetzte hovescario. 

Scilpor^ Paul. diac. II, 28, Schildträger, erweicht aus scildporo. 

Sculdhais (sculdahis, sculdais) oft in den Gesetzen, auch bei 
Faul. diac. VI^ 24. Das bekannte ahd. sculdheizo, ags. scyldh&ta. 



V. Langobarden. 227 

Der laDgobardische sculdbais hat eine geringere Würde als der 
gastaldias. 

Silpmundia (seipmaudia). Nur Roth. 204 : Naili mulieri liceat 
in sui potestatem arbitrium, id est selpmundia vivere. Von diesem 
klaren Worte hat das Lübisehe Recht ein abgeleitetes silfmundich. 

Snaida. Roth. 240 nnd 241 : Si quis — signa nova, id est 
ticlatara aut snaida in silva alterius fecerit et snani non adproba- 
verit. Diese eingeschnittenen Zeichen in die Bäume scheinen nichts 
anderes als die Haus- nnd Hofmarken za sein. 

SogaS; d. h. fanes. Nur Roth. 291 : Si quls sogas fnraverit 
de bovis junctorios. Dieses Wort, über das sich bei Du Gange 
mehrfache Citate finden, soll noch in Verona gelyraucht werden. 
Es scheint langobardisch zu sein, obgleich sich seine eigentliche 
Verbindung mit dem deutschen Sprachschatze noch nicht findet. 

Sonorpair. Nur Roth. 351: Ipse dicitur souorpair, qui omnis 
alius yerres in grege battit et vincit. Der erste Theil ist das ags. 
sunor grex. Eine einfachere Gestaltung findet sich in der lexÄngl.: 
scrofas aex cum verre, quod dicunt sön, eine andere Ableitung in 
der lex Ripuar. : Sonesti id est duodecim equas cum admissario. 
Der zweite Theil ist das bekannte ahd. ber, ags. bär verres. Die 
von Orimm Gesch. 695 erwähnte Variante sonorpaiz findet sich jetzt 
in der kritischen Ausgabe nicht. Die Anmerkung Monum. Germ. 
XV,80 bietet hienach nichts Neues. 

Stantaria? Nur Roth. 287 :Si quis de sepe stantaria n. s.w. 
Es scheint ein Zaun von Ständern zu sein, die durch Flechtwerk 
verbunden sind; dann kann das Wort füglich deutsch sein. Bei 
Du Gange wird wol mit Unrecht die Lesart stangaria vorgezogen, 
übrigens aber ausser dieser einen Stelle keine andere angeführt 

Stolesaz begegnet nur Roth. 150. Dazu gl. Cav. id est qui 
ordinat conventum. Das chron. Salem, erklärt: qui ante obtutus 
principis et regis milites hinc inde sedendo perordinat. Das Wort 
bedarf weiter keiner Erklärung; eine Stuhlsetzerin giebt es noch 
in den Kirchen von Danzig. 

Thingare und thinX; davon auch einmal thingatio, sind öfters 
gebrauchte Wörter^ die etwa pacisci und pactum bedeuten. Thin- 
gare heisst etwas geschäftlich abmachen , thingare alicui jemand 
etwas durch geschäftliche Abmachung übertragen, thiux die Ab- 
machung, daher auch öfters die Schenkung. Unser bedingen steht 
dem thingare ziemlich nahe; die Hausfrauen bedingen etwas beim 
Einkauf auf dem Markte. 

Threno (treno). Nur Roth. 384: subtns cubitum, quod est 
treno ; dazu gl. Vatic. : erino (so) subtus cubitum. Nirgend erscheint 

16* 



228 V. Langobarden. 

dies Wort, zu dem man das obige murioth vergleiche, sonst weiter; 
auch bei Du Gange findet sich kein Beispiel. Grimm Gesch. 697 
erinnert an das lit. trainys der Hinterarm am Wagen (der Arm an 
der Hinteraxe) ; ich möchte auf diese Verbindung nicht so viel geben. 
Altn. thrennr triplex würde eher auf die drei Knochen des ganzen 
Arms als auf die beiden des Unterarms passen ; gern möchte man 
treno (mit Anlaut wie troctingi) zum Tragen (oder Ziehen) stellen, 
für das der Unterarm das eigentliche Werkzeug ist. Dunkel und 
dadurch äusserst anziehend bleiben treno und murioth noch immer. 

Threus. Nur Roth. 157: De eo qui de filio naturale gene- 
ratus fuerit, quod est threus. Dazu Papias: treus libertus. GL vet.: 
threus id est tertins. Gl. Ca?. : threus homines meciani, qui non 
sunt nobiles. Gl. Vatic: threus disparilis seu ignobiliter natus, qui 
etiam dicitnr notus, ammissarius naturalis. Auch bei Du Gange 
findet sich keine weitere Aufklärung. Sind die beiden letzten 
Laute nicht bloss lateinische Endung^ so kann man an goth. thriutan 
denken, das auslautende n wäre weiter nicht auffällig; altn. thrjötr 
heisst vir contumax, qui officio suo deest, homo nequam. Dunkel- 
heit waltet auch hier. 

Treuua fides, foedus, pactum, noch nicht bei Rotharis, wol 
aber bei Lindprand; man sagt treuuas ponere, rumpere, tollere; 
allgemein verbreitetes und bekanntes Wort. 

Troctingi. Nur Aistulf 15: Dum quidam hominis ad susci- 
piendum sponsam cujusdam sponsi cum paranimfa et troctingis 
ambularent. Es sind also die Brautführer, und das Wort gehört zu 
ahd. truhtin, ags. dryhten. Merkwürdig ist die Glosse Troctingin 
id est arsenicum; der von Griechen umgebene Langobarde wollte 
sagen, es sei das Masculinum zu paranympha. 

Tubrugi bei Paul. diac. IV,2d super quas (hosas) equitantes 
tubrugos birreos mittebant. Dies Wort, das auch sonst mlat. als 
tubrucus, tubracus vorkommt, ist von Grimm Gesch. 695 wahr- 
scheinlich richtig aus ahd. diohpruoh, ags. theohbröc lumbare 
erklärt worden. 

Wadia im Sinne von pignus conventionale öfters, zuweilen 
verbunden, per wadia et fideijussorem. Goth. vadi u. s. w. 

Walopauz (Varr. Qualapaus, walpauz u. s. w.). Nur Roth. 
31 : Si quis homini libero violentia injuste fecerit, id est walopaus, 
octugenta solidos ei conponat. Walopaus est qui se furtim vesti- 
mentum alium indnerit aut se caput latrocinandi animo ant faciem 
transfiguraverit. Was heisst also walopauz, Gewaltthätigkeit oder 
Vermummnng? Im letzten Theile liegt doch wol, wie bereits 
erkannt ist, unstreitig ahd. bauzan tnndere, das deutet auf den 



y. Langobarden. 229 

Sinn von Gewaltthat. Aach der erste Theil, wol zu wal strages, 
caedes spricht dafür, walopauz ist ein kämpfendes Zusammenstossen, 
das eben nnr in den Krieg gehört, im Frieden Verbrechen ist. Und 
nun erkläre ich den zweiten Theil des Gesetzesso, dass auch bei 
denjenigen, die sich bloss zum Zwecke solcher räuberischen Gewalt- 
that das Haupt entstellt oder vermummt haben, dieselbe Strafe 
eintreten soll. Hiesse das Wort dagegen Vermummung, was ich 
uicht glaube, so müsste man wol im ersten Theile zunächst an walh- 
peregriuus denken. 

Waregang (waregango etc.). Nur Roth. 367: Omnes ware- 
gang, qui de exteras fines in regni nostri finibus advenerint. Bei Du 
Gange begegnen die Formen uarganus, warengangi, garagangi. Auch 
hier liegt wieder zunächst ein ags. Wort, vergenga, värgenga advena* 

Wegworin. Roth. 26: De wegworin id est orbitaria. Si quis 
inalieri liberae aut puellae in via se anteposuerit ant aliqua injuria 
intolcrit, noningcntos solidos conponat. Roth. 373: Si servus regis 
hoberus aut weevorin seu marahuorf aut qualibit alia culpa minorem 
lecerit — . Zu ahd. weg via und werran corrumpere; orbitari s. oben. 

Wergeid (wirgild, wirigild), das bekannte Wergeid. Als das 
goth. vair vir nicht mehr verstanden wurde, trat Volksetymologie 
ein und wir haben in den jüngeren Handschriften die Formen 
widrigild, guidrigild, worüber Meyer in der Germania XIX,ia3 aus- 
führlicher handelt. Dieselbe Volksetymologie ist auch ins ripua- 
rische und andere fränkische Gesetze eingedrungen, vielleicht also 
erst mit den Franken nach Italien gekommen. 

Vurdibora (wirdebora, jüngere wiederum volksetymologische 
Form widerbora). Roth. 222: Si quis ancillam suam propriam 
matrimonio voluerit sibi ad nxorem — , debeat eam libera thingare, 
sie libera, quod est vurdibora. Ganz ähnlich Lindpr. 106. Das 
Wort bedeutet also ebenbürtig, zu ags. vyrö, vyröe dignus, hono- 
rabilis n. 8. w. Vgl. ags. thegenboren, ceorlboren. 

Wifare. Liudpr. 134: Wifamus et expellimus enm de ipsum 
locum per virtutem ioras. Liudpr. 148 : Si quis ex sua auctoritate 
terra aliena sine puplico wifaverit, dicendo, quod sua debeat esse. 
•Wifa (jedenfalls goth. vipja Kranz, Krone) ist auch sonst das Zeichen 
des Besitzes^ z. B. lex Bajuv., gniffare bedeutet auch in späteren 
langobardischen Gesetzen das Zeichen des Besitzes anbringen; 
vgl. Du Gange. 

Zava (wol zäva). Nur Ratchis 10: Per singulas civitates mali 
hominis zavas et adanationes contra judicem suum agendum facie- 
bant. Sollte das nicht das goth. Fem. teva (Ntr. tevi) Ordnung, 
Abtheiiung, Schar von funfzigeu sein? 



230 ^* Langobarden. 

Weiter ist ein Blick zunächst auf die langobardischen Personen, 
namen zu werfen, doch müssen wir uns wieder bescheiden aas 
schon angeführten Gründen keine genaue Grenze zwischen ein- 
heimischen und fremden ziehn zu können. Unter das Jahr 800 
dürfen wir vollends nicht herabgehn ; das wäre nur in einer Mono- 
graphie möglich, die mit dem Räume zu weiteren Auseinander- 
setzungen nicht zu sparen braucht. Wir geben hier wieder ein 
Verzeichniss zuerst von solchen Namen, die entweder in ihrer 
Totalität anderweit bekannt sind oder deren einzelne Theile wir 
wenigstens aus andern deutschen Mundarten schon kennen: 

Acipert, Agiprand, Agilmund, Agilulf oder Ago, Aio, Ahistnli, 
Alachis (sec. 6. = Algis sec. 8?), Älaman, Alamund, Albisinda, 
Alboin, Aldo^ Amalong (Paul, diac, wol ein Gothe), Ansa, Ansprand, 
Appa, Argaitus, Amefrit, Adelperga, Adalulf, Otto (sec. 8 lange- 
bardisch?), Antpert, Auf usus, Autharis, Audoin. 

Peredeo, Berthari (Pertari), Berto, Billo, Baodolin (langobar- 
disch?), Prandulus. 

Gunipert (Var. Gunincpert). 

Evin, Ibor. 

Fache, Faro, Faruald, Ferdulf. 

Gaidoald, Gaidulf, Gaila, Geldehoo (vgl. den Burgunder Gundioc), 
Garibald (sec. 7, wol nach dem früheren Baiemfursten genannt), 
Gisa, Gisulf, Giselbert^ Godipert, Godehoc, Godescalc, Grasulf, 
Grauso, Grimoald, Gumpert, Gundeberga. 

Aripert, Aricfais, Arioald, Ariulf, Atto (sec. 7, Ado sec 8), 
Helmichis, Hildeprand, Hilderich, Hilzo^ Ramning, Rhodanus, Rotba- 
rit (-s), Rodelinda, Rodoald, Romilda, Romuald. 

Leupichis, Liudepert, Liutperga, Liutprand. 

Mammo, Mimulf, Mnnichis. 

Nanding, Nozo. 

Ratperga, Rattruda, Ratchis, Ratchait, Ragilo, Rachipert, Ragin- 
pert^ Ranigunda. 

Scauniperga, Sigiprand, Siguald, Sesuald. 

Taso, Tasia, Tato, Theoderada (langobardisch?), Transamund 
(Thrasamund), Tunno. 

Unulf. 

Wacho {Ovdxrjg), Walchari, Waldipert, Waltari, Walderada, 
Wamefrid, Vectari, Winigis, Ulfari. 

Zotto. 

Sehn wir von alle diesen Namen ab, obwol über einige von 
ihnen noch allerlei zu sagen wäre, so bleibt doch noch immer eine 
Zahl von etwa zwanzig langobardischen Personennamen übrig, die 



V. Langobarden. 231 

sonst ganz unbekannt sind und deshalb Schwierigkeiten bieten, 
die wir zum Theil noch durchaus nicht zu lösen wissen. Es sind 
das folgende: 

Aurona, fem. des 8. Jhdts.; gehört entweder zu dem Stamme 
AUR, für welchen ich Nbch. I, 183 eine ziemliche Anzahl deut- 
scher Beispiele beigebracht habe, und hat dann bloss eine roma- 
nische Endung angenommen, oder der Name ist ganz als undeutsch 
anzusehn; recht vereinzelt ist er jedenfalls. 

Pemmo/ jedenfalls eine sonst kaum begegnende Koseform bei 
Paul, diac, die aus mehr als einer Quelle (sogar z. B. aus Beriman, 
Berimod u. s. w.) entsprungen sein kann; mit dem bairischen Pammo 
des 9. Jhdts. hat sie wol nichts zu thun; doch siehe Seite 237. 

Caco sec. 7, steht mit einem 735 begegnenden fränkischen 
Cachihard bis jetzt im deutschen Sprachschatze ganz vereinzelt da. 
Die Lautverhältnisse beider Mundarten gestatten das Ausgehn von 
einem urdeut.schen Stamme GAG; einen Philegagus bei Procop 
könnte man für dessen Vorkommen als zweiter Theil anführen. 
Zunächst denkt man an eine Nebenform der Wurzel GANG, die ja 
auch in den Namen gebräuchlich ist; auf solcher Nebenform scheint 
auch die Praeposition gagan contra zu beruhn. 

Claffo und Clef, jener der Name des sechsten, dieser des zwölften 
Langobardenkönigs, müssen sprachlich identisch sein. Altn. klappa, 
ahd. claphon, ags. clappan mit der Bedeutung des Schiagens scheinen 
dem Worte zu Grunde zu liegen; sollte das Schlagen schon bei den 
Langobarden wie bei uns im Sinne des Siegens gefasst worden sein? 

Frocho, eine sonst gar nicht begegnende einfachere Form zu 
dem ahd. fruohhan austerus, altn. froekinn strenuus, ags frecen 
austerus, asper, das den bekannten Namen Fruochanger, Fruohan- 
sinda und Frochonolf zu Grunde liegt. 

Gambara, jene fabelhafte Grossmntter des ersten Langobarden- 
königs, mnss das ahd. gambar strenuus enthalten, das sonst in 
Personeonamen nicht vorkommt, eher in Sigambri oder Gambrivii. 

Hersemar, bei Paul. diac. VI, 51, steht ganz vereinzelt; viel- 
leicht nur eine verderbte Lesung statt Horsemar, das sich dann 
zu Horsa, Horsemuat, Horserat und üorswine fügen würde. 

Lamisio (Lamissio), der zweite Langobardenkönig, soll bekannt- 
lich von der lama piscina den Namen haben, aus der er gezogen 
wurde. Eher sieht es aus, als läge dem Namen ein sonst ver- 
schollenes Neutrum ^lamis zu Grunde, das durch Suffix -jan er- 
weitert ist. 

Lethu oder Leth, der dritte Langobardenkönig, in der ersten 
Hälfte des fünften Jahrhunderts, muss zu den Namen gehören, 



232 ^* Langobarden. 

welche das altn. leiör^ ahd. leid, ags. läö enthalten. Es fällt auf, 
dass das aij gegen welches die Langobarden sonst keine Abneigang 
gehabt haben, hier durch e vertreten wird; das mag auf einer 
besondern Mundart beruhen; übrigens schreibt das chron. Salemi- 
tanum (Monum. Germ. V,51l) wirklich Laitu. Der Sinn könnte 
etwa der von infestus sein. Könnten wir in jener Zeit Einfluss 
gothischer Lautverhältnisse annehmen, so böte sich das goth. unleds 
pauper dar, Lethu hiesse der Reiche. 

Massana, die Frau des Königs Clef bei Paulus 11^31, scheint 
nur eine falsche Lesart für Ansana zu sein^ das als Variante vor- 
kommt und weiter keine Schwierigkeit macht. 

Nuntio, ein bei Fredegar vorkommender Langobardenfährer 
aus sec. 6, scheint falsche Lesart oder gar kein langobardischer 
Name zu sein. 

Obthora. König Rotharis im Eingange seines Gesetzbuches 
zählt die bisherigen Könige seines Volkes auf, in deren Reihe er 
als der siebzehnte erscheint Da er von keinem seiner Vorgänger 
abstammt, liegt es ihm daran, sich auch mit einer stolzen Ahnen- 
reihe einzufuhren und erwähnt seine elf directen Vorfahren, so dass 
er stattlich als der zwölfte erscheint. Unter diesen zum Theil 
wunderbaren Namen, unter denen gegen das sonstige Verhältniss 
acht abgeleitete und nur drei zusammengesetzte sind, erscheint als 
der des ersten Stammvaters unser Obthora. So haben zwei Hand- 
schriften, eine dritte liest Ustbora, eine vierte Obbora; ganz un- 
brauchbar ist die Lesart Uuifthor in einer fünften und gar ut bet- 
fit bora in einer sechsten. 

Es muss hier ein Name von besonders hohem Klange vor- 
liegen; Obbora erinnert an altn. upborinn, z. B. in HyndluljoÖ: 
lata uppbornar aettir stirpes recensere, edere; Ustbora könnte den 
im Osten Geborenen ausdrücken; bora wäre wie in ahd. eliboro 
alienigena zu verstehn. Aus Obthora ist wol kaum ein passender 
Sinn herauszufinden. Am besten scheint es ein Upbora gradezn 
im Sinne von Stammvater anzunehmen. 

Subo bei Paul. diac. ist ganz unerklärt und vielleicht falsche 
Lesart. 

Thaloard, Langobardenführer bei Fredegar, lässt sich nur 
fassen als ungenaue Schreibung für Taloard und gehört dann zu 
den Namen des Stammes DAL. 

Theudelapius, Herzog von Spoleto bei Paul, diac, und der 
mit ihm höchst wahrscheinlich verwandte Wachilapus, der ein 
Jahrhundert später nach derselben Quelle dieselbe Würde bekleidete, 
stehn in Bezug auf den zweiten Theil ihres Namens im gesammten 



V. Langobarden. 233 

atschen Namenschatze vereinzelt da. £iu Laboald des achten 
d ein Labolt des neunten Jahrbanderts scheinen dasselbe noch 
bekannte Element zu enthalten. 

Weo (Var. Weho, Wecho', Weio) ist in dem schon oben er- 
ihnten Stammbaume des Kotharis der siebente Vorfahr desselben, 
^enkt man, dass bei Paulus und schon in der origo für Frija 
n goth. freis Frea steht, so kann ein Vtha zu goth. veihs sanctus 
cht langobardisch Weho, Weo sein. Der Zeit nach könnte die 
)bung des Namens sehr wol mit der Einführung des Ghristen- 
ims in diesem Geschlechte zusammenfallen und von ihr veranlasst sein. 

Weilo (Var. Wehilo, wechilo) ist der Sohn des Weo, also 
r sechste Vorfahr des Rotharis. Da liegt nichts näher als dass 
r ihn als das Deminutivum von jenem ansehn und darin ein 
•thisches Veihila erblicken. 

Zaban ist als langobardischer Name des sechsten Jahrhunderts 
3hrfach beglaubigt. Das kann doch nicht etwa altn. tafn victima, 
stia sein? 

Zangrulf bei Paul. diac. muss zu ahd. zangar mordax gehören, 
A sonst in Namen gleichfalls unerhört ist. 

Zuchilo endlich ist bei Paulus derselbe Bruder des Königs 
ito und Vater des Königs Wacho, welcher vor dem Edict des 
)tharis den Namen Winigis oder Unigis hat. Die Verbindung 
/ steht im Lango bardischen öfters für ^t; es könnte also hier 
Q Tugila vorliegen, das sich zu goth. tiuhan stellen würde. Be- 
iukt man nun, dass ags. geteöhan auch educare, teöhh fructus, 
oles, suboles heisst, so dürfte Zuchilo füglich ein dem Kinde 
^ebener Name sein, der etwa unserm weiter abgeleiteten Zögling 
itspräche. 

An diese merkwürdigen Personennamen schliessen wir nun 
chs noch merkwürdigere Geschlechternamen, die sämmtlich in 
m Genealogien der langobardischen Könige vorkommen. Wir 
hren sie in chronologischer Folge an. 

Gugingns (Var. Gungingus); ex genere G — heisst der erste 
Btngobardenkönig Agilmund. Grimm in seinem hohen Fluge hat 
esch. d. dtsch. Spr. an den göttlichen Speer Güngnir gedacht, 
elcher Sieg verlieh und Alle, über die er geworfen wurde, dem 
}de weihte. War er, so fragt Grimm weiter, von Wodan einmal 
^m Ahnherrn der Gunginge verliehen worden? Ich ziehe lieber 
e Lesart Gugingus vor, da sich ein deutlicher Stamm GUG sowol 
1 ersten als zweiten Bande des Namenbuches ergeben hat; ist 
)r Stamm mit langem Vocale anzusetzen^ so fügt sich auch dazu 



234 ^* Langobarden. 

das altn. Gygr, eiD RiesinDeDname, und gygr das Beil. Weiter auf 
den Grund können wir der Sache noch nicht kommen. 

Auf den zweiten König Lamisio folgen sieben Letfainger, zur 
Familie des Königs Lech gehörig; dann beisst es 

Audoin ex geuere Gausus. Das kann nur für Gauzus stehn 
wie etwa marpahis oder sculdahis ihr s für % haben. Gauzus aber 
bedeutet sicher einen von gothischer Abkunft, mit der bekannten 
Steigerung des Vocals, wie wir sie in den nordischen Gautar sehn; 
vgl. den Stamm GAUD in meinem Namenbuche. Danach sind also 
Audoin und sein Sohn Alboin keineswegs echte Langobarden, sondern 
aus gothischem Stamme, gcwissermassen schon dadurch zu Wieder- 
erweckeru des ostgothisehen Reiches in Italien berufen. 

Nach Alboins Tode kommt zur Regierung Clef ex genere 
Beieos (Var. Belleos, Ueleos, Belehos, Peleus). Das ist wiederum 
ein echter Langobarde; dafür spricht erstens, dass er aus der 
Hauptstadt Pavia stammte, zweitens aber sein Name, welcher mit dem 
des älteren Königs Claffo identisch ist. Aber aus Beieos ist nichts 
zu machen. Die Handschriften sind sehr verderbt in diesen Namen; 
sollte es möglich sein statt Beieos Geldehoc zu lesen, so wäre 
Clef ein Nachkomme jenes dritten Königs Leth und das wäre höchst 
passend. 

Nach Clef besteigt sein Sohn Authari den Thron; dann folgt 
Agilulf Turingus ex genere Anawas, also wiederum einer, der aus 
jenen verschiedenen Völkertheilen stammt, die sieh den Langobarden 
angeschlossen haben. Aber was ist Anawas? die Varianten lauten 
Anawam, Anawand, Anauai, Anaus. Ich muss gestehn, dass diese 
Formen mir gänzlich unerklärlich sind. 

Auf Agilulfs Nachfolger Adalwald wird Ariold ex genere Canpns 
König; die Varianten sind hier Gaupus, Caupus, Campus; auch 
hier sind zwar Anklänge im Altn. und Ags. vorhanden, aber eine 
irgend wahrscheinliche Vermuthung will sich noch nicht darbieten. 

Ariolds Nachfolger ist dann der bekannte Rotharis ex genere 
Harodus (Arodus). Darin kann nicht gut etwas anderes liegen 
als der alte Volksname der Harudes und das wird um so wahr- 
scheinlicher, als dieses Volk von Ptolemaeus auf der cimbrischen 
Halbinsel, von dem monnmentum Ancyranum neben den Cimbern 
genannt wird. Das weist recht auf die niederelbische alte Heiroath 
der Langobarden hin. 

Die Betrachtung dieser Namen von Geschlechtern führt uns 
hinüber zu dem der Langobarden selbst. Ich gehe davon aus, 
dass sie zunächst nur einfach Barden (wol Bardas) geheissen haben. 
Der Bardangavi und die Stadt Bardanwich haben, so oft sie auch 



V. Langobarden. 2S5 

seit dem aehten Jahrhundert vorkommen, nirgends eine Spur von 
dem ersten Theile des Namen; das Volk selbst wird öfters, z. B. 
einmal bei Paul, diac.^ dann bei Ad. Brem. und sonst mit Bardi 
bezeichnet; im chron. Salem, heissen sie einmal Vardigenae. Anf 
viel ältere Zeit führt die Form HeaÖobeardnas, die im Beovulf 
öfters begegnet; man kann im ersten Theile ags. heaöo pugna sehn, 
80 dass also die Bardi bellicosissimi des Uelmold herauskämen, 
allenfalls auch ags. heaöu Hochfluth, Meer, mit welchem Worte 
auch die Landschaft Haduloha (Hadeln) südlich von der Elb- 
mündung, also in der Nachbarschaft der alten Langobardensitze, 
zusammenhangen mag. üeissen sie aber zunächst bloss Barden, 
so ist an die Deutung durch Langbärte nicht mehr zu denken, wie 
auch Grimm in der Gesch. d. dtsch. Spr. 689 dagegen seine Be- 
denken äussert. Solche eiLfache unabgeleitete Namen brauchen 
kaum weiter aus dem Deutschen gedeutet zu werden; sie können 
schon aus der asiatischen Urheimath mitgebracht worden sein. Es 
mag an die Farthava erinnert werden, die auf den Inschriften des 
Darius vorkomn^n, das älteste Zeugniss der später so berühmten 
Parther; steht die anlautende Tennis etwa für Aspirata (wie das 
griechische Lautgesetz solche Umwandlung verlangt), so stimmen 
Parthava und Bardi genau. Auf die ähnliche Einstimmung zwischen 
Frisii und Persae habe ich schon an anderem Orte hingewiesen. 
Grimm bringt eben so die Sachsrn mit den Sacae zusammen, auch 
Kimmerier und Kimbern werden an einander gehalten. Da mag 
auch die hier aufgestellte Gleichung der Namen (durchaus nicht 
der Völker) sich blicken lassen. 

Was ist nun aber der erste Theil der Langobardi? An den 
alten Bardengau stösst um den Zusammenfluss von Leine und Aller 
der Lainga^ wahrscheinlich aus Laginga entstanden, doch nicht 
sicher; an diesen möchte Hammerstein der Bardengau S. 73 den 
ersten Theil der Langobarden knüpfen; es wären vielleicht Laginga- 
barden. Oder soll man den sinus conterminus Cimbris herbeiziehn^ 
den Plinius Lagnus nennt? Dieser Busen könnte eben so gut die 
Elbmünduug sein wie man ihn im Kattegat oder im Busen zwischen 
Schleswig und Rügen gesucht hat. 

Spuren des einfachen Namens Barden in andern Ortsnamen 
könnten vorliegen in Bardonhusen (sec. 9) jetzt wol Barnsen im 
Lüneburgischen; eben so in Partunlep, wahrscheinlich Parleip, nord- 
westlich voii Magdeburg. Andere von mir im Namenbuche ange- 
führte Oerter mit Bardin-, Bardon- können eher auf einen Personen- 
namen Bardo und dadurch nur mittelbar auf das Volk zurückführen. 
Zu dem zusammengesetzten Namen Langobardi gehört dagegen vor 



236 V. Langobarden. 

allem die Langobardia (Lombardei), auch das Lankbarthalanti 
auf einer Runen Inschrift. Ferner Lancpartheim, (sec. 8), jetzt 
Lampertheim, nordwestlich von Strassburg, dann Langobardonheim, 
(sec. 9) bei Worms, endlich auch wol Laraperdem (sec. 11), jetzt 
Lampeden, Larapaden im Kreise Trier. Die Lage der drei Oerter 
scheint darauf hinzudeuten, als hätten Theile der Langobarden den 
Versuch gemacht, den Burgundern nach Gallien zu folgen. 

Es fragt sich ferner, ob nicht auch Ortsnamen aufzuspüren sind, 
die auf langobardischer Namengebung beruhn, ohne grade an den 
Volksnamen selbst anzuknüpfen. Von solchen Ortsnamen weiss ich 
nun in Deutschland oder Ungarn keine Spur; dazu hat das Volk 
sich überall zu kurz aufgebalten; zum Theil auch, wie wir oben aus 
den Quellen sahen, gradezu im offenen Felde gewohnt. Anders 
dagegen steht es in Italien, namentlich in Oberitalien, wo die Nieder- 
lassung eine dauerndere und geordnetere war. Wir können das 
wenigstens aus einer für suevisches und somit für langobardisches 
Wesen besonders charakteristischen Ortsnamenendung schliessen, 
die schon früher in dieser Beziehung von mir erwähnt wurde; ich 
meine die Endung -ingen. Giovanni Flechia hat zu Turin 1871 eine 
Schrift erscheinen lassen: di alcune forme de' nomi locali delF Italia 
superiore. Hierin werden von Seite 94—101 auch die in Oberitalien 
nicht seltenen, weiter nach Süden verschwindenden Namen auf 
-engo von ihm behandelt. Er sucht dieselben an der Hand meines 
Namenbuches als deutsch, speciell als langobardisch darzutbun and 
das ist ihm ohne Zweifel gelungen, indem er die deutschen Per- 
sonennamen nachweist, die in den meisten Fällen den Kern dieser 
Namen bilden. Ich kann hier nicht in die Einzelnheiten von den 
Untersuchungen Flechia's eingehn, noch auch abweichende Ansich- 
ten zu begründen versuchen, sondern beschränke mich darauf ein 
Verzeichniss der in jener höchst verdienstlichen Arbeit besprochenen 
Formen darzubieten, aus dem schon ihr deutsches Wesen und das 
hohe Interesse hervorgeht, das der Gegenstand bietet: 

AsnengO; Barbengo, Bardenghi, Barengo, Berardenga, Berlenga 
(Berlingo), Bolengo^ Brunenghi, Brusneugo, Busonengo, Ghislarengo, 
Giflenga, Giordanengo, Gonengo, Gossolengo, Gottolengo, Guilengo, 
Landarenca, Luvinengo, Marengo, Mariingo (Merlengo), Martinengo, 
Marzalengo (Marzelengo), Modrengo, Morengo, Morgengo, Murisengo, 
Hussolengo, Oddalengo, Offanengo, Orfeugo, Ottolengo, Pertengo, 
Pisnengo, Pozzolengo, Pusterlengo, Quittengo, Rodengo, Rosengo, 
Botingo, Scurzolengo, Toringo (Turingo), Valdengo. 

Zugleich weist Flechia darauf hin, dass dasselbe Suffix (in der 
Form -ingbi| -enghi) in vielen oberitalischen Familiennamen und 



V. Langobarden. 237 

idlich auch in manchen Appellativen der italienischen Dialekte 
tbalten ist. Genag wir haben hier einen Stoff, der noch einer 
siter eingehenden und specielleren Behandlang harrt, um unsere 
snntniss langobardischer Sprache noch auf einen weit höheren 
3 den gegenwärtigen Standpunkt zu erheben, besonders wenn es 
ilingt, auch noch andere Wortbildungsciassen diesem Zwecke dienst- 
^r zu machen. 

So viel von dem Wortschatz, der sich bis jetzt für das Lango- 
irdische zusammenbringen lässt. Nun einige Bemerkungen über 
6 Ereignisse im lautlichen Gebiete, durch welche sich diese 
)rache von dem Zustande des lirdeutschen entfernt hat. 

In dem Bereiche der Vocale zunächst zeigt das Langobardische 
rhältnissmässig eine grosse Reinheit und Ursprünglichkeit, wie 
auch nicht anders denkbar ist auf dem Boden, auf welchem 
3h eben das Italienische bildete. 

Das a erleidet kaum Einbusse. Nach o weicht es aus in den 
asculinen Namen der schwachen Declination, wo das alte -a im 
3gensatze zum Gothischen durchaus geschwunden ist. Von Um- 
at zeigen sich nur unsichere Spuren; man erwäge zunächst jenes 
»en erwähnte andegawere und arigawere, wenn sie wirklich zu 
>th. vasjan gehören; femer Ferdulf; dann Reginpert (sec, 8, wo- 
(gen sec. 7 uoch Raginpert überliefert ist). Auch die auf einer 
ssimilation des j beruhenden Namenformen mit consonantischer 
ßmination sind hier zu erwähnen: um 500 in Pannonien lebt Glaffo, 
n 600 in Italien Clef. Auch Pemmo scheint so zu beurtheilen; 
I 9. Jahrhundert dagegen zeigt sich noch in Baiem ein Pammo. 

Das alte i (ich halte hier noch an Grimmas Theorie fest) hält 
ch im Ganzen fest an dem ursprünglichen Standpunkte, auch in 
allen, wo es sonst entartet, wie in Ibor, idertzon, filda, launigild. 
och wird es auch hier zuweilen zu e wie in Helmichis, Sesuald, 
Id, besonders natürlich vor r wie in Peredeo und den Namen 
it Pert-, -pert. Vor h ist es zu e geworden in Viht- hari, woraus 
stlich Vehtari, dann Vectari wurde. 

Aehnlich das f/, das zu o wird in hosa bracca und sonor grex, 
inn auch vor r wie in widribora, scilpor und morgingab; dem 
ectari ganz entsprechend vor h in Droctulfus. 

An der gothischen Erhöhung des ä : e nimmt das Langobardische 
irchaus nicht Theil; auch das ö bleibt in seiner Reinheit unan- 
3tastet Bei dem i ist dagegen eine Entartung zu e zu bemerken, 
I Frea, frea, fulcfrg aus Fr!a, u. s. w.; dahin gehört auch wol 
rSo und Weilo. Den Diphthongen ist die Erscheinung gemeinsam, 
188 sie zwar im Ganzen in ihrer Reinheit erhalten bleiben, aber 



238 ^* Langobarden. 

eine gewisse Neigung zeigen durch Zwischendringen eines h distra- 
hirt zu werden. Das findet sich z. B. bei dem ai in einzelnen 
Formen wie sculdahis, marpahis, Ahistnif, sonorpahir, lahip, doch 
findet sich daneben auch reines ai. Das au zeigt von dieser Nei- 
gung keine Beispiele, dagegen das iu (eu) in Tehudpert, wogegen 
Liutprand und Agiliup die reine Schreibung behalten. Sogar das 
zweisylbige nur zusammengerückte ui wird so behandelt in einzelnen 
Handschriften wie bei den Namen Albuhin und Landuhin. Ja das 
ä in ämund wird aufgelöst geschrieben als aamund und dann distra- 
hirt in ahamund. Diese ganze dem Langobardischen eigenthümliche 
Distraction geht hervor aus der italiänischen Aussprache der Diph- 
thonge, wie wir sie noch heute beobachten. 

Wie schon im Urdeutschen (s. Bd. 1, 337) so verengt sich auch 
im Langobardischen^ doch nur in ganz vereinzelten Fällen, das ai 
zu ^; so fasse ich die Namen Lethu und £vin. Das au bleibt 
merkwürdig rein (launegild, raub, walapauz, Autharis, Oausus, 
Orauso, Mauringa, Scauniperga), so dass Baodolin und Otto (sec. 8) 
wol kaum dem echt Langobardischen zuzuschreiben sind. Das iu 
bleibt echt langobardisch unberührt, nur in Theudelinda und treuua 
tritt eu ein, in Formen wie Peredeo und Theoderada die sich fast 
über das ganze deutsche Gebiet wol durch Anlehnung an deus^ 
^eog verbreitende fränkische Gestalt. 

Das im Gothischen z. B. in her, fera, mSs muthmasslich aus 
i 4* A erwachsene e hat auch das Langobardische, nämlich iu meta 
= ahd. miata. 

£ine Apokope von auslautendem -o müssen wir annehmen in 
marpahis, scnldahis, stolesaz und scilpor. 

Das für i eintretende p in solchen Formen wie Aystulfus, fari- 
gaydus, faderfyo^ gayerethinx ist nur graphisch, nicht sprachlich. 

Wir kommen nun zu den Consonauten, bei welchen das 
Langobardische zerstörenderen Einflüssen ausgesetzt gewesen ist 
als bei den Vocalen. 

Gehn wir zuerst von den Medien aus, so gelangten die Lango- 
barden mit einer sicher reinen und bestimmten Aussprache derselben 
anter eine romanische Bevölkerung, deren Aussprache im Begriffe 
war verweichlicht und verwaschen zu werden. Die deutsche Media 
war also eine andere als die romanische; es bildete sich dadurch 
eine gewisse Unsicherheit aus und diese Unsicherheit äussert sich 
in einer Neigung (keineswegs in einem Gesetze) die deutsche Media 
mit einem kräftigeren Laute zu bezeichnen. So tritt zunächst statt 
des ff ein c ein in den Formen castaldius, casindios, Caco, mor- 
gincap, auch Acipert, während in den weit überwiegenden FäUeii 



V. Langobarden. 239 

das g unangetastet bleibt. Ich kann hierin nichts anderes sehn 
als die Auffassung der deutschen Aussprache von Seiten der roma- 
nischen Schreiber, derselben Schreiber, die für romanische Tenuis 
zuweilen Media schrieben wie rustigani, gunsobrini u. dgl. 

Dasselbe Schwanken äussert .sich auf dentalem Gebiete. Während 
es ganz ordnungsgemäss faida, gaida, idertzon und bei Gonsonanten- 
verbindungen aldius, gastaldius, ariscild, andegawere n. s. w. lautet, 
wird besonders gern im Anlaute Tenuis geschrieben wie in Tato, 
Taso, Tasia, Tunno, troctingi (noch unorganischer Thalord), aber 
auch im Inlaute wie in Argaitus und im Auslaute wie in actogilt, 
Uunegilt, widrigilt. Dieselben Federn schreiben auch lateinisch qua- 
tragenta für quadraginta, chot für quod und dergleichen mehr. 

Am meisten wird das Zeichen inr den härteren Laut gewählt 
bei den Labialen. Wir haben hier zwar noch oft das b wie in 
Berto^ Winiberta, vurdibora, rairaub, aber wol häufiger das p. Dahin 
gehören erstlich die zahlreichen Nameuformeu auf -pald, -perga, 
-pert, -prand, dann Peredeo, sonorpair, marpahis, scilpor, pulslahi, 
plodraub, morgincap, Agiliup. Den Grund davon sehn wir wieder 
in der Weise, wie dieselben Schreiber das lateinische b behandeln; 
sie setzen dafür mit Vorliebe ein r, z. B. liuellario, cauallus, cauale- 
gare, gouernare, prouatum, culpauelis, jouemus, sogar Languuardi 
und in entgegengesetzter Weise wiederum Formen wie deo jubante 
mit Gottes Hülfe. Das deutsche p bedeutet hier also sicher, dass 
recht deutlich ein nicht in die Spirans verschwimmender Laut 
wiedergegeben werden soll. 

Sehr wahrscheinliches Besultat ist also, dass wir es hier durch- 
aus nicht mit einem sprachlichen, sondern nur mit einem orthogra- 
phischen Vorgange zu thun haben; eine wirkliche Verschiebung 
der Media zur Tenuis möchte ich nur bei anlautendem Dental 
annehmen. 

Anders steht es dagegen mit der urdentschen Tenuis; diese 
hat wirklich regelmässig die hochdeutsche Verschiebung zur Spirans, 
in der dentalen Sphaere natürlich zu % erfahren. Eine Sprachge- 
schichte muss danach fragen, wann und wo dieses Ereigniss ein- 
getreten ist. Dass erst in Italien der Wandel vor sich gegangen 
sei, dafür ist kein erdenklicher Grund aufzufinden; es wäre in der 
That ein Wunder, dass das Ereigniss sich hier genau so zugetragen 
hätte wie bei den von den Langobarden ganz getrennten Baiern 
und Schwaben. Es bleibt also nichts anderes übrig als an Panno- 
nien und an die Zeit um das Jahr 500 zu denken; der Wandel 
muss damals die südlich von der Donau angesiedelten deutschen 
Stämme gemeinsam ergriffen haben, obgleich wir die Gründe (ich 



240 ^' Langobarden. 

meine die bistorischeD, nicht die physiologischen) noch nicht mit 
Klarheit zu übersehn vermögen. Im Einzelnen steht es dagegen 
folgendermassen: Für die Gutturale sind Beispiele ganz selten, doch 
zeigt der NameFrocho and die neben fornaecar auftretende Schreibung 
•achar, dass die Verwandlung auch hier eingetreten ist. Für die 
Dentale begegnen als Beispiele (und zwar ganz ohne Varianten) 
Zaban, Zaugrulf, Zotto, Znchilo, zava^ idertzon, femer Nozo und 
Hilzo, letzteres schon der fünfte Vorfahr des Königs Rotharis; wir 
werden weiter sehn, dass dieses i im Auslaute der Verwandlung 
in 8 unterliegt Bei den Labialen haben wir gafand, wifare^ camfio, 
marahworfin, grapworfin, anagrif; femer schon um 500 den Königs- 
namen Glaffo wie 600 Clef. Dass einmal ganz unorganisch p für 
/* steht in pollenus Füllen; beruht nur auf Anlehnung an lat. pullus 
und gr. näXog, 

Wiederum anders steht es mit den alten Spirant.en. Das tA 
haben Langobarden , sei es als momentanen oder als Dauerlaut, 
sicher mit sich nach Italien gebracht und hier auch noch gebraucht; 
so finden wir es anlautend noch in thinx, thingare, angargathungi, 
inlautend in Rotharit und Lethu, auslautend in morth. Unter einer 
romanischen Bevölkerung aber musste dieser Laut untergehn und 
dass das schon im siebenten Jahrhundert einzutreten begann» zeigen 
die Formen aidi, gawarfida, ferqnido, plodranb; endlich die Namen 
mit Adal, aber kein Beispiel im Anlaute. 

Einen Uebergang von f:b nach hochdeutscher Art finden wir 
in den Namen Alboin und Albisinda; dieser Wechsel muss um 
Alboins Willen schon wie die Verschiebung von Tennis zu Spirans 
in Pannonien eingetreten sein. 

In solcher Weise beschränkt sich also die Ansicht, dass der 
lango bardischen Sprache hochdeutsche Lautstufe gebühre; t:z, p:f, 
f : b, auch wol k : ch erfolgte vor der Wanderung nach Italien ; in 
letzterem Lande trat auch th : d während des siebenten Jahr- 
hunderts ein. 

Wie bei andern deutschen Mundarten, die mit romanischer 
Sprache in Berührung kamen, wurde anlautendes deutsches r zuffu 
verstärkt. Das geschah wahrscheinlich erst im achten Jahrhundert, 
wo uns die Formen guadia, guidrigild, gnidcrboran, Onaimar^ Guacco 
(für Wacho) begegnen; auch inlautend steht treuga neben treuua. 
Die ältesten Handschriften des Gesetzbuchs des Rotharis haben noch 
9, vgl. Meyer in dem oben angeführten Aufsatze S. 133. Lehrreich 
ist die Stelle des Paulus diac, wo er von den alten Winilen sagt: 
^Wodan, den sie mit Zufügung eines Buchstaben Gnodan nannten^. 
Die Wioilen haben nun gewiss jenen Buchstaben nicht zugefügt, 



V. Langobarden. 241 

wol aber die dem siebenten Jahrhundert angehörige origo Lango- 
bardorum in der dem Paulus vorliegenden Handschrift; die jetzt 
vorhandenen Handschriften dieser Schrift haben sogar Godan. Wir 
sehn alsO) dass selbst dem Paulus hier noch die Form Wodan die 
geläufigere war, die andere auffallend; eher hätte man das Umge- 
kehrte vermnthet. 

Dass einmal, in dem Namen Ulfari, anlautendes V auch abfallt| 
ist eine vielleicht ans griechischem Einflüsse erklärliche Einzelnheit. 

Ein zweites Leiden dagegen, welches den deutschen Mund- 
arten auf romanischem Gebiete begegnete, d. h. vielleicht weniger 
den Deutschen, als den Deutsches wiedergebenden Romanen, ist 
die grosse Unsicherheit im Gebrauche des anlautenden h. Italienische 
Schreiber, die haccepi, hactum, hemptorem, hoctavo, hofferire und 
vieles Aehnliche schon im achten Jahrhundert schreiben, haben 
auch kein Bedenken ein deutsches haldius oder haamnnd zu setzen, 
eben so wie sie das // in der oben besprochenen Distraction der 
Diphthonge brauchen. Die Unsicherheit zeigt sich nach entgegen- 
gesetzter liielitung, im Fortlassen der organischen Spirans, noch 
häufiger; wir finden mehrere Naroenformen mit An-, ferner ari man- 
nus, arigawerc, sculdais und zahlreiche ähnliche Varianten zu noch 
erhaltenen echteren Formen. 

Für den Auslaut ist in solcher romanischen Umgebung das aus 
dem / entstandene $ gradezu unerträglich, daher seine Vertretung 
durch 8 in marpahis und sculdahis so wie in dem durch weitere 
lateinische Endung erweiterten Gausus. Bei dem Namen Rotharis 
liegt es anders; hier ist die echte deutsche Form jedenfalls Hrotharit 
und das lateinische nominative s verschlingt durch seinen Zutritt 
den Auslaut des deutschen Wortes. 

Grade der letztgenannte Name bietet uns auch das einzige 
Beispiel von Erweichung anlautender Consonaiitengruppen, indem 
hier das handschriftlich noch überlieferte Hr- in der Mehrzahl der 
Codices schon zu R- übergegangen ist. Wir werden denselben 
Vorgang während des achten Jahrhunderts in den Anlantsgruppen 
Hly Hn, Hv vermuthen dürfen, für welche keine Beispiele vorliegen. 

Das achte Jahrhundert ist auch für inlautende Gruppen das 
Zeitalter starker Zerstörung. Während das sechste und siebente 
uns noch die Formen Ansa, Ansprand, Transamund liefern, bietet 
das achte schon Aufusns und Thrasamund. Freilich ist grade der 
Uebergang von ns : s in ddh deutschen Sprachen deshalb besonders 
schwer chronologisch und dialektisch zu fixiren, da uns die Ver- 
tretung des n in den Handschriften durch einen Strich über dem 
Vocale oft entgeht. 
Föritewuam, Ce$ck. d. d. Sprach$tamme8, IL IG 



242 V. Langobarden. 

Wol um dieselbe Zeit (froher als im Althochdeatschen) wird 
auch sonst inlauteDden GoDSODantenverbiudungeD ihre Härte dturch 
Ausstossung genommen, vgl. soilpor aus sciltpor, Aufusus aus Aut- 
fnsuSy Rachis aus Ratchis, haistan aus haifstan. 

Urdeutsches ht ist auf romanischem Gebiete unerträglich; man 
schreibt, und spricht auch wol, et wie in actogild, troctingi, Yec- 
tari. Von Assimilationen hält sich das Langobardische in diesem 
und andern Fällen ganz frei. 

Aio aus Agio zeigt das einzige Beispiel von Ausstossung eines 
Gonsonantcn zwischen zwei Vocalen, grade bei dem Consonanten, 
der überhaupt dieser Ausstossung in den deutschen Sprachen am 
meisten unterliegt. 

Dasselbe g bedarf einer orthographischen Verwandlung, um 
vor dem Vocale / schon vor der gequetschten italienischen Aus- 
sprache gerettet zu werden. Daher die Schreibungen Alachis, 
Arechis, Helmichis, Hildechis, Ratchis u. s. w., auch Rachipert und 
wol Zuchilo; während es bei Fache und Wacho doch zweifelhaft 
ist, ob wir hier ch für g anzunehmen haben. Varianten wie z. B. 
launechild zeigen das Bedürfniss vor dem / noch deutlicher. 

Vocalisirung des v vor anderm Vocale zeigt sich in Orimoald und 
Alboin. 

Für dieWortbildung ist den dürftigen Rostender Sprache wenig 
zu entnehmen. Grapworfin und wecworin, vielleicht auch astalin, 
scheinen oblique Casus von Femininen zu sein, deren Nominative 
im Gothischen auf -ei ausgehn würden; es wäre erwünscht in einem 
sicheren Nominative zu sehn, ob das Langobardische hier den 
Nasal hat oder nicht. Für die Neutra auf -is (-isa) ist wol das 
oft wiederkehrende thinx ein Beispiel, für das unser Neuhochdeut- 
sches Dings (s. Grimm Wbch.) vielleicht noch eine Bestätigung 
bieten könnte. Auch Lamisio hat vielleicht ein solches Thema in 
sich, wenn es aus Lamisjan entsprungen ist Endlich die Form 
sonorpair könnte auf ein Thema *suni8 hindeuten; wir hätten dann 
ein Beispiel des üebergangs von s : r im Langobardischen^ and 
zwar das einzige. 

Für die Declination ist es bemerkenswerth|^ dass auch das 
Langobardische noch das Drängen zur schwachen Declination fühlt, 
welches wir schon im Urdeutschen (Bd. I, 480) und dann im 
Gothischen beobachteten. Vom siebenten Jahrhundert ab und bis 
weit über die Zeit der langobardischen Selbständigkeit hinaus 
finden wir oblique Casus mit dem Nasal in zahlreichen Bildungen, 
ich entnehme die folgenden Beispiele, denen sich an ihrer Stelle 
ganz entsprechende altfränkische zur Seite stellen werden, aas 



V. Langobarden. 243 

Blahme die gens LaDgcbardorom Heft II (Bonn 1874. 8) Seite 29: 
Von Rothari begegnen die Casus Rothareni; Rotharenem, Rotharene, 
eben so stehn neben einander Waltari Waltareni Waltarenem, 
Gnntari Guntarini, Autbari Autbareui Autharene^ Glaffo Glaffoni, 
Clepb Glephoni; Faebo Fachuni, Frocho Froehoni^ Grado Gradoni, 
Gando Gundoni, Hilzo Hilznni, Karlus Karloni, Mammo Mammoni, 
Nozo Nüzuni, Poto Potoni, Prando Prandoni, Toto Totoni, Tirio 
Tirioni, Wacho Wachoni, Weilo Weiloni, Weo Weoni, Wulfo Wul- 
foni. So auch von Appellativen barba (barbas) barbani barbauis 
barbanein barbanes, aldia aldiane. Dasselbe findet bei echt latei- 
nischen Wörtern statt wie Dominicus Dominiconi, Petrus Petrunis, 
scriva scrivane scrivanes, amita amitane amitanes. 

Die Conjugation, zu deren Kenntniss doch sogar das Bur- 
gundische einen kleinen Keim zeigte, geht für uns im Langobardi- 
schen ganz leer aus. Auch die Bedentungslehre bietet durch- 
aus nichts, höchstens die Wirkung der Volksetymologie in guidrigild 
und guidribora. Für die Syntax könnte eine feine aber sehr vor- 
gichtige Untersuchung des lateinischen Styls in den langobardischen 
Denkmälern einiges ergeben. Bluhme hat in der eben genannten 
kleinen Schrift dafür schon ganz verdienstliche Sammlungen be- 
gonnen. Wenn wir Redensarten finden wie debitnm facere Schul- 
den machen^ pugna vadat der Kampf gehe vor sich^ vadant per 
solidum sie gehn auf einen Solidus, teuere cum palatio, cum rege 
es mit dem Könige halten, justitiam in venire sein Recht finden, so sind 
das wol ohne Zweifel langobardiscbe Phrasen in römischem Kleide. 

Für den £influs8 fremder Sprachen entzieht sich alles, 
was vor der Einwanderung in Italien liegt, unserer Beobachtung^ 
obgleich man Einwirkung slavischer, vielleicht auch ganz unbekannter 
Sprachen auf das Langobardiscbe durchaus nicht ableugnen darf. 
Mit dem Eintritte nach Italien beginnt nun der Einfluss des Latei- 
nischen, dem wir bereits in der Geschichte des Volkes, dann auch 
in den Lautverhältnissen begegnet sind. Hier mag nur noch eine 
Bemerkung über die Personennamen hinzugefügt werden, die diesen 
Einfluss öfters mit historischer Schärfe zeigen, ähnlich wie die 
(erst seit sec. 1 2 ganz allgemein werdende) Form Longobardi statt 
Langobardi in ihrem stufenweisen Siege recht den Fortschritt des 
Romanischen zeigt. Bei den Personennamen bietet sich als Zeichen 
dieser Romanisirung zuerst die Thatsache, dass öfters der Sohn 
eines deutsch benannten Mannes schon einen romanischen Kamen 
hat -, so ist ja Paulus der Sohn des Warnefrid, bei Fumagalli finden 
wir einen Domenicus als Sohn des Ariovaldus a. 792, einen Paulus 
als filius Walpert und einen Benedictus als filius Orsoni a. öl4. 

16» 



244 ^* Langobarden. 

Besonders aber ist auf vier Namengrappen binzudeuteu, in denei==3 
man seit dem achten Jahrhundert sicher die lateinischen Wörtei 
bonus; lupus, magnus und ursns fühlte, während doch theils ähn- 
lich klingende deutsche Namenelemente darin liegen, theils wol 
auch wirklieh eine Uebersetzung aus gleichbedeutendem deutschen 
Worte stattgefunden hat. Da sind zuerst Namen wie Boneperga, 
Bonefrit, Bonipert, Boniprand, die erst mit dem Untergange des 
Langobardenreiches recht aufzukommen scheinen. Ich habe in 
meinem Namenbuche eine ganze Anzahl ähnlicher Formen auch 
ausserhalb des langobardisehen Reiches, namentlich aus Gallien 
nachgewiesen und glaube auch noch, dass es einen deutsehen 
Namenstamm BON gegeben hat, aber die Mehrzahl der Formen 
wird man nun wol als Ersatz deutscher Namen mit 6od-, Guot- 
ansehn müssen. Was sich an Lupus, Lupulus anzuschliessen scheint, 
ist wol theils wirklich lateinisch und übersetzt dann das deutsche 
Wulf-, theils aber auch deutsch und beruht auf einer Umdeutung 
der Namen mit Liub-. Wir haben ferner langobardisches Mag- 
nitruda, Magnifrid, Magniprand, Magnipert und zahlreiche andere 
Formen, die gewiss nur ein latinisirtes deutsches MAGAN enthal- 
ten, wol kaum ein deutsches Wort übersetzen, sicher wenigstens 
nieht Hroth-, wie Bluhme will. Die mit Urs- beginnenden können 
aus beiden angegebenen Quellen zusammengeflossen sein, aus einem 
übersetzten Bero-, Berin- und einem latinisirten Hors-. In dem 
Fttscari des chron. Casin. ist lateinisches fuscus wol gefühlt; ob 
es ursprünglich darin liegt, ist eine andere Frage. 

Eine Einwirkung der griechischen Eüstenbevölkerung auf das 
Langobardische hat sicher gleichfalls, wenn auch nur in beschränk- 
tem Masse stattgefunden. Bei dem Namen Ulfari schrieben wir 
die Aphaerese einem solchen Einflüsse zu; wenn dieglossae Cavenses 
ametanes (amita, Tante) durch thie erklären, so zeigen sie, dass 
ihnen das griechische Wort geläufiger ist als das lateinische. 

Hiemit schliesse ich die Betrachtung des Langobardisehen und 
überhaupt jener deutschen Sprachen, die im Bömerthume erstickten; 
nur das Altfränkische müssen wir für eine andere Stelle aufbe- 
wahren. Im Anschlüsse an das vierte Buch begannen wir mit 
Völkern, die den Gothen nahe stehen, entfernten uns dann schritt- 
weise vom gothischen und gothonischen Wesen und haben uns 
zuletzt und am eingehendsten mit den Langobarden beschäftigt, 
die eine ganz ungothische suevische Natur zeigten. Wir sind damit 
unvermerkt schon in das Thema des sechsten Buches hinüberge- 
gangen, das uns die aussergothische deutsche Sprachwelt als eine 
Einheit vorführen soll. 



Sechstes Buch. 

Das Mittel-Urdeutsche. 



Wir haben im Beginne des vierten Bnches die Gothen als den 
im Südosten zarückgebliebenen Nacbtrab des einigen dentseben 
Volkes gefasst. Die nngotbiseben, znm Tbeil aber den Gotben sehr 
nahe stehenden Zweige unseres Volkes haben sich nach unserer 
Ansicht etwa im vierten Jahrhundert v. Chr. von der Weichsel aus 
längs der Sfidküste der Ostsee ausgebreitet. 

Hiefür spricht, ausser der Natürlichkeit dieser Verbreitung, 
namentlich auch das Wiederkehren derselben oder ähnlicher Orts- 
nnd Völkemamen an verschiedenen Orten der südlichen Ostsee- 
küstenländer. So kommen Teutonen bei Pytheas noch im Osten, 
bald darauf im Westen vor; zwischen den Weicbselmündungen wird 
das Witland erwähnt, von dem die Vidivarier den Namen tragen, 
während die Vithones des Tacitus in Holstein sitzen, ein uraltes 
Witland auch an der Maasmünduug wiederkehrt; den Anklang der 
ostpreussischen Landschaften Barten und Sassen an Langobarden 
und Sachsen habe ich schon bei jenen erwähnt. Wenn lit. kaukai, 
altpreuss. cawx (Alraune, Zwerge, Teufel, wovon sec. 14 in Sam- 
land Caucaliskis der Name eines Sumpfes) ein herabgewürdigter 
Volksname ist, so liegen die Ghauci hier sehr nahe. Die Marsingi 
gehören bei Tac. zu den östlichen Sueven, im westlichen Nieder- 
deutschland sind die Marsi, in Batavien die Marsaci bekannt Von 
den verschiedenen Gegenden, in denen der Vandalenname auftaucht, 
haben wir im vorigen Buche gesprochen. Wironia ist eine Land- 
schaft in Esthland, Wironi ein friesischer Gau, 

Im Gegensätze zu dem Sprachzustande, welcher sich bei jenen 
südöstlichen Gothen fortsetzte, scheinen die Ostseegermanen gleich- 
falls eine sprachliche Einheit gebildet zu haben. Diesen Sprach- 
zustand^ welchen ich mit dem Namen des Mittelurdeutschen bezeichne, 
suchen wir aus allen denjenigen sprachlichen Thatsachen*zn erkenneni 
in welchen das Gothische zu den verwandten ungermanischen 
Sprachen stimmt, wogegen in denselben Punkten bei allen übrigen 
germanischen Sprachen ein anderer Znstand sich erkennen lässt. 
Diese Punkte sind so zahlreich und zum Theil so überraschend, 
dass sie nicht alle einer zufällig gleichmässigen Entwickelnng der 
einzelnen Sprachen zuzuschreiben sind, dass es vielmehr geboten 
erscheint, mit der Aufstellung einer Hypothese vorzugehn, die so 
lange bestehn mag, bis sie durch gewichtigere Thatsachen wider- 




248 ^* Mittel-Urdentsches. 

legt wird. Dialektische Verschiedenheiten zwischen den einzelne ^ 
Völkerschaften, denen das Mittelurdeutsche angehörte, mögen scho 
jetzt gern zagestanden werden. ' Wie hoch hinauf mag der Gegei^ 
Satz von Gothonen und* Sueven oder der andere von den dr^^ 
taciteischen Volksstämmen reichen? 

Bemerkt werden mag noch, dass das vierte nnd sechste Buc 
gewissermassen in einem Gegensalze stehen dadurch, dass sie vo 
entgegengesetzten Seiten her die Stellung des Gothischen zu bestiro 
man suchen. Das vierte Buch wollte die grosse Kluft zwische 
dem Gothischen und dem im dritten Buche behandelten Urdeutsche 
(Alturdeutschen) darlegen, das sechste will zeigen, dass ein grosse 
Abstand zwischen dem Gothischen und den übrigen germanischen 
Sprachen stattfindet. Hat man in einer früheren Periode unserer 
Wissenschaft darin gefehlt, dass man das Urdeutsche und das 
Gothische als nahezu identische Begriffe fasste, so macht sich jetzt 
seit einigen Jahren eine Ansicht geltend, welche das Gothische 
historisch zu weit herabsetzt. Der ersten Ansicht steht mein viertes, 
der zweiten mein sechstes Buch entgegen; beide ergänzen sich 
gegenseitig, wenn die wahre Stellung des Gothischen erkannt werden 
soll. Das Gothische ist entartet, weil es lange Zeit hindurch and 
gewiss unter fremden Völkern sich entwickelt hat; es ist alter- 
thümlicher geblieben, weil die Gothen bis zum vierten Jahrhundert 
eine kürzere Wanderung zurückgelegt haben als die andern deut- 
schen Völker und weil seine Sprache früher in der Schrift festen 
Halt gewann. 



Erster Abschnitt. 

Die Ijaiite« 

« I. Lantsygtem und Lantmlschnng. 

Die weitere Entfaltung des geschichtlich überlieferten zu dem 
physiologisch möglichen Lautsystem macht in dieser Sprachepoche 
mehr Fortschritte auf vocalischem als auf consonantischem Gebiete, 
wie man das bei Völkern, die das Meer erreichen, ja mehrfach will 
beobachtet haben. 

Unter den Vocalen gelangen i nnd li, die im Alturdeutschen 
erst in Anfängen vorhanden waren (Bd. I, 337), zu voller Entfaltung ; 
sieber ist jetzt auch schon der Diphthong ei (s. ebds.) und Jo 



VI. Lantsystem. 249 

(s. nnten). Den Umfang dieser Laute zu bestimmen will jedoch 
nicht gelingen, da wir hier wiederum, wie in diesem Buche über- 
hanpt, mit dem völligen Mangel schriftlicher Denkmäler zu kämpfen 
haben und dieser Mangel bei feineren und weniger umfangreichen 
Spracherscheinungen durch nichts zu ersetzen ist. 

Von viel grösserer Wichtigkeit jedoch und von viel grösserer 
Erkennbarkeit ist es, dass der kurze helle sowol als der kurze 
dunkle Vocal sich jeder in eine Zweiheit von Lauten differenziren, 
indem sowol aus der Masse des i als aus der des u sich ein be- 
stimmter Thcil aussondert, um einen dem a näher liegenden Laut 
anzunehmen. So entsteht das e und o oder vielmehr es entwickeln 
sich diese Laute aus früherer latenter Existenz zu klarer Selb- 
ständigkeit. Die zum a hinziehende Kraft entspringt aber aus 
einem in der nächsten Sylbe folgenden Qj das nun seine assimilirende 
Gewalt auf die vorhergehende Stammsylbe ausübte und deren Vocal 
brach. Er mag ihn zunächst dadurch wahrhaft gebrochen haben, 
dass er ihm ein nachklingendes a anfügte; solche in diesem Sinne 
gebrochenen Vocale sind noch jetzt in den an die Ostsee reichenden 
deutschen Mundarten, also in demselben geographischen Gebiete, 
durchaus nicht selten; auf diesem Standpunkte scheint vor einigen 
Consonantenverbinduugen noch das Altnordische mit seinem ia (ja) 
stehn geblieben zu sein, im Allgemeinen aber schritt die Brechung 
wol schon im Mittelurdeutschen zu einem e und o fort Dass die 
anziehende Kraft wirklich in einem folgenden a liegt, zeigt sich 
aus denjenigen nominalen Ableitungen und verbalen Formen des- 
selben Wortstammes, bei welchen kein a folgt und daher der 
nngebrochene Vocal noch bleibt. 

Diese gahze Ansicht soll nun veraltet sein, seitdem G. Curtius 
1864 in seiner „Spaltung des A-Lautes** unwiderleglich nachge- 
wiesen hat, dass in dem Vorgange der Erzeugung des e und o die 
europäischen Sprachen vielfach zu einander stimmen, wenn auch 
die Gründe, die diesen Vorgang herbeiführten, gewiss nicht überall 
dieselben gewesen sind. Es hat sich auf Grund dieser Beobach- 
tung die, in diesem Umfange wol von dem Meister nicht getheilte 
Thecrie geltend gemacht, dass die gothischen i und u eine jüngere, 
die ihnen gegenüberstehenden e und o die ältere Lautstufe dar- 
stellen. Vor allem sind als Vertreter dieser Theorie zwei in diesem 
Jahre (ich schreibe dies in den letzten Tagen des Jahres 1874) 
erschienene Werke zu betrachten, nämlich Bezzenberger die A-Reihe 
der gothischen Sprache und Fick vergleichendes Wörterbuch der 
indogermanischen Sprachen, dritter Band, dritte Auflage. 

Wir stellen zunächst eine reiche Anzahl von klareren Beispieleq 



250 VI. Brechung. 

für die beiden gebrochenen Vocale zusammen, geordnet nach dei 
auf sie folgenden Consonanten, bei jedem derselben zuerst dieFäll^ 
für i : e, dann die für u : o: 

(er) Goth. bairan: altn. heran, abd. heran, ags. heran; tragen. 

Urdeutsch biran-: altn. berr, abd. bero, ags. hera; Bär. 

Goth. fairra: altn. fiarri, abd. ferro; fern. 

Urd. skiran: nltn. skera, abd. sceran, ags. sceran; scheren. 

Urd. stiran-: goth. stairo, abd. stero; die Unfruchtbare. 

Goth. tairan: ahd. zeran, alts. teran: zerren. 

Goth. vaira-: altn. ver, ags. ver; der Mann (dazu das Compo- 
situm Welt), 

(or) Goth. baurans: altn. borinn, ahd. und alts. giboran, ags. 
boren; geboren. 

Urd. bura-: altn. borr, ahd. bora; Bohrer. 

Goth. daura-: ahd. tor, alts. dor; Thor. 

Goth. faura: altn. for, abd. fora; vor. 

Urd. spura-: altn. spor, ahd. spor, ags. spor; Spur. 

Urd. spuran-: altn. spori, ahd. sporo, ags. spora; Sporn. 

(el) Goth. fill: altn. feil, ahd. fei, ags. fei; Fell. 

Urd. kilan-: ahd. kela, ags. ceole; Kehle. 

Urd. snilla-: (altn. sniallr), ahd. snel, ags. snel; schnell. 

Goth. spill: altn. spell (spiall), ahd. spei, ags. spei; Erzählung. 

Urd. svillan: altn. svella, ahd. swellan, alts. swellan; schwellen. 

(ol) Urd. bullan-: altn. bolli, ahd. bolla, ags. bolla; Kugel. 

Goth. fula: altn. foli, abd. folo, ags. fola; Fohlen. 

Goth. hüls: altn. hol, ahd. hol, ags. hol; bohl. 

Urd. kula : altn. kol, ahd. chol, ngs. col; Kohle. 

Goth. thulan: altn. thola (doch thyl), ahd. dolen, ags. tboljan; tragen. 

Die Fälle, worin auf den Vocal ein m oder n folgt, sind unten 
unter den Ausnahmen besprochen. 

(es) Goth. lisan: altn. lesa, abd. lesan, ags. lesan; lesen. 

Goth. nisan: ahd. nesan, ags. nesan; genesen. 

Goth. visan: altn. vera, ahd. wesan, ags. vesan; sein. 

(es) Urd. musa-: altn. mosi, ahd. mos, engl, moss; Moos. 

(ek) Gotb. brikan: ahd. brehhan, ags. brecan; brechen. 

Goth. friks: altn. frekr, ahd. freh, ags. free; frech. 

Urd. rikan-: altn. reka, ahd. recho; Rechen, Harke. 

Goth. vrikan: altn. reka, ahd. rehhan, ags. vrecan; rächen. 

(ok) Goth. juk: altn. ok, ahd. joh, ags. geoc; Joch. 

Urd. rukka<: altn. rokkr, ahd. rocco; Bocken. 

(eh) Goth. taibun (mit speciell gotbischem u): (altn. ttn), abd. 
zehan, ags. ten; zehn. 



VI. Brechung. 251 

(oh) Urd. fnhan-; goth. fanbon: altD. foa, mbd. vobe; Fachs. 
Urd. Inhan-: altn. logi, mbd. lohe; Lohe. 
(eg) Goth. vigs: altn. vegr, ahd, weg, ags, veg; Weg. 
Goth. yigan: altn. vega, ahd. wegan; bewegen. 
(og) Goth. bngans: altn. bogion n. s. w.; gebogen (Sahst, altn. 
gl, ahd. bogo, ags. boga). 

Urd. tagan-: altn. (her-) togi, ahd. (heri-) zogo, ags. (here-) 
5a; Führer. 

(et) Goth. gitan: altn. gela, ahd. gezzan (ags. gitan darcb Ein- 
88 des ff)] erlangen. 

Goth. itan : altn. eta, ahd. ezan, ags. etan; essen. 
Goth. mitanialtn. meta, ahd. mezan, ags. metan; messen. 
Urd. Sita-; altn. setr, ahd. sez, ags. set; Sitz, 
(ot) Urd. skatana- : altn. skotinn a. s. w.; geschossen. 
Urd. sprntan- : altn. sproti, ahd. sprozo Spross. 
Urd. spata- : altn. spott, ahd. spot; Spott. 
(eth) Goth. qvithan : altn. kveöa, ahd. qaedan, ags. cvedan; 
rechen. 

(oth) Urd. bratha- : altn. broö, ahd. brod, ags. brod; Brühe. 
(ed fehlt). 

(od) Goth. gath : altn. goÖ (besonders von heidnischen Göttern, 
ö vom wahren Gotte), ahd. got, ags. god; Gott. 

Urd. bada- : altn. boö, ahd. bibot, ags. bod; Gebot (dazn Bote), 
(ep) Urd. dripanraltn. drepa, ahd. trefan, ags. drepan; treffen, 
(op) Urd. drupan : altn. dropi, ahd. tropho, ags. dropa; Tropfen. 
Urd. upana:altn. opinn, ahd. ofan, alts. opan; offen. 
(ef) Urd. nifan- : altn. nefi, ahd. nefo, ags. nefa; Neffe, 
(of) Urd. hafa- : altn. hof, ahd. hof, ags. hof; Hof. 
Urd. nfana:altn. ofan, ahd. obana, alts. obhana; oben. 
Goth. afar:altn. ofar, ahd. obar, ags. ofer; ober-, 
(eb) Goth. giban : altn. gefa, ahd. geban (ags. gifan durch Ein- 
188 des ff); geben. 

Urd. viban:altn. vefa, ahd. weban; weben. 

(ob) Urd. klaban- : altn. klofi, ahd. chlobo; Kloben. 

Urd. Inba- : altn. lof, ahd. lop, alts. lof ; Lob. 

Urd. stuban- : altn. stofa, ags. stofe (ahd. anregelmässig staba) ; 
nbe. 

So weit die einfachen Gonsonanten; es folgen nan die Conso- 
inten verbindangen. 

(erl) Urd. irla- : (altn. jarl), ahd. Erl- in Eigennamen, ags eorl; 
Her. 



252 VI. Brechung. 

(erm) Goth. Airman- : (altn. Jörmun), ahd. Erman-; «loeli alti 
in Folge von Vocalangleichnng Irmin-. 

(ern) Goth. gairns : (altn. giarn), ahd. gern, ags. georn; gern 

Urd. kirnan- : (altn. kiarni), ahd. kerno; Kern. 

Goth. stairno : (altn. stiarna), ahd. sterno, ags. steorra; Stern. 

(ers) Goth fairzna:ahd. fersna, ags. fiersn; Ferse. 

(erk) Goth. airkns (altn. jarkna), ahd. erchan, ags. eorcan; echt. 

Urd. virka-:altn- vcrk, ahd. werah, ags. vcorc; Werk. 

(erh) Urd. birhta-, goth. bairhts : (altn. biartr), abd. beraht, 
ags. beorht; hell. 

Goth. fairhvus (mit speciell gothischem u) : (altn. fiör), ahd. ferh, 
ags. feorh; Welt. 

Goth. thvairhs : altn. thverr, ahd. dwerah; quer. 

(erg) Goth. bairgahei : altn. borg (biarg), ahd. berg, ags. 
beorg; Berg. 

Goth. bairgan : (altn. biarga), ahd. bergan, alts. bergan; bergen. 

Urd. dvirga- : altn. dvergr, ahd. twerc^ ags. dveorg; Zwerg. 

(ert) Urd. firtanraltn. freta, ahd. ferzau; pedere. 

Goth. hairtan- : (altn. hiarta), ahd. herza, ags.hcorte, hiorte; Herz. 

(erth) Goth. airtha : (altn. jörö), ahd. crda, ags. eor5c; Erde. 

Goth. vairthan : altn. veröa, ahd. werdan, ags. vcorÖan; werden. 

Goth. vairths : altn. verÖ, ahd. werd, ags, veorÖ; werth. 

(erd) Goth. hairda : (altn. hiörö), ahd. herta, ags. heord; Herde. 

Urd. svirda- : Jiltn. sverö, ahd. swcrt, ags. sveorö; Schwert. 

(erp) Urd. irpa- : (altn. jarpr), ahd. erpf, ags. eorp; dunkelfarbig. 

Goth. vairpan : altn. verpa, ahd. wcrfan, ags. veorpan; werfen. 

(erb) Goth. hvairban: altn. hverfa, ahd. hwerban, alts. hwer- 
ban; wenden. 

Urd. stirban : (altn. Subst. stiarfi), ahd. sterban, alts. sterban; 
sterben. 

Goth. svairban : altn. sverfa, ahd.swerban, ags. svcorfan; wischen. 

Urd. thirba- : (altn. thiarfr), ahd derp, ags. thcorf; derb. 

(orn) Goth. haurn:altn. hörn, ahd. hörn, ags. hörn; Hörn. 

Goth. kanrn : altn. körn, ahd. chorn, ags. com; Korn. 

Goth. thaurnus (mit speciell gothischem w); altn. thorn, ahd. 
dorn, ags. thorn; Dorn. 

(ors) Urd. hurska- : altn. horskr, ahd. horsk, ags. horsc; rasch. 

(org) Goth. saurgaialtn. sorg, ahd. sorga, ags. sorg; Sorge. 

(orth) Goth. maurthr : altn. morö, ahd. mord,- ags. morö; Mord. 

Urd. nurtha- : altn. norör, ahd. nord, ags. norÖ; Nord. 

(ord) Goth. vaurd:altn. orö, ahd. wort, ags. vord; Wort. 

(orp) Goth. thaurp:altn. thorp, ahd. dorf, ags. thorp; Dorf. 



VI. BrechuDg. ^63 

(eloi) Gotb. filma^ altn. felmr; Schrecken. 

Ooth. hilms : (altn. hialmr), ahd. heim, ags. heim; Helm. 

(elv) Urd. milva;(altn. miöl), ahd. melo, alts. oiel; MehK 

(elk) Urd. milka-; (altn. miölkr), ahd. melcb; melk, milchgebend. 

(elh) Goth. filhao : altn. iela, ahd. felahan, ags. felgan; verbergen. 

Urd. ilha:altn. elgr, ahd. elaho, ags. eolh; Elcnn. 

Urd. silha-:altn. selr, ahd. selah, ags. seolh; Seehand. 

(elg) Urd. bilgau : altn. belga, ahd. belgan, ags. belgau; auf- 
hwellen. 

Urd. svilgan ; altn. svelga, ahd. swelgan, alts. swelgan; schwelgen. 

(elt) Urd. hilta : (altn. hialt), ahd. hciza, doch ags. hilt; Schwertgriff. 

Goth. sviltan : altn. svelta, ags. sveltan; sterben. 

(elth) Urd. filtha- : (ahn. fiall), ahd. feld, alts. feld; Feld. 

(eld) Goth. gildan : (altn. gialda), ahd. geltan, ags. geldan (da- 
das Subst. Geld); gelten. 

Goth. silda : (altn. sialda), ahd. seit-, ags. seid; selten. 

Goth. spilda.altn. speld, ahd. spelta; Holztafel. 

Urd. tilda- : (altn. tiald), ahd. zeit, ags. teld; Zelt. 

(elp) Goth. hilpan : (altn. hialpa), ahd. helfan, ags. helpan; 
Ifen. 

Urd. hvilpa- : altn. hvelpr, ahd. weif, ags. bvelp; Junges. 

(elb) Urd. dilban:ahd. delban, ags. delfau; graben. 

Goth. silba : (altn. sialfr), ahd. selb, ags, seif; selb. 

(olm) Urd. hulma-:altn. hOlmr, alts. holm; Insel. 

(olk) Urd. fulka-:altn. folk (fylki), ahd. folc, ags. folc; Volk. 

(olg) Goth. dulgs : altn. dölgr, dölg, ahd. tölg, ags. dolg; Wunde. 

(olt) Urd. bnlta- : altn. bolti, ahd. bolz, ags. holt; Bolzen. 

Urd. hulta-:altn. holt, ahd. holz, alts. holt; Holz. 

(olth) Goth. hulthsraltn. bollr, ahd. holt, ags. hold; hold. 

(old) Goth. mulda : altn. mold, ahd. molta, ags. molde; Staub. 

Die Nasale m und n mit folgendem Consonanten sind wiederum 
ircbaus nicht vertreten; s. unten. 

(esk) Goth. thriskan : (altn. threskja), ahd. drescan, ags. thers- 
n; dreschen. 

(est) Urd. bristan : altn. bresta, ahd. brestan, alts. brestan; 
rsten. 

Urd. nista- : ahd. nest, ags. nest; Nest. 

Goth. svistar : (altn. systir), ahd. swestar, (ags. sveostor); 
hwester. 

(osk) Urd. fruska- : altn. froskr, ahd. frosc, ags. frox; Frosch. 

(ost) Goth. kustus (mit speciell gothischem u) : altn. kostr, 
d. chost; Kost (dazu das Verbum kosten). 



254 VI. Brechung. 

Urd. fru8ta:altn. frost, abd. frost; ags. forst; Frost. 

(osd) Urd. brasda- : altD. broddr, ahd. brort, ags. briord, bre- 
ard; Spitze. 

Goth. bazd : altn. hodd; abd. bort (doch bnrtjan); ags. hord; Hort 

Urd. usda-taltD. oddr, abd. ort, alts. ord; Ort. 

(ehr) Goth. svaibra : ahd. swebur; Schwager. 

(ehn) Goth. fraibnan : altu. fregna (ags. frignan, fringan ist 
anregelmässig); fragen. 

(ehs) Goth. saibs: altn. sex, abd. scli.s^ alts. sebs (ags. six); sechs. 

Goth. taibsvo:ahd. zeso, alts. tesewa; die Rechte. 

(ehv) Urd. ihva-, gotb aibva- : (altn. jör) : alts. ebu, ags. eob, 
eh; Pferd. 

Gotb. saihvan : (altn. siä), abd. seban, ags. seon ; sehen. 

^eht) Gotb. raibts : altn. rettr; abd. rebt, alts. rebt (ags. ribt) ; recht. 

Goth. slaihts : altn. slettr, abd. siebt; schlecht. 

(egl) Urd. sigla-:altn. segl, abd. segal; ags. segel; Segel. 

(egn) Gotb. rign:altn. regn; abd. regan, ags. regn; Regen. 

Urd. thigua- : altn. thegu, abd. degan, ags. thegen; Degen. 

(ohn) Urd. nhna-, goth. auhns : altn. ofn, ahd. ofan, ags. ofen 
(doch schwed., auch schon altschwed., ngn neben ofn und omn); Ofen. 

(ohs) Urd. uhsan-, goth. aubsas : altn. oxi, ahd. ohso, ags. oxa; 
Ochse. 

(cht) Goth. dauhtar : altn. döttir, ahd. tohtor, ags. a. alts. 
dohtor; Tochter. 

(etr) Urd. fitra- : (altn. fiöturr), ags. fetor, feter, alts. feter; 
Fessel. 

(ethr) Urd. fithra- : (altn. fiöör), ahd. fedara, ags. feöer; Feder. 

(edr) Urd. idra- : (altn. jaöarr); ahd etar, ags. edor; Zaun. 

Urd. vidraialtn. veör, ahd. wetar, ags. veder; Wetter. 

(otr) Gotb. snutrs : altn. snotr; abd. snotar, ags. snotor; weise. 

Urd. utra- : altn. otr, ahd. ottar, ags. oter; Otter. 

(odn) Urd. badna-ialtn. botn, abd. bodam, ags. botm; Boden. 

(ebr) Urd. ibra- (langobard. Ibor) : (altn. jöfurr), ahd. ebar, 
ags. eofor; Eber. 

(ebn) Urd. ibna-, gotb. ibns : (altn. jafn), ahd. eban, ags. efu; eben. 

(oQ) Gotb. ufja- : altn. of; Fülle. 

(oft) Goth. ufta:altn. opt, ahd. oftO; ags. oft; oft. 

Aus diesen Beispielen also ergiebt sich die Regel: Das / and 
u der Staramsylbe bricht sich zu e und o durch* die Gewalt eines 
a der folgenden Sylbe. Sehn wir nun zu, welche Ausnahmen diese 
Regel hat und ob nicht ein Theil dieser Ausnahmen sich auf be- 
stimmte Gründe zurückführen lässt. 



VI. Brechung. 255 

Die erste und wichtigste dieser AasDabmen besteht darin, dass 
ein aaf das / oder u folgender Nasal die Gewalt des folgenden a 
aufhebt; jene Vocale also ungebrochen bleiben. Beispiele giebt es 
hiefür in so grosser Menge, dass eine Aufzäh lang derselben unnütz 
ist, sowol für den Fall, dass der Nasal allein folgt, als für den, 
dass er den ersten Theil einer Gonsonantengruppe bildet. Dass 
vor Nasalen dennoch die Brechung erfolge, ist so gut wie unerhört; 
nur die beiden Verba nehmen und kommen sind Lier zu erwähnen. 
Das goth. niman bleibt regelrecht ungebrochen in ags. niman und 
altfries. nima; das ahn. nema und das ahd. neman scheinen erst 
in späterer Zeit der Analogie der gebrochenen Formen gefolgt zu 
sein. Eben so verhält sich ahd. queman zu goth. qviman; hier 
haben das altn. koma und das ags. cuman den betreffenden Vocal, 
eben so wie später auch das Hochdeutsche, gänzlich schwinden lassen. 
Welches ist nun der Grund von diesem Uuterbleiben der 
Brechung vor einem Nasal? Ich meine, das Sprachbewusstsein 
jener Periode sah in dem Nasal noch keinen besondern Laut, 
sondern erblickte in ihm nur eine Modificirung des vorhergehenden 
Yocals, dessen reiner Klang dadurch gewissermassen schon gebrochen 
war; es war eben kein reines / und u mehr zu brechen. Man 
vergleiche die slavischen Nasalvocale; ja die Bezeichnung der 
Nasale in mittelalterlichen Handschriften durch einen Strich über 
dem vorhergehenden Vocale geht aus einer ähnlichen Anschauung 
hervor. 

Ein zweiter Anlass zum Unverändertbleiben des / und u liegt 
in dem Ablautssystem unserer Sprache. Gewisse Formen schliessen 
sich so eng an den im Plural des Praeteritums erscheinenden 
Yocal an, dass sie diesen unversehrt erhalten, obwol dort in der 
Endsylbe ein u, hier ein ableitendes a steht. Zuerst gehören hie- 
her die Infinitive der Praeteritopraesentia, die von der Brechung 
nichts wissen; ihr enger Anschluss an den Plural des Praeteritums 
zeigt sich übrigens auch in dem Auslaute der merkwürdigen alt- 
nordischen Formen skulu, munu u. s. w., die ich Bd. I, 586 erwähnte. 
Der Infinitiv heisst also goth. vitan, altn. vita^ ahd. wizan, alts. 
witan wissen; ja bei diesem Verbum enthält auch das schwache 
Praet. altn. vissa, ahd. wissa, alts. wissa denselben Vocal. 

Fünf andere dieser Verba (ich sehe von den auf Nasal aus- 
gehenden mafiy kmmy an ganz ab) haben u im Plur. Praet. und 
zeigen dieselbe Erscheinung. Das eine derselben hat wurzel- 
haftes t/, nämlich goth. daug valeo; davon lautet der Inf. goth. 
dugan, eben so aber auch ausnahmslos altn. duga, ahd. tugan, ags. 
duganj das schwache Praeter, hat altn. noch dugöa, ahd. schon 



256 VI. Brechung. 

tobta, wo also die Brechung später eingetreten ist. Die andern 
vier haben warzelhaftes a] es sind: 

1) Qoth. thaurban dürfen ; eben so mit u altn. thurfa, ahd. 
durfan, ags. tburfa; aaeb hier bat das sehwacfae Praet. noch altn. 
thurfta, doch ahd. dorflta, alts. tborfta, ags. thorfte. 

2) Goth. gadaursan wagen, auch ahd. turran, ags. durran; im 
Praet. ahd. torsta, alts. gidorsta, ags. dorste. 

3) Gotb. sculan sollen, auch altii. skula, ahd. sculan, alt^. 
skulan ; im Praet. hat das Altn. wiederum skylda, das Ahd. scolt:), 
das Alts, scolta, das Ags. sceolde. 

4) Gotb. ganauhan freistebu, noch ags. nugan, doch im Praet. 
nobte. 

Solcher Anschluss an den Plural vocal des starken Praeteritums 
findet sich nun aber auch noch in einer Anzahl von nominalen 
Bildungen. Zu fliugan flugum gehören zwei Nomina, erstens urd. 
fluga-, altn. flugr. ahd. flug Flug, zweitens urd. fugla-, gotb. fugis, 
altn. fugl, ahd. fugal (neben späterem fogal), alts. fugal, ags. fngol 
Vogel. Zu gotb. tiuhan stellt sich urd. tuga-, altn. zwar gebrochen 
tog, aber ahd. zug, mhd. zuc neben zoc. Von scintan scbiessen 
stammt urd. acuta-, altn. zwar skot, aber ahd. scoz Schuss. Das 
urdeutsche Thema vulfa- Wolf, gotb. vulfs, altn. ülfr, ags. vulf, 
alts. wulf, nur ahd. gebrochen Wolf mag vielleicht im Volksbewnsst- 
sein an gotb. vilvan rauben angelehnt worden sein, eben so wie 
urd. gultba-, gotb. gulth, altn. gull oder goll, aber ahd. gold, ags. 
gold Gold an urd. gildan gelten. So kann urd. kussa- (oder 
ku8ja-?), altn. koss, ahd. cus, chus, ags. coss cyss, alts. koss kns 
Euss an kinsan kosten, vielleicht mit etymologischem Bechte, sich 
anfügen. Zu einer für das Urdeutsche anzunehmenden Wurzel val 
winden stellt sich urd. vulla-, gotb. vulla, altn. ull Wolle, während 
ahd. wolla gebrochenen Vocal zeigt. 

Zum altn. vikja weichen gehören die beiden Wörter Woche 
und Wechsel, die beide noch im Altn., nicht mehr im Ahd. unge- 
brochenen Vocal zeigen; jenes ist urd.vikan-, gotb. viko, ahd. wehba, 
dieses urd. vihsla-, altn. vixl, ahd. wehsal. 

Noch etwa ein Dutzend anderer Wörter habe ich anzuführen, 
bei denen Schwankungen im Auslaute des Themas, falsche Ana- 
logien oder Volksetymologie der Grund für die Unterlassung der 
Brechung sein mag. Ich führe zuerst diejenigen an^ welche in 
dieser Unterlassung ganz consequent sind. 

Urd. vitbra, gotb. vithra, altn. viör, ahd. widar, alts. witbar, 
ags. viöer scheint die Brechung deshalb zu entbehren, weil es sich 
an das einsylbige altn. und ags. yiö anlehnt. Eben so lehnen aidi 



VI. Brechung. 257 

an ein yerlorenes, aber sicher zu erschliessendes einsylbiges niö 
das nrd. nithar, altn. niAr, ahd. nidar, alts. niöar^ ags. niAar; des- 
gleichen auch das urd. nithana (altn. freilich neöan), ahd. uidana» 
alts. nidana, vgl. neoöan. Urd. tila- erscheint ungebrochen im goth. 
Adj. gatils passend, in der altn. und engl. Praep. til und im ahd. 
Subst zil Ziel. Ferner ist zu nennen urd. smitha-, goth. smitha, 
altn. smiör, ahd. smid Schmid, dann urd. fiska-, goth. fisks, altn. 
fiskr, ahd. fisc, alts. fisk, ags. fisc Fisch, eben so urd. viska-, altn. 
?isk, ahd. wisc Wisch. Von den Stammsylben mit w ist hier nur 
zu nennen urd. duftä-, altn. dupt, rahd. tuft, duft Duft, das mög- 
licherweise sein Beharren der lautlichen und begrifflichen Nachbar- 
schaft von luftu- Luft verdankt. 

Einige andere Beispiele zeigen grösseres Schwanken: 

Urd. iba-, altn. if, ef, ahd. iba Bedingung, Zweifel. 

Urd. libra-, altn. lifr, ahd. libara, lebara, ags. lifer Leber. 

Urd. nibla-, altn. nifl, ahd. nebul, alts. nebhal, ags. nifol Nebel. 

Urd. skipa-, goth. skip, altn. skip, ahd. sciLund scef, alts. 
skip, ags. scip Schiff. 

Urd. spika-, altn. spik, ahd. spec, ags. spie Speck. 

Urd. stibna-, ahd. stimna (also mit folgendem Nasal), ags. stefn 
Stimme. 

Urd. bnkka-, altn. bukkr, bokkr, ahd. hoch, ags bucca Bock. 

Urd. fulla-, goth. fulls, altn. fullr, ahd. fol, ags. ful voll, das 
vielleicht aus einer Rücksicht auf den Stamm filu- viel ungebrochen 

bleibt. 

« 

Urd. turba-, altn. zwar torf, doch ahd. zurba, ags. turf Torf. 

Das sind die Ausnahmen, welche ich mir notirt habe. Da ich 
sowol für die Regel als für die Ausnahme von solchen Beispielen 
abgesehn habe, die sich nicht gut durch die deutschen Sprachen 
verfolgen lassen, so kann diese Uebersicht füglich dazu dienen 
Regel und Ausnahme gegen einander abzuwägen. 

Noch klarer aber wird die Gewalt der Regel durch eine Ueber- 
sicht über diejenigen i und u in Stammsylben, welche nicht der 
Brechung unterliegen können, da kein a folgt. Sie zerfallen in drei 
Glassen: 1) solche, wo kein Vocal folgt (einsylbige), 2) solche, wo 
i und 3) solche, wo u folgt. Ich gebe der GontroUe halber auch 
hiefür drei Verzeichnisse, doch der Kurze wegen die einzelnen 
Wörter nur in neuhochdeutscher Form, wenn sie in dieser erhalten 
sind, gleichviel ob diese Form noch den ursprünglichen Vocal hat 
oder nicht: 

1) Einsylbige : ur-, er-, zur-, zer-, miss-, ich, mich, dich, sich, 
goth. Vit (Dual), mit, goth. id- (Adv.), goth. uf (Praep.). 
Föntemann, Getch. ä. ä, Sprackstamme$, IL 17 



268 VI. Brechung. 

2) Mit folgendem / {Ja) : irren, goth. fairina, Thür, für, Fürst, 
Wille, fallen, Riese, altn. viss (gewiss), dick, goth. mikils, altn. 
stikill, Sieg, Igel, liegen, Wicht, altn. wigg (Pferd), goth. hugjan, 
Zfigel, Brücke, sitzen, Nisse, Nuss, bitten. Schritt, goth. haps (Hüfte), 
über. Kippe, ahd. wibil (Käfer), übel, ahd. luppi (Gift), Hirn, goth. 
faimithai Morgen, wirken, Hirt, Wirbel, Wurm, Darst, Borste, Burg, 
Furcht, würken, Föhre, Antwort, Hürde, Geburt, morden, Wurzel, 
Bürde, urd. urti-, altn. thnrft, welch, mild (obwol speciell gothisch 
auf -a), wild, urd. hildi-, Milz, Schuld, folgen, Distel, ahd. nist (u. 
nest,, Wegzehrung), Frist, Mistel, List, goth. gakusts, altn. hlnsti 
(Gehör), richten. Sucht, goth. drauhts, ahd. ginnht, Luchs, dritte, 
bitten, Mitte, nütze, Hütte, Sippe, Gift. Dazu natürlich auch die 
Verbalformen, welche i in der Endsylbe haben. 

3) Mit folgendem u : kirr, goth. kaurus (schwer), dürr, viel, 
Silber, Vieh, -zig (Numer.), ahd. hugu (Sinn), goth. qvithus (Leib), 
Friede, urd. lithu- (Glied), goth. vrithus (Herde), Sitte, Meth, urd. 
yidu- (Holz), ahd. ibu (Partikel), Biber? goth. qvairnus (Mühle), 
goth. fairguni (Berg), Birke? Wirth, Milch, Schild, goth. vulthus 
(Herrlichkeit), Lust, Widder, Luft. 

Formen mit Nasal nach der Stammsylbe konnte ich auch hier 
übergehn. Das ungebrochene Verhalten all dieser Formen bestätigt 
die Ansicht, dass wirklich das a und nichts Anderes die Ursache 
der Brechung ist. 

Nach allem Mitgetheilten wird sich nun etwa folgende ge- 
schichtliche Ansicht über die Brechung des i und n bilden lassen. 
Bereits im ungetheilten Germanischen (Alturdeutschen) scheint / 
und u bei folgendem a etwas von der Reinheit seines Tones ein- 
gebüsst zu haben, wenn jenem / und u ein h oder r folgten, zwei 
Consonanten, deren Articulationsstelle der des a nicht fem liegt. 
Diese Brechung vor h und r griff dann im Gothischen so weit um 
sich, dass sie stets vor beiden Lauten erfolgte, ohne mehr auf 
ihren eigentlichen Grund, das Nachfolgen eines a, Rücksicht zu 
nehmen. Im Mittelurdeutschen ergriff die Brechung auch andere 
Formen, zunächst die mit folgendem einfachen Consonanten (aus- 
genommen die Nasale), zuletzt die mit Consonantengmppen. Bei 
letzteren aber blieb in einigen Lautverbindungen die Brechung des 
I noch auf der Mittelstufe ia stehn, wie wir sie im Altnordischen 
finden. Wie endlich dieser Zustand in den drei einzelnen Sprach- 
zweigen sich weiter entwickelt hat, gehört nicht mehr hieben 

An diese Betrachtung knüpft sich nun naturgemäss die Frage, 
ob nicht auch der Diphthong tu (der einzige, von dem hiebet die 
Bede sein l^ann) schon im Mittelurdeutschen durch ein a 4er folgenden 



VI. Brechung. 259 

Sylbe eine Brecbung erlitten habe. Stellen wir hiefur zunächst 
dasjenige Material von Formen zusammen, welches für eine schon 
mittelurdeutsche Brechung der Vocale spricht, und ordnen wir dieses 
Material nach den Consonanten, welche auf den zu brechenden 
Vocal folgen: 

(r) Goth. stiura-, altn. stiorr, ahd. stier, ags. steör; Stier. 
(1) ürd. kiula-, altn. kioll, ahd. chiol, ags. ciöl; SchiflF, Kiel. 
(n) Urd. tiuna-, altn. tion, ags. teön, alts. teöna; Schaden. 
Urd. thiunan, altn. thiöna, ahd. dionön, alts. thionön; dienen, 
(s) Goth. driusan, alts. driosan, ags. dreösan; fallen. 
Urd. friusan, altn. friosa, ahd. friosan (erst ags. frysan); frieren. 
Goth. kiusan, altn. kiösa^ ahd. chiosan, ags. ceösan; kiesen. 
Goth. linsan, ahd. farliosau; verlieren. 

(h) Goth. tiuhan, ahd. ziohau, alts. tiohan; ziehen. 

Urd. thiuha-, altn. thio, alts. thio, ags. theöh; Schenkel. 

Goth. thliubau; (altn. flyja ist gestört durch den Wechsel der 
Consonanten), ahd. fliohan, ags. fleön; fliehen. 

(t) Urd. briutan, altn. briöta, ags. breötan; brechen. 

Urd. fliutan, altn. fliöta^ ahd. fliozan, ags. fleötan; fliessen. 

Urd. giutan, altn. gidta, ahd. giotan, ags. geötan; giessen. 

Urd. griuta-, altn. griot, ahd. grioz, alts. griot, ags. greöt; Gries. 

Urd. hliutan^ altn. bliota, ahd. hliozan, ags. hliotan, ags. hleö- 
tan; losen. 

Goth. niutan, altn. niota; ahd. niozan, ags. niötan; geniessen. 
Urd. spiuta-, altn. spiöt, ahd. spioz; Spiess. 
Urd. thiutan, altn. thidta, ahd. diozan; ertönen. 
Goth. thriutan; altn. thriöta; ahd. driozan; belästigen, 
(th) Goth. hliutha-y altn. hliod; das Hören; dazu ahd. hliodori 
ags hleödor dsgl. 

Urd. liutha-, altn. liöd, ahd. liod, ags. liöd; Lied. 
Urd. siuthan, altn. siöda, ahd. siodan; sieden. 
Goth. thiutha-y altn. thiod; das Gut. 

(d) G^th. biudau; altn. biöda^ ahd. biotan, ags. beödan; bieten., 
Goth. liudan, ahd. arliotan, alts. liodan, ags. liödan; wachsen* 
Goth. riuda , altn. riö^r, ags. reod ; erröthendy rotb. 
Ctoth. thiuda, altn. ihiböf ahd. diot» alts. thioda; Volk, 
(f) Altn. vhriufr^ ahd. rieb, ags. hredv; rauh, 
(b) Goth. thiuba-; altn. thiöfr, ahd. diob (neben diub), ags. 
thiöf, tbeöf Dieb. 

Diesem Verzeichnisse stelle ich nun ein zweites gegenüber von 
solchen Formen; in welchen die Brechung ' sich entweder gar nicht 

17^ 



260 VI. Brechung. 

oder wenigstens nicht in allen den drei Spracbzweigen zeigt, denen 
sie zukommt: 

(r) Goth. diasa-^ altn. d^r, ahd. tior, ags. dior; Thier. 

Urd. finra-, altn. fyr, ahd. fiar, ags. fyr, alts. fiur; Feuer. 

Urd. hlinra-; altn. hlyr, alts. blior, ags. bleör; Wange. 

Urd. ninran-, altn. nyra, ahd. nioro; Niere. 

(m) Goth. hlinman- das Gehör, ahd. hliamunt Leamand. 

(8) Urd. bniusan, altn. hniösa, ahd. niusan; niesen. 

(k) Urd. riakan, altn. riüka, ahd. riobban, ags. reöcan; riechen. 

(g) Urd. driugan, ahd. triugan (neben treogan), alts. driogan; 
betrügen. 

Urd. biagan, altn. biüga, ahd. biogau (Subst. biugo), ags. 
bügan; biegen. 

Urd. blioga-^ altn. bliügr, mhd. blinc; blöde, verschämt. 

Urd. flingan, altn. fliüga, ahd. fliagan (fliogan), ags. iieögan; 
fliegen. 

Goth. liugan, altn. liüga, ahd. lingan (liogan), alts. liogan; Lügen. 

(p) Goth. dinpa-, altn. diupr, ahd. tiut (tiof), ags. deöp; tief. 

Goth. driapan, altn. driüpa, ahd. triufan, alts. driopan, ags. 
dreöpan triefen. 

Urd. stiupa-, altn. stiop-, ahd. stiuf-, ags. steöp-; Stief-. 

(b) Urd. kliaban, altn. kliüfa, klyQa, ahd. chliobao, alts. 
kliobban; spalten. 

Urd. liuba-, goth. linbs, altn. liüfr, ahd. Hab, alts. liof; lieb. 

Das erste der beiden Verzeichnisse spricht entschieden dafür, 
dass im Mittelurdeutschen bereits eine Brechung des iu eingetreten 
ist, sonst wäre das gleichmässige Verhalten aller dort erwähnten 
Wörter höchst wunderbar. Das erste Verzeichniss zählt 30, das 
zweite nur 17 Wortgruppen; das spricht dafür, dass die Brechung 
im Mittelurdeutschen schon in den meisten Fällen durchgedrun- 
gen war. 

Von den 17 Fällen des zweiten Verzeichnisses zeigen 16, dass 
hier das in diesem Falle besonders wichtige Altnordische die Brechung 
entbehrt. Nur im altn. bniösa tritt die Brechung ein, und da wir 
kiusan, driusan, friusan, liusan im ersten Verzeichnisse finden, so 
werden wir das ahd. niusan nicht als eine Erhaltung des alten Zn- 
standes, sondern als eine unorganische Form für echteres niosau 
anzusehn haben und auch diesen Fall noch dem ersten Verzeichnisse 
hinzurechnen müssen. 

Dies berücksichtigt ergiebt sich, dass nur die beiden Couso- 
nanten r und ^in beiden Verzeichnissen als solche vorkommen 
können, die hinter dem Diphthongen, stehn; für beide aber scheint 



VI. Brechang. 261 

das Ueberge wicht anf Seite der Nichtbrechangzo liegen. Nehmen 
wir beide Consonanten für diese Seite in Anspracb, so ergiebt sich; 

Brechung des /// vor I, n, s, h, t, th, d, f. 

Kichtbrechong des iu vor r, m, k, g, p, b. 

Aus diesem Sachverhalt bildet sich die Ansicht (welche wir 
bei einer grösseren Anzahl von Beispielen mit noch grösserer Sicherheit 
aussprechen könnten), dass die Brechung des Diphthongen iu sich 
erst später in Bewegung setzte als die der einfachen Vocale und 
dass sie zuerst die Zungenlaute ergriff^ auch das n^ welches hier 
nicht mehr wie bei den einfachen Vocalen die Brechung verhinderte, 
denn dem Diphthongen gegenüber erschien das n schon mehr als 
selbständiger Laut. Ausser den Zungenlauten unterwarf sich der 
Diphthong der Brechung auch vor h und /*, nun aber blieb die Brechung 
(d. h. während der mittelurdeutschen Periode) stehen. Consonanten- 
grnppen hinter dem iu kommen gar nicht in Betracht. 

Lippen- und Gaumenlaute gehn also zögernder auf die Brechung 
ein als Zungenlaute; geschieht es deshalb, weil die Lippenlaute 
dem Uj die Gaumenlaute dem / näher liegen, also das a der folgen- 
den Sylbe nicht mehr frei schalten lassen? das setzt fast zu viel 
Feinheit des Sprachgefühls voraus. Möglicherweise aber wirft diese 
Geschichte der Brechung des iu auch ein Licht auf die Reiben- 
folge, in welcher die ältere Brechung des u in Fluss gerieth. 

Geschichtlich wichtig scheint noch besonders eine Gruppe zu 
sein, nämlich diu^a-, altn. dyr, welches erst später im ahd. tior 
und ags. dior bricht. Da « zu denjenigen Lauten gehört, vor denen 
schon im Mittelurdeutschen Brechung eintritt, so scheint sich zu 
ergeben, dass der Uebergang von s : r, worüber gleich unten, in 
diesem Worte eher eingetreten ist als die Brechung die Wörter 
mit folgendem s ergriff. 

Auch hier geben wir der Controlle wegen noch ein kleines 
Verzeichniss von solchen Formen, bei denen auf den Diphthongen 
in der folgenden Sylbe ein i Q) folgte, bei denen also aller Grund 
zur Brechung wegfiel; für ein folgendes f^ mangeln die Beispiele. 

Urd. diurja-, altn. dyrr, ahd. tiuri, ags. diöre; theuer. 

Urd. hiurja-, altn. hyrr^ ahd. unhiuri, alts. dsgl., ags. hiöre, heöre, 
btre; gehener. 

Urd. kiulja-, altn. k^ll, ahd. chiulla, ags. cyl , cylle; Sack, 
Ranzen. 

Goth. riurjan, altn. ryra; verderben. 

Goth. stiurjan, altn. styra, ahd. stiuran; steuern. 

Urd. glinja-, altn. gly, ags. gleöv, gliv; Lust, Spiel. 

Goth. niujis, altn. n;^, ahd. niuwi, alts. niuwi, ags. nive, 
neöre; neu. 



262 VI. Laatweohsel. 

Goth. siajaD, altn. syja, ahd. siawan; nähen. 

Urd. skiuja-, altn. sky, alts. skio, ags. sceö; Himmel, Wolken. 

Goth. thiuja-, altn. thy, ahd. diuwa, alts. thiwi; Magd. 

Goth. niahsjan, altu. nysa, alts. niusian, ags. niösan; unter- 
snchen. 

Urd. liudi, altn. lyör, ahd. liut, alts. lind; Leute. 

Urd. thindjan^ altn. th^fia, ahd. diutan; deuten. 

Goth. thiubja-, altn. tb^, ahd. diubja, alts. thiubi; Diebstahl. 

Dazu noch die bekannten einzelnen Verbalformen. 

80 weit über die Bereicherung des mittelurdeutschen Vocalsystems 
durch die Laute e, o und io. Für das Consonantensystem scheint 
die Sprache in dieser Periode nur eine kleine Bereicherung erlebt 
zu haben. Ich meine die Spaltung der urdeutschen Aspirate ih in 
einen härteren und einen weicheren Laut, ein th und ein äh (Ö), von 
welchen der erstere zunächst wol eigentlich Aspirata bleibt, während 
der letztere die Geltung einer Spirans empfangt. Der weichere 
Laut erscheint stets nur in- und auslautend, nicht anlautend. Dass 
diese Spaltung schon sehr alt sein muss, ist sicher; Bydqvist 
Svenska spräkets lagar IV, 291 schreibt sie schon dem Umordischen 
zu; ich setze sie um noch eine Sprachperiode früher. Im Hoch- 
deutschen ist später dieser Unterschied wieder zu Grunde gegangen. 



II. Lautwechsel. 

A. Yoeale. 
1. Vocale selbständig. 

Wir haben Bd. 1,339 f. gesehn, dass die Verdunkelung von 
altem a:u bereits im ungetheilten Germanischen stark um sich 
greift, doch nur in Stammsylben. Im Mittelurdeutschen scheint sie 
sich weiter auszudehnen und auch Flexionssylben zu ergreifen. 
Hier ist zu erwähnen der Dat. Sing, der pronominalen Declination, 
der gothisch auf -amma, altn., ags., alts. aber auf -um ausgebt, im 
Ahd. sich noch unorganischer gestaltet. Auch das -am im Dat. Plur. 
der A-Stämme, welches in den ungothischen Mundarten -um lautet, 
würde hier zu erwähnen sein. Doch machen hiebei die schleswigschen 
Buneninschriften irre, die schwerlich vor das dritte oder nach dem 
siebenten Jahrhundert zu setzen sind; in ihnen begegnet noch ein 
launam (mercedibus), thuvam (famulis), Holtingam (Holtsatis) ; sollte 
das bloss eine Rückkehr zu dem früheren Zustande sein und nicht 
vielmehr ein Erhalten desselben? Im Uebrigen scheint der Ueber- 
gang von a: a in Deolinations- and Gonjugationsendungen noch 



VI. Vocale, Außlaut. 263 

nicht dieser Periode anzagehören, während er in den einzelnen 
Sprachzweigen sehr gewöhnlich ist, namentlich im Althochdeutschen. 

Eine ähnliche Verdunkelung werden wir der Bildnngssylbe der 
alten Feminina auf -an zuzuschreiben haben, die nach Bd. I, 341 
im Altnrdeutschen schon auf -ön ausgingen, also um eine Stufe 
verdunkelten; die zweite Stufe erreichte das Mittelurdentsche, in- 
dem es diese Formen auf -ün bildete. So werden wir statt des 
gothischen Genetivs tuggöns ein mittelurdeutsches tungün ansetzen 
auf dem das altn. tuugd, das ahd. zungun, das alts. tungün beruht ; 
das ags« -an ist dann als unorganisch anzusehn. 

Eine ganz vereinzelte Vocalverkürzung^ und zwar von ä : a, ist 
wol anzunehmen in dem goth. meuöths; die mittclurdeutsche Form 
scheint mänaör geheissen zu haben, und so lautet es auch im Altn. 
(neben mänuör); das Ahd. hat mänod (wol mit kurzem o), das Ags. 
mönaö oder mönÖ. 

Nicht hieher gehört ein scheinbarer Uebergang von u in i im 
persönlichen Pronomen der zweiten Person; wir werden hier viel- 
mehr eine Formeiiübertragung sehn, die erst bei der Declination zu 
erwähnen sein wird. 

2. Vocale im Auslaut 

Schon dem Urdeutschen gehörte die Bd. I, 345 besprochene 
Feindschaft gegen auslautendes i und a an; diese Feindschaft 
wirkt auf der hier betrachteten Sprachstufe noch fort. Für das i 
freilich mangelt es hier an Beispielen, das a hingegen unterliegt 
theils dem Abfalle, theils der Schwächung in u oder /. 

Ganz aufgegeben wird das a erstlich in den Neutris der Prono- 
mina; dem gothischen thata, ita u. s. w., eben so den starken Ad- 
jectiven wie gödata entsprechen in den andern Sprachen nur Formen, 
die den Vocal völlig entbehren. Dasselbe ist zweitens der Fall 
mit den Genetiven der persönlichen Pronomina, also mit dem Sing, 
goth. meina, theina, seina, dem Dual ugkara, igqvara, dem Plur. 
unsara, izvara. Ganz parallel damit laufen Optative Verbalformen; 
von der gothischen 1. Plur. Praes. bairaima und Perf. bereima, 
von der 3. Praes. bairaina und Perf. bereina schwindet der aus- 
lautende Vocal für die andern deutschen Sprachen, und dass die 
1. Du. Opt. Praes. bairaiva und Perf. bereiva in den übrigen 
Sprachen untergegangen sind, daran mag die unverkennbare Scheu 
vor einem auslautenden r mit Grund sein. 

Eine Schwächung des a zn u nehme ich an im Dat. Sing. 
Masc. und Neutr. der pronominalen Declination. Dem gothischen 
Aasgange auf -mma gegen&ber wird eine mittelurdeutsche Endung 



264 ^^- Vocale, Auslaut 

-um anzusetzen sein, auf welcher dann altn. -m, ahd. -mn, -mo, 
alts. -mn, -mo nnd ags. -m beruhn. 

Die zweite Scbwäcbung eines auslautenden a, nämlich zu i, 
scheint mehr vereinzelt eingetreten zu sein. Der urdeutschen 
Praeposition fura (goth. faura) entspricht für die übrigen Sprachen 
ein adverbial und praepositional gebrauchtes furi, das wir im altn. 
fyri, für, ahd. fnri wiederfinden. Ganz ähnlich scheint das Subst. 
altUc fyl, ahd. fuli Füllen zu beurtheilen ; im Goth. heisst das Thema 
fulan, worauf das altn. foli, ahd. folo, ags. fola beruht. Aehnliche 
Fälle werden sich wol noch mehrere finden lassen und mehrere 
der oben angeführten Ausnahmen von der Regel der Brechung 
scheinen sich durch solchen Vorgang zu erklären. 

Dero Abwürfe eines kurzen -a entspricht bei dem langen -ä 
dessen Verkürzung, nnd auch hier ist die Bd. I, 348 besprochene 
Erscheinung auch noch im Mittelurdentschen nicht völlig zum Still- 
stande gekommen. Wenigstens bei den Adverbien auf urdeutsches 
ä (goth. ö) werden wir sie annehmen müssen; dem goth. sinteinö, 
glaggvö, thinbjö, missö entspricht ein altn. giörva, illa, vida u. s. w., 
eben so ahd. Formen wie blinta, alluka, meista, die dann noch 
weiter im Ags. auf blosses -e zusammenschrumpfen wie in gcorne, 
efne, hädre und andern Formen. 

Wie wir es femer so eben bei dem kurzen auslautenden -a 
sahen, so unterliegt auch das lange -ä in einem Falle der Ver- 
dunkelung zu u, freilich complicirt mit dem Vortreten eines j. Ich 
meine die Bd. I> 529 besprochenen pronominalen Instrumentale 
auf urdeutsches -ä, goth. -e. Gefragt werden kann noch, ob der 
Uebergang so zu denken ist: ä, ja, jft, ju, oder so: ä,'u, jü, ju 
oder endlich so: ä^ a, ja, ju, das heisst, in welcher Reihenfolge 
auf einander Verdunkelung, Verkürzung und Einschub stehn. Mit 
diesem Ju stimmt am nächsten das hochdeutsche und altsächsische 
'iu^ femer steht das ags. -eüj am fernsten das den letzten Laut 
ganz entbehrende altn. -t 

Endlich lässt auch das Mittelurdentsche ein gewisses Streben 
merken, den Diphthong au im Auslaute zu erleichtern. Wir haben 
dafür als ersten Beleg den Dativ Sing, der U-Dedination ; dem 
nrdeutschen sowol als gothischen snnan muss für die übrigen 
Sprachen ein sQnin entsprechen, das am besten erhalten ist im 
hochdeutschen suniu, während das altnord. syni wieder ganz an 
die eben erwähnten Instmraentale erinnert; das Alts, schwankt 
zwischen sunn, sunie und suno und der letzten Form schliesst sich 
das ags. ganz unorganische snna an, das sich kaum lautlich, eher 
dnroh FormenübertragQDg erklärt An diese Dative muss man gleich 



VI. Vocale, abhängig. 265 

die erste Pers. Sing, der Optative (goth. Praes. bairan, Praet. ber- 
jau) anschliessen, der im Altn. Formen, anf -i, -i, ahd. -e, -i, ags. 
-e, -e, entsprechen. Es ist hier wol kanm nöthig eine ganz vom 
Grothischen anabhängige Bildung hierin zu sehn, wie in Kohn's Zeit- 
schrift V, 54 geschieht. Eber liegt auch hier zunächst eine Er- 
leichterung von au zu in vor, die dnnn, nicht auf lautlichem, sondern 
flexivischen Wege dem Eindringen des Vocals der andern Personen 
in die erste des Singulars den Weg bahnte. 

Eine Verlängerung des nuslautendeu Vocals findet sich in goth. 
nu (nunc) und thu (tu), wofür altn. nü, thu, ahd. nu, dii (doch 
beide schwankend), ags. nü, thu; im Altsächsischen ist die Quan- 
tität zweifelhaft. 

3. Vocale abhängig. 

Hieher gehört erstens die Brechung, die schon oben behandelt 
wurde, da sie in unserm Falle mit einer Erweiterung des Laut- 
systems zusammenhängt. Von einem Umlaute durch i oder u ist 
dagegen noch keine Rede, obwol in Beispielen für den ersteren 
die einzelnen Spruchen oft merkwürdig zusammenstimmen. Schon 
der missbräuchlich sogenannte Rückumlaut zeigt, dass die Erscheinung 
in weit jüngerer Zeit eingetreten ist. 

Die Erscheinung der Diphthongenverengung muss man an- 
nehmen, wenn man der vielleicht richtigen Ansicht ist, dass das 
gotb. ei wirklich diphthongische Natur habe; ihm entspricht in den 
andern Sprachen überall, z. B. in den starken Praesentibus wie 
steiga, das einfach lange i; vgl. Bd. I, 337, 342. Eine ganz 
parallele Verengung findet sich, doch nur in vereinzelten Fällen, 
von älterem au zu jüngerem ü; so steht dem gothischen bauan 
habitare ein altn. bua, ahd., alts. und ags. büan gegenüber, das 
goth. trauan confidcre lautet altn. trua, ahd. truwen (triuwen), alts. 
trfiön; goth. sauls columna wird durch altn. süla, ahd. und alts. 
sül vertreten. 

Eine noch grössere Verengung findet statt, wenn auf den Diph- 
thong au noch ein / folgt; die Verbindung aui ist dem Mittelur- 
deutschen unerträglich und wird einfach durch ^, gewissermassen 
den Durchschnittslaut aus jenen dreien ersetzt. So haben wir goth. 
afmauiths ermüdet: altn. möör, ahd muodi, alts. moöi müde und ebenso 
gotb. sauil: altn. ags. söl Sonne. 

In Bezug auf den Einfluss, den Vocale durch Gonsonanten 
erfahren, ist ein Blick auf die Synkope im schwachen Pra'eteritum 
zu werfen. Wir haben bereits an der entsprechenden Stelle des 
vierten Buches gesehn, dass schon im ungetbeilten Urdeutschen bei 



806 VI. Vocalc, abhängig. 

einer beschränkten Anzahl solcher Praeterita die Synkope höchst 
wahrscheinlich eingetreten ist; ist aber erst einmal solcher Vorgang 
in Flnss gerathen, so lässt sich unmöglich annehmen, dass er später 
in Stillstand gekommen sei, nm dann in einer andern Periode wieder 
von Neuem sich in Bewegung zu setzen; die Synkope wird also 
im Mittelurdeutschen schon weiter um sich gegriffen haben. lo 
welchem Umfange das schon damals geschehen ist, lässt sich auch 
nicht annähernd ergründen, ja man kann vermuthen, dass das Schwan- 
ken hier sehr gross gewesen sei, dass sogar vielleicht dasselbe 
Individuum einmal die volle, das andere Mal die synkopirte Form 
angewandt habe. Im Allgemeiuen wird eine langsylbige Stamm- 
sylbe eher zur Synkope geneigt haben, als eine kurzsylbige, auch 
kommt es natürlich darauf an, wie leicht oder wie schwer die auf 
beiden Seiten des zu synkopirenden Vocals stehenden Consonanten 
sich in der Aussprache zu einander fügen. Die drei Sprachzweige, 
aus denen wir den Zustand des Mittelurdeutschen zu abstrahiren 
haben, sind in ihrem Verhalten höchst ungleich. Das Altnordische 
zunächst hat die Synkope ganz durchgreifend eintreten lassen, die 
Wurzel sei Inngsylbig oder kurzsylbig. Das Althochdeutsche ist 
hier ausserordentlich schwankend und die einzelnen Schriftsteller 
weichen bedeutend von einander ab; Isidor hat die meisten vollen 
Formen, Tatian schon melir synkopirte, Otfrid und Notker noch 
mehr; vgl. Grimm Gramm. I (1870) S. 792. lieber das Altsäch- 
sische hat eine reiche Sammlung Begcmann in seiner vieles Beach- 
tenswerthe enthaltenden Schrift über das schwache Praeteritnm 
(1873) S. 120 ff.; hier stchn namentlich oft volle und synkopirte 
Formen von demselben Verbum neben einander. Im Angelsächsi- 
schen, wo statt des i schon e erscheint, ist die Synkope bei allen 
langsylbigen, aber erst bei einem Theile der kurzsylbigen Stämme 
eingetreten. Ich gebe hier einige noch leicht zu vermehrende 
Beispiele, in denen die einzelnen Sprachen zu einander stimmen, 
zuweilen wol zufällig, häufiger gewiss in Folge eines einmaligen 
geschichtlichen Vorgangs : 

Altn. dvalda, ahd. tualta. 

Altn. kvalda, ahd. qualta, (alts. quelida), ags. cvealde. 

Altn. selda, ahd. salta, alts. salta, ags. sealde. 

Altn. talda, ahd. zaita, alts. talda, ags. tealde. 

Altn. rakta, ahd. rahta, (alts. rekida), ags. reahte. 

Altn. thakta, ahd. dahta, ags. theahte. 

Altn. vakta, ahd. vahta, alts. vahta, ags. veahte. 

Altn. lag&a, nibd. lahta, alts. lagda, ags. lägde. 

Altn. hvatta, ahd. wazta. 



VI. Gonsonanten, selbständig. 267 

Altn. lattd; abd. lazta, alts. latta. 

Altn. setta, ahd. sazta, alts. satta, ags. sette. 

Altn. kvadda, ahd. qoatta, alts. quadda. 

AltD. haf(9a, ahd. bapta, alts. habda, ags. häfde. 

B. Consonanten. 

1. Consonanten selbständig. 

Für die Richtigkeit einer Hypothese spricht es besonders, wenn 
die einzelnen mit ihr zusammenhangenden Thatsachen anter einander 
in einer gewissen Harmonie stchn. Solche Harmonie findet beim 
Mittelnrdeatschen mehrfach statt, namentlich aber zwischen der oben 
besprochenen Erscheinung der vocalischen Brechung und zwischen 
der jetzt zu erörternden Verwandlung eines s zu r. Beide Erschei- 
nungen müssen schon im Alturdeutschen^ wie das Gothische zeigt, 
gewissermassen ihren Schatten vorausgeworfen haben, beide treten 
im Mitteinrdeutschen mit bedeutender Stärke ins Leben, beide aber 
werden in dieser Sprachperiode nicht mehr zu einem völlig folge- 
rechten Ziele durchgeführt; die vocalische Brechung schreitet be- 
sonders im Hochdeutschen , die Verwandlung von s : r namentlich 
im Nordischen noch erheblich weiter fort. 

Das Gothische hat es nie bis zu diesem Wandel gebracht, 
doch zeigt sein % für s (worüber oben) schon ein Rütteln am alten 
Znstande. Zu achten ist jedoch auf einige wenige Spuren, die 
noch ausserhalb des Gothischen ein auffallendes 8 zeigen, wo man 
r erwartet. Der alte Suevenfürst Nasua im ersten Jahrhundert vor 
unserer Zeitrechnung ist ein solches Beispiel, wenn der Name wirk- 
lich zu goth. nasjan gehört; das Auffallende schwindet indessen, 
wenn das u in diesem Namen consonantische Geltung gehabt haben 
sollte. Dann die BovtfdxreQOv bei Ptol. für Bructeri; welchem Volke 
mag Ptol. die Ueberlieferung dieser Form verdanken, wenn sie 
nicht reiner Irrthum ist? Der auf einer Grabschrift von 491 zu 
V^seronce im d^part. de Tlsfere begegnende Name Aisaberga mag 
zu goth. aiz Erz oder *aisa Ehre gehören; auf den ersten Blick 
hält man ihm für burgundisch, doch wer kann in jenem Völker- 
gewirre genau scheiden? Endlich ist fraglich, aus welcher Sprache 
das franz. framboise Brombeere (zu goth. basi) entnommen ist; 
etwa aus dem Westgothischen? 

Abgesebn von diesen wenigen unsicheren Spuren stimmen alle 
germanischen Sprachen in der Einführung neuer r für alte s. Unter 
den ausserdeutschen steht uns hierin keine näher als die lateinische, 
bei welcher wir den Vorgang noch zum Theil geschichtlich yerfol- 



268 VL 8:r. 

gCD kobnen; Grimm in der Gescb. d. dtsch. Spr. S. 316 spricht 
näher darüber. Ja es könnte sein, dass der iateiniscbe and der 
deutsche Process einen fnr nns im einselnen nicbt mebr erkenn- 
baren historischen Zusammenhang hätte; der lateinische fällt vor 
unsere Zeitrechnung, warum nicht auch der deutsche? Im Deutschen 
wie im Lateinischen muss der Vorgang zuerst inlautend zwischen 
zwei Vocalen eingetreten sein, hierauf erscheint er auch im Auslaute, 
zuletzt erst im Inlaute vor Gonsonanteu, also nie inlautend nach 
Gonsonanten und nie anlautend; darauf beruht die folgende Anordnung. 

Unbegreiflich wäre es übrigens physiologisch, dass der lieber- 
gang des einen Lautes in den andern ohne irgend eine Vermittelun^ 
erfolgt sein sollte; man wird dazwischen etwa einen Laut annehmen 
müssen, welcher der ursprünglichen Aussprache des (aus /* ent- 
sprungenen) böhmischen und polnischen r^ nahe kommt. Dass in 
der That das aus s entsprossene r noch lange einen von dem echten 
r verschiedenen Laut gehabt hat, geht sogar noch aus der Schrift 
hervor; die ältesten Kuneninschriften haben für das unechte r 
(z. B. in Holtingar auf dem Tondernschen Goldhorn) noch ein 
anderes Zeichen als für den organischen Laut. Vgl. ärböger for 
nord. oldkyndigh. og historie 1867, S. 29 ff. 

Ordnen wir nun die einzelnen Fälle in der oben angedeuteten 
Weise. 

1) Zwischen zwei Vocalen. 

a) in Wortstämmen. 

Wir beginnen hier mit einigen Nominen, deren gothische Form 
mit s noch erhalten ist: 

Goth. asans Erntezeit (altsl. jeseni, altpr. assauis): ahd. aran, emi. 

Goth. ausö Ohr: altn. eyra, ahd. ora, ags. eär. 

Goth. basi Beere: altn. ber, ahd. beri, ags. berige, berje, in 
letzterer Sprache Fem., sonst Ntr. 

Wo das Gothische uns die Form nicht liefert, müssen wir an 
seiner Stelle die dem Deutschen nächstliegenden Sprachen setzen: 

Urdeutsch alusa Erle (altsl. jelücha, davon Adj. jelüsiuü): altn. 
ölr, ahd. elira» ags. alor. 

Urdeutsch basas bar, bloss (lit. basas, altsl. bosü): altu. berr, 
ahd. und ags. bar. 

Urdeutsch sausas trocken (lit. sausas dsgl., davon sausys Krätze): 
ahd. soren verdorren, siurra (aus siurja) Krätze. 

Merkwürdig ist ferner das Verhalten derjenigen starken Verba, 
deren Stamm auf ein s ausgeht. Wir werden deren im Deutschen 
nach Bd. I, 547 ff. etwa folgende anzusetzen haben: 

Mhd. brise gebrisen adstringo, schnüre. 



VI. 8 : r. 269 

(Altn. fiB feis fisQin fiBinn pedo). 

Gotb. leisa lais lisum lisans experior. 

Ooth. reisa rais risum risans sorgo, altu. ris surgo, ahd. risa 
decido, alts. risu surgo, agn. arise surgo. 

Ahd. wisa weis wisumes wisaner vito. 

Gotb. iraiBa faifrais fraisans tento; gebt sonst schwach. 

Ahd. zeisu zias zeisaner amputo. 

Gotb. driusa draus drasam drusanS; ahd. triusu, alts. driusu, 
ags. dreöse cado. 

Altn. fnys fnaus fnusnm fnosinn respiro, anhelo. 

Altn. frys frans frnsum frosinn, ahd. friasu, ags. freöse friere. 

Altn. gys gaus gnsum gosinn emmpo (de flanioia). 

Ags. begreöse greAs gruron groren terreo. 

Altn. hnys hnans hnasum bnosinn, ahd. niusu niese. 

Altn. brys braus brusum schaudere; gleich dem folgenden Wort? 

Ags. hreöse breds bruron broren ruo, cado. 

Gotb. kiusa kans kusum kusans, altn. kys, ahd. chiusu^ alts^ 
kiusa, ags. ceöse kiese. 

Gotb. linsa laus lusnm lusans, ahd. liusn, alts. liusu, ags. leöse 
verliere. 

Altn. eys lös ausinn, noch schwed. ösa baurio. 

Gotb. blesa baiblös blgsans, altn. blaes, ahd. bläsa blase. 

Gotb. lisa las Itsum lisans^ altn. les, ahd. lisu, alts. lisu^ 
ugs. lese lese. 

Gotb. nisa nas nesum nisanS} ahd. ginisu, ags. genese genese. 

Gotb. yisa vas vesum visans, ahd. wisn, alts. wis'u, ags. vese; 
altn. nur Praet. var värum bleibe. 

Ahd. giru gähre, mbd. gir gar gären gegorn; mhd. daneben 
auch noch gise jas, im Schwedischen ungebräuchlich jäsen. 

Für die Conjugation nach fara, valda, binda fehlen also Beispiele 
mit 8y auch nach nima, da das letztgenannte Verbum giru ursprüng- 
lich zu giba zu setzen ist. 

Um uns einen Blick in den historischen Vorgang des Eintritts 
von r zu eröffnen, werden wir gesondert betrachten 

a) die mebrsylbigen Formen des PraeteritumS; welche sicher 
zuerst den Wechsel zwischen den beiden Vocalen eintreten Hessen; 
zu diesen Formen gehört im Hochdeutschen und Säcbsiscben auch 
die zweite Sing. Sehn wir hier nun von ganz vereinzelten Formen 
ab wie ahd« riri zu urd. reisa, ags. begruron zu urd. grinsa, ags. 
brure bruron zu urd. briusa, die nichts Geschichtliches ergeben^ so 
scheint in folgenden Verben der Uebergang besonders alt: 

driusa : ahd. trori tromm^ ags. dmron. 



270 VI. 8:r. * 

fnnsa : ahd. vrari vrarum, ags. fnire fniroD. Im Altn. gilt hier 
friosa neben fröra, also im ganzen Verbam s neben r^ so dass das 
Wort völlig in swei Yerba zerfällt; im Engl, bleibt Sj d« b. die 
Formen mit gebliebenem s Biegen über die jedenfalls schon vor- 
handen gewesenen mit r. 

kiusa:ahd. cbnri charum, ags. eure curon, alts. kuri koran, 
altfries. keron. Im Altn. schwankt hier kusam and karum. Das 
Engl, hat hier wiederam nur 8^ das Nhd. r (köre, erkor^ erkoreu), 
doch daneben kiese. 

liasa : ahd. Inri larum, ags. Iure luron, alts. farlumn, altfries. 
urleron; leider fehlt das Verbam im Altn. 

Visa : altn. väram, Opt. vaerim (neben beiden Formen zeigt sich 
niemals eine mit $\ ahd. wäri warum, alts. wäran, ags. yaere 
vaeron, altfries. weron. Doch ahd. daneben farwäsi farwäsnm. 

Die andern Stämme mit A-Vocal haben diesen Uebergang nur 
in vereinzelten Sprachen, also mhd. lären, nären, gären gegen ahd. 
nftsi näsnm, läsi lasum; eben so mhd. gire, wo das ganze Verbam 
ein r annimmt (schon ahd. begegnet järum). 

Kurz wir sehn nur bei vier U-Stämmen (driusa, friusa, kinsa, 
liusa) und einem A-Stamme (visa) den Wechsel in den mehrsylbigen 
Formen des Praeteritums so verbreitet, dass wir ihn wol schon dem 
Mittelardeutschen zuschreiben können; es scheinen die häufigeren 
Verba zu sein, welche ihm unterliegen, doch niemals mit solcher 
Entschiedenheit, dass nicht noch später in einzelnen Mandarten die 
Formen mit $ hätten siegen können. Die Verba setzen sich also 
dem Anscheine nach später in Bewegung als die oben angeführten 
and noch unten anzuführenden Nominalformen; beraerkenswerth ist 
auch, dass im Oothischen bei diesen Verben niemals ein % eintritt. 

ß) die Formen des Praesens, der Inf. und das Partie. 

Hier zeigt die folgende Uebersicht durchaus keine Gemeinsam- 
keit zwischen den einzelnen Sprachen, wir werden deshalb die 
Veränderung erst späteren Perioden zuschreiben müssen: 

Fär das Altn. wurde schon erwähnt, dass friosa neben fröra 
gilt, also auch frosinn neben frörinn. Eben so steht von k^s kaus 
ein Part, kosinn neben korinn. Oiosa gaus gosit gilt unentartet, 
eben so bleibt das s in lesit und risinn. Im Verbum vesa, vera 
sind nur die mehrsylbigen Perfectformen värum, vaerim u. s. w. 
schon uralt, wie oben erwähnt wurde; im Uebrigen dringt hier das 
r erst am Ende des zwölften Jahrhunderts aus Norwegen nach 
Island ein; ältere isländische Handschriften haben noch den Inf. 
vesa, das Praet. Opt. vesi und im Auslaut das Praes. es, das Praet. 
vas (letzteres namentlich auch auf mehreren Bunensteinen). Viele 



VI. fl:r. 271 

bere Angaben über das Verbalten dieses Verbums findet man bei 
sasby-Vigfusson S. 694. 

Abd. gilt nocb der Inf. vriosau, ehiosan, wisnn, das Praes. 
tn, das Part, wesaner und galesan. Dagegen jenes vereinzelte 
i bat ein ririn, arriran neben sich. Mbd. gire gorn. 

Im Alts, haben wir noch die Infinitive wesan, kiosan, farliosau, 
iosan, dagegen schon die Participien koran nnd farloran, von 
isan freilich whederam vresan; von driosan ist kein Part, mit r 
legt. Ganz dem entsprechend zeigt das Ags. die Infinitive ceö- 
n, freösan, forleosan neben den Participien droren, coren, loren, 
ngl. forlorn). Neben dem Infinitiv vesan steht wieder das Part.vesen. 

Auch das Altfries, stimmt dazU; Inf. kiasa^ urliasa neben 
irt. keren, doch Inf. wesa, Part, wesen. Im ganzen sächsischen 
veige scheidet sich also in den U-Stämmen das Part, mit r vom 
f. mit 8. 

b) in Wortbildangssnffixen. 

Hieher gehören zunächst mehrere Fälle, in denen schon das 
othische die Bewegung durch sein % vorbereitet zeigt. Zuerst das 
iffix der Comparative: 

Urd. -isan, -äsan, goth. -izan, -özan, altn* -ri, -ari; abd. -iro, 
ro, alts. 'ira, -öra, ags. -ra. 

Ferner drei Casus des pronominalen Adjectivs: 

Gen. Sing. Fem. nrd. -aisäa, goth. -aizös, altn. -rar^ abd. -era, 
fs. -re. 

Dat. Sing. Fem. urdentsch -aisai- (goth. <ai), altn. -ri| ahd. -em, 



;s. -re. 



Gen. Plur. urdeutsch -aisäm, goth. -aiz£, -aizö, altn. -ra, ahd. 
ro, ags. -ra. 

Ausser diesen vier Beispielen sind hieher noch zu rechnen die 
enigen Ueberbleibsel der einst so verbreiteten Tempusbildungen 
it der Wurzel as^ die uns zwar nicht mehr das Gothischc; wol 
)er noch das Altn. und das Hochdeutsche bewahrt haben; vgl. 
d. I, 215. Es sind altn. sneri (torrit), gr6ri (viruit), reri (remigavit), 
)ri (sevit), gneri, neri (fricuit), sleri (verberavit) nnd ahd. scriru- 
68, mhd. schrim, ahd. griri, grirum, mhd. spim. 
2) Auslautend. 

a) in Wortstämmen. 

Hierher gehören zunädist vier Neutra^ die im Nom« auf -8 
asgehn, zum Theil also vielleicht versteckt des Neotralauffiz -isa 
Qthalten können; in den übrigen Casus sind sie natttrlich noch 
en oben angeführten Beispielen für die Stellung des Consonanten 
»vischen zwei Vocalen zuzufdgen. Es sind das: 



272 VI. 8 : r 

Goth. ais £rz:altn. eir, ahd. er, ags. är. 

6otb. dius Tbier;altD. dyr, alid. tior, ags. de6r. 

Goth. kas Gefass (auf einer banater Raneninscbrift kes) : ahn. 
ker, abd. cbar, ags. cere. 

Gotb. raus Robr : altn. reyr, ahd. rör. Das franz. roseaa müsste 
also (wie das oben angeführte framboise) einer Mundart entsprangen 
seiu; die noch das gotb. s hatte. 

Dazu kommt noch ein Masculinum : urd. gaisa-, goth. (Rada-) 
gais : altn. geir, ahd. ger, ags. gär Sper. 

Eben so einstimmig sind die ungotbischen Mundarten in zwei 
Partikeln: 

Goth. US : altn. nr, or, ör, ahd. ur, ar, er; ir. 

Goth. tuz (-verjan):a]tn. tor-, abd. zur-. 

Urdeutscbem gis entspricht altn. gjär (beri), das in den andern 
Sprachen verloren ist 

Dagegen im Auslaute der einsylbigen Perfectformen der star- 
ken Verba auf s (s. oben) bleibt das s in dieser Sprachperiode 
jedenfalls noch; später werden wir es in den einzelnen Sprachen 
noch mehrfach zu r entarten sehn. 

b) in Wortbildnngssufiixen. 

Hier ist zuvörderst das neutrale Suffix -is (Thema -isa) zu 
erwähnen, welches, da es in den deutschen Sprachen aufbort als 
solches gefühlt zu werden, das zwiefache Schicksal hat entweder 
als ein Tbeil des Stammes zu gelten (worüber so eben) oder als 
Kominativendung angesehn zu werden. Wir rechnen anter diese 
Erscheinungen folgende Fälle: 

Goth. baris (ntr.) Gerste: altn. barr (ntr.), fehlt abd.; im ags. 
bere ist das Genus unbestimmt. 

Urd. dögis Tag: altn. doegr (ntr.), ags. dögor (masc. a. ntr.), 
wol aus dem Altn. entlehnt. 

Goth. hatis (ntr.) Hass : altn. hatr (ntr.), abd. haz (msc), ags. 
bete (msc.) 

Goth. riqvis (ntr.) Finstemiss : altn. rökr (ntr.). 

Goth. sigis (ntr.) Sieg : altn. sigr (schon masc), ags. sigor 
(msc); diese Form ist aus dem Altn. wol entlehnt, die organischer 
entwickelte ist sige, wie alts. sigi, ahd. sigu^ sigi, sämmtlich msc. 
Der Genusübergang zeigt recht deutlich, wie das r als -Nominativ- 
zeichen gefasst wurde. Wenn in einzelnen Eigennamen, wie z. B. 
Sigismund, der Zischlaut eich auch ausserhalb des Gothischen er- 
hält, so scheint man irrthämlich in dem Worte eine aneigentliche 
Composition gefühlt za haben. 

Es würden sich noch mehrere Grappen ähnlich den hier ge- 



Vi. 8 : r. 278 

oannten ergeben, wenn nicht einzelne Wörter nur in je einem der 
vier Sprachzweige erschienen. So im Gothischen die Neutra agis 
Schrecken, rimis Ruhe, mimz Fleisch, im Altn. örr Narbe (vgl. skr. 
arus Wunde). 

Gefragt werden darf noch, ob nicht zum skr. Ntr. tamas (lit. 
tumsa) dsLH ahd. demar, alts. themar (msc.) gehört; in diesem Falle 
ist das -8 (-r) als zum Wortstamme gehörig angesehn worden. Fick 
vergl. Wörterb. dritte Aufl. (1874) S. 130 fasst dagegen das r als 
ein ursprüngliches, nicht aus 8 entsprungenes, was vielleicht be- 
rechtigt ist. 

Zu dem hier besprochenen NeutralsuflSxe gehört auch das be- 
kannte neutrale Pluraldeterminativ (ahd. -ir u. s. w.), doch hat das- 
selbe in dieser Sprachperiode noch kaum begonnen (vgl. das altn. 
hoens gallus et gullinae). 

Mit demselben Suffixe gleichförmig, aber von anderem Ursprünge 
ist die adverbiale Comparativendung -is, die gleichfalls in den nn- 
gothischen deutschen Sprachen als -r erscheint in folgenden Gruppen; 

Urd. furis früher : altn. fyrr, mhd. vürer. 

Urd. langis länger: altn. leugr, mhd. langer. 

Goth. mais mehr : altn. meir, ahd. mer^ ags. märe. 

In andern Gruppen wird dagegen im Hochdeutschen und 
Sächsischen (also wol in Neuurdeutschen) die Zugehörigkeit zum 
Comparativ ganz vergessen und das -r völlig aufgegeben, eben so 
wie in dem gleich zu besprechenden CasussufQx des Nom. Sing. 
Dies geschieht namentlich bei entstehender Härte der Gonsonanten- 
Verbindungen. Hieher gehört: 

Urd. aindis eher : altn. äÖr, mhd. end, ags. end. 

Urd. batis besser : altn. betr, ahd. baz, ags. bet. 

Goth. haldis lieber : altn. heldr, ahd. halt, alts. bald. 

Goth. mins weniger : altn. minnr, ahd. min. 

Weiter gehört wol hieher goth. framis weiter : altn. fremr; das 
Wort fehlt in den beiden andern Sprachzweigen. 

Im Gothischen vairs schlechter, ahd. wirs, alts. wirs bleibt das 
s durch das vorhergehende r geschützt und nimmt nicht an dem 
regelmässigen Wandel Theil; wir kommen hierauf noch bei der 
Assimilation zurück. 

Zu unterscheiden von den comparativisehen sind die genetivischen 
Adverbia, die den Uebergaug nicht kennen, wie z. B. goth. und 
ahd. allis omnino; dahin wird auch das eiris des Merseburger Zauber- 
spruchs (2= goth. airis früher; ehemals) gehören. 

c) in Casussuffixen. Hier haben wir folgende Fälle zu scheiden: 

fönteinann, Gesch. d, //. Sprachstauunes, 11. lö 



274 VI. s:r. 

ä) Nom. Sing. 

Hier ist die Regel die, dass das Doroinative s des Urdeatschen 

ODd Gothischen im Mittelurdeutschen za r wird; dieses r aber (nach 

meiner Ansicht also nicht das alte s, wie man früher meinte) wird 

za verschiedener Zeit gänzlich apocopirt, da es in der That ein 

etwas unnatürliches Nominativsuffix ist 

Zuerst, wol schon im Mittelurdeutschen, schritt die Entartung 
zur Apokope fort bei den Femininen. Wir haben also schon im 
Altn. dem Goth. handus oder ansts gegenüber ein hönd oder äst 
Doch blicken noch manche Beispiele von dem erwarteten -r im 
Altn. durch. So unter andern: 

Lat sus : altn. syr, ahd. sü, ags. su. 

Skr. gaus : altn. k^r, ahd. chuo, ags. cü. 

Dahin gehören altn. moer virgo, aer agua, byrör onus neben 
hyröi, elfr fluvius neben elfi, vei5r venatio neben veidi, gygr femina 
gigas, brüjr sponsa, hildr bellona und mehrere Eigennamen wie 
Hilör, Heiör, Auör, Guör, Urör. 

Die Feminina konnten von der Apokope am ersten ergriffen 
werden, da sie keine compacte Masse bildeten, weil ein Tbeil von 
ihnen, die A-Stämme, schon von uralter Zeit her die Nominativendung 
entbehrten. Später (erst im Neunrdeutschen) schritt der Abwarf 
auch zu den Masculinen fort So haben wir goth. vulfs, altn. ulfr, 
ahd. wolf, ags. vulf und unzählige andere Beispiele. 

Es fragt sich, ob wir von dem -/' der Masculina nicht noch 
Spuren ausserhalb des eigentlich nordischen Gebietes finden. Ich 
erinnere hier zunächst an den dem taciteischen Maunus entsprechenden 
Mennor bei Frauenlob (s. z. B. Kühnes Ztschr. IV, 95;, obgleich es 
gar nicht so ganz sicher ist, dass hier das Nominativzeichen vor- 
liegt; ferner aber an die Lesuug „ek Hlevagastir Holtingar^ auf 
dem goldnen Home von Tondern; vgl. hierüber und über die ältesten 
Runeninschriften überhaupt liter. Centralblatt 1868; Nr. 10; Euhn's 
Zeitschr. XVIII, 153 ff., XIX, 211. 

Noch länger wird das mittelurdeutsche r bewahrt in der pro- 
nominalen Declination. Man erwäge für die Pronomina: 

Goth. i8:ahd. ir, er; fehlt altn. n. ags. 

Goth. hvas : altn. hverr, ahd. hver : ags. hva. 

Goth. sums : altn. sumr, ahd. sumer : ags. sum. 

Eben so steht es mit den pronominal declinirten Adjoctiven, 
also goth. blinds : altn. blindr, ahd. blinder : alts. ags. und altfries. 
blind, and so in hundert Beispielen. In dieser pronominalen De- 
clination erhält also selbst das Hochdeutsche noch das r, nur der 
sächsische Zweig wirft es völlig ab. Ich glaube, dass diese Dar- 



VI. 8 : r. 275 

stelloDg eine, nicht geringe Stütze bildet für meine Ansicht von der 
Genealogie der germanischen Sprachzweige. 

ß) Oen. Sing. 

Anch hier gebn, wie beim Nominativ, die Feminina vorauf 
in der Entartung: 

Ooth. gibös: altn. giafar: ahd. gebo^ ags. gife. 

Goth. dedais: altn. dä&ar: ahd. tati, ags. daede. 

Goth. handaas: altn. handar; die Declination fehlt hochdeatsch 
und sächsisch. 

Beim Masculionm behalten die A-Stämme ihr s unangetastet; 
die I- und U-Stämmc haben zwar altn. gleichfalls wie die Feminina 
-ar, und entbehren auch im Ags. völlig den Consonanten, das 
Hochdeutsche aber zeigt ein -s. Entweder ist also der Uebergang 
zu r erst speciell altnordisch oder das Hochdeutsche ist hier zur 
ursprünglichen Bildung zurückgekehrt, indem es sich den über- 
wiegenden A-Stämraen angeschlossen hat. 

y) Dat. Sing., nur im Pron. pers.: 
Goth. mis: altn. mer, ahd. mir: ags. me. 
Goth. thus: altu. ther^ ahd. dir: ags. thc. 
Goth. sis: altn. ser, fehlt sonst. 

Die Apokope ist also speciell sächsisch wie im Nom. Sing, 
der pronominalen Declination. 

d) Dat. Du., nur im Pron. pers.: 

Goth. ugkiS; igqvis: altn. okkr^ ykkr: alts. unk, ink, ags. uue, 
ine. Hochdeutsche Formen fehlen; die Apokope ist wieder säch- 
sische Eigenthümlichkeit. 

€) Nom. Plur. 

Hieher gehören wol schon die Formen der I- und U-Stämme : 

Goth. gasteis: altn. salir: ahd. gesti, ags. leöde. 

Goth. sunjus: altn. synir: ahd. suni, ags. suna. 

Unter den A-Stämmen verhalten sich eben so die Feminina: 

Goth. gibös; altn. giafar: ahd! gebö, alts. gibä, ags. gifa. 

Die Apokope ist also hier, wie im Nom. Sing, der Substantiva, 
dem Hochdeutschen und Sächsischen gemein. Bei den Masculinen 
der A-Stämme (goth. vulfos u. s. w.) hat zwar das Altn. gleich- 
falls -r und das Hochdeutsche gleichfalls vocaliscben Auslaut, aber 
das Alts, und das Ags. behalten das alte -s, welches nur im Alt- 
fries, in r übergeht. Hier wird also dem Mittelurdeutschen noch 
keine Entartung zuzuschreiben sein. Aus dem Pron. pers. gehört 
hieher 

Goth. veis: altn. ver, vär, ahd. wtr: alts. u. ags. w^. 

18* 



276 VI.' 8 : r. 

Gotb. jus: altn. er^ ahd. ir, alt8. ags. ge. 

Das 'S wird also hier ganz wie das Suffix des Nom. Flur, 
bei Substantiven behandelt, gleichviel ob es hier aas ursprünglichem 
stna entsprungen ist oder nicht. Die Apokope ist, wie wir es nun 
bei Pronominen schon gewohnt sind, speciell sächsisch* 

f) Dat. Plur. im Fron. pers. der 2. Fers., also goth. izvis: 
altn. yör, fehlt hochd. u. sächsisch. Bei ansis in der ersten Person 
tritt Synkope ein, wodurch der Uebergang verhindert wird. 

ij) Acc. Plur. Hieher gehören die Feminina: 

6oth. gibös: altn. giafar: ahd. gebö, ags. gifa. 

Goth. anstins: altn. ästir: ahd. ensti, ags. daeda. 

Die Masculina sind dagegen schon altn. fast stets vocalisch 
auslautend (ülfa). Auch hier erseheint im sächsischen Zweige noch 
ein auslautendes -s, welches wol nur auf Formenübertragnng aus 
dem Nom. beruht. Wir müssen auf diesen Fall noch einmal bei 
Gelegenheit des Auslautes zurückkommen. 

Die Fersonalendungen in der Conjugation bleiben im Mittel- 
urdeutschen von dem Wandel des s zn r noch unberührt; erst das 
gesonderte Altnordisch lässt ihn auch hier eintreten. 

3) Vor Consonanten. 

Es sind nur drei weiche Consonanten, vor denen diese Er- 
scheinung eintritt: 

a) vor J in einer Anzahl von schwachen Verben: 

Goth. drausjan werfen: altn. dreyra, ahd. trörjan, ags. dreärjan. 

Goth. *frausjan congelare: ahd. frorjan. 

Goth. hausjau hören: altn. heyra, ahd. hörjan, alts. hörjan, ags. 
hgran, hyran. 

Goth. hazjan loben: ahd har^n. 

Gothisch hrisjan schütteln : altn. hroera, ahd. hruorjau, ags. 
hreran. 

Goth. kausjan kosten, schmecken: ahd. kor6n. 

Goth. laisjan lehren : altn. laera, ahd. Uran, lirnSn, ags. laeran. 

Goth. nasjan nähren: altn. naera, ahd. neijan, ags. nerjan. 

Goth. vasjan bekleiden: altn. veija, ahd. weijan, ags. verjan. 

In einigen Fällen wird das s offenbar durch andere etymo- 
logisch nahe stehende Wörter festgehalten, von denen die Sprache 
sich nicht zn entfernen wagt; dergleichen ist für die Beurtheilung 
der Stärke des Sprachbewusstseins wichtig. So lautet das goth. 
raisjan aufrichten noch altn. reisa, jedenfalls aus Rücksicht auf das 
starke und dem Wandel des s nicht unterliegende Verbum rtsa; 
erst im Ahd. tritt rerjan, im Ags. raeran ein. Noch stärker ist die 



VI. 8:r. 277 

Einwirkung des goth. laus los auf das Verbnm lansjan lösen, das sein 
s überall behält, also altn. leysa, ahd. losjan, alts. lösjan lautet Zu 
bemerken ist auch, dass die von dem neutralen -is abgeleiteten Verba 
(gotb. -izon, ahd. -isön u. s. w.) nie in r iibertreten. 

ß) vor d. Hier finden wir im Oothischen* den Uebergang 
schon angebahnt durch den Eintritt des %dy werden also im 
Mittelurdeutschen ein rd anzunehmen haben, welches noch im 
sächsischen Zweige erscheint, während im Altn. Assimilation 
zn dffy im Hochdeutschen Verschiebung zu ri eintritt. Dass 
der Wandel von ^ zu r hier verhältnissmässig spät, d. h. kurz 
vor eintretender Selbständigkeit des Nordischen geschehen ist, er- 
giebt sich aus der verschiedenen Behandlung, die in diesem Sprach- 
zweige bei diesem rd und bei dem alten rd stattfindet, welches 
letztere als rd erscheint. Die hieher gehörigen Beispiele sind 
folgende : 

Urd. brusda- Spitze: altn. broddr, ahd. brort, ags. breord. 

Goth. gazds Stachel: altn. gaddr, ahd. gart, ags. gerd. 

Ooth. huzd Schatz: altn. hoddr, ahd. bort, ags. heord. 

Goth. mizdö Lohn: ags. meord. 

Goth. razda Sprache: altn. rödd, ahd. rarta, ags. reord. 

Urd. uzda- Ort: altn. oddr, ahd. ort, ags. ord. 

Man vergleiche übrigens zu diesen Fällen auch den Aufsatz 
von Kuhn in seiner Zeitschrift XI,372 ff. 

/) vor ff. Hiezu weiss ich nur ein im Gothischen nicht nach- 
zuweisendes Beispiel, nämlich altsl. mozgü Mark : altn. mergr, ahd. 
marg, marc, ags. mearg, mearh. 

Man sollte auch vermuthen, dass vor einem v derselbe Wandel 
eingetreten sei. Das ist indessen wol nicht der Fall, denn dass 
der alte suevische Name Nasua dem altn. Nörvi entspreche, ist 
doch nichts weniger als sicher; und wäre es auch der Fall, ^p 
könnte der Uebergang erst im Altn. vor sich gegangen sein. Gegen 
seinen Eintritt im Mittelurdeutschen spricht auch das urdeutsche 
tvisvar zweimal und thrisvar dreimal, welche noch altn. tysvar 
und thrisvar lauten und erst im Ahd. zu zwirdr und trir6r werden. 

So weit von dem Uebergange von s:r. An ihn schliesse ich 
einen andern, der mit jenem das Gemeinsame hat, dass auch bei 
ihm ein tonloser Laut durch einen tönenden (wenigstens ursprüng- 
lich tönenden) ersetzt wird; ich meine den Wandel älterer Spirans 
in jüngere Media. Wir haben schon Bd. 1,371 erkannt, dass im 
Urdeutschen vielfach dieser Uebergang anzunehmen ist; für das 
Gothische zeigt sich oben (Seite 26) zwar fast niemals dieser 



278 ^^' Spir&os : Media. 

Wandel mit voller EotBchiedenheit, wol aber desto bäofiger 
ein Schwanken zwischen beiden Lautclassen. Hier haben wir es 
nun mit denjenigen Fällen zu ihnu, in welchen auf dem Grunde 
einer indogermanischen Tenais regelrecht eine gothische Spirans 
beruht, während die andern deutschen Sprachen einig sind in der 
Anwendung der Media. Lottner hat in Kuhn's Zeitschrift Bd. XI, 
S. 188 ff. solche Beispiele gesammelt; doch scheint mir hier mehr- 
fach vermischt zu seiu; was verschiedenen Sprachperioden angehört; 
auch hat er noch nicht zwischen selbständigem und abhängigem 
Lautwechsel geschieden. 

Näher bestimmt sind dem Mittelurdeutschen nur Fälle für deu 
Inlaut, keine für Anlaut und eigentlich auch für den Auslaut zuzu- 
schreiben. Für das gutturale Gebiet erwähne ich folgende Fälle: 

Urd. und goth. ahana Spreu (lat. acus): altn. ögn, ahd. agana. 

Goth. vröhs Rüge: altn. rög, mhd. ruoge, ruege; dazu das 
Verbum gotb. vröhjan: altn. roegja, ahd. rögjan, alts. wrögjan. 

Goth. fraihnan fragen: altn. fregna, ags. frignan (ahd. vragen). 

Unsicherer als diese drei Beispiele sind noch zwei andere, 
erstens altn. fylgja, ahd. folgen, ags. folgjan folgen, welches in seiner 
Etymologie noch immer räthselhaft ist und welches ich, bis besseres 
gefunden sein wird, vorgeschlagen habe aas einem urdeutschen 
iuhjan in die Flucht treiben zu deuten. Zweitens altn. gegn, ahd. 
gagan, ags. gegn, nhd. gegen, dessen gewöholiche Herleitung vom 
Verbum gangan nicht ganz unbedenklich ist und das sich vielleicht 
besser zu einer neben gangan anzunehmenden Nebenform gaban fügt 

Weiter zeigt sieb aber älteres // auch neben jüngerem g in 
verschiedenen Formen desselben Wortes. Wie wir nämlich schon 
im Gothiscben, z. B. in veiha vaih vigum vigans fanden, dass zu- 
weilen im Plural des PraeteritumSi und in Folge dessen auch im 
Partie. Pass., die Media für die Spirans eintritt, so ist das noch 
|n weit höherem Grade bei den andern deutschen Sprachen der 
Fall, und zwar öfters bei demselben Verbum in verschiedenen 
Sprachen. Da wir dem Urdeutschen überhaupt nur (Bd. 1,575) 
22 Verba auf h zuzuschreiben haben, so kommt die Erscheinung 
in Folge der Menge von Beispielen fast einem Gesetze gleich. Ich 
erwähne hier: 

Altn. Flä: flögnm, fleginn; hlaeja: hlögum; klaea; klögnm; 
slä: slögnm, sleginn; thvä: thvögum (auch Subst. thvegill). Dazu 
noch das Part, toginn, wovon das übrige Verbum altn. fehlt, und 
das Part, folginn, wovon des Praet. im Plur. fälum lautet 

Ahd. Dwahan: dwuogum, dwagan; laban, luogum, lagan; 
alahan, sluogum, slagan; giwahan, giwuogum. 



VI. Spirane : Media. 279 

Dtbao: digQD, digan; ztban: zigUD, zigan. 

Vliohan: vlugnm, vlogan; ziohan: zngum, zogan.. 

Hier dringt das g auch anorganisch in den Singular ein, z. B. 
in dwuog, giwuog, slnog, doch nicht in die I- and U-Stämme dSh 
and zöhy anch nicht in seh. 

Altfränk. Sehan: sägon. 

Altsächs. HIahhan: hldgnn; slaban: slögun; thaaban: thaögan. 
Tiohan: Ingan. 

Ags. Tihan : tigon; thihan : thigon. Hier wird der jüngere 
Lant mit dem eigenthümlichen Zeichen für das aspirirte g (das es 
gewiss arsprönglich aach im Ahd. war) in den Handschriften 
wiedergegeben. 

Bei den Dentalen tritt dieselbe Neigung gleichfalls, doch 
mit geringerer Stärke auf als bei den Gutturalen. Ich habe hier 
nur vier Beispiele anzuführen; bei zweien steht der Dental nach 
einem Vocal, bei den beiden andern nach einem /. Die ersten 
beiden sind die urdeutscben Themata gutha- €U)tt und bldtha- Bhlt. 
Dass sie im Mitteiurdeutschen guda- und blöda- gelautet haben, 
stimmt gut zum ahd. got und blnot und zum ags. god und bl5d; 
beim Altn. guA und blöft muss man dann annehmen, dass unor- 
ganisch wieder der urdeutsche L#ant eingetreten ist, wie wir ahn- 
liehe Erscheinungen im nächsten Buche sehn werden. Die beiden 
andern Beispiele sind goth. altheis alt und falthan falten; zu der 
angenommenen mitteiurdeutschen Media passt altn. eldri, öld, 
aldr u. s. w., ahd. alt, ags. eald ; eben so altn. falda, ags. fealdaii, 
auch das ahd. falten,* neben letzterem erseheint freilieh häufiger, 
ein unorganisch erweichtes faldan, das jedoch schon meistens im 
Mhd., immer im Nhd. wieder der echteren Form mit Tennis weicht. 
Zu falthan gehört dann auch die Gruppe goth. managfalths a. s w. 
Die übrigen Wörter mit mrdeutscbem Ith zeigen diese Neigung 
merkwürdiger Weise nicht; sollte der Unterschied darin liegen, 
dass bei jenen beiden das th noch als eine saffixale Erweiterung 
gefühlt worden ist? Es sind hier zu nennen golh. balths kühn, urd. 
feltha* Feld, goth. viitheis wild, gulth Oold, hulths hoid.^ Dass sie 
das th mittelurdentsch behalten , dafSr sprechen die alta; Formen 
ballr, ijall, villr, gull, hollr, denn hier deutet die Assimilation auf 
älteres Ib^ wogegen Id nicht assimilirt zu werden pflegt; . damit 
stimmt auch im Hochdeutschen ahd. bald, feld, wildi, gold und hold, 
die noch in unserer Spraehe von alt und falten abstehn. Das Ags. 
bat erst während seiner speciellen Lebensperiode das b durch d 
ersetzt. 

Uebrigens stdit im Altn. dem eldri, öld, aldr anch ein elli 



gegeDÖber, welches aaf ein Schwanken zwischen Media nnd Spirans 
hinweist. 

Von Labialen mangelt mir jedes hieher gehörige Beispiel; ein 
mittelnrdentsehes ö für f wird sich nicht so leicht finden. 

Wir haben noch einen Blick auf den Wechsel zwischen Lauten 
verschiedener Organe zu werfen. 

Uebergang von t/i:f\ welchen man aus goth. thliuhan : ahd. 
fliohan u. s. w. und aus goth. thlaihan : ahd. flehan u. s. w. folgern 
könnte, müssen wir verwerfen, da wir an der entsprechenden Stelle 
des vierten Buches (S. 29) gesehn haben, dass hier vielmehr eine 
speciell gothische Entartung von fl : thl, eine Art halber Assimila- 
tion voriiegt. 

Dagegen ein Uebergang von h : f ist allerdings wahrscheinlich, 
doch nur in dem einen schon im vierten Buche (S. 30) erwähnten 
Beispiele Skr. a^na, goth. auhna- : altn. ofn, ahd. ofan, ags. ofen. 
Man muss annehmen, dass im Mittelurdeutschen hier erst ein 
Schwanken eingetreten ist; sonst könnte nicht im Altschwedischen 
neben ofn, omn noch ein ugn bestehn, welches dann im heutigen 
Schwedischen wieder gesiegt hat; dänisch heisst es ovn. 

Eine Verwandelung von v ; k würde man dem Mittelurdeut- 
sehen leicht in drei Wortgruppen zuschreiben : 

Skr. ^ivas, gr. ßiog, lat vivus, altin bin, altsl. zivü, lit. gyvas, 
goth. qvivs : altn. kvikr, kykr, ahd. chech, ags. cvic. Zufällig, doch 
wol in das Gebiet des abhängigen Lautwechsels gehörig, begegnet 
dieselbe Entartung im lat. vixi, victum. 

Skr. dSvar, gr. datJQy lat. levir, altsl. deveri, lit. deveris, goth. 
unbekannt : (altn. ?), ahd. zeihhur, ags. täcor Schwager. 

Skr. näva, lat. navis, altir. nau, goth. unbekannt : altn. nökkvi 
ahd. nachoy ags. naca Nachen. 

Doch liegt hier die Sache jedenfalls anders, da ein Uebergang 
von v:k physiologisch nicht möglich ist Erinnern wir uns, dass 
Bd. I, 395 die Neigung des Urdeutschen besprochen und nach Bd. 
If 42 als noch älter nachgewiesen wurde, einen inlautenden v ein 
g vorauschieben, so werden wir im Mittelurdeutschen ein Fortleben 
derselben Neigung anzunehmen haben, nur mit einem Ersatz des^ 
durch k.. Die alturdeutschen Themata würden also kviva-^ taivura-, 
navan- die mittelurdeutsdien kvikva-, taikvura-, nakvan- lauten, 
das p aber nach einer weiter unten beim abhängigen Consonanten- 
Wechsel zu besprechenden weit verbreiteten Erscheinung später 
getilgt worden sein. 

Am Schlüsse des selbständigen Consonantenwechsels ist noch 
als ganz veremaelt zu erwiUinen der Vorsehlag eines J vor voca- 



VI. rsir. 281 

lii^chen Anlaut in derOrnppe skr. aha, gr. i^fil, lat. ajo, gotb. aika: 
altn. jaga, ahd. jehan, alts. gehan, ein eben so auffallender Vor- 
gang, wie er sieb später im abd. jämar, nbd. Jammer zeigt. Jenes 
altn. jaga u. s. w. scbeint darauf binzudeuten, dass bei dem Anlaute 
J (wol aneb bei v) das Mittelurdeutscbe eine gewisse Unsicberbeit 
batte, die sieb dann später im Altnordiscben in der Weise fort- 
setztC; dass organiscbes J (und v) oft unterdrückt wurden. 

2. Consonanteu im Auslaut. 

Beim Aiturdeutschen spracben wir an der entspreebenden Stell^ 
(Bd. I, 375) zuerst von einem Abfalle oder einer Entartung des 
auslautenden ///; diese Erscbeinung ist bier zum Abscblusse gekom- 
men und niebt weiter zu berübren. Dann gingen wir (Bd. I, 377) 
auf den Abfall des auslautenden s über und erkannten, dass er sich 
nur auf einige Nominative Sing, besebränkte, bei denen vor dem 
s ein r vorbergegangen war, so dass also Nominative wie vir, 
stiur, antbar entstanden. 

Diese Feindscbatlt gegen auslautendes rs setzt sieb nun im 
Mittelurdeutscben weiter fort. Nicbt in den nocb Alturdeutscb 
gebliebenen Nominativen Sing, wie akras, iingras, denn bier musste 
ja das 5 zu r werden und nun trat leicbte Synkope und in Folge 
derselben Abwurf des letzten r ein. Wol aber gehört bieber eine 
Erscbeinung bei den auf das Suffix -tar ausgebenden Verwandt- 
schaftswörtern, die sowol im Gen. Sing, als im Nora. und. Acc. 
Plur. im Mittelurdeutscben das s getilgt zu haben scheinen. Ich 
gebe hier von einer Form des Gen. Sing, und Nora. Plur. dubtars 
u. 8. w. auS; welche sich vielleicht aus dem Bd. I, 524 und 525 
angenommenen dubtras entwickelt haben, vielleicht auch von vorne 
borein statt dessen bestanden haben mag. In beiden genannten 
Casus müssen wir nun ein mittel urdeutsches dobtar u. s. w. annehmen. 

Diese Annahme stützt sich auf folgende Erwägung. Im Gotbi- 
schcn lautete der Gen. Sing, noch fadrs, bröthrs, danbtrs, svistrs, 
modrs, dagegen im Altn. schon foAur, brddnr, ahd. fater, brnoder, 
mhd. vater, bruoder, alts. immer fadar, broftar, ags. fader, brööor, 
mnl. vadar, broeder u. s. w. Nur ausnahmsweise tritt das allgemeine 
Genetiv-8 auf im altn. foöurs, brodurs (besonders vor dem ange- 
hängten Artikel : fÖAurs-ins, biöAursins), im abd. fateres, mhd. vaters, 
bmoderes, ags. faderes. Dieses s siegt dann in den neueren Mund- 
arten im Allgemeinen bei den Masculinen, vereinzelter und später 
bei den Femininen (z. B. sec. 16 bei Tschudi sins vaters und mutters, 
niederl. bei vorgesetztem Genetiv moeders zuster, znsters broeder, 
fries. moders); vgl. Kelle vergleichende Gramm, der germaoischeii 



282 VI. -ns im Auslaut. 

Sprachen Bd. I (1863), 469 f. Im Nom. Plur. gilt altn. broeör, 
doettr, bei Tatian braodar, im Otfrid saestar, muotar, im Heliand 
mödar, saistar, ags. brödor, dobtor; ancb bier dringen faocbdeatsche 
Formen auf -a, angcleächsiscbe auf -as ein ; s. ebds. S. 477. Ganz 
gleich dem Nominativ steht der Acc. PInr.; es ist wol Formtiber- 
tragang aus dem Nom. anzunehmen, da das urdeutsche dahtrans 
eine andere Entwiekelung würde eingeschlagen haben; vgl. ebds. 
Seite 488. 

Mit dieser letzten Bemerkung baut sich 'die Brücke zum Folgen- 
den. Nämlich nicht bloss schliessendes rs, sondern auch ns wird 
im Mittelurdeutschen vermieden. Das hängt zusammen mit einem 
schon oben erörterten Gegenstande. Wir haben gesehu, dass diese 
Sprachepoche viele auslautende s hat in r übergehn lassen; das 
konnte aber vorwiegend nur in solchen Fällen gesehehn, in denen 
dns 8 Torsich einen Vocal hatte. Ging ein Gonsonant vorher, so 
konnte der Wandel zu r nicht eintreten und jener Feindschaft gegen 
auslautendes s wurde dadurch genügt, dass dieser Gonsonant ein- 
fach abfiel. Beim m tritt dieser Vorgang in alle den dreien Casus 
ein, in welchen diese Verbindung überhaupt möglich war. 

1) Gen. Sing, der N-Stämme. Hier fällt das ' in allen drei 
Geschlechtern sowol bei Substantiven als Adjectiven ab: 

Msc. und Ntr. Subst goth. gümins : altn. guma, ahd. gomin, 
ags. gumau. 

Msc. und Ntr. Adj. goth. godins : altn. gdöa, ahd. guotin, ags. 
gödan. 

Fem. Subst. Goth. tuggöns : altn. tungn, ahd. zungun, ags. tungan. 

Fem. Adj. Goth. göddns : altn. g5&u, ahd. guotun, ags. gddan. 

2) Nom. Plur. Msc. und Fem. der N Stämme. Hier fällt bei 
Adjectiven das s sicher stets ab: 

Msc. goth. blindans : altn. blindn, ahd. blindun, ags. blindan. 
Fem. gpth. blindons : altn. biindo, ahd. blindun, ags. blindan. 
Bei Substantiven dagegen stellt sioh die Sache so: 
Goth. hanaus, altn. hanar, ahd. hanun, ags. hanan. 
Goth. tuggöns, altn. tüngur, ahd. tungiin, ags. tungan. 

Doch auch hier scheint der Vorgang derselbe zu sein. Wir 
werden mittelurdeutsches hanan und tnngän anzunehmen haben and 
in den altn. Formen nichts als eine schon hier beginnende lieber- 
tragung aus den Stämmen auf -a sehn müssen. Sonst müsste man 
annehmen, das m sei mittel urdentscb noch geblieben; im Nenor- 
deotacben aber erst das s apokopirt und im Altn. das n vor 9 ge- 



) 



VI. -118 im AuBlaat. 283 

scbwundea und dann erst s zn r gewordeD. Erstere Annahme 
scheint die einfachere za sein. 

3) Acc. Plar. 

Hier gehört das n des ns nicht mehr zum Stamme, sondern 
zur Casuseudungy und ist daher einer rascheren Verwitterung aus- 
gesetzt ais das stammauslautende n. Die Beobachtung trübt sich 
hier etwas dadurch, dass im Hochdeutschen und Sächsischen über- 
haupt von einem besonderen Acc. Plur. nicht mehr die Rede ist, 
sondern einfach der Nom. Plur. dafür gilt. Die Sache scheint sich 
hier so zu stellen, dass hier die Apokope bei den Masculinen 
eintritt, dass also dem altnrdeutschen vulfans, gastins, suuuns ein 
mittelurdeutsches vulfan, gastin, sunun entsprach, worauf dann altn. 
ülfa, gesti, sonu beruht; die wenigen altn. Spuren von einem Aus- 
gange auf -ar (ülfar) köunen dann nichts anderes sein als Nomi- 
nativforraen, die schon vereinzelt in den Accusativ eindrangen. 

Anders bei den Femininen. Hier haben wir für die A-Stämme 
schon Bd. I, 377 angenommen, dass aus gibäns bereits altnrdeutsch 
gibäs entsprungen ist, daraus wird mittclurd. gibär entstanden sein 
und dies liegt dem altn. giafar zu Grunde. Ganz ähnlich, aber 
später wird bei den N-Stäinmen das alturd. tungänans tungäns 
(goth. tuggöns) in ein tungäs tungär übergegangen sein; altn. tungur. 
Eben so nehme ich an alturd. anstins, mittelurd. anstis, anstir, altn. 
ästir. Das Aufgehen der Nasale von -ans, -ins in den vorher- 
gehenden Vocal stimmt übrigens zu einer Bemerkung, die bereits 
oben bei Gelegenheit der Brechung (Seite 255) gemacht wurde. 
Für die Adjectiva, wo masc. blinda dem fem. bliudar im Altn. gegen 
über steht, ist nichts besonderes zu bemerken. 

Wir werden nach dieser Ansicht also als mittelurdeutsche Kegel 
aufstellen: Das nach n auslautende s wird im Gen. Sing, und Nom. 
Plur. aller N-Stämme und im Acc. Plur. aller Masculiua apocopirt. 

Ausserhalb der Casusendungen scheint das s nach n abgefallen 
zu sein in den urdeutschen Adverbien auf -suns, wofür wir im Ahd. 
-sun (warasun, tharasun, herasuu) finden. Hier findet sich im Altn. 
und Ags. nichts Entsprechendes zu vergleichen. 

Dem 11^ nahe steht n^s. Auch, hier scheint vereinzelt^ nämlich 
bei den Wörtern Freund und Feind, im Nom. und Acc. Plur. 
das Mittelurdeutsche das auslautende s eingebüsst zu haben. Vgl. 
fiant (Nom. Plur«) bei Isidor, friunt (Nom. Plur.) im vocab. S. Galli, 
in den Pariser Glossen, bei Notker und Willeram. Eben so kommen 
im Ags. die nominativen Pluralformen frynd, fynd, im Alts, friund, 
fiant vor. Selbst friesische und niederländische Formen fiand, freond, 
yieot begegnen. Häufiger freilich ist in allen diesen Formen Ueber- 



284 ^I* Consonantengruppen. 

gang in die A-Declination, abd. fianta, ags. freondaa, feondas 
u. 8. w.; vgl. Kelle vergleichende Gramm. I,4d2. Im Altn. lauten 
die PInrale fraendr nud fiaudr; erwünscht wäre es^ auch hier noch 
alte Formen ohne r belegen zn können. 

Alle erwähnten Fälle betreffen die mittelurdentsche Apokope 
des f. In der einzigen 3. Pers. Sing. i$t scheint mir auch das t 
abgefallen zn sein, alts. is (im Heliand daneben ist)^ ags. /«, fries. 
is, altn. er, Dass im Abd. und zuweilen im Alts, das / noch er- 
scheint, ist wol nur der Analogie des andern Verba zu verdanken; 
es ist wol nicht eine Bewahrung, sondern eine Wiedereinführung 
des Alten. 

Weitere Auslautserscheiunngen für diese Sprachperiode weiss 
ich nicht anzuführen. 

3. Gonsonanten abhängig. 

In Bezug auf Consonantengruppen zeigte sich das Urdeutsche 
Bd. I, 378 ff, sehr conservativ oder, wenn man will, unempfindlich. 
Um so mehr fällt es auf, dass in der von uns jetzt besprochenen 
Sprachperiode eine deutliche Feindschaft gegen solche Gruppen 
ersichtlich ist, deren mittler oder letzter Laut von einem r gebildet 
wird, weniger im Anlaut, mehr im Inlaut. 

Für den Anlaut, für welchen Bd. I, 385 nur zwei uralte Bei- 
spiele gegeben werden konnten^ ist im Mittelurdeutschen nur wenig 
dazugekommen : 

kv; Groth. qvairrus kirr: altn. kyrr, mhd. kfirre. 

hv; Goth. hvairnei Hirn : altn. hiarni, abd. hirni. 

dv; nicht recht durchgeführt ist die Erweichung in der Gruppe, 
welche sich an das goth. dvals tböricht anscbliesst; wir haben altn. 
fem. dul Einbildung, Wahn, dagegen noch msc. dvali Betäubung, 
Schlaf, Tod; eben so abd. toi, toll neben twelan torpere, sopiri, 
cessare; endlich ahs. doi neben fordwelan und ags. gedwelan. 

Die angeführten Fälle können nur als Ausnahme gelten, da die 
Beispiele für wolerhaltenes sv, kv, hv, tv, thv, dv in den deutsehen 
Sprachen gar nicht selten sind. Reicher ist die Zahl der Beispiele 
für den Inlaut: 

Iv; Goth. malvjan zermalmen : altn. mylja, abd. muljan. Da- 
gegen bleibt das h stets, wo kein j darauf folgt, z. B. in dem zu 
malvjan gehörigen altn. miöl (Dat. miölvi), abd. melo (Gen. melawes); 
femer in dem urdeutschen Stamme falva- fahl und balva- Böses. 

sv; Goth. ubizva Halle: altn. ups, uss, abd. obisa, opasa, ags. 
efese. Doch ist die Entartung nur bei diesem einen dreisylbigen 
Wortstamme den drei Spraehzweigen gemeinsam; im zweisylbigen 



VI. Consonantengnippeii. 2g5 

ardeutschen Stamme basva- grau ist nichts davon zu spüren; im 
ProD. goth. izTar ist die Entartung eine ganz andere. 

ky; der ardeatscbe Stamm kviva- lebendig rauss, wie wir oben 
saben (Seite 280), mittelnrdeatscb kvikva- geworden sein, dann aber 
noch wäbrend derselben Periode sieb zu kvika- erweicbt baben, 
worauf das altn. kykr, abd. cbecb, ags. cvic berubt. Eben so wird 
die Entwiekelung in dem ebendort erwähnten Stamme taivura-, 
taikvara-, taikura- gewesen sein, welches Wort uns im Goth. und 
Nord, unbekannt ist. Dagegen in dem dritten der dort erwähnten 
Beispiele scheint das altn. nökkvi Nachen noch auf eine längere 
Erhaltung des kv zu deuten. Dasselbe ist auch der Fall, wenn 
vor dem kv noch ein Consonant vorhergeht; wir haben skv in dem 
urdeutschen Stamme raskva- rasch, dessen nordiscbe Form röskr 
noch auf dem Verbleiben des r beruht; ferner nkt in goth. siggqvan 
saggqvjan sinken, senken, altn. sökkva (submergere und subm^rgi): 
abd. sinkan, sancjan, ags. sinkan, sencan. 

hv; Goth. aihva- Pferd: altn. ior, abd. ehu, alts. ehu. 

Goth. abva Wasser : altn. ä, abd. aha, ags. eä; das davon 
abgeleitete urdeutsche Thema ahvja- Aue zeigt dagegen ein festeres 
Erhalten des r. 

Goth. fairbvus Welt : altn. fiör (aber im Dat. noch fiörvi), abd. 
ferafa, ferb, ags. feorb, feor. 

Goth. nehv nahe: altn. näinn (Adj.), abd. näh, ags. neab; so 
auch im adverbialen Comparativ nSbvis : naerr, nähör und allen 
anderen dazu gehörigen Ableitungen und Zusammensetzungen. 

Goth. saihvan sehen : altn. siä, abd. sehan, ags. seon; doch 
verschwindet das r nicht in allen Formen des Verbums; man vgl. 
noch das engl, saw oder das faröische sövn viderunt (= altn. säo, 
abd. sähnn). 

Goth. arhvazna Pfeil : altn. ör (aber im Plur. örvar), ags. earfa, 
fehlt abd. 

Goth. leihvan laihv laihvam laihvans: altn. liä oder le, abd. 
lehan leb liwun, liwan und liban, alts. IShan, Part, farliwan; 
also wieder dasselbe Schwanken. 

gv; ein Beispiel dafür ergiebt sich, wenn man ein urdentsches 
hneigva inclinor annimmt, das einerseits im goth. hneiva, ander- 
seits im altn. bntg, abd. hnigu, ags. hnige erscheint. 

ngv; goth. saggvs Gesang : altn. saungr, abd. sang, ags. sang; 
dazu auch das Verbum siggvan u. s. w. 

Goth. aggvus eng : altn. aungr, öngr, afad. angi, ags. ange. 

Goth. svaggvjan schwenken : ahd. svangjan, ags. svengan. 

Dagegen in folgenden dreien Beispielen, in denen möglicher- 



286 VI. Consonanten^uppen. 

weise nberall (s. Bd« I, 396) das r der altere Laat, das ng erst 
späteres Erzeugniss ist, finden wie das r länger bewahrt: 

6otb. bliggvan bleuen : abd. blinwan, ags. bleövan. 

Goth. triggva Treue :altn. trü (Adj. tryggr), abd. triuwa, ags. treov. 

Ooth. glaggvnba genau, sorgfaltig : altn. glöggr, abd. glawer, 
ags. gleäv. 

tv; gotb. gatvo Gasse : altn. gata, abd. gaza, ags. gate. 

Gotb. ubtvö Dämmerung : altn. ötta, abd. uobta, ags. nbte. 

thy; bietet kein Beispie], man müsste denn etwa ein nrdeot- 
sebes neith^a annebmen, um aus dienern einerseits das goth. neiva 
irascor, anderseits das abd. nidu invideo herzuleiten. 

dy; bleibt erbalten im gotb. skadvjan schatten, abd. scatewjan, 
ags. sceadevan. Ja das d dieser Gruppe erweist sich minder fest 
als das v im gotb. fidvör, fidur- : altn. fiör (Ntr. noch fiögur, fiagnr), 
abd. fior, ags. feover, alts. fiwar. 

Ein rr bleibt in mehreren Gruppen stets unversehrt. Ueberhanpt 
also zeigt sich in allen diesen Fällen die Behandlung des r als 
eine sehr verschiedene und keineswegs einem bestimmten Gesetze 
folgende. -Man kann nur sagen^ dass im Mittelurdeutschen eine 
gewisse Abneigung gegen diese Lautgruppen begonnen habe. 

Sehn wir uns nach Entartung anderer CousonantenverbindungeQ 
um, so ergiebt sich zunächst für den Anlaut durchaus kein Beispiel; 
hier wird alles Ueberlieferte mit grösster Treue bewahrt. Dagegen 
finden wir für den Inlaut mehrere Fälle, in denen das A, wenn ihm 
ein s und dann noch ein dritter Consonant folgt, als allzulästig 
getilgt wurde: 

hsj; goth. niuhsjan besuchen : altn. n^sa (Snbst niosn), abd. 
niusen, ags. neösan, niösj.an, alts. ninsjan, niusön. Dagegen steht 
das // der tiefen etymologischen Begründung und weitläufigen Ver- 
wandtschaft des Wortes wegen viel fester im nrdeutschen linhsjan 
leuchten, dem zwar ein altn. lysa, aber noch ein ags. lixa entspricht. 

hsv; Goth. taihsvs : abd. zesawgr, alts. fem. tesewa, fehlt altn. 
Das goth. Wort scbliesst sich also an skr. dakSina, gr. 6e^tocy lat. 
dexter, so wie an die gallische Dexsiva dea, das bochd. und säch- 
sische näher an altir. des und altsl. desinü. 

hst; goth. maibstns xonqla: altn. mistrcaligo, abd. mist, engl, 
mist. Was ist aber von ags. myx, meox> meobx zu halten? das 
X tritt in mefal*eren ags. Wörtern ganz unorganisch ein, für st jedoch 
sonst wol kaum. 

Auch ein urdentscbes Thema nibsta — Nestel, Heftel tvgl. lat. 
nectere u. s. w.) müssen wir annehmen, dem im altn. nist, nisti 
so wie im abd. nnsta das h abhanden gekommen ist. 



VI. Assimilation. 287 

Sogar für den Abfall des h vor einfachem Consonanten scheinen 
sich ein Paar Spuren zu ergeben. Fick IIP, 250 stellt ein urdeutsches 
Thema rahna — Raubanscblag, Raub auf, an das sich das altn. 
and das ahd. ran schliessen würde. Wie hier hn : n, so gebt hm : m 
über im goth. lauhmuni Glanz : altn. liömi, alts. lioma^ ags. leöma. 

Dass der altn. Ausfall Yon n vor s schon in unserer Periode 
begonnen habe, bleibt sehr unsicher; das Verhältniss von Dunst 
zu altn. dnst, ags. dnst, nhd. selten Du^t wiegt wol nicht viel. 

Anziehend wäre es, wenn man in Zukunft der Frage näher 
treten könnte, in wie weit wol beschwerlich werdende (deshalb 
aber durchaus nicht immer gänzlich verbotene) Consonantenver- 
bindungen den Anlass zum Untergange eines Wortes gegeben haben. 
Man beachte z. B., dass die dem Urdeutschen zuzuschreibenden 
Wörter amsa Schulter und mimz Fleisch nur im Gothischeu erscheinen; 
goth. manvus bereit und vaurstv Werk habe ich im vierten Buche 
als gothische Neubildungen angesehn, doch könnten auch diese 
Ausdrücke schon urdentsch sein und aus dem angeführten Grunde 
ihren Untergang gefunden haben. 

Assimilation. Wir haben Bd. I, 393 — 395 diejenigen Fälle 
erwogen, die sich hier schon dem Urdeutschen zuschreiben lassen. 
Im Mittelurdeutscbeu reisst diese Entartung nur in sehr geringem 
Grade weiter ein. 

Zunächst mag hier schon die Assimilation eines j an einen 
vorhergebenden Consonanten, besonders in der schwachen Conju- 
gation begonnen haben^ doch gewiss nur sehr vereinzelt und regellos, 
namentlich nach langer Sylbe, wo nachher die meisten der Ein- 
zelsprachen die Gemination nicht zu schreiben pflegen. Genaueres 
im Einzelnen lässt sieh hierüber nicht ausmachen. 

Aber ein anderer wichtiger Fall ist hier noch zu besprechen. 
Die Lehre vom selbständigen Consonäntenwechsel lieferte uns als 
einen für das Mittelurdeutsche gradezu charakteristischen Vorgang 
den massenhaften Uebergang von s : r im Inlaute zwischen zwei 
Vocalen, im Auslaute und im Inlaute vor einigen Consonanten; es 
wurde ferner wahrscheinlich gemacht, dass ein dem rs ähnlicher 
oder gleicher Laut die Uebergangstufe gebildet habe. Hiemit 
stimmt es nun in schöner Weise zusammen, dass das Mittel- 
urdeutsche mehrfach, vielleicht immer, die von ihm bereits vor- 
gefundenen rs zu rr assimilirt; jene hypothetischen n rissen die 
echten mit sich fort. Erwägen wir die einzelnen Fälle. 

1) Alle altn., ahd., ags. u. s. w. Formen, die zu goth. thairsan 
und thaursjan gehören, also altn. thurr, ahd. durri, alts. thurri, ags. 
thyn*e; altn. therra, nhd. derran; altn. thorna u. s. w. Erhalten 



268 ^* Assimilation. 

wnrde das ' natürlich ror folgendem t-Saffix, da 8ich hier die be- 
liebte Verbindang st bildete wie in altn. thorsti, afad. darst, ags. 
thurst n. dgl. 

2) Goth. gadaursan wagen : ahd turran, ags. durrau; altu. 
dafiir ein regelmässiges thora fdr thorra. Aach hier bleibt das $ 
z. B. in ahd. gatnrst, ags. gedyrst Kühnheit. 

3) Goth. marzjan impedire: ahd. marrjan, alts. merrian, ags. 
merran, mnl. merren. Im Altn. ist das Verbum noch nicht nach- 
gewiesen. 

4) Altpreuss. warsus Lippe: altn. vörr, vor, in den andern deut- 
schen Sprachen nicht nachgewiesen, da goth. vairilo und der ag«. 
Plur. veleras ferner liegen, 

5) Nach Fick III 3, 26 zend. arshan Mann, gr. (ZQtffjv; urd. 
ersla-: altn. jarl, alts. erl, ags. eorl, wo wegen des folgenden / nnr 
einfaches r geschrieben wurde. 

Ferner hieher die beiden folgenden eine ähnliche Erscheinung 
darbietenden Fälle: 

6) Goth. vairs pejor : altn. verri dsgl., ahd. Verbum werran, 
alts. werran; dazu auch die Substantiva ahd. werra, das franz. 
guerre. Daneben besteht jedoch das auf den ersten Blick auf 
fallende ahd. wirs, alts. wirs, ags. vyrsa u. s. w. Sie beruhn ganz 
wie goth. vairs auf einem urdeutschen vairsis, jedoch wol mit dem 
Unterschiede^ dass für die gothische Form eine Zwischenstufe 
virs-s, für die andern schon ein yirr-s anzunehmen ist, so dass das 
erhaltene s nicht gegen die Regel ist, 

7) Goth. airzjis irre: ahd. irri, ahd. irran, alts. irrjan. Das 
ags. irsjan irasci und das altfries. irst iratus sehn aus, als liege 
hier wiederum ein uns sonst nicht erhaltenes adverbiales ^irsis zu 
Grunde. 

Unter die halbe Assimilation rechne ich das urdeutsche 
Thema asgan- Asche, goth. Nom. azgo: altn. aska, ahd. aska, ags. 
asce. Dem Gothischen nach war das Wort schon auf dem Wege 
zu einem argan-, der aber nicht weiter verfolgt wurde. 

Femer ist der halben Assimilation zuzuschreiben die Bd. I, 397 
besprochene Erscheinung, dass ein Dental, welcher im Urdeutschen 
und Gothischen einem J vorgeschlagen wird, in den andern deut- 
scheu Sprachen in ein ^^ übergeht, also dem Organe des j sich 
nähert. Hieher gehören die Beispiele: 

Goth. Fem. tvaddje duorum:altn. tveggja, ags. tvega; dieser 
Analogie folgt auch goth. thrije trium : altn. thriggja, wo wir auch 
ein dazwischen liegendes thriddj^ annehmen müssen. 

Goth. vaddjus Wall, Mauer: altn. Plur. veggjar, ags. vag. 



VI. Consoiumteii abhängig. 289 

Goth. daddjan sängen : altschwed. döggja. 

Gotb. *addja (bezeugt darch das krimgoth. ada) Ei : altn. egg, 
ags. äg. Dass das g aach der hoebdeutsebeQ Form za Grunde 
liegt, wird durch den abd. und mbd. Gen. eiges, eijes bewiesen. 

Hieber rechne ich auch das ahd. zwig, ags. tvig Zweig, welches 
im Verhältniss zur abd. und mbd. Form zwt nicht ein neues Suffix 
angenommen, sondern nur jenes euphonische gg hat sich festsetzen 
lassen. Leider ist das Wort im Altn. nicht belegt, wo es durch 
qvistr ersetzt wird. 

Vom Einscbub unorganischer Gonsouanten zwischen 
zwei Consonanten lieferte das dritte Buch (I, 397) noch kein Beispiel. 
Hier kann ich schon anführen goth. timrja, timrjan : altn. timbr, 
ahd. zimbar, ags. timber, alts. timbar, einen Fall, der zwischen dem 
griech. avi^q und fxsfißltßxa in der Mitte steht. 

Einfluss von Vocal auf Gonsonant ist für das Mittelur- 
deutsche nur in geringen Spuren anzunehmen, während das dritte 
Buch (I, 397—399) doch schon mehrfache uralte Erscheinungen 
darbot. Ausfall eines Consonanten zwischen zwei Vocalen ist viel- 
leicht zu sehn im gotb. bajöths beide : altn. bäöir, ahd. bede, alts. 
beöia; doch wie muss dann die mittelurdeutsche Form gelautet haben? 

Vocalisirung eines Gonsonanten durch einen folgenden 
Vocal zeigte sich im Urdeutschen (Bd. I, 398) nur bei dem Falle 
ji:i. Hier scheint auch das r hie und da einem Vocale zu unter- 
liegen und zu u zu werden. Vgl. das gothische Thema aqvizja- 
(Nom. aqvizi) Axt : mittelurd. Thema akusja-, ahd. acchus, alts. 
akus, noch entarteter altn. oxi, öx. Aehnlich scheint dem goth. 
Thema aihva- Pferd ein mittelurd. Thema ihn- zu entsprechen, 
worauf dann altn. Nom. iör, alts. ehn, ags. eh, eoh beruht; der 
Fall wurde schon bei der Erweichung inlautender Consonanten- 
gruppen erwähnt. 

Metathesis des r wurde im Urdeutschen bei den Themen 
kurna- und thurnu- (Goth. kaum, thaurnus) vermuthet; hier tritt 
noch der Gen. Sing, und der Nom. Flur, der Stämme auf -tar hinzu, 
wenn Bd. I, 524 und 525 richtig duhtras angesetzt wurde; die 
nordischen, hochdeutschen, sächsischen Formen beruhn, wie oben 
bei dem Abfall ausl&utender Consonanten gezeigt wurde, auf einer 
Form duhtars. 



- -* ."-'•. 



Pöntenumn, Geich. d. d. SjnracAtiammei. IL 19 



290 VI. Sprachschatz. 



Zweiter Abschnitt 

Der Sprachschatz« 

Was die mittelordeutsche Periode an Neubildungen in Compo- 
sitionen und Ableitungen geschaffen hat, lässt sich kaum io einzel- 
nen Fällen ahnen; sicherer kann man einige Verluste dieser 
Periode ahnen. Jene Neubildungen lassen sich nur dadurch anf- 
spüren, dass man zuerst ihr Nichtvorhandensein im Gothischen fest- 
stellt. Dies festzustellen ist aber bei der Lückenhaftigkeit des uns 
überlieferteu gothischen Sprachschatzes gradezu unmöglich. Wäre 
es aber auch möglich, so bewiese der Mangel im Gothischen nicht, 
dass auch das Alturdeutsche die betreffende Bildung noch nicht 
gekannt habe; sie kann im Gothischen, und das wird gewiss oft 
geschehn sein, sich erst verloren haben. Ich fähre deshalb alle 
diejenigen Wörter, welche wir im Gothischen nicht kennen, aber 
im Ahn. und mindestens einem der beiden andern Sprachzweige 
fiuden, schon Bd. I, 401 ff. beim Alturdeutschen auf; der Fehler 
sind so sicher weniger, als wenn ich alle diese Ausdrücke als mittel- 
urdeutsche Neubildungen ansehn wollte. Doch stelle ich hier einige 
dieser Ausdrücke noch einmal zusammen, da bei ihnen die W^ahr- 
scheiulichkeit eines Neugebild^tseins wenigstens eine grössere ist 
als bei den übrigen. Grösser nenne ich diese Wahrscheinlichkeit 
namentlich dann, wenn das Wort eine deutlich erkennbare Zusam- 
mensetzung oder Ableitung ist, von welcher sich in den urverwandten 
Sprachen keine Spur findet, während der dadurch ausgedrückte 
Begriff in den erhaltenen gothischen Kesten wirklich durch ein 
anderes Wort wiedergegeben wird. Dazu füge ich noch ein Paar 
schon im zweiten Buche erwähnte Ausdrücke, da entweder ihre 
Zusammenstellung mit den lituslavischeu nicht recht sicher erscheint 
oder das .deutsche Wort jenen lituslavischeu gegenüber eine gewisse 
Selbständigkeit zeigt. 

SUBSTANTIVA. 

Aus der Thierwelt weiss ich hier nichts anzuführen, es müsste 
denn etwa das Wort Hengst sein, das ursprünglich die allgemeine 
Bedeutung von Pferd hat. Dieses Wort (wofür goth. *aihva er- 
scheint), altn. hestr, ahd. hengist, ags. beugest, wurde schon Bd. 
I, 258 mit altsl. koni, konistvo, lit. kuinas vereinigt. Fick IIP,59 
setzt es dagegen zu einem Stamme hag cingere und vergleicht 
insbesondere lit. kinkau, kinkyti Pferde gürten, anschirren. Das 



VI. Sprachschatz. 291 

ntscbe Wort sieht sehr selbständig ans nnd giebt sich den 
ischein, als gehörte es zum Verbnm hahan, hangan, wie in der 
lat im Grimmschen Wörterbuche das Wort auch in dem Sinne 
ler Vorrichtung um etwas daran aufzuhängen angeführt wird, 
^zeichnet es ursprünglich wirklich das Lastthier, Saumthier? 

Der Meusch. 

(Bd. 1,403) Altn. karlmadr; ahd. charlman, nordfries. karman 
r fortis. 

^1,403) Altn. vif, ahd. wib, ags. vif Weib (goth. qvinö, qvens). 

(1,403) Altn. dis, ahd. itis^ ags. ides, alts. idis desgl. (goth. 
inö, qvens).* 

(1.403) Altn. brudgumi, ahd. brfitlgomo, ags. brddguma Bräutigam 
oth. brutbfaths). 

(1.404) Altn. konüngr, köngr, ahd. kuning, ags. cjning König 
oth. reiks, thiudans). 

(1,404) Altn. herra, ahd. herro, ags. herra Herr (goth. frauja). 
(1,404) Altn. sveinn, ahd. swein, ags. svän Knabe, Knecht 
oth. magus). 

Thierischer Körper. 

(I|406) Altn. lif, ahd. lib, ags. Itf Leben (goth. libains). 

(1,406) Altn. andlit, ahd. antluzi, ags. andvlite (goth. andavleizns, 
dja). Im Gothischen würde unser Wort andavlits lauten. 

(Zu 1,407) Altn. gaupn, ahd. coufana die hohle Hand (goth. löfa). 

Nicht das Geringste will sich aus dem Gebiete der Pflanzen 
[er Minerale ergeben. 

Nahrung, Kleidung, Wohnung. 

(1,409) Altn. ät, ahd. äz, alts. ät Speise (goth. födeins). 

(1.409) Altn. braud, ahd. bröt, ags. breäd Brod (goth. blaibs). 

(1.410) Altn. hunang, ahd. honang, ags. hunig Honig (gotb. 
ilith). 

(1,264) Altn. flesk, ahd. fleisc, alts. flesc, ags. flaesc (goth. mammo, 
imz). Die von mir am angeführten Orte gegebene Zusammen- 
ellung mit lituslavischen Wörtern war die von Grimm Gesch. d. 
;8ch. Spr. 1011; doch ist die von mir gegebene Hinweisung auf 
tn. flae, ags. flahe excorio zerfleische vielleicht vorzuziehn; die 
'deutsche Form würde dann flahisk sein. Eine neuere Zusam- 
enstellung mit urd. flais (altn. fleiri) plus scheint mir nicht glaub- 
sh; jedenfalls muss man aber die Bedeutung von Speck als die 
lere ansehn. 

(1,410) Altn. klaedi, mhd. kleit, ags. cläd, fries. klath (gotb. 

19* 



j^ VI. Sprachschatz. 

Tm8ti, sna£^); das Wort fehlt auch ahd. und alts. Es ist seiner 
Herleitung nach völlig dunkel; wir werden später noch darauf 
snrttckkommen. 

(I,41l) Altn. tjaldy ahd. zeit, ags. teld Zelt (gotb. hleithra); 
das Wort könnte leicht von auswärts eingeführt sein. 

Himmel, Zeit. 

(1,415) Altn. verold, ahd. weralt, alts. worold, ags, veruld (goth. 
manaseths, fairhvus). 

(1.415) Ahn. frest, ahd. frist, ags. frist Zeit, Frist (gotb. alds, 
tbeibs). 

IJebrige Substantiva. 

(1.416) Altn. sverd, ahd. swert, ags. sveord Schwert (gotb. mfiki). 
(1,419) Altn. tollr, ahd. zol, alts. toi Zoll (goth. mota)* 

(Zu 1,421 zuzufügen) Altn. bäkn, ahd. bouhban, ags. beäcen, 
alts. hokan Zeichen (goth. taikns, tani in fauratani). 

(1.422) Altn. hördömr, ags. hördöra adulterium (goth. hörinassns). 
(Zu 1,422) Altn. orlög, ahd. nrlag, alts. orlag fatum, bellum 

(goth. vaihjo, haifsts etc.). 

(I,27ü) Altn, örendi, erindi, ahd. arunti, ags. ärende Befehl, 
Geschäft (goth. anabusns, garaideins u. s. vv.). Vielleicht eine nur 
auf deutschem Gebiete entstandene Ableitung von goth. airus nnncius. 

(1.423) Altn. vaend, ahd. wänida Hoffnung (goth. v6ns). 

(1.425) AltD. ergi, ahd. argi Bosheit u. s. w. (goth. balvavesei 
etc.); zu dem unten folgenden Adj. argr. 

(1,272) Altn. thing, ahd. ding, ags. thing Ding (gotb. vaibts); 
das altsl. teza könnte leicht erst aus dem deutschen Worte entlehnt 
sein und letzteres sich als speciell deutsche Bildung erweisen; von 
einem starken Verbum thingan giebt es nur Spuren (Bd. I, 573). 

ADJECTIVA. 

(1.426) Altn. vinstri, ahd. und alts. winistra, fries. winistere, 
ags. vinistra die Linke (goth. hleiduma). 

(Zu 1,426). Während es gotbisch nur fairnjis alt, fairnitha Alter 
heisst, bildet sich in den andern Sprachen, also wol vor ihrer 
Trennung, eine Form mit u, o daneben. Es lautet altn. Ad], fom 
alt, forneskja Alterthum neben fyrnd Alter, ahd. Adv. fom ehemals 
neben Adj. firni alt, alts. furn fom Adv. neben Adj. iim, fym. Ags. 
Adv. furn fom. Die eine Reihe schliesst sich mehr an goth. fair-, 
die andere an goth. faura an. 

(1)428) Altn. sniallr, ahd. snel, ags. snell schnell, doch wol 
zunächst rüstig, kräftig bedeutend; vielleicht zu goth. snivan eilen, 
Bd. 1,91 (goth. Adv. sprautö; sniumundo). 



VI. Sprachschatz. 293 

(1,429) Alto. krankr, ahd. krank, ags. cranc (gotb. siaks). 
(Zu 1,429) Altn. eioeygr^ ahd. ainangi, ags. äneäge (goth. haibs). 
(I,43l) Altn. heilagr, häligr, ags. hailag, ags. häleg (goth. veihs). 
(I,43l) Altn. argr und ragr, ahd. arac, arc, ags. earg arg (gotb. 
*balvs etc.). 

PRONOMINA. 

Hieher gehört ein wichtiges Wort, das im Gothischen gewiss 
fehlte, daher anch Bd. 1,432 noch nicht in den urdeutschen Sprach- 
schatz aufgenommen ist Es ist dies das altn. thessi, ahd. desSr, 
ags. thes dieser; Bopp sieht darin eine Zusammensetzung tja-j- sja, 
68 ist wol eher ta -j" ^j^l ^^ Litauischen begegnet die umgekehrte 
Composition szitas, d. h. Hja 4~ ta. Gotbisch gilt für diesen Begrifif 
nnr sa; das mit letzterem zusammengesetzte sa -{- üb wird gewisser- 
massen durch das neue Pronomen verdrängt. Im Altnord, ist letzteres 
noch nicht fest eingebürgert; das Masc. und. Fem. thessi wird im 
Nom. Sing, zuweilen auch durch einfaches sja ersetzt, lieber die 
Deolination dieses Pronomens s. unten den vierten Abschnitt 

NUMERALIA. 

Auch hieher nur ein, aber ein desto wichtigeres Wort, das 
Bd. 1,432 erwähnte altn. bundrad, ahd. hundert, alts. hunderod, 
altiries. hondert hundert, ags. hundred centuria (goth. nur hunda). 
Das Wort ist im Ahd. selten, vielleicht mehr im Volksmunde als 
bei den Schrifstellern gebräuchlich und erst später durchgedrungen; 
dagegen wuchert dieselbe Bildung der Zahlen im Altn. weiter, 
indem wir auch für die Zehner von siebenzig bis 120 die Formen 
straed, ättraed, niraed, tiraed, ellefraed, tölfraeä^ finden. Es fragt 
sich, was wir in dem letzten Gliede der Zusammensetzung zu sehn 
haben. Grimm Gesch. d. dtsch. Spr. 253 und Koch histor. Gramm, 
der engl. Spr. III,a,23 suchen darin ein goth. *rgds im Sinne von 
Ordnung; vorzuziehen ist wol Fick IIP, 79, der darin ein urdeut- 
sches ratha Zahl (goth. rathjan, roth zählen) annimmt. Das Wort 
ist jedenfalls ursprünglich eigentliches Snbstantivum gewesen. 

VEBBA. 

(1.441) Altn. leida, ahd. leittan, ags. laedan leiten (goth. ustiuban). 

(1.442) Altn. fylgja, ahd. folgen, ags. folgjan folgen (goth laist- 
Jan) ; ich habe schon oben eine bescheidene Ansicht über Entstehung 
des dunkeln Wortes geäussert. 

(I>444) Altn. heilsa, ahd. beilison, ags. hälsjan begrüssen, zu 
einem unbekannten neutralen Substantiv '^'bailis (goth. göljan). 



294 yi' Sprachschatz. 

(1,445) Altn. kvedja, ahd. quatjan, ags. cviddjan begrässen, zu 
goth. qvithao n. 8. w. (gotb. gdljan). 

(Zu 1,445). Altn. blessa segnen, alts. bltdsean ergötzen, er- 
freuen, ans blithisan (gotb. Subst. yailaqviss, tbiatbiqviss). 

(1,447) Altn. gera, abd. garawjan, ags. gearvjan bereiten (gotb. 
nsfratvjan, manvjan; das Goth. kennt keine zum Adj. gar, aus dem 
Thema garva, gehörigen Bildungen). 

PARTIKELN. 

Altn. hversu .wie, abd. bwarasun wohin, fehlt ags. (goth. hvaiTa 
und hvadre). 

Altn. tbä, ahd. d6, alts. thuo tum, cum (gotb. than). 

(1.450) Altn. gegn (componirt gagnvart gegenüber, i gegnum 
durch, i gegn gegen), abd. gagan, ags. gägn, geön contra (gotb. 
vithra). 

(1.451) Altn. enn, abd. anti, ags. and und (gotb. jab). 

Diese wenigen Notizen innssen für jetzt genügen, gewisser- 
massen wie ein Merkzeichen für die Stelle, an der sich einst 
hoffentlich eine reichere Sammlung erbeben kann. Gelingt das 
hier und eben so auch beim Langobardischen, dann wird sich 
wahrscheinlich in Zukunft ein engeres Zusammenstimmen dieser 
beiden Idiome zeigen; jetzt sind es unter den langobardischen 
Worten nur arga und tbinx, die auch in dem eben mitgetbeilten 
Verzeichnisse vorkommen. Dass wir hierin noch nicht tiefer blicken 
können, daran ist vor allem unsere äusserst mangelhafte Kenntniss 
des gotbischen Sprachschatzes Schuld, auch daran, dass wir über 
mittelurdeutscbe Personen- und Ortsnamen noch nicht einmal eine 
Notiz wagen dürfen. Vollends ist es unmöglich hier von dem cul- 
turgescbicbtlicben Fortschritte des mittelurdeutscben Volkes zu 
reden, da wir ja nur solche Begriffe zusammenstellen konnten, die 
wir bereits im Gotbischen vorfinden. Wenn wir hier mehr wüssten, 
so würde sich wabrscbeinlicb ein Weiterschreiten in Bezug auf 
das Seewesen, femer eine Anzahl von neuen Naturproducten, 
siober eine weitere Entwickelung geistiger Begriffe ergeben. 

Die neuen Wörter haben zum grossen Tbeile die Wirkung, 
oft gradezu den Zweck, im Sprachschätze ältere Ausdrücke ausser 
Gebrauch zu setzen. So bat sicher das Mittelurdeutscbe seine 
lexicaliscben Verluste erfahren, wie wir sie für das Alturdeutscbe 
Bd. 1,458 ff. zu verzeichnen versuchten. Solche Verluste müssen 
unter denjenigen Ausdrücken aufgesucht werden, die bisher nur 
im Gk>tbiscben bekannt sind, in den andern germanischen Sprach- 
zweigen aber fehlen. Von diesen haben wir im vierten Bache den 



VI. Spraehschatz, Verluste. 295 

grössten Theil als gothiscbe NeubilduDgen verzeichnet. Ein anderer 
Tbeil jedoch, nämlich solche, welche schon im Sprachschätze des 
ersten and zweiten Buches verzeichnet wurden, welche also schon 
ardentsch gewesen sind, müssen im Mittel nrdeutschen untergegangen 
nein. Grade die nicht geringe Zahl dieser Ausdrücke, welche wir 
hier mittheilen, spricht für die wirkliche Existenz einer mitteldr- 
deutschen Sprachperiode; sonst wäre ihr gemeinsamer Untergang 
in drei getrennten Sprachzweigen kaam zu erklären. 

Substantiva: Goth. faths (Bd. 1,54) Herr; hliftus (I^ 56) Diel>; 
amsa (1,58) Schulter; skalja (1,263) Ziegel; mimz (1,63) Fleisch; 
tnilitb (1,63) Honig; hethjö (1,265) Kammer; milbma (1,66) Wolke; 
jnnda (1,69) Jagend, hnuthö (1,269) Stachel, wenn nicht entlehnt; 
dulgs (1,71) Schuld; Stoma (1,72) Stoff, Gegenstand; frathi (1,73) 
Verstand. 

Adjectiva: kanrs (1,76) schwer; thlaqvs (1,76) weich, zart, 
bamisks (1,272) kindlich; qvineins (1,273) weiblich; baibs (1,78) ein- 
äugig; bauths (1,78) taub. 

Pronomina: hvazuh (I,80) jeder; auch sa -f- uh, worüber schon 
oben, wird hieher zu rechnen sein. 

Verba: tabjan (1,82) reissen, schütteln; tarhjan (1,83) auszeichnen; 
(nz-) anan (1,83) hauchen; hlifan (1,84) stehlen; yilvan (1,84) rauben; 
tulgjan (1,87) festmachen; hramjan (1,87) kreuzigen; hvathjan fl,89) 
sieden; hvapjan (1,277) löschen; kijan (I,90) keimen; skevjan (1,91) 
gehn (altn. skiöa, ags. sciöjan passen nicht recht im Vocal; sie 
setzen ein ''^skivjan voraus); reikinön (1,92) herrschen; silan (1,93) 
schweigen; *agan (1,95), aus unagands zu schliessen, sich furchten; 
mampjan (1,95) verspotten; hölön (1,95) schaden; mitön (1,93) er- 
messen, bedenken; frathjan (1,94) verstehen; verjan (1,279) glauben 
(in tuzverjan zweifeln); faian (1,279) verachten, tadeln; fus-) gais- 
Jan (1,280) erschrecken; neivan (1,280) zürnen; ga-daban (I,280) ge- 
ziemen. 

Partikeln: hier sind etwa die beiden Fragepartikeln -ah nnd an 
(1,99) za erwähnen. 

Verba scheinen also am meisten untergeg.ingen zu sein; mit 
den Substantiven, auf deren Gebiete im Gegeutheil stets ein starkes 
Bediirfniss nach Neubildungen herrschte, verfuhr man sparsamer. 



Dritter Abschnitt. 

Die Wortbildung^. 

Der Gegenstand dieses Abschnittes hängt wesentlich von dem 
des zweiten ab; nur aus dem Wortschatze lässt sich die Wort- 
bildung erkennen. Wo wir über die Veränderung des Wortschatzes 



296 ^' ZuBJtmmenBetsuiig« 

so wenig wissen wie in unserm Falle, da wird auch über die 
Wortbildung nur dürftiges gesagt werden können. Doch sind 
immerhin einige Bemerkungen möglich. 

Die Zusammensetzung zunächst wird ja gewiss auch in 
dieser Periode eine immer mannigfaltigere und freiere geworden 
sein, im Einzelnen können wir darüber nicht urtheilen; das oben 
mitgetheilte Verzeichuiss führte als Gomposita nur die Substantiva 
altn. hördömr, bruögumi, orlög, karlmaör, verold, andlit, das Ad- 
jectivum eineygr, das Zahlwort hundraÖ auf; daraus ist nichts za 
Bchliessen. 

Dennoch können wir dem Mittelurdeutschen eine ganz neue 
Classe von Gompositen zaschreiben, von der es nicht Zufall sein 
kann, dass sie in allen germanischen Sprachen mit Ausnahme des 
Gothischen weit verbreitet ist. Wie die Bildungen auf -dorn ihre 
Quelle schon im Alturdeutschen haben, sind die auf -skap erst im 
Mittelurdeutschen entsprungen, ganz ähnlich wie die auf -baid erst 
dem Neuurdeutschen ihre Entstehung verdanken. 

Näher betrachtet leitete sich vom urdeutschen skapjan skop 
im Altn. ein Neutrum skap animi indoles, animus, im Ahd. ein 
wahrscheinlich auch neutrales scaf modus, im Ags. ein Neutrum 
sceap, scäp creatio, creatnra. Etwas anders gestaltet sich die Ver- 
wendung als letzter Theil von Gompositen; wir haben hier im 
Altn. ein mascnlines -skapr, im Ahd. ein feminines -scaf, neben, 
dem dann auch ein -scaft eintritt, im Ags. ein masculines -scipe, 
-scype; das Wort muss ursprünglich so viel als Gestalt, Form be- 
deutet haben und dann etwa in den Sinn unseres damit verwandten 
Beschaffenheit übergegangen sein; sein Genus ist im Mittelur- 
deutschen am wahrscheinlichsten masculin gewesen. Geben wir 
davon eine Reihe von Beispielen. 

Altn. fiandskapr Feindschaft, fiflskapr Narrheit, fSlagskapr 
Genossenschaft, greiöskapr Bereitwilligkeit, greyskapr Feigheit, 
kaupskapr llandel, sk&ldskapr Poesie, vinskapr Freundschaft, 
drengskapr Edelmuth, landskapr Landschaft (aber auch im Sinne 
von Landessitte), herskapr Kriegswesen; einige andere scheinen 
etwas jünger zu sein. 

Ahd. besonders häufig. Hierüber lieferte bereits a. 1826 
Grimm eine reiche Sammlung Gramm. 11,520, dann Graff ¥1,452, 
auch über die auf -scaft, die erst im zehnten Jahrhundert aufkom- 
men und jetzt gesiegt haben. 

Ags. eorlscipe Eriegerschaft, freöndscipe Freundschaft, foröscipe 
Reise, geöngerscipe Dienst, hläfordscipe Herrschaft, landscipe Land- 
schaft, leödscipe Volk; metescipe Speisung, mägenscipe Macht, 



VI. Ztisammensetzaiig. 297 

thegenscipe Rittersebaft uod viele andere; daneben treten aber 
gleichialls, doch hier als Masculina, Bildungen auf -sceaft auf. 

Alts, wie im Ags. Masculina, z. B. ambahtskepi Dienerschaft, 
Dienst; bodskepi Botschaft, brööarskepi Brüderschaft, erlskepi 
Mannschaft, folkskepi Völkerschaft, gnmskepi Mannschaft, jungar- 
skepi Jüngerschaft, theganskepi dsgl., werdskepi Wirthschaft; da- 
neben im cod. Gottonianus auch einige Formen auf -skipi. 

Schon das spricht ftir ein hohes Alter dieser Zusammensetzungen, 
dass wir so viele derselben mit nnsern Wörtern auf -schaft über- 
setzen können; noch mehr aber der Umstand, dass mehrere von 
ihnen in mehr als einem der drei Sprachzweige vorkommen, was 
doch nicht immer Zufall sein kann; ich erwähne hier: 

Ahd. botascaf, alts. bodskepi, ags. bodscipe, fries. bodskip. 

Ahd, bruaderscaf, ags. brdöorscipe, alts. brööarskepi. 

Altn. iiandskapr, ahd. viantscaf, ags. feöndscipe, alts. finndskepi. 

Ältn. herskapr, ahd. heriscaf, alts. heriskepi. 

Altn. landskapr, ahd. lantscaf, ags. landscipe, alts. landskepi. 

Ahd. liutscaf, agn. leödscipe, alts. liudskepi. 

Altn. vinskapr, ahd. winiscaf, ags, vinescipe. 

Dem Gothischen und Alturdeutschen ist alles dieser Art fremd; 
am nächsten kommt goth. gaskafts Schöpfung, Geschöpf, ahd. gascaft, 
ags. gesceaft. 

Ein weiterer Vorgang dieser Periode ist es, dass die beiden 
Praepositionen, die gothisch ga und dis lauten, ihre Eigenschaft 
als selbständige Wörter völlig verlieren und nur als untrennbare 
Praepositionen erscheinen. Zwar war dieser Process grossentheils 
schon im nugetheilten Germanischen vor sich gegangen, doch zeigt 
das Gothische, dass beiden Wörtern doch noch ein gewisser Grad 
von Selbständigkeit beiwohnte, da es hier gestattet ist, dass zwischen 
Praepos. und Verbum noch einzelne Wörtchen eingeschoben werden; 
vgl. Matth. 9,28 ga-u-laubjats; Job. 9,35 ga-u-laubeis ; Marc. 8,23 
ga-u-hva-sehvi; Job. 5,46 ga-thau-laubidedeith mis; Marc. 16,8 
diz-uh-than-sat Diese Beste von Selbständigkeit werden im 
Hittelurdeutschen gänzlich eingebüsst, so dass der hochdeutsche 
nnd sächsische Zweig diese Wörtchen nur noch als Mittel zur 
Composition kennt, der den Pracfixen überhaupt abgeneigte nordische 
aber das dis gänzlich verliert, das ga nur noch in wenigen Wörtern 
gestattet, bei denen die Sprache die praefixale Natur des anlauten- 
den g vergessen hat, z. B. gnaddr, gnaga, gnegg, glikr, gliking, 
gnögr. Denselben Weg zu betreten beginnt auch das goth. us, 
das in dieser Sprache noch mitunter getrennt wird, wie z. B. 
Luc. 20,25 us-nu-gibith thö kaisaris kaisara; Joh. 16,28 nz-uh-iddja 



298 ^' Ableitung. 

fram attin. Aber obwol auch hier das Hochdeatsebe nar nntrennr " 
bares nr-, ar-, ir-, er-, das Ags. nnr antrennbares or- kennt, 
moss der Process im Mittelurdeutschen noch nicht röllig vollende 
gewesen sein, da das Wort sich im Altn. wieder bis za einer — 
völlig selbständigen Praeposition or erheben konnte, während hier 
doch ausser dis- ond ^a- sogar die ganz selbständigen Praepositionen 
bi und du untergingen. 

Die beiden zuletzt erwähnten Thatsachen haben etwas Gemein- 
sames^ wir sahen das Snbstantivnm sAap zu einer blossen Endung, 
die Praepositionen pa und dis zu blossen Praefixen herabsinken, 
so dass die mit diesen Wörtern versehenen Grebilde nicht mehr 
zwei, sondern nur ein Hanptelement enthalten. Noch eine dritte 
Erscheinung geht einen ähnlichen Weg, die Verwandlung zusammen- 
gesetzter Personennamen in bloss abgeleitete, ein Gebrauch, der 
im Gothischen und den diesem nahe stehenden Mundarten noch 
unbekannt zu sein scheint, bei den andern Sprachzweigen aber 
unendlich häufig ist. Es geschieht aber dieser Vorgang so, dass 
die Suffixe -an und -jan (Nom. urdeutsch -a und -ja, ahd. -o 
n. s. w.) als Generalvertreter des Grundworts componirter Personen- 
namen gebraucht werden und dadurch die sogenannten Koseformen 
entstebn, in denen die Existenz des Suffixes -jan meistens nur 
durch eine Assimilation, d. h. durch Verdoppelung des vorhergehen- 
den Consonanten zu erkennen ist. So haben wir z. B. im Altn. 
SigriÖr : Sigga, Qndrnu : Gunua, Geirlaug : Geira, Aslaug : Asa u. s. w; 
eben so im Masc. Sigurdr : Siggi u. s. w. Hochdeutsche und säch- 
sische Beispiele, die sehr häufig begegnen, ist nicht nöthig anzu- 
führen. Weitere verkleinernde Verstümmelungen, die sich in den 
einzelnen Mundarten vorfinden, sind wol erst jünger und gehören 
daher noch nicht hieher. 

Indem wir nun zu einigen Bemerkungen über die Ableitungen 
fibergebn, muss sich das Einzelne in dem Leben der mittelurdeut- 
schen Sprache wieder in hohem Grade der Beobachtung entziehn. 

In Bezug auf die alten Suffixe werden wir eine starke, schon 
im Alturdeutschen begonnene Beeinträchtigung der auf u aus- 
gehenden Endungen (r/, tu, nu, m, asiü) mit Sicherheit annehmen 
können, wie sich aus dem allmählichen Absterben der U-Dedination 
ergiebt; ein Nachzügler des Suffixes -ru ist z. B. das goth. hnhrus, 
dem im altn. hungr, ahd. hungar, ags. hungor bereits ein A-Stamm 
entspricht. 

Zunahme ist dagegen zu vermuthen in den erst während der 
vorigen Sprachperiode neu gebildeten Suffixen (s. Bd. I, 511 ff)» 
namentlich bei den Erweiterungen auf -n. 



VL Ableitung. 299 

Recht deutlich ist die Zunahme ferner bei dem Bd. I, 516 er- 
wähnten Suffixe -linga, für welches wir nur ein einziges urdeutsches 
Beispiel (goth. gadiliggs) zu erwähnen wussten. Im Altn., Hochd. 
und Sachs, blüht diese Bildung in einer Ungeheuern Anzahl von 
Fällen, sowol in Eigennamen als Appellativen, vorherrschend in 
Masculinen. Beispiele findet man in den bekannten Werken in 
Fülle, für das Ags. und seine Tochtersprachen namentlich bei Koch 
histor. Gramm, der engl. Sprache Bd. III (1868) S. 63. lieber- 
einstimmungen unter den verschiedenen Sprachen finden sich jedoch 
nur wenige; ich erwähne altn. dyriingr, ags. deörling Liebling: 
altn. ^nglingr, ahd. jungelinc, ags. geöngling Jüngling; ahd. chomelinc, 
altengl. koroeling Ankömmling; es werden sich indessen noch mehr 
aufspüren lassen. 

In dem Bereiche der Verba erweitert sich die Bilduugsfähig- 
keit dadurch, dass nun auch schwache Verba ans componirten 
Substantiven und Adjectiven herzuleiten gestattet wird. Im Gothischen 
begegnet davon kein Beispiel, obgleich es dem Ulfilas nahe ge- 
legen hätte solche Vorbilder wie olxoSofX€tv oder yovvnetetv nach- 
zuahmen und Anlass genug gewesen wäre selbständig dergleichen 
zu bilden; dass sie im einigen Germanischen vorhanden gewesen, 
im Gothischen aber untergegangen seien, wäre verkehrte Annahme. 
Auch darin zeigt sich die grössere Jugend dieser Bildungen, dass 
sie in den deutlichen Sprachen vorwiegend der 6- Coujugation folgen, 
die ja besonders für jüngere Ableitungen bestimmt ist; Grimm 
Gramm. II, 583 liefert eine Fülle von Beispielen. Auch ergeben 
sich einige Fälle von Uebereinstimmungen, die für uns besonders 
wichtig sind, z. B. altn. dagthinga, ahd. tagadingön, unser ver- 
theidigeu; altn. herberg^ja, ahd. heribergdu, ags. herebirigan, unser 
herbergen ; altn. kaupslaga (auch dänisch kjöbslaae), ahd. caufslagön 
einen Handel schliessen. 

Bildung neuer Suffixe haben wir vor Allem in zwei- nomi- 
nalen Fällen zu beobachten. 

Aus dem Bd. I, 511 erwähnten -inga entwickelt sich ein häufig 
gebrauchtes -unga: es mag sich zuerst in solchen Wörtern ver- 
einzelt festgesetzt haben, deren Primitivum auf -u ausging und von 
da aus weiter gedrungen sein, namentlich auch sehr leicht an Verba 
auf -6n angeschlossen haben. Weniger natürlich scheint es eine 
verdunkelnde Einwirkung des /i^ auf den vorhergehenden Vocal 
von -inga anzunehmen. Verdankt das -unga auch zunächst einem 
rein lautlichen Vorgange seine Entstehung, so erlangt es doch später 
functionelle Selbständigkeit. Den einzelnen Sprachzweigen gemeinsam 
ist; dass es Masculina und Feminina entwickelt, keine Neutra, dass 



3^ VI. AUeitmig. 

e$ die Ma^nlina fast stets ans Nominen, die Feminina fast stets 
ans Verben bildet, dass bei jenen fast ansschliesslieh eoncrete, bei 
diesen abstraete Bedeutung gilt; endlicb, dass sich kein dem -linga 
eutspreebendes -lunga erzeugt. 

Dem Gotbischen mangelt ein -unga gänzlich, doch liefert uns 
das vierte Jahrhundert die beiden Völkemamen Juthungi und Gren- 
tungi (wofür Trntungi bei Trebellins Pollio nur falsche Lesart ist); 
die letzteren sind allerdings ein gothischer Stamm, vielleicht in 
nngofhischer Form überliefert; übrigens lassen Idatius, Suidas, 
Zosimus den Namen auf -ingi ausgebn. 

Im Ahn. haben wir unter den Masculiuen dieser Bildung nament- 
lich eine Reihe von Wörtern, die den Theil eines Ganzen ausdrücken, 
wie thriöjungr Drittel, eben so fiöröungr, fimtungr, settungr, siaun- 
dungr, ättungr, tolftungr u. s. w. (die Hälfte heisst altn. helfä oder 
helraingr = helfningr). Ferner eine ziemliche Anzahl persönlicher 
Bezeichnungen, nicht bloss Eigennamen wie Niflungr, Nidungr^ 
Suttungr, sondern auch Appellativa wie ättungr Angehöriger, broe- 
ftrungr Vetter, hornungr unechter Sohn, systrungr Vetter von weib- 
licher Seite, näungr Verwandter, sifjungr desgl., endlich noch manche 
vereinzelte, z. B. ginnungr Habicht u. s. w. Von den abstracten 
Femininen erwähne ich häöung Unwürdigkeit, hörmnng Beunruhigung, 
launungGeheironiss, lausung Schlaffheit, naudungNöthigung, sundrung 
Sonderung. 

Im Ahd. sind die Masculina nicht häufig mit Ausnahme der 
Personennamen wie Baidung, Blionung, Erlung, Gisolung, Harilung, 
Hisung und manche andere; von den Appellativen erwähne ich 
hornuug und fiordung. Die Feminina sind gradezu unzählig und 
es genügt dafür auf die reiche Sammlung bei Graif II,113G ff. zu 
verweisen. 

Das Ags. bietet nur wenige Masculina, z. B. feordung, dagegen 
sind die Feminina massenhaft vorhanden, wie fandung Versuchung, 
hnappung Schlafen, langung Sehnen, niiltsung Mitleid, glitennng 
Glanz, äscung Fragen, hälsung Heiligung, claensung Reinigung, 
dropung das Tröpfeln, ceäpung Handlung, Kauf, beäcnung das 
Winken. In den späteren Perioden dieser Sprache nehmen diese 
Forpen immer mehr ab, bis sie im heutigen Englischen ganz erlöschen. 

Uebereinstiramungen finden sich nicht häufig; es ist mehr das 
Princip der Bildung als die einzelnen Gebilde, worin die Sprachen 
zu einander stimmen; erwähnt werden mag altn. hornungr, ahd. 
und ags. hornung. Zuweilen hat die eine Sprache -unga, die andere 
-inga, so in altn. fiördungr, ahd. fiordung, ags. feordung neben 
feording, auch als Name der Münze; dem altn. konungr steht ahd. 



VI. Ableitung. 301 

chüniDg, ags. cjning entgegen. Ganz vereinzelt ist das wol nicht 
hieher gehörige altn. hanang (Neutrum), ahd. houang, aga« hunig. 

Das zweite neue Suffix beruht nicht auf blosser lautlicher 
Entartung, sondern auf stofflicher Vermehrung, doch auf einer ganz 
andern als wir im Urdeutschen beobachtet haben, wo neue Suffixe 
sich meistens durch Anhängung von -a oder -n erzeugten; in nnserm 
Falle sehn wir vielmehr eine Zusammenrückung der beliebtesten 
Adjectivendungen -ka und -ta; die mittelurdeutsche Form wird sich 
am wahrscheinlichsten als -ahta annehmen lassen. Das Gothische 
zeigt uns noch keine Spur dieser Bildung; was ihr in der Function 
entspricht, endet sich hier auf -ahs, -ags. 

Im Altnordischen finden wir erstens eine Anzahl von femininen 
Substantiven auf -ätta, Stamm -ättan, denen in den andern Sprachen 
nichts entspricht; barätta Schlacht, kunnätta Eenntniss, vedrätta 
Wetter, viöätta VTeite, Offenheit. Weit zahlreicher sind die Adjectiva, 
z. B. dumböttr dämmerig, skiöttr, freknöttr, rönddttr, flekköttr, 
skiöldöttr, bröndöttr, dröfnöttr, bllddttr, sokkdttr, blesöttr, golsdttr, 
bleikalöttr, möäldöttr, vindöttr, knöttottr, tindöttr, bäröttr, kringöttr. 
Noch andere Beispiele findet man schon a. 1826 bei Grimm 11,381, 
neuerdings bei Gleasby-Vigfusson XXXIII. In Hjaltalin's islän- 
discher Botanik begegnet eine grosse Anzahl solcher Worte, die den 
lateinischen Ausdrücken auf -ösus entsprechen. 

Das Ahd. besitzt zahlreiche Adjectiva, die hier zwischen den 
Endungen -oht, -aht, -iht seh wanken ; Grimm 11,380 and Graff IV,io62 
bieten reiche Sammlungen dieser Art dar, die sich bis auf die 
nhd. Adjectiva auf -icht fortsetzt, welche allmählich durch lieber* 
Wucherung von denen auf -ig erstickt werden. 

Die entsprechende ags. Form lautet -iht, -cht, z. B. bogiht 
bogig^ croppiht frachtreich, haeriht haarig, höciht gebogen, staeniht 
steinige thöiht thonreich, thomiht domig. Das Englische kennt hiefür 
nur den Ausgang -g, d. b. auch hier hat die ältere Form *]g wieder 
gesiegt. 

Uebereinstimmungen zwischen den einzelnen Sprachen werden 
sich bei Gegenüberstellung des ganzen Schatzes an solchen Bildungen 
gewiss manche zeigen; ich erwähne altn. flekköttr, ahd. flecchoht 
fleckig; ahd. bogoht, ags. bogiht bogig; ahd. dornoht, ags. thorniht 
domig. 

Auf dem Gebiete der Verba hat es das Mittelurdeatsche zu 
keiner neuen Bildung gebracht. Wenn sich in der Zeitschrift for 
deutsche Philologie von Höpfner and Zacher Bd. II (1870) S. 167 — 
172 ein Aufsatz von Leo über die Intensiven der deutschen Sprachen 
befindet, so wird darin zwar nachgewiesen, an welche Formationen 



308 VL Ablettmig. 

«eh die intensiTe Bedentnng in diesen Sprachen mit Ansnahroe des 
Crothisehen knfipft, doch sind diese Formationen selbst keines- 
wegs nen. 

Wir haben daher nnserm Plane gemäss nur noch auf den 
Untergang alter Snffixe unsern Blick zn werfen. Die Bd. 1,476 
erwähnte Neigung der alten U-Stämme, in die I- und A-Decli- 
nalion überzugehn; mag hier schon begonnen haben, doch für die 
aof einfaches u ausgehenden Stämme gewiss nur io geringem Masse, 
da im Altn. die U-Declination noch in völliger Blüte ist; erst im 
Neuurdeutschen schreitet hier die Zerstörung weiter vor. Aber 
gegen die übrigen Snffixe, die auf u ausgehn, ist doch auch schon 
hier eine gewisse Abneigung zu bemerken; ein ftu h.it im Deutschen 
(Bd. 1,483) schon überhaupt nicht mehr in klarer Selbständigkeit 
existirt; von -ru sahen wir oben im Goth. huhrus einen schwachen 
Rest, der in den andern Sprachen schwindet; Bd. 1,488 wurde be- 
merkt, dass das iu nur noch im Gothischen klar zu erkennen sei; 
und das alte -asiu (Bd. I, 149^ 516) ist gleichfalls nur noch im 
Gothischen einigermassen klar, während es im Altn. völlig ver- 
schvdndet, im Hochdeutschen und Sächsischen aber durch ganz un- 
organische Bildungen abgelöst wird. 

Auf ein Paar andere Suffixe scheint es von Einfluss gewesen 
zu sein, dass sie zwar nicht auf ti enden, aber diesen Vocal wenig- 
stens enthalten, dem schon um seiner geringeren Gebrauchssphaere 
eine gewisse Ungefügigkeit beiwohnt und der deshalb für Endungen 
weniger geeignet erscheint. So jenes alte -iüti (goth. -duths), von 
dem wir Bd. 1,494 die letzten Beispiele nur noch im (Gothischen 
nachweisen konnten. Femer -usja (aus *vatja\ über dessen gothische 
und unsichere sonstige Spuren Bd. 1,492 gesprochen wurde; eine 
weitere eben so unsichere Spur wird in Grimm's Wörterbuch III, 
1629 verfolgt. Auch das im dritten Abschnitte des vierten Buches 
besprochene gothische -f/^it/, -u/M vnirde sich hiezu fügen, wenn 
es, was unsicher ist, schon aus dem Urdeutschen stammt, nicht 
erst vom Gothischen neu gebildet wurde. 

Ein weiteres Suffix, das alle Lebenskraft verliert, ist das Bd. 
1)512 besprochene neutrale -isa. Sein Schicksal, das sich meistens 
im Mittelurdeutschen entscheidet, ist ein mannigfaches. Einige der 
hieher gehörigen Wörter gehn ausserhalb des Gothischen völlig 
unter, wie mimz Fleisch, rimis Ruhe. Andere lassen das s un- 
wandelbar wie zum Stamme gehörig erscheinen und haben seine 
ableitende Natur ganz vergessen, so in altn. iss, ahd. ts, ags. is 
Eis und altn. fax, ahd. fahs, ags. feax Har; dazu sind vielleicht 
unsere Wörter Haus, Gras und einige andere zu rechnen. Wiederum 



VI. Dedination. 303 

in andern Fällen wird g zn r rerwandelt, dieser Laut aber auch 
ganz als zum arspränglichen Stamme gehörig betrachtet; hieber 
gehört gotb. riqvis, altn. rökr Finstemiss; urd. ais, gotb. aiz; altn. 
eir, abd. er^ ags. aer Erz; gotb. abs; abd. ehir, ags. aber Aehre; 
auch gotb. kas Gefäss, dius Tbier, ^bins Bier, raus Bohr sind viel- 
leicht dazu zu stellen. Anziehender ist der Fall, dass die Ver- 
wandlung des s zü r gleichfalls vor sich gebt und nun dieses r 
den Schein der Nominativenduug annimmt, so dass das Wort früher 
oder später aus dem Neutrum ins Masculinum übergebt und mit 
den andern Masculinen später das r verliert. Dabin ist zu stellen 
gotb. batis (ntr.), altn. hatr (ntr.) abd. baz (msc), ags. bete (msc). 
Haas; gotb. ^baris (ntr.), altn. harr (msc); ags. bere (msc?) Gerste; 
gotb. sigis (ntr.), altn. sigi* (msc.)» abd. sign (msc), ags. sige (msc.) 
Sieg; das altn. doegr (ntr.) ist im ags. dögor (msc. und ntr.) Tag 
wol nur entlehnt. Gotb. agis Schrecken geht in die schwache Dec- 
lination über im altn. agi (msc); vgl. dän. ave, ags. oga, engl. awe. 

Unter den Yerbalsuffixen war keine Einbusse mehr möglich. 
Die meisten derselben hatten schon lange alle ihre Lebenskraft ein- 
gebüsst; nur das uralte ^n erhielt sich und musste erhalten bleiben, 
um active abgeleitete Verba bilden zu können. Jenes im Urdeutschen 
erst entstandene passive na (Bd. 1,516) war gleichfalls nötbig von 
der Zeit ab, wo die alte Passivbildung verkümmerte, bis zu der Zeit, 
in welcher die Passivbildung mit Hülfsverben völlig ausgebildet 
war^ und so lange haben diese Verba auch nur bestanden. 

Die Mannigfaltigkeit endlich der Partikelformatiouen schmilzt 
auffallend zusammen, so bildet sich kein neues Wort mehr mit 
jenem alten -va (Bd. I,506)i keins mit -dba (Bd. 1,609), keins mit 
-bai oder -ba (s. ebds.); nur wenige alte Formen reichen bis in 
unsere Periode hinein und unter sie heraus. 



Vierter Abschnitt 

Die Fleiüoii. 

Zunächst für die Declination werden wir hier schöpferische 
Neugestaltungen gar nicht mehr erwarten, da sich schon im dritten 
Buche an der entsprechenden Stelle gezeigt hat, dass das Urdeutsche 
hier vollkommen passiv war und nur lautliche Einflüsse hat über 
sich ergehn lassen* Solche finden auch in dieser Periode statt und 
wir haben auch hier dergleichen in den ersten Abschnitt verweisen 



] 



304 VI. Deolination. 

mässen; so sprachen wir z. B. bei den consonan tischen Aaslants^ 
erscheinungen über die Apokope des * im Gen. Sing, der Wörter 
auf Suffix -tar, ebendaselbst auch über die schwierige historische 
Auffassung der Formen des Acc. Plur. u. s. w. Schwankungen in 
Bezug auf die thematischen Vocale gehören vollends mehr in die 
Lehre von der Wortbildung als zur Flexion, wie z. B. das schritt- 
weise Beschränken der Themen auf -u. 

Sehr auffallend ist der Formenwechsel im Dat. Sing. Fem. der 
A*Stämme. Hier lautet es urdeutsch und gothisch im Substantivam 
gibai, imAdj. urd. blindaisai, im Goth. schon substantivisch blindai. 
Aus gibai und blindaisai entwickelt sich altn. giöfu (giöf) und blindri, 
ahd. (Eero) gebu und blindem, alts. gebu und blindäro; dem goth. 
Fron, izai steht ahd. und alts. iru, iro gegenüber. Es ist also eine 
Endung -u für die Substantiva schon im Mittelurdeutschen, später 
auch für die Adjectiva eingetreten, die sich lautlich aus -ai kaum 
erklären lässt. Es kann das kaum etwas anderes sein als eine 
eingedrungene instrumentale Form, wie wir sie im Altn. schon in 
den Dativ des Neutrums der Adjectiva (s. Bd. I,.5ao) eingeschlichen 
sehn. Erleichtert wurde dies Eindringen jedenfalls durch den Gleich- 
klang mit dem -mu der Masculina nnd Neutra der Adjectiva, das 
auf rein lautlichem Wege aus ma entstanden war. Ja auch die 
allgemeine Neigung der Feminina zu dunkleren und schwereren 
Vocalen mag auf diesen Formenwechsel günstig eingewirkt haben. 

Nur ganz ausnahmsweise und schüchtern beginnt eine andere 
Erscheinung einzutreten. Wir haben an seiner Stelle gesehn, wie 
das Germanische die Neigung hat, nominale Stämme durch -xi zu 
erweitern und wie dann diese Neigung dazu führt, dass jedes Ad- 
jectivum unter syntaktisch gegebenen Verhältnissen als N-Stamm 
erscheint. Dieses Eindringen des n fängt nun allmählich an auch 
bei den vocalischen Stämmen der Substantiva in denjenigen Casus 
überzugreifen, der dem Adjectivum im Sprachgefühle am nächsten 
steht, doch nur im Pluralis. Im Altn. finden wir von fylki nnd 
klae^i schon die unregelmässigen Genetive Plur. fylkna und klaedna 
für fylkja und klaeöa; im Neuurdeutschen werden wir diese Nei- 
gung grossgezogen sehn. 

Nicht hieher gehört eine andere Erscheinung beim Gen. Plur. 
Wenn wir im Gothischen den Gegensatz von fiske, gibö, vaurde 
oder von blindaize, blindaizd, blindaize finden, in den andern Sprachen 
aber nur eine Endung, nämlich ahd. nnd alts. -o, -ro^ altn. und 
ags. -a, -ra, so könnte es scheinen, als sei jener Gegensatz im 
Mittelnrdentschen ausgeglichen worden. Dies i»% ab&r nicht der 
Fall; vielmehr bestand die Gleichheit schon im angetheilten Ger- 



VI. Declination. 305 

maDischen, wo es nach Apokope des -m fiskä, gibä, vurdä, blin- 
daisä lautete; das Gothische hat hier erst eine Verschiedenheit ein- 
geführt, und zwar dadurch, dass es den alten d nicht überall 
gleichzeitig in ö und ^ auswich. 

Für die Adjectiya ist zu bemerken, dass nun auch schon fast 
die letzten Besonderheiten einer U-Declination, wie es schon früher 
mit den I-Stämmen geschah, durch die A-Declination aufgesogen 
werden. Nur im Altn. spürt man das u noch öfters in der Gestalt 
von p oder gar nur durch den Umlaut, im Ahd. sind die U-Stämme 
ganz in die auf -Ja übergegangen, z. B. Nom. Sing, hardi, engi, 
durri, fili; der sächsische Zweig hat gleichfalls jede Spur vertilgt; 
das neutrale filu ist im Hochdeutschen und Sächsischen das letzte 
Ueberbleibsel. 

Bedeutender als beim Substantivum und Adjectivum sind im 
Mitteiurdeutschen die Zerstörungen beim P r o n o m e n gewesen. Allen 
Prononiinen gemeinsam ist zunächst die schon die Bd. 1,529 besprochene 
Einfügung eines J in den Instrumental, wovon weder dns Urdeutsche 
noch das Gothische etwas wusste; die mittelurdeutsche Endung 
lautete hier -ja, woraus sich einerseits das altn. -fy anderseits das 
hochdeutsche -/// erklärt, das auch den ags. Formen zu Grunde 
liegt. Denselben Wandel macht auch der erste Theil des zusam- 
mengesetzten Relativums durch, goth. hveleiks gegen altn. hvilikr, 
ahd. hwiolihhßr, ags. hvilc. Für die einzelnen Pronomina ist ferner 
Folgendes zu bemerken: 

Im Personalpronomen tritt eine deutliche nicht auf bloss laut- 
lichem Wege zu erklärende Ueberwucherung der zweiten Person 
durch die erste und dritte ein. Zunächst stehn dem gotbischen 
tbus, thuk in den übrigen germanischen Sprachen Formen mit / 
gegenüber, um Ueberstimmung mit den Stämmen mi und s( der 
ersten und dritten Person hervorzubringen; es lautet also altn. mik 
thik sik, faröisch meg teg seg, ahd. mih dih sih, ags. mec theo, 
alts. mi thi. Dasselbe geschieht im Nom. Du. und Plur. Im Dual 
ist dem gothischen vit entsprechend in der zweiten Person ein jnt 
anzunehmen ; statt dessen haben die andern Sprachen stets Formen 
mit dem Vocal der ersten Person, also altn. it oder thit, faröisch 
tit, ags. git, alts. git. Im Plural heisst endlich der Nominativ gothisch 
veis jus, in den andern Sprachen aber gleichklingend altn. ver er 
(oder ther), faröisch vaer thaer, ags. ve ge, alts. we ge (wi gi). 

In Bezug auf den Pronbminalstamm si oder sja hat vielleicht 

im Mitteiurdeutschen eine Revolution stiittgefunden. Wir bemerkten 

schon Bd. 1,536, dass das Gothische sein si grade wie das Irische 

sein st nur gebraucht, um das fehlende Femininum des Stammes 

Pöntenumn, Gesch. d, d, SpracKstammes. II, 20 



306 VI. Dectination. 

/ za ersetzen. Während nun dieses si im Altn. und Ags. ganz ver- 
schwindet, haben wir imAhd. and Alts, einen erweiterten Oebraoch 
dieses Stammes vor uns; der Nom. Sing. Fem. lautet ahd. siu oder 
si; alts. siu; dazu tritt ein Acc. Sing. Fem. ahd. sia, alts. sia, ein 
Nom. und Acc. Plur. durch alle drei Geschlechter ahd. sie sio siu, 
alts. sia sio sin. Durch diesen Vorgang wird das Pronomen / be- 
deutend beschränkt; dem goth. Acc. Sing. Fem. ija, dem Nom. und 
Acc. Plur. Fem. ijös entspricht nichts in den übrigen Sprachen. 

Auch die Declination des Interrogativstammes Ära verkümmert; 
nur gothisch ist noch der Acc. Plur. hvans und das Fem. Sing, 
hvö; in den andern Sprachen fehlt das Fem. und d£r Plural ganz. 
Von der Zusammensetzung hvazuh ist schon im Gothischen kein 
Fem. mehr zu belegen, vom Plural nur hvanzuh. 

Das Pronomen süöa ipse declinirt im Gothischen nur schwach, 
also nur nominal,'sonst überall stark und schwach : altn. sialfr neben 
sialfiy ahd. selber neben selbo, ags. seif neben selfa, alts. seif neben 
selbho, altfries. seif neben selva. Im Ags. ist die starke, im Alts, 
die schwache Form die gewöhnlichere. 

Besonders merkwürdig ist das neu gebildete Pronomen tha -l- 
sja (s. oben den Sprachschatz); dasselbe ist uns in einer doppelten 
Declination überliefert. Die alterthümlichere Art ist die, dass nur 
das erste Pronomen flectirt, das. zweite nur (ähnlich wie das c 
im lat. hic) als Suffix angehängt wird. Diese Art ist in der uns 
erhaltenen eigentlichen Literatur untergegangen, findet sich aber 
noch auf alten Runensteinen bis nach Schleswig hinab. Beispiele 
sind Dat. Sing, theimsi huicce, Acc. thannsi huncce (thinsi auf 
einem Runensteine von Falster), thäsi hancce, Nom. Plur. theirsi 
hi-ce. Dat. Plur. theimsi hisce, Acc. Plur. thäsi hosce, Ntr. Plur. 
thausi oder thusi oder thisi haecce. Ausserhalb der Runensteine 
begegnet maa noch einem instrumentalen thvisa. Beispiele für diese 
Declination finden sich bei Gleasby-Vigfusson unter dem Worte 
kumbl S. 358 und unter thessi S. 734. Zu bemerken ist hier gleich, 
dass auch der Pronomiualstamm sa den Versuch zu dieser Zusanuuen- 
Setzung gemacht hat, da auf Runensteinen ein säsi hicce, süsi 
haecce begegnet. 

Die zweite Art ist die, dass das zweite Pronomen flectirt 
wird, der Stamm der ersten nur Praefix ist (etwa wie das / im 
lat. ipse). Diese Art ist die in der Literatur des nordischen, hoch- 
deutschen und sächsischen Zweiges verbreitete. Wir werden uns 
dafür etwa folgendes mittelurdentsche Paradigma aufstellen können: 

Sing. Masc. Fem. Ntr. 

Nom. thasja thasju tha^jata 



VT. Conjagation. 3O7 

Gen. tbasjas tbaisjar tbasjas 

Dat. tbasjama tbaisjari tbasjamu 

Acc. thasjana tbasja thasjata 

Plur. 

Nom. tbasjai tbasja tbasja 

Gen. tbaisjara thaisjara tbaisjara 

Dat. tbaisjum thaisjum thaisjarn. 

Acc. tbasjas tbasjas tbasja 

Hier ist zwar einiges noch unsicber, docb wird das im Ganzen 
die Gestalt sein, aaf welcber die Formen der einzelnen Sprachen 
berahn, so weit nicht Formenübertragung in ihnen stattgefunden bat. 

Auch dieser zweiten Art entspricht, wie der ersten jenes säsi 
und süsi, ein Versuch einer ähnlichen Zusammensetzung, nämlich 
der Stämme bi -f- sja. Diese Zusammensetzung mag gleichfalls 
niittelurdeutscben Ursprungs sein, ist aber in allen germanischen 
Sprachen ausser im Faröischen verschwunden, wo von ihr noch die 
Formen hesin, hesum, besir^ besari^ besi, hesar Zengniss ablegen« 

So weit dieses erste Angebot für mittelurdeutscbe Declination. 
Für die Conjugation haben wir gleichfalls nichts schöpferisch 
Neues, sondern nur Verluste von Formen, Verkümmerung von Bil- 
dungsmitteln und Unregelmässigkeiten einzelner Verba anzumerken. 

Unter den Formverlusten nenne ich zuerst den völligen Unter- 
gang des Duals. Hatte schon das ungetbeilte Germanische dessen 
dritte Person eingebüsst, so folgen derselben nun auch die erste 
und zweite nach. Grimm hatte Gramm. I (1870), S. 964 und später 
Gesch. d. dtsch. Spr. (1853) S. 672, doch an beiden Stellen mit 
einer etwas verschiedenen Auffassung, die Ansicht ausgesprochen, 
dass jene merkwürdigen bairischen und österreichischen Formen 
gebts, kommts, habts u. s. w., die als Dual und Plural, als Indicativ 
und Imperativ gelten, noch die übrig gebliebenen gotbischen Formen 
auf -ts seien. Neuerdings ist man aber mit Recht von dieser 
Anschauung zurückgekommen und wieder zu Schmellers Ansicht 
zurückgekehrt, dass wir hier nur ein dem pluralen -t sufBgirtes 
Pronomen haben, und zwar jenes §8, ös u. s. w., das dem gotbi- 
schen *jut entspricht und in diesen Mundarten auch selbständig 
vorkommt. Auf das in den Gasseier Glossen vereinzelt begegnende 
pergite = sindos ist nicht viel zu geben; es wird sindot zu lesen 
sein. Wir sehn also den Dual des Verbums schon im Mittelur- 
deutscben für völlig untergegangen an. 

Zweitens, ist jede Spur eines besonderen Imperativs ver- 
schwunden, wovon doch im Gotbischen sich noch ein Paar Ueber- 
reste (s. Bd. 1,219) erbalten haben. 

30» 



80« VI. Conjngation. 

Von dem alten Medio-Passivnm bat das Gothisebe nocb sechs 
Formen bewabrt (s. Bd. 1,201 ); das Altnrdeatscbe batte also min- 
destens nocb eben so yiel, wabrscbeinlicb nocb etwas mebr. Im 
Mittelardeatscben ist gradeza Alles verscbwanden, denn in den 
nngotbischen Spracben lässt sieb nichts dabin Geböriges anfweisen; 
ein Paar yerdäcbtige abd. Formen frtbrt Grimm Gr. I. (1870)8.965 
anf. Ein wirklieber Rest alter Medialform könnte allenfalls das 
einzeln stebende altn. heiti, ags. bätte nominor sein, wenn es wirk- 
lieb dem gotbiscben baitada entspricbt. 

So ist im Mittelurdeutscben stark anfgeräamt unter der alten 
Formenfälle des Verbums und alle deutsche Goujugation besteht 
binfort, abgesehn von den nominalen Bildungen, Infinitiv und Par- 
ticipium, nur nocb aus vier mal sechs Formen. 

Auch das wichtigste Bildungsmittel verbaler Mannigfaltigkeit, 
die Reduplication, wird in dieser Periode seiner völligen Verküm- 
merung weiter entgegengeschritten sein. War es doch schon im 
Alturdeutscben (s. Bd. 1,543) nur auf die ä-, ai- und an-Stamme 
and einen Theil der a-Stämme beschränkt. Das Mittelurdeutsche 
bat nocb ein bibait, lilaik, bibaud, stistaut, slisläp, vivald geerbt. 
Diese schwerfalligen Formen abzuschaffen boten sich nun zwei 
gleich gewaltsame Wege dar; entweder wurde der Anlaut der 
Wurzelsylbe einfach ausgestossen, aus lilaik wurde also liaik, oder 
die Vocale beider Sylbeu rückten zusammen und der Consonant 
blieb nicht zwischen, sondern hinter ihnen; aus lilaik wurde also 
liailk. Der letzte Weg konnte nur selten eingeschlagen werden, 
da in den meisten Fällen im Auslaute eine völlig unerlaubte Gon- 
sonantengruppe entstanden wäre; dass er aber zuweilen wirklich 
eingeschlagen ist, zeigen einige Formen, die wir noch beim Neu- 
urdeutschen erwähnen müssen; der andere Weg versagte nie und 
ist in der Regel betreten worden. Aber wie weit das Mittelur- 
deutsche auf beiden Wegen vorgeschritten ist, darüber können wir 
auch nicht einmal Mutmassungen aufstellen. 

Auch die schwachen Praeterita verlieren die Reduplication der 
Wurzel dhä, welche sie noch im Gothischen im Plural besassen. 
Dem alturdeutscben Ausgange -dädum, -däduth, dädun entspricht 
alemannisch-hochdeutsches -tomes, -tot, ton (z. B. goth. nasidedum: 
neritomes). Man streitet darüber, welches der beiden d geschwun- 
den sei; wahrscheinlich das zweite, entsprechend dem eben er- 
wähnten Vorgange bei den starken Praeteriten ; aus -dädum wurde 
-däum und dann contrahirt -dom. Das Altn. und Ags. haben ihrer 
Eigentbümlicbkeit gemäss den Vocal gekürzt. 

Wir haben nun noch von einigen Erscheinungen zu reden, die 



VI. Coxyugation. 309 

i einzelnen Verben bemerkbar sind. Bd. 1,578 wurden einige 
3rba der graba-Gonjagation erwähnt, die eine Praesensyerstärkong 
irch j schon im ungetheilten Germanischen gehabt haben müssen* 
»ran schliessen sich noch vier Verba der g^ba-Gonjugation, welche 
eselbe Erscheinung darbieten. Bei diesen letzteren wird es mir 
m zweifelhaft, ob wir den Eintritt der Praesenserweiterang nicht 
Bt dem Mittelardeutschen zuzuschreiben haben. Eins jener Verba^ 
tn. thiggja, fehlt dem Gothischen ganz, bei zwei andern, altn. 
;gja und sitja, erscheint im Gothischen noch einfacheres ligan und 
an ; bei dem ersteren der beiden schwankt auch das Ahd. zwischen 
;gan und ligan; es mag zur älteren Form zurückgekehrt sein. 
EIS vierte Verbum endlich heisst zwar goth. gewöhnlich bidjan, 
>ch kommt daneben auch bidan vor. So ist also die Annahme 
Des schon alturdeutschen j in diesen Verben nur sehr schwach 
•gründet. 

Unter den übrigen Verben finden wir sowol in dieser Periode 
9 auch sonst den Anlass zu Sprachverirrungen öfters darin, dass 
re Wurzelsylbe auf ein leicht verschwimmendes y (/) oder r ausgeht. 

Die im Gothischen starken Verba saiaii und vaian gerathen in 
in ungothischen Sprachen in Verwirrung. Altn. sä soa conjugirt 
&rk und schwach, eben so auch schwankt dieses Verbum im 
ts. und Altfries. Im nnl. waaijen ist das Praeteritum woei, gewöhn- 
ih aber schwach waaide^ beim altfries. waia ist die Gonjugation 
cht zu bestimmen. Ags. säve und väve gehn allerdings bloss 
»rk, scheinen also die schwache Gonjugation wieder verloren zu 
kben, da das r die starke Gonjugation weniger genirte. Ahd. 
ftian, wähan so wie saian, sahan, säwan sind nur schwach. 

Das gothische divan dau devum divans morior geht in dieser 
inen Gonjugation völlig unter; aus dem Praeteritum dau bildet 
^h mittelurdeutsch ein abgeleitetes Verbalthema daqj^ ^^^ zu 
esem gehört altn. das starke deyja do däinn, eben so das ahd. 
wjan, töwan und das alts. döjan, döan, von welchen kein Praet 
fzuweisen ist. 

Von den Praeteritopraesentibus ist zu bemerken, dass 
in neues Verbum dieser Glasse mehr entsteht, denn das im Gothi- 
hen fehlende an ist sicher erst in dieser Sprache untergegangen. 
1 Gegentheil wird ihre Zahl vermindert; lais novi verschwindet 
.nz und auch ög metuo scheint in dieser Sprachperiode aus dieser 
ortklasse auszuscheiden. 

Von den drei Verben nah, skal und man war schon Bd. 1,586 
merkt, dass sie im Plural schon urdeutsch ein u angenommen 
ben, also nuhum, skulum, mnnum lauteten. Diesem deutlichen 



310 VI. Bedeutung. 

Einflüsse der binda-Gonjugation beginnt nun im Mittelardeutschen 
auch mag za folgen, doch so, dass die Sprache neben älteren und 
neueren Formen schwankt. Urdeutsch und gothisch lautet es noch 
magum; im Altn. findet sich neben megum und megu auch die Neben- 
form mughum, mughu; im Ahd. taucht neben magun, ein mngnn, 
neben magut ein mugit, sogar im Optativ neben megi ein mngi auf, 
im Praet. neben mahta ein mohta. Eben so im Ags. neben magon 
ein mugon; auch alts. gilt mugun, desgleichen mohta neben mahta. 

Ferner ist hervorzuheben, dass das Verbum will etwas in die 
Reihe der Praeteritopraesentia hinüber schwankt; an Stelle der % 
Pers. Sing. gotb. vileis tritt altn. vilt (neben vill) auf und dieses / 
bleibt sogar im ahd. vereinzelt vorkommenden wilt (Graff 1,818) 
und im ags. vilt. 

Im Verbum substantivum schliesslich fällt die starke Entartung 
auf, die das goth. sijan (sim) zu altn. se, ahd. si, ags. st, altfries. 
se^ alts. si erleidet ; den übrigen Verben gemäss mfisste noch immer 
eine zweisylbige Form hier stattfinden; vielleicht sind also nicht 
bloss lautliche Einflüsse thätig. 



Ffinfter Abschnitt 

Die Bedeutung:. 

Wie schon im dritten Buche S. 589 sich für das ungetheilte 
Germanische manche Bedeutungsverschiebnng ergab, so finden sich 
auch hier Fälle, in welchen die Bedeutung des gothischen Wortes 
von der der andern Sprachen abweicht und jene die ältere zu sein 
scheint. So sieht es sehr alterthümlich aus, dass böka im Sing, 
den Buchstaben, im Plur. bdkös das Buch bedeutet, ähnlich wie 
lat littera und litterae; im Mittelardeutschen geht die erstere Be- 
deutung völlig unter und um ihr zu dienen muss das Wort durch 
eine neue Zusammensetzung, altn. bökstafr u. s. w., d. h. den für 
das Zeichen dienenden Stab, ersetzt werden; Buch aber (zunächst 
noch immer als Femininum) kann nun erst die heutige Bedeutung 
erhalten. Das gothische Ntr. tagl bedeutet noch ganz allgemein 
das Har und das wird auch der ältere Sinn sein; leider ist die 
Etymologie nicht sicher; Fick erinnert an skr. dagä Franse und das 
kann ja ganz gut in den Sinn von crinis übergehn. Im Mittel- 
nrdeutschen scheint das Wort zunächst für den Pferdeschwanz ge- 
braucht zu sein und in diesem Sinne finden wir es auch im Altn. 



VI. Bedeutung. 311 

Dass es dann sogar auf nnbeharte Schwänze übertrageD wird , ist 
wol erst jüngere Abweichung. Zu altn. firar, ahd. firahi, ags. firas 
lebende Wesen, Leute, gehört das abgeleitete goth. fairhvus Inbe- 
griff der lebenden Wesen, Welt; von diesem Begriffe wird nun im 
altn. fiör, ahd. ferah, ags. feorh das Merkmal des Lebens abstrahirt 
und so erhält das Wort den Sinn Yon vilüy für welchen Begriff die 
Sprache überhaupt öfters ihre Noth mag gehabt haben einen Aus« 
druck zu finden. Das goth. haithi scheint noch ganz allgemein für 
die ausserhalb der grösseren Wohnplätze liegende Erdoberfläche 
gebraucht zu werden; im altn. hei&r, ahd. heida^ ags. hae& speci- 
alisirt sich der Begriff, doch in verschiedener Weise, und so schwankt 
er noch in den heutigen Dialekten zwischen Wald, waldiger Berg- 
rücken, unfruchtbare mit Gestrüpp bewachsene Ebene u. s. w.; das 
altn. hei&inn, ahd. heidan, ags. hae&en paganus erklärt sich nur 
aus einem älteren noch sehr weiten Sinne des Wortes. 

Neben solcher Bedeutungsverschiebung geht nun stets die Er- 
scheinung der Bedeutungsverblassung her, welche den Wörtern 
gewissermassen alles Mark aussaugt und sie zu bloss formalen 
Elementen sublimirt. Das urdeutsche haidus mag noch wie das skr. 
ketu den Sinn von Erscheinung, Lichterscheinung gehabt habeu; 
das Mittelurdeutsche scheint dem Worte schon etwa denselben 
Sinn gegeben zu haben, wie das Altn., also etwa Ehre, Stand, 
Würde. Das Gothische auf seinem besondem Wege einerseits und 
das Neuurdeutsche anderseits haben es stark verblasst und es, wie 
wir später sehn werden, sogar fähig gemacht im Hochdeutschen 
und Sächsischen als blosses Suffix zu dienen. Zwei andere Sub- 
stantiva, das gemeindeutsche dorn und das mittelurdeutsche ikap^ 
von welchem schon oben bei der Gomposition die Bede war, müssen 
schon in unserer Periode zu Suffixen herabgesunken sein und dem 
Zwecke gedient haben sinnliche Begriffe in die geistige Sphaere 
zu erheben. 

lieber eine andere Bildung bin ich nicht ganz sicher, ob ich 
sie schon in unserer Periode in der gleichen Function annehmen 
soll. Das Altu. kennt mehrere Gomposita auf -aldi, darunter nur 
zwei in der poetischen Sprache, nämlich digraldi (vir crassus) und 
leggjaldi (vir bracchii), beide im Sinne von servus; die andern 
sind prosaisch, nämlich glöpaldi, himaldi, hrimaldi, tasaldi, thum- 
baldi, vagaldi; sie haben alle einen tadelnden Sinn wie Narr, 
Dummkopf u. dgl. Mit diesen Wörtern stellt nun Grimm Gramm. 
III (1831) S. 706 die hochdeutschen Wörter auf -olt zusammen, 
meistens Eigennamen, deren älteste in meinem Namenbuche 1,1236» 
in Zahl von etwa dreihundert, verzeichnet sind; doch giebt es 



312 ^^ Bedeutung. 

ancli Appellative unter ihnen^ in denen gleichfalls jener tadelnde 
Sinn durchbricht. Diese hochdeutschen Wörter gehören jedenüalls 
zu goth. valdan und so lässt sich denken, dass die nordischen, 
trotz ihrer schwachen Declination und der nicht ganz regelrechten 
Aphaerese des r, eben dahin gehören. Ein mittelurdentsches 
-valda, -vald könnte schon den Sinn von vir und damit einer 
(niedrigen) Person angenommen haben. 

Eine Schwächung anderer Art erfährt in den ungothischen 
deutschen Sprachen das Wort Hand manus; es dient in den ver- 
schiedensten Redensarten gradezu um eine Richtung zu bezeichnen, 
ähnlich wi« schon im goth. taihsvö und hleidumei das Substantivum 
so farblos ist, dass es (wie in allen Sprachen) ausgelassen werden 
kann. Solche Redensarten sind altn. ä hendr (hönd) und i hendr 
(hönd) gegen, til handa für, zum Besten von — , fyrir handan 
jenseits. Ahd. begegnet z. B. nnderhandan = praesens, zi henti 
(mhd. zehant), az henti pim praesto sum u. dgl. Ags. heisst to 
bände laetan gradezu überlassen, alts.* an band gebhan übergeben 
n. 8. w. 

In den andern Wörterklassen ausser den Substantiven sind 
nnr wenig Bedeutungsverschiebungen zu beobachten. Die Ad- 
jeotiva auf -sam und leik sind vielleicht schon zu völligen 
blossen Ableitungen herabgesunken, wozu sie den Weg bereits 
im Alturdeutscben (Bd. 1,472) eingeschlagen hatten. Das Zahlwort 
ein unus wird in der schwachen Declination ausserhalb des Gotbi- 
sehen meistens im Sinne von solns verwandt, so das altn. eini, 
abd. eino, ags. äna. Für die Verba weiss ich kein Beispiel, denn 
dass das goth. finthan nur cognoscere, nicht invenire zu beissen 
scheint, ist entweder Zufall oder specielle Entartung des tiothischen. 
Unter den Partikeln mache icb zunächst aufmerksam auf die mit 
•ana endigenden, welche Bd. 1,506 zusammengestellt sind. Sie 
müssen in uralter Zeit als ursprüngliche Accusative das Wohin 
ausgedrückt haben, im Urdeutschen wahrscheinlich das Wo (welche 
Bedeutung im Gotbischen vorherrscht), während in den ungothischen 
deutschen Sprachen sogar das Woher völlig durchgedrungen ist 
Femer das Adverbium misse, welches im Gotbischen noch im Sinne 
von dXXrjXovgy dXXijXoig (uns missö, izvis missö) verwandt wird, 
während dieser Gebrauch den andern deutschen Sprachen gleich- 
massig abhanden gekommen ist; das altn. ä miss aneinander vorbei 
erinnert noch einigermassen daran. Unter den Praepositionen ist 
ein höchst merkwürdiger Fall, dass das goth. of noch den altindo- 
germanischen Sinn von unter hat, während die andern deotachen 
Sprachen ihm die Bedeutung von auf, über geben; dieses letltere 



VI. Bedeutung. 313 

Wort, schon im Skr. upara superior, scheint eine begriffliche Attrac- 
tiou auf sein Primitivum u f aasgeübt zu haben, und das wird doch 
gewiss nicht in jedem der drei Sprachstämrae für sich, sondern 
nur einmal, d. h. im Mittelurdeutschen geschehen sein. 

Für die stärkere Bedentungsverschiebung, wodurch ein Wort 
in eine ganz andere Wörterklasse übergeht, habe ich nur ein Paar 
Notizen gesammelt. Sehr bemerkbar ist der weitere Fortschritt 
eines Substantivums zum Pronomen in den beiden Wörtern man 
und riht (goth. vaihts), die im Gothischen nur bei vorhergehender 
Negation, in den andern Sprachen aber auch ohne diese eine völlig 
pronominale Function haben; vgl. Bd. 1,595. Der Uebergang eines 
ursprünglichen Substantivums zum völligen Verbum scheint hei den 
Infinitiven im Mittelurdeutschen seinen letzten Schritt zu thun; 
JoUy Geschichte des Infinitivs (1873) bemerkt S. 163 flF., dass im 
gothischen Infinitiv noch oft die alte Casusnatur durchblicke, 
während die andern Sprachen davon keine Spur mehr haben ; doch 
zieht J. namentlich das Altnordische nicht herbei, das also noch 
zu untersuchen ist. Verwandlung eines Substantivs in ein Adverbium 
findet beim Dat. und Acc. des Wortes haim statt; der Dativ be- 
deutet domi und erscheint in den Formen altn. heima, ahd. heimi, 
heime, heimo; im Ags. gilt dafür ät häm. Der Acc. im Sinne von 
domum lautet altn. heim, ahd. heim, ags. häm; so unterscheiden , 
sich selbst noch dänisch hjemme und hjem, auch noch in einigen 
niederdeutschen Mundarten heme und hem. Für den Sinn von 
domo nimmt das Wort eine sonstige Adverbialbildung an, altn. 
heiman, ahd. heimina oder heimenan. 

Auch dass plurale Dative sowol von Substantiven als Adjectiven 
als Adverbia gebraucht werden, ist noch nicht gothisch, denn un- 
kaureinöm II. Cor. 11,9 braucht nicht so gedeutet zu werden. In 
den andern drei Sprachzweigen treten diese Bildungen schon überall 
häufig auf. Aus der Reihe der substantivischen nenne ich altn. 
nöttum noctu, sökum causa, stundum interdum, ahd. danchum gratis, 
grundum fuuditus, wehsalum vicissim, ags. hvllum aliquando, listum 
callide, spedum prospere. Von den adjectivischen hebe ich hervor 
altn. fornum olim, löngnm longe, storum valde, ahd. luzzikem 
paulatim, zuiskem inter, auch mit dem später sehr häufigen Aus- 
gange -liehen schon ein smählihhem certatim; ags. litlum minuta- 
tim, miclum magnopere, middnm in medio; Grimm Gr. III (1831) S. 94 
und 136 liefert noch weit mehr Beispiele. 

Band 1,596 wurde wurde erwähnt, dass schon im Alturdeut- 
sehen mit dem Adjectivstamme fulla- Verba fast wie mit einer 
Praeposition zusammengesetzt wurden. Im Mittelurdeutschen tritt 



314 ^- GenuB. 

daza, wenn der Mangel im Gothischen nicht znfallig ist, noch der 
Stamm ibna-, goth. ibns aeqnns. Von dieser Art haben wir altn. 
lafnbiofta wetteifern, iafnkyta streiten, iafnvaegja gleichviel wiegen; 
aus dem Ahd. fährt Grimm ebangesigan an, aas dem Mhd. erwähne 
ich %. B. ebenhinzen nacheifern. Am zahlreichsten sind solche 
Verba im Ags., z. B. efenblissjan congratolari, efencnman 
oonvenire, efengedaelan aeqne distribaere, efengehaSrigan coan- 
gustare, efengehnevau consentire, efengespittan conspoere, efen- 
getheahtjan consentire, nnd so giebt es noch eine ganze Reihe anderer. 

Schliesslich ist hier noch zu erwähnen, dass die beiden gothi- 
schen Adverbia nehv nnd fairra, nah nnd fem, in dieser Sprache 
noch keine Adjectiva neben sich haben. Das mnss nnn im Mittel- 
nrdeutschen sich geändert haben und es spricht recht für meine 
gewöhnliche Anordnung der drei Sprachzweige, dass im Altn. zwar 
ein vereinzeltes nä propinqna und ein Plur. näir propinqui vorkommt, 
aber noch kein vollständiges Adjectivum narr, nätt; fiarr remotus, 
longinquus erscheint zwar schon als Adject., doch gewöhnlicher 
das Adverb, fiarri. Dagegen im Ahd. sind die Adjectiva näher und 
ferr^r, im Alts, näh und fer ohne Anstand gebräuchlich; nur das 
Ags. zeigt auch hier den so sehr wichtigen nordischen Einfluss 
darin, dass es von dem einen Worte zwar den a^jectivischen Com- 
parativ und Superlativ nyra und nyhsta, aber kaum einen Positiv 
bildet, während feorr ganz als Adverbium zu verharren scheint. 

Nach der Bedeutungsverschiebnng haben wir nnserm Plane 
gemäss die Genusverschiebung ins Auge zu fassen. Wir finden 
ziemlich häufig die Erscheinung, dass das Gothische einem Worte 
ein anderes Geschlecht giebt als die drei andern Sprachzweige. 
Nun kann in einzelnen Fällen dieses letztere Geschlecht schon im Ur- 
deutschen bestanden haben, das Gothische nur abgewichen sein; 
im Allgemeinen aber ziehe ich, wie bereits im vierten Buche be- 
merkt wurde, die Ansicht vor, dass das Gothische noch das ursprüng- 
liche Genus erhalten hat, das Mittelurdeutsche aber abgewichen 
ist Uebrigens sind hier alle sechs möglichen Genusverschiebungeo 
vertreten : 

1) Msc: Fem. 

Goth. aivs (tempus) msc. : altn. aefi (vita) fem., ahd. ewa (lex) 
fem., ags. aev (lex) fem. 

Gtoth. lustus (Lust) msc. : altn. lyst fem., ahd. lust fem. ; im 
Mhd. und Ags. schwankt das Wort «wischen Msc. und Fem. 

Goth. nadrs (Natter) msc: ahd. natra fem., ags. nädre fem.; 
das Altn. steht in der Mitte, indem es zwischen nadr msc mid 
nadra fem. schwankt. 



VI. Genus. 315 

Ich bemerke gleich hier, was auch für die folgenden Abtheilungen 
gilt, dass die Form der Wörter öfters, z. B. in Bezu^ auf den 
thematischen Vocal^ nicht in allen Sprachzweigen genau dieselbe 
ist, dass jedoch trotzdem überall das eine Wort als Ersatz des 
andern und die ganze Gruppe als eiue einige angesehn werden kann. 

2) Msc: Ntr. 

Goth. fairhvus (mundus) msc. : altn. fiör (vita) ntr., ahd. ferah 
(vita) ntr., ags. feorh (vita) ntr. Hier geht die Genusverschiebung 
zusammen mit der Bedeutungs Verschiebung. 

Goth. hlauts (Los) msc : altn. hlaut ntr., ahd. hlöz msc. n. ntr., 
ags. hlyt, hlet, hlot ntr.; doch ist altn. hlutr, ahd. hluz, ags. hlytmsc. 

Goth. laufs (Laub) msc. : altn. lauf ntr., ahd. loup ntr., ags. 
leäf ntr. Daneben auch ahd. msc. lob. 

Goth. ligrs (Lager) msc. : altn. legr ntr., ahd. legar ntr., ags. 
leger ntr. 

Goth. vairths (Werth) msc. : altn. verö ntr., ahd. werd ntr., ags. 
veorö ntr. 

3) Fem. : Msc. 

Goth. alhs (templum) fem. : ahd. alah msc, ags. ealh msc; 
altn. scheint das Wort zu fehlen. 

Goth. dails (Theil) fem. : ahd. teil msc. (u. ntr.), ags. dael msc; 
fehlt altn. 

Goth. dauns (olfactus) fem. : altn. daunn msc, fehlt sonst. 

Goth. haims (vicus) fem. : altn. heimr msc, ahd. heim msc, 
ags. häm msc (und ntr.). 

Goth. vaddjus (murus) fem. : altn. veggr msc, ags. vag, vag 
msc; fehlt ahd. 

4) Fem. : Ntr. 

Goth. taikns (Zeichen) fem. : altn. teikn ntr., ahd. zeihhan ntr., 
alls. tekan ntr., ags. täoon ntr. 

Goth. qQö (abundantia) fem. : altn. of ntr., vielleicht nur ein 
speciell altn. Uebergang. 

5) Ntr. ; Msc 

Goth. atisk (seges) ntr: ahd. ezzisc msc; fehlt sonst in dieser 
Form. 

Goth. hanri (pruna) ntr. : altn. hyrr (ignis) msc; fehlt sonst; 
vielleicht sind das goth. und das altn. Wort nicht ganz identisch. 

Goth. hlaiv (sepulcrum) ntr. : ahd. hleo (tumulus) msc, ags. 
hlaev msc (und ntr.). 

Die übrigen hieher gehörigen Wörter gehn auf das Suffix -isa 
aus, dessen s wahrscheinlieh zunächst im Nominativ vielfach als 
Nominativzeichen verstanden wurde: 



316 VL Genus, Syntax. 

6oth. agis (terror) ntr. : altn. agi msc, ahd. agi, egi msc, 
ags. ege lusc. 

6otb. hatis (Hass) ntr. : ahd. haz msc, ags. hete msc. Das 
altn. hatr wird noch als ntr. angegeben; vielleicht bestand neben 
goth. hatis schon ein msc. hats. 

Goth. skathis (Schade) ntr. : altn. skaöi msc, ahd. scado msc; 
wahrscheinlich ist aach ags. sceÖÖ msc. 

Goth. sigis (Sieg) ntr. : altn. sigr msc, ahd. sign msc, ags. 
sige (und wol aus dem Altn. entlehnt sigor) msc. 

6) Ntr. : Fem. 

Goth. sauil (sol) ntr. : altn. söl fem., ags. söl wahrscheinlich 
auch fem. 

Ein Schwanken im Genus setzt sich fort zwischen Fem. und 
Ntr. im altn. dyr (nur Plur.) ostium, janua eben so wie im ahd. 
turi und tor; auch im Ags. besteht das fem. duru, dyr neben dem 
ntr. dur, dor. * Schon im Gothischen gilt das schwache Fem. danrö 
(nur Plur.) neben dem starken Ntr. daur. 

So weit vom Genus. Für den Eintritt einer volksetymologischen 
Thätigkeit mangeln hier bis jetzt die Beispiele; der Accent war 
bereits im Urdeutschen fest geworden. 



Sechster Abschnitt. 

Die wenigen Bemerkungen, die ich hier im ersten Wurfe mit- 
zutheilen weiss, sind folgende: 

Für die Verbindung von Substantiv und Pronomen ist zu 
bemerken, dass das Gothische den Nom. Sing, und Plur. des Pronom. 
possess. der dritten Person sein noch nicht gebraucht und nicht 
gebrauchen kann, weil dies Pronomen hier nur in reflexivem Sinne 
steht; man nimmt dafür den Gen. Sing, oder Plur. des geschlechtigen 
Pron. der dritten Person (Sing, is izös is, PI. iz6 izö ize). In den 
übrigen Sprachen erweitert sich der Gebrauch des Possessivums auch 
auf diesen Casus, doch bleibt das Altn. wie gewöhnlich dem Goth. 
noch am nächsten^ da hier noch mit Vorliebe der Gen. Sing, hans 
hennar thess, PI. theirra angewandt wird. 

Substantivum .'und Verbum fügen sich im Sanskrit, Zend 
und andern Sprachen noch häufig zu einer GonstructioD des i)at. 
c. Inf. zusammen ; noch im Altsl. ist diese Fügung viel häufiger als 
die des Acc mit dem Inf. Auch das Gothische hat davon noch 



VI. SjTitax. 317 

Reste, doch nur bei rarth^ z. B. Luc. 16,22 varth tban gasviltan 
tbamma unledin iysvero de dnod^aveiv rov nrinxo'^'^ nocb ein Paar 
andere äbniiche Stellen findet man bei Grimra Gr. IV,ii5. Solcbe 
Construetion kommt in keiner andern deutseben Spracbe vor. Frei- 
lich kann die Sache von verschiedenen Standpunkten angesehn 
werden, wie Jolly Gesch. des Infin. (1873) S. 267 andeutet. 

Der Verkehr der Substantiva mit den Praepositionen, 
welcher vordem ein ziemlich ungezwungener war, nahm, wie be- 
reits Bd. 1,602 erwähnt, immer mehr conventioneile Formen an. 
Die gewiss aus dem Urdeutschen ererbte Construetion von fn mit 
dem Genetiv findet sich nur noch im Gothischeii, z. B. in this, inuh 
this darum, deshalb, in thizei, in thizeei deshalb dass, weil, weshalb, 
in thizözei vaihtais um deswillen^ in hvis weshalb; in den andern 
Sprachen begegnet so etwas nicht mehr. 

Pronomen und Verbum beginnen sich in der Weise zu ver- 
einen^ dass das verloren gegangene Passiv häufig durch man mit 
dem Activ ersetzt wird, z. B. altn. saei maör conspiceretur, ahd. 
man legita positum est, ags. sceal man ddn fieri debet; das 
Gothische kannte dergleichen noch durchaus nicht. Sehr merkwürdig 
ist der Gebrauch, worin das Altn. und Mhd. so aufi*allend stimmen, 
der also vielleicht schon älter begründet ist, dass dieses man bei 
dem activen Begriffe heissen (nominare) öfters ausgelassen wird, 
z. B. *altn. Svein kalla mik wie mhd. mih heizet Antyloye. Hat 
das einen Zusammenhang mit der Wahrnehmung, dass bei diesem 
Begrifi^e activer und passiver Sinn (heisse nomine und heisse nomi- 
nor) so nahe an einander grenzen? Erst eine grössere Anzahl von 
Beispielen würde hierüber volles Licht geben. 

Eine eigentbümliche Verbindung von Pronomen und Partikel 
hat noch das Gothische, um den Begriffe einander auszudrücken, 
indem es das Adverbium misgö zum Pronomen setzt; so steht uns 
missöRöm. 14)13; izvis missö Job. 13,14; sis missö Mrc. 4,4i; seina 
misso Luc. 7,32; missö izvis Job. 13,35, sogar mit dem Possessiv 
izvaros missö Gal. 6,2. Den andern deutschen Sprachen ist das 
fremd, und wenn der Gebrauch schon urdeutsch war, nicht erst im 
Gotbischen gebildet, so hat ihn das Mittelurdeutsche verloren. Ein 
Vorläufer unseres einander besteht übrigens schon, ähnlich dem 
lateinischen Gebrauche, im Gotbischen«; wir haben z. B. Eph. 4,25 
sijum anthar antharis lithus, Phil. 2,3 und 1 Thess. 5,11 anthar an- 
tharana. Einen recht festen Ausdruck für einander hat auch das 
Mittelurdeutsche noch nicht geschaffen; das Altn. weicht hier schon 
ganz vom Goth. ab, z. B, hvor annan, hvor öörum, ntr. htert annat; 
auch ma&r annan, negativ engl mafir öörum. 



318 VI. SynUx. 

Für die Vereinigung von Verbnm und Verbum führt der 
Untergang des Passivurns noch weitere Folgen herbei, nicht bloM 
die oben beim Pronomen man erwähnte. Wir sahen Bd. 1,603, 
dass die Hülfsverba im^ vas und rarth schon im Altardeotschea 
angewandt wurden, um den Sinn passiver Praeterita wiederzngeben. 
Im Mittelnrdeutschen rückt diese Umschreibung zunächst auch auf 
das Praesens Passivi. Während im Gothisehen numans im noch 
captus sum heisst, bedeutet ahd. giladöt bim schon invitor, danebea 
tritt giladöt wirdu auf, doch mehr in jüngeren Quellen (s. über 
dies Verbum die Citate bei Graff II, 165). Viele Beispiele, woraus 
der Gebrauch der einzelnen Schriftsteller hervorgeht, findet man 
bei Grimm IV;i2 ff. Eben so alts. bium hetan vocor, wirdid giboran 
nascitur, ags. beo fnnden invenior; endlich, was für die Zeitbe- 
stimmung am wichtigsten ist, auch altn. heitinn er vocatur, verör 
umfarit agitur. 

Nun aber tritt die Umschreibung mit Hülfsverben in allen 
deutschen Sprachen mit Ausnahme des Goth. (s. Bd. 1,603) auch 
ins Activum. Die Perfecta und Plusqaamperfecta Activi werden 
so mit haban, aigan, visan, sin umschrieben, z. B. altn. ek hefi 
kallat, ek haföa kallat, eben so bei einzelnen Verben mit vera, 
z. B. ek em kominn: das ahd. eigan kommt in dieser Weise im 
Altn. nicht vor. Im Ahd. z. B. intfangan eigut accepistis, fram ist 
gigangan processit, ih haben iz funtan inveni; Beispiele bei 
Grimm IV,i50 ff. So auch ags. häfde gegongen und vas gegongen 
neben einander und vieles dergleichen* Die bestimmtere Scheidung 
zwischen haben und sein in solchen Formen gehört erst den 
einzelnen Hundarten an. In den älteren deutschen Sprachen ist 
übrigens das Participium hier noch oft flectirt, z. B. altn. fiandinn 
haf&i bann hlindadan der Feind hatte ihn geblendet, ek hefi thyddan 
draum thinn ich habe deinen Traum gedeutet. Mit Unterscheidung 
der Genera heisst es noch ek em kominn (msc), komin (fem.), 
komit (ntr.) An eine Einwirkung des Romanischen ist bei Ein- 
fuhrung dieser umschriebenen Tempora durchaus nicht zu denken, 
Grimm IV,i54. 

In Bezug auf die Syntax zwischen Verbum und Partikel, 
namentlich über die Frage, wie weit dieRection des Optativs durch 
gewisse Partikeln schon dem Mittelnrdeutschen eigen gewesen ist, 
muss ich, wie überhaupt in diesem Abschnitte das Meiste, genauere 
Nachforschung der Zukunft und meinen Nachfolgern überlassen. 

Für den zusammengesetzten Satz erwähne ich einen ergiebigen 
Aufsatz von L. Tobler in der Germania Xyil,257 ff. über Aus- 
lassung und Vertretung des Pronomen relativurn. Es erweist sich 



VI. Einfliiss fremder Sprachen. 319 

(8. ebds. S. 278), dass die in Rede stehende Auslassung, also die 
Beraubung des Relativsatzes um sein eigentliches Kennzeichen, 
dem nordischen, hochdeutschen und sächsischen Zweige unseres 
Sprachstammes gemein ist; wenn speciell unter den nordischen 
Sprachen das Altnordische von dieser Fähigkeit keinen Gebrauch 
macht, so liegt das wol an der grossen Fügsamkeit, welche die 
Partikeln er und sern in dieser Sprache für den Ausdruck der 
Relation besassen. 

Dass das neutrale Pronomen thata erst im Mittelurdeutschen 
vom Wort- zum Satzartikei erhoben wurde, ist schon Bd., 1,604 
angedeutet worden. Das Gothische thut nur einen kleinen Schritt 
diesem Gebrauche entgegen; sein thata setzt sich z. B. wie ein Gelenk 
zwischen zwei Sätze in der Stelle Luc. 1,62: gabandvid^dun tlian 
attin is, thata, hvaiva vildedi haitan ina. Im Uebrigen steht thata 
und auch thatei nicht selten (eben so wie hie und da gr. on) 
um die directe Rede auszeichnend hervorzuheben, So Marc. 9,23: 
ith JSsus qvath du imma: thata, jabai mageis galaubjan; Matth. 
9>18: reiks .ains qvimands invait ina qvithands: thatei, dauhtar 
meina nu gasvalt; 26,72 jah aftra afaiaik mith aitha svarands: 
thatei, ni kann thana mannan; 27,43: qvath auk, thatei, guths im 
sunus. Aehnliche Stellen begegnen noch manche. 

So weit diese ersten dürftigen Andeutungen über die Bewegungen 
in der mittelurdeutschen Syntax. 



-•■ ^^^-^ , 



Siebenter Abschnitt. 

Einfluss fk^emder Sprachen« 

Die Hypothese von der Existenz des Mittelurdeutschen beruht 
auf der Annahme^ dass die ganze germanische Völkerwelt in eine 
Zweiheit, Gothen und Nichlgothen, zerfallen sei. Sie leidet aber, 
wie die meisten Hypothesen, an einer gewissen schematischen Starr- 
heit, die sich bei weiterem Fortschritt der Wissenschaft einer Modi- 
fication wird unterwerfen mnsisen. Denn erstens dürfen wir nicht 
behaupten, dass wir die ganze germanische Völkerwelt kennen; 
namentlich ist anzunehmen, dass vorzüglich in den heutigen pol- 
nischen Landschaften zwischen den südöstlichen Gothen und den 
Ostseegermanen Zwischenglieder vorhanden gewesen sind, die völlig 
im eindringenden Slaventhume untergingen. Zweitens aber sind die 
Ostseegermanen nicht unter sich eine völlig unterschiedlose Einheit 



320 ^* SinflnsB fremder Sprachen. 

gewesen; so haben wir schon oben mehrfach geglaubt unter ihnen 
zwischen gothonischen und snevischen Völkerschaften scheiden zn 
müssen, von denen die ersteren jedenfalls den eigentlichen Gothen 
näher standen als die letzteren. Bei dieser Sachlage ist es durch- 
aus nicht undenkbar, dass einst auch von dem Einflüsse einzelner 
ganz verschollener deutscher Völkerschaften, die sich eine gewisse 
Selbständigkeit erworben hatten, auf das Mittelurdeutsche geredet 
werden kann. Für jetzt aber darf diese Frage auch noch nicht 
einmal angerührt werden. Die blosse Sprachwissenschaft wird uns 
freilich auf diesem Felde nicht viel weiter bringen können; sie wird 
sich mehr und mehr mit der praehistorischen Archaeologie verbin- 
den müssen, die in neuerer Zeit so energisch begonnen hat sich 
von dem Banne des blossen Dilettantenthums loszumachen. Es 
wird ja auch wol bei uns, so weit es noch nicht zu spät ist, gelingen 
müssen diese Studien auf die Höhe zu heben ^ die sie bei unsem 
skandinavischen Brüdern schon längst erreicht haben; dann werden 
sich auch bei uns geographische Grenzen für gewisse nationale und 
eulturgeschichtliche Einheiten ergeben. Als ich um das Jahr 1850 
vier kleine Aufsätze in den damaligen preussischeu Provinzialblättem 
(jetzt der altpreussischen Monatsschrift) veröffentlichte, worin unter 
anderm alle mir zugänglichen Nachrichten über die eigenthümlichen 
pommerellischeu Gesichtsurnen niedergelegt waren, ahnte ich nicht, 
dass diese Sache zwanzig Jahre lang völlig ruhen würde, um dann 
durch Virchow und hierauf durch Berendt in der gedeihlichsten 
Weise weiter gefördert zu werden. Energische Weiterführung sol- 
cher Studien einerseits und planmässige Untersuchung der Orts- 
namen anderseits müssen endlich auf irgend einem Punkte zusammen- 
treffen, und das muss ein fester Punkt im Reiche der Wahrheit 
sein; damit werden wir der Frage nach einem gegenseitigen Ein- 
flüsse der vorhistorischen Germanen auf einander näher kommen. 
Aber auch von einer Einwirkung ungermanischer Völker auf 
die Mittelurdeutschen wird einst geredet werden dürfen. Tiefes 
Dunkel bedeckt die Landstriche südlich von der Ostsee bis zum 
Beginne unserer Zeitrechnung; dann treten von der Weichsel bis 
zum Rheine reindeutsche Völkerschaften auf. Sollte das schon lange 
vorher so gewesen sein? sollten die Germanen wirklich ein völlig 
menschenleeres Gebiet in diesen Gegenden besetzt haben? Das wol 
kaum, wenn auch eben so wenig ein stark bevölkertes. Mit Iberern, 
Ligurern, Dlyriem dürfen wir hier freilich noch nicht rechnen, sondern 
wir wenden uns sofort wieder denjenigen Völkern zu, die bereits 
am Schlüsse des dritten Buches (Bd. 1,606 ff.) in Betraebtnng ge- 
zogen wurden. 



VI, Einflass fremder Sprachen. 321 

Das erste dieser Völker sind die Lituslaven. Dass sie auf 
das nogetheilte Deutsche schon einen Einfluss aasgeübt haben, machte 
der Schloss des dritten Baches (1,607) wahrscheinlich; dass dieser 
Einfluss sich auch auf das besonderte Gothische fortsetzte, zeigte 
sich durch einige Wahrnehmungen im siebenten Abschnitte des 
▼ierten Buches. Aber die ungothischen germanischen Völker sind 
zur Zeit ihrer Einheit, wie es scheint, dieser Einwirkung entrückt 
gewesen ; höchstens könnte der lettische Sprachstamm, wenn er sich 
so früh vom Liluslavischen getrennt hat, auf einige der östlichen 
Völkerschaften von Einfluss gewesen sein. Eine schliessliche Zer- 
sprengung der niittelurdeutschen Einheit hat dieser Volksstamm wol 
jedenfalls herbeigeführt. Der im ersten Abschnitte dieses sechsten 
Buches am Schlüsse der Lehre vom selbständigen Consonantenwechsel 
erwähnte merkwürdige Vorschlag eines y, der gleichmässig das altn. 
jaga, ahd. jehan, alts. gehan (gegen goth. aika und die andern ur 
verwandten Sprachen) trifft, erinnert an slavische Lautvorgänge, 
steht aber zu vereinzelt, um darauf etwas bauen zu können. 

Für eine nordöstliche Grenze des Keltenlandes habe ich 
Bd. 1,317—319 versucht einige Anhaltspunkte zu gewinnen. Bildeten 
jene Punkte diese Grenze wirklich, so würden nur die westlicheren, 
nicht die östlicheren der Ostseegermanen keltisches Land besetzt 
haben; man hätte also mehr bei jenen als bei diesen keltischen 
Einfluss zu erwarten. Nun aber habe ich selbst am angeführten 
Orte S. 319 ein weiteres Vorrücken jener Keltengrenzc nach Nord* 
Osten als möglich zugegeben und in der That ist in der Zwischen- 
zeit ein Versuch dazu gemacht worden. In der Zeitschrift für 
preussische Geschichte und Landeskunde Jahrg. 11 (Berlin 1874) 
findet sich nämlich S. 755—760 ein Aufsatz von Pierson „Spuren 
des Keltischen in der altpreussischen Sprache^. Hier mustert der 
Verfasser diejenigen altpreussischen Wörter, welche etymologisch 
noch unerklärt sind, und findet, indem er sie fVeilich nur an Arm- 
strongs gälisehes Wörterbuch hält, bei einer grossen Anzahl der- 
selben in dieser Sprache auffallend ähnliche Ausdrücke. Man muss 
gestehn, dass die Menge sow.ol als die Uebereinstimmung ausser- 
ordentlich frappant ist und dass, auch wenn sich vieles als trüge- 
rischer Schein ergeben sollte, noch eine grosse Menge übrig bleibt, 
die zu denken giebt. Indem Pierson an die bekannte Stelle des 
Tacitus (Germ. 45) erinnert, wo es von den Aestiem heisst „ritus 
habitusque Suevorum, lingua Britannicae propior'^ kommt er zu dem 
Schlüsse: „Man muss annehmen, es hatten sich in dem Volke der 
Aestier germanische und litauische Einwanderer mit eeltischen Ur- 
einwohnern gemischt; die Völkerwanderung brachte von Südosten 



322 ^^^* Einfluss tremder Sprachen. 

einen neuen und stärkeren litauischen Zuzug und ao bildete sich 
Volk und Sprache der Preussen." 

Haben sich wirklich einst Kelten so weit naclv, Nordosten er- 
streckt; so ist 08 in der That fast sicher^ dass sieb keltischer 
Spruchcintluss auf die Ostseegermancn noch in höherem Grade ge- 
äussert hat als auf die Gothen. Ein Paar Punkte mögen hier schon 
der Erwägung auheimgestellt werden. Ich erinnere zunächst an 
den Bd. 1,374 besprochenen sporadischen Uehergang von Gutturalen 
zu Labialen, der in den dort erwähnten Beispielen schon dem Ur- 
deutschen zugeschrieben wurde. Dazu kommt hier noch ein Fall, 
an dem das Gothische nicht mehr mit Theil nimmt, ich meine goth. 
auhnaialtn. ofn, ahd. ofan, ags. ofen (skr. a^na u. s. w.); sollte 
nicht auch hier keltischer Einfluss im Spiele sein und yielleicht 
darin seinen Grund haben, dass die nach Norden vordringenden 
üstscegermanen bei den Kelten einen vollkommneren Apparat zum 
Heizen vorfanden!^ Denselben Lautübergang findet man auch in dem 
bei Flussnamen üblichen für keltisch zu haltenden Stamme AP, 
lÜr den ich in der 2. Auflage des 2. Bandes meines Namenbuches 
die Daten gesammelt habe (Seite 98). Die weitere Vermehrung 
und Untersuchung dieser Daten könnte leicht auf die nordöstliche 
Keltengrenze und deren Folgen für die Germanen weiteres Licht 
werfen. 

Noch zwei einzelne Ausdrücke habe ich hier zu erwähnen, die 
beide merkwürdiger Weise in die Sphaere der Bekleidung fallen, 
welche den Fremdwörtern stets so günstig ist. Das erste ist das 
Wort Kleid selbst, welches goth. fehlt und auch ahd. und alts. 
unnachweisbar ist, aber altn. klaeöi, mbd. kleit, ags. eläö u. s. w. 
lautet und in den deutschen Sprachen völlig verwaist dasteht Im 
Schottischen lautet es claith; sollte es aus dem Keltischen herüber- 
gekommen sein und dort seine Erklärung finden? Sicher keltisch 
ist dagegen das zweite Wort, unser Harnisch, altn. harneskja, 
mhd. harnasch u. s. w., auch in allen romanischen Sprachen ver- 
breitet. Das Wort hat sein Stammwort im welschen haiam, ir. jaran 
Eisen, breton. harnez, hemez Eisernes, Harnisch. Dass es in den 
ältesten nordischen und in den ahd. Quellen nicht nachweisbar ist, kann 
Zufall sein ; vielleicht ist es aber auch erst jüngere Entlehnung. 

Wie weit sich drittens die fi ionische Bevölkerung südwest- 
wärts nach Europa hinein erstreckt hat, bleibt völlig unsicher; die 
noch neuerdings aus der Betrachtung der Schädelbildung verfoch- 
tene Ansicht, dass dies Volk sich bis nach Aquitanien hin ausge- 
dehnt habe, ist vorläufig schlecht begründet. Nichts zu entnehmen 
ist der neuesten Geschichte Finnlands von Koskinen (deutsche 



VI. EinfloBS fremder Sprachen. 323 

Übersetzung Leipzig 1874). Hanchen Stoff, der aber sehr mit 
itischem Auge betrachtet werden muss, liefern zwei znsammen- 
ihörige Schriften von Lindström: 1) Om Finska folkvandringar 
iligt Grekiska, Romerska och andra källor, Abo 1848 und 2) För- 
k att bestämma tiden, ifrän hvilken Finnarne innehaft sina nuva- 
nde boningsplatser, Abo 1849. Mag auch die südwestlich» Finnen- 
enze (s. Bd. 1,319) gewesen sein welche sie wolle, so dürfen wir 
»eh einen Einfluss des Finnischen auf das Mittelurdeutsche gewiss 
cht ableugnen. So kann vielleicht die Neigung zur Vocalassimi- 
tion (Brechung, Umlaut), die alle nicht gothischen germanischen 
»rächen haben, von einer Berührung beider Völker zunächst ange- 
shtsein; doch hat der deutsche Vorgang vom Ende des Wortes 
V den entgegengesetzten Gang eingeschlagen wie der finnische, der 
in der stark herrschenden Wurzelsylbe ausgeht. 

Wir sind am Schlüsse angelangt. Niemand kann mehr fühlen 
» ich, wie viel Unsicheres noch in diesem sechsten Buche berührt 
3rden musste; aber die Lehre von der Einheit der ungothischen 
rmanischen Sprachen stützt sich dennoch auf hundert Thatsachen, 
tren zufällig gleicher Eintritt in drei von einander getrennten 
irachzweigen ein Wunder ohne Gleichen wäre. Soll die Hypothese 
•m Mittelurdeutschen fallen, so kann ihr Fall nicht geschehn ohne 
ne glänzende Bereicherung der Wissenschaft. 



* . ■ ■ ' 



Druck von Otto Huechke in Nordhauseii. 



■i-lii^iii crKtbifii itiiii wtfdurch jedai 
b()uliliiiii<Jliin}r 2u liiizioliun: 
Borulialli \>t. Q^ UraamAtik iler liovhdviitKltFii ^pnclieN 

Zum V'cmHii'liiiM A«a Alt>, Mltt«l- umi Nviiti<>'1tl1pUtii«)tBn. 

1. Tta-il! Dir' Orlliovpia und Gt^nKilasie. l^fiU. I Uftrk< 
_ HiCMclbi!. 2. Tlicil: Wi' \\'ui-|bililuDg. 1R6Ik ä Mark. 
T8rst4»nanil| Prof. (ir. E., AlMeuläcUcs Namenlnictb. I. iMndrfl 

Peni<iiiiiiiiiiiK<n. mStü. \i7 Marie). Knulw»i»tM Fmo 11 M.I 
-> OMd^'llic. II. Um4: OruiuraMn. iCwiii.-, völlig- imii« Itn-I 

lU-bGlIong. Ifl'tj 41) Mark. 

— Die tlc<il«ctirii f>rt«iinmcn. 18611. 6 VmtK 

— UubBr-Kintti-tilung nnil V «rvnllüiiir tdn SiilittlblkUnlttekcD.^ 
laOF'. 6" IT. 

KeltreiOi Dtrutirur ios., ämauiluu^ alt- und MiupIdvulaQburl 
WBrtKr au» lati'liil&i'Jien ürkiiBiliSiL Zu^jlcieh üup Ergflnitunif^l 
ilcr leKikuliwbeu W'ctke von (Inff, MuUur, Ziunnk«, PfltM»-! 
mumi. ld<S3. J Mark. 

BfifitflW, Olicnl-llojpiHicr W,, üewlitchlo Mr Inrotilcrlr , 

uir ^Ult« dr.4 Mt. .Tiilirlimiikrl«. ^ lUntU-. Mit 1»:! llulx-| 
MhMitt«u. '2. AoUiitp^. IJ^^J. i> Mark. 

— lIucnTu-ten aihl kriugfllliFnnjt l!. JulliU Cae^Hnt. Mit iata 
l'onnil ('4Mur* uuil :i titlM^r.Taroln. >t. AuUusi<. lH6i.3M,l 

SrIilrlitZj riiii'i^tnr iJr. K. A.« ttfkillrvJiMi , gcUlt«u im Uyin-T 
tiasium XU XiTdliniUKU. U. Außa;:i-, IHAl). I Mark fiH PfJ 

— Niiiiu Si'.hiiirFdi'D Im Oyraiuuiluui xu Kordhauaui ^<ilii)ii>».| 
Itisa. » Mark Wi Vt. 

SebollWf Dr. V., Idltttieon iltu- Nord.ThUriii$iK>Ui!u Uuitilwt| 

1KT4. 1 Unrk. 
Wntfftenuiuu, l'nif, £. F.,l^^iupluiiriuiu nuiifiiiiiuiiuicc v 

BCTiploniia [CiiuialKinnii ItbrEa irungttutt. litltUo «CQiuidl emot 

datlor et niH-liiir. Cunivfl Mauc. Suyrfertai, Prüf. DcraL. 

1^04. In iiBOEu adiolunira. 2 Mark -J5 Vt. lil 

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