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Geschichte
I
deutschen Sprachstammes.
Elriist ForstciuniiD.
Z w ß i 1 L- r U Ji n d.
Nonlbaiuen.
\'0rtaff rnii f^ril. Fß'tteman».
Geschichte
des
deutschen Sprachstammes.
Von
Ernst FSrsteiiiRiiii.
Zweiter Band.
NordhsDsen.
Verlag ron Ferd, Fö'rtlemanm.
1875.
OiC^
r ruber, als ich vermuthet hatte, kann ich den zweiten Band dieaes
Werkes ans Licht treten lassen; er ist kleiner aasgefallen als der erste^
da ich nicht den nordischen Sprachzweig auf zwei Bände vertheilen
mochte und das vierte bis sechste Buch so dem ersten bis dritten in
besserem Ebenmass entspricht. Wichtig ist es mir, noch einmal zu
bemerken, dass ich hier nur ein Gerüst oder, in anderem Bilde ge-
sprochen, nur eine Skizze des Gegenstandes liefern kann, die in einem
Punkte mehr, im andern weniger ausgeführt ist, aber doch ein festes
und auch noch nirgend angegriffenes GefUge bietet; darin lassen sich
leicht tausende von Einzelnheiten bessern oder nachtragen, wie ich es
beim ersten Bande schon reichlich, zunächst für mich, gethan habe.
Mögen auch Andere zu diesem zweiten Bande solche Nachbesserungen
liefern, sei es in anständiger oder, wenn ihnen die nicht gegeben ist,
in anderer Weise, was ja für die Sache gleichgültig ist. Ausgezeich-
nete Einzelnheiten liefern oder im Einzelnen den Andern verbessern
kann so Mancher; aber einen von einheitlichem Gedanken durchdrungenen
Organismus herzustellen, wie es der Gang der Wissenschaft von Zeit
zu Zeit fordert, das ist nur eine Aufgabe für Opferwilligkeit und Selbst-
verleugnnng.
Dresden, den 17. Mai 1875.
E. Forstemaim.
Inhalt
Seite
Vicrtet Bucb. Iß'kn ^^otbeo 1
AbAcbalU 1. Uut 5
~ 'J. HyrsuduKchMXz 40
3. WorthMung 82
- 4- inexMim 113
- 5. h^eutmi^ 119
- «. Hyuux 127
- 7. ELufloM irtwüAer Spx«cben 136
l'nterfaiwr des GothiBehen 144
Fiiifti*t Kuck. L'nUTiifaiig anderer deutscher Völker iio Römerreicbe. 171
AbMbDftt 1. BmUfd^ 173
2. Heruler 177
3. Gepidim 181
4. VaDd«l«n 184
b, Burguo<ler 191
6. I^Df^ob'irden 205
ll»«hiil«M Bucb. Dais Mittelurdeutscbe 245
AbaohDiU 1. Uut 248
- 2. Sprachschatz 290
- 8. WiirtbllduDK 295
- 4. Ficijon 308
- 5. Jiedeutunff^ , , 310
- 6. HynUx 316
-- 7. Kfoflutt fremder Sprachen 319
Viertes Buch.
Die Gothen.
Wi
äbrend wir ans im dritten Bache mit der angetheilten deut-
Bchen Sprache and dem angetheilten deutschen Volke beschäftigt
haben, treten wir jetzt zar Betrachtang der einzelnen Zweige dieser
Sprache und dieses Volkes heran. Die Theilang dieser Zweige
liegt in vorhistorischer Zeit; wir müssen also, um sie uns denken
za können, nothwendig eine Hypothese aufstellen. Eine solche
and nichts mehr liegt in der folgenden Erwägang; diese Hypothese
hat 80 lange zu gelten, bis eine andere aufgestellt sein wird, die
ans in der Erklärung der sprachlichen Ereignisse noch weiter zu
fuhren im Stande ist; Hypothesen and Principien länger festzuhal-
ten als sie brauchbar sind, ist eine Art Qötzendienst
Wie haben wir uns also, das ist die erste Frage, die Bildung
eines besonderen Gothenvolkes und einer besonderen gothischen
Sprache zu denken?
Ist die Bd. I, S. 336 entwickelte Ansicht richtig, dass die
Urdeutschen vom schwarzen Meere den Dniestr aufwärts und dann
die Weichsel abwärts gegangen sind, so liegt es nahe die erste
Spaltung des Urdeutschen darin zu sehn, dass ein Thdl des Volkes
auf seiner Wanderung in südöstlichen Sitzen zurückblieb. Treffen
wir nun wirklich in jenen südöstlichen Gegenden, wie es der Fall
isty einen deutschen Volksstamm, dessen alterthümlicherer Sprach-
zustand auf eine verhältnissmässig kürzere Wanderung hindeutet,
80 liegt es femer nahe in diesem Volksstamme die Nachkommen
jener zurückgebliebenen Deutschen zu sehn^ die sich immerhin
durch Zuzüge aus dem Norden zu der Zeit verstärkt haben mögen,
als die deutschen Völker in die allgemeine Bewegung gegen die
römische Grenze eintraten.
So weit halte ich Grimmas Hypothese, die er so scharfsinnig
namentlich in der Geschichte der deutschen Sprache entwickelt
hat, allerdings für richtig, während ich doch anderseits der allge-
meinen Ansicht folge, dass seine Gleichsetzung der Gothen mit
den Geten nicht als fester Gewinn für die Wissenschaft zu betrachten
ist i über den etwa vorhandenen thrakischeu und skythischen Hinter-
grund zu reden gehört für jetzt noch ganz in untersuchende Einzel-
forschnngen.
FSrtfemmm, Ge$ch, d, d. Sprachstammes. If. \*
4 IV. Einleitung.
So dunkel auch die Nachrichten über jene südöstlichen deut-
schen Stämme sind, so mangeln sie doch nicht gänzlich. Schon
Plinias kennt ausser den drei von Tacitns erwähnten Zweigen der
Germanen noch zwei andere im Osten, die Vandili and als fünften
Zweig die Peucini und Basternae. Dieser fünfte Zweig wird von
ihm, während die Vandili nördlicher zu setzen sind, als den Daciem
benachbart (contermina Dacis) angegeben. In dieser Gegend finden
wir auch die entschieden deutschen Namen 0£fa and Gildo auf den
siebenbörgischen Wachstafeln von 167, also aas einer Zeit, die
vor der allgemeinen Bewegung der Germanen liegt, sie werden einem
jener kleinen Völker angehören, die später unter den Oothen ver-
Bchwunden sind.
Namentlich die Bastamen, deren Name uns schon fast zwei*
hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung bekannt ist, als sie in die
Kriege des macedonischen Perseus verwickelt waren, scheinen nach
allem, was wir Von ihnen wissen^ com deutschen Blute gehört
zu haben. Mit Grimm übereinstimmend spricht auch Holtzmann
germanische Alterthümer (1873) S. 260 diese Ansicht aus, wenn
er auch freilich darin zu weit geht, dass er in ihnen gradezu die
ältesten Gothen sucht. Das grosse Gothenvolk, welches wir mit
so ungeheueren Heeresmassen während der Völkerwanderung auf-
treten sehen, scheint sich vielmehr erst um diese Zeit, namentlich
durch die Stiftung des grossen Gothenreiches des Ermanarich, aus
zahlreichen kleinen und unter sich vielleicht erheblich verschiedenen
Volksstänunen gebildet zu haben. Von diesen Volksstämmen sind
uns sicher die meisten, besonders die tief im Innern des Landes
sitzenden nicht einmal dem Namen nach bekannt geworden, doch
deuten noch solche Bezeichnungen wie Astingi, Taifali, Greutangi,
Thervingi auf einzelne dieser ursprünglichen Elemente hin. Eins
unter diesen Elementen muss das tonangebende in Politik und
Sprache geworden sein und die andern verschlungen haben, viel-
leicht schon ehe vom hohen Norden her auch Guttones mit andern
Ostseevölkern in die Gemeinschaft eintraten. Auch die spätere
Scheidung von Ostgothen und Westgothen mag schon einen sehr
tiefliegenden Grund haben; was wir gothisch nennen und im fol-
genden betrachten, ist im Wesentlichen nur die Sprache der West-
gothen, unter denen Ulfilas lebte; vom Ostgothischen hätte uns
ein anderer Mann, Jemandes, der bei ihnen wohnte, berichten
sollen und das würde für uns um so höheren Werth gehabt haben,
da die Ostgothen noch im fünften Jahrhundert Heiden waren, die
sich deshalb auch unter Attila mit den Hunnen verbündeten.
Das Wort Gothen ist uns in seinem appellativen Sinne nicht
IV. Lautsystem. 5
mehr ventandlich; in den nordischen Quellen von der alten Edda an
begegnet nns gotnar in der Bedeutung von Tiri, homines, milites
nicht selten, was doch kaum erst aus dem Gothennamen herge-
leitet ist. Die zuräckbleibenden Volkstheile werden sich am ein-
fachsten und ursprünglichsten urdeutsch Gutas benannt haben;
wo der Name von einzelnen Stämmen auf der Wanderung mit-
genommen wurde, erweiterte er sich durch Ableitung in Gutanas
oder Vocalsteigerung in Gautas.
Die sprachlichen Ereignisse, die wir im folgenden wesentlich
anf Ulfilas gestützt darstellen, sind sicher während einer langen
selbständigen Entwickelung des Volkes vor sich gegangen; ich
schätze die Dauer dieser selbständigen Entwickelung auf mindestens
ein halbes Jahrtausend, setze ihren Beginn also weit vor den An-
fang unserer Zeitrechnung.
Erster Abschnitt.
Die liaiite.
I. Lantsystem und Lautmischnng,
Der erste Vorgang, mit dem wir es hier zu thun haben, stellt
sieh als eine Verengerung des alten Lautsystems auf dem Gebiete
der Vocale dar; ich meine den Untergang des 1 Wir hatten
schon im zweiten Buche (Bd. I, S 246) und im dritten (Bd. I, S.
341) gesehen, wie die Sphaere dieses Lautes sich durch massen-
hafte Verdunkelung zu 6 in vorgothischen Sprachperioden vermindert
hatte. Doch blieben noch bis auf den Beginn der gothischen Zeit
herab ziemlich viele ä unangetastet. Es ist noch nicht recht
ausgemacht^ welches Princip dieser verschiedenen Behandlung des
Lautes zu Grunde liegt, auch nicht nach den Untersuchungen von
Holtzmann in der Germania IX, 181 ff.; in vielen, vielleicht in den
meisten Fällen scheint ein in der folgenden Sylbe stehendes i oder
ia die Verdunkelung verhindert oder ein unmittelbar auf das ä
folgender Consonant, zum Theil ein später verschlungener Nasal,
den Laut festgehalten zu haben.
Das Gothische hat nun alle diese ihm noch verbliebenen ä zu
i erhöht. Es ist das eine speciell gothische Eigenthümlichkeit,
wenn auch einzelne Mundarten später selbständig eine gleiche
Erhöhung eintreten lassen, wie das Ags. in seinem ue^ das Frie-
dsebe in seinem i und eben so das Altfränkische. Das Ahd., das
6 IV. ft : e.
Alts.; das AltD. behalten dagegen das ä, eben so galt es bei den
Langobarden, ja selbst in den westfränkischen Namen bei Irmino.
Wir geben jetzt eine Uebersicht dieser gothisehen S ans &:
1) In Stammsylben, geordnet nach dem anf den Vocal folgen-
den Gonsonanten:
r. jer Jahr, fSrja Nachsteller, berusjOs Eltern, svers geehrt,
merjan verkünden (dazu vailamers und meritha), nnveijan unwillig
sein, tuzverjan zweifeln.
I. kelikn oberstes Stockwerk, Thnrm, mel Zeit, Stande^ mela
Scheffel, sels gütig, tauglich, m^ljan sehreiben.
m. gatemiba passend, geziemend.
n. mena Mond (nebst menSths Monat), qvens Weib, vens
Hoffnung (nebst venjan erwarten).
s. sves Eigenthum, blesan blasen.
• V. teva, tevi Ordnung, Schar (nebst gatevjan ordnen), thevis
Diener, alev Oel, lev Gelegenheit, Anlass (nebst levjan verrathen),
skevjan gehn.
k. meki Schwert, lekeis Arzt, bireks gefährdet, flekan be-
klagen, tekan berühren (dem ein altn. taka und ags. tacan mit
kurzem a gegenüber steht).
h. garShsns Bestimmung, Rathschluss, gafShaba anständig,
ehrbar.
g, megs Schwiegersohn, yggs Bewegung, Sturm.
t. afgtja Fresser, usmSt Aufenthalt, Wandel^ azgts leicht, fg^an
schmücken, grStan weinen (nebst Subst. grfits), IStan lassen (nebst
andlgtnan entlassen werden); in akSt Essig steht das S demselben
Laute im latein. Worte gegenüber.
th. manasSths Menschensaat, Welt, nSthla Nadel, h6thj6
Kammer.
d. dSds That, grSdus Hunger (nebst Adj. grSdags und Ver-
bum grSdön), spgds spät, unlSds arm (nebst Subst. unlSdi), garddan
sich befieissigen, undrSdan besorgen, gewähren.
p. ySpn Waffe, slSpan schlafen (nebst' Subst. slSps).
t. gagrSfts Beschluss.
Dazu kommen die aus zweien a zusammengezogenen i in den
pluralen Perfecten der giba- und nima-Conjugation, über deren
Entstehung ich meine Ansicht Bd. L, 563 auseinander gesetzt habe,
also gSbum, sfitum, nSmum, bSrum u. s. w.; die wirklich belegten
Formen dieser Classe yerzeichnet Leo Meyer die goth. Sprache (1869)
S. 593 ff.
2) in Flexionssylben :
Zuerst Instrumentale der Pronomina, über deren Entstehung
IV. ä : 6. 7
ans Foimen anf -& man Bd. I, 529 yergleiche. Dahin gehört thS,
hyfi, wol anch noch die Formen byS, svarS, thandS, simig, bisanjandy
hvadrdy hidr^ jaindrS; ferner schliessen sich hier an die Zusammen«
Setzungen hvölands und hv^leiks, endlich auch noch die eigenthüm-
lieh erweiterten Dative einiger Pronominalformen wie hvammSh,
hiraijammSh, ainnumShnn (neben ainömShun).
Zweitens der Gen. Plnr. bei Masc. und Neutren, z. B. fiskd,
balgg; yaurdS, sunivd, blindaizS, wo das alte ft (oder daraus ver-
kürztes a) noch altn., ahd., ags. erscheint; eben so bei Masc. und
Neutren der schwachen Declinatiou, z.B. hanane, viljane, hairtdne.
Bei den Femininen tritt das e nur in den i-Stämmen ein, z. B. anste.
Endlich ist hier noch zu erwähnen die zweite Person Sing.
Perf. der schwachen Gonjugation. z. B. nasides (wo man nach ahd.
oeritds Verdunkelung erwarten sollte), satides u. s. w.; dasselbe 6
erscheint femer im Dual und Plur. Perf. so wie im ganzen Opt. Perf.,
wo sich die fibrigen Sprachen nicht vergleichen lassen.
Es muss in einer Sprachgeschichte noch danach gefragt werden,
in welche Zeit wol der Uebergang vom urdeutschen ä zum gothi-
schen § zu setzen ist. Die Antwort auf diese Frage liesse sich
nur geben, wenn wir gothische Eigennamen aus bestimmter alter
Zeit mit dem alten ft aufweisen könnten. Eine Spur solches
Namens liegt vielleicht noch in der Stelle Jemandes cap. 5: Ante
quos etiam cantn majorum facta modulationibus citharisque canebant,
Eterpamarae, Amalae, Fridigerni, Vidigoiae et aliomm, quorum in
hac gente magna opinio est. Ich schlage hier vor zu lesen: Anti-
que etiam cantu — canebant et Erpamarae, Amalae — et alio-
lum etc. Wir hätten dann in dem ersten der vier Namen ein
Ulfilauisches AirpamSrs, d. h. wol einen durch Kämpfe mit dunkel-
farbigen Völkern berühmten; die Form wäre auf ein urdeutsches
Irpamäras zurUekzufnhren. Aber in welche Zeit wäre diese Helden-
gestall zu setzen? Der Amala gehört nach der Anschauung des
Jornandes (cap. 14) dem zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung
an, Fridigera ist eine historische Person des vierten, Vidigoia des
fünften Jahrhunderts; diese drei folgen also bei Jornandes der Zeit
nach; jenen Irpamäras hätten wir also wol etwa dem 1. oder 2.
Jahrhundert zuzuschreiben; doch was darf man auf eine so verein-
zelte Spur geben?
So steht also an der Spitze des selbständigen gothischen
Sprachlebens die Thatsache, dass das Oothische den edelsten und
reinsten Laut der menschlichen Sprache aufgegeben hat; es steht
diese Thatsache da wie ein Vorzeichen davon, dass Volk und
Sprache dem Untergange geweiht waren.
8 IV. f,ü.
Uebrigens erschöpfen die hier erwähnten Fälle nicht den gan-
zen Umfang des gothisehen 6; es giebt anch noch (ygl. Bojohemom)
ein älteres aus ai verengtes e (s. Bd. I; 337), %. B. im gothischen ne,
altn. nei> ags. nä, ferner aber anch ein merkwürdiges wie es
seheint aus dem Zasammenrücken von i -j" ^ entsprungenes, end-
lich ein jüngeres, das neben ei und i unorganisch vorkommt;
hierüber zu reden ist erst weiter unten der Ort
Während so das Gentrum der Lautreihe im Gothischen eine
Schwächung erleidet, erfahren die beiden Endpunkte derselben
eine Stärkung und Entfaltung, Im ersten Bande S. 337 wurde
bemerkt; dass zu einem t und ü bereits im Urdeutschen An-
sätze vorhanden gewesen sein mögen; diese Ansätze haben
sich im Gothischen sicher schon weiter entwickelt, so dass wir
die frühere Lehre von dem Mangel dieser langen Vocale auf-
geben müssen.
Ein t ist freilich im Gothischen nur schwer aufzuspüren, doch
deutet der öftere Wechsel des i mit e und ei schon fast auf das
Vorhandensein eines solchen hin. Gkinz anders freilich steht die
Sache, wenn jedes gothische ei nicht bloss den grammatischen
Werth, sondern auch den wirklichen Ton eines t hat. Auch der
Mangel der Brechung in hiri, hirjats, hirjitb könnte auf ein t hin-
weisen.
Deutlicher sind die Spuren eines fi; dasselbe wird bereits von
Bopp, dann auch von Gabelentz und Lobe angenommen; s. z. B.
Euhn's Zeitschrift VII, 233, vgl. auch Leo Meyer die goth. Sprache
S. 648. Hieher gehören folgende Fälle:
1) wo u vor h und r nicht gebrochen ist. Also brühta, -üb,
nfih, ühteigs, ühtvö; dochjühiza, thühta, hührus sind nicht so leicht
zu beurtheilen; sie gehören nur dann hieher, wenn die Vocaltrü-
bung von u : au im Goth. älter war als der Ausfall des n in diesen
Formen. Entsprechende Beispiele vor r sind skfira und ftr-, z, B.
in ürreisan, ürrinnan u. s. w.
2) in hrükjan und brükjan (wo es einem langen Vocale gemäss
hrukeith, brukeith, nicht hrukjith, brukjith heisst), wol auch in
läkan;
3) wahrscheinlich, was die andern deutschen Sprachen glaub-
lich machen, in mal, ffils, hfis, rüms, brfiths, dfibö, stübjus, rüna,
thüsundi, dügan, vfilan u. a. m.
In dem Gonsonanteusystem erleidet das Gothische keine
Einbusse, erfahrt aber eine Bereicherung. Das 9 nämlich hat in
mehreren indogermanischen Sprachen die Neigung in einen weiche-
ren tönenden Laut überzugehn, den wir mit % zu bezeichnen
IV. 8 : E. 9
pflegen (ganz abweichend yon unserm nhd. z). So finden wir im
Altpersischen Fälle wie Kamboziya (vgl. Enhn's Beiträge II, 13),
im Altslav. mizgü neben miskü, im Lit. barzda Bart; im Oakischen
ist die Eindang des Geu. Plur. -azurn für lat -aram (aas -asnm)
bekannt; so wie das Futuram censazet aus ^ceosasent = lat.
censebunt
Das Urdeatsche finden wir yon dieser Neigung noch frei; unter
den deutschen Sprachen sehen wir sie nur im Oothischen, während
die andern deutschen Idiome, wie wir weiter unten sehen werden,
in ihrer Verwandlung des s zn r noch einen Schritt weiter gehn;
diesen machte dagegen das Gothische noch nicht mit, es müsste
denn in jenem gairuy das wir am Rande der Handschrift für hnuthd
beigeschrieben finden, schon eine Spur davon vorliegen.
Näher bestimmt sich der gothische Uebergang von s : z so,
dass die eigentlich wurzelhaften 8 sowol im Anlaut als Auslaut
fast immer von ihm frei bleiben, wogegen er in den leichteren,
flüssigeren Lauten der Wortbildungs- und Flexionssuffixe, nament-
lich vor angehängten Partikeln ungemein häufig eintritt, auch in
den Vorsylben us-, tus- und dis-. Ueberall aber erscheint der Laut-
wechsel nicht als ein zwingendes Gesetz, wenigstens nicht als so
bedeutend, dass die Orthographie diesen leisen Vorgang immer zur
Anschauung bringen müsste.
Ich ordne die vielen Fälle in fünf Classen:
1) zwischen zwei Vocalen, gewiss der älteste Fall; wir zerlegen
die Beispiele nach dem vorhergehenden Vocale:
L is (Stamm {): izds, izai, izei, ize; Gen. this (Stamm tha):
thizei, thize, thizö; Gen. hvis (Stamm hva): hvizai, hvizuh; hvarjis:
hvarjizuh; Conjunction andizuh; izvis: izvizei; das Gomparativsuf-
fix is : iza ; das neutrale Substantivsuffix -is, z. B. in riqvis : riqviza,
riqvizeins, hatis : hatiza, hatizön, baris : barizeins; svartis : svartiza,
doch kommt auch der Gcnet. agisis vor. Die Vorsylbe dis- in
dissitan : dizuh-than-sat. Ausnahmsweise auch ein wurzelhaftes s in
visan : vizön.
a. Stamm hva: hvazuh; Endung der 2. Fers. Pass. in bairaza
und haitaza. Auch hier ein wurzelhaftes 8 in azets.
u« thus : thuzei; jusijuzei (juzuth-than ihr aber); ferner die
Vorsylbe us : uzuh (uzuhiddja, uzuhhöf), us-ana:uzdn, us-ita:uzeta
S. Joses: Jösezis, Moses: Mösezis.
ö. Stamm tha : thözei ; desgleichen im Gomparativsuffix -öza.
ai. Neutrales Substantivsuffix ais : aizis, hais : haizis; Gom-
parativsuffix mais: maiza (maizuh-than) ; Genetiv der Pronominal-
deelination -aizds, -aize, -aizö; zweite Person Sing. Opt. fraisaizau
K> IV. 8 : «.
JNt wtt^tsl Temichty gajiokaizaa da werdest besiegt. Dazu end-
t^ ^ firemden Grenetive Jaissaizis nnd Faraizis.
«iL Nar in Fremdwörtern Bauaas : Bauaazis, Filippaus : Filip-
yiw wjiti (Qod des Philippas).
«i« TÜeis: yileiza (vileiz-ah); veis: veizath-than.
i«. dias: diazis.
Ueberall begegnen neben solchen Formen anch andere mit
tWin orspränglichen s, z. B. agisa^ rimisa« Ganz frei aber bleiben
von dem Wandel die aaf s ansgebenden Verbal wurzeln, wie visa
vas yesnm (auch vasah kommt vor), lisa las lesum, kiusa kaus
kusum. Wir werden weiterbin sehn, dass sie sich auch dem späte-
ren Uebergange von s : r nur sehr schwankend fügen ;
2) vor weichen Gonsonanten nach Vocalen:
I. saislep neben saizlep, svartizla.
n. anabasns : anabuzns ; razn; andavleizn; andavizns, vailavizns,
vizneigs.
j. hazjan, vlizjan mit wnrzelhaftem Zischlaut, ausserdem
riqvizjan; sj ist sonst häufig, z« B. in vasjan, kasja.
V. ubizva; ferner in der Präpos. tus: tuzverjan. In izvis und
izvar scheint, wie das altn. yöwr wahrscheinlich macht, das z aus
einem unorganisch eingeschobenen d hervorgegangen zu sein; Mittel-
stufe wäre auch hier s.
g. azgö (wo das s in den andern Sprachen bewahrt ist, altn.
aska, ahd. asea, ags. asce). Doch kommt auch sg vor, z. B. in
trusgjan.
d. mizdö (doch auch misdö wird geschrieben), huzd, razda,
gazds, Azdiggs; über diese Verbindung %d ein besonderer Aufsatz
von Bfihler in Kuhn's Zeitschr. VIII, 148.
b. Nur im Fremd worte praizby terei ;
3) vor Vocalen, nach Gonsonanten; ich ordne wiederum nach
den letzteren:
m. mims : mimza, doch kommt auch z. B. amsa vor.
n. ans:anza; thans : thanzei, thanzuh; hvans : hvanzuh; ains:
aiuzu (allein, fragend). Dagegen s in bijandansuh, sumansuh.
d. bijandzuh.
4) zwischen zwei Gonsonanten (der zweite ist entweder^ oder n) :
r. airzja, fairzna, marzja.
I« talzjan.
n« minznan.
Dagegen wird svamsl geschrieben; gramst und thramstei ver-
stehen sich wegen der folgenden Tennis von selbst.
5) Auslautend : mimz, minz, auch riqviz und aiz neben riqvis
IV. Laatmiachung. H
und ais ; das % wird hier dareh die das folgende Wort anlautenden
Vocale hervorgerufen.
In den gothisehen Eigennamen begegnet nirgend eine Spnr
dieses 9; der Unterschied der Aassprache desselben vom s war
gewiss gering und konnte von Griechen und Römern nicht wieder-
gegeben werden; so schreiben z. B. die ersteren OvtsdqiXaq und
Ov(Sirißaiog. Der Uebergang zu r ist dem Gothisehen ganz fremd
geblieben; noch im achten toletanischen Concil hat Osdulfus den
Zischlaut; unter den uns aus der Sprache der tetraxitischen Gothen
bewahrten Wörtern fehlt ein hier einschlagendes Beispiel.
Die bis hieher behandelten Verengerungen und Erweiterungen
des Lautsystems so wie die unten zu besprechenden Fälle des
Lantwechsels haben zu ihrem Resultate die gothische Laut-
mischung. Wie es sich mit dieser verhält; wiederhole ich hier
im Auszuge aus meinen vor mehr als zwanzig Jahren angestellten
Zählungen^ die ich im zweiten Bande von Kuhn's Zeitschrift (1853)
S. 35 ff. niedergelegt habe.
Dort zeigte sich das Verhältniss zwischen Vocalen und Conso-
nanten so, dass erstere 41, letztere 59 Procent aller Laute bilden,
ein Verhältniss, in dem die Consonanten mehr vorherrschen als im
Lateinischen, Griechischen und sogar im Sanskrit.
Die Vocale ordnen sich in der Weise, dass auf 100 Vocale
35 a, 18 1, 12 ai, 11 au, 9 u, 6 ei, 4 6, 4 ö und 1 iu kommen;
die langen t und fi sind hier noch nicht von den kurzen geschieden.
Das oben besprochene Schwinden des ä ergreift also (da nicht
alle 6 aus ä entsprungen sind) etwa den dreissigsten Theil des
gothisehen Vocalismus. Im Uebrigen giebt diese Häufigkeitsscala
klares Zengniss von der hohen Ursprünglichkeit dieses Vocalismus
und von der langsamen Sprachbewegung, auf der derselbe beruht;
das a ist weit den andern Vocalen voran, dann folgt mit vollem
Rechte das iy und nun die beiden ältesten und schönsten der
Diphthonge ziemlich gleich mächtig, doch mit einem recht organischen
Uebergewichte des a 4~ ^ ^ber das a 4~ ^9 ^ ^^^ ^ stehen im
schönsten Ebenmass; der letzte Laut, das iUy ist zugleich der am
meisten unorganische. Die ganze Reihe zeigt eine weit höhere
Eleganz, als sogar die entsprechende des Sanskrit und das Auge
des Sprachforschers ruht auf ihr mit demselben Wolgefallen wie
auf einer eleganten Formel der Blick des Mathematikers.
Dem gegenüber bilden die Consonanten folgenden Reihe : 18 n,
12 8, 11 th, 9 m, 8 r, 8 h, 7 V, 6 i, 5 d, 4 t, 3 g, 3 f, 3 1, 2 z,
1 k, wogegen p, b und qv nur mit Bruchtheilen eines Procentes
erscheinen ; die so eben behandelte Entstehung des « erstreckt sich
12 IV. Vooale selbstäiidig.
also auf den fünfzigsten Theil des Gonsonan^ismns. Die starke Beror-
Zugang der Liquiden und des thj die aufifällige Zurücksetzung der
Labiale und der Tenues bilden das Charakteristische des Gothischen
auf diesem Gebiete, welchen Charakter es jedoch mit den andern
deutschen Sprachen im ganzen theilt.
Am angeführten Orte Seite 41 habe ich den Abstand des Goth.
vom Skr. in der Lautmischung durch die Zahl 152, die des Goth.
vom Lat. durch 174| die des Goth. vom Griech. durch 182 ansge-
drückt; das spricht um so mehr für eine langsame Sprachbewegung
des Gothischen, als die Zeit, aus der wir diese Sprache kennen^
eine so viel jüngere ist als bei den andern drei Sprachen.
Aber hier halten wir an. £s ist unmöglich über den Gegen-
stand so wie es sich in einer Sprachgeschichte gehörte zu reden,
so lange wir nicht von der Lautmischung des Urdeutschen eine
klarere Vorstellung haben; denn was uns hier angeht, ist ja eigentlich
nur der Abstand zwischen Urdeutschem und Gothischem.
IL Lautweehsel.
A. >'oeale*
1. Vocale selbständig.
Vocalerleichterung.
Wir haben Bd. I, 338 erwogen, dass die Erhöhung des a : i
schon im Urdeutschen ziemlich zum Stillstande gekommen war.
Beim Gothischen, welches, wie wir so eben sehen, das a so ausser-
ordentlich bevorzugt, dürfen wir keine grosse weitere Entartung
dieses Lautes erwarten. Trotzdem sind doch auch hier noch einige
Fälle zu erwähnen:
a) in Stammsylben. Ich erwähne hier goth. ibuks gegen ahd.
abali, abuh, altn. öfugr, engl, awk in awkward (auf dem Rücken
liegend), welches Wort zur Praepos. af gehört ; femer die Praepos.
inu gegen ahd. änu, äno^ altn. an, dn; doch s. unten.
b) in Bildungssjlben. Hier steht das Goth* in Formen wie
ragin, manrgins und ubizva allein unter den deutschen Sprachen
entschieden auf der Seite des i; das Ahd. betrachtet solche Vocale
ziemlich als irrationale Laute und schwankt zwischen ragan und
ragin, morgan und morgin, opasa und obisa, auch das Altn. ist
schwankend, das Alts, bevorzugt in solchen Fällen das alte a, das
Ags. ein e. Endlich bricht speciell im Gothischen in dem SnfSxe
an der schwachen Declination mit voller Entschiedenheit der hohe
.Vocal im Gen. und Dat. Sing, des Masc. u. Ntn hervor (hanins,
banin^ hairtins, hairtin).
IV. Vocalerldchtenmg. \^
c) in Fleiioussylben geht das nrdeutsche 'OS des Gen. Sing.
Masc. a. Ntr. der A-Stämme (fiskas, vulfas, vurdas, s. Bd. I, 523)
ausnahmslos in ^is über (fiskis, vulfis, vanrdis), wo andere Mund-
«irten noch öfters den alten Vocal zeigen. Mit voller Entschieden-
heit hat auch das Goth. -iM in der 2. Plur. Praes. Ind. der Verba,
z. B. nimith; wo das altn. ein -slÖ, ahd. -at, alts -ad aufweist. Eine
gewisse Neigung in Flexionssylben den höchsten Vocal eintreten
zu lassen, kann man auch in vereinzelten Dativen und Accus. Plur.
von A-Stämmen sehen wie vSgim (Wellen) für vdgam oder aivins
(Zeiten) für aivans.
Eine Erleichterung und Erhöhung von u : i begegnet vereinzelt
im goth. haubith, wo doch altn. höfud, ags. heäfud; hedfod noch
auf den alten Vocal des lat. caput hinweisen und nur das ahd.
honbit dem Goth. gleich, aber unabhängig von ihm, die Erhöhung
eintreten lässt. Nicht hieher gehört es wol dagegen, dass einige
fremde U-Stämme im Plur. in die I-Declination übergehn, wie von
aggilus der Plur. aggileis; hier scheint der Grund vielmehr in einer
Anlehnung an das lat. angeli zu liegen.
• Einen dritten Fall von Erleichterung und Erhöhung zugleich
bemerken wir in dem nicht seltenen Eintreten eines i (wol i) für i\
Tgl. Leo Meyer die goth. Sprache S. 536. Hier sind solche Formen
zu erwähnen, die meistens nur als Varianten neben echteren mit g
erscheinen, wie spidist, azitizd, svignitha, birusjös, snivun^ qvimi,
qvitbeina, fravaurhti, spilli; auch das eben erwähnte ahd. änu, äno
(sine), altn. an mag erst ein goth. *Snu voraussetzen, statt dessen
wir ein inu, inuh finden. Hieher gehören auch die Namen wie
Vidimir (rec. 4) neben Videmgr, Theodemir (sec. 5) neben ThendimSr,
u. s. w. ; bei den Westgothen werden wir das i in solchen Formen
noch mehr vorherrschen sehn.
Ein vierter Fall der Vocalerleichterung ist nicht mit Erhöhung
verknüpft, sondern zeigt sich einfach als Verkürzung. Während
nämlich das lange & sich im gothischen in ö und 6 spaltete, scheinen
einige Fälle dieser Erhöhung oder Verdunkelung durch Verkürzung
entgangen zu sein. So werden wir ein urdeutsches fähan und
brähta (wie noch die ahd. und alts. Formen lauten) annehmen
müssen, dessen ä den Ersatz für den ausgefallenen Nasal enthält,
das Goth. hat hier Kürze in fahan und brahta. Auch dem in-
strumentalen altn. und ags. svä und thä steht im Goth. sva und
tba gegenüber.
Der erhöhenden steht eine jüngere verdunkelnde Vocal-
erleichterung gegenüber. Wie sie noch im Urdeutschen (s. Bd. 1, 339)
14 ^V. A : lu
keineswegs zum Stillatande gekommen ist, so zeigt sieh dieser Zug
auch im Gothiscben noch recht lebendig«
Zuerst Beispiele vom Uebergange des a : u, wie im ersten
Bande, den man hier fortwährend vergleichen muss, nach dem auf
den Vocal folgenden Conson. geordnet:
r. Dass die Stämme aaf indogerm. tar (bröthr, svistr) im Piaral
in die U-Declination ausweichen, scheint weniger ein lautlicher als
flexivischer Vorgang zu sein, vgl. deshalb den vierten Abschnitt.
1.. Hier ist etwa goth. hakuls zu erwähnen, wo das Ahd. in
seinem hachal neben hachul schwankt.
m. Während das Superlative Suffix -ma sich ursprünglich durch
ein a an die Stammsylbe anknüpft (abd. mittamo, metam), bat das
Goth. in seinem miduma, auhuma, innuma u. s. w. stets den dunkeln
Vocal. Hieher rechne ich auch das specielj gothische Suffix -ufni,
das wir uns doch nicht anders erklären können als aus einem -amni
durch die Mittelstufe -umni hervorgegangen; das goth. valdufni
steht in seiner Bildung dem lat. calumnia sehr nahe, doch nicht
so ganz gleich als es den Anschein hat.
n. Man vergleiche hier das goth. Suffix -huni mit skr. -Sana,
das goth. taihnn mit skr. dagan und ahd. zehan, endlich aber die
Gestalt des Suffixes -man im goth. lanhmnni nnd glitmunjan.
h. Formen wie thatuh, thammuh, thanuh, thizub, thiz6zuh,
thanzuh, thözuh, thaimuh werden im Goth. aus thata-h, thamma-fa
n. s. w. hervorgegangen sein, denn mit Grimm Gesch. d. dtsch.
Spr. 64G 'Uh als die ursprüngliche Form des Suffixes anzunehmen
vermag ich nicht.
g. Vergleicht man die Themen vulthaga und grSdaga mit vultbu
und gredu, so kann man schwanken, ob letztere durch Verdunkelung
aus den ersteren, oder jene durch die Macht der Analogie aus diesen
hervorgegangen sind.
n 4* Cons. Der erste Vocal von goth. iunthns (dens) gehört
wol eher hieher als zu Bd. I, 340, da das ahd. zand, alts. tand,
altn. tonn, ags. töd noch sämmtlich auf das a zurückweisen.
Der zweite wichtige Fall von Vocalverdunkelung ist der Ueber-
gang von ä : ö. Wir sahen Bd. I, 341 f., wie dieser Wandel^ am
Ende der slavogermanischen Periode begonnen, noch in der ur*
deutschen Zeit fortdauerte; er dauerte aber über diese hinaus bis
ins Gtotbische hinein nnd erst als er völlig zum Stillstande gekommen
war, haben die dann noch übrigen ä die oben besprochene Erhöhung
zum g erlitten. So vollzog sich jene merkwürdige Spaltung des
alten ä in zwei Laute, über deren Verhältniss zu einander schon
Jakbbi in den Beiträgen zur deutschen Grammatik und Bopp in
IV. ä : 6 15
der vergleichendeii Grammatik 1^, 94 ihre Ansicht aus einander
gesetzt haben. Im allgemeinen gilt das ö für einen schwereren
Lant als das 6, wie aus dem Verhältnisse des Praes. grgta zum
Perf. gaigröt hervorgeht; eben so ist ja im Griech. co eine stärkere
Steigerang des a als rj vgl. ^rjp^fu e^^mya.
Speciell gotbische Fälle oder wenigstens solche, in denen das
Material zar Vergleicbnng des Gothischen mit den Schwestersprachen
fehlt, sind folgende;
a) in Stammsylben:
In Fällen wie haban: gahöbains oder dags: ahtanddgs ist die
Verdankelang mit der Steigerung verbanden and diese Fälle werden
daher bei letzterer erwähnt werden; der damit verwandte Per-
fectablaat hat natürlich seine Stelle schon im dritten Buche gehabt.
Recht sicher in Kenntniss gesetzt, dass noch im Gothischen &eue
Fälle von Vertretung des ä durch ö vorkommen, werden wir durch
das Fremdwort Bumoneis aus Bomäni. Wie mag wol die Donau,
über welche die Gothen so oft gesetzt sind, in ihrem Munde ge-
klpngen haben? ist der dunkle Vocal der ersten Sylbe, den wir bei
unsem Mitteln freilich erst seit dem achten Jahrhundert belegen
können, nicht schon damals vorhanden gewesen?
ß) in Bildungssy Iben :
Hieher ist nichts sicheres zu stellen. Denn erstens gehören
die schwachen Verba auf -dn, so weit sie speciell gothisch sind,
kaum hieher; sie sind einfach der einmal bestehenden Analogie der
schon vorhandenen älteren Formen auf -On gefolgt. Zweitens ist
es kaum als ein lautlicher Vorgang anzusehn, wenn die siugnlaren
Nominative von schwachen Neatren wie augö, hairtö, ausö, kaumo
und anderen nur im Gothischen ein d haben (ahd. auga, herza,
ora ü. s. w.); das ist wol nur als ein Uebergriff der femininalen
Form (tnggö u. s. w.) anzusehen und deshalb in die Flexionslehre
zu setzen, zumal da hier eine ganz nnmotivirte Verlängerung ein-
tritt; bei langer vorhergehender Sylbe überträgt sich diese Ver-
längerung speciell gothisch auch auf den Plural, z, B. hairtöna,
ausdna, augöna.
y) in Flexionssylben :
Im Gen. Sing« haben wir ordentsch gibäs, gothisch gibds, ahd«
mit demselben Vocal gebö, alts. gebä, altn. and ags. verkürzt.
Im Nom. Plur. urdeutsch vulias, gibäs, nur gothisch in beiden
Fällen d, vulfSs, gibös; dagegen ahd. vulfä, abergebd, alts. vuliös,
aber gebä; altn. und ags. verkürzt.
Im Gen. Plur. Fem. urdeutsch gibäm, gothisch gibö (doch bei
I-Stammen anste); in der Pronominaldeclination urdeutsch bliudaisäm,
lg IV. Vocalsteigerung.
gotb. blindaizd. Altn. gilt hier -a und -ra, abd. (neben -6no)
-ero, alts. (neben -ono) -aro, ags. (neben -ena) -ra, wo fiberall der
gothisebe Unterschied des Fem. vom Mse. und Ntr. in Bezog aaf den
Endvoeal nicht eingetreten (wol kaum verwiscbt) ist. Dieser
Fall ist schon beim Urdentschen (Bd. I, 342) erwähnt und man
kann zweifeln; wohin er zu setzen ist.
Acc. Plor. urdeutsch gibäns, goth. gibös mit Ausfall des »,
ahd. gebO; alts. gebä; altn. verkürzt -ar, ags. -a; es lautet hier
überall die Form gleich dem Nominativ; es liegt hier also wol kaum
ein besonderer lautlicher Vorgangi sondern nur eine flexivische
Uebertragung vor.
Ein dritter Fall von Verdunkelung hat zum Theil mehr nur
den Charakter einer unorganischen Schreibung. Ich meine das f&r
öfters eintretende u (wol ü}, über welches Leo Meyer goth.
Spr. S. 578 f. und 616 spricht und womit man unter Vocalsteigemng
auch das umgekehrt für u auftauchende 5 vergleiche. Beispiele
sind ohtedun: ühtedun, supoda: snpüda, krotöda: krötüda, lauhmöni:
lauhmüniy fon: fftninS; fünin. Dazu die Fremdwörter spaiknlatür
und Rdmoneis.
Vocalsteigerung.
Mit diesem uralten Vorgange haben wir uns zuletzt Bd. I, 343
beschäftigt, auch die ganze Steigerung im Ablaute der Verba schon
im dritten Buche behandelt. Es fragt sich nun, wie weit sich noch
im Gothischen Fälle nachweisen lassen; die ihm eigenthümlich sind.
A-Vocal.
Wir haben hier dem a gegenüber zunächst den älteren Vertreter
seiner Länge, das ö zu erwarten. Der Fall dags: fidurdögs wird
wegen altn. docgr schon vorgothisch sein, auch gadaban : gadöbs
wegen ags. defe, vollends ist die Steigerung von fratbjan: fröds
nach Bd. I, 430 schon urdeutsch. Auch sakan: sokjan muss, wenn
die Zusammenstellung Bd. I, 94 Grund hat^ schon auf einem uralten
Vorgange beruhn und in sökns, sökareis, sökeins, uoandsöks hat
sich derselbe nur in mehrfachen Bildungen fixirt;. agjan: ögjan wurde
schon Bd. I, 447 mit altn. oegja zusammengestellt. Am meisten
für die bleibende Lebendigkeit dieser Steigerung im Gothischen
spricht verhältnissmässig standan: angastöths, anastodjan u. s. w.,
auch vakan: vökains, haban: gahöbains.
Auch einige Fälle, wo als gothischer Steigerungsvocal des a
das ä erscheint, haben schon vorgothischen Grund und mfissen
Bd. I; S. 343 hinzugefügt werden^ wie magus: megs, altn. mägr,
ahd. mag, Wurzel vrak: goth. vrSkei, ags. vraecu, Wurzel nam:
goth. andanemSi ahd. nämi, Warzel tarn: goth. gatSmiba, ahd.
IV. VocalBteigdruog. 17
gizftmi, Wurzel vag: goth. vegs, ahd. wäc. Danach wird es doch
ziemlich unsicher, ob wir in dem Verbältniss von Wurzel at: aietja
und Wurzel mat: usmet eine Thätigkeit erst des gothischen Sprach-
lebens zu sehn haben.
I-Vocal.
Hier sind ein Paar merkwürdige Fälle von Steigerung des t:
ai dem Gothischen zuzuschreiben, nämlich vaila (ahd. wela), baitrs
(ahd. bittar) und aiththau (altn. eda, ahd. eddo, ags. odde). Und
so glaube ich auch, wie bereits Bd. I, 15, 344, 543 erwähnt wurde,
der Reduplicationssylbe in den Perfecten eine speciell gothische
Steigerung zuschreiben zu müssen.
Eine Steigerung, doch keine beabsichtigte und organische, liegt
auch in der Vertretung des i durch eiy wie wir sie finden in us-
dribeina : usdreibeina, gabigs : gabcigs, mit Schwinden eines Nasals
verbunden in sinteius .seiteios; vielleicht endlich auch in ni: nci
(wenn letzteres nicht für ne steht).
Drittens kommt auch ein i : e vor. So thius (Stamm thiva):
thevis, sineigs zweimal: seueigs; usdribi, usdribeiua: usdrebi, usdre-
beina; svignjan: svegnjan; hvileiks: hveleiksundhvelauds; svikunth:
svekunth. Während man in diesen Fällen annehmen kann, dass
wirklich eine Stdgerung beabsichtigt sei, wenn auch nur von dem
einzelnen Schreiber der gesteigerten Formen, so liegt die Sache
anders, wo nicht die eigentliche Wurzelsylbe von dem Vorgänge
getroffen wird; so in avi, avistr: avethi, ubils einmal: ub^ls, filigri:
filegri. Diese Fälle haben (vielleicht den ersten ausgenommen)
keinen höheren Werth als sonst irgend welche Schwankungen in
der Orthographie.
U-Vocal.
Als wenn es sich hier um etwas sehr Organisches handelte,
entsprechen den drei eben erwähnten Vorgängen i : ai, i : ei, i : e
beim u die drei Lautwandel u : au, u : in und u : ö ganz genau;
und doch handelt es sich hier gewiss noch weniger als dort um
Ereignisse von sprachwissenschaftlichem Werth, fast nur um ortho-
graphische Schwankungen, die allerdings eine gewisse Unsicherheit
der Sprache bezeugen.
Das trifft namentlich beim u : au ein, worüber man Leo Meyer
goth. Sprache S. 574 oder Kelle vergleichende Grammatik Bd. I
(1863) S. 191 und 193 vergleichen möge. So findet man die Formen
Runans, skalkinassaus, vnlthaus, fairhvaus zuweilen als Nominative,
handau, thiudinassau, daudau, hairau, ufarassau, vaddjau als Aecu-
sative, simaQ, magau als Vocative; in allen diesen Fällen hat der
F9r$temmm, Gesck. d. d. Sprachitammes. IL 2
lg IV. Yocale im AoBlatit.
Oenetiv and Datiy eine Einwirkung auf die Sprache oder wenigstens
anf den Schreiber ansgeäbt.
Der Fall n : in liegt nur in einem einzigen Worte yor, nämlich
in nrdeutschem up : inp nebst seinen Weiterbildungen iupa, iupana,
iapathrö. Das altn. upp und ags. up wissen nichts yon der Steigerung,
das ahd. äf zeigt yiclleicht einen ähnlichen Vorgang, yielleicht aber
auch nur unorganische Verlängerung. Dieser einzeln dastehende
Fall hat allerdings ein hohes sprachliches Interesse, besonders
wenn wir dabei das goth. uf snb noch berücksichtigen.
Der dritte Fall, u : 6, über den Leo Meyer goth. Sprache
579 handelt, zeigt sich in Stammsylben nur bei aljaknns: aljakons,
yundön: gayöndön und uhteigs: ohteigo. Hier mag wirklich ein
gewisses Sprachgefühl der Anlass des Wandels sein, während die
andern Fälle doch wieder wol nur orthographische Schwankungen
zeigen; so faihu : faiho, fraistubni: fraistobni, yiduyo : yidoyö, sunjus:
sunjos (Nom. Flur.)» ushofun : ushöfon, ainumm^hun : ainömmehun.
2. Tocale im Auslaut
Die grosse im ürdeutschen eingetretene, Bd. 1, 365 ff. besprochene
Erscheinung, dass auslautende a und / abfallen, ist im Gothischen
bereits zur Ruhe gelangt; nur ganz yereinzelte Nachzügler bieten
sich hier dar. So ein Fall ist es, wenn in einigen femininen
Datiyen Apokope des a eintritt, wie in baurg neben baurga. Ge-
fragt werden darf, ob das gothische Femininum si (ea) erst im
Oothischen apokopirt worden ist; das yoransgesetzte sja hat sich
im ahd. siu noch besser erhalten.
Speciell gothischer Abfall des i ist nicht zu leugnen; so im
Dat. Sing, bröthar aus bröthari oder im Voc. Sing, anst ans ansti.
Dass die Participia auf Suffix -ant imDat Sing., wenn sie substantivisch
gebraucht werden, den Vocal apokopiren (z. B. nasjand), glaubte
ich schon dem Urdeutschen zuschreiben zu müssen; s. Bd. I, 525.
Eine Spur yon Verkürzung eines langen auslautenden Vooals,
wie wir im Altn. und Ags. so häufig finden, sehn wir in den per-
fecten Optativen, wo dem ei der äbrigen Personen (bereis, bereima
n. 6. w.) in der dritten Singularis ein blosses / entspricht (b£ri);
doch könnte hier die Kürzung schon urdeutsch sein.
Oenug, von einem yocalischen Auslautsgesetz im Gothischen
ist mir nichts bekannt. Auch von dem Gegentheile der Apokope,
der Anhängung eines unorganischen Vocales, ist das Gothische
ganz frei. In den Neutren der Pronomina wie thata od^r ita haben
wir Bd. I, 195 und 250 eine urdeutsche Anhängung des ganzen
Pronomiualstammes ta angenommeni in den masculinen Aoeusativen
IV. DiphthongenasrimilatioD. 19
tbans, ina Bd. I, 533 f. eine nrdeutsche Formenassimilation. Die-
gelbe^ und zwar in derselben Zeit, glaubten wir auch in der 3. Plnr.
Optat (Praes. bairaina, Perf. bereina) zu sehn Bd. I, 348. Vollends
die 1. Dn. Opt (Praes. bairaiva, Perf. bereiva) und die 1. Plur.
Opt (Praes. bairaima, Perf. bereinia) sind hierher nur irrthümlich
gerechnet worden, da hier Skr. und Lit. so wie Altir. schon die
Formen -va, -ma, -me bestanden haben, also nicht einmal das Ur-
deutsche eine Veränderung erlitten hat. Wir werden dagegen unten
beim Mittelurdeutschen noch einmal auf diese Bildungen zurück-
kommen.
Die Verlängerung des auslautenden ä in ö bei einigen neutralen
D-Stämmen wie namö, augö, gehört in den vierten Abschnitt zur
Flexion.
8. Tooale abhängig,
a. Einfluss von Vocal auf Vocal.
Diphthongenassimilation.
Während wir Bd. I, 349 die Verengung von Diphthongen dem
Urdentschen noch glaubten gänzlich absprechen zu müssen, ist sie
im Gk)thi8chen ziemlich häufig, wenn auch zum Thoil nur unter die
Willkür einzelner Schreiber zu rechnen. Sie tritt bei allen vier
gothischen Diphthongen ein.
ai. ai : § begegnet in dem neben taihund vorkommenden
tehnnd, ferner auslautend in ne, das mit dem altn. nei und ags.
nä auf ein älteres nai hinweist. Unter den Namen haben wir sec.
4 noch Gainas, sec. 5 dagegen schon Gesimund neben Radagais.
ai : a (also gewissermassen eine vereinzelte Fortwirkung des
nrdeutschen Auslantsgesetzes) findet sich im Neutrum tva (duo),
wo ahd. zwei und ags. tv& eben so wie skr. dve auf ein urdeutsches
tvai hinweisen, das altn. tvö schlägt hier seinen besondem Weg ein.
ei. Vgl. für diesen Diphthong Leo Meyer die gothische Sprache
S. 634 ff. So gewiss es auch ist, dass wir im gothischen Laut-
system hier einen Vertreter des t haben, so scheint doch die Aus-
sprache wenigstens zuweilen diphthongisch gewesen zu sein, nament-
lich in den Fällen, wo ei aus älteren ai entstand, nicht ans kurzem
i gesteigert ist. Bemerkt werden muss hier noch, dass in dem
oberländischen Dialect des Lettischen, welches ja dem Deutschen
besonders nahe Hegt, sich oft t zu ei verbreitert; Bielenstein I, 97.
ei : e vgl. Leo Meyer S. 603 f. So speivan ; spevan, vcihsa :
v^bsa, skeireins: sk6reins, hleithra: hlethrastakeins; man vergleiche
auch hindarveis: balvavesei. In einer Gasusendung aipistauleim :
2*
20 IV. Diphthongenassimilation.
aipistaulem (Dat Pinr.). So ancb aoslaatend izei; izS, akei: akS,
thanei: tbane, faarthizei: fanrthiz6, blötandei: blötandS.
ei : i (das dann als lang gelten mnss); Beispiele (vgl. Leo
Meyer S. 536) sind dtgunds^ laisarts, gabtgs, Anantas, silnbrinSy
thngkttb, alles nur nnorganisebe Sehreibnngen; bei gabtgs kann
man schwanken, ob hier wirklich Entstehung ans ei nnd langer
Voca] anzunehmen ist Auch für das ans ß entstandene ei (s. die
Consonanten) tritt öfters ein i ein, z. B. *sntis süss, airknis heilig,
skeiris (Oen. Sing.) für skeirjis; ja es wird dieses / sogar synko-
pirt (suts). In den Gomparativen anf -?«/i ist dagegen die Ver-
kärznng viel älter.
au. vgl. Leo Meyer S. 388.
an: 6 in tani: Gen. töjis, tanjis: follatöjis, stavida (ans
*staaida): stöjan. Ans afmauiths ist wol der Infin. afmöjan, ans
afdaniths ein afdojan zn folgern. Ueberall wird ein nahe liegen-
des 6v ebenso wie ein ej im Gothischen vermieden; vgl. unten
die Vocalisirnng von Consonanten. Der Uebergang geht im späteren
Qothisch noch weiter; während Ulfilas an ganja keinen Anstoss
nimmt, schreibt Jemandes einen Namen des fünften Jahrhunderts
schon Vidigoja, einen des sechsten sogar Ostrogotho für Anstr-.
au : u kommt einige Male in den Genetiv- und Dativendungen
der u-DecIination vor, wo ein -ns, -u statt des organischen -ans,
•au begegnet. Sollte das ohne etymologische Anknüpfaug da-
stehende huhjan sammeln etwa für hauhjan stehn und zunächst
aufhäufen bedeuten? Im sechsten Jahrhundert begegnet schon die
Schreibung OviS%(^yo9og,
in; dieser Diphthong scheint vereinzelt zu ü überzugehn; so
werden wir ein Präsens Idka (aus liuka) aus dem Praeteritum
galauk schliessen müssen, und in vülan sieden steht es vielleicht
eben so. Auch brusts weist (wie im Ahd.) auf ein älteres iu hin
(ags. breost, altn. brjost, altfries. briast).
Vom fünften Jahrhundert ab erscheint im Gothischen für iu
ein eu oder eo z. B. in Leuvigildus, Leubericus, Leuuina, Leubina,
Teudefrcdi, Leovigildus, Teodomirus; ganz eben so steht es bei
Burgundern, Langobarden und Salfranken. Dem Jemandes scheint
als seine eigene Aussprache eu gegolten zu haben, eo und iu von
ihm nur aus seinen Quellen entlehnt zu sein. Setzt Eutharicus
(sec. 5) ein Jutharicus voraus?
An die Betrachtung der vier gothischen Diphthonge scbliesse
ich hier noch die vereinzelten Fälle an, wo das gothisehe e aus
aus einem älteren ia entsprungen zu sein scheint. Diese schwierigen
und anziehenden Fälle sind folgende. Erstens goth. her (huc, hie).
IV. Apostrophirung. 21
welches mit demselben Vocale im alto. und ags. her erscheint; es
geht jedenfalls ans einem urdeatscben ^hithra oder hiar hervor,
(ia8 noch am besten im ahd. hiar, hear erhalten ist. Dann goth.
fera (latus), mit dem wir das altn. Qara Ufer, Strand, Ebbe verbinden,
ahd. fiara neben fära, in den andern deutschen Sprachen nicht erhalten ;
Leo Meyer knüpft es an skr. pära, dann müsste das ia auf ur-
deutschem Boden entsprungen sein. Drittens goth. mes, auch ags.
mese, dem ein ahd. mias, sogar ein altir. mias meas gegenüber steht.
Endlich mag auch Goth. Kreks Oraecus erwähnt werden, wofür
wir wiederum im Ahd. ein Chriah, Chreah haben. Es erinnert
dieses spracbgescbichtlich so räthselbafte e an die reduplicirten
Perfecte wie alts. held, ags. geng, auch ahd. fenc aus hihalt u. s. w.
Eine Folge dieser sporadischen Diphthongenverengung ist es,
dass sich die Grenze zwischen dem Diphthongen und dem einfachen
Vocale überhaupt verwischt und nun auch zuweilen jener ganz un-
organisch für diesen steht. So wird e : ei in afletan : afleitan,
galevjan : galeivjan, gretan : greitan, saislep : saisleip, veseis:
yeiseis; dazu in den pluralen Genetiven dalei, gardei, Fareisaiei.
Für ö tritt au ein in Trauadei. Die Vertretung endlich von u
durch au sieht wie eine Steigerung aus und ist deshalb schon unter
dieser erwähnt, gehört aber ihrem Wesen nach mehr hieher.
Apostrophirung.
In Bezug auf die Vermeidung des Hiatus durch den Ausstoss
des ersten der zusammentreflfenden Vocale zeigt sich das Gothische
als eine durchaus feinhörige Sprache; so wird ihata ist: thatist, kara
ist : karist, thata uh : thatuh, antharana uh : antharanuh. Ein / fällt
aus in ni ibai : nibai; nist aus ni ist wurde Bd. I, 350 schon dem Ur-
deatscben zugeschrieben; ni im und ni is bleiben dagegen getrennt.
Innerhalb eines Wortes zeigt sich der Ausfall des / vor einem S in den
Pluralgenetiven der i-Stämme (anste, gaste), welche an Alterthüm-
lichkeit altsächsischem enstio, dädio, althochdeutschem gestio, alt-
nordischem drengia nachstehn. Schwerer geht man daran den
Ausfall eines Diphthongs vor einem Vocale anzunehmen; das würde
der Fall sein bei den schwachen Verben mit dem Charakter ai^
welche dieses ai schwinden lassen in fünf Personen des Präs.
Ind., einer des Präs. Opt., im Partie. Praes. und Infin.; hier lautet
es für habaia u. s. w. vielmehr haba, habös, habats, haham, haband;
habau; habands und haban; soll man aber hier den Vorgang für
rein lautlich ansehn oder nicht vielmehr für flexi visch, für eine
Uebertragung aus der Bildungsweise der starken Verba?
Den Gegensatz der Apostrophirung, das Auswerfen des zweiten
der zusammentreffenden Vocale, pflegt man zu sehn bei der angehäng-
22 IV. Einflass von Com. auf VocaL
ten Partikel -nh. Dieses Aaswerfen findet statt: 1) bei einsylbigen
Wörtern immer, z. B. sa ah : isah, bva ab : bvab, ni ab : nib, du
uh : duh, so üb : s6b, bvö ab : bvöb ; 2) bei mehrsylbigen, wenn
der Endvocal des Wortes, woran oh tritt, lang ist, z. B. aamai
ah:6omaih, viljaa abrviljaah, samaleikö ab: samaleikdb; dagegen
fallen kurze Voeale aus wie in tbata üb : tbatab, antbarana ob: antba-
ranob. Ich glaube übrigens kaum, dass man von einem Ausfalle
jenes u reden darf, denn da dieser Vocal nicht ein wesentlicher
Bestandtbeil jener Partikel, sondern em blosses Fulcrum ist, so
werden jene Formen ihn wol nie besessen haben.
Consonantirung.
Dass u in Formen wie Gen. Plar. sunivS vor Vocalen za r, /
in Formen wie Nom. Plur. sunjus oder handjus vor Vocalen zu J
wird, wurde in den Paradigmen der Dedination Bd. I, 524 schon
dem Urdeutschen zugeschrieben. Eher speciell gothiscb ist die
Consonantirung in bai: bajöths and vai : vajamereins. Am com-
plicirtesten ist der Fall in ajukdutbs; wir werden von einem
*aivakdutbs ausgehn und dann ein *aiakduths annehmen müsseui
das sich, nur mit Unterschied der Quantität des a, zu jener ersten
Form verhält wie gotbisches suti zu urdeutschem sv&ti.
Auch die Erscheinung gehört bieher, dass langes t, welches
vor Consonanten durch ei vertreten wird, vor VooaJen sich in (/
auflöst, z. B. Nom. n. Gcnet freis, aber Dat frijamma. Femin.
frija firijaizös, frijai, Ntr. frijata. Desgleichen das Zahlwort threia:
thrijös, thrija, thrije. Ein gleiches (besetz findet sich auch im Skr.
und Altslav. (Bopp vergl. Gramm IP, 358), doch scheint es bedenklieb,
dasselbe schon aus der Zeit vor der Sprachtheilung herzuleiten.
Beispiele von Umlaut oder Epenthese sind als speciell
gothiscb keine anzuführen; die urdeutschen Fälle wurden Bd. I,
349 besprochen.
b. Einfluss von Consonant auf VocaL
Synkope.
Die Synkope des a in den Endsylben wurde als urdeutsch
schon Bd. I, 351 besprochen. Speciell gothiscb mag sie erst bei
einigen Formen auf Suffix -ra eingetreten sein, wodurch harte
Formen wie akrs, fingrs, ligrs erzeugt werden, in denen das r fast
als Vocal anzusehn ist; dazu stelle ich auch gleich den G^n. Sing,
bröthrs aus brotharas. Ferner ist gothiscb die Synkope eines a
zwischen zwei n in ainanöhun : ainnöhun, wofür dann auch ainohun
geschrieben wird ; dazu sind gleich die Formen maus für mannans
(Nom. u. Acc. Plur.) und rnann^ für mannane (Gen. Plur.) zu stellen.
IV. Synkope. 23
Bemerkenswerth ist die Synkope im Plnral der Nentra aaf
•an, wenn eine kurze Sylbe Yorhergeht. So im Nom. Plur. namna
ood Gen. Plur. namne fdr namana and namane^ im Gen. Plur.
anbsne and abne fttr ausane und abane, im Dat. Plur. vatnam and
abanam.
In einzelnen Fällen mag vor Eintritt der Synkope Scbwächung
des a zu i anzunebmen sein.
Die Synkope des /, zu der wir nun kommen, fand in den
Endsylben gleicbfalls sehen im Urdentscben Statt und hat ihre Stelle
bereits Bd. I, 351 gefunden. Speciell gothisch ist nur die Er-
scheinung in solchen Genetiven wie guthis : guths , menöthis : m^*
nothSy brötharas : brotharis : bröthrs; ähnlich auch im Gen. Sing.
mannins : maus, im Dat. Sing, mannin : mann.
Es findet sich femer eine Synkope des i im Praeteritum einer
Anzahl schwacher Verba auf -jan, doch scheint dieselbe bloss in
einem derselben, in kaupasta (aus kaupatida) von kaupatjan ohr-
feigen erst im Gothischen eingetreten zu sein. Die anderen Formen
(skulda, vilda, montha, kuntha, mahta, aihta, bauhta, brahta, thahta,
thühta, vaurhta, thaurfta^ gadaursta, gamösta, vissa) werden, wie
Begemann das schwache Praeter. (1873) S. 25 n. 41 wahrscheinlich
macht, die Synkope schon seit dem Urdeutschen haben und waren
deshalb Bd. I, 351 hinzuzufügen.
Fraglich ist es, ob Synkope des i in goth. fatha Zaun statt-
finde I das man aus *fahitha, *fahtha ableiten und zu fahan stellen
möchte.
Ganz vereinzelt begegnet auch Synkope von langen Yocalen
und Diphthongen. So vom ö im Nom. Plur. reikös: reiks, ebenso
in den praesentischen Participien, die als Substantiva gebraucht
werden, wie nasjandös :nasjands; desgleichen vom ai in singularen
Genetiven wie baurgais : baurgs, alhais : alhs und einigen anderen ;
endlich vom ei in einigen femininen Nom. Plur. wie baurgs, alhs
u. s. w.
Auf die Synkope müsste die Lehre vom Vocaleinschube
folgen, doch sind Fälle desselben, ganz im Gegensatze zum Alt-
bochdeutschen, bei dem gegen consonantische Härten so unempfind-
lichen Gothischen nicht zu erwarten.
Vocaltrübung durch Consonanten.
Hieher gehört die wichtige und echt gothische Erscheinung,
dass vor A und r nicht / und n, sondern at' und au geschrieben
werden.
Grkam hält diese Diphthonge für kurz (Gramm. P, 51); Ebel
in Kohn's 2Mt8chrifl IV, 283 stellte die Ansicht auf, dass hier kurzes
24 IV. i, a : ai, an.
e und o gesprochen sei, nnd dieser Meinung sind bisher wol die
Meisten gefolgt. Leo Meyer die gothische Sprache (1869) S. 537
sieht dagegen die Frage noch ftir eine offene an nnd meint, dieselbe
könne keineswegs endgiitig dnrch die Wahmehmnng gelöst werden,
dass dem Gothen zar Wiedergabe des griechischen b nnd o nnr
sein ai nnd au zn Gebote stand (z. B. Gaiainna, Paitms, Sanlau-
mön, Kanlaussaim). Vgl. auch R. Westphal philos.*hist Grammatik
der deutschen Sprache (1869) S. 47 ff.
Aus den vier nrdeutschen Verbindungen ih^ ir, uä, ur wird
also im Gothischen ai/iy air^ auhy aur. Es ist nicht nöthig, hier
die ganze Fülle von Beispielen für diesen Uebergang zu sammeln;
die Sammlung ist bereits von L. Meyer (die goth. Sprache 537 ff.
nnd 579 ff.) gemacht worden. Nnr der Eintritt dieser Erscheinung
in den starken Verben ist wegen des Einflusses auf das System
des Ablauts wichtig genug, um hier besonders erwähnt zu werden.
Sie tritt also ein
1) bei I-Stämmen im Dual und Plur. Perf. Ind. und im ganzen
Opt. Perf. so wie im Part. Pass., z. B. taihum, thraihum^ thaihum,
vaihum, laihvum, Part, taihans;
2) bei U-Stämmen in denselben Formen, z. B. tanhum, thlau-
hum, Part, tauhans;
3) bei A-Stämmeu der schwächenden Gonjugation
a) im Praes. und Inf. aller drei Glassen; z. B. fraihna, taira,
baira, bairga, vairpa, hvairba, svairba, gairda, vairtha, thairsa;
b) im Perf. Ind. Dual, und Plur. so wie im ganzen Opt Perf.
und im Part. Pass. der binda-Gonjugation, z. B. vaurthum, banrgum,
vaurpum, hvaurbum, svaurbum, gaurdum, thaursum, gadaursum,
thaurbum;
c) im Part. Pass. der giba-GonjugatioU; z. B. saihvans, fraihans ;
d) von den Praeteritoprae49entibus binah und ganah können wir
nach Analogie von skulan und munan die Infinitive binanhan und
ganauhan wenigstens vermuthen.
Man erwäge noch den ostgothischen Namen Ermanaricus so wie
das ostgoth. Femininum Erelieva, beide aus sec. 4.
Auch mag noch bemerkt werden, dass ^EqovXo^ (Procop) =
Heruli, wenn es zn eorl, jarl gehört, wol gleichfalls ein Beispiel
des aus / gebrochenen ai ist; die Erscheinung wird sich also wol
weiter fiber die eigentlichen Gothen hinaus verbreitet haben.
Nun aber giebt es von diesem Gesetze einzelae anziehende
Ausnahmen; es zeigt sich nämlich
j ) / fär erwartetes ai in der Negation nib, in der Inteijeetion
hin nebst hirjats und hirjith und endlich im Adjeot tbaribs. Dagegen
IV. Spirans: Media. 25
ist birofijös fdr berosijös wol nur als falsche Schreibaag.anzusebn.
2) u fdr erwartetes au erstens in dem bloss eingeschobenen
u der Sylbe -oh, z. B. in tbatuh, thanuh, inuh n. s. w. Femer im
Zahlworte fidor-, wenn es in Zosammensetzangen für fidvor steht.
Anderes aber müssen wir von diesen Fällen trennen: in brnbta,
ahtvo, nhteigs ist das u wol als lang anzusehn; dasselbe ist viel*
leicht der Fall in huhrns, thnhta (haohthuhts etc.), jahiza; hier ist
ein n Tor h verloren nnd in Folge dessen wol der vorhergehende
Vocal verlängert. Oder es kann auch die Zeit, in welcher die
Vocaltrfibung vor sich ging, schon vorüber gewesen sein, als der
Ausfall des n in diesen Formen erfolgte; letzteres ist mir unwahr-
scheinlich. Paurpura neben paurpaura ist bloss ungenaue Schreibung,
eben so uhtedun neben öhtedun. Huhja (sammeln?) 1. Gor. 16, 2
ist ganz duukel, vielleicht zu hauhs gehörig.
Uebersieht man die wirklichen Ausnahmen dieses Brechungs-
gesetzes, 80 machen sie den Eindruck, als habe die Sprache hier
besonders leichte Vocale gesucht; wären das gebrochene ai und
au wirklieh solche leichten Vocale (e, o) gewesen, so hätte die
Sprache an ihnen keinen Anstoss genommen. Es sprechen also
jene Ausnahmen gegen die Aussprache des ai und au als e und o.
Damit ist die Lehre von dem Leben des Vocalismus im Grothi-
schen geschlossen, denn Verlängerung oder Verkürzung von Vocalen
durch vorhergehende oder folgende Consonanten bietet sich nicht dar.
•B. Consonanten.
1) Consonanten selbständig.
Aller selbständige Consonantenwechsel ist entweder ein Wech-
sel zwischen Lauten desselben Organs oder verschiedener
Organe. Wir beginnen mit dem ersteren und betrachten ihn nach
seinen drei möglichen Seiten: a) Wechsel zwischen Aspirata (Spi-
rans) und Media, b) zwischen Media und Tennis und c) zwischen
Tennis und Aspirata (Spirans), also ganz entsprechend den drei
Richtungen, in denen sich die Lautverschiebung bewegt. Der bei
weitem gewöhnlichste Fall ist der erste.
a) Wechsel zwischen Aspirata (Spirans) und Media.
Die Vertretung der Spirans durch Media ist eine Erscheinung,
die im Goth. nie anlautend, nicht häufig auslautend, sehr oft inlau-
tend begegnet. Sie ist eine Fortsetzung der im Urdeutschen schon
vorkommenden und Bd. I, 372 ff. besprochenen beschleunigten
Lautverschiebung. Man muss sich aber hüten hieher zu viele Fälle
ZQ rechnen, denn wo eine urdeutsohe Media im Gothischen bleibt,
im Altn. und Ags. aber zur Spirans verschoben wird, liegt eine
26 IV. Spirans: Media.
unorganische Thätigkeit dieser letzteren Sprachen Tor und wird
bei ihnen zu erwähnen sein, während es dem Gothischen nur zu-
zuschreiben ist, wenn eine urdeutsche Spirans (indogermanisohe
Tennis) speciell im Qoth. durch Media vertreten wird.
Nun geschieht aber diese Vertretung entweder so, dass im
Gothischen nur die Media, nicht mehr die organische Spirans er-
scheint, oder so, dass bei Wortern desselben Stammes beide Lauto
mit einander wechseln.
Der erste dieser beiden Fälle ist ausserordentlich selten. Bei
den Gutturalen erwähne ich nur ddx^ lacrima: altn. t&r, ahd. zahar,
ags. täher: goth. tagr, bei den Labialen nur die doch wol nicht
ganz sichere Gleichung skr. apäkas : goth. ibuks (altn. öfugr). Bei
den Dentalen weiss ich Tollends keinen einzigen speciell gothischen
Fall. Denn solche Bildungen wie die mit Suffixen -ta, -ti, -tu, -tar
oder die medialen Endungen -da, -dau wurden theils schon beim
Urdeutschen Bd. I, 372 erwähnt, theils sind sie dort noch hinzu-
zufügen; man darf also hier nicht die Erwähnung von goth. Formen
wie alitnda (auch wol skaudaraip gegen griecb. <fxStog\ gardi,
haidu, fadar oder mediales danpjada erwarten.
Der zweite der beiden Fälle, wo im Gothischen noch die
Spirans, aber auch schon die Media bei demselben Wortstamme
erscheint, Ist dagegen ansserordtentlich häufig; wir mfissen annehmen,
dass die Bd. I 371 ff. behandelte beschleunigte Lautverschiebung
noch nicht zum Stillstande gekommen war, als sich das Gothischc
vom Urdeutscben sonderte und dass das Schwanken zwischen
organischer Spirans und unorganischer Media sich wählend der
ganzen Lebenszeit des Gothischen erhalten hat.
Betrachten wir zuerst die Gutturalen. Da sind zunächst
solche Fälle wie juhiza: juggs, huhrus: huggijan, fahan:figgrs hier
nicht mehr zu erwähnen; sie erklären sich durch das urdeutsche
Vermeiden der Gruppe nA und sind deshalb Bd. I, 391 f. besprochen.
Auch das Schwanken in dem indogermanischen Adjectivsuf&x -ka,
das im Goth. als -ha und auch als -ga erscheint, wurde schon I,
371 erwähnt. Wenn goth. aihauds neben aigands, aihum neben
aigum steht, so ist nach I, 372 nicht sowol das Eintreten der un-
organischen Media, sondern mehr das Bewahren der organischen
Spirans zu bemerken; eben daselbst wurde es schon erwähnt, wie
die Zebnzahl, wo sie selbständig gebraucht wird, regelmässig
verschiebt, als zweiter Theil der Zusammensetzung aber Media hat,
also goth. taihun: -tigus, -tigjus. So werden wir auch bei dem
Verhältnisse von fahSths: fagindn und von derselben Wurzel gafthijan :
fagFS dem Urdeutacken schon das g zusobreibeo müssen (Fick 788),
ly. SpiraoB: Media. 27
eben so beim Perf. vaih : viga^ vigum, vigans (pngiio)i auch Subst
vigans; bier ist der Uebergang von h\g sichüicb schon älter als
der von ixai vor h. In dieselbe Kategorie gebort fraibnan: fra«
gan. Also überall Fortsetzung des nrdeutschen Schwankens; nur
etwa in filhan : fulgins, filigri können wir mit Fick 796 noch dem
Urdeutschen ein h zuschreiben.
Wir kommen zu den Dentalen, lieber sie wurde Bd. I, 372
schon erwähnt, dass die alten t-Saffize bereits im Urdeutschen die
entschiedene Neigung haben in d-Sufl6xe überzugehn und bier treffen
wir im Gothischen wiederum dasselbe Schwanken, so dass nament-
lich die Stellung des Lautes zwischen zwei Vocalen den Eintritt
der Media begünstigt, während das th vorherrschend in der Nach-
barschaft von Consonanten erscheint Wir geben hier Beispiele von
den verschiedenen Suffixen:
-/a : veitvöditha neben veitvodida, liuhath (doch einmal auch
liuhad) : Thema liuhada, haubith : Thema haubida, naqvaths : Thema
naqvada, Partie. Pass. ufarhauhiths : Thema hauhida, sokiths : Thema
sökida. Weniger deutlich ist die suffixale Natur des Lautes in
aviliuth : Thema aviliuda und fröth, frathjan : Thema fröda.
"W. manaseths (doch auch seds) : Thema manasedi, faheths :
Thema fahedi, gabaurthi : gafaurdi, staths (auch Accus, stath) :
Thema stadi, auch stads und stad. kommt vor; faths (doch auch
fads): Thema fadi« A(^ectivthema althja neben dem Substantiv-
thema aldi; nautbi, nautbjan (cogere) : naudibandi, juggalauths :
juggalaudi. Weniger klar ist das Suffix in saths, gasötlgan (satiare) :
Thema sadi, arbaiths (neben arbaids) : Thema arbaidi, sauth (doch
auch Saud): Thema Saudi, brüths: Thema brfidi.
-M, Personalendnng in der dritten Singul, erscheint öfters als
//, z. B. in bairid, drigkid, qvimid, gibid, skadveid, svegneid ; Bopp
nimmt vergleich. Gramm. I^, 131 hier sogar wol mit Unrecht ur-
deutsches d an. Eben so zeigt sich ein gitid in der 2. Plur.
Besonders scheinen zwei Consonantenverbindungen, was wir doch
gleich hier mit erwähnen wollen, den Eintritt der Media zu be-
günstigen, nämlich
1) ein auf den Dental folgendes j. So haben wir sinths neben
sandjan, leithan neben lai^jan, Wurzel stath neben stödjan, vairthan
neben fravardjan. Auch steht sleithjan neben dem Thema sieidja.
'2) ein dem Dental vorhergehendes n. Wir haben schon Bd.
I, 390 erwogen, dass die. indogermanische Gruppe nt die deutliche
Neigung hat im Urdeutschen zu nd zu entarten. Einige solcher
Fälle bringen nun gleichfalls ein Schwanken im Gothischen hervor.
So steht hier muntbs neben ainamunditha ; in untbatbliuban ent-
28 IV. Te nais : Media.
fliehen haben wir ein iA^ während sonst das Praefix und- lautet
Besonderer Forschung werth ist aihvatundi (Thema auf -dja) der
Domstranch ; ich möchte hiebei nicht mit Grimm an tundjan zünden
denken, sondern eher an tunthus Zahn. Sollte nicht eine domige
Pflanze, die in der Oegend der unteren Donau vorkommt, bei
einem der dort wohnenden Völker als Pferdezahn bezeidmet
werden? etwa eine Art equisetum? oder Hippophaes oder Hippophyes
Tanrica? Bis jetzt habe ich Hälfe von botanischer Seite vergebUch
gesucht
Endlich die Labiale. Während wir Bd. I, 372 für die be-
schleunigte Lautverschiebung kein einziges sicheres Beispiel im
Urdeutschen fanden, zeigt sich im Qothischen dasselbe Schwanken
wie bei den andern Organen. So haben wir uf : ubuh, af : abu,
ainlif (Nom.) : Dativ ainlibim, femer tvalibvintras; dann hlaifs :
hiaibs, Thema hlaibaBröd, afskaufrskiuban, 8vaif:sveiban, sämmt-
lich Fälle, die wol auf indogermanischer Tennis bernhn. Wie sehr
diese Verschiebung erst innerhalb des Qothischen vorgeht, zeigen
am besten Fremdwörter wie Nom. Asaph und Joseph : Qen. Asabis
and Josebis. Dass aber keineswegs ein Sprachgesetz inlautende
Media fordert, ersehn wir aus Formen wie afar, ufar, hufbm, lofa,
haQan, lifnan.
So weit die Lehre von der Vertretung der Spirans durch Media;
wie schwierig sie aber ist, wird sich erst vollständig bei Behand-
lung des Auslautes zeigen.
b) Wechsel zwischen Tennis und Spirans.
Die hier zu erwähnenden Beispiele haben sprachgeschichtlich
keinen Werth, es sind nur ungenaue Schreibungen, und zwar stets
in der Richtung vor sieb gegangen, dass die Tennis das Echtere,
die Spirans das Fehlerhafte aufweist So vituts (ihr beiden wisset) :
vitutbs ; so gatarhiths (beschuldigt) : gatharhiths. Neben dem Thema
bnutön Anden wir auch hnuthön, von blotan zeigen sich einzelne
Formen mit th, und von letan findet sich einmal aflethanda sie
werden erlassen so wie afleithaudans erlassend.
Ein Uebergang von t:s nach griechischer Weise ist mit Leo
Meyer die goth. Sprache S. 170 in den Thematen garunsi und
urrunsi von rinnan anzunehmen, wenn hier wirklich das Suffix -ti
vorliegt; Mittelstufe wäre jedoch th. Doch bleibt das ungewiss.
c) Wechsel von Tennis und Media.
Ein besonders wichtiger speoiell gothischer Uebergang von
Tennis zu Media liegt vor in zwei Praepositionen , nünlioh in
goth. du und dis» die beide auf urdeutsche Tennis zurückweisen,
IV. f : th. 29
ags« to, ahd. zno und zir, die also im Oothischen ganz aaf den nr-
sprfinglicben Standpunkt von lat. in-da, altsl. do, altir. do and
von lat. dis zorückkebren. Ist das ein Einfluss irgend einer an-
dentschen anverschobenen Sprache?
Urogekebrt begegnet eine Verscbiebang von Media za Tennis
in den Fremdwörtern fiaQyoQCTrjg : marikfeiins y Mdyeßig: Makebis
nod Graeeas : Kreks; die Sprache scheint noch das Gefühl dafür
gehabt za haben, dass in dieser Verscbiebang eine wahre Ver-
dentschang liegt.
Die bei Jomandes erscheinenden Namen brauchen wegen des
Verhältnisses von Tennis, Media nnd Spirans nicht genauer erwogen
za werden, da theils die Lesarten zo sehr schwanken, theils auch
der Schriftsteller selbst schon stark geschwankt hat; es ist nicht
nothig das durch Aufstellung eines Verzeichnisses zu beweisen.
Wir kommen nun zu dem Wechsel von Consonanten yer-
scbiedener Organe. Dass ein solcher im Gothischen, doch nor
in der Reihe der Spiranten, nicht unter den Tenaes und Medien,
stattgefunden habe, ist allerdings die Ansicht der verschiedensten
Sprachforscher. Fünf Wörter, thiiuhan, thlaqvns, thlaihan, thrafst-
Jan und nithjo, sind im Verdacht ein aus f entstandenes iA zu
enthalten, zwei andere, auhumists und auhns, sollen ein fröh^es
f za // entwickelt haben. Die Fälle sind so anziehend, dass wir
sie näher betrachten müssen, wobei ich vom Wahrscheinlicheren
znm Unwahrscheinlicheren herabsteige.
1) Indogerm. Wurzel plu, ahd. fliohan, alts. fliohan, altn. flya,
ags. fleön, aber goth. thiiuhan. Mir wird es sehr schwer das goth.
Wort von den andern losznreissen und ich habe sie auch Bd. I,
441 zusammengestellt Nur Fick europäische Spracheinheit (1873)
bringt S. 326 thiiuhan zu rgvxf» zerreisse und lat. trucido, was mir
widerstrebt. Diesen Fall halte ich für den, welcher am meisten
für den Uebergang f : iA im Gothischen spricht.
2) Lat. flaccus, goth. thlaqvs, schon Bd. I, 76 zusammen-
gestellt. Zwar könnte flaccus sein f selbst aus einem Dentale ent-
wickelt haben, bis jetzt ist aber noch nirgend der Versuch einer
entsprechenden Etymologie gemacht worden. Ich halte daher auch
die Richtigkeit dieser Gruppe tür ziemlich wahrscheinlich, sei es
dass flaccus sich an skr. Wurzel mlä (Kuhn's Zeitschr. VI, 222)
oder an skr. Wurzel bbra;, (ebds. XVIII| 16) anscbliesst. Das
ahd. flah halten wir hier fern und haben es schon Bd. I, 77 mit
lat. planus und griech. nXaxoeig verbunden.
3) Lat. flagito, shd. flehan, goth. thlaihan, welche Gruppe ich
Bd. I noch nicht gewagt habe aufzustellen. Sie wird mir aber
80 IV. f:th, f:h.
doch Dan auch wahrsobeinlieh , trotzdem ibr die wol von Gab«
lentz and Lobe herrfibrende Vcreinigang von tbiaiba and ^iXyy
gegenäber 8tebt. Za sebeiden ist diese Qrappe von gotb. flekan
lat. plangOy lit. plekiu, griceb. nlijöam, die icb Bd. I, 94 aüfge
nommen babe.
4) Die Grimm'scbe Zasaroineostellang von agfl. frefrian, alts.
fraobrian, abd. flaobiran mit gotb. tbrafstjan. Sie mnssen wir
jetzt verwerfen, naebdem tbrafstjan mit r^rco and skr. tarpftmi
bei Fick und bei mir Bd. I, 95 so viel wabrscbeiniicber vereint ist.
5) Skr. naptt^ lat neptis, griecb. dvetfm, abd. niftila, altn.
nipt gegen gotb. nitbjö. Hier vertritt das gotbiscbe fh sieber nicbt
den Labial, der ausgefallen ist wie im altsl. netij, böbm. neti| ja
aaeb im altn. nidr, sondern den daranf folgenden Dental.
Resultat ist also, so weit icb jetzt sebe^ dass gotb. fh aller-
dings, doch narjip drei mit tJil anlaatenden Wörtern aas älterem
Labial hervorglPnigen ist. Wir werden einen weiteren Wechsel
von ih and f antf zwar einen, wie es scheint, in beiden Rieb-
tangen erfolgenden, später im Altnordischen beobachten.
Es folgen die beiden Fälle, in welchen das Gotbisehe der
labialen Spirans nicbt nach dentaler, sondern nach gottaraler
Richtung hin ausgewichen sein soll:
1) Indogerm. op, ags. yfemest, ufemest, abd. oban u. s. w.
gegen gotb. aubumists, während sonst das Gotb. in seinem nf, ufar
den Labialen bewahrt. Man hat deshalb aubumists ganz faievon
zu trennen versucht und das wird auch wol schliesslich das Richtige
sein, wenn auch die beiden mir bekannten Versuche nicht fdr ge-
lungen zu erachten sind, weder die Verbindung mit baubs altus noch
die Anknüpfung an skr. ucda altus (von ut sorsum).
2) Altn. ofn, abd. ofan, ags. ofen fomax gegen gotb. aahns.
Aber dass hier der gutturale Laut grade der ursprünglichere ist,
wird durch die Zusammenstellung von aubns mit skr. a^na, gr. 2;ivo(
wahrscheinlich (s. Bd. I, 65). Wir werden dann grade den übrigen
deutschen Sprachen den Uebergang in den Labial zuschreiben and
annehmen, dass der Bd. I, 374 wahrscheinlich gemachte keltische
Einfluss sich auf die westlichen deutschen Sprachen auch noch
nach der Trennung des Gotbischen in dieser Richtung fortgesetzt
habe.
Nach alle dem erscheint ein Uebergang von f: h im Gotbischen
bisher noch nicbt wahrscheinlich.
2. Consoniaten im Aaslaat
Wir haben Bd. I, 375 ff. gesehn, dass im Urdeatschen der
lY. Cons. Antlaut. 31
scboB früher begonnene Kampf gegen auslantendea m and s sieb
noch weiter fortsetzte. Bei dem m ist nun im Qotbiseben der
Vorgang znm völligen Stillstande gekommen, beim s aber sebn wir
ihn noch in weiterer Bewegung, wie uns ja schon oben die Ent-
stehung des z eine gewisse Unruhe in der Sphaere des Zischlautes
zeigte.
Im Datiy Plur. haben wir dem ältesten Urdeutsch noch ein
-miSy dem späteren jedoch schon (mit Ausnahme einiger pronomi-
nalen Formen) ein blosses -m zuzuschreiben (s. Bd. I, 523 ff); im
6oth. giebt es keine einzige Form mehr mit Sy auch nicht in der
pronominalen Declination.
In der 1. Pers. Flur, nehmen wir an, dass das 6oth. kein s
mehr vorfand, das es hätte abwerfen können; wir werden beim
Ahd. noch einmal auf diesen Gegenstand zurückkommen.
Im Wesentlichen beschränkt sich gotbische Apokope auf den
Nom. Sing., doch tritt dieselbe erst kurz vor dem Untergange der
Sprache im sechsten Jahrhundert ein, während Ulfilas davon noch
keine »^nr hat. Die Urkunde von Bavenna zeigt schon ein Ufita-
hari und ein Viljarith, während die von Arezzo noch Gutilaibs hat
Dass das nominative s an einem schon auf s ausgebenden Stamm
nicht weiter angehängt wurde (Nom. ans, hals, sves. Gen. anzis,
halzis, svesis), ist selbstverständlich und sicher keine speciell
gotbische Erscheinung.
Auch sonst bietet das Gothische keine Beispiele von Apokope
dar, man müsste denn etwa die unorganische Schreibung hvamme
fnr hvammeh dahin rechnen, denn dass r nach i und u auslautend
vocalisirt wird, gehört nach unten unter die Abhängigkeit der
Consonanten von Vocalen und dass hva für hvat steht, ist nach
Bd. I, 194 in keinem Falle das Resultat eines gothiseben Vor-
gangs.
Ausser diesen wenigen Spuren von Apokope begegnen wir
aber noch einem andern pathologischen Vorgange bei auslautenden
Consonanten im Gothiseben. Wir sahen oben (Seite 26), dass
das Gothische die Neigung bat Spiranten namentlich inlautend zu
Medien umzuwandeln; jetzt haben wir zu erwähnen, dass es auch
die Neigung besitzt Medien auslautend in Spiranten zu verändern.
Beide Erscheinungen wirken eigentlich auf dasselbe, doch nie von
der Sprache erreichte Ziel hin, dass nämlich die Media der Con-
sonant des Inlauts, die Spirans der Gonsonant des Auslauts werden
sollte. Beide Erscheinungen wirken zusammen, doch von entgegen-
gesetzten Richtungen her. Wo indogermanische Tenuis und urdeutsche
Spirans im Gothiseben durch Media vertreten wird, gehört die
92 !▼• (^B* Auftlaut
Erscheinung nach oben, wo dagegen indogermanUohe Aspifata,
ordeutsche Media als gothisch aaslaatende Spirans erscheint, müssen
wir den Fall hier anführen. Die Sache wäre ziemlich einfach, stösst
aber auf zwei Schwierigkeiten; erstens kennen wir nicht immer
genan den indogermanischen Lantstand nnd zweitens geräth schon
das Urdeutsche durch beschleunigte Lautverschiebung (Bd. I, 372)
vielfach aus den Fugen. Es wird deshalb zwischen beiden Er-
soheinungen die Grenze nur äusserst schwer zu ziehen sein; auf
keinen Fall darf man die hiebe r gehörigen Fälle zu sehr auf
Kosten der nach oben hin gehörenden ausdehnen, wie es vielfach
geschieht.
Der besprochene Vorgang kommt aber nur bei Dentalen und
Labialen, nicht bei Qutturalen vor; bei letzteren heisst es ohne
Anstoss lag, staig, bang, vig, dag. Bei Dentalen rechne ich hieher
budum : bauth, heida : baith, rddan : rairöth, vidan : gavath, wo überall
indogermanische Aspirata, urdeutsche Media anzunehmen ist. Dahin
wird denn auch bidjan:bath gehören, dessen Verwandschaft (s.
Bd. I, 444) nicht sicher ist, dem aber jedenfalls urdeutsche Media
zugeschrieben werden muss. Skaiskaid von skaida bleibt unver-
ändert, vielleicht noch in Folge von ausgefallenem Nasal. Bei
den Labialen endlich haben wir gadaban : gadöf, graban:gröf;
thairban, thaurban : tharf, alle aus indogermanischer Aspirata, nr-
deutscher Media erwachsen. Bei giban : gaf, Imper. gif kennen wir
den indogermanischen Zustand nicht (lit. heisst es gabenu), es ist
aber sicher urdeutsche Media anzunehmen. Auch goth. laiba,
leiban : bilaif (nebst aflifnan) erwächst aus urdeutscher Media, die
wol in Folge von ausgefallenem Nasal (Bd. I, 92) aus Tennis ent-
sprungen ist Endlich haben wir noch die beiden Wörter laubs
und thiubs : Acc. lauf und thiuf zu nennen, die gleichfalls aus ur-
deutscher Media, aber indogermanischer Tennis erwachsen sind;
so ist wenigstens der wahrscheinlichere Vorgang.
Bedenkt mau, dass im Gothischen das ö ein recht seltener
Laut ist (auf 5 d kommt noch nicht ein />), so können wir sagen,
das bei der dentalen Media nur eine Neigung vorhanden ist aus-
lautend in Spirans uberzugehn, während dieser Uebergang bei der
labialen förmlich zum Gesetze wird, einem Gesetze, das nur durch
eine benachbarte Liquida, z. B. in halb, svarb (tersit), lamb, dumb
eine Hemmung erfährt.
8. Consonanten abh&ngi;.
a. Einfluss von Consonant auf Consonant.
Im Allgemeinen ist dieser Einfluss lange nicht so gross als in
IV. Consonantengrappeiu 33
andern Sprachen. Namentlich im Auslaute bleiben nicht nur Gon-
sonantenverbindnngen von einer für uns grossen Härte, sondern es
werden dazu durch Synkope noch ohne Scheu neue geschaffen;
Westphal hat in Euhn's Zeitschrift II, 162 eine reiche Sammlung
solcher Verbindungen. Auch im Inlaute zeigt das Gothische eine
ziemlich grosse Unempfindlichkeit; nicht einmal zu einem so nahe
liegenden Uebergang wie ms:ns hat es eine Neigung; vgl. amsa
svumsli mimza.
Von derErweichung anlautender Consonantengrnppen,
worüber doch Bd. I, 378 für das Urdeutsche manches beizubringen
war, kann deshalb in einer Sprache nicht die Rede sein, die sich
sogar vor der Form qvrammitha (Feuchtigkeit, von unsicherer
Etymologie) nicht scheut; höchstens kann man in goth. ganipnan
(betrübt werden); wenn man es zu altn. hnipna hält, eine Ausstossung
des h vermuthen.
Wir kommen deshalb sogleich zur Entartung inlautender
Consonantengruppen, wofür Bd. I, 388 ff. zu vergleichen ist.
Von einer Erweichung dieser Gruppen (ohne völligen Verlust eines
ihrer Bestandtheile) finden wir im Gothischen keine Spur, dagegen
mehrere Beispiele von völliger Unterdrückung eines unter mehreren
Lauten, eines Vorganges, den man fast versucht wäre eine unge-
schriebene Assimilation zu nennen.
Wir reden zuerst von dem Ausfalle eines n vor folgenden
Gonsonanten. Dahin sind nun aber solche Doppelformen wie huggr-
Jan und huhms, juggs und juhiza nach dem, was Bd. I, 392 er-
örtert wurde, nicht mehr zurechnen; eben so wenig standa : stöth,
da hier das n wol nicht im Perf. ausgefallen, sondern im Praesens
eingeschoben ist; vgl. Bd. I, 581. Dagegen ist wirklicher Ausfall
(mit Vocalaffection) in seiteins aus sinteins anzunehmen. Neben
diesem vereinzelten Beispiele ist nur noch der Uebergang von ng
{gg) : g zu erwähnen, den wir mehrfach finden, z. B. gageiggan ge-
winnen : gageigan, gaggan : fauragagja, huggrjan : hugrjan, unma-
nariggvs neben -rigvs. Noch öfter ngk (ggk) : gk, wie thagkjan neben
fhaggtgan, drigkan neben driggkan, ugkis neben uggkis u. s. w.
Letzteres ist wol keine sprachUche, sondern nur eine orthographische
Erscheinung.
Wie das ;i, so schwindet auch das h zuweilen vor andern
Consonanten, doch immer nur sporadisch, nie gesetzmässig. So
hs : 8 in drauhsnos : drausnös, ferner in vaurstv, das doch ein
^aurhstv voraussetzt, vereinzelt auch im Genetiv als für alhs. Sehr alt,
vielleicht schon urdeutsch, ist der Fall hv : v im Thema *nahvi : *navi,
dann weiter vocalisirt zu naus (altn. när); desgleichen in saihvan
Fdrttemann, Gesch. d. d. Sprachstammes. IL 3
34 I^« ABsimilation.
za ^sihyniy woraus siuni noch vor der Zeit entstanden sein mnss
in welcher ih : aih überging. Ein hm : m haben wir in hioma neben
• hiahma, ein ht:t in liuteith fdr liuhteith, endlich ein hthrth in
fatha Zaun, wenn dieses^ wie es scheint, aus ''^ahitha '^'fahtha ent-
sprangen ist
Die Verbindung gv wird zwar, wie Bd, I, 395 erwähnt wurde,
im Urdeutschen gradezu als beliebt gesucht, tritt jedoch hinter sie
noch ein ableitendes j\ so meidet selbst das Gothische diese Härte.
So wird das Thema ''^magvja : *mavja : mauja (Nom. mavi); und
sollte es sieh nicht erweisen, dass taujan gradezu = did(o(u ist, so
wäre der Uebergang *tagyjan : *tavjan : taujan (Substantivthema
tauja, Nom« tavi) denkbar.
Ein r vor andern Consonanten schwindet in spaiskuldrs aus
spaivskuldrs. Ausfall des letzten Gliedes einer Consonantengruppe
lässt sich nur in dv:d beobachten; so in fidv6r:fidur (fidrörtiguns
gegen fidurdögs); auch ist das Thema skadu wol aus skadva (vgl.
skadvjan) entsprungen; der erste beider Fälle findet sich auch im
ags. üÖQf wieder, während für den zweiten das v noch z. B. im
ahd. Dativ scatewi u. s. w. erscheint. In beiden Fällen stösst das
(rothische das r übrigens nicht spurlos aus, sondern lässt erst da-
durch den folgenden Vocal trüben.
Endlich Ausfall des mittleren von drei Consonanten wie es
scheint in kukjan küssen, das ich nicht gut anders mit altn. kyssa,
ahd. chussjan und ags. cyssan zu vereinen weiss als durch Annahme
einer älteren Form "i^kuksjan (wenn wirklich kukjan und küssen
dasselbe Wort ist).
Für die eigentliche Assimilation, zu der wir jetzt anserm Plan
gemäss kommen, haben wir die Fälle sm : mm, nv : nn, nd : nu, In : 11,
Iv : 11, st : SS bereits beim Urdeutschen Bd. I, 393 ff erwogen.
Nur der letzte dieser Fälle, st:ss, wobei das st bekanntlich
oft aus tt, tht, dt entstanden ist, wirkt im Gothischen noch weiter
fort. So ist das Suffix -assu, das dem Gothischen eigenthümlich
ist (Bd. I, 491| 516), sicher aus as-tu assimilirt, vielleicht jedoch
schon im Urdeutschen. Zum Verbum standa gehören die Formen
afstaf^s, usstass, tvisstass, auch faurstasseis (das ein Thema *fanr-
stath-tja voraussetzt), zu hvatjan das Substant. hvassei und das
Adverbium hvassaba (aus hvat-Qa, hvat-taba). Nach dem Vocal i
sahen wir die Assimilation schon urdeutsch in manchen zum Ver-
bum wissen gehörenden Formen wie goth. mithvisseL Zu qvithan
gehört ein aus *qvithti entsprungenes qvissi^ das wir in den Com*
positen ga-, ana-, missa-, sama-, thiuthi-, us-, vaila-qviss finden, das
aber sogar schon urdeutsch sein könnte; vgl. altn. kvis (Ntr., rumor),
IV. Assimilation. 35
ags* cviss (Fem., sermO; dictam). Hieher aach goth. gaviss (janctura)
Yoo gavida; vielleicht ist auch missö wechselseitig aus mit-to ent-
sprangen. Unsicher bleibt, ob auch in nngatass oder in knossjan
diesselbe Assimilation anzunehmen ist. Nach langem Vocal bleibt
übrigens das sl stets unangetastet wie in mösta und vaist. Zu be-
merken ist endlich, dass dieser an sich sehr merkwürdige Fall der
Assimilation von sliss sich auch im Altirischen wiederfindet
Von anderen im Gothischen begegnenden Assimilationen fanden
wir noch keine urdeutschen Beispiele. So zeigt sich häufig, doch
nicht nothwendig, das 8 der Praeposition us einem folgenden r an-
geglichen, so in usruns : urruns, usrinnan : urrinnan, usreisan : urrei-
san, usredan : urredan, us riqviza:ur riqviza, usrümnan : urrümnan
(2. Cor. 6; 11 steht in der einen Handschrift usrumnöda, in der
andern nrrumnoda).
Bei goth. svamms Schwamm, wenn es zu Griech. aofig>6g ge-
hört, würde man auch geneigt sein Assimilation anzunehmen and
könnte diese Ansicht durch altn. svampr bestätigt finden; doch
ist hier das p vielleicht eingeschoben und Schwamm mag zu
schwimmen gehören (vgl. auch lett. swammis, lit. szamas).
Ein kv : kk findet sich in altsl. smokva : goth. smakka.
Bis zuletzt habe ich mir den sehr häufigen Vorgang aufgespart,
dass ein A sich einem folgenden Consonanten assimilirt. Genauer
genommen tritt dieser Fall aber nur bei der angehängten Partikel
-üb ein, es müsste denn etwa nngatass auf ein ^ungatahs zurück-
weisen und zu tekan zu setzen sein. Das -uh aber wird im Gothi-
schen gradezu schlecht behandelt; bei den Vocalen sahen wir, wie
es sein u oft verliert und hier sehen wir sogar seinen Consonanten
antergehn, so dass von dem Wörtchen gradezu nichts mehr übrig
bleibt Vor nicht weniger als zehn Consonanten finden wir dies
Schwinden des A:
1) hr : rr, jah ragin : jar ragin.
2) hl: II, duh leitilai : dul leitilai, jah liban:jal liban, jah
lAggei-J^ laggei.
3) hm : mm, jah munddth : jam mundöth.
4) hn : nn, jah ni : jan ni.
5) h8:ss, jah sunjöstjas sunjös, jah saeiijas saei, nih sijai:
nis sijai.
6) hk : kk, nuh kannt : nuk kannt.
7) hg:gg, jah gabairaidau : jag gabairaidan, jah galaith:jag
galaith, jah gahausida : jag gahausida, jah gatraua : jag gatrana; es ist
zu bemerken, dass von diesen vier Beispielen kein einziges aus dem
codex argenteus stammt,
n*
36 IV. Halbe Assimilation.
8) hth:thth; der häufigste aller Fälle; jah than: jath than, jah
tbairh : jath thairh, jah the : jath the, nih than : nith than, vasah than ;
▼asQth than, inuh this : inuth this, dah the (das nur selten erscheint) :
dnth th^, sumaih than : sumaith than.
9) hd:dd, jah da:jad du.
10) hb:bb, jah bindis:jab biudis, jah brust8:jab bmsts.
Wir gehn über zur halben Assimilation. Sicher ist eigent-
lich nichts hieher zu rechnen. Die Fälle von dn:8n (anabiudan:
anabusnSi usbeidan : usbeisns) so wie von tn : sn (vlits : andavleizn)
wurden schon Bd. I, 393 angeführt; Grimm nahm Ctesch. d. dtsch.
Spr. 256 hier mit Unrecht ausgefallenes / an. Ein gn : hn wäre
anzunehmen, wenn goth. tveihnai wirklich auf einem urdeutschen
tvigina, ags. tvegen (Bd. I, 398) beruht, doch ist hier auch altn.
tvenn, ahd. zwene zu erwägen.
Einen weiteren Punkt hätte ich schon Bd. I, 390 eingehender
behandeln sollen. Es ist die gewiss schon urdeutsche Erscheinung,
dass in den sjTikopirten schwachen Perfecten (auf urdeutsches -da)
die Verbindungen bd, pd, kd, gd, td, sd durch eine Umwandlung
des rf in / vermieden werden, vor welchem i dann als Vertreter
der Gutturalen, Dentalen und Labialen nur ein A, «, f erscheinen
darf, so dass die beliebten Verbindungen ht, st^ ft förmlich gesucht
werden. Aus dem Gothischen gehören hieher mit Guttural mahta,
aihta, öhta, bauhta, brahta, brflhta, andthahta, thühta, fravaurhta, mit
Dental gamosta, kaupasta, mit Labial thaurfta. Im Altn., wo das
Praeter, auf Öi ausgeht, stellt sich die Regel so, dass nach /?, /,
k und s -ti eintritt, z. B. glapti, malti, lukti^ thusti, doch nicht nach
f (kraf^i); im Ags., wo -de gilt, tritt nach p, t, h, s -te ein, z. B.
raepte, hvette, plihte, lyste. Im Ahd., wo das Suffix überhaupt -ta
lautet, verschwindet alles Unregelmässige.
Ein gewisser, jedoch nicht kräftig durchgreifender, aspirirender
Einfluss des nominativen s auf vorhergehendes d lässt sich be-
obachten in dem Nomin. bauths vom Thema bauda (altir. baodh,
skr. bandhura), desgleichen in dem nur einmal erscheinenden göths
(das sonst immer gods lautet) vom Thema göda (griech dya^gy
altslav. godin placens). VITenn aber Grimm Gesch. d. dtsch. Spr.
zweite Aufl. S. 255 auch in hiaifs hlaibis, faths fadis, seths sedais,
froths frodis, saths sadis denselben aspirirenden Einfluss findet, so
steht dem meine Auffassung, nach welcher ich vielmehr die Spirans
für das Ursprünglichere, die Media für deren Erweichung ansehe,
gradezu entgegen.
Gemination neben einfacher Consonanz liegt nur selten
vor. Die gothischen Formen kuni, fani, munan haben vielleicht
IV. • Einfluss von Vocal auf Consonant 37
die Erinnening an frühere AssimilatioDen eingebässt und sind dann
anorganischer geschrieben als ahd. kanni, fenni, minna oder goth.
ufarmnnnon. Dagegen scheint goth. kann anorganische Gemination
za haben. Wenn aber Grimm Gesch. d. dtsch. Spr. zweite Aofl.
S. 625 auch in rinnan und brinnan solche anorganische Gemination
sacht, 80 irrt er wol^ da hier Assimilation aas rinvan, briknan (s* Bd.
If 393, 394) wahrscheinlicher ist. In Bezag aaf r hat fairriodth
unorganische Schreibang gegen fairindn; angewiss ist es, wie es
mit qvairras, fairra, andstaarran stehn mag. Wenn statt thai than
und samai than die Schreibangen thaiththan and samaiththan be-
gegnen, 80 liegt hier wohl Assimilation eines dazwischen stehenden
thaih and samaih vor.
In Bezag aaf die Erzeagang von anorganischen Oon-
sonanten verhält sich dasGothische so gat wie ganz passiv, denn
den Einschab des s vor t hat es aas dem Slavogermanischen geerbt
(Bd. I| 252), die Erzeagang eines ^ vor r and eines dd vor J aas
dem Urdeatschen (Bd. I, 395 f., 397). In andannmfts mag das f
zwischen m and i erst im Gothischen eingefdgt sein, obgleich das
Ahd. mehr Beispiele dieses Vorganges darbietet; derselbe ist eben
ein sehr natürlicher and es findet sich Aehnliches aach im Griechi-
schen, Lateinischen and Persischen (Bopp vergl. Gramm. P, 167).
Svumfsl Teich, za svimman gehörig, zeigt sich neben svamsl, wie
ja aach sonst das Zasammentreten von m and s keineswegs an-
stossig ist.
b. Einflnss von Vocal aaf Consonant.
Den Aasfall and den Einscbab eines Consonanten
zwischen zwei Vocalen können wir gleich zasammen be-
sprechen fdr solche neben einander stehende Formen wie frijathva
und fijands neben friathva and fiands, sijam and sijuth neben siam
und siatb, frijön and friön, fijais, fijaith ond sijai neben fiais, fiaith
and siai, sijaa, ijaa neben siaa, iaa. Ueberall ist der erste Vocal
ein i, der zweite beliebig, der zwischen beiden stehende oder
fehlende Consonant ein J\ die Formen mit dem J sind überall weit
häafiger als die ohne dasselbe. Eine vollständige Sammlang hiefdr
hat Begemann das schwache Praeteritam (1873) S. 91 ff. Die
Sache ist wol so anzasehen, dass der gothischen Sprache hier von
Anfang an ein anorganisch eingeschobenes J zukam, dass dieses
aber später zuweilen aasfiel and dadurch die theoretisch ältesten
des Einschubs nach entbehrenden Formen wieder hergestellt wurden.
In thrije (triam) and thrija (tria) sind keine Formen belegt, die
den Consonanten entbehren. "
38 IV. Voealisirang. •
Sollte nicht ein g zwischen zwei Vocalen ansge&llen sein in
nndarleija (infimns), bo dass ein ^nndarligija roranzasetzen ist?
Im Uebrigen nimmt das Gothische noch einige Formen mit ans-
gestossenen Consonanten ans dem Urdeatschen herüber (s* Bd. I,
397), schafft aber nichts Nenes hinzn.
In Bezug auf die Vocalisirnng eines Consonanten
durch vorhergehenden Vocal möchte ich zunächst glauben,
dass der Untergang des n in den weiblichen a-Stämmen (gibans:
gibos) doch auch schon urdeutsch sei, wie in mehreren Bd. I, 398
erwähnten ähnlichen Fällen. Dem Gothischen zuzuschreiben ist
nur, dass ein j oder t> mit vorhergehendem i oder a einen Diph-
thongen bildet. Beispiele:
1) ij: ei\ *fr\ja8; *frij8: freis, *kijanan: keinan (germinare).
2) iv: iu; *thivas *thiv8: thius (servas, Voc. thiu); *qviva8:
qvius (vivus, dazu gaqviujan und gaqvivnan); *kniva: kniu (genu);
^riva : trin (arbor); *niva : niu (novus, z. B. niuklahs, niujitha);
*sivjan : siujan (suere); *sivni (aus sihvni): siuni (visns); *sunivas:
suigus (filii, Nom. Plur.); goth. snivan (festinare) : sniu (in sniumjan,
sniumundo). Endlich uhtiugs (tempus habens) möchte man aus
*uhtivagas herleiten.
3) äj : ai; '*'säja, '*'väja : saia, vaia. In den Formen bajöths
und vajamereins liegt dagegen wol umgekehrt nicht Vocalisirnng,
sondern Consonantirung vor (vgl. oben Vocal abhängig von
Vocal, S. 22).
4) av: au; faviza (Comparat.): faus (Posit.) paucus; *navi8:
naus (mortuus); skavjan, ^sskavis : skauns (pulcher), usskaus
(providus); tavida : taujan; stravidedun: straujan. Endlich nom.
gavi, havi, mavi : Thema gauja, hauja, mauja.
Nach ai kann dagegen das v nicht vocalisirt werden, da sich
hier kein Diphthong darbietet; so bleibt saivs, snaivs, aivs, hlaiv
unverändert.
Wir kommen zur Vocalisirnng eines Consonanten durch
folgenden Vocal.
Der bei weitem wichtigste Fall htja:ji: ei. Dieser gevriss
schon im Urdeutschen wurzelnde Uebergang (s. Bd. I, 398)
tritt im Gothischen ein (oder zeigt sich als früher eingetreten) in
folgenden Fällen:
a) am Schlüsse des Wortes; vgl. Leo Meyer goth. Sprache
S. 362* So in nasei, sökei, den Imperativen von nasjan, sökjan,
desgleichen in bidei, ushafei, frathei etc. Die Relativpartikel ei
(thatei u. s. w.) ist wol nichts anderes als das Neutrum des indoger-
manischen Relativstammes Ja.
I
IV. Vocalisirung. 39
ß) bei Yorbergebender langer Sylbe; vollständige Beispiele bei
Xeo Meyer S. 361. Hieber gebort also *andji8 : andeis (Ende);
"^^hairdjis : hairdeis (Hirt); *altbjis : altbeis (alt); *viltbjis : viltheis
(wild); femer in *s6kji8: sokeis (du sucbst), *sokjith: sokeith (er,
ihr sucht) und allen äbnlicben Verben. Oehn aber Vocale vor dem
^ vorber, so unterbleibt die Vocalisirung; es beisst z. B. niujis, niebt
niveis, eben so stöjis^ stöjitb. Desgleicben bei kurzer vorbergeben-
der Sylbe, also baijis, nasjis, nicbt bareis, naseis.
y) wenn mebr als eine Sylbe vorbergebt, t. B. *raginjis:
ragineis, ^bokarjis : bökareis, *gavairtbjis : gavairtbeis, '^'andbabtjis
andbahteis.
Nocb einen Schritt weiter, bis zum blossen kurzen iy entartet
das ja in einigen Fällen des Auslautes; s. auch oben schon ähn-
liches bei der Lehre von den Vocalen; Leo Meyer behandelt den
Gegenstand S. 359, 516, 533. Es tritt diese Verkürzung ein
1) bei Masculinen auf ja^ die im Acc. und Voc. Sing, auf
blosses i ausgehn, z. B. hari, hairdi.
2) bei einigen Femininen auf ja^ die im Nom. Sing., wo lange
Sylbe oder mehrere Sylben vorhergehn, blosses i haben, z. B. bandi,
hvoftuli, doch auch bei kurzer Sylbe wie in mavi, thivi vom Stamme
mavja, thivja, der aber nach dem Vorhergehenden im Gotbischen
als mauja, thiuja erscheint.
3) bei manchen i/?- Stämmen, wo sie als erster Theil von Zu-
sammensetzungen erscheinen, z. B. arbinumja, thusundifaths, andi-
lans u. s. w. für arbjanumja etc. Dieses arbinumja ist also ent-
arteter als das arbeolaosa des Hildebrandsliedes, woraus man sieht,
dass hier ein speciell gothischer, nicht ein urdeutscher Lautwechsel
vorliegt. Wenn dem abd. kuniowidi (in den Merseburger Sprüchen)
ein goth. kunavida gegenüber steht, so ist hier kein Lautwechsel^
sondern eine völlig andere Bildung des ersten Theiles anzunehmen.
Das volle -ja im ersten Theile findet sich noch in goth. vadjabokös
vom Neutrum vadi.
Mit einigen andern Fällen haben wir es hier nicht mehr zu
tbun. So gehört der Uebergang von ja : i in den schwachen Per-
fecten wie nasja : nasida oder tauja : tavida oder strauja : stravida
bereits dem Urdeutschen an (Bd. I, 398). Ferner ist noch folgen-
des zu beachten: Während das j des ComparativsuflFixes jans
schon weit jenseits des Gotbischen vocalisirt ist (s. Bd. I, 150)
und sich daraus schon urdeutsch ein isan und äsan entwickelt hat,
müssen die Adjectiva auf ya dieses Suffix noch urdeutsch im Gom-
parativ und Superlativ gezeigt haben, es müssen also diese Formen
auf jisan, jdsan, jista^ jästa ausgegangen sein, wie das Altsäch*
40 I^* Vocalisirung.
siscbe zeigt; 8. Grimm Gramm. UI^ 577 f. Hier hat nun das Gothi-
sehe und ebenso die übrigen Mundarten, jede fdr sich, gleichfalls
keine Spur mehr von jy doch scheint es richtiger, diesen Fall nicht
als Vocalisirung, sondern als Ueberwncberung durch die Bildung
der Adjectiva auf -a anzusehn.
Ausser vor a und i wird das j auch noch in zwei andern
Fällen von einem folgenden Vocale verschlungen^ nämlich 1) vor
der Endung au im Opt. Praes., z. B. '^'bairjan : bairau, nimjau :
nimaUj wo dasAltn. ein -i, die andern Sprachen ein -e haben; es
ist schwer zu beurtheilen, ob dieser Fortfall schon urdeutsch ist;
2) vor der Endung -6 im Gen. Flur, der i-Stämme, also urdeutsch
baigjä, anstjä : goth. balge, anste; hier lautet es noch ahd. belcjo,
enstjö, altn. noch belgja, doch schon ästa.
Ausser dem j wird auch das r durch folgenden Vocal ver-
schlungen, doch nur in drei vereinzelten Fällen:
1) va : u in der 1. Du. Perf. Ind., also indogerm. babhärva :
goth. beru, wo das a im Urdeutschen nicht abgefallen ist; vgl.
den Optativ babhärjava : bereiva.
2) vä : u in Skr. svädus, lat. suavis u. s. w., also urdeutsch Thema
sväti : goth. suti. Das altn. soetr, ahd. suazi sind hier weniger entartet.
3) vu : u nur im Namen Athaulf, dem Vorläufer von so vielen
späteren Beispielen derselben Art.
Am Schlüsse der ganzen Lautlehre ist noch der in Folge des
Gleichklangs geschehene Ausfall einer ganzen Sylbe im Acc. Flur,
nasjandans : nasjands zu erwähnen, auch die in einigen Femininen wie
baurgins : baurgs eintretende Verstümmelung.
Von Metathesen hat das Gothische keine Spur.
Wer das im Vorhergehenden Dargestellte mit dem eben so
geordneten Stoffe in Bd. I. S. 337—399 Schritt für Schritt ver-
gleicht, wird sehen, auf wie viele Schwierigkeiten der erste Ver-
such stösst, die urdeutsche Lautlehre von der Gothischen zu son-
dern, wird aber auch erkennen, wie viel klarer als bisher sich die
sprachlichen Ereignisse selbst in diesem ersten mangelhaften Ver-
suche ans einander legen und darstellen lassen.
Zweiter Absehiim.
Der Sprachschatz«
Um die eigentliche speciell gothische Sprachthätigkeit in Bezug
auf den Wortschatz zu beurtheilen, müssen wir aas dem uns über-
lieferten gothischen Sprachschatz ausscheiden:
IV. Sprachschatz, Sabstantiva. 41
1) alle Fremdwörter, über welche weiter unten.
2) alle solche Wörter, welche sich schon als urdentsch erwiesen
baben (s. die drei zweiten Abschnitte des ersten Bandes).
Ferner sind ansznlassen alle solche Bildungen, in welchen
sich die Sprache mit völliger Ungebundenheit bewegt, also
3) die mit Negationen zusammengesetzten Wörter, wofür wir
nur das positive Wort rechnen;
4) die zusammengesetzten Zahlwörter;
5) die verschiedenen Zusammensetzungen desselben Verbums
mit Praepositionen, wofür wir nur das Simplex in Anrechnung bringen;
bei Kominen, wo die Zusammensetzung eine festere ist, nehmen
wir dagegen auch diese auf;
6) adjectivisch gebrauchte Participien, wo nur die Verba ge-
rechnet werden;
7) Comparative und Superlative, statt deren wir nur die Positive
yerzeichnen;
8) die regelmässig gebildeten Adverbia, wofür nur die Adjectiva
angesetzt werden;
9) Zusammensetzungen mit angehängten -h (-uh) und -ei.
Nach Abzug aller dieser Wortclassen erweist sich der speciell
gothiHche Sprachschatz, so weit wir ihn kennen, als folgender:
SUBSTANTIVA.
Thiere.
Unbiari, starkes Ntr., Thier (un I; wegen des zweiten Theils
vgl. lit. zveris fem« und altsl. zvjeri msc, wildes Thier). Es liesse
sich manches über das Wort sagen, doch leider noch nichts Wahr-
scheinliches.
Ahaks, st. Fem.? Taube (unsichere Anklänge bei Diefenbach
goth. Wbch. I, 7).
Hraivadubö, schw. fem., Turteltaube (hraiv I -j- dubo lü).
Thramstei, schw. fem., Heuschrecke (unsichere Ableitung von
einem thrimman = lat. tremere, rgefielv).
So finden wir bei dem geringen Anlass, welchen dem Ulfilas
sein Text zur Verwendung von Thierbezeichnungen gab, schon zwei
räthselhaite Wörter, ahaks und thramstei, über welche beide übri-
gens Grimm in den Monatsberichten der Berliner Akademie von
1861, S. 837 ff. spricht; danach mag man den Verlust ermessen,
den unsere Sprachkenntniss erlitten hat.
Der Mensch.
1) Allgemeines:
Aba, schw. Msc, Mann (zu gäl. ab, aba pater? altn. afi pater, avns?),
42 IV. SprachBchatz, Substantiva.
Jaggalantbs, st Hsc^ Jüngling (juggs I -{^ ^laaths, Thema
laudi Mann, s. die Adjectiva, zur Wurzel rah, rndb wachsen).
MagaUty schw. Msc., Knäbchen (magas I).
Maviloy schw. Fem., Mägdlein (mavi III).
Frasts, st. Msc, Band (nnsichere Vermathungen bei Diefen-
bach I, 400).
2) Verwandschaft:
Oanitbjis, st. Msc, Verwandter (ga I -j- nitl\j5, ^nithjis I).
Inkanja, schw. Msc, Stammgenoss, Plnr. Landslente (in I -|-
knni I).
Ayö^ schw. Fem., Grossmutter (altn. ai I).
Fadrein, st. Ntr., Vaterschaft (fadar I).
Beruseis, st. Msc. Flur., Eltern (bairan I).
Liuga, st Fem., Ehe (zu liugan II? vgl. lat. nubere).
Bruthfaths, st. Msc, Bräutigam (bruths III -{- faths I).
Brdthrahans, Msc. Flur., Gebrüder (bröthar I).
Frastisibja, st. Fem., Kindschaft (frasts s. oben -f- sibja I).
Ainabaur, st. Msc. der Eingeborene (ains I -j- bairan I).
Frumabaur, st. Msc, der Erstgeborene (fruma I -{^ bairan I).
Bamild, schw. Ntr., Kindchen, Söhnchen (bam II).
Gaarbja, schw. Msc, Erbe (ga I -f- ^^^bi III).
Arbjo, schw. Fem., Erbin (arbja I).
Stairo, schw. Fem., die Unfruchtbare (zu lat. sterilis, griech.
(SxB^^og u. s. w.? vgl. altn. star I).
Viduvairna, schw. Msc, der Verwaiste (viduvo I).
3) Stand.
Kindins, st. Msc, Statthalter, Landpfleger (wahrscheinlich zu
altn. kind I; zwischen beiden könnte ein Wort *kinda oder *kindi
liegen, das etwa Stamm, Verwandtschaft bezeichnen müsste).
Hundafatbs, st. Msc, Hauptmann (hund I -|- faths I).
Thusundifatbs, st. Msc, Oberhaaptmann (thusundi II -f- faths I).
Fauragagga und fauragaggja, schw. Msc, Vorsteher, Verwal-
ter (faur I -|- gaggan I).
Fauramathleis, st. Msc, Sprecher, Vorsteher (faur I -}- mathl-
jan III).
Faurstasseis, st. Msc, Vorsteher (faur I -{- standan I).
Gardavaldands, st. Msc, Hausherr (gards I -f- valdan II).
Ragineis, st. Msc, Rathgeber, Rathsherr (ragin HI).
Staua, schw. Msc, Richter (staua Gericht, s. unten).
Vitödafasteis , st. Msc, Bewahrer des Gesetzes (vitoth zu III
-f- fastan I).
rv. Sprachschatz, SubstantiTa. 43
Vitödalaisareis, st Msc, Schriftgelehrter (vitöth zu III -\- lais-
jaxi III).
Ufargudja, schw. Msc, Oberpriester (ufar I + gudja III).
Veiha, schw. Msc, Priester (veihs HI).
Aurtja, schw. Msc, Gärtner (zum ersten Theile von aurtigards,
<l3^ noch Buch III hinzuzufügen ist).
Baurgja, schw. Msc, Bürger (vgl. den Personennamen Burgio,
2X1 baurgs I).
Fiskja, schw. Msc, Fischer (fisks I).
Haumja, schw. Msc, Hornbläser (haurn I).
Kasja, schw. Msc, Töpfer (kas I).
Skilja, schw. Msc, Fleischer (nach Leo Meyer zu xeiqm,
ciilter etc.).
Sviglja, schw. Msc, Pfeifer, Flötenspieler (sviglön III).
Timrja, schw.. Msc, Zimmermann (timijan zu III).
Vardja, schw. Msc, Wärter (vards III).
Vullareis, st. Msc, Tuchwalker (vulla I).
Mötareis, st. Msc, Zöllner (mdta s. unten).
Dauravarda, st. Fem., und dauravardo, schw. Fem., Thürhüterin
C^aur I -|- vards III).
Gaskalki, st. Ntr., Mitknecht (ga I •+- skalks III).
Thevis, st. Ntr. Plur., Diener, Knechte (thius II).
Thiumagus, st. Msc, Knecht (thius II -f- magus I).
Vaurstva, vaurstvja, schw. Msc, Arbeiter (vaurkjan I).
Gavaurstva, schw. Msc, Mitarbeiter (ga I -f- vaurkjan I).
Gadrauhts, st. Msc, Kriegsmann, Soldat (ga I -|- drauhts III).
Bidagva, schw. Msc, Bettler (bidjan III).
4) Eigenschaft und Thätigkeit.
Gadaila, schw. Msc, Theilnehmer, Genosse (ga I -j- dailjan II).
Gabaurgja, schw. Msc, Mitbürger (ga I -|- baurgs I).
Gadauka, schw. Msc, Hausgenoss (ga I; der zweite Theil ist
unsicher, s. Diefenbach II, 616).
Gahlaiba, schw. Msc, Genoss, Mitjünger (ga I -f- hlaibs I).
Gajuka, schw. Msc, und gajuko, schw. Ntr., Genoss (ga I -|-
juk I). ^
Galaista, schw. Msc, Nachfolger (ga I + laistjan fll).
Galeika, schw. Msc, eines Leibes, Miteinverleibter (ga I -[-
leik I).
Gamainja, schw. Msc, Theilnehmer (gamains I).
Gaman, st. Ntr., Mitmensch, Genoss (ga I -f" nianna I).
Gamarkö, schw. Fem., Grenznachbarin (ga I -\- marka HI).
Garazno, schw. Fem., Nachbarin (ga I -|- razn III).
44 IV* SprachsehatZy SubstanÜYa.
iDgardja, schw. Msc, Hansgenoss (in I -f- giurds I).
Nehvandja, schw. Msc, der Nächste (nShv III).
Frijondi, st. Fem., Freundin (frijon I).
Mithgasinda, schw. Msc, Reisegeföhrte (mitb I -{^ gasinda zu UI).
Afdrngkja, schw. Msc, Trinker (vgl. veindmgkja; af I -f- drig-
kan III).
Afetja, schw. Msc, Fresser (af I -}- itan I).
Bihaitja, schw. Msc, streitsüchtiger Mensch, Prahler (bi I -1-
haitan I).
Galiugabröthar, st. Msc, falscher Bruder (galiug s. unten -f-
brothar I).
Galiagaveitvöds , st. Msc, falscher Zeuge (galiug s. unten -j"
veitvöds s. unten).
Ealkjö, schw. Fem., Hure (unsicheres bei Diefenbach II, 439).
Launavargs, st. Msc, der Undankbare (laun m -f- "f^ftrgs II).
Liugnavaurds, st. Msc, Lügenredner (liugn zu III -^ vaurd I).
Liugnja, schw. Msc, Lügner (lingan II).
Liuta, schw. Msc, Heuchler (Adj. liuts, s. unten).
Manama urthija, schw. Msc, Menschenmörder (manna I -}'
maurthrjan IH).
Ufarsvara, schw. Msc, der Meineidige (ufar I -f- svaran HI).
Unvaurstvd, schw. Fem., die Unthätige, Müssige (un I -{- vaurk-
jan I).
VaidSdja, schw. Msc, Uebelthäter (vai I -}" ^^^s I).
Vilva schw. Msc, Räuber (vilvan I).
Andastathjis, st. Msc, Widersacher (and I -{- staths I).
Andastaua, schw. Msc, Widersacher (and I -|- staua s. oben).
Bandja, schw. Msc, der Gefangene (bindan I).
Dulgahaitja, schw. Msc, Gläubiger (dulgs I -{- haitan I).
Faihuskula, schw. Msc, Schuldner (faihu I -{- skulan I).
Ganja, schw. Msc, Ganbewohner (gavi I).
Guthbldstreis, st. Msc, Gottesverehrer (guth I -|- blötan III).
Mithgaleikonds, st. Msc, Nachahmer (niith I-j-galeikön zu IH).
Niujasatiths, st. Msc, Neuling (niujis I -|- sitan I).
Silbasiuneis, st. Msc, Augenzeuge (silba I -|- siuns HI).
Svultavairthja, schw. Msc, ein dem Tode Naher (sviltan III 4-
vairths zu tll).
Uslitha, schw. Msc, Gichtbrüchiger (us I -f- lithus III).
Veitvöds, St. Msc, Zeuge (vitan I; vgl. über dies Wort Bd.
I, 492).
5) Verbindung von Menschen.
Fadreins, st. Fem., Geschleoht (fadar I).
IV. Sprachschatz, Snbstantiva. 45
Manaseths , st. Fem. MenscheDsaat , Menschenmenge , ^ Welt
(manna I + seths II). ^
Gafanrds, st. Fem., Gericht, hoher Rath (ga I + '^^an I?).
Hier, wo wir es zum ersten Male mit einer wirklich vorliegen-
den, nicht bloss hypothetisch erschlossenen Sprache za thun haben^
sind wir auch zum ersten Male im Stande, etwas näher auf die
Personennamen einzngehn. Ich gebe deshalb hier nach Jahr-
hunderten (so weit das möglich ist) geordnet ein Verzeichniss
derjenigen Namen bis znm sechsten Jahrhundert herab, als deren
Träger uns ausdrücklich Oothen angegeben werden. Nur lasse ich
hier alles aus, was uns speciell als westgothisch angeführt wird,
um es für eine spätere Stelle zu versparen; dagegen mögen auch
die fabelhaften Namen aus Jomandes hier stehn, die doch auf
irgend einem uns noch unbekannten Grunde beruhn müssen.
4 V. 0. Medopa (Medumpa, Medompna), fem.; Gothila; Sitalcus.
1 Y. C. Diceneus; Comosicus.
1. Corillus; Oatualda; Hulmul; Boroista (Buryista, Borbista);
£rpamara? (Eterpamara?); Gapt (Gaut?); Augis.
2. Amala; Isama; Ostrogotha, msc.
3. Achiulf; Ansila; Argaitus; Athal; Oduulf; Oyida; Gniva;
Ediulf; Filimer; Gandaricus; Gundericus; Hunila, fem.; Hunvil;
Micca, msc.; Nidada; Respa; Vedueo, msc.; Vultnulf.
4. Alatheus; Athalaricus; Athanaricus; Erelieua, fem.; Friti-
gem (Fritegem, Fridigem, Fredigern); Giberich; Gaatho, fem.;
Gainas; Ariaricus; Ilderich; Hunimund; Ermanaricus; Jungericus
(Wingericus); Safracb (Saphrax); Valaravans; Vidimir; Vitirichus;
Theudigotho, fem.
5. Alanowamnth; Amalafrida; fem.; Amalasvintha, fem.; Anaolf;
Andala; Andagis; Aspar; Cyrola; Eutharicus; Gesimund; Gunthigis;
Ibba, msc; Igila, nuBc; Paria, msc; Badagais (Vandale?); Sabas,
msc; Tancila, msc; Theudimer; Theodericus; Thurismund; Vala-
mir; Vadamercam (Acc Fem., ?ar. Valadamarcam) ; Vandalarins;
Yinitharius; Yidigoia, msc.
6. Alamoda (Dat.) ; Amalabirga, fem.; Athalaricus ; Ustrigotthus;
Ostrogotho, fem.; Baduilla; Gildia, msc; Ildibad; Hunila, msc;
Indulf; Markias; Mathasuenta, fem.; Sinderith; Theudatus (Theo-
dohad); Totila; Ufitahari (Optarit); Vitigis; Villienant; Viljarith.
Nicht volle hundert gothische Personennamen mit Ausnahme
der westgothischen sind uns also bis aufs sechste Jahrhundert
herab überliefert. Die bei weitem meisten unter diesen zeigen
uns .dieselben Elemente, welche auch bei den andern deutschen
Völkern als namenbildend bekannt sind; einige andere dagegen
46 ^* Sprachschatz, SabstimtiTa.
(Medopa, SitalcaS; Diceneas, OoriUas, Hulmul, Ovida, Respa, Cyrola^
Paria) spotten noch jeder etymologischen Deutung. Zwischen beidea
Classen aber in der Mitte liegen einige Formen^ die nicht so ganz
unbekannt aussehen, dennoch aber in unserm deutschen Namen-
schatze eine ziemKch abgesonderte Stellung einnehmen; in ihnen
ist am ersten eine speciell gothische Weise der Namenbildung zu
yermuthen. So begegnet schon vor unserer Zeitrechnung die Form
Comosicus, bei der man gleich an die beiden Nameneiemente ffuma
und si'ff zu denken veranlasst ist, von denen freilich das letztere
sonst nur als erster Theil von Namen begegnet; es läge ein deut-
scher Andronicus in dem Worte; aus welcher speciellen Mundart
die beiden Tenues stammen mögen, bleibt uns verborgen. In
Boroista (sec. 1) steht der erste Theil ganz vereinzelt; wenn der
zweite zu Ariovistus stimmt, so wären dieses die beiden letzten
Ausklänge einer vielleicht vor der Zeit unserer Ueberlieferung
weiter verbreiteten Namenclasse. Cniva (sec. 3) lässt fast unab-
weisbar an ags. cnif culter denken, das wir sonst in Namen nicht
finden; wenn wir statt der Lesart Nidada (gleichfalls sec. 3) die
überlieferte Variante Cnivida vorziehn, so stimmen hier schon zwei
Formen als specifisch gothisch willkommen zusammen. Micca (sec.
3) seheint auf einer auch sonst wahrscheinlichen primitiveren Form
des goth. mikils zu beruhn, die vielleicht noch sec. 11 in Mechin
und Michard erscheint. Gaatho (sec. 4) mag sich mit manchen
späteren Namen an ein vorauszusetzendes *gadan jungi anschliessen ;
es könnte hier sogar der älteste Ausdruck für Gattin vorliegen,
doch ist die Schreibung jedenfalls barbarisch. Sabas (sec. 5) und
Safrach oder Saphrax (sec. 4) lassen zusammen mit jüngeren Namen
wie Sabulo und Sabaricus an ein verlorenes '*'safjan = lat sapere
denken, wovon ein *safr oder ^safrs dem lat. sapor gleichstehn
würde; davon wäre Saphrax wieder durch AdjectivsufGx (also goth.
^fiafrags) hergeleitet. Aspar (sec. 5) scheint Espe, populus tremula,
zu enthalten, welcher Baum sonst in Namen nicht nachweisbar ist.
In Alanowamuth (sec. 5)? dem Vater des Jemandes, haben wir
noch ein rechtes Denkmal der Völkerwanderung; kein einziger
anderer Name weist in seinem ersten Theile auf die Alanen hin.
Auch noch in andern gothischen Namen liegt die Erinnerung an
jenes Völkergewühl lebendig vor uns ; in Hunila, Hunvil, Hunimnnd
finden wir die Hunnen, in Valaravans und Valamir die Walchen,
in Vandalarius die Vandalen, in Vinitharius die Wenden; wie viel
kostbare Reliquien dieser Gattung mögen für uns verschollen seinl
Nur den eigenen Volksnamen brauchen die Gothen auch als
Grundwort von Personennamen, in Ostrogotha, Ostrogotho und
IV. SpraohflchatZy Sabstantiva* 47
niieadigotho. Sebr beliebt ist auch die Anknüpfang an ibr edelstes
Königsgeschlecht in Amala, Amalabirga, Amalafrida, Amala-
^vintha.
Wir fahren weiter fort in der Aufzählung der Appellativa.
Thieriseher Körper.
Manleika, schw. Mse., das dem Menschen Gleiche, sein Bild
^man I 4" l^i^ I)-
Manauli, st. Ntr., Gestalt. Conrad Hofmann (Germania VIII, 2)
Trermnthet hier einen Lese- oder Schreibefehler für manludja, wie
es schon vor ihm Massmann und die Altenburger Herausgeber ge-
than hatten QüdjSL Gesicht gehört zu III); weniger spricht die Con-
jectur von Grimm in Schnlzes Glossar manaldmi an.
Libains, st. Fem., Leben (liban III).
Andaugi, st. Ntr., Antlitz (and I -f- augjan III).
Andavleizn, st. Ntr., Angesicht (and I -f- vlaiton III).
Balsagga (Halsagga?), schw. Msc, Hals, Nacken? (hals I -f-
skr. ankas, ntr., Biegung, Leo Meyer).
Suthns, St. Msc, Magen (zu altn. sjöda III?).
Kilthei, schw. Fem., Mutterleib (vgl. Bd. I, 373; unsicheres
bei Diefenbach II, 451).
Magathei, schw. Fem., Jungfrauschaft (magaths I).
FaurafiUi, st Ntr., Vorhaut (faur I + fill I).
Vdkains, st. Fem., das Wachen (vakan I).
Brinnö, schw. Fem., Fieber (brinnan UI).
Vunns, st. Fem., Schmerz, Leiden (vinnan III).
Staks, St. Msc, Maal, Wundmaal (altn. stika I).
Vundufni, st. Fem., Wunde, Plage (ahd. wunta I).
Thrutsfill, St. Ntr., Aussatz (zu thriutan I -|- fiU h eigentlich
mit verletzter Haut).
Smama, st. Fem.^ Mist, Eoth (altn. smjör I?).
Spaiskuldrs, st. Msc. oder Ntr., Speichel (speivan I; der zweite
Theil ist unsicher; vgl. Diefenbach II, 254).
^anbei, st. Fem., Taubheit, Verstocktheit (daubs HI).
Pflanzen and Minerale.
Aihvatundi, st Fem., Domstrauch (goth. '*'aihvus I -{- tunthus
I? also Pferdezahn? Grimm denkt an goth. tandjan zänden I).
Bairabagms, st. Msc, Maulbeerbaum (zu lat. pims nach Leo
Meyer + bagms II).
Vigadeinö, schw. Fem. (vigs I; der zweite Theil ist unhekannt).
Nidva, St. Fem., Rost; etwa zu neith invidia III?
48 IV. Sprachschatz, Snbstantiya.
Nahrung.
Daahts, st. Fem., Gastmahl (goth. dngan II?).
Gabaar, st Msc, gemeinschaftliches Mahl, Schmanserei (s
baira I? also Zusammengetragenes, Collation?).
Nahtamats, st. Msc, Nachtessen, Abendmahl (nabts I -{- mats III). ^
Undaumimats, st. Msc, Mittagsmahl (andaurns III 4^ mats III).
Födeins, st. Fem., Nahrung, Speise (födjan II).
Drauhsna, st. Fem., Brocken, Stückchen, Bissen (nach Leo
Meyer zu griech. d'^avm, d'gavfffia).
Mammo, schw. Fem., Fleisch (unsicheres bei Diefenbach II, 29).
Smairthr, st. Ntr. Fett, Fettigkeit (altn. sn^ör I).
Unbeistei, schw. Fem., das Ungesäuertsein (beist zu III).
Lausqvithrei, schw. Fem., Nüchternheit, Fasten (Adj. laus-
qvithrs s. unten).
Kleidung.
Gafgteins, st Fem., Kleidung, Schmuck (fS^an s. unten).
Gaskadveins, st Fem., Bedeckung, Kleidung (eigentlich Be-
schattung, skadus I).
Gavaseins, st Fem., Kleidung (goth. vasjan I).
Snaga, st. Msc, Kleid, Mantel (sehr unsicheres bei Diefenbach
n, 281).
Gairda, st. Fem., Gürtel (gairdan III).
Vaips, st. Msc, und vipja, st Fem., Kranz, Krone (veipan, zu III).
Wohnung.
1) Ganze Wohnungen:
Bauains, st Fem., Wohnung (bauan I).
Gatimijö, schw. Fem., Gebäude (timrjan zu III).
MStastaths, st. Msc. Zollstätte, Zollhaus (möta s. unten -{-
staths I).
Gudhus, st Ntr., Gotteshaus (guth III -{- hus II).
Gafilh, usfilh, st Ntr., Begräbniss (filhan III).
Hlaivasna, st Fem., nur Flur., Gräber (hlaiv I).
2) Theile von Wohnungen:
Vaihstastains, st. MsC; Eckstein (vaihsta s. unten -{^ stains I).
Tulgitha, st. Fem., Befestigung, Grundfeste (tulgus zu III).
Fatha, st Fem., Zaun, Scheidewand (zu fahan I? etwa aus
*fahitha? grossentheils unsichere Vergleichungen bei Diefenbach
I, 344).
Bauvgsvaddjus, st. Fem., Stadtmauer (baurgs 1 4^ vaddjus zu III).
Mithgardavaddjusi st Fem., Scheidewand (mith I -|- gards
I -f vaddjus zu III).
lY. Sj^chflchatZy Sabstantiva. 49
Faarahah, fanrhah, st. Ktr., Vorhang (goth. faura I, -f- goth.
baban III).
Daorö, 8chw. Fem., ThSr^ Thor (daar I).
Bansts, st. Msc, Scheuer (wol ea bindan I).
Gathrask, st. Ntr., DreschteoDe (thriskan II).
Röhsns, st. Fem.^ Hof, Vorhof (unsicheres bei Diefenbach U, 178).
3) Verbindung von Wohnungen:
Garuns, st. Fem. (Dat. garnnsai), Markt, Strasse (rinnan I).
Fauradauri, st. Ntr., Gasse (faura I -j* daur I).
Bibaurgeins, st. Fem., Befestigung, Lager (baurgs I).
Feuer, Licht, -Wärme.
Fnna, schw. Msc, Feuer (fön I).
Lauhmuni, st. Fem., leuchtendes Feuer, Blitz (zur Wurzel von
Uahath I).
Linhadei, schw. Fem., Licht (liuhath I).
LinhadeinS; st Fem., Licht, Erleuchtung (liuhath I).
Oabairhtei, schw. Fem., Erscheinung (bairhts III).
Oakunths, st. Fem.^ Erscheinung (kunths I).
Frins, st. Ntr., Frost, Kälte (vgl. lat. pruina, ahd. friusu =
lat prurio I).
Luft und Schall.
Hauseins, st. Fem., das Gebor, Gehörte (hausjan I).
Hlinma, schw. Msc, Gehör, Ohr (zur Wurzel von hliuth u. s. w. I).
Gahauseins, st. Fem., Gehör, das Anhören (hausjan I).
Theihvö, schw. Fem., Donner (unsicheres bei Diefenbach II, 704).
Krnsts, st. Fem., das Knirschen (kriustan s. unten).
Wasser.
Qyrammitha, st. Fem., Feuchtigkeit (unsicheres bei Diefen-
bach II, 488).
Oarunjö, schw. Fem., Ueberschwemmung (rinnan I).
MidjasveipainS; st. Fem., Ueberschwemmung, Sundfluth (midjis
I -f einem sonst unbekannten goth. sveipan, etwa agitari^ moveri,
wozu Diefenbach II, 360 zu rergleichen).
Hrathö, schw. Fem., Schaum (hvathjan I).
Svarnfsl, st. Ntr., Teich (altn. svimma III).
Ufarranneins, st. Fem., Besprengung (ufar I -f- rinnan I).
Vis, St. Ntr., Meeresstille (unsicheres bei Diefenbach I, 227
n»d n, 746).
Erde, Land.
Hags, 8t. Ntr. (Gen. hugsis), Feld, Landgut (unsicheres bei
Diefenbach II, 577).
fßrsiemann, Gesch. d. d. Spracfattvnmet, II. i
50 IV. Spraohschata, SabatantivA.
Authida st. Fem., Wüste (aatbs III).
IIuDslastatbs, st. Msc, Opferstätte (gotb. bnnsl III -j- statha I).
Bairgabei, scb w. Fem., Berggegend (ans ^bairgabs, za'^bairgs, zu II).
Hlains, st. Msc, Hügel (ahd. blinSm I).
Ibdalja, scbw. Msc, Abbang, Thal (dal I, der erste Theil ist
anbekannt).
Drinsö, scbw. Fem., Abbang (drinsan I).
Afgmnditba, st. Fem., Abgrund (af I -f- gmndus I).
Graba, st. Fem., Graben (graban I).
Hulundi, st. Fem., Hole (abd. bol I).
Gott nnd Himmel.
Allvaldands, st. Msc. Allmäcbtiger (alls I -j" valdan II).
Galiugaguth, st. Ntr., falscher Gott (galing s. unten -f- gutb III).
Sköbsl, St. Ntr., böser Geist, Teufel (unsicheres bei Diefen-
bach II, 260).
Unhulthö, schw. Fem., Unhold (un I -f- hulths III).
Zeit.
Aids (altbs), st. Fem., Alter, Zeit (altheis I)
Aldöma, schw. Msc, Alter (altheis I).
Ajukdutbs, St. Fem., Zeit, Ewigkeit (aivs I).
Theibs, st. Ntr., Zeit (theiban II).
Kiujitba, st. Fem., Neuheit (niujis I).
Ussateins, st. Fem., Ursprung (saljan I).
Anastödeins, st. Fem., Anfang (anastodjan, s. unten).
Aftraanastödeins, st Fem., Wiederanfang, Erneuerung (aftra
in -[- das vorige).
Frums, st. Msc, Anfang (fruma I).
Frumisti, st. Ntr., Anfang (frumists IH).
Ustauhts, st. Fem., Vollendung, Erfüllung (us I -f- tiuhan I)
Ananiujitha, st. Fem., Erneuerung (niujitba s. oben).
Undivanei, schw. Fem., Unsterblichkeit (un I -f* divan III).
Bamiski, st. Ntr., Kindheit (barnisks II).
Athn, St. Nlr., Jahr (biezu vielleicht altn. Adv. äöan vor Kurzem;
nach Leo Meyer wäre athn =^ lat. annus, doch steht letzteres für
acnus; umbr. peraknem »= perennem, sevaknim = sollemnem).
Atathni, st. Ntr., Jahr (das vorige Wort mit einer Partikel zu-
sanmiengesetzt, wenn nicht die beiden ersten Buchstaben auf einem
Versehn des Schreibers beruhn).
AfSurdagSi st. Msc der folgende Tag (afar I -^ dags lU).
Andanahti, st. Ntr., Abend (and I -f* nabts I).
IV. SprachsehatZy SubBtantiva. 51
HIethrastakeins, st. Fem., Laubhüttenfest (hleithra zu III -{-
siltn. stika etc. I).
Inninjitbay st. Fem., Fest der Erneuernng des Tempels (ninjitha
B. oben).
Waffen undWerkzeuge.
1) zum Verbinden:
Gabnndi, st. Fem., Band (bindan I).
Naudibandi, st. Fem., Zwangsfessel^ Band (nauths II -{- bandi I).
Fötubandi, st. Fem., Fussfessel (fötus I 4* I)äiidi I).
Hlamma, st. Fem., Schlinge, Fallstrick (Leo Meyer stellt es
zu xQSfidwvixVf doch vgl. hramjan I; die Herkunft ist ganz unsicher).
Jnkuzi, St. Fem., Joch (juk I).
2j zum Theilen, Schneiden, Stechen:
Hrugga, St. Fem., Stab, Ruthe (die Etymologie ist unsicher;
ygl. altn. den Namen des Riesen Hrfingnir).
Giltha, St. Fem., Sichel (Leo Meyer setzt das Wort zu skr. kart
schneiden; manche bei Diefenbach II, 404 erwähnte Ausdrücke
mögen verwandt scin)^
AsiluqvaimuS; st. Fem«, EselmühlC; Mühlstein (asilus I -4~ goth.
qvairnus 11).
3) Gefässe.
Snorjo, schw. Fem., Flechtwerk, Korb (ahd. snuor I).
Uzeta, schw. Msc, woraus gefressen wird, Krippe (us I -f"
itan I).
4) üebriges.
Fötubaurd, st. Ntr., Fussbrett, Schemel (fötus I + baurd zu III).
Stauastols, st. Msc, Richterstuhl (staua s. oben -f- stöls I).
Hais, St. Ntr., Fackel (unsichere Vergleichungen bei Diefen-
bach II, 506).
Thuthaum, st. Ntr., Hörn, Trompete (ahd. diozan III -(-* g^^h.
haum I).
Hvilftri, st. Fem., Bahre, Sarg (Leo Meyer stellt es zu griech.
xoXnog, unsichere Verwandschaft).
KlismO, schw. Fem., Klingel, Schelle (unsicheres bei Diefen-
bach II, 460).
Nöta, schw. Msc, Hintertheil des Schiffes (unsichere Ver-
wandschaft)
Besitz.
Aihts, st. Fem., Eigenthum (aigan I).
Gabei, schw. Fem., Reichthum (giban II).
4*
52 IV. Sprachschats, SubstanÜTa«
Faihuthraihns, st Msc, Reichthom (faihn I -j- tbreihan I).
Ufarassns, st. MsC; Ueberfloss (ufar I).
Unledi, st. Ntr.^ Armath (anleds s. imteii). *
VaD, st. Ntr., Mangel, Verlust (vans I).
Vaninassas, st. Msc, Mangel (vans I).
Gewinn und Verlust
Aibr, st Ntr., Gabe, Opfergabe (unsichere Vergleichungen bei
Diefenbach I, 11).
Sauths; St. Msc., Opfer (wol zu altn, sjoda sieden III).
Alabrunsts, st. Fem., Brandopfer (alls I -|~ brinnan III.).
Gabaur, st. Ktr., das Zusammengebrachte, Sammlang, Steuer
(bairan I).
Möta, st Fem., Zoll (bei Zusammenstellung mit altn. müta
munus, largitio und ahd. muta Mauth macht die Verschiedenheit
der Laute Schwierigkeit; vgl. auch Diefenbach II, 90).
Gilstramdleins, st. Fem., Steuerbeschreibung (gilstr zu III -j*
meljan III).
Faihugavaurki, st. Ntr., Geldgewinn (faihu I -f~ gavaurki zu UI).
Manvitha, st Fem., Bereitschaft, bereite Mittel, Kosten (manvus
8. unten).
Andalauni, st. Ntr., Gegenlohn, Vergeltung (and I -|- ^^^ ni).
Andavairthi, st. Ntr., Preis, Werth (and I 4~ vairths zu III).
Andavizns, st. Fem., Unterhalt, Unterstätzung (and I -f~ vizon
leben? s. unten).
Sigislaun, st Ntr., Siegeslohn, Preis (sigis III -(-* l^^ui III).
Fragifts, st Fem., Verleihung, Verlobung (fra I -f- giban II).
Andstald, st Ntr., Darreichung, Dienstleistung (and I -f- stal-
dan III).
Fraqvisteins, st. Fem., Verschwendung (fra I -|- qvistjan III).
Andanem, st. Ntr., die Annahme, das Empfangen (and I mi-
nima I).
Sleitha, st. Fem., der Schaden (vgl. alts. sliöe malus, pericu-
losus, ahd. slidic).
Vulva, st. Fem., Raub (vilvan I).
Faurbauhts, st Fem., Loskaufung, Erlösung (faur I -f- bugjan
zu lU).
Andabauhts, st Fem., Losegeld (and I -f- bugjan zu ÜI).
Fralets, st. Msc, Eriass, Vergebung, Erlösung (fra I -f- I^tan 11).
Lnn, st. Ntr., Lösegeld (mit laun I zu Wurzel lu gerinnen).
Usluneins, st. Fem., Erlösung (us I -}- obigem lun).
Uslauseins, st. Fem., Erlösung (u« I -{- lau&jan I).
IV. Sprachschatz, Substantiva. 53
Form.
Digrei, schw. Fem., Dichte, Menge, üeberfluss (allD. digr III).
Filusna, st. Fem., Vielheit, Menge (filu I).
Fulleiths, st. Fem., Fülle (fuUs I).
lumjö, schw. Fem., Menge (Unsicheres bei Diefenbach I, 97).
Managdaths, st. Fem., Menge, Üeberfluss (manags I).
Mikilduths, st. Fem., Grösse (mikils I).
Hiahma, schw. Msc, Haufen, Menge (Leo Meyer stellt es zu
lat. cnmulus; Unsicheres bei Diefenbach II, 553; wahrscheinlich
zu huhjan sammeln, s. unten).
Ganauha, schw. Msc, Genäge (ganohs III).
Mitadjo, schw. Fem.^ Mass (mitan I).
Mitaths, st. Fem., Mass (mitan I).
Ibnassus, st. Msc, Gleichheit, Billigkeit (ibns III).
Galeiki, st. Ntr., Aehnlichkeit (galeiks II).
Antharleikei, schw. Fem., Verschiedenheit (anthar I -|- leik I).
Teva, st. Fem., Ordnung (wahrscheinlich zu taujan III).
Tevi, St. Ntr., Ordnung, Schar, Abtheilung von fünfzig (dsgl).
Guthaskaunei, schw. Fem., Gottesgestalt (guth III -{- skauus III).
Hraiuei, schw. Fem., Reinheit (hrains II). .
Airknitha, st. Fem., gute Art, Reinheit (airkns I).
Unvammei, schw. Fem., Unbeflecktheit, Reinheit (un I 4~
^ammjan III).
Naqvadei, schw. Fem., Nacktheit (naqvaths I).
Bisauleins, st. Fem., Befleckung (bi I 4~ sauljan III).
Gabruka, st. Fem., das Abgebrochene, der Brocken (ga I -j-
^Tikan I).
Kaurnö, schw. Ntr., Korn, Körnchen (kaum I).
Gramst, st. Ntr., Splitter (ansicheres bei Diefenbach II, 427).
Usdrusts, st. Fem. Ausfall, Loch; schlechter, rauher Weg (us
X; -f" driusan I).
Thairkö, schw. Ntr., Loch, Oehr (vielleicht zu thairh III; Leo
^eyer setzt dazu dagegen gr. rQwyXri Loch, Hole).
Gataura, schw. Msc, Riss (ga I 4~ tairan I).
Gajuk, st. Ntr., Joch, Paar (ga I + juk l\
Ufsvalleins, st. Fem., das Anschwellen, der Hochmuth (uf I -f*
altn. svella III).
Ort.
Haubisti, st. Ntr., die höchste Höhe (hauhs II).
Mundrei, schw. Fem., Ziel (mundön III).
Filigri, st. Ntr., Versteck, Hole (filhan III).
54 I^* SpraohschatZy Substantiva.
Vaihsta, schw. Mso., Winkel, Ecke (ahd. wicha I, vgl. Diefen-
bach I, 139).
Midamai st Fem., Mitte (midjis I).
BewegniDg.
VratödaSy st. Msc. Reise (vratön zn III).
Vrakja, st. Fem., VerfolgUDg (vrikan I).
Thlauhs, st. Msc, Flacht (thliuban III).
Usvahsts, St. Fem., Wachstham (ns I -}- vahsjan I).
Inmaideins, st. Fem., VeräDdernng, VertaaschuDg, Einlösaog
(in I -{- maidjan I).
Usvalteins^ st. Fem., ümwälzangi Untergang (os I -f* valtjan I).
Berührung.
Gamaindutbs, st. Fem., Gemeinschaft (gamains I).
Gasateins, st. Fem., Feststellung, Grundlegung (ga I -{- satjan I).
Analageins, st. Fem., Auflegung (ana I 4* lAgj^n H).
Faurlageins, st. Fem., Vorlegung (faur I -[- lagjan II).
Atgaggs, st. Msc, Zugang (at I 4- S^SS^t^ I).
Innatgahts, st. Fem., Eingang, Eintritt (inna s. unten -f- ^t I
-f- gaggan I).
Gaqvumths, st Fem., Versammlung, Zusammenkunft (ga I -f~
qviman I).
Bistuggqv, st. Ntr., Anstoss (bi I -f- stiggqvan III).
Gaviss, st. Fem., Verbindung, Gelenk (ga I + vidan ni).
Trennung:
Afsateins, st. Fem., Absetzung (af I -|- Batjan I).
Afstass^ st Fem., Abstand, Abfall (af I 4* standan I).
Distabeins, st Fem., Zerstreuung (dis I -\- tabjan I).
Disviss, st Fem., Auflösung (dis I + vidan III).
Gaskaideins, st. Fem., Scheidung, Unterschied (ga I 4~ skai-
dan I).
Gamaitanö, schw. Fem., Zerschneidung (ga I -j- maitan lU).
Gamalteins, st Fem., Auflösung (ga I 4* maltjan I).
Urruns, st. Fem., Ausgang (us I 4~ nnnan I).
Usluks, st. Msc, Eröffnung, Oeffnung (us I 4~ lokan III).
Usstass, St. Fem., Auferstehung (us I 4- standan I).
Ruhe.
Usmet, st Ntr., Aufenthalt, Verhalten, Wandel, Umgang, Ge-
meinschaft (us I 4* mitan I).
Gahveilains, st. Fem., Verweilen, Ruhe (ga I 4" hyeilan III).
IV. Sprachschatz, Sabstantiya. 56
Vermischte Gegenstände.
Baareii schw. Fem«, Bürde? (unsicher, goth. bairan I). ^
üsvaurpa, st Fem., Auswurf, Frühgeburt (us I -f" vairpan I).
Eaurei, st Fem., Last, Gewicht (kaurs I).
Eaureins, st Fem., und kauritha, st Fem., desgl. (kaurs I).
GadigiH, st. Ntr., Gebilde, Werk (ga I -f- digan I).
Randva, st. Fem., Zeichen (wol zu g>alv<o etc.)
Bandyö, schw. Fem., Zeichen (desgl.).
Tani, st Ntr., Zeichen (Unsicheres bei Diefenbach II, 658).
Fauratani, st Ntr., Wunderzeiohen (faura I -f- dem vorher-
gehenden).
Frisahts, st. Fem., Bild (fri I -j- sakan III).
Fairveitl, st. Ntr., Schauspiel (fair I -f" veitan III).
Salböns, st, Fem., Salbe (salbön I).
Srartis st Ntr.? Schwärze, Tinte (svarts I).
Svartizl, st Ntr.? desgl. (desgl.).
Kraft (Amt).
Svinthei, schw. Fem., Stärke, Kraft (svinths I).
Fraujinassus, st. Msc, Herrschaft (fraujinön s. unten).
Ondjinassus, st Msc, Priesterthum (gudjinön s. unten).
Thiudinassus st. Msc, Königreich (thiudanön s. unten).
Tbiudangardi, st Fem., Königshaus, Regierung (thiudans III
+ gards I).
Drauhtinassns, st Msc, Kriegsdienst, Kampf (drauhtinön s. unten).
Dranhtivitöth, st Ntr., Kriegsdienst, Kampf (drauhts III -f~
vitöth zu III).
Fidurragini, st Ntr., Amt eines Vierfursten (fidvor I -f- ragin HI).
Fauramathli, st. Ntr., Vorsteheramt (faura I -f- mathljan III).
Fauragaggi, st. Ntr., Vorsteheramt (faura I -|- gaggan I).
Skalkinassus, st. Msc, Dienstbarkeit (skalkinön s. unten).
Valdufni, st. Ntr., Gewalt, Herrschaft (valdan II).
Frumadei, schw. Fem., Vorrang (fruma I).
That
1) Allgemeines:
Vaurstvei, schw. Fem., Verrichtung (vaurstv s. unten).
Usthröteins, st Fem., Uebung (us I -4~ thrötjan s. unten).
Vaurstv, st Ntr., That, Werk (vaurkjan I).
Gadeds, st. Fem., That, Handlung (deds I).
Fastnbni, st Ntr., Haltung, Beobachtung, Dienst, Fasten
(fastan III).
Taui, St. Ntr., That, Werk (taujan JH).
3|^ IV« Sprachschatz, Sobstantiva.
2^ Gutes (Religiöses):
GafMdeins, st. Fem.j YerschonaDg^ Erhaltung (ga I -j- freid —
st Fem.y Wiederherstellung, Besserung (ga I 4~
raihtsl).
TimreinSi gatimreins, st. Fem., Erbauung, Auferbauung (timr-
jan 10 lU).
losila, st Fem., Besserung, Erleichterung (ins s. unten).
Sfikneins» st. Fem., Reinigung (sTikns zu lU).
Uraineins, Gahraineins, st Fem., Reinigung (hrains II).
Lfikinassus, st Msc, Heilung (leikinon III).
Kaseins, st. Fem., Rettung, Heil (nasjan III).
lUotinassus, st Msc, Verehrung, Gottesdienst (blötan III).
I>aopeins, st Fem., Taufe (daupjan UI).
Bimait, st Ntr., Bescbneidung (bi I -|- maitan III).
3) Böses (Feindliches):
Ilorinassus, st Msc, Hurerei, Ehebruch (hörinon lU).
Kalkinassus, st Msc, Hurerei, Ehebruch (kalkjö s. unten).
Aglaiti, st. Ntr., Unschicklichkeit, Unzucht (aglaitei zu III).
llnaiveins, st. Fem., Erniedrigung (hnaivjan zu lU).
Auhjödus, st Msc, Lärm, Aufruhr (auhjön s. unten).
Unsuti, st Ntr., Aufruhr (un I -f- ^^^ I)*
Anamahts, st. Fem., Gewalt, Schmähung (ana I -{- mahts I).
Dröbna, schw. Msc, Aufruhr, Empörung (dröbjan III).
Bihait, st Ntr., Streit (bi I + haitan I).
Brakja, st Fem., Kampf (brikan I),
Yaihjd^ schw. Fem., Kampf (veihan kämpfen I).
Vigans, st Msc, Krieg (desgl).
Gataurths, st Fem., Zerstörung (ga I -|- tairan I).
Barniski, schw. Fem., Kinderei (barn II).
Sprache.
1) Allgemeines :
Mathleins, st Fem.^ Rede, Sprache (mathljan HI).
Filuvaurdei, schw. Fem., vieles Reden (filu I + vaurd I).
2) Denken, wissen, lehren:
Andahait, st. Ntr., Bekenntniss (and I -f- baitan I).
Gahait, st Ntr., Yerheissung (ga I 4* haitan I).
Insahts, st. Fem., Anzeige, Erzählung, Beweis (in I -j- sakan III).
Veitvddei, schw. Fem., veitvödeins, st. Fem., veitvddi, st Ntr.,
veitvöditha, st Fem., Zengniss (reitvöds, s. oben).
Skeireins, st. Fem., Erklärung, Auslegung (skeirs U).
IV. Sprachschatz, Substantiva 57
Talzeins, st Fem., Lehre, UnterweisoDg (talzjan s. unten).
Ustaikneins, st Fem., Darstellung, Erweis, Beweis (us I -{-
ojan III).
Vailamereins, st Fem., frohe Botschaft, Predigt (vaila I -4~
erjan III).
Mereins, st Fem., VerkUndigung, Predigt (meijan III).
Laiseins, st Fem, Lehre (laisjan III).
Andahafts, st. Fem., Antwort, Vertheidigung, Urtheil, Beschluss
C^nd I + haban I).
Gajukö, schw. Fem., Gleichniss (ga I -|- juk I).
Snnjons, st Fem., Vertheidigung, Verantwortung (sunjön s.
^Ä^[iten).
San^aqyiss, st. Fem«, Uebereinstimmung (sama I -|- qvithan I).
3) Wollen:
Bilagineis? Jörn. 11: (Diceneus Gothos) propriis legibus viyere
S>Taecepit, quas usqne nunc conscriptas Bellagines nuncnpant; vgl.
C^rrimm Gesch. d. dtsch. Spr., erste Aufl., S. 453; etwa Belege?
CW I + lagjan II?)
Anabusns, st. Fem., Gebot, Befehl (ana I -|- biudan I).
Garaidains, st. Fem., Anordnung^ Regel, Richtschnur (ga I -|-
X'sidjan III).
Gagrefts, st Fem., Beschluss, Befehl (setzt ein Thema grefan,
^om. grefa Graf voraus).
Gaqviss, st Fem., Verabredung, Uebereinkunft (ga I -{- qvithan I).
Lathöns, st Fem., Einladung, Berufung (lathön I).
Kehsns, garehsns, st. Fem., Bestimmung (unsichere Etymologie;
vgl. Diefenbach II, 169).
Liteins, st Fem., Fürbitte (wol zu litjan, zu III).
Aihtröns, st. Fem., Bitte, Gebet (aihtrön s. unten).
Ufblöteins, st Fem., Gebet, Flehen (uf I -f blötan III).
Birunains, st Fem., Anschlag, geheimer Beschluss (bi I -f~
runa I).
Inilö, schw. Fem., Entschuldigung, Vorwand (unsicher, vgl.
Diefenbach I, 96).
3) Für Freude und Trauer findet sich nichts speciell Gothisches.
4) Liebe und Hass:
Gathlaihts, st Fem., Trost, Ermahnung (ga I -^ thlaihan
8. unten).
Thrafsteins, gathrafsteins, st. Fem., Trost (thrafstjan I).
üvoftuli, st. Fem., das Rühmen, der Ruhm (hvöpan s. unten).
58 ^y* Sprachschatz, SubBtantiva.
Thiathiqviss^ st. Fem«, Segnang (thiath 8. unten -{- qnthan I) -
HazemSy st. Fem., Lob (hazjan m).
Gdleins, st. Fem., Gruss (göljan s. unten).
Aglaitivaurdeiy schw. Fem., unschickliche Bede (aglaitei zu lUT'
-{- vaurd I).
Vanrdajiukai st. Fem., Wortstreit (vaurd I -|- jioka s. unten).
Missaqviss, st. Fem.^ Wortstreit (missö III -f" qvithan I).
Sakjö, schw. Fem., Streit, Zänkerei (sakan lU).
Usqviss, st. Fem.,*fibles Gerücht, Beschuldigung (us I -|-
qvithan I).
Vajamerei, schw. Fem., und vajamereins, st. Fem., Lästerung,
schlechter Ruf (vai I + merjan III).
Anaqyiss, st Fem., Lästerung (ana I -^ qvithan I).
Birodeins, st. Fem., Gerede, Verläumdung (bi I -|- rodjan III).
Gasahts, st. Fem., Vorwurf, Tadel, Zurechtweisung (ga I -[-
sakan III).
Afdöroeins st. Fem., Verdammung (af I -|- dömjan III).
Gavargeins, st. Fem. Verdammung (ga I -f- vargjan III).
Andabeit, st Ntr., Tadel (and I -f~ heitan I).
5) Vermischtes.
Dvalavaurdei, schw. Fem., thörichtes Gerede (dvals zu lU -f-
vaurd I).
Lausavaurdei, schw. Fem., lausavaurdi, st Ntr., loses Geschwätz
(laus II -f- vaurd I).
Saldra, st Fem., schmutziger Witz, Possen (unsicher, s. Diefen-
bach II, 187).
6) Schweigen:
Thaheins, st. Fem., das Schweigen (thahan I).
7) Lesen und Schreiben:
Anakunnains, st. Fem., Lesung (ana I -[- kunnan I und III).
Gabaurthi vaurd , st Ntr., Geschlechtsregister (gabaurths III
-}- vaurd I).
Gameleins, st. Fem., Schrift (ga I -f- meljan III).
UfarmSleins, st Fem., ufarmeli, st Ntr., Ueberschrift (ufar I
-|- ineljan III).
Vadjabokös, st Fem. Plur., Pfandbrief, Handschrift (vadi III
+ boka I).
Geist
1) Denken, wissen:
Aha, schw. Msc, Sinn, Verstand (unsichere Etymologie, vgl.
Diefenbach I, 6).
IV. Sprachschatz, Substantiva. 59
Ahma, schw. Msc.^ Geist (zn ahjao, s. nnteo; vielleicht gleich
lat. omeiiy aus *ocmen?)
AhniateinSy st. Fem., Wehen des Geistes, Eingebung (zu dem
vorigen ahma, unmittelbar zu einem *ahmatjan).
Gakunds, st. Fem., Ueberzeugnng (ga I -j- kunnan I).
Galaubeins, st. Fem., Glaube (galaubjan zu lU).
Gamaudeias, st. Fem., Erinnerung (maudjan s. unten).
Gaminthi, st. Ntr., Andenken, Gedächtniss (ga I -j- uiunan I).
Gamunds, st. Fem., Andenken, Gedächtniss (ga I -f- munan 1).
Mithvissei, schw. Fem., Mitwissen, Gewissen (mith I -f- vitan I).
Sildaleik, st. Ntr., Staunen, Verwunderung (Adj. sildaleik s.
Outen).
Sunja, st. Fem., Wahrheit (Adj. sunjis s. unten).
Thvastitha, st. Fem., Sicherheit (gathvastjan s. unten).
Ufkunthi, st. Ntr., Erkenntniss (uf I -j- kunthi I).
Usvaurhts, st. Fem., Gerechtigkeit (ns I -f- vaurkjan I).
Andhnleins, st. Fem., Enthüllung, Offenbarung (and I -l- huljan I).
Astaths, St. Fem., Wahrheit ^Wurzel as, im I? vgl. Diefen-
l>ach I, 75).
Atvitains, st. Fem., Wahrnehmung (at I -}^ vitan, schwaches
Verbum zu III).
Filudeisei, schw. Fem., Schlauheit (filu I -|~ deisei, welches
ein Adj. deis voraussetzt; Leo Meyer knüpft das Wort an die
Sanskritwurzel dhjä, dhi denken).
Gakusts, st. Fem., Prüfung, das Geprüfte (ga I -{- kiusan I).
Gamitöns, st. Fem., Gedanken (ga I 4~ niitöns, s. unten).
Gathagki, st. Ntr., Bedacht, Sparsamkeit (ga I -f- thagkjan I).
Mitöns, St. Fem., Ermessen, Gedanke, Rathschlag (miton I).
Sautha, st. Fem., Grund, ratio (von unsicherer Herkunft, s.
Diefenbach II, 193).
Snutrei, schw. Fem., Weisheit (snutrs III).
Staua, St. Fem., Gericht, Urtheil, Rechtsstreit (von unsicherer
Etymologie, s. Diefenbach U, 313).
Vitubni, st. Ntr., Kenntniss, Erkenntniss (vitan I).
2) Nicht denken. Nicht wissen:
Faurdömeins, st. Fem., Yornrtheil (faur I -{' dömjan III).
Frathjamarzeins , st. Fem., Verstandesverwirrung, Täuschung
(frathi I 4" marzjan III).
Liutei, schw. Fem., Heuchelei (liuts s. unten).
Sökeins, st. Fem., Untersuchung, Streitfrage (sökjan I).
Unkunthi, st. Ntr., Unkunde (an I -f- kunthi I\
60 1^* SprachschatZy SubBtantiva.
lüTinditha, 8t. Fem., Ungerechtigkeit (Adj. invinds 8. anten^^
Analaugnei, schw. Fem., Verborgenheit (ana I -|- langnjan III)^
Fnlhsni, st Ktr., das Verborgene, Geheimniss (filhan III).
Galiug, st. Mtr., Lüge, Götzenbild (ga I -f- liugan U).
Tveifleins, st. Fem., das Bezweifeln (tvei^an III).
Ufarmaadei, schw. Fem., Vergessenheit (afar I -f- maadjan
8. unten).
3) Wollen:
•
Faihafrikei, schw. Fem., Ebtbsacht (faihn I -(- fnks III).
FaihQgaimei; schw. Fem., desgl. (faihn I -f- gaimjan III).
Faihngeigd, schw. Fem., desgl. (faihn I -f- geigan s. unten).
Bifaihö, schw. Fem., Uebervortheilung, Habsucht (bi I 4* ^^^^
s. unten).
Faih, st. Ntr., Bevortheilung, Betrug (verwandt mit faihs bunt
I? vgl. gr. TWucUofiTJtrig).
Airzei, schw. Fem., Verführung, Betrug, Irrthum (airzjan III).
Fraistubni, st. Fem., Versuchung (fraisan I).
üsvandeins, st Fem., Verführung (us I + vandjan III).
Gavandeins, st. Fem., Bekehrung (ga I + vandjan III).
Garehsns, st Fem., Bestimmung, Rathschluss, Plan (rehsns
s. oben).
Anafilh, st. Ntr., üeberlieferung, Vorschrift (ana I + filhan HI).
Gavaleins, st. Fem., Wahl ^ga I + valjan III).
Hauhhairtei, schw. Fem., Hochmuth (hauhs II -f- hairtö I).
Ufhauseins, st Fem., Gehorsam (uf I -|- hausjan I).
4) Nicht wollen:
Gahobains, st. Fem., Enthaltsamkeit (ga I -{~ haban I).
Ufarhauseins, st. Fem., das Ueberhören, Ungehorsam (ufar I
-{- h&usjan I).
Unvereins, st Fem., Unwille (unveijan II).
5) Freude:
Audagei, schw. Fem., Seligkeit (audagjan III).
Faheths, sf. Fem., Freude (faginon III).
Hlasei, schw. Fem., Fröhlichkeit (blas s. unten).
Svegnitha, st Fem., Frohlocken, Freude (svegnjan s. unten).
Gabaurjöthus, st. Msc, Lust, Wollust (vgl. gabaurjaba unten,
zu bairan I).
Gavairthi, st. Ntr., Friede (vairths III).
Leikains, st Fem., Wohlgefallen, Beschluss, Vorsatz (lei-
kan III).
Lubains, st Fem., Hoffnung ("'luban s. liubs H).
IV. SprachBchaiZy SnbBtantiva. gl
TailaTiznS} st. Fem., Wohlsein, gute Kost, Nahrung (vaila I
-f- ^v'izon, 8. unten).
€) Traner;
Aglitha, st. Fem., Trübsal, Schmerz (agls zu III).
Agio, schw. Fem., Trübsal, Bedrängniss (agls zu III).
Gaurei, schw. Fem., Betrübniss (gaurs s. unten).
Oauritha, st. Fem., Betrübniss, Traurigkeit (gaurs s. unten).
Trigö; schw. Fem., Traurigkeit (fernere Verwandte bei Diefen-
ba(^li II, 679; vgl. auch altn. tregi Schwierigkeit, Trauer, trega
betrüben).
Tbreihsl, st. Ntr.^ Bedrängniss (tbreihan I).
Gaunötha, st. Fem., Trauer, Klage (gaunon s. unten).
£eirö, schw. Fem., Zittern, Schreck (reiran s. unten).
Filmei (usf-), schw. Fem., Schrecken (Adj. usfilma s. unten).
Bireikei, schw. Fem., Gefahr (A^j. bireks s. unten).
Sleithei, schw. Fem., Gefahr (Adj. sieiths zu III).
Dantheins, st. Fem., Todesgefahr (dauthjan III).
Balveins, st. Fem., Qual, Pein (balvjan s. unten).
Marzeins, garoarzeins, st. Fem., Aergerniss (marzjan III).
Idreiga, st. Fem., Reue, Busse (Leo Meyer setzt das Wort zu
lat. iterum, iterare; vgl. auch Diefenbach I, 94).
7) Liebe;
Aflageins, st. Fem., Ablegung, Vergebung (af I + lag) an II).
Ainamunditha, st. Fem., Einmüthigkeit (ains I 4~ mundön III).
Ainfalthei, schw. Fem., Einfalt, Gutmüthigkeit (ainfalths zu III).
Allsverei, schw. Fem., Achtung gegen Jedermann (alls I -f-
sverei s. nnten).
Armahairtei, schw. Fem., und armahairtitha, st. Fem., Barm-
herzigkeit (arman UI + bairto I).
Armaiö, schw. Fem., Barmherzigkeit (arman III; vgl. auch
Grimm Gramm. III, 508).
Bleidei, schw. Fem., Mitleid, Barmherzigkeit (bleiths I).
Bröthralubo, schw. Fem., Bruderliebe (brothar I -f 'i^l>8 H)-
Frijathva, st. Fem., Liebe (firijön II).
Fryöns, Gafrijftns, st. Fem., Liebeszeichen, Kuss (frijon I).
Gableitheins, st. Fem., Erbarmen (ga I + bleiths I).
Gastigödei, schw. Fem., Gastfreundschaft (gasts 1 4~ g^dei zu III).
Hanheins, st. Fem.; Erhöhung, Ehre (hauhjan III).
ManniskoduS; st. Msc, Menschlichkeit (mannisks III).
Sv6rei, schw. Fem., und svßritha, st. Fem., Ehre, Achtung
(svers s. unten).
Q2 IV- Sprachschatz, Substantiva.
Viljahaltbeiy schw. Fem.; Zuneigung, Gunst (vilja II -f- lialdan m
wenn nicht zu einem erschlossenen *hilthan).
Gagudeiy schw. Fem., Frömmigkeit (ga I -{~ g^th III).
8) Hass:
Afmarzeins, st. Fem., Aergerniss, Betrug (af 1 4- marzjan III)
Fyathva, st. Fem., Feindschaft (fijan I).
Harduhairtei; schw. Fem., Hartherzigkeit (hardns I + hairtö I)
Tvisstass, st Fem., Zwiespalt (tvis I 4~ standan I).
Thrasabalthei, schw. Fem., Frechheit, Streitsucht (thrasa zu n:
+ balthjan III).
Thvairhei, schw. Fem., Zorn, Streit (thvairhs III).
Unfreideins, st. Fem., Nichtschonung (un I + freidjan III).
Unselei, schw. Fem., Bosheit, Schlechtigkeit (nn I + s^Js I)
Jiuka, st. Fem. (vielleicht zu juk I; vgl. auch Diefenbach I, 121)
Afgudei, schw. Fem., Gottlosigkeit (af I + guth III).
9) Verschiedenes Geistige:
Anaviljei, scbw. Fem., Willigkeit, Sittsamkeit, Bescheidenhei
(ana I + vi\jan I).
Gariudi, st. Ntr., Ehrbarkeit (Adj. gariuds s. unten).
Gariudjo, schw. Fem., Schamhaftigkeit (dsgl.).
Hauneins, st. Fem., Erniedrigung, Niedrigkeit, Demuth (haun
Jan ni).
Hlutritha, St., Fem., Lauterkeit, Aufrichtigkeit (hlutrs zu III)
Inahei, schw. Fem., Sittsamkeit, Nüchternheit (Adj. inahs s.unten]
Leihts, St. Msc, Leichtsinn (Adj. leihts I).
Mukamddei, schw. Msc, Sanfkmutb (altn. miukr II 4~ niods I]
Niuklahei, schw. Fem., Kleinmuth (niuklahs s. unten).
Qvairrei, schw. Fem., Sanftmnth (qvairrus I).
S^lei, schw. Fem., Güte, Milde, Rechtschaffenheit (sels I).
Stiviti, st. Ntr., Geduld (ohne klaren etymologisehen Zusammeii
hang, vgl. Diefenbach II, 337)
Sviknei, schw. Fem., sviknitba, st. Fem., Reinheit, Keuschhei
(svikns zu III).
Trauains, st. Fem., Vertrauen, Zuversicht (trauan II).
Thiutheins, st. Fem., Güte, Segen (thiuthjan s. unten).
Thulains, st. Fem., das Dulden, die Geduld (thulan I).
Usthulains, st Fem., Geduld (us I -f~ thulan I).
Usbeisneiy sehw. Fem., Geduld, Langmuth (usbeisns s. unten]
Usbeisns, st Fem., Erwartung, Geduld (us I -j* beidan I).
Usdaudei, schw., Fem., Ausdauer, Beharrlichkeit (Adj. usdaud
8. unten).
IV. SpraobschatZy AdjectivA. ß3
Vermischte Snbstantiva.
AnafulhaDÖ, scbw.^ Ktr., Ueberlieferong (ana I -[~ fiihan III).
ÄDdvairtbiy st Ktr., Gegenwart^ Angesicbt, Person (and I -}'
Ädj. vairths zu III).
Äzetiy st. Ntr.y Leiobtigkeil^ Annebmlicbkeit (Adj. azets s. unten).
Fravardeins, st, Fem. Verderben (fra I -f- var^an III).
Qvisteins, st. Fem., Verderben (qvistjan III).
Rinrei, schw. Fem., Vergänglichkeit, Verwesung, Verderben
(riurs zu III).
Thiuth, St. Ntr., das Gute (nicht sichere Verwandschaft, vielleicht
ZQ thivan III, s. Diefenbach II, 708).
Ufhnaiveins, st. Fem., Unterwerfung (uf -f- hnaivjan zu III).
Unkanreins, st. Fem., ünbeschwerlichkeit (un I -f" kaurjan s.
unten).
Usfulleins, st. Fem., Erfüllung, Fülle (us I + fulljan II).
Vargitha, st. Fem., Verdammnis (vargs II).
ADJECTIVA.
Baum.
1) gross klein, lang korz^ dick dünn:
Hvelautbs wie gross (hvas I -f~ "^lauths, zu Wurzel ruh, rudh
crescere; vgl. auch juggalauths).
Svalauths so gross, so viel (sva I -|- ^lauths).
Samalauths gleich gross, gleich (sama I -|~ ^lautbs).
2) hoch tief, recht link, vorn hinten:
Auhuma erhaben, höher, Superl. auhumists (vgl. Skr. uk£a hoch,
gr. vtpv? s. auch Diefenbach I, 59).
Undarleija unterster, geringster? (undar I -f- wahrscheinlich
ligan I).
Hleidumei linke (Leo Meyer setzt das Wort zu xXiv(o u. s. w.,
Bopp vergleichende Gramm. II, 30 zu skr. ^ri Glück ; man erwäge
auch ir. cle die Linke, du-chli zur linken Hand); vgl. übrigens
einige keltische Formen in Kuhn's Beiträgen IV, 397.
Hnaivs niedrig (hneivan I).
Hindumists hinterster, äusserster (hindar I).
Iftuma der Nächste, Folgende (vielleicht nur eine Nebenform
des folgenden).
Aftuma, aftumists der Letzte (af I).
3) voll leer, nah fem, drinnen draussen:
Ufarfulls übervoll (ufar I -f- fulls I).
Innuma der innerste (Adv. inna s. unten).
Ingards im Hause befindlieh (in I -f- gards I).
64 nr. Sprftchaohats, AdjeetiTA«
Innakonds zam Hanse gehörig (Adr. inna s. unten 4" ^^^^ Q*
Anahaims daheinii anwesend (ana I -{- haims).
Aljakons anderswoher stammend (alis I -|- knni I).
Afhaims von der Heimath entfernt, abwesend (af I -}- haims I).
Andvairths gegen&ber (and I -{' vairths zn III).
Vithravairths gegen&ber liegend (vithra HI 4~ vairths zq III).
Licht, Farbe, Wärme.
Anasiuns sichtbar (ana I -{- sions III).
Linhadeins leuchtend (liuhath I).
Fonisks fearig (fana s. oben).
Biqvizeins finster, dankel (riqvis I).
Ad?« andaagiba, andaagjö offen, offenbar (and I -}- augjan III).
Schall fehlt.
Zeit.
Uhteigs, uhtiags Zeit habend (aht?d III).
Hveilahvairbs eine Zeit lang dauernd (hveila III -f- hvairbao III).
Unhveils unablässig (un I -{' hveila III).
Anavairths zukünftig (ana I -}* vairths. zu III).
Andilaus endlos (andeis I -f* ^^^ H).
Sinteins täglich (vgl. skr. san&tana ewig?).
Fidurdögs viertägig (fidvdr I -^ dags III).
Ahtaudögs achttägig (ahtau I -f* dags HI).
Tvalibvintrus zwölfjährig (tvalif I -(- vintrus III).
Framaldrs bejahrt (fram I -{' altn. aldr III).
Gefühl, Geschmack, Geruch.
Aglus schwer, schwierig (agljan UI).
Azets leicht (Unsicheres bei Diefenbach I, 61).
Raths leicht (Unsicheres bei Diefenbach II, 159).
Unbeis^oths ungesäuert (un I -^ beist zu HI).
Stoff.
Blötharinnands blutflüssig (blöth UI -l- rinnan I).
Gavamms unrein (ga I -f- vamm III).
ThrutsfiUs aussätzig (thrutsfill s. oben).
Leikeins fleischlich, leiblich (leik I).
Muldeins von Staub, irdisch (mulda III).
Gasköhs beschuht (ga I -f- sköhs HI).
Form.
Gadobs schicklich, passend (ga I -{' daban H).
Gatils passend, tauglich (ga I -{- tils II).
Adv. gatemiba passend, geziemend (gatiman zu III).
IV. Sprachschats, Adjeetiva. g5
Ady. gahabjo zusammeDhangend (hahan III).
Gaqviss äbereinstimmend (ga I 4- qvithan I).
IbDaskauns gleich gestaltet (ibDS III -f- skauns III).
Adv. galeikö ähDiich (ga I -j- leik I).
Aljaleiköths anders gebildet (alis I -^ ^^^^ I)*
Filufaihs sehr maDDigfach (filu I -|- faihs I).
Gumeins männlich (guma I).
Gamakands männlich (guma I 4~ ^^^^ !)•
Qvinaknnds weiblich (qvinö I -j- ^^^^ !)•
Tharihs fest, dicht (nach Diefenbach II, 699 und Leo Meyer
ZQ tQaxvg).
Tass geregelt, geordnet (Unsicheres bei Diefenbach II, 661).
Ungatass ungeregelt, ungeordnet (uu I -f- ga I + ^^s^ s. oben).
Galaubs (galubs) werthvoll, kostbar (galaubjan zu III).
Filugalaubs sehr kostbar (filu I -|- galaubjan zu III).
Bewegung.
Ungastöths ohne bleibende Stätte (un I -f* g^ I -f- standan 1),
Kraft.
Vaurstveigs wirksam (?anrstv s. oben).
Allayaurstva aus allen Kräften wirkend (alls 1 4- vaurstv s. oben).
Afmauiths ermüdet (ahd. muojan III).
Gamaids gebrechlich, schwach, zerschlagen (ga I -f- maidjan I).
Usgrudja, schw. Adj., träge, muthlos (Unsicheres bei Diefen-
bach n, 433).
Halks gering, dürftig (Unsicheres bei Diefenbach II, 520).
Alatharba, schw. Adj., ganz arm (alls I -\- tharhs II).
Unleds arm (= ags. unlaed inexcnsabilis, improbus, perditus,
miaer?).
Ushaists bedürftig, dürftig (us I; den zweiten Theil knüpft
Leo Meyer an die Skrwurzel fis ausscheiden).
Leben.
Airthakunds irdischer Abkunft (airtha III -f- kuni I).
Gödakunds von guter Abkunft, vornehm (göds I -\- kuni I).
Himinakunds himmlisch (himins III -|- kuni I).
üfarhiminaknnds bimmlisch (ufar I -}~ das vorige).
Inkilthö, schw. Fem. schwanger (in I -\- kilthei s. oben).
Qvithuhafts schwanger (qvithus I -|- hafts I).
Unbarnahs kinderlos (un I -j- ^^^^ II)*
Unqv^niths unbeweibt (un I -}- qvens).
Kinklahs neu geboren (niigis I -\- altn. kiek ja ausbrüten ; vgl.
altn. nyklakii^n == niuklahs).
Föntemann, Gesck. d, d. Sprach$tamme$. IL 5
gg IV. Sprachschatz, Adjectiva.
Gahails ganz, heil, gesund (ga I + hails I).
Lausqvithrs leeren Magens (laus 11 -{- qvithus I).
Bireks gefährdet (bi I + rikan I?
Dauthubljis zum Tode bestimmt (dautbus UI).
•Geist.
1) Denken, wissen.
Ahmeins geistig, geistlich (s. oben).
Andathahts bedächtig, vernünftig (and I -f- thagkjan I).
Inahs verstündig, klug (in I + aha s. oben).
Usskavs vorsichtig, nüchtern (us I + skavjan I).
Vis (Gen. visis) gewiss (vitan I).
Adv. unsahtaba unbestritten (un I -{- sakan III).
Unandsoks unwiderleglich (un I -|" ^^^ ^ + sokjan I).
Sunjis, sunjeins wahr, wahrhaft (wol zu siuns III und hiedurch
zu saihvan I).
Svikunths offenkundig, bekannt (Pronomen sva I -j- kunths I).
Galaubeins gläubig (galaubjan zu III).
Samafrathjis gleichgesinnt (sama I -}- frathjan I).
Unfaurveis (Gen. -veisis), unbedacht, unvorsätzlich (un I +
faur I + veis lU).
Fulgins, gafulgins verborgen (filhan III).
2) Wollen:
Adv. gabaurjaba gern (gabaur s. oben).
Adv. lathaleikö sehr gern (lathon I -|- leik I).
Usdauds eifrig (us I, der letzte Theil ist unbekannt; Leo
Meyer knüpft das Wort an lat Studium).
Gahvairbs fügsam, gehorsam (ga I -j- hvairban II).
Gathaurbs enthaltsam (ga I 4~ thaurban II).
Andanems gern annehmend (and I -f- niman 1).
Seinaigairns eigensüchtig (seins lU 4~ gairns III).
Faihufriks habsüchtig (faihu I -f" friks III).
Aglaitgastalds nach schändlichem Gewinn trachtend, habsüchtig
(aglaitei zu III 4^ gastaldan III).
Haithivisks wild (haithi III).
Unmanariggvs wild, grausam (un I; über den unsicheren zweiten
Theil vgl. Diefenbach II, 172).
Slahals zum Schlagen geneigt (slahan I).
Adv. usstiuriba ausschweifend (us I 4~ stiurjan I).
Untilamalsks voreilig, unbesonnen (un I -f-tils II-}-iualsks zu III).
Ungahvairbs unfügsam, widerspenstig (un -f- gahvairbs s. oben).
Untals unfugsam, ungehorsam (un I -|~ ^^s U).
IV. Sprachschatz, Adjectiva. ^7
3) Fifeude und Trauer:
Audahafts beseligt, beglückt (altn. auör III -\- hafts I).
Gamneigs freudig (ga I -f" vizön s. unten).
Hauhthnhts hoebmütbig (baubs II -\- thugkjan II).
Mikiltbubts (mikils I -J- tbugkjan II).
HIas freudig, beiter (zu blabjan I? Leo Meyer).
Gaurs betrübt, traurig (ohne sichere Verwandsebaft, s. Diefen-
baeb II, 389).
Grindafrathjis kleinmütbig (vgl. ags. grindan molere -{- fratbjan I).
Usvena, scbw. Adj., ohne Hoffnung (us I -f- vens I).
4) Liebe, Gutes:
Andanems angenehm, wohlgefällig, gnädig (and I -j- niman I).
Friathvamilds liebreich (friathva s. oben -f" nailds I).
Gafaurs gesetzt, nüchtern, bescheiden (ga I -f- altn. föra III).
Gaguds fromm (ga I -j- guth III).
Gastigods gastfrei (gasts I -f- gods I).
Gavairtbeigs friedfertig (gavairthi s. oben).
Hrainjabairts reinberzig (brains II -{- bairtö I).
Ins gut (Unsicheres bei Diefenbacb I, JOl).
Samasaivals einmütbig (sama I 4' saivala III).
Silbaviljis freiwillig, willfährig (silba I -{" viljan I).
Tbiutbeigs gut, gesegnet (thiutb s. oben).
ünliuts ungeheucbelt (un I -^ liuts s. unten).
Unvabs untadelhaft (un I; das Weitere ist unsicher; vgl. Diefen-
bacb I, 127).
Usbeisneigs geduldig, langmütbig (us I -f- beidan I, usbeisns
8. oben).
Usfairina, scbw. Adj., ausser Schuld, ohne Tadel (us I -{"
fairina III).
Adv. Unfairinödaba desgl. (un I -|~ fairindn III).
Usvaurbts (us I -|- vaurkjan I).
Vailamers löblich, was guten Namen macht (vaila I -f- altn. maer I).
Valis (Gen. valisis) auserwählt, echt, treu (viljan I).
Adr. garedaba ehrlich (garedan s. unten).
Adv. vitodeigo gesetzmässig, recht (vitotb, zu III).
Gariuds ehrbar (vielleicht zu raads I).
Adv. gafebaba wohlanständig, ehrbar (zu faban u. s. w. L.Meyer).
5) Hass, Böses;
Afguds abgöttisch, gottlos (af I -{- guth III).
Audaneitbs entgegen, feindlich (and I -j- neith III).
Andasets verabscbeuungswürdig (and I -j- sitan I).
ö*
53 IV* Sprachschatz, Adjectiva.
Gastöjans gerichtet; verdammt (ga I -j- stöjan m).
Hindarveis hinterlistig (hindar I -j- veis III).
Invinds ungerecht (in I -^ vindan II).
Liuts heuchlerischi betr&gerisch (laton I).
Sakuls streitsüchtig (sakan III).
Ubiltojis äbelthäterisch (nbils III -{- taujan III).
Urrugks verworfen (us I; der zvsreite Theil ist von unbekannter
Herkunft, s. Diefenbach II, 176).
Usveihs unheilig (us I -f- veihs III).
Vitodalaus gesetzlos (vitdth zu III -{- laus II).
6) vermischtes Geistige:
Unfaurs geschwätzig (un I -{- altn. fora III).
Lausavaurds eitles redend (laus II -f- vaurd I).
üsfilma, schw. Adj., erschrocken, erstaunt (vgl. altn. felmr
Schrecken).
Vermischte Adjectiva.
Akranalaus fruchtlos, ohne Frucht (akran III + 'aus II).
Biuhts gewohnt, gebräuchlich (nicht sichere Etymologie, wenn
nicht zu bugjan kaufen).
Fralets freigelassen (fra I -{" '^tan II).
Fullatojis vollkommen (fulls I 4~ taiyan III).
Fullaveis vollkommen (fulls I -f" veis III).
Fullavita, schw. Adj., vollkommen (fulls I + v^**^ ')•
Gudisks göttlich (guth III).
Invitoths dem Gesetze unterworfen (in I -j- vitoth zu III).
Manvus bereit (ganz Unsicheres bei Diefenbach II, 35).
Sildaleiks wunderbar (altn. sjaldan III -f* ^^^^ !)•
üfaiths vereidet, zugeschworen (uf I -f- aiths I).
Unatgahts unzugänglich (un I + ^^ I -{- gaggan I).
Unhunslags ohne Opfer, unversöhnlich (un -j- hunsl III).
Unnutjis unnütz (un I -f- *nut8 III).
Unqveths unaussprechlich (un I + qvithan I).
üsviss losgebunden, getrennt, eitel (us I + vidan HI).
Vaurdahs wörtlich, in Worten sich zeigend (vaurd I).
Veinuls dem Trünke ergeben (vein III, Bd. I, 616).
Vulthags herrlich, verherrlicht (vulthus I).
Vulthrs wichtig, werth (Subst. vulthrs zu III).
Adv. unveniggo unverhofift, plötzlich (un I + vens III),
PRONOMINA.
Ainhvarjizuh Jeder (ains I -j- hvarjis II).
Ainhvatharuh Jeder von Beiden (ains I -}- hvathar I).
IV. SprachsehatZi Verba. 69
Ainshun irgend Einer (ains I).
Hvashnn Jemand (hvas I).
Mannahan Jemand (manna I).
Sabrazoh Jeder (sa I -f- hvas I).
Thishvah was nnr immer (Pronominalstamm tba I -|~ hva I).
Tbishvazah wer nur immer (tba I -{' hvas I).
NUHERALIA.
Ainakis einzeln (ains I).
Taihnntaibundfaltbs bandertfaltig (taibantebund III -f- faltban I).
VERBA.
Essen, trinken, Stimme, Sinne (inel. der Cansative).
Aljan anfzieben, mästen (alan I).
Syögatjan seufzen (svogjan II).
Fairveitjan nmberspähen (fair I -j- veitan lU).
Bandvjan Zeicben geben, andeuten (bandva s. oben).
Hausjon boren (bausjan I).
Afdaubnan taub, verstockt werden (af -\- daubjan III).
Sutlyön kitzeln (Unsicheres bei Diefenbacb II, 288).
Vermischte Eörperfnnctionen.
Fitan gebären (Unsicheres bei Diefenbacb I, 382).
Gavaknan erwachen (vakan I).
Vizon leben (visan I).
Gabailnan gesund werden (bailjan II).
Svinthnan stark werden (svinthjan III).
Reiran zittern, beben (ganz unsichere Verwandschaft).
Oredon hungern (gredus lU)
Balvjan quälen (^balvs I).
Afdaujan abmatten, machen dass jemand stirbt (divan III).
Dauthnan sterben (dauthjan UI).
Nehmen, geben u. s. w. *Die nächsten Begriffskategorien
bis zu der des Drehens und Biegens (vgl. Bd. I, 436) haben so
wenige speciell gothische Vertreter, dass ich sie hier alle zu-
sammenfasse :
Rahtön hinreichen, darreichen (unsichere Verwandtschaft; L. Meyer
setzt das Wort zur Sanskritwurzel ra^ sich recken, sich strecken).
Tamjan berauben (nicht „verhüllen^, zu tairan I).
Gastöthan feststellen (standan I).
Staggan stechen (stiggan I).
Vlizjan ins Gesicht schlagen (vlits zu III)*
Valvisön sich wälzen (valvjan I).
70 l^' Sprachschatz, Yerba.
Verbinden:
Fanrvaipjan verbinden (faur I -|- vaips s. oben).
Faurmuljan das Maul verbinden (taar I -{' altn. müli lU).
Galiaftnan sieb anheften, anhangen (ga I -f- haftjan I).
Galnknan verschlossen werden (ga I -{- Inkan III).
Huhjan sammeln? (das Wort übersetzt das griech. ^(Xccv^cor
ohne genauere Verwandte; zu hauhs II? vgl. Diefenbach II| 578).
Liugan heirathen (Leo Meyer setzt es zo ligarOi griech. Xvyovv
biegen, flechten).
Trennen.
Usskaijan herausreissen, herausschneiden? (die Lesart und des-
halb auch die Verwandtschaft ist unsicher, s. Diefenbach 11, 242).
Andbundnan gelöst werden, sich lösen (and I -{- bindan I).
Gaskaidnan sich scheiden (ga I 4~ skaidan I).
Dishnupuan zerrissen werden, zerreissen (dis I -{' hniupan
8. unten).
Disskritnan zerrissen werden, zerreissen (dis I -f- skreitan zu TU).
Hniupan reissen, brechen (nach Leo Meyer zu xvvo), vgl. Diefen-
bach II, 573).
Hnupnan zerrissen werden (zum vorigen).
Andlgtnan entlassen werden (and I -{- l^tan II).
Af-, ga-, dis-taurnan zerreissen (af, ga, dis I -f- tairan I).
Usbruknan abgebrochen werden (us I 4- brikan I).
Usluknan sich öffnen, geöffnet werden (us I -f- lukan III).
Fralustnan verloren gehn (fra I -{- liusan I).
Fraqvistnan verloren gehn (fra I + qvistjan III).
Ackerbau:
Intrusgjan einpfropfen (in I; der zweite Theil ist unsicher,
8. Diefenbach 11, 683).
Vrisqvan Frucht bringen (Unsicheres bei Diefenbach I, 241).
Technologie:
Usfratvjan zubereiten, zurichten (L. Meyer setzt es zu fratl\jan (?) ;
vgl. auch Diefenbach I, 394).
Manvjan zubereiten (manvus s. oben).
Gabeistjan durchsäuern (beist zu III).
Gapaidön bekleiden (paida III).
Fetjan schmucken (Unsicheres bei EMefenbacb I, 373).
Gasuljan gründen (sulja I).
Ufarhleithrjan das Zelt aufschlagen über Jemand (ufar I -f"
hieithra zu III).
Usbaugjan fegen (Unsicheres bei Diefenbach I, 278).
rV. SprachBchatz, Verba. 7X
CkinayiBtrön begraben (ga I -{' ^navistr, za nans I).
Gafrisahtjau abbilden (frisahts s. oben).
Gafrisahtnan abgebUdet werden (zam vorigen).
Licht, Wärme, Schall, Lnft:
Glitmnnjan glänzen (*glitmnni, zn altn. glita 11).
Tandnan entzündet werden, brennen (tandjan I).
Riqvizjan sich yerfinstem (riqvis I).
Afbyapnan ersticken, erlöschen (zu hvapjan II; Tgl. unhyapnanda
onanslöscblich).
Auhjon lärmen (za skr. Wurzel väg, schreien, heulen nach Leo
Meyer; s. auch Diefenbach I, 58).
Eriustan knirschen (nach Leo Meyer zu y^virn grunze, skr.
Wurzel ^ar knistern, ertönen; fernere Verwandte bei Diefen-
bach n, 468).
Elismjan klingen (klismö s. oben).
Haumjan, thnthaurojan auf dem Home blasen (haurn I, thut-
haum s. oben).
Wasser:
Trusnjan besprengen (unsicherer Herkunft).
Usgutnan ausgegossen werden (giutan I).
Vulan aufwallen, sieden (zu altn. vella, ahd. wallan lU).
Staurknan erstarren, verdorren (vgl. altn. storkna congelare,
^igescere, zu altn. Adj. sterkr, ahd. starah lU).
Vergrösserung, Verkleinerung:
Managnan sich mehren (manags I).
Auknan sich mehren (aukan I).
Fullnan voll werden (falls I).
Urrumnan, usrumnan sich erweitern (us I -{- rums IH).
Usmeman sich ausbreiten (us I -{- mSrjan III).
Bnauan zerreiben (unsicheres bei Diefenbach I, 314).
Erötön zermalmen (zur skr. Wurzel ^ar zerreiben nach Leo
lifeyer; Unsicheres bei Diefenbach U, 469).
Maurgjan kürzen (vgl. mittellat. murcus verstümmelt).
Minznan geringer werden, abnehmen (mins I).
Bewegung, Ruhe:
Anapraggan drängen (ana I, zu lat. premo nach Leo Meyer;
vgl auch mhd. phrengen drängen).
Trimpan treten (nach Leo Meyer zu gr. tQaneXv)
Airinon Bote, Gesandter sein (airus III).
Vithön schütteln (nach Leo Meyer zu quatio, gr. natdififmy doch ist
cutio = schiesse Bd« 1, 86 zu erwägen ; unsicheres bei Diefenbachl, 154)«
72 ^* Sprachschatz, Verba.
Aflifnan übrig bleiben (leibao I).
Usaivjan ausdauerc (as I 4' ^^^^ I)*
BeginDy Ende:
Anastodjan, dustödjan anfangen (ana I, da I -f* standan I).
Blautbjan aufheben, abschaffen (unsicheres bei Diefenbach
I, 306).
Sveiban aufhören, ablassen (vgl. altn. svta remitiere, cederei
8. auch Diefenbach II, 357).
Erhöhung, Erniedrigung (herrschen, dienen):
Fraiyinon Herr Sein (frauja III).
Gudjinön das Priesteramt verrichten (gudja III).
Thiudanön König sein, herrschen (thiudans III).
FuUafahjan ein Genüge thun (falls I; der zweite Theil gehört
mit fagrs, gafShaba u. s. w. zu fahan I).
Skalkinön dienen, dienstbar sein (skalks III).
Besitz, Gewinn, Verlust:
Ufarassjan Ueberfluss hervorbringen, Genüge haben (ufarassus
8. oben).
Faihugeigan geldgierig sein (iaihu I -f~ g^ig&i^ s. unten).
Gabigjan bereichem (gabeigs III).
Gabignan reich sein (vom vorigen).
Geigan, gageigan gewinnen (nach Leo Meyer zu skr. gi, ga-
jämi siegen, gewinnen; unsicheres bei Dielenbach II, 395).
Ganöhnan genügt werden, zur Genüge versehn sein (ganöhs III).
Gatharban sich enthalten (ga I 4~ tharba 11).
Ga-unledjan arm machen (ga I -f- unleds s. oben).
Zur Sphaere des Lachens und Weinens ist nichts speciell
Gothisches anzuführen.
Sprache:
Filuvaurdjan viele Worte machen (filu I + vaurd I).
Gasvikunthjan bekannt machen, rühmen, loben (Adj. svikonths
s. oben).
Taizjan belehren, unterrichten (vgl. oben das Adj. untals).
Veitvodjan zeugen, bezeugen (veitvods s. oben).
FuUaveisjan überzeugen, überreden (fulls I -f- veisjan).
Gatßvjan verordnen (ga I -|- tevi s. oben).
Aviliudön danken, preisen (avilind III).
Thlaihan liebkosen, trösten (zu ahd. j9ehön u. s. w.? vgl.
Diefenbach II, 711).
Hvöpan sich rühmen (zu hvapjan II? vgl. Diefenbach n, 604;
Leo Meyer setzt das Wort zu skr. Wurzel gvi wachsen, schwellen).
I
lY. Sprachschatz, Verba. 78'
Gdljan grossen, begrässen (altn. gala in? nach Leo Meyer
zu x^i^ofiai).
SuDJön rechtfertigen, vertheidigen (Adj. sunjis s. oben).
Tbintbjan segnen (thiuth s. oben).
Thinthspillon Gates verkündigen (thiatb s. oben 4* spillön III).
Vailamerjan frohe Botschaft bringen, predigen, verkünden (vaila
I -f- meijan III).
Vailaspillön frohe Botschaft bringen u. s. w. (vaila I -f- spil-
lön m).
Ubilvaurdjan schmäben (ubils III -{- vaard I).
Vajameijan lästern (vai I -f" meijan III).
Afdambnan verstummen (af I -f- dnmbs III).
Geist:
1) denken, wissen:
Fullafrathjan bei vollem Verstände sein (falls I -f~ frathi I).
Maadjan erinnern (möds I?).
Abjan glanben, wähnen (aha s. oben).
Hmskan (and-) prüfen? (Leo Meyer setzt es zu lat. scrutari;
unsicheres bei Diefeubach II, 591).
Dröbnan verwirrt werden (drobjan IIl).
2) wollen:
Aihtrön haben wollen, erbetteln (wahrscheinlich mittelbar zu
aigan I).
Usdaadjan sich beeifern, bestreben (Adj. usdaads s. oben).
3) Freude und Trauer:
Svegnjan frohlocken, triumpbiren (Leo Meyer verbindet es mit
^^iyyoficu] eben so Unsicheres bei Diefenbach II, 357).
Tarmj an jauchzen, frohlocken, vielleicht eigentlich hervorbrechen
und in diesem Falle zu skr. darma, darman Zerbrecber, doch ist
das ganz unsicher.
Gaunön trauern, wehklagen (nacb Leo Meyer zu gr. /oaco;
unsicheres auch bei Diefenbach II, 388).
Idreigon bereuen, Busse thun (idreiga s. oben).
Nipnan betrübt sein, trauern (die Etymologie ist ganz unsicher;
vgl. altn. bnipna verzweifeln).
Usthuljan dulden (us -4~ tbulan I).
Gaurjan Betrübniss verursachen, betrüben (Adj. gaurs s. oben).
4) Liebe und Hass:
Ga-gavairthjan versöhnen (ga I 4~ gavairthi s. oben).
Ga-gavairthnan versöhnt werden (ga I -{' gavairthi s. oben).
74 ^y* Sprachschatz, Verba. ^
Infeinan gerührt werden, sich erbarmen (nach Leo Meyer wol
sa noivtjy poena, poenitet).
^Aislautbjan in Angst versetzen (af I 4~ einem vielleicht mit
slavan III zusammenhaugCDden Worte).
Thiahsjan jemand schrecken, (sehr fraglich ist Leo Meyers
Verbindung mit skr. tras erschrecken, r^ao, rQifio), terreo, tremo).
Anamahtjan Gewalt anthun, beleidigen (ana I -j- mahts I).
Faihön (bi-, ga-) betrügen (Sahst, faih s. oben).
Hatizön zürnen (hatis III).
Rauh tj an zürnen (das Leo Meyer zu o^^ecx^ot, skr. rghä-
jämi setzt).
b) übriges Geistige:
Sveran ehren, achten (svers III).
Barusnjan kindlich ehren (za b€ruseis s. oben).
Mikilnan verherrlicht werden (mikils I).
Ushauhnan erhöht, verherrlicht werden (us I -f- hanhjan III).
Veihnan geheiligt werden (veihs III).
Sildaleikjan staunen, sich verwundem (Adj. sildaleiks s. oben).
Sildaleiknai^ bewundert werden (desgl.).
Afslauthnan sich entsetzen (afslauthjan s. oben).
Biabrjan sich entsetzen (bi I -f- abrs III).
Gathlahsnan über etwas erschrecken (thiahsjan s. oben).
Usagjan erschrecken (us 1 -|- agis I).
Ufarhafnan sich überheben (ufar I -[- haQan I).
Sein und thun:
Thröthjan üben (von unsicherer Herkunft; Leo Meyer setzt es
zur Skr. Wurzel trand sich bemühen).
Gansjan verursachen (Unsicheres bei Diefenbach II, 386).
Aiviskön schändlich handeln (aiviski zu III).
Missataujan sündigen (missö III -{- taujan UI).
Uebrige Verba:
Bisaulnan befleckt, verunreinigt werden (bi I -[- sauljan HI).
Gasleithjan schaden, beschädigen (ga I -|- sleiths zu III).
Gathvastjan befestigen, stärken (nichts Sicheres, s. Diefenbach
n, 721).
Haifstjan streiten, kämpfen (haifst III).
Jiukan kämpfen, siegen (jiuka s. oben).
Kaurjan beschweren, belasten (kaurs I).
Saljan herbergen, Herberge finden, bleiben (altn. salr U).
IV. Sprachschatz» Adverbia. 75
ADVERBIA.
1) Raam:
Aljar anderswo (alis I).
Jainar dort (jains UI). ^
Thishvaruh wo nur immer (Stamm tba I 4" hva I).
Inna im lanern, innen (in I).
lapa oben; hinauf (iup I).
Uta draussen (ut I).
Dalatba unten (dal I).
Undarö unten, drunter (undar I).
Bisunjane umher, ringsumher (bi I; der zweite Theil wol zu
ms lU).
Aftaro von hinten, nach hinten (afta, aftra III).
AJjathrö anderswoher (alis I).
Allathrö von allen Seiten her (alis I).
Dalathrö von unten (dal 1).
Fairrathro von ferne (fairra I).
Hvathro von woher (Stamm hva I).
Innathrö von innen her, inwendig (in I).
lupathro von oben her (iup I).
Jainthrö von dort (jains III),
Utathrö von draussen her (ut I).
Aljath anderswohin (alis I).
Dalath abwärts (dal I).
Hvath wohin (Stamm hva I).
Thishvaduh wohin nur immer (Stamm tha I -{' hva I).
Inn hinein (in I).
Jaindre dorthin (jains III).
Jaindvairths dorthin (jains III 4' vairths zu III).
Ufaijaina darüber hinaus (ufar I 4- j^^QS lU).
2) Zeit:
Framvigis fortwährend, für immer (fram I -f- vigs I).
Sinteinö immer, alle Zeit (sinteins s. oben).
Hveilöhun eine Zeit lang (hveila III).
Miththan während des, inzwischen (mith I -f- tban III).
Faurthis zuvor, früher (faur I -{- Stamm tha I).
Suman einst, ehemals (sums III).
lupana von Alters her (iup I).
Sprautö schnell, ohne Zögern (wol zu ahd. spriuzan III).
Suns bald, plötzlich (zu sama I und sums III?).
I
76 IV. Spraehscbatz, AdverMa.
Anaks plötzlich, sogleich (ana I? abgeleitet dnreh das in mik
n. s. w. erBcheinende -k?)
SuDsaiv sogleich (sans s. oben 4~ &i^ !)•
Hva^han jemals (Stamm h?a I).
Halisaiv kaam je, jemals (der erste Theil ist ansicher , Tgl.
Diefenbach II, 519, + aivs I).
Jntban schon (ju I -j- than III).
Nauhthan noch (nanh III -j- than III).
Nauhoththan noch (nauh III -[- than III).
3) übrige Adverbia:
Uftö, auflö etwa, vielleicht (uila ITI).
Thiubjö heimlich (thiubs III).
Arvjö umsonst, unentgeltlich (?on unsicherer Herkunft, s. Diefen-
bach I, 71).
Hve womit, um wie viel, etwa (Stamm hva I).
Svare vergebens, umsonst (vgl. unser schwerlich; wol zn
svgrs III).
Nei Fragewort, nicht? (ni- I).
Arniba sicher, behutsam (unsichere Etymologie; vgl. Diefen-
bach I, 69).
Hvaiva wie (Stamm hva I).
Alakjo insgesammt, zusammen (alls I; vgl. auch ahd. alluka
omnino).
Bijands in bijandzuth-tban zugleich aber auch (vielleicht eigent-
lich ^hinzufügend^ bezeichnend, zu einem Verbum "^bijan, vielleicht
von der Praepos. bi I).
Thishun meist, besonders, vorzüglich (Stamm ttia I).
Svau so? (sva I).
Svasvg so wie, gleich wie (sva I).
Svaththan so nun (Stamm sva I -f- than III).
Aljaleikö, aljaleikös anders (alis I -{■• leik I).
Antharleiko anders, verschieden (anthar I -}- l^^^ !)•
Thanamais weiter, noch (than III -{" ™ais I).
Thanaseiths weiter, noch (than III -f- seithus II).
AUandjö vollständig, vollkommen (alls I 4~ andeis I?).
Ussindö ausnehmend, sehr (us I -^ sinths I).
Yaiuei wenn doch, möchte doch (von sehr unklarer Bildung,
vgl. Diefenbach I, 162).
Auf dem Gebiete der Praepositionen bietet das Gothische
nichts Selbständiges dar.
IV. Sprachschatz, ConjanctJonen. 77
CONJUNCTIONEN.
Alja (nach Negationen) nur, sondern (alis I).
Athtban aber, doch (ak III -j- ^^^^ HI)-
Ei dasSy damit (wol zum Prouominalstamm ja I).
Eitban daher, mitbin (ei 4* ^^^^ ^^^*
Eitbau wo nicht (ei -{- thau III).
Jau ob (Stamm ja I).
Svetbaub doch, zwar, wenigstens (Stamm sva I -{- thau III).
Thande, thandei wenn, weil, da (tbanlll; auch abd. begegnet
«in danta deshalb, weil).
Thaubjabai wenn auch (than III -{- Stamm ja I).
Als speeiell gothische Interjection ist höchstens bin (nebst
liirjith, birjath) komm! bieher! zu erwähnen (zu her III).
Das ist also der einseitig gothische Sprachschatz, so weit
wir ihn kennen. Erwägt man, einen wie dürftigen Theil des
gotbischen Lexicons wir überhaupt überliefert erbalten babeü
(welche Dürftigkeit sich nirgend stärker zeigt als bei den ver-
schiedenen Naturproducten) und wie reichhaltig uns dagegen für
die andern deutschen Sprachen das Wörterbuch vorliegt, so dass
es ans kaum entgehn kann, wenn diese andern Sprachen den gotbi-
schen genau entsprechende Bildungen besitzen, so staunt man über
die grosse Selbständigkeit des Gotbischen dem übrigen Deutschen
gegenüber. Mag auch zugegeben werden, dass ein grosser Tbeil
dieser Selbständigkeit in der näheren Verbindung des Gotbischen
mit dem Urdentschen begründet ist, so dass die übrigen Sprachen
einen erheblichen Verlust an dem urdeutsch-gothischen Besitz erfah-
ren haben, so bat doch ein grosser Theil des eben verzeichneten
gotbischen Sprachschatzes durchaus nicht das Ansehn von besonders
altertbümlicben , sondern grade von jüngeren Bildungen, zu denen
es die deutschen Sprachen noch nicht gebracht hatten, als das
Gothische seinen eigenen Weg antrat. Wir werden hiedurch in der
schon bei der Lautlehre gemachten Wahrnehmung bestärkt, dass
das Gothische dem Urdeutschen in der That gar nicht so nahe steht
als man früher fast allgemein und jetzt noch häufig annimmt, dass
vielmehr das Gothische zu der Zeit, als Ulfilas schrieb, schon eine
Jahrhunderte lange selbständige Entwickelung hinter sich hatte.
Freilich ist dabei nicht aosser Acht zo lassen, dass gewiss nicht
alle mitgetheilten Wortbildungen bereits vor Ulfilas oder selbst zu
seinerzeit Eigenthom des gotbischen Volkes gewesen sind; es lässt
sich vielmehr denken, dass der Bisehof durch den ihm vorliegen-
den Text, der ihm sicher die erheblichsten Schwierigkeiten darbot,
gradezu gezwungen wurde neue Ableitungen und Zusammensetzungen
78 ly. Sprachschatz.
zu bilden; die geistigeren und speciell religiösen Begriffe der
heiligen Schrift nöthigten ihn sicher dazu; die klare und geregelte
gothische Sprache machte ihm möglich, dieser Nothwendigkeit nach-
zukommen; sein hlethrastakeins und gewiss so manches andere
Wort hat sich sicher zuerst durch seinen Griffel gebildet und ist
dann erst gesprochen worden.
Auch von einem andern Standpunkte her zerfällt der gothische
Sprachschatz in zwei verschiedene Theile. Der bei weitem grössere
besteht aQS klaren Ableitungen oder Zusammensetzungen von Wör-
tern, die in den drei Büchern des ersten Bandes erwähnt sind oder
wenigstens im dritten Buche hätten erwähnt werden sollen; diese
letzteren Zusätze zum dritten Buche ergeben sich in denjenigen
Fällen, wo ich in dem eben mitgetheilten Verzeichnisse nicht DI,
sondern ^zu III^ gesetzt habe. Daneben geht aber doch eine
nicht kleine Zahl von Wörtern her, die noch aller Einfügung in
die Genealogie einer Wurzel gradezu spotten ; ich habe bei diesen
Wörtern häufig Diefenbach citirt, der sich bei manchen derselben
wahrhaft erstaunlich abgemüht hat, ohne doch dio Sache aufs
Reine bringen zu können; häufig habe ich auch die Zusammen-
stellungen meines Freundes Leo Meyer angeführt, der doch mit
diesen unmittelbaren Anknüpfungen an's Sanskrit oder Griechische
selten den sprachgeschichtlichen oder lautlichen Forderungen volle
Genüge leisten kann. Der dritte, der sich tiefer eingehend mit
diesen sprachlichen Räthseln beschäftigt hat, ist Jacob Grimm in
der 1847 geschriebenen Vorrede zu Schulzens gothischem Glossar;
auch diese reichhaltigen und feinen Bemerkungen lassen doch die
Räthsel fast alle bestehn und so bestehn sie noch heute. Das
Gothische steht aber für unsere Kenntniss so vereinzelt und so
umgeben von ganz unbekannten Sprachen da und sein Sprachschatz
liegt uns ausserdem so trümmerhaft vor, dass wir hier nicht weiter
können; vielleicht ist die Zeit nicht mehr fem, wo ein ungeahntes;
grossartiger Fund uns hierin ein gutes Stück vorwärts bringt und
daneben — wieder neue Räthsel schafft.
An dieser Stelle habe ich in den drei ersten Büchern cultnr-
historische Folgerungen aus dem mitgetheilten Wortschatze gezogen ;
solche Folgerungen sind aber in diesem vierten Buche und den
meisten folgenden nicht mehr am Platze, da wir über gothische
Cultur so me über die aller Völker, die uns eine Literatur
hinterlassen haben, aus andern Quellen besser unterrichtet sind.
Zudem Hegt uns aber in unseren gothischen Spracbresten nicht
einmal die eigentliche Cultur der Gothen, sondern eine bei den
Gothen erst vor Kurzem eingeführte fremde vor; die Sprache
IV. Sprachschatz, Verhiste des Grothischen. 79
ist ans also in diesem Punkte eine scblecfatere Leuchte als irgend-
wo sonst.
Hat das Gothische aber eine lange Zeit selbständiger Ent-
Wickelung hinter sich, so kann es während dieser Zeit nicht bloss
einseitig geschaffen, sondern muss auch anderseits urdeutschen
Sprachbesitz verloren haben und die Frage nach diesem Verluste
tritt uns jetzt entsprechend wie im dritten Buche Seite 458 in den
Vordergrund. Diese Frage aber zu entscheiden hat für uns seine
besondere Schwierigkeit dadurch, dass wir sicher nur einen ziemlich
kleinen Theil des gothischen Sprachschatzes kennen; viele Wörter
hat das Gothische sicher besessen, die ihm bisher zu fehlen schei-
nen. Doch giebt es manche Fälle, in denen die Vermuthung, dass
das Gothische die betreffenden Wörter nicht besessen habe, eine
gewisse Wahrscheinlichkeit hat; es sind das solche Fälle, in welchen
wir in dem erhaltenen Theile der gothischen Literatur den Begriff
des mangelnden Wortes deutlich durch ein anderes Wort ausge-
druckt finden, in denen also die Gelegenheit jenes fehlende Wort
anzuwenden nicht benutzt wurde. Aber auch hier ist noch wieder
eine Scheidung zu machen, zwischen solchen Wörtern, die das Ur-
deutsche besessen, das Goth. aber verloren hat, und solchen, die
zur Zeit der Absonderung des Goth. vom Urdeutschen in letzterem
noch nicht gebildet waren. Nur die erstere dieser beiden Klassen
gehört hieher, über die zweite wollen wir versuchen beim Mittel-
nrdeutschen einiges beizubringen.
Jacob Grimm Gesch. d. dtsch. Spr, zweite Auflage Seite 716
hat die Bemerkung, dass dem Gothischen namentlich manche Wörter
fehlen, die den. andern deutschen Sprachen mit dem Litauischen
und Slaviscben gemeinsam sind. Ist das nicht Täuschung, so scheint
jene Gemeinsamkeit, die ja nicht eine sehr lange dauernde gewesen
sein kann, durch die frühe Trennung der Gothen ihren Halt ver-
loren zu haben.
Ich versuche nun hier ein Verzeichniss jener gothischen Ver-
laste aufzustellen und gebe dabei gleich die gothischen Vertreter
des Verlorenen,
SUBSTANTIVA.
Altn. smali pecus (Bd. I, 50); goth. dafür faihu und avis.
Altn. farri bos, taurus, ahd. phar, nhd. Farre (I. 51); goth.
stior, auhsus.
Altn. bokkr Bock, abd. ram Widder (I, 51); goth. vithrus.
Altn. mödir Matter (I, 55); goth. aithei; auch Vater wird
selten gebraucht, dafür atta.
80 IV. Sprachsdiats, Verlaste des Oothischeo.
AltD. kind Kind (I, 55); gotb. barn. Kind ist vieneicbt in Folgf
von Bedeutungsverschiebung untergegangen; vgl. kindins fJYSfioiv.
Altn. folk, fylki Volk (I, 259) und altn. IjoÖr, \yÖT Leute (I,
260); goth. thiuda.
Ahd. lefsa, nhd. Lippe (I. 57); goth. vairilo.
Altn. hnakki Nacken (I, 261); goth. halsagga (balsagga?).
Ahd. folma, altn. mund Hand (I, 58); goth. handus.
Altn. fax und altn. här Har (I, 59); goth. tagl.
Ahd. href Uterus (I, 59); goth. kilthei.
Altn. hräki Sputum (I, 261); goth. spaiskuldrs.
Ahd. drech Dreck (I, 60); goth. smarna.
Altn. hrufiy hryfi Aussatz (I, 261) und ags. teter Hautkrankheit^
(I, 60); goth. thrutsfili.
Altn. uud Wunde (I, 60); goth. erweitert vundufni.
Altn. svefn somnus (I, 60); goth. sleps.
Ahd. sämin Samen (I, 60); goth. fraiv.
Altn. holt Holz (I, 61); goth. triu.
Altn. tjalga Zweig (I, 262); goth. asts.
Ahd. gersta Gerste (I, 62); goth. baris.
Altn. ryÖ Rost (I, 63); goth. nidva.
Altn. sandr Sand (I, 263); goth. malma.
Altn. flesk Fleisch (I, 264*); goth. hraiv; mammö.j
Altn. serkr Kleid, Hemd (I, 264) ; goth. gaskadveins, gavaseins,
snaga.
Altn. bü Bau (I, 265); goth. abgeleitet bauains.
Altn. hof Hof (I, 64); goth. röhsns.
Altn. thak Dach (I, 65); und altn. hrafr, raefr Dach (I, 265);
goth. hrot.
Altn. myrkr Dunkelheit (I; 266); goth. riqvis.
Altn. unn Welle (I, 66); goth. vegs.
Altn. skümi Schaum (I, 67); goth. hvathö.
Altn. hlia Hügel (I, 68) und haugr dsgl. (I, 296); goth. hiains.
Altn. brynja Panzer (I, 267); goth. sarva.
Altn. fetill Fessel (I, 69) und altn. hapt desgl. (I, 70); goth.
naudibandi, fötubandi.
Altn. lyna, hänkii ahd. riumO| nhd. Kiemen (I, 267 u. 268);
goth. bandi, gabundi.
Altn. stafr Stab (I, 268); goth. valus^ hmgga.
Altn. mylna Mühle (I, 70); goth. qvaimus.
Altn. korfr Korb (I, 70) and altn. meiss Korb, Netz (I, 70);
goth. snöijö.
VL SprftehBchati, VerloBte des GoihiaeheiL gl
Altn. böpr Hanfe (I; 72) ; goth. hiahma, iaipjfiy digrei, foUeiths,
lasoa.
Altn. egg Ecke (I, 72); goth. vaihsta.
Altn. yerk Werk (I, 72); goth. yaorstv, tani, gadeds.
Altn. gnnnr, gadr bellom (I, 270) ; goth. brakja, vail^jo n. s. w.
Altn. sinni Sinn (I, 73); goth. aha.
Altn. angist Angst (I, 271); goth. aggyitha.
Altn. log Gesetz (I, 73); goth. vitöth.
Altn. lof Lob (I, 271); goth. hazeins.
Altn. saell Glück, Seligkeit (I, 73); goth. andagei; vailavizns.
Altn. aera Ehre (I, 73); goth. syeritha, hauheins.
Altn. striö Streit (I, 74); goth. sakjo, jiuka.
Altn. harmr Harm (I, 271); goth. aglitha, aglö, ganrei; trigd
8. w.
Altn. tal List (I, 74); goth. varei, filudeisei.
ADJECTIVA.
Altn. störr, ahd. magan, ahd. groz gross (I, 74); goth. mikils,
inths.
Ahd. lenka die Linke (I, 75); goth. hleidnmei.
Altn. thettr dicht (I, 77); goth. tharihs.
Ahd. swach schwach (I, 78); goth afmanithS; gamaids.
Altn. stoltr stolz (I, 79); goth. hauhthnhts, mikilthnhts.
Ahd. geil laetns (I, 79); goth. andahafts, gavizneigs, blas.
Ahd. war wahr (I, 78); goth. sunjis, sunjeins.
Altn. tanir zahm (I, 79): goth. manariggvs.
Für die Pronomina nnd Zahlwörter ist höchstens zu bemerken,
m die alten Theilnngszahlen (altn. noch tvennir, thrennir, fernir,
^. noch Adject. thrtnen trinus) schon vermieden nnd, wo sich
ir sie Gelegenheit bot, umschrieben werden ; nnr tveihnai ist noch
'legt.
VERBA.
Altn. kvelja quälen (I, 275); goth. balvjan.
Altn. fata fassen (I, 275); goth. fahan, hinthan u. s. w.
Altn. höggva hauen, altn. drepa treffen, altn. berja ferire (I,
)), altn. bauta schlagen (I, 275); goth. bliggvan, slaban.
Altn. spenja spannen (I, 275); goth. thinsan.
Altn. blikja glänzen (I, 89); goth. glitmunjan.
Altn. vaska waschen (I, 90); goth. thvahan.
Altn. gä gehn I, 91; goth. gaggan. Vgl. unten stehe und thun;
i sind also die Praesentia ohne Bindevocal untergegangen.
F&ntemann, GeicA. d. d. Sprachstofnmes. IL
g2 IV. SfirachsdiatsK, Verioste des Gothiiehei»
Alts, stapan ire (I, 91); goth. trimpan.
Ahd. stän stehn (I, 91); goth. staodau.
AltD. fljöta fliessen (I, 277); gotb. rinnan.
Altn. falla fallen (I, 92); gotb. drinsan.
AltD. seggja sagen, abd. sprebban sprechen (I, 92); goth. qvithan.
Ahd. tuom thue (I, 95); goth. taoja, vaurkja.
Ahd. bim bin (I, 95); gotb. im.
Partikeln.
Altn. nidr abwärts (I, 96); gotb. dalatb.
Sehr merkwürdig ist auch im Gotb. das Fehlen der Prae-
position um (altn. um, ahd. umbi, alts. umbi); sie wird namentlich
durch bi vertreten.
Alles das sind Fälle, wo Wörter, die wir bereits ins Vor-
slavogermaniscbe oder mindestens insSlavogermanische gesetzt haben,
im Gotbischen verloren zu sein scheinen. Noch viel schwieriger
gestaltet sich die Entscheidung, wenn wir au den Sprachschatz
herantreten, der sich erst im Urdeutschen gebildet hatte. In dem
Bd. L 401 ff. gesammelten Verzeichnisse sind regelmässig sp]che
Wörter aufgenommen, die im Gotbischen fehlen, im Altn. aber und
mindestens einem der beiden andern Zweige vorkommen. In der
That werden sie in den bei weitem meisten Fällen im Gotbischen
vorhanden gewesen sein und nur zufällig uns entgebn; in apdern
Fällen können sie aber auch erst mittelurdeutsche Bildungen sein;
in noch andern sind sie im Gotbischen verloren. Die zweite und
dritte Klasse werden wir mit einiger Wahrscheinlichkeit anzunehmen
haben, wenn das Gotbische uns für denselben Begriff einen andern
Ausdruck bietet. Aber wie zwischen diesen beiden Fällen scheiden?
Da einer solchen Scheidung bis jetzt noch aller reale Boden fehlt,
ziehe ich es vor, diese Ausdrücke vorläufig noch beim Mittelurdeut-
schen zusammen zu lassen, wohin ich also verweise. Hieher werden
wir höchstens solche Wörter setzen können, von denen das Gotbische
deutliche Ableitungen bat, so z. B. wegen ansts das Praeterito-
praesens altn. ann, ahd. an, ags ann (altn. unna s. I, 279).
Dritter Abschnitt.
Die Wortblldunfr«
A. Zusammentetiung.
Ich gedenke im Folgenden, was sich in den späteren Btehem
von selbst verbietet, die uns bekannten gotbischen znaammeiH
VI. ZuMunmenaetsangv g3
gesetzten Wörter nocb vollständig anzufahren, das heisst alle die-
jenigen, welche nicht schon dem Urdentschen angehören, sei es dass
sie schon im dritten Bache ihre Stelle gefanden haben oder sie
hätten finden sollen.
1. Sabstantiva.
Wir ordnen das folgende Verzeichniss ganz wie das entsprechende
Bd. I, 469 alphabetisch nach dem Grundworte, and zwar zuerst
nnr diejenigen Sabstantiva, deren erster Theil ein Nomen ist:
Halsagga (balsagga?) Hals, Nacken? (der zweite Theil nach
L. Meyer zu skr. ankas Biegung).
Manauli Gestalt (zweiter Theil unsicher; vgl. oben den Sprach-
schatz).
Bairabagms Maulbeerbaum, smakkabagms Feigenbaum.
Thrasabalthei Frechheit, Streitsucht.
Fötubandi Fussfessel, naudibandi Zwangsfessel, Band.
Ainabaur der £ingeborne, fruraabaur der Erstgeborene.
Fotubaurd Fussbrett, Schemel.
Guthblostreis Gottesverehrer.
Vadjabokös Pfandbrief, Handschrift.
Galiugabröthar falscher Brader
Alabrunsts Brandopfer.
Vaid^dja Uebelthäter.
Vigadeinö Distel.
Filudeisei Schlauheit.
Hraivadnbo Turteltaube.
Ainfalthei Einfalt, Gutmfithigkeit; ist aber Ableitung von einem
Compositum.
Vitodafasteis Bewahrer des Gesetzes.
Bruthfaths Bräutigam, hundafaths Hauptmann, thusandifaths
Oberhauptmann.
Thrutsfill Aussatz.
Faihufrikei Habsucht (Ableitung von faihufriks).
Faihugairnei Habsucht (Ableitung von faihugairns).
Thiudangardi Königshaus, Regierung.
Faihugavaurki Geldgewinn.
Feihugeigö Habsucht.
Gastigödei Gastfreundschaft (Ableitung von gastigöds).
Galiugagath falscher Gott.
Harduhairtei Hartherzigkeit, hauhhairtai Hochmuth, armahairtei,
armahairtitha Barmherzigkeit (Ableitangen von einem ^harduhairts
Q. 8. w.).
6*
34 ly. Zusammensettuiig.
Dalgahaitia Gläubiger.
Viljahalthei Zaneignng, Gunst (setzt ein Adj. *viljahalths voraus).
Thuthaum Hom, Trompete.
Gudhns Gotteshaus.
Vaurdajiuka Wortstreit.
Niuklahei Kleinmuth (abgeleitet vom Adj. ninklahs).
Yitödalaisareis Schriftgelehrter.
Sigislaun Siegeslohn, Preis.
Juggalauths Jüngling.
Sildaleik Staunen, Verwunderung, manleika das dem Menschen
Gleiche, Bild, antharleikei Verschiedenheit (vom Adj. antharleiks,
Adv. antharleikö).
Brothralubö Bruderliebe.
Thiumagus Knecht.
Frathjamarzeins Verstandesverwirrung, Tätcschung.
Nahtamats Nachtessen, undaumimats Mittagessen.
Manamaurthija Menschenmörder.
Gilstrameleins Steuerbeschreibung.
Mukamödei Sanftmuth (zu einem Adj. *mukamöds).
Ainamunditha Einmüthigkeit (zu einem Ad), ^ainamunds).
Asiluqvaimus Eselmühle, Mühlstein.
Thiuthiqviss Segnung, samaqviss Uebereinstimmung.
Lausqvithrei Nüchternheit, Fasten (vom A^j. lausqvithrs).
Fidurragini Amt eines Vierfdrsten.
Niujasatiths Neuling.
Manaseths Menschensaat, Welt; das häufig vorkommende Wort
sieht aus, als müsste es den Gothen schon aus ihrer Poesie bekannt
gewesen sein.
Frastisibja Eindschaft.
Silbasiuneis Augenzeuge.
Guthaskauni Gottesgestalt.
Faihuskula Schuldner.
Spaiskuldrs Speichel.
Vaihstastains Eckstein.
Hlethrastakeins Laubhüttenfest.
Hunslastuths Opferstätte, mötastaths ZoUstätte, ZoUhsuis.
Stauastols Richterstuhl.
Midjasveipains Ueberschwemmung ; auch dies Wort könnte
schon lange in poetischem Gebrauche gewesen sein.
Allsv^rei Achtung gegen Jedermann.
Aihvatundi Domstrauch ; über den zweiten Tfaeil s. den Spraeb«
schätz.
IV. ZusammeosetzuDg. 35
Faihntbraihos Reichtham.
Baurgsvaddjns Stadtmauer, mithgardavaddjus Scheidewand.
Svaltavairthja ein dem Tode Naher.
AllvaldandB Allmächtiger, gardavaldands Haasherr.
Dauravarda, danravardö Tbürhüterin.
Laanayarg8 der Undankbare.
Lingnavaurds Lügenredner.
Gabaurtbivaurd Gescblechtsregister.
Aglaitivaurdei nnscbickliche Bede, dvalavaurdei tbörichtes Ge-
rede, filavaurdei vieles Reden, laosavaurdei und laasavanrdi loses
Geschwätz, sämmtlich von Adjectiven auf -vaards abgeleitet.
Galiagaveitvods falscher Zeuge.
Veitvödei, veitvodeins, veitvodi, veitvoditba Zeugniss, Ablei-
tungen von veitvods.
Drauhtivitöth Kriegsdienst, Kampf.
Zusammengesetzte Substantiva mit einem Verbum als erstem
Theile giebt es eben so wenig im Gothischen wie im Urdeutschen.
Es folgen die Substantiva, deren erster Theil von einer Par-
tikel gebildet wird, und zwar alphabetisch nach dieser geordnet:
(af) Afdömeins Verdammung, afdrugkja Trinken (vgl. vein-
drngkja), afötja Fresser, afgrunditha Abgrund, afgudei Gottlosigkeit^
aflageins Ablegung, Vergebung, afmarzeins Acrgerniss, Betrug, af-
sateins Absetzung, afstaes Abfall, Abstand.
(afar) nur in afardags der folgende Tag.
(aftra) nur in dem Decompositum aftraanastödeins Wieder-
anfang, Erneuerung.
(ana) anabusns Gebot, Befehl, anafilh Ueberlieferung, Vorschrift,
anafnlhanö Ueberlieferung, anakunnains Lesung, analageins Auf-
legung, analaugnei Verborgenheit, anamahts Gewalt, Schmähung,
ananiujitha Erneuerung, anaqviss Lästerung, anastödeins Anfang,
anaviljei Willigkeit, Sittsamkeit, Bescheidenheit,
(and) andaugi Antlitz, andabauhts Lösegeld, andabeit Tadel,
andahafts Antwort, Vertheidigung, Urtheil, Beschluss, andahait Be-
kenntniss, andhuleins Enthüllung, Offenbarung, andalauni Gegen-
lohn, Vergeltung, andanahti Abend, andanem das Annehmen, Em-
pfangen, andstald Darreichung, Dienst, andastathjis Widersacher,
andastaua Angesicht, andvairthi Gegenwart, Angesicht, Person, an-
davizns Unterhalt, Unterstützung, andavleizn Angesicht.
(at) atgaggs Zugang, atvitains Wahrnehmung.
(bi) bibaurgeins Befestigung, Lager, bifaiho Uebervortheilung,
Habsucht, bihait Streit, bihaitja streitsüchtiger Mensch, bimait Be-
schneidang, bireikei Gefahr, birödeins Gerede, Verläumdung, birunains
36 IV. ZusammensetziiDg.
"x
Anschlag, geheimer Bcscbluss, bisaaleins Beflecktmg, bistoggqT
Anstoss.
(dis) distaheins Zerstreunng; disviss Aaflösang.
(fair) fairreitl Schanspiel.
(fanr, fanra) faarbauhts Loskanfnng, Erlösung, fanradaari Gasse,
fanrdomeins Vornrtheil, faurafilli Vorhaut, faaragagga, fauragaggja
Vorsteher, Verwalter, fanragaggi Vorsteheramt, faurahah, fanrbah
Vorhang, faarlageins Vorlegung, fauramathleis Sprecher, Vorsteher,
fauramathli Vorsteheramt, fanrstasseis Vorsteher, fauratani ViTunder-
zeiehen.
(fra) fragifks Verleihung, Verlobung, fralets Erlass, Vergebung,
fraqvisteins Verschwendung, fravardeins Verderben.
(fri) nur in frisahts Bild.
(ga); bei weitem das häufigste aller dieser vorgesetzten Ele-
mente: gaarbja Miterbe, gabairhtei Erscheinung, gabaur das Zu-
sammengebrachte, Sammlung, Steuer, gabaur gemeinschaftliches
Mahl, Schmausen, gabaurgja Mitbürger, gabaurjothus Lust, Wollust,
gabaurths Geburt, gableitheins Erbarmen, gabruka das Abgebrochene,
der Brocken, gabundi Band, gadaila Theilnehmer, Genoss, gadaoka
Hausgenoss (setzt ein *dauks Haus voraus), gadeds That, Handlung,
gadigis Gebilde, Werk, gadrauhts Eriegsmann, Soldat, gafaurds
Gericht, hoher Rath, gafeteins Schmuck, Kleidung, gafilh Begräbniss,
gafreideins Verschonung, Erhaltung, gafrijons Liebeszeichen, Euss,
gagrefts Beschluss, Befehl, gagudei Frömmigkeit, gahait Verheissung,
gahauseins Gehör, das Anhören, gahlaiba Genoss, Mitjünger, ga-
höbeins Enthaltsamkeit, gahraineins Reinigung, gahreilaina Ver-
weilen, Ruhe, gajuk Joch, Paar, gajuka, gajuko (}enoss, gakunds
Ueberzeugung, gakunths Erscheinung, gakusts Prüfung, das Geprüfte,
galaista Nachfolger, galanbeins Glaube, galeika Miteinverleibter,
galeiki Aehnlichkeit, galiug Lüge, Götzenbild, gamaitano Zerschnei-
dung, gamalteins Auflösung, gaman Genoss, gamarkö Grenznach-
barin, gamarzeins Aergerniss, gamaudeins Erinnerung, gameleins
Schrift, gamitöns Gedanke, ganauha Genüge, ganithjis Verwandter,
gaqviss Verabredung, Uebereinkunft, gaqvumths Versammlung, Zu-
sammenkunft, garaideins Anordnung, Regel, Richtschnur, garaihteins
Wiederherstellung, Besserung, garaznö Nachbarin, garehsns Be-
stimmung, Rathschluss, Plan, gariudi Ehrbarkeit, gariudjö Scham-
haftigkeit, garuns Markt, Gasse, gasahts Vorwurf, Tadel, Zurecht-
weisung, gasateins Feststellung, Grundlegung, gaskaideins Ver-
änderung, Vertauschung, Einlösung, gaskalki Mitknecht, gataura
Riss, gataurths Zerstörung, gatimreins Erbauung, gatimijö GebMde,
gathagki Bedacht, Sparsamkeit, gathlaihts Trost, Ermahnung,
IV. Zusammensetzuiig. 37
gathrafsteios Trost, gathrask Dreschtenne, gavairthi Friede; gavaleins
WabI, gavandeins Bekehrang, gavaseins Kleidung, gayaurstva Mit-
arbeiter, gaviss Verbindung, Gelenk.
(in) inabei Sittsamkeit, Bescheidenheit, ingardja Hausgenosa^
inkanja Stammgenoss, inmaideins Veränderung, Vertauschang, Ein-
lösung, inninjitha Fest der Erneuerung des Tempels, insahts Anzeige,
£r£äblung. Beweis, invinditha Ungerechtigkeit.
(inn) iunatgahts Eingang, Eintritt
(missa) missaqviss Wortstreit.
(mith) mithgaleikonds Nachahmer, mithgasinda Beisegefährte,
mithvissei Mitwissen, Gewissen.
(tvis) tvisstass Zwiespalt.
(uf) nfblöteins Gebet, Flehen, ufhauseins Gehorsam, ufhnaiveins
Unterwerfung, ufkuuthi Erkenntniss, ufsvalleins das Anschwellen,
der Hochmuth.
(afar) ufargudja Oberpriester, ufarhauseins das Ueberhören,
der Ungehorsam, ufarmaudei Vergessenheit, ufarmeleins, ufarmeli
Ueberschrift, ufarranneins Besprengung, nfarsvara der Meineidige.
(an) nnbeistei das . Ungesäuertsein, unbiari Thier, undivanei
Unsterblichkeit, unfreideins Nichtschonung, unbulth6 Unhold, un-
kaoreins Unbeschwerlichkeit, unkuuthi Unkunde, nnlSdi Armuth,
unselei Bosheit, Schlechtigkeit, unsuti Aufruhr, unvammei Unbefleckt-
heit, Beiuheit, unvaurstvö die Uuthätige, Müssige, unvereins Unwille.
(us) usbeisnei, usbeisns Geduld, usdaudei Ausdauer, Beharr-
lichkeit, usdrusts Ausfall, Loch; schlechter, rauher Weg; uzeta
woraus gefressen wird, Krippe, usfulleins Erfüllung, Fülle; uslauseins
Erlösung, nslitha der Giehtbrüchige, nsluks Oeffnung, Eröffnung,
usloneins Erlösung, usqviss übles Gerücht, Beschuldigung, urruns
Ausgang, ussateins Ursprung, nsstass Auferstehung, ustaikneins
Daretellang, Erweis, Beweis, nstaubts Vollendung, Erfüllang, usthrö-
theins Uebung, usthulains das Dulden, Geduld, usvahsts Wachsthum,
nsvalteins Umwälzung, Untergang, usvaurbts Gerechtigkeit, usvaurpa
Auswurf, Frühgeburt.
(vai) vajamerei, vajamereins Lästerung, schlechter Buf.
(vaila) vailamereins frohe Botschaft, Predigt, vailayizns Wohl-
sein, gute Kost, Nahrung.
Es gewährt ein .gewisses Interesse zu sehn, wie sehr oder wie
wenig beliebt die einzelnen Praepositionen als erster Theil von
nominalen Bildungen gewesen sind, die das Gothische erst ge-
schaffen hat, man sehe den grossen Abstand zwischen ga und den
nur in je einem Beispiele begegnenden afar, fair (jfri). Ja einige
kommen gar nicht vor, nämlich alja, du, inuh, uehva, thairh, und
gg IV. Zupsnuneiuetzung.
nndar and vitfara; fram and bindar fehlen bei den Substantiven,
nicht hei den AdjectiFen, wie wir gleich sehn werden.
Drei gothische Substantiva Yon nngewisser Etymologie können
möglicherweise mit Partikeln componirt sein, nämlich atiUhni
Jahr^ ibdalja Abhang, Thal, idreiga Rene, Bosse.
2) Adjectiva.
Das Verfahren igt hier ganz dasselbe wie bei den Snbstantiven;
zuerst also die mit Nominen (auch Pronominen and Zahlwörtern)
als erstem Theile zusammengesetzten:
Ahtaudögs achttägig, fidurdögs viertägig.
Filufaihs sehr mannigfach.
Grindafrathjis kleinmüthig, samafrathjis gleichgesinnt.
Faihufriks habsüchtig.
Seinaigaims eigensüchtig.
Filugalaubs sehr kostbar.
Agiaitgastalds habsüchtig.
Gastigods gastfrei.
Audahafts beseligt, beglückt, qvithuhafts schwanger.
Hrainjahairts reinherzig.
Hvailahvairbs eine Zeit lang dauernd.
Ninklahs neu geboren.
Aljaknns anderswoher stammend.
Airthakunds von irdischer Abkunft, gödakunds von guter Ab-
kunft, vornehm, gumakunds männlich, himinakunds und ufarhimina-
kunds himmlisch, qvinakunds weiblich.
Svikunths offenkundig, bekannt.
Akranalaus fruchtlos, andilans endlos, vitödalaus gesetzlos.
Hvelauths wie gross, samalauths gleich gross, svalauths so
gross, so viel.
Sildaleiks wunderbar; Adv. lathaleikö sehr gern; a\)aleik6ths
anders gebildet.
Tilamalsks s. ontilamalsks.
Friathvamilds liebreich.
Lausqvithrs mit leerem Magen.
Manariggvs s. unmanariggvs.
Blötharinnands blutflüssig.
Samasaivals einmüthig.
Ibnaskauns gleich gestaltet.
Fullatojis vollkommen, ubiltöjis übelthäterisch.
i Alatharba ganz arm.
Hauhthuhts und mikilthuhts hochmüthig.
Lausavaurds eitles redend.
IV. ZuBammengetzung. 89
AUayaarstva aus allen Kräften wirkend.
Fallaveis yoUkommen.
Silbaviljis freiwillig, willfährig.
Tvalibyintrus zwölQährig.
FuUavita yollkommen.
Adjeetiya mit Verben als erstem Theile kommen eben so wenig
yor als solehe Sobstantiya; wir haben deshalb nun die Partikel-
eompositionen zu mustern:
(af) afguds abgöttiseh, afhaims yon der Heimath entfernt, ab-
wesend, afmauiths ermndet.
(ana) anabaims anwesend, anasinns sichtbar, anayairths zu-
künftig.
(and) andaugiba, andaugjo offen, offenbar, andaneiths feindlich,
andanenis gern annehmend, angenehm, andasets yerabscheuungs-
würdig, andsöks s. unandsöks, andathahts bedächtig, yernünftjg,
andvairths gegenüben
(at) atgahts s. unatgahts.
(bi) birßks gefährdet
(fra) fralets freigelassen.
(fram) framaldrs bejahrt.
(ga) Ady. gabaurjaba gern, gadöbs schicklich, passend, gafanrs
nüchtern, bescheiden, Ady. gafehaba ehrbar, gafalgins yerborgen,
gaguds fromm, Ady. gahahjö zusammenhangend, gahails ganz, heil,
gesund, gahyairbs fugsam, galaubeins gläabig, galaubs werthyoll,
kostbar, gamaids gebrechlich, schwach, gaqyiss übereinstimmend,
Ady. garedaba ehrlich, gariuds ehrbar^ gaskohs beschuht, gastöjans
gerichtet, yerdammt, gatass geordnet, Ady. gatemiba passend,
ziemend, gatils passend, tauglich, gathaurbs enthaltsam, gayairtheigs
friedfertig, gayamms unrein, gayizneigs freudig.
(bindar) hindaryeis hinterlistig.
(in) inahs yerständig, klug, ingards im Hanse befindlich, in-
kiltho schwanger, inyinds ungerecht, inyitoths dem Gesetze unter-
worfen.
(inn) innakunds zum Hause gehörig; doch ist der erste Theil
yielleicht als Nomen anzusehn.
(uf) ufaiths yereidet, zugeschworen.
(ufar) ufarfulls überyoll.
(un) unandsöks unwiderleglich, unatgahts unzugänglich, un-
bamahs kinderlos, unbeistjdths ungesäuert, Ady. unfairinödaba
schuldlos, unfaurs geschwätzig, unfauryeis unbedacht, unyorsätzlich,
ungahyairbs unfügsam, ungatass ungeregelt, unordentlich, ungastöths
ohne bleibende Stätte, unhunslags ohne Opfer, unyerflöhnlicb, un-
90 IV*. ZuMmmensetzun;.
hveils unablässig, onledsanD, unniManggFi» wildy graotfUff, vnniiQis '
unnütz, unqveniths unbeweibt^ unqveths unaussprechlich, Adr. un-
sabtaba unbestritten, untals unfugsam, untilamalsks voreilig, unbe-
sonnen, unvahs untadelhaft, Adv. unveniggo unverhoilt.
QjnJar) undarleija unterster, geringster?
(us) usbeisneigs geduldig, langmuthig, usdauds eifrig, usfairina
schuldlos, usfiima erschrocken, erstaunt, usgmdja trage, mathlos,
ushaists bedürftig, dürftig, urragks verworfen, usskavs vorsiehlig,
nüchtern, Adv. usstiuriba ausschweifend, usvaurhts gerecht, usveihs
uuhcilig, usveiia hoffnungslos, usviss losgebunden, getrennt, eitel.
(vaila) vailamers löblich, was guten Namen macht.
(vithra) vithravairths gegenüber liegend.
3) Pronomina.
Hier sind zuerst zu bemerken ain-hvarjizuh Jeder, ain-hvatharoh
Jeder von Beiden, sa-hvazuh Jeder, this-hvah was nur immer,
tLis-hvazuh wer nur immer, also lauter schwerfällige Bildungen,
die ausser dem vorgesetzten ain, sa, this noch mit der beliebten
Ableitung durch -uh belastet sind.
Die wichtigste That des Gothischen auf diesem Gebiete ist
aber die massenhafte und beliebte Anhäugung der Partikel ei an
verschiedene Pronomina, um denselben relative Bedeutung zu
geben; es ist das gewissermassen eine Fortsetzung der urdeutschen,
ja schon slavogermanischen Bildung der starken Ac|jectivdeclination,
da hier derselbe Pronominalstamm Ja verwandt wird, dem auch
das ei angehört. Dieses ei tritt erstens an die persönlichen Prono-
mina erster und zweiter Person, von welchen Bildungen die Formen
ikei ego qui, juzei vos qui, thuzei tibi qui und thukei te qui belegt
sind; zweitens an das geschlechtige Pronomen dritter Person in
izei is qui und sei ea quae; drittens an das demonstrative sa, so,
thata in den verschiedensten Casus, wovon bloss der Gen. Plur.
Fem. unbelegt ist, also saei, thammei, thoei, thözei, thatei^ thaimei
u. s. w. Die Anhängung dieses ei greift sogar über die Sphaere
der Pronomina hinaus und geschieht auch bei den Partikeln wie
akei, svaei, thanei, sunsei, vainei, miththanei. Die Spureuj welche
man von allen diesen Bildungen in andern deutschen Sprachen zu
finden geglaubt hat, entbehren noch der Sicherheit.
Bei den Zahlwörtern, deren mathematische Bestimmtheit
einer freien Composition am meisten widerstrebt, ist höchstens das
taihuntaihundfalths als speciell gothisch zu erwähnen.
4) Verba.
Die gewöhnliche Compositioo von Verben mit PraepoBitionen,
IV. Zusammen Setzung. « Ql
^a sie vollkommen frei und ohne beschränkende Regel ist, bleibt
lier eben so anerwogen wie oben im Spraebsehatze. Zu bemerken
ist jedoch, dass diese Verbindung im Gothischen eine weit innigere
ist als im Ahd.; das Gothische, in welchem nur noch inn, iup und
ut zuweilen vom Verbnm getrennt werden können, muss sich hier
von dem ursprünglichen Stande besonders rasch entfernt haben.
Oder ist die gesprochene Sprache hierin noch etwas freier gewesen
als Ulfilas mit seinem griechischen Vorbilde?
Was im Uebrigen noch den Schein von zusammengesetzten
Verben hat, erweist sich wol überall als Ableitungen von zusammen-
gesetzten NomineU; so dass nicht die Composition, sondern die
Derivation es ist, welche zuletzt dem Verbum seine Gestalt gegeben
hat; auch Bin^ jene componirten Nomina noch in den meisten
Fällen nachzuweisen. Solche Verba sind:
Aviliudön danken, preisen (aviliud Dank).
Faihugeigan geldgierig sein (faihugeigö Habsucht).
Filuvaurdjan viele Worte machen (filuvaurdei vieles Reden).
Fnllafahjau Genüge thun, dienen; fuUafrathjan bei voUem
Verstände sein; fullaveisjan überzeugen, überreden (fullaveis voll-
kommen).
Gasvikunthjan bekannt machen (svikunths bekannt).
Idreigon Busse thun (idreiga Busse).
Missatanjan sündigen.
Sildaleikjan staunen und sildaleiknan bewundert werden ^silda-
leik Verwunderung).
Thiuthspillon Gutes verkündigen.
Thuthaumjan auf dem Home blasen (thuthaurn Trompete).
Ubilvaurdjan schmähen (ubilvaurds schmähsüchtig).
VajamSijan lästern (vajamßrei Lästerung).
Vailamgrjan und vailaspillön frohe Botschaft bringen (vailamers
löblich).
5) Partikeln.
Wir verzeichnen zuerst diejenigen, deren erster Theil ein
Nomen oder Pronomen ist:
Thishvamh wo nur immer, thishvadnh wohin nur immer.
Aljaleiko, aljaleikös, antharleiko anders, verschieden.
Thanamais und thanaseiths weiter, noch.
Sunsaiv sogleich, halisaiv kaum je, kaum.
Jaindvairths dorthin.
Allandjö vollständig, vollkommen.
Die Bildung von alakjd insgesammt, zusammen ist noch nicht
vollständig erkannt.
92 rv, Ableitung, alte Endungen.
Zweitens giebt es noch eine Anzahl von Compositionen, deren
erster Theil selbst eine Partikel ist:
a) ein Adverbium: syasre so wie, gleichwie, svaththan so nun,
svSthauh doch, zwar, wenigstens.
b) eine Praeposition : bisunjanfi umher, ringsumher; (ramvigis
fortwährend, für immer, nfarjaina darüber hinaus, ussindö ausneh-
mend, sehr.
c) eine Gonjunction: aththan daher, mithin, eithan daher, mit-
hin, eithan wo nicht, nauhnththan noch^ thauhjabai wenn auch,
d) eine Interjection : vainei wenn doch, möchte doch ; das nei
muss hier dem lat. ni, Üisi gleichstehn, das Ganze also „wehe
wenn nicht" bedeuten.
Dem Plane dieses Buches gemäss müsste jetzt #von dem Unter-
gange älterer Coropositionsciasseii die Rede sein, doch hat es
solclje im Urdeutschen noch nicht gegeben. Zu bemerken ist (vgl.
Bd. I, S. 472); dass die uralten componirten Substantfva auf -dorn
und -skap so wie die Adjectiva auf -sam im Oothischen, so weit
wir es kennen, durchaus keine weitere Vermehrung erfahren, die
Abschwächung dieser Bildungen zu blossen Ableitungen also keinen
Fortschritt macht; dagegen bei den Adjectiven auf -leik scheint
das allerdings der Fall zu sein; das Goth. hat sein sildaleiks und
die Adverbia lathaleikö, aljaleikö, antharleikö, als Ueberschnss
über die andern Sprachen.
B. Ableitung.
1. Bildung neuer Worte mit alten Endungen.
Wir beginnen hier wieder mit den Nominen und lassen die
SufSxe in der Reihe folgen wie Bd. I, 473 ff., zuerst also die rein
vocalischen. Die einzelnen Wörter müssen hier in der thematischen
Form verzeichnet werden.
-a. Msc. gabaura Schmauserei, atgagga Zugang, fraleta Ver-
gebung, qvuma Ankunft, thlauha Flucht, vaipa (vaipi?) Kranz,
lauuavarga der Undankbare. Ungewiss, ob Msc. oder Ntr., sind
skaudaraipa (skaudaraipi ?) Schuhriemen, andstalda Darreichung
und '^'thuta Klang. Unbestimmt ist auch das Genus von *skauda
Leder. Im Ganzen bildet also das Gothische nur sehr wenige
neue Masculina auf blosses -a.
Fem. *baira Birne, gabruka Brooken, fatha Zaun, gairda
Gürtel, giltha Sichel, graba Graben, hiamma Schlinge, hrugga Stab,
jiuka Streit, krusta (krusti?) das Knirschen, liuga Ehe, mota Zoll,
staua Gericht, teva Ordnung, usvaurpa Auswurf, vinna (vinnön)
Schmerz, vulva Raub,
IV. Ableitung, alte EnduBgen. 93
Ntr. gabanra die Steuer; andabeita Tadel, faiha Betrag, ana-
filha Satzung; gafilha BegräbnisS; usfilha dsgl., friusa Frost, faura-
haha Vorhang, baisa Fackel, andabaita Bekenntniss, gahaita Ver-
beissung, brdta Dach, sildaleika Staunen, aviliuda Gnade, bimaita
Bescbneidnng, unbimaita Nicbtbescbneidung, gamana Mitmensch,
osmeta (yielleicht Msc.) Aufenthalt, andangma Annahme, bistnggqva
Anstoss, gatbraska Dreschtenne, fraveita Bache, visa Meeresstille.
Das Suffix scheint also eine gewisse Vorliebe für neutrale Function
zu haben.
Ädject. usdauda eifrig, *gafeha schicklich, unfröda thöricht,
*grinda klein, gahaila ganz, unbaila kr^nk, hlasa freudig, hnaiva
niedrig, gahvairba fügsam, hveilahvairba wetterwendisch, iusa gut,
galauba werthvoll, filugalauba sehr werthyoll, hvSlauda wie gross,
samalauda gleich gross, svalauda so gross, akranalausa fruchtlos^
andilausa endlos, vitddalausa gesetzlos, *aljaleika und *antharleika
anders, lathaleika willig, '^'lubjaleisa giftkundig, fraleta freigelassen,
*galinga falsch, liuta heuchlerisch, galuba kostbar, *muka sanft,
^qyramma feucht, gareda und gariuda ehrbar, urrugka yerworfen,
usskava vorsichtig, ungastotha unstät, svera geehrt, unsvera verachtet,
gathanrba enthaltsam, *vairtha (and-, an-, jaind-, vithra-) gewendet,
^balvaveisa boshaft, fullaveisa vollkommen, hindarveisa hinterlistig,
nnfaurveisa unbedacht, invinda ungerecht, ^visa gewiss. Dazu
kommt noch eine grosse Anzahl von Substantiven abgeleiteter
Adjectiva: fidurdöga viertägig, ahtauddga achttägig, filufaiha mannig-
fach, usfairina schuldlos, thrutsfiUa aussätzig, gafratbja verständig,
grindafrathja kleinmüthig, samafrathja gleichgesinnt, gaguda fromm,
afguda abgöttisch, unhveüa unablässig, "^inkiltha schwanger, aljakunja
fremd, inkunja stammverwandt, unlSda arm, untilamalska unbesonnen,
ainamunda einmüthig, andaneithafeindlich,^lausqvitbra leeren Magens,
gasköha beschuht, untala ungehorsam, gatila passend, fullatoja voll-
kommen, ubiltöja äbelthäterisch, unvaha untadlig, gavamma unrein,
^aglaitivaurda unzüchtiges redend,*dvalavaurda thörichtes redend,^la-
vaurda viel redend, lausavanrda unnützes redend, liugnavaurda lügne-
risch, usvena hoffnungslos, invitöda gesetzlich; endUch gehören hieher
wol noch *unaga furchtlos, *filudeisa schlau, fuUafaha genügend,
*viljahaltha wohlwollend.
Von Substantiven auf das Thema -an stammen gleichfalls einige
Aöj. auf -a, nämlich inaha verständig, *harduhairta hartherzig,
hraii\jahairta reinherzig, ^anavilja willig, silbavilja freiwillig.
-1. Während schon im Urdeutschen (Bd. I, 475) dieses Suffij^
nur Masculina und Feminina, keine Neutra und Adjectiva bildete,
wird es im Qothischen auch für die beiden ersten Klassen fast nur
94 I^* Ableitang, alte Endungen.
noch geduldet, kaum in einigen wenigen Beispielen neu ver
Ich habe hier nichts zu nennen als '*^laudi Mann (in jnggal
als Fem. yunni Schmerz, als zweifelhaften Geschlechtes staki
Wundmaal; banri der Geborene muss schon dem Urdev
zugeschrieben werden, seine Composita ainabauri der Einge
und frnmabauri der Erstgeborene sind speciell gothisch.
-n. Verglichen mit Bd. I, 475 zeigt sich, dass dieses
vollends im Gothischen alle Lebenskraft eingebüsst hat; abj
von den ans älterer Zeit ererbten Wörtern finden wir nur das
Thema valu Stab, das also gleichfalls wol nur für unser
ein speciell gothisches Wort sein wird. Die adverbialen F
hardaba neben hardnba und glaggvaba neben glaggvuba 2
dnss das Gothische selbst an dem geringen alten Bestände
Bildungen zu rütteln beginnt.
Wir gehn zu den Sufßxen über, welche einen einzigei
sonanten enthalten.
-ra. Der gothische Vorgang ist hier der, dass dies
[Jrdeutschen noch völlig lebendige Suffix (vgl. Bd. I, 476]
einziges neues Substantivum mehr bildet; auch von den Adj<
sind nur ein Paar in eine so junge Periode zu setzen; ich
gaura betrübt und vulthra werth; framaldra bejahrt scheint
eine vorgothische Bildung zu sein.
•la. Auch hier geht die urdeutsche Lebenskraft (Bd. 1
fast völlig unter. Kein einziges neues Masculinum ist zu verzei
als Fem. nur das einzige iusila Besserung, als Neutrum ni
einzige fairveitla Schauspiel. Bei den Adjectiven zeigt siel
gewisse schöpferische Thätigkeit in einigen Formen, die an
skathuls, ags. scadal schädlich, also wol schon eine urde
Bildung sich anlehnen; ich meine die Themen saknla streitsi
slahula (neben slahala) zum Sehlagen geneigt und veinuli
Trünke ergeben, so dass also mit vorhergehendem u das
-la zum Ausdrucke einer bösen Neigung gebraucht wird. E
-la verdunkeltes -lu ergiebt sich aus dem Thema aglu schwe
aus dem Adverbium agluba zu schliessen ist.
-ma. Noch weit mehr als die vorigen Suffixe hat dieses,
für das Urdeutsche Bd. I 478 zu vergleichen ist, im Groth
alle Lebenskraft eingebüsst; kein einziges Wort ist zu verzei
worin diese Sprache durch -ma oder das daraus gesch^
-mi eine Neubildung versucht hätte. Bei den unten a
wähnenden Erweiterungen des Suffixes zu -man ist das alle
der Fall.
Diesen verschiedenen Zfigen von verkümmerter alter L
IV. AbleituQg, alte Endongen. 95
kraft gegenüber entrollt sich nun im Folgenden ein gradesia ent-
gegengesetztes Bild.
•4U1. Die schon im Urdentscben sehr beliebte Erweiterung
nominaler Stämme durch dies Suffix (vgl. Bd. 1,479 und 513) schreitet
jedenfalls im Gothischen noch bedeutend weiter fort Manche hieher
gehörige Bildungen sind gradezu dem Grothischen eigenthümlich,
auch wenn dasselbe Wort in den andern deutschen Sprachen vor-
kommt, wie goth. aizasmitha (Thema auf -an) Erzschmid gegen
ah<L Sramid und ags. ärsmiö. Am meisten zeigt sich die Jugend
dieses Suffixes in solchen Fällen, wo das Oothische eben herüber-
genommene Fremdwörter schon damit bekleidet wie drakman,
spjreidan, maimbranan, faskjan, aikklesjön, sogar Eigenuamen wie
Nerin für Neri, Mailkin für Melki; dann aber auch in dem Neben-
einanderstehn von Themen wie kauma und kauman, daura und
dauran. Gleichfalls auf die unverkümmerte Lebendigkeit dieses
Suffixes deutet es, dass die schwache Form von Adjectiven. z. B.
die Themen blindan und tharban, zuweilen als Substantivum
gebraucht wird. Aus den dem Gothischen eigenthümlichen Sub*
stantiven sind hier zu nennen:
Msc. a) einfache: aban Mann, ahan Verstand^ Hu tan Heuchler,
n&tan Schififshintertheil, snagan Kleid, stauan Richter, vaihdtan
Winkel, vilvan Bäuber; auch mannan Mann seheint diese Erweite-
rung erst im Goth. erfahren zu haben; b) zusammengesetzte: bal-
saggan Nacken, gadailan Theil nehmer, gadaukan Hausgenosse,
uzetan Krippe, fauragaggan Vorsteher, gahlaiban Genosse, gajinkan
Genosse, inkunjan Stammgenosse, galaistan Begleiter, galeikan
Einverleibter, manleikan Bild,^ uslitban Gichtbrüchiger, ganauhan
Genüge, aizasmithan Schmid, lukarnastathan Leuchter, ufarsvaran
Meineidiger, gatauran Riss, unvitan Thörichter.
Fem. a) einfache: arbjön Erbin, arm aiön Bannherzigkeit, a von
Grossmutter, brinnön Fieber, daurön Thür, driusön Ahhang, mavilön
Mägdlein, reirön das Zittern, stairön die Unfruchtbare, trigön
Traurigkeit, theihvön Donner; b) zusammengesetzte: faihugeigon
Habsucht, unhulthön Unhold, gajukön Glcichniss, brothralubön
Bruderliebe, gamarkön Grenznachbarin, garaznön Nachbarin, vinthis-
kauröi» Wnrfschaufel , daura vardon Thürhüterin, unvanrstvön un»
tbärtiges Weib.
]^tr* a) einfache skuldan das Schuldige, thairkan Loch;
b) zusammengesetzte nur gajukan Genoss.
. r «MBA (b- Bd. I) erscheint nur in d^n Msc, vigaaa Krieg und dem
wabtscbeinlich femininen unsibjana Gesetzlosigkeit» Ob Idndina Statt-
halter hieher oder zn -ina oder zu -na gehört, kann bezweifelt werden«
gg IV. Ableitung, alte Endungea.
-ina; hier haben wir zaerst einige Adjectiva anf »eins (Thema
•eina) zu erwähnen, die den Bd. I; 482 genannten nrdeatschen
entsprechen; speciell gothisch scheinen zu sein ahmeins geistig,
geistlich, galaobeins gläubig, leikeins fleischlich, leiblich, liubadeins
leuchtend, riqvizeins dunkel, sinteins täglich, sunjeins wahr.
Femer ist das ganz vereinzelte Neutrum fadrein Vaterschaft
anzufahren.
Ausserdem aber benutzt das Gothische dieses SnfBx, Indem
es dessen letzten Vocal zvTi schwächt, zu seiner eigentlichen Liel>-
lingsbildnng, nämlich zu dem besonders für Abstracta, stets für
Feminina gebrauchten -eini, -aini, -dni (Nom. -eins, -ains, -öns),
das sich in jeder dieser drei Formen an eine der drei schwachen
Conjngationen anlehnt und öfter auf Verba schliessen lässt, die in
dem uns erhaltenen Sprachschatze nicht mehr begegnen.
1) -eini, wie die Verba auf -jan bei weitem die häufigste
Klasse.
a)einfache .ahmateini Wehen des Geistes, Eingebung, balveini Qual,
Pein, danpeini Taufe, dautheini Todesgefahr, fadreini Geschlecht,
födeini Nahrung, Speise, göleini Gruss, bauheini Erhöhung, Ehre,
hauneini Erniedrigung, Demuth, hanseini Gehör, hazeini Lob, hnaiveini
Erniedrigung, hraineini Reinigung, kaureini Last, Beschwer, laiseini
Lehre, liteini Fürbitte, liuhadeini Licht, Erleuchtung, marzeini
Aergemiss, mathleini Rede, Sprache, mereini Verkündigung, Predigt,
naseini Rettung, Heil, qvisteini Verderben, skeireini Erklärung,
Auslegung, sökeini Untersuchung, Streitfrage, svikneini Reinigung,
talzeini Lehre, Unterweisung, timreini Erbauung, tveifleini Ver-
gessenheit, thiAeini das Schweigen, thintheini Güte, Segen, thraf-
steini Trost.
b) zusammengesetzte, von ganz besonderer Häufigkeit: bibanr*
geini Befestigung, Lager, gableitheini Erbarmen, ufblöteini Gebot,
Flehen, afdömeini Verdammung, faurdomeini Vorurtheil, gafSteini
Schmuck, Kleidung, gafreideini Verschonung, Erhaltung, unfreideini
NichtSchonung, usfiilleini Erfüllung, Fülle, gahauseini Gehör, das
Anhören, uf hanseini Gehorsam, nfarhauseini das Ueberhören,
ufhnaiveini Unterwerfung, gahraineini Reinigung, andhuleini Ent-
hüllung, 0£fenbarung, unkaureini Unbeschwerlichkeit, aflageini Ab-
legung, Vergebung, analageini Auflegung, faurlageini Vorlegmigy
galaubeini Glaube, uslauseini Erlösung, usluneini Erlösung,
inmaideini Veränderung, Vertauschung, Einlösung, gamalteini
Auflösung, afmarzeini Aergemiss, Betrag, gamarzeini Aeif^emiss,
frathjamarzeini Täuschung, gamaudeini Erinnerang, gam^eiiii
Schrift, gilstrameleini Steuerbeschreibung, ufarmdldni Ueberschrift,
IV. Ableitung, alte Endnngen. 97
Failamereini frohe Botschaft, Predigt, vajamSreioi Läatemng, schlech-
ter Raf^ fraqyiateini Verschwendung, garaideini Anordnung, Beget^
Richtschnur, garaihteini Wiederherstellnng, Besserung, nfarranneini
Besprengnng, birddeini Gerede, Verleumdung, afsateini Absetzung^
gasateini Feststellung, Grundlegung, ussateini Ursprung, bisauleini
Befleckung, gaskadveini Bedeckung, Kleidung, gaskaideini Scheidung,
Unterschied, hlethrastakeini Laubbüttenfest, anastödeini Anfang,
aftraanastödeini Wiederanfang, ufsvalleini das Anschwellen, der
Hochmuth, distaheini Zerstreuung, ustaikueini Darstellung, Erweis,
Beweis, gatimreini Erbauung, gathrafsteini Trost, usthröteini Uebung,
gavaleini Wahl, usvalteini Umwälzung, Untergang, gavandeini
Bekehrung, usvandeini Verfuhrung, fravardeini Verderben, gavargeini
Verdammung, gavaseini Kleidung, unvereini Unwille, endlich eine
Ableitung von einzeln stehender Art veitvodeini Zeugniss."
2) -aini. a) einfache: bauaini Wohnung, leikaini Wohlgefallen
n. s. w., libaini das Leben, lubaini Hoffnung, trauaini Vertrauen,
Zuversicht, thulaini Geduld, vökaini Wachen; b) zusammengesetzte:
gahöbaini Enthaltsamkeit, gahveilaini Verweilen, Ruhe, anakunnaini
Lesung, bimnaini Anschlag, geheimer Beschluss, midjasveipaim
Ueberschwemmung, Sündfluth, usthulaini Geduld, atvitaini Wahr-
nehmung.
3) -öni. a) einfache: aihtröni Bitte, Gebet, lathoni Einladung,
Berufung, mitöni Gedanke, salböni Salbe, sunjöni Vertheidigung,
Verantwortung; b) zusammengesetzte: gamitoni Gedanke.
-na. Dies Bd. I, 482 besprochene Suifix wirkt im Gothischen
nur mit massiger Lebensfähigkeit weiter, wenn wir von den eigent-
lichen Participien der starken Verba absehn. Als Masculina erwähne
ich hiaina Hügel, suthna Magen und faihuthraihua Reichthum, als
Fem. nur smarna Mist, als Ntr. luna Lösegeld und andavieizna
Angesicht. Unter den Adjeetiven sind diese Bildungen wol ganz
erstorben, denn divana sterblich ist wol Partie, von divan (mortnus)i
fulgina verborgen kann zum Suffixe -ina gehören; allenfalls ist ein
"^usbeisna langmüthig zu schliessen aus usbeisuei (von beidan).
-ni (Bd. I, 483) weist noch einige Neubildungen auf, nämlich
röhsni Hof, usbeisni Langmuth, garebsni Rathschluss, andavizni
Unterhalt, endlich das aus gavizneigs zu folgernde '*'gavizni Freudig-,
keit, sämmtlich Feminina. Sie schliessen sich den eben verzeich-
neten zahlreichen Bildungen auf -eini, -aini, öni als vierte Klasse an.
Für das dunkelvocalige 'uu schafft das Gotbische nichts
Neues mehr.
-as (-isa). Einige gothische Wörter mögen dieses Bd. I, 512
schon besprochene SufQx erst nach der Besonderung der Sprache
Förstematm, Gesch, d, iL SpracAstafnmes, IL 7
gg lY, Ableitung, alte Endungen.
angenommen haben, namentlich hals Fackel, svartia TintCi theihs
Zeit| thfivis Diener, gadigis Gebilde, Werk, nat&rlich alle neutral. Am
angefahrten Orte wurde schon erwähnt, dass es vielleicht auch
einigen Adjectiven angehörte, nämlich valis echt, vairs schlimm
(aus vairsiza zu schliessen) und thruts verletzt (aus thrutsfills).
-ja (vgl. Bd. I, 483). Hiemit betreten wir wiederum das
Gebiet eines im Gotbischen, besonders bei neutralen Substantiven
und bei Adjectiven, ausserordentlich lebendig gebliebenen Suffixes.
Masc. (Nom. -eis oder -jis).
a) einfache: nur raginja Rathgeber. b) zusammengesetzte:
guthblostrja Gottesverehrer, vitödafastja Gesetzgeber, fanramathlja
Sprecher, ganithja Verwandter, silbasiunja Augenzeuge, faurstassja
Vorsteher, andastathja Widersacher.
Fem, (Nom. -i oder -ja).
a) einfache: brakja Kampf, frijondja Freundin, hulundja Höhle,
hvilftija Sarg, hvöftulja das Rühmen, sunja Wahrheit, thiuja Magd,
vipja Kranz, vralga Verfolgung, b) zusammengesetzte: thiudangarclja
Königshaus, aihvatun^ja Dornstrauch.
Ntr. (Nom. -i).
a) einfache: aglaitja Unzucht, atathnja Jahr, az^tja Leichtigkeit,
bamiskja Kindheit, biuhtja Gewohnheit, filigrja Versteck, frumistja
Anfang, fulbsnja Geheimniss, fastubnja Fasten, Haltung (vielleicht
zwei verschiedene Wörter), hauhistja höchste Höhe, stivitja Geduld,
t§vja Schar von funfzigen, toja, tauja Werk, thiubja Diebstahl,
Taggarja Kopfkissen, valdufnja Gewalt, vitubnja Kenntni^s. b) zu-
sammengesetzte: andaugja Antlitz, mananija Gestalt, unbiarja Thier,
fauradaurja Gasse, faurafillja Vorbaut, fauragaggja Vorsteheramt,
unhailja Krankheit, andalaunja Lohn, unledja Armuth, galeikja Aehn-
lichkeit, fauramatb^ja Vorsteheramt, ufarmSlja Ueberschrift, gamintl^a
Gedächtniss, andanahtja Abend, haimöthlja Heimathsland, fidurra-
gipja Vierffirstenamt, gariudja Ehrbarkeit, gaskalkja Mitknecht,
unsutja Aufruhr, fauratanja Wunderzeichen, gathagkja Bedacht,
andvairtlua Gegenwart, andavairtl^ja Preis, gavairthja Friede, lau-
savaurdja (beschwätz, unvitja Unwissenheit, usvissja Eitelkeit.
Ad).
a) einfache: alSvja auf Oel bezSglich, *am)a sicher (aus amiba
zu schliessen), sunja wahr, *vrSkja verfolgt (aus vrekein zu schliessen),
Sonst sind die einfachen Adjcctiva dieser Klasse schon älter. Qe^
häufte Ableitung hat dauthublja zum Tode bestimmt
IV. Ableitung, alte Endungen. 9g
b) znsammeDgesetzte: nfaitbja vereidet, '^^gabaurja freudig (aus
gabaorjaba za schliessen), gafaoija DüchterD, anfanrja geschwätzig,
grindafratbja kleinmüthig, samafratbja einmätbig, ingardja im Hause
befindlich, usgrudja träge, aihaimja von der Heimath entfernt, un-
kaija sorglos, aljaknnja unverwandt, inkunja stammverwandt, un-
darleija unterster, "^vaiamerja übellantend (aus vajamerein zu
sehlieasen), vailamSrja löblich, andanemja angenehm, unnntja unnütz,
unqvetbja unaussprechlich, bireikja (birekja) gefährdet, andasetja
verabscheuungswerth, anasiunja sichtbar, uuandsökja unwiderleglich,
^usstinrja ungezügelt (aus usstiuriba zu schliessen), *gatgmja ge-
ziemend (aus gatemiba zu schliessen), fullatöja vollkommen, ubiltöja
übelthäterisch, svultavairtl^a dem Tode nahe, veitvödja Zeugniss
gebend. Hiezu kommen noch einige Adverbia auf -jö, die auf Ad-
jectivamit-jazurückgehn: alakjo insgesammt, arvjö umsonst, thiubjö
heimlich, uQö überflüssig, allandjd vollständig, audaugjö offenbar,
gahahjö zusammenhangend.
Man sieht in mehreren der eben erwähnten Fälle, wie leicht
rieh das -ja an ein anderes schon im Worte vorhandenes SufBx
anschliesst, doch ist diese Verbindung nirgends so innig, dass man
beide Elemente vereint als eine einige neue SufQxbildung betrachten
kann.
Das ans -ja geschwächte -ju hat im Gothischen kein Leben
mehr; drunjus, stubjus und vaddjus sind nur noch alte Erbstücke
der Sprache.
-va^ dessen Bildungstrieb wir schon Bd. I, 485 im Erlöschen
sahen, führt nur noch ein kümmerliches Nachleben; zu erwähnen
ist etwa das Thema unmanariggva ungezähmt. Aus haithivisks
liesse sich auf ein Thema "^haithiva Haide schliessen. Ein ver-
dunkeltes -vu von nicht ganz gewisser Natur begegnet in manvu
bereit
-ka, (vgl. Bd. I, 485). Von neu gebildeten Substantiven mit
diesem Suffixe hat das Gothische keine Spur. Ueber die Adjectiva
findet man eine Sammlung in Benfey's Orient und Occident H, 79 f Auf
-ahs und -ags gehn aus bairgahs bergig (das aus bairgahei zu
schliessen ist), vaurthahs wörtlich, vulthags herrlich, unbarnahs
kinderlos. Der I-Vocal erscheint (ähnlich wie bei dem Suffixe
•ina == -eina) stets in verlängerter Gestalt, z. B. in thiutheigs gut,
gesegnet, uhteigs (uhtiugs) Zeit habend, vaurstveigs wirksam, us-
beisneigs langmüthig, geduldig, gavairtheigs friedfertig, gavizneigs
freudig; daran schliesst sich das Adverbium vitödeigö gesetzmässig,
recht. Vereinzelt steht das vielleicht nicht hieher gehörige tharihs
fest, dicht; eben so das Adverbium alakjo insgesammt vom Stamme
100 IV. Ableitung, alte Endungen.
ala, alla. Das Substantivum ajukduths Ewigkeit weist auf einen
Adjectivstamm *ajaka oder *ajuha zurück. Auch dem erweiterten
Plural brötbrabans Gebrüder liegt dies Suffix zu Grunde. Ein aus
-ka geschwäcbtes -ki findet sich möglicherweise in dem wahr-
scheinlich femininen Stamme ahaki Taube.
-ta. Bei den Substantiven, bei denen (s. Bd. I, 486) dieses
Suffix noch im Urdeutschen allen drei Geschlechtern gemeinsam
war; zieht es seine Thätigkeit im Gkithischen ganz auf die Feminina
zurück, die freilich schon urdeutsch an Zahl überwogen. Seine
gewöhnliche Gestalt ist hier -itha, wovon folgende Fälle gothische
Neubildungen zu sein scheinen:
a) einfache: aglitha Trübsal, Schmerz, gauritha Betrübniss,
Traurigkeit, hlutritha Lauterkeit, kanritha Last, manvitha Bereite
Schaft, niujitha Neuheit, qvrammitha Feuchtigkeit, svegnitha Froh-
locken, Freude, sveritha Ehre, Achtung, sviknitha Reinheit, Keusch-
heit, tulgitha Befestigung, Grundfeste, thvastitha Sicherheit, vargitha
Verdammniss; in authida Wüste hat man wahrscheinlich zwei hinter
einander mit ih anlautende Sylben vermeiden wollen;
b) zusammengesetzte: afgrnnditha Abgrund, armahairtitha Barm-
herzigkeit, ainamunditha Einmüthigkeit, ananii\jitha Neuheit, inniu*
jitha Fest der Erneuerung des Tempels, invinditha Ungerechtigkeit.
Vielleicht können hieher noch gehören fatha Zaun (synkopirt
aus fahitha?), sleitha Schaden und '^uhta Zeit, Müsse (zu folgern
aus uhteigs).
An die schwachen Verba auf -6n schliesst sich nur das einzige
gaunötha Trauer, Klage an; anderes der Art ist sicher untergegangen.
Das masculine oder neutrale Thema gramsta Splitter von un-
bekannter Etymologie mag neben allen diesen Femininen wenigstens
noch erwähnt werden.
Die Adjectiva dieser Bildung, bei denen wir aber von den
gewöhnlichen Participien schwacher Verba absehn, zeigen imGothi-
scben noch eine Anzahl ihm eigenthümlicher Beispiele; dass der
Dental hier in allen drei möglichen Gestalten erscheint, liegt an
theils gothischen tbeils urdeutschen Lautgesetzen, deren Besprechung
nicht mehr hieher gehört. So haben wir
a) die Gestalt -ta in unatgahta unzugänglich, andathahta be-
dächtig, hauhthuhta und mikilthuhta hochmüthig, binhta gewöhnlich,
usvaurhta gerecht, Adv. unsahtaba unbestritten, ushaista bedürftig,
auch wol in azSta leicht.
b) die Gestalt -tha in hvelautha wie gross, svalautha so gross^
juggalauiha Jüngling, unbeistjötha ungesäuert, aljaleikotha andera
gebildet, afmauitha ermüdet, unqvenitha unbeweibt«
IV. Ableitung, alte Endungen. XOl
c) die Gestalt -da in airthakunda von irdischer Abkanft, göda-
kanda von guter Abknnft, gnmakunda männlich, himinakunda himm-
liäcb, innaknuda zum Hause gehörig^ qvinaknnda weiblich^ ferner
in aglaitgastalda nach scbimpäichem Gewinne trachtend, dann im
Adverbinm unfairinodaba schuldlos, endlich in dem Thema '*^frnmada
der Erste, das aas frumadein Vorrang zu erscbliessen ist.
-ti erhält sich wie -ta vollkommen lebendig und zwar ganz
in der Sphaere, die wir für das ürdeutsche Bd. I, 487 kennen
lernten, d. h. es fehlt bei Adjectiven und bei Substantiven NentriSy
ist selten bei Masculinen und häufig. bei Femininen. Als muthmass-
licb gothische Neubildungen haben wir bei den Masculinen nur zu
erwähnen bansti Scheuer, frasti Kind, saudi (santhi) Opfer und ga-
drauhti Krieger; bei den Femininen folgende:
a) einfache: aihti Eigenthnm, aldi, althi Zeit, dauhti Gastmahl,
fahedi, fahethi Freude, fulleithi Fülle, mitadi, mitathi Mass;
b) zusammengesetzte: taurhauhti Loskaufung, alabrunsti Brand-
opfer, usdrusti Ausfall, gaiaurdi Gerieht, fragifti Verleihung, ga-
grSfti Beschluss, innatgahti Eingang, andahafti Erwiderung, gakunthi
Erscheinung, gakusti Prüfung, frisahti Bild, gasahti Vorwarf, insahti
Beweis, ustauhti Vollendung, gataurthi Zerstörung, gathlaihti Trost.
-tn bleibt noch im Gothischen für Mascnlina lebendig, ganz
so wie wir es Bd. I, 488 im Urdeutschen gesehn haben; doch be-
schränken sich die Neubildungen ganz auf die specielle Form -ödu,
also auf Ableitungen von den schwachen Verben auf -on; so haben
wir auhjödu Lärm von auhjön, vratödu ßeise von vratön, gabaur-
jöthu Wollast setzt ein ^gabaurjön voraus, und nach derselben
Analogie ist mannisködu Menschlichkeit gebildet, ganz so wie etwa
die lateinischen Thenen senatu, magistratu.
Hiemit ist die Uebersicht über die Endungen mit einem Con-
sonanten geschlossen ; wir kommen nun zu den mehrconsonantigen
Suffixen, bei denen wir aber die im dritten Buche beobachtete
Ordnung in so fern unterbrechen müssen, als wir die indoger-
manischen Bildungen, welcheBd. 1, 489 — 494, die slavogermanischen^
welche 510 — 511, und die urdeutschen, welche 511 — 516 behandelt
wurden, nun in ein Alphabet zusammenzufassen haben, da es für das
Gothische gleichgültig ist, aus wie alter vorgothischer Zeit eine
Formation stammt
-ro; hierüber wurde Bd. I, 489 schon erwähnt, dass diese
Bildung schon im Urdeutschen ihr Leben verloren hiat und nur das
goth. Thema ^iduvaiman den Schein einer neuen Schöpfung bewahrt,
-arja (Bd. I, 489) behält sein urdeutsches reges Leben noch
im Gothischen; davon geben noch mötarja Zöllner, vullarja Tuch-
102 1^* Ableitung, alte Endungen.
Walker und das zasammengesetzte vitödalaisaija Schriftgelebrter
Zeagoiss; wir würden gewiss viel mehr Beispiele kennen^ wenn der
Text des neuen Testamentes dazu mehr Anlass gegeben hätte.
-lau und -Ion (Bd. I, 513) erhält sieh gleichfalls noch lebendig;
für ersteres haben wir das Msc. magalan Knäbchen and das Neutrum
barnilan Kindchen, für letzteres die Feminina aglön Trübsal, inilön
Entschuldigung und mavilön Mädchen, wovon doch das mittlere in
seiner Bildung nicht ganz sicher ist.
-linga (Bd. I, 516) scheint kein speciell gothisches Eigenthum
mehr zu erzeugen.
-man und -mön sind theils indogermanische Formationen (Bd.
I, 489) theils urdeutsche (Bd. I; 513). Sie zeigen sich, abgesebn
von den im dritten Buche schon besprochenen Comparativen und
Superlativen, als eigentlich gothische Bildung in den Masculinen
ahman Geist, hiuhman Haufen, hliuman Gehör, aldoman oder aldomin
Alter, auch in dem nur schwach vorkommenden Adjectivum usfilman
erschrocken, dann aber in dem Fem. klismön Schelle und vielleicht
mammon Fleisch. Weitere Ableitungen scheinen sich an dies Suffix
anzusetzen im Verbum glitmunjan glänzen und im femininem Thema
lauhmönja (lauhmunja) Blitz.
•mista (Bd. 1, 516) istspeciell gothisch in aftumista der letzte, auhn-
mista der höchste, hindumista der hinterste und spedamista der letzte.
-inga^ welches Bd. I, 511 erwähnt wurde, hat durchaus nicht
mehr die Lebendigkeit, welche es in den andern deutschen Sprach-
zweigen bewahrt; kein einziges speciell gothisches Subst. oder Adj.
lässt sich anführen, höchstens das Adverbium unveniggo.
-anda^ die Bd. I, 513 besprochene Form der praesentischen
Participia, zeigt sich noch in den speciell gothischen Substantiven
allvaldanda Allmächtiger, gardavaldanda Hausherr, mithgaleikönda
Nachahmer, im Adjectivum bldtharinnanda blutflüssig und im Fem.
frijondi Freundin. Mit Vocalverdunkelnng müssen wir bieher auch
das Adv. sniumundö eilig rechnen.
-andan, die erweiterte Gestalt des Participiums, theilt das
Gothische mit dem Urdentschen, s. Bd. I, 514.
-inassn^ diese sprachgeschichtlich schwierige Erweiterung des
indogermanischen -astu, welche in dieser Gestalt eigentlich ein
speciell gothisches Suifix ist, wurde schon Bd. I, 516 besprochen
und es sind zu den dort angeführten Formen höchstens noch fran-
jinassu und skalkinassu hinzuzufügen. Ufarassu ist das einzige Wort,
welches sich noch der einfacheren alten Gestalt des Suffixes bedient
-isan und -ftsan wurden Bd. I, 515 als die beiden urdeutschen
Formen, in welche sich das indogermanische Comparativsuf&x -jans,
ly. Ableitung, alte Endungen. X03
V
-ijans gespalten hat, näher erwogen. Nenes fdr das Qotbische ist
hierüber nicht zu bemerken; die gothischen Formen anf -izan und
-özan sammelt Leo Meyer gothische Sprache Seite 179, die
dazn gehörigen Adverbia S. 181 Bemerkenswerth sind etwa als
eigenthümlich die Adverbia sniamnndös anovdaunBqiDg und alja-
leikös hiQ(og.
Hsala (s. Bd. I; 490) hat im Gothischen seine Lebenskraft
noch nicht eingebSsst; wir finden als neue Beispiele hier die Neutra
Bvartisla Schwärze, svumfsla Teich, threihsla Bedrängniss, vielleicht
auch sköhsla böser Geist; wenn es von unserm Scheusal ganz
unabhängig sein sollte. Leo Meyer spricht weiter über diese For-
mationen in Kuhn's Zeitschn VII, 131.
-iska (s. Bd. I^ 490) bleibt gothisch als AdjectivsufBx erhalten,
doch sind dieser Sprache keine weiteren Wörter eigenthümlich als
füniska feurig und gndiska göttlich.
•ista als Superlativsuffix fand seine Stelle Bd. I, 491; die
jüngere Nebenform hat sich gothisch nur in den beiden Beispielen
armosta und lasivosta entwickelt.
Hsta^ -sti^ HStn^ Hstra^ diese bloss euphonischen Erweiterungen
älterer DentalsufBxe, sind schon Bd. I, 510 und 511 erwogen und
auch manche gothische Beispiele davon angeführt; als speciell
gothisch könnten wir nur das aus dem Verbum naviströn zu folgernde
*nayistra Grab erwähnen. Formen wie blostra, gakusti u. dgK
gehören natürlich nicht hieben
-astn hat sich, wie wir eben sahen, nur in ufarassu erhalten
und ist sonst ganz in erweitertes -inassu übergegangen.
Während bis hieher die mehreonsonantigen Suffixe durchaus
nicht so stark im Gothischen wuchern, dass sie irgendwie erheblich
zu dem eigenthümlichen Gepräge der Sprache beitragen, ist es
wiederum , wie schon oben, eine mit J beginnende Bildungsweise^
die ganz hervorragend dem Gothischen seinen specifischen Charakter
giebt:
-Jan und -jön^ worüber man fdr die ältere Formation Bd. I,
491, für die jüngeren Bd. I, 514 vergleiche, obwol sich die an
letzterer Stelle gegebenen Beispiele von Uebereinstimmungen unter
den deutschen Sprachen noch ganz bedeutend vermehren lassen*
Specieller dem Gothischen gehört folgendes an :
1) Masculina.
a) Einfaches: aurtjan Gärtner, bandjan Gefangener, baurgjan
Bürger, fiskjan Fischer, gaiyan Ganbewohner, hauriyan Trompeteri
;104 IV. Ableitung, alte Endungeik.
kacyan Töpfer, liagnjan Lügner, nehvandjan Nächster, skiljan
Fleischer, svigljan Pfeifer, timrjan Zimmermann^ vardjan Wärter,
vanrstjan Arbeiter.
b) Zusammengesetztes: gaarbjan Erbe, vaidSdjan UebelthiUer,
afdrugkjan Trunkenbold, ufargadjan Oberpriester, afe^an Esser,
gabaurgjan Mitbürger, fauragaggjan Vor3teber, ingardjan Hansgenoss,
bihaitjan Prahler, dulgahaifjan Gläubiger, inknujan Hausgenoss,
gamainjan Theilnehmer, manamaurthrjan Mörder, svnltavairtbjan
ein dem Tode Naher. Ganz vereinzelt neben allen diesen Bezeich-
nungen von Personen ibdaljan Abhang.
2) Feminina,
a) in der Gestalt -ein:
a) Einfaches: airzein Irrthum, audagein Seligkeit, bairgahein
Berggegend, barniskeiu Kinderei, baurein Bürde, bleithein Mitleid,
daubein Taubheit, digrein Dichte, Menge, frumadein Vorrang,
gabein Reichthum, gaurein Betrübniss, hiasein Fröhlichkeit, hraineio
Reinigkeit, kaurein Fülle, kilthein Mutterleib, liuhadein Licht, liutein
Heuchelei, magadein Jnngfrauschaft, mundrein Ziel, naqvadein Nackt-
heit, qvairrein Sanftmuth, riurein Vergänglichkeit, seiein Güte,
sleithein Gefahr, snutrein Weisheit, sverein Ehre, sviknein Reinheit,
svinthein Stärke, tbramstein Heuschrecke, thvairhein Zorn, vanrst-
vein Verrichtung, veitvodein Zeugniss.
ß) Zusammengesetztes: unagein Furchtlosigkeit, gaaggrein
Beengung, inahein Sittsamkeit, gabairhtein Erscheinung, usbeisnein
Geduld, tbrasabalthein Frechheit, usbeistein das IJngesäuertsein,
usdandein Eifer, filudeisein Schlauheit, undivanein Unsterblichkeit,
ainfalthein Einfalt, usfilmein Schrecken, faihufrikein Habsucht,
faihugaimein Habsucht, gastigödein Gastfreundschaft, gagndein
Frömmigkeit, afgudein Gottlosigkeit, armahairtein Barmherzigkeit,
hauhhairtein Hochmnth, harduhairtein Hartherzigkeit, viljahalthein
Gunst, niuklahein Kleinmuth, analaugnein Verborgenheit, lubja-
leisein Giftknnde, antharleikein Verschiedenheit, ofarmaudein Ver-
gessenheit, vajamerein Lästerung, mukamödein Sanftmuth, laus-
qvithrein Nüchternheit, bireikein Gefahr, unsSleiu Bosheit, gutha-
skaunein Gottesgestalt, usstiurein Ausschweifung, unsverein Schande^
alls verein Achtung gegen Jedermann, unvammein Reinheit, aglaiti-
vaurdein unschickliche Rede , dvalavaurdein thörichtes Reden,
filuvaurdein Schwatzhaftigkeit, lausavaurdein unnützes Geschwätz,
bindarveisein Hinterlist, balvavesein Bosheit, anverein (oder -eina)
Unwille, anaviljein Willigkeiti mithvissein Mitwissen»
IV. Ableitung, alte Endungen. 105
b) in der Gestalt -jön:
a) einfaches: arbjön Erbin, mitadjon Mass, iumjon Menge,
sakjön Streit, snorjon Flechtwerk, vaihjön Kampf, vielleicht auch
kalkjön Hnre.
ß) zusammengesetztes: garunjon Ueberschwemmuug, gariudjon
Scbamhaftigkeit, gatimrjön Gebäude.
3) Neutra. Nur das Fremdwort sigljan Siegel.
-vat (Bd. 1, 492). Hierüber ist bereits im dritten Buche mit-
getheilt, was sich von unsicheren Spuren dieser Bildung im Deut-
schen anführen lässt.
-tar, -tara^ -tra^ diese drei zusammengehörigen Formen, die
Bd. I, 492 besprochen wurden, führen nur in der letzten Gestalt
ein Nachleben im Gothischcn. Hier ist zu erwähnen smairthra
(Ntr.) Fett, dann aber einige andere Neutra, die wenigstens aus
weiteren Bildungen geschlossen werden können: *aihtra Bitte, (aus
aihtron), *bl6stra Verehrung (aus guthblostreis, Thema -ja), *hvi]ftra
Wölbung (aus hvilftri, Thema -ja), *uavistra Grab (aus navistron),
*qvithra Magen (aus lausqvithrs). Das Msc. spaiskuldra Speichel
and das Fem. saldra Possen werden ebenfalls hieher zu stellen
seio, nicht aber etwa das Thema mundrein Ziel, das zu mundön
gehört.
-taman (Bd. I, 514); dies erweiterte Superlativsuffix ist dem
Gothischcn eigenthümlich in den Themen aftuman der Letzte,
iftuman der Nächste und dem nicht ganz sicher hieher gehörigen
bleiduman link; aus den noch mehr erweiterten Formen hindumista
und spedumista sind ähnliche Bildungen zu crschliessen.
-tja (Bd. I, 493) ist dem Gothischcn eigenthümlich in stivitja
[Ntr.) Geduld und gaminthja (Ntr.) Gedächtniss, die doch kaum
berechtigen von einem Nachleben dieses Suffixes zu reden, eben
30 wenig wie die Erweiterungen zu -tjan und -tjOn in den Femi-
uinen kilthein Mutterleib und mitadjon Mass.
-tva (Bd. I, 494), das sich noch im Urdeutschen als lebendig
erwies, hat auch noch einige specicll gotbische Beispiele; am
klarsten sind die Feminina fijathva Feindschaft und frijathva Liebe,
ftuch bandva Zeichen wird hieher gehören, was bei nidva Rost
zweifelhaft ist. Dazu kommen die Neutra vaurstva Werk und
gaidva Mangel.
Von -tati und -tutl endlich wurden Bd. I, 494 die wenigen
gotbischen Spuren erwähnt und mussten dort erwähnt werden, da
die andern deutschen Sprachen nichts Aehnliches mehr aufweisen.
106 IV. Ableitung, alte Endungen.
Die alten nominalen Bildungen im Gotbisehen sind damit^
abgeschlossen; wir kommen zu den Verben nnd zwar zuerst zn .
den drei gewöhnlichen Klassen schwacher Verba, für die wir Ver-
zeichnisse des speciell gotbisehen Eigenthnms aafzustellen habeni
wie wir es Bd. I, 495 ff. mit dem urdentscben thaten.
1) Die ja-Gonjugation: abijan staunen, algan glauben^ airjan
danern, aljan nähren (geht altn. n. ags. stark), balvjan quälen,
barnsnjan kindlich ehren, bangjan fegen, beistjan säuern, blautlgan
abschaffen, (us-) daudjan sich bestreben., danjan tödten, fetjan
schmücken, (ns-) fratvjan ausrüsten, frisahtjan abbilden, fullafahjan
dienen, fullafrathjan bei yoUem Verstände sein, gabigjan bereichern,
gansjan verursachen, gaurjan betrüben, glitmunjan glänzen, göljan
grüssen, haifstjan streiten, haurnjan das Hom blasen, hleitbrjan ein
Zelt machen, huhjan sammeln? kaupatjan ohrfeigen, kaurjan drücken,
klismjan klingeln, kumbjan sich legen (lat. Fremdwort), unle^jan
arm machen, mahtjan Gewalt anthun, manvjan bereiten, maudjan
erinnern, maurgjan kürzen, faurmuljan das Maul verbinden, plinsjan
tanzen (slav. Fremdwort), rauhtjan zürnen, riqvi^^an verfinstern,
saljan beherbergen, sigljan siegeln, (lat. Fremdwort), sildaleikjan
staunen, sipönjan Schüler sein (wol slay. Fremdwort), usskavjan
herausreissen, slauthjan ins Gleis bringen? sleithjan beschädigen,
stödjan feststellen? sv6gnjan frohlocken, svikuntlyan offenbaren,
svögatjan seufzen, talzjan belehren, tarmjan hervorbrechen, tamjan
berauben, tevjan ordnen, trusgjan pfropfen, trusnjan sprengen,
thiuthjan segnen, thlahsjan schrecken, thrötlgan üben, (us-) thuljan
dulden, thvastjan befestigen, ufarassjan Ueberfluss machen, (ga-)
gavairthjan versöhnen, veitvödjan bezeugen, (fair-) veitjan umher-
spähen, vlizjan ins Gesicht schlagen.
2) Die 6-Gonjngation: aihtron erbitten, airinön Bote sein,
aiviskön schmähen, auhjön lärmen, aviliudön preisen, drauhtinön
Kriegsdienste thun, faihön betrügen, fraujinon herrschen (ahd. fron-
jan ist wol jüngere Bildung), gaunön trauern, grSdön hungern, gnd-
jinon ein Priesteramt versehen, hatizön zürnen, hausjdn hören,
kaupon handeln (slav. Fremdwort), kr5ton zermalmen, (ufar-) roun-
non vergessen, navistron begraben, gapaidon bekleiden, rahtön
reichen (mhd. rahten?), skalkinon dienen, suigdn rechtfertigen, sutb-
jdn kitzeln, thiudanön König sein, valvisön sich wälzen, vithon
schütteln, vizdn leben.
3) Die ai-Conjugation: (in-) feiuan sich erbarmen, (ga-, faihu-)
geigan gewinnen, geldgierig sein, hruskan prüfen? jiukan kämpfen,
siegen, liugan heirathen, reiran zittern, sveran ehren, gatharban sich
eq^halten, vunap sich freuen.
IV. Ableitung, alte Endungen. 107
Hier könDcn wir einmal an einem bestimmten Stoffe sehn, wie
sieh, so weit unsere jetzige Kenntniss reicht, die nrdentsohe
Sprach thätigkeit ihrer Stärke nach zur gothischen verhält. Wir
fanden im dritten Bache fär die ja-Gonjngation 229, für die ö-Gon-
jagation 66, fär die ai-Conjugation 19 Verba; im Gothischen ent-
sprechen dem nach den eben mitgetheilten Verzeichnissen die
Zahlen 65, 26 nnd 9. Das heisst, für die ja-Conj. fanden wir im
Goth. 28 Procent, für die ö-Gonj. 39 Procent, für die ai-Conj. 47
Procent von der Anzahl der nrdentschen Nenbil düngen, also darcb-
aas noch keine Spar davon, dass das Gothische etwa die seltnere
Weise auf Kosten der reicheren unterdrücken will.
Auch die Bd. I, 505 erwähnten Ableitangen schwacher Verba
fon abgeleiteten Substantiven kommen bei mehreren speciell goth.
Verben vor:
1) -ina -f- j^: airinön Bote sein, drauhtinon Kriegsdienste than,
fraajinön herrschen, gudjinon ein Priesteramt versehen, skalkinon
dienen, thiadanön König sein; Leo Meyer spricht über diese
Bildongen S. 225;
2) -isa -}- ja: hatizön zürnen, valvisön sich wälzen;
3) -ta Hh JA* kanpatjan (fremder Stamm) Ohrfeigen geben,
svöga^an seufzen, dazu noch das aas ahmateins zu folgernde
*ahma^ac begeistern;
4) -iska -4~ JA* aiviskon schmähen.
Ausser den mit dem Elemente -Ja gebildeten Verben sind es
zweitens jene passiven auf -na, die bereits Bd. I, 506 ff. bebandelt
wurden, auf die wir nun unsem Blick zu richten haben. Näher
als an jener Stelle betrachtet zerfallen die dem Gothischen eigen-
thümlichen Verba dieser Art in zwei Klassen:
1) solche, die sich an starke Verba anlehnen: auknan (aukan),
osbmknan (brikan), andbundnan (bindan), usgutnan (giutan), ufar-
hafnan (haQan), hnupnan, dishnupnan (hniupan), andletnan (IStan),
aflifnan (leiban), ga-, usluknan (lükan), gaskaidnan (skaidan), dis-
skritnan (skreitan), af-, dis-, gataurnan (tairan), also von den ver-
schiedensten Gonjugationen der starken Verba;
2) solche, die von schwachen Verben stammen : afdaubnan
(danbjan), dauthnan (dautlyan), dröbnan (drobjan), afdumbnan
(*dumbjan),gafrisahtnan (frisahtjan), fuUnan (fnlljan), gabignan (gabig-
jan), ganöhnan (ganöhjan), gahaftnan (haftjan), gahailnan (hai^jan),
ushauhnan (haulüan)i afhvapnan (aihvapjan), managnan (managjan)^
mikilnan (mikiljan), usmeman (usroerjan), minznan ('^ins^an), fra-
qvistnan (qvis^an), usrumnan (^umjan), bisaulnan (sauljan), silda-
leiknan (sildaleikjan), afslauthnan (afslauthjan), gastaarknan (staurk-
108 ^V. Ableitung, alte EadangeiL
Jan), 8?intbnBn(8yiiithjan), tOQdDaD(*tnndjan),gathlab8Daii(thlahsjaD)
gagavairthnan (gagavairthjan) ui^ veihnan (vdhan). Nnr d
letzte dieser Verba stammt aus der ai-Oon)ugatioD, jedeDfallg wege
ihrer nahen BerUbrang mit den starken Verben, alle übrigen an
der ja-ConJng.; die ö-Conjag. hat überhaupt keine Beziehung zn
diesen passiven Verben. Schliesslich citire ich für diese noch Leo
Meyer goth. Sprache S. 216 f.
Gleichfalls an die starken Passivparticipia sich anschliessend,
aber von der eben erwähnten Klasse ganz verschieden und gewiss
von jüngerer Bildung sind die goth. Verba gastothanan aofrichten
und gaalnanau verlassen.
Aaf diese beiden Arten, die dreigestaltigen Verba mit dem
Elemente -ja und die passiven mit -na beschränkt sieh hier die
got bische Sprachthätigkeif. Die sechs andern verbabildenden
Elemente, welche das erste Bnch verzeichnete, sind bereits Bd. I,
506 als im Urdeatscben verdorrt angesehn worden. Um so weniger
ist hier ein gothiscbes Sprachleben zu erwarten; wenn das für
uns speciell gothiscbe Verbum hninpan^ hnupnan wirklich dem
griech. xvvio entspricht, so mag die Erweiterung durch den Labial
irgend einer andern Sprachperiode angehören, eine gothiscbe
Thätigkeit liegt darin gewiss nicht.
Weiter ist noch zu erwägen, wie weit etwa im Gebiete der
Partikeln das Gothiscbe die ererbten Bildungsweisen noch selb-
ständig verwendet. Hier haben wir es, abgesehn von instmmen-
talen Formen wie hve, svare, svasve, mit den sechs Arten zu thun,
die zuletzt im dritten Buche Bd. I, 508 durchgegangen wurden:
1) Indogerm. -m, urdeutsch -na; im Gothischen fanden wir
an der angeführten Stelle Formen mit erhaltenem Endvocal neben
solchen mit Apokope. Je eine beider Formen zeigt sich auch
bei den dem Gothischen eigenthümlichen Wörtern, die erstere in
iupana von Alters her, die zweite in suman einst, ehemals.
2) Indogerm. -va hat kein Leben mehr im Gothischen.
3) Indogerm. -ät, nrd. -ä, ö. Gothisch scheint trotz des Ueber-
haudnebmeus der Endung -ba doch immer noch das -o zur Neu*
bildung von Adverbien verwandt zu sein. Beispiele sind aljaleikö
anders, allandjö vollständig, vollkommen, antharleiko anders, aufto,
uftö etwa, vielleicht, arvjö umsonst, unentgeltlich, alakjo insgesammt,
zusammen, hveilöhun eine Zeit lang, sinteino immer, sprauto schnell,
thiubjö heimlich, uasindö ausnehmend, sehr. Neben diesen Formen
scheint sich in einigen auch schon gothisch die Verkürzung des
Vocals zu zeigen, welche in den andern deutschen Sprachen durch-
dringt; ich meine die Adverbia dalatha unten, inna innen, Uta
IV. Ableitnng, alte Endungen. 1Q9
^uiflseD, nfarjaina darüber hinaus; vielleicht ist denselben auch die
Coojanction alja (nur, sondern) anzuschliessen.
4) Indogerm. -dha, urd. -th; es zeigt sich gothisch noch lebendig
in aljath anderswohin, dalath abwärts, hvath wohin (thishvadnh
wohin nur immer) und dem aas faarthis (vorher, früher) zu folgern-
den *faartb.
5) Indogerm. -bhi, nrdeutsch -ba. Im Urdentschen scheint
diese Bildungsweise nur wenigen Ableitungen, namentlich von
Pronominalstämmen angehört zu haben; im Gothischen dagegen
breitet sie sich bis zur Bedeutung des allgemeinsten Adverbial-
suffixes aus, wodurch die andere allgemeine Endung, jenes aus
-ät entsprungene -ö^ sehr in den Hintergrund gedrängt wird. Wir
liaben für -ba eben seiner Allgemeinheit wegen keine besondere
Sammlung anzulegen; man findet die dazu gehörenden Formen bei
Leo Meyer goth. Sprache S. 67 ff. zusammen. Zu erwähnen ist
amiba sicher, behutsam,^ ohne entsprechendes Adjectivum.
6) Indogerm. -tra. Von den drei Formen, in welche sich nach
Bd. I, 509 im Urdeutschen die Bildung spaltet, ist die erste, -thra,
im Gothischen nicht mehr zu Neubildungen verwendet worden. Die
zweite, -tfarä, erscheint als goth. -thro in allathrö von allen Seiten,
aljathrö anderswoher und andern am angeführten Orte schon ver-
zeichneten Formen, in ihrer Nebengestalt -dre in jaindrg dorthin,
hvadre wohin, hidre hieher. Die dritte Form endlich, -r, begegnet
in den speciell gothischen Wörtern aljar anderswohin und jainar
dort, mit weiteren Znsätzen in thishvaruh wo nur immer, undarö
dmnter, aftarö hinten, nach.
Neben diesen sechs uralten Bildungsweisen von Adverbien hat
nun, wie wir Bd. I, 519 und' 596 sahen, das Urdentsche auch
genetivische Formen in adverbialem Sinne verwandt Dem Gothi-
schen sind einige derselben eigenthümlich, wie diese Bildung auch
noch in jüngeren Sprachen sich völlig lebendig erhält. Ich erwähne
filans um vieles (bei Gomparativen), framvigis fortwährend, für
immer, allis überhaupt, gar, raihtis denn, nämlich, suns bald, plötz-
lich (suns-aiv sogleich); auch halisaiv kaum wird eine solche Bild-
ung enthalten. Die Adverbis thishun, thishvadnh, thishvah, thishvaruh,
haben in ihrem ersten Theile Genetive des Pronotninalstammes
tha. Bei aljaleikös anders und bei anaks plötzlich ist man nicht
recht sicher, ob hier solche genetivische Formen vorliegen. Adverbia
in der Form des Dat. Plur. fehlen noch im Gothischen.
2. Bildung und Gebrauch neuer Endungen«
Wir sahen Bd. I, 512> dass das Urdeutsehe die Neigung hat
)|0 IV. Ableitang, neue Endangeo.
lüte Safixe durch angehängtes a zu erweitern. Im Gk>th. kommi
diese Neigung zum Stillstände, denn etwa ein -Jana (ans -jan
in nnsibjana Gesetzlosigkeit oder dem Adverbium bisnnjanS (i
der Nähe) anzunehmen fehlt der Grund, da hier vielmehr blossem
•UMa vorliegti das j aber zum Stamme gehört.
Dagegen wirkt die Bd. I. 513 erwähnte urdeutsche WeisCi
andern Suffixen ein n anzuhängen, augenscheinlich noch im Gothi-
schen weiter, obwol die neuen Bildungen doch nur stets vereinzelt,
nie in solcher Anzahl auftreten, dass sich das Gefühl von einer
neuen Wortbildungsklasse erzeugt haben könnte. So haben wir
-nan (na -l- an) in dem Msc. gadröbnan Aufruhr, -nön (nä -{' ^°)
in den Fem. gamaitanön Zerschneidung, haithnön Heidin, deinön
Distel, ein -von (vä -j- &d) i^ F^™- theihvön Donner, ein -kan
(ka -^ an) im Masc. bröthrahan Gebrüder und mit femininer Form
in bairgahein Gebirge, ein -tön (ta -|- an) im Fem. usfarthon Aus-
fahrt, ein -tvan (tva ^ an) im Msc. vaurstvan Arbeiter und
gavaurstvan Mitarbeiter, ein -tvon (tvä -^ an) im Fem. unvaurstvon
unthätiges Weib und bandvön Zeichen.
So wie das urdeutsche Lieblingssuffix -an, so tritt aack das -ja,
welches wir als gothisches Lieblingssuffix oben kenoea lernten,
gern und ungehindert an andere Endangen. Wir finden ein -andija
im Fem. hulun^ja Höle^ sogar um -n erweitert im Msc. nehvnndjan
der Nächste; diese Bildung, die übrigens auch im Volksnamen
*Burgundjan vorliegen könnte, erinnert mit Ausnahme des j sehr
an lit oriundus u. s. w. Femer ein -vatja im Stamme beroqa
(PL berusjös) Eltern und im Fem. juknzi Joch. Daan ein ^skja
im Ntr. barniskja Kindheit, woneben ein feminines Thema bamisk-
jan besteht Endlich ein -istja in den Neutris frumistja Anfang
und hauhistja höchste Höhe. Auch hier ist überall nur zufällige
Anrnckung eines Suffixes an das andere, nie ein völlig legitimes
neues Suffix zu spüren.
Sonst kennt das Gothische nur nodi ein Paar ganz vereinaelte
und noch nicht recht klare Fälle von Wortbildungen. Ainakls
einzeln erinnert in seiner Endung sehr an das lateinische singulus;
es enthält vielleicht ein ka -^ la. Bidagvan (Nom. bidagva) Bettler
(zu bida Bitte) möchte Leo Meyer aus indogermanischem -tvan
herleiten und etwas besseres fällt mir auch nicht ein. lieber das
räthselhafte veitvöda (Nom. veitvöds) Zeuge ist Bd. I, 492 ond
Leo Meyer gotbische Sprache S. 379 zu vergleichen; man kann
noch immer zwischen Ableitung und Zusammensetzung schwanken.
Alle bisher erwähnten Fälle geben also keinen Anlass zur An-
nahmCi dass das (^ethische wirklich schöpferisch ein neues Suffix
IV. Ableitung, neue Endungen m
gebildet habe. Für solche Annahme bleiben in Folge dessen nur
zwei Fälle fibrig:
1) -sna in den weiblichen Themen arhvazna Pfeil, ^barnsna
Ehre (ans harusnjan zu schliessen), dranbsna Brocken, filusna Menge,
hlalFasna Grab, rohsna Hans, mit Erweiterung anch in dem neutralen
fnlhsiga (Nom. fnlhsni) das Verborgene. Das im ersten Buche schon
yerzeichnete fairzna Ferse hat mit diesen Formen wol nichts zu
thnn. Wir erklären dieses -sna ganz ähnlich wie Bd. I, 490 -sala,
lehnen anch hier slavogermanischen Einschub von s ab und sehn
hierin eine Erweiterung des neutralen -as durch das SufGx -na;
aus arhvazna und hlaivasna wurde auch schon Bd. I, 512 auf ein
Terlorenes ^arhvis und ^hlaivis geschlossen; so könnte auch in filusna
ein ^us oder *filvis stecken, das dem griech. nXrj&og eben nicht
fem stände; jenes ^barusna würde wiederum auf ein *barus fuhren,
das leicht den Sinn von Dargebrachtem oder Tribut haben könnte,
etwa wie das zu demselben Worte gehörige goth. Ntr. gabanr,
wenn nicht bamsnjan (kindlich ehren) zu bgrusjos Eltern gehört.
2) -nbiga^ -nfiga^ Nom. -ubni, -nfni. Wir finden diese merk-
würdige Bildnng in fünf gothischen Wörtern, nämlich den beiden
Feaiininen fraistubni Versuchung (zu fraisan, altn. dafür freistni)
und vnnduiiii Wunde (zu gavnndön) und in den drei Neutren fastnbni
Pasten (zu fastan), valdnfni Gewalt (zu valdan) und vitubni Weis-
heit (zu vitan). Wie ist nun die Entstehung dieses Suffixes zu
denken? zunächst durch Hinzufiigung des bekannten -Ja an ein un-
bekanntes -ubn oder -ufn. Für dieses letztere sind mir nun zwei
Erklärungen bekannt; die eine derselben findet sich in Leo Meyers
goth. Sprache S. 68 f. und 227; danach läge hier eine ganz be-
sondere Entartung des indogermanischen -vant oder -vat vor; diese
Deutung steht und fällt mit Meyer's ganzer ihm eigener Lehre von
der Transformation der Suffixe. Die andere Ansicht ist die von
Bopp (vergleich. Gramm, zweite Ausg. III, 181), der das -ubni für
eine Entartung aus -umni hält und damit z. B. die Bildung von lat.
alnmnus vergleicht, also das indog. Suffix -man annimmt. Die
Vertretung des m durch 6 oder f wäre ganz wie die in altn. safna
and nafn aus samna und namn, wie Paul in den Beiträgen zur
Gesch. d. dtsch. Spr. u. Liter. Bd. I (1874) S. 159 passend anfuhrt.
Man. kann auch das noch für die Bopp'sche Deutung anführen, dass
daa Gothische (s. Bd. I, 489) das alte Suffix -man nur noch zur
Bildnng von Masculinen anwendet, tür die beiden andern Genera
also sehr natürlich sich eine neue Form schafft. Nichts desto weniger
darf man auf diese Erklärung keineswegs fest bauen; sie mag als
Hypothese bestehn, bis sich eine bessere findet. Vielleicht lässt
]12 IV. Ableitung, neae Endungen,
sich ein Weg finden, wonach die labiale Muta sich als echt, nid
als Entartung aus v oder in darstellt; ich erinnere hier aus der dei
Deutschen am nächsten stehenden Sprache, dem Lettischen, an di
dort zahlreichen Feminina auf -iba, lit -yba, -ybe, z. B. lett. zerib
Hoffnung, gädiba Massigkeit, )auniba Jugend, wesseliba Gesundbd
musohiba Ewigkeit, mit merkwürdiger Erweiterung milestiba Lieb«
Sollte dieses Suffix, durch -n erweiteii;, in der That den goth. Wörtei
zu Grunde liegen, dann hätten wir hier das einzige Beispiel vo
der Verwendung labialer Muta als nominales Suffix im Deutschei
Von Gewissheit darüber und namentlich über die sprachgeschichtlich
Seite des Vorganges ist freilich noch lange nicht die Bede. Abc
es giebt im Gothischen merkwürdiger Weise noch ein Wort, welche
sonst ganz vereinzelt dasteht, sich aber leichter zu jenen fünf Snl
stantiven fügt, wenn man in ihm eine Erweiterung des Suffixes durc
/ wie in jenen durch n annimmt; ich meine das Adj. dauthublji
zum Tode bestimmt, worin Leo Meyer goth. Spr. S. 69 gleichfall
-vat oder -van sucht, das er aber nach seiner Weise zugleich t
lat. -bilis stellt. Diesem dauthubljis steht sehr nahe das altn. Neutmi
daudyfli Gerippe, lebloses Ding; ist die goth. und altn. Form identisol
so ragte sie ins Urdeutsche hinein und dadurch wäre die Anknüpfitn
an's Lettische schon erleichtert. Wir hätten slavogermanisches -b
anzunehmen, das sich im Deutschen nur unter dem Schutze vq
erweiternden Lauten erhalten hätte.
Das ist alles, was sich von gothischen neuen Suffixbildunge
auf nominalem Gebiete sagen lässt; auf dem der Verba und Pai
tikeln haben wir keine Spur solcher Neubildungen.
Es wäre nun von dem Untergange alter Endungen ii
Gothischen zu reden, aber hier mangelt es an allem Stoffe; da
Gothische hat zwar bei mehreren Suffixen ihre Triebkraft eingeh
und sie verdorren lassen, doch giebt es kein Beispiel, dass di
Sprache die mit ihnen ererbten Bildungen ganz ausgerottet hät(<
Fassen wir nun schliesslich alle die einzelnen Züge, welch
auf dem Gebiete der Ableitungen begegneten, in ein Gesammtbil
von den Sprachleben des Gothischen auf diesem Felde zusammei
so ergiebt sich Folgendes:
1) Das Gothische hat in hohem Grade gepflegt, d. h. zu zah
reichen Neubildungen benutzt die Suffixe -a, «an, -ina^ -ja^ -ka b<
Adjectiveu, -ta bei Femin. u. Adject, -ti bei Fem.., -arja, -jan an
-Jon und die ComparativsuilGxe isau und äsan, sowie das Sapei
lativsuffix -ista; ferner bei den Verben -ja und -na, bei den Partikel
-ät (-6), -bhi (-ba) und -is.
2) Es hat in geringem Grade noch lebendig erhalten die Saifix
ly. Flexion, Dedination. 1]3
-i, -ra bei Adjectiven, -la, -ana^ -na, -ni, -as, -va, 'ti bei Hasen].,
-tu bei Hasenl., -lan nnd -Ion, -man, -mista, -anda, -iska, -vat, -tra,
-taman, -tja, -tya, -tati, -tnti nnd das Snperlativsnffix -ästa; dazu
die Partikelbildnngen anf -m (-na, -u), -tb, -tra (-tbrö, -dre, -r).
3) Es hat die Lebenskraft völlig eingebüsst bei -n, -nn, -jn,
-ra bei Snbstant, -ma, -ka bei Substant., -ta bei Mascul. nnd Neutren,
•m, -inga nnd -linga, -sta, -sti, -stn, -stra, endlieh bei den Partikeln -va.
4) es hat nen geschafifen -sna und -ubnja, dazu aneh ans -assn
erweitert sein -inassn.
Vierter Abschnitt.
Die Flexion.
k. Deelination.
Man wird hier von vorne herein kein reichhaltiges Gapitel er-
warten, da schon das Urdentsche (Bd. I, 528) in der Deelination
keine Schöpferkraft mehr entfaltete, das Gothische aber dem Ur-
deutschen verhältnissmässig nahe steht nnd sich andrerseits von
unorganischen Vorgängen ziemlich frei hält. Einiges, was sonst
hier erwähnt zn werden pflegt, rechne ich meiner Anschauung nach
in die Lautlehre und bespreche es dort mit den verwandten Er-
scheinungen; so z. B. den Gen. gaths für gnthis bei der Synkope,
und anderes mehr. Nicht dem Gothischen schreibe ich es femer
zn, dass hier das -n im Accus. Sing, aneh bei Eigennamen fehlt,
während es im Hochdeutschen bis aufs Nhd. hin bewahrt bleibt;
ich glaube vielmehr hier erst eine im Hochdeutschen eingetretene
Neuerung, ein Eindringen der pronominalen Deelination zu erblicken.
Auch die Einbusse des Duals, des Ablativs und des Locativs ist
gewiss nicht erst dem Gothischen zuzuschreiben; beim Instrumental
ist dagegen das Gothische in so fem selbständig, als es mit diesem
Casns völlig bei Substantiven und Adjectiven aufräumt, wo sich
doch die andem deutschen Sprachen noch weit conservativer zeigen«
Dies vorausgeschickt haben wir folgende speciell gothischen
Entartungen zn verzeichnen:
1) Umsichgreifen der schwachen Deelination, welches sicher
mit der grossen Beliebtheit der Suffixe -an nnd -jan (s. oben Seite
95 und 103) zusammenhängt. So haben wir von dem starken
anhBns doch Luc. 14, 19 ein juka auhsne, so neben dem starken
gards ein Bohwacbes garda, neben dem starken Neutram fon ein
schwaches Mae. funa, neben dem starken Ntn daur das schwache
Försternann, Gesch. d. d. Sprachstanimes. 11, 8
114 IV. Flexion, Declination.
Fem. dauro, neben dem starken Ntr. kanrn das schwaehe Ntr.
kanrnö ; hier wären bei längerem Leben der Sprache wabrscheinliefa
die älteren starken Formen alle untergegangen. Aach das hängt
damit zusammen^ dass die adjectivisch gebrauchten praesentiscfaen
Participia schwach wie die Gomparative gehn (Stamm im Msc. und
Ntr. -an, Fem. -ein)^ wo die starke Form nur im Nom. Sing. Msc.
(gibands) bleibt Ja als sollte die schwache Declination am jeden
Preis gepflegt werden, so dringt das n in die Plnraldative vatnam
and namnam aas den andern Casus wieder ein, während jene
Formen nach meiner Ansicht doch schon im Urdeutschen diesen
Consonanten eingebusst hatten. Bei manna ist dagegen wol weniger
Vermischung starker und schwacher Formen anzunehmen als viel-
mehr eine durch das wiederholte n herbeigeführte Synkope und
in Folge derselben Vereinfachung der Orthographie.
2) Unsicherheit in der Gestaltung der verschiedenen N-Suf&xe.
Hieher rechne ich, dass von fruma das Fem. frumei heisst, als wäre
es Comparativ, da es doch ursprünglich Superlativ ist Femer ge-
bort dahin (und nicht in die Lautlehre) die speciell gothische Ver-
längerung des Vocals in hairtö u. s. w.; das scheint falscher Ein-
fluss der Feminina wie tuggO zu sein, der sich dann weiter in den
Pluralen bairtöna u. s. w. fortsetzt
3) Schwanken in Bezug auf die thematischen Vocale a und i
und zwar wie es scheint nach beiden Richtungen hin. Aivs und
v6gs gehören wahrscheinlich ursprünglich zu den A- Stämmen,
schwanken aber zu den I-Stämmen hinüber; es heisst aivam und
v6g0s neben aivins und vegim. Andrerseits finden sich mehrte
I-Stämme, welche im Plural dem starken Einflüsse der A-Declination
nachgeben. So zeigt sich von dem Fem. dails ein Plar. dailös, von
nahts lautet der Dat. Plur. nahtam statt nahtim, von haims, das
im Sing, nach der LDeclinaiion geht (Gen. haimais), der Plaral
haimdSy haimö. Besonders aber ergreift dieses Schwanken die
Plurale der femininen Abstracta auf -eins (Thema -eini, s. oben
Seite 96), doch mit merkwürdigem Unterschied zwischen den
einzelnen Casus. Der Nom. Plur. geht nämlich auf -ös (statt -eis)
aus; die Beispiele sind naiteinös, birödeinos, ufsvalleinös. Eben so
endet der Gen. Plur. -ö (statt -e) in ufarhauseinö, hazeino, andhuleinöi
laiseinO, gathrafsteinö, bisauleinö. Der Dat Plur. zeigt dagegen nur
einmal -6m in unkaureinöm neben acht regelmässigen Beispielen auf
^m, der Accus, sogar kein -0ns gegen vier -ins. Auch das ist merkwfirdigi
dass nur die Abstracta auf -eini, nicht die auf -aini und -dni von diesem
Schwanken ergriffen werden, doch ist zu vermuthen, dass sich bei
grosserer Ausdehnung der gothischen Sprachreste auch för diese
IV. Flexion, Declinatioii. 115
beiden Klassen Aefanlicbes finden würde. Die CÜtate fär die ganze
Eneheinnng finden sich bei Leo Heyer gotb. Sprache S. 528 f.
Den Schwankungen der thematischen Vocale steht es sehr
nahei dass die Wörter brötbar, fadar^ danhtar und svistar den
Plural vom Stamme brötbra n. s. w. bilden, also brötbijns, bröthrnm,
bröthmns; doch im Gen. lautet es bröthre, nicht brotbrive. Dahin
gestellt muss es bleiben, ob hier das altslav. bratru einen Einfluss
ansge&bt hat; im Gothischen selbst mag vielleicht die Analogie von
sunjus filii mitgewirkt haben, ja sogar der Anklang an jus vos.
Man erwäge übrigens auch das angelsächsische brö^ru fratres.
Zwischen substantivischer und pronominaler Declination in der
Mitte steht die Erscheinung, dass das Wort fadrein (im Sing. Vater-
schaft, im Plur. Eltern), eigentlich das substantivisch gebrauchte
Kentmm des A4j. fadreins patemus, durch Synesis im Nom. und
Acc als Hsc. Plur. gebraucht wird, also thai fadrein, thans fadrein;
sonst declinirt es regelmässig fadreina, fadreinam; andere Formen
begegnen nicht.
Auf die Declination der Fremdwörter wird hier nicht näher
eingegangen, da sie nur zum Theil für gothisch gelten kann ; Heyne
in der Grammatik zu seinem Ulfilas hat eine Uebersicht über die
Formen. Auch hier zeigen sich mehrfache Schwankungen in den
thematischen Vocalen, auch die sehr naturliche Erscheinung, dass
der Gothe das nominstive -s der griechischen Formen als stamm-
hatt ansah. Eine bemerkenswerthe Abhängigkeit vom griechischen
Texte liegt auch darin, das Atheineis als Pluralis gilt; das gothische
Volk selbst wird den Namen wol Singular gebraucht haben.
Auch die pronominale Declination zeigt im Gothischen
schon manche Schritte zur Verkümmerung der alten Mannigfaltig-
keit und Begelmässigkeit; bei manchen Adjectiven, besonders bei
solchen, die substantivisch gebraucht werden, ist sie schon ganz
untergegangen, wie bei alatharba, fullavita, gavilja, ingardja und
ingardjö, inkilthö, usfairina, usfilma, ushaista, usgrudja, usvena,
unkaija und anderen. Im Uebrigen erweist sich namentlich ein
Uebergreifen der Substantivdeclination darin, dass das eigentliche
Hauptkennzeichen pronominaler Flexion, das Element -ja mehrfach
beeinträchtigt wird. Dieses Element geht völlig unter im Nom.
Sing. Masc. und Feminin., wo es ganz substantivisch blinds blinda
wie ynlfs giba lautet, ein Vorgang, der sich lautlich nicht erklären
lässti aber auch nicht erklärt zu werden braucht, da er eben
flezivisch ist; hier scheint nur das Ahd. die Ueberbleibsel der älte-
ren Bildung (Bd. I, 309) bewahrt zu haben, nicht mehr das Altn.,
Alts, und Ags., die mit dem Gothischen stimmen, nicht in Folge
8»
116 IV. Flexion, Goi^iigatioii.
einefl näheren Verwandscbaftsverbältnisses zu ihm^ sondern in Folg^
der grossen Natürlichkeit des Vorgangs. Auch im Dativ Sing.
Fem. schwindet das pronominale Element völlig; es lautet blindai
wie gibai und hierin ist das Gotbisohe allein entartet, während
Altn.y Ahd.| Alts, and Ags. noch den ursprünglicheren Typus er-
halten haben.
Auch das Farbenspiel der Genera beginnt in den gotUschra
AcUectiven zu verblassen; seinem völligen Schwinden kam der
Untergang der Sprache zuvor. So wird das Femininum vom Mas*
culinum überwuchert bei einigen Adjectiven auf -ja und bei denen
auf -u; es heisst hraius pura (gegen blinda caeca) und eben so
hardus dura. Eben so ist die ' neutrale Endung -ata sehr dem
Abwerfen ausgesetzt, was nach Bd. I, 539 schon im Urdeutschen
begonnen zu haben scheint, doch im Gotbischen weiter fortgeschritten
ist als im Altn. So heisst es blind neben blindata caecum, von
einem Stamme auf -ja brain purum, von einem auf -u hardu durum;
niemals erscheint im eigentlichen Pronomen ein antharata oder ein
unsarata und izvarata, wo selbst unser Neuhochdeutsches ursprüng-
licher ist als das Gothische.
Endlich ist zu bemerken, dass in dem Pronominalstamm My
der nur im Ags. noch völlig erhalten ist, das Gothische in einer
von den andern deutschen Sprachen ganz verschiedenen Weise eine
Verkümmening erlitten hat; vgl. Bd. I, 537.
B. Conjugation.
Bei den Personalendungen zunächst bemerken wir, dass
im Gotbischen ^wie im Altnordischen) das m der ersten Pers. Sing,
mit Ausnahme der Form im völlig geschwunden ist; wären nicht
die ahd. Formen wie gäm, stäm, tnom, bim, habem, salbom u. s. w«
vorhanden, so würde man diese Verwitterung schon dem Urdeut-
schen zuschreiben, während man jetzt genöthigt ist anzunehmen^
dass sie in jedem der andern Sprachzweige selbständig eingetreten
ist. In Bezug auf die 2. Sing. Perf. saisost wurde Bd. I, 541
wahrscheinlich zu machen gesucht, dass bei dieser Person schon
im Urdeutschen eine falsche Analogie eingewirkt habe, doch lässt
sich nicht ergründen, in wie hohes Alter grade bei der vorliegenden
Form die Unregelmässigkeit zu setzen ist. In der 3. Pers. Sipg.
sind einige Optativformen mit -aith statt -ai merkwürdig, nämlich
bairaith {ßatfrätfei), tiuhaith (a$6t) und svignjaith (ßQaßevh(o); hier
scheint ein Einflnss des indicativen -ith vorzuliegen, erleichtert
durch die futurische oder Imperativische Bedeutung dieser Formen;
es entspricht dieser Vorgang etwa dem griechischen -ai/tu oder
VL Flexion, Ck)idiigation. 117
"Wfu statt -iify. Bei der 1. Fers. Flor, hindert uns das Ahd«
mit seinem -mes eben so wie bei der 1. Sing, die gotbische Ver-
kürzung zu -m schon ins Urdeutsche zu setzen. Es scheint hier
noch im Gothischen das urdeutsche Auslautsgesetz nachgewirkt zu
haben und so -mas zu -ms geworden zu sein, worauf denn das s
abfallt wie im Dativ Fluralis ; doch ist oben in der Lehre von den
auslautenden Gonsonanten eine andere Ansicht vorgetragen. In
Bezug auf die 2. und 3. Flur, so wie auf den Dual hält sich das
Gtothische ganz frei von einer Trübung des ererbten Verhältnisses.
In Hinsicht der Tempusbildung ist vor allem die Frage
aufzuwerfen, in wie fem der gothische Sprachgeist die starke Gon-
jugation gepflegt und in wie weit er sie beeinträchtigt hat.
Die Frage^ ob das Gothische noch neue starke Verba geschalffen
habe, wird man nicht für eine massige halten, wenn man daran
denkt, dass das Deutsche sogar noch in späterer Zeit die Fremd-
wörter schreiben, pfeifen und preisen der starken GoDjugation
zugeführt hat Es giebt in der That etwa dreissig starke gothische
Verba, die entweder nur in dieser Sprache vorkommen oder nur in
ihr stark sind; es sind das die folgenden: Nach beita geht keia
germino, leisa experior, neiva irascor, deiga depso und skreita
mmpo, finde; nach laika geht fraisa tento und thlaiha blandior;
nach biuda nur krinsta fremo; nach fara conjugirt ana spiro, aga
timeo, das zu vermuthende hatja odi, frathja intellego, rathja numero,
gadaba decet, draba ferio; nach släpa (slepa) und hvöpa laia
maledico und fleka plango; nach halda gastalda possideo, usaltha
senesco, pragga urgeo, usstagga steche aus; nach giba geht sniva
festino, nitha juvo und hlifa furor; nach binda endlich gair&a gürte,
vilva latrocinor, trimpa trete, vrisqva fructum fero und trisga pfropfe;
nur die stauta- und die nima-Gonjugation haben keine speciell gothi»
sehen Vertreter. Die meisten der angeführten Verba hat das
Gothische sicher schon aus dem Urdeutsoheu als starke übernommen,
die andern deutschen Mundarten sie nur verloren, vielleicht aber
gelingt es doch auch in Zukunft einige als speciell gothische
Schöpfungen zu erweisen. Ein Uebergriff der starken Gonjugation
findet sieh auch wol darin, dass die schwachen Verba der AI-
Conjugation durch Ausfall dieses Diphthongs ganz den Anschein
von starken in fünf Formen annehmen.
Drei gothische Verba gehn im gothischen nach einer anderen
starken Gonjugation als in den übrigen Sprachen; bei bliggva ferio,
das nach binda, sonst aber nach biuda conjugirt, ist es sicher, dass
das Gothische den älteren Standpunkt gewahrt hat; nicht ganz so
sicher, doch wahrscheinlich ist es bei aika ajo, das gotbisch dem
113 ^^' Flexion, Conjugation.
l^us von laika, sonst dem von giba angehorti und bei diva morior^
das gothisch zu giba, altn. zu fara zu stellen ist.
Sicherer, doch wenig erheblich sind die Sparen, dass schon im
Oothischen die starke Gonjagation Einbusse erlitten bat Schon
dadurch wird sie beeinträchtigt, dass bei Verben, die mit Conso-
nantengrappen beginnen, die Rednplicationssylbe öfters nur einen
der Consonanten wiederholt, wie Bd. I, 544 angegeben wurde.
Zwei Verba treffen wir in einem deutlichen Uebergange von der
starken zur schwachen Conjugation begriffen; das erste ist bauaui
wovon die Form bauith auf ein starkes Verbum schliessen lässt,
während bauaida und das Substantivum bauains einem schwachen
angehören ; auch in den andern Mundarten tritt hier ein Schwanken
ein, man vgl. Grimmas Wörterbuch, der sich weiter aber das Wort
auslässt. Das zweite Verbum ist gaggan, wovon im Perfectum
ein reduplicirtes gaigagg erwartet wird, an dessen Stelle im Oothi-
schen ein schwaches gaggida erscheint Einige starke Verba gehn
jedenfalls in Folge von lautlichen Schwierigkeiten unter ; ich meune
namentlich solche, bei denen die Lautverbindung 8v organisoh ist,
welche im Goth., wie Leo Meyer goth. Sprache S. 616 zeigt, nicht
geduldet wird ; daher erklärt es sich, dass die Bd. I, 559 angeführ-
ten sechs ags. Verba blöve blühe, flöve fliesse, gröve wachse, hlöve
brülle, rove rudere und spove habe Erfolg im Gothischen gar keine
Spur hinterlassen haben.
Bei dem viel besprochenen Verbum trudan (mit der passiven
Form trudanda), das statt des u ein / erwarten lässt (s. Bd. I, 567),
ist vielleicht die dunkele U- Färbung der Praeteritopraesentia (s.
Bd. I, 5S6) von einem die Sprache irre leitenden Einflüsse gewesen«
Eine eigenthümliche unorganische Form liegt in dem imperati-
ven ogs (ni ogs furchte dich nicht); ich nehme hier nicht ein
Erhalten alter Bildung, am wenigsten eine Gleichstellung des s mit
dem griechischen in '^^i^, dos Q. b. w. an, sondern vielmehr einen
Einfluss der 2. Sing. Indic. Man könnte meinen, solcher Einflnss
sei eingetreten, um das 6g vor einer Verwandlung in öh zu bewah-
ren, das würde jedoch mit meiner oben (Seite 32) gegebenen
Darstellung der Auslautsgesetze nicht stimmen, wonach die gutta-
nde Media der Verwandlung in Spirans nicht unterliegt
Auf dem Felde der defectiven Verba ist es vor allem von
der Wurzel as zu erwähnen, dass dem Gothischen im Praes. Ind.
die beiden dualen Formen siju und sijuts so wie die beiden ersten
pluralen Personen s\jum und syuth, diese halb optativischen halb
perfecten Gestalten, ganz eigenthümlich und wahrscheinlich Nea-
bildungen sind, die durch das organische sind der dritten Person
VL Bedentung. 119
herbeigezogen wurden (vgl. Bd. I^ 588)> Neubildungen, wie sie
nocb das Mbd. in seinem sin, stt im Gegensatze zum Ahd. ge-
schaffen bat
Von den Trümmern der Wurzel /, dem imperativischen bin,
hiijats, biijitb und dem wunderbaren Praeteritum iddja wurde scbon
Bd. ly 587 gesproeben und die Vermutbung geäussert, dass die Form
iddja erst im gesonderten Gothischen dureb die falscbe Analogie
von sebwacben Verben wie nasja bervorgerofen sein könnte; belegt
sind übrigens nur die Formen iddja, iddjedum, iddjedutb, iddjedun
und der Optativ atiddjedeina. Leo Meyer gotbiscbe Spracbe S. 115 f.
spriebt ausfubrlieb über diese Formen, in denen dem Spraebsinne
gewissermassen ein nasja und ein nasida verschwommen sind.
Unter den Praeteritopraesentibns ist dem Gotbiscben nur lais
(novi) eigentbämlieb, schwerlich aber eine Neubildung, wabrscbeinlicb
in den andern Sprachen nur untergegangen.
So zeigt sich auch in der Gonjugation, in wie vielen Punkten
das Gk)tbiscbe scharf vom Urdeutschen geschieden werden muss,
andrerseits aber auch, wie unvollkommen nocb ein erster Versuch
sein muss auf diesem Felde, das nur in einzelnen Bemerkungen,
niebt in einem ganzen Systeme bisher angebaut wurde.
Fünfter Abschnitt.
Die Bedeatiing^.
Dem bedeutenden Abstände zwischen dem Urdeutscben und
Gothischen gemäss, wie er sich aus den vorigen vier Abschnitten
ergeben hat, werden wir dem letzteren scbon eine ziemliche Menge
von Bedeutungsverschiebungen zuzuschreiben haben, die ihm eigen-
tbämlicb sind; doch werden wir dabei kaum auf solche Fälle ein-
gehn, die dadurch hervorgerufen wurden, dass ein gotbischer Be-
griff noth wendig einem biblischen angepasst werden musste.
Unter den Substantiven begegnet uns zunächst eine Gruppe,
in welcher stets ein allgemeinerer Begriff durch Beziehung auf ein^
bestimmte Sphaere specialisirt wird. So wird der Begriff der
beiden Wörter fullitha und saggqvs, die an sich nur die Fülle und das
Sinken bedeuten können, auf die Sphaere des Himmels bezogen
und so nimmt jenes den Sinn von Vollmond, dieses den von Westen
an. Wie wäre es, wenn theihvö der Donner zu theiban zunehmen
geborte und zunächst nur den Donner des heranziehenden (Ge-
witters bedeutete, wie sein Schall allmählich heranwächst? Auf
120 I^* Bedeutung, Substantiva.
die Sphaere des Meeres beschränken sich zwei Wörter, die eigent-
lich nichts als Bewegung und Ruhe bedenteni nämlidi vSgs und
vis; jenes nimmt im Plural den Sinn von Wellen an^ dieses, wahr-
scheinlich doch zu visan bleiben^ verweilen gehörig, den von Meeres-
stille. Dnrch Anknüpfung an das Gebiet des menschlichen Körpers^
nimmt nsvanrpa neben seinem echteren Sinne von Auswnrf, Yer*
werfnng auch den von Frühgeburt an; brinno, eigentlich nnr das
Brennen, wird auf das pathologische Brennen bezogen und beisst
das Fieber; das synonyme heitö kann diesen Sinn schon im Ur-
deutschen gehabt haben. Gabanr (Ntr.) und garuns haben an sich
nur mit dem farblosen Zusammenbringen und Zusammenkommen
zu thun, das Gothische färbt jenes Wort finanziell, so dass es das
Zusammengebrachte, die Sammlung, Steuer bedeutet, dieses dagegen
local, so dass darunter der Ort des Zusammenkommens, der Markt
oder die Strasse verstanden wird, vielleicht ursprünglich der Alarm«
platz. Eine Specialisirung derselben Art erleidet uzeta, indem es
an die Sphaere der Hausthiere angeknüpft wird und nun die Krippe
(g>ntvri) bedeutet. Das goth. vaggs, allgemein deutsch im Sinne
von Campus, fällt auf durch seine Beschränkung auf ein überirdisches
Gefilde, das Paradies.
Andere Bedeutungsübergänge haben mehr den Charakter der
Verallgemeinerung, obgleich sich auf dem Gebiete der Sema-
siqlogie die Specialisirung von der Generalisirung nicht ganz scharf
trennen lässt, da man manchen Bedeutungswechsel als beides zu-
gleich fassen kann. Da haben wir z. B. das ganz allgemeine
Wort Stoma StofT, Gegenstand, welches in den andern deutschen
Sprachen fehlt, nach seiner Bd. I, 72 mitgetheilten Verwandschafk
aber von dem zum Weben oder Spinnen vorliegenden Stoffe aas*
gegangen zu sein scheint. Für den allgemeinen Begriff eines Ge-
nossen oder Begleiters hat das (xothische die drei Wörter gahlaiba,
gajuko und galaista, die doch von ganz verschiedenen speciellen
Grundanschauungen ausgehn, von der Gemeinsamkeit des BroteSi
des Joches oder des Weges.
Zwei zum Verbum satjan gehörige componirte Substantiva
nehmen einen eigenthümlich vergeistigten Sinn an ; erstens afiEUiteins
die Absetzung, daher bökös afsateinais der Scheidebrief, zweitens
ossateins der Ursprung (Glosse zu Eph. 2,3), welches nhd. Wort
von einer ganz ähnlichen Grundanschaunng wie das gothisdie
aasgeht; doch kommen beide Wörter auf verschiedenem Wege za
dem abstracten Sinne, denn das goth. ussatjan bedeutet pflanzen^
dann gründen, endlich erzeugen, während unser Ursprung geachicbt-
licb von dem Begriffe einer Wasserquelle ausgeht'
IV. Bedeittimg, Adjeetiva. 121
Zuweilen wird in zoBammengesetzten Sabstantiven der klare
Begriff des einen Theiles durch den anderen Theil in einer nicht
sogleich verständlichen Weise modificirt. Was mag der zweite Theil
von dnlgahaitja der Oläubiger zunächst für eine Function haben?
ist einer gemeint, der seine Forderung anmeldet? Umgekehrt, wie
kommt der erste Theil von hraivadubö die Turteltaube (eigentlich
die Leichentaube) zu seiner speciellen Function? etwa auf mytho-
logischem Wege als eine Art Leichenhuhn? oder durch Vergleichung
des Giirens der Taube mit dem Röcheln des Sterbenden? Ueber
den zweiten Theil von aihvatundi wurde schon oben gesprochen.
Einige Male haben griechische Wörter, denen die gothischen
nachgebildet sind, den Anlass zur besonderen Bedeutung der
gothischen gegeben ; so oloxavrwfAa dem goth. alabrunsts Brandopfer,
a^edi^ dem gotb. aflageins die Vergebung, yevealoyia wahrscheinlich
dem goth. gabaurthivaurd Geschlechtsregister.
Auch bei den Adjectiven finden wir jene Specialisirung durch
eine Beziehung auf eine bestimmte Sphaere von Begriffen. Gaguds,
eigentlich zu Gott gehörig, wird auf das Gebiet des menschlichen
Herzens beschränkt und bedeutet fromm. Während gafaurs gesetzt,
nüchtern, bescheiden heisst, scheint sich sein Gegentheil unfaurs,
das freilich nur an einer einzigen Stelle erscheint, auf die Sphaere
der Sprache zurückzuziehn, wo es den Sinn von geschwätzig
annimmt
Eine Verallgemeinerung haben wir in biuhts gewohnt, ge-
wöhnlich (dazu Subst. biuhti Gewohnheit), wenn es wirklich zu
bugjan kaufen gehört; man scheint dabei an das gedacht zu haben,
was überall zu kaufen ist, vielleicht auch an den feststehenden
Preis. Eben so bedeutet ushaists ganz allgemein bedürftig, während
es doch wol ursprünglich, zu ushaitan herausfordern gehörig, nur
vom fordernden Bettler vl s. w. gebraucht wurde.
Vergeistigungen bei den Adjectivbegriffen begegnen mehrere.
Abrs, eigentlich körperlich stark, schwächt und vergeistigt seinen
Sinn, so dass abraba gradzu sehr, biabrjan sich entsetzen heisst;
zu bemerken ist die Nachstellung in ras auk mikils abraba von dem
Stein auf Christi Grabe. Die Gruppe airzjis, airzei, airzitha, airzjan
scheint die sinnliche Bedeutung des Irrens, die doch in den andern
deutschen Sprachen noch klar genug erscheint, ganz aufgegeben
zu haben und sich nur auf Betrug und Verführung zu beschränken.
Invinds, zu vindan winden gehörig, muss ursprünglich das räumlich
Verkehrte bezeichnet haben; vergeistigt bedeutet es ungerecht wie
invinditha die Ungerechtigkeit Usskavs vorsichtig, nüchtern gebt
vom körperlichen Ausschauen zur geistigen Umsicht über. Während
122 IV. Bedeutung, Verba.
usvanrkjan noch wirken^ bewirken^ Tollenden beseiohnet, bezieht
sich nsyanrhts schon auf die sittliche Vollendang und bedeutet ge-
recht, als Substantivom die Gerechtigkeit Auch in andanfims a&-
genehnii wohlgefällig, gnädig liegt eine Vergeistignng wie in dem
griechischen dmiBxxoq, evTiQosi&efos, das es übersetzt Anayairthi
zakSnftig hat zeitliche Bedeutung, die andern Composita aof yairthi
noch die ursprünglichere räumliche, von der das Verbnm yairtfaa
es verto ausgeht Svirs heisst vergeistigt geehrt, wogegen altn.
svarr, ahd. swäri, ags. svaerr gravis bezeichnen.
Oanz vereinzelt ist svikunths (sveknnths) offenbar, bekannt,
eigentlich durch sich selbst erkannt, durch seine Eigenschaften der
Erkenntniss entgegenkommend.
Die Gruppe usdauds eifrig, usdau^jan sich beeifem, usdandei
Ausdauer, Sorgfalt mnss diesen Sinn auch in Folge einer Bedeutungs-
Verschiebung angenommen haben, doch ist uns die Etymologie und
damit die Art jener Verschiebung unbekannt
Im Gebiete der Verba haben wir zunächst aber die einfachen
Verba nur wenige Bemerkungen zu machen. So ist blOtan ver-
ehren, blötinassus Gottesdienst, vom speciellen Sinne des Opfems
aus verallgemeinert. Vdpjan rufen wird auch auf das Krähen des
Hahnes übertragen. Wichtiger ist die grosse Expansivkraft, welche
die Bedeutung von haban besitzt; bei Adverbien stehend geht es
in den Sinn des lat se habere über, wie in ubilaba haban sich
übel befinden, mais vairs haban sich immer schlimmer befindeui
mehrere andere Beispiele findet man in den Wörterbüchern; bei
Zahlwörtern dagegen wird os zur Bestimmung der Zeit gebraacht,
z. B. fimf tiguns j^re haban fünfzig Jahre alt sein^ fidvOr dagans
habands vier Tage lang; mit Substantivum vergeistigt es sich öfters
wie das lat. habere, z. B. habaidedun Johannen thatei praufStSs
vas sie hielten den Johannes für einen Propheten; mit Verben endlich
nimmt es jene Kraft an die Zukunft (ein Werden oder Wollen) zu
bezeichnen, wie wir dieselbe Kraft in dem romanischen Futurum
sehn; so z. B. thatei habaida taqjan was er thun wollte, thfiei
habaidedun ina gadaban was ihm widerfahren werde, visan habaith
er wird sein^ taujan haba ich werde thun, als Ausdruck der Absicht
in sa auk habaida ina galevjan er wollte ihn verrathen. Ein anderes
Verbum, das schon halb zum Hülfsverbum herabgesunken ist und
eine ganz allgemein causative Bedeutung angenommen hat, ist
briggan, gewöhnlich bringen, führen; man erwäge Verbindungen
wie frijana briggan befreien, vairthana briggan würdigen, vundan
briggan verwunden; in den andern deutschen Sprachen findet sich
nur leise an diesen Gebrauch Anstreifendes.
rV. Bedoutang, Verba. 123
Sehr viel häufiger finden wir den Vorgang^ dass Verba, die mit
aepositionen zusammengesetzt sind, einen Begriff annehmen, der
)bt sowol das natürliche Resultat der beiden zusammengesetzten
igriffe als vielmehr ein conventioneil erzeugter oft ziemlich weit
liegender ist. Beginnen wir mit einigen Verben, die ein Gehn
er Kommen bedeuten, so finden wir zunächst afargaggan nach-
hn, das neben der sinnlichen Bedeutung auch die geistige wonach
r e b e n angenommen hat, z. B. afargagga afar sigislauna ich strebe
eh dem Siegeslohu ; eben so vergeistigt sich das gleichbedeutende
urlaistjan, wo ebenfalls noch im Gothischen der ältere Sinn
neben besteht. Viel merkwürdiger ist es, dass usquiman, mit
m Äcc, doch gewöhnlich mit dem Dativ, den Sinn von todten,
ibringen annimmt; es scheint hierin ein eigenthümlicher Euphe-
amus zu liegen (etwa an einen herankommen). Setzen wir
esen Verben der Bewegung gleich einige der Buhe entgegen, so
den wir zunächst visan bleiben, verweilen ; das Compositum bivi-
D beisst froh sein, €vg>Qah€(Sd'(u, also mit Wohlgefallen bei
was weilen. In ein ganz anderes Gebiet geht das transitive
ivisan über, das den Sinn von verbrauchen, verschwenden annimmt,
lo fast einem Transitivum unseres nhd. verwesen gleichkommt,
idsitan heisst scheuen, fürchten, achten, andasets verabscheuungs-
irdig; unser nhd. entsetzen hat ganz denselben Weg der
>8traction durchgemacht. Man erwäge ferner anastddjan im
one von anfangen, wozu auch anastodeins der Anfang; die Begriffs-
ischichte ist hier ganz dieselbe wie in unserm anstellen (z. B.
ie soll ich es anstellen?)
Die Sphaeren der Begriffe des Ziehens, Wendens, brechens,
eilens, hebens und gebens liefern gleichfalls einiges hieher Gehö-
re. Ustiuhan hinausziehen nimmt dann auch den Sinn von voll-
Ingen an, ustauhts heisst die Vollendung; eine höchst eigenthnm-
^e Verallgemeinerung, deren geschichtlicher Gang sich kaum
igeben lässt. Usvandjan sich abwenden, abweichen wird ver-
ästigt in der Verbindung thamma viljandin af thus leihvan sis ni
ivandjais (schlage ihm nicht ab); ganz anders usvandidedun du
osavaurdein (sie verfielen auf Geschwätz). Auch das Wort brechen
»hört zu denjenigen, die in den germanischen Sprachen sehr ver-
hiedenen Functionen dienen müssen, man erwäge die gewaltig
iseinander gehenden Bedeutungen unserer Wörter anbrechen, at(f-
ecben, unterbrechen, Verbrechen und anderer; im Gothischen
genthümUch ist es, dass ufbrikan den Sinn von verachten, über-
iithig behandeln annimmt, worin es allerdings zum Bruche zwischen
rei Personen kommt. Usmitan, eigentlich ausmessen, geht in den
124 VI. Bedeutung, Partikelu.
Sinn Yon sich aufhalten über, nsmet ist der Anfrathalt; man
möchte als Uebergangsbegriff den der Landtheilnng Tor dei
Ansiedelung ansehn. Ein anderes Verbnm des Theilens ist orsprfiDg-
lich beitan beissen, dessen Vergeistignng in andbeitan schelten nnd
andabeit Tadel nicht unnatürlich ist; vom Beissen znm Bellen
schwebt ja der Gedanke leicht hinüber. Andhai^an heisst ant-
worten, andahafts die Vertheidigung, Verantwortung; man denkt
dabei an unser eine Bede anheben; oder an das Ergreifen
des Wortes. Sehr merkwürdig stimmt mit dem Nhd. das gothi-
sehe afgaf sik er begab sich fort; zunächst auffallend genug, daas
eine Person sich selbst zum Gegenstande des Gebens macht.
Auch das Reden, Denken und Vernehmen sind leicht
übertragbare Begriffe. Andqvitban mit Jemand sprechen heisst
auch Abschied nehmen, gleichsam einem absagen. Anaqyithan
dagegen nebst dem Substantivum anaqviss geht aufs Lästern und
Schmähen, ähnlich wie wir sogar jemand anfahren. Birödjan, zu
rödjan reden, heisst murren, sich unwillig äussern, gehört also zu
den specialisirten Begriffen. Atkunnan heisst zuerkennen, gewähren;
es scheint also kunnan schon ein Rechtsausdruck im Sinne unseres
erkennen gewesen zu sein. Frakunnan dagegen bedeutet ver-
achten, übermüthig behandeln, steht also dem Gebrauche des nhd.
verkennen ziemlich nahe. Dass anakunnan den Sinn von Lesen
annimmt (was sonst gothisch ussiggvan heisst), geschieht nur in
Nachbildung des griech. dvayiYV(6(fxa>. Andhausjan empfängt den
geistigen Begriff von erhören, grade wie das griech. eTroxovco, das
es übersetzt. Ganz vereinzelt ist in Hinsicht der Bedeutung fra-
vardjan verderben, entstellen, zu vardja Wärter.
Nicht hieher gehört wol der Bedeutungsunterschied von goth.
haurnjan (das Hom blasen) und ahd. homgn, alts. humjan (mit
einem Home versehen); hier scheint vielmehr das Wort im Gothi-
schen unabhängig entstanden, mit dem andern also nicht schlecht-
hin identisch zu sein. Aehnlich kann innerhalb des Gothischen
selbst das Verbum afhugjan jemand verblenden, die Sinne umstricken,
nicht das Compositum von hngjan denken, sondern es muss viel-
mehr eine Ableitung von einem *afhugs sinnlos sein.
Wir kommen endlich zu den Partikeln« Zu lathon rufen,
laden gehört mit sehr abstracter Bedeutung lathaleikö sehr gern;
das Wort muss schon früh veraltet sein, da der eine Codex dafttr
als Bandglosse gabaurjaba, der andere nur das letztere Wort bietet
Ussindö heisst ursprünglich aus dem Wege, in vergeistigter Beden-
tong aber ausnehmend, vorzüglich, sehr; man vergleiche den ent-
(^egengesetzten Begriff in onserm trivial (was am triviom liegt).
IV. Genus. 125
Dass gistradagis an der einzigen Stelle, wo es vorkommt, den Sinn
von morgen annimmt, ist eine Eigenheit, die sich ähnlich auch
in andern Sprachen, sogar germanischen findet ; überall aber ist der
Bedentungsübergang wol selbständig und nicht durchgreifend ein-
getreten. Während sans plötzlich, auf einmal, sogleich bedeutet,
heisst bisnnjane umher, rings umher; man möchte fragen, auf welcher
Seite da der ältere Sinn liegt; in der Regel auf der localen, nicht
aof der temporalen. Selbst die temporale wird noch weiter ver-
geistigt ; während ufta oft wol den älteren Sinn festhält, nimmt das
gesteigerte auftd die Bedeutung von vielleicht, freilich an. Auch
Yaitei vielleicht muss seinen Sinn durch conventioneile Ellipse
erbalten haben; zu denken ist an ein „Gott weiss ob^. Bemerkens-
werth ist auch die Abweichung einiger Fraepositionen von dem
ursprünglicheren Begriff. So fällt die verstärkende Bedeutung von
af auf in afdrugkja Säufer und afetja^ Fresser; auch afthaursjan
verhält sich wol so zu einfachem thaursjan. Das untrennbare dis«
hat in fünf Verben eine Bedeutung, wie es diese sonst nirgend im
Deutschen besitzt und ihrer Verwandschaft nach nicht besessen
haben kann; es sind das disdriusan (befallen, enimTnevv)^ dishaban
(ergreifen, neqvixBWj (Svvbxbw), dishuljan (verhüllen, xaXvjnew),
disniman (zusammennehmen, besitzen, xcnixBw)^ dissitan (überfallen,
dissat Bhißs) ; in der That ist ja eine Bewegung zum Einen zugleich
eine Entfernung vom Andern. Unter den Conjunctionen fallt auf,
dass auk im Gothischen enim, in den andern germanischen Sprachen
et, etiam bezeichnet; die letztere Bedeutung scheint die echtere zu
sein. Am merkwürdigsten ist das gothische ei, welches zum Tbeil
noch deutlich seine alte Belativbedeutung hat, daneben aber doch
auch als Fragpartikel (ob) erscheint, endlich zur Einleitung von
Finalsätzen (dass, damit) verwandt wird; das griech. ort macht
einen ähnlichen Gang durch; svethauh ei heisst obgleich wie ovx
09» im Nachsatze.
In Bezug auf das Genus zeigt zwar das Gothische nicht
wenige Abweichungen von den übrigen deutschen Sprachen, doch
neige ich Allgemeinen der Ansicht zu, dass die Verschiebung in
den letzteren nach Absonderung des Gothischen eingetreten ist und
verweise deshalb auf das sechste Buch. Hier nur wenige Bemer-
kungen. Die Bd. I, 598 erwähnte Genusverschiebung des Wortes
Gott bestimmt sich für das Gothische so, dass das Wort guth
ganz neutrale Form besitzt, aber im Sing, als Masc. gebraucht
wird. Hienach scheint das Neutrum das Aeltere zu sein und darauf
wird bei Aufsuchung von Etymologien, deren keine bis jetzt allge-
mein anerkannt ist, Bücksicht zu nehmen sein. Bei marei Meer
126 rV. Volksetymologie.
fallt das feminine Geschlecht anf ; freilich ist das Wort etwas anders
gebildet als in den andern deutschen Sprachen ^ wo es zwischen
Msc. nnd Ntr. schwankt.
Ziemlich stark ist dagegen der Genaswechsel bei den ins
Gothische entlehnten Fremdwörtern; wir mausen dabei von den
Themen der letzteren ansgehn. Stämme anf griech. — lat -a haben
nat&rlich eine Neigung im Goth. männlich gebraucht zu werden,
so lat. fascia goth. faskja, eucharistia aivxaristiai drachma drakma,
uncia unkja, die alle als schwache Masculina behandelt werden;
auch aus dem Acc. Plur. aipistulans ist auf ein Masc. zn schliessen,
während dagegen der Nom. Sing, uns mit rein griechischer Endung
als aipistaule fiberliefert ist. Vereinzelt steht lat. lucema, welches
im Goth. wol durch Anlehnung an ein synonymes Wort als Neutrum
erscheint. Die Stämme auf fremdes -o neigen natürlich im Goth.
zum Uebergang ins Fem.; so ist wirklich evangelium im Goth. ein
feminines aivaggS^ö, daneben jedoch auch ein neutrales aivagg^li ;
das Neutrum vein folgt dem Genus des lat. Tinum, nicht dem des
griech. olvog. Ein Stamm mit nasalem Ausgange ist das lat. soorpio;
es behält im Goth. skaurpjö ganz seine Form, muss also Fem.
werden. Endlich der dentale Stamm, der im griech. spyris vorliegt,
war im Goth. in dieser Weise gar nicht zu brauchen; das W<Mi
wurde unter die Themen auf -an hinfibergefuhrt, lautet also ira
Nom. spyreida und das griech. Fem. ist goth. Msc. geworden.
Auch einige Spuren von Volksetymologie ergeben sich ans
dem Gothischen. Schon Bd. I, 608 wurde die Ansicht geäussert,
das goth. andbahts famulns sei ein aus dem Keltischen in alle
germanischen Sprachen entlehntes Wort, welches speciell im Gothi-
sehen sich an die Menge der Composita mit and- angdehnt habe.
Desgleichen wurde Bd. I, 489 erwähnt, das nur im Gothischen vor-
kommende viduvaima Wittwer enthalte eine volksetymologische
Anlehnung an vair vir, gewissermassen den Gedanken an ein vi-
duvavair. Hier ist ferner zu bemerken, dass einige jedenfalls (wie
aljakuns und samakuns) zu kuni genus gehörige Composita in ihrem
letzten Theile auf -kunds ansgehn, als gehörten sie zn konths notns;
so airthaknnds, gödakunds, gumakunds, himinaknnds, nfarhimina-
kunds, innakunds und qvinakunds. Auch meine Ansicht über den
Namen des Jordanes oder Jomandes möchte ich äussern ; ich glaube,
dass er wirklich Jordanes geheissen hat, wie dieser Name bei
bei deutschen Personen schon seit sec. 5 mehrfach vorkommt; der-
selbe wird Fremdwort sein und eignet sich wegen der Taufe im
Jordan vortrefflich als Taufname, hat ja auch im 8. Jhdt (vgl
mein Namenbuch) noch ein Fem. Jordana und die beiden West-
IV. Syntax. 127
fränkischen Composita Jordildis und Jordoin erzengt. Trotzdem
halte ich Jomandes fdr eine nicht so ohne weiteres za yerwerfende
Form, sondern glaube, dass die Gothen, eingedenk der andern zn
nautlyan gehörigen Namen, sich das Wort in ihrer Aussprache auf
diese Weise mundgerecht gemacht haben. An ein Ibumanths mit
Grinmi brauchen wir nicht zu denken.
Dass in irgend einer Weise das Gothische vom urdeutschen
Accente (s. Bd. I, 599) abgewichen sei, ist nirgend ersichtlich und
kaum glaublich«
»>^»^^^^^^^^^i^»^^S^>^^>'>^^^^
Sechster Abschnitt.
Syntax.
Hier ist es sehr schwer das eigenthfimlich Gothische voii dem
der griechischen Sprache Nachgebildeten zu scheiden. Wir werden
deshalb im Folgenden dem gothischen Ausdrucke den damit über-
setzten griechischen mdfstens gegenüberstellen; in der Begel sind
nur diejenigen Fälle für uns Ton Wichtigkeit, in denen das Gothi-
sche Ton der Wortfügung des Griechischen abweicht; Ueberein-
stimmnng kann eher auf blosse Nachbildung schliessen lassen. Ist
stnch letztere vielfach nicht zu leugnen, so zeigt sich doch nament-
lich, wenn man die von Ulfilas angewandten Verbalformen den
dadurch übersetzten griechischen gegenüberstellt, dass Ulfilas durch-
aus nicht sclavisch nachbildet, sondern seiner eigenen Auffassung
des Sinnes folgt, dass wir also in der That z. B. eine speciell
gothische Moduslehre construiren können. Ich erwähne hier z. B.
Burckhardt der goth. Conjunctiv (Zschopau 1872). Man erwäge
solche Fälle wie z. B. Böm. VIII, 35 hras uns afskaidai (gr.
Xfo^Bij Ind. Fut) af friathvai Xristaus. Die schöne Inauguraldis-
sertation meines früh yerstorbenen Freundes Artur Köhler über den
syntaktischen Gebrauch des Dativs im Gothischen (Dresden 1864)
werde ich im Folgenden mehrfach benutzen.
Ist es so schon schwer eine gothische Syntax aufzustellen, so ist
es noch viel schwerer (was hier unsere Aufgabe ist) den Unter-
schied zwischen gothischer und urdeutscher Syntax zu fixiren, da
die letztere ja noch (s. Bd. I, 599) für uns eine so gut wie unbe-
kannte Grösse ist. Die Dürftigkeit der folgenden Bemerkungen
rechtfertigt sich daher von selbst
128 IV. Syntax.
Für die VerbinduDg von SnbstantiT and SnbstantiT werdm
wir dem Urdentsehen noeh eine grosse Freiheit in der Stellung der
abhängigen Genetive zuzuschreiben haben; die Menge der gemein-
dentschen uneigentlichen Gomposita erklärt sich nur daraus^ dass die
Voranstellung des Genetivs vor das regierende Wort etwas sehr
gewöhnliches war, wie sie im finnischen Sprachstamme sogar Ge-
setz ist Im Gothischen nun sehn wir diese Freiheit ausserordent-
lich beschränkt, der Genetiv wird fast immer nachgesetzt und Orioim
kann Gramm. II (1826)^ S. 598 nur neun Beispiele aus Ulfilas fir
den vorangestellten Genetiv anführen.
Unrichtig ist es, wenn man es für eine speciell gothische
Eigenthümlichkeit hält, dass bei den Substantiven fraiga, skalks,
siponeis und svaihra zuweilen der Dativ stehen könne; in den Bei-
spielen kommt stets das Verbum visan, einmal auch vairthan vor
(thu is siponeis thamma, ni vairthaith skalkos mannam) und diese
Hülfsverba, nicht jene Substantiva sind jedenfalls die Veranlassung
zu den Dativen.
In Bezug auf die Verbindung des Substantivs mit dem praedi-
cativen Adjectiv hat sich ins Gothische schon hie und da eine
Abweichung von der geforderten Formencongruenz eingeschlichen.
So Gal. 2,16 ni vairthith garaihts (Masa) us vaurstvam vitödis
ainhun leike; Eph. 3,10 ei kannith (Ntr.) vesi handugei guths;
Gal. 5, 11 gatauran (Ntr.) ist marzeins galgins; Hatth. 8,31 tho
sköhsla bedun ina qvithandans (Msc); Mtth. 9,33 usdribans
(Msc.) varth unhultho. CoIIective Substantiva haben auch im Singular
mehrmals das Adjectivum im Plural nach sich, doch ist diese Weise
so weit durch die Sprachen verbreitet, dass wir darin kaum eine
That des Gothischen sehn können.
Wo ein Substantivum von einem Adjectivum in der Weise
abhängt, dass es anzeigt, in Bezug auf welchen Gegenstand die
Eigenschaft eines andern stattfindet, scheint im Gothischen schon
eine Unsicherheit der Construction eingetreten zu sein, die bei
längerem Leben der Sprache dem Gebrauche von Praepositionen den
Weg gebahnt hätte. So heisst es Eph. 614 für neQtCoKUifievok w^
öftqnSv zwar afgaurdanai hupins, dagegen im folgenden Verse für
vnoSfi<fdii€V(H tavg noSag gasköhai fotum. Liegt hier der UntM^
schied darin, dass im ersten Falle ein Participium, im andern ein
Adjectiv steht? Job. 11, 44 steht dedefiivog %ovg noiag «al %dg
%B%Qag und eben so gothisch gabundans handuns jah f5tun8.
Substantivum und Pronomen. Wir bemerken hier «nuTi
dass der Artikel sa im Gothischen gewiss schon häufiger als im
Urdeutschen zum Substantivum gesetzt wird, doch sind die Regeln
IV. Syntax. 129
ziemlich nDbestimmt und der Fortschritt Tom Urdeutschen znm Goth.
8t noch nicht zu ergrönden. Sehr conservativ ist das Oothische darin,
idass es bei gewissen Wörtern, die nach altheidnischer Anschannng
gottliche Wesen ausdrücken mnssten, stets den Artikel entbehrt, so
bei gnth, ferner bei atta und frai^ja, wenn sie für guth stehn, bei
snnnö, himins, airtha, halja und dauthus; endlich bei dags und
nahts, wenn sie nicht ein Zeitmass, sondern mehr die astronomische
Erscheinung ausdrücken.
Snbstantivum und Verb um. Wir ordnen hier nach den
Casus des Substantivs. Im Gebiete des Nominativs ist es als eine Ver-
dunkelung des echten Sprachgefühls anzusehn, wenn Job. 13, 13
Jus vopeid mik laisareis jah frauja statt des Acc. steht, wenn hier
nicht das griech. vfistg gxovette fie 6 SiSdtSxalog xcu o xvQU)g (Vnlg.
TOS vocatis me magister et domin^?) von Einfiuss gewesen ist.
Merkwürdig ist auch, dass das griech. eVrl beim Neutr. Plur.
zweimal (Job. 6, 63 und 1. Gor. 12, 12) im Gothischen durch den
Sing, isl wiedergegeben wird.
Für den Genetik bemerken wir, dass dieser Casus öfters in
einer an den partitiven Gebrauch streifenden Weise unabhängig
Tom Griechischen gesetzt wird, was schwerlich schon urdeutsch
war; so Malth. 9, 36 ni habandona hairdeis, Marc. 8, 12 jabai
gibaidau kunja thamma taiknS, Marc. 12, 2 ei at thaim vaurstvjam
nemi ak ran i s this veinagardis, Marc. 12, 19 jah barne ni bileithai,
Luc. 1, 7 : jah ni vas im barne. Aufifallend ist, dass bei hausjan,
das sonst auch den Accusativ und Dativ regiert, zuweilen der
Genetiv steht, wenn dabei der Begriff des gehorsamen Aufmerkens
im Hintergrande liegt; so Job. 19, 13 thanuh Peilatus hausjands
thize (vaurde), griech. o ovv üiXAtog dxovcfag tovrov tov Xoyov; man
vergleiche auch Job. 10, 16 stibnös meinaizos hausjand und ähn-
lich Job. 18, 37 bauseith stibnos meinaizos. Räthselhaft bleibt
der Grenetiv bei bilpan und gahilpan, womit das griech. ßotid'S'Sv twi^
(fvXXaiißdvBC^ai %ivi wiedergegeben wird; so Marc. 9, 22 hilp unsara,
Marc. 9, 24 hilp meinaizos ungalaubeinais, Luc. 5, 7 ei atiddjedeina
hilpan izS, II. Cor. 6, 2 gahalp theina.
Dass dem gothischen Dativ vieles aufgebürdet wird, was
ihm eigentlich nicht zukommt, geschieht wesentlich aus dem Grunde,
weil dieser Casus auch den Ablativ und Instrumental mit vertreten
mnss. Dass er den vor undenklicher Zeit verlorenen Ablativ ersetzt^
ist weniger auffallend und nicht als speciell gothischer Vorgang
anzusehn; Köhler giebt in der angeführten Schrift S. 49—51 zahl-
reiche Beispiele solcher ablativischen Dative; aber dass der erst
jüngst verlorene Instrumental auch in den gothischen Dativ eingeht|
förstematm, Gescä, d, d. Sprw}h9tamme$. //. 9
130 IV. Syntax.
ist schon mehr ein hieher gehöriges Sprachereigniss; so Marc. 8, 4
gasottyan hlaibam, Marc. 9, 49 fnnin saltada n. s. w.; in der
neapolitanischen Verkanfsurkunde steht yiennal nfmelida handaa
meinai. Aber aach ausser diesen ablativisehen und instrumentalen
Dativen erscheinen noch viele, die unsere Aufmerksamkeit in hohem
Grade in Anspruch nehmen. Mag auch bei manchen Verben die
Präposition, mit der sie zusammengesetzt sind, einen EiniBuss auf
die Wahl des Casus ansähen (Köhler S. 47 hat solche Beispiele
gesammelt), mag auch bei andern der Dativ sich durch eine frühere
uns verlorene Bedeutung des Verbums erklären, immer bleibt hier
noch genug des Aufifallenden und speciell Gothi sehen übrig; ich
glaube, dass hier vielfach noch eine Erschütterung des Sprach-
gefühls nachwirkt, die eintreten musste, als die alte Accuaativ-
endung im Singular unterging und nun der Oenetiv und Dativ dio
beiden ganz klar ausgebildeten Casus blieben; da übernahm der
Dativ in höherem Masse die Function für das Ziel, für das Wohin,,
als ihm gewiss ursprünglich zukam. Hiemit scheint es zusammen-
zuhängen, dass manche Verba, wie wir gleich sehn werden, in der
Wahl zwischen Dativ und Accus, schwanken.
Zunächst haben wir hier eine Anzahl Verba zu verzeichnen,
denen das gemein ist, dass sie eine feindselige Handlung oder
Gesinnung ausdrucken. Für den Begriff des Tödtens finden wir
zwar bei dauthjan, afdauthjan, afslahan und maurthrjan stets den
Accusativ, bei dem gleichbedeutenden usqviman jedoch nur selten
diesen Casus, gewöhnlich den Dativ; ich stelle dazu gleich usqvistj an
und fraqvistjan, die beide gleichfalls schwanken, doch so, dass
jenes den Acc, dieses den Dat. vollzieht; beim einfachen qvistjan
steht gleichfalls der Dat. (Luc. 9, 56 unte sunus maus ni qvam
saivalom qvistjan, ak nasjan). Für den Begriff des Schmähens,
Hassens, Verachtens findet sich Mehreres; so zuerst laian mit
dem Dat. Joh. 9, 28 (thanuh lailöun imma); dann hvotjan drohen,
das nebst seinem Compositum gahvotjan an verschiedenen Stellen
den Dativ hat, eben so sakan, das im Sinne von zurechtweisen
zweimal den Dativ hat, während das Compositum gasakan zwischen
beiden Casus schwankt. Bei balvjan quälen ist der regelmässige
Casus der Dativ (z. B. Matth. 8, 29 qvamt h6r faur mel balvjan
unsis?), eben so bei usthriutan belästigen (z. B. Marc. 14, 6 duhve
izai usthriutith?), femer bei usagljan misshandeln (z. B. Luc. ISy 5
ibai und andi qvimandei usagljai mis). Zum Verachten gehört auch
das Verwerfen und Verlassen; ich erwähne uskiusan verwerfen
(z. B. Luc. 20, 17 stains thammei uskusun timijans), usvairpan
desgl. (z. B. Luc. 6, 22 nsvairpand namin izvaramma sve ubilamma),
IV. Syntax. 131
bei welchem Verbum jedoch auch öfters der Acc. steht, afbrikan
nicht erhöreoi abweisen (z. B. Marc. 6| 26 ni vilda izai nibrikan),
frakannan verschmähen (z. B. 1. Thess. 5, 20 pranfeljam ni fra-
konneith), bileithan verlassen, das viel häufiger den Dativ als den
Acc. regiert. Am Schiasse dieser Gruppe erwähne ich noch hatizön,
das im Gegensatz zu dem primitiven hatan den Dativ verlangt, also
mehr unserm zürnen entspricht
Eine andere Begriflfsgruppe, die sich der dativen Gonstruction
zuneigt, bilden die Verba, die ein Herrschen und Regieren be-
zeichnen. Da ist zunächst valdan, z. B. 1. Tim. 5, 14 garda valdan
cixoieffnotsZvy und in der etwas aufiTälligen, doch nicht unerklärlichen
TTebersetzung von xcu dqxBl^^B %olg oifHxyvtoig vfKSv (Luc. 3, 14)
durch j»b valdaith annom izvaraim. Dann reikinon, welches nie
anders ^Is mit dem Dativ vorkommt und so das griechische a^erv
mit dem Genetiv übersetzt, z. B. Joh. 14, 30 qvimith saei thizai
manasedai reikinöth. Dann auch frai^inon, z. B. Luc. 2, 29 frauji-
nönd fraiga, und so an manchen andern Stellen.
Die übrigen Verba, bei welchen dem Gothischen, so viel ich
sehe, der Dativ eigenthümlicb ist, fasse ich in ein nach dem ein-
fachen Worte geordnetes alphabetisches Verzeichniss zusammen.
bairgan, bewahren, schützen; so Joh. 17, 15 ^i baii^ais im
und Joh. 12, 25 bairgith izai. Ja sogar im Passiv hat gabairgan
den Dativ bei sich Matth. 9, 17, wo dfig>6teQov <fwrriQovvTcu über-
setzt wird mit bajöthum gabairgada.
usdreiban, womit das griech. ixßdXXew, dmxitiXkaw übersetzt
wird, hat nur an drei Stellen (Marc. 5, 10 und Luc. 9, 40 und 43)
den Dativ, an sieben andern den Acc. bei sich.
frathjan ^^or^Iv, selbst ni frathjan dpfoelkfd^cu hat an zehn
Stellen den Dativ (stets von Sachen, nie von Personen), so dass
die Gothen das Wort intransitiv (klug, verständig sein) gefasst haben
werden.
gaumjan wahrnehmen zeigt sich an vier Stellen mit dem Dativ,
nie mit dem Acc.
hausjan hören regiert zwar den Acc, wenn das bloss sinnliche
Wahrnehmen des Schalles gemeint wird, den Dativ aber, wenn
dabei an das geistige Aufmerken oder gar das Gehorchen zu denken
ist Dass andhausjan und ufhausjan in dem letztgenannten Sinne
den Dativ haben, fällt nicht auf, aber auch in der Bedeutung von
erhören hat andhausjan dreimal den Dativ.
hleibjan schonen zeigt nie den Acc, den Dativ dagegen Luc
1, 54 hleibida Israela thiumagu seinamma (griech. dvtiXaiißdvec&ai).
9»
132 IV, Syntax.
borinöo (moechariy iioixevsi/v) bat den Dativ Mattb. 5> 28: ga-
borinoda izai.
kukjan kässen ist eins der auffallendsten anter diesen Verben;
80 steht Marc. 14, 44 thammei kakjau; wo Otfrid sagt tben ih küsse;
im Afad. steht hier immer der Aeens», so anch im Heliand kossin
ina; aaeh altn. kyssa hat wol immer den Aecns. Noch in vier
andern Stellen ausser der angefahrten bat kukjan bei Ulfilas
den Dativ.
galukan xXeisi/v finden wir mit dem Dativ Hatth. 6, 6: gala-
kands haurdai theinai, während sonst dieses Verbam immer den
Accus, bei sich hat.
fraqviman, mit der auffallenden Bedeutung von aufwenden, ver-
zehren (dvaU(fx€iVy nqogavaXi(Sxew^ icmaväv) zeigt wie das schon
oben angeführte nsqviman den Dativ Marc, ö, 26: fraqvimandei
allamma seinamma so wie noch an zwei andern Stellen.
skaidan scheiden xoaqiCByv regiert den Dativ Marc. 10, 9 : manna
thamma ni skaidai, in andern Stellen stehn dabei Praepositionen.
t6kauy attekan berähren, anfassen, amsa&ai, verbindet sich ganz
regelmässig an einer grossen Anzahl von Stellen mit dem Dativ,
dreimal sogar mit dem doppelten Dativ, nämlich an den gleich-
lautenden Stellen Matth. 8, 3 und Luc. 5, 13 handu attaitok imma
und Marc. 5, 30 hvas mis taitök vastjöm (griech. lig fiov ^ipmo
gathlaihan umarmen, liebkosen hat in ähnlicher Anschauung
wie kukjan den Dativ, z. B. Marc. 10, 16 gathlaihands im.
vairpan werfen (usvairpan begegnete schon oben) schwankt in
der Rection zwischen Dativ und Accusativ; jener z. B. steht Marc.
4, 26: vairpith fraiva {ßdXri %6v (Snoqov).
vitan beobachten, bewachen verbindet sich regelmässig, and
zwar an nicht wenigen Stellen, mit dem Dativ, z. B. Marc. 6, 20
vitaida imma jah hausjands imma manag gatavida jah gabauijaba
imma andhausida, wo wir drei der hier erwähnten Verba in einem
halben Verse mit dem Dativ construirt sehn.
Ueber alle diese Verba so wie auch über diejenigen, bei denen
der Dativ weiter nicht auffallend ist, findet man Näheres in der
angeführten Schrift von Köhler mit manchen feinen Bemerknngen.
Ueber den Accusativ ist kaum etwas Auffallendes zu bemer-
ken. Den Acc. c. Inf. kennt das Gothische etwa in demselben
Umfange wie das Altslavische, scheint also ^^^gte dessen Sphaere
ausgedehnt noch bescliränkt zu haben. Ißit^gl^^nQiiYi. stimmt es
hierin Marc. 8, 27 hvana mik qvithand maris vlsan? = xS^a iie
k^wffw oi ävd'Qfonoi ehm\ und eben so Marc. 10, 36 hva vileits
IV. Syntax. I33
taajan mik igqvis? == tt d^ilete jioi/^aai fis vfjttv] dagegen gebrancht
das Goth. die Gonstraction, wo sie das Grieeb. nicbt bat, Lac. 4'
36: jah yarth afslaathnan allaus ==■ xal iyiveTO •S'dfißog imndvxag.
Fär den Instrumental ist merkwürdig der Gebraneh dieses
Casus bei galeikön {ofWLovv, 6fwu>va&(u\ das sonst den Dativ regiert,
in den beiden Stellen Marc. 4, 30 hve galeikdm thiudangardja
gutbs, und Luc. 7, 31 hve nu galeiko tbans maus tbis kunjis jah
hve sijaina galeikai? n
Substantivam und Partikel. Speciell gotbisch ist es, dass
die Praeposition in (ausser den Dat und Acc.) aucb den Genetiv
regiert, letzteren namentlicb in der Bedeutung von wegen als
Uebersetzung von dtd mit Gen. oder Acc, inl mit Dat., vtisq mit
Gen., n€Ql mit Gen., x^Q*^ ^^ Gen.; zu bemerken sind die adver-
bialischen Verbindungen in tbis oder inuh this darum, deshalb, in
thizei, in thizeei weil, weshalb, in thizözei vaihtais um deswillen,
in bvis weshalb.
Bei den Begriffen legen, setzen u. dgl. steht m mit dem
Dativ, bei qviman in und ana meistens auch mit dem Dativ: Marc.
6y 29 galagidSdnn ita in hlaiva = ed^xav avrd iv iivri(iBiv^\ 1. Cor.
12, 18 gasatida lithuns in leika = id-eto id fiiXri iv reo awfum',
Luc. 3, 17 briggith kaum in bansta seinamma = awa^ev tov tfttov
Big Tiiiv dno&TJxriv avrov] Marc. 6, 1: qvam in landa seinamma =s
tfld-ev eig t/jv natQiSa avtov-^ Luc. 19, 5: qvam ana Stada = riXB-ev
inl ToV tonov. Dagegen heisst es altn. kominn i höll anlam ingres-
sus. Bei leggja schwankt der Gebrauch der Praep. ä mit Dat.
oder Acc; letzterer scheint häufiger; bei setja z. B. stafn i haf
naves in altum dirigere. Ahd. kumit in gotes antwart, qvam in
werlt, chome in not u. s. w.^ legeti sina baut an inan, legent dea
in fiures ovan, legitun iro haut in then heilant; bei sazjan steht in
oder ana mit Dat. und Acc. Also iiberall sehr abweichend vom
Gothischen.
Sehr auffallend ist, dass für den Sinn zu jemand reden bei
rödjan, das sonst gewöhnlieh du mit Dat., oder seltener den blos-
sen Dativ, zweimal auch tnith c. Dat. hat, einmal in c. Dat. steht
Luc. 2, 38 rödida bi ina in allaim thaim iXdXei neQl avrov näöi rötg.
Adjectivnm und Verbum. Die Zusammensetzung des Par-
ticipiums mit dem Verbum im dient schon gewiss mehr als im
Urdentschen zum Ersatz für Verbalformen, theils für noch vorhandene
wie sitands ist er sitzt^ theils für untergegangene wie tauhans vas
er wurde geführt oder faauhiths im ich bin verherrlicht worden.
Pronomen und Numerale. Da die Distributivzahlen im
Gothischen alle bis auf tveihnai untergegangen sind, so macht sich
134 IV. Syntax.
hier eine Umschreibnng notbig, die in der Weise eintritt, daas die
Cardinalzahl mit dem Pron. hvaznli oder hvaijiznh yerbunden wird;
SL B. insandida ins tvans hyanznh Lac. 10| 1; gayaurkeith im
anakombjan knbitons ana hvarjandh fimftigans Lue. 9| 14. Statt
des Pronomens kann aaeb die Praeposition bi eintreten, z. B. bi
tvans aitthan maist thrins 1. Cor. 14, 27.
Ffir die Verbindung TOn Pronomen und Verbnm weiss icb
als speciell gothisch nur zu erwähnen das sehr auffallende m/A isl
kara fiiXei fioi, welches an fünf Stellen vorkommt; man wird mit
Grimm annehmen mässeui dass der Gothe damit ein ihm wol
erlaubtes, für uns freilich nicht nachzuweisendes näk karaith ersetzen
wollte.
Die Verbindung von einzelnen Pronominalcasus mit Partikeln
führe ich unten an, da jene Casus selbst schon zu Partikeln ver-
steinert sind.
Verb um und Verb um. Wir sehn das Gothische mehrfach
in einer ihm eigenthämlichen Weise auf dem aus den verschieden-
sten Sprachen so vielfach bekannten Wege fortschreiten, dass die
Einbussen des alten Gonjugationssystems durch Hfilfsverba ersetzt
werden, welche die Form des Hauptverbums vertreten, während
letzteres nur noch seine Substanz, nicht mehr seine Form zur
Geltung zu bringen hat.
Träger des Futurbegriffs sind in dieser Weise die drei Verba
skulan, haban und duginnan, das erste wie im Angelsächsischen,
das zweite wie in den romanischen Sprachen, das dritte als gothische
Besonderheit. Beispiele sind: hva skuli thata bam vairthan
Luc. 1, 66> saei skal stöjan 2. Tim. 4, 1; tharei ik im, thamh
sa andbahts meins visan habaith Job. 12, 26> ith thatei tauja
jah tau Jan haha 2. Gor. 11, 12; unte gaunon jah gretan
duginnid Luc. 6, 25, in thamma faginö jah faginon duginna
Phüipp. 1, 18.
In einer eigenthämlichen Gährung finden wir das Gothische
in dem Bestreben den Begriff des Infin. Passivi auszudrucken. Ab-
gesehen von der nicht hieher gehörigen Vertretung desselben durch
den blossen Activinfinitiv oder durch denselben mit dem Beflexiv-
pronomen sehn wir hier die Verba vairthan und skuld visan helfend
eintreten; z. B. skal sunus maus manag vinnan jah uskusans
vairthan Luc. 9, 22, ganz nach unserer Weise, sunus maus
sknlds ist atgiban Luc. 9, 44^ so dass in dem letzteren Falle
der Infinitiv durch den Znsatz passivisch verstanden wird, während
im ersteren das vairthan gewöhnliches Hiilfsverbum ist.
Hervorgehoben zu werden verdient auch der eigenthumliche
IV. Syntax. 135
Gebrauch dieses vairthan mit dem Infinitiv und einem dazu gehörigen
Dativ, wo der Infinitiv ganz für ein Substantivum steht, z. B.
2. Cor. 7, 7 svaei mis mais faginon varth, Marc. 2, 23 jah varth
thairhgaggan imma thairh atisk, Luc. 6, 1 jah varth gaggan imma
thairh atisk, Luc. 6, 6 jah varth galeithan imma, Luc. 6, 22 varth
than gasviltan thamma unledin; hier finden wir überall im griech,
Text iyevezo mit Acc. c. Infin.
Verb um und Partikel. Hier erwähne ich zuerst, dass faur-
thizei (bevor, ehe) ganz wie das lat. priusquam den Optativ
regiert. So tritt es ein in Stelle des griecb. ngd rov mit Acc. c.
Inf. Matth. 6, 8 faurthizai jus bidjaith ina, Luc. 2, 21 faurthizei
ganumans vesi in vamba, Joh. 13, 19 faurthizei vaurthi, Joh. 17,5
faurthizei sa fairhvns vesi, Gal. 2, 12 faurthizei qvemeina sumai;
ferner für nQlv mit Acc. c. Inf. Joh. 8, 58 faurthizei Abraham
vaurthi, Joh. 14, 29 faurthizei vaurthi, Marc. 14, 72 faurthize hana
hrukjai; endlich auch für nQlv rj mit Conj. Luc. 2, 26 faurthize sehvi.
Bemerkenswerth ist auch, wie das Gothische die Gonsecutiv-
sätze mit griech. äa%€ wiedergiebt. Wir finden für äare t6 nXolov
Mkv7vtB(S^(u Matth. 8, 24 svasve thata skip gahulith vairthan, und
für oKfre omov xa^ifd'av Marc. 4, 1 svasve ina gasitan. Ist das
echt gothisch, wie es kaum anders sein kann, so ist es dem
Gothischen eigenthümlich ; natürlicher heisst es vom deutschen
Standpunkte aus für ätfte ^avfid^ei/v tov 'qyefiova Matth. 27, 14
svasve sildaleikida sa kindins und für &(fte aw^rirsTv Marc. 1^ 27
svaei sökidedun mith Bis.
Partikel und Partikel. Es ist ein Zeichen vorgeschrittener
syntaktischer Feinheit und logischen Bedürfnisses, wenn die Sprache
das lebhafte Streben zeigt eine Partikel mit der andern, die im-
merhin ein versteinerter Fronominalcasus sein kann, zu einer
höheren formelhaften Einheit zu verschmelzen. Davon giebt das
Gothische mehrfache Belege; ich erwähne in this deshalb, darum,
faurthizei bevor, ehe, fram vigis fortwährend, für immer (hier also
sogar mit ursprünglichem Substantivum), bi thamma auf dieselbe
Weise, eben so, hvan filu mais thamma je mehr, desto mehr, in
thammei darüber dass, als, wenn, weil, ei than daher, mithin, ju-
than schon, du th^ deshalb, darum, du hve weshalb, warum, bi
the nachher, späterhin (als Conjunction als, wenn), eithau wo nicht,
ei aufto ob etwa.
Wir kommen nun zu den zusammengesetzten Sätzen, die
wesentlich darauf hin anzusehn sind, wie weit etwa der Indicativ
in das dem Optativ gebührende Oebiet hinübergreift und wie weit
der letztere etwa dem ersten in den Weg tritt.
186 IV, Syntax.
Als Beispiel des ersteren Falles fallt der specieü gothisdie
Gebraacb auf, dass in abhängigen Sätzen das Praes. Ind. öfters
steht, wo das Praet. Opt. logisch richtiger wäre, z. B. gahaosjands
thatei Jesus sa Nazöraios ist Marc. 10, 47, oder thamh than
gasahv managei, thatei Jesus nist jainar Job. 6, 24
Wichtiger sind die Uebergri£fe des Optativs, die stets einen
siegreichen Kampf der Gefügigkeit gegen die Starrheit bekunden.
So scheint es speciell gothisch zu sein (wenn auch das Ahd., wie-
wol weniger ausgeprägt, diesen Gebrauch kennt), dass der Optati?
bei temporalen Nebensätzen mit than und bith6 gebraucht wird,
wenn die Hauptsätze selbst optatiriseh oder Imperativisch sind, z.
B. Gol. 16, 2 ei ni, bithS qvimau, than gabaur vairthai (damit nicht,
wenn ich komme, dann erst die Steuer geschehe), und so noch
in manchen andern Fällen« In ganz ähnlicher Anschauung wirft
der Hauptsatz seine Färbung auf den Nebensatz hinüber in dem
Falle, wo eine Negation oder ein Fragwort in jenem steht, dieser
aber ein Relativsatz ist. So z. B. Marc. 10, 29—30 ni hvashun
ist, saei aj9ailöti gard, -saei ni andnimai, Marc. 7, 15 ni vaihts
ist utathrö maus inn gaggandö in ina, thatei magi ina gamainjan,
Luc. 1, 61 ni ainshun ist in kuiga theinamma, saei haitaidau
thamma namin, 2. Gor. 12, 13 hva auk ist, thizei vanai veseith,
Marc. 8, 2 ni haband, hva matjaina, Matth. 9, 28 gaulaubjats,
thatei magjau thata taujan?
In den absoluten Participialsätzen ist es sehr zweifelhaft, ob
das Gothische die urdeutsche Stufe überschritten hat, denn bei den
geneÜTisohen und dativischen Wendungen bieten die andern deut-
schen Sprachen Parallelen und für die wenigen Fälle, wo man
absolute Nominative oder Accusative annehmen könnte, lassen sich
auch andere Wege zur Erklärung finden.
Siebenter Absehnitt.
Elnfluss fremder Sprachen«
Da uns vom Gothischen keine Volksliteratur, sondern nur
eine Uebersetzung erhalten ist, so werden uns die in letzterer ent-
haltenen Fremdwörter nur ahnen lassen, wie weit der gothische
Sprachgeist dem Fremden Zutritt gestattete, durchaus aber nicbt
im einzelnen Falle zu dem Schlüsse berechtigen, dass dieses oder
jenes Wort sich auch im Gothischen Volksmunde heimisch gemadit
IV. EinflüSB des Griechischen. 137
labe. Gar nicht ist das der Fall gewesen mit den meisten Fremd-
wörtern zweiter Potenz, ich meine mit denjenigen Ausdrücken,
die bereits im griechischen Texte aus dem orientalischen Sprach-
schatze herüber genommen sind, wie abba Vater, ailöe und helei
mein Gott, bauanairgais Donnerkinder, gaiainna Hölle, kaurban
Gabe, kaurbanus Tempelschatz, mammöna Reichthum, manna Manna^
rabbi, rabbaunei Rabbi, raka Taugenichts, saban feine Leinwand,
sikls Sekel, taleitha Mägdlein, aiffatha öffne dich, kumei stehe auf,
maran atha der Herr kommt, sibaktbani du hast mich verlassen,
ftsanna Hosianna, lima warum ; als wirklich in das Volk übergegangen
sind von diesen hebraeischen Wörtern nur amen Amen und sabbatus
Sabbat anzusehn, von welchem Ulfilas auch das hybride afarsabbatö
Hachsabbat bildet.
Von den griechischen Fremdwörtern, die wir im Gothischen
finden, ist schon Bd. I, 612 ff. eine Anzahl vorweg genommen, da
sie dem ganzen deutschen Sprachstamme gemeinsam sind. Von
diesen ist hier weiter nichts zu sagen, als dass sich von mehreren
im Gothischen noch deutsche Bildungen und Ableitungen finden,
die recht ihren Uebergang in den gothischen Sprachschatz bekunden;
so von episcopus (Bd. I, 613) das Fem. aipiskaupei-n Bischofsamt;
evangelium (s. ebds.) erscheint im Gothischen als starkes Neutrum
aivaggeli und als schwaches Fem. aivaggeljö-n, femer mit griech.
Endung aivaggelista Evangelist und als deutsches Wort aivaggSljan
das Evangelium verkünden; von eXttMv oleum (Bd. I, 616) haben
wir das Adj. alevs (fairguni alevjö Oelberg) und das hybride Subst.
alevabagms Oelbaum; von apostolus (Bd. I, 612) bildet Ulfilas
das Fem. apaustaulei-n Apostelamt und das hybride galiuga-
apaustaulus Lügenapostel; von purpura (Bd. I, 616) das Verbum
paürpurön mit Purpur färben; von diabolus (Bd. I, 613) das Fem.
diabula Verläumderin; von presbyter (Bd. I, 613) das Fem. praiz-
bytairei-n Priesterschaft; von propheta (s. ebds.) das Fem. prau-
ieteis Prophetin, das Neutrum praufSti Pro]Aiezeinng, das Verbum
praufetjan prophezeien und die beiden hybriden Zusammensetzungen
galiugapraafgtus und liugnapraufetus (vgl. auch galiugaxristus) ;
psalma (s. ebds.) erscheint nicht bloss als starkes Fem. psalma,
sondern auch als schwaches psalmö.
Bekunden schon diese Fälle die Leichtigkeit, mit der der Gothe
sich die griechischen Ausdrücke assimilirte, so thut das noch mehr
der Ueberschuss, den das Gothische vor dem gewöhnlichen
deutschen Masse griechischer Fremdwörter voraus hat. Es sind
etwa folgende: aikklesjö-n (also mit deutscher Endung) Kirche,
aivlaugia (schwaches Msc; Segen ^ aivxaristia (schwaches Msc.)
138 IV. EmflnBB des GrieohiBchen.
Danky anathaima Verflachang, aromata Specereien , anrahi (st fem.)
Grab (doch wol das griecb. 6qvxij)f azymos angesäuertes Brod,
barbams Barbar, byssus feine Leinwand/ daim6nareis (mit dentscber
Endung gegen griecb. daifwviiofiBvog) der Besessene^ drakma (achw.
Msc.) Drachme, gazanfylakiaun Schatzhaas , hairaisis Ketzerei,
hyssöpo Ysop, jöta (schw. Msc.) P&nktohen, martyr (im Calender)
Märtyrer, nardns Narde, paraUetus Tröster, paraskaivS Bfisttag,
smym Myrrhe, spyreida Korb ^7tvQlg\ synagöge Synagoge nebst
dem hybriden synagogafaths, zelötes Eiferer. Bemerkenswerth ist,
dass Ulfilas zweimal das griecb. taitrarkes Vierfärst nnfibersetzt
lässt, während er Lac. 3, 1 TetQOQxoSvtog vijg Faldaiftg 'Hq{6Sov ete.
mit fidarraginja a. s. w. dreimal wiedergiebt, und zwar begegnet
taitrarkes Luc. 3, 19 und 9, 7; es ist als bereute der Uebersetzer
die vorhin gebrauchte Uebersetzung, bei der sich die Gotben doch
keinen recht klaren Begrifif machen konnten. Von Acijectiven ist
judaivisks jüdisch nqch dem dritten Buche zuzurechnen, aber das
Adv. judaiviskö und das Verbum judaiviskön zeigen die Assimi-
lationsgabe des Gothischen; sonst ist noch zu erwähnen das Adj.
pistikeins (das griecb. m(ftix6g, aber mit deutscher Endung); auch
der lateinische Text hat hier (Job. XII, 3) das entlehnte pisticus
Sehr auffallend ist das einzige in diese Beihe gehörige Verbum
kaupatjan ohrfeigen, womit an den vier Stellen, da es vorkommt,
das griecb. xoXag^i^etv übersetzt wird; wie Ulfilas dazu kam, dies
Wort nicht durch ein gotbisches wiederzugeben und zweitens so
umzuwandeln, ist kaum einzusehn; und doch scheint es dies griechi-
sche Wort zu sein, denn zur Herübemabme von xotttoo wäre vollends
kein Grund abzusehn; die Deutung aus dem Deutschen ist nicht
gelungen.
Bei manchen dieser Wörter befremdet es überhaupt, . dass der
GU)the das griechische Wort stehn liess; wie viefl geschickter (zum
Theil sogar schön) hat Luther einige dieser Ausdrucke behandelt!
Einen mehr innerlichen Einfluss des Griechischen sahen wir
schon oben in der Wiedergabe von dvayiyvokxo) lesen durch anaknn-
nan (wovon sogar dasSubst. anakunnains Lesung) und lonoXoxavtwfMa
Brandopfer durch alabrunsts. Luc. 2, 1 bildet Ulfilas dnoyQdg>ea&M
genau durch sein gamgljan nach, aber im folgenden Verse scheut
er sich das Substantivum dnoyQagyq etwa durch gam@leins wieder-
zugeben, da dies doch nicht recht den technischen Begriff von
census ausgedrückt hätte; er setzt dafür gilstrameleins, so dass
man hier deutlich die Grenze der Nachbildung sieht.
Genauer müssen wir die bei Ulfilas begegnenden lateinischen
Ausdrücke ins Auge fassen, da sich an diese eine sehr wichtige
ly. EinfliiBS des Lateinischen. 139
Präge knüpft. Wir haben hier drei Glassen dieser Ausdrücke za
scheiden.
1) die lateinischen Wörter sind bereits in den griechischen
3nmdtext übergegangen , wo sie also Ulfilas bereits vorfand; sie
leweisen daher nur für das Eindringen römischen Wesens in Fa-
ästina, kaum etwas für das Gothische. Hieher gehört vor allem
Caisar, das an nenn Stellen dem schon griechisch gewordenen
talaaQ entspricht und wofür der Oothe bei der völligen Verschieden-
lieit des germanischen Eönigthums von dem römischen Imperatoren-
Riesen unmöglich eins seiner Wörter für Herrscher anwenden konnte.
Einmal wird das Wort sogar, wo es im Griechischen nicht steht,
EU einer jedenfalls erst von Ulfilas geschaffenen Neubildung benutzt,
Dämlich zu den zusammengesetzten kaisaragild; hiemit wird das
ins Griechische übergegangene xijv<fog (census) wiedergegeben, für
das der Gothe kein gothisches Wort fand, da eine regelmässige
Besteuerung der freien Volksgenossen ihm völlig unbekannt war.
Andere solche lateinische sowol in den griech. als goth. Text über-
gegangene Ausdrücke sind assarius d<f<fdQu>v (mit griechischer
Ableitung), laigaiön XeyuoVj das an zwei Stellen begegnet, wäh-
rend an einer dritten das Fremdwort, obwol es als Name gebraucht
ist, dennoch durch harjis übersetzt wird; maimbrana (schwach decli-
nirt) iMixßqdva; praitöria, praitöriaun nqcutioqiovy an fünf Stellen;
spaikulatur anBxovXdt(üq,
2) die lateinischen Ausdrücke sind selbst griechische Fremd-
wörter; das Gothische lehnt sich bei ihrer Wiedergabe aber nicht
an die im griechischen Text vorgefundene, sondern an die lateini-
sche Form an. So heisst es griech. cxoqniog^ im Goth. aber mit
schwacher Form skaurpjö (als Fem.); das griech. noQg>vQovg wird
im goth. paurpurods, das zweimal begegnet, nicht herübergenom-
men, sondern vielmehr das lat. purpuratus, das eben so wie das
goth. Wort eine Participialbildung ist. Dass nicht das griech. olvog,
sondern das lat. vinum dem deutschen Worte zu Grunde liegt, ist
allgemein deutsch (Bd. I, 616); dem Gothischen fugt sich das
Wort mit grosser Leichtigkeit zu den hybriden Bildungen veinabasi,
veinagards, veinatains, veinatriu, veindrngkja.
3) der gothische Text hat das lateinische Wort nicht vorge-
funden, sondern gewählt; der wichtigste Punkt. Unter den hier
zu erwähnenden Ausdrücken ist zuerst auszusondern das oft am
Rande zur Bezeichnung von Perikopen beigeschriebene laiktjo
(lectio), welches sich nur im Cod. Ambros. B findet, also durchaus
nicht von Ulfilas herrührt, sondern jünger ist Die übrigen latei-
nischen Ausdrücke sind neun an Zahl ; sehn wir zu, ob der Gt)the
140 ^* £inflii8B des Lateinischen.
sie als volksthümlich gewordene Fremdwörter vorgefunden oder
in einer gewissen Noth gesucht hat Häufig unter ihnen begegnet
nur das Verbum anakumbjan, womit das griechische dvaMela&at,
dvaxXlveif^cUy dvamjrtsw und andere Ausdrucke wiedergegeben
werden und womit das römische, den Deutschen unbekannte Nieder-
legen zu Tische bezeichnet wird, also gewiss kein den Gk>then
geläufiges Wort; dazu gehört gleich das Substantivum kubitus, das
Niederlegen zu Tische, das nur einmal begegnet und das griech.
xkiASia übersetzt. Viermal bei Ulfilas und einmal in der Skeireins
zeigt sich lukam {}.v%vog)y ausserdem dreimal in der Zusammen-
setzung lukamastatha {Xvxvla); in den römischen Kerzen und
Leuchtern begegnete allerdings den Gothen ein ganz fremdartig
eingerichtetes Geräth, das ihnen überall in grosser Anzahl aufstiess.
Zweimal finden wir als Uebersetzung des griech. öipwviov das
lat. annona als gothisches Fem. anno; mit annöna wurden jene
Tributzahlnngen bezeichnet, zu denen sich seit lange Born den
Gothen gegenüber hatte verstehn müssen; im einheimischen gothi-
schen Leben ist das Wort gewiss unbekannt gewesen. Aurkeis
urcens haben wir an zwei einander benachbarten Stellen, wo schon
als Synonyma die gothischen Ausdrücke katils und stikls gebraucht
werden, also eine gewisse Noth um ein Wort eintrat, da kas wol
zu allgemein war. Die vier andern Wörter sind ämx^ IsYOfievay
also gewiss nicht den Gothen in Fleisch und Blut übergegangen.
Zwei derselben zeigen sich noch dazu in einem Verse zusammen.
Es heisst nämlich Job. 11, 44 Jah urrann sa dautha gabundans
handuns jah fötuns faskjam, jah vlits is auralja bibundans;
dafür lautet es im Griechischen Kai i^rjX&ev 6 Tedyrjxcigy dedeixevog
tavg nodag xdl rdg x^*^Q^^ xet^laig xal rj oxf)vg avtov dovdaqU^
neQvedideto. Man sieht also, dass schon das Griechische seine Noth
hatte, diese eigenthümlichen an die ägyptischen Mumien erinnern-
den Hüllen hebräischer Leichname auszudrücken, da es das sehr
seltene xei^la (Bettgurt u. dgl.) und das dem Lateinischen entlehnte
(SovSdqwv nimmt; das Gothische setzt für das erste das lat. fascia^
für das zweite das vulgärlateinische orale. Endlich bieten die
gothischen Wörterbücher auch zwei dem Lateinischen entlehnte
Verba. Das erste ist kapillön die Haare scheren; auch hier tritt
wol eine gewisse Verlegenheit des Uebersetzcrs ein, da er an der
Stelle (1. Gor. 11, 6) zwei Synonyma braucht, die er durch kapillön
und skaban wiedergiebt; zu ersterem hätte er unser scheren ver-
wenden können, wenn das Wort nicht, wie es scheint, im Gothischen
ganz verloren wäre. Das zweite Verbum ist militön; ich bezweifle
aber, dass Ulfilas eine wirkliche Verbalform dieses Wortes würde
ly. £iiifliiB8 des Lateinischen. J4X
gebraHcht haben; er will an der Stelle Luc. 3, 14 römische Soldaten
bezeichnen und zwar durch ein Participium, dem tftQatevoixevoi des
Gmndtextes entsprechend, deshalb wählt er militöndans ; ich glaube,
er hat ein gothisches drauhtinöndans vermieden, weil er damit nach
gothischer Anschauung den im Kriege befindlichen freien Bürger
gemeint hätte, nicht denjenigen, welcher auch im Frieden dem
Soldatenstande angehört.
Nimmt man zu alle dem noch die schon im dritten Buche er-
wähnten, nicht bloss ins Gothische, sondern überhaupt in die
deutschen Sprachen eingedrungenen lateinischen Wörter, so finde
ich unter ihnen nur sechs, die in der gothischen Bibelübersetzung
unabhängig vom griechischen Texte gewählt sind. Akeit o^og,
katils xahciov (hier wahrscheinlich Uebersetzung eines technischen
hebräischen Ausdrucks), pund Utqa, sigljö (Sq>qaylg sind allem An-
scheine nach dem G^then fremde Begriffe gewesen. Arka xi^ßanög
übersetzt Noahs Arche^ deutet also auf Bekanntschaft mit der la-
teinischen Bibelübersetzung, zweitens aber bezeichnet es yho(S(Sox6iwv
(zunächst wol Erstehen zum Aufbewahren der Flötenmundstücke)
Geldkasten, gewiss etwas den Gothen Neues. Earkara endlich ist
3€(ffiayr)JQiaVj g)vXcat7J; die Gothen aber hatten kein Gefängnisse da
ihr Volksrecht keine Freiheitsstrafe kannte.
Alle diese entlehnten lateinischen Wörter machen den Eindruck,
als seien sie zwar den Gothen bei ihrem Verkehr mit den Römern
und bei ihren Wohnsitzen innerhalb des römischen Reiches ver-
ständlich gewesen, aber doch nicht eigentlich in die Sprache auf-
genommen. Nun hat man neuerdings, um gewisse Hypothesen über
die Geschichte der Vocale in den deutschen Sprachen wahrscheinlicher
zu machen, die Ansicht aufgestellt, dass wir in der uns vorliegenden
Gothischen Bibel gar nicht mehr die Uebersetzung des Ulfilas in
ihrer ursprünglichen Gestalt, sondern schon ein hinein corrigirtes
italisches Ostgothisch des 6. Jahrhunderts haben. Um diese An-
sicht zu stützen, sind dann auch jene lateinischen Fremdwörter zur
Hülfe lierbeigerufen worden. Ich kann mich solcher Hypothese
nicht anschliessen ; wir müssten erstens eine sehr geringe Pietät
der gothischen Bischöfe gegen den heiligen Text annehmen; zweitens
müsste ein wunderbar geschickter Erneuerer angenommen werden,
der alles wieder doch so harmonisch gestaltet hätte; drittens würde
derselbe doch vor Allem die bei Ulfilas noch sehr deutlichen Spuren
der Uebersetzung aus dem Griechischen mehr verwischt haben;
viertens aber wäre gewiss eine ganz andere Reihe sehr geläufiger
Fremdwörter eingedrungen, z. B. solche wie murus, turris, palatium,
Valium, scribo u. a., zu denen Anlass genug war. In den Glossen
142 ^* £infln08 des Slaviseheii, Kelttochen» FfmiisoheiL
zum Teite Hegt Belehrendes für den Unterschied der Sprache
zwischen der Zeit des Ulfilas und der Niederschrift der Handschriften;
diese Olossen verlören bei jener Hypothese alle sprachmssenschaft-
liehe Bedeutung.
Der Einflnss anderer als der bis hieher erwähnten alten
Sprachen auf das Gothische lässt sich nur mit Mühe und in geringem
Masse aufspüren. Wenn wir zunächst des Slavischen gedenken,
so sind einige Wörter, welche dem Gothischen mit den andern
deutschen Sprachen gemeinsam sind, bereits im ersten Bande
erwähnt worden, nämlich arbaiths (I, 606); stikls (I, 268)i kanpön
(ly 606), und ulbandus (I, 615). Aber auch noch ?ier andere, die
dem Gothischen eigenthümlich sind, erregen den Verdacht einer
Entlehnung aus dem Slavischen, nämlich:
kintus xoSfdwifig, zu altsl. c^ta denarius, nur an einer Stelle.
plinsjan 6q%Bl(S'^ai^ zu altsl. plesati taiizen, an drei Stellen.
siponeis, jtux^i^^V; ein sehr häufiges Wort. Grimm setzte es schon
in der Vorrede zu Wuk Stephanovntsch S. H. zu altsl. 2upanu;
das davon abgeleitete Verbum siponjan iia^rfisvBw begegnet nur
einmal. Bemerkenswerth ist, dass Cleasbj im altn. Wörterbuche
fragend ein sifuni (a companion?) anführt, allem Anscheine nach
dasselbe Wort, doch mit verschobenem Labial.
smakka (Thema smakkan) iSvxw, an drei, dazu an fünf Stellen
das hybride smakkabagms, wol sicher aus altsl. und russ. smokva.
Vielleicht findet sich dazu in Zukunft noch mehr, doch scheint
jedenfalls der slavische Einfluss auf das Gothische nur gering zu
sein. Noch geringer scheint, wie schon durch die östliche Lage
der Gothen von vorne herein zu vermuthen ist, die Anfiiahme
keltischer Wörter. Ueber andbahts, das den deutschen Sprachen
gemeinsam ist, im Gothischen aber noch ein Neutrum andbahti
und ein Verbum andbahljan bildet, ist schon Bd. I, 608 gesprochen.
Zu erwähnen ist noch erstens idreiga Reue, Busse, dem ein irisches
aidrech, ein comisches eddrek u. s. w. sehr nahe steht, nnd
zweitens kelikn mqyog^ das man schon lange für keltisch gehalten
und zu dem sich nun auch noch ein gleichfalls neutrales gallisches
celicnon gefunden hat; ausführlich über dieses Wort wird in den
Beiträgen zur vergl. Sprachf. IV. (1865) S. 136 ff. gesprochen.
Für das Finnische hebe ich das nur einmal begegnende
goth. kallgd TioQyri hervor, ein Begriff, für dessen Bezeichnung
überall gern Fremdwörter gewählt werden; man vergleiche das
lappische kalgo uxor minori cum observantia appellata.
Wir haben bisher nur von fremden Einflüssen auf den goth.
Sprachschatz gesprochen; andere aufzuspüren ist uns noch nicht
ly. Emfluss fremder Sprachen. 143
gelimgeD. Aber in dem Sprachschatz mag noch manches Fremd-
artige von höchstem Interesse stecken, zum Theil aas Sprachen,
von denen nns alle Rande abgeht; ich erwähne z. B. das Alanische;
bei dem wirren Darcheinander der Völker in den Zeiten der
Völkerwanderang sind reichliche Mischangen gewiss nnvermeidlich
gewesen; ein gothischer Krieger des vierten Jahrhanderts masste
es ja gewohnt sein anaafhörlich die verschiedensten Sprachen za
vernehmen. In der That sind selbst in dem ans überlieferten
Theile des gothischen Sprachschatzes die ganz verwaisten and zam
Theil aach sonst auffallenden Wörter ziemlich zahlreich, nnter
denen solche Entlehnangen stecken mögen. Ich stelle hier karz
das Verzeichniss dieser Wörter sachlich geordnet zasammen, ohne
mich indessen daraaf einzulassen, die alten ansicberen Vermathangen
aber sie za wiederholen oder neue hinzazaftigen :
Sabstantiva. Ahaks Taabe, thramstei Heaschrecke, frasts
Kind, skilja Fleischer, gadaaka Haasgenoss, manaali Gestalt^
balsagga (h-?) Hals, Nacken, satbns Magen, peikabagms Palmbaam ?
(viga-) deinö Distel^ nidva Rost, dranhsna Brocken, Stückchen,
Bissen, mammö Fleisch, snaga Kleid, Mantel, rohsns Hof, Vorhof,
hrot Dach, theihvo Donner, qvrammitha Feochtigkeit, vis Meeres-
stille, hags Feld, Landgut, sköhsl böser Geist, Teafel, athn Jahr,
hlamma Schlinge, Fallstrick, hrugga Stab, Bathe, giltha Sichel,
bais Fackel; klismö Klingel, Schelle, nöta Schiffshintertheil, aibr
Gabe, Opfergabe, möta Zoll, Abgabe, inmjo Menge, gramst Splitter,
tani Zeichen, rehsns Bestimmung, inild Entschuldigung, Vorwand,
saldra schmutziger Witz, Possen, aha Sinn, Verstand, astaths
Wahrheit, sautha Grund, staua Gericht, Urtheil, Rechtsstreit, trigö
Traurigkeit, jiuka Zorn, Streit.
Adjectiva. Auhuma erhaben, höher, azSts leicht, raths leicht,
tass geregelt, tharihs fest, dicht, halks gering, dürftig, usgrudja
träge, mathlos, unmanariggvs wild, grausam^ usdauds eifrig, blas
freudig, gaurs betrübt, traurig, ins gut, unvahs untadelhaft, manvus
bereit.
Verba. Suthjon kitzeln, reiran zittern, rahtdn hinreichen,
darreichen, huhjan sammeln, usskavjan herausreissen , heraus-
schneiden? hniupan reissen, brechen, intrusgjan einpfropfen, vrisqvan
Frucht bringen, usfratvjan bereiten, zurichten, fetjan schmücken,
osbaagjan fegen, auhjön lärmen, trusiyan besprengen, krötön
zermalmen, maurgjan kürzen, vlthdn schütteln, blauthjan
aufheben, abschaffen, geigan gewinnen, hruskan prüfen, maud-
jan erinnern, svSgnjan frohlocken, triumphiren, tarmjan froh-
locken, jauchzen, gaunon trauern, wehklagen, nipnan betrübt seiny
144 IV. Untergang des Qothiachen.
ranbtjan zärnen, tiüahqan jemand schrecken, ganigan Temrsacheny
thrötbjan üben, gathvastjan befestigen, stärken.
Partikeln. Anaks plötzlich, halis-aiv kaum je, kaum, bijands
ausserdem? zugleich? amiba sieber, behutsam, vainei wenn doch,
möchte doch.
Untergang des Gothischen.
Hier, wo wir an entsprechender Stelle sonst ein Buch zu
enden pflegen, haben wir noch einen Anhang von tragischer Färbung
zu machen. Es handelt sich darum, dass das Volk, von dem wir
bisher redeten, sich weithin in einzelne Theile zersplitterte, dass
diese einzelnen Theile sich unter einer Ueberzahl von andersreden-
den Menschen niederliessen, deren Weise mit germanischer Qefdgig-
keit leicht annahmen, durch Kämpfe und neue Sitte überdies
geschwächt wurden und endlich den Einfluss anderer Sprachen,
von dem wir in diesem Abschnitte handelten, so gross werden Hessen,
dass sie in ihrer sprachlichen und damit politischen Selbständig-
keit untergingen. Wir werden diesen Untergang bei den Gothen
und bei denjenigen Völkern, die mit ihnen dasselbe Schicksal auf
dem Boden des römischen Reiches theilten, mit steter Hervorhebung
des Sprachlichen betrachten, müssen aber die zu diesem Ergebniss
führenden politischen Vorgänge^ die uns in leidlicher Klarheit vor-
liegen, dabei stets im Auge behalten.
Sogar in denjenigen Oegenden, aus welchen unsere Kenntniss
des Gothischen stammt, und in welche Ulfilas seine Landsleute
geführt hatte, treffen wir schon zwei Jahrhunderte später auf ein
jedenfalls im Untergehn begriffenes Volk, wie schon aus den
geringschätzigen Worten hervorgeht, mit denen es Jemandes im
Anfange des 51. Gapitels erwähnt: Erant siquidem et alii Gothi,
qui dicuntur et literas instituisse. Hodieque sunt in Moesia regio-
nem incolentes Nicopolitanam ad pedes Haemi montis, gens multa,
sed paupera et inbellis, nihil abundaus etc. Ueber ihre weiteren
Schicksale weiss ich nichts weiter beizubringen; sie werden unter
den Bulgaren verschollen sein. Viel eher mag das schon geschehen
sein mit denjenigen Gothen, die sich, wie der 403 gestorbene
Epiphanius berichtet, sogar in der Nähe des Euphrat angesiedelt
hatten.
Aber auf drei andere Gegenden müssen wir unsem Blick
genauer richten, da in zweien derselben die Gothen zur Herrschaft
gelangten und sich länger hielten, während sie in der dritten durch
ihre isolirte Lage am allerläugsten vom Untergange verschont
blieben. Wir haben also zunächst die am frühesten verschwinden-
iV. Ostgtoilieli. 145
den Ostgotheiiy dann die Westgoiben, endlich die Erimgotben zu
betrachten.
Ostgothen« In der nns überlieferten Reihe der alten gotb.
Eonige begegnet während des zweiten Jahrhunderts nnserer Zeit-
rechnung der vollkommen historische Ostrogotha. Das scheint nach
allem der Beiname desjenigen Fürsten zu sein, unter dem sich die
östlichen Stämme der Gotben nm ihren Eern, die Greuthnngen,
herum zu einer engeren Einheit zusammenschlössen, während
die Westgothen von nun an ein selbständiges Dasein fährten; s.
Dahn Eönige der Germanen V (1870) S. 1. Selbst Ermanarichs,
des mächtigen Ostgothen Reich scheint über die Westgothen keine
eigentlich straffe Regierung ausgeübt zu haben. Die nächst-
folgenden Schicksale der Ostgothen gehn uns hier nichts an, da
ein Einflass derselben auf die Sprache sich unserer Beobachtung
entzieht Aber mit dem Eintritt der Ostgothen in Italien im Jahre 493
beginnt schon die Zersetzung und Verwesung ihrer Sprache; Theo-
dorich der Grosse^ der gewaltige 'Held der deutschen Sage^ ist
Tum geschichtlichen Standpunkte aus gesehen deijenige, welcher
den Grundstein zum Verderben seines Volkes legte« Von seinem
achten bis achtzehnten Lebenjahre (etwa Ton 462 bis 472) am
Hofe zu Byzanz erzogen war er persönlich schon so gut als ganz
romanisirt und seine ganze Politik ist wesentlich romanisirend.
Eaum hatte er den Heerkönig Odovacar besiegt, da nahm er schon
493 den römischen Purpur an und legte die gothische Eleidung
ab; das Römerthum ist sein Ideal und er nennt sich selbst mit
Vorliebe einen römischen Fürsten; nur vor der Annahme des
Eaisertitels trägt er Scheu, da seine Gotben diese Bezeichnung
mit ihrer Vorstellung vom germanischen Volkskönigthum nicht
hätten vereinigen können. Sein Hauptwerkzeug bei dieser romani-
sirenden Richtung ist Cassiodor, selbst Römer und ganz römisch
denkender Rhetor, dessen Einfluss im Staate unter Theodorichs
Nachfolgern noch entscheidender wurde. Auch zur Aufzeichnung
eines besondem ostgotbischen Volksrechtes ist es, so viel wir
wissen, deshalb nicht mehr gekommen; dass sich die alten von
Jemandes erwähnten bellagines noch bis auf diese Zeit unter den
Gotben erhalten hätten, ist wenig glaubhaft, obgleich die Gotben
gewiss nach heimischem nngeschriebenem Rechte lebten. Das
edictnm Theodorici zählt nur diejenigen Rechtsfälle auf, in denen
Gotben und Römer concurrirten. Ueberall tritt als Ideal des von
Theodorich erstrebten Rechtszustandes die civilitas auf; diese
römische Civilisation, deren lebhaftester Bewunderer der König
ist, bildet aber den scbrofibten Gegensatz gegen das germanische
Föntematm, GescA. d. d. SpradUtammeM. IL 10
14g IV. Ottgotheo.
System der SelbsthUlfe und Fehde; weiter aosgefährt wird das in
Dahn's vortrefflichem Werke über die Könige der Germanen, dem
ich hier and im Folgenden Manches entnehme.
Die vortibergehende Rahe der Ostgothen im ravennatischen
Reiche hat für ans doch immer^ and zwar wol noch anter Theodo-
richs Regierangy die anschätzbare Folge gehabt, dass des Ulfilas Bibel-
äbersetznng ans theilweise erhalten warde; nach des grossen Königs
Tode wäre daza nicht lange mehr Zeit gewesen. Schon Amala-
snntha, seine Tochter, die für ihren Sohn (ganz angermanisch)
Mandschaft and Herrschaft führte, zeigte sich ihrem Volke TöUig
entfremdet, da sie in Folge ihrer griechisch-römischen Bildang
gänzlich romanisirt war, wenn ihr auch Casdiodor noch abertas in
gothischer Rede nachsagt; sie erbitterte darch die ganz römische
Erziehung die national gesinnte Partei der Gothen, die gradeza
ein anderes Erziehangssystem verlangte and auch durchsetzte« Durch
seine neuen gothischen Genossen wurde Äthalarich freilich völlig
verdorben und frühem Tode geweiht und Amalasuntha sah sich
schliesslich zum engen Anschluss an Byzanz und damit zum Ver-
rathe ihres Volkes genöthigt.
Auch Theodorichs Schwestersohn Theodahad war zwar Plato-
niker und Theologe, aber kein Gotbenfurst, und brachte durch seine
sonstigen bösen Eigenschaften das Volk um ein gutes Stuck dem
Untergang näher.
Die Vereinzelung der Gothen auf ihren rings von römischem
Besitz umgebenen Ansiedlungen in Italien, der lange Solddienst
für Byzanz, die vielen Parteiungen unter ihnen erklären den schnellen
Untergang des Volkes und seiner Sprache, und es ist nur die letzte
Macht des aufflackernden Feuers im endlichen Kampfe zu bewundern,
als das Volk sich entschliesst, in der Wahl des Vitiges gänzlich
mit dem verwälschten Geschlechte der Amaler (a. 536) zu brechen.
Mit dem Heldenkampfe des gewaltigen Teja am mens laetarius
(a. 552) schliesst die gothische Geschichte rühmlich genug; nur noch
schwache Zuckungen und das Volk ist verschwunden« Nur 60
Jahre von 493 ab hat das ostgothische Beich in Italien gedauert,
eine zu kurze Zeit, als dass wir auch nur Spuren seiner Sprache
in der späteren Sprache Italiens erwarten könnten.
Von der Entwickelnng des Gothischen während dieser kurzen
Zeit entgeht uns die Kunde. Massenhaftes Eindringen romanischer
Elemente wird die Signatur dieser Entwickelung gewesen sein;
wir sehn in der That, wie sich echte Gothen nicht mehr scheaen,
der eine in der Urkunde von Neapel das Wort kavtsj6 Wechsel,
Caution, der andere in der Urkunde von Arezzo das Wort onhja
tV. Osti^otheD, Westgothen. 147
Unze niederzuschreiben« Auch das im gothischen Kalenderbmcb.
Stacke erhaltene Nanbaimbair November ist ein bedeutsamer Fioger-
zeigy dass auch wol, wenigstens im schriftlichen Gebrauche, die
andern Monatsnamen ^in lateinischer Form angewandt worden sind.
Doch auch ein echt gothisches Wort; das uns nur aus der
Zeit dieses Reiches von Italien aufbewahrt ist, muss hier erwähnt
werden. Ich meine die unter Theodorich begegnenden ostgothi-
schen Sajones, Beamte, welche an Bang unter den Grafen stehn
und sowol dem Heere als der Civilverwaltung angehören. Wie
Dahn Könige der Germanen III (1866) S. 181 ausführt, sind sie
die Vollstrecker des unmittelbaren königlichen Gebots und werden
deshalb oft zu ausserordentlichen Sendungen gebraucht; sie sind
stets Gothen, nie Römer und der König nennt sie daher vorzugs-
weise Sajones nostri. Aber wie ist das Wort an den uns sonst
bekannten Sprachschatz anzuknüpfen? denkbar ist, dass wir eine
Erweichung aus einem echteren *sakja anzunehmen haben, das
einen Beamten bezeichnen würde, der eine Streitsache schlichtet^
gewissermassen einen Sachwalter.
Länger, weil er länger dauerte, hat uns der zweite gothische
Zweig zu beschäftigen.
Westgothen. Nachdem die Thervinger und wol eine Anzahl
anderer uns unbekannter Stämme sich zu einer westgothischen
Einheit zusammengeschlossen hatten, sehn wir dieses Volk in den
Kreis der uns bekannten Geschichte mit seinen zahlreichen
Kämpfen und Wanderungen während des vierten und fünften Jahr-
hunderts eintreten, auf die wir hier nicht näher einzugehn brauchen.
An den Namen des Alarich und damit an das Geschlecht der
Balthen knüpft sich ein grosser Theil jener kriegerischen Irrfahrten,
an seinen Schwager Athaulf die endliche Niederlassung. Athaulf
breitet bereits in Gallien die neue Herrschaft aus und führt schon
a. 414 sein Volk über die Pyrenäen. Bereits aber vor der Ueber-
siedelung auf römisches Gebiet und seit der theilweise noch älteren
Annäherung an das Ghristenthum kann man unter den Westgothen
eine zu Rom und römischer Cultur neigende Partei unterscheiden
von der nationalen, freien, zum Theil noch heidnischen Richtung,
welche an den alten Zuständen hängt. Das führt Dahn VI, 75 ff.
sehr schön aus.
Neben diesem Auseinandergehn in der politischen Richtung
war es für die Erhaltung des Gothischen ein ungünstiges Moment,
dass das Westgothenreich geographisch in zwei Theile zerfiel, einen
gallischen und einen spanischen. Der erstere verlor seine politische
Seibitändigkeit im Jahre ö07 durch die Schlacht bei Vouglö an
10»
148 tV. Westgotheta.
die Frankep; ein Stück des Landes^ das den Alpen zunächst lag,
kam sogar vorübergehend an die Ostgotben. Doch scheint sich
das Gothische auch noch in Gallien ziemlich lange unter dem Volke
gehalten zu haben; Smaragdus, Abt zu St. Michael an der Maas
Ton 805 bis nach 825, der selbst von gothischer Herkunft gewesen
sein mag, bespricht die gothische Sprache als eine noch lebendige
und führt namentlich die wichtige Thatsache an, dass die (schwachen)
Masculina auf -a, die Feminina auf -ö ausgehn; s. Massmann in
Haupt's Zeitschrift I, 388 ff*
Zweihundert Jahre länger, im Ganzen also fast durch drei-
hundert Jahre, hielt sich die westgothische Herrschaft in Spanien.
Aber schon seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts (zu der Zeit,
als in Italien das Ostgothenreich schon fiel) dringt die Romanisirung
unter den Westgothen unaufhaltsam weiter und macht unter Königen
wie Reccared, Sisinanth, Reccisvinth und Erwich sowol auf natio-
nalem wie auf kirchlichem Gebiete die stärksten Fortschritte;
Dahn VI, 77.
Namentlich ist Reccareds Regierung (586—601) eine Haupt-
periode des Romanisirens; unter diesem Könige wird der Arianis-
mus, den die Ostgotben doch bis zuletzt festhielten, abgeschafft
und damit die bedeutendste Scheidewand niedergerissen, die bisher
Gothen und Romanen trennte; zugleich wird auch die römische
Zeitrechnung angenoidmen, die zwar nicht der Gothe Johannes
von Biclaro, wol aber der Romane Isidor braucht. In das Gesetz-
buch Reccareds dringt massenhaft römisches Recht ein, besonders
aus der lex Alarichs für die Römer im Gothenstaat. Seit derselben
Zeit wird die gothische Sprache aus den höheren und gebildeten
Kreisen verdrängt; länger bleibt sie natürlich auf dem Lande nnd
unter dem niederen Volke. So Dahn Könige der Germanen Bd.
V (1870) S. 169 ff.
Bei solchen Zuständen ist es nicht zu verwundern, dass von
König Sisebut (612—620) in der lateinischen Anthologie (ed. Meyer,
Lipsiae 1835) No. 388 ein 61 Verse langes carmen de eclipsibus
solis et lanae erscheint. König Recciswinth endlich (649—672)
führt das bis dahin verbotene Connubium zwischen Gothen und
Romanen ein und trägt damit wesentlich zur völligen Verschmelzung
beider Völker bei.
Aus diesen Ursachen ist es natürlich, dass das Gothische in
Spanien literarisch nicht mehr lebhaft gepflegt werden konnte, wenn
auch die gothische Bibel sicher dem Volke mit in dieses Land
gelolgt ist (vgl. Haupt's Zeitschrift U, 203) und wir die Hoffimng
IV. Westgothen. 149
nicht aufgeben dürfen^ von dort her noch weitere Bereiehernng
unserer Kenntnisse zu erlangen.
Unser Wissen vom Westgotbischen ist daher sehr gering; nur
wenige einzelne Worte sind uns in den lateinischen Texten erhalten.
So ist es nicht ohne Bedeutung, dass uns für die westgotbischen
Eönigsfahnen der Ausdruck signa bandoruro (Ulf. bandva bandvö
Signum) überliefert ist Auch für zwei Aemter kennen wir die
westgothische Bezeichnung. Das erste ist gardingus und gardin-
gatus^ ein schwer zu definirendes Amt, jedenfalls von gard$ ab-
geleitety so dass das Wort sich wol mit dem römischen palatinus
vonpalatium deckt, Dahn VI, 111. Zweitens Mi2//V/£f//^^ über dessen
Würde weitläufiger Dahn VI, 341 flF. spricht; damit wird das
lateinische millenarius übersetzt, obwol eine Entstellung des
Wortes aus thusundifaths kaum möglich ist; wir werden darin ein
*thivafaths Herr der Dienerschaft sehn müssen, also etwa denselben
ursprünglichen Begriff wie in siniscalc, welches Amt indessen weit
von dem des thiufadus verschieden gewesen ist.
Aber trotz des Mhen Unterliegens der westgotbischen Sprache
hat sie doch lange genug gedauert, um, im Gegensatz zum Ost-
gothischen, noch ein Nachleben im Südwesten Europas zu haben*
Durch die Ausgabe des Harpokration von Ph. J. Maussac (Parts
1614) erfahren wir S. 355, dass zu jener Zeit noch ein von dem
ün zehnten Jahrhunderte lebenden Bischöfe Ansileubes verfasstes
glossarium existirte, erutum ex veteri codice bibliothecae Moyssia-
censis (Moissac bei Toulouse), in quo multa Gotthorum aliorum-
que populorum barbara vocabula explicantur ; s. Massmann in Haupts
Zeitschrift I, 387. Auch das ist zu erwähnen, dass erst im elften
Jahrhundert eine toletanische Synode die Abschaffung* der gothi-
schen Buchstaben befiehlt, um dafür die fränkische Schrift ein-
zuführen.
Wir werden nach alle dem sowol im Spanischen als in süd-
französischen Mundarten noch nach Spuren von gothischer Einwir-
kung forschen dürfen. Ist doch eine gothische Flexion in spanischen
Eigennamen wie Diaz, Rodriguez, Olivarez u. s. w. noch bis heute
erhalten. Ich erwähne zwei einander im Lexicon nahe stehende
Wörter, die sich aus dem spanischen Latein bei Du Gange finden^
nämlich brana juvenca und britare destruere; beide lassen an west-
gotbischen Ursprung denken, wenn man sich bei dem ersten an
altn. brana Kuh, bei dem andern an altn. brjota brechen, ags breö-
tan zerstören erinnert.
Viel reicher als die übrige Sprache sind die persönlichen Eigen-
namen der Westgothen zu uns herabgeströmt. Ich gebe hier ein
150 ^' Westgothen.
Verzeichniss derselben, gegen den ersten Band meines Namei
buches bedeutend vermehrt , so z. B. dnreh die mir jetzt vollstäi
diger vorliegenden Unterschriften der Goncilien so wie auch dnrc
diejenigen Formen, welche ich im 20. Bande von Enhn's ZeitschrÜ
S. 430 ff. zusammengestellt habe. Wo ich nicht durch eine ZaI
das Jahrhundert des ersten Vorkommens ausdrucke, ist das reichst
an Ueberlieferung, das siebente zu verstehn.
Aya, Ega (msc, = Agja); Egica; Agila 6 (Egila 7); Agera
(Egired). — Agio. — Alaricus 5. — Aldericus. — Alvar. — EDec
9 (msc). — Amalaricus 6. — Amanung; Amansvind (msc.) 9. -
Annila (msc.) — Andebert. — Ansileubes 10; Ansericus; Ansiul
— Ära (msc.) ; Aragiscius. — Argebad (Ergobad) ; Argebert ; Arg«
fred ; Argimir 6 ; Argemut 6 ; Argemund ; Argesind. — Ascalc? 4. -
Ascaricus. — Astald. — Adefons 6 (noch sec. 10 Adephots, späte
Alfons); Adeliub; Adeliuva; Adamir; Athaulf 5 (Adulf 7). — Atal^
Attila (msc). — Athanagild 6. — Andebert; Audemund; Hodoagrai
— Onegis; Onemund. — Ostrulf (Hostrulf). — Aured. — Babilo. -
Badda 6. — Baltha* (Oeschlechtsname 4) ; Baldered; Baldvigius.-
Basuald. — Bigesuind. — Bracari (Zeit unbestimmt). — Brandil
(msc.) — Brunihild (fem.) 6. — Chintila; Ghindasvinth. — GuniuU
Cumefrend (Guniefrend?). — Dadila (msc). — Danila (msc). -
Dudila (msc). — Domarius. — Dunila (Tunila, msc). — Trncfa
mund. — Tulga (msc). — Eburin (unbestimmte Zeit). — Eurec
Euricus 5; Eurid; Eusendus. — Fandila (msc). — Favila (Fafih
msc.) 8. — Filomar (Filimir). — Floresindus. — Froila (msc) 7— 1(
Freiseins 6; Froiliuba 8; Froaricus 6. — Fredebad; Fridericus 5. -
Fngila (msc). — Fonsa (msc) 6. — Gibericus (Givericus, CAhi
rius). — Gailswindis 6; Geloyra 9. — Gildimir. — Gamius an
Gamio (aus unbestimmter Zeit). — Garding 6. — Gaudila (msc]
Gausericus. — Goisvintha (fem.) 6. — Gisand 10; Gisebert; Gisi
leicus 6. — Gisclus 10; Gisclamund. — Godescalc; Godosteni
Gottomar. — Guda (msc); Gudila (msc); Gudisclus (Gutisdus]
Guterins. — Gundila (msc); Gundericus; Gundulf; Gundebebii
(Gundelebius?); Gundisalvi (nom.) und Gundisalins, beide aus m
bestimmter Zeit. — Ervig. — Hiccila (msc). — Ildisclus ; üdifoni
Ildigis; Hilduara (Ilduara fem.) 6—10; Ildulf. — Himmerith
(Lesart unsicher). — Rndorich 8; Hrothisthius 4; Budesind 9— 1(
Huniruc? (unbestimmte Zeit). — Eppa (msc). — Ella (msc). -
Emmila (neben Emila, msc). — Ingildus. — Ermulf. — Ermenfre
(Hermefred); Erminigild 6—10; Ermengond (fem.) aus unbestimmte
Zeit. — Landerich. — Laulf. — Liuva (msc) 6; Liuvigild f
Leovigotho (fem.); Leovericus (Leubericus); Lewina (Leubina) 1(
IV, Westgotheiu 151
— Lendefred. — Miro; Marispalla? (fem.) 5. — Modefred 7 oder 8;
Modarins. — Mammnlns. — Munnlus; Monefous. — Nausti? —
Neufila (msc.) 6. — NudIo (fem.) 10. — Osdulfus; Osdulg; beide
hieher, zn ORT, oder za AUST? — Retemeres 5. — Ranarina;
Ranimir 9 (Ramims 10) ; Ranulf 9. — Riccila (msc.) ; Riqnira (msc.),
Richimer; Reccared (6—9); Requisind; Reccesvinth: Recaulf. —
RemesariuB. — Sabaricns. — Salamir. — Sclaa? (al. Silva, Selva).
— Segerich. — Silo 8. — Sintila (msc.) 10; Sindigis; Sinduit? —
Sisebad; Sisebald; Sisebert; Sisebnt; Sisisclus; Sisemir; Sisemund;
Sisenand 7—10; Sesuld (Sisald 7); hiezu wol kaum Zerezindo 6
und Zerimnnd aus unbestimmter Zeit. — Sona, Sonna (msc):
Sonnica (msc). — Spasand (Spassand). — Snnnila (msc.) 6; Sunie-
fred; Snniagis; Suniemir; Snniered 8; Suniericus 5; Suniaguisid?
Snninlf. — Suttericus. — Suanila (Suabila? msc). — Suinthila
(Snintila, msc); Suintbiliuba (fem.); Suintericus. — Tayo. — Theuda
(msc.) 6; Teudila (insc); Theudefred (7—10); Theudegisil (Theu-
gisclnsß, Theudisclus) ; Teodahittus; Teodemir (Teudimir); Teude-
mund; Tbeoderacius (Thenderacins); Theudered 5; Theudoricus 6 ;
Theudulf (Theodulf, Teudulf). — Trasimir; Trasemund; Trasaricus.
— Thurismund 5. — Offilo. — Oppa (msc); Oppila (rase). —
Wadila; Wadamir; Vadered. — Valding; Waidefred; Waldemar;
Valdered; Valdericus (Valdrig). — Valia (msc.) 5. — Belesar 7. —
Wamba (msc). — Veremund 5—11. — Wiaricus (neben Wialicns);
Wimar; Wifred 10. — Vitulus; Witiza (msc) 8-9; Vitisclus;
Widericus (Wit — ). — Huicrud? — Wiliang; Villiefons; Viligisclus
6; Villiedus; Wilicdeus; Wiilnlf 6. — Vinibal; Winibald; Quinigia.
— Wenedarius. — Wisand ; Wisefred. — Quistricia (fem.) 8. —
Oalfinus 6. — Oscand.
Diese westgothischen Namen sind in mehr als einer Hinsicht
lehrreich. Zuerst lehren sie, dass sie noch ein langes Nachleben
fährten, nachdem in der Schlacht bei Xerez de la Frontera a. 711
die Westgothen den Arabern in unriihmlichem einmaligem Kampfe,
ganz unähnlich ihren ostgothischen Brüdern, unterlegen waren.
Solches Nachleben erklärt sich aber nicht bloss durch die in den
Bergen Ton Galizien und Asturien fortdauernden christlichen Reichet,
die später die Grundlage der spanischen Monarchie bildeten, sondern
besonders durch die lange Dauer des westgothischen Volksthnms
und durch die starke Mischung der Bevölkerung der pyrenäischen
Halbinsel mit germanischem Blute. Hätten sich meine Sammlungen
bis auf spätere Zeit systematisch erstrecken können, so würde sich
dieses Nachleben noch deutlicher zeigen, wie es ja in der That
noch bis heute fortdauert ; die Alfonso, Hemando, Ramiro, Rodrigo
152 IV- Westgothen.
UDd Andere sind des Zenge. Doch haben anch schon frfihe echte
Westgothen fremde Namen angenommen; so begegnen im T.Jahr-
hundert Westgothen mit den Namen Adelphas, Afrila, Bacanda,
Bela, BranliOi Cixila, Etherins, 6eta, Mositacias (neben Mastacias)
and anderen, von denen kaum einer dentsch ist. Germanische Per-
sonennamen beweisen in diesen Jahrhunderten germanische Nationali-
tät, dagegen romanische, keltische, iberische und biblische in keiner
Weise ungermanische.
Zweitens aber lehren diese Namen, dass ihre Substanz, d« L
die ihnen zu Grunde liegenden Wortstämme, im Ganzen dieselbe
ist, wie bei den übrigen germanischen Volkszweigen; das lehrt ein
flüchtiger Blick auf das obige Verzeichniss. Einige dieser Wort-
stämme werden in diesen Namen besonders geflegt So sind die
mit Arg- beginnenden im Westgothischen augenscheinlich beliebt,
in andern deutschen Sprachen viel seltener; Ghintila und Ghinda-
svinth haben im sonstigen Deutschen nichts Aehnliches zur Seite,
nur Namen, die auf diesen Stamm ausgehn. Auch die mit Sis-
anfangenden, bei denen ich doch nicht ohne Weiteres Zusammen-
ziehung aus Sigis- annehme, sind rorzugsweise dem Westgothischen
eigenthümlich. Sehr beliebt sind die auf -la (Thema -lan) aus-
gehenden Deminntiva, auch wol die mit einer aus assimilirtem y
hervorgehenden Gonsonantengemination, wie Eppa, Ella, Sonna,
Oppa, die natürlich in feierlichen Actenstücken gewiss weniger er-
schienen als im gewöhnlichen Leben. Die Bildungen auf -sinth und
-swinth werden etwas über das gemeindeutsche Mass gehegt; auch
dass von den überhaupt bekannten neun deutschen Namen auf
-funs, -fons sich Adefons, Ildifons, Monefons, Villiefons (wol auch
Valafons) in dem winzigen westgothischen Namenschatze aufweisen
lassen, fällt auf. Andere gemeindeutsche Bildungen sind dagegen
im Westgothischen aus der Mode gekommen. So ist es z. B. be-
merkenswerth, dass Namen fehlen, die mit Athal-, Berin-, Berht-,
Ercan- beginnen, oder dass solche, die auf -bald ausgehn, selten
sind; von den fünfzig altdeutschen Namen auf -brand, die wir kennen,
scheint kein einziger im Westgothischen zu begegnen.
Aber nicht bloss gepflegt oder ausser Umlauf gesetzt haben
die Westgothen einige Namenklassen, sondern auch gewiss neue
geschaffen, wenn auch nur in vereinzelten Bildungen. Solche Eigen-
thümlichkeiten sind schwer aufzuspüren, denn man kann einerseits
Deutsches seiner Besonderlichkeit wegen leicht als Fremdes oder
Verderbtes ansehn, leicht aber auch anderseits gradezu in Ver-
derbtem oder Fremdem etwas richtig Deutsches wittern wollen; es
sind schon in dieser Weise von namhaften Forschem Formen ab
IV. Westgothcn. 15ß
höchst merkwürdig entdeckt; die sich Dachher in ein Nichts auflöseD.
Unter solchen Erwägungen erwähne ich das westgothische Ganiefrend,
das sich, wenn so wirklich statt Cumefrend zu lesen ist; als ein
schönes Eunjafrijdnds darzustellen scheint; bei Gundisalvins, das
wol nur westgothisch ist; kann man fragen, ob der letzte Theil zu
lat. salvus oder zu ahd. salo, salawer gehört; Hiccila entzieht sich
noch genauerer Erklärung; Himmerith ist eine unsichere Lesart
(unter den Varianten begegnen auch das ganz natürliche Huuerit
und Hunnericus). Ganz vereinzelt steht auch das Fem. Marispalla
ans sec. 5 da; auffallend auch wegen des a in der ersten Sylbe.
Nausti ist fraglich, eben so wie Sclua (neben Silva, Selva). Zere-
zindo sec. 6 und Zerimund aus unbestimmter Zeit erregen die Auf-
merksamkeit und gehören kaum zu SIS. Spasand oder Spassand
ist sicher beglaubigt, wahrscheinlich deutsch und doch noch räthsel-
haft. Was man aus dem letzten Theile von Suniaguisid machen
soll, bleibt sehr fraglich, eben so das nur einmal begegnende Suttericus.
Teodahittus hat einen zweiten Theil, der sonst nur als erster vor-
kommt. Theoderacius (Theuderacius) stützt sich gut durch ein
Thiotrach des neunten Jahrhunderts im codex Laureshamensis and
könnte ein anziehendes Thindavrakja sein. Von Wamba ist es
zweifelhaft, ob der Name auch ausserhalb des westgothischen Ge-
bietes vorkommt. Huicrud beruht vorläufig nur auf einer Conjectnr
von mir in Kuhn's Zeitschrift XX, 437. Oscand bleibt noch ganz
unerklärlich.
Auch auf die Form der Namen, d. h. auf die Lautverhältnisse,
ist der Blick zu richten, doch kann man hier leicht des Guten zu
viel thun, da in diesen Dingen oft mehr die Auffassung des roma-
nischen Schreibers als der germanischen Bevölkerung zu Grunde liegt.
Für den selbständigen Vocalwechsel zeigt das Westgo-
thische vier Lautneigungen, die zusammen ein Ganzes von einer
gewissen Eleganz bilden. Die kurzen Vocale i und u verrathen
einen centripetalen Zug zum a hin, erscheinen also oft als e und
Oy die langen Vocale d und 6 dagegen einen centrifugalen Trieb
vom ä fort; werden also oft durch i und ü vertreten. Der west-
gothische Vocalismus wird also in Spanien gegen den des Ulfilas
erheblich erweitert. Betrachten wir nun das Einzelne:
1) i : e. Im Ganzen bleibt das / in seiner Beinheit unange-
tastet, vor einer Verbindung von zwei verschiedenen Gonsonanten
sogar fast ausnahmslos (Suinth-, -suinth, Sind-, -sind, Ild-, -hild,
Chind-). Vor einfachen oder geminirtem Gonsonanten dagegen
zeigt sich häufig die Trübung. Sec. 5 heisst es noch Fridericas,
sec. 7 schon Fredebad und immer -fred; neben Sisuld kommt schon
154 ^« Westgotiieii.
see. 6 Sesnld vor; man beachte ferner Fontien wie Remesarios,
WenedarioSy Segericb, Beccared, Beqoisind, Keccesvinthy Becaolf,
Eppa, sogar einmal ror einer Gonsonantengmppe Eosendas. Das
gotbische gebrochene / vor r wird in den Formen mit Ermen- e
geschrieben. In Bildangssylben wie in Tmctemond ist das e
völlig Begel.
2) n : 0. Die Fälle mit u sind die häufigeren, doch findet sich
neben Gand- ans unbestimmter Zeit auch -gond in Ermengond,
neben Gada, Gadila o. s. aach Godesoalc, Godostens, Gottomar,
die ich alle lieber za goth als za göds stelle, femer vor Gemi-
nationen Oppa, Oppila, Offilo. Ganz durchgedrungen ist der jüngere
Vocal in dem Stamme FUNS; es heisst schon sec 6 Fonsa und
sec. 7 stets Adefons, Bdifons, Villiefons und Monefons, letzteres
sogar auch in erster Sylbe mit o. Die Namen auf -ulf, -mnnd,
-ung bleiben stets unangetastet
3) e : 1. Am häufigsten tritt die Erscheinung bei den zu goth.
mers gehörigen Formen ein; es lautet zwar Betemeres, Bichimer,
aber Argimir (schon sec. 6), Filimir, Gildimir, Banimir, Salamir,
Sisemir, Snniemir, Teodemir, Trasimir, Wadamir, deren letzten
Theil deshalb Smaragdus sec. 9 durch lat mihi fibersetzte, auch
einfach Miro. Dem Veremund steht im zweiten Theile ein Biquira
und ein Geloyra gegenüber. Auch Eurid könnte lür EurSd stehn;
sonst lautet es Aured, Baldered, Egired, Eured, Beccared, Snniered,
Theudered, Vadered, im ersten Theile Betemeres. Was aber das
Merkwürdigste ist, alle drei hier erwähnten Stämme, urdeutsch mär,
yär, räd kommen auch mit dieser urdeutschen Form vor, also Fi-
lomar, Gottomar, Waldemar, Wimar, Marispalla (sec 5); Hildnara
(sec. 6 u. s. w.); Agerad. Ich weiss dafür nur die Erklärung, dass
dieses Zeugnisse sind für andere germanische Volksstämme, die
sich in Spanien unter die Westgothen gemischt hatten.
4) : ü. Sec. 4 heisst es Hrothisthius, doch sec. 8 Budorich,
sec. 9—10 Budesind. Neben Modefred und Modarius ans sec. 7
lässt sich schon sec 6 Argemut nachweisen. Andere Zeugen des
älteren Vocals sind Sona und Domarius, des jüngeren Dudila. In
Tructemund vertritt das u den getrübten Laut im gotbisehen dranhts.
Abhängiger Vocalwechsel zeigt sich namentlich in der
Einbusse, welche die alten Diphthonge erleiden. Das ai findet sich
unverändert in Aigo und Gailswindis, als ei in Gisaleicus (sec 6),
als ^ in Geloyra (sec 10). Das au haben wir in ahem Zustande
in Audebert, Audemund, Gaudila, Gausericus, als 6 in Onegis,
Onemund, Hodoagrus, Goisuintha (schon sec. 6), Ostrulf, wahr-
fscheinlich auch in Osdulf und Osdulg. Auch das lii ist noch öfters
TV. Westf^oth^ 155
in seiner Reinheit erhalten wie in Linva, Liavigild, Adeliub, Adelinra,
Froiliaba^ auch in Hrothisthias; sein gewöhnlicher Vertreter ist je-
doch euj 80 in Leabina, Leabericus, Ansileubes (sec. 10), Leudefred,
Nenfila (sec. 6), Wilicdeus and Godostens, vor allem aber in den
Formen mit Thend-, die schon seit sec. 5 begegnen, während Thiud-
gar nicht mehr za belegen ist. Seltener^ erst seit sec. 7, findet sich
Theod-, auch Leovigotho und Leovericns.
Von einem Umlante des a zn e dnrch folgendes i finden sich
seit sec. 7 Spuren in Ella, Guterius, Elleca; neben Aya (aus Agja)
steht Ega, neben Agila Egila, neben Agerad Egired.
Synkope begegnet selten; der Themavocal des ersten Theiles
ist meistens erhalten, geschwunden jedoch in Ervig und Hilduara.
Selbständigen Gonsonantenwechsel beobachten wir mehr-
fach, und zwar theils völliges Schwinden theils Entartung.
Dem Schwinden unterliegt namentlich das A. So in den mehr-
fachen Formen mit Ild* (woneben doch auch Hilduara begegnet),
femer aber am Anfange des zweiten Theiles in Modarius, Wene-
darius; Guterins, Villiedus, wol auch in Belesar (sec. 7) und Ingildus.
Diese sicher dem romanischen Einflüsse zuzuschreibende Unsicher-
lieit in der Aspiration spricht sich auch in dem unorganischen An-
laute von Hodoagrus aus. Eben so schwindet das v in den zahl-
reichen Formen auf -ulf und in denen auf -uld, die wol zu goth.
ynlthns gehören, femer in Geloyra (sec. 9 = Gaüarera). Eigen-
thnmlich sind auch die Formen Gudisclus, Sisisclus, Vitisclus, bei
denen doch eine Aphaerese des g von gisal, gisil wird müssen an-
genommen werden.
Eine Entartung nehme ich bei den fünf Lauten k, g, th, b und
▼ wahr.
Das Ar, gewöhnlich wohl erhalten, zeigt doch eine Neigung in
die Spirans überzugehn in Ghintila, Ghindasvinth, Richimer und
Landerich (neben den mit Ric- und Rec- beginnenden Formen).
Erweichung zu Media lässt sich belegen in Hodoagrus und Valdrig.
Beim g ereignet sich Uebergang in den Zischlaut bei dem
späten Cisclus (sec. 10). Sollten die älteren Formen Zerezindo
und Zerimund etwa gar fdr Geresind und Gerimund stehn? mit
Gar-, Ger- beginnende Namen begegnen sonst im Westgothischen
gar nicht. Auch das z von Witiza verdient Erwägung.
Das gothische tA finden wir unangetastet sec. 4 in Baltha,
sec. 5 in Athaulf und Thurismund, sec. 6 in Athanagild, sec. 7 in
Suinthila, Suinthiliuba und Ghindasuinth. Doch sind diese genaueren
Schreibungen rerhältnissmässig selten; viel häufiger begegnet an
deren Stelle ein i/, so heisst es zwar sec. 4 Baltha, aber später
156 IV. Westgothen.
stets Bald-, eben so sec. 5 Athaulphi aber später stets Adefons,
Adeliab, Adeliuva, Adamir. Schon seit sec. 5 sind die Schreibungen
Frid-, Fred-, -frid die einzig geltenden, besonders aber ist natärlich
nd fär nth beliebt, so in Sindigis, Sindoit, Argesind, Bigesuind,
Sisenand, auch in denen auf -mand; die Media ist in solchen Fällen
ja auch im Urdentschen gewöhnlich, vgl. Bd. I, 390. Aber auch
die Schreibang mit der Tennis is^ im Westgothischen nicht selten;
für Thras- begegnet immer Tras-, für Thcud-, Theod- häufig Teud-,
Teod-; dahin geboren auch Suintila, Suintericus, Sintila, Godesteus,
vielleicht auch Sisebut, wenn hier die Media des Stammes aus-
lautend in Aspirata verhärtet war.
Das 6, zu dem wir jetzt kommen, finden wir nicht selten zur
weichen Spirans entartet; so zeigt sich nebea Gibericus ein Give-
ricus, besonders aber vom Stamme LIUB neben Leubina, Leube-
ricus, Adeliub schon sec. 6 ein Liuva und Liuvigild, sec. 7 ein
Adeliuva, Leovigotho, Leovericus.
Dass sich umgekehrt das r durch b vertreten lasse, davon liegt
kein sicheres Beispiel vor, denn wenn auch wirklich das westgothische
Belesar aus sec. 7 ein Valisaharis sein sollte, so verdankt es seine
specielle Form doch wol nur einer Uebertragung aus dem Namen
des grossen Byzantiners. Dagegen sind Spuren vorhanden, dass
das V sich zur härteren Spirans /* umgestaltete, nämlich Nenfila
sec. 6 und Fafila (neben echterem Favila) sec. 8. Ja auch die
sonstige romanische Neigung, dasr in die gutturale Reihe hinüber-
zuziehn, erlangt Einfluss auf das Westgothische, wo die Schreibungen
Gulfinus (sec. 6), Quistricia und Quiuigia (beide sec. 8); vielleicht
auch Suniaguisid und Huicrud davon Zeuge sind.
Von einer Verwandlung des s : r weiss ich im Westgothischen
kein Beispiel beizubringen; sollten Osdulf und Osdulg wirklich
nicht zu AUST, sondern zu ahd. ort gehören, so würde das
grade für Bewahrung der alten Sibilans sprechen.
Endlich noch einige Bemerkungen über abhängigen Con-
sonantenwechsel. Verstümmelung anlautender Gonsonanten-
gruppen begegnet kaum; ich erwähne nur, dass dem Hrothisthius
des 4. Jahrhunderts im achten ein Budorich, im 9. bis 10. ein
Rudesind gegenübersteht, wir werden H vor andern Gonsonanten
wol schon im 7. Jahrhundert nicht mehr erwarten dürfen. Er-
weichungen im Inlaute sind zahlreich eingetreten; man vergleiche
Wifred, Wimar und andere Formen des obigen Verzeichnisses.
Ein rechter Beweis für das Eindringen lateinischer Lautgesetze
ist die Schreibung Tructemund, da dem Römischen sowol anlauten-
des dr als inlautendes ht widerstrebte.
IV. Westgotheü. 157
Assimilationen eines i an einen yorhergebenden Gonsonanten
schreiten schon weit über die Weise des Ulfilas hinaus, wie die
Formen Ella, EUeca, Badda (dieses schon sec. 6); Oppa, Oppila,
Eppa beweisen.
Für die Erzengang unorganisch eingeschobener Gonsonanten
sind zunächst zu erwähnen die beiden Namen Godosteus (sec. 7)
und Hrothisthius (sec. 4) mit ihrem «, das an die zahlreichen
Bildungen auf -sta, sti, -stu und -stra erinnert, welche Bd. I, 510
erwähnt wurden. Sind die Formen wirklich echt, so scheint fast
das Volksbewusstsein in dem zweiten Theile nur ein Suffix gefühlt
zu haben. Sehr merkwürdig ist der Einscbub eines unorganischen
c in dem Stamme G I S A L ; das obige Verzeichniss bietet ein
Cisclus (sec. 10), Gisclamund^ Aragisclus, Freiseins (sec. 6), Gudis-
clus, Sisisclus, Theudegisclus und Vitisclus; mein Namenbuch liefert
noch ein wahrscheinlich gleichfalls westgothisches Gisclafrid aus
sec. 9 und ein Idisclns. Dieser Einscbub ist nicht auf das West-
gothische beschränkt; Procop kennt einen Vandalen Godigisclus
und einen Warner Ermegisclus, Theophanes einen Modigisclus,
Cassiodor einen Witigisclus. Es zeigt sich hier, wie der Einscbub
anf griechisch römischem Einflüsse beruhte, und wie durch theil-
weise dazu getretene Aphaerese ein deutscher Nominalstamm form*
lieb das Gepräge eines undeutschen Suffixes erhält. Ganz vereinzelt
ist dagegen der Einscbub des c in Wilicdeus; es könnte vielleicht
Wiliedeus (Viljathius?) zu lesen sein.
Ausfall des Gonsonanten zwischen zwei Vocalen ereignet sich
im Deutschen vorzugsweise bei dem g; schon das Westgothische
scheint davon Beispiele zu liefern, erstens in Wiaricus (wenn es für
Wigaricus steht, woran jedoch die Nebenform Wialicus zweifeln
lässt) und zweitens in den Formen Ranarius, Ranimir und Ranulf
(beide letzteren aus sec. 9), wenn sie wirklich Ragan- stehn; ich
habe in meinem Namenbuche I, 1031 noch mehrere solche Formen
beigebracht, z. B. ein auch wol westgothisches Ranimund und
Ranosind.
Endlich die Vocalisirung eines Gonsonanten, zu dem Zwecke,
um sich enger an einen vorhergehenden Vocal anzuschliessen. Auch
ihr unterliegt des g wahrscheinlich in den Formen Aya und Tayo,
sonst aber am leichtesten das v und das y, die dann in ihre
Nachbarvocale übergehn. So wird ced zu au in Aured, eviXi eu \xi
Eured, Euricus (sec. 5)i Eurid, Eusendus, wo überall ein dritter
folgender Vocal ausgestossen ist. Ohne dass ein Vocal vorher-
zugehn braucht, haben wir » für t; in Hilduara, in den Formen auf
-uald und in der Schreibung -suinth für -swintb, welche letztere
156 ^' Weitgothen, Krimgothen.
doch zu nnromisch erschien. Das J wird endlich vocalisirt in Froila
(sec. 7—10), Froisclus (sec. 6), Froiliuba (sec. 8) und Goisuintha
(sec. 6), während in Froaricus (sec. 6) ein völliger Ausfall stattfand.
Ehe wir aber die Westgothen verlassen, ist hier noch des
Bruchtheils der alten mächtigen Sueven zu gedenken, welche den
Gothen vereint mit andern Völkertheilen nach Spanien folgten und
dort ein besonderes Reich im Westen der iberischen Halbinsel
stifteten, so dass die beiden grossen CoUectivnamen Gothen und
Sueven, wie sie einst in Deutschland gegolten hatten, so auch im
fernen Südwesten neben einander galten. Ueber ihre Geschichte
giebt Dahn die Könige der Germanen am Schlüsse des sechsten
Bandes eine vortreffliche Uebersicht. Gegen Schluss des sechsten
Jahrhunderts verlor ihr Reich seine Selbständigkeit an das der
Westgothen; aber noch lange nachher wird die Erinnerung an sie
und auch manche Besonderheit bei ihnen lebendig geblieben sein;
noch unter Philipp IL gaben die Gastilianer den Portugiesen das
Scheltwort los Sevosos, Suevosos, worin bis man besseres weiss
eine Verderbniss des alten Suevennamens zu sehn ist. Ueber die
Gestaltung ihrer Sprache wissen wir so gut als nichts. Die aus
ihrer Mitte überlieferten Eigennamen des fünften und sechsten Jahr-
hunderts sind etwa ein Dutzend: Anila, Audica, Kichila, Franta,
Maldra (Masdra?), Adoricus, Frumari, Hermigar^ Hermericus, Re-
misol, Rimismund, Witimer. Es sind ihrer zu wenige und ihre
Schreibung ist wol zu sehr von westgothischem und römischem Ein-
flüsse bestimmt, .als dass wir Betrachtungen an sie knüpfen dürften;
Franta und Maldra sind unter ihnen die anziehendsten. Masculines
-a hat, wie man sieht, damals auch noch bei den Sueven gegolten.
Wir haben Ostgothen und Westgothen betrachtet und fassen
nun den letzten gothischen Stamm, die Er im gothen ins Auge.
Die Mehrzahl der Gothen war auf das rechte Donauufer hin-
übergegangen und hatte im römischen Reiche sich niedergelassen.
Durch die entvölkerten nördlicheren Gegenden war der wilde Völker-
sturm der Hannen, Avaren, Alanen bis ins westliche Europa dahin-
gebraust; Zur Linken dieses Weges musste eine Landschaft weniger
von diesem Sturme getrofifen werden, die von der eigentlichen
Heerstrasse abliegende und durch ihre merkwürdig gezackte Form
leichteren Schutz gewährende Küste des schwarzen Meeres etwa
zwischen der Mündung des Don und der des Dniestr, zwischen
welchen beiden in der Mitte sich die taurische Halbinsel in ver-
doppelt geschützter Lage vom Festlande absondert. Es war natürlich,
dass in den sicher alten Gothensitzen auf dieser Küste, namentlich
aber auf dieser Halbinsel sich Reste des Volkes bis in späte 2ieit
IV. KrimgotheiL 159
hielten. Die Nachrichten von diesen Resten hat der für Gothisches
so unermüdliche Massmann 1841 in seinen Ootthica minora im ersten
Bande von Haupt's Zeitschrift, dann aber kiirzer 1857 auf Seite'
XXVII — XXVIII der Einleitung zu seiner Ulfilasausgabe zusammen-
gestellt. In Folgenden liefere ich nur, was als wirkliche Quelle
erscheint, wobei zugleich einige Angaben Massmann's etwas genauer
gefasst oder berichtigt werden.
Als erste Quelle über diese Gothen des schwarzen Meeres
erweist sich Procop, der im bellum Gotthicum IV, 4 erzählt : noQci
Se rov xcSßOv avror, o^ev rj Trjg Xifivrig [Maiwtiiog] ixßokTJ aQxsrai,
rövd'ov ot TeTQO^rai, xcdovfievoi (pxtjvrcuy ov noXkol ovteg, oV drj %d
XQUftiavöüv vofjiifjia <feß6iJ,Bvoi, 7€Bqus%iXlov(Sw ovSsvdg 7j<f<fov: Hierauf
erzählt Procop die bekannte Geschichte, wie diese Tetraxiten an
den Kaiser Justinian vier Gesandte abfertigen, uhi von ihm einen
Bischof zu erbitten, den sie auch erhalten; denn der Arianismns
^ar in jenen Gegenden schon längst untergegangen. Dann fährt
Procop IV, 5 fort: yiifxvriv de tijv Mou^lkw x(ü tijv i^ avtijg ixßoXrjv
vneqßdvTi evSvg fiiv ig avrrjv nov nijv tavvrig dxnijv ot Tfr^o^rai
TtaXovpiBvoi Tot^oi x6 nalaidv ^xr^vrOy wv ensfivrjtf&tjv dgrioogy nolXtf
Se anod^ev Ford^ov re xai Ovufiyotd'Oi xai BaviiXov xal %d aXXa
Find^ued yivri ^vfinavra tSqvvro. Zuletzt kommt er IV, 18 darauf
zu sprechen: ot Si F&v^mv xäv (Sq>Usv [OvtovqyovQpi>g\ TiQogolxoyVy ot
&»{ Tergal^ttou, xaXovvxav^ iuSxiXiovg ig ^vfxfiaxiav inafofiBvoi Siißriöav
nccvSijfiel noftapiov Tdvahf.
Der Name Tetraxiten erscheint weder vor Procop noch kommt
er nach ihm yor, ausser an Stellen, die aus ihm geschöpft sind.
Seine Bedeutung entgeht uns; ist er griechisch, so könnte er von
vier einzelnen Stämmen oder auch von einem uns sonst entgehenden
Namen der Krim (von ihrer wesentlich viereckigen Gestalt) herge-
leitet sein; oder sind es Umwohner des Tschatyr-Dagh, in dessen
Nähe die Alma entspringt?
Zweihundert Jahre nach Procop hören wir wieder von dem
tetraxitischen oder gothischen Bisthum. In den Acta Sanctorum
Tom. V Junii (25. — 30. Jun.) der Ausgabe Antverpiae 1709 finden
wir S. 184 — 194 den Abschnitt „de sancto Johanne, episcopo
Gothiae. E codice Vaticano" und erfahren hier manches, jedoch für
uns nicht Erhebliches über diesen Mann, der aus „Tauroskythien^
geboren war und etwa um 754 Bischof wurde.
Im 9. Jahrhundert kennt noch Walafrid Strabo, der 849 stirbt,
in Tomi am schwarzen Heere gothische Sprache und gothischen
Gottesdienst.
Um das JahJr 900 Hess Kaiser Leo (der Philosoph) eine Liste
160 IV. Sjia^tlieit
der Bischöfe aufstellen; die von Constantinopel abhängeo, und in
dieser ist der za Capha residirende gothische Erzbischof der 34ste.
Ich setze die darauf bezügliche Nacbrichti welche aoch sonst be-
achtet zu werden verdient; bieber ans Le Quien oriens christianiis.
Parisüs 1740 fol. Hier beisst es, nachdem erst die Notiz des Procop
fiber die Tetraxiten wiedergegeben ist, folgendermassen : Ex quibos
colligere est jam olim ab antiquo Gottboram illonun ecclesiam
Byzantinae sedi fuisse obnoxiam. Hi itaqne Gottbi regionem eis
Tanaim flnviam ad Tyram nsque amnem tenebant, quae Osia bodie
Ferrario dicitur; immo at in actis fertar Betbleemitanae synodi
Sphetzia, FoTd-ia tj vvy Sg>€T(fia primariamqae illins nrbem de
gentis noDodne dietam Oottbiam anno 1475 Mahometas II Tarcarom
Snltanos expngnavit Oottbiae vero archiepiscopas in Notitia Leonis
imp. trigesimas 'quartas est eomm, qui ad Constantinopolitanam
thronam spectent, qoi et metropolitae titolo bonoribasque sabinde
donatos est; ejasqae sedes est Capba civitas in Bosporo.
Erst viertebalb Jahrhunderte nach jener Notitia Leonis impera-
toris erbalten wir eine neae kleine Nachricht über diese Gotben,
and zwar von dem Brabanter Wilhelm Roysbroeck oder Kabriqois,
der 1253 im Auftrage Ludwigs IX. von Frankreich zum mongoli-
schen Kaiser reiste. Seine Beise ist früher in Bruchstücken, dann
ganz im Recueil des voyages et des mömoires der Sociäte de
göographie t. 4| 213—396 herausgegeben und hier beisst es (nach
Massmaun in Haupt's Zeitschrift I, 351): Sunt autem alta pro-
montoria super mare a Kersona [Oberson an der Mündung des
Dniepr] usque ad orificium Tanais et sunt quadraginta castelia
inter Kersonam et. Soldaiam [Sudagh im Südosten der Krim],
quorum quodlibet fere habebat proprium idioma et inter quos erant
multi Goti, quorum ydioma est Teutonicum. In der französischen
Uebersetzung zu Paris 1634 heissen die letzten Worte auf Seite 9:
et lä sont aussi plusieurs Goths, qui retienneut encor la langue
Allemande. Ob der Reisende auch speciell die Krim in den Bereich
seiner Untersuchung gezogen habe, wird nicht gesagt.
Wiederum fast zweihundert Jahre später begann im Jahre
1436 der Venetianer Josephus (oder Josaphat) Barbaro eine Reise
nach Tanais (Asow) uud dann weiter nach Persien. Mir liegt hieven
eine lateinische Uebersetzung vor unter dem Titel Josephi Barbari,
patr. Veneti, itineris, quod ad Tanaim et in Persiam suscepit, de-
scriptio. Sie steht im Appendix zu P. Bizarus rerum Persicarum
historiä (Francofurti 1601» foL). Hier beisst es pag. 455: Post
Gapham insulam circum ad mare Magnum Gotthia est, deinde
Alania^ quae per insulam versus Moncastrum it| ut dictum ^ nobis
IV. Krimgothdiu 161
superiiis est Ootthi Oermaaica ÜDgna ntantor, qnod inde BoiO|
quia cum iamnlam haberem Oermannm, ona coUoqnebantar, et satia
86 iniricem inielligebaiit: eo modo quo forte colloquentes Foriolensia
et Florentinus aliqais alter alterias animi senBum assequitor, ae
sermonem pereipit. Ab hac vicinia Gotthomm enm AlanlB nomen
Qototeloram (!) derivatum est Alani primo in locis illis erant
Sapervenere Ootthi et regiones illas oceaparant et mixturam ex sqo
Alanoramqne nomine fecerant. Et sicabi inyieem permixtae [sie]
•ont, exinde Ootitelani [also grade wie Catalonien = Gotalania]
yoeari coepemnt Hi omnes ritu Graeco Tivnnt, itemqne Circassi
Dieselbe Naehrioht drackt Massmann in Hanpt's Zeitschrift I, 353
italiänisch ab, wie sie sich schon in Jos. Barbaro Yiaggi fatti da
Venetia alla Tana etc. (Venedig 1543. 8) findet nnd dann noch
mehrfach wiederholt ist
Ans dem 16. Jahrhundert können wir nicht weniger als vier
▼on einander unabhängige Nachrichten über jene Oothen beibringen.
Znerst Mathias de Miechow de duabas Sarmatiis, Asiana et
'Eoropiana, Gracoviae 1517 (nicht 1521), 4. Hier lautet es auf
S^te 22 des unpaginirten Werkes, nachdem vorher von Ostgothen
und Westgothen gesprochen ist, weiter in ziemlich barbarischer
Weise so: Juhris autem sive Hnngaris de Sarmatia Asiana in
Pannoniam abeantibns reliqaiae Gottorum aactae et maltiplicatae
sunt: quas Thartari ab Oriente supervenientes in toto delevemnti
sed et civitates castraque demoUti sunt, at solnm in Thaarica in-
anla residui reperirentur. Yernm Januenses ex Italia Theodosiam
aen Caffam urbem famosam in Thaarica insola sab ipsis obtinne-
rnnt et coloniam fecerunt Tandem Thartari de familia Ulanonmii
de qnibns infra dicetar, per portam septentrionalem ingressi, totam
com oppidis, pagis et campis occupaverant, ducibus de Manknp
(qui generis et linguae Grothomm fneront) dnntaxat castrum Man-
knp retinentibus. Postremo Machomet octavns imperator Thuroorymi
avns modemi Selambeci imperatoris Thanricam insolam comprehen-
dit Caffam expagnavit, Thartaros Perekopenses seu Ulanos com
toto Chersoneso omagiales sibi fecit. Et ultra insulam ad septen-
trionem castrum Azow in ripa Tanais incastellavit et in hunc diem
Thurci tenent Binos quoque duces et fratres de Manknp unicos
GotMci generis ac linguagii superstites (hanc spem gregis Gotho*
nun prolificandorum) gladio percussit et castrum Manknp possedit
Sicqne Gothi penitu»! tam circa Sarmatias quam in Italia, Hispania
et Gkülia extincti sunt, nee corum genologia (!) per amplius comparet
Der hier genannte türkische Sultan ist Mahomet 11.^ der von
1445^1481 regierte; sein Feldzug in der Krim fand 1476 statt Das
försieaumn, Quch, d. d. Sprackitammei. iL 11
j>
IQ^ IV. Krimgothen.
bier zuerst erwähnte Manknp (aoch in manchen Scfarifkstdlem
Mangnt genannt) liegt im sädwestlichen Theile der Krim, bei
Baktschisarai, zwischen Sebastopol and Simferopel, und ist eine
interessante und noch neuerdings yielfacb beschriebene Boinenstatte.
In das Jahr 1555 fällt die zn Zürich geschehene Aasgabe des
Hithridates von Conrad Oesner. Derselbe citirt auf Blatt 42 znerst
den Matthias von Miechow, zieht dann den Jos. Barbaras aas, giebt
dann wieder einige Notizen ans jenem Matthias and ingt endlich
hinzu: Gk)thi yerO| qui adhuc in montibus supersunt, ut pinrimum
yineas oolunt et inde vitam sustentant. Er beschränkt auch jene
Nachricht des Matthias aber den Tod der Bruder von Mankup dahin,
dass durch denselben ^tota Gothorum illorum nobilitas cessavit*'
In der Tiguri 1610 erschienenen Ausgabe des Gtesnerschen Mithri-
dates hat Caspar Waser noch einen Gommentar hinzugefügt und
giebt darin nun schon eine Abschrift des Berichtes von Busbeck.
Dieser Augerius Oislenius von Busbeck in Flandern, der Ton
1522 — 1592 lebte, hatte 1562 in Constantinopel Qelegenheit zwei
Gesandte der Krimgothen zu treffen und forschtet sie mit dem ihn
vor vielen seiner Zeitgenossen auszeichnenden Wissensdrange über
ihre Sprache aus. Wir brauchen seinen vielfältig gedruckten Bericht
(der aber nicht erst nach seinem Tode erschienen ist) hier nicht
vollständig wiederzugeben und verweisen namentlich auf die genauen
Untersuchungen von Massmann in Haupt's Zeitschrift I, 345 ff. Das
wichtigste für uns aus diesem Berichte, die Sprachreste selbst,
werden wir unten mittheilen. Auch Busbeck erwähnt jenes Mankup
als eine Gothenburg, daneben aber noch ein viel deutscher klingen-
des sonst nicht bekanntes Scivarin.
Wenig werth ist die letzte Nachricht aus dem 16. Jahrhundert
Sie findet sich in Martini Broniovii (nicht Broncovii) de Biezdzfedea
Tartariae descriptio, welche angehängt ist an Possevino^ Ant., Mos-
coyia. In diesem ohne Ort a. 1595 in Fol. erschienenen Werke
erwähnt auf Seite 7 des Anhangs Broniovius jenes Ereigniss von
1475 als ein vor 110 Jahren geschehenes, bezeichnet aber als Opfer
des Sultans zwei Fürsten aus griechischem oder trapezunti-
Bchem Eaisergeblüte, Oheim und Neffe, denen die Eroberung von
Mancopia seu Mangutum den Tod gebracht habe. Den betreffen-
den Sultan nennt er Selim; Selim I. regierte aber erst von 1512—1520.
Nur eine einzige Nachricht giebt uns das 17. Jahrhundert,
dafür aber eine merkwürdige und fast unerklärliche. Ich entnehme
sie aus Jos. Just. Scaliger thesaurus temporum (Amstelodami
1658 foh). Am Schlüsse dieses Bandes sind Scaligers Isagogi-
eorum .eanonum libri m angehängt, und hier heisst es Seite 847
IV. Krimgothen. 160
von den Erimgothen: Etiamnum in iisdem regionibns degnnt snb
Praecopensi Tatarorum djnasta et utramqae testamentum iisdem
literis, qnas excogitavit Walfila, conscriptnm, et eadem lingna, qna
tempore Ovidii utebantur, interpretatum legnnt. Sermo enim eonun
bodiemns majori ex parte Teutonicus est etc.; in den nun folgenden
Worten ist aber Scaliger nicbt mebr Quelle, sondern zieht nur den
Josaphat Barbaras und den Busbeck aus.
Auch aus dem 18. Jahrhundert haben wir nur eine einzige
Mittheilung; die sich auf diesen Gegeustand bezieht. In Büschings
neuer Erdkunde, sechste Auflage (Hamburg 1770) Theil 1,^ lesen
wir Seite 16Ö4: ,,Unter denselben [den Tataren]^ und zwar an der
Küste des schwarzen Meeres, von der Donau an bis zum asow-
schen Meer^ )a auch auf der asiatischen Seite des schwarzen
Meeres, wohnt ein heidnisches Volk, ohne besonderen Namen, dessen
Sprache der deutschen verwandt ist. (In dieser Gegend haben die
Gothen vor Alters gewohnet, von welchen diese Nation vielleicht
ein Ueberbleibsel ist, bei welchen die christliche Lehre wieder
untergegangen). Der erfahrene Jesuit Mondorf, von welchem ich
diese merkwürdige Nachriebt 1760 aus Wien empfangen habe, bat
einen Rudersclaven von dieser Nation, den er auf einer türkischep
Oaleere angetroffen, getaufet, und von demselben erfahren, dass ihr
ganzer Gottesdienst in der Verehrung eines alten Baumes bestebe^^
Weiter folgen wieder Mittheilungen aus Barbaro und Busbeck. In
der achten Auflage der Erdbeschreibung (Hamburg 1787, 8) Bd. 1,
Seite 1209 hält dagegen Bnsching die Gothen in der Krim für be-
reits verschwunden. In der That nimmt man an, dass ihre Reste
in Folge der Eroberung der Krim durch die Russen und durch die
Verpflanzung der Einwohner, die Potemkin nach seiner gewöhnlicheii
gewaltsamen Weise betrieb, völlig untergegangen seien.
In den Schriften der Petersburger Academie habe ich nichts
auf diesen Gegenstand Bezügliches entdecken können. Auch etwa
zwanzig bis dreissig neuere Geschichten und Beschreibungen der
Krim so wie Reisen durch dieselbe habe ich vergeblich durchge-
sehen. Die meisten dieser Bücher erwähnen die Gothen nicht ein-
mal, von den merkwürdigen Ruinen von Mancup ist allerdings viel-
fach die Rede. Einen nach dem Augenmasse gezeichneten Plan
von Mancup finde ich in Murawiew- Apostel Reise durch Tannen
im Jahre 1820, aus dem Russischen von W. v. Oertel (Berlin und
Landsberg 1825, 8); aber an der betreffenden Stelle Seite 146 ff.
nichts von Werth. Auch Koch die Krim und Odessa (Leipzig 1854)
hat auf Seite 65 f. zwar Notizen über die Gothen, bringt aber
nichts Erhebliches bei. Massmann in der Einleitung zu 8eii^|W(
164 tV. Knmgothdft.
Ulfilas Seite XXVni erwähnt| dass Mnias Bschkraots in seiner
armenischen Reise nach Polen n. s. w., die in Venedig 1830 er-
schienen sei, ancb von Oothischen Denkmälern in Mancnp nnd
Sodagh mit Inschriften in alten gothischen Buchstaben and von
manchen unleserlichen Inschriften rede, doch alles das scheint
nichts znr Beantwortung unserer Frage beizutragen. Aber die
Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben, dass vielleicht noch nnsere
Reihe von Nachrichten sich aus entlegenem Winkel her ergänze.
Nun zur Betrachtung der von Busbeck uns fiberlieferten gothi-
schen Sprachreste. Sie haben mir in folgenden zehn Abdrucken
vorgelegen, für deren Bezeichnung ich später die hier vorgesetzten
Zahlen verwenden werde:
1. Augerii Gislenii Busbeqvii D. legationis Turcicae epistolae
quatuor. Parisiis 1589. 8. Bd. 136 f.
2. desgl. Francofurti 1595. 8. S. 259 f.
3. desgl. Hanoviae 1605. 8. S. 244 f.
4. desgl. Monaci 1620. 12. S. 378 f.
5. desgl. Hanoviae 1629. 8. S. 244 f.
6. A. Oisleni Busbeqvi epistolae deque rebus Turcicis quae
extant. Lipsiae 1689. 12. S. 386 f.
7. A. Gislenii Busbeqvii omnia quae extant. Lugd. Batav.
(Elzevir) 1633. 12. S. 323 f.
8. A. Gislenii Busbeqvii omnia quae extant. Oxoniae 1660. 8. S. 2 18 f.
9. desgl. Amstelodami (Elzevir) 1660. 12. S. 323 f.
10. desgl. Basileae 1740 8. S. 305 f.
Dass irgend eine der Ausgaben 2—10 erneut auf handschrift-
liches Material zurückgegangen sei, ist nicht ersichtlich, obwol ein
Paar offenbare Druckfehler der ersten Ausgabe' in den späteren
zum Theil verbessert sind; No. 8 enthält den nngenauesten Abdruck.
Busbeck beginnt mit dei^enigen Wörtern, die er nostratia aut
parum differentia nennt; es sind folgende:
Theo oder the, der Artikel; nicht zu entscheiden ist, ob mit
beiden Formen die verschiedenen Genera gesondert werden sollen.
— Broe panis. — Plut sanguis. — Stul sedes. — Hus domus. —
Wingart vitis (wol statt vinea irrthümlich). — Reghen pluvia. —
Bruder frater. — Schwester soror. — Alt senex. — Wintch ventus*
Siluir argentum (siuir 8). — Goltz aurum (golz 6). — Kor triticunt
— Salt sal. — Fisct piscis (des t nur Druckfehler?) — Thurn
porta. — Stern Stella (stein falsch 1. 2). — Sune sol. — Mine
luna. — Tag dies. — Oeghene oculi. — Bars barba. — Handa
manus. — Boga arcus. — Miera formica (schwed. myra, dän. myre
mnl« miere o. s. w«). — Einck, ringo annulus. — Brunna fons« —
IV. Krimgotheiu 165
Waghen corrns (waghenn 4). — Apel pomam. — Schieten mittere
sagittam. — Schlipen dormire. — Kommen venire. — Singhen
canere. — Lachen ridere. — Griten flere (so steht es in 6—10,
dagegen kriten in 4, ganz falsch eriten in 1 — 3; es ist das goth.
gretani das dem Bnsbeck als allgemein deutsch bekannt sein mosste).
— 6een ire. — Breen assare. — Schwalth mors (in 5—9 steht
falsch schwalch; es mnss wie goth. svnltSy doch mit anderem Ablant,
schwerlich ans svnlts entstanden, zu goth. sviltan mori gehören).
Bei diesem Worte mnss dem Basbeck eingefallen sein, dass er
schon unter die AnsdrUcke gerathen ist, welche er com nostra lingna
non satis congmentia nennt. Diese AnsdrUcke geben theils durch
ihre Schwierigkeit, theils durch ihr dennoch yorhandenes Ueberein-
stimmen mit dem uns nun so viel mehr bekannten Oothischen recht
den Beweis her, dass wir es bei Basbeck mit einem unverfälschten
(wenn auch sicher ungenau geschriebenen) gothisohen Wörterver-
zeichnisse zu thun haben; ich setze sie nun gleichfalls hieher:
Enanen tag bonus dies; knauen ist noch unerklärt; s. Diefen-
bach goth. Wbch. 11, 460.
lel vita sive sanitas, ieltsch vivus sive sanus (iltsch 8), jeden-
falls zu goth. haili und hails. Dazu noch lel uburt (6, 7, 9, 10;
die übrigen Ausgaben schreiben vburt), welches einem altgotbischen
liail vairthai zu entsprechen scheint.
Marzus nuptiae ; im Deutschen fehlt entsprechendes ; am nächsten
klingt litauisches marti Braut und martauti Braut sein an ; s. Diefen-
l)ach n, 49.
Schuos sponsa; auch hier liegt Litauisches nahe, z. B. das um
Memel gebräuchliche swotas (sonst swodba) Hochzeit; sind die
Anklänge bei diesen beiden Wörtern begründet, so darf man auf
die Vermuthung kommen, Busbeck habe umgekehrt marzus sponsa
und schuos nuptiae schreiben wollen«
Statz terra; es findet im Oothischen die natürlichste Anknüpfung
an staths locus. "
Baar puer, sicher das gemeüideutsche bam.
Ael lapis, wahrscheinlich goth. hallus petra.
Menüs caro (meuus 8 falsch), goth. mimz caro.
Rintsch mens (rintsh 8), noch unerklärt; Verrauthungen bei
Diefenbach II, 175.
Fers vir; goth. vair.
Lista parum; scheint aus einem Neutrum litata parvum zu
deuten, das die Endung des gothisohen leitils entbehrte.
Ada Ovum ist das gemeindeutsche Wort, das sich zu altn. egg
so verhält wie goth. vaddjus zu altn. veggjar, goth. tvaddjS zu altn«
IQQ IV. Krimgothen.
tyeggja, gotb. daddjan zu altschwed. dSg^a. Ada setzt danach
ein Thema addija and dieses wol ein avja yorans.
Ado gallina, fem. zu goth. faana gallosi merkwürdig wegen de8
noch zam Altgoth. stimmenden femininen Ausgangs auf -o.
Telich staltns (tilch 8); man denkt an eine Ableitung von gofb.
dvals, also etwa an ein *dya1aleiks.
Stap capra; Vermutbungen bei Diefenbacb n, 318.
Gadeltha pulchrum (falsch gadeliba 8); etwa gleich goth. gati-
lata aptum?
Atochta malum ; etwa goth. *hatugata, nbd. ge-bässiges ; Diefen-
bacb I, 89; Bezzenberger A-Reibe im Gotb. S. 14.
Wichtgata album; nahe liegt hveitata, obwol die Form wicht-
gata sich noch auf verschiedene Weise erklären lässt.
Hycha ensis; goth. m^keis gladius.
Schediit lux (schedit 6 — 10). Noch nicht sicher erklärt; auch
hier liegt wieder ein Wort des lettischen Sprachstammes am näch-
steuy nämlich lettisch skaidrs clarus; Diefenbacb 11, 261.
Borrotsch volnntas, liegt dem gotb. ga-baurjotbus Toluptas
auffallend nahe, wie schon Massmann sah; volnntas und voluptas
Sind sehr benachbarte Begriffe.
Gadariou miles. Hier kommen wir über yermutbungenniebtbinaus,
wie sie Diefenbacb II, 436 mittbeilt.
Eilemscbkop ebibe calicem. Die letzte Sylbe scheint allerdings
zu schöpfen u. s. w. zu geboren und also für ein Trinkgefass ge-
eignet zu sein. Oder ist an abd. coph crater, calix zu denken?
Dann wäre das vorhergebende scA wol eine Yerscbleifcmg des
krim. Artikels the. In keinem von beiden Fällen kommt man aber
über die beiden ersten Sylben ins Klare.
Es folgen nun die drei Yerbalformen tzo wartbata (watbata 8)
tu fecisti, ies vartbata ille fecit und ich malthata ego dico. Sollte
nicht statt dico vielmehr dixi stebn? Dann hätten wir drei Praete-
rita. Das letzte, malthata, muss zu goth. mathljan mit Hetatbesis
der Gonsonanten geboren. Steht die Form wirklich grammatisch
dem wartbata gleich, so ist sie wol als ein maltbtbata anzusehn.
In warthata müsste gotb. vaurkjan liegen, wenigstens liegt sonst
nichts Deutsches näher. Aber wie erklären sich die beiden hinter
einander mit Dental beginnenden Sylben? Durch ein angebängtes
Objectspronomen? dann wäre ies wartbata = is vaurbta thata.
Bochfliegende Gonjectur aber könnte sogar hier noch ein Ueber-
bleibsel urdeutschen Zustandes sehn und in dem -thata nocb eine
reduplicirte Form jenes Hülfsverbums erblicken, welche im Singular
scbon bei ülfilas untergegangen ist (s. Bd. I, 583).
IV. Krimgothen. Ig7
Nan verzeichnet Basbeck die Zahlwörter: ita (= goth. Ntr.
ainata; vgl. altn. eitt, schwed. 6tt; dän. et); tua (wiedemm = goth.
Ntr. tva); tria (goth. Ntr. thrija); fyder (ein rechter Beweis echt
gothischen Stammes); fynf (finff 4); seis (falsch scis 8); seuene;
atbe; nyne; thiine; thiinita und thiinetaa (nur in 6 und 9, sonst
wol falsch thanetua) zeigen, dass das gemeindentsche elf und zwölf
untergegangen sind; fdr dreizehn folgt thiinetria (nur in 9; sonst
thanetria). Sehr auffallend ist stega für zwanzig, dieses sonst fast
mir den neueren deutschen Mundarten eigene Wort. Treithyen für
dreissig und furdeithien (furdethyen 8) für vierzig verlassen ganz
das alte deutsche Priucip und können es auch verlassen ; nachdem
ein zehndrei an die Stelle des dreizehn getreten war, konnte letz-
teres in den Platz des dreissig einrücken. Diese krimgothischen
Zahlen, bis zur Vier wunderbar gut erhalten , von der Fünf bis zur
Zehn leidlich bewahrt, in den zweistelligen Reihen ganz umgewälzt,
verlieren in den Ausdrücken für hundert und tausend ganz die
deutschen Wörter und entlehnen eranische Gebilde. Busbeck giebt
f&r hundert sada, für tausend hazer; man vergleiche für jenes
namentlich persisch szad, für dieses armenisch hazar. Wann und
wo zuerst mögen diese Entlehnungen geschehen sein? Und von
welchem Volke? von den Alanen?
Das Yerzeichniss Busbecks beginnt mit klaren Ausdrucken, dann
häufen sich die Räthsel, zuletzt aber kommt das Räthselhafteste,
jener Anfang eines krimgothischen Liedes:
Wara wara ingdolou
Scu te gira gaüzu
Hoemisolep dorbiza ea.
Die Abweichungen der einzelnen Drucke sind: Im dritten
Worte der ersten Zeile ingdolois 4, im ersten der zweiten 8ecf6, 9»
wo im ersten Drucke undeutlich ist, ob scu oder seu; endlich im
vierten Worte der zweiten Zeile galtzou in 1—3
Gtestehn wir es, damit nichts machen zu können; frühere
Erklärungen sind erwähnt und neue versucht bei Massmann in
Hanpf B Zeitschrift I, 365 und bei Mannhardt in Euhn's Zeitschrift
V, 168. Aber einen Einfall will ich doch mittheilen; jene Gothen
könnten einem jungen Menschen, der zum Gelage eilt, warnend
zngesungen haben: „Wohin, wohin, junger Thor? Spheue (dich) zu
begehren die Becher; Hausbrod (ist) immer derber^. Ich halte
den Einfall nicht für wichtig genug, um ihn zu vertheidigen, wozu
auch hier nicht der Ort ist; die Schwierigkeiten übersehe ich keines-
wegs; nur erwähnen will ich, dass ich bei galizu an abd. gellida
und ags. gellet gedacht habe.
168 ^- Syntax.
So viel Sber den Sprachstoff, der nns ans der Handart der
Erioigotben yorliegt; nun noch einige Bemerkungen über die laut-
liche Sprachform, nicht in so fem sie das Alte erhält, sondeni
nur so weit sie es entarten lässt Zu weit darf man indessen
dabei in den Folgemngen taicht gehn, da Basbeck sicher nicht
sehr genau die Laute wiedergegeben und sich bei dieser Wieder
gäbe auch von der Schreibung seiner eigenen Sprache hat leiten
lassen.
In den Vocalen bemerken wir einen Mangel in der Bestimmt-
heit der unbetonten Laute und ein mehrfaches Eindringen des
stummen e^ so in sune sol, mine luna und besonders in den starken
Infinitiven schieten, schliepen, criten, breen, kommen, singhen ; wenn
in obigen Versen gira wirklich Infin. eines schwachen Verbums
(ahd. gerön) ist, so wäre die Abweichung bemerkenswerth.
Im Uebrigen unterliegt a des goth. hallus in ael lapis einer
Schreibung, mit welcher Basbeck nach mittelniederländischer und
noch bis ins yorige Jahrhundert dauernder Weise wol nichts als
langes ä hat bezeichnen wollen. Das goth. / erscheint auch in
betonten Sylben zuweilen als ^, z. B. in reghen pluvia, Schwester
coror, menus caro; das vor r und h gebrochene / dagegen scheint
Ycrschieden entartet zu sein; man vergleiche stem Stella mit seis
sex und thiine decem. Dass goth. u jemals hier als a erscheine,
ist zweifelhaft, denn handa manus verdankt sein zweites a wol
dem Uebergange in eine andere Declination, schwalth mors ist wol
anf anderer Ablantstufe gebildet als goth« svults, und in warthata,
wenn es wirklich zu goth. vaurlgan gehört, ist im Gk>th. selbst das
u schon getrübt. Aber ein Uebergang von u : o, g^nz dem von i : e
parallel, ist nicht abzuleugnen, so in goltz aurum, tzo du, wol
auch in atochta malum, selbst in dem vor r gebrochenen u bei
kor triticum.
Die beiden langen Vocale i und 6 zeigen im Krimgothischen
eine centrifugale Bewegung, so dass jenes als I, dieses als i^
erscheint; man vergleiche mine luna, schlipen dormire, criten
flere, auch mycha gladius mit bruder frater, stul sedes und plut
sanguis.
Die alten gothischen Diphtonge schwinden« Das goth. ai ist
(wol durch die Zwischenstufe i) in i fibergegangen bei ainata:
ita, ffir welches i auch ie geschrieben wirä in iel aus hails, wahr-
soheinlioh in ies ille, wenn es aus ains entsprungen ist Auffallend ist
das oe in boemisclep, falls es wirklich zu haims gehört. Ganz
entsprechend geht goth. au in den Laut ü fiberi denn diesen meint
gewiss Busbeck mit seiner Schreibung oe in broe paniSi hoef oapat.
IV. KiimgotJiea. 169
oeghene oonli; merkwürdig ist, dass er nielit aodi broeder, stodi
ploet, sondern brnder, stnl, plnt scbreibt I>as gofh. iu endlieh
zeigt sich als ie in schieten mittere sagittam, wol auch in miera
fonnica.
Im Bereiche der Gonsonanten verräth das Wortrerzeichniss
eine eigentbfimlicbe Neigung znr Verstärkung der Anlaute und
Anslaute; im Anlaut haben wir g:k in criten flere^ d:t in tag
dies, auch wol in te = goth. du und thum porta^ b:p in plut
sanguis, auch y:f in fers vir; im Auslaut dagegen g:k in rinok
(neben ringo) annnlns, d:t in wingart vitis und auch wol in plut
sanguis, b:p mutmasslich in hoemisclep.
Das goth. M wird inlautend durch d ersetzt in bruder frater,
an- und auslautend aber theils durch i wie in tria treS; treithyen
triginta, alt senex, theils durch /s wie in tzo tu, goltz aurum, statz
terra; im Artikel tbo the schreibt Busbeck noch th.
Auffallend ist die Vertretung von A durch cA in ich ego und
mycha ensis. Der Wandel von b : v in silvir argentum und seuene
Septem, so wie der von g : gh in reghen pluvia, oeghene oculi,
singhen canere, waghen currus beruhen wol zum Theil auf dem
Einflüsse niederländischer Schreibung.
Bemerkt zu werden verdient die Aphaerese in ano gallina, iel vita
sive sanitas nebst dem davon abgeleiteten ieltsch, auch wol in ad
lapis.
Apokope eines schliessenden t-Lautes begegnet in hoef caput
und broe panis. Das n scheint nach einem r gern abzufallen wie
in kor triticum und haar puer; ähnlich vielleicht in gira, wenn es
wirklich gleich ahd. gerdn ist; dagegen scheint thum porta ein
überschiessendes n zu haben, falls es nicht etwa schwacher Plural
ist Das nominative*5 schwindet gewöhnlich, um so auffallender
ist seine Erhaltung in fers vir (sogar gegen goth. vair) und in
ieltsch vivus; zweifelhaft ist, ob man es auch in statz terra,
rintch mens, wintch ventus, bars barba, borrotsch voluntas an-
nehmen darf.
Gonsonantenausfall im Inlaute zwischen zweien Vocalen zeigt
sich in breen assare. Häufiger sind Beispiele von Erweichung in-
lautender Gonsonantengruppen ; dj : d liegt wahrscheinlich vor in
ada Ovum (vgl. Bd. I, 397), mf : f in fyuf quinque (also wie sonst
innerhalb des sächsischeu Sprachzweiges), ht:t in athe octo und
vielleicht in warthata, wenn es gleich goth. vaurhta ist, dv:d in
fyder quatuor (schon im Goth. in Zusammensetzungen), gv:g in
singhen canere, dr : r vielleicht in wara, wenn es für goth. hvadre
i
170 IV. Kiitttgothen.
steht. Die urdentsche und noch ältere Verwandlung von tt:8t
Boheint sich in lista pamm fortznaetzen.
Bemerkenswerth ist endlich die KomNenhochdeatschen stinuneikde
Anlautsverhärtang in schlipen, Schwester, schwalth.
Zu andern Bemerknngen giebt das dürftige Verzeichniss keinen
Anlass; aber bedanem moss man diese Dürftigkeit am so mehr, als
wir hier neben Zeugnissen der grösten sprachlichen Entartung doch
den unzweideutigsten Spuren echt gothischer Rede mehrfach
begegnen.
^^N^N^^N^^^^^^^^^^^^^^^
(
Fünftes Buch.
Untergang anderer deutscher Völker im
Römerreiche.
Der letzte Abschnitt des vorigen Baches hat sich dadurch aus-
gedehnt, dass der Einfloss fremder Sprachen auf ein deutsches Volk
in dessen yerschiedenen weit zerstreuten Theilen den völligen Unter-
gang von dessen Sprache in allen ihren Hundarten herbeigeführt hat.
Kon ist aber das Schicksal der Gothen noch von einer Reihe anderer
ihnen geographisch oder etünographisch nahe stehender Völker-
schaften getheilt worden^ deren Sprachen wir, wenn sie uns genauer
bekannt wären, gleichfalls wol je ein Buch unserer Darstellung
XTvidmen müssten. Aber diese Sprachen sind uns so gut wie unbe-
kannt, da sie keine Literatur hinterlassen haben und wir von ihnen
eigentlich nur noch erfahren, wie sie von fremden Idiomen über-
i^uchert und erstickt werden. Wir haben also so zu sagen von
allen jenen Büchern nur die siebenten Gapitel vor uns; aller Reich-
tham sprachgeschichtlicher Thatsachen, die gewiss in manchen vor-
bergehenden Jahrhunderten sich ereignet haben, sind für uns in
Dunkelheit gehüllt, deren Lichtung nicht einmal mehr zu hoffen
ist; deshalb sind diese linguistischen Sterbeprotocolle hier in ein
Ganzes zusammenzufassen.
Grade im Osten, wo wir gothischen Namen und gothische
Sprache am längsten haften sahen, verschwinden ein Paar deutsche
Völker schon frühe vom Schauplatz. Mit ihnen beginnen wir.
L Die Bastarnen.
Im ersten Bande Seite 336 wurde die Ansicht ausgesprochen,
die Germanen seien bei ihrer Einwanderung in Europa von Osten
kommend am Nordnfer des schwarzen Heeres bis in die Gegend
vonDniestr- und Istermündung vorgedrungen, hätten dann aber die
Richtung ihres Weges geändert und den Weg nach Nordwesten
eingeschlagen. Diese neue Richtung ist aber gewiss durch das
Entgegenstehen eines Hindernisses veranlasst worden, denn aus
freiem Willen wird kein Volk an jenem Punkte so die Richtung
ändern, viel eher nach Südwesten. Jenes EQndemiss kann nicht
in der Natur des Landes, muss also in einem andern vorausge-
zogenen Volke gelegen haben. Die ersten der Germanen mögen
dort auf die letzten, östlichsten der Kelten, vielleicht aber auch
ganz fremde uns unbekannte Völker gestossen sein. Aus solchen
Völkerbrandungen aber entstehen Hischvölker und als ein solches
Mischvolk, vielleicht nicht das einzige jener Gegend, sehe ich am
174 V. BasUrnen.
liebsten die Bastarnen an. Ich halte sie für Oermanen, die aber
wesentlich aus germanisirten Kelten bestehn. Hiemit erklärt sich
auch das Schwanken der alten Schriftsteller in Bezug aaf die
Nationalität des Volkes. Appian bezeichnet sie als Geten^ Polybius
und Platarch nennen sie, worauf freilich nicht viel zu geben ist,
Galater, aber auch Livius rechnet sie unter die Gallier ; am leichtesten
macht es sich Dio Gassius, der sie mit dem Namen Scythen be-
legt, worin ihm im 5* Jahrhundert, als das Volk schon längst nicht
mehr bestand, auch Zosimus folgt. Dem gegenüber stehn nun aber
diejenigen drei Schriftsteller des Alterthums, welche sich am eia-
gehendsten mit deutschen Völkerverhältnissen beschäftigt haben
und die alle drei sehr leicht lebende Bastarben konnten gesehn
haben. Tacitus nämlich sagt Germ. 46: Peucinorum Venetorumqoe
et Fennonim nationes Germanis an Sarmatis ascribam dubito:
quamquam Pencini, quos quidam Bastarnas vocant, sermone culta
sede ac domiciliis ut Germani agunt. Von keltischer Mischung ist
also nicht mehr die Rede, höchstens von der mit nachdringenden
östlicheren Völkern. Strabo aber erzählt: iv 3i t^ fjteffoyaia
BacrdQVfu fih wZg TvQeyhaig ofiOQoi, xal FeQfiavolgy c%Bi6v %i xci
avTol tov FeQfiavixov yhovg ovt€g\ schon vorher hat er das Volk
als Grenzvolk von Germanien angeführt, ohne indess anzugeben,
ob er sie sich innerhalb oder ausserhalb der Grenze denkt. Ganz
ohne Zweifel an dem Deutschthum des Volkes drückt sich nur
Plinius IV, 28 aus, der als fünften Stamm der Germanen ansetzt:
Peucini, Bastemae snpra dictis contermini Dacis.
• In solcher Unsicherheit wären uns einige Worte aus der bastar-
nischen Sprache sehr erwünscht. Kein einziges solcher Worte ist
uns aber überliefert; zu ihrem Ersätze müssen wir mit acht Eigen-
namen, «darunter vier Völkernamen und vier persönliche, vorlieb
nehmen. Kein einziger von allen acht ist sicher germanisch, ob-
wol sich bei mehreren germanische Anklänge finden. Es sind
folgende.
Bastamae {Bastemae), der Name des Volkes selbst Das
Suffix -rn erweist sich (s. Bd. I, 141) als wesentlich keltisch; von
den Völkemamen, die es besitzen, sind kaum die Gugerni am
Niederrhein deutsch benannt, viel weniger die Liburni in Illyrien,
die Arvemi in der Auvergne, die Dalitemi an der oberen Rhone,
die Ivemi in Irland. Auch die erste Sylbe des Wortes will sich
nicht recht zu einem deutschen Stamme fügen; kannten wir genauer
den Ursprang des deutschen (ursprünglich wol normannischen)
Bastard, so ginge uns vielleicht daher ein Licht auf, das sogar
die Mischlingsnatur des Volkes bestätigen könnte.
V. Bsvtsnien. l'ffS
Peacini. Dieses fast immer (so schon in zwei eben angefahrten
Stellen) mit den Bastamen zasammen erwähnte Volk hat sicher von
der zwischen den Donanmfindungen gelegenen Insel Penke den
Namen, von der z. B. Strabo VU, p. 305 sagt: xecraaxdvteg S' av-
fi|^ Ba&fdqycu, JlevxTvob rtQogriYOQBv9ij(fav. Ihre Endung klingt eher
an deutsche Völker an, z. B. an die wahrscheinlich zu den Rugiem
gehörigen Seidini^ an die gleichfalls norddeutschen Varini, während
die Gotini und die Morini eher gallisch sind. Die Insel Peuke hat
wol von Fichtenwaldungen den Namen, aber wir wissen nicht, von
welchem Volke es ihn empfangen hat; leider entgeht uns das be-
treffende Wort im Keltischen. In mehreren Stellen der Alten er-
leheinen die Peucinen und die Bastamen als gradezu identisch,
vrabrend in andern der eine Name als das Allgemeinere, der andere
da das Besondere genannt wird.
"Axfwvoij nach Strabo VII ein Stamm der Bastaraen, nur an
lieserstelle genannt; wir können über dasWq;rt nicht einmal eine
^ermuthung aufstellen.
SkdovB^y ein zweiter Bastaraenstamm; gleichfalls nur an jener
Stelle vorkommend. Dies Wort klingt allerdings in Stamm und
Endung vielfach an deutsche Völkemamen an, am nächsten an die
Sitonum gentes, die Tac. Germ. 45 in Schweden neben den Suiones
aennt. Sind es Küstenbewohner, zu altn. st&a Seite, Küste?
Glondicus, ein bei Livius im zweiten Jahrhundert vor Chr.
begegnender bastamischer König, leider eine nicht ganz sichere
Form, da Appian dafür KXoiXtog setzt Man denkt dabei an den
von Orosius angeführten cimbrischen König Glaodicus und mit diesem
an den deutschen Namenstamm HLOD; ein niederrheinischer Luo*
thecho begegnet noch im Jahre )033.
Getto, bastamischer König im 2. Jhd. v. Chr., von Livius ge-
nannt, allerdings ganz deutsch klingend, wie z. B. mein Namenbuch
I, 320 einen Gottus aus dem concil. Bracarense von 563 erwähnt;
auch die Ortsnamen Guttingas, Guttenheim, Guttinwane schlagen
dahin ein; aber von Sicherheit ist nicht die Rede.
JiXimf (var Ji38wv\ bastamischer Fürst sec. 1 v. Chr., eben
so gebildet wie der vorige Name, doch ohne allen Anklang an
deutsche Namenformen.
Teutagonus, in den Argonautica des Valerius Flaccus als bastar-
nischer Anführer genannt, doch viel eher gallisch als deutsch in den
Lauten geformt; ein gothisches Thiudakuns würde ihm entsprechen.
Für die bastaraische Sprache ergiebt sich also nichts, und doch
rauss das Volk mindestens ein halbes Jahrtausend bestand^ haben
ud zi^eieh genug gewesen sein« Schon um das Jahr 180 vor
176 V. Bastarnen«
Chr« erscbeiDen sie als Verbfindete des macedomscben Penens im
Kriege gegen die Römer; ihre Wohnsitze werden bei dieser Gelegen-
heit nicht näher bestimmt^ doch werden sie schon damals nör^ioh
Ton der Donaomändong gelegen haben. Anderthalb Jahrhanderte
später drangen die Bastamen ins römische Gebiet feindselig bis
Macedonien yor^ bis ihnen im Jahre 29 der macedonische Proconsol
M. Licinias Crassos^ der Enkel des Triamvirn, in demselben Moesien
eine Niederlage beibrachte, das nachher der Wohnsitz des Ulfilas
sein sollte. Aach aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung
werden Kämpfe zwischen Bastamen und Römern gemeldet Doch
scheinen sie stets in den alten Sitzen geblieben zu sein. Strabo
im zweiten Buche scheint sie an den Dniepr zu setzen, Pliniiu
nennt Peucini und Basternae contermini Dacis und noch genauer
giebt Ptol. an: Ilevxtvol %b mcu Bouniqyok vnsQ ttjv Jaxiav. Der
Untergang des Volkes muss im Wesentlichen in das dritte Jahr-
hundert fallen; Kaiser Probus (276— 282) soll^ wie Vopiscus erzählt,
hunderttausend Bastamen auf römisches Gebiet verpflanzt haben;
gewiss auch ein Anlass, dass die nördlicheren Gothen schon damals
von diesen südlicheren Landschaften Näheres erfuhren und nach
ihnen Lust bekamen. Die im Norden noch zurückgebliebenen
Bastamen werden unter den Gothen aufgegangen sein, namentlich
in Folge der Stiftung von Ermanarichs grossem Reiche. Wenn die
Bastarnen noch bei Zosimus, ja bei Jemandes erwähnt werden,
so ist das doch durchaus nicht bei Ereignissen der Fall, denen diese
Schriftsteller gleichzeitig waren.
Spuren einstigen bastamischen Lebens liegen vielleicht noch
in jenen Orts- und Flussnamen deutschen Klanges, die ich Band
I, Seite 334 ff. aus der Gegend nordöstlich von der Donaumündung
nannte; hoffentlich werden sich diese Spuren in Zukunft noch mehren.
Ja auch die Gothen des schwarzen Meeres, welche im Mittelalter
erscheinen und die am Schlüsse des vorigen Buches besprochenen
Krimgothen mögen starke Beimischung alten bastamisch-peucinischen
Blutes gehabt haben.
Wie die Bastamen die Plänkler für die Einfälle der Gothen
ins römische Reich abgaben, so hatten die Gothenheere bei diesen
Ereignissen einen gewaltigen Nachtrab; und mit diesem haben wir
es nun zu thun. An die eigentlichen Gothen^ die nordwärts bis an
die untere Weichsel gereicht haben mögen, schloss sich nämlich
an der Südküste der Ostsee vielleicht bis zur Elbe hin eine Reihe
gothonischer Völker an, und diese setzten sich allmählich in die
Landschaften in Bewegung, aus denen die Gothen abgezogen oder
in denen sie bedeutend vermindert waren. Ihrem Zuge nach dem
V. Hernto. 177
romsniscbeii Süden ist das gemeinsam, dass er nicht in grader
Linie dnrcb die suebischen Stämme bindarch erfolgt, sondern stets
in einem grossen Bogen nach Osten durch das alte Gothenland
hindnroh "btattfindet.
Alle diese Völker standen sich unter einander sehr nahe und
bildeten oft mit den eigentlichen Gothen zusammen einheitliche Heere.
So nennt Trebellius Pollio als Verbündete; die a. 269 von Kaiser
Claudius in der Schlacht beiNaissus in Obermoesien besiegt wurden:
Scytharum diversi populi^ Penci, Grutungi Austorgoti, Tervingi Visi,
Oipedes (Geltae etiam) et Eruli. Der Kaiser Claudius selbst aber
bezeichnet in seinem Briefe an den illyrischen Statthalter Julius
Broccbus diese ganze Völkermasse als trecenta milia Gothorum,
Ganz dieser Stelle gemäss haben wir auf die beiden in ihr erwähnten
und noch nicht besprochenen deutschen Völker jetzt den Blick zu
richten, die Heruler und die Gepiden.
2. Die Heruler.
Nur durch drei Jahrhunderte, vom dritten bis sechsten, können
wir diesen unstätesten aller deutschen Stämme verfolgen, von dem
es scheint, dass er wesentlich auf den Ostseeinseln gehaust habe,
ehe er auf den Schauplatz der Geschichte tritt. Im vierten Jahr-
hundert finden wir einen Theil von ihnen unter einem Könige
Alarich an der Maeotis, wo sie von Ermanarich besiegt werden;
ziemlich gleichzeitig aber verheert ein anderer Theil Pallien.
Während herulische Scharen gegen Ende des fünften Jahrhunderts
an der Vernichtung des weströmischen Reiches in Italien Theil
nahmen, einzelne Theile sich gewiss auch dauernd auf römischem
Gebiete niederliessen, soll nach Procop ein anderer Schwärm, kaum
glaublich, nach Scandinavien gezogen sein, und von dort sollen sich
später die südlichen Heruler einen König ihres Stammes erbeten
haben. Unter allen möglichen Heeren jener Jahrhunderte finden
wir Heruler als Soldtruppen, auch unter Theodorich dem Grossen.
Bei solcher Zersplitterung ist es natürlich, dass sie im sechsten
Jahrhundert erlöschen und zwar abweichend von andern deutschen
Völkern so, dass man nicht einmal ihre Grabstätte angeben kann;
sie sind überall verschollen, sobald. das wilde Völkergewirre neuen
Staatenbildungen Platz gemacht hatte. In den ags. Herelingas und
den mhd. Harlunge scheint ihr Name noch ein Nachleben zu fristen.
Grade dieser Name verdient aber nähere Beachtung. Die For-
men, in denen derselbe überliefert ist (welche ich hier aus der
zweiten Ausgabe meines Namenbuches nicht zu wiederholen brauche)
entbehren bei den älteren griechischen Quellen aller Aspiration
PSr$tema$m, 6e$cA, d. d, Sprach$tamme$. IL 12
tXS V. Herulöi*.
m AnUitc; dii^ bildu$chen Schriftsteller beginnen ihn mit H (bis
attf eiM V«tiäulll^ Aendi bei Amm. Marc); niemals erscheint wie
bei CbimHari «nU anderen Formen ein stärkeres Ch. Grade dieser
Viiv$l;iuid >fiirft du Gewicht dafür in die WagschalC; den Namen
nicht vim pub. bairns gladius, sondern von altn. jarl, ags. eorl
nobili« abuileilen. Ja die vielen Personennamen mit Erl-, Herl-|
bei d^-ncn die aspirirte Form mehr den westlichen Landschaften
angchtirt und viel seltener ist als die unaspirirte, mögen zum Theil
noch von den Zeiten der Hernier her unmittelbar aus diesem Volks-
namcn vorerbt sein; sonst erklärte sich kaum ihre Häufigkeit
Genug, für jetzt neige ich mich mehr dazu, die Aspiration für
unorganisch anzusehn.
Aus dem herulischen Sprachschatze ist uns bloss ein einziges
Appellati vum überliefert; nach Paul, diac* hiess nämlich die Fahne
des Herulerkönigs bamiuSy benannt mit jenem bekannten Worte,
das wir oben schon in den westgothischen signa bandorum gefunden
haben, das also für die gothonische Natur der Heruler spricht.
Ucrulische Personenamen weiss ich 15—16 beizubringen; davon
stammt Naulobatns aus dem dritten, Alaricus aus dem vierten,
Hrodulf und Graitis aus dem fünften, alle andern aus dem sechsten
Jahrhundert. Davon sind sechs wolbekaunie auch sonst begegnende
Namen, nämlich Alaricus^ Hrodulf^ Arulf, Wisand, Fulcaris und
Sinduald (in griechischer Quelle auch Sindual genannt). Ihnen
zunächst steht Filimuth, ein zwar sonst nicht begegnendes, aber
aus zwei sehr bekannten Nameiielementcn bestehendes Wort, femer
auch Alveth, das wol dem westfränkiscben Alfaidus gleich zu setzen
und als alf -f- haid anzusehn ist. In Phanitheus ist der zweite
Theil sehr bekannt, der erste in deutschen alten Namen unerhört;
ein Fahnendiener, Fahnenträger gäbe schicklichen Sinn, doch ist
zweifelhaft, ob Fahne bei den Herulem neben bandus schon diese
Bedeutung gehabt hat. Aruth scheint ein Abkömmling aus haru-
dischem Stamme zu sein, wovon noch deutlichere Nachklänge in
dem hessischen und sächsischen Namen Harud, Haruth dea 8* und
9. Jahrhunderts begegnen; wenn Aordus als der Name eines andern
Herulers erscheint, so ist das wol nur eine noch weiter entartete
Form desselben Namens. Ganz räthselhaft ist der älteste Heruler-
name Naulobatus, der fast griechisch aussieht; sein Träger war
sogar Gonsul unter Kaiser Gallienus (260—268)* Nun bleiben noeh
vier unzusammengesetzte Namen übrig, die alle bemerkenswerth
sind. Zuerst Suartuas, ganz einzeln dastehend, während sonst der
Stamm ^varty swam nur als erster Theil deutscher Personennamen
erscheint; auch ist das ableitende u auffallend. Ganz ähnlich ist
V. Hertiler, Sciren, Rugier. 1^9
Farafl eine vereinzelte Forni; während der Stamm far als Bestim-
mungswort von componirten Namen sehr gebränchlich ist, für die
dann auch einfach abgeleitetes schwaches Faro steht; fara hat bei
Burgunden und Langobarden die Bedeutung generatiO; linea und
an diesen Sinn wird auch wol Faras anknüpfen. Drittens das bei
Procop begegnende ^O^wv (var. "Ovixyv^ ZcoW), das man nirgend
sicher anknüpfen kann; ein sächsischer Occo des neunten Jahr-
hunderts bietet die einzige Parallele. Ganz vereinzelt ist endlich
der bei Theophanes begegnende Name Graitis (Gretes, Getes),
dem man vielleicht einen wol langobardisch benannten Graido des
sehnten Jahrhunderts zur Seite stellen kann. Genug; schon in
iiesen wenigen Namen zeigt sich manches recht Eigenthümliche
lod deatet auf eine gewisse Selbständigkeit der Herulersprache.
^eider ergiebt sich für die Lautverhältnisse kaum etwas; gehört
ler zweite Theil von Filimuth zu MUND, so hätten wir hier Aus-
tossung des Nasals nach alts. und ags. Weise; zu bedauern ist;
lass sich kein Beispiel des Stammes SVINTH vorfindet. Alveth
cheint auf Diphthongenvereugung von ai : e hinzudeuten, was
vieder besonders zum Sächsischen stimmen würde.
Mit den Herulcm meistens vereint zersplittern mit ihnen noch
linige andere Völkchen, die alle unfern der Odermündung zu
lanse gewesen sein müssen. Zuerst die nicht selten genannten
Jciren, deren Name wol zu goth. skeirs clarus gehört. Sie er-
cheinen schon weit früher als die Heruler, schon sec. 1, zuerst
m der Ostsee, dann in Galizien, später an der obern Donau, in
talien, in Attilas Heer u. s. w. Dass die bairischen Oerter Scheiem,
Jcheyern, Scheuern noch Spuren von ihnen enthalten, ist immerhin
nöglich, von Sicherheit darf aber nicht die Rede sein. Grimm in
ler Gesch. d. dtsch. Spr. verfolgt die Nachrichten über sie nament-
ich mit Hinblick auf die deutsche Heldensage, die uns hier nichts
mgeht. Als scirischer Name aus sec. 5 wird uns Wulfo erwähnt.
nTahrscheinlich ein Scire, obwol ihn Jemandes einen Rugier nennt,
¥ar auch Odovacar, also auch sein Vater Aedico, sein Bruder
\.onu]f, sein Sohn Thela; nur dieser letzte Name ist sonst unbe-
kannt und seine Deutung noch unmöglich. -'
Ferner die Rugier, deren Spur noch heote in Rügen und viel-
eicht in Rügenwalde lebt. Denn sowol auf Inseln als auf dem
Peatlande scheinen sie ansässig gewesen zu sein, auf ersteren
iie Ulmerugi, auf letzterem die Ethelrugi des Jornandes. Tacitus
aennt die Rugii gewiss richtig gleich neben den Gothonen, irrt aber
dann, wenn er sie mit den Gothonen zu den Sueven rechnet; nach
E^rocop sind sie gradezu ein l^oq yord-utöv, und zu den Gothonen
12*
lÖO V. Eagier.
gehören sie gewiss, lieber die Ostsee hinweg hat sich der Name
der xingier nach Scandinavien verbreitet^ worauf wir später zuruck-
zakommen haben; im Uebrigen aber machen sie mit den andern
Gothonen den grossen östlichen Bogen mit^ so dass wir im fünften
Jahrhandert dieses Vo]k sowol an der untern Donau als in dem
Rugiland des jetzigen Oestreich als auch in Italien wiederfinden.
Namen von Rugiern liefert uns nur das fänfte Jahrhundert^ zuerst
das msc. Friderieus und das fem. Gisa, zwei wolbekannte Bildungen;
dann aber den Rugierkönig Flaccitheus, dessen erster Theil auf-
fällt und in deutschen Namen unerhört ist. Soll man dabei an
unser Flagge denken, das den älteren Mundarten abgeht, und in
dem rugischen Flaccitheus denselben Sinn finden wie in dem oben
erwähnten herulischen Phanitheus? oder ist altn. flakka oberrare,
vagaii (flakkr poet. Inpus) hcrbeizuziehn, dessen erstes k doch wol
aus einem Nasal assimilirt ist? Dieser Flaccitheus hat einen Sohn
Feletheus (auf die Variante Felecteus, die noch mehr an den Namen
des Vaters erinnert, ist wol nichts zu geben) und dieses Feletheus
scheint zu filu (multus) zu gehören wie manche andere deutsche
Namen^ hat aber dann gleich andern Mundarten den Vocal des
Stammes schon früh entarten lassen. Feletheus ist aber auch noch
in anderer Hinsicht bemerkenswerth, da seinem Namen sowol in
der vita S. Severini als bei Paul. diac. die Worte „qui et Fava
(Feva)" beigefügt werden, d. h. doch wohl der Kleine, also wie
im lat. Aemilius Paulus, eins der ältesten Beispiele deutscher
Doppelnamen, hier wie es scheint hervorgerufen durch die Aehnlich-
keit zwischen dem Namen des Vaters und dem des Sohnes.
Uebrigens gehn auch die Rugier bereits im sechsten Jahrhundert
unter; Spuren von ihnen mögen jedoch noch in einigen alten Orts-
namen haften; ausser dem östreichischen Rugiland ist noch ein
Ort desselben Namens im 9. Jahrhundert nordöstlich von Luxem-
burg, südwestlich von Echteruach zu nennen, später Rauland oder
Reuland; dann ein thüringisches Rugehusen des 11. Jahrhunderte,
ein ostfränkisches am oberen Main gelegenes Rugiheim des 9.
Jahrb., ein westfälisches Rugikampon aus sec. 11. Auch muss
unweit des alten östreichischen Rugiland der Personenname Rugin
gegolten haben, den wir im ersten Theile des Ortes Ruginesfeld
sec. 9 und 10 wiederfinden. Auch im Angelsächsischen erinnern
die Rugas noch an dieses Volk. Den Namen desselben vermögen
wir nicht zu deuten ; nach den Formen 'Poyoij Rugas und dem neben
Rugii begegnenden Rugi scheint er wie Chauci, Gothi, Quadi,
Cbatti einer besondern Ableitungssylbe zu entbehren, was auf hohes
Alter und einfach a^ectivischen Begriff schliessen läset; Giimm's
V. Ragier, Gepiden. 181
mathangen sehe man in der Geschiebte der deutschen Spr. 470
AuflO.
Wahrscheinlich nur ein Theil der Rngii sind die mit ihnra
irfach zusammen genannten Turcilingi; sie erscheinen nur seo.
nd zwar nur bei Jörn., bei Paul. Diac. und in der bist. misc.
liegt also die Vermuthung nahe, dass auch sie schon an der
äeeküste werden gehaust haben; wo man sie vermuthet, nennt
lemaeus die 'PomixXsioi zwischen Oder und Weichsel, die an
^er eben so wie an Turcilinge anklingen, das Räthsel also nur
h mehr verwickeln. Grimm will Thuriliugi aus Turcilingi machen,
u älteste Thüringer.
In dieser Völkergruppe werden auch wol schon früh die Lemovii
r. Lemonii) aufgegangen sein, die Tacitus an zwei Stellen
ahnt und dicht neben die Rugier stellt, die aber sonst nirgend
annt werden. Das e der ersten Sylbe kann aus af verdichtet
i (vgl. oben das herulische Alveth); dann wären die Lemovii
a Laimaujös, Bewohner einer Gegend^ die etwa dem ahd.
mowa, Laimauga (Namenbuch 11, 960) sprachlich entspräche.
Auf dieselben Südkttsten der Ostsee führen uns nun aber ausser
Herulergruppe noch vier andere weit wichtigere Völker, wich-
r dadurch, dass sie lange Jahrhunderte hindurch in den Gang
Geschichte kräftig eingreifen, dass drei von ihnen prganisirte
Eiten in römischen Reichstheilen bilden und zwei dieser Staaten
h heimische Rechtsbücher, leider in römischem Gewände hinter-
en haben.
3* Die Gepiden.
Wenn ich oben den Ausdruck gebrauchte, die Gothen hätten
ihren Zügen in den Süden einen starken Nachtrab gehabt, so
dieser Ausdruck nirgends richtiger als bei diesem Volke; es
it sich mehrfach verfolgen, wie sie hinter den Gothen herziehn,
sie endlich an der nordöstlichen Grenze des Ostgothenreiches
m bleiben. Selbst in der bekannten von Ji)mandes aufbewahr-
Stammsage der Gothen werden sie schon als die trägen Nach-
ler des mächtigeren Stanmies aufgefasst Sie sind aber nicht
)8 geographische, sondern auch ethnographische Nachbarn der
hen, ja sie stehen diesen, wie sich auch in der Geschichte erweist
>hn die Könige der Germanen kommt darauf mehrmals zurück),
sr allen Völkern am nächsten. Ihre echt gothonische Natur wird auch
Procop bestätigt, nach welchem sie eben so wie die Vandalen die
bische Sprache reden; eben so von Jornandes (sine dubio ex
liomm prosapia ducnnt originem). Den älteren Scbriftstellem über
182 V. Gepiden.
deutsche Völker sind sie unbekannt; auch findet sich nicht, dass sie dort
etwa un|er einem andern Volksnainen versteckt seien. Erst im vierten
Jahrhundert, kurz nach den Herulern, treten sie auf; vorher scheinen
sie, wie Jemandes berichtet, ruhig auf jenen Weichselwerdem an der
Ostsee gesessen zu haben; später wird die neue Gepidia in Pan-
nonien ihr Wohnsitz bis zu ihrem Untergange, einzelne Streifzuge
abgerechnet. Nationaler Sinn scheint ihnen (und das ist ja immer
für die Sprache wichtig) schon frühe abhanden gekommen zu sein;
im 5. Jahrhundert stehen sie treuer als die andern deutschen Völker
zu den Hunnen; doch machen sie die Sünde später wieder gut,
da sie es grade sind, die nach Attilas Tode durch die Schlacht
am Netad in Pannonien das hunnische Joch brechen. Ihr Unter-
gang wird im sechsten Jahrhundert durch die Langobarden herbei-
geführt und dann durch die Avaren vervollständigt. Doch heisst
es noch um 600 von dem Heere des römischen Feldherrn Priscus,
das über die Theiss gegangen ist, bei Theophylactas VHI, 3:
nequtvyxdvovtsv roiyaqovv xfaqloiq Frinaidwv xqiav^ die dann überfallen
werden. Und sogar noch in Kleinmayerns Juvavia (Salzburg 1784}
foL) wird ein anonymus Salisbnrgensis abgedruckt, der zum Jahre
863 Reste von ihnen in Dacien findet: „de Gepidis autem qoidam
adhuc.ibi (d. h. an der Donau) resident^; vgL Kopitars GlagoL
Lxxra.
Dass irgendwo Splitter dieses Volkes einem Orte seinen Namen
gegeben haben, ist kaum ersichtlich; ein im 8. — 10. Jahrhundert in
Baden begegnendes Gehfida (Gehfrida, Gihtfida, Gifido) ist doch
allzu unsicher. Eher mag der zu Weissenburg im Elsass a. 716
erschallende Personenname Gebetho oder der zu Gorvei sec. 9 vor-
kommende Kippid auf die Gepiden zurückzuführen sein. Einflnss
könnte ihre Sprache noch bis aufs Magyarische hin erstreckt haben;
schon Bd. I, 356 wurde erwähnt, dass finnisches p und k zu un-
garischem f und h ganz nach deutscher Lautverschiebung werden.
Auch von der Gepidensprache sind die Reste mehr als
kümmerlich. Jornapdes berichtet zunächst über den Namen des
Volkes, nach seiner Auffassung bedeute das Wort den Trägen oder
Langsamen ; es sei dem Volke zum Spotte beigelegt, weil dasjenige
Schiff^ welches die Gepiden nach den Südufer der Ostsee aus Scandi-
navien hinübergefuhrt habe, langsamer gefahren sei als die beiden
Gothenschiffe ; gepanta habe den Sinn von pigrum aliquid tardumque.
Die Deutung des Jemandes ist sicher eben so falsch wie die des
Isidor, der die Gepiden von pes, und die der Griechen, welche sie
von nc&g herleiten und sogar Erdsöhne aus ihnen machen. Aber
ein wirklich gepidiscbes Wort mag ihm vorgescbwebt haben, und
V. Gepiden. 18*
zwar ein schwaches Verbum, zo dessen beiden Participien sich
gepanta und Gepida gut fügen würden; jenes wäre tardans, dieses
tardatus. Im Bereiche germanischer Sprache will sich nun nach
unserer Kenntniss ein solches Verbum nicht finden; es entspräche
dem meines Wissens vereinsamten hebeo, hebesco nicht übel im
Sinne, sehr, gut im Laute. In der ersten Sylbe schwankt übrigens
das Cy welches fast ausnahmslos kurz gebraucht wird, in ein i
hinüber.
Dem Namen des Volkes steht am nächsten der seines Wohn-
sitzes; jene Weichselinseln, die Jomandes falsch als eine einzige
bezeichnet, werden von ihm Gepidos genannt; die Varianten Ge-
pidojos, Gepedojos sind besser, da sie sich unmittelbar an das
gothische aujös insulae anschliessen.
Vierzehn gepidische Personennamen weiss ich als die einzigen
weiteren Reste dieser Sprache anzuführen.
Der älteste derselben, der schon aus sec. 3 überlieferte Fastida,
zeigt eine Bildung grade wie Gepida selbst und einen Stamm, der
den Personennamen aller deutschen Volkstämme mit Ausnahme der
westlichen Franken sehr gewöhnlich ist. Alle andern Namen be-
gegnen erst sec. 5 und 6. Unter ihnen deutet das Masc. Ustrigothus
und das Fem. Austrigosa (doch wol für Austrigotho) recht auf die
von der Geschichte so deutlich bezeugte enge Verbindung zwischen
Gepiden und Ostgothen hin. Von den übrigen Namen sind einige
ohne alle Bedenken, da sie aus ganz bekannten Elementen bestehui
so Ardaricus oder Harderich, Ghunimund, Gunderith, ßosamunda,
Transaricus, wie Jomandes, oder Trasaricus, wie Ennodius schreibt ;
Thurisind und dessen Sohn Thurismod. Nur vier Namen bleiben
als vereinzelt und auffallend zurück; Usdebad, ein mehrmals bei
Menander exe« de legatt vorkommender Gepide, scheint im ersten
Theile das bekannte Namenelement ahd. ort u. s. w. zu habefi,
das an zwei Stellen Procops vorkommende Asbad aber nur eine
starke Entartung derselben Form zu enthalten. Zweitens Elemund
bei Procop; der erste Theil ist unsicher; vielleicht ist die neben
'EXcfwvviog stehende Variante Ovelefwvvtog vorznziehn und auf ein
Willimnnd, Viljamund, einen sehr bekannten Namen zu deuten.
Endlich bleiben noch zwei ganz gleich gebildete männliche Demi-
nutive übrig, die ihres Gleichen sonst im Namenschatze nicht haben,
nämlich Trafstila und Reptila. Jenes, mit mehreren Varianten, wie
z. B. Trapestila, hat nur im westfränkischen Thrasteberga (aus
sec. 7) eine verwandte Form; es steckt darin gewiss goth. thrafstjan
trösten; der kleine Tröster und die Trostbergerin gehören zu unsern
schönsten Eigennamen. Auch Reptila ist ganz vereinzelt, der Stamm
.jg4 V. Gtopiden^ Vandalen.
des Namens wird jedoch durch den Vandalenkönig Raptus beglaubigt
Man denkt an das aJtn. schwache Verbum hrapa, rapa decidere»
cader e; sind die^e Namen wegen eines Vorganges bei der Gebart
ertheilt worden?
Ans so geringen Resten ist fdr Lantverhältnisse des Gepidischen
nichts Sicheres zu entnehmen, mehr fast fdr die Neigung der be-
treffenden lateinischen oder griechischen Schriftstellör, daher ein
solches Schwanken, wie z. B. in dem alten Diphthongen auy der
erhalten bleibt in Austrigosa, als ^ erscheint in Gepidojos, als u
endlich in Ustrigothus. Ein Umlaut begegnet in Reptila auffallend
frfih. Zu bemerken ist das Eindringen des Zischlautes für altes
M in Austrigosa. Anlautendes A fällt ab in Ardaricus (schwerlich
in Asbad) und sehr natürlich vor anderm Consonanten in Rosamonda
and Reptila, wenn meine Deutungen von beiden gegründet sind.
4. Die Vandalen.
Wiederum ein sicher zur gothonischen Gruppe gehöriger Volks-
stamm; das bezeugen nicht bloss die von ihnen erhaltenen Eigen-
namen, sondern auch die alten Schriftsteller. So sagt Procop, die
rdvd'Oi, BavilXoi, OvusiyQ%9^oi, und FiJTraideg seien Fm^utd Idvi],
Plinius IV, 28 aber stellt zusammen Vandili, quorum pars Bnrgon-
dioneSy Uarinne, Gharini, Gutones; der Relativsatz muss bei Bor-
gondiones enden.
Auch die Vandalen, die uns schon seit der Zeit des Plinius
und Tacitus bekannt sind, gehn von der Ostseeküste aas, was
durch Erwägung aller über sie erhaltenen Nachrichten mindestens
wahrscheinlich wird. Einer ihrer Stamme erscheint sogar im nord-
liehen Jätland, so dass auch auf jetzt skandinavischem Boden nahe
Berührung zwischen den Vandalen und den vorhin behandelten
Herulern waltet Sie haben sich weiter zerstreut als die Heruler,
müssen aber grössere Volkszahl und Lebenskraft gehabt haben, da
sie mehr Spuren hinterlassen. Während im dritten Jahrhunderte
ein Theil von ihnen unter Probus nach Britannien geschickt wurde,
sagt Dio Cassius von dem Ursprünge der Elbe; qel ie ix %äv
OvanfiaXutm oqwv; er wird den Böhmer Wald meinen und die
Moldau eben so wie Tacitus die Saale als den eigentlichen Quell*
fluss der Elbe ansehn. Damit stimmt auch, dass die Peutingersche
Tafel ihre Vanduli unter die Marcomanni, etwa Regensburg gegen-
über an das Nordufer der Donau schreibt. Später erscheinen sie
mit der gewöhnlichen Abweichung nach Osten mehrfach in Pannonien
und Dacien, ja Procop giebt sie als Umwohner der Maeotis an.
Von diesen in Europa zurückgeliebenen Vandalen noch einen SesI
V. Vandalen. 185
in den Gotscheern bei Laibach finden zu wollen liegt kein genügender
Grand vor.
Unterdessen ist schon längst das wichtigste nnd verhängniss-
Tollste Ereigniss in dem Leben dieses Volkes eingetreten, das ihr
Andenken mehr als alles Uebrige verewigt hat. Als einziger Zweig
der Germanen betritt ein grosser, vielleicht der gröste Theil von
ihnen den africanischen Boden und gründet dort ein deutsches
Reich. Diese Vandalen waren schon seit 375 in Gallien einge-
brochen; dann hatten sie sich etwa zwanzig Jahre mit den West-
gotbeu in Spanien aufgehalten, nnd zwar mehr in dessen südlichen
Theilen, wo noch heute die reiche Ebene am Guadalquivir nach
ihnen den Namen Andalusien fuhrt. Im Jahre 429 wurde das
africanische Reich gestiftet, dessen Hauptstadt zehn Jahre später
Karthago wurde. Von dort aus wird 440 Sicilien verwüstet, 455
sogar Rom geplündert, aber auch auf die Dauer Land erobert, so
dass Genserichs Sohn Hunerich von Gibraltar bis Gyrene herrscht.
Aber nicht lange dauert die Blüthe des Reichs; seit 527 mischen
sich die Byzantiner in die vandalischen Angelegenheiten. Der Sieg
über den König Gelimer wurde den Oströmern ungemein leicht, da
die Vandalen jedenfalls wenig zahlreich und zugleich sehr in Ueppig-
keit verweichlicht waren, auch zugleich mit ihren natürlichsten Ver-
bündeten, den Ostgothen, in Feindschaft lagen. Im Jahre 533 endet
dies vandalische Reich durch Belisar, nachdem es 105 Jahre be-
standen, länger als das ostgothische, kürzer als das westgothische.
Das -ganze Volk als Gesammtheit wurde dabei völlig vernichtet;
nnr noch kurze Zeit hindurch hören wir von seinen Resten.
Bei so gewaltigen Ereignissen und Wanderungen ist es natür-
lichy dass dieses Volk im Bereiche sowol der örtlichen als der
persönlichen Eigennamen tiefe Spuren hinterlassen hat. Ich er-
innere zuerst an den Wentilseo des Hildebrandsliedes, den Vendelsae
der angelsächsischen Schriftsteller; noch im-Mhd. begegnet mehr-
fach wendeise und wendelmere. Möglich ist, dass der Ausdrack,
in welchem man am natürlichsten ein Vandalenmeer zu suchen hat,
zuerst die Ostsee bedeutet; doch keine der Stellen beweist das mit
Sicherheit; an mehreren Stellen wird damit das mittelländische
Meer ausgedrückt, zuletzt darunter allgemein der Ocean verstanden
und nun, mit volksetymologischer Anlehnung an wenden, sogar
im vocabularius optimus gedeutet: amphitrites, oceanus, wendelmer
vel umgendes mer. Von den Vandalen im nördlichen Jütland, die
jedenfalls auch mit den ags. Vendias gemeint sind, heisst jener
Landstrich altn. Vendill, seine Nordspitze Vendilskagi (das Vor-
gebirge Skagen), ein Bewohner des Landes Vandilsbyggi; mit Van-
186 V. Vandalen.
dils jörmimgnind und Vandils ve wird wol Jütland fiberhaiipt be*
zeichnet; ein Spottname Vendilkraka zielt eben dabin; nähere Citate
darüber fitidet man namentlich in dem Wörterbuch von Cleasby-
Vigfasson. Ein Ortsname Waudalem, der sec. 9 und 11 in Brabant
vorkommt, könnte leicht gleichfalls nach den Vandalen benannt sein.
In Betreff der Personennamen stört an klarer Erkenntniss auf
altnordischem Gebiete das Wort vandill, vendill ramulus, Dcminn-
tivumvon vöndr (=goth. vandus), dem man die Schwerterbezeich-
nnngen dragvandill, heinvandill, ijödvendill, snarvendill unbedenk-
lich anknüpfen muss. Aber das einfache Vandill kommt auch als
Peri^onenname, sogar als mythischer Riesenname vor; bekannt ist
auch der Riese Oervandill, der sogar in der Composition Oervan-
dilstä in der nordischen Astronomie auftritt, eben so Höggvandill;
diese Formen wird man gewiss besser thun zu dem Volksnamen
als zu dem oben genannten Appellativum zu setzen, wie fremder
Völker Namen so leicht zu Eigennamen und specielT zu Riesenbe-
zeichnungen werden. Jener Name Vandill, Vendill ist übrigens
keineswegs speciell isländisch, sondern zeigt sich auch auf einem
in Oeland gefundenen, vielleicht dem zehnten Jahrhundert ange-
hörigen Runensteine.
Aber auch ausserhalb des nordischen Gebietes ist dieses Ele-
ment in Personennamen häufig. Schon im fünften Jahrhundert
begegnen die gothischen Namen Wandil und Wandalhari (Yanda-
larius), im sechsten und den folgenden erscheint eine Unzahl
Ableitungen und Zusammensetzungen desselben Stammes, die man
in meinem Namenbuche nachsehn kann und die dann wieder den
ersten Theil von Ortsnamen wie Wendilburgoroth, Wentilgereshusun,
Wendolmeresborch , Windelmuoderode liefern. Mögen in solchen
Personennamen auch einzelne Erweiterungen eines einfacheren Vand-
stecken, gebildet nach einer besonders bei den Westiranken üblichen
Weise , so ist es doch wegen der grossen Verbreitung dieser For-
men unmöglich, die Verwendung des Vandalennamens in ihnen
ableugnen zu wollen.
Und ein Volk, dessen Fusstapfen man so deutlich und zahl-
reich verfolgen kann, sollte von seiner Sprache keine erheblichen
Spuren hinterlassen haben? Und doch ist es so; ausser einer
befriedigenden Anzahl persönlicher Namen sind diese Ueberbleibsel
fast Null. Viel besprochen ist die Stelle bei Augustin epist 178
(welcher Brief übrigens vielleicht nicht durch Augustin, sondern
durch Vigüius von Thapsus geschrieben ist), worin es lautet: Si enim
licet dicere non solum Barbaris lingua sua, sed etiam Romanis
Sihora armen, quod interpretatur Domine miserere ü. s. w. Es ist
V. Vandalen. 187
lort von der Homoosie die Rede und der Text hat weiter keine
Bedeutung für uns. Das erste Wort Hesse man sich im Hinblick
»af ags. sigora victor, deus mit Grimm allenfalls gefallen, obwol
in letzterem doch nur eine poetische Bezeichnung Gottes zu
liegen scheint; das zweite hat eine nicht befriedigende Eudnng, da
»an eine zweite Person des Optativs oder Imperativs erwartet
^un soll nach Du Gange (neue Ausgabe) in dem Exemplare des
iugustin, welches dem Rigaltius (d. h. Nie. Rigault, um 1600)
gehörte, von diesem am Rande bemerkt sein, dass eine alte Hand-
schrift dafür Fhrota armes habe; dem zweiten Worte wäre damit
abgeholfen und das erste zu der ganzen Verwandschalt von goth.
roths prudens, sapiens gewiesen. Die Verbesserung von Fhrota
n Throta, die im Du Gange vorgeschlagen wird, um ahd. truhtiu
1. 8. w. herauszubekommen, verschlägt nichts. Unsicher bleibt die
Sache, und nicht einmal das ist sicher, dass an jener Stelle van-
laiische Sprache gemeint sei. Ausser diesem immerhin merkwür-
ligen KvQie ikiriaov weiss ich von Appellativen nur anzuführen,
lass das Amt der gardingi wie bei den Westgothen (was nicht
inwichtig ist) auch bei den Vandalen vorkommt ; nach Victor Tun-
lensis sind die Brüder Gunthimer und Gebamund gardingi (dome-
»tici) des Königs Gelimer.
Alles Andere, was uns noch aus dem Vandalischen herüberklingt^
sind Eigennamen. Der Name des Volkes selbst erfordert zuerst
Betrachtung. Was seine Form angeht, so ist der Vocal der ersten
äylbe unbestritten a, denn die Lesart Vindili bei Plinius scheint
lur aus einer Verwechselung mit Vindelici hervorgegangen. Die
sweite Sylbe ist eine ganz irrationale Kürze, zunächst wol i^ denn
luch Vandilii bei Tac. scheint die bessere Lesart zu sein und
lerselbe Vocal herrscht auch bei den Griechen vor, zuweilen aus-
iveichend in ij ; die Römer haben mit wenigen aber alten Ausnahmen
vorherrschend a^ das als Kürze anzusehn ist (Goripp: primus ut
niaustas contingens Vandalus undas); ganz vereinzelt ist Vandoli
luf der peutingerschen Tafel; Synkope des Vocals femer ist ein.
getreten in dem ags. Vendias. Die Deutung des Namens macht
Schwierigkeit; die Anknüpfung an das goth. vandus, altn. vöndr,
rendill, die oben erwähnt wurden, so dass das Wort den abgeson-
derten Zweig eines Volkes bedeute, ist ziemlich unwahrscheinlich.
Brwägt man die an verschiedenen Stellen Europas auftauchenden
Veneti, wol ein Ueberrest der ältesten Bevölkerung des Erdtheils,
die keltischen Vindelici, die slawischen Vinidi, so drängt sich die
Vermuthung auf, auch ein deutsches Volk könne hier seinen Namen
7on einer vordeutschen Einwohnerschaft entlehnt and abgeleitet
haben. Weiter giebt es nur unsichere Vermuthangen.
188 V. Vandalen.
Zwei andere Namen bezeichnen die beiden Stämme, in welche
das Volk zerfiel, die Aldingen und die Silingen. Die Asdingen,
welche bei den alten Schriftstellern mehrfach als Gothen angesehn
werden, sind aber auch der Name des herrschenden Eönigsge-
schlechtes der Vandalen; es fragt sich, ob der Volksstamm oder
dieses Geschlecht früher so benannt sei. Ich vermnthe das letztere
nnd glaube, dass der Stamm des Volkes danach in ähnlicher Weise
benannt sei wie Gnntbadingi, Lotharingi, Earolingi, auch Nibelonge ;
aber eine Ableitung von art genns, das ein ursprüngliches, nicht
ein aus s entartetes r zu haben scheint, ist höchst misslich. Auch
Silin gi mögen zuerst ein altes, für uns verschollenes Fürstenge-
schlccht sein; man denke an die im neunten Jahrhundert vorkom-
menden Personennamen Silhard und Siliheri.
Dreissig bis vierzig alte Personennamen endlich lassen sich
mit grosser Wahrscheinlichkeit vandalischen Trägem zuweisen.
Davon sind ganz sagenhaft die von Paulus diac 1,7 erwähnten duces
Vandalorum Ambri nnd Assi; dann folgen die beiden zum Jahre
174 von Dio Gassius 7142 genannten etwas verdächtig alliterirenden
Könige Raus und Raptus. Das vierte Jahrhundert liefert Godegisil,
Stilico und Visimar, alles Uebrige gehört dem fünften und sechsten an.
Der gröste Theil dieser Namen besteht aus völlig alten
Bekannten. Unter den einfachen gehören hieher Godas, Salo, Tzazo;
auch Ammatas, das wol richtiger Amatas zu schreiben ist und mit
Amizo, Amaza, Amathildis Amatlaicus zusammengehört; selbst das
an sich räthselhafte Fuscias, das doch im sonstigen Namenschatze
noch Fusco, Fusca, Fusculo, Fuscari^ Fuscildis neben sich hat.
Dazu kommen die ganz bekannten Zusammensetzungen Godegisil,
Gunthimer, Gundericus, Hildimer, Hildericus, Hunericus, Thrasamund,
Vitared und das aus dem Beovulf bekannte Vulfgar. Eine andere
Gruppe ist zwar nur als diese vandalischen Namen belegt, doch
sind die Elemente, aus denen jede Form besteht, sonst hinreichend
bekannt; so in Crebamund, Geilamir (Gelimer), Gelaris, Gunthamund,
Ariarith, Hoamer (wenn der erste Theil wirklich zu goth. hauhs gehört),
Visimar; bei Fronimuth ist der erste Theil, bei Radagais, Fredibal,
Abragila der zweite ziemlich selten, doch findet man fttr alle diese
Fälle im Namenbuche einige Belege.
Anziehender sind diejenigen Formen, die, soweit unser Auge
reicht, dem Vandalischen allein angehören. Zuerst hebe ich den
Genserich und seinen Sohn Genzo, Gento hervor. Gehören sie
beide, wie höchst wahrscheinlich ist, etymologisch zusammen, so
muss Genserich fiir Genzerich stehn und beide müssen mit solchen
Formen wie Ganspaldy Gkuiciofrid, GtentierdiS; Gtentsar, GteBsimond,
V. VandaleiL 18d
Cantsoald dasselbe Element besitzen, sei es (nach Orimm) Gans
anser oder onser so merkwürdiges bocbdeutsches ganz totns oder
endücb ein ganz anbekanntes Wort. Geisericb möchte ich eben so
wenig vorziehen als Grimm ; denn das gnt belegte nnd durch Cassio-
dors Gensimond bestätigte Genserich konnte leicht, zum Theil
durch griechischen Einfluss, zum Theil auch wol in Folge einer
deutschen Lautneigung in Geiserich fibergehn (vgl. z. B. Kustan*
teinus für Gonstantinus im goth. Calender; sogar die Nachbarn der
Cherusker, die Fosi, wenn sie zu funs promtus gehören); nie aber
ist Gensericb als Umwandlung von Geiserich zu verstehen. — Noch
ein zweites Paar von Vater und Sohn giebt zu denken; der Vater
ist der bekannte Stilico, ein sonst gar nicht vorkommender Name,
dessen Stamm jedoch in Stilla, Stillina, Stilburg, Stillihere, Stillimot,
Stillerat, Stillolf wiederzukehren scheint, obwol seine Zugehörigkeit
zu abd. stilli quietns sehr zweifelhaft ist. Der Sohn ist mir in der
Form Euchericus unverständlich ; darf man bei Severus Snlpicius
Euthericus lesen, so wird der Name identisch mit Eutharicus, dem
Schwiegersohne Tbeodorichs des Grossen, und tritt mit .diesem in
eine gar nicht unbedeutende Namengruppe ein, die ich Namenbuch
S. 391 f. gesammelt habe. Raptus femer wird bestätigt durch den
GepidenReptila und ist bereits oben mit altn. hrapa cadere zusammen-
gebracht worden. Bei dem mit Raptus zusammen genannten Raus
fragt es sich, ob hier -us wirklich die lateinische Nominativendung
sein soll; ist das der Fall, so muss vorher ein Gonsonant ausge-
fallen sein, doch bleibt es unsicher welcher und daran scheitert
die Deutung des Namens. Ist aber einsylbiges Raus zu lesen, so
läge das ags. hreöse nahe und dieses bedeutet merkwürdiger Weise
grade wie altn. hrapa ruo^ cado. Erinnert werden darf an einen
angeblich sauromatischen Feldherm des vierten Jahrhunderts bei
Zosimus, Namens 'PavtfifioSog.
Nun bleiben noch die beiden sagenhaften Vandalenfnhrer Ambri
und Assi übrig. Den in dem ersteren Namen enthaltenen Stamm
finden wir auch in dem häufigen Ambricho und in Ambremar wieder
und denken dabei an das Volk der Ambronen, mögen diese nun
Deutsche gewesen sein oder nicht. Sollte es einen tiefem Hinter-
grund haben, dass einst Cimbern mit Ambronen vereint gegen
Italien zogen und dass anderseits auf der cimbrischen Halbinsel
hausende Vandalen einen Ambri in ihrer Sage besitzen? Auch der
andere Name, Assi, klingt nicht fremdartig; der Ort Assesberg,
vielleicht Hohen-Asperg bei Stuttgart, begegnet schon im neunten
Jahrhundert und zahlreiche mit As- beginnende Personennamen
findet man bei mir unter dem Stamme ANS verzeichnet , zu dem
f|l^, y. Vandalen.
|!t%^ ^it) Vthni) xvtt ikBen gebort, während ein anderer , dessen Aas-
^MT^Hfm^ ^>iM- «iK'lil gelingen will, gewiss nie den Nasal besessen bat
V<;>ve ;iii ^ AQ«gabe der lateinischen Anthologie (Leipzig 1835)
)»i> 4>r VnnIm Dichter Taccian und Etemund, von denen dort die
IV^U^n^i^f^Mi Nr. &4Ö — 547 herrühren, der Namen wegen für Yandalen,
>Mtf^ K^ ttkhl sehe; der zweite ist wenigstens germanisch, der erste
iMiV<4Anttt«r Herkunft.
Xocb anf einen Ort, wo wahrscheinlich vandalische Personen-
Minen stecken, muss ich aufmerksam machen. Die noch im sechsten
Jahrhundert gedichtete Johannis des Atricaners Corippus besingt
den Krieg, welchen um 550, also gar nicht lange nach dem Unter-
gange des Vandalenreiches, Justinians Patricias Johannes in Africa
gegen die Mauren führte. In diesem merkwürdigen Gedichte werden
mehrere Vandalen mit Namen genannt, die ich oben schon mit er-
wähnt habe. Ausserdem aber nennt der Dichter in der Reihe der
Feinde eine sehr grosse Anzahl von Personen, die zum Theil höchst
fremdartig klingen. Bekker in der Ausgabe des Corippus (Bonn
1836) bezeichnet diese Personen im Index alle einfach als Mauren
und das sind sie meistens gewiss, da an Erfindung der Namen
durch den Dichter nicht gedacht werden darf; diese maurischen
Namen werden einst für ein künftiges nordafricanischcs (numidisches
u. s. w.) Namenbuch höchst wichtig sein. Aber mit dieser maurischen
Bevölkerung werden sich Reste der Vandalen vermischt haben, um
so mehr als es den Kampf gegen Byzanz galt In der That sind
manche der angeblich maurischen Namen sehr anklingend an
Deutsches. Ich erwähne hier: Audiliman (vgl. Namenb. 180, z. B.
Audelbert, Autlemar u. s. w.), Camalus (vgl. Namenb. 466, z. B.
Gamalbert, Gamalfred u. s. w.), Eilimar (vgl. Namenb. 28 Ailemar
u. s. w.), Enardus (vgl. Namenb. 34 Aiuard, Enhard u. s. w.),
Gardius (vgl. Namenb. 491 Gardila, Gardin u. s. w.), Lanzus (vgl.
Namenb. 830 Landeus, Lanzo u. s. w.), Mantus (vgl. Namenb. 906
Manto), Marzin (vgl. Namenb. 916 Martoin), Solomuth (vgl. Namenb.
1115 Solimar), Suartifan (vgl. Namenb. 398 Ebrefanus und 1134
diemitSwarz- beginnenden), Suietira (vgl. Namenb. 1140 Suinderad;
das Beibehalten des Auslauts hätte dem Dichter eine hindernde
Position veranlasst), Urtanc (vgl. Namenb. 1217 die mit Ur- be-
ginnenden und 1149 die mit -thanc endenden, z. B. Wolfdanc),
Varinnus (vgl. Namenb. 1264 Varin o. s. w.). Ich glaube, dass
diese Formen, von denen ich aber fern bin vandalischen Ursprung
zu behaupten, Erwägung verdienen; ihre Anzahl lässt sich noch
vermehren, wenn man berücksichtigt, dass der Dichter manche ge-
vriss etwas gewaltsam in den Hexameter hineinzwängen mnsstet
V. Vandalen, Bargander. 191
Die Betrachtung der sicher vandalischen Namen in Hinsicht
auf ihre Lantverhältnisse zeigt im Ganzen dieselben Erscheinungen,
wie bei den übrigen von romanischem Wesen getroffenen deutschen
Völkern. So wird i:e in Fredibal; gothisches e bleibt in Vitared,
Gelimer, Hoamer, erscheint jedoch als t in Geilamir, als ä in Visi-
mar. Die Diphthongen ai und au werden zu e und ö verengt in
Gelimer und Fronimuth, ö wird ü in dem letztgenannten Namen.
Anlautendes h wird apocopirt in Ariaritb, th und d wechseln in-
consequent mit einander. Bemerkenswerth ist Uebergang von altem
t in den Zischlaut bei Genzo und Tzazo; wol noch weiter entartet
in Genserich, während die alte Tennis bleibt in Anmiatas; jenes %
erinnert an die BovQyowCCixyveg bei Procop, Agathias, Socrates, und
fuhrt uns damit zu dem folgenden Volke.
5. Die Burgunder.
Wie die Vandalen und mit diesen wird dies Volk seit dem
ersten Jahrhundert bekannt, ja wir hoben vorhin die Stelle des
Plinius aus, in welcher die Burgondiones als ein Theil der Vandili
bezeichnet werden. Tacitus kennt sie gar nicht, aber bei Ptole-
maeus erscheinen sie wieder, wenn auch in unklarer Weise; seine
BovyovvraL sitzen zwischen Oder und Weichsel, dagegen kennt er
^QOvyowSicDVBg in Sarmatien östlich von der Weichsel ; weiter nach
den Earpathen zu BovQyioyvsg; das scheinen alles Variationen des-
selben Namens zu sein. Während des dritten Jahrhunderts scheinen
sie sich wie andere Völker in Südosten aufgehalten zu habeu; darauf
deuten ihre von Jornandes überlieferten Kämpfe mit dem Gepiden-
könig Fastida; in diese Gegend ist auch das Burgundhaib des
Langobardenzuges zu setzen. Zu den gothonischen Völkern gehören
sie jedenfalls und so sind sie den Gothen auch auf den ferneren
Wanderungen mehrfach benachbart; in Scandinavien haben wir ein
Gothland neben dem Burgnndarholm (Bornholm), im Südwesten
Gotalanien (Gatalonien) fast neben Burgund.
Das vierte Jahrhundert giebt ihrer Wanderung die letzte ent-
scheidende Richtung nach Westen; seit den Zeiten des Kaisers
Valentinian, der von 364 an regierte, haben sie gallischen Boden
betreten, nachdem sie im Jahre 359 bereits neben den Alemannen
rechts vom Rheine gesessen hatten, wie Ammiau zu diesem Jahre
berichtet: ad regionem, cui capellatii vel palas nomen est, ubi ter-
tninales lapides Alamannorum et Burgundionum confinia distin-
gaebant. Beide Völker streiten um diese Zeit, wie gleichfalls Am-
tnian erzählt, um Salinen, die man wol nur bei schwäbisch Hall
Eun Kocher suchen kann. Jenes capellatium vel palas scheint den
192 V. Bar^nnder.
römischen befestigten limes zu bezeichnen; man wird dabei, viel-
leicht mit Recht, an den späteren Namen der Pfalz erinnert. Ans
dieser Zeit mag der Name Bnrgunthart im Odenwalde herrühren,
der uns ans dem Jahre 795 überliefert ist und den man in der
Hart bei Hiltersklingen wiederfindet, s. mein Namenbuch. Gtegen
Ende des vierten Jahrhunderts verschwindet das borgundische Volk
ganz von der rechten Seite des Rheins nnd erscheint, nur zu kurzem
Glänze, nur noch links vom Flusse. Zuerst haben die Burgunder
wahrscheinlich bald nach 400 im Elsass ihre Herrschaft gegründet,
doch dreissig Jahre später rücken sie weiter südwärts ; man erinnere
sich daran, dass grade mitten in dieser Zeit die Westgothen
zuerst unter Athaulf die Pyrenäen überschritten. Die Burgunder
verhalten sich also wie ein Nachtrab zu den Westgothen wie die
Gepiden zu den Ostgothen.
Die Geschichte dieses gallischen Burgunderreiches hat eine
gründliche Darstellung von Carl Binding (Leipzig 1868) erfahren.
Darin ist ausserordentlich viel Unsicheres in volle Klarheit gesetzt
worden; was Grimm in der Geschichte der deutschen Sprache über
die burgundischen Könige beibringt, darf durchaus nicht mehr
weiter wuchern.
Nach zwei furchtbaren Niederlagen, die das Volk a. 435 durch
Aetius, a. 437 durch die Hunnen noch in seinen nördlichen Wohn-
sitzen erlitten hat und durch die auch sein ganzer Königsslamm
mit dem Könige Gundahar unterging, wird den Resten des Volkes
die Sabaudia im Jahre 443 abgetreten, von welcher wir annehmen
müssen, dass ihre Grenzen sich nordwärts bis zum See von Neuf-
chatel erstreckten. Dies neu gegründete Reich wurde bis zu seinem
Untergange (443 — 532) von einem neuen Königsstamme beherrscht,
von welchem es scheint, dass er mit dem westgothischen Königs-
hause nahe verwandt ist. Dies sind die Könige aus dem Hanse
Gundiocs, die in drei Geschlechtern regieren, in jedem derselben
zwei oder drei Brüder theilweise gleichzeitig, im ersten Geschlechte
Gundioc (etwa 437—473) und Hilperic (der gleichzeitig mit seinem
Bruder zur Regierung kam, aber friiher starb); im zweiten Geschlechte
Gundiocs Söhne, der zweite Hilperic (473 bis etwa 493)» Gode-
gisel (473— 500) und Gundobad (473-616); im dritten endlich
Gundobads Söhne, Sigismund (516—523) und Godomar (524—532).
Unter der Herrschaft dieser Könige dehnt sich zunächst das Reich
erheblich ans, von der Biegung der Rhone bei Lyon ab über
Vienne und so den ganzen Fluss hinunter bis nach Arles, theil-
weise auch westlich über den Fluss hinüber. Die grösste Aus-
dehnung erreichte es zwischen 490 nnd 500t oftohdem es aich
V. Bargander. 193
stnfenweise mehrmals erweitert hatte. Aber sein Ziel war ihm
dadarch gesteckt, dass es eingekeilt war zwischen die mächtigeren
Reiche der Westgothen, der Ostgothen und dann der neu aufstre-
benden Franken. Schon 510 wurde es durch die Ostgothen erheb-
lich beschränkt; später wurden die Franken seine gefährlichsten
Feinde und nachdem das Reich schon mehr als einmal am Kande
des Abgrunds gewesen war, ward es durch diese Franken im Jahre
534 völlig anfgetheilt; doch bleibt sein Name und eine gewisse
Selbständigkeit der Verfassung.
Von den Herrschern des Landes ist weitaus die grossartigste
Gestalt der 43 Jahre regierende Oundobad, der sogar 472 ein halbes
Jahr lang der herrschende Machthaber im weströmischen Reiche
war, es aber in dem faulenden Italien nicht länger aushielt, ein
Mann voll erhabenen Sinnes für Ausgleichung zwischen romanischem
und germanischem Wesen und besonders aus diesem Gesichtspunkte
grosser Gesetzgeber, dem ostgothischen Theoderich in vielen Stücken
ähnlich; auch darin, dass er den grossen Romanisirungsprocess, den
alle diese Germanen durchmachen mussten, auch auf seine Person
ungehindert einwirken Hess. Der zweite Preis unter diesen Fürsten
gebührt dem letzten derselben, dem Godomar, welchem man treue
Sorge für sein Reich und festes Ausharren im Unglück nach-
rühmen muss.
Dass das Volk und mit ihm die Sprache der Burgunder unter-
ging, hat ganz ähnliche Gründe wie bei den andern in diesem Buche
behandelten Völkern ; wir werden bei dem einen dieser Gründe be-
sonders an die Ostgothen, bei dem andern namentlich an die West-
gothen erinnert. Der erste Anlass zu diesem Untergange liegt in
der Theilung des Landes gleich bei der Besitznahme, bei welcher
jedes Grundstück eines bisherigen Bewohners einen Theil an eine
burgundische Familie abgeben musste, so dass diese Burgunder durch
das ganze Land hin dünn gesät waren und stets von Fremdlingen
umgeben wurden, deren Sprache, Sitte und höhere Bildung täglich
auf sie, namentlich wol auf die Kinder einwirken musste. Dazu
aber kam nun zweitens der Gegensatz zwischen der arianisehen
Landeskirche der Germanen und der katholischen Weltkirehe der
Romanen. Die erstere gab selbst den Anlass zu ihrem Untergange;
dem grossartigen Organismus der römischen Kirche gegenüber
brachten die arianisehen Landeskirchen es nicht einmal zu irgend
einer Verbindung unter einander. Katholicismus aber und Romani-
sirung waren in jener Zeit fast identisch. Als die letztere schon
soweit vorgeschritten war, dass die Burgunder etwa seit 490 nach
einem Gesetzbuch voll römischer Anschauungen, das nur wenige
I'öriternann, Getch. d, d. Spracfatamme». IL 13
194 ^* Burgunder.
germanische Bezeichnongen enthielt, zu leben verstanden, da trat
ein fdr den Sieg des ersteren entscheidendes Ereigniss ein, die
Taufe des mächtigen Franken Chlodovech dorch Remigios im Jahre
496. Damit war der Schwerpunkt in den Eatholicismns gelegt
und schon vor 499 sehen wir den Burguuderfnrsten Sigismund zu
dieser Lehre sich bekehren, während Gundobad an dem Ghiuben
der Mehrzahl seiner Stammgenossen festhält, ohne aber sich schroff
dem Katholicismus gegenüberzustellen. Schon der erste Krieg mit
den Franken im Jahre 500 versetzte dem Arianismus einen be-
deutenden Schlag; man beginnt in Burgund dem Katholicismus sieb
immer mehr zu nähern; je mehr das Reich in seinen letzten Jahr-
zehnten sinkt, desto glänzender werden die Triumphe der katholischen
Lehre, desto massenhafter die Uebertritte zu derselben. So geht
burgundisches Wesen in römischem unter; die späteren burgundischen
Reiche sind rein romanisch.
Das waren also in den Hauptzügen auch die Bedingungen^
unter denen die Sprache der Burgunder ihr Ende fand; dies Ende
lässt sich besser als bei den vorhin besprochenen Völkern, doch
noch lauge nicht mit der gehörigen Klarheit beobachten. Es war
eine der letzten Arbeiten Wilhelm Wackernagels, dass er seine
Abhandlung über Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden
schrieb, die als Anbang an Bindings Geschichte des Burgundisch-
romanischen Königreichs (Leipzig 1868) S. 331—404 gedruckt ist,
eine Arbeit, voll von liebevoller Hingabe an den Stoff und wolthuender
Sauberkeit der Ausfuhrung, wie wir es bei Wackemagel nicht
anders gewohnt sind. Was ich im Folgenden mittheile, ist selbst-
verständlich mit stetem Hinblick auf diese Arbeit geschrieben und
verdankt ihr manches.
Hier sind zum ersten Male in diesem Werke auch die reinsten,
unmittelbarsten Quellen fdr eine Sprache, die Inschriften, zu
erwägen, freilich in äusserst beschränktem Masse. Da wir die
burgundischen Eigennamen weiter unten behandeln, so gehn uns
hier diejenigen Inschriften noch nichts an, welche nur Eigennamen
enthalten, sondern nur die beiden, die auch sonstige Wörter auf-
weisen. Die erste derselben ist der zu Broholm auf Fünen gefun-
dene grosse Goldbracteat, welcher neben dem Fürstenbilde als
dessen Namen in Runenschrift Gnnthious hat, dann aber die beiden
Worte Vithuluf hag d. h. Vithulf hieb (ritzte) die Runen ein. Da
es höchst wahrscheinlich ist, dass der König der sonst bekannte
burgundische Gundioc des fünften Jahrhunderts, der Bracteat aber
durch unbekannte Vorfälle nach Fünen verschlagen ist, so ergiebt
sich ein burgundisches Praeteritum hag; zu welchem aber das ahd.
y. Bargander. 105
bio von honwn, das altn. (auf Rnnenstemen öfters begegnende) hiag,
hiogy biug von bögg, das ags. beöv von beäve lautlicb nicbt stimmen
will. Wir werden desbalb ein ablautendes bnrgundiscbes Verbnm
bigan (kaum bigvan) annebmen müssen, von dem aücb sonst in
den deutschen Spracben Spuren begegnen; Näberes vgl. in dem
Aufsatze von Dietrieb inHaupfs Ztsebr. XIII, 50 und bei Wacker-
nagel S. 376.
Nocb merkwürdiger ist die auf burgundiscbem Gebiete bei
Gbarnay an der Saone gefundene und 1860 von Baudot publicirte
Spange von Gbarnay. Sie enthält auf der oberen Seite ein nicbt
ganz vollständiges Rnnenalpbabet, rechts und links aber in Runen-
-schrift die Worte
untbf(a)ntbai id — dan kiano.
Das mittlere Wort ist, wie allgemein angenommen wird, iddan
and entspricht gothischem iddj6dun, angelsächsischem eodou iverunt,
Kiano wird auf ein kiuno und dies auf einen Stamm kun zurück-
geführt und durch ncriter, fortiter gedeutet. Das erste Wort endlich
nnthfantbai ist ein masculiner Nom. Plur. Adj. eines zusammen-
gesetzten Wortes; dessen zweiter Theil muss dem abd. fendeo,
dem ags. feda Fussgänger, Fusskrieger entsprechen. In Hinsicht
auf den ersten Theil gehn.die Deutungen von Dietrich in Hauptes
Ztsebr. Xni, 114 und von Wackemagel S. 366 aus einander; der
erstere sucht darin eine dem goth. untha-, dem ags. ÜÖ- ent-
sprechende hier in verstärkender Bedeutung gebrauchte Partikel,
der zweite erinnert an abd. unda, ags. yÖ Welle, Woge. Es würde
also milites (oder navigatores) iverunt fortiter der Sinn des Satzes
sein; wie das Vorkommen eines solchen Satzes auf einem Schmuck-
gegenstande gerechtfertigt wird, sehe man an den beiden erwähn-
ten Stellen selbst nach; ich muss gestehn, dass mir die ganze
Deutung noch ziemlich zweifelhaft ist. Ausser Zusammenhang mit
diesem Satze steht der unten auf der Spange befindliche Name
Fnsia, wahrscheinlich der Verfertiger des Schmuckes.
Unsere zweite Quelle für burgundische Sprache sind die Gesetz-
bücher des Volkes. Sie beruhn auf einer Sammlung und Erweiterung
älterer Gesetze, die König Gundobad zuerst gegen das Jahr 490
veranstaltete, später aber vermehrte und die dann, in abermaliger
Vermehrung durch König Sigismund, bis auf uns gekommen ist
Ihre Ausgabe ist zuletzt im 15. Bande der monumenta Germaniae
durch Bluhme veranstaltet worden, ohne dass jedoch dazu der hand-
schriftliche Apparat vollständig benutzt wäre. Wichtig für uns ist
übrigens nur die eigentliche lex Gundobada, nicht die auf jener
zum Theil beruhende lex Romana Burgundionum. Nur neun deatsohe
13*
196 V. Bargander.
AosdrScke, für die sich kein eben so klarer lateinischer fand, sind
in diese Gesetze anfgenommen :
FaramannuS; wofür Fredegar anch burgnndofaro schreibt,
bezeichnet den eingewanderten Burgnnder, insofern er Theil an
dem ehemaligen Besitze seines romanischen hospes hat Dass das
einfache fara Bezeichnung eines bnrgnndischen Geschlechtes sei,
ist zweifelhaft, denn die Stelle des Gesetzes, wo die Handschriften
infra lesen, ist vielleicht nicht mit Recht von Bluhme zn in fara
dnrch Conjectur verändert Wackemagel sieht das erste a für lang
an und knüpft das Wort an goth. fera Seite, Theil, Glied; sieht
man es dagegen als kurz an, so stellt sich der Aasdmck nnmittel-
barer zu faran und faramannus bedeutet gradezu den Einwanderer.
Auch den Langobarden ist das Wort nicht unbekannt gewesen.
Leudus (Var. leudis, leodis^ leudes), das anch in anderen
germanischen Gesetzen bekannte Wort, ahd. Hut, nhd. Leute, ist
im burgundischen Gesetze ein bestimmter amtlicher Ausdruck gewor-
den, die Benennung eines freien Burgunders von geringerem Stande
als dem eines optimas oder mediocris.
Malahareda (allerdings in keiner Handschrift so überliefert, aber
aus den Lesarten sicher herzustellen) bezeichnet Vermögenszurnstung,
Ausstattung, hat also Umstellung der Liquiden aus echterem maha-
lareda erlitten und ist eine Zusammensetzung aus zwei bekannten
Wörtern^ mahal (hier etwa Verlöbniss, Vermählung) und fränkisch
raida, altn. reiöa Zurichtung, Zubehör.
Morgengeba, das allgemein verbreitete Morgengabe.
Novigildum, der neunfache Ersatz, im zweiten Theile klar
deutsch, im ersten romanisirt.
Trigildum, der dreifache Ersatz, gleich dem vorigen.
Vegius, veius, eine Art Spurfinder, der gestohlenes Vieh
n. 8. w. aufsucht, würde einem gothischen ^vigja gleichstehn, zn
vigs Weg; veiatura ist im burgundischen Gesetze der Lohn, den
ein solcher Mann vom Beschädigten erhält.
Wittimon, jedenfalls der auch als Nominativ gebrauchte Stamm
eines schwachen Substantivs, bedeutet das Kaufgeld einer Frau.
Es steht dem ags. veotuma, altfries. witma oder wetma, ahd. widnmo
gleich. Die eigenthümliche Unregelmässigkeit des Dentals erklärt
sich am besten aus Volksetymologie; die Burgunder scheinen dabei
an eine Art Strafgeld gedacht zu haben, vielleicht nicht ganz mit
Unrecht. Genauer als es hier geschehn kann, legt Wackemagel
die Schwierigkeit dar S. 349.
Wittiscalc, einer der die Busse eintreibt, zu goth. veitan, ani-
madvertere, alts. witi poena.
V. Borg^uider. 197
Minder sicher als bei diesen Wörtern bin ich des deutschen
Ursprungs bei segutius, das eine Art Jagdhund bezeichnet und auch
in der lex Salica als sigusius begegnet. Im burgundischen Gesetze
wird es mit zwei Synonymen yerbundeu, nämlich mit veltravuSi
welches sicher der schon aus Martial bekannte vertragus ist, höchst
wahrscheinlich ein gallisches Wort, und mit petrunculus, das die
gallische Form der Vierzahl in weiterer Ableitung zu enthalten
scheint. So 'möchte auch wol der Schein, als könne in den beiden
ersten Vocalen von segutius ein distrahirter Diphthong liegen, nur
ein trügerischer sein.
An diese Wörter aus der lex Gundobada schliesse ich noch
zwei ältere burgundische Ausdrücke, die uns Animian 28,5 bewahrt
bat, der uns überliefert, die Burgunder bezeichneten ihren König
mit hendinos, den Oberpriester mit sinistus. Das letztere Wort ist
sicher das gothische sinista und bedeutet gewissermassen den
Gemeindeältesten; über das erstere ist Zwiespalt, da Grimm in der
Gesch. d. dtsch. Spr. darin das goth. kindins Anführer sucht,
Wackernagel aber hundinos centenarius (vgl. hunno judex schon
im Heliand) vermuthet.
Alles Uebrige, was uns von der Sprache der Burgunder noch
übrig ist, sind Eigennamen. An der Spitze steht der Name des
Volkes selbst, Burgundiones, was im ersten Jahrhundert einheimisch
Burgundjanas gelautet zu haben scheint. Dass in der ersten Sylbe
bürg liege, ist unbestritten; das folgende wird eine Ableitungssylbe
sein wie in goth. nehvundja Nachbar und hulundi Höhle; hat doch
in Beiden das Suffix nahezu dieselbe Function, wir haben Burgbe-
wohner wie Nahewohner und Höhlenwohnung. Die jedenfalls seltene
Endung erregte schon früh Anstoss und wurde durch häufigere er-
setzt, daher schon bei Amm. Marc. Burgundii, noch später Burgundari ;
das Ags. hat Burgendas; in der lex Gundobada wird in der lieber-
Schrift noch das alte feierliche Burgundiones verwandt. Die Fülle
und Seltenheit der Endung hat aber noch eine andere Folge ge-
habt; gewiss löste sich schon früh im Volksbewusstsein (durch
Volksetymologie) ein gund bellum aus der Lautfolge heraus^ der
erste Theil nahm dann die Maske von bür habilatio oder von 6öar/
colonus an und die Burgunder des fünften Jahrhunderts mögen sich
schon (sprachlich etwas wunderbar) als colonisirte Krieger gefühlt
haben. Dass neun burgundische Namen, darunter mehrere Fürsten-
namen, mit Gund- beginnen, ist wol nicht Zufall, sondern beruht
auf dieser volksmässigen Anschauung.
Nahe an 120 Personennamen sind uns bis zum sechsten Jahr-
hundert als burgundisch überliefert; aus späterer Zeit mag noqh
198 V. Burgunder.
manche nns bekannte Namenform bnrgnndi8ch sein, ohne dass wir
es wissen können. Ich führe hier wiederum zuerst diejenigen an,
welche aus Elementen bestehen, die nns auch sonst ans dentschen
Kamen bekannt sind, welche also höchstens in Bezug anf ihre
lautliche Form lehrreich sind:
Agano (vgl. Agino Namenbuch 31 oder Hagano 577); Agathens
(vgl. Agateus Nhch. 19) ; Aliberga (vgl. Aliberca Nbch. 64) ; Andaharins
(vgl. Antheri Nbch. 85); Ansemund (vgl. Ansemund Nbch. 109);
Ansleubana fem. (vgl. Ansleubana Nbch. 109); Arenberga, fem. (vgl.
Arin- Nbch. 116 und -bergaNbch. 262); Aridius (vgl. Herideo Nbch.
631); Arigunde, fem. (vgl. Harigundis Nbch. 624); Arimund (vgl. Chari-
mund Nbch. 629); Athala (vgl. Athala Nbch. 137); Audemund (vgl.
Audemund Nbch. 173); Andericus (vgl. Audericns Nbch. 175);
Audolena, fem. (vgl. Autlina Nbch. 165); Annegildis, fem. (Ann- vgl.
Nbch. 181» -gildis Nbch. 463); Aunemund (vgl. Anneround Nbch. 182);
Aunihilde, fem. (vgl. Aouilt Nbch. 182); Baldarid, -red (vgl. Baldarat
Nbch. 207 und Baldarith 208); Balthamod (vgl. Baldmuot Nbch.
207); Baltho (vgl. Bald Nbch. 204) ; Burgundio (vgl. Burgundo Nbcb.
297); Chrodechildis, fem. (vgl. Hrodhildis Nbch. 734); Conia (vgl.
Ghuno u. s. w. Nbch. 311); Conigisclus (vgl. das vorige u. -gisil
Nbch. 519); Coniaricus (vgl. Chunirih Nbch. 316); Ememund (vgl.
Immunt Nbch. 779); Engevald (vgl. Ingold Nbch. 786); Eunand
(vgl. Eu- Nbch. 394 und -nand 949); Fagila, msc. (vgl. das fem.
FagilaNbch. 396); Fastila (vgl. Fast- Nbch. 401); Föns (vgl.Fonsa
Nbch. 448); Fredebold (vgl. Frithubald Nbch. 424); Fridigern (vgl.
Frithigem Nbch. 426); Fredemund (vgl. Fridamund Nbch. 428);
Fridigisclus (vgl. Fridugisal Nbch. 426); Fusia (vgl. Fonsa Nbch.
448); Gebeca (vgl. Oibica Nbch. 450); Oisclad (vgl. Oislchad Nbch.
524); Gisciabad (vgl. Gisal- Nbch. 519 u. -bad 196); Gislaharius
(vgl. Gisilhar Nbch. 523); Godegisel (vgl. Godigisil Nbch. 534);
Godemund (vgl. Codemund Nbch. 538); Gotia oder Gutia (vgl. Gotta
u. s. w. Nbch. 530); Gudomar und Godomar (vgl. Godomar Nbch.
537); Gundaharius (vgl. Gundachar Nbch. 562); Gundemund (vgl.
Gunthamund Nbch. 567); Gundiisclus (vgl. Gundegisil Nbch. 562);
Gundomares (vgl. Gundemar Nbch. 567) ; Gundubada, Gundobandus
u. 8. w. (vgl. Gundobad Nbch. 557); Guntello, fem. (vgl. Gundila
Nbch. 556); Hildegem (vgl. Hildigem Nbch. 674); Hildeulf (vgl.
Hildulf Nbch. 683); Hilpericus (vgl. Hilpericus Nbch. 685); Ddelo
(vgl. Hildulo Nbch. 665); Ingild (vgl. Ingild Nbch. 784); Leubared
(vgl. Liubarat Nbch. 855); Leuvera (vgl. Leubovera Nbch. 856);
Hagan (vgl. Magan Nbch. 887); Obtulf (vgl. Opt- Nbch. 1210 u.
•▼nlf Nbch. 1340); Offo und Uffo (vgl. Uffo Nbch. 1209); Badoara
V. Bargander. jpg
(vgl. Radoara Nbch. 1004); Remila, fem. (vgl. Bemila Nbch. 1055);
Rico (vgl. Rico Nbch. 1039); Riculf (vgl. Riculf Nbch. 1051); Sara (vgl.
Sario u. s. w. Nbch. 1074); Sigismund, Segismund (vgl. Sigismund Nbch.
1101); Sigisvuldus, Segisvuldus (vgl. Sigisvulthuß Nbch. 1101);
Siggo (vgl. Sigo Nbch. 1086); Sigifuns (vgl. Sigifans Nbch.
1092); Sigißricuß, Segis-, Sigi-, Sige- (vgl. Sigarich Nbch. 1097);
Sunia (vgl. die andern Namen desselben Stammes Nbch. 1128);
Teto (vgl. TattoNbch. 1143); Theudelinda (vgl. Theudelinda Nbch.
1182); Theudemod, -mond (vgl. Theudemod u. Theudemund Nbch.
1185); Unan (vgl. Unan Nbch. 1213); Wadamir (vgl. Vadomarigs
Nbch. 1226); Walaharius (vgl. Walahheri Nbch. 1232); Walarim
(vgl. Walah Nbch. 1229 u. -rim Nbch. 1055); Wenaharius (vgl.
Winiheri Nbch. 1319); Wideraer mit Var. Windemer (entweder zu
Widiomar Nbch. 1287 oder zu Winidmar 1324); Viliaric (vgl.
Willierich Nbch. 1313); Villigisclus (vgl. Willegisclus Nbch. 1308);
Willimeres mit Var. Weliemeres (vgl. Willimar Nbch. 1312); Villio-
berga (vgl. Willibirg Nbch. 1306); Vistrigilde (vgl. Wistri- Nbch.
1278 u. -gild Nbch. 463); Vithuluf (vgl. Widulf Nbch. 1289); Vulfia
(vgl. Vulfio Nbch. 1342); Vulfila (vgl. Vulfila Nbch. 1343).
Nach Ausscheidung aller dieser Namen bleiben als der an-
ziehendere Theil des bnrgundischen Namenschatzes noch die folgenden
zwanzig bis dreissig Formen übrig; die noch zu besondem Bemer-
kungen Anlass geben und vielleicht dem Burgandischen eigenthüm-
lich gewesen sind:
Abcaris (Var. Abacaris^ Abhaaris, Abgaris). Der erste Theil
ist sicher der Stamm Ab^ der zweite in seiner schwankenden Schrei-
bung lässt ungewiss, ob hier ein gar oder hart anzunehmen ist;
der Name kommt sonst nirgend weiter vor.
Aisaberga^ in einer Grabschrift von 491 begegnend, ist ein
höchst anziehender Name. Halten wir ihn zu den zahlreichen vorn
mit era honor zusammengesetzten Formen, so ergiebt sich als die
wahrscheinlichste Annahme, dass wir hier noch die gothische Form
des Wortes, die uns sonst entgeht, vielleicht in dem einzigen noch
erhaltenen Beispiele vor uns haben. An ^r Erz oder an eine Zu-
gehörigkeit zu goth. agis timor denke ich weniger gern, letzteres,
weil der Vocal zwischen beiden Theilen des Namens auffällt. Auf-
fallend ist freilich anderseits, dass die gleichfalls im 5. Jahrhundert
lebende Mutter Theodorichs des Grossen von Jornandes schon Erelieva
genannt wird. Vgl. hier wie überall in diesem Abschnitte die ent-
sprechenden Ansichten von W. Wackemagel.
Alifius, nur einmal begegnend, und zwar um das Jahr 5(X)9
soll nach Wackemagel fdr Alithius stehn. Der Lautwecbsel ist
V;
200 V. Bargander.
ganz vereinzelt; im Gothischen haben wir ein paarmal den entgegen-
gesetzten; anderwärts allerdings ein th: f; der Fall ist noch be-
sonderer Aufmerksamkeit zu empfehlen.
Baadomallas scheint sich zu ergeben aus einer Inschrift, die
das ma der dritten Sylbe nicht erkennen lässt; das scheint aller-
dings die richtige Lesung, um so mehr, als ein Baudomalla (fem.)
des sechsten Jahrhunderts anderweit gesichert ist.
Garetene und Chartenius sind schwerlich als eigentlich bnr-
gundische Namen anznsehn; gehört der erste Theil zu Hari-^ so
ist er eher fränkisch ; eben so zeigen sich Namen auf -tena (Auliatena,
Mellatena u. s. w.) nur auf fränkischem Gebiete.
Chrona; so oder auch Mucuruna war der spätere Name der
burgundischen Fürstin Sedeleuba, nachdem sie ins Kloster ge-
gangen war. Die Form ist auch hier, wenn der Name wirklich
deutsch ist, eher fränkisch als burgundisch. Aber seine Deutung
aus dem Deutschen erregt Schwierigkeit; es könnte gradezu eine Ab-
kürzung von Mucuruna mit Einfluss des lat. Corona sein, für einen
Elostemamen nicht unpassend.
Emiocer enthält in seinem ersten Theile den auch sonst aus
Namen bekannten Stamm Im-^ Em-; der zweite kann nur, wie in
Odovakar, das Adj. wacar wach, munter sein. Der Name kommt
nur als Inschrift eines Schmuckes vor.
Felocalus wird, wenn der Name wirklich deutsch ist, im ersten
Theile das auch sonst in Namen begegnende Filu- multum haben;
der zweite Theil entzieht sich eben so wie der des bei Tacitus
überlieferten ampsivarischen Boiocalus noch einer einigermassen
wahrscheinlich zu machenden Deutung.
Gemola stellt sich zu andern mit Gem-, Gim- anlautenden
Namenformen, die noch einer irgend glaubhaften Erklärung harren.
Gundefuld, im ersten Theile mit ganz bekanntem Worte, bietet
durch den zweiten Schwierigkeit, namentlich auch mit Hinblick auf
die Varianten Gundefulf, Gundefuls, Gundeulf. Ich möchte am liebsten
an vergröberte Schreibung des goth. vulthus denken, welches ja
auch in Sigisvulthus und einigen zweifelhafteren Beispielen vor-
kommt; folda terra anzunehmen ist mir weniger wahrscheinlich.
Gundioc, der bekannte Burgunderkönigi ist uns in den ver-
schiedensten Schreibungen überliefert. Ich habe unter diesen früher
die Formen Gundivicus, Gundevechus, Gundeveus als die echtesten
angesehn und danach auch in dem zweiten Theile einen vielfach
bekannten Wortstamm zu finden geglaubt. Alles erwogen wird es
doch wahrscheinlicher, dass wir hier von einer Grundform Gundivac
aoazugehn und den Namen (der ausser bei dieser Person sonst
V. Burgander. 201
nicht za belegen ist) an den altn. Yak und den langobardiscben
Wacho anzuknüpfen haben. Es wird hierin wie in dem weiter zu
erwähnenden Onovaccus die einfachere Form von wacar vigil liegen.
Guntheuca, Gunthiucha ist jedenfalls das Femininum des vor-
hergehenden Namens.
Mucuruoa, im zweiten Theile sehr bekannt, lässt sich im ersten
passend an das im goth. mnkamödei Sanftmnth enthaltene Wort
anknüpfen.
Nasualdus Nansa, so stehn diese beiden Namen zusammen
auf einem Sehmuckgegenstande. Sollten sie wirklich dieselbe Person
bezeichnen und nicht vielmehr zwei, etwa den Geschenkgeber und
den Beschenkten? Wackernagel nimmt ersteres an, hält den Nasal
in Nansa für eingeschoben und setzt beide Formen zu ahd. nasa
^ase. Ich möchte lieber Nasuald gleich dem bairischeu Nasolt des
9. Jahrhunderts und mit dem alten suevischen Nasua zu goth. nas-
Jan u. 8. w. stellen, Nansa aber etwa gleich dem von Cassiodor
überlieferten Nandius setzen; Nansa stände für Nanza und dieses
wäre etwa wie die Form Burgunziones zu beurtheilen; vgl. das oben
über den Vandalen Genserich Gesagte.
Onovaccus, sonst unbekannt, enthält im ersten Theile den be-
kannten Stamm Ann-; der zweite muss wie der in dem oben ange-
führten Guudioc beurtheilt werden.
Orovelda will Wackernagel, da es der Name einer Sclavin ist,
im ersten Theile zu ahd. horo (Thema horaw) Schmutz setzen. Ich
sehe darin lieber den Stamm Aur-, der z. B. in den Namen Auripert,
Aurildis (Orieldis), Aurevera, Aurulf (Oriulf) grade auf gallischem
Boden nicht selten ist. Der zweite Theil würde zu beurtheilen sein
wie in Arowildis, Fridwild, Hadowildis, SelbwiJt, Waldovildis.
Raspso sieht Wackernagel als verschrieben für Rapso an und
deutet es danach; ich erachte lieber das zweite s für unrichtig
wiederholt und gewinne damit denselben Namen, den Jemandes als
einen gothischeu in der Form Respa aus dem dritten Jahrhundert
überliefert.
Scudilio wird mit dem alamanischen Scudilo des vierten Jahr-
hunderts zusammenzustellen sein. Den letzteren Namen wollte
Grimm mit scutum und unserm Schild vereinen; Wackernagel
setzt beide lieber zu ahd. scutjan schütteln, erschüttern. Etwas
gewisseres ist darüber noch nicht zu sagen.
Sedeleuba, aus goth. sidus Sitte und Hubs lieb.
Suavegotta, jedenfalls aus den beiden Völkernamen der Schwaben
und der Gothen zusammengesetzt.
Tollii major domus bei Avitus epist 35 ist jedenfalls mit
202 V. Bargander.
Tulnni, einem Feldbeim Theodoricbs d. Or. and mit den hoch-
deutschen Namen Zulling und Zullini zu vereinen; die Deutung
des Stammes will noch nicht irgend welche Wahrscheinlichkeit
gewinnen.
Usgildus hält Wackemagel, und ich weiss nichts Besseres,
f&r so viel als Vergelter und setzt es zu gotb. usgildan.
Uthila ist wahrscheinlich zu streichen, da in der betreffenden
Stelle der lex Burgundionum (LI, 1) Athala die bessere Lesart
zu sein scheint, so viel sich aus dem in den Handschriften gan^
verderbten Text entnehmen lässt.
Walesta, msc, scheint (gegen Bluhme) die Lesart der besseren
Handschriften in der lex Burgund. zu sein; es liegt wol hier eine
superlativische Bildung vor wie etwa in den femininen Namen
Herosta, Liebesta, Pezzista. Das goth. Adj. valis auserwählt mag
der Positiv sein, dann wurde Valista, welches dem Walesta zu
Grunde liegen muss, aus Valisista entspringen.
Vassio ist wol eine Herleitung von dem anderweit bekannten
vassus Knecht; ob aber das letztere Wort deutsch ist? Einen viel-
leicht schon dem dritten Jahrhundert angehörigen Dagovassus aus
einer bei Neuwied gefundenen Inschrift habe ich im Namen-
buche angeführt.
Das wären die burgundischen Namen, so weit man sie bis jetzt
kennt. Es ist nun entsprechend dem bei andern Völkern gesagten
dasjenige zusammenzustellen, was sich aus dem ganzen burgun-
dischen Wortschatze für die Lautverhältnisse dieser Sprache ergiebt,
immer aber mit der Vorsicht, die solche in romanischer Umkleidung
erhaltenen Formen heischen.
Eine Schwächung des alten a zn e zeigt sich meistens am
Ausgange der Themen und auch das alte i und u folgen nivellirend
demselben Zuge (eben so wie im Fränkischen); vgl. Ansemundus,
Andericus, Engevald, Godegisclus, Hilpericus, Hildegemus, Frede-
boldus, Sedeleuba; für dieses e tritt auch ein i ein in Fridigemus
Damit ist denn völlige Synkope leicht vorbereitet, wie wir sie
z. B. in Ansleubana (neben Ansemundus) haben.
Wie im Westgothischen, so tritt auch im Burgundischen für
altes i und u leicht e und o ein, doch nicht als Gesetz, sondern
in ganz regellosem Schwanken, zum Zeichen, wie die volle Krafl
der Sprache schon gebrochen ist; selbst die Handschriften in ihren
verschiedenen Lesarten desselben Wortes theilen dies Schwanken.
Beispiele solches e sind Engevald, Felocalus, Fremodus, Gemola
Audolena, Sedeleuba, Teto, Orovelda, auch die auf -berga und
•gemns; Beispiele von o Obtnlf, Orovelda, morginegyba. Von
V, Bargnnder. 203
scbwaDkenden Formen fährt Wackemagel S. 362 f. eine grosse
Anzahl an.
Ab der Erhöhung des urdentschen ä : e nehmen nicht blos alle
gotbischen Völkszweige, auch das Westgothische und sogar das
Erimgothische Theil^ sondern auch das Vandalische; das Burgun-
dische dagegen hält sich, so viel wir sehen, davon ziemlich frei.
Dagegen theilt es mit Westgothischem und Vandalischem die An-
gnffe auf den Lantbestand der alten Diphthonge. Wir finden zwar
noch anfanthai und Aisaberga^ doch auch schon malahareda und
Chartenius (wenn es zu tains ramus gehört). Das au bleibt ge-
wöhnlich unangetastet, wird jedoch zu ö z. B. in Onovaccus, auch
wol in Orovelda. Wo / zu ^ herabsinkt, da wird folgerichtig auch
iu zu eu; wir sehn daher dieses eii ganz gemeinsam dem West-
gothischen, Vandalischen, Westfränkischen und Burgundischen; in
letzterem tritt es völlig ausnahmslos ein, z. B. in Eunemund, Len-
bared, Leuvera, Manneleubus, Sedeleuba, Ansleubana, leudus, Aga-
thens, Aogatheus, Theudelinda, Theudemod, Theudemond^ Lendomar.
An dem Ersätze des iu durch eo nimmt das Burgundische durch-
aus nicht Theil. Eben so wenig wird altes iu erhalten; Formen
wie Aridius für -theus sind nur tur latinisirt zu erachten.
Von abhängigem Vocalwechsel lässt sich kaum etwas beobach-
ten; wenn Bandomallus, Gundobaudus u. s. w. wirklich, wie Wacker-
nagel annimmt^ zu badu pugna gehören, so ist darin allerdings ein
Ansatz zum U- Umlaute. Verdunkelung des a zn o vor Id tritt
schon ein in Fredeboldus, neben welchem doch noch Gundobal-
dus gilt.
Gonsonantische Entartungen pflegen sich in allen diesen Sprachen
vielfaltig zu zeigen, vor allem im Gebiete des alten gotbischen th.
Besonders geht das t/i häufig in d über, besonders natürlich nach
n (vgl. Bd. I, 390), wie in den Namen mit Gund-, -gund oder
Nand-, -nand, dann aber auch sonst: Aridius, Baldaridus, Frede-
boldus, Fridigemus, Fridigisclus, Fredemundus, Giscladus, Segis-
vnldus. Zuweilen tritt dafür auch ein t ein wie in Chrotechildis,
Gotia, Suavegotta. Den fraglichen Uebergang von th:f in Alifius
habe ich schon oben besprochen. Wie die aus th entstandenen
d und t mit einander wechseln, so hat auch organisches d in
Gnndebadus die Variante Gnndebatns neben sich.
Im Gebiete der gutturalen Laute hat jedenfalls das h nur
einen sehr leisen Hauch gehabt und verliert sich daher oft wie
in Andearius, Gislarius, Gundarius, Giscladus. Dasselbe geschieht
auch im Anlaute, wo noch entschiedener ein romanischer Einflnss
vorliegt wie in Agano, Arimundus, Ildelo, kaum in Orovelda (s.
204 V. Burgunder.
oben). Eben so schwindet auch das g zuweilen dnrcb Erweichung;
80 in Hildigemus: HildiernaS; Gundigisclus: GundiselaSi Godigisclos:
Godisclns.
Unter den Labialen geht das r leicht dnrcb Einfluss eines
folgenden Vocals selbst in einen Vocal ober; so va : oa in Nasnal-
dus, va : oa in Badoara, va : ö in Emiocer (aus Emiwacar).
In Bezug auf den Auslaut ist zu bemerken, dass von dem -s
des Nom. Sing, das Burgundische keine Spur mehr erhalten bat.
Dass Deutale durch einen Zischlaut vertreten werden, ist wo!
nicht eigentlich der burgundischen Sprache zuzuschreiben, sondern
mehr den Quellen, in denen uns die Formen überliefert sind; so
haben wir Burgunziones in dem die Notitia gentium enthaltenden
Veroneser Codex des 7. Jahrhunderts, eben so bei Procop, Agathias,
Socrates, eben so wie Tzazo (vandalisch) ebenfalls bei Procop,
Genzo (vandalisch) bei Procop und Theophanes. So ist ja auch
die Form Gozia fdr das Gothenland überliefert; man muss noch
weiter nach der eigentlichen Quelle dieses % forschen.
Für die Wortbildung ist nur wenig zu bemerken. Die strenge
Scheidung zwischen den auf -a und den auf -i ausgehenden Stämmen
beginnt sich etwas zu verwischen durch Umsichgreifen des -a; so
in den zu ahd. märi clarus gehörigen Namen wie Gudemarus, Vin-
demarus für -marius, vereinzelt auch Andaharus für -harius; doch
giebt es daneben noch mehrere Formen auf -mores.
Das Suffix -is lässt sich nur in dem einen Worte sigis victoria
betrachten; dasselbe erhält sich noch ziemlich oft in überlieferten
Namen wie Sigisricus, Sigismundus, Segisvuldus ; jedoch zeigt sich
auch schon das jüngere Sigifunsus, Sigimundus.
Recht auffallend ist das Auftreten des deminutiven -ka, von
dem uns weder das Urdeutsche noch das Gothische eine Spur zeigte,
in den burgundischen Eigennamen Gibica und Athica.
Die Declination gewährt uns einige von Wackemagel hervor-
gehobene Besonderheiten, die doch weniger auf das Burgundische
als auf die Behandlung des Burgundischen durch das Lateinische
schliessen lassen. Die Erstarrung des nominalen Stammes wittimon,
so dass das Wort in dieser Form sogar nominativisch gebraucht
werden konnte, wurde schon vorhin hervorgehoben. Eben so sind
oben die beiden einzigen erhaltenen Verbalforraen hag und iddan
erwähnt.
Der Einfluss des Lateinischen ist schon sicher zur Zeit der
Selbständigkeit des burgundischen Reiches ein grosser gewesen,
bis endlich die Sprache der Besiegten zur siegenden Sprache wurde.
Aber dieser Einfluss liesse sich nur dann gut beobachleni wenn
V. Langobarden. 206
wir wirklich zusammenbangende borgundiscbe Texte bätten; ro
wie die Sacbe jetzt liegt, könnte man eber den Einfluss des Bur-
gondischen auf das Lateinische besprechen. Erwähnt wurde schon
die latinisirte Form Aridins fiir Aritheus; femer die Aphaerese
des H-, die das Burgundische mit dem Westgothischen und Van-
daliscben gemein hat, d. b. in den lateinisch überlieferten germani-
schen Worten. Auf die hybride Art der Wortbildungen trigildus und
novigildus wurde gleichfalls hingewiesen.
6. Die Langobarden.
Weit später als alle genannten Völker treten die Langobarden
in den Bereich romanischer Zunge ein und noch zweihundert Jahre
halten sie sich hier als herrschendes Volk; deshalb stebn sie hier
mit Fug an letzter Stelle. Begünstigt durch diese lange Dauer
und durch das Glück, dass ihnen ein grosser einheimischer Schriit-
steller zu Theil geworden ist, konnten sie mehr Spuren ihres
einstigen Lebens bis auf unsere Tage hinterlassen als jene
anderen Völker, und deshalb haben wir auch bei ihnen länger zu
verweilen.
Wir haben wiederum zuerst nnsern Blick auf die Geschichte
des Volkes zu werfen, doch nur so weit diese Geschichte von
Einfluss auf die Sprache gewesen sein kann.
Als erster fester Punkt in dieser Geschichte ist die Thatsache
anzusehn^ dass in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung
die Langobarden an dem untersten Tüeile des Laufes der Elbe
wohnten. In Folge dessen tritt an uns die Frage heran, ob wir
nicht auch berechtigt sind, Vermuthungen über ihre noch früheren
Wohnsitze zu hegen. Und in der That bieten sich solche Ver-
muthungen in zwei verschiedenen Weisen dar.
Schon früher (Bd. I, 336) wurde hervorgehoben, dass die
deutschen Völker der südlichen Ostseeküste sich im Wesentlichen
von der Weichsel her nach Westen scheinen ausgebreitet zu haben.
Ist das der Fall, so werden wir nach älteren Spuren ihrer Wohn-
sitze besonders in den Gebieten des heutigen Ost- und Westprenssens
suchen müssen. Nehmen wir nun femer an, dass das hier be-
sprochene Volk, wie auch bereits von andern Forschem vermuthet
ist (s. Namenbuch IP, 970), sich zunächst nicht Langobarden,
sondern einfach Barden genannt habe (etwa mit der Bedeutung
Männer oder Helden) so fällt uns vor allem die ostpreussische
Landschaft Barten auf, welche die deutschen Ritter im dreizehnten
Jarhundert vorfanden. Diese Landschaft liegt neben der Land-
schaft Sassen wie im Westen die Gebiete der Langobarden und
206 V. LangobwdeiL
Süchsen an einander streifen. Jenes Barten (urkundlich auch
Barta, Bartha, Barthen, Bartenland geschrieben) erstreckt sich 5st-
ich von der Alle um den Mauersee; davon ist (man sehe die
Register der scriptores rerum Prussicarum nach) der Ort Partegul
benannt, ferner Bartinburg (die Burg Barten im Qebiete des
preussischen Brandenburg). Die Stadt Bartenstein liegt noch jetzt
an der Alle, ein anderes Barten östlich davon. So wenig Sicheres
auch diese Spur hat, so ist sie doch weiter im Auge zn behalten.
Anders gestaltet sich die Ansicht von der Urzeit der Lango-
barden in der einbeimischen Sage des Volkes. Für diese kennea
wir erst seit wenigen Jahrzehnten eine kostbare Quelle in der soge-
nannten origo gentis Langobardorum, die wahrscheinlich im Jahre
669 geschrieben ist und die mehr als hundert Jahre später von
Paulus diaconus zum Theil wörtlich benutzt wurde. Sie liegt uns
vor in Abels Uebersetzung in den Geschichtschreibem der deutschen
Vorzeit (1849) und in Bluhme's Ausgabe im vierten tomus legam
der monumenta Germaniae (1868). Der Anfang dieser Schrift giebt
sicher ein altes volksthümliches Lied wieder, welches in der ans
Paulus diaconus bekannten Weise erzählt, wie die Langobarden
zu ihrem Namen gekommen sind. Hier wird erwähnt, unter den
Völkern der Landschaft Scadan (var. Scadanan) seien auch die
Vinnili (Vinnoli, Guinnili) gewesen, über welche die Fürstin Gam-
bara mit ihren beiden Söhnen Ibor und Aio geherrscht habe; sie
hätten mit den Vandalen und deren Anführern Ambri und Assi
gekämpft u. s. w. (man bemerke die Alliterationen Vinnili- Vandali,
Ibor-Aio, Ambri-Assi).
Hieraus macht Paulus die Angabe, die Vinili seien aus Scan-
dinavien (ihm, dem Gelehrten, wird ans jener obigen Form gleich
der bekannte Name) nach einer Landschaft Scoringa gezogen (weder
von diesem Auszüge noch von Scoringa weiss die origo etwas) und
hier sei der Kampf mit den Vandalen erfolgt.
Hiezu müssen wir nun noch eine dritte Fassung der Sage halten,
die in dem sogenannten chronicon Gothanum vor dem Gothaer
codex des langobardischen Gesetzbuchs erhalten ist; es ist das
dieselbe Quelle, die mau früher „den anonymus Langobardus bei
Ritter^ nannte; sie ist jetzt gleichfalls in demselben Bande der
Monumenta gedruckt. Obwol diese Schrift ebenfalls von jener origo
abhängig ist, erzählt sie doch die Ursprangssage mit Auslassung
von Wodan und Frea ganz selbständig, und zwar in höchst wunder-
licher Weise, die ich nur durch das Original wiedergeben kann,
mit folgenden Worten: Vindilicus dicitur amnisab extremis Galliae
finibus; juxta eundem fluvium imprimis habitatio et proprietas eoram
y. Langobardem 207
fiut. Primis Winili proprio nomine seu et parentela . Hie
snpra dictos Liga r in 8 flavius, Albiae flavii cannalis itiundans, et
nomen finitnr. Postqaam de eadem ripa, ut supra dictum est^ Lan-
gobardi exierunt^ sie Scatenaugae Albiae flavü ripa primis novam
habitationem posuerunt.
Aus diesem galliscb- ligarischen Flasse Vindelicas, der ein
Nebenfluss der Eibe sein zu sollen scheint (oder in den endlich die
Elbe aafgeht), weiss ich absolut nichts za machen. Za bemerken
aber ist, dass hier als zweiter Wohnsitz des Volkes ein Scaten-
augae an der Elbe vorkommt, das doch wol jenem Scadan oder
Scadanan der origo gleichstehn muss.
Blubme die gens Langobardorum (Rom 1868) S. 7 zieht aus
diesen Quellen den Schluss, die Langobarden seien erst kurz vor
Christi Geburt aus Jütland an die Niederelbe gelangt. Als Haupt-
stütze seiner Ansicht gelten jene jütischen Namen Vendill, Vendils-
kaga u. s. w., die ich schon oben für die Vandalen brauchte; dazu
stellt er den Fluss Vindelicus als den Limijord.
Die von Bluhme ferner hervorgehobene allerdings auffallende
IJebereinstimmung der Langobarden mit den Angelsachsen in Sprache
Sitte und Recht erklärt sich wol aus einer niederelbischen Heimath
eben so gut als aus einer jütischen.
Ohne also mit Bluhme Scadanan in Scaganan (Skagen) ver-
bessern zu wollen, sehn wir in diesen Nachrichten, so weit sie
verständliöh sind, nichts als eine Bestätigung der Thatsache, dass
die Langobarden an der Niederelbe wohnten. Das Scadan, Scada-
nan, Scatenaugae (Fredegar um das Jahr 640 schreibt Schatanavia)
mag eine vor der Eibmündung liegende jetzt untergegangene Insel
gewesen sein, vielleicht auch ein Theil des jetzigen Holstein. Ob
die Vinili und die Vandili wirklich zusammenhangen, muss dahin
gestellt bleiben ; es lassen sich Wege denken, auf denen der erste
Name gradezu unter dem Einflüsse des zweiten in die Sage ge-
kommen ist.
Wer in dieser Sage eine historische Heimath der Langobarden
vor der niederelbischen findet, muss annehmen, dass der Mythus
in eine ausserordentlich hohe Zeit hinaufreicht. Das ist aber gradezu
undenkbar, er wird nicht höher hinaufreichen als etwa der Gaut
im Amalerstammbaum des Jemandes; und das fällt schon in eine
Zeit, wo wir zwar nicht für die Gothen, wol aber für die Lango-
barden die Geschichte zu Hülfe rufen können.
In der That fähren die römischen Schriftsteller seit dem ersten
Jahrhundert die Langobarden an der Niederelbe an. Plinius freilich
und Dio Cassius erwähnen sie gar nicht, was vielleicht mit der von
20g V. Langobarden.
Tacitns erwähnten geringen Zahl derselben zusammenhängt. Da-
gegen Veliejus Paterculns nennt sie bei Gelegenheit von Tiberias
Feldzug im Jahre 5 gleich neben den Ghanken, ohne indessen
näher ihre Lage anzugeben. Bei Strabo VII, p. 290 wohnen sie,
und zwar merkwürdiger Weise mit den Hermunduren zusammen,
noch jenseits der Elbe. Tacitus Germ. 40 setzt sie s wischen süd-
elbische und nordelbische Völker und berichtet in den Annalen voa
ihrer Freundschaft mit den Cheruskern in den Jahren 17 und 47 •
Beide letztgenannte Schriftsteller rechnen sie zu den Sueven, wo-
durch also die Langobarden in einen deutlichen Gegensatz zu derr:
vorhin besprochenen gothonischen Völkern treten. Noch Prospe^
von Aquitauien führt an, sie kämen ab extremis Germaniae finibus^
oceanique protinus litore. Ganz entschieden südelbisch wird ihim
Wohnsitz im zweiten Jahrhundert. Bei Ptolemaens kommen die^s
2ovrjßoi Jayyoßäqdoi zwischen Sigambern und Tencterern vor, spätere
nennt er Jaxxoßdqioi (doch auch hier mit der Variante JayyoßdQSoi)^
hinter den Angrivariern. Liegt dem etwas Wahres zu Grunde, so^
hätten sich die Langobarden nach dem Betreten des südlichen a
Eibufers gespalten; ein Theil wäre nach Südwesten in die Gegend
von Westfalen gegangen, ein anderer südlich von der Niederelbe
geblieben.
Dass allerdings das Volk schon im zweiten Jahrhundert nicht
mehr ganz beisammen und ruhig südlich von der Elbe geblieben
ist, geht auch aus der Nachricht hervor^ dass laugobardische Scharen
(wol nur auf einem Kriegszuge) momentan zur Zeit Marc Aureis
an der Donau erscheinen. Was nun aber insbesondere jene süd-
westliche Abzweigung nach Westfalen angeht, so finden wir von ihr
noch eine zweite Spur iu eben jenem chronicon Gothanum. Dort
faeisst es, nachdem von der Niederlassung in Scatenaugae gesprochen
ist: Sic deinde certantes Saxoniae patriam attigerunt, locus ubi
Patespruna cognominantur, ubi sicut nostri antiqui patres longo
tempore asserunt habitasse. Der Urheber dieses furchtbaren Lateins
schrieb (wie Bethmann im Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche
Gescfaichtknnde Bd. X, a. 1851, S. 365 darthut) zwischen 807 und
810 in Italien und war ein begeisterter Anhänger Karls des Grossen.
Denkt man nun daran, dass Paderborn in Karls Geschichte eine
bedeutende Rolle spielt, dass aber namentlich hier die Huldi-
gung der Umwohner auf dem Reichstage des Jahres 777 stattfand,
so sagt der Verfasser, es sei altes langobardisches Gebiet gewesen,
über welches Karl seine Macht auch im Norden ausgedehnt habe.
Ja es scheint, als leite er den Namen Paderborn gradezu von den
Langobarden her; vgl. in meinem Namenbuche die verderbten
V. LangobatdeD. 209
Formen ParderbranniiDy Parderbrnnn, ParterbraDoenais. Weiter tat
noch za erwäbncD, dass Blahme die gena LaDgobardornm (1868)
S. 22 die langobardische Ansiedlnng in Westfalen als sicher an-
nimmt nnd, ausser andern Momenten, anch die Abhängigkeit des
Soester Stadtrecbts von dem Lübecker für diese Ansicht verwerthet.
Auch die Verbreitung gewissei" Ortsnamenbildungen, wie ich sie in
meinen deutschen Ortsnamen (1863) im neunten Abschnitt bespro-
chen habe, Hesse sich dafür noch ausbeuten.
Viel sicheier sind die Spuren, welche die südelbischen Lango-
barden, jedenfalls die Hauptmasse des Volkes, dort hinterlassen
haben. Er herrscht bei allen Forschem Einstimmigkeit darüber,
dass der seit dem achten Jahrhundert bekannte Bardengau mit
seiner alten noch jetzt bestehenden, aber von Lüneburg verdunkel-
ten Hauptstadt Bardowiek ein grosses Denkmal der Langobarden
ist, mögen auch die in den Act Sanct. Sept. VI, 483 erwähnten
Porahtani nur unsicher auf unser Volk bezogen werden. Es hat
sich glücklich getroffen, dass unmittelbar nachdem 1868 die lango-
bardischen Rechtsqnellen uns in sauberer Gestalt vorgelegt wurden,
schon 1869 der Minister v. Hammerstein-Loxten sein Werk „der
Bardengau^ erscheinen Hess. In dieser ausserordentlich reichhalti-
gen und sorgfältigen Schrift wird dieser Gau der eingehendsten
Betrachtung unterzogen, die namentlich darauf hinausgeht, alt lango-
bardisches Wesen von später eingedrungenem theils sächsischem
theils wendischem zu scheiden. Soll ich unter den zahlreichen
fiesultateu dieser Schrift eins besonders hervorheben, so ist es das,
dass die im Bardengau und dem benachbarten Loingo in etwa
hundert Beispielen auftretenden Namen auf -ingen, die sonst in
Niederdeutschland nur ganz sporadisch vorkommen, echt suevisch-
langobardisch sind, wie sie das suevische Deutschland im Süden noch
in unendlicher Fülle aufweist. Dass diese Namen sogar mit den
Langobarden nach Italien gegangen, ist erst neuerdings entdeckt
worden, wie unten besprochen werden wird; v. Hammerstein konnte
davon noch nichts wissen. Wir werden demselben -ingen nun
auch sofort auf dem weiteren Zuge der Langobarden begegnen.
In dem Bardengau und seiner Umgebung müssen die Lango-
barden, um solche Spuren hinterlassen zu können, Jahrhunderte
lang gesessen haben, dann sind auch sie, jedenfalls in ziemlieh
rasehem Zuge, nach Südosten aufgebrochen und, wiederum mit dem
bekannten Bogen über Osten, ihrer endlichen Bestimmung und
ihrem Untergange entgegen gezogen. Rechnet man alle Angaben
zusammen, so ist der Aufbruch im vierten Jahrhundert erfolgt
Aber die Stationen dieses Zuges sind uns in merkwürdig veraebie-
Pöntemafm, Ge$ch. d, d, Sprach9tafntnet. IL 14
210 V. Laogobardeo*
dener Angabe und jedenfalls obne klarere Anschanung der Verfasser
jener Nachrichten überliefert.
In der origo, als der ältesten Quelle, zieht das Volk von
Scadan aus; dann heisst es weiter: venerunt in Golaidam et postea
possederant aldones (d. h. als Aldionen, auf fremdem Boden an-
gesessene Mittelfreie) Anthaip et Baynaib et Burgundaib. Femer
kDnimen sie, nachdem die Rugier von Odovaker besiegt sind, nach
Rugilanda; endlich wohnen sie drei Jahre in „campis feld^.
Die zweite Quelle ist Paulus diaconus. Bei ihm geht das
Volk wie gesagt von Scandinavien nach Scoringa, dann ist da»
Land der Assipiter, dann Mauringa ihre Station; hierauf kommen,
sie nach Golanda, Anthaib, Banthaib und Burgundhaib. Darauf
kämpfen sie bereits mit Bulgaren. Nun ziehu sie nach Bugiland
zur Zeit Odovakers; endlich nehmen sie Wohnung in campis patentibnS|
qui Sermone barbarico feld appellantur.
Drittens das chronicon Gothanum meldet den Auszug von
Scatenaugae nach Paderborn, dann nach dem Gebiete der Beovinidi,
hierauf nach Pannonien, wo sie mit den Avaren kämpfen, femer
nach Rugilanda (Rudilanda); endlich wohnen sie drei Jahre in
campis filda.
Bei dem späteren Saxo Grammaticus fahren sie bei Blekingia
und Moringia vorüber, ehe sie Gutlandia erreichen und nach Rugia
kommen, wo sie die Schiffe verlassen.
Man sieht, dass die Quellen alle aus verschiedenartigem Dunkel
in gemeinschaftliches Licht führen. Die jüngste dieser Quellen,
den Saxo Grammaticus müssen wir ganz aus dem Spiele lassen;
er scheint echt patriotisch das Volk am südlichen Schweden vorbei
nach Gothland und Rügen zu fähren. Auch das schon besprochene
Paderborn lassen wir jetzt ausser Betracht. So bleiben uns als
erste Stationen in der origo Golanda (wie aus Golaida zu bessern
ist) und Anthaip, bei Paulus Scoringa, das Gebiet der Assipiteri
Mauringa, Golanda, Anthaib.
Ganz allein steht also bei den drei ersten Stationen Paulus;
er mag sie aus der Langobardengeschichte des Secundus entlehnt
haben, die er Buch IV, 41 erwähnt. Scoringa, wofür auch in einem
alten Auszuge aus Paulus, den von Christ 1728 herausgegebenen
hallisehen origines, Sciringa geschrieben steht, wird in den nordal-
bingischen Studien I (1858) aus ags. score ripa durch Ufergau ge-
deutet; es wäre also eine ArtRipuarien an der Elbe. Hammerstein
dagegen S. 56 geht davon aus, dass Paulus diaconus selbst cap.
13 sagt, jene Wanderstationen könnten vocabula pagoram sen
quorumcumque locorum sein, zieht die Lesart Sciringa vor und
V. Langobarden. ;2ll
halt es für Schieringen bei Bleckedc, östlich yod Lanebarg. Dort
sei der Saiumelplatz der AasziehendeD gewesen. Bei dieser Ver«
mathuDg kommt auch sogar das Biekingia des Saxo in jenem
Bleckede noch zu (zweifelhafter) Ehre. Bings um Schieringen liegt
eine Reihe grosser Steindenkmäler.
Sehr unsicher werden die Assipitti, die sonst nirgends erwähnt
sind, von Bluhnie als die Anwohner der Asse, jenes Höhenzuges
bei Wolfenbüttel erklärt.
Es folgt Manringa, das natürlich nicht etwa in Holstein zu
suchen ist. Verschiedene Forscher (s. Erhard regesta Westfaliae
I, 160) Laben es in der Gegend von Magdeburg gesucht, Bluhme
dagegen S. 23 findet es in Moringen bei Nordheim, nordwestlich
von Göttingen, was ihm sehr gelegen ist, um daran den Zug nach
Westfalen zu knüpfen. Möglicherweise ist es auch identisch mit
dem Maurungaui (-gavi?) des Geographen von Ravenna.
Bei dem vierten Namen, Golanda, wird Paulus schon durch
seine Quelle, die origo, bestätigt. Das Wort deutet sich am leich-
testen aus einem älteren Gaviland (Gaujaland) und würde passend
sein für eine ausgedehnteEbene von Ackerland. Kommen die Lango-
barden dahin aus der Göttinger Gegend, so könnte es etwa die
goldene Aue bei Nordhausen sein, kommen sie längs der Elbe her-
auf, so kann man etwa an die Magdeburger Börde denken, die
man schon früher (aber auf falschem etymologischen^ Wege) mit
den Langobarden hat in Verbindung bringen wollen.
Auch 46r fünfte Name ist durch die beiden genannten Quellen
bezeugt. Er knüpft sich wahrscheinlich an die Anfäe, dieses schon
bei Proccp und Jornandes im fernen Südosten erwähnte slavisehe
Volk, von dem man dann also annehmen muss, dass es sich be-
reits im vierten Jahrhundert weit nach Deutschland hinein erstreckt
habe. Die Gegend muss östlich von der Saale liegen, etwa im
heutigen Königreich Sachsen. Im' letzten Theile dieses und der
beiden folgenden Namen muss das verschollene Wort für regio
oder pagus liegen, das wir ausserdem nur in zwei seit dem achten
Jahrhundert begegnenden Namen, Wedereiba und Wingarteiba finden,
beide weit im Westen, doch wahrscheinlich auf altsuevischem Boden,
was wieder für die Abstammung der Langobarden wichtig ist
Nun kommt mehr Licht in die Wanderung. Das Baynaib der
origo und das Banthaib des Paulus vereinigen sich am besten zur
Lesung Bainaib, und das Beovinidi des chronicon Gothanum tritt
bestätigend hinzu. Es ist jedenfalls das alte Bojenland, Böhmen
gemeint Ob dort schon slavisehe Stämme gehaust haben (Vinidi),
oder ob das chronicon Gothanum erst von späterer Zeit her diesen
14»
212 ^* I«angobaiden.
Namen entnimmt, ist nicht anszumaehen. Das Einrücken der
Langobarden in Böhmen mag dem Ansrficken ihrer früher hier
ansässigen snevischen Brüder, der Marcomannen, rasch gefolgt sein.
Der siebente Aufenthalt findet in Bnrgandhaib statt, wie uns
die origo und Paulus berichten. Dafür steht im chron. Goth. das
bekannte Pannonien. Hier hatten in der That einst Burgander ge-
haust und im dritten Jahrhundert ihre Kämpfe mit dem Oepiden-
köuig Fastida ausgefochten; um die Mitte des vierten Jahrhunderts
waren sie abgezogen und in ihre Stelle rücken, noch in demselben
Jahrhundert, die Langobarden ein. Hier erst kommt der Zug et-
was zur Ruhe, statt der Anführer werden Könige gewählt, also eine
Art von Staatswesen gegründet Agilmund und Lamissio, die beiden
ersten Könige, die beiden einzigen aus dem Hause der Gunginger
(Guginger) fallen jedenfalls noch vor 400. Auch noch die drei ersten
Könige der zweiten Dynastie Lethu, Hildehoc und Godehoc müssen
in Pannonien geherrscht haben. Hier in Pannonien erreicht ihre
Wanderung den östlichsten Punkt; Kämpfe mit Bulgaren, Avaren
und sogar Amazonen bezeichnen das Ende der ihnen bekannt ge-
wordenen Erde. Um diese Zeit scheint das Christenthum bei dem
Volke Eingang, doch noch lange nicht allgemeine Verbreitung ge-
funden zu haben, unter Godehoc oder dem folgenden König Claffo.
Unterdessen hat Odoaker 487 die Rugier in Niederöstreich
besiegt und ^ist dann wieder nach Italien gezogen; die Langobarden
rücken nach in das Rugierland. Das offene Feld, in welchem sie
darauf drei Jahre wohnen, ist am besten mit Bluhme alstdas March-
feld zu versteht. Der sechste und siebente König des Volkes
Claffo und Tato fallen in diese Zeit; unter dem letzteren werden
Kämpfe der Langobarden mit den Herulern berichtet (zwischen
50(5 und 512). Unter dem achten Könige, Wacho, den Paulus zwar
erwähnt, aber merkwürdiger Weise nicht mitzählt, muss sich die
Langobardenherrschaft bedeutend ausgedehnt haben, über suevische
Stämme (vielleicht in der Suavia zwischen Venetiern und Karniem)
und nach Böhmen hin, wie das erste von Paulus, das zweite vom
chron. Gothanum berichtet wird. Für die Sprache geht daraus mit
Wahrscheinlichkeit die wichtige Thatsache einer starken Dialekt-
mischung hervor, die wol schon in den vorhergehenden Wanderungs-
zeiten begonnen hatte.
Es folgt der neunte König Waltari, dann der zehnte Audnin,
letzterer wieder aus einem andern Geschlecht, vielleicht aus einem
andern Volksstamm, ex genere Gausus, wie der Prolog zu Rotharis
Gesetzbuch sagt; ist das Gauzus und bezeichnet es in irgend einer
Weise sogar gothische Abstammung? Er rückt die Herrschaft wie-
V. Langobarden. 213
ieram nach Pannonien Yor, wo er 551 den Untergang der Gepiden
lerbeifbhrt. Sein Sohn Alboin fahrt a. 568 nach Italien die Lango-
)arden oder vielmehr ein Gemisch von Völkern, worunter auch
swanzigtausend Sachsen gewesen sein sollen und in das auch ge-
^ss die Reste der Gepiden aufgegangen waren. Es war mehr ein
leer als ein Volk; noch König Rotharis nennt die Langobarden
'elicissimus exercitus.
Jene Völkermischung wurde durch den Eintritt dieser Scharen
lach Italien noch eine viel stärkere; Reste der Ostgothen und all
!er andern Völker, die sich zeitweilig in Italien niedergelassen
latten, traten hinzu. Dazu kommen die vielen Ehen zwischen Lango- '
)arden und andern deutschen Völkern, wovon uns namentlich das
Königshaus viele und frühe Beispiele liefert. Unter diesen Um-
ständen konnte sich das Langobardische nicht einmal andern Mund-
arten gegenüber in Italien selbständig erhalten, geschweige denn
jegenüber der romanischen Volkssprache. Die Verwälschung des '
iTolkes begann entschieden sofort nach dem Einzüge in Italien;
tm engsten hielten sich die Langobarden gewiss in der Nähe der
lauptstadt Pavia zusammen, dort ist deshalb der Name Lombardei
mch haften geblieben. Wenig berührte ihre Herrschaft die Küste,
wo grossentheils die Griechen herrschten; in Toscana waren die
neisten Reste der Gothen.
Die Romanisirung der Langobarden ging fast in gleichem
Schritte mit der oben besprochenen der Westgothen. Schon der
bitte König in Italien, Autharis (585—591) nahm den römischen
Laisertitel Flavius in Anspruch, grade wie es der Westgothe Reccared
L 589 gethan hatte. Bis dahin waren die Langobarden noch
Uianer, zum Theil gewiss noch Heiden; unter dem aus thüringischem
J-eschlechte stammenden Agilulf (591 — 615) macht ihre Bekehrung
mr römischen Kirche, gewiss unter Einfluss des grossen Gregor,
Bsche Fortschritte, grade wie der Arianismus zu gleicher Zeit bei
len Westgothen abgeschafft ward; die Königin Theodelinda war
ds Baierin und Tochter einer Merovingerin schon in der römischen
Kirche erzogen; Annahme des kirchlichen Romanismns aber bedeutet
n dieser Zeit in Südeuropa Aufgabe des deutschen Wesens. Gegen
)50 wird das lateinische Gesetzbuch des Rotharis verfasst, zwar
leatsches Recht, doch gewiss nicht mehr reines Volksrecht, nament-
ich in Bezug anf die Stellung des Königs. Rotharis war übrigens
loch Arianer; seit 664 aber, als Grimuald von Benevent König
inirde, verloren sich die arianischen Bischöfe allmählich und der
irianische Glaube verschwand dann bald ganz. Von der Zeit des
[iadprand (713 — 744) zeigen sich die Langobarden ganz als Wälsche
214 V- LangobardeD.
in ihrem Charakter, obgleich die Sprache sich noch immer strich-
weise erhielt. Am Hofe des Königs Ratchis (744—749) waren die
roheren Sitten der früheren Könige nur noch Gegenstand historischer
Erinnerungen. Paulas diaconus, der sein Geschichtswerk um 790
schrieb und etwa 730 geboren war, weiss die alte Nationaltracht
seines Volkes nur nach den Wandgemälden im Palast zu Monza
zu schildern, die doch kaum über das Jahr 600 hinausreichten.
Derselbe erzählt, dass Alboins Thaten bei den Baieni, Sachsen
und „andern Völkern dieser ^Sprache** gepriesen wurden, von den
Langobarden schweigt er hier. Als Desiderius sein Reich a. 774
dem grossen Franken gegenüber verlor, war der deutsche Geist
daraus entflohn und im Herzogthum Benevent wird er auch gewiss
nicht gehegt worden sein. Die um 978 geschriebene Chronik vod
Salemo spricht von der lingua todesca, quod olim Langobardi
loquebantur.
Eine gewisse Sorgfalt müssen wir auf Zusammenstellung der
von der langobardischen Sprache noch übrigen Reste verwenden,
die zahlreicher sind als bei den fünf vorher behandelten Völkern,
leider aber keinen zusammenhangenden Satz, sondern nur vereinzelte
Wörter, zum Theil von grosser noch unerforschter Dunkelheit, aber
um so grösserem Werth enthalten. Wir beschränken uns aber dabei
auf die Zeit bis zum Ende des achten Jahrhunderts ; später dringt
in die Gesetze so viel fränkischer Spracbstoff ein, dass dieser die
Klarheit des Gesammtbildes trüben würde. Zuerst gebe ich ein
alphabetisches Verzeichnisse in das ich die Eigennamen nicht auf-
nehme, welche nachher besonders sollen erwogen werden. Von den
Varianten der Handschriften übergehe ich alle diejenigen , welche
für die Beartheilung des Wortes unmöglich Werth haben können.
Actugild (actogild), öfters bei Rotharis und Liudprand, auch
dnplum actogild Liudpr. 59. Das Wort begegnet auch im alaman*
nischen Gesetze, sonst wol nirgend weiter. Es bedeutet den acht-
fachen Ersatz des Schadens, wie das oben erwähnte burgnndische
trigildam und novigildum den dreifachen und neunfachen. Sehr
ungenau erklärt die glossa Cavensis sowol als die Vaticana >darch
„quod iniquo animo qnaeritur^.
Aidi. Nur bei Rotharis 359: jurit cum duodecim aidos soos,
id est sacramentales. Die glossae Gav. haben aydones sacramen-
tales le^timos. Das Wort setzt ein goth. '*'aithja voraus.
Aldi US (aldio^ haldius), aldia sehr häufig. Auch proaldio
begegnet (qui haldü conditioni salva libertate subit); die AbleitoDgen
aldiaeritia und aldiaricia, die z. B. im liber Papiensis begegnen,
sind jfinger. Auch in Baierui im achten Jahrhundert, kommen die
V. Langobarden. 215
aldiones vor. Das Wort bezeichnet den Stand eines Halbfreien,
des sonst so genannten Utas; die gl. Cav. nnd Vatic. deutet nicht
genau aldia durch de matre libera nata. Sehr ausführliche Mit-
theilungen über die ganze hiezu gehörende Wortfamilie hat Du Gange.
Das Wort mit Bluhme (im Register zu den Monum. Germ. XV) zu
haldan teuere zu stellen geht nicht wol an ; ihm gebnrt vocalischer
Anlaut. Grimm Rechtsalterthnmer Seite 309 erinnert an das spanische
aldea (pagus, vicus), aldeano (paganus, vicanns), das gothisch zu
sein scheint. Sind etwa ursprünglich die alten vorgermanischen
Einwohner gemeint?
Ambasias in einer Urkunde von 740 (Mon. Germ. XV, 659):
„cot feceset ei operas a prados et a vitis et ambasias per ebdo-
matas^. Das Wort setzt einen Stamm ^ambahtja voraus und ist
natürlich das goth. Ntr. andbahti^ ags. ambeht Dienst.
Amund (ahamund, aamund) öfters ^ei Rotharis und Liudprand,
einmal auch bei Aistulf. Es lautet Roth. 224: Qui fulcfree etase
extraneum, id est aamund facere voluerit. Aehnlich Liudpr. 55:
Si quis servum suum fulfreal thingaverit et haamund a se fecerit.
Es bedeutet also frei von der Mundschaft, mit jenem privativen a-^
von dem schon Graff I,i5 einige Beispiele anfuhrt.
Anagrif (anagrifl, anagrip, anagriph), mehrfach in den Gesetzen
vorkommend. Die gl. Cav. haben als Erklärung faida, inimicicia,
die gl. Vatic. faida vel manu aliquid apprehendere. Es ist unser
Angriff, übersetzt aber z. B. Roth. 189 das lat. culpa, bedeutet
also wol nur einen Angriff auf das Recht.
Andegawerc (andegawere). Nur in der Stelle Roth. 225:
Si judicaverit se vivo res suas proprias, id est andegawerc et ari-
gawerc secundum legem Langobardorum, liabeat cui donaverit. Die
Glossen (Cav., Vatic, Matrit.) verstehn die beiden Wörter schon
nicht mehr, die wir hier zusammen besprechen müssen.
Dass Hand nnd Heer die beiden ersten Theile derselben sind,
ist wenigstens höchst wahrscheinlich, wenn nicht sicher. Schwieriger
ist der letzte, beiden gemeinsamen Theil; liest man mit der neuesten
Ausgabe gawere, so hat man zwar das bekannte ahd. gaweri
investitura, rechtskräftige Uebergabe, doch hat das erstlich hier
keinen rechten Sinn und zweitens wäre das e der zweiten Sylbe
ein bedenkliches einziges Zeichen von Umlaut im Langobardischen.
Es wird also -werc zu lesen sein und das Hand- und Heerwerk
die beiden Theile des Besitzes eines Langobarden bezeichnen. An
den Gegensatz von liegender und fahrender Habe ist hier nicht zu
denken, nur an letztere ; was man sonst hergewaete nennt, die Habe
eines Mannes, zerfällt hier genauer in Hausrath und Kriegsgeräth,
2jg V. Langobarden.
denn so scheint der Sinn beider Worte zu sein. Karl Meyer in
der Germania XIX,ld7 hat in demselben Sinne darüber gesprochen.
Angargathongi (argargatbungi^ angarthungi n. s. w.). Das
schwierige Wort begegnet dreimal. Kotb. 14: si ingenuns, qnaliter
in angargathongi. Roth. 48 : qnaliter in angargatbungi, id est secon-
dorn qoalitatem personae. Dieselben Worte wiederholen sich Roth.
74 Die gl. Vatic. schreibt ingargatbugi nnd deutet dnrch sicut
appreciatus fait jaxta qnalitatem personae. Der zweite Theil ist
klar SU altn. thungr gravis, alts. githungan, ags. gethnngen tüchtig,
trefilich, ags. gethyngön gravitas^ honpr, dignitas gehörig. Den
ersten Theil hält Meyer in dem eben angeführten Aufsatze S. 137
fttr ahd, angar, nhd. Anger pratum. Wird hier der Werth der
Person nach dem Werthe des von ihr besessenen Landstücks ab-
geschätzt? recht klar ist die Sache noch nicht.
Arga, unser arg, bei Paulus diac. VI;24; dsgl. Roth. 381:
81 quis alium arga per furqrem clamaverit.
Arigaverc s. andegawerc. Bluhme denkt beim ersten Theile
entschieden falsch an ör auris.
Arimanna. Ratchis 6: Si antem amodo presumpserit cujus-
ounque servus arimanna ducere uxorem. Das Fem. des folgenden
Wortes.
Arimannus kommt mehrfach vor und bezeichnet einen Freien,
wie auch das ags. hereman; dieser Sinn liegt auch dem Namen
Hariman zu Grunde. Die gl. Gav. und Vatic. geben die Deutung
qui scutum dominicum sequitnr, später setzen die gL Gav. dazu:
arimannus homo muudus Über.
Dazu scheint auch (trotz des bedenklichen Umlauts) die merk-
würdige Form zu gehören, welche sich.Monum. Germ. XV,182 in
Liudprands notitia de aotoribus regis findet: Quoniam nos illnm
relaxavimns a livero eremmannos. Hier sagt Bluhme zu den drei
letzten Worten, dass er über ihren Sinn völlig im Unklaren sei.
Ich glaube, dass an ein „a liberis arimannis^ zu denken ist; es
wird heissen: weil wir jenes von freien Heermännem (als Steuer)
erhoben haben; illum für illud; bei relaxare ist die Bedeutung
gemäss anderen Stellen nicht auffallend ; es heisst öfters soviel als
eximere, aussondern, der Privattheilung entziehn.
Ariscild (arischild, arschild, etwas unschicklich auch arsgild).
Es kommt vor bei Verbrechen von Frauen Liudpr. 134: non potai-
mus causam istam adsimilare neque ad arischild neque ad oonsilium
msticanorum ; und ganz ähnlich Liudpr. 141 : non potuimus mulierum
collectionem ad arschild consimilare neque ad seditionem rusticano-
rorn. Die gl. Cav. uqd gl. Vatic. erklären es unbestimmt durch
V. Langobarden, 2t7
adonatio. Es ist sieber die Vereinigang der beerberecbtigten freien
Männer; der Scbild ist sebon bier als Symbol der Standesebre das
Grundwort der Zusammensetzung äbnlich wie bei den sieben Heer-
sebilden des Schwabenspiegels, ähnlicb auch wie dem Bundschuh
des sechszehnten Jahrhunderts.
Aritraibus (aritraib, haritraib, baritraibns). Das wunderbare
Wort zeigt sich nur in einer Stelle, Koth. 379: Si casa, ubi habi-
tatur, disturbaverit, componat, sicnt in hoc edictum legitur, aratrai-
bus. Man hat in dem Worte die Dreizahl finden wollen und an
Roth. 146 und 149 erinnert, wo der, welcher eine Mühle oder
unbewohnte Hütte anzündet, mit dreifachem Ersatz bedroht wird;
aber hier liegt die Sache anders. Die glossae Cavenses setzen
dazu solidos nungentos, auch in der einen Handschrift des Edicts
steht bei dem Worte sol. DCCCC. Neunhundert solidi sind aber
die auf den Mord gesetzte Strafe. Die letzten sechs Buchstaben
erinnern an die Abgabe, welche im salischen Gesetze reipus heisst,
das ganze Wort an die malbergische Glosse andreiphus, die beim
widerrechtlichen Binden eines freien Mannes steht Besserung in
mort-raibus wäre gegenüber der FtlUe von Handschriften zu kühn;
die Sache bleibt noch dunkel. Was mag der Personenname Hand
(in Corvei) und Harit (in Fulda) bedeuten? den zum Heere gehörigen
Freien? dann könnte arit-raibus das Wergeid eines Freien sein.
Andere mögen Besseres bringen.
Astalin (anstallin, aftalin). Nur Roth. 7: Si quis contra ini-
micüs pugnans collegam suum dimiserit, aut astalin fecerit^ id est
si cum deceperit aut cum cum non laboraverit, animae snae incur-
rat periculum. Die gl. Cav. und Vatic. setzen zu astalin deceptio
aut fraus. Du Gange leitet das Wort von dem folgenden asto ab.
Es kommt darauf an, ob astalin eine Eigenschaft des im Kampfe
Verlassenen oder eine Thätigkeit des Verlassenden ist; beides passt
in das Satzgefüge. Die Bedeutung deceptio oder Irans lässt daran
denken, dass der anlautende Vocal dieselbe Function hat wie in
amund. Zu erwägen ist aber auch, dass das Wort in drei Hand-
schriften mit an- anlautet und dass unser anstellen zuweilen simu-
lare bedeutet.
Asto. Begegnet öfters bei Rotbaris, Grimoald, Liudprand,
auch in der Verbindung asto animo, z. B. Roth. 146: si quis casam
alienam asto animo, quod est volontarie, incenderit, wo in einer
Handschrift über der Zeile steht „vel astuto^. Grimm in den
Rechtsalterthümern S. 4 hielt das Wort für deutsch und stellte
ähnliche Ausdrücke aus Weisthümem zusammen, welche auf anlau-
tendes h hindeuten; bd Du Gange dagegen wird hierin ^n al^-
21g V. Langobarden.
lateinisches schon bei Plantna nnd Accins begegnendes Wort gesucht,
das dann aus der Volkssprache wieder zu neuem Leben erwacht
ist. Entschieden scheint die Sache nicht zu sein.
Barbas (Var. barbanns) zeigt sich Liudpr. 145. Bei Roth.
163 heisst es: fratris sui aut barbanis, quod est patrnns. Weit
später wurden die Vorsteher der Waldenser barbani genannt Es
kann ein echt langobardisches Wort für Oheim sein, aber Sicheres
darüber ist noch nicht darzubieten.
Camfio (camphio, campio) kommt öfters vor. Camphio pugna
seu pugnator Gl. Gav. et Vatic, also sowol = ags. camp pugna
als auch = cempa bellator. Bekanntlich lateinischen Ursprungs,
aber durch merkwürdige Bedeutungsverschiebung ganz zu deutschem
Eigen thum geworden.
Elm. In der origo Langob. steht (Monura. Germ. XV,643) zu
capsidem (d. h. cassidem) im cod. Mutin. die Glosse quod nos
elmos Yocamus, wodurch also auch der Gebrauch des Wortes Helm
im Langobardischen bezeugt wird.
Faderfio (faderfyo, fadrin) dreimal bei Rotharis. In den gl.
Gay. heisst es: faderfido, quod adduxit da parentibus. Also das
ererbte Eigenthum der Braut, unterschieden von roetfio.
Faida Fehde begegnet öfters.
Fara. Bei Paul. diac. 11,9 farae im Sinne von Geschlechter.
Bei Roth. 177: liber homo potestatem habeat intra dominium regni
nostri cum fara sua megrare ubi voluerit. Die Gl. Gav. haben dazu
die Deutung parentela, die gl. Vatic. genealogia, generatio, aber
die gl. Matrit. schon falsch fara id est rebus.
Die Bedeutung Geschlecht, Familie hat das ags. iaru gleich-
falls und wir begegneten dem Worte auch schon oben in dem bur-
gundischen faramannus.
Farigaid. In der origo Langob. (Mon. Germ. 644) heisst es:
Mortuus est Wacho et regnavit filius ipsius Gualtari annos Septem,
farigaydns. Isti omnes Lethinges fnerunt. So im cod. Matr., dafür
et farigaldus cod. Gav., im cod. Mut. fehlt das Wort Im chron.
Gothanum heisst dieselbe Stelle: filius ipsius Walteri annis Vn
fargaetum, ganz unverstanden. Der Sinn des so viel ich sehe noch
nirgend besprochenen Wortes ist einfach der von Aussterben
der Familie, defectus generis; vorher sind die sieben Lethinger-
könige genannt, später folgt Audoin ex genere Gausus. Dazwischen
hat nun der langobardische Schreiber, zunächst wol nur an den
Rand der Handschrift, sein farigaidus gesetzt, von dem eben erwähn-
ten fara und goth. gaidv, ags. g&d defectus.
Fegangi (fegangit, figangit, figangi, fegangin, figangin, figan-
V. Langobarden. 219
das, fagaogi, feogandi, figang, figangitna, figaDgis, fecangit, fegaogit,
figantes a. s. w.) Das merkwürdige Wort steht an fünf Stellen
der Gesetze. Hier heisst es Roth. 253: Si quis über homo fur-
tum fecerit et in ipsam furtum temptns fuerit, id est fegangit
Roth. 291: Si für ipse super tentus fuerit, non sit figaogit, nisi
tantnm couponat sicut constitutum est. Roth. 372: Si servus regis
furtum fecerit, reddat in actogild, et non sit figangit. Grimnald 9:
pro culpa, id est fegang. Liudpr. 147: Si servus aut haldius in
farto conprehinsi fuerint et dominus eorum neglexerit eos liberare^
— sint figanges. Dazu kommt noch eine Urkunde bei Fumagalli a.
796: Si liberare neglexeriraus de quod vos detenuaeretes, tune
fegangas in vestras maneat potestatem faciendum quod voluaeretes.
In allen diesen Stellen liegt ein Compositum aus goth. faihu
und goth. gaggan vor, vielleicht aber nicht immer dasselbe, sondern
theils ein Abstractum fegang im Sinne von Diebstahl, theils ein
masculines fegangi oder fegangit, welches den als Dieb pfandweise
festgehaltenen bezeichnet, jenes wäre goth. *faihugaggs, dieses etwa
*^faihugaggja. In jenem kann man mit Grimm Rechtsalterthnmer
637 das Fortgehn mit dem Viehe (der fahrenden Habe) erblicken,
in diesem zunächst den Dieb, aber mit einer bestimmt beschränkten
Bedeutung. Ja es ist vielleicht noch ein ^aihugaggjan jemand als
Dieb ergreifen anzunehmen und in fegangit das Part. Pass. davon
zu sehn.
Feld, bei Paul. diac. I,2o; desgleichen in der origo; das
chron. Gothanum hat in campis filda.
Fereha. Roth. 300: hisclo quod est fagia; für dies fagia
giebt es die Varianten ferea, fereha, fereha, glandefera, faia; die
gl. Cav. hiezu setzen ferea = esclum, die gl. Vatic. eben so. Es iat
jedenfalls eine Art Eiche gemeint, was noch deutlicher aus solchen
Fonnen wie wereheih hervorgeht, wie sie Graff I, 127 anfuhrt.
Wir haben Bd. I, 374 lat. quercos mit ahd. foraha etymologisch
zusammengestellt; in dem langobardischen fereha hätten wir eine
an Form und Sinn dem lateinischen Worte noch näher stehende
Bildung.
Ferquido (ferquidus) begegnet im Sinne von similis öfters,
z. B. Roth. 147: damnum conponat ferquido, id est similem, ideo
quod nolens fecit; Roth. 175: reddat ei ferquido, id est similem.
Es kann nicht gut etwas anderes sein als ein verstümmeltes Part.
Pass. eines Verbums ferquidan und dies muss dem goth. fauraqvi-
than gleich stehn; schon a. 1829 fasste Leo in der Gesch. der
ital. Staaten I, 131 das Wort im Sinne von antedictum, eben-
beschrieben (ital. ditto) auf.
220 ^« Langobarden.
Fornaccar. Das Wort findet sich nur Roth. 358: de arvo
campo, qaod est fonsaccri. Es ist hier vom Stoppelacker die Rede.
VarianteD sind: fosinacecharum, fossinachar, fosangar, fumaccar,
foDsacar, fornaccar, fosnacar, fosnachar, fons accar. Die g]. Ca?*
haben fumachar id est arvo campo tuppla, die gl. Vatic. famacar
Campus non clasus, das letztere nicht zur Worterklärung gehörig.
Zieht man die Lesung fornaccar mit mir vor und erinnert man sich
an die altn. Composita mit forn- (priscus, antiquus), so scheint mit
dem Worte der Stoppelacker einfach als der alte, gewesene Acker
gefasst zu werden.
Fraida. Nur Roth. 275: Si mancipium alienum refugium post
alium fecerit, id est in fraida u. s. w.
Die Glossen ergeben hier nichts weiteres. Vgl. Graff. ni, 792
freidi profugus, goth. frei^an parcere; fraida ist ein dazu gehöriges
Substantivum.
Frea. Liudpr. 94: Si quis fream alienam sine volontatem
de mundoald ejus movere de casa, ubi inhabitat, presumpserit --.
Liudpr. 120: fream suam, qui eam male tractaverit. Also ganz =
Frea (altn. Frigg) in der origo Langob.
Fulborn. Nur Roth. 154: Si quis dereliquerit filium legiti-
mum, quod est fulborn (Var. fulboran u. s. w., in den Glossen ver-
derbte Formen) etc. Ags. fulboren nobilis genere.
Fulcfree öfters in den Gesetzen im Sinne von gemeinfrei;
mehi^mals in der Phrase fulcfree thingare für gemeinfrei erklären.
Auch hier steht das Ags. mit seinem folcfri ingenuus, liber am
nächsten ; diese öfters sich zeigenden besonders nahen Beziehungen
zwischen Ags. und Langob. sind aus oben angeführten Gründen
von grosser Wichtigkeit.
Als Fem. haben wir fulcfrea z. B. Roth. 257. Besonders zu
beachten aber ist unter den Varianten das öfters wiederkehrende
fulcfrealy fulcfrealti welches gewiss nicht zufällig falsche Schreibung
ist, sondern den Beweis liefert, dass die Langobarden auch das
goth. freihals u. s. w. müssen gekannt haben.
Gafand: Nur Roth« 247: Null! leeiat alium pro alio pignerare,
excepto illo qui gafan esse invenitur, id est coheres parens
proximior (Var. gaffant, gafant, gafandus, gafrand, cafrandes, cafono).
Gafand ist also eigentlich jemand, der vermöge seiner nahen Ver-
wandschaft gesetzlich als Mitbürge, Mithafter für einen anderen
herangezogen werden kann; Bluhme bringt im Index zu Monum.
Gtorm. XV. noch mehrere Beispiele des Wortes ausserhalb des
Langobardischen bei. Es gehört natürlich zu ahd. phantön pig-
iiorare, gaphantot, kifantoten pignoratis (Graff. III, 341), einem
V. Langobarden. 221
gewiss fremden Worte, dessen Abknnft doch immer noch nngewiss
zu sein scheint.
Gahaginm^ Gehege. Roth. 319 nnd 320 excepto gahagio
regis, andern Wäldern entgegengesetzt.
Gaida. Nur Roth. 224: Ipse ducat (den freizulassenden
Sclaven) in quadrabium et thingit in gaida et gisil (eine Hand-
schrift hat sicher falsch gaaidagisil). Vgl. auch gisil. Als Er-
klärung geben die gl. Matrit. gaida et giseleum et astnla sagittae,
die gl. Vatic. gaida et giseleum ferrum et astula sagipte; dagegen
falsch verstanden die gl. Gav. gaida casindios, gisil liberi homines.
Eben so falsch ist die Deutung von Bluhme, der an gaaida Eid-
helfer denkt. Es liegt hier vielmehr das ags. gädu (unorganisch
verkürzt gadu) vor, welches cuspis, mncro bedeutet. Paulus diac.
I; 13 giebt zu dem ehrwürdigen Branche die Erklärung: Flures
a servili jugo ad libertatis statum perducunt, utque rata eorum
haben posset libertas, sancinnt more solito per sagittam, immur-
murantes nihilominus ob rei firmitatem quaedam patria verba.
Jedenfalls werden, wenn auch nur symbolisch; dem Freizulassenden
die Waffen eingehändigt und zwar mit einem allitterirenden Spruche^
in dem gaida und gisil vorkommen. Bei den Angelsachsen werden
in den leges Guilielmi bei diesem Gebrauche lancea et gladius
erwähnt.
Gairethinx (garethinx), sechsmal bei Rotharis, einmal bei
Liudprand. Roth. 167: Si quis fratribus ^gairethinx feeerit, habeat
in antea cui factum fnerit. Roth 172: Si quis res suas alii thingare
voluerit, non absconse, sed ante liberos homines ipsum garethinx
faciat« Roth. 174: Qui garethinx susceperit, tales culpas non faciat
donatori suo, quales solent ingrati filii parentibus suis facere.
Roth. 222: Legitimam facere (ancillam) per gairthinx; Roth. 375:
Si aliquid per gairethinx^ id est donationem, conquesierit. Roth.
386: per gairethinx secundum ritus gentis nostrae confirmantes
(Bestätigung der Gesetze). Liudpr. 54: Si quis cartolam per gaire-
thinx facta aut per susceptum launigild ostenderit.
Es ist also jedenfalls eine feierliche Schenkung mit dem Worte
gemeint, obwol keineswegs eine gegenseitige, wie der hochver-
diente Bluhme will. Es ist eine geschäftliche Abmachung, bei
welcher der Speer (altn. geir, ags. gär) eine symbolische Rolle
gespielt hat; vielleicht wurde er aufgesteckt um anzuzeigen, dass
Männer des Heerbannes, des ariscild, als Zeugen dabei seien.
Gamahali. Nur Roth. 362 : Potestatem habeat in locum
mortui alium similem nominare de proximüs legitimus, aut de natüs,
aut de gamahalos id est confabolatüs. Das Wort bedarf keiner
222 ^* L&ngobarden.
Erklärung; ob danmter speciell angebeirathete Verwandte zu
verstehu sind, ist schwerlich auszumachen.
Gasindio (gasindius) regis mehrmals. Gl. Cav.: casindios
regis = qni palacio regis custodiunt.
Gastaldius oft, auch bei Paul. diac. V, 29, davon auch
gastaldatus. In den langobardischen Gesetzen noch eine der höchsten
Würden, während später die Bedeutung des Wortes sehr herabsinkt.
Zu goth. gastaldan erwerben, besitzen, haben, ahd. gastaldjo gestor,
minister.
Gawarfida? Nur in wenigen Stellen. Liudpr. 77: Omnes
judices et fideles nostri sie dixerunt, quod cawerfeda antiqua usque
nunc sie fuissit (Var. warfida, cadarfeda, cadarfida, cadarfedas,
guaderfia, catarfeda, caterfeda). Liudpr. 133: Semper et anteces-
sorum nostrorum tempore et nostro per cawarfida sie judicatam
(so) est, nam in edicto scripta non fuit (Var. quauarfeda, qua uarfita,
cadarfaeda, warfida, guarfida, wadarfida, gadarfeta). Chron. Gotha-
uum: Kothari per quem leges et justitia Langobardis est inchoata,
et per conscriptionem primis judices percurrerunt. Nam antea per
cadarfeda et arbitrio seu ritus fierunt causationes.
So viel ist klar, dass wir hier einen höchst merkwürdigen
Ausdruck haben, der bei den Langobarden das ungeschriebene
Volksrecht bezeichnet; auch die gl. Cav. haben warfida i. e. con-
suetudo. Aber wie ihn deuten? Sehn wir ab von der Besserung,
die Grimm Gesch. d. dtsch. Spr. 694 in gadawida versuchte, eine
Besserung, die nur möglich war, ehe eine kritische Ausgabe der
langobardischen Gesetze vorlag , so bieten sich zwei Möglich-
keiten dar.
Erstens, wenn gawarfida zu lesen ist, denken wir an ags«
gehveorfan ire, verti, converti und können davon diesen Ausdruck
für das Sittenrecht ähnlich ableiten, wie man lat. mos von meare
oder ritus von einer indogermanischen Wurzel des Gehens abgeleitet
hat. Das ahd hwarbida wird durch gestus, gahwarbida durch
conversio gedeutet ; das langobardische Wort entspräche etwa unserem
Verkehr.
Zweitens aber, wenn man gadarfida liest, kommen wir auf
nrdeutsch tharf indigeo, ags. thearf, gethearf, ein Wort, das mit
uralten heiligen Handlungen in unleugbarem Zusammenhange steht;
ahd. gabiderbjan heisst gebrauchen, benutzen. Gadarfida wäre also
unser Gebrauch.
Die Handschriften scheinen darauf hinzudeuten, dass auch hier
nicht blosser Schreibfehler, sondern eine im Laufe der Zeit und in
verschiedenen Gegenden eingetretene volksetymologische Umwand-
y. Langobarden. 223
lang vorliegt und dass beide Anffassungen berechtigt seien. Welche
Ton beiden die ursprünglichere ist, wage ich nicht aoszumachen.
Oisil. Die Stelle Roth. 224 8. oben unter gaida*, im Altn.
heisst gisli der Strahl und das kann wie das mhd. sträl leicht den
Sinn von Pfeil angenommen haben. Vielleicht ein ganz anderes
Wort (wenn nicht Aufklärung aus der Sittengeschichte erfolgt) liegt
vor Roth. 172: qui thingat et qui gisel fuerit, liberi sint (Geschenk-
geber und Geschenknehmer). Damit stimmen die gl. Matrit. : gisil
id est qui donum recipit. Diese Bedeutung ist sonst nirgends zu
finden; sie könnte später in die bekannte von obses übergegangen
sein und leicht auch noch den Eigennamen zu Grunde liegen; man
lege einmal diese Auffassung an die Namenbuch I, 519 verzeichneten
Formen.
Grapworfin. Roth. 15: De crapworfin (crapouurfin, rapuer,
rapuuor, grap uuorf, marauuorf etc.). Si quis sepulturam hominis
mortui ruperit et corpus expoliaverit aut foris jactaverit. Ich sehe
darin ein Femininum grapworfi das Herauswerfen aus dem Grabe*
Haistand. Nur Roth. 277: De aistandi (aistant, haistan), id
est furorem. Si quis in curtem alieuam haistan, id est irato animo,
iogressus fuerit. Natürlich zu goth. haifsts, ags. haest violentia,
contentio; vielleicht ist haistand als Participium zu fassen. Bluhme
bringt darüber Irrthümliches vor.
Hober US (hoberos; oberes, oueros, operus, oberus etc.). Roth.
278: De hoberos, id est curtis ruptura. Mulier curtis rupturam
facere non potest, quod est höheres; absurdum esse videlur ut
mulier quasi vir cum armis vim facere possit. Roth. o73: Si servus
regis hoberus — fecerit. Roth. 380: Si quis peculium suum de
clausura aliena occulte tulerit et non rogaverit, componat curtis
rnpturae, id est hoberos, solides 20* Die Glossen ergeben nichts
Näheres. Der erste Theil des Wortes ist klar; ob der zweite zu
ags. hreösan ruere, cadere oder zu lat. ruptns gehört, muss noch
unentschieden bleiben.
Hovescario. Nur Aistnlf 20: Si quis cum curte regis causam
habuerit; et evenerit, ut pars curtis regis sacramentum deducere
habeat, si major causa fuerit, per sacramentum ovescarioni (obsca-
rioni| ubiscariones etc.) cum actoribus finiatur. Es ist also der scario
(s. unten) des königlichen Hofes gemeint.
Hosa, die Hose. Paul. diac. IV, 22.
Idertzon (iderzon, hiderzon, eterzon, erzon). Nur Roth. 285:
De idertzon. Si quis sepem alienam ruperit, id est idertzon, con-
ponat solides sex. In dem folgenden Paragraphen kommen zwei an-
dere Arten Zäune vor, auf deren Verletzung aber eine geringere Strafe
224 V. Langobarden.
steht; der idertsM>n ist jedenfalls der eigentliche Bfetterzann; ags.
edor; ahd. etar sepes.
Inpans (infans). Nnr Roth. 224: Qai inpans, id est in votam
regis demittitar, ipsa lege vivat, sient et qui baamnnd factns est.
Der Ausdrack bleibt unklar. Grimm Oesch. 697 sagt: „Wenn im-
pans oder inpans votam ausdrücken soll, so ist vielleicht die Zu-
sammensetzung des ahd. unnan mit Partikeln zu berücksichtigen;
wie arpan invideo aus ar-pi-an, urpunst invidia aus ur-pi-unst, könnte
ein inpan faveo inpanst favor aus in-pi-anst entspringen^ u. s. w.
£s kommt darauf an den nicht ganz klaren Sinn der lateinischen
Worte zu erfassen; was heisst in votum regis demittere? Leicht
könnte inpans für in bannus stehn.
Lagi. Nur Roth. 384: Coxa super genuculum, quod est lagi.
Engl, leg u. s. w.
Lama. PauL diac. I, 15 mit der Uebersetzung piscina. Orimra
Oesch. 694 zieht herbei das finnische lammi lacus minor, stagnnm,
piscina und das lat. lama locus humidus, palustris, das lit. loma
locus depressus in agro. Otto Abel in der Uebersetzung des Paulus
diac. erklärt lama durch Lehm. Karl Meyer in dem oben erwähn-
ten Aufsatze S. 132 erinnert an alts. hlamön, ags. hlemman rauschen,
tosen; ein Subst. davon könne das Wasser und dann einen (nicht
rauschenden) Wasserbehälter bezeichnen. Alle diese Gleichungen
sind bedenklich mit Ausnahme des lat. lama; ungewiss bleibt, ob
hier gradezu ein lateinisches Wort vorliegt (dann hätte Paulus
geirrt) oder ein mit dem lateinischen identisches langobardisches.
Launegild (launechild, lanechil, lunicild u. s. w.) Lohngeld,
ahd. Idngeld..
Lidinlaib (Var. unerheblich). Nur Roth. 173: Si quis res
suas alii thingaverit et dixerit in ipso thinx lidinleib, id est, quod
in die obitus sui reliquerit. Der zweite Tbeil ist selbstverständ-
lich das goth. laiba, ahd. leiba, ags. läf reliquiae u. s. w., das am
Ende so mancher Zusammensetzungen auftritt. Der specielle Sinn
des Wortes ist der von ahd. tdtleiba; was ist also der erste Theil?
Man denkt zunächst an ags. liöan proficisci, ire; das könnte hier
euphemistisch den Sinn von mori haben, wie das verwandte zend.
irith sterben bedeutet. Oder liegt hier schon der Sinn von ahd.
Itdan pati leiden vor?
Marahworfin. Roth. 30: De marah worfln. Si quis homlnem
liberum de caballo in terra jactaverit. Roth. 373: Si servus regis
hoberus aut wecvorin seu marahuorf fecerit. Der Sinn ist klar; es
heisst das Herabwerfen vom Pferde und ist gebildet wie das oben
erwähnte griqtworfin.
V. Langobarden. 225
Marpahis, Paul. diac. II, 9; VI, 7. Dazu gl. Cav. marphais
id est statutor, gl. Vatfc. marpaheis strator. Grimm Gesch. d. dtsch.
Spr. 693 hat dieses langobardische Hofamt zuerst richtig gedeutet
aus ahd. marah equus und ahd. beizan, ags. baetan frenare.
Mas ca. Roth. 197: Si quis eam strigam, quod est mascam,
clamaverit. Roth. 376: Strigara quam dicunt mascam. Maske scheint
ursprünglich Gespenst oder Hexe zu bedeuten, unser Maske hat
die abgeleitete Bedeutung von Hexengesicht oder dergleichen; vgl.
GraflF II, 877.
Meta begegnet öfters; dieses Wort, das ahd. miata, ags. m6t,
bezeichnet langobardisch speciell das Geschenk, welches der Bräuti-
gam der Braut giebt. Bei Aistnlf 14 wird mehrmals meta und
morgineap verbunden.
Metfyo (mithio, meffio) mehrmals, = bona metae nomine uxori
quaesita. In den Glossen wird das Wort durch arre erklärt; zur
arra nuptialis vgl. namentlich Du Gange.
Modola. Roth. 300: Quercum quod est modola. Das Wort
ist sonst ganz unbekannt, auch bei Du Gange begegnet kein anderes
Citat. Grimm hält dazu Gesch. d. dtsch. Spr. 696 das mednla, medela
des alamann. Gesetzes 96 für das eichene Wagenholz.
Mordh (morth u. s. w.) Mord, dreimal bei Rotharis.
Morgingab (morgineap u. s. w.) Morgengabe, mehrmals.
Muudium (mundius) sehr oft; die Mundschaft, davon z. B.
mundiare, mutidiator. Ganz deutsch ist die Zusammensetzung:
Mundowald (mundoald) der Vormund, noch nicht bei Rotharis,
wol aber bei Liudprand und Aistulf ; im Ags. wird der Begriff durch
mundbora ausgedrückt.
Murioth (morioth u. s. w.) Roth. 384: Si quis homini libero
brachium super cnbitum, hoc est murioth, ruperit. Graff II, 846
fuhrt aus den Glossen Salomons murioth und murigot an, welches
dort aber mit diech (also Oberschenkel) übersetzt wird; überdies
könnte leicht jene Glosse selbst aus dem langobardischen Gesetze
entnommen sein. Sonst ist das Wort ganz unbekannt, auch Du
Gange (unter morioth) kennt keine weiteren Stellen. Auch Grimm
Gesch. 696 weiss nichts zur Erklärung beizubringen. Vgl. unten
treno.
(Orbitaria Roth. 26 hältBluhme im Index für deutsch; doch
ist das Wort wol lateinisch; man sehe bei Du Gange orbita via
publica, orbitare recurrere, redire).
Plodraub. Nur Roth. 14: Si expolia de ipso mortuo tulerit,
id est plodraub. Plodraub (Blutraub) ist Raubmord, rairaub die
Beraubung einer Leiche.
FÖrttemann, GescA. d. d, Sprachstammes, IL 15
226 ^* Langobarden.
Plovam. Nur Roth. 288: Si qais plovum aat aratmm alienum
iniqao animo capellaverit, coDpoDat eolidos tres. Es scheinen also
zwei Arten von Pflügen gemeint zu sein, deren Unterschied uns
aber entgeht, vielleicht ein romanischer und ein germanischer Pflug.
Pollen US, nur Liudpr. 137. Unser Füllen, doch mit merk-
würdiger Mischung zwischen dem Stamme von ndiXog puUus und
der deutschen Bildung.
Pulslahi (Var. pluslais, pluscla, puslai etc.). Nur Roth. 125:
Si quis servum alienum rusticanum percusserit, pro unam feritam,
id est pulslahi, si vulnus aut libor apparuerit, conponat solido medio.
Wol zu ahd. biula, ags. ,byle Beule. Bulislegi begegnet auch im
ripuarischeu Gesetz 19; desgleichen pulislac im alamannischen und
bairischen.
Rairaub (trairaub etc.). Nur Roth. 16 : De rairaub. Si quis
hominem mortuum — invenerit — aut spoliaverit. Goth. hraiv Leiche
u. s. w., ahd. hreoroup.
Sala Sal, Wohnung, Roth. 133 und 136.
(Saltarius ist wol lateinisch. Liudpr. 44 : decauus aut salta-
rius qui in loco est. Liudpr. 83: judex vel sculdahis aut saltarius.
Liudpr. 85: decanus aut saltarius. Bei Du Gange wird saltarius
durch villicus, custos praedii angeführt und aus saltuarius gedeutet,
daneben auch ein ogeo^Xa^ oder 6Qog>vXa:^ erwähnt. Vielleicht
steckt in saltarius ein deutscher marcward).
Saumae Gepäck; Liudpr. 83 :tollant ad saumas snas cavallos
sex. Zu ahd. säum u. s. w.
Scala, Paul. diac. I, 27, Trinkschale.
Scamara. Nur Roth. 5 : Si quis scamaras caelaverit aut anouam
dederit. Dazu gl. Cav. scamara furones, gl. Vatic. scamara furto.
Das Wort begegnet auch bei Menander de legatt., Eugippius und
Jornandes; s. Graff VI, 497; Grimm Gesch. 695. Ist das Wort
deutsch, so lässt es sich vielleicht mit jenem scam parvus vereinen,
das ich im Namenbuche am Anfange von Ortsnamen nachgewiesen
habe und das wol seinerseits mit goth. skaman schämen u. s. w.
in naher Verbindung steht. Die Art des Begriffsüberganges freilich
lässt sich noch nicht darlegen, doch Hesse sie sich denken.
Scara Schar begegnet im Langobardischen erst sec. 9, z. B.
a. 851 (Monum. Germ. XV, 221), doch wird das frühere Vorkommen
des Wortes dargethan durch dä& abgeleitete scario, Anführer einer
Schar; vgl. auch das zusammengesetzte hovescario.
Scilpor^ Paul. diac. II, 28, Schildträger, erweicht aus scildporo.
Sculdhais (sculdahis, sculdais) oft in den Gesetzen, auch bei
Faul. diac. VI^ 24. Das bekannte ahd. sculdheizo, ags. scyldh&ta.
V. Langobarden. 227
Der laDgobardische sculdbais hat eine geringere Würde als der
gastaldias.
Silpmundia (seipmaudia). Nur Roth. 204 : Naili mulieri liceat
in sui potestatem arbitrium, id est selpmundia vivere. Von diesem
klaren Worte hat das Lübisehe Recht ein abgeleitetes silfmundich.
Snaida. Roth. 240 nnd 241 : Si quis — signa nova, id est
ticlatara aut snaida in silva alterius fecerit et snani non adproba-
verit. Diese eingeschnittenen Zeichen in die Bäume scheinen nichts
anderes als die Haus- nnd Hofmarken za sein.
SogaS; d. h. fanes. Nur Roth. 291 : Si quls sogas fnraverit
de bovis junctorios. Dieses Wort, über das sich bei Du Gange
mehrfache Citate finden, soll noch in Verona gelyraucht werden.
Es scheint langobardisch zu sein, obgleich sich seine eigentliche
Verbindung mit dem deutschen Sprachschatze noch nicht findet.
Sonorpair. Nur Roth. 351: Ipse dicitur souorpair, qui omnis
alius yerres in grege battit et vincit. Der erste Theil ist das ags.
sunor grex. Eine einfachere Gestaltung findet sich in der lexÄngl.:
scrofas aex cum verre, quod dicunt sön, eine andere Ableitung in
der lex Ripuar. : Sonesti id est duodecim equas cum admissario.
Der zweite Theil ist das bekannte ahd. ber, ags. bär verres. Die
von Orimm Gesch. 695 erwähnte Variante sonorpaiz findet sich jetzt
in der kritischen Ausgabe nicht. Die Anmerkung Monum. Germ.
XV,80 bietet hienach nichts Neues.
Stantaria? Nur Roth. 287 :Si quis de sepe stantaria n. s.w.
Es scheint ein Zaun von Ständern zu sein, die durch Flechtwerk
verbunden sind; dann kann das Wort füglich deutsch sein. Bei
Du Gange wird wol mit Unrecht die Lesart stangaria vorgezogen,
übrigens aber ausser dieser einen Stelle keine andere angeführt
Stolesaz begegnet nur Roth. 150. Dazu gl. Cav. id est qui
ordinat conventum. Das chron. Salem, erklärt: qui ante obtutus
principis et regis milites hinc inde sedendo perordinat. Das Wort
bedarf weiter keiner Erklärung; eine Stuhlsetzerin giebt es noch
in den Kirchen von Danzig.
Thingare und thinX; davon auch einmal thingatio, sind öfters
gebrauchte Wörter^ die etwa pacisci und pactum bedeuten. Thin-
gare heisst etwas geschäftlich abmachen , thingare alicui jemand
etwas durch geschäftliche Abmachung übertragen, thiux die Ab-
machung, daher auch öfters die Schenkung. Unser bedingen steht
dem thingare ziemlich nahe; die Hausfrauen bedingen etwas beim
Einkauf auf dem Markte.
Threno (treno). Nur Roth. 384: subtns cubitum, quod est
treno ; dazu gl. Vatic. : erino (so) subtus cubitum. Nirgend erscheint
16*
228 V. Langobarden.
dies Wort, zu dem man das obige murioth vergleiche, sonst weiter;
auch bei Du Gange findet sich kein Beispiel. Grimm Gesch. 697
erinnert an das lit. trainys der Hinterarm am Wagen (der Arm an
der Hinteraxe) ; ich möchte auf diese Verbindung nicht so viel geben.
Altn. thrennr triplex würde eher auf die drei Knochen des ganzen
Arms als auf die beiden des Unterarms passen ; gern möchte man
treno (mit Anlaut wie troctingi) zum Tragen (oder Ziehen) stellen,
für das der Unterarm das eigentliche Werkzeug ist. Dunkel und
dadurch äusserst anziehend bleiben treno und murioth noch immer.
Threus. Nur Roth. 157: De eo qui de filio naturale gene-
ratus fuerit, quod est threus. Dazu Papias: treus libertus. GL vet.:
threus id est tertins. Gl. Ca?. : threus homines meciani, qui non
sunt nobiles. Gl. Vatic: threus disparilis seu ignobiliter natus, qui
etiam dicitnr notus, ammissarius naturalis. Auch bei Du Gange
findet sich keine weitere Aufklärung. Sind die beiden letzten
Laute nicht bloss lateinische Endung^ so kann man an goth. thriutan
denken, das auslautende n wäre weiter nicht auffällig; altn. thrjötr
heisst vir contumax, qui officio suo deest, homo nequam. Dunkel-
heit waltet auch hier.
Treuua fides, foedus, pactum, noch nicht bei Rotharis, wol
aber bei Lindprand; man sagt treuuas ponere, rumpere, tollere;
allgemein verbreitetes und bekanntes Wort.
Troctingi. Nur Aistulf 15: Dum quidam hominis ad susci-
piendum sponsam cujusdam sponsi cum paranimfa et troctingis
ambularent. Es sind also die Brautführer, und das Wort gehört zu
ahd. truhtin, ags. dryhten. Merkwürdig ist die Glosse Troctingin
id est arsenicum; der von Griechen umgebene Langobarde wollte
sagen, es sei das Masculinum zu paranympha.
Tubrugi bei Paul. diac. IV,2d super quas (hosas) equitantes
tubrugos birreos mittebant. Dies Wort, das auch sonst mlat. als
tubrucus, tubracus vorkommt, ist von Grimm Gesch. 695 wahr-
scheinlich richtig aus ahd. diohpruoh, ags. theohbröc lumbare
erklärt worden.
Wadia im Sinne von pignus conventionale öfters, zuweilen
verbunden, per wadia et fideijussorem. Goth. vadi u. s. w.
Walopauz (Varr. Qualapaus, walpauz u. s. w.). Nur Roth.
31 : Si quis homini libero violentia injuste fecerit, id est walopaus,
octugenta solidos ei conponat. Walopaus est qui se furtim vesti-
mentum alium indnerit aut se caput latrocinandi animo ant faciem
transfiguraverit. Was heisst also walopauz, Gewaltthätigkeit oder
Vermummnng? Im letzten Theile liegt doch wol, wie bereits
erkannt ist, unstreitig ahd. bauzan tnndere, das deutet auf den
y. Langobarden. 229
Sinn von Gewaltthat. Aach der erste Theil, wol zu wal strages,
caedes spricht dafür, walopauz ist ein kämpfendes Zusammenstossen,
das eben nnr in den Krieg gehört, im Frieden Verbrechen ist. Und
nun erkläre ich den zweiten Theil des Gesetzesso, dass auch bei
denjenigen, die sich bloss zum Zwecke solcher räuberischen Gewalt-
that das Haupt entstellt oder vermummt haben, dieselbe Strafe
eintreten soll. Hiesse das Wort dagegen Vermummung, was ich
uicht glaube, so müsste man wol im ersten Theile zunächst an walh-
peregriuus denken.
Waregang (waregango etc.). Nur Roth. 367: Omnes ware-
gang, qui de exteras fines in regni nostri finibus advenerint. Bei Du
Gange begegnen die Formen uarganus, warengangi, garagangi. Auch
hier liegt wieder zunächst ein ags. Wort, vergenga, värgenga advena*
Wegworin. Roth. 26: De wegworin id est orbitaria. Si quis
inalieri liberae aut puellae in via se anteposuerit ant aliqua injuria
intolcrit, noningcntos solidos conponat. Roth. 373: Si servus regis
hoberus aut weevorin seu marahuorf aut qualibit alia culpa minorem
lecerit — . Zu ahd. weg via und werran corrumpere; orbitari s. oben.
Wergeid (wirgild, wirigild), das bekannte Wergeid. Als das
goth. vair vir nicht mehr verstanden wurde, trat Volksetymologie
ein und wir haben in den jüngeren Handschriften die Formen
widrigild, guidrigild, worüber Meyer in der Germania XIX,ia3 aus-
führlicher handelt. Dieselbe Volksetymologie ist auch ins ripua-
rische und andere fränkische Gesetze eingedrungen, vielleicht also
erst mit den Franken nach Italien gekommen.
Vurdibora (wirdebora, jüngere wiederum volksetymologische
Form widerbora). Roth. 222: Si quis ancillam suam propriam
matrimonio voluerit sibi ad nxorem — , debeat eam libera thingare,
sie libera, quod est vurdibora. Ganz ähnlich Lindpr. 106. Das
Wort bedeutet also ebenbürtig, zu ags. vyrö, vyröe dignus, hono-
rabilis n. 8. w. Vgl. ags. thegenboren, ceorlboren.
Wifare. Liudpr. 134: Wifamus et expellimus enm de ipsum
locum per virtutem ioras. Liudpr. 148 : Si quis ex sua auctoritate
terra aliena sine puplico wifaverit, dicendo, quod sua debeat esse.
•Wifa (jedenfalls goth. vipja Kranz, Krone) ist auch sonst das Zeichen
des Besitzes^ z. B. lex Bajuv., gniffare bedeutet auch in späteren
langobardischen Gesetzen das Zeichen des Besitzes anbringen;
vgl. Du Gange.
Zava (wol zäva). Nur Ratchis 10: Per singulas civitates mali
hominis zavas et adanationes contra judicem suum agendum facie-
bant. Sollte das nicht das goth. Fem. teva (Ntr. tevi) Ordnung,
Abtheiiung, Schar von funfzigeu sein?
230 ^* Langobarden.
Weiter ist ein Blick zunächst auf die langobardischen Personen,
namen zu werfen, doch müssen wir uns wieder bescheiden aas
schon angeführten Gründen keine genaue Grenze zwischen ein-
heimischen und fremden ziehn zu können. Unter das Jahr 800
dürfen wir vollends nicht herabgehn ; das wäre nur in einer Mono-
graphie möglich, die mit dem Räume zu weiteren Auseinander-
setzungen nicht zu sparen braucht. Wir geben hier wieder ein
Verzeichniss zuerst von solchen Namen, die entweder in ihrer
Totalität anderweit bekannt sind oder deren einzelne Theile wir
wenigstens aus andern deutschen Mundarten schon kennen:
Acipert, Agiprand, Agilmund, Agilulf oder Ago, Aio, Ahistnli,
Alachis (sec. 6. = Algis sec. 8?), Älaman, Alamund, Albisinda,
Alboin, Aldo^ Amalong (Paul, diac, wol ein Gothe), Ansa, Ansprand,
Appa, Argaitus, Amefrit, Adelperga, Adalulf, Otto (sec. 8 lange-
bardisch?), Antpert, Auf usus, Autharis, Audoin.
Peredeo, Berthari (Pertari), Berto, Billo, Baodolin (langobar-
disch?), Prandulus.
Gunipert (Var. Gunincpert).
Evin, Ibor.
Fache, Faro, Faruald, Ferdulf.
Gaidoald, Gaidulf, Gaila, Geldehoo (vgl. den Burgunder Gundioc),
Garibald (sec. 7, wol nach dem früheren Baiemfursten genannt),
Gisa, Gisulf, Giselbert^ Godipert, Godehoc, Godescalc, Grasulf,
Grauso, Grimoald, Gumpert, Gundeberga.
Aripert, Aricfais, Arioald, Ariulf, Atto (sec. 7, Ado sec 8),
Helmichis, Hildeprand, Hilderich, Hilzo^ Ramning, Rhodanus, Rotba-
rit (-s), Rodelinda, Rodoald, Romilda, Romuald.
Leupichis, Liudepert, Liutperga, Liutprand.
Mammo, Mimulf, Mnnichis.
Nanding, Nozo.
Ratperga, Rattruda, Ratchis, Ratchait, Ragilo, Rachipert, Ragin-
pert^ Ranigunda.
Scauniperga, Sigiprand, Siguald, Sesuald.
Taso, Tasia, Tato, Theoderada (langobardisch?), Transamund
(Thrasamund), Tunno.
Unulf.
Wacho {Ovdxrjg), Walchari, Waldipert, Waltari, Walderada,
Wamefrid, Vectari, Winigis, Ulfari.
Zotto.
Sehn wir von alle diesen Namen ab, obwol über einige von
ihnen noch allerlei zu sagen wäre, so bleibt doch noch immer eine
Zahl von etwa zwanzig langobardischen Personennamen übrig, die
V. Langobarden. 231
sonst ganz unbekannt sind und deshalb Schwierigkeiten bieten,
die wir zum Theil noch durchaus nicht zu lösen wissen. Es sind
das folgende:
Aurona, fem. des 8. Jhdts.; gehört entweder zu dem Stamme
AUR, für welchen ich Nbch. I, 183 eine ziemliche Anzahl deut-
scher Beispiele beigebracht habe, und hat dann bloss eine roma-
nische Endung angenommen, oder der Name ist ganz als undeutsch
anzusehn; recht vereinzelt ist er jedenfalls.
Pemmo/ jedenfalls eine sonst kaum begegnende Koseform bei
Paul, diac, die aus mehr als einer Quelle (sogar z. B. aus Beriman,
Berimod u. s. w.) entsprungen sein kann; mit dem bairischen Pammo
des 9. Jhdts. hat sie wol nichts zu thun; doch siehe Seite 237.
Caco sec. 7, steht mit einem 735 begegnenden fränkischen
Cachihard bis jetzt im deutschen Sprachschatze ganz vereinzelt da.
Die Lautverhältnisse beider Mundarten gestatten das Ausgehn von
einem urdeut.schen Stamme GAG; einen Philegagus bei Procop
könnte man für dessen Vorkommen als zweiter Theil anführen.
Zunächst denkt man an eine Nebenform der Wurzel GANG, die ja
auch in den Namen gebräuchlich ist; auf solcher Nebenform scheint
auch die Praeposition gagan contra zu beruhn.
Claffo und Clef, jener der Name des sechsten, dieser des zwölften
Langobardenkönigs, müssen sprachlich identisch sein. Altn. klappa,
ahd. claphon, ags. clappan mit der Bedeutung des Schiagens scheinen
dem Worte zu Grunde zu liegen; sollte das Schlagen schon bei den
Langobarden wie bei uns im Sinne des Siegens gefasst worden sein?
Frocho, eine sonst gar nicht begegnende einfachere Form zu
dem ahd. fruohhan austerus, altn. froekinn strenuus, ags frecen
austerus, asper, das den bekannten Namen Fruochanger, Fruohan-
sinda und Frochonolf zu Grunde liegt.
Gambara, jene fabelhafte Grossmntter des ersten Langobarden-
königs, mnss das ahd. gambar strenuus enthalten, das sonst in
Personeonamen nicht vorkommt, eher in Sigambri oder Gambrivii.
Hersemar, bei Paul. diac. VI, 51, steht ganz vereinzelt; viel-
leicht nur eine verderbte Lesung statt Horsemar, das sich dann
zu Horsa, Horsemuat, Horserat und üorswine fügen würde.
Lamisio (Lamissio), der zweite Langobardenkönig, soll bekannt-
lich von der lama piscina den Namen haben, aus der er gezogen
wurde. Eher sieht es aus, als läge dem Namen ein sonst ver-
schollenes Neutrum ^lamis zu Grunde, das durch Suffix -jan er-
weitert ist.
Lethu oder Leth, der dritte Langobardenkönig, in der ersten
Hälfte des fünften Jahrhunderts, muss zu den Namen gehören,
232 ^* Langobarden.
welche das altn. leiör^ ahd. leid, ags. läö enthalten. Es fällt auf,
dass das aij gegen welches die Langobarden sonst keine Abneigang
gehabt haben, hier durch e vertreten wird; das mag auf einer
besondern Mundart beruhen; übrigens schreibt das chron. Salemi-
tanum (Monum. Germ. V,51l) wirklich Laitu. Der Sinn könnte
etwa der von infestus sein. Könnten wir in jener Zeit Einfluss
gothischer Lautverhältnisse annehmen, so böte sich das goth. unleds
pauper dar, Lethu hiesse der Reiche.
Massana, die Frau des Königs Clef bei Paulus 11^31, scheint
nur eine falsche Lesart für Ansana zu sein^ das als Variante vor-
kommt und weiter keine Schwierigkeit macht.
Nuntio, ein bei Fredegar vorkommender Langobardenfährer
aus sec. 6, scheint falsche Lesart oder gar kein langobardischer
Name zu sein.
Obthora. König Rotharis im Eingange seines Gesetzbuches
zählt die bisherigen Könige seines Volkes auf, in deren Reihe er
als der siebzehnte erscheint Da er von keinem seiner Vorgänger
abstammt, liegt es ihm daran, sich auch mit einer stolzen Ahnen-
reihe einzufuhren und erwähnt seine elf directen Vorfahren, so dass
er stattlich als der zwölfte erscheint. Unter diesen zum Theil
wunderbaren Namen, unter denen gegen das sonstige Verhältniss
acht abgeleitete und nur drei zusammengesetzte sind, erscheint als
der des ersten Stammvaters unser Obthora. So haben zwei Hand-
schriften, eine dritte liest Ustbora, eine vierte Obbora; ganz un-
brauchbar ist die Lesart Uuifthor in einer fünften und gar ut bet-
fit bora in einer sechsten.
Es muss hier ein Name von besonders hohem Klange vor-
liegen; Obbora erinnert an altn. upborinn, z. B. in HyndluljoÖ:
lata uppbornar aettir stirpes recensere, edere; Ustbora könnte den
im Osten Geborenen ausdrücken; bora wäre wie in ahd. eliboro
alienigena zu verstehn. Aus Obthora ist wol kaum ein passender
Sinn herauszufinden. Am besten scheint es ein Upbora gradezn
im Sinne von Stammvater anzunehmen.
Subo bei Paul. diac. ist ganz unerklärt und vielleicht falsche
Lesart.
Thaloard, Langobardenführer bei Fredegar, lässt sich nur
fassen als ungenaue Schreibung für Taloard und gehört dann zu
den Namen des Stammes DAL.
Theudelapius, Herzog von Spoleto bei Paul, diac, und der
mit ihm höchst wahrscheinlich verwandte Wachilapus, der ein
Jahrhundert später nach derselben Quelle dieselbe Würde bekleidete,
stehn in Bezug auf den zweiten Theil ihres Namens im gesammten
V. Langobarden. 233
atschen Namenschatze vereinzelt da. £iu Laboald des achten
d ein Labolt des neunten Jahrbanderts scheinen dasselbe noch
bekannte Element zu enthalten.
Weo (Var. Weho, Wecho', Weio) ist in dem schon oben er-
ihnten Stammbaume des Kotharis der siebente Vorfahr desselben,
^enkt man, dass bei Paulus und schon in der origo für Frija
n goth. freis Frea steht, so kann ein Vtha zu goth. veihs sanctus
cht langobardisch Weho, Weo sein. Der Zeit nach könnte die
)bung des Namens sehr wol mit der Einführung des Ghristen-
ims in diesem Geschlechte zusammenfallen und von ihr veranlasst sein.
Weilo (Var. Wehilo, wechilo) ist der Sohn des Weo, also
r sechste Vorfahr des Rotharis. Da liegt nichts näher als dass
r ihn als das Deminutivum von jenem ansehn und darin ein
•thisches Veihila erblicken.
Zaban ist als langobardischer Name des sechsten Jahrhunderts
3hrfach beglaubigt. Das kann doch nicht etwa altn. tafn victima,
stia sein?
Zangrulf bei Paul. diac. muss zu ahd. zangar mordax gehören,
A sonst in Namen gleichfalls unerhört ist.
Zuchilo endlich ist bei Paulus derselbe Bruder des Königs
ito und Vater des Königs Wacho, welcher vor dem Edict des
)tharis den Namen Winigis oder Unigis hat. Die Verbindung
/ steht im Lango bardischen öfters für ^t; es könnte also hier
Q Tugila vorliegen, das sich zu goth. tiuhan stellen würde. Be-
iukt man nun, dass ags. geteöhan auch educare, teöhh fructus,
oles, suboles heisst, so dürfte Zuchilo füglich ein dem Kinde
^ebener Name sein, der etwa unserm weiter abgeleiteten Zögling
itspräche.
An diese merkwürdigen Personennamen schliessen wir nun
chs noch merkwürdigere Geschlechternamen, die sämmtlich in
m Genealogien der langobardischen Könige vorkommen. Wir
hren sie in chronologischer Folge an.
Gugingns (Var. Gungingus); ex genere G — heisst der erste
Btngobardenkönig Agilmund. Grimm in seinem hohen Fluge hat
esch. d. dtsch. Spr. an den göttlichen Speer Güngnir gedacht,
elcher Sieg verlieh und Alle, über die er geworfen wurde, dem
}de weihte. War er, so fragt Grimm weiter, von Wodan einmal
^m Ahnherrn der Gunginge verliehen worden? Ich ziehe lieber
e Lesart Gugingus vor, da sich ein deutlicher Stamm GUG sowol
1 ersten als zweiten Bande des Namenbuches ergeben hat; ist
)r Stamm mit langem Vocale anzusetzen^ so fügt sich auch dazu
234 ^* Langobarden.
das altn. Gygr, eiD RiesinDeDname, und gygr das Beil. Weiter auf
den Grund können wir der Sache noch nicht kommen.
Auf den zweiten König Lamisio folgen sieben Letfainger, zur
Familie des Königs Lech gehörig; dann beisst es
Audoin ex geuere Gausus. Das kann nur für Gauzus stehn
wie etwa marpahis oder sculdahis ihr s für % haben. Gauzus aber
bedeutet sicher einen von gothischer Abkunft, mit der bekannten
Steigerung des Vocals, wie wir sie in den nordischen Gautar sehn;
vgl. den Stamm GAUD in meinem Namenbuche. Danach sind also
Audoin und sein Sohn Alboin keineswegs echte Langobarden, sondern
aus gothischem Stamme, gcwissermassen schon dadurch zu Wieder-
erweckeru des ostgothisehen Reiches in Italien berufen.
Nach Alboins Tode kommt zur Regierung Clef ex genere
Beieos (Var. Belleos, Ueleos, Belehos, Peleus). Das ist wiederum
ein echter Langobarde; dafür spricht erstens, dass er aus der
Hauptstadt Pavia stammte, zweitens aber sein Name, welcher mit dem
des älteren Königs Claffo identisch ist. Aber aus Beieos ist nichts
zu machen. Die Handschriften sind sehr verderbt in diesen Namen;
sollte es möglich sein statt Beieos Geldehoc zu lesen, so wäre
Clef ein Nachkomme jenes dritten Königs Leth und das wäre höchst
passend.
Nach Clef besteigt sein Sohn Authari den Thron; dann folgt
Agilulf Turingus ex genere Anawas, also wiederum einer, der aus
jenen verschiedenen Völkertheilen stammt, die sieh den Langobarden
angeschlossen haben. Aber was ist Anawas? die Varianten lauten
Anawam, Anawand, Anauai, Anaus. Ich muss gestehn, dass diese
Formen mir gänzlich unerklärlich sind.
Auf Agilulfs Nachfolger Adalwald wird Ariold ex genere Canpns
König; die Varianten sind hier Gaupus, Caupus, Campus; auch
hier sind zwar Anklänge im Altn. und Ags. vorhanden, aber eine
irgend wahrscheinliche Vermuthung will sich noch nicht darbieten.
Ariolds Nachfolger ist dann der bekannte Rotharis ex genere
Harodus (Arodus). Darin kann nicht gut etwas anderes liegen
als der alte Volksname der Harudes und das wird um so wahr-
scheinlicher, als dieses Volk von Ptolemaeus auf der cimbrischen
Halbinsel, von dem monnmentum Ancyranum neben den Cimbern
genannt wird. Das weist recht auf die niederelbische alte Heiroath
der Langobarden hin.
Die Betrachtung dieser Namen von Geschlechtern führt uns
hinüber zu dem der Langobarden selbst. Ich gehe davon aus,
dass sie zunächst nur einfach Barden (wol Bardas) geheissen haben.
Der Bardangavi und die Stadt Bardanwich haben, so oft sie auch
V. Langobarden. 2S5
seit dem aehten Jahrhundert vorkommen, nirgends eine Spur von
dem ersten Theile des Namen; das Volk selbst wird öfters, z. B.
einmal bei Paul, diac.^ dann bei Ad. Brem. und sonst mit Bardi
bezeichnet; im chron. Salem, heissen sie einmal Vardigenae. Anf
viel ältere Zeit führt die Form HeaÖobeardnas, die im Beovulf
öfters begegnet; man kann im ersten Theile ags. heaöo pugna sehn,
80 dass also die Bardi bellicosissimi des Uelmold herauskämen,
allenfalls auch ags. heaöu Hochfluth, Meer, mit welchem Worte
auch die Landschaft Haduloha (Hadeln) südlich von der Elb-
mündung, also in der Nachbarschaft der alten Langobardensitze,
zusammenhangen mag. üeissen sie aber zunächst bloss Barden,
so ist an die Deutung durch Langbärte nicht mehr zu denken, wie
auch Grimm in der Gesch. d. dtsch. Spr. 689 dagegen seine Be-
denken äussert. Solche eiLfache unabgeleitete Namen brauchen
kaum weiter aus dem Deutschen gedeutet zu werden; sie können
schon aus der asiatischen Urheimath mitgebracht worden sein. Es
mag an die Farthava erinnert werden, die auf den Inschriften des
Darius vorkomn^n, das älteste Zeugniss der später so berühmten
Parther; steht die anlautende Tennis etwa für Aspirata (wie das
griechische Lautgesetz solche Umwandlung verlangt), so stimmen
Parthava und Bardi genau. Auf die ähnliche Einstimmung zwischen
Frisii und Persae habe ich schon an anderem Orte hingewiesen.
Grimm bringt eben so die Sachsrn mit den Sacae zusammen, auch
Kimmerier und Kimbern werden an einander gehalten. Da mag
auch die hier aufgestellte Gleichung der Namen (durchaus nicht
der Völker) sich blicken lassen.
Was ist nun aber der erste Theil der Langobardi? An den
alten Bardengau stösst um den Zusammenfluss von Leine und Aller
der Lainga^ wahrscheinlich aus Laginga entstanden, doch nicht
sicher; an diesen möchte Hammerstein der Bardengau S. 73 den
ersten Theil der Langobarden knüpfen; es wären vielleicht Laginga-
barden. Oder soll man den sinus conterminus Cimbris herbeiziehn^
den Plinius Lagnus nennt? Dieser Busen könnte eben so gut die
Elbmünduug sein wie man ihn im Kattegat oder im Busen zwischen
Schleswig und Rügen gesucht hat.
Spuren des einfachen Namens Barden in andern Ortsnamen
könnten vorliegen in Bardonhusen (sec. 9) jetzt wol Barnsen im
Lüneburgischen; eben so in Partunlep, wahrscheinlich Parleip, nord-
westlich voii Magdeburg. Andere von mir im Namenbuche ange-
führte Oerter mit Bardin-, Bardon- können eher auf einen Personen-
namen Bardo und dadurch nur mittelbar auf das Volk zurückführen.
Zu dem zusammengesetzten Namen Langobardi gehört dagegen vor
236 V. Langobarden.
allem die Langobardia (Lombardei), auch das Lankbarthalanti
auf einer Runen Inschrift. Ferner Lancpartheim, (sec. 8), jetzt
Lampertheim, nordwestlich von Strassburg, dann Langobardonheim,
(sec. 9) bei Worms, endlich auch wol Laraperdem (sec. 11), jetzt
Lampeden, Larapaden im Kreise Trier. Die Lage der drei Oerter
scheint darauf hinzudeuten, als hätten Theile der Langobarden den
Versuch gemacht, den Burgundern nach Gallien zu folgen.
Es fragt sich ferner, ob nicht auch Ortsnamen aufzuspüren sind,
die auf langobardischer Namengebung beruhn, ohne grade an den
Volksnamen selbst anzuknüpfen. Von solchen Ortsnamen weiss ich
nun in Deutschland oder Ungarn keine Spur; dazu hat das Volk
sich überall zu kurz aufgebalten; zum Theil auch, wie wir oben aus
den Quellen sahen, gradezu im offenen Felde gewohnt. Anders
dagegen steht es in Italien, namentlich in Oberitalien, wo die Nieder-
lassung eine dauerndere und geordnetere war. Wir können das
wenigstens aus einer für suevisches und somit für langobardisches
Wesen besonders charakteristischen Ortsnamenendung schliessen,
die schon früher in dieser Beziehung von mir erwähnt wurde; ich
meine die Endung -ingen. Giovanni Flechia hat zu Turin 1871 eine
Schrift erscheinen lassen: di alcune forme de' nomi locali delF Italia
superiore. Hierin werden von Seite 94—101 auch die in Oberitalien
nicht seltenen, weiter nach Süden verschwindenden Namen auf
-engo von ihm behandelt. Er sucht dieselben an der Hand meines
Namenbuches als deutsch, speciell als langobardisch darzutbun and
das ist ihm ohne Zweifel gelungen, indem er die deutschen Per-
sonennamen nachweist, die in den meisten Fällen den Kern dieser
Namen bilden. Ich kann hier nicht in die Einzelnheiten von den
Untersuchungen Flechia's eingehn, noch auch abweichende Ansich-
ten zu begründen versuchen, sondern beschränke mich darauf ein
Verzeichniss der in jener höchst verdienstlichen Arbeit besprochenen
Formen darzubieten, aus dem schon ihr deutsches Wesen und das
hohe Interesse hervorgeht, das der Gegenstand bietet:
AsnengO; Barbengo, Bardenghi, Barengo, Berardenga, Berlenga
(Berlingo), Bolengo^ Brunenghi, Brusneugo, Busonengo, Ghislarengo,
Giflenga, Giordanengo, Gonengo, Gossolengo, Gottolengo, Guilengo,
Landarenca, Luvinengo, Marengo, Mariingo (Merlengo), Martinengo,
Marzalengo (Marzelengo), Modrengo, Morengo, Morgengo, Murisengo,
Hussolengo, Oddalengo, Offanengo, Orfeugo, Ottolengo, Pertengo,
Pisnengo, Pozzolengo, Pusterlengo, Quittengo, Rodengo, Rosengo,
Botingo, Scurzolengo, Toringo (Turingo), Valdengo.
Zugleich weist Flechia darauf hin, dass dasselbe Suffix (in der
Form -ingbi| -enghi) in vielen oberitalischen Familiennamen und
V. Langobarden. 237
idlich auch in manchen Appellativen der italienischen Dialekte
tbalten ist. Genag wir haben hier einen Stoff, der noch einer
siter eingehenden und specielleren Behandlang harrt, um unsere
snntniss langobardischer Sprache noch auf einen weit höheren
3 den gegenwärtigen Standpunkt zu erheben, besonders wenn es
ilingt, auch noch andere Wortbildungsciassen diesem Zwecke dienst-
^r zu machen.
So viel von dem Wortschatz, der sich bis jetzt für das Lango-
irdische zusammenbringen lässt. Nun einige Bemerkungen über
6 Ereignisse im lautlichen Gebiete, durch welche sich diese
)rache von dem Zustande des lirdeutschen entfernt hat.
In dem Bereiche der Vocale zunächst zeigt das Langobardische
rhältnissmässig eine grosse Reinheit und Ursprünglichkeit, wie
auch nicht anders denkbar ist auf dem Boden, auf welchem
3h eben das Italienische bildete.
Das a erleidet kaum Einbusse. Nach o weicht es aus in den
asculinen Namen der schwachen Declination, wo das alte -a im
3gensatze zum Gothischen durchaus geschwunden ist. Von Um-
at zeigen sich nur unsichere Spuren; man erwäge zunächst jenes
»en erwähnte andegawere und arigawere, wenn sie wirklich zu
>th. vasjan gehören; femer Ferdulf; dann Reginpert (sec, 8, wo-
(gen sec. 7 uoch Raginpert überliefert ist). Auch die auf einer
ssimilation des j beruhenden Namenformen mit consonantischer
ßmination sind hier zu erwähnen: um 500 in Pannonien lebt Glaffo,
n 600 in Italien Clef. Auch Pemmo scheint so zu beurtheilen;
I 9. Jahrhundert dagegen zeigt sich noch in Baiem ein Pammo.
Das alte i (ich halte hier noch an Grimmas Theorie fest) hält
ch im Ganzen fest an dem ursprünglichen Standpunkte, auch in
allen, wo es sonst entartet, wie in Ibor, idertzon, filda, launigild.
och wird es auch hier zuweilen zu e wie in Helmichis, Sesuald,
Id, besonders natürlich vor r wie in Peredeo und den Namen
it Pert-, -pert. Vor h ist es zu e geworden in Viht- hari, woraus
stlich Vehtari, dann Vectari wurde.
Aehnlich das f/, das zu o wird in hosa bracca und sonor grex,
inn auch vor r wie in widribora, scilpor und morgingab; dem
ectari ganz entsprechend vor h in Droctulfus.
An der gothischen Erhöhung des ä : e nimmt das Langobardische
irchaus nicht Theil; auch das ö bleibt in seiner Reinheit unan-
3tastet Bei dem i ist dagegen eine Entartung zu e zu bemerken,
I Frea, frea, fulcfrg aus Fr!a, u. s. w.; dahin gehört auch wol
rSo und Weilo. Den Diphthongen ist die Erscheinung gemeinsam,
188 sie zwar im Ganzen in ihrer Reinheit erhalten bleiben, aber
238 ^* Langobarden.
eine gewisse Neigung zeigen durch Zwischendringen eines h distra-
hirt zu werden. Das findet sich z. B. bei dem ai in einzelnen
Formen wie sculdahis, marpahis, Ahistnif, sonorpahir, lahip, doch
findet sich daneben auch reines ai. Das au zeigt von dieser Nei-
gung keine Beispiele, dagegen das iu (eu) in Tehudpert, wogegen
Liutprand und Agiliup die reine Schreibung behalten. Sogar das
zweisylbige nur zusammengerückte ui wird so behandelt in einzelnen
Handschriften wie bei den Namen Albuhin und Landuhin. Ja das
ä in ämund wird aufgelöst geschrieben als aamund und dann distra-
hirt in ahamund. Diese ganze dem Langobardischen eigenthümliche
Distraction geht hervor aus der italiänischen Aussprache der Diph-
thonge, wie wir sie noch heute beobachten.
Wie schon im Urdeutschen (s. Bd. 1, 337) so verengt sich auch
im Langobardischen^ doch nur in ganz vereinzelten Fällen, das ai
zu ^; so fasse ich die Namen Lethu und £vin. Das au bleibt
merkwürdig rein (launegild, raub, walapauz, Autharis, Oausus,
Orauso, Mauringa, Scauniperga), so dass Baodolin und Otto (sec. 8)
wol kaum dem echt Langobardischen zuzuschreiben sind. Das iu
bleibt echt langobardisch unberührt, nur in Theudelinda und treuua
tritt eu ein, in Formen wie Peredeo und Theoderada die sich fast
über das ganze deutsche Gebiet wol durch Anlehnung an deus^
^eog verbreitende fränkische Gestalt.
Das im Gothischen z. B. in her, fera, mSs muthmasslich aus
i 4* A erwachsene e hat auch das Langobardische, nämlich iu meta
= ahd. miata.
£ine Apokope von auslautendem -o müssen wir annehmen in
marpahis, scnldahis, stolesaz und scilpor.
Das für i eintretende p in solchen Formen wie Aystulfus, fari-
gaydus, faderfyo^ gayerethinx ist nur graphisch, nicht sprachlich.
Wir kommen nun zu den Consonauten, bei welchen das
Langobardische zerstörenderen Einflüssen ausgesetzt gewesen ist
als bei den Vocalen.
Gehn wir zuerst von den Medien aus, so gelangten die Lango-
barden mit einer sicher reinen und bestimmten Aussprache derselben
anter eine romanische Bevölkerung, deren Aussprache im Begriffe
war verweichlicht und verwaschen zu werden. Die deutsche Media
war also eine andere als die romanische; es bildete sich dadurch
eine gewisse Unsicherheit aus und diese Unsicherheit äussert sich
in einer Neigung (keineswegs in einem Gesetze) die deutsche Media
mit einem kräftigeren Laute zu bezeichnen. So tritt zunächst statt
des ff ein c ein in den Formen castaldius, casindios, Caco, mor-
gincap, auch Acipert, während in den weit überwiegenden FäUeii
V. Langobarden. 239
das g unangetastet bleibt. Ich kann hierin nichts anderes sehn
als die Auffassung der deutschen Aussprache von Seiten der roma-
nischen Schreiber, derselben Schreiber, die für romanische Tenuis
zuweilen Media schrieben wie rustigani, gunsobrini u. dgl.
Dasselbe Schwanken äussert .sich auf dentalem Gebiete. Während
es ganz ordnungsgemäss faida, gaida, idertzon und bei Gonsonanten-
verbindungen aldius, gastaldius, ariscild, andegawere n. s. w. lautet,
wird besonders gern im Anlaute Tenuis geschrieben wie in Tato,
Taso, Tasia, Tunno, troctingi (noch unorganischer Thalord), aber
auch im Inlaute wie in Argaitus und im Auslaute wie in actogilt,
Uunegilt, widrigilt. Dieselben Federn schreiben auch lateinisch qua-
tragenta für quadraginta, chot für quod und dergleichen mehr.
Am meisten wird das Zeichen inr den härteren Laut gewählt
bei den Labialen. Wir haben hier zwar noch oft das b wie in
Berto^ Winiberta, vurdibora, rairaub, aber wol häufiger das p. Dahin
gehören erstlich die zahlreichen Nameuformeu auf -pald, -perga,
-pert, -prand, dann Peredeo, sonorpair, marpahis, scilpor, pulslahi,
plodraub, morgincap, Agiliup. Den Grund davon sehn wir wieder
in der Weise, wie dieselben Schreiber das lateinische b behandeln;
sie setzen dafür mit Vorliebe ein r, z. B. liuellario, cauallus, cauale-
gare, gouernare, prouatum, culpauelis, jouemus, sogar Languuardi
und in entgegengesetzter Weise wiederum Formen wie deo jubante
mit Gottes Hülfe. Das deutsche p bedeutet hier also sicher, dass
recht deutlich ein nicht in die Spirans verschwimmender Laut
wiedergegeben werden soll.
Sehr wahrscheinliches Besultat ist also, dass wir es hier durch-
aus nicht mit einem sprachlichen, sondern nur mit einem orthogra-
phischen Vorgange zu thun haben; eine wirkliche Verschiebung
der Media zur Tenuis möchte ich nur bei anlautendem Dental
annehmen.
Anders steht es dagegen mit der urdentschen Tenuis; diese
hat wirklich regelmässig die hochdeutsche Verschiebung zur Spirans,
in der dentalen Sphaere natürlich zu % erfahren. Eine Sprachge-
schichte muss danach fragen, wann und wo dieses Ereigniss ein-
getreten ist. Dass erst in Italien der Wandel vor sich gegangen
sei, dafür ist kein erdenklicher Grund aufzufinden; es wäre in der
That ein Wunder, dass das Ereigniss sich hier genau so zugetragen
hätte wie bei den von den Langobarden ganz getrennten Baiern
und Schwaben. Es bleibt also nichts anderes übrig als an Panno-
nien und an die Zeit um das Jahr 500 zu denken; der Wandel
muss damals die südlich von der Donau angesiedelten deutschen
Stämme gemeinsam ergriffen haben, obgleich wir die Gründe (ich
240 ^' Langobarden.
meine die bistorischeD, nicht die physiologischen) noch nicht mit
Klarheit zu übersehn vermögen. Im Einzelnen steht es dagegen
folgendermassen: Für die Gutturale sind Beispiele ganz selten, doch
zeigt der NameFrocho and die neben fornaecar auftretende Schreibung
•achar, dass die Verwandlung auch hier eingetreten ist. Für die
Dentale begegnen als Beispiele (und zwar ganz ohne Varianten)
Zaban, Zaugrulf, Zotto, Znchilo, zava^ idertzon, femer Nozo und
Hilzo, letzteres schon der fünfte Vorfahr des Königs Rotharis; wir
werden weiter sehn, dass dieses i im Auslaute der Verwandlung
in 8 unterliegt Bei den Labialen haben wir gafand, wifare^ camfio,
marahworfin, grapworfin, anagrif; femer schon um 500 den Königs-
namen Glaffo wie 600 Clef. Dass einmal ganz unorganisch p für
/* steht in pollenus Füllen; beruht nur auf Anlehnung an lat. pullus
und gr. näXog,
Wiederum anders steht es mit den alten Spirant.en. Das tA
haben Langobarden , sei es als momentanen oder als Dauerlaut,
sicher mit sich nach Italien gebracht und hier auch noch gebraucht;
so finden wir es anlautend noch in thinx, thingare, angargathungi,
inlautend in Rotharit und Lethu, auslautend in morth. Unter einer
romanischen Bevölkerung aber musste dieser Laut untergehn und
dass das schon im siebenten Jahrhundert einzutreten begann» zeigen
die Formen aidi, gawarfida, ferqnido, plodranb; endlich die Namen
mit Adal, aber kein Beispiel im Anlaute.
Einen Uebergang von f:b nach hochdeutscher Art finden wir
in den Namen Alboin und Albisinda; dieser Wechsel muss um
Alboins Willen schon wie die Verschiebung von Tennis zu Spirans
in Pannonien eingetreten sein.
In solcher Weise beschränkt sich also die Ansicht, dass der
lango bardischen Sprache hochdeutsche Lautstufe gebühre; t:z, p:f,
f : b, auch wol k : ch erfolgte vor der Wanderung nach Italien ; in
letzterem Lande trat auch th : d während des siebenten Jahr-
hunderts ein.
Wie bei andern deutschen Mundarten, die mit romanischer
Sprache in Berührung kamen, wurde anlautendes deutsches r zuffu
verstärkt. Das geschah wahrscheinlich erst im achten Jahrhundert,
wo uns die Formen guadia, guidrigild, gnidcrboran, Onaimar^ Guacco
(für Wacho) begegnen; auch inlautend steht treuga neben treuua.
Die ältesten Handschriften des Gesetzbuchs des Rotharis haben noch
9, vgl. Meyer in dem oben angeführten Aufsatze S. 133. Lehrreich
ist die Stelle des Paulus diac, wo er von den alten Winilen sagt:
^Wodan, den sie mit Zufügung eines Buchstaben Gnodan nannten^.
Die Wioilen haben nun gewiss jenen Buchstaben nicht zugefügt,
V. Langobarden. 241
wol aber die dem siebenten Jahrhundert angehörige origo Lango-
bardorum in der dem Paulus vorliegenden Handschrift; die jetzt
vorhandenen Handschriften dieser Schrift haben sogar Godan. Wir
sehn alsO) dass selbst dem Paulus hier noch die Form Wodan die
geläufigere war, die andere auffallend; eher hätte man das Umge-
kehrte vermnthet.
Dass einmal, in dem Namen Ulfari, anlautendes V auch abfallt|
ist eine vielleicht ans griechischem Einflüsse erklärliche Einzelnheit.
Ein zweites Leiden dagegen, welches den deutschen Mund-
arten auf romanischem Gebiete begegnete, d. h. vielleicht weniger
den Deutschen, als den Deutsches wiedergebenden Romanen, ist
die grosse Unsicherheit im Gebrauche des anlautenden h. Italienische
Schreiber, die haccepi, hactum, hemptorem, hoctavo, hofferire und
vieles Aehnliche schon im achten Jahrhundert schreiben, haben
auch kein Bedenken ein deutsches haldius oder haamnnd zu setzen,
eben so wie sie das // in der oben besprochenen Distraction der
Diphthonge brauchen. Die Unsicherheit zeigt sich nach entgegen-
gesetzter liielitung, im Fortlassen der organischen Spirans, noch
häufiger; wir finden mehrere Naroenformen mit An-, ferner ari man-
nus, arigawerc, sculdais und zahlreiche ähnliche Varianten zu noch
erhaltenen echteren Formen.
Für den Auslaut ist in solcher romanischen Umgebung das aus
dem / entstandene $ gradezu unerträglich, daher seine Vertretung
durch 8 in marpahis und sculdahis so wie in dem durch weitere
lateinische Endung erweiterten Gausus. Bei dem Namen Rotharis
liegt es anders; hier ist die echte deutsche Form jedenfalls Hrotharit
und das lateinische nominative s verschlingt durch seinen Zutritt
den Auslaut des deutschen Wortes.
Grade der letztgenannte Name bietet uns auch das einzige
Beispiel von Erweichung anlautender Consonaiitengruppen, indem
hier das handschriftlich noch überlieferte Hr- in der Mehrzahl der
Codices schon zu R- übergegangen ist. Wir werden denselben
Vorgang während des achten Jahrhunderts in den Anlantsgruppen
Hly Hn, Hv vermuthen dürfen, für welche keine Beispiele vorliegen.
Das achte Jahrhundert ist auch für inlautende Gruppen das
Zeitalter starker Zerstörung. Während das sechste und siebente
uns noch die Formen Ansa, Ansprand, Transamund liefern, bietet
das achte schon Aufusns und Thrasamund. Freilich ist grade der
Uebergang von ns : s in ddh deutschen Sprachen deshalb besonders
schwer chronologisch und dialektisch zu fixiren, da uns die Ver-
tretung des n in den Handschriften durch einen Strich über dem
Vocale oft entgeht.
Föritewuam, Ce$ck. d. d. Sprach$tamme8, IL IG
242 V. Langobarden.
Wol um dieselbe Zeit (froher als im Althochdeatschen) wird
auch sonst inlauteDden GoDSODantenverbiudungeD ihre Härte dturch
Ausstossung genommen, vgl. soilpor aus sciltpor, Aufusus aus Aut-
fnsuSy Rachis aus Ratchis, haistan aus haifstan.
Urdeutsches ht ist auf romanischem Gebiete unerträglich; man
schreibt, und spricht auch wol, et wie in actogild, troctingi, Yec-
tari. Von Assimilationen hält sich das Langobardische in diesem
und andern Fällen ganz frei.
Aio aus Agio zeigt das einzige Beispiel von Ausstossung eines
Gonsonantcn zwischen zwei Vocalen, grade bei dem Consonanten,
der überhaupt dieser Ausstossung in den deutschen Sprachen am
meisten unterliegt.
Dasselbe g bedarf einer orthographischen Verwandlung, um
vor dem Vocale / schon vor der gequetschten italienischen Aus-
sprache gerettet zu werden. Daher die Schreibungen Alachis,
Arechis, Helmichis, Hildechis, Ratchis u. s. w., auch Rachipert und
wol Zuchilo; während es bei Fache und Wacho doch zweifelhaft
ist, ob wir hier ch für g anzunehmen haben. Varianten wie z. B.
launechild zeigen das Bedürfniss vor dem / noch deutlicher.
Vocalisirung des v vor anderm Vocale zeigt sich in Orimoald und
Alboin.
Für dieWortbildung ist den dürftigen Rostender Sprache wenig
zu entnehmen. Grapworfin und wecworin, vielleicht auch astalin,
scheinen oblique Casus von Femininen zu sein, deren Nominative
im Gothischen auf -ei ausgehn würden; es wäre erwünscht in einem
sicheren Nominative zu sehn, ob das Langobardische hier den
Nasal hat oder nicht. Für die Neutra auf -is (-isa) ist wol das
oft wiederkehrende thinx ein Beispiel, für das unser Neuhochdeut-
sches Dings (s. Grimm Wbch.) vielleicht noch eine Bestätigung
bieten könnte. Auch Lamisio hat vielleicht ein solches Thema in
sich, wenn es aus Lamisjan entsprungen ist Endlich die Form
sonorpair könnte auf ein Thema *suni8 hindeuten; wir hätten dann
ein Beispiel des üebergangs von s : r im Langobardischen^ and
zwar das einzige.
Für die Declination ist es bemerkenswerth|^ dass auch das
Langobardische noch das Drängen zur schwachen Declination fühlt,
welches wir schon im Urdeutschen (Bd. I, 480) und dann im
Gothischen beobachteten. Vom siebenten Jahrhundert ab und bis
weit über die Zeit der langobardischen Selbständigkeit hinaus
finden wir oblique Casus mit dem Nasal in zahlreichen Bildungen,
ich entnehme die folgenden Beispiele, denen sich an ihrer Stelle
ganz entsprechende altfränkische zur Seite stellen werden, aas
V. Langobarden. 243
Blahme die gens LaDgcbardorom Heft II (Bonn 1874. 8) Seite 29:
Von Rothari begegnen die Casus Rothareni; Rotharenem, Rotharene,
eben so stehn neben einander Waltari Waltareni Waltarenem,
Gnntari Guntarini, Autbari Autbareui Autharene^ Glaffo Glaffoni,
Clepb Glephoni; Faebo Fachuni, Frocho Froehoni^ Grado Gradoni,
Gando Gundoni, Hilzo Hilznni, Karlus Karloni, Mammo Mammoni,
Nozo Nüzuni, Poto Potoni, Prando Prandoni, Toto Totoni, Tirio
Tirioni, Wacho Wachoni, Weilo Weiloni, Weo Weoni, Wulfo Wul-
foni. So auch von Appellativen barba (barbas) barbani barbauis
barbanein barbanes, aldia aldiane. Dasselbe findet bei echt latei-
nischen Wörtern statt wie Dominicus Dominiconi, Petrus Petrunis,
scriva scrivane scrivanes, amita amitane amitanes.
Die Conjugation, zu deren Kenntniss doch sogar das Bur-
gundische einen kleinen Keim zeigte, geht für uns im Langobardi-
schen ganz leer aus. Auch die Bedentungslehre bietet durch-
aus nichts, höchstens die Wirkung der Volksetymologie in guidrigild
und guidribora. Für die Syntax könnte eine feine aber sehr vor-
gichtige Untersuchung des lateinischen Styls in den langobardischen
Denkmälern einiges ergeben. Bluhme hat in der eben genannten
kleinen Schrift dafür schon ganz verdienstliche Sammlungen be-
gonnen. Wenn wir Redensarten finden wie debitnm facere Schul-
den machen^ pugna vadat der Kampf gehe vor sich^ vadant per
solidum sie gehn auf einen Solidus, teuere cum palatio, cum rege
es mit dem Könige halten, justitiam in venire sein Recht finden, so sind
das wol ohne Zweifel langobardiscbe Phrasen in römischem Kleide.
Für den £influs8 fremder Sprachen entzieht sich alles,
was vor der Einwanderung in Italien liegt, unserer Beobachtung^
obgleich man Einwirkung slavischer, vielleicht auch ganz unbekannter
Sprachen auf das Langobardiscbe durchaus nicht ableugnen darf.
Mit dem Eintritte nach Italien beginnt nun der Einfluss des Latei-
nischen, dem wir bereits in der Geschichte des Volkes, dann auch
in den Lautverhältnissen begegnet sind. Hier mag nur noch eine
Bemerkung über die Personennamen hinzugefügt werden, die diesen
Einfluss öfters mit historischer Schärfe zeigen, ähnlich wie die
(erst seit sec. 1 2 ganz allgemein werdende) Form Longobardi statt
Langobardi in ihrem stufenweisen Siege recht den Fortschritt des
Romanischen zeigt. Bei den Personennamen bietet sich als Zeichen
dieser Romanisirung zuerst die Thatsache, dass öfters der Sohn
eines deutsch benannten Mannes schon einen romanischen Kamen
hat -, so ist ja Paulus der Sohn des Warnefrid, bei Fumagalli finden
wir einen Domenicus als Sohn des Ariovaldus a. 792, einen Paulus
als filius Walpert und einen Benedictus als filius Orsoni a. öl4.
16»
244 ^* Langobarden.
Besonders aber ist auf vier Namengrappen binzudeuteu, in denei==3
man seit dem achten Jahrhundert sicher die lateinischen Wörtei
bonus; lupus, magnus und ursns fühlte, während doch theils ähn-
lich klingende deutsche Namenelemente darin liegen, theils wol
auch wirklieh eine Uebersetzung aus gleichbedeutendem deutschen
Worte stattgefunden hat. Da sind zuerst Namen wie Boneperga,
Bonefrit, Bonipert, Boniprand, die erst mit dem Untergange des
Langobardenreiches recht aufzukommen scheinen. Ich habe in
meinem Namenbuche eine ganze Anzahl ähnlicher Formen auch
ausserhalb des langobardisehen Reiches, namentlich aus Gallien
nachgewiesen und glaube auch noch, dass es einen deutsehen
Namenstamm BON gegeben hat, aber die Mehrzahl der Formen
wird man nun wol als Ersatz deutscher Namen mit 6od-, Guot-
ansehn müssen. Was sich an Lupus, Lupulus anzuschliessen scheint,
ist wol theils wirklich lateinisch und übersetzt dann das deutsche
Wulf-, theils aber auch deutsch und beruht auf einer Umdeutung
der Namen mit Liub-. Wir haben ferner langobardisches Mag-
nitruda, Magnifrid, Magniprand, Magnipert und zahlreiche andere
Formen, die gewiss nur ein latinisirtes deutsches MAGAN enthal-
ten, wol kaum ein deutsches Wort übersetzen, sicher wenigstens
nieht Hroth-, wie Bluhme will. Die mit Urs- beginnenden können
aus beiden angegebenen Quellen zusammengeflossen sein, aus einem
übersetzten Bero-, Berin- und einem latinisirten Hors-. In dem
Fttscari des chron. Casin. ist lateinisches fuscus wol gefühlt; ob
es ursprünglich darin liegt, ist eine andere Frage.
Eine Einwirkung der griechischen Eüstenbevölkerung auf das
Langobardische hat sicher gleichfalls, wenn auch nur in beschränk-
tem Masse stattgefunden. Bei dem Namen Ulfari schrieben wir
die Aphaerese einem solchen Einflüsse zu; wenn dieglossae Cavenses
ametanes (amita, Tante) durch thie erklären, so zeigen sie, dass
ihnen das griechische Wort geläufiger ist als das lateinische.
Hiemit schliesse ich die Betrachtung des Langobardisehen und
überhaupt jener deutschen Sprachen, die im Bömerthume erstickten;
nur das Altfränkische müssen wir für eine andere Stelle aufbe-
wahren. Im Anschlüsse an das vierte Buch begannen wir mit
Völkern, die den Gothen nahe stehen, entfernten uns dann schritt-
weise vom gothischen und gothonischen Wesen und haben uns
zuletzt und am eingehendsten mit den Langobarden beschäftigt,
die eine ganz ungothische suevische Natur zeigten. Wir sind damit
unvermerkt schon in das Thema des sechsten Buches hinüberge-
gangen, das uns die aussergothische deutsche Sprachwelt als eine
Einheit vorführen soll.
Sechstes Buch.
Das Mittel-Urdeutsche.
Wir haben im Beginne des vierten Bnches die Gothen als den
im Südosten zarückgebliebenen Nacbtrab des einigen dentseben
Volkes gefasst. Die nngotbiseben, znm Tbeil aber den Gotben sehr
nahe stehenden Zweige unseres Volkes haben sich nach unserer
Ansicht etwa im vierten Jahrhundert v. Chr. von der Weichsel aus
längs der Sfidküste der Ostsee ausgebreitet.
Hiefür spricht, ausser der Natürlichkeit dieser Verbreitung,
namentlich auch das Wiederkehren derselben oder ähnlicher Orts-
nnd Völkemamen an verschiedenen Orten der südlichen Ostsee-
küstenländer. So kommen Teutonen bei Pytheas noch im Osten,
bald darauf im Westen vor; zwischen den Weicbselmündungen wird
das Witland erwähnt, von dem die Vidivarier den Namen tragen,
während die Vithones des Tacitus in Holstein sitzen, ein uraltes
Witland auch an der Maasmünduug wiederkehrt; den Anklang der
ostpreussischen Landschaften Barten und Sassen an Langobarden
und Sachsen habe ich schon bei jenen erwähnt. Wenn lit. kaukai,
altpreuss. cawx (Alraune, Zwerge, Teufel, wovon sec. 14 in Sam-
land Caucaliskis der Name eines Sumpfes) ein herabgewürdigter
Volksname ist, so liegen die Ghauci hier sehr nahe. Die Marsingi
gehören bei Tac. zu den östlichen Sueven, im westlichen Nieder-
deutschland sind die Marsi, in Batavien die Marsaci bekannt Von
den verschiedenen Gegenden, in denen der Vandalenname auftaucht,
haben wir im vorigen Buche gesprochen. Wironia ist eine Land-
schaft in Esthland, Wironi ein friesischer Gau,
Im Gegensätze zu dem Sprachzustande, welcher sich bei jenen
südöstlichen Gothen fortsetzte, scheinen die Ostseegermanen gleich-
falls eine sprachliche Einheit gebildet zu haben. Diesen Sprach-
zustand^ welchen ich mit dem Namen des Mittelurdeutschen bezeichne,
suchen wir aus allen denjenigen sprachlichen Thatsachen*zn erkenneni
in welchen das Gothische zu den verwandten ungermanischen
Sprachen stimmt, wogegen in denselben Punkten bei allen übrigen
germanischen Sprachen ein anderer Znstand sich erkennen lässt.
Diese Punkte sind so zahlreich und zum Theil so überraschend,
dass sie nicht alle einer zufällig gleichmässigen Entwickelnng der
einzelnen Sprachen zuzuschreiben sind, dass es vielmehr geboten
erscheint, mit der Aufstellung einer Hypothese vorzugehn, die so
lange bestehn mag, bis sie durch gewichtigere Thatsachen wider-
248 ^* Mittel-Urdentsches.
legt wird. Dialektische Verschiedenheiten zwischen den einzelne ^
Völkerschaften, denen das Mittelurdeutsche angehörte, mögen scho
jetzt gern zagestanden werden. ' Wie hoch hinauf mag der Gegei^
Satz von Gothonen und* Sueven oder der andere von den dr^^
taciteischen Volksstämmen reichen?
Bemerkt werden mag noch, dass das vierte nnd sechste Buc
gewissermassen in einem Gegensalze stehen dadurch, dass sie vo
entgegengesetzten Seiten her die Stellung des Gothischen zu bestiro
man suchen. Das vierte Buch wollte die grosse Kluft zwische
dem Gothischen und dem im dritten Buche behandelten Urdeutsche
(Alturdeutschen) darlegen, das sechste will zeigen, dass ein grosse
Abstand zwischen dem Gothischen und den übrigen germanischen
Sprachen stattfindet. Hat man in einer früheren Periode unserer
Wissenschaft darin gefehlt, dass man das Urdeutsche und das
Gothische als nahezu identische Begriffe fasste, so macht sich jetzt
seit einigen Jahren eine Ansicht geltend, welche das Gothische
historisch zu weit herabsetzt. Der ersten Ansicht steht mein viertes,
der zweiten mein sechstes Buch entgegen; beide ergänzen sich
gegenseitig, wenn die wahre Stellung des Gothischen erkannt werden
soll. Das Gothische ist entartet, weil es lange Zeit hindurch and
gewiss unter fremden Völkern sich entwickelt hat; es ist alter-
thümlicher geblieben, weil die Gothen bis zum vierten Jahrhundert
eine kürzere Wanderung zurückgelegt haben als die andern deut-
schen Völker und weil seine Sprache früher in der Schrift festen
Halt gewann.
Erster Abschnitt.
Die Ijaiite«
« I. Lantsygtem und Lantmlschnng.
Die weitere Entfaltung des geschichtlich überlieferten zu dem
physiologisch möglichen Lautsystem macht in dieser Sprachepoche
mehr Fortschritte auf vocalischem als auf consonantischem Gebiete,
wie man das bei Völkern, die das Meer erreichen, ja mehrfach will
beobachtet haben.
Unter den Vocalen gelangen i nnd li, die im Alturdeutschen
erst in Anfängen vorhanden waren (Bd. I, 337), zu voller Entfaltung ;
sieber ist jetzt auch schon der Diphthong ei (s. ebds.) und Jo
VI. Lantsystem. 249
(s. nnten). Den Umfang dieser Laute zu bestimmen will jedoch
nicht gelingen, da wir hier wiederum, wie in diesem Buche über-
hanpt, mit dem völligen Mangel schriftlicher Denkmäler zu kämpfen
haben und dieser Mangel bei feineren und weniger umfangreichen
Spracherscheinungen durch nichts zu ersetzen ist.
Von viel grösserer Wichtigkeit jedoch und von viel grösserer
Erkennbarkeit ist es, dass der kurze helle sowol als der kurze
dunkle Vocal sich jeder in eine Zweiheit von Lauten differenziren,
indem sowol aus der Masse des i als aus der des u sich ein be-
stimmter Thcil aussondert, um einen dem a näher liegenden Laut
anzunehmen. So entsteht das e und o oder vielmehr es entwickeln
sich diese Laute aus früherer latenter Existenz zu klarer Selb-
ständigkeit. Die zum a hinziehende Kraft entspringt aber aus
einem in der nächsten Sylbe folgenden Qj das nun seine assimilirende
Gewalt auf die vorhergehende Stammsylbe ausübte und deren Vocal
brach. Er mag ihn zunächst dadurch wahrhaft gebrochen haben,
dass er ihm ein nachklingendes a anfügte; solche in diesem Sinne
gebrochenen Vocale sind noch jetzt in den an die Ostsee reichenden
deutschen Mundarten, also in demselben geographischen Gebiete,
durchaus nicht selten; auf diesem Standpunkte scheint vor einigen
Consonantenverbinduugen noch das Altnordische mit seinem ia (ja)
stehn geblieben zu sein, im Allgemeinen aber schritt die Brechung
wol schon im Mittelurdeutschen zu einem e und o fort Dass die
anziehende Kraft wirklich in einem folgenden a liegt, zeigt sich
aus denjenigen nominalen Ableitungen und verbalen Formen des-
selben Wortstammes, bei welchen kein a folgt und daher der
nngebrochene Vocal noch bleibt.
Diese gahze Ansicht soll nun veraltet sein, seitdem G. Curtius
1864 in seiner „Spaltung des A-Lautes** unwiderleglich nachge-
wiesen hat, dass in dem Vorgange der Erzeugung des e und o die
europäischen Sprachen vielfach zu einander stimmen, wenn auch
die Gründe, die diesen Vorgang herbeiführten, gewiss nicht überall
dieselben gewesen sind. Es hat sich auf Grund dieser Beobach-
tung die, in diesem Umfange wol von dem Meister nicht getheilte
Thecrie geltend gemacht, dass die gothischen i und u eine jüngere,
die ihnen gegenüberstehenden e und o die ältere Lautstufe dar-
stellen. Vor allem sind als Vertreter dieser Theorie zwei in diesem
Jahre (ich schreibe dies in den letzten Tagen des Jahres 1874)
erschienene Werke zu betrachten, nämlich Bezzenberger die A-Reihe
der gothischen Sprache und Fick vergleichendes Wörterbuch der
indogermanischen Sprachen, dritter Band, dritte Auflage.
Wir stellen zunächst eine reiche Anzahl von klareren Beispieleq
250 VI. Brechung.
für die beiden gebrochenen Vocale zusammen, geordnet nach dei
auf sie folgenden Consonanten, bei jedem derselben zuerst dieFäll^
für i : e, dann die für u : o:
(er) Goth. bairan: altn. heran, abd. heran, ags. heran; tragen.
Urdeutsch biran-: altn. berr, abd. bero, ags. hera; Bär.
Goth. fairra: altn. fiarri, abd. ferro; fern.
Urd. skiran: nltn. skera, abd. sceran, ags. sceran; scheren.
Urd. stiran-: goth. stairo, abd. stero; die Unfruchtbare.
Goth. tairan: ahd. zeran, alts. teran: zerren.
Goth. vaira-: altn. ver, ags. ver; der Mann (dazu das Compo-
situm Welt),
(or) Goth. baurans: altn. borinn, ahd. und alts. giboran, ags.
boren; geboren.
Urd. bura-: altn. borr, ahd. bora; Bohrer.
Goth. daura-: ahd. tor, alts. dor; Thor.
Goth. faura: altn. for, abd. fora; vor.
Urd. spura-: altn. spor, ahd. spor, ags. spor; Spur.
Urd. spuran-: altn. spori, ahd. sporo, ags. spora; Sporn.
(el) Goth. fill: altn. feil, ahd. fei, ags. fei; Fell.
Urd. kilan-: ahd. kela, ags. ceole; Kehle.
Urd. snilla-: (altn. sniallr), ahd. snel, ags. snel; schnell.
Goth. spill: altn. spell (spiall), ahd. spei, ags. spei; Erzählung.
Urd. svillan: altn. svella, ahd. swellan, alts. swellan; schwellen.
(ol) Urd. bullan-: altn. bolli, ahd. bolla, ags. bolla; Kugel.
Goth. fula: altn. foli, abd. folo, ags. fola; Fohlen.
Goth. hüls: altn. hol, ahd. hol, ags. hol; bohl.
Urd. kula : altn. kol, ahd. chol, ngs. col; Kohle.
Goth. thulan: altn. thola (doch thyl), ahd. dolen, ags. tboljan; tragen.
Die Fälle, worin auf den Vocal ein m oder n folgt, sind unten
unter den Ausnahmen besprochen.
(es) Goth. lisan: altn. lesa, abd. lesan, ags. lesan; lesen.
Goth. nisan: ahd. nesan, ags. nesan; genesen.
Goth. visan: altn. vera, ahd. wesan, ags. vesan; sein.
(es) Urd. musa-: altn. mosi, ahd. mos, engl, moss; Moos.
(ek) Gotb. brikan: ahd. brehhan, ags. brecan; brechen.
Goth. friks: altn. frekr, ahd. freh, ags. free; frech.
Urd. rikan-: altn. reka, ahd. recho; Rechen, Harke.
Goth. vrikan: altn. reka, ahd. rehhan, ags. vrecan; rächen.
(ok) Goth. juk: altn. ok, ahd. joh, ags. geoc; Joch.
Urd. rukka<: altn. rokkr, ahd. rocco; Bocken.
(eh) Goth. taibun (mit speciell gotbischem u): (altn. ttn), abd.
zehan, ags. ten; zehn.
VI. Brechung. 251
(oh) Urd. fnhan-; goth. fanbon: altD. foa, mbd. vobe; Fachs.
Urd. Inhan-: altn. logi, mbd. lohe; Lohe.
(eg) Goth. vigs: altn. vegr, ahd, weg, ags, veg; Weg.
Goth. yigan: altn. vega, ahd. wegan; bewegen.
(og) Goth. bngans: altn. bogion n. s. w.; gebogen (Sahst, altn.
gl, ahd. bogo, ags. boga).
Urd. tagan-: altn. (her-) togi, ahd. (heri-) zogo, ags. (here-)
5a; Führer.
(et) Goth. gitan: altn. gela, ahd. gezzan (ags. gitan darcb Ein-
88 des ff)] erlangen.
Goth. itan : altn. eta, ahd. ezan, ags. etan; essen.
Goth. mitanialtn. meta, ahd. mezan, ags. metan; messen.
Urd. Sita-; altn. setr, ahd. sez, ags. set; Sitz,
(ot) Urd. skatana- : altn. skotinn a. s. w.; geschossen.
Urd. sprntan- : altn. sproti, ahd. sprozo Spross.
Urd. spata- : altn. spott, ahd. spot; Spott.
(eth) Goth. qvithan : altn. kveöa, ahd. qaedan, ags. cvedan;
rechen.
(oth) Urd. bratha- : altn. broö, ahd. brod, ags. brod; Brühe.
(ed fehlt).
(od) Goth. gath : altn. goÖ (besonders von heidnischen Göttern,
ö vom wahren Gotte), ahd. got, ags. god; Gott.
Urd. bada- : altn. boö, ahd. bibot, ags. bod; Gebot (dazn Bote),
(ep) Urd. dripanraltn. drepa, ahd. trefan, ags. drepan; treffen,
(op) Urd. drupan : altn. dropi, ahd. tropho, ags. dropa; Tropfen.
Urd. upana:altn. opinn, ahd. ofan, alts. opan; offen.
(ef) Urd. nifan- : altn. nefi, ahd. nefo, ags. nefa; Neffe,
(of) Urd. hafa- : altn. hof, ahd. hof, ags. hof; Hof.
Urd. nfana:altn. ofan, ahd. obana, alts. obhana; oben.
Goth. afar:altn. ofar, ahd. obar, ags. ofer; ober-,
(eb) Goth. giban : altn. gefa, ahd. geban (ags. gifan durch Ein-
188 des ff); geben.
Urd. viban:altn. vefa, ahd. weban; weben.
(ob) Urd. klaban- : altn. klofi, ahd. chlobo; Kloben.
Urd. Inba- : altn. lof, ahd. lop, alts. lof ; Lob.
Urd. stuban- : altn. stofa, ags. stofe (ahd. anregelmässig staba) ;
nbe.
So weit die einfachen Gonsonanten; es folgen nan die Conso-
inten verbindangen.
(erl) Urd. irla- : (altn. jarl), ahd. Erl- in Eigennamen, ags eorl;
Her.
252 VI. Brechung.
(erm) Goth. Airman- : (altn. Jörmun), ahd. Erman-; «loeli alti
in Folge von Vocalangleichnng Irmin-.
(ern) Goth. gairns : (altn. giarn), ahd. gern, ags. georn; gern
Urd. kirnan- : (altn. kiarni), ahd. kerno; Kern.
Goth. stairno : (altn. stiarna), ahd. sterno, ags. steorra; Stern.
(ers) Goth fairzna:ahd. fersna, ags. fiersn; Ferse.
(erk) Goth. airkns (altn. jarkna), ahd. erchan, ags. eorcan; echt.
Urd. virka-:altn- vcrk, ahd. werah, ags. vcorc; Werk.
(erh) Urd. birhta-, goth. bairhts : (altn. biartr), abd. beraht,
ags. beorht; hell.
Goth. fairhvus (mit speciell gothischem u) : (altn. fiör), ahd. ferh,
ags. feorh; Welt.
Goth. thvairhs : altn. thverr, ahd. dwerah; quer.
(erg) Goth. bairgahei : altn. borg (biarg), ahd. berg, ags.
beorg; Berg.
Goth. bairgan : (altn. biarga), ahd. bergan, alts. bergan; bergen.
Urd. dvirga- : altn. dvergr, ahd. twerc^ ags. dveorg; Zwerg.
(ert) Urd. firtanraltn. freta, ahd. ferzau; pedere.
Goth. hairtan- : (altn. hiarta), ahd. herza, ags.hcorte, hiorte; Herz.
(erth) Goth. airtha : (altn. jörö), ahd. crda, ags. eor5c; Erde.
Goth. vairthan : altn. veröa, ahd. werdan, ags. vcorÖan; werden.
Goth. vairths : altn. verÖ, ahd. werd, ags, veorÖ; werth.
(erd) Goth. hairda : (altn. hiörö), ahd. herta, ags. heord; Herde.
Urd. svirda- : Jiltn. sverö, ahd. swcrt, ags. sveorö; Schwert.
(erp) Urd. irpa- : (altn. jarpr), ahd. erpf, ags. eorp; dunkelfarbig.
Goth. vairpan : altn. verpa, ahd. wcrfan, ags. veorpan; werfen.
(erb) Goth. hvairban: altn. hverfa, ahd. hwerban, alts. hwer-
ban; wenden.
Urd. stirban : (altn. Subst. stiarfi), ahd. sterban, alts. sterban;
sterben.
Goth. svairban : altn. sverfa, ahd.swerban, ags. svcorfan; wischen.
Urd. thirba- : (altn. thiarfr), ahd derp, ags. thcorf; derb.
(orn) Goth. haurn:altn. hörn, ahd. hörn, ags. hörn; Hörn.
Goth. kanrn : altn. körn, ahd. chorn, ags. com; Korn.
Goth. thaurnus (mit speciell gothischem w); altn. thorn, ahd.
dorn, ags. thorn; Dorn.
(ors) Urd. hurska- : altn. horskr, ahd. horsk, ags. horsc; rasch.
(org) Goth. saurgaialtn. sorg, ahd. sorga, ags. sorg; Sorge.
(orth) Goth. maurthr : altn. morö, ahd. mord,- ags. morö; Mord.
Urd. nurtha- : altn. norör, ahd. nord, ags. norÖ; Nord.
(ord) Goth. vaurd:altn. orö, ahd. wort, ags. vord; Wort.
(orp) Goth. thaurp:altn. thorp, ahd. dorf, ags. thorp; Dorf.
VI. BrechuDg. ^63
(eloi) Gotb. filma^ altn. felmr; Schrecken.
Ooth. hilms : (altn. hialmr), ahd. heim, ags. heim; Helm.
(elv) Urd. milva;(altn. miöl), ahd. melo, alts. oiel; MehK
(elk) Urd. milka-; (altn. miölkr), ahd. melcb; melk, milchgebend.
(elh) Goth. filhao : altn. iela, ahd. felahan, ags. felgan; verbergen.
Urd. ilha:altn. elgr, ahd. elaho, ags. eolh; Elcnn.
Urd. silha-:altn. selr, ahd. selah, ags. seolh; Seehand.
(elg) Urd. bilgau : altn. belga, ahd. belgan, ags. belgau; auf-
hwellen.
Urd. svilgan ; altn. svelga, ahd. swelgan, alts. swelgan; schwelgen.
(elt) Urd. hilta : (altn. hialt), ahd. hciza, doch ags. hilt; Schwertgriff.
Goth. sviltan : altn. svelta, ags. sveltan; sterben.
(elth) Urd. filtha- : (ahn. fiall), ahd. feld, alts. feld; Feld.
(eld) Goth. gildan : (altn. gialda), ahd. geltan, ags. geldan (da-
das Subst. Geld); gelten.
Goth. silda : (altn. sialda), ahd. seit-, ags. seid; selten.
Goth. spilda.altn. speld, ahd. spelta; Holztafel.
Urd. tilda- : (altn. tiald), ahd. zeit, ags. teld; Zelt.
(elp) Goth. hilpan : (altn. hialpa), ahd. helfan, ags. helpan;
Ifen.
Urd. hvilpa- : altn. hvelpr, ahd. weif, ags. bvelp; Junges.
(elb) Urd. dilban:ahd. delban, ags. delfau; graben.
Goth. silba : (altn. sialfr), ahd. selb, ags, seif; selb.
(olm) Urd. hulma-:altn. hOlmr, alts. holm; Insel.
(olk) Urd. fulka-:altn. folk (fylki), ahd. folc, ags. folc; Volk.
(olg) Goth. dulgs : altn. dölgr, dölg, ahd. tölg, ags. dolg; Wunde.
(olt) Urd. bnlta- : altn. bolti, ahd. bolz, ags. holt; Bolzen.
Urd. hulta-:altn. holt, ahd. holz, alts. holt; Holz.
(olth) Goth. hulthsraltn. bollr, ahd. holt, ags. hold; hold.
(old) Goth. mulda : altn. mold, ahd. molta, ags. molde; Staub.
Die Nasale m und n mit folgendem Consonanten sind wiederum
ircbaus nicht vertreten; s. unten.
(esk) Goth. thriskan : (altn. threskja), ahd. drescan, ags. thers-
n; dreschen.
(est) Urd. bristan : altn. bresta, ahd. brestan, alts. brestan;
rsten.
Urd. nista- : ahd. nest, ags. nest; Nest.
Goth. svistar : (altn. systir), ahd. swestar, (ags. sveostor);
hwester.
(osk) Urd. fruska- : altn. froskr, ahd. frosc, ags. frox; Frosch.
(ost) Goth. kustus (mit speciell gothischem u) : altn. kostr,
d. chost; Kost (dazu das Verbum kosten).
254 VI. Brechung.
Urd. fru8ta:altn. frost, abd. frost; ags. forst; Frost.
(osd) Urd. brasda- : altD. broddr, ahd. brort, ags. briord, bre-
ard; Spitze.
Goth. bazd : altn. hodd; abd. bort (doch bnrtjan); ags. hord; Hort
Urd. usda-taltD. oddr, abd. ort, alts. ord; Ort.
(ehr) Goth. svaibra : ahd. swebur; Schwager.
(ehn) Goth. fraibnan : altu. fregna (ags. frignan, fringan ist
anregelmässig); fragen.
(ehs) Goth. saibs: altn. sex, abd. scli.s^ alts. sebs (ags. six); sechs.
Goth. taibsvo:ahd. zeso, alts. tesewa; die Rechte.
(ehv) Urd. ihva-, gotb aibva- : (altn. jör) : alts. ebu, ags. eob,
eh; Pferd.
Gotb. saihvan : (altn. siä), abd. seban, ags. seon ; sehen.
^eht) Gotb. raibts : altn. rettr; abd. rebt, alts. rebt (ags. ribt) ; recht.
Goth. slaihts : altn. slettr, abd. siebt; schlecht.
(egl) Urd. sigla-:altn. segl, abd. segal; ags. segel; Segel.
(egn) Gotb. rign:altn. regn; abd. regan, ags. regn; Regen.
Urd. thigua- : altn. thegu, abd. degan, ags. thegen; Degen.
(ohn) Urd. nhna-, goth. auhns : altn. ofn, ahd. ofan, ags. ofen
(doch schwed., auch schon altschwed., ngn neben ofn und omn); Ofen.
(ohs) Urd. uhsan-, goth. aubsas : altn. oxi, ahd. ohso, ags. oxa;
Ochse.
(cht) Goth. dauhtar : altn. döttir, ahd. tohtor, ags. a. alts.
dohtor; Tochter.
(etr) Urd. fitra- : (altn. fiöturr), ags. fetor, feter, alts. feter;
Fessel.
(ethr) Urd. fithra- : (altn. fiöör), ahd. fedara, ags. feöer; Feder.
(edr) Urd. idra- : (altn. jaöarr); ahd etar, ags. edor; Zaun.
Urd. vidraialtn. veör, ahd. wetar, ags. veder; Wetter.
(otr) Gotb. snutrs : altn. snotr; abd. snotar, ags. snotor; weise.
Urd. utra- : altn. otr, ahd. ottar, ags. oter; Otter.
(odn) Urd. badna-ialtn. botn, abd. bodam, ags. botm; Boden.
(ebr) Urd. ibra- (langobard. Ibor) : (altn. jöfurr), ahd. ebar,
ags. eofor; Eber.
(ebn) Urd. ibna-, gotb. ibns : (altn. jafn), ahd. eban, ags. efu; eben.
(oQ) Gotb. ufja- : altn. of; Fülle.
(oft) Goth. ufta:altn. opt, ahd. oftO; ags. oft; oft.
Aus diesen Beispielen also ergiebt sich die Regel: Das / and
u der Staramsylbe bricht sich zu e und o durch* die Gewalt eines
a der folgenden Sylbe. Sehn wir nun zu, welche Ausnahmen diese
Regel hat und ob nicht ein Theil dieser Ausnahmen sich auf be-
stimmte Gründe zurückführen lässt.
VI. Brechung. 255
Die erste und wichtigste dieser AasDabmen besteht darin, dass
ein aaf das / oder u folgender Nasal die Gewalt des folgenden a
aufhebt; jene Vocale also ungebrochen bleiben. Beispiele giebt es
hiefür in so grosser Menge, dass eine Aufzäh lang derselben unnütz
ist, sowol für den Fall, dass der Nasal allein folgt, als für den,
dass er den ersten Theil einer Gonsonantengruppe bildet. Dass
vor Nasalen dennoch die Brechung erfolge, ist so gut wie unerhört;
nur die beiden Verba nehmen und kommen sind Lier zu erwähnen.
Das goth. niman bleibt regelrecht ungebrochen in ags. niman und
altfries. nima; das ahn. nema und das ahd. neman scheinen erst
in späterer Zeit der Analogie der gebrochenen Formen gefolgt zu
sein. Eben so verhält sich ahd. queman zu goth. qviman; hier
haben das altn. koma und das ags. cuman den betreffenden Vocal,
eben so wie später auch das Hochdeutsche, gänzlich schwinden lassen.
Welches ist nun der Grund von diesem Uuterbleiben der
Brechung vor einem Nasal? Ich meine, das Sprachbewusstsein
jener Periode sah in dem Nasal noch keinen besondern Laut,
sondern erblickte in ihm nur eine Modificirung des vorhergehenden
Yocals, dessen reiner Klang dadurch gewissermassen schon gebrochen
war; es war eben kein reines / und u mehr zu brechen. Man
vergleiche die slavischen Nasalvocale; ja die Bezeichnung der
Nasale in mittelalterlichen Handschriften durch einen Strich über
dem vorhergehenden Vocale geht aus einer ähnlichen Anschauung
hervor.
Ein zweiter Anlass zum Unverändertbleiben des / und u liegt
in dem Ablautssystem unserer Sprache. Gewisse Formen schliessen
sich so eng an den im Plural des Praeteritums erscheinenden
Yocal an, dass sie diesen unversehrt erhalten, obwol dort in der
Endsylbe ein u, hier ein ableitendes a steht. Zuerst gehören hie-
her die Infinitive der Praeteritopraesentia, die von der Brechung
nichts wissen; ihr enger Anschluss an den Plural des Praeteritums
zeigt sich übrigens auch in dem Auslaute der merkwürdigen alt-
nordischen Formen skulu, munu u. s. w., die ich Bd. I, 586 erwähnte.
Der Infinitiv heisst also goth. vitan, altn. vita^ ahd. wizan, alts.
witan wissen; ja bei diesem Verbum enthält auch das schwache
Praet. altn. vissa, ahd. wissa, alts. wissa denselben Vocal.
Fünf andere dieser Verba (ich sehe von den auf Nasal aus-
gehenden mafiy kmmy an ganz ab) haben u im Plur. Praet. und
zeigen dieselbe Erscheinung. Das eine derselben hat wurzel-
haftes t/, nämlich goth. daug valeo; davon lautet der Inf. goth.
dugan, eben so aber auch ausnahmslos altn. duga, ahd. tugan, ags.
duganj das schwache Praeter, hat altn. noch dugöa, ahd. schon
256 VI. Brechung.
tobta, wo also die Brechung später eingetreten ist. Die andern
vier haben warzelhaftes a] es sind:
1) Qoth. thaurban dürfen ; eben so mit u altn. thurfa, ahd.
durfan, ags. tburfa; aaeb hier bat das sehwacfae Praet. noch altn.
thurfta, doch ahd. dorflta, alts. tborfta, ags. thorfte.
2) Goth. gadaursan wagen, auch ahd. turran, ags. durran; im
Praet. ahd. torsta, alts. gidorsta, ags. dorste.
3) Gotb. sculan sollen, auch altii. skula, ahd. sculan, alt^.
skulan ; im Praet. hat das Altn. wiederum skylda, das Ahd. scolt:),
das Alts, scolta, das Ags. sceolde.
4) Gotb. ganauhan freistebu, noch ags. nugan, doch im Praet.
nobte.
Solcher Anschluss an den Plural vocal des starken Praeteritums
findet sich nun aber auch noch in einer Anzahl von nominalen
Bildungen. Zu fliugan flugum gehören zwei Nomina, erstens urd.
fluga-, altn. flugr. ahd. flug Flug, zweitens urd. fugla-, gotb. fugis,
altn. fugl, ahd. fugal (neben späterem fogal), alts. fugal, ags. fngol
Vogel. Zu gotb. tiuhan stellt sich urd. tuga-, altn. zwar gebrochen
tog, aber ahd. zug, mhd. zuc neben zoc. Von scintan scbiessen
stammt urd. acuta-, altn. zwar skot, aber ahd. scoz Schuss. Das
urdeutsche Thema vulfa- Wolf, gotb. vulfs, altn. ülfr, ags. vulf,
alts. wulf, nur ahd. gebrochen Wolf mag vielleicht im Volksbewnsst-
sein an gotb. vilvan rauben angelehnt worden sein, eben so wie
urd. gultba-, gotb. gulth, altn. gull oder goll, aber ahd. gold, ags.
gold Gold an urd. gildan gelten. So kann urd. kussa- (oder
ku8ja-?), altn. koss, ahd. cus, chus, ags. coss cyss, alts. koss kns
Euss an kinsan kosten, vielleicht mit etymologischem Bechte, sich
anfügen. Zu einer für das Urdeutsche anzunehmenden Wurzel val
winden stellt sich urd. vulla-, gotb. vulla, altn. ull Wolle, während
ahd. wolla gebrochenen Vocal zeigt.
Zum altn. vikja weichen gehören die beiden Wörter Woche
und Wechsel, die beide noch im Altn., nicht mehr im Ahd. unge-
brochenen Vocal zeigen; jenes ist urd.vikan-, gotb. viko, ahd. wehba,
dieses urd. vihsla-, altn. vixl, ahd. wehsal.
Noch etwa ein Dutzend anderer Wörter habe ich anzuführen,
bei denen Schwankungen im Auslaute des Themas, falsche Ana-
logien oder Volksetymologie der Grund für die Unterlassung der
Brechung sein mag. Ich führe zuerst diejenigen an^ welche in
dieser Unterlassung ganz consequent sind.
Urd. vitbra, gotb. vithra, altn. viör, ahd. widar, alts. witbar,
ags. viöer scheint die Brechung deshalb zu entbehren, weil es sich
an das einsylbige altn. und ags. yiö anlehnt. Eben so lehnen aidi
VI. Brechung. 257
an ein yerlorenes, aber sicher zu erschliessendes einsylbiges niö
das nrd. nithar, altn. niAr, ahd. nidar, alts. niöar^ ags. niAar; des-
gleichen auch das urd. nithana (altn. freilich neöan), ahd. uidana»
alts. nidana, vgl. neoöan. Urd. tila- erscheint ungebrochen im goth.
Adj. gatils passend, in der altn. und engl. Praep. til und im ahd.
Subst zil Ziel. Ferner ist zu nennen urd. smitha-, goth. smitha,
altn. smiör, ahd. smid Schmid, dann urd. fiska-, goth. fisks, altn.
fiskr, ahd. fisc, alts. fisk, ags. fisc Fisch, eben so urd. viska-, altn.
?isk, ahd. wisc Wisch. Von den Stammsylben mit w ist hier nur
zu nennen urd. duftä-, altn. dupt, rahd. tuft, duft Duft, das mög-
licherweise sein Beharren der lautlichen und begrifflichen Nachbar-
schaft von luftu- Luft verdankt.
Einige andere Beispiele zeigen grösseres Schwanken:
Urd. iba-, altn. if, ef, ahd. iba Bedingung, Zweifel.
Urd. libra-, altn. lifr, ahd. libara, lebara, ags. lifer Leber.
Urd. nibla-, altn. nifl, ahd. nebul, alts. nebhal, ags. nifol Nebel.
Urd. skipa-, goth. skip, altn. skip, ahd. sciLund scef, alts.
skip, ags. scip Schiff.
Urd. spika-, altn. spik, ahd. spec, ags. spie Speck.
Urd. stibna-, ahd. stimna (also mit folgendem Nasal), ags. stefn
Stimme.
Urd. bnkka-, altn. bukkr, bokkr, ahd. hoch, ags bucca Bock.
Urd. fulla-, goth. fulls, altn. fullr, ahd. fol, ags. ful voll, das
vielleicht aus einer Rücksicht auf den Stamm filu- viel ungebrochen
bleibt.
«
Urd. turba-, altn. zwar torf, doch ahd. zurba, ags. turf Torf.
Das sind die Ausnahmen, welche ich mir notirt habe. Da ich
sowol für die Regel als für die Ausnahme von solchen Beispielen
abgesehn habe, die sich nicht gut durch die deutschen Sprachen
verfolgen lassen, so kann diese Uebersicht füglich dazu dienen
Regel und Ausnahme gegen einander abzuwägen.
Noch klarer aber wird die Gewalt der Regel durch eine Ueber-
sicht über diejenigen i und u in Stammsylben, welche nicht der
Brechung unterliegen können, da kein a folgt. Sie zerfallen in drei
Glassen: 1) solche, wo kein Vocal folgt (einsylbige), 2) solche, wo
i und 3) solche, wo u folgt. Ich gebe der GontroUe halber auch
hiefür drei Verzeichnisse, doch der Kurze wegen die einzelnen
Wörter nur in neuhochdeutscher Form, wenn sie in dieser erhalten
sind, gleichviel ob diese Form noch den ursprünglichen Vocal hat
oder nicht:
1) Einsylbige : ur-, er-, zur-, zer-, miss-, ich, mich, dich, sich,
goth. Vit (Dual), mit, goth. id- (Adv.), goth. uf (Praep.).
Föntemann, Getch. ä. ä, Sprackstamme$, IL 17
268 VI. Brechung.
2) Mit folgendem / {Ja) : irren, goth. fairina, Thür, für, Fürst,
Wille, fallen, Riese, altn. viss (gewiss), dick, goth. mikils, altn.
stikill, Sieg, Igel, liegen, Wicht, altn. wigg (Pferd), goth. hugjan,
Zfigel, Brücke, sitzen, Nisse, Nuss, bitten. Schritt, goth. haps (Hüfte),
über. Kippe, ahd. wibil (Käfer), übel, ahd. luppi (Gift), Hirn, goth.
faimithai Morgen, wirken, Hirt, Wirbel, Wurm, Darst, Borste, Burg,
Furcht, würken, Föhre, Antwort, Hürde, Geburt, morden, Wurzel,
Bürde, urd. urti-, altn. thnrft, welch, mild (obwol speciell gothisch
auf -a), wild, urd. hildi-, Milz, Schuld, folgen, Distel, ahd. nist (u.
nest,, Wegzehrung), Frist, Mistel, List, goth. gakusts, altn. hlnsti
(Gehör), richten. Sucht, goth. drauhts, ahd. ginnht, Luchs, dritte,
bitten, Mitte, nütze, Hütte, Sippe, Gift. Dazu natürlich auch die
Verbalformen, welche i in der Endsylbe haben.
3) Mit folgendem u : kirr, goth. kaurus (schwer), dürr, viel,
Silber, Vieh, -zig (Numer.), ahd. hugu (Sinn), goth. qvithus (Leib),
Friede, urd. lithu- (Glied), goth. vrithus (Herde), Sitte, Meth, urd.
yidu- (Holz), ahd. ibu (Partikel), Biber? goth. qvairnus (Mühle),
goth. fairguni (Berg), Birke? Wirth, Milch, Schild, goth. vulthus
(Herrlichkeit), Lust, Widder, Luft.
Formen mit Nasal nach der Stammsylbe konnte ich auch hier
übergehn. Das ungebrochene Verhalten all dieser Formen bestätigt
die Ansicht, dass wirklich das a und nichts Anderes die Ursache
der Brechung ist.
Nach allem Mitgetheilten wird sich nun etwa folgende ge-
schichtliche Ansicht über die Brechung des i und n bilden lassen.
Bereits im ungetheilten Germanischen (Alturdeutschen) scheint /
und u bei folgendem a etwas von der Reinheit seines Tones ein-
gebüsst zu haben, wenn jenem / und u ein h oder r folgten, zwei
Consonanten, deren Articulationsstelle der des a nicht fem liegt.
Diese Brechung vor h und r griff dann im Gothischen so weit um
sich, dass sie stets vor beiden Lauten erfolgte, ohne mehr auf
ihren eigentlichen Grund, das Nachfolgen eines a, Rücksicht zu
nehmen. Im Mittelurdeutschen ergriff die Brechung auch andere
Formen, zunächst die mit folgendem einfachen Consonanten (aus-
genommen die Nasale), zuletzt die mit Consonantengmppen. Bei
letzteren aber blieb in einigen Lautverbindungen die Brechung des
I noch auf der Mittelstufe ia stehn, wie wir sie im Altnordischen
finden. Wie endlich dieser Zustand in den drei einzelnen Sprach-
zweigen sich weiter entwickelt hat, gehört nicht mehr hieben
An diese Betrachtung knüpft sich nun naturgemäss die Frage,
ob nicht auch der Diphthong tu (der einzige, von dem hiebet die
Bede sein l^ann) schon im Mittelurdeutschen durch ein a 4er folgenden
VI. Brechung. 259
Sylbe eine Brecbung erlitten habe. Stellen wir hiefur zunächst
dasjenige Material von Formen zusammen, welches für eine schon
mittelurdeutsche Brechung der Vocale spricht, und ordnen wir dieses
Material nach den Consonanten, welche auf den zu brechenden
Vocal folgen:
(r) Goth. stiura-, altn. stiorr, ahd. stier, ags. steör; Stier.
(1) ürd. kiula-, altn. kioll, ahd. chiol, ags. ciöl; SchiflF, Kiel.
(n) Urd. tiuna-, altn. tion, ags. teön, alts. teöna; Schaden.
Urd. thiunan, altn. thiöna, ahd. dionön, alts. thionön; dienen,
(s) Goth. driusan, alts. driosan, ags. dreösan; fallen.
Urd. friusan, altn. friosa, ahd. friosan (erst ags. frysan); frieren.
Goth. kiusan, altn. kiösa^ ahd. chiosan, ags. ceösan; kiesen.
Goth. linsan, ahd. farliosau; verlieren.
(h) Goth. tiuhan, ahd. ziohau, alts. tiohan; ziehen.
Urd. thiuha-, altn. thio, alts. thio, ags. theöh; Schenkel.
Goth. thliubau; (altn. flyja ist gestört durch den Wechsel der
Consonanten), ahd. fliohan, ags. fleön; fliehen.
(t) Urd. briutan, altn. briöta, ags. breötan; brechen.
Urd. fliutan, altn. fliöta^ ahd. fliozan, ags. fleötan; fliessen.
Urd. giutan, altn. gidta, ahd. giotan, ags. geötan; giessen.
Urd. griuta-, altn. griot, ahd. grioz, alts. griot, ags. greöt; Gries.
Urd. hliutan^ altn. bliota, ahd. hliozan, ags. hliotan, ags. hleö-
tan; losen.
Goth. niutan, altn. niota; ahd. niozan, ags. niötan; geniessen.
Urd. spiuta-, altn. spiöt, ahd. spioz; Spiess.
Urd. thiutan, altn. thidta, ahd. diozan; ertönen.
Goth. thriutan; altn. thriöta; ahd. driozan; belästigen,
(th) Goth. hliutha-y altn. hliod; das Hören; dazu ahd. hliodori
ags hleödor dsgl.
Urd. liutha-, altn. liöd, ahd. liod, ags. liöd; Lied.
Urd. siuthan, altn. siöda, ahd. siodan; sieden.
Goth. thiutha-y altn. thiod; das Gut.
(d) G^th. biudau; altn. biöda^ ahd. biotan, ags. beödan; bieten.,
Goth. liudan, ahd. arliotan, alts. liodan, ags. liödan; wachsen*
Goth. riuda , altn. riö^r, ags. reod ; erröthendy rotb.
Ctoth. thiuda, altn. ihiböf ahd. diot» alts. thioda; Volk,
(f) Altn. vhriufr^ ahd. rieb, ags. hredv; rauh,
(b) Goth. thiuba-; altn. thiöfr, ahd. diob (neben diub), ags.
thiöf, tbeöf Dieb.
Diesem Verzeichnisse stelle ich nun ein zweites gegenüber von
solchen Formen; in welchen die Brechung ' sich entweder gar nicht
17^
260 VI. Brechung.
oder wenigstens nicht in allen den drei Spracbzweigen zeigt, denen
sie zukommt:
(r) Goth. diasa-^ altn. d^r, ahd. tior, ags. dior; Thier.
Urd. finra-, altn. fyr, ahd. fiar, ags. fyr, alts. fiur; Feuer.
Urd. hlinra-; altn. hlyr, alts. blior, ags. bleör; Wange.
Urd. ninran-, altn. nyra, ahd. nioro; Niere.
(m) Goth. hlinman- das Gehör, ahd. hliamunt Leamand.
(8) Urd. bniusan, altn. hniösa, ahd. niusan; niesen.
(k) Urd. riakan, altn. riüka, ahd. riobban, ags. reöcan; riechen.
(g) Urd. driugan, ahd. triugan (neben treogan), alts. driogan;
betrügen.
Urd. biagan, altn. biüga, ahd. biogau (Subst. biugo), ags.
bügan; biegen.
Urd. blioga-^ altn. bliügr, mhd. blinc; blöde, verschämt.
Urd. flingan, altn. fliüga, ahd. fliagan (fliogan), ags. iieögan;
fliegen.
Goth. liugan, altn. liüga, ahd. lingan (liogan), alts. liogan; Lügen.
(p) Goth. dinpa-, altn. diupr, ahd. tiut (tiof), ags. deöp; tief.
Goth. driapan, altn. driüpa, ahd. triufan, alts. driopan, ags.
dreöpan triefen.
Urd. stiupa-, altn. stiop-, ahd. stiuf-, ags. steöp-; Stief-.
(b) Urd. kliaban, altn. kliüfa, klyQa, ahd. chliobao, alts.
kliobban; spalten.
Urd. liuba-, goth. linbs, altn. liüfr, ahd. Hab, alts. liof; lieb.
Das erste der beiden Verzeichnisse spricht entschieden dafür,
dass im Mittelurdeutschen bereits eine Brechung des iu eingetreten
ist, sonst wäre das gleichmässige Verhalten aller dort erwähnten
Wörter höchst wunderbar. Das erste Verzeichniss zählt 30, das
zweite nur 17 Wortgruppen; das spricht dafür, dass die Brechung
im Mittelurdeutschen schon in den meisten Fällen durchgedrun-
gen war.
Von den 17 Fällen des zweiten Verzeichnisses zeigen 16, dass
hier das in diesem Falle besonders wichtige Altnordische die Brechung
entbehrt. Nur im altn. bniösa tritt die Brechung ein, und da wir
kiusan, driusan, friusan, liusan im ersten Verzeichnisse finden, so
werden wir das ahd. niusan nicht als eine Erhaltung des alten Zn-
standes, sondern als eine unorganische Form für echteres niosau
anzusehn haben und auch diesen Fall noch dem ersten Verzeichnisse
hinzurechnen müssen.
Dies berücksichtigt ergiebt sich, dass nur die beiden Couso-
nanten r und ^in beiden Verzeichnissen als solche vorkommen
können, die hinter dem Diphthongen, stehn; für beide aber scheint
VI. Brechang. 261
das Ueberge wicht anf Seite der Nichtbrechangzo liegen. Nehmen
wir beide Consonanten für diese Seite in Anspracb, so ergiebt sich;
Brechung des /// vor I, n, s, h, t, th, d, f.
Kichtbrechong des iu vor r, m, k, g, p, b.
Aus diesem Sachverhalt bildet sich die Ansicht (welche wir
bei einer grösseren Anzahl von Beispielen mit noch grösserer Sicherheit
aussprechen könnten), dass die Brechung des Diphthongen iu sich
erst später in Bewegung setzte als die der einfachen Vocale und
dass sie zuerst die Zungenlaute ergriff^ auch das n^ welches hier
nicht mehr wie bei den einfachen Vocalen die Brechung verhinderte,
denn dem Diphthongen gegenüber erschien das n schon mehr als
selbständiger Laut. Ausser den Zungenlauten unterwarf sich der
Diphthong der Brechung auch vor h und /*, nun aber blieb die Brechung
(d. h. während der mittelurdeutschen Periode) stehen. Consonanten-
grnppen hinter dem iu kommen gar nicht in Betracht.
Lippen- und Gaumenlaute gehn also zögernder auf die Brechung
ein als Zungenlaute; geschieht es deshalb, weil die Lippenlaute
dem Uj die Gaumenlaute dem / näher liegen, also das a der folgen-
den Sylbe nicht mehr frei schalten lassen? das setzt fast zu viel
Feinheit des Sprachgefühls voraus. Möglicherweise aber wirft diese
Geschichte der Brechung des iu auch ein Licht auf die Reiben-
folge, in welcher die ältere Brechung des u in Fluss gerieth.
Geschichtlich wichtig scheint noch besonders eine Gruppe zu
sein, nämlich diu^a-, altn. dyr, welches erst später im ahd. tior
und ags. dior bricht. Da « zu denjenigen Lauten gehört, vor denen
schon im Mittelurdeutschen Brechung eintritt, so scheint sich zu
ergeben, dass der Uebergang von s : r, worüber gleich unten, in
diesem Worte eher eingetreten ist als die Brechung die Wörter
mit folgendem s ergriff.
Auch hier geben wir der Controlle wegen noch ein kleines
Verzeichniss von solchen Formen, bei denen auf den Diphthongen
in der folgenden Sylbe ein i Q) folgte, bei denen also aller Grund
zur Brechung wegfiel; für ein folgendes f^ mangeln die Beispiele.
Urd. diurja-, altn. dyrr, ahd. tiuri, ags. diöre; theuer.
Urd. hiurja-, altn. hyrr^ ahd. unhiuri, alts. dsgl., ags. hiöre, heöre,
btre; gehener.
Urd. kiulja-, altn. k^ll, ahd. chiulla, ags. cyl , cylle; Sack,
Ranzen.
Goth. riurjan, altn. ryra; verderben.
Goth. stiurjan, altn. styra, ahd. stiuran; steuern.
Urd. glinja-, altn. gly, ags. gleöv, gliv; Lust, Spiel.
Goth. niujis, altn. n;^, ahd. niuwi, alts. niuwi, ags. nive,
neöre; neu.
262 VI. Laatweohsel.
Goth. siajaD, altn. syja, ahd. siawan; nähen.
Urd. skiuja-, altn. sky, alts. skio, ags. sceö; Himmel, Wolken.
Goth. thiuja-, altn. thy, ahd. diuwa, alts. thiwi; Magd.
Goth. niahsjan, altu. nysa, alts. niusian, ags. niösan; unter-
snchen.
Urd. liudi, altn. lyör, ahd. liut, alts. lind; Leute.
Urd. thindjan^ altn. th^fia, ahd. diutan; deuten.
Goth. thiubja-, altn. tb^, ahd. diubja, alts. thiubi; Diebstahl.
Dazu noch die bekannten einzelnen Verbalformen.
80 weit über die Bereicherung des mittelurdeutschen Vocalsystems
durch die Laute e, o und io. Für das Consonantensystem scheint
die Sprache in dieser Periode nur eine kleine Bereicherung erlebt
zu haben. Ich meine die Spaltung der urdeutschen Aspirate ih in
einen härteren und einen weicheren Laut, ein th und ein äh (Ö), von
welchen der erstere zunächst wol eigentlich Aspirata bleibt, während
der letztere die Geltung einer Spirans empfangt. Der weichere
Laut erscheint stets nur in- und auslautend, nicht anlautend. Dass
diese Spaltung schon sehr alt sein muss, ist sicher; Bydqvist
Svenska spräkets lagar IV, 291 schreibt sie schon dem Umordischen
zu; ich setze sie um noch eine Sprachperiode früher. Im Hoch-
deutschen ist später dieser Unterschied wieder zu Grunde gegangen.
II. Lautwechsel.
A. Yoeale.
1. Vocale selbständig.
Wir haben Bd. 1,339 f. gesehn, dass die Verdunkelung von
altem a:u bereits im ungetheilten Germanischen stark um sich
greift, doch nur in Stammsylben. Im Mittelurdeutschen scheint sie
sich weiter auszudehnen und auch Flexionssylben zu ergreifen.
Hier ist zu erwähnen der Dat. Sing, der pronominalen Declination,
der gothisch auf -amma, altn., ags., alts. aber auf -um ausgebt, im
Ahd. sich noch unorganischer gestaltet. Auch das -am im Dat. Plur.
der A-Stämme, welches in den ungothischen Mundarten -um lautet,
würde hier zu erwähnen sein. Doch machen hiebei die schleswigschen
Buneninschriften irre, die schwerlich vor das dritte oder nach dem
siebenten Jahrhundert zu setzen sind; in ihnen begegnet noch ein
launam (mercedibus), thuvam (famulis), Holtingam (Holtsatis) ; sollte
das bloss eine Rückkehr zu dem früheren Zustande sein und nicht
vielmehr ein Erhalten desselben? Im Uebrigen scheint der Ueber-
gang von a: a in Deolinations- and Gonjugationsendungen noch
VI. Vocale, Außlaut. 263
nicht dieser Periode anzagehören, während er in den einzelnen
Sprachzweigen sehr gewöhnlich ist, namentlich im Althochdeutschen.
Eine ähnliche Verdunkelung werden wir der Bildnngssylbe der
alten Feminina auf -an zuzuschreiben haben, die nach Bd. I, 341
im Altnrdeutschen schon auf -ön ausgingen, also um eine Stufe
verdunkelten; die zweite Stufe erreichte das Mittelurdentsche, in-
dem es diese Formen auf -ün bildete. So werden wir statt des
gothischen Genetivs tuggöns ein mittelurdeutsches tungün ansetzen
auf dem das altn. tuugd, das ahd. zungun, das alts. tungün beruht ;
das ags« -an ist dann als unorganisch anzusehn.
Eine ganz vereinzelte Vocalverkürzung^ und zwar von ä : a, ist
wol anzunehmen in dem goth. meuöths; die mittclurdeutsche Form
scheint mänaör geheissen zu haben, und so lautet es auch im Altn.
(neben mänuör); das Ahd. hat mänod (wol mit kurzem o), das Ags.
mönaö oder mönÖ.
Nicht hieher gehört ein scheinbarer Uebergang von u in i im
persönlichen Pronomen der zweiten Person; wir werden hier viel-
mehr eine Formeiiübertragung sehn, die erst bei der Declination zu
erwähnen sein wird.
2. Vocale im Auslaut
Schon dem Urdeutschen gehörte die Bd. I, 345 besprochene
Feindschaft gegen auslautendes i und a an; diese Feindschaft
wirkt auf der hier betrachteten Sprachstufe noch fort. Für das i
freilich mangelt es hier an Beispielen, das a hingegen unterliegt
theils dem Abfalle, theils der Schwächung in u oder /.
Ganz aufgegeben wird das a erstlich in den Neutris der Prono-
mina; dem gothischen thata, ita u. s. w., eben so den starken Ad-
jectiven wie gödata entsprechen in den andern Sprachen nur Formen,
die den Vocal völlig entbehren. Dasselbe ist zweitens der Fall
mit den Genetiven der persönlichen Pronomina, also mit dem Sing,
goth. meina, theina, seina, dem Dual ugkara, igqvara, dem Plur.
unsara, izvara. Ganz parallel damit laufen Optative Verbalformen;
von der gothischen 1. Plur. Praes. bairaima und Perf. bereima,
von der 3. Praes. bairaina und Perf. bereina schwindet der aus-
lautende Vocal für die andern deutschen Sprachen, und dass die
1. Du. Opt. Praes. bairaiva und Perf. bereiva in den übrigen
Sprachen untergegangen sind, daran mag die unverkennbare Scheu
vor einem auslautenden r mit Grund sein.
Eine Schwächung des a zn u nehme ich an im Dat. Sing.
Masc. und Neutr. der pronominalen Declination. Dem gothischen
Aasgange auf -mma gegen&ber wird eine mittelurdeutsche Endung
264 ^^- Vocale, Auslaut
-um anzusetzen sein, auf welcher dann altn. -m, ahd. -mn, -mo,
alts. -mn, -mo nnd ags. -m beruhn.
Die zweite Scbwäcbung eines auslautenden a, nämlich zu i,
scheint mehr vereinzelt eingetreten zu sein. Der urdeutschen
Praeposition fura (goth. faura) entspricht für die übrigen Sprachen
ein adverbial und praepositional gebrauchtes furi, das wir im altn.
fyri, für, ahd. fnri wiederfinden. Ganz ähnlich scheint das Subst.
altUc fyl, ahd. fuli Füllen zu beurtheilen ; im Goth. heisst das Thema
fulan, worauf das altn. foli, ahd. folo, ags. fola beruht. Aehnliche
Fälle werden sich wol noch mehrere finden lassen und mehrere
der oben angeführten Ausnahmen von der Regel der Brechung
scheinen sich durch solchen Vorgang zu erklären.
Dero Abwürfe eines kurzen -a entspricht bei dem langen -ä
dessen Verkürzung, nnd auch hier ist die Bd. I, 348 besprochene
Erscheinung auch noch im Mittelurdentschen nicht völlig zum Still-
stande gekommen. Wenigstens bei den Adverbien auf urdeutsches
ä (goth. ö) werden wir sie annehmen müssen; dem goth. sinteinö,
glaggvö, thinbjö, missö entspricht ein altn. giörva, illa, vida u. s. w.,
eben so ahd. Formen wie blinta, alluka, meista, die dann noch
weiter im Ags. auf blosses -e zusammenschrumpfen wie in gcorne,
efne, hädre und andern Formen.
Wie wir es femer so eben bei dem kurzen auslautenden -a
sahen, so unterliegt auch das lange -ä in einem Falle der Ver-
dunkelung zu u, freilich complicirt mit dem Vortreten eines j. Ich
meine die Bd. I> 529 besprochenen pronominalen Instrumentale
auf urdeutsches -ä, goth. -e. Gefragt werden kann noch, ob der
Uebergang so zu denken ist: ä, ja, jft, ju, oder so: ä,'u, jü, ju
oder endlich so: ä^ a, ja, ju, das heisst, in welcher Reihenfolge
auf einander Verdunkelung, Verkürzung und Einschub stehn. Mit
diesem Ju stimmt am nächsten das hochdeutsche und altsächsische
'iu^ femer steht das ags. -eüj am fernsten das den letzten Laut
ganz entbehrende altn. -t
Endlich lässt auch das Mittelurdentsche ein gewisses Streben
merken, den Diphthong au im Auslaute zu erleichtern. Wir haben
dafür als ersten Beleg den Dativ Sing, der U-Dedination ; dem
nrdeutschen sowol als gothischen snnan muss für die übrigen
Sprachen ein sQnin entsprechen, das am besten erhalten ist im
hochdeutschen suniu, während das altnord. syni wieder ganz an
die eben erwähnten Instmraentale erinnert; das Alts, schwankt
zwischen sunn, sunie und suno und der letzten Form schliesst sich
das ags. ganz unorganische snna an, das sich kaum lautlich, eher
dnroh FormenübertragQDg erklärt An diese Dative muss man gleich
VI. Vocale, abhängig. 265
die erste Pers. Sing, der Optative (goth. Praes. bairan, Praet. ber-
jau) anschliessen, der im Altn. Formen, anf -i, -i, ahd. -e, -i, ags.
-e, -e, entsprechen. Es ist hier wol kanm nöthig eine ganz vom
Grothischen anabhängige Bildung hierin zu sehn, wie in Kohn's Zeit-
schrift V, 54 geschieht. Eber liegt auch hier zunächst eine Er-
leichterung von au zu in vor, die dnnn, nicht auf lautlichem, sondern
flexivischen Wege dem Eindringen des Vocals der andern Personen
in die erste des Singulars den Weg bahnte.
Eine Verlängerung des nuslautendeu Vocals findet sich in goth.
nu (nunc) und thu (tu), wofür altn. nü, thu, ahd. nu, dii (doch
beide schwankend), ags. nü, thu; im Altsächsischen ist die Quan-
tität zweifelhaft.
3. Vocale abhängig.
Hieher gehört erstens die Brechung, die schon oben behandelt
wurde, da sie in unserm Falle mit einer Erweiterung des Laut-
systems zusammenhängt. Von einem Umlaute durch i oder u ist
dagegen noch keine Rede, obwol in Beispielen für den ersteren
die einzelnen Spruchen oft merkwürdig zusammenstimmen. Schon
der missbräuchlich sogenannte Rückumlaut zeigt, dass die Erscheinung
in weit jüngerer Zeit eingetreten ist.
Die Erscheinung der Diphthongenverengung muss man an-
nehmen, wenn man der vielleicht richtigen Ansicht ist, dass das
gotb. ei wirklich diphthongische Natur habe; ihm entspricht in den
andern Sprachen überall, z. B. in den starken Praesentibus wie
steiga, das einfach lange i; vgl. Bd. I, 337, 342. Eine ganz
parallele Verengung findet sich, doch nur in vereinzelten Fällen,
von älterem au zu jüngerem ü; so steht dem gothischen bauan
habitare ein altn. bua, ahd., alts. und ags. büan gegenüber, das
goth. trauan confidcre lautet altn. trua, ahd. truwen (triuwen), alts.
trfiön; goth. sauls columna wird durch altn. süla, ahd. und alts.
sül vertreten.
Eine noch grössere Verengung findet statt, wenn auf den Diph-
thong au noch ein / folgt; die Verbindung aui ist dem Mittelur-
deutschen unerträglich und wird einfach durch ^, gewissermassen
den Durchschnittslaut aus jenen dreien ersetzt. So haben wir goth.
afmauiths ermüdet: altn. möör, ahd muodi, alts. moöi müde und ebenso
gotb. sauil: altn. ags. söl Sonne.
In Bezug auf den Einfluss, den Vocale durch Gonsonanten
erfahren, ist ein Blick auf die Synkope im schwachen Pra'eteritum
zu werfen. Wir haben bereits an der entsprechenden Stelle des
vierten Buches gesehn, dass schon im ungetbeilten Urdeutschen bei
806 VI. Vocalc, abhängig.
einer beschränkten Anzahl solcher Praeterita die Synkope höchst
wahrscheinlich eingetreten ist; ist aber erst einmal solcher Vorgang
in Flnss gerathen, so lässt sich unmöglich annehmen, dass er später
in Stillstand gekommen sei, nm dann in einer andern Periode wieder
von Neuem sich in Bewegung zu setzen; die Synkope wird also
im Mittelurdeutschen schon weiter um sich gegriffen haben. lo
welchem Umfange das schon damals geschehen ist, lässt sich auch
nicht annähernd ergründen, ja man kann vermuthen, dass das Schwan-
ken hier sehr gross gewesen sei, dass sogar vielleicht dasselbe
Individuum einmal die volle, das andere Mal die synkopirte Form
angewandt habe. Im Allgemeiuen wird eine langsylbige Stamm-
sylbe eher zur Synkope geneigt haben, als eine kurzsylbige, auch
kommt es natürlich darauf an, wie leicht oder wie schwer die auf
beiden Seiten des zu synkopirenden Vocals stehenden Consonanten
sich in der Aussprache zu einander fügen. Die drei Sprachzweige,
aus denen wir den Zustand des Mittelurdeutschen zu abstrahiren
haben, sind in ihrem Verhalten höchst ungleich. Das Altnordische
zunächst hat die Synkope ganz durchgreifend eintreten lassen, die
Wurzel sei Inngsylbig oder kurzsylbig. Das Althochdeutsche ist
hier ausserordentlich schwankend und die einzelnen Schriftsteller
weichen bedeutend von einander ab; Isidor hat die meisten vollen
Formen, Tatian schon melir synkopirte, Otfrid und Notker noch
mehr; vgl. Grimm Gramm. I (1870) S. 792. lieber das Altsäch-
sische hat eine reiche Sammlung Begcmann in seiner vieles Beach-
tenswerthe enthaltenden Schrift über das schwache Praeteritnm
(1873) S. 120 ff.; hier stchn namentlich oft volle und synkopirte
Formen von demselben Verbum neben einander. Im Angelsächsi-
schen, wo statt des i schon e erscheint, ist die Synkope bei allen
langsylbigen, aber erst bei einem Theile der kurzsylbigen Stämme
eingetreten. Ich gebe hier einige noch leicht zu vermehrende
Beispiele, in denen die einzelnen Sprachen zu einander stimmen,
zuweilen wol zufällig, häufiger gewiss in Folge eines einmaligen
geschichtlichen Vorgangs :
Altn. dvalda, ahd. tualta.
Altn. kvalda, ahd. qualta, (alts. quelida), ags. cvealde.
Altn. selda, ahd. salta, alts. salta, ags. sealde.
Altn. talda, ahd. zaita, alts. talda, ags. tealde.
Altn. rakta, ahd. rahta, (alts. rekida), ags. reahte.
Altn. thakta, ahd. dahta, ags. theahte.
Altn. vakta, ahd. vahta, alts. vahta, ags. veahte.
Altn. lag&a, nibd. lahta, alts. lagda, ags. lägde.
Altn. hvatta, ahd. wazta.
VI. Gonsonanten, selbständig. 267
Altn. lattd; abd. lazta, alts. latta.
Altn. setta, ahd. sazta, alts. satta, ags. sette.
Altn. kvadda, ahd. qoatta, alts. quadda.
AltD. haf(9a, ahd. bapta, alts. habda, ags. häfde.
B. Consonanten.
1. Consonanten selbständig.
Für die Richtigkeit einer Hypothese spricht es besonders, wenn
die einzelnen mit ihr zusammenhangenden Thatsachen anter einander
in einer gewissen Harmonie stchn. Solche Harmonie findet beim
Mittelnrdeatschen mehrfach statt, namentlich aber zwischen der oben
besprochenen Erscheinung der vocalischen Brechung und zwischen
der jetzt zu erörternden Verwandlung eines s zu r. Beide Erschei-
nungen müssen schon im Alturdeutschen^ wie das Gothische zeigt,
gewissermassen ihren Schatten vorausgeworfen haben, beide treten
im Mitteinrdeutschen mit bedeutender Stärke ins Leben, beide aber
werden in dieser Sprachperiode nicht mehr zu einem völlig folge-
rechten Ziele durchgeführt; die vocalische Brechung schreitet be-
sonders im Hochdeutschen , die Verwandlung von s : r namentlich
im Nordischen noch erheblich weiter fort.
Das Gothische hat es nie bis zu diesem Wandel gebracht,
doch zeigt sein % für s (worüber oben) schon ein Rütteln am alten
Znstande. Zu achten ist jedoch auf einige wenige Spuren, die
noch ausserhalb des Gothischen ein auffallendes 8 zeigen, wo man
r erwartet. Der alte Suevenfürst Nasua im ersten Jahrhundert vor
unserer Zeitrechnung ist ein solches Beispiel, wenn der Name wirk-
lich zu goth. nasjan gehört; das Auffallende schwindet indessen,
wenn das u in diesem Namen consonantische Geltung gehabt haben
sollte. Dann die BovtfdxreQOv bei Ptol. für Bructeri; welchem Volke
mag Ptol. die Ueberlieferung dieser Form verdanken, wenn sie
nicht reiner Irrthum ist? Der auf einer Grabschrift von 491 zu
V^seronce im d^part. de Tlsfere begegnende Name Aisaberga mag
zu goth. aiz Erz oder *aisa Ehre gehören; auf den ersten Blick
hält man ihm für burgundisch, doch wer kann in jenem Völker-
gewirre genau scheiden? Endlich ist fraglich, aus welcher Sprache
das franz. framboise Brombeere (zu goth. basi) entnommen ist;
etwa aus dem Westgothischen?
Abgesebn von diesen wenigen unsicheren Spuren stimmen alle
germanischen Sprachen in der Einführung neuer r für alte s. Unter
den ausserdeutschen steht uns hierin keine näher als die lateinische,
bei welcher wir den Vorgang noch zum Theil geschichtlich yerfol-
268 VL 8:r.
gCD kobnen; Grimm in der Gescb. d. dtsch. Spr. S. 316 spricht
näher darüber. Ja es könnte sein, dass der iateiniscbe and der
deutsche Process einen fnr nns im einselnen nicbt mebr erkenn-
baren historischen Zusammenhang hätte; der lateinische fällt vor
unsere Zeitrechnung, warum nicht auch der deutsche? Im Deutschen
wie im Lateinischen muss der Vorgang zuerst inlautend zwischen
zwei Vocalen eingetreten sein, hierauf erscheint er auch im Auslaute,
zuletzt erst im Inlaute vor Gonsonanteu, also nie inlautend nach
Gonsonanten und nie anlautend; darauf beruht die folgende Anordnung.
Unbegreiflich wäre es übrigens physiologisch, dass der lieber-
gang des einen Lautes in den andern ohne irgend eine Vermittelun^
erfolgt sein sollte; man wird dazwischen etwa einen Laut annehmen
müssen, welcher der ursprünglichen Aussprache des (aus /* ent-
sprungenen) böhmischen und polnischen r^ nahe kommt. Dass in
der That das aus s entsprossene r noch lange einen von dem echten
r verschiedenen Laut gehabt hat, geht sogar noch aus der Schrift
hervor; die ältesten Kuneninschriften haben für das unechte r
(z. B. in Holtingar auf dem Tondernschen Goldhorn) noch ein
anderes Zeichen als für den organischen Laut. Vgl. ärböger for
nord. oldkyndigh. og historie 1867, S. 29 ff.
Ordnen wir nun die einzelnen Fälle in der oben angedeuteten
Weise.
1) Zwischen zwei Vocalen.
a) in Wortstämmen.
Wir beginnen hier mit einigen Nominen, deren gothische Form
mit s noch erhalten ist:
Goth. asans Erntezeit (altsl. jeseni, altpr. assauis): ahd. aran, emi.
Goth. ausö Ohr: altn. eyra, ahd. ora, ags. eär.
Goth. basi Beere: altn. ber, ahd. beri, ags. berige, berje, in
letzterer Sprache Fem., sonst Ntr.
Wo das Gothische uns die Form nicht liefert, müssen wir an
seiner Stelle die dem Deutschen nächstliegenden Sprachen setzen:
Urdeutsch alusa Erle (altsl. jelücha, davon Adj. jelüsiuü): altn.
ölr, ahd. elira» ags. alor.
Urdeutsch basas bar, bloss (lit. basas, altsl. bosü): altu. berr,
ahd. und ags. bar.
Urdeutsch sausas trocken (lit. sausas dsgl., davon sausys Krätze):
ahd. soren verdorren, siurra (aus siurja) Krätze.
Merkwürdig ist ferner das Verhalten derjenigen starken Verba,
deren Stamm auf ein s ausgeht. Wir werden deren im Deutschen
nach Bd. I, 547 ff. etwa folgende anzusetzen haben:
Mhd. brise gebrisen adstringo, schnüre.
VI. 8 : r. 269
(Altn. fiB feis fisQin fiBinn pedo).
Gotb. leisa lais lisum lisans experior.
Ooth. reisa rais risum risans sorgo, altu. ris surgo, ahd. risa
decido, alts. risu surgo, agn. arise surgo.
Ahd. wisa weis wisumes wisaner vito.
Gotb. iraiBa faifrais fraisans tento; gebt sonst schwach.
Ahd. zeisu zias zeisaner amputo.
Gotb. driusa draus drasam drusanS; ahd. triusu, alts. driusu,
ags. dreöse cado.
Altn. fnys fnaus fnusnm fnosinn respiro, anhelo.
Altn. frys frans frnsum frosinn, ahd. friasu, ags. freöse friere.
Altn. gys gaus gnsum gosinn emmpo (de flanioia).
Ags. begreöse greAs gruron groren terreo.
Altn. hnys hnans hnasum bnosinn, ahd. niusu niese.
Altn. brys braus brusum schaudere; gleich dem folgenden Wort?
Ags. hreöse breds bruron broren ruo, cado.
Gotb. kiusa kans kusum kusans, altn. kys, ahd. chiusu^ alts^
kiusa, ags. ceöse kiese.
Gotb. linsa laus lusnm lusans, ahd. liusn, alts. liusu, ags. leöse
verliere.
Altn. eys lös ausinn, noch schwed. ösa baurio.
Gotb. blesa baiblös blgsans, altn. blaes, ahd. bläsa blase.
Gotb. lisa las Itsum lisans^ altn. les, ahd. lisu, alts. lisu^
ugs. lese lese.
Gotb. nisa nas nesum nisanS} ahd. ginisu, ags. genese genese.
Gotb. yisa vas vesum visans, ahd. wisn, alts. wis'u, ags. vese;
altn. nur Praet. var värum bleibe.
Ahd. giru gähre, mbd. gir gar gären gegorn; mhd. daneben
auch noch gise jas, im Schwedischen ungebräuchlich jäsen.
Für die Conjugation nach fara, valda, binda fehlen also Beispiele
mit 8y auch nach nima, da das letztgenannte Verbum giru ursprüng-
lich zu giba zu setzen ist.
Um uns einen Blick in den historischen Vorgang des Eintritts
von r zu eröffnen, werden wir gesondert betrachten
a) die mebrsylbigen Formen des PraeteritumS; welche sicher
zuerst den Wechsel zwischen den beiden Vocalen eintreten Hessen;
zu diesen Formen gehört im Hochdeutschen und Säcbsiscben auch
die zweite Sing. Sehn wir hier nun von ganz vereinzelten Formen
ab wie ahd« riri zu urd. reisa, ags. begruron zu urd. grinsa, ags.
brure bruron zu urd. briusa, die nichts Geschichtliches ergeben^ so
scheint in folgenden Verben der Uebergang besonders alt:
driusa : ahd. trori tromm^ ags. dmron.
270 VI. 8:r. *
fnnsa : ahd. vrari vrarum, ags. fnire fniroD. Im Altn. gilt hier
friosa neben fröra, also im ganzen Verbam s neben r^ so dass das
Wort völlig in swei Yerba zerfällt; im Engl, bleibt Sj d« b. die
Formen mit gebliebenem s Biegen über die jedenfalls schon vor-
handen gewesenen mit r.
kiusa:ahd. cbnri charum, ags. eure curon, alts. kuri koran,
altfries. keron. Im Altn. schwankt hier kusam and karum. Das
Engl, hat hier wiederam nur 8^ das Nhd. r (köre, erkor^ erkoreu),
doch daneben kiese.
liasa : ahd. Inri larum, ags. Iure luron, alts. farlumn, altfries.
urleron; leider fehlt das Verbam im Altn.
Visa : altn. väram, Opt. vaerim (neben beiden Formen zeigt sich
niemals eine mit $\ ahd. wäri warum, alts. wäran, ags. yaere
vaeron, altfries. weron. Doch ahd. daneben farwäsi farwäsnm.
Die andern Stämme mit A-Vocal haben diesen Uebergang nur
in vereinzelten Sprachen, also mhd. lären, nären, gären gegen ahd.
nftsi näsnm, läsi lasum; eben so mhd. gire, wo das ganze Verbam
ein r annimmt (schon ahd. begegnet järum).
Kurz wir sehn nur bei vier U-Stämmen (driusa, friusa, kinsa,
liusa) und einem A-Stamme (visa) den Wechsel in den mehrsylbigen
Formen des Praeteritums so verbreitet, dass wir ihn wol schon dem
Mittelardeutschen zuschreiben können; es scheinen die häufigeren
Verba zu sein, welche ihm unterliegen, doch niemals mit solcher
Entschiedenheit, dass nicht noch später in einzelnen Mandarten die
Formen mit $ hätten siegen können. Die Verba setzen sich also
dem Anscheine nach später in Bewegung als die oben angeführten
and noch unten anzuführenden Nominalformen; beraerkenswerth ist
auch, dass im Oothischen bei diesen Verben niemals ein % eintritt.
ß) die Formen des Praesens, der Inf. und das Partie.
Hier zeigt die folgende Uebersicht durchaus keine Gemeinsam-
keit zwischen den einzelnen Sprachen, wir werden deshalb die
Veränderung erst späteren Perioden zuschreiben müssen:
Fär das Altn. wurde schon erwähnt, dass friosa neben fröra
gilt, also auch frosinn neben frörinn. Eben so steht von k^s kaus
ein Part, kosinn neben korinn. Oiosa gaus gosit gilt unentartet,
eben so bleibt das s in lesit und risinn. Im Verbum vesa, vera
sind nur die mehrsylbigen Perfectformen värum, vaerim u. s. w.
schon uralt, wie oben erwähnt wurde; im Uebrigen dringt hier das
r erst am Ende des zwölften Jahrhunderts aus Norwegen nach
Island ein; ältere isländische Handschriften haben noch den Inf.
vesa, das Praet. Opt. vesi und im Auslaut das Praes. es, das Praet.
vas (letzteres namentlich auch auf mehreren Bunensteinen). Viele
VI. fl:r. 271
bere Angaben über das Verbalten dieses Verbums findet man bei
sasby-Vigfusson S. 694.
Abd. gilt nocb der Inf. vriosau, ehiosan, wisnn, das Praes.
tn, das Part, wesaner und galesan. Dagegen jenes vereinzelte
i bat ein ririn, arriran neben sich. Mbd. gire gorn.
Im Alts, haben wir noch die Infinitive wesan, kiosan, farliosau,
iosan, dagegen schon die Participien koran nnd farloran, von
isan freilich whederam vresan; von driosan ist kein Part, mit r
legt. Ganz dem entsprechend zeigt das Ags. die Infinitive ceö-
n, freösan, forleosan neben den Participien droren, coren, loren,
ngl. forlorn). Neben dem Infinitiv vesan steht wieder das Part.vesen.
Auch das Altfries, stimmt dazU; Inf. kiasa^ urliasa neben
irt. keren, doch Inf. wesa, Part, wesen. Im ganzen sächsischen
veige scheidet sich also in den U-Stämmen das Part, mit r vom
f. mit 8.
b) in Wortbildangssnffixen.
Hieher gehören zunächst mehrere Fälle, in denen schon das
othische die Bewegung durch sein % vorbereitet zeigt. Zuerst das
iffix der Comparative:
Urd. -isan, -äsan, goth. -izan, -özan, altn* -ri, -ari; abd. -iro,
ro, alts. 'ira, -öra, ags. -ra.
Ferner drei Casus des pronominalen Adjectivs:
Gen. Sing. Fem. nrd. -aisäa, goth. -aizös, altn. -rar^ abd. -era,
fs. -re.
Dat. Sing. Fem. urdentsch -aisai- (goth. <ai), altn. -ri| ahd. -em,
;s. -re.
Gen. Plur. urdeutsch -aisäm, goth. -aiz£, -aizö, altn. -ra, ahd.
ro, ags. -ra.
Ausser diesen vier Beispielen sind hieher noch zu rechnen die
enigen Ueberbleibsel der einst so verbreiteten Tempusbildungen
it der Wurzel as^ die uns zwar nicht mehr das Gothischc; wol
)er noch das Altn. und das Hochdeutsche bewahrt haben; vgl.
d. I, 215. Es sind altn. sneri (torrit), gr6ri (viruit), reri (remigavit),
)ri (sevit), gneri, neri (fricuit), sleri (verberavit) nnd ahd. scriru-
68, mhd. schrim, ahd. griri, grirum, mhd. spim.
2) Auslautend.
a) in Wortstämmen.
Hierher gehören zunädist vier Neutra^ die im Nom« auf -8
asgehn, zum Theil also vielleicht versteckt des Neotralauffiz -isa
Qthalten können; in den übrigen Casus sind sie natttrlich noch
en oben angeführten Beispielen für die Stellung des Consonanten
»vischen zwei Vocalen zuzufdgen. Es sind das:
272 VI. 8 : r
Goth. ais £rz:altn. eir, ahd. er, ags. är.
6otb. dius Tbier;altD. dyr, alid. tior, ags. de6r.
Goth. kas Gefass (auf einer banater Raneninscbrift kes) : ahn.
ker, abd. cbar, ags. cere.
Gotb. raus Robr : altn. reyr, ahd. rör. Das franz. roseaa müsste
also (wie das oben angeführte framboise) einer Mundart entsprangen
seiu; die noch das gotb. s hatte.
Dazu kommt noch ein Masculinum : urd. gaisa-, goth. (Rada-)
gais : altn. geir, ahd. ger, ags. gär Sper.
Eben so einstimmig sind die ungotbischen Mundarten in zwei
Partikeln:
Goth. US : altn. nr, or, ör, ahd. ur, ar, er; ir.
Goth. tuz (-verjan):a]tn. tor-, abd. zur-.
Urdeutscbem gis entspricht altn. gjär (beri), das in den andern
Sprachen verloren ist
Dagegen im Auslaute der einsylbigen Perfectformen der star-
ken Verba auf s (s. oben) bleibt das s in dieser Sprachperiode
jedenfalls noch; später werden wir es in den einzelnen Sprachen
noch mehrfach zu r entarten sehn.
b) in Wortbildnngssufiixen.
Hier ist zuvörderst das neutrale Suffix -is (Thema -isa) zu
erwähnen, welches, da es in den deutschen Sprachen aufbort als
solches gefühlt zu werden, das zwiefache Schicksal hat entweder
als ein Tbeil des Stammes zu gelten (worüber so eben) oder als
Kominativendung angesehn zu werden. Wir rechnen anter diese
Erscheinungen folgende Fälle:
Goth. baris (ntr.) Gerste: altn. barr (ntr.), fehlt abd.; im ags.
bere ist das Genus unbestimmt.
Urd. dögis Tag: altn. doegr (ntr.), ags. dögor (masc. a. ntr.),
wol aus dem Altn. entlehnt.
Goth. hatis (ntr.) Hass : altn. hatr (ntr.), abd. haz (msc), ags.
bete (msc.)
Goth. riqvis (ntr.) Finstemiss : altn. rökr (ntr.).
Goth. sigis (ntr.) Sieg : altn. sigr (schon masc), ags. sigor
(msc); diese Form ist aus dem Altn. wol entlehnt, die organischer
entwickelte ist sige, wie alts. sigi, ahd. sigu^ sigi, sämmtlich msc.
Der Genusübergang zeigt recht deutlich, wie das r als -Nominativ-
zeichen gefasst wurde. Wenn in einzelnen Eigennamen, wie z. B.
Sigismund, der Zischlaut eich auch ausserhalb des Gothischen er-
hält, so scheint man irrthämlich in dem Worte eine aneigentliche
Composition gefühlt za haben.
Es würden sich noch mehrere Grappen ähnlich den hier ge-
Vi. 8 : r. 278
oannten ergeben, wenn nicht einzelne Wörter nur in je einem der
vier Sprachzweige erschienen. So im Gothischen die Neutra agis
Schrecken, rimis Ruhe, mimz Fleisch, im Altn. örr Narbe (vgl. skr.
arus Wunde).
Gefragt werden darf noch, ob nicht zum skr. Ntr. tamas (lit.
tumsa) dsLH ahd. demar, alts. themar (msc.) gehört; in diesem Falle
ist das -8 (-r) als zum Wortstamme gehörig angesehn worden. Fick
vergl. Wörterb. dritte Aufl. (1874) S. 130 fasst dagegen das r als
ein ursprüngliches, nicht aus 8 entsprungenes, was vielleicht be-
rechtigt ist.
Zu dem hier besprochenen NeutralsuflSxe gehört auch das be-
kannte neutrale Pluraldeterminativ (ahd. -ir u. s. w.), doch hat das-
selbe in dieser Sprachperiode noch kaum begonnen (vgl. das altn.
hoens gallus et gullinae).
Mit demselben Suffixe gleichförmig, aber von anderem Ursprünge
ist die adverbiale Comparativendung -is, die gleichfalls in den nn-
gothischen deutschen Sprachen als -r erscheint in folgenden Gruppen;
Urd. furis früher : altn. fyrr, mhd. vürer.
Urd. langis länger: altn. leugr, mhd. langer.
Goth. mais mehr : altn. meir, ahd. mer^ ags. märe.
In andern Gruppen wird dagegen im Hochdeutschen und
Sächsischen (also wol in Neuurdeutschen) die Zugehörigkeit zum
Comparativ ganz vergessen und das -r völlig aufgegeben, eben so
wie in dem gleich zu besprechenden CasussufQx des Nom. Sing.
Dies geschieht namentlich bei entstehender Härte der Gonsonanten-
Verbindungen. Hieher gehört:
Urd. aindis eher : altn. äÖr, mhd. end, ags. end.
Urd. batis besser : altn. betr, ahd. baz, ags. bet.
Goth. haldis lieber : altn. heldr, ahd. halt, alts. bald.
Goth. mins weniger : altn. minnr, ahd. min.
Weiter gehört wol hieher goth. framis weiter : altn. fremr; das
Wort fehlt in den beiden andern Sprachzweigen.
Im Gothischen vairs schlechter, ahd. wirs, alts. wirs bleibt das
s durch das vorhergehende r geschützt und nimmt nicht an dem
regelmässigen Wandel Theil; wir kommen hierauf noch bei der
Assimilation zurück.
Zu unterscheiden von den comparativisehen sind die genetivischen
Adverbia, die den Uebergaug nicht kennen, wie z. B. goth. und
ahd. allis omnino; dahin wird auch das eiris des Merseburger Zauber-
spruchs (2= goth. airis früher; ehemals) gehören.
c) in Casussuffixen. Hier haben wir folgende Fälle zu scheiden:
fönteinann, Gesch. d, //. Sprachstauunes, 11. lö
274 VI. s:r.
ä) Nom. Sing.
Hier ist die Regel die, dass das Doroinative s des Urdeatschen
ODd Gothischen im Mittelurdeutschen za r wird; dieses r aber (nach
meiner Ansicht also nicht das alte s, wie man früher meinte) wird
za verschiedener Zeit gänzlich apocopirt, da es in der That ein
etwas unnatürliches Nominativsuffix ist
Zuerst, wol schon im Mittelurdeutschen, schritt die Entartung
zur Apokope fort bei den Femininen. Wir haben also schon im
Altn. dem Goth. handus oder ansts gegenüber ein hönd oder äst
Doch blicken noch manche Beispiele von dem erwarteten -r im
Altn. durch. So unter andern:
Lat sus : altn. syr, ahd. sü, ags. su.
Skr. gaus : altn. k^r, ahd. chuo, ags. cü.
Dahin gehören altn. moer virgo, aer agua, byrör onus neben
hyröi, elfr fluvius neben elfi, vei5r venatio neben veidi, gygr femina
gigas, brüjr sponsa, hildr bellona und mehrere Eigennamen wie
Hilör, Heiör, Auör, Guör, Urör.
Die Feminina konnten von der Apokope am ersten ergriffen
werden, da sie keine compacte Masse bildeten, weil ein Tbeil von
ihnen, die A-Stämme, schon von uralter Zeit her die Nominativendung
entbehrten. Später (erst im Neunrdeutschen) schritt der Abwarf
auch zu den Masculinen fort So haben wir goth. vulfs, altn. ulfr,
ahd. wolf, ags. vulf und unzählige andere Beispiele.
Es fragt sich, ob wir von dem -/' der Masculina nicht noch
Spuren ausserhalb des eigentlich nordischen Gebietes finden. Ich
erinnere hier zunächst an den dem taciteischen Maunus entsprechenden
Mennor bei Frauenlob (s. z. B. Kühnes Ztschr. IV, 95;, obgleich es
gar nicht so ganz sicher ist, dass hier das Nominativzeichen vor-
liegt; ferner aber an die Lesuug „ek Hlevagastir Holtingar^ auf
dem goldnen Home von Tondern; vgl. hierüber und über die ältesten
Runeninschriften überhaupt liter. Centralblatt 1868; Nr. 10; Euhn's
Zeitschr. XVIII, 153 ff., XIX, 211.
Noch länger wird das mittelurdeutsche r bewahrt in der pro-
nominalen Declination. Man erwäge für die Pronomina:
Goth. i8:ahd. ir, er; fehlt altn. n. ags.
Goth. hvas : altn. hverr, ahd. hver : ags. hva.
Goth. sums : altn. sumr, ahd. sumer : ags. sum.
Eben so steht es mit den pronominal declinirten Adjoctiven,
also goth. blinds : altn. blindr, ahd. blinder : alts. ags. und altfries.
blind, and so in hundert Beispielen. In dieser pronominalen De-
clination erhält also selbst das Hochdeutsche noch das r, nur der
sächsische Zweig wirft es völlig ab. Ich glaube, dass diese Dar-
VI. 8 : r. 275
stelloDg eine, nicht geringe Stütze bildet für meine Ansicht von der
Genealogie der germanischen Sprachzweige.
ß) Oen. Sing.
Anch hier gebn, wie beim Nominativ, die Feminina vorauf
in der Entartung:
Ooth. gibös: altn. giafar: ahd. gebo^ ags. gife.
Goth. dedais: altn. dä&ar: ahd. tati, ags. daede.
Goth. handaas: altn. handar; die Declination fehlt hochdeatsch
und sächsisch.
Beim Masculionm behalten die A-Stämme ihr s unangetastet;
die I- und U-Stämmc haben zwar altn. gleichfalls wie die Feminina
-ar, und entbehren auch im Ags. völlig den Consonanten, das
Hochdeutsche aber zeigt ein -s. Entweder ist also der Uebergang
zu r erst speciell altnordisch oder das Hochdeutsche ist hier zur
ursprünglichen Bildung zurückgekehrt, indem es sich den über-
wiegenden A-Stämraen angeschlossen hat.
y) Dat. Sing., nur im Pron. pers.:
Goth. mis: altn. mer, ahd. mir: ags. me.
Goth. thus: altu. ther^ ahd. dir: ags. thc.
Goth. sis: altn. ser, fehlt sonst.
Die Apokope ist also speciell sächsisch wie im Nom. Sing,
der pronominalen Declination.
d) Dat. Du., nur im Pron. pers.:
Goth. ugkiS; igqvis: altn. okkr^ ykkr: alts. unk, ink, ags. uue,
ine. Hochdeutsche Formen fehlen; die Apokope ist wieder säch-
sische Eigenthümlichkeit.
€) Nom. Plur.
Hieher gehören wol schon die Formen der I- und U-Stämme :
Goth. gasteis: altn. salir: ahd. gesti, ags. leöde.
Goth. sunjus: altn. synir: ahd. suni, ags. suna.
Unter den A-Stämmen verhalten sich eben so die Feminina:
Goth. gibös; altn. giafar: ahd! gebö, alts. gibä, ags. gifa.
Die Apokope ist also hier, wie im Nom. Sing, der Substantiva,
dem Hochdeutschen und Sächsischen gemein. Bei den Masculinen
der A-Stämme (goth. vulfos u. s. w.) hat zwar das Altn. gleich-
falls -r und das Hochdeutsche gleichfalls vocaliscben Auslaut, aber
das Alts, und das Ags. behalten das alte -s, welches nur im Alt-
fries, in r übergeht. Hier wird also dem Mittelurdeutschen noch
keine Entartung zuzuschreiben sein. Aus dem Pron. pers. gehört
hieher
Goth. veis: altn. ver, vär, ahd. wtr: alts. u. ags. w^.
18*
276 VI.' 8 : r.
Gotb. jus: altn. er^ ahd. ir, alt8. ags. ge.
Das 'S wird also hier ganz wie das Suffix des Nom. Flur,
bei Substantiven behandelt, gleichviel ob es hier aas ursprünglichem
stna entsprungen ist oder nicht. Die Apokope ist, wie wir es nun
bei Pronominen schon gewohnt sind, speciell sächsisch*
f) Dat. Plur. im Fron. pers. der 2. Fers., also goth. izvis:
altn. yör, fehlt hochd. u. sächsisch. Bei ansis in der ersten Person
tritt Synkope ein, wodurch der Uebergang verhindert wird.
ij) Acc. Plur. Hieher gehören die Feminina:
6oth. gibös: altn. giafar: ahd. gebö, ags. gifa.
Goth. anstins: altn. ästir: ahd. ensti, ags. daeda.
Die Masculina sind dagegen schon altn. fast stets vocalisch
auslautend (ülfa). Auch hier erseheint im sächsischen Zweige noch
ein auslautendes -s, welches wol nur auf Formenübertragnng aus
dem Nom. beruht. Wir müssen auf diesen Fall noch einmal bei
Gelegenheit des Auslautes zurückkommen.
Die Fersonalendungen in der Conjugation bleiben im Mittel-
urdeutschen von dem Wandel des s zn r noch unberührt; erst das
gesonderte Altnordisch lässt ihn auch hier eintreten.
3) Vor Consonanten.
Es sind nur drei weiche Consonanten, vor denen diese Er-
scheinung eintritt:
a) vor J in einer Anzahl von schwachen Verben:
Goth. drausjan werfen: altn. dreyra, ahd. trörjan, ags. dreärjan.
Goth. *frausjan congelare: ahd. frorjan.
Goth. hausjau hören: altn. heyra, ahd. hörjan, alts. hörjan, ags.
hgran, hyran.
Goth. hazjan loben: ahd har^n.
Gothisch hrisjan schütteln : altn. hroera, ahd. hruorjau, ags.
hreran.
Goth. kausjan kosten, schmecken: ahd. kor6n.
Goth. laisjan lehren : altn. laera, ahd. Uran, lirnSn, ags. laeran.
Goth. nasjan nähren: altn. naera, ahd. neijan, ags. nerjan.
Goth. vasjan bekleiden: altn. veija, ahd. weijan, ags. verjan.
In einigen Fällen wird das s offenbar durch andere etymo-
logisch nahe stehende Wörter festgehalten, von denen die Sprache
sich nicht zn entfernen wagt; dergleichen ist für die Beurtheilung
der Stärke des Sprachbewusstseins wichtig. So lautet das goth.
raisjan aufrichten noch altn. reisa, jedenfalls aus Rücksicht auf das
starke und dem Wandel des s nicht unterliegende Verbum rtsa;
erst im Ahd. tritt rerjan, im Ags. raeran ein. Noch stärker ist die
VI. 8:r. 277
Einwirkung des goth. laus los auf das Verbnm lansjan lösen, das sein
s überall behält, also altn. leysa, ahd. losjan, alts. lösjan lautet Zu
bemerken ist auch, dass die von dem neutralen -is abgeleiteten Verba
(gotb. -izon, ahd. -isön u. s. w.) nie in r iibertreten.
ß) vor d. Hier finden wir im Oothischen* den Uebergang
schon angebahnt durch den Eintritt des %dy werden also im
Mittelurdeutschen ein rd anzunehmen haben, welches noch im
sächsischen Zweige erscheint, während im Altn. Assimilation
zn dffy im Hochdeutschen Verschiebung zu ri eintritt. Dass
der Wandel von ^ zu r hier verhältnissmässig spät, d. h. kurz
vor eintretender Selbständigkeit des Nordischen geschehen ist, er-
giebt sich aus der verschiedenen Behandlung, die in diesem Sprach-
zweige bei diesem rd und bei dem alten rd stattfindet, welches
letztere als rd erscheint. Die hieher gehörigen Beispiele sind
folgende :
Urd. brusda- Spitze: altn. broddr, ahd. brort, ags. breord.
Goth. gazds Stachel: altn. gaddr, ahd. gart, ags. gerd.
Ooth. huzd Schatz: altn. hoddr, ahd. bort, ags. heord.
Goth. mizdö Lohn: ags. meord.
Goth. razda Sprache: altn. rödd, ahd. rarta, ags. reord.
Urd. uzda- Ort: altn. oddr, ahd. ort, ags. ord.
Man vergleiche übrigens zu diesen Fällen auch den Aufsatz
von Kuhn in seiner Zeitschrift XI,372 ff.
/) vor ff. Hiezu weiss ich nur ein im Gothischen nicht nach-
zuweisendes Beispiel, nämlich altsl. mozgü Mark : altn. mergr, ahd.
marg, marc, ags. mearg, mearh.
Man sollte auch vermuthen, dass vor einem v derselbe Wandel
eingetreten sei. Das ist indessen wol nicht der Fall, denn dass
der alte suevische Name Nasua dem altn. Nörvi entspreche, ist
doch nichts weniger als sicher; und wäre es auch der Fall, ^p
könnte der Uebergang erst im Altn. vor sich gegangen sein. Gegen
seinen Eintritt im Mittelurdeutschen spricht auch das urdeutsche
tvisvar zweimal und thrisvar dreimal, welche noch altn. tysvar
und thrisvar lauten und erst im Ahd. zu zwirdr und trir6r werden.
So weit von dem Uebergange von s:r. An ihn schliesse ich
einen andern, der mit jenem das Gemeinsame hat, dass auch bei
ihm ein tonloser Laut durch einen tönenden (wenigstens ursprüng-
lich tönenden) ersetzt wird; ich meine den Wandel älterer Spirans
in jüngere Media. Wir haben schon Bd. 1,371 erkannt, dass im
Urdeutschen vielfach dieser Uebergang anzunehmen ist; für das
Gothische zeigt sich oben (Seite 26) zwar fast niemals dieser
278 ^^' Spir&os : Media.
Wandel mit voller EotBchiedenheit, wol aber desto bäofiger
ein Schwanken zwischen beiden Lautclassen. Hier haben wir es
nun mit denjenigen Fällen zu ihnu, in welchen auf dem Grunde
einer indogermanischen Tenais regelrecht eine gothische Spirans
beruht, während die andern deutschen Sprachen einig sind in der
Anwendung der Media. Lottner hat in Kuhn's Zeitschrift Bd. XI,
S. 188 ff. solche Beispiele gesammelt; doch scheint mir hier mehr-
fach vermischt zu seiu; was verschiedenen Sprachperioden angehört;
auch hat er noch nicht zwischen selbständigem und abhängigem
Lautwechsel geschieden.
Näher bestimmt sind dem Mittelurdeutschen nur Fälle für deu
Inlaut, keine für Anlaut und eigentlich auch für den Auslaut zuzu-
schreiben. Für das gutturale Gebiet erwähne ich folgende Fälle:
Urd. und goth. ahana Spreu (lat. acus): altn. ögn, ahd. agana.
Goth. vröhs Rüge: altn. rög, mhd. ruoge, ruege; dazu das
Verbum gotb. vröhjan: altn. roegja, ahd. rögjan, alts. wrögjan.
Goth. fraihnan fragen: altn. fregna, ags. frignan (ahd. vragen).
Unsicherer als diese drei Beispiele sind noch zwei andere,
erstens altn. fylgja, ahd. folgen, ags. folgjan folgen, welches in seiner
Etymologie noch immer räthselhaft ist und welches ich, bis besseres
gefunden sein wird, vorgeschlagen habe aas einem urdeutschen
iuhjan in die Flucht treiben zu deuten. Zweitens altn. gegn, ahd.
gagan, ags. gegn, nhd. gegen, dessen gewöholiche Herleitung vom
Verbum gangan nicht ganz unbedenklich ist und das sich vielleicht
besser zu einer neben gangan anzunehmenden Nebenform gaban fügt
Weiter zeigt sieb aber älteres // auch neben jüngerem g in
verschiedenen Formen desselben Wortes. Wie wir nämlich schon
im Gothiscben, z. B. in veiha vaih vigum vigans fanden, dass zu-
weilen im Plural des PraeteritumSi und in Folge dessen auch im
Partie. Pass., die Media für die Spirans eintritt, so ist das noch
|n weit höherem Grade bei den andern deutschen Sprachen der
Fall, und zwar öfters bei demselben Verbum in verschiedenen
Sprachen. Da wir dem Urdeutschen überhaupt nur (Bd. 1,575)
22 Verba auf h zuzuschreiben haben, so kommt die Erscheinung
in Folge der Menge von Beispielen fast einem Gesetze gleich. Ich
erwähne hier:
Altn. Flä: flögnm, fleginn; hlaeja: hlögum; klaea; klögnm;
slä: slögnm, sleginn; thvä: thvögum (auch Subst. thvegill). Dazu
noch das Part, toginn, wovon das übrige Verbum altn. fehlt, und
das Part, folginn, wovon des Praet. im Plur. fälum lautet
Ahd. Dwahan: dwuogum, dwagan; laban, luogum, lagan;
alahan, sluogum, slagan; giwahan, giwuogum.
VI. Spirane : Media. 279
Dtbao: digQD, digan; ztban: zigUD, zigan.
Vliohan: vlugnm, vlogan; ziohan: zngum, zogan..
Hier dringt das g auch anorganisch in den Singular ein, z. B.
in dwuog, giwuog, slnog, doch nicht in die I- and U-Stämme dSh
and zöhy anch nicht in seh.
Altfränk. Sehan: sägon.
Altsächs. HIahhan: hldgnn; slaban: slögun; thaaban: thaögan.
Tiohan: Ingan.
Ags. Tihan : tigon; thihan : thigon. Hier wird der jüngere
Lant mit dem eigenthümlichen Zeichen für das aspirirte g (das es
gewiss arsprönglich aach im Ahd. war) in den Handschriften
wiedergegeben.
Bei den Dentalen tritt dieselbe Neigung gleichfalls, doch
mit geringerer Stärke auf als bei den Gutturalen. Ich habe hier
nur vier Beispiele anzuführen; bei zweien steht der Dental nach
einem Vocal, bei den beiden andern nach einem /. Die ersten
beiden sind die urdeutscben Themata gutha- €U)tt und bldtha- Bhlt.
Dass sie im Mitteiurdeutschen guda- und blöda- gelautet haben,
stimmt gut zum ahd. got und blnot und zum ags. god und bl5d;
beim Altn. guA und blöft muss man dann annehmen, dass unor-
ganisch wieder der urdeutsche L#ant eingetreten ist, wie wir ahn-
liehe Erscheinungen im nächsten Buche sehn werden. Die beiden
andern Beispiele sind goth. altheis alt und falthan falten; zu der
angenommenen mitteiurdeutschen Media passt altn. eldri, öld,
aldr u. s. w., ahd. alt, ags. eald ; eben so altn. falda, ags. fealdaii,
auch das ahd. falten,* neben letzterem erseheint freilieh häufiger,
ein unorganisch erweichtes faldan, das jedoch schon meistens im
Mhd., immer im Nhd. wieder der echteren Form mit Tennis weicht.
Zu falthan gehört dann auch die Gruppe goth. managfalths a. s w.
Die übrigen Wörter mit mrdeutscbem Ith zeigen diese Neigung
merkwürdiger Weise nicht; sollte der Unterschied darin liegen,
dass bei jenen beiden das th noch als eine saffixale Erweiterung
gefühlt worden ist? Es sind hier zu nennen golh. balths kühn, urd.
feltha* Feld, goth. viitheis wild, gulth Oold, hulths hoid.^ Dass sie
das th mittelurdentsch behalten , dafSr sprechen die alta; Formen
ballr, ijall, villr, gull, hollr, denn hier deutet die Assimilation auf
älteres Ib^ wogegen Id nicht assimilirt zu werden pflegt; . damit
stimmt auch im Hochdeutschen ahd. bald, feld, wildi, gold und hold,
die noch in unserer Spraehe von alt und falten abstehn. Das Ags.
bat erst während seiner speciellen Lebensperiode das b durch d
ersetzt.
Uebrigens stdit im Altn. dem eldri, öld, aldr anch ein elli
gegeDÖber, welches aaf ein Schwanken zwischen Media nnd Spirans
hinweist.
Von Labialen mangelt mir jedes hieher gehörige Beispiel; ein
mittelnrdentsehes ö für f wird sich nicht so leicht finden.
Wir haben noch einen Blick auf den Wechsel zwischen Lauten
verschiedener Organe zu werfen.
Uebergang von t/i:f\ welchen man aus goth. thliuhan : ahd.
fliohan u. s. w. und aus goth. thlaihan : ahd. flehan u. s. w. folgern
könnte, müssen wir verwerfen, da wir an der entsprechenden Stelle
des vierten Buches (S. 29) gesehn haben, dass hier vielmehr eine
speciell gothische Entartung von fl : thl, eine Art halber Assimila-
tion voriiegt.
Dagegen ein Uebergang von h : f ist allerdings wahrscheinlich,
doch nur in dem einen schon im vierten Buche (S. 30) erwähnten
Beispiele Skr. a^na, goth. auhna- : altn. ofn, ahd. ofan, ags. ofen.
Man muss annehmen, dass im Mittelurdeutschen hier erst ein
Schwanken eingetreten ist; sonst könnte nicht im Altschwedischen
neben ofn, omn noch ein ugn bestehn, welches dann im heutigen
Schwedischen wieder gesiegt hat; dänisch heisst es ovn.
Eine Verwandelung von v ; k würde man dem Mittelurdeut-
sehen leicht in drei Wortgruppen zuschreiben :
Skr. ^ivas, gr. ßiog, lat vivus, altin bin, altsl. zivü, lit. gyvas,
goth. qvivs : altn. kvikr, kykr, ahd. chech, ags. cvic. Zufällig, doch
wol in das Gebiet des abhängigen Lautwechsels gehörig, begegnet
dieselbe Entartung im lat. vixi, victum.
Skr. dSvar, gr. datJQy lat. levir, altsl. deveri, lit. deveris, goth.
unbekannt : (altn. ?), ahd. zeihhur, ags. täcor Schwager.
Skr. näva, lat. navis, altir. nau, goth. unbekannt : altn. nökkvi
ahd. nachoy ags. naca Nachen.
Doch liegt hier die Sache jedenfalls anders, da ein Uebergang
von v:k physiologisch nicht möglich ist Erinnern wir uns, dass
Bd. I, 395 die Neigung des Urdeutschen besprochen und nach Bd.
If 42 als noch älter nachgewiesen wurde, einen inlautenden v ein
g vorauschieben, so werden wir im Mittelurdeutschen ein Fortleben
derselben Neigung anzunehmen haben, nur mit einem Ersatz des^
durch k.. Die alturdeutschen Themata würden also kviva-^ taivura-,
navan- die mittelurdeutsdien kvikva-, taikvura-, nakvan- lauten,
das p aber nach einer weiter unten beim abhängigen Consonanten-
Wechsel zu besprechenden weit verbreiteten Erscheinung später
getilgt worden sein.
Am Schlüsse des selbständigen Consonantenwechsels ist noch
als ganz veremaelt zu erwiUinen der Vorsehlag eines J vor voca-
VI. rsir. 281
lii^chen Anlaut in derOrnppe skr. aha, gr. i^fil, lat. ajo, gotb. aika:
altn. jaga, ahd. jehan, alts. gehan, ein eben so auffallender Vor-
gang, wie er sieb später im abd. jämar, nbd. Jammer zeigt. Jenes
altn. jaga u. s. w. scbeint darauf binzudeuten, dass bei dem Anlaute
J (wol aneb bei v) das Mittelurdeutscbe eine gewisse Unsicberbeit
batte, die sieb dann später im Altnordiscben in der Weise fort-
setztC; dass organiscbes J (und v) oft unterdrückt wurden.
2. Consonanteu im Auslaut.
Beim Aiturdeutschen spracben wir an der entspreebenden Stell^
(Bd. I, 375) zuerst von einem Abfalle oder einer Entartung des
auslautenden ///; diese Erscbeinung ist bier zum Abscblusse gekom-
men und niebt weiter zu berübren. Dann gingen wir (Bd. I, 377)
auf den Abfall des auslautenden s über und erkannten, dass er sich
nur auf einige Nominative Sing, besebränkte, bei denen vor dem
s ein r vorbergegangen war, so dass also Nominative wie vir,
stiur, antbar entstanden.
Diese Feindscbatlt gegen auslautendes rs setzt sieb nun im
Mittelurdeutscben weiter fort. Nicbt in den nocb Alturdeutscb
gebliebenen Nominativen Sing, wie akras, iingras, denn bier musste
ja das 5 zu r werden und nun trat leicbte Synkope und in Folge
derselben Abwurf des letzten r ein. Wol aber gehört bieber eine
Erscbeinung bei den auf das Suffix -tar ausgebenden Verwandt-
schaftswörtern, die sowol im Gen. Sing, als im Nora. und. Acc.
Plur. im Mittelurdeutscben das s getilgt zu haben scheinen. Ich
gebe hier von einer Form des Gen. Sing, und Nora. Plur. dubtars
u. 8. w. auS; welche sich vielleicht aus dem Bd. I, 524 und 525
angenommenen dubtras entwickelt haben, vielleicht auch von vorne
borein statt dessen bestanden haben mag. In beiden genannten
Casus müssen wir nun ein mittel urdeutsches dobtar u. s. w. annehmen.
Diese Annahme stützt sich auf folgende Erwägung. Im Gotbi-
schcn lautete der Gen. Sing, noch fadrs, bröthrs, danbtrs, svistrs,
modrs, dagegen im Altn. schon foAur, brddnr, ahd. fater, brnoder,
mhd. vater, bruoder, alts. immer fadar, broftar, ags. fader, brööor,
mnl. vadar, broeder u. s. w. Nur ausnahmsweise tritt das allgemeine
Genetiv-8 auf im altn. foöurs, brodurs (besonders vor dem ange-
hängten Artikel : fÖAurs-ins, biöAursins), im abd. fateres, mhd. vaters,
bmoderes, ags. faderes. Dieses s siegt dann in den neueren Mund-
arten im Allgemeinen bei den Masculinen, vereinzelter und später
bei den Femininen (z. B. sec. 16 bei Tschudi sins vaters und mutters,
niederl. bei vorgesetztem Genetiv moeders zuster, znsters broeder,
fries. moders); vgl. Kelle vergleichende Gramm, der germaoischeii
282 VI. -ns im Auslaut.
Sprachen Bd. I (1863), 469 f. Im Nom. Plur. gilt altn. broeör,
doettr, bei Tatian braodar, im Otfrid saestar, muotar, im Heliand
mödar, saistar, ags. brödor, dobtor; ancb bier dringen faocbdeatsche
Formen auf -a, angcleächsiscbe auf -as ein ; s. ebds. S. 477. Ganz
gleich dem Nominativ steht der Acc. PInr.; es ist wol Formtiber-
tragang aus dem Nom. anzunehmen, da das urdeutsche dahtrans
eine andere Entwiekelung würde eingeschlagen haben; vgl. ebds.
Seite 488.
Mit dieser letzten Bemerkung baut sich 'die Brücke zum Folgen-
den. Nämlich nicht bloss schliessendes rs, sondern auch ns wird
im Mittelurdeutschen vermieden. Das hängt zusammen mit einem
schon oben erörterten Gegenstande. Wir haben gesehu, dass diese
Sprachepoche viele auslautende s hat in r übergehn lassen; das
konnte aber vorwiegend nur in solchen Fällen gesehehn, in denen
dns 8 Torsich einen Vocal hatte. Ging ein Gonsonant vorher, so
konnte der Wandel zu r nicht eintreten und jener Feindschaft gegen
auslautendes s wurde dadurch genügt, dass dieser Gonsonant ein-
fach abfiel. Beim m tritt dieser Vorgang in alle den dreien Casus
ein, in welchen diese Verbindung überhaupt möglich war.
1) Gen. Sing, der N-Stämme. Hier fällt das ' in allen drei
Geschlechtern sowol bei Substantiven als Adjectiven ab:
Msc. und Ntr. Subst goth. gümins : altn. guma, ahd. gomin,
ags. gumau.
Msc. und Ntr. Adj. goth. godins : altn. gdöa, ahd. guotin, ags.
gödan.
Fem. Subst. Goth. tuggöns : altn. tungn, ahd. zungun, ags. tungan.
Fem. Adj. Goth. göddns : altn. g5&u, ahd. guotun, ags. gddan.
2) Nom. Plur. Msc. und Fem. der N Stämme. Hier fällt bei
Adjectiven das s sicher stets ab:
Msc. goth. blindans : altn. blindn, ahd. blindun, ags. blindan.
Fem. gpth. blindons : altn. biindo, ahd. blindun, ags. blindan.
Bei Substantiven dagegen stellt sioh die Sache so:
Goth. hanaus, altn. hanar, ahd. hanun, ags. hanan.
Goth. tuggöns, altn. tüngur, ahd. tungiin, ags. tungan.
Doch auch hier scheint der Vorgang derselbe zu sein. Wir
werden mittelurdeutsches hanan und tnngän anzunehmen haben and
in den altn. Formen nichts als eine schon hier beginnende lieber-
tragung aus den Stämmen auf -a sehn müssen. Sonst müsste man
annehmen, das m sei mittel urdentscb noch geblieben; im Nenor-
deotacben aber erst das s apokopirt und im Altn. das n vor 9 ge-
)
VI. -118 im AuBlaat. 283
scbwundea und dann erst s zn r gewordeD. Erstere Annahme
scheint die einfachere za sein.
3) Acc. Plar.
Hier gehört das n des ns nicht mehr zum Stamme, sondern
zur Casuseudungy und ist daher einer rascheren Verwitterung aus-
gesetzt ais das stammauslautende n. Die Beobachtung trübt sich
hier etwas dadurch, dass im Hochdeutschen und Sächsischen über-
haupt von einem besonderen Acc. Plur. nicht mehr die Rede ist,
sondern einfach der Nom. Plur. dafür gilt. Die Sache scheint sich
hier so zu stellen, dass hier die Apokope bei den Masculinen
eintritt, dass also dem altnrdeutschen vulfans, gastins, suuuns ein
mittelurdeutsches vulfan, gastin, sunun entsprach, worauf dann altn.
ülfa, gesti, sonu beruht; die wenigen altn. Spuren von einem Aus-
gange auf -ar (ülfar) köunen dann nichts anderes sein als Nomi-
nativforraen, die schon vereinzelt in den Accusativ eindrangen.
Anders bei den Femininen. Hier haben wir für die A-Stämme
schon Bd. I, 377 angenommen, dass aus gibäns bereits altnrdeutsch
gibäs entsprungen ist, daraus wird mittclurd. gibär entstanden sein
und dies liegt dem altn. giafar zu Grunde. Ganz ähnlich, aber
später wird bei den N-Stäinmen das alturd. tungänans tungäns
(goth. tuggöns) in ein tungäs tungär übergegangen sein; altn. tungur.
Eben so nehme ich an alturd. anstins, mittelurd. anstis, anstir, altn.
ästir. Das Aufgehen der Nasale von -ans, -ins in den vorher-
gehenden Vocal stimmt übrigens zu einer Bemerkung, die bereits
oben bei Gelegenheit der Brechung (Seite 255) gemacht wurde.
Für die Adjectiva, wo masc. blinda dem fem. bliudar im Altn. gegen
über steht, ist nichts besonderes zu bemerken.
Wir werden nach dieser Ansicht also als mittelurdeutsche Kegel
aufstellen: Das nach n auslautende s wird im Gen. Sing, und Nom.
Plur. aller N-Stämme und im Acc. Plur. aller Masculiua apocopirt.
Ausserhalb der Casusendungen scheint das s nach n abgefallen
zu sein in den urdeutschen Adverbien auf -suns, wofür wir im Ahd.
-sun (warasun, tharasun, herasuu) finden. Hier findet sich im Altn.
und Ags. nichts Entsprechendes zu vergleichen.
Dem 11^ nahe steht n^s. Auch, hier scheint vereinzelt^ nämlich
bei den Wörtern Freund und Feind, im Nom. und Acc. Plur.
das Mittelurdeutsche das auslautende s eingebüsst zu haben. Vgl.
fiant (Nom. Plur«) bei Isidor, friunt (Nom. Plur.) im vocab. S. Galli,
in den Pariser Glossen, bei Notker und Willeram. Eben so kommen
im Ags. die nominativen Pluralformen frynd, fynd, im Alts, friund,
fiant vor. Selbst friesische und niederländische Formen fiand, freond,
yieot begegnen. Häufiger freilich ist in allen diesen Formen Ueber-
284 ^I* Consonantengruppen.
gang in die A-Declination, abd. fianta, ags. freondaa, feondas
u. 8. w.; vgl. Kelle vergleichende Gramm. I,4d2. Im Altn. lauten
die PInrale fraendr nud fiaudr; erwünscht wäre es^ auch hier noch
alte Formen ohne r belegen zn können.
Alle erwähnten Fälle betreffen die mittelurdentsche Apokope
des f. In der einzigen 3. Pers. Sing. i$t scheint mir auch das t
abgefallen zn sein, alts. is (im Heliand daneben ist)^ ags. /«, fries.
is, altn. er, Dass im Abd. und zuweilen im Alts, das / noch er-
scheint, ist wol nur der Analogie des andern Verba zu verdanken;
es ist wol nicht eine Bewahrung, sondern eine Wiedereinführung
des Alten.
Weitere Auslautserscheiunngen für diese Sprachperiode weiss
ich nicht anzuführen.
3. Gonsonanten abhängig.
In Bezug auf Consonantengruppen zeigte sich das Urdeutsche
Bd. I, 378 ff, sehr conservativ oder, wenn man will, unempfindlich.
Um so mehr fällt es auf, dass in der von uns jetzt besprochenen
Sprachperiode eine deutliche Feindschaft gegen solche Gruppen
ersichtlich ist, deren mittler oder letzter Laut von einem r gebildet
wird, weniger im Anlaut, mehr im Inlaut.
Für den Anlaut, für welchen Bd. I, 385 nur zwei uralte Bei-
spiele gegeben werden konnten^ ist im Mittelurdeutschen nur wenig
dazugekommen :
kv; Groth. qvairrus kirr: altn. kyrr, mhd. kfirre.
hv; Goth. hvairnei Hirn : altn. hiarni, abd. hirni.
dv; nicht recht durchgeführt ist die Erweichung in der Gruppe,
welche sich an das goth. dvals tböricht anscbliesst; wir haben altn.
fem. dul Einbildung, Wahn, dagegen noch msc. dvali Betäubung,
Schlaf, Tod; eben so abd. toi, toll neben twelan torpere, sopiri,
cessare; endlich ahs. doi neben fordwelan und ags. gedwelan.
Die angeführten Fälle können nur als Ausnahme gelten, da die
Beispiele für wolerhaltenes sv, kv, hv, tv, thv, dv in den deutsehen
Sprachen gar nicht selten sind. Reicher ist die Zahl der Beispiele
für den Inlaut:
Iv; Goth. malvjan zermalmen : altn. mylja, abd. muljan. Da-
gegen bleibt das h stets, wo kein j darauf folgt, z. B. in dem zu
malvjan gehörigen altn. miöl (Dat. miölvi), abd. melo (Gen. melawes);
femer in dem urdeutschen Stamme falva- fahl und balva- Böses.
sv; Goth. ubizva Halle: altn. ups, uss, abd. obisa, opasa, ags.
efese. Doch ist die Entartung nur bei diesem einen dreisylbigen
Wortstamme den drei Spraehzweigen gemeinsam; im zweisylbigen
VI. Consonantengnippeii. 2g5
ardeutschen Stamme basva- grau ist nichts davon zu spüren; im
ProD. goth. izTar ist die Entartung eine ganz andere.
ky; der ardeatscbe Stamm kviva- lebendig rauss, wie wir oben
saben (Seite 280), mittelnrdeatscb kvikva- geworden sein, dann aber
noch wäbrend derselben Periode sieb zu kvika- erweicbt baben,
worauf das altn. kykr, abd. cbecb, ags. cvic berubt. Eben so wird
die Entwiekelung in dem ebendort erwähnten Stamme taivura-,
taikvara-, taikura- gewesen sein, welches Wort uns im Goth. und
Nord, unbekannt ist. Dagegen in dem dritten der dort erwähnten
Beispiele scheint das altn. nökkvi Nachen noch auf eine längere
Erhaltung des kv zu deuten. Dasselbe ist auch der Fall, wenn
vor dem kv noch ein Consonant vorhergeht; wir haben skv in dem
urdeutschen Stamme raskva- rasch, dessen nordiscbe Form röskr
noch auf dem Verbleiben des r beruht; ferner nkt in goth. siggqvan
saggqvjan sinken, senken, altn. sökkva (submergere und subm^rgi):
abd. sinkan, sancjan, ags. sinkan, sencan.
hv; Goth. aihva- Pferd: altn. ior, abd. ehu, alts. ehu.
Goth. abva Wasser : altn. ä, abd. aha, ags. eä; das davon
abgeleitete urdeutsche Thema ahvja- Aue zeigt dagegen ein festeres
Erhalten des r.
Goth. fairbvus Welt : altn. fiör (aber im Dat. noch fiörvi), abd.
ferafa, ferb, ags. feorb, feor.
Goth. nehv nahe: altn. näinn (Adj.), abd. näh, ags. neab; so
auch im adverbialen Comparativ nSbvis : naerr, nähör und allen
anderen dazu gehörigen Ableitungen und Zusammensetzungen.
Goth. saihvan sehen : altn. siä, abd. sehan, ags. seon; doch
verschwindet das r nicht in allen Formen des Verbums; man vgl.
noch das engl, saw oder das faröische sövn viderunt (= altn. säo,
abd. sähnn).
Goth. arhvazna Pfeil : altn. ör (aber im Plur. örvar), ags. earfa,
fehlt abd.
Goth. leihvan laihv laihvam laihvans: altn. liä oder le, abd.
lehan leb liwun, liwan und liban, alts. IShan, Part, farliwan;
also wieder dasselbe Schwanken.
gv; ein Beispiel dafür ergiebt sich, wenn man ein urdentsches
hneigva inclinor annimmt, das einerseits im goth. hneiva, ander-
seits im altn. bntg, abd. hnigu, ags. hnige erscheint.
ngv; goth. saggvs Gesang : altn. saungr, abd. sang, ags. sang;
dazu auch das Verbum siggvan u. s. w.
Goth. aggvus eng : altn. aungr, öngr, afad. angi, ags. ange.
Goth. svaggvjan schwenken : ahd. svangjan, ags. svengan.
Dagegen in folgenden dreien Beispielen, in denen möglicher-
286 VI. Consonanten^uppen.
weise nberall (s. Bd« I, 396) das r der altere Laat, das ng erst
späteres Erzeugniss ist, finden wie das r länger bewahrt:
6otb. bliggvan bleuen : abd. blinwan, ags. bleövan.
Goth. triggva Treue :altn. trü (Adj. tryggr), abd. triuwa, ags. treov.
Ooth. glaggvnba genau, sorgfaltig : altn. glöggr, abd. glawer,
ags. gleäv.
tv; gotb. gatvo Gasse : altn. gata, abd. gaza, ags. gate.
Gotb. ubtvö Dämmerung : altn. ötta, abd. uobta, ags. nbte.
thy; bietet kein Beispie], man müsste denn etwa ein nrdeot-
sebes neith^a annebmen, um aus dienern einerseits das goth. neiva
irascor, anderseits das abd. nidu invideo herzuleiten.
dy; bleibt erbalten im gotb. skadvjan schatten, abd. scatewjan,
ags. sceadevan. Ja das d dieser Gruppe erweist sich minder fest
als das v im gotb. fidvör, fidur- : altn. fiör (Ntr. noch fiögur, fiagnr),
abd. fior, ags. feover, alts. fiwar.
Ein rr bleibt in mehreren Gruppen stets unversehrt. Ueberhanpt
also zeigt sich in allen diesen Fällen die Behandlung des r als
eine sehr verschiedene und keineswegs einem bestimmten Gesetze
folgende. -Man kann nur sagen^ dass im Mittelurdeutschen eine
gewisse Abneigung gegen diese Lautgruppen begonnen habe.
Sehn wir uns nach Entartung anderer CousonantenverbindungeQ
um, so ergiebt sich zunächst für den Anlaut durchaus kein Beispiel;
hier wird alles Ueberlieferte mit grösster Treue bewahrt. Dagegen
finden wir für den Inlaut mehrere Fälle, in denen das A, wenn ihm
ein s und dann noch ein dritter Consonant folgt, als allzulästig
getilgt wurde:
hsj; goth. niuhsjan besuchen : altn. n^sa (Snbst niosn), abd.
niusen, ags. neösan, niösj.an, alts. ninsjan, niusön. Dagegen steht
das // der tiefen etymologischen Begründung und weitläufigen Ver-
wandtschaft des Wortes wegen viel fester im nrdeutschen linhsjan
leuchten, dem zwar ein altn. lysa, aber noch ein ags. lixa entspricht.
hsv; Goth. taihsvs : abd. zesawgr, alts. fem. tesewa, fehlt altn.
Das goth. Wort scbliesst sich also an skr. dakSina, gr. 6e^tocy lat.
dexter, so wie an die gallische Dexsiva dea, das bochd. und säch-
sische näher an altir. des und altsl. desinü.
hst; goth. maibstns xonqla: altn. mistrcaligo, abd. mist, engl,
mist. Was ist aber von ags. myx, meox> meobx zu halten? das
X tritt in mefal*eren ags. Wörtern ganz unorganisch ein, für st jedoch
sonst wol kaum.
Auch ein urdentscbes Thema nibsta — Nestel, Heftel tvgl. lat.
nectere u. s. w.) müssen wir annehmen, dem im altn. nist, nisti
so wie im abd. nnsta das h abhanden gekommen ist.
VI. Assimilation. 287
Sogar für den Abfall des h vor einfachem Consonanten scheinen
sich ein Paar Spuren zu ergeben. Fick IIP, 250 stellt ein urdeutsches
Thema rahna — Raubanscblag, Raub auf, an das sich das altn.
and das ahd. ran schliessen würde. Wie hier hn : n, so gebt hm : m
über im goth. lauhmuni Glanz : altn. liömi, alts. lioma^ ags. leöma.
Dass der altn. Ausfall Yon n vor s schon in unserer Periode
begonnen habe, bleibt sehr unsicher; das Verhältniss von Dunst
zu altn. dnst, ags. dnst, nhd. selten Du^t wiegt wol nicht viel.
Anziehend wäre es, wenn man in Zukunft der Frage näher
treten könnte, in wie weit wol beschwerlich werdende (deshalb
aber durchaus nicht immer gänzlich verbotene) Consonantenver-
bindungen den Anlass zum Untergange eines Wortes gegeben haben.
Man beachte z. B., dass die dem Urdeutschen zuzuschreibenden
Wörter amsa Schulter und mimz Fleisch nur im Gothischeu erscheinen;
goth. manvus bereit und vaurstv Werk habe ich im vierten Buche
als gothische Neubildungen angesehn, doch könnten auch diese
Ausdrücke schon urdentsch sein und aus dem angeführten Grunde
ihren Untergang gefunden haben.
Assimilation. Wir haben Bd. I, 393 — 395 diejenigen Fälle
erwogen, die sich hier schon dem Urdeutschen zuschreiben lassen.
Im Mittelurdeutscbeu reisst diese Entartung nur in sehr geringem
Grade weiter ein.
Zunächst mag hier schon die Assimilation eines j an einen
vorhergebenden Consonanten, besonders in der schwachen Conju-
gation begonnen haben^ doch gewiss nur sehr vereinzelt und regellos,
namentlich nach langer Sylbe, wo nachher die meisten der Ein-
zelsprachen die Gemination nicht zu schreiben pflegen. Genaueres
im Einzelnen lässt sieh hierüber nicht ausmachen.
Aber ein anderer wichtiger Fall ist hier noch zu besprechen.
Die Lehre vom selbständigen Consonäntenwechsel lieferte uns als
einen für das Mittelurdeutsche gradezu charakteristischen Vorgang
den massenhaften Uebergang von s : r im Inlaute zwischen zwei
Vocalen, im Auslaute und im Inlaute vor einigen Consonanten; es
wurde ferner wahrscheinlich gemacht, dass ein dem rs ähnlicher
oder gleicher Laut die Uebergangstufe gebildet habe. Hiemit
stimmt es nun in schöner Weise zusammen, dass das Mittel-
urdeutsche mehrfach, vielleicht immer, die von ihm bereits vor-
gefundenen rs zu rr assimilirt; jene hypothetischen n rissen die
echten mit sich fort. Erwägen wir die einzelnen Fälle.
1) Alle altn., ahd., ags. u. s. w. Formen, die zu goth. thairsan
und thaursjan gehören, also altn. thurr, ahd. durri, alts. thurri, ags.
thyn*e; altn. therra, nhd. derran; altn. thorna u. s. w. Erhalten
268 ^* Assimilation.
wnrde das ' natürlich ror folgendem t-Saffix, da 8ich hier die be-
liebte Verbindang st bildete wie in altn. thorsti, afad. darst, ags.
thurst n. dgl.
2) Goth. gadaursan wagen : ahd turran, ags. durrau; altu.
dafiir ein regelmässiges thora fdr thorra. Aach hier bleibt das $
z. B. in ahd. gatnrst, ags. gedyrst Kühnheit.
3) Goth. marzjan impedire: ahd. marrjan, alts. merrian, ags.
merran, mnl. merren. Im Altn. ist das Verbum noch nicht nach-
gewiesen.
4) Altpreuss. warsus Lippe: altn. vörr, vor, in den andern deut-
schen Sprachen nicht nachgewiesen, da goth. vairilo und der ag«.
Plur. veleras ferner liegen,
5) Nach Fick III 3, 26 zend. arshan Mann, gr. (ZQtffjv; urd.
ersla-: altn. jarl, alts. erl, ags. eorl, wo wegen des folgenden / nnr
einfaches r geschrieben wurde.
Ferner hieher die beiden folgenden eine ähnliche Erscheinung
darbietenden Fälle:
6) Goth. vairs pejor : altn. verri dsgl., ahd. Verbum werran,
alts. werran; dazu auch die Substantiva ahd. werra, das franz.
guerre. Daneben besteht jedoch das auf den ersten Blick auf
fallende ahd. wirs, alts. wirs, ags. vyrsa u. s. w. Sie beruhn ganz
wie goth. vairs auf einem urdeutschen vairsis, jedoch wol mit dem
Unterschiede^ dass für die gothische Form eine Zwischenstufe
virs-s, für die andern schon ein yirr-s anzunehmen ist, so dass das
erhaltene s nicht gegen die Regel ist,
7) Goth. airzjis irre: ahd. irri, ahd. irran, alts. irrjan. Das
ags. irsjan irasci und das altfries. irst iratus sehn aus, als liege
hier wiederum ein uns sonst nicht erhaltenes adverbiales ^irsis zu
Grunde.
Unter die halbe Assimilation rechne ich das urdeutsche
Thema asgan- Asche, goth. Nom. azgo: altn. aska, ahd. aska, ags.
asce. Dem Gothischen nach war das Wort schon auf dem Wege
zu einem argan-, der aber nicht weiter verfolgt wurde.
Femer ist der halben Assimilation zuzuschreiben die Bd. I, 397
besprochene Erscheinung, dass ein Dental, welcher im Urdeutschen
und Gothischen einem J vorgeschlagen wird, in den andern deut-
scheu Sprachen in ein ^^ übergeht, also dem Organe des j sich
nähert. Hieher gehören die Beispiele:
Goth. Fem. tvaddje duorum:altn. tveggja, ags. tvega; dieser
Analogie folgt auch goth. thrije trium : altn. thriggja, wo wir auch
ein dazwischen liegendes thriddj^ annehmen müssen.
Goth. vaddjus Wall, Mauer: altn. Plur. veggjar, ags. vag.
VI. Consoiumteii abhängig. 289
Goth. daddjan sängen : altschwed. döggja.
Gotb. *addja (bezeugt darch das krimgoth. ada) Ei : altn. egg,
ags. äg. Dass das g aach der hoebdeutsebeQ Form za Grunde
liegt, wird durch den abd. und mbd. Gen. eiges, eijes bewiesen.
Hieber rechne ich auch das ahd. zwig, ags. tvig Zweig, welches
im Verhältniss zur abd. und mbd. Form zwt nicht ein neues Suffix
angenommen, sondern nur jenes euphonische gg hat sich festsetzen
lassen. Leider ist das Wort im Altn. nicht belegt, wo es durch
qvistr ersetzt wird.
Vom Einscbub unorganischer Gonsouanten zwischen
zwei Consonanten lieferte das dritte Buch (I, 397) noch kein Beispiel.
Hier kann ich schon anführen goth. timrja, timrjan : altn. timbr,
ahd. zimbar, ags. timber, alts. timbar, einen Fall, der zwischen dem
griech. avi^q und fxsfißltßxa in der Mitte steht.
Einfluss von Vocal auf Gonsonant ist für das Mittelur-
deutsche nur in geringen Spuren anzunehmen, während das dritte
Buch (I, 397—399) doch schon mehrfache uralte Erscheinungen
darbot. Ausfall eines Consonanten zwischen zwei Vocalen ist viel-
leicht zu sehn im gotb. bajöths beide : altn. bäöir, ahd. bede, alts.
beöia; doch wie muss dann die mittelurdeutsche Form gelautet haben?
Vocalisirung eines Gonsonanten durch einen folgenden
Vocal zeigte sich im Urdeutschen (Bd. I, 398) nur bei dem Falle
ji:i. Hier scheint auch das r hie und da einem Vocale zu unter-
liegen und zu u zu werden. Vgl. das gothische Thema aqvizja-
(Nom. aqvizi) Axt : mittelurd. Thema akusja-, ahd. acchus, alts.
akus, noch entarteter altn. oxi, öx. Aehnlich scheint dem goth.
Thema aihva- Pferd ein mittelurd. Thema ihn- zu entsprechen,
worauf dann altn. Nom. iör, alts. ehn, ags. eh, eoh beruht; der
Fall wurde schon bei der Erweichung inlautender Consonanten-
gruppen erwähnt.
Metathesis des r wurde im Urdeutschen bei den Themen
kurna- und thurnu- (Goth. kaum, thaurnus) vermuthet; hier tritt
noch der Gen. Sing, und der Nom. Flur, der Stämme auf -tar hinzu,
wenn Bd. I, 524 und 525 richtig duhtras angesetzt wurde; die
nordischen, hochdeutschen, sächsischen Formen beruhn, wie oben
bei dem Abfall ausl&utender Consonanten gezeigt wurde, auf einer
Form duhtars.
- -* ."-'•.
Pöntenumn, Geich. d. d. SjnracAtiammei. IL 19
290 VI. Sprachschatz.
Zweiter Abschnitt
Der Sprachschatz«
Was die mittelordeutsche Periode an Neubildungen in Compo-
sitionen und Ableitungen geschaffen hat, lässt sich kaum io einzel-
nen Fällen ahnen; sicherer kann man einige Verluste dieser
Periode ahnen. Jene Neubildungen lassen sich nur dadurch anf-
spüren, dass man zuerst ihr Nichtvorhandensein im Gothischen fest-
stellt. Dies festzustellen ist aber bei der Lückenhaftigkeit des uns
überlieferteu gothischen Sprachschatzes gradezu unmöglich. Wäre
es aber auch möglich, so bewiese der Mangel im Gothischen nicht,
dass auch das Alturdeutsche die betreffende Bildung noch nicht
gekannt habe; sie kann im Gothischen, und das wird gewiss oft
geschehn sein, sich erst verloren haben. Ich fähre deshalb alle
diejenigen Wörter, welche wir im Gothischen nicht kennen, aber
im Ahn. und mindestens einem der beiden andern Sprachzweige
fiuden, schon Bd. I, 401 ff. beim Alturdeutschen auf; der Fehler
sind so sicher weniger, als wenn ich alle diese Ausdrücke als mittel-
urdeutsche Neubildungen ansehn wollte. Doch stelle ich hier einige
dieser Ausdrücke noch einmal zusammen, da bei ihnen die W^ahr-
scheiulichkeit eines Neugebild^tseins wenigstens eine grössere ist
als bei den übrigen. Grösser nenne ich diese Wahrscheinlichkeit
namentlich dann, wenn das Wort eine deutlich erkennbare Zusam-
mensetzung oder Ableitung ist, von welcher sich in den urverwandten
Sprachen keine Spur findet, während der dadurch ausgedrückte
Begriff in den erhaltenen gothischen Kesten wirklich durch ein
anderes Wort wiedergegeben wird. Dazu füge ich noch ein Paar
schon im zweiten Buche erwähnte Ausdrücke, da entweder ihre
Zusammenstellung mit den lituslavischeu nicht recht sicher erscheint
oder das .deutsche Wort jenen lituslavischeu gegenüber eine gewisse
Selbständigkeit zeigt.
SUBSTANTIVA.
Aus der Thierwelt weiss ich hier nichts anzuführen, es müsste
denn etwa das Wort Hengst sein, das ursprünglich die allgemeine
Bedeutung von Pferd hat. Dieses Wort (wofür goth. *aihva er-
scheint), altn. hestr, ahd. hengist, ags. beugest, wurde schon Bd.
I, 258 mit altsl. koni, konistvo, lit. kuinas vereinigt. Fick IIP,59
setzt es dagegen zu einem Stamme hag cingere und vergleicht
insbesondere lit. kinkau, kinkyti Pferde gürten, anschirren. Das
VI. Sprachschatz. 291
ntscbe Wort sieht sehr selbständig ans nnd giebt sich den
ischein, als gehörte es zum Verbnm hahan, hangan, wie in der
lat im Grimmschen Wörterbuche das Wort auch in dem Sinne
ler Vorrichtung um etwas daran aufzuhängen angeführt wird,
^zeichnet es ursprünglich wirklich das Lastthier, Saumthier?
Der Meusch.
(Bd. 1,403) Altn. karlmadr; ahd. charlman, nordfries. karman
r fortis.
^1,403) Altn. vif, ahd. wib, ags. vif Weib (goth. qvinö, qvens).
(1,403) Altn. dis, ahd. itis^ ags. ides, alts. idis desgl. (goth.
inö, qvens).*
(1.403) Altn. brudgumi, ahd. brfitlgomo, ags. brddguma Bräutigam
oth. brutbfaths).
(1.404) Altn. konüngr, köngr, ahd. kuning, ags. cjning König
oth. reiks, thiudans).
(1,404) Altn. herra, ahd. herro, ags. herra Herr (goth. frauja).
(1,404) Altn. sveinn, ahd. swein, ags. svän Knabe, Knecht
oth. magus).
Thierischer Körper.
(I|406) Altn. lif, ahd. lib, ags. Itf Leben (goth. libains).
(1,406) Altn. andlit, ahd. antluzi, ags. andvlite (goth. andavleizns,
dja). Im Gothischen würde unser Wort andavlits lauten.
(Zu 1,407) Altn. gaupn, ahd. coufana die hohle Hand (goth. löfa).
Nicht das Geringste will sich aus dem Gebiete der Pflanzen
[er Minerale ergeben.
Nahrung, Kleidung, Wohnung.
(1,409) Altn. ät, ahd. äz, alts. ät Speise (goth. födeins).
(1.409) Altn. braud, ahd. bröt, ags. breäd Brod (goth. blaibs).
(1.410) Altn. hunang, ahd. honang, ags. hunig Honig (gotb.
ilith).
(1,264) Altn. flesk, ahd. fleisc, alts. flesc, ags. flaesc (goth. mammo,
imz). Die von mir am angeführten Orte gegebene Zusammen-
ellung mit lituslavischen Wörtern war die von Grimm Gesch. d.
;8ch. Spr. 1011; doch ist die von mir gegebene Hinweisung auf
tn. flae, ags. flahe excorio zerfleische vielleicht vorzuziehn; die
'deutsche Form würde dann flahisk sein. Eine neuere Zusam-
enstellung mit urd. flais (altn. fleiri) plus scheint mir nicht glaub-
sh; jedenfalls muss man aber die Bedeutung von Speck als die
lere ansehn.
(1,410) Altn. klaedi, mhd. kleit, ags. cläd, fries. klath (gotb.
19*
j^ VI. Sprachschatz.
Tm8ti, sna£^); das Wort fehlt auch ahd. und alts. Es ist seiner
Herleitung nach völlig dunkel; wir werden später noch darauf
snrttckkommen.
(I,41l) Altn. tjaldy ahd. zeit, ags. teld Zelt (gotb. hleithra);
das Wort könnte leicht von auswärts eingeführt sein.
Himmel, Zeit.
(1,415) Altn. verold, ahd. weralt, alts. worold, ags, veruld (goth.
manaseths, fairhvus).
(1.415) Ahn. frest, ahd. frist, ags. frist Zeit, Frist (gotb. alds,
tbeibs).
IJebrige Substantiva.
(1.416) Altn. sverd, ahd. swert, ags. sveord Schwert (gotb. mfiki).
(1,419) Altn. tollr, ahd. zol, alts. toi Zoll (goth. mota)*
(Zu 1,421 zuzufügen) Altn. bäkn, ahd. bouhban, ags. beäcen,
alts. hokan Zeichen (goth. taikns, tani in fauratani).
(1.422) Altn. hördömr, ags. hördöra adulterium (goth. hörinassns).
(Zu 1,422) Altn. orlög, ahd. nrlag, alts. orlag fatum, bellum
(goth. vaihjo, haifsts etc.).
(I,27ü) Altn, örendi, erindi, ahd. arunti, ags. ärende Befehl,
Geschäft (goth. anabusns, garaideins u. s. vv.). Vielleicht eine nur
auf deutschem Gebiete entstandene Ableitung von goth. airus nnncius.
(1.423) Altn. vaend, ahd. wänida Hoffnung (goth. v6ns).
(1.425) AltD. ergi, ahd. argi Bosheit u. s. w. (goth. balvavesei
etc.); zu dem unten folgenden Adj. argr.
(1,272) Altn. thing, ahd. ding, ags. thing Ding (gotb. vaibts);
das altsl. teza könnte leicht erst aus dem deutschen Worte entlehnt
sein und letzteres sich als speciell deutsche Bildung erweisen; von
einem starken Verbum thingan giebt es nur Spuren (Bd. I, 573).
ADJECTIVA.
(1.426) Altn. vinstri, ahd. und alts. winistra, fries. winistere,
ags. vinistra die Linke (goth. hleiduma).
(Zu 1,426). Während es gotbisch nur fairnjis alt, fairnitha Alter
heisst, bildet sich in den andern Sprachen, also wol vor ihrer
Trennung, eine Form mit u, o daneben. Es lautet altn. Ad], fom
alt, forneskja Alterthum neben fyrnd Alter, ahd. Adv. fom ehemals
neben Adj. firni alt, alts. furn fom Adv. neben Adj. iim, fym. Ags.
Adv. furn fom. Die eine Reihe schliesst sich mehr an goth. fair-,
die andere an goth. faura an.
(1)428) Altn. sniallr, ahd. snel, ags. snell schnell, doch wol
zunächst rüstig, kräftig bedeutend; vielleicht zu goth. snivan eilen,
Bd. 1,91 (goth. Adv. sprautö; sniumundo).
VI. Sprachschatz. 293
(1,429) Alto. krankr, ahd. krank, ags. cranc (gotb. siaks).
(Zu 1,429) Altn. eioeygr^ ahd. ainangi, ags. äneäge (goth. haibs).
(I,43l) Altn. heilagr, häligr, ags. hailag, ags. häleg (goth. veihs).
(I,43l) Altn. argr und ragr, ahd. arac, arc, ags. earg arg (gotb.
*balvs etc.).
PRONOMINA.
Hieher gehört ein wichtiges Wort, das im Gothischen gewiss
fehlte, daher anch Bd. 1,432 noch nicht in den urdeutschen Sprach-
schatz aufgenommen ist Es ist dies das altn. thessi, ahd. desSr,
ags. thes dieser; Bopp sieht darin eine Zusammensetzung tja-j- sja,
68 ist wol eher ta -j" ^j^l ^^ Litauischen begegnet die umgekehrte
Composition szitas, d. h. Hja 4~ ta. Gotbisch gilt für diesen Begrifif
nnr sa; das mit letzterem zusammengesetzte sa -{- üb wird gewisser-
massen durch das neue Pronomen verdrängt. Im Altnord, ist letzteres
noch nicht fest eingebürgert; das Masc. und. Fem. thessi wird im
Nom. Sing, zuweilen auch durch einfaches sja ersetzt, lieber die
Deolination dieses Pronomens s. unten den vierten Abschnitt
NUMERALIA.
Auch hieher nur ein, aber ein desto wichtigeres Wort, das
Bd. 1,432 erwähnte altn. bundrad, ahd. hundert, alts. hunderod,
altiries. hondert hundert, ags. hundred centuria (goth. nur hunda).
Das Wort ist im Ahd. selten, vielleicht mehr im Volksmunde als
bei den Schrifstellern gebräuchlich und erst später durchgedrungen;
dagegen wuchert dieselbe Bildung der Zahlen im Altn. weiter,
indem wir auch für die Zehner von siebenzig bis 120 die Formen
straed, ättraed, niraed, tiraed, ellefraed, tölfraeä^ finden. Es fragt
sich, was wir in dem letzten Gliede der Zusammensetzung zu sehn
haben. Grimm Gesch. d. dtsch. Spr. 253 und Koch histor. Gramm,
der engl. Spr. III,a,23 suchen darin ein goth. *rgds im Sinne von
Ordnung; vorzuziehen ist wol Fick IIP, 79, der darin ein urdeut-
sches ratha Zahl (goth. rathjan, roth zählen) annimmt. Das Wort
ist jedenfalls ursprünglich eigentliches Snbstantivum gewesen.
VEBBA.
(1.441) Altn. leida, ahd. leittan, ags. laedan leiten (goth. ustiuban).
(1.442) Altn. fylgja, ahd. folgen, ags. folgjan folgen (goth laist-
Jan) ; ich habe schon oben eine bescheidene Ansicht über Entstehung
des dunkeln Wortes geäussert.
(I>444) Altn. heilsa, ahd. beilison, ags. hälsjan begrüssen, zu
einem unbekannten neutralen Substantiv '^'bailis (goth. göljan).
294 yi' Sprachschatz.
(1,445) Altn. kvedja, ahd. quatjan, ags. cviddjan begrässen, zu
goth. qvithao n. 8. w. (gotb. gdljan).
(Zu 1,445). Altn. blessa segnen, alts. bltdsean ergötzen, er-
freuen, ans blithisan (gotb. Subst. yailaqviss, tbiatbiqviss).
(1,447) Altn. gera, abd. garawjan, ags. gearvjan bereiten (gotb.
nsfratvjan, manvjan; das Goth. kennt keine zum Adj. gar, aus dem
Thema garva, gehörigen Bildungen).
PARTIKELN.
Altn. hversu .wie, abd. bwarasun wohin, fehlt ags. (goth. hvaiTa
und hvadre).
Altn. tbä, ahd. d6, alts. thuo tum, cum (gotb. than).
(1.450) Altn. gegn (componirt gagnvart gegenüber, i gegnum
durch, i gegn gegen), abd. gagan, ags. gägn, geön contra (gotb.
vithra).
(1.451) Altn. enn, abd. anti, ags. and und (gotb. jab).
Diese wenigen Notizen innssen für jetzt genügen, gewisser-
massen wie ein Merkzeichen für die Stelle, an der sich einst
hoffentlich eine reichere Sammlung erbeben kann. Gelingt das
hier und eben so auch beim Langobardischen, dann wird sich
wahrscheinlich in Zukunft ein engeres Zusammenstimmen dieser
beiden Idiome zeigen; jetzt sind es unter den langobardischen
Worten nur arga und tbinx, die auch in dem eben mitgetbeilten
Verzeichnisse vorkommen. Dass wir hierin noch nicht tiefer blicken
können, daran ist vor allem unsere äusserst mangelhafte Kenntniss
des gotbischen Sprachschatzes Schuld, auch daran, dass wir über
mittelurdeutscbe Personen- und Ortsnamen noch nicht einmal eine
Notiz wagen dürfen. Vollends ist es unmöglich hier von dem cul-
turgescbicbtlicben Fortschritte des mittelurdeutscben Volkes zu
reden, da wir ja nur solche Begriffe zusammenstellen konnten, die
wir bereits im Gotbischen vorfinden. Wenn wir hier mehr wüssten,
so würde sich wabrscbeinlicb ein Weiterschreiten in Bezug auf
das Seewesen, femer eine Anzahl von neuen Naturproducten,
siober eine weitere Entwickelung geistiger Begriffe ergeben.
Die neuen Wörter haben zum grossen Tbeile die Wirkung,
oft gradezu den Zweck, im Sprachschätze ältere Ausdrücke ausser
Gebrauch zu setzen. So bat sicher das Mittelurdeutscbe seine
lexicaliscben Verluste erfahren, wie wir sie für das Alturdeutscbe
Bd. 1,458 ff. zu verzeichnen versuchten. Solche Verluste müssen
unter denjenigen Ausdrücken aufgesucht werden, die bisher nur
im Gk>tbiscben bekannt sind, in den andern germanischen Sprach-
zweigen aber fehlen. Von diesen haben wir im vierten Bache den
VI. Spraehschatz, Verluste. 295
grössten Theil als gothiscbe NeubilduDgen verzeichnet. Ein anderer
Tbeil jedoch, nämlich solche, welche schon im Sprachschätze des
ersten and zweiten Buches verzeichnet wurden, welche also schon
ardentsch gewesen sind, müssen im Mittel nrdeutschen untergegangen
nein. Grade die nicht geringe Zahl dieser Ausdrücke, welche wir
hier mittheilen, spricht für die wirkliche Existenz einer mitteldr-
deutschen Sprachperiode; sonst wäre ihr gemeinsamer Untergang
in drei getrennten Sprachzweigen kaam zu erklären.
Substantiva: Goth. faths (Bd. 1,54) Herr; hliftus (I^ 56) Diel>;
amsa (1,58) Schulter; skalja (1,263) Ziegel; mimz (1,63) Fleisch;
tnilitb (1,63) Honig; hethjö (1,265) Kammer; milbma (1,66) Wolke;
jnnda (1,69) Jagend, hnuthö (1,269) Stachel, wenn nicht entlehnt;
dulgs (1,71) Schuld; Stoma (1,72) Stoff, Gegenstand; frathi (1,73)
Verstand.
Adjectiva: kanrs (1,76) schwer; thlaqvs (1,76) weich, zart,
bamisks (1,272) kindlich; qvineins (1,273) weiblich; baibs (1,78) ein-
äugig; bauths (1,78) taub.
Pronomina: hvazuh (I,80) jeder; auch sa -f- uh, worüber schon
oben, wird hieher zu rechnen sein.
Verba: tabjan (1,82) reissen, schütteln; tarhjan (1,83) auszeichnen;
(nz-) anan (1,83) hauchen; hlifan (1,84) stehlen; yilvan (1,84) rauben;
tulgjan (1,87) festmachen; hramjan (1,87) kreuzigen; hvathjan fl,89)
sieden; hvapjan (1,277) löschen; kijan (I,90) keimen; skevjan (1,91)
gehn (altn. skiöa, ags. sciöjan passen nicht recht im Vocal; sie
setzen ein ''^skivjan voraus); reikinön (1,92) herrschen; silan (1,93)
schweigen; *agan (1,95), aus unagands zu schliessen, sich furchten;
mampjan (1,95) verspotten; hölön (1,95) schaden; mitön (1,93) er-
messen, bedenken; frathjan (1,94) verstehen; verjan (1,279) glauben
(in tuzverjan zweifeln); faian (1,279) verachten, tadeln; fus-) gais-
Jan (1,280) erschrecken; neivan (1,280) zürnen; ga-daban (I,280) ge-
ziemen.
Partikeln: hier sind etwa die beiden Fragepartikeln -ah nnd an
(1,99) za erwähnen.
Verba scheinen also am meisten untergeg.ingen zu sein; mit
den Substantiven, auf deren Gebiete im Gegeutheil stets ein starkes
Bediirfniss nach Neubildungen herrschte, verfuhr man sparsamer.
Dritter Abschnitt.
Die Wortbildung^.
Der Gegenstand dieses Abschnittes hängt wesentlich von dem
des zweiten ab; nur aus dem Wortschatze lässt sich die Wort-
bildung erkennen. Wo wir über die Veränderung des Wortschatzes
296 ^' ZuBJtmmenBetsuiig«
so wenig wissen wie in unserm Falle, da wird auch über die
Wortbildung nur dürftiges gesagt werden können. Doch sind
immerhin einige Bemerkungen möglich.
Die Zusammensetzung zunächst wird ja gewiss auch in
dieser Periode eine immer mannigfaltigere und freiere geworden
sein, im Einzelnen können wir darüber nicht urtheilen; das oben
mitgetheilte Verzeichuiss führte als Gomposita nur die Substantiva
altn. hördömr, bruögumi, orlög, karlmaör, verold, andlit, das Ad-
jectivum eineygr, das Zahlwort hundraÖ auf; daraus ist nichts za
Bchliessen.
Dennoch können wir dem Mittelurdeutschen eine ganz neue
Classe von Gompositen zaschreiben, von der es nicht Zufall sein
kann, dass sie in allen germanischen Sprachen mit Ausnahme des
Gothischen weit verbreitet ist. Wie die Bildungen auf -dorn ihre
Quelle schon im Alturdeutschen haben, sind die auf -skap erst im
Mittelurdeutschen entsprungen, ganz ähnlich wie die auf -baid erst
dem Neuurdeutschen ihre Entstehung verdanken.
Näher betrachtet leitete sich vom urdeutschen skapjan skop
im Altn. ein Neutrum skap animi indoles, animus, im Ahd. ein
wahrscheinlich auch neutrales scaf modus, im Ags. ein Neutrum
sceap, scäp creatio, creatnra. Etwas anders gestaltet sich die Ver-
wendung als letzter Theil von Gompositen; wir haben hier im
Altn. ein mascnlines -skapr, im Ahd. ein feminines -scaf, neben,
dem dann auch ein -scaft eintritt, im Ags. ein masculines -scipe,
-scype; das Wort muss ursprünglich so viel als Gestalt, Form be-
deutet haben und dann etwa in den Sinn unseres damit verwandten
Beschaffenheit übergegangen sein; sein Genus ist im Mittelur-
deutschen am wahrscheinlichsten masculin gewesen. Geben wir
davon eine Reihe von Beispielen.
Altn. fiandskapr Feindschaft, fiflskapr Narrheit, fSlagskapr
Genossenschaft, greiöskapr Bereitwilligkeit, greyskapr Feigheit,
kaupskapr llandel, sk&ldskapr Poesie, vinskapr Freundschaft,
drengskapr Edelmuth, landskapr Landschaft (aber auch im Sinne
von Landessitte), herskapr Kriegswesen; einige andere scheinen
etwas jünger zu sein.
Ahd. besonders häufig. Hierüber lieferte bereits a. 1826
Grimm eine reiche Sammlung Gramm. 11,520, dann Graff ¥1,452,
auch über die auf -scaft, die erst im zehnten Jahrhundert aufkom-
men und jetzt gesiegt haben.
Ags. eorlscipe Eriegerschaft, freöndscipe Freundschaft, foröscipe
Reise, geöngerscipe Dienst, hläfordscipe Herrschaft, landscipe Land-
schaft, leödscipe Volk; metescipe Speisung, mägenscipe Macht,
VI. Ztisammensetzaiig. 297
thegenscipe Rittersebaft uod viele andere; daneben treten aber
gleichialls, doch hier als Masculina, Bildungen auf -sceaft auf.
Alts, wie im Ags. Masculina, z. B. ambahtskepi Dienerschaft,
Dienst; bodskepi Botschaft, brööarskepi Brüderschaft, erlskepi
Mannschaft, folkskepi Völkerschaft, gnmskepi Mannschaft, jungar-
skepi Jüngerschaft, theganskepi dsgl., werdskepi Wirthschaft; da-
neben im cod. Gottonianus auch einige Formen auf -skipi.
Schon das spricht ftir ein hohes Alter dieser Zusammensetzungen,
dass wir so viele derselben mit nnsern Wörtern auf -schaft über-
setzen können; noch mehr aber der Umstand, dass mehrere von
ihnen in mehr als einem der drei Sprachzweige vorkommen, was
doch nicht immer Zufall sein kann; ich erwähne hier:
Ahd. botascaf, alts. bodskepi, ags. bodscipe, fries. bodskip.
Ahd, bruaderscaf, ags. brdöorscipe, alts. brööarskepi.
Altn. iiandskapr, ahd. viantscaf, ags. feöndscipe, alts. finndskepi.
Ältn. herskapr, ahd. heriscaf, alts. heriskepi.
Altn. landskapr, ahd. lantscaf, ags. landscipe, alts. landskepi.
Ahd. liutscaf, agn. leödscipe, alts. liudskepi.
Altn. vinskapr, ahd. winiscaf, ags, vinescipe.
Dem Gothischen und Alturdeutschen ist alles dieser Art fremd;
am nächsten kommt goth. gaskafts Schöpfung, Geschöpf, ahd. gascaft,
ags. gesceaft.
Ein weiterer Vorgang dieser Periode ist es, dass die beiden
Praepositionen, die gothisch ga und dis lauten, ihre Eigenschaft
als selbständige Wörter völlig verlieren und nur als untrennbare
Praepositionen erscheinen. Zwar war dieser Process grossentheils
schon im nugetheilten Germanischen vor sich gegangen, doch zeigt
das Gothische, dass beiden Wörtern doch noch ein gewisser Grad
von Selbständigkeit beiwohnte, da es hier gestattet ist, dass zwischen
Praepos. und Verbum noch einzelne Wörtchen eingeschoben werden;
vgl. Matth. 9,28 ga-u-laubjats; Job. 9,35 ga-u-laubeis ; Marc. 8,23
ga-u-hva-sehvi; Job. 5,46 ga-thau-laubidedeith mis; Marc. 16,8
diz-uh-than-sat Diese Beste von Selbständigkeit werden im
Hittelurdeutschen gänzlich eingebüsst, so dass der hochdeutsche
nnd sächsische Zweig diese Wörtchen nur noch als Mittel zur
Composition kennt, der den Pracfixen überhaupt abgeneigte nordische
aber das dis gänzlich verliert, das ga nur noch in wenigen Wörtern
gestattet, bei denen die Sprache die praefixale Natur des anlauten-
den g vergessen hat, z. B. gnaddr, gnaga, gnegg, glikr, gliking,
gnögr. Denselben Weg zu betreten beginnt auch das goth. us,
das in dieser Sprache noch mitunter getrennt wird, wie z. B.
Luc. 20,25 us-nu-gibith thö kaisaris kaisara; Joh. 16,28 nz-uh-iddja
298 ^' Ableitung.
fram attin. Aber obwol auch hier das Hochdeatsebe nar nntrennr "
bares nr-, ar-, ir-, er-, das Ags. nnr antrennbares or- kennt,
moss der Process im Mittelurdeutschen noch nicht röllig vollende
gewesen sein, da das Wort sich im Altn. wieder bis za einer —
völlig selbständigen Praeposition or erheben konnte, während hier
doch ausser dis- ond ^a- sogar die ganz selbständigen Praepositionen
bi und du untergingen.
Die beiden zuletzt erwähnten Thatsachen haben etwas Gemein-
sames^ wir sahen das Snbstantivnm sAap zu einer blossen Endung,
die Praepositionen pa und dis zu blossen Praefixen herabsinken,
so dass die mit diesen Wörtern versehenen Grebilde nicht mehr
zwei, sondern nur ein Hanptelement enthalten. Noch eine dritte
Erscheinung geht einen ähnlichen Weg, die Verwandlung zusammen-
gesetzter Personennamen in bloss abgeleitete, ein Gebrauch, der
im Gothischen und den diesem nahe stehenden Mundarten noch
unbekannt zu sein scheint, bei den andern Sprachzweigen aber
unendlich häufig ist. Es geschieht aber dieser Vorgang so, dass
die Suffixe -an und -jan (Nom. urdeutsch -a und -ja, ahd. -o
n. s. w.) als Generalvertreter des Grundworts componirter Personen-
namen gebraucht werden und dadurch die sogenannten Koseformen
entstebn, in denen die Existenz des Suffixes -jan meistens nur
durch eine Assimilation, d. h. durch Verdoppelung des vorhergehen-
den Consonanten zu erkennen ist. So haben wir z. B. im Altn.
SigriÖr : Sigga, Qndrnu : Gunua, Geirlaug : Geira, Aslaug : Asa u. s. w;
eben so im Masc. Sigurdr : Siggi u. s. w. Hochdeutsche und säch-
sische Beispiele, die sehr häufig begegnen, ist nicht nöthig anzu-
führen. Weitere verkleinernde Verstümmelungen, die sich in den
einzelnen Mundarten vorfinden, sind wol erst jünger und gehören
daher noch nicht hieher.
Indem wir nun zu einigen Bemerkungen über die Ableitungen
fibergebn, muss sich das Einzelne in dem Leben der mittelurdeut-
schen Sprache wieder in hohem Grade der Beobachtung entziehn.
In Bezug auf die alten Suffixe werden wir eine starke, schon
im Alturdeutschen begonnene Beeinträchtigung der auf u aus-
gehenden Endungen (r/, tu, nu, m, asiü) mit Sicherheit annehmen
können, wie sich aus dem allmählichen Absterben der U-Dedination
ergiebt; ein Nachzügler des Suffixes -ru ist z. B. das goth. hnhrus,
dem im altn. hungr, ahd. hungar, ags. hungor bereits ein A-Stamm
entspricht.
Zunahme ist dagegen zu vermuthen in den erst während der
vorigen Sprachperiode neu gebildeten Suffixen (s. Bd. I, 511 ff)»
namentlich bei den Erweiterungen auf -n.
VL Ableitung. 299
Recht deutlich ist die Zunahme ferner bei dem Bd. I, 516 er-
wähnten Suffixe -linga, für welches wir nur ein einziges urdeutsches
Beispiel (goth. gadiliggs) zu erwähnen wussten. Im Altn., Hochd.
und Sachs, blüht diese Bildung in einer Ungeheuern Anzahl von
Fällen, sowol in Eigennamen als Appellativen, vorherrschend in
Masculinen. Beispiele findet man in den bekannten Werken in
Fülle, für das Ags. und seine Tochtersprachen namentlich bei Koch
histor. Gramm, der engl. Sprache Bd. III (1868) S. 63. lieber-
einstimmungen unter den verschiedenen Sprachen finden sich jedoch
nur wenige; ich erwähne altn. dyriingr, ags. deörling Liebling:
altn. ^nglingr, ahd. jungelinc, ags. geöngling Jüngling; ahd. chomelinc,
altengl. koroeling Ankömmling; es werden sich indessen noch mehr
aufspüren lassen.
In dem Bereiche der Verba erweitert sich die Bilduugsfähig-
keit dadurch, dass nun auch schwache Verba ans componirten
Substantiven und Adjectiven herzuleiten gestattet wird. Im Gothischen
begegnet davon kein Beispiel, obgleich es dem Ulfilas nahe ge-
legen hätte solche Vorbilder wie olxoSofX€tv oder yovvnetetv nach-
zuahmen und Anlass genug gewesen wäre selbständig dergleichen
zu bilden; dass sie im einigen Germanischen vorhanden gewesen,
im Gothischen aber untergegangen seien, wäre verkehrte Annahme.
Auch darin zeigt sich die grössere Jugend dieser Bildungen, dass
sie in den deutlichen Sprachen vorwiegend der 6- Coujugation folgen,
die ja besonders für jüngere Ableitungen bestimmt ist; Grimm
Gramm. II, 583 liefert eine Fülle von Beispielen. Auch ergeben
sich einige Fälle von Uebereinstimmungen, die für uns besonders
wichtig sind, z. B. altn. dagthinga, ahd. tagadingön, unser ver-
theidigeu; altn. herberg^ja, ahd. heribergdu, ags. herebirigan, unser
herbergen ; altn. kaupslaga (auch dänisch kjöbslaae), ahd. caufslagön
einen Handel schliessen.
Bildung neuer Suffixe haben wir vor Allem in zwei- nomi-
nalen Fällen zu beobachten.
Aus dem Bd. I, 511 erwähnten -inga entwickelt sich ein häufig
gebrauchtes -unga: es mag sich zuerst in solchen Wörtern ver-
einzelt festgesetzt haben, deren Primitivum auf -u ausging und von
da aus weiter gedrungen sein, namentlich auch sehr leicht an Verba
auf -6n angeschlossen haben. Weniger natürlich scheint es eine
verdunkelnde Einwirkung des /i^ auf den vorhergehenden Vocal
von -inga anzunehmen. Verdankt das -unga auch zunächst einem
rein lautlichen Vorgange seine Entstehung, so erlangt es doch später
functionelle Selbständigkeit. Den einzelnen Sprachzweigen gemeinsam
ist; dass es Masculina und Feminina entwickelt, keine Neutra, dass
3^ VI. AUeitmig.
e$ die Ma^nlina fast stets ans Nominen, die Feminina fast stets
ans Verben bildet, dass bei jenen fast ansschliesslieh eoncrete, bei
diesen abstraete Bedeutung gilt; endlicb, dass sich kein dem -linga
eutspreebendes -lunga erzeugt.
Dem Gotbischen mangelt ein -unga gänzlich, doch liefert uns
das vierte Jahrhundert die beiden Völkemamen Juthungi und Gren-
tungi (wofür Trntungi bei Trebellins Pollio nur falsche Lesart ist);
die letzteren sind allerdings ein gothischer Stamm, vielleicht in
nngofhischer Form überliefert; übrigens lassen Idatius, Suidas,
Zosimus den Namen auf -ingi ausgebn.
Im Ahn. haben wir unter den Masculiuen dieser Bildung nament-
lich eine Reihe von Wörtern, die den Theil eines Ganzen ausdrücken,
wie thriöjungr Drittel, eben so fiöröungr, fimtungr, settungr, siaun-
dungr, ättungr, tolftungr u. s. w. (die Hälfte heisst altn. helfä oder
helraingr = helfningr). Ferner eine ziemliche Anzahl persönlicher
Bezeichnungen, nicht bloss Eigennamen wie Niflungr, Nidungr^
Suttungr, sondern auch Appellativa wie ättungr Angehöriger, broe-
ftrungr Vetter, hornungr unechter Sohn, systrungr Vetter von weib-
licher Seite, näungr Verwandter, sifjungr desgl., endlich noch manche
vereinzelte, z. B. ginnungr Habicht u. s. w. Von den abstracten
Femininen erwähne ich häöung Unwürdigkeit, hörmnng Beunruhigung,
launungGeheironiss, lausung Schlaffheit, naudungNöthigung, sundrung
Sonderung.
Im Ahd. sind die Masculina nicht häufig mit Ausnahme der
Personennamen wie Baidung, Blionung, Erlung, Gisolung, Harilung,
Hisung und manche andere; von den Appellativen erwähne ich
hornuug und fiordung. Die Feminina sind gradezu unzählig und
es genügt dafür auf die reiche Sammlung bei Graif II,113G ff. zu
verweisen.
Das Ags. bietet nur wenige Masculina, z. B. feordung, dagegen
sind die Feminina massenhaft vorhanden, wie fandung Versuchung,
hnappung Schlafen, langung Sehnen, niiltsung Mitleid, glitennng
Glanz, äscung Fragen, hälsung Heiligung, claensung Reinigung,
dropung das Tröpfeln, ceäpung Handlung, Kauf, beäcnung das
Winken. In den späteren Perioden dieser Sprache nehmen diese
Forpen immer mehr ab, bis sie im heutigen Englischen ganz erlöschen.
Uebereinstiramungen finden sich nicht häufig; es ist mehr das
Princip der Bildung als die einzelnen Gebilde, worin die Sprachen
zu einander stimmen; erwähnt werden mag altn. hornungr, ahd.
und ags. hornung. Zuweilen hat die eine Sprache -unga, die andere
-inga, so in altn. fiördungr, ahd. fiordung, ags. feordung neben
feording, auch als Name der Münze; dem altn. konungr steht ahd.
VI. Ableitung. 301
chüniDg, ags. cjning entgegen. Ganz vereinzelt ist das wol nicht
hieher gehörige altn. hanang (Neutrum), ahd. houang, aga« hunig.
Das zweite neue Suffix beruht nicht auf blosser lautlicher
Entartung, sondern auf stofflicher Vermehrung, doch auf einer ganz
andern als wir im Urdeutschen beobachtet haben, wo neue Suffixe
sich meistens durch Anhängung von -a oder -n erzeugten; in nnserm
Falle sehn wir vielmehr eine Zusammenrückung der beliebtesten
Adjectivendungen -ka und -ta; die mittelurdeutsche Form wird sich
am wahrscheinlichsten als -ahta annehmen lassen. Das Gothische
zeigt uns noch keine Spur dieser Bildung; was ihr in der Function
entspricht, endet sich hier auf -ahs, -ags.
Im Altnordischen finden wir erstens eine Anzahl von femininen
Substantiven auf -ätta, Stamm -ättan, denen in den andern Sprachen
nichts entspricht; barätta Schlacht, kunnätta Eenntniss, vedrätta
Wetter, viöätta VTeite, Offenheit. Weit zahlreicher sind die Adjectiva,
z. B. dumböttr dämmerig, skiöttr, freknöttr, rönddttr, flekköttr,
skiöldöttr, bröndöttr, dröfnöttr, bllddttr, sokkdttr, blesöttr, golsdttr,
bleikalöttr, möäldöttr, vindöttr, knöttottr, tindöttr, bäröttr, kringöttr.
Noch andere Beispiele findet man schon a. 1826 bei Grimm 11,381,
neuerdings bei Gleasby-Vigfusson XXXIII. In Hjaltalin's islän-
discher Botanik begegnet eine grosse Anzahl solcher Worte, die den
lateinischen Ausdrücken auf -ösus entsprechen.
Das Ahd. besitzt zahlreiche Adjectiva, die hier zwischen den
Endungen -oht, -aht, -iht seh wanken ; Grimm 11,380 and Graff IV,io62
bieten reiche Sammlungen dieser Art dar, die sich bis auf die
nhd. Adjectiva auf -icht fortsetzt, welche allmählich durch lieber*
Wucherung von denen auf -ig erstickt werden.
Die entsprechende ags. Form lautet -iht, -cht, z. B. bogiht
bogig^ croppiht frachtreich, haeriht haarig, höciht gebogen, staeniht
steinige thöiht thonreich, thomiht domig. Das Englische kennt hiefür
nur den Ausgang -g, d. b. auch hier hat die ältere Form *]g wieder
gesiegt.
Uebereinstimmungen zwischen den einzelnen Sprachen werden
sich bei Gegenüberstellung des ganzen Schatzes an solchen Bildungen
gewiss manche zeigen; ich erwähne altn. flekköttr, ahd. flecchoht
fleckig; ahd. bogoht, ags. bogiht bogig; ahd. dornoht, ags. thorniht
domig.
Auf dem Gebiete der Verba hat es das Mittelurdeatsche zu
keiner neuen Bildung gebracht. Wenn sich in der Zeitschrift for
deutsche Philologie von Höpfner and Zacher Bd. II (1870) S. 167 —
172 ein Aufsatz von Leo über die Intensiven der deutschen Sprachen
befindet, so wird darin zwar nachgewiesen, an welche Formationen
308 VL Ablettmig.
«eh die intensiTe Bedentnng in diesen Sprachen mit Ansnahroe des
Crothisehen knfipft, doch sind diese Formationen selbst keines-
wegs nen.
Wir haben daher nnserm Plane gemäss nur noch auf den
Untergang alter Snffixe unsern Blick zn werfen. Die Bd. 1,476
erwähnte Neigung der alten U-Stämme, in die I- und A-Decli-
nalion überzugehn; mag hier schon begonnen haben, doch für die
aof einfaches u ausgehenden Stämme gewiss nur io geringem Masse,
da im Altn. die U-Declination noch in völliger Blüte ist; erst im
Neuurdeutschen schreitet hier die Zerstörung weiter vor. Aber
gegen die übrigen Snffixe, die auf u ausgehn, ist doch auch schon
hier eine gewisse Abneigung zu bemerken; ein ftu h.it im Deutschen
(Bd. 1,483) schon überhaupt nicht mehr in klarer Selbständigkeit
existirt; von -ru sahen wir oben im Goth. huhrus einen schwachen
Rest, der in den andern Sprachen schwindet; Bd. 1,488 wurde be-
merkt, dass das iu nur noch im Gothischen klar zu erkennen sei;
und das alte -asiu (Bd. I, 149^ 516) ist gleichfalls nur noch im
Gothischen einigermassen klar, während es im Altn. völlig ver-
schvdndet, im Hochdeutschen und Sächsischen aber durch ganz un-
organische Bildungen abgelöst wird.
Auf ein Paar andere Suffixe scheint es von Einfluss gewesen
zu sein, dass sie zwar nicht auf ti enden, aber diesen Vocal wenig-
stens enthalten, dem schon um seiner geringeren Gebrauchssphaere
eine gewisse Ungefügigkeit beiwohnt und der deshalb für Endungen
weniger geeignet erscheint. So jenes alte -iüti (goth. -duths), von
dem wir Bd. 1,494 die letzten Beispiele nur noch im (Gothischen
nachweisen konnten. Femer -usja (aus *vatja\ über dessen gothische
und unsichere sonstige Spuren Bd. 1,492 gesprochen wurde; eine
weitere eben so unsichere Spur wird in Grimm's Wörterbuch III,
1629 verfolgt. Auch das im dritten Abschnitte des vierten Buches
besprochene gothische -f/^it/, -u/M vnirde sich hiezu fügen, wenn
es, was unsicher ist, schon aus dem Urdeutschen stammt, nicht
erst vom Gothischen neu gebildet wurde.
Ein weiteres Suffix, das alle Lebenskraft verliert, ist das Bd.
1)512 besprochene neutrale -isa. Sein Schicksal, das sich meistens
im Mittelurdeutschen entscheidet, ist ein mannigfaches. Einige der
hieher gehörigen Wörter gehn ausserhalb des Gothischen völlig
unter, wie mimz Fleisch, rimis Ruhe. Andere lassen das s un-
wandelbar wie zum Stamme gehörig erscheinen und haben seine
ableitende Natur ganz vergessen, so in altn. iss, ahd. ts, ags. is
Eis und altn. fax, ahd. fahs, ags. feax Har; dazu sind vielleicht
unsere Wörter Haus, Gras und einige andere zu rechnen. Wiederum
VI. Dedination. 303
in andern Fällen wird g zn r rerwandelt, dieser Laut aber auch
ganz als zum arspränglichen Stamme gehörig betrachtet; hieber
gehört gotb. riqvis, altn. rökr Finstemiss; urd. ais, gotb. aiz; altn.
eir, abd. er^ ags. aer Erz; gotb. abs; abd. ehir, ags. aber Aehre;
auch gotb. kas Gefäss, dius Tbier, ^bins Bier, raus Bohr sind viel-
leicht dazu zu stellen. Anziehender ist der Fall, dass die Ver-
wandlung des s zü r gleichfalls vor sich gebt und nun dieses r
den Schein der Nominativenduug annimmt, so dass das Wort früher
oder später aus dem Neutrum ins Masculinum übergebt und mit
den andern Masculinen später das r verliert. Dabin ist zu stellen
gotb. batis (ntr.), altn. hatr (ntr.) abd. baz (msc), ags. bete (msc).
Haas; gotb. ^baris (ntr.), altn. harr (msc); ags. bere (msc?) Gerste;
gotb. sigis (ntr.), altn. sigi* (msc.)» abd. sign (msc), ags. sige (msc.)
Sieg; das altn. doegr (ntr.) ist im ags. dögor (msc. und ntr.) Tag
wol nur entlehnt. Gotb. agis Schrecken geht in die schwache Dec-
lination über im altn. agi (msc); vgl. dän. ave, ags. oga, engl. awe.
Unter den Yerbalsuffixen war keine Einbusse mehr möglich.
Die meisten derselben hatten schon lange alle ihre Lebenskraft ein-
gebüsst; nur das uralte ^n erhielt sich und musste erhalten bleiben,
um active abgeleitete Verba bilden zu können. Jenes im Urdeutschen
erst entstandene passive na (Bd. 1,516) war gleichfalls nötbig von
der Zeit ab, wo die alte Passivbildung verkümmerte, bis zu der Zeit,
in welcher die Passivbildung mit Hülfsverben völlig ausgebildet
war^ und so lange haben diese Verba auch nur bestanden.
Die Mannigfaltigkeit endlich der Partikelformatiouen schmilzt
auffallend zusammen, so bildet sich kein neues Wort mehr mit
jenem alten -va (Bd. I,506)i keins mit -dba (Bd. 1,609), keins mit
-bai oder -ba (s. ebds.); nur wenige alte Formen reichen bis in
unsere Periode hinein und unter sie heraus.
Vierter Abschnitt
Die Fleiüoii.
Zunächst für die Declination werden wir hier schöpferische
Neugestaltungen gar nicht mehr erwarten, da sich schon im dritten
Buche an der entsprechenden Stelle gezeigt hat, dass das Urdeutsche
hier vollkommen passiv war und nur lautliche Einflüsse hat über
sich ergehn lassen* Solche finden auch in dieser Periode statt und
wir haben auch hier dergleichen in den ersten Abschnitt verweisen
]
304 VI. Deolination.
mässen; so sprachen wir z. B. bei den consonan tischen Aaslants^
erscheinungen über die Apokope des * im Gen. Sing, der Wörter
auf Suffix -tar, ebendaselbst auch über die schwierige historische
Auffassung der Formen des Acc. Plur. u. s. w. Schwankungen in
Bezug auf die thematischen Vocale gehören vollends mehr in die
Lehre von der Wortbildung als zur Flexion, wie z. B. das schritt-
weise Beschränken der Themen auf -u.
Sehr auffallend ist der Formenwechsel im Dat. Sing. Fem. der
A*Stämme. Hier lautet es urdeutsch und gothisch im Substantivam
gibai, imAdj. urd. blindaisai, im Goth. schon substantivisch blindai.
Aus gibai und blindaisai entwickelt sich altn. giöfu (giöf) und blindri,
ahd. (Eero) gebu und blindem, alts. gebu und blindäro; dem goth.
Fron, izai steht ahd. und alts. iru, iro gegenüber. Es ist also eine
Endung -u für die Substantiva schon im Mittelurdeutschen, später
auch für die Adjectiva eingetreten, die sich lautlich aus -ai kaum
erklären lässt. Es kann das kaum etwas anderes sein als eine
eingedrungene instrumentale Form, wie wir sie im Altn. schon in
den Dativ des Neutrums der Adjectiva (s. Bd. I,.5ao) eingeschlichen
sehn. Erleichtert wurde dies Eindringen jedenfalls durch den Gleich-
klang mit dem -mu der Masculina nnd Neutra der Adjectiva, das
auf rein lautlichem Wege aus ma entstanden war. Ja auch die
allgemeine Neigung der Feminina zu dunkleren und schwereren
Vocalen mag auf diesen Formenwechsel günstig eingewirkt haben.
Nur ganz ausnahmsweise und schüchtern beginnt eine andere
Erscheinung einzutreten. Wir haben an seiner Stelle gesehn, wie
das Germanische die Neigung hat, nominale Stämme durch -xi zu
erweitern und wie dann diese Neigung dazu führt, dass jedes Ad-
jectivum unter syntaktisch gegebenen Verhältnissen als N-Stamm
erscheint. Dieses Eindringen des n fängt nun allmählich an auch
bei den vocalischen Stämmen der Substantiva in denjenigen Casus
überzugreifen, der dem Adjectivum im Sprachgefühle am nächsten
steht, doch nur im Pluralis. Im Altn. finden wir von fylki nnd
klae^i schon die unregelmässigen Genetive Plur. fylkna und klaedna
für fylkja und klaeöa; im Neuurdeutschen werden wir diese Nei-
gung grossgezogen sehn.
Nicht hieher gehört eine andere Erscheinung beim Gen. Plur.
Wenn wir im Gothischen den Gegensatz von fiske, gibö, vaurde
oder von blindaize, blindaizd, blindaize finden, in den andern Sprachen
aber nur eine Endung, nämlich ahd. nnd alts. -o, -ro^ altn. und
ags. -a, -ra, so könnte es scheinen, als sei jener Gegensatz im
Mittelnrdentschen ausgeglichen worden. Dies i»% ab&r nicht der
Fall; vielmehr bestand die Gleichheit schon im angetheilten Ger-
VI. Declination. 305
maDischen, wo es nach Apokope des -m fiskä, gibä, vurdä, blin-
daisä lautete; das Gothische hat hier erst eine Verschiedenheit ein-
geführt, und zwar dadurch, dass es den alten d nicht überall
gleichzeitig in ö und ^ auswich.
Für die Adjectiya ist zu bemerken, dass nun auch schon fast
die letzten Besonderheiten einer U-Declination, wie es schon früher
mit den I-Stämmen geschah, durch die A-Declination aufgesogen
werden. Nur im Altn. spürt man das u noch öfters in der Gestalt
von p oder gar nur durch den Umlaut, im Ahd. sind die U-Stämme
ganz in die auf -Ja übergegangen, z. B. Nom. Sing, hardi, engi,
durri, fili; der sächsische Zweig hat gleichfalls jede Spur vertilgt;
das neutrale filu ist im Hochdeutschen und Sächsischen das letzte
Ueberbleibsel.
Bedeutender als beim Substantivum und Adjectivum sind im
Mitteiurdeutschen die Zerstörungen beim P r o n o m e n gewesen. Allen
Prononiinen gemeinsam ist zunächst die schon die Bd. 1,529 besprochene
Einfügung eines J in den Instrumental, wovon weder dns Urdeutsche
noch das Gothische etwas wusste; die mittelurdeutsche Endung
lautete hier -ja, woraus sich einerseits das altn. -fy anderseits das
hochdeutsche -/// erklärt, das auch den ags. Formen zu Grunde
liegt. Denselben Wandel macht auch der erste Theil des zusam-
mengesetzten Relativums durch, goth. hveleiks gegen altn. hvilikr,
ahd. hwiolihhßr, ags. hvilc. Für die einzelnen Pronomina ist ferner
Folgendes zu bemerken:
Im Personalpronomen tritt eine deutliche nicht auf bloss laut-
lichem Wege zu erklärende Ueberwucherung der zweiten Person
durch die erste und dritte ein. Zunächst stehn dem gotbischen
tbus, thuk in den übrigen germanischen Sprachen Formen mit /
gegenüber, um Ueberstimmung mit den Stämmen mi und s( der
ersten und dritten Person hervorzubringen; es lautet also altn. mik
thik sik, faröisch meg teg seg, ahd. mih dih sih, ags. mec theo,
alts. mi thi. Dasselbe geschieht im Nom. Du. und Plur. Im Dual
ist dem gothischen vit entsprechend in der zweiten Person ein jnt
anzunehmen ; statt dessen haben die andern Sprachen stets Formen
mit dem Vocal der ersten Person, also altn. it oder thit, faröisch
tit, ags. git, alts. git. Im Plural heisst endlich der Nominativ gothisch
veis jus, in den andern Sprachen aber gleichklingend altn. ver er
(oder ther), faröisch vaer thaer, ags. ve ge, alts. we ge (wi gi).
In Bezug auf den Pronbminalstamm si oder sja hat vielleicht
im Mitteiurdeutschen eine Revolution stiittgefunden. Wir bemerkten
schon Bd. 1,536, dass das Gothische sein si grade wie das Irische
sein st nur gebraucht, um das fehlende Femininum des Stammes
Pöntenumn, Gesch. d, d, SpracKstammes. II, 20
306 VI. Dectination.
/ za ersetzen. Während nun dieses si im Altn. und Ags. ganz ver-
schwindet, haben wir imAhd. and Alts, einen erweiterten Oebraoch
dieses Stammes vor uns; der Nom. Sing. Fem. lautet ahd. siu oder
si; alts. siu; dazu tritt ein Acc. Sing. Fem. ahd. sia, alts. sia, ein
Nom. und Acc. Plur. durch alle drei Geschlechter ahd. sie sio siu,
alts. sia sio sin. Durch diesen Vorgang wird das Pronomen / be-
deutend beschränkt; dem goth. Acc. Sing. Fem. ija, dem Nom. und
Acc. Plur. Fem. ijös entspricht nichts in den übrigen Sprachen.
Auch die Declination des Interrogativstammes Ära verkümmert;
nur gothisch ist noch der Acc. Plur. hvans und das Fem. Sing,
hvö; in den andern Sprachen fehlt das Fem. und d£r Plural ganz.
Von der Zusammensetzung hvazuh ist schon im Gothischen kein
Fem. mehr zu belegen, vom Plural nur hvanzuh.
Das Pronomen süöa ipse declinirt im Gothischen nur schwach,
also nur nominal,'sonst überall stark und schwach : altn. sialfr neben
sialfiy ahd. selber neben selbo, ags. seif neben selfa, alts. seif neben
selbho, altfries. seif neben selva. Im Ags. ist die starke, im Alts,
die schwache Form die gewöhnlichere.
Besonders merkwürdig ist das neu gebildete Pronomen tha -l-
sja (s. oben den Sprachschatz); dasselbe ist uns in einer doppelten
Declination überliefert. Die alterthümlichere Art ist die, dass nur
das erste Pronomen flectirt, das. zweite nur (ähnlich wie das c
im lat. hic) als Suffix angehängt wird. Diese Art ist in der uns
erhaltenen eigentlichen Literatur untergegangen, findet sich aber
noch auf alten Runensteinen bis nach Schleswig hinab. Beispiele
sind Dat. Sing, theimsi huicce, Acc. thannsi huncce (thinsi auf
einem Runensteine von Falster), thäsi hancce, Nom. Plur. theirsi
hi-ce. Dat. Plur. theimsi hisce, Acc. Plur. thäsi hosce, Ntr. Plur.
thausi oder thusi oder thisi haecce. Ausserhalb der Runensteine
begegnet maa noch einem instrumentalen thvisa. Beispiele für diese
Declination finden sich bei Gleasby-Vigfusson unter dem Worte
kumbl S. 358 und unter thessi S. 734. Zu bemerken ist hier gleich,
dass auch der Pronomiualstamm sa den Versuch zu dieser Zusanuuen-
Setzung gemacht hat, da auf Runensteinen ein säsi hicce, süsi
haecce begegnet.
Die zweite Art ist die, dass das zweite Pronomen flectirt
wird, der Stamm der ersten nur Praefix ist (etwa wie das / im
lat. ipse). Diese Art ist die in der Literatur des nordischen, hoch-
deutschen und sächsischen Zweiges verbreitete. Wir werden uns
dafür etwa folgendes mittelurdentsche Paradigma aufstellen können:
Sing. Masc. Fem. Ntr.
Nom. thasja thasju tha^jata
VT. Conjagation. 3O7
Gen. tbasjas tbaisjar tbasjas
Dat. tbasjama tbaisjari tbasjamu
Acc. thasjana tbasja thasjata
Plur.
Nom. tbasjai tbasja tbasja
Gen. tbaisjara thaisjara tbaisjara
Dat. tbaisjum thaisjum thaisjarn.
Acc. tbasjas tbasjas tbasja
Hier ist zwar einiges noch unsicber, docb wird das im Ganzen
die Gestalt sein, aaf welcber die Formen der einzelnen Sprachen
berahn, so weit nicht Formenübertragung in ihnen stattgefunden bat.
Auch dieser zweiten Art entspricht, wie der ersten jenes säsi
und süsi, ein Versuch einer ähnlichen Zusammensetzung, nämlich
der Stämme bi -f- sja. Diese Zusammensetzung mag gleichfalls
niittelurdeutscben Ursprungs sein, ist aber in allen germanischen
Sprachen ausser im Faröischen verschwunden, wo von ihr noch die
Formen hesin, hesum, besir^ besari^ besi, hesar Zengniss ablegen«
So weit dieses erste Angebot für mittelurdeutscbe Declination.
Für die Conjugation haben wir gleichfalls nichts schöpferisch
Neues, sondern nur Verluste von Formen, Verkümmerung von Bil-
dungsmitteln und Unregelmässigkeiten einzelner Verba anzumerken.
Unter den Formverlusten nenne ich zuerst den völligen Unter-
gang des Duals. Hatte schon das ungetbeilte Germanische dessen
dritte Person eingebüsst, so folgen derselben nun auch die erste
und zweite nach. Grimm hatte Gramm. I (1870), S. 964 und später
Gesch. d. dtsch. Spr. (1853) S. 672, doch an beiden Stellen mit
einer etwas verschiedenen Auffassung, die Ansicht ausgesprochen,
dass jene merkwürdigen bairischen und österreichischen Formen
gebts, kommts, habts u. s. w., die als Dual und Plural, als Indicativ
und Imperativ gelten, noch die übrig gebliebenen gotbischen Formen
auf -ts seien. Neuerdings ist man aber mit Recht von dieser
Anschauung zurückgekommen und wieder zu Schmellers Ansicht
zurückgekehrt, dass wir hier nur ein dem pluralen -t sufBgirtes
Pronomen haben, und zwar jenes §8, ös u. s. w., das dem gotbi-
schen *jut entspricht und in diesen Mundarten auch selbständig
vorkommt. Auf das in den Gasseier Glossen vereinzelt begegnende
pergite = sindos ist nicht viel zu geben; es wird sindot zu lesen
sein. Wir sehn also den Dual des Verbums schon im Mittelur-
deutscben für völlig untergegangen an.
Zweitens, ist jede Spur eines besonderen Imperativs ver-
schwunden, wovon doch im Gotbischen sich noch ein Paar Ueber-
reste (s. Bd. 1,219) erbalten haben.
30»
80« VI. Conjngation.
Von dem alten Medio-Passivnm bat das Gothisebe nocb sechs
Formen bewabrt (s. Bd. 1,201 ); das Altnrdeatscbe batte also min-
destens nocb eben so yiel, wabrscbeinlicb nocb etwas mebr. Im
Mittelardeatscben ist gradeza Alles verscbwanden, denn in den
nngotbischen Spracben lässt sieb nichts dabin Geböriges anfweisen;
ein Paar yerdäcbtige abd. Formen frtbrt Grimm Gr. I. (1870)8.965
anf. Ein wirklieber Rest alter Medialform könnte allenfalls das
einzeln stebende altn. heiti, ags. bätte nominor sein, wenn es wirk-
lieb dem gotbiscben baitada entspricbt.
So ist im Mittelurdeutscben stark anfgeräamt unter der alten
Formenfälle des Verbums und alle deutsche Goujugation besteht
binfort, abgesehn von den nominalen Bildungen, Infinitiv und Par-
ticipium, nur nocb aus vier mal sechs Formen.
Auch das wichtigste Bildungsmittel verbaler Mannigfaltigkeit,
die Reduplication, wird in dieser Periode seiner völligen Verküm-
merung weiter entgegengeschritten sein. War es doch schon im
Alturdeutscben (s. Bd. 1,543) nur auf die ä-, ai- und an-Stamme
and einen Theil der a-Stämme beschränkt. Das Mittelurdeutsche
bat nocb ein bibait, lilaik, bibaud, stistaut, slisläp, vivald geerbt.
Diese schwerfalligen Formen abzuschaffen boten sich nun zwei
gleich gewaltsame Wege dar; entweder wurde der Anlaut der
Wurzelsylbe einfach ausgestossen, aus lilaik wurde also liaik, oder
die Vocale beider Sylbeu rückten zusammen und der Consonant
blieb nicht zwischen, sondern hinter ihnen; aus lilaik wurde also
liailk. Der letzte Weg konnte nur selten eingeschlagen werden,
da in den meisten Fällen im Auslaute eine völlig unerlaubte Gon-
sonantengruppe entstanden wäre; dass er aber zuweilen wirklich
eingeschlagen ist, zeigen einige Formen, die wir noch beim Neu-
urdeutschen erwähnen müssen; der andere Weg versagte nie und
ist in der Regel betreten worden. Aber wie weit das Mittelur-
deutsche auf beiden Wegen vorgeschritten ist, darüber können wir
auch nicht einmal Mutmassungen aufstellen.
Auch die schwachen Praeterita verlieren die Reduplication der
Wurzel dhä, welche sie noch im Gothischen im Plural besassen.
Dem alturdeutscben Ausgange -dädum, -däduth, dädun entspricht
alemannisch-hochdeutsches -tomes, -tot, ton (z. B. goth. nasidedum:
neritomes). Man streitet darüber, welches der beiden d geschwun-
den sei; wahrscheinlich das zweite, entsprechend dem eben er-
wähnten Vorgange bei den starken Praeteriten ; aus -dädum wurde
-däum und dann contrahirt -dom. Das Altn. und Ags. haben ihrer
Eigentbümlicbkeit gemäss den Vocal gekürzt.
Wir haben nun noch von einigen Erscheinungen zu reden, die
VI. Coxyugation. 309
i einzelnen Verben bemerkbar sind. Bd. 1,578 wurden einige
3rba der graba-Gonjagation erwähnt, die eine Praesensyerstärkong
irch j schon im ungetheilten Germanischen gehabt haben müssen*
»ran schliessen sich noch vier Verba der g^ba-Gonjugation, welche
eselbe Erscheinung darbieten. Bei diesen letzteren wird es mir
m zweifelhaft, ob wir den Eintritt der Praesenserweiterang nicht
Bt dem Mittelardeutschen zuzuschreiben haben. Eins jener Verba^
tn. thiggja, fehlt dem Gothischen ganz, bei zwei andern, altn.
;gja und sitja, erscheint im Gothischen noch einfacheres ligan und
an ; bei dem ersteren der beiden schwankt auch das Ahd. zwischen
;gan und ligan; es mag zur älteren Form zurückgekehrt sein.
EIS vierte Verbum endlich heisst zwar goth. gewöhnlich bidjan,
>ch kommt daneben auch bidan vor. So ist also die Annahme
Des schon alturdeutschen j in diesen Verben nur sehr schwach
•gründet.
Unter den übrigen Verben finden wir sowol in dieser Periode
9 auch sonst den Anlass zu Sprachverirrungen öfters darin, dass
re Wurzelsylbe auf ein leicht verschwimmendes y (/) oder r ausgeht.
Die im Gothischen starken Verba saiaii und vaian gerathen in
in ungothischen Sprachen in Verwirrung. Altn. sä soa conjugirt
&rk und schwach, eben so auch schwankt dieses Verbum im
ts. und Altfries. Im nnl. waaijen ist das Praeteritum woei, gewöhn-
ih aber schwach waaide^ beim altfries. waia ist die Gonjugation
cht zu bestimmen. Ags. säve und väve gehn allerdings bloss
»rk, scheinen also die schwache Gonjugation wieder verloren zu
kben, da das r die starke Gonjugation weniger genirte. Ahd.
ftian, wähan so wie saian, sahan, säwan sind nur schwach.
Das gothische divan dau devum divans morior geht in dieser
inen Gonjugation völlig unter; aus dem Praeteritum dau bildet
^h mittelurdeutsch ein abgeleitetes Verbalthema daqj^ ^^^ zu
esem gehört altn. das starke deyja do däinn, eben so das ahd.
wjan, töwan und das alts. döjan, döan, von welchen kein Praet
fzuweisen ist.
Von den Praeteritopraesentibus ist zu bemerken, dass
in neues Verbum dieser Glasse mehr entsteht, denn das im Gothi-
hen fehlende an ist sicher erst in dieser Sprache untergegangen.
1 Gegentheil wird ihre Zahl vermindert; lais novi verschwindet
.nz und auch ög metuo scheint in dieser Sprachperiode aus dieser
ortklasse auszuscheiden.
Von den drei Verben nah, skal und man war schon Bd. 1,586
merkt, dass sie im Plural schon urdeutsch ein u angenommen
ben, also nuhum, skulum, mnnum lauteten. Diesem deutlichen
310 VI. Bedeutung.
Einflüsse der binda-Gonjugation beginnt nun im Mittelardeutschen
auch mag za folgen, doch so, dass die Sprache neben älteren und
neueren Formen schwankt. Urdeutsch und gothisch lautet es noch
magum; im Altn. findet sich neben megum und megu auch die Neben-
form mughum, mughu; im Ahd. taucht neben magun, ein mngnn,
neben magut ein mugit, sogar im Optativ neben megi ein mngi auf,
im Praet. neben mahta ein mohta. Eben so im Ags. neben magon
ein mugon; auch alts. gilt mugun, desgleichen mohta neben mahta.
Ferner ist hervorzuheben, dass das Verbum will etwas in die
Reihe der Praeteritopraesentia hinüber schwankt; an Stelle der %
Pers. Sing. gotb. vileis tritt altn. vilt (neben vill) auf und dieses /
bleibt sogar im ahd. vereinzelt vorkommenden wilt (Graff 1,818)
und im ags. vilt.
Im Verbum substantivum schliesslich fällt die starke Entartung
auf, die das goth. sijan (sim) zu altn. se, ahd. si, ags. st, altfries.
se^ alts. si erleidet ; den übrigen Verben gemäss mfisste noch immer
eine zweisylbige Form hier stattfinden; vielleicht sind also nicht
bloss lautliche Einflüsse thätig.
Ffinfter Abschnitt
Die Bedeutung:.
Wie schon im dritten Buche S. 589 sich für das ungetheilte
Germanische manche Bedeutungsverschiebnng ergab, so finden sich
auch hier Fälle, in welchen die Bedeutung des gothischen Wortes
von der der andern Sprachen abweicht und jene die ältere zu sein
scheint. So sieht es sehr alterthümlich aus, dass böka im Sing,
den Buchstaben, im Plur. bdkös das Buch bedeutet, ähnlich wie
lat littera und litterae; im Mittelardeutschen geht die erstere Be-
deutung völlig unter und um ihr zu dienen muss das Wort durch
eine neue Zusammensetzung, altn. bökstafr u. s. w., d. h. den für
das Zeichen dienenden Stab, ersetzt werden; Buch aber (zunächst
noch immer als Femininum) kann nun erst die heutige Bedeutung
erhalten. Das gothische Ntr. tagl bedeutet noch ganz allgemein
das Har und das wird auch der ältere Sinn sein; leider ist die
Etymologie nicht sicher; Fick erinnert an skr. dagä Franse und das
kann ja ganz gut in den Sinn von crinis übergehn. Im Mittel-
nrdeutschen scheint das Wort zunächst für den Pferdeschwanz ge-
braucht zu sein und in diesem Sinne finden wir es auch im Altn.
VI. Bedeutung. 311
Dass es dann sogar auf nnbeharte Schwänze übertrageD wird , ist
wol erst jüngere Abweichung. Zu altn. firar, ahd. firahi, ags. firas
lebende Wesen, Leute, gehört das abgeleitete goth. fairhvus Inbe-
griff der lebenden Wesen, Welt; von diesem Begriffe wird nun im
altn. fiör, ahd. ferah, ags. feorh das Merkmal des Lebens abstrahirt
und so erhält das Wort den Sinn Yon vilüy für welchen Begriff die
Sprache überhaupt öfters ihre Noth mag gehabt haben einen Aus«
druck zu finden. Das goth. haithi scheint noch ganz allgemein für
die ausserhalb der grösseren Wohnplätze liegende Erdoberfläche
gebraucht zu werden; im altn. hei&r, ahd. heida^ ags. hae& speci-
alisirt sich der Begriff, doch in verschiedener Weise, und so schwankt
er noch in den heutigen Dialekten zwischen Wald, waldiger Berg-
rücken, unfruchtbare mit Gestrüpp bewachsene Ebene u. s. w.; das
altn. hei&inn, ahd. heidan, ags. hae&en paganus erklärt sich nur
aus einem älteren noch sehr weiten Sinne des Wortes.
Neben solcher Bedeutungsverschiebung geht nun stets die Er-
scheinung der Bedeutungsverblassung her, welche den Wörtern
gewissermassen alles Mark aussaugt und sie zu bloss formalen
Elementen sublimirt. Das urdeutsche haidus mag noch wie das skr.
ketu den Sinn von Erscheinung, Lichterscheinung gehabt habeu;
das Mittelurdeutsche scheint dem Worte schon etwa denselben
Sinn gegeben zu haben, wie das Altn., also etwa Ehre, Stand,
Würde. Das Gothische auf seinem besondem Wege einerseits und
das Neuurdeutsche anderseits haben es stark verblasst und es, wie
wir später sehn werden, sogar fähig gemacht im Hochdeutschen
und Sächsischen als blosses Suffix zu dienen. Zwei andere Sub-
stantiva, das gemeindeutsche dorn und das mittelurdeutsche ikap^
von welchem schon oben bei der Gomposition die Bede war, müssen
schon in unserer Periode zu Suffixen herabgesunken sein und dem
Zwecke gedient haben sinnliche Begriffe in die geistige Sphaere
zu erheben.
lieber eine andere Bildung bin ich nicht ganz sicher, ob ich
sie schon in unserer Periode in der gleichen Function annehmen
soll. Das Altu. kennt mehrere Gomposita auf -aldi, darunter nur
zwei in der poetischen Sprache, nämlich digraldi (vir crassus) und
leggjaldi (vir bracchii), beide im Sinne von servus; die andern
sind prosaisch, nämlich glöpaldi, himaldi, hrimaldi, tasaldi, thum-
baldi, vagaldi; sie haben alle einen tadelnden Sinn wie Narr,
Dummkopf u. dgl. Mit diesen Wörtern stellt nun Grimm Gramm.
III (1831) S. 706 die hochdeutschen Wörter auf -olt zusammen,
meistens Eigennamen, deren älteste in meinem Namenbuche 1,1236»
in Zahl von etwa dreihundert, verzeichnet sind; doch giebt es
312 ^^ Bedeutung.
ancli Appellative unter ihnen^ in denen gleichfalls jener tadelnde
Sinn durchbricht. Diese hochdeutschen Wörter gehören jedenüalls
zu goth. valdan und so lässt sich denken, dass die nordischen,
trotz ihrer schwachen Declination und der nicht ganz regelrechten
Aphaerese des r, eben dahin gehören. Ein mittelurdentsches
-valda, -vald könnte schon den Sinn von vir und damit einer
(niedrigen) Person angenommen haben.
Eine Schwächung anderer Art erfährt in den ungothischen
deutschen Sprachen das Wort Hand manus; es dient in den ver-
schiedensten Redensarten gradezu um eine Richtung zu bezeichnen,
ähnlich wi« schon im goth. taihsvö und hleidumei das Substantivum
so farblos ist, dass es (wie in allen Sprachen) ausgelassen werden
kann. Solche Redensarten sind altn. ä hendr (hönd) und i hendr
(hönd) gegen, til handa für, zum Besten von — , fyrir handan
jenseits. Ahd. begegnet z. B. nnderhandan = praesens, zi henti
(mhd. zehant), az henti pim praesto sum u. dgl. Ags. heisst to
bände laetan gradezu überlassen, alts.* an band gebhan übergeben
n. 8. w.
In den andern Wörterklassen ausser den Substantiven sind
nnr wenig Bedeutungsverschiebungen zu beobachten. Die Ad-
jeotiva auf -sam und leik sind vielleicht schon zu völligen
blossen Ableitungen herabgesunken, wozu sie den Weg bereits
im Alturdeutscben (Bd. 1,472) eingeschlagen hatten. Das Zahlwort
ein unus wird in der schwachen Declination ausserhalb des Gotbi-
sehen meistens im Sinne von solns verwandt, so das altn. eini,
abd. eino, ags. äna. Für die Verba weiss ich kein Beispiel, denn
dass das goth. finthan nur cognoscere, nicht invenire zu beissen
scheint, ist entweder Zufall oder specielle Entartung des tiothischen.
Unter den Partikeln mache icb zunächst aufmerksam auf die mit
•ana endigenden, welche Bd. 1,506 zusammengestellt sind. Sie
müssen in uralter Zeit als ursprüngliche Accusative das Wohin
ausgedrückt haben, im Urdeutschen wahrscheinlich das Wo (welche
Bedeutung im Gotbischen vorherrscht), während in den ungothischen
deutschen Sprachen sogar das Woher völlig durchgedrungen ist
Femer das Adverbium misse, welches im Gotbischen noch im Sinne
von dXXrjXovgy dXXijXoig (uns missö, izvis missö) verwandt wird,
während dieser Gebrauch den andern deutschen Sprachen gleich-
massig abhanden gekommen ist; das altn. ä miss aneinander vorbei
erinnert noch einigermassen daran. Unter den Praepositionen ist
ein höchst merkwürdiger Fall, dass das goth. of noch den altindo-
germanischen Sinn von unter hat, während die andern deotachen
Sprachen ihm die Bedeutung von auf, über geben; dieses letltere
VI. Bedeutung. 313
Wort, schon im Skr. upara superior, scheint eine begriffliche Attrac-
tiou auf sein Primitivum u f aasgeübt zu haben, und das wird doch
gewiss nicht in jedem der drei Sprachstämrae für sich, sondern
nur einmal, d. h. im Mittelurdeutschen geschehen sein.
Für die stärkere Bedentungsverschiebung, wodurch ein Wort
in eine ganz andere Wörterklasse übergeht, habe ich nur ein Paar
Notizen gesammelt. Sehr bemerkbar ist der weitere Fortschritt
eines Substantivums zum Pronomen in den beiden Wörtern man
und riht (goth. vaihts), die im Gothischen nur bei vorhergehender
Negation, in den andern Sprachen aber auch ohne diese eine völlig
pronominale Function haben; vgl. Bd. 1,595. Der Uebergang eines
ursprünglichen Substantivums zum völligen Verbum scheint hei den
Infinitiven im Mittelurdeutschen seinen letzten Schritt zu thun;
JoUy Geschichte des Infinitivs (1873) bemerkt S. 163 flF., dass im
gothischen Infinitiv noch oft die alte Casusnatur durchblicke,
während die andern Sprachen davon keine Spur mehr haben ; doch
zieht J. namentlich das Altnordische nicht herbei, das also noch
zu untersuchen ist. Verwandlung eines Substantivs in ein Adverbium
findet beim Dat. und Acc. des Wortes haim statt; der Dativ be-
deutet domi und erscheint in den Formen altn. heima, ahd. heimi,
heime, heimo; im Ags. gilt dafür ät häm. Der Acc. im Sinne von
domum lautet altn. heim, ahd. heim, ags. häm; so unterscheiden ,
sich selbst noch dänisch hjemme und hjem, auch noch in einigen
niederdeutschen Mundarten heme und hem. Für den Sinn von
domo nimmt das Wort eine sonstige Adverbialbildung an, altn.
heiman, ahd. heimina oder heimenan.
Auch dass plurale Dative sowol von Substantiven als Adjectiven
als Adverbia gebraucht werden, ist noch nicht gothisch, denn un-
kaureinöm II. Cor. 11,9 braucht nicht so gedeutet zu werden. In
den andern drei Sprachzweigen treten diese Bildungen schon überall
häufig auf. Aus der Reihe der substantivischen nenne ich altn.
nöttum noctu, sökum causa, stundum interdum, ahd. danchum gratis,
grundum fuuditus, wehsalum vicissim, ags. hvllum aliquando, listum
callide, spedum prospere. Von den adjectivischen hebe ich hervor
altn. fornum olim, löngnm longe, storum valde, ahd. luzzikem
paulatim, zuiskem inter, auch mit dem später sehr häufigen Aus-
gange -liehen schon ein smählihhem certatim; ags. litlum minuta-
tim, miclum magnopere, middnm in medio; Grimm Gr. III (1831) S. 94
und 136 liefert noch weit mehr Beispiele.
Band 1,596 wurde wurde erwähnt, dass schon im Alturdeut-
sehen mit dem Adjectivstamme fulla- Verba fast wie mit einer
Praeposition zusammengesetzt wurden. Im Mittelurdeutschen tritt
314 ^- GenuB.
daza, wenn der Mangel im Gothischen nicht znfallig ist, noch der
Stamm ibna-, goth. ibns aeqnns. Von dieser Art haben wir altn.
lafnbiofta wetteifern, iafnkyta streiten, iafnvaegja gleichviel wiegen;
aus dem Ahd. fährt Grimm ebangesigan an, aas dem Mhd. erwähne
ich %. B. ebenhinzen nacheifern. Am zahlreichsten sind solche
Verba im Ags., z. B. efenblissjan congratolari, efencnman
oonvenire, efengedaelan aeqne distribaere, efengehaSrigan coan-
gustare, efengehnevau consentire, efengespittan conspoere, efen-
getheahtjan consentire, nnd so giebt es noch eine ganze Reihe anderer.
Schliesslich ist hier noch zu erwähnen, dass die beiden gothi-
schen Adverbia nehv nnd fairra, nah nnd fem, in dieser Sprache
noch keine Adjectiva neben sich haben. Das mnss nnn im Mittel-
nrdeutschen sich geändert haben und es spricht recht für meine
gewöhnliche Anordnung der drei Sprachzweige, dass im Altn. zwar
ein vereinzeltes nä propinqna und ein Plur. näir propinqui vorkommt,
aber noch kein vollständiges Adjectivum narr, nätt; fiarr remotus,
longinquus erscheint zwar schon als Adject., doch gewöhnlicher
das Adverb, fiarri. Dagegen im Ahd. sind die Adjectiva näher und
ferr^r, im Alts, näh und fer ohne Anstand gebräuchlich; nur das
Ags. zeigt auch hier den so sehr wichtigen nordischen Einfluss
darin, dass es von dem einen Worte zwar den a^jectivischen Com-
parativ und Superlativ nyra und nyhsta, aber kaum einen Positiv
bildet, während feorr ganz als Adverbium zu verharren scheint.
Nach der Bedeutungsverschiebnng haben wir nnserm Plane
gemäss die Genusverschiebung ins Auge zu fassen. Wir finden
ziemlich häufig die Erscheinung, dass das Gothische einem Worte
ein anderes Geschlecht giebt als die drei andern Sprachzweige.
Nun kann in einzelnen Fällen dieses letztere Geschlecht schon im Ur-
deutschen bestanden haben, das Gothische nur abgewichen sein;
im Allgemeinen aber ziehe ich, wie bereits im vierten Buche be-
merkt wurde, die Ansicht vor, dass das Gothische noch das ursprüng-
liche Genus erhalten hat, das Mittelurdeutsche aber abgewichen
ist Uebrigens sind hier alle sechs möglichen Genusverschiebungeo
vertreten :
1) Msc: Fem.
Goth. aivs (tempus) msc. : altn. aefi (vita) fem., ahd. ewa (lex)
fem., ags. aev (lex) fem.
Gtoth. lustus (Lust) msc. : altn. lyst fem., ahd. lust fem. ; im
Mhd. und Ags. schwankt das Wort «wischen Msc. und Fem.
Goth. nadrs (Natter) msc: ahd. natra fem., ags. nädre fem.;
das Altn. steht in der Mitte, indem es zwischen nadr msc mid
nadra fem. schwankt.
VI. Genus. 315
Ich bemerke gleich hier, was auch für die folgenden Abtheilungen
gilt, dass die Form der Wörter öfters, z. B. in Bezu^ auf den
thematischen Vocal^ nicht in allen Sprachzweigen genau dieselbe
ist, dass jedoch trotzdem überall das eine Wort als Ersatz des
andern und die ganze Gruppe als eiue einige angesehn werden kann.
2) Msc: Ntr.
Goth. fairhvus (mundus) msc. : altn. fiör (vita) ntr., ahd. ferah
(vita) ntr., ags. feorh (vita) ntr. Hier geht die Genusverschiebung
zusammen mit der Bedeutungs Verschiebung.
Goth. hlauts (Los) msc : altn. hlaut ntr., ahd. hlöz msc. n. ntr.,
ags. hlyt, hlet, hlot ntr.; doch ist altn. hlutr, ahd. hluz, ags. hlytmsc.
Goth. laufs (Laub) msc. : altn. lauf ntr., ahd. loup ntr., ags.
leäf ntr. Daneben auch ahd. msc. lob.
Goth. ligrs (Lager) msc. : altn. legr ntr., ahd. legar ntr., ags.
leger ntr.
Goth. vairths (Werth) msc. : altn. verö ntr., ahd. werd ntr., ags.
veorö ntr.
3) Fem. : Msc.
Goth. alhs (templum) fem. : ahd. alah msc, ags. ealh msc;
altn. scheint das Wort zu fehlen.
Goth. dails (Theil) fem. : ahd. teil msc. (u. ntr.), ags. dael msc;
fehlt altn.
Goth. dauns (olfactus) fem. : altn. daunn msc, fehlt sonst.
Goth. haims (vicus) fem. : altn. heimr msc, ahd. heim msc,
ags. häm msc (und ntr.).
Goth. vaddjus (murus) fem. : altn. veggr msc, ags. vag, vag
msc; fehlt ahd.
4) Fem. : Ntr.
Goth. taikns (Zeichen) fem. : altn. teikn ntr., ahd. zeihhan ntr.,
alls. tekan ntr., ags. täoon ntr.
Goth. qQö (abundantia) fem. : altn. of ntr., vielleicht nur ein
speciell altn. Uebergang.
5) Ntr. ; Msc
Goth. atisk (seges) ntr: ahd. ezzisc msc; fehlt sonst in dieser
Form.
Goth. hanri (pruna) ntr. : altn. hyrr (ignis) msc; fehlt sonst;
vielleicht sind das goth. und das altn. Wort nicht ganz identisch.
Goth. hlaiv (sepulcrum) ntr. : ahd. hleo (tumulus) msc, ags.
hlaev msc (und ntr.).
Die übrigen hieher gehörigen Wörter gehn auf das Suffix -isa
aus, dessen s wahrscheinlieh zunächst im Nominativ vielfach als
Nominativzeichen verstanden wurde:
316 VL Genus, Syntax.
6oth. agis (terror) ntr. : altn. agi msc, ahd. agi, egi msc,
ags. ege lusc.
6otb. hatis (Hass) ntr. : ahd. haz msc, ags. hete msc. Das
altn. hatr wird noch als ntr. angegeben; vielleicht bestand neben
goth. hatis schon ein msc. hats.
Goth. skathis (Schade) ntr. : altn. skaöi msc, ahd. scado msc;
wahrscheinlich ist aach ags. sceÖÖ msc.
Goth. sigis (Sieg) ntr. : altn. sigr msc, ahd. sign msc, ags.
sige (und wol aus dem Altn. entlehnt sigor) msc.
6) Ntr. : Fem.
Goth. sauil (sol) ntr. : altn. söl fem., ags. söl wahrscheinlich
auch fem.
Ein Schwanken im Genus setzt sich fort zwischen Fem. und
Ntr. im altn. dyr (nur Plur.) ostium, janua eben so wie im ahd.
turi und tor; auch im Ags. besteht das fem. duru, dyr neben dem
ntr. dur, dor. * Schon im Gothischen gilt das schwache Fem. danrö
(nur Plur.) neben dem starken Ntr. daur.
So weit vom Genus. Für den Eintritt einer volksetymologischen
Thätigkeit mangeln hier bis jetzt die Beispiele; der Accent war
bereits im Urdeutschen fest geworden.
Sechster Abschnitt.
Die wenigen Bemerkungen, die ich hier im ersten Wurfe mit-
zutheilen weiss, sind folgende:
Für die Verbindung von Substantiv und Pronomen ist zu
bemerken, dass das Gothische den Nom. Sing, und Plur. des Pronom.
possess. der dritten Person sein noch nicht gebraucht und nicht
gebrauchen kann, weil dies Pronomen hier nur in reflexivem Sinne
steht; man nimmt dafür den Gen. Sing, oder Plur. des geschlechtigen
Pron. der dritten Person (Sing, is izös is, PI. iz6 izö ize). In den
übrigen Sprachen erweitert sich der Gebrauch des Possessivums auch
auf diesen Casus, doch bleibt das Altn. wie gewöhnlich dem Goth.
noch am nächsten^ da hier noch mit Vorliebe der Gen. Sing, hans
hennar thess, PI. theirra angewandt wird.
Substantivum .'und Verbum fügen sich im Sanskrit, Zend
und andern Sprachen noch häufig zu einer GonstructioD des i)at.
c. Inf. zusammen ; noch im Altsl. ist diese Fügung viel häufiger als
die des Acc mit dem Inf. Auch das Gothische hat davon noch
VI. SjTitax. 317
Reste, doch nur bei rarth^ z. B. Luc. 16,22 varth tban gasviltan
tbamma unledin iysvero de dnod^aveiv rov nrinxo'^'^ nocb ein Paar
andere äbniiche Stellen findet man bei Grimra Gr. IV,ii5. Solcbe
Construetion kommt in keiner andern deutseben Spracbe vor. Frei-
lich kann die Sache von verschiedenen Standpunkten angesehn
werden, wie Jolly Gesch. des Infin. (1873) S. 267 andeutet.
Der Verkehr der Substantiva mit den Praepositionen,
welcher vordem ein ziemlich ungezwungener war, nahm, wie be-
reits Bd. 1,602 erwähnt, immer mehr conventioneile Formen an.
Die gewiss aus dem Urdeutschen ererbte Construetion von fn mit
dem Genetiv findet sich nur noch im Gothischeii, z. B. in this, inuh
this darum, deshalb, in thizei, in thizeei deshalb dass, weil, weshalb,
in thizözei vaihtais um deswillen^ in hvis weshalb; in den andern
Sprachen begegnet so etwas nicht mehr.
Pronomen und Verbum beginnen sich in der Weise zu ver-
einen^ dass das verloren gegangene Passiv häufig durch man mit
dem Activ ersetzt wird, z. B. altn. saei maör conspiceretur, ahd.
man legita positum est, ags. sceal man ddn fieri debet; das
Gothische kannte dergleichen noch durchaus nicht. Sehr merkwürdig
ist der Gebrauch, worin das Altn. und Mhd. so aufi*allend stimmen,
der also vielleicht schon älter begründet ist, dass dieses man bei
dem activen Begriffe heissen (nominare) öfters ausgelassen wird,
z. B. *altn. Svein kalla mik wie mhd. mih heizet Antyloye. Hat
das einen Zusammenhang mit der Wahrnehmung, dass bei diesem
Begrifi^e activer und passiver Sinn (heisse nomine und heisse nomi-
nor) so nahe an einander grenzen? Erst eine grössere Anzahl von
Beispielen würde hierüber volles Licht geben.
Eine eigentbümliche Verbindung von Pronomen und Partikel
hat noch das Gothische, um den Begriffe einander auszudrücken,
indem es das Adverbium misgö zum Pronomen setzt; so steht uns
missöRöm. 14)13; izvis missö Job. 13,14; sis missö Mrc. 4,4i; seina
misso Luc. 7,32; missö izvis Job. 13,35, sogar mit dem Possessiv
izvaros missö Gal. 6,2. Den andern deutschen Sprachen ist das
fremd, und wenn der Gebrauch schon urdeutsch war, nicht erst im
Gotbischen gebildet, so hat ihn das Mittelurdeutsche verloren. Ein
Vorläufer unseres einander besteht übrigens schon, ähnlich dem
lateinischen Gebrauche, im Gotbischen«; wir haben z. B. Eph. 4,25
sijum anthar antharis lithus, Phil. 2,3 und 1 Thess. 5,11 anthar an-
tharana. Einen recht festen Ausdruck für einander hat auch das
Mittelurdeutsche noch nicht geschaffen; das Altn. weicht hier schon
ganz vom Goth. ab, z. B, hvor annan, hvor öörum, ntr. htert annat;
auch ma&r annan, negativ engl mafir öörum.
318 VI. SynUx.
Für die Vereinigung von Verbnm und Verbum führt der
Untergang des Passivurns noch weitere Folgen herbei, nicht bloM
die oben beim Pronomen man erwähnte. Wir sahen Bd. 1,603,
dass die Hülfsverba im^ vas und rarth schon im Altardeotschea
angewandt wurden, um den Sinn passiver Praeterita wiederzngeben.
Im Mittelnrdeutschen rückt diese Umschreibung zunächst auch auf
das Praesens Passivi. Während im Gothisehen numans im noch
captus sum heisst, bedeutet ahd. giladöt bim schon invitor, danebea
tritt giladöt wirdu auf, doch mehr in jüngeren Quellen (s. über
dies Verbum die Citate bei Graff II, 165). Viele Beispiele, woraus
der Gebrauch der einzelnen Schriftsteller hervorgeht, findet man
bei Grimm IV;i2 ff. Eben so alts. bium hetan vocor, wirdid giboran
nascitur, ags. beo fnnden invenior; endlich, was für die Zeitbe-
stimmung am wichtigsten ist, auch altn. heitinn er vocatur, verör
umfarit agitur.
Nun aber tritt die Umschreibung mit Hülfsverben in allen
deutschen Sprachen mit Ausnahme des Goth. (s. Bd. 1,603) auch
ins Activum. Die Perfecta und Plusqaamperfecta Activi werden
so mit haban, aigan, visan, sin umschrieben, z. B. altn. ek hefi
kallat, ek haföa kallat, eben so bei einzelnen Verben mit vera,
z. B. ek em kominn: das ahd. eigan kommt in dieser Weise im
Altn. nicht vor. Im Ahd. z. B. intfangan eigut accepistis, fram ist
gigangan processit, ih haben iz funtan inveni; Beispiele bei
Grimm IV,i50 ff. So auch ags. häfde gegongen und vas gegongen
neben einander und vieles dergleichen* Die bestimmtere Scheidung
zwischen haben und sein in solchen Formen gehört erst den
einzelnen Hundarten an. In den älteren deutschen Sprachen ist
übrigens das Participium hier noch oft flectirt, z. B. altn. fiandinn
haf&i bann hlindadan der Feind hatte ihn geblendet, ek hefi thyddan
draum thinn ich habe deinen Traum gedeutet. Mit Unterscheidung
der Genera heisst es noch ek em kominn (msc), komin (fem.),
komit (ntr.) An eine Einwirkung des Romanischen ist bei Ein-
fuhrung dieser umschriebenen Tempora durchaus nicht zu denken,
Grimm IV,i54.
In Bezug auf die Syntax zwischen Verbum und Partikel,
namentlich über die Frage, wie weit dieRection des Optativs durch
gewisse Partikeln schon dem Mittelnrdeutschen eigen gewesen ist,
muss ich, wie überhaupt in diesem Abschnitte das Meiste, genauere
Nachforschung der Zukunft und meinen Nachfolgern überlassen.
Für den zusammengesetzten Satz erwähne ich einen ergiebigen
Aufsatz von L. Tobler in der Germania Xyil,257 ff. über Aus-
lassung und Vertretung des Pronomen relativurn. Es erweist sich
VI. Einfliiss fremder Sprachen. 319
(8. ebds. S. 278), dass die in Rede stehende Auslassung, also die
Beraubung des Relativsatzes um sein eigentliches Kennzeichen,
dem nordischen, hochdeutschen und sächsischen Zweige unseres
Sprachstammes gemein ist; wenn speciell unter den nordischen
Sprachen das Altnordische von dieser Fähigkeit keinen Gebrauch
macht, so liegt das wol an der grossen Fügsamkeit, welche die
Partikeln er und sern in dieser Sprache für den Ausdruck der
Relation besassen.
Dass das neutrale Pronomen thata erst im Mittelurdeutschen
vom Wort- zum Satzartikei erhoben wurde, ist schon Bd., 1,604
angedeutet worden. Das Gothische thut nur einen kleinen Schritt
diesem Gebrauche entgegen; sein thata setzt sich z. B. wie ein Gelenk
zwischen zwei Sätze in der Stelle Luc. 1,62: gabandvid^dun tlian
attin is, thata, hvaiva vildedi haitan ina. Im Uebrigen steht thata
und auch thatei nicht selten (eben so wie hie und da gr. on)
um die directe Rede auszeichnend hervorzuheben, So Marc. 9,23:
ith JSsus qvath du imma: thata, jabai mageis galaubjan; Matth.
9>18: reiks .ains qvimands invait ina qvithands: thatei, dauhtar
meina nu gasvalt; 26,72 jah aftra afaiaik mith aitha svarands:
thatei, ni kann thana mannan; 27,43: qvath auk, thatei, guths im
sunus. Aehnliche Stellen begegnen noch manche.
So weit diese ersten dürftigen Andeutungen über die Bewegungen
in der mittelurdeutschen Syntax.
-•■ ^^^-^ ,
Siebenter Abschnitt.
Einfluss fk^emder Sprachen«
Die Hypothese von der Existenz des Mittelurdeutschen beruht
auf der Annahme^ dass die ganze germanische Völkerwelt in eine
Zweiheit, Gothen und Nichlgothen, zerfallen sei. Sie leidet aber,
wie die meisten Hypothesen, an einer gewissen schematischen Starr-
heit, die sich bei weiterem Fortschritt der Wissenschaft einer Modi-
fication wird unterwerfen mnsisen. Denn erstens dürfen wir nicht
behaupten, dass wir die ganze germanische Völkerwelt kennen;
namentlich ist anzunehmen, dass vorzüglich in den heutigen pol-
nischen Landschaften zwischen den südöstlichen Gothen und den
Ostseegermanen Zwischenglieder vorhanden gewesen sind, die völlig
im eindringenden Slaventhume untergingen. Zweitens aber sind die
Ostseegermanen nicht unter sich eine völlig unterschiedlose Einheit
320 ^* SinflnsB fremder Sprachen.
gewesen; so haben wir schon oben mehrfach geglaubt unter ihnen
zwischen gothonischen und snevischen Völkerschaften scheiden zn
müssen, von denen die ersteren jedenfalls den eigentlichen Gothen
näher standen als die letzteren. Bei dieser Sachlage ist es durch-
aus nicht undenkbar, dass einst auch von dem Einflüsse einzelner
ganz verschollener deutscher Völkerschaften, die sich eine gewisse
Selbständigkeit erworben hatten, auf das Mittelurdeutsche geredet
werden kann. Für jetzt aber darf diese Frage auch noch nicht
einmal angerührt werden. Die blosse Sprachwissenschaft wird uns
freilich auf diesem Felde nicht viel weiter bringen können; sie wird
sich mehr und mehr mit der praehistorischen Archaeologie verbin-
den müssen, die in neuerer Zeit so energisch begonnen hat sich
von dem Banne des blossen Dilettantenthums loszumachen. Es
wird ja auch wol bei uns, so weit es noch nicht zu spät ist, gelingen
müssen diese Studien auf die Höhe zu heben ^ die sie bei unsem
skandinavischen Brüdern schon längst erreicht haben; dann werden
sich auch bei uns geographische Grenzen für gewisse nationale und
eulturgeschichtliche Einheiten ergeben. Als ich um das Jahr 1850
vier kleine Aufsätze in den damaligen preussischeu Provinzialblättem
(jetzt der altpreussischen Monatsschrift) veröffentlichte, worin unter
anderm alle mir zugänglichen Nachrichten über die eigenthümlichen
pommerellischeu Gesichtsurnen niedergelegt waren, ahnte ich nicht,
dass diese Sache zwanzig Jahre lang völlig ruhen würde, um dann
durch Virchow und hierauf durch Berendt in der gedeihlichsten
Weise weiter gefördert zu werden. Energische Weiterführung sol-
cher Studien einerseits und planmässige Untersuchung der Orts-
namen anderseits müssen endlich auf irgend einem Punkte zusammen-
treffen, und das muss ein fester Punkt im Reiche der Wahrheit
sein; damit werden wir der Frage nach einem gegenseitigen Ein-
flüsse der vorhistorischen Germanen auf einander näher kommen.
Aber auch von einer Einwirkung ungermanischer Völker auf
die Mittelurdeutschen wird einst geredet werden dürfen. Tiefes
Dunkel bedeckt die Landstriche südlich von der Ostsee bis zum
Beginne unserer Zeitrechnung; dann treten von der Weichsel bis
zum Rheine reindeutsche Völkerschaften auf. Sollte das schon lange
vorher so gewesen sein? sollten die Germanen wirklich ein völlig
menschenleeres Gebiet in diesen Gegenden besetzt haben? Das wol
kaum, wenn auch eben so wenig ein stark bevölkertes. Mit Iberern,
Ligurern, Dlyriem dürfen wir hier freilich noch nicht rechnen, sondern
wir wenden uns sofort wieder denjenigen Völkern zu, die bereits
am Schlüsse des dritten Buches (Bd. 1,606 ff.) in Betraebtnng ge-
zogen wurden.
VI, Einflass fremder Sprachen. 321
Das erste dieser Völker sind die Lituslaven. Dass sie auf
das nogetheilte Deutsche schon einen Einfluss aasgeübt haben, machte
der Schloss des dritten Baches (1,607) wahrscheinlich; dass dieser
Einfluss sich auch auf das besonderte Gothische fortsetzte, zeigte
sich durch einige Wahrnehmungen im siebenten Abschnitte des
▼ierten Buches. Aber die ungothischen germanischen Völker sind
zur Zeit ihrer Einheit, wie es scheint, dieser Einwirkung entrückt
gewesen ; höchstens könnte der lettische Sprachstamm, wenn er sich
so früh vom Liluslavischen getrennt hat, auf einige der östlichen
Völkerschaften von Einfluss gewesen sein. Eine schliessliche Zer-
sprengung der niittelurdeutschen Einheit hat dieser Volksstamm wol
jedenfalls herbeigeführt. Der im ersten Abschnitte dieses sechsten
Buches am Schlüsse der Lehre vom selbständigen Consonantenwechsel
erwähnte merkwürdige Vorschlag eines y, der gleichmässig das altn.
jaga, ahd. jehan, alts. gehan (gegen goth. aika und die andern ur
verwandten Sprachen) trifft, erinnert an slavische Lautvorgänge,
steht aber zu vereinzelt, um darauf etwas bauen zu können.
Für eine nordöstliche Grenze des Keltenlandes habe ich
Bd. 1,317—319 versucht einige Anhaltspunkte zu gewinnen. Bildeten
jene Punkte diese Grenze wirklich, so würden nur die westlicheren,
nicht die östlicheren der Ostseegermanen keltisches Land besetzt
haben; man hätte also mehr bei jenen als bei diesen keltischen
Einfluss zu erwarten. Nun aber habe ich selbst am angeführten
Orte S. 319 ein weiteres Vorrücken jener Keltengrenzc nach Nord*
Osten als möglich zugegeben und in der That ist in der Zwischen-
zeit ein Versuch dazu gemacht worden. In der Zeitschrift für
preussische Geschichte und Landeskunde Jahrg. 11 (Berlin 1874)
findet sich nämlich S. 755—760 ein Aufsatz von Pierson „Spuren
des Keltischen in der altpreussischen Sprache^. Hier mustert der
Verfasser diejenigen altpreussischen Wörter, welche etymologisch
noch unerklärt sind, und findet, indem er sie fVeilich nur an Arm-
strongs gälisehes Wörterbuch hält, bei einer grossen Anzahl der-
selben in dieser Sprache auffallend ähnliche Ausdrücke. Man muss
gestehn, dass die Menge sow.ol als die Uebereinstimmung ausser-
ordentlich frappant ist und dass, auch wenn sich vieles als trüge-
rischer Schein ergeben sollte, noch eine grosse Menge übrig bleibt,
die zu denken giebt. Indem Pierson an die bekannte Stelle des
Tacitus (Germ. 45) erinnert, wo es von den Aestiem heisst „ritus
habitusque Suevorum, lingua Britannicae propior'^ kommt er zu dem
Schlüsse: „Man muss annehmen, es hatten sich in dem Volke der
Aestier germanische und litauische Einwanderer mit eeltischen Ur-
einwohnern gemischt; die Völkerwanderung brachte von Südosten
322 ^^^* Einfluss tremder Sprachen.
einen neuen und stärkeren litauischen Zuzug und ao bildete sich
Volk und Sprache der Preussen."
Haben sich wirklich einst Kelten so weit naclv, Nordosten er-
streckt; so ist 08 in der That fast sicher^ dass sieb keltischer
Spruchcintluss auf die Ostseegermancn noch in höherem Grade ge-
äussert hat als auf die Gothen. Ein Paar Punkte mögen hier schon
der Erwägung auheimgestellt werden. Ich erinnere zunächst an
den Bd. 1,374 besprochenen sporadischen Uehergang von Gutturalen
zu Labialen, der in den dort erwähnten Beispielen schon dem Ur-
deutschen zugeschrieben wurde. Dazu kommt hier noch ein Fall,
an dem das Gothische nicht mehr mit Theil nimmt, ich meine goth.
auhnaialtn. ofn, ahd. ofan, ags. ofen (skr. a^na u. s. w.); sollte
nicht auch hier keltischer Einfluss im Spiele sein und yielleicht
darin seinen Grund haben, dass die nach Norden vordringenden
üstscegermanen bei den Kelten einen vollkommneren Apparat zum
Heizen vorfanden!^ Denselben Lautübergang findet man auch in dem
bei Flussnamen üblichen für keltisch zu haltenden Stamme AP,
lÜr den ich in der 2. Auflage des 2. Bandes meines Namenbuches
die Daten gesammelt habe (Seite 98). Die weitere Vermehrung
und Untersuchung dieser Daten könnte leicht auf die nordöstliche
Keltengrenze und deren Folgen für die Germanen weiteres Licht
werfen.
Noch zwei einzelne Ausdrücke habe ich hier zu erwähnen, die
beide merkwürdiger Weise in die Sphaere der Bekleidung fallen,
welche den Fremdwörtern stets so günstig ist. Das erste ist das
Wort Kleid selbst, welches goth. fehlt und auch ahd. und alts.
unnachweisbar ist, aber altn. klaeöi, mbd. kleit, ags. eläö u. s. w.
lautet und in den deutschen Sprachen völlig verwaist dasteht Im
Schottischen lautet es claith; sollte es aus dem Keltischen herüber-
gekommen sein und dort seine Erklärung finden? Sicher keltisch
ist dagegen das zweite Wort, unser Harnisch, altn. harneskja,
mhd. harnasch u. s. w., auch in allen romanischen Sprachen ver-
breitet. Das Wort hat sein Stammwort im welschen haiam, ir. jaran
Eisen, breton. harnez, hemez Eisernes, Harnisch. Dass es in den
ältesten nordischen und in den ahd. Quellen nicht nachweisbar ist, kann
Zufall sein ; vielleicht ist es aber auch erst jüngere Entlehnung.
Wie weit sich drittens die fi ionische Bevölkerung südwest-
wärts nach Europa hinein erstreckt hat, bleibt völlig unsicher; die
noch neuerdings aus der Betrachtung der Schädelbildung verfoch-
tene Ansicht, dass dies Volk sich bis nach Aquitanien hin ausge-
dehnt habe, ist vorläufig schlecht begründet. Nichts zu entnehmen
ist der neuesten Geschichte Finnlands von Koskinen (deutsche
VI. EinfloBS fremder Sprachen. 323
Übersetzung Leipzig 1874). Hanchen Stoff, der aber sehr mit
itischem Auge betrachtet werden muss, liefern zwei znsammen-
ihörige Schriften von Lindström: 1) Om Finska folkvandringar
iligt Grekiska, Romerska och andra källor, Abo 1848 und 2) För-
k att bestämma tiden, ifrän hvilken Finnarne innehaft sina nuva-
nde boningsplatser, Abo 1849. Mag auch die südwestlich» Finnen-
enze (s. Bd. 1,319) gewesen sein welche sie wolle, so dürfen wir
»eh einen Einfluss des Finnischen auf das Mittelurdeutsche gewiss
cht ableugnen. So kann vielleicht die Neigung zur Vocalassimi-
tion (Brechung, Umlaut), die alle nicht gothischen germanischen
»rächen haben, von einer Berührung beider Völker zunächst ange-
shtsein; doch hat der deutsche Vorgang vom Ende des Wortes
V den entgegengesetzten Gang eingeschlagen wie der finnische, der
in der stark herrschenden Wurzelsylbe ausgeht.
Wir sind am Schlüsse angelangt. Niemand kann mehr fühlen
» ich, wie viel Unsicheres noch in diesem sechsten Buche berührt
3rden musste; aber die Lehre von der Einheit der ungothischen
rmanischen Sprachen stützt sich dennoch auf hundert Thatsachen,
tren zufällig gleicher Eintritt in drei von einander getrennten
irachzweigen ein Wunder ohne Gleichen wäre. Soll die Hypothese
•m Mittelurdeutschen fallen, so kann ihr Fall nicht geschehn ohne
ne glänzende Bereicherung der Wissenschaft.
* . ■ ■ '
Druck von Otto Huechke in Nordhauseii.
■i-lii^iii crKtbifii itiiii wtfdurch jedai
b()uliliiiii<Jliin}r 2u liiizioliun:
Borulialli \>t. Q^ UraamAtik iler liovhdviitKltFii ^pnclieN
Zum V'cmHii'liiiM A«a Alt>, Mltt«l- umi Nviiti<>'1tl1pUtii«)tBn.
1. Tta-il! Dir' Orlliovpia und Gt^nKilasie. l^fiU. I Uftrk<
_ HiCMclbi!. 2. Tlicil: Wi' \\'ui-|bililuDg. 1R6Ik ä Mark.
T8rst4»nanil| Prof. (ir. E., AlMeuläcUcs Namenlnictb. I. iMndrfl
Peni<iiiiiiiiiiiK<n. mStü. \i7 Marie). Knulw»i»tM Fmo 11 M.I
-> OMd^'llic. II. Um4: OruiuraMn. iCwiii.-, völlig- imii« Itn-I
lU-bGlIong. Ifl'tj 41) Mark.
— Die tlc<il«ctirii f>rt«iinmcn. 18611. 6 VmtK
— UubBr-Kintti-tilung nnil V «rvnllüiiir tdn SiilittlblkUnlttekcD.^
laOF'. 6" IT.
KeltreiOi Dtrutirur ios., ämauiluu^ alt- und MiupIdvulaQburl
WBrtKr au» lati'liil&i'Jien ürkiiBiliSiL Zu^jlcieh üup Ergflnitunif^l
ilcr leKikuliwbeu W'ctke von (Inff, MuUur, Ziunnk«, PfltM»-!
mumi. ld<S3. J Mark.
BfifitflW, Olicnl-llojpiHicr W,, üewlitchlo Mr Inrotilcrlr ,
uir ^Ult« dr.4 Mt. .Tiilirlimiikrl«. ^ lUntU-. Mit 1»:! llulx-|
MhMitt«u. '2. AoUiitp^. IJ^^J. i> Mark.
— lIucnTu-ten aihl kriugfllliFnnjt l!. JulliU Cae^Hnt. Mit iata
l'onnil ('4Mur* uuil :i titlM^r.Taroln. >t. AuUusi<. lH6i.3M,l
SrIilrlitZj riiii'i^tnr iJr. K. A.« ttfkillrvJiMi , gcUlt«u im Uyin-T
tiasium XU XiTdliniUKU. U. Außa;:i-, IHAl). I Mark fiH PfJ
— Niiiiu Si'.hiiirFdi'D Im Oyraiuuiluui xu Kordhauaui ^<ilii)ii>».|
Itisa. » Mark Wi Vt.
SebollWf Dr. V., Idltttieon iltu- Nord.ThUriii$iK>Ui!u Uuitilwt|
1KT4. 1 Unrk.
Wntfftenuiuu, l'nif, £. F.,l^^iupluiiriuiu nuiifiiiiiuiiuicc v
BCTiploniia [CiiuialKinnii ItbrEa irungttutt. litltUo «CQiuidl emot
datlor et niH-liiir. Cunivfl Mauc. Suyrfertai, Prüf. DcraL.
1^04. In iiBOEu adiolunira. 2 Mark -J5 Vt. lil
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