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Full text of "Geschichte des Dramas"

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GESCHICHTE  DES  DRAMAS. 


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GESCHICHTE 


DES 


DRAMAS 


VON 


J.     L.     KLEI  N. 


IL 


Die  griechische  Komödie  und  das  Drama  der  Römer. 


LEIPZIG, 

T.     0      W  R  I  G  E  L. 
1865. 


.^^ 


GESCHICHTE 


DE.S  (iRIKCHlSCHEN  U.Nil  ItÖMI.SCHKN 


DRAMAS 


VON 


J.     L.     KLEIN. 


ZWEITER  BAND. 


Die  griechische  Komödie  und  daf.  Drama  der  Römer. 


LEIPZIG, 

T.    0.    w  i;  I  (;  Vj  t. 

I  S(i5. 


.  .   .  Liberins  si 
Dixero  (juid.  si  forte  jocosius;  Imc  mihi  iuris 
Ciiiii  venia  dahi.-. 

Hör.  Sat.  I.  IV,  v.    l(i;i  ff. 


•^(j  C       '"■''   -'^"'"''  ''f'"»"   ''''■'i   f^""  I-!»'t'lit  "lei"  LIther.sei/.uiig  vor. 

e\a-- 


Inhalt 

des  zweiten  Bandes. 


Seite 

Die  iinecliisclie  Koiiiiitlic ] — 24'5 

Vor  Aristophanes I  —  !5i 

Aristophanes Sl— 2ü6 

Die  mittlere  attische  Komödie       ........  2(i0-  218 

Die  neue  attische  Komödie      .           .  2IS--24S 

Tragiker  zAvischen  Euriii.  iiiul  Alex.  d.  Gr 24b  -2.'j6 

Das  griechische  Drama  iiath  Alcvand.  d.  Gr 2")() — 207 

Das  römische  Drama 26S — 46b 

Die  römische  Tragödie Ji'iO— 468 

Die  römische  Komödie 409 — 667 

Namen-  und  Sachvcu ister  zum  ersten  und  zweiten  Bajide     .  668 — 705 


Die  griechische  Komödie. 

Im  zweiten  Buch  der  Gescliichten  des  Herodotos  c.  58  ff.  le- 
sen wir  Folgendes  über  die  festliclien  Aufzüge  der  Aegypter: 

„Auch  Festversamniluugen  und  Aufzüge  und  Opfergaben  ha- 
ben unter  allen  Völkern  die  Aegypter  zuerst  bei  sich  eingefülut 
und  von  ihnen  liaben's  die  Hellenen  gelernt.  Ein  Beweis  dafür 
ist  mir  dieses,  dass  sie  bei  jenen  schon  lange  Zeit  im  Gebrauche 
sind,  bei  den  Hellenen  aber  erst  seit  kurzem. 

„Es  lialten  aber  die  Aegypter  festliche  Versammlungen  nicht 
blos  einmal  im  Jahre,  sondern  dieselbigen  sind  sehr  häufig.  Vor- 
züglich und  mit  dem  grössten  Eifer  in  der  Stadt  Bubastis  der 
Artemis  zu  Ehren.  .  .  .  Wenn  sie  nun  erstlich  gen  Bubastis  fah- 
ren, so  geht  es  also  her:  Es  schiften  zusammen  Männer  und  Wei- 
ber und  eine  grosse  Menge  beiderlei  Geschlechts  in  jeglichem 
Fahrzeug.  Der  Weiber  etliclie  liaben  Khip]iern  und  klappern  da- 
mit, einige  Männer  singen  und  klatschen  in  die  Hände.  Und 
wenn  sie  auf  ilnrr  Fahrt  an  eine  andere  Stadt  kommen,  so  hal- 
ten sie  das  Falirzeug  nahe  an  das  Land  und  tliun  also:  Etliche 
Weil)er  thun,  wie  ich  schon  oben  gesagt,  etliche  iiuhnnecken  die 
Weiber  in  derselbigeu  Stadt  mit  lauter  Stimme  und  etliclie  tan- 
zen, etliche  aber  stellen  auf  und  lieben  ihre  Kleider  in  die  Höhe. 
So  machen  sie's  bei  jeglicher  Stadt,  die  an  dem  Flusse  liegt. 
Wenn  sie  ankommen  zu  Bubastis,  so  feiern  sie  das  Fest  und 
bringen  grosse  Opfer,  und  bei  diesem  Feste  geht  mehr  I\'(>ben- 
wein  drauf,  denn  das  ganze  übrige  Jahr." 

Wir  finden  hier  den  ältesten  volksfestlichen  Umzug  von 

gottesdienstlich  scherzhaftem  Charakter  geschildert:  den  Komos 

{■Kwi-iog)  der  Dorier,  die  wohl  am  frühesten  von  allen  iiellenischen 

Stämmen,   in   Folge    der  Hanaus- ixoloMJc    und    der  Wanderungen 

U.  J 


2  Die  g-riechiselie  Komödie. 

der  Aigivischen  Jo,  von  jenem  Uiiaude  des  Naturgottesdienstes 
Festgebräuche  und  Culttbrmen  annahmen.  Wir  haben  hier  folg- 
lich auch  den  Urkeim  der  Komödie,  die  ihren  Namen  von  dem 
Bakchischen  Komos,  oder  Festumzuge  zu  Wagen  und  zu  Fuss, 
ableitet.  Der  dorische  Komos  geschah  von  Dorf  {y.iö[.ir])  zu 
Dorf,  von  Ortschaft  zu  Ortschaft;  ähnlich  wie  jene  Festwasserfahrt 
der  ägj-ptischen  Bevölkerungen  von  Stadt  zu  Stadt.  Dem  Aristo- 
teles zufolge ')  nalmien  auch  die  Megarischen  Dorier  die  Erfindmig 
der  Komödie  auf  Grund  der  Benennung  in  Ansprach.  „Sie  nann- 
ten," sagt  er,  „die  Dörfer  Komas  (zoJ/<ag),  die  Athener  aber  Demous 
{di](.iovg)\  man  habe  daher  die  Komödianten  (xn/.iqjdnvg)  nicht  von 
y.iof.iu^£u\  schmausen  und  jubeln,  sondern  von  ihrem  Herumtrei- 
ben auf  den  Dörfern  {/.acä  xwfxag)  benannt." 

Den  Namen  /.w/.iwdLa  erklären  die  alten  Grammatiker  ^)  als 
Dorfgesang  (xw'/a;  und  (/>()/;) ;  zugleich  aber  auch  als  Schlaf- 
gesang (y.iof.ia  und  <;>()'>;;  und  bringen  diese  Etymologie  mit  einem 
eigenthümlichen  Vorgang  in  Verbindung.  Attische  Bauern  hatten 
nämlich  zur  Nachtzeit  die  von  den  reichen  Bürgern  Athens  erlit- 
tenen Beleidigungen  durch  Spottredeu  gerächt.  Zur  Verant- 
wortung gezogen,  erhielten  die  Bauern  von  den  Richtern  Erlaub- 
niss,  auf  öffentlichem  Markte  ihre  Spottreden  im  Angesichte  des 
Volkes  zu  wiederholen.  Um  von  den  verspotteten  reichen  Städ- 
tern nicht  erkannt  zu  werden,  bestrichen  sich  die  Landleute  das 
Gesicht  mit  Hefen.  Umzugsschwarm  und  Spottreden,  die  zwei 
Hauptmerkmale  dieses  scherzhaften  \'olksfestes,  liat  auch  der  Bak- 
chische  Komos  der  Attiker  mit  dem  ägyptischen  gemein.  Selbst 
zu  jenem  Zuge  muth willigen  Hohnneckeus  in  Herodot's  Beschrei- 
bung, das  durch  Emporheben  der  Kleider  sich  zu  erkennen  gab, 
findet  sich  ein  entsiirecheuder  in  der  hellenischen  Demeter-Le- 
gende. Auch  die,  der  Demeter  (Ceres;  zu  Ehren  gefeierten  De- 
metrien  beging  man  mit  solchem  Necken  und  gegenseitigem  Ver- 
spotten, weil  (lie  Göttin  selbst  in  ihrer  Trauer  über  die  geraubte 
Tochter  durch  die  Spottreden  der  Jambe,  einer  alten  Dienerin 
des  Königs  Keleos  von  Eleusis,  zum  Lachen  gebracht  wm'de,  wo- 
bei die  alte  Jam])e  ihre  Scherzreden  mit  einer  Gebärde  erläuterte, 

I)  Poet.  III,  (>.  —  2)  ('rainer,  Auccd.  gr.  T.  3.  p.  355,  7.  Meineke, 
Hist.  rrit.  Com.  gr.  p.  535.  53S.  55b. 


Jambisten.  Gephyristeii.  Ithjiihallen.  3 

die  an  Freiinuth  jener  von  Heiudot  bezeichneten  nichts  nachgab.  *) 
Von  dieser  Jambe  wird  auch  der  Name  des  jambischen  Spottver- 
ses abgeleitet,  dessen  sich  Archilochos  für  seine  Satiren  zuerst 
als  Kunstform  bediente: 

Archilochum  proprio  raljies  annavit  iaiubo.  '^) 

„Seinen  Jambus  erfand  sicli  als  Welir  Archilochos'  Zdnnvutli." 

Jambisiren  iluiAßiCeivj  ist  daher  aucli  gleichbedeutend  mit  „spot- 
ten." Aristoteles  braucht  den  Ausdrucli  von  dem  gegenseitigen 
Schmähen  der  Jambenchöre.  „In  diesem  Metrum,"  sagt  er 3), 
„neckten  sich  jene  Chöre  gegenseitig"  (lüfißi'^nf  c(X/.i'jIolc).  Das 
Schmähen  der  Weiber  an  den  Thesmophorien  zu  Athen  sollte 
gleiclifalls  an  die  alte  Jambe  erinnern.^)  Zm*  Zeit  der  Euleusi- 
nischen  Mysterienfeier  versammelte  sicli  auf  einer  zwischen  Athen 
und  Euleusis  über  den  Kepliissos  führenden  Brücke  ein  Schwärm 
von  Vermmumten,  die  den  vorübergehenden  Staatsmännern 
Schmäh-  und  Schimpfreden  zuriefen.^)  Daher  hiessen  diese  Brücken- 
spötter Gephyristen,  von  /£yt'(>a  =  Brücke.  ^) 

Dm'ch  die  Verbindung  des  Dionysos-Cultus  mit  dem  Deme- 
ter-Dienst erliielt  diese  festliche  Spottlust  einen  ithypliallisclien 
Charakter.  Den  Dionysischen  P]iallos-(Jult  ülierkamen  aber,  nach 
Herodot,  die  Hellenen  ebenfalls  aus  Aegypten,  wie  die  Demeter- 
Mysterien.  „Die  Aegypter,"  sagt  Herodot'),  „feiern  das  Diony- 
sosfest beinahe  eben  so,  wie  die  Hellenen,  mir  statt  der  Scham- 
theile  haben  sie  sich  andere  Bilder  erdacht,  ungefähr  eine  Elle 
lang,  die  werden  durch  eine  Schnur  gezogen,  und  Weiber  tra- 
gen's  in  den  Dörfern  umlier.  Voraus  gebt  ein  Pfeifer  und  hinter 
ihm  kommen  die  A\'eil)er  und  l)esingen  den  Dionysos."  Charles 
Magnin  glaubt  desshalb  in  diesem  beweglichen  Phallos  der  Aegypter 
die  älteste  Marionette  oder  Si»ielpuppe  zu  erkeimen.'';  „Nun  glaub" 
ich,"  fährt  Herodot  fort,  „dass  Melampus,  der  Sohn  Amythaon's, 
von  diesem  Opferdienst  Keimtniss  und  Erfahrung  gehabt.  Demi 
bei  den  Hellenen  hat  Melampus  eingeführt  des  Dionysos  Namen 
und  das  Opfer  und   des  Phallos  Umgang."  .  .  .  Den  Ithyphailos 

1)  Hcsych.  V.  '/cifißi].  Prellor,  Dciiiet.  iiini  Persephone.  S.  9^  tt'.  —  2) 
Hör.  ad  Pis.  7',).  :»)  Pout.  IV,  2(i.  4)  Apollod.  I,  ö,  I.  —  5)  Strab. 
tX.  p.  4U0  A.  Ael.  H.  An.  IV,  V.i.  -  (i)  Ik-sych.  v.  yt(fV(,{C<or.  -  ")  II, 
48  ff.  —  S)  Hist.  des  Marionettes  etc.  Ib52.  p.  1'). 

1  • 


4  Die  grieclüsclie  Komödie. 

oder  ragenden  Phallos  nalmien,  Herodot  7Aifolge,  die  Athener  von 
den  Pelasgeni  an.  „Darüber  erzälilten  sie '),"  fügt  er  hinzu,  „eine 
heilige  Sage,  die  da  offenbart  wird  in  den  Mysterien  zu  Samo- 
thrake."  Die  ithyphallischen  Lieder,  deren  Vortrag  chorisch -or- 
chestisch  war  2),  wurden  in  Sikyon  von  eigenen  Chören  der  Ithy- 
phallen  und  Phallophoren  gesungen,  deren  Vorsänger  und  Chor- 
fühi'er  durch  ihre  jambischen  Z-wischenreden  und  Stegreifschwänke 
Anlass  zur  Ei^findung  der  Komödie,  als  Kunstform,  gaben,  wie 
aus  dem  dithyrambischen  Chor  des  Arion  sich  die  Kunstform  der 
Tragödie  hervorgebildet.  In  den  verschiedeneu  Formen  dieser 
Komosgesänge  dürfen  wir  die  Vorstadien  zu  der  attischen  oder 
Aristophanischen  Komödie  erblicken. 

Die  phänischen  Lieder  {xa  (fal.Xv/.a.)  wurden  zm'  Zeit 
der  Weinlese  oder  Lenäen  auf  Festumgängen  von  einem  Heilig- 
thura  des  Dionysos  zum  andern  von  schwärmenden  Schaaren  ge- 
sungen. Vorauf  schritt,  unter  dem  Schalle  fröhlich  üppiger  Lie- 
der und  muthwilliger  Neckereien,  der  Phallosträger;  wie  bei  dem 
ähnlichen  Festzuge  der  Aegypter,  nur  dass  bei  diesen  das  beweg- 
liche Sinnbild  der  zeugenden  Naturkraft  von  Frauen  getragen 
wurde.  Aristoteles  erblickt  in  diesen  phallischen  Liedern  die 
Keime  der  Komödie.^)  Die  Einführung  der  Phallophorien  in  At- 
tika  wurde  dem  Pegasos  aus  Eleutherä,  einem  Städtchen  an 
der  böotischen  Grenze,  zugeschriebeu.  ^j  In  den  Acharuern  stimmt 
Dikäopolis,  von  seiner  Familie  mngeben,  ein  solches  Phallikon  an 
(239  ff.): 

Schweigt  in  Andacht !  Schweigt  in  Andacht ! 
Du  tritt  ein  wenig  vor,  Korbtr<ägerin ! 
Du  Xantbias,  den  Phallos  richte  hier  empor! 
(hetend) 
0  Dionysos,  Herr  und  Gott, 
Las.s  du-  wohlgefällig  diesen  Feierzug 
Aufführen,  und  nachdem  ich  sammt  des  Hauses  Schaar 
Geopfert,  glücklich  auf  dem  Land  dein  Fest  begehn.  .  .  . 

Nach  dem  Gebet  stimmt  er  das  phallische  Liedchen  an,  dem 
Phallos,  als  Gott  Pliales,  lobsingend  (2630".): 


1)  a.  a.  0.  c.  52.  —  2)  Eichstaedt,  Progr.  de  Ithyphallis.  Jena  1806. 
—  3)  Poet.  IV,   14.  —  4)  Schul.  Acliarn.  242.  Paus.   1,  2,  5. 


Aiitokabdalen.  Dikclistcn.  Orchesten.  Phlyaken.  5 

0  Phales,  Bakchos'  Spielpenoss', 
Nachtschwärmer,  heitrer  Spielgesell, 
Nach  Fraun  und  Knaben  lüstern  -- 
Ich  grüsse  dich.  .   .  .'■ 

durchrauscht  von  satyrischen,  auf  die  Tagespolitik  geschleuderten 
Geschossen  nacli  der  Art  der  alten  Phallossänger,  die  ihre  Lied- 
chen mit  ähnlichen  Ausfällen  würzten.  In  den  aristoki'atisch  re- 
gierten dorischen  Städten  durfte  der  .Spott  nur  die  Lächerlichkei- 
ten des  Privatlebens  zum  Ziele  nehmen.  Diese  dorischen  Spott- 
sänger und  Festschwärnier  hatten  verschiedene  Namen,  die  Athe- 
näos  1)  den  Schriften  des  Sosibios  und  Semos  entnahm ,  und  un- 
sere Archäologen  aus  Athenäos  abschrieben.  -) 

Die  bereits  erwähnten  Jambisten  Messen  im  dorischen  Si- 
kelien  Autokabdalen  {avzoy.dßdalot)  Stegi'eifspieler,  und  ihre 
Spiele  und  Vorträge  Autoschediastika  {avrnayjdia  nnii^iaTa).  Die 
Lakoner  nannten  sie:  Dikelisten  {deiy.rjkiozai),  Nachahmer,  Dar- 
steller der  gemeinen  Wirklichkeit  im  possenhaften  Styl.  Bei  den 
Syrakusern  hiessen  sie  Orcliesten  fnQyj]OTai),  mimetische  Tän- 
zer. In  Xenophon's  Symposion  wird  das  Tanzen  dieser  sikelischen 
Orchesten  oiy.rjXi'Ceiv  genannt.  Der  Polyhistor  Solinus^)  schreibt 
daher  auch  die  Erfindung  der  Komödie  den  Sikulern  oder  Syi'a- 
kusanern  zu.  Ein  Fragment  von  Epicharmos  ^) ,  des  Aeschylos 
Zeitgenossen,  nennt  den  Aristoxenos,  einen  Zeitgenossen  des  Ar- 
chilochos  (Ol.  29,  3  =  662  v.  Chr.),  also  200  Jahre  vor  Epichar- 
mos,  als  den  ersten  Einfülirer  der  sikulischen  Jambenchöre,  die 
nach  dem  InstiTunent  Jambyke^)  die  Jambyke  tanzten."^) 

Die  Ithyphallen  trugen  Masken  von  Betrunkenen,  und,  ^vie 
schon  gemeldet,  Tarentinische  Frauengewänder  mit  langen  blu- 
migen Aermeln.  In  Unteritalien  führten  die  Ith\T;)hallen  den  Na- 
men Phlyaken  ((pXva'/.eo)^  Possenreisser;  eine  Benennung,  die 
noch  den  spätem  italienisclien  Komikern,  dem  iihinthon  aus  Ta- 
rent  z.  B.,  verblieb. "j  Antheas  aus  Lindos  auf  Rhodos  (Ol.  46 
=  596)  ist  der  einzige  Dichtername,  der  das  alte  dorische  Pos- 
senspiel vertritt.     Er  soll  auch  Komödien  gedichtet  haben,  d.  h. 


1)  laV.  p.  021  D.  bi.s  022  D.  —  2)  Grysar,  de  Dor.  (Joni.  I.  p.  IS- 63. 
Ad.  SchöU,  de  orig.  gr.  drara.  Pars  I.  etc.  1828.  p.  19  ff.  —  3)  ('XI  ed. 
Bas.  —  4)  fr.  p.  54.  ed.  Kruseman.  —  5)  Phot.  lex.  v.  Ict^ßi'xrj.  —  6)  Athen. 
XIV.  p.  629  B.  —  7)  Eustath.  ad  Dionys.  perieg.  376.  Suid.  v.  'Phi^tuv. 


6  Die  griechische  Komödie. 

phallische  Lieder,  die  Phanedemos  *)  „Komödien"  nennt ,  wie  des 
Arion  tragische  Chorlieder  Ti'agödien  genannt  wurden.  -) 

Um  Ol.  50,  3^578  führte  Susarion,  aus  dem  Flecken  Tii- 
podiskos  in  Megaris,  zuerst  die  komischen  Chöre  in  Ikaria  ein, 
des  Thespis  Vaterstadt.  Da  hier  der  Bakchische  Komos  schon 
vor  Susarion  im  Schwange  war,  konnte  seine  Neuerung  nur  in 
dem  jambischen  Element  des  komischen  Chors,  in  den  Spott-  und 
Zmschemeden  bestehen,  die  gegen  bekannte  Personen  oder  ganze 
Stände  gerichtet  waren.  Den  Ausfall  auf  die  Weiber  in  einigen 
bei  Tzetzes  erhaltenen  und  dem  Susarion  beigelegten  Jamben  3) 
soll,  der  Sage  nach,  seine  eigene  Frau  veranlasst  haben.  Das  sog. 
Ikarische  Lustspiel,  als  dessen  Erfinder  Susarion,  von  einem 
unedirten  Grammatiker^),  und,  mit  Mystos  und  Magnes,  vom 
Grammatiker  Diomedes  ^)  bezeichnet  wird,  Avar  sonach  nichts  wei- 
ter, als  ein  jambisches  Spottgedicht,  vom  Chorführer  des  Bakchi- 
schen  Komos  an  passenden  Stellen  der  Phalloslieder  vorgetragen. 
Als  Siegei-preis  erhielt  der  Dichter  solcher  komischen  Chöre  einen 
Korb  Feigen  und  einen  Krug  Wein  oder  Most*^),  der  Jahreszeit 
der  Weinlese  entsprechend,  wesshalb  diese  Komödie  selbst  Wein- 
lesegesang genannt  wm-de  oder  Trygödie  „Hefengesang"  {tqv- 
yqjöla),  von  der  Hefe  (^QvS),  womit  der  Dichter,  um  beim  Hersa- 
gen der  Spottjamben  nicht  erkannt  zu  werden,  sich  das  Gesicht 
bestrich.  Gewöhnlich,  vorzugsweise  an  den  Choen  und  Lenäen, 
warfen  die  Jambisten  vom  Wagen  herunter')  ihren  Spott  aus. 
Daher  das  Sprichwort:  „vom  Wagen  herunter  spotten,"  so  nel 
bedeutet,  als  mit  platten  und  plumpen  Spässen  um  sich  weifen.  8) 
Entsprechend  der  „lyrischen  Chor -Tragödie"  hat  man  die  komi- 
schen Chorlieder  als  lyrische  Komödien  bezeichnen  wollen. 9) 

In  seinem  dürftigen  Abriss  vom  Ursprung  der  Drama's  be- 
zeichnet Aristoteles  1")  den  Anspnich  der  Megarer  auf  die  Er- 
findung der  Komödie  als  eine  Anmaassung  {avtmoiovvTai).  „Selbst 
aus  der  Epoche,"  heisst  es^»),  ,7^0  die  Komödie  schon  gewisse 


1)  Athen.  X,  445  AB.  —  2)  Herrn.  Opusc.  T.  7.  y.  222.  —  3)  Cram., 
anecd.  gr.  T.  3.  p.  336.  —4)  Das.  T.  4.  p.  315,  19.  —  5)  IH,  4SB  Putsch. 
-  6)  Marm.  Par.  ep.  40.  —  7)  Suid.  v.  i^  a/uä^rii.  —  S)  Demosth.  de 
Cor.  37  p.  2G8  Reiske.  Vgl.  Bode,  3,  2.  22,  10.  —  9)  Boeckh,  Staatshaush. 
II,.  361  ff.  Corp.  Inscr.  I,  766.  II,  .500.  Dagegen  Hermann,  de  trag,  comoed, 
lyrica.  Opusc.  \TI.  p.  222.  —  10)  Poet.  III,  5.  —  11)  Das.  V,  4-7. 


Susarion.  ('hionides.  Die  Megarische  Koiiiödio.  7 

Formen  hatte,  keimt  umii  wenig  Dichter  derselben.  Wer  aber 
die  Masken  aufl)rachte,  oder  die  Prologe,  oder  mehr  Schauspieler 
und  dergleiclien,  lässt  sich  nicht  bestinimon.  E  pich  armes  und 
Phormis  (die  berühmtesten  Dichter  der  sikeliotischen  Komödie) 
waren  die  ersten,  welche  Fabeln  {(xvd-ovQ)  erdichteten.  Ursprüng- 
lich kam  diese  Neuerung  aus  Sikelien.  Zu  Athen  machte  Kra- 
t es  den  Anfang,  die  jambische  Manier  zu  verlassen,  und  (statt 
persönlicher  Satiren  und  Verspottungen  bestimmter  Personen)  er- 
dichtete und  allg(!mein  gehaltene  Begebenheiten  und  Redeweisen 
zum  Inhalt  seiner  Komödie  zu  machen''  (drpef.uvnt^Tt'guc/iißixrjC 
iöiag  y.ad  6ko v  noislv loyovg rj/xu^ovc).  Wir  kommen  auf  diese 
Stelle  bei  der  attischen  Komödie  wieder  zurück,  und  nehmen  hier 
nur  darauf  Bezug,  als  einen  Beleg  für  den  nicht  unbegTündeten 
Anspruch  der  Megarer  auf  die  Firtindung  der  Komödie;  die  Ko- 
mödie nämlich,  nicht  im  Sinne,  den  Aristoteles  damit  verbindet, 
sondern  im  Sinn  ihres  Ursprungscharakters,  demgemäss  sie  nichts 
Anderes  bedeutet,  als  komische,  mit  Spottreden  durchflochtene 
Chöre,  die  ja  auch  der  Megarer  Susarion,  130  Jahre  vor  Krates 
und  ein  Jahrhundert  vor  ?]picharmos,  in  Ättika  einführte.  Unter 
der  HeiTschaft  der  Peisistratiden  konnten  die  Spottchöre  des  Su- 
sarion freilich  nicht  gedeihen.  Nach  ihm  verstummte  der  Chor; 
das  erste  turpiter  olnnutuit,  und  schwieg  achtzig  Jahre  lang.  Erst 
mussten  die  Peisistratiden  vertrieben  und  die  demokratische  Re- 
gierungsform musste  durch  Kleisthenes  wieder  eingeführt  werden 
(Ol.  <i7,  3  =  510),  ehe  dieser  spottlustige  Chor  sein  Haupt  wieder 
erhob. 

Der  erste  attische  Dichter,  den,  nach  Susarion  aus  Megara, 
die  Geschichte  der  griechischen  Komik  nennt,  ist  Chionides 
(Ol.  72  =  487),  drei  Jahre  nach  der  Schlacht  von  Marathon. 
Konnte  doch  selbst  in  Megara  nur  nach  Vertreibung  des  Ty- 
rannen Theagenes  (um  01.46^506)  die  megarische  Komödie 
autkoiiunon,  welche  zwar  auch  nur,  wie  schon  bemerkt,  eine  cho- 
rische Kornödie  seyn  mochte  vom  gröbsten  ochlokratischen  Korn, 
deren  politische  Tendenz  aber  der  attischen  Komödie  zum  Vor- 
bilde diente.  Die  Hedeutuiig,  die  das  dithyrambische  Kle- 
ment  für  die  dorisciic  Chortragödie  hatte,  die  mit  demselben  sich 
erst  verbinden  musste,  um  zur  attischen  Tragödie  sich  zu  er- 
schliessen,  dieselbe  Bedeutung  scheint   uns  das  ja m bistische 


g  Die  griecliisclic  Koiiiudie. 

Element,  die  persönliche  Spottrede,  die  Aristoteles  zm-ückweist, 
für  die  alt-attische,  die  Aristophanische  Komödie,  gehabt  zu  ha- 
ben. Folgerichtig  muss  Aristoteles,  seinem  xad^olov  gemäss,  sei- 
ner Vorschrift  gemäss:  „die  jambische  Manier  zu  verlassen,  und 
allgemein  gehaltene  Begebenheiten  und  Eedensweisen,  nicht  per- 
söiüiclie  Spottreden  zum  Inhalt  der  Komödien  zu  machen,"  auch 
die  Komödie  des  Aristophanes ,  die  von  der  „jambischen  Idee"  so 
gewaltig  gähi-t  und  braust,  wie  der  junge  frische  Most  im  Schlauch, 
als  eine  unächte,  unlautere  Gattung  aus  dem  reinen,  geweihten 
Bezirk  der  Anstands-Kom  ödie  (ngog  evoyjj^wovvrjv)  verbannen. 
Wir  werden  bald  aus  der  Nikomachischen  Ethik')  erfahren,  dass 
er  diess  wirklich  thut,  und  die  ganze  alte  Komödie,  folglich  auch 
die  des  Aristophanes,  als  eine  Komödie  derAischrologia,  der  Schmäh- 
reden ausstösst;  im  Gegensatz  zu  der  neuattischen,  der  Menan- 
der-Komödie,  der  Komödie  der  „Freien",  der  „Gebildeten",  der 
Fürstenhöfe  und  der  guten  Gesellschaft;  der  Komödie  „des  ver- 
hüllten Ausdrucks,"  des  Anstands  (svoxtj^toovpijg). 

Die  megarische  Spottsucht  war  sprichwörtlich.  Schon  im 
siebenten  Jahi'hundert  wm^den  die  Megarer  von  Pittakos  „bitter" 
genannt-),  der  als  einer  der  sieben  Weisen  Griechenlands  und 
nebenbei  noch  Tyrann  von  Mitylene,  kein  Freund  von  solchen 
Spässen  war,  weder  megarischen  noch  attischen.  Selbst  der  Knecht 
Xanthias ,  in  Aristophanes'  Vespen ,  möchte  sich  nicht  an  einem 
megarischen  Scherz  die  Finger  verbrennen  (v.  65  f.).  Und  vor 
Aristophanes  sagte  der  attische  Komiker  Ekphantides  3) : 

—    —    —    —    —    —    —    —  Megarischer 

Komödie  Lieder  lass'  ich  bei  Seit';  ich  schämte  mich 
Ein  megarisch  Drama  hier  zu  spielen. 

Mit  der,  Ol.  89  wieder  aufgehobenen  Demokratie  der  Megarer 
hörte  ihre  zottige  Spasshaftigkeit  von  selbst  auf.  Von  der  mega- 
rischen Posse  ist  nichts  zurückgeblieben  als  ihr  übler  Geruch. 
Kein  Dichternamen  vertritt  sie.  Denn  der  als  Megarer  genannte 
Komiker  Mäson  stammt  aus  dem  sikelischen  Megara,  dessen 
Einwohner  Gelon  Ol.  72,  2,  nachdem  er  ihre  Stadt  zerstört,  nach 


])  IV.  C.  14.  I).  1128  a.  20.  Eck.  —  2)  Anthol.  Pol.  X,  41(1.  itn)  yaQ 
TitxQoC.  —  '.i)  Meincke  a.  a.  0.  p.  22. 


Die  Komödien  des  CMonides.  9 

SjTakus  übersiedelte. ';  Jener  Komiker  Mäsou  aus  sikelisch  Me- 
gara  gilt  als  Erfinder  zweier  Cliarakterraaskeu,  des  Dieners  und 
des  Kochs.  Den  Koch  spielte  Mäson  selbst,  daher  trug  die 
Maske  seinen  Namen,  und  seine  haiigesottenen  Witze  hiessen 
Mäsonische  Witze.-) 

Als  Zeitgenossen  des  Aeschylos  und  des  Epicharmos,  welcher 
damals  (Ol.  73,  2-=4S7  bis  Ol.  73,  4  =  485),  seclis  bis  acht  Jahre 
vor  den  Perserkriegen,  seine  Komödien  in  Syrakus  aufführte,  wer- 
den fiuif  attische  Komiker  genannt:  Chionides,  Euetes,  Eu- 
xenides,  Myllos  und  Magnes,  deren  ganzes  Vermächtniss  in 
ihren  Namen  und  den  Titeln  einiger  ihrer  Komödien  besteht. 
Euetes  und  Euxenides  sind  zu  blossen  Nieten  verschollen.  Myl- 
los ist  durch  seine  mit  Mennig  gefärbten  Masken  bekannt  3)  mid 
seine  Darstellung  des  „tauben  Mannes,"  der  doch  Alles  hört. 
Daher  stammte  das  Sprichwort,  das  schon  beim  alten  Komiker, 
Kratinos,  vorkam :  „Myllos  hört  Alles."  Den  oben  schon  erwälm- 
ten  Chionides  setzt  Aristoteles  mit  Magnes  lange  nach  Epichar- 
mos.^)  Suidas  hingegen  lässt  ihn  seine  Stücke  Ol.  73,  2,  also 
acht  Jahre  vor  den  Persei-kriegen  aufführen,  um  welche  Zeit  auch 
Epichamios  seine  Travestien  in  Syrakus  spielte. 

Von  Chionides  werden  drei  Komödien  genannt:  die  He- 
roen. Die  daraus  erhaltenen  Verse  geben  so  wenig  eine  Vor- 
stellung von  dem  Stücke  wie  die  paar  Härchen,  die  von  einem 
Verstorbenen  als  Andenken  aufbewahrt  werden,  von  seiner  Phy- 
siognomie. Die  Bettler  sind  das  nicht  einmal;  denn  schon 
bei  Leibesleben  war  an  ihnen  kein  achtes  Chionides-Haar.  Schon 
Athenäos  ^)  verdächtigt  sie  als  untergeschoben.  Drei  Verse  sind 
die  einzigen  Lappen,  die  von  diesen  „Bettlern"  übrig  geblieben. 
Als  dritte  Komödie  des  Chionides  werden  von  Suidas  die  Per- 
ser, oder  Assyrier,  erwähnt.  Sie  sollen  eine  Nachahmung  von 
Epicharmos'  gleichnamigem  Stücke  gewesen  seyn.  Darin  aber 
gleichen  sich  beide  Stücke,  dass  sie  zusammen  spurlos  verschwun- 
den sind,  da  aucli  l^picharmos'  „Perser"  bis  auf  den  Namen  ver- 
schollen. 

Von  Magnes  aus  Athen  giebt  der  ('horführer  in   Aristopha- 


1)  Thukyd.    VI.    I.    Ilndd.    VII,    i:.(;.        2)  llosycli.  v.  Moi'nioiti.     - 
.'i)Eu8tath.  ad  Od.  X\.   Int,  p.   is.iS,  21.  —  4)  Poet.  111,  ö.     -  .-))  IV,  l;nC. 


10  Die  griechisclie  Komödie. 

nes'  „Kitter"  im  Namen  des  Dichters,  folgende  Charakteristik 
(520  ff.): 

Auch  A\dss'  er  (Aristophanes)  ja  längst,  Avie  die  Launen  bei  euch  mit  jegli- 
chem Jahre  sich  ändern, 

AVie  ti-eulos  frühere  Dichter  ihr  stets,  nachdem  sie  ergrauten,  verachtet: 

Wohl  se}'  ihm  bekannt,  -nle's  Mag  nes  erging,  nachdem  ilmi  erblichen  die 

Haare, 

Ihm,  -welcher  so  oft  im  dramatischen  Kampf  sich  errang  die  Trophäen  des 

Sieges, 

Der  jeglichen  Ton  anstimmte  für  euch,  mit  der  Harf  und  mit  Vögel- 
gezwitscher, 

iVIit  Lydergesang,  mit  Wespengesumm  und  Gequak  laubfrö- 
schiger Larven; 

Doch  hielt  er  sich  nicht,  und  im  Alter  zuletzt  —  -wohl  war  in  der  Jugend 

es  anders  — 

Da  stiegst  ihr-  den  Greis  von  den  Brettern  hinweg,  da  der  beissende  Witz 

um  verlassen.  .  . 

Daraus  erfahren  wir,  dass  Magnes,  vor  Aristophanes,  Aristopha- 
nische Komödien  gedichtet;  dem  Aristophanes  mindestens  die 
Chormaske  „Vespeu,"  „Yögel,"  „Frösche"  vorweggenommen.  Mag- 
nes war  ein  Ikarier,  wie  Thespis.  Seine  Blüthezeit  fällt  gegen 
Ol.  80,  1  =  460,  noch  vor  die  AuflFiilrrmig  der  Orestie  des  Aeschy- 
los,  die  Epicharmos  noch  erlebt  hat,  da  er  in  einem  seiner  Dra- 
men auf  Aeschylos' Eumeniden  Bezug  nahm.^)  Aus  obiger  Chor- 
stelle geht  ferner  hervor,  dass  zu  Magnes'  Zeit  die  komischen  Wett- 
kämpfe schon  stattfanden,  die  vielleicht  damals  erst,  und  wie  man 
meint,  durch  Perikles  eingesetzt  wurden,  mit  Chorbewilliguug  von 
Seilten  des  Archon,  während  der  tragische  Chor  viel  früher  zuge- 
standen ward.  Aristoteles  bemerkt  ausdiiicklich -) :  „den  komi- 
schen Chor  hat  der  Archon  erst  spät  bewilligt."  Die  frühern  Ko^ 
miker,  von  Susariou  bis  Magnes,  mussten  die  Kosten  des  Chors 
selbst  bestreiten,  darum  Messen  sie  sd-skovral,  „Freiwillige":  aXk' 
kd-elnvtui  ^aar,  fügt  Aristoteles  seiner  Notiz  hinzu.  Die  Zahl  von 
Magnes'  Siegen  geben  die  Didaskalien  auf  elf  an.  Seine  Dramen 
waren  schon  zur  Zeit  der  Alexaudrinischen  Kritiker  nicht  mehr  vor- 
handen. DerAnonymos  de  Comoed.  beiMeineke^)  nennt  elf  Siege 
des  Magnes  mit  Dramen,  wovon  kein  einziges  sich  erhalten  {ovötv 

1)  Schol.  Aeschyl.  Euiii.  02',).  —  2)  Poet.  V,  3.  —  3)  a.  a.  0.  p.  535. 


Magnes.  Eki)liaiitides.  Epicharuios.  \\ 

awlezai).  Die  neun  Koin(Mien,  die  unter  seinem  Namen  s^ingen,  und 
deren  Titel  nocli  vorhanden,  galten  für  unäclit,  oder  doch  für  Um- 
arbeitungen -^Diaskeuasen):  Frösche,  Dionysos,  Lyder,  Vögel, 
Poastria,  Titakides,  Barbitisten  (Harfenspieler),  Wespen. 
Der  neunte  Titel  ist  uns  ablianden  gekommen.  Den  Meineke 
daram  nachzuschlagen  lohnt  sich  nicht;  lassen  wir  ihn  laufen. 

Den  Ekphantides  nennt  Aspasios 0  den  ältesten  unter  den 
alten  attischen  Konn'wliendiclitern  (/toirjTi.gzcov a^yalojv naXaioza- 
toq).  Von  Kratinos  soll  er  den  Spitznamen  xauviag  „der  llauchige" 
oder  ..Finsterling"-  erhalten  haben.-)  Aufweiche  Eigenschaft  hin, 
blieb  im  Dunklen,  üebrigens  bedeutet  Kapnias  auch  ..alter  Wein," 
weil  man  die  Weine  anrauchen  liess,  um  ihnen  den  Geschmack 
von  alten  Weinen  zu  geben.  Vielleicht  hijig  der  Spitznamen  mit 
dieser  Bezeichnung  zusammen.  Einerlei.  Der  AVein  ist  verflo- 
gen, der  Kauch  gel)lieben,  nebst  dem  Titel  von  einer  Komödie: 
die  Satyrn,  mit  einem  einzigen  Vers,  worin  ausser  jambischen 
Füssen  auch  gekochte  Schweinsfüsse  vorkommen.  3) 

Epicharmos  von  Kos,  Philosopli.  Arzt  und  komischer 
Dichter.  Einer  der  merkwürdigsten  Männer  jener  Zeit,  den  aller- 
grössten  ebenbürtig,  einem  Pythagoras,  Aeschylos,  und  in  seiner 
Komödiengattung  F]poche  machender,  ursprüngliclier  Schöpfer. 
H.  P.  Kmseman  fHarlem  1834)  hat  seine  Fragmente  und  die 
Titel  seiner  Komödien  herausgegeben.  Eudolda'*)  spricht  von 
Epicharmos'  pliysischon,  pliilnsopliisclien  und  vielen  medicinischen 
Schriften  (oiyyoc'qi/^icaa).  Im  Tlieätet^j  nennt  Plato  den  Epichar- 
mos als  Gewährsmann  neben  Homer,  die  er^ie  Spitzen  der  bei- 
den Dichtungsarten  nennt:  E}ticharmos  der  Komödie,  und  Homer 
der  Tragödie  'cwr  yiniriTOjv  rn  ('r/.ooi  tt^g  nnu^oeioi;  r/.ciTfQUQ).  Der 
Anonymos  bei  Küster  setzt  den  Kpicharmos  an  die  Spitze  der 
ruhmwürdigsten  Dichter  U\S:in).oyi'rtaxoi)  der  alten  Komödie.  Der 
Philosopli  .Mkiiiios 'y  behau]iteto  sogar,  l'Iato  iiätte  sicii  Eitichar- 
mischo  Lehren  angeeignet.  .lamblichos  rühmt  von  ihm**):  „Seine 
Denkspniclie  le])ten  in  aller  Philosophen  ^luiid."  Als  Komödien- 
di<;ht(n"  ist  (T  dem  Anonymos';  Krhnder,  Künstler  ('£/'p£f//.oi,\/M)AAo: 

1)  Zu  Arist.  Ktli.  Nie.  I\',  2.  ].,  :):>  |{.  2)  .Scliul.  Arist.  Vcsi».  löl. 
—  .3)  Atlicn.  III.  i>.  !tii  ('.  1,  p.  lü.j.  _  .5)  p.  1.^2  E.  —  6)  praef.  zu 
Aristoi)h.  7)  l)i<.g.  I.aert.  111.  1»  17.  s)  Vit.  Pytii.  2!).  §  Kiß.  —  9) 
Mein.  a.  a.  0.  p.  ö.'{5. 


12  Die  griechische  Komödie. 

TTQooq^ilnteyvrjaag).  Epicharmos  ist  der  Einzige  von  allen  komi- 
schen Dichtern,  dem  die  Denksysteme  der  gleichzeitigen  Philoso- 
phen geläuiig  waren  mid  der  aus  der  Komödie  eine  Schule  phi- 
losophischer Lehren  machte.  Melden  Avir  in  Kürze  das  Wesent- 
lichste aus  dem  Wust  von  Unwesentlichem,  das  die  Notizen- 
sammler über  ihn  aufgelesen.  Gleich  an  der  Schwelle  A\ird  man 
stutzig,  dass  Diog.  Laertios  ^)  von  Epicharmos  als  Philosophen 
spricht;  von  dem  komischen  Dichter  aber  kein  Woi-t  sagt. 

Sein  Vater  Elothales,  Arzt,  Freund  und  Schüler  von  P}i;ha- 
goras,  wanderte,  drei  Monate  nach  der  Geburt  des  Sohnes,  aus 
Kos  hinüber  nach  dem  sikelischen  Megara  (um  Ol.  60,  1  =540). 
Der  Vater  des  Epicharmos  konnte  die  Zerstörung  dieses  Megara 
durch  Gelon  und  die  Verpflanzimg  der  Einwohner  nach  Syrakus 
(Ol.  73,  4 — 485)  noch  erlebt  haben.  In  diesem  Jahre  soll  Epi- 
charmos in  Syrakus  zuerst  Komödien  aufgeführt  haben.  Von  sei- 
ner Jugendgeschichte  weiss  man  nm*  so  viel,  dass  sie  in  die  Blü- 
thezeit  der  Pythagoräischen  Philosophie  fällt.  Aller  AVahrschein- 
lichkeit  nach,  gehörte  die  Familie  des  Epicharmos  zu  den  Askle- 
piaden  der  Insel  Kos. "-)  Die  medicinischen  Schriften  des  Epichar- 
mos waren,  dem  JambKchos  zufolge^),  in  dorischer  Sprache  ab- 
gefasst. 

Nächst  der  Philosophie  des  Pythagoras  eignete  sich  Epichar- 
mos auch  die  Lehren  eines  andern  Zeitgenossen,  des  Xenophanes, 
an,  eines  Hauptes  der  Eleatischen  Schule,  dessen  Wirkungskreis 
seit  Ol.  61=536  ebenfalls  Grossgriechenland  war.  Wemi  Epi- 
charmos das  hohe  Alter  von  90 — 97  Jahren,  das  ihm  Diod.  Sic.^) 
giebt,  wirklich  eiTeicht  hat,  so  lebte  er  noch  um  Ol.  82  oder  83, 
wo  Krates  und  Kratiuos  ihre  komischen  Siege  in  Athen  unter 
Perikles  feierten.  Die  eine  von  der  doppelten  Inschrift  auf  sei- 
ner Bildsäule  besagt:  die  Bürger  von  Syrakus  hätten  den  Epi- 
charmos, ihren  Mitbürger,  aus  Erz  gebildet,  und  die  Statue  dem 
Dionysos  aus  Dankbarkeit  geweiht,  weil  Epicharmos  ihre  Kinder 
viele  fürs  Leben  nützliche  Dinge  gelehrt.^)  Die  zweite  Inschrift 
rühmt:  So  sehr  die  Sonne  alle  Gestirne  und  das  Meer  alle  Flüsse 
an  Grösse  übertreffe,   so  sehr  rage  Epicharmos  in  Weisheit  her- 


1)  VIII,   78.  —  2)  Sprengel,  Gesch.   der  IMedic.  B.  I.  p.  .'549  ff.  —  3) 
a.  a.  0.  ■Mi.  §  2m.        -l)  XI,  ib.  —  5)  Tlieokrit.  Epigr.  XML 


Die  philosophische  Komödie  des  Eiiicharnios.  13 

vor.  ^)  Epicharmos  soll  eine  Zeit  lang  in  der  \'erbamiiuig  auf  der 
Insel  Kos,  seinem  ui-spiiingliclien  Vaterlande,  zugebracht  haben-), 
wie  man  verrautliet,  in  Folge  der  Unterdrückung  und  Auflösung 
des  Pythagoräischen  Bundes,  dessen  Schicksale  Epichannos,  als 
eifi-iger  Schüler  des  Pythagoras,  getheilt  hätte.  3)  Welcker  hält 
diese  ganze  Nachricht  von  dem  Exil  des  Epichannos  für  eine 
leere  Erfindung.  ^; 

Die  Philosophie,  die  wir  als  eines  der  wesentlichen  Gestal- 
tungsmomente des  alten  Drama's  erkannten,  kehrte  sich  aber  auch 
alsbald,  in  Bezug  auf  die  Komödie  sowohl  wie  auf  die  Tragödie, 
in  ein  Auflösungselement  des  Drama's  in  dem  Maasse  um,  als 
die  Philosophie  den  Volksglauben  uutergTub  und  zerstörte,  wel- 
cher doch  ihre  Idee,  nur  in  Gestalt  der  syml)olischen  Mythe,  zum 
Inhalt  hatte.  Hiebei  wirkte  des  Pythagoräisch  und  Eleatisch  ge- 
schulten Epicharmos  Komik  nicht  mierheblich  mit,  die,  ihrer  gan- 
zen Tendenz  nach,  eine  Travestie  der  Götterfabel  war.  Scheint 
es  doch,  als  habe  Epicharmos  durch  travestirende  Verspot- 
tung der  Göttenvelt,  zu  Gunsten  des  metaphysischen  Schulgottes, 
sich  für  die  Enthaltung  von  politischen  Tendenzen  in  seinen  Ko- 
mödien rächen  wollen,  und  den  Zwang,  den  ihm  Hieron's  Thea- 
tercensur  auferlegte,  die  Götter  entgelten  lassen.  Wie  herzlich 
mochte  Hieron  über  diese  dem  Spotte  preisgegebenen  Volksgötter 
gelacht  haben,  ohne  zu  merken,  dass  sein  eigenes  Königtlium  von 
Göttergnadeu  bei  diesem  schüttelndeu  Gelächter  wackelte.  Hie- 
ron lachte  über  diesen  Poseidon,  der  mit  seinem  Dreizacke,  als 
Fischergabel,  herbeigeeilt  kam,  zum  Fischfang  für  die  Hochzeit 
der  Hebe.  Lachte  hell  auf  über  diese  Musen,  die  zu  Fischwei- 
bern herabgespottet,  für  besagte  Hochzeit  die  köstlichsten  Fische 
in  die  Küche  lieferten;  eine  endlose  Liste,  auf  die  Aelian  sich 
bezieht.^)  Darunter  ein  Fisch  Elops,  von  dem  es  in  dieser  Ko- 
mödie hiess,  Zeus  habe  den  einzigen  vorhandenen  sich  zu  Gemüthe 
geführt,  und  seine  Frau  auf  den  näclisten  vortröstet,  den  man 
fangen  würde.  Hieron  lachte  sich  die  Haut  voll  über  ikn  urko- 
mischen Waifentanz,  den  die  beiden  Dioskuren,  während  des  Göt- 
terschmauses,  ausführten,  und  zu  dem   Tüllas  Athene,  in  Gestalt 


1)  Diog.  Laert.  VIII,  78.  —  2)  Dunw.  111.  ]..  l'^(>.        li)  Bode  a.  a.  0. 
42.  -  -  4)  Schulzeit.   ls;t(i.  S.  420.  —  5)  Hist.  An.  111.    I. 


14.  Die  griechische  Komödie. 

einer  dickeu  sikuiisclieu  Älilcbmagd ,  die  Flöte  blies,  und  zwar 
den  enoplios  Nomos  ^) :  eine  Waffentanz-Melodie  von  dem  würdig 
feierlichsten  Ernst.  König  Hieron,  die  Königin,  der  ganze  Hof 
von  Syrakus,  sie  lachten  ihre  dicken  Thränen  über  diese  Schwanke 
eines  Pythagoräers  als  Hanswiurst;  über  diese  fabelhaft  possierli- 
chen Götter  und  ihre  schnackischen  Mythen,  ohne  entfernt  daran 
zu  denken,  dass  sie  selbst  nur  eine  Mythe  sind,  an  die  man  glau- 
ben muss,  um  sie,  die  allerhöchsten  Herrschaften,  für  Götter  die- 
ser Welt  und  nicht  für  eine  possenhafte  Travestie,  für  die  lächer- 
lichste Fal)el  zu  halten.  Der  staatskluge,  mächtige  und  aufge- 
klärte Hieron  lachte  sich  auch  über  das  Bedenken  hinweg ,  dass 
der  gemeine  Volksverstand  von  solcher  Verhöhnung,  im  Zwecke 
eines  reinen,  aus  der  symbolischen  Hülle  herauszulösenden  Ideen- 
gewinnes und  philosophischen  Kerns,  nur  die  negirende  zerset- 
zende Verspottung  sich  aneigne,  nicht  die  Philosophie  und  den 
reinem  Gottesbegriff.  Wie  denn  auch  das  syrakusanische  Volk, 
nicht  lange  nach  Hieron,  wilder  und  sittenloser  ausartete,  als  ir- 
gend ein  hellenisches  Stammglied.  Der  blosse  leichtfertige  Spott 
wirkt  jederzeit  seelenverderblich,  vergiftend  und  zerfressend  mit 
seiner  Aetzkraft  den  Volksgeist  und  das  Volksgeniüth.  Die  gi'osse 
Satire,  jenes  geistige  Fegefeuer,  jene  allgemeine  öffentliche  Lu- 
stration durch  das  Spottgelächter  der  Komik  wirkt  dann  nur  heil- 
sam, wenn  der  Spott  aus  den  ewigen  Gedanken  des  Kechtes  und 
des  Sittengebotes,  aus  den  unwandelbaren  Grundgefühlen  des  Ge- 
müthes  hervorbricht,  wie  diess  in  der  Aristophanischen  Komödie  der 
Fall  ist.  Die  „jambische  Idee"  hat  den  Beruf,  das  Niclitige  und 
Schlechte  in  seiner  festen  Burg,  der  öffentlichen  Gewalt,  anzu- 
greifen und  seine  HeiTSchaft  zu  brechen;  und,  wenn  es  sich  in 
einer  volks-  und  staatsgefälnliclien  Persönliclikeit  als  das  incar- 
nirt  Böse  verkörpert,  diese  Persöiilicldveit,  ohne  Gnade  und  Barm- 
herzigkeit, zu  vernichten.  Eine  solche  Spottlust  ist  keine  nega- 
tive; im  Gegentheil:  sie  greii't  den  Geist,  der  stets  verneint,  in 
seiner  Wmv.el  an,  in  seiner  lurchtb;irsten  Gestalt:  als  angemaasste, 
öffentiiclie  Macht,  als  den  bösen  Geist,  der  das  Gute  stets  ver- 
neint; das  wahre  öffentliche  Heil,  das  wahre  Volkswohl  stets  ver- 
neint, das  von  der  politischen  Freilieit,  von  der  ausschliesslichen 


1)  Athen.  IV,  184  F. 


Die  philos.  Götter-Travestie  des  Epicliarmos.  15 

Herrschaft  des  gesetzlichen  \'oIks\villeiis,  uiizertreiiulicli  ist.  Diese 
Komik,  diese  „jambische  Idee",  ist  das  Salz  der  Staaten,  und  die 
Aristophauisclie  Komödie,  deren  radicale  Heilcur,  die  eigentliche 
zu  gewissen  festlichen  Zeiten  vorgenommene  öftentliclie  Volks- 
süline,  Februatio;  die  gründlichste  Aristotelische  Katharsis  in  ili- 
rer  reinigendsten  und  gesund  lachendsten  Bedeutung.  Und  ge- 
rade diese  liöchste  Consequenz  seiner  Katharsis  wollte  der  grosse 
Logiker  und  Energiendenker  nicht  aus  seiner  Kunstlehre  und 
Etliik  zielicn,  deren  heiligste  Interessen  mid  Lebensfragen  die 
gTOSse  Komödie  von  der  jambischen  Idee,  die  alte,  die  Aristo- 
phanische Komödie,  doch  am  eifervollsten  wahrnimmt,  und  erha- 
ben begeistert.  Dionysisch-enthusiastisch,  heldenmüthig  und  glän- 
zend ausheilt.  Die  Travestie  des  Epicharmos  dagegen  spottet 
den  Volksglauben,  die  Volksideale  zu  nichte,  die  bei  Culturvöl- 
kern  stets  einen  geistigen  Tiefgehalt  verbildlichen,  wie  die  Kalk- 
schale des  „kopflosen"  Weichthiers  die  kostbare  Perle  ])irg-t.  Und 
was  setzt  die  Komödie  des  Epicharmos  an  Stelle  der  von  ihr  zu 
Schanden  gelachten  Volksideale?  Welche  Heilslehre  bringt  sie 
dem  Volksverständniss ,  dem  Volksgemüthe ,  zu?  Welche  Götter 
richtet  sie  auf  in  seinem  von  allen  sittlichen  und  religiösen  Ideen, 
diesen  Tempelschätzen  seines  Innern,  ausgeplünderten  imd  ver- 
wüsteten Geiste?  Die  Komödie  des  Epicharmos,  wie  die  neu-at- 
tische, die  Menander-Komödie  auch,  giel»t  dem  Volksgemüth,  für 
seine  Götter-  und  Heilsbegritte ,  Gemeinsprüche,  Moralsentenzen, 
SchulfoiTneln,  metaphysische  Abstractionen ;  die  Menander-Komödie 
gar,  wie  sich  zeigen  wird,  eine  lockere  Scheinmoral,  deren  lt'l)ens- 
kluge  Spruchweisheit  und  aus  den  anstössigsten  Koniödicnrabchi 
entwickelte  Klugheitsregeln  und  Vorschrilten  zu  einer  gcdcilili- 
chcii  Lebensjmixis  dem  Volkssinne  so  iK^komnit,  wie  Jener  „Brief", 
(h'm  l'ropheten  bekam,  dem  er  im  Munde  süss  schmeckte  wie 
Honig;  genossen  aber,  bitter  wie  VVcrmulli  uiul  (^all^^ 

Es  ist  erstauidicli,  was  für  nackte  sjjcculative  Gedanken  diese 
Travestien-Komödie  auf  lU-ni  l'räsentirteller  den  Feinschmeckern 
vorlegte;  recht  eigentlich  auf  dem  l'räsentirteller,  da  sieb  diese 
Komödie  meist  um  Tellerieckerei  und  gute  Schüsseln  bewegt: 
„Menschen  und  Thiere  sind  und  leben  nur  durch  die  ihnen  ein- 
wohnende Idee,  und  diese  ist  ihre  Seele.  Die  Gottheit  aber  ist 
Ur(|uell  aller  Ideen,  wodurch  das  Weltall  zusammengelialten  wird." 


\Q  Die  griechische  Komödie. 

„Die  Eigeuschaften  dieses  göttiiclieii  Logos  bestehen  in  Allgegen- 
wart  und  Allmacht"  ^),  und  dergl.  mehr.  Treffliche  Lehren,  ohne 
Frage;  ganze  Schulsysteme  in  kurzen  Sprüchen,  zum  Hausgebrauch 
für  Schulweise  und  deren  Jünger.  Nackte  Philosopheme  und  tra- 
vestü-te  Götter,  so  leicht  und  angenehm  verschluckt  im  Salzwas- 
ser des  komischen  Spottkitzels,  wie  man  heutzutage  Austern 
schluckt,  und  an  Hieron's  Tafel  den  Fisch  Elops  in  Seewasser, 
oder  gewürzter  Tunke  genoss.  Kein  Wunder,  dass  in  diesen 
Symposien  der  sikelischen  Komödie  der  guten  Küche  die  Philo- 
sophen, Piaton  an  der  Spitze,  wie  an  Götteitafeln  schwelgten,  und 
sie  hoch  über  die  Aristophanische  Komödie  stellten,  welche,  um- 
gekehrt, travestirte  Philosopheme  und  nackte  Götter  in  die  See- 
len lacht,  deren  Blossen  aber  keine  parties  honteuses  sind,  wie 
die  der  sikelischen  Komödie,  sondern  glänzende  Schönheiten ;  ho- 
merisch lichte  Nuditäten;  Götterskandal,  der  erleuchtet,  wie 
Aphrodite  und  Ares  im  Goldnetze,  geschmiedet  von  dem  hin- 
kenden, wunderlichen  Kunstgott  und  Mundschenk,  Hephästos,  dem 
Erreger  unsterblichen  Göttergelächters;  und  das  Goldnetz  mit 
seinem  herrlichen  Fang  beleuchtet  vom  Lichtgotte  Helios  oder 
Phöbos  Apollon,  dessen  goldne  Flamme  auch  in  der  Aristophani- 
schen Komödie  aufschlägt  als  helle  Lust,  als  selig  helles  Geläch- 
ter. Auch  das  ist  kein  Wunder,  dass  die  Lehren  der  sikelischen 
Komödie  des  Epicharmos,  die  bei  aller  Kunst  und  durchdachten 
L-onie,  als  Travestien,  nur  für  eine  eigenthümliche  Art  von  spe- 
culativer  Posse  und  Schulkomödie  gelten  kann  —  dass  diese  Leh- 
ren zu  Spruchsammlungen  für  Schulen  eifrig  ausgezogen  und  als 
Gruudljücher  für  Erziehung  und  Bildung  der  Jugend  betrachtet 
•vMirden.  Oder  dass  die  Kunstrichter  im  Alexandrinischen  Mu- 
seum den  Epicharmos  an  die  Spitze  ihres  Kanons  für  die  alte 
Komödie  stellten.  Oder  dass  einer  der  ältesten  römischen  Dich- 
terphüosophen,  Ennius,  von  dem  Horaz  sagt,  er  habe  nie  anders 
als  betrunken  seine  Heldengediclite  geschrieben  (Ennius  ipse  pa- 
ter  nunquam  nisi  potus  ad  arma  prosiluit  scribenda  2) ,  — ■  dass 
der  Lebemaini  und  Tischgenosse  des  römischen  Adels,  p]nnius, 
jene  Lehrs}irüchc  und  Schulsätzo  unter  dem  Titel:  Epicharmus, 
in  römische   Verse  braclite,   wovon   noch   Fragmente   vorlianden, 


1)  Cleiii.  Alex.  Strom.   V.  j..  (;71.  —  2»  K|..  1,   19,  7. 


Epicbarmos.     Drei  Komüdieu-Gruppen.  \^ 

herausgegeben  von  Hessel.  Dass  aber  trotzdem,  trotz  Epicbarmos 
und  seiner  Komödie,  die  Homer's  Götterwelt  in  die  läcberlicbsten 
Situationen  der  geraeinen  Wirldicbkeit  herabzog,  Homer's  gött- 
liche Ideensymbole  zu  nüchternen  Alltagsfiguren ,  schmutzigen 
Fischhändlern,  Küchentrullen,  zu  Pickelhäringen  und  Hanswürsten 
spottete,  und  trotz  alledem  der  Glaube  an  diese  Götter  noch  über 
ein  Jahrtausend  nach  Epicbarmos  und  seiner  Komödie  vorhielt, 
das  ist  ein  Wunder,  das  grösste  Wunder  Gottes. 

Die  Zahl  von  Epicbarmos'  Komödien  schwankt  in  den  An- 
gaben zwischen  52  und  35. ')  37  seiner  Komödien-Titel  werden 
noch  aufgeführt.    Athenäos  zählt  allein  deren  26  auf. "-) 

Die  Stücke  lassen  sich,  dem  Stoffe  nach,  in  drei  Grup- 
pen bringen.  Zur  ersten  werden  die  eigentlichen  Travestien 
der  Götter-  und  Helden-Mythe  gezählt.  Dazu  gehören  5  Komödien, 
d.  h.  Komödien-Titel :  Hebe's  Hochzeit;  in  einer  zweiten  Be- 
arbeitung die  Musen  genannt.  Von  beiden  finden  sich  inKruse- 
man's  Sammlung  an  vierzig  Fragmente,  die  sich  wohl  zu  einer 
Speisekarte  der  auserlesensten  Gerichte  und  Leckerbissen,  aber 
zu  keiner  Inhaltsangabe  zusammensetzen  lassen.  Den  ungefähren 
Inhalt  haben  wir  schon  angedeutet.  Bode  vermuthet  in  den  Mu- 
sen den  Chor  zur  Hochzeit  der  Hebe.  „Aber  was  für  Musen!" 
ruft  er  aus.  Sie  stammen  von  Pieros,  dem  Feisten  und  von 
Pimpleis,  der  Dicken,  und  als  Quellnymphen  haben  sie  für  die 
schmackhaftesten  Fische  zu  Hebe's  Hochzeit  zu  sorgen.  Nach 
Grysar  waren  die  Chöre  des  Epicbarmos  von  denen  der  attischen 
Komödie  darin  verschieden,  dass  sie  auf  der  S  c  e  n  e,  wie  bei  den 
Römern,  nicht  wie  die  attischen  Chöre  in  der  Orchestra,  zubrach- 
ten 3),  und  sich  der  dialogischen  Form  und  desselben  Metrums 
wie  die  Schauspieler  bedienten.  Die  komischen  Chöre  des  Epi- 
cbarmos hatten  also  weder  chorische  Gesänge  (/.islrj  xoQiyid),  noch 
Parabasen  u.  s.  w.  Ausserdem,  meint  Grysar,  hätten  Gespräch 
und  Gesang  in  der  Komödie  des  Epicbarmos  so  abgewechselt, 
wie  in  unsern  Singspielen  und  Gesangspossen.  Da  kein  einziger 
Chorvers  in  den  Bruchstücken  zu  finden,  stehen  alle  Vennuthun- 


1)  Suid.  V.  !E77//.  —  2)  X.  p.  418  C.  —  3)  de  Dor.  Com.  quaest.  1828. 
135. 
U.  2 


1 8  T)ie  griechiselte  Komödie. 

gen  über  den  Clior  dieser  Komödien  auf  schwachen  Füssen,  oder 
riclitiger  auf  gar  keinen  Füssen. 

Die  Komm  asten,  oder  Hephästos,  travestirten  die  Mythe 
von  der  Fesselung  und  Lösung  der  Götterkönigin  durch  den 
Schmiedegott,  als  Strafe  von  Zeus  über  sie  verhängt,  wegen  der 
Verfolgung  des  Herakles.  Die  Befestigung  der  Hera  an  den  von 
Hephästos  verfertigten  Zauberstuhl,  mit  Hülfe  von  Ares  und  dessen 
Bruder  Enyalios,  durch  Hephästos  ist  auf  einer  italischen  Yase 
dargestellt.  1)  Für  das  Mitleid,  das  Hephästos  bei  der  Fesselung 
bezeigi,  wird  er  von  Zeus  aus  dem  Himmel  gestürzt.  Zur  Erlö- 
sung vom  Sitzzauber,  die  nur  Hephästos  vollbringen  kann,  lässt 
ihn  Zeus  durch  Dionysos  zurückholen.  Den  Einzug  in  den  Olymp 
hält  Hephästos  auf  einem  Esel,  begleitet  von  Satyrn  als  Komma- 
sten, die  den*  Chor  bildeten.  In  der  Abbildung  dieser  Scene  auf 
einer  italischen  Vase  will  man  eine  Scene  aus  Epicharmos'  Kom- 
masteu  erkennen.  "■^) 

Pyrrha  und  Prometheus,  Travestie  des  Mjiihus  von 
der  Menschenschöpfung  und  der  Sündfluth.  Das  ihnen  durch 
Prometheus  verliehene  Feuer  benutzen  die  Menschen  zu  Zwecken 
der  Kochkunst.  Sie  werden  Schlemmer  und  Prasser.  Zeus  ver- 
tilgt das  Kothgeschlecht  (nläo^iaTa  m^lov  Aristoph.  Av.  686), 
l)is  auf  Pyrrha  und  Deukalion,  Kinder  des  Epimetheus  und  Pro- 
metheus und  Stammeltern  eines  neuen  dauerhaften  Geschlechts, 
aus  Steinen  gebildet.  Daher  Laos  {laog)  „Volk",  das  auch  „Stein" 
bedeutet  (A«c,  lang).  Man  wollte  in  dieser  Komödie  eine  Paro- 
die von  Aeschylos'  Prometheus  finden.  Ist  auch  Buttler's  Ansicht 3), 
dass  Epicliarmos,  der  mit  Aeschylos  an  Hierou's  Hof  verkehrte, 
die  Redeweisen  des  grossen  Tragikers,  ja  ganze  Tragödien  von 
ihm  parodirt  hätte,  längst  beseitigt:  so  bleibt  die  Epicharmische 
Komödie  doch,  ihrem  Wesen  und  Charakter  nach,  eine  Parodie 
der  Tragödie  überhaupt;  und  diese  liiclitung  ist  es,  die  ihr  das 
Anrecht  auf  eine  poetische  Darstellung  der  komischen  Idee  ab- 
spricht, und  sie  in  die  Klasse  des  Schwankes  edlern  Styls  und 
der  mit  gedankem-eichen  Schulsprüchen  verzierten  Bm-leske  ver- 


1)  Hancaiville  T.  :j.  pl.  lüS.  Milliii ,  Gal.   inythol.   13,  4S.  —  2)  La- 
borde  T.  I.  tab.  52.  Milliii,  G.  m.  1,  80.  3SS.  Vascs.  T.  I.  pl.  9.  T.  II.  pl. 

ÜÜ.  —  3)  ad  Aoscli.  Proin.  arg.  T.  I. 


Epicliarinos.     Die.pliilosophisclie  Parodie.  19 

weist.  Die  poetische  Komödie  mag  wohl  die  Form  der  Tragö- 
die, den  Kothurn,  parodiren:  in  ihren  Richtmigen  und  Zwecken, 
in  ihrer  innersten  Wesensidee  treffen  beide  zusammen  und  ergän- 
zen sich  einander,  wie  Demokrit  und  Heraklit  dieselbe  Weltan- 
schauung durch  verschiedene  Kundgebungen  und  in  entgegenge- 
setzten Stimmungen  offenbaren:  der  eine  durch  Lachen,  der  an- 
dere durch  Weinen.  Ist  es  gestattet,  das  Bild  weiter  auszufüh- 
ren, so  denke  man  an  jene  mit  den  Seiten  zusammengewachseneu 
Menschenwesen,  die  Aristophanes  in  Platon's  Gastmahl,  zur  Er- 
läuterung seines  Begriffes  vom  seelenverschmelzenden  Eros,  schil- 
dei^t.  Komödie  und  Tragödie,  Demokrit  und  Heraklit,  des  lachen- 
den und  weinenden  Philosophen  verschwisterte  Seelen,  sie  gleichen 
solchem,  durch  vorherbestimmte  Harmonie  für's  erste  nur  seitlich 
zusammengewachsenen  Menschenpaar.  Nun  stelle  man  sich  die- 
ses nach  seiner,  auf  des  Schöpfers  Machtwort,  erfolgten  Theilung 
und  Auseinanderlösung  vor.  Eine  unendliche  Sehnsucht  über- 
kommt die  getrennten  Zwillingsseelen.  Der  Demokrit  weiss  nicht, 
wie  ihm  geschieht,  ob  er  lachen  oder  weinen  soll;  und  dem  He- 
raklit ist  zu  Muthe,  als  müsste  er  vor  Weinen  lachen.  Bis  sie 
sich  erschaut,  und  Aug'  in  Auge  blickt.  Nun  liegen  auch  schon, 
wie  zwei  Schwesterflammen,  die  beiden  Zwillingsseelen  einander 
in  den  Armen,  und  halten  sich  so  innig  umflochten  und  um- 
schlungen, und  vermischen  so  liebeselig  ihr  Lachen  und  Weinen, 
dass  sie  jetzt  erst  zu  vollkommener  Wesens-Durchdringung  ver- 
schmolzen scheinen.  Ist  diess  etwa  nur  ein  müssiger,  willkürlicher 
Vergleich?  Oder  hat  sich  das,  in  dem  antiken  Drama  blos  äus- 
serlich  und  seitenveiivandtlich  vereinigte  Zwillingspaar,  Tragödie 
und  Komödie,  die  Hei'aklit-  und  Demokrit-,  die  weinende  und 
lachende  Philosophen-Seele,  haben  sie  sich  nicht  wirklich  in  dem 
Drama  des  poetischen  Humors,  im  Shakspeare-Drama ,  zur  innig- 
sten Seeleneinheit  vermischt.  Ein  Herz  und  Eine  Seele?  Wie 
verhielt  sich  nun  aber  die  pjiilosopliische  Parodie  des  Epiclmrmos 
zu  der  wirklichen  Identitätsphilosophie  des  tragischen  Weinens 
und  komischen  Lachens?  Wie  ungefähr  jener  Kyau  im  Volks- 
schwank, der  vom  Himmel  hernieder  seine  Privatgeschäfte  abmacht, 
und  dabei,  in  einer  unaussprechlich  hockenden  Stellung,  die  Erde 
mit  allem  was  darauf  sich  regt,  kreucht  und  weset,  wonueselig 
und  wunderfreudig  anlacht.    Aehnlich  die  i)hilosophische  Parodie 

2* 


20  Die  grieeliiscli?  Koiniklie. 

des  Epicharmos,  die  beim  Anblick  des  seelenverschwisterteu  Paars 
vor  Freuden  den  Himmel  für  einen  Kyau-Stuhl  ansieht,  und  von 
demselben  auf  den  curiosen  Zwilling,  als  auf  die  neckisch  spas- 
sigste  Missgeburt,  sich  den  Bauch  haltend  vor  Schüttelwonne, 
herunterlacht.  Ihrem  Geist  und  Wesen  nach,  ist  die  sikeliotisch 
italische  Posse,  als  Götter-  und  Heldenparodie,  zugleich  die  Par- 
odie der  tragischen  und  komischen  Idee  selbst,  deren  in  innerster 
Tiefe  gemeinsamen  Ernst  und  läuternde  Kraft  sie  in  den  Koth 
spottet  und  dadurch  sich  selbst  zur  Aften-Fratze  grinst.  Des  Epi- 
charmos Mythen-Bmieske  mochte  sich  vor  dieser  gemeinen  Phly- 
aken-Posse  durch  Kunst,  edlere  Haltung  und  speculative  Elemente 
auszeichnen;  in  ihrem  Grand  und  Wesen  blieb  sie  ihr  doch  ver- 
wandt. Ja  die  italiotische  Posse  kann  nur  für  eine  verkommene 
Abart  der  Mythen -Travestie  des  Epicharmos  gelten.  So  gross 
dieser  in  seinem  Genre  war,  so  verwerflich  scheint  uns  sein  Genre 
vom  kmistpoetischen  Standpunkt  aus,  weil  es  diesen  selbst  aulhebt 
und  ihn  zur  Narrensposse  äfft. 

Die  Bruchstücke  der  Bakchen  und  Dionysen  von  Epi- 
chamios  geben  keine  Andeutung  von  dem  Inhalt  dieser  wahr- 
scheinlichen Travestien  des  Pentheus-Mythos.  Dieser  ersten  Gruppe 
schliessen  sich  die  Parodien  Homerischer  Mythen  an:  die 
Troer,  Philoktetes,  Odysseus  der  Ueberläufer,  der 
Kyklop,  die  Sirenen  und  der  schiffbrüchige  Odysseus. 
Eine  nähere  Angabe  gestatten  die  kümmerlichen  Bruchstücke 
nicht.     Dasselbe  gilt  von  Skiron,  Busiris  und  A mykos. 

Die  zweite  Gruppe  der  Epicharmischen  Komödie  bilden 
Localstücke,  sikelische  Charakterbilder  aus  dem  Privatleben. 
Wiefern  dieses  Gem'e  mit  dem  der  mittlem  mid  neuern  Komödie 
vei-wandt  ist  und  auf  diese  eingewirkt  haben  mag,  lässt  sich  aus 
den  spärlichen  Bruchstücken  nicht  erkennen.  Die  Perser,  die 
Räubereien,  das  Fest  und  die  Inseln,  bleiben  für  die  Ge- 
schichte des  Drama's  Bölimische  Dörfer.  Vom  Inhalt  des  Pithon 
(Affe),  der  Monate,  der  Wurst,  des  Grossprahlers,  desEpi- 
nikios,  der  Festtänzer,  lässt  sich  so  viel  errathen,  wie  von 
dem  Inhalt  der  Vogclgcspräche.  Epinikios  und  Festtänzer  waren 
dem  Grammatiker  Hephästos  'j   ziüolge  und   nach  einem   Schol. 

1)  p.  -i').  (^aisf. 


Epichaniios.    Mythen-Parodien.    Local-Stücke.    Lustspiele.  21 

Aristoph.  ^)  in  anapästischeu  Tetraraetern  gedichtet.  Was  von 
Epicharmos  übrig  geblieben,  besteht,  bis  auf  eine  kleine  Anzahl 
Jamben,  aus  trochäischen  Tetrametern. 

Die  dritte  Gruppe  endlich  enthalten,  bis  auf  zwei,  Stücke 
von  allgemeinem  Lustspielstoflfen  aus  dem  wirklichen  und  ge- 
wöhnlichen Leben;  die  Vorbilder  und  Vorlagen  des  Plautus: 

„Plautus  eüte  zum  Ziel  der  Entwicklung,  wie  Epicharmos." 
Plautus  ad  exemplar  Siculi  properare  Epicharmi.  2) 

Das  properare  deutet  auf  die  rasche,  muntere,  vorwärts  eilende 
Bewegung  in  der  Komödie  des  Plautus,  worin  er  den  Epichar- 
mos zum  Muster  genonmien.^)  Von  diesen  Stücken  des  Epichar- 
mos werden  sieben  Titel  genannt:  Die  Töpfe,  der  Bauer,  Hoff- 
nung und  Reichthum,  das  Mädchen  von  Megara,  Erde 
und  See,  Logos  und  Loginas.  Die  Töpfe  hat  Plautus  wahr- 
scheinlich in  seiner  Aulularia  nachgeahmt ;  den  Bauer  (AyqtooiT.- 
vng)  in  seinem  Truculentus  oder  dem  verloren  gegangenen  AgToe- 
cus.  Hoffnung  oder  Reichthum  enthielt  schon  den  Charak- 
ter des  Parasiten  vollständig  ausgebildet.  Erde  und  See  (Fcc 
•/Ml  Qdlaooa)  mochte  ein  Küchenstück  gewesen  seyn,  wozu  Erde 
und  Meer  die  Leckerbissen  lieferten.  Die  Bruchstücke  enthalten 
meist  auch  Leckereien.  Logos  und  Loginas  scheint  eine  Per- 
sonification  von  Verstand  und  Witz,  ähnlich  den  Figuren  im  indischen 
Drama:  „Die Geburt  des Begi-Lös."  Das  Fragment  deutet  auf  eine 
Scene  zwischen  Logos  und  Loginas,  worin  die  beiden  wunderlichen 
Personen  sich  mit  doppelsinnigen  Wortspielen  neckten.  Der  Schöpfer 
der  sikeliotischeu  Komödie,  dieser  hoch-  und  reichbegabte,  nach 
so  verschiedenen  Richtungen  hin  merkwürdige  und  grosse  Geist, 
bietet,  als  dramatischer  Dichter,  zwei  entgegengesetzte  und  doch 
sich  ergänzende  Seiten  dar:  eine  negative  und  positive  Seite. 
Erstere  vertritt  seine  Mythen-Parodie,  womit  er  der  Homeri- 
schen Götterwelt,  und  in  ihr,  der  Tragödien-  und  Komödien-Fabel, 
dem  Stoffe  wie  der  Idee  nach,  als  Philosoph,  schulsystematisch, 
den  Garaus  spielen  wollte,  und  sie  ausrotten  mit  Stumpf  und 
Stiel.    Dieser  Vernichtungsfeld zug  endigte  mit  der  vollständigen 


l)  Plut.  487.  —  2)  Hör.  Ep.  II,  I,  58.  —   3)  C.  Lmze  de  Plauto  pro- 
perante  ad  exemplar  Epicharmi.    Breslau  1S28.     (Schulprogi'anim.) 


22  l^i»3  griecliische  Koiiiödio. 

Niederinge  des  Philosophen  wie  des  Dichters.  Der  alte  Homeri- 
sche Geist  wandte  die  Schärfe  des  Schwertes  gegen  die  Schul- 
secte  selbst,  welcher  Epicharmos  angehörte,  gegen  den  Pythago- 
räischen  Bund  in  Unteritalien,  dem  er  mit  Einem  Schlage  ein 
Ende  machte,  und  erhob  sich  gleichzeitig  in  der  attischen  Tra- 
gödie, bald  auch  in  der  altattischen  Komödie,  so  herrlich  gross 
und  glänzend,  wie  er  nur  jemals  als  episch-lyrischer  Sonnengeist 
ganz  Hellas  erleuchtet  hatte.  Die  positive,  die  fruchtbar  fort- 
zeugende  Schöpferkraft  entfaltet  der  wunderbare  Asklepiade,  Py- 
thagoräer  und  Burleskendichter  in  den  Komödien  der  zweiten  und 
dritten  Gruppe,  in  seinen  Local-  und  Charakterstücken, 
durch  welche  sich  Epicharmos  als  Vater  und  Begründer  des  eigent- 
lichen Lustspiels  und  der  Localposse  im  modernen  Sinne  beur- 
kundet ;  ein  unsterbliches  Verdienst,  das  ihm  eine  der  ersten  Stel- 
len in  der  Geschichte  des  Drama's  anweist. 

Gleichzeitig  mit  Epicharmos  dichtete  Phormis  oder  Phor- 
mos  am  Syrakusischen  Hofe  Komödien,  und  theilt  mit  seinem 
Kunstgenossen  die  Ehre,  als  Erfinder  der  dorischen  Komödie  zu 
gelten.  Phormis  war  Erzieher  von  König  Gelon's  Söhnen.  Ihm 
schrieb  man,  nach  Suidas  '),  die  Einführung-  der  langen  Gewänder 
und  die  Ausschmückung  der  Scene  mit  rothgefärbten  Fellen  zu. 
Von  dem  prunkhaften  Aufwände  der  Choregen  in  der  Megarischen 
Komödie,  welche  gleich  beim  Eingange  Purpurstoffe  zur  Schau 
trugen,  spricht  Aristoteles  in  der  Nikomachischeu  Ethik.  2)  Das 
grosse  steinerne  Theater  zu  Syi'akus,  dessen  Ruinen  jetzt  noch 
Staunen  erregen  3),  war  lange  vor  Sophron,  dem  Zeitgenossen  des 
Aristophanes,  erbaut.  Der  Architekt  Demokopos  soll,  nach  Voll- 
endung des  kolossalen  Baus,  wohlriechendes  Oel  unter  seine  Mit- 
büi-ger  in  Syi'akus  vertheilt  und  desshalb  den  Namen  Myrilla 
erhalten  haben.  Die  dem  Epicharmos,  nach  Theolait's  Angabe, 
von  seinen  Mitbürgern  gesetzte  Statue  lässt  vermuthen,  dass  er 
den  nächsten  Anlass  zum  Bau  des  grossen  Theaters  gegeben  habe, 
der  unter  Hieron  begann,  aber  erst  Ol.  78,  3  =  466  vollendet 
wurde.     Hieron  starb  Ol.  78,  2  ==467. 

Suidas  zählt  8  Titel  von  Stücken  des  Phormis  auf.    Admetos, 


1)  V.  'fyÖQ/uos.   —  2)  rV,  2,  20.    —  3)  Honel  T.  3.  pl.  187tf.  WUkiiis, 
Magn.  Graec.  etc.  II.  ]>.  <i.  y\.  7. 


Miiiiographen.  23 

Alkyones,  Alkinous,  Ilions  Zerstörung,  Hippos,  Ke- 
pheiis  imd  Perseus.  Ein  neuntes  Atalantai  nennt  Athenäos. 0 
Sie  gehören  sämmtlich  in  die  Klasse  der  Mythen-Travestien.  Als 
dritter  Kunst-  und  Zeitgenosse  von  Epicharmos  und  Phonuis  wird 
Deinolochos  genannt,  Schüler  oder  gar  Sohn  des  Epicharmos. 
Aelian  bezeichnet  ilm  als  einen  Mitbewerber  und  Nebenbuliler 
{avTayioviOTiQ)  des  Epichamios. 2)  Suidas  schreibt  dem  Deinolo- 
chos 14  Komödien  zu,  wovon  nur  3  dem  Titel  nach  bekannt  sind: 
Telephos,  Amazonen,  Medeia,  die  ebenfalls  der  M}i;heu- 
Komödie,  oder  der  Parodie  tragischer  Stoffe  beizuzählen. 

Die  Mimographen.  Die  von  Piaton  bewunderten  Mimen 
(^If.wi)  des  Sophron  waren  scenische  Bilder  aus  dem  sikelioti- 
schen  Volksleben  mit  scheinloser,  leichter  Ironie  und  hannloser 
Scherzhaftigkeit  (jägiTsg  eixEleiQ),  für  die  gebildete  Gesellschaft, 
in  frischen  heitern  Farben  ausgeführt.  Diese  kleinen,  dramati- 
schen Spiele  stellten  Figuren  aus  den  untern  Volksklassen,  Land- 
leute in  der  Kegel,  dar,  in  drolligen  Contrasten  mit  dem  städti- 
schen Wesen,  die  aber  nur  erzählungsweise,  im  Zmegespräche, 
unter  den  betreffenden  Personen  verhandelt  Avurdeu,  und  durch 
das  dabei  entwickelte  Gebärden  spiel  um  so  ergötzlicher  wk- 
ten.  Wir  erklären  uns  den  Namen  Mimoi  aus  diesem,  den  Volks- 
typen, besonders  den  sikeliotischen  Landleuten  eigenthümlichen 
malerischen  Mienenspiel  bei  Schilderang  ihrer  Verlegenheiten  und 
Bedrängnisse  in  der  Stadt  und  bei  städtischen  Schaugeprängen. 
Dieser  Reiz  von  natuifiischer  Ländlichkeit  mit  Durchblicken  in 
das  städtische  Leben  und  den  contrastirenden  Ton  der  fein-en  Ge- 
sellschaft musste  auf  einen  Geist  wie  Piaton  um  so  anregender 
und  fesselnder  wirken,  als  er  sich  selbst  mit  seinen  dramatischen 
Bestrebungen  und  Anlagen  aus  den  Wettkämpfen  der  tetralogi- 
schen Tragödie  in  den  Dialog  der  speculativen  Idylle  gleichsam 
zmlickgezogen  hatte,  deren  belebende  Seele  Sokrates  war,  eine 
Mimenfigur  schon  durch  die  äussere  Erscheinung,  die  Alkibiades, 
in  Platon's  Symposion,  so  treffend  mit  den  Figuren  von  Silenen 
und  Satyrn  vergleicht.  Piaton  lernte  die  Soplironischen  Mimen 
durch  Dion  kennen''),  nahm  sie  mit  sich  nach  Athen,  wo  sie 


])  XIV.  p.  623A.  —  ■>)  Hist.  An.  Yl,  51.-3)  Plat  Epist.  VII.  p.  324  A. 


24  Die  griecliisclic  Kuiuödie. 

durch  ilm  zuerst  bekannt  wurden  ^),  und  studirte  sie  eifrig  als  Muster 
der  diologi sehen  Kunst,  zu  Nutz  und  Frommen  der  feinen,  mimisch- 
dramatischen Färbung  seiner  Dialoge,  die  dem  Genre  des  Sophron 
darin  venvandt  scheinen  dürfen,  dass  der  Gegensatz  der  einfachen 
ewigen  Wahrheit  der  speculativen  Idee  zu  den  künstlichen  Wirren, 
Täuschungen  und  Truglehren  der  vielgewandten  und  vielge- 
staltigen Sophisten  dem  Gegensatz  entspricht,  den  die  in  jenen 
Darstellungen  ländlicher  Sitte  geschilderte  einfache  Natm'wahrheit 
zu  den  trügerischen  Inamgen  und  der  vielgeschäftigen  Nichtig- 
keit des  Stadtlebeus  bildet.  Seine  Verwandtschaft  mit  den  So- 
phronischen  Mimen  spricht  der  Platonische  Dialog  auch  in  der 
Form  aus.  Sophron's  mimische  Dialoge  waren  in  Prosa  2)  mit 
unscheinbarer,  aber  feindurchdachter  Kunst,  in  rhythmischen  Ab- 
schnitten geschrieben. 3)  Hierauf  bezüglich  sagt  0.  Müller:^)  „So- 
phron's Mimen  hatten  durchaus  nichts  Orchestisches  und  Musikali- 
sches, womit  zusammenhängt,  dass  sie  gar  nicht  in  Versen,  sondern, 
obzwar  in  gewissen  rhythmischen  Abschnitten,  doch  immer  in 
Prosa  geschrieben  waren."  So  hat  schon  ein  alter  Kunstrichter 
auch  in  der  Prosa  der  Platonischen  Dialoge  eine  poetisch  geho- 
bene Khythmik  erkannt.^)  Die  aus  jenem  Gegensätze  von  länd- 
lich städtischem  Wesen  und  einzig  durch  die  objective  Kunst  der 
Darstellung  in  Sophron's  Mimen  fliessende  und  wie  ein  feiner 
Duft  darüber  gehauchte  Ironie  beseelt  Platon's  Dialoge  als  specu- 
lativer  Stimmungston  gleichsam,  welcher  aus  dem  Zauber  der 
Composition  und  der  Harmonie  dieser  dialektischen  Kunstwerke 
quillt.  In  der  Poetik^')  nimmt  Aristoteles  einen  gemeinschaftli- 
chen Namen  für  die  Mimen  des  Sophron  imd  Xenarchos,  des 
Sohnes  von  Sophron,  und  für  die  Sokratischen  Dialoge  in 
Anspruch,  als  deren  Erfinder  Aristoteles')  den  Alexamenos  aus 
Teos  nennt.  Mit  Recht  konnte  daher  Olympiodoros  ^)  sagen,  Plato 
habe  dem  Sophron  die  Kunst  nachahmender  Charakterschilderung  ab- 

1)  Diog.  La.  Vit.  Plat.  III,  IS.  —  2)  Athen.  XI,  505  C.  aus  Aristot. 
verlor.  Buch,  nsgl  noirjjwr. —  3)  Gramm,  med.  bei  Montfauc.  Bibl.  Coisl. 
part.  1.  p.  120.  —  4)  Dor.  II.  p.  260.  Vgl.  Grysar,  de  Sophrone  Mimu- 
grapho  p.  12ff.  —  5)  Dion.  Halic.  Epist.  ad  Pomp.  p.  205  ed.  Hudson:  on 
Tuv  oyxov  jrji  7roir]riy.rig  xarctaxtu^g  inl  löyovg  r^yuyi  tftXoaöifovg.  — 
6)  I,  S.  —  7)  Athen.  XI,  505  B.  aus  Aristot,  nsQi  noirjTüir.  —  8)  Vit. 
Plat.  §.  .•{. 


Sopliron.  25 

gelauscht,  und,  kann  man  hinzufügen,  die  d  i  a  1  o  g  i  s  t  i  s  c  h  e  Kunst. 
Denn  das  Eigenthümliche  des  Mimos  war  nicht  sowohl  das  Dra- 
matische, als  eine  mimisch  charakteristische  Unterhaltung,  ein  dia- 
logisches, in  lebhaften  Localfiirben  skizzktes  Charakterbild.  Plu- 
tarch's  Symposion  berichtet  sogar  von  einem  merkwürdigen  Ver- 
such, der  in  späterer  Zeit  zu  Rom  mit  Platonischen  Dialogen 
gemacht  worden,  sie  dramatisch  aufzuführen.  Dass  diese  Dialoge, 
nach  Ai-t  der  Tragödien,  trilogisch  und  tetralogisch  zusammen- 
gestellt worden  0,  ist  bereits  erwähnt.  Ausser  Piaton,  unter  des- 
sen Sterbekissen  man  die  Mimen  des  Sophron  gefunden  haben 
soll-),  wird  der  heilige  Gregor  von  Nazianz  als  Nachahmer  des 
Sophron  genannt  in  dem  schon  angeführten  Schol.  zu  seinen  klei- 
nen Gedichten.  Dem  Job.  Laur.  Lydus  zufolge  ^j  hätte  auch  der 
Römische  Satirendichter  Persius  den  Sophron  zum  Muster  genom- 
men. Von  Apollodoros  lag  dem  Athenäos  ein  Werk  über  Sophron 
vor,  das  aus  mehreren  Büchern  bestand.  "*) 

Sophron,  ein  Sohn  des  Agathokles  und  der  Damnasyllis, 
war  zu  Syrakus  geboren.  Seine  Blüthezeit  fällt  mit  der  des  So- 
phokles und  Em-ipides  zusammen  (Ol.  83,  1=448).  Improvisirte 
Mimenspiele  hatte  es  in  Sikelien  und  ünteritalien  lange  vor  So- 
phron gegeben.  Die  Spieler  derselben  waren  mimische  Lustig- 
macher {/nTf-ioi  ycal  yalwxouoLoi),  deren  Kunst  hauptsächlich  im 
Gebärdenspiel  bestand,  gewürzt  mit  platten  mid  unanständigen 
Spässen.  Ein  Verzeichniss  dieser  Gattung  von  Miraenspielern 
giebt  Athenäos.  ^)  Die  beliebtesten  solcher  mimischen  und  von  Für- 
sten und  Voruelunen  besonders  bevorzugten  Posseureisser  waren 
H  ilaroden  und  Mag  öden.  Die  Kunstleistungen  derHilaroden 
beschränkten  sich  auf  Caricaturen  von  Tragödien  mit  musikalischer 
Begleitung  und  im  tragisclien  Costüm.  „Der  '/Ac^orodoc;",  sagt 
Athenäos*^),  „ist  ernsthaft  (a€f.iv6TSQog);  er  holmlacht  nicht,  grinst 
und  fletscht  nicht"  (ovöi  yccg  oxiviCsrai).  Der  Magode  grimas- 
sirte  Komödien-Stoffe  zu  Nichte  unter  dem  Schalle  von  Tam])urin 
und  Zymbel.  Ein  anderer  Unterscldcd  bestand  darin,  dass  die  Hi- 
laroden  Männer-  und  Frauen-Rollen,  die  Magoden  aber  nur  Frauen- 


1)  Diog.  La.  m,  35,  56.  —2)  Quinctil.  Or.  I,  10,  17.  Val.  Max.  VIII, 
7.  Extr.  3.  Euclok.  p.  38!).  —  3)  de  iiiagist.  Rom.  1,  41.  —  4)  Athen.  III, 
89A.  VII,  280E.  Schol.  ad  Arist.  Vesp.  523.  -  5)  I,  1!»F.  2üA.  Y,  IDöF, 
X,  439D.  —  6)  Athen.  XIV,  (•.21(;.  1).     Vgl.  Bodo  3,  2.  S.  Si).  Not.  4. 


26  T^^^ie  .srriechisclie  Komödie. 

Rollen  spielten  in  langer  Frauenkleiduug.  Der  Preis  war  ein  Gold- 
krauz.  Diese  Mimenspiele  nahmen  die  Eömer  in  ilire  drama- 
tische Kunst  auf  und  pflegten  sie  mit  grosser  Vorliebe. 

Auch  Sophron's  Mimen  zerfielen  in  zwei  Gattungen,  in 
ernste  und  spasshafte,  und  wurden,  je  nach  den  männli- 
chen oder  weiblichen  Charakteren,  die  sie  vorführten,  avÖQeioi 
oder  yvvctLY.Eioi  genannt.*) 

Plutarch'^)  nimmt  zweierlei  Mimen  an:  1)  vnod^Eoeig,  mit 
Fabel  und  Handlung  nämlich,  dergleichen  der  römische  Mimus 
war,  dessen  nähere  Bekanntschaft  wir  noch  machen  werden.  2) 
Tiaiyvia,  die  griechischen  Mimen,  wie  sie  schon  vor  Sophron 
im  Schwünge  waren,  die  Mimen  niedrigen  Styls,  Die  Beschaffen- 
heit der  letztern  bezeichnet  Dio  Chrysostomos  3)  in  seiner  Erklä- 
rung des  Mimendichters,  welcher  /ulinog,  wie  die  Darstellung,  hiess: 
Der  Mimos,  sagt  er,  ist  ein  Darsteller  des  Lächerlichen,  oder  ein 
Lachenmacher  (ye^torog  noLrjTi'g)  mittelst  Possenreissereien  in 
gebundener  oder  ungebundener  Rede.  Von  dem  Charakter  dieses 
Mimos  giebt  Athenäos  ^)  einen  Begriff,  der  vom  König  Antiochos 
Epiphanes  berichtet,  er  habe  einmal  so  skandalöse  Mimen  auf- 
führen lassen,  dass  alle  Zuschauer  davon  liefen  (ojots  navtag 
alaxvvopLEvnvg  qtsvysiv).  König  Antiochos  tanzte  und  spielte  in 
diesen  Mimen  mit  (wqxsito  ymi  vnsxQiveTo).  Die  schmutzige 
Mimenposse  war  überhaupt  der  Hoehgenuss  für  Alexander's  Nach- 
folger und  von  allen  Bühneuspielen  die  einzige,  die  sie  leiden- 
schaftlich begünstigten  und  pflegten.  „Der  Logomimos  Herodotos", 
berichtet  Athenäos'^)  nach  Hegesaudros,  „und  der  Tänzer  Ar chelaos 
standen  bei  König  Antiochos  in  höchsten  Ehren,  und  er  zeichnete 
sie  vor  allen  seinen  Freunden  aus"  {(.läliota  hif.uovco  tcov  cplXiov). 
König  Ptolemäos  Physkon  konnte  selbst  seine  übermässige  Fett- 
lei]jigkeit  nicht  abhalten,  bei  Gastmahlen  mimische  Tänze  auszu- 
führen. Er,  der  keinen  Schritt  gehen  konnte,  ohne  von  zwei  Kam- 
merberrn  unterstiitzt  zu  werden,  sprang  munter,  wie  Silen,  von 
seinem  Tafelsitz  in  den  Tanzplatz  hinunter  und  tanzte  unbeschuht 
{ävv7i6dr)i:og)  seinen  Mimos  mit  den  geübtesten  Possentänzeru 
um  die  Wette. 


1)  Eudok.  p.  3S9.  Athen.  VIT,  286  D.  306  D.   —   2)  Sympos.  "VII.  qu. 
8.  —    ■^)  (hat.  II.        4)  1,  J!)D.  —  5)  XII,-  550B. 


Sopliroii.     I'lieokrit.  27 

Aus  Blomfielfl's  Sammlung  der  Fragmente  von  Sophron  könnte 
man  sich  schwerlich  eine  Vorstellung  vom  Charakter  dieser  Mi- 
men bilden.  Zmn  Glücke  besitzen  wir  in  Theobit's  Syrakusa- 
nerinnen,  welche  dem  Adonisfeste  in  Alexandrien  beiwohnen, 
eine  Nachbildung  der  Isthmiazusen  des  Soplu'on^),  die  uns 
einen  ungefähren  BegTiff  von  dem  Genre  geben  können.  Wie 
Theokrit's  Syrakusanerinnen  aus  den  untern  Ständen  sich  über  die 
Adonisfeier  in  Alexandrien  unterhalten,  so  mochten  auch  Sophrou's 
Frauen  über  die  isthmischen  Spiele  in  Koriuth  schwatzen,  wohin 
sie  aus  Syrakus  sich  begeben  hatten.  Bei  Theokrit  gesellen  sich 
im  Verlaufe  der  im  Wechselgespräch  geschilderten  Vorgänge  bei 
der  Adonisfeier  zu  den  sich  unterredenden  Frauen,  Gorgo  und 
Praxinoe,  noch  eine  alte  Frau,  ein  Fremder  und  eine  Sängerin, 
die  nach  einander  auftreten.  Ein  ähnlicher  Verlauf  lässt  sich  in 
den  Isthmiazusen  des  Sophron  annehmen;  dessgleichen  die  drama- 
tische Dreitheilung,  Exposition,  Verwickelung  und  der  befriedi- 
gende Ausgang,  so  wie  die  Observanz,  dass  nicht  mehr  als  drei 
Personen  am  Gespräche  Theil  nehmen.  Weniger  glücklich  hat 
Theokritos  in  seiner  Thestylis  die  Akestriä  (AAtoxQLai)  des  So- 
phron nachgebildet.  2)  Sophron's  Frauenmimos,  die  Akestrien, 
von  denen  sich  die  eine  beklagt,  dass  ihr  Liebhaber  einer  erzdie- 
bischen Krämerin  in  die  Hände  gefallen  3),  war  ohne  Zweifel  dialo- 
gischdramatisch gehalten.  Theolait  dagegen  lässt  seine  liebera- 
sende Zauberin  ihre  Dienerin  Thestylis  in  einem  ununterl)rochenen 
Monologe  anreden,  ohne  die  Dienerin  handelnd  einzuführen  und 
am  Gespräche  Theil  nehmen  zu  lassen. 

Ausser  den  genannten  sind  die  Titel  von  zwei  Sophronischen 
Frauenmimen  auf  uns  gekommen:  die  Brautjungfer  und  die 
Schwiegermutter.  Die  erste  schilderte  die  Hoclizeitf eier  unter 
der  niedern  Volksklasse  der  Sikelioten.  Aus  der  Schwieger- 
mut tei-  ist  nichts  erhalten,  als  eine  Aufforderung  zum  Essen. 

Von  Sophron's  Männermimen,  denen  Apollodoros in  seinem 
schon  erwähnten  Werke  über  ihn  das  dritte  Buch  gewidmet,  sind 
nur  fünf  dem  Namen  nach  bekannt:  der  Seemann  oder  Fischer, 
der  den  Bauer  spielt;  der  Thunfischfänger,    der  Bote,   der 


1)  Argum.  Theoer.   Idyll.  XV,    i).  SIG.  Kiesel.   —    2)   Das.   p.  809.  — 
H)  Blomficld,  Class.  Journ.  Vol.  4.  p.  ;{86. 


28  Die  grieoliische  Komödie. 

Liebling  und  Prometheus.  Die  Bruchstücke  aus  dem  ersten 
sprechen  nm-  von  Muscheln  und  schlechten  Fischen.  Aus  dem 
letzten,  dem  Prometheus,  ist  nur  ein  einziger  Vers  erhalten,  und 
aus  den  Wörtern,  die  von  den  übrigen  auf  die  Nachwelt  gekom- 
men sind,  kann  sich  diese  keinen  Vers  machen. 

Die  Hilarotragödien  der  Tarentiner.  Die  Tarentiner, 
eine  Spartanische  Kolonie,  gründeten  Taras  (Tarent)  Ol.  1 8,  l  =  708. 
Die  Sitten  ihrer  Mutterstadt  vei-pflanzten  sie  aber  nicht  nach 
Grossgriechenland.  Sie  übertrafen  selbst  die  Sybariten  an  Genuss- 
sucht, Feinschmeckerei  und  üppigem  Kleiderprunk.  Sie  standen 
noch  zu  Platon's  Zeiten  unter  dem  Zauberstecken  der  Circe.  Pia- 
ton, welcher  bei  Gelegenheit  seiner  sikelischen  Reise  ("Ol.  98=388) 
auch  jene  Gegenden  besucht  hatte,  kann  nicht  genug  von  der 
Dionysischen  Festlust  und  den  maasslosen  Schwelgereien  der  Ta- 
rentiner erzählen.  1)  Sogar  die  Tragödie  konnte  ihnen  nur  als 
Hilarotragödie,  oder  lustige  Tragödie,  schmecken,  woraus  Plau- 
tus,  im  Prolog  zu  seinem  Amphitryo,  einer  Nachahmung  eines 
solchen  Tarentinischen  lustigen  Trauerspiels,  Tragicomödia  machte. 
Wahrscheinlicher  aber  bildete  Plautus  sein  Wort  nach  dem  Titel 
'/.o)f.i(i)dmQay(t)6ia,  unter  welchem  die  Komiker  Alkäos  und  Ana- 
xandrides  Dramen  schi'ieben.  2)  Die  Tarentinische  Hilarotragödie 
ging  aus  den  Stegreifpossen  der  Phlyakeu  hervor,  wesshalb  auch 
für  die  Hellenen  Hilarotragödie  und  Phlyakographie  gleichbedeu- 
tend war.  Zur  literarischen  Kunstwürde  erhob  die  Phlyakogi-aphie 
Rhinthon,  der  Sohn  eines  Töpfers,  zur  Zeit  des  ersten  Ptole- 
mäos,  unter  welchem  er  blühte.^)  Er  hinterliess  35  Dramen,  hi- 
larisirte  Caricaturen  tragischer  Stofte.  Die  Römer  nannten  auch 
diese  in  ünteritalien  überaus  beliebte  Gattung  edlerer  Phlyaken- 
spiele  Rhinthonisch.-*)  Suidas  nennt  sie  xw/<r/«  loayixa,  wie 
Plautus.  Bei  Steph.  Byz.  ^)  heisst  Rhinthon  schlechtweg  cplva^^ 
Possenreisser.  Der  Lexikograph  Nessis,  der  die  Rhiuthonischen 
Dramen  aus  eigener  Erfahrung  schildert,  bezeichnet  sie  treffend 
als  tragische  Farben. "^j  Das  Tragisclie  an  der  Far^e  bestand 
wahrscheinlich  nur  in  der  gottsjämmerlichen  Verhunzung  der  tra- 


1)  De  Legg.  I.  p.  637 B.  Athen.  IV,  166  p]P.  —  2)  Meinekc  a.  a.  0. 
T.  I.  p.  247.  371.  3)  Suid.  v.  'Pir&wv.  —  4)  Donat.  ad  Terent.  Adelph. 
|irol.  36.    —  ö)  V.  JccQitg.    —  6)  C'asiiub.  de  Sat.   poes.  ]i.   loOlV.  Ranib. 


Hilarotragödien.     Rhinthon.     Plilyakograplieii.     Sillen.     Kiiiäclen.     29 

gischen  Fabel.  Eliiuthou's  Hilarotragödie  scheint  nichts  weiter 
gewesen  zu  seyn,  als  die  heruntergekommene  Komödie  des  Epi- 
chaiTiios,  als  eine  plebeische  Götter-  und  Helden-Caricatur  ohne 
Sprucliweisheit  und  philosophische  Ironie.  Mit  der  Angabe  des 
Grammatikers  Lydus  ^)  von  ihrer  hexametrischen  Form  stim- 
men die  wenigen  Bruchstücke  nicht,  worin  kein  einziger  epischer 
Hexameter  zu  finden,  sondern  nur  jambische  Trimeter;  Lydus 
müsste  denn  auch  diesen  Sechsfuss  Hexameter  genannt  haben. 

Ausser  dem  Orestes  sind  von  Rhinthon  nur  noch  sieben 
Uramentitel  bekannt:  Iphigeuia  in  Aulis  und  in  Tauris, 
Telephos,  Amphitryon,  Herakles,  Meleagros  und  Jo- 
bates.  Der  Ampliitryon  und  Jobates  scheinen  Parodien  von  So- 
phokles' Tragödien  Amphitryon  und  Jobates. 

Nach  Rhinthon  cultivirten  diese  Gattung  der  italiotisch-do- 
rischen  Komödie  oder  Hilarotragödie,  Sopatros,  Ski  ras  und 
Blas  OS.  Ersterer,  aus  Paphos,  lebte  noch  zur  Zeit  des  Ptole- 
mäos  Philad.  (Ol.  124,  2---  283).  Bei  Athenäos  wird  er  bald  Par- 
ode,  bald  Phlyakograph  genannt.  Ob  er  derselbe  Sopatros  ist, 
der,  nach  Aelian -),  Alexander  d.  Gr.  die  Hörnereines  wilden  Esels 
überreichte,  lässt  Bode  dahingestellt.  Besagter  Sopatros  scheint 
nicht  blos  attische  Tragödien,  -wie  Orestes,  Hippolytos,  son- 
dern auch  attische  Komödien  parodirt  zu  haben:  in  der  Bakchis 
z.  B.  die  Bakclien  der  Komiker  Lysippos,  Antiphanes  und  Epi- 
genes;  im  Mädchen  von  Knidos  die  Komödien  gleichen  Na- 
mens von  Menandros  und  Alexis. 3)  Der  Physiologos  soll  eine 
Verspottung  des  l)erüchtigten  Schlemmers  Philoxenos  gewesen  seyn, 
welcher  die  Naturforschung  als  p]sskünstler  betrieb,  und  als  Na- 
turschwärmer einmal  auf  dem  Aetna  in  der  wundervollen  Aus- 
sicht zwischen  einer  Reihe  von  leckern  Schüsseln  schwelgte.-') 
Den  Eubulotheombrotos  dieses  Sopatros  lassen  wii-  mit  den 
Hörnern  seines  wilden  Esels,  die  er  als  Fragment  dem  grossen 
Alexander  verehrte,  auf  sich  benilien.  Dessgleichen  dieMysten, 
das  Linsengericht  und  die  Bücherwürmer,  die  ja  ohnehin 
alles  Andere,  und  zuletzt  sich  selber  auffressen. 

Andere  dorische  Dichter  von  Travestien,  Burlesken,  Parodien, 


1)  De  magistr.  Rom.  41,  p.  70,  —    2)  Hist.  Aniiii.    X,  4(».  Stob.  ocl. 
phys.  p.  130.  —  3)  Mein.  Menand.  fr.  ]).  i)S.  —  4)  Athen.  VUI,  34]  E. 


30  I^ic  griecbisclie  Komödie. 

wie  Hegemon  von  Thasos,  der  Lieblings-Parodist  der  Athe- 
ner, Arcliestratos  aus  Gela,  Matron,  u.  s.  w.  berühren  nur 
mittelbar  das  dramatisclie  Gebiet,  da  das  Eigenthümliche  dieser 
Schwanke  in  der  Coutrastirung  eines  niedrigen  gemeinen  Inhalts 
mit  dem  hochernsteu  feierlichen  Tone  epischer  Phraseologie  be- 
steht. Eine  nähere  Beziehung  7Ami  Drama  möchten  die  Sillen 
und  Kinäden  (^lIIoi,  Kiraidoi)  dm"ch  die  mimische  Vortrags- 
form ansprechen  dürfen.  Als  berühmtester  Silleudichter  wii'd  der 
skeptische  K  y  n i k  e  r  Timon  aus  Phlius  genannt ')  (Ol.  1 25  =  280  v. 
Chr.).  Er  hat  drei  Bücher  Silloi  in  parodü-enden  Hexametern  ge- 
schrieben, scherzhafte  Todtengespräche ;  eine  Travestie  der  Ho- 
merischen Nek3da  und  eine  Nekyomantie  seiner  Gegner,  der  dog- 
matischen Philosophen.-)  Timon  der  Phliasier  schi'ieb  sogar  Tra- 
gödien und  auch  Satyrspiele  ^),  welche  die  Alexandriner  benutzten. 

Zu  den  Dichtern  der  schlüpfrigen  Kinäden  wird  Alexandres 
der  Aetolier  gereclmet,  dem  wir  als  Mitglied  der  Alexandrinischen 
Pleias  begegnen  werden.  Der  namhafteste  und  älteste  dieses 
Genre's  ist  Sotades  von  Maronea  (Thracien);  nicht  zu  verwech- 
seln mit  dem  gleichnamigen  Dichter  der  mittlem  Komödie.  Er 
schrieb,  sagt  Suidas,  Phlyakeu  oder  Kinäden  (W/.vay.ag  rJToi  Ki- 
vaidovQ)  im  jonischen  Dialekte.  Sotadisc  he  Gedichte  sind  gleich- 
bedeutend mit  unzüchtigen  Poesien.  Dem  Strabon  zufolge  schrieb 
Sotades,  und  nach  ihm  Alexander  Aetolus,  Sillen  in  Prosa  {ev 
xlitho  }>6yü)),  dagegen  Lysis  und  Simos  melisch,  d.  h.  in  ge- 
bundener Kode  mit  musikalisch-mimischer  Begleitung.  '*)  Endlich 
wird  Phil  ist  ion  aus  Bithynien,  der  in  Koni  unter  Tiberius  lebte, 
den  Mimographen  beigezählt.  Suidas  meldet  von  ihm,  er  habe 
biologische  Komödien  geschrieben,  wahrscheinlich  mimische 
Sittenbilder  aus  dem  gewöhnlichen  Leben. 

Süllen  wir  uns  noch  mit  den  paar  Bettlerlappen  der  beiden 
„heitern  Tragöden,"  des  Tarentiners  Skiras  und  desBläsos  von 
der  Insel  Capri  (Caprea)  befassen?  Eichten  wir  lieber  ein  brün- 
stiges l)ankge))et  an  den  Zahn  der  Zeit,  dass  es  ilun  gefallen, 
von   dem  Mesotribas  des  Bläsos  nur  ein  einziges  Wort  übrig 


1)  Diog.  Laert.  IX.  c.  12.  Vgl.  Langheiiirich :  De  Timone  1720—23. 
3  Progr.  Woelke:  De  Graecor.  Sillis.  1!52().  —  2)  Sext.  Pyrrh.  I.  224. 
—  3)  Diüg.  IX,   llU.  —  A)  Atlieii.  \\.\ .  p.  (i2(l  I). 


Die  Aristophanische  Komödie.  31 

ZU  lassen,  und  tiass  der  Saturn us  dieses  Plilyax,  „ein  tapferer 
Trinker,"  sich  selber  durch  die  Gurgel  jagte,  bis  auf  die  in  einem 
Versstummel  enthaltene  bescheidene  Anfrage  bei  der  Nachwelt: 
„Ob  er  sich  wohl  sieben  Becher  vom  Süssesten  ausbitten  dürfte, 
die  aber  auf  einmal?*' 0  Was  den  Meleagros  des  Skiras  an- 
betrifft, so  wollen  wir  die  artige  Aufmerksamkeit  des  Meleagros, 
welcher  nur  den  Kopf  des  ätolischen  Ebers  der  Atalanta  zu 
Füssen  legte,  noch  überbieten,  indem  wir  dem  Skiras,  dem  Dich- 
ter des  Meleagros,  diesen  ganz  und  gar  schenken.  Wem  der 
Mund  nach  mehr  solcher  verschollenen  Phlyaken  wässei't,  findet 
noch  eine  handvoll  Namen  und  Titel  bei  Bernliardy,  ^)  Bei  Fa- 
bricius  gar  wimmelt  es  davon  in  seiner  Notitia  Comicor.  deperditor.  3) 
Wir  wenden  uns  zu  der  Aristophanischen  Komödie 
zurück,  die  uns  allein  aus  dem  reichen  Schriftschatz  der  altattischen 
Komödie  gerettet  worden  und,  gleich  jenem  einzigen  Buche  der 
Kumäischen  Sibylle,  den  Werth  aller  vernichteten  in  sich  verei- 
nigt. Die  dorische  Komödie  in  Sikelien  und  Grosshellas  lehrt 
uns  die  Bedeutung  und  den  poetischen  Kunstwerth  der  alten  at- 
tischen Komödie  nur  desto  höher  schätzen.  Auch  in  der  Pflege 
dieser  Kunstspiele  bilden  die  beiden  Bruderstämme  den  entschie- 
densten Gegensatz.  Die  sikeliotisch- italische  Komödie  zieht  die 
komische  Kunst  in  den  realistischsten  Koth  herab  und  verliert 
sich  in  die  platte  gemeine  Posse.  Die  altattische  Komödie  schwingt 
sich  in  ihrer  staatssittlichen  Kerntendenz,  ihren  tiefen  ethischen 
Zwecken,  bis  zur  Höhe  der  Tragödie  empor.  Sie  gleicht  dem.Ad- 
1er,  der  vom  Leichnam  des  Rindes,  das  er  mit  Flügelsclilägen, 
unabwendbar  wie  Scliicksalssehläge,  in  den  Abgrund  gesclüeudert 
und  zerfleischt,  sicli  aufschwing-t  zm-  Sonne  oder  zum  Wolken- 
sitze des  Donnerers,  um  den  dreizackigen  Blitzstrahl  mit  den 
mächtigen  Fängen  zu  ergreifen,  die  noch  von  dem  Blute  seines 
Opfers  triefen,  Haupt  und  Schnabel  so  tief,  wie  eben  nur  in  das 
Herz  seiner  Beute,  tauchend  in  Ambrosia  und  Nektar,  in  die 
Himmelskost  hehrer  Poesie.  Unten  raschelt  schon  die  dorische 
Posse,  die  aflenschwänzige  Anger-ßatte,  an  den  Ueberresten  paro- 
distisch  nagend,  die  der  Adler  zurückgelassen.    In  der  leckersten 

1)  Das.  XI,  487  C.  —  2)  Grundr.  U.  S:  479.  —  3)  Bibl.  gr.  II.  c.  XXII. 
p.  405— 5ÜÜ. 


32  I^ie  griechische  Komödie. 

Form  mid  Zubereitung  ist  die  dorische  Komödie  noch  immer  kein 
Mahl  für  Götter;  nur  ein  Gaumenkitzel  für  die  Geniesser  und 
Schwelgiinge  eines  vornehm -anrüchigen  Geschmacks,  dessen  Ge- 
lüste nm'  die  Verspottung  der  vom  Volke  heilig  gehaltenen  Sym- 
bole und  des  Volkes  selber  noch  reizen  und  erregen  kann;  dem 
Geschmackskitzel  ähnlich,  der  aus  den  Eingeweiden  der  Schnepfe 
Göttenvouuen  kostet,  und  in  Schwalbennestern  die  mit  dem  Stras- 
senkoth  vermischten  Excremente  der  Vögel  als  die  köstlichsten 
Leckerbissen  schlürft.  Epicharmos  strich  nur  den  Schuepfenex- 
tract  auf  die  hartgerösteten  Scheibchen  abstracter  Schulweisheit. 
Sophron  würzte  nui*  die  Schwalbennester  mit  den  feinen  Spece- 
reien ironischer  Contraste,  und  salbte  sie  mit  den  Blüthen-Essen- 
zeu  einer  raffinirteu,  die  überreizt  lüsternen  Hofzungen  prickeln- 
den Naturunschuld  und  Volk'sidylle.  Theokrit's  ländliche  Gedichte 
athmen  köstliche  Naturfrische,  wie  etwa  die  beflitterten,  mit  Wat- 
teau's  oder  Boucher's  Idyllen-Bilderchen  bemalten  Pruukfächer  den 
Hofft-äulein  des  Oeil  de  boeuf,  im  Grünen,  bei  ländlichen  Spielen, 
Külilung  zufächeln  mochten,  als  geschäftige,  blitzschnelle,  wink- 
bereite Kuppler  sich  reg'end,  mn  das  künstlich  gefachte  Wangeu- 
rotii  mit  der  feinen  Schminke,  durch  Vermittelung  zugewehter 
Naturhauche,  zu  vermählen.  Theokrit's  für  den  ägyptischen  Hof 
berechnete  Idyllen  atlmieu  Natureinfalt  und  Hirtenunschuld ;  aber 
doch  um-  als  pikante  Würze  für  die  petits  soupers  oder  parties 
fines  dieses  Hofes  der  genussgierigen  Ptolemäer,  die  in  seltenen 
Handschriften  und  Geisteswerken  mit  demselben  Schmausbehagen 
wie  in  seltenen  Fischen  und  Backwerken  schwelgten.  Die  italio- 
tischen  Phlyaken  sahen  zuletzt  gar  nur  auf  das  Anhängsel  der 
Schnepfen  im  Allgemeinen,  und  brauchten  schliesslich  ihr  Schreib- 
rohr wie  der  Kiebitz  den  Schnabel.  Da  rufen  nun  die  Feinen  und 
die  Guten,  die  Euschenionisten,  Zeter  über  die  Unanständigkeiten 
dei  alten  attischen  Komödie,  des  Aristophanes,  der  doch  nur  die 
Kunst  der  grossen  Coloristen  in  höchster  Meisterschaft  übt  und, 
gleicli  diesen,  aus  farbigem  Koth  zaubervolle  Wirkungen,  all  die 
Herrlichkeiten,  den  Glanz  und  die  Pracht  seines  breiten,  saftigen 
Pinsels  lockt  und  entfaltet.  Demi  ist  die  Malerfarbe  etwas  an- 
deres, als  leuchtender  KothV  Diese  Kimstwirkung  übt  sie  aber 
nm-  nackt  aufgetragen,  an  der  Oberfläche  eben,  in  unmittelba- 
rer Berührung  mit  dem  reinen  heiligen  Lichte,  das  sich  nicht  vor 


Das  komische  Ideal.  33 

dem  bunten  Quark  ekelt,  der  noch  obendrein,  mit  der  Frechheit 
des  Baberinischen  Fauns,  sich  vor  ihm  hinlagert  in  aller  Breite, 
wie  ihn  Gott  geschaffen.  Das  reine,  keusche  Licht  wendet  sich 
nicht  scheuselig  ab  von  der  schmutzigen  Farbentünche,  wie  die 
Lobpreiser  der  ehrbaren  Anstands- Komödie,  die  Feingebildeten 
des  Aiistoteles  und  Plutarch,  sich  von  dem  derben,  unverschleier- 
ten  Farbenauftrag  des  Aristophanes  abwenden;  die  Feinen  und 
Guten,  die  hochgebildeten  Menandristen,  die  für  die  Lustdirnen, 
Kuppler  und  im  Weinrauscli  geschwängerten  Bürgermädchen  der 
neuern  Komödie  gesittet  und  anständig  schwärmen.  Das  hehre, 
göttliche  Licht  küsst  den  Farbenkoth  schön  und  rein  und  duftig, 
und  durchleuchtet  ihn  mit  seinem  Wesen,  seiner  Lauterkeit  und 
Anmuth.  Dieses  hehre  Himmelslicht  in  der  Komödie  des  Ari- 
stophanes, es  ist  der  hohe  sittliche  Ernst,  der  in  der  tiefsten  Tiefe 
dieser  Komödie  als  ihr  innerstes  Wesen,  ilir  Lebeusgeist,  als  der 
Born  ihi-er  Komik  quillt.  Die  altattische,  die  Aristophanische 
Komödie,  fasst  dieselben  höchsten  Ziele  des  würdigsten  Staats- 
und Bürgerlebens  in's  Auge,  wie  die  Aeschylische  Tragödie;  ist, 
gleich  dieser,  eine  kunstvolle  Symbolik  göttlicher  Ideen,  voll  er- 
habener Lelu'weisheit  und  Anregung  zu  frommer  Sitte  und  tu- 
gendreichem Wandel;  ist,  wie  die  Tragödie  des  Aeschylos  und 
Sophokles,  eine  hohe  Schule  segenvoller  Staatskunst,  und,  gleich 
jener,  die  eifervollste  Schirmerin  und  Pflegerin  heiliger  Satzun- 
gen, ruhmreicher  Ahnengrösse,  begeisterter  Vaterlandsliebe.  Das 
komische  Ideal  dieser  Komödie,  es  ist  völlig  identisch  mit  dem 
tragisclien  Ideal;  durchaus  niclit,  wie  die  Schulästhetik  eine  der 
andern  nachspricht,  das  „verkeln-t  Tragische,"  ein  „umgekehiies 
Ideal",  und  was  des  Umgekehrten  und  Verkehrten  mehr  ist.  Nein, 
das  komische  Ideal  des  Aristophanes  ist  das  tragisclie  Ideal  sel- 
ber; nur  dass  dieses  die  speculative  Idee  der  Seelenheiligamg  und 
Erweckung  zum  schönsten  und  würdigsten  Leben  und  Handeln 
in  allgemeiner,  gleichsam  theoretisclier  Keinheit  ausspriclit  für 
alle  Ewigkeit  und  Folgezeiten;  das  komisclie  Ideal  hingegen  die- 
selbe Idee  in  der  unmittelbaren  Gegenwart  abspiegelt;  an  einem 
vom  laufenden  Tage  gleichsam  gegebenen  Falle  zum  Bewusstseyn 
bringt,  und  mit  praktischer  Nutzanwendung  auf  die  Zeitumstände, 
die  Tagespolitik,  die  „schwebenden  Fragen."  Das  komische  Ideal 
ist  das  auf  die  Tageszwecke  und  ihre  Nichtigkeiten  angewendete 
n.  3 


34  Die  griechische  Komödie. 

tragische  Ideal,  luid  diese  Anwendung  der  erste  grosse  Contrast 
und  wunderliche  Widerspruch,  den  das  Lächerliche  bedingt. 

Das  blosse  Missverhältuiss  aber  von  Zweck  und  Mittel,  von 
Erwartung  und  Erfüllung,  Spannung  und  Befriedigung,  Vorberei- 
tung und  üeberraschung,  das  allein  macht  so  wenig  das  Lächer- 
liche aus,  dass  derselbe  Gegensatz  und  Widerspruch  das  Tragische 
hervormft,  sobald  die  Täuschung  zum  Verderben  des  im  Wider- 
spruch Verstrickten  ausschlägt.  Der  tragische  Widerspmch  zwi- 
schen Zweck  und  Mittel  endet  mit  Schrecken.  Der  L-rthum  und 
die  VeiTechnung  oder  Verblendung  aus  übeiinüthigem  Selbstver- 
trauen entwickelt  sich,  in  progressiver  Steigerung,  zu  gemeinsamer 
Vernichtung.  Das  IVIissverhältniss  schwillt  hier  lawinenmässig  an 
und  begräbt  im  Stm'ze  Königshäuser  und  Geschlechter.  Der  Wi- 
derspruch des  Lächerlichen  verhält  sich  gerade  mngekehrt.  Die 
unendliche  Ei-wartung  läuft  in  ein  unendliches  Nichts  aus;  die 
Grösse  der  Spannung  steht  zu  der  Winzigkeit  des  Ausgangs  in 
umgekehiiem  Verhältniss.  .  Es  ist  der  Berg,  der  die  Maus  gebiert, 
ridiculus  mus;  die  lächerliche  Maus,  und  die  Maus  des  Lächer- 
lichen. Dahingegen  der  tragische  Widerspruch  dem  Wachsen  des 
Krokodils  gleicht,  das,  wie  Plinius  bemerkt,  vom  verhältnissmäs- 
sig  kleinsten  aller  Tliierjungen  zum  gi'össten  und  fürchterlichsten 
Raubthier  anwächst.  Dieser  Widerspruch  versteht  keinen  Spass. 
Kehrt  aber,  stülpt  aber  dieses  gegensätzliche  Verhalten  von  ko- 
mischer und  tragischer  Katastrophe  darum  schon  das  tragische 
Ideal  um?  Nichts  weniger !  Die  höchsten  und  letzten  Ziele  haben 
beide  Dramenformen  gemein.  Nur  die  Mittel  und  Wege  zm*  Er- 
reichung der  gemeinsamen  Zweckidee  möchten  allenfalls  verschie- 
den seyn.  Allein  selbst  diese  Verschiedenheit  ist  nur  scheinbar. 
Denn  Steigerung  der  Selbsttäuschung  und  Steigerung  der  ihr 
entsprechenden  Situationen  greift  hier  wie  dort  um  sich,  in  der 
Tragödie  wie  in  der  Komödie.  Worin  besteht  nun  der  Unter- 
schied? Wodurcli  wirken  die  Contraste  in  der  einen  tragisch  in 
der  andern  komisch?  Bekanntlich  erklärt  die  Poetik  des  Aristo- 
teles die  komische  Schuld -Busse  als  eine  schmerzlose  Beschä- 
mung.'j  Das  positive  Moment  zu  dem  negativ  bestimmten  möchte 
indessen  wohl  noch  aus  einer  andern  Quelle  tliessen.    Die  (Quelle 

1)  V,  1—3. 


Das  Lächerliche  und  das  Komische.  35 

liegi,  unseres  Erachtens,  in  dem  verschiedenen  Verhalten  des  ko- 
mischen und  des  tragischen  Heklen  7Ami  Pathos  der  Selbsttäu- 
schung; liegt  in  ihrer  Grundstimmung,  ihrem  üeberhebungs- Af- 
fe ct.  Die  komische  Hybris,  der  Uebermuth  des  komischen  Hel- 
den, ist  wohlgemuth,  leichtblütig  von  Natur,  aufgeräumt  und  gu- 
ter Dinge  durch  Anlage  und  Temperament.  Dieser  Contrast  der 
Stimmung  zur  Thorheit  bewirkt  erst  das  Lächerliche.  Das 
Lächerliche  hat  das  Komische  dieses  Contrastes  zur  Voraussetz- 
ung. Der  Affe  et  der  komischen  Person  muss  von  Hause  aus 
komisch  seyn.  Denn  ein  blosser,  noch  so  auffälliger  Fehlschluss, 
eine  noch  so  wunderliche  VeiTechnung,  ein  noch  so  befremdliches 
Missverhältniss  zwischen  Folgerung  und  Prämissen,  kurz  ein  bloss 
theoretischer  error  in  calculo  ist  absurd,  ungereimt,  verkehrt,  quer- 
köpfig, Alles,  nur  nicht  lächerlich,  geschweige  komisch.  Der  Wi- 
derspruch muss  ein  persönliches  Literesse  berühren,  er  muss  sich 
in  einen  Affect  verwandeln;  als  getäuschte,  und  zwar  durch  die 
Nichtigkeit  des  Erfolges,  getäuschte  Erwartung  empfunden  wer- 
den, um  lächerlich  zu  wirken.  Das  Lächerliche  verlangt  daher 
ein  Subject,  das  dm-ch  die  Unzweckmässigkeit  seiner  in's  Spiel 
gesetzten  Mittel  zur  Förderung  seiner  Interessen  sich  von  dem 
verfehlten  Zwecke  getäuscht  und  gleichsam  von  sich  selbst  ge- 
foppt sieht,  ohne  empfindlichen  Schaden  zu  nehmen.  Aber  auch 
dieses  Lächerliche  bedarf  noch  eines  gewissen  Etwas,  eines  Ele- 
mentes, damit  es  lusterregend,  damit  es  komisch  wirke.  Jedem, 
auch  dem  Verständigsten  und  Gesetztesten,  kann  einmal  eine 
solche  Verkehrtheit  im  Gebrauch  der  Mittel  beim  Verfolgen  eines 
erlaubten  Zweckes  begegnen.  Jeder  kann  sich  auf  diese  Art  lä- 
cherlich machen,  ohne  desslialb  durch  das  Lächerlichwerden  einen 
lustigen,  einen  komischen  Eindruck  hervorzubringen.  Hierzu  ge- 
hört, wie  schon  angedeutet,  eine  besondere  Anlage  von  Seiten 
dessen,  der  durch  sein  Lächerlichwerdon  heiteres,  wohlthuendes 
Lachen  en'egen  soll.  Diese  Anlage  besteht  darin,  dass  das  Lä- 
cherliche nicht  aus  seinem  Verstände,  aus  einer  blossen  falschen 
Ansicht,  Thorlieit  und  dergl.;  sondern  aus  einer  gewissen  Eigen- 
art, einer  angeborenen  Gemüthsstimmung,  aus  einer  Prädisposi- 
tion zu  Lächerlichkeiten,  ents])ringe.  Mit  andern  Worten,  das 
Lächerliche  im  Lustspiel  muss  von  Personen  ausgehen,  die  das 
Temperament,   die  Marotte,  den  Humor  des  Lächerlichen  haben, 


36  Die  griechische  Komödie. 

aber  den  naiven,  unbewussten,  unabsichtlichen  Humor.  Ja  die 
Wohlgemuthheit,  „Wohligkeit  des  Gemüths"  ist  nicht  immer  die 
Grundstimmung  der  gleichwohl  komischen,  und  zwar  ideal  komi- 
schen Person.  Der  komische  Wahn  kann  die  Farbe  einer  gar 
feierlichen  Gemüthsverfassung  tragen,  und  wird  nm'  um  so  hoch- 
komischer wirken.  Diese  Gemüthsverfassung  der  lächerlichen, 
durch  das  Missverhältniss  zwischen  Einbildung  und  realer  Zweck- 
mässigkeit lächerlichen  Selbsttäuschung  ist  die  Gemüthsverfassung 
der  erhabenen  Narrheit,  ist  die  Donquijoten- Stimmung.  Doch 
bleibt  es  fraglich,  ob  eine  solche  der  Komik  des  poetischen  Lustspiels 
eben  so  gemäss  ist,  wie  dem  Humor  des  Eomans.  Aber  Humo- 
risten von  Charalrter  und  Stimmung  müssen  die  acht  komischen 
Figuren  seyn.  Sie  müssen  sich  gemüthlich  läclierlich  machen 
können  olme  Wissen  und  Wollen,  ohne  zu  wissen,  wie  komisch 
sie  sind.  Das  sind  die  eigentlichen  lustspielfähigen,  die  bela- 
chenswürdigen,  wahrhaften  Komödiefiguren  mid  komischen  Perso- 
nen, und  das  Lächerliche,  das  aus  dem  Dichten  und  Trachten 
solcher  Subjecte  sich  entwickelt,  ist  das  acht  Komische,  das  na- 
tm-wtichsig  Lächerliche,  das  Lächerliche  vom  Quell  und  Sprudel. 
Alle  andern  Arten:  das  Situationskomische,  das  aus  künstlichen 
Vei-wickelungen  der  Lagen  und  Spannungen  hervorgeht;  das  ka- 
leidoskopisch aus  den  zufalligen  oder  künstlich  grappirten  Con- 
trasten  der  seenischen  Momente  sich  mischt,  oder  gar  aus  dem 
Intriguenspiel  absichtlicher  Verstrickungs- Anschläge  und  Düpi- 
rungen  sich  hervorspinnt,  alle  diese  Arten  des  Lächerliclien  olme 
die  Aflfect-Komik,  ohne  die  komische  Grundfarbe  des  Charakters, 
ohne  den  Hang  und  Kitzel  zur  gemüthlichen  Selbsttäuschung, 
mögen  sich  zu  den  sinnreich  ergötzlichsten  Witzspielen  kreuzen, 
verflechten  und  entwiiTen  lassen:  das  poetische  Element  des 
Lustspiels,  die  subjective  Charalvterkomik,  werden  sie  niemals  aus 
sich  selbst  erzeugen. 

Doch  ist  das  Naive,  ünbewusste  in  dieser  komischen 
Gemüthsart  Grundbedingung  zur  reinen  poetischen  Lustspielwir- 
kung. Die  Folie  des  komischen  Charakters  ist  daher  der  volle 
Ernst  seiner  Zwecke  und  seiner  gründlich  lächerlichen  Mittel. 
Jene  „unendliche  Wohlgemuthheit  und  Zuversicht,  durchaus  er- 
haben über  seinen  eigenen  AViderspruch  zu  seyn;"  jene  „Seligkeit 
und  Wohligkeit  der  Subjectivität ,   die,  ihrer  selbst  gewiss,  die 


Das  unbewiisst  Komische.  37 

Auflösung  ilirer  Zwecke  und  Realisationen  ertragen  kann"  •)»  setzt 
eine  dem  komischen  Charakterhumor  so  völlig  entgegengesetzte, 
eine  so  bewusstvoUe,  den  eigentlichen  Reiz  der  naiven  Gemüths- 
komik  zerstörende  Stimmung  voraus,  verwandter  der  künstlich 
erzeugten  Weinlaune,  als  der  unbewussten  Trunkenheit  des  poe- 
tischen Humors:  dass  uns  diese  „unendliche",  dem  komischen 
Charakter  untergeschobene,  „Wohlgemuthheit  und  Woliligkeit," 
von  welcher,  seit  dem  grossen,  deutschen  Kunstphilosophen,  die 
Aesthetiken  niclit  genug  zu  erzählen  wissen,  auf  einer  Verwech- 
selung der  in  dem  Zuscliauer  durch  den  komischen  Humor  der 
Lustspielfigur  zu  erregenden  Stimmung  mit  der  des  komischen 
Charakters  selbst,  zu  beruhen  scheint.  Keine  von  Shakspeare's 
oder  Holbein's  oder  Aristophanes'  komischen  Figuren  weiss  etwas 
von  dieser  unendlichen  Wohlgemuthheit  und  Zuversicht  und  Er- 
habenheit über  den  eigenen  Widerspruch,  Seligkeit  und  Wohlig- 
keit —  lauter  Reflexionsstimmungeu,  die  wohl  die  Meistergebilde 
jener  grossen  Lustspieldichter  athmen  und  eiTegen;  die  den  Dich- 
ter selbst  überkommen,  ja  bei  dem  sie,  jedoch  in  Form  eines  tief 
besonneneu  Ernstes  idealer  Gestaltung,  den  Grundton  seines 
Schöpferhumors,  während  des  Schaffens,  bilden  mögen.  —  Un- 
möglich können  aber  diese,  das  vollste,  man  möchte  sagen,  dia- 
lektisch-philosophische Bewusstseyn  voraussetzende  Zuversicht  und 
Erhabenheit  über  den  eigenen  Widerspruch  die  komisch-poetische 
Figur  selbst  erfüllen,  ohne  jene  Wesenseigenschaft  derselben :  die 
gi'undinnerliche  Naivetät,  völlig  zu  vernichten,  von  welcher  die 
Figuren  des  Aristoplianes  namentlich,  diese  ernsthaft  gemeinten, 
zur  Symbolisirung  substanzieUer  Ideen  und  zweckvoller  Staats- 
praxis verwandten  phantastischen  Personen,  so  durchaus  beherrscht 
und  beseelt  erscheinen,  dass  diese  Naivetät  ihre  poetisch-phanta- 
stische Existenz  bedingt,  ihren  geistigen  Lebensodem  facht,  ihre 
phantastisch-komische  Lichthülle  bildet.  Bald  wird  sich  uns  auch 
der  Grund  ergeben,  warum  diese  von  des  Dichters  Litentionen 
völlig  durclidruugenen  Figuren  um  so  weniger  jene  Zuversicht, 
jenes  selige  Selbstbewusstseyn  ilirer  Erhabenheit  über  den  eige- 
nen Widersprucli  athmen  können.  Das  Cliarakteristisclie ,  Urei- 
gene, der  Aristophanischen  Komödie  besteht,  unserer  Ansicht  nach, 


1)  Hegcl's  W.  X,  3.  5;J4.  2.  Aufl. 


38  Die  griechische  Komödie. 

eben  iu  jenem,  alle  andern  komischen  Widersprüche  überwiegen- 
den und  beherrschenden  Gmndcontrast,  den  ihre  grotesken  Phan- 
tasiefigiireu  mit  der  Erhabenheit  ihrer  Zweckidee  büdeu.  Die 
Komödie  des  Aristophaues  nimmt  gemssermaassen  eine  Gattung 
für  sich  in  Anspruch:  sie  ist  die  Komödie  der  erhabenen  Ko- 
mik; in  ihr  feiert  die  von  Aristoteles  abgelehnte  „jambische 
Idee''^)  ihre  Verklärung,  ihi-e  Apotheose. 

Vorerst  müssen  wir  aber  noch  ein  paar  Lichter  zur  Erläute- 
rung des  Täuschungsalfectes  aufsetzen.  Die  lusten'egende  Täu- 
schung, so  sagten  wir,  wirkt  nur  als  Selbsttäuschung  rein  ko- 
misch; wie  die  tragische  nur  durch  ihre  Selbstverblendung  im- 
putabel  und  dadurch  tragisch  wird.  Der  NaiT  seiner  selbst  sejm, 
ist  im  Lustspiel  hochkomisch,  wie  im  Trauerspiel  hochtragisch. 
Durch  Andere  düpirt  und  gefoppt  Averden,  wirkt  blos  lächerlich, 
nicht  komisch.  Die  schlauen,  gängelnden,  umgarnenden,  in  die 
Falle  lockenden  Anschläge,  die  noch  so  -witzig  angeleg-te  und  ein- 
schlagende Intrigue  compromittirt  zu  sehr  die  Verstandeskräfte 
des  Gefoppten  und  kitzelt  andererseits  Avieder  zu  schmeichelhaft 
die  des  Känkespielers,  um  in  dem  Zuschauer  behagliche  Lust, 
heiteres  Wohlgefühl,  zu  erregen.  Läuft  der  Genarrte  in's  Netz, 
nicht  aus  blossem  Mangel  an  üeberlegung,  sondern  in  Folge  einer 
wimderlichen  Eigenheit,  eines  Gelüstes,  Ticks,  einer  Erpichtheit 
gleichsam  aufs  Gefopptwerden,  eines  Affe  et  es  mit  einem  Wort: 
so  ist  diess  das  Komische,  nicht  der  berechnete,  durch  schlau  und 
zweckmässig  gelegte  Schlingen  erzielte  Erfolg.  Dann  ist  es  aber 
wieder  nm-  die  Selbsttäuschung,  welche  komisch  wirlvt.  Wie  jede 
Tragödie  sich  auf  eine  Tragödie  der  Verblendungen  zui'ückführen 
lässt,  so  ist  jede  Komödie  eine  Komödie  der  ÜTungen,  der  Täu- 
schungen, und  am  lustigsten,  komischsten,  poesie-  und  kunstge- 
mässesten,  als  Komödie  der  Selbstschüsse,  der  Selbsttäuschun- 
gen. Gleichermaassen  liegt  der  Schwerpunkt  der  tragischen  Schuld 
und  Wirkung  in  der  Selbsttäuschung.  Kassandra,  die  ihrem  Tode 
mit  ottenen  Seher- Augen  zustürzt,  ist  gleichwohl  nur  das  tragische 
Opfer  eines  selbstverblendenden  Wahnes;  da  sie  eine  falsche  Pro- 
phetin wäre,  wenn  ihre  Todes- Vorschau  sie  ihrem  Verderben  nicht 
entgegemisse,  und  sich  in  diesem  erfüllte.    So  lockt  und  schmei- 

1)  Poet.  V,  2. 


Die  komische  Katharsis.  39 

chelt  die  helle  Flamme  eleu  Falter  in  sein  Feuergrab,  und  ver- 
blendet ihn  mit  unfreiwilligem  Selbstmord.  Dass  die  Selbsttäu- 
schung des  komischen  NaiTon  seiner  selbst  in  der  glimpflichsten 
Form  auftritt,  als  Selbstgefälligkeit,  Zufriedenheit  mit  sich  selbst 
und  seinem  Wahne,  als  kitzelndes  Behagen  an  seiner  Verkehrtheit, 
hat  deim  auch,  im  unterschiede  von  der  tragischen  Sühne,  die 
Vergeltungsfolge,  dass  die  VerwiiTungen,  die  den  tragisch  Schul- 
digen in  schreckenvolle  Strudel  und  Wirbel  des  Jammers  und 
Untergangs  hinunterziehen,  über  den  komischen  Büsser  nur  als 
Sturzwellen  gleichsam  und  Sturzbäder  des  Lächerlichen  und  Ge- 
lächters zusammenschlagen.  Die  neckische  Nemesis  entspricht 
der  spasshaften  Selbstbethörung.  Wie  die  Tragödie,  so  rächt  auch 
die  Komödie  jenes  Weltgrundgesetz :  das  ürsächlichkeitsgesetz, 
und  schliesst,  ganz  wie  die  Tragödie,  den  Zufall  aus,  dessen  ko- 
mische Maske  die  Vergeltung  nm-  vornimmt,  wie  dort  das  Ver- 
geltungsgesetz die  tragische  Maske  des  Schicksals.  Die  harm- 
und  schuldlose  Verkehrtheit  des  komischen  Sünders  büsst  irgend 
einen  „beschämenden  Fehler,  der  keinen  Schmerz  verarsacht  mid 
nicht  verderblich  ist"  {a{.iäQzrji.iä  xi  xal  aiaxog  dvwövpov  y.al  oh 
(pÜ^aQTi/.6v).  Das  Gesetz  der  Causalität,  die  Kategorie  des  ge- 
sunden Menschenverstandes,  wird  in  lusterregender  Weise  gesühnt, 
zu  Nutz  und  Frommen  aller  Derer,  die  an  solchem  Beispiele  sich 
belehren  mögen,  um  in  ähnlichen  Fällen,  nicht  wie  die  Lustspiel- 
figur erst  durch  eigenen  Schaden  klug,  gesittet  und  bescheiden 
zu  werden.  Denn  Lebensklugheit  ist  auch  eine  sittliche  Eigen- 
schaft, wesshalb  sie  Aristoteles,  in  seinen  Ethiken,  den  Tugenden 
beizählt,  indem  die  Lebensklugheit  zur  Selbstbescheidung  und 
verständigen  Anwendung  des  ürsächlichkeitsgesetzes  aufs  Prak- 
tische, in  gegebenen  Fällen,  anleitet. 

Das  wäre  nun  die  komische  Katharsis,  die  Keinigung 
der  Selbstbethörung  und  ähnlicher  Aflfecte,  welche  Gemüthsreini- 
gung  die  Komödie  durch  Lustgelächter,  durch  Heiterkeit  und 
Lachen  vollzieht,  wie  die  Tragödie  ilire  Katharsis  der  Selbst- 
verblendimg, oder  Hybris,  durch  Furcht  und  Mitleid.  Aber 
auch  die  Katharsis  „solcher  und  ähnlicher  Aftecte,"  die  Keini- 
gung des  Lacheffectes  selbst,  und  der  Lust  am  Lächerliciien  be- 
wirkt die  Komödie;  wie  die  Tragödie  die  Läuterung  an  den  Ge- 
müthsbewegungen  des  Mitleids  und  der  Furcht  vollbringt.    Die 


40  T)ie  griechische  Komödie. 

Komödie  bringt  Maass  und  Gleichgewicht  in  die  Aifecte  der  Lach- 
lust und  des  Wohlgefallens  am  Lächerlichen,  indem  sie  diese 
Kriterien  des  verständigen  und  besonnenen  Handelns  einestheils 
schärft,  leichteiTegbar  und  feinfühlig  erhält;  anderntheils  aber 
auch  die  Lust  am  Lächerlichen  von  den  Schlacken  der  Schaden- 
freude läutert  und  diese  auf  das  Maass  einer  verständigen  Freude 
an  der  Berichtigung  der  Thorheit  und  Verkehrtheit  durch  eine 
leichte  Busse  und  Beschämung  herabsetzt.  Das  Behagen  an  der 
komischen  Figur  und  ihi-em  wohlgemuthen  Selbstverirauen  ent- 
spricht dem  Mitleidgefühl  in  der  Tragödie;  die  Freude  an  dem 
bevorstehenden  schmerz-  und  schadlosen  Misserfolge  ihrer  heitern 
Illusionen,  der  Furchterregung  in  der  Tragödie.  Denn  diese 
Freude  ist  im  Gmude  nm-  das  Genugthuungs-  und  Befriedigungs- 
gefühl ob  der  Kechtfertigung  des  Causalitätsgesetzes ,  als  Klug- 
heitswarnung; ähnlich  wie  die  Fm*cht  als  Ehrfurchtsschauer  vor 
der  göttlichen  Ahndung,  vor  der  unentrinnbaren  Ereilung  der 
Schuld,  in  Kraft  desselben  Gesetzes,  das  Gemüth  erregt.  Die 
Uebertragung  der  Aristotelischen  Definition  der  Tragödie  auf  die 
Komödie,  die  sich  bei  dem  schon  erwähnten  Anonymes  findet '), 
bleibt  inmier  beachtenswerth :  „Die  Komödie  ist  die  Nachalimung 
einer  lächerlichen  Handlung  u.  s.  w.,  welche  nicht  vennittelst 
Erzählung,  sondern  durch  Lust  und  Lachen  die  Keinigung  der- 
artiger Gemüthsbewegungen  vollzieht."  Uns  scheint  es  unzwei- 
feUiaft,  dass  der  „Schematiker ,"  wie  Bernays  diesen  Anonjiuos 
verächtlich  nennt  2),  darin  nur  den  Vorlagen  oder  doch  üeberlie- 
ferungen  gefolgt  ist,  die  bis  auf  die  verloren  gegangenen  Abhand- 
lungen über  die  Komödie  in  der  grössern  Poetik  des  Aristoteles, 
oder  in  der  Skizze  derselben,  der  erhaltenen  Poetik,  zm*ückrei- 
chen  möchten. 

In  der  neuattischen  Komödie  des  Menander  und  in  der  gan- 
zen aus  ihr  hervorgegangenen  Lustspielgattung  ist  die  zweideu- 
tige Moral,  auf  die  sie  abzielt,  das  einzige  Lebenszeichen,  das 
der  Dichter  dieser  Komödiengattung  von  seiner  persönlichen 
Betheiligung  giebt  und,  nach  den  Kunstregeln  dieser  neuen  und 
neuesten  Komödie,  das  einzige,  das  er  geben  soll.     In  der  altat- 

1)  Craiii.,  anecd.  gr.  Par.  Vol.  I.  p.  7,  24.  —  2)  Ergänzung  zu  Ari- 
stoteles' Poetik,  Mus.  d.  Pliilol.  etc.  Jahrg.  8.  1853.  S.  568. 


Der  Dichter  und  die  altattische  Komödie.  41 

tischen,  der  Aristophanischen  Komödie,  führt  der  Dichter  sein 
erhabenes,  um  das  höchste  Natioualheil  und  die  Katharsis  des 
Staatslebens  sich  bewegendes  Thema  in  eigener  Person  durch, 
von  Anfang  bis  Ende;  ist  der  Dichter  der  überall  gegenwärtige 
Held  seiner  grossen  Komödienidee,  der,  wie  seine  Tendenz,  frank 
und  frei  und  unverholen,  nicht  blos  aus  dem  Chor,  dem  eigent- 
lichen Sprecher  und  Dobnetscher  seiner  Herzensgedanken,  der 
Collectivperson  seiner  selbst,  sondern  aus  allen  Personen  spricht, 
aus  seinen,  des  Dichters,  durchsichtigen  Masken,  die  daher  we- 
sentlich Ideen-  oder  Phantasiefiguren  sind ;  komische  Grotesken- 
Symbole  der  höchsten  sittlich -politischen  Staatsheilslehre.  Die 
ganz  real  gemeinten  Personen  aus  dem  wirklichen  Leben  der  Ta- 
gesgeschichte  liefern,  im  Gegensatz  zu  den  symbolischen  Masken- 
typen, eine  zweite  Art  von  komischem  Contraste,  durch  ihren  Ab- 
stich gegen  die  phantastischen  Figuren  und  die  Idealtendenz,  die 
durch  die  symbolische  Figur  hiudm'chscheint,  und  die  reale  Per- 
son mit  ihren  niedern,  verwerflichen  Zwecken  komisch  vernichtet. 
Aus  diesem  Grundwiderspruche  zwischen  dem  Idealzweck  der  In- 
haltstendenz und  den  theils  phantastisch  gTotesken,  theils  gemein- 
wirklichen  Figuren  folgen  die  formellen  Contraste  in  dieser  Ko- 
mödie von  selbst:  Bizarre  Conception  bis  zur  ausschweifendsten 
Phautastik  bei  dem  einfachsten  dramatischen  Bau  und  Plan,  wo- 
rin kein  Ineinandergreifen  der  Scenen,  keine  Verflechtung,  keine 
Charakterentwicklung  an  Situationen,  keine  eigentlichen  Charak- 
tere, sondern  ein  Mummenschwanz  von  komisch  karikirten  Per- 
sönlichkeiten mit  tyjiischem  Gepräge  und  von  symbolischen  Gat- 
tungsfiguren. Von  demselben  Contrast  und  Widerspruch  ist  Styl 
und  Ausdruck  durchdrungen.  Der  höchste  lyi'ische  Schwung  ge- 
dankenvoller Dithyi'ambik  wechselt  mit  den  gemeinsten  Tönen 
der  niedern  Komik.  Die  überschwäugiichsten  Gegensätze  schlin- 
gen sich  zu  einer  ungeheueilichen  Arabeske  von  erhabenster  Poe- 
sie und  frechster  Zote.  Die  grellsten  Dissonanzen  lösen  sich  in 
die  farbigste  Harmonie  auf;  die  Vermählung  des  Gemeinsten  mit 
dem  Erhabensten  in  die  höchste  Kunst.  Im  Haushalt  dieser  Ko- 
mödie scheint  Schmutz  und  Unflath  sicli  von  selbst  zu  verstehen, 
wie  Dung  und  Auswurf  im  Hauslialt  der  Natur.  Die  Sonne  geht 
bekanntlich  aus  einem  Pfützenbade  ganz  so  hendich  und  spiegel- 
klar hervor,  als  ob  sie  ein  frisches  Bad  von  Morgentliau  genommen. 


42  Die  griechische  Komödie. 

Selbst  den  orchestischen  Theil  durchzieht  der  komische  Wi- 
dersprach und  bestimmt  den  Charakter  der  Komödientänze,  den 
Kordax  vor  Allem,  in  Mimik  und  Rhythmen.  Das  trunkene 
Taumeln  mit  dem  vergeblichen  Streben,  den  Schwerpunkt  festzu- 
halten, malt  den  komischen  Contrast  von  unstetem,  mit  Steifstel- 
ligkeit  der  Beine  abwechselndem  Hüftespiel ;  wie  dieser  lascive 
Wackeltanz,  der  classische  Cancan,  sich  wieder  im  trochäischen 
Tetrameter  spiegelt,  dessen  Rhythmen  Aristoteles  mit  dem  des 
Kordax  vergleicht:  6  ds  T^oxcung  y.nQÖaxcüTeQog.  ^)  Nicht  blos 
vom  Chor  in  der  Orchestra,  auch  auf  der  Bühne  wurde  der  Kor- 
dax von  einzelneu  Schauspielern  getanzt.  Philokieon  führt  ihn 
in  den  W^espen  aus,  und  Dikäopolis  in  den  Ac^harnern  tanzt  ihn 
beim  Vortrag  des  phallischen  Liedes  (251 — 267).  In  seiner  gros- 
sen idealkomischen  Staatsactiou  ist  es  der  Dichter  aber,  wir  wie- 
derholen es,  der  als  Hauptperson  alle  diese  Contraste  durch- 
spielt. 

Man  hielt  die  Parabase,  worin  sich  der  Chor,  im  Namen 
des  Dichters,  an  das  Publicum  wendet,  für  eine  auffällige  Er- 
scheinung in  einem  dramatischen  Kunstwerk.  Die  alten  Scho- 
liasten^)  betrachten  die  Parabase  in  der  politischen  Komödie  für 
einen  Lückenbüsser ,  ein  blosses  Ausfüllsel  der  Zwischenacte. 
Zu  dieser  Ansicht  bekennt  sich  auch  Platonios.  3)  Neuere  Kriti- 
ker, W.  H.  Kolster*)  z.  B.,  wollen  sie  als  einen  Ruliepunltt  für  den 
Zuschauer  betrachtet  wissen;  eine  Pause,  um  sich  vom  Lachen 
zu  erholen:  'ut  auimum  a  ridendo  remitteret.'  Die  Parabase  ist 
aber  so  wenig  eine  blosse  Erholungspause;  die  Komödie  fällt  in 
der  Parabase  so  wenig  aus  der  Rolle;  der  Dichter  steckt  in  ihr 
den  Kopf  so  wenig  unversehens  aus  der  Coulisse  hervor:  dass 
die  Komödie  vielmehr,  nicht  blos,  wie  schon  Thiersch  und  nach 
ihm  Köster  •')  dargethan,  sich  aus  der  Parabase,  als  ihrem  Grund- 
keim, entwickelt,  —  dass  die  alte  Komödie  vielmehr,  in  Beziehung 
auf  den  Dichter,  eine  durchgängige  Parabase  ist,  worin  der 
Dichter  gar  nicht  aufhört,  durch  alle  Momente,  Wandlungen,  al- 
legorische und  wirklich  gemeinte  Figuren  hindurch,  mit  den  Zu- 


])  Rhet.  III,  8.  —  2)  Plut.  v.  627.  —  3)  mal  dictt/onag  etc.  p.  3. 
—  4)  de  Gr.  Com.  Parab.  p.  20.  —  5)  Comment.  de  gr.  Com.  parabasi. 
Strasb.  1S35  ]..  10. 


Die  Parabase.  43 

schauern  in  eigener  Person  zu  verkehren.  Die  Aristophanische 
Komöclienfigur  lebt,  spricht  und  handelt  denn  auch  keinesweges 
aus  einem  selbeigeuen  Persönlichkeitsbewusstseyn  heraus.  Auch 
hat  es  der  Dichter  gar  kein  Hehl,  dass  diese  Fig-uren  und  ihi'e 
tolle  Wii-thschaft  nur  seine  Maske  sind,  durch  die  seine  prak- 
tische Staatseinsicht  über  die  wichtigsten  öffentlichen- Angelegen- 
heiten des  Tages  mit  seinen  Zuschauern,  d.  h.  mit  seinem  Volke 
immittelbar,  verhandelt ;  dass  dieser  phantastische  Spuk  des  Dich- 
ters Maske  ist,  die  er  in  der  Parabase  nur  lüftet,  mu  seinem 
Publicmn  die  Illusion  zu  benehmen,  als  sey  das  Alles  blosses 
Gaukelspiel,  tolles  Possenzeug  und  NaiTetheidung;  um  seinem 
Publicum  den  Standpunkt  klar  zu  macheu,  dass  es  sich  hier  um 
keine  Fratzen,  kein  blosses  Lachvergnügen,  um  kein  eitel  ästhe- 
tisches Lust-  und  Kunstspiel,  sondern  um  die  allererastesten  und 
wichtigsten  Dinge  handelt,  und  dass  er,  der  Dichter  liier,  die 
Rolle  des  wahren,  lautern,  ehi'lichen,  für  das  Beste  des  Gemein- 
wesens aufrichtig  und  eifervoll  bedachten  Demagogen,  Berathers, 
Ermahners  und  Staatslehrers  übernommen.  Ist  doch  des  9(  »jäh- 
rigen Kratinos  letzte  Komödie,  die  Weinflasche  (Pytine),  durch 
und  durch  ein  ganz  persönlicher  Privathandel,  den  der  greise 
Dichter  dem  Volke  zu  dessen  unendlichem  Ergötzen  vorspielte. 
Tritt  doch  in  dieser  gekrönten  Komödie  des  Kratinos  die  Komö- 
die als  Ehefrau  des  Dichters  auf,  die  ihre  Rechte  auf  ihi-en 
Ehemann,  den  Dichter,  gegen  seine  Geliebte,  die  Weinflasche 
oder  Met  he  (I\Ie-i)-r],  Tnmkenheit),  durchsetzt,  auf  Grund  des 
ehelichen  Segensspruches:  Ein  Leib  und  Eine  Seele.  Wie  sehr 
der  Komödienchor  nur  den  Stellvertreter  des  Dichters,  als  öffent- 
lichen Anklägers  und  Volksanwalts,  bedeute,  das  zeigen  am  augen- 
scheinlichsten die  „Archiloche"  desselben  Kratinos,  eine  Ko- 
mödie, worin  der  Chor  als  eine  Schaar  von  24  solcher  Sittengeiss- 
1er  auftrat,  wie  jener  Archilochos  aus  Faros  einer  war,  der  furcht- 
bare Jambendichter,  dessen  Satiren  die  Opfer  seiner  Stachelverse 
zur  Verzweiflung  und  zum  Selbstmorde  trieben.  Der  aus  lauter 
Hesioden  bestehende  Chor  in  der  Komödie  gleichen  Namens 
von  Telekleides,  eines  andern  Komikers  und  altern  Zeitgenossen 
des  Aristophanes ,  kann  aberaials  als  Beleg  für  die  Mission  eines 
öffentlichen  Volkslehrers  gelten,  die  der  Komödienchor,  in  Voll- 
macht und  als  alter  Ego  des  Dichters,  zu  erfüllen  hatte.    Das 


44  Die  griechische  Komödie. 

Amt  eiues  Lehrers  ländlicher  Frömmigkeit  mid  Tugend,  das  der 
epische  Dialektiker,  Hesiodos,  so  treuherzig  und  patriarchalisch 
in  seinen  Gedichten  vom  Landbau  versah,  übertrug  der  Komiker 
Telekleides  auf  seinen  Hesioden-Chor,  den  er  als  Strafreduer  und 
Sittenlehrer  dem  literarischen  Unfug  seiner  Zeit  und  den  schlech- 
ten Ti-agikern  entgegenstellte,  welche  der  Scholiast  zu  Aristopha- 
nes ')  namhaft  macht. 

Am  deutlichsten  erhellt  die  Personification  gleichsam  der 
Dichterpersönlichkeit  zu  seiner  Komödie  aus  dem  Ursprung  und 
der  Gliederung  der  Par abäse  selbst.  Ihr  Ursprung  aus  dem 
phallischen  Liede  gilt  für  unzweifelhaft.  Die  Bestandtheile  des- 
sell)en :  der  Lol)gesang  auf  Bakchos  und  die  Spottverse  gegen  be- 
stimmte Persönlichkeiten,  bilden  auch  die  wesentlichen  Elemente 
der  Parabase.  Der  strophische  Theil  derselben,  Strophe  und 
Anti  Strophe,  entspricht  dem  Bakchos -Anrufe  im  phallischen 
Chorlied,  und  enthält  auch  in  der  Parabase  Lobgesänge  zum 
Euhme  des  Dionysos  oder  zur  Verherrlichung  der  Stadt  Athenä. 
Die  Strophe  nennt  Köster^)  die  Wurzel  der  ganzen  Parabase. 
Dem  melischen  oder  strophischen  Gesangstheile  schliessen  sich 
die  den  phallischen  Spottversen  entsprechenden  epir rhemati- 
schen Glieder  an;  zwei  trochäische  Recitative  des  Chorführers, 
bestehend  aus  einem  zwischen  Strophe  (OTQocprj)  und  Antistrophe 
(avTioTQocpog)  eingeschobenen  Epir rhema  (suiQQr]/iia),  und  einem 
auf  die  Antistrophe  folgenden  Schluss- Couplet,  dem  Antepir- 
rhema  (avTSTiiQQtj/na).  Beide,  Epirrhema  und  Antepirrhema, 
enthalten  in  der  Regel  politische  Ermahnungen  und  Rathschläge. 
Das  Versmaass  ist  der  trochaicus  tetrameter  catalepticus.  Diesem 
aus  den  vier  genannten  Güedern,  der  epirrhematischen  Syzygie, 
bestehenden,  vom  phallischen  Stegreif- Chorliede  überkommenen 
Grundtheile  der  Parabase,  geht  der  neuere  hinzugekommene  ana- 
pästische Theil  vorauf,  dessen  Entstehungszeit,  nach  Küster^), 
mit  dem  Beginn  des  peloponnesischen  Kriegs  zusammenfiel,  und 
als  dessen  Erfinder  von  ihm  die  politischen  Dichter  der  alten 
Komödie  bezeichnet  werden,  unter  denen  Eupolis,  Pherelcates 
und  Aristophanes  die  Hauptstelle  einnahmen.  Dieser  erste  ana- 
pästische Theil  der  Parabase  besteht  aus  vier  Gliedern: 


1)  Thesiu.  V.  KiS.  Av.   112(i.  —  2)  a.  a.  0.   14.  —  3)  Ebendas. 


Tlieile  der  Parabase.  45 

t)  Kommatiou  {xoi.if.iäTinv):  Ein  kurzes  Präludium,  daher 
auch  ProkeiTgma  {7iQoyJ^Qvyi.ia)  genannt.  ^)  Es  bestand  aus  we- 
nigen lyrischen,  zuweilen  aber  auch  anapästischen  Versen.  Das 
Kommatiou  in  Aristophanes'  „Vögel"  z.  B.  ist  in  glykonischen 
Maassen.  Im  „Frieden"  besteht  es  aus  fünf  anapästischen  Tetra- 
metern. Es  wurde  während  der  ersten  Schwenkung  gesungen, 
die  der  Chor  in  der  Orchestra,  beim  Frontmachen  vor  der  Bühne, 
gegen  das  Publicum ,  mit  gleichzeitigem  Vortreten  in  tanzender 
Bewegung,  ausführte.  Von  diesem  Herantritt  an's  Publicum  (na- 
(ja^aivuv)  kommt  der  Name  TiaQccßaoig,  Parabase.  Aristo- 
phanes bezeugt  selbst  die  Ableitung:  Ttgog  xb  ^tazQov  na^a- 
ß^vai.^) 

2)  Anapästos  (dvanaiOTog);  Parabasis  im  engern  Sinne 3), 
wm-de  in  der  Komödie  des  Aristophanes  in  Anapästen  vorgetra- 
gen (tetrameter  catal.).  Nur  in  den  Wolken  hat  diese  Parabasis 
(Anapästos;  das  Eupolideische  Versmaass,  vom  Komiker  Eupolis 
so  benannt,  weil  er  es  am  häufigsten  gebrauchte,  wie  Aristo- 
phanes die  anapästische  Parabase,  daher  dieses  Metrum  das  Ari- 
stophanische heisst. 

3)  Pnigos  (uviyog)  oder  Makro n  (das  lange,  (.laKQov), 
welches  seinen  Namen  von  dem  langen  Athem  erhielt,  der  zu 
dem  heftigen  Vortrage  gehörte.  Woher  es  wohl  auch  Pnigos  (das 
Sticken  vom  ausgehenden  Athem)  heissen  mochte :  öiä  t6  anvEv- 
oxi  keysGÜ-at*)  (i.iay.QnxsQov,  S7tif.irj/.äoT£Qnv).  Es  besteht  aus 
einem  eng  verbundenen  anapästischen  System  (kataleptiscli).  Diese 
eigentliche  Parabase  im  engern  Sinn  wurde  ohne  Tanzbewegung, 
die  ganze  Parabase  aber,  nach  dem  Scholiasten  ^) ,  miter  Flöten- 
begleitung vorgetragen.    Bei  der 

4J  Strophe  nahm  der  Chor  eine  Wendung  nach  links,  und 
kehrte  dann,  nachdem  er  die  Strophe  gesungen  und  getanzt,  in 
seine  vorige  Stellung  zurück,  wo  der  Chorführer,  mit  seinen  Chor- 
leuten wiedemm  vor  dem  Publicum  Front  machend,  das 

5)  Epirrhema  allein  sprach.  Hierauf  sang  der  Chor  mit 
einer  rechtshin  ausgeiührten  Schwenkung  die 

1)  Schol.  Vesp.  1009.  —  2)  Eq.  5U6.  Acharn.  G04.  Pax.  7:15.  IG.  Schol. 
—  3)  Kolster,  1.  c.  p.  24.  —  4)  Hephaest.  p.  132.  Koest.  p.  10.  —  5)  Ari- 
stüi)h.  Av.  üS2. 


46  Die  griechische  Komiklie. 

6)  Antistrophe,  nach  deren  Beendigung  der  Cliorfüli- 
rer  das 

7)  Antepirrhema,  auf  dem  ersten  Standort,  wie  das  Epir- 
rhema,  vortrug. 

Vollständige  Parabasen  mit  allen  7  Gliedern  giebt  es  nur 
in  wenigen  Stücken.  Die  meisten  Parabasen  sind  unvollstän- 
dige {aTeXelg,  ov  TslsLai).  Besonders  ist  dies  bei  der  zwei- 
ten Parabase  der  Fall,  welche  bisweilen  in  der  zweiten  Hälfte 
der  Komödie  noch  angebracht  wird.  So  fehlen  der  Schlusspara- 
base  der  Ritter  die  drei  ersten  Glieder;  denn  diese  zweite  Para- 
base enthält  nui-  die  melische  Partie  und  das  Epi-  und  Ant- 
epin'hema  (die  av'Cvyia  eniQQrjUaTi-/.}]).  Aber  auch  in  den  er- 
sten Parabasen  kommen  bei  Aristophanes  Variationen  der  Grund- 
form vor.  Im  „Frieden"  werden  die  ersten  drei  Glieder  durch 
einen  ganzen  Zwischenact  von  den  vier  letzten  getrennt.  ^)  Die 
fünf  anapästischen  Tetrameter  713  —  717  bilden  das  Kommation; 
die  folgenden  30  (718 — 748)  die  eigentliche  Parabase  und  das 
anapästische  System  (749  —  759)  das  Pnigos  oder  Makron.  Die 
zweite  Hälfte  der  Parabase  steht  erst  1093—1156  (Strophe,  Epir- 
rhema,  Antistrophos  und  Antepirrhema).  In  den  „Wolken"  fehlt 
der  Parabase  das  Pnigos.  Die  Vögel  haben  eine  vollständige  Pa- 
rabase ;  späterhin  noch  eine  zweite,  die  aber  der  ersten  drei  Glie- 
der ermangelt.  In  den  „Thesmophoriazusen"  hat  die  Parabase 
nur  den  Anapästes  mit  dem  Pnigos  und  das  Epirrhema.  Der 
melische  Tlieil,  aber  ohne  antistrophische  Form,  folgt  erst  nach 
einem  Dialoge  zwischen  Euripides  und  Mnesilochos.  Die  Para- 
base in  den  Fröschen  enthält  dagegen  nur  den  antistrophischen 
Theil  mit  EpiiThema  und  Antepirrhema,  jedes  aber,  nicht  wie  in 
der  Regel,  zu  sechzehn,  sondern  zu  zwanzig  trochäisclien  Tetra- 
metern. Wie  in  die  Parabase,  so  theilt  sich  der  Dichter  mit  Gott 
Dionysos  auch  in  die  Komödie,  welche  doch  nur  die  entwickelte 
Parabase  ist,  und  vertheilt  die  Glieder  derselben  als  Wahrzeichen 
seiner  Allgegenwart. 

In  den  Fröschen  tritt  die  l'arabase  schon  zurück,  um  in  den 
Ekklesia/Aisen,  in  der  Lysistrate  und  im  Plutos  gänzlich  zu  ver- 
schwinden.    Das  Schicksal  der  Parabase  ist  mit  dem  der  Denio- 

1)  Pax  7(J0-784. 


Der  komisclie  Chor.  47 

kratie  verflochten.  „Die  Komödie,  die  eine  Parabase  liat,"  sagt 
Platoniosi),  „wurde  in  Zeiten  gespielt,  wo  das  Volk  herrschte." 
(xar  SKslvov  Tov  XQovov  sdidäyßrj,  yia^  ov  h  öFiiiog  ixgccrsi). 
Chor  und  Parabase,  wie  heutzutage  die  Pressfreiheit,  waren  Merk- 
zeichen und  Bürgschaften  der  Volksft'eiheit.  Daher  kämpfte  die 
alte  Komödie  für  die  wahre,  dauernde  Volksfreiheit,  der  die  Wecli- 
selfälle  der  heimischen  Kriege  am  verderbhchsten  waren,  mit  der- 
selben Energie,  mit  welcher  sie  die  gefährlichsten  Feinde  jener 
beiden  höchsten  Segensgüter  des  Staatswesens,  die  Feinde  der 
Volksfreiheit  und  des  Friedens,  bekämpfte:  die  Demagogen.  Friede 
unter  den  hellenischen  Stammesgenossen,  Friede  und  Fi'eiheit, 
Bürgertugend  und  Gesetzesherrschaft,  für  diese  heiligsten  Schutz- 
gottheiten des  öffentlichen  Wohls  und  Volksgiückes  betraten  Ko- 
mödien-Chöre und  Parabasen  die  musische  Kampfbahn;  zur  Si- 
cherung dieser  heiligsten  Palladien  des  Volksbestandes  und  Wohl- 
standes, trat  die  alte  Komödie,  mit  Chor  und  Parabase,  wie  mit 
einer  Pallas-Wehr,  wie  mit  Helm,  Panzer,  Lanze  und  furchtbarer 
Aegis  der  Göttin  Athena,  ausgerüstet,  den  Staats-  und  Volksver- 
derbern,  Demagogen,  Sophisten  und  Kunst  und  Sitten  entnerven- 
den Dichtern,  entgegen;  und,  wie  Pallas  aus  dem  Haupte  des 
Donnerers,  so  ward  auch  diese  Komödie  von  des  Dichters  Kunst- 
hammer aus  dem  hai*ten,  gewaltigen  Schädel  des  Demos  geschla- 
gen, des  Theaters-Erschütterers  mit  donnerndem  Gelächter;  und 
wie  Pallas  Athena,  die  Aegis -Schüttlerin,  Gorgoschrecken,  so 
blitzte  diese  Komödie  von  ihrem  Medusenschilde  schüttelndes 
Lachen. 

Der  Chor.  Als  Theilglied  verhält  sich  der  Chor  in  der 
Komödie  zum  Ganzen,  wie  der  Chor  in  der  Tragödie.  Der  Be- 
deutung nach  ragt  aber,  in  unsern  Augen,  der  Komödienchor  über 
diese  formelle  Einordnung  in's  komische  Kunstwerk,  und  ragt 
auch,  vennöge  seiner  gestaltenvollen  Symbolik,  an  poetisch  -  dra- 
matischer Wesenhaftigkeit  ül)er  die  mehr  lyrisch  beschauliche 
Selbstbescheidung  des  tragischen  Chors  hinaus.  Nur  der  Aescliy- 
lische  Chor  ist  dem  Aristophanischen  an  Bedeutung  und  innerem 
Gewichte  zu  vergleichen,  da  bei  Aeschylos,  wie  l)ei  Aristoplumes, 
der   ideale  Schwerpunkt   des  dramatischen  Kunstwerkes  in  den 

1)  a.  a.  0. 


48  Die  griechische  Komödie. 

Chor  fällt.  Ausserdem  nimmt  der  Komödieuclior  die  Eigentliüm- 
liclikeit  in  Anspruch,  dass  er  vorzugsweise  jene  Gestaltenwande- 
luiigeu,  jene  Formenwechsel  darstellt,  welche  eine  der  Götter- 
qualitäten des  Dionysos  bilden.  Diese  ümwaudelungseigenschaft 
kommt  auch  in  dem  Rolleuwechsel  zum  Vorschein,  womit  der 
Chor  manchmal  eine  anfängliche,  zu  der  Tendenz  des  Dichters 
scheinbar  gegnerische  Rolle,  wie  in  den  „Wespen"  z.  B.,  plötzlich 
gegen  seine  eigentliche,  den  Dichter  und  dessen  Tendenzidee  ver- 
tretende Rolle  umtauscht. 

Die  Aufstellung  und  Anordnmig  des  komischen  Chors  er- 
folgte nach  denselben  Gesetzen,  wie  die  des  tragischen.  Beide 
bildeten  beim  marschartigen  Auftreten  in  Rotten  oder  Gliedern 
ein  Viereck  {sv  leTQayövw).'^)  Der  tragische  Chor  schritt,  be- 
richtetermaassen,  fünf  Mann  hoch  und  drei  Mann  tief,  oder  auch 
drei  Mann  hoch  und  fünf  Mann  tief;  der  komische,  aus  24  Chor- 
leuten bestehende  Chor  dagegen  sechs  Maim  hoch  und  vier  Mann 
tief,  oder  vier  Mann  hoch  und  sechs  Mann  tief.'^)  Der  Aristo- 
phanische Chor,  der  gewöhnlich  aus  Einheimischen  besteht,  zog 
in  der  Regel  durch  das  linke  Bogenchor  in  die  Orchestra  ein, 
den  linken  Flügel  den  Zuschauern,  den  rechten  der  Bühne  zuge- 
kehrt. An  der  Thjmiele  angelangt,  theilte  er  sich  gewöhnlich  in 
zwei  Hälften  und  stellte  sich  auf  beiden  Seiten  der  Thymele  auf,  die 
Gesichter  einander  zugewendet.  Der  Koniödienchor  versorgte  aus 
seiner  Mitte,  erforderlichen  Falles,  kleinere  Nebenchöre  mit  Cho- 
reuten, die  zuweilen  hinter  der  Scene  wirkten,  wie  in  den  Frö- 
schen der  Froschchor,  und  in  der  Lysistrate  ein  unsichtbarer 
Frauenchor.  Auch  die  Parachoregemata  {naQaxoQ}jy)]/.iaTa)  stellte 
der  Chor,  wo  Schauspieler  nicht  ausreichten,  aus  seinen  Mitglie- 
dern, die  dann  auf  versteckten  Plätzen  aushalfen  in  Gesang  und 
Dialog.  Der  Unterschied  des  Kostenaufwandes  für  Aufstellung 
eines  komischen  und  eines  tragischen  Chors  mag  aus  einem 
Beispiel  erhellen:  Für  die  siegreiche  Didaskalie  des  komischen 
Dichters  Kephisodotos  (Ol.  74,  3^403)  betrug  der  Aufwand  nur 
160U  Drachmen  (gegen  380  Thlr.);  während  der  tragische  Chor 
(Ol.  92,3=410)  3000  Drachmen  (gegen  714  Thlr.)  gekostet  hatte.  3) 


1)  Vit.  Aristoph.  bei  Meineke  T.  I.  p.  545,  19.  —  2)  Poll.  IV,  lOS. 
109.  Phot.  Lex.  V.  Ci'YÖi  P-  54,  17.  p.  604,  19.  —  3)  Anon.  bei  Lysias  p. 
I(i2,  2.  Boeckh,  Staatäh.  I.  S.  4 IS  f. 


Die  kölnischen  Masken.  49 

Prolog,  Cliorlieder,  Epeisodieu  und  Epodos,  bezeich- 
neten schon  die  alten  Grammatiker  als  Bestandtheile ,  welche  die 
Komödie  mit  der  Tragödie  gemein  liabe.  i)  Dem  Koramos  ent- 
sprechende Gesänge,  wo  nämlich  lyrische  Klaglieder  zwischen 
Schauspieler  und  Chor  wechseln,  finden  sich  häufig  bei  Aristo- 
phanes,  nur  dass  die  Zuschauer  die  Thränen  zum  komischen  Thre- 
nos  lachten.  Stasima  hat  die  Komödie  so  gut  wie  die  Tragö- 
die. Sie  wurden  in  der  Kegel  antistrophisch,  zuweilen  jedoch 
auch  monostrophisch  mid  auf  dem  Standort  an  der  Thjnnele  ge- 
sungen. Der  Inhalt  ist  meist  jambistisch;  Spottergüsse  über  Per- 
sonen, die  mit  der  Handlung  des  Stückes  in  keiner  Beziehung 
stehen.  Solche  komische  Stasima  stellen  gleichsam  die  Gedenk- 
feier ihres  Ursprungs  aus  den  Jambistenchören  vor.  Auch  an 
Einzelgesängen  des  Schauspielers  {tcc  ano  oxrjvijg)  fehlte  es 
der  Komödie  nicht,  und  sie  Messen  vielleicht  ebenfalls,  wie  die 
Klage-Solo's  der  Tragödie,  Monodien. 

Die  komischen  Masken  mögen  wohl,  wie  die  tragischen, 
ihre  Stadien  durchgemacht  haben,  von  der  Gesichtshefe  bis  zur 
grotesken  Charakter-  und  Portrait -Maske'  der  alten  Komödie'^).; 
und  von  dieser  bis  zu  den  schematischen  Caricatur  -  Masken  der 
neuen  att.  Komödie,  deren  Spieler,  um  keinen  Verdacht  irgend 
welcher  Portraitähnlichkeit  bei  den  makedonischen  Gewalthabern  zu 
erregen,  ein  Uebriges  thaten,  und  einen  allgemeinen  Maskentjpus 
von  VerzeiTung  und  Hässlichkeit  zur  Schau  trugen. '^j  Al)bildun- 
gen  von  komischeu  Maskenformen  aus  der  Zeit  des  Aristophanes 
sind  nirgend  vorhanden,  uns  wenigstens  nicht  bekannt.  Als  die 
ältesten  Erfinder  der  komischen  Masken  werden  der.  schon  ge- 
nannte Mäson  und  Tolynos,  zwei  Komiker  der  sikelisch-mega- 
rischen  Komödie  und  Zeitgenossen  des  Aeschylos,  angeführt.  Von 
der  Mannigfaltigkeit  der  Charaktermasken  in  der  alten  Komödie 
können  die  Vögel  des  Aristophanes  eine  Vorstellung  geben,  welche 
mehr  als  50  verschiedene  Masken  erforderten.  Die  meisten  ko- 
mischen Chöre  bestanden  aus  einer  gleichförmio-  costümirton  Masse, 
wie  die  Kitter,  die  Acharner,  die  attischen  Bauern  im  Frieden, 
die  attischen  Frauen  in  den  Thesmophoriazusen  und  in  der  Lysi- 


1)  Anonym,  vit.  Arist.  bei  Mein.  T.  I.  p.  546,  1.  Tzctzes,  (•ram.  Aiiecd. 
Par.  T.  I.  p.  405,  15.  —  2)  PoU.  IV,  143.  —  3)  Platonios  a.  a.  0. 
II.  4 


50  Die  griechische  Komödie. 

Staate,  das  Wolken-  imd  Wespeuchor.  Die  Masken  der  einzelnen 
komischen  Figuren  waren,  je  nach  dem  Charakter,-  die  letztere 
vorstellten,  groteske  Phantasie- Gattuugs-  oder  Portrait-Maskeu. 

Was  die  Costüme  anbetrifft,  so  enthalten  Suidas,  Pollux. 
Hesychios,  Photios  nur  Angaben  über  die  Garderobe  der  neuen 
attischen  Komödie.  Für  Männer  bestand  dieses  Costüm  in  einem 
weissen  Leibrock  mit  Einem  Aermel  und  Einer  Naht  an  der  rech- 
ten Seite.  Die  Alten  trugen  ihn  ohne  alle  Verzierung,  die  Jüng- 
linge mit  einem  Pui-purstreifen  (s§cof.iLg).  Parasiten  trugen  ein 
schwarzes  oder  graues  Kleid  mit  Kamm  und  Salbenbüchse.  ^)  Skla- 
ven hatten  über  der  Exomis  noch  einen  kurzen  Ueberwurf  und 
die  Köche  einen  ungewalkten  Doppelmantel.  Alte  Frauen  hüllten 
sich  in  einen  dunkelgelben  oder  himmelblauen.  Priesterinnen  in 
einen  weissen  Mantel.  Jungfrauen  erschienen  in  einem  weissen  Ge- 
wände, mit  Fransenbesatz  für  Erbtöchter.  Eanzen,  Stab  und  lederner 
Leibrock  zeichneten  den  Landmann  aus.  Hetären  und  Kupple- 
rinnen, der  Hauptbestand  der  neuen  Komödie,  trugen  um  den 
Kopf  eine  kleine  Purpurbinde.-) 

See nen Verwandlungen  kamen  in  der  Komödie  häufiger 
vor  als  in  der  Tragödie.  So  verwandelt  sich  in  den  Acharnern 
der  die  Puyx  vorstellende  Schauplatz,  beim  Eintreten  des  Chors, 
in  eine  ländliche  Gegend  mit  Häusern.  In  den  Rittern  spielt  die 
Handlung  anfangs  vor  Kleon's  Hause;  mn  die  Mitte  des  Stückes 
auf  der  Pu}^;,  von  wo  aus  den  Zuschauern  gegen  Ende  der  Vor- 
stellung durch  das  Enkyklema  die  Ansicht  Athens  im  Hinter- 
gTunde  gezeigt  wird,  Demos  tlu'ouend  daselbst  im  schmucki-eichen 
Gewände  der  Marathonischen  Zeit,  des  goldenen  Zeitalters  für  die 
Tragödie  des  Aeschylos  und  die  Komödie  des  Aristophanes.  Im 
Frieden  verwandelt  sich  der  anfängliche  Schauplatz,  der  Futter- 
hof des  Kolossalen  Mistkäfers,  während  des  Aufflugs  des  Trygäos, 
in  den  Oh  mp.  Am  Schluss  ist  die  Scene  wieder  wie  zu  Anfang 
des  Stückes.  Die  Scenerie  der  Frösche  hat  Genelli,  in  seinem 
„Tlieater  y.u  Atlien",  ausführlich  geschildert  aus  freier  Phantasie. 
In  ^^'a]lr]leit  zeigi  sich  anfangs  ein  gewöhnliches  Haus.  Nach 
der  Unterredung  zwischen  Dionysos  und  Herakles  stellt  die  Or^ 
chestra  den  Vorhof  zur  Unterwelt  vor,   wo  Charon  auf  dem  Styx 

1)  PoU.  IV,  IJ'J.         2}  Das.  2ü. 


Kratiuos.  5J 

rudert,  unter  Gesangesbegleitung  des  verborgenen  Froscbchors. 
Die  nöthige  Decoration  konnten  sich  die  Athener  hinzudenken, 
wenn  ihnen  Genelli's  Einbildungskraft  zu  Hülfe  kam.  Beim  Ein- 
züge des  Chors  spielt  die  Handlung  wieder  auf  der  Bühne,  welche 
das  Eingangsthor  zum  Palaste  des  Pluto  darstellt.  Hier  geht 
die  ganze  Unterweltsverhaudlung  vor  sich  und  entwickelt  sich  in 
der  letzten  Hälfte  des  Stücks  zum  literarischen  Höllengericht, 
wo  die  beiden  Tragiker  nach  ihrem  Werthe  auf  der  Wage  der 
poetischen  Gerechtigkeit  gewogen  werden.  Eine  allgemeine  Scliil- 
derung  der  Ausstattung  der  altattischen  komischen  Skene  giebt 
der  Anonymos  bei  Gramer.^)  Bahnen  wir  uns  nun  einen  Weg 
durch  die  Triiimner  und  Schutthaufen  der  etwa  vierzehn  altern 
Zeitgenossen  des  Aristophaues,  um  bis  zu  diesem  selbst  und  sei- 
nen elf  erhaltenen  Komödien  vorzudringen. 

Kratinos.  Die  Charakteristik,  die  Aristophaues  in  der 
mehrfach  angezogenen  berühmten  Parabase  der  Kitter  vom  Ko- 
mödienstyl  des  damals  hochbejahrten  Kratiuos  giebt,  erschöpft  in 
wenigen  Verszeilen  Alles,  was  die  gelehrte,  citatenreiche  Nach- 
kritik aus  den  Bruchstücken  mühsam  zusammenstoppelt.  Die  elf 
Anapästen- Verse  der  Parabase  sind  elf  Perlenschnüre ;  die  gelehrte 
Forschung  und  Fragmenten-Klitterung  von  Theophilus  Bergk'^), 
unschätzbar  verdienstvoll  in  Bezug  auf  Sammelfleiss  und  Sitzlleisch 
von  Blei,  stellen  gleichwohl  nur  den  aufgeschütteten  Haufen  Auster- 
schalen vor,  wo  nicht  gar  deren,  an  der  Sonne  in  ihre  chemischen 
Bestandtheile  aufgelösten  Keste.  Ai'istophanes'  Parabasen-Schil- 
derung  des  Kratinos,  in  der  Mitte  zwischen  der  von  Magnes  und 
Krates,  lautet  3)  (526  ff.) 

An  Kratinos  sodann  auch  denkt  er  zurück ,   der  einst  in  dem  Strome  des 

Kuhnies 
Durch  flache  Gefilde  mit  Macht  sich  ergoss,    und  gewaltsam  wühlend  von 

Grmul  auf 
Eichstämme  mit   sich    und  Planeten  zugleich  und  entwurzelte  Gegner  hiu- 

wegtrug ; 
Da  sang  man  am  Mahl  kein  anderes  Lied,  als:  jjFeigholzsohlige  Dore!" 


1)  Anecd.  Par.  T.  I.  p.  9,  2.  Vgl.  Bode  a.  a.  ü.  296.  Not.  2.  —  2) 
Commentt.  de  Eeüq.  Attic.  comm.  antiq.  Lips.  Ib3t>.  —  3)  Nach  Dou- 
ner's  Uebers. 

4* 


52  Pie  griechische  Komödie. 

Und:    ,,0  Meister    im  Bau  kunstreichen  Gesangs!"    So    sehr  war  jener  im 

Flore. 
Doch  seht  ihr  ihn  jetzt  hinschleichen  als  Greis,  als  Faselnden,  jammert  es 

Keinen, 
Da  der  alternden  Lyra  der  Steg  los  ward   und  der   Klang    in  den  Saiten 

verstummt  ist, 
Und  die  Fugen  gelöst  aufklaffen    an   ihr:   nun   seht,   wie    der    Alte  dahin 

wankt, 
Gleich  Konnas  dort,  hinschmachtend  vor  Durst,  mit  welkendem  Kranz  auf 

dem  Haupte, 
Er,  der's  durch  frühere  Siege  verdient,  im  Saal  der  Prytanen  zu  zechen, 
Nicht  Fas'ler  zu  seyn,  nein,  seUg  in  Lust  an  Bakchos  Seite  zu  sitzen. 

Die  Gesammtzahl  der  Komödien  alten  Styls,  von  Kratiuos 
an  gerechnet,  betrug  365. ')  Wir  können  aus  den  Sclierbenhügeln 
bei  Bergk  uud  Meineke  nur  eine  Handvoll  Ziffern  und  Namen 
herausgreifen. 

Kratinos,  Sohn  des  Kallimedes,  aus  der  Oeneischen  Phyle 
in  Attika,  wahrscheinlich  Ül.  65,  2=519  geb.;  muthmaasslich  Ol. 
89,  3=422  gest.,  hätte  danach  ein  Alter  von  97  Jahren  erreicht. 
Er  gilt  für  den  eigentlichen  Schöpfer  der  altattischen  Komödie 
und  steht,  dem  Anonymos  zufolge  -),  zu  seiner  Kmist  in  demsel- 
ben Verhältnisse,  wie  Aeschylos  zur  Tragödie  (yiazao/.svaCav  sig 
ihv  ^ioxi'/iov  yaQay.TfjQa).  Er  trat  öfter  mit  Aristophanes  in  die 
komischen  Schranken,  uud  siegte  über  dessen  erste  Wolken  und 
den  Konnos  des  Ameipsias  noch  mit  seinem  schon  genannten 
letzten  Stücke,  mit  der  Weinflasche,  kurz  vor  seinem  Tode. 
Aristophanes  verbindet  die  beiden  Angaben  über  die  Veranlassung 
seines  Todes  in  Ein  komisches  Epitaph  (Pax  686 ff.): 

Trygäos.     Er  starb  zur  Zeit  des  Spartereinfalls. 
Hermes.  Und  woran ?- 

Tryg.     Er  fiel  in  Ohnmacht!  unerträglich  war  es  ihm 

Ein  volles  Wcinfass  mit  Gewalt  zerschellt  zu  sehn. 

Diese  Manenspende  mit  dem  Weinfass  ist  ein  Gussopfer  auf  das 
Grab  des  grossen  Kunstältesten  für  dessen  Sieg  mit  der  „Wein- 
flasclie."  In  den  Fröschen  feiert  er  den  Verstorbeneu  mit  einem 
Beinamen  des  Komödiengottes  selber:  er  nennt  ihn  Taurophagos, 

1)  Meineke  Anonym,  de  (Jom.  T.  L  p.  535,  14.  —  2)  Mein.  H.  er. 
p.  ."J^ü.  5. 


Kratinos  der  Geissler.  53 

Stieiiresser.  Unter  Stieren,  Ochsen  und  sonstigen  Rinderheerden 
hat  auch  in  der  That  dieser  Ajas  der  alten  Komödie  furchtbar 
gehaust  und  aufgeräumt.  Sein  Odysseus,  als  des  Ajas  „grosser 
Widder",  war  der  grosse  Leitbock  der  damaligen  Staatspolitik,  und 
auch  Leitbock  von  Aspasia's  schönen  Schäfchen:  war  Perikles.  Die 
tragische  Geissei  des  Ajas  strich  seinen  grossen  Widder  nicht 
schonungsloser,  als  Kratinos'  komische  Geissei  den  seinigen  gerbte. 
So  arg,  dass  unter  dem  Archon  Morychides  (Ol.  85,  1=440)  ein 
Volksbeschluss,  der  die  Spottlust  der  Komiker  beschränlite,  dem 
Geissler  in  den  Arm  fiel.  Aber  schon  drei  Jahre  darauf  wurde, 
unter  dem  Archon  PJntliymenis,  das  Gesetz  wieder  aufgelioben  i), 
und  des  Kratinos,  von  Dionysos  Geiste  besessene  Ajas-Geissel 
hieb  nun  erst  recht  auf  den  Widder  los,  wie  verrückt.  Der  Ano- 
nymos  de  Com.  vergleicht  auch  die  Komödie  des  Kratinos  mit 
einer  öffentlichen  Geis  sei  {üansQ  drßioöia  f^doTtyi  Ttj  xco- 
fx(i)dice  yioXdII.ojv).^)  Was  Wunder,  dass  diese  Dionysos-Göttergeissel, 
vor  dem  achzigsten  Jahre  ihres  Schwingers,  keinen  einzigen  Sieg 
von  den  Archonten,  unter  dem  Einflüsse  des  grossen  Leitbocks, 
eiTang!  Dafür  erstritt  Kratinos,  der  „Stierversclilinger"'  in  den 
folgenden  siebzehn  Lebensjahren  neun  Siege  auf  21  hinterlassene 
Komödien. 

In  Bezug  auf  die  Oekonomie  seiner  Stücke  rühmt  Platonios  3) 
die  poetische  Kühnheit,  die  grosse  Geschicklichkeit  der  Anord- 
nung; bemerkt  aber,  dass  Verlauf  und  Ausgang  der  Aidage  nicht 
entsprach  und  dass  er  im  B'ortgange  des  Stückes  die  Grundmotive 
der  Handlung  zerstreute  (öiaovudv),  wodurch  diese  ins  Dünne 
verlief  (ofx  dy.olov^oQ  7rktjQn7  rd  ÖQcqiaia).  Kratinos  verband 
das  poetische  Feuer  des  Aeschylos  mit  den  satirisclien  lieisszäh- 
nen.  des  Archilochos  (rabiesArchilochi).  ßergk  hat  aus  den  schon 
genannten  „  Archilochen",  der  ältesten  Komödie  des  Kratinos, 
einige  fossile  Bruchstücke  solclier  Zähne  gesammelt.^) 

In  den  Thrakerinnen  (OgäTTai),  bald  nach  Ol  84,  2=443. 
gegel)en,  spielte  Perikles  eine  Hauptrolle.  Kratinos  parodirte  da- 
rin den  Meerzwiebelkopf  des  Volks -Zeus,  glatt  wie  die  Kuppel 
des  eben  von  Perikles  errichteten  Odeions.    Thrakische  Frauen, 


1)  Aristoph.  Achar.  671.  Bergk  a.  a.  O.   142.  —    2)  Mein.  I.  \>.  :>W,  9. 
-  3)  de   Com.  534.  —  4)  \>.  4,  1,  29. 


54  I^ie  griechische  Komödie. 

als  Priesterinnen  einer  neuen,  unter  Perikles'  Schutz  eingeführten 
Gottheit,  Bendis,  der  thrakischen  Hekate,  bildeten  darin  den  ko- 
mischen Chor.  Die  Komödie  war  ein  Pai-teistück ,  womit  Krati- 
nos  die  durch  Perikles  bewirkte  Verbannung  des  Thukydides,  als 
dessen  Anhänger,  rächte. 

Einen  ähnlichen  Stoff  hatten  die  Idäer,  oder  Abgeseng- 
ten (ELininGC'4ievoi):  Priester  der  phrygischen  Kybele,  welche 
sich  durch  Absengen  aller  Haare  dem  Dienste  der  gi'ossen  Göttin 
weihten.  In  den  Euniden,  nach  einer  attischen  Kitharoden- 
Familie  so  benannt,  vermuthet  mau  einen  gegen  die  Neuerungen 
der  Musik  gerichteten  Spottchor.  Einen  satirischen  Frauenchor 
von  ähnlicher  Tendenz  mochten  die  Kleobuliuen  in  der  Komödie 
dieses  Namens  vorstellen.  Wie  die  Archilochen  scheinen  die  Kleo- 
buliuen ein  Collectivname  für  die  ßäthsel-Dichterin,  Kleobuline 
aus  Liudos,  die  damals  mit  iliren  Räthselgedichten  die  attische 
gebildete  Welt  in  Bewegung  brachte.  Berühmt  sind  die  Chei- 
ronen,  eine  Komödie,  deren  kunstreiche  Ausarbeitung,  wie  Kra- 
tinos  selbst  in  einem  erhalteneu  Verse  sagt,  ihm  zwei  Jahre  ge- 
kostet. ^)  Er  war  so  stolz  auf  die  Cheironen,  wie  Aristophanes 
auf  seine  Wolken.  Auch  hier  brauchte  Kratinos  den  Namen  des 
hochgepriesenen  Lehrers  von  Achilleus,  des  Kentauren  Cheu'on, 
als  Collectivbezeichnung  für  seinen,  die  edelsten  Lehren  von  Tu- 
gend und  Sittlichkeit  vertretenden  Chor  von  Cheironen.  Es  sollte 
eine  volkspädagogische  gegen  Perikles  und  Aspasia's  Staatserzie- 
hung gerichtete  Komödie  seyn.  Die  Cheironen  stehen  dem  Selon 
zur  Seite,  der  zu  den  Personen  der  Drama's  gehörte.  Ilu'e  Lieder 
priesen  die  g-ute  alte  Zeit  im  Gegensatze  zur  Sittenlosigkeit  der 
Gegenwart.-) 

Die  Nemesis,  hier  die  Schwänin-Mutter  der  Helena  und 
der  Dioskuren,  die  sie  mit  Zeus  als  Schwan  erzeugt,  ist  eine 
Mythen-Komödie  im  Geiste  des  Epicharmos,  worin  Tyndareus, 
der  Gatte  der  Nemesis,  während  der  Bebrütung  des  Schwanen- 
eies  sein  Weibchen  als  zärtlicher  Ehemann  füttert.  Die  Odyssen 
(Oöiooeig),  eine  Satire  auf  die  Abenteuer  des  Üdysseus  und  seiner 
Gefährten,  fällt  wahrscheinlich  in  den  Zeitraum,  wo  das  Gesetz 


1)  Aristid.  Or.  49.  Vol.  2.  p.  521  Bind.  —  2)  Athen,  XII,  353  E.  Bek- 
ker,  Anecd.  p.  335,  12. 


Kratiuos'  Koiiiö<lieii-Titel.  55 

gegen  die  Freiheit  der  Komödie  iu  Ki-aft  war  (Ol.  85,  1.  2.  3); 
denn  diese  Komödie  hat  weder  Chor  noch  Parabase  und  enthielt, 
wie  Platonios  bemerkt  0 ,  keine  Ausfälle  gegen  Personen  der  Ge- 
genwart. Zu  dieser  Gattung  von  Komödien  gehörten  auch  die 
Seriphier  {^Egicpioi),  welche  die  Perseus-Sage  behandelten,  und 
der  Busiris,  der  mit  dem  gleichnamigen  Stück  des  Epicharmos 
übereinstimmt.  Die  Mädchen  von  Delos  {Jr]kuiöec)  werden 
mit  der  Reinigung  der  Insel  Delos  durch  die  Athener  (01.88,3.) 
in  Verbindung  gebracht. 

Die  Aus reisse rinnen  (z/QajieTideg)  waren  eine  Verspot- 
tung des  Gaukelpropheten  Lampron.  Die  Gesetze  (Nofiot)  t^bm- 
sonificirte  ein  Greiseuchor,  der  an  Stäben  daher  schritt.  Die  P  a- 
uopten  (/Töj'ojcrot),  Allesseher,  hatten  einen  Chor  von  Leuten 
mit  doppelten  Köpfen  und  unzähligen  Augen,  der  die  Lehre  des 
Philosophen  Hippon,  eines  krassen  Materialisten,  lächerlich  machte, 
welchem  zufolge  das  H  i  m  ra  e  1  s  g  e  w  ö  1  b  e  ein  gTOsses Kohlenbecken 
sey,  worin  die  Menschen  die  Kohlen.-)  luden  Schätzen  (Hkov- 
zoL),  von  wahrscheinlich  älmlicher  Tendenz,  wie  Aristophanes' 
Plutos,  bestand  der  Chor  aus  lauter  Ploutoi,  personificirten 
Goldtöpfen.  Ob  die  Pylaea  {JlvXaia)  die  Amphiktyonen- Ver- 
sammlung zu  Pylä,  oder  einen  Pylischen  Jahrmarkt  zmn  Inhalt 
hatten,  muss  selbst  Bode  auf  sich  beruhen  lassen.  Aus  den  22 
Bruchstücken  der  Hören  C^Iqcu)  verniag  sogar  dieser  gewissen- 
hafte, aUe  Citate  erschöpfende  Literarhistoriker  nicht  zu  ennit- 
teln,  ob  mit  den  Horai  die  Thürhtiterinuen  des  Himmels  und  die 
Dienerinnen  der  Götter,  oder  die  Vorsteher! mien  der  Jahreszeiten, 
Segensspenderinnen  und  Schöpferinnen  alles  Schönen  gemeint 
seyen ;  und  ob  diese  Reigentanzenden  Göttinnen  der  guten  Stunde 
sich  um  eine  Liebschaft  des  Dionysos  oder  um  andere  Liebschaf- 
ten gedrelit  haben.  Die  Rinderhirten  endlicli  stürzten,  als 
Chor,  mit  einem  Dithyrambos  in  die  Orchestra,  und  über  den  Ar- 
chon  her  mit  Bakchischen  Spottergüssen,  weil  derselbe  dem  Dich- 
ter zu  diesem  Stü(;ke  die  Austattung  des  Chors  verweigert,  und 
ihn  genöthiget  hatte,  Freiwillige  {ed-elovcai)  für  den  Chor 
seiner  „Rinderhirten"  zu  werljen.  Mehr  als  diese  Notiz  ^)  hat  sicli 
von  dem  Stücke  nicht  erhalten. 

1)  a.  a.  0.  553,  13.  —  2)  Aristoph.  Nub.  !)3  ib.  Scliol.  —  3)  Hesych, 
V.  nvijntQt'Y/ei.  Mein.  T.  U,  1.  p.  20. 


56  Die  griechische  Komödie. 

Krates.  Ihn  glaubt  Aristoteles  i)  ganz  besonders  auszuzeich- 
nen, wenn  er  von  Dun  rühmt,  er  sey  in  die  Fusstapfen  des  Epi- 
chaiTnos  und  Phonnis  geti;eten,  der  ersten  komischen  Dichter, 
„welche  Fabeln  (i^ttd-ovg)  ersonnen."  „Ursprünglich",  sagt  Ari- 
stoteles „kam  diese  Neuerung  aus  Sikelien.  Zu  Athen  machte 
Krates  den  Anfang,  die  jambische  Manier  zu  verlassen  und, 
statt  persönlicher  Ausfälle  und  Verspottungen  bestimmter  Indi^ä- 
duen,  erdichtete  und  allgemein  gehaltene  Begebenheiten  und 
Redeweisen  zmn  Inhalt  seiner  Komödien  zu  machen"  {dcpef^e- 
vog  rT]g  ia/iißr/.tjg  Ideag  -/.ad-olov  noislv  Xoyovg  rj  fäd^ovg). 
Mit  Aristoteles'  Worten  stimmt  die  kurze  Schilderung  überein, 
die  Aristophanes  in  der  wiederholt  beregten  Parabase  der  „Ritter" 
von  Krates'  Komödienstyl  in  drei  Zeilen  entwiift  (537 ff.): 

Und  Krates  sodann  —    —    —    —    —    —    —    —    —    — 

Der  oft  mit  so  geringem  Aufwand  euch  abfütterte,  wenn  er  am  Frühmahl 
Mit    dem    nüchternsten    Mund    den    Brei    stadt massig    manirlicher 

Witze  vorkäute 
(dno  xonußoiaTOV  GTojuaTog  fAUTTtov  üaTfioTccTctg  inivoiui) 

Aus  Athen  gebüitig,  anfangs  Schauspieler  des  Kratinos,  trat 
Krates  um  Ol.  82,  4=447  mit  eigenen  Komödien  auf.  Suidas 
zählt  sechs  Komödien  von  ihm  her:  Nachbarn  (Taiioveg),  He- 
roen C'HQcosg),  Thiere  (QrjQia),  Lamia  (^afxia),  Gefesselte 
(IIsör^Tai),  S amier  (2df.tioi).  Unter  allen  diesen  sind  die  Thiere 
das.  einzige  Stück,  von  dem  sich  ein  Inlialt  angeben  lässt.  Es 
ist  eine  Aesopische  Komödie  mit  einem  Thier-Chor.  Diesen  ge- 
genüber verhandeln  zwei  Personen  über  das  wahre  Glück.  Der 
Thier-Chor  hält  es  mit  dem  Vertheidiger  der  grössten  Einfachheit 
in  Sitten  und  Lebensweise,  als  deren  conditio  sine  qua  non  ge- 
dachter Thierchor,  in  Gesängen  pro  domo,  die  Enthaltung  von 
aller  und  jeder  animalischen  Kost  betrachtet,  worauf  er  aber  mit 
aller  Entschiedenlieit  bestehen  müsse.  Aristophanes  führt  auch 
Thierchöre  ein,  Wespen,  Vögel,  Frösche  u.  dgl.,  die  sich  al)er  we- 
niger ihrer  Haut  wehren,  als  sie  die  Häute  anderer  Bestien  zu 
Markte  tragen,  wie  die  des  Gerbers  Kleon  z.  B.  Was  die  übri- 
gen zu  blossen  Titel-  und  Bruchstück-Bälgen  abgezogenen  Komödien- 


1)  Poet.  III,  .5. 


Pherekrates.  57 

Häute  des  Krates  betrifft,  so  mag  sich,  wer  Lust  hat,  die  inter- 
essante Sammlung  in  den  Antiken-Cabinetten  und  Kunst-Todten- 
kammern  des  Suidas,  Pollux,  Athenäos,  Bergk  und  Meineke,  selbst 
ansehen. 

Pherekrates  aus  Athen  war  ebenfalls  erst  Schauspieler  und 
hatte  in  Krates'  Stücken  mitgewirkt.  In  dem  Verzeichniss  der 
Alexandrinischeu  Bibliothek  folgte  er  unmittelbar  auf  Krates,  da 
von  ihm  Komödien  aus  dem  Zeitraum  vor  Ol.  87,  4=429  vor- 
handen waren.  Ol.  90,  I  =^  420  brachte  er  die  W  i  1  d  e  n  CAyQLoi) 
auf  die  Bühne,  eine  Satire  auf  die  eim-eissende  Gesetzlosigkeit 
der  Athener,  worin  ein  Chor  von  Natunnenschen  auftrat,  an  denen 
J.  J.  Rousseau  seine  Freude  gehabt  hätte.  Pherekrates  nennt 
seine  Buschmänner  selbst  „grosse  Antronische  Esel",  von  der  Stadt 
Antron  am  Oeta.  Als  Contrast  sind  Gruppen  von  Vorschmeckern, 
in  denen  sich  die  Athenischen  Feinkoster  spiegeln  konnten,  darin 
thätig,  welche  die  besten  Leckerbissen  vorwegkauften. ')  Die 
üeb  erlauf  er  C  AvTaf-ioloi)  waren  gegen  die  Argiver  gemünzt, 
welche  Ol.  90,  3  =  418  das  Bündniss  mit  Athen  brachen  und  zu 
den  Spartanern  übergingen.  Die  G  r  e  i  s i  n  n  e  u  ( /  ^oCxag)  hatten  einen 
Parasiten  zum  Thema,  den  Jemand  als  Vielfi'ass  mit  sich  herum- 
führte. Der  Sklavenschulmeister  peitschte  die  attischen 
Sklaven  auch  noch  mit  der  satirischen  Geissei  durcli.  Die  Ver- 
g es s liehe  oder  Thalatta  C ETiilri(jf.ihw  //  BälazTo)  ist  eine 
Hetäre;  vom  Uebrigen  schweigt  die  Literaturgescliiclite.  Wie  Kra- 
tes, war  auch  Pherekrates  der  „Vorschmecker"  der  mittlem  und 
neuen  attischen  Komödie  und  ein  grösserer  Liebhaber  von  der 
hetärischen,  als  von  der  jambischen  Idee.  In  der  Badestube 
oder  der  Nacht  fei  er  CIjtvoq  ]]  Tlavvvyic)  treiben  sich  Sal- 
benhändler, Köche  und  Fischkrämer  herum,  als  Nachzüglicher 
der  Sikeliotischeii  Komödie.  Die  Hetäre  Korianno  prellt  einen 
zahnlosen  Greis  und  hält  es  mit  dem  vollständigen  Gcbiss  seines 
Sohnes.  Die  Krapatalen  (Koa7raTccXoi),  eine  höllische  Münzsorte, 
spielt,  wie  Aristophanes'  Frösche,  in  der  Unterwelt.  Auch  Aeschy- 
los  kommt  darin  vor.  Die  Komödie  scheint  eine  Satire  auf  die 
Preisrichter.  Pollux  und  Photius  geben  genau  den  Werth  der 
Acherontischen  Münze,  Krapatale,  an,  dass  sie  zwei  Psotliien  oder 


1)  Athen.  IV.    1711).  ScIhiI.  zu  Arist.  Nuh.  tl!)S. 


58  Die  griechische  Komödie. 

sechzehn  Kikaben  galt;  vom  Werthgehalte  des  Stückes  aber  sagen 
sie  kein  Wort.  Und  was  die  Fragmente  anbelangt,  so  ist  der 
Rest  der  Reste  gleichfalls  Schweigen.  Dass  der  Weib  er t and 
{^i^QOL)  oder  Flitterstaat  den  Titel  zum  Inhalt  hatte,  um  uns 
das  zu  erzälüen,  dazu  brauchten  die  zwei  oder  drei  Bruchstücke 
auch  nicht  von  jenseits  zukommen.  In  den  Bergleuten  (ilit- 
xallsig)  steigen  vier  und  dreissig  Verse  aus  dem  Hades,  um  zu 
melden,  dass  sie  eigentlich  nicht  von  Pherekrates  herrühren,  son- 
dern von  Mkomachos.  Hinter  den  A  m  e  i  s  e  n  m  e  n  s  c  h  e  n  (  Mvqji  r^  - 
■/.är^oomoL)  vermuthet  Bode  ^)  ein  Fisehorakel,  das  denn  auch  über 
den  Inhalt  des  Stückes  stumm  bleibt  wie  ein  Fisch,  und  so  dunkel 
wie  ein  Orakel.  Note  5  bei  Bode  fügt  Athenäos  hinzu  - 1 :  Deuka- 
lion  wäre  in  dieser  Komödie  dringend  von  Jemand  gel)eten  worden, 
nur  jetzt  keinen  Fisch  aufzutischen.  Dieser  Jemand,  meint  Bode, 
konnte  nur  PyiTha  gewesen  seyn.  Ihr  vor  Allem  musste  jetzt, 
nach  kaum  überstandner  Süudflutli,  Alles,  was  Fisch  heisst,  zum 
Hals  herauswachsen  und  schwerer  im  Magen  liegen,  als  die  Steine, 
die  sie  hinter  sich  warf  und  die  sich  in  Menschen  verwandelten, 
welche  sie,  wie  sie's  verdienten,  mit  dem  Rücken  ansah.  Nun 
lässt  Phereki-ates  aber  die  Menschen  in  seiner  Komödie  aus  Amei- 
sen und  nicht  aus  Steinen  hervorgehen,  womit  Athenäos'  „Jemand'' 
und  Bode's  Yermuthung  zu  Boden  fällt.  Petala  (JTbxähj)  hiess 
eine  Komödie  nach  der  Hetäre  Petala,  welche  die  Titelrolle  spielte. 
Was  sie  aber  spielte,  sagt  uns  weder  der  Tragiker  Melanthios, 
noch  der  Salbenki'ämer  Megellos,  noch  der  mit  Füssen  getretene 
Sklave,  trotzdem  alle  drei  in  den  Fragmenten  der  Komödie  vor- 
kommen. „Einen  mytliischeu  Stoff  darf  man  in  der  Tyrannis" 
(TvQavvig),  „vermuthlich  Weiberherrschaft,  annehmen",  meint 
wieder  Bode,  der  nicht  müde  wird,  ein  Meer  von  Vermuthungen 
mit  dem  löcherigen  Fragmenten-Siebe  auszuschöpfen.  Ausserdem 
kam  ein  ungeheuer  weitläufiger  Rauchfang  vor,  den  Zeus,  behufs 
Centralisation  des  Opferrauches,  im  Hinnnelsgewölbe  angebracht. 
Licht  über  das  Stück,  ex  fmno  lucem,  erhalten  ^^^r  aber  von  die- 
sem (Jpferrauche  nicht.  Der  Lexikogi'aph  Harpoki-ation,  der  den 
Kaiser  Vems  in  der  griechischen  Grammatik  unterrichtete,  bringt 


1)  ;i.  a.  Ü.  15b.  —  i)  VIU,  ;j;<5A. 


Telekleides.  59 

die  Notiz  vom  Opferrauch'),  das  lucem  aber  zum  ex  fumo  stellt 
er  unter  den  Scheffel.  Aus  Athenäos  '^)  und  Eustathios  ^)  erfahren 
wir  doch  so  viel,  dass  die  Weiber  in  dieser  Komödie  aus  weit 
grossem  Bechern  tranken  als  die  Männer:  der  stärkste  Zug  aller- 
dings von  Weiberherrschaft.  Im  Pseudo-Herakles  {W€vöt]QayiXijg) 
endlich  hat  sicli  der  Herakles  mit  Löwenhaut  und  Keule  aus  dem 
Staub  gemaclit  und  nichts  zurückgelassen,  als  das  Pseudo.  Die 
scharfsinnigste  Fragmenten-Conjecturalkiitik  „wirft  ein  muthloses 
Anker  hie." 

Telekleides  aus  Athen.  Wie  Pherekrates  an  Krates,  so 
schloss  sich  Telekleides  in  Styl  und  Eichtung  an  Kratinos  an. 
Seine  Komödie  war  wesentlich  politisch  und  wie  Kratinos  hielt 
er  zu  der  conseiTativen ,  der  Demagogie  feindlichen  Partei.  Mit 
nicht  geringerer  Kühnheit,  als  dieser,  griff  er  den  zwiebelköpfi- 
gen  Zeus  an,  der  damals  nach  Vertreibung  seines  Gegners,  Thu- 
kydides,  (Ol.  84,  1^^=444)  auf  der  Höhe  seiner  Macht  stand.  Von 
den  sechs  Komödien  des  Telekleides  sind  nur  fünf  Titel  erhalten. 
Die  Amphiktionen  (j/iicpi/.Tinv€Q)  parodirten  die  Hesiodische 
Schilderung  des  goldenen  Zeitalters.  In  welchem  satirisch-komi- 
schen Zusammenhange  mit  den  Zuständen  des  Tages  —  um  derlei 
Aufschlüsse  kümmerten  sich  die  Deipnosophisten  oder  Brocken- 
sammler,  die  Athenäos  und  Alterthümler,  nicht,  die  nach  den 
Abfällen,  Knochen  und  Gräten  unter  dem  Tische  der  Zeiten  be- 
gierig schnappten.  Mit  den  Theaterstücken,  die  sie  noch  voll- 
ständig hatten,  hielten  sie  es,  wie  die  Kernbeisser  mit  den  Obst- 
kernen, deren  Mandeln  sie  ausspucken,  um  die  Bruchstücke  der 
Schalen  zu  geniessen. 

Aus  den  Lug-Truglosen  (AxpEvdiäq)  des  Telekleides  hat 
Julius  Pollux  eine  „Sammlung  von  Küssen"  einbalsamü-t,  und 
Photios  *)  ein  paar  beschmutzte  Tiegel  der  Vergessenlieit  entrissen. 
Von  den  Hesioden  (Heoiodoi)  war  schon  oben  die  Rede.  In 
den  Prytanen  {JTQvxdvsig)^  die  zur  Zeit  des  Themistokles  spiel- 
ten, wurde  die  Ueppigkeit  dieser  obrigkeitliclien  Körperschaft  ge- 
hechelt. ^)  Bergk,  der  das  Fragment  aus  Atlienäos  anfülirt  "j,  nimmt 


1)  V.  ß(ofioX6xoi  p.  47,  .3.  —  2)  XI,  481 B.  ~  3)  Odyss.  IX,  346.  p. 
1632,  30.  -  4)  Lex.  v.  atlam  p.  504.  —  5)  Athen.  XI,  4S5F.  IV,  170D. 
—  6)  a.  a.  0.  373. 


60  Die  griechische  Komödie. 

sich  eines  verkannten  Infinitivs  mit  Eifer  an;  hält  es  aber  doch 
für  gerathener,  bei  so  dürftigen  Ueberbleibsehi  (tarn  exiguis  reli- 
quiis),  den  Infinitiv  seinem  Schicksal  zu  überlassen.  Dank  dem 
Athenäos,  der  reichhaltigsten  und  unschätzbaren  Müllgrube  archäo- 
logischen WegAnu'fs,  woraus  die  blinde  Henne,  Philologie,  schon 
so  manches  Körnlein  schanie,  wissen  wir,  dass  die  Starren 
(^TeoQoi),  ähnlich  wie  in  den  Thesmophoriazusen  des  Aristopha- 
nes,  weibliche  Verkleidungen  von  Männern  enthielten.^)  Mit  die- 
ser Notiz  wird  nicht  einmal  der  Titel  erklärt.  Halten  wir  an 
Bergk's  goldener  Kegel  fest:  in  tarn  exiguis  reliquiis  nihil  mu- 
tandum.    Lassen  wir  die  „Starren"  auf  sich  beruhen: 

,, Suche  nicht  verborgne  Weüie! 
Unterm  Schleier  lass  das  Starre!" 

Hermippos,  aus  Athen,  nannte  in  einer  seiner  vierzig  Ko- 
mödien den  Perikles  einen  Feigling  oder  Satyrkönig  {BaoiXevg 
SaTVQwv),  weil  der  grosse  Demagoge  sich  der  spai-tanischen  In- 
vasion -)  mit  der  attischen  Armee  entgegenzustellen  zögerte  (öl. 
87,  3=430).  Plutarch  führt  die  Verse  an  3),  ohne  Angabe  der 
Komödie.  Im  Husch  hat  aber  schon  die  leichtfüssige  Veraiu- 
thungslaitik  eine  aus  den  vierzig  Komödien,  die  Schicksals- 
göttinn  en  (Molgai)  bei  den  drei  Härchen  gefasst,  die  Athenäos  ^) 
sorgfältig  aufbewahrt.  Kein  Zweifel  für  Bergk^),  dass  Perikles 
selbst  in  den  Moiren  als  SatjTkönig  eine  Rolle  hatte,  von  einem 
Chor  lustiger  Schwelger,  wie  Bakchos  von  seinem  Satyrchor,  um- 
jauchzt, unbekümmert  um  den  Einfall  der  Spartaner,  die  sich  von 
der  lustigen  Gesellschaft  eines  Angriffs  nur  in  dem  Falle  zu  ver- 
sehen hatten,  wenn  an  ihrer  Spitze  ein  Schweinebraten  stände.*^) 
Derselbe  Hermippos  hatte  kurz  vor  dem  Ausbruch  des  peloponne- 
sischen  Kriegs  (Ol.  87,  1  =432),  als  Phidias  eben  im  Gefängnisse 
gestorben. war,  eine  Doppelanklage  gegen  Aspasia,  als  Frevlerin 
wider  den  bestehenden  Cultus  und  als  Kupplerin,  vorgebracht.'') 
Aspasia  hatte  ihre  Rettung  nur  den  Tln-änen  des  Perikles  zu 
danken. 


1)  IX;  399C.  XIV,  056E.  —  2)  Thukyd.  II,  14.  -  3)  Pericl.  35.  p. 
170B.E.  —  4)  XV,  fiOSA.  —  5)  a.  a.  0.  p.  320.  —  6)  Athen.  VTH,  344C. 
-    7)  Plut.  Pericl.  32.  p.   1(14 1). 


Heriuippos.  61 

Von  den  40  Komödien  des  Hermippos  haben  uns  die  Schick- 
salsgöttinueu  nur  acht  Titel  gönnen  wollen,  diese  aber  dafür  auch 
im  besten  Zustande,  trefflich  conservirt:  Athena's  Geburt 
C^4i^7jväg  yoval).  Die  Hammergebui-t  ist  zwar,  Dank  dem  Stobäos, 
Photios,  und  andern  Geburtshelfern  und  Wehmüttern,  einer  Zangen- 
geburt gewichen,  wobei  die  Atheua  stückweise,  in  einzelneu  Vers- 
gliedern aus  Zeus'  Schädel,  wie  Würmer  aus  der  Nase,  gezogen 
wurde;  aber  der  Titel  gottlob  ist  ganz  und  unversehrt  geblieben. 
Desgleichen  der  zweite  Komödientitel:  Europe,  von  welcher  Sui- 
das  ein  einziges  Bröckchen  aufbewahrt,  das  wir  ihm  schenken 
wollen.  Die  Kerkopen  {KEQxwni-g) ,  berüchtigte  Gauner,  die 
Herakles  über  dem  Kücken,  an  seine  Keule  gebunden,  wie  Hasen, 
forttrug,  eigneten  sich  ganz  gut  für  einen  komischen  Chor,  versichert 
Bode.  Wenn  nur  die  Kerkopen  dieselbe  Ansicht  gehabt  hätten. 
Sie  hatten  aber  eine  ganz  andere,  die  frechen  Buschklepper,  und 
eine  weit  lustigere,  auf  Herakles'  nacktem  Rücken,  wo  sie  kopf- 
abwärts  hingen,  und  in  dieser  Lage  über  die  Ansicht,  die  von 
Herakles  nämlich,  sich  so  ergötzten,  dass  sie  selbst  als  Lachchor 
liinter  des  Helden  gewaltigem  Rücken  wirkten. ')  Es  ist  kaum 
anzunehmen,  dass  Hermippos  sein  Kerkopenchor  auf  die  Weise 
angebracht  hätte.  Wahrscheinlicher  ist  daher  ßode's  Vermuthung, 
dass  dieser  Kerkopenchor  eine  Beziehung  zu  dem  Kerkopenmarkt 
in  Athen  hatte,  welcher  wegen  seines  Gesindels  verrufen  war."^) 
Was  die  Mattenträger  ((ij<)of.i<}(f6(jot),  die  Bäckerweiber 
{  ^QTOJuöliöeg),  die  Gaubewolmer  (.JtjinÖTai),  die  Soldaten 
(^TQaTuoTcci)  und  die  Götter  (Oeoi)  für  Komödien  waren,  das 
wissen  die  Götter,  von  denen  wir  niclits  wissen. 

Noch  weniger  bekannt,  als  Hermippos,  ist  sein  Bruder  Myr- 
tilos,  der  froh  seyn  mag,  dass  sein  Name  mit  denen  seiner 
einzigen  zwei  Komödien  auf  die  Nachwelt  gekommen:  Titan o- 
pane  i  liTavo/taveg)  und  Liebesgötter  {" E^jidtsi;).  Von  den 
letztern  hat  sich  kein  einziges  Wort  erhalten.  Aus  diesem  ein- 
zigen Woi't,  das  sich  nicht  erhalten,  glaubt  Bode  mit  Sicherheit 
folgern  zu  können,  dass  in  den  Ki'otes  „ottenbar  Intriguen  und 
Liebeshändel  entwickelt  wurden.^)"   Dagegen  verzweifelt  er,  über 

1)  Plut.  de  Adul.  et  Ain.  is.  p.  (iuC.  Suidas  v.  K^Qy.ojnfg.  —  2)  \a\- 
kiaii.  Alex.  84.  —  3)  A.  a.  0.  170,  7. 


62  Die  griecliische  Komödie. 

den  Titel  „Titanopane"  Aufschluss  von  der  Blatter  auf  der  Zunge 
zu  erlangen,  die  uns  Pollux  ')  als  Reliquie  aus  dieser  Komödie  des 
Myrtilos  aufzubewahren  so  glücklich  war. 

Alkimenes  aus  Athen  wird  als  Verfasser  von  „Schwimme- 
rinnen (ÄoAr^ti/ittiaaO  genannt,  die  jeuer  von  Piaton,  imPhädros, 
als  Päanendichter  bewunderte  Tynnychos  so  lieb  gewonnen  hatte, 
dass  er  sich  selbst  des  Nachts  im  Bette  von  ihnen  nicht  trennen 
konnte.-)  Leider  findet  sich  vom  Bette  des  Tynnychos  keine 
weitere  Spur.  Wir  müssen  daher  alle  Hoffnung  aufgeben,  Nähe- 
res über  den  Inhalt  dieser  Schwimmerinnen  zu  ermitteln,  die  mit 
dem  Bette  des  Tynnychos  zusammen  in'sMeer  der  Vergessenheit 
geschwommen  sind. 

Philonides,  aus  der  attischen  Ortschaft  Kydathenäon,  von 
dessen  Komödien  man  nur  drei  Titel  kennt:  die  K  othurne  (Kö&oq- 
voi),  der  Wagen  CAnr'ivri)  und  der  Freundeliebhaber  ((Dike- 
xaiQOQ),  ist  bekaimter  als  Schauspieler  des  Aristophanes,  der  ihm,  als 
jüngerer  Dichter,  die  Aufiührung  seiner  ersten  Komödien,  neben  Kal- 
listratos,  übertrug.^)  Das  erste  Stück  des  Aristophanes,  worin 
Philonides  auftrat,  waren  die  Zecher  (.JatTa/tticOl.  88,  2  =  427). 
Zwei  und  zwanzig  Jahre  später  brachte  Philonides  auch  Aristophanes' 
Frösche  auf  die  Bühne.  Weiter  lässt  sich  seine  Laufliahn  nicht  ver- 
folgen. Vom  P  h  i  1  e  t  a  i  r  0  s  des  Philonides  ist  kein  Wort  vorhanden 
„Von  dem  Wagen  ist  nichts  zusagen"^),  als  dieses,  dass  nichts 
darüber  zu  sagen  ist.  Und  was  die  Kothurne  anbetrifft,  „so 
gewähren  die  wenigen  Bruchstücke  bei  Athenäos  ^)  und  Pollux  '0 
keine  Einsicht  in  die  Handlung  der  Komödie."  Nur  so  viel  lässt 
sich  muthmaassen,  dass  die  komischen  Kothurne  Leute  vom 
Schlage  des  Theramenes  durch  die  Hechel  zogen,  dessen  mehr- 
facher politischer  Gesinnungswechsel  und  Ueberläufereien  von  einer 
Partei  zur  andern  ihm  den  Spottnamen  Kothurn  zuzog,  weil 
diese  Fussbekleidung  auf  beide  Füsse  passte.'*)  Erst  Volksmann, 
dann  Oligarch,  dann  wieder  Volksmann,  musste  Theramenes 
endlicli  den  Oiftl)echer  trinken.  Der  Kothurn  geht  so  lange  von 
einer  Partei  zur  andern,  bis  ihm  die  Strippen  reissen.    Wie  viele 


])  II,  110.—  2)  Ptolem.  Hephaest.  ed.  Roulez  p.  3Ü.  u.  llü.  -  3)  Vit. 
Arist.  p.  545,  26.  Meüi.  —  4)  Bode  a.  a.  0.  173,  3.  -  5)  VI,  228  E.  247  E. 
XV,  700  F.  -   6)  X,  115.  -     7)  Schol.  Arist.  Kan.  47. 


Alkimeiies.     Pliilonicles.     Lysippos.     Kallias.  63 

Chöre  solcher  komischen  Kothurne  könnte  die  moderne  Komödie, 
mir  seit  Talleyi'and,  zusammenbringen,  den  die  Natur  mit  einem 
eigenen  Klumpfuss  ausgestattet,  um  den  Kothurn  des  Therame- 
nes  nach  Bequemlichkeit  siebzehnmal  zu  wechseln. 

Lysippos  aus  Athen  gewann  einen  einzigen  Sieg  mit  einer 
einzigen  Komödie,  Schmähungen  (Karax^pai)  01.86,  2^435, 
von  welcher  nur  der  Name  übrig  geblieben.  In  den  Bake  he  n 
verspottet  er  den  Opferpropheten,  Lampron,  ein  Stichblatt  der  alten 
Komödie. 

Der  Athener  Kallias  ist  durch  ein  Buchstabendrama 
berühmt,  eine  „grammatische  Tragödie",  worin  die  24  Buch- 
staben des  Jonischen  Alphabets  i)  den  komischeu  Chor  bildeten. 
Der  Chor  buchstabii-te  antistrophisch  alle  Consonanten  mit  den 
sieben  Vocalen  der  Keihe  nach  zu  einfachen  Sylben  zusammen. 
Die  erste  Strophe  lautete: 

ßiiru   uX(fU  ßcc,  ßrjTU    fi  ßf 

ßfJTa  ijia    ßrj,   ßtjTct  iujra  ßi 

ßt]Tct  Oll  ß  o,  ßfJTa  V  ßv,  ßfjTa   (o  ß(ü. 

Die  Antistroplie  hiezu  war  genau  in  demselben  Metram  und  Me- 
los.  Solcher  Strophenpaare  folg-ten  acht  nacheinander  mit  der 
Epode  rpi  akcpa  ipa. 

Das  Merkwürdigste  al)er  ist,  dass  diese  dramatische  Fibel 
für  die  grössten  Ti-agiker,  für  Sophokles  und  Euripides,  ein  Kanon 
wurde,  den  sie  als  Muster  und  Vorbild  für  den  metrischen  Bau 
ihrer  Tragödien  nahmen,  und  woraus  sie  manche  Neuermigeu, 
z.  B.  die  P^lision  am  Ende  des  jambischen  Trimeters,  in  ihre  Tra- 
gödien übertrugen.  In  Sophokles'  König  Oedipus  z.  B.  finden  sich 
fünf  solcher  Elisionen  ^v.  2'.).  332.  785.  1184.  I224).2j  Aehnlich 
hat  Euripides  die  melischen  Partieen  seiner  Medeia  nach  dem 
Muster  des  KaUias  eingerichtet.  3)  Die  Blüthe  des  Kallias  setzt 
Welcker  gleichzeitig  mit  der  des  Aristophanes  Ol.  94,  2  =  4U3.^) 

In  seiner  Komödie,  die  Gefesselten  {IlLÖiitai),  zog  Kal- 
lias den  Opferpropheten  Lampron  als  Leckermaul  durch;  neckte 


1)  Athen.  X,  454B.C.  —  2)  Herrn.  El.  D.  M.  p.  56.  Welcker  Rh.  Mus. 
1  (1833)  p.  149ff.  -  3)  Klearch.  bei  Athen.  VII,  276A.  453C.  Bert;k  a.  a. 
0.  p.  117  ff.  —  4)  Rhein.  Mus.  1833.  p.  149  ff. 


64  Di^  griechische  Komödie. 

er  die  Aspasia  als  Lehreriu  des  Perikles;  hechelte  er  den  Tragi- 
ker Akestor  als  Ausländer;  hielt  er  dem  Euiipides  vor,  dass  er 
dem  Sokrates  das  Beste  in  seinen  Tragödien  verdanke.  Frau 
Tragödia  lässt  er  einem  Bewunderer  ihres  erhabenen  und  feierli- 
chen Gebahi'ens  beim  Euripides,  in  einem  seiner  Stücke,  ei'wiedern : 

„Dies  Wesen  frommt  mir  trefflich,  dank  dem  Sokrates" 

Ausser  den  genannten  Stücken  fühi-t  Suidas  noch  fünf  Titel  von 
Kallias  Komödien  an:  Aigyptios,  Atalanta,  Kyklopes,  Ba- 
trachoi  (Frösche)  und  Scholazontes  (die  Müssigen).  Kallias 
war  der  Sohn  eines  Binsenflechters ;  Kratiuos  nannte  ihn  daher 
„Binsenspross"  {2:xoiviio}').  Die  „öffentliche  Geissei'",  Kratinos, 
dehnte  das  ovoixaoxl  YMficodeiv,  das  Namhaftmachen  des  Ver- 
spotteten, bis  auf  das  Verspotten  der  Namen  aus.  Er  peitschte 
mit  Spitznamen  wie  mit  Spitzruthen;  bezog  überhaupt  seine  Ku- 
then  aus  erster  Hand,  woher  auch  die  unfügirlichen,  und  die 
schärfsten,  beissendsten ,  kommen:  aus  den  röhr-  und  zwiebelar- 
tigen Gewächsen.  Den  Perikles  strich  er  zum  „Zwiebelkopf" 
(Schinokephalos) ,  wie  die  Spartaner  ihre  Knaben  mit  frischem 
Lauch  peitschten;  und  den  Kallias  zum  Binsensprössling  (Schoi- 
nionj,  die  Komödie  schwingend  als  „Scharfrichter-Geissel"  (töontfj 
dij(.iooi<^  fiaoiLyC). 

Den  Athener  Aristomenes  führt  das  Argument  zu  Ai'isto- 
pbanes'  Kittern  (Ol.  89,  1  =  424)  mit  den  Holzträgern  (YXo- 
(fiÖQOi)  unter  den  Bewerbern  um  den  Preis  des  komischeu  Sieges 
auf;  als  .  dritten  neben  Aristophanes,  der  mit  den  Kittern  siegte, 
und  Kratinos,  als  zweiten  Sieger  mit  den  Satyrn.  Auch  Aristo- 
menes hatte  seineu  Spitznamen:  Thüruiacher  (^vQoyioiog),  man 
weiss  nicht,  wolier.  Die  Alexandrinischen  Kritiker  zählten  ihn 
zu  den  aitkomischen  Dichtern  zweiten  Kanges.  Sein  Admetos 
soll  eine  Parodie  von  Euripides'  Alkestis  gewesen  seyn.  Die 
Hülfstruppen  (Bor]Ö-olj  will  man  mit  Ereignissen  des  pelopon- 
nesischen  Krieges  in  Verbindung  bringen,  und  die  Gaukler  (/ory- 
rtg)  hält  man  für  eine  Satire  auf  fromme  Heuchler,  wonach  hier 
das  älteste  Beispiel  einer  Taitüffe-Komödie  vorläge.   Im  Dionysos 

1)  Diog.  La.  11,  lö. 


Hegemon  aus  Thasos.     Eupolis.  65 

C  AoY.rjTyjg)  erschien  der  Theatergott  nicht  als  frauenhafter  Weich- 
ling, sondern  unter  Ringern  und  Faustkämpfern  als  mannhafter 
Held.i) 

Vom  Parodiendichter  Hegemon  aus  Thasos  ist  die  Gigan- 
tomachie  durch  zwei  Ereignisse  berufen:  durch  das  beispiellose 
Gelächter,  das  sie  im  Theater  zu  Athen  hervorrief,  und  durch  die 
Nachricht  von  der  sikelischen  Niederlage  des  Nikias,  die  mitten 
im  Jubel  eintraf.'-)  Hegemon's  Spitznamen  war  „Linse"  (yax^), 
von  seinem  Lieblingsgerichte,  Linsen.  In  einer  Parodie  nennt  er 
sich  selbst  so  und  noch  dazu  cpcc/S]  ßdelvQij  3),  „Schmutzlinse." 
Für  ein  solches  Linsengericht  hätte  sich  selbst  Esau  bedankt.  Die 
einzige  von  Hegemon  bekannte  Komödie  (nicht  Parodi§),  Phi- 
linna,  hatte  eine  Hetäre  zum  komischen  Thema;  die  Alnunutter 
von  Goethe's  Philine,  und,  wiewohl  im  alten  Styl  geschrieben^), 
auch  die  Ahnmutter  der  mittlem  und  neuen  attischen  Komödie, 
die  vorzugsweise  eine  Hetären-Schule  war.  Daraus  sind  zwei 
Trimeter  erhalten,  die  von  Leckerbissen  reden,  und  daher  vom 
Schmaussophisten  Athenäos  in  seinem  Ranzen  aufl)ewahrt  ^)  wur- 
den für  den  haut-goüt  der  Archäologen  post  festum. 

Eupolis  aus  Athen.  Die  alten  Grammatiker  und  Kunst- 
richter stellten  die  drei  grössten  Dichter  der  altattischen  Komödie 
Kratinos,  Aristophanes  und  Eupolis,  mit  den  drei  grössten  Tragi- 
kern, Aeschylos,  Sophokles  und  Euripides  in  Parallede.  Hiernach 
Avürde  Aristophanes,  wie  Sophokles,  die  Mitte  halten  zwischen 
dem  erfindungsmächtigen  Zorngeiste,  dem  gewaltigen  und  kühnen 
Style  des  Kratinos  und  der  einschmeichelnden  Anmuth  (irtixccQtg) 
des  Eupolis. "^j  Der  Grammatiker  Platonios  charakterisirt  die  drei 
Komiker'),  ähnlich  wie  Dio  Chrysostomos  die  drei  Tragiker.'^) 
Schon  als  Jüngling  von  17  Jahren  erhielt  Eupolis  vom  Archen 
Apollodoros  (Ol.  87,  4  =  429;  einen  komischen  Clior.'-*)  Nach  Ol. 
93,  4  =  405  verschwindet  er  aus  den  Didaskalien.  Platonios  lässt 
ihn  von  Alkibiades  aus  Rache  wegen  der  in  Eupolis'  „Tauchern" 
{Bdmai)  erfahrenen  Verspottung  auf  seiner  Fahrt  nach  Sikelien 
(Ol.  91,   2 -=415;  im  Meer  eiträidvcn. '")     Es  war  aber  nur  eine 


1)  Poll.  lU,  150.  -  2)  Cliainael.  bei  Athen.  IX,  4Ü6E.  —  3)  Das.  — 
4)  Athen.  XV,  699  A.  —  5)  III,  108 E.  —  6)  Anonym,  de  comoed.  p.  536. 
17.  —  7)  Das.  —  8)  Or.  LXII.  —  9)  Suid.  v.  u.  Eudok.  p.  167.  -  10) 
a.  a.  0.  p.  532. 

n. 


C6  Die  griechische  Komödie. 

uugefälirliclie  Seetaiife,  die  der  übermütliig  genialste  Junker  aller 
Zeiten  und  Adelsgeschleehter  dem  Komiker  zugedacht.  Alkibia- 
des  widmete  dem  Vorfall  ein  Epigramm,  worin  er  sich  rühmt, 
dem  Eupolis  mit  herbem  Salzfluthen  {vüuaoi  /uxQoreQoig)  den 
Kopf  gewaschen  zu  haben,  als  ihn  der  Komiker  in  den  Bapten 
eingelaugt  hatte.  ^)  Eupolis  kam  aber  nur  noch  gesättigter  an 
Aphroditischem  Salz  aus  dem  Seewasser,  während  der  Expedition 
des  Alkibiades  das  Seebad  versalzen  ward.  Suidas  und  Eudokea  -) 
lassen  ihn  im  Hellesponte  umkommen,  als  ob  dm'chaus  nur  ein 
Salzgrab  das  würdige  Mausoleum  wäre  für  den  grossen  Spötter 
und  Taucher  in  Salzfluthen,  geschwängert  mit  attischem  Salze. 
Der  als  Kvrog  ^gr^vog  (des  Hundes  Trauerklage)  bezeichnete  Platz 
auf  Aegina,  wo  des  Eupolis'  Hund,  Augeas,  im  Jammer  über  den 
Tod  seines  Herrn  verhungert  seyn  soll,  würde  für  Aelian's  An- 
gabe 3)  sprechen,  dass  Eupolis  auf  Aegina  begraben  liegt. 

Eupolis  und  Aristophanes  scheinen  anfangs  in  Gemeinschaft 
Komödien  verfasst  zu  haben  und  dann  aus  einander  gerathen  zu 
seyn,  da  denn  Einer  dem  Andern  Entwendungen  vorrückte.  In 
den  Wolken  beschuldigt  Aristophanes  den  Eupolis,  dass  ilnn  die- 
ser im  Marikas  seine  Ritter  ausgeschrieben  (545 f.): 

So  zuerst  schleppt'  Eupolis  uns  seinen  Maiilias  herbei: 

Meine  Ritter  waren  es  nur  —  schmählich !  ein  gewendetes  Kleid. 

Dagegen  behauptete  Eupolis,  er,  Eupolis,  habe  dem  Kahlkopf,  Ari- 
stophanes, die  Ritter  ausarbeiten  helfen,  und  ihm  sein  Theil  darin 
geschenkt^): 

xäxfi'vovs  Tovg  'innf'ag 

awiTToirjau  Tio  (faluxQOJ  tuvtm  xdi^wotjaüjurj}'. 

Ein  Scholion^)  bezeichnet  den  ganzen  Schlusstheil  der  zweiten 
Parabase  der  Ritter  als  einen  Beitrag  aus  der  Feder  des  Eupolis 
von  Vers  1288: 

Wer  mir  einen  solchen  Menschen  nicht  verabscheut  .  .  . 

bis  zum  Schlussvers  1315: 

Mit  dem  Kahn,  auf  den  er  seine  Lanzen  einst  als  Krämer  lud. 


1)  Arist.  T.  3.  p.  444.  Dind.  —  2)  p.  167.  -  3)  Hist.  An.  X,  41.  Tzetz. 
Chü.  IV,  245  if.  —  4)  Schob  Arist.  Nub.  554.  —  5)  Eq.  1288. 


Eu])olis.  67 

Wir  möchten,  zm*  Ehrenrettung  von  Aristophanes'  Geschmack  und 
attischem  Geiste,  noch  ein  ganzes  Stück  in  dieser  Parabase  dem 
Eupolis  zugeben:  die  Verse  nämlich  von  v.  1274  an.  Sie  ent- 
halten das  ekelhaft  ünfläthigste,  womit  die  alte  Komödie,  die  der 
Buschmänner,  Botokuden  und  lehmfressenden  Indianer  nicht  aus- 
genommen, sich  besudelt.  Nach  einer  Parallelstelle  würde  man 
bei  Aristophanes  vergebens  suclien.  Dahingegen  werfen  die  Scho- 
liasten  dem  Eupolis  den  ungescheutesten  Gebrauch  gemeiner  und 
schmutziger  Bilder  vor.  ^)  Unzweifelhaft  war  Ai'istophanes,  wie 
der  grösste  Poet  unter  den  Komikern  der  alten  Komödie,  so  auch 
der  Gebildetste  und  vom  feinsten  Kunstgeschmack.  Der  Koth  an 
Aristophanes'  komischer  Schuhsohle  bleibt  immer  doch  attische 
von  attischem  Salz  durchdrungene  Erde,  und  seine  kolossalste 
Zote  ist  immer  noch  vergleichbar  jenem  aus  Nilschlamm  geform- 
ten ägyi^tischen  Sonnengotte,  Horus,  von  dessen  Haupt  das  goldene 
Sonnenbild  strahlte.  Besagte  Verse  können  nur  von  Eupolis  her- 
rühren. Er  mag  sie  behalten;  sie  sind  sein  eigen;  wenn  Eupo- 
lis um  derentwillen  die  Seetaufe  erhalten  liätte,  würden  kaum 
alle  Wasser  des  „grünen  Oceans"  hingereicht  haben,  um  den  „An- 
muthigen  («V/^a^tt,')  von  dem  Schmutze  rein  zu  waschen. 

Die  Heloten  (EiXioreg)  mit  einem  Helotenchor,  ein  ange- 
zweifeltes Stück,  verspotteten  die  Staatseinrichtuug  der  Spartaner 
und  ihr  Verhältniss  zu  ihren  Leibeigenen,  den  Heloten.  Diese, 
beim  Ausbruche  des  pelopounesischen  Krieges  aufgeführte  Ko- 
mödie wäre  sein  friihestes  Stück.  In  dieselbe  Zeit  fallen  auch  die 
Freunde  (UtUot),  worin  Eupolis  von  der  Aspasia  als  einer  neuen 
Omphale  sprach,  die,  in  Perikles'  Löwenhaut,  dessen  Keule  schwinge, 
wälirend  er  in  iln'er  Haube  am  Rocken  iln-en  Flachs  zu  Garnen 
verspinne.^)  Von  den  Gerechtigkeitsschändern  (YßQiaxo- 
öixai)  ist  imr  der  Titel  bekannt.  Aus  den  Fragmenten  der  Re- 
gimentsbefehlshaber  {'ia^uc{)yoi)  will  man  die  Tendenz  er- 
kannt haben,  um  der  schlechten  Ausübung  der  Mannszucht  wil- 
len, unter  Leitung  des  Seehelden  Phormion,  die  Taxiarclien  als 
Chor  lächerlicli  zu  machen.  Pliomiion  hatte,  im  Anfang  des  pe- 
lopounesischen Krieges,  einen  glänzenden  Seesieg  über  die  Spar- 


1)  Pax.  1176.  Mein.  Fragiu.  T.  11,  1.  p.  510.  —  2)  Scliol.  Tlat.  p.  3iy 
ed.  Bek.  Pkt.,  Vit.  Pericl.  24.  p.  Kw  D. 

5* 


68  Die  griechische  Konii'xiie. 

taner  am  korinthisclieu  Golfe  erlangt.  ^)  Bode  theilt  ihm  die 
Hauptrolle  in  der  Komödie  zu,  auf  Grund  von  Citaten,  die  aber 
diess  nicht  so  „unstreitig"  angeben.  -)  Pollux  nennt  den  Phormion 
nur  als  Person  des  Stückes.  ^)  Einen  Gegensatz  zu  dem  im  streng- 
sten Kriegsdienste  abgehärteten  Feldhemi  soll  ein  Weichling 
Dionysios,  oder  gar  Dionysos  der  Theatergott,  bilden,  und  mehr 
dergleichen  aus  den  Bruchstücken  herausgewitterte  und  zu  gan- 
zen Komödien -Fabeln  verbundene  Inhaltsbestandtheile.  Wie 
etwa  Paläontologen  sich  aus  den  vorweltlichen  Koprolithen  ein 
Bild  von  der  Gestalt  der  Kiesengeschöpfe  entwarfen,  denen  jene 
Ueberreste  angehören  mochten. 

Mit  den  Neumonden  (Novfx)]viai)  fiel  Eupolis  (Ol.  88,  4 
=425)  gegen  Aristophanes'  Acharner  dm'ch,  welche  den  ersten 
und  gegen  Kratinos'  Stm'mbedrängte ,  die  den  zweiten  Preis  er- 
hielten. Vom  Inhalt  verlautet  nichts.  Bei  den  Neumonden  des 
Eupolis  zeigt  auch  der  literar-historische  Kalender  einen  randen 
schwarzen  Inhalts-Fleck.  Dagegen  nimmt  der  Mond  der  Conjectu- 
ralkiitik  im  nächstfolgenden  Stück  von  Eupolis:  Das  goldene 
Zeitalter  (jqvöovi  yhoo)  wieder  zu.  Diess  soU  die  Ei-wartung 
eines  solchen  Zeitalters  von  Seiten  der  siegestrunkenen  Athener,  nach 
Kleon's  Einnahme  von  Sphakteria,  dem  Spotte  preisgegeben  haben. 
Kleon,  die  mit  Nikias'  Pfauenfedern  geschmückte  Krähe,  hatte 
eine  Rolle  in  der  Komödie.  Der  Chor,  der  aus  attischen  Bürgern 
und  „Schuften  -wie  Kleon"  bestehen  konnte,  „musste  in  Kleon's 
Interesse  reden  und  singen  und  die  Idee  der  Kleon'schen  Gold- 
zeit hervorheben."  Bergk  lässt  den  Chor  aus  Kyklopeu  beste- 
hen^), Bode  aber  besteht  auf  einem  Chor  von  Schuften,  der  da 
musste  —  kein  Mensch  muss  müssen,  imd  ein  Chor  Schufte,  von 
denen  kein  Mensch  etwas  weiss,  sollte  müssen? 

Die  Ziegen  {^iyeg),  mit  einem  Ziegenchor,  lassen  einem 
Ziegenhii-ten  von  einem  in  Bockstrillern  wohlerfahrenen  Musiker 
Musikstunde  geben,  hinter  welchem  Bergk '^j  den  Prodikos,  Bode*^) 
den  Pronomos,  Alkibiades'  Musiklehrer,  zu  wittern  nicht  umhin 
können,  da  Boden  von  einem  Prodamos  nichts  bekannt  ist,  welchen 
Quinctilian '';  als  denjenigen  nennt ,  der  bei  Eupolis  musicam  et 


1)  Thukyd.  II,    83.  -  2)  a.    a.   0.   192.  —  3)  IX,  102.  —  4)  p.  335. 
5)  p.  335.  —  6)  196,   12.  —  7)  Inst.  Or.  1,  lu,  17. 


Eupolis.  69 

litteras  docet.  Die  D  i  e  n  s  t  u  n  f ä  h  i  g  e  ii  oder  W  e  i  b  1  i  n  g  e  (Aotqü- 
TsvToi  rj  ^ AvÖQÖyvvai)  waren  mit  ihrem  aus  solchen  Subjecten 
bestehenden  Chor  selbstredend  gegen  diese  Klasse  von  Athenisclien 
Weichlingen  und  Dienstflttchtigen  gerichtet.  Diese  Umschreibung 
des  Titels  ist  so  ziemlich  Alles,  was  die  Gelehrten  von  der  Ko- 
mödie zu  sagen  wissen.  Die  Prospaltier  {TlQOo/tdlTioi)  — 
der  Name  einer  attischen  wegen  ihrer  Processsucht  verrufenen 
Gemeine  —  hatten  „also"  dieses  Laster  zum  Thema,  wie  die 
Wespen  des  Aristophanes. 

Eine  der  erfindungsreichsten  Komödien  des  Eupolis  waren 
die  Bundesstädte  (Uolsig),  worin  die  Bundesstädte  der  Athe- 
ner als  vierundzwanzig  Frauen  den  Chor  bildeten.  Die  Auffüh- 
rungszeit vermuthet  man  um  Ol.  89,  3  =  422.  Der  Inhalt  ging 
auf  die  Bedriickungen  und  grausamen  Erpressungen,  die  sich  die 
Athener  gegen  ilu'e  Bündner  zu  Schulden  kommen  Hessen.  Das 
Thema  gereicht  dem  Muthe  und  Edelsinn  des  Dichters  zum  ho- 
hen Ruhme.  Den  Chor  der  Bimdesstädte  lässt  Meineke  ^)  einzeln 
{GrcoQCidvr)  in  die  Orchestra  einziehen;  G.  H.  Raspe  in  seiner 
Monographie  -)  in  chormässiger  Schaar  {xaxa  oznlxovg  xca  tvya). 
Jede  Chorfigur  trug  ein  charakteristisches  Costüm :  Chios  erschien 
mit  den  Insignien  der  Schiftfahrt. '^)  Die  Insel  Tenos  führte  Schlan- 
gen in  der  Hand.  ^)  Amorgos  zeigte  sich  im  durchsichtigen  Flor- 
gewande  von  Amorgischem  Flachse,  dergleichen  die  üppigen  Athe- 
nischen Frauen,  wie  die  Kölschen  Gewände,  bei  schwüler  Wit- 
terung trugen.     Mehr  lassen  die  Fragmente  nicht  errathen. 

Die  Schmarotzer  (Äo^axeg),  wie  die  meisten  dieser  Ko- 
mödien nach  dem  Chor  benannt,  schilderten  das  wüste  Leben  des 
reichen  Verschwenders  Kallias,  in  dessen  Circe- Palast  die  be- 
rühmtesten Sophisten,  Gorgias,  Prodikos,  Protagoras,  in  einem 
eigens  für  sie  hergerichteten  Saale  ^)  sich  gütlich  thaten ,  so  na- 
turwüchsig, als  ob  sie  wirklich  von  Circe's  Zauberstabe  wären  be- 
rührt worden.  Mit  dieser  Komödie  siegte  Eupolis  (an  den  gros- 
sen Dionysien  Ol.  89,  4  =  421)  über  Aristophanes'  Frieden  und 
Leukon's  Pln-atoren.")  In  einem  erhaltenen  längern  Bruchstücke') 


1)  T.  II,  I.  p.  308.  —  2)  De  Eupolidis  Jr'uuoig  ac  fhJXtatv.  Lips.  1832. 
p.  18.  —  3)  Schol.  Av.  V.  881.  —  4)  Scliol.  Arist.  Phit.  718.  —  5)  The- 
mist. Or.  19.  p.  347  C.  —  6)  Arg.  Arist.  Pac.  bei  Diudorf  T.  IV,  p.  3.  p. 
4,  3U.  —  7)  Athen.  VI,  256  E. 


70  Die  griechische  Komödie. 

schildert  der  Parasitenchor  seine  eigenen  Künste,  die  ihm  zu  gu- 
ten Bissen  an  den  Tafeln  der  dummen  Kalliase  verhelfen.  Weder 
Feuer  noch  Schwert  hält  ihn  von  einer  reich  besetzten  Tafel  ab.  ^j 
Der  Magen  ist  sein  Abgott  und  die  liebliche  Würze  der  herzer- 
freuenden Bissen  die  reizenden  Tänzerinnen,  die  das  Mahl  erhei- 
tern.'^) Diese  alte  Komödie  bleibt  ewig  neu,  spielt  heute  noch 
und  wird  fortspieleu  bis  zum  jüngsten  Gericht.  Protagoras  gab 
hier,  in  Kallias'  Speisesaal,  die  praktische  Erklärung  zu  dem 
Hauptsatz  seiner  Philosophie:  „Von  allen  Dingen  ist  das  Maass 
der  Mensch.''  In  der  Theorie  nämlich;  in  der  Praxis  isst  er, 
mit  scharfem  Ess,  das  rechte  Maass  von  allen  Dingen,  die  gut 
schmecken;  isst  der  Mensch  sich  identisch  mit  seinem  Magen,  so 
dass  dieser  der  ganze  Mensch  und  das  volle  Maass  aller  Dinge 
ist.  „Diess  ist  ein  grosser  Satz,"  sagt  Hegel.  3)  Auch  that  Eupo- 
lis'  Protagoras  alles  Mögliche,  und  kaute  den  gTossen  Satz  dem 
Schmarotzer-Chor  so  lange  vor,  bis  er  ihn  auswendig  wusste.  Nächst 
Protagoras  erwarb  sich  in  dieser  Komödie  das  meiste  Verdienst 
Melanthios,  der  Tragiker,  der  grösste  Eresser  unter  den  Tragikern 
und  der  grösste  Tragiker  miter  den  Fressern  ■*) ,  und  als  dritter 
im  Bunde  Chärephon  der  Sokratiker  ^),  der  die  ganze  Philosophie 
des  Sokrates  in  Form  von  „Sj^mposien"  brachte.  Auch  Alkibia- 
des,  der  Schwager  des  Kallias,  hatte  eine  Rolle  unter  den  Schwel- 
gern und  Prassern  in  Eupolis'  Schmarotzer-Komödie  %  worin  ein 
doppelter  Chor  wirkte,  aber  einer  davon,  wie  in  Aristophanes' Ly- 
sistrate,  hinter  der  Scene.'') 

Im  dritten  Jahre  nach  Aristophanes'  ersten  Wolken  und 
einige  Monate  vor  den  Schmarotzern  gab  Eupolis  seinen  Mari- 
kas  an  den  Lenäen  Ol.  89,  4=421.  Unter  dem  „vermuthlich" 
thrakischen  Spitznamen  Marikas  wurde  der  Lampenfabrikant  und 
Demagoge  Hyperbolos,  Kleon's  Nachfolger,  darin  gegeisselt  und 
mit  seinen  eignen  Lampen  heimgeleuchtet.  Einen  zweiten  An- 
griff auf  den  reichen  Schmarotzei-wii-th  Kallias  machte  Eupolis  in 
seiner  Komödie  Auto ly  kos,  die  ein  Jahr  nach  den  Schmarotzern 
(Ol.  90,  1=420)  zur  Aufführung  gelangte.    Den  Titel  hatte  das 


1)  Plut.  PhU.  esse  c.  princ.  HI.  p.  778  D.  —  2)  Athen.  HI,  286  B. 
—  3^  Gesch.  d.  Philos.  11.  S.  30.  -  4)  Schol.  Arist.  Pac.  803.  —  5)  Schol. 
Pkt.  p.  331.  Bek.  —  6)  Athen.  XII,  535  A.  —  7)  Schol.  Lysistr.  1191. 


Eupolis.  71 

Stück  von  dem  Liebling  des  Kallias,  dem  schönen  Autolykos, 
dessen  Sieg  im  Pankration  an  den  grossen  Pauathenäen  (Ol.  89, 
4—421)  Kallias  durch  ein  grosses  Festmahl  feierte,  welches  Xe- 
nophon  in  seinem  Sj'mposion  beschreibt.  Des  Eupolis'  Sieges- 
schmaus mochte  dem  schönen  Autolykos,  dem  bewirtheten  Ga- 
nymed  des  Kallias,  nicht  so  gut  bekommen  wie  der  Sclimaus  bei 
Kallias  und  des  Xenophon  Symposion,  worin  der  schöne  Jüngling 
mit  dem  Zuckerwerk  der  süssesten  Lobeserhebungen  regalirt  wird. 
Sein  Verhältniss  zum  Kallias  erscliien  bei  Eupolis  im  zweideutig 
hellsten  Lichte  ^) ,  wovon  ein  scharfer  Reflex  auch  auf  die  Eltern 
des  Jünglings  fiel.  Derselbe  Autolykos,  von  Eupolis  schon  abge- 
than,  ^vm'de  unter  der  Herrschaft  der  dreissig  Tyrannen  noch 
nachträglich  hingerichtet."^)  Die  Taucher  {BäTtrai)  fanden  be- 
reits Erwähnung.  Ihre  Rolle  spielte  der  Chor.  Welche  Art  Täu- 
fer diess  waren,  deutet  JuvenaP)  an: 

„Solcherlei  Orgien  feierten,  bei  heimlicher  Fackel,  die  Bapten, 
Abzumüden  gewohnt  die  cekropische  Göttin  Kotytto." 

Es  waren  Priester  der  verrufenen  Kotj^tto- Mysterien,  in  deren 
Schanddienst  der  Täufling  Alkibiades  von  den  Bapten  eingeweiht 
wurde,  diesen  Weihen  ist  Alkibiades  bis  an  sein  Lebensende 
getreu  geblieben. 

In  Eupolis'  Demen  (J-^fim)  bestand  der  Chor  aus  Vertretern 
der  altattischen  Ortschaften  oder  Demen.  Die  guten  Demen!  In 
der  allgemeinen  Kriegsbedrängniss  winschen  sie  die  alten  längst- 
moderndeu  Gesetzgeber,  Staatsmänner  und  FeldlieiTen  herbei,  über 
die  sie  einst  Scherbengericht  gehalten;  über  die  das  schlimmste 
Scherbengericht  die  Komödie  gehalten;  das  schlimmste,  das  die 
gi'ossen  Männer  selbst  „wie  die  Töpfe  zerschmeisst" ,  und  mit 
ihnen  ilu-e  Polterabende  feiert.  Nun  lassen  sich  die  Demen  die 
Schatten  von  Solon,  Miltiades,  Aristidcs  und  Perikles  aus  der 
Unterwelt  kommen,  um  zu  rathen  und  zu  helfen.  Und  dieser 
Schlag  in's  Gesicht  der  alten  Komödie !  Und  von  Eupolis  geführt, 
der  den  Perikles  zu  Tode  gespottet!  Dessen  Beredsamkeit,  in  Ver- 
gleich mit  der  grüjischnäbligen  Staatsschwätzerei  des  Tages,  Eu- 
polis nun  nicht  genug  rühmen  und  preisen  kann !  In  einer  Stelle, 


1)  Max  Tyr.  XXVI,  8.  —  2)  Plut.  Lys.  15.  —  3)  II,  92. 


72  I^ie  griechische  Komödie. 

die  selbst  als  ein  Meisterstück  der  Wolilredenlieit  von  den  Scho- 
liasten  gepriesen  wird  ');  von  welcher  Stelle  aber  in  den  Frag- 
menten unserer  Scholiasten  kein  Sterbenswörtchen  mehr  zu  fin- 
den! Beim  Erscheinen  von  Perikles'  Schatten  brach  ein  lauter 
Jubel  aus  unter  den  Demen  im  ZuschaueiTaum.  2)  0  die  dami- 
schen Demen!  Eine  schönere  Ehrenerklärung  konnte  ihm  Eupolis 
nicht  geben,  und  kein  tragikomischeres  Schauspiel  den  Athenern 
bieten,  als  von  den  Geistern  ihrer  grossen  Todten  den  „unfähigen 
Jungen"  {f.iEiQcr/.La  -/.ivovfxeva),  die  nun  den  Staat  lenkten,  die 
Köpfe  waschen  zu  lassen: 

,,0  Herr  Miltiades  und  Herre  Perikles, 

Lasst  doch  nicht  herrschen  das  leichtfüssige  Knabenvolk, 

Das  seine  ganze  KJiiegslust  in  den  Knöcheln  trägt." 

In  den  Bundesätädten  hatte  Eupolis  die  äussere  Politik  der  Athe- 
ner an  den  Pranger  gestellt;  in  den  Demen  lässt  er  die  innere 
Staatsführung  von  einem  aus  den  abgeschiedenen  Seelen  der  vier 
grössten  attischen  Staatsmänner  zusammengesetzten  Höllengericht 
verdammen.  In  den  Staatslenkern  geisselt  die  alte  Komödie  doch 
nur  den  Demos,  das  Athenische  Volk.  Sie  schlägt  den  Sack  und 
meint  doch  nur  den  Esel.  Wie  gross  erscheint  dieser  Esel,  wie 
bewundernswürdig  gross,  der  die  Schläge  nimmt,  wie  sie  gemeint 
sind,  und  sich  doch  darüber  die  Haut  voll  lacht;  und  sich  doch 
frohgemuth  in  den  Abgrund  lacht,  vor  dem  ihn  die  Schläge  war- 
nen soUen! 

Phrynichos  aus  Athen.  Er  ist  oft  mit  dem  Tragiker  Phry- 
nichos  und,  wie  dieser,  auch  mit  dem  attischen  Feldherrn  glei- 
chen Namens  verwechselt  worden.  Er  begann  mit  Eupolis  zugleich 
seine  dramatische  Laufbahn  '0  unter  Archon  Apollodoros  (Ol.  87, 
4  =-429).  Nach  Ol.  39,  4  =  405,  dem  Jahre,  wo  Aristophanes' 
Frösche  den  Musen  des  Phrynichos  den  ersten  Preis  entrissen, 
ist  von  ihm  nicht  mehr  die  Eede.  Phrynichos  fand  zwar  keine 
Stelle  im  Kanon  der  Alexandrinischen  Kritiker,  wurde  aber  von 
ihnen  zu  den  vorzüglichsten  Dichtern  der  alten  Komödie  gezählt. ') 


1)  Zu  Aristoph.  Acharn.  529.  u.  zu  Arist.  Or.  T.  3.  p.  472.  Dind.  — 
2)  Arist.  Or.  3.  p.  433  B.  —  3)  Anonym,  de  Com.  p.  536,  17.  —  4)  Das. 
p.  535,  5. 


Phrynichos.  73 

In  den  Wolken  (v.  548)  wft  Aristophanes  dem  Eupolis  vor,  die- 
ser habe  dem  Phiynichos  „ein  altes  trunkenes  Weib,"  (aus  des- 
sen Komödie  Andromeda)  gestohlen  und  7a\  Nutzen  seines  Mari- 
kas  verwendet.  Trotzdem  versetzt  Xanthias  Eins  dem  Phryni- 
chos in  den  Fröschen  (v.  13),  wegen  seiner  Liebhaberei  für  un- 
saubere Spässe,  und  das  mit  Witzen,  die  Phiynichos  loslassen 
konnte.  Suidas,  seinem  Amte  als  Namenlisten -Ableser  getreu, 
führt  die  Titel  von  Phiynichos'  zehn  Komödien  auf,  und  hält,  wie 
gewöhnlich,  einen  Namensaufruf  aus  einer  Liste  Verstorbener, 
wozu  sich  Niemand  meldet:  Der  Sonderling  ( MovoTQOTtog), 
an  den  grossen  Dionysien  (Ol.  91,  3^414)  von  den  Komasten 
des  Ameipsias,  der  den  ersten,  und  von  den  Vögeln  des  Aristo- 
phanes, die  den  zweiten  Preis  erhielten,  besiegt  *),  hat  ein  Bruch- 
stück hinterlassen,  worin  der  Sonderling  seinen  Namen  selbst  er- 
klärt, sich  dem  Publicum  als  Menschenfeind  und  Seelenvei-wand- 
ten  seines  Zeitgenossen,  des  berühmten  Misanthropen  Timon  (Cco 
de  Tiuiovog  ßiov),  vorstellt.  In  den  Musen  (Lenäen  Ol.  93, 
4—405)  kamen  die  schon  erwähnten  Verse  vor,  die  eine  Selig- 
sprechung des  eben  verstorbenen  Sophokles  enthielten.  In  einem 
andern  Bruchstücke  dieser  Komödie  fordert  ein  Richter  zum  Ab- 
stimmen auf.  Das  erregii  bei  Bergk  -j  die  Vermuthung  von  einer 
Aehnlichkeit  beider  Fabeln,  in  Phrynichos'  Musen  und  Aristopha- 
nes Fröschen:  (Non  adeo  dispar  Aristophaniae  fabulae).  Beide 
Komiker  hätten  in  ihren  mit  einander  kämpfenden  Komödien  dem 
Euripides  den  Process  gemacht  —  den  Aristophanes'  Frösche  ge- 
gen PhrAiiichos'  Musen  gewannen.  Die  Vermuthung  scheint  uns 
eine  der  glücklichsten  auf  dem  Gebiete  der  archäologischen  Ne- 
kromantik.  Aus  einem  Parabasenbmchstück  der  Komödie  Ephi- 
altes  von  Phiyniclios,  worin  von  gefährlichen  Schmeichlern  die 
Rede,  lässt  sich  übei-  den  Tnhalt  derselben  mit  dem  besten  Wil- 
len nichts  errathen  und  nichts  vermuthen.  Im  Kenne  s  diente 
wahrscheinlich  derselbe  Musiklehrer  des  Sokrates  als  Zielscheibe, 
den  Aristophanes  in  den  Rittern  spottweise  „Konnas"  nennt  (v. 
532):  „Hinschmachtend  vor  Durst  mit  welkendem  Kranz  auf  dem 
Haupte."  Mit  einer  Komödie  Konnos  besiegte  Ameipsias  (Ol. 
89,  2=423)  die  Wolken  des  Aristophanes.    So  rächte  der  alte 


1)  Arguin.  Arist.  Av.  I.  p.  142.  Dind.  Sehol.  Av.  918.  —  2)  a.  a.  0.  377. 


74  Die  griechische  Komödie. 

Miisiklehrer  Konnos  „mit  welkeudem  Kranz  auf  dem  Haupte" 
seinen  Schüler  Sokrates,  indem  er  den  Kranz  von  Ai'istophanes' 
Haupte  riss,  imd  rächte  zugleich  sich  für  den  Stich  in  den  Rit- 
tern (Ol.  88,  4^424),  für  das  „hinschmachtend  vor  Durst,"  da- 
durcli,  dass  er  doch  zum  wenigsten  seinen  Rachedm'st  löschen 
konnte,  obgleich  auf  seine  Kosten.  Ueber  Phrynichos'  Komödie 
Kronos  schrieb  der  Grammatiker  Didymos  einen  besondern  Com- 
mentar  ^),  den  Gott  Kronos  zusammen  mit  seinem  Namensvetter, 
des  Phrynichos  Kronos,  verschlang.  Die  fünf  Bruchstücke  der 
Komödie ,  die  der  Gott  als  unverdaulich  wieder  von  sich  gab, 
„geben,"  Avie  Bode  selbst  gesteht,  „keinen  Fingerzeig  zur  Ermit- 
telung des  Inhalts."  Die  Ko mästen  behandelten  ein  Bakchi- 
sches  Thema.  Unter  demselben  Titel  führte  Ameipsias  (Ol.  91, 
3=414)  eine  Komödie  in  die  Schranken,  mit  welcher  er,  wie 
schon  berichtet,  über  die  Vögel  des  Aristophanes  und  den  Mo- 
notropos  des  Phrynichos  siegte.  Nach  Bergk  hätte  sich  in  die- 
sem Wettkampfe  Phrynichos  selbst  besiegt,  da,  dem  unerschrocke- 
nen Vermuther  zufolge,  des  Phrynichos'  Komasten,  oder  Zecher, 
mit  den  Komasten  des  Ameipsias  identisch  seyen.  Phrynichos 
soll  nämlich  mit  zwei  Komödien  zmnal  in's  Feld  gerückt  seyn, 
mit  dem  Monotropos  und  den  Komasten,  und  hätte  die  eine, 
die  Komasten,  nur  desshalb  unter  Ameipsias'  Namen  mitkämpfen 
lassen,  weil  ein  Gesetz  verbot,  zwei  Komödien  desselben  Autors 
auf  einmal  in  die  Schranken  zu  stellen.  Diese  verwegene  Hypo- 
these, mit  welcher  Bergk  zuerst  bei  Fritzsche^),  und  daim  in 
seineu  eigenen  „Reliquien"  3)  hervortrat,  hat  nur  den  einen  Fehler, 
dass  sie  sich  auf  nichts  als  auf  sich  selber  stützt. 

lieber  Phrynichos'  Mysten,  Satyrn,  Krautleserin- 
nen (noaGTQtai)  ist  Gras  gewachsen,  und  über  seine  tragischen 
Dichter  (Tgaytoönl)  oder  Freigelassenen  (rj  ^ AtisIsvS-eqoi), 
wüsste  selbst  der  Salomo  unter  den  Vögeln,  der  Vogel  Simurg  vom 
Gebirge  Kaph,  keine  nähere  Auskunft  zu  ertheilen,  als  die  Ge- 
schichte der  classischen  Literatur  giebt,  laut  welcher  der  erste 
Titel,  „die  tragischen  Dichter,"  sich  auf  die  tragischen  Dichter, 
und  der  zweite,  die  Freigelassenen,  sich  auf  eine  Fabel  bezieht, 
nach  der  kein  Hahn  ki-äht. 


])  Athen.  IX,  271  F.  —  2)  Quaest.  Arist.  I.  p.  322.  —  3)  p.  369f. 


Platon.  75 

Der  Komiker  Platon  aus  Athen  trat  seine  dramatische  Lauf- 
bahn gleichzeitig  mit  Aristophaues  au  (Ol.  88  =  428)  und  führte 
noch  unter  dem  Archon  Philokles  fOl.  97,  2  =  391)  Komödien 
auf.  Er  soll  für  Andere  Komödien  gedichtet  haben,  die  von  den 
Käufern,  als  rechtmässig  erworbenes  Eigeuthum,  unter  ihren  Na- 
men, in  die  Kampfbalin  geführt  wurden.  Dafür  entschädigte  sich 
Platon  durch  Plagiate  aus  Komödien  seiner  Zeitgenossen,  i)  Die 
Notiz  von  seinem  Handel  mit  Komödien  ist  die  einzige,  die  über 
seine  Lebensverhältnisse  zur  Keimtniss  der  Nachwelt  gelangte. 
Bruchstücke  aus  seinen  Komödien  Hyp erb olos,  Kleophon  und 
K  ine  Sias  zeugen  von  der  Bitterkeit  seiner  Angriffe  auf  Volks- 
führer, Redner  und  Dichterlinge  der  Zeit.  Bei  Athenäos  allein 
finden  sich  Anfühnmgen  aus  23  seiner  Komödien,  deren  er  28 
hinterlassen.  In  der  Komödie  die  Siege  (N7yt.ai)  machte  er  sich 
über  Aristophaues'  kolossale  Friedensgöttin  in  dessen  „Frieden" 
lustig.  Ol.  93,  3=405  Avurde,  wie  schon  gemeldet,  Platon' s  Kleo- 
phon von  Aristophaues'  Fröschen  und  Phrynichos'  Musen  besiegt. 
Der  Trostlose  (IleQiaXyrjg)  hatte  die  verzweifelte  Lage  des  Staa- 
tes zum  VoiTvurf.  Ausser  politischen  Komödien  schrieb  Platon 
auch  literarische,  wie  die  Lakonen  oder  die  Dichter.  Die 
Sophisten  mochten  eine  ähnliche  Tendenz  verfolgen,  wie  Ai'i- 
stophanes' Wolken.  Der  Bühnenapparat  (^ycevai.)  scheint  eine 
Satire  auf  die  Ausstattungen  der  Tragödien.  Im  Kehricht  (.3t'^- 
g)a^)  nahm  er  den  Schlemmer  Myniskos,  einen  Schauspieler  des 
Aeschylos,  vor.  Ueber  die  Greife  {rgdTcsg),  das  einzige  Stück 
von  Platon  mit  einem  symbolisclien  Chor,  geben  die  paar  Bmch- 
stücke  nicht  den  geringsten  Aufschluss.  Mythen-Komödien 
waren:  Adonis,  Laios,  Menelaos,  Europa,  Je,  lauter  My- 
then von  Komödien  für  die  Geschichte  des  Drama's.  Die  lange 
Nacht  (Nv^  (.layigci)  bezog  sich  auf  die  Nacht,  die  Zeus  bei 
Alkmene  zubrachte,  und  die  nur  dem  Amphitryon  zu  lang  vor- 
kam. Vom  Inhalt  des  misshandelten  Zeus  {Zevg  y.a'/.nv- 
fiBvog)  verräth  der  Titel  keine  Sylbe.  Vom  Phaon  haben  sich 
einige  Bruchstücke  erhalten  -j,  woraus  hervorgeht,  dass  diese  Ko- 
mödie  eine  Parodie   von  Grillparzer's   Sappho  war.      Wer  über 


1)  Berpk,  a.  0.  p.  420.  —  2)  Fr.  p.  fi72ff. 


76  Diß  gi'iechische  Komödie. 

den  Komiker  Piaton  noch  mehr  nichts  erfahren  will,  findet  das 
nöthige  Material  dazu  in  der  trefflichen  Schrift  von  C.  G.  Cohet.  i) 

Aristonymos,  ein  älterer  Zeitgenosse  von  Äristophanes,  hat 
sich  dm-ch  zwei  Titel  von  Komödien  bei  der  Nachwelt  unsterb- 
lich gemacht:  Theseus  und  der  frierende  Helios  C'Hliog 
qiycov).  Vom  frierenden  Helios  haben  sich  noch  antiquarisch 
in  den  Fragmenten-Sammlungen  ein  paar  Eiszapfen  erhalten.  Da- 
gegen ist  der  Theseus  ganz  aufgethaut  und  zu  Wasser  geworden. 

Mehr  als  bereits  über  Ameipsias  vorkam,  lässt  sich  nicht 
beibringen.  Äristophanes  wirft  ihn-)  mit  Phrynichos  und  Lykis 
in  Einen  Sack:  ein  stumpfer  Biss  für  die  zwei  Siege,  die  ilim 
dieser  Ameipsias  mit  dem  Konnos  (Ol.  89,  2=423)  über  die 
Wolken,  und  mit  den  Ko mästen  (Ol.  91,  3  =  414)  über  die 
Vögel  entrissen  hatte.  In  den  Kottabosspielern  ( Auo-noxta- 
ßltovTsg)  soll  ein  Trinkgelage  vorgekommen  seyn.  Von  seinem 
Fresser  lässt  sich  ein  ähnliches  nur  vermuthen.  Die  Buhlen 
(Mo r/Ol),  die  Schleuder  (^cpevdovrj)  mid  Sappho  gehören  zu 
derselben  grossen  Komödienfamilie,  von  welcher  sich  nichts  sagen 
lässt;  von  der  Sphendone  nicht  einmal  so  viel,  ob  sie  „Schleu- 
der" oder  „Ring"  bedeute. 

Archippos  hat  zwar  nur  einen  einzigen  dramatischen  Sieg 
Ol.  91  eriimgen;  dafür  aber  weiss  keine.  Sterbensseele,  mit  wel- 
chem Stück  und  über  Wen  er  diesen  einzigen  Sieg  errungen. 
Man  hat  die  Fische  Ch-^^'S)  in  Verdacht.  Mit  diesen  treffen 
aber  die  Athener  in  den  Bruchstücken  ein  Abkommen,  laut  wel- 
chem sie  den  Fischen  alle  Fischliebhaber  zum  Rachefrass  auszu- 
liefern sich  verpflichten.  Die  Athener  hätten  sich  also,  Sollten 
sie  nicht  contractbrüchig  werden,  selbst  den  Fischen  vorwerfen 
müssen,  wenn  sie  durch  die  Zuerkennung  des  Preises  sich  als 
solche  Liebhaber  von  Archippos'  Fischen  öflentlich  bekannten. 
Amphitryon,  der  heirathende  Herakles  CHQa-/.lrjg  ya- 
f-icov),  Plutos,  Rhinon,  von  diesen  anderweitigen  vier  Komödien 
des  Archippos  ist  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  von  der 
fünften,  übrig  geblieben:  Des  Esels  Schatten  ("0»'ot'  o-^td). 
Letzterer  ii-rt  selbst  unter  den  Trümmern  der  Fragmentensamm- 

J)  Observatt.  criticc.  in  Piaton.  Comic,  reliq.  Anistelod.  1S40.  —  2) 
Ran.   10. 


Leukon.    Metagencs.    Strattis  etc.  77 

1er  nur  als  der  Schatten  eines  vierfüssigen  Peter  Sclileniilil  um- 
her, welcher  seinen  Körper  verloren. 

Mit  zwei  Niederlagen  und  einem  Schi  auch  tragen  den 
Esel  C'Ovog  doxocpoQog)  hat  sich  der  Komiker  Leukon,  aus 
Athen,  in  dem  Beinhause  der  Fragmentensammlungen  zu  seinen 
Vätern  versammelt.  Phratoren,  Gesandte  und  Esel  sind 
die  Anspruchstitel ,  welche  die  beiden  ersten ,  im  Wettstreit  mit 
Aristophanes'  Wespen  und  Frieden  (422  und  423  v.  Chr.)  durch- 
gefallenen Stücke  auf  die  ünsterblichkeitsehre  können  geltend 
machen:  zusammen  mit  dem  dritten  in  einer  gemeinschaftlichen 
Knochengrube  als  moderwürdig  verzeichnet  zu  stehen,  in  welcher 
selbst  von  den  Gerippen  nur  die  Zettehimnmern  übrig  l)leiben, 
die  an  der  grossen  Zehe  der  zur  Obduction  überlieferten  Leichen 
zu  hängen  pflegen.  Denn  von  den  Phratores  (Gemeindegenos- 
sen) sind .  unter  den  Fragmenten  ^)  nur  drei  Citate  vorhanden. 
Die  Gesandten  (ngsoßsüg)  traf  das  Schicksal  aller  Gesandten, 
dass  von  ihnen  nur  die  Titel  übrig  blieben.  Von  dem  Honig 
endlich  in  den  Schläuchen  des  „Schlauchtrageuden  Esels"  hat 
sich  in  den  papiernen  Scliläuchen  der  gelehrten  Schlauchträger 
blos  das  Sprüchwort  conserviii:  „Etwas  Anderes  trägt  Leukon's 
Esel,  etwas  Anderes  Leukon  i^' AXXa  idv  o  ylBvy.MvoQ  ovog  tps- 
()Bi,  alla  ÖS  Aeiy.iov).  Auf  dem  geschmuggelten  Honig  lag  näm- 
lich, um  ihn  den  Zöllnern  zu  verbergen,  Eselsfutter.'-) 

Dem  Komiker  Meta genes,  eines  Sklaven  Sohn,  aus  Athen, 
schiebt  Suidas  vier  Dramentitel  in  den  komischen  Schuh:  Die 
Lüfte  (AvQai);  Thurioperser  {(^ovQionsQoai),  eine  niemals 
aufgeführte,  die  s} baritischen  Tluirer  in  Unteritalien  hechelnde 
Komödie;  den  Opferliebliaber  {^<J>iXo'D-rit]Q)  und  Homer os 
oder  die  Asketen  ('Oi.irjQog  rj  ' Ao-KrjTai).  In  ersterer  kamen, 
wie  Forscher-Scharfsinn  ermittelt,  Opfer  vor;  in  der  zweiten  „bil- 
dete Homeros  die  Grundlage."  Die  schätzbare  Notiz  haben  wir 
Bode's  gelehrter  und  lehrreicher  Geschichte  der  hellenischen  Dicht- 
kunst'*), wie  so  vieles  andere,  zu  verdanken. 

Lange  vor  Th.  Barriere's  Les  läux  Bonsliommes  brachte  die  in  die 
mittlere  Komöd  ie  übergehende  altattische  Komödie  Biedermänner 


1)  p.  749  f.  -   2)  Suid.  v.  l'<Xla  u.  Gaisforcl  zu  Suid.  p.  229SG.  --  'i) 
m,  2.  S.  384,  7. 


78  Die  griechische  Komödie. 

CAyad-oi),  von  dem  Athener  Strattis  auf  die  Bühne,  dem  Suidas 
nicht  weniger  als  funfzelin  Titel  zuschreibt,  die  Bernhardy  ^)  auf  1 9 
zu  bringen  sich  getraut,  und  aus  welchen  er  zuerst  und  allein  den 
Strattis  als  einen  Dichter  erkannte,  „der  mehr  Witz  und  Eleganz, 
als  Tiefe  besass."  Den  zweiten  Titel  der  „Biedermänner"  {j'itoi 
^ uäqyvQLov  acpavLOfxög)  würde  jeder  Andere  einfach  für  eine  Er- 
klärung der  Biedermänner  halten.  Bergk  aber  fördert  aus  der 
tiefen  Schachtgrube  der  zweiten  Benennung  den  Inhalt  zu  Tage: 
dass  mit  dem  Verschwinden  des  Silbers  das  Verschwinden  des 
Goldes  gemeint  sey,  als  einzige  Beding-ung  zur  Wiederherstel- 
lung des  goldnen  Zeitalters  und  der  Biedermänner  in  des  Wortes 
patriarchalischster  Bedeutung.-)  Die  Psychaste n  des  Strattis 
zogen  die  Genusssucht  und  das  faule  Stillleben  der  Athener  durch. 
Der  angebrannte  Zopyros,  wenn  er  nicht  der  Lehrer  des  Al- 
kibiades  oder  der  Verfasser  des  Soki-atischen  Dialogs  Phädon  ist  3), 
so  ist  er  jedenfalls  ein  anderer.  Sechs  Mythen -Parodien,  zwei 
Coulissenreisser- Komödien  —  schreiben  wir  auch  noch  deren  Titel 
nebst  vier  andern  ab,  um  das  Dutzend  voll  zu  machen?  Die  ge- 
nannten genügen  vollkommen,  um  in  Strattis  den  Dichter  würdi- 
gen zu  lernen,  für  den  ihn  Bernliardy  erklärt:  einen  Komiker,  der 
mehr  Witz  als  Tiefe  besass;  was  schon  die  witzigen,  eleganten, 
aber  aller  Tiefe  ermangelnden,  mehr  seichten  als  gründlich  durch- 
gebildeten Titel  bezeugen.  Nur  in  Betreff  der  zwei  Coulissen- 
reisser-Komödien  bemerken  wir,  um  Missverständnisse  zu  verhü- 
ten, dass  die  Benennung  nicht  den  Komödien  gilt,  sondern  den 
Schauspielern,  die  sie  zum  Stichblatte  nahmen.  Die  eine 
heisst  der  Menschenzerreisser  ( Avi)-{)Mn.oQQaLOTrig) ,  womit 
der  Schauspieler  Hegelochos  gemeint  seyn  soll,  „welcher  die  Kolle 
des  Euripideischen  Orestes  mordete"^);  zur  zweiten  musste  der 
Schauspieler  Kallipides  seinen  Namen  hergeben;  ein  berühmter 
Protagonist,  welcher  den  Alkibiades  auf  seiner  Rückkehr  aus 
Asien  l)egleitete,  und  den  diese  Komödie  des  Strattis  als  einen 
Coulissenreisser  in  Stücke  riss. 

AVann  Alkäos  aus  Mitylene  seine  dramatische  Laufbahn  be- 
gonnen —  „wissen  wir  nicht."    Vom  Inlialt  seiner  vier  Mythen- 


1)  Grundriss  d.  gr.  Lit.  II.  S.  523.  —  2)  a.  a.  0.  p.  285,  —  3)  Bode 
a.  a.  0.  3b5,  S.  —  4)  Schul.  Eur.  Ür.  2(3U. 


Titularkomödien.  79 

Komödien:  Eiulj-mion,  Ganymedes,  Kallisto,  die  heilige 
Hochzeit  CleQog  yccf^iog,  die  des  Zeus  mid  der  Hera)  —  wis- 
sen wir  nichts.  Von  der  Komödie  Komodotragoedia  wissen 
wir  so  viel,  wie  Soki-ates  zu  wissen  sich  rühmte:  dass  wir  näm- 
lich nichts  wissen.  Von  den  buhlenden  SchAvestern  und  von 
Schwester  Palaestra,  „Tummelplatz,"  nach  einer  Hetäre  so 
benamt,  von  der  doch  alle  Welt  wusste,  wissen  nur  wir  nichts, 
üeber  dieses  Sokratisclie  Wissen  stellt  uns  Bode,  der  Alles  weiss 
und,  wie  seine  Citate  bekunden,  Alles  gelesen,  Zeugnisse  über 
Zeugnisse  noch  volle  sechs  Seiten  aus.  und  was  sie  uns  wirk- 
lieh  wissen  lassen,  könnten  wir  zu  wissen  vollends  überhoben 
seyn:  dass  z.  B.  die  Pasiphae  des  Alkäos  Ol.  98,  1  =  388  ge- 
gen den  zweiten  Plutos  des  Aristophanes  ankämpfte,  aber  nur 
den  fünften  Preis  erhielt.  Eine  spottwohlfeile  Komödie,  die  die 
vollständigste  Todtenliste  von  Dramen  nicht  geschenkt  möchte.  Dass 
ferner  der  Athener  Kantharos,  zu  deutsch  „Käfer",  Ameisen, 
Nachtigallen  und  den  Wiedehopf  Tereus  auf  die  Bühne 
brachte.  Dass  der  Athener  und  Komiker  Sannyrion  von  Ari- 
stophanes in  der  verloren  gegangenen  Komödie,  Geiytades,  durch- 
gezogen wurde,  wofür  sich  Sannyrion  in  seinem  Lachspiel  (r^- 
kwg)  rächte,  das  der  blosse  Titel,  als  lachender  Erbe,  überlebte. 
Dass  u.  a.  der  Athener  Philyllios  sechs  Titel  zu  Komödien 
schrieb,  über  die  kein  Mensch  als  unser  Komiker  Strattis  lachte, 
der,  bekanntlich  von  mehr  Witz  als  Tiefe,  die  in  Philyllios'  Ko- 
mödien stehend  angebrachten  Fackelzüge  so  komisch  fand,  dass 
er  sie  in  seiner  Komödie,  diePotamier,  lächerlich  machte,  ohne 
eine  Ahnung  davon  zu  haben,  wie  lächerlich  uns  seine  Potamier 
selbst  vorkommen,  mit  ihrem  Titel  ohne  JMittel.  Schier  so  lä- 
cherlich, wie  die  sieben  Komödien  des  Phliasiers  Diokles,  deren 
sieben  magere  Titel  die  sieben  fetten  Stücke  aufgefressen.  Oder  die 
zehn  des  Atheners  Nikochares,  der  gegen  Aristophanes'  zweiten 
Plutos  mit  einem  Stück  kämpfte,  von  dem  wir  wissen  würden, 
dass  es  noch  unter  den  Preiswerbern  Ol.  I()6,  H.  gekämpft,  „wüss- 
ten  wir,  dass  er  ein  Drama,  der  Dichter  betitelt,  geschrieben 
hätte".')  Was  kennt  man  von  den  Sirenen  des  Nikophon? 
Dass  sie  niemals  aufgeführt  worden.    Was  von  den  vier  „Ge- 


1)  Bode,  S.  3bb,  12. 


gO  Die  griechische  Komödie. 

burten  des  Polyzelos:  Dionysos'  Geburt,  der  Musen 
Geburt,  Apbroditen's  Geburt  und  des  Ares  Geburt? 
Dass  es  vier  Missgeburten,  die  mit  blossen  Titelköpfen  auf  die 
Welt  der  Nachwelt  kamen.  Unter  dem  Archon  Euklides  (Ol.  94, 
3  ==402)  siegte  der  Athener  Kephisodoros,  steht  geschrieben 
—  mit  welchem  Stücke  wird  offenbar,  wenn  die  todten  Komödien 
auferstehen.  Eine  seiner  Komödien,  erfahren  wir,  nannte  sich 
Antilais,  die  Mit-  und  Nebenbuhlerin  der  Lars;  eine  andere 
schlechtweg  die  Sau.  Ob  letztere  auch  eine  Hetären-Komödie, 
selbst  darüber  lassen  die  Fragmente  bei  Meineke  ^)  im  Dunkeln. 
Weitaus  die  vernünftigsten  von  all  diesen  Dichtern  posthumer 
Todtengebui-ten  waren  die  Komiker  Epily kos,  Euthykles  und 
Autokrates,  deren  jeder  mu-  Ein  Stück  schrieb,  das  den  Uebri- 
geu,  die  sie  nicht  geschrieben,  die  Mülie,  verloren  zu  gehen,  er- 
sparte, und  sich  aufopferte  für  alle.  Schon  um  dieser  That  wil- 
len verdient  der  Name  jedes  der  drei  Einzigen  fortgepflanzt  zu 
werden:  Koraliskos  von  Epilykos;  die  Kettungslosen  ('Aoco- 
Toi)  von  Euthj^kles,  und  die  Trommler  {Tvf.i7Tccvi0Tal)  von 
Autokrates. 

Als  letzten  Zeitgenossen  des  Ai'istophaues  nennen  wir  noch 
den  Theopomp  OS.  Die  Mehrzahl  seiner  Stücke  gehören  ihrem 
Stoffe  nach  der  mittlem  Komödie  an,  deren  Grenzen  aber  sich 
in  die  alte  Komödie  verlieren.  Das  nennenswertheste  darunter 
ist  der  Wollüstling  ('üö't';{«(»r;g),  Platon's  wegen,  über  den 
sich  diese  Komödie  des  Theopompos  lustig  machte.  -) 

Fort  aus  dieser  HöMe  voll  Larven,  mit  denen  wir  uns  her- 
umschlagen, wie  Don  Quijote  mit  dem  Heer  Fledenuäuse  in  der 
wüsten  Felskluft!  Empor  aus  diesem  l'odtenreich  der  Fragmen- 
ten-Nek}ia,  wo,  auf  den  Kuf  von  ßergk  und  Meineke,  um  die, 
statt  des  schwarzen  Blutstroms  aus  zerschnitteneu  Schafgurgeln, 
mit  einem  schwarzen  Dintenstrome  gefüllte  Gruft,  wo  um  diese 
Gruft,  nicht  Seelen  und  Geister,  nein  -  „tief  aus  dem  Erebos" 
Titel  sich  versammeln  und  klägliche  Fetzen  abgeschundener  Ko- 
mödien! Empor  aus  dem  nächtlichen  Dunkel  des  Keliquien-A'i- 
des,  öder  als  Persephoneia's  Keich!  Denn  hier  „schweben",  wie 
der  Dichter  singt,  „gestaltlos  umlier,  massenweis  Schatten  vom 


1)  p.  883.  —  2)  Diog.  L.  III,  26. 


Aristoplianes.  gl 

Namen  getrennt":  in  dem  schauerlichen  Hades  der  Bruchstücke 
aber  Namen  von  den  Schatten  getrennt,  und  der  gräuliche  Spuk 
zerpflückter ,  aus  den  Gelenken  gelöster  und  entrenkter  Gerippen- 
Phantome.  Hinan  zum  goldenen  Lichte  des  heitern  Lebens,  der 
blühenden  Gestaltenfülle  Dionysischer  Lust  und  schwellender 
Freude ! 

„Da  blickte  durch  der  Felsschlucht  ob're  Rundung 

Der  schöne  Himmel  mir  aus  heitrer  Ferne, 

und  eilig  stiegen  wir  aus  enger  Mündung, 

Und  traten  vor  zum  Wiedersehu  der  Sterne." 

Aristophanes. 

Grollen  wir  dem  eisernen  Besen  der  Zeit  nicht  allzusehr, 
dass  er  die  ganze  alte  Komödie,  wie  Schutt,  hinweggefegt,  um  die 
damuter  verborgenen  Schätze  zu  Tage  zu  legen,  die  uns  in  Ari- 
stophanes' elf  Komödien  anfunkeln  und  anlachen.  Wie  in  ihrem 
Schöpfungs- Haushalte  die  Natur,  wirft  auch  die  Geschichte  in 
dem  Haushalte  der  Kunstschöpfungen  einen  Damm  der  Uebervöl- 
kerung  entgegen.  Und  wie  die  Schöpfungsges(;hichte  in  den  fos- 
silen üeberresten  ganzer  Bildungen  vorweltlicher  Thiergeschlech- 
ter  das  nothwendige  Fundament  eines  beruhigtem,  vollkommnern 
Erdenlebens  aufdeckt:  so  mögen  uns  die  in  den  Straten  der  Kunst- 
geschichte eingeschlossenen  Reste  als  nothwendige  Trüramergrund- 
lage  gelten  zum  gedeihlichen  Emporblühen  neuer,  segenreicher 
Gestaltung;  so  dürfen  wir  auch,  auf  unserem  Gebiete,  die  eben 
vor  uns  aufgethane  Schädelstätte  in  ein  mit  Scherben  bestreutes 
Gartenland  umgewandelt  glaul)en,  woraus  Aristophanes'  lachendes 
Paradies  erblühte,  belebt,  erfüllt  und  durcliHattei-t  von  den  wun- 
dersamsten, närrisch-herrliclisten  Gestalten:  Götter-  und  Menschen- 
wesen, Thiere,  Vögel,  Amphibien,  Insecten,  ein  Zauberpark,  wie 
ihn  Circe's  Stab  nicht  lustig -ungethüm lieber  bevölkert.  Ja  ein 
Wunderland  thut  sich  vor  uns  auf,  von  elf  Komödien,  gleich  je- 
nem zeichen  vollen  Lande  der  zehn  oder  elf  Wunder,  durch  eines 
Befreier-Propheten  Zauberstab  hervorgerufen.  Und  die  elf  Komö- 
dien aucli  sie  Wunderplagen;  aber  Lachi>liigeii  des  Himmels: 
Blutiger  Spott;  hüpfende  Frösche ;  unnacliahmliclie  Witze,  Göttes- 
tinger-Witze; Wespen,  gestachelter,  verderblicher,  als  das  Unge- 
ziefer der  vierten  Pharaonen- Plage.  Dann  die  Lachepidemie, 
U.  ti 

■¥ 


82  Die  griechische  Komödie. 

welcher  grössere  „Esel,  Kameele  und  Ochsen"  erlagen,  als  die 
Pestilenz  des  Prophetensteckens  hinraÖte.  Kurz  elf  Stücke,  deren 
Heimsuchungszweck  ja  auch  nur  Befreiung  des  Volkes  war; 
Befreiung  von  seinen  grössten  Landplagen ;  und  die  auch  nur  auf 
ein  gelobtes  Land  hinwiesen:  auf  die  segeureiche  Marathonzeit, 
die  der  grosse  Komiker  seinem  Volke  heraufzuführen  verhiess, 
wenn  es  nur  von  dem  AbgTunde,  dem  es  Leichtsimi-trunken  und  von 
schlimmen  Geistern  verlockt,  entgegentaumelte,  sich  hätte  losreis- 
sen,  wenn  es  üim,  dem  lachenden  Propheten,  nur  hätte  folgen  wollen. 
Aristophanes'  Komödien  sind  zugleich  die  einzigen  Urkun- 
den seiner  Lebensbeschreibung;  die  Quellen,  woraus  allein  seine 
Biographen,  wie  Thomas  Magister,  der  Anonymos,  die  Scholiasten, 
Verlässliches  haben  schöpfen  können:  so  eng  verwebt  ist  die  Per- 
sönlichkeit des  Komikers  mit  der  alten  Komödie;  so  völlig  geht 
ihr  Wesen  in  seine  Subjectivität  auf;  aber  auch  so  verquickt,  ja 
identisch  sind  seine  Dichter-Interessen  und  Zwecke  mit  denen  des 
Gemeinwesens  und  des  Gesammtvolks,  mit  „der  Stadt."  Die  Bio- 
graphen können  dem  grössten  Komiker  aller  Zeiten  nicht  einmal 
ein  bestmimtes  Vaterland  zuweisen;  auch  sein  Geburts-  und  To- 
desjahr nicht  angeben.  Auf  Aegiiia,  wo  sein  Vater  Philippos, 
ein  attischer  Bürger,  reiche  Besitzungen  hatte,  soll  er  geboren, 
und  von  da,  nach  des  Vaters  Tode,  als  Knabe  in  Athen  einge- 
wandert seyn.  Die  Biographen  erzählen  von  einer  Klage  auf  ün- 
ächtheit  der  Geburt,  die  Kleon  gegen  den  jugendlichen  Dichter 
der  Babylonier,  aus  niedriger  Rachgier,  anhängig  gemacht.  Der 
Process  fiel  zu  Gunsten  des  Aristophanes  aus;  er  wurde  freige- 
sprochen. In  den  Acharnern,  welche  er  ein  Jahr  nach  den  Ba- 
byloniern,  die  ihm  den  Process  zugezogen,  und  abennals  unter 
dem  Namen  des  Schauspielers  Kalhstratos,  auffülireu  Hess,  erin- 
nert dieser,  in  der  BoUe  des  Dikäopolis,  blos  an  die  durch  Kleon 
erlittene  Verfolgung  (377  if.): 

Auch  bleibt  mir  unvergessen,  wie  Kleon  mir  selbst 
Des  Stückes  wegen  mitgespielt  im  letzten  Jahr. 
Er  schleppte  mich  zum  hohen  Rath,  verläumdete, 
Belangte  mich  mit  Lug  und  Trug,  ein  strudehider 
Waldstrom,  den  Kopf  mir  waschend,  dass  ich  fast  versank 
In  seines  Gerberloches  unflathreichen  Sumpf. 

Kleon  hatte  den  Dichter  der  an  den  grossen  Dionysien  (Ol. 


Aristophanes'  Komödien  als  biographische  Quelle.  §3 

88,3=^426)  aufgeführten  Babylouier  beschuldigt:  er  habe  iu  ihm 
die  Stadt,  iu  Gegenwart  der  fremden  Gesandten,  verläum- 
det  und  lächerlich  gemacht.  Auch  hierauf  zielt  der  Chor  in  der 
Parabase  der  Acharner  (631  f.): 

—    —    —    Weil  ilin  die  Feinde 
Verunglimpft  jüngst  vor  hastig  entschlossenem  Volke, 
Dass  er  unsere  Stadt  und  die  Bürger  Athens  mit   komischem  Spotte  ver- 
höhnte .  .  . 

Nähere  Aufschlüsse  als  diese  von  Aristophanes  selbst  gegebenen 
Andeutungen  über  Zeit  und  Schicksale  seines  ersten  Auftretens 
vennögen  auch  die  Biogi'aphen  nicht  zu  geben.  Von  einer  Klage 
der  Fremdheit  {^evlag  ygacpi])  oder  auf  Unächtheit  der  Geburt 
findet  sich  weder  in  den  Acharnern  noch  sonst  bei  Aristophanes 
eine  Spm'.  Vielleicht  hat  die  von  Kleon,  wegen  Verhöhnung  in 
Gegenwart  von  Fremden,  vorgebrachte  Klage  zu  der  Verwech- 
selung mit  einer  Fremdheits-Klage  Veranlassung  gegeben.  Seine 
Absichten  und  Ziele  lässt  Aristophanes  durch  den  Chorführer  in 
den  Acharnern  darlegen  (655  if.): 

Ihr  aber,  besorgt  nun,  dass  er  hinfort  in  Komödien  höhne,  was  recht  ist; 
Manch  heilsame  Mahnung  bietet  er  euch,  und  verheisst  euch  glücklich  zu 

machen. 
Nicht  hätschelnd  das  Volk,    nicht  ködernd  mit  Lohn,  kein  schlängelnder 

Eänkeverhüller , 
Nicht  tückischen  Sinns  es  beträufelnd  mit  Lob,   nein,  stets  euch  rathend 

das  Beste. 
Drum  gürte  dich ,  Kleon ,   ringe  mit  uns ;   und  strebe  mit  jeglicher  Kunst 

mich  zu  fahn : 
An  der  Seite  mir  wird,  was  gut   und  gerecht,    dastehen  im  Kampf.     Nie 

zeihe  man  mich, 
Dass  ich  unserer  Stadt  mitspielte,  wie  du  Hundsfott  mit  dem  Muthe  des 

Weibes.  .  .  . 

Die  Scheu,  unter  dem  eigenen  Namen  die  Erstlinge  seiner 
jungen  Muse  vorzuführen,  giebt  er  selbst,  in  der  Parabase  der 
Wolken,  als  Grund  von  seinem  anfänglichen  Auftreten  unter  frem- 
dem Namen  an  (528 ff.): 

Denn  seit  hier  von  Männern,  die  schon  anzureden  Freude  macht, 

,, Tugendsam  und  Liederlich"  •)  einst  grossen  Beifall  sich  gewann, 


1)  ö    atäffQwv  Tf  yjo  xHTctnvywv:   zwei   Charaktere  in  Aristophanes' 
erstem  Stücke,  ,,die  Zecher"  {JanaXdg). 


§4  Die  griechische  Komödie. 

Dass  ich  —  Jungfrau  war  ich  ja  noch ,  durfte  noch  nicht  Mutter  seja  — 

Ansetzt'  und  eüi  anderes  Weib  freundlich  auf  die  Arme  nahm, 

Und  das  Ihr  grossmüthigen  Sinnes  hegtet  dann  und  auf  erzogt: 

Ja,  seitdem  hat  treu  sich  und  fest  eure  Huld  an  mii-  bewährt.  .  .  . 

In  der  Parabase  der  Wespen  beruft  er  sich  auf  das  Verdienst, 
das  er  sich,  noch  als  heimlicher  Gehülfe  anderer  Dichter,  um  die 
Athener  eiivorben  (lOlTfl'.): 

Der  euch  \'iel  Gutes  gethan  hat 

Nicht  offen  im  Anfang,  nein,  üigeheim  als  anderer  Dichter  Gehülfe'), 
Da   des  Eurikles  '^)  Kunst ,  weissagenden  Geist   und  Erfindungen    wählend 

zum  Vorbild, 
Er  heimlich  in  Anderer  Bauch  sich  verbarg,  und  des  Komischen  viel  ihm 

entströmte ; 
Doch  trat  er  hernach  und  otfen  hervor  und  wagte  sich  selbst  in  die  Renn- 
bahn, 
Und  lenkte  der   eigenen  Musen   Gespann,    zog  nicht    am  Gespanne    der 

Fremden. 

Das  geschah  bekanntlich  in  den  Kittern,  dem  ersten  seiner  Stücke, 
das  er  unter  eigenem  Namen  zur  AuÖührung  brachte,  imd  worin 
er  auch  selbst,  als  Protagonist,  den  Kleon  spielte.  In  der  be- 
rühmten Parabase  lässt  er  diess,  mit  Berufung  auf  die  Schicksale 
seiner  drei  grossen  Vorgänger,  des  Magues,  Kratinos  und  Krates, 
den  Chor  andeuten  (541  if.): 

Diess  fürchtend  besann  sich  der  Dichter  bis  jetzt  und  sträubte  sich  immer 

und  sagte: 
Man  müsse  zuerst  doch  Ruderer  sej'n,  bevor  man  ergreife  das  Steuer, 
Hierauf  dasteh'n  auf  dem  Vorderverdeck  und  wohl  nach  den  Winden  sich 

umschau'n, 
Dann  werde  man  erst  Schitfslenker  für  sich.    Wohlan,  um  alle  die  Gründe, 
Da  bescheidentlich  er,   idcht   ohne  Verdacht  und  mit  albernen  Possen  in 

See  ging, 
Lasst  rauschen  die  Woge  des  Beifalls  ihm ;   elfmal  mit  den   schallenden 

Rudern 
Hebt  jubelnden  Sturm  der  lenäischen  Lust, 
Dass  der  Dichter  erfreut  heimkehre  von  hier, 


1)  inixnvQwv  xQvßSrjv  fTfQoiai  noirjTrtts.  —  2)  Ein  weissagender  Bauch- 
redner in  Athen,  von  dem  man  behauptete,  dass  er  einen  begeisternden 
Dämon  im  Leibe  habe;  vergl.  Schol.  zu  v.   Iul4. 


Aristoplianes  und  Kleon.  g5 

Sich  des  Ruhmes  bewusst, 

Voll  strahlender  Wonne  das  Antlitz. 

Diese  Ruhmes-Wonne  Avurde  ihm  durch  den  Siegespreis  zu  Theil, 
den  die  Ritter  erhielten.  Ruderer,  Verdecksmann  und  Schiffsherr, 
soll  angeblich  eine  figürliche  Bezeichnung  des  Stufengangs  be- 
deuten, dea.  er  selbst  vor  dem  Publicum  durchgemacht,  indem 
er  zuerst,  in  seinen  Zechern  vermuthlich,  als  Chorist,  dann  in 
den  ßabjloniern  als  Tritagonist,  hierauf  in  den  Acharnern  als 
Deuteragonist,  und  endlich  als  Protagonist  und  Didaskalos  in  den 
Rittern  aufgetreten  sey. 

Das  unsterbliche  Verdienst,  das  die  Stammheroen  dm-ch  Säu- 
berung des  vaterländischen  Bodens  von  Ungeheuern,  gefährlichen 
Räubern  und  verwüstenden  Thieren  sich  erwarben ;  Theseus  z.  B. 
durch  Befreiung  Attika's  von  der  Kromyouischen  Sau,  von  dem  Ma- 
rathonischen Ochsen ;  Herakles  dm'ch  Erlegung  des  Erymanthischen 
Ebers  u.  s.  w. :  solches  unsterbliche  Verdienst  durfte  Aristophanes, 
fassend  auf  Kleon's  moralischer  Vernichtung,  auch  für  sich  in  An- 
spruch nehmen.  Und  wie  Held  Theseus  mit  der  Keule  des  von 
ihm  ersclilagenen  Räubers  Periphetes;  Herakles  in  der  Haut  des 
Nemeischen  Unthiers  daherzog:  so  erscheint  Aristophanes,  in  den 
Parabasen,  geschmückt  gleichsam  mit  den  Exuvien  des  niederge- 
worfenen Landesfeindes,  der  nur,  als  solcher,  auch  sein  persönli- 
cher Gegner  war,  vor  seinem  im  Theater  des  Dionysos  versammel- 
ten Volke.  Durch  den  Mund  des  Chörführers  bezeichnet  der  he- 
roische Komiker,  in  der  Parabase  der  Ritter,  den  Kleon  als  sol- 
ches verderbliche  Ungethüm.  Der  Chor,  den,  allem  Anscheine 
nach,  Mitglieder  des  Ritterstandes  selber  bildeten,  preist  den 
Dichter  ob  seiner  patriotischen  Heldenthat  (507 ff.): 

Hätt'  irgend  einmal  in  der  früheren  Zeit  ein  alter  Komödienraeister 

Uns  irgend  bestürmt,   mit  des  Stücks  Vortrag  vor  der  schauenden  Menge 

zu  treten; 

Er   hätte    von    uns  das  schwerlich  erlangt.    Doch   der  ist's   würdig   der 

Dichter, 

Der  eben  dieselben  befeindet,  ^vie  wir,  und  es  wagt,  zu  verkünden   die 

Wahrheit, 

Und  mit  tapferem  Muth  auf  den  Typlios  sogar  anstürmt  i;nd  die  wir- 
belnde Windsbraut. 

„Typhos"  (Tvg)Mg)  und  „wirbelnde  Windsbraut"  (SQitülrj)  —  Kleon 


gg  Die  griechische  Komödie. 

eben,  der  den  ganzen  Staat  in  einen  Drelischwindel   umwirbelt 
und  in  den  Abgrund  reisst.     In  der  Wolken-Parabase  (549 ff.): 
Schlug  ich  doch,  wie  mächtig  er  war,  einst  dem  Kleon  auf  den  Bauch, 
Aber  trat  nicht  weiter  auf  ihn,  als  er  todt  im  Staube  lag. 

Seine  Komödie  erhebt  sich  durch  diesen  ritterlichen  Edebnuth 
hoch  über  die  seiner  Genossen;  und  frei  spricht  es  die  Parabase 
aus,  deren  stolze  Segel  des  deutschen  Dichters  Gesinnungen  blä- 
hen und  schwellen:  „Nur  die  Lumpe  sind  bescheiden.  Brave  fr'euen 
sich  der  That."  —  Doch  Die  dort,  weist  die  Parabase  auf  die 
Genossen  mit  Fingern: 

Doch  Die  dort,  nachdem  sich  einmal  Blossen  gab  Hj'perbolos, 
Stampfen  auf  den  ärmlichen  Wicht  stets  und  seine  Mutter  los.  .  .  . 

Am  hochgemuthet  stolzesten  schreitet  sein  grosses  Kunstbewusst- 
seyn,  seine  heroische  Komik,  durch  die  Parabase  im  Frieden 
(729  ff.): 

Wohl   soUte  der  Stab ')  vollziehen    sein  Amt ,   wenn  hier  ein  Komödien- 
dichter 
Sich  selbst  lobpreist,   an   die  Menge  gewandt  im  Schwung  anapästischer 

Weisen. 
Doch  wenn  sich's  geziemt,  o  Tochter  des  Zeus,  dem  Ehre  zu  thun,  der  im 

Lustspiel 
Als  Meister  sich  weit  vor  den  Andern  bewährt  und  den  herrlichsten  Ruhm 

sich  errungen, 
Dann  dünkt,  der  uns  einübte  das  Spiel,  vorzüglicher  Ehre  sich  würdig.  — 
Denn  AUe,   die  einst  wettkämpften  mit  ilim,  hat  er  ja,   der  Eine,  be- 
schwichtigt. .  .  . 
Solch'  faules  Geschwätz,  solch'  hässlichen  Schlund,  solch'  niedrige  Fratzen 

vertrieb  er. 
Und  erschuf  uns  gross  die  gesunkene  Kunst,  und  thürmte  den  Bau  in  die 

Lüfte 
Mit  Gedanken  und  Wort  von  erhabnem  Gehalt  und  nicht  marktähnlichen 

Witzen, 
Das  Gewöhnliche  nicht  durchziehend  mit  Spott,  alltägliche  Männchen  und 

Weibchen ; 
Nein,  Herakles'  Muth  in  der  zornigen  Brust,  legt  Er  an  die  Mächtigsten 

Hand  an. 
Durch  Ledergeruch  2)  und  entsetzlichen  Dunst  kothsprudelnder  Drohungen 

schreitend. 


1)  Die  Stabträger  (Rhabduchen) ,  die  als  Aufseher  Ordnung  und  Ruhe 
im  Theater  zu  erhalten,  aufgestellt  waren.  —  2)  Der  Gerber  Kleon. 


Aristophanes  und  Kleon.  87 

Und  zuerst  und  vor  Allen  bekämpf  ich  ihn  selbst  mit  den  spitzigen  Hauern, 

den  Unhold, 
Denn  fürchterlich,  ha !   von  den  Augen  daher,  wie  der  KjTina ') ,  sprühten 

die  Blicke, 
Dem  hundert  Häupter  umher  unseliger  Schmeichler  beleckten 
Sein  grässliches  Haupt ;  er  hatte  den  Laut,  wie  des  allzerstörenden  Wald- 

stronis  .  .  . 
Solch'  Grauen  zu  schau'n,  es  erschreckte  mich  nicht;  nein  immer  für  euch, 

ihr-  Athener, 
Und  die  Insehi,  bestand  ich  mutliig  den  Kampf.  .  .  . 

Die  gegen  Kleon  gerichtete  Stelle  kommt  wörtlich  auch  in  der 
Parabase  der  Wespen  vor.  Man  vermiithet,  dass  die  Stelle  dm-ch 
ein  Versehen  der  Abschreiber  oder  dm*ch  spätere  Diaskeuase  in 
die  Parabase  des  Friedens  gelangt  sey,  weil  der  Frieden  bald 
nach  Kleon's  Tode  (Ol.  89,  3=422)  aufgeführt  wurde  (in  den 
Lenäen  desselben  Jahres),  und  Aristophanes  sich  nach  Kleon's 
Ableben  der  Ausfälle  gegen  ihn  enthielt. 

In  Folge  der  Aufführung  der  Babylonier  hatte  Kleon,  nach 
gerichtlicher  Untersuchung,  der  Ritterschaft  fünf  Talente  zurück- 
zahlen müssen,  welche  er  durch  Betrug  von  den  Inselbewohnern 
erhalten,  um  diese  von  gewissen  Abgaben  zu  befreien  (Acharn. 5 ff.): 

Nun  ja  ^  mein  Herz  war  überglücklich,  als  ich's  sah!  — 
Die  fünf  Talente,  die  der  Kleon  ausgewürgt, 
Das  war  mir  Labsal,  und  die  Pdtter  lieb'  ich  traun. 
Um  diese  That:  ,,sie  war  der  Hellassöhne  werth!"  .  .  . 

Darüber  erbittert,  warf  ihm  der  Demagoge  jenen  Process  an  den 
Hals.  Da  Kleon,  wie  schon  gemeldet,  damit  durchfiel,  nahm  er, 
nach  Auffülirung  der  Ritter,  die  unter  gi'ossem  Jubel  der  Zu- 
schauer gespielt  und  gekrönt  wurden,  an  dem  Dichter  persönliche 
Rache.  Die  „wirbelnde  Windsbraut"  ergriff  iliu,  wahrscheinlich 
unmittelbar  nach  der  Vorstellung  der  Ritter  und  im  Theater  selbst, 
und  führte  mit  ihm  einen  Drehtanz  aus,  wie  dergleichen  Winds- 
bräute mit  ihrem  Bräutigam  zu  tanzen  pflegen.  Als  Staatsmann, 
Feldherr  und  Gerber  liess  Kleon  von  seinem  Stab  (den  Herren 
vom  Stab)  dem  Dichter  die  Haut  gerben.  Bei  dieser  von  Kleon 
aufgeführten  Gerber-Komödie  hatte  er  dieselben  Lacher  auf  seiner 
Seite,  die  den  Dichter  der  Ritter  auf  Kosten  des  Gerbers  nm* 


1)  Eine  freche  Buhlerin. 


88  Die  griechische  Komödie. 

eben  gekrönt  hatten.  Darauf  zielt  der  Sprecher  des  zweiten 
Halbchors  in  den  Wespen,  den  Aristophanes  selbst  spielte,  da 
Philonides  die  Hauptrolle,  den  Philokieon,  gab  (1284 ff.): 

Einigen  gefiel  es  zu  behaupten ,  ich  sey  ausgesöhnt, 

WeU  mich  da  der  Kleon  doch  ein  Bischen  in  die  Enge  trieb, 

Und  mich  weidlich  zwackte;  ja,  als  ich  ward  abgegerbt, 

Lachten  die  draussen,  die's  sahen,  über  mein  Geschrei, 

Kümmerten  sich  nicht  um  mich,  wollten  abwarten  nur. 

Ob  ich  in  der  Klemme  noch  einen  Witz  schleudere. 

Als  ich  es  bemerkte,  ja,  da  schwänzelt'  ich  ein  wenig  wohl; 

Doch  der  Pfahl,  auf  den  der  Eebstock  baute,  der  betrog  ihn  arg. 

Das  bewies  der  Pfahl,  den  der  Rebstock  stockstumm  geknebelt  zu 
haben  wähnte,  sogleich  in  den  Wespen.  An  der  Haut  des  Dich- 
ters eine  moralische  Vernichtung  rächen,  das  erinnert  an  den  Biss, 
den  der  verstockte  Raubmörder  seinem,  vor  der  Hinrichtung,  ihm 
eifervoll  das  Gewissen  schärfenden  Beichtiger  in  die  Nase  gab. 
Die  Bissnarbe,  ein  Ehremiial,  eine  Zierde  im  Gesichte  des  gott- 
eifrigen Seelsorgers,  war  im  Andenken  des  Bösewichts  ein  Schand- 
und  Brandmal  mehr,  noch  lange  nachdem  der  Wind  mit  seinen 
Gebeinen  Kuöchelchen  spielte. 

Auch  darf  man  in  den  Angriffen  der  alten  Komiker  auf  po- 
litische Persönlichkeiten  keinen  Paiieihass  im  gewöhnlichen  Sinne 
erblicken.  Die  oligarchische  Partei,  auf  deren  Seite  die  alte  Ko- 
mödie kämpfte,  war  identisch  mit  der  Partei  des  Aristides,  Mil- 
tiades,  Kimon,  mit  der  Partei  der  grossen  Ahnen  jenes,  die  ganze 
Geschichte  durchstrahlenden  Marathonischen  Ruhmes,  dessen  Glanz 
aus  dem  Lichtkern  erhabener  Seelengrösse  und  Bürgertugend  her- 
vorbrach. Das  war  und  ist  die  Partei  aller  Guten  mid  Braven 
zu  allen  Zeiten;  denn  es  ist  die  Partei  des  Guten  und  Rechten. 
Was  die  Marathonische  Zeit  bedeutet:  Selbstaufopferung  für 
Freiheit,  Ehre,  Heil  und  Wohlfahrt  seines  Landes,  ja  für  die 
höchsten  Ideen  und  Bürgschaften  der  Menschheit  —  das  schreibt 
diese  selbst,  in  allen  Stadien  ihrer  geschichtlichen  Kämpfe,  auf 
ihre  Fahne. 

Ungeachtet  der  öffentlichen  Verderbniss,  erkannte  und  ehrte 
das  Athenische  Volk  in  Aristophanes  den  gTOSsen  Patrioten  und 
Dichter,  der  ruhmvolle  Heldensiege  über  die  gefährlichsten  Innern 
Feinde  des  Volksgeistes  und  des  Staates,  über  Demagogen,  So- 


Aristophaiies  und  Platoii.  89 

phisten  und  Rechtsverdreher  erfochten,  „so  dass  er  mit  der  Auf- 
führung der  Wespen,  in  einem  Alter  von  kaum  vier  mid  zwanzig 
Jahren  bereits  die  drei  Hauptelemente  des  attischen  Lebens,  Po- 
litik, Erziehung  und  Justiz,  in  das  Gebiet  seiner  Kunst  gezogen 
und  als  verkehrte  Welt  dem  leichtfertigen  Publicum  preisgegeben 
hatte."  1)  In  Anerkenntniss  solcher  Verdienste  -wurde  der  gTosse 
Komiker  durch  Volksbeschluss  Ol.  93,  4  =  405  feierlich  mit  einem 
Zweige  des  heiligen  Oelbaums  bekränzt;  eine  Auszeichnmig,  die 
der  Bekränzung  mit  einem  goldenen  Kranze  gleichkam.-)  Im 
Jahre  darauf  rückte  Lysandi'os  in  Athen  ein.  Da  hörte  die  la- 
chende Nachtigall  auf  zu  schlagen.  Erst  in  den  Ekldesiazusen 
(Ol.  97,  1=392)  regt  sich  ihre  Kehle  wieder;  für  uns  mindestens 
erst  in  dieser  Komödie,  der  ersten,  von  welcher,  nach  Unterbre- 
chung der  scenischeu  Chronologie  während  eines  Zeitraums  von  1 3 
Jahren,  sich  die  Auff'ührungszeit  mit  Bestimmtheit  angeben  lässt. 
Nach  der  Vorstellung  des  zweiten  Plutos  (Ol.  98,  1  =388)  ver- 
lautet nichts  weiter  von  dem  damals  etwa  56jährigen  Dichter, 
als  dass  er  die  Autorschaft  seiner  letzten  Stücke,  des  Kokalos 
und  des  zweiten  ^mugearbeiteten)  Aeolosikou,  seinem  Sohne  Aratos 
abgetreten.  3)  Der  Vita  zufolge  starb  er  bald  nach  der  Auffüh- 
rung des  zweiten  Plutos.  Die  Notiz,  dass  er  zm-  Zeit  der  Pest 
in  Athen  noch  ein  Knabe  gewesen,  und  die  Voraussetzung,  dass 
er,  wie  Eupolis,  bei  der  Aufführung  seines  ersten  Stückes  sieb- 
zehn Jahre  alt  war,  könnte,  meint  Bode,  zu  der  wahrscheinlichen 
Annahme  führen,  dass  Aiistophanes  Ol.  84,  1=444  geboren 
worden. 

Neben  Epicharmos  und  Sophron  gilt  Aristophanes  für  den 
Lieblings-Komiker  Platon's,  trotzdem  dass  dieser  als  Gesetzgeber 
die  Komödie  aus  seinem  Staate  und  noch  entschiedener  als  die 
Tragödie  verbannte.^;  Ein  Staat  ohne  Homer,  ohne  Aeschylos, 
Sophokles,  Aristophanes  —  ein  Himmel  ohne  Sterne,  olme  Götter. 
Doch  soll  ja  eben  Platon's  Ideenstaat  die  factische  Erfüllung  des- 
sen seyn,  was  diese  grossen  Lichter  der  Poesie  nur  als  Probleme 
der  Entwickelungen  weissagungsvoll  aussprechen.  Der  Platonische 
Staat,  der  das  goldene  Zeitalter  der  Ideenlierrschaft  selber  ist. 


1)  Bode  a.  a.  0.  228,  10.  —  2)  Vit.  p.  544.  —   3)  Das.  p.  545,  7.  — 
4)  Legg.  Vn.  p.  S16D.E.  IX.  p.  935C.  E.  Kep.  X.  p.  6(i(i  C.  Pliaedr.  236  0. 


90  Die  griechische  Komödie. 

der  HeiTschaft  des  Guten,  Rechten  und  Schönen,  was  bedarf  er 
ihrer  Propheten,  der  grossen  Dichter?  Wie  nun  aber,  wenn  diese 
Dichter  es  vor  Allen  sind,  die  für  die  Möglichkeit  eines  solchen 
Staates  zeugen?  Wenn  die  Dichter  die  Baumeister  sind,  die  Riss 
und  Plan  zu  jenem  herrlichen  Tempelbau  der  Weltgeschichte, 
der  Menschheit,  zeichnen?  Den  Grundriss,  den  die  Bauwerke  und 
Mauerpoüre,  die  Völker  und  ihre  Werkführer  immer  einsehen, 
immer  vor  Augen  haben  müssen,  um  sich  danach  zu  richten? 
Dass  Platou,  der  göttliche  Piaton,  diess  verkennen  mochte,  dessen 
Philosophie  ihre  Göttlichkeit  aus  den  verwesten  Trümmern  des 
Poeten  sog,  der  in  ihm  verdorben  war!  Das  Epigramm  auf  Ari- 
stophanes,  das  dem  Piaton  sein  Biogi-aph  Olympiodoros  i)  zu- 
sclu'eibt,  ist  ein  solches  Elementartheilchen  eines  in  philosophische 
Tetralogien  zersetzten  Poeten: 

„Als  die  Charitinnen  einst  einen  ewigen  Tempel  sich  suchten, 
Wählten,  Aiistophanes,  sie  deine  Seele  dazu." 
Ai  /ccQiTig  Tf/A-Svög  ri  XaßeTv  oneQ  ov^l  ntaeirai 
ZriTovGai,  \pvxy]V  ivQov  liQißrotpävovg.'^) 

Und  zeichnet  er  den  gTOssen  Komiker  in  seinem  Gastmahl  nicht 
dm'ch  die  höchste  Ehre  aus,  die  ihm,  in  Platon's  Sinne,  nm"  wie- 
derfahren konnte?  dm*ch  die  Ehre,  seine  Liebestheorie,  bei  einem 
heitern  Freundschaftsschmause ,  in  Gesellschaft  des  Sokrates  vor- 
zutragen, dessen  Tod,  oder  doch  Meletos'  Anklage,  die  ihn  her- 
beiführte, Piaton,  in  der  ihm  zugeschriebenen  Apologie  des  Soki'a- 
tes,  als  von  Aristophanes  angeregt  und  vorbereitet,  erklärte? 

Den  Aristoteles  haben  wir  bereits  als  Gegner  der  alten  Ko- 
mödie kennen  lernen.  Doch  scheint  eine  Nebeneinanderstellung 
von  Sophokles  und  Aristophanes 3),  insofern  beide,  jeder  in  seiner 
Art,  die  poetische  Nachahmung  im  Geiste  Homer's  verbeispielen, 
dafür  zu  sprechen,  dass  Aristoteles  den  Aristophanes,  wenn  er  sich 
auf  ihn,  neben  dem  in  seinen  Augen  grössten  Tragiker,  als  Beleg 
für  seine  Erklärung  berief,  mindestens  doch  als  den  würdigsten 
Vertreter  der  alten  Komödie  betrachten  mochte.  Die  mittlere 
und  neuere  Komödie  musste  mit  der  alten  Komödie  zugleich  de- 
ren grössten  Meister  verdrängen,  und   musste  das  Verständniss 


1)  §.  5.  585.  —  2)  Anthol.  Pal.  append.  63.  —  3)  Poet,  in,  4. 


Aristoplianes  und  Plutarch.  91 

für  ihn  endlich  ganz  auslöschen.  Doch  brachte  die  Alexandrini- 
sche  Kritik,  vor  Allen  ihr  berühmtester  Kepräsentant,  des  Aiisto- 
phanes  Namensvetter,  Aristophanes  von  Byzanz,  das  Genie  und 
die  Kunst  des  grossen  Komikers  wieder  zu  Ehi-en.  Wie  Dio 
Chrysostomos,  in  der  öfter  angeführten  Rede,  dem  Sophokles  die 
Mittelstellung  zwischen  Aeschylos  und  Emipides  zuweist,  deren 
Beider  Vorzüge  Sophokles  vereinige;  ähnlich  hält  auch,  dem  Gram- 
matiker Platonios  zufolge  ^),  Aristophanes  die  Mitte  zmschen  Kra- 
tinos  und  Eupolis,  indem  er  des  erstem  bittere  Schärfe  mit  der 
Amnuth  des  Eupolis  verbinde.  Ein  Anonymos  bei  Meineke  -)  nennt 
Aristophanes  den  vorzüglichsten  Künstler  (aQioTog  Ttxvitrig)  der 
alten  Komödie.  Ein  Anderer  sagi  3),  Aristophanes  glänze  in  allen 
Komödiengattuugen,  und  sein  Plutos  sey  als  Vorläufer  der  neuen 
Komödie  zu  betrachten.  Auf  den  Gipfel  der  Verherrlichung  stellt 
ihn  der  Eine  seiner  Biographen,  Thomas  Magister,  dem  wir  un- 
bedingt beipflichten,  wenn  er  von  Aristophanes  rühmt :  seine  Dramen 
seyen  voll  des  edelsten  Kuustgefühls  und  attischer  Grazie  (sv/^iov- 
aiag  -/.al  xagizog  ^^TTi/.rjg  (.uotä)  und  sein  Spott  habe  stets  nur 
das  Beste  des  Staates  im  Auge  gehabt.^)  Plutarch's  bekannte 
Vergleichung  des  Aristophanes  mit  dem  von  ihm  vergötterten  Me- 
nander  ^)  ist  nichts  als  die  zm-  Anklage-  und  Verdammungsschrift 
gegen  Aristophanes  ausgearbeitete  Bemerkung  des  Aristoteles  in 
seiner  Nikomach.  Ethik '^),  auf  die  wir,  bei  Besprechung  der  Me- 
nander-Komödie,  zurückkommen  werden.  Den  treffendsten  Cha- 
rakterzug für  Aristophanes'  Komik  finden  wir  in  dem  Epigramm 
des  Antipatros  von  Thessalonike. ')  Ihm  sind  die  Schriften  des 
Aristophanes  (BlßXoi  \4QLoxocfccvovg)  voll  der  furchtbaren  Gra- 
zien {cpoßEQiov  nlrjd-6/iisvoL  xagittov).  Furchtbare  Huldinnen, 
das  sind  die  Moiren  der  gi'ossen  Komödie,  die  ein  Aristoteles  nicht 
mehr  vertragen  konnte,  wie  viel  weniger  der  lehrreich  amüsante 
Parallelenzieher,  der  pädagogische  Prinzenschriftsteller  und  Mora- 
list, der  Fenelon  des  Tiajanischen  Zeitalters,  der  unter  Domitian 
Philosophie  in  Kom  lelu'te,  den  Trajan  zum  Consul,  Hadrian  zmii 
Procurator  von  Griechenland  machte:  der  frommgläubige  ApoUo- 
priester  und  Vorläufer  des  Neuplatonismus,  Plutarch. 

1)  Mein.  p.  534,  17.  —  2)  p.  539,  4.  —  3)  Das.  540,  11.  —  4)  Das. 
p.  546,  14.  —  .5)  Moral,  p.  853  ff.  —  6)  IV,  c.  14.  p.  1128.  a.  20.  —  7) 
Anthol.  Pal.  IX,  1S6. 


92  Die  griechische  Komödie. 

Unsere  Ansicht  über  den  „Kuustcharakter"  des  Aristophanes 
haben  wir  zugleich  mit  der  Darlegung  des  Wesens  und  der  Eigen- 
thümlichkeiten  der  alten  Komödie  ausgesprochen,  die  Aristopha- 
nes für  die  Nachwelt  allein  veiiritt  und  erschöpft.  Wir  wollen 
nun  seine  elf  vorhandenen  Komödien  in  chronologischer  Folge 
vorführen.  Dem  Athenäos  (3.  Jahrb.  nach  Chr.)  lagen  noch 
sämmtliche  vierzig  Komödien  vor,  die  der  Anonymos  bei  Mei- 
neke  0  dem  Aristophanes  zuschreibt.  vSuidas  (10 — 11.  Jahrb.  nach 
Chr.)  kannte  bereits  nur  die  elf  erhaltenen  Komödien.  Diese  um- 
fassen einen  Zeitraum  von  27  Jahren,  von  den  Acharnern  (Ol. 
88,  4^=425),  der  dritten  Komödie  des  Aristophanes,  bis  zur  Auf- 
führung des  Plutos  (Ol.  98,  1=388),  seines  letzten,  unter  eigenem 
Namen  aufgeführten  Stückes. 

Die  Acharner  C -^lyaQvr^g).  Aufgefühi-t  an  den  Lenäen  Ol. 88, 
4  =  425,  unter  dem  Archon  Euthydemos,  im  6.  Jahre  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges.  Mit  dieser  Komödie  siegte  Aristophanes 
über  die  „Sturmbedrängten"  des  Kratinos  und  über  die  „Neumonde" 
des  Eupolis,  also  über  die  beiden,  nächst  ihm,  gTössten  Vertreter 
der  alten  Komödie.  Aristophanes'  zwei  erste  Stücke,  die  Zecher 
und  Babylonier,  hatten  den  zweiten  Preis  erhalten.  Die  Achar- 
ner Hess  er  noch  imter  dem  Namen  des  Schauspielers  Kallistra- 
tos  auffiihren,  der  darin  den  Protagonisten,  die  Rolle  des  Dikäo- 
polis,  spielte  und  auch  den  Preiskranz  empfing. 

Den  Namen  trägt  die  Komödie  vom  Chor,  der  aus  Kohlen- 
brennern der  attischen  Oi-tschaft  Acharnä  besteht.  Die  Achar- 
ner gehörten  zu  den  tapfersten  und  kriegesmuthigsten  der  attischen 
Landbewohner.  Sie  hatten  beim  ersten  Einfalle  der  Spartaner  in 
Attika  dreitausend  Bewaffnete  gestellt,  und  brennen  jetzt  noch, 
lichterloh  wie  ihre  Meiler,  von  grimmigem  Hass  gegen  den  Lan- 
desfeind, der  zum  vierten  Male  bereits  ihre  Aecker  verwüstet. 
Nun  setzt  sich  der  Zweck  unserer  Komödie:  den  Athenern  den 
Frieden  mit  Sparta  als  einziges  Heil  an's  Herz  zu  legen,  von 
vorneherein  mit  der  kriegerischen  Stimmung  der  erbitterten  Koh- 
lenbreiiner  aus  Acharnä  in  offenen  AViderspruch.  Die  Bewegung 
der  l\oin<uli(.'  besteht  denn  auch  in  der  komischen  Ausgleichung 
dieses  Gegensatzes,  den  der  Dichter  an  der  groteskphantastischen 

1)  T.  1.  p.  545,   n. 


Aristophanes'  Achanier.  93 

Controverse  durchführt  und  schlichtet,  welche  zwischen  Dikäo- 
polis,  der,  als  symbolische  Gattungsfio-ur,  die  friedeusbedürftige 
LandbevölkeiTing  vertritt,  und  zwischen  der,  als  Koliler-Chor  vor- 
gestellten CoUectivperson  entbrennt,  der  für  die  ländliche  Kriegs- 
partei einsteht.  Chor  und  Dichter  sind  die  eigentliclien  Beweger 
der  komischen  Dialektik,  insofern  Dikäopolis  seine  Sache  aus  der 
Seele  des  Dichters  führt,  und  die  dramatische  Bewegung  in  der 
üeberführung  des  kriegslustigen  Chors  und  seiner  Umstimmung 
für  den  Frieden  verläuft;  in  der  üeberführung  des  Zuschauers  also, 
des  kriegseifrigeu  athenischen  Volkes,  dessen  Rolle  der  Chor  in 
dieser  Komödie  spielt.  Zwischen  Dichter  und  Zuschauer  wird 
demnach  die  ganze  Komödie  wie  ein  persönlicher  Handel  abge- 
wickelt, zu  nicht  geringer  Verblüffung  der  Aesthetik.  Und  die 
Verhandlung  zwischen  den  beiden  eigentlichen  Hauptfiguren  der 
Komödie,  dem  Dichter  und  Zuschauer,  erfolgt  hier  nicht  blos 
der  Idee  nach,  wie  etwa  jedes  Drama,  im  letzten  Grunde,  auf 
einer  geheimen  Beziehung  zwischen  Dichter  und  Publicum  beruht ; 
nicht  blos  in  dieser  Weise,  sondern  handgreiflich,  wenn  auch  mit- 
telst allegorisch  vermummtBr  Personen.  Neben  diesen  zwei  Haupt- 
vertretern, dem  Dichter,  als  Dikäopolis  und  dem  Kohlenbrenner- 
chor, als  Repräsentanten  ^les  kriegslustigen  Demos,  tritt  aber  noch 
eine  dritte  wunderliche,  der  Aesthetik  höchst  missliebige  Figur 
in  die  komische  Verhandlung  ein:  die  Tendenz  des  Stückes. 
Und  wie  frech!  Auf  dem  Versammlungsplatz,  auf  der  Pnyx,  er- 
scheint vor  Prytanen  und  Volk  der  mythische  Heros  Amphi- 
theos,  Sohn  der  Demeter  und  des  Triptolemos,  der,  im  Style 
eines  Euripideischon  Prologs  sein  Stammregister  aufsagend,  sich 
vorweg  als  lächerliche  Figur  darstellt,  unbeschadet  seiner  segens- 
reichen Mission,  kraft  welcher  Heros  Amphitheos,  als  Sprössliug 
zweier  dem  ländlichen  Segen  vorstehenden  Gottluuten,  im  Begriff" 
ist,  auszuziehen,  um  „mit  Spaiiu  abzuscldiess(Mi"  (54 f.): 

Aiiipbith.    Doch  mir,  dem  Gotte,  Mämier,  felilCs  au  Keisegeld; 
Denn  die  Prytanen  geben  nichts     - 
Ein  Prytane.  Die  Wächter  lier ! 

Der  Gott  wird  abgeführt.  Da  tritt  Dikäopolis  vor,  der  schlichte 
Landmann  aus  der  Ortschaft  Chollidä,  und  iiiniuit  sich  des 
Gottes  und  der  Friedenssache  an.     Kaum   ist  dns  Wort  gesjiro- 


94  Die  griechische  Komödie. 

chen,  schieben  sich  drei  aufeinaiulerfolgeude  Scenen  dazwischen, 
die  Athens  auswärtige  Gesandtschaftspolitik  aufs  ergötzlichste 
verspotten,  zu  Nutz  und  Frommen  des  Friedens  im  Innern  unter 
den  Hellenen  und  der  Nothwendigkeit  eines  Friedensabschlusses 
mit  Sparta.  Der  aus  Persien  heimkehrende  attische  Gesandte 
mit  Gefolge,  worunter  auch  Pfauen,  legt  seinen  Gesandtschaftsbe- 
richt ab,  begleitet  von  Dikäopolis'  Zwischenbemerkungen,  die  den 
ganzen  Aufzug  als  Erzaufschneiderei  und  Windbeutelei  verhöhnen. 
Der  Gesandte,  der  vom  „grossen  König"  Hülfsgelder  zum  Kriege 
mit  Sparta  mitbringen  sollte,  verheisst  goldene  Berge;  doch 
welche!  (60  ff.): 

Im  vierten  Jahi-e  kamen  wir  zur  Königsburg; 

Der  war  zu  Stuhl  gegangen  sammt  des  Hofes  Tross, 

Und  sass  auf  goldnen  Bergen  dort  acht  Monde  lang. 

Als  Zeuge  dessen  mxä  der  persische  Gesandte  eingefülu-t,  „des 
grossen  Königs  Auge"  genannt,  mit  Verschnittenen  als  Gefolge. 
Der  augebliche  Gesandte,  Pseudartabas,  d.  i.  Lugartabas,  hat, 
seinem  Schauamte  gemäss,  eine  Maske,  die  aus  einem  Ungeheuern 
Auge  besteht.     Wie  Dikäopolis  den  erblickt,  ruft  er: 

Fürst,  Herakles,  hilf! 
Beim  Himmel,  Mensch,  du  guckst  ja  wie  ein  Ruderloch !  .  .  . 

Aber  Lugartabas  lässt  sich  nicht  spotten.  Er  kommt  nicht  mit 
leeren  Händen,  sagt  er  auf  pseudopersisch.  Dikäopolis  wittert  auf 
der  Stelle  den  Sinn,  dass  nämlich  Lugartabas  obenvenneldete 
goldene  Berge  sämmtlich  an  die  Athener  abzuliefern  in  der  Lage 
ist.  Dikäopolis  erkennt  die  Verschnittenen  als  gute  Athener  und 
heimische  Eunuchen  oder  Mannweiber.  Inmittelst  hat  sich  Gott 
Amphitheos  wieder  eingefunden.  Ergrimmt  über  die  an  solche 
Gesandtschaft  verschwendeten  Summen,  über  die  Pfauen,  die  Ver- 
schnittenen, den  Lugartabas  und  die  goldnen  Berge,  zu  deren 
Herstellung  der  gTOSse  König  acht  Monate  gebraucht  hatte,  wen- 
det sich  Dikäopolis  gegen  Amphitheos  und  spricht  (130 ff.): 

Da  nimm  von  raii-  acht  Drachmen,  geh  und  schliesse  mir 
Mit  Lakedämon  Frieden,  blos  für  mich  allein. 
Zugleich  für  meine  Kinder  und  mein  Ehgemahl. 

(^Gegen  die  Zuschauer). 
Schickt  i  h  r  iiidess  Gesandte,  gati't  und  schnappt  nach  Luft ! 


Die  Achanier.    Dikäopolis.    Der  Chor.  95 

Nach  einer  Zwisclieusceue ,  worin  der  aus  Thrake  heimkehrende 
Theoros  mit  schäbigen  Hülfstruppeu,  „Odomantenvolk"  vom 
thraldschen  König  Sitalkes  erscheint,  Diebsgesindel  mit  kleinen 
Tartschen,  die,  kamn  eingetreten,  dem  Dikäopolis  schon  seinen 
Lauch  gestohlen,  —  nach  dieser  nicht  minder  lustigen  Scene, 
kommt  auch  schon  Amphitheos  aus  Sparta  mit  drei  Krügen  zu- 
rück,, worin  dreierlei  Friedensprobeu :  Frieden  auf  fünf,  auf  zehn 
und  auf  dreissig  Jahre.  Die  ersten  zwei  Proben  spuckt  Dikäo- 
polis wieder  aus,  aber  die  Probe  vom  Dreissigjährigen,  die  schmeckt 
ihm!  (196 ft".): 

Dikäop.  Ha,  Dionysoslust! 

Der  riecht  nach  lauter  Nektar  und  Ambrosia  .  .  . 
Ich  eüe  frei  des  Krieges  und  des  Ungemachs, 
Aufs  Land  hinaus  und  feiere  eiu  Dionj^sosfest. 

Amphitheos,  der  mit  genauer  Noth  den  Acharnern  entkam,  die 
ihn,  wegen  der  Krüge  mit  dem  Friedenswein,  steinigen  wollen, 
entflieht.  Die  Scene  verwandelt  sich  in  eine  ländliche  Gregend 
mit  Dikäopolis'  Gehöft  im  Hintergründe.  Der  mit  Steinen  be- 
waffnete Acharnerchor  tritt  ungestüm  mid  in  zerstreuten  Grup- 
pen, ähnlich  wie  der  Chor  im  Oedipus  auf  Kolonos,  suchend  nach 
Amphitheos,  um  ihm,  wegen  der  Krüge,  den  Garaus  zu  machen, 
und  gleichzeitig  den  Dikäopolis,  für  seinen  Separatfriedensabsehluss 
mit  Sparta,  zu  züchtigen.  Dikäopolis  kommt  aus  seinem  Hause 
mit  Frau  und  Töchtern,  und  will  eben  sein  Friedensdankopfer 
mit  Gebeten  an  Gott  Dionysos  und  Gott  Phales  (Priapos)  „des 
Bakchos  Spielgenossen",  verrichten,  als  der  versteckte  Chor  plötz- 
lich hervorstürzt  mit  wildem  Angriffsgeschrei  (280 f.): 

Werfet,  werfet,  werft  ihn ! 
Haut  ihn,  haut  den  Schurken  durch! 

Dikäopolis  setzt  ihnen  die  Gründe,  die  ilm  bestimmten,  auseinan- 
der. Die  zornentbrannten  Köhler  wollen  von  nichts  hören:  „Wisse, 
sterben  musst  du  jetzt."  Da  holt  Dikäopolis  rasch  einen  Kolil  en- 
korb  aus  dem  Haus,  den  er  „todt  zu  machen"  droht,  mit  dem 
Schwert  in  der  Hand,  wenn  sie  die  Steine  nicht  fortwerfen.  Der 
Kohlenkorb  allegorisirt  iln*  Gewerbe,  dem  es  an  Hnls  und  Kragen 
geht,  wenn  sie  nicht  Frieden  halten.  Der  pliantastisch-allogo- 
rische  Styl  bedingi   durcliweg   den  derbsten  Auftrag  des  Zweck- 


96  Die  griechische  Komödie. 

gedankens,  der  Tendenz.  Diese  Kuiistform  vei-körpei-t  sich  bei 
Aristophaues  ganz  zu  einer  Plastik  der  Tendenzidee.  Der  Selbst- 
zweck der  Kunst  wird  hier  zu  Schanden.  Der  Zweck  der  komi- 
schen Kunst  ist,  wie  bei  jeder  ächten  Kunst,  mit  dem  Staatszweck 
identisch,  nur  dass  sie  diesen  in  der  ihr  eigenthümlichen  Form 
poetisch  zur  Anschauung  und  zur  Geltung  bringt.  Die  selbst- 
zweckliche Kunst  ist  hohl ;  ihr  Inhalt  ein  leeres,  frivoles  Fomien- 
spiel;  ihi'e  Idee:  der  raffinirte  Genusskitzel  einer  impotenten  Ab- 
straction.    Schreckerstan-t  ruft  der  Chor  (333 ff.): 

Weh,  wir  sind  dahin,  verloren,  unser  Landsmann  ist  der  Korb  .     .     . 
Meinen  schwarzen  Kameraden  mordest  du,  den  Kohlenfreund  V 

Sie  sind  nun  l)ereit,  seine  Vertheidigungsrede  anzuhören,  die  er 
„mit  dem  Kopf  auf  dem  Hackblocke"  zu  halten,  sich  erboten 
hatte.  Erst  aber  muss  er  sich,  um  die  gehörige  Wirkung  und 
Rührung  ]iervorzul)riugen,  die  dazu  erforderlichen  Bettlerlumpen 
von  Em'ipides  borgen,  der  hier,  als  Dikäopolis'  Nachbar,  in  einem 
Nebenhause  wohnt.  Kephisophon ,  des  Euripides  Gehülfe ,  steckt 
den  Kopf  vor.  Bald  kommt  auch  Euripides  mittelst  der  Dreh- 
maschine zum  Vorschein,  in  einem  Hängekorb  schwebend  und 
mitten  in  der  Arbeit.  Dikäopolis  bringt  nun,  in  einer  unvergleich- 
lichen Scene,  seine  Anliegen  wegen  der  Lmupen  vor  (415 ff.): 

Ein  Lümpchen  gieb  mir  aus  dem  alten  Trauerspiel. 

Euripides  kann  mit  verschiedenen  Sorten  dienen.  Dikäopolis  ent- 
scheidet sich  für  die  Lumpen  des  Telephos,  mit  dem  Myserhüt- 
chen,  dem  Körbclien,  durchgebrannt  vom  Kerzenlicht,  dem  Be- 
cherlein mit  ausgebrocheuem  Rande,  dem  Töpfchen  mit  dem 
feuchten  Schwamm,  und  bettelt  sich  die  Bestandstücke,  eins  nach 
dem  andern,  zusammen  mit  Versen  aus  Euripides'  Tragödien.  Die 
Scene  ist  von  unnachahmlicher  Komik,  wie  sie  nur  das  Genie 
hinwirft,  und  ein  Meisterstück  genussreichster  Verspottung,  die 
ilir  Erg(»tzli(*lH!s  aus  der  Grösse  einer  stolzen  hocligesinnten  Kunst 
schö))ft,  deren  Zweck  und  Wesen  die  kleinlichen  Behelfe  einer 
tiftelnden  Tragik  durch  den  blossen  Contrast  vernichten.  So  aus- 
staffii-t  tritt  nun  Dikäopolis  an  den  Hackblock,  um  seine  Recht- 
fortigungsredo ,  zu  Gunsten  des  Friedens  mit  Sparta,  vor  dem 
Chor  der  Kohlenbrenner  zu  lialten,   der  sich    in  zwei  Halbchöre 


Die  Acharner.    Dikäopulis  und  die  beiden  Halbcliöre.  97 

von  entgegengesetzten  Stinimnngen  getlieilt.  Der  eine  Halbchor, 
dem  Dikäopoüs'  Gründe  einleuchten,  tritt  gegen  den  andern  Halb- 
chor, den  die  Vertheidigungsrede  noch  heftiger  aufgereizt,  für 
Dikäopolis  in  die  Sclu'anken.  Das  einzige  Beispiel  vielleicht  auf 
der  alten  Bühne,  wo  zwei  Halbchöre,  ähnlich  wie  die  Doppelchöre 
in  Schiller's  Braut  von  Messina,  feindlich  und  angriffsweise  an 
einander  gerathen.  Der  gegnerische  Halbchor  ruft  im  Gedränge 
den  kriegerisch  gesinnten  Feldherrn  Lamachos  zu  Hülfe,  der  auch 
gleich  in  Kriegerrüstung  aus  seinem  Hause  daneben  hervortritt, 
als  guter  Nachbar  von  Dikäopolis.  Wie  der  kriegsfeuerige  La- 
machos von  dem  Separatbündler  Dikäopolis  empfangen  und  mit- 
genommen wird,  das  lässt  sich  nur  aus  dem  Auftritt  selbst  er- 
messen (572 — 623).  Dem  tapfern  Eisenfresser  in  Panzer  und 
Federbusch  schwillt  der  Kamm  ellenhoch: 

Lamachos.    Slit  einem  Feldherrn  redest  du,  der  Bettler,  so? 

Dikäopol.     Was,  Bettler?  Ich  ein  Bettler? 

Lamachos.  Nun,  was  bist  du  sonst? 

Dikäopol.     Was  sonst?  Ein  guter  Bürger,  kein  Amtsjägerling, 

Vielmehr,  so  lange  währt  der  Kjrieg,  eia  Kämpferling, 
Doch  du,  so  lange  währt  der  Krieg,  Soldherrscherling. 

Lamachos.    Mich  hat  das  Volk  erkoren. 

Dikäopol.  Ja,  drei  Kukuke! 

Darüber  voll  von  Aerger  schloss  ich  Frieden  ab  ...  . 

Der  Zweikampf  endet  damit,  dass  Lamachos  davonstürmt,  die 
Peloponnesier  zu  befehden,  und  Dikäopolis,  um  mit  ihnen  Handel 
zu  treiben: 

Ich  rufe  hierher  alle  Peloponnesier 

Und  alle  die  Böotier  und  die  Megarer, 

Bei  mir  zu  markten,  aber  nicht  mit  Lamachos  .  .  . 

Der  Act  schliesst  mit  der  lierrlichen  sdion  besproclienen  Parabase. 
Der  Chor  ist  nun  wieder  mit  dem  Dichter  identiscli;  Ein  Sinn 
und  Ein  Herz.  Die  Selbstverherrlichung  erschwingt  den  höch- 
sten Gipfel  in  den  Anapästen,  wo  von  den  an  den  grossen  Dio- 
nysieu  zum  Feste  herbeiströmenden  Fremden  die  Kede,  die  nach 
ihm,  dem  Dichter,  als  der  grössten  Sehenswürdigkeit  in  Athen, 
sich  umschauen: 

Drum    kommen   sie  von   den  Städten   daher,   um   euch   zu  entrichten   die 

Schätzung. 
U.  7 


98  I^i^  griechische  Komödie. 

Dann  brennen  sie  stets,   ihn  mit  Augen  zu  sehn,  den  gewiegtesten  Mann 

des  Gesanges. 

Der  kühn  es  gefragt,  was   wahr  und  gerecht,   dem  Athenischen   Volk    zu 

bedeuten. 

Ja.  so  weit  scholl  in  der  Ferne  bereits    das  Gerücht  von  dem   muthigen 

Dichter, 

Dass  der  König  sogar'),  ausforschend  einmal  der  lakonischen  Männer  Ge- 
sandtschaft, 

Sie  befragte  zuerst,  ob  wir,  ob  sie  jetzt  mächtiger  wären  im  Meere, 

Und  dann  der  Poet,  ob  er  ihnen,  ob  uns  am  bittersten  sage  die  Wahr- 
heit .     .     . 

Der  zweite  Act  stellt,  vor  Dikäopolis'  ländlicher  Wohnung, 
den  Jahrmarkt  vor,  auf  dem  alle  Peloponnesier,  Megarer  und  Böo- 
tier  markten  dürfen  mit  dem  Beding,  dass  sie  nur  mit  ihm,  nicht 
mit  Lamachos,  handeln.  Die  lustigsten  Scenen  folgen  aufeinan- 
der. Ein  Megarer  verkauft  ihm  für  ein  Nessel  Salz  und  ein 
Knoblauchbüschelchen,  seine  zwei  Töchtercheu  im  Sack,  als  em 
Paar  Ferkel.  Seinerseits  verhandelt  Dikäopolis  an  einen  böotischen 
Bauersmann,  gegen  dessen  Geflügel  und  fette  Aale  vom  Kopäersee, 
einen  Sykophanten,  den  er,  wie  einen  „Topf"  eingewickelt  und 
wie  eine  Garbe  mit  dem  Tragband  umflochten,  an  den  Füssen, 
kopfunten,  emporhebt,  vom  Böotier  fest  verpacken  und,  einge- 
schnürt, forttragen  lässt.  Die  Scenen  müssen  mn  so  ergötzlicher 
gewirkt  haben,  da  Aristophanes  den  Megarer  und  Böotier  in  ihrer 
Mundart  sprechen  lässt.  Jetzt  kommt  auch  ein  Diener  von  La- 
machos auf  den  Markt  und  bittet  den  Dikäopolis,  seinem  Herrn 
zum  Kannenfest  für  eine  Drachme  Krammtsvögel  abzulassen,  und 
für  drei  Drachmen  einen  Kopäeraal.  „Der  Lamachos?",  fragt 
Dikäopolis,  und  Aal? 

Nein,  nein,  und  gab  er  seinen  Schild  für  einen  Aal!     .     .     . 

Ich  nehme  meine  Waare  selbst  und  gehe  flugs, 

„Von  Amseln  und  Krammtsvögeln  rings  umscliAvebt",  hinein. 

Mit  einer  zweiten,  den  Act  scliliessenden  Parabase  wendet 
sich  der  Chor,  der  nun  Eins  mit  sich  und  dem  Dichter,  an  die 
Zuschauer,  denen  er  die  Segnungen  des  Friedens  an  dem  Bei- 
spiele des  Mannes   preist   (Dikäopolisj ,    welcher    „voll  Verstand 


1)  Der  jjersische. 


Die  Acharuer.     Dikäopolis  als  Friedens-Scliankwirtli.  99 

ferneher  jeglichen  Bedarf  bezieht",  und  schliesst  mit  einem  Grruss- 
gebet  an  die  Versöhnung  {zlictllayri)  987 ff.: 

Kypria's  Freundhi   und  Holder  Chariten  Gespielin,  o  Versöhnung,  holdes 

Kind! 
Dass  sich  dein  wonnigliches  Angesicht  uns  verbarg! 
Möchte  doch  ein  Eros  mich  ewig  dir  vereinigen 
Wie  im  Bild  jener  dort,  leuchtend  in  der  Rosen  Kranz !     .     .     . 

Im  dritten  Act  schlägt  der  komische  Contrast  von  Friedensselig- 
keit und  Kriegselend  in  seine  lustigsten  Extreme  auseinander. 
Dikäopolis,  als  Festwirth  des  Chors  beim  Friedensjubelschmaus 
am  Kannenfest  auf  der  einen  Seite;  auf  der  andern  Lamachos, 
hereingetragen  aus  dem  Kampfe,  durchbläut,  kläglich  stöhnend, 
heulend  über  den  Stich  von  Feindes  Speer.  Seine  hochkomische 
Beleuchtung  empfängt  der  zwerchfellerschütternde  Gegensatz  aber 
erst  durch  die  ihn  vorbereitenden  Auftritte:  durch  Dikäopolis' 
wohlgemuthe  Anstalten  zum  Schmause;  mid  daneben  der  jam- 
mernde Landmann,  dem  die  Böotier  sein  Stiergespann  geraubt, 
und  der  nun  von  Dikäopolis  „etwas  Frieden"  erfleht,  um  Gottes- 
willen „auf  fünf  Jahre  nur!"  wie  Einer  mit  geschwollener  Backe 
in  die  Apotheke  läuft,  und  um  ein  Paar  Tropfen  auf  Baumwolle 
in  die  Zahnlücke  jammert  (lü33ft'.): 

Der  Land  mann.      So  träufle  nur  ein  einzig  Tröpfchen  Friede  mir 
In  dieses  Röhrchen  hier  hinein,  ich  bitte  dich. 
Dikäopolis.     Kein  Sonnenstäubchen!  Geh  und  heule,  wo  du  willst! 
Der  La  n  dm  an  n.    Weh  mir,  ich  Armer!  Ach,  das  Ackerstierepaar. 

(ab). 

Brautführer  und  Brautjungfer  kommen  mit  einer  Fleischspende  an 
Dikäopolis  vom  Bräutigam  aus  dem  Feldlager,  und  bitten  sich 
für  diesen  ein  Schlückchen  Frieden  aus.  „Nicht  für  tausend 
Drachmen",  sagt  unser  Friedens-Schenkwirth.  Darauf  flüstert  ihm 
die  Brautjungfer  etwas  in's  Ohr.  Die  Aristoplumischen  Huldgöt- 
tinnen lächeln  schalkhaft  über  diesen  auserlesnen  Zug,  der  so  fein 
und  lieblich  mitten  in  die  vollsaftigste  Grotteskkomik  sich  hinein- 
stiehlt; wie  etwa  in  den  lärmenden  Freudensclimaus  einer  Bauern- 
hochzeit ein  verstohlener  l^uss  des  Bräutigams,  den  nur  die  Rose 
verräth,  die  dabei  aus  dem  Busensträuschen  der  Braut  auf  den 
Teller  der  Nachbarin  fällt.     Das  ist  ein  Pinselstrich,   den   von 


100  Die  griechische  Komödie. 

alleo  Komikern  der  alten  Komödie  mir  die  feiiigestimmte  Kmist- 
seele  des  Aristoplianes  so  scliälklicli  mid  am  rechten  Ort  anzu- 
bringen verstand.  Auf  das  Olirgeflüster  der  Brautjungfer  ruft 
Dikäopolis  a 058 ff.): 

Gott,  wie  lächerlich 
Der  Wunsch  der  Braut  ist!    Dringend  bitten  lässt  mich  die, 
Dass  ihr  zu  Hause  bliebe  doch  der  Bräutigam. 
Bringt  her  die  Spende !  Die  bekommt  allein  davon, 
Weü  sie,  die  Jungfrau,  keine  Schuld  am  Kriege  hat. 
Komm,  halte  deinen  Salbenuapf  hier  unter,  Kind! 
Und  weisst  du,  wie  man's  brauchen  muss?  Bedeute  uns 
Die  Braut,  sobald  ein  Kriegeraufgebot  ergeht, 
Bestreiche  sie  den  Bräutigam  beim  Mahl  damit! 

Nachbar  Lamachos  wird  von  dem  Oberkriegsherrn  in's  Feld 
gegen  die  Räuber  in  Böotieu  durch  einen  Herold  beschiedeu ;  Di- 
käopolis von  einem  dahereilenden  Boten  zum  Schmause  heimge- 
rufen (lu9()ff.): 

Esstische,  Lager,  Polster  drauf  und  Teppiche, 
Festkränze,  Salben,  Näschereien,  Lustmädchen  auch, 
Mustorten,  Sahnenkuchen,  Fladen,  Honigbrod, 
Und  Tänzerinnen,  beim  Gelag  das  Süsseste. 
Nun  spute  dich,  so  sehr  du  kannst,     (ab). 
Lamachos.  Weh  über  mir! 

Nun  wechseln  in  den  ergötzlichsten  Stichomythien  Dikäopolis  und 
Lamachos  ihre  contrastirenden  Anordnungen:  Der  betrübte  La- 
machos für  den  Auszug  in's  Feld;  der  schmausvergnügte  Dikäo- 
polis für  das  Festmahl: 

Lamachos.    Auf,  Junge,  bringe  meinen  Kober  mii-  heraus! 

Dikäopolis.    Auf,  Junge,  bringe  meinen  Speisekorb  heraus! 

Lamachos.    Auch  hole  mir  die  Federn  für  den  Helm  heraus. 
Dikäopolis.     Mir  bringe  noch  die  Tauben  und  die  Drosseha  her  .  .  . 
Lamachos.     Bring  her  die  Kapsel  für  des  Helms  dreifachen  Busch. 
Dikäopolis.     Mir  gieb  die  Schüssel  mit  dem  Hasenbraten  her  .  .  . 
Lamachos.     Auf,  Junge,  geh'  und  hole  mir  den  Speer  heraus. 
Dikäopolis.     Auf,  Junge,  geh"  und  brmge  mir  die  Magenwurst. 
Lamachos.     Gieb  her,  ich  will  aus  seiner  Scheide  ziehn  den  Speer, 
Nun  halte  fest,  Bursch! 

(sie  ziehen  den  Speer  heraus) 
Dikäopolis.  Junge,  nimm  und  halte  fest! 

(sie  ziehen  die  Wurst  vom  Bratspiess). 


Die  Acharner.     Dikäopclis  und  Lamachos.  101 

Lamachos.     Nun  bringe  her  des  Schildes  Gorgowölbig  Rund. 
Dikäopolis.     Gieb  mir  des  Kuchens  käsewölbig  Rund  heraus. 
Lamachos.     Ist  solch  Geneck  nicht  Jedermann  ganz  lächerlich? 
Dikäopolis.     Ist  solch  Gebäck  nicht  Jedermann  ganz  wonniglich?   .  .  . 
Lamachos.     Bursch,  bringe  mir  den  kampfgewohnten  Harnisch  her. 
Dikäopolis.    Auch  meinen  Harnisch  hole  mir  —  die  Kanne,  Bursch! 
Lamachos.    Mit  diesem  stech'  ich  jeden  Feind  im  Raufen  aus. 
Dikäopolis.    Mit  diesem  stech'  ich  jeden  Freund  im  Saufen  aus  .  .  . 
Lamachos.     Heb'  aiif  den  Schild  und  tummle  dich  von  hinnen,  Bursch! 

Es  schneit:  der  Henker!  heute  macht  sich's  winterlich. 
Dikäopolis.    Heb'  auf  die  Schüssebi!  heute  macht  sich's  trinkerlich. 

(beide  ab). 

Was  thut  nun  der  Chor?  Er  deutet  mit  Fingern  auf  den  Con- 
trast,  und  schärft  ihn  noch  hinterher  aufs  nachdrücldichste  den 
Zuschauern  ein  (1144): 

Der  geht,  um  zu  zechen,  das  Haupt  umkränzt  .  .  . 
Der,  frierend  im  Schnee,  muss  wachen  die  Nacht  .  .  . 

Wir  sehen  die  glänzendste  Kunst  im  Frohndienst  nicht  blos 
der  allgemeinen  Sache,  der  Staats-  und  Volks-Interessen ;  wir  sehen 
die  edelste  Muse,  Kmist,  Genie,  Begeisterung,  zur  Förderung  eines 
unmittelbaren  Tageszweckes,  einer  praktischen  Zeitfrage,  aufbieten, 
und  alle  Schätze  komisch-phantastischer  Poesie  an  die  Erreichung 
dieses  Zweckes  wenden: 

Der  Mann  da  gewinnt  mit  Reden  den  Sieg;  ihm  glückt  es,  das  Volk  zu  bereden 
Für  den  Frieden  .  .  . 

Beginnt  die  zweite  Parabase,  „Mit  Reden"  (roioi  InyoioLv  rov 
drj(.iov  (.leraneid-eL);  wie  ein  Staatsredner,  zweckdienlich,  auf  un- 
mittelbare EntSchliessungen,  aufs  Praktische  abzielend ;  ganz  auf- 
gehend in  die  Tagesgeschichte,  in-  augenblickliches  Handeln.  Ja 
diess  Handebi  spielt  in  die  Komödie  hinein  als  ihr  Handeln,  und 
dient  ihr  an  Stelle  fast  der  dramatischen  Fabelhandlung,  die  nicht 
aus  einem  Mittelpunkte  sich  hier  entfaltet,  sondern  in  Situationen 
phantastischer  Controversen ,  Für-  und  Widerreden,  auseinander- 
bricht. Und  gleichwohl  die  feinste  Kunst  Bakchischer  Vernunft, 
beredsamer  Gestaltung,  poetisch  überzeugender  Staatsweisheit.  Ja, 
die  Tages-Tendenz  ist  dem  Dichter  das  Wesontliclie,  alles  Andere 
nur  spielendes  Beiwerk;  der  Ernst  dieser  Zweckidoe  seine  komisch- 
ideale  Grundstimmung;  die  Posse  nui-  die  symbolische  Maske,  die 


J02  Die  griechische  Komödie. 

er  jeden  Augenblick  lüftet  und  Lügen  straft.  Wie  steht  es  da 
mit  dem  Selbstzweck  der  Kunst,  dieser  Fliege  im  hohlen  Ei,  das 
von  selbst  zu  schweben  meint? 

Kamii  hat  der  Chor  seine  drei  Strophen  gesungen,  ruft  schon 
ein  Diener  des  Lamachos  nach  gewärmtem  Wasser,   Leinwand, 
Heftpflaster,  für  seinen  elendlich  aus  dem  Kampfe  heimgetrage- 
nen HeiTn;  schreit  auch  dieser  schon  auf  seiner  Bahre:  „0  weh! 
0  weh!"  und  zu  seinem  grössten  Jammer  mit  Dikäopolis'  „Juchhe! 
Juchhe!"  den  die  auf  der  entgegengesetzten  Seite  sich  öftnende 
Bühne  zechend  zwischen  zwei  Dirnen  zeigt  in  dulci  jubilo  (121 4 ff.): 
Lamachos.     0  haltet  mii-  doch,  haltet  mir  doch  das  Bein!  o  weh! 
Haltet  fest,  Freunde,  fest! 
Dikäopolis.     Ihr,  schlingt  um  meinen  Gürtel  hier  die  Anne  fest. 
Schlingt  sie  fest,  Mädchen,  fest! 
Lamachos.    Vom   Schlag  des   Steines  scliMdndelt  noch    mein    mattes 

Haupt : 
Der  Blick  dunkelt  mir-. 
Dikäopolis.     Ich  wiU  zu  Bette,  wiege  mich  in  süsse  Lust; 
Der  Blick  funkelt  mir.  .  .  . 
Lamachos.    Mir  ist,  o  Schmerz!  ein  Lanzenstich  durch  Mark  und  Bein 
gedrungen  (er  wird  fort  getragen). 
Dikäopolis  (die  Kanne  schwingend) 

Hu-  seht  hier  die  Kanne  leer!  TralaUa,  Heil  dem  Sieger! 
Chor.    Tralalla,   stimm'  ich  ein   mit   dir,  Heil  Alter,  Heil  dem 

Sieger ! 
Dikäopolis.     Ich   schenkte    nochmals  lautern   ein   und   sog's  in  einem 

Zug  aus. 
Chor.    TralaUa,  zeuch  nun,  edler  Held,  mit  deinem  Preis,  dem 

Schlauche ! 
Dikäopolis.     So  folget  nun  und  singet  laut:  Tralalla,  Heil  dem  Sieger ! 
Chor.     Wir  folgen  AUe  dir  zu  lieb. 

Und  singen  dir  und  deinem  Schlauch: 
TralaUa,  HeU  dem  Sieger! 

Damit  endet  diese  grosse,  erhabene  Volks-Komödie.  Gegen 
den  Bürgerkrieg  ist  ihre  Schneide  gerichtet;  gegen  das  Ver- 
heeren und  Verwüsten  griechischer  Laude  durch  Bruderstämme; 
im  sechsten  Jahre  eines  Stammgenossenki'ieges,  der  noch  fast  ein 
viertel  Jahrhundert  fortwüthen  sollte,  um  ein  allverschlingendes 
Grab  dem  herrlichsten  der  Völker  zu  wühlen.  Ach,  kein  Jesaias, 
Hesekiel,  Jeremias,  nicht  die  drei  grossen,  zusammen  mit  den 
dreizehn  kleinen  Propheten   konnten  den  Untergang  Jerusalems 


Die  Situationen  in  der  Aristophanischen  Komödie.  103 

abwenden ;  und  nicht  den  Untergang  Griechenlands  die  drei  gTos- 
sen  Komiker  nebst  sämmtlicheu  kleinen  in  Bergk's  oder  Meine- 
ke's  Reliquien-Kisten  und  Kasten.  Wäre  es  möglich  gewesen,  so 
hätten  Aristophanes'  Komödien,  selbst  auch  nur  die  elf,  es  bewir- 
ken müssen;  die  elf  Sibyllen,  weissagend  in  erhabenen  Possen, 
aus  den  tollweisesteu  Prophetenbücheru,  deren  Blätter  die  lachen- 
den Grazien  umwandten.  Für  uns  amie  Schacher  sind  es  Schul- 
fiebeln,  mit  ästhetisch,  literarhistorisch -philologischen  Randglos- 
sen vollgelmtzelt.  Die  ßilderchen  darin,  mit  Lampenruss  und 
Oelfarbe,  vom  berühmten  Oel  des  oleum  et  operam  perdidi,  über- 
strichen, blicken  kaum  kenntlich  darunter  vor.  Das  Wenige,  was 
dui'ch  die  verwitterte  Deckschichte  noch  durchscheint,  erklärt  uns 
die  Schulweisheit  dm-ch  die  blaue  Brille  zu  blauen  Wundern, 
eitel  blauen  Enten,  die  nur  den  Einen  Fehler  hatten,  dass  sie 
auf  dem  Strome  der  Tagesbewegung  schwammen,  und  nicht  lie- 
ber in's  Blaue  hinein  gaukelten,  oder  doch  mindestens  dahinru- 
derten  auf  dem  allgemein  verschwommen  menschlichen  Fahi-was- 
ser  der  Professoren- Aesthetik,  untertauchend  im  selbstzwecklosen 
Element  bis  an  den  himmelwärts  gerichteten  Bürzel.  Auch  über 
„Situationen"  in  diesen  Komödien  belehrt  uns  die  Alte,  mit 
dem  düiTen  Finger  an  der  tröpfelnden  Nase.  Doch  welcher  Art 
diese  Situationen  sind,  und  worin  sie  sich  von  denen  anderer  Ko- 
mödien, besonders  von  den  Situationen  unserer  Dramen,  unter- 
scheiden, das  hat  sie  noch  nicht  aus  ihrer  Nasenspitze  herausge- 
klügelt, die  weisse  Sibylle.  Da  werden  wir  uns  schon  selbst  ein 
Licht  aufstecken  müssen,  ob  noch  so  klein  und  so  gut  es  eben 
leuchten  mag.  [n  allen  andern  Dramen,  die  regelrecht  aus  einer 
in  Conflicten  sich  bewegenden  Handlung  ihre  Spiele  zetteln,  da 
ist  die  Situation  ein  Product  aus  der  Fabelbewegmig  und  Gegen- 
wirkung der  an  der  Handkmg  sich  entwickelnden  Charaktere; 
sind  die  Situationen  Knotenpunkte  gleichsam  in  den  sich  kreu- 
zenden, aus  den  Entmckelungs- Momenten  von  Charakter  und 
Handlung  oder  Intrigue  verschlungenen  Fäden.  Von  einer  solchen 
combinirten  Situation  kami  in  einer  Komödie  nicht  die  Rede  seyn, 
wo  sich  weder  Scene  aus  Scene  hervorgliedert,  noch  die  Charak- 
tere sich  mit  und  an  dieser  Scenenbewegung  entwickebi;  wo  viel- 
mehr jede  einzelne  Scene  nur  die  Illustration  der  Tendenz  ist, 
und  der  Charakter  nur  die  symbolische  Figur,  die  stehende  Maske, 


j(j4  l^i^  griechische  Komödie. 

die  erläuternde  Person  dieser  bestimmten,  zweclrv'oll  praktischen 
Grundidee ;  wo,  mit  einem  Worte,  die  Situationen  nur  als  die  Re- 
flexe der  „schwebenden  Situation"  des  Tages  erscheinen.  In  einer 
derartigen  Komödie  reiht  sich  eine  Situation  an  die  andere,  ähn- 
lich wie  auf  einem  entrollten  Bild  er  streifen  ein  Bild  an  das  an- 
dere; mit  der  Maassgabe,  dass  in  jeder  nächsten  Scene  nicht  die 
Fabel  und  Handlung  mit  den  gleichmässig  entwickelten  Charak- 
teren, sondern  die  Tendenzidee,  nm*  in  gesteigerter  Illustration, 
sich  ihrem  Abschlüsse  zubewegt.  Die  Aristophanische  Komödie 
stellt  daher  nur  scenische  Bilder  ein-  und  derselben,  die  poli- 
tische Zweckidee  abspiegelnden  Grundsituation  im  Kreise  auf,  um 
einen  mehr  oder  minder  handelnd  bewegten  Chor,  der  die  jedesmalige 
„Lage",  aus  der  Seele  des  Dichters  heraus,  erklärt  und  aufliellt,  mit- 
telst kunstvoll  und  stufenweise  verstärkter  Beleuchtung  von  der  in- 
tensivsten komischen  Lichtwirkung,  die  den  Schein  dramatischer  Ent- 
wickelung,  den  Schein  von  dramatischen  Situationswandelungen,  er- 
zeugt. Das  Intriguen-Drama  knüpft  geheim,  versteckt  und  künstlich 
seine  Situationen ;  die  Aristophanische  Komödie,  äusserlich  maskirt, 
spielt  offenes  Spiel,  mit  lauter  stechenden  Trümpfen  in  der  Hand ;  so 
offen  wie  laut  schallendes  Gelächter ;  wie  Bakchantische  Lust  und 
Dionysischer  Freudenjubel ;  so  offen  wie  die  unfehlbaren  Pfeile  von 
ApoUon's  silbernem  Bogen  treffen.  Das  nacharistophanische  Lust- 
spiel oder  Drama,  das  kunstfonnale,  regeh-echte,  das  Aristotelische 
Drama,  ist  das  Drama  des  combinirenden  Verstandes,  des  anre- 
genden Spiels,  der  witzigen  Unterhaltung,  im  Geschmacke  einer 
auch  im  Leben  an  kleinen  Ränken  und  gi'ossen  Skandalen  sich 
ergötzenden,  blasirt  entnervten  und  darmn  der  flüchtigen  Geistes- 
salze bedürftigen  Gesellschaft;  einer  Gesellschaft,  in  welcher  das 
Verständniss  der  poetischen  Idee  und  ihrer  grossen  Kunst  mit 
dem  Reiz  dafür  erloschen;  der  Witz  mid  Intriguen- Verstand  da- 
gegen sich  ungemein  regsam  und  geschäftig  zeig-t;  ein  ganzer 
Wimmelhaufen  von  kleineu  Geisteskünsten,  der  voll  witzfertiger 
Beweglichkeit  sich  auf  dem  Leichnam  der  verwesenden  Poesie  tum- 
melt, und  ihn  bis  aufs  Gerippe  verputzt,  blank  und  schmuck,  wie 
etwa  ein  Haufen  Ameisen  einen  todten  Mauhvurf,  den  „wackern 
Minirer",  dessen  Skelett  sie  so  rein  und  zierlich  herausarbeiten, 
vne  kein  Anatom  es  meisterlicher  und  kunstgerechter  präpariren 
könnte,   und  auch  kein  Aesthetiker  das  Begriffsgerippe  aus  dem 


Die  Ritter.  105 

Leichnam  seiner  Kunstidee  so  glatt  und  so  sanber  herausseciren 
möchte.  Das  altattische  Drama,  in  seiner  mächtigsten  und  voll- 
konamensten  Erscheinung,  als  Aeschyüsche  Tragödie  und  Komö- 
die des  Aristophanes .  ist  das  Drama  der  poetischen  Kuustphau- 
tasie,  der  Ideen-Symbolik;  das  Drama  der  grossen  Nationalitäts- 
Tragik  und  Komik,  und  als  solches  nur  das  vorzugsweis  geschichts- 
philosophische  Drama,  das  die  Idee  der  Menschheit  als  jedesma- 
lige Nationalitäts-  und  Volksidee  verköi-pei-t  und  kunstgestaltlich 
individualisirt.  Das  Intriguen-Drama,  ohne  diese  Ideen,  entartet 
zum  müssigen  Verstandesspiel  voll  geschäftiger  Ameisen-Weisheit 
und  Betriebsamkeit.  Und  das  blieb  es  bis  auf  Shakspeare,  dem  es 
vor  allen  Dichtern  gelungen,  die  reichste  Fabelbewegung  mit  Ae- 
schylisch- Aristophanischer  Ideen -Poesie  in  höchster  Kunstvollen- 
dung zu  verschmelzen;  und  Avird  das  Intriguendrama  jederzeit 
und  in  dem  Maasse  bleiben,  als  es  sich  aus  der  Sonnenbahn  der 
Aeschylisch  -  Aristophanischen  oder  Shakspeareschen  Ideenpoesie 
verliert,  um  in  die  Sternschnuppen  des  Menander-  oder  romani- 
schen Drama's  zu  versprühen. 

Die  Ritter  (Inneig).  Schon  im  nächsten  Jahre  nach  der 
Aufführang  der  Acharner,  an  den  Lenäen  (Ol.  89,  1=^424),  Ar- 
chon  Stratokies,  siegt  Aristophanes  mit  den  Rittern  über  die  Sa- 
tyrn des  Kratinos  und  die  Holzträger  des  Aristomenes.  ^)  üeber 
die  tagesgeschichtliche  Veranlassung  zu  dieser  Komödie  und  ihre 
Folgen  haben  wir  das  Nöthige  berichtet.  Die  in  Aristophanes' 
ersten  Komödien  zerstreuten  Angriffe  auf  Kleon  sind  liier  in 
Einem  Brennpunkte  vereinigt,  der  den  Volksgötzcn  zu  Schlacken 
schäumt  und  in  einen  Klumpenprass  zusammenschmelzt;  denPa- 
phlagonier,  wie  Aristophanes  den  Kleon  in  dieser  Komödie 
nennt;  von  /iaq)XdCeiv,  meint  der  Scholiast'^),  was  brodeln,  auf- 
schäumen, Blasenwerfen  u.  dgl.  bedeutet,  um  den  hitzigen,  pol- 
ternden Demagogen  zu  bezeichnen,  mit  der  Nebenbeziehung  auf 
die  asiatischen  Paphlagonier,  die  für  rohe,  ungeschlachte  Polte- 
rer galten.  Die  komisch -kathartische  Idee  des  Stückes  ist  eben 
so  merkwürdig  als  ergötzlich:  Das  Athenische,  im  Demos  per- 
sonificirte  Volk  wird  vom  Paphlagonier,  seinem  „Hausvogt",  wie 
von  einer  bösen  Krankheit,  durch  einen,  den  Lederhändler  Kleon 


1)  Argum.  II,  Equ.  —  2)  Equ.  2. 


10(5  Die  griechische  Komödie. 

an  Brutalität,  Gemeinheit  und  Sclimäliwuth  noch  überbietenden 
Wursthändler,  Namens  Agorakritos  geheilt;  nach  homöopathi- 
scher Methode  also,  aber  in  stärksten  Dosen.  Die  Kur  wirkt 
Wunder.  Vom  Paphlagonier  genesen,  erscheint  Demos  zuletzt 
verjüng-t,  in  der  alterthümlichen  Tracht  der  Marathonischen  Zeit, 
im  Hintergrunde  die  Akropolis,  scharaselig  über  seine  bisherige 
Verblendung ;  aber,  in  dieser  Schamröthe  lustverklärt ,  wie  in  ro- 
senrother  Schlussbeleuchtung.  Eine  komisch  blutigere  Satire,  als 
diese  Verjüngung,  war  nicht  zu  ersinnen;  doppelt  komisch  und 
doppelt  blutig,  für  den  rohen  Volkstäuscher  wie  für  das  betrogene 
Volk.  Demagogie  und  Demos  werden  gleich  schonungslos  in  die 
Pfanne  des  Wursthäudlers  gehauen,  und  nm*  der  Gnade  und 
patriotischen  Sympathie  des  Dichters  hat  es  Demos  zu  danken, 
wenn  der  Wurstkessel  des  Agorakritos  als  Zauberkessel  wirkt  und 
ihn,  den  Demos,  jung  kocht;  während  der  lederne  Demagoge, 
selbst  für  den  Kochkessel  zu  zähhäutig,  als  Grundspülicht  und 
Wegwurf  ausgeschüttet  und  fortgeworfeu  wird. 

Wer  ist  nun  Agorakritos?  Welche  Tagespersönlichkeit  steckt 
hinter  dem  Wursthändler  Agorakiitos?  In  einer  Komödie,  die, 
mehr  als  irgend  eine  andere  von  Aristophanes,  eine  Tagesgeschichts- 
komödie  ist  mit  wirklichen  Figuren  aus  dem  Leben ;  die  der  Kit- 
terstand selbst  mit  Choreuten  aus  seiner  Mitte  beschickte,  und 
worin  das  attische  Volk,  als  Demos  in  Person,  den  Herrn  und 
komischen  Helden  spielt ;  in  einer  Komödie,  worin  die  zwei  Heer- 
führer, Demosthenes  und  Nikias,  denen  der  Lederhäuter  den  Ruhm 
der  Einnahme  in  Sphakteria,  als  ob's  ein  Schaffell  wäre,  gestohlen  ; 
worin  diese  zwei  Feldherrn  als  Knechte  von  Demos,  dem  Rit- 
terchor zu  Kleon's  Sturz  hülfreiche  Hand  leisten;  —  in  einer 
Komödie  endlich,  worin  der  Dichter  selbst  seine  Spottgebui-t  dar- 
stellte, deren  Gesichtsform  er  sogar  cigcidiändig  sich  erst  schaf- 
fen nmsste,  da  sie  ihm  bekanntlich  kein  Maskenverfertiger  zu 
liefern  wagte:  in  dieser  Komödie  sollte  eine  so  wichtige  Person 
wie  der  Wursthändler  Agorakritos,  der  den  Lederhändler  überty- 
rannt  oder  überdemagogisirt,  eine  blosse  Phantasiefigur  seyn  ohne 
reale  Folie?  Kine  blosse  Aushülfe  -  Figur  oline  politische  Absichts- 
bedeutung?   Nur  so  eine  abstracte  Ueberbietungs-Figm-  seyn?  ') 

2)  Th.  Rötscher,  Aristophanes  und  sein  Zeitalter  etc.  S.   176. 


Aristophanes'  Ritter.    Agorakritos.  107 

Eine  solche  Windblase  mag  in  dem  verwelkten  Gehirn  eines 
ästhetischen  Formeldrehers  auftauchen ;  nicht  aber  in  einem  Dich- 
tergehirn von  so  positivem  Ideengehalt,  wie  Aristophanes  eines  in 
seinem  nur  äusserlich  kahlen  Haupte  trug ;  nur  äusserlich  kahlen, 
inwendig  aber  von  Gedankenquellen  übersprudelnden  und  von  den 
höchsten  und  essentiellsten  Ahnungen,  wie  von  Sternbildern,  er- 
füllten Haupte  trug.  Nein.  Im  Agorakritos  hatte  Aristophanes 
die  Personification  einer  bestimmten  politischen  Idee,  eine  phan- 
tastische Tendenzfigur  von  staatsideeller  Bedeutung  im  Sinne. 
Auch  liegt,  so  erscheint  es  uns,  die  Tendenz  dieser  Figur  deut- 
lich und  bestimmt  vor  Augen;  mit  breitem  vollgetränkten  Pinsel 
aufgetragen  und  leuchtend  in  einer  Farbentünche  wie  Shakspeare's 
Christoph  Sly.  Kurz  und  gut,  der  Wursthändler  verhält  sich, 
unseres  Bedünkens,  zum  Lederhändler,  wie  die  Strassen -Ochlo- 
kratie zur  bürgerlichen  Ochlokratie;  wie  die  proletarische  Pöbel- 
herrschaft zu  der  banausischen  Demagogie  eines  Kleon,  Hyper- 
bolos  u.  s.  w.  Aristophanes'  tiefblickender  Poetengeist  personifi- 
cirt,  unserer  Meinung  nach,  im  Wursthändler  die  niedrigste,  ko- 
thigste  Form  der  Pöbelherrschaft,  die,  als  letztes,  heroisches  Heil- 
mittel, in  einem  demagogisch  siechen,  durch  Volksschmeichler 
zeiTütteten  Staatswesen  noch  mögKcherweise  eine  rettende  Uni- 
wandelung  bewirken  kann,  wie  man  aufgegebene  Siechlinge  durcli 
Koth-  und  Sclilammbäder  heilt.  Sind  ähnliche  Wiederherstellungs- 
und Verjüngungscuren  nicht  von  der  Geschichte  wirklich  unter- 
nommen worden,  und  mit  günstigem  Frfolg?  Von  den  Agorakri- 
ten  z.  B.  der  französischen  Kevolution?  Auch  das  ist  schon  vor- 
gekommen, und  kommt  noch  heutigen  Tages  vor,  dass  gerade  die 
Ritter  Legionen  derartiger  Agorakriten  aus  dem  Strassenkoth 
zu  stampfen  versuchten,  um  die  alte  gute  Zeit,  ihre  Maratho- 
nische Zeit,  d.  h.  die  Bürger-  und  Bauernschinderzeit,  wieder 
herzustellen  und,  weniger  den  Staat,  als  ihre  Privilegien  zu  verjün- 
gen. Ist  denn  nicht  auch  thatsächlich  eine  solche  Allianz  zwi- 
schen der  attisclien  Ritterscliaft  und  dem  Strassenpöbel,  oder  doch 
dessen  kothigsten  Führern,  zum  Sturze  des  Alkibiades,  geschlos- 
sen worden,  der  nur  ein  Kleon  von  feinerem  Tone,  vornehmer 
Bildung,  ein  aristofa-atischer  Kleon  war?  Eine  Allianz  freilich,  die 
nicht  mit  der  Verjüngung  des  guten  Demos,  sondern  mit  dessen 
gänzlicher  Auflösung  endigte.    Was  hat  es  denn  so  ünwarscheiu- 


108  Die  griechische  Komödie. 

liches,  (iass  dieses,  in  der  politischen  Atmosphäre  der  Zeit  sehwe- 
bende Radicalmittel  in  Aristophanes'  erfindungsreich  vorschauen- 
dem Sehergeiste  die  Gestalt  seines  Agorakritos  annahm?  Zu 
Deutsch:  „Markt-  oder  Strassenkritiker,"  Strassenkothpolitiker. 

Nikias,  dem  Kleon  den  Feldherrm'uhm  diebisch  entwendete, 
macht  es  ihm  nun  wett,  indem  er,  als  Knecht  von  Demos,  dem 
schlafenden  Paphlagonier  den  Zettel  mit  Orakelsprüchen  stiehlt, 
die  daliin  lauten,  dass  ein  Wursthändler  den  Paphlagonier  tiber- 
wältigen werde.  Wie  gerufen  kommt  gerade  der  Agorakritos  den 
beiden  Knechten  in  den  Wurf  (147 ff.): 

Demosthenes.  Seliger,  du,  Gesegneter! 

0  jetzt  ein  Nichts  noch,  morgen  übermächtig  gross ! 

Erhabnes  Haupt  der  hochbeglückten  Stadt  Athen ! 
Wursth.     Mein  Freund,  warum  das?  Spülen  Iass  die  Darme  mich, 

Und  meine  Würste  verkaufen.     Was  verhöhnst  du  mich? 
Demosth.  0  Thor  du,  welche  Darme?  Schau  hierher  einmal! 
(auf  die  Zuschauer  deutend) 

Du  siehst  die  Reihen  dieses  Volkes  doch? 
Wursth.  Ja  wohl. 

Demosth.  Von  diesen  allen  wirst  du  selbst  das  Oberhaupt, 

Wirst  Herr  des  Markts,  Herr  uns'rer  Häfen,  Herr  der  Pnyx, 

Zertrittst  den  Rath,  des  Heeres  Führer  schindest  du, 

Schlägst  sie  in  Bande,  liebelst  im  Prytanensaal.  .  .  . 
Wursth.     Sage  mir  doch  auch,  wie  ich 

Wursthändler  hier  der  grosse  Mann  doch  werden  soll. 
Demosth.  Gerade  darum  wii-st  du  ja  der  grosse  Mann, 

Weil  du  gemein,  verwogen  und  vom  Markte  bist. 
Warsth.     Ich  achte  mich  für  solche  Würde  zu  gering. 
Demosth.  Ei,  ei,  warum  denn  achtest  du  dich  zu  gering? 

Du  bist  des  Edlen  dir  be^iisst,  so  scheint  es  mir: 

Wirst  wohl  von  edlem  Hause  sein  ? 
Wursth.  Beileibe,  nein. 

Von  ganz  gemeinem. 
Demosth.  Welch'  ein  unaussprechlich  Glück! 

Wie  ganz  befähigt  bist  du  für  ein  solches  Amt! 
Wursth.     Doch,  Bester,  auch  von  Musenkünsten  weiss  ich  nichts, 

Bis  auf  (las  Lesen,  aber  dicss  auch  schlecht  genug. 
Demosth.  Dicss  kann  allein  dir  schaden,  ist's  auch  schlecht  genug. 

Des  Volkes  Leitung  ist  hinfort  nicht  Sache  mehr 

Des  Feinerzognen  und  des  Wohlgesitteten, 

Nein,  nur  des  roh  Gemeinen.   .  .  . 


Die  Kitter.     Kleon  niul  Agorakritos.  109 

Das  erste  Begegniss  des  Wursthäudlers,  in  Gesellschaft  des 
Ritterchors,  des  Nikias  und  Demostheues,  mit  Kleon  (234  —  481) 
gleicht  einer  grossartigen  Marktprügelei  von  Beulen  und  Löcher 
in  den  Kopf  schlagendem  Wettschimpfen  (284  ff.  j: 

Kleon.  Sterben  sollt  ihr  auf  der  Stelle ! 
Wursth.  Wie  du  schreist,  so  schrei  ich  dreifach. 

Kleon.  Nieder  schrei'  ich  dich  mit  Schreien. 
Wursth.  Nieder  brüll'  ich  dich  mit  Brüllen. 


Kleon.  Dich  zerhack'  ich,  wenn  du  mucksest. 
Wursth.  Dich  bek—  ich,  wenn  du  schwatzest. 

Dazwischen  die  Ritter  im  Chor: 

Nieder,  nieder  mit  dem  Erzschelm,  Würgehund  der  Eitterschaar, 
Mit   dem    Zöllner ,    mit   dem   Abgrund ,    dem    Charybdisräuber- 

schlund.  .  .  . 
Auf  denn,    schlagt  ihn,    auf,   verfolgt  ihn,  äugstet,  bringt  ihn 

ausser  sich. 
Speit  ihn    an ,    wir  helfen   alle ,   stürmt   auf  ihn   lautschreiend 

ein !  .  .  . 

Zweite  Begegnung  vor  dem  Rathhaus  (69 1  ff.) : 

Kleon.  Mit  meinen  Nägeln  reiss'  ich  die  Gedärm'  dir  aus. 
Wursth.  Weg  kratz'  ich  dir  vom  Munde  dein  Prytanenmahl. 

Kleon.  Ich  schleppe  dich  zum  Demos,  da,  da  büsse  mir! 
Wursth.  Ich  schleppe  dich  hin,  hechle  dich  noch  ärger  durch. 
Kleon.  Nun  deinen  Worten  glaubt  er  nicht,  elender  Mensch: 
Ich  habe  meinen  Spott  mit  ihm,  so  viel  ich  will. 
Wursth.  Wie  ganz  du  doch  den  Demos  schon  dein  eigen  glaubst 
Kleon.  Weil  ich's  verstehe,  wie  man  ihm  den  Gaumen  stopft. 

Wursth 

Und    selbst  verschlingst  du  dreimal  mehr  als  e  r  bekommt.  .  .  . 

Kleon Zum  Demos  lass  uns  gehn! 

Wursth.  Nichts  lündert  uns. 

Nur  zugegangen.  .  .  . 
Kleon  (ruft  in  das  Haus  hinein) 

Mein  Demos,  hierher  komm  heraus! 
Wursth.  Ja,  Väterchen, 

Ja,  komm  heraus! 
Kleon.  Mein  Demchen,  allerliebster  Schatz! 

Heraus,  und  siehe,  welchen  Hohn  ich  dulden  muss! 

Demos,  ein  Greis  in  bürgerlicher  Kleidung,  kommt  zum 


\  ]  Q  Die  griechische  Komödie. 

Vorschein.  Er  bescheiclet  die  um  seine  Gunst  sich  bewerbenden 
Nebenbuhler  auf  die  Pnyx,  den  bekannten  Ort  vor  der  Burg,  wo 
das  Athenische  Volk  sich  zu  Berathschlagungen  zu  versammeln 
pflegie.  Hier  entwickelt  sich  nun  auch  ein  Zweikampf  der  beiden 
Zungenfaustschläger ,  dass  die  Zuhörer  zerschlagene  Pankratia- 
sten-Ohren  davontragen  mussten.  Unser  Wursthändler  versteht 
nicht  allein  Würste,  sondern  auch  Polster  ausgezeichnet  zu  fül- 
len, dergleichen  einen  er  dem  Demos  unter  das  Gesäss  schiebt. 
Demos  fühlt  sich  wie  auf  Kosen  gebettet:  „Wahrhaftig,"  ruft  er, 
„du  thatst  als  Volksfi'eund  hier  und  bethätigst  edle  Gesinnung." 
Als  ihm  der  Wm'sthändler  gar,  nach  einer  meisterhaften  Aus- 
einandersetzung, me  hündisch  ihn  Kleon  behandelt,  ein  paar 
Schuhe  hinstellt,  dem  der  Lederhändler  keine  Sohle  jemals  ge- 
schenld;,  und  als  er  gleich  darauf  dem  „hochbetagten  Alten,"  dem 
Demos,  den  der  Lederhändler  im  strengsten  Winter  frieren  lässt, 
ein  neues  Wamms  reicht:  da  muss  Demos  seinen  Gefühlen  Worte 
leihen;  er  betheuert  (864): 

So  etwas  hat  Themistokles  niemals  herausgegrühelt.  .  .  . 

Den  Mantel,  den  ihm  Kleon,  um  den  Wursthändler  auszustechen, 
umhängt,  wirft  Demos,  ihn  tüchtig  ausfilzeud;  ab  (892): 

Geh  fort  zum  Geier  und  Verderb !  Der  riecht  ja  ganz  nach  Leder.  .  .  . 

Schon  überreicht  Demos  dem  Wm-sthändler  den  Vollmachtsring. 
Kleon  beschwört  ihn,  sein  Orakel  vorerst  zu  vernehmen.  Wurst- 
und  Lederhändler  holen  ihre  Orakel  und  bringen  Haufen  von 
Schriftrollen  herangeschleppt.  Nmi  geht  der  Orakel-Wettstreit  an, 
der  wieder  zu  Gunsten  des  Wursthäudlers  ausfällt.  Endlich 
keuchen  die  beiden  mit  Esskörben  und  Geräthschaften  herbei. 
Kleon  setzt  dem  Demos  einen  Stuhl,  Wursthändler  einen  Ess- 
tisch vor.  BTleon  reicht  ihm  ein  Gerstenbrödchen  aus  Pylos' 
Opfermelil ;  Wursthändler  zwei  grosse  Semmeln ,  „welche  Pallas 
selljst  ausgekrumt  mit  der  Hand  von  Elfenbein."  Kleon  Erbsen- 
mus ,  „das  Pallas  selbst  gerührt ;"  Wursthändler  einen  Topf  voll 
Suppe;  Kleon  einen  Pückling;  Wursthändler  Suppenfleisch  und 
Magenwurst,  von  Athena  geschickt,  nebst  Wein  und  Honigfladen. 
Den  Hasenbraten,  n]it  dem  Kleon  den  Wursthändler  auszustechen 
im  Begriffe  ist,  maust  ihm  dieser  geschickt  unter  der  Hand  weg. 


Die  Ritter.     Demos.     Kleon.    Agorakritos.  111 

wie  Kleon  seine  Helcleutliaten  bei  Pylos  imd  Sphakteria,  und  setzt 
das  Wildpret  schnell  dem  Demos  vor.  Noch  baut  Kleon  auf 
einen  Götterspruch,  der  ihm  den  Mann  nennt,  welcher  allein  ^n 
stürzen  soll.  Der  Götterspruch  bringt  Oedipus'  Schicksal  über 
ihn:  Kleon  fragt  dem  Wursthändler  sein  Schreckeusende  ab. 
Eine  köstliche  Parodie  der  tragischen  Orakel-Erfüllungs-Katastro- 
phen (I235flf.): 

Kleon.  In  welche  Schule  gingst  du,  da  du  Knabe  warst? 
Wursth.  Durch  Schläge  setzten  Fleischer  mii-  den  Kopf  zurecht. 
Kleon.  Was  sagst  du?  Wie  der  Götterspruch  das  Herz  er  rührt. 
Gut,  gut! 

Und  auf  der  Ringerschule  dann  —  was  lerntest  du  ? 
Wursth.  Zu  stehlen,  abzuschwören  und  frech  dreinzusehn. 
Kleon.  0  Lyker,  Phöbos'  Apollon,  was  verhängst  du  mir?') 
Und  Avelches  Handwerk  triebst  du  zum  Manu  gereift? 
Wursth.  Wursthandel  trieb  ich.  .  .  . 

Ich  gab  mich  hin.  2) 
Kleon.  Weh  mii-  dem  Unglückssohn!  Nichts,  nichts  mehr  bin  ich! 
„Nur  einer  Hofiuung  Dänmierhelle  hält  mich  flott."  3) 
Du  sage  nur  noch,  ob  du  wirklich  auf  dem  Markt 
Wursthandel  triebst,  oder  bei  dem  Thore  dort. 
Wursth.  Am  Thore,  wo  man  eingesalznes  Fleisch  verkauft. 
Kleon.  Ach,  ach!  der  Spruch  der  Götter  ist  erfüllt  an  mir-! 

,, Wälzt  mich  hinein,  des  Missgeschickes  armen  Sohn!"*) 
Mein  Kranz,  auf  ewig  fahre  wolil,  ich  lasse  dich 
Ungern:  ,,dich  besitzen,  wird  em  andrer  Mann, 
Ein  grössrer  Dieb  wohl  schwerlich,  aber  glücklicher !"  s) 

(Kleon  sinkt  halb  ohnmächtig  nieder.  Demos  fragt  den  Wurst- 
händler nach  seinem  Namen)  (1257): 

Wursth.  Agorakritos, 

Weil  ich  von  Händebi  auf  dem  Markt  mich  mästete. 6) 


1)  Ein^Vers  aus  Euripides.  —  2)  Als  Buhlknabe.  3)  Vers  aus  Euri- 
pides.  —  4)  Vers  aus  Euripides.  —  5)  Parodie  der  Worte  der  Alkestis  bei 
Euripides  (v.  176): 

,,Dicli  besitzen  wird  ein  andres  Weib, 

Nicht  tugendhafter  wahrlich,  doch  wohl  glücklicher!" 
ö)  ^»/  ((yu()u  yüo  X(>iv6fjfvoi  fßoaxufxijv. 


\  1 2  Die  griechische  Komödie. 

Demos.    Dir  denn  vertrau'  ich  ftirder  mich,  Agorakritos, 
Und  diesen  Paphlagonier  übergeh'  ich  dir.  .  .  . 

Kleou  wird  nun  fortgeschafft.  Demos  und  Wursthändler  gehen 
ab.  Der  Chor  singt  den  Actschluss.  Der  dritte  Act  zeigt,  wie 
schon  gemeklet,  den  verjüngten  Demos  (1333  ff.): 

Wursth.  Dort  könnt  ihr  ihn  sehn,  mit  Cicaden  im  Haar'),  glanzvoll  im 

Gewände  der  Vorzeit, 
Nicht  duftend  nach  Muscheln  2),  von  MjTrhen  umwallt  und  dem 
Balsamduft  des  Friedens ! 
Chor.     0  Freude  dir,    König   in  Hellas'  Geschlecht,   und   vereint   dir, 

freuen  auch  wir  uns! 
Denn  wieder  erscheinst  du  würdig  der  Stadt,   der  Trophäen  in 
Marathon  würdig. 
Demos.  Mein  Liebster,  Bester,  komm  doch  her,  Agorakritos! 

Welch'  eine  Wohlthat,  dass  du  mich  jung  gekocht!  .  .  . 

Auf  Demos'  Schlussfrage:  Was  er  dem  Paphlagonier  anzuthun 
gedenke,  antwortet  der  Wursthändler: 

Nichts  Arges  weiter;  mein  Geschäft  bekommt  er  nur; 
Er  soU  allein  Wursthaudel  treiben  unterm  Thor, 
Zusammenwurstend  Hundefleisch  und  Eselszeug.  .  .  . 

Demos  befiehlt  den  Paphlagonier  hinaus  an  sein  Geschäft  zu  füh- 
ren mit  dem  Verse  schliessend: 

Dass  ihn  die  Fremden  sehen,  die  er  einst  gezwackt! 

Die  Wolken.  Diese  von  allen  Stücken  des  Aristophanes 
berühmteste,  und  von  dem  Dichter  selbst  als  sein  vollkommen- 
stes Werk  gepriesene  Komödie  erfuln-  das  Missgeschick,  zweimal 
durchzufallen.  Bei  der  ersten  Auftiihrung  (an  den  grossen  Dio- 
uysien  Ol.  89,  2  =  423,  Archen  Isarclios)  wurde  sie  durch  Krati- 
nos'  Weinflasche  und  den  Konnos  desAmeipsias  besiegt.  Keinen 
bessern  Erfolg  hatte  die  Umarbeitung,  die  unter  dem  Archen 
Ameinias  ein  Jahr  später  (01.89,3  =  422;  zm- Darstellung  kam.  3) 
Die  erste  Ausgabe  hat  sich  nicht  erhalten.  Hermann  nimmt 
an  '*) :  die  vorhandenen  Wolken  wären  aus  der  ersten  und  zweiten 
Bearbeitung    von  einer    spätem  Hand  zusammengesetzt.     Nach 


1)  Die  attischen  Männer  aus  der  Marathonzeit  trugen  goldene  Cicaden 
im  Haar.  -  2)  Nach  Stimm.^teincn.  —  .'{)  Arg.  Nub.  v.  extr.  Schol.  Nub. 
8]   u.  522.  —  4)  Praef.  ad  Ari«t.  Nub.  p.  XXI. 


Aiistophanes'  Wolken.  113 

Argrnn.  VI.  hätte  Aiistophanes  seine  Diaskeuase,  aus  irgend  wel- 
chem Grande  (öt  r^v  nox  alzlav),  nicht  zur  Aufführaug  gebracht. 
Eratosthenesi)  bezieht  das  aber,  wie  es  scheint,  auf  eine  Wieder- 
holung der  zweiten  Ausgabe  ((or^d-t]  öeIv  avaöidcc^ca  zag  Nscpt- 
lc*q  tag  ösvzeQag).  Die  Ei^wähnung  von  Eupolis'  Marikas  in  der 
Wolken -Parabase  beweist  sogar,  dass  diese  Stelle  nach  dem  Ar- 
chontenjahr  des  Ameinias  in  die  Parabase  vom  Dichter  eingescho- 
ben wurde,  was  für  eine  dritte  Umarbeitung  zu  sprechen  scheint.  -) 
Den  wiederholten  Misserfolg  glaubt  man  Parteieinwirkungen  zu- 
schreiben zu  müssen.  Publicum  und  Preisrichter  hätten  nämlich 
in  der  Verspottung  der  vornehmen,  oligarchisch  gesinnten,  im 
Pheidippides  charakterisirten  Athenischen  Jugend,  die  dm'ch  Sokra- 
tes'  Lehren  entsittlicht  würde,  eine  Hinneigmig  zu  Kleon's  Par- 
tei gewittert.  Auf  solche  Motive  findet  sich  aber  in  den  Voiivüifen 
und  Klagen  der  Parabase  über  die  Einsichtslosigkeit  des  Publi- 
cums  und  der  Eichter  nicht  die  entfernteste  Hiudeutung. 

Wie  dem  auch  sey,  für  uns  liegt  das  wichtige  und  neue 
Moment  dieser  Komödie  darin,  dass  der  Dichter,  nachdem  er  in 
seinen  frühern  Stücken  die  offenen  Schäden  im  öffentlichen  Le- 
l)en,  in  der  Staatsverwaltung  blossgelegt,  nun  auch  die  Zerrüttung 
und  tiefe  Verderbniss  im  Familienleben  an  dem  Verhältnisse  zwi- 
schen Vater  und  Sohn,  zwischen  Strepsiades  und  Pheidippides, 
mit  der  Fackel  der  Komik  beleuchtet,  die  schliesslich  als  Zünd- 
fackel auflodert,  um  das  ganze  Nest  der  vom  Dichter  als  Wur- 
zel alles  Unheils  bezeichneten  Sophistenbrut  auszubrennen. 

Pheidippides,  durch  die  Mutter  ein  Neffe  des  Megakles,  aus 
dem  vornehmen  Adelsgeschlechte  der  Alkmäoniden,  aus  welchem 
auch  Perikles  und  Alkibiades  stammten,  vei"wüstet  des  alten  Strep- 
siades, seines  Vaters,  Hauswesen  durch  die  noble  Passion  der 
Junker  aller  Zeiten:  Pferde  und  Wettrennen.  Der  Alte,  den  am 
frähen  Tage  Sorgen  wegen  der  Schuldenlast  wecken,  die  ilmi  die 
„Pferdesucht"  seines  vornehmen,  von  der  hochgesippten  Mutter 
verhätschelten  Jungen  aufgebürdet,  sinnt  hin  und  her,  an  der 
Seite  seines  noch  schlafenden  Sohnes,  nicht  wie  er  die  Schul- 
den bezahle;  als  alter  Gauner,  der  selbst  schon  angefault  ist, 
grübelt  er  über  dem  trefflichen  Auskunftsmittcl,  das  er  sicli  in 


1)  Schol.  Nub.  552.    -  2)  Vgl.  Bode,  317.  Not.  2. 

n. 


]  ]  4  Die  griechische  Komödie. 

der  schlaflosen  Nacht  ausgedacht,    und  nun  auch  gleich  seinem 
wachgerättelten  Jungen  mittheilt  (90 ff.): 

Pheidippides.    So  sage,  was  verlangst  du? 
Strepsiades.  Wirst  du  folgen? 

Pheidipp.  Ja, 

Das  werd'  ich,  beim  Dionysos. 
Strepsiades.  Hieher  schaue  denn! 

(sie  treten  aus  dem  Hause.) 
Du  siehst  doch  hier  das  Pförtchen  und  das  kleine  Haus? 
Pheidipp.     Ich  seh'  es;  aber,  Vater,  sprich,  was  solFs  damit? 
Strepsiades.     Da  haben  weise  Geister  ihr  Studirgemach. 

Es  wohnen  Männer  drinnen,  die  beweisen  dir* 
Der  Himmel  sey  nichts  anders,  als  ein  Stülpkamin, 
Der  rings  um  uns  sich  wölbe,  wir  die  Kohlen  drin.') 
Die  lehren  dich,  mit  Worten  Unrecht  oder  Eecht 
Siegreich  verfechten,  wenn  du  sie  dafür  bezahlst  .  .  . 
Pheidipp.     Abah!  Die  Schufte  kenn'  ich  wohl.     Die  würdigen 
Barfüsse  meinst  du,  meinst  die  Bleigesichter  doch, 
Mitsammt  dem  Unhold  Sokrates  und  Chärephon  ? '^)     .     .     . 
Strepsiades.    Ich  bitte  dich,  ,,du  liebster  aUer  Menschen  mir". 

Geh'  hin  und  lerne! 
Pheidipp.  Vater,  und  was  lern'  ich  denn? 

Strepsiades.    Zwei  Reden  haben  jene  HeiTu,  behauptet  man, 

Die  stärkre,  wie  sie's  nemien,  und  die  schwächere. 
Von  diesen  beiden,  heisst  es,  kann  die  schwächere 
Den  Sieg  gewinnen,  schwatzte  sie  auch  ungereclit. 
Erlernst  du  nun  die  ungerechte  Rede  mir. 
So  zahl'  ich  Niemand  einen  Obolos  zurück. 
Pheidipp.     Das  lass'  ich  bleiben:  denn  so  bleich  und  abgezelirt, 

Wie  wagt'  ich's  je,  die  stolzen  Ritter  anzuschaun! 
Strepsiades.     Dann  bei  Demeter,  kostest  du  nicht  mehr  ein  Brot  .  . 

Ich  jage  dich  zum  Geier  aus  dem  Hause  fort. 
Pheidijjp.     So  lässt  der  Ohm  Megakles  mich  nicht  ohne  Ross; 

Zu  diesem  geh'  ich,  kümm're  mich  nicht  mehr  um  dich, 
(geht  ab.) 

Welches  Sittenbild  mit  wenigen  schlichten,  meisterhaften  Zü- 
gen gleich  in  der  Eingaugs-Scene.  Der  Alte  hatte,  vor  der  Ver- 
heirathung    mit    der  hochadelichen  Städterin,    als    wohlhabender 


1)  Lehre  des  Sophisten  Hii>])on.  —  2)  Freund  und  Genosse  des  Sokra- 
tes. Chärephou  hatte  den  Delidiischen  Orakelspruch  erwiikt,  welcher  den 
Sokrates  für  den  Weisesten  der  Sterblichen  erklärte.  Damals  benutzte  man 
Orakel  zu  Reclamen. 


Die  Wolken.     Strejisiiides  und  Plieidippides.  115 

Bauer  auf  dem  Lande  so  glücklich  gelebt,  „au  Bienen  reich  und 
Schaafen,  reich  an  Wein  und  Gel"  (4b).  Die  vornehme  Edeldame 
bringt  Venvirrung  in  seinen  gesegneten  Hausstand,  flösst  dem 
Sohne  Geringschätzung  gegen  den  Vater  ein  und  zerrüttet  schon 
durch  das  hochmüthige  Fühlenlassen  des  Standesunterscliieds  sein 
einfältiges  Bauerugewissen.  Das  Bedeutsame  ist  aber,  dass  wir 
es  hier  wieder  nicht  mit  Einzelpersonen,  sondern  mit  Gattungs- 
und Collectivfiguren  zu  thun  haben.  Im  Strepsiades  ist  das  at- 
tische, m'sprünglicli  vom  Lande  nach  der  Stadt  verpflanzte  Bürger- 
thmn  gezeichnet.  Bauernpfiffige  Verschlagenheit  und  Fintendreherei, 
Geldgier  und  Processsucht,  diese  dem  Bauer  von  Haus  aus 
inwohnenden  Eigenschaften  erscheinen  im  demokratischen  Bür- 
geiihum  Athens  zum  festen  Charaktertypus  ausgebildet,  den 
Aristophanes  aller  Orten  und  in  der  verschiedenartigsten  Ver- 
larvung  so  ergötzlich  und  so  gründlich  komödirt.  Strepsiades 
deutet  schon  im  Namen  {ot()Bq)to  drehen)  diese  dem  attischen 
Bürger  eingeknififene  Falte  von  Bauern-Kabulistik  an;  wie  Phei- 
dippides  (Eosssparer)  ironisch  auf  das  mittelschlächtige,  aus  demo- 
kratisch-oligarchischen  Bestandtheilen  gemischte  Wesen  des  atti- 
schen Alkmäoniden-Junkerthums  zielen  mag.  Die  Genealogie  des 
Namens  giebt  Strepsiades  in  seinem  ersten  Selbstgespräch  an  (60ff.j. 
Die  Mutter  wollte  dem  Söhnlein  bei  der  Geburt  durchaus  ein 
„Hippos"  (Boss)  angehängt  wissen.  „Ich  aber",  sagt  Strepsiades, 
„liiess  ihn  nach  dem  Ahn  Pheidonides"  {cpsiöio  sparen).  Die  El- 
tern einigten  sich  in  dem  aus  väterlichen  und  mütterlichen  Standes- 
Eigenheiten  zusammengesetzten  Mischnamen  Pheidippides.  In 
solchen  scheinbar  unwesentlichen  Zügen  hat  man  bei  unserem 
Komiker  Hindeutungen  auf  Ideen -Personificationen  zu  erkennen 
von  politischer  Tragweite.  Der  Name  Pheidippides  schlägt  wohl 
gar  zwei  Fliegen  mit  Einer  Klappe.  Es  sollte  vielleicht  nel)enbei 
auch  auf  den  Mischlings-Charaktor  von  demokratischer  Oligarcliie, 
der  nm*  eine  Vermischung  von  beiderlei  Gel)reclien  und  Schrullen 
darstellt,  ein  komisch -satirisches  Streifliclit  fallen.  Oder  liegt 
die  Vermuthung  so  ganz  aussoriialb  des  Gesichtskreises  der  Ari- 
stophanischen Komödie  und  jenseits  der  Tastsphäre  der  kritisclien, 
ihrer  Feinheit  wegen,  berufenen  Fühler  des  Athenischen  l*ublicunis, 
dass  sie  als  eine  untergeschobene  abzulehnen  wäre?  Die  Vermu- 
thung: eine  solche  Intention,    von  Seiten  des  Komikers,  möchte 


•j  ]  ß  Die  griechische  Komödie. 

vielleicht  mit  zAini  Sturze  einer  Komödie  beigetragen  haben,  welche 
nicht  blos,  wie  die  frühern,  in  allegorischen  oder  wirklichen  Ta- 
gesfiguren die  Staatsverwaltung  und  Politik  dem  Gelächter  bloss- 
stellt:  die  sogar  nun  auch  in  Vater  und  Sohn  die  geschichtliche 
Genesis  der  attischen,  zu  einem  Misclivolk  aus  demokratisch- 
oligarchischen  Elementen  von  Staatsordnern  und  Gesetzgebern, 
von  Theseus  schon,  vereinigten  Stadt-  und  Landbevölkerung  anzu- 
tasten wagt,  und  in  den  Folgen  und  Ergebnissen  nm>als  eine 
Fusion  gegenseitiger  Verderbniss  bestichelt  und  verspottet.  Sol- 
cherlei Intentionen  bei  Dichtern  ersten  Ranges,  von  dem  unmess- 
baren  Tief-  und  Weitblick  eines  Aristophanes,  Aeschylos,  Shak- 
speare,  mögen,  gleich  jenen  mit  den  schärfsten  Fernrohren  nur 
erspähbaren  Lichtnebeln,  in  dem  Geiste  solcher  Kunstschöpfer, 
ihnen  selbst  vielleicht  unbewusst,  schweben ;  mögen  erst  nach  Jahr- 
hunderten, Jahrtausenden,  als  lichte  Gedankengruppen,  wie  jene 
Nebelflecke  zu  Sternbildern  und  Sonnensystemen  sich  entwickeln, 
für  die  Erkenntniss  einer  späten  Betrachtung  hervortreten:  sind 
diese  Intentionen  oder  schöpferischen  Lichtkernpunkte  darum  sol- 
chem Geiste  fremdartig,  weil  sie  embryonisch  in  ihm  schwimmen? 
Das  kritische  Mäuslein,  das  in  der  Mausefalle  eines  Zeitungs-Re- 
ferats oder  einer  Feuilleton -Kritik  an  seinem  armseligen  Stück- 
chen Speck  knabbert,  —  das  freilich  wird  auch  hinter  Aristopha- 
nes und  Shakspeare  nichts  als  Klümpchen  von  Geschmack  und 
Grösse  seines  Stückchens  Speck  suchen.  Absichts-Ideen  eines 
gi'ossen  Dichters  muss  man,  wie  der  Taucher  die  Perlenmuscheln, 
aus  der  Meerestiefe  seüies  Genies  an's  Licht  emporholen.  Dünken 
sich  freilich  aucli  gar  Viele  solche  Taucher  und  Perlenfischer,  die  uns 
die  ersten  besten,  aus  dem  flachen  Ufersande  aufgelesenen  Muschel- 
schalen, auf  den  Perlmutterglanz  liiu,  als  ächte  Perlenaustern  vorzei- 
gen. Es  giebt  wohl  gar  auch  solche,  die,  weil  die  Perle,  wie  man 
sagt,  ein  Krankheitsproduct,  eine  Warze,  die  dasPerlthier  ausschwitze, 
die  höckerigen  Auswüchse  ihres  Gehirns  dem  Dichter,  den  sie  iuter- 
pretircn,  in  die  Seele  schiel)en.  Die  Probe  einer  Deutung  liegt  darin: 
Die  herauserklärte  Absichts-Idee,  um  kritisch  berechtigt  zu  erschei- 
nen, muss  eiinnal  den  Anscliauungscliarakter  des  erläuterten  Dichters 
tragen,  und  zweitens  ein  aufliellendes  Licht  in  seine  Composition 
werfen ;  sodass  diese,  ohne  die  entwickelte  Absichts-Idee,  ein  ßucli 
mit  sieben  Siegeln  bliebe,  oder  ein  flaches  Blatt,  wie  andere  mehr, 


Die  Wolken.    Sokrates.  WJ 

oder  gar  niu*  eine  hohle  Attrappe,  zu  welcher,  iiin  ein  Beispiel 
anzuführen,  Diejenigen  auch  den  Hamlet  interpretiren,  die  ihn 
zum  kläglichen  Helden  einer,  aus  Schuld  seiner  Feigheit  und  ün- 
entschlossenheit ,  in  Bezug  auf  ihn,  handlungslosen  Tragödie  ma- 
chen. Man  entschiddige  die  Nebenbetrachtung;  sie  ist  nicht  so 
episodisch  als  sie  scheint,  und  wird  im  Verlauf  unserer  Geschichte 
sich  erlauben,  noch  öfter  den  Kopf  durch  die  Tapete  zu  stecken. 
Ausser  dem  angedeuteten,  für  uns  wahrscheinlichen  Anlass 
zum  wiederholten  Misserfolg  der  „Wolken",  musste  die  Komödie 
dadurch  Aergerniss  erregen,  dass  die,  von  der  vornehmen  Jugend 
Athens  aufgesuchte  Sophistenschule  als  das  Fennent  bezeichnet 
wird,  welches  den  in  die  Familien  geworfenen  Keim  von  Herzens- 
entft-emdung  und  ünehrerbietigkeit  zur  vollen  Eeife  bringt  durch 
gottlose,  alle  Begriife  verwiiTende  Lug-  und  Truglehren  und  in 
dem  zerrütteten  Familienleben  die  Grundlagen  der  Staaten  selbst 
zerstört.  In  Ansehung  der  Sophisten  überhaupt  lässt  sich  von 
Aristophanes'  Ansicht  kein  Jota  rauben.  Wenn  er  aber  den  Mann 
gerade  als  Urbild  der  ganzen  Gattmig  preisgab,  welcher  die  So- 
phisten nicht  anders  auffasste  und  ihr  Treiben  und  ihre  Lehren 
im  Wege  dialektischer  Ironie  zu  vernichten  strebte;  so  darf  sich 
Aristophanes,  zu  seiner  Rechtfertigung,  einmal  darauf  berufen, 
dass  zu  jener  Zeit  das  Bestreben  des  Sokrates  keineswegs  so  klar 
gesichtet  und  das  Facit  seiner  Lehren  so  rein  vor  Aller  Augen 
dalag,  wie  dasselbe  aus  den  Scluiften  seiner  gi'osseu  Schüler  in 
der  Folge  hervortrat;  dass  es  mitliin  nicht  Amt  und  Aufgabe  der 
Komödie  war,  diese  prüfende  Unterscheidung  zwischen  dem  be- 
rühmtesten, von  der  gebildeten  Jugend  Athens  am  eifrigsten  auf- 
gesuchten Freidenker  und  den  Sophisten  von  Gewerbe  selbst  vor- 
zunehmen. Aristophanes  mochte  um  jene  Zeit  den  Sokrates  nur 
aus  ]\Iittheikmgen  und  Anekdoten  kenneu,  die  ihm  denselben  in 
keinem  wesentlich  verschiedenen  Lichte  zeigten,  als  in  welchem 
ilim  die  Sopliisten  selbst  erschienen.  Zumal  Aristophanes  an  nam- 
haften Scliülern,  Jüngern,  Freunden  und  Genossen  des  Sokrates, 
einem  Euripides,  Chärephon,  Alkibiades  u.  s.  w.,  gerade  solche 
Bestrebungen  verfolgen  konnte,  die  er  nach  allen  Richtungen  hin, 
in  Bezug  auf  Staat,  Kunst  und  Privatleben,  für  spottwürdig,  ver- 
dammlich  und  gehihrvoll  erachten  musste.  Fand  er  den  Sokrates 
nicht  im  offenen  Gegensatz,  Kampf  und  Widersprucli  mit  den 


118  Die  griechische  Komödie. 

altehi*wiirdigen  Vorstellungen  und  Volksbegriffen,  ja  mit  den  Vor- 
aussetzungen, auf  denen,  seiner  Meinung  nach,  der  Bestand  des 
Staates  und  des  Gemeinwohls  berulite?  Bewegten  sich  die  Erör- 
terangen  des  Soki'ates  nicht  auch  in  Formen  und  Wendungen, 
die  dem  Uneingeweihten  als  leeres  Geklügel,  müssige  Haarspal- 
tereien und  Spitzfindigkeiten  erscheinen  konnten,  deren  Gehalt 
und  Ergebniss  einem  so  genialischen,  erfindungsreichen,  von  den 
höchsten  Gedanken  und  Ideen  überquellenden  Kopfe,  wie  Aristo- 
phanes,  in  keinem  Verhältnisse  zu  dem  Aufwände  von  syllogisti- 
schen  Windungen  und  desultorischen  Winkelzügen  zu  stehen  be- 
dflnken  mochten?  Ja  dmfte  er  den  Luxus  des  abstracten,  me- 
taphysischen Grübelns,  voraus  mit  Bezug  auf  die  Jugend,  nicht 
für  gefährlicher  und  Geist  verderbender  halten,  als  sich  die  Wahr- 
heiten, die  dadurch  ermittelt  würden,  einleuchtend,  unanfechtbar 
und  erspriesslich  erwiesen?  Wie  wenn  Aristophanes'  komische 
Polemik  gegen  diesen  Luxus  des  Klügeins  hauptsächlich,  gegen 
diese  speculativen  Gaukeleien  und  Taschenspielerkünste,  dieses 
Sophistische  des  formellen  Umschlagens  der  Gegensätze  in  einan- 
der gerichtet  wäre?  Liefern  doch  die  Wolken  selbst  das  ergötz- 
lichste Beispiel  dazu  in  der  Scene,  die  ein  solches  Umkehren  der 
„stärkern  Rede  in  die  schwächere",  wie  in  einem  Sokratischen 
Dialoge,  an  der  Controverse  erläutert,  welche  die  zu  Komödien- 
figm'en  personificirte  „Stärkere"  und  „Schwächere  Rede"  mit  un- 
nachahmlicher Komik  mid  schlagender  Wirkung  gegeneinander 
durchfechten;  der  dialektischen  Methode  gemäss,  wonach  beiden 
Entgegengesetzten  keine  unbedingte  Gültigkeit  zukommt,  da  beide 
gleich  wahr  und  gleich  unwahr  sind.  In  dieser  Methode  zeigt 
sich  Aristophanes'  '.Adixog.  Xöync,  die  Schwächere,  auf  Seiten  des 
Unrechts  kämpfende  Rede,  als  ein  solcher  Meister,  dass  er  in  den 
JlxaLog  loyog  umschlägt,  der  Uiu^echt  in  Recht,  wie  einen  Strumpf, 
umkehrt,  und  den  guten  Dikäos  Logos  aus  dem  Felde  schlägt. 
p]ine  derartige  Methode,  da  sie  eine  voraussetzungslose  seyn  will, 
die  keinen  festen  Grundsatz,  kein  Axiom  zulässt,  sondern  aus  der 
Denkbewegung  allein  die  Begriffe  ermittelt,  —  diese  Methode, 
auf  den  Reclits-  und  Pfiichtenbegriff  angewendet,  muss  die  ge- 
fährlichste Verwimmg  anrichten,  die  sie  denn  auch,  selbst  bei 
Denkgeübten,  angerichtet  hat.  Von  dieser,  wir  wollen  annehmen 
scheinbaren,  Sophistik  ist  keine  Philosophie  frei;  ja  sie  ist  ihr 


Strepsiades  bei  Sokrates.  tlQ 

Wesen  und  Inhalt.  Hat  doch  Goethe  selbst  im  Piaton  nur  einen 
feinern,  gewandtem,  kunstreichern  Sophisten  erkennen  wollen. 
Und  welche  Gaukler  und  Truglehrer  hat  nicht  der  letzte  berühmte 
deutsche  Philosoph,  hat  nicht  Schopenliauer,  in  unsern  drei,  nach 
Kant,  berühmtesten  Dialektikern  und  Gründern  von  philosophi- 
schen Systemen,  in  Fichte,  Schelling  und  Hegel,  zu  entlarven  und 
zu  brandmarken  geeifert!  In  Vergleich  zu  Schopenliauer' s  Herab- 
würdigung und  Verlästerung  dieser  Denker,  als  der  schamlosesten 
sophistischen  Windbeutel,  ist  Aristophanes'  Verunglimpfung  des 
Sokrates  eine  Apotheose.  Ein  so  wolkenliaft  wandelbares  Formen- 
spiel ist  die  Dialektik,  und  so  schwer  ist  sie  von  Tmglehre  und 
Sophistik  zu  unterscheiden. 

Unser  Strepsiades  baut  Häuser,  sein  eigenes  Haus  und  Haus- 
wesen, auf  das  Umschlagen  der  Begi'iffe  und  dialektischen  Gegen- 
sätze. Da  sein  Taugenichts  von  den  „Barfüsslern"  und  „Blei- 
gesichtern" nichts  wissen  will,  in  deren  Denkofficin  die  Schwä- 
chere Rede,  die  Um'echt  in  Recht  im  Handumdrehen  umstülpt, 
das  üniversalmittel  gegen  Schuldenbezahlen,  gebraut  wird;  so 
macht  er  sich  selbst  stracks  auf  den  Weg  (126 ff.): 

Und  alle  Götter  fleh'  ich  an  und  wandere 

In  die  Denkerklause ;  nehme  selbst  noch  Unterricht. 

Er  klopft  an  Sokrates'  Hausthür.  Ein  Schüler  fährt  den  plumpen 
Pocher  an,  dass  er  „so  ungestüm  umvissenschaftlich  an  die  Thüre 
stampft  und  ihm  abtrieb  die  Frucht  des  Gedankens,  der  im  Wer- 
den war."  Besänftigt  giebt  ihm  der  Jünger  sogleich  einen  Vor- 
schmack  von  des  Meisters  Geistesfünden ,  der  Flohsprünge  aus- 
misst  mittelst  Wachspantöffelchen,  die  er  ihnen  an  die  Beine  klebt ; 
der,  auf  Chärephon's  Frage:  „Ob  die  Schnacken  wohl  mit  dem 
Munde  geigen  oder  mit  dem  Hintertheil",  nach  tiefem  Nachden- 
ken sich  für  das  letztere  entschieden,  und  das  Phänomen  aus 
dessen  Beschaffenheit  erklärt  habe.  Worauf  Strepsiades  staunend 
ruft  (165 ff.): 

Tronipetenartig  wäre  dann  der  Schnacke  Steiss! 
0  selig  dreimal,  wer  in  des  Darmes  Tiefe  blickt! 
Wie  leicht  entgeht  er  vor  Gericht  den  Gläubigern, 
Wer  so  der  Schnacke  Darmcanäl  ergründet  hat! 

Als  aufzunehmender  Jünger  nun  in  dif  Denkanstalt  einge- 


120  Die  griechische  Komödie. 

führt,  erblickt  der  alte  Gauch  den  Sokrates  im  Deiikkorbe  schwe- 
ben und  im  Anschauen  des  Himmels  vertieft: 

Ha! 

Wer  ist  denn  der  da  droben,  dort  in  dem  Hängekorb? 
Schüler  (feierlich  andächtig). 

Er! 
Strepsiades.  Welcher  Er  denn? 

Schüler.  Sokrates!  .  .  . 

Er  lässt  den  Alten  allein  mit  dem  tiefen  Denker.  Welche  Scene ! 
Der  Alte  bringt  sein  Anliegen  vor  (243 ff.): 

Sokrates.    Wie  kamst  du  denn  in  Schulden,  unbemerkt  dir  selbst? 
Strepsiades.    Mich  rieb  ein  fressend  Uebel  auf,  die  Pferdesucht. 

Drum  lehre  mich  von  deinen  beiden  Eeden  die, 

Die  Nichts  bezahlt  ,     .     . 

Er  schwört  ihm  bei  den  Göttern  Bezahlung  zu  und  Ehrensold. 
„Bei  was  für  Göttern?  "  fragt  Sokrates.  „Denn  die  Götter  sind 
bei  mir  nicht  gangbare  Münze": 

Sokrates.    Willst  du  der  Götter  Wesen  aus  dem  Grund  verstehn, 

Wie's  -wirklich  ist? 
Strepsiades.  Ja  wahrlich,  wenn  es  möglich  ist. 

Sokrates.    Und  mit  den  Wolken,  die  für  uns  Gottheiten  sind, 

Im  Zwiegespräch  verkehren? 
Strepsiades.  Ja,  von  Herzen  geni. 

Sokrates.    So  setze  dich  auf  dieses  heil'ge  Lotterbett. 

Soki'ates  nimmt  mit  ihm  die  Einweihung  zwm  würdigen  Verkehre 
mit  den  Wolken  vor.  Dann  erhebt  er  ein  Andachtsgebet  an  die 
Wolken  voll  feierlicher  Weihekraft.  Man  fühlt,  mit  welchem  tiefen 
Verständniss  Aristophanes ,  vor  allen  andern  Sophisten,  den  So- 
krates zum  Wolken-Philosophen  gewälüt:  nicht  blos  weil  er  da- 
mals Modephilosoph  war;  sondern  der  einzige  war,  der  sein  We- 
sen mit  dem  heiligsten  Ernste  trieb;  nicht  wie  die  Sophisten, 
Gorgias,  Hippias,  Protagoras,  frivole  Charletans  und  Gaukler,  mit 
dem  Bewusstseyn  ihrer  Lügenkünste.  Der  ungeheuchelte  Ernst, 
der  gi'üiKlliche  Eifer,  womit  sich  Sokrates  in  den  Dunst  und  Ne- 
bel seiner  feierlichen  Alfanzereien  hüllt,  macht  ilin  zu  einer  ehr- 
würdigen Komödienfigur,  weilit  ihn  zum  komischen  Wolken-Hei- 
ligen.   Sokrates'  Gebet  an  die  Wolken,  die  Einführung  des  Wolken- 


Der  Wolkenchor.  121 

Chors,  die  Eiiiudung  dieses  Chors,  die  Chorgesänge,  sind  als  poe- 
tische Kunstgebilde  und  Conception  des  allergrössten  Dichters 
würdig;  anschauungstief,  kühn,  geistreich  im  höchsten  Styl,  er- 
haben wie  ein  Aeschylischer  Chor.  Das  Wunder  komischer  Kunst 
ist  die  Wendung,  die  im  Verlauf  der  Komödie  der  Wolkenchor 
nimmt,  im  scheinbaren  Widerspruch  mit  seiner  eigenen  Tendenz, 
indem  er  gegen  seinen  Schützling  und  Herbeirufer,  gegen  Sokra- 
tes,  Front  macht;  und  dass  sie  plötzlich,  die  Wolkenschwestern, 
sich  als  Schicksalsschwestern  enthüllen,  den  Hexen  im  Macbeth 
verwandt,  denen  sie  in  mehr  als  einer  Beziehung  gleichen.  Was 
soll  man  nun  zu  Droysen's  Zumuthung  an  Aristophanes  sagen  i)? 
Droysen  nimmt  den  Dichter  der  Wolken  in  die  Schule,  und  be- 
lehrt ihn:  „Die  poetische  Wahrheit  hätte  gefordert,  dass  jene 
Göttinnen  Wolken  ihren  Liebling  Soki'ates  retteten,  die  Feuers- 
brunst löschten  und  ihn  oder  seinen  gelehrigen  Schüler  Pheidip- 
pides,  ich  weiss  nicht  wie,  erhöhten."  Nichts  Verkehrteres  und 
Missverständlicheres  lässt  sich  zu  Markte  bringen;  kein  schlagen- 
derer Beweis  liefern,  wie  selbst  ein  hochgeschulter  und  bis  zum 
Genialitätskitzel  geistreichernder  Zwitter  vonHistoriker  undAesthe- 
tiker  sich  blossstellen  kann,  wo  dem  Geistreichischen  der  Faden 
ausgeht;  wo  es  poetische  Anschauung  gilt,  poetische  Phantasie, 
zur  Erklärung  eines  Kunstwerks;  wo  die  Trämne  des  schulweisen 
Dünkels  in  eiteln  Dunst  zerfliessen.  Vernehmen  wir  zunächst  das 
Gebet  des  fi-ommen  Wolken-Priesters  (263 ff.): 

Voll  Andacht  ziemt  es  zu  schweigen  dem  Greis  und  fromm    dem  Gebete 

zu  lauschen. 
Allherrschender  Gott,  unermesslichc  Luft,  die  den  Erdball  schwebend  eni- 

porhält, 
Und    Acthcr    im    Glanz,    und   o    Göttinnen    ihr,    ihr    blitzlielldoiinoriiden 

Wolken, 
Steigt  auf  und  dem  sinnenden  Forscher  erscheint,    clirwürdige  Fraun,   in 

die  Lüfte! 
Strepsiades    (zieht  den  Mantel  über  den  Kopf.) 

Noch  nicht,  nocli  nicht,  bis  den  Mantel  ich  erst  umschlug, 

um  dem  Regen  zu  wehren. 
Unscrger  ich,   dass  ohne   den   Hut  ich   licuto   von  Haus 
mich  entfernte! 


1)  Uebers.  B.  :{.  S.  JB. 


1 22  Dip  griechische  Komödie. 

Sokrates.    Auf,  auf,  o  gefeierte  Wolken,  erscheint  und  enthüllt  ihm  eure 

Gestalten, 
Ob  auf  des  Olympos  Höhen  ihr  thront,  in  den  heil'gen  Schnee- 
regionen, 
Ob  festliche  Eeihn  mit  den  Nymphen  ihr   sclilingt  in  Vater 

Okeanos'  Garten, 
Ob  ihr  eben  die  Fluth  an  den  Borden  des  Nil  einschöpft  in 

die  goldenen  Eimer, 
Ob  ihr  weüet  am  See  der  Mäoten,    ob  fern  auf  schneeiger 

Kuppe  des  Miraas",  ^) 
0  hört  mich,  empfangt  mein  Opfer  mit  Huld,  und  der  heü'- 
gen  Weihen  erfreut  euch! 
Der  Chor  der  Wolken.     (Man   hört  den  Gesang  aus   der  Ferne,  von 

Blitz  und  Donnerschlägen  begleitet.) 
Wolken,  unendliche  Fluth! 

Hebt  euch,  leuchtend  in  ewig  beweglichen  Thauesgestalten, 
Her  von  dem  tosenden  Vater  Okeanos 
Auf  die  bewaldeten  Häupter  erhabner 
Berge,  von  wannen  wir 
Fern  auf  schimmernde  Welten  und  heilige 
Lande,  von  Feuchtem  geschwängert,  und  göttliche 
Ströme  mit  rauschenden  WeUen  und  wogende 
Tiefaufbrausende  Meere  hinabschaun! 
Demi  unermüdet  ja  leuchtet  das  Auge  des  Aethers, 
Stralilend  in  heiterem  Glänze. 
Auf,  von  dem  thauigen  Schleier  enthüllen  wir 
Uns  den  unsterblichen  Leib  und  betrachten  mit 
Fernspähndem  Auge  das  Erdreich! 

Sokrates.    Ihr  hochehrwürdigeu  Wolken  erschient  und  hörtet  mich,  als 

ich  emporrief! 
(zu  Strepsiades) 
Du  vernahmst  doch  die  Stimm'  und  den  Donner  zugleich,  der 
feierlich   brüllte  von  Zeus  her? 
Strepsiades.    Ja,  ich  beuge  mich  tief,  ihr  Erhab'nen,  vor  euch,  und  des 

rollenden  Donners  Geprassel 
EntgegenzuknaUeu,  gelüstet  mich  wohl,  ich  erbebe  vor  euch 

und  erzitt're: 
Und  ob  es  erlaubt  ist  oder  auch  nicht  —  ich  verhalt'  es 
nicht  länger,  ich  k       ! 
Sokrates.    O  lass  mir  die  Possen  und  mache  niir's  nicht,  wie  des  Lust- 
spiels Hefengespenster!  ^) 


1)  Berg  in  Jonien.  —  2)  T()uyoäct{fj,ovtg  ovroi ,   die  sclüechten  Komö- 
diendichter, deren  komische  Figuren  sich  vor  „Wohlgemuthheit  und  Woh- 


Der  Wolkenchor.  ]23 

Schweig'  antlachtvoll;  denn  der  Göttinnen  Schwann  braust 
eben  daher  mit  Gesängen. 
Der  Chor  der  Wolken  (der  Gesang  kommt  allmählig  näher) 

Gegenstrophe. 
Mädchen  mit  thaucndem  Haar! 

Wallen  wir  hier  zu  der  Pallas  gesegnetem  Lande.    Des  Kekrops 
Heldengebiet  zu  begrüssen,  das  liebliche, 
Wo  zu  der  unnennbaren  Geheimnisse 
Feier  das  mystische 

Haus  1)  an  den  Festen  der  Weihe  sich  aufschliesst, 
Dort,  wo  heilige  Gaben  die  Himmlischen, 
Bilder  und  ragende  Tempel,  verherrlichen, 
Festzüg'  auch  zu  den  Sitzen  der  Seligen 
Wallen,  und,  lieblich  im  Kranz,  Brandopfer  und  Mahle 
Wechseln  im  Tanze  der  Hören: 
Heut  im  Beginne  des  Lenzes  die  Bakchische 
Lust  und  singender  Chöre  Bezauberung 
Bei  schmetterndem  Klange  der  Flöten  .... 

Pindar  und  Simonides  hätten  sich  zu  dieser  Lyrik  bekannt. 
Aber  einen  Chorgesang  durch  alle  weihevoll  komischen  und  feier- 
lich parodirenden  Töne,  Contraste  und  Wandlungen  so  wunderbar 
schattiren,  so  ergötzlich  sublim,  und  mit  einer  so  weisheitsvollen 
Phantastik  tiefer  Komödienkunst  die  Spottgebilde  beleuchten:  das 
hat  selbst  Aristophanes  mit  keinem  andern  seiner  Chöre  vermocht. 
Nun  trägt  aber  auch  Strepsiades  seine  bescheidene  Bitte  den  Wol- 
ken vor.    Die  Chorführerin  verspricht  ihm  (431  flf.): 

—    —     —    —    —    —    Forthin  soll  keiner  von  heut  an, 

Wie  du,  vor  versammeltem  Volke  das  Feld   in  den  mehrsten  Händeln  be- 
haupten ! 
Strepsiades.     0  rede  mir  nicht  von  den  Händeln  im  Staat;  denn  nicht 
nach  solchen  verlangt  mich, 
Nein,  nur  so  für  mich  an  dem  Eechte  zu  drehn,  und  die 
Gläubiger  tüchtig  zu  prellen  .  .  . 
Chorführerin     (zu  Sokrates) 

Auf,  nun  greif  an,  lass  kosten  den  Greis  von  der  künf- 
tigen Lehre  den  Vorschmack, 
Eeg'  auf  die  Gedanken  in  seinem  Geliini,   und  erforsche 
mir  seinen  Verstand  erst! 

ligkeit"  nicht  zu  lassen  wissen,  um<1  ,,übcr  iliroii  cig(!nen  Widerspruch  er- 
hoben", im  Bewusstseyn  desselben,  sich  ewig  selbst  iiiirndircu.  —  \]  In 
Eleusis. 


1 24  Diß  griechische  Komödie. 

Sokrates  beginnt  vor  der  Prüfung,  die  der  graue  Schlauerian  als 

alter  Esel  besteht: 

Hast  du  Gedächtniss  ? 
Strepsiades.  Allerdings  und  zweierlei: 

Ist  Einer  mh-  was  schuldig,  da  behalt  ich  leicht; 

Bin  ich  der  Schuldner,  (wehe  mir!)  vergess'  ich  leicht  ... 

Sokrates  wird  ärgerlich:  „Ganz  ungebildet,  ein  Barbar  ist 
dieser  Mensch;"  heisst  ihn,  Schuhe  und  Mantel  ablegen  und  ihm 
ins  Innere  des  Hauses  folgen.  Der  Chor  singt  die  hochbedeut- 
same Schlussparabase,  die  wir  schon  keimen.  Hierauf  stürzt  So- 
b-ates  aus  dem  Pmfungs- Verschlag  hervor,  ganz  schwindelig  über 
das  Hornvieh  von  Bauer: 

Nein  solchen  Bauer  sah  ich  nie  mein  lebenlang  .  .  . 

Euft  ihn  herbei;  examinirt  ihn  über  Maasse  (metra).  Das  Kapi- 
tel hat  Strepsiades  am  Schnürchen  und  erfreut  den  Lehrer  auf 
die  Frage:  Ob  Dreimesser  (Trimeter)  oder  Viermesser  (Tetrame- 
ter j  ihm  das  schönere  Maass  dünkt,  frischweg  mit  dem  herzhaften 
Bescheid: 

Mir  dünken,  traun,  \der  Mässcheu  über  Alles  werth. 

Sokrates  wirft  ihm  einen  Dummkopf  an  den  Schädel  und  ninmit 
diesen  noch  schärfer  iu's  Verhör.  Aber  scliäifer  noch  setzen  dem 
Gegentheil  desselben  die  Wanzen  im  Stuhle  zu,  ganz  nach  der 
Soki'atischen  Methode:  mit  beissender  Ironie.  Seine  Antworten 
sind  auch  demgemäss  —  Soki'ates  reisst  die  Geduld:  „Foi-t  mit 
dir!  Solchen  Schüler  hab'  ich  satt."  Er  lässt  ihn  nochmals  auf- 
sagen. —  Strepsiades  rein  Alles  vergessen!  Soh-ates  schreit  auf: 
An  den  Galgen  mit  dir,  „Du  vergessliches ,  unbeholfenes  altes 
Ungethüm!"  Die  Wolken  stehen  da  wie  aus  den  Wolken  gefallen 
über  solchen  Klotzkopf,  und  geben  ihm  den  Rath,  den  Sohn  her- 
zuschicken, damit  dieser  für  ihn  lerne.  Mit  brummendem  Schä- 
del und  zerbissenem  Gegentheil  eilt  der  Alte  heim.  Zu  Hause 
schwört  er  l)eim  „Nebel";  lacht  den  Sohn  aus,  wegen  seines  Olym- 
pischen Zeus,  an  den  er  noch  glaul)e,  und  legt  so  glänzende  Pro- 
ben ab  von  dem,  was  er  bei  Sokrates  gelernt,  dass  ihn  der  Sohn 
für  veiTückt  erklärt.  Endlich  bewegt  ihn  der  Vater  doch,  mit  ilim 
zu  Sokrates  zu  gelien.  Hier  thut  sich  eine  wmidersame  Schule 
auf:  die  Schwächere  und  die  Stärkere  Rede        wir  kennen 


Der  Wolkenelior.  125 

sie  —  treten  in  Person  vor.  Erstere  (adi-Aog  Aoyoc),  als  Sacli- 
walt  des  Unrechts;  diese,  die  stärkere  Rede  (öUaiog  loyog),  als 
wirklicher  Rechtsanwalt,  stellen  sich  einander  gegenüber,  und 
halten,  vom  Chor  aufgerufen,  ihre  Disjmtation  (954  if.)-  Der  Logos 
dikaios  preist  die  alte  Marathonische  Zeit,  die  er  durchlebt,  wo 
er,  der  gerechte  Logos,  im  Flor  und  die  Sittsamkeit  erstes  Gre- 
setz  war;  schildei-t  „die  Sitten,  durcli  welche  der  Marathonkämpfer 
Geschlecht  aufspross  aus  seiner  Erziehung";  liält  dem  Jüngling, 
Pheidippides,  den  Spiegel  beider  Zeiten  vor,  der  alten  und  neuen: 
Artet  er  jener  nach,  dann  blüht  er  im  Glänze  der  Gesundheit; 
„kein  Schwätzer  des  Markts  katzbalgend  um  Recht  in  dem  Bet- 
telhalluukenprocesse"  (l(Jü5ff.): 
Nein,    schreitend  hinab   zu  den  Akademien    histwandelst    du   friedlich  im 

Oelhain, 
Mit  dem    schimmernden  Rohr  um    die  Stirne  gekränzt,    an  dem  Arm  des 

bescheidenen  Freundes, 
In  des  Epheus   Duft,    in   der  Müsse  Genuss,    uralaubt   von  der   silbernen 

Pappel, 
In  der  Frühlings-Lust,  Avann   traulich  und  hold  mit  dem  Platanos  flüstert 

die  Ulme! 
Doch  wenn  du  es  triebst,  wie  die  heutige  Welt, 
Dann  wird  dir  zum  Lohn  blassgelb  das  Gesicht, 
Und  die  Schultern  gedrückt,  \mä  schmächtig  die  Brust  ... 
Und  er  redet  dir  ein, 

Dass  Hässliches  schön  und  das  Schöne  sogar 
Dir  hässlich  erscheint  .  .  . 
H  a  1  b  c  h  0  r  (zu  dem  Vertreter  des  Eechts) 

Du,  der  du  treu  schirmest  die  Burg 

Göttlich  erhabner  Weisheit, 

Wie  duftig  blüh'n  sittlicher  Kral't 

Blumen  in  deinen  Worten! 

Ja,  hochbeglückt  waren  sie,  traun. 

Die  vormals  mit  dir  gelebt. 

Hier  lüftet  schon  der  Chor  den  Wolkenscldeier,  und  giebt 
sich  als  den,  der  er  in  Wahrheit,  in  jeder  Komödie,  ist,  als  den 
Dolmetscli  des  Dichters  und  Verkfmder  von  dessen  innerster  Ge- 
sinnung und  Uusengedanken  zu  erkennen;  mit  hohnlachender  Ent- 
rüstung zurückweisend  die  schulmeisternde  Diaskeuase  des  deut- 
schen Professors,  der  in's  Blaue  hinein  den  Wolken  das  Coneept 
c^n-igirt,  und  ilincn  den  Kopf  dafür  wäscht,  dass  sie  „ihren  Lieb- 
ling, Sokrates,  nicht  gerettet,  und  ihn  und  seinen  Schüler  Pliei- 


\  26  Diß  griechische  Komödie. 

tlippides,  ich  weiss  nicht  wie,  erhöht."  Der  Anfangs  scheinbar  dem 
Dichter  gegensinnige  Chor  nimmt  solche  Wendung  und  Wand- 
lung auch  in  den  Acharnern,  Wespen,  überall  vor,  und  tritt  auf 
Seiten  der  Tendenzidee,  der  Moral  des  Stückes,  und  bricht  den 
Stab,  in  jeder  Komödie,  über  die  vom  Dichter  Verworfenen,  und 
zündet  ihnen  in  jeder  Komödie  das  Haus  über  dem  Kopf  an,  wie 
hier  dem^Sokrates,  der  ganz  ebenso  des  Wolkenchors  „Liebling" 
ist,  wie  des  Dichters  Liebimg;  wie  Kleon  sein  Liebling  ist,  oder 
der  des  Ritterchors.  Tritt  der  Chor  zu  Anfang  im  Charakter  des 
Athenischen  Demos  auf,  parodistisch,  wie  z.  B.  in  den  Wespen,  so 
läutert  er  sich,  im  Verfolg  der  Komödie,  zu  der  Volkspersönlich- 
keit, die  der  Dichter  im  Sinne  hat ;  wie  der  Demos  seyn  soll,  nach 
dem  Herzen  des  Dichters;  läutert  sich  der  Komödien-Chor  zu  der 
Bedeutung  des  tragischen  Chors,  welcher  überall  im  Geiste  des 
Dikaios  Logos  und  fih*  denselben  seine  Stimme  erhebt. 

Mit  den  nichtigsten  Scheingrüuden,  die  nur  stark  durch  jene 
Frechheit,  welche  grundsätzliche  Schlechtigkeit  verleiht,  kehrt  der 
Vertreter  des  Unrechts,  unser  Schwächerer  Sprecher,  oder 
Fürsprach  der  schlechten  Sache,  dem  Gegner  die  Worte  im  Munde 
um,  mit  Beweisfülu'ungen,  die  jederzeit  von  gutem  Klang  waren 
und  von  erbaulicher,  weitgreifender  Wirkung,  so  weit  um  sich 
greifend,  wie  Krebsschäden  und  die  böse  Käude.  Dem  Vertreter 
des  Unrechts  wächst  die  Schwächere  Rede,  unter'm  Sprechen,  über 
den  Kopf  und  zu  einer  solchen  gräulichen  Grösse  und  Stärke, 
wie  dem  Basilio  im  Barbier  von  Sevilla,  unterm  Singen,  die  „Ver- 
leumdung", die  klein  anfängt  und  grossmächtig  aufhört,  „klein 
aber  mächtig",  wie  eine  bekannte  Partei.  „Folgst  du  mir  nach"^ 
ruft  der  markfaule,  aber  knochenstarke,  der  Rechts-schwache,  aber 
Macht-freche  Logos  dem  Jüngling  Pheidippides  zu  (1077 ff.): 

So  hüpfe,  lache,  freue  dich  der  Kraft  und  achte  niemals 
Etwas  für  schändlich    .     .     . 

Vires  acquirit  eundo.  Aus  dem  Schlamm,  worin  er  watet,  schöpft 
er,  wie  jener  Kothriese,  neue  Kräfte.  Zuletzt  offenbart  sich  in 
dem  „Schwachen"  der  HeiT  so  mächtig,  wird  der  schwache  Strei- 
ter auf  Seiten  der  schlechten  Sache  zu  einem  so  starken  auf  Seiten 
der  äussei-sten  Rechten  und  Schlecliten,  dass  der  Vertreter  des 
Rechts,  der  anneDikäos  Logos,  die  Waffen  streckt  und  ruft(l  I02fl'.): 


Der  Schwächere  und  der  Stärkere  Sprecher.  127 

Ich  bin  besiegt!  — 
und  rettet  sich  zu  den  Zuschauern  hinunter: 

Ich  flüchte  mich  zu  euch  hinunter  .  .  . 
{^^avTOfioXüi  TTQog  ifiug)  .  .  . 

wie  auch  aus  dem  Adikos  Logos  als  „Rundschauer"  oft  der  „Zu- 
schauer" wird. 

.  Strepsiades  ist  entzückt,  empfiehlt  den  Sohn  der  rechtschwa- 
chen Redekunst  des  unrechtstarken  Sachwalts  —  für  ihn  der  rechte 
Mann  —  und  überlässt  ihn  der  Ausbildung  des  Sokrates.  „Ge- 
trost", sagi  dieser,  „du  führst  ilm  als  gewandten  Denker  heim!" 
Und  Sokrates  hält  Wort.  Der  Alte  kennt  sich  schon  jetzt  nicht 
vor  Jubel,  ob  der  hoffnungsvollen  Aussicht,  dass  der  aus  der  hohen 
Hangematten -Schule  der  Denkerei  heimgekehrte  Sohn  ihm  bald 
nun  alle  Gläubiger  zu  Boden  sprechen  wird  mit  der  schwächern 
Rede.  Zwei  solcher  Gläul)iger  schlägt  er  selbst  in  die  Fluclit, 
indem  er  Meineide  schwört,  so  viel  sie  wollen.  Der  Meineid  ist 
bekanntlich  die  schwache  Seite  bei  den  starken  Vertretern  des  Un- 
rechts, und  desslialb  eben  ihre  Hauptstärke.  Aber  schon  erhebt 
sich  der  Wolkenchor  als  Nemesis  der  Komödie.  „Aus  den  Wol- 
ken zucld  der  Strahl",  wie  es  in  Schiller's  Glocke  heisst.  flSOTff.j: 

Nicht  felrlen  kann  es,  heute  trüft 

Sicher  ihn  ein  Ungemach, 

Dass  der  abgefeimte  Wicht 

Unversehns 

Für  seine  Schelmereien  aU 

Den  Lohn  empfängt,  der  Klügling. 

Kaum  gesagt,  klopft  aucli  schon  der  Solin  beim  Alten  an,  und 
zwar  mit  der  Tliiir  in's  Haus,  und  gleich  an  seines  Vaters  Buckel 
und  mit  den  stärksten  Schlägen,  die  selbst  ihn,  den  Alten,  von 
dem  Vertreter  der  schwächern  Rede,  übeiTaschen  (1331  ff.): 

Strepsiades.     Du  schlugst  den  Vater? 

Pheidippides.  Und  beweisen  will  ich  traun 

Dass  ich's  mit  allem  Recht  that  .  .  . 

In  welcher  Redeweise,  das  entscheide  selbst. 
Strepsiades    (verblüfft). 

In  welcher       ? 
Pheidippides     Nun,  der  stärkern  oder  schwachem? 

Jammernd  klagt  der  Alte  dem  Chor  sein  Geschick.     Kr  hat  aus 


1 28  Die  grieclnsche  Komödie. 

einem  Gesang  des  Simonides  einige  Woiie  in  seine  Klage  einge- 
flocliten  —  gleich  fällt  der  Junge  über  ihn  her,  dass  er  so  alt- 
modisches Zeug  dahersinge.  Hierauf  stimmt  der  Alte  Einiges 
aus  Aeschj'los  an.  —  „Von  Aeschylos?"  lacht  ihm  der  Sohn  in's 
Gesicht.  „Nun",  meint  der  Vater,  „dieser  dünkt  mir,  traun,  der 
erste  Meister."    „In  Schwulst",  höhnt  Pheidippides: 

In  Schwulst  und  Bombast,  ungesclilaclit  und  aufgedunsen  .  .  . 

Und  singt  selbst  ein  Liedchen,  —  wehklagt  der  Alte  weiter  dem 
Chor,  —  „ein  Liedchen  aus  einem  Stücke  ')  des  Euripides,  worin 
—  Apollon  wend'  ab  den  Fluch!  —  worin  der  Bruder  beiwohnt 
der  eigenen  Schwester.  Nun  kann  der  Alte  nicht  mehr  an  sich 
halten;  er  muss  losplatzen  mit  Verwünschungen  und  Flüchen. 
Ein  Schmähwoii  giebt  das  andere,  fährt  der  Alte  in  seiner  Klage 
fort,  „bis  der  an  mich  heranspriugt"  (1375): 

Und  micli  zerstampft,  durchbläut  und  presst  und  fast  das  Herz   mir  aus- 
würgt. 
Pheidippides.     Mit  Eecht,  da  du  Euripides,  den  ersten  aller  Weisen, 
Nicht  ehrst!  .  .  . 

Und  entwickelt  ihm  mit  unwiderleglichen  Kechtsgrüuden,  wie  sie 
nur  einem  Zögling  aus  der  Macht -vor -Eecht -Schule  zu  Gebote 
stehn,  dass  Vater  und  Mutter  schlagen  ,.ihm  Pflicht  sey."  Ver- 
zweifelnd wendet  sich  der  Alte  zu  dem  Wolkenchor  (1453 ff".): 

Ihr  tragt  die  Schuld,  ihr  Wolken,  dass  ich  diess  erlebt, 
DiewcU  ich  all  mein  Trachten  euch  anheimgestellt! 

Die   Chorführerin. 
An  all  dem  Unheil  hast  du  selbst  allein    die  Schuld, 
Da  du  zu  bösem  Trachten  selbst  dich  hingewandt. 
Strepsiades.     Warum  denn  habt  ihr  solches  mir  nicht  gleich  gesagt. 
Warum  mich  alten  dummen  Mann  noch  mehr  bethört  V 
Chorfülircr in.     Das  thun  wir  immer,    jedesmal,    wenn  Einer 

uns 
Erscheint  in   böses    Trachten   ganz  und  gar 

verstrickt. 
Bis     wir    den    Thoren    tief   gestürzt    in    Un- 
gemach, 
Damit    er    Ehrfurcht   lerne    vor    der  Götter 
Macht. 

1)  Aeolos. 


Der  AVolkenclior  als  koiiüsche  Nemesis.  129 

Ist  das  nicht  die  Philosophie  von  Macbeth's  Schicksalsschwe- 
stern?  nicht  Shakspeare's  Herzeusmeinung  mit  seinen  Hexen? 
„Erdblasen",  wie  er  sie  nennt,  „die  in  Luft  zerfliessen;"  leib- 
liche Cousinen  also  von  Aristoplianes'  Wolken!  Was?  und  diese 
Wolken,  die  sich  so  aussprechen,  die  für  jeden,  der  Aiistophanes 
und  seine  Wolkeusprache  versteht,  durchweg,  in  der  ganzen  Ko- 
mödie, nicht  anders  denken  und  sprechen  —  diese  Wolken  soll- 
ten noch  das  Feuer  löschen,  das  der  vom  Sohn  durchgeprügelte 
Vater  in  Sokrates'  Giftküche,  die  verteufelte  Denkerei,  wirft?  Noch 
mehr!  Aristophanes  soll  sich  au  der  „poetischen  Wahrheit"  da- 
durch versündigt  haben,  dass  er  die  Lug-  und  Trugfabrik  nieder- 
brennen und  uicht  von  den  Wolken  löschen  Hess ;  die  alles  Gute 
und  Kechte  zu  Nichte  klügelnde  Denkanstalt,  wo  eben  nur  hirn- 
gespinnstische  Zündstoffe  fabricirt  werden,  geeignet,  dem  Staate, 
dem  Gesammtvolke,  wovon  Strepsiades  ein  gut  Theil  vertritt,  das 
Dach  über  dem  Kopfe  anzuzünden!  Ging's  nach  dem  Fenerlärm, 
den  das  historisch-ästhetische  Nachtwächterhorn,  zur  Eettung  der 
in  Feuersgefahr  schwebenden  „poetischen  Wahrheit,"  bläst:  so 
müssten  Aristophanes'  Wolken  flugs  mit  ihren  Eimern,  Schläu- 
chen und  Feuerspritzen  herbeieilen,  um  ihrem  „Liebling"  seineu 
in  der  Luft  schwebenden  Denkkorb  zu  retten,  von  wo  aus  der 
Liebling,  wie  Aristophanes  glaubt  und  glauben  durfte,  Giftpfeile 
auf  die  Stadt  schleudert,  die  unsichtbar  fliegen,  und  erst  Feuer 
fangen,  wenn  sie  festsitzen !  Und  weil  die  Wolken  uicht  als  Feuer- 
wehr und  Spritzenmannschaft  herbeirasseln,  um  Strepsiades'  Fackeln 
in  der  Feuerwiege  zu  ersticken,  werden  sie,  die  Wolken,  für  die 
„handgreifliche  Moral"  verantwortlich  gemacht,  auf  welche  das 
ganze  Stück  „hingegipfelt  wird"  1):  „Statt  dass  man  ein  feierliches 
Erfüllen  aller  der  Holfnungen,  zu  denen  die  raschen  und  glück- 
lichen Fortschritte  des  Fheidippides  berechtigen,  erwartet,  schliesst 
das  Stück  mit  dem  Niederbrennen  der  Denkerei,  und  das  ganze 
Stück  wird  dadurch  auf  eine  sehr  handgreifliche  Moral  hinge- 
gipfelt, eine  Moral,  die  desto  unangenehmer  wirkt,  da  sie  ohne 
poetische  Gerechtigkeit  ist."  Wieder  Einer  von  denen,  die 
Ixion  mit  der  Wolke  erzeugte!  Aber  von  der  Sorte,  die  wir  schon 
an  einem  Exemplar  der  Drei-Tragiker-Kritik,  als  seltenes  Natur- 


1)  Droysen,  das.  S.  15. 
U. 


I  ^0  Die  irriecliische  Koiiiörlie. 

spiel,  betrachtet  und  bewundert  haben,  als  einen  umgestülpten 
Kentauren,  bei  dem  das  Pferdliehe  ol)en,  das  Menschliche  hinten 
sitzt.  Wie  wäre  sonst  diese  Verkehitheit  in  der  Auflassung  von 
Aristophanes'  Komödienchor,  dieses  Aufdenkopfstellen  des  Aristo- 
phanes  und  seiner  Komödie  erklärlich?  Nach  Allem,  was  in  den 
Wolken  vorgeht,  was  in  jeder  Scene,  jedem  Vers,  jedem  Versfuss, 
jeder  Sylbe  und  Betonung  gepredigt  wird:  dass  dieser  Sokrates 
ein  hirnverbraimter,  wiewohl  von  seinem  eigenen  Aberwitz  über- 
zeugter Wicht  ist,  dessen  verbranntes  Gehirn  und  Oberstübchen 
an  und  für  sich  schon. seinem  Hausdache  den  rothen  Hahn  zu- 
spricht und  in  Aussicht  stellt;  nach  Allem,  was  jeder  Accent, 
Spiritus  lenis  und  asper,  in  dieser  Komädie  ein-  und  ausathmet: 
dass  nämlich  hier  eines  der  schädlichsten  Wespen-  und  Horuiss- 
nester  auszubrennen  ist;  dass  die  vom  sophistischen  Hexenmei- 
ster als  seine  Schutzgöttinnen  citirten  Wolken  verkappte  Kächerin- 
nen,  verschleierte  Erinnyen  sind,  mit  Wassereimern  statt  Feuer- 
fackeln bewaftuet,  die  ihn,  ihren  vermeinten  Liebling,  der  Thor 
genug  ist,  sie  für  seine  Schutzgöttinnen  zu  halten,  —  ihn  unschäd- 
lich zu  machen,  ihn,  die  Brandfackel  der  Jugend,  auszulöschen, 
Weisung  und  Vollmacht  haben:  Nach  allen  diesen  handgreifli- 
chen Fingerzeichen  und  trotz  dem  heftigen  durch  die  ganze  Wol- 
ken-Komödie brausenden,  vor  den  blitz-  und  donnersch wangern 
Wolken  einherziehenden  Sturmwind,  schwebt  für  das  ästhetisch- 
historische Uebersetzerhorn,  beim  Niederbrennen  der  Denkerei,  die 
„poetische  Gerechtigkeit"  selbst  in  Feuersgefahr  und,  was  das 
Aergste  —  Apollon  wend'  uns  ab  den  Fluch!  -  „Das  Stück  wird 
dadurch  auf  eine  sehr  handgreifliche  Moral  hingegipfelt."  Die 
handgreifliche  Moral,  das  ist  des  Pudels  Kern!  Das  Schiboleth 
der  frivol-pedantischen  Schulästhetik,  das  uns  die  Tragik  der  Al- 
ten und  nun  auch  ihre  Komödie  vertifteln  und  verfuchsschwän- 
zeln  möchte.  Frivol-pedantisch:  frivol,  weil  diese  Aesthetik  die 
Kunst  zum  Faulpolster  eines  müssigen  Formspiels  entnervt,  zu 
jenem  Verdaunngs- Behagen,  das  der  fette  Siamese,  nach  einer 
guten  Mahlzeit,  bei  dem  gelinden,  schwebenden  Fingerspiel  em- 
pfindet, das  sein  kunstgeschulter  Bauchtrommler  entwickelt,  wenn 
er  ihm  sanft  und  leise,  ohne  eine  Spur  von  handgreiflicher  Mo- 
ral, wie  mit  den  l-Jlfenflngern  eines  vollendeten  Pianospielers, 
sammetpfötiglich  den  Abdomen  klöppelt,  und  ihn  säuftiglich  ein- 


Aa-istophanes  und  seine  Dolmetsche.  1  3 1 

lullt  in  süssen  Verdauungssclilunimer.  ?o(l antisch  ist  dieses 
Dogma  eines  geistigen  Bauchtronimelkunstspiels,  weil  damit  ge- 
stempelt und  gewogen  wd;  weil  keine  Dichtung,  keine  drama- 
tische insbesondere,  für  voll  gilt,  die  nicht  an  einem  Kunstpro- 
fessor ihre  siamesische  Wirkung  erprobt  hat. 

Handgi-eifliche  Moral,  ohne  poetische  Gerechtigkeit  —  und 
Seite  12  auch  noch  „gesinnungslos."  Ja,  Seite  12  der  Ein- 
leitmig  zur  Wolken-Uebersetzung  wird  Aristophanes  auch  als  ge- 
simraugslos  von  seinem  üebersetzer  abkathedert.  „Aristophanes 
hat  die  Gesinnungslosigkeit  seiner  Zeit  in  vollstem  Maasse  in  sich 
aufgenommen"  —  „ohne  ßespect  und  ohne  Wahrhaftigkeit  gleicht 
er"  —  doch  darauf  bringen  uns  die  Vögel  des  Aristophanes  zu- 
rück, und  seines  üebersetzers  historisch -ästhetische  Schrift  über 
diese  Vögel.  Wir  werden  das  Hühnchen,  gelegentlich  der  Vögel, 
zu  Ende  pflücken. 

Armer  Aristophanes!  Der  Eine  seiner  Dolmetsche  findet  seine 
Moral  zu  handgreiflich  und  desto  unangenehmer,  da  sie  ohne  poe- 
tische Gerechtigkeit.  Ein  Anderer  von  derselben  kuustphiloso- 
phischen  Schulheeke,  der  sich  aber,  was  Kenntnisse  und  Profes- 
sor-Wissen und  Schultüchtigkeit  anbetrifft,  zu  jenem  verhält,  wie 
die  ärmste  Kirchenmaus  zu  einer  Feldmaus,  die  ihr  volles  Spei- 
cherchen einsammelt  auf  historisch-ästhetischem  Felde  —  dieser 
Andere,  der  ein  dickes,  schon  angeführtes  Buch  „über  Aristopha- 
nes und  sein  Zeitalter"  geschrieben,  kalmäusert  vdeder  dem  Ari- 
stophanes auf  den  Kopf  zu^:  „Man  finde  das  von  Aristophanes 
bekämpfte  Princip  bereits  in  seinen  eigenen  Werken;  insofern 
nämlich  die  Komödie,  die  den  Widerspruch  darstellt,  auch  die 
substanziellen  Mächte  dem  Scherz  preisgiebt  und  in  ein  Spiel 
verwandelt,  so  bleibe  nichts  absolut  Festes  zurück."  Eine  Komödie 
aber,  die  die  „substiinzielh^n  Mächte"  dem  Spott  und  Gelächter 
preisgiebt,  ist  eine  unsittliche  Komödie,  ist  die  Poesie  der  Uu- 
sittlichkeit  selbst,  die  alles  „absolut  Feste"  als  nichtig  verlacht, 
wozu  in  erster  Linie  das  Sittliche  gehört,  das,  mit  allem  absolut 
Festen,  Aristophanes'  Komödie  folglich  zu  Nichte  spottet.  Und 
nun  die  Moral,  —  die  doch  nur  die  Anwen^iung  der  Sittenlehre 
ist  auf  einen  besondern  Fall,         niuss  nicht  auch  die  Moral  mit 

1)  a.  a.  0.  S.  365  ff. 


1 32  r*ie  griechische  Komödie. 

den  substanziellen  Mächten,  mit  dem  absolut  Festen  bei  Aristo- 
phanes  in  die  Geude  fliessen?  Dieselbe  handgreifliche  Moral,  die 
andrerseits  wieder  der  üebersetzer- Dolmetsch  dem  Aristophanes 
als  Ruthe  auf  den  Rücken  bindet,  und  seinen  Wolken  als  Brand- 
mal auf  die  Stirne  prägt!  0  du  armer  Aristophanes!  Beim  zwei- 
ten Erklärer,  der  mit  Aristophanes  gleich  dessen  Zeitalter  miter- 
kläii,  und  beiden  das  Preisgeben  der  sittlichen  Mächte  und  des 
absolut  Festen  in's  Gewissen  schiebt,  fällt  der  Voi-wurf  um  so 
schwerer  ins  Gewicht,  weil  der  Erklärer  keinen  Satz,  wie  Jeder 
weiss,  in  seinen  Theaterkritiken  schrieb,  worin  nicht  das  „Sitt- 
liche" in  gespenier  Schrift  ganz  besonders  hervorgehoben  und 
eingeschärft,  gleichsam  mit  dem  Finger  darauf  hingewiesen  wird, 
als  das  stereotyp  und  absolut  Feste  in  jeder  Theaterkritik.  Das 
Sittliche  und  absolut  Feste  ist  nicht  nur  sein  drittes  Wort,  es  ist 
ihm  die  Wahrheit  selbst.  Lessing's  bekanntes  Wort:  er  würde, 
wenn  er  die  Wahrheit  in  der  Hand  hätte,  die  Hand  zumachen 
und  die  Wahrheit  darin  festhalten,  macht  dieser  Erklärer  erst  zur 
Wahrheit,  in  Bezug  auf  das  absolut  Feste,  das  er  gar  nicht  los 
lässt,  und  gleichsam  beständig  festhält  in  der  geschlossenen  Hand. 
Stehend,  sitzend,  auf  Spaziergängen,  im  Theater  auf  seinem  kri- 
tischen Stuhl.  Wie  Strepsiades  auf  seinem  Stuhl  (ro  Tteng  sr  rf] 
ds^ia),  so  der  Erklärer  des  Aristophanes;  überall  und  allenthal- 
ben das  „Sittliche"  im  Mund  oder  in  gesperrter  Schrift,  und  das 
absolut  Feste  in  der  Hand.  Von  einem  solchen  sittlichkeitsbe- 
flissenen Theaterkritiker  ein  Vorwiuf  wie  der:  Aristophanes'  Ko- 
mödie gebe  auch  die  substanziellen  Mächte  dem  Scherze  preis, 
verwandele  sie  in  ein  Spiel,  so  dass  nichts  absolut  Festes  mehr 
zurück  bleibt  —  o  schwere  Last!  Armer  Aristophanes,  dem  der 
Eine  grobe  Moral,  der  Andere  grobe  Unmoral  aufrückt!  Ein  Glück, 
dass  du  in  deinem  Zeitalter  und  nicht  in  dem  von  „Aristopha- 
nes und  sein  Zeitalter"  gelebt  hast ;  ein  wahres  Glück !  du  wärest 
im  Stande  gewesen,  deinen  Erklärei'  in  die  Sammlung  deiner  ko- 
mischen Figuren,  der  Kleonymos,  Chärephon,  Morsychos,  und  wie 
sie  alle  heissen,  mit  aufzunehmen,  und  unter  andern  substanziel- 
len Mäcliten,  auch  ihn  dem  Scherz  und  (lelächter  preiszugeben. 
Ein  wahres  Glück! 

Die  Wespen  p'y*;xfic;),  Lenäen    Ol.  89,  3=422,    Archon 
Ameinias,  erhielten  den  zweiten  Preis.    Philonides,  der  darin  die 


Aristophanes'  Wespen.  1 33 

Hauptrolle  hatte,  brachte,  als  Didaskalos,  unter  seinem  Namen, 
den  Proagon  des  Aristophanes  in  den  Wettkampf.  Aristopha- 
nes trat  sonach  diesmal  mit  zwei  Komödien  zugleich  auf,  und 
gegen  sich  selbst  gewissermaassen  in  die  Schranken.  Zum  zwei- 
ten Stücke,  dem  Proagon,  gab  Philonides  den  Namen  her,  weil 
ein  Gesetz  den  Dichtern  verbot,  mit  zwei  Stücken  zu  gleicher 
Zeit  zu  kämpfen.  Der  Proagon  schlug  die  Wespen;  er  bekam 
den  ersten  Preis.  Als  dritter  wird  Leukon  genannt,  der  mit  sei- 
nen „Gesandten"  den  dritten  Preis  erhielt,  d.  b.  durchfiel.  Vom 
Proagon  weiss  man  nur  '),  dass  er  gegen  Euripides  gerichtet  war. 
Die  Wespen  bilden,  in  Bezug  auf  das  Verhältniss  von  Vater 
und  Sohn,  ein  Seitenstück  zu  den  Wolken.  In  diesen  lässt  der 
Alte  den  Sohn  zu  seinen  Zwecken  einschulen,  um  sich  bei  Pro- 
cessen mit  Hülfe  von  dessen  Trugreden  herauszuschwindeln.  In 
den  Wespen  ist  es  der  Sohn,  der  seinen  Vater  von  der  Kichter- 
wuth  zu  heilen  unternimmt,  und  den  Alten,  nachdem  er  ihn  eine 
Zeitlang  in  seinem  von  Netzen  umzogenen  Hause  gefangen  gehal- 
ten, und  von  den  Knechten  hatte  bewachen  lassen,  dann  auch 
wirklich  durch  überzeugende  Gründe  in  einer  zwischen  beiden 
darüber  geführten  Streitrede  zur  Erkenntniss  bringt.  Auch  die 
mit  den  Figuren  von  Vater  und  Sohn  beabsichtigte  Gattungsbe- 
deutung ist  in  beiden  Komödien  dieselbe.  Wie  Strepsiades  den 
Demos,  als  Athenischen  Spiessl)ürger  und  Hausvater,  personificirt, 
so  stellt  der  alte  Philokieon  (Liebkleon;  in  den  Wespen  diesen 
Demos,  das  souveräne  Volk,  die  souveräne  Bürger-Demokratie,  als 
wüthenden  Heliasten,  als  einen  von  den,  dm'ch's  Loos  gewählten, 
6000  Richtern  vor,  die  für  dreiObolen  des  Tags  (3  Ggr.)  in  dem 
Gerichtssaal,  Heliäa,  Gericht  hielten  und,  da  das  Athenische  ßür- 
gervolk  zugleich  der  Souverän  war,  in  jedem  peinlichen  Rechts- 
fall als  Partei  und  Richter  in  der  eigenen  Sache  entschieden. 
Natürlich  waren  solche  Richter  stets  geneigter  zum  Vcrurtheilen 
als  zum  Freisprechen,  indem  eine  Verurtheilung  in  der  Regel 
Vermögensconfiscationen,  also  Füllung  des  Staatsschatzes  zur  Folge 
hatte,  woraus  der  Richtersold  bestritten  wurde.-)  Eine  treffiiclie 
Justizpflege,  die  allein  schon  hingereicht  hätte,  um  mit  dem  Ge- 


1)  Schol.  Vesp.  61.  —  2)  G.  P.  Schömann,  de  sortitionc  judicum  apud 
Atheniens.  Greif sw.  1828. 


134  Die  grieeliisclic  Komödie. 

richtswesen  zugleich  den  Staat  auf  eleu  Huud  zu  bnngen,  auf 
welchen  Philokleon's  Sohn,  Bdelykleon  (Hasskieon),  die  attische 
Justiz  als  schon  thatsächlich  gekommen,  in  einem  leibhaftigen 
Hund  uns  vor  Augen  stellt,  und  in  dem  unsterblichen  Hunde- 
process  verbeispielt,  der  in  dieser  Komödie  zum  Austrag  gelangt. 
Seinem  Vater  Philokieon  gegenüber  vertritt  der  Sohn,  Bde- 
lykleon, vde  Pheidippides  in  den  Wolken,  das  Neumodische,  das 
oligarchische  Junkerthum.  Indem  er  den  alten  Philokieon  von 
der  Heliasten- Manier  zu  befreien  sucht,  heilt  ihn  Hasskieon  zu- 
gleich von  der  IDeon- Affenliebe.  Die  Endabsicht  der  Komödie 
zielt  also  auch  hier  wieder  auf  den  gi'ossen  Paiteien-Conflict  zwi- 
schen Bürgerdemokratie  und  Neujunkerthum;  im  Gegensatze  m 
Aristophanes'  Ideal:  HeiTschafb,  im  Sinne  der  Marathonischen  Zeit; 
einer  HeiTSchaft  der  Edelsten  und  Besten,  auf  den  Grundlagen 
eines  gesetzlich  freien,  sittlich  heroischen  Staatsbürgerthums.  Und 
auch  hier  kommt  jener  Grundconllict  in  der  ureigenen,  solchem 
Komödienzweck  und  lulialt  einzig  gemässen  Kmistform  zur  Er- 
scheinung :  als  eine  Trausfiguration  gleichsam  real  komischer  Phan- 
tastik,  die  beide  Parteien  in  ihrer  vollkommenen  Thorheit  und  po- 
litischen Verderbniss,  wie  in  einer  Glorie  von  Lächerlichkeit, 
leuchten  lässt.  Den  von  seiner  bettelhaften  Dreiobolen-Souve- 
ränetät  und  Kichterwuth  genesenen,  nicht  minder  aber  auch  aus 
dem  feinern  Bildungs-Dusel  der  vornehm  liederlichen  Trinkgelage 
ermannten  Demos-Pliilokleon  lässt  der  gTOsse  Komiker  am  Schlüsse 
eine  Kückwandelung,  nicht,  ^vie  HeiTDroysen  meint,  „in  die  alt- 
fränkische lustige  Weise,"  erfahren;  sondern,  nach  einer  aus  bei- 
derlei Partei- Verderbnissen  und  Schwindel -Taumel  zu  sich  kom- 
menden Witzigung,  innewerden  seiner  eigentlichen  angestammten 
Natur.  Die  Tanzweisen  des  Thespis  und  Phrynichos,  in  die  zu- 
letzt der  verjüngte  Demos -Pantalon  wonneselig  mit  seinem  sich 
gleichfalls  verjüngt  fühlenden  Collegen,  dem  Wespenstacheligen 
Heliasten-Chor,  sich  hineintänzelt,  sind  nm*  symbolisch  zu  deuten. 
Diese  Seligkeitsstimmung  quillt  aus  jenem  Innewerden  seines  ur- 
eigenen Wesens,  das  wie  ein  Jungbrunnen  mrkt.  An  keine  Rück- 
wandelung, „kein  Zurückkrieche  n  in  die  altfränkische  Wiege  frü- 
herer Zustände",  wie  Herr  Droysen  ihm  aufmutzt,  konnte  ein 
Geist  wie  Aristophanes  denken.  Solche  Armseligkeiten  fielen 
seinem  tiefschauend en  politischen  Genie  nicht   im  Traume    ein. 


Die  Wespen.     IMiiloklcon.  J  35 

Dass  kein  Volk,  kein  Staat,  in  seine  Windeln  und  Kinderschuhe 
wieder  hineinkriechen  kaini,  das  wird  wohl  Aristophanes,  dessen 
komisches  Genie  sich  die  ästhetisch -historische  Weisheit  seines 
Uebersetzers  an  den  Kinderschulien  abgelaufen,  nicht  erst  von 
diesem  zu  lernen  haben.  Eine  solche  Verjüngung  wäre  die  al- 
bernste Vei'kindischung  eines  kindisch  gewordenen  Greises.  Des 
alten  Philokieon  Verjüngung  ist  keine  Zurückbildung  in  den  Win- 
delzustand, sondern  eine  Ermannung  zu  seiner  eingebornen  Kraft 
und  Heldenstammeswürde.  Wenn  ein  Volk  geschichtlich  so  her- 
untergekommen, dass  es  auch  solchen  Hochbewusstseyns,  solcher 
Erinnerung,  unfähig  geworden,  dann  sinkt  der  Volksdichter  noch 
unter  sein  Volk  heral),  welcher,  im  Gefühle  seiner  eigenen  iimer- 
lichen  Jämmerlichkeit,  dieses  erljärmliche  Verkommenheitsbe- 
wusstseyn  in  die  Seele  seines  Volkes  hineinfühlt,  und  es  ihm 
mit  Koboldtücke  noch  als  Spiegel  vorhält.  Wehe  dem  Dich- 
ter, der  an  der  Ermannuugsföhigkeit  seines  Volkes  verzweifelt. 
So  lange  ein  prophetischer  Hauch  seine  Brust  schwellt,  muss  er 
ihn  in  die  erlöschende  Geschichtsseele  seines  Volkes  athmen.  So 
hielten  es  die  Propheten  alle,  die  Poeten  alle,  die  nm*  als  Volks- 
propheten und  Erwecker  Dichter  sind.  Ein  Volk  ist  dann  erst 
politisch  und  geschichtlich  todt,  wenn  es  keinen  Dichter  mehr 
hat,  der  an  seine  Zukunft  glaubt;  an  eine  Zukunft,  gTOSS  wie 
seine  Vergangenheit  und  ihrer  würdig;  keinen  Dichter  mehr  hat, 
der  es  mit  seinem  letzten  Athem  zur  Verwirklichung  dieser  Zu- 
kunft und  Wiedergeburt  aufruft,  ermannt,  begeistert.  Die  Staats- 
kunst, die  eines  Volkes  ersterbende  Lebensfunken  in  seine  soge- 
nannte Wehrkraft  hinü1>er  zu  retten,  in  dieser  pflegen  und  hüten 
zu  können  vermeint ;  die  ganze  Kraft  eines  Volkes  an  dessen  Wehr 
setzt  und  von  ihr  aufsaugen  lässt,  eine  solche  Staatskunst  kann 
an  dem  Beispiel  aller  Militärstaaten  sich  belehren,  wenn  sie  be- 
lehmngsfähig  ist,  dass  dieses  Volkserlialtungs-  und  Stärkungsmit- 
tel überall  und  jederzeit  auf  den  Heilversuch  liinauslief:  einem 
Sterbenskranken  die  Adern  zu  ölfnen,  um  ihn  in  dem  eiseniialti- 
gen  Bade  seines  eigenen  Blutes  aufleben  zu  lassen  und  zu  Kräften 
zu  bringen.  Oder  sie  mag,  diese  Staatskunst,  mit  ihrer  Stärkung 
eines  geistig  und  sittlich  verkommenen  Volkes,  mittelst  Potenzi- 
rung  seiner  Welirkraft,  ihr  Vorbild  in  dem  Brauche  jener  Lap- 
pen- und  Ka)utsclia-<hi](Ui-Häuptlinge  erkennen,  die  sich  mit  ihrem 


136  Di^  griechische  Komödie. 

Bärenjagdmesser  und  einem  Bärenschiuken  begraben  lassen,  in 
der  Zuversiebt,  dass  ibuen  der  Bärenscbinken  die  Kraft  verleiben 
wii'd,  mit  dem  Bärenjagdmesser  ibr  tapferes  Handwerk  bei  ver- 
wesendem Leibe  fortzusetzen.  Kein  Beispiel  aber  ist  aus  der 
Gescbicbte  ])ekanut,  dass  ein  Volk  untergeht,  so  lange  dessen  Le- 
bensgluth  der  begeisterte  Gesangesodem  seiner  Barden  und  Dich- 
ter anfrischte;  solange  seine  Barden  und  Dichter  mit  dem  bele- 
benden, hochaufregenden  Geisteshauche  der  Mahnung  und  Erin- 
nemng  an  seine  grosse  Vergangenheit,  an  seiner  Ahnen  Thatenruhm, 
die  sinkenden  Lebensflammen  eines  solchen  Volkes  durchwehen 
mid  erschüttern  konnten.  So  wenig  ein  Mensch  in  Schlechtigkeit 
zu  Grunde  gehen  muss,  so  wenig  muss  ein  Volk  bei  Leibesleben 
verfaulen.  Nur  wer  nicht  hören  will,  ob  Einzelner  ob  Nationen, 
ja,  der  muss  fühlen.  Der  Prophet  ruft,  höre  mich,  Israel!  Dess- 
gleichen  der  Poet.  Tritt  der  Tod  ein  Volk  an,  nun  so  sterb'  es 
me  ein  Held.  Seine  Propheten,  seine  Heilande,  die  Poeten,  die 
ächten  nämlich,  lehren  es  heroisch  leben,  heroisch  sterben.  Nicht 
an  seinen  Dichtern,  seinem  Aeschylos,  Sophokles,  Aristophanes, 
ist  der  attische  Staat  zu  Grunde  gegangen  —  diese  und  die 
ihnen  Gleichgesinnten  gaben  ihm  vielmehr  das  zeitige  und  ewige 
Leben  —  nein,  an  der  Frivolität  seiner  Philosophen,  seiner  aus 
dem  ethischen  Schwei'punld;  gewichenen  Schulweisheit,  an  dem 
Eitelsinn  und  der  Windigkeit  seiner  Jugendlehrer  ging  er  zu 
Grande.  Und  nur  eine  verwandte  Frivolität  kami  dieser  That- 
sache  das  schäbig  gewordene,  geschichtsphilosophische  Sophisten- 
mäntelchen  umhängen,  das  die  Thatsache  zu  einem  blossen 
Symptom  der  allgemeinen  Verderbniss  heucheln  möchte,  deren 
eine  und  tiefsitzende,  grundinnerliche  Krankheits- Ursache  sie 
doch  war.  Nur  eine  mit  den  Lelii"principien  jener  Sophistenschu- 
len einverstandene  Geschichts-  und  Kunstauffassung  durfte  den 
grössten  Komiker,  der  diess  wesentlich  in  Kraft  seiner  heroisch- 
patriotischen Begeisterung  für  seines  Volkes  staatssittliche 
Wohlfahrt  und  Machtgrösse  war  —  durfte  den  grossen  Patrioten 
und  Dichter,  Aristophanes,  der  Gesinnungslosigkeit  beschuldigen, 
und  ihn  als  mitverwickelt  in  die  allgemeine  Verderbniss  anschwär- 
zen und  verlästern.  Wunderliches  Beginnen:  der  Uebersetzung 
eines  solchen  Dichters  durch  dessen  Herabsetzung,  und  durch 
die  ehrenkränkendste,    ein  Relief  zu  geben!    Das   Genie  seines 


Der  Wespenchor.  137 

Dichters  auf  Kosten  seiner  Gesinnung  herauszustreichen,  des  Quell- 
punkts jedes  ächten  Genies  und  seines  heilsamen  Wirkens;  des 
Lichtkerns  aller  seiner  segenbringenden ,  Mit-  und  Nachwelt  er- 
leuchtenden Ausstrahlungen!  Welche  Früchte  mag  ein  Genie 
tragen,  die  aus  einem  faulen  Kerne  reifen?  Schon  die  Annahme 
der  Möglichkeit,  dass  ein  schlechtes,  gesinnungsloses  Subject  ge- 
nievolle Kunstschöpfungen  hervorbringe,  dünkt  uns  eine  Lästerung 
der  Kunst;  ist  uns  ein  „Symptom"  sittlich  angefliulter  Kunstbe- 
giiffe,  frivoler  Lebensauffassung  und  Menschenwürdigung.  Auf 
dem  ganzen  Gebiete  der  Wissenschaft  und  Kunst  finden  wir  kein 
Beispiel,  dass  ein  sittlich  unlauteres  ^Subject,  ein  Gesinnungs- 
Lump,  etwas  Grosses  und  Heilbringendes  geschaffen. 

Der  Wespen- Chor  stellt  als  komische  Vereins-  und  Mas- 
sen-Figur den  Richterstand  vor,  oder  doch  eine  Rotte  der  6000 
in  je  500  Haufen  durch  Loosung  vertheilten  und  nach  den  ver- 
schiedenen Gerichtshöfen  abgeordneten  Heliasten.  Sie  kommen 
als  Greise,  wespeuähnlich  maskirt,  mit  langen  Stacheln,  am  frü- 
hen Morgen,  von  Knaben,  die  Handleuchten  tragen,  begleitet,  auf 
ihrem  Wege  nach  einem  der  Gerichtslocale  an  dem  Hause  ilires 
Amtsgenossen  vorbei,  im  Begriffe,  sich  in  die  Sitzung  zu  begeben, 
wohin  sie  Kleon  entboten,  um  in  dem  Erpressungsprocess  gegen 
seinen  politischen  Widersacher,  den  Feldherru  Laches,  Eecht, 
d.  h.  das  Verdammungsurtheil,  zu  sprechen  (240 f.): 

—    —    —    Denn  heute  gilt's  dem  Laches ! 

Der  hat,  behauptet  alle  Welt,  den  Bienenstock  voll  Silber. 

Grand  genug  für  Wespen,  diesen  Bienenhonig  zu  sclilucken.  Sie 
wundern  sich,  dass  der  College  noch  nicht  an  ihrer  Stelle,  und 
singen  ihm  ein  Fhrynichos- Liedchen,  als  Morgenständchen,  die 
alten  Wespen -Gäuche,  die  wohl  auch  vor  fünfzig  Jalu'eu  die 
.Glocken  um  Mitternacht  haben  läuten  hören,  wie  der  Friedens- 
richter Schaal  sagt,  der  auch  so  ein  Richter-Pantalon ,  aber  ohne 
Stachel.  Vor  der  Parodos  des  Wespen -Chors  sahen  wir  schon 
den  alten  Philokieon  in  seinem  Garngefängniss,  von  zwei  Knech- 
ten bewacht.  Das  sind  wieder  Eröffnungsscenen  von  einer  Er- 
findung und  vis  comica  sondergleichen.  DieEiitwischungsversuche 
des  Alten  erfüllen  uns  noch  jetzt  mit  dem  h()chsten  F]rgötzon. 
Es  gehört  zum  urkomisch  Witzigsten,  was  die  symbolische  Gro- 


138  Die  griechische  Komödie. 

teskphantasie  der  alten  Komödie  zu  ersiimen  vemnochte.  Man 
sieht  den  Alten,  wie  eine  Maus  oder  ein  Wiesel  in  der  Falle,  sich 
an  dem  Strickwerk  herumbeissen.  Der  Knecht  Xanthias  er- 
zählt den  Zuschauern  das  Motiv  des  Stückes.  Da  ruft  der  junge 
Bdelykleon  von  seiner  Kammer  herab:  der  Alte  sey  in  die  Küche 
geschlüpft;  sie  möchten  zusehen,  dass  er  nicht  durch  den  Schorn- 
stein entwische,  um  nach  dem  Gericht  zu  rennen.  Nun  erblickt 
man  den  Alten  aus  dem  liauchfang  hervorgucken  (144 ff.): 

Bdelykleon.    Wer  bist  du  ?  heda ! 

Philokieon.    Ich?  der  Eauch  —  ich  zieh'  hinaus! 

Vor  dem  Deckel  kriecht  Ä'  wieder  zurück.  Philokieon  erscheint 
oben  an  einem  der  Netze:  „So  beiss  ich,"  sagt  der  Alte,  „hier 
das  dünne  Netz  mit  den  Zähnen  durch."  Dazu  aber  fehlen  ihm 
die  Zähne.  Er  müsse,  meint  er,  den  Esel  zum  Verkaufe  treiben. 
Der  Sohn  meint  dagegen,  er  selbst  könne  den  Esel  verkaufen, 
und  führt  auch  das  gesattelte  Saumthier  herbei.  Was  muss  er 
sehen?  Der  Alte  hängt  an  dem  Bauche  des  Esels,  wie  weiland 
Odysseus  an  dem  des  Schaafbocks : 

Bdelykleon.     Wer  bist  du  Mensch?  Bekenne  frei! 
Philokieon  (unter  dem  Bauche  des  Esels  mit  verstellter  Stimme) 
Niemand,  bei  Zeus ! 

Bekanntlich  nennt  sich  Odysseus  Otzic,  „Niemand,"  um  den  Po- 
lyphemos  zu  täuschen.  Der  Niemand  wrd  sofort  wieder  in  sei- 
nen Netzkäfig  zurückgeschoben.  Nun  die  Klage-Arie,  die  er  dem 
Lockgesange  des  Chors  aus  der  Dachluke  entgegensingt!  Die 
Wespen -Brüder  muntern  ihn  auf,  nur  heute  nicht  auszubleiben 
und  um  jeden  Preis  zu  entschlüpfen:  „Auf,  setze  deine  Kiefer 
an!"  Der  Kiefer  schrotet  an  den  Garnen,  was  er  schroten  kann. 
—  Er  hat  sich  glücklich  durchgesägt.  Im  Begriffe  sich  herab- 
zulassen, wird  er  von  Bdelykleon  gefasst,  und  von  einem  der 
Knechte  mit  Ruthenstreichen  wieder  zurück  befördert.  Der  Alte 
ruft  die  Genossen  um  Hülfe  an.  Der  Wespenschwarm  geräth  in 
Bewegung,  streckt  die  Stacheln  vor,  und  beordert  Kleon  zur  Stelle. 
Nach  einer  lebhaften  Auseinandersetzung  zwischen  Chor,  Sohn 
und  Vater,  worin  dem  Bdelykleon  Verschwörung  gegen  den  Staat 
und  Tyrannen-Gelüste  vorgehalten  werden,  worauf  Bdelj^kleon  die 
Antwort  nicht  schuldig  l)leibt,  gelingt  es  diesem  sclüiesslicli  die 


Die  Wespen.    Der  Hundeprocess.  139 

zornige  Wespengesellschaft  mit  der  Versicherung  einigermaassen 
zu  besänftigen,  class  er  blos  wünsche,  den  Vater  abzubringen  von 

„diesen  Morgenwanderhändelspinnerechtsverhunzerei'n," 
und  erbietet  sich,  den  Beweis  zu  führen,  dass  sein  Vater,  anstatt, 
me  er  sich  einbildet,  zu  richten  und  zu  herrschen,  der  Frohn- 
knecht  Anderer  sey.  Er  fordert  den  Chor  zum  Schiedsrichter 
auf.  üie  übliche  Scene  kommt  in  Gang.  Philokieon  und  Bde- 
lykleon  stellen  sich  einander  gegenüber.  Die  Debatte  beginnt. 
Das  schlagende  Argument,  dass  von  den  Staatseinkünften  für  den 
gesammten  Kichterstand  der  600(>  Heliasten  kein  Zehntel  abfällt, 
erregt  Sensation.  Die  nähere  Ausführung  löst  dem  Alten  die 
Schuppen  von  den  Augen.  „Ach,"  ruft  er,  „wie  wühlst  du  von 
Grund  mein  Herz  auf."  Der  Chor  ist  vollständig  zu  Hasskleon's 
Ansicht  bekehrt  und  spricht  ihm  den  Sieg  zu.  Der  Alte  aber 
will  eher  sein  Leben  als  den  Stimmtopf  lassen  (762  ff.) : 

Nicht  mehr  zu  richten  —  dieses  soll 
Der  Hades  eh'  entscheiden,  als  ich  folgen  will! 

Endlich  wird  ein  Vertrag  geschlossen,  dass  Philoldeon  seine  Rich- 
terpassion zu  Hause  mit  aller  Bequemlichkeit  an  Familienzwi- 
stigkeiten  befriedigen,  und  seinen  Strafeifer  an  seinem  Haus- 
gesinde auslassen  mag.  Die  Auszahlung  des  Richtersoldes  über- 
nimmt der  Sohn.  Der  erste  Rechtsfall  ist  gleich  der  Hundepro- 
cess.  Der  Haushund,  genannt  der  Kydathenäer,  nach  der 
attischen  Gemeinde,  aus  welcher  Kleon  stammte,  verklagt  den 
andern  Haushund,  Labes  (Laches)  aus  Axione  (Ortschaft  des 
Lachesj,  und  beschuldigt  diesen,  dass  er  den  sikulischen  Käse 
allein  gefressen  und  ihm  nichts  davon  abgegeben.  Eine  Parodie 
der  schon  erwähnten  Anklage  des  Kleon  gegen  Laches  auf  Er- 
pressung im  sikelisclien  Feldzuge.  Der  Diener  Xanthias,  als 
Kläger,  betritt  mit  dem  Hund,  dem  Kydathenäer,  die  Redner- 
bühne. Bdelykleon  führt  die  Vertheidigung  des  angeklagten 
Hundes,  Laches,  vor  Pliilokleon  als  Richter,  der  in  der  vollen 
Würde  seines  Amtes  fungirt.  Als  Entlastungszeugen  treten  auf: 
Schüsselchen,  Käseraspel,  Stämpfel,  Bratwurst,  Topf  u.  s.  w.  Die 
Scene  ist  einzig  in  ihrer  Art.  Bekanntlicli  liat  sie  Racine  zu 
seinem  Lustspiel,  Les  Flaidcurs,  benutzt  und  noch  Lorbeeren  da- 
mit errungen.     Das  Beste  konnte  er  freilich  niclit  in   seinen  Nu- 


140  Die  griechische  Komödie. 

tzen  verwenden:  die  beiden  damals  mächtigsten  Männer  des  Staats, 
die  hier  in  Gestalt  zweier  Haushunde  einen  Capitalprocess  als 
Käsediebstahl  verhandeln.  Hund  Labes  wird  von  Philokieon,  der 
nichts  von  Gnade  hören  will,  zum  Tode  verurtheilt.  Bdelykleon 
verwechselt  gescMckt  die  Stimmurnen.  Labes  ist  freigesprochen. 
Der  Alte  fällt  vor  Schreck  in  Ohimiacht,  über  die  Schande,  dass 
ihm  so  etwas  wie  Freisprechen  begegnen  konnte: 

Ihr  hochverehrten  Götter  dort,  vergebt  es  mir! 
Ich  that  es  wider  Willen,  nicht  nach  meiner  Ai-t. 

Der  Sohn  begütigt  ihn  mit  dem  Versprechen,  ihn  köstlich  zu 
pflegen.  Dm  überall  zu  jedem  Festschmaus  und  Trinkgelage  mit- 
zunehmen, und  fühi-t  ihn  in's  Haus.  Der  Chor  singt  die  schon 
besprochene  Parabase. 

Hasskleou  löst  sein  Wort  und  führt  den  modisch  herausge- 
putzten und  über  das  zu  beobachtende  Benehmen  in  guter  Ge- 
sellschaft wohl  belehrten  Alten  bei  vornehmen  Zechbrüderschaf- 
ten ein,  wo  er  Anstand  lernen  und  sich  an  den  feinen  Manieren 
und  an  der  geistreichen  Unterhaltung  bilden  soll.  Der  Alte  macht 
im  Zechen  und  Sichbetrinken  erfreuliche  Fortschritte.  Bald  trinkt 
er  die  feinsten  Wüstlinge  unter  den  Tisch;  lärmt  und  prügelt 
die  Symposien  der  Edeljüngiinge  aus  den  vornehmsten  Familien, 
ihre  Orgien  vom  besten  Tone,  zu  den  schönsten  Bauernschläge- 
reien in  dunstigen  Schenkstuben.  Seinen  Diener  Xauthias  hat  er 
so  meckelnburgiscli  durchgedroschen,  dass  derselbe  eben  dem  Chor 
sein  Leid  auseinandersetzt,  als  der  muntere  Alte,  nun  ein  Aus- 
bund von  anständigster  Betrunkenheit,  eine  Fackel  in  der  Hand, 
mit  einer  Flötenspielerin  tänzelnd  und  singend  hereinliüptt.  „Platz 
gemacht!"  jubelt  er,  den  durchgebläuten  Drängern,  die  ihn,  schul- 
denhalber, verfolgen,  die  Feigen  zeigend  (1330  ff.): 

Schurken,  ha!  Mit  dieser  Fackel 

Rost'  ich  euch  zu  Gründlingen! 
CJhort'iihrer.  Wahrhaftig  morgen  sollst  du  gleich  uns  Allen  hier 

Dafür  die  Busse  leisten,  thätst  du  noch  so  jung; 

Denn  allzumal  dich  vorzuladen  kommen  wir. 
Philoklcon.  Trari,  Trara!  Vorladen  —  mich? 

Mit  eurem  alten  Plunder! 

Auch  nicht  hören  mag  ich  niclu"  vom  Richter. 

Merkfs  euch!  0  pfui  doch,  pfui  doch! 


Die  Wespen.    Philokleon's  UniwaiuUung.  141 

(auf  die  Dii'ue  zeigend) 
Die  gefällt  mir!  Fort  du  Stinimtopf! 
Gehst  du  nicht  sogleich  V  Wo  ist  noch 
Ein  Gerichtsniann?  Weg  mit  ilim ! 

Der  alte  Bruder -Liederlich,  ein  Jubelgreis  wüster  Völlerei, 
schwebt  auf  dem  Gipfel  komischer  Luststimmung ,  die  aber  des 
Dicliters  poetische  Absiclit  in  ilir  Gegentheil  taumelt:  in  den 
tiefsten  Ernst,  den  sein  bakchisch - satynscher  Vexirspiegel  dem 
Zuschauer -Demos  zuwirft,  und  in  dessen  phautaütischem,  aus 
einem  Kleon- Narren  und  Richter -Tropf  zu  einem  neumodischen 
Altgecken  verliederlichten  und  veijuukerten  Ebeubilde  entgegen- 
blitzt, anscheinend  im  heitersten  Lichte  komischer  Lust,  dessen 
Nachbild  aber,  das  auf  dem  Grunde  des  Zuschauer-Gewissens  zu- 
räckbleibt,  eine  ganz  andere  Lehre  spiegelt;  in  eine  Nachstim- 
mung auskhngen  soll,  der  tragischen  verwandt;  den  Nachgeschmack 
zurücklassen  soll,  den  ein  Körnchen  von  dem  Wumisamen  erregt, 
den  Hamlet's  Vexir- Drama  den  Oheim -König  schmecken  lässt 
und  womit  er  dessen  Gewissen  schärft.  Philokleon's  Wonnedusel, 
des  schamlosen  alten  Wüstlings,  ist  das  ,.Sauwohlseyn,"  nicht  im 
Sinne  der  dafür  schwärmenden  Schulästhetik,  als  bestände  darin 
das  Wesen  und  der  höchste  Zweck  dieser  Komik  selber.  Eitel 
Abeiivitz!  Das  „Kanibalische"  des  Sauwohlseyns,  darauf  liegt 
der  Accent,  das  ist  Wesenspunkt,  innerste  Absicht;  dahin  zielt 
des  Dichters  tiefbesonnene,  keusche,  weisheitvolle  Komödienkunst. 
Zielt  dahin,  nicht  darauf  deutend  mit  moralisirendem  Zeigefinger; 
sondern  diese  Absicht  dramatiscli  verbeispielend  und  gestaltend; 
schitnbildlich,  paradeigmatisch ;  indem  des  Dicliters  Kunst  den 
Seligkeitstaumel  wüster  Lust  in  der  schärfsten  Beleuchtung,  im 
hellsten  Brillantfeuer  gleichsam  strahlen  lässt,  woraus  das  Gegen- 
bild der  wahren,  reinen,  der  ethischen  Glückseligkeit,  von  selbst 
hervorleuclitet,  die  Aristoteles  in  seiner  Sittenlehre  aus  dem  Tu- 
gendbegriff als  höchste  Lust  eines  weisen  tugendhaften  Wandels 
entwickelt,  und  die  der  komische  Dichter  durch  parodirende  Con- 
trastwirkmigen  phantasmagorisch  hindurchsclieinen  lässt. 

Der  Schluss  sprüht  von  Fulgurationen  eines  unerreichbaren 
komischen  Witzes:  dass  z.  13.  der  Holiastenclior  seinen  Genossen 
in  einem  solchen  Zustande  vor  Gericht  laden  kommt.  Dass  der 
auf  Processe  sonst  vei'pichte  Spruchrichter  nun  als  Verklagter  von 


142  l^i<^  ,e:riechische  Koniödie. 

seinen  eigenen  Collegen  vor  die  Schranken  gefordert  wird.  Dass 
der  Alte  sie  auslacht,  schäckernd  im  AVonnerausch  mit  der  Dirne ; 
zugleich  aber  in  den  phallischen  Witzen  Streiflichter  auf  die  Wirth- 
schaft  der  vornehmen  Liederlichkeit  fallen  lässt.  Es  ist  die  ko- 
mische Nemesis,  die  den  Sohn,  den  Bdelykleon,  ereilt,  der  den 
Alten  in  die  Mysterien  der  neumodischen  Bildung  eingeweiht,  und 
ihm  nun  zuruft: 

He,  lie,  du  grauer  Faselhans,  du  Dii-nenbock ! 

Wie  Kläger,  Zeugen,  nun  in  Schaaren  auf  den  alten  Schwiemel 
eindringen;  Bdelykleon  sie  beschwichtigt,  Bürgschaft  leistet;  der 
Alte  dem  geprügelten  Gläubiger  die  vergnüglichsten  Anekdoten 
und  lustigsten  Märchen  um  den  Mund  streicht,  und  dessen  Klage- 
forderung nicht  zu  Worte  kommen  lässt.  Bdelykleon,  in  Ver- 
zweiflung den  Alten  huckepack  nimmt,  um  ihn  in's  Haus  zu  tra- 
gen; dieser  aber,  auch  noch  aufgehockt  und  von  den  Schultern 
des  Sohnes  herab,  seine  schnackischen  Geschichtchen  weiter  er- 
zählt und,  von  dem  scheltenden  Sohn  unterbrochen,  gleich  wieder 
seine  wunderschönen  Anekdoten  aufnimmt.  Welche  Komödie  in 
der  Welt  kann  ein  solches  Schmuckkästchen  voll  Juwelen  unbezahl- 
barer Komik  blitzen  lassen?  Bleibt  der  Alte  etwa  nun  im  Hause? 
Sein  toller  Humor  spränge  dem  Tode  selber  aus  dem  Netz.  Da 
kommt  er  wieder  zu  allerletzt  mit  Tänzen  aus  Thespis'  Zeiten 
herangetänzelt  und  hereingeschwenkt  mit  einem  schwungvoll  alt- 
fränkischen Hopser  (14S5tt'.;: 

Nun  dreht  sich  unserer  Hüfte  Gelenk 
Und  kreiselt  behend  in  der  Pfanne. 

Zum  AVetttanze  herausfordernd  aus  den  Zuschauern,  wovon  schon 
gemeldet,  die  jüngsten  Tragiker,  die  Karkiniten,  das  ganze  Krab- 
bengeschlecht des  alten  Tragöcliendichters  Karkinos;  bis  die  tolle 
Lust  auch  dem  Chor  in  die  dürren  Beine  fährt,  der  mit  den 
IvülinstcH  Sprüngen  sich  dem  Ballet  anschliesst  und  den  Auskehr 
tanzt;  eine  unerhörte  Neuerung,  denn: 

Bis  heute  ward  ja  ik)c1i  nie  gewagt  das  Wagestück, 

Dass  Einer  den  komischen  Chor  zum  Tanze  liess  hinausziehn. 

Den  lustigen  Anekdoten  des  alten  Tausendsasa  mag  noch  die 
marktläutige  vom  kranken  Biscliof  das  letzte  Licht  aufsetzen;  je- 


Antiphanes'  Friede.  ]  43 

nein  Bischof,  den  alle  Aerzte  aufgegeben  und  sein  Affe  von  einem 
tödtlichen  Geschwür  heilte,  das  in  Folge  eines  herzhaften  Auf- 
lachens platzte,  als  der  Todkranke  seinen  Affen  vor  dem  Spiegel 
in  vollem  Bischofs-Ornat  erblickte.  Bei  dem  allgemeinen  Ileljer- 
seitbringen  der  Habseligkeiten  hatte  der  Aife  die  Pontiticalia  er- 
wischt und  angezogen.  Wenn  der  attische  Theater-Demos  beim 
Anblick  seines  Ebenbildes  auf  der  Bühne,  seines  Affen,  und  mit 
einem  solchen  „Affen,"  von  seinem  Gebresten,  trotz  Lachen,  nicht 
genas,  wie  unser  Bischof;  ja  dann  war  er  freilich  rettungslos  ver- 
loren und  werth,  dass  er  zu  Grunde  ging.  Der  Affe  in  des  Dich- 
ters Spiegel  hatte  seine  Schuldigkeit  gethan.  Ueber  das  ürtheil 
A.  W.  Schlegels  i),  der  die  Wespen  für  Aristophanes'  schwächste 
Komödie  erklärt,  hätte  sich  der  Bischof,  nach  der  Genesung,  wie- 
der krank  gelacht. 

Der  Friede  (MiQrjvrj)  Ol.  S9,  4=421  an  den  grossen  Dio- 
nysien  unter  dem  Archon  Alkaios  aufgeführt.  Aristophanes  er- 
hielt den  zweiten,  Fupolis  mit  den  Schmarotzern  den  ersten, 
die  Phratoren  des  Leukon  den  dritten  Preis.  Etwa  acht  Monate 
vor  der  Aufführung  des  Friedens  war  Kleon  in  der  Schlacht  von 
Amphipolis  gefallen.  Sein  Tod  hatte  die  Kriegslage  für  Athen 
verschlimmert.  Mehrere  Bundesstaaten  waren  abgefallen.  Die 
Kriegsnoth  war  auf's  Höchste  gestiegen.  Ein  Friedensschluss 
schien  das  einzige  Rettungsmittel.  Aristophanes  brachte  den  An- 
trag in  seiner  Komödie  vor's  Volk.  Der  Antrag  ging  durch.  Bald 
nach  der  Auftühning  kam  ein  Friedensabscliluss  mit  Sparta  auf 
fünfzig  Jahre  zu  Stande-),  der  aber  eben  so  spurlos  verschwand, 
ähnlich  wie  Aristophanes'  Friedensgöttin,  in  der  zweiten  Hälfte 
des  Stückes,  dem  Dichter  und  seinem  Trygäos  a])handen  kommt; 
Niemand  erfährt,  wohin  sie  gerathen  und  was  aus  ihr  geworden. 
Bis  dahin  aber  ist  diese  Komödie  das  grösste  Wunderwerk  gross- 
artiger Komik.  Die  Kühnheit  der  Erfindung  und  gleichwohl 
diese  für  den  gemeinsten  Volksverstand  fassliche  Symbolik  ist 
wahrhaft  staunenswürdig.  Unbegreitiich  und  ganz  wunderbar  die 
Sparsamkeit,  der  Lakonismus  gleichsam  des  Farbenauftrags  ))ei 
der  kolossalen  Wirkung.  Die  sinnbildlichen  Grotesken  gigantisch 
ungeschlacht,  eine  wahre  trygodische  Hefemnalerei,  aber  von  der 

n  Vorles.  I.  S.  311.  —  2)  Thukyd.  V,   lü. 


144  Die  griechische  Komödie. 

lacheiidsteuFarbengluthund  Durclisichtigkeit  des  Tons;  eine  Ehy- 
parograpliie,  eine  Sclimutz-  und  Kotlimalerei  im  Phidias  -  Styl. 
Was  lässt  sich  gemein -Grandioseres,  niedrig -Erhabeneres  erden- 
ken, als  eine  Mistkäfer-Himmelfahrt,  die  7Aigleich  eine,  nach  der 
Friedensgöttin  von  einem  attischen  Bauer,  Trygäos,  angetretene 
Brautfahrt.  Geradeswegs  vom  Schweinestall  in  den  Himmel,  in 
den  Götter-Olymp.  Jenen  stellt  uns  gleich  die  Eingangs- Scene 
vor  Augen  und  Nase,  und  vor  letztere  so  ummiwunden,  dass 
einer  der  Knechte,  der  das  Futter  für  den  Riesenkäfer,  Tr3^gäos' 
Himmelsrösslein  von  Grösse  eines  Bukephalos,  im  Backtrog  knetet, 
sich  an  die  Zuschauer  mit  der  dringenden  Bitte  wendet  (2(jff.): 

Ihr,  wenn  es  Einer  weiss,  der  sage  mir's, 

Wo  man  sich  Nasen  ohne  Löcher  kaufen  kann. 

Aber  Käfer  und  Futterpillen  sind  Verbildlichungen  der  Ländlich- 
keit und  ihres  Feldsegens.  Waren  dem  Aeg}q)ter  doch  beide 
desshall)  heilige  Symbole  der  Fruchtbarkeit  und  des  Naturlebens, 
deren  reale  Gegenständlichkeit  von  so  manchem  feineu  uud  hüb- 
schen Stadtnäschen  aufgesucht  wird,  das  nicht  so  ekel  ist,  wie  der 
Leil)bäcker  von  Tr3fgäos'  Käfer.  Solchen  VoiTCchtes  erfreut  sich 
aber  auch  nur  die  Aristophanische  Komödie,  die,  in  ihrer  ewigen 
Beziehung  auf  die  grössten  Gedanken  und  Anschauungen,  ideal 
und  geistig  durch  und  durch,  das  Gemeinste  adelt,  und  die  Hei- 
ligkeit und  Schönheit  erhabener  Vernunftzwecke  durch  das  Nie- 
drigste, Schmutzigste,  leuchten  lässt. 

Wie  in  den  Acharnern  der  Landmann  Dikäopolis  mit  den 
Spartern  auf  eigene  Hand  Frieden  schliesst,  so  will  hier  der  Wein- 
bauer, Trygäos,  durch  einen  vom  Himmel  selbsteigeu  herabge- 
holten Frieden  Hellas  retten.  Mit  welchen  hochschwebenden  Pa- 
rodien, waghalsigen  Spässen,  käferm istischen  Himmelfahi-tswitzen, 
schwingt  sich  Trygäos  in  die  Lüfte!  Schon  das  Besteigen  des 
gepanzerten  Flügelrosses  zum  Luftritt  giebt  ein  köstliches  Sce- 
nenbild  (82 ff.): 

Trygäos.     Nur  sacht,  nur  saclit,  mein  Käfer,  gemach! 
Nicht  stürme  mir  allzu  trotzig  dahin, 
Nicht  schnaube  so  toll,  ich  beschwöre  dich,  Wurm !  .  .  . 
Knecht.    0  G  ebieter  und  Herr,  wie  bist  du  verrückt !  .  .  . 
Trygäos.    Hoch  flieg'  ich  empor,  den  Hellenen  zum  Heil: 


Aristophanes'  Friede.  145 

So  verwegen,  so  neu  ist,  was  ich  ersann.  .  .  . 

Knecht.     Bei  Gott,  so  hing  ich  lebe,  tliust  du  solches  nicht! 
Trygäos.     Es  ist  einmal  nicht  anders. 

(Er  steigt  höher.) 

Der  Knecht  ruft  die  beiden  Töchterchen  des  Tiygäos  herbei.  Der 
drollig  weinerliche  Abschied  des  einen  der  Töchterlein  bewegt 
sich  in  der  lustigsten  Parallele  des  väterlichen  Luftritts  mit  dem 
von  Euripides'  Bellerophon  auf  dem  Pegasos  (135 ff.): 

Das  Töchterchen.  0  hättest  du  lieber  angeschirrt  den  Pegasus! 

So  schienst  du  doch  den  Göttern  etwas  tragischer. 
Trygäos.  Da    braucht'    ich    doppelt  Putter    ja ,    du    thöricht 

Kind.  — 

Wie  SO?  erfährt  man  in  unserer  Komödie,  die  eine  Nase  hat,  wie 
Trygäos'  Knecht  sich  wünscht. 

Das  Töchterchen.  Nur  Eines  beachte,  dass  du  nicht  im  Schwindel  dort 
Hinunteriallst,  und  hinkend  dann  dem  Euripides 
Den  Stoff  zu  Märchen  bietest  und  zum  Trauerspiel. . . . 

Nun  beim  Aufsteigen  seine  Unterhaltung  mit  dem  Käfer;  sein 
Schreck  beim  Hinabschauen,  als  er  Einen  im  Pyräeus  sitzen  sieht, 
in  einer  Stellung,  die  den  Käfer  zur  Niederlassung  reizt,  den 
Reiter  zum  Phaeton,  und  ganz  Hella^  zur  Beute  neuer  Kriegs- 
drangsale machen  könnte.  Von  dieser  Angst  kaum  befreit,  muss 
er  dem  Maschinenmeister  zurufen: 

Wie  graut  mir !  Wehe !  Nicht  im  Scherze  red'  ich  so, 
Maschinenmeister,  habe  ja  recht  Acht  auf  mich! 

Der  Dichter  sitzt  so  sicher  und  sattelfest  auf  seinem  phanta- 
stisch-sjmbolischen  Ideen -Luftross,  dass  ihn  die  lUusiunsstörung 
nicht  schwindelig  macht,  und  desshalb  auch  nicht  sein  Publicum. 
Mittlerweile  wird  der  Olympos  mit  den  himmlischen  Wohnungen 
sichtbar.  Hier  aber  hausen  gegenwärtig  nur  zwei  wüste  Riesen- 
Gesellen:  der  Krieg  mit  seinem  Knechte,  dem  Tumult.  Die 
Götter  haben  sicli  hinter  den  Luftäther  zurückgezogen,  um  den 
Krieg  schalten  und  walten  zu  lassen  nach  Belieben.  Hermes 
allein  ist  als  Thürhüter  zurückgeblieben.  Kcmii  Kettenhund,  nicht 
der  gröbste  Portier,  schnaubt  einen  Kremden  so  wütlieml  an,  wie 
U.  10 


I  46  r»i6  griechische  Komödie. 

Heraies  den  Trygäos.  Ein  guter  Schinken  besänftigi  den  Him- 
melswächter. Er  giebt  nun  die  erwünschte  Auskmift :  Die  Frie- 
densgöttin (EiQr^vT])  liegt  in  einem  AbgTnmd  miter  einem  Stein- 
haufen begraben.  Krieg  (ii6l€f.wg)  ist  eben  im  Begiiffe,  die 
hellenischen  Städte  in  einem  Mörser  zu  zerstampfen.  Als  Mör- 
serkeule gebraucht  er  hellenische  FeldheiTen.  Die  am  besten 
stampften,  Kleon  und  der  Spartaner-Feldherr  Brasidas,  sind  lei- 
der Beide  todt.  Der  Knecht  Tumult  (Kvdoif.inQ),  der  sie  holen 
ging,  kommt  mit  leeren  Händen  zurück.  Krieg  geht  hinein, 
einen  neuen  Stössel  suchen.  Die  Zwischenzeit  benutzt  Trygäos, 
um,  mit  Hülfe  herbeigerufener  Lastzieher,  die  verschüttete  Frie- 
densgöttin emporzuwinden  (296 ff.): 

Ihr  Feld  besteiler,  Krämer,  ihr  Beflissenen 

Der  Kunst,  des  Handwerks,  Schutzgenossen,  Fremdlinge, 

üir  Inselmänner,  kommt  heran,  kommt  alles  Volk! 

ungesäumt  ergreift  die  Hacken,  nehmt  Hehebaum  und  Strick! 

Nun  gelingt's  uns,  wii-  erhaschen  einen  Trunk  vom  guten  Geist! 

Er  meint  den  Trunk  migemischten  Weines,  nach  Tische  zu  Eh- 
ren des  „guten  Geistes"  fDionysos;.  worauf  auch  Schiller's:  „Die- 
ses Glas  dem  guten  Geist,"  hinzielt.  Auf  Trygäos'  Heramuf 
tritt  der  Chor  in  die  Orchestra.  Während  Trygäos'  Luftreise 
hatte  ein  Scenenwechsel  stattgefunden;  sein  Bauernhof  sich  in 
eine  Gljaupos-Decoratiou  verwandelt.  Aus  Olympischeu  Höhen 
iTift  Trygäos  den  Chor  herbei.  Sofort  hält  derselbe  denn  auch 
seine  Parodos  in  die  Orchestra,  als  ob  diese  in  gleicher  Ebene 
mit  dem  Olympos  läge.  Vor  dem  Gesetze  der  phantastischen 
Ideen-Komik  ist  Alles  gleich:  Zeit,  Baum,  Perspective.  Hat  sich 
Kaphael,  bei  der  Himmelfahrt  der  Sixtinischen  Madonna,  an  eine 
Perspective  gekehrt?  Und  ist  doch  keine  Komödie:  und  ein  Wun- 
der der  Farbenkunst!  Die  Figuren  auf  diesem  Bilde  erscheinen 
uns  so,  als  ständen  wir  mitten  miter  ihnen,  in  den  Wollien. 

Der  Chor,  von  attischen  Landleuten  gebildet,  im  Verein  mit 
den  syml)olischen  Gestalten  der  Bundesstädte  und  der  kriegfüh- 
renden hellenischen  Völker,  begiebt  sich  an  die  Arbeit  (458 ff.): 

Chor.    Frisch,  greifet  an,  ihr  alle!  Zieht  die  Taue,  zieht! 
(Der  Chor  zi(;ht  an  den  Tauen,   die   durch   die  Orchestra   hüi  bis  in  den 
Abgrund  reichen,  um  die  FviedensgiHtin  h eraufzuheben,  unter  gegen- 
seitigem Zurufen.) 


Die  Friedeiisgötth].  147 

Hermes.    Ho  heia! 

Chor.     Heia  frisch ! 
Hermes.     Ho  heia! 

Chor.    Heia  frisch! 
Hermes.    Ho  heia!  Ho  heia! 
Trygäos.     Sie  ziehen  ja  ganz  ungleich  an  den  Tau'n. 

(Zu  den  Böotiern,  die  sich  seitwärts  gestellt. haben) 
Greift  an  mit  einander!  0  sträubt  euch  nicht! 
Bald  sollt  ihr  es  büssen,  Böotier. 
Hermes.    Heia  nun! 
Trygäos.     Heia  ho!  .  .  . 
Hermes.     Auch  Argos'  Söhne  ziehen  hier  schon  lange  nicht.  .  .  .  ' 
Chor.     Auch  dort  die  Megarer  schaifen  nichts.  .  .  . 
Trygäos.     Wir  fördern  nichts,  o  Männer,  auf,  einmüthig  gehn 
Wir  alle  wieder  mit  vereinter  Kraft  an's  Werk! 
(Alle  fassen  wieder  an.) 
Hermes.    Ho  heia! 
Trygäos.    Heia  ho! 
Hermes.    Ho  heia! 
Trygäos.     Ho  bei  Zeus! 

Hermes.     Ho  heia!  Ho  heia!  .... 
Trygäos.  Abscheulich  ist's. 

Die  hier  zieh'n  an,  die  ziehen  zurück! 
Bald  fühlt  ihr  die  Faust,  ihr  Argeier! 
Hermes.    Heia  nmi! 
Trygäos.    Heia  ho! 

Chor.     Böswillige  giebt's  in  unsern  Reih'n. 
Trygäos.     Auf  ihr  denn,  die  voll  Sehnsuchtsschmerz 

Nach  dem  Frieden  verlangt,  zieht  mannhaft,  zieht! 
Chor.     Doch  stören  so  viele  das  Werk  hier. 
Trygäos.     Ihr  Megarer,  schceret  euch  zum  Geier  fort!  .  .  . 

Chor.    Auf,  Männer,  schatten  wir  allein  das  Werk,  wir  Landbcsteller. 
(Der  Chor  —  die  attischen  Landleute  fassen  allein  die  Taue ,  ein  sinnvol- 
ler Fingerzeig.) 
Hermes.     Schon  geht  es,  wenn  ihr  zieht  nur,    viel  besser,    traun,  ihr 

Männer ! 
(!hor.     Schon  geht  es,    meint  er;    alle  denn  greift  an   und  schattet 

wacker ! 
Hermes.     Fürwahr,  die  Bauern  ziehen  sie  heraus,   und  wei- 
ter Nieman  d ! 
Chor.     Frisch  auf!  AU"  auf! 

Schon  ist  die  Göttin  nahe. 
Nicht  nachgelassen  jetzo,  nein. 
Mannhafter  imr  euch  angestrengt! 
Schon  ist  es  uns  gelungen! 

tu* 


148  Die  griechische  Komödie. 

(Die  Friedensgöttin  [Eirene]  steigt  aus  der  Tiefe,  mit  ihr  die  Gestal- 
ten der  Fruchtgöttin  [Opora] ')  und  Festfeier  [Theoria]. 
Ho  heia  nun!  Ho  heia  rings! 
Ho  heia,  heia,  heia,  heia! 
Ho  heia,  heia  rings! 

In  der  gesanimten  Komödienwelt  möchte  wohl  kaum  eine  ähn- 
liche Scene  sich  finden  lassen.  Einer  Analogie  von  diesem  sym- 
bolischen Witze  politischer  Ideengestaltung  begegnen  wir  viel- 
leicht nur  in  Swifts  grossen  satirischen  Staatsschriften  und,  auf 
dem  Gebiete  der  zeichnenden  Kunst,  doch  schon  mit  überwie- 
gender Illustration  der  bis  zum  Tragischen  grauenvollen  Sitten- 
verderbniss:  bei  Hogarth. 

Trygäos.     0  hehre  Traubenspenderin,  wie  griiss'  ich  dich! 
Wo  nehm'  ich's  her,  das  Zehntausendfuderwort, 
Um  dich  zu  grüssen?  Denn  ich  habe  keins  daheim. 
Opora,  Heil  dir!  Sey  gegrüsst  Theoria! 
Welch'  lieblich  Antlitz  hast  du  doch,  Theoria! 
Wie  duftest  du,  wie  lieblich,  bis  in's  Herz  hinein, 
So  wonnig  süss,  wie  Watt'enruh  und  Nardenöl! 
Hermes.     Und  wahrlich  gar  nicht  einem  Kriegstornister  gleich. 
Chor.     Pfui  vor  des  eklen  Söldlings  eklem  Kriegsgepäck! 
Da  duftet's  ja  nach  Zwiebelessigrülpsen  nur, 
Und  hier  nach  Aernte,  Lustgelag,  Dionysosfest, 
Schalmei'n,  Tragödien,  Sophokles,  Krammtsvögelchen, 
Nach  Verschen  aus  Euripides  — 

Trygäos.  Das  büssest  du. 

Die  Göttin  so  zu  lästern!  Denn  sie  labt  gewiss 
Den  Dichter  nicht  mit  seinen  Anwaltsrednerei'n. 
Chor.     Weinschläuche,  Epheu,  Lämmerblöken  auf  der  Trift, 
Geschürzten  Frauen,  eilen  auf  das  Feld  hinaus, 
Betrunkenen  Dirnen,  umgestürztem  Trinkgeschirr, 
Und  vielem  andern  Guten.  .  .  . 

Füi-wahi-  alle  ßundesstädte  und  Provinzen  stimmen  in  den  Ruh- 
mes-Päaii  ein,  womit  der  Chor  in  der  bereits  erörterten  Parabase 
dieser  Komödie  den  nicht  hoch  genug  zu  preisenden  Dichter  ver- 
heiTlicht. 

Das  Alles  ist  so  gewaltig,  von    solcher  Fülle,  Pracht  und 
Meisterschaft  in  schwungvoll  komischer  l^^rhndung  und  sprudeln- 

1)  'ÜTiojya  ,, Fruchtzeit,"  zwischen  Aufgang  des  Hundssterns  und  des 
Arkturus. 


Aristophanes'  Friede.     Opora  und  Theoria.  149 

dem  Witz,  dass  vielleicht  aus  diesem  Grande  allein  die  zweite 
Hälfte  der  Komödie  sich  nicht  auf  der  Höhe  der  ersten  behaup- 
ten konnte.  Die  zweite  Hälfte,  im  Vergleich  zur  ersten,  nimmt 
sich  aus,  wie  ein  schönes  Weib,  das  wir  in  der  tippigen  Bltithe 
ihrer  Reize  kannten  und  liebten,  und  als  Grossmutter  wieder  fin- 
den. Trygäos  hat  sich  mit  Opora  und  Theoria  in  sein  Gehöft 
niedergelassen.  Das  Vorgefallene  ist  wie  ein  Traum  zerstiebt; 
von  der  Friedensgöttin,  wie  schon  ei-wähnt,  nichts  zu  sehen,  als 
läge  sie  wieder  verschüttet  im  Abgrund  begraben.  Das  Friedens- 
fest, das  der  Chor  mit  Gesängen  und  Opfern  feiert,  ist  von  er- 
müdender Umständlichkeit ;  für  uns  mindestens,  und  wird  es  noch 
mehr  durch  den  Abstich  gegen  die  ergötzliche  Scene,  die  vorher- 
geht, wo  Trygäos  die  Theoria  ^Festfeier;  den  auf  den  vordersten 
Sitzreihen  oder  Thronsesseln  zuschauenden  Prytauen  zuführen 
lässt.  Nach  der  zweiten  Parabase  mischt  der  Schluss  kunterbunt 
noch  eine  oder  andere  parodirte  Tagesfigur  ein,  wie  den  Priester 
Hierokles  von  der  Kriegspartei ,  der  als  Lügenprophet  verspottet 
wird.  Nicht  viel  anregender  wirkt  die  Scene,  wo  die  Künste  des 
Friedens  und  des  Krieges  in  Contrast  gestellt  werden  1191  ff); 
obschon  v£)ll  Kernwitze  und  saftiger  Spässe.  So  z.  B.  die  Ver- 
wendung des  Panzers  und  Kriegshelms  zu  Friedens-Gefässen,  dem 
ähnlich,  wozu  auf  Hogarth's  Blatt,  „die  Komödienprobe,"  der  Affe 
sich  des  Helms  von  Alexander  dem  Grossen  bedient.  Schliess- 
lich behält  Trygäos  das  Beste  für  sich;  er  führt  die  Opora  als 
Braut  heim;  der  Winzer  die  Göttin  Fruchtbarkeit.  Aus  ihrem 
Füllhorn  schüttet  der  Dicliter  noch  herrliche  Einfälle,  die  zu  den 
ei-findsam  lustigsten  Situations  -  Contrasten  reifen  und  schwellen. 
Z.  B.  der  Festgesang  der  Knaben  (1270  ff.),  wovon  der  Eine  mit 
einem  Kriegsvers  beginnt,  den  Trygäos  sogleich  wie  einen  bren- 
nenden Plunder,  dem  ein  unvorsichtiger  Junge  mit  dem  Lichte 
zu  nahe  gekommen,  erschrocken  austritt,  und  dann  über  den  Jun- 
gen herfährt.  Mit  dem  Knaben  geht  aber  die  kriegerische  Zunge 
durch;  er  singt  weiter  von  Lanzen,  Schilden  und  Kriegsjammer- 
geheul und  genabelten  Tartschen: 

Trygäos.     —  Du  heulst  noch,  beim  Dionysos 

Singst  du  von  Jammergeheul,  und  genabeltem  Jammer! 
Knabe.    Doch  was  soll  ich  denn  singen? 
Trygäos.     ,,Also  schmausten  die  Männer  am  Stierfteisch" 


150  Die  griechische  Komödie. 

Der  Knabe  stimmt  das  Lied  vom  Stierfleisch  an,  aber  der  nächste 
Vers  lautet  schon:  „Alle  der  Mahlzeit  müde,  behelmten  sich:" 

Trygäos.     Lustig  mit  Wein  wohl. 

Knabe.     „Strömten  hinaus  zu  den  Thoren  und  endlos  tobte  der  Kriegs- 
lärm." 
Trygäos.     Dass  dich  der  Henker,  Bube,  dich  sammt  dem  Krieg  — ! 
Du  singst  nichts  als  Ki'iege.    Wem  gehörst  du  denn? 
Knabe.    Ich? 
Trygäos.  Allerdings  du ! 

Knabe.  Bin  der  Sohn  des  Lamachos. 

Tiygäos  lacht  laut  auf;  wie  denn  erst  sein  Publicum!  Die  Ueber- 
setzer  lassen  ihn  wenigstens  laut  auflachen:  Donner  und  Droysen. 
Aiistophaues'  Trygäos  ruft  alßol ,  was  mehr  ein  Schnalzlaut 
überraschten  Unwillens:  Holla  Jüngelchen!  Die  Hahaha- Laune 
ist  nicht  die  des  Trj^gäos.  Das  Theater  bricht  in  schallendes 
Gelächter  aus,  um  so  schallender,  als  Trygäos  sich  das  Lama- 
chos -  Söhnchen  mit  unwirrschem  Missblick  ansehen  mag.  Doch 
es  sey  dämm  (1291  fl".): 

Trygäos.     Ha,  ha,  ha!  (oder  wie  Droysen  übersetzt:  ..hahahaha!") 

Wahrlich,  ein  seltsames  Wunder  erschien  mir's,  wärst  du  der 

Sohn  nicht 
Eines    dem  Kampfe    so    holden    und    kampfwuthathmenden 

Vaters. 
Auf,  packe  dich,  den  Lanzenträgern  singe  das! 

(Der  Sohn  des  Lamachos  ab.) 
Wo  steckt  mir  denn  das  Söhnchen  des  Kleonymos?')  Wohl 

weiss  ich  doch,  du 
Singst  nicht  von  Händeha,  du,  des  klugen  Vaters  Sohn.  .  .  . 

Unvergleichlich!  Des  Aristophanischen  Gottes  voll,  wie  nur  sein 
Bestes;  dennoch  aber  disjecta  membra.  Die  Komödie  liegt  zer- 
brochen da,  wie  der  Sonnenwagen  mit  dem  gestürzten  Phaeton. 
Euripides  mochte  sich  vor  Schadenfi'eude  die  Hände  gerieben  ha- 
ben in  die  Seele  seines  verspotteten  Bellerophon,  der,  vom  Pega- 
sos  herabgeworfen,  mit  lahmer  Hüfte  davonliinkt.  Kein  viel  bes- 
seres Ende  nimmt  Tiygäos,  der  Käfer -Bellerophon,  mit  der  Ko- 
mödie: beide  lahmen  zuletzt  davon;  Trygäos  freilich  mit  seiner 


1)  Der  den  Schild  in  der  Schlacht  wegwarf  und  davon  lief. 


Eine  Stelle  im  ..Frieden."  151 

schmiickgebadeten  Opora,  begleitet  vom  Hochzeitsliede  seiner 
ländlichen  Cliorgenossen. 

Die  Gelehrten  wollen  „die  Mängel  an  fester  Consequenz  nnd 
Steigerung  des  f]ffects''  durch  Annahme  einer  späten  Umarbei- 
tung, einer  doppelten  Friedens -Komödie,  kurz  durch  Voraus- 
setzimgen  erklären,  die  Alles,  nur  nicht  den  Abfall  der  zweiten 
Hälfte  in  diesem  „Frieden"  gegen  dessen  erste  erklären.  Era- 
tosthenes,  Krates,  zwei  Alexandrinisclie  Grammatiker,  sprechen 
wohl  von  einem  andern  Frieden,  die  Folgerungen  jedoch,  die 
Drojsen  ^)  daraus  zieht,  sind  gezogene  Nieten. 

Auf  eine  noch  nicht  rein  geklitterte  Stelle  in  dieser  Komö- 
die wollen  wir  noch  hindeuten.  In  der  Opferscene  fordert  Try- 
gäos  den  Knecht  auf,  Gerstensamen  unter  das  Volk  (die  Zuschauer) 
zu  werfen.  Es  geschieht.  Darauf  meint  Trygäos  (;i66}:  „Die 
Frauen  erhielten  keinen  (ovx  ccl  ywaiy.sg  y  slaßov).  Das  scheint 
für  Anwesenheit  der  Frauen  in  der  Komödie  zu  sprechen.  Wie 
gewandt  sich  die  üebersetzer  durch  die  Scheeren- Klippen  der 
zweierlei  Auslegungen  schlängeln;  beide  Üebersetzer,  Donner  und 
Droysen!  Ersterer  verdeutscht  schlechtweg:  „Die  Frauen  erhielten 
keinen?''  Was  sich  als  berichtigende  Entgegnung  auf  die  Worte 
des  Knechtes  deuten  lässt  -  „Von  allen  diesen  Zuschauern,  so  viel 
deren  hier  sitzen,  ist  keiner,  der  nicht  etwas  von  der  Opfer-Gerste 
abbekommen"  (toltcov  oöoLnsQ  elol  rtov  ^ewi^ievtov  ovx  eotiv 
oiöeig  oorig  ov  y.QLd^)]v  l'xei).  Keiner  sagst  du?  So  haben  denn 
die  Frauen  nichts  abbekommen,  weil  sie  eben  nicht  anwesend 
sind.  Die  Partikel  ys  (y  e'Kaßov)  löst  Doimer  in  das  Fragezei- 
chen auf.  Droysen  drückt  die  Partikel  durch  „also"  aus  und  zu- 
gleich ft-agweis:  „Erhielten  also  die  Frauen  keinen?"  Da  die 
„Herren  Zuschauer"  {oooinsg)  blos  welchen  abgekriegt,  und 
die  Frauen  nicht  im  Theater  anwesend.  Trotzdem  scheint  uns 
die  Stelle  doch  noch  eine  oft'ene  Frage,  weil  der  Witz  nicht  ganz 
in's  Schwarze  trifft,  wenn  Trygäos  auf  die  Bemerkung  des  Knech- 
tes: Alle  mäiudichen  Zuscliauer  hätten  davon  bekonmien,  einwen- 
det: Aber  die  Frauen  nichts,  weil  sie  zu  Hause  sind  und  nicht 
unter,  den  Zuschauern  sich  befinden.  Da  versteht  es  sich  von 
selbst,  dass  sie  nichts  erhalten  konnten.    Trygäos'  Gegenbemer- 

1)  a.  a.  0.  1,  12. 


]  52  I^iß  griecliische  Komödie. 

kling  wäre  somit  vom  Zaune  gebroclien,  blos  um  eine  Unan- 
ständigkeit anzubringen.  Dergleichen  Gersten -Witz  scheint  uns 
nicht  vom  ächten  Aristophanischen  Schrot  und  Korn.  Warum 
sollten  die  Frauen  nicht  ausnahmsweise  die  Komödie  haben 
besuchen  dürfen;  je  nach  Beschaffenheit  derselben?  Gerade  diese 
Friedensfeier-Komödie  möchte  eine  solche  Komödie  gewesen  seyn 
können ;  um  so  mehr,  als  sie  zu  den  für  Frauen  weniger  anstössi- 
gen  geliört. 

Die  Vögel  ('OQVLd-eg)  Ol.  91,  3=414.  An  den  grossen 
Dionysien  unter  Archen  Chabrias  aufgeführt.  Aristophanes  erhielt 
den  zweiten,  Ameipsias  mit  den  Komasteu,  den  ersten,  Phiy- 
nichos  mit  dem  Monotropos  den  dritten  Preis.  ^) 

Die  Vögel  sind  in  gewissem  Betracht  eine  Ausnahms- Ko- 
mödie, die  sich  von  allen  andern  des  Aristophanes  in  Idee  und 
Kichtung  unterscheidet.  Jede  derselben  hat  ihren  festen  Mittel- 
punkt in  den  Innern  Zuständen  des  attischen  Gemeinwesens.  Sie 
alle  bringen  die  Verkehrtheiten  und  Verderbnisse  in  den  verschie- 
denen einzelnen  Staatsfactoren,  Verwaltung,  Rechtspflege,  Kunst, 
Wissenschaft,  der  Reihe  nach  in  den  Schmelz-  und  Glüliofen 
des  läuternden  Gelächters.  Immer  ist  es  ein  bestimmtes  von 
einem  chronischen  Leiden  ergrifi'enes  Organ,  gegen  welches  je 
eine  der  zehn  andern  Komödien  ihre  wirksamsten  Mittel  in  An- 
wendung bringi:  gründliche  Blutreinigung,  Milzausfegung  und 
Erschütterung  des  Zwerchfells.  Im  Ganzen  fühlte  sich  der  alte 
Knabe,  Demos,  noch  wohl  und  munter;  und  weil  ihm  die  Cur 
gut  bekommt,  lässt  sich  der  leichtsinnige,  lebenslustige  Krücken- 
stösser  sein  organisches  Gebresten  nicht  sonderlich  anfechten,  und 
lebt  wohlgemuth  darauf  los;  begeht  einen  Diätfehler  nach  dem 
andern  und  schlägt  dem  Arzt  ein  Schnippchen.  Umsonst  steUt 
ihm  dieser,  Avenn  er  eine  vernünftige  Lebensordnung  einhält,  völ- 
lige Wiedergenesung,  ja  Wiedergeburt,  Verjüngung  in  Aussicht. 
Wie  durch  bösen  Zauber  von  seinem  politischen,  sophistischen 
und  poetischen  Circen  behext,  lacht  der  alte  Sünder  seinem  Arzt 
in's  Gesicht  und  meint,  dieses  Lachen  bekomme  ihm  besser,  als 
alle  Arzeney.  Bis  endlich  der  ganze  Organismus  ergriffen  ist; 
bis  jener  Giftkeim,  der  ihm,  noch  von  den  Perserkriegen  her,  in 


1)  Arg.  Av.  I.  p.   142.  Dind.  Scliol.  Av.  99S. 


Aristophanes'  Vögel.  153 

den  Knochen  sitzt,  und  dessen  Umsichgreifen  die  Quacksalber  blos 
vertuscht  und  überpflastert  hatten,  nun  auch  Blut  und  Säfte  ent- 
zündet, durch  alle  Adern  und  Eingeweide  sein  verzehrendes  Feuer 
jagt,  und  um  so  zerstörender  wirkt.,  als  dieser  Giftstoff  unserem 
Demos  in  der  Blüthe  und  Fülle  seiner  jugendlichen  Mannskraft 
von  den  asiatischen  Barbaren,  zur  Zeit  der  Befreiungskriege,  in's 
Blut  geflösst  ward.  Aber  auch  desshalb  bricht  die  Folgewirkung 
so  verderblich  aus,  weil  das  eingesogene  Gift  mit  der  Natur  und 
dem  Wesen  des  davon  Ergriffenen  im  feindseligsten  Gegensatze 
steht.  Denn  dieses  Wesen,  worauf  fanden  wir  es  gestellt?  Auf 
vollkommene  Ausbildung  des  Staatsköqiers  zu  einer  harmonisch- 
schönen, sittlich-freien  Individualität;  zu  einem  schön  geglieder- 
ten und  musisch  beseelten  Volksorganismus,  einem  Gemeinwesen, 
worin  der  Einzelne  das  verkörperte  Abbild  des  Stammes-  und 
Nationalitäts-Ideals,  und  das  Ganze  wieder  das  schöne  Ebemnaass 
einer  vollendeten  Persönlichkeit  darstellt.  Dieses  Ideal  schwebte 
unserem  Poeten  nicht  als  Phantasiegebilde  vor:  er  sah  es  in  den 
grossen  Gestalten,  in  den  Heroen  der  Perserkiiege,  in  dem  Mara- 
thonischen Heldenthum  verwirklicht.  Der  geschichtliche  Missions- 
zweck dieses  Volkswesens  und  Ideals  lässt  sich  dalier  auch  in  die 
Aufgabe  zusammenfassen:  in  einer  Staats-  und  Volksindividuali- 
tät für  alle  Folgegeschlechter  ein  Urbild  gleichsam,  wie  ein  Kunst- 
werk, aufzustellen,  dessen  Mustergültigkeit  nur  aus  jener  höchsten 
Göttergabe  hervorsprosseu  konnte:  aus  einem  vollkommenen,  vor 
allen  Völkern  diesem  Volksgenie  verliehenen  Schönheits-  und 
Maassgefühl.  Klima,  Bodengestaltung,  der  bestimmt  umsclirie- 
bene,  jeglichem  Hellenenstamme  zugemessene  Gebietsautheil,  Alles 
stand  mit  dieser  schönen  Selbstgestaltung  zu  freimenschlichen 
Staatsgebilden  und  Persönlichkeiten  im  Einklang.  Als  der  feind- 
lichste Gegensatz  hiezu  erwies  sich  uns  das  Perserthum.  Wie  bei 
den  Hellenen  das  schöne  Maass  sich  als  die  Beglaubigung  ihrer 
Mission  zur  Weltbefreiung  und  Weltcultur  hervorthat;  so  ist  die 
Maasslosigkeit,  die  Niederwerfung  aUer,  die  Willkür  des  Allein- 
gebieters hemmenden  Schranken  das  Feldgeschrei  des  dazumal 
in  dem  persischen  Despotismus  incarnirten  Barbarenthums.  Die- 
ser orientalisclie,  dem  hellenischem  Ansiedelungs-,  Anpfianzungs- 
und  Staatengestaltungs-Genie  entgegengesetzte  Hang  tritt  in  sei- 
ner wüstesten  Unform  als  nomadischer  Trieb  auf,  als  jenes  wilde, 


154  I^ie  griechische  Komödie. 

in's  Unbegrenzte  hinausstrebende  Völkerschweifen,  jener  heimath- 
lose  Fernentrieb,  der,  je  nach  den  Massen  und  Scliaaren,  die  er 
ergreift,  als Erobenings-,  Völkerwanderungs-  oder  als  Abenteuer- 
Geist  epidemisch  die  Welt  überzieht,  um  dann,  so  Gott  will,  und 
nach  Jahrhunderten  verfinsternder  Barbarei,  von  dem  Culturgeiste 
bewältigt,  sich  zu  neuen  Völkerforaien  und  Staatenbildungen  zu 
gestalten.  Das  Hellenische  und  Orientalische,  der  plastische  Cul- 
turgeist  und  der  nomadische  Abenteuertrieb,  das  Classische  und 
Romantische,  sind  verschiedene  Bezeichnungsformen  derselben  Ge- 
gensätze. Fernentrieb,  Sichaufgeben  an  die  Fremde,  Selbstent- 
fremdung, Abenteurerhang,  wechseln,  je  nach  Stimmungen  und 
Objecten,  ihre  Weisen.  Als  Gefühlsstimmung  löst  sich  dieser  Trieb 
in  Sehnsucht  auf;  als  Kunststimmung  ist  er  das  Romantische, 
das  Unbestimmte^  Ahnungsvolle;  als  philosophische  Geistesstim- 
nmng  das  Transcendente.  Aufs  Praktische  und  Zweckhafte  ge- 
richtet, geräth  solcher  Hang  durch  sein  Hinausstreben  aus  sich 
selbst  und  unbezwingliches  Selbstentfi'emdungsgelüste ,  seine  ün- 
stätigkeit  und  Zerfahrenheit,  mit  seinem  eigenen  auf  einen  be- 
stimmten Zweck  gerichteten  Trachten  in  Widerspruch,  und  wird 
zum  abeuteuerischen  Schwindelgeiste,  zur  Phantasterei,  zm*  Pro- 
jectenmacherei,  zur  Chimäre.  Und  zu  dieser  bösen  Saat 
hat  sich  der  unlieilvoUe,  von  den  Perserkiiegen  dem  hellenischen 
Volksgeist  mitgetheilte  Giftkeim  entwickelt.  Der  heimatheutfrem- 
dete  Eroberungs-Schwindel-Geist  ist  über  den  attischen  Demos 
gekommen.  Die  Expeditions-Projectenmacherei,  der  Xerxes-Taumel 
hat  sich  seiner  bemächtigt;  die  Phantasterei  der  Raubzugs- Aben- 
teuerfahrten,  die  Insel-  und  Länderunterjochungs-Chimäre.  Und 
Aristophanes'  Vögel  sind  die  Komödie  dieser  Chimäre.  Aus  dem 
Trygäos,  der  auf  seinem  Ackerdüngungs-Symbole ,  dem  Riesen- 
käfer, eine  Luftreise  nach  der  Göttei-wohnung  unternommen,  um 
von  dort  seinem  geliebten  attischen  Vaterlande,  zum  Heil  und 
Segen  der  heimischen  Felder,  den  Frieden  herunterzuholen,  ist 
ein  Chimären-Glücksritter  geworden,  der  eine  Reise  in's  Blaue  un- 
ternimmt, um  die  Götter  selbst  in  ihrer  Aetherbm'g  zu  bekriegen, 
und  sie  zur  Auslieferung,  nicht  der  Friedensgöttin,  nein,  der  wüsten 
Reisegesellen,  Krieg  und  Tunuilt,  zu  zwingen,  damit  er  sie  seinem 
Vaterland  auf  den  Hals  schicken  könne.  Im  Weigerungsfalle 
würde  er  den  Olymp  mit  seinem  Vögelheere  stürmen,   mit  den- 


Die  Vögel.     Der  Scliwindelgeist.  155 

selben  Vögeln,  in  Bezug  auf  welche  Trygäos'  Töchterchen,  zur 
Zeit  seines  Ausflugs  nach  der  Friedensgöttin,  ihrem  Vater  nach- 
gerufen (116  f.): 

Willst  du  mit  Vögeln,  verlassend  die  Deinigen, 
Hoch  in  die  Luft  zu  den  Raben  entweichen? 

Und  siehe  da!  Sechs  Jahre  nach  dem  Frieden,  ist  Väterchen  Try- 
gäos,  oder  Papa  Demos  oder  wer  hinter  dem  Peisthetäros  stecken 
mag,  wirklich  mit  Vögeln  7a\  den  Kaben  und  Geiern  entwichen, 
um  gar  nicht  mehr  heimzAikehren ;  sondern  eine  Vogelstadt  in 
der  heimathlosen  Luft  zu  hauen,  und  darin  mit  der  Göttin  Ba- 
sileia  zu  hochzeiten,  einer  Cousine  der  persischen  Basileia,  der 
glückseligen  Alleinherrschaft  des  „grossen  Königs";  und  um  ein 
Chimärenreich  zu  gründen,  von  wo  er,  nach  oben  die  Götter,  und 
nach  unten  die  Menschen  zu  beherrschen,  in  der  Lage  wäre,  als 
unbeschi'änkter  Gel)ieter  eines  beflügelten,  wndköpfigen  Vögelvol- 
kes, das,  älter  und  ehrwürdiger,  als  die  Götter,  und  mächtiger,  als 
die  Menschen,  ein  unbegrenztes,  Götter,  Menschen,  Erde,  Meer 
und  Himmel,  das  ganze  Universum  umfassendes  Weltreich,  das 
schrankenlose  Liiftreich,  das  bodenlose  Reich  der  Chimäre,  sein 
Vaterland  nennt. 

Nicht  als  ob  besagter  Schwindelgeist  Papa  Demos  jetzt  plötzlich, 
wie  von  ihm  angeblasen,  ergriflen.  ImGegentheil  hatte  jener  orienta- 
lische Peststoff"  abenteuerlicher  Alleinallheri'schaft  schon  in  den  Un- 
ternehmungen des  Perikles,  als  Hegemonie-Schrulle,  sich  zu  regen 
begonnen;  und  hatte,  gleichzeitig  mit  der  Pest,  durch  unzweifelhafte 
Symptome  seinen  orientalisclien  Ursprung  in  dem  peloponnesisclien 
Kriege  enthüllt.  Schon  Perikles'  Politik  war  eine  Abenteuerer-Politik, 
die  in  Alkibiades  ihren  Liebling  und  Mignon,  in  Alexander  dem 
Grossen  ihren  weltliistorischen  Helden  fand,  dessen  Epigonen  den 
Untergang  von  Hellas  lierbeiführten.  Alkibiades'  Eroberungszug 
nach  Sikelien  glich  mehr  einem,  gegen  sein  Vaterland  unternom- 
menen Freibeuter-  und  Xerxes-Zuge,  als  der  wohlüberdachten 
Kriegsexpedition  eines  attischen  Feldherrn  im  Nutzen  seines  Lan- 
des. Aus  Thukydides'  und  Plutarch's  Darstellungen  erhellt  deut- 
lich, dass  die  waghalsige  Expndition  des  Alkibiades  zugleicii  eine 
hochverrätherische  war,  die  darauf  abzielte,  das  ('i-o))erte  Sikclioii 
zur  Operationsbasis  gegen  sein  Vaterland  zu   machen,   um  sich 


156  Die  griechische  Komödie. 

von  da  ans  der  OberheiTscliaft  über  Athen  und  ganz  Griechen- 
land zu  bemächtigen.  Der  abenteuerliche  Schwindelplan  ging 
dahin,  von  dem  eroberten  Sikelien  aus,  das.  unter  seine  Partei- 
und  Hetärie-Geuosseu  als  gute  Priese  veriheilt  worden  wäre,  zu- 
nächst Italien,  hierauf  Karthago  zu  erobern,  dann  den  Peloponnes 
zu  unterwerfen,  um  sich  zum  unumschränkten  HeiTu  und  Allein- 
herrscher von  ganz  Griechenland  zu  machen,  i)  Von  der  Vogel- 
perspective  seines  luftigen,  hochfliegenden  Planes  erblickte  schon 
Alkibiades  sein  Vaterland,  sein  Attika,  tief  unter  sich  zu  einem 
verächtlich  kleinen  Gebiete  zusammengeschrumpft,  in  einer  Schwin- 
del-Hochflugsstüumung,  einem  Kukukswolkenheimgefühl ,  das  der 
Vögel-Chorfülu-er ,  in  der  Parabase  unserer  Komödie,  so  unsterb- 
lichkeitsbcAvusst,  so  vogelperspectivisch,  so  wolkenseglerisch  und 
ätherselig  ausspricht,  in  seiner  von  obeuheruuter  das  Menschen- 
gewürm ironisirenden  Apostrophe  an  die  „ohnmächtige  Brut",  die 
„Eintagsfliegen,  zum  Fluge  zu  schwach,  traumähnliche  Söhne  des 
Jahres." 

Nur  hat  man  sich  die  Expedition  nach  SikeKen  nicht  als  ein 
blosses  Partei-Project ,  einen  Verschwörungs- Handstreich,  ausge- 
heckt von  Alkibiades  und  seiner  Hetärie  oder  Synomosie,  nicht 
als  ein  blosses  „Zeichen  der  Zeit"  zu  denken,  wie  etwa  die  Cati- 
linarische  Verschwörung.  In  Athen  hatte  der  Eroberungs-  und 
Oberherrschafts-Schwiudelgeist  das  Volk,  den  Demos  selbst,  er- 
grifl'en,  der,  nach  Alkibiades'  Flucht,  das  Project  mit  aller  Macht 
vertrat,  und  mit  dem  ganzen  Aufgebot  seiner  Kräfte  mid  Mittel 
durchzusetzen  beeifert  war.  Andernseits  aber  scheint  uns  die  An- 
sicht: Aristophaues'  Vögel  bezögen  sich  auf  kein  bestimmtes  Er- 
eigniss,  namentlich  nicht  auf  den  sikelischen  Feldzug,  aus  einer 
noch  flüchtigeren  Würdigung  der  Zeitlage  und  einem  völligen 
Verkennen  der  Aristophanischen  Komödie  zu  entspringen,  die  wir 
allenthalben  ihren  politischen  Wurzelgedanken  aufs  gTÜndlichste 
entwickeln  sehen.  Welcher  Missverstand,  dass  eine  solche  An- 
schauung, im  Handumdrehen,  eine  Tagesfrage  von  dieser  Trag- 
weite, im  Style  unserer  Aesthetik,  mit  souverän  aftei-poetischer 
Geringschätzung  und  kunstabstracter  Tendenzenscheu  hätte  ver- 
nebeln und  verschwebeln  können  !  Aristophanes  müsste  denn  sei- 


J)  Thiikyd.  VI,  '.»0. 


Ai-istophanes'  Vögel  keine  Phantasmagorie.  157 

nem  eigenen  Genie  den  Rücken  gewandt  haben,  wie  sein  Peisthe- 
täros  dem  Vaterland,  um  das  in  der  Luft  schwebende,  „hochpoetische" 
Schlaraffenland  unserer  Märchen-Dramatiker  und  ästlietischen  Wie- 
dehopfe aufzusuchen.     Er  müsste  geradezu  sich  zum  Peisthetäros 
seiner  selbst  aus  dem  StegTcif  vervogelt  haben,   und  seine  durch 
und  durch  real-phantastische  Komik  in  eine  verschwommene  Chi- 
mären-Poesie,  eine  Luftspiegelungs-Wolken-Phantomisterei,  kurz 
in  das  Kukuksuebelheim  Tieckscher  Märchen-Ironie  zerquirlt  und 
verbrodelt  haben.     Aristophanes',  aus  dem  frischen  Schaum  der 
Tagesströmungen,   wie   Aphrodite   aus   Meeresschamn ,   geborene 
Komödie  sollte  sich  mit  eins  in  derlei  wesenlose  Duustdichtung 
aufgelöst  haben?  In  eine  nebulose  Phantastik  verloren  haben,  die 
den  Dusel -Visionen  der  Betel-  und  Opiumkäuer  ähnlich,  deren 
ausgesogene  Mohnköpfe  noch  nachträglich  die  langzopfigen  chine- 
sischen Kunstphilosophen  in  kunstphilosophische  Formeln  umkäuen? 
Ein  offner  Blick  in  Aristophanes'  Vögel  zeigt  uns,  dass  unser  Poet 
kein  solcher  Betelkäuer  oder  Opiumesser  war,  und  auch  keine 
dergleichen  Visionen  dichtete    nach    den  Fomieln  einer  langge- 
zopften  chinesischen  Aesthetik;  dass  er  im  Gegentheil,  nach  ge- 
wolmter  Weise  und  Kunstmethode,  dem  in's  Nebelhafte,  Meteorische 
und  Abenteuerliche  verstiegenen  Staats-  und  Volksgeiste  dessen 
leibhaftes  Ebenbild  zeigte  im  Demantspiegel  seiner  objectiven,  dem 
Tagesleben  immanenten,  aus  bestimmten,  concreten  Ideen  gestal- 
tenden Komik. 

Zwei  Athener,  im  Greisenalter  Beide,  erscheinen  als  Auswan- 
derer in  waldiger  Felsenwildniss.  Ihre  Namen  sind  bezeichnend. 
Der  Führer  heisst  Rathefreund,  Peisthetäros,  der  Genosse, 
Hoffegut,  Euelpides.  Die  Namen  charakterisiren  unübertrefflich 
die  gegenseitige  Stellung  und  Genossenschaft  zwischen  Planmacher 
und  hoffnungsgläubigem  Nachfolger;  Projecten- Vorschwindler  und 
dessen  Düpe.  Die  bezeichnendsten  Belege  zu  diesen  Namen  lie- 
fern die  geschichtlichen  Urkunden  des  Thukydides  und  Plutarch. 
Liest  man  bei  Ersterem  ')  das  Verhalten  der  Parteigenossen  zu 
Alkibiades'  Expeditions -Project;  die  Schilderung  des  Holfnungs- 
schwindels,  worin  sich  seine  Hetärie,  oder  heimliche  Staatsstreichs- 
Brüderschaft,  in  Bezug  auf  den  Eifolg  des  Feldzuges,  wiegte:  so 

1)  VI,  24. 


■158  Die  griechische  Komödie. 

möchte  mau  glauben,  Aristophanes  habe  in  Euelpides,  seinem 
Hoflfegut,  die  Gattuugsfigm-  jener  hetäristischen  Euelpiden;  und 
im  Peisthetäros  den  Rathefreund,  ilir  Oberhaupt,  zeichnen  wollen; 
dem  Geiste  und  Wesen  nach,  nicht  äusserlich,  den  damals  28jäh- 
rigen  Alkibiades  etwa,  da  er  ja  seinen  Rathefreund  hinter  eine 
Greisenmaske  verstecld.  Denkt  man  wieder  an  Plutarch's  Worte  ^): 
Alkibiades  habe  das  Volk  überredet,  indem  er  es  hoffen  Hess, 
während  er  selbst  noch  Grösseres  erstrebte,  so  möchte  man  wieder 
anzunehmen  geneigt  seyn:  Aristophanes' Euelpides  sey  die  neueste 
Maskenfigm*  für  den  guten  alten  Demos-Pantalon,  besonders  wenn 
man  Plutarch's  Worte  vor  Augen  hat:  'Jkxtßiädsg  tbv  ts  Öij- 
(xov  fieyccXa  neiouq  ilu  i'Ceiv  u.  s.  w.  Als  ob  Plutarch  durch 
diese  Zusammenstellung  die  beiden  Namen  von  Aristophanes'  zwei 
wunderlichen  Käuzen  hätte  erklären  wollen.  Erwägi  man  endlich 
den  Charakter  der  Aristophanischen  Masken-Symbolik,  die  keine 
Figur  mit  der  Consequenz  unseres  Drama's  festhält:  so  wird  die 
Ansicht  sich  auch  wohl  hervorwageu  dürfen,  dass  die  Parteifigur 
zugleich  in  weiterer  Bedeutung  genommen  sey,  und  auch  das  Volk 
den  Demos  selbst  vorstellen  könne,  die  Alkibiades-Partei  im  aus- 
gedehntesten Sinne.  War  denn  der  Demos  nicht  im  Grunde  wirk- 
lich, besonders  in  Absicht  der  sikelischen  Expedition,  mit  seinem 
Liebling  Ein  Herz  und  Eine  Seele?  Hat  das  Volli  nicht  schliess- 
lich immer  die  Politik  seines  Herzblatt- Demagogen  acceptirt? 
Kurz  war  es  nicht  jederzeit  der  Euelpides  seines  Peisthetäros? 
Und  wie  viel  fehlte  denn,  dass  unser  biederer  Demos  nicht  selbst 
die  Basileia  vom  Himmel  für  seinen  Abgott  herunterholte?  Dass 
es  nicht  geschah,  kommt  der  Gegenpartei,  den  Oligarchen,  in 
Reclmung,  nicht  dem  Volke.  Die  Parodie,  die  Ironie  des  grossen 
Komikers  erscheint  um  so  ergötzlicher,  tiefer,  allüberflügelud, 
wenn  gleichzeitig,  wo  eben  durch  Volksbeschluss  das  Staatsscliiff, 
die  Salaminia,  zur  Vorladung  des  Hochverräthers  war  ausgesandt 
worden,  wenn  in  der  Komödie  dersell)e  Euelpides,  als  treuer  Ge- 
simmngsgenosse,  seinem  Freunde  und  Fülu'er,  Peisthetäros,  ver- 
trauensvoll mid  hoffeselig  naclifolgte,  während  sein  im  Theater 
vor  ilim  dasitzender  und  ihn  aushichender  Doppelgänger,  Demos- 
Euelpides,  sich  gleichsam  selbst  vor  Gericht  citirt  und  mit  dem 

1)  I,  17. 


Peisthetäros.     Euel]n(les.    T)er  Vögel-Chor.  ISQ 

Vorladungsschiff  steckbrieflich  verfolgt.  Wir  wären  sogar  geneigt, 
dieses  Ineinanderspielen  und  Schillern  der  Figuren-Bedeutung,  das 
uns  schon  in  den  besprochenen  Komödien  überraschte,  auf  den  Vö- 
gel-Chor selbst  auszudehnen,  und  in  ihm  dieselbe,  aber  zur  Volks- 
menge ver\ielfältig-te  Euelpides- Figur  zu  erblicken:  Alkibiades' 
Hetärie  zum  Vögelstaat  erweitert;  das  Athenische  Volk,  in  seinem 
flüchtigen,  luftigen,  windköpfigen  Vogelwesen,  komödirt  zu  einem 
Volk  von  Vögeln;  vielleicht  wohl  gar  jene  aristokratisch-demago- 
gische Elite  Athens,  die  hochgesippten  Alkmäoniden  und  die  zu 
ihnen  haltenden  Familiengeschlechter  als  uradelige  Vögel-Haute 
volee  verbildlicht. 

Unsere  beiden  Auswanderer  also,  mit  Führervögeln,  Eathe- 
freund  mit  einer  Krähe,  Hoöegut  mit  einer  Dohle,  suchen  ein 
Utopien,  Eldorado,  ein  Schlaraffenland,  wo  sie,  laut  Hoffegut's  ver- 
traulicher Eröffnung  an  die  Zuschauer,  von  den  ewigen  Rechts- 
händelu  in  Athen  ausruhen  und  ihrer  Müsse  leben  können;  su- 
chen, mit  einem  Wort,  ein  ubi  bene  ibi  patria.  Wie  Hermes  im 
„Plutos"  sagt  (1150):  „Dort  ist  die  Heimathserde,  wo's  uns  wohl 
ergeht"  (Tiargig  ydg  eoxi  näo'  iV  av  jtqcixtij  tiq  €?;.)  Zuerst 
wollen  sie,  aus  alter  Schwägerschaft,  bei  Ter  aus  anklopfen,  jenem 
bekannten,  in  einen  Wiedehopf  verwandelten  Tochtermann  des  at- 
tischen Königs  Pandion  (4(3  ff'.) : 

Und  nun  zu  Tereus  ziehu  wir  aus,  dem  Wiedeliopf; 
Von  ihm  zu  hören  wünschen  wir,  oh  irgendwo 
Er  solche  Stadt  auf  seinen  Flügen  je  geseh'n. 

Zaun  schlüpf  er  kommt  herangehüpft,  Wiedehopfs  Botenläufer 
und  Diener.  Gegenseitige  unsäglich  komische  Verblüffungs-Be- 
grüssung,  bei  welcher  dem  Hottegut,  vor  Schrecken  über  Zaun- 
schlüpiers  grossen  Schnabel,  etwas  Menschliches  passirt,  was  den 
Zaunschlüpfer  nur  noch  mehr  in  seiner  Angst  bestärki;,  dass  er 
Menschen,  folglich  Vogelsteller,  vor  sich  sehe.  Die  Beiden  geben 
sich  für  Vögel  aus:  Hotfegut  für  den  Vogel  Zitterherz  aus  Libya; 
Rathefreund : 

Ich  hin  der  Hoscnk  —  aus  dem  goldnen  Land. 

Darauf  meldet  sie  der  Zaunschlüpfer.  Tereus- Wiedehopf  hat  gi-ade 
die  Mauser   und   erscheint  in  diesem  Neglige.     Sie  bringen  ihn.' 


160  Di<?  griecliische  Komödie. 

Frage  vor,  von  wegen  der  „Woimestadt."    Wiedehopf  nennt  eine 
am  rotlien  Meer  belegen  (I46f.): 

Hoffegut    —     —     _    Weh,  nur  kerne  Stadt 
Am  Seegestade,  wo  die  Salaminia 
Uns  heimzuführen  morgen  früh  aufducken  kann. 

Wie  es  demi  bei  den  Vögeln  aussehe?  Ganz  vergnüglich,  meint 
Wiedehopf. 

Peisthetäros.    Ali,  Ah! 

Zu  stolzer  Herrschaft,  seh'  ich,  ist  der  Vögel  Volk, 
Zu  grosser  Macht  erkoren,  folgt  ihr  memem  Eath. 

Er  erklärt  sich  näher.  Anstatt  mit  offenem  Schnabel  mnherzu- 
gaffen  und  zu  schwärmen,  sollen  die  Vögel  sich  auf  ernste,  solide 
Zwecke  verlegen,  einen  Stadtbau  in  Augi'iff  nehmen  —  Wo?  welche 
Stadt?  — Alberne  Wiedehopf-Frage,  bei  einem  Baugrund,  wie  Luft 
und  Wolken  sind!  Ein  Vogelreich,  so  weit  der  Himmel  blau  ist. 
Frisch  gebaut  mid  befestigt !  Von  der  Wolkenstadt  aus  beherrscht 
ihr  die  Menschen  und  hungert  die  Götter  aus.  —  Wie  so?  — 
Durch  Grenzsperre.  „Schliesset  Stadt  und  Luftgebiet  ab",  und 
lasst  keinen  Opferrauch  durch  und  keinen  „Opferschenkelduft" 

AV  i  e  d  e  h  0  p  f .   Juchhe!  Juchhe ! 

Bei  Schlingen,  Netzen,  Garnen,  bei  der  Erde  Macht, 
Solch  hübschen  Einfall  hört'  ich  nicht  mein  Leben  lang !  . . . 

Wiedehopf  beruft  die  Vögelversammlung.  Doch  zuvor  lockt  er  sein 
Gemahl,  die  in  eine  Nachtigall  verwandelte  Prokne,  aus  dem 
Gebüsch.  So  poetisch  schön  klingt  kein  Nachtigallenlied  aus  mond- 
beglänzten  Fliederbüschen,  wie  dieser  Lockeruf  des  zärtlichen 
Gatten- Wiedehopfs  in  der  Mauser  (2 10 ff.): 

Mein  trautes  Gemahl,  auf,  banne  den  Schlaf, 
Lass  wallen  den  Strom  des  geweiliten  Gesangs, 
Den  süss  liinströmt  dein  seliger  Mund, 
Um  Itys,  ach,  mein  Söhnchen  und  deines 
IlelLstinimigen  Klang's  aus  Tiefen  der  Brust 
Aushauchend  den  Schmerz! 

Klar  scliwingt  sich  der  Hall  durch  wankendes  Grün 
Von  dem  Ahorn  auf  zu  dem  Throne  des  Zeus, 
Wo  der  Gott  mit  den  goklnen  TiOckeu  ihm  lauscht, 
Und,  deinem  Gesang  antwortend,  mit  Macht 
In  die  Lyra  greift  und  den  heiligen  Chor 


Die  Vögel.     Wiedehopfs  Lockenif.  \Q\ 

Der  Olympier  führt: 
.    Und  vom  seligen  Mund,  dem  unsterblichen,  tont, 
Einstimmend  mit  dir, 
Der  Olj'mpier  göttliche  Klage. 

(Man  hört  eine  Flöte,  die  den  Nachtigallenton  nachahmt.) 
Peisthetäros.     0  König,  o  Zeus!    Welch  lieblich  Vogelstimmchen  das! 

Wie  füllt  der  honigsüsse  Laut  den  ganzen  Hain! 
Euelpides.     Du  — 
Peisthetäros.     Was  beliebt  dir? 
Euelpides.  Schweige  doch! 

Peisthetäros.  Warum  denn  das? 

Euelpides.     Zu  neuem  Liede  rüstet  sich  der  Wiedehopf. 
Wiedehopf.    Hup  hup,  wuwu!  Hup  hup,  wuwu! 

0  kommt,  o  kommt  heran,  zu  mir,  zu  mir 

Heran,  ihr  alle  meine  Mitgefiederten: 

Die  ihr  in  reichen  Au'n  des  Landmann's  umher, 

Hir  Gerstennäscher,  schwärmt  in  ungemessner  Zahl, 

Und  ihr  Samenpicker,  schnellfiiegend  Volk 

Mit  dem  anmuthreichen  Laute; 

Und  die  in  Furchen  ihr 

Um  die  Scholle  trippelnd,  oft  so  lieblich  zwitscliert, 

Eurer  Stimme  froh: 

Tio,  tio,  tio,  tio,  tio,  tio,  tio,  tio! 

Und  ihr  Anderen,  in  dem  Gärtlein,  in  des  Epheus 

Rankendem  Laub  umher,  die  ihr  in  Bergen  schwärmt, 

Ln  Oleaster  nascht,  weidet  im  Aj-tubus; 

0  fliegt  eilig  heran,  achtend  meines  Rufs: 

Trioto,  trioto,  totobrinx! 

Die  ihr  im  Moor  tiefer  Bergschluchten  euch 

Scharfe  Stechfliegen  schnappt, 

Die  ihr  thaufeuchtcn  Grund 

Liebt,  umher  schwärmend  durch  Marathons 

Liebliche  Gefilde ! 

Komm,  bunfflügliger  Vogel  du 

Haselhuhn,  Haselliuhn! 

Und  die  im  Schwann  mit  den  Lenzhalkyonen 

Flattern  auf  wogendem  Schwalle  des  Meeres, 

Eilet  heran,  zu  vernehmen  die  neueste 

Kunde!  Berufen  wir  doch  die  Geschlechter  — 

Alle  der  halsausreckcnden  Vögel. 

Ein  alter,  ein  scharf  (lunlidringoiHler  (ieist. 

Kam,  seltsame  Plan' 

Und  seltsames  Werk  aussinnend  für  uns. 

Kommt  zu  Ratli  denn,  kommt,  ihr  alle. 

Eilet  hierher,  eilet  liicrher! 
IL  il 


162  r)i<^  griechische  Komödie. 

Torotoro,  torotoro,  torotiiix! 
Kikkabau,  kikkabau! 
Torotoro,  toroto,  lilüinx! 

Lässt  sich  etwas  Keizendeves  denken?  Die  goldene  Phantasie ! 
Der  innige  Natursinn!  Das  Vogelwesen- Verständniss !  Das  liebe- 
voll in  Gottes  Creaturen  versenkte  und  ihre  Sprache  verstehende 
Dichtergemüth !  Ein  Vogelweiser  Salomo  mit  Papageno's  Lock- 
pfeife und  Glockenspiel,  der  sein  Weibchen  herbeilockt,  sehnsüch- 
tig zärtlich,  nachtigallenbräutlich,  epithalamisch-minniglich ,  liebe- 
selig-entlmsiastisch.  Im  Sommernachtstramn  regi  das  Mondelfen- 
Waldzauberweben,  der  duftig-holde  Menschen-Feengeisterspuk,  so 
arabeskenhaft  träumerisch  in  einander  geschlungen  und  als  lieb- 
lichstes Naturzauberspiel  gauklerisch  vergeistigt,  —  regt  Shak- 
speare's  volksromantische  Märclienwundeiivelt  die  Seele  nicht  reizen- 
der an,  poetisch  sinniger,  ueckisch-anmuthiger,  als  diese  tageslichte, 
diese  plastische  Phantasie;  als  dieser  realistisch-helle,  staatsalle- 
gorische Zeitspuk,  und  doch  ist  für  den  Griechen  dieses  allge- 
mein Poetische  nur  Zierrath,  nur  Känderguirlande  und  Blätter- 
schmuck, nicht  Kern,  Stamm  und  Wurzel,  nicht  Hauptzweck,  wozu 
die  Aesthetik  des  Opium-Dusels  das  Poetische  entleiben  und  ent- 
weltlichen möchte;  in  Uebereinstimmung  mit  der  Alfanzerei  mo- 
derner Nebeldichter,  die  ihr  poetisches  Genie  in  dem  Maasse  für 
hochbedeutsam  und  Alles  übarflügelnd  erachten,  als  es  sich  baar 
an  wirklichem  Lebensgehalt  und  Lebenswahrheit  bekundet;  als 
es  in  den  Idauen  Dunst  der  absolut  poetischen  Tendenzlosigkeit 
sich  verflüchtigt.  Gerade  so,  wie  wenn  man  den  Eauch.  womit  man 
den  betäubten  Bienen  den  Honig  abnebelt,  schon  für  diesen  sel- 
iger nehmen  wollte;  oder  wie  wenn  der  Ertrag  eines  Bergwerks 
na  eil  den  Schwaden  geschätzt  würde,  die  sich  aus  einer  Erdgrube 
entwickeln.  Sothane  Nibel-Nebeldramatik  wäre  die  einzige  Pythia, 
deren  Weissagungen  in  den  Dämpfen  beständen,  so  ihren  Sitz 
bestreichen. 

Die  Parodos  der  Vögel  kaim  nicht  genug  bewundert  werden 
CJOoff.): 

Eucliüdes.     Hui  111,  huhu!  Was  Vögel  liier! 
Huhu,  huhu!  Was  Amseln  hier! 

Wie  mit  Piepen,   wie  mit  Schnattern    Alles   durcheinander 
rinnt ! 


Die  Vöt;-el.     Die  Parudos.  163 

Schueeflockendicht ;  ein  Flattevsturm ,  und  als  solcher  auch  auf 
das  Meuscheupaar  losstürzend  mit  Schnabel  und  Krallen.  Die 
beiden  Genossen  beschilden  und  bewaffnen  sich  mit  Topf  und 
Bratspiess. 

Chor.     HoUaholi!  Rückt  an!  den  Schnabel  senket  ein! 
Zerre,  raufe,  stosse,  kratze !  .  .  . 

Wiedehopf  wirft  sich  den  Angreifern  entgegen,  deckt  mit  seiner 
mausernden  Brust  seine  „Stammgenossen",  „die  Verwandten  seines 
Weibes",  und  erbittet  für  sie  Gehör.  Es  wird  bewilligt.  Peisthe- 
täros  lässt  sich  üifede  schwören,  dass  er  mit  unausgehackten 
Augen  sprechen  kann,  und  eiTegt  gleich  mit  dem  ersten  Kraft- 
wort: „Die  Vögel  sind  von  Haus  aus  Könige",  die  grösste  Sen- 
sation (469): 

Und  älter  ja  seyd  ihr,  früher  gezeugt,  als  Kronos  sammt  den  Titanen. 

Rühmten  sich  die  Attiker  als  Autochthonen,  Heimathentsprossene ; 
so  sind  die  Vögel  Urwesen,  älter  als  die  Erde  selber,  die  mit  dem 
üranos  (Himmel;  Götter  und  Menschen  zeugte.  Die  Belege  zu 
seiner  Vogelmythe  nimmt  Peisthetäros  aus  den  glaubwürdigsten 
Urkunden:  aus  Aesop's  Fabeln;  aus  der  Schöpfungsgeschichte  der 
Lerche,  die,  wie  in  Aesop  geschrieben  steht,  ihren  Vater  im  eige- 
nen Kopfe  begi'ub.  Einen  zweiten,  unverwerflichen  Beweis  liefert 
ihm  der  aus  Persien  stammende  Haushahn,  der  „vor  Allen  ge- 
bot in  dem  persischen  Reich"  (486 ff.): 

Drum  schreitet  er  noch  heute  daher,   wie  der  mächtige  König  von  Persis. 

Hier  schlägt  schon,  wie  die  Flamme  zum  Schornstein,  die  persische 
Oberherrschafts- Marotte  aus  dem  Chimären-Püstericli,  dem  Pei- 
sthetäros, heraus.  In  den  Anapästen  sieht  man  zackig  hoclirotli 
den  Kronenkamm  des  Perser-Hahnes  schwellen: 

Und  trägt  auf  dem  Haupte  von  den  Vögeln  allein  stets  aufrecht  seine  Tiara 

bekräftigt  Euelpides.  Der  allerzwingendste  Beweis,  der  Königs- 
ßeweis,  so  zu  sagen,  für  der  Vögel  Öberherrschaftsrecht  ist  das 
Machtsymbol  auf  dem  Königs-Scepter:  ein  Vogel.  Und  ist  nicht, 
schalten  wir  ein,  ist  jener  Chimären- Vogel,  Vogel  Greif,  von  Aeschy- 
los  „Rosshahn"  genannt,  ist  er  nicht  persisches  Reichs- Symbol? 
Und  wird  hier  nicht  unser  Eingangs -Hinweis  auf  den  persischen 

II* 


154  I^is  griechische  Komödie. 

Hahnentritt  gereclitfeiiigt,  der  dem  jungen  Ei  der  hellenischen 
Freiheit  den  Oberhoheits-und  Herrsehaftskeim  eingetreten,  woraus 
diese  ganze  Yogelhecke  von  abenteuerlicher  Schmndel-Politik  her- 
vor kroch?  Peisthetäros  beruft  sich  noch  auf  andere  vogelherr- 
schaftliche Machtembleme:  Trägt  Zeus  nicht,  fi'agt  er,  den  geflü- 
gelten Aar  auf  dem  Haupte?  Athenäa  die  Eule,  Apollon  den  Ha- 
bicht? Peisthetäros'  „geflügelte  Worte"  schiessen  den  Vogel  ab; 
sie  machen  seinem  Namen  Ehre.  Als  er  gar  das  Knechtesloos 
der  gejagten,  mit  Leimruthen,  Dohnen,  Sprenkeln,  Fangschlingen, 
Stellgarnen,  Fallen  und  Netzen  verfolgten,  geängstigteu,  einge- 
fangenen, dann  schockweise  zu  Markte  gebrachten,  hierauf  ge- 
rupften und  schliesslich  an  den  Spiess  gesteckten  und  jämmerlich 
gebratenen  Vögel  beweint  und  bejammert  und,  o  Schmach,  o 
Gräuel,  damit  nicht  genug  (532 ff".): 

Nein,  Essig  und  Oel  noch  mengen  sie  bei 
Und  Käs'  und  Gewtirzlauch,  rühren  zugleich 
Aus  Honig  und  Fett  noch  ein  andres  Gebräu 
Und  giessen  es  dann  euch  über  den  Leib 
Heisskochend  herab, 
Als  wäret  ihr  Mumienäser  ... 

—  da  fliegt  dem  Gesammtvolk  der  Vögel  die  brennende  Scham- 
röthe  in  die  Wangen,  und  ein  Schaudermurmeln  durchzittert  jede 
Vogelbrust.  „Und,  wie  im  Meere  WelF  auf  Well',  so  läuft's  von 
Mund  zu  Munde  schnell",  und  dumpfgrollend  ächzt  der  Chor: 

0  wie  bang,  o  wie  bang  und  betrübend  kUngt  das  Wort, 

Das  du  gebracht  hast,  Mensch!  Ich  beweine  die  Schuld, 

Unserer  Väter  Feigheit, 

Dass  sie  solchen  Glanz,  von  den  Ahnen  ererbt. 

Lassen  an  uns  erbleichen  —  —  — 

Du  bringst  Eettung! 

Chorführer.     Auf,  sage  jetzt:  Was  müssen  wir  thun? 

Nicht  lohnt  es  der  Mühe  zu  leben. 
Wenn  nicht  die  verlorene  Herrschaft  uns,  wie's  geh'n  mag, 
wieder  zu  Theil  wü-d. 
Peisthetäros.     Ich  rathe  zuerst:    ihr  Vögel  erbaut  zur  Behausung  eine 

(jicsammtstadt, 
Dann  müsst  ihr  die  neblige  Luft  ringsher  und  alle  den 

Raum  in  der  Mitten 
Mit  Mauern  umziehn,    wie  Babylon  einst,   aus  riesigen 
Quadern  von  Backstein. 


Die  Vogel.    Der  Chor.  165 

Wiedehopf  schlägt  die  Flügel  üher  dem  Kopf  zusammen  über  das 
„gi'ausige  Wunder  von  Stadtbau": 

Peisthetär  OS.     Tliliniil  fertig  das  Werk  iu  ilie  Luft  sich  empor,    dann 

fordert  dem  Zeus  die  Gewalt  ab  .  .  . 

Macht  er  Mäuschen,  „kündigt  den  heiligen  Krieg  iliin  an."  Ver- 
legt ihm  den  Pass,  wenn  er  durch  euer  Gebiet  sich  zu  den  Mägd- 
lein und  Weiblein  der  Menschen  schleichen  will;  ihm  und  seinen 
Olympischen  Spiessgesellen.  Ein  anderer  Vogel,  als  Herold,  for- 
dere das  Menschengesclilecht  auf,  fortan  den  Vögeln,  „da  sie  Kö- 
nige nunmehr  seyen",  zuerst  zu  opfern,  und  dann  erst  den  Göttern. 
Widrigenfalls  würde  ein  Spatzengevölk  iln-e  Saaten  zerfressen; 
Krähenschaaren  dem  ackernden  Vieh  die  Augen  auspicken  und 
den  Schafen  der  Trift.  Doch  leisten  Gehorsam  die  Menschen, 
„sollen  die  knospenden  ßlütheu  des  Weins  nicht  mehr  Heuschrecken 
zerfressen."  Ein  Trupp  Thurmfalken  und  Käuze  genügt,  um  die 
Heuschrecken  in  die  Pfanne  zu  hauen ;  ein  einziger  Zug  Krammts- 
vögel,  um  unter  den  Wespen  und  Fliegen  aufzuräumen,  die  „sich 
stets  naschhaft  an  den  Feigen  ergehen." 

Nun  sind  die  beiden  Athener  vogelwürdig  befunden.  Wiede- 
hopf ladet  sie  in  sein  buschiges  Haus ;  ruft  sein  Weibchen  Prokne, 
die  Nachtigall,  herbei,  um  ihr  die  Gäste  vorzustellen.  Sie  er- 
scheint in  Gestalt  einer  schön  geputzten  Flötenspielerin  mit  einem 
Schnahel  von  zwei  Bratspiesschen.  Peisthetäros  ist  ganz  entzückt ; 
Euelpides  will  sie  küssen.  Die  Beiden  treten  mit  Wiedehopf  in's 
Gebüsch,  um  dort  ihre  Vogelverwandlung  vorzunehmen.  Chor 
und  Nachtigall  bleiben  zurück.  Eine  der  schönsten  Parabasen 
des  Aristophanes  erschallt,  [)egleitet  von  Nachtigallenflötenklang 
r676ff.): 

Chor.    Trauteste,  Blonde,  du. 

Mein  trautestes  Vögelchen, 

Unsres  Hymen  Geleiterin, 

Nachtigall,  o  Gespielin ! 

Kommst  du,  kommst,  erscheinst  du. 

Biingst  anmuthigc  Lieder  uns  ? 

Die  von  liehlicher  Flöte  du 

Süsse  Lenzuielodien  tönst, 

Auf,  stimm'  an  Ana])äste! 

Dem  Liede  gleich,   das  jene  geflügelten  Sirenen  bei  Pindar  von 


1 66  Die  griechische  Komödie. 

den  Zinnen  des  Tempels  hernieder  singen,  tönen  diese  schwung- 
voll liehren,  ätherisch  hochgemuthen,  von  der  allüberschwebenden 
Höhe  des  luftigsten  Weltherrschafts- Vogelbewusstseyns  erschallen- 
den Anapästen: 

Chorführer  (an  den  Zuschauer). 

Auf,  die  ihr  im  Finstern  blind  hinlebt,  ihr  Sterblichen, 
Blättern  vergleichbar, 

Unmächtige  Brut ,  Bildwerke  von  Lehm ,  kraftlos  gleich 
wankenden  Schatten, 

Ihr  Eintagsfliegen,  zum  Fluge  zu  schwach,  traumähnliche 
Söhne  des  Jammers, 

Leiht  uns  unsterblichen  Wesen  Gehör,  uns  Ewigen  ewi- 
ger Dauer  .  .  . 

Er  entrollt  eine  Theogonie  der  Vögel  von  majestätischer  Pracht: 
„Nur  Chaos  und  Nacht  und  Erebos  war  und  des  Tartaros  Oeden 
im  Anfang."  „Die  Nacht  mit  den  dunkeln  Sclnvingen"  gebiert, 
als  Urvogel  gleichsam,  das  vom  geflügelten  Winde  befruchtete 
Urei,  „aus  dem  der  verlangende  Eros  hervorspross,  am  Kücken  von 
zwei  Goldschwingen  umgiänzt",  der  lose  Vogel-Erstgeborene  der 
Schöpfung: 

Und  Er,  dem  geflügelten  Chaos  gesellt  in  des  Tartaros  nächtliche  Tiefe, 
Heckt'   aus  im  Neste   der  Vögel  Geschlecht,   und  riefs   an   die  Helle  des 

Tages  .     .     . 

Er  mahnt  in  den  Zuschauern  die  ganze  Menschheit  auf,  dem  Göt- 
tergeschlechte  der  Vögel  zu  huldigen.  Dem  Pnigos  folgt  der 
herrliche  Strophengesang  (737 ff.): 

Chor.    Muse  des  Haines,  — 

Tiotio,  tiotio,  tiotinx,  — 
Tönereiche,  mit  der  ich  oft 
Auf  Waldeshöhen  und  in  Thaiesschluchten,  — 
Tiotio,  tiotio,  tiotinx,  — 
Aus  schmetternder  Kehl'  ausströmte  des  Lieds 
Heilige  Weisen  dem  Pan  und  geweihte 
Chöre  der  bergdurchschwärm  enden  Mutter,  — ') 
Torototo,  torototo,  torotinx,     - 
Dass  von  dorther,  wie  die  Biene, 

Phrynichos   liebliche  Frucht  der   unsterblichen    Lieder   ich 
pflückte, 

1)  Kybele. 


Die  Vögel,     Der  Vogelstaiidpuiikt.  167 

Allzeit  verhauchend  süssen  Wohllaut, 
Tiotio,  tiotio,  tiotinx! 

Das  EpiiThema,  womit  der  Clioifiihrer  sich  nun  mecler  an  den 
Zuschauer  wendet,  verkündet  eine  Vögel-Moral  von  dem  verwun- 
derlichsten Bekenntniss.  Es  wirft  ein  breites  Blendlicht,  wie  einen 
jähen  Blitz,  über  die  verborgene,  in  dieser  Komödie  sich  gleich- 
sam hinter  Wolken  verheimlichende  Absiclit  des  Dichters: 

Wünscht  von  euch  Jemand,  ihr  Hörer,  mit  den  Vögeln  fürderhin 
Frohe  Tage  hinzuspinnen,  komme  der  zu  uns  herein! 
Denn  was  hier  bei  euch  zu  Lande  das  Gesetz  als  Frevel  straft. 
Alles  das  ist  unter  uns  dort,  bei  den  Vögeln,  wohlgethan. 

Den  Vater  schlagen  und  ähnliche  schöne  Exercitieu  sind  bei  den 
Vögeln  rühmlich.  Aus  der  Vogelperspective  der  Staatsgaukler, 
Seil  Windelpolitiker  und  sonstiger  hoch  über  den  Gesetzen  der  Erde 
schwebender  Luftspriuger  erbhckt  man  die  gemeine  Sittenlehre 
auf  den  Kopf  gestellt,  wie  den  Märchem'omantikern  die  prosaische 
hausbackene  Moral  verkehrt  erscheint  im  Vexirspiegel  der  Ironie; 
wie  die  Schwindelästhetiker  für  eine  Poesie  schwärmen,  die  Alles 
seyn  darf,  nur  ura's  Himmels  willen  nicht  moralisch  und  nicht  po- 
litisch. Darauf  stimmt  die  Gegenstrophe  das  tiotio,  tiotio,  tiotinx ! 
wieder  an  und  singt  von  den  Schwäneliedern,  denen  die  Tliiere 
des  Waldes  lauschten  (770 ff.): 

Heiter  und  windlos  senken  die  Wogen: 

Totototo,  totototo,  tototinx!  — 

Eings  der  Himmel  hallte  wieder, 

Staunen  ertasste  die  Herrscher,  olympische  ('hariten  stimmten, 

Die  Musen  stimmten  ein  zum  Jubel :  — 

Tiotio,  tiotio,  tiotinx!  — 

0  des  schönen,  des  angenehmen  GöttervoiTechts,  beflügelt  zu  seyn, 
ruft,  die  Parabase  beschliessend,  das  AntepiiThema  den  Zuschauern 
hinab  von  seinem  Vogelstandpunkt,  und  erprobt  auch  die  Vor- 
theile  an  einzelnen  Fällen  und  einzelnen  Schachern  im  Tlieater 
auf  gut  antepirrhematisch;  wenn  auch  nicht  in  der  ganzen  Fülle 
der  „jambischen  Idee",  wie  in  frühern  Komödien,  und  obgleich 
gedämpft  mit  der  Sordine  von  S}Takosios'  Theater  -  Gesetz  gegen 
das  namhaft  machende  Verspotten  {ovofxaoTl  y.co/.io)d6lv).  Aus 
solchem  Lulldruck  des  Tages  und  der  politischen  Atmosphäre  mag 


168  Die  griechische  Komödie. 

SO  manclies  Rücklialtige  in  dieser  Komödie,  das  nur  allgemein 
und  schwebend  Angedeutete  zai  erklären  seyn,  worin  aber  unsere 
Kmistphilosoplien  von  der  romantischen  Schwebel-Aesthetik  gerade 
die  sublime,  beziehungslose,  allgemeinweltliche  Seifenblasen-Poesie 
lobpreisen  und  bewundern.  Vielleicht  liess  auch  jener  Druck  der 
politischen  Tagesatmosphäre  den  Peisthetäros ,  im  Alkibiades-Alter 
von  28  Jahren,  grau  vor  der  Zeit  werden,  so  dass  ihn  der  Dich- 
ter in  eine  Greisenmaske  zu  stecken  für  gerathen  fand.  Wir 
dürfen  noch  weiter  gehen,  und  aus  der  berühi-ten  Zeitlage  den 
eigenthümlichen ,  von  den  andern  politischen  Komödien  des  Ari- 
stophanes  abweichenden  Charakter  uns  erklären. 

Wie  auffallend  unterscheidet  sich  auch  die  in  allen  ihren 
Gliedern  vollständige  Vögel-Parabase  von  allen  andern  Parabasen 
des  Aristophanes ;  und  in  einem  wesentlichen  Punkte!  Welcher 
Punlvt  ist  diess?  Unseres  Bedünkens  dieser:  Die  Vögel  sind  die 
einzige  Komödie,  wo  der  Dichter  dem  Gegentheil  von  seiner  Her- 
zensmeinung scheinbar  gewonnen  Spiel  giebt,  sein  eigentliches 
Thema  scheinbar  aus  den  Augen  verliert,  mid  die  gi'össte  Ver- 
kehrtheit am  Schlüsse  mit  der  vollen  Erreichung  ihres  aberwitzigen 
Zweckes  ki'önt.  Sie  ist  die  einzige  seiner  Komödien,  die  in  eine 
ironische  Spitze  ausläuft  und  mit  einem  negativen  Eesultat  ab- 
schliesst.  Daher  auch  die  einzige,  wo  der  Dichter  nicht  zu 
Worte  kommt,  selbst  in  der  Parabase  nicht,  worin  er  doch  sonst 
immer  unverschleiert  hervortritt,  sein  eigener  Dens  ex  machina. 
Hier  aber  dreht  die  Parabase  dem  Dichter  das  Wort  im  Munde 
um,  und  verherrlicht,  statt  seiner,  das  Widerspiel  zu  seiner  Grund- 
absicht, seiner  Zweckidee.  Das  Alles  natürlich  zur  Freude  mid 
Womie  unserer  Kunstlehre,  unsrer  dramaturgischen  Schulweisheit, 
unserer  mit  Polizei  und  Theater-Censur  so  seelenveiivandten  und 
verbündeten  Staats -Aesthetik.  Aber  wie  diese  Weisheit,  diese 
Kunstlehre  und  unsere  ganze  ihr  nachbuhlende  Poesie,  insonders 
dramatische  Poesie,  eine  negative  ist,  gegenüber  der  antiken, 
substantiell  positiven:  so  sclieint  uns  die  Komödie  der  Vögel,  in 
Rücksiclit  auf  ihre  negative  Idee,  mithin  auch  negative  Komik, 
an  poetisch  positivem  Grundgehalt,  im  Vergleich  zu  solchen,  wie 
die  Acharner,  Wolken,  Wespen,  Frösche,  die  geringere;  weim  sie 
schon  an  lyrischem  Reiz,  Pliantasiezauber  und  Duftigkeit,  an  allen 
formellen  Vorzügen  des  poetischen  Genies,  ihre  Schwestern  über- 


Die  Vögel.    Kukukswolkenheim.  169 

glänzen  mag.  Im  Scliätzungssinne  attischer  Kunstrichter  erhielt 
sie  ihr  zugewogeu  Theil.  Sie  konnte,  abgesehen  von  Partei-Ein- 
wirkungen, nach  der  Weiiihbestimmung  dieser  Kampfrichter  nur 
den  zweiten  Pi'eis  davontragen,  um  so  wichtiger  erscheint  es, 
trotz  alledem,  den  liimmelliohen  Unterschied  zwischen  dem  Ver- 
hältniss  der  Poeten-Gesinnung  zu  seinem  Gedichte  in  Aristo- 
phanes'  Vögel-Komödie  und  dem  in  einem  sogenannten  „Kunst- 
werk" aus  der  romantischen  Schule  hervorzuheben.  Unerwogen 
die  einzelnen  sonnenklaren,  durch  ihr-  blosses  Aussprechen  sich 
selber  richtenden  Vögel-Principien,  wie  z.  B.  die  im  Antepirrhema: 
ist  das  ganze  Thun  und  Treiben  von  so  chimärenhaftem  Abermtz, 
dass,  bei  aller  Nichtinterventiou  des  Dichters,  über  dessen  eigent- 
liche Absicht  kein  Zweifel  aufkommen  kann.  Allein  auch  so  bleibt 
als  Kesultat  eine  blosse  ironische  Negation  zurück,  womit  kein 
vollkommenes  Gedicht  abschliessen  darf. 

Erwähnens-  und  bedenkenswerth  für  die  Epigonen  muss  das 
ästhetische  Urtheil  unserer  Kunstrichter  erscheinen,  die,  wie  ge- 
sagt, gerade  aus  jener,  durch  die  Ungunst  der  politischen  Ver- 
hältnisse, durch  den  Drack  auf  die  poetische  Freiheit  des  Genies 
verschuldeten  Abschwächung  und  Bemäntelung  des  Grundgedan- 
kens das  poetische  Verdienst  dieser  Komödie  ableiten.  Zuvörderst 
müssen  wir  aber  unsere  Komödie  unter  die  Haube  bringen.  Das 
Nächste  ist  nun:  der  noch  nicht  existirenden  Wolkenstadt  einen 
grossen  Namen  zu  geben.  Kukukswolkenheim  {Xecpelo/.oy.xvyla) 
findet  allgemeine  Zustimmung.  Als  Schutzgottheit  der  Stadt  aus 
der  Luft  wird  die  Schutzgöttin  Atliens,  Athena,  vorgeschlagen,  abge- 
lehnt, und  der  Persische  Haus  bahn  beliebt.  Zum  Baumeister 
wird  Euelpides  l)estellt.  Die  unvermeidliche  Opferscene  bleibt  nicht 
aus.  Der  Opferduft  lockt  allerlei  ungebetene  Gäste  herbei.  Ein 
hungeriger  Poet,  ein  Waln-sager  mit  einem  grossen  Orakell)uch 
werden,  aber  nicht  nach  ihrem  Gaumen,  abgespeist:  jeiier  mit 
einem  Bettelbrocken,  dieser  mit  Schlägen.  Nicht  besser  ergeht 
es  dem  berühmten  Mathematiker  und  Astronomen  Meton,  der  den 
Attikern  einen  neuen  Kalender  lieferte.  Trotz  Kalender  macht 
ihm  Peisthetäros  mit  der  Peitsche  Beine.  Dieser  Meton,  wohlge- 
merkt! war  mit  Sokrates  einer  von  den  Wenigen,  welche  den 
Sikelischen  Feldzug  wderriethcn.  Zöllner,  Händh^r  mit  Gesetzen, 
die  neue  Stadt  witternd,  wollen  auch  ihren  Senf  dazu  geben;  die 


170  I^i^  griechische  Komödie. 

Peitsche  lässt  sie  den  ihrigen  kosten.  Nichtathenern  muss  diese 
Opferscene  ganz  so  langweilig  vorkommen,  wie  die  in  den  andern 
Komödien.  Den  Act  schliesst  eine  zweite,  unvollständige  Para- 
base,  worin  ein  Anathem  über  alle  Vogelsteller,  Verkäufer  und 
Brater  ausgesprochen  ^vird,  und  das  Epirrhema,  das,  „des  Preises 
wegen",  den  Richtern  gespickte  Beutel  voll  Eulen -Münzen  von 
Silber,  aus  dem  Sill)erbergwerke  Laurion  in  Attika,  wünscht,  nota 
bene,  „wenn  ihr  Spruch  für  uns  ist." 

Nach  der  zweiten  Parabase  ist  der  Mauerbau  fix  und  fertig. 
„Das  schönste  Werk  von  wunderbarer  Pracht",  meldet  der  Bote. 
Und  Alles  haben  die  Vögel  „eigenliändig"  {avToxsiQsg)  zu  Stande 
gebracht  (11 35 ff.): 
Bote.    —    —    —    —    Staunend  sah  ich  zu. 

Aus  Libya  kamen  dreissigtausend  Kraniche, 

In  ihren  Kröpfen  Gruudgestein  zum  Unterbau. 

Das  hieben  dann  die  Schnärze  mit  den  Sclrnäbehi  zu. 

Zehntausend  Störche  schleppten  drauf  die  Ziegel  her, 

Und  Wasser  trugen  in  die  Luft  von  unten  auf 

Die  Taucher  und  die  Vögel  aller  Art    .     .     . 

Ein  Wächter  eilt  athemlos  herbei,  eine  Sclu-eckenspost  meldend: 
„Der  Götter  Einer  flog  durch  ein  Stadtthor  eben  in  der  Luft 
herein."  Peisthetäros ,  zornsprühend  über  diese  unerhörte  Frech- 
heit, ruft  zu  den  Waffen.  Der  Chor  schaart  sich  kampfbereit. 
Iris  erscheint  in  geflügelter  Mädchengestalt  mit  ßeisehut  und 
Schleier:  Peisthetäros  ruft  empor:  „Du  diin,  wo  fliegst  du  hin? 
stillgehalten!  ....  Fliegt  nicht  gleich  ein  Taubenstösser  auf,  um 
diese  da  zu  greifen?"  —  „Mich  greifen?"  fragt  Iris,  „das  ist  ja 
völlig  ungereimt!"  —  „Durch  welches  Thor",  schnaubt  Peisthetäros, 

Verruchte  Dinie  kamst  du  her  in  unsre  Stadt?  .  .  . 
Was  suchst  du,  wo  schiffst  du  hinV"  .  .  . 

Sie  komme,  die  Menschen  aufzufordern,  dass  sie  den  Göttern  Opfer 
bringen.  Götter?  Schnacken!  „Was  für  Götter?"  Die  Vögel  sind 
jetzt  Götter  bei  den  Sterblichen!  Iris  droht  mit  Zeus' grobem  Ge- 
schütz. Peistlietäros  l-aclit  ihr  in's  Gesicht.  „Wisse",  spricht  er, 
„wcim  mich  euer  Gott  noch  weiter  scliiert,  dass  seine  Wohnung 
ich  mit  gluthl)ewchrten  Adlern  einäschere!"  Willst  du  machen, 
dass  du  fortkommst?  „Husch  hinweg  in  Kreuz  und  Quer!"  Iris 
im  Davonfliegen: 


Die  Vögel  unter  den  Zuschauern.  171 

Mein  Vater  Zeus  Avii-d  deine  Frechheit  händigen. 

Gleich  darauf  kommt  der  an  die  Mensclien  abgeschickte  Vogel- 
Herold  mit  froher  Botschaft  hergeraiint,  einen  goldnen  Kranz  dem 
„seligen,  allweisesten,  klügsten  und  feingcschliftensten"  überrei- 
chend, mit  dem  ihn,  „ob  seiner  Weisheit,  kränzt  und  feiert  alles 
Volk  in  aller  Welt",  ilm  den  Gründer  dieser  „hochberühmten 
Aetherstadt".  Das  ganze  Menschengesclilecht  schwört  jetzt  bei 
Peisthetäros.  Ehedem  „lakonisirten  Alle,  Nun  vogelisiren  Alle", 
und  ahmen  in  allen  Stücken  die  Vögel  nach.  Einzelne  Vögel 
werden  von  Peisthetäros  aus  den  Zuschauern  herausgegriffen,  ge- 
rupft, und  an  den  ausgerissenen  Federn  wird  ihre  Vogelart  er- 
kannt. Ein  Modevogel  meldet  sich  schon:  „Ein  ungerathener 
Sohn";  im  Text  ein  Vatermörder  {/ia%Qaloiag\  den  „nach  den 
Vogelsatzungen  verlangt",  laut  welchen  es  „für  wacker  gilt,  den 
Vater  würgen  und  beissen".  Diesen  Rabensohn  nimmt  Peisthe- 
täros mit  Freuden  auf,  „als  unsern  Freund",  und  befittigt  und  be- 
helmt und  bespornt  ihn.  Ungemein  lustig  ist  die  folgende  Sceue, 
die  den  kyklischen  Dithj^ambiker  Kinesias  vorführt,  den  Peisthe- 
täros als  „Mann  von  Lindenholz"  begi'üsst.  Er  war  nämlich  so 
lang,  hager  und  säbelbeinig,  dass  er  sich,  um  nicht  zusammen 
zu  knicken,  Brust  und  Rücken  mit  Lindenbrettern  umband.  Er 
kommt,  „aus  den  Wolken,  sicli  neue  Melodien  holen,  luftumwogte, 
schneeumstöbert".  Während  dem  Aufstutzen  zum  Vogel  drillt 
Peistlietäros  den  immer  darauf  los  ditliyrambisirenden  in  Linden- 
brettern eingebundenen  Lyriker  um  den  Absatz  herum,  dass  ihm 
Hören  und  Sehen  vergeht.  Schliesslich  lernt  noch  ein  Syko- 
phant  den  höheren  Flügelschlag  kennen. 

Eine  der  glänzend  komischsten  Incidenzen  dieser  Komödie 
ist  die  Einführung  des  Prometheus.  Als  titanischer  Hasenfuss 
kommt  er,  aus  Furclit  vor  Zeus,  tief  vermummt,  herangeschliclien. 
Aengstlich  winkt  er  Peisthetäros  an:  „Siehst  du  nicht  da  liinter 
mir  der  Götter  Einen  schleichen?"  Peisthetäros  sieht  nichts. 
Prometheus,  immer  bänger  sicli  in  seine  Vermumnumg  verkrie- 
chend, fragt,  wie  spät  es  seyn  mag?  und  graulend  hohl:  „Was 
für  Wetter?"  Peisthetäros  findet  den  Mumelpopanz  unangenehm 
{oXfx    iog  ßdeXvzTOfxai  0€)  (1501  ff.j: 

Prometheus.     Nun  so  zeig'  ich  mich  enthüllt, 
(er  enthüllt  sich.) 


172  Die  griechische  Komödie. 

Peisthetäros      (ihn  erkennend). 

Mein  Freund,  Prometheus ! 
Prometheus.  Sachte,  sachte,  schreie  nicht! 

Peisthetäros.    Was  hast  du? 
Prometheus.  Still  doch,  nenne  meinen  Namen  nicht! 

Ich  hin  des  Todes,  wenn  mich  Zeus  liier  unten  sieht. 

Doch  dass  ich  dir  berichte,  wie's  da  droben  steht, 

So  fasse  diesen  Sonnenschirm  und  halte  mir 

Ihn  über's  Haupt ,  dass  mich  die  Götter  nicht  erspäh'n ! 
Peisthetäros.   Heida!    Heida! 

Das  hast  du  sinnreich,  acht  promethisch  vorbedacht! 

Nun  ducke  schnell  hier   unter  und  dann   sprich  getrost! 
Prometheus.     Zeus  ist  dahin 
Peisthetäros.  Wie?    Zeus  dahin?    Seit  wann  dahin?  .  .  . 

Ausgehungert  sammt  allen  Göttern  durch  Peisthetäros'  Opfer- 
duft-Sperre mittelst  der  Wolkenstadt!  Die  Barbarengötter,  die 
ihr  Opferfleiscli  nicht  verzehren  können  in  offener  Empörung!  Er, 
Prometheus,  als  alter  anerkannter  Menschenfreund  und  Götterfeind 
konnte  nicht  umhin,  einem  Collegen,  wie  Peisthetäros,  über  den 
Stand  der  Angelegenheiten  ein  Licht  aufzustecken,  wie  diess  sein 
Geschäft  mit  sich  bringt,  und  ihm  in  aller  EUe  einen  heimlichen 
Wink  zu  geben,  betreffs  der  Gesandtschaft,  welche  Zeus  und  die 
Barbarengötter,  die  Triballer  (illyrische  Götzen),  an  Peisthetäros, 
wegen  Abschliessung  eines  Bündnisses,  abgeordnet,  und  die  schon 
unterwegs.  „Schliesst  mit  ihnen  keinen  Bund,  bevor  Zeus  euch, 
den  Vögeln,  wiederum  den  Herrscherstab  abtritt  und  die  Basileia 
zur  Gemahlin  giebt"  (1537  ff.): 

Peisthetäros.    Wer  ist  die  Basileia? 

Prometheus.  Gar  ein  schönes  Weib, 

Die  künstlich  töpfert  Zeus'  gewaltigen  DonnerkeU, 
Und  mächtig  alles  Andre  schirmt,  den  weisen  Rath, 
Das  weise  Gesetz,    die  Avackere  Zucht,   den  Flottenbau, 
Die  losen  Mäuler,  Richtesold,  Rentmeisterei. 

Peisthetäros.    Ihm  führt  sie  denn  die  ganze  Wirthschaft? 

Prometheus.  Mein'  ich  doch 

Sobald  du  sie  von  ihm  bekommst,  ist  Alles  dein  .  .  . 

Und  nun  Ade!    Ich  muss  machen,  dass  ich  fortkomme.     Schnell 

„Den  Schirm!"     Dass  mich  Zeus  von  oben  nicht  gewahr  wird... 

Kine  wunderwürdige  Parodie  und  zugleich  der  Schlüssel  zur 

Komödie.     Mit  der  Basileia,    der   Weltherrschaft,    entreisst    der 


Die  Vögel.     Die  Friedensconferenz.  I73 

Abenteurer  und  Beschwatzer  des  leichtgläubigen  Vögelvolkes  den 
Herrscherstab  dem  Zeus  gegen  Opferdampf  und  Kauch.  Ist  das 
nicht  die  Philosophie  der  Geschichte  aller  HeiTschaftsgTündung 
auf  Täuschung  der  Massen  und  priesterliches  OpfervoiTecht?  Sturz 
der.  blinden  Machtherrschaft,  als  Naturgewalt,  und  Gründung  der 
Herrschaft  auf  Vernunft,  Gesetz  und  Freiheit,  dieser  innerste  Ge- 
danke der  Aeschylischen  Prometheus-Mythe,  konnte  er  tiefer  par- 
odirt  werden,  als  zur  Komödie  der  HeiTSchafts- Nichtigkeit  und 
Chimäre;  zur  Komödie  eines  in  der  Luft  schwebenden  Vögel- 
staats? Dass  der  mythische  L'rvertreter  der  auf  Rechtserkeuntniss 
und  Geistesbefreiung  basirten  Vernunftherrschaft  in  der  Parodie 
die  Mittelsperson,  den  Gelegenheitsmacher  abgiebt;  dass  der  Tita- 
nische Urdemokrat,  Prometheus,  hier  d.en  Kuppler  spielt  zwischen 
der  chimärischen  Königsherrschaft,  der  Basileia,  und  dem  politi- 
schen Schwindelgeist:  eine  solche  Komödirung  scheint  selbst  die 
Vermählmig  gleichsam  des  gTÖssten  komischen  Dichtergeistes  mit 
der  tiefsten  Erkenntniss  des  Staatswesens  zu  feiern.  Aristopha- 
nes'  Vögel  sind  die  Kehrseite  von  Aeschylos'  Prometheus  und 
ihre  Gegenprobe.  Nur  diess  glauben  wir  nicht,  dass  die  von 
den  Verhältnissen  gebotene  Verschleierung  der  Idee  den  Kunst- 
werth  der  Komödie  erhöhe.  Wir  sind  vielmehr  der  Ansicht,  dass 
eine  Durchfühnmg  dieser  Idee  im  grossen  unverhüllten  Styl  der 
demokratischen  Komödie,  im  plastischen  Titanenstyl  der  Wolken, 
der  Acharher,  der  Ritter,  im  Prometheus -Style  mit  einem  Wort, 
uns  eine  bei  weitem  mächtigere  und  grossartigere  Vögel-Komödie 
aufgerollt  hätte. 

Nun  folgt  die  Gesandten-Scene.  Poseidon,  Herakles  nud 
ein  illyrischer  Barbarengott,  Triballos,  ersclieinen,  um  das 
Friedensbündniss  mit  Peisthetäros  abzuschliessen.  Dieser  macht 
sich  sclilau  mit  Zubereitung  einer  leckern  Schüssel  etlicher,  we- 
gen Aufruhrs,  durch  die  Vögelbürgerschaft  zum  Gebratenwerden 
verurtheilter  Vögel  in  der  Küche  zu  schaffen.  Herakles  schnüffelt 
ßratengeruch.  Dieser  Umstand  übt  bedeutenden  Kinfluss  auf  die 
Friedensverhandlung.  Unterm  Zubereiten  stellt  Peisthetäros  seine 
Bedingung:  Die  Uebergabe  des  Herrscherstfibes.  „Wenn  wir  uns 
vereinigen  auf  diess,  ihr  Boten,  lad'  ich  euch  zum  Essen  ein." 
Der  Held -Schmarotzer,  der  Fresser -Halbgott,  der  Urtypus  aller 
Parasiten:  Herakles,  ruft  sogleich  entschlossen  (1603): 


[71  Die  grieohisclie  Komödie. 

Nun  mir  genügt  das  völlig,  und  ich  stimme  zu. 

Triballos  pflichtet  ihm  in  seinem  Kaudei*welsch  bei ;  Poseidon  fügt 
sich  der  Stimmenmehrheit.  Jetzt  rückt  Peisthetäros  mit  der  zwei- 
ten Bedingung  heraus:  „Jungfer  Basileia".  Davon  will  Poseidon 
durchaus  nichts  wissen.  Der  Meergott  macht  kehrt.  Peisthetäros 
ruft  dem  Koch  zu:  „Die  Bratenbrühe  süss  gemacht!"  Herakles 
hält  Poseidon  am  Zipfel  zurück.  Peisthetäros  raunt  dem  He- 
rakles heimlich  zu:  Wenn  er's  mit  ihm  hält,  tischt  er  ihm  den 
feinsten  Leckerbissen,  „Hühnermilch"  auf  {oqvi^cov  yaka,  lait 
de  poule)  1672  ff.: 

Herakles.    Mii-  scheint  gerecht  auch  deine  zweite  Forderung  ^ 
Der  Dirne  wegen:   meinethalben  sey  sie  dein. 

Poseidon  protestirt  feierlich.  Triballos  hält  zu  Herakles  und  den 
gebratenen  Vögeln.  Bald  geht  indess  Poseidon  von  dem  activen 
Widerstand  in  den  passiven  über.  „Wenn's  euch  genehm  ist,  bin 
ich  still  dazu".  Der  Erderschütterer  ist  im  Grunde  friedfertiger 
Natur  und  verläugnet  auch  hier  nicht  die  nachgiebige  Gemüthsart 
des  alten  Okeanos  in  Aeschylos'  gefesseltem  Prometheus.  Jetzt 
geht  Peisthetäros  mit  Poseidon  und  Triballos  sich  die  Basileia  zu 
holen.  Herakles  bleibt  bei  den  Krammetsvögeln.  Mittlerweile 
spielt  noch  der  Chor,  in  einer  nachzüglerischen,  epin-hematisch 
gehaltenen  Strophe  im  Parabelstyl,  auf  „Znngenbäuchler"  an 
{hyykomoyaütoQiov  yemg),  Leute,  die  durch  feile  Schönrednerei, 
wie  die  Sophisten  Gorgias  und  Philippios,  durch  die  Zunge  also, 
die  Bäuche  mästen.  Eine  ähnliche  Zwischenspiel- Strophe  hatte 
der  Chor,  nach  Abgang  des  Prometheus,  orchestisch  parabelt  ge- 
gen Sokrates  (1553  ff.): 

Ferne  bei  den  Schattenfüsslern 

Liegt  ein  See,  wo  Sokrates 

Wühlt  im  Schmutz  und  Seelen  hascht  .  .  . 

Nach  zehn  Jahren  also,  seit  den  Wolken,  hat  Aristophanes,  in 
Bezug  aul'  Sokrates,  keine  günstigere  Meinung  gefasst. 

Der  Schluss  stellt  den  festlichen  Einzug  des  Peisthetäros  mit 
seiner  Basileia  dar,  unter  Jubelbrautliedern  des  Chors.  Pei- 
sthetäros tanzt  mit  Braut  Basileia  den  Kehraus.  Der  Chor  tanzt 
sina'end  nacli: 


Die  Vöufol  und  ihre  Erklärer.  175 

Tralalla,  Heil  dem  Sieger,  Heil 
Dir  dem  Götterkönige ! 

oder  wie  Droysen  übersetzt: 

Tralleri!  Trallera!  TraUerei!  Juchhei! 
Hurrah,  Heil  dir  im  Siegerkranz ! 
Höchster  du  der  Himmlischen! 

Bezüglich  der  zeitgeschichtlichen  Tendenz  unserer  Komödie 
haben  sich  nun  zwei  entgegengesetzte  Ansichten  in  der  deutschen 
Kunstkritik  hervorgethan.  Süvern  war  der  erste,  der  die  historischen 
Andeutungen  in  den  alten  Argumenten  zu  den  Vögeln  in  einem 
lesenswerthen  Aufsatz  ')  zu  einer  Durchführung  der  Ansicht  ent- 
wickelte: dass  Aristophanes'  Vögel  eine  durchgängige  Allegorie 
auf  die  sikelische  Kriegsunternehraung  und  auf  Alkibiades  be- 
zwecke. Peisthetäros  sey  kein  anderer  als  Alkibiades  mit  einer 
Schattirung  vom  sophistischen  Schönredner  Gorgias.  Die  Vögel 
bedeuten  die  Athener;  die  Götter  die  Spartaner;  die  Menschen 
die  übrigen  kleinen  griechischen  Staaten.  Der  Bau  der  Wolken- 
stadt verbildliche  das  sikeUsche  Seeunternehmen;  die  Mauer  den 
Schiffscordon ,  durch  welchen  die  Spartaner  eingeschlossen  und 
von  ihren  Bundesgenossen  abgesperrt  werden  sollten.  Die  Ver- 
mählung mit  der  Basileia  ziele  auf  die  Tyrannis  des  Alkibiades. 
Süvern's  allegorisirende  Hermeneutik  dringt,  wie  die  Ausspritzungs- 
niasse  eines  anatomischen  Präparats,  bis  in's  feinste  Geäder.  Unter 
dem  Bilde  der  Iris  wird  ein  durch  den  Schiffscordon  durchge- 
schlüpftes schnellfahrendes  Botenschiff  der  eingeschlossiuien  Pelo- 
ponnesier  vorgestellt,  welches  die  kleinern  Bundesstaaten  antreiben 
soll,  die  stockenden  Abgaben  zu  entrichten.  Beim  Bau  der  Mauer 
könne  nur  von  eiiiem  Seeunternehmen  die  Bede  seyn;  darauf 
deuten  die  bei  der  Arbeit  beschäftig-ten  Sumpf-  und  Wasservögel. 
Epops  sey  der  Feldlierr  Lamachos,  wie  er  leibt  und  lebt;  zum 
Beweis:  die  Schopfhaube  des  Wiedehopfs,  die  sich  auf  den  grossen 
Hehnbusch  dieses  Feldherrn  bezielit  u.  s.  w.  Aeusserst  sinnreich 
ausgetüpfelt!  Aber  in  der  Weise  mag  ein  Mustermaler  arbeiten; 
eine  Buntstickerin  nach  der  Patrone  Stich  für  Stich  die  Figuren 
übertragen:    die   freischöpferische  Kunstphantasie  gestaltet  nach 

1)  Abhandl.  d.  histor. -pliilos.  Klasse  d.  Akad.  d.  Wissensch.  in  Hcr- 
ün   1S27. 


176  Di^  griechische  Komödie. 

einem  selbstentworfneu  Plan  und  Griindriss,  der  immer  ein  grosser 
Culturgedanke  ist,  und  scharwerkt  nicht  im  Dienste  eng  um- 
schriebener Geschichts- Vorlagen.  Ein  Dichter,  ein  Komödiendich- 
ter, ein  Dichter  wie  Aristophanes  vollends,  copirt  nicht  mit  ängst- 
licher Hand  die  Thatsachen,  die  ihm  die  Geschichte  vorzeichnet; 
er  stellt  Ideen  derselben  dar.  Er  ist  kein  Mosaikstiftler,  der  nach 
einem  historischen  Carton  seine  bunten  Würfelchen  nach  Zoll 
mid  Linie  aneinander  fügt.  Auch  kein  Vogel,  der  sein  Nest  aus 
Klümpchen  Koth,  aufgepickten  Federchen  und  Strohhälmchen  zu- 
sammenlöthet;  oder,  gleich  dem  Spechte,  sich  ein  historisches  Er- 
eigniss  als  T od tenkopf  aufsucht,  worin  er  niste  und  briite.  Das 
historische  Tagesfactmn,  das  einer  Aristophanischen  Komödie  zum 
Grunde  liegt,  ist  stets  ein  Weltei,  woraus  eine  Wuuderschöpfuug 
der  Phantasie  hervorgeht,  die  den  Inhalt  und  das  AVesen  der  wirkli- 
chen Tages-  und  Menschenwelt  zur  Erscheinung  bringt,  in  ko- 
misch -  phantastischer  Beleuchtung. 

Eine  der  Ansicht  Süvern's  entgegengesetzte  verficht  Droysen ; 
unseres  Wissens  zuerst  in  der  bereits  ei-wähnten  Schrift.  >)  Die 
vorangeschickte,  von  gelehiteu  Citaten  starrende  Abhandlung  über 
den  Hermenfi-evel  steht  mit  der  zweiten,  über  die  Vögel,  in  gar  kei- 
nem kritischen  Zusammenliang,  da  erstere,  völlig  ergebnisslos  an  und 
für  sich,  diess  auch  in  Bezug  auf  die  Komödie  bleibt.  Die  Schrift 
macht  sich  ringsum  niit  historischen  Citaten  stachlig,  um  sicli 
vor  der  Tatze  der  Kritik  zu  sichern,  wie  der  Igel  sich  zusam- 
mem-ollt  vor  der  Tatze  des  Löwen.  Eine  flüchtige  Anspielung 
auf  die  Hermenangelegenheit  kommt  in  den  Vögehi  nur  einmal 
vor.  Der  Zöllnev'  {in loxonog)  ruft  dem  ihn  davonjagenden  Pei- 
sthetäros  zu  (1054): 

Gedenkst  du,  wie  du  Hermes'  Bild  bei  Nacht  bek— V 

Auf  diesem  Vers  konnte  der  Verfasser  der  Hermokopiden  allen- 
falls fussen;  zu  Nutz  und  Frommen  seiner  Auffassung  der  Ko- 
mödie jedoch  durite  er  ihn  füglich  bei  Seite  lassen.  HeiT  Droysen 
kehi-t  Stivern's  Spiess  um  (S.  78)  .  .  .  „Alles  Factische  und  Per- 
sönliche, gleichsam  aufgelöst  zu  einem  allgemeinen  l^^indruck,  zu 
einer  Stimmung,  einem  durchaus  Innerlichen,  und  in  dem 


1)  Des  Aristophanes  Vögel  und  die  Hermokopiden.  Bonn  1835. 


Aristophanes  und  seine  Yogeldeuter.  |77 

die  Farben  der  Wirklichkeit  zu  Einem  Lichtton  verschwim- 
men, das  ist  der  Stofl",  aus  dem  diese  Komödie  geworden  ist, 
und  darum  ist  sie  so  vollkommene  Poesie".  Ja,  die  vollkommene 
Poesie  der  Nebelromantiker,  die  wir  schon  keimen;  aber  Aristo- 
phanische Komödien-Poesie  eitel  Stimmungs-Poesie?  Ein  durch- 
aus Innerliches  r*  Innerliches  ohne  Aeusserliches  ?  — •  d.  h.  der 
Inhalt  einer  Seifenblase,  aber  ohne  Iris,  ohne  Regenbogenspiegelung 
solcher  Kugel,  wozu  bekanntlich  gar  mancherlei  Aeusserliches 
gehört:  ein  Strolüialm,  eine  Nussschale,  und  in  dieser  Seifenwasser, 
das  aus  Lauge,  wie  man  weiss,  und  Fett  besteht,  in  Wasser  auf- 
gelöst; kurz  alle  vier  P]lemente  beisammen  in  der  Nussschale: 
Erde,  Wasser,  Luft  und  Feuer.  Ja,  auch  Feuer.  Wie  möchte  die 
Seifenblase  sonst  in  so  glänzenden  Farben,  in  aller  Pracht  von 
Iris'  Farbenfeuer  spielen?  Eine  schwebende  Seifenblase,  die  ein 
Hauch  zerbläst,  diese  bedarf  zu  ihrer  Augenblicks-Existenz  aller 
vier  Elemente,  Avoraus  die  Welt  selber  besteht ;  aller  vier  Elemente, 
die,  so  sagt  der  Dichter,  „innig  gesellt  bilden  das  Leben  und 
bauen  die  Welt."  —  Wie?  und  eine  Aristophanische  Komödie 
wäre  dadurch  „vollkommene  Poesie",  weil  sie  dreimal  weniger 
Realität  aufweist,  als  eine  Seifenblase?  mit  welcher  die  Komödie, 
als  ein  „durchaus  Innerliches",  nur  das  Bischen  leere  Luft  ge- 
mein hätte?  Und  aucli  diese  nicht  einmal:  indem  doch  die  Luft 
das  Innere  der  Seifenblase  ausfüllt,  während  das  blos  Innere 
ohne  bestimmten  Inhalt  das  leere  Nichts  ist,  „in  dem  die  Far- 
ben der  Wirklichkeit",  nicht  wie  bei  der  Seifenkugel,  wirkliche 
Farben  sind,  sondern  „zu  einem  Luftton  verschwimmen",  d.  h. 
zu  Einem  aschgi-auen  Nichts  von  der  verschwommensten  Parben- 
unwirklichkeit.  Wenn  das  die  vollkommene  Poesie  von  Aristo- 
phanes'  Vögel- Komödie  ist:  welche  Vollkommenheit  mag  nicht 
erst  „des  Aristophanes  Vögel  und  die  Hermokopiden" ,  als  histo- 
risch-ästhetische Kunstkritik  der  Komödie,  in  Anspruch  nehmen! 
Und  welche  der  historisch-kritische  Kopf,  der  über  diese  Komödie 
eine  kunstphilosophische  Ansicht  entwickelt,  von  vierfach  geringe- 
rem Stoffgehalt,  als  den  ein  Tropfen  Seifenwasser,  in  einer  Nuss- 
schale, mit  Hülfe  eines  Strohhalms,  einer  Seifenblase  liefeit! 
„Auf  ihrem  höchsten  Gipfel",  sagt  Goethe  ')»  „scheint  die 

1)  W.  111,   101. 
U.  12 


178  ^^^  griechische  Komödie. 

Poesie  ganz  äusserlich;  je  mehr  sie  sich  iu's  Innere  zurück- 
zieht, ist  sie  auf  dem  Wege  zu  sinken."  Herrn  üroysen's  durchaus 
Innerliches  würde  Goethe  unfehlbar  in  den  untersten  Höllenkreis 
der  gesunkensten  Poesie,  der  Poesie  des  vollkommenen  Nichts, 
werfen.  Dazu  erklärt  Herr  Droysen  selbst  seine  Idee  von  den 
Vögeln,  indem  er  uns  weiter  belelu-t:  „dass  das  Vogelreich  und 
die  Wolkenstadt  und  alles  Wesen  und  Treiben  da  meder  Athen 
ist,  versteht  sich  von  selbst . .  .  nur  dass  es  ein  Traum -Athen 
ist,  und  man  träumend  zu  wachen  meint,  alles  Bekannte, 
traumhaft  verzogen,  an  sich  vorüber  schwimmen  sieht  und 
endlich  am  Scliluss,  wenn  man  erwacht,  sich  die  Augen  reibt, 
umherfühlt,  endlich  sich  überzeugt,  dass  es  nur  ein  Traum  war, 
ein  seltsamer  Traum!"  Zettel  im  Sommernachtstraum,  der 
ganze  Zettel,  wie  er  aus  seinem  Traum  erwacht  ')  •  •  •  ?  J^h  habe 
ein  äusserst  rares  Gesicht  gehabt.  Ich  hatte  'nen  Traum  —  's 
geht  über  Menschenwitz  zu  sagen,  was  es  für  ein  Traum  war. 
Der  Mensch  ist  nur  ein  Esel,  wenn  er  sich  einfallen  lässt,  die- 
sen Traum  auszulegen.  Mir  war,  als  war'  ich,  und  mir  war,  als 
hätt'  ich  —  aber  der  Mensch  ist  nur  ein  lumpiger  Hans^vurst, 
wenn  er  sich  unterfängt,  zu  sagen,  was  es  war,  als  hätt'  ich; 
des  Menschen  Auge  hat's  nicht  gehört,  des  Menschen  Ohr  hat's 
nicht  gesehen,  des  Menschen  Hand  kann's  nicht  schmecken,  seine 
Zunge  kann's  nicht  begreifen  und  sein  Herz  nicht  wieder  sagen, 
was  mein  Traum  war.  —  Ich  will  den  Peter  Squenz  dazu  krie- 
gen, mir  von  diesem  Traum  eine  Ballade  zu  schreiben,  weil  sie 
so  seltsam  angezettelt  ist"  .  . .  Ist  das  nicht  auf's  Haar  das  Auf- 
wachen aus  dem  Vögel -Traum,  wie  es  Hen*  Droysen  schildert"? 
Zwar  ist  Zettel's  Traum  zu  keiner  Ballade  von  Peter  Squenz  ver- 
arbeitet worden;  aber  doch  zu  einer  Zettel-träumerisch  gestimm- 
ten Kritik  über  Aristophanes'  Vögel.  Zettel's  Traum  —  darauf 
läuft  alle  durchaus  innerliche  Stimmungs-Poesie  hinaus,  der  „voll- 
kommenen Poesie",  der  verschwommenen  Farbenfuselei  der  Herrn 
Droysen  und  Genossen.  Doch  welches  classisch  volllötliige,  poe- 
tisch gesunde  Verständniss  der  Komödien  lässt  sich  von  ihrem 
Uebersetzer  mid  Kritiker  erwarten,  der  vom  Dichter  dieser  Ko- 
mödien die  oben  sciion  l)orührte  Ansicht  hegt  und  sie  auszuspre- 

1^  Act.  IV.  Sc.  2. 


Aristophaiios  iiiid  oiii  Paar  sciiK-r  kniiiisclisteii  Vögel.  179 

chen  kein  Bedenken  trug?  Wir  Avollen  nun  die  ganze  Stelle 
wiedergeben  '):  „Aristophanes  hat  die  Bildung  und  die  Ge- 
sinnungslosigkeit seinerzeit  im  vollsten  Maasse  in  sich  auf- 
genommen; so  jung  wie  er  noch  ist,  ohne  ßespect  und  ohne 
Wahrhaftigkeit,  gleicht  er  selbst  dem  „Sprecher  der  Unge- 
rechtigkeit", der  durch  die  Kunst  und  den  Reiz  seiner  Rede  auch 
das  Unwahrste  überzeugend  darzustellen  weiss".  Noch  mehr! 
Herr  Droysen  erweitert  seine  Beliauptuug  zu  dem  allgemeinen 
Ausspruch:  „dass  mit  der  Aristophanischen  Art  des  Spottes  Ge- 
sinnung nicht  vereinbar  sey."  Ein  poetischer  Genius,  ein 
grosser  Dichter,  denn  das  ist  Aristophanes  auch  für  seinen 
üebersetzer,  kann,  in  den  Augen  des  HeiTu  Droysen,  nebenbei 
ein  gesinnungsloser  Lump  sein,  ein  durchaus  innerlicher  lAmip. 
Ein  solches  Samenkörnchen  fällt  nicht  leicht  in  ein  anregba- 
res Jüngerohr,  ohne  Wurzel  zu  fassen.  An  den  Lippen  des 
verehrten  Lehrers  hangend,  was  Wunder  wenn  der  begalite  Jüng- 
ling sein  Talent  in  dem  Maasse  Aristophanisch-genial  auszubilden 
glauben  kann,  als  er  es  mit  dem  Salze  der  Gesinnungslosigkeit 
zu  düngen  sich  beeifert.  Auch  fliesst  die  Doctrin  folgerecht  aus 
dem  Princip  der  „durchaus  innerlichen  Stinnnungspoesie" ,  das 
diese  Schule  aufstellt.  Aus  ihr  geht  eben  die  Sorte  vollkomme- 
ner Poesie  gesinnungsloser  Subjecte  hervor,  dergleichen  am  aller- 
wenigsten die  alte  Komödie  erzeugen  konnte,  deren  Dichter 
sämratlich  politische  Charaktere  und  Partei -Vorkämpfer  waren, 
bis  zur  persönlichen  Gefährde.  Aus  Aristophanes'  Leben  ist  uns 
gerade  nur  jener  einzige  Zug  einer  unerschrockenen,  charakter- 
festen üeberzeugungstreue  bekannt;  kein  einziger,  der  das  Gegen- 
theil  bewiese,  und  seine  Komödien  sind  die  lautern  Spiegel  eines 
heldenmütliigen  patriotischen  Geistes,  einer  ideal -sittlichen  Le- 
bensgesinnung, so  gross  und  ehrwürdig,  wie  die  des  Aeschylos 
und  Sophokles. 

Die  Herabsetzung  des  grössten  Komikers  durch  seinen  üeber- 
setzer stimmt  übrigens  trefflich  zu  der  Ehrenrettung,  für  die 
derselbe  zu  Gunsten  von  Aristophanes'  politischem  Gegner  vom 
Leder  zieht-);  zu  Gunsten  einer  urkundlich  rohen  und  gemeinen 
Seele;  eines  schon  durch  seine  im  Amt  verübte  Gelderpressung 

I)  Einl.  zur  Uebers.  d.  Wölken.  S.   12.         2)  Kiiil.  d.  Ritter  S.  77. 

12* 


|§0  I^i*^  grieclüsche  Komödie. 

und  Unterschlagung  gebrandmarkten  öffentlichen  Charakters,  — 
der  unmenschlichen,  auf  Niedermetzekmg  ganzer  Bevölkerungen 
dringenden  Anträge  und  Eathschläge  dieses  Volksführers  von 
hündischer  Gemüthsaii  nicht  zu  gedenken.  Der  üebersetzer  des 
Aristophanes  erhebt  zur  Rechtfertigung  des  „Staatsmanns"  Kleon 
seine  Stimme,  den  ein  Dichter  wie  Aristophanes,  und  ein  Ge- 
schichtschreiber -wie  Thukydides  gezeichnet! 

,, Schön  ist  liässlicli,  liässlich  schöu! 
Schwebt  diu-ch  Dunst  und  Nebelhöhn ! " 
(Fair  is  foul,  and  foul  is  fair: 
Hover  through  the  fog  and  filthy  air.  i)  — 

Das  ist  auch  eine  von  den  Hexen -Devisen  der  Stimmungs- Ro- 
mantiker in  Poesie  und  Wissenschaft;  eine  De\dse,  zu  welcher 
sich  schon  vor  Macbeth's  Hexen  der  Vertreter  der  faulen  Sache, 
der  Adikos  Logos  in  Aristophanes'  Wolken,  bekennt,  von  welchem 
der  Anwalt  der  guten  Sache,  Dikaios  Logos,  sagt  (1019 ff.): 

xal  a'  (h'ccntiaei 
t6  (xtv  aiaxQov  anctv  xaXbv  riytiOficn, 
tö  xaXov  ()"  ttia/Qov  .  .  . 

Was  HeiT  Droysen  wort-  und  sinngetreu  übersetzt: 

,,Ja  er  schwatzt  es  dii'  auf,  dass  Hässliches  schön, 
Dass  wieder  das  Schönste  dir  hässlich  erscheint." 

„das  Hässliche  schön",  z.  B.  Kleon;  „das  Schönste  hässlich": 
Aristophanes  z.  B.,  als  Gesinnungsloser,  und  zwar  durch  sein 
Genie  schon  und  die  Art  seiner  Komik  nothwendig  gesinnungs- 
los! Bei  gewissen  Scholarchen  der  Hochschulen  von  der  roman- 
tischen Stimmungsfärbung  tritt,  bei  solclier  Würdigung,  noch  ein 
anderes  iustinctives  Bedürfniss  hinzu:  die  „dm'chaus  innerliche" 
Schweifwedelei,  die,  in  einem  Conflictsfalle  zwischen  Dichter  und 
Machthaber,  sofort  geneigt  ist,  vor  letzterem  den  Fuchsschwanz 
zu  streiclien,  und  dem  Dichter  Eins  damit  auszuwischen;  hätte 
der  Machtliaber  auch  vier  Jahrhundeiie  vor  Christo  das  Staatsheft 
in  Händen  gehabt  und  hiesse  Kleon.    üeber  Jahrtausende  hinaus 


I)  Macbeth  I,  1. 


Ari.stophaiies  und  Holofenies.  jgl 

verknüpft  Ein  seelenverwandtes  Zopfband  den  ledernen  Katheder- 
sessel sammt  Insassen  mit  dem  Ledergerber  Kleon.  Im  Privat- 
leben durchaus  würdige  Männer,  als  Bürger  die  ehrenfesteste)i 
Philister,  als  Fachgelehrte  ordentliche  Mitglieder  holier  Sclnilen, 
die  „im  Gesicht  den  eingefrorenen  Dünkel"  ihrer  Autorität  als 
Amtsstempel  tragen  —  ist  dieses  ganze  jüngere  Schulgeschlecht 
ästhetisch  angefressen  von  einer  Kunstsophistik,  die  es,  an  Frivo- 
lität, blasirtem  Geisteskitzel  und  windiger,  im  Einklang  mit  der 
Stimnmngs- Romantik,  der  Tagesstimmung  nachschwänzelnder 
Eitelkeit,  mit  den  gTiechischen  Sophisten  keck  aufnelimen  kann. 
Nur  dass  diese,  klaren  Geistes,  bestimmte  Zwecke  verfolgten, 
und  keine  Zettel-Träumer  waren,  verloren  in  Stimmungs- Ver- 
schwommen! leit  und  duselnd  zwischen:  „Mir  war.  als  war'  ich, 
und  mir  war,  als  hätt'  ich".  -  - 

Noch  einer  dritten  Ansiclit  über  Aristophanes'  Vögel  wollen 
wir  einen  flüchtigen  Abschiedsblick  gönnen.  Es  ist  die  des  ab- 
soluten Kunstformeldrehers  nach  der  Hegeischen  Dogmatik.  Wir 
kennen  ilin  bereits,  den  Verfasser  von  „Aristophanes  und  sein  Zeit- 
alter"; den  Schulmeister-Holofernes  der  „wissenschaftlichen"  Thea- 
terkritik, aus  „Liebesleid  und  Lust".  Hegel  hat  gehaltvoll  tief- 
sinnige Kunsturtheile  ausgesprochen.  Noch  immer  ist  seine 
Aestlietik  die  ideenvollste,  auch  für  Künstler  und  Dichter  ergie- 
bigste Kunstlehre.  Von  allen  seinen  Jüngern  al)er  hat  niemand 
des  Meisters  Ideengehalt  zu  so  absolut  leeren  Eierschalen  ausgel)la- 
sen  wie  Holofernes.  Seine  kunstkiitischen  Abhandlungen,  Cyklen, 
dramaturgisclie  Scliriftwerke,  Tlieaterrecensionen ,  nach  ihrem 
specifischen  Gewiclit  gewogen,  sind  ebenso  viele  windgefüUte 
Schwimmblasen,  die  ihn  über  Wasser  hielten  auf  dem  seichten, 
aus  allerlei  trüben  und  verdäclitigen  Alizugsgewässern  der  Bret- 
terwelt zusammengeflossenen  Tagesstrome,  mit  dem  er  immer 
schwamm.  Wie  lautet  nun  die  Formel  für  Aristophanes'  Vögel? 
In  dieser  Komödie  „wollte  Aristophanes  die  immer  tiefere  Auf- 
lösung des  alten  Princips  des  Atlienischen  Staats  in  die  Willkür 
des  einzelnen  Wollens  und  Meinens  und  das  Verschlungen- 
werden  seiner  Herrschaft  von  der  Herrschaft  des  ein- 
zelnen Subjectes  vei'sinnlichen"  ')  . .  .  „Verschlungonwerdon"    - 

n  a.  a.  0.  s.  ;js(;. 


182 


Die  oriecLische  Komödie. 


AUervortrefflichster  Holüformler  und  Holofernes!  Für  diese  ge- 
schraiibtscliwülstige  Hervorquetschuug  von  Aristophanes'  Vögel- 
Idee  hätte  dich  sein  Peisthetäros  unter  die  Vögel  aufnehmen 
lassen  als  ausgestopfte  „wissenscliaftliche"  Kropfente,  oder  eine 
von  verschlungenwerdeuden  Formelphrasen  aufgeblasene  Rohr- 
dommel. Zwanzig  Jahre  später  blies  Theodor  Brest,  Collaborator 
am  Lyceum  zu  Ohrdruf,  in  einer  sonst  verdienstlichen  Schrift '; 
auch  seinen  Schulkropf  zu  derselben  Vögel -Kropfidee  auf,  als 
welche  der  Collaborator  zu  Ohrdruf  „das  selbstsüchtige  Streben 
des  einzelnen  Individuums"  bezeichnet  —  „Autonomien  an  die 
Stelle  der  Legalität  zu  setzen,  und  zwar  mittelst  erlangter 
Unabhängigkeit  im  Raum"!  Im  leeren  Lufträume  nämlich 
des  Vogelstaats,  wovon  der  Collaborator,  dem  Gesetz  des  hoiTor 
vacui  gemäss,  einen  Mundvoll  verschluckt,  und  zwar  nachträglich 
aus  dem  vom  Verschlungenwerden  aufgeblähten  Kropf  der  abso- 
luten Rohrdommel.  Im  Verlauf  der  Schrift,  die  von  Einsicht, 
Urtheil  und  historischem  Verständniss  zeugt,  ^vundert  mau  sich, 
wie  ein  kritisch  gut  angelegter  Kopf  zu  dieser  Kropfphrase  kommt, 
dergleichen  in  der  Regel,  wie  Gebirgskröpfe,  nur  in  Gesellschaft 
von  Kretinismus  angetroffen  wird. 

Lysistrate.    Ol.  92,  2=411.    Archen  Kallias. 

Wurde  drei  Jahre  nach  den  Vögeln  von  dem  Schauspieler 
KaUistratos,  im  Namen  des  Aristoplianes,  aufgeführt,  wahrschein- 
lich an  den  grossen  Dionysien,  und  wie  aus  dem  Auftreten  der 
Probulen  im  Stücke  hervorzugehen  scheint,  bald  nach  Erneuung 
der  Zehnmänner,  behufs  Berathung  der  neuen  oligarchischen  Ver- 
fassung, welche  in  der  zweiten  Hälfte  des  April  111  in's  Leben 
trat.-)  Unter  dem  Einflüsse  solcher  Vorgänge  konnte  der  Geist 
der  alten  demoki'atischen  Komödie  nicht  in  voller  Stärke  und 
Kühnheit  wirken.  Die  unverkennbare  Freude  über  die  nahe  Her- 
stellung der  Oligarchie,  die  Bode  in  dieser  Komödie  findet,  wollte 
uns  nicht  einleuchten.  Die  Oligarchie,  für  Avelche  Aristophanes 
kämpfte,  war  nicht  die  der  Zehnmänner.  Er  stellt  vielmehr  Athens 
friedenseifrige  Weiber  den  Zehnmännern  entgegen,  deren  Vertre- 
ter, der  Probulos,  beim  Angriff'  auf  die  in  der  Burg  verschanzten 


J)  Die  Vögel  d.  Aristoph.  Erfurt  1847.  —  2)  Thukyd.  V,  2(i. 


Lysistrate.     Die  beiden  Chöre.  183 

Frauen,  mit  seinen  Seliergen    aus    dem  Felde   geschlagen   mrd 
462ff.;: 

Probulos.     Weh,  weh!  Wie  schlecht  ging's  meinen  Bogenschützen  da! 
Lj's  ist  rate.     Was  dachtest  du?    Du  glaubtest  wider  Sklavinnen 
Zu  ziehen?     .     .     . 

Es  handelt  sich  hier  um  eine  Verschwörang  der  Frauen  zu  Gun- 
sten des  Friedens,  unter  Anfülu'ung  der  Athenerin  Lysistrate, 
die  einen  Frauenconvent  aus  Weibern  der  kriegführenden  Mächte, 
Attika,  Böotien  und  Peloponnesos ,  zusammenberuf eu.  Sie  ge- 
loben durch  feierlichen  Eidschwur  auf  einen  Eimer  Wein,  von  den 
Männern  getrennt  zu  leben,  bis  diese  den  Frieden  hergestellt.  Sie 
bemächtigen  sich  der  Akropolis  und  des  daselbst  im  Parthenon- 
tempel aufbewahrten  Staatsschatzes.  Den  Frauenchor  auf  der 
Ab'opolis,  die  der  Hintergrund  der  liülme  vorstellt,  belagert  von 
der  Orchestra  aus  ein  Chor  attischer  Greise.  Mit  Brenn- 
material und  Kohlentöpfen  ausgerüstet,  will  er  die  verschlossenen 
Thore  der  Propyläen  niederbrennen.  Der  Kampf  der  beiden 
Chöre,  des  kriegsmuntern  Greisenchors  mit  brennendem  Rei- 
sig, gegen  den  mit  Wassereimern  bewaffneten  Weiberchor  ge- 
hört zu  den  ergötzlich  lebendigsten  Komödien-Situationen.  Eine 
lebenvolle  Scene  drängt  die  andere :  Der  Probulos  mit  seinen  Hä- 
schern in  die  Flucht  gespritzt.  Der  lustige,  die  Parabase  ver- 
tretende Wechselgesang  der  beiden,  sich  mit  Schmähungen,  wie 
mit  Feuer  und  Wasser,  überschüttenden  Chöre  (781 — ^828).  Ly- 
sistrate's  gloiTeicher  Sieg,  den  sie,  als  Weib  bei  der  Spritze,  über 
die  Kohlentöpfe  der  alten  Flachsköpfe  erficht.  Sie  selbst  nun  in 
der  grössten  Feuergefalir  durch  den  Innern  Brand,  der  im  Schoosse 
des  tapfern  Frauenheeres  ihrer  Friedens-Amazonen  ausgebrochen, 
die,  plötzlich  von  der  alleifeurigsten  Sehnsucht  nach  ihren  Män- 
nern ergriffen,  alle  Friedenshotthungen  zu  vernichten  drohen.  Die 
Beschwörung  dieses  Brandes  ist  nicht  minder  stürmisch  und  ruhm- 
voll, als  der  Sieg  der  Wassereimer  über  die  Kohlentöpfe  gewesen. 
Das  Gegenbild  hiezu  liefert  der  von  Sehnsucht  nacli  seiner  Frau, 
Myrrhine,  glühend  verzehrte  Kiuesias,  heimlich,  mit  dem 
Söhnchen  auf  dem  Arme,  die  Burg  erklimmend,  um  zu  seinem 
Myrrhinchen,  seinem  Goldchen,  seinem  lieben  Weibchen  zu  ge- 
langen und  sie  zu  einem  Stelldichein  zu  bewegen  in  der  Pans- 
kluft.     Myrrhinchen  ihm  die  Hölle  heiss  machend,  auf  eine  neue, 


Ig4  Die  griechische  Kumüdie. 

noch  nicht  dagewesene  Weise.  Dann  über  den  armen  Mann,  der 
schier  zu  Asche  brennt  vor  ehelicher  Zärtlichkeit,  einen  Lösch- 
eimer über  den  andern  giessend,  mid  was  für  Löscheimer?  Figür- 
liche, die  das  Feuer  nm-  stärker  anfachen  durch  neckendes  und 
—  0  Höllenbrand!  —  foppendes  Hin-  und  Wiederlaufen.  Der 
Chor  der  Greise,  der  das  mit  ansieht  in  der  Orchestra,  wimmert 
Zeter  (959  ff.) : 

In  wie  schrecklicher  Pein,  unseliger  Mann 
Dein  Herz  sich  verzehrt,  so  schnöde  getäuscht! 
Ach,  ach,  wie  jammert  mich  deiner!     .... 

Seine  Verwünschungen  des  „abscheulichen  Weibes"  klingen  zu  pa- 
rabolisch für  unsere  Verhältnisse,  um  sie  wieder  zu  geben.  Unser 
Gehörsinn  ist  in  dem  Maasse  zarter  und  empfindlicher  geworden 
für  Anstand  und  Sitte,  als  sich  alle  andern  Sinne  dagegen  abgehärtet 
haben.  Das  Sittlichkeits-  und  Anstandsgefühl  hat  sich  in's  Innere 
unseres  Ohres,  wie  in  ihr  letztes  hochgelegenes  Kastell,  zurück- 
gezogen, nachdem  die  andern  Aussenwerke  alle  vom  Feinde  er- 
stürmt und  besetzt  worden.  Auf  dem  Kastell  zu  Athen  steht 
Kinesias'  Fall  aber  nicht  vereinzelt  da.  Böotien,  Sparta,  der  ganze 
Peloponnes  ist  in  seiner  Lage.  Lysistrate  feiert  einen  vollständigen 
Triumph.  „Friede,  Friede,  liebes  Weibchen!"  schreit  ganz  Hellas. 
Ein  Spartanischer  Herold  ruft  es  aus  im  Namen  aller  griechischen 
Kriegsvölker.  Bald  darauf  stimmen  die  Spartischen  Gesandten 
unisono  mit  ein  in  den  Ruf.  Ilire  aufrichtige  Friedensgesinnung 
ist  über  jeden  Zweifel  erhaben,  das  beweist  schon  ihr  Aufzug. 
Lysistrate  darf  hoffen,  unter  dem  allgemeinen  Jubel  der  Athener 
und  Spartaner  einen  dauernden  Frieden  zu  schliessen. 

Kaum  Eine  Scene  lässt  sich  auszugsweise  mittheilen  aus 
dieser  Komödie  von  urphallischer  und  doch,  durch  das  berechtigte 
Verhältniss  zwischen  den  gegenseitig  nach  einander  begehrenden 
Männern  und  Frauen,  gmudsittlicher,  keuscher  Komik ;  patriotisch- 
heilvoller  Komik  zugleich,  da  ihr  ergötzlicher  Muthwille  dem  höch- 
sten Gut,  dem  heiligsten  Zwecke,  gilt:  dem  Haus  und  Land,  Stadt 
und  Staat  beglückenden  Frieden;  ja  einem  für  den  ganzen  Fami- 
liencomplex  des  stammverbrüderten  Hellas  segenvollen  Frieden 
gilt.  Desshalb  wirkt  auch,  was  auszugsweise  unmittheilbar ,  im 
Zusammenhange,  das  Einzelne  wie  das  Ganze,  —  wirkt  die  ganze 
Komödie   von  Anfang   bis  Kndc   auf  jedes  tüchtige  und  gesunde 


Die  Thesiauphoriazusen.  185 

Gemüth  von  Gmnd  aus  erfrischend  und  erquickend.  Dafür  giebt 
man  die  fehlende  Parabase  gern  preis. 

Die  Thesmophoriazusen  (Qeo/noqiOQicclovGai,  Thesmo- 
phorienfeier  begehende  Frauen)  Ol.  92,  3=410.  Archen  Theo- 
pompos.  Diese  Zeit  der  Aufführung  wird  aus  einer  Anspielung 
in  der  Parabase  (v.  808)  auf  das  Abtreten  der  Eubulen  vom  Amte 
und  den  Sturz  der  Oligarchen  (Ol.  92,  3.)  abgeleitet.  Auf  die 
Befreiung  von  den  „Tyrannen"  deutet  ferner  auch  Vers  11 43  ff. 
in  dem  Chor-Ausraf  an  die  Pallas: 

Erscheine,  die  du  Tyi-aiinen 
Verabscheust,  wie  Recht  ist! 

Die  Bezeichnung  der  Jahreszeit  (v.  67)  „und  Winters  ist  den 
Strophenbau  zu  zimmern  nicht  gerade  leicht",  macht  die  Auffüh- 
rung in  den  Lenäen  wahrscheinlich.  Gleich  der  erste  Vers  unse- 
rer Komödie  spielt  auf  den  Winter  an: 

0  wann  erscheint  die  Frühlingsschwalbe  doch  einmal'!' 

Die  Tendenz  der  Komödie:  Verspottung  des  Eui'ipides  und  seines 
Weiberhasses,  ist  uns  schon  bekamit.  Zu  dem  Zwecke  lässt  der 
Dichter  die  Komödie  zur  Zeit  der  Thesmophorienfeier  spielen,  eines 
Weiberfestes,  welches  im  October  (vom  9—15.  Pyanepsionj  der 
Demeter  Thesmophoros  (Gesetzgeberin)  zu  Ehren,  zwei  Tage  lang 
zu  Halunus  (Attika;  und  drei  Tage  lang  zu  Athen  im  Thesmo- 
phorientempel  von  den  attischen  Matronen  begangen  ward. 

Euripides  erfährt  in  unserer  Komödie:  die  Weiber  hätten  im 
Thesmophorienteinpel  seinen  Tod  beschlossen,  wegen  der  Verläum- 
dungen,  die  seine  Tragödien  gegen  ihr  Geschlecht  ausstreuen. 
Als  das  wirksamste  Mittel,  die  Gefahr  zu  beschwören,  erscheint 
dem  redegewandten  Tragiker  eine  zu  seiner  Vertlieidigung  gehal- 
tene Kede  in  der  Weil)erversammlung,  die  imr  ein  männliches 
Individuum  halten  könnte.  Einem  solchen  ist  aber  der  Zutritt 
zur  Thesmopliorienf(!ier  bei  Todesstrafe  vcrl)oten.  Der  Weiberfeind 
und  gleichwohl  doch  in  seinen  Dramen  Alles  verweiblicliende  Tra- 
giker ersinnt  denn  aucli  in  solchem  persönlichen  Bedrängniss  ein 
entsprechendes  Auskunftsmittel.  Er  sucht  in  Begleitung  seines 
Schwiegervaters,  Mnesilochos,  seinen  Freund  und  Kunstgenos- 
sen, den  Tragiker  Agatlion,  auf,  den  einzigen  Mann  unter  seinen 


186  Die  griechiselic  Komödie. 

Bekaiiuten,  der,  in  Frauenkleidern  unter  Weibern,  nicht  heraus 
zu  erkennen  wäre,  und  selbst  von  diesen  für  ihresgleichen  gehal- 
ten würde.  Die  unübertreffliche  Scene,  eine  der  ergötzlichsten 
und  genievollsten  des  Aristophanes,  wurde  oben  schon  angeführt.. 
Agathon  ist  der  Mann  zu  dieser  WeibeiTolle ;  er  bekennt  sich  offen 
dazu,  fertigt  aber  doch  den  CoUegen  mit  einem  Vers  aus  dessen 
Alkestis  (691)  ab:  „Dich  freut  das  Licht;  den  Vater,  meinst  du, 
nicht?"  Glücldicher  Weise  erbietet  sich  Euripides'  Schwäher,  Mne- 
silochos,  zu  der  Vermeidung,  die  nun  unter  den  aüerkomischsten 
Anstalten  vor  sich  geht.  Das  Abhaaren  und  Rasii'en  des  grauen 
Schädels  und  Absengen  sonstiger  Haarstellen,  das  Euripides  mit 
Scheermesser  und  Fackel,  unter  Verzweillungs-Grimassen  des  zum 
alten  W^eibe  balbirteu  und  gesengten  Schwiegers,  bewerkstelligt, 
der  dabei  sich  nicht  wie  ein  Schwiegervater  gebärdet,  sondern  wie 
ein  abgebrühtes  Schwein,  —  diese  Scene  ist  das  unerreichte  Vor- 
bild aller  Figaro-Bartholo-Rasir-Scenen.  Dabei  durchschimmernd 
überall  das  tragische  Handwerk  des  Männer  zu  Weibern  abkah- 
lenden  und  mit  der  Erinnyen-Fackel  absengenden  Weiberhassers! 
So  verweibt  mid  zur  Frau  verkleidet,  begiebt  sich  Mnesilochos  in 
den  Thesmophorientempel  und  hält  die  Vertheidigungsrede  (v.  465 — 
519),  und  welche!  Im  vertraulichsten  ünteruns  führt  er  den  Frauen 
zuGemüthe:  was  auch  Emipides  Ehrenrühriges  gegen  die  Weiber 
gesagt;  so  wäre  das  Alles  doch  Larifari  gegen  das,  was  er  hätte 
sagen  können,  mid  was  er  dennoch  verschwiegen.  Er  selbst,  Mne- 
silochos, „war  drei  Tage  erst  Frau  und  schlich  von  der  Seite  des 
schlummernden  Gatten  zum  Buhlen  hinaus"  —  „das,  seht  ihr? 
hat  Euripides  noch  nie  gesagt." 

Wie  dort  die  Frau  dem  Manne  zeigt  das  Oberkleid, 

Wie  prächtig  das  im  Lichte  sej,  und  drunterweg 

Den  Buhlen  hinauslässt  —  nein,  er  hat's  noch  nie  gesagt  .     .     . 

Und  so  zählt  er  noch  mehi'  solcher  Fahrten  auf,  mit  dem  Re- 
frain: „Das  hat  er  nicht  gesagt."  Die  Weiber  gerathen  in  Auf- 
ruhr über  die  Frechheit  der  „Bübin"  —  „Kohlen  her !  Abgesengt 
ihr  jedes  Haar!"  -  Mnesilochos  schreit  im  voraus  wie  amSpiess: 
„Um  alle  Welt,  nur  nicht  gesengt,  ihr  Frauen!"  Grosser  Tumult. 
Mnesilochos  schwebt  in  äusserster  Gefahr.  Nun  muss  auch  noch 
Kleisthenes,   der  unverkleidet ,  als  AVeib  in  Männerkleidern,   von 


Thesmoplioriazusen.     Kuiipirtes  und  Mncsilochos.  ]87 

den  Frauen  aufgeuommen  wird,  in  die  Versammlung  treten,  um 
ihm  den  Rest  zu  geben !  Von  diesem  verrathen  und  entlarvt,  wird 
Mnesüochos  vom  Altar  heruntergeschleift,  auf  den  er  sich  mit 
einem,  der  ersten  besten  Frau  entrissenen  Kinde  geflüchtet,  das 
sich  als  ein  Weinschlauch  in  Kinderwickeln  ausweist.  Vom  Altar 
wrd  er  auf  den  Pranger  geschleppt,  hier  ausgestellt  und  einem 
skythischen  Häscher  zau'  Bewachung  ül)ergebeu.  Nun  bietet  Euri- 
pides  seine  ganze  Erfindungskraft  auf,  um  den  Schwiegerpapa  vom 
Schandpfahle  zu  befreien.  Zuerst  erscheint  er  als  sein  Menelaos, 
der  seine  Helena  zu  entführen  kommt.  Der  Skythe  fällt,  mit  bar- 
barisch griecliischen  Verwünschungen,  vor  Menelaos  den  Wäch- 
terspiess.  Jetzt  versucht  es  Euripides  mit  seinem  Perseus,  der 
die  an  den  Felsen  gefesselte  Andromeda  befreien  will,  zwischen- 
dm-ch  als  Echo  hinter  der  Scene  rufend,  um  den  Skythen  von  der 
Andromeda  abzuziehen  und  durcli  die  sanft  verhallenden  Mitleids- 
klagen dessen  Barbarengemüth  zu  rühren.  Der  unaufhörliche  Echo- 
ruf  wird  selbst  dem  Mnesilochos  auf  dem  Pranger  lästig ;  er  möchte 
am  liebsten,  lange  vor  dem  Präsidenten  in  Kabale  und  Liebe,  das 
Echo  hinauswerfen  (1073 ff.): 

Mnesilochos.    Mich  tödtet,  o  Weib,  dein  faules  Geschwätz. 

Euripides.     Dein  faules  Geschwätz . 

Mnesilochos.     Du  drängst  dich,  o  Gott!  zu  lästig  heran, 

Gar  sehr. 
Euripides.     Gar  sehr  .  .  . 
Mnesilochos.    Zu  den  Raben  mit  dir! 
Euripides.  Zu  den  Raben  mit  dir. 

Mnesilochos.     0  verwünscht! 
Euripides.  0  verwünscht! 

Nun  der  Schütze  (der  Häscher;  als  Dritter  dazwischen. 

Schütze  (zu  Mnesil.)  Was  swaz  du  da? 
Euripides.  Was  swaz  du  daV  .  .  . 

Schütze.    Wat  Düvel! 
Euripides.  Wat  Düvel! 

Der  Sclitttze  glaubt,  Mnesilochos  mache  sicli  den  Spass,  und  will 
auf  ihn  los.  Der  giebt  die  Echo  an;  diese  aber  ruft  schon  von 
der  entgegengesetzten  Seite.  Euripides  erscheint  wieder  als  Per- 
seus und  parodirt,  mit  Mncsiloclios  zusammen,  seine  eigene  An- 
dromeda-Scene.  Als  er  Miene  macht,  den  Muesiloclios  loszubin- 
den, droht  der  Skythe:  „Dann  ich  sueiden  gleick  mit  diese  Säbel- 


1§3  Die  griecliisclie  Komödie. 

messer  ier  den  Kopp  dir  ab."  Nun  weiss  Euripides  nur  noch  ein 
letztes  Mittel :  der  Tragiker  kommt  als  Kupplerin  mit  einer  Tän- 
zerin —  das  wirkt!  Die  Tänzerin  lockt  den  Soldaten  bei  Seite; 
der  Tragiker  löst  dem  Schwiegervater  schnell  die  Bande  und  eilt 
mit  ihm  davon. 

Mit  Eecht  wird  die  meisterhafte  Durchführung  des  Thema's 
durch  eine  intriguenartige  Handlung  gerühmt:  ein  neues  Mo- 
ment in  der  Aristophanischen  Komödie.  Die  Parodie,  in  Hand- 
lung gesetzt,  und  durch  den  Helden  derselben  in  eigener  Person, 
ist  der  Gipfel  parodistischer  Kunst.  Schwerlich  hat  der  Gründer 
und  Meister  der  parodirenden  Komödie,  Epicharmos,  auch  nm' 
annähernd  Dem  Vergleichbares  geschaffen,  da  er  sich  in  allge- 
meinen m}i:liologischen  Travestien  ergehen  und  jeder  Personal- 
verspottung enthalten  musste.  In  den  Thesmophoriazusen  glänzt 
Aristophanes'  komisches  Genie  in  seiner  ganzen  Stärke. 

Von  Aristox)hanes'  zweiter  Komödie  dieses  Namens  sind 
noch  Bruchstücke  vorhanden  i),  die  aber  aus  keiner  Umarbei- 
tung dieses  Stückes  herrühren,  sondern  einer  selbstständigen  Ko- 
mödie angehören,  welche  am  letzten  Tage  des  Thesmophorienfe- 
stes,  Kalligoueia  genannt,  spielte.  Kalligoneia,  die  Namensträ- 
gerin des  Tages,  sprach  darin  als  Amme  den  Prolog.  Man  ver- 
muthet,  dass  die  zweiten  Thesmophoriazusen  zum  Inhalte  eine 
Parodie  der  Antiope  des  Euripides  hatten.-) 

Plutos  (IIlovTog.)  Der  Reichthum.  Zuerst  aufgeführt  un- 
ter Archen  Diokles  Ol.  93,  1=408,  zwei  Jahre  nach  den  Thes- 
mophoriazusen, und  dann  zwanzig  Jahre  später  unter  Antipatros 
Ol.  98,  1=388.  In  der  zweiten  Form  ist  er  auf  uns  gekom- 
men. Hier  trat  Aristophanes  zum  letzten  Male  als  Didaskalos 
auf.  Seine  Mitbewerber  waren  Nikochares  mit  den  Lakonen. 
Aristomenes  mit  dem  Admetos,  Nikophron  mit  dem  Adonis, 
und  Alkaeos  mit  der  Pasiphae.^)  In  der  zweiten  Bearbeitung 
des  Plutos  spielte  Aratos,  der  Sohn  des  Aristophanes,  die  Titekolle. 
.  Neben  den  andern  zehn  Komödien  ist  der  Plutos  der  blinde 
Bettler,  und  seine  Erscheinung,  beim  ersten  Auftreten,  die  leib- 
hafte Gestalt  der  auf  den  Bettelstab  lieruntergekoramenen  Aristo- 


))    Diud.   p.    i;{!».    Bergk,  Allst,   fragm.   p.  ISOff.         2)  Poll.  IX,    36. 
Bergk  bei  Meineke  p.  1083.  —  3)  Arg..Plut.  IIT. 


Aristophaiies'  zweiter  Plutos.  189 

phallischen  Komödie:  Der  Baueviichor  hihm  und  kahl,  wie  des 
Plutos  Glatze;  die  Lyrik  erloschen  wie  sein  Augenlicht,  nur  dass 
der  Gott  dieses  im  Aeskulaptempel  wiedererhält,  die  Chor-Lyrik 
aber  bis  zum  Schlüsse  blind  bleibt;  die  Parabase,  Anapästen  und 
Trochäen,  ausgefallen  wie  seine  Haare  und  Zähne;  der  ganze 
Chor  im  Chorführer  zu  einem  blossen  Mitsprecher  zusammenge- 
schrmiipft  und  verhotzelt,  der  nichts  zu  sagen  hat,  und  der  zu- 
letzt dem  Festzuge,  welcher  den  Plutos  auf  die  Akropolis  führt, 
mit  einigen  kümmerlichen  Anapästen  folgt,  wie  ein  Leidtragender 
dem  Nasenquetscher  eines  auf  Gemeindekosten  zu  Grabe  geleite- 
ten Stadtamien.  Trotz  alledem,  bei  so  tiefer  Verkümmerung  der 
Poesie  in  der  Komik,  bei  so  gänzlicher  Verarmung  der  alten 
Komödie  zu  diesem  einzigen  erhaltenen  Prototyp  der  mittlem  und 
neuern  attischen  Komödie,  darf  uns  Aristophaues'  Plutos  immer 
noch  für  ein  Meisterstück  dieser  Gattung  gelten.  Vielleicht  dür- 
fen wir  ihn  sogar  für  eine  besondere  Eigenart  betrachten,  insofern 
nämlich  der  Plutos  charakteristische  Merkmale  aller  drei  Gattungen, 
der  alten,  mittelern  und  neuen  Komödie,  in  sich  vereinigt.  Der  alten 
Komödie  scliliesst  er  sich  au,  durch  die  Erfindung  einer  phanta- 
stisch allegorischen  Verwandlung  des  blinden,  d.  h.  seine  Gaben 
blind  und  wahllos,  daher  auch  an  Unwürdige  austheilenden ,  in 
einen  sehenden,  die  Sclüechten  von  den  Guten  unterscheidenden, 
wohlthätigen  und  gerechten  Gott.  Aus  dieser  Erfindung  alten 
Styls  erwuchsen  von  selbst  die  in  solchem  Geiste  durchaus  gedach- 
ten und  ausgeführten  Sc(Mien  mit  der  in  Lumpen  gehüllten  Kie- 
sengestalt Penia  (Armuth),  deren  Controverse  mit  den  beiden 
Bauergreisen  über  die  Vorzüge  d(!r  Üedürftigkeit  und  der  Treiberin 
Noth,  als  Quelle  aller  Betriebsamkeit,  Kunst  und  Ibrschenden  Er- 
kenntniss,  das  Hauptkennzeichen  der  alten  Komödie  an  der  Stirne 
trägt,  und  in  den  gehaltvoll  ernsten  Gedanken  die  Gesinnungen 
des  Dicliters  selbst  auss})richt,  die  Parabase  in  gewissem  Sinne 
vertretend  und  ersetzend.  In  den  mythischen  Elementen  und 
Nachklängen,  in  dem  kleinlauten,  zurückgedrängten  Clior  hätte 
man  wieder  Merkmale  der  mittlem  Uebergangs- Komödie  zu  er- 
kennen, wo  Keminiscenzen  aus  der  Göttermytlie  mit  dem  (.'hör, 
als  Schatten  und  Anhängsel,  aus  der  alten  Komödie,  zurückge- 
blieben. Die  Personen  endlich,  bis  aul"  Plutos,  Penia  und  Her- 
mes, sind  sämmtlicii  reale  Charakterfiguren.  Der  alte  Chremylos, 


190  I^i*^  ^griechische  Komödie. 

sein  Freund  Blepsidemos,  der  schmarotzende  Sykophant, 
der  Diener  Karion  vor  Allen,  sind  vom  Wirbel  bis  zur  Zeh  Fi- 
guren der  neuen  attischen  Komödie  und  des  römischen  Lustspiels. 

Demgemäss  ist  auch  der  Dialog  behandelt,  und  in  der  Scene 
ZAvischen  Chremylos  und  Blepsidemos,  den  beiden  Bauergreisen 
(322-414),  zu  einem  vollendeten  Meisterdialoge  des  neuen  Styles 
ausgearbeitet.  In  den  Tendenzgedanken  theilen  sich  endlich  die 
alte  und  die  neue  Komödie.  Er  ist  im  Sinne  der  letzten,  mora- 
lisch, insofern  die  Guten  belohnt  und  die  Schlechten  bestraft 
davon  gehen.  Im  Geiste  der  alten  Komödie  ist  der  Ausgang 
wieder  insofern  allegorisch -politisch,  als  der  Ketter  des  Plutos, 
der  Chremylos,  der  den  Gott  aus  Delphi  mitgebracht,  und  ihm 
durch  Asldepios  das  Augenlicht  wieder  verschafft  hat,  dem  ge- 
heilten Gott  seine  dauernde  Wohnung  in  der  Schatzkammer 
des  Staates  anweist,  mit  der  Hindeutung:  ist  der  Staat  reich, 
so  geht  es  auch  dem  Einzelnen  wohl.  Zugleich  macht  der  wackere 
Bauer,  Chremylos,  sein  Versehen  wieder  gut,  das  Versehen  näm- 
lich: die  Heilung  des  blinden  Gottes  gegen  Zeus'  Absicht  bewirkt 
zu  haben,  in  Folge  dessen  der  Gott  des  Reichthums  der  Abgott 
aUer  Welt  geworden,  so  dass  der  Beste  nur  aus  Eigennutz  sicli 
dem  Guten  zuwendet  und  alle  wahre  Gottesfurcht  und  Gerechtig- 
keit zu  verschwinden  droht.  Plutos  soH  künftighin  dem  allge- 
meinen Besten,  dem  Staat  und  Staatsschatze,  Zinsen. 

Die  Frösche  (Ol.  93,  4=405.  Archon  Kallias)  wurden  drei 
Jahre  nach  dem  ersten  Plutos,  durch  den  Schauspieler  Philoni- 
des,  an  den  Lenäen,  zur  Aufführung  gebracht.  Aristophanes  er- 
hielt den  ersten,  Phrynichos  mit  den  Musen  den  zweiten  und 
Platon's  Kleophon  den  dritten  Preis.  Argum.  I  und  III,  er- 
wähnen, mit  Berufung  auf  das  Zeugniss  des  Dikäarchos,  einer 
wiederholten  Aufführung  der  Frösclie,  die  das  Stück  der  Bewun- 
derung verdankte,  welche  die  Parabase  erregte  {ovvoj  de  ei^av- 
(.müiJri  10  d(jü/iiu  öiu  tijv  sp  accu)  nagäßaaiv  Sgte  nal  areöi- 
ötr/'})]).  Die  Komödie  spielte  ein  Jahr  vor  der  Einnahme  Athens 
durch  Lysiindros  und  vor  der  Einsetzung  der  Dreissigtyrannen- 
Herrschaft.  Am  Vorabende  einer  solchen  Katastrophe,  in  so  trost- 
loser Zeithige  und  Stimmung,  ging  diese  Komödie  wie  eine  Sonne 
über  dem  Atlienischen  Staat  auf,  die  ilm  gleichsam  in  ein  Strah- 
lenmeer von  herzstärkender  Komik  und  gemütherhebender  Lach- 


Die  P'ru,scho  ilos  Aristuphanes.  191 

lust  tauchte.  Wie  die  Hölle  selbst,  die  den  Schauplatz  dieser 
Komödie  bildet,  so  zauberte  Aristophanes'  Genie  die  Schrecknisse 
des  Tages  in  eine  Eliseische  Komik  um.  Eine  Höllenfahrt,  eine 
Nekyia,  eine  Todtenbeschwörmig  wie  diese,  hat  nie  wieder  das 
Herz  der  komischen  Muse  so  gründlich,  bis  zu  den  erquicklich- 
sten Lachthränen  erschüttei-t.  Aller  Frohsinn,  alle  Lust,  alle 
sprudelnden  Witze  und  himmlischen  Spässe  haben  sich  aus  dem 
Reiche  der  Lebenden  in  das  Todtenreich  geflüchtet,  um  dort  Car- 
ueval  zu  halten.  Tod,  wo  ist  dein  Stachel  ?  Homer,  Virgil,  Dante, 
Milton,  in  welchen  tollfröhlichen  Mummenschanz  hat  sich  euer  Ere- 
bos,  Aides'  nächtliches  Dunkel,  Plutouisches  Haus  der  Schrecken, 
Flammenpfuhl  der  Verdammniss,  dein  „ewiger  Wehe -Schlund", 
Sänger  des  Liferno,  verwandelt,  der  sich  hier  nur  aufthut,  höllen- 
rachenweit,  um  in  ein  schallendes  Lustgelächter  auszubrechen, 
üeber  die  Höllenpforte  dieser  „Göttlichen  Komödie"  würdest  du, 
grosser  Alighieri,  die  Inschrift  setzen:  „Lasst,  die  ihr  eingeht, 
jede  Trübsal  fahren!"  Dreimal  selig,  0  voi  ch'  entrate!  Die  schreck- 
liche Persephoneia ,  der  finstere  Plutou,  bekommen  Seitenstiche 
vor  Lachen. 

„Himmlisch  in  die  Hölle  klangen 

Und  den  wilden  Hüter  zwangen 

Deine  Lieder"  —  Orpheus  der  Komik!  — 

,,Minos,  Thränen  im  Gesichte"  —  vor  Lachen  — 

„Müderte  die  Qualgerichte; 

Zärtlicli  um  Megärens  Wangen 

Küssten  sicli  die  wilden  Schlangen, 

Keine  Geissei  klatschte  mehr"  —  keine,   als  die  lachende 

Geissei  — 
,, Leiser  hin  am  Ufer  rauschten 
Lethe  und  Kocytus,  lauschten 
Deinen  Liedern",  —  Or])heus  mit  der  Schellenkappe!  — 

Und  ist  doch  keine  possenhafte  Parodie;  kein  Glfenbach'scher 
„Orpheus  in  der  Hölle."  Der  thrakische  Sänger  selber  hat  mit  kei- 
nen süsserhabeneren  Klängen  die  Schattenseelen  um  sich  versam- 
melt, als  der  Chor  der  Eingeweihten  hier  erschallen  lässt.  Li 
dem  Possenhaften  welche  Weihe!  In  der  Komik  welcher  Kunst- 
ernst! In  dem  Lachgenie  welche  tiefe  Seelenverwandtschaft  mit 
der  grossen  Tragik!  Welche  Balsamdüfte,  welche  Wohlgorüche 
hoher  Staats-  und  Kunstweisheit  strömen  aus  der  satirischen  Zer- 


■(92  I^iö  griechische  Komödie. 

malmung,  wie  aus  zerstampften  Balsamstaudeh,  und  durchwürzen 
die  Hölle! 

Auf  Kosten  des  Gottes  der  Freude  selber,  des  Komödiengottes, 
Dionysos,  herrscht  hier  solche  tolle  Lust.  Er  ist  sein  eigener 
Sühn-  und  Sündenbock,  und  muss  vorweg  die  komische  Schuld 
des  ganzen  Athenischen  Volkes,  die  Sehnsucht  nach  Euripides, 
auf  seine  Bakchos-Hörner  nehmen.  Herakles'  Löwenhaut  über 
dem  safranfarbigen  Frauengewand,  die  Keule  in  der  Rechten  und 
auf  Kothurnen  schreitend,  macht  sich  der  weibische  Euripides- 
Schwänner,  Gott  Dionysos,  auf  den  Weg  in  den  Hades  mit  sei- 
nem Diener  Xanthias,  einem  der  drolligsten  Diener-Käuze  des 
komischen  Drama's,  dem  ürbilde  Sancho  Pausa's,  und  auch,  wie 
dieser,  seinem  Herrn  zu  Esel  folgend.  Zunächst  spricht  Dionysos 
bei  Herakles  vor,  als  berühmtem  Unterweltreiseuden  und  Höllen- 
fahrer, um  von  ihm  den  kürzesten  Weg  in  den  Hades  zu  erkun- 
den. Beim  Erblicken  seines  Doppelgängers  in  Löwenhaut  und 
Weiberrock  glaubt  Herakles  zu  bersten  vor  Lachen.  Was  den 
Weg  in  die  Unterwelt  betrifft,  giebt  Alkmene's  Sohn  seinem  Vetter 
verschiedene  an  zur  Auswahl,  als  da  sind :  Strick,  Schierling,  einen 
Purzelbaum  vom  Thurm  herunter.  Die  Marschroute  passt  dem 
Euripides -Reisenden  Weingott  nicht.  Herakles  beschreibt  ihm 
nun  den  Weg  umständlich,  wie  ihm  selber  einst  von  seinem  an 
den  Kaukasus  geschmiedeten  Wegweiser,  dem  Prometheus,  die 
Reiseroute  angegeben  worden.  Xanthias  wundert  sich  bei  der 
langen  Unterhaltung  nur  über  Eins:  dass  von  ihm  noch  nicht  die 
Rede.  „Immer  noch  kein  Wort  von  mir?"  Unerklärliches  Räth- 
sel,  woran  er  für  sich  kaut,  zwischendurcli  die  Frage  im  Stillen 
wiederholend:  „Immer  noch  kein  Wort  von  mir?"  —  Nach  dieser 
Scene  wird  ein  Todter  auf  der  Bahre  vorbeigetragen.  Ein  Juwel 
von  kleinem  komischen  Einschiebsel  (171  if.): 

Dionysos  (zu  dem  Todten) 

He,  du  da,  he!  Ich  meine  dich,  Verstorbener! 
Mann,  nähmst  du   mir  ein  Päckchen  wohl  zum  Hades 
niitV 
D  e  r  T  o  d  t  e  (sich  aufrichtend) 
Wie  gross  denn? 
Dionysos.  Dicss  hier! 

Der  Todte.  Zahlst  du  mir  zwei  Drachmen  Lohn? 

Dionysos.    Das  ist  mir  doch  zu  theuer. 


Die  Frösche.    Dionysos.     Der  Froschchor.  193 

Der  Tüdte  (zu  den  Trägern). 

Furt  ilir  enres  Wegs! 
Dionysos.     Halt,  Guter,  halt  doch,  wir  vereingen  uns  \'ielleicht. 
Der  Todte.     Erlegst   du  nicht   zwei  Drachinen,    dann'   kein  Wört- 
chen mehr. 
Dionysos.     Nimm  neun  Obole! 
Der  Todte.  Lieber  lebt'  ich  wieder  auf! 

(Wird  weitergetragen.) 

Sie  befinden  sich  am  Ort,  wo  Charon  anlegt.  Der  greise 
Färge  erscheint.  Dionysos  steigt  ein,  nicht  ohne  safi-angelbe  Angst. 
Xauthias,  als  Sklave,  darf  nicht  in  den  Kahn,  er  muss  einen  Um- 
weg nehmen  und  am  „Verschmachtestein"  {naga  tbv  Avalvov 
Ui)-ov)  seinen  Hen-n  ei*wai-ten.  Während  Dionysos  rudert,  ertönt 
der  Froschgesang,  von  einem  verborgenen  i)  Chore  ge- 
sungen. Die  Frösche  singen  mit  steigender  Schnelligkeit  des 
Takts,  so  dass  Dionysos  immer  rascher  rudern  muss  zu  seinem 
ächzenden  Verdruss,  der  weichliche  Dickbauch  (226 ff.): 

Zerplatztet  üir  mit  eurem  Quacks! 
Nichts  als  das  ewige  Quax  koax! 
Die  Frösche.   Allerdings,  du  Naseweiser! 

Lieben  doch  mich  die  lyrafrohen  Musen, 
Mich  liebt  der  Hornfuss 
Pan,  der  Eohrflöte  Meister  ... 
Brekekex  koax  koax. 
Dionysos.      Und  ich,  ich  habe  Blasen  schon  .  .  . 
Die  Frösche.  Brekekekex  koax  koax. 

Er  überbietet  sie  mit  Brekekekex  und  quakt  sie  endlich  in  den 
Grmid.  Der  Kahn  ist  zur  Stelle,  Dionysos  steigt  aus  und  trifft, 
im  Finstern  tappend,  mit  Xanthias  zusannnen.  „Lauter  Dunkel- 
heit und  Schlamm."  Beide  graulen  sich;  Dionysos  füi-  zwei. 
Xanthias  sieht  schon  Hades-Gespenster  (284 ff.): 

Dionys.     Wo  wo? 

Xanth.  Dahinten. 

Dionys.  Gehe  du  denn  hinter  mich. 

Xanth.     Nein,  nein,  es  ist  da  voran. 

Dionys.  Geh'  du  denn  voran  .  . 

Nun  sieht  Xanthias  ein  gi'osses  Thier. 


1)  Schol.  Ran.  211. 
IL  13 


194  ^ie  griecliisclie  Komödie. 

Dionys.    Wie  sieht's? 

Xanth.  Entsetzlich;  wandelt  sich  in  allerlei! 

Jetzt  ist  es  Stier,  Maulesel  bald,  darauf  ein  Weib, 

Ein  reizend  Weib. 
Dionys.  Wo?  Gegen  diese  geh'  ich  an. 

Es  ist  das  gräuliche  Gespenst,  die  Empusa,  mit  einem  Bein  von 
Erz  und  dem  andern  von  Eselsmist.  Dionysos  vergeht  vor  Angst. 
In  seinem  Schrecken  wendet  er  sich  an  den  Dionysospriester,  der 
voran  auf  seinem  Ehrenplatz,  dem  bewussten  Thronsessel,  unter 
den  Zuschauern  sitzt: 

Mein  Priester,  hilf  mir;  heute  zech'  ich  dann  mit  dii*. 

Empusa  verschwindet.  Man  vernimmt  Flötenspiel.  Der  Chor 
der  Eingeweihten  beginnt  seine  herrlich  schönen  Gesänge, 
die  uns  schon  bekannt.  Dionysos  klopft,  als  Herakles,  beim  Höl- 
lenrichter Aeakos  an.  Aeakos  empfängt  den  Entführer  des  Höl- 
lenhundes, als  war'  er  dessen  Stellvertreter  und  läge  an  der  Kette 
(465  ff.): 

Du  Schuft, 

Du  Hauptschuft,  aller  Schufte  schuftigster, 

Der  unsern  Kerberos  hinweggelockt     .     .     . 

Jetzt  hab  ich  dich! 

Für  solche  Grcäuel  soUen  .  .  .  deiner  Nieren  Paar,   zusamnit 
mit  den  Gedärmen  .  .  .  zerfleischen  die  Gorgonen", 

die  er  zu  holen  forteilt: 

Xanthias.    Was  machst  du,  Herr? 

Dionys.  Ich  k — .     Sprich:  Gott  helfe  mii'! 

Xanthias  schilt  ilm  den  Feigsten  der  Götter  und  der  Menschen. 
Dionysos  meint:  gut!  Bist  du  so  beherzt,  sey  du  Heraides,  nimm 
Löwenhaut  und  Keule.  „Ich  wiU  dafür  so  lange  dein  Pacldräger 
seyn."  Xanthias  lässt  sich  das  nicht  zweimal  sagen.  Der  Kollen- 
tausch  giebt  zu  den  ergötzlichsten  Sceuen  Anlass.  Eine  freund- 
liche Magd  der  Persephone  begrüsst  iln'eu  Held  Herakles  mit 
freudigem  Willkommen.  Drinnen  ständen  schon  für  ihn  drei 
Töpfe  voll  Bolmemnus  bereit  mit  köstlichen  Broden  und  Semmel- 
kuchen, die  ihm  Göttin  Pi'oserpina  gebacken.  Auch  eine  Flöten- 
bläserin  sey  für  ihn   da,  wunderhübsch,    und  zwei  bis  drei  Tän- 


Die  Frösche.    Eollenwechsel  zwischen  Dionysos  und  Xanthias.     195 

zeriiiiien,  „im  vollsten  Saft  der  Jugend  und  wie  Kinder  glatt" 
(519ff.): 

Xanthias.     So  geh'  und  lass  die  Tänzerinnen  dort  im  Haus 

Vor  allem  wissen,  dass  ich  selbst  gleich  kommen  will. 

(Die  Magd  geht  ab.    Xanthias  zu  Dionys.) 
Du,  Junge,  i'olge  hinter  mir  mit  deinem  Pack! 
Dionys.     He,  wart'  einmal!  .  .  , 

Da  nimm  den  Bündel  wieder  auf  und  trag'  ihn  fort! 

Xanthias  ruft  alle  Götter  zum  Zeugen  an.  „Was  Götter!"  sagt 
Dionysos,  „die  Haut  herunter!"  Dionysos  ist  wieder  Herakles. 
Zwei  Höllenwirthinnen  hahen  ihn  erspäht  und  rufen  einander  zu: 
„Kommt  daher!  hier  ist  der  Schalk,  der,  als  er  jüngst  in  unsere 
Wirtlischaft  eingekehrt,  die  schönen  sechzehn  Brödchen  uns  ver- 
schlang!" Xanthias  reibt  sich  vergnügt  die  Hände:  „Einem  wird's 
hier  übel  gehn."  Erste  Wirthin:  „Und  ausserdem  die  zwanzig 
Würste"  .  .  .  Xanthias  reibt  noch  vergnügter:  „Einer  büsst  es 
heut."  Zweite  Wirthin:  Und  das  viele  Pöckelileisch  und  der 
frische  Käse,  „den  uns  der  Unhold  sammt  dem  Korb  hinunter- 
schlang!" Erste  (561  ff.): 

Und  als  ich  ihm  die  Zeche  dann  abforderte. 

So  sah  er  mich  ganz  grimmig  an  und  brüllte  los. 

Xanthias.    Die  Weise  hat  er,  also  treibt  ers  überall  .  .  . 

Die  Wirt  hinnen.    Und  zog  den  Säbel,  und  tobte  wie  ein  Rasender, 

Und  stürmte  fort  und  nahm  die  Binsenmatten  mit ! 

Xanthias.    Auch  diese  Weise  hat  er • 

Die  Wirthinnen  eilen  ab,  um  Kleon  und  Hyperbolos  zu  folgen, 
die  beide  im  Hades  als  Kechtsanwälte  angestellt  sind  (579  if.): 

Dionysos.    Ich  will  verflucht  seyn,  lieb'  ich  nicht  den  Xanthias! 
Xanthias.     Was  deine  Absicht,  weiss  ich:  lass  die  Worte  seyn, 

Ich  werde  nicht  Herakles  mehr! 
Dionysos.  Nicht  also  sprich. 

Mein  Xanthiaschen ! 

Xanthias  verschwört  Hals  und  Kopf,  „nehm'  ich  jemals  wiederum 
den  Schmuck  dir  ab."  Kaum  sind  sie  umgekleidet,  poltert  Aea- 
kos  mit  seinen  Knechten  herein:  „Auf  scimürt  ilin  schnell  zusam- 
men, diesen  Hundediel),  damit  er  büsse,  hurtig!"  Nun  sagt  Dio- 
nysos: „Hier  geht's  Einem  schlimm!"  (61511'.): 

13* 


IQß  Die  griechische  Komödie. 

Xanthias     (zu  Aeakos). 

Sieh,  einen  Vorschlag  mach'  ich  dir  als  Ehrenmann: 
Nimm  hier  den  Burschen,  folt're  den,  und  findest  du 
Mich  dann  im  Unrecht,  führe  mich  zum  Tode  hin!  —  — 

Aeakos.    Das  lässt  sich  hören!  .  .  . 

Dionysos  ist  keinesweges  dieser  Ansicht,  besinnt  sich  nicht  lange 
und  giebt  sich  als  „Göttei-sohn"  zu  erkennen.  „Gott  Dionysos, 
Sohn  des  Zeus,  und  der  ein  Sklave."  Xanthias  meint:  „Um  so 
mehr  wird  er  durchzupeitschen  seyn.  Wenn  er  Gott  ist,  fühlt  er 
die  Schläge  nicht.  Auch  kommt  es  ihm  auf  eine  Probe  nicht  an, 
wer  von  ihnen  beiden  im  Priigelaushalten  mehr  Gott  ist.  Aeakos 
findet  den  Vorschlag  gottvoll.  Und  nun  wird,  auf  die  Gottprobe 
hin,  von  Aeakos  abwechselnd  gottsjämmerlich  losgedroschen.  Dio- 
nysos will  den  Gott  herausbeissen  und  verbeisst  die  Schläge.  Xan- 
thias hat,  was  Prügel  anbetrifft,  längst  seine  Apotheose  hinter  sich 
und  kann  einen  Götterpuff  vertragen.  Dionysos  fängt  an  „scharfe 
Zwiebeln  zu  riechen",  und  schreit  ah!  viermal;  schluckt  jedoch 
die  Zwiebeln  hinunter.  Jetzt  kommt  aber  eine  Bolle,  die  ihn  in 
seine  Lieblingsstimmung  versetzt,  ins  Dithyrambische.  Aufschreit 
er:  „Apollon,  —  der  du  Delos  oder  Pytho  schirmst",  —  fasst  sich 
aber  und  lächelt  gottzwiebelselig:  „Nur  ein  Jambos  aus  Hipponax", 
meint  er,  „wäre  ihm  gerade  bei  dieser  Gelegenlieit  durch  den 
Kopf  gegangen."  (671  ff.): 

Xanthias  (zu  Aeakos).   So   schallst  du  nichts;    zerbhäue  lieber  ihm   den 

Wanst. 
Aeakos.     Zeus  weiss  es:  auf  denn,  strecke  deinen  Bauch  daher! 

Aeakos  schlägt  auf  den  Gottbakchosbauch.     Der  Weingott  ruft 

den  Wassergott,  Poseidon,  an,  etwas  Wasser  in  des  Höllenrichters 

feurigen  Wein  zu  mischen,  und  bedient  sich  dazu  einer  Stelle  aus 

Sophokles'  Laokoon: 

Dionysos.     ,, Poseidon,  —  " 

Xanthias.  Einem  that  es  weh! 

Dionysos.     ,,Der  du  waltest  am  Agäerstrand 
Oder  in  des  blauen  Meeres 
Tiefem  Grund!" 

Aeakos.     Ha  bei  Demeter!  Kann  ich's  doch  in  keiner  Art 

Ergründen,  wer  von  euch  der  Gott!  Nun  geht  hinein. 
Denn  unser  Herr  und  Persephassa  werden  euch 
Alsbald  erkennen,  da  sie  gleichfalls  Götter  sind. 


Die  Frösche.    Parabase.  197 

Dionysos.     Ganz  recht;  indessen  wünscht'  ich  nur,  du  wärst  zuvor 
So  klug  gewesen ,  eh'  du  mir  die  Schläge  gabst. 
(Alle  ab.) 

Hier  folgt  die  Prachtparabase  (675 — 737).  Wir  geben  ein  Stück 
daraus  pour  la  bonne  boiiche ;  einen  Theil  vom  Tbeile,  da  die  Pa- 
rabase der  Frösche  nur  die  zweite  Hälfte,  die  trochäische  Partie 
vorträgt,  den  antistrophischen  Theil,  Epin-hema  und  Antepirrhema. 
Die  anapästische  Partie  scheint  von  der  Parodos  (v.  316  ff.)  al)- 
sorbirt: 

Chorführer.      Wandle  mii-,  Muse,  heran  zu  den  heiligen  Chören  und  neige 

Dein  Ohr  meinem  Lied. 

Wohl  geziemt's  dem  frommen  Chore,  was  der  Stadt  Ge- 
deihen schafft, 

p]inzuschärfen  und  zu  lehren.     Und  vor  Allem  rathen  wir, 

Dass  ihr  gleichstellt  alle  Bürger  und  verbannt  die  Schreckens- 
zeit, 

Jedem,  der  gefehlt,  von  arger  List  umgarnt  desPhrynichos  •), 

Muss  es,  sag'  ich,  unverwehrt  sein,  wenn  er  da  gestrau- 
chelt hat, 

Durch  Verantwortung  zu  tilgen  seiner  alten  Fehle  Schuld. 

Weiter  mein'  ich:  ehrlos  darf  hier  Keiner  seyn  in  unsrer 
Stadt. 

Schimpflich  ist's  ja,  wenn  ein  Jeder,  der  zur  See  Einmal 
gekämpft, 

Gleich  Platäer  wü'd,  ein  Herr  wii-d,  wer  vordem  ein  Sklave 
war,  — 2) 

Was  ich  gar  nicht  tadeln  möchte,  dass  es  ungehörig  sey, 

Nein,  ich  lob'  es,  denn  allein  hier  habt  ihr 
euch  als  klug  bewährt;  — 

Doch  dabei  ziemt's  euch,  den  Bürgern,  die  mit  euch  so 
oft  zur  See 

Schon  gekämpft  sammt  ihren  Vätern,  euch  verwandt  durch 
Stamm  und  Blut, 

Nachzuseh'n  den  Einen  Unfall,  wenn  sie  flehn  um  diese 
Gunst. 

Auf  vergesst  denn  alles  Grolles,   ihr  so  weise  von  Natur, 


1)  Der  die  Schreckenszeit  der  Vierhundert  hatte  lierbeiführen  lieircn. 
—  2)  In  der  Seeschlacht  bei  den  Argmusischen  Inseln  (vor  Lesbos)  liatten 
die  Sklaven  tai)fer  initgcfochten  und  den  grossen  Seesieg  über  die  Spartcr 
erkämpfen  helfen.  Sie  erliielten  dafür  die  Freiheit  und  das  attLsche  Bür- 
gerrecht. 


J98  Die  griechische  Komödie. 

Lasset  ubs  die  Menschen  alle,  die  mit  uns  zur  See  gekämpft, 
Freudig  als  Verwandte  werben,  Bürgerund  an  Ehre  gleich ! 
AVenu    wir   hier    uns  überheben,     wenn   -wir  uns  hoffärtig 

bläh'n, 
Jetzt  zumal ,  wo  Sturm  und  Woge  schaukelnd  uns  im  Ai-me 

wiegt, 
Leben  wir  im  Mund  der  Nachwelt  nicht  dereinst  als  Weise 

fort    .     .     . 

Wie  gross  ist  diese  Komik ;  wie  mächtig  gTOSs  diese  Dichter 
und  wie  lächerlich  klein  unsere  tendeuzscheueu  Nebelingeu,  die 
Nebelzwerge  der  romantischen  Nebelkappen-Dramatik,  die  denn 
auch  Alles  unsichtbar  macht:  Poesie,  Geschichte,  Körper  und  Ab- 
druck des  Jahrhunderts,  und  deren  Zauberkraft  darin  besteht,  dass 
sie  das  Leben  in  sein  Anagramm  umkehrt. 

Die  zweite  Hälfte  der  Frösche,  die  Avunderl^arste  Kunstkritik 
als  Komödie,  die  Psychostasie,  die  Kunstseelenwägung  der  beiden 
Tragiker,  haben  wir  bereits  in  unserer  Besprechung  desEuripides 
gewürdigt.  Die  Komödie  schliesst  mit  der  Zurück-führung  des'Ae- 
schylos  durch  Dionysos,  nicht  des  Euripides,  in  die  Oberwelt  nach 
Athen,  um  durcli  weisen  liath,  wie  Pluto's  Geleitsegen  lautet,  „die 
uns  geliebteste  Stadt  zu  retten." 

Die  Ekklesiazusen  CE-KyckrjOtcc^ovoai,  Weibervolksver- 
sammlung), Ol.  97,  1=392.  Die  Bestimmung  der  Auffülirungs- 
zeit  beiTiht  auf  einem  Schol.  Eccl.  195,  wonach  das  (v.  195  f. 
Eccles.)  berührte  Bündniss  zwischen  Athen,  Theben,  Korinth  und 
Argos,  einer  Angabe  des  Philochoros  .gemäss,  Ol.  96,  3  =  394, 
zwei  Jahre  vor  der  Auftührung  der  Ekklesiazusen,  wäre  abge- 
schlossen worden. 

Das  Problem  dieser  dritten  von  Aristophanes'  Weiber-Komö- 
dien muss  uns,  die  wir  das  Thema,  als  zeitgeschichtliche  Frage, 
das  gegenwärtige  Geschlecht  lebhaft  beschäftigen  sahen,  von  allen 
Komödien-Motiven  des  Alterthums  das  überraschendste  und  das 
unserem  Jahi'hundert  waldverwandteste  scheinen.  Frauen-Eman- 
cipation,  Frauen-  und  Gütergemeinschaft,  um  solche  Fragen  be- 
wegt sich  diese  WeiberhciTschafts- Komödie.  Nicht  etwa  blos 
theoretisch,  in  Form  eines  lustigen  Fraueneinfalls,  Plans  und  An- 
schlags; nein  praldisch  durchgeführt,  als  Handstreich  von  den 
Frauen  selbst  den  Männern  über  den  Kopf  weg,  die  es  sich  schliess- 
lich —  und  das  ist  des  Spasscs  lustigste   Spitze  —  gefallen  las- 


Aristo]jliaücs'  Ekldesiazusen.     Praxagora.  |99 

seu.  Gewiegte  deutsche  Gelelu'te,  Sclileiermaclier  V?  Bergk  '^) ;  vor 
ihnen  Morgenstern  ^j ,  und  noch  Glypheus  ■*),  haben  in  dieser  Ko- 
mödie eine  Parodie  des  Platonisclien  Staats  vermuthet,  eines  Wer- 
kes, das  zur  Zeit  der  Auflulirung  derselben  noch  gar  nicht  exi- 
stirte.^)  Gesteht  doch  Piaton  selbst  **)  dem  Aristophanes  die  Prio- 
rität zu,  wenn  er  dergleichen  Grundsätze,  wie  Gemeinschaft  der 
Frauen  u.  s.  w.,  gegen  die  Verspottung  der  Komiker  verwahrt,  die 
sie  lächerlicli  dargestellt  hätten.'')  Aristophanes'  Frauen  haben 
niclit  nur  ihren  Männern,  l)ei  nachtschlafender  Zeit,  zugleich  mit 
den  Kleidungsstücken  die  praktische  Lösung  der  Frage  über  den 
Kopf  weggenommen;  und  nicht  blos  dem  Piaton,  sondern  auch 
den  Communisten  und  Socialisten  neuerer  Zeit.  Baboeuf,  Saint 
Simon,  Gäbet,  Proudhon  und  Madame  Sand  sind  von  der  Bürge- 
rin Praxagora  und  ihren  Mitschwestern  in  der  Selbstemancipa- 
tion  schon  392  vor  Cln-.  überholt  worden.  Ja  Aristophanes'  Weiber 
haben  diese  Theoretiker  in  den  äussersten  Consequenzen  des  po- 
litisch socialen  Princips  üljerliügelt,  deren  praktischen  Werth  sie 
durch  die  unmittelbare  über  Nacht  erfolgte  Verwirklichung  be- 
wiesen. Den  Fundamentalsatz  der  Communisten  und  Socialisten: 
Eigenthum  ist  Diebstahl,  trägt  Praxagora,  gleich  bei  ihrem  nächt- 
lichen Heraustreten  aus  dem  Hause,  in  den  ihrem  schlafenden 
Manne  gestohlenen  Kleidungsstücken  unter  dem  Arme.  Mit  des 
Mannes  Hose  —  nach  unserer  Kleiderordnung  —  hat  sie  zugleich 
die  Zügel  der  Herrschaft  ergriffen.  Die  That  geht  hier  der  Theo- 
rie voran,  die  ihr  erst  V.  590  nachhinkt.  Als  Blepja'os,  Pra- 
xagora's  Gatte,  mit  der  Diogenes  -  Laterne  seine  Hosen  sucht 
und  in  ilmen  den  Mann,  ist  schon  am  frülien  Morgen  die 
Staatsumwälzung  erfolgt.  Dank  der  Stimmenmehrheit,  welche 
die  als  ))äi-tige  Männer  verkleideten  Frauen  auf  der  Pnyx  durcli 
UebeiTumpelung  erlangt.  Jetzt  erst  trägt  Praxagora  ihrem  eheli- 
chen Ohnehosen  den  Fundamentalsatz  theoretisch  vor  in  Ana^tästen: 

Icli  will,  daös  Alles  Gemeingut  sey,  das.s  Jegliches  Allen  gehöre, 


1)  Piatons  Werke  B.  2,  1.  S.  2ü.  -  2)  Rel.  Com.  att.  p.  81.  404.  — 
3)  De  Piaton.  Rop.  Hai.  1794.  —  4)  Aristoph.  Wcibervolksvers.  Nebst  einer 
Abhandlung  über  Veranlassung,  Absicht  und  DarstcHung  d.  .Stücks.  Stuttg. 
1836.  -  5)  C.  Fr.  Hermann  De  Uep.  Plat.  tempurib.  Marb.  182!». --ü)  ßep. 
V.  p.  453.  457.  —  7)  Vgl.  Bude  a.  a.  ().  3(52,  2. 


200  I^iö  griechische  Komödie. 

Dass  Alle  sich  nähren  von  Einem  Besitz ,   —  nicht  Dürftige  geh'   es  und 

Keiche     .     .     . 
— Allen  gemeinsam  mach'  ich  und  Eins  und  gleich  in  Allem  das 

Lehen. 

Aufs  erschöpfendste  wii'd  die  Doctrin  zwischen  ihr  und  ihrem 
Manne,  nach  allen  Seiten,  ventilirt.  Die  Scene  enthält  die  ganze 
Kritik  dieser  Frage,  und  wird  die  Frauen-  und  Güter-Gemeinschaft 
insbesondere  von  Praxagora  so  lichtvoll  entwickelt  und  Freiheit, 
Gleichheit,  Brüderlichkeit  und  Schwesterlichkeit  für  Alt  und  Jung, 
Schön  und  Hässlich ,  so  gleich  massig  alige  wogen  und  vertheilt, 
dass  Blepyros,  als  ihm  vollends  Praxagora  einen  Vorschmack  von 
dem  gemeinsamen  Tafeln  und  Schmausen  giebt  und  ihm  das  Bild 
der  Tafelfreuden  so  reizend  ausmalt  wie  möglich,  Hose  und  Re- 
giment auf  dem  Altar  der  Frauen-  und  Schüsselgemeinschaft 
opfert,  mit  hosenfreiem  Hochgefühle  begeistert  ausrufend  f 725 ff.): 
Wolüan! 

Ich  folge  dii-  jetzt  immer  auf  der  Ferse  nach, 
Dass  aUe  Leute  schau'n  nach  mir  und  rufen :  ,,seht, 
Seht  unsrer  Fürstin  Ehgemahl!  Bewundert  ilm!" 

Zu  den  lustigsten  Situationen  giebt  das  Alter -Vorrecht  in 
Liebessachen  zwischen  alten  Koketten  und  jungen  Mädchen  An- 
lass.  Wir  erhalten  dadurch  eine  Fenster-Scene ,  in  welcher  man 
das  Vorbild  zu  'den  reizenden  Balkon-  und  Ständchen -Scenen  in 
den  Operetten  des  vorigen  Jahrhunderts,  eines  Sedaine,  Fiorivante 
und  selbst  des  göttlichsten  aller  Meister,  Mozaiis,  finden  könnte, 
dieses  Oi-pheus-Aristophanes.  Ein  altes  geschmücktes  Weib  er- 
scheint am  Fenster;  am  Fenster  gegenüber  ein  junges  Mädchen, 
beide  des  Trauten  harrend,  liebeschmachtend.  Die  Alte  im  Kro- 
kosröckchen  trällert  vor  sich  hin  ein  Liebeslied  (877 ff.): 

Musen,  schwebt  herab  auf  meinen  Mund 

Und  haucht  in  Jonerweise  mir  ein  Liedchen  ein  .  .  . 
(singt  zur  Flöte:) 

Wünscht  es  Einer  gut  zu  haben, 

Muss  er  ruh'n  in  meinen  Armen; 

Die  verstehen  Nichts,  die  Jungen, 

Wir  verstehen's  allein,  die  Reifen, 

Keine  küsst  und  herzt  so  brünstig 

Ihren  Freund,  als  ich  den  Schatz, 

Der  mir  im  Arm  ruht; 

Nein,  sie  flattert  stets  zu  neuen. 


Ekklesiazusoii.     Ständchen-Terzett.  201 

Das  Mädchen    (singt) 

Schmähe  nicht  auf  uns,  die  Jungen! 
Denn  die  süsse  Lust  der  Jugend 
Haucht  um  die  zarten  Hüften, 
Und  umhlüht  die  schwellenden  Aepfel. 
Du  Greisin 

Liegst  geschniegelt,  übertüncht  da, 
Eecht  wie  die  Braut  des  Todes. 
Die  Alte.     —    —    _    —    ^    —    —    —    —    — 


Dass  du  eine  Natter  im  Bette 
Fändest  und  an  dich  heranzögst. 
Wenn  dich  nach  Küssen  lüstet! 
Das  Mädchen.   Weh  mir,  weh!  Wie  geschieht  mir  noch? 
Noch  nicht  kommt  mein  Trauter ; 
Allein,  einsam  harr'  ich  hier; 
Denn  meine  Mutter  ist  ausgegangen 
Und  nun.  —  was  Weit'res  zu  sagen  brauch'  ich  nicht. 
Amme,  ja,  den  Orthagoras  i), 
Ach,  ruf  ihn  her !  .  .  . 

Ein  Jüngling  tritt  auf  (938 ff.): 

Der  Jüngling    (singend) 

Dürft'  ich  doch  mit  der  jungen  Dirne  kosen. 

Nicht  erst  einer  verschrumpften  alten  Hexe 

Noch  einem  Stumpf  mehr  mich  nahen  .  .  . 
Die  Alte     (am  Fenster) 

Da  kommt  der  Holde  selbst  heran,  von  dem  ich  sprach! 

Hier  herein,  hier  herein, 

Trauter  Schatz,  komm  herein  .  .  . 

Mich  stürmt  das  Verlangen  umher, 

Kind  nach  deinem  Lockenhaar; 

Ungestüm  drängt  die  Sehnsucht  mein'  Herz, 

Die  inich  verzehrend  umfangen  hält  .  .  . 
Der  Jüngling   (zu  dem  Mädchen  hinauf) 

Koiiiin  heran,  komm  heran,  steige  doch 

Zu  mir  herab  und  öffne  mir  die  Pforte!  .  .  . 

Trautestes  Mädchen,  ich  Hebe, 

Thu'  auf,  umarme,  küsse  micli ! 

Um  dich  leid'  ich  Pein. 

Mein  goldner  Schatz,  meiner  Gedanken  Wonne, 

Kind  Aphrodite's, 

Der  Musen  Biene,  du,  der  Huld- 


1)  Ihren  Komeo. 


202  t>ie  griechische  Komödie. 

Göttinnen  Pflegling  —  — 
Thu  auf,  uinanne,  küsse  mich! 
Um  dich  leid'  ich  Pein.     (Er  pocht.) 

Die  Alte  öffnet  die  Thüre.  Sie  bemächtigt  sich  seiner.  Er  sträubt 
sich  mit  Händen  und  Füssen:  heute,  meint  er,  sey  nicht  die  Reihe 
an  den  üebersechzigjährigen : 

Was  unter  zAvanzig  wird  von  uns  jetzt  abgemacht. 

Er  wäre  verloren,  käme  ihm  nicht  eine  zweite  Alte  zu  Hülfe,  noch 

scheussHcher  als  die  erste  und  noch  gesclmiinkter.    Diese  zieht 

gleich  eine  Rolle  hervor,  den  „Volksbeschluss ,  wonach  er  ilir  zu 

folgen  hat"  und  liest  ilim  denselben  vor.     Das  Mädchen  befreit 

ihn  von  dem  Scheusal.    Eine  dritte,  vierte  Alte  kommt.  Es  hängt 

Gewicht  sich  an  Gewicht,   eine  hässlicher  als  die  andere.     Als 

die   Vierte   sich    entschleiert,    ruft   der  Jüngling   mit  Entsetzen 

(loeSff.): 

Hilf,  Herakles! 

Ihr  Korj'banten,  Pane,  Dioskuren,  helft! 

Viel  grauser  noch  ist  diese  Pest,  als  jene  dort. 

Was  ist,  um's  Himmel  willen,  das  für  ein  Ungethüni? 

Ein  Affe  wohl,  mit  lauter  Bleiweiss  überschmiert? 

Ein  altes  Weib,  das  aus  dem  Hades  auferstand? 
Die  vierte  Alte.     Lass  dein  Gespött  und  folge  mir! 
Die  dritte  Alte.  Nein,  folge  mii-!  .  .  . 

Jüngling.     Ihr  reisst  mich  noch  in  Stücke,  verwünschte  Hexen  ihr! 
Die  dritte.     ]Mif,  mir  zu  folgen  hast  du  dem  Gesetze  nach. 
Die  vierte.    Nein,  mir;   den  Vortritt  hab'  ich  als  die  Hässlicliste  .  .  . 

Eine  betrunkene  Magd  der  Praxagora,  Blepyros  und  der  Weiber- 
chor beschliessen  die  Komödie.  Sie  laden  das  ganze  Publicum 
zum  Abendsclimaus.  Die  Chorführerin  fordert  den  Blep}T0s  auf, 
sich  ein  Mädchen  zu  nehmen,  und  wendet  sich  dann  an  die  Preis- 
richter im  Publicum  (11 54 ff.): 

Nur  eine  Mahnung  ruf  ich  jetzt  den  Richtern  zu : 
Erst  den  Weisen,  meiner  Weisheit  eingedenk  zu  krönen  mich, 
Dann  den  Lachern,  weil  ich  ihnen  Spass  genuicht,  zu  krönen  mich, 
Und  somit  beschwör'  ich  Alle,  wohlgeneigt  zu  krönen  mich. 

Das  klingt  wie  ein  Ghazel  von  Haiis.  Die  Chorführerin,  im  Na- 
men des  Dicliters,  fährt  fort: 

Lasst  uns  auch  nicht  das  entgelten,    dass  zuerst  uns  traf  das  Loos, 


Ekklesiaziisen.    Fraucneniancipation.  203 

Aufzuti'eten;  nein,  gedenkend  alles  dessen,  müsset  ilu' 
Ueber  unsre  Chöre  richten,  stets  gerecht,  dem  Eide  treu. 
Ahmet  nicht  der  argen  Sitte  schnöder  Buhlerinnen  nach. 
Welche  nur  im  Sinn  behalten,  wer  zuletzt  mit  ihnen  war. 

Das  Loos  entschied  also,  v/ie  schon  erinnert  worden,  die  Reihe- 
folge, in  welcher  die  Wettkämpfer  mit  ihren  Stücken  vorgingen. 
Der  frische  Eindruck,  den  der  letzte,  der  dritte,  mit  seinem  Stücke 
zurücklässt,  war  eine  Gunst  des  Zufalls,  den  die  Chorführerin  den 
Preisrichtern  zu  erwägen  gieht.  Der  erste  Halbchor  erinnert  nun 
daran,  dass  sie  „hin  zum  Schmause  tanzen."  Zweiter  Halb- 
chor (gegen  die  Zuschauer  gewendet): 

Ha,  sie  kau'n  schon  los  darauf. 
Und  tanzen  jauchzend  davon. 

Hinsichtlich  des  Chors  ist  noch  zu  bemerken,  dass  er  der 
eigentliche  Schauspieler  in  dieser  Komödie  ist,  und  Praxagora 
zugleich  Chorführerin  und  Protagonistiu.  Die  Frauen  erscheinen 
in  corpore  gleich  zu  Anfang  auf  der  Bühne,  nicht  als  Chor,  son- 
dern als  Schauspielerinnen;  führen  jedoch,  nicht  in  der  üblichen 
Zahl  von  höchstens  drei  Sprechern,  sondern  ihrer  zehn  das  Ge- 
spräch, die  Wechselreden  in  Weise  von  Choreuten  tauschend. 
Erst  im  zweiten  Acte,  wo  die  Frauen  von  der  Pnjrx  zurückkehren, 
erscheinen  sie  als  Chor  in  der  Orchestra,  und  halten  eigentlich 
nun  erst  ihre  Parodos.  Die  Paral)ase  fehlt.  Das  socialistische  Mo- 
tiv hat  gleichsam  das  politische  absorbirt.  In  Bezug  auf  jenes 
ist,  im  Vergleich  zum  Emancipationsbcgriffe  der  Neuzeit,  der  Un- 
terschied festzuhalten:  dass  der  griechische  Komiker  die  Absur- 
dität der  vom  Communismus,  als  auszuführendes  Problem,  aufge- 
stellten Forderung  an  einer  thatsäclilichen  Verbeispielung  nach- 
weist und  lächerlicli  macht;  mit  einem  ])edeutsamen  Fingerzeige 
jedoch  auf  den  Ursprung  solcher  Pseudo-Probleme,  als  Auswüchse 
entarteten  Mannt hums  und  eines  in  der  Auflösung  begi-ilfenen 
Staatswesens.  Frauenhen-schaft,  Frauenemancipation,  im  Sinne 
jener  Doctrin,  ist  dem  Komiker,  wie  jeder  gesunden  Auflassung 
des  Staats-  und  Familienwesens,  nichts  anderes  als  die  Ausge- 
burt sittliclier  p]ntmaiinung;  das  Aftorgebilde  eines  aus  der  Art 
geschlagenen,  in  gemeine  Genusssuclit  und  Sinnenlust  versunkenen 
Männergesclüechts.     Frauenherrschaft  und  lustgekneclitetes  Mann- 


204  l^i^  g-riochische  Komödie. 

thum  stehen  in  so  nothwendig-er  Wechselbeziehung,  wie  Omphale 
in  der  Löwenliaut  mit  einem  Herakles  am  Kimkel  in  der  Weiber- 
haube. Mit  der  HeiTschaft  der  Genusssucht  ist  schon  die  Frauen- 
heiTSchaft  volll)racht.  Und  allzeit  und  überall  wird  ihr  Thron 
auf  den  Trümmern  derMannheit  aufgerichtet.  Die  George-Sand' sehe 
Frauenemancipation  ist  der  Bienenstaat  im  Löwenaas. 

Aus  den  Fragmeuteu  der  32  Komödien,  die  Bergk^),  der 
43,  die  Meineke-),  der  52,  die  Kanke^)  dem  Aristophanes  zu- 
schreibt, kurz  aus  den  Fragmenten  der  schliesslich  auf  41  festge- 
stellten Gesammtzahl  von  Aristophanes'  untergegangenen  Komödien 
lässt  sich  von  den  wenigsten  auch  nur  der  ungefähre  Inhalt  er- 
kennen, und  nur  von  vieren  derselben  die  Aufführungszeit  be- 
stimmen. Diese  vier  Komödien  sind:  Die  Zecher  (.daiTaXeig) 
Ol.  88,  2  =  427  von  Philonides  auf  die  Bühne  gebracht.  Es  Avar 
bereits  von  ihnen  die  Rede.  Die  Babylonier  Ol.  88,  3  =  426. 
Didaskalos  Kallistratos.  Ebenfalls  schon  erwähnt.  Der  Proagon 
(die  Vorfeier  oder  das  Vorspiel)  Ol.  89,  3 -=422.  Eine  muth- 
maassliche  Parodie  auf  die  von  Emipides  in  den  Kreterinnen  be- 
handelte Thyestessage ,  mit  Euripides  als  Hauptrolle.  Dass  Phi- 
lonides mit  dem  Proagon  die  Wespen  besiegte,  ist  schon  mitgetheilt. 
Der  Amphiaraos,  Ol.  91,  3^114  gespielt  in  den  Lenäen, 
zwei  Monate  vor  den  Vögeln.  Die  Aschen-Propheten  als  Reliquien- 
Sammler  weissagen  rückivärts  aus  der  Fragmenten -Asche  des 
Sehers  Amphiaraos,  dass  diese  Komödie  des  Aristophane's  die  Tra- 
vestie einer  gleichnamigen  Tragödie  gewesen,  mit  Beziehung  auf 
Kiiegsereignisse  der  Gegenwart. 

Die  unsterblichen  Reste  der  Holkaden  (Lastschifte)  und  der 
Gorgonen  (Landleute),  sehnen  sich  nach  Ruhe;  jene,  versunken 
im  Meere  der  Vergessenheit;  die  „Landleute"  nach  Grabesfrieden 
in  ländlicher  Abgeschiedenheit.  „Die  Sehnsucht  nach  den  Seg- 
nungen des  Landlebens  spricht  sich  deutlich  m  ihnen  aus"  —  so 
sey  Dmen  die  Landerde  leicht;  lassen  wir  sie  ruliig  darunter  mo- 
dern. Li  den  Heroen  vernmthet  man  den  Contrast  der  attischen 
Vorzeit  mit  der  Gegenwart.  Die  Frauen,  welche  die  Thea- 
terplätze vorwegnehmen  {2-Krjva^  %aTala(.ißdvovoai),   nah- 


1)  Aristoph.  fragui.   Brl.   Jb4(».   p.   13.  —   2)  T.  2,  2  p.  901.  —   3)  de 
Aristoph.  Vita  p.  (^CCXII  tt". 


Aristophanes'  verlorene  Komödien.  205 

men  wahrscheinlich  die  Plätze  in  der  Komödie  in  Beschlag,  von 
welcher  sie  angeblicli  ein  Gesetz  ausschloss,  das  Niemand  kennt 
und,  „wie  sich  wohl  annehmen  lässt",  in  falschen  Barten  und  in 
Männerkleidern,  ähnlich  wie  die  Weiber  in  den  Ekklesiazusen  die 
Pnyx  besetzen.  Was  sie  aber  im  komischen  Theater  durchsetzen 
wollten, „steht  dahin."  Die  Lemnierinnen,  Anagyros,  Tri- 
phaies, sind  drei  Titel  mit  sieben  Siegeln.  Ueber  die  Komödie 
Gerjtades  hat  Athenäos ')  einige  Notizen  aufbewahrt,  woraus 
sich  ergiebt,  dass  die  Scene  in  der  Unterwelt  spielte,  „wohin  drei 
ausgehungerte  Poeten,  Sannyrion,  Meletos  und  Kinesias,  als  Re- 
präsentanten einer  dreifachen  Kunstübung,  der  Komik,  Tragik  und 
Dithyrambik,  von  ihren  lebenden  Mitbrüdern  gesandt  worden,  um 
daselbst  die  abgemagei-te  Poesie  mit  den  Phrasen  der  verstorbe- 
nen Dichter  wieder  zu  stärken  und  zu  kräftigen.  Charon  hatte 
seine  Noth,  die  drei  winzigen  Gestalten  ohne  Ballast  über  den 
PTuss  zu  schiffen.  Sie  waren  so  hungrig,  dass  sie  das  Wachs  von 
ihren  Beglaubigungstäfelchen  unterwegs  verzehrt  hatten."  2)  Die 
drei  Hungrigen  leben  in  den  Reliquiensammlern  fort,  als  welche 
sie  nun  die  Beglaubigungstäfelchen  selbst  verspeisen.  Im  Däda- 
los  bemächtigt  sich,  mit  Hülfe  dieses  Attrappen-Künstlers,  Zeus 
durch  immer  neue  Verwandelungen  der  Leda.  Vermuthlich  war 
der  Schwan  das  männliclie  Seitenstück  zu  der  hölzernen  Kuh  des 
berülmiten  Ki-etensischen  Hof-Mechanikers.  Die  Danaiden  gel- 
ten für  eine  Parodie  der  Tragödie  gleichen  Namens.  Die  Dramen, 
meint  man,  enthielten  ein  Drama  im  Drama,  wie  Hamlet's  „Mause- 
falle" solch  eines  ist;  mit  dem  Unterschiede,  dass  Aristophanes' 
Mausefalle  mit  Mann  und  Maus  zu  Grunde  ging;  das  Drama  mit 
dem  Einschluss(h'ama  zusammen.  Üb  die  Pelarger  älteste 
Ackerbürger  von  Hellas  oder  Störche  waren,  wissen  die  Frag- 
menten-Forscher  nicht,  da  der  Titel  beides  bedeuten  kann.  Der 
Polyeidos  hatte  ehien  Walirsager  zum  komischen  Helden,  der 
den  jungen,  in  einem  Syrupfass  ertrunkenen  Königssohn  Glaukos, 
Prinzen  von  Kreta,  ins  Leben  zurücla'ief.  Ob  darin  auch  der  Hof 
von  Kreta,  als  Clior  von  Höflingen,  vorkam,  die  den  Priiizen  trocken 
leckten,  davon  melden  die  Fragmente  nichts.  Die  Tage  nisten 
{TayrjviaTul  \on  tüytjvo)'  SchmorpHanne)  scheinen  mit  der  Sclima- 


i)  XII,  551  A.  VII,  307 E.  —  2)  Bergk  j).  Il7ir.  Bude  371,  8. 


206  -^i^  griecMsche  Komödie. 

rotzer-Komödie  verwandt.  In  den  Te  Im  ossiern  mochten  Künste 
der  Waln-sager  verhandelt  Avorden  seyn,  laut  Titel,  der  auf  die 
Bewolmer  von  Telmossos  (St.  in  Lykien)  gehen  kann,  die  besten 
Traumdeuter  ihrer  Zeit.  Was  können  die  Phönissen  anders 
gewesen  seyn,  als  eine  Parodie  von  Euripides'  Ti'agödie  gleichen 
Namens?  Stoff  dazu  und  Angriffspunkte  l)ot  sie  reichlich  dar.  Ob 
die  Hören  die  Tendenz  von  Kratinos'  gleichnamiger  Komödie 
hatten,  wie  Welcker  ^)  glaubt,  steht  wieder  dahin.  Aristophanes' 
Hören  sollen,  als  Chor,  den  Streit  altattischer  Gottheiten  mit  dem 
in  Athen  aufgenommenen  Dienste  phiygischer  Gottheiten,  der 
Kotytto,  des  Sabazios  u.  dgl.  m.  begleitet,  und  der  Streit  mit 
der  Exmission  der  letztern  geendet  haben. 

KokalosundAeolosikon  Messen,  wie  schon  erwähnt,  die 
beiden  letzten,  aber  nicht  von  ihm  selbst  aufgefühi-ten  Dramen 
des  Aristophanes.  Beide  trat  er  seinem  Sohne  Aratos  ab,  der  sie 
(bald  nach  Ol.  98,  1  =388)  unter  eigenem  Namen  auf  die  Bühne 
brachte.  Im  Aeolosikon  erkannten  die  Alexandrinischen  Kritiker 
den  Charakter  der  mittlem,  im  Kokalos  den  der  neuen  attischen 
Komödie.  Der  Kokalos  spielte  im  Hause  des  Königs  Kokalos  in 
der  sikelischen  Stadt  Kamikos,  und  hatte  die  Verfolgung  des  Dä- 
dalos  durch  Minos,  König  von  Kreta,  zum  Gegenstaude.  Da  das 
Stück  Verführung,  Erkennung  u.  s.  w.  erhielt,  rechnet  es  die  Vita-) 
zu  der  Meuander-Komödie.  Auch  soU  PhUemon  den  Kokalos  in 
seinem  H3^)obol}^näos  benutzt  haben. ^)  Aeolosikon,  wie  schon 
berichtet,  war  eine  Travestie  von  Euripides'  Aeolos.  Im  Titel  hat 
Gravert*)  eine  Zusammensetzung  von  Aeolos  und  vom  Koch  Si- 
kon  erkannt. 

Mittlere  attische  Komödie  (jj  fj-eat]  mof.updla). 

Ihre  Blütliezeit  fällt,  nacli  Meineke^),  in  den  Zeitraum  von  Ol.  97 
bis  Ol.  1 10,3=388;  eine  Periode  von  etwa  vierzehn  Olympiaden,  die 
zwischen  dem  Abschluss  des  pelopomiesischen  Krieges  und  der 
Schlaclit  von  Chäroneia  liegt.  Diese  Geschichtsepoche  bezeichnet 
für  den  attischen  Staat  eine  üebergangskrise  von  demokratischer 
HeiTSchaft  und  Freilieit  zum  Verluste  nationaler  Selbstständigkeit ; 

1)  Rhein.  Mus.  1838.  S.  58.5.  —  2)  p.  .544,  25.  —  3)  Clem.  Alex. 
Strom.  VI.  ]).  752.  —  4)  Nicbuhr's  Rhein.  Mus.  1828.  S.  59ff.  —  5)  Quaest. 
scen.  II.  1».  2. 


Mittlere  attische  Komödie.  207 

eine  Uebergangsphase  von  oberherrliclier  Volksmajestät  zur  djna- 
stischen  Familienherrschaft  halbharbarischer ,  (Uirch  asiati- 
schen Einfluss  entarteter  Truppenführer  (Diadochen;,  die  das  west- 
östliche Weltreich  des  grossen  Alexander  in  Ideine  Löwenautheile 
zerfleischten.  Gleichergestalt  bildet  die  mittlere  attische  Komödie 
nur  eine  Uebergangs-Abart  zwischen  der  grossen  erloschenen  Ko- 
mödie Staats-  und  volksfreier  01)erheit  und  der  kleinen  Haus-  und 
Hof-Komödie  des  Privat-  und  Familienlebens,  der  sogenann- 
ten neuen  Komödie  (jy  vsa),  welche  auch  die  neuere  und  neueste 
geblieben;  als  deren  Begründer  und  Meister  Menandros  durch  alle 
Zeiten  gefeiert  wird,  und  die  noch  heutigen  Tags  als  die  allein 
mid  ausschliesslich  gültige  sich  behauptet.  Schon  A.  W.  Schle- 
gel h  hat  die  mittlere  attische  Komödie  nur  als  eine  Uebergangs- 
form  betrachtet.  Diesen  schwankenden  Mittelcharakter  derselben 
hebt  auch  0.  Müller^)  hervor.  Ebensowenig  lassen  sich  feste 
Grenzpunkte  für  sie  bestimmen.  Tzetzes  zälilt  denn  auch,  ausser 
dem  Komiker  Piaton,  den  Kratinos,  Eupolis,  Pherekrates,  Aristo- 
phanes  u.  s.  w.  zur  mittlem  Komödie "O,  auf  Grund  solcher  Stücke 
offenbar,  die  als  Zwischengattung  den  Charakter  dieser  Gattung 
tragen,  deren  Wurzel  in  der  altsikelischen  Komödie,  in  der  Ko- 
mödie des  Epichannos,  zu  suchen. 

Betrachten  ^vir  die  mittlere  attische  Komödie,  soweit  solches 
die  Bruchstücke  gestatten,  in  Bezug  auf  Stoff  und  Form,  so  wird 
sich,  dem  Angedeuteten  zufolge,  auch  nur  ein  ZAvittercharakter 
derselben  von  vorwaltend  negativer  Beschaffenheit  ergeben.  In 
Ansehung  des  Stoffes  ist  sie  auf  Enthaltung  von  aller  persönli- 
chen, insbesondere  gegen  politische  Charaktere  gericliteten  Satire 
angewiesen.  Andererseits  hat  sich  diese  Mittclgattuug  noch  nicht 
zur  Familien -Komödie  entwickelt.  Nach  beiden  Richtungen  liin 
also  zwischen  zwei  Inhaltslosigkeiten  schwebend,  zwischen  der 
Entfremdung  vom  öffentlichen  Staatslebeu  und  dem  Unvermögen 
sich  zur  Familienkomödie  zu  erschliessen ,  musste  ihr  Spielraum 
nothwendigei-weise  auf  allgeineiiie  Zustände,  auf  ein  Absehen  eben 
vom  Besondern  und  Persönlichen,  ))eschränkt  bleiben.  Staat  und 
Haus,  Gemeinwesen  und  Familie,   blieben  ihr  verschlossen:  wo 


1)  Vorles.  I,   329.  —  2)  Gesch.  d,  hell.  Lit.  11,  2üs.  -  .i)  Craiu.  Aiiecd. 
üxüii.  T.  3.  p.  337,  I. 


20S  I^ie  griechische  Komödie. 

wird  sie  nun  ihre  Stätte  aufschlagen  ?  Wie  sie  selbst  eine  Mittel- 
stellung einnimmt,  so  wird  sie  aucli  nur  au  eiuer  Zwischensta- 
tion gleichsam  verkehren,  sich  nur  einen  provisorischen  Aufent- 
halt erobern,  ihre  Palästra  nur  auf  einem  Tummelplatze  finden 
können,  der  ähnlich  zwischen  öffentlichem  und  häuslichem  Ver- 
kehrsleben die  Mitte  hält:  die  Strasse,  den  offenen  Markt.  Die 
mittlere  Komödie  ist  die  Komödie  des  öffentlichen  Strasseulebens 
und  Markttreibeus,  die  Komödie  des  halb  müssigen,  halb  bürger- 
lichen Geschäftstreibens  in  häuslichen  oder  Gewerbs-Angelegen- 
heiten.  Ihre  Figuren  sind  daher  auch  Markt-  und  Strassentypen ; 
Gattungsfiguren  des  Strassenverkehrs,  öffentliche  professionelle 
Charaktei't3T)en  nach  Ständen,  Handwerken  und  Gewerben:  Phi- 
losophen, Köche,  Fischhändler,  Schmarotzer,  Hetären;  in  jener 
Zeit  sämmtlich  öffentliche  Personen,  Stadt-  und  Ständefiguren. 
Der  Allgemeinheit  ihrer  Personen  entsprechend,  ist  die  Sitten- 
schilderung  und  die  Satire  in  dieser  Komödie  gehalten.  Namliaft 
verspottet  kamen  in  der  Regel  nur  verstorbene  Berühmtheiten 
vor.  Die  AugTifle  auf  Lebende,  auf  Philosophen  und  Sophisten 
des  Tages  z.  B.,  sind  nicht,  wie  die  des  Aristophanes  gegen  So- 
ki'ates,  auf  die  Gemeinschädlichkeit,  sondern  scherzhaft  gegen  ihre 
Spitzfindigkeiten,  ihr  äusserliches  Wesen  und  Gebahren  gerichtet. 
So  z.  B.  im  Pythagoristen  {llvd-ayoQiöci.c)  von  Aristophon, 
einem  Dichter  der  mittlem  Komödie.  Hier  beschränkt  sich  die 
Satire  auf  Verspottung  der  ünsauberkeit,  der  schäbigen  Mäntel 
der  Pythagoräer,  die  aber  gleich  den  harmlosen  üngiimpf  mit  der 
Entschuldigung  ihrer  Armuth  wieder  gut  macht.  „Setz  ihnen 
aber  nur  eine  gute  Schüssel  Fleisch  oder  Fisch  vor,  und  ich  will 
zehnmal  gehängt  seyu,  wenn  sie  nicht  alles  begierig  verschlingen 
und  mit  den  Bissen  ihre  Finger  dazu".  0  In  einem  andern  Frag- 
ment des  Dichters  F^pikrates-j  werden  akademische  Schüler  des 
Piaton,  Speusippos  und  Menedemos,  wegen  der  grübelnden  Verle- 
genheit verspottet:  in  welche  Klasse  von  Geschöpfen  oder  Vege- 
tabilien  die  Koloquinte  zu  bringen  sey.  Das  einzige  Bittere  in 
dieser  Satire  ist  die  Koloquinte.  Der  vorzüglichste  Dichter  der 
mittlem  Komödie,  Antiphanes,  macht  sich,  in  einem  Gespräch 
zwischen  Vater  und  Sohn,  über  das  syllogistische  Kauderwelsch 

1)  Mein.  fr.  Com.  gr.  iU.  p.  302.  fr.  III.  —  2)  Das.  III.  p.  370. 


Die  Hetäre  der  mittleren  Koiiiiklie.  209 

der  Sophisten  in  seiner  Komödie  Kl eop ha nes  lustig,  ohne  einen 
Namen  zu  nennen,  i)  Die  satirische  Geissei  wird  in  der  mittlem 
Komödie,  wie  der  Stock  auf  jener  gutmütliigen  Insel  in  der  Posse, 
gehandhabt,  wo  die  blossen  Kleidungsstücke  des  Missethäters, 
nicht  der  Ideiderblosse  Verbrecher,  gezüchtigt  werden.  Nicht  so 
leichten  Kaufs  kommen  die  Hetären  davon.  Hu'e  preisgegebenen 
Namen  werden  rücksichtslos  an  den  Pranger  gestellt  und  ihr  Le- 
benswandel mit  Dornen  und  Nesseln  gestäupt.  In  seiner  Komö- 
die Antilais  nennt  Epikrates  die  berühmte  Lais  „die  FauUieit 
und  Trunkenheit  in  Person",  und  schildeit  die  alternde  Hetäre 
so  herantergekommen  von  ihrem  einstigen  sii'enengieichen  Zauber 
und  satrapenartigen  Wohlleben,  dass  sie  nach  Jung  und  Alt  für 
ein  Abendbrod  angelt.  „Sie  ist  so  zahm  geworden,  dass  sie  selbst 
ihren  Buhlpfennig  aus  der  hohlen  Hand  pickt."-)  „Welches  wilde 
Drachenweib",  heisst  es  in  einem  Fragment  aus  der  Komödie 
Neottis  {NsoTTig)  von  Anaxilas,  „welche  feuerschnaubende 
Chimäre,  welche  dreiköpfige  SkyUa,  welche  Seehüudin,  Spliinx, 
Hydra,  Löwin,  Viper,  geflügelte  Harpye,  hat  jemals  an  Bosheit 
diese  verächtliche  Brut  (der  Hetären)  überboten ?"3) 

Von  Perikles,  Kleon  und  Alkibiades,  der  Hochjagd  der  alten 
Komödie,  zu  dem  käuflichen,  marktläufigen  Nachwuchs  der  Aspasia, 
zu  den  allgemeinen  Schönheiten  einer  Plangon,  Theano,  Phryne 
und  Lais,  welcher  Abfall!  Gleichwohl  bilden  diese  das  Vermitte- 
lungsglied  zwischen  der  böheren  Staats-Hetäre,  der  Maitresse  des 
Perikles,  und  den  Buhldirnen  der  neuen,  der  Sklaven-  und  Kupp- 
ler-Komödie des  Menand(;r:  das  einzige  verwandtscbaftliclu;  Band 
vielleicht,  das  die  drei  Komödien -Gattungen  verknüpft.  Doch 
welcherlei  Art  sind  die  Motive  in  dieser  lel)haften  Hetären- Sa- 
tire? Entspringen  sie  etwa  aus  einem  Sittliclikeits-  oder  nur  Scliick- 
lichkeitsgefühl  von  Seiten  der  DichterV  „p]pikrates,"  bemerkt  Guil- 
laume  Guizot  in  seiner  Preisschrift ') ,  „Epikrates ,  Anaxilas  und 
Alexis,  sie  alle  scln^nen  sich  vielmehr  an  dem  Laster  rächen,  als 
es  verdammen  zu  wollen;  sie  warnen  ihre  Zuliörer,  sich  von  den 
Buhldirnen  an  der  Nase  herumführen  zu  lassen;  nicht  dass  sie 
die  Warnung  von   Laster  und  Ausschweifungen  zurückschrecken 


1)  Das.  m.    \>.  64.  —  2)  Das.    111.   \,.  'M:^.  Ir.   11.  —  3)  Das.  p.  347. 
1.-4)  Meiiandre.  Paris  lS5rj. 
U.  14 


210  Die  griechisclie  Komödie. 

soll.  Nehmt  euch  vor  diesen  Geschöpfen  in  Aclit,  das  wollen  sie 
hlos  sagen;  sie  werden  euch  in's  Verderben  stürzen,  ohne  euere 
Opfer  durch  Gegenliebe  zu  verdienen.  Nie  und  nirgend  aber  sa- 
gen jene  Dichter:  Seht  euch  vor!  Diese  gefährlichen  Wesen  wer- 
den euch  sittlicli  und  geistig  zu  Grimde  richten,  euch  verweich- 
lichen und  entnerven.  Nicht  gegen  die  Buhlerinnen  als  solche 
sind  ihre  Angriffe  gericlitet.  Sie  brandmarken  nur  die  habsüch- 
tige, falschherzige  Verführerin,  und  ilire  Ermahnung  geht  blos 
dahin,  das  Vergnügen  nicht  zu  theuer  zu  bezahlen.  Allesammt 
stimmen  vielmehr  in  den  Wahlspruch  des  Amphis  ein:  Liebt, 
trinkt  mid  geniesset,  denn  das  Leben  ist  kurz  und  ewig  der  Tod."  ^) 
Eine  Hauptrolle  in  dem  Personalbestande  der  mittlem  Ko- 
mödie spielten  zwei  andere  Markt-  und  Strassenfigureu :  Die  Köche 
und  Parasiten;  beide  von  der  altmegarischen  und  sikelischen 
Komödie  überkommen.  Im  südlichen  Italien  ist  noch  gegenwär- 
tig die  Strasse  zugleich  allgemeine  Volksküche;  kein  Wunder, 
dass  der  Koch  ein  öffentlicher  Charakter  wurde.  Hat  ja  Aristo- 
phanes  die  Strassenköcherei  in  seinem  Wurstschmorer  Agorakritos 
gar  personificirt,  und  ihn  zum  Staatskoch  und  Demosverjünger 
auserlesen.  In  der  neuern  Zeit  haben  sich  Staats-  und  Kochkunst 
in  der  Diplomatie  aufs  innigste  gegattet  und  verschmolzen.  Kü- 
chen- und  Feldbatterien,  Schüsselgänge  und  Congresse,  Far9e  von 
Gänselebern  und  Minister-Conferenzen-Farfe,  Speise-  und  Stäude- 
tafeln,  Anrichtetisch  und  Ministertisch,  ragoüt  fin  ä  l'Empereur 
als  Zweite  December,  und  verlorene  Hühner  ä  l'italienne ;  Kälber- 
gesclilinge  en  caisser  au  pamiesan  und  in  die  Pfanne  gehauene 
Volksrechte  und  Nationalversammlungen;  geschworene  Verfassungs- 
Eide  imd  gepeitschte  Sahne  oder  vol  au  vent  -  endlich  der 
grösste  Haussegen  jener  Einheit  von  Staats-  und  Kochkunst:  dass 
der  Wirth,  Budget,  die  Zeche  bezahlt.  Köche,  Maitressen  und 
Parasiten,  drei  Grundsäulen  der  mittlem  Komödie,  waren  von  je- 
her auch  die  Grundpfeiler  der  Diplomatie  und  Staatsregierungs- 
kunst. Es  ist  desshalb  ein  Zeichen  jener  Zeit,  dass  die  mittlere 
Komödie  mit  ihrem  (.'harakter-Masken-'J'erzett,  als  Uebungsdrama, 
den  Antritt  der  Diadochen-Herrschaft  inaugurirte,  dieses  Bastard- 
regimeutes von  euro]iäisch-asiatischem  Älonarchenthum,  dem  Vor- 


1)  Mein.  fr.  i'om.  gr.  III.  ]..  227. 


Die  Parasiten  der  mittleren  Komödie.  211 

bilde  aller  spätem  Regierungen  von  Köclie-Schmarotzer-Maitres- 
sen-Gnaden. 

Dass  der  Parasit  niit  den  beiden  Bundesgenossen  den  Stras- 
sencharakter  gemein  bat,  springt  in  die  Augen.  Wei'  ist  obdach- 
loser als  der  Parasit?  Der  Pratenriecber  segelt  beständig  mit  der 
Nase  in  der  Luft,  schnüffelnd  von  Küche  zu  Küche,  von  Haus 
zu  Haus.  Eine  vierte  Marktfigur  der  mittlem  Komödie  ist  fer- 
ner der  Fischhändler,  der  König  der  damaligen  Markt-  und 
Verkaufshallen.  Dem  Fischhändler  warf  sein  Gewerbe  ein  fürst- 
liches Einkommen  ab,  wie  das  einzige  Fragment  aus  Alexis' 
JlvXalai  (Markthallen;  berichtet.  ^)  Mit  unverschämter  Insolenz 
brandschatzte  der  Fischhändler  seine  leckern  Kunden.  Einen 
Meeraal  Hess  er  sicli  mit  Gold  aufwiegen  oder,  v^ie  Diphilos  in 
seiner  Komödie  "Ei-iTcogog,  der  Kaufmann,  sich  ausdrückt,  die 
Summe  bezahlen,  die  Priamos  für  Hektor's  Leiche  dem  Peliden 
zuwog."-)  Als  ein  solcher  Tyi-ann  des  Fisclimarkts  wird  der  Händ- 
ler Sikion  in  des  Alexis'  'ETilxXrjQog,  „die  Erbtochter"  genamit.^) 
Antiphanes  lässt  seinen  MioonöviqQoc,  (Schelmenhasser)  eine 
Skala  von  betrügerischen  Handwerksklassen  entwerfen,  die  mit 
den  Kinderammen  beginnt  und,  von  Stufe  zu  Stufe  zu  Pädagogen, 
Hebammen,  Kybele-Priestem  emporsteigend,  in  den  Fischverkäu- 
fer gipfelt,  desinit  in  piscem,  welcher  die  höchste  Sprosse  mit  dem 
Geldwechsler  theilt.^j 

Ausser  den  genannten  allgemeinen  Cliaraktertj^pen  des  öffent- 
lichen Verkehrs  begegnet  man  in  den  Fragmenten  dieser  Komö- 
dien noch  andern  Stände -Masken  aus  dem  niedern  Privatleben. 
Dergleichen  sind:  einfältige  Pauern,  Flötenbläser,  Nätlierinuen, 
Kuppler,  Bediente,  polternde  Enkel  u.  s.  w.^)  Auf  welche  Weise 
diese  Figuren  in  der  mittlem  Komödie  zusammenwirkten,  ist  aus 
den  Bruchstücken,  unter  denen  sich  keine  einzige  Scene  erhal- 
ten, nicht  abzusehen.  Die  meisten  dieser  Komödien  mochten  den 
sogenannten  Schubladen-Stücken  (pieces-ä-tiroir)  gleichen,  wie  z.  B. 
Moliere's  Komödie  Les  facheiLX,  die  Ueberlästigen,  (^ines  ist,  wo  an 
Einer  Hauptfigur  alle  übrigen,  wie  an  einem  stehenden  Garnbock, 
die  Fäden  ihrer  Nebenrollen,  ohne  alle  Vei-wickelung  und  Dm-ch- 


1)  Das.  p.  475.  —  2)  Athen.   VI,   10.  p.  22b E.  —  3)  Mein,  p.  414. 
4)  Das.  p.  85.  Miaon.  fr.  unic.         5)  Das.  p.  'S,  24,  1»,  12. 

14* 


212  Die  griechische  Komödie. 

kreiizimg,  abspulen.  Indessen  mögen  wohl  auch,  dem  Mittelcha- 
rakter dieser  Komödie  gemäss,  Stücke  vorgekommen  seyn,  deren 
Plan  schon  in  die  Form  der  neuen  Komödie  hineinspielte  und  eine 
venvickeltere  Handlung  durchführte.  Eine  Komödie  von  Anti- 
phanes,  dem  bedeutendsten  Dichter  dieser  Zwischengattuug, 
scheint  sogar  die  beregte  Frage  zmn  Motiv  genommen  zu  haben. 
In  einem  Fragment  seiner  Uolrjoig  (die  Poesie)  wird  die  im  Ver- 
gleich zur  Tragödie  schwierigere  Lage  der  Komödie  erörtert.  ') 
Während  in  der  Tragödie,  heisst  es,  Stoff  und  Inhalt  durch  die 
Mythe  schon  gegeben  und  jedem  Zuschauer  bekannt  seyen, 
müsse  die  Komödie  ihren  Stoff  erfinden.  „Die  Begebenheiten,  die 
der  Handlung  vorangegangen,  und  die  sich  vor  den  Augen  der 
Zuschauer  entfalten,  Eingang,  Entwickelung,  was  nicht  alles 
habe  der  Komödiendichter  auszudenken  und  wie  aus  dem  Nichts 
hervorzurufen  und  zu  erschaffen." 

lieber  die  Mytheustoffe,  die  einen  grossen  Theil  der  mittlem 
Komödie  versorgen,  wurde  bei  der  Komödie  des  Epicharmos  das 
Nöthige  mitgetheilt.  Auch  au  Stücken  von  literarischem  Thema, 
wie  z.  B.  die  Frösche  des  Aristophanes,  fehlt  es  der  mittlem  Ko- 
mödie nicht.  Hier  aber  beschränkt  sich  die  in  Scene  gesetzte 
literarische  Kritik  ausschliesslich  auf  diese,  ohne  alle  Beziehung 
auf  Staat  und  öffentliche  Sitte.  Mehr  als  eine  dieser  Komödien 
nimmt  den  Euripides  von  Neuem  zmn  Stichblatt,  nicht  alier  we- 
gen des  Gehaltes  und  der  Wirkung  seiner  Dramen.  Der  Eine, 
z.  B.  Eubulos  im  Dionysios,  spottet  über  den  zu  häufigen  Ge- 
brauch des  Sigma  (der  Buclistabe  S),  wodurch  die  Verse  des 
Euripides  wie  eben  so  viele  Schlangen  zischten.-)  Ein  anderer 
wieder,  Axionikos  im  Phileuripides,  macht  sich  über  die  Ver- 
götterer des  Euripides  lustig,  die  keinen  Andern  neben  ihm  gel- 
ten lassen.  ^)  Diese  dramatische  Kritik  war  also  eine  blosse 
Schul-  und  Stylfrage  ohne  alle  Beziehung  auf  ethischen  Gehalt, 
wie  etwa  die  literarisch-satirischen  Märclien-Komödien  von  Tieck. 
Hierher  gehört  die  Sapp  ho -Komödie  des  Antiphanos,  die  ihre 
Vorgängerinnen  schon  in  ähnliclieu  Dichter-  und  Di(;]iterinnen- 
Stückeu  der  alten   Komödie   hatte.     Vom  Alexandrinischeu  Kri- 


1)  Das.  p.  105.     Vgl.  Guizot,  Menandre  p.  135  ff.  —  2)  Mein.  p.  218. 
fr.  11.   —  :i)  Mein.  Hist.  er!  Com.  gr.  p.  2t>7. 


Die  Form  der  mittleren  Komödie.  213 

tiker  Antioc  hos  erwälmt  Atheiiäos  i;  eine  Schrift,  die  von  den 
Poeten  handelte,  welclie  die  mittlere  Komödie  zum  Gegenstande 
ihrer  Verspottung  machten  —  verstorbene  Poeten,  wie  sich  bei 
dieser  Komödie  von  selbst  versteht.-)  Ein  anderes  Lieblingstliema 
der  mittlem  Komödie  waren  ferner  die  Käthselspiele  und  sog. 
Sprichwörter,  eine  Lustspielart,  die  noch  jetzt  von  den  Fran- 
zosen gepflegt  wird  (Proverbes).  Aber  auch  hierin  war  die  alte 
Komödie  der  mittlem  vorangegangen,  wie  die  Kleobulinen  des 
Kratinos  beweisen. 

Was  die  Form  der  mittlem  Komödie  anbelangt,  so  konnte 
auch  diese  keine  eigentbümliche  und  selbstständige  seyn.  Sie 
schwankt  zwischen  der  alten  und  neuen  Komödie.  Von  jener  hat 
sie  noch,  wie  aus  den  lyiisclien  Partien  einiger  Bruchstücke  er- 
hellt, den  Chor  beibelialten,  aber  verkümmert;  da,  in  Folge  der 
politischen  Entmuthigung  und  Erschöpfung,  die  Chorsteller  den 
Aufwand  für  Ausstattung  der  Chöre  zu  bestreiten,  weder  den  An- 
trieb noch  die  Mittel  hatten. 3)  Der  Dialog  nähei*te  sich  dage- 
gen dem  der  neuen  Komödie.  Er  vermied  jeden  poetischen  Aus- 
dmck,  der  nur  parodistisch  auftritt,  und  befleissigte  sich  der  Sprache 
des  gewöhnlichen  Lebens  und  des  gebildeten  Umgangs,  die  aber 
hier  noch  einen  studirten  Anstrich  hat  und  erst  mit  Menander 
ihre  Vollendung  in  dessen  neuem  Atticismus  erreicht^)  (nlaoi-ia- 
Tog  /Liiv  ovx  t'jipavxo  7coirjTLy.oi\  dicc  de:  ovvrjd-ovg  l'nvTSS  XaXiag 
Xoyixag  s'xovoi  rag  agerdg  x.  t.  A.) 

Siebeniindfunfzig  Komiker  sclnieben  in  dieser  Periode  nicht 
weniger  als  617  oder  817  Dramen. 5)  Von  den  57  Dichtern  sind 
einige  dreissig  dem  Namen  nach  bekannt;  von  den  Stücken  nur 
Titel,  diese  aber  wie  Sand  am  Meer.  Wir  werden  mit  beiden 
brevi  manu  aufräumen.  Die  von  Meineke  '^)  nach  Athenäos  al- 
phabetisch zusammengestellte  Liste  trägt  folgende  Dichternamen: 
Araros,  Alexis,  Antiphanes,  Amphis,  Anaxandrides, 
Axionikos,  Augeas,  Anaxilas,  Antidotos,  Archidikos, 


1)  XI,  1».  4S2  ('.  —  2)  Vgl.  Grauert  de  iiiediac  Graecor.  com.  natur. 
et  forma,  in  Niebuhr's  Rhein.  Mus.  1S2S.  Jahrg.  II.  Heft  4.  S.  512.  —  3) 
Anonym,  Dind.  p.  VI.  Grauert  50.5.  -  4)  Anonym.  tkqI  xcofKifSütg  ]>.  XII. 
ed.  Kust.  Meineke  T.  I.  p.  291.  —  5)  Anonym,  p.  537,  10.  —  6)  Quaest. 
Seen.  Specim.  II.  p.  5. 


214  Die  griechische  Komödie. 

Kalliades,  Kalliki-ates,  Kratinos  d.  J.,  Dromo,  Epikra- 
tes, Echippos,  Epigeues,  Enbulos,  Eubulides,  Eriphos, 
Heraklides,  Herakleitos  (oder  Herakleides),  Heniochos, 
Mnesimachos,  Nikostratos,  Ophelio,  Philippos,  Philis- 
kos,  Pliilateros,  Sophilos,  Sotades,  Stephanos,  Strato, 
Timokles,  Timotheos,  Theophilos,  Xenarchos.  Unter 
diesen  ragen,  dem  Anonymos  zufolge^),  als  die  bedeutendsten 
(d^ioloyuTaToi)  hervor:  Antiphanes  und  Stephanos  oder,  statt 
des  letztern,  Alexis. 

Antiphanes  aus  Athen,  gest.  in  Kios  am  HeUespont,  er- 
reichte ein  Alter  von  74  Jahren.  2)  Seine  Lebenszeit  erstreckte 
sich  von  Ol.  93,  2  =  407  bis  Ol.  11 J,  4  =  333.  Der  Charakter 
seiner  Komödien  wird  von  Athenäos,  der  ihn  xagisig  nennt^),  als 
gefällig  und  anmuthig  bezeichnet.  Laut  Angabe  des  Anonymes*) 
war  Antiphanes  der  fruchtbarste  Lustspieldichter,  der  je  gelebt 
hat.  Der  Anonymos  schreibt  ihm  250,  Suidas  280  Stücke  zu, 
mit  Berufung  auf  Andere,  die  365  Komödien  von  Antiphanes 
zählen,  Avomit  er  nm-  dreizehnmal  gesiegt  haben  soll.  Für  uns 
sind  es  eben  so  viele  Nullen,  womnter  eine  erkleckliche  Anzahl 
Parodien  mythischer  Stoffe.  Adonis,  Meleagros,  Medeia, 
Philoktetes,  Autäos  und  noch  zwei  Dutzend  andere  Mythen- 
Komödien.  Es  sind  sammt  und  sonders  nur  Parodien  von  jener  welt- 
bekannten Mythe  von  den  zwei  Löwen,  die  sich  gegenseitig  l)is  auf 
die  Wedel  aufgefressen,  will  sagen,  bis  auf  die  Titel.  Darunter  ein 
Aeolos,  der  eine  ähnliche  Tendenz  wie  der  Aeolosikou  des  Ari- 
stophanes  verfolgt  haben  soll.  Um  den  Komödientitel  Phaon 
kämpfen  zwei  erbitterte  Nebenbuliler:  der  spröde  Liebling  der 
Sappho,  und  ein  ausgehungerter  Pythagoräer,  Namens  Phaon. 

Folgen  die  historischen  Titularen:  Timon,  Sappho,  Leo- 
nidas  u.  s.  w.,  die  Frauentitel  ungerechnet,  meist  berühmter  He- 
tären, von  denen  das  Schlechteste  an  ilmen  sich  erhalten  hat: 
der  Namen:  Neottis,  Archestrata,  Melissa,  Philotis  u.  m. 
dgl.  „Wie  umfassend  ferner  die  Charakteristik  des  Privat- 
lebens in  den  mannigfaltigsten  Schattirungen  bei  Antiphanes 
gewesen,  kann  eine  Reihe  von  Titeln  beweisen,  welche  auf  Dar- 


1)  Bei  Diiid.  p.  XI.  —  2)  Suid.  v.  :4vTi<f.  und  Eudok.  p.  fil.  —  3)  I, 
27  D.  IV,   15()C.  168  D.  —  4)  p.  537,  2ü. 


Dichter  der  inittleru  Komödie.  215 

Stellung  fast  aller  Stände,  vom  einfältigen  Bauern  und  den  ver- 
schiedenartigsten Handwerkern  und  Künstlern  bis  zum  verschmitz- 
testen Sykophanten  und  Parasiten  hinweisen."  Bis  auf  die  ge- 
sperrte Schrift,  sind  dies  Bode's  Worte. ^;  Die  Putzmacherin 
C A/.wiQia) ,  der  S  c  h  a  f m  e  i  s  t e  r  (IlQoßaTsvg) ,  der  Tuchwal- 
ker {Kva(f£vg),  der  Puppenfabrikant  (Kogonlad-og) ,  der 
Arzt  ClaxQog),  das  Fischweib  ( A^tBvo[.iivr^,  die  Kammer- 
jungfer (KniQig).  Ferner  Agroikos  oder  in  der  zweiten  Bear- 
beitung Butalion,  worin  einfältige  Bauern  die  komischeu  Figuren 
waren.  Die  einfältigen  Bauern  sind  iu's  Kraut  gewachsen,  und 
waren  einfältig  genug,  nur  ihren  sprichwörtlich  gewordenen  Spitz- 
namen, Butalion,  zu  hinterlassen,  auf  den  seitdem  jeder  Bauern- 
tölpel hörte,  und  der  nocli  jetzt  im  Französischen  butor  sein  ur- 
altes Familienwappen  vorzeigen  kann.  Nationen- Komödientitel 
von  Antiphanes  —  wer  zählt  die  Völker,  nennt  die  Namen,  die 
gastlich  hier  zusammenkamen?  Kythen,  Taurier,  Epidau- 
rier,  Aegyptier  und  was  der  Völker  mehr,  wobei  noch  gar 
nicht  die  Mädchen  alle :  das  M  ä  d  c  h  e  n  v  o  n  D  o  d  o  n  a,  das  M  ä  d- 
chen  von  Korinth,  das  Mädchen  von  Lemnos,  lauter  Mäd- 
chen aus  der  Fremde,  deren  Spm*  schnell  verloren,  noch  ehe  sie 
Abschied  nahmen.  „Andere  Titel  lassen  der  Vermuthung 
einen  noch  grössern  Spielraum."-)  Und  nun  fliegen  uns 
so  viele  Titelschaaren  entgegen,  als  Vögel,  Dohlen,  Raben,  Krä- 
hen und  Fledermäuse,  den  Bitter  von  La  Manclia  umschwärmten, 
aufgescheucht  aus  der  Höhle  Montesinos :  D  i  e  B  r  ü  d  e  r  L  i  e  d  e  r  1  i  c  h 
C^acotoi,),  die  Nebenbuhlerin  (AvTegtoGa)^  die  Ehebre- 
cher {Moixof),  der  Knabenliebhaber  (naiösQaaTt'^g).  Heer- 
den  solchen  Nachtgevögels  stürzen  hervor  aus  Meineke's  Höhle  von 
Montesinos.  Doch  statt  dessen  lieber  ein  Anekdötclien  bei  Athenäos 
mitgetheilt'^j:  Als  Antiplianes  einmal  dem  König  Alexander  etwas 
aus  einer  Komödie  vorlas,  was  dem  König  unwahrscheinlich  vorkam, 
meinte  Antiphanes:  Um  das  Zutreffende  der  Schilderung  zu  be- 
greifen, müsse  man  wie  er,  Antiphanes,  liäufig  mit  Hetären  ver- 
keln-t,  zusammen  geschmaust  und  in  Gesellschaft  derselben  Scliläge 
ausgetheilt  und  bekommen  haben.  Wie  die  Zeit,  so  die  Dichter 
—  die  berufenen  nämlich,  aber  niclit  die  auserwälilteu:  diese  ste- 


1)  S.  402,  8.    -    2)  Bode  403,  4.  -  3)  XIII.  p.  555  A. 


216  Die  griechische  Komödie. 

heil  über  ilu'er  Zeit,  als  deren  Lehrer,  Zeicliendeuter  und  Prophe- 
ten. Des  Antiphanes'  aus  etwa  hundert  kürzern  oder  längern 
Bruchstücken  bestehende  Sprüche  sind,  wie  fast  alle  andern  auch, 
Gemeinsprüche  über  allerlei  Gegenstände,  über  Liebe,  Freund- 
schaft, Weiber,  Aerzte  u.  s.  w.,  die  in  jedem  didaktischen  Ge- 
dichte passender,  als  in  einer  Komödie,  an  ihrer  Stelle  wären. 
Alexis,  aus  Thurioi  in  ünteritalien,  vermuthlich  nach  Zerstö- 
rung der  Stadt  (OL  97,  3)  mit  den  Eltern  nach  Attika  eingewan- 
dert, soll  ein  Alter  von  106  Jahren  erreicht  haben,  was  mau  aus 
Anspielungen  auf  den  noch  lebenden  Piaton  (gest.  Ol.  108,  1), 
auf  Ai'istippos  von  Kyrene,  ferner  aus  der  Erwähnung  von  Ptole- 
mäos  Philad.  Vermählung,  welche  nicht  vor  Ol.  123,  1  stattfand, 
folgern  will.  Nach  Suidas  war  Alexis  der  Oheim  von  Menander, 
und  nach  dem  Anonymes  ')  dessen  Lehrer  und  Vorbild.  Näclist 
Antiphanes  ist  Alexis  der  fruchtbarste  Komödien  -  Dichter ,  dem 
Suidas  nicht  weniger  als  245  Stücke  beilegi.  Athenäos  allein  hat 
112  Dramen  von  ihm  exceiiHii;,  aber  boshafterweise  lauter  Stellen, 
aus  denen  kein  Mensch  den  Inhalt  der  ausgezogenen  Stücke  er- 
rathen  kann.  Die  Nachwelt  weiss  nur  von  Alexis'  beispielloser 
Titelsucht,  wovon  unzählige  mythische,  historische,  Natioualitäts- 
und  CharaMer- Komödien -Titel  unverwerfliches  Zeugniss  ablegen. 
Li  der  Kleobuline,  in  den  Archilochen  vermuthet  man  Nach- 
ahnnmgen  des  alten  Kratinos.  Ln  Aesopos  hatte  Selon  eine 
Hauptrolle."^)  In  den  Tarentinern  wurde  die  Lebensweise  der 
Pythagoräer,  in  derPythagorizusa  die  der Pjrthagorischen Frauen 
mitgenommen.  Im  Ankylion,  benannt  nach  einem  aus  der  Schule 
desSokrates,  wie  so  Manche  andere  ähnlichen  Schlages,  hervorgegan- 
genen Taugenichts,  kam  der  noch  lebende  Plato  vor.  3)  Die  Vermu- 
thuug  vonTh.  Bergk^):  in  der  Komödie  Phädros  von  Alexis  sey 
der  noch  lebende  Phädros  (jener  Schüler  desSokrates,  nach  welchem 
Plato  seinen  berühmten  Dialog  benannte)  durchgehechelt  worden, 
widerlegt  die  Jahreszahl  Ol.  98,  1,  wo  Alexis  noch  in  den  Kin- 
derschuhen umherlief.  In  der  Komödie  die  Brüder  und  der 
Soldat  maclite  sich  Alexis,  nach  einer  Notiz  des  Athenäos^), 
über  Demostlienes'  Rede  de  Halloneso  lustig  (um  Ol.  109,2=343). 

1)  p.  538.  —2)  Athen.  X,  4:il  D.  —3)  Biog.  Laert.  II,  26.  28.  Athen. 
VIII,  354  D.  —  4)  Epist.  ad  SchUleruiii  p.  133.  —  5)  VI,  323  F. 


Dichter  der  mittleren  Komödie.  217 

Auf  mythische  Parodien  deutende  Titel :  H  e  1  e  u  a '  s  E  n  t  f  tt  h  r  ii  n  g, 
Helena's  Freier,  die  Sieben  vor  Theben,  der  abgewa- 
schene Odysseus  (Od.  anoviTiTofxEvoQ)  und  der  webende 
Odysseus  (Od.  vcpaivtov)  u.  s.  w.  Historische  Stoffe  waren  im 
Demetrios,  in  den  Milesiern,  Olynthiern  u.  s.  f.  behan- 
delt. Eines  seiner  letzten  Dramen  war  der  Hypobolimäos  (der 
Wechselbalg),  worin  die  Hochzeit  des  Ptolem.  Philad.  mit  seiner 
Schwester  vorkam.  Mit  noch  58  alphabetisch  aufgezählten  Na- 
men von  Stücken  des  Alexis  hat  Bode  S.  409  gefüllt. 

Der  jüngste  von  Aristophanes'  drei  Söhnen  Nikostratos 
scheint  in  die  Epoche  der  neuen  Komödie  hinein  gedichtet  zu 
haben.  Der  Vogelsteller  C Ogvtd-svTrjg),  der  Wucherer  (To- 
•/.iGTr^g),  worin  auch  ein  ruhmrediger  Koch  vorkam,  und  die  Kö- 
nige mit  einem  miles  gloriosus  als  Nebenfigur,  alle  tragen  Cha- 
rakter und  Titel  der  neuen  Komödie.  Athenäos  führt  noch  18 
Namen  von  Komödien  dieses  jüngsten  Sohnes  des  Aristophanes 
an,  deren  Ausschreiben  uns  Bode  vorwegnalmi. 

Von  65  Dramen  des  Anaxandrides  trugen,  nach  Suidas, 
nur  zehn  den  Sieg  davon,  aber  wie  Diebe,  die  mit  der  davonge- 
tragenen Beute  sich  aus  dem  Staube  gemacht.  Anaxandrides 
lebte  um  Ol.  101,  1  =  376.  Sein  Schauspieler  war  noch  Philo- 
nides.  Aristoteles  rühmt  ihn  wegen  seiner  gefälligen  und  ge- 
wählten Schreil)art  ^),  wovon  in  den  35  Titeln  seiner  Komödie 
nur  ein  literar-historischer  Luchs  wie  Bernhardy  noch  die  Spuren 
zu  entdecken  vermöchte.  Anaxandrides  soll  zuerst  die  Lieb  es - 
intrigue  in  der  Komödie  vollständig  ausgebildet  haben;  in  wel- 
chen Dramen,  „weiss  man  nicht  genau."  Vom  Komiker  Ana- 
xilas,  der  den  Piaton  in  einer  Komödie  Botrylion  durchzog, 
deren  Namen  sogar  „räthselliaft  ist,"  citirt  Atlienäos  19  Stücke. 
Auch  von  Aristophon  erwähnt  derselbe  2)  eine  Komödie,  Na- 
mens Piaton.  Unter  andern  nahm  auch  der  jüngere  Krati- 
nos  Platon's  Lehren  zur  Zielscheibe  seines  Spottes.  Der  jüngere 
Kratinos  schien  es  überhaupt  auf  Kiesen  abzusehen,  denn  unter 
seinen  Komödien  nennt  man  auch  die  Giganten  und  die  Tita- 
nen.   Der  Dichter  der  Antilais,   Epikrates,  zupfte  ebenfalls  den 


1)  Ehet.  III,  10.  11.  12.  Etil.  ad.  Eud.  VI,  10.  Niconi.  VII.  Kl.  —  2) 
XII,  552  E. 


218  Die  griechische  Komödie. 

Löwen  Piaton  am  Bart,  aber  walirscheinlich  den  todten  Löwen. 
Mnesi machos  soll  sogar  den  König  Philippos  von  Makedonien 
auf  die  Bühne  gebracht  haben.')  Das  historische  Lustspiel  hat 
seine  Ahnen,  wie  man  sieht  und  datirt  nicht  erst  von  Alexandre 
DuvaL  Von  Philiskos  ward  u.  a.  eine  Komödie  Themistokles 
genannt.  Der  Komiker  Timokles  Hess  die  wetteifernden  Red- 
ner und  Staatsmänner  Demosthenes,  Hyperides,  Kailimedon  seinen 
gelinden  Stachel  fülilen.  Von  diesem  Timokles  rührt  auch  jenes 
oft  genug  aus  Athenäos  citii-te  Fragment  her,  worin  die  prak- 
tische Nutzanwendung  der  Tragödie  von  Seiten  der  Zuschauer 
auf  ihre  eigenen  Geschicke,  behufs  geduldsamer  Ertragung  der- 
selben, zur  Sprache  kommt  (jisr  i^dnvr/g  anrjld^B  naiöevSslg 
a/iia).  Eine  insofern  komödienhafte  Auffassung  des  Tragödien- 
zweckes, als  der  tragische  Fall  sogleich  im  Nutzen  einer  ähnli- 
chen persönlichen  Lage  verwerthet  werden  soll.  Die  verbeispielte 
Armuth  des  Telephos  z.  B.  soll  dazu  dienen,  dass  jeder  von  ähn- 
lichem Loose  Betroffene  sich  in  seine  im  Vergleiche  doch  immer 
erträgliche  Armuth  fügen  und  schicken  lerne.  Der  Or est- Auto- 
kleid es  ist  die  einzige  Komödie  des  Timokles,  von  welcher  sich, 
aus  Andeutungen  des  Athenäos-),  ein  ungefährer  Inhalt  errathen 
lässt.  Hier  scheint  die  Orestessage  zur  Satire  auf  den  ausschwei- 
fenden Autokleides  (Orestautokleides)  travestirt,  welcher,  wie  Ore- 
stes von  den  Furien,  in  dieser  Komödie  von  einem  schnarchenden 
Chor  alter  Hetären  umlagert  wird,  die  den  Ungetreuen  verfolgen. 
Von  diesem  Schlusstableau  der  mittlem  Komödie  wenden  wir 

uns  zm' 

Neuen  attischen  Komödie, 

in  welcher  der  ursprüngliche  K  omos,  jener  Bakcliisch  ländliche,  von 
Dorf  zu  Dorf  schwärmende  Schmaus-  und  Spott-Chor  in  sein  Gegen- 
theil,  zur  F  a m  il  i  e  n-H  ä  u  s  1  i  c  h  k  e  i  t,  umgewandelt  und  eingefriedet 
erscheint.  Die  satirische  Wanderposse  hat  sich  in  ihre  vier  Pfähle 
zuräckgezogen.  Sie  wäscht  nicht  mehr  die  schmutzige  Staats-  und 
Stadtwäsche  öffentlich,  sondern  ihre  eigene  enfamille.  Auch  die  sym- 
bolisch-allegorischen Staatsfiguren  der  alten,  die  Stadt-  und  Stras- 
sentypeu  der  mittlem  Komödie,  haben  sich  in  der  neuen  atti- 
schen Komödie  zu  stehenden  Familientypen  individualisirt.    Die 


1)  Athen.  Vm,  33S  B.  IX,  387  D.  —  2^  Xlll,  567  E. 


Die  neue  attische  Komödie.  219 

poetisch-symbolische  Collectivperson  des  komischen  Büvgevchors  ist 
zum  Hausgesinde  verspiessbürgert,  hat  zu  hausbacknen  Specialitäten 
und  Originalen  sich  uraphilistert.  Der  in  alleriei  Gestalten  sonst 
von  Jambisten-Chorschaaren  verspottete  Demos  guckt  nun,  als 
Publicum,  ihm,  dem  komischen  Bürgerchor,  in  die  Fenster,  ohne 
dass  er  es  auch  nur  merken  darf;  überrascht  nun  ihn  in  den  lä- 
cherlichsten Blossen,  und  das  schallende  Gelächter  kommt  über 
die  Familienglieder  der  zu  Alltagskäuzen  ernüchterten  Chor -Ko- 
mödie, so  unversehens  wie  des  Himmels  Einstm'z. 

Jetzt  erst  scheint  das  poetisch-Allgemeine  aus  der  Komödie 
verschwunden.  In  Aristoteles'  Lieblings -Komödie,  in  der  neuen 
attischen  Komödie,  in  dieser  gerade,  ist  ihm  sein  xa^olov,  das 
ideaüsirende  Charakterisiren,  in  die  Brüche  gegangen.  Seltsa- 
mes, gegen  seine  dramaturgische  Gruudforderuug  gezetteltes  In- 
triguenspiel  im  Entwickelungsgange  des  Drama's !  Aristoteles'  be- 
günstigtster  Tragiker,  Euripides,  findet  sich  in  seinen,  nach  dem 
Vorbilde  gewöhnlicher  Lebensfiguren,  und  insofern  komödienliaft 
gezeichneten  Charakteren  mit  dem  -Kad-nlov  wohlfeilen  Kaufes 
ab.  Und  Aristoteles'  bevorzugte  Komödie,  die  mittlere,  mehr  noch 
die  neue,  bricht  mit  dem  Kad-olov  vollständig,  als  treueste  Co- 
pistin  und  Naclizeichnerin  des  gewöhnlichen  Lebens  in  seinen 
engsten  Verhältnissen,  seinen  spiessbürgerlichsten  Formen.  Denn 
nicht  das  „namhaft  machende  Verspotten,"  nicht  das  ovof,iaoTi 
Y.iOfX(pdEiv,  schliesst  das  xa^olov  aus,  da  ein  solches  Komödiren 
die  Person  vollkommen  in's  phantastisch  -  Poetische  hinüberspielt 
und  sie  dadurch  eben  in  den  idealen  Formen  des  Gattungsbegrif- 
fes ilu'er  Persönlichkeit  erscheinen  lässt.  Dagegen  mrd  die  schein- 
bare Gattungsfigur  des  nach  dem  Leben  gezeichneten,  des  pro- 
saischen Lustspiels,  der  Menander- Komödie,  dem  /.ad-nlov  auch 
nur  sclieinbar  gereclit,  indem  eine  solche  Alltagsfigur  immer  nur 
eine  Einzelfigur  in  abstracto  bleibt,  wenn  sie  gleich  Hinz  und 
Kunz  bedeuten  kann.  Die  persönlichste  Spottfigur  der  Aristopha- 
nischen Komödie  erfüllt  den  Begriff"  des  poetischen  Y,ad^6lov  dem 
Wesen  nach;  wälirend  die  Gemeinfigur  des  gewöhnlichen  Lust- 
spiels, im  Sinne  des  Aristotelischen  y.ai)-6lov,  nur  dem  AUge- 
meinheitsbegTÜfe  der  formalen  Logik  genügt.  Erst  das  Lustspiel 
im  Geiste  Shakspeare's  und  Moliere's,  das  die  Menandrische  Ge- 
sinde-Komödie zu  Charakter-  und  Sittengemälden  der  Gesell- 


220  ^^^  griechische  Komödie. 

Schaft  enveitert  und  veredelt,  bringt  das  Katholon,  die  poetisch- 
allgemeine Gattungs-Individualisirung  und  Charakteristik,  Avieder 
zu  Ehren  und  Geltung. 

„Der  Scherz  des  Freien,'^  so  lautet  die  schon  bezielte  Stelle 
in  der  Nikomachischen  Ethik  '),  „ist  verschieden  von  dem  des  Un- 
freien und  wiederum  der  des  Gebildeten  und  Ungebildeten.  Man 
kann  das  aus  dem  Vergleich  der  alten  und  neuen  Komödie  sehen. 
Dort  suchte  man  das  Lächerliche  in  schändlichen  Reden  {aloxQo- 
loyia),  hier  mehr  in  verhülltem  Ausdruck.  Der  Unterschied  die- 
ser zwei  Weisen  für  den  Anstand  (nQog  EiGxrj(.ioGvvrjv)  ist  nicht 
gering."  Aus  dem  Gesichtspunkt  des  „Anständigen,"  der  Eusche- 
mosyne,  rückt  nun  Herr  0.  Bernays  2)  die  Bemerkung  des  Aristo- 
teles in  den  desKatholou.  „Denn,"  sagt  er,  „diess  kami  keinem 
Aufmerkenden  entgehen,  dass  Aristoteles  bei  dem  entschiedenen 
Gewicht,  das  er  auf  straffe  Verknüpfung  des  Subjects  zur  Einheit 
legt,  bei  der  Strenge,  mit  welcher  er  nur  allgemeine  ('/mO-oXoc) 
Charaktere  als  wahrhaft  poetische  Gestalten  anerkennt,  nothwen- 
dig  dahin  kommen  musste,  die  mittlere,  und  was  ihm  etwa  von 
der  neuen  Komödie  noch  bekannt  wurde,  als  Gattung  hoch  über 
die  alte  zu  stellen."  Bis  über  die  Sterne  hoch;  nur  dürfen  wir 
die  Autorität  des  griechischen  Kunstlehrers,  so  hoch  wir  dieselbe 
über  jede  andere  stellen,  mit  dem  Zweifelbedenken  bescheident- 
lich  umgi-enzen,  das  wir  seines  Ortes,  unter  Berufung  auf  Wel- 
cker's  Urtheil,  über  Aristoteles'  Verständniss  der  Aeschylos- Tra- 
gödie anregten,  und  das  wir  um  so  mehr,  in  Bezug  auf  des- 
sen Entfremdung  gegen  die  Aristophanische  Komödie,  gestattet 
glauben. 

Welcherlei  stereotype  Figuren  bilden  nun  den  Personalbestand 
der  neuen  Komödie,  als  immer  wiederkelu'ende  Charaktermasken? 
Apulejus  zählt  sie  uns  vor 3):  der  treulose  Kuppler  (leno  per- 
jurus);  der  leidenschaftliche  Liebhaber  (amator  fervidus); 
der  verschmitzte  Diener  (servulus  callidus);  die  Eänke- 
spinnende  Liebhaberin  (amica  illudens);  der  behttlfliche 
Gefährte  (sodalis  opitulator);  der  ruhmredige  Soldat  (mi- 
les  proeliator) ;  der  gef rassige  Schmarotzer  (parasitus  edax); 


1)  IV.  c.  14.  —  2)  Ergänzung  zu  Aristoteles'  Poetik,  Mus.  der  Philol. 
etc.  JahrK.  8.  1853.  S.  570.  —  3)  Florid.  IG. 


Das  Personal  der  neuen  attischen  Konioclie.  221 

die    schmarotzenden  Verwandten    (parentes  edaces);    die 
frechen   Buhldirnen  (meretrices  procacesj.     Die   kostbarsten 
Anstandsfiguren ;  jede  einzeln  Aristoteles'  Euschemosyne  in  Per- 
son! Derlei  gestempelte  Tagesfigm-en  lassen  sich,  gleich  Karten- 
figiiren,  bequem  zu  lutriguenspielen  mischen.     Die  Kuuststärke 
dieser  Komödie  liegt  denn  auch  vorzugsweise  in  der  Verwickelung 
undintrigue;  in  den  Spannungen  drolliger  Verknüpfungsspiele,  die 
nicht  sowohl  aus  den  Gegensätzen  und  dem  Humor  der  Charak- 
tere, als  aus  den  Zufälligkeiten  abenteuerlicher  und  doch  in  dem- 
selben stetigen  Kreise  sich  bewegender  Erfindungen  entspringen. 
Als  dasind:  ausgesetzte  Kinder;  einem  Sklavenliändler  oder  Mäd- 
chenverkäufer in  die  Hände   gefallene  freigeborne  Töchter;   Ver- 
führung und  Wiedererkennung  {cpS-oga  und  uyayvcoQioig),  und 
als  Moral  und  Ehrem-ettung  der  Familiensitte:   Vermählung  des 
Verführers  mit  der  Enteln-ten;  eine  von  der  Schande  gleichsam 
selbst    gestiftete    und    eingesegnete    Ehe.      Scheint   eine    solche 
Komödien-Moral  nicht  einer  ähnlichen  Ehe  entsprossen,   welche 
die  Komödie  mit  jenem  ästhetischen  Lehrsatz  A.  W.  Sclüegel's  ') 
eingegangen?  „Das  Lustspiel  soll  unser  Urtheil  in  üntersclieidung 
der  Lagen  und  Personen  schärfen,  dass  es  uns  klüger  macht, 
das  ist  seine  wahre  und  einzig  mögliche  Moralität.*'   Mit 
andern  Worten:  Das  Lustspiel  schärft  unser  Urtheil  in  Bezug  auf 
das,  was  uns  Vortheil  und  Nachtheil  bringt,  ohne  nähere  Bestim- 
mung der  Klugheitszwecke;  ohne  weitere  Rücksicht  auf  die  Be- 
schaöenheit  der  Mittel  zur  Erreichung  des  Vortheils  und  Vermei- 
dung des  Nachtheils ;  ob  unser  Vortheil  und  unsere  Klugheit  näm- 
lich mit  Pflicht,  Gewissen,  mit  dem  Sittengesetz  in  Hinklang  ist; 
ob  diese  Klugheit  die  der  liudemischen,  Nikomachischen  und  Gros- 
sen Ethik  ist,   oder  die  Klugheit  der  Schelme,   pfiffigen  Salon- 
männlein, feinen  Hechte  und  aller  Derer,  so  in  1  )änemark  lächeln 
und   immer  läclieln   und  doch  kluge  Leute  sind;  ohne  genauere 
Angabe,  ob  die  Schlegel'sche  Klugheit  die  des  Apostels  ist:  Schlan- 
genklugheit im  Vereine  mit  Tauben-Unschuld,  oder  ob  das  Lust- 
spiel uns  nur  klug  machen  soll   wie   die  Schlange,  unbekümmert 
um  die  Taube  und  ihre  Unschuld.    Denn  soUte  uns  das  Lustspiel 
Schlangen-klug  und  Taul)en-froinni  zugleich  machen,  so  wäre  ja, 

I )  Vurles.  1,  :yM)  11'. 


222  I^i^  griechische  Komödie. 

ausser  der  Witzigimg,  auch  noch  Seelenlauterkeit ,  wäre  ja  das 
Sittliche  an  sich,  als  seelenbildende  Macht,  das  eigentliche  Kuust- 
motiv  der  Komödie,  die  dann,  so  gut  wie  die  Tragödie,  wie  jeg- 
liche Kunst,  in  Gehalt  und  Wesen  sich  als  eine  Heilslehre,  nur 
in  einer  ihr  gemässen  Form,  erwiese ;  als  eine  Heilslehre,  die  na- 
mentlich iliren  Heilszweck  in  Form  des  Scherzes,  das  Gemüth 
befeienden  und  läuternden  Lachens  zu  erfüllen  hätte.  Diess  aber 
soll  und  darf  ja  eben,  nach  Ansicht  des  Salon -Dramaturgen,  das 
Lustspiel  in  keiner  Weise,  auf  die  Gefahr,  sich  selbst  lächerlich 
zu  machen  und  als  moralisch  bornirt  vor  der  guten  Gesellschaft 
zu  erscheinen.  Des  Lustspiels  wahre  und  einzig  mögliche  Mora- 
lität  ist  ja  eben  die,  dass  es  uns  schlechtweg  klüger,  d.  h.  auf 
unsern  Vortheil  bedachter  macht;  sollte  auch  diese  Lustspiel- 
Theorie  noch  so  unfelilbar  auf  die  Schlussfolgerung  hinausführen : 
dass  die  wahre  und  einzig  mögliche  Moralität  des  Lustspiels  seine 
—  Immoralität  ist. 

Weit  gefehlt,  dass  uns  das  Lustspiel  klüger  machen  soll,  be- 
steht im  Gegentheil  seine  Aufgabe  darin,  uns  vom  Klugdünkel 
zu  befreien,  dem  eigentlichen  Wucherkraute,  das  in  uns  das  Ver- 
nünftige, Göttliche,  das  Kechts-  und  SittliclikeitsgefüM  überspinnt 
und  erdrückt.  Wenn  daher  das  Lustspiel  ein  Witz-  und  Yer- 
standesspiel  ist,  so  ist  es  ein  solches  nur  im  Dienste  und  Nutzen 
des  Guten  und  Schicklichen,  in  majorem  gloriam  der  Vernunft, 
der  guten  Sitten,  der  reinen  Menschenliebe  und  Weisheit,  auf's 
Praktische  angewendet,  auf  das  wii-kliche  Leben  und  Handeln; 
so  erscheint  das  Lustspiel  durch  diese  feinsten  idealen  Fasern 
seiner  innersten  Kunstbestini mung  verschwistert  und  verflochten 
mit  der  Mission  der  Tragödie;  so  kommt  dem  Lustspiel  jene  alte 
Bezeichnung  des  Satyi'drama's,  als  einer  scherzenden  Tragödie, 
mit  uocli  grösserem  Reclite  zu.  Die  neue  attische,  in  iln-er  Voll- 
endungshlüthe,  die  Menandrische  Komödie,  erscheint  uns  von  die- 
sem Komödien-Ideal  in  dem  Maasse  entfernt,  als  sie  die  mireinen 
und  nnsittliclien  Elemente,  die  sie  zu  anregenden  Spannungen 
ineinan(h'rsc:hlingt,  mit  scheinbaren  Klugheitslehren  und  den  be- 
stechenden lieizeu  einer  einschmeiclielnd(3n  Lustspielform  durch- 
flicht, die  erst  von  den  Toeten  dieser  Gattung,  von  Shakspeare, 
Moliere  und  den  grossen  romantisclien  Lustspieldiclitern  der  Spa- 
nier, zur  Mustergültigkeit  ausgebild(^t  und  erhoben  wird. 


Die  neue  Komödie  und  die  Mural.  223 

Die  neue  attische  Komödie  (r;  vea)  umfasst  den  Zeitraum 
von  Ol.  HO  bis  130,  die  Zeit  Alexanders  des  Grossen  und  der 
Diadochen;  eine  Epoche,  die  wie  ein  Tiiimmerfeld  sich  hinstreckt, 
übersät  mit  dem  Zerfall  des  alten  Griechenlands,  seiner  Selbst- 
ständigkeit und  Freiheit,  seiner  grossen  Poesie  und  Plastik.  Denn 
auch  diese  war  in's  ikouisch  Kolossenhafte  ausgeartet,  wie  auf  dem 
Kriegstummelplatz  die  üebermacht  zügelloser  Persönlichkeiten, 
abenteuernder  Kronem'äuber,  Staaten  und  Völker  niedertretend, 
sich  alles  Menschlichen  überhob,  und  zu  maassloser  Alleingeltung, 
Alleinherrschaft  und  orientalischer  Selbstvergötterung  emponmchs. 
Es  ist  das  Zeitalter  der  gekrönten  Freibeuter,  Länderplünderer, 
Völkeraussauger ;  der  zusammengeflickten  Lumpenkönige,  die  mit 
Kunst  und  Wissenschaft,  Avie  mit  iliren  Schwestern,  Blutschande 
trieben;  die  Zeit  der  gekrönten  Thrasonen;  der  in  Purpur  prah- 
lenden milites  gloriosi.  Zeugen  dessen  sind  alle  geschichtlichen 
Urkunden  und  Staatsschriften  aus  jener  gottentfremdeten,  versun- 
kenen Epoche,  die  eben  so  viele  Philippika  gegen  die  Makedo- 
nisch-Macchiavellestische  Fürstenpolitik  sind '),  eben  so  \Aq\q  Denk- 
säulen der  Zeitschmach,  Völkerzersetzuug  und  Fäulniss.  Die 
vom  Geschichtsschreiber  der  „Diadochen"  angepriesene  „Ineins- 
bildung  des  Griechisch -Makedonischen  und  Morgenländischen"  "-j, 
welche  segensreiche  Frucht  hat  sie  der  Weltcultur  gebracht? 
Ja  durch  welche  thatsächlichen  Folgen  hat  sich  diese  „In- 
einsbildung"  für  die  Weltgeschichte  beglaubigt?  Nichts  wie 
eitel  Geflunker  mit  der  Ineinsbildung ;  nichts  wie  posthume 
Scharrwenzelei ,  die,  nach  zweitausend  Jahren  noch,  die  Blut- 
tapfen siegTcicher  Gewalt  küsst,  das  Gesicht  tief  gebeugt  in 
Schulstaub.  Die  Ineinsbildung,  sie  kommt  aus  derselben  Präge 
mit  jenem  Ausspruch  über  Alexander  v.  Makedonien '0:  „Grosse 
Männer  haben  das  Recht  nach  ihrem  Maasse  gemessen  zu  wer- 
den, und  in  dem,  was  man  ihre  Fehler  nennt,  liegt  ein  tieferer 
Sinn  als  in  der  ganzen  Moral,  gegen  die  sie  zu  Verstössen  den 
Muth  liaben."  .  .  .  Erbauliche  Grundsätze  eines  Geschichtslehrers 
an  deutscheu  Hochschulen!    Trefflicher  Sporn  für  einen  etwaigen 


1)  Arist.  Polit.  VJ.  2.  4.  5.  —  2)  Droysen  ,  Gesch.  des  Hellenisni.  Jl. 
S.  28.  —  3)  Droysen,  Gesch.  Alex.  d.  Gr.  S.  24S. 


224  Die  griechische  Komödie. 

Zuhörer-Prinzen,  dem  solche  Königsmoral  privatissime  oder  öifent- 
Hch  vorgetragen  würde!  Einen  Fusstritt  der  gemeinen  Moral,  — 
und  der  Thronerbe  sitzt  auf  dem  Bucephal,  ein  anderer  Alexan- 
der! Das  grosse  Pferd  macht  den  grossen  Mann;  hat  dieser  nur 
den  Muth,  den  Ochsenkopf  —  des  Rosses  nämlich  —  so  hoch 
empor  zu  halten,  dass  es  seinen  Schatten,  die  gemeine  Moral,  aus 
den  Augen  verlieii;.  Ein  besonnener  und  einsichtsvoller  Beur- 
theiler  des  Geschichtschreibers  erklärt  diesen  GrossmannsbegTÜi' 
eines  kleinen  Professors  aus  der  Chronomanie,  aus  der  Zeit- 
krankheit, die  auch  dem  „modernen  Geschichtsfasler "  in  den 
Gliedern  liege  i) :  „Je  unfähiger ,"  sagi  der  kundige  Beurtheiler, 
,je  unfähiger  man  im  Allgemeinen  zu  tüchtigen  und  gediegenen 
Leistungen  ist,  desto  mehr  erstrebt  man  den  Schein  der  Ueber- 
fähigkeit."  Wenn  es  das  allein  nur  wäre!  Wenn  hinter  dem 
Bücken  des  Geschichtschreibers  nm*  nicht  noch  ein  anderes 
Teufelchen  ihm  die  Gedanken  des  Meisters  zublies!  Wie 
lauten  die  Worte  des  Meisters,  für  den  ein  König  bekannt- 
lich nur  „das  Tüpfelchen  aufs  I",  König  Alexander  von  Ma- 
kedonien aber  das  I  selber  war,  worauf  die  Philosophie  des 
Aristoteles,  des  griechischen  Hegel,  das  Tüpfelchen  setzte? 
—  Wie  lauten  sie  doch,  diese  verba  magistri,  die  der  kleine 
Spiritus  scholaris,  das  Teufelchen  der  bunten  Knopflöcher,  or- 
dentlichen Professuren  und  ausserordentlichen  Gratificationen 
zu  soulfiiren  pflegt?  Sicher  wusste  der  wackere  Historiker 
selbst  nicht,  was  für  ein  Teufelchen  ihm  im  Nacken  sass 
und  ilim  die  verba  magistri  einblies.  Die  Worte  des  Meisters 
über  Alexander  den  Grossen  lauten  aber  so-):  „Wenn  er  dem 
Orient  in  diesem  Kampf  das  Uebel  vergalt,  das  Griechenland 
von  ihm  erfahren,  so  gab  er  ihm  auch  für  die  Anfänge  der  Bil- 
dung, welche  von  daher  gekommen,  das  Gute  zurück,  indem  er 
die  Keife  und  Holieit  der  Bildung  über  den  Osten  verbreitete  und 
das  von  ihm  besetzte  Asien  gleichsam  zu  einem  hellenischen 
Lande  umstempelte."  0  des  gTOSsen  Falschmünzers !-- wir  spre- 
chen vom  grossen  Alexander  —  o  des  glorreichen  Umsteniplers 


1)  .luhn's  N.  Jalirli.  liir  Piiilol.  I>eipzif^'  l!535.  V.  Jahrg.  XV.  Bd.  J.  Hit. 
ö.  172—197.  —  2)  Hegel'«  J'liilos.  d.  Gesch.  S.  332  f. 


Die  Verba  magistri  iiher  Alexander  d.  Grossen.  225 

von  Asien  7A1  einem  Hellenentlnmi  seiner  Satrapen -Königlein; 
dieser  Goldfliegen,  die  aus  dem  verwesenden  Leichnam  des  per- 
sisch-makedonischen Despotismus  das  Seuchengift  aufsogen,  das 
sie  dem  Hellenenthum  eiuflössten,  nicht  dass  sie  dieses  dem  Orient 
eingeimpft  hätten.  Besagtes  Teufelchen  blies  aber  auch  die  sau- 
bere Prinzenmoral  dem  Geschichtschreiber  Alexander's  des  Gr. 
in's  Oln-,  die  derselbe  Meister  auf  der  folgenden  Seite  vom  Lehr- 
stuhl seiner  Geschichts- Philosophie  vorträgt:  „Es  würde  zu  der 
grossen  weltgeschichtlichen  Gestalt  Alexander's  nicht  heranreichen, 
wenn  man  ihn,  wie  die  neuern  Philister  unter  den  Histo- 
rikern thun,  nach  einem  modernen  Maassstab,  dem  der  Tu- 
gend oder  Moralität,  messen  wollte."  Das  prächtige  Tüpfel- 
chen, das  der  Meister  über's  Königs-I  setzt,  und  das  er  zugleich 
als  Nasenschneller  den  Philistern  unter  den  Historikern  applicirt, 
die  Aristoteles'  Ethik  auch  für  Könige  geschrieben  glauben,  die 
bornirten  Philister!  Selbst  ein  Humboldt  war  zu  tief  von  den 
Miasmen  der  Höfe  durchdrungen,  um  Alexander's  des  Grossen 
Feldzug,  den  er  „als  wissenschaftliche  Expedition"  betrachtet  wis- 
sen will  1) ,  nach  dem  wahren  Motive ,  nach  den  Innern  Gründen, 
würdigen  zu  können.  Alexander's  „barbarisirende  Eichtung"  tritt 
in  den  Diadochen  unverhüllt  zu  Tage.  Mit  ihnen  verglichen, 
mit  Alexander  dem  Gr.  verglichen,  den  maasslose  Völlerei  in  der 
Blüthe  hinraffte,  nach  einem  Leben,  das  er  in  Eroberungstaumel, 
in  Macht-  und  Blutrausch,  durchras't  —  mit  diesem  verwilderten 
Achilleus  verglichen,  erscheinen  die  persischen  Achämeniden  als 
besonnene,  weise,  würdige  Fürsten. 

Stand  etwa  an  P^ifer  für  Kunst  und  Wissenschaften  Timur, 
der  WeltveiTvüster,  dem  Makedonier  nach?  So  wenig,  wie  er  ihm 
an  länderverschlingendem  Wolfshunger  nachstand,  an  reissender 
Eroberungsgier,  an  Ruhmsuchts-Säuferwalmsinn  und  kriegsherrli- 
cher Tollwuth.  Timur  oder  Tamerlan,  der  Hinkfuss,  zermalmte 
noch  mehr  Throne  und  Völker,  als  Alexander  der  Schieflials. 
Dabei  war  Timur  der  Gründer  eines  neuen  Ungeheuern  lieiclies, 
dessen  Grenzen  den  Länderumfang  des  Makedoniers  vielleicht  noch 
überflügelten,  und  dessen  Hauptstadt  Samarkand  über  ganz  Asien 


I)  Kosmos  II.  S.  l'J2. 
U.  15 


226  Die  griechische  Komödie. 

ihi-e  Pracht,  ihren  Reichthiim,  Glanz  und  Flor  ausstrahlte.  Ti- 
mur's  Liebe  für  die  Wissenschaften  kannte  keine  Schranken  und 
seine  Erwerbungen,  seine  „Munilicenz"  zu  Gunsten  derselben  kein 
Ziel  und  Maass.  Ganze  Heerden  von  Kameelen  und  Dromedaren, 
bepackt  mit  Gelehrsamkeit,  wie  die  Professoren,  brachten  ihm  Bi- 
bliotheken voll  der  seltensten  Schriftwerke  und  Codices  heran- 
geschleppt und  schütteten  sie  knieend  auf  allen  Vieren,  wie  Hof- 
geschichtschreiber, zu  seinen  Füssen  aus,  worüber  das  Nähere 
bei  Tamerlan's  Geheimschreiber,  einem  deutschen  Professor  aus 
München,  Namens  Schiltberger,  in  seiner  Schrift  zu  lesen :  „Schiit- 
berger  ,  der  viel  Wunders  erfahren  hat."  i)  War  aber  Tamerlan 
darum  weniger-  ein  gekaiserter  Bluthund?  Sass  er  darum  weniger 
auf  einem  aus  Menschenschädeln  aufgethürmten  Kaiserthron? 
Alexandrien,  den  Weltmarkt  Alexandrien,  den  holen  die  Abgötterer 
des  grossen  Weltmarktsgründers,  als  Perseus-Schild,  sogleich  aus 
ihrem  geschichts-philosophischen  Sack  hervor,  um  damit  Jeden,  der 
vor  dem  Götzen  nicht  in  die  Knie  sinkt,  zu  dessen  Anbeter  zu 
versteinern.  Alexandrien  —  als  sey  aus  Alexandriens  Weltmarkt 
das  Heil  der  Welt,  aus  Alexandriens  Weltmarkt  der  Segeusstrom 
aller  Cultur  entsprungen.  Alexander's  Welthandelstadt  —  zuge- 
standen —  ward  in  der  Folge  für  Roms  Handel  der  mächtige 
Rüssel,  die  grosse  Saug-pumpe,  womit  es  Asiens,  besonders  Indiens 
Schätze,  Bergwerke,  Fundgruben,  alle  Erzeugnisse,  Specereien, 
Edelsteine,  ausschöpfte,  und  in  die  Speicher  von  Alexandrien  aus- 
spie; gleichzeitig  aber  auch  den  Weltstapelplatz  zum  Wälzeplatz 
römischer  Ueppigkeit  und  Schaudthaten,  zum  Lasterpfuhl  römi- 
scher Völlerei  und  Unzucht,  zur  Cloaca  maxima  allen  Völkeraus- 
wurfs spie.  Des  herrlichen  Segens,  den  der  Weltmarkt  für  die 
Menschheit  abwarf!  —  Aber  die  Verschlammung  eines  völkerver- 
knüpfenden Stromes  soll  man  diesem  nicht,  nicht  dem  Erbauer  Ale- 
xandriens die  spätere  Verderbniss  seiner  Schöpfung  zur  Last  legen ! 
—  Wohl.  Aber  eben  so  wenig  sind  auch  alle  aus  solcher  Schöpfung 
im  Verlaufe  der  Zeiten  und  Entwicklungen  erwachsenen  Vortheile 
auf  den  Ehrenscheitel  des  Gründers  zu  häufen,  und  die  Arbeit 
des  Geschichtsgeistes  seiner  Geistesgrösse ,  seinem  Genie  gut 


1)  Ulm  1473.  S.   192. 


Das  heroische  Königthuiii.  227 

ZU  schreiben.  Am  allerwenigsten  darf  man  mit  dem  Weltmarkt 
das  ünmaass  seiner  Abscheulichkeiten  weissbrennen  wollen,  und 
ihn  mit  Haut  und  Haaren  auf  gut  geschichts- philosophisch  ver- 
göttern, bis  zur  unphilosoi)hischsten  Yerketzerung  aller  Derer,  die 
sich  einen  andern  Begriff  von  Königs-Grösse  und  Köuigs-Bestim- 
mung  bilden.  Mit  dem  Köuigsmaassstabe  der  historiogi-aphischen 
Molochspfaffen  gemessen,  mag  Alexander  von  Makedonien  der 
Prototyp  eines  gi'ossen  Königs  seyn  und  als  das  glänzendste  Vor- 
bild des  Königthums  von  Moloch's  Gnaden  angestaunt  werden. 
Der  Geschichtschreiber  einer  glücklichern,  vernimftgerechten  Zu- 
kunft; der  Geschichtschreiber  eines  mit  den  Völkern  zugleich  ge- 
läuterten Herrsch  aftsbegTiffes,  wird  Alexander  den  Grossen  mit 
Timur  dem  Tartarchan  auf  derselben  Schlächtei"wage  wägen,  und 
das  Haar,  um  welches  die  Blutschale  des  Mongolen  tiefer  sinken 
möchte,  als  Ausschlagsgewicht,  in  Rücksicht  auf  das  Aederchen 
hellenischen  Geistes,  zulegen,  das  in  dem  Herzen  von  Aristoteles' 
Zögling  schlug.  Dem  Historiker  von  geläuterten  Gesichtsbegiif- 
fen  wird  das  heroische  Königibum  dereinst  in  einem  andern  Lichte 
erscheinen.  Einem  solchen  Geschichtschreiber  wird  derjenige 
König  nur  ein  heroischer  Kriegsfürst  heisseu,  der  Kriege  einzig 
im  Dienste  eines  allgemeinen  Heilzweckes  führt;  Schlachten  im 
Dienste  jener  grossen  Entwickelungs-  und  Fortschritts-Ideen  der 
Menschheit  liefert:  im  Dienste  der  Sitte,  des  Eechts  und  der 
Freiheit.  Solche  Kriege  Avaren  die  hellenischen  Befreiungskriege 
gegen  die  asiatischen  und  afrikanischen  Barbaren,  Perser  und  Kar- 
thager. Zur  Zeit  Alexander's  von  Makedonien,  wo  die  Hellenen 
von  der  Höhe  der  grossen  Civilisations-Bestimmung  herabgesun- 
ken waren;  wo  sie  selbst  eine  Wendung  nach  der  barbarisirenden 
Richtung  hin  genommen  hatten;  wo  jene  ewigen  Leitsterne  al- 
les Menschen-  und  Völkerheils,  aller  Segenswirkung,  alles  wahr- 
haft Grossen  und  Heroischen,  wo  Sitte,  Recht  und  Freiheit  aus 
dem  Gesichtskreise  des  hellenischen  Staats-  und  Volkslebens  gänz- 
lich zu  verschwinden  droliten:  in  dieser  Epoche  bestand  auch  der 
Gegensatz  nicht  mehr  in  ursprünglicher  Stärke  und  Gültigkeit; 
der  Gegensatz  zwischen  den  beiden  HeiTSchaftsprincipien:  dem 
der  dynastischen  P'amilienherrschaft,  wonach  von  dem  Oberhaupt 
einer  HeiTscheifamilie  die  Gesammtexistenz  der  Nation,  der  Staats- 
begriff, selbst  absorbirt  wird;  dem  l^rincipe  des  Despotisnms,  der 

15* 


228  -^^^  griechische  Komödie. 

Barbarei,  imd  zmschen  dem  ihm  mfeindlich  entgegengesetzten 
Principe  der  Herrschaft  jener  Führer-Ideen  des  Menschengeschlechts 
und  der  Menschengeschichte,  jener  allgemeinen  Völker-  mithin 
wesentlich  demokratischen  Heilzwecks -Ideen:  Sitte,  Kecht  und 
Freilieit.  Zur  Zeit  Alexander's  von  Makedonien  lebten  diese  gros- 
sen Gedanken,  durch  hellenische  Bildung  Iränstlich  eingeimpft 
und  gepflegt,  eben  nur  scheinbar  im  Geiste  vereinzelter  Herrscher ; 
gleissten  ihre  Scheinbilder,  wie  die  längst  erloschener  Gestirne, 
in  den  ehi-geizig  dynastischen  Plänen  solcher  Machthaber  trüge- 
risch nach.  Jene  Ideen  waren  gleichsam  selbst  zu  dynastischem 
Erbbesitz  geworden,  mithin  in  ihr  Gegentheil  verkehrt.  Asiatischer 
Despotismus  war  von  makedonischer  Königsherrschaft  nur  schein- 
bar, nicht  im  Geist  und  Wesen,  nicht  in  der  Maclitübung,  ver- 
schieden. Das  makedonische  Volk,  ohne  Gefühl  und  Bewusstseyn 
eines  Sellistzweckes,  war,  in  althellenischem  Simie,  nicht  freier  und 
autonomer,  als  ein  asiatisches,  dem  Zwecke  seiner  Despoten  frohn- 
dendes  Sklavenvolk.  Alexander  von  Makedonien  strebte  und  wirkte 
daher  nicht  im  Dienste  der  grossen  Völkerzwecke,  sondern  als  ihr 
HeiT  und  Gebieter.  Sie,  die  Völkerzwecke,  mussten  ihm,  seinem 
HeiTScherehrgeiz,  seiner  dynastischen  Machtfülle,  seiner  uubegTenz- 
ten  Kuhmsucht,  seinem  Pseudoheroismus  frohnden.  Die  Früchte 
solchen  Strebens  entsprachen  vollkommen  ihrer  im  Marke  verrot- 
teten Wurzel.  Die  Früchte  erwiesen  sich  als  Sodoms-Aepfel: 
aussen  golden,  innen  todte  Asche,  in  die  Hellas  sowohl  wie  das 
persisch-makedonische  Reich  zerfiel.  Wenn  in  dieser  Asche  Le- 
bensfunken neuer  geschichtlichen  Entwickelungen  fortglimmten; 
so  unterhielt  und  fachte  sie  der  fortbildende  unsterbliche  Ge- 
schichtsgeist; blies  sie  Gottes  lebendiger  Odem  zu  reicherem  Völ- 
kerleben wieder  an ;  war  diess  eine  Geschichtsthat  des  in  der  Men- 
schengeschichte fortarbeitenden  Geistes,  nicht  die  Absicht  von 
Alexander's  Eroberungszuge;  nicht  Folge  der  Zertriimmerung  des 
asiatischen  Despotismus,  um  dessen  Trümmerstücke  seine  Nach- 
folger ihre  Kriogshorden  sich  gegenseitig  metzeln  und  zerfleischen 
Hessen,  und  mit  dessen  Trüiumerstücken  sie  auch  ihre  asiatische, 
nicht  hellenische  Despotenherrschaft  auf  einer  Pfütze  von  Blut 
und  Verbrechen  gründeten.  Wie  der  Zweck  und  der  Beweggrund 
so  der  Held.  Alexander's  von  Makedonien,  des  Halbgriechen,  Er- 
oberungszwecke,  im  Innersten  waren  es  persönliche,  despotische, 


Niebuhr  über  Alexander  den  Grossen.  229 

Völker-  und  Freiheitsfeindliche  Zwecke.  Pseudolieroisch  wie  seine 
Beweggründe,  war  auch  Alexander  ein  Pseudo-Königsheld.  Der 
grösste  dieses  Schlages,  aber  auch  nur  dieses  Schlages.  Als  ein 
Gott  Dionysos  schien  er  seinen  Zug  anzutreten  und  beschloss  ihn 
als  einer  von  des  Gottes  betrunkenen  Faunen  oder  Silenen.  Am 
Ausgange  ein  Achilleus,  endete  er  seine  Laufbahn  als  Thersites. 
Thebens  Zerstörung,  Alexanders  erste  Jünglingsgrossthat ,  schon 
diese  zeigt,  wess  Geistes  Kind  der  Halbbarbar  war,  und  brand- 
markt ihn  zum  asiatischen  Despoten. 

Bemfen  wir  uns  auf  eine  Autorität,  die  unsere  Ansicht  über 
Alexander  unter  ihre  Flügel  nehme?  Nun  so  nennen  wir  einen 
Geschichtschreiber,  dem  der  von  Alexander  dem  Gr.  nicht  an's 
Knie  reicht,  und  zu  dessen  Füssen  er  noch  als  Professor  sitzen 
dürfte,  auf  seineu  sämmtlichen  Werken,  lernbegierig  lauschend,  wie 
ein  Schüler  der  Sorbonne  auf  dem  Strohbündel.  —  Niebuhr's  Kern- 
m^theil  über  Alexander  ^)  lautet  wie  folgt : 

„Die  Zeitgenossen  Alexander's  unter  den  Griechen  täuschten 
sich  nicht  über  seine  Einwirkung.  Er  starb  mit  dem  Fluche  und 
der  Verabscheuung  Griechenlands  und  Makedoniens.  Hätte  er 
länger  gelebt,  so  hätte  er  vielleicht  das  Gebäude  seines  Glücks 
selbst  stürzen  gesehen.  Er  konnte  nur  thätig  und  rege  seyn,  und 
wirklich  wäre  er  dabei  gescheitert.  Er  wollte  nicht  Asien 
griechisch,  sondern  Griechenland  persisch  machen. 
Wäre  er  daher  länger  in  Asien  geblieben,  so  hätten  wir  unter 
ihm  ein  griechisch-persisch-makedonisches  Reich  entstehen  sehen. 
Da  er  Griechen  und  Makedonier  persisch  bewaffnen  wollte,  so 
hätten  diese  wahrscheinlich  sich  später  empört  und  ihn  umge- 
bracht. Das  einzige  Kettungsmittel  Griechenlands,  wodurch  es 
frei  hätte  werden  können,  wäre  gewesen,  wenn  Alexander  ausge- 
lebt hätte  und  mit  dem  liuhme  seiner  Thaten  gefallen  wäre." 

Was  nun  seine  und  seiner  Nachfolger  Zeitepoche  betrifft,  so 
ist  diess  das  grösste,  und  nm*  durch  die  Macht  des  im  Erlöschen 
noch  gewaltigen  hellenischen  Geistes  erklärliche  Wunder:  dass 
die  in  voller  Venvesung  begriffene  Zeit  noch  solche  Meisterwerke 


1)  Vorträge  über  alte  Geschichte  herausg.  v.  M.  v.  Niebuhr.     Bd.  II. 
S.   152  ff. 


230  I^iß  griechische  Komödie. 

der  Malerei,  und  einer  immerhin  staunenswerthen,  sey's  auch 
flberschwänglichen,  Plastik  hervorbringen;  dass  sie  noch  eine  Ko- 
mödie, wie  des  Menander,  ans  ihren  gangi'änirten  Eingeweiden 
herausgebären  konnte. 

In  dem  alphabetischen  Verzeichniss ,,  das  Meineke  von  den 
Dichtern  der  neuen  Komödie  giebt  ^ ,  sind  folgende  Namen  auf- 
gezählt: Apollodoros  aus  Gela  (o  Felwog),  Apollodoros 
aus  Karystos  (Euböa),  Anaxippos,  Anthippos,  Baton, 
Kriton,  Korbylos,  Kallipos,  Diphilos,  Damoxenos,  De- 
metrios,  Demophilos,  Diodoros,  Dionysios,  Diophan- 
tos,  Euphron,  Epinikos,  Evangelos,  Eudoxos,  Hege- 
sippos,  Hipparchos,  Lynkeus,  Menandros,  Nikomachos, 
Nikolaos,  Philippides,  Phoenikides,  Posidippos,  Phi- 
lemon,  Philostephanos,  Simplos,  Sosipatros,  Theogne- 
tos,  Theophilos.  Unter  diesen  ragten  als  Meister  hervor:  Me- 
nandros (oder  Menander),  Philippides,  Diphilos,  Phile- 
mon  und  Apollodoros  der  Karystier. 

Menandros. 

Greb.  zu  Athen  Ol.  109,  3  ==342.  Von  seiner  Mutter  ist  nur 
der  Name,  Hegesistrata,  überliefert.  Sein  Vater,  Diopithes,  athe- 
nischer Feldherr,  hatte  eine  Kolonie  nach  dqm  Chersonesos  ge- 
führt. Hier  ward  er  mit  Philipp  von  Makedonien  in  Streitigkei- 
ten vei*wickelt,  der  ihn  bei  den  Athenern  verklagte.  Von  De- 
raosthenes,  in  der  Rede  de  Chersoneso,  vertheidig-t,  wurde  Diopi- 
thes frei  gesprochen.  Ein  Scholiasf-)  bemerkt  hiezu,  Diopithes 
hätte  die  mächtige  Fürsprache  des  grossen  Redners  der  Freund- 
schaft zu  verdanken  gehabt,  die  z-wischen  Demosthenes  und  dem 
Sohne  des  angeklagten  FeldheiTu,  dem  jungen  Menandi'os,  bestand. 
Die  Notiz  ist  eine  gewöhnliche  Scholiasten- Anekdote,  In  dem 
Jahre,  wo  dieser  Process  stattfand,  wurde  Menander  erst  gebo- 
ren. 3)  Der  junge  Menander  empfing  eine  sorgfältige  Erziehung. 
Auch  an  ihm,  wie  an  allen  ersten  Meistern  des  griechischen  Dra- 
ma's,  bewährt  sich  die  bestimmende  Einwirkung  der  gleichzeitigen 


1)  Quaest.  Seen,  specim.  II.  p.  .5.  6.  —  2)  in  Ms.  e.  cod.  Redhigerano 
descript.  —  .3)  Meineke  vit.  Menandr.  p.  XXIV. 


Menander.  231 

Philosophie.  Lehre  und  Umgang  der  beiden  namhaftesten  Philo- 
sophen jener  Zeit,  des  Theophrast  und  Epikur,  erscheinen  wie 
vorbestimmt,  ihn  zum  Vollender  der  neuen  attischen  Komödie 
auszubilden.  In  den  noch  vorhandenen  Charakteren-Schildermigen 
des  Theophrastos  kann  man  die  Vorstudien  und  Umrisse  zu  den 
Figm'en  dieser  Komödie  erkennen.  Es  sind  allgemeine  Charak- 
terbilder, mit  scharfer  Beobachtungsgabe  getreu  nach  dem  Leben 
gezeichnet,  aus  einzelnen  stereotypen  Zügen  und  Eigenschaften 
von  wirklichen,  durcli  Berufs-,  Standes-  und  Neigungs-Eigenthüm- 
lichkeiten  absonderlichen  Individuen  abstrahirt.  Aehnlich  werden 
wir  die  „Charaktere"  des  Le  Bruyere  die  Komödien  MoHere's  be- 
gleiten sehen,  der  aber  den  Menander  an  Komik  und  Genie  weit 
übertrifft  und  in  seine  Farben  etwas  von  dem  Geiste  der  alten 
attischen  Komödie,  einen  Blutstropfen  von  Aristophanes'  Geissei, 
mischt.  Menander  war  in  Eichtung  und  Gesinnung  ein  Dichter 
der  Höfe;  Moliere  verbarg  hinter  der  Maske  des  Hofdichters  ein 
demokratisches  Herz,  wie  Montaigne  und  Rabelais  unter  der  bunt- 
scheckigen Jack§.  Epikur's  Lelii'en,  Principien  und  Maximen 
trägt  die  Komödie  des  Menander,  trägt  sein  Leben  offen  an  der 
Stirne.  Er  führte  ein  glänzendes,  üppiges  Leben  (Xa/^ingog  zcp 
ßio)).  Phaedrus  schildert  den  Menander  ^)  schwimmend  in  Wohl- 
gerüchen und  Balsamdüften,  dahinwallend  in  weiten,  weichlichen 
Gewanden;  aufgelösten,  schmachtend -wollüstigen  Ganges.  Er 
liebte  leidenschaftlich  die  Frauen:  negi  ywalxag  sy.i.iaviorazng.'^) 
Um  ein  Jahr  älter  als  Epikur,  blieb  der  Dichter  bis  an  sein  Ende 
Freund  und  Genosse  des  Philosophen.  In  einem  Epigramm  ^j 
vergleicht  Menander  seinen  Jugendgefährten  Epikur  mit  Themi- 
stokles:  „Beide  Söhne  von  Vätern  gleichen  Namens  (Xenokles), 
habe  der  Eine  (Themistokles;  seinem  Vaterlande  die  Freiheit  er- 
rungen, der  Andere  rEpikm'Os)  es  mit  Weisheit  begabt." 

Schon  im  zwanzigsten  Jahre  hatte  sich  Menander  als  Ko- 
mödiendichter ausgezeichnet.  In  demselben  Jahre  starl)  Aristo- 
teles (322  V.  Chr.j,  dessen  Kunstlelu*e  und  dramaturgische  Kegeln 
er  unzweifelliaft  studirte,  und  mit  Hülfe  von  Aristoteles'  Lieb- 
lingsschüler, seinem  Lehrer  Theophrastos,  ergründen  und  sich  an- 
eignen mochte.    Ein  Jalu-  später  gewann  er  mit  seiner  Komödie 

1)  VI,  1.  —  2)  Suid.  II.  p.  531.  —  3)  Anthol.  Jacobs  T.  I.  p.  13ti. 


232  Die  griechische  Komödie. 

'Ogyrj,  der  Zorn,  seinen  ersten  Siegesla-anz. i)  In  rascher  Auf- 
einanderfolge brachte  er,  nach  Aul.  Gellius^),  109  Komödien  auf 
die  Bühne,  deren  Proben  er  selbst  leitete. 3)  Gleichwohl  soll  er 
nur  acht  Siege  eiTungen  haben.  Die  meisten  Kränze  entwand 
ilmi  sein  älterer  Nebenbuhler,  Philemon,  den  er  einmal,  gelegentlich 
eines  solchen  Sieges,  fragie :  „Wirst  du  denn  nicht  schamroth  zu- 
weilen, wenn  du  deine  Komödien  den  meinigen  vorgezogen  siehst?  ^) 
Berühmt  ist  Menander's  Verhältniss  mit  der  Glykera,  einer 
der  schönsten  und  reizendsten  Hetären  ihrer  Zeit,  von  seltenem 
Zartgefühl  und  feiner  Seelenbildung.  Sie  war  früher  die  Maitresse 
des  verschwenderischen,  ausschweifenden  Harpalos,  eines  der  Statt- 
halter Alexander  d.  Gr.  In  Sp-ien  Hess  ihr  Harpalos  eine  Statue 
setzen.  In  Tarsos  wohnte  sie  mit  ihm  in  demselben  Palaste  und 
theilte  mit  ihm  die  öffentlichen  Ehren.  Sie  wurde  daselbst  vom 
Volke  angebetet.  Erschien  sie  auf  der  Strasse,  fiel  Alles  vor  ihr 
auf  die  Knie,  wie  vor  einer  Königin.^)  Wenn  Städte  und  Be- 
völkerungen Götzenschande  mit  einer  Dirne  trieben,  konnte  die 
Komödie,  Spiegel  und  Abdruck  der  Zeit,  nicht  zurückbleiben.  In 
der  mittlem  Komödie  war  das  Hetärenthum  noch  Stichblatt  der 
Satire;  die  neue  Komödie  macht  es  zu  ilirem  Herzblatt  —  ein 
namhafter  Fortschritt!  Leider  war  der  Dichter  Menander  kein 
Harpalos,  und  konnte  seiner  Glykera  solche  Ehren  nicht  bieten. 
Die  trefflichste  der  Buhlerinnen  hing  trotzdem  an  ihrem  Komö- 
diendichter mit  ganzer  Seele,  ohne  sich  selbst  von  seinem  Schie- 
len beirren  zu  lassen.  Menander  setzte  der  Geliebten  dafür  auch 
ein  dauernderes  Denkmal,  als  eine  Statue,  in  einer  seiner  Komö- 
dien, worin  Glykera  als  Heldin  glänzte.*')  Der  griechische  Eo- 
manschreiber  aus  dem  2.  oder  3.  Jahrh.  nach  Chr.,  Alkiphron, 
hat  seinen  116  Briefen  eine  fingirte  Correspondenz  zwischen  Me- 
nander und  Glykera  eingetiochten,  von  einer  Zierlichkeit,  Zartheit 
und  Innigkeit  des  Gefühls,  in  den  Briefen  der  Glykera  besonders, 
dass  sie  der  Verfasser  der  Manon  Lascaut  nicht  zärtlicher,  ßer- 
nardin  de  Saint  Pierre  niclit  kindlich  gefühlvoller  hätte  schreiben 
können.    Menander's  Ablehnung  einer  vom  Könige  von  Aegypten, 


1)  Eus.  ad  Olymp.  CXIV,  4.  Mein.  vit.  XXX.  —  2)  Noct.  Att.  XVII, 
4.  —  3)  Alciphr.  II,  4.  —  4)  Aul.  GeU.  XIII,  4.  —  5)  Athen.  Xni,  68. 
p.  595  D.  —  0)  Meineke,  Men.  et  Pliil.  Rcli(i.  p.  39. 


Menander.  233 

Ptolemäos  Lagi,  an  iliii  ergangenen  und  von  den  schmeichelhaf- 
testen Auszeichnungen  begleiteten  Einladung  wird  in  jenem  Brief- 
wechsel durch  die  Liebe  zur  Glykera  motiviit,  die  der  Dichter 
nicht  für  den  Thron  des  Ptolemäers  verlassen  möchte.  Aber  eine 
Hetäre  bleibt  am  Ende  doch  nur  ein  Weib,  und  ihre  Liebe  denn 
auch  dem  Wechsel  und  der  Wandelbarkeit  unterworfen.  Menan- 
der's  Nebenbuhler,  Philemon,  der  sich  nicht  gescheut  hatte,  ihm 
die  Siegeski'änze  zu  entreissen,  trieb  die  Unverschämtheit  so  weit, 
ihm  auch  die  Geliebte  zu  rauben. ')  Die  verfeindeten  Nebenbuhler 
kämpften  nun,  nicht  blos  wie  sonst,  mit  Komödien,  sondern  auch, 
in  diesen,  mit  Anspielungen  auf  Glykera,  die  von  Seiten  Meuan- 
der's  nur  Anzüglichkeiten  und  die  empfindlichsten  Epigramme 
mit  den  bittersten  Pointen  seyn  konnten. 

Von  dem  ersten  Begegniss  des  Demetrios  Phalereus,  des  da- 
maligen HeiTn  von  Athen,  mit  unserem  Dichter  findet  sich  eine 
Schilderung  in  einem  Fragmente  desPhädrus. '-)  Als  ihn  Kassander's 
Statthalter  in  der  Menge  erblickte,  fragte  er:  wer  der  Weiclüing 
dort  wäre,  der  ihm  unter  die  Augen  zu  treten  wage?  Der  Name 
Menander  bewirkte  eine  augenblickliche  ümstimmung  in  dem 
Gewalthaber.  Bald  wurden  sie  vertraute  Freunde.  Aber  wenig 
fehlte,  dass  diese  Gunst,  bei  dem  damaligen  raschen  Glücks-  und 
HeiTScherwechsel,  der  in  der  Zeitluft,  wie  das  Hetären-  und  Aben- 
teurer-Wesen,  zu  schweben  schien,  dem  Komödiendichter  nicht 
verderblich  wurde.  Als  Günstling  des  gestürzten  Tyrannen  bei 
dessen  Nachfolger,  Demetrios  Poliorketes,  denuncirt,  hatte  Menan- 
der seine  Rettung  nur  der  Verwendung  eines  nahen  Verwandten  vom 
siegreichen  Tyrannen  zu  danken.  3)  Dem  einen  Tyrannen  entronnen, 
fiel  er  einem  noch  tückiscliern  in  die  Hände,  dem  „Meertyrannen." 
Als  Menander  eines  Tages  in  dem  Hafen  des  Piräeus,  in  der  Nähe 
seiner  kleinen  Besitzung  badete,  ertrank  er,  von  einem  Schwimm- 
krarapf  ergriffen,  im  Alter  von  52  Jahren.'*)  Die  Atliener  errich- 
teten ihm  ein  Grabmal  am  Saume  der  Wegstrasse,  die  vom  Hafen 
nach  der  Stadt  führt,  nicht  weit  vom  Kenotaphium  des  Euripides, 
den  Menander  von  allen  Tragikern  an  meisten  bewunderte,  stu- 
dirte  und  nachahmte.    Seiner  Lehre  von  der  Seelenwanderung  zu 


1)  Athen.  XIH.  p.  594  D.  —  2)  VI,  11.  —  3)  Diog.  La.  V,   354. 
4)  Alciphr.  Ei)ist.  II,  4. 


234  Die  griechische.  Komödie. 

folge,  würde  P\i;hagoras  den  T^a/t/wxaroc;  in  Menander  als  ko- 
mischen Hetären-Dichter  wiedergefunden  haben. 

Aus  den  über  tausend  Nummern  zälilenden  gTössern  und 
kleinern  Trümmerstücken  von  Menander's  Komödien  vermöchte 
aber  selbst  Pythagoras  nicht,  den  Dichter  und  seine  Kunstart 
wieder  zu  erkennen,  viel  weniger  die  Nachwelt.  Fast  könnte  man 
der  lebensklugen  Spruchweisheit,  der  Fülle  von  Klugheitsregeln, 
Maximen,  Gnomen  und  Sentenzen,  womit  der  grösste  Komödien- 
dichter einer  erbärmlichen  Zeit,  behufs  praktischer  Nutzanwen- 
dung, seine  Dramen  würzte,  grollen  und  sie  verwünschen.  Denn 
nächst  dem  fanatischen  Eifer  der  Byzantinischen  Mönche,  die 
gegen  die  heidnische  Poesie,  insonders  aber  gegen  die  Komödie 
einen  Vernichtungskrieg  führten  mit  Feuer  und  Schwert,  trägt 
vielleicht  jene  mundgerechte  Spruchweisheit,  jener  Reichthum  an 
praktischen  Lebensregeln  zum  täglichen  Gebrauch,  trägt  jene  Ka- 
lenderweisheit,  zu  Nutz  und  Frommen  des  Umgangs  und  der 
Menschenkenntniss,  des  Schlegelschen  Klugmachungs-Zweckes,  mit 
einem  Wort,  die  meiste  Schuld  an  der  Preisgebung  der  Dramen 
selbst  für  das  Spottgeld  der  aurea  dicta;  wie  etwa  Trödler  die 
werthvollsten  Stoffe  des  Brandsilbers  wegen  verwüsten.  Menan- 
der's Komödien  lagen  zum  grossen  Theil  noch  dem  Erzbischof 
Eustathios  vor  (f  1198),  welcher  sie  in  seinen  Erklärungen  zur 
Dias  und  Odyssee  häufig  citirt.  Will  man  dem  Leon.  Allacci 
glauben,  so  waren  noch  zu  seiner  Zeit  (XVII.  Jahrb.)  vier  und 
zwanzig  Komödien  in  den  Manuscripten- Schätzen  zu  Konstanti- 
nopel vorhanden,  gesammelt  und  commentirt  von  Michael  Psellos 
(t  1079).^)  Das  gleicht  freilich  einer  antiquarischen  Legende, 
gegenüber  den  Versicherungen  des  gi-iechischeu  Flüchtlings  De- 
metrios  Chalkondylas  (f  1511),  wonach  sämmtliche  Komödien- 
Manuscr.  des  Menander  und  Philemon  zugleich  mit  den  erotischen 
Elegien  des  Mimnermos  und  den  Gesängen  des  Alkäos,  auf  Be- 
treiben der  zelotischen  Priester  und  Mönche,  von  den  Byzantini- 
schen Kaisern  den  Flammen  übergeben  wurden,  um,  an  SteUe 
derselben,  den  Poesien  des  h.  Gregorius  von  Nazianz  Eingang  zu 
verschaffen.'^) 


1)  Leon.  Allat.  de  PseU.  p.  69.  Fabr.  Bibl.  gr.  U,  460.  Vgl.  G.  Guizot, 
Men.  p.  43.   --  2)  Alcyon.  de  Exilio  I.  Yen.  1522.  4. 


Menander's  Kuuiödien.  235 

Eine  der  frühesten  Blüthenlesen  aus  fünfzig  Dichtern  der 
mittlem  und  neuen  Komödie  liegt  uns  von  1560  Baseler  Ausg. 
vor:  rvioi-UAct  oioKöusva,  herausg.  von  Jacob  Hertelius.  Andere 
Sammlungen  zahlloser  alphabetisch  geordneter  monosticher  Gnomen 
(Fvcdiitai  /novoariyoi)  nicht  zu  gedenken,  wie  die  moralische  Blu- 
menlese des  Butgersius  z.  B.  i),  unter  dem  Titel  MsvdvÖQOv  xal 
0LXioticovig  avyxQioig,  worin  jedoch  des  Letztern  Beiträge,  nach 
Meineke'-),  auf  Rechnung  des  Philemon  kämen.  Alle  diese  Blü- 
thenlesen blieben  in  den  gelehrten  Barten  der  Sammler  hängen, 
wie  jene  arabischen  wohlriechenden  Gummitropfen  an  den  Barten 
der  Ziegenböcke  haften  bleiben,  die  von  den  benagten,  und  in 
Folge  dessen  verdorrten  Stauden  blos  die  Harzklümpchen,  als 
Bartkötel,  aufbewahren. 

Was  wir  vom  Inhalt  einer  und  der  andern  Komödie  des  Me- 
nander,  Philemon,  Diphilos,  wissen,  schulden  wir,  nächst  ihren 
Nachahmern  und  Bearbeitern,  nächst  Plautus  und  Terentius,  dem 
Erklärer  des  Terenz,  dem  Grammatiker  Aelius  Donatus  (4.  Jahrh. 
nach  Chr.).  So  z.  B.  die  Fabel-Intrigue  des  Thesauros  (der  Schatz) 
und  die  der  „Erscheinung"  {(pdG(.i(x);  beides  Komödien  von  Me- 
nander.  Die  Mittheilungen  des  Donat  sind  um  so  schätzbarer,  als 
von  beiden  Komödien  nur  spärliche  und  nicht  eiimial  sinnklare 
Bruchstücke  vorhanden.  Der  Plan  des  Thesauros  ist  bekannt; 
weniger  der  vom  Phasma  (die  Erscheinung):  Pheidon  hat  einen 
Sohn  aus  erster  Ehe.  Pheidon's  zweite  Frau  hatte  sich,  vor  ihrer 
Verheirathung  mit  ihm,  von  einem  jungen  Manne,  den  sie  liebte, 
verführen  lassen  und  ein  Mädchen  geboren.  Sie  lässt  die  Toch- 
ter heimlich  in  einem  verborgenen  Gemache,  im  Nachbarhause 
eines  nahen  Verwandten  ihres  Ehegatten,  erziehen.  Um  das  Mäd- 
chen, ohne  Argwohn  zu  erregen,  täglich  sehen  zu  können,  hatte 
die  Mutter  in  der  Verbindungswand  beider  Häuser  eine  Oeffhung 
anbringen,  und  das  Cabinet  selbst,  in  welches  die  Oefthung  führte, 
als  vorgebliche  Andaclitskapelle  herrichten  lassen.  Durch  diesen 
von  Blätterwerk  verborgenen  Zugang  liess  die  Mutter  das  Mädclien, 
so  oft  sie  es  sehen  wollte,  in  das  Cabinet  eintreten.  Eines  Tages 
wurden  Beide,  Mutter  und  Tochter,  von  dem  Stiefsohn  der  Mut- 
ter übeiTascht.     Beim  Anblick  des  schönen  Mädchens  bleibt  er 


n  Varr.  Lectt.  p.  .356—367.  --  2)  Vit.  p.  VII  if. 


236  Die  griechische  Komödie. 

wie  angezaubert  steheu.  An  diesem  den  Göttern  und  der  Andacht 
geweihten  Orte  muss  er  die  Erscheinung  für  die  eines  göttli- 
chen Wesens  halten.  Daher  trägt  das  Stück  den  Namen.  Bald 
kommt  jedoch  der  junge  Mensch  hinter  das  Geheimniss.  Seine 
Liebe  entbrennt  nun  zu  einer  solchen  Stärke,  dass  sein  Leben  vom 
Besitze  des  Mädchens  abhängt.  Mutter  und  Vater  geben  ihre 
Einwilligung.  Die  Vermählung  des  Liebespaares  beschliesst,  wie 
üblich,  die  Komödie  und  lo'öut  die  artige  Erfindung  mit  einer 
Beglückung  zweier  Herzen,  die  ausserhalb  der  Combination  un- 
serer Lustspiel-Heirathen  liegt. 

Die  Fabel  zm-  Komödie:  Die  Kette  (IHoxinv)  hat  uns 
Aul.  Gell.^)  überliefeii.  Wir  finden  zwei  Greise  im  Gespräch. 
Der  Eine,  Simon,  klagt  seinem  Nachbar,  Menedemos,  sein 
Hausleiden.  Seine  Ehegattin,  Korbyla,  ein  hässliches,  zänkisches 
und  herrschsüchtiges  Weib,  das  er  nur  ihrer  Mitgift  halber  ge- 
heirathet,  hatte  ihn  aus  Eifersucht  gezwungen,  eine  junge  hübsche 
Sklavin  zu  entfernen.  Einen  Theil  dieser  Herzenserleichterung 
des  alten  Simon  enthält  ein  Fragment  bei  Meineke.-)  Dasselbe 
wird  durch  ein  neues  Fragment  ergänzt,  das  Dr.  Daremberg  in 
den  unedirten  Schollen  über  Hippokrates  aus  einer  Handschrift 
der  vaticanischen  Bibliothek  entdeckte.  3)  Die  Klagen  des  alten 
Simon  finden  ihr  Echo  bei  Nachbar  Menedemos.  Dieser,  obgleich 
Wittwer,  weiss  von  ehemals,  wo  einen  Ehemann  der  Hausschuh 
drückt.  Seine  Korbyla  war  ein  giftiger  Hausdrache  ohne  Mitgift. 
Nachbar  Menedemos  ist  blutarm.  Sein  ganzer  Besitz  besteht  in 
einer  mannbaren  Tochter;  so  mannbar,  dass  sie  den  Beweis  ihrer 
Heirathsfähigkeit  vor  der  Hochzeit  abgelegt.  Der  alte  Grossvater 
in  spe  hatte  sich  denn  auch  aufgemacht  und  ist  vom  Lande  nach 
der  Stadt  geeilt,  um  den  jungen  unbekannten  Schwiegersohn  mit 
Hülfe  der  Gerichte  aufzusuchen.  Schon  höi-t  man  Pamphila 
in  Kindesnöthen  äclizen  und  weinen.  Der  alte,  treue  Haussklave 
Parmenon  stimmt,  an  der  Thür  horchend,  in  Pamphila's  Wehen 
ein  mit  den  rührendsten  Betrachtungen,  deren  gefühlvolle  Ergüsse 
Aulus  Gellius  nicht  genug  preisen  und  bewundern  kann.  Lizwi- 
schen  ist  Nachbar  Menedemos  dem  vorgreiflichen  Schwiegersöhn- 


1)  N.  A.  II,  23.  —  2)  IV.  p.  189.  —  3)  Vgl.  G.  Guizot,  Men.  p.  182. 
Note  2. 


Menander's  Komödien.  237 

chen  auf  der  Spur.  Der  Entehrer  seiner  Pamphila  ist  kein  an- 
derer, als  seines  Stadtnachbars  Simon  Sohn,  Aeschines.  Der 
brave  junge  Vergewaltiger  bekennt  sich  zu  seiner,  im  Tunmlt  eines 
ländlichen  Festes  und  im  trunkenen  Zustande,  überkommenen  Va- 
terschaft. Vater  Simon  ist  mit  der  Einwilligung  zur  Heirath  so- 
gleich bei  der  Hand.  Aber  Mutter  Simon?  Korbyla?  Wird  sie, 
deren  Schönheit  in  der  zugebrachten  Mitgift  bestand,  eine  Schwie- 
gertochter acceptiren,  deren  Schönheit  die  einzige  Mitgift  ist?  Eine 
solche  Schnur  ist  ihr  ein  Grcäuel.  Nun  setzt  sich  Simon  auf  die 
Hinterbeine,  zum  erstenmal  seit  seiner  Heirath,  und  so  nachdrück- 
lich, dass  Korbyla  verblüfft  zurückweicht  und  sich  endlich  zum 
Ziele  legt.  Diess  ungefähr  ist  der  Hergang  in  der  Komödie  Plo- 
kion,  wie  derselbe  sich  nach  Aul.  Gellius,  aus  den  Fragmenten 
des  Menander  und  seines  römischen  üebersetzers  und  Bearbeiters 
Caecilius,  bei  Nonius,  ermitteln  lässt.  Die  eigentliche  Ent- 
wickelung  ist  damit  freilich  nicht  angegeben.  Wir  wissen  nicht, 
durch  welche  Abzeichen  der  junge  Aeschiues  die  Pamphila  wieder 
erkemit,  deren  flüchtige  Bekamitschaft  er  im  Rausch  und  in  der 
Dunkelheit  gemacht  hatte.  Auch  der  Titel  „Plokion"  (die  Kette) 
bleibt  unerklärt.  Mr.  Guizot's  Deutung,  dass  Plokion,  wenn  es 
nicht  die  Halskette  ist,  woran  Pamphila  erkannt  wird,  der  Name 
jeuer  jungen  Sklavin  seyn  möchte,  die  Simon  aus  dem  Hause 
hatte  schaffen  müssen,  dürfen  wir  auf  sich  beruhen  lassen. 

Unter  den  Komödien  des  Menander  finden  sich  verschiedene, 
worin  die  Motive  sich  wiederholen.  So  hatten  „das  geschla- 
gene Mädchen"  (Pami'Qofxevrj)^)  und  „die  Geschorene" 
{IlBQiy.EiQO(xevrf)  2)  die  brutale  Eifersucht  eines  Soldaten  miteinan- 
der gemein.  Denselben  Gegenstand  mochte  der  Landmanu 
behandelt  haben. 

Den  von  Euripides  überkommenen  Prolog  behielt  die  mitt- 
lere und  die  neue  Komödie  bei.  Ein  Stück  des  Philemon  leitet 
Zeus  selbst  mit  einem  Prolog  ein.^)  In  der  Erbtochter  (Eni- 
ytlriQog)  des  Menander  hält  ihn  eine  mitspielende  Person.  Auch 
allegorische  Personen  lässt  die  neue  Komödie  die  Prologe  sprecheu, 
Lucian'*)  mft  das  Argument  (Beweismittel  "^'Ae/p^og),   als  den 


1)  Mein.  fr.  IV,  197.  —  2)  Das.  p.  185.  —  3)  Das.  p.  31.  ~  4)  Pseu- 
dol.  c.  IV. 


238  Die  griechische  Komödie. 

Prologensprecher  vor  einer  Komödie  des  Menander,  zu  Hülfe.  Im. 
Fragm.  ine.  351  lieisst  es:  ^'Elsyxog  eif.1  iytö,  6  cpikog  ctlrj- 
&Eia  xal  naQQTjGia  ^eng.  „Ich  bin  das  Beweismittel,  der  Wahr- 
heit Freund  und  durch  Zuverlässigkeit  ein  Gott."  Philemon  führt 
die  Luft  als  Vorredner  ein;  das  Fragment  eines  Unbekannten 
die  Furcht.  Aehnlich  legt  Plautus  den  Prolog  seiner  Cistellaria 
dem  Gotte  Auxilium  fBeistandj  in  den  Mund. 

Was  hat  nun  die  Menander-Komödie  durch  eine  solche,  im 
Sinne  des  Aristoteles  verwickelte  Fabel-Intrigne  vor  dem  einfachen 
derben,  in  parallelen  Scenen,  wie  in  festen  Aufzugs-Garnketten, 
gespuhlten  Grundgewebe  der  alten  Komödie  voraus?  Bei  Lichte 
betrachtet:  Zufallsspiele;  üeberraschungen,  äusserliche Spannungen ; 
die  Gaukelei  scenisch er  Effecte ;  dramatische  Escamotirungskünste. 
Kurz,  das  blosse  Amüsement ;  den  Reiz  und  Kitzel  des  unterhalt- 
lichen Combinationswitzes,  der  eine  ursprünglich  unsittliche,  dem 
Familienleben  und  der  gesellschaftlichen  Ordnmig  feindliche,  in 
der  Regel  geschlechtliche  Verirrung,  im  Wege  eines  künstlichen, 
taschenspielerischen  Apparates  und  Mechanismus  von  Situations- 
Attrappen,  zu  einer  scheinbar  wiederhergestellten  und  trügiichen 
Genugthuung  der  verletzten  Sitte  sich  entwiiTcn  lässt.  Der  grosse 
Gewinn  und  Fortschritt  bestände  also  in  vergnüglich  täuschender 
Vertuschung  einer  schmutzigen  Geschichte,  eines  gemeinen  Fa- 
milien-Skandals. Sey's  drum!  Wenn  dieser  Ernst  nur  dem  Spiele 
bleibt,  dass  es  ein  Abbild  des  wirklichen  Lebens,  der  gesellschaft- 
lichen Zustände,  der  Familien- WiiTen.  Ernst?  Abbild?  Ein  gauk- 
lerisches Lügenbild  ist  dieses  Spiel,  da  es  aus  Ernst  Spass  macht ; 
über  den  strafenden  Ausgleich,  den  die  wirklichen  Verhältnisse 
einem  solchen  leichtsinnigen  Frevel  zuerkennen,  mit  noch  grösserem, 
mit  belustigendem  Leichtsinne,  lachenden  Muthes,  hinschlüpft  und 
über  die  Folgen  kupplerisch  und  casuistisch  täuscht.  Die  Legi- 
timh'ung  einer,  nicht  in  Liebesleidenschaft,  sondern  im  trunkenen 
Zustand  Entehrten  durch  die  Ehe  ist  nur  das  gleissnerische  Män- 
telchen ,  das  die  blosse  Belustigungskomödie  über  ihre  schmutzige 
Familienwäsche  wirft.  Ernst  ist  das  Leben,  heiter  ist  die  Kunst 
—  aber  diese  Heiterkeit  darf  mit  jenem  Ernst  kein  muthwilliges 
Spiel  treiben,  das  den  Ernst  des  Lebens  zu  einer  Affenkomödie 
aufheitert.  Das  Menander-Lustspiel  bringt  ein  jesuitisches  Ele- 
ment, die  Casuistik,   in  das  Drama,  die  sich  bekanntlich  zur 


Lustspiel-Casuistik.  239 

Aufgabe  stellt:  der  Sünde  eine  Lässlichkeits-Schürze  vorzubinden; 
dem  Sitteugesetz  von  der  Opportuuitäts-Moral  eine  wächserne  Nase 
drehen  zu  lehren,  und  deragemäss ,  in  letzter  Absicht,  die  Fami- 
lienbande  zu  lockern  und  aufzufasern,  um  sie  zu  Gängelbändern 
für  die  „Obern"  zu  flechten.  Dabei  kann  der  Unterschied  immer- 
hin in  Geltung  bleiben:  dass  die  Ordens-Casuistik  die  gesell- 
schaftliche und  Familien- Ordnung  grundsätzlich  unterwühlt; 
die  entsittlichende  Zerrüttung  der  Gesellschaft  nur  als  Mittel  zur 
Befestigung  und  Disciplinirung  der  Ordens-Gesellschaft  gebraucht; 
während  die  lockere  Familien-Komödien-Moral  keinerlei  Zweck, 
als  den  eines  geistreich  anregenden  Spieles  im  Auge  hat.  Heisst 
das  aber  nicht  die  Frivolität  selber  als  Endzweck  aufstellen,  und 
diese  Komödie  unter  die  Ordenscasuistik  herabsetzen,  welche  sich 
doch  mindestens  der  Entsittlichung  der  Familie  als  eines  Mittels 
zu  einem  höchst  ernsten  Zwecke  bedient,  und  die  gelockerten 
Familienbande  im  Interesse  eines  allgemeinen,  wenn  auch  ver- 
dammlichen  Gesellschafts- Begriffes  um  so  straffer  anspannt, 
und  solchergestalt  den  Schein  jedenfalls  alles  sittlichen  Staats- 
und Gemeinwesens  rettet:  den  Schein  von  Unterordnung  aller 
Lebens-  und  Pflichtenkreise  unter  eine  höchste  Gesellschafts-Ord- 
nung. Die  Komödie  der  lockern  Familien-Moral  theilt  blos  diese 
mit  der  Casuistik,  ohne  aber  auch  nur  den  Schein  eines  tiefern 
Zweckes  zu  erstreben.  Solche  Frivolität  der  vollkonunenen  Zweck- 
losigkeit  mag  dieser  Komödie  Brief  und  Siegel  einer  in  demselben 
Maasse  vollkommenen  Kunstwürdigkeit  von  Seiten  der  Schulästhetik 
eintragen:  vom  Gesichtspunkt  des  poetisch  höchsten  Kunstzweckes 
aus  betrachtet,  wie  derselbe  den  grössteu  Meistern  vorschwebte, 
als  der  strengste,  ernsthafteste  aller  Zwecke,  als  Zweck  der  Zwecke, 
und  „herb"  wie  „des  Lebens  innerster  Kern"  —  von  dieser  Höhe 
poetischer  Gestaltung  aus  gewürdigt,  unterscheidet  sich  die  Me- 
nander-Komödie  der  lockern  Familien-Moral  von  der  casuistisclien 
nur  durcli  die  grössere  Frivolität.  Aber  der  Rächer  blieb  nicht 
aus.  Er  kam,  wie  gewöhnlich,  spät,  aber  er  kam.  Moliere's 
Tartüffe  ist  der  Alastor,  ist  der  Rachegeist  der  Menander-Ko- 
mödie,  des  frivolen  Belustigungsspiels  mit  Familien -Intriguen- 
Skandälchen;  ist  der  Rachedämon  der  Lustspiel-Casuistik.  Wir 
werden  den  Tartütte  als  solclien  Reiniger  und  I*]xorcisten  der  Me- 
nander'schen  Familien-Komödie  seines  Ortes  zu   würdigen  haben. 


240  ^^^  griechische  Komödie. 

Bald  genug  hatte  denn  aucli  die  epikuräisclie  Lebensmoral 
dieser  Komödie  der  guten  Gesellschaft  ihre  praktische  Verwirk- 
lichung gefunden  in  jener,  nach  den  Statuten  üppigen  Genusses 
und  zügelloser  Wollust,  von  Antonius  und  Kleopatra  gestifteten 
Brüderschaft  der  2vva7toi)-avov(.ievoL,  der  Genussseligen  auf 
Tod  und  Leben;  einer  Genossenschaft,  zu  welcher  jenes  Herr- 
scherpaar mit  ihren  auserwählten  Günstlingen  sich  verbunden 
hatte,  dem  Statutenzwecke  gemäss:  ein  Leben  ununterbrochener 
Sinneslüste  und  Freuden  durchzuschlemmen ;  das  Leben  wie  ein 
Banquet  zu  verlassen —  et  exacto  contentus  tempore  vitae  Cedat 
ut  conviva  satur — ;  aus  einem  Daseyn  voUer  Woime  sich  in  eine 
gemeinschaftliche  Todesseligkeit  hinüber  zu  schwelgen  und  durch 
ihr  anstrebenswürdiges  Vorbild  und  Beispiel  der  erstaunten  Welt 
zu  zeigen:  die  Hetären -Komödie  sey  eine  Wahrheit  und  das 
Schlaraffenleben  kein  leerer  Wahn. 

In  der  mehrerwähnten,  beachtensweithen  Schrift  von  G.  Guizot 
werden  die  fortschrittlichen  Culturmomente  in  der  neuen  Komödie 
gebührendermaassen  hervorgehoben.  „Obgleich"  —  lautet  eine 
Stelle  ^)  —  „Brüderlichkeit  und  barmherzige  Nächstenliebe  ( Charite) 
noch  unbekannte  Worte  waren;  so  hatte  sich  doch  das  natürliche 
Mitgefühl  und  das  Bedürfuiss  gegenseitiger  Hülfeleistung  zu  ent- 
wickeln begonnen."  Als  Beleg  liiefür  wird  auf  jenes  so  oft  ge- 
tummelte Sprüchlein  im  Selbstquäler  des  Terenz  ^)  hingewiesen: 
Homo  sum,  liumani  nihil  a  me  alienum  puto :  „Ich  bin  ein  Mensch, 
und  nichts  Menscliliches  mii-  fremd."  Mit  Recht  erblickt  Mr. 
Guizot  in  dieser  schönen,  humanistischen  Effect-Phrase  den  prä- 
gnantesten und  vollsten  Ausdruck  so  vieler  ähnlicher,  auf  das 
„Reinmenschliche"  hinzielender  Sprüche  in  der  neuen  attischen 
Komödie,  die  aber  alle,  unseres  Erachtens,  nur  beweisen,  dass  die 
griechische  Gesellschaft,  zur  Zeit  dieser  Komödie,  und  ihre  Nach- 
blüthe,  die  römische  Gesellschaft,  zur  Zeit  des  Terenz,  auf  jenen 
Höhepunkt  einer  gewandt  und  mundrecht-schöngeistig  formuliren- 
den  Phraseologie  sich  emporgebildet  hatte,  wo  die  geklärt  m-bane 
Gesellschaftssprache,  die  auf  der  Scene  ihre  feinste  literarische 
Blume  gewann,  sich  mit  der  praktischen  Bethätigung  und  Be- 
währung ihrer  Spmchweisheit  durch   eine  wohlklingende  Schön- 

1)  p.  2(33.  ~  2)  Heautontiiu.  act.  1  sc.  1.  v.  25. 


Die  Humanität  in  der  ucueu  Komödie.  241 

phrase  abfinden  durfte.  Es  war  von  jeher  das  Vorreclit  verderbter 
Epochen,  die  von  der  praktischen  Tugend  .und  werkthätigen  Men- 
schenliebe vorgezeigten  S.chuldwechsel  mit  den  Papierzettcln  der 
„goldenen  Sprüche"  einzulösen.  Dahin  gehört  die  Anwaltschaft 
zu  Gunsten  der  „Armuth",  im  Munde  von  Dichtern,  die  in 
schwelgerischem  Ueberflusse  lebten,  wovon  die  Fragmente  des 
Menander.  bei  Meineke  eine  reichliche  Lese  darbieten.  Dahin 
gehört  das  Lob  der  Begnügsamkeit  mit  einem  bescheidenen  Le- 
benslose ;  dahin  die  Geringschätzung  der  Reichthümer  und  des  Gel- 
des, das  nur,  als  ein  Mittel  wohlzuthun,  Werth  habe—  Andern 
nämlich,  nicht  sich  wohlzuthun,  während  doch  letzteres  in  der 
Praxis  auch  bei  diesen  Dichtern  ausschliesslich  galt  und  gang 
und  gäbe  war. 

In  der  LeukadiaO  verweist  Menander  die  Armen,  wie  der 
Pfaff  auf  der  Kanzel,  an  den  Himmel.  „Die  Götter  sorgen  stets 
für  die  Armen",  lässt  er  einen  seiner  mildthätigen  Menschenfreunde 
sagen.  In  Bezug  auf  die  „Sklavenfrage"  fliesst  der  Mund 
der  neuen  Komödie  über  von  Zucker  und  Honig.  „Am  Ende", 
eifert  der  sklavenfreundliche  Philemon"-),  „Am  Ende  hat  der 
Sklave  so  gut  Menschenfleisch  am  Leibe  wie  wir."  Gesuchteres 
sogar,  muss  bestätigt  werden,  preiswürdigeres,  im  Handel  und 
auf  dem  Menschenmarkt  weit  mehr  geschätzt  und  begehrt,  als 
freigeborenes  Menschenfleisch.  Philemon  geht  noch  weiter  ^  in 
seiner  Philanthropie  und  lässt  in  einem  andern  Stücke  (E^OLy.Ltö- 
[xtvog:  „Der  vom  Hause  Vertriebene"  ^\  einen  Sklaven,  Angesichts 
seines  Herrn,  ausrufen:  „Mensch  bleibt  Mensch,  aucli  in  der  Skla- 
verei." Aber  der  Mensch  bleibende  Mensch  bleibt  darum  doch 
Sklave;  oder,  wie  der  grösste  Philosoph  und  Sitteulehrer  des  Al- 
terthums,  wie  Aristoteles^)  sich,  zeitgenössisch,  ausdrückt:  „Der 
Sklave  ist  gewissermassen  ein  beseeltes  Eigenthum"  {y.ifj/.i(x  tl 
apipvxov)  „und  gleichsam  ein  lebendiges  Werkzeug"  (ytat  aionsQ 
ogyavov);  ein  Werkzeug  von  lebendigem  Menschentteisch  „zum 
unbedingten  Gebrauche  seines  Herrn"  (pXwg  öeoyiozov)/-')  Die 
sklavenfreundliche  Menander-Komödie  theilt  diesem  Menschen- 
fleisch, als  Zubusse,  noch  ausserdem  die  Intrigue  zu,  und  beutet 

1)  Mein.  fr.  IV.  p.  160.  —  2)  Das.  IV.  ]>.  47.  —  3)  Das.  IV.  p.  7.  - 
4)  Poüt.  I,  4,  2.  —  5j  Das.  I,  4,  5. 

U.  n> 


242  ^^^  griechische  Komödie. 

nicht  blos  das  Fleisch,  sondern  auch  die  Seele  und  die  Intelligenz 
des  Sklaven  zu  ihren  Intriguen- Zwecken  aus.  Während  dem 
Verlaufe  dieser  Komödie  ist  die  Seele  des  Knechtes  mit  allen 
Eänken  und  Anschlägen  die  äme  damnee,  das  y.TrjfiäTL  e^iipvxov, 
das  üöjitQ  o(jyavov  des  liederlichen  Sohnes,  und  am  Schlüsse  der 
Komödie,  deren  Seele  der  Sklave  überhaupt  ist,  muss  sein  Men- 
schenfleisch der  Geissei  des  geprellten  Vaters  noch  herhalten  für  die 
Sklavendienste,  die  seine  anschlägige  Seele  dem  Sohn  geleistet. 
Indessen  ist  in  der  Am-egung  solcher,  wenn  auch  nm*  fürs  erste 
als  Komödie  zur  Sprache  kommenden  Fragen  ein  bedeutsames 
culturgeschichtliches  Fortschritts -Symptom  nicht  zu  verkennen. 
Wenn  Gedanken,  wie  Lessing  sagt,  die  Anfänge  der  Tbaten  sind ; 
dürfen  Worte  als  Vorschatten  von  Ereignissen  und  Zeichen  eines 
sich  vorbereitenden  Umschwungs  in  den  gesellschaftlichen  Begiif- 
fen  angesehen  werden.  Ein  solcher  Umschwung  kündigt  sich  denn 
auch  wirklich  an.  Ein  allgemeines  Humanitätsgefühl  beginnt  sich 
in  der  Menschheit  zu  regen,  dem  über  ein  Kleines  der  Prophet 
und  Märtyrer  in  Galiläa  erstehen,  und  das  dm-ch  die  fast  gleich- 
zeitige Verbreitung  der  Buddha-Lehre  im  Herzen  Asiens,  in  den 
Ländergebieten  des  unvordenklichen  Sklaven-Kastengeistes  selber, 
tiefe  untilgbare  Wurzeln  schlagen  sollte.  Wir-  werden  die  allmu- 
fassende  Menschlichkeitslehre  als  Buddhistisches  Element  auch 
im  indischen  Drama  wieder  finden.  Missachten  wir  daher  die, 
ob  noch  so  belanglose  Eegung  auch  in  der  Menander- Komödie 
nicht,  ohne  sie  desshalb  als  besondern  Vorzug  derselben  zu  be- 
betonen. 

Ueber  das  anderweitige  Personal  dieser  Komödie,  Schmarotzer, 
Buhldirnen,  Kuppler,  so  wie  über  das  Verhältniss  der  Väter  zu 
den  Söhnen  wird  uns  die  römische  Komödie  nähern  Aufschluss 
geben.  Was  die  Frauen  betrifiFt,  müsse  man,  meint  Mr.  Guizot  i). 
den  Griechen  einräimien,  „dass  sie  zm-  Zeit  der  neuen  Komödie 
das  eheliche  Verhältniss  in  einem  mit  der  freisinnigen  und  milden 
Lehre  des  Christenthums  übereinstimmenden  Geiste  aufzufassen 
begannen."  Die  Beispiele  dazu  haben  uns  zwei  von  Menander's 
gepriesensten  und  gesittetetsten  Komödien  geliefert:  Die  Kette 
(Plokiou^  und  die  Erscheinung  (Phasmaj;  beide,  in  Eücksicht  auf 

1)  Men.  p.  305. 


Die  Liebe  in  der  neixcn  Komödie.     Der  Zufall.  243 

Eheverhältnisse  und  Eheschliessung',  für  unsere  Bülme  unmögliche 
Komödien. 

Bezüglich  der  Kolle,  welche  die  Liebe  in  dieser  Komödie 
spielt,  wären,  Mr.  Guizot's  Ansicht  zufolge  i).  die  Dichter  der- 
selben und  ihre  Nachahmer,  die  römischen  Komiker,  fast  die 
Einzigen  unter  den  alten  Schriftstellern,  welche  die  Liebe  nahezu 
so  begriffen  hätten,  wie  die  modernen  Lustspieldichter.  Besonders, 
müssen  wir  beipflichtend  hervorheben,  die  modernsten,  die  Dichter 
der  französischen  Loretten-Komödie.  Zum  Beweise,  dass  Menan- 
der,  „dieser  gTOSse  Schüler  und  Eingeweihte  des  Liebesgottes, 
von  der  Liebesleideuschaft  durchaus  wie  ein  Philosoph  gesprochen", 
führt  Plutarch^)  die  Geschicklichkeit  an,  mit  welcher  Meuauder 
seine  jungen  Ehrenschänder  unvermerkt  in  die  Ehe  mit  den  Mäd- 
chen hineinfädelt,  die  sie  entehrt.  Eine  Inschrift^)  nennt  den 
Meuander  „die  Sirene  des  Theaters,  den  glänzenden  Genossen  der 
Liebe"  und  preist  ihn  als  denjenigen,  „der  die  Menschen  gelehrt 
habe,  ein  angenehmes  Leben  zu  führen,  indem  seine  Komödie 
stets  mit  dem  erfreulichen  Schauspiel  einer  Heirath  schliesse." 
Nur  hätte  solche  Heirath  in  der  Regel  allen  Grund,  eine  heim- 
liche Ehe  zu  bleiben,  und  sich  als  Haube,  unter  die  sie  ihre 
Pärchen  bringt,  des  unsichtbar  machenden  Helms  von  Pluton  oder 
Perseus  zu  bedienen.  Die  Menandrische  Zärtlichkeit  schöpft  mit 
Ovid's  „Liebeskunst"  aus  Einem  Born,  wie  denn  Freund  Ovid  auch 
zu  Menander's  unbedingten  Bewunderern  und  Nacheiferern  gehört: 
Fabula  jucundi  nulla  est  sine  amore  Menandri^),  ohne  die  Liebe 
nämlich,  die  seine,  Ovid's,  ars  amandi  lehrt  und  feiert. 

Als  Epikuräer  und  Schöpfer  der  Intriguen-Komödie  musste 
Menander  in  der  Göttin  des  Zufalls  (Tt'x';)  die  höchste  Gott- 
heit verehren.  „Thu  nur  ab  deine  Vernunft.  Die  menschliche 
Intelligenz  ist  nichts  anderes  als  der  Zufall;  nenn'  es  wie  du 
willst:  Verstand,  Geist,  göttlichen  Hauch.  Der  Zufall  und  nur 
der  Zufall  regiert  Alles,  ob  er  zerstöre  oder  erhalte,  umstürze 
oder  aufbaue.  Alle  unsere  Gedanken,  Worte,  Thaten,  nichts  sind 
sie  als  Zufall.  Er  allein  ist  es,  der  Zufall,  der  über  Alles  eiitschei- 
det;ihm  allein  gebührt  der  Name  Litelligenz,  Klugheit,  Gott."  Das 


1)  p.  316.  —  2)  tkqI  €<i(ütoi;   ap.  Stob.  3y.'{.         3)  Boniietk.  Aualect. 
m.  269.  —  4)  Trist.  11,  370. 


244  ^^^  gTiecMsche  Komödie. 

ist  Menancler's  Theodicee  vom  Zufall  in  seiner  Komödie  Hjqioboli- 
maeoi,  „die  rntergeschobnen". ';  Und  wie  schwärmt  der  fi'omme, 
der  bis  zum  Aberglauben  fromme  Plutarcli  für  diese  Gott-Zufalls- 
Komödie,  und  auf  Kosten  des  Aeschylisch  gesinnten  Aristophanes ! 

Bei  einer  solchen  Auffassung  des  Lebens  und  der  Weltfüh- 
mng  war  es  um  die  innere  Lust  und  die  wohlgemuthe,  götter- 
fi'eudige  Heiterkeit  der  alten  Komödie  geschehen.  Eine  unlau- 
tere Mischung  von  rühriger  Munterkeit  und  wehmüthelnder  Rüh- 
rung ki-änkelt  schon  in  dieser  Komödie  und  bereitet  die  wunder- 
liche Missgeburt,  das  weinerliche  Lustspiel  vor.  Aus  zahlreichen 
Fragmenten  des  Meuander  weht  uns  der  Hauch  einer  Aschermitt- 
wochsstimmung nach  dem  tollfröhlichen  Karneval  der  alten  Ko- 
mödie an:  ,, Willst  du  wissen,  was  du  in  Wahrheit  bist?"  heisst 
es  in  einem  dieser  Bruchstücke  2),  „so  wirf  nur  einen  Blick  auf 
die  Grabdenkmale,  die  dir  unterwegs  aufstossen.  Was  enthalten 
diese  Urnen,  diese  Todtenkrüge?  Knocheureste  und  ein  wenig 
Asche.  Einstmals  waren  das  Könige,  Tyrannen,  Weise,  Menschen, 
stolz  auf  ihre  Geburt,  ihi-e  Reichthümer,  ihren  Ruhm  und  ihre 
Schönheit.  Was  sind  sie  nun?  Eine  Handvoll  Staub.  Das  Schatten- 
reich ist  die  grosse  gemeinsame  Urne,  die  unser  Aller  Nichtigkeit 
umschliesst".  .  .  .  Eine  TodtengTäberscene ,  TodtengTäber-Humor, 
ist  ein  Geniewurf  in.  einem  tiefsinnigen  Trauerspiel,  bei  einer 
Hamlet-Stimmung  —  aber  in  einer  Komödie,  die  sich  um  einen 
gewaltthätigen  Conat  dreht,  unter  den  Flügeln  von  Gott-Zufall, 
als  höchster  Weltvernunft  —  Eine  schöne  Lustspielwelt,  eine 
heitere  Komödie! 

Das  poetische  Verständniss,  das  Plutarch  in  seiner  schon 
berührten  Parallele  zwischen  Ai'istophanes  und  Menander  überhaupt 
bekundet,  erhellt  auch  aus  seiner  daselbst  durchgeführten  Ver- 
gleichung  der  Komödiensprache,  des  Styls  (cfgäoig)  der  beiden 
Komiker;  eine  Vergieiclmng,  die  natürlich  zu  Gunsten  des  Lieb- 
lii^s,  des  Menander,  so  entschieden  und  so  überwiegend  ausfällt, 
dass  Aristoplianes,  auch  in  Rücksicht  auf  Diction,  Styl  mid  Sprache, 
als  kunstloser  Possenschreiber  neben  dem  Meister  der  Komödie 
dasteht.  Der  Unterschied  lässt  sich,  unseres  Bedünkens,  mit 
wenigen  Worten  erschöpfen.    Aristophanes'  Komödienspracho  ist 

1)  Mein.  fr.  ('oui.  Gr.  VI,  212.  -   2)  p.  2^:^. 


Der  Sprachstyl  des  Aristophanes  und  des  Menander.  245 

die  des  Poeten;  Meuauder's  die  des  weltmänuisclien  Schöngei- 
stes, des  eleganten  Palast-  und  Hofkomikers,  des  makedoniscli 
verwälscMen  Atticismus.  Plutarch  vergleicht  einen  Miniaturmaler 
mit  einem  Frescomaler;  einen  Maler  erotischer  schlüpfriger  Ca- 
binets-Bilderchen  mit  einem  Michel -Angelo  komischer  Jüngster 
Gerichte,  der  dabei  colorirt  wie  ein  Eubens  der  Komödie ;  Jüngste 
Gerichte,  in  den  leuchtendsten  Farben,  den  lachend  glühendsten 
Tönen,  die  der  treffliche  Vergleicher,  neben  dem  feinen,  vei-triebe- 
nen,  gleichmässigen  Schmelz  des  delicaten  Zartpinslers  ,  neben 
dessen  harmonisch  übereingeleclrter  Tönung  {f-iia  te  q>aLveod-ai  -/.al 
xiv  6f.ioi6zt]Ta  Tr]Qelv),  nicht  anders  denn  als  gi'elle,  unförmliche, 
rohe  Tünche  berufen  und  von  der  Hand  weisen  kann.  Selbst  der, 
Anonymes  i)  zeigt  hierin  ein  richtigeres  kritisches  Gefühl.  Was 
dieser  von  der  mittlem  Komödie  bemerkt,  dass  sie  der  poetischen 
Behandlung  sich  enthalte,  und  dass  ihre  Dichter  sich  der  gewöhn- 
lichen Sprachweise  befleissigen,  im  Unterschiede  von  der  alten 
Komödie  {dia  rfjg  ovvi]d-ovg  l'ovTsg  kaXiag);  das  gilt  auch  durch- 
aus von  der  neuen  Komödie.  Plutarch's  Parallele  könnte  ihrer- 
seits wieder  an  den  Vergleich  jenes  Wohlschmeckers  erinnern, 
welchem  das  prägelnde  Geräusch  einer  in  der  Butter  schmoren- 
den Leipziger  Lerche  süsser  und  entzückender  klang,  als  die 
schönsten  im  blauen  Aether  jauchzenden  Morgenlieder  einer  Früh- 
lingslerche. Die  verherrlichende  Lobpreisung  der  Menandrischen 
Diction,  in  die  Plutarch  an  einer  andern  Stelle'-)  sich  ergeht, 
stimmt  mit  der  des  genannten  Wohlsclimeckers  auch  in  sympo- 
sischen  Metaphern  überein.  "Hts  yciQ  U§Lg  r]öeia  xal  ne^r)  xa- 
TeonaQtai  zidv  ngay/nänov ,  log  firjTe  vtio  vrjrpovTwv  -/.aracpQO- 
vsloif-aL  fit'jts  oivw/nevovg  dviav  yvio^oloyica  te  yQtjoral  xal 
acpeXsig  vnoQQeovaai  y.al  xä  OT^XrjQÖxaxa  xäv  rjd^cov,  iootisq  ev 
nvQi  TW  otVw  fxaXaxxovoi  xal  ycd/nnxovoi  ngog  xo  smEiy.löx(x- 
Tov.  „Die  süsse  die  Handlung  durchwürzende  Sprache,  welche 
Nüchternen  wie  Trunkenen  gleich  angenehm  munde;  die  treffli- 
chen, einfachen  Denksprüchlein,  von  denen  die  Sittenschilderung 
dm-chdrungen  wird,  so  dass  alles  Herbe  und  Trockne,  wie  in 
Wein  Geschmortes  gleichsam,  mürbe,  zart  und  lieblich  schmecki;." 


1)  TifQl  xuofii^S.  p.  XII.  ed.  Kust.  —  2)  Syinpos.  VIII.  3    p.   712]v 


246  ^^^  griechische  Komödie. 

Lieblich,  wie  die  in  heisser  Butter  singende  Lerche.  Die  Kehr- 
seite zu  Plutarch's  Verherrlichung  des  Meuandrischen  Styls  liefern 
zwei  Scholarchen,  die  zur  Zeit  des  Marc-Aurel  und  Commodus 
lebten.  Der  Eine,  Phrynichos  Arrhabios,  ein  griechischer  Gram- 
matiker aus  Bithynien,  eifert  gegen  das  Wesen,  das  sie  von  Me- 
nander  machen.  „Beim  Herakles!"  ruft  er,  „ich  begreife  die  Ver- 
rücktheit dieser  Menschen  nicht,  die  in  denMenander  so  vernarrt 
sind  .  .  .  Wie  ist  es  nur  möglich,  dass  selbst  Männer  von  Ein- 
sicht und  Geschmack  so  entzückt  und  bezaubert  von  diesem  Ko- 
mödienschreiber seyn  können,  der  doch  eine  Unzahl  von  unächten 
Wortformen  in  Umlauf  setzte,  die  seine  Unwissenheit  bezeugen."  ') 
Der  zweite»  der  Rhetor  Julius  Pollux,  der  unerschöpfliche  Zettel- 
kasten der  Archäologen,  der  Mephistopheles-Sack  der  Literatoren, 
der  Pollux  zu  Kastor-Suidas,  unter  Kaiser  Commodus,  Professor 
der  Beredsamkeit  zu  Athen,  dieser  weist,  wie  sein  Zeitgenosse 
Arrhabios,  Menander's  Pseudo-Atticismus  von  der  Hand,  und  will 
dessen  Komödien  nur  für  ein  Repertorium  von  bequemen  Neolo- 
gismen angesehen  wissen.  Die  Urtheile  beider  Gramatiker  zer- 
fallen in  Schulstaub.  Menander's  Sprache  ist  die  seines  Genres; 
die  Sprache  der  gebildeten  Gesellschaft  von  damals,  des  feinen 
Welttons,  und  ist  für  die  Gattung  Musterstyl.  In  diesem  Sinne 
bemerkt  auch  der  Anonymes :  -)  „Die  neue  Komödie  bedient  sich 
der  neuen  attischen  Sprachweise  und  strebt  vor  Allem  nach  Klar- 
heit." Li  klarer,  geschmackvoller  Einfachlieit  bleibt  Menander 
das  unerreichte  Vorbild  dieser  Komödie.  Seinem  Nebenbuhler 
Philemon  werden  schon  Künstelei  und  Verunzierung  des  Ausdrucks, 
Wortspiele  und  antithetische  Lautforraen  vorgeworfen.  Dem  Schul- 
redner Quiuctilian  3)  gilt  Menander,  wie  Euripides,  als  Muster  voll- 
endeter Redekunst.  Der  Grammatiker  Demetrios  hebt  an  Me- 
nander's Styl  besonders  die  vollkommene  Angemessenheit  für 
theatralischen  Vortrag  hervor.  ^)  Auch  in  dieser  Haupteigenschaft 
einer  Bühnensprache  stand  Philemon  dem  Menander  weit  nach. 
Demselben  Demetrios  zufolge  arbeitete  Philemon  seinen  Dialog 
so  in's  Einzelne  und  Gleichmässige  aus,  dass  seine  Komödien  sich 
besser  für's  Lesen  als  für  die  Darstellung  eigneten,  während  Me- 


1)  Eclogac  iioiiiin.  et  verbor.  atticor.  cd  Paw.  Utrecht  1739.  —  2)  de 
Com.  iJ.  XXXII.  —  3)  X,  I,  70.  —  4)  de  Elocut.  §  193. 


Plülemon.    Diphilos.    Apollodoros  u.  s.  w.  247 

nander's  Sprache  erst  durch  das  Spiel  und  die  scenischen  Acceiite 
ihre  volle  Wirkung  gewann. 

Nachdem  wir  den  Charakter  der  neuen  Komödie  im  Allge- 
meinen an  ihrem  Hauptvertreter  zai  schildern  versucht,  glauhen 
wir  uns  der  Aufzählung  der  noch  vorhandenen  Titel  sowohl  seiner 
Stücke  als  derer  seiner  Zeitgenossen  überhoben.  Wen  danach  gelüstet, 
der  braucht  nur  einen  Griff  in  die  Füllhörner  des  grössten  und  ge- 
lehrtesten Keliquiensamralers  unserer  Zeit,  August  Meineke's,  zu  thuu. 
Demgemäss  wollen  wir  es  auch  bei  einer  summarischen  Angabe 
einiger  der  namhaftesten  Dichter  dieser  Komödie  bewenden  lassen. 

Philemou,  aus  Soli ')  oder  Syrakus -j,  Sohn  des  Dämon,  älter 
als  Menander,  betrat  schon  Ol.  112  die  Bühne.  Er  starb  fast 
hundertjährig  Ol.  129,  3.  eines  beneidenswertheu,  ächten  Komö- 
diendichter-Todes: vor  Lachen  nämlich  über  den  dadurch  welt- 
berüluut  und  unsterblich  gewordenen.  Feigen  essenden  Esel. 3) 
Dank  diesem  eselseligen  Tode  ging  Philemon's  innigster  Wunsch 
auf  die  angenehmste  Weise  in  Erfüllung,  den  er  in  einer  Komö- 
die einer  seiner  Personen  in  den  Mund  legte:  „Wenn  er  wüsste, 
in  der  Welt  seinem  Abgotte,  dem  Euripides,  zu  begegnen,  würde 
er,  um  dieses  AnbKcks  so  bald  wie  möglich  froh  zu  werden,  Hand 
an  sich  selber  legen."  Der  Esel  käute  den  tragischen  Entschluss 
in  ein  Sterben  vor  Lachen  um.  Aus  50  von  Philemon's  Komö- 
dien sind  Fragmente  gesammelt.  Sie  hängen  mit  den  Titeln  als 
Skalpe  am  Gürtel  der  antiquarischen  Kothhäuter,  oder  in  den 
Glasschränkeu  der  gelehrten  Karitäten-Sammler ,  wo  sie  Jeder  in 
Augenschein  nehmen  kann.  Philemon's  QijOavQÖg  (der  Schatz)  wer- 
den wir  im  Tiinummus  des  Plautus  und  seineu  "'E^inooog  (der 
Kaufmann)  in  Plautus'  Mercator  begrüsseu. 

Diphilos  aus  Sinope;  Menander's  Zeitgenosse.  Er  schrieb 
himdert  Stücke.  Aus  fünfzig  derselben  haben  sich  Fragmente 
erhalten.  Drei  seiner  Komödien  hat  Plautus  nachgebildet.  Viele 
von  DiphUos  Stücken  scheinen  dramatische  Küchenstücke  gewesen 
zu  seyn,  nach  den  Fragmenten  zu  schliessen,  die  sich  in  Scliil- 
derungen  von  Speisen  mid  Gastmahlen  überbieten.  Eusebius  nennt 
ihn  den  komischsten  und  spmchreichsten  von  Allen  (/w/uxwraTov 
xat  yvio(.iiy<.wTaTov).  Bernhardy  rühmt  die  „Feinheit  und  geist- 
reiche Fassung  seiner  Moralsprüche."    Einer  davon  lautet:    „Der 

1)  Strab.  XIV.  p.67 1 .—  2)  Suid.  'Ptl.—  3)  Luk.  Maki-ob.  c.  25.Valer.Ma.\.  LX,  12. 


248  Nachlese  von  Tragödien-Titeln. 

Arme  ist  der  glücklichste  aller  Menschen,  denn  er  hat  keinen 
Glückswechsel  zu  befürchten."  Mit  diesem  Spruch  würde  ein 
Diphilos  unserer  Zeit  von  Bernhardy  keine  so  schmeichelhafte 
Censur  erhalten. 

Apollodoros  aus  Karystos  (Ol.  120 — 130.)  Ihm  wurden 
47  Stücke  beigelegt.  Aus  12  sind  Bruchstücke  vorhanden.  Sein 
Epidikazomenos  war  das  Vorbild  zmii  Phormio  des  Terenz.  Dieser 
Apollodoros  der  Karystier  >vurde  öfter,  wie  schon  angegeben,  mit 
dem  Apollodoros  aus  Gela  (6  rshoog)  verwechselt  (Ol.  110 — 120), 
von  welchem  nur  4 — 7  Komödien  angeführt  werden. 

Philippides,  Sohn  des  Philokles,  blühte  um  Ol.  120.  Gel- 
lius  erzählt:  i)  Philippides  sey  über  einen  im  Komödien- Wettkampf 
davongetragenen  Sieg  vor  Freude  gestorben.  Er  lebte  mit  König 
Lysimachos  in  traulichem  Verkehr,  -wie  Donatus  Acciaiolus  in  sei- 
nem Leben  des  Königs  Demetrios  berichtet,  und  wurde  von  dem- 
selben, wegen  seines  biedern  Charakters  und  edlen  Freimuths, 
hochgeschätzt.  Atheuäos  nennt  blos  6  seiner  Stücke.  Bruch- 
stücke sind  aus  15  von  44  Komödien  auf  uns  gekommen. 

Posidippos  aus  Kassandrea  in  Makedonien.  Gellius  zählt  ihn 
zu  den  besten  Komikern  der  neuen  Komödie.  Athenäos  rühmt 
vor  Allen  seinen  Pornoboskos  rDirnenhalter).  Er  trat  zuerst  Ol. 
123  auf,  im  dritten  Jahre  nach  Menander's  Tod.  Man  schreibt 
ihm  30  Dramen  zu.    Bruchstücke  haben  17  geliefert. 

Sprechen  wir  den  Aschensegen  über  die  modernden  Eeste 
der  griechischen  Komödien,  von  denen  aus  dem  Grabe  der  Zeiten 
nm*  das  hervorragt,  was  die  ägyptischen  Priester  von  den  allein 
erhaltenen  und  begrabenen  Köpfen  der  verbrannten  Opferstiere 
aus  der  Erde  hervorstehen  Hessen:  die  Hörner.  Als  Komödien- 
Köpfe  heissen  sie  Titel,  und  werden  von  den  Reliquiensammlern 
als  Hörner  des  Ueberflusses  zu  ihrem  mythischen  Attribut  ge- 
wählt. Wünschen  wir  den  gi'iechischen  Komödien- Titeln 
eine  glückselige  Urständ,  und  lasset  uns,  eine  fromme  Pflicht 
noch  nachträglich  erfüllend,  ein  flüchtiges  Eiimierungsopfer  den 
Manen  jener  Schatten-Tragiker  weihen,  deren  dramatische 
Schöpfungen  in  den  Zeitraum  zwischen  Euripides  und  Alexander 
d.  Gr.  fallen,  und  deren  Manen  leider  auch  nur  als  ihr  eigenes 

1)  III,  C.  15. 


Tragiker  zwischen  Euripides  und  Alexander  d.  Grossen.  249 

Anagramm,  als  ihre  Namen,  durch  die  Grabmäler  undKenota- 
phien  der  Literaturgeschichten  verschwindend  schlüpfen. 

„üeber  die  verlorenen  Tragödien  dieser  Dichter",  klagt 
Welcker  i),  „ist  uns  kein  Athenäus,  kein  PoUux  zur  Hand ! "  Dei- 
ne 2)  zählt  gegen  128  solcher  mit  ihren  2000  Tragödien  ewig 
verlorenen  Tragiker.  F.  A.  Wolf  3),  neben  500  mit  Beifall  auf- 
geführten Tragödien,  200  berühmte  und  als  classisch  anerkannte 
Trauerspiele.  In  den  Todtenregistern  der  Grammatiker  und  Lexi- 
kographen, Harpokration,  Suidas,  Eudokea,  steht  ein  tragischer 
Dichter  Dikäogenes  verzeichnet  mit  zwei  Trauerspieleu:  Die 
Kyprier,  worin  eine  Erkennmig  durch  ein  Gemälde  vorkam,  bei 
dessen  Anblick  sich  die  betreffende  Person  durch  ihr  Weinen  ver- 
rieth.  Als  zweite  Tragödie  des  Dikäogenes  wird  Medeia  genannt. 
Der  Tragiker  Antiphon  lebte  am  Hofe  des  altern  Dionysios  in 
Syrakus,  wo  er  gemeinschaftlich  mit  dem  Tyrannen  Tragödien 
dichtete  ^),  bis  eines  schönen  Tages  der  Tyrann  seinen  Mitarbeiter 
selber  zum  Helden  einer  Tragödie  machte,  und  den  Antiphon  wegen 
eines  Witzwortes  hinrichten  liess.  Ein  Tragödien  dichtender  Ty- 
rann ist  gefährlicher  als  ein  sich  zahm  stellender  Wolf,  der  von 
kleinauf  mit  dem  Federvieh  im  besten  Einvernehmen  lebte,  und 
über  Nacht  mit  seinem  Milchbruder,  dem  Hühnerhof,  aufi-äumt. 
Ob  Antiphon  auch  an  jener  schon  gedachten  Tragödie  des  Diony- 
sios mitgearbeitet,  worin  nach  Eustatliius'^},  Silen  dem  Kranken 
Herakles  auf  der  Bühne  ein  Klystier  applicirt,  ist  von  den  Alter- 
thumsforschern  noch  niclit  ins  Keine  gebracht.  Die  Meisten  schreiben 
diese  Tragödie  der  Aristotelisclien  Bernays-Reinigung  v.ax  e^oxr/V 
dem  Dionysios  aus  Sinope  zu.  Dem  Tvrannen  Dionysios  werden 
noch  verschiedene  andere  Tragödien  beigelegt:  Alkmeue^), 
Leda''),  Adonis.^)  Ferner  ein  gegen  Platou  gerichtetes  Drama, 
woraus  Tzetzes  ^)  einen  Vers  erhalten  hat,  und  worüber  Lukian  ' ") 
sich  lustig  macht.  Von  der  Tragödie  Hektor's  Lösung  ('E/xog og 
XvTQa),  weiss  man  nur,  dass  Dionys  der  ältere  in  Athen  kurz  vor 
seinem  Tode  f367j  mit  besagter  Tragödie,  vielleicht  über  Astydamas 


1)  Gr.  Trag.  S.  888  if.  —  2)  Mus.  d.  Alterthuinsw.  1,  62.  —  3)  Vorl. 
üb.  d.  Gesch.  d.  gr.  Lit.  S.  255.  —  4)  Phot.  p.  483.  —  by  ad  D.  XI,  514. 
—  6)  Stob.  flor.  98,  30.  —  7)  Das.  Iü5,  2.  —  8)  Athen.  IX,  401  F.  —  9) 
Chil.  5,  185.  —  10)  adv.  indoct.  15. 


250  Nachlese  von  Tragödien-Titeln. 

den  Jüngern  und  Aphareus,  siegte.  Tragische  Verse  des  Dionysios 
finden  sich  noch  bei  Stobäus  ^),  und  Plutarch.'^)  Ol.  98,  1  hatte 
Dionys  der  ältere,  dieser  dramatische  Ahnherr  des  kaiserlichen 
Histrio,  Nero,  unter  grossem  Gepränge  und  noch  grösserem  Ge- 
spötte  der  Versammlung,  in  Olympia  durch  Theoren  und  Rhap- 
soden seine  Gedichte  vortragen  lassen.  3)  Von  Antiphon  selbst 
werden  angefühi-t:  die  Tragödien  Meleagros-*),  Andromache^), 
M e d e i a '^)  und  Philoktetes.'^)  Das  Tragödienschreiben  scheint 
um  jene  Zeit  als  Tyrannen-Epidemie  geherrscht  zu  haben.  Denn 
auch  in  Athen  wurde  ein  Tyi-ann  von  ihr  befallen;  Kritias  näm- 
lich, einer  von  den  30  Tp'annen,  Schüler,  leider  Gottes,  von  So-' 
krates,  Freund  des  Alkibiades,  und  der  als  ausgemachter  Theater- 
Tyi-ann  den  Athenischen  Staat  7a\  Schanden  tragirte,  bis  ihm 
Thrasybulos  das  doppelte  Pfuscher  -  Handwerk  legte.  Von  ihm 
sagt  Xenophon*^):  „Kritias  wurde  in  der  oligarchischen  Partei 
zimi  Eaubgierigsten,  Gewaltthätigsten  und  Blutdürstigsten  von 
Allen  (KoiTiag  /iiiv  yccg  twv  h  rfj  oliyaQyJa  ndvrcov  ^IsTiTioza- 
Tog  TS  xal  ßiaioTüTog  yiai  cpoviy.wTatog  syevsxo).  Er  fiel  im 
Kampfe  mit  den  unter  Thrasybulos  gegen  Athen  rückenden  ge- 
ächteten Flüchtlingen  403  v.  Chr.  (Ol.  94,  1).  Als  Dichter  poli- 
tischer Elegien  hielt  man  ihn  hoch.  Am  meisten  that  er  sich 
als  Redner  hervor.  Als  Philosoph  tritt  er  bei  Piaton  auf;  zunächst 
im  Timäos  und  im  unvollendeten  „Kritias."  Die  Seele  des  Men- 
schen setzte  er,  ganz  bezeichnend  und  in  Uebereinstimmung  mit 
Xenophon's  ihm  beigelegten  Epitheton  cpovixtoTaTog  (der  Blut- 
gierigste), in  das  Blut.  9)  Von  PoUuxi'')  wird  ihm  die  Tragödie 
Atalante  zugeschrieben,  die  aber  von  Aristias  seyn  soll.  * ^)  Zwei 
andere  ihm  beigeleg-te  Dramen,  Peirithoos  und  Sisyphos,  wer- 
den dem  Euripides  vindicirt. '2) 

Dem  Kleophon  aus  Athen  werden  elf  Dramen  beigelegt: 
Mandrobulosi3),    das  aber  Buhle  i'^),   und  Ritter  i-"^)    für    ein 

1)  Flor.  49,  9.  Ecl.  phys.  I,  149.  ^  2)  de  Alex.  virt.  5.  p.  338  C.  — 
3)  Diod.  XIV,  109.  —  4)  Arist.  Rhet.  ü,  2,  23.  —  5)  Arist.  Eth.  Eudein. 
Vn,  4.  extr.  p.  1239  Bek.  —  6)  PoU.  7,  57.  —  7)  Stob.  flor.  115,  15.  — 
8)  Memor.  I,  2,  13.  —  9)  Aristot.  de  aiiini.  I,  2.  und  Comment.  —  10) 
vn,  31.  —  11)  Mem.  II.  er.  Com.  gr.  p.  504.  —  12)  Fabr.  Bibl.  gr.  El. 
p.  253.  Harl.  —  13)  Arist.  Soph.  elench.  15.  p.  174B.  27.  —  14)  Aristot. 
Ueber  d.  Kunist  d.  Poesie.  S.  128.  Not.  9.  —  15)  Arist.  Poet.  II,  5.  p.  92. 


Chaeremoii.    Die  Anagiiostiker.  251 

episches  Gedicht  halten;  Aktaeon,  Amphiaraos,  Achilleus, 
Bakchen,  Dexamenos,  Erigone,  Thyestes,  Leukippos, 
Iliupersis  (Ilions  Zerstörung),  Telephos.  „Kleophon",  sagt  Ari- 
stoteles i)  „stellt  gewöhnliche  (o/iioiovg)  Menschen  dar."  Er  ge- 
hörte also  zur  realistischen  Schule  des  Euripides,  die  ihre  tragi- 
schen Ideale  nach  dem  Mittelschlage  der  gemeinen  Wirklichkeit 
portraitirten.  Seine  Ausdrucksweise  bezeichnet  Aristoteles  2)  als 
„gemein"  (raTteLvifj). 

Den  Chäremon  haben  wir  bereits  zusammen  mit  Herrn 
Gruppe  erledigt.  Chäremon  gilt  als  Haupt  der  "Jvayvcoozr/.oi, 
d.  h.  solcher  Dramatiker,  welche  Dramen  nicht  für  die  Aufführung, 
sondern  für  die  Lesung  schrieben 3);  Dramen  potentia,  nicht  actu, 
die  aber  schliesslich  auf  Dramen  impotentia  hinauslaufen.  Bern- 
hardy  stellt  dem  Chäremon  folgendes  Schulzeugniss  *)  aus:  „In  den 
Besten  dieses  griechischen  Matthison  weht  nirgend  ein  dramati- 
scher Hauch,  wohl  aber  ein  üppiger  Blumenduft.  Sein  Styl  ist 
überall  fein  durch  Redeliguren  erhöht.  —  Auch  empfiehlt  ihn  die 
Gewandtheit  des  glatten  und  flüssigen  Versbaus."  Ausser  dem 
Kentauros,  einer,  bemerktermaassen,  aus  allerlei  Versarten  zusam- 
mengeflickten Rhapsodie  {fM.ixzt)v  Qaipcüdiav  £|  anavTiov  tcov  /iis- 
TQü)v)  %  nennt  Suidas,  nach  Athenäos,  noch  einige  andere  Tragö- 
dien des  Chäremon:  Alphesiböa,  Oeneus,  Thyestes  u.  s.  w. 
Die  Jo  führt  Athenäos  an.*^)  Achilles  Thersitestödter  C^x- 
0£(>af ToxTovog)  Stobaeus '') ;  Iphigenia  in  Aulis  Herr  Gruppe. 
Von  dem,  mit  Diogenes  aus  Sinope  verwechselten,  Tragiker  Dioge- 
nes (Ol.  94,  1  ==404)  zählen  Suidas  und  PJudokea  acht  Dramen  auf: 
Achilleus,  Helena,  Herakles,  Thyestes,  Medeia,  Oedi- 
pus,  Chrysippos,  sämmtlich  auch  als  Tragödien  des  Cynikers 
Diogenes  angeführt  von  Diog.  Laert.^)  und  Eudokea.")  Aus  der 
Semele  hat  Athenäos  i^)  ein  „schönes  Bruchstück"  ^ i)  über  die 
aufregende  Musik  der  Asiaten  im  Dienste  der  Kybele  erhalten. 
Den  Herakles  dieses  Tragikers  hatte  nochTertuUian  vor  Augen.*  2) 


1)  Poet,  n,  5.  —  2)  Poet.  XX,  1.  und  Rhet.  IE,  7.—  3)  Arist.  Rhet. 
in,  12,  2.  Vgl.  Bartsch,  de  Chäremoiie  poeta  tragico.  Mogunt.  1843.— 4) 
Grundr.  ü,  2.  S.  62.  —  5)  Arist.  Poet.  I,  12.  —  6)  XIII,  608  D.  —  7) 
Stob.  Ecl.  1.  p.  196.  —  8)  VI,  80.  —  9)  p.  141.  —  10)  Athen.  XIV,  fi3fiA. 
—  11)  Bode  a.  a.  0.  558.  —  12)  Apolog.  14. 


252  Nachlese  von  Tragödien-Titeln. 

Von  den  37  Tragödien  des  schon  genannten  Aphareus  fOl. 
103,  1  =  368  bis  Ol.  109,  4  =  341)  ist  kein  einziges  Bruchstück, 
oder  auch  nur  der  Titel  eines  Drama  vorhanden.  Aphareus  war 
zugleich,  ^vie  andere  Tragiker  dieser  Periode,  Staatsredner.  Das 
Senfköralein  der  rednerischen  Debatte  hatte  schon  Sophokles  in 
die  Tragödie  gesenkt,  unter  Euripides'  Pflege  trieb  es  reichliche 
Ranken  und  Schösslinge.  In  der  Tragödie  der  spätem  rhetorischen 
Schulen  gedieh  es  zu  einem  üppigen  Strauche,  und  wuchs  in  der 
Seneca-Tragödie  zu  einem  Baume  empor,  in  dessen  Aesten  sämmt- 
liche  Europäische  Sing-,  Raub-  und  Stelzengänger- Vögel  der  Tra- 
gödie, bis  auf  die  Gregenwart  herab,  hecken  und  brüten.  Der 
rhetorische  Senf  zur  Tragödie  ist  ein  wichtiges,  für  die  Fortbil- 
dung des  Drama's  wesentliches  Ferment,  das  wir  im  Verlaufe 
und  zunächst  in  den  dem  Seneca  zugeschriebenen  Tragödien  wer- 
den zu  beachten  haben.  Ein  Tragiker  der  rhetorischen  Schule, 
und  wohl  der  bedeutendste  dieser  Richtung,  war  Theodektes, 
Sohn  des  Aristandros,  aus  dem  dorischen  Phaseiis  in  Lykien  fgeb. 
Ol.  101,  2).  Theodektes  bildete  sich  in  den  Schulen  des  Platoii 
und  Isokrates  aus  ^),  und  wandte  sich  erst  zum  Theater,  nachdem 
er  den  Lehrstuhl  der  Rhetorik  aufgegeben.  Als  Zuhörer  des  Pia- 
ton schrieb  Theodektes  eine  Vertheidigung  des  Sokrates,  als  Kunst- 
lehrer wd  er  von  Dionysios  Hal."^)  mit  und  vor  Aristoteles  ge- 
nannt. Dem  Cicero  ist  er  ein  imprimis  poHtus  scriptor  et  ariifex. 
Seine  Tragödie  Mausolos,  die  Gellius  noch  vor  Augen  hatte, 
gewann  den  Preis,  welchen  die  Gemahlin  des  Karischen  Königs 
Mausolos,  die  berühmte  Artemisia,  nach  dem  Tode  ihres  Gatten, 
für  dessen  würdigste  Verherrlichung  ausgesetzt  hatte.  Mausolos 
aber  starb  Ol.  107,  1  =^^  352  und  Artemisia  zwei  Jahi'e  nach  ihm.'\^ 
Danach  muss  Theodektes'  Tragödie  zwischen  352  und  350  fällen. 
Schon  als  Jüngling  schloss  sich  Theodek-tes  an  Aristoteles  au,  der 
ihn  wegen  seiner  Schöidieit,  wie  Sokrates  den  Alkibiades,  bewun- 
derte.*) Aiistoteles  führt  zwei  seiner  Tragödien  in  der  Poetik  an 
zwei  Stellen  an^),  den  Tydeus  und  Lynkeus.  Den  Orestes 
in  der  Rhfet.'^),  so  wie  den  Ajas,   der  den  Waffenstreit  enthielt. 


1)  Hennipp.  bei  Athen.  X,  451 E.  —  2)  de  Isaeo  19.  —  3)  Diod.  XVI, 
36,  45.  -  4)  Athen.  XIII,  566 E.  —  5)  XVI,  4.  u.  XVHI,  1.  —  6) 
11.  24. 


Theodektes.    Das  Gesetz  des  Keduers  Lykm-gos.  253 

welchen  Diomedes  zu  (jiinsteu  des  Odysseus  entschied,  i)  Den 
Philoktetes  auf  Lemnos  erwähnt  Aristoteles  in  der  Nikom. 
Ethik  2);  den  Alkmäon  in  der  Rhet.^)  Atheuäos  nennt  noch 
einen  Oedipus^)  und  Stoh.  Bellerophon  und  Helena.^) 
Theodektes  starb  in  Athen  41  Jahr  alt.  Sein  Andenken  ehrte 
Alexander  in  Phaseiis  auf  dem  Zuge  durch  Asien. '^)  Er  musste 
also  schon  vor  Ol.  111,  4=333  gestorben  seyn.  Theodektes  er- 
hielt in  Attika  ^)  und  in  seiner  Vaterstadt  eine  Ehrenbildsäule.  *) 
Sein  poetischer  Nachlass  bestand  aus  50  Dramen,-  mit  denen  er 
in  13  Wettkämpfen  8  Siege  gewann.  9)  Zu  den  Tragödiendichtern, 
die  in  diese  Zeit  fallen  und  zugleich  Sophisten  und  Redner  waren, 
sind  ferner  noch  zu  zählen :  Polyeidos,  Dichter  einer  Taurischen 
Iphigenia;  der  SjTakusaner  Sosiphaues,  aus  der  Zeit  des  Phi- 
lippos und  Alexander  von  Makedonien,  mit  73  Tragödien  und  7 
Siegen.  Spintharos  aus  dem  pontischen  Herakleia,  von  Ari- 
stophanes  als  Barbar  und  Phryger  bezeichnet'**):  „Schwärzte  sich 
ein  Phryger  hier  ein,  völKg  so  wie  Spintharos."  Von  diesem  Spin- 
tharos erwähnt Suidas  'i)  undEudokea  '^)  einen  Verbrannten  He- 
rakles und  eine  Blitzgetroffene  Semele.  Der  Name  schon 
—  Spinther  (oTTivd-rjQ)  bedeutet  Funken  —  weihte  ihn  zum  Blitz- 
tragiker, der  seine  Helden  nicht  anders  als  zu  Asche  brennen 
konnte. 

Aus  dieser  Zeit  dadirt  das  schon  angeführte  Gesetz  des  Red- 
ners Lykurgos  (Ol.  109—122):  Dass  die  Werke  der  drei  Tra- 
giker (Aeschylos,  Sophokles  und  Euripides,  von  Pausanias'^)  0/ 
(pai'tQol  „die  Erlauchten"  genannt),  welchen  die  Stadt  Büdsäulen 
schuldig  sey,  nur  nach  den,  aus  den  Originalen  oder  andern  zu- 
verlässigen Abschriften,  aufzustellenden  und  öffentlich  zu  bewäh- 
renden Handschriften,  und  unter  der  Controle  des  Staatsschreibers, 
gegeben  werden  dürfen.'^)  Derselbe  Lykurgos  stellte  um  diese 
Zeit  auch  die  abgekommenen  Wettkämpfe  der  Komödien  an  dem 
Chytrentage  der  Anthesterien  wieder  her. 


1)  Rhet.  n,  2,  19.  —  2)  VIT,  7.  —  3)  II,  23.  —  4)  X,  451 E.  —  5) 
Flor.  Grot.  Exe.  p.  445  ff.  -  6)  Plut.  Alex.  17.  p.  674A.  —  7)  Plut.  X  Or. 
Vit.  p.  837  C.  —  8)  Plut.  Alex.  17.  —  9)  Suid.  u.  Steph.  Byz.  v.  <Pc<afUi;. 
—  10)  Av.  763.  ibiq.  Schol.  -  11)  v.  ünCv».  —  12)  p.  385.  13)  I,  21, 
3.  —  14)  Plut.  Vit.  X  Or.  Lyk.     Vgl.  Welcker  gr.  Trag.  S.  9()(iff. 


254    Di^  ScliauspielkuBst  zur  Zeit  Philipp's  u.  Alexander's  v.  Maked. 

Getadelt  Avurde  von  der  Komödie  und  der  alten  Kritik:  an 
dem  Tragiker  Philokles  die  Geschmack-  und  Talentlosigkeit; 
an  Theognis  Frost  und  Trockenheit  —  sonst  hatte  er  keine 
tragischen  Schmerzen  —  ein  tragischer  Thermometer;  an  Kleo- 
phon  und  Sthenelos  die  Niedrigkeit  —  Kothurne  ohne  Sohlen; 
an  Alkestor  der  schlechte  Plan;  das  Allegorische  und  die  ver- 
worrene Fabel  amXenokles.  Dem  Diogenes  wurde  der  Wort- 
schwall zum  Vorwurf  gemacht,  und  der  Tyrann  Dionysios 
wegen  des  Gesuchten  und  Räthselhaften  im  Ausdruck  verspottet. 

Die  Schauspielkunst  hatte  in  dieser  Periode  ihre  höchste 
Blüthe  erreicht.  Wie  gewöhnlich,  entfaltete  sie  auch  dazmnal 
ihren  vollsten  Glanz  gleichzeitig  mit  dem  allmäligen  Erlöschen 
der  dramatischen  Poesie.  Wie  die  Dioskuren  ihi'e  Unsterblich- 
keit theilen:  wähi'end  der  eine  Zwillingsbruder  in  die  Schatten 
der  Unterwelt  zurücktritt,  prangt  der  andere  in  schönster  Lebens- 
fülle. Als  die  ausgezeichnetsten  Schauspieler  dieser  Zeit  werden 
gerühmt:  Theodoros,  Spieler  des  Orestes  und  der  Antigene.  Po- 
los, bewunderter  Darsteller  der  Elektra  und  des  Oedipus  auf  Kolo- 
nos.  Andronikos,  dessen  Glanzrolle  die  Eriphyle  war.  Archias, 
hervorragend  als  Kreon.  Den  Satyros  preist  Lukian  als  einen 
der  vorzüglichsten  Spieler  Euripideischer  Helden.  Aeschines, 
nächst  Demosthenes  der  grösste  Kedner,  gab  früher,  als  Tritago- 
nist  des  Theodoros  und  Aristodemos,  die  Tyrannen  in  Sophokles' 
und  Euripides'  Stücken;  den  Kreon;  Kresphontes'  Schatten  u.  s.  w. 
Welcker  meint  i),  der  Vermittelung  der  Schauspieler  war  es  zu 
danken,  wenn  Aeschylos  und  Sophokles  in  diesen  Zeiten  noch  le- 
l)endig  und  tief  aufgefasst  wurden."'^) 

Die  Schauspielkunst  und  die  Plastik  hielten  das  Ideal  noch 
fest,  wie  Welker  treffend  bemerkt.  Nur  dass  letztere,  erlauben 
wir  uns  hinzuzufügen,  die  Plastik,  vielleicht  schon  ein  schauspie- 
lerisches Ideal  festlüelt;  schauspielerisch  in  theatralischer  Bewegt- 
heit und  pathetischen  Motiven;  Avährend  die  Schauspielkunst  viel- 
leicht in's  Plastische  sich  verirren  mochte,  indem  sie,  wie  z.  B. 
Aristodemos  und   Polos,   Bildwerke  nachalunte;  anderntheils 


1))  a.  a.  O.  S.  912.  —    2)    Vgl.  Grysar,    de  Graecor.   Tragoed.   qualis 
l'uit  circ.  teinp.  iJeiiiüSÜien.  Colon.  1835.  p.  lUff. 


Die  ScliauspieUiUiist  und  die  Plastik.  255 

wieder  über  die  feinen,  geistigen  Contouren  hinauscolorireu  mochte, 
in  dem  falschen  Bestreben,  als  selbststäudige,  von  ihrer  Dichtung 
emancipirte  Kunst  zu  gebahren,  in  deren  seelentreuer  Verlautba- 
rung doch  ihr-  Princip  und  Wesen  beruht.  Am  Hofe  König  Fhi- 
lipp's  von  Makedonien  glänzten  die  Schauspieler  Aristo  dem  os 
und  Neoptolemos  aus  Athen,  nach  Makedonien  von  Philipp  zu 
Vorstellungen  berufen.  ^  Beide  wurden  von'  diesem  Könige  mit 
Gesandtschaften  betraut.  Ai'istodemos  war  zugleich  mit  Demo- 
sthenes  und  Ktesiphon  Athens  Gesandter  bei  Philipp,  und  wurde 
von  Demosthenes,  als  Schauspieler,  so  bewundert,  dass  der  grosse 
Eedner  auf  eine  goldene  Ehrenkrone  für  ihn  antrug."^)  Alexan- 
ders des  Gr.  Lieblingsschauspieler  war  Thessalos.^)  Bei  dem 
Hochzeitsfeste  in  Susa  spielten  die  Tragöden  Thessalos,  Athe- 
nodoros  und  Aristokritos.  Agonen  an  Siegesfesten  fanden 
statt  in  Soli,  Memphis,  Tyi'os,  Ekbatana.  Bei  der  Leichenfeier  zu 
Ehren  des  Hephästion  waren  3000  Agonisten  zugegen.  Eine  ganze 
Schauspielergesellschaft  hiess  Thiasos  (i^-Zaaog  Schwärm,  Truppe). 
Zu  den  angesehensten  Theatern  zählten  in  dieser  Periode  die  zu 
Epidauros,  Thasos,  Pherä,  Tegea,  Mantinea,  Korinth  u.  a.  Für 
das  grösste  galt  das  Theater  zu  Megalopolis.  An  allen  diesen 
ausserattischen  Theatern  traten  keine  einheimischen  Dichter 
in  die  Schranken;  wogegen  viele  fremde  Tragiker  als  Mitkämpfer 
in  Athen  stritten.  Gegen  Euripides  kämpften  z.  B.  Aristarchos 
von  Tegea,  Achäos  von  Eretria,  Jon  von  Chios.  Der  Tragiker  Pa- 
trokles  war  aus  Thurii;  der  ältere  Karkinos  aus  Akragas. 

Zu  Demosthenes,  Zeiten  bildeten  die  Schauspieler  schon  einen 
besondern  Stand  unter  dem  Namen  TExvlzat  fKünstler,  ol 
nEQL  Jiovvoov  Texvizai).^)  Techuitai  nannten  sich  übrigens  auch 
die  Mimi,  funambuli,  petauristae  (Seiltänzer),  praestigiatores  und 
ähnliche  Gaukler  und  Virtuosen. 'O  Auch  vu6/LuodoL  (Soldspieler) 
wurden  um  diese  Zeit  die  Schauspieler  genannt.'')  Der  Protago- 
nist war  zugleich  Schauspieldirector,  mit  dem  die  Städte,  wo  seine 
Truppe  {Oivoöog)  spielen  sollte,  verhandelten.  In  Athen  verschrieb 
in  dieser  Zeitepoche  der  Archen  die  Schauspielertruppe. 

1)  Diod.  XVIU.  p.  558.-2)  Aeschin.  de  fals.  leg.  1,  I.  —  3)  Athen. 
Xn,  538  E.  Plut.  de  fort.  Alex.  U,  2.  -  4)  Athen.  V.  p.  213A.  Gell.  XX, 
14.  —  5)  ('asaub.  ad  Tlieophr.  Char.  p.  I8J.  ad  Athen.  XII.  p.  539.  Vgl. 
Grysar  a.  a.  0.  p.  l'Jir.  —  Oj  Lukian.  de  nieic.  cund.  5.  -  -  Plut.  praec.  pol.  21. 


256  Das  griechische  Drama  nach  Alexander. 

An  den  berühmtesten  Schauspielern  dieses  Zeitraums  werden 
gewisse  eigeuthümliche  Vorzüge  hervorgehoben.  Plutarch  ^)  stellt 
den  Polos  aus  Aegina  über  alle  gleichzeitigen  Agonisten  in  Adel, 
heroischer  Würde  und  Empfindungsausdruck.  Neoptolemos 
war  durch  Stimm ki-aft  gewaltig  (iieyalocpiovia);  den  Theodoros 
zeichnete  höchste  Wahi-heit  der  Darstellung  aus.  Er  besass  eine 
besondere  Stärke  im  Weinen,  Erregen  von  Mitleid  und  Eührung 
und  „die  Bühn'  Ertränken  in  Thränen."  Ein  solcher  Schauspieler 
erspart  den  Theatern  die  kostspielige  Vorrichtung:  bei  Feuerge- 
fahr die  Bühne  unter  Wasser  zu  setzen.  Das  deutsche  Theater 
der  neuesten  Zeit  ist  so  glücklich  einen  Theodoros  in  zweiter  Po- 
tenz an  einer  Theodora,  auf  deutsch:  „Gottesgabe",  zu  besitzen, 
deren  Dramen  wir,  kommt  die  Zeit,  die  gi'össten  Theodorischen 
Wii'kungen  werden  hervorbringen  sehen;  Dramen,  deren  keinem 
jenes  weltberühmte  Meisterstück  von  Potter  das  Wasser  reicht. 

Das  Griechische  Drama  nach  Alexander. 

Was  der  persische  Despot  beabsichtigt,  aber  aus  Mangel 
an  FeldheiTngeuie  und  einem  gutdisciplinirten  Kriegsherr  nicht 
en*eicht  hatte,  das  führte,  wie  wir  gesehen,  der  Halbgrieche,  Ale- 
xander der  Makedonier,  der  beides  besass,  gegen  seine  Absicht 
aus.  Sein  Riesenplan,  den  Orient  zu  hellenisiren,  schlug  in's  Ge- 
gentheil  um.  Hegel's  oben  schon  angeführte  Behauptung,  Ale- 
xander d.  Gr.  habe  „die  Reife  und  Hoheit  der  Bildung  über  den 
Osten  verbreitet",  ei-wies  sich  uns  als  der  blaueste  aller  Weih- 
rauchdämpfe, den  je  die  Geschichte  der  Philosophie  einem  histo- 
rischen Götzen  zugeweht.  Diese  Behauptung  wird  von  der  Ge- 
schichte glänzend  Lügen  gestraft.  Jene  armenischen,  pergamischeu, 
syrischen,  parthischen,  baktrianisclien ,  sogdianischen  und  was 
der  gi-iechisch- asiatischen  Despotenhöfe  mehr  waren,  die  mit 
ihrem  hellenischen  Anstrich  prunkten;  durch  welche  Schöpfungen, 
Institutionen  bekundeten  sie  „die  Reife  und  Hoheit  der  Bildung", 
welche  Alexander  d.  Gr.  dem  ganzen  Orient  aufgeprägt  haben 
soll?  Ueber  den  angeblichen  Einfluss  der  Alexanderzüge  auf  Indien 
sagt  einer   der   grössten  Gelehrten  und  Forscher  dieses  Faches, 

1)  Demosth.  c.  28. 


Der  Ptoleiiicäische  Fürsteiiliof.  257 

Lassen  1):  „Die  vorhergelienden  Bemerkungen  zusammenfassend, 
spreche  ich  die  Ansicht  aus,  dass  weder  in  den  Ostiranischen  noch 
den  Indischen  von  den  Griechischen  Königen  regierten  Ländern 
eine  Verschmelzung  der  hellenischen  und  morgenländischen  Cul- 
tur  sich  vollzog." 

Ueber  äusserliche  Nachahmungen  und  Mode -Liebhabereien 
einzelner  Fürsten,  die  in  Aufsammlungen  giiechischer  Handschrif- 
ten, in  Festlichkeiten  und  Theatervorstellungen  nach  griechischem 
Vorbilde  und  mit  verschriebenen  griechischen  Schauspielern  sich 
erschöpften,  brachte  es  jene  Keife  und  Hoheit  der  Bildung  nicht. 
In  die  Schichten  der  Bevölkerungen  drang  von  dem  griechischen 
Geiste  kaum  ein  Hauch.  Die  asiatischen  Nationalitäten,  die  in 
keiner  so  heimisch  ursprünglichen  Cultur,  wie  z.  B.  die  indische, 
wurzelten,  blieben  barbarisch ;  und  die  Nachfolger  Alexander's,  wir 
müssen  es  wiederholen,  trugen  weit  mehr  Elemente  der  Zersetzung 
und  Verwilderung  in  das  hellenische  Volkswesen,  als  Aristoteles' 
königlicher  Schüler  Keime  hellenischer  Gesittung  in  die  Bevölke- 
iningen  des  Orients  streuen  mochte. 

Der  bedeutendste,  durch  gelehrte  Bildung,  Sammeleifer  und 
Förderung  von  Kunst  und  Wissenschaft  glänz-  und  rulmireichste 
dieser  Fürstenhöfe,  der  Ptolemäische,  was  vermochte  selbst  dieser, 
auf  der  Höhe  seiner  Macht  und  Blüthe,  und  mit  allem  Aufgebot 
seiner  prunksüchtigen  Schutzherrlichkeit,  Grosses  zu  erzeugen? 
Die  Riesenbauten,  die  dreissigrudrigen  Prachtschifte,  der  dreihun- 
dert Ellen  hohe  Leuchtthurai,  was  waren  sie?  Kolossale  Thrasonaden. 
Gelehrsamkeit,  Kunst  und  Poesie,  welchen  Aufschwung  nahmen 
sie  unter  der  pomphaften  Fürstengunst  der  Ptolemäer?  Welche 
Erweiterung  erfuhr  die  philosophische  oder  Natur- Erkenntniss, 
wenn  man  die  Begründer  der  wissenschaftlichen  GeogTaphie  und 
Astronomie,  den  Eratosthenes  und  Hipparchos,  ausnimmt?  Jenes 
hochberühmte  „Museum",  jene  dreissigrudrige  Gelehrten-Galeere, 
jene  Arche  Noe  der  Alexandrinischen  Akademiker  —  welche 
denkwürdige  Schöpfung  brachte  das  Alexandrinische  Museum 
an's  Licht?  gebar  dieser  mit  Sylbenstechern  kreissende  Mu- 
senberg? Einen  Rattenkönig  von  gelehrten  in  einander  ver- 
wickelten Schweif-Enden,   den  letzten  Ausläufern   und   Anliäng- 


1)  Ind.  Alterthuiiiskuiide.  Bd.  II.  Buch  2.  S.  343. 
IL  17 


258  ^^^  griechische  Drama  nach  Alexander. 

sein  des  giiechischen  Geistes.  Oder  sollte  das  sogenannte  Sie- 
bengestirn von  der  Glorie  der  Ptolemäischen  Fürstengunst 
zeugen?  Auch  das  Siebengestirn  löst  sich,  genau  besehen,  in  einen 
Schwärm  gelehrter  Leuchtwürmer  auf,  die,  an  allen  Zweigen  und 
Blättern  des  Schulwissens  haftend,  im  Dunkeln  ein  klebriges  Licht 
von  sich  gaben  ohne  WäiTne  und  Leuchtki'att.  Jene  gelehrten 
Verskünstler  und  dichtenden  Gelehrten,  jene  Grammatiker-Poeten, 
die  man  als  geschlossene  Schul-Meister-Sänger-Zunft  unter  dem 
Namen  „Alexandriner"  zusammenfasst ,  deren  versificirter  Schul- 
staub den  Zeitraum  zwischen  Alexander  und  den  B^'zautinern  füllt, 
sie  stellen  eine  Gelehrtenrepublik  von  poetisirenden  Archivaren, 
Wortklitterern,  Bibliothekaren,  Literatoreu,  Astronomen,  Revisoren 
der  komischeu  und  tragischen  Schriftwerke,  Sammlern  und  An- 
thologen  dar,  die  in  allen  möglichen  Dichtungsarten  und  Formen 
sich  versuchten,  mid  aus  denen  wieder  Sieben,  als  tragisches 
Siebengestirn  (HXeiäg  rgayr/.^),  von  den  Graimnatikern  zu 
einer  besondem  Gruppe  vereinigt  wurden.  Ein  altes  Scholion  ') 
zählt  die  Sieben  in  nachstehender  Folge  auf:  Der  jüngere 
Homeros,  Sositheos,  Lykophron,  Alexandres  (Aetolos), 
Philiskos,  Dionysiades,  Aiantides.  Ein  zweites  Scholion-) 
nennt  Sosiphanes  statt  Dionysiades.  Diese  „vortrefflichsten  Tra- 
giker" (iiQLOTOL  xQayi/.oi)  blühten,  dem  Scholion  zufolge,  sämmt- 
lich  miter  Ptolemäos  Philadelphos  um  Ol.  125.  Ausser  den  Ge- 
nannten, prangen  in  der  Zahl  der  tragischen  Pleias  noch  andere 
Gestirne.  Suidas  zählt  einen  Sophokles  aus  Athen  dazu,  der 
aber  nach  den  Sieben  gelebt  haben  soll.  Strabon'^)  hebt  den 
Dionysiades  als  den  vorzüglichsten  Dichter  unter  den  Sieben  her- 
vor. Athenäos"*;  nennt  sogar  den  Komiker  Machon  als  einen  der 
Ausgezeichneten  (.leicc  xovg  'Enzd.  Das  achte  Wunder  dieser 
sieben  Alexandrinischen  Weltwunder  ist  diess:  dass  sie,  mit  ein- 
ander multiplicirt,  immer  nur  Sieben  bleiben.  Noch  gar  manche 
Dichter,  die  sich  in  andern  Gedichtformen  hervorthaten ,  werden 
als  Verfasser  von  Dramen  gerülimt;  der  Elegiker  Kallimachos 
z.  B.,  der  unter  König  Euergetes  dichtete,  um  250  v.  Chr.  Ihm 
legt  Suidas  Tragödien,  Komödien  und  SatjTspiele  bei,  wovon  Kal- 
limachos selbst  nichts  wusste. 

1)  Schol.  Hephaest.  p.  53.  —  2)  p.  185.  — 3)  XIV,  p.  675.-4)  XIV.  p.  664 A. 


Das  Siebengestirn.     Lykophron.  259 

Homer  OS  {veiöreoog),  Sohn  des  Anclroinachos  und  der  Dich- 
terin M}TO  von  Byzanz,  von  deren  Versen  Athenäos  eine  Probe 
mittheilt  1),  war  Verfasser  von  45  Tragödien.  In  Byzanz  wurde 
er  durch  eine  Statue  geehrt. 

Sositheos,  ein  improvisirender  Schauspieler  zu  Athen-), 
hatte  das  Satyrspiel  im  alterthümlichen  Geist  erneuert.  Aus 
dem  Prolog  seines  Satyi'spiels ,  Lytierse's,  hat  Athenäos  3)  drei 
Verse  aufbewahrt.  Ein  grösseres  Bruchstück  gab  Casaubonus  "*) 
aus  einem  Scholion  zu  Theob'it. 

Lykophron  aus  Chalkis.  Suidas  führt  '^0  Titel  seiner  Tra- 
gödien auf.  Tzetzes  giebt  die  Gesamratzahl  auf  (34  an.  Ein  tra- 
gisches Fragment  citirt  Stobäus.  Bei  Athenäos  ^)  und  Diog.  ^) 
finden  sich  Verse  aus  dem  Satyrspiel  Menedemos,  die  Bern- 
hardy  '')  „zierlich  stilisirt"  nennt.  Von  König  Ptolemäos  Philad. 
erhielt  Lykophron  den  Auftrag,  die  komische  Literatur  zu 
ordnen,  deren  erster  Commentator  er  wurde.  Hätte  es  der  treff- 
liche Alexandrinische  Gelehrte  beim  Revisor  und  Commentator 
doch  bewenden  lassen.  Leider  konnte  er  nicht  umhin,  sich  selbst 
auf  den  Pegasus  zu  schwingen  und  ihn  als  apokalyptischer  Rei- 
ter zu  tummeln.  Apokalyptisch  —  denn  das  einzige  Gedicht,  das 
uns  die  Launen  des  Schriften-Fatums  aus  dieser  Plejaden-Tragik 
vollständig  überlieferte,  die  Alexandra  ('.^As^otc)^«),  des  Ly- 
kophron, in  1474  Trimetern,  ist  ein  apokaly^^tisches  Stück  Arbeit 
vom  ersten  Wasser.  Die  Visions-Poesie  mag  wohl  über  die  Sie- 
ben, als  Zeitgenossen  der  siebzig  Bibel-Uebersetzer  (Septuaginta), 
gekommen  seyn.  Lykophron's  Alexandra,  neuester  Zeit  in  der 
„Alexandrea"  eines  —  bis  auf  die  Gelehrsamkeit  —  Berliner  Ale- 
xandriners, des  Professor  Dr.  Märcker,  zu  einer  l'rilogie  erweitert, 
besteht  aus  einem  von  der  Kassandra  vorgetragenen  Monolog,  der 
beinahe  so  lang  wie  ihre  Paraphrase,  die  Trilogie.  Dabei  von 
einer  so  unerforschlichen  Beschaffenheit,  dass  sie  dem  Verfasser 
Heraklit's  Beinamen  erwarb :  „der  Dunkle"  (o  OY-OTeivög).  La- 
tebrasque  Lycophronis  atri,  wie  Statins  sich  ausdrückt*^):  die 
Schlupfwinkel-Tragik  „des  stockfinstern  Lykopliron."  Auf  dem  Ti- 


1)  XI.  p.  491.  -  2)  Diog.  L.  Vll,  17;J.  —  3)  X.  p.  415B.  —  4)  Lectt. 
Theoer.  12.  —  5)  X.  p.  420.  —  6)  II,  140.  —  7)  a.  a.  0.  II,  2.  S.  71.  — 
8)  Sylv.  V,  3.  V.  157. 

17* 


260  I^as  griechische  Drama  nach  Alexander. 

telblatt  von  Jos.  Scaliger's  lateinischer  Uebersetzung  des  Mono- 
drams  steht  ausdriicklich  bemerkt:  to  oxmsivbv  noüj/ua  „obscu- 
rum  et  operosum  poema."  •)  Fonn  und  Inhalt  dieser  Alexandra, 
wer  vermöchte  sie  zw  schildern  ?  Beide  sind  so  polyi3enhafter  Na- 
tur, dass  ein  Auszug  so  wenig  eine  Vorstellung  davon  giebt,  vfie 
ein  abgetrennter  Polypenärm  von  der  Gestalt  des  Meerscheusals, 
dem  er  angehört.  Man  denke  sich  einen  unentwiiTbaren  Weis- 
sagungs  -  Weichselzopf  als  Monolog.  Den  Monolog,  gehalten  von 
der  wahnsinnigen  Kassandra,  als  unwiderleglichen  Beweis  ihrer 
Verrücktheit.  Man  denke  sich  die  ganze  blaue  Alexandrinische 
Bibliothek  von  mj^hologischer  Gelehrsamkeit  verknäult  und  ver- 
fitzt zu  unergründlichen  Oflenbarungen  über  das  letzte  Schicksal 
Troja's,  der  trojanischen  und  achäischen  Helden,  nebst  propheti- 
schen Excursen  und  Ausläufern  über  die  Geschicke  verschiedener 
anderer  zukünftiger  Heroen  und  dereinstiger  Völker.  Scliliesslich 
zur  Verherrlichung  von  Alexander  dem  Gr.  mid  dessen  unsterb- 
lichem Ruhmeswerke,  der  Verkettung  nämlich  von  Asien  und 
Europa  zu  einer  Weltmonarchie ,  schliesslich  das  Ganze  noch  ein- 
mal durcheinander  geschlungen  und  noch  fester  und  unauflöslicher 
verstrickt  zum  Gordischen  Knoten,  an  dem  selbst  Alexander  des 
Gr.  Schwert  zu  Schanden  würde.  Damit  noch  nicht  zufrieden, 
haben  sich  auch  noch  spätere  Intei^polationen,  als  nachträglich 
prophetische  Wirrzöpfe  angenestelt,  mit  einem  Schock  Verse, 
welche  die  Zukunft  Roms  einflechten.  Und  dieses  gTammatisch- 
mythologische  Monstrum  von  Monolog  hat  seine  Bewunderer  gefun- 
den, was  man  doch  wenigstens  der  Trilogie,  Alexandrea,  nicht  nach- 
sagen kann;  man  müsste  sich  denn  auf  ihren  einzigen  Bewunde- 
rer beruieu:  den  Verfasser.  W^as  will  dieser  Eine  aber  sagen, 
gegen  die  Tausende,  die  Lykophron's  Alexandra  als  das  Meisterwerk 
der  Zeit  anstaunten!  das  von  gelehrten  Commentatoren  kritisch 
erörtert,  erklärt  und  erläutert  worden,  deren  L'ntersuchungen 
Tzetzes,  im  12.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung,  als  Scho- 
llen-Spreu  zu  seinem  bekannten  Werke  über  Lykophron '-) ,  auf- 
gespeichert. Diese  Alexandra  war  das  Lieblingsgedicht  der  By- 
zantiner! Sie  konnten  nicht  Abschriften  genug  davon  nehmen, 
wie  die  zahlreichen,   seit  dem  13.  Jahrli.  aufgesammelten  Manu- 


1)  Lycüjihr.  Chakdd.  Alexandra  Lat.  1584.  —  2)  II,  löS. 


Die  Alexandra  des  Lykophron.  261 

Scripte  bezeugen.  Ein  solcher  Schwndel  von  Geschmacks-  und 
Urtheilsverkehrtheit  kann  ganze  Jahrhunderte  ergreifen  und  epi- 
demisch grassiren,  wie  der  Veitstanz.  Wir  werden  dergleichen 
oft  genug  erleben,  und  die  Epochen  der  grössten  Schulgelehr- 
samkeit sind  es  gerade,  die  von  solclieu  Epidemien  kritischer  Veits- 
tänze, insbesondere  auf  dramatischem  Gebiete,  heimgesucht  wer- 
den. Ist  doch,  in  neuester  Zeit  noch,  einer  der  verdienstvollsten 
deutschen  Archäologen  und  Kunstrichter,  Welcker,  als  Verfechter 
und  Ehrenretter  der  Alexandrinischen  Poesie  aufgetreten, ')  „Aber 
wenn  irgend  eine  klingt  diese  Ehrenrettung  verfehlt,  und  sie 
stimmt  nicht  zum  Vermögen  eines  Zeitraums,  für  den  wir  jetzt 
keinen  andern  Maassstab  als  den  historischen  haben."  So  klingt 
Bernhardy's  Widerspruch 2),  dem  wir  unbedingt  beipflichten,  mit  der 
Alexandra  als  Maassstab  in  der  Hand,  dem  gepriesensten  Mach- 
werke einer  der  hervorleuchtendsten  Sternschnuppen  des  Sieben- 
gestirns. F.  A.  Wolfs  Ausspruch"^):  die  Alexandrinischen  Tragi- 
ker „arbeiteten  in  einer  kühnen,  erhabenen  Sprache,  sie  sind  wahre 
Seneca's,"  würde  Niemand  entschiedener  zurückweisen,  als  der 
römische  Tragiker,  der  mit  der  tragischen  Leidenschaft  wie  ein 
Gladiator  mit  der  wilden  Bestie  kämpft,  und  nicht  selten  eine 
Höhe  des  theatralischen  Affectes  erschwingt,  die  selbst  Euri- 
pides  nicht  erreicht  hat,  geschweige  ein  Alexandriner. 

Alexandros  Aetolos  aus  Pleuren.  Wie  Lykophron  für 
die  Musterung  der  komischen  Literatur,  so  wurde  Alexander, 
der  Aetolier,  für  die  Revision  der  Tragiker  von  König  Ptolem. 
Philad.  bestellt.  Seine  eigenen  Tragödien  sind  verschollen.  Die 
gesammelten  Fragmente  seiner  Epigramme  und  Elegien  hat  A. 
Capellmann  herausgegeben  (Bonn  1830). 

Philiskos  aus  Korkyra,  war  ausser  Siebengestirnler  noch 
nebenbei  Dionysospriester.  ^)  Dem  Plinius  zufolge  ^)  hat  ihn  Proto- 
genes  in  dichterischer  Meditation  gemalt,  wahrscheinlich  über  das 
choriambische  Metrum  Phiücium  nachdenkend,  das  seinen  Namen 
auf  die  Nachwelt  bringen  sollte,  da  diess  seine  Tragödien  zu  thun 
unterliessen. 

Sosiphanes,   Verfasser  von  T.\  Stücken,  aus  denen  einige 


1)  Gr.  Trag.  1247  ff.  —  2)  a.  a.  0.  S.  68.  —  3)  Vorles.  üb.  d.  Gesch. 
d.  griecli,  Lit.  S.  225.       4)  Athen.  XV.  p.  fi99B.  —  5)  H.  N.  XXXV. -c.  10. 


262  Das  griechische  Drama  nach  Alexander. 

Bruchstücke  bei  Stobäos  zu  finden.  Im  grössten  derselben  ■)  er- 
kennt Bernbardy,  durch  die  Lupe  kritisch  formulirender  Redens- 
arten, Aehulichkeit  mit  dem  Styl  des  Euripides. 

Von  Diouysiades  oder  Dionysides  aus  Kilikien  führt  Suidas 
unter  andern  Schriften  ein  dramatisches  Skizzenbuch  au  (xaQax- 
xrjQEc.  oder  (pilox(p/.ioö6g),  ohne  die  Beschaffenheit  dieses  Theater- 
almana chs  näher  zu  bezeichnen.  Aiautides  fehlt  bei  Suidas,  wird 
aber  vom  Scholiasten  zu  Hephästion  in  die  Pleias  versetzt.  Von 
Dramen,  auch  nur  deren  Titeln,  ist  uns  nichts  bekannt.  Mehr 
weiss  auch  Leisner  nicht  in  seinem  „Vorspiel"  über  die  Pleias."^) 

Dem  Siebengestirn  füg-t  Bernhardy  noch  einen  achten  Pleja- 
den  hinzu  auf  eigene  Hand,  in  der  Person  eines  Aeschylos  aus 
Alexaudria,  aus  dessen  Amphitryon  Athenäos^)  Verse  citirt.  Ho- 
meros,  Sophokles,  Aeschylos  —  traun,  an  gi'ossen  Namen  fehlt  es 
dieser  „zweiten  Reihe"  der  grossen  Tragiker  (devTsga  id^Et  lüv 
TQayrAiov)  nicht. 

Ein  anderthalb  Jahrhundert  etwa  vor  Chr.  tritt  ein  Dichter 
jüdischer  Tragödien  auf,  Ezechiel  (Etayt.irjloQ\  aus  dessen  Drama 
"E^ayioyi]  „Auszug  aus  Aegypten"^),  Clemens  Alexandr.  ^) 
Stellen  und  Euseb.  ^)  die  Skizze  selbst  mittheilt.  Den  jüdischen 
Nachzügler  durch's  rothe  Meer  verfolgt  Bernhardy  mit  kritischem 
Sichelwagen,  und  setzt  ihm  nach,  grimmig  wie  Pharao:  „Dieser 
ausgemergelte  heilige  Dialog  eines  jüdischen  Dilettanten  hat  mit 
einem  Drama  nichts  gemein;  er  spricht  mi  flachsten  Griechisch 
und  entbehrt  alles  eigentlichen  Werthes."  Für  voll  zu  nehmen 
ist  der  ausgemergelte  Dialog  freilich  nicht:  Moses  spricht  den 
Prolog,  worin  er  seinen  Lebenslauf  erzählt.  Darauf  folgt  sein  Be- 
gegniss  mit  den  Töchtern  des  Raguel.  Moses  theilt  seinem  Schwie- 
gervater seinen  Traum  mit,  den  ihm  dieser  deutet.  Dann  er- 
scheint der  Herr  dem  Moses  im  Dornbusch.  Hierauf  führt  der 
Zauberstecken  einige  Kunststücke  zur  Probe  aus.  Jehova  über- 
reicht ilm  dem  Moses,  der  ihn  annimmt  mit  Zittern  und  Zagen. 
Ein  Bote  stattet  Bericht  ab  von  den  1 0  Plagen  Pharaonis.  Gleich 
hinterher  meldet  ein  Kundschafter  des  Elimäischen  Gebietes  von 


1)  p.  22],  3.  —  2)  Prolus.  de  Pleiade  tragicor.  graecor.  1745.  4.  —  3) 
XIII.  p.  59'JE.  -  4)  'E^fxiT^lov  rov  toTv  ^lovöaCxtäv  TQCtyMdiwv  ttoitjtov 
''Eiaywyri.  Lat.  1591.  8«.  —  5)  Strom.  I.  p.  149.  —  6)  Pr.  Ev.  IX,  28.  29. 


Jüdisch-griechische  Dramen.  Das  älteste  christliche  Mysterien-Drama.  263 

dem  heiTlichen  Palmenwalde  und  den  zwölf  Quellen.  Nun  folgt 
noch  eine  Schilderung  des  Wundervogels.  Der  Wundervogel  ver- 
wandelt sich  aus  heiler  Haut  in  den  Geier,  der  Alles  holt.  Hier 
bricht  nämlich  der  „Ausgemergelte"'  plötzlich  ab.  Der  „Auszug" 
hat  keinen  Ausgang ,  da  dieser ,  statt  Pharao ,  im  rothen  Meer 
ersäuft:  leinsi  ralla.  Wie  aber  Jesus,  in  der  Legende,  an  dem 
todteu  Hund  noch  die  schönen,  weissen  Zähne  zu  loben  fand:  so 
liesse  sich  an  dieser  Exagoge  des  jüdischen  Tragikers  „vom  flach- 
sten Grriechisch"  gleichwohl  noch  ein  gutes  Haar  entdecken:  dieses 
nämlich,  dass  von  seiner  Exagoge  vielleicht  die  biblischen  Myste- 
rien-Dramen zu  datiren  wären ;  von  dem  „ausgemergelten  Auszug 
des  jüdischen  Dilettanten"  die  christlichen  Mysterienspiele  viel- 
leicht ihren  Ausgang  nahmen.  Aehnlich  mag  es  sich  mit  einem 
spätem  Drama  verhalten:  „Susanna"  (to  dgäf-ia  tijg  2ioadvvr]g), 
dessen  Verfasser,  Nikolaos  aus  Da  maskos,  von  König  Herodes 
an  Cäsar  Octavianus  gesandt  ward.  Das  Drama  Susanna  wird 
dem  Nikolaos,  auf  eine  Andeutung  des  Eustathius  hin"^),  beige- 
legt. Suidas  sagt  blos,  Nikolaos  habe  rühmlich  bekannte  Tra- 
gödien und  Komödien  gedichtet  {f.vdo7.Lixovg). 

Philostratos  d.  ä.  (Ende  des  2.  Jahrh.  nach  Chr.j  schrieb 
nicht  blos  über  Gremälde,  und  nicht  blos  Heroica:  einen  Dialog, 
in  welchem  21  Helden  vor  Troja  geschildert  werden.  Nach  Sui- 
das hat  er  noch  43  verlorene  Tragödien  nebst  14  nicht  mehr  vor- 
handenen Komödien  gedichtet.  Sogar  der  armenische  König  Ar- 
tabazes  schrieb  griechische  Tragödien.'^;  An  derselben  Stelle  be- 
richtet Plutarch,  dass  der  tragische  Schauspieler  Jason  von  Thral- 
les  in  den  „Bakchen"  des  Euripides,  auf  der  königl.  armenischen 
Hofbühne,  das  blutige  Haupt  des  Crassus,  statt  des  Pentheus, 
vorzeigte.  Bis  ins  4.  Jahrh.  nach  Clu'.  reichte  diese  griechische 
Spätlings -Dramatik  hinüber.  Cäsar  Germanicus  hinterliess 
griechisch  geschriebene  Komödien.  Eine  griechische  Komödie  von 
dem  blödsinnigen  Kaiser  Claudius  wurde  in  Neapel  bekränzt. 
Apollinaris  von  Alexandria,  Presb}iier  in  Laodikea  (4.  Jahrh.), 
übertmg  das  alte  Testament  in  griechische  Hexameter  und  bil- 


1)  Vgl.  Ezechicl  u.  Philo  d.  alt.  Jerusalem.  Herausg.  u.  comment.  v. 
Philippson.  Berl.  1S3U.  —  2)  In  Dionys.  Perieg.  p.  291.  Fabr.  B.  gr.  11, 
^^\•l.  Harl.  —  3)  Plut.  Crass.  33. 


264  ^^^  griechische  Drama  nach  Alexander. 

dete  aus  den  Geschichteu  desselben,  nach  dem  Muster  des  Euri- 
pides,  Menander  und  Pindar,  Tragödien,  Komödien  und 
Hymnen  1),  um  die  profane  Leetüre  zu  verdrängen.  All'  diese 
Dramen,  die  königlich  armenisclien,  die  kaiserlich  römischen  und 
die  biblischen  des  Presbyters  in  Laodikea  hausen  nun  sämmtlich 
in  den  „Eäumen  der  Tiefe,"  woraus  keine  Brücke,  Gott  sey  Dank, 
zu  unserer  Geschichte  emporftthrt..  Ein  anderes  ist  es  mit  dem 
Cento-Drama : 

„Der  leidende  Christus,"  von  2640  Versen,  die  aus  sie- 
ben Euripideischen  Tragödien,  nach  Magnin^)  gar,  von  drei  ver- 
schiedenen, ein  paar  Jahrhunderte  auseinander  liegenden  Verfas- 
sern, zusammen  gestoppelt  worden.  Bis  in's  16.  Jahrh.  galt  es 
für  ein  Werk  des  heiligen  Gregor  von  Nazianz  (4.  Jahrh. j.  Von 
da  ab  wurde  es,  bald  mehr  bald  minder  entschieden,  demselben 
in  einer  Streitschriftenfolge  abgesprochen,  die  zu  einer  eigenen 
Literatur  anwuchs;  mit  einer  Rückschwenkung  jedoch  in  neuester 
Zeit,  von  Seiten  zweier  eifrigen  Vertreter,  eines  Franzosen  ^)  und 
eines  Deutschen 4) ;  jenes,  zu  Gunsten  der  Autorschaft  des  heili- 
gen Nazianzeners ;  des  Deutschen,  zu  Gunsten  des  „Christos  Pas- 
chon"  selbst.  Immerhin  bleibt  dieses  merkwürdige,  mit  Euripi- 
des'  Pfauenfedern  zu  Christi  Verherrlichung  buntgeschmückte 
älteste  christliche  Passionsspiel,  aus  der  Zeit  Kaisers  Julianus 
Apostata,  das  einzige  Drama  nach  Aristophanes'  Plutos,  das  min- 
destens als  vollständig  erhaltenes,  sich  den  attischen  uns 
verbliebenen  Dramen  an  die  Seite  stellen  darf.  Wir  werden  da- 
her nicht  umhin  können,  gehörigen  Ortes,  darauf  Rücksicht  zu 
nehmen  und  uns  näher  mit  ihm  einzulassen. 

üeber  das  Schauspielwesen,  nach  Alexander  dem  Gr. 
hat  Welcker  ■^)  eine  Fülle  von  Notizen  gesammelt.  Einen  Be- 
griff von  dem  Pompe  theatraKscher  Feste  kann  man  sich  aus  der 
bei  Athenäos  von  Kallixenes  mitgetheilten  Beschreibung'*)  der 
penteterischen   (fünfjährlich   wiederkehrenden)   Procession    bilden. 


1)  Sozom.  V,  IS.  Vgl.  Welcker  gr.  Trag.  13ü()ff.  —  2)  Journ.  des 
Savants  1847.  p.  12—26.  u.  p.  275  —  288.  — 3)  J.  Aug.  Laianne,  Dissert.  etc. 
p.  IX,  cf.  p.  XVII.  —  4)  Die  Tragödie  XQiarog  TläaxMv  etc.  im  Original- 
text u.  zum  erst.  Mal  in  metr.  Verdeutsch,  herausg.  v.  E.  Elissen.  Leipz. 
1855.  —  5)  a.  a.  0.  S.  1242ff.  --    fl)  V.  p.  l<)()-203. 


Das  Schauspielwesen  nach  Alexander.  265 

welche  unter  Ptolem.  Pliilad.  in  Alexanclvia  stattfand,  an  Reich- 
thum,  Schaustellungspracht  und  Kunstverschwendung  einzig  in  der 
Theatergeschichte.  Während  der  Regierung  dieses  Ptolem.  vmv- 
den  die  Dionysien  jährlich  durch  tragische  Agonen  gefeiert. 
Nach  Welcker  waren  die  Didaskalien  vermuthlich  tetralogisch. 
Die  Hofbühnen  der  armenischen  und  parthischen  Könige  eiferten 
in  Glanz  der  Ausstattung  den  Hoftheatern  in  Alexandria  und 
Antiochia  nach,  wo  bis  zur  sinkenden  Kaiserzeit  das  Theaterwe- 
sen eine  glänzende  Rolle  spielt.  Auf  den  Theatern  von  Laodikea 
Petra  (Hauptstadt  der  Nabataner  am  Pontus)  bildete  die  Tragö- 
die des  Sophokles  stehendes  Repertoir.  Wie  Philipp  von  Make- 
donien, nach  der  Einnahme  von01}Tith,  die  dionysischen  Künst- 
ler (tragische  und  komische  Schauspielerj  in  Masse  zu  ausseror- 
dentlichen Festvorstellungen  aufgeboten  hatte :  so  verschrieben  die 
Könige,  Antigonos  von  Syrien  und  Tigranes  von  Parthien,  diony- 
sische Künstler  zur  Einweihung  ihrer  Theater.  Die  römischen 
FeldheiTen  und  Kaiser  suchten  diese  Vorbilder  an  Pracht  und 
Pomp  noch  zu  überbieten.  M.  Fulvius  nobilior  giebt  (Ol.  1 47, 
3^=186  vor  Chr.)  die  im  ätolischen  Kriege  gelobten  zehntägigen 
Spiele,  wobei  griechische  Schauspieler  agirteu  (ludi  graeci). 
Aehnlich  feiert  L.  Scipio  die  im  antiochischen  Kriege  gelobten 
Spiele  von  gleicher  Dauer.  Antonius  und  Kleopatra  entboten  nach 
Samos  alle  dionysischen  Künstler.  Sulla  feierte  Epinikien  in  The- 
ben, wo  er  bei  dem  Oedipusbaum  eine  Thymele  aufrichten  liess. ') 
Antiochos  Philopappos,  König  von  Syrien  und  Komagene,  beging 
in  Athen,  als  Agonothet  und  Chorege  für  alle  Phylen,  glän- 
zend die  Dionysien.  PJbenso  Kaiser  Hadrian  als  Archen  in  atti- 
scher Tracht.^)  Half  Alles  nichts.  Die  Seele  war  entflohen. 
In  Asien,  Aegypten,  Athen,  Bar])aren,  Halbbarbaren,  Römer,  Grie- 
chen —  sie  feierten  aller  Orten  das  Grabgepränge  einer  geschmink- 
ten, in  Gold  und  Purpur  zur  Parade   ausgestellten  Leiche. 

Recitationen  aus  Tragödien  (Qijoeig  xara  ösinvor}^) 
wurden  von  berühmten  Schauspielern  an  den  Tafeln  der  Könige 
beim  Kreisen  des  Pocals  {/laQcc  rnv  nntov)  gehalten.  Solche 
Tafel-Declamationen  hielten  tragische  Schauspieler  aus  Athen  bei 


1)  Plut.  Snll.   lO.  -  2)  Dio  Cass.  LXIX.  —  .S)  Athen.  XI.  p.  482  D. 


266  Das  griechische  Drama  nach  Alexander. 

Gastmallleu  des  Dionys  d.  alt.  zu  Syrakus;  der  Schauspieler  Ja- 
son aus  Thralles  bei  den  parthischen  Königen;  Theodoros  bei 
Alexander,  Tyrannen  von  Pherä.  Als  einen  der  beiiüimtesten  im 
Vortrage  von  Glanzpartien  aus  Tragödien  nennt  Diodoros  i)  den 
Neoptolemos. 

Zu  den  ansehnlichsten  Synoden  oder  Coi^porationen  diony- 
sischer Künstler  zählten  die  jonische  Synode  und  die  zu  Teos 
und  Lebedos.  In  Folge  von  Delphischen  Orakelsprüchen  haben 
die  Hellenen  diesen  Künstlergeuossen  das  Recht  der  Asylien  und 
der  ünantastbarkeit  verliehen.'^)  Zu  den  Privilegien  der  Schau- 
spieler gehörte  auch  die  Steuerfreiheit.  Eine  der  berülimtesten 
Hoftruppen  war  die  Gesellschaftder  Attalisten,  Hofschau- 
spieler der  Attaliden,  Könige  von  Pergamos.  In  Strabo's  Zeit 
hatte  die  Corporation  der  Schauspieler  ihren  Sitz  zu  Lebedos. 
Hier  feierten  sie  jährlich,  wie  früher  in  Teos,  ihre  Panegyris  (Ver- 
einsfest) und  Agonen.  Ausser  den  ei-wähnten  wird  die  Synode 
der  Basilisten  auf  einer  Insel  des  Nils  genannt;  eine  andere  in 
Aplu'odisias  (Karlen).  Die  grosse  Adrianische  Synodos  fühi-t  ein 
Elginischer  Marmor  an.^)  Auch  wandernde  Truppen  werden 
erwähnt  (vnoy.QLveGd-ai  etil  §£vrjg).  P.  E.  MüUer  zufolge  ^)  soU 
schon  von  Justinianus  in  Konstantinopel  die  Aufführung  der 
Tragödie  und  Komödie  zugleich  mit  den  Consuln  abgestellt 
worden  seyn,  während  die  Mimen  und  Tänze  erst  das  TruUa- 
nische  Concil  Ende  des  7.  Jahrh.  aufliob. 

In  Eom  führte,  wie  Tacitus  berichtet''),  zuerst  Mummius, 
ausAnlass  des  Korinthischen  Triumphes  (Ol.  158,  3),  theatralische 
Spiele  ein,  nach  griechischer  Art.  J.  Cäsar  Hess  in  allen 
Sprachen  spielen,  griechisch,  römisch,  oskisch  (Possen  in  oskischer 
Mundart).  Desgleichen  Octavianus  per  omniura  linguarum  histrio- 
nes.'^)  Caligula  hatte  den  Ap  eil  es  von  Askalon  '),  den  berühm- 
testen griechischen  Tragöden  seiner  Zeit,  immer  bei  sich.  Ha- 
drian  den  Athener  Aristomenos,  der  zugleich  als  Gelehrter  be- 
rühmt war.  Declamationsvorträge  aus  Tragödien  gehörten  an 
Hadrian's  Tafel  zur  Tischordnung.  **)    Selbst  Herodes  d.  alt.  Hess 


1)  XVI,  92.  —  2)  Choiseul,  Marni.  (kn-\>.  Iiiscr.  N.  3ül)7.  —  3)  C. 
Inscr.  N.  349.  —  4)  Com.  hist.  de  genio,  morib.  et  luxu  aevi  Theodosiani 
1798.  —  5)  Ann.  XIV,  21.  -  6)  Suet.  Octav.  c.  43.  -  7)  Suet.  Calig.  c. 
33.  _  8)  Spartian.  Hadr.  26. 


Griechische  Schauspieler  in  Rom  und  Jerusalem.  267 

griechische  Spielleute  fTh3rmelikoi) ,  Gesangsmimen ,  die  vor  der 
Thymele  zur  Laute  oder  Flöte  agirten,  in  dem  von  ihm  erbauten 
Theater  zu  Jerusalem  auftreten,  den  Juden  zum  grossen  Aer- 
gerniss.  ^) 


1)  Flav.  Jos.  Aiit.  XV.  c.  8.  §.  1.  Vgl.  Joh.  G.  Eichhorn,  de  Judaeor. 
Re  scen.  Commentt.  Soc.  reg'.  Gotting.  recent.  V.  II.  p.  64. 


Das  römische  Drama. 

Die  beiden  Völker-Familien,  die,  mit  den  indischen  Geschlech- 
tern aus  Einer  Stammwm'zel,  der  arischen,  entsprossen,  ihre  ür- 
sitze  in  den  verschwisterten ,  zu  solcher  Bestimmung-  gleichsam 
prädestinirten  Halbinseln,  Italia  und  Hellas,  nahmen,  unterscheidet, 
auch  in  Bezug  auf  Staatenbildung,  ein  Wesensmerkmal,  das  aus 
der  Verschiedenheit  ihrer  Anlage,  ihres  Stammgeistes  und  Genies 
entspringt.  Den  hellenischen  Nationalgeist  haben  wir  in  allen 
Richtungen  und  Formen  nach  vollendeter  Gestaltung  des  maass- 
voll-, des  ethisch-Schönen,  streben  und  es  zur  Erscheinung  brin- 
gen sehen.  Der  reinste  Ausdruck  dieses  Vermögens  ist  die  voll- 
endete Individualität.  Aus  solchem  Gestaltungsgeiste  können  nur 
Staatenbildungen  hervortreten,  die  als  geschlossene  Indindualitä- 
ten  sich  gegeneinander  verhalten;  Staatengruppen,  bei  denen  die 
Selbstständigkeit,  die  ludividualisation,  das  Gemeinsamkeitsbedürf- 
niss  überwiegt;  die  Stammessonderung  sich  dem  föderativen  Be- 
streben, die  Stammespersönlichkeit  sich  der  Bundesgenossenschaft 
entgegenstellt.  Alle  auf  ein  Staatenbündniss-  unter  den  helle- 
nischen Stämmen  abzielenden  Institute,  alle  Mahnungen  und  Weis- 
sagungen der  Orakel,  der  grossen  Patrioten,  Redner,  Dichter  und 
Denker,  haben  jenen  mit  dem  Kunstgenie  und  Freiheitsdrange 
identischen  Trieb  nach  stammgemässer,  in  rastlosen  Bürgerkriegen 
sich  behauptender  Individualisirung  und  Selbergeltung  des  Staats- 
wesens auf  Kosten  der  Bundeseinheit  nicht  überwinden,  und  da- 
her auch  den  Zerfall  und  Zusammenbruch  der  hellenischen  Staa- 
tengi'uppen  nicht  ablenken  können,  als  das  Princip  ihrer  staatli- 
chen Selbstständigkeit ,  das  maassvoll  - ,  das  ethisch  -  Schöne,  aus 
Loth  und  Schwerpunkt  wich.  Der  zu  spät  errichtete  achäische 
Bund  ist  nur  geeignet,  den  Unberuf  der  hellenischen  Staaten  zu 


Das  Genie  der  Eömer.  269 

einer  geschlossenen,  schütz-  und  tmtz- festen  Eidgenossenschaft 
zu  erhärten. 

Das  entgegengesetzte  Bestreben  zeigt  sich  bei  den  staniin- 
vei-wandten  Völkergruppen  auf  der  Schwester -Halbinsel  Italia. 
Hier  finden  wir  seit  ürbeginn  ein  Netz  gleichsam  von  Städtebün- 
den über  das  ganze  Landgebiet  hingebreitet,  mit  der  Maassgabe 
jedoch,  dass  die  tyiThenisch-pelasgischen  und  latinisch -sabelli- 
schen  Conföderationeu  zu  einer  schliesslichen  Verschmelzung  ge- 
langen; im  Unterschiede  gegen  den  Städteverband  der  dritten 
Völkergruppe,  die,  im  Süden  Italiens  aus  griechischen  Pflanzstät- 
ten erwachsen,  sich  zu  Gross -Hellas  constituirt  hatte,  und,  den 
Stammcharakter  nicht  verläugnend,  sich  auch  hier  in  gegenseiti- 
ger Bekriegung  aufrieb,  bis  sie  von  dem  föderativen  Aneignungs- 
vermögen der  latiuisch  -  sabellischen  Stammgruppe  ebenfalls  ab- 
sorbirt  wurde.  Nicht  als  sey  jene  Verschmelzung  der  Völkerhau- 
fen, die  in  der  obern  Hälfte  Italiens  sassen,  auf  fiiedlichem  Wege 
erfolgt.  Nur  gingen  die  langwierigen,  harten  Kämpfe  unter  die- 
sen Bundesgruppen  schliesslich  in  eine  Staatsgemeinschaft  auf, 
welche  mit  der  Summe  der  Absorptionskraft  aller  nach  und  nach 
assimilirten  Völkerschaften  \virkte.  In  Rom  hat  des  Menenius 
Agrippa  Magen -Gleichuiss,  und  schon  in  sehr  früher  Zeit,  sich 
thatsächlich  verwirklicht.  Wie  aus  jenem  Hexenbrei  das  „bewaff- 
nete Haupt",  so  erhob  sich  aus  dem  mannigfachen  Völker -Ge- 
mongsel  des  „Wein-  und  Rinderlandes"  Italien,  Rom  als  eiserner 
Magen,  der  zunächst  die  italienischen  Stamm-  und  Bundesgenossen 
einsog,  bis  er  sich,  im  Maasse  seiner  Anfüllung,  zum  allgemeinen 
Weltmagen  entwickelte,  der  sämmtliche  Völker  mit  Haut  und 
Haaren,  Land-  und  Meerproducten,  verschlang,  und,  vermöge  seiner 
universal-historischen  Verdauungskraft,  sich  einverleibte. 

Die  historische  Bezeichnung  für  ein  Aneignungsvennögen,  wie 
es  das  Römervolk  besass,  ist  unbegrenzte  Raub  sucht.  In  Er- 
mangelung jener  schöpferisch  befruchtenden  Civilisations-Elemente 
und  als  Ersatz  für  dieselben,  hatte  die  geschichtliche  Vorsehung 
das  Römervolk  mit  solchem  Aneignungsvermögen  ausgerüstet  von 
beispielloser  Tragweite,  Stärke  und  Kühnheit.  Dieses  grosse  als 
Culturmacht  wirksame  Einverleibungsvermögen  ist  eben  nur  das 
Raubgenie,  angewandt  auf  die  Bildungsgeschichte,  auf  Staaten-  und 
Völkergestaltung.    Die  „civilisatorische  Idee"  des  jüngsten  galli- 


270  ^^^  römische  Drama. 

sehen  Cäsar  entsprosste  als  Schmarotzei'pilz  demselben  Stamme. 
Die  Kömer  wurden  ein  civilisatorisches  Volk  im  Wege  der  An- 
eignung aus  zweiter  Hand ;  einer  Hand  mit  sehr  langen  Fingern. 
Sie  eroberten,  erbeuteten  selbst  die  Bildungsbedingungen  auf 
Kriegsraubzügen  und  schütteten  die  zusammengeplünderten  Schätze 
der  Kunst,  Dichtung  und  Wissenschaft  in  Eom,  wie  in  einer 
Räuberhöhle,  auf.  ')  Zwar  hat,  nach  Beaufort's  Vorgang-),  Nie- 
buhr's,  in  Scheidewasser  und  Galläpfelsäure  getauchter  historisch- 
kritischer Schwamm,  mit  dem  Räuberhauptmann  Romulus  auch 
dessen  Räuberhöhle,  das  Asyl  auf  dem  Capitolium,  weggewischt, 
und  gleich  in  Einem  Strich  die  ganze  Sagengeschichte  Roms  aus 
der  Geschichte  gelöscht;  alles  Farbige,  Duftige,  Licht  und  Schat- 
ten, kurz  jeden  lebendigen  Hauch,  was  die  Sage  eben  zur  Ge- 
schichte macht,  erbarmungslos  getilgt,  und  nichts  als  ein  caput 
mortuum  bestehen  lassen  von  Grundmauer -Resten,  Inschriften, 
bronzenen  Särgen  und  Spuren  von  ümrisslinien  zu  einem  staats- 
rechtlichen Schema  und  kritisch-historischeu  Abstractum.  Romu- 
lus hat  den  Remus,  Niebuhr  den  Romulus  todtgeschlagen ;  Numa, 
Tullus  Hostilius,  Ancus  Marcius,  gleich  mit :  „die  Namen  der  Kö- 
nige sind  vollkommen  ersonnen."  ^)  „Romulus  und  Numa  sind 
ganz  zu  beseitigen.," 

Quid  foret  Diae 
Mavortisque  puer,  si  taciturnitas 
Obstaret  meritis  invita  Romuli  V  *) 

,,Mavors'  und  Ilia's 
Sohn,  was  war'  er  anjetzt,  hätte  das  neidische 
Schweigen  jedes  Verdienst  Romulus'  eingehüllt?" 

Das  unveräusserlichste  Verdienst,  das  Verdienst,  das  mit  uns  ge- 
boren wird,  das  Verdienst,  existirt  zu  haben,  selbst  das  hat  dem 
Romulus  der  deutsche  Geschichtschreiber  abgesprochen;  für  Roms 
Geschichte  der  fürchterlichere  Arminius,  der  sogar  die  Zwillings- 
väter des  römischen  Volks  in  ilirer  Urzeit  Mutterleibe  umgebracht. 
Ein  negativer  Paläontologe,  welclicr  die  fossilen  Ueberreste  von 


1)  Vgl.  Sickler ,   Gesch.   der  Wegnahme  u.  Abt'ührg.  vurzügl.  Kunstw. 
aus  den  erobert.  Ländern  in  die  Länder  der  Sieger.  1803.  l.Thl.  S. 83— 116. 

2)  Sur  l'incertitude  des  premiers  c\m{.  siccles  de  l'hist.  roniaine.  1 752.  2  VW.  12. 

3)  Vorträge  üb.  röm.  Gesch.  1846.  1.  Bd.  S.  128.  —4)  Hör.  Od.  IV,  8,  20. 


Korns  Sagengeschichte.  271 

Roms  Vorgeschichte  zu  Fabelwesen  construirt,  und  der  —  das 
Widerspiel  zu  Cuvier  —  ex  ungue  beweist,  dass  der  Löwe  gar 
nicht  habe  existiren  können,  und  so  gewissermaassen  mit  der 
Löweiiklaue  den  Löwen  zerreisst.  Und  wie  zerreisst?  —  Nicht 
etwa  in  Stücke,  sondern  so  grändlich,  dass  nicht  einmal  die  be- 
rühmten Wedel  übrig  blieben ,  die  doch  selbst  der  Vernichtungs- 
kampf jener  beiden  unsterblichen  Löwen  als  historische  Beweis- 
stücke der  Nachwelt  hinterlassen. 

„Die  nun  folgende  Geschichte  (Roms  nämlich)  ist  wie  ein 
Bild  von  der  Kehrseite  betrachtet,  wie  Phantasmen."  Dafür  er- 
klärt der  grosse  Geschichtskritiker  merkwüi-digei-weise  auch  seine 
eigene  Geschichte,  indem  fast  jede  spätere  Ausgabe  Conjecturen 
der  frühern  zurücknimmt,  und  andere  an  deren  Stelle  setzt,  die 
auch  schon  ihren  Schwamm  gefunden  haben,  oder  noch  finden 
werden. 

Sind  die  Sagengeschichten  Phantasmen,  so  gehören  die  dafür 
eingeschobenen  geschichtliclien  Conjecturen  auch  nur  zu  den  com- 
menta  hominum;  und  commenta  hominum,  sagt  der  Römer,  delet 
dies.  Die  Sage  vom  Raub  der  Sabinerinnen  wird  von  der  Ge- 
schichtskritik als  ein  allegorisches  Phantasma  des  historischen 
Factums  gedeutet:  dass  die  Römer  das  sabinische  Ritual  ange- 
nommen.') Das  sieht  einem  historisch-kritischen  Phantasma  ähn- 
lich, wie  ein  hohles  Ei  dem  andern.  Der  Sage  von  Romulus' 
Räuberhöhle,  um  darauf  zurückzukommen,  geben  die  „Vorträge" 
diese  Wendung-):  „Es  sammelte  sicli  allerlei  Volk,  Diebe,  Todt- 
schläger,  kurz  mit  einem  altdeutschen  Rechtsausdruck,  Wildfänge. 
Diess  ist  die  einfache  Ansicht,  wie  die  Clientel  entstanden.  In 
der  Bitterkeit,  mit  der  nachher  die  Stände  sich  betrachteten,  hat 
man  diess  auf  die  Patricier  angedeutet,  dass  deren  früheste  Alin- 
herren  Spitzbuben  gewesen."  Mit  Erlaubniss  des  ruhmwürdigen, 
auf  dem  Gebiete  der  römischen  Geschichtsforsclmng  grössten  und 
tiefsten  Kritikers,  halten  wir  es,  in  Betreff  der  „Spitzbuben",  mit 
der  Sage ,  maassen  nicht  blos  die  frühesten  Almherren ,  sondern 
auch  die  spätem  und  spätesten,  in  immer  grössern  Dimensionen, 
dergleichen  gewesen,  wenn  auch  im  grossen  welthistorischen  Räu- 
berstyl.   Wo  die  naive  Sage  die  Grundzüge  eines  Volkes  treuher- 


1)  Das.  S.   123.     -  2)  Das.  S.  118. 


272  D^s  römische  Drama. 

zig  schildeii,  da  ist  die  Sage  beglaubigte  Geschichte  und  die  Ge- 
schichte, die  jene  Gmudzüge  auslöscht,  eine  fable  convenue.  Ein 
Gleiches  ist  es  mit  dem  „Mischvolk",  was  die  Römer  selbst  für 
Niebulu'  noch  sind  i),  nicht  aber  für  seinen  ihm  ebenbürtigen  Nach- 
folger, den  jüngstgrössteu  Geschichtschreiber  der  Eömer.  für  Th. 
Mommsen.'^)  Rücksichtlich  des  Mischlingscharakters  dieses  Vol- 
kes verschmäht  Niebuhr  sogar  das  Zeugniss  der  „Fabeln  und  ent- 
stellten Sagen''  nicht,  die  es  „klar  erkennen  lassen'',  dass  die 
Römer  „deswegen  keinem  Volke  angehörten,  weil  sie  aus  der 
Mischung  mehrerer,  sich  ganz  fremder  entstanden  waren";  oiy- 
■/(./.vöeg  von  den  Griechen  genannt;  mU  sagen:  colluvies  gentimu. 
Unbeschadet  unserer  Verehrung  vor  dem  berülimten  Verfasser  der 
„Römischen  Geschichte",  halten  wir  es,  in  Bezug  auf  das  Misch- 
volk, mit  Niebuhr  und  mit  den  „entstellten  Sagen."  Nur  ein 
Volk,  das  selbst  die  Elemente  seines  Ursprungs,  seiner  Existenz, 
gleichsam  zusammengeraubt  hatte,  konnte  von  der  Geschichte 
zum  Weltraubvolk  vorbestimmt  und  auserlesen  werden.  Den 
Mischlingscharakter  trägt  die  Staatskunst  dieses  Volkes,  trägt 
seine  Völkerzucht,  seine  bildende  Kunst,  Poesie  und  Wissenschaft, 
die  durchaus  eklektisches  Stück-  und  Flickwerk.  Das  scheinbar 
Selbstständigste  und  wie  aus  Einem  Guss,  es  ist  gleichwohl  nur 
ein  Mischwerk,  von  „Korinthischem  Erz",  das  bekanntlich  ein  zu- 
fälliges Product  der  Einäscherung  von  Korinth,  die  der  erste,  und 
einer  der  grössten  Römischen  Kunsträuber  veranlasst:  L.  Mum- 
mius,  im  Jahre  Roms  6i)S.  Eine  colluvies  gentium  ist  die  Rö- 
mische Sprache  sogar,  ein  Allerlei,  eine  Satm'a  von  osldsch-si- 
kulisch-pelasgischen  Bestandtheilen:  „Diese  Eroberer"  (Casker  oder 
Sacraner  oder  Prisci  Latini;  „redeten  Oskisch  und  aus  der  Ver- 
bindung ihrer  Sprache  mit  der  sikulisch-pelasgischen  entstand  das 
merkwürdige  Gemisch,  welches  wir  Lateinisch  nennen,  wo  zum 
Theü  die  Grammatik,  noch  mehr  aber  die  Etymologik  einen  so 
bedeutenden  giiechischen  Bestandtheil  enthält,  worüber  Otfr.  Mül- 
ler im  eisten  Bande  seiner  Etrusker  die  schönen  Untersuchungen 
angestellt  iiat."  ■';  Und  da  läugiie  man  noch,  dass  Romulus'  Asyl 
auf  dem  Capitolium   eine  Zufluchtsstätte  für  allerlei  Welträuber- 


1)  Rom.  Gesch.     Ausg.   in  eineiu  Uaml  JbölJ.  —  2)  Rom.  Gesch.  I.  S. 
35  tf.  —  3)  Niebuhr,  Vortr.  S.  1U6. 


Die  Kunst  der  Römer  ursprünglich  etruskisch.  273 

Volk  in  herba  gewesen,  und  bestreite  Doch,   dass  die  Sage   die 
wahi-e  Geschichte  ist! 

Ungleich  den  Griechen,  deren  poetisches  Kunst-  und  Denk- 
genie die  von  Aegypten.  Thrakien  und  Phrygien  empfangenen  An- 
regungen zu  idealer  Kunstvollendung  und  freier  Gedanken-Dialektik 
beseelte,  oder,  nach  Platon's  Bemerkung,  das  Aufgenommene  zu 
höchster  Schönheit  kunstschöpferisch  ausprägte,  erscheinen  die 
Römer,  selbst  auf  dem  Gipfel  ihres  Kunstvermögens,  überall  nur 
als  begabte,  handfertige  Nachahmer  der  Hellenen,  als  blosse  Tech- 
niker und  Handwerker  neben  diesen.  Ihre  frühesten  Bildwerke 
in  Thon  und  Erz  sind  etruskisch  en  Ursprungs,  wie  ihre  Architek- 
tur, worin  sie  noch  am  originellsten  auftreten,  aus  dem  etruski- 
schen  Bauwesen  hervorging. ')  Ihre  gewaltigen  Canalbauten,  ihre 
riesigen  Wasserleitungen,  ein  steinernes  Adersystem,  durchströmt 
vom  Blute,  Fett  und  Mark  der  Völker;  ihre  Cloaca  maxima,  das 
unterirdische  Hohlbild  gleichsam  des  majestätisch  erhabenen  Hoch- 
bildes von  Rom,  der  Siebenhügelweltstadt;  ihre  prachtvollen,  nur 
von  den  altmexikanischen  und  peruanischen  übertroffenen  ^)  Kunst- 
strassen, —  grossartige  Strassenräuber-Heerwege,  behufs  massenhaf- 
ter Niederwerfung  und  Ausplünderung  von  Nationen  —  all  diese 
Wunderwerke  hatten  die  Römer  theüs  den  im  etruskischen  Styl 
ausgeführten  Schöpfungen,  theils  den  Anregungen  zu  danken,  welche 
sie  von  den  Musterbauten  ihrer  Tarquinischen  Könige  empfingen,  3) 
Von  etruskischen  Künstlern  liess  Sp.  Carrilius  aus  dem  Erze 
Samnitischer  Waffen  einen  Jupiter  giessen,  so  kolossaler  Grösse, 
dass  man  ihn  vom  Gipfel  des  Albanerberges  sehen  konnte,  und 
aus  dem  Reste  des  Erzes  sein  eigenes  Standbild  ^)  fertigen.  Die 
Statuen  der  Cloelia,  des  Horatius  Codes  u.  a.  waren  tuskische 
Arbeiten. •''j  Jenes  berühmte  an  der  Ficus  ruminalis  458  J.  d.  St. 
errichtete  Erzbild,  die  capitolinische  Wölfin  mit  den  säugenden 
Zwillingen  vorstellend,  es  gilt,  nächst  dem  Sarge  des  Scipio  Bar- 
batus,  für  das  Meisterwerk  des  etruskischen  Kunststyls  in  Rom.**j 


J)  Nieb.,  Rom.  Gesch.  I,  86.  2.  Aufl.  — 2)  Humboldt,  Ansichten  d.  Na- 
tur IL  S,217ff.  — 3)  Vgl.  0.  Müller,  Etrusk.  II.  S.  146.  u.  Archäol.  S.  J72ff. 

4)  Plin.  H.  N.  XXXIV,  18.—  5)  Liv.  II,  13.  Plin.  H.  N.  a.  a.  ü.  c.  Vi. 

6)  Winckelm.  W.  VII.  Tf.  3.  c.  Micali  Monurn.  T.  V,  42,  1.  0.  Müller, 
Archäol.  S.  177. 

11.  Ib 


274  ^^^  römische  Drama. 

Die  Staatsfonn,  die  Staatseiurichtungen  iu  iliren  Gmndzügen, 
Religion,  Religionsgebräuche,  Auspicieu  und  Extispicien,  das  ganze 
Ritualwesen  und  Priestersystem  kam  den  Römern  aus  Eti-urien. 
„Alles  deutet  bei  Rom  auf  etruskischen  Ursprung.     Etruskisch 
war  die  ganze  älteste  Verfassung,  durch  die  heiligen  Bücher  die- 
ser Nation  angeordnet."  ^)    Wie  dort,  waren  in  Rom  alle  Staats- 
gewalt und  Wissenschaft,  alle  Opferhandlungen  und  heiligen  Ver- 
richtungen erbliches  Eigenthum  einer  herrschenden  Priester-  und 
Adelskaste.     Der  junge   römische   Adel  wurde   von  Rom   nach 
Etrurien  geschickt,  mii  daselbst  den  Tempeldienst  und  priester- 
liche Kenntnisse  zu  erlernen.    In  Rom  erhielten  die  vornehmen 
Junker  Unterricht   von   etruskischen  Lehrern.  '^)   Selbst   die  zum 
Opferdienst  nöthigeu  Flötenbläser  kamen  aus  Etrarien.    Als  die 
etmskischen  Flöteubläser  nach  Tibur  auswanderten,  gerieth  der 
Senat  in  die  gTösste  Verlegenheit,  da  Niemand  in  der  Stadt  war, 
der  zu  den  Opfern  blies.     Und  da  sie  zurückzukehren  sich  wei- 
gerten, wurden  sie,  auf  Ansuchen  des  Senats,  von  den  Tiburtinern 
trunken   gemacht  und  so  schlafend  nach  Rom  gefahren.'^)    Aus 
Etrurien  erhielten  die  Römer  auch  das  Triumphgepränge  und  die 
Ehrenzeichen  der  Magistrate.^)     Durch  Tarquinius  Priscus  lernten 
die  Römer  zuerst  griechische  Idole  kennen  '^) ;  den  Dienst  der  zwölf 
Olympischen  Götter  z.  B.,  die  sie  dann  bei  sich  einführten  und  in 
Festprocessionen  und  pompis  Circensibus  aufstellten.     Das  in  etrus- 
kischen Opferbüchern  gel)otene  Vergraben  eines  lebenden  gallischen 
und   griechischen    Menschenpaares    in    Zeiten   drohender   Gefahr 
wurde  von  den  Römern  einige  Male,  noch  zur  Zeit  der  punischen 
Kriege,  ausgeführt.*^)    Ja  zur  Aufzeichnung  der  Zwölf-Tafeln-Ge- 
setze, die  sich  die  Römer  durch  Abgeordnete  von  italisch  griechi- 
schen Städten  hatten  holen  lassen  (300  J.  d.  St.,  454  vor  Chr.), 
mussten  sich  die  Decemvirn  der  Hülfe  eines  Griechen,   des  ver- 
triebenen Ephesiers,  Hermodoros,  bedienen.'')     Wie?    Und  dieses 
Römervolk,   das  nichts  zu  Eigen  hatte,  das  Alles  erst  erjagen, 
erraffen,  erJieuten  und  erplündern  musste,  es  sollte  nur  allein  keinen 
Jungfi-auenraub    in    seiner   Entstehungs  -  Geschichte    aufzuweisen 


1)  Nieb.,  E.  Gesch.  I,  181.  —  2)  Liv.  IX,  36.  —  3)  Liv.  IX,  30.  —  4) 
Strab.  V,  2.  Dionys.  HI.  u.  IV.  —  5)  Macrob.  Saturn.  UI,  4.  —  6)  Plin. 
H.  N.  XXX,  3.  -  7)  Diog.  L.  IX,  2.  2.  PLui.  H.  N.  XXXIV,  2. 


Die  Urspruiigs.sagen  der  Römer.  275 

haben?  Der  Raub  der  Sabinerinnen  wäre  nichts  weiter,  als  eine 
frostige  Allegorie  der  Aneignung  des  sabinischen  Rituals?  Das 
Römervolk  sollte  nur  sein  Haus-  und  Familienwesen  nicht  im 
Wege  der  Gewalt  und  des  Raulies  gegründet  haben?  Und  welchen 
Familienwesens!  Dessen  unumschränkter  Despot  und  Familien- 
wolf der  Hausvater  war,  der  seinen  Sohn  dreimal  hintereinander 
als  Sklaven  verkaufen  und  freilich  nur  einmal  hinrichten  durfte. 
„So  lange  der  Hausherr  lebt,  ist  ihm  gegenüber  Alles  rechtlos, 
was  zur  Familie  gehört,  der  Stier  und  der  Sldave,  aber  nicht 
minder  Weib  und  Kind."  ')  Ein  solches  Vater-,  Haus-  u.  Ehe-Recht 
konnte  nur  aus  einer  Raub-  und  Gewaltehe  erwachsen.  Solche 
Väter  konnten  nur  truppweise,  wie  die  Wölfe,  auf  die  Freite  gehen 
und  ihre  Bräute  heimführen,  wie  die  Wölfe  die  Lämmer:  mit  den 
Reisszähnen.  Um  wie  viel  tiefer,  kundiger,  geschichtstreuer  prüft 
die  Sage  Herz  und  Nieren  der  Völker,  als  Roms  rückwärts  ge- 
kehrte Sibylle,  die  römische  Geschichte!  Der  Raub  der  Sabine- 
rinnen ist  für  uns  eine  unumstössliche  Thatsache,  oder  die  Römer 
sind  keine  Römer  und  keine  Sagenräuber  gewesen.  Ja,  Sagen- 
räuber, die  sogar  ihre  ürsprungssage  geraubt,  indem  sie  die  alt- 
italische, schon  von  Stesichoros  aus  Himera  besungene,  vom  Epiker 
Pisander,  dem  Vorbilde  Virgil's,  aufgeschmückte  Mythe  von  Aeneas' 
Auswanderung  nach  Hesperien,  als  gute  Beute  in  Beschlag  nahmen, 
und  bei  der  Gelegenheit  auch  ihre  Abstammung  von  der  Göttin 
Venus.  Nicht  almend  das  Verhängniss,  das  ihnen  aus  dieser  ür- 
sprungsmähr  entspriessen  sollte;  trotz  aller  sabinischen  Vogel- 
und  P^ingeweideschau  nicht  ahnend,  dass  dieser,  mit  dem  Juli- 
schen  Cäsar-Hause  verwachsenen  Ursprungswurzel  der  Stiel  zur 
Axt  entstammen  sollte,  die  dem  gewaltigen,  ur])em  et  orbem  über- 
schattenden Riesenweltbaum  den  ersten  Todesstreich  zu  versetzen 
bestimmt  war!  Davon  hatte  der  „heilige  Specht"  nicht  geweis- 
sagt, welcher  in  der  uralten  Apennineustadt,  Tiora,  auf  einer  höl- 
zernen Säule  sitzend  Orakel  gab.  2)  0  wie  viel  untrüglicher  ist 
die  Sage  von  Roms  Räuber-Asyl,  von  Romulus'  Brudermord,  vom 
Raub  der  Sabinerinnen,  als  der  heilige  Specht,  der  von  der  höl- 
zernen Säule  der  Geschichts-Kritik  herab  die  Sagen  zu  „dummen 
Geschichten"  orakelt. 


1)  Mommsen,  Roui.  Gesch.  I,  50.  —  2)  Dionys.  Halic.  1.  13. 

IS* 


276  Das  römische  Drama. 

Die  Attribute  des  Museugottes,  Wolf  und  Specht,  hatten 
die  Römer  sich  angeeignet.  Wie  stand  es  aber  mit  des  Gottes 
Gesangesgabe,  die  sich  nicht  erlisten  lässt,  nicht  erjagen,  erobern 
noch  erbeuten  lässt?  Wie  stand  es  in  der  Sagenepoche  des  Römer- 
volkes mn  den  Gesaug  selbst,  dessen  Wellen,  wie  der  grosse 
deutsche  Dichter  singt,  „hervorströmen  aus  nie  entdeckten  Quellen?" 
Die  daher  auch  nicht  mittelst  noch  so  kunstreicher  Wasserlei- 
tungen sich  heranführen  lassen.  Mit  Volksliedern,  Nationalge- 
sängen; —  kurzum  wie  war  es  mit  der  heimisch  ursprünglichen 
Lyrik  und  Epik  des  alten  Rom  bestellt?  Misslich  genug,  um  nicht 
zu  sagen,  kläglich  genug.  Denn  was  kann  es  Kläglicheres  geben, 
als  ein  Volk  ohne  Volksweisen,  ohne  Volkslieder  und  Gesang? 
Es  sey  denn  die  noch  ungleich  trübseligere  Erscheinmig:  dass 
ein  Volk  seine  Kiudheitslieder  verschmäht,  verachtet,  vergisst,  oder 
gar  gegen  wildfremde,  miheimathliche ,  vertauscht;  seine  alten 
Lieder,  die  Quellen  seiner  Stannn-  und  Vätersagen,  seiner  vater- 
ländischen Geschichte,  geflissentlich  verschüttet,  mn  an  künstlich 
zugeführten  seinen  angeborenen  Trieb  zu  letzen,  dem  gestohlene 
Wasser  süsser  schmecken.  Und  dieser  Maugel  an  Herz  und  Pie- 
tät für  ihre  Volkspoesie  kennzeichnet  die  Römer  schon  in  ihrer 
frühesten  Zeit.  „Es  kam  endlich  dahin",  sagt  einer  der  gTössten 
Alterthumsforscher,  Heyne  ^j,  „dass  die  Römer  die  schlechtesten 
Ausleger  ihrer  eigenen  Sage  waren."  Nach  Niebuhr-j  ist  die 
älteste  römische  Geschichte  aus  Liedern  hervorgegangen.  Die 
Nänien,  Leichen-Loblieder  z.  B.  bei  Leichenmalen;  die  convi- 
valia  carmina,  Tafellieder,  zu  Ehren  ruhmreicher  Ahnen  und  zum 
Lobpreise  ihrer  Tugenden  gesungen.  3)  „Aus  diesen  Liedern  ist, 
was  für  uns  jetzt  Geschiclite  der  römischen  Könige  heisst,  in 
prosaische  Erzählung  aufgelöst."^)  Wäre  diess  der  Fall,  so  be- 
wiese solche  Umwandlung  die  Unfähigkeit  der  Römer  nach  zwei 
Seiten  hin.  Ihr  Gescliichtschreibungsberuf  wäre  damit  eben  so 
in  Frage  gestellt,  wie  ihr  Vermögen,  die  Volkssage  zur  Volkspoesie 
zu  gestalten.  Wenn  überhaupt  jene  von  Niebulir  vorausgesetzten 
Tafelgesänge  und  Laudationen  für  Volkslieder,  und  nicht  vielmehr 


1)  ad  Virg.  Aen.  VII.  exe.  4.  —  2)  Vortr.  etc.  I,  9.  —  3)  Cic.  Brut, 
c.  18.  19.  Tiisc.  Quaest.  I.  c.  2.  Varro  ap.  Nomi.  v.  assa  voce  c.  3.  p.  74. 
Val.  M.  IJ,   I.  Kl.  —  4)  Nieb.,  E.  G.  I,  178. 


Nänien.    Arvalien.  277 

für  patricische  Familieiilieder  zu  gelten  haben.  Die  Salischen 
Gesänge  waren  vollends  hieratische  Lieder;  ausschliessliche 
Weihelieder  der  Salischen  Priester,  einer  Priesterschaft,  welche, 
dem  Servius  zu  Folge  •),  von  Dardanus  für  den  Dienst  der  sa- 
mothrakischen  Gottheiten  eingesetzt,  nach  Etrinien  von  den  Pe- 
lasgern  eiiigeführt,  und  von  hier  erst  nach  Rom  soll  verpflanzt 
worden  seyn.  Die  Salischen  Priester,  sagt  Macrobius^),  sangen 
allen  Gottheiten  Lieder  mit  Ausnahme  der  Venus;  mit  Ausnahme 
der  einzigen  Gottheit  folglich,  welche  die  Römer  als  ihre  Stamm- 
göttin betrachten.  Ein  Beweis  mehr  für  uns,  dass  dieses  Priester- 
collegium  ein  veiiDflanztes  Institut  war,  von  kretisch-phrygischem 
Cultus.  Dionysios  Halik.^j  nennt  sie  Säuger  kriegerischer  Gott- 
heiten, v^vrjxaQ  Twv  svottXiwv  ifswv,  deren  Festgesänge  beson- 
ders den  Mars  gradivus,  und  zwar  nach  Macrob.  den  Mars  Ver- 
nalis  (Frühlingsgott;  feierten.  Auch  sollen  die  Schilde  nicht 
kriegerische  Abzeichen  bedeuten,  sondern  als  Schallbecken 
dienen^),  was,  unseres  Erachtens,  auf  den  phrygischen  Sabazios 
hinzuweisen  scheint. 

Zwei  Nänien  haben  sich,  nach  Niebuhr,  auf  den  Gräbern  der 
Scipionen  noch  erhalten,  die  1780  an  der  Appischen  Strasse  ent- 
deckt ^vurden:  „Auf  diesen  herrlichen  Särgen  sind  Verse,  aller- 
dings wie  Prosa,  allein  mit  Striclien  abgetheilt"  —  „Es  sind  diess 
ganz  schlichte  einfältige  Verse,  aber  es  ist  doch  Versmaass  darin: 

Corneliu'  Lüciu'  Scipio  Barbätus, 
Gnäivo  prognätu',  fortis  vir  sapiensque 
Consül,  censor,  aedilis,  qui  fuit  apiid  vos  etc. 

In  unsern  Augen  die  allergewöhnlichste  Grabsclirift ,  die,  von 
wegen  der  Nänien-Poesie ,  sich  immerhin  zugleich  mit  dem  seli- 
gen Scipio  Barbätus  hätte  können  begraben  lassen. 

Auch  die  Carmina  Arvalia,  Frühlingslieder,  von  den  Arva- 
lischen  oder  Acker-Brüdern  zur  Feier  der  „schaffenden 
Göttin"  im  Mai  gesungen,  gehören  in  diese  Klasse.  Es  Avaren 
hieratische  Gesänge,  keine  eigentlichen  Volkslieder.  A  ferendo 
et  arvis  (ut  fiiiges  ferant  arva)  fratres  arvales  dicti,  erklärt  VaiTO.  ^) 

1)  ad  Virg.  Aen.  VIII.  v.  285.—  2)  Sat.  I,  J2.  —  3)  Antiq.  Rom.  II. 
70.  —  4)  Vgl.  W.  Corssen  Origin.  Poes.  Rom.  Berol.  isKi.  S.  15  ff,  4.Sff. 
—  5)  L.  L.  V,   15.  p.  33. 


278  ^^®  römische  Drama. 

Ihre  Opfer  und  Betgesänge  erflehten  Segen  für  die  Feldfrucht 
von  den  ländlichen  Gottheiten  (Lares  agrestes).  Das  einzige  auf 
uns  gekommene  Denkmal  dieser  „religiösen  Litaneien"  führt Momm- 
sen  an  ') : 

Enos,  Lases,  iuvate! 

Ne  velvuerve,  Marmar,  sine  incurrere  in  pleores! 

Satur  furere,  Mars! 

Limen  sali ! 

Sta  b erb er! 

Semunis  alternis  advocapit  conctos! 

Enos,  Marmar,  juvato ! 

Triumpe!  triumpe!  triumpe!  triumpe! 

An  die  Götter:    Uns,  Lasen,  helfet! 

Nicht  die  böse  Seuche ,  Mars ,  Mars ,  lass  einstürmen  auf 

mehrere ! 
Satt  sey  des  Wüthens  Mars! 
An  die  einzelnen  Brüder :    Auf  die  Schwelle  springe ! 

Steh  ab  vom  Hüpfen! 
An  alle  Brüder:    Den  Semoner,  erst  ihr,  dann  ihr,  rufet  zu,  allen! 
An  den  Gott:     Uns,  Mars  Mars,  hilf! 
An  die  einzelnen  Brüder :    Juble !  juble !  juble !  juble !  juble ! 

Wahrscheinlich  wurde  schon  dieser  ländliche  Arvalgesang  als 
Wechselgesang  vorgetragen.  Gewiss  ist  diese  Vortragsweise  von 
den  fescennischen  oder  fescenninische  n  Liedern,  bäue- 
risch obscönen  Inhalts: 

Inde  joci  veteres  obscoenaque  dicta  canuntur^) 

Schmähverse,  ähnlich  den  phallischen,  den  Spottliedern  der  Jam- 
bisten,  Gephyristen  u.  s.  w.,  die  wir  als  Incunabeln-Satyre  und 
Vorspiele  zur  attisch-megarischen  Komödie  haben  kennen  lernen. 
Die  Fescenninen  wurden,  vermischt  mit  Lobgesängen  der  ländli- 
chen Gottheiten,  in  Wechselversen  von  Landleuten  gesungen: 

,.Hier  nun  bildete  sich  fescennischer  kecker  Gesang  aus. 
Welcher  in  wechselnden  Versen  ergoss  derb  klingende  Schmähung; 
Jährlich  erneuete  sich,  willkommen  dem  Volke,  das  freie 
Heitere  Spiel,  bis  beissender  wurde  der  Scherz,  und  in  oftne 
Wuth  ausartend,  sich  frech  eindrängte  in  edele  Häuser, 


1)  R.  Ges.li.  1,  147.  Lanzi,  Saggio  I.  p.  142.        2)  Ov.  Fast.  III,  ,525. 


Die  Furcht  vor  dem  Stocke  urrönüsch.  279 

Straflos  drohend.    Es  fühlten  den  Schmerz  die  vom  Zahne  der  Schmähsucht 

Blutig  Verletzten;  das  gleiche  Geschick  auch  fürchteten  Andre, 

Die  er  verschont  noch  hatte,  ja  bald  war  strenges  Gesetz  da, 

Das  Schmählieder  verbot  und  bedrohte  mit  peinlicher  Strafe. 

Schnell  nun  stimmten   den   Ton  sie    um,    und    die    Furcht    vor    dem 

Stocke 
Lehrte  sie  harmlos  scherzen,  entfernt  von  verletzendem  Hohne."  i) 

Die  natürliche,  ursprüngliche  Entwickelung  der  Komödie,  wir 
sehen  sie  im  Keime  erstickt.  Forniidine  fustis  —  die  Furcht 
vor  dem  Stocke  züchtet  Stockpoeten,  aber  keinen  Aristophanes ; 
keine  ächte,  aus  dem  Volksgenie  freikräftig  erwachsene  Komödie. 
Der  Stock  ist  ein  vortrefflicher  Lelu'meister  für  Hundekomödien, 
für  die  Komödien  der  Lakeien,  Schmarotzer,  Sklaven,  Kuppler, 
liederlichen  Dirnen,  nicht  für  die  Komödie,  die  ein  freies  Männer- 
herz fi-oh  und  tapfer  lacht.  Eine  Komödie  ohne  unbedingte  und 
nur  durch  das  Kunstgesetz  beschränkte  Spottfreüieit  ist  die 
Rebe  ohne  die  Traube,  der  kahle  Rebenstock  eben  in  der  Hand 
des  Büttels,  nicht  in  der  des  Gottes  Dionysos.  Der  Gott  der 
Komödie,  Gott  Eleuthereus,  der  Befreier,  schuf  die  Weinrebe,  das 
Menscheuherz  zu  erfreuen,  nicht  zum  Leidwesen  von  Rücken 
sammt  Zubehör.  Und  nicht  dieser  und  nicht  dieses  soll  von  pur- 
purschwellenden Beeren  strotzen,  sondern  die  Rebe.  Seltsames 
Surrogat  für  die  „Furcht",  die,  nach  Aristoteles  die  Tragödie  er- 
regen und  reinigen  soll:  die  Furcht  vor  dem  Rebenstock  ohne 
Rebe,  die  formido  fustis!  In  der  Komödie  hätten  die  Römer  viel- 
leicht etwas  Selbstständiges,  Eigenthümliches,  leisten  können,  aber 
auch  diese  Gottesgabe  sollte  in  das  Holz  des  patricischen  Stockes 
wachsen.   „Hellas",  singt  der  römische  Dichter-Höfling  weiter: 

, »Hellas,  bezwungen,  bezwang  den  an  BUdung  dürftigen  Sieger; 
Tragend  in  Latiums  rauhere  Flur  müdwirkende  Künste. 
So  schwand  der  Saturnische  Vers,  und  feiner  Geschmack  trieb 
Herbes  und  Widriges  aus"  .  .  . 

„Feiner  Geschmack"  ist  eine  euphemistische  Variante  zu  fornii- 
dine fustis: 

sie  horridus  ille 

Defluxit  numerus  Saturnius  et  grave  A-irus 

Munditiae  pepulere  .  .  . 


1)  Horat.  Ep.  I,  2.  v.   145  f. 


280  ^^^  römische  Draina. 

Munditiae,  nämlich  die  glatte,  elegante,  römisch  auflackirte  Me- 
nauder- Komödie,  glatt  und  geschmeidig,  wie  ein  Stab  aus  des 
Lictors  Steckenbündel.  Den  numerus  Saturnius,  den  einzigen 
Vers  von  römischem  Schrot  und  Korn,  den  doch  Plautus,  das 
einzige  ächte  römische  Dichtergenie,  mit  meisterhafter  Kunst 
behandelt,  und  dessen  nähere  Bekanntschaft  wir  bald  machen 
werden  —  selbst  diesen  biederben  numerus  complimentirt  der 
feine,  zierlich  witzige  Hofsatiriker  aus  der  guten  Gesellschaft  der 
gräcisirten  römischen  Poesie  zur  Thür  hinaus,  und  wirft  ihm  noch 
einen  „Haarbuschigen  Gesellen",  einen  horridus  ille  an  den  Kopf, 
ilim  die  Wege  weisend  mit  der  zum  satirischen  Spielstöckchen 
geleckten  formidine  fustis. 

Das  ist  so  ziemlich  das  ganze  lyrische  Schatzkästlein  der 
römischen  Nationalpoesie,  und  selbst  dieses  von  zweifelhaftem 
Eigenthumsrecht.  Viel  reichhaltiger  mochte  das  Schatzkästchen 
schon  zu  Cicero's  Zeiten  nicht  gewesen  seyn,  dem  die  alten  Staats- 
und Kechtsbücher  bereits  Sibyllinen  waren.  Auf  eine  grössere 
oder  geringere  Anzahl  von  Arvalliedern ,  Nänien,  Tafelgesängen 
und  Fescenninen  kommt  es  nicht  an,  wo  der  goldenste  Dichter 
des  goldenen  Zeitalters  römischer  Dichtkunst ,  der  selbst  sich  als 
den  „Zuhörer  und  Anwalt  nur  edler  Scribenten"  rühmt  fnobilium 
scriptormn  auditor  et  ultor  ')  —  wo  Horaz  gegen  die  ungeschlach- 
ten Reliquien  aus  der  UiTäterzeit  heimischer  Poesie  Verwahrung 
einlegt;  stolz  darauf,  als  Impfling  und  Pfropfreis  einer  fremdlän- 
dischen, verpflanzten  Literatur  zu  gelten. 

Der  gute  Horatius!  In  ihm  kämpften  zwei  Genien:  sein  recht- 
schaffner, pleb  eis  eher  Genius  und  der  „Genius",  der  im  Lateini- 
schen auch  Neigung  zum  Wohllel)en  bedeutet,  Appetit  zum  Gut- 
essen und  Guttrinken.  In  ihm  kämpfte  der  tüchtige,  wackere 
Genius  des  Zöllner-Sohns  von  den  edelsten  Geistesgaben  und  er- 
giebiger Dichterader  mit  dem  Schmarotzer- Genius,  der  für  die 
Leibeigenen  des  Bauches  ihr  Fütter  er  ist;  ebenfalls  dem  la- 
teinischen Sprachgebrauch  gemäss,  wonach  Schmarotzer  ihre  Gönner 
und  Schmausgober  Genies  nannten.  Um  seine  arme  Seele  stritten 
sich  zwei  Geschmacksgenien:    der   angestammte   plebeische   Ge- 


1)  Horat.  K\>.   15.  v.  39. 


Horaz  und  die  Fescennineii  281 

schmack  für  die  ländliche  Natur,  für  Wahrliaftigkeit  und  Tugend ; 
und  der  Geschmack,  der  im  cornu  copiae  der  vornehmen  rö- 
mischen Wohlleber,  Lecker  und  Schlecker  auch  wieder  „Genius" 
hiess:  Der  gute  Geschmack  an  Essen  und  Trinken.  Und  ein 
auserlesener  Geist,  Avie  er  war,  hatte  der  Aermste  ein  Bewusstseyn 
dieses  Zwiespalts  in  seiner  Natur;  fühlte  er  seinen  Busen  von 
diesem  Kingkampf  des  guten  und  nichtsnutzigen  Princips  zerris- 
sen; von  diesem  Hader  des  freien,  unabhängigen  Dichters  mit 
dem  Speichellecker  der  Aftergi'össen,  wie  von  einem  Brustkrampfe 
gepeinigt  und  geplagt;  so  quälend,  dass  er  aufseufzte,  aber  wie 
ein  von  Natur  scherzhafter  und  leichtblütiger  Geist  zu  seufzen 
pflegt;  aufseufzend  mit  lächelndem  Munde,  in  einer  seiner  schön- 
sten Satiren,  die  zu  diesem  Zwecke  gedichtet  scheint:  in  der 
siebenten  des  zweiten  Buches,  worin  er  witzig  und  sinnreich  und 
mit  der  besten  Laune  einer  urbanen  Ironie  sich  von  seinem  Skla- 
ven Davus  das  Gewissen  schärfen  und  den  Finger  in  die  Wun- 
den seines  Busens  legen  lässt;  Wunden,  ach,  die  für  den  unheil- 
bar Kranken  zu  nothwendigen  Fontanellen  geworden: 

Längst  schon  laur'  ich  und  trachte  mit  Furcht  dir  ein  Wörtchen  zu  sagen, 
Ich,  dein  Knecht!   —  Du!  Davus!  —  Ja  dein  leibeigener  Davus, 
Hold  und  treu  und  so  brav,  wie  genug  ist,  niclits  zu  befahren 

Für  sein  Leben  von  dir!  —  Wohlan,  so 

—    —    —    —    —    —    —    —    —  schwatz,  wie  dii-'s  einfällt! 

—  Immer. 
Lobst  du  das  Glück  und  die  Sitten  des  Volkes  der  Alten,  und  gleichwohl, 
Triebe  dahin  dich  plötzlich  ehi  Gott,  abschöbst  du  es  weigernd. 
Weü  du  entweder  nicht  fühlst,  was  du  als  Besseres  ausschreist, 
Oder  nicht  fest  das  Gute  behaui)test,  und  in  dem  Morast  tief 
Sitzest,  vergeblich  bemühet,  die  Ferse  dem  Sclilamm  zu  entziehen. 
Bist  du  in  Rom,  so  zieht  dich  das  Land;  abwesend  erhebst  du, 
Wankel,  empor  zum  Himmel  die  Stadt.    Lud  etwa  zu  Schmaus  dich 
Keiner,  wie  lobst  du  gesundes  Gemüs'  und  preisest,  als  ob  du 
Gingst  in  Banden  gefesselt  woliin,  dich  glücklich  und  selig, 
Dass  heut  nirgend  zu  zechen  du  brauchtest.     Wenn  aber  Mäcenas 
Dich  zu  sich  als  Gast  am  Abend  zu  kommen,  sobald  die 
Kerzen  erglühen,  entbeut:  Gleich  Oel  her!  Höret  denn  Keiner? 
Schreist  du,  und  tobst  mit  gräulichem  Lärm,  und  läufst  wie  besessen. 
Abzieht  Mulvius  saramt  den  Schmarotzern,  die  alle  dir  wünschen 
Das  und  jenes!  Je  nun,  ich  gesteh's,  sagt  einer,  der  Magen 
Ziehet  mich  leicht,  und  duftender  Brodem  erhebt  mir  die  Nase; 


282  I^^s  römische  Drama. 

Bin  untüchtig  und  faul,  und  dazu  noch,  willst  du's,  ein  Fresswanst; 
Doch  da  selber  dasselbe  du  bist,  und  schlechter  ^deUeicht  noch. 
Wie  kannst  du  als  Bess'rer  mich  schelten,  in  schmückende  Worte 
Dil'  einhüllen  die  Fehler?    Wie,  wemi  als  grösserer  Narr  du 
Würdest  erfunden,  denn  ich,  fünfhundert  Drachmen  dii-  kostend  V 
Dräue  so  grinsend  nicht  her,  halt'  Faust  und  GaU'  in  den  Schranken . . . 

Wer  von  uns  fehlt  werther  des  Galgens? 

Du  mein  Herr?  abhängiger  Sklav  von  Dingen  und  Menschen 

Mehr  und  stärker  denn  ich! 

GewissHch 

Du,  der  Befehl  mir  giebt,  dienst  anderen  wieder  als  Frohnknecht, 

Und  wirst  gleich  dem  beweglichen  Holz  i)  an  Fäden  gezogen 

Ich  bin  Faulenzer  und  Schlingel, 

Du  kunstmässiger  Prüfer  und  feinster  Kenner  der  Alten. 
Lump  heisst  Davus,  gereizt  von  dem  dampfenden  Fladen;  der  mächt 'ge 
Geist  und  die  Tugend,  wie  deine,  verschmäht  ja  die  fettesten  Schmause! 
Mir  ist's  schlimm  und  verderblich,  dem  Bauche  zu  folgen.   Warum  das? 
Muss  es  der  Eücken  doch  büssen!    Indess  du  weniger  strafbar 
Schnappst  nach  leckeren  Bissen,  die  nicht  um  weniges  fcü  sind  .... 

Noch  nimm,  dass  behelfen 

Du  kehl  Stündchen  dich  kannst  mit  dir,  noch  klüglich  der  Muse 
Brauchen,  und  selber  dich  fliehst  gleich  einem  entlaufenen  TroUknecht, 
Bald  mit  Wein  zu  betäuben  und  bald  mit  Schlafe  die  Sorge 
Suchend.     Umsonst !    Schwarz    drängt   sie    von    hinten  ,    und    folget   dem 

Flüchtling ! 

—  Ist  bei  der  Hand  kein  Stein?   0  wozu  denn?  —  Pfeüe !  wo  sind  sie? 

—  Easet  doch,   oder   es  dichtet  der  Mensch!   —    Pack  gleich   dich  von 

hinnen, 
Oder  du  gehst  als  Neimter   zur  Frohn   zum  Acker  Sabüuim! 

Der  Dichter  fährt  gegen  den  Diener  auf  und  schmäht  ihn  von 
dannen,  aber  in  der  Stimmung  des  Narren,  der  seinem  Gevatter 
Lear  von  der  albernen  Köchin  erzählt,  welche  den  Aalen,  als  sie 
sie  lebendig  in  die  Pastete  that,  mit  einem  Stecken  auf  die  Köpfe 
schlug  und  ihnen  zurief:  Hinunter,  ihr  Gesindel,  hinunter!  So 
schlägt  unser  Zöllner-Sohn  und  Enkel  eines  Freigelassenen  den 
Schlangen  im  Busen  auf  die  Köpfe,  so  oft  sie  selbe  aus  der 
Schmarotzer-Pastete  stecken,  und  ruft  wie  die  Köchin:  Hinunter, 
ihr  Gesindel,  hinunter!  —  Wenn  er  gegen  seinen  Gönner,  Mäcenas, 
sich  verwahrt: 


1)  Duceris,  ut  ncrvis  alienis  mobile  lignum  (Marionette). 


Die  Fescenniiien  als  Hochzeitslieder.  283 

Nee  somnum  plebis  laudo  satur  altilium,  nee 

Otia  divitiis  Arabum  liberriina  muto  ')  .  .  . 

„Nicht  erst  satt  von  dem  leckern  Schmause,  erheb  ich  des  Landmanns 

Schlaf;  auch  tausch'  ich  die  Freiheit  nicht  um  Ai'abiens  Schätze".  .  . 

SO  sind  auch  diess  nur  verkappte  Gewissensschläge  auf  die  —  Aal- 
köpfe. Seine  vom  Vater  und  Grossvater  ihm  angestammte  Her- 
zensmeinung spricht  wohl  seine  Zunge  aus,  aber  ihre  nicht: 
die  Meinung  seiner  Zunge  nicht,  die  der  Pastete  nach  dem  Munde 
spricht.  Den  edelsten  der  Feinschmecker  vom  auserlesensten 
kritisch -poetischen  Feingeschmack,  den  liebenswürdigsten  der 
Schi'anz  -  Poeten ,  kann  man  häufig  genug  in  der  wunderlichen 
Klemme  überraschen,  die  er,  ein  Paar  Verse  vorher,  mit  einem 
artigen  Parabelchen,  nach  seiner  Weise,  anmuthig  witzig  iUu- 
strirt  (V.  30  f.) 

„Durch  engklaffenden  Spalt  in  dem  Waizengefülleten  Kasten 
War  ein  schmächtiges  Mäuslein  gekrochen,  und  mühte  mit  vollem 
Leibe  darauf  umsonst  sich  ab,  hinaus  zu  gelangen. 
Wenn  du,  sagte  ein  Wiesel  von  fern,  dort  wieder  heraus  wiUst, 
Schlüpfest  du  Freund  nur  mager  heraus,  wo  mager  du  eingingst. 
Zielt  auf  mich  das  BUd"  n.  s.  w. 

Hier  folgt  obiges  Pochen  auf  die  Aalköpfe.  Von  allen  Teufeln, 
denen  man  die  fi-eie  Müsse  und  Muse,  die  otia  liberrima,  die  freie 
Seele  verkauft,  hält  sie  keiner  so  fest  wie  der  Pasteten-Teufel. 

Doch  nun  wieder  von  Horazen's  fescennischer ,  komödienliaft 
gefärbter  Wechselrede  mit  seinem  Sklaven,  seinem  verköi-perteu  Ge- 
wissen, zurück  zu  Eoms  Fescenninen  aus  der  Vorzeit.  Den  Namen 
leitet  man  von  der  tuskischen  Stadt  Fescennia  ab,  woher  sie  ein- 
geführt wären.  Andre  läugnen  die  Existenz  einer  solchen  Stadt  und 
lassen  sie  vom  Erdboden  versehenden,  um  doch  wenigstens  den 
Fescenninischen  Vers  als  Erbeigenthum  den  Römern  zu  retten. 
Nach  Festus  soll  das  Wort  von  Fascinum,  „Zauber",  stammen, 
den  der  Fescennische  Gesang  banne:  quia  fascinum  putabantur 
arcere.  Daher  die  Abwendungsformel  praetiscine!  „Unberufen!" 
Fascinum  jbedeutet  ausserdem,  auch  „Phallus",  dessen  Bild  die 
Landleute  als  Gegenzauber  betrachteten.  Man  sang  die  Fescenni- 
nen demnach  als  phallische  Hochzeitlieder  gegen  Verzaubei-ung, 

1)  Hör.  Ep.  I,  7.  V.  :{5  f. 


284  Das  römische  Drama. 

Unfruchtbarkeit,  Unsegeu  in  der  Ehe.  Als  solche  waren  die 
Fescenuinen  bis  in  die  Zeit  der  letzten  Kaiser  im  Schwange. 
Selbst  Catullus  dichtete  welche,  und  im  Saturnischen  Versmaass; 
feinere  natürlich,  im  Kunstgeschmack.  Auch  spätere  Dichter  fer- 
tigten noch  dergleichen,  Claudianus  z.  B.  Als  Schmähverse  ^vur- 
den  die  Fescennina  Carmina  von  den  Landleuten  in  Masken  aus 
Baumrinde  gesungen: 

Auf  der  Ausonischen  Flur  von  Troja  stammende  Hirten 
Feiern  mit  rohem  Gesang  ihr  Fest  und  wildem  Gelächter, 
Und  in  scheussliche  Larven  vermummt  von  gehöhleter  Rinde 
Rufen  sie  dich,  o  Bacchus,  durch  fröhliche  Lieder,  und  hängen 
Dir  an  ragender  Fichte  herab  die  schwebenden  Bilder .  .  J) 

Doch  möchten  wir  hieraus  keinen  Beleg  für  Mommsen's  Vermu- 
thung  entnehmen,  „dass  schon  in  dieser  Zeit  sich  die  stehenden 
Charaktermasken  feststellten,  die  wir  später  bei  Latinem  und 
Samniten  finden."  2)  Auch  „dass  aus  diesem  Wechsellied  sich 
sehr  bald  die  Anfänge  des  Schauspiels  entwickelten,"  will  uns 
nui-  unter  Vorbehalt  etraskischer  Vermittlung  „begreiflich"  schei- 
nen, die  denn  auch  wirklich  bald  eintrat  und  historisch  feststeht. 
Lässt  doch  auch  Mommsen  die  Fescenninen  im  südlichen  Etra- 
rien  heimisch  seyu,  in  üebereinstimmung  mit  Gori,  der  Fescen- 
ninische  oder  satirische  Dialoge  der  Etmsker  annimmt,  die  den 
römischen  Fescenninen  als  Vorbilder  gedient  hätten.  3)  Wir 
können  daher  nur  jenen  Forschern  beipflichten,  die,  wie  Planck  *) 
z.  B.,  keine  unmittelbare  Entwickelung  des  Fescenninischen  Wech- 
selgesangs zu  den  Anfängen  eines  Scliauspiels  oder  Stegreifspiels 
bei  den  Römern  aimehmen  wollen. 

Ist  es  so  mit  Korns  Lyrik  aus  seiner  Vorzeit  beschaffen ;  lag 
selbst  diese  für  seine  gelehrtesten  und  ältesten  Alterthumsforscher 
wie  unter  einem  Zaubersiegel ,  dessen  Lösungswort  sie  vergessen ; 
glaubte  Roms  kunstreichster,  geist-  und  geschmackvollster  Lyri- 
ker, Horaz,  sein  feines,  zärtliches,  griechisch  zugestutztes  Satyi'ohr 
nicht  sorglich  genug  gegen  den  Nacliliall  jene]-  bäuerischen  Volks- 
gesänge verwaJiren  zu  können,  woraus  doch  allein  möglicherweise 
eine  heimische  Poesie  und  Literatur  sich  hätte  hervorbilden  können: 

1)  Virg.  Georg.  U,  iJbö  ff.        2)  R.  G.  148.  —  3)  Mus.  Etrusc.  T.  U. 
p.  349.  -    4)  Prolegg.  ad  Ennii  Med.  p.  10—31. 


Eoms  Sagenpoesie.  285 

wie  mag  es  mit  dem  zweiten  Gestaltungsmomente  einer  solchen, 
mit  dem  volkseigenen  Sagenbe stände  des  alten  Rom  ausge- 
sehen haben?  Aermlich  und  trostlos,  wenn  man  dem  alten  Samm- 
ler glauben  will,  der  noch  ältere  Zeugnisse  anführt,  welche  dahin 
lauten,  dass  selbst  die  römische  Sagengeschichte  aus  der  Vorzeit 
an  Stoff  für  eine  poetische  Bearbeitung  derselben  arm  und  dürftig 
war;  so  dürftig,  dass  sogar  die  ältesten  Geschichtschreiber,  um 
ihre  Erzählung  noch  einigermassen  aufzuschmücken ,  zu  den 
Griechen  ihre  Zuflucht  uelmien  und  solche  Facta  von  ihnen  leihen 
mussten.  Die  Geschichte  z.  B.  der  von  den  Sabinern  bestoche- 
nen Tochter  des  Sp.  Tarpejus.^)  Ferner  die  Geschichte  der  Ho- 
ratier  und  Curiatier. '^)  Desgleichen  die  Erzählung  vom  Betrüge, 
den  Sext.  Tarquinius  den  Gabiern  gespielt^),  u.  a.  m.,  um  hier 
nur  vorübergehend  jene  Hypothese  zu  berühren:  Der  erste  rö- 
mische Annalist,  Fabius  Pictor,  habe  die  von  dem  Griechen  Diokles 
aus  Peparethus  (eine  der  Cykladenj  gedichteten  römischen  Origines 
in  seine  Urgeschichte  Roms  aufgenommen  und  in  Gang  gebracht.  ^) 
Hocherfreulich  dagegen  und  wder  Erwarten  prächtig  sieht  es  mit 
der  alten  Sagenpoesie  der  Römer  aus ,  wenn  man  auf  die  über- 
raschenden Funde  an  uralten  epischen  Gedichten  der  Kömer 
schwören  will,  die  der  gelehrteste  Zergliederer  und  Sichter  der 
römischen  Geschichte,  die  Niebuhr  gethan,  der  doch  sein  unver- 
gängliches historisches  Werk  auf  einen  von  allem  Sagenschutt 
gesäuberten  Boden  gegründet.  Aus  demselben  Sagenschutte  hat 
der  tiefe  Forscher  Perlen,  Juwelen  von  altepischen  Gedichten  ans 
Licht  gezogen,  unschätzbare,  kleine  und  grosse,  Bruchstücke  und 
unversehrte:  „Ein  Fragment  eines  solchen  Heldengedichts,  über 
den  Kampf  der  Horatier  und  Curiatier  handelnd,  glaube  ich  bei 
Livius  entdeckt  zu  haben.  Nun  ist  allerdings  nicht  anzunehmen, 
dass  Livius  noch  diese  alten  Heldengedichte  gesehen  und  darnach 
geschrieben  habe,  aber  er  schrieb  theils  unmittelbar  theils  mittel- 
bar durch  Varro  nach  den  Büchern  der  Pontiftces  und  Augurn, 
wo  sehr  viele  Fragmente  solcher  alten  Epopeen  enthalten  waren, 
manche  selbst  aus  der  Zeit  der  Einnahme  der  Stadt  heiTührend".-^j 


1)  Liv.  I,  1).  Vgl.  Klitophon.  bei  Stob.  Tit.  X.  p.  131.  —  2)  Liv.  I, 
25.  Vgl.  Deinarat.  b.  Stob.  Tit.  XXX\1II.  p.  226.  -  3)  Liv.  1,  2.'>.  Herod. 
V,  «.  Vgl.  Jacobs,  Nachtr.  zu  Sulz.  IV,  2.  St.  S.  335.  Anui.  d.  —  4)  ("luver. 
Ital.  antiq.  82b  ff.  —  5)  Vortr.  etc.  S.  94. 


286  Das  römische  Draina. 

Nun  hat  zwar  der  deutsche  Livius.  in  welchem  der  römische 
erst  seine  Vollendung  eiTeichte ,  jene  Bücher  der  Pontifices  und 
Augurn  auch  nicht  eingesehen,  weder  mittelbar  noch  umnittelbar ; 
aber  auch  nicht  einzusehen  brauchen,  maassen  er  der  Pontifex 
und  Augur  selber  ist,  der  von  der  Höhe  einer  dreitausendjährigeu 
Vergangenheit  herab,  und  bewaifnet  mit  den  schärfsten  Fernglä- 
sern der  historischeu  Conjecturalkritik ,  von  der  kein  alter  Ge- 
schichtschreiber, weder  Grieche  noch  Römer,  sich  hatte  träumen 
lassen,  jene  römischen  Heldengedichte  aus  grauer  Vorzeit  zu  er- 
schauen und  zu  entdecken  vermocht.  „In  dieser  Stelle  des  Li- 
vius nun"  —  belehi-t  der  grosse  Augur  der  geschichtlichen  Con- 
jecturalkritik den  Linus  selbst  —  „wo  die  Provocation  an  das 
Volk  erzählt  wh'd,  die  er  (Livius)  aus  diesen  Büchern  genommen, 
spricht  er  von  einer  lex  horrendi  carminis;  die  Formeln  aus  die- 
ser Zeit  Messen  aber  carmina,  und  waren  in  dem  alten  Vers- 
maass."  Alles  zugegeben,  die  Schärfe,  Treue  und  Ungefärbtheit 
der  Conjectural-Ferubiille  unbestritten:  so  bekämen  wir,  vermag 
anders  unser  schwaches  Auge  die  Schlussfolgerung  zu  fassen, 
bekämen  wir,  glücklichsten  Falls,  in  diesen  Heldengedichten  Ge- 
setzesformeln  im  alten  Versmaass  anzustaunen.  Heldengedichte 
horrendi  carminis  ohne  alle  Frage,  die  aber,  so  viel  wir  davon 
verstehen,  dem  herkömmlichen  Begriü"  von  einem  Heldengedicht, 
gelinde  gesagt,  in  der  hoiTendesten  Weise  vor  den  Kopf  stossen. 
Noch  kühner  und  grossartiger  wird  die  Entdeckmig  in  den  Aus- 
gaben der  römischen  Geschichte  dargelegt.  In  dieser  wird^)  auf 
eine  „Epopöe"  alten  Styls  aus  Roms  Urzeit  hingewiesen,  „die  an 
Tiefe  und  Glanz  der  Phantasie  Alles  weit  zurücklässt,  was  das 
spätere  Rom  hervorbrachte."  „Mit  L.  Tarquinius  Priscus"  —  so 
lässt  sich  die  rückwärts  gekehrte  Prophetenkunde  vernehmen  — 
„beginnt  ein  grosses  Gedicht,  welches  mit  der  Schlacht  am  Re- 
gillus  endigt,  und  dieses  Lied  der  Tarquinier  ist  noch  in  seiner 
prosaischen  Gestalt  (bei  den  Annalisten,  Livius  u.  s.  w.)  unbe- 
schreiblich dichterisch."  Und  eine  solche  in  Annalistenprosa 
„aufgelöste"  Fata  Morgana  von  urrömischer  Epopöe  hätte  die 
Phantasie  eines  Volkes  geschaflen,  dem  der  historische  Flugdeuter 
von  Romulus'  urpoetischen  24  Anspielen -Adlern,  dem  Niebuhr 
selbst  die  poetische  Pliantasie   abspricht?    Diess  wäre    ein  noch 

1)  I,  178  S. 


Roms  uralte  Epopöe.  287 

gi-össeres  Wunder  als  die  aus  ihrer  Prosa -Auflösung   herauskri- 
stallisirte  Epopöe.     A.   W.  Sclilegel,    ein  Wundergläubiger    und 
Doctor  Ecstaticus  wie  nur  Einer   —   aus  dieser  Epopöe   konnte 
sogar  A.  W.  Schlegel  sich  keinen  Vers  machen,  wie  aus  seiner 
Recension  von  Niebuhr's  Rom.  Gesch.  erhellt,  i)    Schlegel  zeigt  sich 
so  verstockt -ungläubig  gegen  diese  Epopöe,   dass  er  sich  hinter 
die  schon  berührte  Hypothese  von  Fabius',  des   ersten  römischen 
Annalisten,    Benutzung    der   vom  Griechen   Diokles    erdichteten 
römischen   Origines  unangreifbar  verschanzt.     Einen  gleich  hart- 
näckigen Widerstand  leistet  W.  Wachsmuth,  der  sich  gegen  Nie- 
buhr's  palunpsestische  Römer-Epopöe  wie  ein  Igel  zusammenrollt, 
und  die  spitzesten  Zweifelfragen  wie  Stacheln  hervorkehrt.-)    Am 
ausführlichsten  entwickeln  die    zweite    und    dritte  Ausgabe    von 
Niel)uhr's  Römischer  Geschichte  die  Mythe   von   der  „Epopöe." 
Jene  epischen  Gesänge,  „viel  älter  als  Ennius",  sollen  im  4.  Jahrh. 
(J.  d.  St.)  geblüht  haben.      Hier  werden  u.  A.  auch   römische 
Volksdichter  entdeckt  3),  an  die  selbst  Macchiavelli  nicht  gedacht, 
der  doch  in  seinen  Discorsi  „sehr  oft  von  Dingen  redet,  die  gar 
nicht  da  gewesen  sind".'^)     Wie  aber  in  aller  Welt  konnte  diese 
vorgeschichtliche  Epopöe   so   spurlos  verschwinden  und   in  Ver- 
schollenheit gerathen,    dass    bei    keinem    alten  Schriftsteller  die 
entfernteste    Ahnung    von    ihrer    Existenz    verlautet?     Welcher 
Hexenmeister,  welcher  böse  Zauberer  hat  diese  Lieder,  diese  Ge- 
sänge, diese  Epopöe,  wie  die  Hexe  den  Ariel  in  die  Eingeweide 
des  knotigen  Eichenstammes,  in  die  knorrige  Prosa  der  Annalisten 
verzaubert  und  verwunschen  und  eingekeilt,  woraus  sie  erst  der 
Zauberstab  des  deutschen  Gescliichtschreibers  befreit  und  erlöst? 
Auch    darüber    erhalten    wir,    und    von    diesem    selber,    die  er- 
wünschtesten Aufschlüsse:    Jener    böse   Hexenmeister   war    kein 
Andrer  als  Ennius,  der  „diese  Lieder  in  Hexameter  umformte" 
und  sie  dann  „mit  Erfolg  unterdrückte".'^)    Wenn  ein  Geschicht- 
schreiber schon  urzeitliche  Sagenpoesien  erfinden  will;  so  dichte  er 
sie  doch  gleich  lieber  selbst,  wie  der  treffliche  Macaulay  that  in  sei- 
nen   1862    (2.  Aufl.)  erschienenen,    artigen  Legenden   aus  Roms 
Urzeit,  seinen  Lays  of  Ancient  Romc. 

1)  Heidelb.  Jahrb.  ISIO.  N.  53—57.  S.  833  ff.  -  2)  Die  alt.  Gesch. 
des  Rom.  Staats  1SJ9.  S.  22  ff.  —  3)  R.  Gesch.  II,  652.  663.  671.  632.  — 
4)  R.  Gesch.  I,  8.  —  5)  3.  Ausg.  I.  S.  272  ff.  585.  U.  S.  585. 


288  ^^^  römische  Drama. 

Wo  die  Könige  unter  den  Geschichtschreibern  Luftschlösser 
bauen,  liaben  die  Kärrner  zu  thun !  So  schliesst  ein  Archivarius  aus 
Saturnischen  Khythmen  inLivius'  Geschichte  auf  altepische  Gedichte 
der  Kömer.  ^)  So  nimmt  ein  Literarhistoriker  -),  und  ein  Ursprungs- 
liistoriker  ^)  gar  zweierlei  epische  Dichtungen  au :  Plebejische  und 
Patricische  Heldengedichte  aus  der  Zeit  vor  den  punischen  Kriegen. 

Wie  käme  —  müssen  wir,  unbein-t  von  den  Visionen  der 
rückwärts  gekehrten  und  manchmal  verdrehten  Propheten-Köpfe 
fragen  —  wie  käme  der  wesentlich  receptive,  nicht  poetisch  pro- 
ductive  Volksgeist,  was  diese  selbst  doch  zugeben,  —  wie  käme 
ein  derartiger  Volksgeist  zu  einem  ursprünglichen  Volksepos? 
Einer  solchen  Geistesart  wird  die  Sagendichtung  nicht  an  der 
Wiege  gesungen.  Jenem  Kriegsbauernadel,  jenem  Amalgam  von 
Eamnes,  Tities  und  Luceres,  hatte  die  Natur  das  Organ  der 
Poesie  versagt:  ein  reizbar  sinniges,  leicht  erregliches  Gemüth 
und  die  blühende,  gestaltenholde  Phantasie.  Ausserdem  erman- 
gelte das  Mischvolk  auch  noch  der  beiden  Haupterfordernisse  zu 
einem  Nationalepos :  des  Steifes  und  des  Helden ;  eines  poetischen 
Nationalstoffes  nämlich  und  eines  poetischen  Natioualhelden.  Denn 
jener  rastlose  Kleinkrieg  mit  Nachbarstämmen  um  Kriegsbeute 
und  die  Grundlage  einer  historischen  Existenz ,  um  Bodenbesitz, 
mag  eine  gute  Schule  der  Abhärtung,  der  Kriegstüchtigkeit  und 
der  Entbehrungen  abgeben;  Stoff  zu  einem  Epos  können  solche 
Krautackerkriege  nimmermehr  liefern.  Zu  einem  derartigen  Völker- 
gedichte gehören  grosse  geschichtliche  Gegensätze,  grosse  Zwecke, 
vor  AUem  eine  grosse  Nationalidee,  ein  Culturproblem  von  allge- 
meiner welthistorischer  Bedeutung.  Konnte  dergleichen  bei  jenen 
engbegi-enzten  Raub-  und  Beutezügen  wirken?  bei  jenen  Feld- 
markenkriegen der  ersten  Kömerzeit?  Erst  die  punischen  Kriege 
nahmen  einen  grössern  Charakter  an,  und  mit  ihnen  trat  das 
Römervolk  eigentlich  erst  in  die  Weltgeschichte  ein.  Da  fand 
sich  denn  auch  gleich  das  Epos  zu  dem  umfassenderen  gehalt- 
reicheren Stotte,  den  bekanntlich  der  alte  Ennius,  der  Halbgrieche, 
zu  einem  Heldengedichte,  dem  ersten  in  römischen  Hexametern 


1)  Köpke  in  Seebode's  N.  Archiv  d.  Philol.  Hannov.  1826.  Jahrg.  1. 
1.  Heft.  S.  .jO. --  Kraus,  Gesch.  d.  Köm.  Lit.  S.67.  -  3)  Petersen,  Origg. 
Hist.  Ki;in.  [».  4. 


Die  Epopöe  des  Eimius.  289 

Avälilte,  mit  Scipio  Africaniis,  seinem  Gönner  und  Schutzherrn, 
als  Helden.  Welchen  Geistes  diese  Epopöe  seyn  mochte,  lässt 
sich  begTeifen.  Der  gottbegeisterte  Dichter  mag,  wie  der  blinde 
Homeros,  bettelnd  von  Ort  zu  Ort  seine  Nation  und  ihre  Ruhmes- 
thaten  mit  himmlisch  erhabnen  Rhapsodien  feiern  und  ihre  Helden 
zu  unsterblichen  Göttern  singen:  niemals  aber  wird  aus  dem 
Frohndienst,  aus  der  Clientel  und  Gönnerschaft  der  Grossen  ein 
freies,  der  Nation  selbst  aus  Herz  und  Seele  gesungenes  Götter- 
lied erschallen;  niemals  ein  Musen-geweihter  Dichtermund  Ge- 
sangesbegeistrung  aus  den  Schüsseln  und  Pokalen  der  Mächtigen 
schlürfen.  Auch  schöpft  man  Heldengedichte  nicht  so  ohne  Wei- 
teres aus  den  unmittelbaren,  ob  noch  so  rühm-  und  thatenvoUen 
Strömungen  der  Tagesgeschichte  ab.  Der  Fernenduft  der  Sage 
muss  über  jedem  ächten  Heldengedichte  schweben.  Der  Mund 
des  Volkes  muss  dem  Sageustoff  erst  seine  Seele  eingeathmet 
haben,  bevor  ihn  der  Hauch  des  Dichters  zur  Völkerleuchte 
flammt.  Davon  zu  schweigen,  dass  nicht  jeder  grosse  rulimbe- 
glänzte  Geschichts-  und  Kriegsheld  desshalb  schon  epopöenwürdig 
ist.  Nur  ein  Solcher  ist's,  der  seines  Volkes  Geist  in  sich  ver- 
köi-pert;  nur  Der  ist's,  in  welchem  das  Volk,  die  Volkssubstanz 
und  Masse,  das  Gemeinvolk  selbst,  sein  Herz  und  Wesen  erkennt, 
sein  Heldenthum,  sein  Fleisch  und  Blut,  den  Sohn  seiner 
Kraft  und  Lenden.  Kann  diess  vom  römischen  Gemeinvolke  gel- 
ten, dessen  Seele  von  Hass  und  Erbitterung,  der  begriindetsten, 
l)erechtigtesten  Erbitterung,  gegen  den  Herrscheradel  seiner  Pa- 
triciergeschlechter  glühte  und  knirschte  ?  Von  dem  römischen 
Gemeinvolke  gelten,  das  von  der  Folter  heimischer  Peinigungen 
hinweg  seine  huchmüthigen,  herzlosen,  adeligen  Blutsauger  und 
Henkersknechte  in  das  Blutbad  hineinpeitschten,  das  ihr  Wolfs- 
gemüth  in  Kriegen  vergoss,  die  ihre  Raul)sucht  und  Volks- 
schlächter-J*olitik  entzündet?  Oder  war's  etwa  nicht  so?  Tragen 
wir  die  Farben  zu  stark  auf?  Straft  die  Gescliichte  diese  Pinsel- 
striche Lügen  und  setzt  sie  ihre  Dämpfer  auf  die  Farben?  Nun 
so  nelime  uns  der  grosse  Scliilderer  der  römischen  Gescliichte 
und  eben  so  gTOsser  Bewunderer  der  Staatskunst,  der  Grossthaten 
und  „Tugenden"  dieser  römischen  Patricier,  nehme  uns  Niobuhr 
den  Pinsel  aus  der  Hand  und  verschmelze  und  dämpfe  die 
grellen,  die  harten  'li'<nv:  „Aber"  so  mildert  er  seine  Pinsel- 
11.  lü 


290  ßfts   römische  Drama. 

striche  —  „wenn  wii-  uns  lebhaft  in  jene  Zeiten  hineindenken, 
so  wild  sich  doch  ein  Grauen  in  diese  Bewunderung  mischen: 
denn,  verträglich  und  abgefunden  mit  diesen  Tugenden  herrschten 
von  den  ältesten  Zeiten  her  die  furchtbarsten  Laster,  uner- 
sättliche Herrschsucht,  gewissenlose  Verachtung  des  fremden 
Rechts,  gefühllose  Gleichgültigkeit  gegen  fremdes  Leiden,  Geiz 
als  Raubsucht  noch  fremd  war,  und  eine  ständische  Absonderang, 
aus  der  nicht  allein  gegen  den  Sklaven,  oder  den  Fremden,  son- 
dern gegen  den  Mitbürger  oft  unmenschliche  Ver- 
stockung  entstand.  Allen  diesen  Lastern  bereiteten  eben 
jene  Tugenden  den  Weg  zm-  Herrschaft,  und  gingen  so  selbst 
unter."  ') 

Kann  hier  noch  von  einem  epischen  Heldengeist  die  Rede 
seyn,  so  lebte  er  in  der  Plebs,  in  dem  Gemeinvolk,  das  solche 
Herrschaft  durch  heroischen  Widerstand  und  Secessionen  brach; 
das  mit  dem  „heiligen  Berg",  wie  jene  Riesen  mit  ausgerissenen 
Felsen,  sich  die  Rechtsgleichheit  erkämpfte;  so  war  die  Plebs, 
das  Gemeinvolk,  der  Held  einer  Epopöe,  die  als  Roms  schönste, 
gTOSse  Zeit  gestrahlt,  und  die  schliesslich  wieder  die  von  den 
„Geschlechtern"  gefachten  Bürgerkriege  mit  der  Freiheit  in  die 
tiefste  Schmach  und  in  Verbrechergräuel  begruben.  Nun  erhob 
sich  aus  dem  in  einen  Ungeheuern  Blutsumpf  zusammengetrüm- 
merten  Freistaat  die  recht  eigentliche  Pöbelherrschaft  in  ihrer 
scheusslichsten  Gestalt;  die  grauenvollste  Pöbelanarchie,  im  Cä- 
sarenthum  incarnirt.  Die  Ochlokratie  der  Wahnsinnsherrschaft 
sass  nun  als  tollgewordene  Wöltin  im  goldenen  Palast  auf  dem 
Kaiserthron,  die  aus  dem  zerfleischten  Rom,  aus  den  Eingeweiden 
von  Senat  und  Volk,  in  Blutströmen  die  Milcli  Avieder  in  sich 
hineintrank,  womit  sie  deren  Ahnenzwilling  einst  am  Ruminali- 
schen  Feigenbaum  genährt. 

Des  Ennius  Heldengedicht  besang  nicht  nur  keinen  Volks- 
helden in  Scipio,  es  feierte  in  ihm  ein  Heldenthum,  verherrlichte 
eine  Geschichtsthat,  die  seinem  Vaterland  eine  der  schwersten 
Wunden  schlug.  Lassen  wir  auch  hier  eine  Meisterhand  unsere 
Farben  dämpfen!  „Sey  es  Scipio  selbst"  —  schreibt  Herder"-)  — 
„der  einem  Karthago,  das  den  Römern  kaum  mein-  schaden  kann, 

1)  R.  G.  I,   13.         2)  Ideen  III.  232  ff.  (Karlsr.  1820.) 


Roms  Helden  und  ihre  Politik.  291 

das  mit  tlieurem  Tiibut  selbst  Hülfe  von  ihnen  erfleht  und  ihnen, 
auf  ihr  Versprechen,  jetzt  Waffen,  Schiffe,  Zeughäuser  und  drei- 
hundert vornehme  Geiseln  in  die  Hände  liefert;  sey  es  Scipio 
oder  ein  Gott ,  der  ihm  in  solcher  Lage  den  kalten ,  stolzen  An- 
trag seiner  Zerstörung  als  ein  Senatusconsult  mitbringt;  es  bleibt 
ein  schwarzer,  dämonischer  Autrag".  .  .  „Mit  Karthago  fiel  ein 
Staat,  den  die  Römer  nie  zu  ersetzen  vermochten.  Der  Handel 
wich  aus  diesen  Meeren  und  Seeräuber  vertraten  bald  seine  Stelle. . . 
Das  kornreiche  Afrika  war  unter  römischen  Kolonien  nicht,  was 
es  unter  Karthago  so  lange  gewesen  war;  es  ward  eine  Brod- 
kammer des  römischen  Pöbels,  ein  Fanggarten  wilder  Thiere  zu 
seiner  Ergötzung  und  ein  Magazin  der  Sklaven.  Traurig  liegen 
die  Ufer  und  Ebenen  des  schönsten  Landes  noch  jetzo  da,  denen 
die  Römer  zuerst  ihre  inländische  Cultur  raubten'".  .  .  „AVohin 
sich  von  Karthago  aus  mein  Blick  wendet,  siebet  er  Zerstörungen 
vor  sich,  denn  allenthalben  Hessen  diese  Welteroberer  gleiche 
Spuren  .  .  .  Wenn  PauUus  Aerailius  siebenzig  Epirotische  Städte 
plündern  und  hundertfünfzigtausend  Menschen  als  Sklaven  ver- 
kaufen lässt,  um  nur  sein  Heer  zu  belohnen ;  wenn  Metellus  und 
Silanus  Macedonien,  Mummius  Korinth,  Sulla  Athen  und  Delphi 
verwüsten  und  plündern,  wie  kaum  Städte  in  der  Welt  geplündert 
sind;  wenn  dieser  Ruin  sich  forthin  auch  auf  die  griecliischen 
Inseln  erstreckt  und  Rhodus,  Cypern,  Kreta  kein  besseres  Schick- 
sal haben  als  Griechenland  hatte,  nämlich  eine  Kasse  des  Tri- 
buts und  ein  Plünderungsort  für  die  Triumphe  der  Römer  zu 
werden;  wenn  der  letzte  König  Macedoniens  mit  seinen  Söhnen 
im  Ti'iumph  aufgeführt,  im  elendesten  Kerker  verschmachtet  und 
sein  dem  Tode  entronnener  Sohn  als  ein  kunstreicher  Drechsler 
und  Schreiber  fernerhin  in  Rom  lebet ;  wenn  die  letzten  Glimmer 
der  Griechischen  Freiheit,  der  ätolische  und  acliäische  Bund 
zerstört  und  endlich  alles,  alles  zur  römischen  Provinz  oder  zum 
Schlachtfelde  wird,  auf  welchem  sich  die  plündernden,  verwüsten- 
den Heere  der  Triuinvirs  zuletzt  sell)st  erschlagen  —  o  Griechen- 
land, welchen  Ausgang  gewähret  dir  deine  Beschützerin,  deine 
Schülerin,  die  Welt-Erzieherin  Roma!  .  .  . 

„Von  Griechenland  aus  segeln  wir  zur  asiatischen  und  afri- 
kanischen Küste.  Klein- Asien,  Syrien,  Pontus,  Armenien,  Aegyp- 
ten,  waren  die  Königreiche,  in  welche  sich   die  Römer  bald  als 


292  Das  röiuische  Drama. 

Erben,  bald  als  Vormünder,  Schiedsrichter  und  Friedensstifter 
eindrängten,  aus  welchen  sie  aber  auch  zum  Lohn  ihrer  Dienste 
das  letzte  Gift  ihrer  eignen  Staatsverfassung  geholt  haben.  Die 
gTOssen  Kriegsthaten  des  asiatischen  Scipio,  des  Maulius,  Sulla, 
Luculis,  Pompejus  sind  jedermann  bekannt;  welcher  letzte  allein 
in  Einem  Triumph  über  fünfzehn  eroberte  Königreiche,  achthun- 
dert eingenommene  Städte  und  tausend  bezwungene  Festungen 
triumphiren  konnte.  Das  Gold  und  Silber,  das  er  im  Gepränge 
zeigte,  betrug  zwanzigtausend  Talente:  Die  Einkünfte  des  Staats 
vermehrte  er  auf  den  dritten  Theil,  zwölftausend  Talente,  und 
sein  ganzes  Heer  war  so  bereichert,  dass  der  geringste  Soldat  von 
ilim  über  zweihundert  Thaler  Trimiiph-Geschenk  erhalten  konnte, 
ausser  allem,  was  er  schon  als  Beute  mit  sich  führte;  welch  ein 
Räuber!  Auf  diesem  Wege  ging  Crassus  fort,  der  aus  Jerusalem 
allein  zehntausend  Talente  raubte,  und  wer  fernerhin  nach  dem  Orient 
zog,  kam,  wenn  er  wiederkam,  mit  Gold  und  üeppigkeit  beladen 
wieder.  Dagegen,  was  haben  die  Römer  den  Morgenländern  ge- 
geben? Weder  Gesetze  noch  Frieden,  weder  Einrichtung,  noch 
Volk,  noch  Künste.  Sie  haben  Länder  verheert,  Bibliotheken  ver- 
brannt, Altäre,  Tempel,  Städte  verwüstet.  Ein  Theil  der  Alexan- 
drinischen  Bibliothek  ging  schon  durch  Julius  Cäsar  in  Flammen 
unter  und  den  grössten  Theil  der  Pergamenischen  hatte  Antonius 
der  Kleopatra  geschenkt,  damit  einmal  beide  auf  Einer  Stelle 
untergehen  könnten.  So  machen  die  Römer,  die  der  Welt  Licht 
bringen  wollen,  allenthalben  zuerst  verwüstende  Nacht;  Schätze 
von  Gold  und  Kunstwerken  werden  erpresst:  Welttheile  und 
Aeonen  alter  Gedanken  sinken  in  den  Abgrund:  die  Charaktere 
der  Völker  stehen  ausgelöscht  da  und  die  Provinzen  unter  einer 
Reihe  der  abscheulichsten  Kaiser  werden  ausgesogen,  beraubt, 
gemisshandelt. 

„Fast  noch  l)edauernder  wende  ich  mich  westwärts  zu  den 
verheerten  Nationen  in  Spanien,  Gallien  und  wohin  weiter  die 
Hände  der  Römer  reichten.  Dort  waren  die  Länder,  die  sie  un- 
terjochten, meistens  schon  verblühete  Blütlien;  hier  wurden  durch 
sie  noch  unreife,  aber  volle  Knospen  in  ihrem  ersten  Jugend- 
wuchse  so  beschädigt,  dass  von  manchen  ivaum  noch  ihre  Stam- 
mesart und  (jattuiig  erkennbar  geblieben.  Spanien  war,  ehe  die 
Römer  hiiikaiin'ii.  ein  vvolilgebauetes,  an  den  meisten  Orten  frucht- 


Die  Epopöen  der  Raubsucht.  293 

bares,  reiches  und  glückliches  Land.  Der  Handel  desselben  war 
beträchtlich  und  auch  die  Cultur  einiger  Nationen  nicht  verach- 
tenswerth,  wie  es  nicht  nur  die  Turdetanier  am  Bätis,  die  mit 
den  Phöniciern  und  Karthagern  am  längsten  bekannt  waren,  son- 
dern auch  die  Celtiberier  mitten  im  Lande  beweisen.  Das  tapfre 
Numantia  Aviderstand  den  Römern  mehr,  als  irgend  ein  andrer 
Oii  der  Erde;  zwanzig  Jahre  ertrug  es  den  Krieg,  schlug  Ein 
römisches  Heer  nach  dem  andern  und  wehrte  sich  zuletzt  ^  gegen 
die  ganze  Kriegskunst  des  Scipio  mit  einer  Tapferkeit,  bei  deren 
traurigem  Ausgang  jeden  Leser  schaudert.  Und  was  suchten  die 
Verwiister  hier  im  Innern  Lande ,  bei  Nationen ,  die  sie  nie  ge- 
reizt, die  kaum  ihren  Namen  gehört  hatten?  Gold-  und  Silber- 
bergwerke. Spanien  war  ihnen  das ,  was  den  Spaniern  jetzt 
Amerika  seyn  muss,  ein  Ort  zum  Raube.  So  plünderten  Lucullus, 
Galba  u.  s.  f.  gegen  Treu  und  Glauben ;  der  Senat  selbst  macht 
zwei  Friedensschlüsse  ungültig,  die  seine  bedrängten  Feldherren 
mit  den  Numantinern  geschlossen  hatten.  Grausam  liefert  er 
diesen  die  FeldheiTen  selbst  aus,  wii'd  aber  auch  an  Edelmuth 
gegen  die  ausgelieferten  Unglücklichen  von  ihnen  über^vuuden. 
Und  jetzt  tritt  Scipio  mit  aller  Macht  vor  Numantia,  schliesset 
sie  ein,  lässt  vierhundert  jungen  Männern,  den  Einzigen,  die  dieser 
Um*echt  leidenden  Stadt  zu  Hülfe  kommen  wollen,  den  rechten 
Arm  abhauen,  hört  auf  die  rührende  Bitte  nicht,  da  mitten  im 
Hunger  ein  bedrängtes  Volk  sein  Erbarmen  und  seine  Gerechtig- 
keit anfleht;  er  vollführt  den  Untergang  dieser  Unglücklichen  als 
ein  wahrer  Römer.  Als  ein  wahi-er  Römer  handelte  Tiberius 
Gracchus,  wenn  er  in  dem  einzigen  Lande  der  Celtiberier  drei- 
hundert Städte,  wären  es  auch  mir  Flecken  und  Schlösser  ge- 
wesen, verwüstete.  Daher  der  unauslöschliche  Hass  der  Spanier 
gegen  die  Römer:  daher  die  tapfern  Tliaten  des  Viriatus  und  des 
Sertorius,  die  beide  auf  unwürdige  Art  holen  und  gewiss  viele 
römische  Feldherren  an  Klugheit  und  Kriegesmuth  übertrafen: 
daher  jene  fast  nie  bezwungenen  Bergvölker  der  Pyrenäen,  die, 
den  Römern  zum  Trotz,  ihre  Wildheit  beibehielten,  so  lange  sie 
konnten.  Unglückliches  Goldland  Iberien,  fast  unbekannt  bist  du 
mit  deiner  Cultur  und  deinen  Nationen  ins  Reich  der  Schatten 
gesunken,  in  wclcliem  dicli  schon  Homer  unter  dem  Glanz  der 
Abendsonne  als  ein  Reich  der  Unterirdischen  malet." 


294  Das    römische   Drama. 

Nachdem  der  herz-  und  geistvolle,  völkerkundige  Grossmaler 
seinen  Zoll  der  Bewunderung  vor  dem  kolossalen  Staatsgeiste  und 
den  riesenhaften  Unternehinungen  der  Römer  entrichtet,  fährt  er 
(S.  266;  also  fort: 

„Der  Geist  der  Völkerfreiheit  und  Menschenfreundschaft  war 
dieser  Genius  nicht:  denn  wenn  man  die  ungeheure  Mühe  jeuer 
arbeitenden  Menschen  bedenkt,  die  diese  Marmor-  und  Steinfelsen 
oft  aus  fernen  Landen  herbeischaffen  und  als  überwundene  Sklaven 
errichten  mussteu:  wenn  man  die  Kosten  überschlägt,  die  solche 
Ungeheuer  der  Kunst  vom  Schweiss  und  Blut  geplünderter,  aus- 
gesogner  Provinzen  erforderten,  ja  endlich,  wenn  wir  den  grau- 
samen, stolzen  und  wilden  Geschmack  überlegen,  den  dm'ch  jene 
blutigen  Fechterspiele,  durch  jene  unmenschlichen  Thierkämpfe, 
jene  barbarischen  Triumphaufzüge  u.  s.  f.  die  meisten  dieser  Denk- 
male uälirten;  die  Wollüste  der  Bäder  und  Paläste  noch  unge- 
rechnet: so  wird  inan  glauben  müssen,  ein  gegen  das  Menschen- 
geschlecht feindseliger  Dämon  habe  Born  gegründet,  um  allen 
Irdischen  die  Spuren  seiner  dämonischen  übermenschlichen  Herr- 
lichkeit zu  zeigen.  Man  lese  über  diesen  Gegenstand  des  altern 
Plinius  und  jedes  edlen  Bömers  eigne  Klagen:  man  folge  den 
Erpressungen  und  Kriegen  nach,  durch  welche  die  Künste  Etru- 
riens,  Griechenlands  und  Aegyptens  nach  Kom  kamen:  so  wird 
man  den  Steinhaufen  der  römischen  Pracht  vielleicht  als  die 
höchste  Summe  menschlicher  Gewalt  und  Grösse  anstaunen,  aber 
auch  als  eine  Tyrannen-  und  Mördergrube  des  Menschenge- 
schlechts verabscheuen  lernen." 

Mit  der  Bemerkung,  wie  theuer  selbst  die  geistigen  Vorzüge 
der  Römer  und  ihre  Verdienste  um  Beredsamkeit  und  Dichtkunst 
den  Völkern  zu  stehen  kamen;  mit  der  Frage:  „Waren  diese 
schönen  Früchte  eines  erpressten  goldenen  x^lters  solchen  Auf- 
wandes werth?"  wendet  sich  unser  grosser  Gewährsmann  zu  der 
Wirkung,  die  ihr  „Recht"  ausübte: 

„Mit  dem  römischen  Rechte  ist's  nicht  anders:  denn  wem 
ist  unl)ekannt,  welche  Drangsale  die  Völker  dadurch  erlitten,  wie 
manch('  menschlicliere  Einriclitung  der  verschiedensten  Länder 
dadurch  zerstört  worden?  Fremde  Völker  wurden  nach  Sitten  ge- 
richtet, die  sie  nicht  kannten;  sie  wurden  mit  Lastern  und  ihren 
Strafen  vertraut,  von  welchen   sie  nie   gehört  hatten;  ja  endlich 


Das  römische  Recht.  295 

der  ganze  Gang  dieser  Gesetzgebung,  der  sich  nur  zur  Verfassung 
Roms  schickte,  hat  er  nicht  nach  tausend  Unterdrückungen  den 
Charakter  aller  überwundenen  Nationen  so  verlöscht,  so  verderbet, 
dass  statt  des  eigeuthümlichen  Gepräges  derselben,  zidetzt  allent- 
halben nur  der  römische  Adler  erscheint,  der  nacli  ausgehackten 
Augen  und  verzehrten  Eingeweiden  traurige  Leichname  von  Pro- 
vinzen   mit    schwachen   Flügeln    deckte.     Auch    die    lateinische 
Sprache  gewann  nichts  durch  die  überwnndnen  Völker  und  diese 
gewannen  nichts  durch  jene.     Sie  ward  verderbt  und    zuletzt  ein 
romanisches   Gemisch    nicht  nur  in    den  Provinzen,   sondern   in 
Rom  selbst.    Die  schönere  griechische  Sprache  verlor  auch  dm'ch 
sie  ihre  reine  Schönheit  und  jene  Mundarten  so  vieler  Völker,  die 
ilmeu  und  uns  weit  nützlicher  als  eine  verdorbene  römische  Sprache 
wären,  gingen  bis  aufs  kleinste  üeberbleibsel  unter.    Die  christ- 
liche Religion  endlich;  so  ausnehmend  ich  die  Wohlthaten  ver- 
ehi-e,  die  sie  dem  Menschengeschlecht  gebracht  hat,  so  entfernt 
bin  ich  zu  glauben,   dass    auch  nm-  Ein  Wegstein  in  Rom   ur- 
sprünglich ihretwegen  von  Menschen  erhoben  worde'h  ...... 

Rom  nahm  die  cluistliche  Religion  nicht  anders  auf,  als  es  den 
Gottesdienst  der  Isis  und  jeden  verworfnen  Aberglauben  der  öst- 
lichen Welt  aufnahm;  ja  es  Aväre  Gottes  unwürdig,  sich  einzu- 
bilden, dass  die  Vorsehung  für  ihr  schönstes  Werk,  die  Fort- 
pflanzung der  Wahrheit  und  Tugend,  keine  andern  Werkzeuge 
gewusst  habe,  als  die  tyrannischen  blutigen  Hände  der  Römer. 
Die  christliche  Religion  hob  sich  durcli  eigne  Kräfte,  wie  durch 
eigne  Kräfte  das  römische  Reich  wuchs,  und  wenn  beide  sich  zu- 
letzt gatteten:  so  gewann  weder  die  Eine  dadurch  noch  die 
Andere.  Ein  römisch-christlicher  Bastard  entsprang,  von  welchem 
manche  wünschen,  dass  er  nie  entstanden  wäre." 

Die  Culturbestimmung  der  Römer  stempelt  Herder  mit 
strengen,  aber  treffenden  Worten: 

„Wir  haben  also  auch  der  Meinung  zu  entsagen,  als  ob  in 
der  Fortsetzung  der  Zeitalter  die  Römer  dazu  gewesen  seyen,  um, 
wie  in  einem  menschlichen  Gemälde  über  den  Griechen  ein  voll- 

kommneres  Glied  in  der  Kette  der  Cultur  zu   bilden 

Also  bliebe  nichts  übrig,  als  dass  die  Vorsehung  den  römischen 
Staat  und  die  lateinische  Sprache  als  eine  Brücke  aufgestellt 
habe,  auf  welcher  von  den  Schätzen  der  Vorwelt  auch  Etwas  zu 


296  Das  römische  Drama. 

uns  gelangen  möchte.  Die  Brücke  wäre  die  schlechteste,  die 
gewählt  werden  konnte:  denn  eben  ihre  Errichtung  hat  uns  das 
Meiste  geraubet.  Die  Römer  zerstörten  und  wurden  zerstört; 
Zerstörer  aber  sind  keine  Erlialter  der  Welt." 

Nun  lenken  wir  in  unser  Geleis  wieder  ein  mit  Herder  s  ge- 
wichtiger Bemerkung:  „Als  eine  Sklavin  war  die  Scenische 
Muse  bei  den  Römern  eingeführt  und  sie  ist  bei  ihnen  immer 
auch  eine  Sklavin  geblieben."  Nicht  aber  blieb  sie  das  in  den 
Augen  ZAveier  verdienstvollen  Schulmänner,  A.  G.  Lange  und 
G.  Regel,  die  in  zwei  gediegenen  und  gelehrten  Abhandlungen 
die  entgegengesetzte  Ansicht  verfochten,  und  dem  bis  dahin  gang- 
baren, durch  Lessing  angeregten  und,  ^vie  wir  gesehen,  von  Herder 
bestätigten,  -ungünstigen  ürtheil  über  die  römische  Tragödie 
eine  andere  Richtung  gaben.  Beide  Schriften,  Lange's  „Ehren- 
rettung der  römischen  Tragödie"  ')  und  Regel's  spätere  Abhand- 
lung ^)  näherten  sich  wieder,  in  Auffassung  und  Werthbestimmung 
der  römischen  Tragödie,  der  ars  poetica  des  J.  Scaliger  und  den 
Philologen  und  Kunstrichtern  des  17.  Jahrhunderts,  dem  D.  Hein- 
sius,  Muretus  und  Dryden,  in  deren  Schätzung  die  Tragödien 
des  Seneca  so  hoch,  wo  nicht  gar  noch  höher  standen,  als  die  der 
drei  grossen  griechischen  Tragiker.  Beide  deutsche  Schulgelehrten 
gehen  zwar  nicht  ganz  so  weit  in  ihrer  Bewunderung  der  römi- 
schen Tragödie  wie  die  genannten  Kritiker  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts; immer  aber  so  weit,  dass  uns  diese  Reformation  des 
Lessing-Herderschen  Urtheils  aus  einer  Verkennung  des  römischen 
Genius  hervorgegangen  scheint.  Lange  will  die  römische  Tra- 
gödie nicht  etwa  auf  gleiche  Linie  mit  der  griechischen  gestellt 
wissen ;  hält  aber  doch  dafür,  dass  sie,  im  Vergleich  mit  der  Tra- 
gödie anderer  Nationen,  eine  hohe  Bedeutung  in  Anspruch  nehme.  ^) 
Dabei  möchte  dieser  gelehrte  Sachwalt  die  Tragödien  des  Seneca, 
die  einzigen  doch,  die  vollständig  genug,  um  daraus  ein  kriti- 
sches ürtheil  zu  gewinnen,  scliier  lieber  nicht  erhalten  wünschen, 
weil  die  abschätzige  Meinung  über  die  römische  Tragödie  eben 
diese  Trauerspiele  des  Seneca  verschulden  sollen.  An  welchen 
andern  tragischen  Schöpfungen  der  Römei-  al)er,  muss  man  fragen, 

1)  Vindiciae  Trag.  Rom.  Leipz.  1822.  4.  2)  Diversa  Vir.  doctor.  de 
re  trag.  Rom.  judicia.  Gott.  1834.  4.  —  3)  Vindic.  p.  3. 


Die  römische  Tragödie.  297 

lassen  sich  Lange's  Vindiciae  messen,  als  an  Seneca's  Trauer- 
spielen, da  von  den  römischen  Tragikern  aus  der  Zeit  der  Ee- 
pnblik  nur  Trümmerstücke  vorhanden,  die  durchaus  keinen  Maass- 
stab an  die  Hand  geben,  und  da  über  den  Werth  ihrer  Tragödien 
nur  die  Urtheile  römischer  Schriftsteller  vorliegen,  auf  deren 
ästhetische  Kritik,  besonders  über  Leistungen  ihrer  eigenen  Li- 
teratur, kein  gewiegter  Schulmann  schwören  wird.  Regel  geht 
in  seiner  Anpreisung  der  römischen  Tragödie  noch  über  Lange 
hinaus,  indem  er  i)  die  Ueberzeugung  ausspricht,  dass  die  Römer 
auch  ohne  griecliische  Vorbilder  die  Dichtkunst  auf  eine  Höhe 
der  Ausbildung  gebracht  hätten,  die  ihren  Werken  den  Stempel 
eigener  und  ursprüngliclier  Trefflichkeit  aufgedrückt  hätte.  Eine 
seltsame  Argumentation,  dem  durchgängigen  Charalder  der  rö- 
mischen Literatur,  und  namentlich  ihrer  Dichtungen,  gegenüber, 
die  das  Gegentheil  auf  allen  Blättern  verkünden.  Eine  negative 
Beweisführung  lässt  sich  nicht  so  leicht  in  eine  positive  Schluss- 
folgerung umstülpen,  wie  es  manchmal  gelingt,  Ertrunkene  da- 
durch ins  Leben  zurückzuführen,  dass  man  sie  auf  den  Kopf 
stellt.  Uns  hat  sich  aus  geschichtlichen  Momenten  der  Mangel 
an  ureigener  Schöpferki-aft  bei  den  Römern,  und  zwar  im  Ver- 
hältnisse ihres  ausserordentlichen  Nachahmungs-  und  Aneiguungs- 
talentes,  ergeben.  Dieser  Mangel  giebt  sich  schon  in  ihrer  ab- 
stracten,  nicht  symbolisch  -  plastischen  Naturauffassung  zu 
erkennen.  Der  römischen  Poesie,  ihrer  tragischen  insbesondere, 
fehlt  die  natursymbolische  Gottesidee,  die  in  den  menschlichen 
Geschicken,  als  sühnende  Vergeltungsidee,  das  sittliche  Gleich- 
gewicht der  innern  Weltordnung  wieder  herstellt.  Daher  ist  die 
römische  Tragik  gott-  und  ideenlos.  Eine  solche  Tragik  kann 
sich  nur  in  Conflicten  gegenseitiger  Ueberlistung  und  Ueberwäl- 
tigung  bewegen;  die  menschlichen  Geschicke  als  eine  Frage  der 
Kriegstaktik  entscheiden;  kann  nur  eine  Gladiator-Tragik  seyn. 
Das  etruskische  Wesen,  die  trübe,  düsterstrenge  Gemüthsart  ver- 
läugnet  auch  die  römische  Tragödie  nicht.  Dieselbe  Geistesfarbe 
tragen  die  Vorstellungen  vom  Uebersinnliclien,  trägt  ursprünglich 
die  Religion  der  Römer.  Das  Wort  schon,  Religio  (lig-are),  be- 
zeichnet die  „Gebundenheit"  eines  in  dumpf  abstrusem  Aberglauben 

1)  a.  a.  0.  p.  8. 


298  ^^^  römische  Drama. 

und  geistverdüsterndem  hetrurischen  Formelwesen  befangenen 
Gottheitsbegriffes.  Formlose  Gottheiten  wie  Vacuna  (Euhe),  An- 
geronia  fSorge  nnd  Kummer,,  müssen  als  Fetische  der  dumpfe- 
sten Abstractiou  gelten.  Ein  Gläubiger,  der  den  Getreidebrand 
(Robigo)  anbetet,  ist  hirnverbrannter,  als  das  von  Melthau  ver- 
sengteste Getreide  kornverbrauut  ist.  Die  Griechen  weihten 
Altäre  der  Furcht  und  dem  Mitleid;  die  Eömer  dem  Fieber  und 
der  Dea  Cloacina,  einer  Aftergöttiu,  für  deren  Altardienst  der 
Weihrauch  von  ganz  xlrabien  nicht  ausreicht,  üeberall  der  auls 
Praktische,  Nutzbare  gerichtete  Sinn,  ein  potenzirter  Thiergeist. 
Die  Götterkönigiu  Juno  dachte  sich  der  Römer  nicht  blos  als 
Hebamme  und  Geburtshelferin,  Lucina,  er  löste  sie  auch  noch  in 
Knochenleim  und  Gallert  auf,  und  sülzte  sie  zu  einer  Juno  ossi- 
pagina;  zu  einer  Kalk-  und  Eiweiss-Göttin ,  welche  die  Knochen 
des  Kindes  bildet.  Ja  er  quacksalberte  die  Himmelskönigin  zu 
einer  weissen  Salbe,  welche  als  Juno  ünxia  die  Thürangeln  bei 
den  Heirathen  einsalbte  und  als  solche  göttliche  Ehren  empfing. 
Man  denke  an  Homer's  von  den  köstlichsten  Wohlgerüchen  duf- 
tende, mit  dem  Gürtel  der  Anmuth  geschmückte  Götterkönigin 
auf  dem  Berg  Ida  —  und  diese  Thürangel-Salbe !  Denkt  man  aber 
an  Homer's  Götterwelt,  dann  weiss  man  wahrlich  nicht,  was  man 
von  A.  W.  Schlegel's  Ansicht  vom  Glauben  der  Römer  denken 
soll:  „Der  römische  Glaube",  sag-t  er'),  „und  die  darauf  begiiin- 
deten  Gebräuche  waren  ernster,  sittlicher,  fi-ommer,  natur durch- 
schauender, magischer  und  geheimnissvoller,  als  wenigstens 
derjenige  Theil  der  griechischen  Religion,  der  ausserhalb  der  My- 
sterien gelehrt  ward.''  Eine  Göttin  Unxia,  eine  Göttin  Pommade 
freilich,  kennt  weder  Homer,  noch  Hesiod,  noch  der  hohe  Olym- 
pos.  „Naturdurchschauender-'  —  ein  bischen  Augensalbe  von  der 
Göttin  Unxia  hätte  dem  feinen  Kennerblick  des  gelehrtesten  und 
geschmackvollsten  der  deutschen  Schöngeister  wohl  gethau.  Seine 
Epitheta,  womit  er  den  „römischen  Glauben"  ausstattet,  „sitt- 
licher, frommer,  magischer  und  geheimnissvoller",  möchten,  bis 
aufs  „sittlicher",  mehr  zu  dem  ,,römischen  Glauben"  seines  Bru- 
ders Friedrich,  als  zu  dem  der  alten  Römer  passen. 

Nur  künstlicli,  nur  gewaltsam,   nur  formell   und  äusserlich, 

1)  Vorl.  11,  21. 


Die  Philosophie  der  Kömer.  299 

nur  vermöge  ihrer  ausserordentlichen,  Alles  verschlingenden  An- 
eignungskraft, haben  die  Eönier  ihr  angeborenes,  etruskisch  fin- 
steres Naturell  mit  hellenischen  Kunstformen  ttbergleissen  kön- 
nen. Sie  mussten  ihren  angestammten  Vorzügen,  ihrem  Tugendbe- 
griff (vii'tusj,  worunter  sie  eine  selbstgenügsam  strenge,  stolzhenische, 
entbehrungsnüchterne,  durch  Kriegszucht  abgehärtete  und  zum 
Felddienst  ausschliesslich  gestählte  Mannhaftigkeit  verstanden  — 
die  Kömer  mussten  erst  ihrer  von  Natur  stoischen,  gegen  Poesie, 
Kunst  und  Philosophie  feindselig  gestimmten  Gemüthsart  abtrünnig 
werden,  —  entarten  mussten  sie  erst,  in  sittliche  Fäulniss  übergehen, 
um  für  hellenische  Bildung,  Kunst  und  Philosophie  empfänglich  zu 
werden.  Cato  Censorinus,  der  staiTO,  bildungsfeindliche  Griechen- 
hasser, das  ist  der  ächte  Kömer,  der  Urtypus  eines  Kömers ;  eine  ge- 
festete Kömerseele,  die  das  leibhafte  Ebenbild  jenes  ruhmvoll  Schwie- 
ligen ist,  jenes  Keiterh — ,  den  vor  dem  versammelten  Senat  der 
SchwadronenfüTn'er  P.  Servilius ')  mit  demselben  Erfolg  entblösste, 
wie  der  Kedner  Hj^perides  vor  den  Athenischen  Richtern  den  Busen 
seiner  Clientin,  der  schönen  Phryne.  Gleichwie  bei  der  Mispel  Keife 
und  Fäulniss  zusammenfällt;  so  musste  der  römische  Charakter 
in  Markfäule  übergehen,  um  für  Kunst  und  Poesie  reif  zu  seyn. 
Daher  scheinen  uns,  in  Bezug  auf  letztere,  und  mehr  noch  in 
Bezug  auf  Philosophie,  G.  Kegel's  Einwendungen  gegen  Baden, 
Planck  und  Bernhardy,  die  den  Mangel  an  phüosophischem  Talent, 
insbesondere  au  philosophischer  Gedankentiefe  und  Dialektik  bei 
den  Kömern,  und  namentlich  die  Wirkung  dieses  Mangels  auf 
ihre  Tragödie  nachdrücklich  hervorheben,  sich  in  müssige  und 
fehltreffende  Widerlegungen  zu  verlieren.  Jene  philosophische 
Atmosphäre,  in  welcher  allein,  wie  bereits  ausgeführt  worden,  die 
Tragödie  ihre  Blüthenpracht  entfaltet;  jene  speculative  Geistes- 
hülle, aus  welcher  das  Drama  der  Hellenen  seine  köstliche  Keife 
und  ambrosische  Fülle  sog,  ein  solcher  gedankenschwangrer  Dunst- 
kreis und  Luftstrom  umfloss  die  römische  Tragödie  nicht.  Ohne 
Wm'zel,  ohne  Gedankeu-Aether,  der  um  die  Wipfel  spiele,  glich 
sie  einem  kahlen  Blätterbaum,  mit  allerlei  falschem  Sentenzen- 
schmuck und  rhetorischen  Würsten,  wie  mit  Kletterpreisen,  be- 
hängi   und    lidiidtMi,    zu   dem    die    tragirende    Declamation    mit 

1)  Pün.  H.  N.  VII,  24. 


300  Das  römische  Drama. 

Avnieu  und  Beinen  sieb  emporschraubt.  Die  beideji  mit  der  Sit- 
tenverderb uiss  um  sich  gTeifeuden  Lieblings-Philosophen  der  vor- 
nehmen Römer,  die  Philosophie  des  Zenon  und  Epik ur,  waren  eher 
dazu  angetlian,  der  tragischen  Poesie  den  Rest  zu  gehen,  als  ihr 
aufzuhelfen:  die  stoische  Philosophie  verhärtet  gi-undsätzlich  das 
Menschengemüth  gegen  Körper-  und  Seelenleiden,  Prüfungen  und 
Göttergeschick.  Die  Helden,  zu  welchen  das  stoische  Standhaf- 
tigkeitsprincip  die  Charaktere  aufspreizt  und  zu  einer  Art  von  er- 
habenen Stockfischen  ausdörrt,  sind  für  die  tragisclie  Poesie  gerade 
so  brauchbar  wie  diese.  Mit  Epikur's  Lustlehre,  für  welche  die 
Tugend  nur  als  Mittel  zur  Glückseligkeit  allenfalls  Werth  hat, 
wogegen  die  wahre  Philosophie,  wie  die  Ethik  des  Aristoteles  und 
Piaton,  in  der  Tugend  und  AVeisheit  au  sich  die  höchste  Glück- 
seligkeit erkennt,  —  mit  Epikur's  Hedonik  mag  sich  die  Tragödie 
der  „Entladungs"-Katharsis  trefflich  abfinden:  für  die  des  Sopho- 
kles, Aesch3dos,  Shakspeare  und  Schiller,  deren  tragisches  Genie 
nur  für  die  keusche,  göttliche  Glückseligkeits-Hedone  des  Ari- 
stoteles sich  entflammen  und  begeistern  kann,  ist  die  Epikuräische 
Lustlehre  ein  Scheuel  und  Gräuel. 

Können  wir  uns  demnach  von  den  Ausführungen  der  beiden 
werthvollen  und  gründlichen  Schulschrifteu  nicht  überzeugt  er- 
klären, noch  auch  der  Ansicht  Welcker's  '),  bei  aller  Deferenz  vor 
der  philologisch- laitischen  Autorität  des  grossen  Gelelu'ten,  in 
allen  Stücken  beipflichten:  so  muss  es  uns  um  so  mehr  Wunder 
nehmen,  wie  die  trefflichen  Anwälte  der  römischen  Tragödie  einen 
Vorzug  derselben,  den  einzigen  vielleicht  den  sie  aufweist,  haben 
übersehen  mögen.  Der  Vorzug,  der  in  gewissem  Betracht  als  ein 
Fortschrittsmoment,  selbst  der  hellenischen  Tragödie  gegenüber, 
zu  bezeichnen  wäre,  entspringt  aus  dem  Charakter  gerade,  der 
Geistesart  der  Römer,  die  einer  idealpoetischeu  Gestaltung  am 
meisten  zu  widerstreben  scheint;  aus  der  diesem  Volke  eigen- 
thümliclicn  mannhaften  Grundstimmung,  die  in  das  tragische  Pa- 
thos ein  sprödes  Korn  gleichsam  pflanzte,  eine  straffe  Faser  männ- 
licher Thatkraft  und  Willensstärke,  welche  die  heroische,  unter 
dem  Druck  von  gottverhängter  Schuldbüssung  ächzende  Leidens- 
tragik der  Griechen  ausschloss.     Durch  dieses  strengflüssige  Ele- 


1)  Gr.  Trag.  1350  ff. 


Eiu  Charaktennoment  im  Pathos  der  röin.  Tragödie.  30I 

ment  kam  in  die  üben\aegeucl  passive,  und  schon  bei  Sophokles 
im  heroischen  Schmerzensausdmck,  selbst  der  thatkräftigsten  tra- 
gischen Helden,  eines  Ajas,  Herakles,  schmelzenden  Affect  eine 
männliche  Spannkraft,  die,  an  SteUe  der  hellenischen  kuustidealen 
Schnierzensschönheit  und  Schmerzensverklärung  auf  dem  huclisten 
Gipfel  der  Seelenpein,  eine  Wirkung  widersetzlichen,  aus  dem 
Bewusstseyn  eigener  Willensstärke  quellenden  Schauers  in  die 
Rührung  mischt.  Was  der  tragische  Affect  an  Rührung  und  Mit- 
leid erregender  Kraft  eiubüsst,  wächst  dem  Activen,  dem  Charakter- 
Momente  zu:  eine  Stärkung  ft-eilich,  die  das  Wesen  des  Tragischen 
zu  erschüttern  droht,  jedoch  nur  dann,  wenn  der  Charakter  mit 
Bewusstseyn  und  Absicht  zu  solcher  Tragkraft  des  Seelenschmer- 
zes sich  aufspannt.  Setzt  er,  in  ungebrochener  tragischer  Stim- 
mung, die  ihm  eingeborene  Seelenstärke,  als  reinen  Gemüthsaffect, 
ohne  die  leiseste  Wirkungsbetonung,  dem  Andrang  der  auf  ihn 
hereinbrechenden  Leidensgewalt  entgegen,  so  vermindert  diese  mit 
dem  vollen  Ausdruck  heisser  Seelenbedrängniss  sich  kundgebende 
Widerstandskraft  die  tragische  Wirkung  so  wenig,  dass  sie  viel- 
mehr selbe  in  dem  Maasse  erhöhen  kann,  als  der  Widerstand, 
wie  das  Erz  im  Schmelzofen  mit  Glühhitze,  sich  mit  Leidens- 
giuth  sättigt.  Wenn  Hagen  mit  seinem  Eisenschilde  sich  durch 
die  stürmende  Fluth  rudert,  thut  dies  etwa  dem  drangvoll  heissen 
Kampf  und  Mühsal  des  Helden  Abbruch?  Das  eiserne  Ruder  ist 
im  Gegentheil,  wie  der  Gradmesser  der  Stromgewalt,  so  der 
Stärkemesser  von  des  Recken  mühseligem  Arbeitskampfe  und 
seiner  Heldennoth.  Die  römische  Tragödie,  die  als  Seneca-Tragödie 
vorliegt,  sündigt  freilich  gegen  das  active  Patlios  bis  zum  schnö- 
desten Missb rauch  durch  Ueberladung  aus  absichtlicher  Wirkungs- 
sucht und  mit  dem  ganzen  Kraftaufwand  einer  rhetorischen  Ath- 
letik. Auch  1)ringen  wir  das  Ergänzungsmoment  zur  attischen 
Leidenstragik  nicht  der  römischen  Tragödie  in  Rechnung.  Auf 
iln-  ruht  der  unlösbare  Fluch,  dei-  dem  Römerthum  überhaupt 
anhaftet,  der  Flucli  einer  maasslosen  Actionssucht,  einer  aus- 
schweifenden Kraftverschwendung,  der  Tod  aller  Idealität,  aller 
poetischen  Gestaltung,  des  Tragischen  insbesondere,  das  eben  auf 
ein  Ausscliwanken  der  heftigsten  Seelenstürnni  in  eine  trostvolle 
Beruliigung  abzielt,  in  eine  Harmonie,  deren  Rliythmus  diese  Stürme 
selbst  wie  eine  Geistermusik  wiegt.     Demohnerachtet  darf  jenes 


302  Das  römische  Drama. 

in  der  römischen  Tragödie  hinzugetretene  männliche  Wirkungs- 
moment nicht  verkannt  wreden;  entwickelt  sich  auch  dasselbe 
erst  im  geiinanischeu  Drama  zum  keimkräftigen  Fortschrittsmo- 
mente, gegenüber  dem  Druck  und  Schwergewicht  des  Dulderpa- 
thos in  der  hellenischen  Tragik. 

Bemerkenswerth  scheint  uns  eine  Stelle  bei  Cicero,  i)  Er 
spricht  von  den  Pantomimen  und  fügt  liinzu:  „Allem  Handeln 
wohnt  eine  gewisse  Naturkraft  ein.  Wesshalb  denn  auch  von  der 
Wirkung  solcher  Thatkraft  die  Unerfahrnen,  die  Menge,  die  Bar- 
baren vorzugsweise  ergriffen  werden.  Denn  blosse  Worte  ver- 
mögen nur  den  zu  treffen,  den  ein  gemeinsames  Band  der  Sprache 
mit  dem  Redenden  verknüpft.  Eindringliche  Sprüche  gehen  erfolg- 
los an  der  Seele  nicht  scharf  auffassender  Hörer  vorüber.  Hand- 
lung aber,  die  an  sich  schon  eine  Seelenbewegung  zur  Schau 
giebt,  ergi-eift  Jedermann,  reisst  Alle  mit  sich  fort."  (In  iis  Om- 
nibus, quae  sunt  actionis,  inest  quaedam  vis  a  natura  data. 
Quare  etiam  hac  imperiti,  hac  vulgus,  hac  denique  maxime  bar- 
bari  commoventur.  Verba  enim  neminem  commovent,  nisi  eum, 
qui  ejusdem  linguae  societate  conjunctus  est,  sententiaeque  acutae 
non  acutorum  hominum  sensus  praetervolant:  actio,  quae  per  se 
raotum  animi  fert,  omnes  movet).  Die  Tragödien  des  Seneca 
werden  uns  Gelegenheit  geben,  die  scenischen  Vortheile  sol- 
cher actionellen  Affecte,  aber  auch  die  poetischen  Nachtheile 
solcher  Pathosbeliandlung  zu  würdigen,  und  nebenbei  zu  gewah- 
ren, wie  dieser  männliche  Ton  im  tragischen  Schmerzensausdruck, 
namentlich  der  Frauen,  ja  bei  diesen  stärker  und  entschiedener 
als  bei  den  männlichen  Helden,  auf  Erregung  und  Entfesselung 
von  Leidenschaften  ausgeht,  die  das  attische  Drama  zu  scliildern 
und  zu  wecken  vermied,  oder  doch  in  das  Helldunkel  seiner  vor- 
zugsweise auf  Furcht  und  Mitleid  abzweckenden  Leidenstragik 
zurückweichen  Hess  und  harmonisch  abdämpfte;  während  die  rö- 
mische Tragödie  die  Leidenschaften  mit  enkaustischen  Farben 
malt,  ihnen  eine  Färbung  einglüht,  die  selbst  das  Pathos  des 
Euripides  aufzubieten  scheute;  die  thatkräftigen,  unternehmen- 
den Leidenschaften  zu  herrschenden  macht.  Die  des  Hasses, 
des  Zornmuthes,   der  Rache,    die   Leidenschaften   der    splendida 

1)  de  Orat.  lU,  59. 


Der  Beruf  der  Römer  zur  Tragödie.  303 

masciüa  bilis,  die  auch  die  Grundfarbe  des  Pathos  der  modernen 
Tragik  bleibt,  mit  dem  wichtigen  Unterscliiede,  dass  die  germa- 
nische, die  Shakspeare- Tragödie,  das  Pathos,  unbeschadet  jenes 
römisch-activen  Elementes,  im  Geist  und  Styl  der  Griechen,  die 
romanische  Tragödie,  die  der  Franzosen  imd  Italiener  insbesondere, 
durchaus  in  der  Manier  des  Seneca  behandelt. 

Horatius  glaubt,  in  seiner  Nation  die  tragische  Anlage  zu  finden : 
—  „spät  lenkte  der  Römer  a\ü'  griechische  Werke  den  Scharfsinn, 
Und  nach  den  punischen  Kriegen  beruhiget,  forscht'  er  zuerst,  was 
Sophokles  doch  und  Thespis  und  Aeschylus  Nützliches  brächten. 
Bald  auch  sucht'  er,  in  Latiums  Sprache  sie  würdig  zu  kleiden. 
Und  er  gefiel  sich  selbst,  von  Natur  hochstrebend  und  feurig. 
Denn  es  erhebt  ihn  tragischer  Schwung,  und  er  waget  nüt  Glücke."  ') 

Das  natm-a  sublimis  et  acer  kann  man  dem  Horaz  immerhin 
zugestehen,  ohne  daraus  das  tragicum  spirat  satis  mit  ihm  zu 
folgern.  Ersteres  dürfte  sogar  geeignet  sejm,  das  tragicum  so  zu 
überwuchern,  dass  es  dem  sublimen,  hochraukenden  Sclllingkraut 
erliegt.  Zudem  stellt  Horaz  sein  Zeugniss  keinem  Vollblut-Kömer 
aus;  denn  nahezu  sämmtliche  Dichter  römischer  Tragödien  vor 
Horaz  waren  Griechen,  jedenfalls  keine  geboruen  Römer.  Stammte 
doch  selbst  Seneca  aus  Spanien.  Die  Römer  hatten  also  schon 
damals  keine  ursprüngliche  Tragödie,  wo  sie  noch  nicht  „die  Tra- 
giker der  Weltgeschichte",  noch  nicht  „die  eiserne  Nothwendig- 
keit  der  Völker"  waren.  Darin  konnte  mithin  auch  nicht  der 
Grund  liegen,  dass  sie  keine  Tragödie  heiTorbrachten,  weil  sie 
selbst  die  schrecklichste  mit  Königen  und  Völkern  spielten,  und 
mit  dem  zermalmenden  Fusstritt  des  Schicksals  durch  die  Welt- 
gescliichte  schritten,  wie  A.  W.  Schlegel  geistreicher  als  zutref- 
fend bemerkt.-)  Vielleicht  wäre  es  richtiger  zu  sagen:  Die  Rö- 
mer wurden  darum  die  Tragiker  der  AVeltgeschichte ,  die  eiserne 
Nothwendigkeit  der  Völker,  weil  sie  kein  Genie  und  keinen  Be- 
nif  zur  Tragödie  liatten;  weil  die  Barbarei  der  Eroberungssucht 
und  Völkerknechtung  ein  Reich  der  Finsterniss  gründet,  im  Ge- 
gensatz zu  dem  schöpferischen  Lichtreich  der  gestaltenden  Poesie. 
Der  Geist  der  Tragödie  schliesst  den  Römergeist  eben  aus,  wie 
die  Freiheitsidee  den  völkerfeindlichen  Soldatengeist  ausschliesst. 
Die  Tragödie   käni[tft  den  Aveltgeschichtlicheu  Vernichtungskampf 

1)  Ep.  n,  1.  V.  155  ff.  —  2)  Vorles.  II,  22. 


304  Dä,s  römische  Drama. 

mit  diesem  Geiste;  jenen  Kampf,  den  die  beiden  Principien  der 
Parsenlehre  mn  die  Weltlierrschaft  ausfechteu,  Ormiizd  und  Ahri- 
man.  Einen  Weltkampf,  der  mit  Vernichtung  des  Hen-n  der 
Finsteruiss,  des  Aliriman,  und  mit  dem  Siege  des  Lichtes  und 
der  Freiheit  enden  wird.  Denn  Licht  und  Freiheit  sind  Eins. 
Das  Licht  erneut  ewig  den  Schöpfungsact,  Formen  und  Gestalten 
offenbarend  in  ihrem  wahren  Seyn  und  Wesen.  Und  wie  Gottes 
Werderuf  das  Licht  gebar;  so  ist  das  Licht  das  erscheinende 
Gotteswort,  das  die  Welt,  die  äussere  und  innere,  ins  Daseyn 
ruft:  Er  spricht,  und  sie  steht  da.  Dessgleichen  das  Licht  der 
Völker,  die  Freiheit,  der  leuchtende  Aether,  worin  allein  sie  sehen 
und  erkennen;  Wahrheit  von  der  Lüge,  das  Gute  vom  Bösen  un- 
terscheiden, Natur  und  Gott  von  Angesicht  zu  Augesicht  schauen. 
Plülosophie,  Gottesoffenbarung,  als  Geist  und  selbstbewusster  Ge- 
danke ;  Religion,  Gottesoffenbarung,  als  Harmonie  der  Wesen  und 
der  Seelen,  als  Liebe ;  Kunst,  in  ihrer  höchsten  Erscheinung,  tra- 
gische Kunst:  diese  beiden  Offenbarungsweisen  in  Eins,  als  Geist 
und  Liebe  zumal.  Ohne  solche  Philosophie  und  Religion  giebt 
es  keine  Tragödie,  keine  tragische  Kunst.  Sie  sind  die  Vorläu- 
terungsstufen zu  der  Tragödie  der  Gottesschau  im  Lichte  der  Frei- 
heit, das  zugleich  die  Sonne  der  Wahrheit.  Die  reine  Philosophie, 
die  reine  Religion  und  die  hohe  Tragödie,  sie  Inlden  eine  Dreiei- 
nigkeit in  dem  Einigen  Gotte  der  Freiheit.  Ein  Volk,  das  keine 
Philosophie  der  reinen  Gotteserkenntniss,  das  keine  Religion  der 
seelenbildenden  Harmonie  und  seelenvereiuigenden  Liebe  aus  sei- 
nem Innersten  herausstrahlt  —  Völker  solchen  Sclüages  können 
auch  keine  Tragödie,  als  nur  eine  todtgeborene,  zur  Welt  bringen. 
Aus  diesem,  und  einzig  und  allein  aus  diesem  Grunde  hatten  die 
Römer  keine  Tragödie  und  konnten  keine  haben ;  denn  sie  hatten 
keine,  aus  ihnen  selbst  hervorgegangene  Philosophie;  die  Philo- 
sophie einer  aus  dem  Gedankeni»rocesse  entwickelten  und  mit  ihm 
identischen  Gotterkenntniss ;  hatten  keine  Religion  der  Versöhnung, 
Läuterung  und  Harmonie,  Seelen  verbindend,  umschlingend  —  ein 
anderes  li-gare,  als  das,  wovon  die  Römer  das  Wort  „Religio" 
ableiten,  und  worauf  sie  auch  ihre  Religion,  als  finstern  Staats- 
geist, gründen:  ligare,  im  Sinne  von  „Binden"  niedergeworfener 
Völker,  und  deren  Anketten  und  Fesseln  an  ihre  HeiTSchaft,  ihren 
Despotisnms.     Das  Römervulk  war  ein  Volk  der  Finsterniss,  nicht 


Historischer  Beruf  der  Eörner.    Prätextaten  und  Togaten.  305 

nicht  der  Erleuchtung ;  das  Volk  der  Knechtung  und  HeiTschsucht 
kein  Yorvolk  der  Menschenfreiheit  und  Völkerbefreiung,  kein  Pro- 
metheus-Volk, wie  die  Sieger  bei  Marathon.  Und  darum  konnte 
auch  nur  aus  jener,  im  germanischen  Geiste  mit  der  höchsten 
Leuchtki'affc  sich  offenbarenden  Dreifaltigkeit  von  Philosophie,  Ke- 
ligion  und  tragischer  Kunst,  das  Drama  in  seiner  Herrlichkeit, 
das  Shakspeare-Drama,  hervortreten. 

Die  Römer  hatten  den  historischen  Beruf  eines  Uebergangs- 
volkes  zwischen  den  Hellenen  und  Germanen.  Sie  sollten  die 
Pioniere,  die  Pontifices,  die  „Brückenschlager",  auch  in  Hin- 
sicht auf  die  dramatische  Kunst,  seyn,  und  die  Verbindungswege 
und  fliegenden  Brücken  zwischen  dem  Drama  der  Hellenen  und  dem 
der  Germanen  herstellen.  Wie  nun  jedes  Missionsvolk,  wissentlich 
oder  nicht,  sein  Scherflein  zur  Verwirklichung  der  grossen  welt- 
geschichtlichen Idee,  der  Culturentwickelung,  beiträgt:  so  pflanzten 
auch  die  Römer,  ihres  Theils,  Keime  zu  neuen  Gestaltungsfor- 
men in  das  Drama,  die  sie  selbst  nicht  zu  befruchten  und  zu 
entwickeln  vermochten.  Ein  solcher  Keim  war,  nächst  dem  von 
uns  angedeuteten  theatralischen  Momente  in  der  Behandlung 
des  tragischen  Pathos,  der  Versuch,  den  Horaz  in  seiner  Epistel 
über  die  „Dichtkunst"  i)  rühmend  hervorhebt. 

Deren  geringstes  A^erdienst  es  nicht  war,  ganz  kühn  von  der  Griechen 
Spur  abzugehn  und  die  Thaten  der  heimischen  Welt  zu  besingen. 
Sey's  nun  dass  Prätextaten  sie  spieleten  oder  Togaten. 

Nil  intentatum  nostri  liquere  poetae: 
Nee  minimuin  meruere  decus,  vestigia  graeca 
Ausi  deserere  et  celebrare  doraestica  facta, 
Vel  qui  Praetextas  vel  qui  docuere  Togatas. 

Dramatische  Stofte  aus  der  heimischen  Geschichte  gewählt,  das 
historische  Drama  geschaften  zu  haben,  wäre  allerdings  ein 
grosses  Verdienst,  müssten  niclit  die  Griechen  auch  hierin  als 
Vorgänger  gelten.  Des  Phiynichos  Phönissen,  Einnahme  von  Mi- 
let;  des  Aeschylos  Persertrilogie ,  was  waren  sie  anders  als  zeit- 
geschichtliche, vaterländisch  -  historische  Tragödien?  Von  allen 
diesen  heimischen  Tragödien,  welche  die  Römer,  zum  Unter- 
schiede von  den  Crepidatae,  von  den  nach  griechischen  My- 


1)  A.  P.  V.  285 fi'. 
II.  20 


306  Das  römische  Drama. 

theustoffen  gedichteten  Tragödien,  Praetextae,  d.  li.  im  pui*purbe- 
setzten  römischen  Staatskleide  gespielte  Dramen  aus  der  römischen 
Geschichte  nannten,  hat  sich  nur  eine  einzige,  die  dem  Seneca 
beigelegte  Octavia,  erhalten.  Eine  nähere  Prüfung  wird  sie 
uns  als  seine  schwächste  kennen  lehren.  So  verdienstvoll  der 
Paullus  Aemilius  des  Pacuvius,  der  Brutus  und  Decius  des  Attius, 
der  Cato  und  Nero  des  Advocaten  Curiatus  Maternus  seyn  moch- 
ten: so  überzeugt  sind  wir,  dass  nur  ein  Einziger  von  allen  Dich- 
tern ächte  Praetextas  schrieb ;  ein  Einziger  der  berafene  Tragiker 
der  domestica  facta  der  Römer  war,  ihre  Helden  zu  poetischen 
Charakteren  adelte,  und  den  Stoffen  aus  der  Römischen  Geschichte 
die  tragische  Weihe  gab:  Dieser  Einzige  ist  der  Dichter  von  Co- 
riolan,  Julius  Cäsar  und  Antonius  und  Cleopatra. 

Was  die  äussere  Form  der  römischen  Tragödie  und  des 
römischen  Theaters  anbelangt,  unterscheiden  sich  beide  von  dem 
Bau  der  gi-iechischen  Tragödie  und  des  griechischen  Theaters  — 
erstere,  die  römische  Tragödie,  nur  durch  kunstentblösste  Nüch- 
ternheit; das  römische  Theatergebäude  durch  einen  verschwen- 
derischen Prunk,  der  die  Scheidewand  niederbricht,  welche  die 
scenischen  Spiele  von  den  Thierkampfspielen,  des  Theaters  von 
dem  Amphitheater  trennt.  Das  Gespräch  zwischen  den  han- 
delnden Personen  der  Tragödie  bewegt  sich  im  Versmaass  des 
Senarius,  eines  Sechsfüsslers,  der  aber  nicht,  wie  der  griechische 
Trimeter,  nach  dem  melodisch  zwischen  Quantität  und  Accenten 
schwebenden  Rhythmus  sich  gliedert,  sondern,  haften  geblieben 
im  Saturnischen  Vers,  die  Würde  des  Sylbeugehaltes  zur  blossen 
Betonung  verdünnt  und  zuspitzt.  Ausnahmsweise  wird  der  tra- 
gische Senar  von  lyrischen,  ziemlich  dürftigen  und  kunstlosen 
Maassen  unterbrochen.  Der  Chor,  der  seinen  Standort  auf  der 
Bühne,  nicht  in  der  zu  Sitzen  für  die  Staatsbehörden  umgewan- 
delten Orchestra,  nahm,  erscheint,  bei  Seneca  mindestens,  auf  die 
Rolle  von  Statisten  herabgesunken,  die  in  den  Zwischeuacten  ihr 
geographisch-mythologisches  Pensum  zur  Flöte  hersagten,  welches 
in  der  Regel  zu  der  Handlung  und  dem  Schicksale  der  Personen 
passt,  wie  die  Geographie  in  die  Tragödie.  Es  ist  die  Chorform 
der  italienischen  Operntexte;  aber  lauge  nicht  so  lyrisch  bewegt 
und  mit  dem  Texte  verschwistert,  wie  z.  B.  der  Chor  bei  Meta- 
stasio.     Wie  hätte  auch  der  Chor  in  der  römischen  Traorödie  die 


Theater-Gebäude  der  Kömer.  307 

Volkspersönlichkeit  zur  vollen  Geltung  bringen  mögen,  die  von 
dem  römischen  Familienadel  in  der  Plebs  verachtet  und  entwür- 
digt, wie  letztere  von  den  Cäsaren  wieder  nm-  als  Meute  zur 
Adelshetze  und  Klopfjagd  gefüttert  ward! 

Tacitus  nimmt  drei  Entwickelungsstufen  des  römischen  Thea- 
ters an. ')  Die  erste  bezeichnet  er  als  das  Stadium,  wo  Volk  und 
Behörden  in  einem  zeitweiligen  Holzbau  stehend  zuschauten. 
Versuche,  Sitzplätze  zu  errichten,  wurden  durch  Senatsbeschluss 
(6.  Jahrh.  d.  St.)  als  sittenschädlich  verboten. 2)  In  der  zweiten 
Periode  bestand  ein  Holzbau  mit  hölzernen  Sitzen,  beide  nur  zeit- 
weilig: Subitariis  gradibus  et  scena  in  tempus  structa.  3)  In  einem 
solchen  Theater  Hess  L.  Mummius,  zur  Feier  seines  Triumphes 
nach  Beendigung  des  gTiechischen  Krieges,  griechische  Dramen 
von  griechischen  Schauspielern  aufführen. '*)  Die  dritte  Stufe  setzt 
Tacitus  in  die  Zeit,  woKom  das  erste  stehende,  699  d.St.  von  Pomp. 
Magn.  erbaute  steinerne  Theater  (mansuram  Theatri  sedem)  erhielt. 
Halbkreisfönnig  erhöhte  Sitze  existiiien  zur  Zeit  des  Plautus  (530 
— 570  d.  St.)  noch  nicht.  Hindeutungen  darauf  in  den  Prologen 
verweisen  diese  eben,  als  spätere  Producte,  in  die  zweite  Periode. 
Zu  Terentius'  Zeit  (588 — 594  d.  St.)  war  es  Sitte,  sich  die  Ses- 
sel von  Sklaven  ins  Theater  nachtragen  zu  lassen.  Auf  Antrag 
des  alt.  Scipio  wurde  durch  die  Aedilen  Attilius  Serranus  und 
L.  Scribonius  eine  Trennung  der  Plätze  für  Senat  und  Volk  vor- 
genommen, nachdem  Senat  und  Volk  558  Jahre  lang  gemischt 
den  Spielen  zugeschaut  hatten.  Bei  den  von  genannten  curuli- 
schen  Aedilen  zuerst  als  Bühnenspiele  gegebenen  Megalensien 
(588  d.  St.j  sali  der  Senat,  zum  erstenmal  vom  Volke  abgeson- 
dert, zu.  Livius  berichtet^),  dass  die  Neuerung  zu  mancherlei 
Keden  Anlass  gab:  „Man  habe  der  Würde  des  Gesammtvolkes 
genommen,  was  man  der  Hoheit  der  Rathsherrn  zugelegt  habe. 
Was  denn  auf  einmal  geschehen  sey,  dass  die  Rathsherren  den 
Bürgerstand  nicht  länger  im  Schauplatze  mit  sich  vermischen 
lassen  wollten;  dass  der  Reiche  vor  dem  armen  Nebeusitzer  Ekel 
bekommen?"  .  .  . 


1)  Ann.  XIV,  20.  —  2)  Liv.  XXIV.  c.   18.  Vell.  P.  I,  153.  Val.  M.  II, 
4,  2.  —  3)  Tacit.  a.  a.  0.        4)  Das.  c.  21.  -    5)  XXXIII,  54. 

20* 


308  Das  römische  Draina. 

Zu  diesem  exclusiveu  Sitzraum  wurde  die  Orchestra  dem 
Senate  (566  d.  St.)  als  eigenem  Staude  eingerämut.  i)  Locus  se- 
natorius  heisst  er  bei  Cicero.'^)  Die  Senatsmitglieder  sassen  darin 
auf  hölzernen  Bänken.  Der  Prätor  hatte  einen  erhöhten  Sitz. 
Caligula  gab  zuerst  Erlaubniss,  diese  Bänke  mit  Kissen  zu  be- 
legen.-^; Im  Jahre  686  wurden  auch  dem  Ritterstande,  auf  Antrag 
des  Volkstribun  Eoscius  Otho  (lex  Roscia;  Roscia  theatralis; ,  als 
besondere  Sitzplätze,  die  der  Orchestra  zunächst  liegenden  Sitz- 
reihen augewiesen.-')  Darüber  kam  es  zu  einem  fi3rmlichen  Auf- 
ruhr im  Theater  zwschen  Volk  und  Ritterschaft,  den  Cicero,  da- 
mals Consul,  durch  seine  Beredsamkeit  stillte.^)  Ritter,  die  ihre 
Zahlungen  einstellten,  banki'otte  Ritter  (decoctores) ,  mussten  im 
Theater  abgesondert  sitzen.*^)  Unter  Kaiser  Augustus  erhielten 
auch  die  Soldaten  einen  vom  Volke  abgesondeiien  Schauplatz. 
So  degradirten  Adel,  Ritter  und  Fürsten  das  römische  Gemeiuvolk 
bis  zum  Auswurf,  bis  zur  Pariakaste,  von  der  sich  die  höhern 
Stände  und  die  Soldaten  ferne  halten  sollten.  Die  obersten  Sitz- 
reihen im  ZuschaueiTamn  (letzten  Rang)  nahmen  die  Frauen  ein. 
Als  Ehi'enplatz  wm'de  auch  der  Raum  vor  den  untersten  Sitzreihen 
rings  um  die  Orchestra  herum  (Podium)  betrachtet,  wo  die  frem- 
den Gesandten,  vornehme  Gäste  u.  dgl.  Platz  nahmen.  Dieser 
Sitzraum  war  so  breit,  dass  etliche  Reihen  Sessel  hintereinander 
darin  stehen  konnten.") 

Die  Coustruction  des  Zuschauerraums  (Cavea)  stimmte  mit 
der  des  griechischen  Theaters  (y.olXor)  überein.  Der  Schauplatz 
(Cavea)  bestand,  wie  dort,  aus  halbkreisförmig  umherlaufenden 
Sitzreihen,  concentrisch  getheilt  durch  breite  Gänge  (praecinctiones, 
öiaKcöf.iaTa)',  keilförmig  durch  herablaufende  Treppen  geschieden 
(cunei,  zgenidsg). 

Das  römische  Logeiou,  Pulpituni,  der  Sprechort  der  Schau- 
spieler, war  niedriger,  als  im  attischen  Theater.  Die  Scene, 
ursprünglich  ein  gewölbtes  Laubdach,  blieb  lange  Zeit  einfach 
und  schmucklos.  Erst  Claudius  Pulcher  schmückte  die  Scene 
mit  Gemälden.")    Antonius  und  L.  Muraena  Hessen  sie  ganz  mit 


1)  Vitr.  V,  6.  Suet.  Oct.  44.  —  2)  Clueiit.  47.  —  3)  Dio  Cass.  LIX,  7. 
—  4)  Das.  XXXVI,  20.  —  5)  Plut.  Cic.  13.  Cic.  Attic.  ü,  1.  —  6)  Cic. 
Phil.  II,  18.  —  7)  Suet.  Ner.  12.  Juv.  II,  v.  146.  —  8)  Valer.  M.  11,  6. 


Theater-Gebäude  der  Römer.     Arena  und  Drama.  309 

Silber,  Petrejus  rCatilina's  Besieger)  mit  Gold,  Q.  Catulus  mit 
Elfenbein  überziehen. i)  Die  Verschwendung  erscheint  um  so 
thörichter,  als  ein  solches  Theater  kaum  einen  Monat  stehen  blieb. 
Sämmtliche  genannte  Theater -Ausschraücker  übeii:raf  der  Aedil 
Aemil.  Scaurus  (694  d.  St.)  an  Prachtverschwendung.  Er 
brachte  auf  der  Scene  drei  Stockwerke  von  Säulenreihen  (episcenia) 
übereinander  an,  die  untern  von  Marmor,  die  mittlem  von  Glas, 
dem  kostbarsten  Material  in  jener  Zeit;  die  oberste  Reihe  bestand 
aus  vergoldeten  Holzsäulen.  Im  Ganzen  360  Säulen,  in  deren 
Zwischenräumen  3000  Statuen  prangten.  Die  Cavea  fasste  80,000 
Sitze,  um  die  Hälfte  mehr  als  das  spätere  Amphitheater  des  Pom- 
pejus  (697  d.  St.).  Dieser  mit  unermesslichem  Luxus  an  Gemäl- 
den, Purpurdecken,  u.  s.  w.  ausgeschmückte  hölzerne  Koloss,  das 
gi'össte  Pracht -Monstrum  aller  Theatergebäude,  wurde  von  den 
erbitterten  Sklaven  des  Erbauers,  des  genannten  Aedilen  Aemi- 
lius  Scaurus,  in  Brand  gesteckt.  Den  Schaden  schätzt  Plinius"'^) 
auf  hundert  Millionen  Sesterzien  (5,000,000  Thaler). 

Das  nächstmerkwürdigste  römische  Schauspielhaus  war  das 
Theater,  das  Scribonius  Curio  zur  Leichenfeier  seines  Vaters 
errichten  Hess  (702  d.  St.).  Der  Holzbau  bestand  aus  zwei  in 
der  Tangente  sicli  berührenden  Halbkreisen,  so  dass  die  Zuschauer 
auf  den  Sitzreihen  des  einen  Halbkreises  denen  des  andern  den 
Rücken  zukehrten.  Jeder  dieser  Zuschauer-Halbkreise  hatte  Vor- 
mittags eine  Scene  vor  sich,  auf  welcher  Dramen  gespielt  wur- 
den. Hierauf  wurden,  ohne  dass  die  Zuschauer  ihre  Plätze  ver- 
liessen  durch  eine  Maschine  beide  Halbkreise  umgedreht,  derge- 
stalt, dass  sie,  mit  den  Endpunkten  ihrer  Schenkel  zusammentreffend, 
ein  Amphitheater  bildeten,  wo  nun  ein  Kampfspiel  in  der 
eingeschlossenen  Arena  zur  Schau  kam.^j  Eine  treffliche  Vorrich- 
tung, um  in  dem  Zuschauer  das  Verlangen  nach  Kampfspielen 
dm'ch  die  von  den  dramatischen  Spielen  hingehalteue  Unge- 
duld bis  zur  Verwünschung  solcher  Spiele  und  bis  zum  Wi- 
derwillen gegen  dieselben  auszubilden.  Kein  Wunder,  dass  die 
Dichter  alsbald  vor  „leeren  Bänken"  spielten,  worüber  wir  den 
Terentius,    im  Prolog  zur  Hecyra,    werden  bitter   klagen  hören. 

1)  Plin.  H.   N.    XXXIII,    16.  2)   Das.    XXXVI,  15.    -     3)    Das. 

XXIV,  8. 


310  Das  römische  Drama. 

Vorläufig  führen  wir  Horazens  darauf  bezügliche  sarkastische  Glos- 
sen') an: 

„Selbst  kühn  wagende  Dichter  verscheucht  und  schreckt  es  zurück  oft, 
Dass  die  Geringern  an  Werth  und  Verdienst,  vorwiegend  der  Zahl  nach, 
Ohne  Geschmack  und  Sinn,  und  immer  bereit  mit  den  Fäusten, 
Zeiget  der  Eitter  sich  anders  gesinnt,  oft  mitten  im  Stücke 
Bären  verlangen  und  Kämpfer,  die  freudig  begrüsset  der  Pöbel." 

Si  discordet  eques,  media  inter  carmina  poscunt 

Aut  ursum  aut  pugiles:  bis  nam  plebecula  gaudet  .  .  . 

G.  Regel  -)  steift  sich  auf  diesen  bessern  Geschmack  der  Eitter, 
und  Avill  darin  einen  Beleg  zu  Gunsten  der  in  Rom  unter  den 
gebildeten  Ständen  herrschenden  Vorliebe  für  das  Drama  finden. 
Der  hinkende  Bote  folgt  aber  gleich  hinterher: 

,,Doch  von  dem  Ohre   des  Ritters    sogar  wegzog   der  Genuss 

sich 
Hin  zu  dem  unstät  schweifenden  Blick  und  zu  eiteler  Schau- 
lust. 
Oft  vier  Stunden,  und  länger  sogar  bleibt  unten  der  Vorhang, 
Während  vorbeifliehn  Reitergeschwader  und  Schaaren  des  Fussvolks ; 
Fesselbeladene  Könige  dann  schleppt  hin  der  Triumphzug, 
Kutschen,  Karossen  in  raschem  Gedräng,  Streitwagen  und  Schiffe ; 
Elfenbein  glänzt  herrlich  im  Zuge,  ein  ganzes  Corinthus. 
Wäre  Democritus  noch  auf  Erden,  so  würde  er  lachen, 
Wenn  dort  Pantherkameel,  Elephanten  von  glänzender  Weisse 
Zögen  den  staunenden  Blick  auf  sich  der  versammelten  Menge; 
Mehr  noch  würd'  er  betrachten  das  Volk,  als  Mimen  und  Spiele, 
Weil  es  ihm  reicheren  Stoff  daj-böte  zum  Lachen  und  Denken, 
Aber  der  Dichter  erzählt,  so  müsste  er  denken,  dem  tauben 
Esel  ein  Mährlein  vor.     Denn  welche  gewaltige  Stimme 
Kann  das  Geräusch  durchdringen,  das  schallet  in  unsern  Theatern? 
Wie,  wenn  tuskische  Meerfluth  brüllt  und  der  rauhe  Garganus, 
Schauet  mit  tobendem  Lärm  man  dort  Kunstwerke  und  Pomp  an 
Sammt  ausländischem  Prunk,  und  sobald  sich,  in  diesen  gekleidet, 
Glanzvoll  zeiget  der  Spieler,  so  klatschet  die  Recht'  in  die  Linke. 
Sagte  er  schon  etwas?  Nein,  nichts!  Was  finden  sie  schön  denn? 
Wolle,  die  Purpurfarbe  erhielt  durch  Beizen  Tarentums  .  .  . 

Endlicli  führte  Pompejus  M.  sein  grosses  bleibendes  Theater 
in  Stein  auf  (697  d.  St.),  nach  dem  Vorbilde  des  Theaters  zu 
Mitylene,  das  er  im  ]\Iithridatischen  Kriege  hatte  kennen  lernen,  ^j 


1)  Ep.  II,  1.  V.  185  ff.  —  2)  a.  a.  0.  56  ff.  Lange,  Vind.  3ü.  —  3)  Ta- 
cit,  Ann.  XIV,  2(). 


Erstes  stehendes  Theater  in  Rom.     Bedecktes  Theater.  311 

Von  den  pomphaften  »Spieleu,  womit  es  eingerichtet  wm'de,  be- 
richtet Cicero,  i)  Es  fasste  40,000.  Zuschauer.  Um  einem  Senats- 
befelil  zur  Niederreissung  des  Theaters  vorzubeugen,  liess  Pom- 
pejus  darin  einen  Tempel  der  Venus  victrix  errichten.  Dem 
Tertullian  zu  folge  2),  hätte  Pompejus  den  Tempel  in  sein  Theater 
hineinbauen  lassen,  aus  Scheu  vor  dem  Vorwmf  der  Nachwelt, 
dass  er  diese  feste  Burg  aller  Schändlichkeiten  aufgeführt  cum 
illam  arcem  omnimn  turpitudinum  exstruxisset).  Der  Tempel  sollte 
das  rachlose  Bauwerk  beschönigen,  meint  der  Kirchenvater,  der 
im  Uebrigen  der  Grösse  des  Erbauers  die  Ehre  giebt:  „Pompejus 
^er  Grosse,  der  nur  kleiner  als  sein  Theater  war"  (Pompejus  Magnus 
solo  theatro  suo  minor). 

Catulus  war  der  Erste,  welcher  die  Bedeckung  des  Thea- 
ters gegen  die  Witterung  einführte  (velorum  obductiones)  3)  und 
purpurne  Decken  dazu  verwandte.^)  Nero  liess  sich  einen  solchen 
Teppich  mit  Gold  schmücken  und  in  der  Mitte  in  gestickter  Ar- 
beit sem  Bild  anbringen,  s)  Diese  Theaterdecke  war  über  die 
ganze  Cavea  und  Orchestra  hingespannt,  so  dass  der  Zuschauer- 
raum überschattet  blieb. '^)  Gegen  die  Sonnenhitze  braclite  Len- 
tulus  Spinther  leinene  (aus  feinem  spanischen  Flachs  gewebte) 
Segeldecken  an,  corbasina  vela,  die  Lucretius  beschreibt.'')  Mit 
phönicischem  Purjrar  schmückte  zuerst  Scaurus  die  Bühne  aus.**) 
Derselbe  führte  auch  goldgeschmückte  Kleider  ein,vestesAttalicae.^) 
In  der  Kljiiämnestra  erschienen  600  Maulesel :  das  stärkste  Thea- 
terpersouRl  seit  Menschengedenken.  Im  Equus  Troj.  sah  Cicero 
3000  Humpen  auf  der  Scene  prangen,  'ö)  Die  Blumenverschwen- 
dung im  Theater  überstieg  alles  Maass.  AUe  Plätze  wurden  mit 
Blumen  bestreut.  Besonders  der  Crocus  wurde  hiezu  beliebt,  ^i) 
Pompejus  Magnus  liess  zuerst  die  Wege  und  Treppen  mit  Wasser 
befeuchten.  ^'^)  Bald  trat  an  Stelle  des  Wassers  eine  Mischung 
von  Wein  und  Wasser,  worin  man  Crocus  auflöste.    Diesen  Cro- 


1)  ad  Faniü.  VII,  1.  —  2)  de  Spectac.  p.  28.  —  3)  Vitr.  X.  praef.  - 
4)  Plüi.  H.  N.  XIX,  16.  —  b)  D.  Cass.  LXIII,  6.  —  6)  Lucret.  IV.  v. 
73  ff.  Liv.  XXXIX,  7.  -  7)  a.  a.  0.  PUn.  XIX,  6.  Valer.  M.  II,  6.  —  8) 
V.  Max.  das.  —  9)  PUn.  H.  N.  XXXVI,  24,  7.  —  10)  ad  div.  VH,  1.  — 
11)  Hör.  Ep.  II,  1,  V.  .19.  Ovid.  Anior.  I,  104.  Plin.  XXI,  17.  —  12)  V. 
Max.  II,  4,  6. 


312  Däs  römische  Drama. 

cuswein  leitete  man  in  Eöhren,  die  in  den  Mauern  versteckt  lagen, 
und  brachte  ihn  von  da  durch  ein  Druckwerk  bis  zu  den  obersten 
Sitzen  des  Theaters. ')  Dort  hatten  die  Röhren  ganz  kleine  OefiF- 
nungen,  durch  welche  der  Wein  wie  ein  feiner  Eegen  herab  sprühte. -j 
Hadrian  Hess  alle  Stufen  mit  Balsamwein  befeuchten,  als  er  zu 
Ehren  des  Trajan  Schauspiele  gab.'^) 

Die  Länge  der  Bühne  betrug  nach  Vitmv'')  zwei  Durchmes- 
ser der  Orchestra.  Die  beiden  Seitenthüren  im  Hintergrunde  stell- 
ten Fremdeuwohnungen  vor  (Hospitalia).  Hinter  der  Scene  befand 
sich  ein  bedeckter  Säulengang  fPoiiicus;,  der  dem  Publicum  Zu- 
flucht gegen  den  Regen  bot.  Hinter  der  letzten  Sitzreihe  wa» 
ebenfalls  ein  solcher  Porticus  angelegt,  dessen  Dach  die  Höhe  der 
Scene  hatte. 

Der  Bühneuvorhang  (aulaeum),  ein  über  die  ganze  Bühnen- 
länge sich  hinziehender  Teppich  mit  eingewebten,  gefangene  Völker 
vorstellenden  Figuren,  wurde,  wie  im  griechischen  Theater,  beim 
Beginn  des  Stückes  niedergelassen  'mittere  aulaeumj  und  am 
Schluss  emporgezogen  (tollere  aulaeum). '")  Ein  kleiner  auf  der 
Bühne  angebrachter  Teppichvorhang,  dem  Mimus  und  der  Komö- 
die eigenthümlich,  hiess  Siparium,  velum  mimicum.'^)  Dabei  be- 
merkt der  Schol.  des  Juv. :  „Velum  sub  quo  latent  paradoxi'' :  Ein 
Vorhang,  hinter  welchem  sich  die  unerwartet  Auftretenden  aufhalten. 

Die  Theaterpolizei  wurde  von  besonderem  Beamten-  und 
Dienstpersonal  versehen.  Die  Designatores  wiesen  den  eintre- 
tenden Zuschauern  die  Plätze  an,  nach  der  auf  dem  Theaterbillet 
'(tessera)  bezeichneten  Sitznummer.'')  Ulpiau  vergleicht  sie  ^)  mit 
den  griechischen  ßQaßsvzai  (Stabträger).  Sie  hatten  das  Recht, 
nöthigenfalls  den  Beistand  der  Lictoren  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Sie  vertheilten  die  Preise  an  die  Schauspieler,  und  hatten  auch 
das  Recht,  die  Züchtigung  an  denselben  zu  vollstrecken.  Die 
Conquisitores  gingen  durch  die  Sitzreihen,  suchten  das  Paiiei- 
bilden  der  Zuschauer  zu  hintertreiben  und  zugleich  diejenigen 
aufzufinden,  die  zum  Beifallklatschen  von  den  Schauspielern  be- 


])  Lucret.  II,  416.  Senec.  Ep.  9.  PUn.  XXI,  6.  —  2)  Mart.  Epigr.  V, 
39,  5.  —  3)  Spart.  Ha.lr.  18.  —  4)  V,  7.  —  5)  Phaedr.  V,  7,  23.  —  6) 
Senec.  de  Tranqu.  11.  Juv.  YIU,  185.  -  7)  Plaut,  Poen.  prol.  33.  —  8) 
Digest,  m,  tit.  2. 


Theater-Polizei.    Sitzmarke.     Zweites  stehendes  Theater.  313 

stellt  worden.  Sie  waren  die  Beaufsichtiger  der  römischen  Cla- 
que.^)  Der  Praeco  hatte,  beim  Niedergehen  des  Auläums  und 
Auftreten  des  Prologs,  von  der  Bühne  herab,  Stille  und  Aufmerk- 
samkeit zu  gebieten:  Exsurge,  Praeco,  fac  populo  audientiam. 2) 
Mit  dem  Titel  der  Stücke  wm'de  das  Publicum  ebenfalls  von  der 
Bühne  herab  bekannt  gemacht  (pronuntiare  titulum  fabiüae).  Ver- 
fasser, Hauptspieler  und  Compouist  der  Melodien  wm-den  zu  die- 
sem Titel  mitgenannt.  •^)  Theater-  oder  Anschlagezettel, 
dergleichen  es  für  Fechterspiele  gab*),  verrauthet  Grysar  auch 
für  dramatische  Spiele. 

Eintritt  in's  Theater  hatten  alle  von  bürgerlichem  Stande, 
auch  Frauen  und  Kinder.^)  Eintrittsgeld  wurde  nicht  entrichtet, 
da  das  Schauspiel  Geschenk  des  Gebers  war  (munusj.  Die  Tes- 
sera,  Sitzmarke,  musste  aber  jeder  mitbringen  und  dem  Platz- 
anweiser (designator)  vorzeigen.^)  Diese  Marken  wurden  wahr- 
scheinlich unter  die  Bürger,  vor  den  Spielen,  in  den  verschiede- 
nen Stadtvierteln  von  den  Designatores  ausgetheilt.  Nur  die 
Sklaven  mussten  bei  ihrem  Eintritt  ein  Stück  Geld  bezalilen.') 
Tessera.  Beistehende  Abbildung  ist  die  einer  in  Pompeji 
(  ~^  ~^  ^  gefundenen  Tessera,  worauf  die  Sitzreihe  (Cavea 
im  engern  Sinn),  der  Cuneus  (der  keilförmige  Raum 
in  dieser  Cavea),  der  Gradus  (Sitzplatz),  der  Titel 
des  Lustspiels  Casina  von  Plautus  und  der  Name 
des  Dichters  sich  befinden.  Das  Lustspiel  wurde 
also  noch  kurz  vor  Pompeji's  Zerstörung  (63  nach 
Chr.  und  24ß  .Jahre  nach  Plautus'  Tod  aufgeführt. 

Das  zweite  stehende  Theater  in  Rom  erbaute  Augustus, 
zu  Ehren  seines  Neffen,  des  jungen  Marcellus.  Baibus  baute  ein 
drittes,  zu  Ehren  des  Augustus.  Dies  waren  die  drei  berühm- 
tea  Schauspielhäuser,  die  terna  theatra.'')  Vollständigerhalten 
ist  das  römische  Theater  zu  Falleroni  (Falaria  in  Picenum) ;  selbst 
von  den  Periakten  ist  noch  die  Unterlage  vorhanden.  9) 

1)  Plaut.  Amph.  prol.  64.  Vgl.  Grysar:  Ueb.  den  Zustand  der  Rom. 
Bühne  im  Zeitalt.  d.  Cicero.  AUgem.  Schulz.  1832.  S.  340  ff.  —  2)  Plaut. 
Poen.  prol.  7.  —  3)  Don.  d.  Com.  —  4)  Treb.  PoU.  Claud.  5.  —  5)  Ter. 
Hec.  prol.  II.  v.  27.  Plaut.  Poen.  prol.  v.  31.  —  6)  Cic.  Attic.  IV,  3.  — 
7)  Plaut.  Poen.  prol.  2.5.  -  8)  Suet.  Octav.  45.  —  9)  0.  MüUer,  Archaool.  d. 
Kunst.  3.  Ausg.  S.  3!)2. 


Cav.  n. 

Cun.  m. 

Grad.  VHI. 

Casina. 
Plaut. 


3 1 4  Das  römische  Drama. 

Näheres  über  die  äussere  Geschichte  und  Form  des  römischen 
Theaters  findet  mau  bei  Hirt^),  Genelli^);  kürzer  zusammenge- 
fasst  in  Stieglitz:  Archäol.  Unterhaltungen  3),  Ferraro  ^)  u.  a.  Wir 
lassen  es  bei  diesen  Andeutungen  bewenden  und  kehren  zu  den 
geschichtlichen  Anfängen  und  üeberbleibseln  des  römischen  Dra- 
ma's  zm-ück. 

Diese  Anfänge  knüpfen  sich  nicht,  wie  bei  den  Hellenen,  an 
den  Gott  der  Naturfreude  und  Naturtrauer;  nicht  an  den  Gott 
des  ewigen  Blüheus  und  Verblühens,  der  ewig  aus  ihrem  Hin- 
sterben sich  verjüngenden  Natur:  nicht  an  Gott  Dionysos,  den 
Gott-Jüngling,  das  holde  Vergötterungs-Symbol  eines  naturseligen, 
aus  der  wehmuthsvollen  Trauer  ob  der  Vergänglichkeit  des  Ein- 
zellebens um  so  herrlicher  und  gottfi'eudiger  immer  -wieder  erwa- 
chenden Gefühls  der  Unvergänglichkeit  des  Alls,  eines  ewigen 
Naturlebens.  Nicht  an  eine  solche  gottmenschliche  Zwiegestalt, 
das  verköii)erte  Mischgefühl  von  Lust  und  Wehmuth,  von  trauer- 
samer Wonne  und  wonneseliger  Betrübniss,  mit  einem  Worte, 
nicht  an  den  Gott  solcher  Gemüths-Trunkenheit  und  Stimmung, 
nicht  au  den  Gott  des  poetischen  Lust-  und  Schmerz eus-ßausches, 
des  Humors,  knüpfen  sich  die  Anfänge  des  römischen  Schau- 
spiels. Der  Ursprung  des  römischen  Drama's  wm'zelt  in  dem 
Grausen  des  Todes,  des  Todes  in  seiner  scheusslichsten  Gestalt. 
Es  entstieg  jenen  düstern,  alles  Leben  hinrafteuden  Dünsten  gleich- 
sam, die  aus  der  finstern  Höhle  des  Avernus  dampfen.  Der  Pest 
entstiegen  die  Anfänge  der  dramatischen  Spiele  in  Korn.  Die 
historische  Hauptquelle ,  ja  die  einzige  für  den  ersten  Anlass  zu 
römischen  Bühnenspielen  ist  der  Geschichtschreiber  T.  Livius, 
dem  Val.  Maxim.  ■>)  nm-  nachgeschrieben.  Wh*  setzen  den  Bericht 
des  Livius  vollständig  her.  Im  siebenten  Buch  C.  2  meldet  er, 
was  folgt: 

„In  diesem  und  im  nachfolgenden  Jahre  unter  dem  Consule 
Cajus  Sulpicius  Peticus  und  Cajus  Licinius  Stolo  dauerte  die  Pest. 
Darum   wurde   nichts  Denkwürdiofes  unternommen,    ausser    dass 


l)  Gesch.  d.  Bauk.  Berl.  1822.  11.  S.  222 ff.  -  2)  Theat.  zu  Athen 
1818.  S.  47  ff.  —  3)  I.  S.  76 ff.  —  4)  Stör,  e  descr.  de'  priiicip.  Teatr. 
antich.  e  moderni.  Mü.  1831.  Vgl.  Pauly  R.  Encykl.  Bd.  VI,  2.  S.  1772  ff. 
5)  II,  4,  4. 


Anfänge  des  römischen  Schauspiels.     Livius  Andronicus.  315 

man,  um  die  Gnade  der  Götter  zu  erflehen,  jetzt  zum  drittenmale 
naeh  Eoms  Erbauung  ein  Lectisternium  (Sühn  -  Göttermahl;  an- 
stellte. Und  da  die  Gewalt  der  Krankheit  weder  durch  mensch- 
liche Mittel,  noch  göttliche  Hülfe  gehoben  wurde,  so  sollen  bei 
der  abergläubischen  Stimmung  der  Leute,  unter  andern  Sühnmit- 
teln des  göttlichen  Zorns,  auch  die  Bühnenspiele  —  für  ein  krie- 
gerisches Volk,  welches  bisher  nur  das  Schauspiel  der  Rennbahn 
gehabt  hatte  3),  etwas  ganz  Neues  —  aufgekommen  seyn.  üebrigens 
war  die  Sache,  wie  insgemein  alle  Anfänge,  unbedeutend  und 
noch  dazu  ausländisch.  Ohne  allen  Gesang,  ohne  Darstellung 
des  Gesimgenen  durch  Geberdenspiel,  wussten  die  aus  Hetru- 
rien  geholten  Spieler  nach  den  Tönen  einer  Flöte  zu  tanzen,  und 
nach  tuskischer  Art  nicht  ganz  ungescliickte  Bewegungen  zu  ma- 
chen. Es  ahmten  ihnen  von  nun  an  die  jungen  Leute  nach,  und 
Hessen  sich  zugleich  unter  einander  in  scherzhaften  freigearbeite- 
ten Versen  hören,  und  die  Bewegungen  waren  dem  Vortrage  nicht 
unangemessen.  Die  Sache  fand  Beifall,  und  wurde  durch  öftere 
Uebung  von  einheimischen  Künstlern  ausgebildet.  Weil  Hister 
auf  Tuskisch  ein  Spieler  hiess,  so  gab  man  ihnen  den  Namen 
Histrionen,  welche  nun  nicht  mehr,  wie  sonst,  ungefeilte  und 
holperichte  Verse,  den  Fescenninen  ähnlich,  als  Wechselgespräch 
binwarfen,  sondern  ein  im  Silbemnasse  vollendetes  Allerlei  (Satu- 
ras),  als  ein  von  der  Flöte  geleitetes  Singstück,  mit  angemesse- 
ner Geberdung  aufführten.  Mehrere  Jahre  nachher  soll  Livius 
Andronicus,  der  es  zuerst  wagte,  statt  des  Allerlei,  ein  Schau- 
spiel mit  einer  Haupthandlung  anzulegen  Targmuento  fabulas  se- 
rens),  als  er,  immer  wieder  aufgefordert,  sich  heiser  gesungen 
hatte  —  er  war  natürlicli,  was  damals  Alle  waren,  zugleich  Ver- 
fasser und  Aulführer  seiner  Stücke  —  nach  erbetener  Erlaubniss, 
einen  Knahen  zum  Singen  vor  den  Flötenspieler  gestellt  und  den 
Gesang  der  einen  Person  mit  so  viel  lebhafterer  Bewegung  be- 
gleitet haben,  weil  ihm  nun  der  Gebrauch  seiner  Stimme  nicht 
mehr  hinderlich  war  (canticum  egisse  aliquanto  magis  vigente 
motu;.    Seitdem  liess  man  zu  dem  Geberdenspiele  der  Histrionen 


1)  Dieses  Schauspiel  hatte  das  Volk  dem  Tarquinius  Priscus  zai  dan- 
ken, der  (138  d.  St.)  Rennpferde  und  Faustkämpfer  aus  Etrurien  hatte 
kommen  lassen.   (Liv.  I.  c.  3.5.) 


316  ^^^  römische  Drama. 

einen  andern  singen  und  nm*  die  Wechselreden  blieben  ihrer  eig- 
nen Stimme  vorbehalten  (diverbiaque  tantum  ipsorum  voci  re- 
licta).  Als  sich  durch  diese  Einrichtung  der  Bühnenstücke  die 
Sache  immer  mehr  vom  blossen  Lachen  und  ausgelassenen  Scherz 
entfernte,  und  das  Spiel  allmälüich  zu  einer  Kunst  gediehen  war; 
so  überliesseu  die  jungen  Römer  die  Aufführung  der  Bühnenstücke 
den  Histrionen  und  begannen  unter  sich,  nach  alter  Sitte,  Lächer- 
liches in  Versen  vorzutragen  (more  antiquo  ridicula  intexta  ver- 
sibus  jactitare  coepit),  was  man  dann  in  der  Folge  Nachspiele 
nannte,  und  hauptsächlich  mit  den  Atellanischen  Stücken 
zusammenreihte  (inde  exodia  postea  appellata  consertaque  po- 
tissimum  Atellanis  sunt).  An  diese  den  Oskern  abgelernte 
Ai-t  Spiele  hielt  sich  die  Jugend  und  liess  sie  nicht  von  den  Hi- 
strionen entweihen.  Darum  bleibt  die  Einrichtung,  dass  die  Auf- 
führer  Atellanischer  Stücke  nicht  aus  ihrem  Bezirke  rtribus)  ge- 
stossen  werden  und,  als  wären  sie  mit  der  Schauspielkunst  ausser 
aller  Verbindung,  Kriegsdienste  thun  dürfen.  Unter  die  kleinen 
Anfänge  so  mancher  anderen  Einrichtung  glaubte  ich  auch  den 
ersten  Ursprung  der  Schauspiele  setzen  zu  müssen,  um  es  bemerk- 
lich zu  machen,  von  Avelch'  sinnigem  Anfange  die  Sache  zum 
gegenwärtigen,  kaum  mächtigen  Staaten  erträglichen  Unsinn  ge- 
diehen ist." 

In  diesem  merkwürdigen  Berichte,  welcher  die  ganze  Erst- 
lingsgeschichte des  römischen  Drama's  enthält,  müssen  wir  nun 
die  Hauptstellen,  der  Entwickelungsfolge  gemäss,  in's  Auge  fas- 
sen. Diese  Hauptpunkte  ordnen  sich  der  Eeihe  nach,  wie  folgt: 
1)  Das  Schauspiel,  das  die  aus  Hetrurien  geholten  Spieler  vor 
den  Römern  aufführten,  war  nichts,  als  ein  zur  Flöte  ausgeführ- 
ter Tanz  mit  „nicht  ganz  ungeschickten  Bewegungen  nach  tus- 
kischer  Art."  Ohne  allen  Gesang,  folglich  ein  stummer  Tanz, 
ohne  Darstellung  durch  Geberdenspiel;  mithin  kein  mi- 
mischer Tanz,  also  nicht  dramatisch.  Aber  auch  nicht  hypor- 
chematisch,  in  Weise  jener  uralten,  durch  Tanzbewegung 
nachahmenden,  das  Dramatische  vorbildenden,  aus  Kreta  nach 
Griechenland  verpflanzten  m  i  m  i  s  c  h  e  n  G  e  s  a  n g  s t ä  n  z  e  der  Ku- 
reten,  die  uns  schon  bekannt. 

%  Dieses  mimische  Moment  kam  erst  zu  der  tuskischen 
Tanzweise  durch  die  jungen  römischen  Patricier  hinzu,  welche  die 


Entwickelungsfolge  in  der  Urspruugsgeschichte  des  römischen  Theaters.  317 

hetrurischeu  Tänzer  nachahmten  fhonim  saltationem  juvenes  imi- 
tatos).  Sie  trugen  scherzhafte,  kunstlose  ^iucondita) ,  den  fescen- 
nischen  oder  saturnischen  ähnliche  Verse  in  Wechselspottreden 
zum  Tanze  vor,  und  zwar  mit  Bewegungen,  welche  „dem  Vor- 
trage nicht  unangemessen  waren"  fmotibus  haud  absonis  a  voce) : 
also  in  einer  der  hyporchematischen  Darstellung  sich  nähernden 
Weise.  Annähernd,  sagen  wir,  weil  das  andere  Kennzeichen  hyp- 
orchematischer  Ausführung  dem  Gesangstanze  der  jungen  Rö- 
mer noch  zu  fehlen  scheint:  der  getrennte  Vortrag  nämlich 
von  Tanz  und  Gesang;  derart  getrennt,  dass  der  Tänzer,  wie  in 
dem  kretischen  Hyporchem  ein  Theil  des  Chors,  in  seinen  Bewe- 
gungen blos  den  Sinn  des  Gesungenen  mimisch  ausdrückt,  wäh- 
rend der  Sänger  ausschliesslich  den  Gesangsvortrag  hält  ohne 
Gesangsbewegung:  Non  solum  choras  tripudians  cantabat  Carmen, 
sed  aliaequaedam  personae  (die  aber  unseres  Erachtens  zum 
Chor  gehörten;  a  choro  decantata  saltatioue  mimica  et 
scenica  quodammodo  imitabantur  {bycioQxovvTo).'^)  Bei 
Livius  wenigstens  ist,  in  Bezug  auf  das  gesungene  Tanzspiel  der 
jungen  Eömer,  von  einer  solchen  getrennten  Ausführung  nicht 
die  Rede. 

3)  Dieser  mimische  Tanzgesang  fand  Beifall,  und  wm'de  nun 
von  heimischen,  von  römischen  Schauspielern  (vernaculi  artili- 
ces;  ausgebildet.  Die  Vervollkommnung  bestand  darin,  dass,  statt 
der  ungefeilten,  holperichten  Verse,  „den  Fescenninen  ähnlich," 
ein  dm-ch  Sylbenmaass  und  Tonweisen  kunstgerechteres  Allerlei 
(impletas  modis  Saturas)  unter  Flötenbegleitung  mit  angemes- 
sener Geberdung  ausgeführt  wurde:  Ein  possenhaftes  Quodlibet, 
das,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  groteske  Scenen  aus  dem  Land- 
und  Bauernleben  darstellte,  in  bunter  Mischung,  ohne  Zusammen- 
hang (ut  farciminis  quoddam  genus  mixtum  variumque  mores 
agricolamm  vitamque  vulgarem  imitans,  admixtis  jocis  etc.).-) 
Diese  heimischen  Schauspieler  erhielten  den  tuskischen  Namen 
ihres  Berufes:  Histriones,  lateinisch  ludioiies.  Es  waren  Saturen- 
Spieler  von  Handwerk,  Darsteller  von  zusammenhangslosen,  in  ge- 
feilterem Versmaass  zur  Flöte  ausgeführten  Tanz-  und  Gesangs- 

1)  ßoeckh.  d.  metr.  l'ind.  111,  Kl  p.  270.  —  2)  Casaub.  d.  Satyric. 
graecor.  poet.  et  Romanor.  Sat.  p.  250. 


318  Das  römische  Drama. 

Grotesken,  zu  welchen  sich   der  rohe  fescenninische  Tanzgesang 
der  jungen  Patricier  ei^veitert  und  kunstgemässer  geregelt  hatte. 

4)  Jetzt  erst,  das  heisst,  120  Jahre  nach  dem  Auftreten  je- 
ner, aus  Anlass  der  Pest,  verschriebenen  hetrurischen  Tänzer,  er- 
folgt eine  bemerkenswerthe  Umwand elung  der  Histrionen- Spiele 
durch  Livius  Andronicus,  einen  Grossgriechen  aus  der  spar- 
tanischen Pflauzstadt  Tarentum  (Tagag),  der  Heimath,  wie  wir 
wissen,  der  italiotischen  Komödie,  namentlich  der  Ehintonischen 
Hilarotragödie.  Nach  Einnahme  der  Stadt  Tareut  durch  die  Rö- 
mer (482  d.  St.)  wurde  L.  Andronicus  als  Kriegsgefangener  nach 
Rom  gebracht.  Wir  kommen  auf  ihn  zurück  und  knüpfen  hier 
nm*  an  seinen  Namen  die  vom  röm.  Geschichtschreiber  hervorge- 
hobene Thatsache,  dass  Liv.  Andronicus  der  Erste  war,  der,  statt 
des  „Allerlei,"  den  Römern  ein  Schauspiel  mit  einer  Haupthand- 
lung, mit  einer  Fabel,  vorführte;  der  Erste  folglich,  der  den  Rö- 
mern ein  wirkliches  Drama  vorspielte.  Heiserkeit  soll  ihn 
zu  einer  Neuerung  im  Vortrage  des  Tanzgesanges  veranlasst  ha- 
ben. Die  angebliche  Neuerung  führt  im  Grunde  nur  den  Tanz- 
gesang des  Andronicus  auf  den  ursprünglichen  Charakter  des  Hyp- 
orchems  zurück,  den  ihm  der  Tarentische  Schauspieler  dadurch 
wiedergab,  dass  er  Gesang  und  Tanz  trennte,  indem  Androni- 
cus, den  von  einem  Andern  ausgeführten  Gesang  mit  seinem 
Tanze  begleitend,  den  Sinn  des  Gesungenen  durch  Tanzbewegun- 
gen und  Geberdenspiel  ausdrückte.  Das  Nähere  kommt  noch  zur 
Sprache;  vorläufig  haben  wir  nur  die  von  unserer  Quelle  angege- 
bene Momentenfolge  in  der  Entstehungsgeschichte  der  römischen 
Bühnenspiele  bis  zu  Ende  zu  begleiten.  Als  ein  solches  hinzu- 
tretendes Moment  ergiebt  sich: 

5)  Die  Fixirung  des  Nothbehelfs  zur  stehenden  Vortragsform. 
Von  nun  ab  Hess  mau  stets  zu  dem  Geberdenspiele  der  Histrionen 
einen  Andern  singen.')  Die  Theilung  von  Gesang  und  Tanz,  die 
Andronicus  wohl  selbst  als  kunstbedingi  erkannt  haben  mochte, 
wurde  zur  Regel.  Das  Fabeldi'ama  des  Tarentiners  Liv.  Andro- 
nicus gliedert  sich  sonach  in  drei  verschiedene,  neben  einander 
wirkende  Vortragsweisen:  den  Gesang  zum  Flötenspiel  (Can- 
ticumj;  den  ihn  ausdrückenden  Geberdentanz  (Saltatio)  und 


1)  Vgl.  Herrn,  de  (Jantico  p.  12.  Wolff,  de  Cantic.  p.  22. 


Satura.  319 

den  recitativisch  gesprochenen  Vortrag  der  dramatischen  Fa- 
bel (diverbium) ,  das  eigentliche  Stück.  Die  nähere  Erörterang 
dieser  drei  Grandelemente  uns  vorbehaltend,  bemerken  wir  noch, 
dass  Liv.  Androniciis  in  seinem  selbstständigen,  den  Sinn  des  Can- 
ticmn  darstellenden  stummen  Geberdentanz,  unseres  Erachtens, 
die  Grundlinien  zu  der  spätem  Pantomime  gezogen  zu  haben 
scheint,  die  schliesslich  die  ganze  dramatische  Kunst  der  Römer 
aufsaugte. 

Was  ist  denn  nun  aber  aus  jenem  Quodlibetsspiele,  dem  bun- 
ten „Allerlei,''  aus  der  Satura  geworden,  zu  welcher  heimische 
Histriouen,  vor  Andronicus,  den  rohen,  fescenninischen  Gesangs- 
tanz der  römischen  Jünglinge  ausgebildet  hatten?  Auch  darüber 
giebt  der  Geschichtschreiber  Livius  Auskunft.  Die  Satura,  nach- 
dem sie  über  ein  Jahrhundert  unverändert,  fortschrittslos  und 
stereotyp  von  römischen  Histriouen  oder  Schauspielern  von  Hand- 
werk (Ludiones)  gepflegt  worden,  sah  sich  allmählich  durch  An- 
dronicus' Fabeldrama  verdrängt.  Ein  Fabelspiel  aber,  das  sich 
„immer  mehr  vom  blossen  Lachen  und  ausgelassenen  Scherz" 
entfernte;  das  sich  nach  und  nach  „zu  einer  Kunst"  ausbildete, 
ein  solches  Kunstspiel  war  den  jungen  römischen  Edelleuten  nicht 
zu  Sinne,  denen  von  ihren  Urvätern  her  die  rohe  Kriegsbauernna- 
tur  und  der  Geschmack  an  entsprechenden  Belustigungen  im 
Blute  lag.  Eine  ernste  Kunst,  die  sich  mit  dem  „Schweren  und 
Guten"  beschäftigt,  lag  ausserhalb  ihrem  Verständniss  und  Beha- 
gen. Sie  verlangten  „von  sceuischen  Spielen  eben  nur  blosses 
Lachen  und  ausgelassenen  Scherz."  In  der  rohen  Posse  fühlten 
sie  sich  heimisch.  Der  gTobe  groteske  Spass  entsprach  ihrer  bäue- 
risch-satyrhaften Anlage  und  war  ihr  eigentliches  Element.  Li 
der  Schmähverspottung  und  in  der  Bauernzotte  erkannten  sie  ihr 
Adelsvorrecht.  „So  überliessen  die  jungen  Römer  die  Aufführung 
der  Bühnenstücke  den  Histriouen,  den  Schauspielern  von  Hand- 
werk, und  begannen  unter  sich  nach  alter  Sitte  Läclierliches  in 
Versen  vorzutragen."  Die  alte  Sitte  aber  mit  Haut  und  Haaren 
wieder  herzustellen ,  das  war  schon  zu  jener  Zeit  verlorene  Lie- 
besmüh. Mit  fescenninischen  holperichten  Schmähversen  allein 
ging  es  auch  nicht  mehr.  Schon  durch  die  geregelte  Satura  der 
Histrionen  ward  jenes  alterthümliche  Bauerntanzs]nel  verjährt. 
Der  Reiz  einer  dramatischen  Fabel  hatte,   Dank  dem  Tarontini- 


320  ^ä,s  römische  Drama. 

sehen  Kriegssldaven  und  Schauspieler  Liv.  Andronicus ,  den  Ge- 
schmack für  ein  zusammenhängendes,  sinngerechtes  Schauspiel 
einmal  geweckt ;  ja  das  Bedüifniss  nach  einem  solchen  hatte  selbst 
in  den  römischen  Edeljünglingeu  sich  zu  regen  begonnen.  Allein 
Sinn  und  Zusammeuliang  bricht  sich  nicht  vom  Zaun.  Erfindung, 
Fabelerfindung  zumal  wächst  nicht  auf  jedem  lü'autjunkeracker. 
Dem  Römer  fehlte  es  zur  einfachsten  Fabelposse  an  ursprüngli- 
chem Talent.  Da  musste  denn  abermals  das  Aneignungsvermö- 
gen aushelfen.  Die  Fabel  zur  Posse  wurde,  zugleich  mit  die- 
ser, aus  Campauien  von  den  schon  412  d.  St.  unterworfeneu  Os- 
kern  entlehnt  und  nach  Rom  verpflanzt.  Die  oskische  Farce, 
in  der  oskischen  Hauptstadt  Atella  (jetzt  St.  Arpino,  zwei  Mei- 
len von  A  versa  bei  Neapel)  heimisch,  und  daher  Atella  na  ge- 
nannt i),  bildet  in  dem  Entwickelungsgange ,  den  das  römische 
Bülinenspiel,  nach  unserer  Quelle,  nahm,  die  abschliessende  Stufe. 
Hiernach  ist  denn  der  aus  Tarent  in  Grossgriechenland  nach  Eom 
versetzte  Kriegssklave  L.  Andron.  als  der  Gründer  der  griecbisch- 
römischeu  Tragödie  zu  betrachten;  wie  ein  halbes  Jahrhun- 
dert nach  ihm  der  ÄlüUerknecht  Plautus  aus  Umbrien  für  den 
Schöpfer  der  griechisch-römischen  Komödie  zu  gelten  hat. 
Zwischen  beiden,  von  einem  giiechischen  Sklaven  und  einem  um- 
brischen  Handmüller,  dann  Histrio,  den  Römern  geschenkten 
Schauspielfoi-men  des  Kunstdrama's  steht  die  oskische  Posse,  das 
begünstigte  Lieblingsspiel  der  römischen  vornehmen  Jugend,  des- 
sen Darstellung  sie  als  ihr  AdelsvoiTecht,  ihre  noble  Passion,  sich 
vorbehielten,  die  sie  von  den  Histrionen,  den  ausscliliesslichen 
Schauspielern  der  missachteten,  für  des  Berufes  freier  Bürger  un- 
würdig gehaltenen  Tragödie  und  Komödie,  nicht  wollten  entwei- 
hen, d.  h.  nicht  spielen  lassen.  Die  Tragödien-  und  Komödien- 
spieler galten  als  Ausgestossene.  Sie  waren  der  Bürgerrechte 
beraubt  und  vom  Kriegsdienste  ausgeschlossen.  Dagegen  blieben 
die  Spieler  der  oskischen  Possen,  der  Atellanen,  im  Vollbesitze 
aller  Bürgerrechte  und  Ehren.  Ausserdem  hielt  aber  die  rö- 
mische Jugend  doch  auch  an  ihren  alten  fescenninischen  Gesangs- 
tänzen, au  den  opprobria  rustica  fest,  welche  in  der  Folge  als 


1)  Val.  Max.  II.  4.  Diom.  UI.  p.  487.  Putsch 


Atellane.  321 

Nachspiele  fexodia)  meist  iu  Verbindung  mit  Atellauen  aufge- 
führt wurden,  jedoch  allem  Anscheine  nach  in  der  veredelten 
Form,  die  den  fescenninischen  Wechselspottreden  die  Histrionen 
von  Fach  gegeben  hatten,  in  Form  der  Satura.  Irrthümlich  hat 
A.  W.  Schlegel!)  (jjg  Saturen,  das  einzige,  wenn  man  will,  hei- 
mische Product  unter  den  römischen  Schauspielen,  für  identisch 
mit  den  Atellaneu  gehalten.  Aber  auch  Ed.  Munck,  der  Ver- 
fasser einer  gTündlichen  und  geschätzten  Abhandlung  über  die 
Atellanen-),  hat,  scheint  uns,  keine  richtige  Erklärung  von  der 
Satura  gegeben,  wenn  er  den  Namen  davon  ableitet,  dass  die  Sa- 
tura aus  einem  Gemische  von  Reden,  Gesang  und  Tanz  besteht. 
Mit  Recht  wendet  Corssen  ein:  diese  Bestandtheile  hätte  die  Sa- 
tura mit  andern  römischen  Volksgesängen  gemein  gehabt,  sie 
konnten  daher  kein  besonderes  Merkmal  für  die  Satura  abgeben. 
Die  richtigste  oben  bereits  mitgetheilte  Erklärung  ist  die  von 
Casaubonus. 

Obgleich  die  Einführung  der  Atellanen  in  Rom,  den  An- 
deutungen des  Livius  gemäss,  nach  dem  Auftreten  des  Andro- 
nicus  zu  setzen;  wollen  wir  doch  das  Wenige,  was  uns  davon 
bekannt  ist,  gleich  hier  erledigen.  In  der  schon  bezeichneten 
Stelle  sagt  der  Grammatiker  Diomedes-*):  die  Atellane  sey  dem 
Satyrdrama  der  Griechen  ähnlich.  Die  angebliche  Aehnlichkeit 
beschränkt  sich  auf  den  einzigen  Umstand,  dass  späterhin  die 
Atellane  als  Nachspiel  auf  die  Tragödie,  zur  Erheiterung  der 
Zuschauer,  folgte. ^j  Wie  sich  anfangs  die  Satura  der  Atellane 
als  Exodium  anschloss:  so  wurde  die  Atellane  bald  das  Exodium 
der  Tragödie,  um  späterhin  ihrerseits  vom  Minms  verdrängt  zu 
werden,  welcher  in  der  Folge  als  Zwischenact  oder  Ausgangsspiel 
(Exodimri;  beliebt  ward  ^j:  ,.Ich  komme  nun,"  heisst  es  in  der 
angezogenen  Briefstelle,  „zu  deinen  Scherzen,  da  du,  dem  Oeno- 
maus  des  Accius  gemäss,  nicht  wie  es  ehemals  der  Fall  war 
die  Atellane,  sondern,  wie  es  jetzt  geschieht,  den  Mimus 
eingeführt  hast"  (non  ut  olim  solebat  Atellanain,  sed  ut  nunc 
fit,    mimum   introduxisti).     Von   dem  Atellanischen  Nachspieler 


1)  Vorles.  II.  S.  6.    —   2)  De  labulis  Atellaiiis.   Lips.  1840.  p.  15. 

3)  ni;    p.  487.   —  4)  Cic.   ad  Fam.    IX,    16.  Plut.  Pelop.  c.  34.  Grass. 
33.  —  5)  Cic.  ad  Div.  IX,  16. 

n.  21 


322  Das  römische  Drama. 

(Exodiarius)  bemerkt  ein  alter  Scboliast  des  Juvenal ') ,  derselbe 
sey  am  Scblusse  aufgetreten,  um  den  Zuschauern  mit  Lachen  die 
Thräneu  zu  trocknen,  die  ihnen  das  voraufgegangene  Trauerspiel 
ausgepresst  (ut  quidquid  lacrymarum  atque  tristitiae  coegissent 
ex  tragicis  affectibus,  hujus  spectaculi  risus  abstergeret).  Schon 
daraus  erhellt,  wie  wenig  die  Atellane  als  Exodium  mit  dem  gn"e- 
chischen  Sat}Tspiel  gemein  hatte,  welches  ein  kunstgebotenes 
üebergangsglied  von  der  tragisch -heroischen  Stimmung  zu  der 
Komödie  bildete ;  keinesweges  aber,  wie  das  römische  auf  eitel 
Spass  abzweckende  Exodium,  als  blosse  Kurzweil  zm-  Aufheite- 
rung der  Zuschauer  und  Verwischung  des  tragischen  Eindrucks 
dienen  sollte.  Die  Atellane  hatte  wohl  auch  nächst  dem  klein- 
städtischen, das  Landleben,  aber  das  mrkliche  rohbäuerliche,  zum 
Gegenstand,  wälu-end  das  Satyrdrama  die  ländliche  Natur  symbo- 
lisirte,  die  Menschenwelt  zur  Natur  in  eine  mythologisch-heroische 
Beziehung  brachte  und  den  Sinn  der  Tragödie  der  Volksan- 
schauung gleichsam  in's  Ländlich-Mythische  umdeutete  und  über- 
trug. Von  dem  Allen  weiss  die  oskische  Zwischenspiel-  oder 
Ausgangsposse  nichts,  deren  Natur  und  Wesen  solchem  Kunst- 
zwecke schnurstracks  zuwiderläuft.  In  der  Atellane  sind  oskische 
Bauern  und  Localfiguren  die  handelnden  Personen.  Im  Satyi'spiel 
bildet  die  Personification  des  Baiiernwesens,  der  ländlichen  Gro- 
teslniatur,  die  als  Faune,  Satyi'n,  Silene  und  Pane  eben  vergöttert 
worden,  der  Satyrchor,  das  Mittelglied  zwischen  dem  mj-thi- 
schen  Helden  und  irgend  einem  phantastisch  grotesken  Naturun- 
hold. Weiset  doch  auch  Horaz-)  dem  SatjTspiel,  was  Styl  und 
Haltung  betriflt,  einen  hohem  Kaug  an,  als  selbst  der  Terentia- 
nischen  Komödie: 

Wer  um  di.'ii  niedrigen  Bock  wettkämpft'  im  tragischen  Spiele, 

Zeigete  bald  vom  Lande  die  Satyrn  nackend,  imd  beissend 

Uebt  er,  dem  vorigen  Ernste  zum  Holin  nicht,  Scherze,  dieweil  er 

Musste  mit  lockendem  Eeiz  und  lieblichem  Wechsel  verweilen, 

Ihn,  der  kam  vom  Opfer,  zu  schau'u  voll  Trunks  und  gesetzlos. 

Aber  so  Lachen  als  Spott  von  den  Satyrn  so  zu  empfehlen 

Wird  sich  geziemen,  den  Scherz  mit  dem  Ernstlichen  so  zu  verbinden, 

Dass  nicht,  welcher  als  Gott  auftrat  auf  der  Bühn'  und  als  Halbgott, 


1)  Sat.  III.  v.   IT.J.         2)  A.  P.  V.  220  fr. 


Atellane  und  Satyrspiel.  323 

Jüngst  im  Prachtanzuge  von  Gold  und  köstlichem  Purpur, 
Wand're  mit  Schmutzausdrücken  hinab  zum  niedrigen  Ki-ämer; 
Noch  auch,  hebt  er^sich  auf,  er  nur  Dunst  aufhaschet  und  Wolken. 
Voll  Unwillen  verschmähen  Tragödien  Verse  des  Leichtsinns, 
Und  gleich  Frau'n  zum  Tanz  an  des  Festtags  Feier  genöthigt, 
Scheinen  sie  etwas  verschämt  im  Chore  der  scherzenden  Satyrn. 
Weder  so  ganz  schmucklos  und  gewöhnliche  Wort'  und  Benennung 
Werden  gewählt,  Pisoneu.  von  mir  als  Dichter  der  Satyrn, 
Noch  so  sehr  abhalf  ich  mich  ganz  von  dem  tragischen  Tone, 
Dass  im  Wortausdruck  gleich  Davus  sich  zeig'  und  die  freche 
Pythias,  reich  nunmehr  durch  Trug  vom  Talente  des  Simon, 
Und  Aufseher  und  Diener  des  Pfleglings-Gottes,  Silenus. 

Selbst  der  Grammatiker  Diomedes  erkennt  die  Verschiedenheit 
der  Atellane  vom  Satyrdrama  an.')  Atellana  a  graeca  Sat3rrica 
differt,  quod  in  Satyrica  fere  Sat}a-orum  personae  inducuntur,  in 
Atellana  Oscae  personae.  Und  zwar  die  letztern,  „die  oskischen 
Personen,"  als  bestimmte  stehende  Charaktermasken  des  oskischen 
Landvolks:  ut  Maccus,  „wie  der  Maccus,"  setzt  Diomedes  hinzu. 
Den  Vergleich  der  Atellane  mit  dem  griechischen  Satyi'drama 
nennt  Munck  -)  mit  vollem  Eechte  eine  inepta  comparatio ;  und 
Stieve^)  einen  ganz  äusserlichen  (ad  externam  potius  conditionem 
pertinensj.  Die  Vergleiclmng  kann  sich  aber  selbst  auf  keine 
äussere  Aehnlichkeit  stützen.  Neukirch  beruft  sich^)  zu  Gun- 
sten seiner  Annahme  eines  römischen  Satyrdrama  auf  Athenäos, 
welcher  von  Sulla  berichtet^),  er  habe  oaivoLAag.  y^co/LKiiötag  ge- 
schrieben. Sulla's  „satyrische  Komödien"  werden  wohl  nur  sa- 
turische  gewesen  seyn,  Saturae  nämlich.") 

Den  vom  alten  Grammatiker  hervorgehobenen  Unterschied 
zwischen  Atellane  und  Satyrspiel  verwandelt  auchL.  F.  Schober^) 
in  eine  Aehnlichkeit  beider:  „Die  Atellane  hat  noch  die  Anwen- 
dung bestimmter  Cliaraktermasken  mit  dem  Satyr-Drama  ge- 
mein." Einmal  kann  von  stehenden  Localmasken  beim  griechi- 
schen Sat}Tdrama  gar  keine  Kode  seyn.  Und  hätte  es  solche  ge- 
habt, so  würde  daraus  die  Aelinlichkeit  des  Satyrdrama's  mit  der 
Atellane  so  wenig  folgen,  wie  dessen  Aehnlichkeit  mit  der  italie- 


1)  in,  :}29.  —  2)  a.  a.  0.  p.  78.  —  3)  de  Orig.  re.  scen.  Rom.  p.63. 
4)  de  fabula  togat.  p.  18  ff.  —  5)  VI,  261  C.  —  6)  Vgl.  Munck  p.  80  ff.  — 
7)  Ueb.  d.  atellan.  Schausjjiele  d.  Rom.  Leipz.   Ih25.  S.  IS. 

21* 


324  I^s-s  römische  Drama. 

nischen  Stegreifskomödie  auf  Grund  ihrer  stehenden  Masken,  Har- 
lekin, Pulicinell,  Pantalon  u.  s.  w.,  die  in  grader  Linie  von  jenen 
campauischen  Localtypen  abstammen.  Bekanntlich  hat  A.  F. 
Gori  in  der  auf  dem  Esquilinischen  Hügel  gefundenen,  im  Mu- 
seum des  Alessandro  Capponi  aufbewahrten  kleinen  bronzenen 
Groteskfigur  einen  oskischen  M accus  erkannt,  der  mit  dem  Nea- 
politanischen Pulicinell  eine  unverkeimbare  Aehnlicbkeit  hat;  auf 
jeden  Fall  eine  gTössere,  als  die  oskisch- römische  Atellane  mit 
dem  griechischen  Satyrdrama.  Dessgleichen  jene  auf  Pompeja- 
nischen  Vaseugemälden  häufig  vorkommende  Figur  in  einer  mit 
dem  Harlekins-Kostüm  übereinstimmenden  Tracht.  Verschiedene 
andere  solcher  Oskischen  Charaktermasken  sind  uns  noch  über- 
liefert: der  Bueco  z.  B.  Bucco  erklärt  Isidor  ^j  durch  gaiTulus, 
„Schwätzer,"  vom  Oskischen  Bucco,  das  „Schlauch"  bedeutet,  un- 
ser „Plaudertasche."  Ferner  Manducus  a  mandendo  „kauen"-), 
der  „Fresser."  Der  Maccus  und  Bucco  scheinen  in  manchen  von 
ihnen  betitelten  Stücken  die  Hauptrolle  gespielt  zu  haben.  Mac- 
cus Miles  z.  B.,  „Maccus  Soldat."  ^j  Macci  gemini,  „Die  beiden 
Maccus."'*)    Bucco  adoptatus^)  u.  s.  w. 

Was  aber  jeden  Vergleich  der  Atollauen  mit  dem  Sat}Tdrama 
zurückweist,  ist  die  melisch-orchestische  Form  des  letztern,  wäh- 
rend die  oskische  Posse  durchgängig  gesprochen,  anfangs  sogar, 
laut  Strabon's  Zeugniss '0,  oskisch  gesprochen  wurde:  i)  dicdsK- 
zog  /itevei  vcaQcc  xoiq  'ftofiaioig.  Erst  in  späterer  Zeit  nahm  die 
Atellane  ein  Canticum  auf'),  ähnlich  den  Couplets  des  fi-anzösi- 
schen  Vaudeville  oder  unserer  .Localposse.  Schober  bezweifelt*) 
die  Richtigkeit  von  Strabon's  Angabe,  aus  Gründen,  worunter  der 
annehmbarste:  „dass  in  den  Bruchstücken  der  Atellane  keine 
Spur  des  Oskischen  zu  finden  ist."  Allein  diese  Bruchstücke  rüh- 
ren von  den  spätem,  geschriebenen  Atellanen  her,  den  bereits 
verschöngeistigten  Atellanen  des  Novius,  Pomponius  u.  s.  w.  aus 
Sulla's  und  Cicero's  Zeit.  Audi  JMommscn  verwirft  Strabon's  No- 
tiz **;,  ohne  ihn  zu  nennen.     In  einer  Note'")  wird  die  ganze Os- 


1)  X,  p.  1070.  ed.  Putsch.  —  2)  Varro  d.  1.  lat.  p.  57.  —  3)  Charis. 
p.  99.  —  4)  Non.  Marcell.  p.  770.  —  5)  Das.  p.  571.  —  6)  V.  p.  203.  — 
7)  Suet.  Galb.  c.  13.  —  8)  a.  a.  0.  S.  20  f.  -  9)  R.  Gesch.  U.  S.  412.  — 
10)  Das.  S.  419. 


Die  oskische  Atellane.  325 

kerländschaft  in's  Reich  der  Fabeln  vei-wiesen  und,  wie  einst  ganz 
Italien  von  Metternich  zu  einem  „geographischen  Begriff,"  zum 
blossen  „poetischen  Schauplatz"  gemacht,  wohin  die  Römer  ihre, 
in  Latium  seit  Urbeginn  heimisclien  Atellanen  verlegt  hätten. 
So  hoch  uns  der  jüngste  deutsche  Geschichtschreiber  der  Römer 
steht,  so  darf  uns  doch  sein  Federstrich,  der  die  ganze  Osker- 
landschaft  sammt  Atellanen  aus  der  Karte  des  alten  Italien,  oder 
doch  zu  einem  blossen  „poetischen  Schauplatz"  streicht,  die  aus- 
drücklichen Zeugnisse  der  alten  römischen  Geschichtschreiber  nicht 
aufwiegen.  Des  Livius  z.  B.,  der  von  den  Atellanen  bemerkt: 
genus  ludorum  ob  Oscis  acceptum ;  oder  des  Valer.  Maximus ') : 
AteUani  ludi  ab  Oscis  acciti  sunt  u.  s.  w.  Allen  Respect  vor 
der  nachweltlichen  Geschichtskritik,  besonders  wenn  sie  mit  so 
grossem  Talent,  wie  vom  Verfasser  der  „Rom.  Geschichte"  geübt 
wird.  Nur  muss  diese  nachweltliche  Kritik  nicht  ihre  eigenen 
Quellen  vom  Dreifuss  zu  vorweltlichen  erklären;  oder,  wie  jener 
Schwabe,  glauben,  dass  sie  den  Strom  selbst  unterschlage,  wenn 
sie  der  Quelle  die  Hand  auf  den  Mund  legt.  Die  hochpreissliche 
Geschichtskritik  möge  daher  erlauben ,  dass  wir  von  ihrem  Aus- 
^spruch :  „Mit  der  oskischen  Nation  haben  die  Atellanen  nichts  zu 
thuu"  an  die  übereinstimmenden  Zeugnisse  des  Livius,  Valerius, 
Strabon  u.  a.  appelliren,  um  das  Zeugniss  des  Grammatikers  Dio- 
medes  ganz  aus  dem  Spiel  zu  lassen;  a  civitate  Oscorum  Atella, 
in  qua  primum  coeptae,  Atellanae  dictae  sunt.'^) 

Casaubonus  unterstützt  seine  Ansicht  3):  die  oskische  Atel- 
lane habe  sich  ursprünglicli  frei  von  Unanständigkeiten  erhalten, 
mit  hinreichenden  Citaten,  u.  a.  mit  dem^  Zeugniss  des  Val.  Ma- 
ximus: „Diese  ergötzlichen  Spiele  wären,  von  der  italienischen 
Strenge  im  Zamne  gehalten,  unbescholten  und  ohne  Makel  ge- 
blieben" (quod  genus  delectationis  italica  severitate  tempern  tum, 
ideoque  vacuum  nota  est).  Des  Valer.  Max.  Commentator,  der 
Jesuit  Cantel,  erklärt  jene  Bemerkung  dahin,  dass  die  Atellani- 
schen,  ursprünglich  oskischen  Fabeln,  ihrer  Abkunft,  als  „oskisch," 
entsprechend,  „obscön"  gewesen;  wären  aber  durch  den  „römi- 
schen Ernst"  gereinigt  worden.    Die  Ableitung  des  Wortes  Ob- 


1)  II,  4.  —  2)  m.  p.  487.  —  3)  De  Satyr,  gr.  etc.  U.  1. 


326  D^s  römische  Drama. 

scoenus  von  Oscus  ')  ist  eben  so  willkürlich  als  abgeschmackt  und 
eben  so  abgeschmackt  als  sie  der  Geschichte  der  AteUane  wider- 
spricht. Des  Valer.  „italiea  severitate"  ist  keineswegs  gleichbe- 
deutend mit  romana  severitas,  und  bezieht  sich  vielmehr  auf 
den  italienischen  Charakter  der  oskischen  Bevölkerung  selbst  und 
ihrer  scenischen  Spiele,  im  Gegensatz  zu  dem  Charakter  der 
Phlyaken-Posse  in  Grossgriechenland,  die  ebenfalls  stehende  Cha- 
raktermasken hatte,  die  wir  aber  in  die  sittenloseste  Bm-leske  aus- 
geartet fanden.  Einen  ähnlichen  Verlauf  nahm  die  römische 
Atellane.  Sie  verband  Kohheit  des  Ausdrucks  mit  den  schmu- 
tzigsten Anspielungen  und  Zweideutigkeiten.  Vell.  Paterc.-)  nennt 
sogar  den  Lucius  Pomponius,  der  den  Atellanen  einen  kunstge- 
mässen,  schriftstellerischen  Anstrich  gab,  verbis  rudern.  Die  mei- 
sten bruchstücklichen  Hinterlassenschaften  von  Pomponius  und 
Novius  sind  Koprolithen.  Ein  Paar  zur  Probe.  Aus  der  Atel- 
lane der  Macci  gemini  von  Pomponius ■*): 

Peru,  11011  puellula  est,  nam  quid  abscondisti  inter  nates  ? 

Aus  der  Porcaria^): 

Sciunt  hoc  oiimes,  quautura  est,  qui  cossim  cacant. 

Des  Festus  Bemerkung  •'•) :  frequentissimus  fuit  usus  Oscis  libidi- 
num  spurcarum  gilt  vorzugsweise  von  der  römischen  für  die  ge- 
bildete Welt  geschriebeneu  Atellane  in  Cäsars  und  der  Kaiser 
Zeit.  Es  war  die  rohe,  dreifüssige  Zote  (trisyllabo  pede)  frank 
und  frei;  aber  auch  frei  von  jeder  politischen  Verfänglichkeit 
oder  gar  Anspielung  auf  Staatsmänner  und  Personen  aus  patrici- 
schem  Geschleclit.  Ein  solches  Verbrechen  musste  schon  Naevius 
mit  Kerkerstrafe  büssen.  Wegen  eines  zweideutigen  Scherzes 
liess  Kaiser  Caligula,  der  ihn  auf  sich  bezog,  einen  Atellanen- 
Dichter  mitten  in  der  Arena  des  Amphitheaters  verbrennen.'') 
Das  ist,  bezüglich  der  Atellane,  die  romana  severitas,  die  der 
Jesuit  Cantel  lierausstreicht.  In  Koth  und  Blut  wälzte  sich  mit 
dem  kaiserlichen  Eom  auch  die  Atellane  und  der  spätere  Mimus, 
selbst  noch   im    christlich   kaiserlichen  Byzanz.    Tertullian  trägi 


n  Fest.  V.  Oscum.  p.  353.  ^   2)  II,  !l.    —   .3)  Non.  526.      -    4^  Das. 
505.  —  5)  a.  a.  0.  —  6)  Sueton.  Cal.  c.  27. 


Gesichtsmaske.  327 

durchaus  keine  zu  starken  Farben  auf,  wenn  er  von  der  Atella- 
nischen  Gesticulation  schreibt'):  „Ihr  ganzer  Reiz  ist  ein  Destil- 
lat von  Schmutz  und  Unzucht"  (sunima  gratia  ejus  de  spurcitia 
plurimum  concinnata  est,  quam  Atellanus  gesticulatur).  Die  per- 
sönliche Satire  dagegen  war  den  Dichtern  schwer  verpönt.  Schon 
eine  Verordnung  der  XII  Tafeln  setzt  Stockprügel  darauf  als 
Strafe:  si  qui  pipulo  occentasit,  Carmen ve  condisit,  quod  iufa- 
miam  faxit  flagitiumve  alteri,  fuste  feritor.-)  Auch  Cicero  beruft 
sich  auf  dieses  Gesetz.  ^)  Von  dem  Wink  des  Horaz  mit  der 
formidine  fustis  haben  wir  oben  Notiz  genommen. 

Nächst  der  Zotenfreiheit  hatten  die  Atellanenspieler  auch 
Maskenfreiheit,  d.  h.  das  Vorrecht,  mit  der  Gesichtsmaske  zu 
spielen,  was  die  Histrionen  der  Tragödie  und  Komödie  anfangs 
nicht  durften.  Roscius  war  der  Erste,  dem  die  Gesichtsmaske, 
aus  Rücksicht  auf  sein  Schielen,  gestattet  wurde:  Personis  uti 
primus  coepit  Roscius  GaUus  praecipuus  histrio,  quod  oculis  ob- 
versis  erat.  "*)  Daher  Messen  schon  zu  des  Naevius  Zeit  die  Atel- 
lanenspieler Atellani  personati,  von  dem  Rechte,  verlarvt  spielen 
zu  dürfen.'^)  Dabei  bemerkt  Festus:  „Die  Atellanenspieler  konn- 
ten, ihrem  Vorrechte  gemäss,  nicht  gezwungen  werden,  die  Maske 
auf  der  Bühne  abzunehmen,  was  sich  die  andern  Histrionen  (Tra- 
gödien- und  KomödienspielerJ  mussten  gefallen  lassen"  (quia  jus 
iis  non  cogi  in  scena  ponere  personam,  quod  caeteris  histrio- 
nibus  pati  necesse  est).  Bekanntlich  nahm  Jul.  Scaliger  ponere 
personam  und  pati  necesse  est  in  dem  Sinne,  dass  die  Spieler  der 
Tragödien  und  Komödien  die  Maske,  wenn  sie  ausgepfiffen  wur- 
den, abnehmen  mussten,  um  sich  in's  Gesicht  auszischen  zu  las- 
sen; während  die  Atellanenspieler  vor  einer  solchen  Schmach  durch 
ihr  Masken- Vorrecht  geschützt  waren.  Dagegen  erklärt  Stieve ") 
die  Steile  so:  Die  Atellanenspieler  konnten,  vermöge  ihres  Vor- 
rechts, nicht  gezwungen  werden,  sich  auf  der  Bühne  der  Maske 
zu  begeben,  wogegen  die  andern  Histrionen  ohne  Maske  zu  spie- 
len, sich  gefallen  lassen  mussten.  Welche  von  beiden  Erklärun- 
gen die  richtige  sey,  mag  dahingestellt  bleiben.    Jedenfalls  kann 


1)  De  spectac.  c.  18.  —  2)  August.  C.  D.  II,  9.  —  3)  Tusc.  IV,  2,  4. 
—  4)  Diomed.  III,  486.  —  5)  Fest.  p.  139.  —  6)  de  lud.  Seen,  prisoor. 
Roman.  1834.  p.  15. 


328  ^^^  römische  Draina. 

die  des  Scaliger  nur  von  den  Histrionen  nachRoscius,  undStieve's 
nur  von  denen  vor  Roscius  gelten.  Stieve's  Deutung  müsste  denn 
auf  Ausnahmefälle,  nach  Roscius,  zu  beziehen  seyn,  weim  es  näm- 
lich dem  Publicum  etwa  gelallen  hätte,  den  Histrio  ohne  Maske 
spielen  zu  sehen.  Diess  möchte  um  so  mehr  die  richtigere  Aus- 
legung von  Festus'  Angabe  scheinen,  als  Scaliger,  auf  Grund  einer 
Notiz  des  Macrobius'),  wo  von  Pantomimen  die  Rede  ist,  auch 
den  Zweck  des  Abnelimens  der  Maske,  um  sich  mit  unbedeck- 
tem Gesichte  auszischen  zu  lassen,  jener  Stelle  des  Festus  unter- 
schob, und  was  von  den  Pantomimen  galt,  auf  die  Histrionen,  auf 
die  Tragödien-  und  Komödienspieler,  übertrug. 

Das  Versmaass  der  Atellane  war  der  Tribrachische  Trimeter, 
wie  M.  Victorinus  angiebt-)  (trisyllabo  pede  et  maxime  tribracho). 
Ausser  diesem  Metrum  nimmt  Victorinus  3)  und  Terent,  Maurus^) 
den  katalektischen  und  akatalektischen  Tetrameter  in  Anspruch. 
In  den  erhaltenen  Bruchstücken  herrschen  sogar  die  letztern  bei- 
den Versalien  vor.^) 

Die  beiden  Hauptvertreter  der  geschriebenen,  in  eine  Art 
von  Kunstform  gebrachten  Atellane  sind  Pomponius  Bononiensis 
und  sein  Zeitgenosse  Novius.  Pomponius  Bononiensis  (aus 
Bononia=Bologna)  blühte,  nach  Casaubonus,  um  664  d.  St.  90  v. 
Chr.  Macrobius '';  nennt  ihn  egregimn  Atellauarum  poetam,  „einen 
vorzüglichen  Dichter  von  Atellanen."  Fronte''):  „zierlich  und  ele-. 
gant  im  Gebrauche  ländlich  scherzhafter  und  lustiger  Ausdrücke" 
(elegantem  in  verbis  rusticanis,  jocularibus  et  ridiculariis).  Die 
Hauptstelle  über  ihn  findet  sich  bei  Vellej.  Pat.**)  Vellejus  rühmt 
ihn  als  einen  „durch  sinnreiche  Erfindung  preiswürdigen,  in  seiner 
Ausdrucksweise  aber  rohen  (verbis  rüdem)  und  durch  die  Neuheit 
der  von  ihm  erfundenen  Gattung  von  Bühneuspielen  enipfeh- 
lenswerth":  et  novitate  inventi  a  se  operis  commendabilem.  Die 
Neuheit  besteht  in  der  kunstgemässen  Form,  die  er  der  Atellane 
gab,  indem  er  sie  der  Gestalt  der  Palliaten  und  Togaten,  der 
griechisch-römischen  Komödie  und  dem  römischen  Locallustspiel, 
näher    brachte.     Seine    Atellanen    stellten    das   Treiben    ganzer 


1)  Sat.  II,  7.  —  2)  II,  2527.  -  3)  UI,  2574.  —4)  p.  2436.  -  5)  Vgl. 
Schober.  S.  42.  —  6)  Sat.  VII,  9.  —  7)  ad  M.  Caes.  IV,  3.  p.  95.  ed.  Mai. 
—  8)  II,  9,  6. 


Die  geschriebene  Atellane.  329 

Stände  dar,  der  Hetären,  aruspices,  pictores,  piscatores 
(Fisch erj,  pistores  (ßäckerj,  Aerzte,  Winzer  (vinderaiatores), 
betrügerischen  Spieler  (aleones)  u.  s.  vv.  Pomponius  ver- 
setzte zuerst  den  Schauplatz  seiner  Stücke  vom  Lande  auch  nach 
Rom.  Seinen  oskischen  Masken  gab  er  mytliische  Personen  bei, 
im  Agamemnon  suppositus  z.  B.  In  Munck's  mehrerwähnter  Ab- 
handlung finden  sicli  auch  die  erhaltenen  Fragmente  aus  Pompo- 
nius' Atellanen'),  in  alphabetischer  Folge:  Adelphi,  Aeditum- 
nus,  Agamemnon  suppositus,  Agricola,  Aleones  (Wür- 
felspieler, wie  G.  Voss-)  annimmt,  eine  Nachahmung  der  v.vßev- 
val  von  Alexis),  Aruspex  etc.,  Bucco  adoptatus,  Decuma 
fullonis  (der  Walker-Zehnten,  Opfer-Zehnten),  GalliTransal- 
pini,  Lar  familiaris  (der  Hausgeist),  Maccus,  Macci  ge- 
mini, M accus  miles,  Maccus  Sequester  TMaccus  als  Ver- 
mittler), Maccus  virgo  (Maccus- Jungfrau),  Marsyas,  Medi- 
cus,Nuptiae,  Pappuspraeteritus  ^der  vergessene,  hintange- 
setzte Pappus),  Philosophia,  Pictores,  Piscatores,  Pro- 
stibulum  (Dirne),  Satira,  Sponsa  Pappi  (die  Braut  des  Pap- 
pus), Verres  aegrotus  (der  kranke  Eber).  Die  Fragmente  be- 
stehen, wie  gewöhnlich,  aus  verstümmelten,  meist  einzelnen  Ver- 
sen, oft  nur  einzelnen  Wörtern. 

Von  Cn.  Novius,  dem  Xunst-  und  Zeitgenossen  des  Pompo- 
nius, wissen  die  Antiquare  nichts  weiter  zu  berichten,  als  dass 
er  öfter  mit  dem  Cn.  Naevius,  dem  alten  Tragödien-  und  Komö- 
dien-Dichter, Zeitgenossen  des  Ennius,  verwechselt  worden.  Die 
Fragmente  seiner  Atellanen  stehen  bei  Munck  p.  170  — 184  von 
A  bis  Z  in  Reih'  und  Glied,  aber  mit  ausgerenkten,  aus  allen  Ge- 
lenken und  Bändern  gelösten  Gliedern: 

Agricola,  Andromache,  Asinius,  Bubulcus  Cerdo 
(der  Kuhhirt  als  Schuhflicker;,  Buccula,  Colax  (der  Schmeich- 
ler), Duo  Dosseni  etc.,  FuUones  (die  Walker),  Gemini,  He- 
taera,  Macci,  Maccus  Caupo  (Maccus  als  Schenkwirth), 
Maccus  exul  ^Maccus im  Exil),  Mortis  et  vitae  Judicium, 
vielleicht  eine  Nachahmung  von  Ennius'  Satire,  worin  dieser  eine 
Streitscene   zwischen   „Tod  und  Leben"  schildert) 3) ,   Pappus 


ly  p.  135—164.    -  2)  de  poet.  Lat.  p.  14.  —  3)  Qiünct.  Or.  EX,  2.  ut 
Mortem  ac  Vitam  quas  contendentes  in  Satira  tradit  Ennius. 


330  Das  römische  Drama. 

praeteritus,  Phoeuissae,  Sanniones  (die  Possenreisser), 
Vindemiatores,  Virgo  praegnans  (auch  Titel  eines  Mimus). 
Als  der  Mimus  und  die  Tabernarien,  letztere  eine  Art  Volks- 
komödie, welche  die  Sitten  der  untern  Stände  darstellte,  in  Mode 
kamen,  gerieth  die  Atellane  in  Verfall.  Von  ihi'em  Wiederer- 
wecker,  C.  Memmius,  ist  Näheres  nicht  bekannt.  (C.  Memmius 
post  Novium  et  Pomponium  artem  Atellaniam  diujacentem 
ressuscita^dt.) ')  Der  Grammatiker  Charisius  '^)  führt  von  ilim  eine 
Redensart  an  aus  der  Atellane  Junius:  Mommius  (Memmius)  in 
Atellaua  Junius.  Die  Ausgelassenheit  der  Atellanen  nahm  schon 
unter  Tiber  so  überhand,  dass  dieser  selbst  in  seinen  Lüsten  und 
Ausschweifungen  finstere  Despot  gegen  die  Atellanen  von  Staats- 
wegen einschreiten  und  die  Spieler  aus  Italien  jagen  liess.^)  Wahr- 
scheinlich aber  mehr  aus  persönlichen  als  aus  StaatsgTÜnden ;  wie 
man  vermuthet,  wegen  einer  vom  Publicum  mit  stürmischem  Bei- 
fall aufgenommenen  Anspielung  auf  den  alten  kaiserlichen  „Bock," 
welche  in  einem  Atellanischen  Nachspiele  vorkam.  ^)  Bald  aber 
sehen  wir  die  AteEanen  mit  erneuter  Wirksamkeit  auftreten.  Wie 
der  Pöbel  die  blutigen  Kampfspiele,  so  konnte  die  vornehme  Welt 
in  Rom  die  schmutzig  unzüchtige  Atellanenposse  nicht  mehr  ent- 
behren. Reich  und  Volk,  so  war  es  vom  Schicksal  bestimmt,  soll- 
ten an  Sulla's  Krankheit  zu  Grunde  gehen. 

Die  römische  Tragödie. 

Sie  tritt  in  zmefacher  Form  auf:  in  griechischer  Gestalt,  als 
griechisch-römische  Tragödie,  nach  griechischen  Vorbil- 
dern und  Fabelstoifen  von  Griechen  oder  Halbgriechen  bearbeitet 
(SemigTaeci  nihil  amplius  quam  graeca  interpretabantur)  •') ;  und  als 
eigentliche  römische  Tragödie  der  domestica  facta,  mit  Helden 
und  Fabelstoffen  aus  der  heimischen  Geschichte.  Von  ersterer 
(Crepidata,  vom  tragischen  Schuh,  crepida,  so  benannt)  sind,  aus- 
ser Seneca's  Tragödien,  blos  Bruchstücke;  von  der  zweiten,  prae- 
texta,  die  den  Namen  vom  römischen,  purpurverbrämten  Gewände 
(Praetexta;  hat,  nur  die  Octavia  des  Seneca  vorhanden,  und  selbst 
diese  lückenvoll  und  in  verschobener  Gestalt. 


1)  Macrob.  Sat.  X,  1.  —  2)  I.  p.  118.  —  3)  Tac.  Ann.  IV,  U.  —  4) 
Suet.  Tib.  c.  45:  Hircum  vetuluni  etc.  —  5)  Suet.  de  illustr.  gram.  1. 


Die  Crepidatae  des  Livius  Andronicus.  331 

Die  griechisch-römische  Tragödie. 

Ihren  Gründer  haben  mr  schon  in  dem  aus  Tarentum  nach 
Rom  geführten  Kriegsgefangenen,  Livius  Andronicus,  kennen 
lernen.  Livius  hiess  er  nach  seinem  Gebieter,  Li^^us  Salinator, 
dessen  Kinder  Andronicus  unterrichtete,  und  der  ihm  die  Freiheit 
schenlde.i)  Das  Chronologische  über  ihn  enthält  eine  Stelle  in 
Cicero's  Brutus."-)  Hiernach  wäre  Livius  Andronicus  514  d.  St., 
ein  Jahr  vor  des  Ennius  Gebm-t,  mit  seinem  ersten  Drama  in 
Rom  als  Schauspieler  und  Dichter  aufgetreten.  3)  Cicero  vergleicht 
den  Livianischen  Styl,  in  Beziehung  auf  dessen  üebersetzung 
der  Odyssee,  mit  den  Dädalischen  Bauten.  Von  den  Dramen 
des  Andronicus  TLiviae  fabulae)  meint  Cicero,  dass  sie  einer  wie- 
derholten Lesung  nicht  würdig  (non  dignas  quae  iterum  legantur). 
Ausser  Tragödien  soll  er  auch  Komödien  und  einen  Festgesang 
gedichtet  haben.  Als  „dreimal  neun  Jungfrauen'',  auf  Verordnung 
des  Oberpriesters,  dieses  Festlied  im  Tempel  des  Jupiter  einübten 
(544  d.  St.),  schlug  der  Blitz  auf  dem  Aventinus  in  den  Tempel 
der  Juno  Regina  ein.^) 

Von  Andronicus'  Tragödien  haben  sich  Titel  und  einzelne 
Verse  erhalten:  Achilles  (1  Vers),  Ajax  (l  Vers),  Aegisthus 
(etwa  ein  Dutzend  vereinzelter  Verse),  Andromeda  (1  V.),  Da- 
nae  (1  V.),  Equus  Trojauus  (das  trojanische  Pferd;  1[.,  V.), 
Hermiona  (1  V.),  Tereus  (4  zerstückelte  V.),  Juno  (4  Hexa- 
meter mit  jambischem  Endfuss)  und  noch  etwa  ein  Dutzend  Ein- 
zelverse aus  unbekannten  Dramen.  Sämmtliche  Fragmente  sind 
aus  Tragödien  nach  griechischen  Vorbildern,  die  gleichfalls  zu  den 
verschwimdenen  gehören,  mit  Ausnahme  von  Euripides'  Helene, 
deren  Nachbildung  ein  erhaltener  Vers  aus  des  Andronicus  gleich- 
namiger Tragödie  bekundet,  den  Avir  aber  bei  Otto  Ribbeck  %  so 
wie  auch  den  Titel  der  Tragödie,  Helena,  unter  den  Fragmenten 
vermissen.    Bei  Macrob.'^)  lautet  der  Vers  des  Andronicus: 

Tu  qui  peniiciisus  jjonti  Marin  alta  vclivola"): 

„Die  du  das  Meer  diircli messen,  das  seii'clwallende." 


1)  Euseb.  Cliroii.  n.  MDCCCXXX.  —  2)  18,  72.  —  3)  Vgl.  Tusc.  disp. 
I.  intpp.  Kühner.  —  4)  Liv.  XXVII,  37.  — -  5)  Tragic.  Romanor.  Reliq. 
Lips.  1852.  —  (J)  Sat.  VI,  5.   -  7)  Eurip.   Helen,  v.  87(5. 


332  I^^s  römische  Drama. 

Die  erwähnte  üebersetzung  der  Odyssee  von  Andronicus  ist  im 
altitalieuischen,  saturnischen  Sylbenmaass.  Niebuhr  meint,  An- 
dronicus habe  die  Odyssee  wohl  nur  „in's  Kurze  zusammengezo- 
gen, nicht  in  ihi-em  ganzen  Umfange  übersetzt."  Worauf  sich 
diese  Annahme  stützt,  bleibt  ein  historisches  Geheimniss. 

Cneus  Na  e  vi  US,  aus  Campanien.  Base')  nennt  ihn  einen 
„geborenen  Griechen."  Der  grösste  Theil  der  carapanischen  Be- 
völkerung sprach  aber  Oskisch.-)  Immerhin  kann  Naemis  als Halb- 
giieche  gelten.  Er  soU  im  ersten  punischen  Kriege  als  Soldat 
mitgefochten  haben.  3)  Seit  519  d.  St.  führte  er  Dramen  in  Kom 
auf  und  erwarb,  namentlich  als  Komödiendichter,  grossen  Kuf. 
Aus  Anlass  eines  politischen  Schmähgedichtes  gegen  die  mächtige 
Adelsfamilie  der  Meteller,  nach  Andern  wegen  einer  im  Geiste  des 
Aiistophanes  geschriebenen  Komödie,  welche  Angriife  auf  die  Me- 
teller enthielt,  erlitt  NaeAdus  Kerkerstrafe.  Von  den  Tribunen  be- 
freit, setzte  er  seine  Angiiffe  fort  und  wurde  desshalb  aus  Kom 
verbannt.  Er  starb  im  Exil  zu  ütica  gegen  550  d.  St.,  204  v.  Chr. 
Naevius  Comicus  Uticae  moritur  pulsus  Roma  factione  nobilium 
ac  praecipue  Metelli.^)  Für  seine  Tragödien  nahm  er  Aescliylos, 
Euripides  und  Anaxandrides  (der  einen  Anchises  geschrieben)  zum 
Muster.  Naevius  soU  zuerst  verschiedene  Fabeln  aus  Lustspielen 
der  neuen  attischen  Komödie  zu  Einer  Komödie  verflochten  ha- 
ben.-^) Hat  Naevius  wirklich  ein  Drama  Romulus  geschrieben"), 
das  Lange')  und  0.  Müller*^)  für  eine  Komödie,  Signorelli 0),  Neu- 
kirch ^^)  und  Regel  ^1)  für  eine  Tragödie  halten,  so  war  Naevius  auch 
der  Schöpfer  der  Praetexta  oder  Praetextata  ^fabularum  praetex- 
tarum).  Die  Fragmente  aus  seiner  Tragödie  Lycurgus  deuten 
auf  eine  freie  Behandlung  des  griechischen  (verlorenen)  Originals. 
Sein  Ausdruck  scheint,  von  Schwung  und  Kühnheit  abgesehen, 
auch  gewandter  und  geschmeidiger  als  der  des  Andronicus.  Ci- 
cero ,  der  die  Odyssee  des  letztern  noch  als  ein  rohes  Dädalus- 
werk  bezeichnet,  vergleicht  das  in  saturnischen  Versen  gedichtete 


1)  Rom.  Litteraturg.   S.  77.  §.  29.   —   2)  Niebuhr  R.  G.  I,  117.  —  3) 
Gell.  XVn,  21.  —  4)  Euseb.  n.  MDCCCX.  -  5)  Terent.  Andr.  prol.  v.  20. 

—  6j  Varro  L.  L.  VII.  107.   —   7)  Vind.  p!  14.  not.  18!  —  8)   zu  Varro 
Vn,   107.  —  9)  Stpr.  crit.  de  Teatr.  II,  p.  21.    --  10)  de  fah.  tog.  p.  62. 

—  11)  a.  a.  0.  p.  40. 


Cneus  Naevius  und  seine  Dramen.  333 

Epos,  „der  punische  Krieg"  (bellimi  Puuicum)  von  Naevius,  rück- 
siclitlich  des  Styls,  mit  einem  Erzbilde  von  Miron.  ^)  Naevius' 
Dramen  scheinen  sich  bis  in  die  Zeit  des  Horaz  auf  der  Bühne 
erhalten  zu  haben.  Horaz  ertheilt  ihm  das  Lob  eines  „fast 
Neuen" : 

Naevius  in  manibus  non  est  et  mentibus  haeret 

Paene  recens?-)  .  .  . 

,,Ist  nicht  Naevius  Allen  zur  Hand,  und  lebt  im  Gedächtniss 

Noch  wie  neu?"  .  .  . 

In  Ribbeck's  Reliq.  finden  wir  folgende  Titel  mit  den  ein- 
zelneu Yerszeilen  als  Bruchstücke  aus  Naevius'  Dramen  verzeich- 
net: Andromacha  (2  V.),  Danae  (11  vereinzelte  V.),  Equus 
Troj.  (IV.),  Hector  (proficiscens)  (2  Einzelv.),  Hesionafl  V.), 
Iphigenia  (1  V.),  Lycurgus  igegen  30  vereinzelte  V.).  Lust- 
spi.eltitel:  Agitatoria  (Treiber-Komödie),  Agricola  (der  Land- 
mann), Ariolus  (Weissager),  Buccula  'Grossmaul).  Carbonaria 
(Kohlenbrenner-Komödie)  u.  s.  w.  Wobei  jedoch  zu  beachten, 
dass  Naevius,  wie  schon  erwähnt,  oft  mit  dem  Atellanendichter 
Novius  verwechselt  worden ,  und  wohl  manche  dieser  Titel  auf 
Rechnung  des  Letztern  kommen  dürften.  Aus  unbestimmten 
Dramen  des  Naevius  sind  noch  etwa  ein  Dutzend  Versbröckel 
vorhanden.  Ausserdem  werden  ihm  zwei  Tragödien  mit  Fabel- 
stoifen  aus  der  heimischen  Geschichte  rPraetextae)  zugeschrieben: 
Clastidium^)  mit  einem  Vers,  und  der  schon  erwähnte  Romulus 
s.  Alimonium  Romuli  et  Remi,  das,  nach  einer  Angabe 
des  Donat^),  gespielt  wurde:  dum  in  theatro  ageretur.  Durch 
sein  Heldengediclit,  Bellum  Punicum,  darf  Naevius  auch  Anspruch 
auf  den  Ehrentitel  des  ältesten  Epikers  der  Römer  machen,  dem 
Virgil  manche  Wendungen  und  manche  Erfindung  entlehnt  hat.  ■') 

Quintus  Ennius.  Des  Andronicus  Landsmann,  zu  Rudiae, 
in  der  Nähe  von  Tarentum  (239  v.  Chr.)  geboren.  Er  soll,  als 
Genosse  des  Scipio  Aft-icanus,  den  zweiten  punischen  Krieg  mit- 
gemacht, dann  in  Sardinien,  unter  Torquatus,  als  Centurio  ge- 
dient   haben.      Von  Sardinien    nahm    ihn    Cato   mit    nacli   Rom. 

1)  Brut.  c.  18.  19.  -  2)  Ep.  U.  I.'v.  5^1'.  -  3)  Varr.  L.  L.  VII, 
107  u.  IX,  78.  —  4)  Donat.  in  Terent.  Adelph.  IV,  1,  21.  —  5)  Macrob. 
Sat.  VI,  4. 


334  ^^^  röinische  Drama. 

Nachdem  Ennius  aus  Aetolien,  wohin  er  den  M.  Fulvius  begleitet 
hatte  (565  d.  St.)  nach  Koni  zurückgekehrt  war,  bezog  er  den 
Aventiuischen  Hügel,  als  römischer  Bürger,  wo  er  sich  kärglich 
einrichtete  mit  einer  einzigen  Dienerin,  die  ihm  die  Wirthschaft 
besorgte.  ^) 

Ennius  war  der  erste  zum  römischen  Bürger  und  Dichter 
erhöhte  Grieche,  welcher  des  Umgangs  der  edelsten  Familien  ge- 
würdigt ward  und  der  öftentlicheu  Achtung  genoss.  Die  Scipio- 
nen,  deren  Thatenruhm  er  in  seinem  Heldengedicht  Scipio  besang, 
erwiederten  seine  poetischen  Verdienste  um  ihr  Haus  mit  ihrer 
staatsmännischeu  Freundschaft.  Sein  in  Hexametern  gedich- 
tetes Staatsepos:  Annales,  ein  umfassendes  Werk  in  18  Büchern-), 
das  von  der  Gründung  der  Stadt  bis  zu  den  jüngsten  Kriegen 
herabstieg,  umgab  das  kriegerisch-aristokratische  Eom  mit  einem 
fernhintragenden,  den  Geschichtsberuf  der  Kömer  und  die  Grösse 
der  vollbrachten  Thaten  weihenden,  pragmatisch-poetischen  Glo- 
rienschein. Ennius  lehrte  die  Römer  zuerst  die  Poesie  als  eine 
höhere  Eingebung  achten,  mid  sie  aus  Staatsgründen,  als  ein  Werk- 
zeug der  Kuhmesverherrlichung,  ehren.  Er  prägte  ihr  den  Cha- 
rakter einer  pragmatisch-aristokratischen  ürkundendichtung  auf, 
den  acht  römischen  Stempel,  den  die  wieder  gräcisirende  Epik 
Virgü's  verwischte.  Die  Richtung,  die  Ennius  der  römischen  Poesie 
auf  die  Zeitgeschichte  gab,  musste  sie  einhalten.  Nur  so  konnte 
eine  halbschürige .  heroen-  und  fabellose,  mythenbaare,  nachbild- 
nerische Dichtkunst  eine  römische  Nationalpoesie  schaÖen.  Sie 
konnte  es,  wenn  schon  mit  Preisgabe,  mit  herzhaft  freiwilliger 
Preisgabe  idealer  Gestaltung,  des  höchsten  Reizes  und  Zaubers 
fi-eilich  dichterischen  Bildeus,  ja  der  geistigen  Seele  der  Poesie.. 
die  aber  eiimaal  dem  römisclien  Geiste  versagt  blieb,  für  deren 
Mangel  die  gräcisirende  Form  nicht  schadlos  zu  halten  vermag; 
ilm,  im  günstigsten  Falle,  nur  verschleiert.  Ennius  hatte  sich  in 
den  Mittelpunkt  gleichsam  der  römischen  Anschauung  hineinge- 
leljt  und  hineinempfunden,  einer  Anscliauung,  welche,  der  fi-eien 
kunstbildnerischen    Phantasie    und    Mythengestaltung    entrathen, 


1)  Euseb.  n.  MD("(X"LXX.  Hieroii.  ('olunina  in  collect.  Fragin.  Ennii. 
—  2)  Suet.  de  ülustr.  granini.  2.  M.  Hoclie,  de  Ennian.  amiall.  l'raginin. 
Bonn.  1^39. 


Quintus  Eimius,  Bearbeiter  des  Euripides.  335 

das  Göttliche  selbst  pragmatisirt,  zu  blosser  Geschichtlichkeit  nie- 
derschwert,  und  dem  Staatszwecke  dienstbar  macht.  Aus  diesem 
Bewusstseyn  heraus  mochte  Ennius  sich  die  mythenlosen  Begriffe 
jenes  Euemeros  von  Messana  aneignen,  welche  in  seiner,  von 
Ennius  übersetzten  Schrift,  „das  heilige  Verzeichnisse  (Uga  ava- 
yQaq)rj)  den  menschlichen  Ursprung  aller  griechischeu  Götter 
aus  Tempelarchiven  zu  beweisen  vorgab,  und  dadurch,  wie  Plu- 
tarch ')  sich  ausdrückt,  die  Welt  entgöttei-te ;  eine  vollständige 
Gottlosigkeit  (/läoav  aihsozrjza)  über  die  Welt  verbreitete.  Hat 
doch  ähnlich  der  geschichtsstarre  Staatsgeist  der  römischen  Pa- 
tricier  die  religiöse  Disciplin  der  Etrusker  zu  politischen  Zwecken 
ihrer  regierenden  Kaste  verwendet  und,  durchaus  im  Sinne  des 
Euemeros,  die  tuskische  Dogmatik,  die  eine  theologische  Physik 
war  ^),  als  Geschichtshebel,  im  Dienste  ihrer  Herrschaftsinteresseu, 
wirken  lassen.  Ein  solches  Verständniss  des  römischen  Geistes 
bekunden  auch  andere  Schriften  des  Ennius:  sein  gastronomi- 
sches Poem  in  Hexametern  z.  B.;  eine  Bearbeitung  der  Hedy- 
pathetica  oder  Hedypathia  oder  Phagetica  des  Ai'chestratos  ^),  ein 
esskünstlerisches  Werk,  das  keinen  würdigern  Dolmetsch  als  den 
Ennius  finden  konnte,  von  dem  Horaz  sagt: 

Ennius  ipse  pater  numquam  nisi  potus  ad  arnia 
Prosiluit  dicenda  .  .  .  ^) 

„Urahn  Emiius  selbst,  nie,  ausser  berauscht,  zu  der  Waffen 
Hochruhm  sprang  er  hervor"  .  .  . 

Bekundet  femer  Ennius'  Vorliebe  für  Epicharmos,  mit  dessen 
Götter  und  Mythen  parodirender  Naturphilosophie  sein  „ E pi- 
ch armus"  die  patricischen  Geschlechter  Roms  bekamit  machte: 
eine  Blumenlese  aus  Epicharmos'  Schriften  in  Hexametern  und 
trochaischen  Tetrametern. 

Diese  gründliche  Erkenntniss  des  römischen  Geistes  und  sein 
vollkommenes  Aufgehen  in  demselben  beweist  Ennius  auch  als 
Tragiker,  indem  er,  vorzugsweise  auf  PJuripides  freigeistisi-hei- 
Tragik  fussend,  die  griechischen  Vorbilder  ins  Lateinische  nicht 


1)  Is.  et  Os.  ]).  IT.-)  Wytt.  -  2)  (h-cuzer,  Synib.  1.  S.  121,  ;j.  AuH.  — 
3)  Schneid.  J<]i)inietr.  J  ad  Aristot.  H.  A.  p.  LH.  Vgl.  Bernhardy  Grundr. 
d.   Rom.    Litt.    S.  17y.   Burmann,   Anthol.    lat.  lU,  135.      -  4)  Ep.  I,  19. 


336  I^^^  römische  Drama. 

sowohl  übertrug,  als  umsehmolz,  mit  Ausnahme  der  Medea,  die, 
nach  Cicero  i),  eine  wörtliche  üebersetzung  seyn  soll,  wahrschein- 
lich nach  einer  altern  Ausgabe  von  Euripides'  Medeia,  die  Ennius 
zur  Hand  gehabt. "')  Osann  dehnte  die  Voraussetzung  einer  er- 
sten Recension  auf  alle  Fragmente  des  Eimius  aus,  zu  denen 
sich  keine  griechische  Textstelle  in  den  vorhandenen  Tragödien 
wollte  finden  lassen.  3)  Auch  Boeckh  brachte  ein  Fragment  aus 
Ennius' Iphigenia  mit  Euripides'  angeblich  erster  aulid.  Iphigen. 
in  Verbindung,  weil  dasselbe  keiner  Stelle  in  dessen  vorhandener 
Iphig.  in  Aul.  entspreche.  Der  grosse  Godofredus  Hermann  nahm 
sogar,  auf  Grund  jener  Abweichungen,  Text- Verbesserungen  in 
Euripides'  Hecuba  vor.  Die  grossen  Gelehrten  dachten  nur  nicht 
bei  diesen  Voraussetzungen  an  jenes  Surrogat,  das  den  Römern 
von  der  Mutter  Natur  als  Ersatz  für  ursprüngliches  Kunstgenie 
verliehen  worden.  Wir  meinen  jenes  ümgestaltungs-,  ümwande- 
luugs-,  kurz  jenes  erstaunliche  Aneiguungstalent,  das  sie  nach 
allen  Richtungen  hin  bewährten  und  das  auf  dramatischem  Ge- 
biete Ennius  zuerst  im  vollsten  Maasse  walten  Hess,  der  sich 
selbst  ins  Lateinische,  so  zu  sagen,  umgearbeitet  hatte.  Sein 
ümgestaltungsgrundsatz  erstreckte  sich  bis  auf  die  Metra,  indem 
er  häufig  Trochäen  anwendet,  wo  das  griechische  Original  Jam- 
ben braucht. 

Ennius  starb  585  d.  St.  (169  v.  Chr.),  ein  Siebziger,  an  der 
Gicht.  Er  wurde  in  dem  Grabmal  des  Scipio  Afric.  (d.  ä.)  bei- 
gesetzt. '^)  Plinius  schreibt  ^),  der  ältere  Africanus  habe  die  Statue 
des  Q.  Ennius-  auf  sein  Grabmal  setzen  lassen.  Cicero  theilt  des 
Ennius  von  ihm  selbst  verfasstes  Epitaphium  mit''): 

Aspicite^  o.cives,  seuis  Enuii  imagini  fonnam. 

Heic  vestrum  panxit  maxuma  facta  patrum. 
Nemo  rae  lacrumis  decoret  iieque  funera  flctu 

Faxit.  Cur?    Volito  vivus  per  ora  virüiii. 
„Bürger,  betrachtet  des  Ennius  BUdiiiss,  des  greisen:  denn  Er  war's,    ' 

Der  den  unsterblichen  Euhni  euerer  Väter  besang. 
Niemand  weine  mir  nach  und  benetze  mit  Thränen  mein  Grabmal! 

Fragt  ihr  warum?    Weil  im  Mund'  ewig  der  Männer  ich  leb'." 

•  1)  de  lin.  I,  2,  4.  —  2)  Vgl.  Planck,  Qu.  Ennii.  Med.  Commentt.  il- 
lustr.  Gotting.  1&07.  4.  —  3)  Annall.  critt.  p.  79  «'.  —.4)  Euseb.  n.  MDCCCXL. 
-  5)  H.  N.   Vll,  31.         ü)  Tusc.  1,   15. 


Einiius   uiul  Enripides.  337 

Ovids  Aiisspmch:  Emiius  ingenio  maximus,  arte  rudis^y:  Ennius 
gross  durch  Genie;  roh  nur  und  dürftig  an  Kunst,  mag  als 
das  Urtheil  der  Schöngeister  des  verweichlicht  eleganten  Korn 
gelten,  im  „goldnen  Zeitalter"  ihrer  Poesie.  Das  goldene  Zeitalter 
der  Römer  aber  war  iln-  eisernes,  auch  hn  Drama.  Die  Frag- 
mente von  Ennius'  Schauspielen  kann  jeder,  wer  Lust  hat,  bei  0. 
Ribbeck,  in  ßothe's  -)  Sammlung  oder  bei  J.  Wahlen  ^)  aufsuchen. 
Wir  begnügen  uns  mit  Angabe  ilirer  Titel:  Achilles  (zehn 
ein-  und  zweizeihge  Bruchstücknummern),  Ajax  (2  V.),  Alcu- 
maeo  (lY  N.  13  V.),  Alexander  (X  N.  28  V.).  Androma- 
cha  Aechmalotis  (die  Kriegsgefangene  Andromache)  (XIII 
N.  30  Y.),  Andromeda  (VHI  N.  10  V.),  Athamas  (I  N. 
5  V.),  Chresphontes  (Vm  N.  15  V.),  Erechtheus  (EI  N. 
4  V.),  Eumeuides  (IV  N.  5  V.),  Hectoris  Lustra  (Hektors 
Sühne)  (XV  N.  22  V.),  Hecuba  (XI  N.  15  V.),  Iphigenia 
(in  Aul.)  (XI  N.  29  V.),  Medea  exul  (die  verbannte  Medea)  (XVI 
N.  36  V.),  Medea  (Athenieusis)  (I  N.  2  V.),  Melanippa  (VI 
N.  8  V.),  Nemea  (H  N.  2  V.),  Phoenix  (VHI  N.  11  V.), 
Telamo  (IX  N.  16  V.),  Telephus  (VIH  N.  10  V.),  Thy- 
estes  (XI  N.  17  V.).  Aus  unbestimmten  Dramen  (fcXIV  N. 
etwa  80  V.). 

Die  Uebereinstimmuug  des  Ennius  mit  den  religiösen  Vor- 
stellungen seines  griechischen  Vorbildes  mögen  ein  Paar  Stellen 
aus  den  Fragmenten  des  Telamo  darthun  (N.  1  u.  II  bei  0. 
Ribbeck  ^') : 

Ego  deüni  genus  esse  semi)er  dixi  et  dicain  coelitum, 

Sed  eos  non  curare  opinor,  quid  agat  humanuni  genus : 

Nam  si  curent,  bene  bonis  sit,  male  malis,  quod  nunc  abest. 

Immer  sagt'  ich,  sag'  es  fürder, 

Dass  im  Himmel  Götter  sind; 

Doch  nicht  wähn'  ich,  dass  um  Menschen 

Sie  sich  kümmern  und  ihr  Thun: 

War'  es,  ging  es  gut  den  Guten, 

Schlimmen  schlimm,  doch  ist's  nicht  so. 

Sunt  superstitiosi  vates  impudentesque  Arioli, 

Aut  inertes  aut  insani  aut  quibus  egestus  imperat. 


1)  Trist,  n,  424.  —  2)  Poett.  Latt.  Scenicc.  T.  V.  p.  33  ff.  —  3)  En- 
nianae  poesis  Keüq.    Lips.  1854.  —  4)  p.  44. 

U.  22 


338  I^äs  römische  Drama. 

Qui  sibi  semitam  non  sapimit,  alteri  monstrant  viam. 
Quibus  divitias  pollicentur,  ab  iis  diachmam  ipsi  petunt. 
Priester  und  Wahrsager  sind  nur  abergläubige  Schwärmer  oder 
Schamlose  Fas'ler,  Müssiggänger  theils,  theils  unverschämte  Thoreu  .  . . 
Sie  wissen  selbst  für  sich  nicht  Weg  und  Steg  und  weisen  Andern  doch  die 

gute  Bahn. 
Verheissen  Schätze  und  erbetteln  sich  nur  eine  Drachme  .  .  . 

M.  Pacuvius,  Schwestersohn  von  Ennius,  aus  Brundusium, 
geb.  533  d.  St.  Starb  im  Alter  von  90  Jahren  zu  Tarentum,  wohin  er 
sich  aus  Eom  zurückgezogen,  nach  einem  der  Malerei  und  der 
dramatischen  Dichtung  gewidmeten  Leben.  Unter  seinen  12  Tra- 
gödien waren  Autiopa  und  Dulorestes  hochberühmt.  Varro  ^)  hebt 
seine  Fülle  und  Fruchtbarkeit  hervor.  Horaz  sagt  von  ihm :  aufert 
Pacuvius  docti  famam  senis"^):  „Pacuvius  trägt  den  Euhm  des 
gelehrten  Greises  davon."  Auch  Quinctilian  preist  ihn  als  den 
„Gelehrten",  ^j  Mit  der  gi'össten  Kühnheit  in  Bildung  von  Wort- 
formen und  Zusammensetzungen  verband  Pacuvius  künstliche  Ver- 
schlingung der  Satzglieder  und  Perioden.-^)  Darauf  mochte  Ci- 
cero zielen,  wenn  er  die  Ausdrucksweise  des  Pacuvius  riigt^): 
male  locutum.  Ausser  Tragödien  wurde  ihm  eine  Satura  beige- 
legt, dergleichen  auch  Ennius  gedichtet.  Ueber  des  Pacuvius' 
Dulorestes,  eine  Nachbildung  von  Euripides' Iphigenia  aufTau- 
ris,  hat  der  Lyriker  H.  Stieglitz,  Dichter  der  „Bilder  des  Orients", 
eine  gute  Doctor-Dissertation  geschrieben  (1826). 

Antiopa  (Kibb.  XIV,  16).  Nach  Cicero*^)  eine  wörtliche 
üebersetzung  von  Euripides'  verloren  gegangener  Antiope.  Cicero 
zählt  die  Tragödie  zu  den  trefflichsten  und  edelsten.  Der  Sati- 
riker Persius  nennt  die  Antiope  des  Pacuvius  vemicosa  '  j,  „voller 
Warzen",  wormiter  er  altei-thümliche  Auswüchse  versteht.  An 
dergleichen  Warzen  fehlt  es  auch  dem  Persius  nicht. 

Armorum  Judicium  (Waftengericht.)  (R.  XVI.  18).  Nach 
Aeschylos.^) 

Atalanta  (R.  XXIII.  28).  Die  im  Wettrennen  von  Hip- 
pomenos  ersiegt  ward. 


1)  Bei  Gell.  VII,  14.  —  2)  Ep.  II,  1,  55  f.  ~  3)  X,  I,  97.  —  4)  I,  5, 
7ü,  Auct.  Ehet.  ad  Herenn.  IV,  7.  —  5)  Brut.  c.  74.  —  6)  fin.  I,  2.  4.  — 
7)  I,  77.  —  8)  Welcker,  gr.  Trag.  1369iF. 


Pacuvius.  339 

Chryses  (XXI.  34.)  N.  VI: 

„Schau  um  dich,  über  dich,  was  rings  die  Erd 

Umschliesst,  bei  uns  das  Coelum  wird's  genannt, 

Die  Griechen  heissen's  Aether.    Was  da  ist 

Der  Himmel  ist's,  der  es  belebt  und  bildet 

Und  wachsen  macht ;  der  Alles  auch  begräbt 

Und  in  sich  fasst,  der  Vater  ist  des  Alls  — 

Die  Erd  ist  Mutter,  sie  gebiert  den  Lei!), 

Und  dem  vermählt  der  Aether  dann  die  Seele. 

Von  dorther  stammt,  was  da  geworden  ist, 

Und  was  da  war,  da  ging  es  unter  auch." 

Hoc  vide  circum  supraque  quod  complexu  continet 

Terram  .  .  . 

Id  quod  nostri  coelum  memorant,  Graji  perhibent  Aethera, 

Quidquid  est  hoc  omnia  animal  format  alit  äuget  creat, 

Sepelit  recipitque  in  sese  omnia,  omnium  quidera  est  pater.  etc. 

Chryses  war  der  Halbbruder  von  der  Cliryseis,  der  Kriegsgefange- 
nen Agamemuon's,  und  Hoherpriester  des  ApoUon  in  Sminthe, 
dort  wurde  er  von  dem  aus  Taurien  entflohenen  Geschwisterpaar 
erkannt. 

Du  1  Orestes  fXXXII.  42).  Der  Name  ist  eine  Zusammen- 
setzung aus  dovlog  (Sklav)  und  Orestes,  der  wahrscheinlich  in 
dieser,  der  Iphigenia  auf  Tauris  nachgebildeten  Tragödie  als 
Sklave  verkleidet  auftrat.  Oder,  wie  Andere  wollen:  Dolorestes, 
von  dVUoc  „List"  „Betrug",  wegen  der  Täuschung,  die  Orestes 
dem  Thoas  spielte,  um  das  Bild  dem  Thoas  zu  entführen.  Ci- 
cero spricht  von  der  Aufführung  des  Stückes  und  dem  rauschen- 
den Beifall,  der  demselben  zu  Theil  ward. ') 

Hermio  na  (XXIV.  28).     Nach  Sophokles. 

Rio  na  (XVIH,  26).  Worin  des  Polydorus  Schatten  der 
schlafenden  Iliona,  seiner  Schwester  und  Gemahhn  des  Polymne- 
stor,  erscheint.  Von  dem  Schauspieler  Fusius,  der  im  Rausch  die 
schlafende  Iliona  verschlief,  spricht  Horaz  ■) : 

.     .     .     Fusius,  da  er  trunken 

Einst  die  Iliona  schlief,  und  wenn  ('atienen^)  zu  Tausend 

,, Mutter,  vernimm  mein  Wort!"  ausriefen     .     .     . 

Medus  (XXIV.   23).     Sohn   der  Medea  von  Aegeus.     Mit 

1)  Lael.  7,  24.—  2)  Sat.  11,  3.  tiü  tt".  —  3)  Catienus,  ein  Schauspieler  mit 
einer  Donnerstimme. 

22* 


340  ^^^  rümische  Drama. 

einem  von  Medea  ihm  gereichten  Schwerte  erschlug  Medus  den 
Perses,  der  sich  den  Thron  von  Medus'  Grossvater  Aeetes,  König 
zu  Kolchis  angemaasst  hatte,  und  nahm  das  Reich  als  sein  Erbe 
in  Besitz.  Bei  Pacuv.  heisst  Absyrtus,  Medea's  Bruder,  Aegialeus.  i) 
Niptra  (XI.  25).  Nach  Sophokles.  „Das  Waschwasser", 
zum  Fussbad  des  heimgekehrten  Odysseus.  Gegenstand  der  Tra- 
gödie ist  die  unfreiwillige,  mit  einem  Kochenstachel  als  Pfeilspitze 
bewirkte  Verwundung  des  Odysseus  durch  seineu  mit  der  Circe  er- 
zeugten Sohn,  Telegonus.    (N.  IX.  S.  92.): 

Ulysses  (zum  Chor)  „Haltet  mich,  haltet!   Mich  verzehrt  das  Geschwür. 

Entblösst  mich,  o  mir!  Mich  vernichtet  die  Qual! 

Verlasst  mich,  gehorcht,  lasst  mich  allein! 

Jede  Berührung,  jede  Betastung, 

Weh!  sie  verdoppelt  den  wüthenden  Schmerz! 
Ulixes.   Retiuete,  tenete!  opprimit  ulcus. 

Nudate!  heu  miserum  me,  excrucior! 
Operite,  abscedite  jamjam. 
Mittite,  nani  attractu  et  qüassu 
Saevum  amplificatis  dolorem. 

Doch  wird  auch  gleich  der  obligate  römische  Dämpfer  auf  diesen 
heroischen  Schmerzensausdruck  Sophokleischer  Tragik  gesetzt,  die 
der  Halbgrieche  Pacuvius  seinen  Römern  ins  römische  Helden- 
pathos, d.  h.  in's  Stoische  des  Schmerzverwindens  umtragiren 
musste  (N.  X.): 

,, Still  beklagen  darf  sein  Schicksal 
Doch  bejammern  nicht  der  Mann; 
Also  ziemt  es  ihm;  denn  Thränen 
Sind  des  Weibes  Eigenthum"  .  .  . 

Aber  auch  der  Tragödie,  gelehrter  Greis! 

Conqueri  fortunam  adversam,  non  lamentari  decet, 
Id  viri  est  officium,  fletus  muliebri  additus. 

Muss  solche  Römer -Tragik  nicht  jedes  Mitleid  sich  alles  Ern- 
stes verbitten?  Und  was  ist  eine  Tragik  ohne  Mitleid?  Si  fra- 
ctus  illabatur  oi'bis  impavidum  ferient  ruinae  —  unter  diesem  er- 
habenen Zeichen  unbeugsamen  Römersinnes  mögen  die  Seneca 
und  grossen  Corneille  siegen;  eine  tragische  Mitleidszähre  fliesst 
unter  solchem  Zeichen  nicht. 

1)  Cic.  de  N.  Deor.  III,  19. 


Attiu.s.  341 

Pentheus.  Ohne  Nummer;  ohne  Bruchstück.  Eine  Ei-wäh- 
nung  von  dieser  Tragödie  des  Pacuvius  findet  sich  bei  Servius^), 
nebst  Angabe  der  Fabel,  die  wir  aus  Euripides'  Bakchae  kennen. 

Fe riboea  (XXVIII.  38).  Mutter  des  Ajax,  den  die  von 
ihrem  Vater  verfolgte  und  als  Sklavin  verkaufte  Gemahlin  des 
Telamon  auf  der  Insel  Salamis  gebar.  Ribbeck  ^)  hält  diese  Tra- 
gödie für  eine  Nachbildung  des  Oeneus  von  Euripides. 

Teucer  nach  Sophokles. 3) 

Aus  unbestimmten  Dramen  enthält  die  Fragmentensammlung 
noch  LX  Nummern  mit  etwa  70  V. 

Von  Pacuvius'  Praetexta:  Paulus  (Aemilius)  sind  4  Verse 
(N.  IV.)  übrig. 

Lucius  Attius.  Geb.  um  584  d.  St.  Aus  seinem  Leben 
ist  nichts  bekannt,  als  dass  er  zu  Tarent  dem  hochbejahrten  Pa- 
cuvius seinen  Atreus  vorlas.'*)  Wie  den  Pacuvius  Gelehrsamkeit 
und  Frachtbarkeit,  so  zeichnete  den  Attius  Geisteshoheit,  Schwung 
und  Erhabenheit  aus:  Aufert  Pacuvius  docti  famam  senis,  Attius 
alti;  „Attius  (oder  Acciusj  heisst  der  erhabne."  Aehnlich  Ovi- 
dius.'^)  und  Quinctil.'*)  Er  strebte  dem  Aeschylos  nach,  dessen 
befreiten  Prometheus  er  iu's  Lateinische  übertrug.  Das  einzige 
daraus  erhaltene  Fragment^)  haben  wir  bei  Besprechung  von 
Aeschylos'  befreitem  Prometheus  mitgetheilt.  Aus  dem  Titel  Ae- 
neadae  (s.  Decius)  wollte  Stieglitz  S)  eine  trilogische  Composition 
vermuthen.  Aeneadae  und  Antenoridae  waren  aber  nur  gemein- 
same Titel  für  verscliiedene  Stücke  aus  der  römischen  Geschichte. 
Zugleich  beschäftigte  sich  Attius,  der  Aeschylos  der  Römer  und 
ihr  gi-össter  Tragiker '0,  mit  der  Theorie  seiner  Kunst,  wie  So- 
phokles. Ausser  einer  Geschichte  der  dramatischen  Poesie,  Di- 
dascalia  in  raehrern  Büclieru,  schrieb  Attius  auch  ein  Werk  über 
dramatische  Kunst  unter  dem  Titel  Pragmatica.**^) 

Achilles  (III,  3j  nach  Aeschyl.,  Myrmidones  iIX.  \1)  nach 
Aeschyl.,  Aegisthus  (V.  6.),  Clytämnestra  (X.  11)  n.  Aeschyl, 
Agaraeranonidae  (II,  5),  Erigona  (VII,  7)  n.  Sophokles, 
Alcestis    (1  V.j,    Alcumaeo   (VIII,  11),   Alphesiboea  (IX, 

1)  Aen.  IV,  469.  2)  S.  297.  —  3)  Welcker  a.  a.  0.  -  4)  GeU.  XIH, 
2.  Euseb.  n.  MDCCCLXX.  —  b)  Amor.  I,  15.  —  6)  V,  13.  -  7)  Cic. 
Tusc.  II,  10.  —  8)  Dulor.  p.  71.  —  9)  VeU.  P.  I,  17.  —  10)  Mercerus  zu 
Non.  M.  p.  134. 


342  ^^^  römische  Drama. 

10).  Diese  hält  Bothe  ^)  mit  Alciimaeo  für  eine  und  dieselbe 
Tragödie  und  vermuthet  als  Inhalt  Alkmäon's  Ermordung  durch 
die  Söhne  des  Phegeus.  Amphitruo  (XIII,  15)  nach  Sophokles'^), 
Persidae  (I.  2)  n.  Aeschylos,  Andromeda  fXV.  18)  u. Sophokles, 
Antenoridae  (V.  7)  n.  Sophokles,  Deiphobus  (V.  8),  Antigone 
(VI. 8)  n.  Sophokles,  Armorum  Judicium  (XV.  16)  n.  Aeschylos, 
Astyan  ax  (Xllt.  21  j  n.  Sophokles,  Atreus  (XIX.  32)  n. Sophokles, 
Bacchae  (XIX.  20)  n.  Euripides,  Chrysippus  (V.  6)  n.  Sophokles, 
Diomedes  (Xu.  14),  Epigoni  (XVI.  20)  n.  Euripides,  Eriphyla 
(1  V.)  n.  Sophokles,  Erinausimacha  (XVII.  20),  Eurysaces 
(XXIII.43)n.Sophokles,Hecuba(lV.jn.  Euripides,  Hellen  es  (in. 
5)  n.  Sophokles,  Medea  (XIII.  43)  n.  Euripides,  Meleager  (XVII. 
20)  n.  Sophokles,  Neoptolemus  (XIII.  13)  n.  Sophokles  (Polyxene), 
Nyctegresia  (X.IO).  Der  nächtliche  Fürstenrath.  Fabel  des  Rh  esos. 
Oenomaus  (X.  20)  n.  Sophokles,  Pelopidae  (H.  7)  n.  Sophokles, 
Philocteta  (XXI.  45)  n.  Aeschylos,  Phinidae  (IX.  12)  n.  Ae- 
schylos, Thebais  (I.  2)  n.  Euripides,  Telephus  (XV.  23)  n. 
Aeschylos,  Tereus  (IX.  14)  nach  Sophokles. 

Aus  unbestimmten  Dramen  (XLI.  34). 

Praetextae  von  Attius  werden  genannt :  Aeneadae  s.  De- 
cius  (Xn.  15.).  Inhalt:  Des  Decius  Opfertod  fürs  Vaterland. 2) 
Die  Bruchstücke  hat  Ribbeck  'j  zu  einem  vollständigen  Fabel- 
Skelett  mit  osteologischem  Geschick  verbunden. 

Brutus  (V.  25).  N.  1.  (Rib.  S.  239): 

Tarquiuius  (Superbus). 

Wie  ich  zu  Nacht  den  Leib  East  halten  Hess, 
Durch  Schlaf  die  müden  Glieder  zu  erquicken: 
Da  war  es  mir  im  Traum,  als  trieb  zu  mir 
Ein  Hirte  seine  trefflich  schöne  Heerde. 
Zwei  Störe  wählt'  ich  d'raus,  in  deren  Adern 
Ein  Blut  geflossen,  und  den  besseren, 
Den  schlachtet'  ich.    Sein  Bruder  rennt  darauf 
Mit  seinen  Hörnern  gegen  mich,  und  wirft 
Zu  Boden  mich  mit  einem  Stoss,  dass  ich 
Im  Staube,  rücklings,  schwer  verwundet  lag. 
Und  da  sah  ich  ein  wunderbar  Ereigniss 


1)  Rhein.  Mus.  1836.  S.  2.52.  —  2)  Welcker  a.  a.  0.    -   3)  Liv.  X,  27. 
—  4)  S.  350. 


Des  Attius  Praetesta:  Brutus.  343 

Am  Himmel,  denn  der  Sonne  Feuerball 
Zerschmolz  und  ging  rechtwärts  in  andre  Bahn. 
N.  n.: 

Ein  Augur.     König!  wenn  was  der  Mensch  im  Leben 

Handhabt,  denket,  sorgt  und  schaut, 

Was  er  wachend  thut  und  treibt, 

Wenn  ihm  das  erscheint  im  Traum, 

Ist's  kein  Wunder.    Doch  ist  diessmal 

Deutungslos  nicht  dein  Gesicht. 

Drum  hab'  Acht,  ob  den  du  blöde 

Achtest,  und  dem  Vieh  kaum  gleich, 

Ob  er  nicht  im  wackern  Busen 

Hohen  Weisheitssinn  bewahrt, 

Dass  er  dich  vom  Thron  nicht  stosse.  — 

Was  du  an  der  Sonne  sahst. 

Deutet  an,  dass  nahen  Wechsels 

Harren  mög'  das  Eömervolk.  — 

Mag's  dem  Volk  zum  Heü  gedeihen!  — 

Denn  dass  rechtwärts  seinen  Lauf 

Nahm  von  links  das  stärkre  Zeichen, 

Deutet  Günstiges  uns  an; 

Dass  in  Herrlichkeit  vor  allen 

Blühen  wii'd  das  Römervolk.  — 
N.  in.  Volk.   Wer  uns  am  besten  hat  berathen. 

Der  steh  als  Haupt  auch  an  des  Volkes  Spitze. 
N.  IV.     TuUius,  der  fest  gegründet 

Hat  dem  Bürger  Freiheit,  Recht. 
N.  V.     Lucretia.     In  stürmischer  Nacht  kam  er  in  unser  Haus. 
Tarquin.     Quum  jam  quieti  corpus  nocturno  impetu 

Dedi  sopore  placans  artus  languidos: 

Visum  est  in  somnis  pastorem  ad  me  adpellere 

Pecus  lanigerum  eximia  pulcritudine, 

Duos  consanguineos  arietes  inde  eUgi 

Praeclarioremque  alterum  immolare  me. 

Deinde  ejus  germanum  cornibus  conitier 

In  me  arietare,  eoque  ictu  me  ad  casum  dari: 

Qui  prostratum  terra,  graviter  saucium, 

Resupinum  in  caelo  contueri  maxumum 

Mirificum  facinus:  dextrorsum  orbem  flammeum 

Radiatum  solis  liquier  cursu  novo. 
N.  n.  (Augur)  Rex,  quae  in  vita  usurpant  homines,  cogitant  curant  vident 

Quaeque  agunt  vigilantes  agitantque,   ea  si  cui  in  somno 
accidunt, 

Minus  mirum  est,   sed  di  rem  tantam  haud  temere  im- 
proviso  offeiiint. 


344  ^^^  römische  Drama. 

Proin  vide,   ne   quem    tu   esse  hebetem  deputes  aeque  ac 

pecus, 
Is  sapieutia  munitum  pectus  egregie  gerat 
Teque  regno  expellat:   nam  id  quod  de  sole  ostentum  est 

tibi, 
Populo  comniutationem  rerum  protendit  fore 
Perpropinquam.  Haec  bene  verruncent  populo!  Nam  quod 

dexterum 
Cepit  cursum  ab  laeva  signum  praepotens,  puloherrume, 
Auguratum  est  rem  Eomanam  publicain  sommam  fore. 
N.  in.  (Populus)  .  .  .  Qui  recte  consulat,  consul  elucet. 

N.  IV.    Tullius,  qui  libertatem  civibiis  stabüiuerat. 
N.  V.  Lucretia.   Nocte  intempesta  nostram  deveiiit  domum. 

Das  sind  die  fünf  Tragiker  Roms,  aus  der  Zeit  der  Republik ; 
aus  dem  eisernen  Zeitalter  Roms,  das  aber  in  Wahrheit,  wie  schon 
bemerkt,  sein  goldenes  war,  ähnlich  jenem  Stabe,  den  der  Grün- 
der dieser  Republik,  Marcus  Brutus,  dem  Delphischen  Apoll  weihte 
und  der  in  einer  Schale  von  hartem  Eichenholz  eine  Stange  barg 
von  gediegenem  Golde.  Einen  sechsten  Dichter  dieser  Periode, 
M.  Atilius,  dessen  Electra,  eine  üebertragung  der  Sophoklei- 
schen  Elektra,  Cicero  ablehnt,  nennt  er,  mit  Berufung  auf  Lici- 
nius,  ferreum  scriptorem  ')»  „einen  eisernen  Schriftsteller",  welcher 
danach  also  nur  von  aussen  jenem  Brutusstabe  glich,  und  den 
Bernhardy  denn  auch  als  „ungeniessbar"  zum  alten  Eisen  wirft '-) 
—  den  Tragiker  Atilius  nämlich;  als  Komödiendichter  lässt  ihn 
auch  Bernhardy  gelten.  Aus  jenen  fünf  Grundsäulen  der  repu- 
blicanischen  Römertragödie,  unter  deren  Scherbenhügel  sie,  als 
ihre  eigenen  Grabstelen,  halb  verschüttet  trauern,  ragt  M.  Attius, 
römischen  Geschmacksrichtern  zufolge,  hoch  hervor.  Vellejus  be- 
zeichnet ihn  als  Gipfel  der  römischen  Tragödie  ^) ;  Columella  weist 
dem  Attius  neben  Virgil  die  höchste  Stelle  an.^)  Quinctilian 
preist  Attius  ^),  und  nächst  ihm,  Pacuvius,  als  die  beiden  an  ge- 
diegener Spruchweisheit,  Gewicht  der  Worte  und  Schwergehalt 
der  Charaktere  bedeutendsten  Tragiker. 

Von  den  Tragödien  aus  dem  „goldenen  Zeitalter"  der  ersten 
Kaiser,  namentlich  aus   der  goldnen  Zeit  des  Kaisers  Augustus, 


1)  Fin.  I,  2.  —   2)  Rom.  Litt  S.  181.   —  3)  II,  6.   —   4)  De  re  rust. 
praef.  —  5)  X,  I,  97. 


Asinius  Pollio.  345 

der  bekanntlich  sein  Leben  als  eine  lustige  Farce  mit  einem  plau- 
dite  schloss,  sind  von  den  üeberbleibseln  selbst  nm-  wenige  küm- 
merliche Brocken  für  den  Ranzen  der  Antiquare  abgefallen.  C. 
Asinius  Pollio,  einer  der  gefeiertesten  Redner  und  Tragödien- 
dichter jener  Zeit,  hat  nicht  einmal  die  Eine  Klaue  liinterlassen, 
aus  welcher  ein  Welcker,  dieser  Cuvier  dramaturgischer  Fossil- 
knochen, den  ganzen  Löwen  hätte  herstellen  können.  Nicht  ein 
Vers  von  Asinius  Pollio's  Tragödien  ist  dem  Untergang  entrissen. 
Asinius  Pollio,  dessen  Dichtungen  Vü'gil  als  die  einzigen  besingt, 
die  des  Sophokleischen  Kothurns  würdig  ^): 

Sola  Sophocleo  tua  carmma  digna  cotliurno. 

und  für  dessen  tragischen  Trimeter  Horatius  Zeugniss  ablegt  -) : 

„Pollio  dein  senarischer  Vers  sind  Thaten  der  Grossen." 

Pollio  regum 
Facta  canit,  pede  ter  percusso  .  .  . 

Nicht  ein  Riemlein  von  diesem  Kothurn,  nicht  ein  Bein  von  die- 
sem senarischen  Dreifuss  ist  auf  uns  gekommen.  Was  von  Asi- 
nius Pollio  zu  sammeln  und  aufzutreiben  war,  hat  sein  BiogTaph, 
der  Holländer  Thorbecke,  gemss  aus  allen  Ecken  und  Enden  zu- 
sammengetragen mit  heissem  Bemühen;  aber  nach  einem  Bruch- 
stück aus  einer  Tragödie  des  Pollio  sieht  man  sich  selbst  in 
Thorbecke's  Schrift  ■'')  vergebens  um  — Halt!  ein  Splitterchen  doch 
erhascht!  In  des  Charisius  (410  nach  Chr.)  gram.  lat.  ed.  Putsch, 
p.  77.  glücklich  aufgestöbert:  „Veneris  antistita  Cupras"  fCjqn'iae). 
Welcher  Fund !  0  Oder  weiss  Masson  in  seiner  Vita  Ovidii  von 
einem  dritten  Verse  etwa  zu  den  zwei  einzigen  aus  Ovid's  Medea 
unter  den  Fragmenten  aufbewahrten  Versen?  aus  Ovid's,  von 
Quinctilian '')  so  hoch  gepriesener  und  über  Alles,  was  Ovid  ge- 
dichtet, gerühmter  Medea? 

..Gleich  einer  Gottverzückten  schweif  ich  hin  und  her" 

Feror  huc  illuc  ut  plena  deo. 

„Erhalten  könnt'  ich  dich,  ob  ich  verderhen 

Dich  kann,  fragst  du?"  .  .  . 


1)  Ecl.  Vm,  10.  —  2)  Sat.  I,  lü,  50f.  —  3)  de  Asinü  PoUion.  vita 
ac  studiis  doctrin.  Lugd.  Batav.  1820.  —  4)  das.  p.  125.  —  5)  X,  I,  98. 
Tacit.  Dial.  12. 


346  ^^^  römisclie  Drama. 

Mehr  über  Ovid's  Tragödie,  Medea,  hat  auch  Masson  nicht  von 
dem  Teiresias  in  der  Fragmenten-Nekjia  erkunden  und  erforschen 
können ;  geschweige  dass  er,  in  Betreff  der  sonstigen  Dramen  des 
Ovidius,  von  dem  Thebanischen  Seher  Winke  erhalten  hätte.  Denn 
dass  Ovid  mehr  als  ein  Theaterstück  gedichtet,  vernehmen  vrir 
aus  seinem  eigenen  Munde  ^): 

Et  mea  sunt  populo  saltata  poemata  saepe. 

Und  vor  dem  Volke  wie  oft  nicht  tanzte  man  meine  Poeme. 
Und  2): 

Carmina  quod  pleno  saltari  nostra  theatro 
Versibus  et  plaudi  scribis  amice  meis. 

,,Unsre  Gesäuge,  so  schreibst  du,  tanzt  man  bei  vollem  Theater; 
Beifall,  schreibst  du  mir,  Freund,  klatsch'  auch  den  Versen  das  Volk." 

Vom  gepriesenen  Thyestes  des  Varius  Rufus,  was  enthält  die 
Topfscharre  der  Abhubsammleiin,  Archäologie? 

—  ,,Das  Grässlichste  zu  leiden  und  zu  tbun. 
Bin  ich  genötliiget"  .  .  . 

Jam  ferre  infandissima 
Jam  facere  cogor  ... 

Dieser  magere  Bissen  ist  Alles,  was  von  der  Tragödie  Thyestes 
des  L.  Varius  Rufus  und  der  berüchtigten  Mahlzeit  übrig  ge- 
blieben. Und  doch  sagt  Quinctilian,  der  Thyestes  des  Varius  dürfe 
jeder  Ti-agödie  der  Griechen  an  die  Seite  gestellt  werden:  Jam 
Varii  Th3^estes  cuilibet  Graecorum  comparari  potest.  ^)  Ein  harter 
Verlust,  über  den  sich  Varius  Rufus  vielleicht  am  wenigsten  grä- 
men mag,  da  er  ihn  der  nachrichterlicheu  Vergleichung  und  Prü- 
fung von  Quinctilian's  Lobspruch  überhebt.  Zumal  Varius  Rufiis 
das  Beste  fort  hat:  die  Million  Sestertien  (25,000  Thlr.),  die  er 
für  seinen  Thyestes  erhalten,  welcher,  nach  der  Schlacht  bei  Ac- 
tium,  an  den  Spielen  bei  dem  Triumphe  des  Octavianus  im  August 
des  Jahres  725  d.  St.  aufgeführt  ward. ^)  Atalanta,  Peliades, 
Thyestes  —  wie  viel  ist  uns  von  diesen  drei  Tragödien  eines 
Gracchus  erhalten,  den  Is.  Vossius  mit  dem  C.  Gracchus,  Bru- 


1)  Trist.  II.  V.  519.  —  2)  das.  V,  7.  v.  25.  —  3)  X,  I,  93.  —  4)  Schol. 
aus  ein.  Pariser  Cod.  Quicerat,  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes.  1839.  Zuerst 
abgedr.  I.  p.  52.  Dann  von  Schneidewin  im  Ehein.  Mus.  1842.  S.  106ff. 
1843.  S.  638. 


Pomponius  Secundus.  347 

der  des  T.  Gracchus  vei^wechselte,  die  selbst  als  Volkslielden  er- 
schütternder Geschichtstrag'ödien  fielen,  von  ihnen  gedichtet  und 
gespielt,  mit  der  ganzen  römischen  Plebs  als  tragischem  Chor  — 
so  erschütternd,  dass  der  römische  Staatskoloss  von  diesen  auf 
offenem  Markte  gespielten  Tragödien  vielleicht  den  ersten  Stoss 
und  ßiss  erhielt,  an  dem  er  barst  und  später  zusammenbrach, 
unser  Gracchus,  der  Autor  der  genannten  drei  Tragödien,  Ata- 
lanta,  Peliades  und  Thyestes,  hiess  Junius  Gracchus.  Und  wie 
viel  der  Brocken  aus  diesen  Tragödien  kann  der  dramaturgisch 
archäologische  Schnappsack  auskramen?  Aus  jeder  einen  Vers, 
und  aus  einer  vierten  von  unbekannter  Fabel  einen  halben!  „Pur- 
puram  et  Diadema"  -  bedeutsam  genug  für  die  beiden  Plunder- 
stücke aus  der  Rumpelkammer  der  Weltgeschichte,  in  denen  der 
vereinte  ünheilsfluch  von  Nessus'  Kleid  und  Althäa's  Brand  fort- 
erbt und  die  doch  zuletzt  in  den  Zunder  und  Moder  ihrer  blossen 
Namen  zerfallen. 

„Bei  weitem  der  bedeutendste  unter  allen,  die  ich  aus  eige- 
ner Erfahrung  kenne  (eorum  quos  viderim  longe  princeps)  ist  Pom- 
ponius Secundus",  rühmt  Quinctilian  ')  von  diesem  durch 
schmuckvolle  Eleganz  und  Gelehrsamkeit  (eruditione  et  nitore) 
hervorragenden  Tragödieudichter,  in  üebereinstimmung  mit  Taci- 
tus  und  den  beiden  Pliuius.  -)  Ein  halber  Vers  ist  die  einzige  Spur, 
die  des  Pomponius  Tragödie  Aeneas  zurückgelassen.  Sein  Waf- 
fengericht (Armor.  Judicium)  hat  sich  mit  einer  Zeile  abgefun- 
den. Aus  anderthalb  Versen  besteht  die  ganze  Hinterlassenschaft 
seines  Atreus.  Als  Zugabe  drei  Nummern  aus  titellosen,  unbe- 
stimmten Tragödien.  N.  III.  mit  dem  einzigen  Wort  Omneis 
„Alle"  —  und  damit  ist  es  auch  alle. 

Noch  zwei  Rubriken  von  Tragödien-Fragmenten  schüttet  der 
Reliquien-Beutel  vor  uns  aus:  1)  Fragmente  unbekannter  Dichter 
mit  bekannten  Dramentiteln ;  Incertorum  Poetarum  fabulae  3) : 
VII  Nummern  mit  eben  so  vielen  verstümmelten  Verszeilen.  2) 
Fragmente  unbekannter  Dichter  unbekannter  Tragödien  mit  un- 
bekannten Titeln:  Ex  Inceitis  Incertorum  Fabulis  ^):  Die  zahl- 
reichste Klasse,  die  nicht  weniger   als  CXLVI  Nummern  enthält 


1)  XI,  1,  98.    -   2)    mtpp.  Epp.  m.  5,  3.     -   3)  Eibb.   198  ff.    --    4) 
Das.  p.  200  flf. 


348  D'i^  römische  Drama. 

—  NoS'  umuerus  sumus,  und  au  Zahl  unbekauuter  VerschoUen- 
heiten  nur  von  einer  noch  umfassendem  dritten  Klasse,  von  der 
Klasse  der  unbekanuten  Fragmente,  überflügelt  wird.  Die  letzte 
Nummer  der  2.  Klasse,  N.  CXLVI,  schliesst  ab  mit  dem  einzigen, 
aber  die  Quintessenz  der  ganzen  Dramatik  enthaltenden  Worte: 
Plaudite!  Mit  demselben  schon  erwähnten  Schlussworte,  womit 
der  kaiserliche  Komödiant  Caesar  Octavianus  Augustus  seine  tra- 
gikomische Posse  dem  Beifall  der  Mit-  und  Nachwelt  empfahl. 
Ausser  dieser  Posse,  der  einzigen,  die  sich  auf  dem  Repertoir  des 
Weltgescliichtstheaters  erhalten  und  mit  ungeschwächtem  Beifall 
und  dem  glänzendsten  Erfolge  noch  heutigen  Tages,  wenn  auch 
nicht  immer  von  so  geschickten  Schauspielern  wie  der  kaiserlich 
römische  Muster-Komödiant  einer  war,  fortgespielt  wird  —  ausser 
dieser  Posse  hat  C.  Octavius  Augustus  auch  ernste  Dramen 
verfasst:  einen  Ajax,  den  Sueton  ^)  und  Macrobius-)  anführen. 
Suidas  fügt  noch  einen  Achilles  hinzu.  Aber  schon  sein  grosser 
Vorfahr  Julius  Caesar  hatte  sich  als  tragischen  Dichter  ver- 
sucht und  einen  Oedip US  verfasst,  in  frühern  Jahren,  noch  bevor 
er  selbst  mit  seiner  Mutter,  der  Republik,  in  Blutschande  gelebt, 
die  er  dann,  statt  der  Sphinx,  vom  Tarpeischen  Fels  in  den  Ab- 
grund gestürzt.  Sein  Trauerspiel  Oedipus  war  ein  Jugendwerk  ^j, 
das  sein  Nachfolger  und  Erbe  unterdrückte:  cum  beneficio  inven- 
tarii.  Aus  den  Tragödien  von  J.  Caesar's  Zeitgenossen  und  Na- 
mensvetter, C.  Julius  Caesar,  auch  Strabo  und  Vopiscus  ge- 
nannt, sind  noch  zwei  oder  drei  Verse  vorhanden.  In  einem 
Scholion  zu  Cicero' s  Rede  pro  Scauro  bemerkt  Asconius  von  die- 
sem J.  Caesar  Strabo:  Idem  inter  primos  temporis  sui  oratores 
et  tragicus  admodum  habitus  est,  hujus  sunt  enim  tragoediae  quae 
inscribuntur  Julii:  „Derselbe  der  unter  den  ersten  Rednern  seiner 
Zeit  glänzte,  galt  zugleich  als  ein  vorzüglicher  tragischer  Dichter. 
Von  ihm  rühren  die  Tragödien  her,  welche  unter  dem  Namen 
Julii  gehen  (Julii  imperatoris  nämlich).  Noch  verschiedene  an- 
dere, als  Tragiker  unter  Augustus  gerühmte  Dichter  haben  nicht 
einmal  die  Namen  ihrer  Stücke,  die  ihnen  einen  gemacht,  der  Nach- 
welt überliefert.  Aus  einem  Vers  des  Ovidius*):  Musaque  Tur- 
rani  tragicis   innixa  cothurnis,  erfahren  wir,  dass  die  Muse  des 


1)  c.  85.  —  2)  n,  4.  —  3)  Suet.  J.  C.  56.  —  4)  Epp.  e  Ponto  IV,  10. 


Das  weinerliche  Schauspiel  der  Römer.  349 

Tiirranius  auf  tragischen  Stelzen  einherging,  nicht  aber  in  wel- 
chen seiner  Tragödien.  Wir  vernehmen  von  einem  Pupius,  der 
Rührstücke  geschrieben: 

Ut  propius  spectes  lacriniosa  poemata  Pupi  i) 

,,Dass  du  näher  betrachtest  des  Pupius  thränende  Stücke"  — 

Das  ist  Alles  was  uns  Horaz  von  Pupius  und  seinen  dramatischen 
Thränenfisteln  wissen  lässt.  Schon  als  Vertreter  der  Comedie 
larmoyante  bei  den  Römern,  achtzehiilmndert  Jahre  vor  La 
Chausee,  der  als  Erfinder  der  Gattung  gilt,  hätte  Pupius  von 
Horaz  eine  nähere  Angabe,  zu  Nutz  und  Frommen  der  Nachwelt, 
verdient,  damit  auch  sie  „näher  betrachte  des  Pupius  weinerlich 
Schauspiel."  Gleichergestalt  verhält  es  sich  mit  C.  Titius  Sep- 
timius,  von  dem  auch  nur  im  Allgemeinen  Horaz  in  einem 
Verse  "^)  andeutet,  dass  er  in  der  tragischen  Stelzenkunst  Grosses 
leistete : 

An  tragica  desaevit  et  anipullatur  in  arte. 

Ob  er  in  tragischer  Kunst  auftritt  hochtrabend  und  tobend  V 

Derselbe  Titius  war  nämlich  auch  lyrischer  Dichter  im  Pindar'- 
schen  Styl: 

„Der  den  Pindarischen  Quell  muthlos  nicht  zagte  zu  schöiifen.-"  ^) 
Pindarici  fontis  qui  non  expalluit  haustus. 

Ebenso  riickhaltig  zeigt  sich  Horaz  in  Betreff  des  Cassius  P ar- 
me nsis  (aus  Parma),  in  der  nächsten  Epistel^)  an  den  f^legiker 
Albius  TibuUus,  den  er  fragt,  womit  er  sich  denn  zur  Stunde  be- 
schäftige : 

„Willst  du  verdunkeln  vielleicht  des  Parniensischen  Cassius  Werke? 
Quid  nunc  te  dicani  facere  in  i-egione  Pedana? 
Scribere,  quod  (!assi  Parniensis  opuscula  vincat? 

Hiezu  bemerkt  der  Scholiast:  scripserat  (der  Cassius)  multas  tra- 
goedias,  und  damit  gut.  Demselben  Parniensischen  Cassius  schreibt 
ein  anderer  Scholiast  ^)  wohl  fälschlich  den  Thyestes  des  L.  Varius 
zu;  über  diejenigen  Dramen  aber,  die  der  Tragiker  aus  Parma 

1)  Hör.  Ep.  1,   1.  V.  67.  —  2)  Ep.  I,  3.  v.  14.    -   3)  Das.  v.  7.   —   4) 
IV.  V.  3.  —  5)  Cruqu.  zu  Hör.  Ep.  ad  Pis.  v.  283. 


350  C)^^  römische  Drama. 

wirklich  geschrieben,  lässt  uns  auch  der  Cruquius  im  Blossen; 
so  dass  vom  Parmensischen  Cassius  nichts  als  sein  Name  übrig 
blieb,  der  einem  zwischen  den  Zähnen  knirscht,  wie  sein  Lands- 
mann und  Namensvetter,  der  Parmesanische  Caseus.  Noch  schlim- 
mer steht  es  mit  den  Tragödien  des  Mamercus  Aemilius 
Scaurus,  von  welchem  Dio  Cassius  einen  Atreus  nennt  ^),  der 
auf  Kaiser  Tiberius  einen  solchen  Eindruck  machte,  dass  er  den 
Dichter  zum  Selbstmord  zwang.  -)  Der  in  Purpm-  eingewickelte 
und  mit  Lorberen  und  Diadem  geschmückte  Nachtalp  Roms 
glaubte  nämlich  in  einigen  Versen  der  Tragödie  eine  Anspielung 
zu  wittern  —  „Ich  will  dich  zum  Ajax  machen",  knirschte  der 
Alp,  und  hockte  hin  auf  die  Brust  des  Tragikers  und  drückte 
und  presste  so  gräulich ,  bis  der  arme  Dichter  aus  Verzweiflung 
sich  selbst  entleibte,  wie  Ajax.  Grossmäclitigster  Alp !  Würdiger 
Cäsar!  Worthj^  Caesar!  Des  Cäsar-Grusses  höchst  würdig,  des 
yaiQe  Kaioag,  das  dem  Stiefvater  des  Alp,  dem  Kaiser  Augustus, 
bekanntlich  jener  zu  solchem  Siegesgrusse  vom  römischen  Schuster 
abgerichtete  Staar  zurief,  und  welches  „Glückauf  Cäsar!"  auch 
ein  Berliner  Staarmatz,  noch  im  sechsten  Jahrzehnd  des  XIX.  Jahr- 
hunderts dem  Blut-Alp  Tiberius  zuschnalzte,  als  sein  Cäsarisches 
„Gutheil!"  nach] »läppernd  getreulich,  wie  es  ihm  der  Merivale 
vorgekaut,  der  ihn  darauf  abgerichtet,  und  mit  demselben  Com- 
mentar  wie  der  römische  Schuster  seinen  Staar  mit  der  Glosse: 
Operam  et  oleum  perdidi! 

Von  Nero  Claudius  Cäsar,  der  den  „Nero"  otfen  und  frei 
voranstellte,  den  Tiberius  Claudius  Nero  hinter  dem  Tiberius 
verbarg  —  von  Nero  durfte  man  sich  schon  eher  Dichter-  und 
Tragödien-Morde  versehen,  weil  er  sie  aus  Handwerksneid  be- 
gangen hätte.  Denn  unzweifelhaft  spielte  und  tanzte  Nero  auch 
seine  eigenen  Tragödien'  dem  Publicum  auf  der  Bühne  vor.  s) 
Leider  fallen  auch  sie  in  unsere  dritte  Fragmenten-Klasse,  in  die 
der  spurlos  mit  den  Tragödien  verlorenen  Fragmente.  Wir  wären 
sonst  in  der  Lage,  in  den  letzten  Todesseufzer  Kaiser  Nero's  ein- 
zustimmen: Qualis  artifex  pereo!  Welcli  ein  Künstler  stirbt  in 
mir!    Wunderbarer  Weise  sollten  gerade  unter  diesem  Imperator- 


1)  LVIII,  24.  —  2)  Tac.  Auiial,  VI,  29.    ~    3)  Vgl.  Reimar.   zu  Dioii 
Cass.  II.  ]>.   1U25. 


Seneca.  351 

Histrio,  der  Rom  selbst  zur  Schlussdecoration  von  Euripides'  Troa- 
den:  zum  brennenden  Troja  tragiiie,  die  Leier  dazu  spielend  — 
sollten  unter  Nero  gerade  die  einzigen,  nahezu  vollständigen  rö- 
mischen Tragödien,  neun  Crepidatae  (nach  griechischen  Vorbil- 
dern) und  Eine  praetexta,  mit  dem  Leben  davon  kommen.  Den 
Dichter  dieser  zehn  Tragödien,  wenn  Nero's  Lehrer  der  Philosoph 
Annans  Seneca,  ihr  Dichter  war,  machte  zwar  Nero  Claudius  Cä- 
sar ebenfalls  zum  unfreiwilligen  Ajax,  zu  welchem  Tiberius  Clau- 
dius Nero  den  Mamercus  Scaurus,  den  Dichter  des  Atreus,  ge- 
macht hatte;  indessen  entgingen  doch  die  zehn  dem  Seneca  zu- 
geschriebenen Tragödien,  wie  dm'ch  ein  Wunder,  dem  Blutbade, 
das  ihr  Dichter  sich  aus  den  eigenen  .Adern  herrichten  musste. 

Lucius  Annaeus  Seneca, 

Sohn  des  Ehetors  M.  Annaeus  Seneca,  in  der  ersten  Hälfte  des  er- 
sten Jahrh.  nach  Chr.  geb.  in  Corduba  fColonia  Patricia  Cordubensis 
in  Hispania  Baetica).  Er  kam  schon  als  Kind  nach  Rom,  erhielt 
eine  sorgfältige  Erziehung,  studirte  unter  Anleitung  des  Attalus  und 
Papyrius  die  stoische  Philosophie,  bekleidete  hohe  Staatsämter  unter 
Kaiser  Claudius  und  wurde  von  diesem,  wegen  eines  zärtlichen  Ver- 
hältnisses mit  Prinzessin  Julia,  auf  Anstiften  der  eifersüchtigen 
Messalina,  nach  Corsica  verbannt.  Nach  achtjährigem  Exil  kehrte  er 
in  die  Hauptstadt  zurück,  von  Messalina's  Nachfolgerin,  Kaiserin 
Agrippina,  Nero's  Mutter,  dahin  berufen.  Prätor  (44  nach  Chr.), 
Consul  58  nach  Chi'.,  wurde  Seneca  zuletzt  zum  Lehrer  und  Erzieher 
Nero's  ernannt,  den  er  recht  eigentlich  zu  seiner  Viper  im  Busen  er- 
zog. Angeblich  in  die  Verschwörung  des  Piso  verwickelt,  starb  er, 
da  ihm  sein  kaiserlicher  Zögling  die  Wahl  des  Todes  in  Gnaden 
zugestanden,  mit  stoischem  Gleichmuth,  wie  schon  angegeben,  in 
Folge  von  Verblutung  im  Bade,  deren  langsame  Wirkung  er  durch 
genossenes  Gift  beschleunigte  (65  n.  Chr.).  Man  nennt  ihn,  um 
ihn  von  seinem  Vater,  dem  Rhetor,  zu  unterscheiden,  den  „Philo- 
sophen." rel)er  die  Identität  des  Philosophen  Seneca  mit  dem 
Dichter  der  unter  seinem  Namen  gehenden  Tragödien  sind  die 
Gelehrten  in  Zwiespalt.  Quinctilian  schreibt  dem  Seneca  Canniua 
im  Allgemeinen   zu. ')     Dessgleichen  Tacitus.  -)     Als  Verfasser 


1)  X,  1,  125.  -   2)  XIV,  52. 


352  Das  römische  Drama. 

vou  Medea  nennt  Quinctil.  Seneca  schlichtweg  i),  ohne  diesen  nä- 
her zu  bezeichnen. "-)  Andern  Andeutungen  des  Quinctilian  lässt 
sich  eine  gezwungene  Beziehung  auf  Seneca's  Tragödien  unter- 
schieben. Sidonius  Apollinaris  (5.  Jahrh.  n.  Chr.)  unterscheidet 
ausdrücklich  den  Philosophen  vom  Tragiker:  quorum  alter  colit 
hispidum  Platona...  Orchestram  quatit  alter  Euripidis.  3)  Zwölf 
Jahi'hundei-te  nach  Sidon.  Apollin.  streitet  Mart.  Delrio  wieder 
für  die  Einheit  von  Dichter  und  Philosophen.  ■*)  Hierauf  nimmt 
die  philologische  Kritik  des  16.  und  17.  Jahrh.  eine  Sondemng 
unter  den  Seneca-Tragödien  selber  vor,  indem  sie  dieselben  an 
verschiedene  Verfasser  vertheilt.  Gestützt  auf  das  Zeugniss  des 
Quinctilian,  legt  Justus  Lipsius  ^)  nur  die  Medea  dem  Philosophen 
Seneca  bei.  Die  Fragmente  der  Thebais  glaubt  Lipsius  noch  in 
das  Zeitalter  des  Augustus  hinaufrücken  zu  müssen.  Die  übrigen 
Tragödien  gehören,  ihm  zufolge,  einem  M.  oder  L.  Seneca  aus 
Trajan's  Zeitalter  an.  Die  Octavia  venvirft  er  ganz;  er  nennt  sie 
ein  elendes  Machwerk:  verbere  potius  excipienda  eruditorum,  non 
plausu,  „das  eher  die  Kuthe,  als  den  Beifall  des  Gelehrten  ver- 
diene." 

Daniel  Heinsius^)  nimmt  fünf  verschiedene  Verfasser  an. 
Dem  Philosophen  Seneca  vindicirt  er:  die  Medea,  auf  das  Zeug- 
niss desQuinct.;  die  Troerinnen,  mit  Beruftmg  auf  den  Gram- 
matiker Aem.  Probus  (4.  Jahrh.).  Im  Hippolytus  erblickt  Hein- 
sius  ein  so  vortreffliches  AVerk,  dass  er  ihn  einem  altern  Tragi- 
ker beilegen  zu  müssen  glaubt,  ungeachtet  Priscian  (6.  Jahrh.  n. 
Chr.)  ihn  dem  Philosophen  Seneca  zueignet.  Dem  Khetor  Marcus 
Seneca  übenveist  D.  Heinsius  den  rasenden  Hercules,  Thy- 
estes  und  Agamemnon,  wegen  der  dem  Euripides  nachge- 
ahmten Prologe,  und  den  Oedipus. ')  Einen  andern  Grund  für 
diese  Zutheilung  findet  der  berühmte  holländische  Kritiker  in  der 
stoischen  Haltung  und  Rhetorik,  die  er  in  den  letztgenannten  Ti'a- 
gödien  erkennen   will;  wohingegen  der  Dichter  der  Medea  und 


1)  X,  2,  8.  —  2)  Vni,  3,  31.  -  3)  Carm.  IX,  213.  —  4)  Syntagma 
tragg.  Latt.  Antw.  2.  Ausg.  1594.  Prolegg.  II.  p.  64  ff.  —  5)  Antiq.  Lect. 
ed.  Commel.  1589.  —  6)  L.  et  M.  Ann.  Senecae  ac  reliquar.  quae  ext.  trag. 
animadverss.  1642.  —  7)  Vgl.  Bothe  L.  Ann.  Senec.  Tragoed.  1819.  Praef. 
J.  Lips.  Franc.  Rapheleng.  dissert.  p.  XVI  ff. 


Die  Seneca-Kiitik.  353 

der  Troerinnen  sich  mehr  zu  den  Ansichten  der  Epikuräer  hin- 
neige. Hercules  am  Oeta  mid  die  Thebaide  werden  einem 
vierten  Verfasser  zugesprochen.  Endlich  muss  noch  ein  Fünf- 
ter die  Octavia  auf  seine  Kappe  nehmen.  Den  rasenden  Her- 
cules, meint  Heinsius,  dürfte  Nero  selbst  gespielt  haben,  in  wel- 
chem Falle  die  Megara*  eben  so  gewiss  auf  der  Bühne  wirklich 
wäre  getödtet  worden,  wie,  laut  Sueton  '),  Icarus  im  Theater  wirk- 
lich zu  Boden  fiel  und,  zerschmettert,  die  kaiserliche  Bestie  mit 
seinem  Blute  bespritzte.  Das  kling-t  so  grauenvoll  scheusslich, 
dass  man  eigens  einen  Staar  abrichten  möchte,  der  es  der  Welt- 
geschichte als  eine  böswillige  Verläumdung  aus  dem  Sinn  schwatze. 
Wie  Minerva  die  Eule,  so  müsste  Klio  zu  ihrem  Leibvogel  sich 
den  Staar  anschaffen,  der  ihr  die  Blutbunde  zu  lauter  Schoosshun- 
den  plappere.  —  Fast  sämmtliche  auf  die  Seneca-Frage  bezüglichen 
Ansichten  und  HyjDotliesen  der  philologischen  Kritik  jener  Zeit 
finden  sich  in  der  Sammlung  des  Petrus  Scriverius  vereinigt.  '^) 

Die  Seneca-Kritik  des  18.  Jahrb.,  namentlich  die  der  Fran- 
zosen, kehrte  zur  Annahme  eines  Verfassers  zurück.  Brmnoy  3), 
Diderot  ■"),  entschieden  sich  für  die  Einheit.  Die  deutsche  Kri- 
tik, in  diesem,  wie  in  allen  andern  Punkten,  durch  Lessing 
vertreten,  kann,  unseres  Wissens,  nur  Lessing's  Abhandlung  „von 
den  lat.  Trauerspielen,  welche  unter  dem  Namen  des  Seneca 
bekannt  sind""")  nennen,  die  aber  leider,  wie  so  manches  An- 
dere des  grossen  Kritikers  und  Dichters,  ein  Torso  geblieben. 
Hieran  sclüiesst  sich  Lessing's  „wahrscheinlicher  Beweis,  dass  der 
rasende  Hercules  und  der  Thyest  Einen  Verfasser  haben."  Der 
Name  Seneca  bleibt  dabei  ganz  aus  dem  Spiele.  Damit  bricht 
die  Untersuchung  ab.  Die  übrigen  Tragödien  des  Seneca  sind 
nicht  in  Betracht  gezogen.  So  viel  lässt  sich  indessen  vorweg 
aus  diesen  mit  überzeugenden  Gründen,  in  Betreff  jener  beiden 
Tragödien,  geführten  Beweisen  vermuthen,  dass  Lessing  die  acht 
andern  Tragödien  dem  Verfasser  des  rasenden  Hercules  und  des 
Thyest  nicht  würde  zuerkannt  haben.     Nach  Lessing  brachte  die 


1)  Ner.  c.  21.  —  2)  Petr.  Scriv.  Collent.  vett.  tragg.  Lugd.  Bat.  J621. 
II,  8.  -  3)  Theätie  des  Gr.  T.  IV.  p.  159.  ed.  n.  -  4)  Essai  sur  la  vie 
et  Ics  ecrits  de  Seneque,  Oeuvres  T.  VI.  —  5)  Theatr.  Bibl.  II.  S. 
199. 

U.  23 


354  Das  römische  Drama. 

Verfasserschaft  der  Seneca-Tragöclien  bei  uns  zuerst  wieder,  so 
viel  Adr  wissen ,  Jacobs  in  einem  trefflichen  Aufsatz  ')  zur  Spra- 
che. Jacobs  stimmt  Lessing,  bezüglich  der  zwei  Tragödien,  bei, 
deren  Verfasser  er  auch  noch  die  Troerinnen  und  den  Oedipus 
zutheilt. 

In  unserm  Jahrhundert  hat  sich  J.'G.  L.  Klotsch  zuerst 
wieder  für  die  Identität  des  Philosophen  mit  dem  Dichter  Seneca, 
und  zwar  zu  Gunsten  sämmtlicher  zehn  Tragödien  erklärt. "-)  Zu- 
letzt haben  sich  Nisard  3)  und  Welcker  für  diese  Einheit  ausge- 
sprochen; Welcker  mit  den  Worten:  „Ein  von  dem  Philosophen 
verschiedener  berühmter  Tragiker  Seneca  derselben  Zeit  ist  durch- 
aus unglaublich."  ^) 

Wie  mochte  nicht  erst  die  Ansicht  der  Gelehi-ten,  in  Bezug 
auf  den  Kunstwerth  dieser  Tragödien,  abweichen?  Die  Thebais, 
die  Heinsius,  der  Holländer,  für  das  Product  irgend  eines  Decla- 
mators  erklärt,  erscheint  dem  Plamänder  Justus  Lipsius  als  ein 
so  vorzügliches  Werk,  dass  er  es  in  das  Zeitalter  des  Augustus, 
d.  h.  unter  die  Sterne  der  römischen  Literatur  und  Poesie,  ver- 
setzt. Während  der  grosse  Holländer  für  die  Troerinnen  schwärmt, 
und  selbst  der  gelehrteste  Sprössling  des  Hauses  della  Scala,  frü- 
her Page  des  Kaisers  Maximilian,  dann  die  grösste  kritische  Auto- 
rität des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  Julius  Caesar  Scaliger,  in 
seiner  Poetik,  die  Troerinnen  des  Seneca  an  die  Spitze  aller  la- 
teinischen Tragödien  stellt  und  sie  principem  latinaruni  tragoe- 
diarum  nennt:  verspottet  sie  der  berühmte  Flame,  Justus  Lip- 
sius, in  einem  Brief  an  Kaphelengius,  als  das  Machwerk  eines 
verächtlichen  unbekannten  Stümpers:  contemnendi  et  ignobilis 
auctoris  opus.  Gegen  den  französischen  Jesuiten,  Pater  Brumoy, 
der  Seneca's  Tragödien  mit  Geringschätzung  abfertigt,  nimmt  den 
Verfasser  des  rasenden  Hercules  und  Thyestes  Lessing  in  Schutz, 
ein  Kritiker,  der,  au  Gelehrsamkeit  und  Scharfsinn  den  aller- 
grössten  gewachsen,  in  Kraft  und  Vollmacht  seines  dramatischen 
Genies,  das  kunstrichterliche  Urtheil  der  gesammteu  Schul-  und 


1)  Nachtr.  zu  Suker  IV.  2  St.  S.  332  ff.  1798.  —  2)  Prolus.  de  Ann. 
Senec.  uno  tragg.  auct.  Wittenb.  u.  Zerbst  1802.  8.  S.  232  ff.  Prolus.  de 
Octavia,  1814.  4.  —  3)  Etudes  sur  les  poetes  lat.  I.  p.  68  ff'.  —  4)  Gr. 
Trag.   1452. 


Lessing  über  Seneca's  Tragödien.  355 

schöngeistisclien  Kritik  aufwiegt.  Von  dem  Dichter  dieser  beiden 
Tragödien  sagt  Lessing  'j :  „Er  ist  mit  den  poetischen  Farben 
allziiversehwenderiseh  gewesen;  er  ist  oft  in  seiner  Zeichnung  zu 
kühn;  er  treibt  die  Grösse  hier  und  da  bis  zur  Sclivvulst;  und 
die  Natur  scheint  bei  ihm  allzuviel  von  der  Kunst  zu  haben. 
Lauter  Fehler,  in  die  ein  schlechtes  Genie  niemals  fallen  wird. 
Und  wie  klein  werden  sie,  wemi  man  sie  nach  dem  Stoffe  des 
Trauerspiels  beurtheilt,  welcher,  wie  man  gesehen  hat,  gänzlich 
aus  der  Fabel  entlehnt  ist  ...  Dass  unser  Verfasser  sonst 
die  Regeln  der  Bühne  gekannt,  und  sich  ihnen  mit 
vieler  Klugheit  zu  unterwerfen  gewussthabe,  ist  nicht 
zu  läugnen."  Letzteres  Zugeständniss  ist  von  Wichtigkeit,  da 
die  Schul-  und  Kunstkritik  nach  Lessing  dem .  Verfasser  der  Se- 
neca-Tragödien  nicht  nur  jede  Bühneneinsicht  und  Berücksichti- 
gung theatralischer  Wirkungen  absprach ;  sondern  auch  mit  einem 
Alles  abthuenden  Machtspruch  diese  Tragödien  als  blosse  „rheto- 
rische üebuugsstücke''  den  Lesedramen  zuweist,  jenen  anagnosti- 
schen  Tragödien,  die  wir  schon  aus  Aristoteles'  Rhetorik  kennen. 
Von  solchen  dramatischen  Schulübungen,  tragischen  Schul-Chrien 
gleichsam,  behufs  rhetorischer  Ausbildung,  spricht  auch  Quinct.  '^) 
Der  erste  römische  Dramatiker,  welcher  Lese-Tragödien  zu  aus- 
schliesshchem  Vortrage  in  Freundeskreisen  (Recitationes)  dichtete, 
war  Asinius  Pollio.  -^j  Die  Veranlassung  dazu  gab  nicht,  wie 
die  deutsche  Literarhistorie  und  Kunskritik,  nach  Lessing,  im 
Styl  der  Cabinets-firlasse,  decretirt,  ein  grundsätzliches  Absehen 
von  der  praktischen  Bühne,  Seitens  der  römischen  Dramatiker; 
sondern  die  gänzliche  Geschniacksverwilderung  des  für  Thierliatzon, 
Klopffechterspiele,  Minien  und  Pantomimen  leidenschaftlich  ein- 
genommenen römischen  Publicums,  durch  alle  Stände,  des  niedri- 
gen wie  des  vornehmen  Pöbels,  die  Kaiser  an  der  Spitze.  |)  Auch 
Jacobs  erklärt  ^j  die  Tragödien  des  Seneca  für  „rhetorische  Uebun- 
gen,  die  ganz  und  gar  nicht  für  die  Aufführung  bestimmt  gewe- 
sen." Lulessen  weist  der  treffliche  Beurtheiler  auf  den  Zeitge- 
schmack hin,  und  belegt  diess  mit  Citaten  aus  der  gewichtigen 
Schrift:  Dialog,  de  caus.  coiTupt.  eloq.  *^)    Glänzende,  üppige  Be- 


1)  a.  a.  0.  —   2)  XI,  10,  4.  —    li)  Thorbecke  a.  a.  0.  p.  Iü5  ff.  -  4) 
Vgl.  Lange,  Vind.  etc.  p.  24.  —  5)  a.  a.  0.  S.  348.  --  6)  XIX— XX. 

23* 


356  I^^^  römische  Drama. 

Schreibungen  forderte  der  Zeitgeschmack,  in  der  Tragödie  vor 
allem."  Die  jungen  Eömer  liebten  die  mtzigeu  und  kurzen  Denk- 
spiliche.  Seneca's  Tragödienstyl  war  der  ausschliesslich  und  einzig 
gewünschte,  war  Mode-Luxus.  Sollte  aber  die  Folgerung  nicht 
die  bündigere  scheinen:  dass  diese  Tragödien,  weil  sie  Gepräge 
und  Farbe  des  Zeitgeschmacks  so  entschieden,  so  auffallend  zur 
Schau  tragen ;  weil  ihre  Adern  ein  Pulsschlag  des  Blutes  schwellt, 
das  in  der  Arena,  in  den  Thier-  und  Gladiatorkämpfen,  fioss,  -  -  dass 
die  Seneca-Tragödien ,  aus  diesem  Grunde  eben,  für  die  Bühne, 
für  die  Darstellung,  für  den  S.  PQ.  E.  des  kaiserlichen  Kom,  ge- 
dichtet und  bestimmt  waren?  Man  wisse  von  keiner  Aufführung 
—  zugestanden;  von  einer  Nichtaufführung  aber  eben  so  wenig. 
In  einem  solchen  Falle  möchte  aber  die  positive,  aus  der  Berück- 
sichtigung des  Zeit-  und  Theatergeschmacks  abgeleitete  Folgerung, 
im  Verhältnisse  ihrer  glänzenden  Fehler  gerade,  der  wirklichen 
Aufführung  dieser  Tragödien  das  Wort  reden.  „Alles  scheint  in 
ihnen  darauf  angelegt  zu  seyn",  sagt  Jacobs,  „die  Einbildungs- 
kraft durch  reiche  und  ausführliche  Beschreibungen  zu  blenden." 
• —  Wenn  nun  aber  das  römische  Publicum  gerade  solche  Beschrei- 
bungen verlangte!  —  „durch  gehäufte  Sentenzen  die  Aufmerk- 
samkeit zu  beschäftigen  und  den  Verstand  durch  eine  Menge 
von  rhetorischen  Künsten  zu  betäuben."  —  Wie  nun,  wenn  nach 
diesen  Eigenschaften  die  Schaumenge  ganz  besonders  brannte, 
darauf  erpicht  und  versessen  war?  nach  gehäuften  Sentenzen, 
rhetorischen  Künsten,  wie  nach  panem  und  Circenses  schrie?  „In- 
wiefern daher  der  eigentliche  Zweck  der  Tragödie,  die  Kührung, 
eiTeicht  wurde,  scheint  dem  Verfasser"  (der  Seneca-Tragödien)  „voll- 
kommen gleichgültig  gewesen  zu  seyn."  —  Es  fragt  sich :  welche 
Eühruug?  Die  Eührung  der  Sophokleischen  oder  auch  Euripidei- 
schen  Tragödie;  die  von  der  poetischen  Tragödie  einzig  be- 
zweckte Eührung  —  diese  Eülu'uhg  freilich  konnte  das  Augen- 
merk einer  Tragödie  nicht  seyn,  welche  ein  Theaterpublicum  er- 
schüttern sollte,  das,  ßestienhatzen  und  Gladiatorkämpfe  ganz  aus 
dem  Spiele  gelassen,  zu  dergleichen  überreizten  Schauwirkungen 
durch  seine  Bürgerkriege,  und  schon  zur  Zeit  der  Eepublik  durch 
blutige,  nicht  selten  von  Mord  und  Todtschlag  begleitete  und 
meist  durch  die  hochmüthige  Brutalität  des  Adels  herbeigeführte 
Markt-Tumalte  war  vorbereitet  und  gezüchtet  worden.    Selbst  die 


Lessing  über  die  tragisclie  Bühne  der  Römer.  357 

tragische  Rührung,  das  tragische  Mitleid,  war  bei  dem  Römer 
vom  Blutgeiste  der  Grausamkeitswollust  durchschauert.  Daraus 
aber  auf  Nichtaufführbarkeit,  Nichtaufgeführtheit  dieser  Tragödien, 
oder  gar  auf  grundsätzliches  Absehen  von  der  Bühne,  Seitens  der 
Dichter,  schliessen  —  ebenso  gut  könnte  man  von  den  kunstge- 
rechten, das  letzte  Todeszucken  hinhaltenden  Zerfleischungen  der 
Athleten,  von  den  auf  grosse  Schau  Wirkungen  berechneten,  den 
Todesstoss  verzögernden,  mit  der  raffiuirtesten  Virtuosität  versetz- 
ten und  gehauenen  Schlitzwundeu  der  Netz-  und  Klopffechter  fol- 
gern wollen:  auch  diese  Schauspiele  seyen  blos  für  Hoflcreise  und 
die  feine  gebildete  AVeit  in  Rom,  nicht  aber  für  das  römische 
Volk  in  Amphitheatern,  bestimmt  gewesen.  So  wird  man  denn 
schon,  auch  was  diesen  Punkt  betrifft,  lieber  auf  Lessing's  Ansicht 
wetten,  als  auf  Bernliardy's ,  der  jene  zu  den  Acten  legt^),  und 
„diese  Werke"  (Seneca's  Trag.)  „als  Uebungsstücke  für  die  nüch- 
terne Lesung"  bezeichnet.  2)  Lessing  fasst  seine  Ansicht  in  fol- 
gende Worte  3):  „Klopffechter  im  Kothurn  können  höchstens  nur 
bewundert  werden.  Diese  Benennung  verdienen  alle  Personen  der 
sogenannten  Senecaischen  Tragödien,  und  ich  bin  der  festen  Mei- 
nung, dass  die  gladiatorischen  Spiele  die  vornehmste  Ursache  ge- 
wesen, warum  die  Römer  in  dem  Tragischen  noch  so  weit  unter 
dem  Mittelmässigen  geblieben  sind."  Was  wendet  der  gelehrte 
Schulmann  gegen  den  Verfasser  des  Laokoon  und  den  Dichter  des 
Nathan  ein?  „Sowohl  die  Chronologie,  als  die  psychologische 
Schätzung  der  römischen  Litteratur  stehen  diesem  vorgeblichen 
Einfluss  entgegen."  —  „Sowolil  die  Chronologie?"  Wie  denn? 
Gab  es  zur  Zeit  dieser  Tragödien  noch  keine  blutige  Gladiator- 
spiele, Thierhatzen,  Wettrennen  in  Rom?  So  gar  keine,  dass  Les- 
sing's  Meinung,  das  römische  Volk  sey  durcii  solche  Spiele  gegen 
geistigere  Eindrücke  und  seelenhaftere  Schmerzgefühle  abgestumpft 
worden,  den  „wenig  befriedigenden  Muthmaassungen"  verfallen 
bliebe,  „welche  von  zufälligen  und  oberflächliclien  Wahrnehmungen 
entnommen"  sind?  Die  Chronologie  unterstützt  vielmehr  diesen 
vorgeblich  „vorgeblichen  Einfluss",  als  dass  sie  ihm  entgegen 
stände.   Hatte  nicht  schon  vor  Sulla  Q.  Scaevola  ein  grosses  Löwen- 


1)  a.  a.  0.  S.  171.  Anm.  288.    -  2)  Das.  S.  182.  —  3)  Laok.  Bd.  VI. 
S.  401.  Lachm. 


358  r)as  römische  Drama. 

gefecht  zu  Korn  angestellt  ?  Nicht  Sulla  hundert  Löwen  mit  ein- 
ander kämpfen  lassen?  Liess  Pompejus  nicht  600  im  Circus  los, 
und  Jul.  Caesar  400?  Das  weiss  Herr  Bernhardy  aus  Plinius ')  so 
gut  wie  wir.  Oder  glaubt  er  Lessing  mit  der  Chronologie  in  Be- 
zug auf  die  Gladiatorspiele  trumpfen  zu  können ,  welche  vor  die 
Tragödien  fallen,  die  Lessing  im  Auge  hat,  aus  denen  doch  allein 
ein  ürtheil  über  die  Beschaffenheit  der  römischen  Tragödie  ge- 
wonnen werden  kann?  Wie  vollends  „die  psychologische  Schätzung 
der  römischen  Litteratur"  den  von  Lessing  angenommenen  Einfluss 
jener  blutigen  Spiele  ad  absurdum  führen  soll,  das,  gestehen  wir, 
geht  über  unser  Verständniss,  und  möchte  wohl  auch  nur  so  eine 
von  den  ästhetisch-kritischen  Professortiraden  der  Nach-Lessing'- 
schen  höhern  Kunstgelehrsamkeit  seyn,  worin  sich  uns  der  Ver- 
fasser der  „Grundrisse"  als  unübertrefflichen  Meister  und  Kraft- 
künstler bei  verschiedenen  Gelegenheiten  schon  bewährte.  Kommt 
einmal  diese  Phraseologie  in  Schuss,  geht  sie  mit  dem  gewieg- 
testen, oft  treffenden  und  belehrenden  ürtheil  durch.  So  auch 
hier,  „üeberall"  —  so  jagt  sie  ^)  mit  der  Seneca-Tragödie  brau- 
send dahin  —  „überall  sind  die  mythischen  Geschichten  als  die 
unmittelbaren  Objecte  der  Declamation  zerlegt  und  gefärbt  wor- 
den, ohne  Kunst  und  planmässige  Berechnung;  desto  reicher  aus- 
gestattet mit  schimmernden  Betrachtungen  und  Aussprüchen  der 
stoischen  Philosophie  und  mit  geblähter  Denkart,  die,  sich  selbst 
tiberbietend,  in  gehaltleeren  Schwulst  zerrinnt"'  ...  Es  giebt,  es 
giebt  eine  literarhistorische  Phraseologie,  welcher,  in  ihrem  kriti- 
schen Schuleifer,  etwas  Aehnliches  jezuweilen  wohl  auch  passiren 
kann. 

Doch  kehren  wir  zu  Jacobs'  besonnener,  auch  die  Vorzüge 
dieser  Tragödien  würdigender  Beurtheilung  zurück,  .ob  er  sie  gleich, 
in  Beziehung  auf  ihr  Hauptverdienst,  das  theatralische  Pathos, 
unseres  Bedünkens,  ganz  verkennt.  „Die  Anlage  der  FabeP)  ist 
fast  immer  mehr  oder  weniger  fehlerhaft.  Die  einzelnen  Theile 
vereinigen  sich  nicht  zu  einem  Ganzen ,  und  das  Tragische ,  das 
sich  in  dem  Einzelnen  findet,  bringt  zwar  zuweilen  Stauneu  oder 
Entsetzen,  aber  niemals  Rülirung  hervor."     In  allen  diesen  Aus- 

1)  Vm,  2U.  -  2)  Grundr.  d.  röm.  Litt.  S.  183.  —  3)  a.  a.  0.  S. 
350  ff. 


Urtheile  über  Seneca's  Tragik.  359 

Stellungen  pflichten  wir  dem  einsichtigen  Dramaturgen  unbedenk- 
lich bei,  bis  auf  das  „niemals",  das  Jacobs  im  Verfolge  seiner 
Kritik  selbst  wieder  beschränkt  und  mit  der  treffenden  Bemerkung 
berichtigt:  dass  „einige  Züge  stiller  Ergebung,  Zärtlichkeit  und 
Liebe",  ächter  tragischer  Rührung  folglich,  in  Seneca's  Trauer- 
spielen gleichwohl  vorkämen,  „die  wie  einzelne  Sterne  an  diesem 
düstern  Himmel  funkeln."  Wir  werden  nicht  ermangeln,  diese 
Züge  herauszuheben.  Ebenso  müssen  wir  Jacobs'  Ansicht  beitre- 
ten, wenn  er  sagt:  dass  die  Monologe  und  Erzählungen  mit  rhe- 
torischem Sclimuck  überladen;  die  Begebenheiten  nicht  mit  ge- 
höriger Sorgfalt  herbeigeführt,  die  Scenen  bei  den  meisten  ohne 
Verbindung  sind.  Dass  Alles  in  gleicher  Spannung  von  Anfang 
bis  zu  Ende  gehalten;  dass  von  Entwicklung  der  Charaktere, 
Wachsen  der  Leidenschaften,  allmälichem  Steigen  zu  einer  interes- 
santen Situation,  in  diesen  Tragödien  entweder  gar  nichts,  oder 
nur  „zufälliger  Weise"  zu  finden.  Trotzdem  findet  Jacobs  aber 
doch  auch  vortreffliche,  acht  tragische  Züge,  sogar  „etwas  von  der 
Kraft  des  Aeschylos  im  Seneca",  und  veiivirft  und  verdammt  nicht 
alles  und  jedes  in  Bausch  und  Bogen,  wie  Bernhardy  und,  zu 
unserem  Leidwesen,  auch  Welcker  thut.  ')  Die  wahre  Kritik 
nimmt  Gottes  Barmherzigkeit  zum  Vorbilde.  Diese  mochte,  um 
der  fünf  Gerechten  willen,  selbst  Sodom  und  Gomorrha  vom  Un- 
tergänge lossprechen,  und  fünf  gerade  sejm  lassen.  Aber  auf  den 
fünf  Gerechten  besteht  sie;  fehlen  die  -  ja  dann  gilt's  Feuer  und 
Schwefel  und  Bernhardy. 

Was  Oekonomie  anbetrifft,  Innern  Bau,  Fabelführung,  Ent- 
wickelung  der  Charalrtere  und  Leidenschaften  an  den  allmälich 
der  Katastrophe  zureifenden  Situationen,  mit  einem  Worte,  was 
Kunst  und  Kunsttechnik  anbelangt:  so  steht  diese  Römer-Tra- 
gödie, niclit  blos  im  Vergleich  zur  griechischen,  sondern  auch  im 
Vergleich  zu  der  aus  ihr  hervorgegangenen  classisch-französischen 
Tragödie  des  Corneille  und  seiner  Scluile,  auf  der  untersten  Stufe. 
Noch  trostloser  ist  es  mit  ihr,  in  Rücksiclit  auf  Poesie  der  Tragik, 
bestellt;  in  Bezug  auf  den  philosophischen  Gedankenkern,  den 
Versöhnungs- Begriff",  das  Aufgellen  des  Tragischen  in  ein  grosses 
Weltgesetz.      Unter    diesem    Gesichtspunkt    aufgefasst    kann   die 


1)  a.  a.  0.  S.  1453. 


360  D^^  römische  Drama. 

Seueca-Tragödie  auf  keine,  höhere  Weihe  und  Berechtigung  An- 
spruch machen  als  die  Circusspiele,  die  Gladiatoren-  und  Bestien- 
wettkämpfe ;  so  gotteutfremdet  und  ideenlos  ist  sie  in  ihren  letz- 
ten Zielen.  Dessen  unerachtot  darf  ihr  eigenthümliches,  mederholt 
von  uns  bezeichnetes  Fortschrittsmoment  nicht  übersehen  werden : 
jenes  active,  entschlossenere,  willensstraffe,  aggressive  Pathos,  jene 
spannungsvolle  Energie  im  Leidensausdruck,  zu  welchem  erst  das 
moderne  Drama  die  entsprechend  treibende,  fortreissende  Gewalt 
der  Handlung  fand.  Proben  aus  einzelnen  Tragödien  werden  den 
Charakter  dieses  Pathos  anschaulich  machen. 

M  e  d  e  a.  In  Fabel ,  Verlauf,  in  den  Hauptzügen .  hält  sich 
der  Römer  an  sein  griechisches  Vorbild,  an  die  Medeia  des  Emi- 
pides.  Manches  motivirt  er  anders,  zu  Gunsten  seiner  Heldin,  die 
er  ins  Römisch-Pathetische  heroisiii;  zu  einer  Heldin  nämlich, 
deren  Leidenschaft,  ungleich  dem,  aus  Schmerz enszorn  ob 
verrathener  Liebe,  entsprungneu  Rache-Pathos  der  Medeia  des 
Euripides,  mit  der  wuthentbrannten  Energie  einer  von  Liebes- 
weh und  Kränkung  unerschütterten  Kl}i,ämnestra  ihre  Rachethat 
vollbringt.  Das  Römische  dieses  Medea-Pathos  zeigi  sich  darin, 
dass  der  .Schmerz,  der  das  Rachegefühl  der  Medeia  des  Euripides 
durchdringt,  bei  der  Medea  des  Seneca  in  dem  Ausdruck  der 
Rachewuth  ganz  und  gar  verschwindet.  Sie  ist  die  personificirte 
Weiberrache;  die  eingefleischte  Vorschrift  der  ars  poetica:  Sit 
Medea  ferax  invictaque  ^) ;  die  leibhafte  Furie ,  die  selbst  des 
Schmerzes  Stacheln  als  heissen  Sporn  sich  in  die  Seele  drückt, 
rastlos  hingespannt  auf  ihr  Ziel  und  Opfer,  nur  über  diesem  brü- 
tend, nicht  über  ihrem  Weh,  und  jeden  Jammerlaut  und  Seufzer 
erstickend,  als  einen  Abbruch  an  der  Wollust  ihrer  Rache-Befrie- 
digung. Tragisch  wirkt  aber  nur  ein  von  Schmerz  durchdrmige- 
nes  Rache-Pathos.  Ein  blos  thatfertiges,  wuthentbranntes,  kann 
dramatische  Spannungen  herbeiführen,  Staunen,  Schi'ecken,  Ent- 
setzen erregen,  nicht  jene  Seelensympathie,  woraus  allein  Furcht 
und  Mitleid  entspringen.  Oder  das  Rachegefühl  muss  sich  zur 
Furchtbarkeit  des  Schicksals  erheben,  und  in  Gegenfiguren  den 
tragischen  Schmerz  entfesseln:  wie  Klj^tämnestra  in  der  Kassan- 
dra  z.   B.,  wie  Richard  EL  in  den  Opfern  seiner  dämonischen 

1)  V.  123. 


Seneca's  Medea.  361 

Ehrsucht.  Die  männliche  Seite  des  tragischen  Pathos,  das  Be- 
wegende, die  Katastrophe  Beflttgehide,  vertritt  bei  den  Griechen 
das  Schicksal  eben,  das  Gottverhängie ,  unter  dessen  Druck  der 
Leidensheld  ächzt,  welcher  das  Passive,  das  weibliche  Moment  der 
Tragik  darstellt,  das  Schmerzensmoment,  die  Gemttthsbedrängniss, 
das  Mitleid  und  Rührung  Erregende,  gegenüber  dem  Furcht  Er- 
weckenden, erhaben  Furchtbaren.  Die  römische  Tragödie,  dem 
Nothwendigkeitsbegriff,  der  Schicksalsidee,  als  göttlicher  das  Sit- 
tengesetz vollstreckender  Macht,  entfremdet,  lässt  das  Schreck])are 
so  ausschliesslich  aus  absichtsvoller  Tücke  und  verruchtem  Wollen 
entspringen,  dass  Schmerz  und  Leidgefühl,  auch  seiner  Wider- 
standskraft sich  bewusst,  und  kampffertig  sich  ermannend,  in  dem 
Grade  Mitleid  und  Rührung  schwächen  muss,  als  es  dem  Gegner 
Trotz  bietet.  Welche  Gegenfigur  zur  römischen  Medea  vermöchte 
auch  nur  einen  Schatten  von  dem  Mitleid  zu  erregen,  das  Euri- 
pides  den  Rachgefühlen  seiner  Kindermörderin  zu  entlocken  ver- 
stand, und  das  in  der  Theilnahme  des  Frauenchors  einen  Wieder- 
hall findet?  Die  feindliche  Stellung  von  Seneca's  aus  Korinthern 
bestehendem  Chor  muss  Medea's  grauenerregendes  Trachten  in 
dämonische  Ausbrüche  nur  noch  greller  abheben.  Unstreitig  hat 
Seneca's  Jason  mehr  AVürde  und  männlichen  Adel,  als  der  des 
Euripides,  dessen  Jason,  wie  die  Mehrzahl  seiner  Männer,  ein  er- 
bärmlicher Wicht  ist.  Bei  Euripides  rechtfertigi;  Jason  die  Ver- 
mählung mit  seiner  Fürsorge  für  die  verstossene  Gattin  und  die 
Kinder,  denen  das  neue  Bündniss  zum  Vortheil  gereiche.  Eine 
elende  Beschönigung,  die  wie  Hohn  klingt,  die  aber,  zu  Jason's 
Schimpf  und  Schande  freilich,  dem  Mitleid  mit  Medea  zu  gute 
kommt.  Seneca's  Jason  kaim  einen  thatsächlichen  Grund  der 
Bedachtnahme  auf  Gattin  und  Kinder,  die  Em-ipides'  Jason  nur 
heuchelt,  vorwenden.  Der  thessalische  König  Acastus  hatte  näm- 
lich die  Auslieferung  der  Medea  und  der  Kinder  von  Kreon, 
König  der  Korinther,  gefordert,  um  den  durch  Medea  verschulde- 
ten Tod  seines  Vaters  Pelias  an  ihr  zu  rächen.  Dieses  Motiv  lässt 
die  Vermählung  von  Seneca's  Jason  mit  der  korinthischen  Prin- 
zessin, wodurch  die  Auslieferung  Medea's  verhütet  wird,  nicht 
minder  hassenswerth  und  verdammlicli,  doch  minder  verächtlich, 
als  bei  Euripides,  erscheinen.  Der  Beweggrund  mildert  in  etwas 
Jason's  PIlichtvergessenheit  gegen  Gattin  und  Kinder;  giebt  seiner 


3(52  Das  römische  Drama. 

Mauneswüi'de  eiuigen  Halt  in  imsereü  Augen,  und  adelt  gewisser- 
maassen  auch  die  Eache  der  Medea,  die  an  der  fühllosen  Ver- 
worfenheit des  Euripideischen  Jason  scheiteH.  Allein  selbst  dieser 
den  Jason  des  Seneca  veredelnde  Zug  erhöht  nur  die  Haltung  der 
Tragödie;  scliwächt  aber  in  demselben  Maasse  das  Tragische  der 
Katastrophe,  als  jedes  rechtfertigende  Motiv  auf  Seiten  des  Un- 
rechts, das  sie  verschuldet,  das  tragische  Schwergewicht  gleich- 
sam vermindert.  Das  blos  Verständige  und  Würdige,  weit  ent- 
fernt, dem  Untragischen  der  Leidenschaft  aufzuhelfen,  erhellt  es 
vielmehr  nur  mit  seinem  kalten  Licht.  Ein  wirklicher  Poet  kann 
aus  einem  Mangel  an  Oharakterfolge  und  Würdigkeit  Vortheile 
für  die  Erregung  von  Furcht  und  Mitleid  ziehen,  die  der  bessere 
Charakteristiker,  der  kein  Dichter  ist,  niemals  eiTeicht,  ja  dadurch 
eben,  und  im  Verhältniss  als  seine  Personen  edler  und  würdiger 
gebahren,  verscherzt.  Der  wirkliche  Dichter  ist  der  Zauberer 
eben  —  uti  Magus  —  dem  die  Geister  der  Eührungen  und 
Schrecken  zitternd  und  auf  den  Wink  gehorchen;  mögen  auch 
diese  Rührungen  und  Schrecken  böse,  gefährliche  Dämonen  seyn, 
und  er  selbst  ein  arger  Zauberer,  der,  mit  feindlichen  Mächten 
im  Bunde,  seine  Zauberkunst  und  Zaubergewalt,  sein  Genie,  wie 
Euripides  zuweilen,  missbraucht.  Aber  er  zwingt  und  beherrscht 
doch  die  tragischen  Geister,  dass  sie  manchmal  sogar  die  Gestalt 
und  Form  der  guten  Genien,  der  ächten  tragischen  Leidenschaften 
annehmen,  und  unser  Gemüth  berücken.  Dem  Römer  ist  auch 
diese  Kunst,  diese  Zauberraacht  einer  falschen  täuschenden  Tragik 
nicht  verliehen;  er  ist  kein  Hexenmeister.  Sein  Zauberstab  ist 
die  hochrednerische  Tirade,  deren  Schwung  die  tragischen  Geister 
eher  verscheucht  alsheraufl^eschwört;  ein  Zauberstab,  der  nur  sein 
strammes,  gestrecktes  Wesen  den  dramatischen  Figuren  als  pathe- 
tische Würdigkeit  anzaubert,  und  sie  selbst  gleichsam  zu  ehren- 
festen Zauberstecken  emporsteift  von  der  schwunghaftesten  Wir- 
kungslosigkeit in  Beziehung  auf  Geisterruf  und  Bann.  Tragische 
Charakterhoheit  mid  tragische  Leidenschaftswirkung  zugleich  ver- 
mag einzig  der  gottbegnadete  und  gotterwählte  Dichter-Prophet 
in  seinem  dramatischen  Personen  zu  verschmelzen;  vermögen  nur 
die  Prospero's  der  tragischen  Kunst,  die  den  Kaliban  mit  dem 
Ariel  bändigen  und  zwingen.  Der  Leidenschaftsausdruck  des  rö- 
mischen Tragikers  ist  dem  römischen  Charakter-Pathos  gemäss, 


Medea.    Charakter  von  Seneca's  Pathos.  363 

dem  der  romanischen  Völker  überhaupt,  von  rhetorischem  Schrot 
und  Korn.  Das  heisst:  der  Römer  behandelt  die  tragische  Lei- 
denschaft mehr  in  abstracter  Weise,  indem  er  ihren  Grundzug 
durchführt,  anstatt  die  Hauptleidenschaft  zur  Katastrophe  zu  ent- 
wickeln, so  dass  in  ihr  das  ganze  menschliche  Herz  sich  offenbart 
mit  allen  seinen  Tiefen,  Abgründen  und  Schrecken,  die  aber  alle 
die  Grundfarbe  der  herrschenden  Leidenschaft,  der  tragischen  Do- 
minante gleichsam,  tragen.  Der  Römer  versteht  sich  nicht  auf 
den  vielstimmigen  Satz  der  tragischen  Leidenschaft,  wenn  man  so 
sagen  darf.  Daher  wirkt  seine  Tragödie  wie  eine  durchgängige 
Monodie.  Er  versteht  nicht  —  wenn  wir  ein  Paar  Situations- 
Scenen  ausnehmen  —  das  kunstvolle  Verflössen  und  Vertrei- 
ben der  Farben,  nicht  die  feinen  Dämpfungen,  die  Magie  der 
Licht-  und  Schattenvertheilung,  den  Zauber  des  Helldunkels.  Da- 
her macht  seine  Tragödie  den  Eindruck  eines  Monochrom.  Und 
woran  liegt  es,  dass  der  römische  Tragiker  in  dieser  Weise  das 
tragische  Pathos  behandölt?  Daran  liegt  es,  weil  in  dem  römi- 
schen Wesen  überhaupt  das  Charakter-Pathos  vorwaltet  vor  dem 
des  Geistes  und  der  Empfindung.  Das  ganze  Innere  des  Römers 
wuchert  gleichsam  in  Thatkraft  auf  und  in  die  einzige  Leiden- 
schaft ihrer  Befriedigung  als  Genusskraft.  Nun  spannt  die  That- 
kraft ihre  ganze  Energie  auf  einen  praktisch  bestimmten  End- 
zweck. That-  und  WiUenkraft  als  Individualität  ist  eben  Cha- 
rakter, dessen  Richtung  pfeilscharf  und  pfeilstarr  auf  ein  unfehl- 
bares Ziel  hillstrebt.  Dieselbe  starreiuseitige  Selbstbefriedigung 
wird  denn  auch  der  tragische  Charakter  verfolgen;  sein  Empfin- 
dungsausdruck den  Geist  dieser  stetig  angestrengten  Spannkraft 
athmen;  den  Geist  praktisch  zweckhafter  Zielerstrebung,  den  rhe- 
torischen Geist  athmen.  Wie  der  Schwimmer  die  andringen- 
den Wogen,  so  wirft  der  rhetorische,  vom  Pathos  starrer  Zweck- 
verfolgung erfüllte  Charakterheld  die  anfluthenden  Schmerzeus- 
strömungen  als  Hemnisse  aus  dem  Weg,  und  schleudert  sie  ab 
„mit  einer  Brust  des  Trotzes."  Der  poetisch  tragische  Charakter 
gleicht  dagegen  einem  Schiff  im  Seesturm,  das,  ewig  aus  der 
Richtung  geworfen,  in  allen  Fugen  ächzt  und  schüttert;  von  heissen 
Wunden  klafft;  die  bittern  Wasserfliithen  eiiischlürft,  bis  es,  von 
Meer  und  Orkanen  selber  gleichsam  zum  Wogenschwalle  gestürmt, 
auseinanderbirst  und  zerschellt. 


364  Dfis  römische  Drama. 

Aber  auch  —  um  nicht  selbst  von  unserer  Medea  zu  weit 
ab  verschlagen  zu  werden  —  auch  die  von  Manchen  als  eine  Ver- 
besserung des  Euripides  gerühmte  plötzliche  Wendung  bei  Seneca 
will  uns  bedenklich  scheinen;  die  Wendung  in  Medea's  bis  heran 
ausschliesslich  auf  Kreon  und  dessen  Tochter  gerichteter  Each- 
gier,  die  sich  nur  gegen  Jason  in  dem  Augenblicke  kehrt,  wo 
Medea  aus  der  Weigerung  Jason's,  ihr  seine  Kinder  zu  lassen, 
dessen  Vaterliebe  folgert,  und  sie  miteins  der  Gedanke  über- 
kommt, nun  ihn,  den  Treulosen,  auch  in  diesem  zweitverwund- 
barsten Punkte  seines  Herzens  tödtlich  zu  treffen.  Als  Peripetie 
aus  dem  Stegi*eif  und  augenblicklicher  Eingebung  möchte  dieser 
Umschlag  in  Medea's  Rachemotiven,  in  Bezug  auf  Erfindung  und 
tragische  Wirkimg  von  zweifelhaftem,  von  fraglichem  Werthe  er- 
scheinen dürfen.  Auf  Jason's  Worte  (V.  747) :  „Eh  kann  ich  dem 
Leben  selbst  entsagen",  als  von  den  Kindern  lassen  —  halt, 
denkt  Medea,  „liebt  er  sie  so  heiss,  nun  fass'  ich  dich,  nun  treflT 
ich  dich  gewiss!"  —  so  spricht  sie  bei  Seite.  Und  nun  spaltet 
sie  den  Blitzstrahl  üirer  Rache:  der  eine  äschert  die  Braut  sammt 
Vater  ein:  den  andern  schmettert  sie  in  Jason's  Vaterherz.  Das 
veiTäth  mehr  Raffinement  des  Rachekitzels,  als  Racheverzweiflung 
eines  rasenden  Weibes,  einer  unseligen  Mutter.  Der  Einfall  mag 
für  den  Erfindungswitz  des  Dichters  zeugen:  aus  der  Gemüths- 
lage  seiner  Heldin  springt  der  Funke  nicht,  der  ins  Pulverfass  der 
Katastrophe  fällt.  Ein  gewittervolles  Herz,  wie  Medea,  hat  keine 
unversehenen  Einfälle:  in  der  Regel  Sternschnuppen  eines  unbe- 
wölkten —  Gehirns.  Ein  von  Stürmen  durchtobtes,  mn  die  Wette 
mit  ihrem  Zauberkessel  von  allen  finstern  Naturki'äften  und  Gif- 
ten kochendes  Medeagemüth  durchzuclrt  nicht  mit  einmal  die 
Erinnerung  an  das  wichtigste,  wie  aus  Zerstreutheit  vergessene 
Ingredienz  zum  Brautrank  ihrer  Rache.  Euripides'  Medeia  fasst 
den  Entschluss,  die  Kinder  zu  tödten,  nachdem  sie  vom  Päda- 
gogen vernommen,  dass  die  Knaben  vom  Banne  losgesprochen. 
Nun  ergreift  der  heftigste  Schmerz  üu-  Innerstes.  In  Feindes- 
land dem  schlechtesten  der  Väter  die  mutterlosen  Waisen  über- 
lassen -  in  dieser  durch  die  gleichzeitige  Meldung  vom  Erfolge 
ihres  entsetzlichen  Brautgeschenkes  grauenvollen  Lage  muss  Me- 
deia n,  ja  muss  dem  Zuschauer  der  Kindermord  als  ein  Act  des 
Muttererbarmens,  der  Mutterzärtlichkeit  erscheinen.    Und  in  sol- 


Das  Pathos  der  Medea.  365 

chem  wenngleich  täuschenden  Lichte  mildernder  Beweggründe 
hat  Euripides  die  Schauderthat  uns  auch  erscheinen  lassen  und 
das  Unglaubliche  erzielt:  das  Herz  der  Zuschauer  zum  Mitleiden 
mit  der  Giftmischerin,  der  Kindermörderin  bewegt.  Das  ver- 
mochte der  Römer  nicht,  trotz  allem  Aufwände  an  Staunen  er- 
regender, dramatisch- theatralischer  Kraft  in  leidenschaftlichem 
Ausdruck,  in  Pracht  und  brennender  Gluth  der  Farben,  in  den 
erschütterndsten  Gewitterschlägen  eines  rastlosen,  die  ganze  Natur 
in  Mitleidenschaft  stürmenden,  rasenden  Gemüthaufruhrs.  Wir 
schaudern  ob  dieser  Medea,  nicht  um  diese  Medea.  Sie  starrt 
uns  zu  unschmelzbarem  Eis.  Sie  spricht  lauter  Medusenschilde. 
Ihre  Zaubergewalt  bringt  die  Natur  in  Aufruhr,  nicht  unser  Ge- 
müth.  Ihre  Beschwörungen  entreissen  dem  Himmel  Sonne,  Mond 
und  Sterne;  unsern  Augen  nicht  eine  Thräne.  Kräutern,  Wur- 
zeln und  Stengeln  versteht  sie  die  ätzendsten  Säfte  abzupressen; 
dem  wimderlichen  Gewächs  mit  der  geheimnissvollsten  Zauber- 
wurzel, dem  Herzen,  nicht  Einen  salzigen  Wassertropfen,  den 
heilkräftigsten  Wunderbalsam.  Kurz  sie  kann,  was  die  Hexen 
überhaupt  nicht  können  —  sie  kann  nicht  weinen.  Bekannt- 
lich aber,  und  wie  doch  Seneca  aus  seines  Landsmanns  „Dicht- 
kunst" wissen  müsste :  Si  vis  me  flere  dolendum  est  Primum  ipsi 
tibi.  ^)  „Willst  du,  dass  ich  weine,  musst  du  selbst  erst  Kum- 
mer mir  zeigen."  Von  diesem  Zauberspruch  allein  weiss  Sene- 
ca's  Medea  nicht,  und  glaubt  sich  der  Wirkung  sicher,  wenn  sie 
auch  jenem  andern  Kernspruch  ins  Auge  schlägt: 

Nee  pueros  corain  populo  Medea  trucidet.  ^) 

„Nicht  vor  den  Augen  des  Volkes  ermorde  Medea  die  Kinder." 

Seneca's  Medea  tritt  auch  diese  Warnung  mit  Füssen  und 
schlachtet  beide  Kinder,  eins  nach  dem  andern,  coram  populo, 
und  schleudert  dem  Vater,  vom  Drachenwagen  herab,  die  Lei- 
chen beider  Knaben  zu: 

„Da,  Vater,  habe  deine  Söhne  dir!" 

Und  fliegt  durch  die  Lüfte  davon. 

Statt  des  Klaggestöhns  hinter  der  Scene,  womit  gleich  im 


1)  Hör.  A.  P.  102  f.  -  2)  Das.  v.   185. 


366  Das  römische  Drama. 

Beginn  Euripides'  Medeia  unser  Herz  bedrängt,  Himmel,  welche 
Verwünschungen,  welche  Götteranrufe,  welche  Ohr  erschütternden 
Flüche  und  welche  Masse  von  Mythologie  schon  in  der  Eingangs- 
scene,  mit  Hülfe  deren  Seneca'sMedea  unsere  längst  ausgeschwitzte 
Götterlehre  wieder  von  den  Todten  erweckt  und  heraufbeschwört! 

Ihr  Götter  all',  die  ihr  die  Ehe  schützt!  Lucina, 

Des  freudenreichen  Torus  Hüterin! 

Und,  die  dem  Wogeubändiger  Tiphys  du 

Das  Schiff'),  dies  neue  Wunder,  lenken  lehrtest, 

Du  auch,  der  Meerestiefen  stürm'ger  Herr, 

Du  Titan,  der  Welten  spendet  des  Tages  Licht! 

Und,  die  dem  schweigsam-ernsten  Opferbrauch 

Die  Leuchte  stellt,  so  kundig  niederschaut, 

Du  dreigestaltige  Hekate ! 

Ihr  air,  zu  denen  Jason  einst  mir  schwur! 

Und  ihr,  die  nur  Medea  rufen  darf: 

Du  Urgewirr  der  ew'geu  Nacht,  du  Thron 

Der  himmlischen  Feind',  unselige  Geister  ihr, 

Du  Herr  des  Trau'rreichs,  und  Herrin  du  2) 

Von  tr eurer  Lieb'  entführt :  ich  rufe  euch, 

Euf  euch  mit  unglücksschwerem  Ruf. 

Herbei  des  Meineids  Rächeriimen  ihr! 

Herbei  mit  grausig-losem  Sclilangenhaar, 

In  blut'ger  Hand  die  düstre  Fackel  schwingend,  — 

Wie  schreckenvoll  an  meinem  Brautbett  ihr 

Gestanden,  Göttinnen,  so  kommt,  bringt  Tod 

Der  neu  erkorenen  Braut,  dem  Schwieger  Tod, 

Und  Tod  dem  ganzen  Königstamm!  .  .  . 

„Dem  Bräutigam"  (Jason)  wünscht  sie  fürs  Erste  nur  „Aechtung 
und  heimathloses  UmheriiTen"  an  den  Hals. 

Durch  Herzens  Grund  such'  dir  zur  Rache  Bahn, 
Lebst  du  mein  Muth;  und  blieb  dir  etwas  noch 
Von  alter  Kraft,  so  scheuch'  die  weib'sche  Furcht, 
Und  hüUe  dich  in  den  unwirthbar'n  Kaukasus. 
Ha!  Avildes  Unheil,  grässlich,  unerhört, 
Dem  Himmel  schreckhaft  wie  der  Erde,  kreist 
In  seinen  Tiefen  mein  Gemüth  .  .  . 

Diesen  Grundton    schlägt  der  erste  Monolog  für  alle  Folge 
1)  Argo.  —  2)  Proserpina. 


Medea.     Seneca's  Diction.  367 

an.  Das  tliatverwogeue  Pathos  schwillt  mit  deu  Scenen  zu  immer 
kühnerer,  wilderer  Heftigkeit,  vermag  aber  doch  nicht  einen  Wechsel 
der  Stimmungen,  eine  Steigerung  der  Situationen,  einen  eigent- 
lichen Fortschritt  der  Handlung  zu  bewirken.  Trotzdem  möch- 
ten wir  den  Redeausdruck  darum  nicht  bombastisch  nennen.  Das 
Bombastische  oder  Schwülstige  leidet,  bei  hochgebahrender  Gross- 
wortigkeit,  zugleich  an  innerer  Markleere  und  Hohlheit.  Seneca's 
Diction  sündig-t  vielmehr  dm'ch  Ueberstrafflieit,  dm-ch  Verwegen- 
heit des  Ausdrucks,  üeberti-ieben  mag  man  den  Eedestyl  lieissen, 
unausgesetzt  angespannt,  voller  Schwellungen  vor  drangvoller  üeber- 
kraft,  wie  der  Körper  eines  Ringkämpfers,  eines  Milo.  Seneca's 
Styl  ist  athletisch,  wie  sein  Pathos,  mit  dem  er,  wie  der  Thier- 
kämpfer  in  der  Arena  mit  Löwe  und  Tieger,  ringt,  aus  Risswun- 
den au  allen  Stellen  blutend. 

Der  Chor  singt  das  Hochzeitslied  zur  Feier  von  Jason's  Ver- 
mählung mit  der  Königstochter,  wozu  die  ganze  M3'thologie  ein- 
geladen wird.  Der  Seneca-Chor  scheint  überhaupt  nur  aufzutre- 
ten, um  einen  V^ortrag  über  Mythologie,  Geographie  und  Astro- 
nomie zu  halten,  wie  reisende  Virtuosen  sich  in  den  Zwischenacten 
hören  lassen.  Trotzdem  ist  auch  der  Chor-Styl  in  Form,  Ausdruck 
und  selbst  durch  Gehalt  und  Gedanken,  mit  römischen  Gewichten 
gewogen,  bedeutsam  und  studienwürdig.  In  Hoche's  schätzbarer 
Schrift  'j  ist  dieser  Gegenstand  mit  kritischer  Einsicht  behandelt. 

Medea  vernimmt  den  Hochzeitsgesang  und  eröffnet  den  zwei- 
ten Act  mit  einem  zweiten  Monolog  von  monotoner  Redekraft, 
aber  wieder  ein  pathetisch-declamatorisches  Prachtstück,  berech- 
net für  Gehör  und  Schausinn,  und  desshalb  theatralisch.  Die 
Amme  tritt  hinzu,  die  obligate  Theater-Amme,  rathend,  warnend, 
ermahnend  und  predigend,  natürlich  tauben  Ohren.  Sie  leistet 
dem  Dichter  und  der  Heldin  den  Dienst,  den  jener  ausgestopfte 
V  Drache  in  Schiller's  „Kampf  mit  dem  Drachen",  dem  Ritter  Kurt 
leistet,  der  an  ihm  seine  Hunde  für  den  Kampf  mit  dem  wirk- 
lichen Drachen  einübt.  So  müssen  auch  die  Seneca-Ammen  den 
Leidenschaften  ihrer  Gebieterinnen  herhalten,  die  an  ihnen  Vorstu- 
dien machen.     Medea's  Scene  mit  der  Annne  ist  eine  solche  Vor- 


1)  Die  Metia  des  Tragikers  Seneca.  1862.  8. 


368  1^3'S  römische  Drama. 

Studie,  die  aber  hier  ein  wirklicher  Drache  mit  einem  ausgestopf- 
ten anstellt. 

Die  Scene  zwischen  König  Kreon  und  Medea  ist,  wie  das 
Seeuarium  überhaupt,  nach  dem  Schema  des  Euripides  zugeschnit- 
ten. Seneca's  Kreon  erscheint  als  gemeiner  Theater-Wütherich, 
verglichen  mit  dem  des  Euripides,  der  seinen  Herrscher  von  Ko- 
rinth  durch  einen  Zug  von  dem  attischen  Königsanstand  eines 
Theseus  zu  veredeln  wusste.  Seneca's  Korintherfürst  schnaubt 
seine  vorschriftsmässige  Tyrannenwuth  in  Schmähungen  aus,  denen 
Medea  das  stolze  Bewusstseyn  ihres  fürstlichen,  ja  göttlichen  Ur- 
sprungs „vom  hohen  Phöbus"  entgegensetzt.  Sie  rühmt  sich  ihrer 
Thaten  und  Verdienste  um  die  Argonauten  in  einer  glänzenden 
Schilderung  ihrer  Wagnisse  und  Abenteuer ;  so  glänzend,  dass  ihr 
Herzleid  bei  der  ihr  anbe&hlenen  Entfernung  und  Trennung  von 
den  Kindern  davon  verdunkelt  wird,  und  der  blendende  Prunk 
der  Apostrophe  ihre  Mutterthränen  aufsaugt,  wie  der  Strahl  des 
Helios,  ihres  Ahnlierrn,  den  Morgenthau. 

Kreon.  Du  solltest  lange  fort  schon  sejTi     Wozu 

Verbringst  du  mit  Geschwätze  hier  die  Zeit? 
Medea.     Noch  einmal  komm  ich,  Eines  nur  zu  tieli'n; 
Die  Kinder,  die  unschuld'gen,  treti'e  nicht 
Der  Mutter  Schuld     .... 
0  bei  dem  Glück,  was  diesem  Fürstenpaar  ') 
Erblüh'n  soll  aus  dem  wonn'gen  Hochzeitsbett, 
Bei  deiner  Hotfnung,  bei  des  Thrones  Heil, 
Den,  schnellen  Wechsels,  stürzen  kann  das  Glück  — 
Beschwör'  ich  dich,  o  gönne  der  Verstoss'nen, 
Der  Mutter  eine  kurze  Frist,  dass  sie 
Den  letzten  Kuss  noch  auf  die  Lippen  drücke 
Der  Kinder,  der  geliebten,  dann  vielleicht 
Im  Schmerze  sterbe!  .  .   . 

Rührende,  herzbewegende  Worte,  die  denn  auch  im  Munde 
von  Euripides'  Medeia  ihre  Wirkung  nicht  verfehlen;  die  aber  an 
dem  Ruhmesbewusstseyn,  womit  Seneca's  Medea  ihren  Ursprung 
und  ihre  Thaten  schildert,  und  in  ihrem  rednerischen  Pathos  er- 
bleichen, das  schier  so  blinkt  und  gleisst  wie  das  goldene  Vliess, 
das  sie  erbeuten,  und   die  Schuppen  des  Drachen- Wächters,  den 

1)  Jason  und  Creusa. 


Medea.     Chor-Geographie.  369 

sie  erschlagen  half.  Kreon  bewilligt  noch  eines  Tages  Frist  und 
entfernt  sich.  Der  Chor  singt  von  dem  tollkühnen  Wagniss  der 
ersten  Meerfahrt.  Der  Gesang  schliesst  mit  der  berühmten  Weis- 
sagung, die  man  auf  die  Entdeckung  Amerika's  gedeutet: 

Späten  Geschlechteru 
Wii'd  kommen  die  Zeit, 
Wo  der  Ocean  lösen 
Wird  jede  Umzäumung; 
Wo  das  unermessliche 
Weltall  sich  aufthut 
Und  ein  Tiphys  i) 
Welten  entdecket, 
Die  niemand  geahn't. 
Thule  bleibt  nimmer  die 
Markung  der  Erde. 

Des  Römers  von  der  Höhe  römischer  Ländereroberung  und 
Weltbeherrschung  in  die  Zeiten  schauende  Chor -Geographie  hat 
sich  in  diesen  Worten  bis  zum  geogTaphischen  Prophetengeist,  und 
dennoch  nicht  bis  zur  Ahnung  einer  geographischen  Zukunfts- 
Dramatik  emporgeschwungen,  deren  Keim  schon  in  der  Weis- 
sagung liegt.  Der  Seherblick  des  Chors  hat  sich  nicht  bis  zur 
Vorherschau  einer  Tragödie  der  Geographie,  der  Cokmibus-Tragödie, 
erhoben,  die  in  der  dramatischen  Literatur  der  Neuzeit  zu  einer 
besondern  Gattmig  gediehen,  mid  die  uns  seiner  Zeit  in  Anspruch 
nehmen  wird. 

Medea  stürzt  mit  dem  dritten  Act  aus  dem  Hause ;  die  Amme 
ihr  nach  und,  wie  sich  von  selbst  versteht,  begütigend,  besänfti- 
gend, rathend,  ermahnend,  und  diessmal  auch  noch  in  die  Speichen 
des  unauflialtsam  von  der  steilsten  Anhöhe  der  pathetischen  My- 
thologie und  Astronomie  niederrollenden  Rades  der  Leidenschaft 
treubesorglich  greifend : 

0  bleibe,  massige 
Dein  Toben,  halte  deinen  Grimm  zurück! 

(zu  sich  selbst) 
Wie  die  Mänade  dort  in  heiliger  Wuth 
Umherstürzt,  wenn  die  trunkne  Brust  der  Gott 
Gewaltig  schwillt  .... 


1)  Steuermann  des  Schitt'es  Argo. 
II.  -24 


370  Das  römische  Drama. 

So  rennt  in  wilder  Wallung  sie  umher, 

Im  Blick  der  heissen  schäumenden  Eachgier  Spur. 

Ihr  Antlitz  flammt,  jetzt  stöhnt  sie  tief  und  bang. 

Jetzt  schreit  sie  auf,  ein  reicher  Thränensti-om 

Entstürzt  den  Augen,  bald  meder  lächelt  sie; 

Und  jede  Leidenschaft  tobt  laut  aus  ihr. 

Nun  steht  sie  stiU,  jetzt  droht,  jetzt  braust  sie  auf. 

Klagt  nun  und  weint.     Wo  zieht  das  Wetter  hin? 

Wo  trifft  der  Schlag?  Wo  bricht  die  Zornfluth  sich? 

Sie  überströmt 

— — —  Ich  seh'  sie  rasen. 

Wie  nie  ich  sie  gesehen.     Ungeheu'res 
Droht  uns,  unmenschlich-gottlos-Grässliches. 
0  macht  zu  nichte,  Götter,  meine  Furcht! 

Schilderung,  Beschreibung  von  Affecten,  die  sich  zu  gleicher  Zeit 
in  Medea's  Geberdenspiel  abspiegeln,  dramatisch  völlig  überflüssig, 
und  doch,  als  rhetorisches  Schaustück,  prächtig  wie  ein  in  der 
Sonne  spiegelndes  Pfauem-ad ;  und  der  Situations-Monient  vollkom- 
men theatralisch. 

Medea  bleibt  sinnend  stehen  und  spricht  für  sich: 

Siehst  duj.  o  Arme,  deiner  Rache  Maass 

Und  Ziel?  —  Sey  deine  Liebe  Muster  dir. 

Ich  soU  die  Fackel  sehn  des  Fürstenpaars 

HeU  lodern  ungerächet?  Thatenlos 

Entschwände  mii-  der  Tag,  den  ich  so  schwer 

Erlangt,  den  er  so  hart  gewähret?  Nein! 

So  lang  der  Himmel  um  den  Erdball  schwebt. 

Die  Schauerwelt  dort  ihre  Bahnen  roUt, 

So  lange  nicht  der  Sand  gezählt,  so  lange 

Der  Tag  der  Sonn',  das  Sternheer  folgt  der  Nacht, 

So  lang  den  Pol  der  Bärin  heU  Gestii-n, 

Das  nimmer  sich  in  Meerfluth  taucht,  umkreist, 

So  lange  Ströme  münden  in  das  Meer. 

Wird  nimmer  mir  der  Durst  nach  Räch'  erlöschen. 

Ja  wachsen  soll  er,  immer  heisser  glüh'n.  — 

Euripides'  Medeia  lässt  in  ähnlicher  Situation  die  düstern 
Flammen  ihres  Rachegefühls  aus  dem  Innern  Feuerschooss  ihres 
Schmerzes  hervorbrechen,  während  Seneca's  Medea  sich  mit  glän- 
zenden, von  der  Himmels-  und  von  der  Erdkunde  entlehuten  Bil- 
dern die  Flanken  schlägt  und  zur  Bache  spornt.  Nachdem  sie 
noch  Scylla  und  Charybdis,  das  jonische  und  sicilische  Meer,  den 


Medea  und  Jason.  371 

Aetna  und  die  stöhnenden  Titauen  in  Unkosten  gesetzt,  kommt  sie 
auf  Jason,  den  sie  so  gern  entschuldigen  möchte:  ein  schöner 
Zug;  stimmt  er  aber  zu  dieser  Medea?  Das  prasselnde  Feuer  im 
Kamin  könnte  eben  so  gut  mit  den  Wassertropfeu,  als  seinen 
Thränen,  prahlen,  die  das  arme  Reisig  schwitzt: 

....  Er  wich  der  Uebermacht  allein, 

Ungern  nur  giebt  er  ihr  die  Hand;  doch  könnt'  er 

Zur  Gattin  kommen,  Lebewohl  ihr  sagen. 

Ist  es  nicht,  als  ob  der  Aetna,  abwechselnd  mit  Lava  und  glü- 
henden Steinmassen,  Rosen  spiee?  Jason  kommt  ihr  Lebewohl 
sagen,  in  einer  Scene,  die  als  Seneca's  Meisterstück  gelten  kann, 
und  die  wir,  was  theatralische  Wirkung,  vor  allem  Adel  des  Pa- 
thos betrifft,  über  die  ihr  entsprechende  des  Euripides  stellen: 

Medea.     Wir  fliehen,  Jason,  flieh 'n!  — 
Mü-  ist's  nicht  neu, 
Unstät  umher  zu  zieh'n;  doch  das  Warum 
Und  Wie  ich  jetzt  niuss  flieh'n,  das  ist  mir  neu. 
Mit  dir,  um  deinetwillen  irrt'  ich  sonst; 
Nun  zieh'  ich  von  dir,  ach !  weit  fort,  allein. 
Von  deinen  Laren  stössest  du  mich  hinaus? 
Zu  welchen  schickst  du  mich?  Zu  des  Phasis  Ufer, 
Nach  Kolchis  hin  in  meines  Vaters  Eeich? 
Weh' !  dort  dampft  mir-  des  Bruders  Blut  entgegen  ! 
Gebeut,  in  welche  Lande  soll  ich  flieh'n. 
Durch  welche  Meere?  .... 
0  undankbares  Haupt!  ruf  ins  Gemüth 
Die  feuerschnaubenden  Stiere  dir  zurück  .  .  . 

Es  folgt  ein  besclireibendes  Prachtstück,  wie  ein  reichgallo- 
nirter  Bedienter  in  der  Paradelivree,  oder  ein  aufgeschmückter  kap- 
padocischer  Sklav  seiner  römischen  Herrin  folgt.  Solche  Prunk- 
lappen kann  nun  einmal  die  römische  Tragödie  nicht  entbehren. 
Ihr  Kothurn  gleicht  schier  dem  Krönungs-Stiefel  jener  russischen 
Czarin,  der  so  dick  mit  schweren  Edelsteinen  besetzt  war,  dass 
die  Czarin  auf  dem  Krönuugsgang  nacli  dem  Kremel  nicht  fort- 
konnte, als  schleppte  sie  Mühlsteine  an  den  zarten  Füssen  nach, 
und  zur  Krönung  getragen  werden  musste.  Medea,  sie  freilich 
fühlt  ihren  Hochschwung  durch  den  Juwelen-Stiefel  nicht  beirrt, 
und   setzt  ihn  amazoniscli  auf  Jason's  Nacken.     Vielleicht  auch 

24* 


372  r)^s  römische  Drama. 

empfindet  sie  die  Schwere  weniger,  weil  die  wenigsten  Steine  acht, 
und  die  Perlen  —  römische  Perlen  sind.  Das  Prachtstück  schil- 
dert die  Gefahren  und  Wagnisse,  die  sie  für  Jason  bestanden; 
dann  fährt  sie  fort: 

Bei  demer  Kinder  Wohl,  bei  ihrer  Euh, 

Bei  den  Ungeheuern,  die  ich  dir  zwingen  half  .... 

Beschwör'  ich,  o  erbarme  meiner  dich. 

Gieb,  Glücklicher,  mir  mein  vorig  Glück  zurück! 

—    —    —     —    —    Dil-  folgt'  ich 

In  fremde  Lande,  verliess  mein  eigen  Reich, 

Um  dich  entsagte  ich  dem  Vaterland, 

Dem  Vater,  Bruder  und  der  Scham,  das  bracht'  ich 

Zur  Morgengabe  dir.     Soll  ich  nun  flieh'n, 

Gieb  mir  zuerst  mein  Eigenthum  heraus. 
Jason.     Dich  tödten  wollte  Kreon's  Grimm;  erweicht 

Von  meinen  Thränen,  mildert'  er  den  Spruch  in  Bann. 
Medea.     Für  Strafe  also  Gnad'  —  Ich  hielt's  für  Acht! 
Jason.     Weil  du  kannst,  entflieh,  o  fliehe  schnell! 

Schwer  trifft  der  Könige  Zorn. 
Medea.  Das  räthst  du  mir? 

Kreusen  bist  du  hold.     Das  Kebsweib  mag 

Nun  zieh'n. 
Jason.  Medea  schilt  um  Liebe  mich? 

Medea.     Um  Trug  und  Mord. 
Jason.  Sprich,  welcher  bösen  That 

Darfst  du  mich  zeihen. 
Medea.  Aller,  die  ich  vollbracht  .  .  . 

Jason.     Zähm'  du  —  die  zornempörte  Brust 

Und  halt  dich  still  um  deiner  Kinder  halb  .  .  . 
Medea.     Ha!  nimmer  sollen  die  Ai-men  schau'n  den  Tag, 

Wo  ihren  Stamm  so  schnöde  Frucht 

Besudelt,  dass  die  Enkel  Sisyphus' 

Mit  Phöbus'  Enkeln  frech  sich  messen  dürften. 


Jason.     Was  soll  ich  thun,  sag  an 

Medea Auf!  lass  uns  ringen 

Zusammen ;  Jason  sey  des  Kampfes  Preis. 
Jason.    Der  Leiden  müde,  weich  ich  dem  Geschick. 
Und  du,  die  so  viel  litt,  thu'  du  es  auch. 

Mede*.     .     .     .     .     Ich  will  ja  nicht,  dass  du 

Das  Schwert  auf  deinen  Schwieger  zückst,  Medea 
Treibt  dich  ja  nicht,  dass  mit  der  Deinen  Blut  du 


Medea.     Die  Amme.  373 

Die  Hand  befleckst.     Komm,  schuldlos  flieh  mit  mir  .  .  . 
Jason.     Ich  fürchte  der  hohen  Herrscher  schwere  Macht. 
Medea.    Begehr-'  du  sie  mir  nicht. 
Jason.  Dass  nicht  Verdacht 

Errege  das  Gespräch,  lass  uns  es  enden  .  .  . 

Sie  ruft  des  Himmels  Blitze  auf  sich,  auf  ihn  herab: 

Jason.  Fass  dich  doch. 

Besinne  dich,  sprich  ruhiger!  Und  kann 
Dir  etwas  aus  des  Schwiegers  Haus  der  Flucht 
Drangsale  lindern,  sprich  und  fordr'  es  kühn. 

Medea 

Nur  dass  die  Kindlein  mich  geleiten  auf 
Der  Flucht,  nur  das  gestatte  mii",  dass  ich 
In  ihren  Schooss  kann  eine  Thräne  weinen. 
Dir  werden  andre  Kinder  ja  bald  erblühn. 

Diese  Worte  rühren  zu  Thi'änen,  aber  nur  Dank  den  Punkten, 
den  Stellvertretern  der  übergangenen  Verse. 

Hier  folgt  die  schon  l)e zeichnete  Wendung,  wo  Medea  Jason's 
väterlicher  Liebe  zu  seinen  Kindern,  von  denen  er  sich  nicht  tren- 
nen kann,  jach  den  Blitz  des  Kindennordes  entreisst.  Vorläufig 
verschliesst  sie  den  Blitzstrahl  in  ihrem  Busen,  denn  zuvor  soUen 
die  Kleinen  die  mit  Zaubergift  getränkten  Gewände  und  das  Braut- 
geschmeide der  Prinzessin  Creusa  ül)erbringen.  Sie  bespricht  ihr 
Vorhaben  mit  der  Amme.  Den  Act  schliesst  ein  Chorlied  im 
Sapphischen  Versmaass,  das  von  dem  Unheil  singt,  welches  die 
Argofahrer  als  Strafe  für  ihr  kühnes  Unternehmen  traf. 

Mit  einer  an  hmidert  Versen  langen  Schilderung  von  Medea's 
Giftbereitung,  behufs  Zaubeiiränkung  der  Gewände,  eröffnet  die 
Amme  den  vierten  Act.  Die  Gleichförmigkeit  der  Acten-Anfange 
springt  in  die  Augen.  Fast  jeder  Act  leitet  sich  mit  einem  Euri- 
pideischen  Prolog  ein.  Der  Euripideische  Prolog  setzt  seine  Ba- 
stard-Sprösslinge  an  der  Schwelle  jedes  Seneca-Actes  aus.  Man 
kann  sich  den  Hexenkessel  denken,  den  unsere  Amme  nun  als 
Monolog  voll  appetitlichen  Zaubergeköches  ausschüttet,  und  sich 
die  Ingredienzien  von  GeogTaphie,  Astronomie  und  Mythologie 
vorstellen,  die  es  an  bizarrer  Buntheit  mit  dem  Kramwerk  auf- 
nehmen, das  Macbeth's  drei  Hexen  in  ihren  Kessel  werfen.  Hie- 
rauf tritt  Medea  als  Beschwörende  vor,  mit  einem  Beschwörungs- 
erguss  von  doppelt  so  viel  Versen,  als  der  Zauberbrei  der  Anmie 


374  Das  römische  Drama. 

brauchte.  Fünf  Seiten  lang,  die  Seite  zu  53  Versen.  Die  Be- 
schwörung wirkt  schon  durch  ihre  Länge  Schauder  erregend,  und 
der  Inhalt  entspricht  in  Grausenhaftigkeit  der  Länge.  Die  Ver- 
wirrung, die  Medea  in  der  Astronomie  angerichtet  zu  haben  sich 
riilunt,  ist  unbeschreiblich.  Den  grossen  Bären  hat  sie  in's  Meer 
geworfen,  der,  wie  sie  vorhin  selbst  sagt,  „nimmer  sich  in  die 
MeerÜuth  taucht"  und  dessen  jungfräulicher  Pelz  nun  das  erste 
Seebad  nehmen  muss.  Der  ganze  Thierkreis  wird  von  Medea's 
Beschwörung  verrückt,  und  die  Jahreszeiten  verdreht.  Der  Win- 
ter liegt  im  hitzigen  Fieber  und  der  Sommer  in  Schüttelfrösten. 
Die  Geographie  und  die  Astronomie  phantasiren  in  den  heftigsten 
Delirien,  so  wahnsinnig,  dass  man  ümen  die  Zwangsjacke  anlegen 
müsste.  Auf  die  Mj^thologie  hatte  sie  von  vorneherein  das  alte 
Chaos  mit  allen  Hunden  der  Erinnyen  losgelassen.  Dem  Tarta- 
rus steht  das  Ixion-Rädlein ,  das  ihm  bekanntlich  im  Kopfe  um- 
läuft, vor  Schrecken  mit  dem  Verstand  stiU.  Ihren  ganzen  Feuer- 
vorrath  musste  die  M}i;hologie  an  Medea  abtreten,  dass  die 
Aermste  nun  im  Finstern  friert,  ärger  als  der  arme  Tom: 

Im  schimmernden  Golde 

Brennet  die  Flamme, 

Die  Prometheus 
•  Vom  Himmel  geraubt  ... 

Er  schenkte  sie  mir, 

Und  lehrte  mich 

Sie  künstlich  bewahren. 

Mulciber  gab  mir 

Heisse  Lohe,  leicht 

Mit  Schwefel  getünchet, 

Auch  sengenden  Blitzes  Gluth 

Empfing  ich  von  Phaethon, 

Des  Urvaters  Sohne. 

Auch  die  dem  Mittelhaupte 

Der  Chimäre  entsprüht, 

Die  Flamme  besitz'  ich, 

Und  die  aus  der  Stiere 

Flammendem  Schlünde 

Sich  eilig  entrafft     .     .     . 

Ungerechnet  Althäa's  Brandscheit  nebst  verschiedenen  andern 
Feuerwischen.  „Vollbracht  ist  nun  das  todesstarke  Werk."  Sie 
schickt  die  Amme  nach  den  Kindern  und  bleibt  an  den   Altar 


Der  Kindeiinord.  375 

gelehnt  stehen.     Der  Chor  stellt  über  diese   Stellung  seine   Be- 
trachtungen an: 

Was  sinnt  ohnmächtig  wütheud 
Sie  jetzt  für  schwere  Uuthat?  .  .  . 

Inzwischen  hat  der  fünfte  Act  den  vierten  abgelöst.  Ein  ün- 
glücksbote  keucht  mit  der  Schreckenspost  herein:  „Das  Königs- 
kind in  Asche  liegt  es  sammt  dem  Vater"  .  .  .  Der  Chor  ^vill 
löschen  gehen.  „Umsonst",  jammert  der  Bote,  „Ein  Wunder  ist's 
zu  schauen,  wie  sell)st  die  Wasser  die  Flammen  schüren."  Der 
meisterhafte  Botenbericht  des  Euripides  zersplittert  hier  in  einen 
hastigen  Wortwechsel  zwischen  Chor  und  Boten,  dessen  Kürze 
die  Länge  des  Beschwörungs- Monologs  ausgleichen  mag.  Wenn 
aber  mit  letzterem  der  Körner  die  herrliche  Erzählung  bei  Euri- 
pides zu  ersetzen,  oder  gar  zu  überbieten  meinte,  so  beruht  diess 
auf  einer  argen  Verkennung  dessen,  was  im  Drama  vor  die  Augen 
gestellt  werden  darf  als  Ursache,  und  was  erzählt  werden  muss 
als  Wirkung.  Auch  darüber  hätte  sich  der  Tragiker  bei  der  Ars 
Poet,  seines  Vorgängers  Raths  erholen  können  und  Belehrung: 
*  Multaque  tolles 

Ex  ocuUs  quae  mux  narret  facundia  praesens ') 

Vieles  entziehen 
Wirst  du  den  Blicken,  was  besser  beredt  der  Erzählende  vorträgt. 

Jetzt  ermahnt  die  Amme  zu  schleuniger  Flucht;  natürlich, 
wie  immer  vergebens.  „Das  ßachewerk  ist  nur  zum  Theil  voll- 
bracht", meint  Medea  dagegen.  „Das  war  nur  Vorspiel  meines 
Grimms."  „Jetzt  bin  ich  erst  Medea."  „Ha  der  Schauerlust!" 
Noch  weiss  aber  Medea  nicht  recht,  worüber  die  Schauerlust. 
Den  Rachestrahl  des  Kindermordes,  den  sie  doch  in  der  Sceue 
mit  Jason  einstweilen  in  ihrem  Busen  verschlossen  hatte,  um  ihn 
gelegentlich  zu  schleudern,  scheint  sie  ganz  vergessen  zu  haben; 
„Nun"  —  so  fragt  sie  —  „was  beschliessest  du  mein  glühend 
Herz?" —  „0  hätte  der  Verhasste  Kinder  erst  von  seiner  Buhle!" 
-  „Ha,  die  deinen  sind  von  ihm,  und  gleich  verhasst,  als  hätte 
sie  Creusa  ihm  geboren"  .  .  .  Dieses  schlangenartige  Heranringeln 
an  den  Kindermord,  dieses  wurmförmig  psychologische  Sich-hin- 
und-hewümmen  und  Heranscliieben  an  die  Gräuelthat,  wie  des 

1)  V.  83  ff. 


376  ^*^**  römische  Drama. 

Drachen  an  die  Beute,  —  das  streift  fast  schon  aus  Scheusslich  e, 
unbeschadet  der  psychologischen  Kunst,  die  der  Eöraer  in  solcher 
der  griechischen  Tragödie  noch  unbekannten  Malerei  des  Seelen- 
kampfes hier  an  den  Tag  legt:  „0  weh!  mein  Herz  erdrückt  der 
•  Graus"  .  .  .  „meine  Brust  erzittert"  .  .  .  „Der  Kinder  Blut,  die 
ich  gebar,  sollt'  ich  vergiessen?  —  Nein!"  .  .  .  „Sey  ruhig,  Kä- 
sende! ...  0!  und  wofür  wohl  büssen  sie?"  —  Wofür?  —  Ist 
Jason  nicht  ihr  Vater?  —  Schuld  genug  —  Und  was  noch  mehr, 
ich  Fluchbeladene  bin  ihre  Mutter.  Sie  sollen  sterben  ...  Ha! 
Sind  sie  nicht  mein?"  .  .  .  „Acli,  mein  sind  sie  und  rein  von  aller 
Schuld."  Nun  phantasirt  sie  über  ihren  Seelenkampf  und  schildert 
das  Hin-  und  Herschwanken  in  treffenden  geistreichen  Bildern. 
Schade  um-,  dass  diese  selbst  solchem  Kampfe  und  solcher  Kampfes- 
stimmung widerstreiten.    Jetzt  schmilzt  sie  in  Mutterliebe  hin: 

Die  Eache  weiche  der  Liebe.     0  kommt  her, 

Geliebte  Kinder,  ihr  mein  einziger  Trost, 

Kommt  her,  umschlingt  mit  euren  Händchen  niich! 

(die  Kinder  gehen  zii  ihr) 
Ja  lebet,  bleibt  dem  Vater !  .  .  .  ^ 

dann  wieder  wie  verzückt  in  Wahnsinn: 

Hu!  sieh!  Wo  taumelt  hin  die  Purienschaar  .  .  . 
Ha!  weh!  was  für  ein  Schatten  schwebet  dort 
Gestaltlos,  leblos,  unkennbar  herauf? 
Mein  Bruder  ist's!  Er  fordert  Rache.     Ja, 

Ich  räche  dich 

Dil"  Aveih'  ich  diese  Hand 

Die  ja  den  Mordstahl  einst  auf  dich  gezückt. 

So  sühn'  ich  deinen  Schatten,  so  räch'  ich  dich  .  .  . 

Die  Seelenpein,  von  der  Euripides'  Medeia,  unmittelbar  vor  der 
Entsetzensthat ,  ihr  Inneres  zerrissen  fühlt,  äussert  sich  weniger 
kunstreich,  und  nicht  mit  diesem  dialektischen  Raffinement  eines 
schmerzlichen  Zwiespalts;  um  so  rührender  aber  und  erschüttern- 
der wirkt  sie  in  ilu'en  einfachen  ergreifenden  Naturlauten.  Als 
höre  man  das  ächzende  Stöhnen  einer  mit  dem  Kindermorde  in 
Mutterwehen  kreissenden  Gebärerin.  Neben  diesem  gi'ossartigen 
ßedrängniss  erscheint  solches  krampfiges  Geächze,  womit  Seneca's 
Medea  sich  henimquält,  wir  sagen  nicht,  wie  gewöhnliche  Kolik, 
aber  doch  wie  Mutterkrampf. 


Der  Sehlu«s  von  Seiieca's  Medea.  377 

Medea  tödtet  das  eine  Kind.  Dass  sie  die  gi-ausige  That  in 
einer  Wahnsinns-Vision  begeht,  wo  sie  ihren,  um  Jason's  willen 
von  ihr  ermordeten  Bruder  erblickt,  ist  ein  glücklicher  Zug,  von 
poetischer  Kühnheit,  ein  genievoller  Zug,  Shakspeare's  würdig,  der 
uns  aber  gleichwohl  mit  dem,  was  vorangeht,  zu  theuer  erkauft 
scheint.  Der  Schluss  erreicht  den  Gipfel  des  tragisch  Unzulässi- 
gen und  poetisch  Verdammlichen.  Das  Schaudererregende  schlägt 
in's  Grässliche  um.  Nach  Ermordung  des  einen  Knaben  vernimmt 
Medea  Geräusch  und  flüchtet  mit  dem  andern  Kinde,  das  todte 
hinter  sich  herschleifend,  auf  den  Söller  des  Hauses.  Dort  erblickt 
sie  der  herbeieilende  Jason,  und  hört  sie  frohlocken  ob  ihrer  That: 

Jason.  Bei  allen  Göttern! 

Bei  aller  Irrsal,  die  gemeinsam  wir 

Erlitten,  o,  bei  unsrem  Bund,  den  ich 

Nun  treulos  brach,  o  schone  meines  Sohns! 

Hat  jemand  dich  beleidigt,  bin  nur  ich's. 

Mich  schlachte!  trüf  mein  schuldbeladnes  Haupt! 
M  e  d  e  a.    Dort,  wo  du  auszuweichen  suchst,  wo  es 

Dir  weh'  thut,  bohr'  ich  ein  den  Eachestalü.  — 

Ha  geh  nun.  Stolzer!  Stürme  der  Jungfrau  Bett, 

Und  wenn  sie  Mutter  worden,  Verstösse  sie. 
Jason.    Genügt  deiner  Rachgier  nicht  des  Einen  Tod? 
Medea.      Hätf  Einer  sie  gestillt,  so  lebten   Beide. 

Zu  wenig  sind  die  zwei  für  meinen  Grimm. 

Ja  wüsste  ich,  dass  unter  meinem  Herzen 

I]in  Pfand  von  dir  sich  birgt,  mit  diesem  Schwert 

Zerwühlt  ich  meinen  Leib,  und  riss'  es  aus  .  .  . 
(Sie  tödtet  das  zweite  Kind.) 
Jason.  Ha  Tig'rin,  tödte  mich! 
Medea.  Wie  forderst  du  von  mir 

Erbarniung?  —   Nimm  hin,  es  ist  vollbracht! 


Da,  Vater,  habe  deine  Söhne  dir! 

Auf  beflügeltem  Wagen  durch  die  Lüfte  flieg'  ich  davon. 

(Sie  schleudert  ihm  die  Leichen   der  Knaben  zu,  und  fährt 

in  ihrem  Drachenwagen  davon.) 
Jason.  Ha,  zieh'  du  durch  des  Himmels  Räume  fort, 
lind  künde  laut,  wohin  du  immer  fährst, 
Dass  keine  Götter  walten  dieser  Welt. 

Ein  würdiger  Abschluss  solcher  Gräuel.     0  Poesie  des  Tra- 
gischen, der  Sophokles-Tragödie,  we  abschreckend  bist  du  unter 


378  D^s  römische  Drama. 

des  Römers  Hand  verwildert!  Dennoch  muss  man  die  bewältigende 
Macht  der  scenischen  Schauwirkung,  die  energie volle  Wucht  des 
theatralischen  Pathos,  muss  man  diese  gladiatorische  Tragik  be- 
wundern. Schwung,  Feuer,  Pomp,  drangvoll  hinreissende  Rede- 
kraft, überschwellender  Wogenschlag,  Hoch-  und  Springfluth  stür- 
mischer Affecte  —  nur  Ein  zündender  Himmelsstrahl,  der  diese 
Elemente  der  Seneca-Tragödie  in  poetische  Flammen  setzt:  und 
Avie  jener  Wundervogel  aus  seinem  Gewürze  duftenden  Feuer- 
gi'ab,  ersteht  die  griechische  Tragödie  wieder  in  verjüngter  und 
reicherer  Herrlichkeit.  „Der  lohe  Aetherstrahl,  Genie",  er  wird 
dereinst,  wenn  die  Zeit  gekommen,  die  wüste  Schlackenmasse  der 
römischen  Tragödie  zu  dieser  goldenen  Flammenwiege  einer  ver- 
jüngten Aeschylisch-Sophokleischen  Tragik  fachen.  Die  Medee  des 
„gi'ossen"  Corneille  —  so  viel  ist  gewiss  —  wird  dieser  Wundervogel 
nicht  seyn,  und  ihr  berühmt-vermttertes  Moi!  das  die  französische 
Tragik  noch  jetzt  unter  ihren  Reliquien  als  verrosteten  Theater- 
blitz aufbewahrt  und  vorzeigt,  nicht  der  Aetherstrahl  seyn,  der 
die  Schlacken-Klumpen  der  Seneca-Tragödie  zu  jener  Sonnenwiege 
einer  höchsten  Tragik  flammt. 

Wie  viel  Seneca  von  den  Medeen  seiner  römischen  Vorgänger, 
von  der  des  Ennius  und  der  so  gepriesenen  Medea  des  Ovid,  sich 
angeeignet,  muss  dahingestellt  bleiben.  Sicher  scheint  uns,  dass 
Seneca's  Medea  ihre  Vorgängerinnen  sämmtlich  an  Schauder  er- 
regender Furchtbarkeit  und  teiToristischem  Bühnenpathos  überboten ; 
ob  uns  gleich  auch  die  im  Vergleich  rührender  und  weiblicher 
gehaltene  Medeia  des  Euripides  schon  das  Maass  griechischer  Tra- 
gik zu  überschreiten  schien,  me  Beruhardy's,  der  sie  „weich  und 
sogar  sentimental"  findet,  Sympathien  für  sie  schon  das  Maass 
kritischer  Besomienheit  überschreiten  mögen.  Wie  könnten  wir 
vollends  in  Welcker's  Verherrlichung  einstimmen,  der  in  Medea 
ein  Ideal  weiblicher  Liebe  und  Hingebimg  preist?  ')  „Ihr  hen- 
schender  Cliarakter  in  der  Poesie  ist  die  unbedingteste  Liebe  und 
Hingebung;  keine  Rücksicht  kennend,  jeder  That,  jeder  Demü- 
thigung  aus  Liebe  fähig,  innig  rührend,  ihre  Hexenkünste  nm-  im 
Dienste  der  Liebe  übend."  .  .  Das  liebreiche  Gemüth!  Welche 
Seele  von  Hexe  und  Giftmischerin!   Die   reine  Liebe;    niclits  als 


1)  Gr.  Trag.  S.  33u. 


.  Medea  als  tragische  Heldin.  379 

Liebe  und  Selbstaufopferung.  Auf  zehn  Vergiftungen  kommt 
kaum  eine,  die  nicht  „im  Dienst  der  Liebe''  geschehen  wäre  — 
unter  zehn  Giftmischerinuen  neun  mindestens  lauter  Engel  unbe- 
dingtester Liebe  und  Hingebung.  Die  gehäuften,  schauderhaften 
Meuchelmorde,  die  Medea  verübt,  darunter  Bruderzerstttckelung, 
Kinderabschlachtung  -  pure  Liebe,  unbedingteste  Liebe  und  Hin- 
gebung. Jemehr  Morde,  jemehr  Liebespfänder  und  Beweise.  Me- 
dea übertrifft  an  Liebesfülle  und  hingebungsvoller  Demuth  eine 
Laffarge  in  dem  Maasse,  als  sie  diese  an  gräuelvoUen  Morden 
überragt.  Bis  zu  dieser  Höhe  kritischer  Schwärmerei  für  die 
blutigste  der  Zauberköchinnen,  Giftmischerinnen,  Bruder-  und 
Kinderschlächterinnen  hat  sich  selbst  der  Champion  der  Lady 
Macbeth,  Ludwig  Tieck,  nicht  emporgeschwungen.  Die  Macbeth 
sagt  blos,  dass  sie,  eintretenden  Falles,  ihrem  Säugling  die  Brust 
aus  den  weichen  Kiefern  gerissen  und  ihm  den  Kopf  au  die  Wand 
geschmettert  hätte.  Die  Medea-Schwärmerei  von  Seiten  so  ge- 
lehrter Männer  und  Professoren  ist  übrigens  wohl  erklärlich.  Schon 
um  der  Gründlichkeit  willen,  womit  Medea  ihre  liebevollen  Gräuel- 
thaten  begeht,  muss  sie  die  wärmste  Theilnahme  der  gelehrten 
philologischen  Kunstkritik  gewinnen.  Medea's  wissenschaftliche 
Leistungen  in  Chemie,  Botanik  und  Toxikologie  sind  allein  liin- 
reichend,  um  sie  in  den  Augen  eines  deutschen  Professors  als  die 
liebenswürdigste  aller  tragischen  Heldinnen  erscheinen  zu  lassen. 
Medea's  Verdienste  um  die  Wissenschaft  in  Ehren,  sind  wir  doch 
der  Meinung,  dass  die  Medea-Tragik  eine  Verirrung,  wo  nicht  eine 
Entartung  der  tragischen  Kunst  bezeichne ,  wenn  anders  deren  Auf- 
gabe darin  besteht,  nicht  ein  blosses  glänzendes  Gemälde  rasender 
Leidenschaft  zu  entwerfen,  sey  es  ein  noch  so  wunderwürdiges  psycho- 
logisch-pathologisches Meisterstück;  sondern  in  der  Läuterung  einer 
Schuldverirrung  besteht ;  wenn  anders  die  Aufgabe  der  dramatischen 
Kunst  nicht  die  ist :  das  Gemüth  des  Zuhörers  aufzuregen,  zu  erschüt- 
tern, gleichviel  durch  welche  Mittel  und  zu  welcliem  Zwecke,  es  zu 
verwiiTen,  in  Aufruhr  mid  Gälu'ung  zu  versetzen;  sondern  durch 
die  Gährung  eine  Geraüthsklärung  zu  bewirken,  die  alles  Unedle, 
Unreine  in  der  Leidenschaft  ausstosse  und  ausschäum(\  Eine 
schaudervolle  P'revlerin  aber,  die  nach  verül>teii  Gräueln  in  ihrem 
Drachenwageu  triumphirend  davoneilt  und  ilirer  Schlachtopfer 
spottend,  ist  keine  tragische  Heldin,  ist  ein  Auswurf  und  Abschaum 


3gO  I^iis  römische  Drama. 

der  Hölle.  Oder  wo,  wo  existirt  die  Tragödie  der  Medea-Sühne? 
Hat  Eiu-ipides  eine  solche  gedichtet?  Soll  etwa  ihr  Sohn,  Medus, 
der  Held  dieser  Sühntragödie  seyn,  den  Medea,  um  ein  Haar, 
durch  Meuchelmord  hingerafft  hätte,  und,  als  sie  in  ilim  den  Sohn 
erkannte,  ihr  Vorhaben  dadurch  sühnte,  dass  sie  ihn  zum  Meu- 
chelmord aufrief?  Durch  die  von  Medea  ihm  eingegebene  Ermor- 
dung seines  Grossoheims,  des  Perses,  wurde  Medus  der  Stifter  des 
Mederreichs:  liegt  darin  die  Sühne  und  Eeinigung  eines  Lebens,  in 
Verbrechen  getaucht,  wie  das  der  Medea?  Darum  erscheint  uns 
schon  die  Medeja  des  Euripides,  vom  poetischen  Gesichtspunkt  aus. 
als  eine  verdaramliche  Tragödie;  wie  nun  erst  die  des  Seneca! 

In  der  Medea-Tragödie,  in  Euripides'  von  Einigen  als  sein 
Meisterdrama  bewunderten  Medeia,  weht  schon  ein  ungriechischer 
Hauch,  ein  Hauch  vom  Barbarengeist.  Den  Fabelstoff  finden  wir 
von  diesem  Geiste  ganz  und  gar  durchdrungen.  Es  ist  der  von 
uns  schon  bezeichnete  Geist  der  Raubfahrten,  der  Abenteuer-Züge 
des  dämonischen  Zauberthums.  Nächst  diesem  liegt  aber  noch 
ein  zweites  Element  des  Barbarenthums  in  der  Medea-Fabel:  die 
ungiiechische  Auffassung  des  Frauenwesens,  dem  mit  einer  un- 
heimlich verderbenvollen,  naturdämonisclien  Zaubermacht  eine  Hen- 
schaft  zuerkannt  wird,  von  den  unheilvollsten,  Staat  und  Fami- 
lien zeiTüttenden  Folgen;  von  verwildernder,  barbarisir ender 
Wirkung.  Nur  in  Einem  Punkte  erscheint  das  Problem  bedeut- 
sam: in  dem,  wir  sagen  nicht,  vom  Dichter  beabsichtigten,  die 
Conflicte  aber  bewegenden  Motive  des  Frauenrechtes,  der  Ob- 
gewalt  des  Mannes  gegenüber;  in  dem  Motive  des  um  gleichbe- 
rechtigte Freiheit  und  die  daraus  folgende  Gegenseitigkeit  eheli- 
cher Rechte  und  Pflichten  kämpfenden  Weibes.  Allein  dieses 
Problem  hatte  schon  Aeschylos  mit  vollem  Kunstbewusstseyn  und 
ungleich  tiefer,  ethischer,  cultm'sittlicher,  in  seiner  Danais-Trilogie 
z.  B.,  durchgeführt  und  gelöst.  Die  allerneueste  Form,  in  wel- 
cher dieses  Problem  als  zeitbewegende  Frage,  als  jene  berufene 
„Emancipation  des  Weibes",  die  Geister  aufgeregt,  weit  entfernt 
eine  höhere  Lösungsstufe  zu  bezeichnen,  erscheint  uns  vielmehr 
als  eine  Umwendung  nach  dem  Medea-Standpunkte  hin:  dem  des 
dämonischen  Kampfes  zwischen  Mannes-  und  Frauenrecht.  Auch 
in  Bezug  auf  diesen  Austrag  war  dem  germanischen  Geiste  von 
seiner  geschichtlichen  Mission  die  tiefere  Lösung  und  Läuterung 


Medea  und  die  Macht  des  Weibes.  3g  l 

des  Pi'oblemes  zugewiesen.  Wie  das  abenteuernde  Umherziehen 
des  fahrenden,  des  romantischen  Eitterthmns ,  eines,  in  seinem 
asketischen  Charakter,  ursprünglich  germanischen  Institutes,  wie 
dessen  Abenteuerfalu'ten,  ihrer  Bestimmung  nach,  Buss-  und  Süh- 
nefahrten  bedeuten  und  bezweckten;  wie  dasselbe  denn  auch  als 
eine  Läuterung,  eine  —  warum  sollten  wii'  das  Wort  umgehen':' 
—  als  eine  Katharsis  jenes  barbarischen  Abenteuergeistes,  der  die 
Weiber-  und  Schätze-Kaubfahrten  beseelte,  gelten  darf:  ebenso 
war  es  dem  Germanenthum  vorbehalten,  eine  Läuterung,  eine  Ka- 
tharsis an  der  Idee  der  Frauenbestimmung  zu  vollbringen;  den 
dämonischen  Medea-Zauber  zu  brechen  und,  au  Stelle  eines  fre- 
velvoUen  Frauen-Höllenzwanges  durch  feindselige  Zaubergewalt, 
die  wahrhafte  Zaubermacht  des  Weibes  durch  den  Himmelszwang 
holder  Amnuth,  hmimlischen  Liebeszaubers,  zu  feiern  „in  That 
und  Wort,  in  Bild  und  Schall."  Nicht  die  romanischen  Trouba- 
doure, nicht  die  proven9alischen  Liebesdichter,  die  den  Mannes- 
geist einem  sinnlich  spiritualistischen  Fraueudienste  verpflichteten, 
nicht  diese  konnten  eine  solche  Läuterung  dämonischer  Frauen- 
macht und  unheilvollen  Frauenzaubers  bewirken.  Den  germani- 
schen Minnesängern  war  solche  vergeistigende  Eeinschmelzung 
und  Heiligung  der  Liebesmacht  und  Leidenschaft  vorzugsweise 
beschiedeu;  die  Liebesmystik  der  germanischen  Minnedichter,  de- 
ren hohe  Gesangsseele  auf  ihre  Nachfolger,  die  grossen  ritterli- 
chen „Frauenlobe"  der  deutschen  Völkerstämme  überging,  auf 
Shakspeare,  Schiller,  Goethe;  am  lautersten  auf  die  ersten  beiden, 
da  hl  Goethe's  Fraueiicultus  sich  wieder  romanisch-gallische  P]le- 
mente  eines  spielerisch  leichtfertigen  Sinnenreizes  und  Genusses 
mischen.  Am  herrlichsten  und  weihevollsten  ruhte  der  heilige 
Liebesapostelgeist  auf  unserem  Schiller,  der  mit  feuerigen  Pfingst- 
zungen  in  seinen  lyrischen  wie  dramatischen  Gedichten  die  Botschaft 
von  der  einzig  wahren  Zaubergewalt,  Macht  und  HeiTschaft  des  Wei- 
bes, im  Gegensatze  zum  dämonischen  Medea- Wesen,  verkündet: 

Macht  des  Weibes,  i) 
Mächtig  seyd  ihr,  ihr  seyd's  durch  der  Gegenwart  ruliigen  Zauber. 
Was  die  Stille  nicht  wirkt,  wirket  die  Rauschende  nie. 


I)  W.  I,  395. 


382  Das  römische  Drama. 

Kraft  erAvart'  ich  vom  Mann,  des  Gesetzes  Würde  behaupt'  er; 

Aber  durch  Anmuth  allein  herrschet  und  herrsche  das  Weib. 

Manche  zwar  haben  geherrscht  durch  des  Geistes  Macht  und  der  Thaten; 

Aber  dann  haben  sie  dich,  höchste  der  Kronen,  entbehrt. 

Wahre  Königin  ist  nur  des  Weibes  weibliche  Schönheit: 

Wo  sie  sich  zeige,  sie  herrscht,  heri'schet  blos,  weü  sie  sich  zeigt. 

Tugend  des  Weibes,  i) 
Tugenden  brauchet  der  Mann,  er  stürzt  sich  wagend  ins  Leben, 
Tritt  mit  dem  stärkeren  Glück  in  den  bedenklichen  Kampf. 
Eine  Tugend  genüget  dem  Weib:    sie  ist  da,  sie  erscheinet 
Lieblich  dem  Herzen,  dem  Aug'  lieblich  erscheine  sie  stets! 

Und  jenes  hohe  Lied  der  Frauenvergötterung ;  jener  mit  allen 
Zaubern  der  Liebeshuld  durchwebte  und  geweihte  Graziengürtel 
himmlischen  Frauem'eizes ,  in  Form  einer  poetischen  Verherrli- 
chung: „die  Würde  der  Frauen"  —  was  bedeutet  das  begeisterte 
Feierlied  anderes,  als  einen  heiligen  Gegenzauber,  eine  weihevolle 
Beschwörung  des  Medeenthums,  der  unreinen  Medeengeister?  als 
eine  hochherrliche  Verkündung  der  wahren  Emancipatiou  des  Wei- 
bes, der  einspruchslosen,  unbedingten  FrauenheiTschaft  von  Zau- 
bers Gnaden;  des  Zaubers  dm'ch  zarte  Sitte,  Liebeshuld,  hold- 
selige Scham  und  Anmuth?  Und  die  Dramen  des  grössten  deut- 
schen Tragikers  sind  sie  nicht  Evangelien  dieses  weiblichen 
Heroismus?  Nicht  Apotheosen  der  tragisch  weiblichen  Frauenho- 
heit? Nicht  poetisch  mächtige  Exorcismen  des  Medea-Teufels? 
Nicht  erhabene  Katharsen  Medeischer  Zauberkünste?  Tragische 
Läuterungen  der  dämonischen  Frauengewalt  zu  himmlischem  See- 
lenzauber? Die  Dramen  der  Nachgeborenen  aus  den  letzten  De- 
cennien  des  Jahrhunderts,  die  das  Thema  der  Frauenbestimmung 
und  Frauenstellung  von  den  Franzosen  wieder  aufnahmen,  nach- 
dem diese  es  in  Romanen  und  Theaterstücken  bis  auf  das  letzte 
Korn  ausgedroschen  —  o,  welchen  Abfall  werden  diese  Dramen 
der  Epigonen  aus  den  letzten  Jahrzehnten,  welchen  befremdlichen 
Abfall  von  Shakespeare-Schiller's  poetisch-tragischem  Frauenzau- 
ber, und  welchen  Kobold  schiessenden  Rückfall  in  den  französirten 
Medeenstil  werden  sie  uns  vor  Augen  stellen !  Und  aus  welchem 
Anspruchstitel   werden   sie  das  Frauenrecht   herleiten    und    ent- 

1)  Das.  425. 


Seneca's  Trojanerinnen.  383 

wickeln?  Aus  dem  poesiefeindliclisteu:  aus  dem  gemein  ge- 
schlechtlichen eines  frechen  Emancipations-Kitzels.  Sie  werden, 
im  etymologisch-buchstäblichsten  Sinne  auf  diesen  Rechtsanspruch 
eine  „Bocks"-Tragik ,  eine  Tragödie  für  Böcke  und  Ziegen  grün- 
den. Sie  werden  Medea's  goldnes  Widderfell,  als  gemeines,  nur, 
täuchungshalber,  mit  Theater-Schaumgold  frisirtes  Bocksfell  auf 
die  Tenne  der  Bretter  legen,  und,  wie  Gideon  i),  aus  der  abwech- 
selnd wässerigen  mid  trockenen  Beschaffenheit  des  Schaffells 
auf  der  Tenne  die  üeberzeugung  iln-es  Berufes  zum  grossen  Er- 
lösungswerke  schöpfen:  zur  Erlösung  des  Weibes,  näher  des 
Eheweibes,  aus  dem  Pflichtenjoch  der  Ehe  zur  Ehe  der  „freien 
Liebe";  Erlösung  vom  Shakspeare-Schillerschen  Frauenideal  der 
Ti-agödie  zu  der  „unbedingten  Liebeshingebung"  der  kolchischen 
Hexe.  Noch  mehr:  Im  fernem  Verlauf  der  Greschichte  des  Schau- 
spiels werden  wir  das  dramatische  Fraueuideal,  wie  bis  auf  Shake- 
speare, zwischen  dem  der  Aeschylisch-Sophokleischen  Tragödie 
und  der  Euripides-Seneca-Medea;  so  in  letzter  Zeit  zwischen  Shak- 
speare-Schiller's  tragischem  Erauenideal  und  dem  Emancipations- 
Ideal  von  George  Sand  und  Genossen  oscilliren  sehen,  das  der 
kolchischen  Zauberin  wie  aus  den  Augen  gesclmitten.  Insofern 
bildet  Em-ipides'  Medeia  ein  wichtiges  üebergangsmoment  in  der 
Geschichte  der  Tragödie,  das  noch  in  der  kolossalen  Schreckge- 
stalt von  Bedeutung,  als  welche  uns  die  Medeia  des  Euiipides  aus 
Seneca's  Hohlspiegel  entgegentritt. 

Die  Trojanerinnen  (Troades).  Aus  zweien  von  Emipides',  in 
Bau  und  Oekonomie  verfehltesten  und  zerfahrensten  Tragödien,  aus 
der  Hekabe  und  den  Troaden,  zusammengeschweisst,  konnten  Sene- 
ca's Trojanerinnen  nicht  anders  als  zu  einem,  in  Bezug  auf  Gliede- 
rung und  Einheit,  unfönnlichen  Missgeschöpf  erwachsen.  Seneca's 
Trojanerinnen  sind  auf  dramatischem  Gebiete,  was  das  berühmte 
trojanische  Ferkel  des  römischen  Koclikünstlers,  Apicius,  auf  dem 
Gebiete  der  Gastronomie  war.  Wie  dieses  in  seinem  Innern  ein 
ganzes  Braten-System,  ganze  Geschlechter  der  verschiedensten 
vier-  und  zweifüssigen  Braten  eingeschachtelt  trug:  so  schliessen 
die  Trojanerinnen,  nebst  den  zwei  oder  drei  Tragödienstoffen,  wel- 
che des  Euripides'  Hekabe  in  ihrem  Schoosse  birgt,  die  vier  oder 


\)  Richter  c.  6,  .37—40. 


384  Das  römische  Drama. 

fünf  Tragödienfabeln  und  Katastrophen  ein,  womit  dessen  Troerin- 
nen gesegnet  sind.  Nur  nicht  so  kunstgerecht  und  nicht  so  con- 
centrisch  untergebracht,  wie  in  der  Bauchhöhle  von  Apicius'  Ein- 
schachtelungs-Ferkel  finden  sich  die  Einschlüsse  in  Seneca's  Tro- 
janerinnen verpackt.  Hier  scheinen  sie  vielmehr  in  Weise  der 
Insassen  jenes  kolossalen  Vorbildes  zu  Apicius'  gebratener  Invo- 
lutious-Theorie,  durcheinandergestopft,  zu  hausen:  jenes  trojani- 
schen, hölzernen  Pferdes  von  Meister  Epeus;  des  weltbekannten 
Weihnachts-Eössleins,  voll  der  schönsten  Bescheerungen  für  König 
Priamos,  die  königliche  Familie  und  die  ganze  trojanische  Be- 
völkemng.  Das  Kösslein  enthielt  nicht  blos  die  Dona,  welche  der 
warnende  Priester  nicht  geschenkt  mochte :  Timeo  Danaos  et  dona 
ferentes:  Es  barg  in  seinem  beträchtlichen  Innern  die  Geschenke 
bringenden  Danaer  selber,  als  riesige  Weihnachts-Schachtel  voll 
glitzernder  Soldaten.  Ein  solches  Heer  von  Katastrophen  trägt 
unsere  Tragödie  im  Leibe.  Jedoch  mit  einigen  Aus-  und  Ein- 
schiebseln von  eigener  Erfindung.  Statt  des  tragischen  Kassan- 
dra-FüUsels  in  Euripides'  Troeriimen,  das  der  Römer  aus  dem 
Spiele  Hess,  enthalten  seine  Trojanerinnen  eine  Streitscene  zwi- 
schen Pyrrhus,  der  auf  Polyxena's  Opferung  besteht,  und  Aga- 
memnon, der,  aus  Gründen  der  Menschlichkeit  sich  der  Opfe- 
rung widersetzt  —  Er,  der  unmenschliche  Vater,  der  seine  eigene 
Tochter  in  einer  ähnlichen  Lage  hatte  schlachten  lassen !  Zu  dem 
Einschiebsel  der  Helena-Scenen  bei  Euripides  mit  der  unglück- 
lichen Anklage-  und  Selbstveriheidigungs- Verhandlung  zwischen 
Hekabe  und  Helene,  stopft  der  Eömer  noch  eine  zweite,  weit  ab- 
schmeckendere  Helena-Episode  in  seinen  vierten  Act,  worin  He- 
lena als  listig  schnöde  Kupplerin  sich  einschleicht,  mn  Polyxena 
ins  griechische  Lager  zu  locken.  Schliesslich  bekennt  sie,  von 
den  trojanischen  Frauen  durchschaut  und  von  Andromachen  tüch- 
tig ausgescholten,  den  heimtückischen  Plan.  Die  kläglichste, 
überflüssigste  Episode,  die  je  eine  Tragödie  verunstaltet  hat.  Sie 
ist  so  reichlich  ausgestattet  mit  Abgesclnnacktheit,  dass  beide, 
der  Philosoph  und  der  Tragiker  in  Seneca,  sich  brüderlich  darein 
th eilen  können. 

An  Stelle  des  von  Polydoros'  Schatten  gesprochenen  Prologs  zu 
Euripides'  Hekabe,  und  au  Stelle  des  dialogiscli  von  Poseidon  und 
Athena    abgehaltenen  Prologs    zu    dessen  Troaden,    eröffnet    der 


Seneca's  Troaden.  385 

Römer  seine  Trojaueriiinen  mit  dem  bei  ihm  stereotypen  Eingangs- 
Behelfe,  mit  einem  Monologe  der  Hecuba,  der  sich  in  Klagen  über 
Troja's  Fall  ergeht.  Der  Wechselgesang  zwischen  Hecuba  und 
dem  Chor  der  Trojaneriimen  ist  dem  des  Euripides  nachgebildet. 
Der  Chor  begeht  die  Todtenfeier  Hektor's  und  Priamos'.  Damit 
ist  der  erste  Act  abgethan,  der  bei  Seneca  in  der  Regel  nur  als 
Vorspiel  verläuft.  Mit  Beginn  des  zweiten  Actes  verkündet  Aga- 
memnon's  Herold,  Talthybius,  dem  Chor  die  Erscheinung  von  Achil- 
les' Schatten,  welcher  Polyxena,  als  Todtenopfer  an  seinem  Orabe, 
fordere.  Das  scheint  der  Chor  ganz  in  der  Ordnung  zu  finden, 
da  er  auf  die  Mittheilung  nichts  ei'wiedert.  Hier  folgt  die  schon 
erwähnte  Streitscene  zwischen  Pyrrhus,  dem  Sohne  des  Achilleus, 
und  Agamenmon,  wegen  Polyxena's,  deren  Opferung  der  Schläch- 
ter seiner  Tochter  mit  seinen  Grundsätzen  und  Ansichten  von 
Gerechtigkeit  und  Menschlichkeit  unvei-träglich  findet,  welche 
Grundsätze  nicht  ermangeln,  in  Gestalt  der  steifsten  Sentenzen, 
über  Unbestand  der  Gewaltherrschaft,  Eitelkeit  des  Herrscherprunks 
und  Sieger-Edelmuth  daherzustelzeu.  Priester  Kalchas  macht 
dem  Zwist  ein  Ende  mit  der  Erklärung:  das  Schicksal  begehre 
zu  Polyxena's  Opferung  auch  noch  den  Astyanax  als  Zugabe ,  wi- 
drigenfalls es  mit  dem  Abseglungs-Wind  zurückhalten  würde,  wie 
einst  an  Aulis'  Strande.  Agamemnon  sucht  in  allen  Taschen 
nach  einer  Sentenz,  findet  keine,  und  verschwindet  lautlos  mit  Kal- 
chas und  P>it1ius.  Wovon,  meint  man  wohl,  singt  nun  der  troja- 
nische Frauenchor?  Von  der  Thorheit  an  Geistererscheinungen  zu 
glauben! 

Leben  sollte  der  Geist  noch,  da  der  Leib  schon  Staub  V 

Lächerlich!  und  beweist  aus  der  Geographie,  Astronomie  und 
Mythologie,  was  einmal  todt  ist,  bleibt  in  alle  Ewigkeit  todt  • — 
Leib  und  Seele  miteinander,  mausetodt.  Gegen  das  ins-Gras-Beis- 
sen  sey  kein  Kraut  gewachsen.  Wie  derselbe  Seneca  schon  in 
seiner  philosophischen  Abhandlung:  De  Consolatione  bewiesen,  wo 
es  vom  Tode  heisst:  der  Tod  ist  Nichts;  „ergel"  —  würde  der 
Todtengräber  in  Hamlet  folgern  —  ist  nach  dem  Tode  nichts 
nicht;  genau  wie  Seneca'):   mors  nihil,  quod  vero    ipsuni   nihil 


1)  de  consol.  ad  Helv.  Matr.  c.  XVI. 
U.  25 


386  Das  rümische  Draina. 

est,  et  omnia  in  niliiliini  redigit  etc.  Der  trojanische  Frauenchor, 
der  seinen  Seneca  am  Schnürchen  hat,  citiii  die  Stelle  aus  dem 
Kopf: 

Post  mortem  nihil  est,  ipsaque  mors  nihil. 

Der  Chor  weiss  ein  ganzes  Schock  solcher  Trostsprüche  auswendig 
und  sagt  sie  auch  her: 

Die  das  eigene  Kind  würget,  die  Zeit,  verschlinget 
Und  das  Chaos  uns  mit.    Und  wie  den  Leib  er  tilgt: 
So  verschonet  der  Tod  unsre  Seel  auch  nicht. 

Treßlicher  Chorgesang  aus  dem  Munde  von  trojanischen  Frauen 
und  Mädchen,  die,  in  den  denkbar  tiefsten  Jammer  versenkt,  die 
jüngste  Tochter  ihres  hingewürgten  Königstammes  zum  Opfertode 
führen  sehen!  Der  tänarische  Schlund,  der  Cerberus,  die  ganze 
Mythologie  der  Unterwelt,  Alles  erstunken  und  erlogen.  Und  gar 
die  Tragödienfabeln!  die  Fabel  der  „Trojanerinnen"  natürlich 
obenan,  die  auf  solchem  Aberwitz,  wie  die  Erscheinung  von  Achil- 
les' Schatten  beruht!  Dummes  Zeug: 

—  ersonnen  Geschwätz,  Wortschwall  ohn'  allen  Sinn 
Mähr,  gespenst'schem  Traum  furchtsamer  Kinder  gleich. 

So  schliesst  der  zweite  Act.  Wir  würden  dem  Chor  unbedingt 
beipflichten,  und  ihn  sammt  der  Tragödie  für  die  Ausgeburt  eines 
Kopfes  halten,  der  als  Ausgeburt  von  Seneca's  „Tod",  wie  dieser, 
nichts  als  das  leere  Nichts  ist;  mid  würden  die  ganzen  Trojane- 
rinnen der  „Zeit"  anheimgegeben,  „die  das  eigene  Kind  würget 
und  das  Chaos  verschlingt  und  uns  mit";  wenn  der  dritte  Act 
nicht  wäre,  namentlich  die  Scene  zwischen  Andromache  und  Ulys- 
ses, in  Bezug  auf  welche  das  von  Jul.  Scaliger  zu  Gunsten  der 
ganzen  Tragödie  abgegebene  Urtheil:  „priuceps  romanarum  Tra- 
goediarum",  allein  und  in  vollem  Umfange  gilt.  Den  Act,  jene 
Scene  insbesondere,  halten  wir,  nach  Abzug  der  Auswüclise,  für 
einen  der  pathetisch  mächtigsten  und  theatralisch  grossartigsten 
in  dem  Gesammtvermächtniss  der  classischen  Tragik.  In  Absicht 
auf  Schattirnngen  des  Pathos,  Wechselstreit  und  Wandelimgen 


Die  Scene  zwischen  Andromache  und  Ulysses.  387 

der  Aftectmomente,  auf  kunstvolle  Dialektik  der  aiigstbedrängten 
List  des  Mutterherzens  und  der  lauernden  List  des,  trotz  seines 
Schergen-Amtes,  gross  und  würdevoll  gehaltenen  Ulysses  —  nach 
dem  Maassstab  dieser,  zu  einer  geAvaltigen  Sceueuwirkiing 
sich  vereinigenden  Eigenschaften  gemessen,  möchte  kaum  eine  in 
dem  griechischen  Tragödienkreise  sich  ihr  gleichstellen  können. 
Die  Scene  ist  aber,  neben  der  grossen  Theaterwirkung,  auch  durch 
die  psychologische  Meisterschaft  merkwürdig,  mit  welcher  die 
Gemttthsbedrängnisse  und  Contraste  durch  alle  L'rgänge  einer 
ganz  eigenthümlichen,  aufs  schönste  ausgearbeiteten  und  erschöpf- 
ten Situation  hindurchgeführt  sind.  Man  muss  sich  staunend  fra- 
gen, woher  dem  Römer  mit  Eins  eine  solche  psychologische  Kunst, 
eine  so  farbenreiche  Seelenmalerei  des  Mutterschmerzes  gekom- 
men, eine  so  tief  durchdachte  Dialektik  der  Leidenschaft?  Woher 
in  aller  Welt  diese  Wunder  eines  tragischen  Genies,  wovon  uns 
bisher  nur  vereinzelte,  mehr  blendende  als  erleuchtende  Funken 
entgegensprangen?  Nach  Scenen  von  haarsträubender  dramati- 
scher Impotenz  ein  solcher  Glanz!  Ein  ähnliches  Mutteii)athos 
hat,  bis  zu  Shakspeare's  Constanze  in  König  Johann,  unseres  Wis- 
sens, keine  Tragödie  aufzuweisen.  Wir  wollen  uns  nicht  versün- 
digen, aber  die  Constanze,  die  wir  doch  spielen  sahen,  hat  uns 
nicht  so  ergriffen  und  erscliüttei't ,  wie  beim  Lesen  Adromache's 
Mutterpein.  Wir  müssten  den  ganzen  König  Johann  mit  seiner 
tiefgeschichtlichen  Bedeutung,  als  eine  Idee  der  Macht-  und  Herr- 
scherpolitik, der  Ulysses-Idee  gleichsam,  von  welcher  diese 
Tragödie  durchdrungen  ist  bis  in  das  innerste  Eingeweide  hinein, 
—  wir  müssten  König  Johann  ganz  und  gar  in  die  Wagschaale  le- 
gen um  Seneca's  Andromache  so  hoch  eniiiorzusclinellen,  als  die 
Zunge  der  Wage  reicht.  Dass  aber  ein  solches  Draufgewicht  vonnö- 
then,  ist  schon  das  grösste  Wunder;  ein  Mirakel,  dessen  Erklärung 
wir  dem  Leser  anheinisteUen,  dem  wir  zu  diesem  Zwecke  die  be- 
züglichen Scenen,  bis  auf  die  allzuüppigen  Schösslinge,  vollständig 
mitzutheilen,  uns  verpflichtet  glauben. 

Andromache. 

0  harmgedrückte  Phry<:!-criiincn  ihr! 
Wanuii  zerrauft  ihr  euer  HaarV    Warum 
Zerschlagt  ihr  eure  Brust?    Warum  netzt  ihr 
Mit  Tliränenströmen  eure  Wanden?  —  Wir  sind 


388  I^^s  römische  Drama. 

So  elend  iiiclit,  wenn  wir  noch  weinen  können.  — 
Euch  fiel  jetzt  Ilium,  für  mich  war  es 
Gefallen  längst,  gleich,  als  der  wilde  Sieger 
Dem  schnell  hinrasselnden  Wagen  nach  mein  Lieb, 
Weh'!  meinen  Leib  nachschleifte,  dass  die  Achse 
Selbst  des  Peliden  unter'm  traur'gen  Eest 
Des  Hektor  zitternd  schwer  aufseufzend  stöhnt.  — 
Für  mich  war  Troja  damals  schon  nicht  mehr. 
Von  so  viel  Unglücksschlägen  matt  und  starr. 
Schlepp'  ich  mein  elend  Daseyn  fühllos  fort.  — 
Längst  hätte  ich  der  Griechen  Bande  ab- 
Gestreift,  war'  meinem  Gatten  nachgefolgt: 

(Die  Hand  auf  des  Astj^auax  Haupt  legend.) 
Nur  dieser  fesselt  mich  an's  Leben,  hält 
Die  Hand  zurück,  dass  sie  den  Todesstreich 
Nicht  führt.  —  Für  ihn  erheb'  ich  noch  den  Blick 
Zum  Himmel  flehn'd  empor,  und  dulde  länger 
Noch  meine  Qual.     Der  Knabe  raubt  mir  der 
Verzweiflung  festen  Muth,  der  keine  Furcht 
Mehr  kennt,  den  letzten,  einz'geu  Schatz,  den  mir       / 
Das  Leiden  selbst  gewann.  —  Weh'!  alles  Glück 
Ist  mii-  erstorben,  und  den  Unheilsmächten 
Bin  ich  anheimgefallen.    Ah!  das  ist 
Des  Elends  höchster  Gipfel,  wo  alle  Hofinung 
Ab  ist  und  todt,  in  banger  Furcht  doch  zittern  müssen. 


Greis.     Sag'  an,  welch'  ein  Gesicht  erschreckte  dich? 

Androm.  Schon  hat  die  Nacht,  die  allerquickende, 

Schweigsam  die  Hälfte  ihrer  Bahn  vollendet; 

Schon  kehrt'  das  funkebide  Siebengestirn 

Zum  Aufgang  sich:  da  übermannte  mich 

Der  lang'  entbehrte  Schlaf.     Ein  kurzer  Schlummer 

Beschlich  mein  thränendes  Aug';  wenn  die 

Betäubung  der  zerriss'nen  Seele  Schlaf. 

Da  steht  plötzlich  Hektor  vor  mir  da; 

Doch  nicht  so  mannhaft,  wie  er  kämpfend  einst 

Ins  Lager  der  Ai-giver  stürmte,  Tod 

Rings  um  sich  her  verbreitend,  und  den  Brand 

In  ihre  Schilfe  schleudernd ;  nicht  wie  vom 

Patroklus  er,  der  sich  darein  verkappt, 

Die  Rüstung  des  AchiU  erkämpft.     Das  Feuer, 

Das  seinem  Aug'  entsprühte,  war  erloschen. 

Gebrochen  war  sein  Blick  und  thränenfeucht 


Seneca's  Tioaden.     Anflroniache  nml  Ulysses.  3g9 

Wie  meiner ;  traurig  hing  das  Haar  herab.   — 

Ach!  dennoch  war  sein  Anblick  Wonne  mir, 

Da  hob  er  an,  schüttelnd  das  Haupt:    ,, Erwache: 

„Auf  aus  dem  Schlaf,  und  rette  deinen  Söhn, 

,,0  trautes  Weib !    Verbirg  ihn ;  so  nur  kannst 

,,Du  ihn  erretten.  —  Trockne  deine  Thränen.  — 

,,Dass  Troja  fiel,  darüber  seufzest  du? 

,,0  wär's  schon  aus!  Müsst's  nicht  noch  tiefer  fallen! 

,,0  eile,  birg'  den  letzten  zarten  Zweig 

,,Wo  immer  hin  von  unserm  Königsstamme!"  — 

Eiskalter  Schauer  scheucht  den  Schlaf  von  mir, 

Zitternd  erwach'  ich,  schau'  um  mich  herum, 

Des  Sohns  vergess'  ich  Arme,  spähe  nur, 

Wo  Hektor  sey?  —  Doch,  ach!  —  ein  Inft'ger  Schemen 

War  er  aus  meinen  Armen  mir-  entgleitet. 

Als  ich  ihn  eben  zu  umfassen  wähnte.  — 

(Umarmt  den  Astyanax.)  / 

0  theures  Kind!  o  hoffnungsvoller  Sohn 
Des  grossen  Vaters!  letzte  Hoffnung  du 
Der  Phryger  und  des  tiefgesunk'uen  Hauses! 
So  altberühmten  Stammes  letzter  Spross!  — 
Wie  gleichst  du  deinem  Vater  ganz!    Diess  war 
Sein  Blick,  so  ging,  so  stand  er,  ganz  wie  du. 
So  streckte  er  die  Heldcnrechte  aus. 
So  strotzten  seine  Schultern,  also  dräute 
Die  krause  Stirn,  wenn  er  die  reichen  Locken 
Um  seinen  nerAigen  Nacken  schüttelte. 
0  Sohn !  zu  spät  wardst  du  geboren,  um 
Dem  Vaterland  ein  Retter  zu  erscheinen; 
Der  Mutter  Leid  zu  theilen  allzu  früh!  — 
Wird  kommen  der  erwünschte  Tag  dereinst. 
Wo  du,  des  Vaterlandes  Rächer,  kommst. 
Ein  neues  Pergamus  zu  bauen?  wo 
Die  flücht'gen,  rings  zerstreuten  Bürger  du 
Versammelst  um  den  neu  gegründeten  Thron, 
Den  Trojern  Namen,  Vaterland  erkämpfst?  — 

(Erschrocken) 
Weh'!  —  Wagst  du  jetzt  so  Grosses  noch  zu  hoffen?  — 
Ach!  —  Ich  vergass  mein  furchtbares  Geschick! 
Ha!  wir  sind  Sklaven.    Alles  raubte  man. 
Das  nackte  Leben  Hess  man  uns  allein. 
0  mir!  —  Wo  find'  ich  einen  Ort,  der  sicher 
Genug  für  meine  Mutterangst?        Wohin 
Verberg'  ich  dich?    Die  mächt'gc  Königsburg. 
Die  Götter  selbst  gegründet  und  geschirmt, 


390  Das  römische  Drama. 

Die  hochberühmte,  die  aller  Völker  Neid 
Erregt,  sie  liegt,  em  Haufe  Schutt,  darnieder. 
Der  Flamme  Wuth  verzehrte  Alles;   von 
So  grosser  Stadt  l)lielj  nicht  ein  vi^inziges 
Gemach,  worein  ein  Kind  sich  birgt.  —  Wo  ist 
Ein  Ort  geheim  genug  für  meinen  Raub? 
(Sie  sieht  sich  um,  ihr  Blick  fällt  auf  Hektors  Grabmal.) 
Ha!  meines  Gatten  Grabnuxl!  Selbst  dem  Feinde 
Ist's  heilig.     Herrlich  hat's  Priam  erbaut. 
In  seinem  Schinerz  mit  keinen  Kosten  kargend. 
Ja,  dahin  bring'  ich  ihn.     Der  Vater  sey 
Sein  Schützer.  —  Kalter  Schweiss  durchrieselt  mein 
Gebein.  —  Weh'!  weh'!    In's  Grab  bring'  ich  mein  Kind!  — 
Greis.    Schon  Manchem  rettete  sein  Leben  das 
Allein,  dass  man  ihn  todt  geglaubt. 
Und  sprich,  was  bleibt  dir  sonst  zu  hoffen  übrig  V 
Ihn  drückt  der  Adel  seines  Bluts  zu  Boden. 
Androm.  Verrath  lauscht  überall. 

Greis.  Thu'  es,  wenn  kein 

"N'erräther  nah'  —  — 
Androm.  Und  fragt  der  Feind  nach  ihm? 

Greis.    Sag'  ihm:  In  Troja's  Flammen  kam  er  um. 
Androm.  Was  hilft  es  ihn  verbergen?    Er  entgeht 
Doch  der  Gewalt  der  Feinde  nicht. 
Greis.  Sie  sind 

Im  ersten  Taumel  nur  des  Siegs  so  grausam. 
Androm.  Ach!  kann  ich  ohne  Zittern  ihn  verbergen? 
Greis.    Drängt  dich  die  Noth,  ergreif  den  Rettungsweg, 
Der  sich  zuerst  dir  beut;  bist  du  erst  ausser 
Gefahr,  dann  magst  du  wählen. 
Andromache  (zu  Astyanax) 

Welcher  Ort, 
Welch'  weit  entleg'nes  unwirthbares  Land 
Gewährt  dir  Sicherheit? 

(zum  Grabmal  gekehrt) 

Du,  Hektor,  sey 
Wie  vor,  so  jetzo  unser  Schild.     Was  ich, 
Dein  liebend  Weib,  dem  grimmen  Feind  entzieh, 
Diess  junge  Leben,  meinen  höchsten  Schatz, 
Bewahr'  es  treu  im  Hause  deiner  Asche. 

(Sie   steht    mit    dem  Knaben    am  Grabe,   und    spricht   zu 
Astyanax:) 
Nun  steig'  hinab  zur  Gruft,  mein  Knabe!  — 
(Astyanax  weigert  sich.) 
Androm.  Wie? 


Androiiiache  und  Ulysses.  391 

Du  fliehst  zurück?    Du  sträubest  dich  der  Schmach, 

Dich  zu  verkriechen?     -  Ha!  daran  erkenn'  ich 

Des  Vaters  Geist,  der  feig  zu  flieh'n  erröthet.  — 

Dem  edlen  Stolz,  dem  kecken  Muth,  den  du 

Ererbt,  entsage  nun,  und  füge  dich 

Der  Zeit.  —  Sieh'  da,  die  Trümmer  unsres  Glücks!  — 

Der  Vater  liegt  im  Grab;  du  bist  verwais't. 

Mein  Knab',  ich  deine  Mutter,  bin  nied're  Magd!  — 

Umsonst  wUlst  du  dem  harten  Schicksal  trotzen. 

Gib  nach,  o  folge  mir,  geh'  in  das  Haus, 

Wo  deines  Vaters  heil'ge  Asche  ruht. 

Will  dir  das  Schicksal  wohl:   ist's  deine  Freistatt; 

Will's  deinen  Tod:  hast  du  ein  herrlich  Grab. 
Astyanax    (steigt  hinab  in    das    Grabmal,    der   Greis   wälzt   den  Stein 
wieder  vor). 
Greis.    Er  ist  hinab.     Das  Grab  verwahrt  ihn  nun. 

Doch,  dass  ihn  nicht  des  Mutterherzens  Angst 

Verrathe,  geh'  von  hinnen,  entferne  dich. 
Androm.  Die  Angst  ist  minder  quälend,  wenn  wir  das, 

Wofür  wir  bange  beben,  uns  nahe  wissen. 

Wenn's  aber  gut  dir  dünkt,  so  geh'  ich  fort. 
Greis,    (hat  gegen  das  Lager  hinaus  gesehen). 

Nein,  bleib'!    Doch  wahre  deine  Zunge  wohl. 

Nicht  klage;  denn  der  Kephalener-Fürst, 

Der  schändliche,  lenkt  seine  Schritte  her. 
Androm.  So  öffne  dich,  du  mütterliche  Erde! 

Du,  mein  Gemahl,  zerspalt'  vom  tiefsten  Grund, 

Vom  Styx  herauf  der  Welten  Bau !    Hut'  wolü 

Mein  anvertrautes  Kleinod;  denn  es  kommt 

Ulyss.    Es  wankt  sein  Schritt,  sein  schwarzes  Herz 

Spinnt  meder  tückiscli  schändlichen  Verrath!  — 
(Der  Greis  zieht  sich  zurück.) 


Ulysses.  Des  harten  Schicksals  Bote  komm'  ich  her. 
Doch  lege  mir-  nicht  aus  zur  Schuld,  was  dir 
Mein  Mund  verkünden  wird.     Der  Griechen-Völker 
Und  aller  Fürsten  S})ruch  schickt  mich  hierher ; 
Denn  Hcktors  Kind  liemmt  noch  die  späte  Fahrt 
Zur  IFeimath  uns.     Das  Schicksal  fordert  ihn 
Zu)n  Oi)fer.     Nimmer  kann  der  Danacr 
Furchtlos  auf  sichern  Frieden  hoffen,  stets 
Muss  er  besorgt  zurücke  schau'n,  darf  nie 
Die  Waffen  legen  aus  der  Hand,  so  lang 


392  Das  röniisclie  Drama. 

Den  schwer  bezwung'nen  Phrygern  eine  Hoffnung, 
Androniache,  in  deinem  Solm  noch  lebt. 

Andrem.  Spricht  euer  Seher  Kalchas  diess  durch  dich? 

Ulysses.  Wenn  auch  der  Seher  schwieg:  es  sprechen  laut 
Des  Hektor  Thaten.     Furchtbar  ist  der  Sprössling 
Selbst  seiner  Kraft;  denn  was  so  mächtigem  Stamm 
Entkeimte,  schiesset  gross  mid  mächtig  auf.  — 
Es  ist  nicht  Kleines,  was  die  Griechen  schreckt: 
Ein  werdender  Hektor  ist  es.  —  Darum  ende 
Du  unsre  Furcht.     Die  einz'ge  Sorge  hält 
Die  Schüfe  noch  zurück,  hemmt  unsre  Fahrt.  — 
Schilt  mich  nicht  grausam,  weil  ich  Hektor's  Sohn 
Von  dir  begehre,  weil's  das  Schicksal  heischt.  — 
Von  Agamemnon  selber  fordert'  ich 
Orest  den  Sohn,  galt'  es  des  Volkes  Heil. 
Drum  dulde  du,  was  auch  der  Sieger  litt. 

Andrem.  0  hätt'  ich  dich,  mein  Sohn!  Wärst  du  bei  mir 

Im  Schooss  der  Mutter!   Wüsst'  ich,  welche  Macht 
Dich  mir  entriss,  in  welchem  Land  du  weilst?  — 
Und  bohrtet  eure  Geschoss'  ihr  mir  in's  Herz, 
Und  schmiedetet  ihr  in  Ketten  diese  Hände, 
Und  würf't  ihr  mich  in  heisse  Flammenloh': 
Nichts  brächte  zum  Verrath  diess  Mutterherz. 
0  Sohn,  wo  weilst  du?   wie  ergeht  es  dir? 
Irrst  du  vielleicht  herum  in  fremdem  Land? 
Hat  deinen  zarten  Leib  vielleicht  der  Brand 
Der  Vaterstadt  verzehrt?    Hat  vielleicht 
Ein  Grieche  in  unmenschlich  wilder  Lust 
Des  Siegs  zum  Spiel  dein  junges  Blut  verspritzt? 
Liegst  du,  von  einem  wilden  Thier  getödtet, 
Der  Vögel  Speise,  auf  des  Ida  Höhen? 

Ulysses.  Die  falschen  Heuchelworte  spare  dir; 

Ulyssen  zu  berücken,  gelingt  dir  schwer. 
Der  Mutter  List  besiegt'  ich  schon,  und  waren 
Doch  Göttinnen.    Den  eitelen  Versuch 
Gib  auf.     Wo  ist  dein  Sohn? 

A  nd  r  o  m.  Wo  Hektor  ist, 

Die  Phryger-Kämpfer  aU'  und  Priamus. 

(Schmerzlich.) 
Du  suchst  den  Einen ;  ach !  ich  wein'  um  Alle. 

Ulysses.  Man  zwingt  dich  schon,  gestehst  du  es  nicht  frei. 

Andrem.  Gewalt  verlach'  ich,  denn  ich  weiss  zu  sterben. 
Ich  will  den  Tod. 

Ulysses.  Ha!  solcherlei  Mundhelden 

Entwaffnen  gleich  des  nahen  Todes  Schrecken. 


Andromaehe  und  Ulj'sses.  393 

Androm.  Willst  du  mit  Furcht,  Ulyss,  Androraachen 
Bezwingen  ?     Wisse  denn,  das  Leben  nur 
Ist  furchtbar  mir,  der  Tod  kommt  mir  erwünscht. 

Ulysses.  Gewalt  zmngt  wohl 

Auch  einer  Mutter  Herz.     Ha,  Thörin,  willst 
Verschweigen,  was  du  doch  bekennen  rausst? 

Androm.  Auf  denn!    Lass  Flammen  lodern,  zück  dein  Schwert, 
Biet'  alle  Martern  auf,  die  deine  Wuth 
Dich  lehrt!    Mit  Hunger  folt're  mich,  mit  Durst, 
Mit  jeder  Pein!    Bohr'  in  mein  Herz  den  Stahl; 
Lass  mich  im  dumpfen  Kerker  schmachten,  leiden, 
Was  grimme  Willkür  nur  des  Siegers  aussinnt: 
Das  starke  Mutterherz   zwingt  keine  Macht. 

Ulysses.  Selbst  diese  Liebe,  die  so  starr  uns  trotzt, 
Sie  malmet,  warnt  uns  Danaer,  auf  dass 
Wir  unsrer  Kinder  Ruh'  gar  wohl  berathen. 

Androm.  Weh!  Freudenbotschaft  muss  ich  selbst  dem  harten 
Ulyss,  den  Danaern,  den  Feinden  ich. 
Ob  sich  das  Herz  auch  sträubet,  bringen!  Ach!  — 
Umsonst  verhehlt  der  Hass  den  heissen  Schmerz. 
Hört  es,  Atriden,  hört's,  und  jubelt  auf! 

(zu  Ulyss  es) 
Du  hör's,  und  juble,  und  verkünd'  es  ihnen:  — 
Des  Hektor  Kind  —  o  mir!  —  es  lebt  nicht  mehr. 
Ulysses.    Womit  verbürgest  du  die  Wahrheit  uns? 
Androm.    Die  grösste  Pein,  die  ihr  ersinnen  mög't. 

Komm  über  mich!  —  So  möge  mich  das  Schicksal 
Bald  leichten  Tods  von  aller  Qual  befrein. 
Ein  Grab  mir  gönnen  hier  im  Mutterland, 
So  decke  Hektorn  hier  der  Mutterboden  sanft: 
So  wahr  mein  Sohn  den  Lebenstag  nicht  schaut ; 
So  wahr  er  bei  den  Todten  haus't ;  so  wahr 
Im  Grab  er  bei  den  Abgeschied'nen  ruht! 
Ulysses  (freudig)  Des  sichern  Friedens  frohe  Botschaft  bring'  ich 
Den  Danaeru.     Todt  ist  des  Hektor  Stamm, 
Erfüllt  des  Schicksals  Gebot. 
(Will  gehen,  bleibt  aber  sinnend  stehen,  und  spricht  bei  Seite.) 

Doch  halt,  Ulyss! 
Was  thust  du?  Wird  das  Griechen-Heer  dir  trau'n  — 
Wess  Worten  trau'st  denn  du?   -    der  Mutter.  —  Ob 
Sie  Wahrheit  sprach?  ob  nicht  sein  Tod  erdichtet?  — 
Wagt  sie  es  ohne  Zagen  mit  den  Schrecken 
Des  Tods  so  kühn  zu  s]iielcn?  Sclircckct  sie 
Das  Strafgericht  der  (Innkcln  Mächte  nicht? 


394  i^äs  römische  Drama. 

Der  scheuet  auch  die  dunklen  Eichter  noch, 
Wem  Schlimmeres  nicht  mehr  begegnen  kann.  — 
Zwar  sie  beschwor's  mit  einem  Eid  —  wenn  falsch 
Sie  schwört,  was  kann  sie  Schlimm'res  fürchten,  als  sie 
Schon  leidet?  —  Jetzt,  Ulyss,  raff'  dich  zusammen. 
Biet'  alle  Schlauheit,  alle  Künste  auf, 
Jetzt  zeige  dich.  —  Wahrheit  bleibt  nicht  gelieim  : 
Belausch'  ihr  Mutterherz.  — 

(Andre  machen  scharf  von  der  Seite  betrachtend.) 
Sie  seufzet,  weint, 
Sie  klagt  und  wankt  mit  ängstlich  schwachem  Schiitt 
Herum,  und  lauscht  besorgt  auf  jeden  Laut.  — 
Das  ist  mehr  Angst  als  Trauer.    Ha!  jetzt  gilt's!  — 

(Laut  zu  And ro mache.) 
Bedauren  würd'  ich  aud're  Mütter,  doch 
Dir,  Arme,  wünsch'  ich  Glück,  dass  todt  dein  Sohn. 
Sein  harrte  ein  gar  bittrer  Tod.     Vom  Thurm, 
Dem  einz'gen,  der  aus  Troja's  Trümmern  ragt. 
Herab  gestürzt,  qualvoll  hätt'  er  geendet, 
Androm.  Ich  beb'  und  zitt're,  sterbe  noch  vor  Angst. 

In  meinen  Adern  starrt  das  Blut  zu  Eis. 
Ulysses  (b.  S.)  Sie  bebt.  —  Von  dieser  Seite  fass'  ich  sie. 
Die  Angst  verräth  die  Mutter.    Nun  wohlan, 
Ich  weiss  sie  zu  verdoppeln. 

(Laut  zu  seinem  Gefolge.) 

Auf  denn,  eilt! 
Auf!  Des  Pelasger-Namens  argen  Feind, 
Den  letzten  Rest  von  dieser  gift'gen  Brut, 
Den  seine  Mutter  listig  barg,  schleppt  her. 
Wo  ihr  ihn  findet!  — 
(Pause;  dann  als  wäre  der  Knabe  gefunden.) 

Wohl,  wir  haben  ihn ! 
Fort!  bringt  ihn  her! 
Androm.  (sieht  ängstlich  zurück,  um  zu  sehen,    ob  sie  wirklich  entdeckt 

sey.) 
Ulysses  (schnell).  Was  wendest  du  dich  denn 

Zurück,  und  bebst?  —  Dein  Sohn  ist  ja  längst  todt. 
Androm.  O  dass  er  lebt'!  Dass  meine  Angst  um  ihn 

Nicht  fruchtlos  war'!  Ich  bin  so  sehr  gewohnt 
Zu  zittern,  dass  Alles  mich  erschreckt,  und  schAvcr 
Verlernt  das  Herz,  was  es  so  lange  that. 
Ulysses.  Weil  denn  der  Knab'  durch  frühern  Tod  dem  Loos 
Entging,  als  Sühnungsopfer  an  den  Mauern 
Der  Troer-Stadt  zu  fallen,  wie  der  Seher 
Es  fordert,  so  s])richt  Kalchas :  ,,Also  nur 


Andromache  und  Ulysses.  395 

„Wird  Sühne  euch  gewährt,  ihr  Daiiaer, 
„Und  Rückfahrt  euern  Boten,  wenn  in's  Meer 
,,Ihr  Hektor's  Asche  streut,  sein  Grab  zerstört, 
,,Uüd  es  dem  Boden  gleich  macht!''    -  Nun  der  Knabe 
Der  Opferung  entging  durch  sanftem  Tod, 
Muss  ich  des  Helden  heiFge  Ruhestätte 
Zerscheitern  mit  gewalt'ger  Faust. 
Androm.  (für  sich)  Weh'  mir! 

Was  thu'  ich?  Doppelangst  zerreisst  mein  Herz. 
Hier  gilt's  den  Sohn,  und  dort  des  Gatten  Asche; 
Wer  siegt  im  Kampf,  den  meine  Seele  kämpft?  — 
Euch  Götter,  die  ihr  uns  verdarbt,  die  ihr 
Den  Meineid  strenge  rächt,  und  deinen  Geist, 
Geliebter  Gatte,  ruf  ich  auf  zu  Zeugen, 
Dass  nur  den  Vater  ich  im  Sohne  liebe. 
Er  lebe,  Hektor!  er,  dein  Ebenbild. 
Ha!  dann  wird  aus  dem  Grab  des  Vaters  Asche 
Hervor  gerafft,  in's  Meer  gestreut,  und  sein 
Gebein  den  wilden  Wogen  preis  gegeben!  — 
Eh'  sterbe  der  Sohn!  —  Und  könntest  du  ihn  schau'n. 
Du  Mutter,  wie  den  grausen  Tod  er  leidet? 
Wie  sie  hinab  ihn  von  der  Höhe  stürzen?  — 

(Schaudernd.) 
Ja,  ich  vermag's,  ja,  das  ertrage  ich ; 
Wenn  meinen  Hektor  nur  des  Siegers  Faust 
Heraus  nicht  reisset  aus  dem  Todesschlaf".  — 
Du  Knabe  müsstest  manches  Leid  noch  tragen, 
Ihm  gönnt  das  Schicksal  endlich  Rast  und  Ruh'. 
Was  schwankst  du  noch?  Entschliess'  dich.  —  Wen  willst  du 
Der  Hand  des  Feinds  entzieh'n  ?  —  Ha,  Undankbare ! 
Kannst  du  noch  wählen?  —  Ruht  nicht  Hektor  dort? 
Ach  nein!  Hier    —  dort  ist  Hektor  —  überall! 

(Hoffnung  ergreift  sie.) 
Der  hat  noch  Lebenskraft,  der  rächt  vielleicht 
Des  Vaters  Tod  dereinst.  —  Warum  kann  ich 
Nicht  beide  retten?  —  Was  beginn  ich?  --  Ha, 

(Gcfasst.) 
Ich  rette  den,  vor  dem  die  Grajer  zittern. 

Ulysses.  Des  Sehers  S])rucli  vollführ'  ich  stracks,  und  zerre 
Aus  seiner  Gruft  hervor  des  Todten  Leichnam. 

Androm.  Den  ihr  verkauft? 

Ulysses.  Ich  geh'  und  reiss  den  Staub 

Aus  der  Erde  Schooss  hervor. 
Androm.  (voll  Angst  schreiend). 


396  Das  römische  Drama. 

Ihr  Götter,  hört, 
Hör'  mich,  Achill!  Komm',  Pyrrhus,  was  dein  Vater 
Gelobte,  halte  du's. 

Ulj'sses.  Im  Augenblick 

Siehst  du  das  Grab  zerscheitert  auf  dem  Plan. 

Audrom.  Das  war  der  einz'ge  Frevel,  Danaer, 

Den  ihr  noch  nie  gewagt.     Der  Götter  Tempel, 
Der  güust'gen  selbst,  habt  ihr  entweiht.    Die  Asche 
Der  Todten  liess  noch  eure  Wuth  in  Ruh'.  — 
Ich  trotze  dii-.    Sieh'!  die  wehrlose  Hand 
Streck'  ich  der  stahlbewehrten  Faust  entgegen; 
Die  Rache  giebt  mir  Kraft!  —  Wie  der  Ai-giver 
Geschwader  kühn  die  Amazone  schlug; 
Wie  die  Mänade,  von  ihrem  Gott  begeistert, 
Im  Wahnsinn  tobt,  dass  rings  der  Hain  erschrickt. 
Den  furchtbarn  Thjrsus  schwingend,  und  sich  selbst 
Verwundet;  in  der  Raserei  den  Schmerz 
Nicht  fühlt':  so  stürz'  ich  mitten  unter  euch, 
Und  falle  kämpfend  an  des  Gatten  Grabe. 
(Sie  stellt  sich  vor  das  Grabmal.) 

Ulysses  (zor-nig  zu  den  weichenden  Kriegern). 

Ihr  weicht  y  das  Winseln  eines  Weibs  und  ihre 
Ohnmächt'ge  Wuth  erschrecket  euch?  Vollführt 
Schnell  mein  Gebot ! 

(DieKJrieger  gehen  gegen  das  Grabmal;  Andro mache  wirft 
sich  ihnen  entgegen). 

Androm.  (in  höchster  Angst). 

Ä'Iich  werft  erst  nieder ! 
Ha,  mein  Gemahl!  aus  des  Avernus  Schlund 
Schwing'  dich  empor,  der  Weltenordnung  Schranken 
Durchbrich,  erschüttere  den  Bau  der  Welt! 
Auf,  zeig'  dich  dem  Ulyss,  dein  blosser  Schatten 
Bricht  seinen  kühnen  Trotz!  —  Ha!  höret  ihr? 
Hör't  ihr  die  Waffen  klirr 'n  in  seiner  Hand? 
Seht,  ^\ie  er  Flammen  sprühet,  Danaer! 
Seht  ihr-  den  Hektor?  —  Oder  sah  ich  ilin 
Allein  ? ! 

Ulysses.  Bis  in  den  Grund  zertrümmert  Alles. 

Androm.  (b.  S.)  Was  thu'  ich?  —  Sohn  und  Vater  stürz'  ich  in's 
Verderben  zumal?  —  Vielleicht  gelingt  es  mir, 
Die  Danaer  mit  Bitten  zu  erweichen. 

(Sieht  nach  dem  Grabnuile,  an  dessen  Zerstörung  des  Ulys- 
ses Krieger  arbeiten.) 
Weh'  mir!  des  Grabes  Trümmer  stürzen  schon 
Auf  den  Verborg'nen  ein !  —  Stirb,  Armer,  stirb 


Androinache  und  Ulj'ses.  397 

Wo  immer,  nur  sey  nicht  des  Vaters  Gruft 

Dein  Grab,  dein  Leichnam  drücke  nicht  des  Vaters  Staub! 

(.Stürzt  dem  Ulysses  zu  Füssen.)- 
Zu  deinen  Füssen  lieg'  ich  hier,  Ulyss, 
Ich,  die  noch  Keinem  bittend  je  genaht, 
Umfasse  deine  Knie  mit  meiner  Rechten, 
Und  fleh':  Erbarm'  dich  meiner  Mutterangst! 
Hör'  gütig  au  mein  Fleh'n!  Je  höher  dich 
Der  Götter  Gunst  erhoben,  um  so  milder 
Bezeige  dich  dem  Tiefgefallenen.  — 
Was  Leidenden  du  schenkst,  bringt  wieder  Glück. 
Kehr'  glücklich  an  der  Gattin  treue  Brust! 
Es  mög'  Laertes  sich  verjüngen,  bei 
Des  Wiedersehens  Wonnen!  Deinen  Sohn 
Mög'st  gross  und  stark  du  wieder  finden,  mehr 
Als  du  es  hülfen  mocht'st;  und  drück'  ihn  froh 
An's  Vaterherz,  er  übertreffe  noch 
An  Alter  den  Grossvater  selber,  und 
An  klugem,  vielgewandtem  Geist  den  Vater; 
0,  hab'  Erbarmen  mit  der  armen  Mutter, 
Er  ist  mein  einz'ger  Trost  in  meinem  Jammer! 
Ulysses.  Erst  schaff'  den  Sohn  herbei,  dann  magst  du  fleh'n. 
Androm.  (geht  gegen  das  Grabmal) 

Komme  hervor 

Aus  deiner  Freistatt, 

Weinenswerther  Knab', 

Den  die  besorgte  Mutter 

Verbarg  vor  Feindes  Grimm ! 
(Sie  geht  zum  Grabmale,  und  führt  ihren  Sohn  hervor.) 


Androm.  Hier,  Ulysses, 

Hier  ist  der  Knabe, 
Dem  tausend  Segel 
Bang'  erzittern. 

(zu  A  s  t  y  a  n  a  x.) 
Falte  die  Händchen, 
Wirf  zu  den  Füssen 
Des  neuen  Gebieters 
Flehend  dich  nieder ! 
Sträube  dich  nicht. 
Was  das  Unglück  gebeut, 
Ist  nicht  Schmach  dem  Unglücklichen. 
Dass  deine  Ahnen 


398  Dä,s  römische  Drama. 

Königlich  thronten; 
Wie  der  mächtige  Greis 
Weituiii  gelierrscht, 
Hoch  und  berühmt, 
Vergiss  es  jetzt.  — 
Vergiss  auch  Hektorn; 
Bedenk',  dass  du  Sklav'  List. 
D'rum  beuge  die  Knie; 
Und  hast  du  nicht  Sinne  noch 
Für  die  Schrecken  des  Todes, 
So  achte  auf  mich, 
Und  thu',  was  die  jammernde 
Mutter  dir  zeigt. 

(zu  Ulysses.) 
Schon  in  früherer  Zeit 
Sah  Troja  des  Königssohns 
Bittende  Zähre. 
Schon  Priam  als  Knabe 
StiEte  die  Zornwuth 
Des  erzürnten  Aleiden,  — 
Der  Held, 
Dess  riesiger  Paust 
Ungethüme  gefallen. 
Der  Pluto's  eiserne 
Pforten  zersprengte, 
Und,  wo  keiner  vor  ihm  ging, 
Sich  Rückweg  zum  Licht  brach. 
Ward  von  des  kleinen. 
Kindlichen  Feindes 
Thränen  gerühret. 
Und  sprach; 
,,Sey  König !  — 
,, Besteige  den  Thron 
,, Deiner  Väter, 
,,Und  herrsche  hochherrlich! 
, »Empfange  das  Scepter; 
,,Doch  führ'  es  gerechter 
,,Und  treuer  als  sie!"  —  — 
So  müde  hat  er  als 
Sieger  gewaltet.  — 
Lei'net  vom  Hektor, 
Ihr  Sieger  alle, 
Rache  üben 

Am  bezwungenen  Feind 
Oder  liebt  ihr 


Aiidroiiiache  und  Ulj'sses.  399 

Nur  sein  Gewaften? 
(Mit  Astyanax  vor  dem  Ulj'sses  niederkniend.) 

Zu  deinen  Füssen, 

Nicht  geringer  als  Priani, 

Liegt  hier  der  Knabe, 

Und  fleht  um  sein  Leben. 

Troja's  Königsthron 

Gebe  das  Glück 

Wem  immer ;  er  fleht 

Nur  um  das  Leben. 
Ulysses.  Der  hart  bedrängten  Mutter  Klage  rührt 

Mein  Herz;  doch  mehr  die  Mütter  der  Pelasger. 
Zu  ihrem  Jammer  nur  erwuchs'  dein  Sohn. 
Androm.  Kann  er  aus  Asch'  und  Schutt,  worein  ihr  sie 
Gestürzt,  die  Stadt  zur  alten  Pracht  erwecken  V 
Diess  Händchen  könnte  Troja's  Macht  neu  gründen  ? 
Wie  schwach  ist  Troja's  Hotthung  doch,  wenn  sie 
Auf  solchen  Stützen  ruht !  Wir  sind  so  tief  gebeugt, 
Dass  wir  niemand  können  furchtbar  seyn.     Sorgst  du, 
Des  Vaters  Geist  leb'  auf  in  ihmV  —  Ja  wohl; 
Wie  ihn  Achill  um  Troja's  Mauern  schleifte.  — 
Ihm  sänke  selbst  der  Muth,  den  Tapfersten 
Entmannt  doch  endlich  stäter  Sturm  und  Drang. 
Wollt  ihr  noch  Eache?  Seyd  ihr  deim  nicht  schwer 
Genug  gerächt?  —  Ha,  seht!  Der  Knechtschaft  Joch 
Liegt  auf  des  Fürstenjünglings  Nacken  schwer. 
Lasst  ihn  es  tragen !  dieses  Sklaven-Leben 
Lasst  ihm !  Dem  Königssohn  könnt  ihr's  verweigern  ? 
Ulysses.  Nicht  ich;  des  Kalchas  S]>ruch  raubt  dir  den  Sohn. 
Androm.  (,im  höchsten  Zorn). 

Ha,  schnöder  Eänkeschmieder,  rüstig  und 
Gewandt  zu  jeder  Lasterthat !  Noch  keinen  hat 
Im  offnen  Kampf  dein  Arm  erlegt;  doch  Tücken 
Und  deine  meuchlerischen  Finten  haben 
Zu  Haufen  selbst  Pelasger  hingewürgt. 
Des  Sehers  Spruch,  der  holien  Götter  Rath, 
Die  solchen  Gräu'l  verabscheu'n,  wagest  du 
Als  Vorwand  deiner  Mordgier  vorzuschützen? 
Diess  schwarze  Werk  gebar  dein  schwarzes  Herz.  — 

(Mit  Hohn.) 
Jetzt  hast  du  endlich  Mutli,  du  Held  der  Naclit. 
Gilt's  eines  Knalien  Tod,  jetzt  wagst  du  dicli 
An  Jemand  oluie  Helfer,  ganz  allein  ! 
Ulysses  (stolz").  Don  Grioclien  ist  mein  Mutli  sattsam  bekannt. 


400  Da«  römische  Drama. 

Und  auch  dein  Volk  empfand  ihn  nur  zu  sehr. 
Ich  hab'  nicht  Lust,  mit  eitelem  Geschwätz 
Die  Zeit  hier  zu  verlieren ;  denn  es  will 
Der  Danaer  die  Anker  lichten  schon. 

Androm.  (bittend).  Nur  kurze  Frist  gestatte  mir,  dass  ich 
Dem  Knaben  noch  den  letzten  Liebesdienst 
Erweis',  und,  ihn  zum  letzten  Mal  umarmend, 
Stille  des  Mutterherzens  heissen  Schmerz. 

Ulj'sses    (gerührt).  0  dürft'  ich  thun,  was  mein  mitleidig  Herz 
Dil-  gerne  zugestände!  —  Was  ich  darf. 
Die  kurze  Fristung  gönn'  ich  wiUig  dir. 
Lass  deinen  Thränen  freien  Lauf,  in  Thränen 
Erleichtert  sich  die  gramgepresste  Brust. 

Androm.  (umarmt  den  Astyanax). 

0  süsses  Pfand  von  meines  Hektor's  Liebe! 

Du  einz'ge  Zierde  unsres  Unglückshauses! 

Du  letzter  Spross  von  Troja's  Heldenstamm! 

Du  Schrecken  der  Hellenen!    Letzte  Hoffnung 

Der  Mutter!  —  0  ich  Thörin  habe  dir 

Des  Vaters  Kriegesruhm  und  Priam's  Glück, 

Wie  es  in  schönster  Blüthe  stand,  gewünscht. 

Der  Götter  Zorn  vernichtet  all'  mein  Hoffen !  — 

Nie  wirst  du  in  der  königlichen  Burg 

Von  Ilion  mit  mächt'gem  Scepter  Avalten ; 

Noch  wirst  du  je  Gesetze  geben  Völkern, 

Die  dein  tapfres  Schwert  sich  unterwarf;  nie  wii'd 

(heimlicher) 
Dein  Rächerarm  der  Griechen  Nacken  treffen.  — 
Des  Vaters  Tod  bleibt  sühnlos,  ungerochen, 
Nie  schmied'st  du  Pyrrhus  Leib  an  deinen  Wagen.  — 
Die  zarten  Händchen  schwingen  nie  ein  Schwert; 
Ach,  nie  wii-st  du  das  Wild  im  weiten  Forst, 
Das  scheu  herum  zersprengte,  jagen ;  nie  wirst 
Du  Troja's  grosses  Sühnungsfest  erschau'n; 
Nie  Troja's  edle  Jugend,  froh  um  dich 
Geschaart,  in  lustig-raschem  Festkampf  tummeln; 
Nicht  am  Altar  der  vaterländ'schen  Götter 
Zur  feierlichen  Weise  nach  des  Horns 
Getön  den  altehrwürd'gen  Opferreih'n 
Rasch  und  gewandt  im  heimischen  Tempel  führen. 

(Jammernd.) 
Du  stirbst!  —  und,  ach!  wie  grausam  ist  dein  Tod! 
J]in  Jammerschauspiel  sollst  du,  Troja,  schau'n, 
Noch  weinenswerther  als  des  Hektor  Tod. 


Seneca's  Troaden.    Der  dritte  Act.  401 

Ulysses.  Lass,  arme  Mutter,  endlich  ab  zu  klagen; 
Wühl  endlos  ist  dein  unermesslich  Leid. 

Androni.  (zu  Ulysses). 

Noch  einen  Augenblick  gönn'  meinem  Schmerze, 
Ulyss,  erlaube,  dass  der  Mutter  Hand 
Die  Augen  vor  dem  Tode  ihm  verbinde. 

(Zu  Astj'anax.) 
0  Sohn!  in  zarter  Kiiidheit  musst  du  sterben, 
Doch  bist  du  jetzt  schon  deiner  Feinde  Schrecken. 
Geh'  denn  —  die  Helden  Troja's  harren  dein, 
Geh'  du  ein  Freier  zu  den  Freien  hin ! 

Astyanax  (wie  ihm  Andromache  die  Augen  verbinden  will). 
0  hab'  Erbarmen,  Mutter! 

Androm.  Kind,  was  schmiegst 

Du  dich  in  meinen  Schooss?    Warum  umklammerst 

Die  Mutter  du  mit  deinen  Händchen  V    Ach, 

Bei  mir  suchst  du  vergebens  Schutz !    Wie  vor 

Dem  brüllenden  Leu  das  Lamm  ersehrocken  sich 

An  seine  Mutter  drückt;  der  grimme  Leu 

Jedoch  sie  forttreibt,  und  den  zarten  Raub 

Aufrafft,  in  seinen  Zähnen  malmt  und  fortschleppt : 

So  reisst  aus  meinem  Schoosse  dich  der  Feind.  — 

0  Sohn,  mit  Küssen  deck'  ich  dich,  und  bade 

In  Thränen  dich,  zerrauf  um  dich  mein  Haar, 

Hauch'  meinen  Schmerz  in  dich,  dass  voll  von  mir 

Du  Hektorn  dort  begegnest!  —  Melde  ihm 

Diess  Wort,  das  deine  Mutter  jammernd  spricht: 

,, Bleibt  Abgeschied'nen  nicht  Erinnerung 

,,An  ihre  Lieben  in  der  Oberwelt? 

,,Hat  denn  das  Feu'r,  das  ihren  Leib  versengt, 

,,Auch  alle  Lieb'  verzehrt V    Duld'st  du  es,  Hektor, 

,,0  Grausamer,  dass  sieh  Andromache, 

,,Dein  Weib,,  hier  schnödem  Grajer-Joche  krümmt? 

,,Kam  doch  Achilles  um  Folyxena 

,, Herauf;  du  liegst  ohnmächtig  kalt  im  Grab?"    — 

Nimm  nochmals  Lock'  und  Thrän'  zum  Leichenopfer, 

So  viel  mir  noch  die  Trauer  Hess  um  den 

Gemahl!  —  (Küsst  ihn.)    Die  Küsse  bring'  dem  Vater  zu; 

Mir  lasse  diess  Gewand  zum  Trost  zurück! 

Das  Grab,  so  all  mein  Liebstes  birgt,  den  Rest 

Des  theuerstcn  Gemahls  hat  es  berührt. 

Wo  icli  oh)  Stäubchen  seiner  heil'gen  Asche 

Nur  finde,  küss'  ich's  auf! 

n.  26 


402  ^^^  römische  Drama. 

Ulj-ßses   (rauh  und  zürnend). 

Genug  des  Jammerns.     Reisst  ihn  schnell  von  hinnen, 
Der  der  Ai-giver  Flotte  Rückfahrt  hemmt. 

(A  n  d  r  0  m  a  c  h  e  n   wird  von  den  Kriegern  des  Ulysses   der 
Sohn  weggerissen  und  fortgeschleppt,   sie  bleibt  am  Boden 
betäubt,  wenige  Sklavinnen  beschäftigen  sich  mit  ihr.  Ulys- 
ses ab.) 
In  den  Anmerkungen  zu  dieser  Tragödie  von  A.  A.  Swoboda, 
dessen  Uebersetzung  ';  wir  benutzen,  finden  wir  -')  einige,  wie  uns 
dünkt,  beac-htenswerthe,  den  Chor  betreffende  Zweifelfragen:   „War 
der  Chor  Zeuge    von    dem   Zwiste  Aganiemnon's    mit  PyiThus? 
Musste  er,  vermöge  der  Theilnahme,   die  er  eben  erst  dem  Kö- 
nigshause bewies,  nicht  in  laute  Klagen  ausbrechen,  und  der  ar- 
men Königstochter  das  Verhängniss  verkünden?    Wo  kam  Hecuba 
indessen  hin?    Wie  kommen  die  Griechenfürsten?    Wohin  gehen 
sie?"  u.  s.  w.     All'  diese  Fragen  aber  zusammengenommen  fal- 
len nicht  so  schwer  in's  Gewicht,   wie  unsere  eine  Frage:     Wie 
in  aller  Welt  kommt  Seneca  zu  diesem  Act?   „Von  diesen  Uebel- 
ständen  abgesehen,"  fähi*t  Swoboda  foi-t,  „ist  allerdings  dieser  Act 
gelungen    zu  nennen."     Allerdings?    Gelungen?     Der  Act   darf 
als  tiefe  Studie  den  Meistern  der  Kunst  empfohlen  werden! 

Aber  schon  der  vierte  ist  wieder  so  elend  wie  der  zweite. 
Vermöge  der  Episode  mit  der  Helena  hat  er  sogar  ein  gut  Theil 
voraus.  Als  etwas  Eigenes  wird  darin  das  Schweigen  der 
Polyxeua  bemerlrt,  um  deren  Schicksal  sich  dieser  Act  bewegt. 
Helenas  arglistige  Bewerbung  um  Pol\T^ena  fiir  PyiThus;  der 
Mutter  Freude  darüber;  ihre  Ohnmacht,  als  Helena  ihre  wahre 
Absicht  zu  erkennen  giebt,  Polyxena  dem  Opfertode  entgegenzu- 
führen; der  Abschied  der  unglücklichen,  aus  der  Ohmnacht  wie- 
der erAveckten  Mutter  —  alle  diese,  das  Gemüth  einer  Jungfrau 
und  Tochter  auf's  Höchste  erregenden  Situationsmomente  gewin- 
nen ihr  keinen  Laut  ab,  bis  auf  ein  flüchtiges  P'reudeaufleuchten 
über  die  Todespost.  Franz  Hörn,  Cebersetzer  der  Trojauerinnen, 
erklärt  das  unverbrüchliche  Stillschweigen  der  Polyxeua  eben  so 
schlagend  wie  sinnreich:  der  Dichter  „habe  den  geräuschvollen 
Eflect  verschmäht  und  den  tiefer  eindringenden,  den  schweigen- 
den schweigender  Opfer  vorgezogen."    Mit  anderen  Worten:  Po- 

1)  L.  A.  Seneca's  Tragöd.  übers,  u.  s.  \v.  Pra«'  1825.  —  2)  UI.  L.  94. 


Der  vierte  und  fünfte  Act.  403 

lyxena  schweigt  den  lieben  langen  Act  hindurch,  weil  sie  nicht 
redet,  und  weil  es  dem  Dichter  in  seiner  Weisheit  gefallen  hat, 
sie  schweigen  zu  lassen.  Eine  Tragödie,  worin  sämmtliche  Per- 
sonen aus  solchen  scliweigenden  Opfern  und  Opfern  des  Schwei- 
gens beständen,  nnisste  eine  unberechenbare  Wirkung  hervorbrin- 
gen, von  einem  tiefeindringenden  Etfect,  der  die  geräuschvollsten 
Effecte  aufs  Maul  schlüge.  Um  von  dem  hochtragischen  Ende 
der  Heldin  zu  schweigen,  die  selbstredend  in  einer  solchen  Tra- 
gödie sich  selbst  todt  schweigen  müsste.  Mit  Freuden  hätte  die 
Literatur,  hätte  die  Geschichte  des  Drama's  für  eine  solche  Tragö- 
die aus  Franz  Horifs  Feder  seinen  dreibändigen  Commentar  über 
Shakspeare's  Dramen  hingegeben. 

Aus  dem  Todesgang  Polyxena's  an  der  Hand  des  Pyrrhus 
schöpft  der  Schlusschor  dieses  Actes  den  Trost,  dass  er  nicht  allein 
leidet.  Trüge  doch  auch  der  wackere  Schlusschor  sein  Leiden, 
wie  Polyxena:  mit  schweigender  Geduld!  Die  Epode,  die  den 
Moment  der  Abfahrt  besingt,  ist  rühmenswerth : 

Aber  uns,  die  Thränen  und  Harm  vereinen, 

Ach  uns  trennt,  zerstreuet  der  Flotte  Abfahrt. 

Weh!  die  Tuba  tönt,  und  die  Segel  schwellen. 

Und  der  Schift'er,  eifrigen  Euderschlages, 

Strebt  zur  See,  und  die  Küsten  fliehen. 

Welch  ein  Jammer  fasset  uns,  wenn  die  letzte 

Spur  vom  Land  gewichen,  wir  Meer  nur  schauen. 

Wenn  nun  auch  das  wogende  Haupt  des  Ida 

ünsrem  Blick  entschwand,  wir  auch  ihn  nicht  schauen : 

Wii"d  das  Kind  der  Mutter  und  sie  dem  Kinde 

Zeigen  in  der  Fern  mit  dem  Finger  Troja: 

,,Dort  ist  Ilion,  wo  der  Rauch  gen  Himmel 

,, Düster  schwarz  sich  wälzt,  und  die  grauen  •Nebel. 

.,Ach,  unsern  Troern  zeigt  nur  der  ferne  Qualm  die  heimische  Gegend!" 

Das  ist  wahrer  Schmerzeusausdruck;  darin  liegt  tragische  Stim- 
mung. 

Leider  giebt  es  noch  einen  fünften  Act.  Zwar  von  nur  fünf 
Seiten,  die  aljer  grässlich  für  fünf  Acte  sinrl.  Zunächst  der  Be- 
richt, den  der  Bote  anHecuba  und  Andromache  von  dem  löwenmuthi- 
gen  Sprung  al)stattet,  womit  der  kleine  Astyanax  sich  selbst  vom 
Thurnie  stürzte.  Um  aber  der  armen  Grossmutter  und  Mutter 
jeden  Wahn  zu  benehmen,  als  sey  es  mit  dem  blossen  Genick- 
abstürzen abgethan,  fragt  der  Bote  die  Mutter: 

2ü* 


404  ^^^  römische  Drama. 

Meinst  du,  class  bei  dem  furohtbarn  Sprung  ein  Glied 
Nur  ganz  verblieb  V  .  .  . 

Und  malt  ihr  haarklein  aus ,  in  welchem  Zustand  der  kleine  Kör- 
per nach  dem  Sturze  dalag.  Dann  wendet  er  sich  zu  Polyxena's 
Opferung,  die,  mit  Pyn'hus'  Stahl  in  der  Brust,  wie  ein  Stoiker 
starb. 

„Im  Tode  noch  bleibt  stark,  wie  vor,  ihr  Geist.", 

Und  stürzt  dann,  „als  wollte  sie,  dass  schwer  der  Boden  drücke 
den  Achill,  wie  zürnend,  auf  das  Antlitz  nieder."  Man  denke 
hierbei,  wie  Euripides  seine  Polyxena  sterben  lässt;  an  den  rührend 
schönen  Zug,  dass  die  zarte  jungfräuliche  Königstochter,  vom 
Stahle  getroffen,  auf  nichts  bedacht  war,  als  in  anständiger  Ver- 
hüllung zu  fallen,  und  selbst  im  Tode  die  jungfi'äuliche  Sittsam- 
keit nicht  zu  verletzen.  Für  solche  feine  Seelenzüge  verlieren 
Dichter  und  Publicum  jede  Empfindung,  die  in  der  Arena  Jahr 
aus  Jahr  ein  sterbende  Fechter  mit  kunstgemässem  Anstand  ver- 
bluten sehen. 

Wenn  wir  nur  eine  Erklärung  für  das  Phänomen,  den  drit- 
ten Act  dieser  Trojanerinnen,  finden  könnten!  Swoboda  ver- 
nmthet,  die  Tragödie  wäre  aus  Resten  verschiedener  Tragödien 
verschiedener  Verfasser  roh  zusammengestoppelt  worden.  Ein  un- 
wissender oder  gewinnsüchtig:er  librarius  hätte  die  Oentonen  aus 
mehrern  Tragödien  desselben  Inhalts,  deren  übrige  Theile  verlo- 
ren gegangen,  zusammengeflickt;  „Hess  etwa  einen  fünften  Act 
dazu  anfertigen,  und  so  entstand  das  seltsame  Mischgebilde,  wie 
es  nun  vorliegt."  Die  Muthmaassung  ist  scharfsiimig,  ist  annehm- 
bar, —  in  Betreff  des  dritten  Actes  aber  schickt  sie  uns  von 
Pontius  zu  Pilatus,  Das  Käthsel  ist  seiner  Lösung  um  kein  Haar 
näher  gerückt,  wenn  wir  die  Frage  nun  so  formuliren  sollen: 
Wie  kommt  der  gewinnsüchtige  librarius  zu  diesem  dritten  Act? 
Und  konnte  er  nicht  für  seinen,  aus  mehreren  Trojanerinnen-Tra- 
gödien zusanimeiigelappten  Cento  den  dritten  Act  dennoch  just 
aus  den  Troadeii  des  Seneca  herausgegriffen  ha))en?  Dann  käme 
unsere  Frage  erst  recht  vom  Regen  in  die  Traufe,  die  alsdaim 
gar  lauten  müsste:  Wie  käme  Rom,  Roms  dramatische  Poesie, 
zu  einer  ganzen  Tragödie,  deren,  bis  auf  diesen  dritten  Act, 
verloren  gegangene  Bestandtheile  demselben  an  Trefflichkeit  und 
Bedeutung  doch  möglicherweise  konnten  entsprochen  haben?  Las- 


Seiieca's  Hiiipolj'tus.  405 

sen  wir  daher  die  Sache  ruhen,  wie  sie  liegt;  schlagen  wir  uns 
den  gewinnsüchtigen  librarius  aus  dem  Sinn;  halten  wir  den  Se- 
neca  für  den  Verfasser  der  ganzen  Flickarbeit  nach  wie  vor,  den 
dritten  Act  aber  für  die  Perle,  die  die  blinde  Henne  aus  dem 
Müll  gescharrt.  Meldet  doch  Albertus  Magnus  von  einer  Feuer- 
kröte, die  im  Kopf  eine  grosse  Perle  sitzen  hat ;  und  Philostratus 
d.  ä.  von  einem  indisclien  Drachen  mit  einem  Karfunkel  in  der 
Schädelhöhle.  Warum  sollte  es  keinen  römischen  Tragiker  haben 
geben  können,  dem  unter  der  dura  mater  ein  solcher  dritter  Act 
blitzte? 

Hippolytus.  Die  Steigerung  des  überwiegend  heroisch- 
leidsamen  Pathos  der  hellenischen  Tragik  zum  historisch-prakti- 
schen Angriffe-  oder  Widerstandspathos  hat  sich  uns  als  das  Ei- 
genthümliche  der  römischen  Tragödie  ermittelt;  worin  die  Ge- 
schichte des  Drama's  ein  Fortbildungsmoment,  in  Bezug  auf  die 
moderne  Tragödie,  erblicken  darf.  Diesen  Charalrter  der  tragi- 
schen Leidenschaft  haben  wir  bisher  an  zwei  Frauen,  und  in  sei- 
ner eben  bezeichneten  zwiefachen  Form,  sich  erproben  sehen:  das 
aggressive  Actionspathos  in  dem  dämonischen  Mannweib,  Medea ; 
und  als  weh  volles  Keactionspathos,  in  der  mächtigsten  Wider- 
stands-Leidenschaft, der  wesentlich  heroisch -weiblichen  Leiden- 
schaft: in  dem  Mutterschmerz  der  Andromache. 

Welche  Gestalt  mag  nun  jenes  römisch  thateifrige,  mehr 
nach  aussen  hin  kampffertige,  streitbare,  als  in  das  Seeleninnerste 
des  Verzweiflungsschmerzes  und  Jammers  zurückschlagende  Pa- 
thos, mag  jenes  athletische  Pathos  als  diejenige  Leidenschaft 
annehmen,  deren  Heroismus  sich  als  unbedingte,  wie  die  Kerze 
in  den  Luftmantel,  in  unbegrenzte  Selinsucht  und  Hingebung  sich 
hüllende  Selbstverzohrung  offenbart?  Welchen  Charalrter  wird 
jenes  herausfordernde  Patlios  in  der  weil)lich  verschämtesten  aller 
Leidenschaften,  in  der  Liebesleidenschaft,  zur  Schau  stellen? 
Wie  der  Grieche  selbst  das  befleclrte,  verbrecherische  Liebes- 
pathos auffasst,  das  zeigte  uns  Euripides'  Hippolytos-Tragödie  in 
der  Phädra  bewundernsAvürdig.  Der  Grieche  schildert  die  sünd- 
hafte Liebesleidenschaft  als  unheilbare,  von  einer  zürnenden  Gott- 
heit verhängte  Scelenkraiikh(Mt,  ein  tödtliches  Siechtlium  des  Ge- 
müths,  das  die  davon  Bctruffenen,  wie  ein  von  der  Hand  der 
Gottheit    ihrem  Herzen   eingedrücktes   Brandmal    verheimlichen, 


406  ^^^  römische  Drama. 

verhehlen,  vor  sich  selbst  verbergen  möchte.  Euripides'  Phädra 
geht  in  dem  Kampf  von  Liebe  und  Scham  zu  Grunde;  sie  stirbt 
unglücklicher  als  schuldig,  Avie  ein  Tugeudopfer;  ja,  sie  sü'bt  vor 
Scham.  Die  hässliche  Anklage  des  Hippolyt  ist  Eingebung  der 
Amme  und  hat  diese  auf  ihrer  Seele.  Auch  den  Anstoss  zur 
Aeusserung  der  Leidenschaft  sahen  wir  von  der  Amme  ausgehen. 
Sie  ist  das  thätige,  dramatische  Ferment  des  Trauerspiels.  Die 
dramatische  Initiative,  die  Intrigue,  widerspricht  der  Schamselig- 
keit der  Liebe,  ihrer  Verhülltheit  in  sich  selbst,  und  es  zeugt  nur 
für  den  wahren  Dichter,  dass  Euripides  diesen  Charakter  so- 
gar der  fi'evelvollen  Liebe  bewahrt.  Seine  Phädra  verbietet  der 
Amme  dem  Hippolyt  ihre  Leidenschaft  zu  entdecken.  Die  Amme 
handelt  für  ihi'en  Kopf,  und  bringt  dadurch  eben  auch  Handlung 
in  das  Drama.  Wie  denn  für  die  griechische  Tragik  überhaupt  im 
gottverhäng-ten  Leiden  das  heroisch-edlere  Motiv  lag,  der  eigent- 
lich Handelnde  ihr  als  der  unedlere  Factor  im  Drama  erschien, 
wesshalb  sie  diesen,  nach  tragischer  Rangordnung,  zweiten  und 
dritten  Spielpersonen  zumes. 

Der  Römer  nimmt  den  Deuteragonisten  und  Tritagonisteu 
in  den  Leidenshelden,  in  den  Protagonisten,  mit  auf,  und  einver- 
leibt sie  ihm  gleichsam.  Daher  finden  wir  auch  in  der  Regel 
erstere  bei  ihm,  in  Absicht  ihres  dramatischen  Schwergewichts, 
entwerthet  nicht  selten  bis  zur  gänzlichen  üeberflüssigkeit,  wie 
hier  z.  B.  die  Amme.  In  Seneca's  Hippolyt  kehrt  sich  das  Ver- 
hältniss  zwischen  Phädra  und  der  Amme  um.  Bei  ilim  ergreift 
Phädra  die  dramatische  Initiative  gleich  in  dem  ersten,  unverhole- 
nen Bekenntniss  ihrer  alle  Schranken,  jede  Rücksicht  niederwer- 
fenden Leidenschaft:  „Was  du  mir  sagst"  —  spricht  sie  zur 
Amme  —  „ist  Alles  gut  und  wahr;  ich  weiss  es,  liebe  Amme, 
doch  mich  treibt  die  Leidenschaft;  ich  muss  der  Liebe  fol- 
gen." Die  Amme  ist  aber  nicht  blos  das  fünfte  Rad  am  Wagen, 
sie  ist  auch  noch  der  nachschleppende  Hemschuh  der  Handlung 
und  über  die  Gebühr  langweilig  mit  ihrem  ewigen  und  doch 
fruchtlosen  Warnen,  Abrathen  und  Ermahnen.  Im  Widerspiel 
zu  Euripides'  Phädra,  schöpft  Seneca  die  thatverwogenste  Kühn- 
heit aus  ihrer  verbrecherischen  Leidenschaft.  Sie  liebt,  wie  Me- 
dea  in  ähnlicher  Lage  lieben  würde,  mit  der  sie,  nebenbei  gesagt, 
durch  ihre  Mutter,  Pasiphae .  Schwester  von  Medea's  Vater,  Aee- 


Seneca's  Hi))]iolytus.  -  407 

tes,  Geschwisterkind  wav.  Sie  verweilt  mit  faniilienstolzera  Selbst- 
gefühl bei  den  unnatürlichen  VeriiTungen  ihrer  Mutter,  erkennt 
in  ihnen  ein  Stammesgeschick,  das  sie  fi'eiwillig  übernimmt.  Sie 
hängt  mit  frevelliaft  lüsterner  Seele  dem  Gedanken  nach:  Theseus 
möchte  nicht  wiederkehren,  und  dass  sie  den  Hippol3i;u8  doch  be- 
sitzen könnte.  Die  Steigerung  ihrer  Leidenschaft  bis  zum  offenen 
Bekenntuiss,  bis  zur  Raserei  einer  Liebeserklärung  ist,  bei  dieser 
Phädra,  eine  kunstgeforderte  Nothwendigkeit ,  ist  dramatisch  und 
psychologisch  geboten,  um  dieser  Erklärung  willen  den  römi- 
schen Tragiker  tadeln,  das  verräth  ein  schwaches  Verständniss 
dramatischer  Frevelgluth  und  der  Liebesleidenschaft  eines  solchen 
Weibes.  Die  Rüge  scheint  uns  völlig  unkritisch  und  verkehrt, 
und  durch  Verkennung  des  Unterschiedes  der  beiden  Frauencha- 
raktere, der  Phädra  des  Euripides  und  dieser  Phädra,  verschuldet. 
So  fehlerhaft,  anstössig  und  unpoetisch  eine  Liebeserklärung  bei 
ersterer  wäre;  so  leuchtet  und  glänzt  das  heroisch-dämonische 
Wesen  von  Seneca's  Phädra  in  dieser  Scene  zu  dramatisch  heiT- 
licher  Flammensäule  auf,  mit  dem  blendenden  Schein  poetisch- 
kühner  Schönheit.  In  dieser  Scene  enthüllt,  offenbart  sich  Phä- 
dra's  Charakter  in  voller  Stamm  es- Glorie.  Ohne  diese  Scene 
würde  Seneca's  Hippolytus  zum  Caput  mortuum  von  dem  des 
Euripides  herabsinken;  durch  die  Liebeserklärung  und  die  aus 
ihr  entspringende  Katastrophe,  die,  mit  Rücksicht  auf  Phädra,  an 
gi-ossaiiiger  Bühnenwirkung  sich  über  die  Katastrophe  bei  Euri- 
pides hoch  emporschwingt,  wird  Seneca's  Hippolyt-Tragödie  der 
des  Griechen  ebenbürtig.  Hiezu  kommt  noch,  dass  der  römische 
Dichter  auf  diese  Scene  seinen  Anspruch,  eine  neue,  die  moderne 
Liebestragik,  geschaffen  zu  haben,  gründen  darf.  Sie  ist  so 
meisterhaft  und  kunstvoll  in  den  Schattirungen  der  Affecte  durch- 
geführt, dass  wir  die  Scene  als  eine  der  merkmirdigsten  und 
theatralisch  bedeutsamsten,  die,  nach  den  Griechen,  die  Bühne 
bereichert,  mittheilen  müssen.  Die  Amme  ist  mit  ihrem  Kuppel- 
versuch bei  Hippolytus  gescheitert.  Phädra  eilt  aus  dem  Palaste 
herbei  und  fällt  ohnmächtig  zu  Boden.  Hippolyt  und  die  Amme 
eilen  auf  sie  zu,  um  sie  emporzurichten: 

Amme.      Erhebe  dich,  gieb  einen  Laut  von  dir! 

Sieh',  Tochter,  sieh',  dein  scheuer  Hippolyt, 
Er  hält  in  seinen  Armen  dich  umlasst. 


408  'Das  römische  Drama. 

Phädra.  Wer  weckt  zu  diesem  Leben  mich  voll  Qual? 

Zu  dieser  Gluth,  die  all'  mein  Herz  verzehrt? 

Wie  wohl  war  mir,  als  mich  der  Tod  umfasste! 
Amme.     Warum  ist  dir  das  schöne  Leben  so 

Verhasst?  freut  es  dich  nicht,  zu  ihm  erwacht  zu  sej'n? 
Phädra.  Nun  fasse  Muth !     Vollführ'  es  selbst,  was  du 

Der  Dienerin  gebotst.     Sprich  ohne  Scheu. 

Nicht  soll  die  Stimme  beben.    Wer  mit  Bangigkeit 

Die  Bitte  vorträgt,  zeigt,  dass  man  ihm  das, 

Um  was  er  bittet,  kühn  abschlagen  dürfe. 

Ha,  mein  Vergeh'n  ist  alt,  die  Reue  kommt 

Zu  spät,  ich  mach'  es  nie  mehr  gut. 

Ich  liebe.    Ach,  imd  meine  Lieb'  ist  Sünde! 

W^enn  ich,  was,  ohne  dass  ich's  woUt',  begann. 

Vollführe,  so  gelingt's  vielleicht,  die  Schuld 

Im  Schein  der  Mutterliebe  zu  verbergen. 

Manch'  Laster  hat  geadelt  der  Erfolg. 

Wohlan!  ermuth'ge  dich,  mein  Herz,  kühn  führ'  es  aus! 
(Zu  Hippolyt.) 

Zu  kurzer  Zwiesprach'  neig'  dein  Ohr  mir  zu, 

Bitt'  ich;  entferne  dein  Gefolg'  von  hier. 
Hippolj't.  Wir  sind  allein,  kein  Horcher  ist  uns  nah'. 
Phädra.  Der  Mund  versagt  den  Dienst,  die  Sprache  stockt. 

Es  treibt  mich  an,  zu  sagen,  was  ich  fühle ; 

Und  wieder  hält  mich  höh're  Macht  zurück. 

Ich  rufe,  Götter,  euch  zu  Zeugen  auf, 

Dass,  was  ich  nmi  beginne, 

(Sie  stockt.) 
Hippolj't.  Was  ist  es,  wornach  dich  so  sehr  verlangt, 

Und  was  du  doch  nicht  auszusprechen  wagst? 
Phädra.  Leicht  findet  Worte  ein  geringes  Leid, 

Doch  grosser  Schmerz  macht  uns  verstummen. 
Hippolyt.  Vertraue,  Mutter,  deinen  Kummer  mir! 
Phädra.  Der  Muttername  ist  ein  hehres  Wort, 

Ein  heiliges,  mein  Herz  verdient  ihn  nicht, 

Gering're  Namen  heischet  mein  Gefülü. 

0  nenn'  mich  Schwester,  nenn'  mich  deine  Magd, 

Ja.  Hippolyt,  lass  deine  Magd  mich  seyn!  — 

Ich  will  mit  Freuden  jeden  Magddienst  thun. 

Ich  zaud're  nicht,  durch  hohen  Schnee,  wenn  du 

Gebeutst,  auf  Pindus  eis'gem  Joch  zu  waten; 

In's  Feuer  spring'  ich  gern  und  mitten  in 

Der  Feinde  Schaar,  und  biete  meine  Brust 

Mit  Freuden  ihren  blanken  Schwertern  dar. 

Empfange  du  das  Scepter,  das  mir  ward 


Phäflra's  Tjiebeserklärung.  409 

Vertraut,  mich  nimm  als  deine  Sklavin  an, 

Dir  ziemt's  zu  herrschen,  zu  gehorchen  mir. 

Ein  Weib  ist  viel  zu  schwach,  um  ein 

So  grosses  Eeich,  als  dieses,  zu  beherrschen. 

Du  blühst  in  frischer  Jugendkraft, 

Lenk'  du  mit  deines  Vaters  Fürstensinn 

Der  Bürger  Herzen;  nimm  in  deinen  Schooss 

Mich  Flehende,  beschütze  deine  Magd, 

Erbarme  du  der  waisen  Wittwe  dich! 
Hippolj't.  0  Götter,  wehrt  es  ab,  dass  sich 

Diess  Schreckenswort  erfülle!    Hoffe  noch! 

Bald  kehrt  der  Vater  wohlerhalten  heim. 
Phädra.  0  von  dem  Styx,  der,  was  er  einmal  fasst. 

Nie  mehr  herausgiebt,  führet  keine  Bahn 

Zur  Oberwelt!    Wer  einmal  sie  verliess, 

0  den  entlässt  der  strenge  Schattenfürst 

Zum  Leben  nimmer  mehr  zurück.  —  Und  wie. 

Den  Frauenräuber,  der  zu  schänden  kam 

Sein  Bette,  den  entliess  er?    Ha,  so  ist 

Der  finst're  Pluto  selbst  der  Minne  hold ! 
Hippolyt.  Ihn  führt  der  Götter  Huld  gewäss  zurück. 

Doch  bis  die  Hohen  unsern  Wunsch  erfüllt. 

Will  ich,  wie's  Pflicht  und  Liebe  mir  gebeut. 

Die  theuren  Brüder  schützen  treu  und  dich. 

Und  dass  du  nicht  verwais't  dich  glaubst,  will  ich 

Des  Vaters  Stelle  liebend  dir  ersetzen. 
Phädra.    Willst  du?    Ach  gerne  hofft  der  Liebende! 

Täuscht  mich  die  Hoffnung  nicht?  —  Ist's  auch  genug. 

Was  er  versprach,  für  meines  Herzens  Wünsche? 

Mit  Bitten  stürm'  ich  auf  ihn  ein.     -  Erbarme 

Dich  mein,  des  Herzens  stillen  Wunsch  erhöre! 

Ich  sprach'  ihn  gerne  aus,  doch  scheu'  ich  mich. 
Hippolyt.  Was  ist  es  für  ein  Leid,  das  dich  bedrückt? 
Phädra.    Ein  Leid,  das  kein  sticrmütterliches  Herz 

Noch  jemals  traf.     Du  wirst  es  glauben  kaum. 
Hippolyt.  Du  sprichst  halblaute,  räthselhafte  Worte, 

Sprich's  offen  aus. 
P  h  ä  d  r  a.  Rasende  Liebeswuth 

Verzehrt  den  Busen  mir,  ein  wildes  Feuer 

Durchwühlt  mein  Innerstes,  verzehrt  das  Mark ; 

Es  rinnt  durch  aUe  Adern  schleichend  fort, 

Und  greift  mit  Hast  um  sich,  wie  wemi  der  Brand 

In  hohe  Sparren  schnell  und  prasselnd  lallt. 
Hippolyt.  Für  Theseus  glüht  so  heftig  deine  Minne? 


410  Däs  römische  Drama. 

Phädra.  So  ist  es,  Hippolyt.     Ich  liebe  Theseus, 
Ja  die  Gestalt,  in  der  er  eiiist  erschien, 
Ein  Jüngling  noch,  als  seine  zarten  Wangen 
Des  Bartes  Erstlinge  umsprosseten. 
Wie  er  das  wirre  Schreckenshaus  betrat 
Des  missgebor 'nen  Königssohns  von  Kreta; 
Wie  durch  die  mannichfach  verschlungenen 
LTgäng'  er  sich  am  leitenden  Faden  wand, 
Wie  blüht'  er  damals!     Um  sein  reich  Gelock 
Schlang  sich  des  Diademes  Zier,  es  blühte 
Die  zarte  Wang'  in  frischem  Jugendroth. 
Die  Arme  strotzeten  von  Lebenski-aft. 
Im  Antlitz  glich  er  deiner  Phöbe,  glich 
Dem  Phöbus,  meinem  hehren  Stammgott,  ganz. 
Was  sag'  ich?    Er  glich  dir.     Ja  so  war  er, 
Ganz  so,  als  er  der  Feindin  Herz  mit  Lieb' 
Erfüllt.     So  trug  er  stolz  sein  Haupt.    Doch  schöner, 
Verklärter  strahlt  der  holde  Jugendreiz 
An  dir.    In  dir  verdoppelt  sich  der  Vater, 
Und  doch  erhöht  ein  Zug  von  ernster  Schwermuth. 
Der  Mutter  abgeerbt,  die  Schöne  noch. 
In  deinem  Antlitz  zeigen  sich  gepaart 
Die  Hulden  Griechenlands  und  scyth'scher  Ernst. 
Wärst  du  gen  Ka'eta's  Strand  mit  deinem  Vater 
Gekommen,  dir  nur  hätte  wohl  die  SchAvester 
Den  Rettungsfaden  dargebracht.     Dich,  Schwester, 
Die  du  verklärt  nun  stralüst  im  Sternenreih'n, 
Dich  ruf  ich  an  in  meines  Herzens  Kampf, 
Entscheide  du,  du  hast  ja  auch  geliebt. 
Zwei  Schwestern  hat  Ein  Stamm  mit  heisser  Miun" 
Erfüllt,  der  Vater  dich,  und  mich  der  Sohn. 

(Sie  fällt  vor  Hippolyt  auf  die  Knie.) 
Ha  sieh'!     Ein  Königskind  liegt  dir  zu  Füssen, 
Rein  war  ich,  schuldlos,  ohne  Makel  stets ; 
Dir  ist  Gewalt  gegeben  über  mich, 
Nur  dir  allein.     Um  deinetwillen  sinke 
Ich  in  den  Staiib,  nicht  scheu'  ich  mich,  dich  an- 
zuflehen.    Enden  soll  mein  Leiden  dieser  Tag, 
Wo  nicht,  so  endet  er  meiu  Leben  denn. 
Ich  liebe,  u  erhör'  die  Liebende! 
Hippolyt.  Ha!    AUgewalt'ger  Göttervater  du! 

Hörst  du  den  Gräu'l  V     Du  siehst  und  duldest  ihn? 
Ha!  aller  Weiber  Schändlichste,  Verruchteste! 
Du  überbietest  deine  Mutter  selbst, 
Die  jenes  Ungethüm  gebar,  an  Gräueln. 


Die  Katastrophe.  411 

Phädra.    Ha,  meines  Hauses  Schicksal  werd'  ich  nun 

Gewahr;  stets  treibt  es  uns  mit  heisser  Gier 

Nach  dem  Verbotenen  zu  jagen.     Doch 

Ich  bin  nicht  meiner  mächtig  mehr.     Dir  nach 

Geh'  ich  durch  Feuerloh',  durch  Meeressturm, 

Durch  reissende  Ströme,  über  Felsen  willig. 

Wohin  du  gehst,  ich,  Rasende,  geh'  mit. 

Sieh',  Stolzer,  mich  auf's  neue  dir  zu  Füssen! 
Hippolyt.  Ha  fort!  —  Berühre  diesen  reinen  Leib 

Mit  deinen  buhlerischen  Händen  nicht. 

Nun,  was  ist  das?    Sie  stürzt  mir  in  die  Arme? 

Heraus,  mein  Schwert,  die  Frevlerin  zu  strafen, 

Wie  sie's  verdient!  —  Ich  fasse  dich  beim  Haar, 

Und  opfere  dein  schändlich  Haupt  hier  am 

Altar.     0  Göttin,  der  ich  mich  geweiht, 

Du  mächt'ge  Bogenspannerin,  dir  fiel 

Nie  eine  gröss're  Sünderin  als  diese. 
Phädra.   Diess  ist  mein  einz'ger  Wunsch,  o  Hippolyt. 

Erfülle  ihn.  du  heuest  mich  vom  Wahnsinn, 

Das  ist  mehr,  als  ich  jemals  wünschen  mocht'. 

Gerettet  ist  die  Ehre  meines  Namens,  und 

Ich  sterb'  in  deiner  Hand,  mein  Hippolyt! 
Hippolyt.  Fort,  fort,  von  mir!     Ja  lebe  immerhin,  — 

Nichts,  selbst  den  Tod  nicht  sollst  du  von  mir  haben, 

Und  fort  von  meiner  Hüfte  soll  diess  Schwert, 

Das,  gegen  dich  gezückt,  geschändet  ist. 

Der  Tanais  nicht  mit  seinen  Fluthen  allen. 

Noch  der  Mäotis,  sammt  des  Pontus  Wogen, 

Wäscht  diese  Schmach  von  mir.     Der  Ocean 

Mit  seinem  unermess'nen  Wogenreich, 

Vermag  mich  nicht  von  solchem  Gräul  zu  säubern.  ') 

Ha  fort  von  hier,  hinaus  zum  dunklen  Wald ! 

Willkommen  Hain!     Willkommen  du,  o  Wild!  (Geht  ab.") 

Die  Scene  wäre  schon  desshalb  zu  preisen,  weil  sie  eine 
Peripetie  herbeiführt,  in  Vergleich  mit  welcher  die  des  Euripides 
dürftig  und  kahl  erscheint.   Die  Amme  stürzt  liervor,  schlägt  Lärm : 

Herbei,  herbei!    Komm  ganz  Athen  herbei! 
Zu  Hülfe  eUt!  .  .  . 
Der  freche  Buhler  übt  Gewalt,  herbei 
Er  drohet  uns  den  Tod  .  .  . 

1)  Kann  wohl  des  grossen  Meergotts  Ocean 

Diess  Blut  von  mehicr  Hand  rein  waschen?  .  .  . 
Mach.  IL  Sc.   L 


412  ^^^  römische  Drama. 

.  .  .  Seht!  er  entflieht 
Und  liess  sein  Schwert  in  fiüclit'ger  Hast  zurück  .  .  . 

Freilich  hat  die  Amme,  wie  eine  Scenen-Decoration ,  sich  plötz- 
lich in  eine  andere  verwandelt.  Sie  fällt  schon  durch  Ueber- 
nahme  des  Kuppelgeschäftes  bei  Hippolyt  aus  ihrer  Abrathungs-, 
Warnungs-  und  Abhaltungsrolle.  Das  Motiv,  dass  sie  aus  Be- 
sorgniss  um  Phädra:  diese  möchte  sich,  wie  sie  gedroht,  ein 
Leids  anthun,  schlägt  ihrem  ehrbaren  Eifer  für  das  Wohl  ihres  Pfleg- 
lings in' s .  Gesicht.  Dieser  Vorwand  erscheint  als  durchaus  nich- 
tig, und  dem  Euripides  in  verkehrter  Weise  entlehnt,  da  Seneca's 
Phädra  keiner  solchen  Schreckdrohung  bedarf  und  schon  diese 
ein  psychologischer  Fehler  war.  Aber  die  dadurch  erzielten  Vor- 
theile,  die  glänzende  Peripetie,  die  theatralisch  prächtige  Kata- 
strophe wiegt,  vom  Gesichtspunkt  der  Bühnenwirkung  beurtheilt, 
jene  Fehler  auf. 

Theseus  kommt  aus  der  Unterwelt  zurück.  Ein  Selbstgespräch 
voll  kräftiger  Pinselstriche  führt  ihn  zweckmässig  ein.  Die  Amme 
empfäng-t  ihn  mit  der  Botschaft  von  Phädra's  Eutschluss,  sich 
den  Tod  zu  geben.  Den  Grund  verschweige  sie  und  wolle  das 
Geheimniss  mit  in's  Grab  nehmen.  Theseus  lässt  sich  das  Palast- 
thor öffnen.  Man  erblickt  Phädra  mit  Hippolyt's  Schwert  in  der 
Hand  auf  einem  Kuhebette  liegen.  Sie  verlangt  den  Tod,  spricht 
von  erlittener  Schmach,  nennt  aber  den  Ehrenkränker  nicht. 
Theseus  erkennt  das  Schwert  am  elfenbeinernen  Griffe  als  das 
seines  Sohnes,  und  ruft  Poseidon  auf,  die  Schmach  seines  Hauses 
am  Sohn  zu  rächen  in  einer  um  die  Hälfte  mindestens  zu  langen 
und  von  Kodomontaden  strotzenden  Kede.  Den  vierten  Act  füllt 
der  Botenbericht  von  Hippolji^'s  Tod.  Die  Erzählung  steht  an 
poetische]-  Schönheit  und  malerischer  Stärke  tief  unter  der  des 
Euripides.  Den  fünften  Act  kündigt  Klaggeschrei  aus  der  Burg 
an,  Phädra  stürzt  wie  rasend  herbei  mit  Hippolyt's  Schwert  in  der 
Hand,  wirft  dem  Theseus  seine  Grausamkeit  vor,  jammert  um 
Hippolyt  und  bekennt  ihre  Schuld: 

Sieh,  Phädra  that 
Sich  ihrer  Schuld  mit  ihrem  Leben  ab  .  .  . 
Geliebter  Schatten,  blick'  auf  meine  Sühne! 
Die  Locken  weih'  ich  dir  von  meinem  Haupt  .  .  . 
0  Tod,  du  einzig  Labsal  Liebender 


Die  Katastrophe.  413 

0  Tod,  0  einziger  Eetter  du  von  Sclnnach! 
Ich  fleh  zu  dir,  thu'  deinen  Schooss  mir  auf! 

(zu  Theseus) 
Den  keuschen  Jüngling  liat  Verrath  verderbt, 
Der  Buhlerin  Verrath  hat  ihn  gemordet  .  .  . 
0  mors  —  coufugimus  ad  te,  pande  placatos  sinus  .  .  . 

Das  erinuert  an  Coustanzen's: 

,,Tod  .  .  .  des  Elends  Buhle,  o  komm'  zu  mir!" 
Misery's  love,  o  come  to  nie!  ') 

Phädra  ersticht  sich  mit  dem  Schwert.  Theseus'  Verzweif- 
lung, eine  verzweiflungsvolle  Schularbeit,  starrt  von  mythologi- 
schem Plunder  und  erlässt  uns  keine  Höllenstrafe,  unter  denen 
dieser  Ausbruch  der  Verzweiflung  eine  ehrenvolle  Stelle  behauptet. 

0  Thränen  stUlet  endlich  euren  Lauf, 
Auf  dass  der  Vater  seines  Sohnes  Glieder 
Zusammenlese  und  den  Leib  ergänze. 

Und  nun  wird  auch  das  Zusammenlesen  ausgemalt  mit  gladiatori- 
scher  Inbrunst.  Er  beflehlt  eine  würdige  Bestattung  für  Hippolyt: 
Leichenflammen  für  den  Köuigssohn;  „Die  aber,"  auf  Phädra's 
Leiche  deutend  — 

Die  aber  grabet  in  den  Boden  ein,  und  schwer 
Last'  auf  dem  Haupt  der  Sünderin  die  Erde! 

Ein  gräulicher  Schluss,  wie  fast  sämmtliclie  Ausgänge  dieser 
Tragödien,  die  ein  rohes  Gemische  von  Fecliter-Tragik ,  pedanti- 
schen Ueberladungen  und  den  glänzendsten,  der  neueren  Bühne 
voranleuchtenden  dramatischen  Effecten.  Selbst  Hippol3't,  wenn 
aucli  lange  nicht  so  edel  gehalten,  von  so  priesterlicher  Jünglings- 
weihe, wie  des  Muripides'  Mysterien-Zögling,  ist  nicht  ohne  eine 
gewisse  rauhe  Jäger- Aumuth  und  maiiidiaft  keusche  Einfalt, 
die  das  deutsche  Geinüth  wie  verwandt  anweht.  Sein  morgen- 
frischer Jagdaufruf  an's  Gefolge,  der  das  Stück  eröffnet,  klingt 
fast  wie  ein  Jägerlied,  das  aus  dcsutsclicn  Wäldern  schallt. 
Welche  erquickende  Scln'lderung  von  -lagdlcben  und  Wälderlust 
in  der  Scene  mit  der  Amme: 

Hier  zwitschern  Vöglein  lieblich  sanfte  Lieder 
Hier  rauschen  von  des  Windes  Säuseln  leise 
Bewegt  die  Zweige  alter,  stäiiim'ger  Buchen  .  .  . 

I)  K.  .]„hi..   IIJ.  Sc.  4. 


414  Das  römische  Drama. 

.  .  .  heic  aves  querulae  fremuut, 
Ramique  ventis  lene  percussi  tremunt, 
Veteresque  fagi  .  .  . 

Und  ruft  er  nicht,  der  mannhaft  schlichte  Jüngling,  nach  Phä- 
dra's  Erklärung,  sich  mit  Abscheu  von  ihr  wendend:  0  sylvae! 
0  ferae: 

Ha  fort  von  hier,  limaus  zum  draikleii  Wald! 
Willkommen.  Hain!    Willkommen  du.  o  Wild! 

Ein  Heil-  imd  Stärkungsbad  gegen  das  üppige  Rom  auch  für  den 
herrlichsten  der  Wolfsjäger,  den  Jäger  des  Tetitoburger  Waldes. 

Der  aus  Hippolyt's  Jagdgefolge  bestehende  Chor  gehört  zu 
den  bessern  in  diesen  Tragödien.  Den  ersten  Act  beschliesst 
er  mit  einem  eben  nicht  waidlichen,  aber  preislichen  Gesang  von 
der  Allgewalt  des  Liebesgottes,  dessen  Göttlichkeit  die  freigeisti- 
sche Amme  für  eine  lächerliche  Erfindung  der  Mythologie,  ihrer 
Herrin  gegenüber,  erklärt  hatte.  Schicklicher  und  einem  Jäger- 
Chor  gemässer  klingt  das  Schlusslied  zum  zweiten  Act,  der  die 
männliche  Schönheit  des  jungen  Helden  Hippolyt  feiert.  Da- 
gegen lautet  der  Schlussgesang  des  dritten  Actes,  der  die  Götter 
anklagt,  dass  ,  unbekümmert  um  das  Schicksal  der  Menschen, 
sie  diese  der  Willkür  des  blinden  Zufalls  preisgeben,  so  Ammen- 
freigeisterisch,  als  sänge  ihn  ein  Chor  von  lauter  solchen  Ammen. 
Mit  einem  den  vierten  Act  schliessenden  Trauergesang  beklagt 
der  Jägerchor  seines  Herrn  schaudervoUeu  Tod. 

Thyestes.  Ein  Stoff,  wie  geschaffen  für  die  Seneca-Tragödie ; 
eine  Fabel,  ganz  nach  ihrem  Herzen.  Wovon  die  Scene  ihr  Antlitz 
mit  Ekel  und  Schauder  abwendet,  danach  muss  die  gräuelschwangere 
Tragik  eins  Eömers  das  unbezwingliche  Gelüst  einer  Schwangern 
eben  tragen.  Und  vollends  eine  tragische  Schüssel!  Welchen 
Leckerbissen  für  die  Tragödie  der  römischen  Kaiserzeit,  deren 
höchste  Geistesthat  und  Erfindsamkeit  sich  in  der  berühmten 
Schüssel  des  Vitellius  erschöpfte,  und  deren  Idee  vom  Tragischen 
folglich  auch  ihren  Höhepunkt  in  der  Tragödie  einer  Schauder- 
mahlzeit, eines  Gräuelgerichts,  erschöpfen  musste.  Von  den  Grie- 
chen ist  uns  kein  Drama  dieses  Inlialts  erhalten  geblieben.  Wie 
der  grösste  Schönheitskünstler,  wie  Sophokles  in  seinem  Atreus, 
seinem  Thyestes  in  Sikyon,  seinem  zweiten  Thyestes,  diesen  Stoff 
mag  behandelt,  mit  welcher  kunstvollen  AVeisheit  die  Honigbiene 


Seneca's  Thyestes.  415 

der  griechisclien  Tragik  selbst  aus  solchem  Ekelgrausen  schmerzens- 
trunkene  Süssigkeit  mag  gesogen  und  ein  goldenes  Kunstgewirk 
daraus  gebildet  haben:  das  lässt  sich  aus  dem  blossen  Fabel- 
inlialt  und  den  Argumenten  I)ei  Hygin  nicht  errathen.  Bei 
Homer  und  Hesiod  findet  sich  noch  keine  Andeutung,  keine  Spur 
von  dieser  Gräuelmythe.  Erst  das  kyklische  Epos,  Alkmäonis, 
mochte,  mit  dem  goldnen  Lamm  des  Atreus  '),  auch  das  Kinder- 
mahl auftischen.  Eben  so  wenig  lässt  sich  ermitteln,  wie  viel 
in  Seneca's  Thyestes  von  Sophokles'  Pelopiden-Tragödien  aus  frü- 
heren römischen  Bearbeitungen  und  Nachbildungen  derselben,  die 
sämmtlich  verschwunden  sind,  wie  viel  aus  den  Pelopiden  des 
Attius,  aus  dem  Atreus  des  Pomponius  Secundus,  aus  dem 
Thyestes  des  Varius  Rufus,  mag  einverleibt  worden  seyn,  um  von 
der  ältesten  Bearbeitung,  dem  Thyestes  des  L.  Andronicus,  zu 
schweigen.  Wir  müssen  daher  schon  die  Vorzüge,  ja  die  grossen 
Schönheiten,  die  in  diesem  von  allen  allein  erhaltenen  Thyestes 
uns  übeiTaschen,  dem  angeblichen  Verfasser,  unserem  Seneca, 
gutschreiben.  Zu  den  Vorzügen  rechnen  wir  eine  gewisse  Maass- 
haltung, die,  in  Anbetracht  des  kannibalischen  Stoffes  und  mit 
Bezug  auf  diesen  Dichter,  trotz  allen  Ausschweifungen,  denen 
er  sich  auch  hier  überlässt,  höchlich  anzuerkennen  und  zu  prei- 
sen ist. 

Wir  haben  schon  des  Fragmentes  von  Lessing "-)  über  Seneca's 
Tragödien  gedacht,  und  wollen  uns  auch  an  die  Bemerkungen 
halten,  die  er  in  seinen  vom  Thyestes  gegebenen  Inhalt  im  Aus- 
zug einflicht: 

Thyest  hatte  mit  Hülfe  der  von  ihm  verführten  Gattin  sei- 
nes Bruders,  Atreus,  den  goldenen  Widder  entwendet,  mit  dessen 
Besitz  das  Schicksal  des  Reiches  verknüpft  war,  und  sich  durch 
die  Flucht  der  Rache  des  Atreus  entzogen.  Atreus  aber  wusste 
ihn  durch  eine  verstellte  Versöhnung  nach  Argos  zurückzulocken, 
und  es  so  einzurichten,  dass  Thyestes'  eigene  Söhne  ihm,  auf 
Grund  dieser  Versöhnung,  zur  Rückkehr  riethen.  Thyestes  ging 
mit  den  Söhnen  in  die  Falle.  Atreus  empfing  ihn  mit  geheuchel- 
ter Bruderliebe,   ermordete  die  Kinder  am  Altar,   und   bereitete 


1)  Schol.  Eurin.   Or.    988.    p.  452.   Matth.   Heyne   zu  Apollod.    \k  257. 
-  2)  Bd.  IV.  S.  207  ff.  Lachni. 


416  I^äs  römische  Drama. 

ein  Mahl  für  den  Vater,  „über  welches",  wie  Lessing  sich  aus- 
drücld;,  „die  Welt  nicht  aufhören  wird,  sich  zu  entsetzen." 

Um  das  Grässlichste  nicht  als  die  That  eines  Menschen- 
gemüthes  darzustellen,  nahm  der  römische  Dichter,  gegen  seine 
sonstige  Neigung,  die  Katastrophen  aus  leidenschaftlicher  Ver- 
ruchtheit und  Entschlossenheit  abzuleiten,  einen  Prolog  zu  Hülfe, 
worin  der  Pelopiden  AhiilieiT,  Tantalus  auftritt,  den  die  Megära 
aus  dem  Tartarus  auf  die  Oberwelt  versetzt  hatte,  um  sein 
Geschlecht  zu  unnatürlichen  Freveln  und  Verbrechen  aufzusta- 
cheln. Ein  Aeschylischer  Gedanke,  von  ungemeiner  Grösse  und 
Kühnheit: 

Aiü",  schreite  füi'der,  fluchenswerther  Geist, 
Empöre  dein  verruchtes  Herz  zur  Wuth!  .  .  . 

ruft  dem  Tantalus  seine  Treiberin,  Megära,  zu.  Die  Furie 
entwirft  ihm  eine  so  gTausige  Schilderung  der  bevorstehenden 
Freveltliaten ,  die  sie  mit  der  Prophezei! lung  des  Schaudermahles 
beschliesst,  dass  Tantalus'  Schatten,  entsetzt,  zurück  in  die  Be- 
hausung des  Schreckens  eilen  wiU,  Hals  über  Kopf:  „Fort  zu  dem 
Pfuhl  der  Qual!"  .  .  .  Was  sollen  wir  erst  sagen?  Die  Furie 
hält  den  Fluchtversuch  für  einen  schlechten  Spass,  und  zwingt 
ihn,  ihren  Auftrag  zu  erfüllen: 

Erst  muss  dein  Fluch  dein  eignes  Haus  empören. 
Mord  bring'  hinnen  und  heisse  Sclüachtenwuth !  .  .  . 
Tantalus.  Nein,  nimmermehr!    Qual  zu  erdulden  wohl 
Bin  ich  verdammt,  doch  zu  verbreiten  nicht. 
Wie  gift'ger  Qualm  aus  der  gehorst'nen  Erd' 
Aufsteigt,  wie  Pest,  die  Tod  den  Völkern  bringt, 
Ward  ich  hierher  geschleppt.     Soll  ich,  der  Ahn, 
Zu  grauser  Unthat  selbst  den  Enkel  reizen?  .  .  . 

Was  hältst 

Du  die  furchtbare  Geissei  mir  vor 's  Auge, 

Was  drcäust  du  .mit  der  Schlangen  scheusslichem 

Gewinde  mir  so  wild?  .  .  . 

Weh!    Weh!  lass  ab!  ach  ich  gehorche  schon! 

Gejagt  von  der  Schlangengeissel  der  Furie  stürzt  Tantalus 
hinein  in  den  Palast  der  Enkel,  „wo  er  überall  Käserei  und 
Blutdurst  verbreitet,"  bemerkt  Lessing  und  fügt  hinzu:  „Man 
muss  sich  ein])ilden,  dass  dieses  sogleich  geschieht,  sobald  er 
über  die   Schwelle    getreten.     Der  Palast  emphndet  es,  dass  er 


Seneca's  Tliyestes  und  Lessing's  Erläuterung.  417 

von  einem  unseligen  Geiste  berührt  wird,  und  zittert.  Die  Furie 
ruft  ihm  zu,  dass  es  genug  sey,  und  befiehh  ihm,  in  die  unter- 
irdischen Höhlen  zu  seinen  Martern  zurückzukehren,  weil  die 
Erde  ihn  nicht  länger  tragen  wolle,  imd  die  ganze  Natur  sich 
über  seine  Gegenwart  entsetze.  Sie  beschreibt  dieses  Entsetzen 
in  einem  Dutzend  schönen  Versen,  die  sie  hier  hätte  ersparen 
können,  und  maclit  dem  Chore  Platz."  Der  aus  Argivischen 
Greisen  bestehende  Chor  fleht  zu  den  Schutzgöttern  aller  Städte 
in  Achaia  um  gnädige  Abwendung  aller  Verbrechen  von  den 
Nachkommen  des  Tantalus,  eriimerud  an  dessen  den  Göttern 
vorgesetztes  blutiges  Mahl.  Die  Pelopiden-Sage  wurzelt  noch 
ganz  und  gar  in  der  mythischen  Meuschenfresserzeit  der  Helleneu. 
Der  zweite  Aufzug  besteht  aus  einer  Scene  zwischen  Atreus 
und  einem  Sklaven,  dem  Vertrauten  seines  schrecklichen  Vor- 
habens, wozu  sich  Atreus  mit  Macht  spornt: 

Sklave.    Schreckt  dich  der  Ruf,  des  Volkes  Abscheu  nicht? 
Atreus.    Das  ist  der  Herrscherwürde  schönster  Vorzug, 

Dass  dulden  seines  Herren  Thun  das  Volk, 

Ja  selbst  lobpreisen  uiuss. 
Sklave.  ...  Wer  wahre  Liebe  sucht 

Und  wahres  Lob,  der  strebe  mehr 

Nach  Huldigung  der  Herzen,  als  der  Zungen. 
Atreus 

Was  sie  nicht  wollen,  müssen  sie  raii"  wollen. 
Sklave.    Der  Herrscher  wolle  immer  nur  das  Rechte, 

Und  Eines  Sinnes  sind  mit  ihm  dann  Alle. 
Atreus.    Wer  nur  das  Rechte  wollen  darf,  der  ist 

Scheinkönig  nur,  sein  Ansehn  blos  erborgt. 
Sklave.    Wo  Recht  und  Redlichkeit  und  Treue  weicht, 

Und  frommer  Sitten  lieiKge  Scheu  verschwand, 

Da  wankt  der  Thron,  da  steht  er  nimmer  fest. 
Atreus.    Gerechtigkeit  und  Treu  und  Redlichkeit 

Sind  Tugenden,  die  wohl  dem  Bürger  ziemen. 

Der  Herrscher  iriag  nach  seiner  Willkür  schalten  .  .  . 

Neronischer  Fürstenspiegel,  Despotenmoral  und  Glaubens- 
artikel; das  Dogma  aller  Machtfragen-HeiTSchaft,  d;is  jeder  von 
Megären  begleitete  Ahn  seinen  Fnkelii  in  die  Seele  bläst. 
Glaubt  doch  Atreus  (hm  Bruder  am  sicliersten  in  die  Schlinge  zu 
locken,  wenn  er  ihm  die  Hofthung  auf  eine  solche  gemeinsame 
Herrschaft  durch  seine,  Atreus',  Sölmc,  durch  Agamemnon  und 
II.  ■-^~ 


418  Das  römische  Drama. 

Menelaus,  in's  Herz  flössen  lässt.  Den  Vorstellungen  des  ver- 
trauten Dieners:  dass  er  doch  seine  jugendlichen  Söhne  nicht  in 
so  böse  Lehren  einweihen  möchte,  begegnet  Atreus  mit  der  Be- 
merkung :  V 

Du  sagst,  dass  sie  zu  Bösewichtern  werden? 
Dazu  sind  sie  erzeugt  .  .  . 

Nero's  Lehrer  hat  die  Studien  zu  seinem  Principe,  wie  Macchia- 
vell,  au  der  hohen  Fürstenschule  selbst  gemacht.  Doch  will 
Atreus  den  Söhnen  den  Zweck  der  Herbeilockuug  des  Oheims 
vorsichtshalber  verschweigen,  üeber  diese  Scene  enthält  sich 
Lessing  jeder  Bemerkung.  Vom  Chor  aber  meint  er,  derselbe 
bringe  eine  Menge  Sittensprüche  über  den  falschen  Ehrgeiz  au, 
und  dass  er  „mehr  spitzig  als  gründlich  bestimme,  worin  das 
wahre  KönigTcich  bestehe."  Um  so  gründlicher  lehii  es  die  Ge- 
schichte, die  ein  Dutzend  —  was  sag'  ich?  —  ein  Schock  Nero's 
oder  blödsinnige  Claudiuse  verbraucht,  um  einen  halben  Trajau 
zu  Wege  zu  bringen  mit  Hängen  und  Würgen. 

Den  dritten  Aufzug  erötfnet  Thyestes,  in  Begleitung  seiner 
drei  Söhne,  mit  einer  Begrüssung  seiner  Vaterstadt:  „Nun  wd 
ganz  Argos,"  spricht  er,  „mk  entgegenkommen"  .  .  . 

Doch  Atreus  kommt  —  Zurück!  zurück 

Li  meinen  Bann  .  .  . 

Ha,  zu  des  Waldes  Thiereu  fleuch  zurück! 

Pleistheues,  der  älteste  der  Knaben,  frag-t  verwundert:  „Was 
treibt  dich,  Vater,  aus  dem  Vaterhaus?"  .  .  . 

Thyestes     .     .     .     .    Weiss  ich's  doch  selber  nicht 

Ich  sehe  nichts,  davor  ich  zagen  sollte. 

Doch  ist  mii"  bang    .... 
Pleisthenes.  Bezwinge  dieses  Grauen  .  .  . 

Bedenke,  welche  Güter  du  hier  findest, 

Dein  harrt  der  Thron  .  ,  . 
Thyestes.  0  glaube  mir,  es  ist  nur  falscher  Schein, 

Was  an  der  Grossen  Herrlichkeit  wiv  preisen  .  .  . 

„Hier,"  sagt  Lessing,  „verirrt  sich  Thyest  in  eine  poetische 
Beschreibung  der  ausschweifenden  Pracht  und  Ueppigkeit  der 
Grossen.  Sie  ist  schön,  und  passt  sehr  wohl  auf  die  damaligen 
Zeiten  der  Römer,  aber  auch  desswegen  verliert  sie  in  dem  Munde 
des  Thyest  sehr  vieles  von  ihrer  Schönheit"  .  .  .  Damit  will  Les- 


Die  Zeitbeziehung  im  Thyestes.  4)9 

sing  andeuten,  dass  Beziehungen  auf  die  Gegenwart  in  einer  Tra- 
gödie nicht  Sentenzenhaft  und  tendenziös  an  Mann  zu  bringen 
sind;  sondern  aus  der  Situation  von  selbst,  und  unl)ewusst  der 
handelnden  Personen,  einleuchten  müssen.  Ohne  solche  Beziehung 
und  Anwendung  aber  auf  die  Gegenwart  und  ihre  Zustände  ist 
dem  Zuschauer  jedes  Drama  —  Hecuba.  An  diese  Kunstmaxime 
hielt  sich  kein  deutscher  Dramatiker  unverbrüchlicher,  als  Les- 
sing. Das  bezeug-t  Emilia  Galotti,  bezeugt  sein  Nathan.  Aber 
auch  die  Art,  wie  er  die  Kunstmaxime  der  „Absicht",  der  päda- 
gogischen Tendenz  des  Drama's,  anwandte,  bleibt  für  uns  ein  ewi- 
ges Muster  und  Studium :  nicht  auf's  Butterbrod  der  Theaterphrase 
gegeben;  nicht  AVinke  mit  dem  Zaunpfahl  der  Seneca-Declamation 
und  der  Leitartikel;  nicht  dass  der  Dichter  als  Parteiredner  durch  den 
hohlen  Si^egel-Kahmen  der  Tagesfrage  den  eigenen  Kopf  vorstecke 
und  den  Zeighuger  in  deren  Wunden  lege;  sondern  dass  er  den,  wenn 
auch  in  einen  alterthümlicheu  Barockrahmen  der  Vergangenheit  ge- 
lassten  Zeitspiegel  selbst  vorhalte,  dessen  klares,  ungefärbtes  Glas  auf 
die  Bilder-Spiegelung  der  Zeitideen  geschliffen  ist  von  welt- 
historischer, und  dadurch  nur  poetisch-pliilosophischer  Tendenz.  — 
Der  älteste  Knabe,  Pleisthenes,  spricht  seinem  Vater  zu. 
Auch  sey  es,  meint  er,  nunmehr  zu  spät,  zurückzuweichen: 

,,Geli'  denn,  Vater,  festen  Schritts  voran." 

Sie  nähern  sich   langsam   der  Burg,    woher  Atreus   kommt,    im 
Selbstgespräch  begriffen : 

In  meine  Schlingen  ist  das  Wild  gefangen, 

Ich  sah  ihn  hier  sammt  der  verhassten  Brut 

In  meinem  Netze  .  ,  .  . 

Kaum  fass'  ich  mich,  kaum  lialt'  ich  mich  zurück, 

Dass  icli  nicht  laut  vor  grimmer  Freude  jauchze  .... 

Lauter,  noch  immer  für  sich,  doch  dass  es  Thyestes  höre: 

Sieh  nur,  wie  um  das  abgehärmte  Antlitz 
Ihm  das  verwoiT'ne  Haar  so  düster  hängt. 
Wie  ungeordnet  starrt  sein  Bart! 

Wohlan 
Hier  soll  er  Schutz  und  treue  Pflege  linden. 

Geht  dem  Thyestes  entgegen;  laut  zu  ihm: 

Sey  mir  willkommen  hier,  geliebter  Bruder! 
0  komm  in  meine  Arme  —  — ■  — 


420  Das  römische  Drama. 

—    —    —    —    —    —    Aller  Hass 

Sey  ab  und  todt,  geendet  ist  der  Zwist. 

Des  Blutes  und  der  Liebe  heilige  Baude 

Umsclüiugen  uns,  hier  soll  nur  Leben  walten  .  .  . 
Thj-estes.  Wie  kaim  ich  mich  entschuldigen  vor  dir, 

Der  mir  so  liebevoll  entgegen  kommt  .  .  . 

Zum  schwärzesten  Verbrecher  machet  mich 

Die  Güte,  die  du  heute  mir  erzeigst  .  .  . 

Mit  Thränen  kann  ich  mich  allein  vor  dir 

Vertheidigen.     Sieh  mich  zu  deinen  Füsseu. 

Lass  diese  Häude  deine  Knie  umfassen  .  .  . 

Vergieb  mir,  aller  Zorn  sej'  ab  und  todt! 

Wenn  noch  eine  Funke  Hass  im  Herzen  glimmt, 

So  lösch'  ihn  aus.     Als  Pfänder  meiner  Treue 

Nimm,  Guter,  die  unschuldigen  Kinder  an. 
Atreus.    Nein  Bruder,  nicht  zu  meinen  Füssen  liege, 

0  komm,  Geliebter,  komm  in  meinen  Arm! 

Und  ihr,  des  schwachen  Alters  Stützen,  kommt, 

Kommt,  edle  Jünglinge,  an  meinen  Hals  .... 

Er  bietet  ihm  den  Mitbesitz  des  Reiches  an: 

pjin  Reich  besitzen  ist  des  Zufalls  Gabe, 
Doch  es  verschenken,  das  ist  gross  und  edel. 

Thj^estes  widerstrebt:  „Das Haupt  von  langem  Leid  gebeugt,  er- 
trägt nicht  mehr  der  Königskrone  Last".    Atreus  dringt  darauf: 

Wenn  du  denn 
Dein  Theil  ausschlägst,  entsag  ich  meinem  auch. 

Th3'est  giebt  nach,  dem  Bruder  zu  Liebe.  Atreus  führt  ihn  und 
die  Knaben  in  den  Palast,  wo  Thyestes  sich  mit  dem  Diademe 
sclmiücken  soll,  indessen  er  selbst  den  Göttern  Dankopfer  dar- 
bringen gehe,  •wie  er  gelobt.  Der  Chor  preist  die  brüderliche 
Liebe  des  Atreus  und  macht  dabei,  wie  Lessing  sagt,  „Schil- 
derungen über  Schilderungen,  welche  keinen  andern  Fehler  ha- 
ben, als  dass  sie  die  Aufmerksamkeit  des  Zuschauers  zerstreuen." 
Die  Scene  zwischen  den  Brüdern  giebt  er  ohne  Bemerkung  wie- 
der; ein  Beweis,  dass  er  dagegen,  wie  gegen  die  Fürstenmoral  in 
obiger  Scene  mit  dem  Diener,  nichts  einzuwenden  fand.  Uns  er- 
scheint sie  mit  Meisterhand  gezeicIuK^  und  ausgeführt.  Kehexe 
solcher  Heuchellist  und  l)lutgierigen  Heimtücke  erschrecken  uns 
auch   bei  Sliaksyteare;    in  einer  seiner  ersten  Tragödien  nament- 


Ausmalung  des  Schauorlicheu.  421 

lieh,  im  Tituö  Andronicus,  der  den  Seiieca  uoeh  iiieht  überwun- 
den, ja  worin  Seneca  die  Sbakspearesche  Bluttaufe  empfan- 
gen hat. 

Dem  Diehter  des  Thyestes,  falls  er  mit  dem  der  Medea 
identisch  ist,  muss  man  es  zum  Verdienste  anrechnen,  dass  er 
der  Horazischen  Vorschrift: 

Auch  nicht  Menschongeweid  koch'  offen  der  schändliche  Atreus; 
Aut  Imniana  palani  coquat  exta  ncfarius  Atreus  i), 

hesser  nachkam,  als  der  Warnung  in  dem  Vers  vorher:  Nee 
pueros  coram  populo  u.  s.  w.  Im  Thyestes  lässt  er  den  Atreus 
seine  Scheusslichkeiten  im  Zwischenräume  des  dritten  und  vier- 
ten Actes  begehen,  und  letzteren  blos  mit  der  Schilderung  der 
Gräuelthat  füllen,  die  aber  alles  Mögliche  thut,  um  den  Hörer  in 
einen  Zuschauer  zu  verwandeln  und  ihn  für  den  entzogenen  An- 
blii;k  schadlos  zu  halten.  Dieser  Botenbericht  wetteifert  zum 
Ueberfluss  auch  noch  in  detaillirter  Ausmalung  des  unlieimlichen 
Gespenstei*waldes,  wo  die  Abschlachtung  vor  sich  ging;  dann  in 
der  sorgfältigsten  Feinmalerei  der  Schauderküche,  ausgeführt  wie 
mit  dem  liebkosenden  Pinsel  eines  niederländischen  Küchen- 
stücks. —  Die  Schilderung  des  Boten  wetteifert  aufs  glücklichste 
mit  der  grässlicheu  Widerlichkeit  des  Gräuelgeköches  selber;  so 
dass  man  glauben  muss,  die,  gleich  nach  der  Erzählung,  sich  ver- 
dunkelnde Sonne  wende  ihr  Gesicht  aus  Abscheu  vor  dieser  Schil- 
derung weg,  und  der  Botenbericht  allein  habe  die  angedeutete 
Bühnenverfinsterung  auf  dem  Gewissen.  In  keiner  andern  dieser 
Tragödien  tritt  die  Klippe,  woran  das  grosse  theatralisch-drama- 
tische Talent  ihres  Verfassers  scheitert,  und  in  ein  falsches  Pathos 
mit  b('täul)endem  Getöse  zerschellt,  so  offen  zu  Tage,  wie  in  der 
Schilderungssucht  dieses  Actes.  Nicht  Schwulst,  wie  schon  be- 
merkt, selbst  nicht  Verstiegenheit  des  Ausdrucks,  nicht  „geblähtes 
Denken"  und  Empfinden  verschulden  diese  Fehlwirkung;  sondern 
der  sturmwindartige  Uebersprung  des  Pathos  vom  tragischen 
Schmerzensausdruck  zum  Pathos  ausmalender  Beschreibung;  von 
tieferregter,  durch  Charakter  und  Situation  bedingter  Gemütlisbe- 
drängniss  zu  äusserlichem  Schilderungsporap ;  von  erschütternden 

1)  A.  P.  186. 


422  Das  römische  Drama. 

Seelenschauern  zu  einer  Blutmalerei  in  schauerlichen  Bildern. 
Aehnlich  wie  jene  Heldenspieler,  noch  im  vorigen  JaMiundert, 
beim  Erstechen  den  Theaterdolch  in  eine  mit  Ochsenblut  gefüllte 
Schweinsblatter  stiessen,  die  sie  untenn  Wamse  trugen:  lässt 
Seneca  seine  rhetorische  in  der  beredten  Brust  versteckte  und 
mit  ochsenblutigen  Bildern  gefüllte  Blase  auslaufen  und  über  die 
schönsten  tragischen  Stellen  sprudeln.  Oder  auch  wie  dieselben 
Heldenspieler  Seife  in's  Maul  nahmen,  um  wuthschnaubendes 
Schäumen  natürlich  darzustellen;  so  schlägt  Reneca  mit  quirlen- 
der Zunge  declamatorischen  Schaum,  um  ähnliche  Wirkungen  zu 
erzielen,  und  nebenbei  noch  den  Mund-Seifenschaum  in  allen  Far- 
ben des  Regenbogens  spielen  zu  lassen. 

„Nunmehr",  meint  auch  Lessing,  „wäre  es  ohne  Zweifel  bil- 
lig, dass  der  Erzähler"  (der  Nuncius)  „sogleich  zur  Sache  käme. 
und  diese  geschwind  in  wenigen  kurzen  und  affectvollen  Worten 
entdeckte,  ehe  er  sich  mit  Beschreibung  kleiner  Umstände,  die 
vielleicht  ganz  und  gar  uuuöthig  sind,  beschäftig-te.  Allein  was 
glaubt  man  wohl,  dass  er  vorher  thut?  Er  beschreibt  in  melu* 
als  vierzig  Zeilen  vor  allen  Dingen  den  heiligen  Hain  ...  Er 
sagt  uns,  aus  was  für  Bäumen  dieser  Wald  bestehe  ...  Er 
meldet,  dass  es  darin  umgehe,  und  malt  fast  jede  Art  von  Er- 
scheinungen, die  den  Tag  sowohl  als  die  Nacht  darin  schrecklich 
machten  .  .  .  Ich  begreife  nicht,  was  der  Dichter  hierbei  muss 
gedacht  haben;  noch  viel  weniger  begreife  ich,  wie  sich  die  Zu- 
schauer eine  solche  Verzögerung  konnten  gefallen  lassen"  .  .  . 
Und  kommt  der  Nuncius  endlich  zur  Schilderung  der  Schlächterei 
selber,  so  wünscht  man,  seine  Ortsbeschreibung  hätte  sich  aus 
dem  Schreckenswalde  nicht  wieder  herausgefunden" . . .  „Nunmehr"  -  - 
föhrt  Lessing  fort  —  „folgt  eine  sehr  grässliche  Beschreibung, 
die  aber  so  ekel  ist,  dass  ich  meine  Leser  damit  verschonen  will. 
Man  sieht  darin,  wie  Atreus  die  todten  Körper  in  Stücke  gehackt ; 
wie  er  einen  Theil  derselben  an  die  Spiesse  gesteckt,  und  den 
andern  in  den  Kessel  geworfen,  um  jenen  zu  braten  und  diesen 
zu  kochen;  wie  das  Feuer  diesen  grausamen  Dienst  verweigert, 
und  wie  traurig  der  fette  Rauch  davon  in  die  Höhe  gestiegen. 
Der  Erzähler  fügt  endlich  hinzu,  dass  Thyest  in  der  Trunkenheit 
wirklich  von  diesen  abscheulichen  Gerichten  gegessen;  dass  ihm 
oft  die  Bissen  in   dem  Munde  stecken  geblieben;    dass  sich  die 


Der  Chor  im  Thyestes.  423 

Sonne,  obgleich  zu  spät,  darüber  zurückgezogen"  .  .  .  Der  Er- 
zähler entfernt  sich.  Der  Chor  „enthält  lauter  Bewunderang  und 
Entsetzen  über  das  Zurückfliehen  der  Sonne.  Sie  wissen  gar  nicht, 
welcher  Ursache  sie  dasselbe  zuschreiben  sollen,  und  vermuthen 
nichts  Geringeres,  als  dass  die  Riesen  einen  neuen  Sturm  auf  den 
Himmel  raüssten  gewagt  haben,  oder  dass  gar  der  Untergang  der 
AVeit  nahe  sey.  Hieraus  also,  dass  sie  nicht  wissen,  dass  die 
Sonne  aus  Abscheu  über  die  Verbrechen  des  Atreus  zurückgeflohen 
(wovon  oben  der  Bote  doch  gesprochen),  ist  es  klar,  dass  sie  bei 
der  vorhergehenden  UnteiTedung  nicht  können  gegenwärtig  ge- 
wesen seyn.  Da  aber  doch  allerdings  der  Chor  eine  unterredende 
Person  dabei  ist,  so  niuss  man  entweder  einen  doppelten  Chor 
annehmen,  oder,  wie  ich  gethan  habe,  ihn  theilen.  Es  ist  er- 
staunlich, dass  die  Kunstrichter  solcher  Schwierigkeiten  durchaus 
nicht  mit  einem  Worte  gedenken,  und  Alles  gethan  zu  haben 
glauben,  wenn  sie  hier  ein  Wörtchen  und  da  einen  Umstand,  mit 
Auskramung  aller  ihrer  Gelehrsamkeit,  erklären.  —  Vielleicht 
könnte  man  auch  sagen,  dass  der  einzige  Koryphäus  nur  mit  dem 
Erzähler  gesprochen  und  dass  ausser  ihm  der  ganze  Chor  abge- 
gangen sey"  .  .  .  Wir  möchten  überhaupt  annehmen,  dass  der 
römische  Chor  überall  nur  während  der  Dauer  des  Gesanges  auf 
der  Bühne  bleibt,  und  dann  abgeht,  bis  wieder  ein  Chorgesang, 
in  der  Regel  als  Actschluss,  erfolgt,  und  dass,  in  allen  andern 
Scenen,  wo  der  Chor  mit  einer  spielenden  Person  sich  unterredet, 
der  Koryphäus  allein  das  Gespräch  mit  derselben  führt.  Wir 
lassen  unsern  grossen  Gewährsmann  fortfahren.  Seine  reine, 
schlichte  Prosa  vermag  allein  das  Grausenvolle  der  letzten 
Entwicklung  zu  massigen  und  zu  dämpfen,  und  gleichsam 
lauteres  silberklares  Wasser  in  Seneca's  ßlutwein  zu  mischen: 
„Von  dem  Chore  selbst  (dem  Schlussgesang  zum  vierten  Acte) 
will  ich  nicht  viel  sagen,  weil  er  fast  aus  nichts  als  aus  poeti- 
schen Blümchen  bestehet,  die  der  befürchtete  Untergang  der  Welt, 
wie  man  leicht  vermuthen  kann,  reichlich  genug  darbietet.  Unter 
andern  geht  der  Dichter  den  ganzen  Thierkreis  durch,  und  be- 
dauert gleichsam  ein  jedes  Zeichen,  das  nunmehr  herabstürzen 
und  in  das  alte  Chaos  zurückfallen  würde.  Zum  Schlüsse  kömmt 
er  wieder  auf  einige  moralische  Sprüche." 


424  ^^^  römische  Drama. 

Fünfter  Aufzug.  „Die  grausame  Mahlzeit  ist  vorbei. 
Atreus  kann  seine  ruchlose  Freude  länger  nicht  massigen,  son- 
dern kömmt  heraus,  sich  seinen  abscheulichen  Frohlockungen  zu 
überlassen  .  .  .  Aber  doch  ist  er  noch  nicht  zufi'ieden;  er  will 
dem  Thyest,  zum  Schlüsse  der  Mahlzeit,  auch  noch  das  Blut  sei- 
ner Kinder  zu  trinken '  geben.  Er  befiehlt  daher  seinen  Dienern 
die  Thore  des  Palastes  zu  eröffnen,  und  man  sieht  in  der  Ent- 
fernung den  Thyest  am  Tische  liegen.  Atreus  hatte  bei  Zermetz- 
lung  der  Kinder  ihre  Köpfe  zurückgelegt,  um  sie  dem  Vater,  bei 
Eröffnung  seines  Unglücks,  zu  zeigen.  Er  freuet  sich  schon  im 
Voraus  über  die  Entfärbung  des  Gesichts,  mit  welchem  sie  Thyest 
erblicken  -würde."  Lessing  übersetzt  die  betreöende  Stelle  in 
Prosa.    Wir  halten  uns  auch  hier  an  die  metrische  von  Swoboda. 

Atreus   (mit  einem  Blick  auf  den  sichtbar  gewordenen  Thyestes). 
Den  offnen  Saal  erhellen  viele  Fackeln, 
Er  selber  ruht  auf  Gold  und  Purpurkissen, 
Die  Linke  stützt  das  weinberauschte  Haupt  .  .  . 
—    —    —    —    —    Er  hat  mit  Grauen  sich  gesättigt, 
Und  schlürft  den  Wein  aus  grossen  Silberbechern. 
Ha,  trink  nur  zu,  den'  besten  Trank  halt  ich 
Dil-  noch  bereitet.     Der  Erwürgten  Blut 
Ich  misch'  es  du'  in  alten  dunkeln  Wein 
Hätt'  er  mein  Blut  doch  aucli  mit  Lust  getrunken! 
Horch!  jetzo  stimmt  er  Freudenlieder  an 
Und  Jubelsang.    Der  Wein  hat  ihn  betäubt. 

Thyestes  nämlich,  der  im  Innern  des  Palastes,  mittelst  des  En- 
cyclems  sichtbar  geworden.  Atreus  im  Vordergrunde  lauschend. 
Wer  kann  läugnen,  dass  dieser,  in  unserem,  nicht  im  antiken, 
selbst" nicht  im  griechisch  antiken  Sinn,  schaudervolle  Moment, 
von  ungeheuerster  Wirkung  sein  mochte: 

Thyestes.   0  Herz  von  langen 

Leiden  schon  abgestumpft. 
Lege  nun  ab 

Die  grämliche  Sorge  .... 
Gross  ist's  und  edel, 
Wenn  dich  das  Unglück 
Vom  Throne  gestürzt. 
Wenn  dich  zalülos 
Leiden  bedrängen, 


Tragische  Stiiiiniung  des  Thyestes.  425 

Ungebeugten  Nackens 
Die  Bürde  zu  tragen  .  .  . 

(geht  in  den  Vordergrund) 
Doch  verscheuche  die  düst'ren 
Nebel  des  Trübsinns  .  .  . 
Verbann'  aus  der  Brust 
Den  gewohnten  Gram  .  .  . 
Ach  das  ist 
Unglücklichen  eigen, 
Dass  sie  selber  im  Glück  sich 
Nicht  getraun  zu  freu'n  .  .  . 
Was  rüttelt  ich  auf? 
Was  wehret  er  da 
Den  festlichen  Tag 
Freudig  zu  feiern  V 
Bange  Ahnungen 
Erpressen  mii-  Thränen, 
Und  ich  weiss  nicht,  warum?  .  .  . 
Die  frische  Rose 
Welkt  auf  dem  Haupte. 
Das  Haar,  von  duftigen 
Salben  triefend. 
Starret  vom  plötzlichen 
Schrecken  empor. 
Und  Thränen  strömen, 
Ob  ich  mich  auch  sträube 
Die  Wangen  herab; 
Seufzer  mischen  sich 
In  die  Töne  der  Freude  .  .  . 
Es  ahnet  der  Geist 
Ein  nahendes  Unglück  .  .  . 
Vertraue  dem  Bruder, 
Vertrau'  dich  ihm  ganz!  .  .  . 
Ach  ich  Armer! 
Ich  will  ja  nicht  weinen 
Doch  unablässlich 
Bebet  von  dunklen 
Schauern  mein  Innres. 
Plötzlich  entstürzen 
Thränen  den  Augen, 
Und  ich  weiss  nicht,  warum?  — 
Ist  es  schon  Trauer? 
Ist  es  Ahnung? 
Oder  hat  zu  grosse 
Freude  aucli  Tliränon  ? 


426  .        1^3''  römische  Drama. 

Einen  Tragiker,  der  diese  Situation  so  fühlen,  und  als  reinen 
Empfindungsausdruck  zur  Sprache  bringen  konnte,  den  soUten  un- 
sere gelehrten  Kunstrichter  und  Literarhistoriker  nicht  so  ohne 
Weiteres  mit  Haut  und  Haaren  verwerfen;  sollten  in  seinen  Tra- 
gödien doch  nicht  durchweg  „geblähte  Denkart",  „gehaltleeren 
Schwulst",  „L'ebermaass  von  Seichtigkeit  und  Ungeschmack"'  i)  fin- 
den. Zu  den  hervorgehobenen  Eigenschaften,  die  diesen  Tragiker 
als  Maler  der  Leidenschaft  auszeichnen,  tritt  hier  ein  neuer  Zug. 
Aus  der  mitgetheilten  Scene  weht  uns  eine  Situatiousstimmung 
an,  ein  eigenthümlicher  Schmerzensausdruck,  eine  der  giiechischen 
Tragödie,  wie  uns  scheint,  noch  nicht  erschlossene  Empfindniss 
von  ahnungsvollem  Weh  mitten  in  der  Freude,  von  unbesieg- 
barer Herzensangst  inmitten  weicher,  schmelzender  Regungen;  ein 
Thränenstocken  und  Starren  wie  angeschauert  von  geisterhaftem 
Schrecken.  Diese  tiefe,  unergründliche  Seelenbeklemmniss ,  diese 
Kompilationen  des  Gemüths,  diese  Mystik  des  Innern  Verzagens 
und  Erhängens,  diesen  Schüttelfrost  der  Phantasie,  abwechselnd 
mit  Fiebergluth  hat  Shakspeare  zum  tragischen  Gewissen  ver- 
geistert,  wovon  bei  den  Griechen  kaum  ein  Hauch  zu  spüren; 
wohl  aber  in  diesem  Thyestes  ein  Vorgefühl,  eine  Witterung  zit- 
tert. Sein  von  Verbrechen,  Prüfungen,  Leid-  und  Fluchgeschicken 
bis  zur  Weichheit  erschüttertes  Gemüth  könnte  an  die  Stimmung 
einiger  von  Shakspeare's  tragischen  Opfern  mahnen.  Eine  Fiber 
von  Seneca's  Thyestes  schwingt  sogar  in  seinem  Macbeth;  nur 
dass  dieser  freilich  der  Atreus  seines  eigenen  Baukets  ist,  der 
aber  zum  Thvestes  sich  entsetzt. 

Nun  redet  Atreus  den  Bruder  an: 

Lass  uns,  geliebter  Bruder,  dieseu  Festtag 

Mit  froher  Eintracht  feiern 

Thyest 

Zum  höchsten  Gipfel  stiege  meine  Wonne, 

Dürft'  ich  des  Glücks  mich  mit  den  Meinen  freu'n. 
Atreus.   Sey  ruhig,  denke  dir,  dass  sie  hier  sind, 

Als  ob  du  sie  in  deinen  Armen  hieltest. 

Hier  sind  und  bleiben  sie,  kein  Gliedchen  soll 

Von  deinen  Kindern  dir  verloren  sreh'n. 


')  Bernhardy  a.  a.  0.  S.   183. 


Thyestes  und  Atreus.  427 

Ihr  Angesicht,  wonach  du  dich  so  sehnst. 
Sollst  du  sogleich  auch  schau'n  .  .  . 

(Giebt  einem  Sklaven  einen  Wink,  dieser  geht  ab,  ein  Andrer 
bringt  einen  Becher) 

Nimm  vorerst  den  Becher, 
Gefüllt  mit  Wein,  ein  Erbstück  unsres  Hauses. 
Thyestes.  Ich  nehm'  die  Gabe  an  aus  Bruderhand. 
(giesst  etwas  auf  den  Bodeu  ab). 
Ström  hin,  o  Wein,  den  Göttern  unsres  Hauses 
Zu  Ehren,  Euch,  ihr  Hohen,  trink  ich  zu. 

(WiU  trinken,  und  hält,  von  Schauern  ergriffen  inne.) 
Doch  was  ist  das?  die  Hand  wül  nicht  gehorchen  .  .  . 
Wie  an  die  Lippen  ich  den  Becher  setze. 
So  flieht  der  Wein;  vergebens  will  der  Mund 
Ausschlürfen  ihn,  er  träuft  zur  Erde  nieder. 
Ha,  sieh  der  Boden  bebt  .  .  . 
—  matt  brennt  und  trübe  mir  die  Flamme 
Nacht  hüllet  sich  in  Nacht,  die  Sterne  flieh'n. 
Was  hier  auch  drohen  mag,  ach  nur  den  Bruder. 
Nur  möge  meine  Kinder  es  verschonen! 
Auf  diess  unwürd'ge  Haupt  entlade  sich 
Des  Sturmes  Grimm!    Nun  gieb  mir  meine  Kinder. 
Atreus.     Ich  bringe  sie,  nichts  trennt  sie  mehr  von  dir. 

(geht  ab). 

Thyestes  (allein) 

Was  bebt  mein  Herz?    Ich  fühle  eine  Last. 
Die  mit  Gewalt  die  Brust  zersprengen  will  .  .  . 
Koramt,  Kinder!  euer  Vater  ruft. 
Seh'  ich  euch  nui-,  so  schwindet  aller  Kummer. 
Hör'  ich  sie  nicht?    Wo  scholl  die  Stimme? 

(Atreus  tritt  wieder  auf,  ihm   folgt  ein  Sklave  mit  einer  ver- 
deckten Schüssel.) 
Atreus.    Nun  breite  deine  Vaterarme  aus! 

Hier  hast  du  sie.    Erkennst  du  deine  Söhne? 

(er  hebt  das  Tuch  voit  der  Schüssel,  worauf  die  Häupter  von 
Thyestes'  Söhnen  liegen) 
Thyestes.   Ha!    Ich  erkenne  den  Bruder! 


Lessing  bemerkt:  „Das:  Ich  erkeune  den  Bruder:  ist 
ohnf  Zweifel  ein  Meister/.ug,  der  Alles  auf  einmal  denken  lässt, 
was  Thyest  hier  kann  empfunden  haben.''  Jede  Scene  dieses 
Actes,  bis  zu  diesem  Meisterzuge,  ist  reich  au  solchen  Zügen; 
mehr  als  das:  sie  sind  mit  dem  Merkmal  dos  tragischen  Genius 


428  Das  römische  Drama. 

bezeichnet.  Als  Spanier,  nicht  als  Körner  hat  Seneca  diese  Sce- 
uen  gedichtet,  wenn  sie  von  ihm  herrühren.  Was  noch  folgt, 
konnte  wieder  füglich  der  Römer  Seneca  geschrieben  haben.  Nocli 
kennt  Thyestes  nicht  das  Grässlichste.  Er  jammert  nach  den 
Leichen  seiner  Kinder :  „0  gieb  nur  die  Leichen  mir  heraus"  . . . 
Dass  er  sie  bestatten  kömie: 

Der  Vater  fleht  um  seine  Kinder,  nicht 
Sie  zu  besitzen,  ach!  sie  zu  verlieren. 

Nun  vernimmt  er  aus  dem  Munde  des  Bruders  das  Entsetzliche ; 

Du  selbst  verzehrtest  sie  im  grausen  Mahl  .  .  . 

lieber  die  Schlussverhandlung  zwischen  den  Brüdern  wollen  wir 
das  Tuch  der  Schüssel  werfen.  Katzenjammer  ist  kein  tragischer 
Jammer,  und  wo  das  emetische  Pathos  zu  wirken  beginnt,  hört 
die  Tragödie  auf. 

Theilen  wir,  statt  dessen,  noch  Lessing's  Ansicht  über  die 
Charaktere  mit:  „Sie  sind  ohne  Zweifel  so  vollkommen  aus- 
gedrückt, dass  man  wegen  keines  einzigen  in  Ungewissheit  blei- 
ben kann.  Die  Abstechung  f Abstich),  in  welche  übrigens  der 
Dichter  die  beiden  Brüder  gesetzt  hat,  ist  unvergleicblich.  In 
dem  Atreus  sieht  man  einen  Unmenschen,  der  auf  nichts  als 
Kache  denkt,  und  in  Thyest  eins  von  den  reclitschaffenon  Herzen, 
die  sich  durch    den  geringsten  Anschein  von  Güte  hintergehen 

lassen Was  für  zärtliche  und  edle  Gedanken  äussert  er, 

der  sich  auf  eimual  blos  desswegen  für  schuldig  erkennt,  weil 
sein  Bmder  sich  jetzt  so  gütig  gegen  ihn  erzeige.  Und  was  für 
eine  besorg-te  Liebe  für  diesen  ruchlosen  Bruder  verräth  die  ein- 
zige Wendung,  da  er  eben  sein  Unglück  erfahren  soll,  welches 
durch  die  ganze  Natur  ein  schreckliches  Entsetzen  verbreitet  und 
noch  sagt:  „Was  hier  auch  drohen  mag,  ach  nur  den  Bruder, 
nur  möge  meine  Kinder  es  verschonen." 

Lessing  nimmt  den  Charakter  des  Thyestes,  wie  er  im  Rah- 
men der  Tiagödie  sich  zeigt,  ohne  Rückblick  auf  dessen  .Vergan- 
genheit, Verbrechen  und  Schuldbewusstseyn.  Ihm  war  es  hier  blos 
um  den  psycliologisdi-dramatischen  Contrast  zu  tlmn,  der  den 
Charakter  der  bei<leii  Hrüder  so  wirksam  scbattirt  und  abhebt. 
Zur  Würdigung  des  tragischen  Charakters  dagegen,  seiner  Lei- 
densstimmung  und  Gemüths-Unseligkeit  scheint  uns  jene  düstere 


Der  rasende  Hercules.  429 

Folie,  die  das  Schuld-  und  Schicksalsbewusstseyu  im  weichge- 
stimmteu,  versölinuugsniildeii  Charakter  des  Thyestes  bildet,  vom 
grössteu  Belange.  Dieses  Scliiddgefülil  des  Thyestes  dämpft  zu- 
gleich das  Absclieuwüi'dige  in  Atreus'  Kache.  Man  mttsste  sogar 
den  Dichter  dafür  in  Anspmch  nehmen,  dass  er  jenes  Pelopiden- 
geschick  und  Schuld! )ewusstseyn  im  Thyestes  nicht  stärker  be- 
tonte, wenn  die  Uebergangsstellung  der  römischen  Tragödie  zwi- 
schen der  Schicksalsidee  der  Griechen  und  der  Gewissenstragik 
des  von  der  christliclien  Bussstimmung  angeregten  und  von  Shak- 
speare  abgeschlossenen  Sühnespiels,  wenn  diese  Zwischeustellung 
des  römischen  Tragikers  nicht  eben  sein  Geschick  wäre,  das  ihm 
der  Entwicklungsgang  des  Drama's  auferlegte. 

Mit  derselben  Ausführlichkeit,  wie  den  Thyestes,  hat  Lessing 
den  Rasenden  Hercules  des  Seneca  behandelt.  Was  uns  be- 
trifft, wir  glauben,  im  Zwecke  unserer  Aufgabe,  die  Stufe,  die  der 
römische  Tragiker  in  der  Geschichte  des  Drama's  einnimmt,  kennt- 
lich bezeichnet,  und  die  Bedeutung  desselben  an  seinen  vorzüg- 
lichsten Tragödien  genugsam  gewürdigt  zu  haben.  Die  übrigen 
sechs,  die  uns  als  die  schwächern  erscheinen  und  zudem  nichts  Ei- 
genthümliches  darbieten,  werden  sich  mit  der  Inhaltsangal)e  nebst 
Auszugs-Belegen  ablinden  lassen.  Doch  möchten  wir  beim  Ra- 
senden Hercules  Lessing's  Bemerkungen  dem  Leser  nicht  vorent- 
halten.    Wir  geben  den  Inhalt,  wie  wir  ihn  bei  Lessing  linden. 

*   „Der  rasende  Hercules. 

Hercules  hatte  sich  mit  der  Megara,  der  Tochter  des  Creons, 
Königs  von  Theben,  vermählt.  Seine  Thaten  und  besonders  seine 
Reise  in  die  Hölle  nöthigten  ihn,  lange  Zeit  von  seinem  Reiche 
und  seiner  Familie  abwesend  zu  seyn.  Während  seiner  Abwe- 
senheit empörte  sich  ein  gewisser  Lycus,  Hess  den  Creon  mit  sei- 
nen Söhnen  ermorden  und  bemächtigte  sich  des  thebanischen 
Scepters.  l'm  seinen  Thron  zu  belestigen,  hielt  er  es  für  gut, 
sich  mit  der  zurückgelassenen  Gemahlin  des  Hercules  zu  verl)in- 
den.  Doch  indem  er  am  lieftigsten  darauf  dringt,  kömmt  Her- 
cules aus  der  Hölle  zurück,  und  tödtet  den  tyrannischen  Lycus 
mit  allen  seinen  Anhängern.  Juno,  die  unversöhnliche  Feindin 
des  Hercules,  wird  durch  das  beständige  (ilück  dieses  H(!l(ltMi  er- 
bittert, und  stüiv.t,  iiin  diiivli  iiilHc  der  l'uricii  in  eine  sclD-crklicIii' 


430  Das  römische  Drama. 

Raserei,  dereu  traurige  Folgen  der  eigentliche  Stoff  dieses  Trauer- 
spiels sind.  Ausser  dem  Chore  kommen  nicht  mehr  als  sechs  Perso- 
nen darin  vor:  Juno,  Megara,  Lycus,  Amphitryo,  Hercules,  Theseus." 

Die  Fabel,  wie  man  sieht,  stimmt  im  Ganzen  mit  der  von 
Emipides'  gleichnamiger  Tragödie,  die  dem  Köm  er  vorlag,  über- 
ein. Ein  paar  formelle  Verbesserungen  in  der  Oekonomie  des 
Stückes  hat  der  römische  Dichter,  unseres  Bedünkens,  mit  Preis- 
gabe gTOSser  poetischer  Vorzüge  erkauft.  Juno,  als  Prolog,  giebt 
vorweg  das  Motiv  der  Heimsuchung  des  Hercules  mit  Wahnsinn 
und  der  Vertilgmig  seines  Hauses  an,  durch  sie,  die  Göttin  selbst. 
Dadurch  wird  der  Fehler  des  Euripides:  das  Auseinanderfallen 
der  Tragödie  in  zwei  verschiedene  Handlungen  vermieden.  Allein 
diese  prologirende  Juno,  die  ihren  Hass  gegen  Hercules  fünf  Sei- 
ten lang  austobt,  vermag  uns  in  keiner  Weise  für  die  wunder- 
bare Scene  bei  Em'ipides  schadlos  zu  halten,  wo  Lyssa,  die  per- 
sonificii'te  Wuth  mit  Iris,  auf  Befehl  der  Juno,  herniederschwebt, 
mn  den  heimgekehrten  Helden  in  Wahnsinn  zu  stürzen.  Die  in 
Rachewuth  selbst  rasende  Juno  des  Römers  und  die  personificirte 
Göttin  der  Raserei,  die,  beim  Griechen,  ein  erbarmendes  Beden- 
ken zu  Gunsten  ihres  Opfers  einlegt  —  welcher  himmelweite  Ab- 
stand in  den  Auffassungen,  mit  Rücksicht  auf  poetisches  Pathos 
und  tragische  Rülu'uug! 

Die  zweite  Verändernug  des  römischen  Umarbeiters:  Die 
Bewerbung  um  Megara's  Hand  von  Seiten  des  Lycus  und  dereu 
todesmuthige  Abweisung  des  T3Tannen  erhebt  die  Gattin  des 
Hercules  von  einer  blos  leidenden  Unglücksheldin,  die  sie  bei  Eu- 
ripides ist,  zu  einer  thatentflanmiten,  vom  Löwengeist  ihres  Gat- 
ten beseelten  Heroine.  Ob  aber  dm-ch  dieses  theatralisch  und 
dramatisch  schwungvollere,  willensstarke  Pathos  der  Charakter 
an  tragischem  Interesse  gewinnt,  möchten  wir  bezweifeln.  Auch 
die  vom  Römer  zur  Schau  gestellte,  bei  Euripides  blos  erzählte 
Wahnsinnsthat  seines  rasenden  Hercules  kann  wieder  nur  als  ein 
arger  Verstoss  gegen  die  Regel  seines  Mitbürgers,  Horatius,  gelten: 

Was  jedoch  besser 
Hinter  der  Bühne  geschieht,  das  bring  nicht  zum  Vorschein  .  .  . 

Nee  tarnen  intus 
Digna  geri  promes  in  scenani  .  .  .  ^) 

1)  A.  P.  V.   182  f. 


Seiieca  und  Euripides.  431 

Die  riiluTiredig'e,  den  Himmel  nicht  blos  stünnende,  sondern  auch 
ausplündernde  und  ihn  seiner  sänimtlichen  Sternbilder  berau- 
bende Tobsucht  des  Hercules,  mag  als  astronomischer  Walmsinn 
eine  merkwürdige  Species  der  Geistesstörung  bilden,  wird  aber 
schwerlich  das  tiefe  Mitleid  aufwiegen,  das  Euripides',  auf  den 
Trümmern  seiner  Wahnsinnsuntliat  starr  vor  sich  hinbrütender 
Leidensheld  einflösst,  schamvernichtet,  gestürzt  in  namenlosen 
Verödungs- Graus.  Der  greise  Amphitryo,  Euripides'  helden- 
müthiger  Vertreter  der  Heldcnfamilie ,  erscheint  beim  Römer 
anfangs  zum  Schatten  und  schliesslich  zu  einem  alten  Fa- 
seler verloddei-t.  Theseus  endlich,  den  der  Grieche  als  Dens 
ex  machina,  aber  auch  so  gross  und  edel  wie  einen  Gott  ein- 
führt: wie  störend,  müssig,  ja  wie  lästig  und  langweilig  ist 
er  dem  Römer  nicht  dadurch  gerathen,  dass  er  gleich  bei 
Hercules'  Ankunft  als  dessen  Begleiter  auftritt,  den  schreckli- 
chen Verwüstungen  des  Unglücklichen  zusieht  und  ihn  gewäh- 
ren lässt! 

An  bedeutsamen  scenischen  Momenten,  imponirenden  Situa- 
tionen, trefflichen  Theaterstreichen  und  ergreifenden  Schauwirkun- 
gen fehlt  es  auch  dieser  Tragödie  nicht.  Dass  sie  von  Kraft- 
und  Prachtstellen  strotzt,  versteht  sich  von  selbst.  Juno's  Prolog 
ist  ein  ganzer  Marstall  solcher  declamatorischer  Paradepferde. 
Unter  andern  tummelt  sie  folgenden  Prachtgaul: 

Jetzt  zeig  ich  dir  (Hercules) 
Des  Todes  Schrecken  erst.    Ich  stürze  dich 
Hinab  zur  tiefsten  Nacht,  weit  unter  der 
Verdammten  Qualensitz  hinab.    Ich  führe 
Der  Zwietracht  Göttin  dort,  wo  widerhallt 
Die  Felsenkluft  von  gellendem  Gezänk 
Herauf,  und  reisse  Alles,  was  im  Abgrund 
Des  Hades  sich  noch  bergen  mag,  hervor. 
Herauf,  du  schwarzer  Frevel,  und  die  VVutli, 
Die  unnatürlich  leckt  ihr  eignes  Blut! 
Du  Wahnsinn  und  Verzweiflung,  die  du  wider 
Dich  selber  wüthest,  alle  kommt  herbei, 
Ihr  soUt  die  Diener  meiner  Rache  seyn!  .  .  , 

Eine  völlige  Lossagung  vom  Styl  des  giiechischen  Redepathos; 
in  Colorit,  Ton  und  Emphase  nahezu  modern. 


432  D^^  römische  Drama. 

Mau  höre,  wie,  unmittelbar  uacli  dem  Prolog,  der  Chor  von 
Thebauern  das  Erwacheu  des  Tages  begrüsst: 

Strophe.     Nur  hier  und  da  noch 

Blicken  erbleichend  — 

Am  Himmel  die  Sterne. 

Die  weichende  Nacht 

Euft  zusammen 

Die  zerstreuten  Lichtlein. 

Der  Morgenstern  treibt 

Die  flimmernde  Heerde 

Beim  dämmernden  Tag 

Nieder  vom  Himmel. 

Das  helle  Gestirn 

Am  eisigen  Pol, 

Die  arkadische  Bärin, 

Das  Siebengestirn 

Mit  gewendeter  Deichsel 

Rufet  dem  Morgen. 

Aus  bräunlicher  Fluth 

Steigt  Titan  empor 

Und  blickt  auf  Oeta's 

Ragenden  Gipfel. 

Es  erröthen  die  Büsche 

Im  Strahle  des  Morgens  .  .  . 
Gegenstrophe.    Die  Mühen  erwacheu, 

Und  wecken  die  Sorgen, 

Und  öffnen  das  Haus. 

Der  Hirte  lässt 

Sich  die  Heerde  verlaufen, 

Und  weiden  das  Gras 

Schimmernd  von  Thaue. 

Frei  auf  der  Trift 

Hüpfet  der  Farre, 

Dem  das  Hörnchen  noch  nicht 

Die  Stii-ne  geritzt  .  .  . 

Zwitschernd  am  Aste 

Singet  der  Vogel  .  .  . 

Und  grüsset  freudig 

Mit    flatternden  Schwingen 

Den  jungen  Tag. 

Und  ringsum  jubelt 

Der  Vögel  Schwärm 

Vielstimmigen  Gruss, 

Verkündend  den  Tag  .  .  . 


Der  rasende  Hercules.    Megara.  433 

Verkündet  dieses  ..Morgenlied  niclit  aucli  das  Anbrechen  der  sen- 
timentalen, naturanjauchzenden  LjTik?  Scheint  dieser  Chorgesang 
nicht  wie  ihre  erste  Frühlingslerche?  Schon  dämmert  Seneca's 
Chorgesang  in  die  Hymnenpoesie  der  ersten  christlichen  Lyriker, 
eines  Prudentius,  Sedulius,  hinüber.  Mehr  als  einmal  beschlich 
lins  beim  Lesen  dieser  Tragödien  der  Argwohn,  ob  nicht  wirklich 
ein  solcher  christlicher  Lateinischer  Sänger,  oder  gar  eine  noch 
spätere  Mönchspoesie  hier  die  Hand  im  Spiele  hatte. 

Dem    Gewaltherrscher   Lycus    ei-wiedeii   Megara    auf  seine 
Werbung : 

Die  Hand,  die  meines  Vaters  Blut  bespritzt, 
Die  noch  vom  Morde  meines  Bruders  raucht, 
Die  sollt'  ich  fassen?  —  —  —  —  — 
Lycus.  Macht  dich  dein  Mann  so  trotzig,  der  im  Abgrund 
Der  Hölle  haust? 
Megara.  Er  stieg  hinab  zur  Hölle, 

Dass  er  verklärt  den  Himmel  dann  erklimme. 
Lycus.  Die  uuermessne  Last  des  Erdballs  liegt  auf  ihm  — 
Megara.  Ihm,  der  den  Himmel  trug,  ist  keine  Last  zu  schwer. 

Lycus  (zornig).  Ich  zwinge  dich  (cogere). 
Megara.  Nur  jene  magst  du  zwingen, 

Wer  nicht  zu  sterben  weiss, 
(cogi  qui  potest,  nescit  mori.) 
Lycus.  Kann  ich  dir  fürstlichere  Gabe  bieten 
Als  meine  Hand? 
Megara.  Ja  deinen,  oder  meinen  Tod. 

Lycus.  So  stirb  denn.  Rasende! 
Megara.  Willkommen  mir  Tod! 

Er  führet  mich  dem  theuren  Gatten  zu  .  .  . 
(conjugi  occurram  meo.) 

Sind  das  nicht  Präludien  zu  den  todesfreudigen  Autworten  christ- 
licher Märtyrinnen  bei  Calderon,  die  Peter  Corneille,  gen.  der 
Grosse,  in  seinem  Polyeucte  nacligealimt?  So  gar  befremdlich 
wäre  es  just  nicht,  dass  Calderon's  Landsmann,  Seneca  aus  Cor- 
duba,  die  ersten  Laute  zu  einem  Auto  anschlug.  Dergleichen 
ekstatischen  Todesmuth,  wie  hier  die  Megara  an  den  Tag  legt, 
wird  man  in  den  Stichomythien  der  Griechen,  in  den  Entgegnungen 
der  Antigonen,  Elektren,  und  selbst  der  Heldenjungfrauen  des 
Euripides,  vergebens  suchen. 

IL  2!j 


434     -  ü^s  römische  Drama. 

Hercules,  iu'  Jammerbetäubuug ,    umringt  von  den  Leichen 
seiner  Gattin  und  Kinder,  bricht  in  folgende  Klagerufe  aus: 

Doch  wohiii  soll  ich 
Entflieh 'n,  wo  soll  ich,  Armer,  mich  verbergen? 
In  welche  Erdsclilucht  soll  ich  mich  vergraben? 

Wenn  der  Mäotis 

Die  kalten  Wellen  gösse  über  mich, 

Ja  wüschen  mich  die  Fluthen  alle, 

Sie  wüschen  nicht  diess  Blut  von  meiner  Hand! 

Arctoum  licet 
Maeotis  in  me  gelida  transfundat  mare 
Et  tota  Tethj's  per  meas  currat  manus : 
Haerebit  altum  facinus  ...    (v.  1325  ff.  ed.  Both.) 

,,Kann  wohl  des  gi-ossen  Meergotts  Ocean 
Diess  Blut  von  meiner  Hand  rein  waschen?"  i) 

Aehnlich  haben  wir  schon  Hippohii  rufen  hören  am  Schluss  der 
Scene  mit  Phädra: 

Der  Ocean 

Mit  seinem  unermess'nen  Wogenreich 

Vermag  mich  nicht  von  solchem  Gräul  zu  säubern. 

Ganz  unzweifelhaft  steht  Seneca  dem  Shakspeare  und  Calderon 
näher,  als  dem  Emipides. 

Aus  Lessing's  Beurtheilung  des  rasenden  Hercules,  die  er 
seinen  Auszügen  l)eifügt,  entheben  wir  Folgendes:  „Hat  man  den 
Zorn  der  Juno,  die  Drohungen  des  Lycus,  den  edlen  Stolz  dex 
Megara,  den  kühnen  üebermuth  des  Hercules,  das  Unglück  einer 
blinden  Raserei,  die  Verzweiflung  eines  Reuenden,  die  Bitten  eines 
Vaters  gefühlt:  so  kann  der  Dichter  gewiss  seyn,  dass  man  ihm 
seine  Fehler  willig  vergeben  wird.  Und  was  sind  es  denn  end- 
lich auch  für  Fehler?"  .  .  .  Der  Passus  ist  oben  schon  mitgetheilt 
worden.  Dann  geht  Lessing  auf  eine  kurze  Vergleichung  dieser 
Tragödie  mit  Ruripides'  rasendem  Herakles  über:  „Dass  sich  der 
Römer  dasselbe  zum  Muster  vorgestellet  habe,  ist  nicht  zu  läug- 
nen.  Allein  er  hat  nicht  als  ein  Sklave,  sondern  als  ein  Kopf, 
welcher  selbst  denkt,  nachgeahmt,  und  verschiedene  Fehler,  welche 


1)  Macbeth.  II,  1. 


Lessing  über  Seneca's  rasenden  Hercules.  435 

in  dem  Vorbilde  sind,  glücklich  verbessert.  Ich  kann  mich  hier 
in  keinen  weitläufigen  Auszug  des  griechischen  Stücks  einlassen; 
so  viel  aber  muss  ich  anmerken,  dass  Euripides  offenbar  die  Hand- 
lung verdoppelt  hat."  Es  folgt  ein  üeberblick  des  Inhalts  von 
Euripides'  Herakles  Mainomenos,  dann  fährt  Lessing  fort:  „Nun 
sehe  man,  wie  geschickt  der  römische  Dichter  durch  eine  kleine 
Veränderung  ein  zusammenhängendes  Stück  daraus  gemacht  hat, 
in  welchem  die  Neubegierde  keinen  solchen  gefährKchen  Ruhe- 
punkt findet,  sondern  bis  an's  Ende  in  einem  Feuer  erhalten 
wird"  .  .  .  „Einen  andern  Kunstgiiff  des  lateinischen  Dichters 
habe  ich  bereits  angemerkt;  die  Art  nämlich,  wie  er  die  Grau- 
samkeiten des  Hercules  zeigt  und  auch  nicht  zeigt.  Euripides 
lässt  sie  blos  erzählen.  Wie  \iel  besser  lässt  der  Römer  blos  den 
Tod  des  Lycus  erzählen  und  spai-t  seine  Theaterspiele  auf  den 
Tod  derjenigen,  für  die  er  uns  vornehmlich  einnehmen  will."  In 
diesem  Punkte  weicht  unser  Urtheil  von  dem  des  grossen  Mannes 
ab,  und  muss  der  Ansicht  des  J.  Heinsius  Recht  geben,  welcher 
meint:  ')  In  furente  autem  Hercule,  cum  sequi  Em'ipidem  posset, 
periciüosam  nobis  niliiv  dedit.  Bei  Seueca  schläg-t  Hercules  der 
Megara  und  einem  Söhnlein  auf  der  Bühne  das  Gehirn  aus:  Me- 
garae  enim  et  filiolo,  fügi  Heinsius  hinzu,  in  scena  cerebrum  eli- 
dit  Hercules.  Lessing  schliesst  seine  Bemerkungen  mit  den  Wor- 
ten: „Dieses  aber,  was  ich  jetzt  gesagt  habe,  muss  man  nicht  so 
auslegen,  als  ob  ich  dem  Euripides  auch  in  andern  Stücken  eben 
so  wenig,  als  in  diesen  mechanischen  Eiinrichtangeu  den  Vor- 
zug zugestehen  wollte.  Er  hat  eigenthümliclie  Schönlieiten,  welche 
Seneca,  oder  wer  sonst  sein  Nachahmer  ist,  selten  gekannt  zu 
haben  scheint.  Der  Aftect  drückt  sich  bei  ihm  allezeit  in  der 
Sprache  der  Natur  aus;  er  übertreibt  nichts,  und  weiss  nicht,  was 
es  heisst,  den  Mangel  der  Empfindung  mit  Witz  ersetzen.  Aber 
glücklich  sind  die,  welche  ihn  noch  so  ersetzen  können!  Sie  ent- 
gehen doch  wenigstens  der  Gefahr,  platt ,  ekel  und  wässericht  zu 
werden."  Die  nach-Lessing'sche  Kritik  aus  der  romantischen 
Schule  kann  nicht  genug  Fi's  und  Pfui's  über  Seneca's  Tragödien 
ausgiessen,  dem  ihr  Geist  und  Wesen  doch  weit  wahlverwandter 


1)  A.  a.  0. 

28' 


436  Das  römische  Drama. 

ist,  als  dem  Genie  der  Griechen.  Das  Haupt  der  romantischen 
Kritik,  A.  W.  Schlegel'),  findet  Seneca's  Trauerspiele  „so  von 
aller  theatralischen  Einsicht  entblösst,  dass  ich  glaube,  sie  waren 
nie  dazu  bestimmt,  aus  den  Schulen  der  Ehetoren  auf  die  Bühne 
hervorzutreten."  Der  Nachdichter  des  Jon  konnte  immer  noch 
Theaterwirkung  von  Seneca  lernen. 

Hercules  am  Oeta.  Der  Inhalt  stimmt  mit  dem  derTra- 
chinierinnen  des  Sophokles  überein.  Doch  hat  Delrio's  Vermu- 
thung')  vieles  für  sich,  dass  der  Verfasser  des  Hercules  Oetaeus 
sich  an  ein  Vorbild  von  Euripides  gehalten.  Am  wahrscheinlich- 
sten dünkt  uns,  dass  hier  eine  rohe  Verarbeitung  der  Trachinie- 
rinnen  des  Sophokles  und  einer  verlorenen  Tragödie  desselben 
Fabelstoffes  von  Em^pides  vorliegt;  beide  in  ein  ungeheuerliches 
Polterspiel  von  „tobender  Ehetorik"  und  herculischer  Prahlerei 
zusammengewettert  und  von  einer  Apotheose  des  verbrannten, 
näher  hirnverbrannten  Hercules,  gekrönt.  In  der  ersten  Hälfte 
überraset  Dejanira  die  Medea  an  Mordlust  aus  Eifersuchtswuth. 
Alle  möglichen  Todesarten  scheinen  ihr  zu  gelinde  für  Hercules. 
„Mit  diesem  Herzen,  das  Eache  schnaubt,  bin  ich  zmii  Grässlich- 
sten  gemacht"  —  so  stürzt  sie  auf  die  Bühne.  Und  in  der  zwei- 
ten Hälfte  sehen  wir  dieselbe  Dejanira  zur  schreckhaft  liebevollen, 
rathlos  ängstlichen,  nichts  als  Zärtlichkeit  und  Besorgniss  um  den 
Gatten  athmenden  Dejanira  des  Sophokles  umgewandelt,  die  sich 
vor  dem  Wollbüschel  entsetzt,  an  dessen  Zerfliesseu  sie  die  Wir- 
kung des  Zaubergiftes  wahrnimmt,  womit  sie  das  dem  Hercules 
zugeschickte  Opfergewand  gefärbt.  Und  bring-t  sich  dann  auch 
wie  Sophokles'  Dejanira,  aus  Verzweiflungsgram  darüber,  um. 

Die  Scene  des  ersten  Actes  spielt  noch  auf  Euböa,  auf  den 
Brandstätten  von  OechaKa,  der  eingeäscherten  Eesidenz  des  Kö- 
nigs Eurytus,  den  Hercules  sammt  Söhnen  und  Unterthanen  er- 
schlagen, weil  er  dem  mit  Dejanira  vermählten  Abenteurer  seine 
Tochter  Jole  nicht  zur  Gattin  hatte  geben  wollen.  Jole  befindet 
sich  als  Gefangene  unter  den  Oechalisclien  Jungft-aueu,  die  den 
Chor  bilden.  Hercules  eröffnet  das  Stück  mit  einem  Gebet  an 
den  Göttervater,    das  aber  diesen  in's  Gebet   nimmt,  und   dem 


1)  Vorles.  n,  26.  —  2)  A.  a.  0 


Seneca's  Hercules  am  Oeta.  437 

Donnerer  mit  Weltuntergang  droht,  wenn  er  nun  nicht  endlich 
einmal  Ernst  macht  und  ihn,  den  Vollbringer  solcher  Thaten, 
deren  letzte  und  glorwürdigste  die  eben  bewerkstelligte  Ausrot- 
tung von  Jole's,  seiner  schönen  Kebsin,  ganzer  Familie  war,  in 
den  Sternenhimmel  aufnimmt.  Die  Berge,  welche  die  hun4ert- 
armigen  Himmelsstürmer  übereinander  wälzten,  reichen  nicht  an 
die  gethürraten  Worte  dieses  hundertmäuligen  Grossmauls.  Er 
prahlt  Jupiter's  Donner  zu  Boden.  Er  überbramarbast  die  Thra- 
sonen  der  Komödie :  Lasst  ihn  nur  einmal  im  Himmel  seyn,  dann 
wird  er  Vater  Jupitern  bedonnerwettern,  dass  ihm  Hören  und  Sehen 
vergeht:  „Mich  lass  für  deine  Götter  fechten,  Zeus,  dann  mögen 
immer  deine  Donner  ruhn ! "  Nachdem  er  so  den  Olymp,  statt,  wie 
sein  A^ater,  mit  den  Augenbrauen,  mit  einer  fünf  Seiten  langen 
Zunge  erschüttert,  entsendet  er  seinen  Kampfgefährten,  Lichas, 
als  Herold  seiner  Siege.  Der  Jungfrauen  -  Chor  schliesst  den  Act 
mit  einem  Klaggesang  über  den  Untergang  ihrer  Vaterstadt,  wozu 
Jole  die  Epode  singt,  ihr  Geschick  verwünschend,  dass  sie  nicht 
„mehr  der  Brüste  hat,  sie  jammernd  zu  schlagen." 

Der  zweite  Act  versetzt  uns  nach  Trachys,  vor.  das  Haus  des 
Hercules.  Die  erste,  die  sich  zeigt,  ist  die  unausweichliche  Milch- 
mutter, die  Amme.  Sie  schildert  Dejanira's  Eifersuchtsqualen 
über  Jole's  Ankunft  mit  Farben,  die  nur  der  Farbentopf  einer 
Seneca-Amme  liefern  kann: 

Das  ganze  Haus  ist  ihrem  Zorn  zu  eng. 
Jetzt  stürmt  sie  vor,  jetzt  schwankt  sie  hin  und  her, 
Jetzt  steht  sie  still.     Die  Wange  glüht  vor  Zorn, 
Aus  tiefster  Brust  stürmt  es  mit  Macht  hervor. 
Jetzt  tobt  sie,  drauf  ergiesst  sie  sich  in  Thränen. 
Schnell  wechselt  sie  die  Farben,  schnell  die  Miene ; 
In  mancherlei  Gestalten  rast  ihr  Grimm; 
Jetzt  klagt,  jetzt  betet,  drauf  dann  seufzet  sie. 

Wer  erkennt  hierin  die  Dejanira  des  Sophokles?  Desto  mehr 
muss  man  eine  den  Griechen  unbekannte  Alfectmalerei  darin  er- 
kennen, die  aus  zweiter  Hand  wechselnde  Gemüthzustände  und 
Wandelungen  schildert,  welche  die  Griechen  dm*ch  feine  und 
kunstreiche  Schattirungen  im  Kedepathos  der  leidenden  Person 
selber  ausdrückten.  Dejanira  stürmt  hervor,  wie  um  die  AVette 
mit  Hercules'  Zungenschlägen,  die  den  Jupiter  aus  dem  Himmel 


438  Das  römische  Drama. 

niederdonnern,  ihren  Racheschwall  der  Juno  in's  Antlitz  schleu- 
dernd : 

Ha.  keine  Kache  g'nüge  dir,  o  Herz! 

Ersinne  grause,  undenkbare  Martern, 

Unsägliche !  der  Juno  zeige  du, 

Was  Hass  vermag.     Sie  weiss  sich  nicht  zu  rächen. 

Die  plötzlichen,  schroffen  Uebergänge  der  Leidenschaftsstimmungen 
von  Zorn  und  Wuth  in  Rührung  und  Wehmuth,  wovon  sich  die 
giiechische  Tragik  auch  nichts  träumen  Hess,  und  die,  zweck- 
mässig in's  Spiel  gesetzt,  wie  bei  Medea,  Andromache  z.  B.,  von 
gi'osser  theatralisch-mimischer  Wirkung  seyn  können,  erscheinen 
hier  zur  Caricatur  verzeni.  Vergebens  bemüht  sich  die  Amme, 
ihrem  Amte  getreu,  die  Ammenmilch  abrathender  Besänftigung 
in  Dejanira's  gährendes  Drachengift  zu  träufeln:  Dejanira  wüthet 
sich  in  ihre  Rache  immer  tiefer  hinein.  Die  Amme  beschwört 
sie  Vernunft  anzunehmen:  Das  sey  nun  einmal  so  seine  Passion, 
des  Hercules  nämlich:  „er  liebt  gefangene  Mädchen"  .  .  .  Die 
Amme  schüttet  nur  Oel  in's  Feuer;  Dejanira  kennt  sich  nicht 
mehr  vor  Rachewuth.  Nun  ist  der  Moment  da,  wo  Seneca's 
Ammen  ihre  naturgemässe  Entpuppung  aus  der  ehrbaren  Abra- 
thungs-Larve  in  den  Schmetterling  gaukelnder  Kuppelei  vorneh- 
men. Dejanira's  Pflegemutter  stellt  ihrer  Herrin  ihren  ganzen 
ZaubervoiTath  zur  Verfügung,  um  den  Hercules  durch  magische 
Gaukeleien  wieder  in  ihre  Arme  zurück  zu  führen,  und  giebt  sich 
bei  dieser  Gelegenheit  zum  erstenmal  als  Zauberhexe  erster  Klasse 
zu  erkennen: 

Im  Wiater  machte  ich  die  Bäume  grünen, 
Den  Blitz  hab'  ich  ia  seinem  Lauf  gehemmt, 
Das  Meer  hab'  ich  bei  Windesstül'  empört.   .   .  . 

Ja,    die  Thore 

Der  Unterwelt  hab'  ich  gesprengt,  die  Schatten 
Zwang  ich  zu  reden,  und  der  Höllenhund 
Er  winselte  vor  mir     .... 

Den  Hercules  zu  zwingen,  sey  Kinderspiel  dagegen.  Dejanira  be- 
zweifelt diess,  und  rückt  nun  mit  ihrem  Zaubermittel  hervor,  dem 
bekannten  Philtrum,  das  ihr  der  sterbende  Centaur  Nessus  in 
einigen  Tropfen  seines  Blutes   vermacht.     Die  Amme   holt    das 


Seneca  und  Sophocles.  439 

Kästchen  mit  Zaubersalbe  und  Gewand.  Dejanira,  die  inzwischen 
ein  ki'äftiges  Gebet  an  Gott  Amor  gerichtet,  befiehlt  der  zurück- 
gekehrten Amme  ihr  das  Kleid  zu  beizen.  Das  bestrichene  Ge- 
wand wird  dem  Lichas  für  Hercules  übergeben.  Der  Chor  — 
Kaledonische  Frauen,  Dejanira's  ehemalige  Gespielinnen  —  be- 
weint, auf  Dejanira's  dringende  Bitten,  ihr  Geschick,  verwünscht 
nebenbei  die  Qualen  der  HeiTSchsucht  und  üeppigkeit,  die  ihn 
gar  nichts  angehen,  und  preist  das  Glück  der  goldenen  Mittel- 
mässigkeit  aus  heiler  Haut. 

Im  dritten  Act  schildert  Dejanira  ihr  Entsetzen  über  das 
Nessusblut,  das,  wie  bei  Sophokles,  zufällig  vom  Sonnenstrahl  ge- 
troffen, aufschäumte  und  zischte.  Schon  ist  auch  Hjdlus  da,  mit 
dem  Berichte  von  der  Wirkung  des  Zaubergiftes  an  seinem  Vater 
Hercules.  Dejanira  verfällt  in  eine  sehr  lange  Rede  nebst  wie- 
derholten Wahnsinnsverzückungen,  abwechselnd  mit  heftigen  Weh- 
rauths-Ki'ämpfen.  Die  Kaledonischen  Weiber  erinnern  an  das 
nahe  Ende  des  Hercules  und  der  langen  Eeden,  in  Anbetracht 
der  Vergänglichkeit  aller  Dinge.  Ein  dröhnender  Fall  jedoch, 
der  ihr  banges  Ohr  getroffen,  und  worin  sie  Hercules'  Stimme 
erkennen,  belehrt  sie  eines  Bessern  und  verkündet  ihnen,  dass  der 
langen  Schauderreden  dickes  Ende  naht,  welches  in  Gestalt  des 
vierten  Actes  zum  Vorschein  kommt,  mit  dem  geschundenen 
Hercules  sammt  Gefolge,  darunter  Philoctetes,  im  Schlepptau.  Um 
den  Unterschied  zwischen  römischem  und  griechischem  Heroismus 
und  dessen  tragischer  Aeusserung  vollkommen  zu  begreifen,  braucht 
man  nur  die  entsprechende  Scene  in  Sophokles'  Trachinierinnen 
mit  dieser  zu  vergleichen.  Der  Vergleich  ergiebt  Folgendes:  Bei 
Sophokles  glaubt  man  das  Brüllen  eines  veiivundeten  Löwen  zu 
vernehmen;  hier  das  Ohr  zeiTeissende  Schmerzensgeschrei ,  das 
weithin  die  Luft  durchgellt  bei  Schweinesclilachten;  dort  die 
Klagelaute  eines  qualzerrissenen  Halbgottes ;  hier  das  Wuthgeheul 
eines  Wahnsinnigen  in  der  Zwangsjacke,  der  sich  einbildet,  Her- 
cules zu  seyn  und  demgemäss  rast  und  zetert.  Einzelne  lichte 
Momente  von  minder  kettentollen  Wuthausbrüchen  ersticken  in 
dem  wüsten  Gepolter,  wie  Funken  in  quabnenden  Rauch  wirbeln. 

Die  Situation  in  der  Scene  zwischen  Hercules  und  seiner 
Mutter  Alcmene,  dem  Euripides  vielleicht  nachgebildet,  wie  er- 
schütternd, wie  herzzeiTeissend  müsste  sie  nicht  wirken,  wenn  sie 


440  Das  römische  Drama. 

nicht,  von  diesem  Uebermaass,  dieser  Unnatur,  diesen  monströsen 
üeberladungen  erdriickt,  stöhnte  gleichsam,  wie  verschüttet  unter 
einem  eingestürzten  Bergschacht,  oder  wie  der  Büffel  in  den  üm- 
schnürungen  einer  Boa  keucht  und  brüllt  und  ächzt: 

Hercules.    Mir  ist  es,  Mutter,  als  ob  mir  die  H}'dra 
Und  tausend  Ungeheu'r  zumal  mit  ihr 
Im  Innem  wütheten.     So  brennt  nicht 
Die  Gluth,  die  dort  Sicania's  Wolken  leckt, 
So  Lemnos  nicht,  so  nicht  der  heisse  Pol  .  .  . 

0  mater,  Hydram,  et  mUle  cum  Lerna  feras 
Errare  mediis  credo  visceribus  meis. 
Quae  tanta  nubes  flamma  Sicanias  bibit? 
Quae  Lemnos  ardens?  quae  plaga  ignü'eri  poli? 

Häufungen  auf  Häufungen;  ein  Klimax  über  den  andern,  die 
himmelschreiendsten  Prahlereien,  Pochen  und  Poltern  und  kein 
Ende: 

Und  lag  der  Pindus, 

Der  Hämus,  und  der  Athos  selbst  auf  mir  .  .  . 

Und  Mimas  auch,  den  Jovis'  Blitze  spalten ; 

Und  stürzte,  Mutter,  selbst  die  Welt  auf  mich, 

Und  wenn  die  Achse  sich  von  Phöbus  Wagen 

Entzündete  zu  meinem  Leichenfeuer: 

Nie  würde  ein  unmännlich  feiger  Schrei 

Herakles'  Mannheit  schänden  .  .  . 

Und  schreit  immer  toller,  und  kommt  aus  der  Schreiwuth  nicht 
heraus.     Plötzlich  springt  er  rasend  auf: 

Wo  ist  die  Pest?  (Dejanira) 

Reicht  mir  den  Bogen !  —  doch  mein  Arm  ist  stark 
^  Auch  unbewehrt.    Komm'  an !  komm'  an ! 

Sinkt  zusammen.  Das  hielten  auch  ein  Dutzend  kretensischer 
Stiere  niclit  aus.  Er  fällt  in  tiefen  Ermattungsschlummer;  er- 
wacht in  Verzuckungs- Visionen  und  glaubt  sich  im  Himmel: 

Was  klingen  an  mein  Ohr  für  Himmelstöne  .  .  . 
Ich  seh'  des  reinen  Aethers  Strahlenburg  .  .  . 

Inzwischen  hat  Hyllus  den  Tod  seiner  Mutter  Dejanira  gemeldet 
und  den  wahren  Sachverhalt  erzählt.  Hercules  beruhigt  sich  mit 
den  schönen,   kurzen  Worten:  „Sie   hat  gebüsst,  es   ist  vorbei!" 


Seneca's  Thebais.  441 

(Habet,  peractum  est.;  —  Er  sieht  ein  altes  Orakel  erfüllt,  er- 
sucht den  Philoctet,  ihm  den  Holzstoss  zu  bereiten,  heisst  sei- 
nem Sohne,  sich  mit  Jolen  vermählen  und  tröstet  seine  Mutter 
durch  die  Erinnerung  an  seinen  Kuhm  und  seine  Unsterblichkeit. 
Im  Schlussgesang  des  Actes  bittet  der  Chor  den  Sonnengott, 
des  Helden  Tod  der  ganzen  Welt  zu  verkünden,  weissagt  seine 
Vergötterung  mit  der  Flehbitte  an  Zeus:  keine  Ungeheuer  und 
Tyrannen  mehr  niederzusenden,  da  der  Held  von  himien  gehe, 
der  gegen  sie  die  Welt  geschützt.  Die  Tragödie  ist  zu  Ende, 
aber  nicht  für  den  Dichter.  Er  setzt  noch  einen  fünften  Act  als 
Pelion  auf  den  Ossa,  worin  Philoctet  der  Amme  Bericht  ab- 
stattet von  den  Bäumen,  Holzarten,  Stämmen  und  Scheiten,  die 
zum  Holzstoss  für  Hercules'  Verbrennung  geschichtet  wurden, 
nebst  den  verschiedenen  Aexten,  Keilen  und  Beilen,  die  dabei 
mitgewirkt ;  die  Verbrennung  ungerechnet,  deren  Schilderung  drei 
Seiten  einnimmt.  Dann  kommt  erst  noch  Alcmene  mit  dem 
Aschenkrug,  wozu  sie  andere  drei  Seiten  braucht.  Darauf  be- 
ginnt sie,  mit  dem  Chor  einen  Todtengesang  anzustimmen,  der 
sobald  nicht  aufhört.  Nachdem  diess  geschehen,  ist  das  Stück 
noch  lange  nicht  aus,  dauert  vielmehr  noch  drei  Seiten,  die  Her- 
cules' Erscheinung  am  Himmel  und  sein  Schlussbericht  in  An- 
spruch nehmen.  Nun  erst  besingt  der  Chor  den  „erlauchten 
Scheusaltödter"  (domitor  magne  ferarum),  und  feiert  ihn  als  künf- 
tigen Blitzschleuderer,  der  mit  dem  Donner  besser  Bescheid  weiss, 
als  sein  Vater  Jupiter: 

Fortius  ipso  genitore  tuo 

Fiilmina  mittes. 
Mächtiger  als  selbst  dein  Erzeuger  wirst 
Blitze  du  schleudern. 

Das  wusste  Hercules  längst,  und  hat  auch  das  ganze  Stück  hin- 
durch hinreichend  darauf  gepocht. 

Thebais.  Oder  Phoenissae,  wie  sie  in  der  „Handschrift 
der  Mediceer"  heisst,  welche  Gronovius,  wegen  der  Trefflichkeit 
ihres  Textes,  die  „goldene"  nannte.  Möchte  doch  die  Handschrift 
weniger  golden  seyn,  und  die  Tragödie  dafür,  ihrer  Vortrefflichkeit 
halber,  das  Epitheton  verdienen.  So  aber  ist  sie  die  Schlacke 
aus  den  edlen  Erzen  der  Fabelstofte  abgeschäumt  und  zusam- 
mengebacken, woraus  Aeschylos  und  Sopiiokles  unsterbliche  Kunst- 


442  Das  römische  Drama. 

werke  gebildet:  jeuer  die  Sieben  gegen  Theben;  Sophokles  den 
Oedipus  auf  Kolonos  und  Emipides  seine  Phönissen,  eine  Tragödie, 
welche,  wie  sehr  sie  Stückwerk  seyn,  und  jenem  aus  allerlei  Me- 
tallen gegossenen  Köuigs-Standbilde  in  Goethe's  Märchen  gleichen 
mag,  immerhin  ein  Gusswerk  bleibt,  das  einen  König  bedeutet. 
Von  des  Römers  Thebais  dagegen,  die  aus  der  Hand  ihres  Schöpfers 
bereits  als  Stümmelwerk  hervorgegangen,  liegt  blos  der  unförm- 
liche Emupf  da,  ein  Mischklumpen  von  Aeschylos'  Sieben  und 
von  Euripides'  Phönissen,  und  daneben  der  abgebrochene  Kopf, 
die  carikii*te  Maske  von  Sophokles'  Oedipus  auf  Kolonos.  Der 
Schluss,  die  thönernen  Füsse  zu  dem  Götzen -lOumpwerk,  ist 
ganz  in  Staub  zerfallen ;  von  den  thönernen  Füssen  ist  keine  Spur 
zurückgeblieben. 

Der  erste  Act  besteht  aus  dem  Bruchstück,  einer  ersten  Scene, 
welche  ihrer  Länge  nach  für  den  vollen  Act  gelten  kann.  Sie 
ist  eine  Nachahmung  der  ersten  Scene  des  Oedipus  auf  Kolonos 
mit  deren  erstem  Vers: 

„0  du  des  blinden  Vaters  Führerin", 

sie  sogar  beginnt.  Nur  schweift  hier  der  blinde  Oedipus  mit  sei- 
ner Tochter  Antigone  in  den  Wäldern  bei  Theben  umher,  die  er 
mit  den  wildesten  Ausbrüchen  seiner  gegen  sich  selbst  rasenden 
Zornwuth,  als  mit  eben  so  \^elen  reissenden  Wölfen  bevölkert. 
Von  seinem  wilden  Geheul  hallt  der  Forst  des  Kithäron  "^\ieder. 
Der  geblendete  Königsgi'eis  verflucht  sich,  seine  Söhne,  Vater 
und  Mutter,  den  Kithäron,  die  Sphinx,  die  er  herbeiruft,  ihn  zu 
zeiTeissen,  und  schilt  und  flucht  seine  Tochter  Antigone,  „des 
Müden  einzige  Stütze,"  von  sich  weg: 

Nennst  du  das  Kiudeslieb,  des  Vaters  Leiche 
Grablos  umher  zu  zerren?  .  .  . 

Die  fromme,  treue  Tochter  klammert  sich  nur  fester  an  den  To- 
benden : 

Nein,  keine  Macht  reisst  in  eine  Hand  von  dir, 
0  Vater,  nichts  trennt  mich  von  deiner  Seite. 

Die  schönsten  Züge  kindlicher  Sel])staufopferung  und  zärtlichster 
Liebespflege,  die  Sopholdes'  Antigone  mit  allen  Reizen  rührender 


Thebais.     Oedipus.    Antigone.  443 

Holdseligkeit  wie  mit  einem  himmlischen  Lichtscheiue  umfliessen 
und  die  grause  Tragik,  die  von  Oedipus  ausgeht,  lieblich  mildern, 
—  neben  diesem  fortwährend  Flüche  schnaubenden  Oedipus  er- 
scheinen selbst  die  rührendsten  Züge,  die  herzbewegendsten  Laute 
von  der  grellen  Missfarbe  seines  verwilderten  Pathos  befleckt. 
Ihren  iimigsten  Zuspruch  weist  er  scheltend  zurück  und,  die  Fäuste 
in  die  Augenhöhlen  bohrend,  ruft  er: 

Jetzt  lass  deine  Hand  in  dem  Gehirn  wühlen  .  .  . 

Bis  zur  Verzerrung  sehen  wir  die  Affectbetonungen  entstellt  und 
in  lauter  Dissonanzen  zerrissen;  alle  Gemüthsbewegungen  von 
dieser  lärmenden  Eintönigkeit  eines  zwölf  Seiten  füllenden  Tira- 
densturms  übertobt.  Wie  die  Umwohner  jener  Syrten  von  den 
Nilkatarakten,  so  müssen  Furcht  und  Mitleid  stocktaub  werden 
von  dem  rastlosen  Zeter- Getöse  solchen  Fluchgeheuls  und  Jam- 
merwüthens ;  so  stocktaub,  dass  sie,  mit  dem  besten  Willen,  selbst 
diese  Polterwuth  nicht  mehr  vernehmen.  Contraste,  Motive,  See- 
lenzustände  erstarren  wie  betäubt  und  stehen  still  gleichsam,  wie 
Mühlräder,  von  jähen  Wasserfluthen  überstürzt  und  begTaben  un- 
ter dem  brausenden  Geräusch.  Antigone's  herzinniges  Liebkosen, 
besänftigendes  Schmeicheln,  Beschwichtigen  des  rauh  unbändigen 
Vatergrimmes,  —  muss  diese  bezaubernde  Annmth  holdseliger 
Kindlichkeit  nicht  auch  zuletzt  sich  überbieten,  sich  überschreien 
gleichsam,  um  nm-  zu  Worte  zu  kommen?  Zu  Trostgrüuden  sich 
überspannen,  die  eher  aus  den  Schriften  der  Stoiker,  aus  Seneca's 
Abhandlung  de  consolatione,  geschöpft  scheinen,  als  aus  dem  Her- 
zen eines  Mädchens,  einer  Tochter,  die  ihren  Gram  wegiächelt, 
um  mit  keiner  Thräne  das  Augenlicht  zu  trüben,  das  für  ihren 
unglückliclien  Vater  sehen,  und  liell  l)leiben  muss  und  klar?  Man 
möchte  selber  fluchen,  wie  Oedipus,  über  diese  lästerliche  Tragik, 
die  das  Heiligste,  was  ein  Menschenherz  bewegt  und  erschüttert, 
um  es  zu  lichten  und  zu  läutern:  den  Schmerz,  entmenscht,  an- 
statt ihn  zu  vergöttlichen ;  ihn  zum  Folterkrampf  verrenkt,  anstatt 
ihn  reinzuschmelzen  in  seinem  eigenen  Feuer  von  aller  irdischen 
Qual,  und  den  Verzweiflungsjanmier  selbst  durch  den  Rhythmus 
seiner  Khigergüsse  und  den  melodischen  Sti'om  seiner  Schmerz- 
gewalt von  allen  trüberdigen  Missgofühlen  zu  reinigen  und  zu 
befreien.     Uebermenscldich,  gottverhängt,  und  (hu um  eben  göttlich 


444  Das  römische  Drama. 

und  me  von  Gottes  Feuerhauch  durchloht,  muss  der  tragische 
Schmerz  erscheinen,  nicht  unmenschlich,  nicht  bis  zu  thierischer 
Wuth  verwildert. 

Zuletzt  wird  es  dem  gi-eisen  Polterer  selbst  zu  viel.  Gegen 
den  Schluss  hin  fällt  er  aus  der  Tobsuchts-Kolle  und  wird  die 
Geduld  und  Nachgiebigkeit  selbst  und  zerschmilzt  in  die  liebe- 
seligste Geographie: 

Nichts  fällt  inii*  schwer,  nichts  ist  mir  unerträglich 
Wenn  du  es  Avillst.     Gebeut  nur  und  Oedip 
Durchschwimmt  auf  dein  Geheiss  des  Aegeus  Sund; 
Die  Flammen,  so  die  Erd'  aus  Aetua's  Schlund 
In  Strömen  wirft,  ich  sauge  sie  dir  auf. 

Und  nun  mit  einer  weichen  Cadeuz  in  die  Mythologie  hinüber- 
schwärmend : 

Ich  werfe  mich  dem  Drachen  vor,  der  grimmig 
Ob  des  Herakles  Eaub  im  Forste  zischt  — 

verhaucht  er  seine  lammfromme  Folgsamkeit  in  ein  Tremolo  aus 
der  Naturgeschichte: 

Ich  biete  meine  Brust  den  Raben  dar 

Auf  dein  Geheiss,  und  ist's  dein  Wunsch,  hab'  ich 

Auch  Muth  zu  leben! 

Hiermit  bricht  der  Act  ab,  aber  nur  imi  als  Splitter  im  Fleische 
des  zweiten  Actes  fortzuschwären.  Oedipus,  von  einem  Thebaner 
zum  Friedensstifter  zwischen  seinen  Söhnen  aufgefordert,  stürmt 
nun  gegen  diese  los,  mit  Flüchen,  so  die  Mauerbrecher  aller  Sie- 
ben gegen  Theben  zu  Boden  schmettern:  „Wähnst  du,"  schnaubt 
er  Antigoue  zu,  die  des  Boten  Ansinnen  unterstützt: 

Wähnst  du  denn  einen  Greis  vor  dir  zu  sehn, 
Der  Mässigung  und  Ruh  imd  Frieden  liebt  V  .  .  . 
Dass  du  mich  Frieden  zu  vermittehi  rufst? 
Zorn  schwellt  diess  Herz,  es  schnaubt  vor  Wuth  . .  . 
Des  Bürgerkrieges  Graus  genügt  mir  nicht  — 

Der  Fluch  bricht  mitten  entzwei.  Das  eine  Stück  verschluckt 
Oedipus,  das  andre  bleibt  dem  Act  im  Halse  stecken,  so  dass 
der  Act  selbst  daran  zum  Fragment  erstickt. 

Der  dritte  Act  besteht  aus  drei  kleinen  Sceneii.     Die  erste, 


Thebais.    Jocaste  und  ihre  Söhne.  445 

zwischen  Jocaste  und  Antigene,  füllt  Jocaste  allein  mit  der  Glück- 
preisiing  ihrer  Vorgängerin,  der  Mutterkönigin  und  „blutigen  Mä- 
nade",  Agave,  indem  diese  doch  wenigstens  das  Haupt  ihres  Soh- 
nes auf  den  Thyrsus  gespiesst  einhertragen  dmfte.  In  der  zwei- 
ten Scene  erlässt  der  Thebanische  Thürwächter,  von  der  Warte 
herab,  eine  Aufforderung  an  Jocaste,  sich  zwischen  die  kämpfen- 
den feindlichen  Brüder  zu  weifen.  Sie  stürzt  davon.  Der  Thür- 
mer  beschreibt  Antigonen  die  Eile,  mit  welcher  die  Königin  zum 
Thor  hinaus  in's  Lager  gelangt  sey,  und  wie  sie  nun  die  beiden 
Heere  trennt.  Antigene,  die  den  Thrnm  bestiegen,  sieht  noch 
mehr:  sie  zeigt  dem  Thürmer  aus  solcher  Entfernung  die  Thrä- 
uen,  die  der  Mutter  die  Wangen  netzen.  Das  Weitere  verschweigt 
der  Act.  Von  Oedipus  verlautet  keine  Silbe.  Im  vierten  Act 
wird  seiner  nur  erwähnt.  Dieser  Act  zeigt  die  Mutter  im  Lager 
zwischen  Polynices  und  Eteocles,  von  den  kampfbereiten  Kriegern 
umringt.  Die  Scene,  die  das  vor  Augen  stellt,  was  bei  Emipides 
der  Bote  berichtet,  ist  reich  an  dramatischen  Schönheiten  und 
wirkungsvollen  Bühnenmomenten;  in  Ton,  Haltung  und  Pathos 
wesentlich  von  dem  Vorhergehenden  verschieden,  so  dass  man 
einen  andern  Verfasser  vermuthen  darf: 

Jocaste  (zwischen  den  Söhnen). 
Auf  mich  kehrt  eure  Waffen  her,  auf  nnch 
Die  Flammen  eures  Grimms,  auf  mich  allein !  .  . 

Freund  und  Feind 

Durchbohre  diesen  Leib,  der  Brüder  dem 

Gemahl  gebar! —  ' 

0  reicht  die  Hände  eurer  Mutter,  reicht 
Mir  sie,  weil  sie  noch  rein  von  Bruderblut. 
Ein  Wahn  trieb  euch  7ai  dem  heiUosen  Kampf, 
Das  böse  Schicksal  trägt  des  Bösen  Schuld 
Dies  ist  der  erste  Schritt  zur  Sünde,  den 
Ihr  jetzo  wissend  thut  .... 
Die  Mutter  wirft  sich  zwischen  euch,  drum  endet 
Den  wilden  Streit;  wo  nicht,  so  tödtet  mich. 
Die  euren  grausen  Mordkampf  hemmt!    Wem  soll 
Die  aufgedrängte  Mutter  Ijittend  nah'n? 

Wen  soll  icli  Arme  denn  zuerst  umfah'n? 

(zu  Polynices) 
Umarme  mich  zuerst,  mein  Sohn,  der  du 
So  vieles  Ungemach  ertrugst,  nun  oullich 


446  ^^s  römische  Drama. 

Nach  langer  Tremiung  deine  Mutter  siehst. 
Komm'  näher,  in  die  Scheide  steck'  dein  Schwert, 
Das  Bruderblut  vergiessen  wollte.     Stoss' 
Den  Speer,  der  schon  in  deiner  Hand  bereit 
Zum  Wurfe  ki-eiste,  in  den  Boden.     Ach, 
Der  Schild  verwehrt,  dass  ich  das  Mutterherz 
An  deinen  Busen  schmiege,  wirf  ilm  weg! 

(Sie  entwaönet  den  Polynices  nach  und  nach.) 
Befrei'  die  Stirne  von  der  eh'rnen  Last, 
Leg  ab  den  krieg'risch  droh'nden  Helm  vom  Haupt, 
Lass  in  das  Antlitz  dir  die  Mutter  schau'n ! 
Wo  siehst  du  hin  ?  was  späh'st  mit  scheuem  Bück 
Du  nach  dem  Bruder?  —  Ich  umschlinge  dich. 
Ich  halte  schützend  dich  umfasst.     Er  kann 
Nur  durch  mein  Herz  den  Weg  zu  deinem  finden  .  .  . 

Das  kommt  vom  Herzen  und  dring-t  zum  Herzen.  Zu  diesen  ein- 
fachen, schmucklosen  Lauten  wahrer  Mutterempfindung  darf  sich 
der  trefflichste  Dichter  aus  Shakspeare's ,  oder  Schiller's  Schule 
bekennen;  hätte  sich  Schiller  selbst  wohl  bekennen  mögen,  der, 
wie  Shakspeare,  von  Seneca  manches  gelernt  und  benutzt  hat,  und 
dem  auch,  bei  der  Scene  zwischen  seiner  Isabella  und  ihren  feind- 
lichen Söhnen,  diese  in  Situation  und  Pathos  venvandte  mütter- 
liche Friedensvermittelung  in  der  Thebais  des  Kömers  vorschwe- 
ben mochte. 

Eteocles  bleibt  verstockt.  Jocaste  giebt  dem  Polynices  das 
Uuselige  der  Thebanischen  Herrschaft  zu  bedenken.  Der  Bruder 
sey  schon  hart  genug  dadurch  bestraft,  dass  er  herrscht: 

Das  Seepter  Thebens  trug 

Noch  keiner  ungestraft  .... 
Eteocles.      Sey's.    Ich  acht'  es  wünschenswerth, 

Zu  fallen  gleich  den  königlichen  Ahnen, 
(zu  Polynices) 

Dich  aber  zähle  ich  zu  den  Verbannten. 
Polynices.  So  herrsche  denn,  von  deinem  Volk  gehasst. 
Eteocles.     Wer  dieses  scheut,  der  soll  nicht  herrschen  wollen. 

So  hat  der  AUerschaffer  es  gefügt, 

Hass  und  Gewalt  sind  untrennbar  vereint. 
Jocaste.     Dem  guten  König  ziemt's  den  Hass  zu  sühnen. 
Eteocles.     Der  Untcrthanen  Liebe  ist  oft  nur 

Dem  HeiTScher  hinderlich.     Und  unbeschränkter 


Seneca's  Agamemnon.  447 

Darf  er  die  Macht  an  den  Empörten  üben. 
Nach  Liebe  geizen  nur  kraftlose  Fürsten. 

Verachtung  der  öffentlichen  Meinung,  der  Volkssjanpathien 
—  das  Schiboletli  starker  "Regierungen  —  man  sieht,  es  hat  seine 
Ahnen.  Nicht  blos  Dramatiker,  auch  Staatsmänner,  Minister  und 
Könige,  haben  ihren  Seneca  studiii.  Das  oderint  dum  metuant 
ist  und  bleibt  die  Staatskuiist  in  nuce  für  jede  starke  Regierung. 

Polynices.  Verhasste  Herrschaft  währet  nimmer  lang. 

Eteocles     (höhnisch). 

Die  Kunst  zu  herrschen  lerne  ich  von  Herrschern, 
Du  magst  uns  lehren,  was  Verbannten  ziemt  .  . . 

Polynices.  Nun  denn,  so  geh'  ich  für  mein  Herrscherrecht 
Das  Vaterland,  der  Ahnen  hohe  Burg, 
Und  selbst  die  Gattin  dem  Verderben  preis. 

Eteocles.    Das  Scepter  wird  zu  theuer  nie  erkauft  — 

Hier  bricht  die  Tragödie  an  der  Wurzel  ab,  aus  welcher  aber 
die  Scepter  der  starken  Eegierungen  lustig  foiisprossen  und  fort- 
grünen; wie  von  einer  Wurzel  nicht  anders  zu  erwarten,  die  so 
fleissig  aus  ihrem  unversieglichen  Jungbrunnen  begossen  wird: 
aus  dem  eisenhaltigen  Lebensborn  von  Blut  und  Eisen. 

Agamemnon  verdient  einige  Beachtung  wegen  der  völligen 
Umwandelung,  welche  der  Charakter  der  Klytämnestra  durch  den 
Römer  erfahren,  dessen  Agamemnon,  in  Fabel  und  Scenenfolge, 
eine  Nacliahmung  der  gleichnamigen  Tragödie  des  Aeschylos  ist. 
Der  Römer  hat  nämlich  das  titanische  Weib,  die  entschlossenste, 
unhemmbarste  aller  Blutherrinnen,  den  Rachedämon  (Alastor)  des 
Pelopiden-Hauses ,  wie  sich  Klytämnestra  bei  Aeschylos  selber 
nennt,  in  eine  reu müthige  Sünderin  umgestaltet  oder  richtiger, 
verunstaltet.  Allein  gerade  diese  Umkehrung,  diese  Caricatur 
antik  kolossaler,  bis  zur  Erliabenheit  furchtbarer  Verl)rechergrösse 
einer  Königin-Gattin  und  Mutter  ins  Schwächliche,  Bangmütliige 
nimmt  unsere  Aufmerksamkeit  in  Anspruch.  Gerade  diese  Ver- 
weinerlichung  von  Aeschylos'  Klytämnestra  zu  einer  Vorläuferiu 
von  Kotzebue's  Eulalia  Mainau,  unbeschadet  derselben  Frevelhaf- 
tigkeit und  VoUfülirung  derselben  Missethaten,  die  Aeschylos'  Kl}  - 
tämnestra  zu  einer  so  schreckenvollen  Grossartigkeit  erheben  und 
sie  zur  poetisch  mächtigsten  Verbrecherin  der  gesammten  Tragik 


448  I^^s  römische  Drama. 

weihen  —  gerade  diese  tragische  Misere  scheint  uns  das  einzig 
Merkwürdige  in  dem  Agamemnon  des  Römers.  Diese  klägliche 
Travestie  des  Römers  muss  ebenso  erwägenswürdig  in  Bezug  auf 
Umschwmig  und  Umstimmung  erscheinen,  welche  zeither  in  dem 
Begriffe  von  tragischem  Pathos,  von  dem  Wechselverhalten  zwi- 
schen Schuldcharakter  und  Schuldbewusstsejai,  eingetreten ;  als  ein 
solcher  klaffende  Bruch  durch  die  Entartung  allen  Kunstgefühls, 
aller  tragischen  Technik,  allen  Verständnisses  von  Charakterein- 
lieit  und  psychologisch-dramatischer  Haltung  übeiTaschen  und  er- 
schrecken muss.  Die  Klytämnestra  des  Römers  ist,  unseres  Er- 
achtens,  die  einzige  Verbrechergestalt  in  der  alten  Ti'agödie,  deren 
Pathos  das  Schuldgewissen  selber  seyn  soll;  mit  deren  reuevoller 
Schulderkenntniss  es  der  Dichter  auf  unsere  Theilnahme,  unsere 
Rührung,  unser  tragisches  Mitleid  abgesehen.  Andererseits  ist 
der  Abstich  gegen  die  Behandlung  des  veiivandten  Pathos  in  der 
Medea  wieder  so  auffallig,  und  wird  das  Gewissens-Motiv,  das 
wir  im  Thyestes  noch  wie  gebunden  und  in  blossen  Ahnungen 
befangen  fanden,  in  der  Klytämnestra  so  stark,  so  vorherrschend 
betont,  dass,  wenn  bei  ii'gend  einer  von  diesen  Tragödien,  bei 
dem  Agamemnon  der  Verdacht  einer  weit  spätem  Abfassung  oder 
Fälschung  gerechtfertig-t  erscheint.  Wir  glauben  in  demselben 
noch  deutlichere  Spuren  von  den  Empfindungs-  und  Anschauungs- 
weisen, die  in  der  christlich-römischen  Poesie  des  vierten  Jahr- 
hunderts üiren  Ausdruck  fanden,  zu  bemerken,  als  einige  Chorpar- 
tien in  andern  diesen  Tragödien  uns  zu  verrathen  schienen. 

Wie  in  Thyestes  der  Schatten  des  Tantalus,  so  tritt  hier  der 
Schatten  des  Thyestes  als  Prolog  auf,  Betrachtungen  anstel- 
lend über  die  von  ihm  verübten  Gräuel  und  den  Aegisthus 
zui'  Rache  aufrufend,  seinen  mit  der  eigenen  Tochter,  Pelopia, 
erzeugten  Sohn,  Sohn  und  Enkel  zugleich.  Aus  diesem  erbauli- 
chen Prolog  und  dem  von  Argi  vi  sehen  Frauen  gesungenen, 
die  Wandelbarkeit  der  Herrschaft  und  Herrscher  ei-wägenden  Chor- 
liede  besteht  der  erste  Act.  Den  zweiten  beginnt  Klytämne- 
stra mit  einem  Selbstgespräch,  das  ihren  zwischen  frevelhaften 
Ansclilägen  und  Gewissonszweifelii  schwankenden  Gemüthszustand 
schildert.  Die  unumgängliche  Amme  steht  schon  auf  der  Lauer, 
um  ihr  Warnungs-  beziehendlich  ihr  Kuppelgeschäft  anzutreten; 
unter  allen  Umständen  aber  ihrer  Aufgabe  nachzukommen:   sich 


Seneca's  Agamemnon.  449 

SO  rasch  wie  möglich  ihres  ganzen  Vorrathes  an  guten  Leh- 
ren zu  erledigen,  um  das  schaudervolle  Verbrechen,  wovon' sie 
eifrigst  abgerathen,  selbst  in  die  Hand  zu  nehmen,  oder  doch 
wenigstens  hülfreiche  Hand  dabei  zu  leisten.  Clytämnestra  schüttet 
ihr  Herz  vor  der  Amme  aus,  ein  Potpourri  der  verschiedenartig- 
sten Leidenschaften,  bunt  durcheinander: 

Ha,  Feuer  zehrt  in  Mark  und  Herzen  mir. 
Mich  stachelt  Eifersucht  und  Furcht  zugleich, 
Haas  pocht  in  meinem  Busen  und  es  drückt 
Den  Geist  unwürd'ge  Liehesgluth  ins  Joch, 
Die  sich  nicht  zähmen  lässt.    Und  zu  den  Flammen, 
Die  all'  mein  Herz  durchglüh'n.  gesellt  sich 
Noch  des  Gewissens  Sturm  ')  und,  wiewohl  matt, 
Kämpft  noch  die  fast  erloschne  Scham  empor. 

Jenem  Aeolus-Sclilauch  des  Ulysses  entstürzten  nicht  mehr  sich  ge- 
genseitig bekämpfender  und  einander  in  den  Haaren  liegender  Winde, 
als  aus  Clytämnestra's  der  Amme  geöfthetem  Herzen  Gemüths- 
stüraie  hervorbrechen.  In  dieser  Kathlosigteit  hält  sie  es  für  das 
Beste,  „ihr  Schiff"  den  Wogen  zu  überlassen  und  sich  dem  Zufall 
heimzugeben."  Nichts  desto  weniger  besteht  sie,  dem  Aegisthus 
gegenüber,  der  sich  inzwischen  eingestellt,  um  sie  an  ihre  gemein- 
schaftliche Rache  zu  erinnern,  auf  ihrem  unerschütterlichen  Ent- 
schluss,  künftig  einen  tugendhaften  Lebenswandel  zu  führen:  „Ehe- 
liche Treue  fttln-t  mich  zu  meiner  Pflicht  zurück"  .  .  .  „Zur  Tugend 
kehrt  man  im  Zwiespalt  zmück."  Die  Amme  segnet  ihr  Vorha- 
ben: „Wer  seine  Schuld  bereut,  ist  fast  entsühnt."  Aegisthus 
erinnei-t  sie  an  Agamemnon'«  Liebschaften,  stachelt  ilu'e  Eifersucht. 
Vergebens.  Clytämnestra  pocht  auf  ihre  Scham:  „In  meiner 
Brust  erwacht  die  vorige  Scham."  Gieb  dir  keine  Mühe,  von 
jetzt  ab  gürtet  Scham  den  keuschen  Leib.  Aegisthus  wird  aus- 
fallend und  listig.  Clytämnestra's  tugendhafte  Entrüstung  kennt 
nun  keine  Schranken  mehr.  Sie  fühlt  sich  in  der  ganzen  Würde 
einer  zu  ihrer  Pflicht  zurückgekehrten  Gattin,  Mutter  und  Königin, 
der  die  Scham  in  die  Krone  steigt.  Glühend  vor  Zorn  und  em- 
pörtem Reumuth  weist  sie  ihrem  abgedankten  Buhlen  die  Thür: 


1)  Mentis  obsessac  facos  v.   1.'<G. 
II.  29 


450  ^*^^  rüuiisclie  Drama. 

Des  fremden  Bettes  Freuden 
Zu  stehlen  hast  vom  Vater  du  gelernt, 
Und  dich  in  unerlaubtem  Lustgenuss 
Allein  als  Mann  erprobt.  —  Auf,  hebe  dich 
Von  hinnen!  geh  aus  meinen  Augen,  foi-t! 
Und  mit  dir  zieh  des  Hauses  Schmach  hinaus. 
Dem  Mann,  dem  König  offen  steht  das  Haus. 

Aegisth  lässt  die  Ohren  hängen  und  will  sich  empfehlen. 
Da  besinnt  sich  Clytämuestra,  dass  unter  andern  Leidenschaften, 
die  sie  mit  ihrem  Herzen  vor  der  Amme  ausgeschüttet,  auch  „un- 
würdige Liebesgluth"  sich  befindet,  und  stellt  sich  stracks  mit 
dieser  dem  Aegisthus  in  den  Weg:    Sey  kein  Narr! 

Meinst  du,  des  Tj'udars  Tochter  sey  so  grausam 
Und  üess  es  zu?  Mit  dir  vereint  hab'  ich 
Gesündigt,  drum  ist's  Pflicht,  dem  Schuldgenossen 
Die  Treu'  nicht  zu  verletzen.     Komm  mit  mir, 
Lass  die  gefahrvoll  zweifelhafte  Lage 
Gemeinsam  uns  bedenken  und  berathen. 

Edles,  gewissenhaftes  Weib!  Wie  schön  dämpft  sie  die  dämoni- 
sche Grösse  von  Aeschylos'  Klytämnestra  zu  dem  allgemein  mensch- 
lichen Maasse  einer  gewöhnlichen  Ehebrecherin  ab,  die  in  ihrem 
Ehebette  sich  mit  Gewissensbissen  abfindet,  wie  mit  gewissen 
Bissen  anderer  Bettgenossen.  Keiner  vernünftigen  Ehebrecherin 
fällt  es  ein,  desswegen  lit  ä  part  zu  machen. 

Das  Haupt  bekränzt  und  mit  Lorbeerzweigen  in  den  Händen 
stimmen  die  argolischen  Chor-Jungfrauen  ihren  Friedenshynmus 
an,  worin  Apollo  der  Schutzgott  des  Hausaltars,  Juno  die  Schir- 
merin  der  ehelichen  Treue  und  Pallas,  die  jungfräuliche,  geprie- 
sen werden. 

Der  dritte  Act  führt  den  Eurybates  als  Boten  und  An- 
melder Agamemnon's  herbei,  der  an  sechs  Seiten  und  über  zwei- 
hundert Verse  braucht,  um  den  Seesturm  zu  ])eschreiben,  der  die 
griechischen  Schiffe  auf  der  Heimfalirt  theils  zerstreute,  theils 
versenkte.  Doch  möchte  diese  weitläufige  Schilderung  leicht  das 
Beste  in  der  Tragödie  seyn.  Die  ScliiUlerung  des  Sturms  darf 
man  meisterhaft  nennen.  Sie  übertrifft  die  des  Virgil  im  zweiten 
Buch  der  Aeneis  weitaus  an  Kraft  und  Kühnheit.  Der  Glanz- 
punkt in  dem  Gemälde  ist  der  Untergang  des  Ajax  Oileus: 


Seneca's  Agamemnon.     Zweiter  ('hör.  451 

Ajax  allein,  von  all  dem  Unheil  nicht 
Geheuget,  ringt  umher.     Als  er  die  Segel 
Alit  straffem  Tau  zusammenraffen  will, 
Da  trifft,  herabgeschleudert,  ihn  der  Strahl  .  .  . 

— ■  —  Der  schmettert  durch  und  durch 

Den  Ajax  und  das  Schiff,  und  reisset  ihn 
Zusammt  des  Schiffes  Hälfte  mit  sich  fort. 
Auch  dieses  schreckt  ihn  nicht,  ringsum  versinkt 
Eagt  er,  ein  schroffer  Felsen,  aus  der  Fluth 
Empor,  und  theilt  mit  starkem  Arm  die  Wellen, 
Strebt  mit  mannhafter  Brust  dem  Wogensturm 
Entgegen,  zieht  das  Schiff  an  sich,  und  sieht 
HeUleuchtend  in  der  finstern  See,  dass  sie 
Im  Widerschein  von  ihm  weithin  erglänzt. 
Endlich  fasst  er  ein  Eiff,  brüllt  wüthend  auf: 

,, Besiegt  hab'  ich  das  Feuer  und  die  See 

Dem  Kriegesgott  mit  seinen  Schrecken  allen. 

Ich  wich  ihm  nicht;  den  Hector  und  den  Mars 

Bestand  ich  kühn  im  Kampf  .... 

Und  jetzt  sollt'  ich  vor  der  erborgten  Waffe, 

Von  schwacher  Hand  (von  Pallas)  auf  mich  herabgeschossen, 

Vor  dir  erzittern?  —  Ha,  und  schleuderte 

Er  (Jupiter)  seinen  Donner  selbst,  ich  bebte  nicht!" 

Und  immer  lästert  noch  der  Easende, 

Da  hebt  Neptun  sein  Haupt  aus  tiefer  See, 

Und  schlägt  mit  seinem  Dreizack  an  den  Fels, 

Dass  er  zusammstürzt,  und  ihn  mit  begräbt. 

Da  liegt  er  nun,  von  Feuer,  Erd'  und  Meer, 

Der  jetzt  noch  kühn  getrotzt,  zumal  besiegt. 

Möglich  auch,  dass  der  Körner  eine  giiechische  Vorlage  be- 
nutzt aus  einer  verlorenen  Ajax  Oileus-Tragödie,  dergleichen  von 
den  drei  grossen  Tragikern  der  Griechen  vorhanden  waren. 

Nun  tritt  ein  zweiter  Chor  auf:  gefangene  Trojane- 
rinnen, Cassandra  an  ihrer  Spitze,  der  Troja's  Fall  mit  stoi- 
scher Todesverachtung  besingt. 

Den  vierten  Act  nimmt  Cassandra's  Wahnsinns-Prophezeihung 
in  Beschlag,  eine  unglückliche  Nachahmung  der  ähnlichen  Scen^m 
im  Agamemnon  des  Aeschylos.  Der  Römer  hat  nur  die  Metliode 
abgeselien.  Der  Wahnsinn  selbst,  als  poetische  Begeisterungs- 
Verzückung,  ist  ihm  zu  einer  sich  wie  veiTückt  geberdenden  Rhe- 
torik erstarrt. 

2if 


452  ^^^  röiuisehe  Drama. 

Den  Act  beschliesst  der  Argivische  Jungferiichor  wieder, 
aber  im  Sinne  der  wahnsinnigen  Cassandra,  indem  er,  ausser 
allem  Zusammenhange  mit  einer  Agamemnon-Tragödie,  die  Tha- 
ten  des  Hercules  besingt.  Zwischen  diesem  aberwitzigen  argoli- 
schen  und  dem,  im  Wechselgesang  mit  Cassandra,  um  die  Wette 
geistesabwesenden  Trojanischen  Fraueuchor  stimmt  Agamemnon 
ein  Dankgebet  an  für  seine  glückliche  Heimkehr  an  Jupiter  und 
Juno,  und  begiebt  sich  au  der  Seite  Clytämnestra's  in  den  Palast, 
nachdem  er  einem  Theil  seines  Gefolges  die  Beaufsichtigung  bei- 
der verrückten  Frauen-Chöre,  Cassandra  natürlich  mit  eingeschlos- 
sen, übertragen: 

Sie  möchten  sonst  in  der  Begeisterungswuth, 
So  ihrer  selbst  nicht  mächtig,  Unheil  stiften 
(Ne  quid  impotens  peccet  furor). 

Das  Unheil  bleibt  nicht  aus.  Im  fünften  Act  vergisst  Cas- 
sandra, dass  es  der  fünfte  ist,  und  ras't  stramm  und  munter  fort, 
als  war'  es  noch  immer  der  vierte.  Plötzlich,  auf  der  Höhe  des 
Paroxysmus,  schnappt  sie  über  in  die  Vision  von  Agaraemnon's 
im  Innern  des  Palastes  eben  vor  sich  gehender  Ermordung.  Die 
Vision  trägt  aber  durchaus  nicht,  wie  bei  Aeschylos,  den  Charak- 
ter prophetischen  Wahnsinns,  sondern  des  nüchtern  verstän- 
digsten Botenberichtes,  der  Zug  für  Zug  den  Vorgang  in  aller 
Ausführlichkeit  erzählt.  Hierauf  stürzt  p]lectra  aus  dem  Hause, 
mit  dem  kleinen  Orestes  auf  der  Flucht.  Wie  gerufen,  kommt 
ihr  Strophius,  König  von  Phocis  und  sein  Sohn  Pylades  auf 
halbem  Wege  entgegen,  nehmen  den  kleinen  Orest  in  Empfang 
und  eilen  mit  ilmi  ab.  Electra  kniet  neben  Cassandra  am  Altar 
nieder.  In  diesem  Unsal  von  tragisch-dramatischer  Wüstheit  ein 
Silberblick,  dessen  wohlthuende  Wirkung  der  rohe  Schluss,  eine 
gemeine  Zankscene  zwischen  Aegisthus,  Clytämnestra  und  Electra, 
wieder  schmählich  zerstört.  Electra  lässt  Clytämnestra  von  Knech- 
ten zmn  letzten  fernsten  Winkel  ihres  lleichs  fortschleppen: 

Dort  werfet  sie  in  einer  Höhle  finstre  Nacht! 
Cassandra  wird  von  Trabanten  vom  Altare  weggerissen  und  un- 
ter Flüchen  und  Verwünsclumgen  abgeführt: 

Clytänin.    Stirh,  Rasende! 
Cassandra  (im  Abgehen). 

Auch  ilir  sollt  rasen  einst! 


Seneca's  Oodipiis.  453 

Ein  solches  Ende  einer  Tragödie  zeigt,  dass  es  mit  der  Tragödie 
überhaupt  am  Ende  ist. 

Unserem  Dichter  schien  jedocli  dieser  Beweis  nicht  zwingend 
genug.  Er  vermaass  sich  mit  König  Oedipus  zu  sagen:  „Von 
Grund  aus  bring  ich's  an  das  Licht",  die  Wahrheit  nämlich,  dass 
es  mit  der  griechischen  Tragödie  völlig  aus  ist;  dass  er,  ein  zwei- 
ter Oedipus,  seinen  Vater,  den  Sophokles,  erschlagen,  mit  seiner 
Mutter,  der  griechischen  Tragödie,  in  einer  blutschänderischen 
Gräuelehe  gelebt  und  demgemässe  Kinder  mit  ihr  gezeugt.  Un- 
ser Römer  wollte  den  unverwerflichsten  Beweis  dieser  Wahrheit 
liefern  und  schrieb  den 

Oedipus.  Wir  haben  die  Kunst  des  grössten  Meisters, 
des  Sophokles,  nicht  unversehrt  aus  dem  Ringkampfe  mit 
Verwickelung  und  Entwickelung  in  seinem  „König  Oedipus" 
heiTorgeheu  sehen.  Welche  Knotenschürzung  und  Lösung  Hess 
sich  nun  gar  von  einem  Tragiker  erwarten,  dessen  grösste 
Schwäche,  nächst  der  völligen  Baarheit  an  poetischer  Em- 
pfindung und  Idealität,  gerade  die  Technik  ist  und  der,  was 
Kmistverstaud  und  Composition  betrifft,  selbst  neben  Euripides 
als  ein  Barbar  erscheint?  Wie  hat  er  die  unübertreffliche,  mit 
vollem  Recht  von  den  Kunstrichtern  aller  Zeiten  bewunderte  Ex- 
position in  Sophokles'  K.  Oedipus,  wie  hat  er  sie  zu  einem 
stumpfen  Eingangs- Dialoge  zwischen  Oedipus  und  Jocaste  urage- 
stümpert,  um  nicht  zu  sagen,  verhunzt.  Mit  welchem  ausgesuch- 
ten Ungeschick  ist  er  gerade  auf  die  Sandbänke,  Klippen  und 
Scheeren  mit  vollen  Segeln  aufgefahren,  durch  welche  der  kun- 
digste aller  Piloten,  der  die  Tiefen  und  Untiefen,  die  Strudel  und 
Wirbel  der  tragischen  Fabel-Intriguen,.  wie  kein  Anderer,  kennt, 
sein  Falu'zeug  nicht  ohne  Leck  hatte  hindurchschmiegen  können. 
Die  Scheerenklippe  vor  allem:  dass  Oedipus  nichts  merkt  und 
nichts  vermuthet,  trotz  den  handgreiflichsten  in's  Auge  springen- 
den Andeutungen  und  Fingerzeigen.  Mit  welcher  auserlesenen 
Ueberraschungskunst  fallt  der  Römer  gleich  in  der  ersten  Scene, 
wo  Creon,  aus  Delphi  zurückgekehrt,  den  Orakelbescheid  dem 
Oedipus  meldet,  mit  der  Thür  hinaus,  indem  er  den  Creon  schon 
jetzt  seinem  Scliwager  Oedipus  das  Hauptlicht  aufstecken  lässt, 
das  in  diesem,  bei  Sophokles,  zuerst  die  Schreckensahnung  weckt, 
er  sey  der  Mörder  des  Lajus.    Wir  meinen  jenes  Begegniss  auf 


454  '^'^'^  römisrlu'  Drama 

dem  Dreiweg  in  Phocis,  welchen  unser  Creon,  auf  die  Frage  des 
Königs:  „Wo  ist  der  Ort?''  demselben  genau  beschreibt.  ')  Oedi- 
pus,  da  gerade  Tiresias  eintritt,  steckt  Creon's  Wink  mit  dem 
Zaunpfahl  rasch  ein,  den  Seherfürsten  ganz  unbefangen  mit  der 
Anfrage  begrüssend:  „Du  gottgeweihtes  Haupt,  deut  uns,  und 
sag',  wen  trifft  sein  Strafgericht?"  Der  Schlauerian,  denkt  Je- 
der, der  Duckmäuser!  Hat  eben  den  Wink  mit  dem  Zaunpfahl 
in  den  Geren  seines  Kleides  geschoben,  und  thut,  als  wüsste  er 
von  nichts.  Der  Pfiffikus  weiss  recht  gut,  wie  der  Hase  läuft, 
und  foppt  nur  die  Leute,  und  sprengt  seinen  Schwager  nach 
Delphi;  incommodirt  den  blinden  Seherfürsten  und  lässt  ihn  mit 
seiner  Tochter,  der  Wahrsagerin  und  Eingeweideschaueriu,  Manto, 
kommen  und  nöthigt  ihn,  auf  der  Bühne,  coram  populo  zwei 
Ochsen  zu  schlachten,  in  deren  verschlungenen  Gredärmen,  Lun- 
gen, Herz  und  Leber,  Manto  vor  Aller  Augen  herumwühlen 
muss,  um  den  Mörder  des  Lajus  zu  entdecken,  derweil  sich  König 
Oedipus,  der  längst  Alles  weiss,  heimlich  die  Haut  volllacht  und 
die  gute  Wahrsagerin  Manto  in  den  Eingeweideu  des  Opferstiers 
und  der  jungfräulichen  Sterke  kramen  und  wirthschaften  lässt, 
so  viel  sie  Lust  hat.  Ihre  ganze  Kunst,  ihre  ganze  Splanchnolo- 
gie  wird  an  den  Eingeweiden  dieses  Ochsen  und  dieser  Kuh  zu 
Schanden.  Sie  findet  Alles  in  verkehrter  Lage,  verschoben  und 
verdreht.  Der  Ochs  hat  das  Herz  nicht  an  der  rechten  Stelle, 
und  in  der  jungfräulichen  Färse,  „der  kein  Stier  jemals  genaht", 
findet  sie  „eine  Kälberfiaicht  an  einem  Ort,  wo  sie  es  nie  geschaut" : 

Verworren  ist  die  Ordnung  überall, 

Nichts  steht  an  seinem  Platz,  verrückt  ist  Alles  .  .  . 

Genau  so  wie  in  unserer  Oedipus-Tragödie ;  ihr  leibhaftes  Eben- 
bild. Tiresias  schlägt  die  Hände  über  den  Kopf  zusammen.  Ihn 
schaudert  um  so  mehr,  je  weniger  er  weiss,  warum?  Die  An- 
zeichen sind  grauenhaft,  aber  was  sie  eigentlich  bedeuten,  das 
geht  über  seinen  Horizont: 

Der  Vogel  nicht,  der  leichten  Fittiges 
Durchsegelt  das  Gewölb  der  hohen  Himmel, 
Nicht  Fibern  in  der  Opferthierc  Leib 
Vermöchten  mir  den  Namen  anzudeuten. 


n  V.  27t;  If.  ed.  Bothe. 


Seneca's  und  Sophokles'  Oedipus.  455 

König  Oedipus  reibt  sich  vor  Vergnügen  die  Hände,  aber  heim- 
lich. Er  hat  es  längst  heraus,  Dank  Creon's  Wink  mit  dem  Zaun- 
pfahl in  seines  Kleides  Geren.  Bei  Sophokles  sieht  der  blinde 
Seher  Alles  im  Geiste,  nur  Oedipus  ist  stockblind  bei  sehenden 
Augen.  Der  Römer  dreht  den  Spiess  um.  Bei  ihm  muss  Jeder 
schwören,  dass  Oedipus  der  Einzige  sey,  der  von  Allem  unterrich- 
tet ist. 

Um  den  Namen  von  Lajus'  Mörder  herauszubringen,  „muss 
er  es  auf  andern  Wegen  versuchen."  Dem  Lajus  selber  muss  er 
zu  Leibe  gehen. 

Ihn  selber  muss  ich  aus  der  ew'gen  Nacht 

Behausung  rufen.    Aus  dem  Erebus 

Muss  er  herauf,  den  Mörder  anzuklagen  .  .  . 

Oedipus  freut  sich  schon  im  Voraus  auf  die  Erscheinung  des 
Lajus,  der  ihm  das  erzählen  soll,  was  er  besser  weiss.  Noch  mehr 
aber  freut  sich  Oedipus  auf  die  Schilderungen  und  Beschreibun- 
gen, die,  bei  Gelegenheit  der  Todtenbeschwöruug,  sich  aus  dem 
Erebus  zu  entwickele  und  in  unübersehbaren  Massen  und  Schaaren 
hervorzubrechen,  nicht  werden  umliin  können.  Zu  seinem  Ver- 
di'usse- erklärt  es  Tiresias  gegen  die  Hofetiquette,  dass  „des  Rei- 
ches Oberhaupt  die  Schatten  schaue".  Oedipus  überträgt  nun 
dem  Creon  das  Geschäft  und  zieht  sich  in  den  Palast  zurück. 
Tiresias  fordert  den  Chor  auf,  „Bacchus'  Lobgesang  anzustimmen, 
dieweil  er  des  Abgrunds  Pforten  stürmt".  Die  Dithyi'ambe  hat 
ihre  Verdienste,  und  dürfte  wohl  gar  das  Beste  seyn,  was  die 
römische  Lyrik  hervorgebracht.  Nur  die  Todtenbeschwörung 
möchte,  als  römischer  Höllenbreughel,  ihr  die  Palme  streitig  ma- 
chen, wenn  gleich  nicht  zum  Ruhme  der  Tragödie,  deren  drama- 
tische Blossen  zu  verhüllen  das  ganze  Schattem-eich  nicht  dicke 
Finsterniss  genug  vorräthig  hat,  wie  sehr  auch  Creon ,  als  Augen- 
zeuge, das  Gegentheil  zu  beweisen,  sich  in  seinem  dem  Oedipus 
darüber  abgestatteten  Berichte  befleissigt. 

Ein  Prachtstück  zur  Probe: 

Der  Boden  thut  sich  plötzlich  auf,  es  klafft 
,     Ein  ungeheurer  Schlund  hinab,  und  ich 
Gewahr'  darin  die  mächtigen  Schattenfürsten 
Inmitten  bleicher  körperlicher  Schemen. 
Ich  sah  die  starren  Seen,  die  ew'ge  Nacht, 


456  Das  römische  Drama. 

Und  in  den  Adern  stockte  mir  das  Blut. 

Erst  bricht  die  wuthentbrannte  Rotte,  alle 

Die  Drachenbrut  hervor,  all'  das  Gezücht, 

Das  aus  der  Schlangcnzähne  Saat  entspross  .  .  . 

Die  Pest  auch,  die  Ogyges  Volk  verschlingt, 

Mit  heisser  Gier,  kommt  schreckhaft  anzuschau'n  .  .  . 

Die  blinde  Wuth,  das  Grausen  kommt  an's  Licht; 

—    —    —    —     —     —     —    —    Der  Jammer, 

Der  sich  das  Haar  ausruft;  die  Ki'ankheit,  die 

Mit  Müh'  ihr  mattes  Haupt  aufrecht  erhält; 

Das  Alter,  das  sich  selbst  zur  Last;  die  Angst  — 

Dies  Alles  stellt  sich  meinem  Auge  dar  .  .  . 

Wie  luft'ge  Nebel  fliegen  Geister  nun 

Umher,  und  athmen  frei  des  Himmels  heit're  Luft. 

So  viel  Laub  streift  der  Herbst  nicht  ab  vom  Eryx ') ! 

So  viel  Wellen  zeiget  nicht 

Das  Meer  Joniens,  wenn  Wind'  es  kräuseln ; 
Nicht  fliegen  durch  den  herbstlich  rauhen  Himmel 
So  vieler  Kraniche  Geschwader,  wenn 
Sie  vor  des  eis'gen  Strymons  starrem  Frost 
Und  Norderschnee  zum  lauen  Nilus  zieh'n : 
Als  Haufen  bannt  herzu  der  Seher  Ruf  «  .  . 

Die  emporschwebenden  Geister  werden  nun  namhaft  gemacht. 
So  manche  Pinselstriche  hat  der  grosse  Florentiner  aus  diesem 
Geister-Nachtstück  für  seinen  Inferno  benutzt.  AlF  die  Schatten 
ziehen  dem  des  Lajus  voran: 

Nun  endlich  hebet  er  auf  öftern  Ruf 

Sein  schambedecktes  Haiipt,  und  stellt  sich  weit 

Weg  von  dem  andern  Trupp,  und  birget  sich  — 

Der  Priester  bannt  ihn,  häuft  Beschwörungsweisen, 

Bis  Lajus  das  vermummte  Angesicht 

Enthüllt.  —  Mich  schaudert,  nun  ich's  melden  soll. 

Da  steht  es  blutbespritzt  am  Leib,  graunvoll 

Zu  schaun,  das  Haar  bedeckt  mit  scheusslichem 

Moder,  und  spricht  aus  zornerglüh'udem  Mund: 

0  du  des  Cadmus  unnatürlich  Haus, 

Das  stets  im  Blute  der  Verwandten  schwelgt !  .  .  . 

In  Theben  ist  die  schlimmste  Missethat 

Die  treue  Liebe  einer  frommen  Mutter.  — 

0  Vaterland !  dich  stürzt  nicht  Götterzorn ; 

Ruchlose  Missethat  ist  dein  Verderben! 


1)  Berg  in  Sicilien. 


Creuii  und  Lajus.     Eine  Haiiili^-Studie.  457 

Des  Austers ')  toclesschwang'res  Wehen  nicht, 
Der  Erde  Dürre  nicht,  die  brennend  lechzt 
Nach  lang  entbehrtem  Regen,  tödtet  dich: 
Der  König  thut's,  der  blutbefleckte,  der 
Zum  Preis  für  wilden  Mord  das  Scepter  trägt! 
Der  sündhaft  seines  Vaters  Eh'bett  schändet  .  .  . 
Dich,  dich,  der  du  in  blut'ger  Mörderhand 
Das  Scepter  hältst,  wül  ich,  dein  Vater  selbst. 
Der  ungerächt  im  Grabe  liegt,  verfolgen!  .  .  . 
Ausrotten  wül  ich  das  blutschänd'rische 
Geschlecht,  dein  ganzes  Haus  zermalmen 
Durch  unnatürlich  grimmen  Bruderkrieg.   — 
Ach!  treibt  aus  euren  Marken  ihn  hinaus, 
Den  König  treibt  in  Landsverweisung  fort!  .  .  . 
Mühsal,  Verderben,  Jammer,  Pest  und  Tod 
Sind  sein  Gefolge,  würdig  solches  Herrn: 
Sie  ziehn  mit  ihm  hinaus  .... 

Fürwahr  keine  unwürdige  Studie  zu  Hamlet's  Scene  mit  sei- 
nes Vaters  Geist  auf  der  TeiTasse.  Wenn  Lajus'  Erscheinung  nur 
so  gut  motivirt  wäre,  wie  die  des  alten  Hamlet!  Auf  das  rich- 
tige Motiviren,  die  Zauberformel  der  dramatischen  Composition, 
darauf  verstand  sich  eben  der  Kömer  nicht,  und  seine  ganze 
Schule  nicht.  Ueber  diesen  Geisterzwang  gebot  kein  tragischer 
Geisterbanner  so  unumschränkt,  so  zaubermäclitig  —  das  rechte 
Wort,  zur  rechten  Stunde,  am  rechten  Ort  und  auf  die  rechte 
Weise  gesprochen  —  keiner,  seit  Aeschylos,  wie  der  grosse  Hexen- 
meister aus  Stratford  am  Avon.  Besass  der  Römer  niu-  einen 
Hauch  davon,  er  liätte,  nach  diesem  Berichte,  nicht  jenes  Ver- 
dächtigungsmotiv angebracht,  das  Sophokles  gleich  anfangs  zu 
Hülfe  nimmt,  um  ein  neues  und  kunstvolles  Streiflicht  auf  die 
Verblendung  des  Oedipus  zu  werfen,  der  sich  bis  zur  Anklage 
des  Creon  und  bis  zu  dem  Vorwurfe  einer  im  Einverständuiss 
mit  dem  Priester  gegen  ihn  gezettelten  Verschwörung  hinreissen 
lässt.  Er  hätte  nicht,  nun  erst  hinterdrein,  nach  allen  diesen 
Zwischenfällen,  in  der  ersten  Scene  des  vierten  Actes,  den  Oedi- 
pus, wie  zufällig,  sich  des  Zusammentreftens  auf  dem  Drei  weg 
erinnern  lassen,  worüber  ihm  Creon  bereits  am  Anfange  des  zwei- 
ten Actes  die  nöthige  Auskunft  ertheilt  hatte. 


1)  Südwind. 


458  D^s  römische  Drama. 

Kaum  hat  sich  Oedipus  auf  den  Dreiweg  besonnen,  fliegt 
ihm  die  Katastrophe,  wie  ein  Steinhagel,  an  den  Kopf  und  schlägt 
ihm  blutige  Löcher;  kommt  der  Bote  auch  schon  aus  Korinth; 
stellt  sich  der  bewusste  Hirt  ein,  —  Schlag  auf  Schlag,  wie  bei 
Sophokles.  Nur  läuft  Oedipus  bei  diesem  nicht  mit  einem  sol- 
chen Tiradenschwall  in  den  Palast,  um  sich  die  Augen  auszu- 
stechen ;  nur  dass  Sophokles  nicht  noch  zuletzt,  nach  dem  Boten- 
bericht, der  die  Selbstblendung  meldet,  die  Jocaste  mit  dem  Oedi- 
pus zusammenbringt,  damit  diese  über  dessen  Gemahl-Sohnschaft 
noch  nachträglich  die  selbstverständlichsten  Lamentationen  an- 
stimme, und  sich  darauf  mit  dem  ihm  entrissenen  Schwerte  todt- 
steche. 

Diese  letzte  tragoedia  crepidata  unseres  Kömers  soll,  dem 
Qu.  Sept.  Florens  zufolge,  mit  der  Thebais  eine  Trilogie  gebildet 
haben.  Nichts  fehlte  dem  Oedipus  aus  der  Thebais  zum  vollen 
Anspruchsrechte  auf  den  Posten  des  dreiköpfigen  Cerberus,  falls 
die  Stelle  vacant  würde,  als  eine  solche  trilogische  Dreigestalt. 
Es  müsste  ihn  denn  als  ungeeignet  für  die  Stelle  der  gänzliche 
Mangel  jenes  Sinnes  für  Maass,  Amphionische  Kunst  und  Har- 
monie erscheinen  lassen,  den  der  römische  Dichter  am  Cerberus 
in  der  Ode  an  Mercur  ^)  preist,  dessen  lieblichem  Lautenspiel 
selbst  das  dreiköpfige  Ungethüm  wedelnd  lauschte: 

„Selbst  des  Orcus  scheusslicher  Hüter  wich  den 

Schmeichelnden  Lauten, 
Ob  sein  Haupt  schon  furiengleich  von  hundert 
Schlangen  war  umzischet,  und  wilder  Geister, 
Gift'ger  Pesthauch  grässlich  eutfloss  dem  dreige- 

Ztingelten  Rachen. 

Von  allen  hier  aufgezählten  Qualitäten  legte  unser  thebaischer 
Oedipus  befriedigende  Proben  ab,  bis  auf  den  empfänglichen  Sinn 
und  das  musikalische  Gefühl  für  Antigone's  liebkosende  Besänfti- 
gung, süss  und  lieblich  wie  die  Lautenklänge,  womit  ihr  Urahn, 
Amphion,  Steine  und  Blöcke  herbeilockte,  dass  sie  zu  Thebens 
Mauern  sich  rhythmisch  ordneten  und  fügten. 

Die  letzte,  dem  Seneca  zugeschriebene  Tragödie,  Octavia, 
hat  vor  seinen  Crepidaten  die  Mei-kwürdigkeit  voraus,  dass  sie  die 
einzige  erhaltene  tragoedia  practexta  ist,  eine  solche  nämlich,  in 

1)  Hör.  Od.  111,  II.  V.  17  ff. 


OctaAia.  459 

welcher  römische  Personen  aus  der  römischen  Geschichte  auf- 
treten. Ein  besonderes  Interesse  mag  die  Octavia  auch  durch 
das  Personenverzeichniss  erhalten,  das  unter  seinen  Figuren  den 
Kaiser  Nero  anfuhrt,  die  ßuhlerin  Poppaea  Sabina,  mit  wel- 
cher sich  Nero  vermählt,  und  um  derentwillen  er  seine  tugend- 
hafte Gemahlin  Octavia,  Tochter  des  Kaisers  Claudius  und  der 
Messalina,  verstösst  und  später  ermorden  liess.  Ferner  kommt 
Seneca  selbst  im  Stücke  vor.  Auch  erscheint  Agrippina's 
Schatten,  der  Mutter  Nero's,  die  er  von  seinem  Flottenadmiral 
und  Leibheuker  Anicetus,  hatte  ermorden  lassen,  demselben,  wel- 
cher auch  das  Haupt  der  von  ihm  auf  der  Insel  Pandataria  grau- 
sam ermordeten  Octa\1a  der  Poppaea  überbrachte.  Doch  schliesst 
unsere  Tragödie  blos  mit  Octavia's  Verstossung.  Ausserdem  ist 
das  Trauerspiel  mit  zwei  Ammen  versehen.  An  Rath  und  That 
kann  es  ihm  daher  nicht  fehlen.  Dass  Seneca  darin  auftritt, 
möchte  schon  an  sich  ein  Grund  seyn,  ihn  nicht  für  den  Dichter 
des  Stückes  zu  halten;  davon  abgesehen,  dass  darin  auf  Ereig- 
nisse angespielt  wird,  Nero's  Ende  z.  B.,  die  sich  erst  nach  Se- 
neca s  Tode  zutrugen.  Die  Octavia  wird  denn  auch,  wie  schon 
erwähnt,  von  fast  sämmtlichen  Kunstrichterii,  nach  Vorgang  des 
Justus  Lipsius,  in  eine  spätere  Zeit,  in  die  des  Trajan,  gesetzt. 
Einer  zweifelhaften  Stelle  bei  Priscian  zufolge  ')  soll  auch  C.  Cil- 
nius  Maecenas,  des  Augustus  berühmter  Staatsminister  und  Stamm- 
vater des  Mäcenenthums,  eine  Octavia  geschrieben  haben.  Was 
für  eine  Octavia,  ob  überhaupt  eine  Octavia,  und  ob  nicht  bei 
Priscian,  statt  „in  Octavia",  „in  Octavo"  zu  lesen,  und  mehr  der- 
gleichen Quisquilien,  mögen  die  Fachgelehrten  unter  einander 
ausmachen.  2)  G.  J.  Vossius  '■*)  hat  sich  den  Geschichtschreiber  L. 
Ann.  Florus  (2.  Jalirh.;  zum  Dichter  unserer  Octavia  ausgesucht 
auf  gut  Glück.  Eine  praetexta,  deren  Held  Nero  selbst  war,  die 
Tragödie  Domitius  Nero^)  von  Curiatius  Maternus,  hat  schon 
oben  Ei-wähnung  gefunden.  Von  demselben  C.  Maternus  wird 
noch  eine  andere  Trag,  praetexta,  sein  Cato.  in  Tacitus'  angezo- 
gener Schrift  hochgepriesen.  ^) 


1)  X,  c.  8.  47.  1).  'J02if.  Putsch.  —  2)  Vo-1-  Ni^ukirch.  De  fab.  tog. 
Rom.  p.  OOff.  —  :\)  Ct.  Vossius.  4)  Tacit.  de  Oratt.  1.  c.  3.  11.  ■>)  Das. 
c.  2.  3.  9. 


460  ^^^  römische  Drama. 

Unsere  Tragödie  leitet  Octavia  mit  einer  Klage  ein,  die  sie 
in  ihrem  Brautgemache  über  ihr  und  ihres  Hauses  Missgeschick 
hält.  Das  eiserne  Inveutarium  der  römischen  Tragödie,  die  Amme, 
hat  sich  schon  eingefunden  und  entrollt,  in  einem  Wechselgespräch 
mit  ihrem  Pflegekind,  die  Kette  von  Gräueln,  die  über  die  kai- 
serliche Familie  die  Nemesis  verhängt.  Neio's  Portrait  zeichnet 
Octavia  nach  dem  Leben.  Die  schrecklichen  Himmelszeichen, 
Meteore  und  Kometen  habe  er,  der  Wütherich,  auf  dem  Ge- 
wissen : 

Ha  sieh'!  des  Wütherichs  Hauch  verpestet  selbst 

Des  Himmels  reine  Luft;  denn  neue  Schrecken 

Verkünden  die  Gestii'ne  allen  Völkern, 

Die  der  fluchwürdige  Tj'raun  beherrscht. 

So  wild  war  Tjijhon  nicht,  der  frech  den  Zeus 

Gehöhnt  .  .  . 

Der  ist  ein  scheusslicheres  Ungethüni, 

Er  ist  der  Götter  und  der  Menschen  Feind; 

Aus  ihren  Tempeln  die  Unsterblichen, 

Aus  ihrer  Heimath  treibt  er  Bürger  fort. 

Dem  Bruder  hat  das  Leben  er  geraubt. 

In  seiner  Mutter  Blut  die  Hand  getaucht; 

Und  schauet  noch  das  Licht  des  Tages?    Lebt  noch? 

Sein  Athem  darf  noch  diese  Welt  verpesten? 

Erhabner  Göttervater,  ha!  warum 

Wirft  deine  Rechte,  die  das  Weltall  lenkt, 

Dein  Glutgeschoss  an  dieses  Sünders  Haupt 

Machtlos  vorbei?  .  .  . 

Die  Amme  ist  mit  Allem  einverstanden,  vergisst  jedoch  ihr  Be- 
schwichtigungsgeschäft keineswegs  und  warnt  und  rathet  und  er- 
mahnt, was  nur  eine  Amme  warnen  und  ermahnen  kann,  bis  der 
Chor  eintritt,  worauf  sich  beide  zurückziehen.  Das  Geschlecht 
des  Cliors  bleibt  zweifelhaft.  Er  preist  die  Tugenden  der  alten 
Römer,  vergleicht  sie  mit  den  Schandthaten  Nero's  und  rühmt  die 
Sittenreinlieit  der  Kaiserin  Octavia,  die  er  der  Rhea  Sylvia  und 
Lucretia  an  die  Seite  setzt. 

Mit  ähnlichen  Betrachtungen  fühlt  Seneca  in  einem  Selbst- 
gespräch den  zweiten  Act  ein,  neben  den  zwei  Ammen,  die  dritte, 
als  welche  er  sicli  auch,  in  der  näclisten  Scene  mit  seinem  Zög- 
ling Nero,  durch  die  dargereichte  von  der  Milch  der  Philosophie 
strotzende  Brust  legitimirt,  aus  welcher  der  Philosophen-Säugling 


Octavia.     Drei  Amnieu.  461 

aber  nur  Draclieiiblut  schlürft,  vermischt  mit  Blut  und  Eisen. 
Nero  selbst  wird  gut  exponirt.  Er  kommt,  mit  dem  Präfecten  iu 
Gespräch  begriflfeu,  aus  dem  Palaste: 

Nero.     Vollziehe  den  Befehl,  lass  Plautus  schnell 

Und  Sulla  tödten  und  ihr  Haupt  mir  bringen  — 

Sein  erstes  Wort!  Der  beste  Dramatiker  konnte  seinen  Nero 
nicht  trefflicher  einführen.  Der  Präfect  entfernt  sich,  den  Befehl 
zu  vollziehen.    Seneca  schreitet  vor: 

Seneca.     Nicht  zieuit's,  so  rasch  Verwandte  zu  verdammen. 

Nero.    Leicht  mag  gerecht  sein,  wer  nichts  hat  zu  fürchten. 
Seneca.     Die  beste  Schutzwehr  gegen  Furcht  ist  Milde. 

Nero.     Den  Feind  vertilgen  ist  des  Herrschers  Euhm. 
Seneca.     Der  Bürger  Leben  schützen  ist  dem  Vater 
Des  Vaterlandes  ein  noch  schön'rer  Euhm. 

Nero.    Nur  Knaben  mögen  schwache  Greise  lenken. 
Seneca.     Des  Jugendalters  Feuergeist  bedarf 

Noch  mehr  wohl  des  erfahrnen  Mannes  Rath. 

Nero.     Doch  ich  bin  alt  genug,  mir  selbst  zu  rathen. 
Seneca.     Stets  mög'  dein  Thuu  den  Göttern  Wohlgefallen. 

Nero.    Ein  Thor  war'  ich,  wenn  ich  die  Götter  scheute; 
Ich  selber  kann  ja  Götter  mir  verschaffen. 
Seneca.     Drum  scheue  sie,  weil  du  so  mächtig  bist  .  .  . 

Nero.    Nur  Memmen  wissen  nicht,  wie  viel  sie  dürfen. 
Seneca.     Was  recht  ist  thun,  nicht  was  man  darf,  bringt  Ruhm. 

Nero.     Mit  Füssen  tritt  der  Pöbel  bald  den  Mann, 
Der  schwach  im  Staube  kriecht. 
Seneca.  Den  Stolzen  aber 

Wirft  in  den  Staub  des  Volks  gereizter  Grimm. 

Nero.     Den  Fürsten  schützt  die  Macht. 
Seneca.  Mehr  noch  die  Treue. 

Nero.    Der  Kaiser  sej'  gefürchtet. 
Seneca.  Und  geliebt. 

Nero.     Sie  sollen  vor  mir  zittern, 
Seneca.  Doch  was  man 

Erzwinget,  bringt  dem  Zwinglierrn  stets  Gefahr. 

Nero.     Gehorchen  sollen  sie. 
Seneca.  Gebeut,  was  Recht  ist! 

Nero.     Mein  Wille  ist  Gesetz. 
Seneca.  Wenn  ihn  das  Volk  genehmigt. 

Nero.    Die  blanken  Schwerter  werden  sie  schon  zwintjen  .  .   . 


462  Das  römische  Drama. 

Wackere  Amme!  „Wenn  ihn  das  Volk  genehmigt".  Auf  dieses 
„Wenn"  steifen  sich  eben  die  Nero's  mit  ihren  Tigellinen,  Anice- 
ten  und  Präfecten.  Wenn  das  Wenn  des  Volkes  kein  Aber  hätte ; 
gute  Amme!  dann  gab'  es  keine  Nero's  und  brauchte  es  keiner 
Seneca's  weder  in  der  Antichambre  noch  in  der  Chambre;  keiner 
Seneca-Amme,  weder  im  Vorsaal  noch  in  der  Kammer,  mit  strotzen- 
den Kode-  und  Milch-Säcken;  letztere  von  der  Milch  des  nervus 
rerum  strotzend.  Am  Wenn  liegt  Alles,  gute,  weise  Amme! 
Sonst  würde  auch  Nero,  im  Hinblick  auf  besagte  Säcke,  nicht  sei- 
ner Nähr-,  Lehr-,  aber  nicht  Wehr-Amme  v.  583  zu  tiberlegen  geben: 

Exprimere  jus  est,  ferre  quod  nequeunt  preces: 

Zu  deutsch: 

Auspresst  man  Säcke,  die  nicht  willig  spenden!  — 

Mit  Eisenhandschuhen  aus!  dass  die  Wenn  und  Aber  in  der 
Kehle  stecken  bleiben,  denn: 

Nero.     Da  ist  die  Herrschaft  schlecht  bestellet,  wo 
Des  Pöbels  Wille  lenkt  des  Fürsten  Thun. 
Seneca.     Doch  kann  das  Volk  vom  Fürsten  keinen  Wunsch 
Erlangen,  ist  sein  Unmuth  wohl  gerecht  .  .  . 
Nero.     Den  Fürsten  zwingen  woll'n,  ist  Hochverrath. 
Seneca.    Drum  geh'  er  selber  nach. 

Nero.  Dass  ihn  besiegt 

Vom  Pöbeltrotze  schildere  der  Ruf?  .  .  . 

Nicht  nachgeben  -  das  ist  die  Erbweisheit  der  Neronen,  Tigel- 
linen und  Präfecten.  Zu  diesem  Acte  fehlt  der  Chor,  der  auch, 
nach  einer  solchen,  durch  alle  Zeiten  sich  fortschlingenden  gehei- 
men Cabinets-Scene  von  welthistorischer  Bedeutung,  mit  seinem 
Wenn  und  Aber  übel  angezogen  käme. 

Der  dritte  Act  lässt  Agrippina's  Schatten  die  Charontische 
Stiege  emporsteigen  mit  Brautfackeln  ftir  Nero  und  Poppaea  in 
beiden  Händen.  Sie  prophezeiht  Nero's  baldiges  Ende  in  einem 
für  die  kurze  Frist,  die  sie  ihm  schenkt,  viel  zu  langen  Mono- 
loge, der  nur,  als  lebensverlängerndes  Mittel,  dem  Wtitherich  sein 
qualis  artifex  pereo  stundet  und  hinhält.  Ein  desto  rascliores 
Ende  macht  Octavia  sammt  Chor  dem  Act  selber,  unmittelbar 
nachdem  der  Schatten  der  Kaiserin-Muttei-  verschwunden,  deren 
flucliwürdigstes   Verbrechen  war,    der  Welt  einen  solchen  Sohn 


Octavia.    Poppaea  Sabiiia.  46;^ 

gescheukt  zu  haben.  Octavia  tröstet  den  Chor  und  heisst  ihn 
hemmen  der  Tliräuen  Lauf. 

Dass  euer  Mitleid, 
Die  Liebe  zu  iiiii-, 
Nicht  reize  des  Herrschers 
Furchtbaren  Zorn  .  .  . 

Der  allein  gelassene  Chor  lässt  sich  aber  nicht  irre  machen,  und 
beweint  ihr  Leid  und  erhebt  laute  Klage  über  das  stumpfe  „Wenn" 
des  Volkes,  worauf  sich  Seneca  vorhin  bezogen: 

Wo  ist  des  Römer- Volks 
Dereinstige  Kraft? 
Herrliche  Helden 
Hat  oft  sie  gebeugt; 
Aufrecht  hielt  sie 
Die  Rechte  der  Vaterstadt, 
Der  nimmer  besiegten ; 
Würdigen  Bürgern 
Gab  sie  die  stolzen 
Machtgebäude  ; 

Schaltete  über  Frieden  und  Krieg; 
Zähmte  den  Uebermuth 
Unbändiger  Völker, 
Schlug  in  Fesseln 
-     Mächtige  Könige — 

Nicht  alle!  Und  die  Kaiser  gar,  die  Hess  sie  schalten  und  wal- 
ten, „die  dereinstige  Kraft  des  Römervolkes",  die  sie  vor  Allen 
an  die  Kette  hätte  legen  sollen. 

Verstört  durch  einen  Schreckenstramii  in  der  Brautnacht, 
stürzt  Poppaea  Sabina  aus  ihrem  Brautgemach,  Amme  IL  hin- 
terher. Poppaea's  Amme  sucht  das  aufgeregte  Gemüth  ihres  Pfleg- 
lings durch  eine  günstige  Auslegung  des  Traums  zu  beruhigen. 
Poppaea's  frommes  Herz  kann  aber  Trost  nur  im  Tempel  bei  den 
Göttern  finden,  denen  sie  reiche  Opfer  zu  weihen  dahineilt.  Ein 
Bote  bringt  dem  Chor  die  Schreckensnachricht  von  einem  Volks- 
aufruhr. Das  Wenn  liat  Nero's  Willen  nicht  als  Gesetz  geneh- 
migt; es  hat  sich  empört  und  kämpft  wofür?  für  seine  Rechte? 
Nicht  doch:  für  die  elielichen  Rechte  seiner  Kaiserin.  Weiter 
bringt  das  Wenn   es  nicht  in  der  kaiserlich  römischen  Praetexta. 


464  Das  römische  Drama. 

Auch  sein  Vertreter  nicht,  der  Chor,  der  in  der  römischen  Tra- 
gödie ans  jener  grossen  Clottesstinime,  dem  Volksgewissen,  das  der 
griechische  Chor  vorstellte,  zum  geheimen  Cabinets-Chor  verhotzelt 
ist,  um  späterhin  ganz  und  gar  zum  geheimen  Cabinets-Rath,  dem 
Vertrauten  der  französischen  Tragödie,  einzuschwinden,  der  bekannt- 
lich nichts  ist  als  der  Schatten  an  des  Helden  Achilles-Ferse.  Im 
Sinne  einer  solchen  Umwandelung  nimmt  denn  auch  unser  Chor 
die  Meldung  des  Boten  auf,  und  singt  kleinlaut:  „Thörichtes  Volk!" 
„Vergeblicher  Kampf—  wogegen?  „Gegen  die  Pfeile  Cupido's!" 
Gegen  die  Spiesse  und  Schwerter  der  Prätorianer,  meint  er  im 
Stillen,  traut  es  sich  aber  nicht  über  die  Lippen  zu  bringen,  und 
besingt  die  Allmacht  von  Amors  Pfeilen,  die  allein  im  Stande, 
selbst  einem  Nero  die  Spitze  zu  bieten.  Der  Chor  singt  zugleich 
das  Wiegenlied  der  französisch-classischen  Tragödie,  deren  höchste 
Tragik  in  die  Spitze  von  Amors  Liebespfeil  ausläuft.  Die  römi- 
sche Praetexta  ist  die  Ahnmutter  der  Palast-  und  Cabinetstra- 
gödie,  wo  die  Volksstünme  sich  in  die  von  Diderot's  Bijoux  in- 
discrets  umsetzt. 

Kaum  hat  der  Chor  mit  seinem  Cupido-Liedchen  den  vierten 
Act  beendet,  meldet  schon  der  fünfte  durch  den  Mund  des  Prä- 
fecten  dem  Nero  die  Niederschlagung  des  zur  Vertheidigung  von 
Octavia's  ehelichem  Lager  entbrannten  Volks-Strassenkampfes.  Der 
Kaiser  aber  schnaubt  wie  ein  wüthender  Tiger  nach  Octavia's, 
seiner  Halbschwester  und  Gattin,  „verfluchtem  Haupt." 

Caedem  sororis  poscit  et  dirum  caput, 
wenn  der  Präfect  seinen  Kopf  behalten  wül.  Nero  geht  in  den 
Palast,  der  Präfect  nach  dem  Kopf.  Schon  schleppen  die  Prätoria- 
ner die  Kaiserin  Octavia  herbei,  um  sie  auf  dem  Todesschifte  der 
Agrippina  nach  der  Verbannungsinsel  Pandataria  ')  zu  Schäften,  dem 
Guienne  für  römisclie  Kaiserinnen,  mit  Ausnalmie  der  Köpfe  jedoch, 
die  von  der  Verbannung  ausgeschlossen  waren  und  die  der  Präfect 
der  Leibwache  den  Kaisern  zurück  nach  Rom  brachte.  Der  Chor 
giebt  der  Octavia  folgenden  Geleitssegen  auf  den  Weg: 

^  .  Linde  Lüfte, 

Säuselnde  Zephyre  .  .  . 


1")  An  der  Küste  von   Latiuni,   jetzt  Lsola  Vandotina. 


Die  Metra  des  Seneca.  465 

Tragt  sie,  —  wir  flehen, 

Zum  Tempel  der  drei- 

Gestaltigen  Göttin !  (Hekate  =  Diana) 

Mensclüicher  ist 

Der  Strand  von  Aulis 

Und  Tauris,  das  Land 

Roher  Barbaren, 

Als  unser  Rom. 

Dort  wird  der  Fremdling 

Der  Göttin  geopfert; 

Rom  schwelgt  im 

Blute  der  Römer! 


Damit  schliesst  die  letzte  der  römischen  Tragödien  und  die  ein- 
zige auf  die  Nachwelt  gekommene  Tragoedia  praetexta,  vom  Pur- 
pursaume der  römischen  Toga  so  genannt,  den  auch  diese  prae- 
texta im  Saume  ihres  Schlussverses  »zur  Schau  trägt. 

Ein  Wort  noch  über  die  Metra  des  Tragikers  Seneca, 
die  Max  Hoche  in  einer  schon  citirten,  verdienstlichen  Schrift 
behandelt.  Hoche  analysirt  die  Versformen  in  den  Tragödien  des 
Seneca  nach  den  drei  Giiippen:  jambische  und  trochäische  Verse 
(ysvog  dinläoior);  daktylische  und  anapästische  {ysvngl'oni');  die 
aus  beiden  gemischten  fdie  logaödischen  Verse).  Um  ein  Bei- 
spiel zu  geben,  wie  kundig  der  Verfasser  den  metrischen  Inten- 
tionen des  Tragikers  nachspürt,  die  von  frühern  Philologen  nicht 
genugsam  berücksichtigt  worden,  wollen  wir  Einiges  aus  der  Schrift 
mittheilen.  S.  10:  „Ausser  dem  jambischen  Trimeter  fSenarius} 
finden  sich  nur  wenige  Formen  jambischer  Verse  (akatalektische 
und  katalektische  Dimeter  z.  13.)  Agam.  v.  75S — 765.  Medea  v. 
852—67.  S.  11:  „In  der  Medea  v.  772—87  sind  je  zwei  jam- 
bische Verse  zu  der  Strophe  verbunden,  welche  auch  Horatius  in 
den  Epoden  I— X  angewandt  hat.  Hier  geht  die  wuthentbrannte 
Medea  in  der  Scene,  wo  sie  die  Götter  der  Unterwelt  beschwört, 
und  die  verderblichen  Geschenke  bereitet,  von  Trochäen,  worin  die 
Beschwörung  stattgefunden  hat,  zu  Jamben  über,  in  welchen  sie 
die  Wirlcung  der  Bescliwörung,  daini  zu  der  jambischen  Strophe, 
in  welcher  sie  die  verhängnissvollen  Geschenke  selbst  beschreibt, 
und  das  Gift,  welches  sie  enthalten;  zuletzt  schliesst  sie  mit  einem 
längern  anapästischen  Systeme  dieses  Canticum." 

II.  30 


466  Das  römische  Drama. 

S.  13:  „Sehr  gern  und  fast  immer  hat  Seneca  im  Dialog, 
wenn  kurze  und  schnelle  Wechselreden  geführt  werden,  den  Per- 
sonenwechsel in  die  Cäsur  verlegt,  sowohl  nach  der  Thesis  des 
dritten,  als  des  vierten  Fusses."  Etwas  Aehnliches  werden  wir 
bei  den  Spaniern  und  Franzosen  finden. 

S.  17:  „Schon  auf  den  ersten  Anblick  der  Zahlen"  (Schema 
S.  14— 16j  „zeigt  sich,  dass  der  Dichter  vorzugsweise  gern  die 
dreisilbigen  Füsse  angewandt  hat."  .  .  .  „Ein  Vers,  welcher  sechs 
Jamben  enthielte,  findet  sich  bei  Seneca  nicht,  viehnehr  sind 
au  den  ungleichen  Stellen  die  Spondeen  häufiger  als  die  Jamben. 
S.  18:  „Am  häufigsten  sind  die  Verse  so  gebaut,  dass  an  den  un- 
geraden Stellen  der  Spondeus,  an  den  geraden  der  Jambus  steht." 
(Der  Vorschrift  gepiäss:  Spondaeos  stabiles  in  jura  paterna  recepit 
Commodus  et  patiens,  non  ut  de  sede  secunda  Cederet  aut 
quarta  socialiter ')  .  .  .  „Nahm  (der  Jambus)  spondeische,  fest- 
auftretende Füss'  er  in's  Erbreich,  Gütig  verträglichen  Simis ;  nur 
nicht  vom  zweiten  und  vierten  Platze  zu  weichen  bereit,  aus  Ge- 
fölligkeit.")  S.  20:  „An  den  ungleichen  Stellen  (des  Trimeter  oder 
Senarius)  hat  Seneca  alle  drei  Füsse,  den  Tribrachys,  Daktylus 
und  Anapäst  zugelassen." 

In  Betreff  der  chorischen  Versmaasse  bemerkt  Hoche  (S. 
36):  „Der  bei  weitem  grössere  Theil  der  Chorlieder  in  den  Tra- 
gödien Seneca's  besteht  aus  Anapästen,  nur  sehr  vereinzelt  finden 
sich  Daktylen,  öfter  logaödische  Verse,  namentlich  Asklepiadeen, 
Glykoneen  und  der  Sapphicus  minor  .  .  .  Gemischte  Chorlieder 
finden  sich  nur  in  zwei  Stücken,  dem  Oedipus  und  Agamem- 
non." S.  38:  „Die  einzigen  Formen  (daktylischer  Versmaasse), 
welche  Seneca  angewandt  hat,  sind  der  Tetrameter  und  der  Hexa- 
meter, der  erstere  akatalektisch,  der  letztere  katalektisch."  S.  44: 
„Aus  dieser  Uebersicht  (Schema  S.  44)  ergiebt  sich  zugleich,  wie 
bei  weitem  überwiegend  der  Gebrauch  beider  Freilieiten  (Hiatus 
und  Syllaba  anceps  am  Schluss  und  in  der  Mitte  der  Periode)  in 
der  Octavia  ist,  verglichen  mit  ihrem  Vorkonnnen  in  den  an- 
dern Stücken,  wenn  auch  freilich  in  der  Octavia,  deren  Chorlieder 


1)  Hör.  A.  P.  V.  256  ff. 


T)ie  Meti-;i  als  Kriterium  der  Tra.uiklieu.  467 

einzig  uiul  allein  aus  Anapästen  bestehen,  die  Zahl  der  anapästi- 
scheu  Dimeter  grösser  ist,  als  in  den  übrigen  Tragödien." 

Aus  diesen  Verschiedenheiten  der  Versformen  glaubt  Hoche 
in  Bezug  auf  die  Octavia  folgern  zu  können,  dass  selbe  spätem 
Ursprungs.  S.  J :  „Denn  nicht  nur  dass  die  Kritik  eine  sichere 
Handhabe  an  der  festen  Norm  des  Versbaus  findet,  dass  früher 
gebillig-te  Lesarten  oder  gemachte  Conjecturen  sich  nun  als  un- 
haltbar nach  den  Gesetzen  der  Metrik  ergeben,  nein,  auch  über 
Aechtheit  oder  Unächtheit,  über  das  Alter  und  die  Reihenfolge  der 
einzelnen  Stücke  erhalten  wir  oft  schon  durch  die  bei  der  Zu- 
sammensetzung der  Verse  befolgten  Gresetze  bestimmten  Aufschluss, 
wie  denn  die  gewöhnlich  auch  dem  Seneca  zugeschriebene  Octavia 
sich  scholl  durch  die  Form  der  Verse  als  später  und  von  einem 
andern  Verfasser  geschrieben  herausstellt." 

Auf  eine  solche,  mit  Hülfe  dieses  metrischen  Kriteriums,  die 
Aechtheit  oder  Unächtheit  und  die  Reihenfolge  der  Seneca'schen 
Tragödien  ermittelnde  Untersuchung  hatte  die  Schrift  Hoffnungen 
in  uns  angeregi,  die  leider  unerfüllt  geblieben.  In  Beziehung 
auf  dieses ,  wie  uns  scheint  wichtigste  Resultat  seiner  immerhin 
verdienstvollen  und  dankenswerthen  Abhandlung  vertröstet  uns 
HeiT  Hoche,  nachdem  er  noch  des  gründlichsten  und  ausführlich- 
sten die  dritte  metrische  Gruppe :  die  logaödischen  Verse  und  die 
Chorlieder,  erörtert,  am  Schlüsse  seiner  Schrift  auf  eine  spätere 
Mittheilung.  S.  87:  „Trotz  der  äussern  Verworrenheit  ergiebt 
sich  also  doch,  dass  Seneca  nicht  ohne  Gefülil  für  die  Gesetze  der 
Metrik  bei  der  Bildung  der  Chorlieder  zu  Werke  ging,  in  den 
frühern  Stücken  strenger,  in  den  si)ätern  lässiger,  ganz  wie  im 
Bau  des  Trimeter.  Ja  das  strophische  Gesetz  ist  einmal  in  dei' 
Medea  streng  durchgeführt;  im  ersten  Chorliede  des  Oedipus  ist 
die  Gesetzmässigkeit  der  Bildung  nicht  zu  verkennen,  und  nur 
in  den  drei  übrigen  (Jhorliedern  scheinen  die  Spuren  einer  von 
dem  Dichter  befolgten  Regel  sich  nicht  zu  zeigen.  Ob  nun  solche 
auch  in  diesen  Versgruppen  aufzufinden  sey  und  auf  welche  Weise, 
darüber  wage  ich  bis  jetzt  noch  nicht  zu  entscheiden,  behalte  mir 
vielmehr  diese  Frage,  so  wie  die  Ergebnisse  der  mitgetheilten 
metrischen  ResultLite  für  die  Kritik  der  Tragödien  und  für  die 
Bestimmung  des  Dichters  der  einzelnen  Stücke  sowie  ihrer  zeit- 
lichen Aufeinandeifolge  für  eine  spätere  Mittheilung  vor." 


4yg  Das  röiuisohe  Diaiua. 

Bis  jetzt  sind,  für  uns  wenigstens,  dieser  Vorbehalt  und  diese 
spätere  Mittheilung  calendae  graecae  und  der  Messias  der  Juden 
geblieben.  Im  Hinblick  auf  den  letztern,  geben  wir  daher  auch 
die  Hoffnung  nicht  auf,  dass  die  vorbehaltene  Frage  keine  offene 
bleiben,  und  dass  der  späteren  Mittheil  ung  ein  Tag  der  Erfüllung 
erscheinen  wird. 


Die  römische  Komödie. 

Wie  bei  der  Tragödie  unterscheidet  man  bei  der  Komödie 
der  Kömer  zwei  Hauptformen:  Comoedia  pal li ata,  wo  Fabel 
Personen  und  Costüm  von  der  griechischen  Komödie  entlehnt 
sind;  Comoedia  togata,  welche  römische  Sitten  darstellte  und 
worin  Eömer  im  römischen  Bürgerkleide  auftraten.  Der  Comoe- 
dia palliata  entspricht,  für  die  Tragödie,  die  crepidata,  der  Comoe- 
dia togata  die  Trag,  praetexta.  Die  Com.  togata  zertiel  wieder 
in  die  eigentliche  togata:  das  feinere  römische  Lustspiel,  worin 
die  Hauptfiguren  Personen  aus  den  gebildeten  Ständen  der  Rö- 
mer vorstellten.  Eine  Unterart  der  togata  bildete  die  Com.  ta- 
bernaria,  die  Leben  und  Sitten  der  niedern  Stände  schilderte, 
sich  um  die  Angelegenheiten  und  Familieuereignisse  der  sogen, 
„kleinen  Leute'',  Handwerker  u.  dgi.  bewegte,  und  in  deren  Häus- 
lichkeit (tabernae)  spielte,  i)  In  der  tabernaria,  bemerkt  der  Gram- 
matiker Diomedes"^),  wurden  Leute  niedrigen  Standes  in  ihren 
vier  Pfählen  eingeführt.  Die  Komödien  hiessen  Tabernarien,  weil 
die  Wohnungen  solcher  Leute  früher  mit  Schindeln  gedeckt  waren 
(quae  quod  olim  tabulis  tegerentur,  coramuniter  tabernaria 
vocabanturj.  Aehnlich  erklärt  Isidor^)  die  Benennung:  Taber- 
nae olim  vocabantur  aediculae  plebeiorum  parvae  et  simplices,  in 
vicis  asseribus  et  tabulis  clausae. 

Eine  Mittelgattung  zwischen  der  Com.  tog.  und  tabern.  erfand 
C.  Melissus,  Freigelassener  des  Maecenas  und  Oberaufseher  der 
Bibliothek  in  der  Halle  der  Octavia  (porticus  Octaviae).     Melissus 


1)  J.  H.  Neukirch,  de  fabula  togata  Rom.  Lips.  1833.  p.  38  f.  —  2) 
ni,  p.  487.  Putsch  Rhab.  Manr.,  de  arte  grammat.  Opp.  T.  1  p.  47  ed. 
Colon.  -  3)  Origg.  XV.  2 


470  ^^^  römische  Komödie. 

nannte  seine  mittlere  Komödie  Com.  trabe  ata,  von  der  trabea, 
einer  eigenen  Art  toga,  dem  Festgewande  der  Consnln.  Augnru, 
insbesondere  des  Ritterstandes  (equites),  das  die  Ritter  bei 
feierlichen  Aufzügen  tragen;  z.  B.  bei  der  solennen,  jährlich  am 
15.  Juli  abgehaltenen  Processiou,  wo  die  gesammte  Ritterschaft 
zu  Pferde  nach  dem  Capitolium  hinaufzog;  oder  bei  Gelegenlieit 
jener  alle  fünf  Jahre  veranstalteten  Musterschau,  wobei  die  Ritter- 
schaft vor  dem  Censor  vorübemtt  (transvectio).  ^)  Da  sich  keine 
Spur  von  einer  solchen  trabeata  erhalten,  hatten  die  Ausleger  ein 
weites  Feld  zu  den  verschiedensten,  einander  widersprechenden 
Vermuthuugen.  Cuperas,  in  seinem  Commentar  zu  Sueton's  de 
illustr.  Gramm.  XXI.  hält  die  trabeatae  für  Tragödien,  trotzdem 
Sueton  au  derselben  Stelle  den  C.  Melissus  als  Dichter  von  Possen 
und  Mimen  erwähnt  flibellos  ineptiarum,  qiü  nunc  Jocorum 
inscribuntur,  componere  instituit,  quibus  et  mimos  diversi  operis 
postea  addidit.  Fecit  et  novum  genus  togatarum,  inscripsitque 
trabeatas.  Ger.  Jos.  Vossius  mll  in  der  Trabeata  ein  den 
Prätextaten,  den  römischen  Tragödien,  verwandtes  Drama  erkennen. 
Uns  scheint  Neukirch  das  Richtige  zu  treffen,  der  die  Trabeata 
den  Komödien  beizählt  mit  Berafung  auf  Ovid's  Dj^stichon^): 

Musaque,  Turrani,  tragicis  innixa  cothuniis. 

Et  tna  cum  socco  Musa,  Melisse,  le^-is. 
„Turran's  Muse  sowohl,  hinschreitend  auf  tragischem  Hochschuh, 
Als  auch  die  deine,  MeUss',  leicht  auf  dem  Soccus  bewegt. 

Die  Trabeata  wäre  demnach  eine  Ritter -Komödie,  eine 
Komödie  des  Mitelstandes,  welche,  wie  der  Ritterstand  die 
Mitte  hält  zwischen  dem  Patriciat  und  Gemeinvolke,  eine  Zwi- 
schenstellung einnähme,  zwischen  der  Senatoren-Komödie  (Com. 
togata),  die  unserem  feinen  Lustspiel  entspricht,  und  der  taber- 
naria,  dem  Plebejer-  oder  niedrigen  Lustspiel.  Von  diesen  drei 
Formen  hat  man  wieder  dieAtellana  zu  unterscheiden,  mit  den 
stehenden  oskischen  Masken ,  die  wir  schon  kennen;  und  die  Mi- 
men und  die  Planipedaria,  die  Flachfüssige,  ohne  Soccus  ge- 
spielte Volksposse,  auf  die  vnx  zurückkommen  werden. 


1)  Suet.  Oct.   33.  Diou.    Halic.   Antiquität.   Rom.  VI,  13.  Tacit.  Ann. 
III,  2.  —  2)  Ep.  ex  Pont.  IV,  16.  30. 


Die  sieben  Arten  von  römischen  Komödien.  47 J 

Der  griechisch-römischen,  von  Plaiitus  und  Terenz  vertretenen 
Komödie  (Com.  palliata)  schliesst  sich  die  Ehintonica  an,  von 
welcher  schon  gesprochen  worden ,  nach  Rhinton  aus  Tarent  so 
benannt,  dem  Erfinder  der  Hilarotragödie  oder  Tragikomö- 
die, einer  Travestie,  worin  Götter  und  mythische  Könige  in  Ge- 
meinschaft mit  Dienern,  Sklaven  u.  dgi.  vorkamen.  Plautus'  Am- 
phitruo,  wie  uns  bereits  bekannt,  ist  eine  Nachbildung  von  Rhiu- 
ton's  gleichnamiger  Komödie.  Aehnliche  Rhiutonische  Komödien 
haben  auch  die  zwei  vornehmsten  römischen  Atellanendichter,  L, 
Pomponius  und  Novius  geschrieben,  i)  üebrigens  ist  diese  trave- 
stirende  Komödie  weit  älter  als  Rhinton,  und  lässt  sich  bis  auf 
Epicharmos  zurückführen. 

Dies  wären  nun  die  7  Arten  von  Komödien,  welche  der  Ar- 
chäolog  Jo.  Laur.  Lydus  (6.  Jahrh.  n.  Chr.)  aufzählt-):  'H  zw- 
fitodia  Tef.ii'6TC(i  elq  etztci,  elg  n akkiccxav,  Toydrav,  dreX- 
IdvTjV,  TaßsQvaQ iav,  '^Pivd^iovL/.r^v ,  nXavineöaQLav 
■/  ai  (-1  i^ii  X  r'j  V. 

Die  Eintheilung  der  Komödien  nach  ihrer  innern  Beschaf- 
fenlieit,  wiefern  nämlich  die  Charakterzeichnung  oder  die  Ver- 
wickelung der  Intrigue  übei-wiegt:  in  ruhig  verlaufende  Cha- 
rakterstücke (Statariae;,  in  Intriguenstücke  (motoriae;  und 
eine  dritte  aus  beiden  gemischte  Abart  (mixtae)  —  diese  Unter- 
scheidung ist  eine  allgemeine  für  die  Komödie  aller  Zeiten  und 
Völker,  und  die  insofern  auch  der  römischen  Komödie  zukommt. 

Als  Aufführungszeit  der  scenischen  Vorstellungen  giebt 
Donatus^)  folgende  römische  Festspiele  an:  1)  die  Megalenses, 
die  Megalensischen  Spiele.  Sie  fielen  in  den  April  und  waren 
zur  Feier  des  549  d.  St.  in  Rom  eingeführten  Cultus  der  grossen 
Idäischen  Mutter  eingesetzt  worden  (Mater  Magna  Idaea,  Cybele). 
Bühnenspiele  kamen  aber  zu  den  Megalensischen  Festspielen 
erst  zehn  Jahre  nach  deren  Einführung,  559,  hinzu.  ^) 

2)  L.  Funebres,  Leichenfestspiele.  An  solchen  wurden 
zwar  auch  Bühnenstücke  aufgeführt,  wie  z.  B.  die  Adelphi  und 
die  Hecyra  des  Terenz;   weil  die  Funebres  aber  nur  zufällig  ver- 

1)  Munck  a.  a.  0.  p.  85  ff.  —  2)  de  Magistratt.  reip.  Rom.  I,  40.  - 
3)  de  Com.  p.  LVIII  tF.  West.  -  4)  Ritschi,  Parergon  Plautüi.  et  Teren- 
tian.  I.  Dissert.  IV.  p.  294. 


472  ,  Die  romische  Komödie. 

anlasste,  keine  regelmässigen  Festspiele  waren,  streicht  sie  ßitschl 
aus  der  Liste  des  Donat. 

3)  Liidi  p  leb  ei,  im  November  geleiert,  zur  Erinnerung  an 
den  ersten  Auszug  der  Plebs  auf  den  heiligen  Berg. 

4)  L.  Apolliuares,  die  in  den  Juni  fielen. 

Von  Donat  abweichend,  bestimmt  Grysar^),  als  regelmäs- 
sige scenische  Feste:  Die  Ludi  plebei,  Megalenses,  Ko- 
ma ni  ^magni  auch  maximi  genannt;  im  September  gefeiert)  und 
Fl  oral  es  (April,;  sämmtliche  Feste,  nach  Grysar,  der  Oberauf- 
sicht und  Anordnung  der  -curulischen  Aedilen  überwiesen.  Den 
genannten  zählt  Grysar  die  ludi  Apollin.  bei,  als  regelmässige, 
dem  städtischen  Prätor  obliegende  Festspiele,  an  welchen  Theater- 
stücke aufgeführt  wm'den.  Ritschi  '^)  beschränkt  Grysar's  Angaben 
dahin,  dass  für  die  curulisclien  Aedilen  als  Festspielordner  und 
Veranstalter  mit  Sicherheit  nm-  die  Ludi  Megal.  und  die  L.  Ro- 
mani  (magni  und  maximi)  übrig  blieben.  Die  andern,  insbeson- 
dere die  L.  plebei,  fielen  den  plebeischen  Aedilen,  die  Apolliuares 
dem  praetor  urbanus  zu ,  wie  Spanheim  bewiesen.  ^)  Auch  die 
Floralia,  deren  Veranstaltung  anfangs  den  plebeischen  Aedilen 
zustand,  und  die  sie  erst  später  mit  den  curulischen  Aedilen 
th eilten,  will  Ritschi-*)  aus  der  Zahl  der  regelmässigen  Fest- 
zeiteu  für  scenische  Spiele  ausgesondert,  überhaupt  für  die  erste 
Hälfte  des  6.  Jahr,  d,  St.  die  L.  plebei  und  Romaui  als  die  bei- 
den einzigen  regelmässigen  Theaterfeste  angesehen  wissen.  ^) 

Die  Dauer  der  Feste  stieg  mit  der  Zeit  von  drei  auf  vier  bis 
fünf  Tage,  welche  Verlängerung  bei  Livius  durch  instaurare  be- 
zeichnet wird.  '^)  Für  die  römischen  Spiele  (L.  Romani  magni  et 
max.)  ist  seit  387  d.  St.  eine  viertägige  Dauer  anzunehmen.  Im 
Jahre  539  d.  St.  wurden  an  diesem  Feste  zum  erstenmale  vier- 
tägige scenische  Spiele  von  den  curulischen  Aedilen  veran- 
staltet.'';  Die  erste  Aufluhrung  des  L.  Andronicus  fand  um  513 
statt.    Ausser  seinen  Auftülirungen  fällt  auch  der  grösste  Theil 


1)  Ueb.  d.  Zustand  der  röm.  Büline  im  Zeitalter  d.  Cicero.  Allgemeine 
Schulzeit.  is;}2.  S.  342  flF.  —  2)  a.  a.  0.  p.  289.  —  3)  De  praest.  et  usu 
numismat.  antiquor.  p.  121  if.  140  ff.  Lond.  ij.  Amst.  1706—17.  fol.  —  4) 
Schubert,  de  Aedil.  p.  ISöf.  -  5)  a.  a.  0.  j).  27t).  -  6)  Das.  Excurs.  III. 
p.  31:j.  Liv.  XXIV,  43. 


Didaskalische  Schriften.  473 

der  Naevianischen  und   ein    kleiner  Theil  der  Plautinischen  Pro- 
ductionen  vor  539. 

Ausser  gewöhnliche  jGelegenheitsfeste,  an  welchen  auch 
Bühnenspiele  stattfanden,  waren,  nächst  den  Funebres,  die  L. 
Votivi.  1)  Ein  solches  Spielfest  war  z.  B.  jenes  für  die  Gesund- 
heit des  erkrankten  Augustus  angelobte,  welches  durch  Mimen- 
spiele gefeiert  wurde,  worin  die  Mimentänzerinnen  Lucceia  und 
Galeria  Copiola  wieder  auftraten.  Ferner  die  Ludi  Honorarii, 
von  höhern  Beamten  zu  Ehren  ihres  Amtsaustrittes  veranstaltet.  -) 
Eine  ähnliche  Veranlassung  hatten  die  Spectacula  privata.  3)  Zu 
den  ausserordentlichen  Theaterspielen  gehörten  auch  die  von  trium- 
phirenden  Feldherren  gegebenen  Ludi  Scenici,  dergleichen  der 
Praetor  Anicius  z.  B.  nach  Unterwerfung  Illyriens  (586  d.  St.) 
gab ;   Muramius  nach  Korinths  Zerstöiimg.  ^ ) 

Die  didaskalischen  Schriften  der  altern  römischen  Chro- 
nologie theilen  das  Schicksal  der  griechischen  Didaskalien :  sie  sind 
sämmtlich  aus  unserem  Horizont  verschwunden,  und  nur  aus  An- 
führungen der  spätem  Grammatiker  bekannt.  Varro's  de  Poetis, 
nach  dem  Vorbilde  von  Aristoteles'  Didaskalien  verfasst,  erwähnt 
Cicero.  ^)  Desselben  Varro  Schriften  de  Scenicis  originibus  und 
de  actionibus  Scenicis  findet  man  bei  Censorinus,  Sosipater,  Pris- 
cianus  und  Servius  angefülirt.  Auf  Attius'  Bücher  Didascalicon 
berufen  sich  Gellius,  Nonius,  Priscianus,  Charisius.  Gellius  nennt  ^) 
des  Volcatius  Sedigitus  Werk  de  Poetis.  Von  Sueton  existirte 
eine  dramaturgische  Schrift  de  Poetis  und  eine  de  ludis  et  spe- 
ctaculis. '')  Der  Lexikograph  Photius  ^)  bezieht  sich  auf  eine  Ge- 
schichte des  Drama's  von  Rufius  Ephesius.  Aus  Boulenger  ■')  und 
Thes.  antiqq.  des  Gronov. '")  lässt  sich  die  Liste  dieser  verlorenen 
dramaturgischen  Schriften  noch  vei-mehren.  Man  ist  daher  nur  auf 
zerstreute  und  unzulängliche  didaskalische  Notizen  über  die  Auf- 
fühmngszeit  und  Weise  der  Stücke,  namentlich  der  Lustspiele  von 
Plautus  und  Terenz,  beschränkt.  Hierüber  spricht  Ritschi  aus- 
führlich N.  IV  der  Parerga  „Die  Plautinisclien  Didaskalien.''    Die 


1)  Plin.  Vn,  49.  —  2)  Cic.  divin.  VU,  1.  —  3)  Suet.  Nero  21.  —  4) 
Athen.  XIV,  61.5  A.  Tacit.  Ann.  XIV.  21.  —  ö)  Brut.  1.5.  Acad.  I.  3. 
-  6j  XV,  24.  —  7)  Isid.  Origg.  VIU,  7.  Suid.  v.  Toäyxvno;.  Diom.  111. 
p.  489.  —  8)  Cod.  CLXI.  —  9)  de  theatro  I,  c.  5.  --  10)  T.  IX.  ]>.  1S3  ff. 


474  ^^^  röiiiiscbe  Komödie. 

Reiliefolge  im  Verzeichniss  der  Didaskalieii  giebt  Ritschi,  für  Plau- 
tinische  und  Tereuzianische  Stücke,  S.  267  an:  1)  Dichter  und 
Titel  des  lateinischen  Stücks.  2)  Dichter  und  Titel  des  griechi- 
schen Originals.  3)  Festspiel  der  Aufführung.  4)  Die  Geber  und 
Besorger  des  Festspiels.  5)  Hauptschauspieler  und  zugleich  Di- 
rector  der  Truppe.  6)  Compouist  (Modulator  des  Gesangstückes). 
7)  Musik-Gattung  (bei  Donatus  z.  B,  für  die  Hecyra:  modulatus 
est  eam  Flaccus  Claudius  tibiis  paribus  u.  s.  w.).  8)  Nummer 
des  Stückes  in  der  Reihe  der  Werke.  9)  Consuln  des  Jahrs.  Un- 
ter diesen  Punkten  scheint  uns  Nr.  5.  der  anziehendste  für  den 
Leser.  Wir  theilen  aus  Ritsclü  ')  und  aus  Grysar  ^)  das  Erforder- 
liche mit. 

Zugleich  Hauptschauspieler  (actores  primarum)  und  Directoren 
der  Truppe  ^duces  gregis)  waren  beispielsweise  Ambivius  Tur- 
pio  und  Attilius  Praenestinus.  Der  Schauspielunternehmer 
hatte  eine  Abschätzung  des  vom  Dichter  dem  Aedil  angebotenen 
Stückes  zu  machen,  dabei  aber  auch  zugleich  eine  Gewährleistung 
für  -das  Bülmenstück  zu  übernehmen.  Den  auf  den  Vorschlag  des 
Theaterunternehmers  gezalüten  Preis  hatte  dieser  dem  Käufer  zu 
erstatten,  wemi  das  Stück  durchfiel.  Der  Director  war  also  zu- 
gleich der  eigentliche  Unternehmer,  der  ausserdem  für  seine  Lei- 
stungen und  die  seiner  TYuppe  (gTex)  mit  dem  Festgeber  (Aedil) 
Contract  abschloss. 3)  In  Gegenwart  des  Aedilen  wurde,  nach 
dem  durch  diesen  geschehenen  Kauf  des  Stückes,  die  Probe  Vor- 
stellung gehalten.^)  Dem  Dichter  war  also  sein  Honorar  jeden- 
falls gesichert.  Den  Betrag  der  Kaufsumme  musste  der  Dux 
greg-is  (Schauspieldirector),  der  für  den  Erfolg  des  Stückes  auf- 
zukommen hatte,  als  Bürgschaftssumme  (Caution)  beim  Aedil  nie- 
derlegen. Ein  Stück,  das  nicht  zu  Ende  gespielt  werden  konnte 
und  das  der  Dichter  zurückzog,  konnte  dieser  von  andern  Fest- 
gebern (Aedilen),  bei  wiederholter  Anbietung,  sich  noch  einmal 
bezahlen  lassen.  Dies  war  z.  B.  bei  der  ersten  Aufführung  der 
Hecyra  der  Fall.  Gelegentlich  der  zweiten  Aufführung  dieses 
Stücks  erinnert  der  Prolog^):    Nun  ist  diess  Lustspiel  neu  durch- 

1 )  Excurs.  VI.  p.  327  ff.  -  2)  a.  a.  0.  S.  330  tf.  —  3)  Prol.  Heaut. 
48.  Prol.  II.  Hecyr.  41.  —  4)  Prol.  Eunuch,  v.  2U  ff.  —  5)  Prol.  1.  Hecyr. 
V.  5  ff. 


Hauptschauspieler  und  Schauspieldirector.  475 

aus,  und  der  es  schrieb  verweigerte  die  Wiederauffiihrung,  um 
es  abermals  verkaufen  zu  können  (Nunc  haec  plane  est  pro  nova: 
et  is  qui  scripsit  haue,  ob  eam  rem  noluit  iterum  referre,  ut  iterum 
posset  vendere;.  Als  merkwürdiges  Beispiel  einer  abermaligen 
Honorarzahluug  an  den  Dichter  wird  von  Douat  die,  bei  Wieder- 
holung des  Eunuchus,  dem  Dichter  ^Terenz)  dafür  bezahlte  ausser- 
gewöhnliche  Summe  von  8000  Sestertien  (etwa  200  Thalerj  an- 
geführt. Dieses  Lustspiel  hatte  einen  so  gi-ossen  Erfolg  gehabt, 
dass  es  zum  zweitenmal  verkauft  und  als  eine  neue  Komödie 
gespielt  wurde  (acta  est  tanto  successu  ac  plausu  atque  suffragio, 
ut  rm'sus  esset  vendita  et  ageretur  iterum  pro  nova).  Diesen  Fall 
betrachtet  Ritschi  als  Ausnahme  und  meint,  dass  in  der  Regel 
die  Stücke,  nach  einer  ersten  erfolgreichen  Aufführung,  dem  Un- 
ternehmer als  Eigenthum  verblieben,  welcher  dann  aber  auch  den 
Schaden  misslungener  Aufführungen  zu  tragen  hatte.  Für  ge- 
wöhnlich war  also  der  Dichter  mit  der  einmaligen  vom  Unter- 
nehmer an  ihn  bezahlten  Summe  ein  für  allemal  abgefunden.  In 
dem  zweiten  Prolog  zur  Hecyi'a  spricht  Ambivius  Turpio  nicht 
als  Schauspieler  von  sich  und  seiner  Wirksamkeit,  sondern  offen- 
bar als  Schauspieldirector:  „Er  ist  es,  der  durchgefallene  neue 
Stücke  (novas  exactas,  von  exigere,  auszischen  der  Stücke)  doch 
noch  zu  Ehren  gebracht.  Er  war  es,  der  namentlich  die  mit 
Ungunst  aufgenommenen  Komödien  des  Caecilius  (Caecili  novas), 
ohne  sich  abschrecken  zu  lassen,  immer  wieder  von  neuem  auf 
die  Bühne  brachte,  damit  nicht  der  Dichter  aus  Verdruss  sich 
ganz  zurückzöge  und  dem  Theater  verloren  ginge,  und  er  sey  es, 
der  es  endlich  auch  durchgesetzt,  jenen  (Caecilius)  zu  einem  Lieb- 
ling des  Volkes  zu  machen  (poetam  restitui  in  locum),  und  er 
auch,  der  jetzt  die  Hecyra  wieder  dem  Publicum  vorführe.  Letz- 
tere Komödie  hatte  jedoch  abermals  Unglück,  und  wiederum  aus 
Anlass  äusserer  Stömng.  i)  Nur  der  erste  Act  konnte  zu  Ende 
gespielt  werden.  Damit  verlor  sie  den  Anspruch,  bei  einer  dritten 
Wiederaufführung  für  eine  nova  zu  gelten.  In  dem  zweiten  Pro- 
log (v.  29)  hiess  es  noch:  vetere  in  nova  cöepi  uti  cousuetudine. 
Aber  von  Hecyra  HI  sagt  der  Prolog  ganz  einfach:  Hecyram  ad 
vos  refero.  '^) 


i)  Prol.  II,  :i(iff.  —  2)  Prol.  21. 


476  I^i*'  römische  Komödie. 

Ueber  den  Director  und  Schauspieler  Ambivms  giebt  Ritschi 
folgendes  der  Beherzigung  jetziger  Theaterdirectoren  empfehlens- 
werthes  ürtheil  ab  ^) :  „Vom  Ambivius  bezeugt  aber  diess  einen 
grossartigen  Sinn,  dass  er,  statt  Stücke  zu  wiederholen,  deren  Glück 
schon  gemacht  war,  eine  Ehre  darein  setzte,  guter  Dichter  nicht 
anerkannte  Werke  zur  Anerkennung  zu  bringen." 

Das  Canticum,  jenes  zur  Flöte  vorgetragene  und  vom 
Schauspieler  durch  Tanzgeberde  ausgedrückte  Gesangstück,  wovon 
oben  schon  gehandelt  worden,  ist,  mit  Eücksicht  auf  die  Komödie, 
durch  die  Zeugnisse  der  alten  Grammatiker  gegen  den  Zweifel 
und  Widerspruch  sicher  gestellt,  welche  neuere  Kritiker  gegen 
das  Canticum  in  der  Tragödie  geltend  machten.  Allein  selbst  in 
Seneca's  Tragödien  treten  die  Gantica  deutlich  hervor.  Im  Thye- 
stes  z.  ß.  V,  2.  Hippolyt.  I,  1.  Medea  IV,  2.  Octavia  I,  1.  u.  Sc. 
3.  u.  a.  m.  Diese  Cantica  können  sogar  einen  Beweis  mehr  da- 
für abgeben,  dass  auch  die  Tragödien  des  Seneca  für  die  Dar- 
stellung gedichtet  waren.  Nacli  Grysar-)  wären  die  Cantica  in 
der  Tragödie  noch  häufiger  angewendet  worden,  als  in  der  Ko- 
mödie. Er  beruft  sich  auf  die  pressi  et  flebiles  modi  der 
Cantica,  bei  Cicero  ^\  und  carmina  modis  lugubra  ^) ;  Bezeichnun- 
gen, die  nm-  vom  Canticum  einer  Tragödie  gelten  können.  An 
einer  andern  Stelle '")  weist  Cicero  recht  deutlich  auf  ein  in  der 
Ti-agödie  Antiopa  des  Pacuvius  gesungenes  Canticum  hin.  Wenn 
Grysar  hierbei  von  Seneca's  Tragödien  absieht,  so  geschieht  diess, 
weil  auch  er  diesen  Tragödien  den  DarsteUungszweck  abspricht. 
Stellt  doch  Grysar,  unbeii-rt  durch  Seneca's  Chöre,  die  Behauptung 
auf:  die  römische  Tragödie  kenne  eben  so  wenig  einen  Chor  wie 
die  römisclie  Komödie.  Das  Gegentheil  hat  Lange  in  seinen. 
zehn  Jahre  vor  Grysar's  Abhandlung  erschienenen  Vindiciae  dar- 
gethan. '') 

Das  Canticum  in  der  Komödie  war  immer  ein  Solostück,  und 
trat  eine  zweite  Person  hinzu,  so  blieb  dieselbe  für  den  das  Can- 
ticum tanzenden  Schauspieler  verborgen  und  stumm;  oder  konnte 
doch  nur  ihr  Selbstgespräch  „für  sich",  als  ein  a  parte,  halten. ') 


1)  p.  .3.3(i.  —  2)  a.  a.  O  319.  —  3)  Tusoul.  1.  35.  —  4)  Das.  III,  19. 
—  .S)  Acad.  VII,  2.  —  6)  p.  22.  Not.  31.  Vgl.  A.  B.  Wolif,  de  canticis  Rom. 
Fab.  1825.  i>.   12.  n.  17.    —  !■  Diom.  de  poem.  gener.  HI.  p.  4S9.  Putsch. 


Cantica.     Recitation.  477 

Die  Cantica  liatteu  ihren  besondern  Compouisten,  der  die  Melo- 
dien (modi)  dazu  setzte,  und  dessen  Namen  der  Titel  des  Stückes 
neben  denen  des  Dichters  und  Schauspielers  trug,  i)  Die  Melodie 
wechselte  mehrmals  in  demselben  Canticum,  was  durch  die  An- 
fangsbuchstaben M.  M.  C.  (mutantm-  modi  cantici)  über  dem  Sce- 
nen-Titel  angedeutet  war,  oder  durch  Zahlen  I,  ü,  III.  in  dem 
Gesangstexte  selbst,  an  der  Stelle,  wo  der  Melodieuwechsel  ein- 
trat, bezeichnet  stand.  2)  Schwieriger  zu  erklären  ist  die  Initial- 
bezeichnimg D.  M.  (diverbiuni  mutatur),  als  Bemerkung,  dass  an 
gewissen  Stellen  auch  im  diverbiuni,  im  gesprochenen  Dialoge, 
eine  solche  Veränderung  anzubringen  sey.  Wahrscheinlich  sollte 
die  Anweisung  D.  M.  einen  Wechsel  im  Tempo  der  Kecitation 
bedeuten,  das  der  Schauspieler,  je  nach  dem  Pathos  der  betref- 
fenden Stelle,  in  seinem  Kedevortrag  zu  ändern  hatte.  ^)  Denn  auch 
der  Komödien-Dialog,  die  gesprochene  Kecitation,  unterschied  sich 
von  der  Gesprächsweise  in  der  gewöhnlichen  Unterhaltung,  von 
unserem  Lustspiel-Dialoge  folglich,  durch  eine  erhöhete  scenische 
Färbung  und  einen  eigenthümlichen  Tonfall.  „Die  komischen 
Schauspieler",  bemerkt  Quinctilian  ^) ,  „sprechen  keinesweges  um- 
so hin,  wie  wir  etwa  ein  Gespräch  zu  führen  pflegen  (ut  nos  vulgo 
loquimur),  was  einem  kunstgemässen  Vortrage  widersprechen  und 
dem  Dargestellten  den  Charakter  der  Nachahmung  rauben 
würde  (quo  vitio  periret  imitatio):  die  Komödieuspieler  erheben 
vielmehr  selbst  diese  gewöhnliche  Sprechweise  in  einen  höhern 
Ton,  und  verleihen  ihr  einen  gewissen  scenischen  Schmuck"  (de- 
core  quodam  scenico  exornant).  Den  Unterschied  der  Kecitation 
in  der  Tragödie  und  der  Komödie  drückt  Apulejus  '■)  so  aus :  Co- 
moedus  semiociiiatur,  Tragoedus  vociferatur:  „Der  Komiker  con- 
versirt,  der  Tragiker  declamirt."  Ks  versteht  sich  von  selbst,  dass 
auch  die  im  jambischen  Senar  vorgetragenen  Soliloquien  dem  di- 
verbium  (der  gesprochenen  Kecitation)  und  nicht  dem  Canticum 
beizuzählen  sind. 

Den  in  der  Melodie  (modi)  der  Cantica  eintretenden  Wechsel, 

1)  Donat.  de  trag,  et  com.  p.  III.  G.  Voss.  Poet.  c.  4.  Du  Bos,  Reti. 
crit.  etc.  III.  p.  135  ff.  —  2)  Herrn,  de  Cant.  in  Roman.  faLul.  scenico 
p.  VII.  -  3)  Wolff  a.  a.  U.  p.  7.  —  4)  Inst.  Or.  XI,  3,  73.  -  5)  Flo- 
rid   III. 


478  ^^^  römische  Komödie. 

sowohl  in  Bezug  auf  Modulationen,  Zeitmaasse  und  Tacte,  als 
Höbe  und  Tiefe  des  Tons,  regelte  die  Flöte  (tibia),  wovon  Do- 
natus  in  den  Anmerkungen  zum  Tereuz  häufig  spricht.  Er  nennt 
drei  Arten  von  Flöten,  die  beim  Vortrag  der  Bühnenspiele  in  Ge- 
brauch waren:  Tibia  dextra  oder  Phrygia;  Tib.  sinistra,  auch 
Tyria  oder  SeiTana  genamit;  und  das  Flötenspiel,  wo  beide,  die 
rechte  und  linke  Flöte  zumal  wirkten.  Man  hat  sich  diese  Flö- 
ten gepaart  zu  denken,  wie  die  Abbildungen  bei  Bartholinus  z. 
B.  ')  zeigen.  Dextra  hiess  die  Flöte,  die  mit  der  rechten  Hand 
auf  der  rechten  Seite  des  Mundes;  sinistra  die  mit  der  linken 
Hand  und  auf  der  linken  Mundseite  gespielt  wurde.-)  Die  dextra 
hatte  drei  oder  mehr;  die  sinistra  wenigstens  vier  Löcher. 3)  Die 
dextra  war  eine  männliche  Pfeife  mit  tiefem  Tone,  wozu  die  si- 
nistra, die  weibliche,  den  Discant  gab.^)  Männliche  und  weibliche 
Flöten  unterschied  schon  Herodot'^):  acXol  avÖQt'^ioi  und  yvvai- 
■Kt'j'ioi.  Die  dem  Mundstück  nähern  und  grossem  Löcher  gaben 
den  höhern  Ton,  die  entferntem  und  kleinern  den  tiefem  Ton 
an.''j  Beim  Monodion  (Solo)  blies  nur  eine,  beim  Synodion  (En- 
semble) bliesen  beide  Pfeifen  zugleich. ')  Mit  gleichen  Flöten 
(Paribus  tibiis)  blasen,  hiess  mit  zwei  rechten  oder  zwei  linken 
blasen,  solchen  nämlich,  deren  Löcherzahl  gleich  war.  Impari- 
bus  tibiis:  mit  einer  rechten  und  einer  linken,  deren  Löcher- 
zahl ungleich  war.^)  Die  Pfeifen  waren  von  gleicher  Länge 
(aequales).  Die  Tj^rhener  hatten  auch  Flötenpaare  von  ungleicher 
Länge  (inaequales).  Der  Flötenspieler  (tibicen)  hatte  beim  Blasen 
unter  dem  rechten  Fuss  ein  balg  artiges  Instrument,  genannt 
Scabillum,  Inojiodioi'  Jt^/Äof;»',  womit  er  den  Tact  schlug.')  Auch 
wurde  wahrscheinlich  damit  Ende  und  Anfang  des  Actes  ange- 
zeigt: Scabilla  concrepant,  aulaeum  tollitur. ' ")  „Der  Tact-Schämel 
erschallt,  der  Vorhang  geht  in  die  Höhe"  (das  Stück  ist  zu  Ende). 
Zweifelliaft  bleibt  es,  ob  dieses  Instrument  (scabillum,  Fuss-Guck- 
guck  ,  Tact-Schämel),    wie  Baumgarteu-Crus.   zu  Sueton'^)  be- 


1)  De  tibiis  veter.  et  ear.  usii  Eom.  1077  II,  10.  Böttig.  Annal.  III. 
S.  192.  —  2)  Fest.  s.  v.  —  3)  Fest.  v.  impares.  —  4)  Apul.  Flor.  n.  3.  p. 
588.  _  5)  I,  47.  _  6)  Macrob.  Soinn.  Scip.  II,  4.  p.  134.  —  7)  Dioni. 
III,  489.  —  8)  Hardouin  zu  Plin.  XVI,  36.  06.  —  9)  Schol.  Aeschin.  in 
Timarch.  c.  52.  —   10»  Cic.  ad  Cool.  27.  -  in  Oalig.  54. 


Tibia.     Scabilluui.     Masken.    •  479 

merkt,  auch  von  dem  Einlielfer,  monitor  (vnoßolEÜg)  benutzt 
wm'de,  welcher  hinter  der  Scene  dem  Gedächtniss  der  Schauspie- 
ler durch  Angabe  der  Khythmen  und  Versmaasse  zu  Hülfe  kam. ') 
Eben  so  ungemss  ist,  ob  der  Tibicen  mit  der  Flöte  dem  Schau- 
spieler im  diverbium  Ton  und  Tempo  angab.  Grysar  hält  den 
Tactschläger  für  eine  vom  Flötenspieler  verschiedene  Person.  Ihm 
zufolge  hat  der  Tactangeber,  mit  einem  Fussdruck  aufs  Scabil- 
lum,  dem  Flötenspieler  den  Tact  bezeichnet.-}  üeber  Eecitatiou 
nach  N  0 1  e  n  z  e  i  c  h  e  n  bei  Griechen  und  Kömern  spricht  aus- 
führlich du  Bos.3) 

Dieselbe  Sorgfalt  und  kunstreiche  Behandlung,  welche  die 
Schauspieler  dem  mündlichen  Vortrage  (pronunciatio)  widmeten, 
bewiesen  sie  in  Ausbildung  der  Geberdensprache  fgestus).  Haupt- 
belege dafür  geben  Quinct,  •*),  Cicero  %  Gellius. ")  Das  Geberden- 
spiel in  der  Komödie  nennt  Quinct.  rasch  bewegt  (celer,  citatus); 
besonders  lebhaft  und  beredt  nemit  er  die  Hand-  und  Finger- 
Gesticulatioueu ,  manus  tremula,  argaita  etc.'j  S.  88  vergleicht 
Quinct.  die  tragische  mit  der  oratorischeu  Gesticulation ,  in  Be- 
zug auf  Würde  und  Gemessenheit.  Den  Anstand  der  Bewegungen 
hebt  Cicero  am  Schauspieler  besonders  hervor:  Histrio  quod  de- 
ceat,  quaerit.^) 

Der  Masken  in  der  Komödie  hatte  sich,  laut  Donat-^),  zu- 
erst'bedient  Cincius  Faliscus  (statt  Cincius  et  Faliscusj  i");  in  der 
Tragödie  Minutius  Prothonius  (statt  Minuc.  et  Proth.j.  Diome- 
des,  wie  schon  angegeben,  nennt  den  Koscius  Gallus  als  ersten 
Spieler  mit  der  Maske.  Du  Bos  schreibt  Rosius  Gallus,  und 
scheint  diesen  für  einen  von  dem  berühmten  Koscius  verschiede- 
nen Komödienspieler  zu  halten.  ^  ^)  Früher  haben  sich  die  Komö- 
dien- und  Tragödienspieler  einer  KopfI:)edeckung  (galerus)  be- 
dient, die  durch  Farbe  und  Form  Alter  und  Geschlecht  kenntlich 
machte  '  ^):  Antea  galeris,  non  personis  utebantur.  In  der  Einleitung 
zu  den  Adelphi  des  Terenz  führt  Üonat  u.  a.  den  Ambivius  u.  L. 


1)  Plut.  polit.  praec.  p.  497  ed.  Bos.  —  2)  Vgl.  Pauly,  Real-Ency- 
klop.  etc.  VI,  2.  S.  1775  flP.  —  3)  Refl.  crit.  etc.  lU.  Sect.  6— 10.  -  4)  XI, 
3,  66—72.  —  5)  de  Orat.  59.  —  6)  I,  5.  —  7)  XI,  92.  u.  123.  —  S)  Orat. 
22.  —  9)  de  Com.  et  trag.  p.  IX.  ~  lU)  Wolff  p.  23.  ~  11)  A.  a.  0.  p. 
183.  -  12)  Diom.  a.  a.  0. 


480  Die  römische  Komödie. 

Tui-pio  als  Hauptspieler  an  und  bemerkt,  dass  sie  mit  ihren  Trap- 
pen scliou  damals  maskiii;  spielten  (jam  tmn  personati  agebant; 
595  d.  St.,  mithin  etwa  20  Jahre  vor  Roscius'  Geburt,  die  um 
625  d.  St.  fällt.  Zu  Cicero's  Zeiten  mochten  die  Schauspieler 
in  der  Komödie  und  Tragödie  abwechselnd  mit  und  ohne  Maske 
aufgetreten  seyn.  Wie  hätte  er  sonst  von  dem  leidenschaftlichen 
Gesichtsausdrucke  des  grössten  tragischen  Schauspielers  der  Eö- 
raer ,  des  Aesopus ,  sprechen  können  ?  ')  (In  Aesopo  tantus  ardor 
vultuum).  Und  dann  wieder  2)  „Als  mir  aus  der  Maske  die 
Augen  des  Schauspielers  entgegenleuchteten"  (Quum  ex  persona 
mihi  ardere  oculi  histriouis  viderentur).  Vielleicht  lässt  sich  jene 
von  Scaliger  missverstandene  schon  oben  berührte  Stelle  desFestus  3) 
quod  caeteris  histrionibus  pati  uecesse  est,  dass  nämlich  die  Ko- 
mödien- und  Tragödienspieler,  auf  Verlangen  des  Publicmns,  die 
Maske  ablegen  mussten,  auf  dieses  abwechselnde  Spielen  mit 
und  ohne  Maske  beziehen,  was  bei  den  Atellanenspielern  eben 
nicht  der  Fall  war,  welche,  vermöge  ihres  Masken- Vorrechtes,  stets 
mit  der  Gesichtslarve  spielten. 

Farbe  und  Form  des  Costüms  in  der  Komödie  war,  dem 
Donat  zufolge,  nach  Alter  und  Stand  verschieden.  Greise  tru- 
gen sich  weiss.  Die  Tracht  der  Jünglinge  war  bunt.  Sklaven 
hatten  ein  kurzes,  knappes  Mäntelchen.  Parasiten  erschienen 
in  einem  um  den  Leib  gewickelten  Mantel  (intortis  paUiis).  Vor- 
nehme zeichnete  die  Purpurfarbe  aus.  Braunroth  war  die  Farbe 
der  Armen;  die  (Jhlamys  der  Soldaten  dunkelroth;  der  Anzug  der 
Mädchenhändler  (leno)  mehrfarbig.  Die  ßuhldirnen  gingen  schwarz. 

Die  C  0  m  0  e  d  i  a  p  a  1 1  i  a  t  a ,  worunter,  erwähntermaasseu,  die 
iu's  Kömische  umgebildete  neue  Komödie  des  Menander,  Phile- 
mon,  Diphilos  u.  s.  w.  verstanden  wird,  ist  für  uns  einzig  und 
allein  durch  Plautus  und  Terentius  vertreten;  denn  von  Caecilius 
Statins,  dem  grössten  Dichter  der  Com.  palliata,  der  Ansicht  rö- 
mischer Kunstrichter  zufolge,  sind  nur  Brachstücke  vorhanden. 

Marcus  Accius  Plautus. 

Ueber  sein  Leben  können  wir  uns  kurz  fassen,  da  selbst 
die   Gelehrten    darüber  blutwenig  wissen  und,    was  man  weiss, 


1)  ad.  div.  1,  37.  —  2;  de  Orat.  11,  4ü.  —  3)  p.  13y. 


M.  A.  Plautus.     Sein  Leben  und  sein  Name.  4g  1 

Lessing  bereits  in  seiner  allbekannten  „Abhandlung  von  dem 
Leben  und  den  Werken  des  Marcus  Accius  Plautus  1 750 "  ^) 
niitgetheilt  hat.  Niclit  einen  Zug,  nicht  die  kleinste  Notiz 
veiToochte,  ein  halbes  Jahrb.  nach  Lessing,  unser  gelehrter 
Prof.  Georg  Gustav  Samuel  Köpke  seinem  „Leben  des  Plautus"  -) 
hinzuzufügen.  Man  müsste  denn  die  tröstliche  Versicherung 
(S.  Xlll.;  für  einen  solchen  Beitrag  ansehen  wollen:  „Hätte  der 
treufleissige  Epitomator  Aulus  Gellius;  gewusst,  dass  seine  Nach- 
richten über  die  Lebensverhältnisse  des  Plautus  '■;  die  einzigen 
seyn  würden,  welche  auf  uns  kommen  sollten,  so  Avürde  er  uns 
unstreitig  mehr  gemeldet  haben."  Oder  man  müsste  den  gelehr- 
ten Stossseufzer  (S.  XV)  für  voll  nehmen:  „Wie  sehr  ist  es  zu 
bedauern,  dass  die  drei  Stücke,  welche  er  (Plautus)  des  Nachts 
in  der  Mühle  gedichtet  hat,  nicht  auf  uns  gekommen  sind ! "  Und 
die  von  Gelehrsamkeit  strotzenden,  das  ganze  Plautus -Material 
beherrschenden  und  erschöpfenden  Untersuchungen  Ritschl's  haben 
sie,  hundert  Jahre  nach  Lessing's  Abhandlung,  eine  einzige  Nach- 
richt mehr  über  Plautus'  Lebensverhältnisse  ans  Licht  fördern 
können?  Nicht  nur  das  Leben,  selbst  der  ohnehin  schon  schwan- 
kende Name  des  Plautus  schwebt  in  der  gi'össten  Gefahr  zu 
nichte  geforscht  zu  werden.  Eine  der  gründlichsten  Abhand- 
lungen, die  über  vierzig  lateinisch  gesckriebene  Seiten  beträgt: 
De  Plauti  Poeta  nominibus,  zerklittert  die  Namen  des  Lustspiel- 
dichters so  faserklein,  dass  dieser  schliesslich  seinem  Schöpfer, 
dem  gelehrten  Verfasser  des  Parergon,  danken  kann,  Avenn  er  von 
dem  Namen  Marcus  Accius  Plautus  Asinius,  oder  M.  Attius  oder 
gar  Maccius  Plautus,  den  M.  Attius  Plautus  mit  heiler  Haut  da- 
vonträgt. Von  einem  Codex  wird  der  Vorname  M.  Accius  zum 
Maccus  veranstaltet,  was  an  die  Groteskfigur  der  Atellanen  erin- 
nern könnte;  vom  Grammatiker  Festus  der  Zuname  Plautus  zum 
Plotus,  Plattfuss,  breitgetreten,  nach  der  umbrischen  Mund- 
art, welclie  Plotus,  Breitfuss  (ii'UccrQ),  für  Plautus  ausspricht,  weil 
sicli  die  Umbrier  durch  platte  Füsse  unterschieden,  dergleichen 
natürlich  auch  unser  zu  Sarsina  in  Umbrien  geborener  Lustspiel- 


1)  Bd.  III.  S.  1—27.  Lachm.  —  2)  Vor  der  Uebers.  von  neun  Plautin. 
Lustspielen.  —  3)  HI,  c.  3. 

n.  31 


4^2  ^^^^  römisclie  Komödie. 

dichter  mit  auf  die  Welt  gebracht  hatte,  so  dass  er  gleichsam 
schon  dmxh  die  Gebmi  zum  Atellauischeu  Planipes  (Flachfuss) 
gezeichnet  worden.  Das  böseste  Lotterspöttlein  aber  hing  dem 
Namen  des  Plautus  der  gelehrte  Meursius  an,  der  den  in  drei 
Handschriften  gefundenen  Beinamen  zu  M.  A.  Plautus:  Asinius, 
zum  A  s  i  n  u  s  machte,  weil  das  angeblich  der  Spitzname  aller  de- 
rer gewesen,  welche,  wie  Plautus  eine  Zeit  lang,  als  Müllerknechte 
Handmühlen  drehten  und  daher  Asini,  Mülleresel,  hiessen.  Les- 
sing bemerkt  dabei:  „Dass  ilm  (Plautus)  gewiss  niemand,  als  der 
niedrigste  Pöbel,  oder  seine  ärgsten  Feinde,  damit  werden  belegt 
haben."  Wann  aber  Plautus  zu  Sarsina  in  Umbrien  geboren  wor- 
den, von  Plautus'  Gebui-tsjahr,  wusste  Mem'sius  nichts  zu  melden; 
weiss  auch  Kitschi  nichts  Näheres,  trotz  der  32  Seiten,  die  er 
De  aetate  Plauti,  mit  Ausbeutung  aller  möglichen  Quellen  und 
Codices,  vollgeschrieben.  Auch  über  Plautus'  Todesjahr  würden 
wir  völlig  im  Dunkeln  geblieben  seyn  ohne  die  Stelle  in  Cicero's 
Brutus  (c.  15),  laut  welcher  Plautus  570  d.  St.,  folglich  184  vor 
Christ,  gestorben  sey.  Der  heil.  Hieronymus  giebt,  im  Chronikon 
des  Euseb.,  als  das  Todesjahr  des  Plautus  J45  Olymp.  (1U6  vor 
Chr.)  an.  Von  den  Eltern  des  Plautus  weiss  man  gerade  so  viel 
wie  von  seinem  Geburtsjahr.  Er  soll  von  Sklaven  abstammen, 
und  selbst  Sldave  gewesen  seyn.  Mit  seinen  Komödien  hatte  er, . 
wie  Gellius  berichtet,  so  viel  erworben,  dass  er  einen  Handel  an- 
fangen konnte.';  Er  verlor  wieder  Alles  und  musste  sich  aus 
Noth  zu  einem  Bäcker  vemiiethen:  „Die  Kunst  geht  nach  Brod", 
und  dreht  zu  diesem  Zweck  Handmühlen.  Während  seines  Aufent- 
haltes in  der  Mühle  dichtete  er  drei  Lustspiele.  Den  Saturio, 
den  Addictus  und  noch  eine  andere  Komödie,  auf  die  sich  Gel- 
lius nicht  besinnen  kann.  Aber  auch  von  den  ersten  beiden  sind 
blos  die  Namen  übrig  geblieben,  bis  auf  einen  Vers  aus  dem  Ad- 
dictus, den  ein  Ausleger  von  VirgiFs  Georg,  anführt,  und  ver- 
schiedene Stelleu  aus  dem  Satui'io,  die  Festus  aufbewahrt  hat. 
Plautus  durfte  sich,  trotz  Handmühle,  des  Umgangs  mit  Naevins 
und  Ennius  rühmen.  An  den  Umstand,  dass  er  Zeitgenosse  von 
Cato  d.  Aelt.  war,  knüpft  Lessing  die  Bemerkung:   „Rom  hatte 


1)  Amphitr.  prol.  v.  72. 


Plaiitus.     YaiToiiianae  Fabulae.  4g3 

also  damals  7ai  einer  Zeit  zwei  der  grössten  Geister,  die  aber, 
ihrer  Gemütlisbescliaffenheit  nach,  einander  sehr  ungleich  waren. 
Wer  war  ernsthafter  als  Cato?  Wer  war  scherzhafter  als 
Plautus?'' 

Bei  den  Plattfüssen,  womit  Festus,  bei  dem  Asinus,  womit 
Meursius  den  gTössten  komischen  Dichter  der  Römer  bedachte, 
lassen  es  die  andern  Ausleger  nicht  bewenden.  Diesen  zu  Folge 
sollte,  wie  Lessiug  sich  ausdrückt,  den  Plautus  „die  Natur  recht 
dazu  ausgekünstelt  haben,  seine  ernsthaften  Mitbürger  zum  La- 
chen zu  bringen."  „Ein  schwärzliches  Gesicht,  rothes  Haar, 
ein  hervon'agender  Bauch,  ein  grosser  Kopf,  ein  Paar  scharfe 
Augen,  —  diese  Stücke  stelle  man  auf  ein  Paar  übermässig 
grosse  Beine  mit  dicken  Waden,  so  möchten  wir  migefähr  das 
Bild  unseres  Komödienschreibers  haben",  fügt  Lessing  hinzu. 
Das  Bild  nämlich,  wie  es  Plautus  selbst  von  seinem  Pseudolus  ^j 
zeichnet,  unter  dessen  Gestalt  der  Dichter,  in  den  Augen  seiner 
Ausleger,  sich  nur  selbst  konnte  geschildert  haben.  Auf  welches 
Merkmal  hin?  Auf  Grund  des  magnis  pedibus,  das  unter  dem 
Kennzeichen  in  jener  Stelle  vorkommt.  „Grosse  Füsse  —  ruft 
Lessing  —  „Aber  Plautus  soll  ja  nicht  grosse,  sondern  platte 
Füsse  gehabt  haben.  Die  Herren  Kunstrichter  sind  überhaupt 
sehr  scharfsichtig",  und  mochte  dabei  im  Stillen,  gelegentlich  der 
platten  Füsse,  auch  an  platte  Köpfe  denken. 

Die  hundertdreissig  Komödien,  die  zu  Gellius'  Zeiten 
unter  Plautus'  Namen  gingen,  hatte  schon  der  alte  römische  Anti- 
quar und  Grammatiker  Varro  auf  ein  und  zwanzig  herabge- 
setzt, und  die  übrigen  einem  andern  römischen  Komödiendichter 
mit  Namen  Plautius  in  Rechnung  gestellt.  Die  21  von  VaiTO 
als  acht  Plautinische  bezeichneten  und  erlialtenen  Komödien  heissen 
daher  auch  Varro ni au ae  fabulae.  Von  diesen  handelt  Ritschl's 
Dissert.  HL:  „Die  Fabulae  VaiTonianae  des  Plautus",  auf  170  Seiten 
auf  die  wir  nur  verweisen  können.  Theilen  wir  dafür  Einiges 
von  den  Ansichten  mit,  welche  alte  und  neue  Kunstrichter  über 
Plautus,  als  komischen  Dichter,  zum  Besten  gaben.  Das  älteste 
Zeugniss  ist  das  von  Varro  selbst-):  In  den  Argumenten  fFabel- 
durchführung;  gebührt,  nach  Varro,  dem  Caecilius  die  Palme,  in 


n  IV,  7.  V.  120 f.  —  2)  Bei  Non.  v.  Poscere. 

31* 


4g4  I^ie  römische  Komödie. 

der  Sitten-  imd  Charakterschilderung  und  im  Dialoge  (in  sermo- 
nibus)  dem  Plautus.  Cicero  bemerkt  •):  „Es  giebt  eine  doppelte 
Art  zu  scherzen,  die  eine  eines  freien  Mannes  unwürdig,  muth- 
willig,  lasterhaft,  schmutzig;  die  andere  gesittet,  fein,  geistreich, 
witzig,  von  welcher  letztern  Art  nicht  nur  unser  Plautus  und 
die  alte  Komödie  der  Attiker,  sondern  auch  die  Bücher  der  So- 
kratischen  Philosophen  angefüllt  sind."  Dagegen  sticht  das  Urtheil 
des  Horaz  merklich  ab  -) : 

At  proavi  nostri  Plautinos  et  numeros  et 
Laudavere  sales,  inniium  patienter  utrumque. 
Ne  dicam  stulte  mirati  .  .  . 

unsere  Väter  jedoch,  sie  priesen  die  Ehythmeu  des  Plautus, 
Priesen  sein  Salz  auch;  beides  zu  duldsam,  um  nicht  zu  sagen, 
Thöricht  bewundernd  .  .  . 

Einen  andern  Ausspruch  des  Varro:  „Die  Musen  würden  Plau- 
,  tinisches  Latein  sprechen,  wenn  sie  Kömisch  reden  wollten,"  führt 
Quinctil.  an  3);  meint  aber  trotzdem,  dass  es  mit  der  römischen 
Komödie  am  meisten  hinke:  In  comoedia  maxime  claudicamus. 
Die  erste  Stelle,  was  Latinität  und  geschmackvollen  Ausdruck 
betrifft,  weist  Gellius^)  dem  Plautus  an:  Plautus  homo  linguae 
atque  elegantiae  in  verbis  latinae  princeps.  Als  Beweis  allgemeiner 
Bewunderung  führt  Macrob.^')  den  Umstand  an,  dass  nach  Plau- 
tus' Tode  alle  an  Witz  und  Komik  reichen  Komödien,  deren 
Verfasser  unbekannt  waren,  dem  Plautus  zugeschrieben  wurden. 
Der  h.  Hieron} mus  ergötzte  sich  an  Plautus,  „wenn  er  in  vielen 
Nachtwachen  aus  Keue  über  seine  begangenen  Sünden  herzliclie 
und  bussfertige  Thränen  vergossen  hatte". '^)  Sid.  Apollinaris  rühmt 
am  Plautus  vor  Allem  den  Genius,  das  Genie ')  und  die  Amnuth 
des  Plautiniöchen  Scherzes :  '^) 

Grajos  Sales  lepore  transit. 

Bei  Gellius  '■')    entwirft    Volcatius   Sedigitus  nachstehende  Rang- 
folge der  zehn  vorzüglichsten  röijiischen  Komödiendichter: 


1)  de  Oif.  1,  29.  —  2)  Ad  Pis.  v.  270tt'.  —  3)  X,  1.  -  4)  \'II,  18.  — 
5)  Sat.  n,  1.  —  6)  de  cast.  Vii-gin.  ad  Eustach.  47.  —  7)  Paneg.  ad  An- 
thcm.  Aug.  p.  29.  —  8)  Carm.  XXIll.    --  9)  XV,  24. 


Rangfolge  der  römischen  Koinödiendichter.  435 

Caecilio  pabiiain  Statio  do  Comico  .  .  . 
Plaut  US  secundus  facile  exsuperat. 
Dein  Naevius,  qui  servet,  pretio  in  tertio  est. 
Si  erit  quod  quarto  deti;r,  dabitur  Licinio. 
Post  insequi  Licinium  facio  Atilium. 
In  sexto  consequetur  hos  Terentius. 
Turpilius  septimuni,  Trabea  octavum  obtinet. 
Nono  loco  esse  facile  facio  Luscium. 
Decimum  addo  antiquitatis  causa  Ennium. 

Die  Palme  reich'  ich  dem  Caecilius  Statius. 
Als  Zweiter  ragt  wohl  Plautus  hoch  hervor. 
Der  dritte  Preis  gebührt  dem  Naevius. 
Den  vierten  geb'  ich  dem  Li  ein  ins. 
Dann  folgt  nach  meinem  Sinn  Atilius. 
Terentius  nimmt  die  sechste  Stelle  ein. 
Die  siebente  Turpil,  die  achte  Trabea. 
Als  neunter  schliesse  Luscius  sich  an. 
Als  Zehnten  nenn'  ich  Alters  halber  Ennius. 

Aehnlich  mustert  Horatius  ')  die  vier  berühmtesten  Komiker : 

Ganz  dem  Menandros  schätzen  sie  gleich  des  Afranius  Lustspiel, 
Plautus  eüe  zum  Ziel  der  Entwicklung,  wie  Epicharmus, 
Wie  Caecilius  würdig,  so  sei  Terentius  kunstreich. 

Dicitur  Afrani  toga  convenisse  Meuandro, 
Plautus  ad  exemplar  Siculi  properare  Epicharmi, 
Vincere  Caecilius  gravitate,  Terentius  arte. 

Vor  allen  andern  ürtheilen  neuerer  Kunstrichter  über  Plau- 
tus würden  wir  unzweifelhaft  eines  von  Lessing  obenan  zu 
stellen  haben,  wäre  leider  nicht  auch  diese  Abhandlung  ein  Ent- 
wurf geblieben,  welcher,  ausser  der  Lebensskizze  des  Plautus, 
nur  eine  Erörterung  über  die  Gefangenen  (Captivi)  enthält. 
Unter  den  schätzenswerthen  Vorbemerkungen,  von  Pi'of.  Köpke, 
zu  seiner  vorzüglichen  üebersetzung ,  scheint  uns  N.  il.:  „Dich- 
terischer Charakter  des  Plautus",  eben  nicht  das  Erlesenste 
und  Gehaltvollste.  Hier  schwingt  sich  das  ästhetische  ür- 
theil  auf  den  Flügeln  allgemeiner  Lobpreisung  bis  zu  der  Wol- 
kenhöhe empor,  wo  die  Gedanken   den  Wolken  in's  Handwerk 


1)  Ep.  II,  1.  V.  57flF. 


486  I^i^  römische  Kuinödic. 

greifen,  und  bestimmte  Gestalten  anzunehmen  sclieinen,  in  denen 
gleichwohl  Hamlet  undPolonius  bald  ein  Kameel,  bald  ein  Wie- 
sel, bald  wieder  einen  Walfisch  erkennen  würden,  aber  einen  ohne 
Propheten  im  Leibe.     S.  XVII,  z.  B.: 

„Es  ist  nicht  blos  der  tiefe  psychologische  Blick,  welcher 
ihn  rPlautus)  als  Menschenkenner  und  poetischen  Darsteller  mensch- 
licher Charaktere  auszeichnet;  nicht  blos  die  Kraft  des  Geistes, 
durch  welche  es  ihm  gelang  die  zahllosen  Formen  des  bürgerli- 
chen Lebens  in  sich  aufzunehmen  und  lebendig  wiederzugeben; 
sondern  es  ist  gewiss  noch  etwas  Eigenes,  was  ihn  als  dramati- 
schen Dichter  unterscheidet.  Es  ist  die  eigenthümliche  Neigung 
seines  Genius,  den  Dingen  und  Charakteren  und  Situationen  des 
Lebens,  auch  den  trübsten  und  schmerzlichsten,  überall  die  ko- 
mische Seite  abzugewinnen,  und  wie  Shakspeare,  in  welchem 
die  Natur  seine  komische  Kraft  wiederholt  zu  haben  scheint,  mit 
einem  gewissen  humoristischen  Stoicismus  und  mit  einer  kecken 
üeberlegenheit  selbst  der  Leiden  der  menschlichen  Natur  und  der 
bürgerlichen  Verhältnisse  zu  spotten."  Heisst  das  nicht,  seinen 
Plautus  im  eigentlichsten  Sinne  bis  zu  den  Wolken  erheben? 
Schade  nur,  dass  bei  dieser  Gelegenheit  jeder  bestimmte  Zug  zu 
Plautus'  „dichterischem  Charakter"  in  Dunst  zerfliesst.  Dafür 
lassen  sich  aber  an  diesen  Perioden  Studien  zu  Howard's  sämmt- 
lichen  Wolkenbildungen  machen:  Stratus,  Cumulus,  Cirnis,  wir 
sehen  sie  schweben;  vor  allen  jene  hehre  Wolkenform,  „Nimbus" 
genannt: 

„Die  Rede  geht  herab,  denn  sie  beschreibt; 
Der  Geist  will  aufwärts,  wo  er  ewig  bleibt." 

Suchen  wir  nach  festeren  Anhaltspunkten  für  die  Charakteri- 
stik der  Plautinischen  Komödie,  ohne  desshalb  ins  Weite  zu 
schweifen,  denn  das  Gute  liegt  so  nah.  Wir  finden  es  fiisch  in 
dem,  so  viel  uns  bekannt,  neuesten  Urtheile,  das  nicht  minder 
durch  die  Autorität,  der  es  entstammt,  als  durch  eigenen  Gehalt 
sich  empfiehlt.  Der  berühmte  Verfasser  der  Römischen  Geschichte 
zeichnet  die  Eigenthümlichkeiten  und  Verschiedenheiten  der  beiden 
römischen  Komödiendichter  mit  wenigen  kräftigen  Federstrichen  ') : 


1)  Th.  Moninisen  K.  G.  U.  B.  4.  c.  13.  S.  il2ff. 


Plautus  uiul  Terenz.  4g7 

„Plaut US  schürzt  und  löst  den  Knoten  leichtfertig  und 
lose;  Terenz  trägt  überall,  nicht  selten  auf  Kosten  der  Span- 
nung, der  Wahrscheinlichkeit  Rechnung.  Plautus  malt  seine 
Charaktere  mit  breitem  Pinsel  ...  Terenz  behandelt  die  psy- 
chologische Entwicklung  mit  einer  sorgfältigen  Miniaturmalerei. 
In  den  Motiven,  wie  in  der  Sprache  steht  Plautus  in  der  Kneipe, 
Terenz  im  guten  bürgerlichen  Haushalt.  Bei  Plautus  herrscht 
Opposition  in  der  Kneipe  gegen  das  Haus.  Die  Terenzischen 
Komödien  ruhen  auf  einer  sittlichen  AufFassmig  der  Frauenuatur 
und  namentlich  des  ehelichen  Lebens  .  .  .  Bei  Plautus  prellen 
mid  foppen  die  Söhne  die  Väter.  Terenz  hat  pädagogische 
Zwecke.  Im  „Selbstpeiniger"  wird  der  verlorene  Sohn  durch  vä- 
terliche Weisheit  gebessert.  In  den  „Brüdern"  geht  die  Pointe 
darauf  hinaus,  zwischen  der  allzuliberalen  Onkel-  und  der  allzu- 
rigorösen  Vatererziehung  die  rechte  Mitte  zu  hnden.  Plautus 
liebt  den  raschen,  lärmigen  Dialog,  die  lebhafteste  Mimik  der 
Schauspieler.  Terenz  beschränld;  sich  auf  ruhiges  Gespräch  und 
gab  seinen  Schauspielern  Masken.  Plautus'  Sprache  fliesst  über 
von  bm'lesken  Wortwitzen  ...  Terenz'  Sprache  ist  elegant; 
er  hat  feine  Pointen,  zierliche,  epigrammatische  Wendmi- 
gen"  .  .  . 

Die  Betrachtung  der  einzelneu  Komödien  wird  uns  die  fein 
abgewogene  Parallele  würdigen  lassen.  In  einige  Verlegenheit 
bringt  uns  die  „Kneipen-Sprache"  des  Plautus,  die  mit  Varro's 
und  Cicero's  Bewunderung  der  Plautinischen  Sprache  sich  so  gar 
nicht  reimen  Avill.  Werfen  wir  inzwischen  einen  Blick  auf  die 
metrische  Beschaffenheit  dieser  Sprache,  und  lernen  wir  aus  den 
Winken,  die  der  kundige  üebersetzer  darüber  ertheilt,  wenigstens 
die  feine  Kunst  und  das  tiefe  Verständuiss  des  Handwerks  schätzen, 
womit  der  plebeische  Plautus  seinen  Dialog  einigermaassen  zu 
veredeln  strebte. 

Zunächst  wird  man  wohl  unsern  Volksdichter  als  den  Schöpfer 
des  komischen  Senar  betrachten  dürfen,  des  jambischen  sechs- 
füssigen  Verses  der  Komödie.  Derselbe  unterscheidet  sich  von 
dem  griechischen  Trimeter  dadurch,  dass  dieser  nach  Dipodieen, 
d.  h.  je  zwei  Füssen  zu  drei  Paaren,  oder  drei  doppelten  Vers- 
füssen  gemessen  wird,  während  der  jambische  Senar  der  Römer 
nach  einzelnen  Versfüssen,  Monopodieen,  zählt,  deren  sechs  zu 


488  Die  römische  Komödie. 

einem  solchen  Verse  gehören;  daher  der  Vers  auch  Senar  heisst. 
Vom  tragischen  Senar  unterscheidet  sich  der  komische  Sechsfuss 
des  Plautus  durch  häufigere  Einmiscliung  anderer  Versfüsse,  na- 
mentlich von  Tribrachen  (^  ^  ^)  und  Anapästen  {>->  ^  -),  und  auch 
darin,  dass  der  jambische  Senar  bei  Plautus  und  Terenz  sowohl 
in  geraden  als  ungeraden  Füssen,  also  auch  an  der  zweiten  und 
vierten  Stelle,  für  welche  die  Regel  den  Jambus  vorschreibt';, 
statt  desselben,  auch  Spondeen  und  Tribrachen  anwendet,  den  ein- 
zigen sechsten  Fuss  ausgenommen,  der  nur  den  Jambus  oder 
Pyrrhichius  (-^  ^)  gestattet.  Diese  grössere  Mannigfaltigkeit  und 
Freiheit  der  Versform  liegt  in  dem  raschern  Gang  des  Komödien- 
dialogs begTündet.  Plautus  bediente  sich  dieser  Freiheit  um  so 
lieber,  da  ihm,  wie  Köpke  bemerkt,  „besonders  daran  lag,  die 
Umgangssprache  der  edleren  römischen  Familien  auf  die 
Bühne  zu  bringen."  Die  Bemerkung  setzt  uns  in  flagranten  Wi- 
derspruch mit  der  Sprache  der  Kneipen  und  Bauerschenken ;  doch 
scheint  sie  uns  keine  Stimme  aus  den  Wolken,  wie  die  Schil- 
derung des  Charakters  der  Plautinischen  Komödie. 

Der  Einschnitt  (Cäsur)  ist  meist  regelrecht  nach  der  ersten 
Sylbe  des  dritten  Fusses,  oder  auch  nach  der  ersten  Hälfte  des 
vierten  Fusses.  Doch  findet  man  auch  sogenannte  Alexandri- 
ner, wo  sich  der  Senar  in  zwei  gleiche  Hälften  theilt,  z.  B.  im 
Trinummus  (v,  55): 

Vivit  I  victu  I  i-aque  est  | .    Bene  her  1  cle  nun  ]  cias. 

Des  Senars  bedienten  sich  Plautus  und  Terenz  besonders  in 
den  Prologen  der  Stücke,  und  in  den  ersten  Scenen  der  Expo- 
sition, wo  der  Inhalt  zwischen  zwei  Sprechenden  ruhig  entwickelt 
wird.  Der  Senar  tritt  in  der  Regel  wieder  ein,  wo  der  Dialog  ruhig 
wird.     Auch  achtfüssige  jambische  Verse,  Octonare  finden   sich 

')  Spondaeos  stabiles  in  jura  paterna  recepit 

Commodus  et  patiens,  non  ut  de  sede  secunda 
Cederet  aut  quarta.  socialiter. 
Nahm  spoiidcische,  f'estauftretende  Püss'  er  (der  Jambus)  auf  in's  Erbreich 
Gütig  verträglichen  Sinns,  nur  nicht  vom  zweiten  und  vierten 
Platze  zu  gehn  gar  sehr  aus  Gefälligkeit  ... 

Hör.  A.  P.  V.  25fi  ff. 


Der  koniisrhe  Senar.  489 

beiPlautus:  volle  facatalectici)  z.  B.  in  den  „Kriegsgefangenen" 
rm.  3.  V.  1  flf.) : 

Nunc  il  I  lud  est  |  quom  me  \  fuis  |  se  nimi  1  o  ma  |  velim  .  .  . 

„Jetzt  ist  I  der  Au  |  genblick,  j  wo  lie  |  ber  todt  |  ich   als  |  am   Le  |  ben 

war"  .  .  . 

Um   eine  Sylbe    verkürzte  Octonare  (catalectici) ,   wie  in   dem 
„Hausgespenst"  (Mostellaria)  I.  3.  v.   I — 90: 

Jam  pri  |  dem  e  ca  |  stör  fri  |  gida  !  non  la  i  vi  magis  |  luben  |  ter  .  .  . 
„Seit  lan  i  ge,  wahr  ]  lieh,  hab'  |  ich   auch  i  so   gern  |  nicht  kalt  |  geba 

det"  .  .  . 

Selbst  hyperkatalektische,  mit  einer  Sylbe  überschla- 
gende Senare  braucht  Plautus  (Cistellaria  I.  v.  23 fj: 

Sua  I  rum  nos  i  opum  |  volunt  |  esse  in  |  digen  |  tes  .  .  . 

„Stets  sol  I  len  wir  |  nur  ih  |  res  Schutz  |  es  se)ni  |  bedürf  j  tig"'  .  .  . 

Von  den  trochäischen  Sylbenmaassen  finden  sich  acht- 
füssige  (Octonarii)  am  gewöhnlichsten:  volle,  in  leidenschaft- 
lichen Scenen  benutzt,  in  denen  sich  Furcht  und  Freude,  Angst 
und  Verwirrung,  Hoffnung  und  Verzweiflung  aussprechen.  Es 
giebt  aber  trochäische  Octonare,  in  denen  man  nur  Spondeen, 
Tribrachen  und  Daktylen  findet.  Tribrachen  und  Daktylen  sind 
besonders  wegen  ihrer  lebhaften  Bewegung  für  den  vollen  Oc- 
tonar  beliebt: 

Opta  I  ti  ci  I  ves,  popu  |  lares  |  inco  |  lae,  acco  |  lae,  adve  |  uae  onmes. 

Verkürzte  Octonare  (catalectici)  werden  fast  eben  so  häufig 
von  Plautus  gebraucht  wie  die  Senare.  Sie  fangen  gewöhnlich 
schon  im  zweiten  Aufzuge  an  und  gehen  oft  bis  au's  fJude  des 
Stücks.  Ihr  Gesetz  ist,  in  zwei  Hälften  zu  zerfallen,  deren  erstere 
aus  vier  Trochäen  besteht,  und  die  zweite  kleinere  aus  dreien  und 
der  überschlagenden  Sylbe.  In  den  geraden  Füssen  (2.  3.  6. 
Stelle)  sind  Spondeen  und  Tribrachen  zur  Abwechselung  beliebt: 

Quanta  |  pernis  |  pestis  \  veniet!  |  Quanta  ,  labes  1  lari  |  do ! 

Quanta  |  laniis  |  lassi  |  tudo!  |  Quanta  |  porci  |  nari  |  is! 

„Ha,   wie  |  sollen   die  |  Schinken  |  schwinden!  |  Wie  soll  1  schmecken  |  mir 

der  I  Speck! 
Ha,  wie  |  sollen  die  |  Schlächter  |  schwitzen!  |  Wie  der  |  Schweine  |  käufer  | 

Schaar!" 


490  Die  römische  Komödie. 

Bacchien  (v^  -  -)  finden  sich  häufig  in  Plautinischen  Stücken, 
gewöhnlich  vierfiissig  (tetrametri).  Statt  des  Bacchius  nicht  sel- 
ten der  Molossus  ( ): 


<y  —    — 


Nam  multum  j  loquaces    merito  omnes  |  habemur 

„Mit  Recht  glaubt  |  man  allsammt  |  die  Weibsleu  |  te  schwatzhaft." 

Auch  das  Bakcheische  Sylbenmaass  scheint  am  meisten  für  lei- 
denschaftliche Stimmungen  gebraucht  zu  se}^.  Köpke  bemerkt 
dabei  (XXXIII.J:  „Eben  daher  gehen  dergleichen  Stellen  selten 
über  zehn  Verse  hinaus,  in  denen  sich  alsdann  eine  bestimmte 
Empfindung  des  Unwillens  oder  der  Lust  monologisch  ausspricht, 
und  welche  alsdann  enden,  wann  ein  neu  hinzu  Kommender  den 
Ausbmch  der  Empfindung  hemmt,  oder  wenn  die  Gedankenreihe 
geschlossen  ist." 

Als  gewöhnlichen  Begleiter  Bakcheischer  Verse  treten  in  Plau- 
tus'  Stücken  auch  kretische  Verse  meist  vieifüssig  auf.  Ihr 
Gang  oder  Schema  ist:  -w-i-w-i-w-i_v^_ 

Nam  doli  |  non  doli  |  sunt  nisi  a  j  stu  colas. 

,,Kein  Betrug  |  ist  Betrug  [  wenn  du  nicht  \  schlau  ihn  pflegst." 

„Sieht  man",  belehii;  uns  Prof.  Köpke,  „die  Stellen,  in  denen 
er  (der  kretische  Vers)  vorheiTScht,  in  ihrem  ganzen  Zusammen- 
hange, so,  scheint  es,  hat  ihn  Plautus  besonders  bei  Einwür- 
fen gebraucht,  welche  entweder  von  einem  Andern  entgegnet  wer- 
den, oder  welche  der  Sprechende  sich  selbst  macht,  indem  sie 
als  Zweifel  oder  Bedeuklichkeiteu  sich  mitten  in  der  Reflexion 
aufdrängen."  Neben  einer  so  feinfühligen  Spiegelung  der  Afi'ect- 
wechsel  in  den  metrischen  Tönen  und  üebergängen  muss  selbst 
der  Rhythnuis  im  metrischen  Wandelspiel  der  Spanischen  Man- 
tel- und  Degen-Komödie,  der  einzigen,  nebst  Moüere's  Amphi- 
tryou  etwa,  die  in  diesem  Punkte  eine  Aehnlichkeit  mit  der  Kunst 
der  Plautinischen  darbieten  möchte,  zu  kurz  fallen.  Kein  Wun- 
der, dass  bei  solchem  Reichthum  der  feinsten  metrischen  Schat- 
tirungen  Monitor  und  Scabillum  die  Hände  und  Füsse  voll  zu 
thun  hatten.  Ein  desto  grösseres  Wunder  aber,  dass  der  fein- 
sinnige Horaz  kein  Ohr  für  diese  Rhythmik  und  keine  Zunge  für 
das  Salz  dieser  Komödie  hatte.  Dass  der  geschmackvolle  Kmist- 
richter  und  Lehrer  der  Beredsamkeit,  Quinctilianus,  die  Comoedia 


Der  Saturnische  Vers.  491 

palliata  auf  den  Triineter  beschränken  und  ihr  alle  übrigen  Syl- 
benmaasse  untersagen  wollte,  wofür  ihm  aber  auch  ßentley  ')  den 
Kopf  gehörig  zurecht  setzte.  Das  gi'össte  Wunder  jedoch  bleibt 
die  Sprache  des  Plautus,  die  „noch  in  der  Kneipe"  bis  über  die 
Ohren  stecken  soll.  Will  denn  kein  Bentley  erscheinen,  der  sie 
an  den  Ohren  packte  und  weder  herauszöge? 

Selbst  den  feieriiohen  Oden-Versfuss,  den  Choriambus  (-  ^  ^  -j, 
den  Horaz  dem  Erfinder  desselben,  dem  Asklepiades,  entlehnte, 
setzt  Plautus  in  Bewegung  und  versteht  ihn  zur  Bezeichnung  ge- 
Avisser  Gemüthsbewegungen  aufs  wirksamste  zu  benutzen.  Wie 
der  durchgebläute  CongTio  (Aiüul.  III.  1)  in  trochäischen  vollen 
Octonarien  sein  Prügellied  klagt;  so  schilt  Plautus'  Menächmus 
seine  Frau  in  vierfüssigen  Choriamben,  von  so  correcter  Beschaf- 
fenheit, wie  sie  regelrechter  selbst  Horaz  dem  Asklepiades  nicht 
abborgen  konnte. 

In  dieser  Fülle  von  Versformen  wiU  Carl  Hermann  Weise 
auch  noch  den  Saturnischen  oder  altitalischen  Vers  in 
aUen  denkbaren  Variationen  entdeckt  haben.  2)  Es  ist  derselbe 
Vers,  vor  dem  wir  den  Horaz,  der  ihn  als  homdus  beschreibt,  sich 
haben  segnen  und  schütteln  sehen  vor  Abscheu.  Den  Charakter 
des  Saturnischen  Verses  giebt  Niebuhr  dahin  an  3),  dass  derselbe 
aus  einer  feststehenden  Zahl  dreisylbiger  Füsse  bestehe.  „Meisten- 
theils  sind  es  vier,  seyen  es  nun  Bacchieu  oder  Kretiker,  ab- 
wechselnd mit  Spondeen.  Bisweilen  herrscheu  die  Kretiker,  bis- 
weilen die  Bacchien  vor;  rein  gehalten  haben  sie  eine  sehr  schöne 
Bewegung,  gewöhnlich  aber  sind  sie  sehi*  untermischt,  so  dass  es 
schwer  ist  sie  zu  erkennen." 

Das  Grrundschema  nach  Weise  ist:  ^.!.^_1_\1^_^1_\. 
Es  ist  trochäisch;  der  vorgesetzte  Auftact  macht  die  erste  Hälfte 
aber  jambisch.  Nicht  weniger  als  70  „vollkommen  saturnische 
Verse"  vermisst  sich  Weise  im  Plautus  aufzuzeigen,  und  belegt 
auch  seine  Funde  mit  hinlänglichen  Beispielen,  Proben,  Noten, 
Zahlen  und  allen  denkbaren  Füssen.  *)  Niebuhr  bemerkt  noch 
über  den  Saturnius:     „Er  ist  vielgestaltig  und  ganz  unabhängig 


1)  Schediasma  de  metris  Terentian.  —  2)  Der  Saturn.  Vers  im  Plaut. 
Quedl.  u.  Leipz.  1839.  —  3)  Vortr.  üb.  Rom.  Gesch.  S.  91.  —  4)  a.  a.  0. 
S.  28. 


492  ^i«?  römische  Komödie. 

von  gi-iechischer  Metrik"  .  .  .  „Das  griechische  Metrum  ist  auf 
Musik  und  Zeitmaass  gebaut,  bei  den  Kömern  wurde  wirklich  g  e- 
zählt"  (numerus),  „die  Sylben  wenig  oder  gar  nicht  gemessen; 
eine  bestimmte  Anzahl  Tactc  musste  gegeben  werden"  .  .  .  „Plau- 
tus  und  Terenz  brauchten  in  ihren  jambischen  und  trochäischen 
Versen  auch  um*  den  Tact,  nicht  das  Zeitmaass". 

S.  52  eiTeicht  Weise's  Abhandlung  ihren  Höhepunkt.  „Wir 
gehen  nun",  ruft  er  begeistert,  „zu  der  Stelle  in  der  Aulularia 
(III.  2.  1—32)  über,  die  man  bisher  als  sotadi seh  betrachtete,  die 
aber,  meiner  festen  Ueberzeugung  nach,  als  eine  der  meisterhaf- 
testen Compositionen  im  saturnischen  Versmaas se  und  als 
eine  der  gewaltigsten  und  eifectreichsten  Passagen  in  der  ge- 
sammten  dramatischen  Poesie  überhaupt  anerkannt  werden  muss". 
Wie  fern  es  mit  dem  Satmiiischen  Funde  seine  volle  Kichtigkeit 
hat,  mögen  die  Metriker  prüfen.  Was  uns  betrifft,  so  gehen  auch 
wir  nun  zu  „den  gewaltigsten  und  effectreichsten  Passagen"  der 
Plautinischen  Komödie  selbst  über,  jedoch  mit  der  vom  Kaum- 
maasse  gebotenen  Beschränkung,  von  den  21  Komödien,  nächst 
den  Belegstellen,  um*  die  Inhaltsanzeige  zu  geben. 

Der  Goldtopf  (Aulularia).  Von  Aulula  (diminut.  von  011a, 
Topf)  so  benannt:  „Topfkomödie".  Goldtopf  heisst  sie,  weil  es 
sich  darin  um  einen  Topf  voll  Goldstücke  handelt,  den  der  alte  Geiz- 
hals, Euclio,.  von  Vater  und  Grossvater  geerbt,  die  den  geheimen 
Hausschatz  dem  Schutze  des  Hausgottes  (Larj  anvertraut,  und 
desshalb  den  Goldtopf  an  des  Gottes  Altar,  dem  Hausherde,  ver- 
graben hatten.  Zweckmässig  spriclit  denn  auch  der  L  a  r  den  Pro- 
log. Dort  am  Hausherde  findet  der  alte  Geizhals  den  Schatz 
und  in  ilmi  eine  Hölle  von  Kümmernissen,  Aengsten,  peinigen- 
dem Misstrauen  und  ewiger  Unruhe:  der  Topf  möchte  entdeckt 
und  gestohlen  werden,  in  diesem  p]leud  der  verdienten  Strafe 
des  hässlichsten  Lasters  eines  Haus-  und  Familienvaters  liegt  die 
Moral  der  Komödie;  —  in  der  witzigen  Behandlung  des  Con- 
trastes  von  Besitz  der  Mittel  zu  einer  sorgenlosen  Häuslichkeit, 
und  den  gerade  durch  diesen  Besitz  sich  selbst  bereiteten  lächer- 
lichen Besorgnissen,  Aengsten  und  Qualen  liegt  die  Komik  des 
Charakters,  seines  Affectes  und  der  daraus  entspringenden  Situatio- 
nen. Eine  immer  etwas  herbe  Komik  ft-eilich,  da  aus  einer  mo- 
ralisch so  widrigen  Hässlichkeit,  wi(^  solcher  Geiz  doch  ist,  selbst 


Plautus.     Der  Goldtopf  (Aulularia).  493 

der  grösste  Meister  nicht  jene  volle  reine  Heiterkeit  zu  entwickeln 
vermag,  welche  das  Lustspiel   im  Zwecke  seiner  komischen  Ka- 
tharsis heding-t.     Der  Geizhals  mit  seinen  Nöthen  bildet  nur  den 
Aufzug  mi  Gewebe  der  dramatischen  Fabel.    Einschlag  und  Kette 
liefert  eine  Familienepisode,  die  zu  dem  lächerlich  garstigen  Cha- 
rakter  des  Geizigen  ein  Skandal    fügt.     Seine    einzige  Tochter, 
Phaedria,  hatte  sich  nämlich,  während  der  Vater  seinen  heimlichen 
Schatz  in  Sicherheit  zu   bringen    sich  abgeäugstigt,    bei    einem 
nächtlichen  Feste  der  Ceres  den  ihrigen  rauben  lassen;  den  edel- 
sten aller  Brautschätze:   die  Unschuld.    Yater  und  Tochter  ringen 
beide  heimlich  in  Schmerzen  und  Nöthen:    Er  mit  dem  Gold- 
topf;   sie  mit  einer  bevorstehenden  Grossvaterbescheerung.     Das 
Komische  des   Contrastes    wird    uns    wiederum    durch    das   Au- 
stössige  einer  von  Seiten  des  Verführers,  Lyconides,   und  noch 
dazu  im  trunkenen  Zustande  verübten  Entehrung  verleidet.     Zu 
gleicher  Zeit  hält  ein  alter  Junggeselle.  Megadorus,  des  Geizigen 
Nachbar,  um  die  Hand  der  Phaedria  an,  von  deren  Zustand  nie- 
mand weiss,  als  die  Haussklavin,  Staphyla,  und  der  abwesende 
Liebliaber  Lyconides,  Sohn  von  Megador's  Schwester,  Eunomia. 
Euclio  ist  froh,   die  Tochter  ohne  Mitgift  an  Mann  zu  bringen^ 
und  doppelt  froh,  nachdem  er  sich  überzeugt,   dass  Nachbar  Me- 
gador  nichts  von  seinem  Goldtopf  wittert.     Der  Hochzeitschmaus 
wird  zur  Stelle  bescliickt;  aber,  wehe,  in  der  Küche  des  Euclio, 
von  gedungenen  Köchen,  Dieben  von  Profession;   auf  dem  Koch- 
herde,   wo  der  Topf  aller  Töpfe,   der  Goldtopf  unter   der  Erde 
schwitzt;   ein  offenes  Geheimniss  für  Nasen  von  Köchen,   die  ex 
professo  den  Braten  riechen.    Schnell  fort  mit  dem  Topf !    Schnell 
in  den  Tempel  der  Göttin  „Treue"  (Fides)  die,   als  Schirmerin 
der  Treue,  anvertiaute  Goldtöpfe  in  ihre   heilige  Obhut  nehmen 
muss!     Zitternd  sieht  er    sich  im  Tempel  der  Treue  von  einem 
Sklaven  belauscht.    Im  Nu  ist  der  Alte  verschwunden,  und  ver- 
gräbt den  Topf  in  einem  abgelegenen  Hain  des  Gottes  Sylvan  in 
der  Vorstadt.     Aber  Lar,   Fides  und  Sylvan  haben  sich  mit  dem 
Galgenstrick,    dem  Sklaven,    gegen   den    Goldtopf   verschworen. 
Schon  hockt  der  verwünschte  Sklave,  der  Strobilus,  auf  einem  der 
dunkelsten  Bäume  dieses  dem  Gotte  Sylvan  geweihten  Haines; 
sieht,  vom  Geizhals  unbemerkt,  ihn  den  Topf  vergraben  und  be'- 
mächtigt  sich  dos  Schatzes,  sol)al(l  jener  sich  entfernt.    Strol)ilus 


494  ^^^^  röiins.;]ie  Komödie. 

ist  des  Lyconides  Sklave,  der  inzwischen  sich  eingestellt,  in  der 
redlichen  Ahsicht,  seine  Verirrung  wieder  gut  zu  machen  und  sich 
mit  Phaedria  zu  vermählen.  Sein  Sklave  Strobilus  möchte  am 
liebsten  den  Fund  behalten,  mn  sich  mit  einem  Theil  des  Geldes 
die  Freiheit  von  seinem  Herrn  zu  erkaufen.  Das  angebotene 
Lösegeld  entdeckt  dem  Lyconides,  welcher  bereits,  in  der  Gipfel- 
Scene  der  Komödie,  vom  Geizhals  selbst  den  Raub  des  Topfes 
erfahren,  den  Finder  desselben  in  seinem  Sklaven.  Er  verspricht 
dem  Diener  die  Freiheit,  erhält  von  diesem  den  Goldtopf,  den  er 
nun  seinem  baldigen  Schwiegervater,  dem  inzwischen  Grossvater 
gewordenen  Euclio,  zustellt.  Leider  ist  diess  nur  aus  dem  ver- 
stümmelten Schluss  des  Stückes  zu  errathen,  das  mitten  in  den 
Drohungen  abbricht,  womit  Lyconides  seinen  Diener  zur  Heraus- 
gabe des  Raubes  zwingt.  Diese  Scene  hat  Joh.  Meursius  nach 
seinem  Codex  ergänzt.  Den  fehlenden  Schluss  zur  Komödie  dich- 
tete ein  italienischer  Scholastiker,  Professor  zu  Bologna  unter 
Kaiser  Friedrich  HL  hinzu.  Namens  Codrus  ürceus.  Der  Name 
erinnert  an  den  horazischen  Vers  in  der  Ars  P.  (20) 

Amphora  coepit 
Institui,  rotaute  rota  cur  urceus  exit? 

Fingst  einen  Krug  zu 
Drehen  doch  an,  warum  kommt  denn  auf  einmal  ein  Krüglein  zum  Vorschein  ? 

Der  von  diesem  Urceus  angefügte  Schluss  besteht  aus  etwa  150 
Versen,  worin  die  Angabe  des  alten  Akrostichon-Argumentes  dia- 
logisch ausgeführt  wird,  das  vom  alten  Grammatiker  Priscianus 
herrührt  und  mit  dem  Verse  schliesst:  ab  eo  donatus  auro,  uxore 
et  filio:  „Lyconides  erhält  vom  Schwiegervater  Schatz  und  Frau 
und  Sohn  zumal." 

Die  Komödie,  deren  griechisches  Vorl)ild  unbekannt  geblie- 
ben, spielt  in  Athen.  Colorit,  Sitten,  Charaktere,  Styl  und  Ko- 
mik sind  jedoch,  wie  in  allen  Komödien  des  Plautus,  durchaus 
römiscli.  Diese  Umschmelzung  in's  Römische  ist  ein  Hauptver- 
dienst des  Plautus  und  unterscheidet  ihn  wesentlich  von  dem 
gräcisirenden  Terentius  der  seine  Comoedia  palliata  dem  Ge- 
schmacke  der  damaligen  vornehmen,  mit  griechischer  ßikluug 
Ijrunkenden  Römer  gemäss,  buchstäblich  nahm,  und  sie  in  Ton 
und  lieliandlung  nicht  attisch  genug  ausglätten  konnte. 


Plautus.    Aulularia.     Der  Koch  Congrio.  495 

Nun  aber  jene  Stelle,  die,  dem  Entdecker  von  70  Saturni- 
schen Versen  im  Plautus  zufolge,  „als  eine  der  gewaltigsten  und 
effectreiclisten  Passagen  in  der  gesammten  dramatischen  Poesie 
überhaupt  anerkannt  werden  muss",  Act  III.  Sc.  II.  Wir  geben 
sie  in  Köpke's  Uebersetzung  (II,  7): 

Der  Koch  Congrio  kommt  in  der  ersten  Scene  des  III.  Actes 
aus  Euclio's  Hause  vom  Geizigen  hinausgeprügelt,  auf  die  Strasse 
gestürzt,  Hülfe  rufend;  aber  nicht  im  Saturnischen,  sondern  in 
trochäischen  Versmaassen  fOctonaren)  und  durchgedrescht  ausser 
Maasseu : 

Lieben  Bürger,  Landesleute,  Nachbarn,  Bürger  und  ihr  Freunde, 
Macht  mir  Platz,  um  zu  entrinnen,  lasset  mir  die  Strassen  offen! 
Heut  gerieth  ich  in  ein  Tollhaus,  um  bei  Rasenden  zu  kochen. 
Mich  und  meine  Schüler  haben  sie  arg  mit  Knüppeln  zugerichtet. 
AUes  thut  niir  weh  am  Leibe,  so  hat  der  Alte  mich  zerprügelt. 
iSiemals  hat  man  mir  im  Leben  Holz  zu  geben  so  verstanden. 
Alle  jagt'  er;  mich  und  diese  schlug  er  mit  Knüppeln  aus  dem  Hause. 
Doch  0  weh!  Ich  geh  zu  Grunde;  nochmals  kommt  er,  ist  schon  nahe. 
Und  verfolgt  mich;  doch  nun  weiss  ich,  was  zu  thun.    Er  wies  mir's  selber. 
(Euclio  kommt  aus  dem  Hause  gelaufen.     Congrio.) 

Euclio.     Zurück!    Wo  läufst  du  hin?  halt!  halt! 
Congrio.  Was  schreist  du  Gimpel? 

Euclio.     Ich  will  dich  schon  verklagen  vor  Gericht. 
Congrio.  Wesswegen? 

Euclio.     Weil  du  ein  Messer  hast.  » 

Congrio.  Das  muss  ein  Koch. 

Euclio.  Du  drohst  mii-? 

Congrio.     Nur  daran  that  ich  schlecht,  ich  sollte  dich  durchstossen. 

Euclio.    Ich  kenne  keinen  grössern  Schurken  auf  der  Erde, 

Und  keinem  möcht'  ich  lieber  anthun  alles  Böse  .  .  . 


Was  hattest  du  olm'  mein  Geheiss  bei  mir  zu  treiben, 
Diewcil  ich  fort  war?   Sag  mir  das! 
Congrio.  Das  sollst  du  hören. 

Wir  wollten  kochen  für  die  Hochzeit. 
Euclio.  Was,  zum  Henker, 

Trifft's  dich,  ob  roh  ich  ess',  ob  gar  ?  Bist  du  mein  Vormund  ? 
Congrio.     Ich  frage,  wülst  du  uns  das  Essen  kochen  lassen? 

Euclio.     Ich  frage,  bleibt  mein  Eigen  im  eignen  Hause  sicher? 
Congrio.     Lass  mich  nur  das,  was  ich  gebracht,  mir  sicher  nehmen. 
Dann  soll  das  deine  mich  nicht  kümmern. 
Euclio.     (mit  Spott.)  Ja,  das  weiss  ich. 


496  l^iö  römische  Komödie. 

Cüngriu.     Was  giebts?    Wesswegen  hinderst  du  uns  hier  zu  kochen? 
Was  thaten  wir?   Was  thaten  wii-  zu  deinem  Aerger? 
Euclio.     Du  fragst  noch,  Schurke?    Habt  ihr  mii-  nicht  alle  Winkel 
Vom  ganzen  Haus'  und  alle  Stuben  aufgerissen? 
War  das  hier  dein  Geschäft?  Wärst  du  am  Herd  gewesen, 
So  war'  dein  Kopf  noch  ganz.     Dir  ist  ganz  recht  geschehen, 
Damit  du  meine  Meinung  ja  vernehmen  könnest: 
Wenn  du  der  Thür  hier  näher  trittst,  ohn'  dass  ichs  heisse, 
So  mach'  ich  dich  noch  heute  zum  elendsten  Menschen. 
Weisst  du  jetzt  meinen  Sinn?   (Congrio  will  gehen.)    Wo  willst 
du  hin  ?    Komm  wieder ! 

Congrio.     ,,Ich  schwör'  es  der  Laverna'),  giebst  du  meine  Töpfe 

Mir  nicht  zui'ück,  so  kriegst  du  heute  noch  ein  Ständchen." 

Die  Scene  ist  lebhaft,  hitzig,  komisch ,  wenn  man  will ,  aber 
das  Wunder,  das  Weise,  der  Satm-nier,  darin  entdeckt  „eine  der 
gewaltigsten"  u.  s.  f.,  konnte  nur  Einer  darin  finden,  mit  dem,  in 
der  Freude  seines  Herzens  über  das  halbe  Schock  Satm'nier  — 
wenn  es  Saturniei-  sind !  -  -  sein  Heureka  durchging.  Weit  eher 
käme  Herrn  Weise's  Hyperbel  der  Scene  zu,  wo  der  verzweifelnde 
Euclio,  über  den  Verlust  seines  Topfes  schier  von  Sinnen,  mit  dem 
jungen  Lyconides  zusammentrifft,  und  dieser  die  Verzweiflung  des 
Alten  dessen  unverhofften  Grossvaterfreuden  beimisst.  Das  Qui- 
proquo  veranlasst  eine  der  trefflichsten  Komödien-Scenen,  wo  das 
Komische  aus  gegenseitigem  Missverstäudniss  entspringt.  (IV, 
10.     In  der  Üebersetzung  V.  3.) 

Euclio.     Ich  bin  verloren.     Es  ist  aus!    Wo   lauf  ich   hin    und  wohin 

nicht  ? 

Halt  ihn!     Wen  denn?    Wen?    Ich  weiss  es  nicht,  und  sehe 
nichts,  bin  blind,  und 

Kann's  nicht  fassen,  wo  ich  bin,  und  wer  ich  bin  und  wo  ich 
hüi  wül. 

Euch   beschwör'  ich,    zu  Euch  fleh'   ich,  kommt  mir  doch  zu 
Hülfe!  zeiget 

Mir  den  Menschen,  der'n  gestohlen! 

(Er  fasst  einen  aus  den  Zuschauern  mit  scharfem  Blick). 

Du,  was  sagst  du  ?    Dir  vertrau'  ich ;   denn    du  hast  ein  ehr- 
lich Ansehn. 

Nun,  ihr  lacht?    Ich  kenn'  euch  alle,  weiss,  dass  viele  Diebe 
hier  sind, 


l)  Göttin  der  Diebe. 


Plautus.     Goldtopf  (Aulularia).     Schatz  und  Tochter.  497 

Die  durch  -  KUeiduiig'  sich  verhergen,  dort,  wie  ehrlich,  sitzen. 
Niemand  hat's  von  diesen.   Aus  ist's;   Sage  doch,  wer  hat's? 

Du  weisst  nicht? 
Acli  ich  Armer,  ganz  Verlorner!    Ganz  zu  Grund  bin  ich  ge- 
richtet. 
So  viel  Seufzer  und  Betrübniss  hat  mir  dieser  Tag  gebracht, 
Hunger    und  Armuth.     Ach   der  Unglückseligste    bin  ich    auf 

der  Erde! 
Was  soU  ich  nun  noch  leben,  da  ich  so  \äel  Geld  verloren, 
Das  ich  stets  mit  Sorgfalt  hegte?    Ach   ich  hab  mich  selbst 

betrogen 
Um  Heiterkeit  und  Lebenslust.    Jetzt  freun  sich  Andre  dessen, 
Älir   zum  Unglück ,    mir  zum  Schaden.     Ach  ich  kann's  nicht 

länger  tragen. 
(Lj'conides  ist  ans  dem  Hause  getreten  für  sich  sprechend.) 
Euclio.      He,  M'er  spricht  hier? 
Lyconides.  Ich  bin's. 

Euclio.     Ach  ich  bin  ein  unglücksel'ger  Mann, 
Da  mir  so  viel  Herzleid  widerfahren. 
Lyconides.  Fass  doch  guten  Muth! 

Euclio.    Sprich,  wie  ist  das  möglich? 
Lyconides.  Weil  die  That,  die  dein  Gemüth  betrübt, 

Ich  gethan  und  eingesehn. 
Euclio.  Ei,  was  hör'  ich  da  von  dir? 

Lyconides.  Was  die  Wahrheit  ist. 
Euclio.  Was  hab'  ich  Böses  denn  um  dich  verdient, 

Dass  du  mich  und  meine  Kinder  ins  Verderben  hast  gestürzt  ? 
Lyconides.  Wohl  ein  Gott  hat  mich  getrieben;   der  hat  mich  dazu  ver- 
lockt. 
Euclio.      Wie  das? 
Lyconides.      Ich  gesteh'  den  Fehltritt,  weiss  es,  dass  ich  schuldig  bin; 
Desshalb  kam  ich  dich  zu  bitten,  dass  du  gütig  mir  verziehst. 
Euclio.     Warum  wagst  du  zu  berühren  das,  Avas  dir  nicht  angehört. 
Lyconides.  Was  verlangst  du?    Was  geschehn  ist,  wird  nicht  ungeschehn 

gemacht. 
WoUten's   doch   die  Götter,   denn   sonst,   weiss  ich,   war'   es 
nicht  geschehn. 
Euclio.     Nun   so   woUen's    auch    die  Götter,    dass    du   mir   im    Blocke 

stirbst. 
Lyconides.  Ach,  du  weisst  nicht  .  .  . 

Euclio       (heftig).    Warum  hast  du  frech  berührt,  was  mir  gehört? 
Lyconides.  Wein  und  Liebe  haben  mich  bethöret. 
Euclio.  Du  verwegner  Mensch, 

Wagst   du   noch    mit   solcher   Rede,  Unverschämter,    mii-  zu 
nahn?  .... 

n.  32 


498  üi<?  vömische  Komödie. 

Lycouides.  Darum  kam   ich   dich    zu  bitten,   meinen  Fehltritt  zu  ver- 

zeilm 

Euclio.     Bringst  du  um-  nicht  wieder  — 
Lyconides.  Was  denn? 

Euclio.  Was  du  mir  gestohlen  hast. 

Schlepp'  ich  dich  sogleich  zum  Prätor,  und  verklage  dich. 
Lyconides.  Ich  gestohlen?   Wie?  Was  ist  das? 

Euclio.     Jenen  Topf  mit  Gold  verlang'  ich.  den  du.  wie  du  eingestehst, 
Fort  mii"  nahmst. 
Lyconides.  Das  sagt'  ich  nicht,  noch  that  ich's  je. 

Euclio.  Du  läuguest  das? 

Lyconides.  Ja,  das  läugn'  ich.    Niemals  hab'  ich  weder  Topf  noch  Gold 

gesehn  .... 
Euclio.     Kannst  du  schwören,  dass  du  jenes  Gold  nicht  nahmst? 
Lyconides.  Ich  schwör'  es  dir. 

Euclio.     Auch  nicht  weisst,  M-er  es  gestolüen? 
Lyconides.  Auch  das  schwör'  ich. 

Euclio.  Hörst  du  es, 

Wer  es  fortnahm,  willst  du's  sagen? 
Lyconides.  .  Ja!  .... 

Euclio.     Und  betrügst  du  mich? 
Lyconides.  Dann  mache  Gott  aus  mir,  was  ihm  gefällt. 

Euclio.     Dies  genügt  mir-.    Sprich  nun,  was  du  vriUst !  .  .  . 

Der  junge  Mann  rückt  nun  mit  seinem  Anliegen  hervor.  Kün- 
digt ihm  zuerst,  im  Namen  seines  Oheims,  Megador,  dessen  Ver- 
lobung mit  Euclio's  Tochter  Phaedria  auf.  Dieser  schmäht  und 
flucht.     Lyconides  fasst  sich  ein  Herz  und  spricht: 

Hab'  ich  gegen  dich  und  deine  Tochter  üljereilt  gefehlt. 
So  verzeih,  und  gicb  sie  mir  zur  Frau,  wie  das  Gesetz  befiehlt. 
Ich  gesteh',  dass  ich  an  deiner  Tochter  mich  versündiget. 
An  der  Ceres  Nachtfest,  weinberauscht  und  voll  von  Jugend- 
drang. 
Euclio.     Ach,  was  muss  ich.  Armer,  von  dir  hören?    (Er  weint.) 
Lyconides.  Warum  weinst  du  denn? 

Macht'    ich    dich   doch   an    der   Tochter   Hochzeit    schon   zum 

Grosspapa. 
Eben  kam  sie  nieder  .... 

Geh'  heim  imd  forsche  drum,  ob's  nicht  ist,  wie  ich  gesagt. 
Euclio.     Ach,  ich  bin  des  Todes.     So  folgt  mir  Ungemach  auf  Unge- 
mach .... 

Das  Merkwürdige  in  dieser  Scene  ist,  dass  ihr  hellster  Licht- 
punkt aus  dem  Innern  des  Geizigen  auf  sie  fällt;  dass  man  näm- 
lich in  der  Brust  des  Alten  noch  eine  andere,  eine   edlere  Saite 


Plautus.     Anliilaria.     Moliere's  Geiziger.  499 

als  die  mit  Golddraht  überspouiiene,  schwingen  hört.  Durch  seine 
Verzweiflung  über  den  Verlust  des  Schatzes  tönt  das  Herzleid  des 
Familienvaters  ob  der  an  seiner  Haus-  und  Familienehre  erfah- 
renen Kränkung.  Fast  fühlt  mau  sich  umgestimmt  zu  seinen 
Gunsten,  und  wünscht  ihm  den  Wiederbesitz  seines  Goldtopfes. 
Gleichzeitig  erscheint  uns  auch  der  Jüngling  durch  seine  Keue 
und  seinen  Eifer,  das  Vergehen  wieder  gut  zu  machen,  in  einem 
gefälligem  Lichte.  Das  Alles  hat  der  Dichter  zu  erreichen  ge- 
wusst,  ohne  der  komischen  Wirkung  Abbrucli  zu  thun.  Fünvahr 
die  drei  Gottheiten,  der  Hausgott  Lar,  die  Familien-Göttin  Fides 
und  der  scherzhafte  Flurgott  Sylvan,  sie  haben  jede  ihr  Theil  zu 
dieser  Meister-Scene  beigesteuert;  durch  Ehrenrettung  des  Fami- 
lienherdes, der  Liebestreue,  und  der  Feldgott  Sylvan,  —  pater 
Sylvane,  tutor  finium  i)  —  durch  den  grössten  Hausschatz  der 
Komödie:  kostbares  Lachen.  Wie  sehr  steht  der  Geizige  des 
Moliere  gegen  den  des  Plautus,  schon  um  dieser  einen  Scene 
willen,  zurück.  Der  französische  Komiker  wollte  den  Geizigen 
hassenswerth  darstellen,  das  Laster  des  Geizes  brandmarken:  das 
ist  ihm  treflFlich  gelungen,  aber  um  welchen  Preis?  Um  den  der 
komischen  Wirkung,  die  das  Motiv  an  sich  ausschliesst,  die  aber 
der  Römer  durch  einige  menschlich  edlere,  ja  rührende  Züge,  selbst 
in  der  Hauptfigur,  zu  retten  wusste.  Lächerlich  hat  Moliere  sei- 
nen Geizigen  wohl  gemacht,  aber  auf  Kosten  eines  heitern  La- 
chens. Lächerlich  und  widei-wärtig  zugleich :  beides  dadurch,  dass 
er  den  Geizhals  noch  verliebt  schildert,  als  förmlichen  Liebes- 
gecken. Die  Fehler  der  Plautinischen  Aulularia  verschuldet  das 
Charaktermotiv,  und  die  von  der  Menander-Komödie  auf  die  rö- 
misclie  übertragene  Unsitte  einer  Nothehe  in  Folge  eines  Conats. 
Die  Vorzüge  und  Scliönheiten  des  Lustspiels  dagegen  kommen 
dem  komischen  Genie  des  Plautus  in  Kechnung,  dem  w  sie  zu- 
schreiben müssen,  da  jeder  Vergleich  mit  dem  verschwundenen 
griechischen  Vorbilde  wegfällt,  und  die  Komödie  so  durchaus  rö- 
misches Gepräge  trägt. 

Hat  sich  denn  nun  aber  auch  gleich  an  dieser  ersten  von 
uns  in  Betracht  genommenen  Komödif;  des  Plautus  jenes  Kenn- 
zeichen bewährt,  welches  unser  berühmter  Historiker  als  eines  der 


1)  Vater  Sylvamis,  der  Marken  Schinner.     Hör.  Epod.  2.  v.  21. 

32* 


500  Die  römische  Komödie. 

Unterscheidungsmerkmale  der  Plautiuischen  Komödie,  im  Vergleich 
zu  der  des  Terentius,  hervorhebt?  „Bei  Plautus  heiTscht  Opposi- 
tion der  Kneipe  gegen  das  Haus."  —  Oder  sahen  wir  nicht  viel- 
mehr eine  Ehrenrettung  und  Wiederherstellung  des  Haus-  und 
Farailienwesens  gleich  in  dieser  ersten  Komödie  des  Plautus  er- 
strebt und  erreicht?  Doch  wir  haben  noch  zwanzig  vor  uns.  Und 
an  diesen  kann  immer  noch  jenes  Unterscheidungsmerkmal  sich 
erproben.     Wir  wenden  uns  zum 

Kästchen  (Cistellaria).  Den  Titel  führt  das  Stück  von  der 
Cistella,  dem  Kistchen,  worin  abermals  ein  Kind  gewaltthätiger 
Liebe,  Namens  Silenium,  mit  Spielzeug  und  Erkeunungsstücken 
(crepundia,  viaiyvia,  yvwQLOfiata)  von  ihrer  Mutter,  Phanostrata, 
einem  jungen  freigebornen  Mädchen  aus  Sicj^on,  und  auch  sie 
wieder  ein  Festopfer  unfreiwilliger  Liebe,  war  ausgesetzt  worden. 
Der  Vater,  ein  junger  Kaufmann  aus  Lemnus,  Namens  Demipho, 
hatte  sich  bald,  nach  Abmachung  seines  Geschäftes  in  Sicyon,  in 
Lemnus  mit  einem  Bürgemiädchen  verheirathet.  Seine  Frau  be- 
schenkte ihn  mit  einer  legitimen  Tochter,  that  ihm  aber,  wie  Plau- 
tus sagt,  den  Gefallen,  vor  ihm  zu  sterben.  In  Sicyon  war  das 
ausgesetzte  Töchterlein,  die  Silenium,  von  einer  Kupplerin  aufge- 
nommen und  einer  Freundin,  Melaenis,  zugebracht  worden,  um  mit 
dem  Findling,  als  einem  untergeschobenen  Kinde  ihrer  erlogenen 
Schwangerschaft,  den  getäuschten  Liebhaber  zu  schröpfen  und  ihm 
reichere  Geschenke  abzupressen.  Treffliche  Lustspielmotive,  er- 
bauliche Geschicke!  Und  welche  mütterliclie  Bildungsschule  für 
das  arme  Silenium !  Doch  das  war  einmal  Zeitsitte,  und  der  Ko- 
miker —  nun  was  der  Komiker?  —  ist  eben  auch  ein  Kind  der 
Zeit.  —  Ihr  Dichter  vor  Allem!  ihr  Sittenlehrer,  Sittenläuterer ; 
ihr  Seelenarzt,  und  seine  Heil-  und  Besserungsmittel:  Seelenlust, 
scherzhaftes  Spiel  voll  lachender  Weisheit.  Solcli  ein  Komiker 
ist  Aristophanes,  ist  auch  Plautus,  ilnn  verwandt  durch  sittlichen 
Enist  und  Gesinnung,  die  gewaltigen  Adlerschwingen  des  Genies, 
des  tragischen  wie  komischen  Genies.  Von  solcher  Dichterstim- 
mung ist  auch  diese  Komödie,  die  Cistellaria  beseelt.  Denn  diess 
nur  lag,  unserem  Gefühle  nach,  in  der  menschenfreundlichen  Ab- 
sicht des  Dichters:  der  Sitte  der  Zeit  den  mahnenden  Spiegel 
vorzuhalten;  dasLoos  eines  solchen  unglücklichen  Gescliöpfes  und 
unscJjuldigen  Opfers  jugendlichen,  von  der  allgemeinen  Frivolität 


Plautus.    Das  Kästchen  (CisteUaria).     Die  moralische  Sti*enge.    501 

genährten  Leichtsinns  einer  Familienordnimg  au's  Herz  /.u  legen, 
welche  im  Maasse  der  Gesetzlichkeit,  auf  die  sie  sich  bemft  und 
steift,  in  sittlich-jnenschlicher  Beziehung,  zerrüttet  und  fühllos 
erscheint.  Da  tritt  der  Dichter  für  die  Verstosseneu  der  Gesell- 
schaft ein,  und  versieht- an' ihnen  gleichsam  Vaterstelle,  und  lässt 
seinen  guten  Hausgenius  und  Familiengeist,  den  pro\ädentiellen 
Zufall,  wie  Prospero  seinen  Luftgeist,  Ariel,  die  Fäden  der  Lust- 
spielgeschicke so  gemüthlich  neckiscli  und  ergötzlich  mischen, 
dass  die  Sünden  der  Väter  und  Mütter,  der  Institutionen  und  Ge- 
setze, niclit  den  unschuldigen  Kindern  heimkommen.  Hiebei  er- 
giebt  sich  nur  der  Uebelstand,  dass  die  scherzhafte  Laune  der 
Zufallsspiele  dem  Leichtsinn  des  Zuschauers  das  Wort  redet,  der 
nur  allzu  geneigt  ist,  diesem  dienstbaren  Geiste  der  Komödie  die 
Schlichtung  und  Ausgleichung  der  unverantwortlichsten  Thorhei- 
ten  anzusiimen  und  sich  der  Dazwischenlmnft  und  Vermittelung 
desselben,  eintretenden  Falles,  zu  getrösten.  Die  Kunst  und  das 
Genie  des  komischen  Dichters  eiiveist  sich  daher  bei  derlei  Mo- 
tiven und  Litriguen- Inhalt  in  der  Strenge,  womit  seine  tief 
menschliche,  liebevolle  Absicht  durch  die  scheinbar  leichtfertigen 
Formen  seiner  Witzesspiele  hindurchscheint,  ohne  deren  Ergötz- 
lichkeit zu  gefährden.  Und  hierin  scheint  uns  auch  das  Genie 
des  Plautus  besonders  zu  glänzen;  in  dem  Ernste  der  Hinausfüh- 
nmg  nämlich  seiner  aus  jugendlichem  Selbstvergessen  entsprin- 
genden Verwickelungen  zu  einer  vollen  befriedigenden  Geschickes- 
sühne; bei  einer  Fülle  ächten  komischen  Witzes  und  komischer 
Situationen,  die  über  jene  ethischen  Gruudabsichten  leicht  hiu- 
spielen,  wie  das  scherzhafte  Wellenki'äusebi  eines  goldführenden 
Stromes  über  den  Gehalt  in  seinen  Tiefen,  und  ki-aft  dieser  Ge- 
diegenheit eines  tiefen  ernsten  Zweckes,  kraft  solchen  Grundge- 
haltes seiner  Komik,  möchten  Avir  auch  in  Plautus  den  schöpferi- 
schen Umbildner  und  Veredler  der  Menander-  oder  Diphilus- 
Komödie  erkennen.  Auch  die  Lustspiele  des  Terenz  werden  wir 
auf  dieses  Kriterium  hin  zu  prüfen,  und  das  Verhalten  der  beiden 
römischen  Dichter  zur  Comoedia  paUiata,  in  Beziehung  auf  diesen 
Cardinalpunkt,  zu  Avürdigen  haben. 

Was  ist  nun  aus  unserem  Silenium  bei  der  Melaenis  gewor- 
den? Sie  wird  von  der  vermeintlichen  Mutter  mit  grosser  Sorg- 
falt und  Liebe  für  ihr  Gewerb    erzogen.     Silenium    verabscheut 


gQ2  Die  römische  Komödie. 

diese  Bestimmung.  Der  Schutzgeist  imnitten  der  Verderbniss, 
eine  ächte  wahre  Liebe,  hält  über  sie,  ihr  Herz  und  ihre  Tugend, 
seinen  Demantschild :  die  Liebe  zuAlcesimarchus,  einem  jungen 
Sicyonier  von  guter  Familie,  der  sich  ihr  in  Treue  verpflichtet 
und  die  Ehe  geschworen.  Nun  fügt  es  sich,  dass  dem  Alcesi- 
marchns  von  seinem  Vater  die  Tochter  des  Lemniers  Demipho, 
von  dessen  verstorbener  Frau,  zur  Braut  ersehen  ward.  Alcesi- 
marchus  will  aber  eher  sterben,  als  von  seiner  Silenium  lassen, 
die  inzwischen  von  ihrer  wirklichen  Mutter,  der  Phanostrata,  wieder 
aufgefunden  worden.  Melaenis,  da  sie  die  Hoffnung  aufgeben  muss, 
das  tugendhafte  Mädchen  für  ihre  Zwecke  zu  gewinnen,  spielt  die 
Edelmütliige,  und  fühi-t  Silenimn  zugleich  mit  dem  Kästchen  und 
den  darin  aufbewahrten  Kindersachen  den  Eltern  zu.  Denn  auch 
der  verwittwete  Demipho  hatte  sich  in  Sicyon  mit  seiner  recht- 
mässigen Tochter  eingestellt,  in  der  Absicht,  die  verführte  Geliebte 
aufzufinden  und  sie  wieder  zu  Ehren  zu  bringen.  Die  Sklavin, 
die  das  Kästchen  trägt,  lässt  dasselbe  vor  Schrecken  über  Alce- 
simarchus  fallen,  der  sich  seiner  Geliebten  bemächtigt,  nachdem 
er  mit  gezücktem  Dolche  sich  zu  tödten  gedroht,  wenn  sie  ihm 
entrissen  würde.  Er  hat  das  Mädchen  ergriffen  und  träg"t  sie  auf 
den  Armen  in  sein  Haus.  Das  Kästchen,  das  die  Sklavin  faUen 
Hess,  findet  der  Sklave  Lampadio,  der  treue  Diener  der  Phano- 
strata. Diese  erkennt  das  Kästchen  wieder.  Bei  Alcesimarchus 
treffen  die  Eltern  seiner  Braut,  Demipho  und  Phanostrata,  zu- 
sammen, wo  nun  Alle,  aufs  glücklichste  vereinigt,  ihre  Herzens- 
wünsche erfüllt  und  befriedigt  sehen. 

Zu  den  Eigenthümlichkeiteu  dieser  Komödie  gehört,  dass  der 
Hülfsgott  (Auxilium)  den  Prolog  erst  in  der  dritten  Scene 
spricht,  nachdem  die  Kupplerin  das  Nähere  über  Silenium's  Ver- 
gangenheit, so  weit  sie  selbst  dabei  im  Spiele  war,  mitgetheilt. 
Der  Hülfsgott  giebt  nun  die  nöthigen  Aufschlüsse  über  die  Ge- 
burt des  Mädchens  und  die  Verhältnisse,  in  denen  sie  gegenwärtig 
lebt.  Die  erste  Scene  ist  ungemein  anziehend  und  merkwürdig 
durch  die  Art,  wie  Silenium  ihr  Herz  gegen  ihre  Gespielin,  Gym- 
nasium, eine  Hetäre,  erschliesst: 

Gymnasium. —  Aber  wie,  Silenium? 

Wie  warst  du  während  dieser  Eede?    Niemals   schien  mir 
trüber 


Plautus.    Cistellaria.     Süenium.  503 

Dein  Ansehen.     Warum  flieht  dich    so    die  Heitei'keit?  das 

sag'  mir! 
Auch  bist  du  nicht  geschmückt,  wie  sonst.    Seh'  Einer  wie 

sie  seufzet 
Aus  dieser  Brust!    Auch  bist  du  bleich  .  .  . 
S  i  1  e  n  i  u  m.  Ach  es  quält  mich  —  mir  ist  übel,  mir  ist  weh ! 

Ich  bin  krank  am  Herzen,  krank  an  Augen ,   krank  an  Trau- 
rigkeit ; 
SoU  ich's    sagen?    Meine    Thorheit    reisst    in    Jammer    mich 
dahin. 
Gymnasium.    Wo  die  Thorheit  dir  entsprungen,  lass   sie   da  begraben 

sejni ! 
Silenium.  Und  das  heisstV 

Gymnasium.  Verbirg  sie  üi  die  Winkel  deiner  tiefen  Brust! 

Die  allein,  kein  andrer  Zeuge,  wiss'  um  deine  Albernheit. 
Silenium.  Doch  ich  hab'  ein  Herz! 
Gymnasium.  Wie,  du?  Woher  ein  Herz,  das  sage  mir! 

Was  nach  Männerspruch  ich  weder  habe,   noch   ein    ander 
Weib. 
Silenium.  Hab'   ich   eins,    so  schmerzt   es;  hab'   ich  keüis,    so    ist  der 

Schmerz  doch  hier. 
(zeigt  aufs  Herz.) 
Gymnasium!  Ha,  die  liebt! 

Silenium.  Ist  schon  der  Anfang  in  der  Liebe  stets  so  herb? 

Gymnasium.  Freilich   wohl;    an  Gall'    und  Honig  fruchtbar  ist  der  Lie- 
besgott 
Süsses  giebt   er  uns   zum   Vorschmack,    Bittres    dann  zur 
Sättigung. 
Silenium.  So  gestaltet  ist  die  Krankheit,  die  mich  quält,  Gymnasium.  .. . 

Den  zweiten  Act  eröffnet  Alcesimtirclms  mit  seinen  Liebes- 
qualen, die  er  der  Melaenis,  der  Pttegemutter  von  Silenium, 
schildert: 

Ganz  gewiss  ward  die  Tortur  auf  Erden  von  der  Lieb'  erfunden  .  .  . 
Ich  werde  geworfen ,  geängstigt ,   getrieben ,  gestachelt ,   gedreht   auf  dem 

Rade  der  Liebe  .  .  . 
Ich  bin  nicht,  wo  ich  bin;  und  wo  ich  ijicht  bin,  da  ist  mein  Gemüth. 
So   stehn    mir    die    Gedanken.     Was   ich  will,    das    will    ich    bald    nicht 

mehr  .  .  . 
Kein  Unglück  fehlt  mir  ganz  Verlornen ,  ausser  noch  zuletzt  der  Tod  .  .  . 

Die  Weigerung  der  Melaenis,  seine  Vermählung  mit  Silenium 
zu  gestatten,  steigert  seine  Leidenschaft  bis  zur  Gedankenver- 
wirrunij: 


504  I^i^  römische  Komörlie. 

.     .     .     Weib,  nun  höre,  dass  du  meine  Meinung  kennst. 
Alle  Götter,  .  .  .  ruf  ich  an. 

Dass  ich  lebend  der  Silenium  keinen  Kuss  mehr' geben  will, 
Wenn  ich  dich  und  deine  Tochter  und  mich  selbst  nicht  tödten  wiU. 
Morgen  dann  mit  Tagesanbruch  nicht  euch  beide  niederstreck'  .  . 
Wenn  du  sie  mir  nicht  zurückschickst.     Ich  bin  fertig.   Lebe  wohl! 
(stürzt  ab.~) 

Der  dritte  Act  besteht  in  der  einzigen  schon  erwähnten 
Scene,  wo  Alcesimarch  die  Geliebte  auf  seinen  Armen  in's  Haus 
trägt.  Der  vierte  enthält  die  ganze  Entwickelung,  und  dem  fünf- 
ten bleiben  nur  acht  Verse  zum  Beschluss,  worin  der  Diener  Lam- 
padio  dem  eben  nach  Hause  eilenden  Demipho  die  ft-ohe  Botschaft 
von  der  gefimdenen  Tochter  bestätigt.  Die  Komödie  eilt  unauf- 
haltsam der  Entwickelung  entgegen,  mit  den  Herzen  der  beiden 
Liebenden  um  die  Wette,  die  einander  eutgegenfliegen.  Das  „pro- 
perare"  in  Horazens  Kennzeichnung  des  Plautinischen  Komödien- 
ganges  springt  hier  in  die  Augen : 

Plautus  ad  exemplar  Siculi  properare  Epicharmi  — 

Das  Hausgespenst  (Mostellariaj :  von  mostellum,  kleines 
Monstrum,  oder  Kobold,  womit  der  Knecht  Tranio,  das  Urbild 
eines  ausgepichten  Hallunken  und  Schelmes  von  Bedienten,  seinen 
von  Handelsgeschäften  unversehens  zurückgekehrten  alten  Herrn, 
Theuropides,  vom  Betreten  des  Hauses  zurücksclu-eckt,  indem  er 
ihm  weissmacht,  dass  es  darin  spuke,  und  der  Geist  eines  von  dem 
vorigen  Besitzer  ermordeten  Kaufmanns  umgehe.  Während  der 
Abwesenheit  des  Alten  war  sein  Sohn,  Philolaches,  ein  bis 
dahin  gesitteter  Jüngling,  in  schlechte  Gesellschaft  gerathen,  und 
hatte  einen  wüsten  Lebenswandel  begonnen,  worin  Tranio  ihm 
mit  Rath  und  That  beistand.  Philolaches  unterhält  ein  Mädchen 
Philo mathium,  das  er  für  eine  dem  Wechsler  und  Wucherer 
Misargyrides  ^Geldhasser)  entliehene  Summe  von  40  Minen  (900 
Thlr.  etwa)  vom  Mädchenhändler  freigekauft.  In  Gemeinschaft 
mit  einem  andern  jungen  Manne,  Callidamate  s ,  und  dessen  Lieb- 
chen, Delphi  um,  feiert  Philolaches  Orgien  in  dem  ehrbaren  Hause 
seines  Vaters.  Bei  einem  solchen  Gelage  bringt  Tranio,  vom  Ha- 
fen heimkehrend,  dem  jungen  Herrn  die  Nachricht  von  des  Vaters 
plötzlicher  Ankunft,  den  er  so  eben  habe  landen  sehen  (H,  1.  17 ff.): 


Plautus.     Das  Hansgespenst  (Mostellaria).  505 

Tranio.    Ach  Philolaches! 

Philolaches.  Was  giebt  es?     ^ 

Tranio.  Ich  und  du  .  .  . 

Philolaches.  Was  ich  und  dn? 

Tranio.    Sind  verloren. 

Philolaches.  Wie? 

Tranio.  Dein  Vater  kam. 

Philolaches.  Was  hör'  ich? 

Tranio.  Es  ist  aus. 

Hörst  du,  dass  dein  Vater  ankam?   - 
Philolaches.  Sprich,  wo  ist  er? 

Tranio.  Er  ist  da  .  .  . 

Philolaches.    Und  du  selber  sahst  ihn? 
Tranio.  Ja,  sagt  ich!  .  .  . 

Philolaches.     Unter  geh'  ich,  wenn  du  wahr  sprichst. 
Tranio.  Was  woU  hülf  es,  log'  ich  dir? 

Philolaches.     Sprich,  was  räthst  du  mir? 
Tranio.  Es  werde  Alles  eiligst  fortgeschafft! 

Doch  wer  schläft  dort? 
Philolaches.  Callidam  ist's. 

Tranio.     Weck'  ihn,  liebe  Delphiuin! 
D  e  1  p  h  i  u  ni  ( ihn  aufrüttelnd) . 

Callidam  auf!  CaUidam! 
Callidam.  (sich  halb  ermunternd). 

Ich  wache.     Gebt  mir  meinen  Trunk! 
Delphin  m.    Wach!  Phüolaches'  Vater  ist  gekommen! 
Callidam.  (taumelnd  und  schlaftrunken). 
Mag's  ihm  Wohlergehen!   ... 
Philolaches.     Was  beginn'  ich?  Kommt  der  Vater, 
findet  er  mich  trunken  hier, 
Voll  das  Haus  von  Gästen  und  Weibern. 

Tranio  hat  sich  inzwischen  schon  sein  Plänchen  ausgedacht. 
Er  lässt  Alle  sich  zurückziehen  in's  Innere  des  Hauses  und  sich 
dort  mäuschenstill  verhalten.  Der  Alte  pocht  an  die  Hausthür. 
Tranio,  der  schon  aufgepasst,  kommt  hervor  und,  zurückschau- 
dernd bei  dem  Anblick  des  Alten: 

Tranio.     Wie?  hast  du  dieses  Haus  berührt? 
Theuropides.  Wie  sollt"  ich  nicht?  .  .  . 

Tranio.     Berührt?    Und  du? 

Theuropides.  Berührt  und  angeklopft. 

Tranio.  0  weh! 

Theuropides.     Was  ist? 


506  Di^  römische  Komödie. 

T  r  a  11  i  0.  Entsetzlich ! 

Tl^europides.  Nun,  wie  so? 

Trauio.  Man  kann  es  nicht 

Aussprechen,  welche  Gräuelthat  du  hast  gethan. 
Theuropides.     Wie? 

Tranio.  Eile,  sag'  ich,  fiiehe  fort  von  diesem  Haus  .  .  . 

Theuropides.  .  .  .  Sprich  doch  aus,  ich  bitte  dich! 
Tranio.     Schon  sieben  Monat  sind  es,  dass  in  dieses  Haus 

Kein  Mensch,    seit    wir's  verlassen,   nur    den  Fuss 
gesetzt. 
Theuropides.     Sprich  doch,  warum  denn? 
Tranio  (ängstlich) . 

Sieh  dich  um,  ob  Einer  ist, 

Der  unsre  Eed'  wahrnehmen  kann. 
Theuropides.  Ganz  sicher  ist's. 

Tranio.     Sieh  noch  einmal  dich  um! 

Theuropides.  's  ist  keiner,  sprich  doch  nur! 

Tranio.     Es  ist  ein  Mord  geschehen.  .  .  . 

Nun  erzählt  er  den  füi-cliterlichen  Vorfall  und  das  Umgehen 
des  Ermordeten,  der  ihm,  dem  Tranio,  Nachts  erschienen  und  um 
ermahnt,  auszuwandern  aus  diesem  Hause,  denn  „voll  Greuels  ist 
die  Wohnung  und  das  Haus  verrucht."  Während  er  spricht,  ent- 
steht drinnen  ein  Geräusch.  Beide  erschrecken,  aber  aus  ver- 
schiedenen Gründen : 

Theuropides  (starr  vor  Angst,  hei  Seite). 

Ich  habe  keinen  Tropfen  Blut, 

Die  Todten  rufen  mich  lebend  ah  zur  Unterwelt. 

Tranio  (für  sich).     Ich  bin  verloren!  die  verdarben  mir  das  Spiel: 

Wie  furcht'  ich,  dass  er  mich  ertappt  auf  klarem  Trug!  .  .  . 

Theuropides.     Was  thun? 

Tranio.  0  fleuch,  sieh  nicht  zurück,  verhülle  dich! 

Der  Alte  befiehlt  seine  Seele  dem  Hercules,  entflieht,  und 
spornstreichs  zu  dem  Manne  ^  der  ihm  das  verruchte  Haus  ver- 
kauft, worin  er  den  gräulichen  Mord  begangen.  Der  dritte  Act 
führt  Tranio's  eigentliclies  Hausgespenst  daher,  den  Wucherer 
Misargyiides  (Silberfeind)  und  gleichzeitig  den  alten  Theuropides, 
der  \m  dem  Mörder  des  spukenden  GastlVeundes  mittlerweile  Er- 
kundigungen eingezogen  —  zwei  Donnerschläge  auf  einmal  für 
Tranio,  die  nur  sein  gaunerisches  Lttgengenie  befruchten,  dass  die 
Lügen,  wie  die  Pilze  nach  einem  Gewitter,  emporschiessen.    Das 


Plautus.     Mostellaria.    Die  Schürzung  des  Knotens.  507 

Ableugnen  des  Mörders,  das,  meint  Tranio,  habe  die  Beweiskraft 
eines  Corpus  delicti.  Den  Wucherer  nimmt  er  bei  Seite,  um  ihm 
den  Mund  zu  stopfen.  Der  aber  hält  sich  die  Ohren  zu  und 
schi'eit  einmal  über  das  andere:  „Die  Zinsen  her!"  so  dass  der 
Alte,  der  das  Wort  erschnappt,  näher  tritt  und  fragt;  was  das 
für  Zinsen  sind?  Unser  Tranio  besinnt  sich  nicht  lange  und  giebt 
Auskunft  über  die  Zinsen  klar  und  wahr:  Das  wären  Zinsen  für 
das  Geld,  das  der  junge  Herr  von  dem  braven  Manne  da,  dem 
Wucherer,  sich  geborgt  hat  zu  dem  Ankaufe  des  meuen  Hauses, 
naclidem  er  aus  dem  alten  von  dem  „Gespenst"  vertrieben  wor- 
den. Der  Alte,  hocherfreut  über  des  Sohnes  ersten  abgeschlosse- 
nen Handel:  „Ein Haus?  Tranio.  Ja.  Theuropides  (für  sichj. 
Brav  Philolaches!  Er  artet  nach  dem  Vater,  denn  schon  macht 
er  Kaufgeschäfte."  Der  Alte  übernimmt  die  Zahlung  für  den  Sohn. 
Der  Wucherer  geht  vergnügt  von  danneu.  Das  angekaufte  Haus 
ist  das  des  Simo,  des  Nachbars  Haus.  Them-opides  will  es  so- 
gleich in  Augenschein  nehmen.  Tranio  erhält  die  Erlaubniss 
dazu  von  Nachbar  Simo,  dem  er  vorredet,  dass  sein  Herr  ein 
Frauengemach  in  seinem  Hause  wolle  anbringen  lassen,  nach  dem 
Muster  von  dem  inSimo's  Hause.  Dem  Theuropides  lügt  er  vor: 
Der  Simo  gräme  sich  wegen  des  Verkaufs  und  da  gebiete  die 
Menschlichkeit,  von  dieser  Kaufangelegenheit,  wähi'end  der  Be- 
sichtigung, zu  schweigen. 

Der  Lügenknoten  ist  geschürzt  und,  für  Verlegenheitslügen 
aus  dem  StegTeif,  und  in  Betracht  von  Theuropides'  Charakter, 
als  eines  ehrlichen,  gutmütliigen  Hausvaters  von  altrömischer, 
abergläubischer  Gespensteifurcht,  lustspielwüvdig  geschürzt;  keines- 
weges  „leichtsinnig  und  lose."  Leichtsinnig  und  lose  geschiu-zt 
sind  eben  mir  solche  Lustspielknoten,  die  ohne  liücksicht  auf  die 
aus  Charakteren  und  Umständen  fliessende  Wahrsclieinlichkeit 
geknüpft  erscheinen.  Den  Alten  mit  dem  AVucherer  zusammen- 
bringen, und  über  Beider  Köpfe  dieselbe  Lügenschlinge  werfen 
mit  frech versclimitzter  Hand;  ja  noch  den  Dritten,  den  alten  Simo 
mit  hineinverflechten:  das  dürfte  wohl  als  ein  Meisterstück  von 
Lustspielknoten  gepriesen  werden;  in  einer  Komödie  zumal,  die 
leicht  und  luftig  sich  aufbaut  und  abspielt,  in  Saus  und  Braus 
gleichsam,  wie  die  tolle  Wirthschaft  der  jungen  Wüstlinge  drin; 
in  einer  Spuk-Komödie  aus  dem  Stegreif,  wo  Alt  und  Jung  von 


508'  I^i*^  römische  Komödie. 

dem  Irrwisch,  Tranio,  gefoppt  und  genarrt  wird:  die  Jungen  in 
den  Sumpf  der  Liederlichkeit  gelockt;  die  Alten  im  Kreise  an 
der  ihrer  Leichtgläubigkeit  angedrehten  Nase  hernragefühi-t  wer- 
den, und  gelegentlich  den  Jungen  und  Alten  in  der  Cavea  ein 
Licht  aufgesteckt  wird:  wo  sie  die  Schäden  ihres  Familienwesens 
zu  suchen  haben. 

Der  Zusammensturz  des  Lügenbaus  erfolgt  freilich  so  rasch 
und  augenblicklich  wie  der  eines  Kartenhauses.  Das  aber  liegt 
in  der  Natur  aller  noch  so  fein  abgekarteten  Lügenkünste,  aller 
noch  so  planvoll  und  abgefeimt  geschürzten  Lügenknoten:  ob  von 
Tranio's,  als  Haus-SkMven,  geknüpft  oder  für  Haus  und  Hof  in 
Cabinetten;  ob  von  Tranio's  liinter  den  Stühlen  ihrer  zechenden 
Herreu,  oder  von  Fürstenknechten  an  grünen  Tischen  im  „hohen 
Hause",  mn  ihre  Herrschaften  mit  Haus-Gespenstern  zu  täuschen. 
So  zerstiebt  denn  auch  im  Nu  unseres  Tranio  Knoten  von  dem 
Hauche  eines  andern  Sklaven,  der  seinen  jungen  Herrn,  Calli- 
damates,  aus  der  Zechgesellschaft  abholen  kommt.  Theuropi- 
des,  noch  aussen  weilend,  stürzt  herbei,  um  den  der  Hausthür 
sich  nähernden  Diener  zu  warnen.  Dieser  schenkt  ihm  zur  Stelle 
den  reinsten  Wein  ein,  dass  dem  Alten  Sehen  und  Hören  vergeht. 
Flugs  eilt  er  hinüber  zu  Nachbar  Simo,  von  wegen  dem  Haus- 
verkauf. Nun  erföhrt  er  Alles;  nun  ist  Alles  klar.  Simo  leiht 
dem  Gefoppten  Sklaven  und  Ketten,  um  an  dem  Schurken  Tranio 
ein  fürchterliches  Beispiel  zu  statuireu.  Tranio  kommt  dazu, 
springt  im  Husch  auf  einen  Altar.  Der  Alte,  da  er  ihn  der  hei- 
ligen Stätte  nicht  entreissen  darf,  will  ihn  aushungern,  Feuer  um 
den  Altar  legen  lassen.  Nun  erscheint  Callidamates,  als  Für- 
sprecher von  Philolaches  dem  Vater  zugesandt.  Beide  Jünglinge, 
von  Hause  aus  gutgeartet,  hahen  sich  ermannt  und  mit  dem 
Rausche  ihr  wüstes  Treiben  abgeschüttelt.  Callidamates  erbietet 
sich  gegen  Theuropides,  die  Schulden  seines  Freundes  Philolaches 
beim  Wucherer  zu  tilgen.  Nicht  so  leicht  erlangt  er  für  den 
Stifter  aller  Schlechtigkeiten,  den  Tranio,  Verzeihung.  Endlich  giebt 
der  gutmüthige  Alte  den  Bitten  des  Callidamates  nach  und  erlässt 
dem  Frevler  die  Züchtigung.  Tranio  verharrt  in  seinem  Charalrter 
bis  zuletzt.     Dem  zögernden  Theuropides  ruft  er  vom  Altare  zu: 

Was  bedenkst  du?    Werd'  ich  Hiori^cn  niclit  was  Neues  schon  begehn? 
Dann  ja  kannst  du  Ijcides  wacker,  dicss  und  jenes  züchtigen. 


Plautus.    Mostellaria.     Der  sittliche  Kern.  509 

Der  glimpfliche  Ausgang  ist  vollkommen  lustspielgerecht. 
Denn  der  Komödiendichter  soll  wohl  hinter  den  Spiegel,  den  er 
den  Thorheiten  vorhält,  die  Ruthe  als  Fingerzeig  stecken,  aber 
nicht  die  Geisselung  vollziehen.  Die  liöchste  Moral,  die  er  lehren 
kann,  ist  Menschhchkeit,  unbeschadet  seiner  sittlich  idealen  Strenge, 
die  in  den  lebhaften  Farben  treuer  Charakterschilderung  lächer- 
licher Blossen  und  komischwitziger  Bedrängnisse,  worein  sein  kunst- 
reiches Genie  die  Verirrungeu  verstiickt,  sich  genugsam  oifenbart. 
Diese  glänzenden  Züge  sind  die  feurigen  Ruthen,  womit  der  Ko- 
mödiendichter züchtigt;  womit  auch  Plautus  in  der  Mostellaria 
den  strengen  Ernst  seiner  auf  Läuterung  des  Familienwesens  hin- 
zielenden Kunstabsichten  und  seiner  praktisclien ,  durch  die  vis 
comica  rückhaltsloser  Sittenschilderung  eingeschärften 
Belehrungen  kundgiebt.  Die  moralische  Tendenz  beruht  eben  in 
der  Meisterschaft  der  Haltung  und  Durchführung  des  Zweckge- 
daukens,  in  der  Thatsächlichkeit  ihrer  Bewährung,  in  der  kuust- 
geregelten  p]nergie  einer  schonungslos  ergötzlichen  Blosslegung 
der  inneren  Familienschäden.  Auch  fehlt  es  an  deutlichei^  Win- 
ken solcher  Tendenz  keinesweges.  An  Stelle  eines  Prologs,  des- 
sen eine  Komödie  nicht  bedarf,  die,  ohne  vorgeschichtliche  Aben- 
teuer, innerhalb  ihres  dramatischen  voraussetzungslosen  Verlaufes 
sich  selbst  erklärt,  tritt  eine  erste  Scene  zwischen  den  beiden 
Knechten,  Grumio,  einem  ehrlichen,  treuen  Haussklaven  vom 
Lande  und  dem  abgefeimten,  städtischen  Tranio,  der  seinen 
Mitknecht  übermüthig  verhöhnt.  Die  musterhafte  Eingangsscene 
prologirt  gleichsam  die  Moral  der  Fabel,  giebt  den  ethischen 
Grundton  des  Stückes  an,  und  ist  nebenbei  die  vortrefflichste  Ex- 
position (V.  l^tf.j: 

Gruniio.    Du  aber,  städtischer  Laffe  — 

Du  wirfst  das  Land  niii-  vor,  du  Schuft? 

Jetzt,  da's  noch  geht,  und  dir's  belieht,  bring'  durch  und  zech.' 
Verdii'b  den  besten  Jüngling,  unsres  Herren  Sohn. 
Sauft  ganze  Tag'  und  Nächte,  zecht  nach  griechischer  Art, 
Kauft  euch  zur  Wullust  Mädchen    —  macht  sie  frey  und  nährt 
Schmarotzer ;  schmaust,  lebt  herrlicOi  und  in  Freuden  fort ! 
War  das  der  Auftrag  deines  ITcrren,  als  er  ging?  .   .  . 
Das  also  hältst  du  i'ür  die  PHicht  des  treuen  Knechts, 
Dass  er  zu  Grunde  richtet  Geld  und  Sohn  des  Herrn?  .  .  . 

Tranio.     Was,  Henker,  geht  mein  Thun  und  Treiben  dich  wold  an? 


510  Die  römische  Komödie. 

Wenn  flu  doch  mir  für  deine  Ochsen  Sorge  trägst! 

Ich  will  nun  einmal  zechen,  liehe  Mädchen  ziehn  .  .  . 
Grumio 

Nicht  jeder  kann  nach  Balsam  riechen,  so  wie  du, 

Noch  obenan  zu  Tische  liegen,  so  wie  du, 

Noch  leben,  so  nach  deiner  Art,  von  Leckereien. 

Behalt  du  deine  Tauben,  Fische,  Vögel  mir! 

Lass  mir  nur,  meinem  Stand  gemäss,  ein  Lauchgericht! 

Du  lebst  beglückt,  ich  elend;  nun,  ich  leid  es  gern  ... 
Tranio 

Mir  ziemt  zu  lieben,  dir  es,  Ochsenhirt  zu  seyn. 

]\Iir  ziemt  es,  flott  zu  leben,  wie  dir,  jämmerlich!  .  .  . 

Lässt  sich  ein  Gegensatz  absichtliclier  betonen,  dgr  sittliche 
Gredauke  des  Stückes  sich  tendentiöser  zuschärfen,  gleich  von 
Anfang  herein,  als  in  dieser  Gegenüberstellung  des  Stadt-  und 
Landsklaven?  Aber  eine  Tendenz  kunstgemäss  an  den  Personen 
und  im  Charakter  der  Komödie  veranschaulicht  —  von  einer  sol- 
chen in  der  Gestaltung  und  Darstellung  aufgehenden  sittlichen 
Tendauz  muss  jedes  wahre  Kunstwerk  erfüllt  und  beseelt  seyn. 
Unsere  Komödie  lässt  es  hiebei  nicht  bewenden.  Sie  legt  den 
Knger  noch  augenfälliger  in  die  Wunden:  in  dem  Monologe  des 
Philolaches  z.  B.  I,  2.),  die  Intention  des  Komikers  offen  darle- 
gend in  den  Vorwürfen,  womit  der  verführte  Jüngling  sich  selbst 
das  Gewissen  schärft: 

Kummer  füllt  meinen  Sinn,  wenn  mir  einfällt,  was  ich 

Früher  war  .... 

Meine  Sparsamkeit  und  Strenge  war  ein  Muster  Anderen. 

AUe  wackern  Menschen  nahmen  gern  das  Beispiel  von  mir  an. 

Jetzt,  da  ich  zu  nichts  geworden,  ward  ich  das  durch  eigne  Schuld. 

Und  der  frechste  hartgesottenste  aller  Bedienten -Schelme,  der 
Tranio,  verübt  er  denn  seine  Streiche  ganz  so  guten  Muthes,  so 
keckgelaunt  ?  wie  ihn  etwa  die  vermeintgeniale,  in  Wahrheit  aber 
windige  Manier  eines  modernen  Lustspieldichters  gezeichnet 
hätte;  Eines  aus  der  Schule  jener  Kunstsophisten  A^om  reinen  durch 
keine  moralische  Litention  behelligten  Kunstgeuuss.  Wie  Shak- 
speare's  Schurken,  so  ist  auch  Plautus"  Tranio  sich  seiner  Nichts- 
nutzigkeit bewusst,  die  ihn  in's  Gewissen  schlägt  (III,  l.   13  ff.): 

Nichts  ist  doch  schlimmer  als  ein  bös  Gewissen  ist, 
Wie  ich  es  habe    .... 


Plaixtus.    Mostellaria.    Tranio.  511 

Nihil  est  miserius,  quam  aninius  lioininis  conscius, 
Sicut  nie  habet     .     .     . 

Welches  belehrende  Licht  wrft  Plautus  auf  die  Gauner  und  ihre 
Düpes,  der  kleinen  und  grossen  Politik,  wenn  er  den  Tranio,  der 
die  beiden  Alten  an  Einem  Nasenring  festhält,  in  einem  Selbst- 
gespräch sagen  lässt: 

Man  sagt,  dass  Alexander  und  Agatliokles 
Viel  Grosses  thaten,  doch  was  sind  sie  gegen  mich, 
Der  ich  allein  die  allergrössten  Thaten  thu'V 
Der  eine  trägt  den  Sattel  hier,  der  andre  dort. 
So  hätt'  ich  mir  ein  neu  Gewerbe  zugelegt. 
Denn  Maulthier  treib  er  satteln  sich  die  Esel  nur; 
Ich  lasse  mir  die  Menschen  selbst  gesattelt  stehn. 
Sie  tragen  gut.     Was  man  auch  auflegt,  'tragen  sie. 

Ganz  ähnlich  arguraentirt  der  Kitter  Sir  John  Falstaft'  über  den 
Friedensrichter  Robert  Schaal,  den  er  wie  Siegelwachs  so  lange 
zwischen  den  Fingern  drehen  will,  bis  er  weich  geworden. 

Der  fünfte  Act  ist  voll  von  dergleichen  iutentionellen  Winken, 
die  den  Komödien-Sack  schlagen,  und  den  Esel  im  Parterre  mei- 
nen.    So  z.  B.  (Sc.  2.  V.   IT  ff.): 

Theuropides.  Dass  du  meinen  Sohn  verderbt  hast,  das  behaupt'  icti. 

Tranio.  Höre  nun! 

Ich  gesteh,  dass  er  gefehlt  hat,  sich  ein  Mädchen  frei  gekauft, 
Als  du  fort  warst,  Geld  auf  Zins  geborgt  und  dieses  durchgebracht. 
That  er  da,  was  nicht  auchBursche  aus  den  besten  Häu- 
sern t  h  u  n  V 

Theuropides  zu  dem  i'ür  Tranio  bittenden  Callidamates: 

AUcs  Andre  trag  ich  leichter,  als  die  Art.  mit  welcher  er 
Mich  gefoppt  hat. 
Tranio.  Nun  das  hab'  ich  gutgemacht;  drob  freu'  ich  mich. 

Wer  schon  graues  Haar  hat,  sollte  endlich  klug  geworden  seyn. 

Aul'  Callidamates'  Versicherung  von  Philolaches'  aufrichtiger  Reue 
sagt  Theuropides: 

Schämt  er  sich,  dass  er's  getlian  hat,  halt'  ich  ihn  bestraft  genug  .  .  . 

Tranio Was  wird  nun  aus  mir? 

Theuropides.  Hängend  lass'  ich  dich,  du  Unflath,  geissein! 
Tranio.  Auch  wenn  ich  mi  ch  seh  ä  m 'V 


512  r)ie  röiiiibche  Komödie. 

Welcher  freche  Zug  von  naiver  Komik,  der  zugleich  ein  ironi- 
scher Schlangenstich ! 

Die  Komödie  der  Alten  ist  und  bleibt  für  alle  Zeiten  eine 
Schule  der  guten  Sitte,  der  Lebeusldugheit ,  der  Faniilienmoral. 
Den  Leitfaden,  den  uns  die  Parallele  des  berühmten  Histoiikers 
an  die  Hand  gab,  wir  sehen  ihn,  zu  unserem  Befremden,  nun 
abennals  auch  in  dieser  zweiten  Komödie,  und  bei  Feststellung 
eines  wesentlichen  Charakterzuges,  uns  entschlüpfen.  Wir  finden 
auch  hier  wieder  bestätigt,  dass  Plautus  dem  Unterhaltungslust- 
spiel der  „feinern  und  guten  Gesellschaft",  der  Menander-Komödie 
jenen  ethischen  Gehalt  gab,  jenen  „pädagogischen  Zweck"  ein- 
pflanzte, den  Mommsen  als  eigenthümliches  Merkmal  und  als  be- 
sonderu  Vorzug,  im  Vergleiche  mit  Plautus,  für  die  Komödie  des 
Terenz  in  Ansprach  nimmt.  Wie  muss  uns  nicht  erst  die  Ansicht 
eines  um  den  Plautus  so  verdienten  Schulmannes  und  Pädagogen, 
wie  Prof.  Köpke,  an  unserem  Ergebniss  irre  machen,  die  (S.  232) 
sich  dahin  ausspricht:  „Dass  das  alte  Lustspiel  oder  das  wahre 
überhaupt,  von  den  sogenannten  moralischen  Beweggründen  frei 
und  losgebunden,  nur  die  Kraft  walten  lässt  und  daher,  wie  das 
Leben  selbst,  dem  Verstände  und  der  Consequenz  über 
die  Ohnmacht  und  Beschränktheit  den  Sieg  verleiht." 
Den  Schurken  also ,  der  den  ehrlichen  aber  einfältigen  Mann  an 
Verstand  und  Consequenz,  oder,  in's  Schurkische  übersetzt,  an 
Gaunerverstand  und  Unverschämtheit  übertrifft,  und  der  den  be- 
schränkten braven  Mann  mit  Lug  und  Trug  umspinnt,  je  fester 
desto  rühmlicher  —  ein  solcher  kraft-  und  listbegabter  Schurke 
wäre,  wie  im  Leben,  so  im  „wahren  Lustspiele",  der  Mann  nach 
dem  Herzen  des  Dichters  und  der  Schulästhetik.  Was  soll  aus 
der  Pädagogie  und  ihrem  Nachwüchse  werden,  wenn  der  Bakel 
des  Orbilius  sich  auf  die  Kunststücke  von  Circe's  Stecken  legt? 
Lnmerhin.  Mag  der  Pädagog  es  mit  seinem  Schulgewissen  aus- 
machen, wenn  er,  im  Leben,  wie  im  Lustspiel,  dem  Verstand 
und  der  Consequenz  der  Tranio's  das  Wort  redet,  und  sich  der 
Erfolge  freut,  die  sie  über  die  Ohnmacht  und  Beschränktheit  ihrer 
Opfer  davontrugen.  Unser  Leitstern  in  der  Geschichte  des  Dra- 
ma's  ist  die  entgegengesetzte  Ueberzeugung.  Ueberall,  wo  jene 
grandsätzliche  Verwerfung  der  „sogenannten  moralischen  Beweg- 
gründe" Princip  und   Stimmung  der  Dramatiker  bildet,   ist  die 


Plautus.    DieSGefangenen.  513 

Ohnmacht  auf  Seiten  des  Dichters;  erscheint  die  innere  Kraft 
seiner  Kunst  und  poetischen  Leistungsföhigkeit  gebrochen;  bringt 
der  Dramatiker  Lust-  und  Trauerspiele  hervor,  die,  bei  aller  mög- 
lichen Bravour  der  Technik  und  äussern  Form,  innerlich  todt, 
faul  im  Marke  und  grund verwerflich  sind.  Die  Alten  waren  die 
grossen  Künstler  und  Dichter,  weil  sie  die  strengsten  und  grössten 
Moralisten  und  Pädagogen  waren.  „Wo  ich  aufhöre  sittlich  zu 
se}Ti,  habe  ich  keine  Gewalt  mehr."  Dieses  gi'osse  Wort  von 
Goethe  ^)  muss  vor  Allen  der  dramatische  Dichter  seinem  Herzen 
und  seinen  Couceptionen  einprägen. 

Die  Gefangenen  (Captivij.  Von  dieser  Komödie  sagt  Les- 
sing, der  sie  übersetzt  hat,  in  seiner  Abhandlung  über  Plautus ') : 
„Es  ist  gewiss,  dass  es  das  vortrefflichste  Stück  ist,  welches  jemals 
auf  den  Schauplatz  gekommen  ist."  In  der  Kritik  über  die  Gefange- 
nen '0  wiederholt  er :  „Dieses  Stück  ist  das  schönste,  welches  jemals 
auf  das  Theater  gekommen",  und  begTÜudet  auch  sein  üi-theil: 

„Ich  nenne",  fähi-t  Lessing  fort,  „das  schönste  Lustspiel  nicht 
dasjenige,  welches  am  wahrscheinlichsten  und  regelmässigsten  ist ; 
nicht  das,  welches  die  sinnreichsten  Gedanken,  die  aiiigsten  Ein- 
fälle, die  angenehmsten  Scherze,  die  künstlichsten  Verwickelungen 
und  die  natürlichsten  Auflösungen  hat:  sondern  das  schönste  Lust- 
spiel nenne  ich  dasjenige,  welches  seiner  Absicht  am  nächsten 
kommt,  zumal  wenn  es  die  angeführten  Schönheiten  grösstentheils 
auch  besitzt.  Was  ist  aber  die  Absicht  der  Komödie? 
Die  Sitten  der  Zuschauer  zu  bilden  und  zu  bessern. 
Die  Mittel,  die  sie  dazu  anwendet,  sind,  dass  sie  das  Laster  ver- 
hasst,  und  die  Tugend  liebenswürdig  darstellt.  Weil  aber  diese 
allzuverderbt  sind,  als  dass  diese  Mittel  bei  ihnen  ansclilagen 
sollten,  so  hat  sie  noch  ein  kräftigeres,  wenn  sie  nämlich  das  La- 
ster allzeit  unglücklich  und  die  Tugend  am  Ende  glücklich  seyn 
lässt.  .  .  .  Wahr  ist  es,  die  meisten  komisclien  Dichter  haben 
gemeiniglich  nur  das  erste  Mittel  angewendet;  allein  daher  kommt 
es  auch,  dass  ihre  Stücke  mehr  ergötzen,  als  fruchten.  Plautus 
sah  es  ein;  er  bestrebte  sich  also,  in  den  Gefangenen  ein  Stück 
zu  liefern,  uti  boni  meliores  fiant  (damit  die  Guten  besser  wer- 
den) ...  Es  ist  ihm  als  einem  Meister  geglückt,  und  so,  dass 


1)  W.  m,  228.  —  2)  S.  16.  —  3)  S.  77-139. 

n.  33 


514  Die  römische  Komödie. 

ihn  niemand  übertroffen  hat.  Wenn  man  überzeug-t  seyn  will, 
wie  liebenswürdig  die  Tugend  geschildert  sey,  so  darf  mau  auch 
nur  den  dritten  Auftritt  des  zweiten  Aufzugs  lesen.  Jeder ,  wer 
eine  empfindliche  Seele  besitzt,  wird  mit  demHegio  sagen:  „Was 
für  grossnlüthige  Seelen!  Sie  pressen  mir  Thränen  aus."  Noch 
schöner  aber  ist  der  fünfte  Antritt  des  dritten  Aufzuges.  Wer 
die  Tugend  und  das  göttliche  Vergnügen,  welches  sie  über  die 
Seele  ergiesst,  kennt  und  empfunden  hat,  würde  gewiss  niemand 
anders  als  Tj^ndarus  seyn  wollen"  ...  In  den  Gefangenen, 
heisst  es  weiter,  habe  Plautus  „den  nach  ihm  folgenden  Dichtern 
das  erste  Beispiel  gegeben,  wie  das  Lustspiel  durch  erhabene  Ge- 
sinnungen zu  veredeln  sey." 

Das  sind  die  Herzensergiessungen  freilich  keines  kunstlieben- 
den Klosterbruders,  aber  des  grössten  deutschen  Dramaturgen  und 
eines  der  grössten  dramatischen  Dichter,  die  für  die  Bühne  ge- 
schrieben. Die  neuere  Aesthetik  der  Kunstsophisten,  dieAesthe- 
tiker  der  Selbstzwecks-  d.  h.  der  Genusszwecks-Kmist,  des  blossen 
Geschmackskitzels  und  weibischer  Geisteswollust  —  die  Kinäden 
mid  Eunuchen  der  Kunstästhetik,  diese  lächeln  über  Lessing's  alt- 
väterische  Kunstmoral,  über  Lessing's  tugendbeschränkte  Kunst- 
principien  und  sittenbessernde  Dramatik  und  betrachten  sie  als 
abgethan  und  verschollen.  Wer  aber  die  Theorien  nach  ihren 
Früchten  beurtheilt ,  für  wen  jegliche  wahrhafte  Kmistschöpfung 
aus  der  Absicht,  die  Sitten  der  Beschauer  zu  bilden  und  zu  bes- 
sern; aus  der  Absicht,  das  Sittliche,  das  in  der  Kunst  mit  dem 
Göttliclien  identisch,  zu  veredeln,  zu  stärken  und  zu  erhöhen;  aus 
der  begeisterten  Absicht  hervorgegangen:  im  Wege  der  Geschmacks- 
bildung durch  das  Kunstschöue  den  Sinn  für  das  Sittlichschöne 
zu  wecken  und  zu  kräftigen;  die  Volksseele  zu  läutern,  hölier  zu 
stimmen,  für  Kecht,  AVahrheit  und  Freiheit  zu  entflammen  — 
wem  dieser  Kunstzweck  als  der  einzig  wahre  und  würdige  ein- 
leuchtet: der  wird  sich  auch  zu  den  Kunstansichten  des  Ver- 
fassers von  Laokoon,  von  der  lunnb.  Dramaturgie  und  des  Dich- 
ters einer  Mina  von  Barnhelm,  p]milia  Galotti,  eines  Nathan  be- 
kennen; nicht  zu  Theorien  von  aljstracten  oder  frivolen  Schul- 
köpfen, die  mit  all'  ihrer  mehr  Rauch  als  Liclit  verbreiten- 
den Kunstphilosophie  keine  Scene  in  den  genannten  unsterbliclien 
Dramen  zu  schreiben,  ja,  bei  so  völliger  Verkehrung  von  Lessing's 


Die  Gefangenen.  515 

innerstem  Kunstprincip,  -und  bei  so  dünkelhafter  Ueberhebung  über 
dasselbe,  keine  Scene  in  jenen  Dramen  nach  ihrem  dramatischen 
Kunstwerthe  zu  fassen,  geschweige  kunstkritisch  ihr  gerecht  zu 
werden  vemiöchten.  Und  was  sind  diese  Schulkö])fe  als  Dra- 
maturgen, als  Kritiker,  als  Schriftsteller,  als  Forscher  und  Kämpfer 
für  Wahrheit  und  Freiheit,  was  sind  sie  als  Männer  und  Charak- 
tere neben  Lessing?  Welches  ihrer  dramaturgischen  oder  kunst- 
kritischen Werke  darf  sich  an  epochemachender  reformatorischer 
Bedeutung,  welches  an  fruchtender  Meisterschaft,  lichter  Dar- 
stellung und  Schreil)art  mit  einem  von  Lessing's  kritischen  Haupt- 
werken messen?  Wir  werden  daher  unverbrüchlich  und  unbe- 
irrbar an  ästhetischen  Grundsätzen  festhalten,  die  nicht  blos 
von  Lessing's  dramatischen  Schöpfungen,  die  von  den  Meisterwer- 
ken der  Bühne  aller  Zeiten  und  Völker  ihre  Bestätigmig  und  Be- 
glaubigung empfangen. 

Verweisend  auf  Lessing's  Kritik  der  Gefangenen,  dürfen 
wir  uns  mit  der  Angabe  des  Inhalts  und  Auszügen  aus  den  von 
Lessing  hervorgehobenen  zwei  Scenen  begnügen. 

In  dem  Kriege  zwischen  Aetolien  und  Elis  geräth  Philopo- 
lemus,  Sohn  des  Aetoliers  Hegio,  in  Gefangenschaft,  und  wird 
an  einen  Arzt  in  Elis  als  Sklave  verkauft.  Hegio's  jüngerer  Sohn, 
Paegnius,  war  ihm  als  vierjähriger  Knabe  von  seinem  Sklaven, 
Stalagmus,  gestohlen  und  in  Elis  an  einen  dortigen  Einwolmer 
verkauft  worden,  der  ihm  den  Namen  Tyndarus  giebt  und  ihn 
seinem  gleichaltrigen  Sohn,  Philocrates,  zum  Gespielen  schenkt. 
Derselbe  Krieg  hatte  aber  auch  den  Philocrates  aus  Elis,  nebst 
seinem  Sklaven  Tyndarus,  in  die  Gefangenscliaft  der  Aetolier 
gebracht.  Unter  andern  gefangen  genommenen  Eliern  hatte  Hegio 
auch  den  Philocrates  und  Tyndarus  in  der  Absiclit  gekauft,  um 
die  Auswechselung  seines  Solmes  Philopolenms  gegen  die  einge- 
kauften Elier  zu  bewirken.  Philocrates,  der  die  Gelegenheit  nach 
Elis  zurückzukehren  mit  Begierde  ergreift,  hatte  die  Kolle  mit 
Tyndarus  getausclit,  und  diesen  für  seinen  Herrn,  sich  für  den 
Sklaven  ausgegeben,  in  der  richtigen  Voraussetzung,  dass  Hegio 
den  venneintlichen  Herrn  als  Pfand  zmiickbelialten  und  den  Knecht 
nach  Elis  schicken  werde,  um  das  Austauschuugsgeschäft  zu  be- 
treiben. Kaum  ist  Philocrates  altgereist,  wird  dem  Hegio  von 
einem  Elischen   Gefangenen,    Aristophonte  s,    die   Täuschung 

33* 


516  Uiß  römische  Komödie. 

entdeckt.  Hegio,  darüber  entrüstet,  lässt  den  Tyndarus  in  Ketten 
legen,  und  in  den  Steinbrüchen  arbeiten.  Bald  darauf  kehrt 
Philocrates,  zur  höchsten  Vei'wunderung  des  Hegio,  mit  dem  aus- 
gewechselten Philopolemus  zurück,  welcher  zugleich  den  in  Elis 
wiedergefundenen  Sklaveii,  Stalagmus,  gefesselt  mitbringt.  Philo- 
crates fordert  seinen  Tyndarus  zurück.  Hegio  lässt  denselben 
aus  den  Steinbrüchen  herbeiholen.  Unterdessen  wird  Stalagmus 
über  seinen  Kinden-aub  verhört  und  es  ergiebt  sich,  dass  der  von 
ihm  gestohlene  jüngere  Sohn  des  Hegio,  Paegnius,  der  so  hart 
behandelte  Tyndarus  ist.  Die  Erkennung  von  Vater  und  Sohn  gehört 
zu  den  erschütterndsten  Rührungen  der  Bühne.  Eine  Nebenfigur, 
der  Parasit,  Ergasilus,  Hausfreund  des  Hegio,  mag  wohl  der  lie- 
benswürdigste und  jovialste  aller  Parasiten  der  alten  Komödie  seyn. 

Als  eine  Besonderheit  wird  an  diesem  Stücke  bemerkt,  dass 
kein  Frauenzimmer  darin  vorkommt,  ferner  wird  dem  Lustspiel 
Verletzung  der  Einheit  der  Zeit  Schuld  gegeben:  Aetolien  und 
Elis  liegen  10  bis  12  Meilen  auseinander,  die  Philocrates  an  ei- 
nem Tage  zweimal  zurücklegt.  Scenen- Verwandlungen  will  Me- 
tastasio  in  der  Mostellaria  nicht  weniger  als  fünf  gefunden  ha- 
ben *) :  ein  himmelschreiender  Verstoss  gegen  die  französische 
Schablone!  An  derlei  Quisquilien  ist  kein  Wort  weiter  zu  verlieren. 

Die  von  Lessing  gerühmte  Scene  (II,  2)  spielt  zwischen 
Hegio,  Tyndarus  und  Philocrates,  der  als  vorgeblicher  Sklave  des 
Tyndarus  nach  Elis  gehen  soll,  um  wegen  der  Auswechselung 
von  Hegio's  Sohn,  Philopolemus,  gegen  seinen  vermeinten  Herrn, 
den  Tyndarus,  zu  unterhandeln: 

Philocrates  (zu  Tyndarus).  "Willst  du  deinem  Vater  sonst 

Noch  was  melden  lassen? 

Tyndarus.  Dass  gesund  ich  bin;  und  sag'  ihm  dreist, 

Dass  die  Eintracht  niemals  unter  uns  gestört  war,  Tyndarus, 
Dass  du  niemals  was  verschuldet,  noch  ich  dir  zuwider  war, 
Dass  du ,    selbst  in  grossen  Nöthen ,    deinem  Herrn  gehorsam 

warst, 
Und  du  immer  treu  von  mir  befunden  bist,  in  Wort  und  That, 
In  Gefahr  und  Unglück  .  .  . 

Philocrates.    Was  du  sagst,  das  tliat  ich,  und  es  freut  mich,  dass  du's 

anerkennst, 

1)  Extr.  de  Poet.  C.  V.  Vgl.  Signorelli,  Stör,  de'  teatri  etc.  IL,  p.  79. 
Not.  1. 


Die  Gefangenen.     Der  Rollentausch.  517 

Ob  ich  gleich  dir's  schuldig  war;  denn    wenn   ich  jetzt,   Philo- 

crates. 

Das  erzählen  woUte,  was  du  stets  uiir  Gutes  hast  gethau, 

Vor  der  Nacht  würd'  ich  nicht  enden ;  denn  wenn  du  mein  Sklave 

wärst, 

Hättest  du  wohl  nie  mir  treuer  folgen  können! 
Hegio   (für  sich). 

0  fürwahr, 

Das  ist  edler  Menschen  Denkart !  Thränen  pressen  sie  mir  aus  I 

Man   kann  seh'n,   dass  sie   sich  herzüch  lieben!     Wie  hat  doch 

der  Knecht 

Seinen  Herni  gelobt  .  .  . 

Das  punctum  saliens  liegt  im  Rolleutausch  der  beiden  Gefan- 
genen, in  Folge  dessen  der  Vater  seinen  unerkannten  Sohn  als 
Geissei  zurückbehält.  Mit  grosser  Kunst  und  Feinheit  ist  die 
Trennung  der  beiden  Gefangenen  zu  einer  der  schönsten  Situatio- 
nen benutzt.  Des  Tyndarus  gefülilvolle  Anerkennung  von  Philo- 
crates'  Treue  und  Hingebung  für  ihn  empfindet  der  Zuschauer  in 
die  Seele  des  Tyndarus,  dem  dieses  Verdienst  zukommt,  und  der 
die  Genugthuung  geniesst,  dem  Abschiede  von  seinem  HeiTu,  un- 
ter dem  Schein  einer  riihrenden  Täuschung,  durch  die  Ver- 
sicherung seiner  Liebestreue,  den  innigsten  und  doch  nur  von 
ihnen  allein  verstandenen  Ausdruck  zu  geben.  Die  Stellung  des 
Vaters  zu  dieser  Scene  erhöht  in  wunderbarer  Weise  die  Rührung, 
die  sich  aber  von  der  sentimentalen  der  weinerlichen  Komödie 
dadurch  unterscheidet,  dass,  in  Folge  der  woUthuenden  Missver- 
ständnisse und  Täuschungen,  die  Lustspiel -Stimmung  erhal- 
ten bleibt,  die  in  der  Comedie  larmoyante  ganz  und  gar  in  be- 
trübsame  Weinerlichkeit  zei-fliesst. 

Zum  Abschied  richtet  Tyndarus  an  Phüocrates  noch  die  herz- 
bewegenden Worte  (Sc.  3.  v.  81  ff.): 

Nimm  für  immer  mich   zum  Freund,   und   (auf  Hegio   zeigend)  finde  den 

Gefundenen. 
Darum  fass'  ich  dich  bei  deiner  Rechten,  um  dich  anzuflehn, 
Dass  du  mir  nie  ungetreuer  sej^st,  als  jemals  dir  ich  war. 
Handle  du  für  mich,  du  bist  mein  Herr,  mein  Schutz,  mein  Vater  jetzt. 
Dir  einpfehl'  ich  all  mein  Glück  und  Hoffen  .  .  . 

Mit  dieser  Scene  schliesst  der  zweite  Act.  Der  dritte  setzt, 
gleich  im  Beginn,  der  Rührung,  die  jener  als  Schlussstimmung 
im  Zuschauer  zurückliess,  durch  den  Parasiten,  Rrgasilus,  den 


5^8  Die  römische  Komödie. 

heitern  Lichtton  der  Komödie  wieder  auf;  wie  der  Parasit  denn 
auch  das  Stück  eröffnet,  und  demselben,  vorweg  in  der  ersten 
Scene,  den  Lustspielton  aufdrückt.  So  wird  diese  scheinbar  epi- 
sodische Figm'  zu  einer  kunstabsichtlichen  Person,  welche  gleich- 
sam die  Rechte  der  Komödie,  dem  Rührenden  gegenüber,  wahr- 
nimmt. Verwahrt  sich  doch  gleich  der  Prolog  gegen  solche  Ab- 
sicht, der  Komödien-Stimmung  etwas  zu  vergeben  (v.  6 1  f.) : 

Nam  hoc  paene  iniquum  est  Comico  choragio, 
Conari  de  subito  nos  agere  Tragoediam. 

Leider  verbietet  der  Raum,  die  -witzigen  Monologe  dieses  er- 
götzlichen und  mit  feiner  Hand  gezeichneten  Schmarotzer-Haus- 
freundes mitzutheilen.  Als  Ersatz  mag  ein  Auszug  aus  der  von 
Lessing  gepriesenen  fünften  Scene  des  dritten  Actes  folgen.  Die 
Situation  ist  die,  wo  Hegio,  durch  den  Kriegsgefangenen,  Aristo- 
phontes,  von  der  ihm  gespielten  Täuschung  vernommen  und,  im 
grössten  Zorne  darüber,  dass  er  im  Tyndarus,  statt  des  HeiTn, 
dessen  Sklaven  als  Unterpfand  zurückbehalten,  diesen  in  Fesseln 
legen  lässt: 

Hegio   (zu  seinen  Knechten). 

Legt  diesem  Schurken  auf  der  Stelle  Ketten  an ! 
Tyndarus.  Warum  denn  das?    Was  hab'  ich  denn  gethan? 
Hegio.  Dn  fragst?  .  .  . 

Ihr  müsst  die  Hände  fester  ihm  zusammeuziehn! 
Tyndarus.   Ich  folg',  und  lassest  du  sie  abthun  ganz  und  gar! 
Doch  —  warum  zürnst  du  mir-? 
Hegio.   WeU  mich  und  meine  Plane,  so  viel  an  dir  war. 
Durch  Bubenstücke,  Hinterlist  und  Lug  und  Trug 
ZeiTissen,  nach  Vermögen  du  zerstückelt  hast  .  .  , 
Tyndarus.  Ich  gestehe,  dass  diess 

Sich  Alles  so  begeben,  als  du  sagst,  und  dass 
Durch  mein  Bemühn,  durch  meine  List  er  dir  entkam  .  .  . 
Hegio.  Das  hast  du  dir-  zu  deiner  grössten  Qual  gethan. 
Tyndarus.   Sterb'  ich  nur  nicht  um  Uebclthat,  so  acht'  ich's  nicht. 
Komm'  ich  hier  um,  und  kehrt  er  nicht,  wie  er's  versprach, 
So  wii'd  im  Tode  diese  That  mir  Ruhm  verleilin, 
Dass  meinen  Herrn  aus  Kriegsgefangenschaft  und 
Zu  Vaterland  und  Aeltern  frey  ich  heimgebracht. 
Und  dass  ich's  vorzog,  lieber  meinen  eignen  Kopf 
In  Gefahr  zu  geben,  als  im  Unglück  ihn  zu  sehn. 
Hegio.  So  mag  man  dich  denn  rühmen  in  der  Unterwelt. 
Tyndarus.    Wer  durch  die  Tugend  umkommt,   kann  nicht  uutergehn!.. 


Die  Gefangenen.     Vater  und  Sühn.  519 

Der  Angeber  Aristophontes,  der  gegenwärtig,  merkt  mm,  wel- 
ches Unheil  er  angerichtet,  und  bereut  in  einem  a  parte,  was  er 
gethan.  Auch  dieser  Zug  bezeugt  das  feine  Kunstgetühl  des  Ko- 
mikers, der  die  herrliche  Scene  dui'ch  kein  unedles  Motiv  be- 
flecken liess. 

Hegiü   (7Ai  T^'ndarus). 

Hab'  ich  nicht  jedes  Lügenwort  dir  untersagtV 
Tyndarus.  Dem  taugte  nicht  die  Wahrheit,  dem  ich  dienlich  war. 
Ihm  half  die  Lüge. 
Hegio.  Dich  verdirbt  sie. 

Tyndarus.  Das  ist  gut. 

So  freu'  ich  mich,  gerettet  jetzt  den  Herrn  zu  sehn, 
Dem  mich  zum  Wächter  zugesellt  mein  alter  Herr. 
Doch  hältst  du  raeiue  Tliat  für  schlecht? 
Hegio.  Für  schändlich  gar. 

Tyndarus.   Ich,  der  ich  Iderin  anders  denke,  nemi'  sie  gut! 
Bedenk',  wenn  einer  deiner  Sklaven  deinem  Sohn 
Diess  thäte,  wie  du  dankbar  wohl  ilim  würdest  seyn? 
Gäbst  du  die  Freiheit  wohl  dem  Sklaven,  oder  nicht? 
Und  wäre  wohl  der  Sklav  dir  liel)  ?    Antworte  mir ! 
Hegio.  Kanu  seyn! 
Tyndarus.  Und  warum  zürnest  du  denu  mir  so  sehr? 

Hegio.   Weil  du  weit  treuer  jenem  Alten  warst,  als  mir  .  .  . 

Schwerlich  möchte  es  ein  zweites  Lustspiel  geben,  wo  aus  Miss- 
verstäudniss  und  Täuschung,  mit  so  unvergleichlicher  Kunst- 
wirkung, eine  ähnliche  Situation  entspränge,  wie  hier  zwischen 
Vater  und  Sohn. 

Der  immer  mehr  erzürnte  Alte  betielilt  den  Tyndarus  in  die 
Steinbrüche  abzuführen: 

Aristophont.   Bei  Göttern  und  bei  Menschen  fleh'  ich,  Hegio, 
Dass  er  nicht  ganz  verloren  geht. 
Hegio.  Da  sorg'  ich  schon. 

Bei  Nacht  soll  er  in  Ketten  liegen  und  bewacht; 
Bei  Tage  gräbt  er  unter  der  Erde  Steine  aus  .  .  . 

Führt  ihn  fort! 

Tyndarus.    Das  Eine  bitt'  ich,  kehrt  Philocrates  zurück, 
Dass  du  erlaubest,  ihn  zu  sprechen  und  zu  sehn. 
Hegio  (in  höcLster  Wuth  zu  den  Sklaven). 

Ich  würg'  euch,  schafft  ihr  nicht  sogleich  den  Menschen  fort! 
(Hegio   stösst    den    Tyndarus  fort,    während   ihn  die  Sklaven 
ziehen.) 
Tyndarus.    Gcstossen  und  gezogen  heisst  dooh  wühl  (.iewail  .  .  . 


520  ^i^  römische  Komöcüe. 

Die  Sceue  schliesst  den  Act.  Den  vierten  leitet  der  Parasit 
Ergasüus  wieder  ein.  Er  ist  es,  der  dem  Hegio  die  erste  Nach- 
richt von  seines  Sohnes,  Philopolemns,  Anlmnft  bringt,  welcher  im 
Hafen  eben  nur  mit  Philocrates  und  dem  Sklaven  Stalagmus,  ein- 
getroffen, dem  Käuber.von  Hegio's  jüngerem  Sohne  Paegnius  (Tyn- 
darus).  Hegio,  vor  Freuden  ausser  sich,  erfüllt  auch  des  Parasi- 
ten höchsten  Seelenwuusch: 

Hegio.  Fordre,   lange,    nun  nach  Lust;   zum  Küchenmeister  mach'  ich 

dich. 

Eilt  ab,  seinem  Sohne  Philopolemns  in  die  Arme: 

Ergasilus   (allein) 

Jener  geht,  ich  habe  Vollmacht  über  seine  Küche  nun! 

Grosser  Gott,   wie  will  ich  gleich  die  Köpfe  von  den  Rümpfen 

hau'n ! 

Ha,  wie  sollen  die  Schinken  schmecken !  Wie  soll  schmecken  mil- 
der Speck! 

Ha,  wie   sollen  die  Wammen  flammen!    Wie   die  Seiten  gleiten 

mir! 

Ha,  wie  sollen  die  Schlächter  schwitzen!  Wie  der  Schweine- 
käufer Schaar! 

Denn  was  sonst  zum  Schmaus  gehöret,  herzuzählen  ist  zu  lang. 

Jetzo  geh'  ich  in  ein  Staatsamt;  und  dem  Speck  halt'  ich  Ge- 
richt, 

Und  den  Schinken,  die  dort  hängen,  unerhört  soll  Hülfe  nahn. 

Der  fünfte  Act  bringt  nun  die  Erkennung.  Tyndarus  er- 
scheint, aus  den  Steinbrüchen  herbeigeholt,  noch  mit  Ketten  be- 
lastet, vor  dem  „unglücklich  beglückten  Vater",  vor  Philocrates 
und  dem  Sklaven  Stalagmus.  Eine  Schlussscene ,  die  durch  Si- 
tuation und  beglückungsvolle  Auflösung  ihres  gleichen  sucht. 

Und  noch  immer  keine  Spur  von  „Opposition  der  Kneipe  ge- 
gen das  Haus",  die  bei  Plautus  vorwalten  soll!  Das  Umgekehrte 
haben  wir  vielmehr  bis  jetzt  bei  ihm  heiTschen  und  von  ihm  er- 
streben sehen.  In  den  vier  besprochenen  Komödien  erscheint 
Plautus  gleichsam  selber  als  der  Hausgott,  der  wohlthätige, 
segenreiche  Lar,  den  er  im  „Kästchen"  (cistellaria)  den  Prolog 
sprechen  lässt,  indem  er  überall  für  das  Heil,  die  Wohlordnung 
und  die  Sittenzucht  des  Familieuwesens,  des  „Hauses",  eintritt, 
gegen  das  Wüste,  Zucht-  und  Sittenlose  des  haus-  und  familien- 
losen Abenteuerns,  dessen  Waiider/.elt  und  fahrende  Herberge  das 


Plautus.     Der  Bramarbas  (Miles  gloriosus).  521 

Wiiihshaus,  die  Schenke,  oder  „Kneipe",  und  das  Fremdenhaus 
ist,  das  unstäte  liederliche  Daheim  der  Landstürzer  und  Strolche, 
ümgekehi-t,  wie  gesagt:  Eine  Opposition  des  gesitteten  Haus- 
und Familienlebens  gegen  die  Komödie  der  Kneipe  und  der 
Abenteuer  haben  wir  bisheran,  in  den  ersten  vier  Komödien  des 
Plautus,  als  Grundabsicht  herrschend  gefunden,  zu  welcher  sich 
auch  der  grosse  Komiker  im  Prolog  der  Gefangenen  offen  be- 
kennt (v.  57  f.): 

Hier  giebt  es  keinen  eidvergessnen  Kuppelwirth, 

Nicht  lust'ge  Dirne,  keine  Eisenfresser  hier  .  .  . 

Hie  neque  perjurus  leno  est,  nee  meretrix  mala, 

Neque  miles  gloriosus  .  .  . 

Doch  dieser!  des  Plautus  Bramarbas,  der  Miles  gloriosus, 
der  — •  fürchten  wir  —  möchte  die  Charakteristik  des  berühmten 
Geschichtsschi'eibers  und  Kunstrichters  bewähren.  Ein  Komö- 
dienheld, wie  geschaffen,  um  die  Ansicht  des  vollwichtigen  Ken- 
ners römischen  Geistes  und  Wesens  dm'chzufechten,  die  Ansicht: 
dass  Plautus,  in  den  Motiven  wie  in  der  Sprache,  „in  der  Kneipe 
steht",  und  dass  bei  Plautus,  im  Gegensatz  zu  Terentius,  eine  Op- 
position der  Schenke  gegen  das  Haus  herrscht.  Im  Miles  glorio- 
sus, wenn  irgendwo,  wird  dieser  Wesensunterschied  der  beiden 
römischen  Komiker  seine  gloriose  Bestätigung  finden. 

Betrachten  wir  die  Fabel.  Die  Figur  des  prahlsüchtigen  Sol- 
daten fTlu'asou),  dessen  geschichtliches  Urbild  in  dem  Soldaten- 
obersten (^svayog)  der  Diadochen-Könige  zu  suchen,  ist  uns  schon 
aus  der  neuern  attischen  Komödie  bekannt. 

Auf  seiner  Werbewanderuiig  kommt  Held  Mauer  stürm 
fPyrgopolinices)  auch  nach  Athen.  Von  hier  gelingt  es  ihm,  dm-ch 
reichliche  Geschenke  an  die  Mutter,  die  Tochter,  Philocoma- 
sium,  die  Geliebte  eines  jungen  Atheners,  Namens  Pleusides, 
während  der  Abwesenheit  des  letztern,  zu  entführen.  Des  Pleu- 
sides Diener,  Palaestrio,  der  seinem  Herrn  die  Nachricht  von 
der  Entfülu'ung  der  Geliebten  zu  bintei-bringen,  auf  dem  Wege 
nach  Naupactus  ist,  wo  Pleusides  sich  zur  Zeit  aufhält,  Palaestrio 
geräth  unter  die  Seeräuber  und  durch  diese  in  den  Dienst  des 
Bramarbas  nach  Ephesus.  Hier  findet  Palaestrio  die  Pliilocoma- 
sium,  meldet  es,  im  Einverständniss  mit  ihr,  seinem  Herrn,  der 
jetzt  in  Athen,   und  fordert  ihn  zur  Befreiung  der  Geliebten  aus 


522  I^ic  römische  Komödie. 

den  Klauen  des  Bramarbas  auf,  der  ihr  zuwider  ist.  Pleusides 
reist  sogleich  nach  Ephesus,  und  kehrt  bei  seinem  dortigen  Gast- 
freunde, Periplectomenes,  ein,  welcher  zufällig  ein  Wand- 
nachbar des  Bramarbas  ist.  Eine  Oeflhung  durch  die  Wand  bre- 
chen, Philocomasium  in  die  Arme  des  Geliebten  fliegen,  dem 
AVächter,  den  der  eifersüchtige  Bramarbas  angestellt,  und  der  in 
Pleusides'  Annen  das  Mädchen  erblickt,  weissmachen,  dass  er  nicht 
Philocomasium,  sondern  ihre,  zum  Verwechsebi  ähnliche  Zwillings- 
schwester mit  Augen  sähe  —  das  Alles  war  rascher  erfolgt,  als 
Mauersturm  je  eine  Mauer  erstürmt.  Und  nun  die  ergötzlichen 
Auftritte,  die  aus  dieser  Doppelschau  sich  ergeben.  Die  lustige 
Dupirung  des  Eisenfressers,  den  Palaestrio  in  das  Netz  der  eige- 
nen Eitelkeit  und  Lüsternheit  verstrickt,  indem  er  ihm  eimedet, 
dass  alle  Frauen  und  Mädchen  in  Ephesus  in  ihn  verliebt  sind; 
unter  diesen  am  tollsten  die  junge  reiche  Gattin  des  alten  Peri- 
plectomenes, die  seinetwegen  ihrem  Manne  davonlaufen  und  sich 
mit  ihm  verbinden  will.  Diese  junge  reiche  Gattin  von  bezau- 
bernder Schönheit  ist  eine  verschmitzte  Buhlerin,  die  sich  zu  der 
Rolle  versteht.  Das  einzige  Hinderniss  ist  Philocomasium.  Aber 
Mauersturm  kennt  kein  Hinderniss.  Seine  Begierde  nach  dem 
Besitz  der  schönen  jungen  reichen,  leidenschaftlich  in  ihn  ver- 
liebten unbekannten  kann  den  Augenl)lick  dieser  Vereinigung  und 
die  Entfernung  der  Philocomasium  nicht  erwarten.  Sie  soll  schleu- 
nigst mit  dem  Schiffe,  das  ihre  Zwillingsschwester  hergebracht, 
absegeln.  Mag  sie  die  Geschenke  alle  behalten,  nur  fort!  Seine 
ganze  Habe,  wenn  sie  wül,  nur  schleunigst  fort!  Schon  ist  Pleu- 
sides, als  Steuermann  verkleidet,  zur  Stelle,  um  Philocomasium 
abzuholen,  die  vor  Betrübniss  über  die  Trennung  von  ihrem  Bra- 
marbas trostlos  ist.  Mauersturm  kann  sie  nur  beklagen,  —  ge- 
schieden aber  muss  seyn.  Als  letzte  Gnade  erbittet  sie  sich  den 
Palaestrio  zum  Geschenk.  Er  giebt  ihn  ihr  mit  Freuden.  Pa- 
laestrio ist  in  Verzweiflung,  einen  solchen  Herrn  "zu  verlassen.  End- 
lich sind  sie  fort.  Bramarbas  auf  den  Flügeln  der  Liebe  in  das 
Haus  des  Periplectomenes,  um  die  neue  Geliebte  zum  ersten  Mal 
an  sein  mauerstürmisches  Herz  zu  pressen.  Mit  nicht  geringerer 
Inbrunst  erwartet  ihn  Periplectomenes,  nebst  einem  halben  Dutzend 
Knechten,  die  vor  Sehnsucht  brennen,  ihn  in  ihre  Arme  zu 
schliessen,   darunter  Koch  Coric  mit  einem  haarscharf  geschliffe- 


Der  Bramarbas  unter  dem  Küchenmesser.  523 

nen  Küchenmesser,  um  den  Mauerbrecher  für   alle  Zeiten  vom 
Ehebrecher  zu  curiren  (Act.  V.  Sc.  1.): 

Periplectoinenes  (zu  seinen  Knechten). 

Schleppt  ihn   fort ;    wenn  er  nicht    folget ,    hebt  ihn  hoch  und 

reisst  ihn  fort! 
Lasst  ihn  zwischen  Erd'  und  Himmel  schweben,  reisst  in  Stücken 

ihn! 
Mauersturm.  Periplectomenes,  dich  beschwör'  ich! 
Periplect.    Ganz  umsonst  beschwörst  du  mich. 

Untersuch'  auch,  ob  dein  Messer  tüchtig  scharf  ist,  Corio! 
Coric.   Längst  schon  wünscht  es   diesem  Buhler  aufzuschneiden  seinen 

Wanst. 
Mauer  stürm  (in  höchster  Angst). 
Es  ist  aus. 
Corio.  Noch  nicht;  doch  baldigst.    Fall  ich  jetzt  den  Men- 

schen an? 
Periplect.  Nein,  vorher  kriegt  er  noch  Prügel. 

Corio.    Tüchtig,  wie  es  sich  versteht! 
Mauersturm.  Weh  ich  bin  schon  ganz  zerprügelt,  habe  Mitleid! 

Corio  (zu  Periplect.).  Schneid'  ich  bald? 
Periplect.  Immer  zu!  .  .  . 

Mauersturm.  Dich  beschwör'  ich,  eh  er  schneidet,  höre  meine 

Worte  doch! 

Periplect.  Schwöre,  dass  du  keinem  Menschen  um  den  Vorfall  Böses  thust. 

Mauerstmin  schwört  bei  Mars  und  Dianen  und  allen  Heiligen. 

Corio.  Prügebi  wir  ihn  jetzt  noch  einmal,  und  dann  dächt'  ich,   könnt 

er  gehn. 
Mauersturm.  Dafür  soll  dich  Gott  belohnen,    dass   du  mir  zum  Tröste 

sprichst. 
Corio.  Gut,  so  gieb  uns  hundert  Thaler!  .  .  . 
Mauersturm.  Ich  geb's  .... 

Mauersturm  kann  noch  von  Glück  sagen,  dass  man  hier  den 
Esel  schlägt  und  den  Sack  meint.  Zuletzt  muss  er  doch  noch  die 
Hefen  des  bittcrn  Kelches  bis  auf  die  Neige  austrinken.  Sein 
Knecht  meldet  ihm  die  Abreise  der  Philocomasium  mit  ihrem 
Liebhaber  als  Steuermann.  Nun  erst  steht  in  seiner  ganzen  Grösse 
der  gehörnte  Esel  vor  ihm  da,  den  man  aus  ihm  gemacht  hat: 

Weh  mir  Tropf! 
Man  betrog  mich  .  .  . 
Doch  mir  ist  ganz  recht  geschehn. 


524  Di^  römische  Komödie. 

Ging'  es  andern  Buhlern  auch  so,  gab'  es  ihrer  weniger  .  .  . 
(Si  sie  aliis  moechis  fiat,  minus  hie  moechorum  siet.) 

Schliesst  mit  einem  solchen  Merks  und  Denkzettel  ein  Ko- 
miker, in  dessen  Komödien  die  Schenke  Opposition  gegen  das 
Haus  macht?  Oder  nimmt  nicht  auch  diese  Komödie,  deren  Held 
ein  heimathloser  Prahlhold,  Freibeuter  und  fahrender  Ehebrecher, 
nimmt  nicht  auch  diese  Komödie  des  eisenfresserischen  Strolchen- 
thums  Rache  an  dem  abenteuernden  Vagabunden,  der  das  Fami- 
lienleben zu  einer  Herberge  poltert,  und  die  Familienehre  als  sein 
Nachtlager  ])etrachtet,  das  er  am  Morgen  wie  eine  Streuschtttte  ver- 
lässt,  um  fürbass  umher  zu  sterzen?  Noch  mehr.  Plautus'  Oppo- 
sition gegen  das  haus-  und  familienfeindliche  Lotterwesen  tritt 
in  keiner  seiner  Komödien  vielleicht  so  offen  zu  Tage,  me  in  dem 
Miles  gloriosus,  dem  er  sogar  die  Schlussmoral  des  Stückes  in 
den  Mund  legt.  Den  prahlsüchtigen  Landstreicher  selbst  lässt 
er,  nach  empfangener  Züchtigung,  den  Stab  über  alle  diejenigen 
brechen,  die,  wie  er,  die  wüste  Herumtreiber- Wirthschaft  in  ein 
geordnetes  Familienleben  tragen  und  gegen  ein  gesittet  umfrie- 
detes Hauswesen  mit  der  Öeerstrassen-Schenke  Sturm  laufen. 
Wenn  irgend  ein  Lustspiel  des  Plautus  die  Komödie  der  Oppo- 
sition des  Hauses  gegen  die  Kneipe  ist,  so  ist  diess  sein  Miles 
gloriosus. 

Der  Braut  seh  atz,  Trinummus.  Act  IV.  Sc.  2.  erklärt  der 
Sycophanta,  bei  seinem  ersten  Auftreten:  dass  er  den  heutigen 
Tag  Trinummus  nennen  wolle,  denn  für  drei  Nummen  (drei 
Denare)  oder  drei  Drachmen  (ein  rheinischer  Gulden  ungefähr) 
habe  er  sich  auf  heute  zu  Schelmenpossen  verdungen: 

Huic  ego  diei  nomen  Trinummo  faciam :  nam  ego  operam  meam 
Tribus  nuinmis  hodie  locavi  ad  artcs  nugatorias. 

Im  Prolog,  den  die  Schwelg  er  ei  (Luxuria)  und  die  Dürf- 
tigkeit (Inopia)  dialogisch  sprechen,  nennt  Erstere  die  griechi- 
sche Quelle  des  Plautus  (v.  19  Phile mo  scripsit,  Plautus  vortit 
barbare:  „Pbilemon  schrieb's  und  Plautus  setzt  es  in  Latein"). 
Der  ehrlicbe  Zeitgenosse  des  Ennius  und  des  alt.  Scipio  schreibt 
noch  „in's  Barbarische",  statt  in's  Lateinische".  Aus  dem  0/;- 
oavQog  (kis  Philemon   hat  sicli    ein  Bruchstück  von    1%  Versen 


Plautus.     Der  Brautschatz.  525 

bei  Athen.  ^)  erhalten.  Bekanntlich  hat  Lessing  den  Trinummus 
des  Plautus,  unter  dem  Titel  „der  Schatz"-),  in  Einen  frisch 
und  lebendig  dialogisirten  Act  zusammengezogen  und  für  die 
deutsche  Bühne  bearbeitet.  In  der  gedachten  Abhandlung  über 
Plautus  sagt  Lessing  vom  Trinummus:  „Nächst  den  Gefange- 
neu  des  Plautus  ist  dieses  sein  vortrefflichstes  Stück. 

Lesbonicus,  Sohn  des  Athenischen  Bürgers  Charmides, 
der  in  Handelsgeschäften  nach  Asien  gereist  ist,  hat  sich,  während 
der  Entfernung  seines  Vaters,  einer  lockern  Lebensweise  ergeben. 
Nachdem  er  Alles  durchgebracht,  benutzt  er  die  Abwesenheit  sei- 
nes ihm  vom  Vater  gesetzten  Vormundes  Callicles,  welcher  auf 
einige  Tage  auf  sein  Landgut  gereist  ist,  um  auch  das  väterliche 
Haus  zum  Verkauf  auszubieten.  Als  Callicles  zurückkommt,  ist 
die  Feilbietung  durch  Anschlag  schon  erfolgt,  die  Verhindemng 
des  Verkaufs  daher,  nach  dem  Gesetze,  nicht  mehr  möglich.  Um 
das  Haus  nicht  in  fremde  Hände  gelangen  zu  lassen,  entschliesst 
sich  der  Vormund,  es  selbst  von  dem  Sohne  zu  kaufen;  um  so 
mehr,  als  ihm  dessen  Vater,  sein  abwesender  Freund,  Charmides, 
vor  der  Abreise  vertraut  hatte,  dass  in  dem  Hause  ein  zur  Mit- 
gift für  die  Tochter  bestimmter  Schatz  vergTaben  liege,  den  er, 
Callicles,  eintretenden  Falles,  zu  dem  Zwecke  verwenden  möchte. 
In  wenigen  Wochen  hat  Lesbonicus  das  für's  Haus  erhaltene  Geld 
verprasst.  Den  redlichen  Callicles  trifft  noch  dazu  der  Verdacht: 
er  habe  die  Ausschweifungen  des  jungen  Mannes  zu  seinem  Vor- 
theile  benutzt.  Wie  Philolaches  in  der  Mostellaria,  ist  der  sitt- 
lich und  wirtlischaftlich  henmtergekommene  Jüngling  Lesbonicus 
von  Gemüthsart  gut,  und  mehr  durch  andere  Wüstlinge,  die  seine 
Gutmütliigkeit  missbrauchten,  als  durch  Hang  mid  Neigung  in 
eine  solche  Lebensweise  hineingerathen.  Dem  Lesbonicus  ist  ein 
tugendhafter  Jüngling,  Lysiteles,  gegenüber  gestellt,  der  ihm 
als  treuer  Freund  zugethan  bleibt.  Lysiteles  bewirbt  sich  um  die 
Schwester  des  Lesbonicus.  Sein  Vater  Philto,  anfangs  gegen  die 
Partie,  weil  das  Mädchen  ohne  Mitgift,  giebt  schliesslich  seine 
Einwilligung.  Der  Alte  wirbt  sogar  selbst  für  den  Sohn  mn  die 
Schwester  bei  ihrem  Bruder  Lesbonicus.    Dieser,  zu  stolz  gesinnt, 


1)  IX.  p.  385.  D.   Vgl.  Meineke,  Menandr.  et  Phileiii.  Reli(|.  \>.  367.  — 
2)  Bd.  I.  Ladim. 


526  I^i^  römische  Komödie. 

und  auch  aus  brüderlichem  Zartgefühl,  geht  auf  die  Bewerbung 
nur  unter  der  Bedingung  ein,  wenn  der  Alte  ein  kleines  Land- 
gut, das  Lesbonicus  noch  besitzt,  als  Mitgift  der  Schwester  an- 
nimmt. Das  Landgut  wird  von  Vater  und  Sohn  ausgeschlagen; 
Lesbonicus  jedoch  dazu  bewogen,  dass  er  die  Verlobung  zusagt. 
Er  selbst  ist  entschlossen,  als  Söldling  in  den  Krieg  zu  ziehen. 
Der  Vormund  Callicles,  von  der  Verlobung  benachrichtigt,  wünscht 
der  Tochter  seines  abwesenden  Freundes,  Charmides,  eine  Aus- 
steuer von  dem  verborgenen  Schatze  mitzugeben,  ohne  dass  Les- 
bonicus etwas  von  demselben  erfahre.  Zu  dem  Zwecke  stiftet  er, 
auf  den  Kath  eines  ihm  befreundeten  Greises,  Megaronides, 
dem  er  das  Geheimniss  von  dem  Schatze  mitgetheilt,  einen  Sy- 
cophanten  an,  sich  für  einen  Boten  auszugeben,  der  von  Char- 
mides Briefe  aus  Asien  mit  einer  Summe  Geldes,  zur  Ausstattung 
für  die  Tochter,  überbringe.  Das  Geld  nimmt  Callicles  natürlich 
vom  Schatze.  Der  Sycophant  ist  eben  der  für  drei  nummi  sich 
dazu  vermiethet.  Kaum  hat  er  die  Bestellung  ausgerichtet,  trifft 
er  mit  dem  alten  Charmides  zusammen,  den  er  nicht  kennt  und 
der  so  eben  aus  Asien  angelangt  ist.  Der  Zungendrescher  er- 
mangelt nicht,  dem  Alten  seine  Lügen  auszukramen,  was  eine  un- 
gemein lustig  und  trefflich  erfundene  Scene  einleitet.  Das  Be- 
gegniss  schliesst  damit,  dass  sich  der  Alte  zu  erkennen  giebt 
(FV.  2;:  „Hast  du  das  Geld  von  ihm  (dem  Charmides  in  Asien) 
selbst  bekommen?"  fragt  Charmides. 

Sycophant.  Aus  der  Hand  iii  meüie  Hand. 

Charmides.  Und  wie  sieht  er  aus? 

Sycophant.                              Um  anderthalb  Fiiss  grösser  als  du  bist. 
Charmides 

Kennst  du  ihiiV 
Sycophant.  Du  fragst  sehr  albern;  täglich  ess'  ich  fast  bei  ihm. 

Charmides.  Und  wie  heisst  er? 

Sycophant.  Ganz,  so  wie  ein  braver  Kerl  zu  heisseu  pflegt. 
Charmides.  Lass  doch  hören! 
S  y  c  o  p  h  a  n  t   (sich  besinnend). 

Wie  er  heisst?    Heisst?    Wie  er  heisst? 

(b.  S.)  0  weh  mir  Tropf! 
Charmides.  Nun  was  giebt  es? 
Sycophant.  Unvorsichtig  hab'  ich  den  Namen  verschluckt.  .  . 


Der  Brautscliatz.    Der  Sycophant.  527 

L.  so  fangt  der  Name  an. 
Der  Alte  fragt  ihm  alle  mögliche  L's  ab;  endlich: 

War's  Chares?   —  Charidemus?  CharniidcsV 
Sycophant.     Ja  so  war's,  hol'  ilm  der  Henker! 

Der  Alte  tadelt  den  Fluch. 

Sycophant.     Was  versteckt  sich  der  Schlingel  zwischen  Lipp'  und  Zähne 

mir? 
Charniides.     Schimpfe  nicht  auf  ferne  Freunde! 

Sycophant.  Was  verkroch  sich  auch  der  Lump  .  .  . 

Charmides.     Doch  wo  ist  erV 
Sycophant.  Ich  verliess  ihn  beim  Rhadamant  auf  Attika  (im  Text 

Cecropia). 

Charmides  fragt  ihn  nach  den  Ländern,  die  er  bereist.  Man 
kann  sich  denken,  was  für  Geographie  der  Sj^cophant  entwickelt. 
Endlich  die  Frage: 

Hast  du  das  Geld  hier,  das  C-harmides  dir  gab? 
Sycophant.     Und    zwar  Philippsstück',   gezählt    auf   seinem    Tisch  mit 

eig'ner  Hand, 

Tausend  Stück 

Charmides.     Bursche,  gieh  mir  nur  das  Gold  her! 

Sycophant.  Welches  Gold,  was  meinst  du  denn? 

Charmides.     Das  ich  dir  gegeben  habe. 
Sycophant.  Mir  gegeben? 

Charmides.  Ja  so  ist's. 

Sycophant.     Wer  denn  bist  du? 

Charmides.  Der  dir  jene  tausend  Stück  gab,  Charmides. 

Sycophant.     Weder  bist   du  das,    noch  wirst  du's  heut  seyn,    was  das 

Gold  betrifft, 

Gell,  du  Sclielm,  mit  Schelmereien  will  ein  Schelm  den  an- 
dern fahu. 
Charmides.     Ich  l)in  (üiarmides. 
Sycophant.     Vergebens  bist  du's,  denn  ich  bringe  nichts  .  .  . 

Sowie  du  dich  charmidirt  liast,  so  entcharmidire  dich. 

(Ut  charmidatus  es,  rursum  recharmida). 

Der   Sycophant   steigert    seine    Frecldieit   bis    zum   Drohen    mit 
Schlägen,  „nach  meinem  Willen  auf  der  Polizei  Geheiss"  (v.  148) 
vapulabis  nieo  arl)itratu  et  novorum  Aedilium. 

Meine  Müh'  ist  mir  bezahlt  schon,  du  magst  sterben  und  vergehen. 

Wer  du  sonst  bist  oder  nicht  bist,  gilt  mir  keinen  Pfifterling  .... 

Dass  die  Götter  gleich  zur  Ankunft  dich  verderben,  Charmides! 

Damit  empfiehlt  er  sich.      Das    inzwischen  Vorgefallene  erfährt 


528  I^i^  römische  Komödie. 

Charmides  von  seinem  Kueclit  Stasinius.  Der  Alte  glaubt  sich 
von  Callicles  betrogen.  In  einer  sehr  wirksamen  Scene  zwischen 
ihm  und  Callicles  erzählt  ihm  dieser  mit  der  Freudigkeit  eines 
guten  Ge^\ässens  den  wahren  Sachverhalt.  Charmides  ist  voll- 
kommen beruhigt  und  zufrieden  gestellt.  Lysiteles  holt  sich  die 
Einwilligung  des  Schwiegervaters  mit  einer  ansehnlichen  Mitgift 
für  die  Braut.  Dem  Lesbonicus  envii-kt  Callicles  Verzeihung. 
Beim  Erscheinen  des  reumüthigen  Sohnes  erwähnt  der  edle  Vater 
des  Geschehenen  nicht.  Statt  einer  Strafpredigt,  erhält  er  vom 
Vater  die  Tochter  des  Callicles  zur  Frau.  Man  darf  die  Komödie 
als  das  vollendete  Muster  eines  edlen,  gemüthvoUen  Familienlust- 
spiels rühmen. 

Die  Zwillingsbrüder  fMenaechmi).  Nächst  dem  „Geld- 
topf ,  ist  diese  die  allgemein  bekannteste  Komödie  des  Plautus. 
Die  Fabel  stimmt,  in  den  Grundzügen,  mit  der  von  Shakspeare's 
„Komödie  der  Irmngeu"  übereiu.  Von  zwei  Zwillingspaaren,  einem 
Herren-  und  Diener-Zwilling,  wissen  Plautus'  Menächmen  fi-eilich 
nichts.  Aber  auch  Shakspeare's  Zwillinge  nichts  von  den  leicht- 
fertigen Streichen  des  sicilischen  Zwillings  bei  Plautus,  wo  der 
Eine  neben  der  Ehefrau  ein  Mädchen  unterhält,  das  er  mit  einem 
seiner  Frau  entwendeten  Mantel  beschenkt;  und  der  Andere,  von 
diesem  ^Mädchen  mit  seinem  Bruder  verwechselt  und  bei  ilu"  auf- 
genommen, sie  um  Mantel  und  goldene  Spange  betrügt.  Das 
Stück  spielt  in  Epidamnus  oder  Dyrrachium  (Durazzo).  Hier  findet 
endlich  der  sicilische  Zwilling,  nach  sechsjährigem  Aufsuchen,  den 
als  Kind  schon  vermissten  Bruder,  auf  dessen  Spur  ihn  die  Ver- 
wechselungen mit  demselben  führen.  Die  Identität  bekundet  der 
Diener,  der  sie  erkennt.  Die  Komödie  der  Irrungen  wird  uns 
auf  die  Menächmen  zmiickführen,  mid  Gelegenheit  zu  einer  nähern 
Erwägung  derselben  bieten. 

Der  Schiffbruch.  (Kudens:  das  Schiffsseil).  Der  Mäd- 
chenhändler Labrax,  der  sein  Wesen  in  CjTcne  (Nordafrika j 
treibt,  hat  eines  seiner  Mädchen,  Namens  Palaestra,  an  einen 
jungen  Cyrener,  Pleusidippus,  für  30  Minen  (675  Thlr.)  ver- 
kauft. Kaum  liat  er  das  Aufgeld  erhalten,  reist  der  Gauner  mit 
ihr  und  seinem  ganzen  Mädchenmarkt  sammt  Habseligkeit  nach 
Sicilien  ab,  wo  er  für  sein  Geschäft  einen  günstigem  Boden  sich 
versfiricht.      l>iild    nach    der  Al)fahrt  entstellt   ein  fürcbtorlicher 


Plautus.     Das  Schiffsseil  (Rudens).  529 

Sturm,  der  ihn  mit  seinem  Gastfi'eund  und  Helfershelfer,  dem 
Schmarotzer  Charmides  aus  Sicilieu,  scliiffbrüchig  an's  Gestade 
zurückwirft.  Die  Palaestra  war  beim  Sehiffhruch  mit  einer  Freun- 
din, Ampelisca,  in  den  an's  Schilf  gebundeneu  Kahn  gesprungen 
und  hatte  sich  mit  ihr  an  die  Küste  Afrika's  glücklich  gerettet, 
wo  die  beiden  Mädchen  bei  der  Venuspriesterin,  Ptolemocratia, 
ein  Obdach  finden.  Beim  Wasserholen  erblickt  Ampelisca  die 
beiden  alten  Schufte  am  Gestade  sitzen,  sich  gegenseitig  schmä- 
hend und  scheltend  und  einander  den  Verlust  ihrer  Habe  und 
ihr  Verderben  Schuld  gebend.  Ampelisca  stürzt  sogleich  in  den 
Tempel  zurück,  um  mit  ihrer  Freundin  Palaestra  am  Altare  der 
Göttin  gegen  den  abscheulichen  Seelenverkäufer  Schutz  zu  suchen. 
Nicht  lange,  so  hat  sich  auch  schon  der  Seewolf  (Labrax,  einge- 
stellt, um  seine  beiden  jungen  Sklavinnen  mit  Gewalt  herauszu- 
holen. Zu  ihrem  Glücke  lebt  in  der  Nähe  ein  aus  seinem  Vater- 
lande verbannter  Athenischer  Bürger,  Namens  Daemones,  auf 
seinem  kleinen  Landgut,  nicht  weit  von  Syrene.  Daemones  ver- 
nimmt den  Lärm  und  den  Hülferuf  des  Trachalio,  den  sein 
Herr,  Pleusidippus,  nach  dem  Tempel  geschickt  hatte.  Daemones 
entsendet  seine  Sklaven,  welche  den  Kuppler,  Labrax,  aus  dem 
Tempel  schleppen.  Indessen  war  Trachalio  zu  seinem  Herrn  ge- 
eilt, um  ihn  herbeizurufen.  Pleusidippus  erscheint  und  bemäch- 
tigt sich  der  Person  des  Kupplers,  um  ihn  vor  Gericht  zu  stellen. 
Die  beiden  Mädchen  bleiben  einstweilen  im  Hause  des  Daemones. 
Mittlerweile  hat  Gripus,  ein  Fischerknecht  des  Daemones,  den 
Mantelsack  mit  den  Kostbarkeiten  des  Kupplers  aufgefischt. 
Trachalio,  der  ihn  beim  Funde  betroffen,  verlangt  sein  Theil  und 
wünscht  das  Kästchen  mit  dem  Kinderspielzeug  der  Palaestra  we- 
nigstens zu  erlialten,  welches  ihm  zur  Entdeckung  ihrer  Eltern 
verhelfen  könnte.  Da  Gripus  sich  auch  hierzu  nicht  verstehen 
will,  soll  Daemones  darüber  entscheiden.  Dieser  erkennt  sogleich 
an  Kästchen  und  Spielzeug  die  Palaestra  für  seine  als  dreijähriges 
Kind  ihm  geraubte  Tochter.  Den  Mantelsack  nimmt  er  einst- 
weilen für  dessen  Besitzer  in  Verwahrsam.  Nun  kehrt  Labrax, 
dem  inzwischen  vor  Gericht,  auf  die  Klage  des  Pleusidippus,  die 
Palaestra  abgesprochen  worden,  nach  dem  Tempel  zurück,  um  die 
Ampelisca  wenigstens  als  sein  Eigenthum  zurück  zu  erhalten.  Der 
Kuppler  erfährt  durcli  Gripus,  dass  soin  Mantelsack  gefunden  sey, 
U.  M 


530  '^i^  röiiiische  Komödie. 

und  verspricht  ihm  1 2ü()  Tlialer  (ein  grosses  Talent),  wenn  er  ihm 
zur  Wiedererlangung  seines  ßänzeJs  verhilft.  Daemones  verabfolgt 
ihm  den  Mantelsack  nur  gegen  Auszahlung  der  1200  Thaler.  Die 
Hälfte  soll  er  als  Kaufpreis  für  die  Ampelisca  wieder  erhalten. 
Für  die  andere  Hälfte  will  er  dem  Gripus.  als  dem  Finder,  die 
Freiheit  geben.  Labrax  muss  in  den  sauern  Apfel  beissen.  Pa- 
laestra  wird  als  Freigehorene  die  Gattin  des  Pleusidippus.  Die 
freigekaufte  Ampelisca  wird  dem  Freigelassenen  Trachalio  zu 
Theil.  So  endet  die  bunt  bewegte,  mit  meisterhaften  Scenen  reich 
ausgestattete  Komödie.  Eine  solche  Capitalscene  bildet  das  Zank- 
gespräch der  beiden  alten  Bösewichter,  deren  gegenseitige  Ver- 
wünschungen ihr  Uebelbehagen  noch  ergötzlicher  würzt  (H,  6.): 

Labrax.     0  weh!   Es  wird  mir  übel.     Halt  mir  doch  den  Kopf! 
Charmides.    Ich  ^rünsche,  dass  du  clü-  die  Lung'  ausspeien  magst. 

Labrax.     0  weh!  Palaestra,  Ampelisca,  wo  seyd  ihr  jetzt? 
Charmides.     Vermuthlich  füttert  schon  ihr  Leib  die  Fisch'  im  Meer  .  .. 

Labrax.     Geh'  fort  von  mir  ins  allergrösstc  Ungemach! 
Charmides.     Thu'  du's,  das  war  auch  mein  Gedanke  ebenfalls  .  .  . 
Labrax.     0  Binse,  Binse,  dein  Geschick  beneid'  ich  dir, 

Weü  du  den  Euhm  der  Trockenheit  dir  stets  bewahrt  .  .  . 
Fürwahr  Neptun,  du  bist  ein  kalter  Bademann  .  .  . 
Hielt  er  nur  einen  Laden  je  für  warmen  Punsch. 
Allein  nur  kaltes  Salzgesöife  bietet  er. 
Charmides.     Wie  überglücklich  doch  die  Eisenschmiede  .sind, 

Die  bei  den  Kohlen  sitzen;  immer  sind  sie  warm. 
Labrax.     0  hätt'  ich  die  Natur  doch  einer  Ente  jetzt. 

Die  trocken  ist,  sobald  sie  aus  dem  Wasser  kommt. 

So  mancher  Pinselstrich  wirft  seine  Sclilagschatten  hinüber 
in  Shakspeare's  „Sturm." 

Die  Erkennungsscene  ist  eine  der  schönsten  der  römischen 
Komödie    IV,  4.  ^3  ff".;: 

Daemones.   Reiche  den  Mantelsack  mir,  Gripus!  .  .  . 
Gripus.  Nimm  ihn  hin! 

Daemones.  Hört,  Palaestra,  Ampelisca,  beide,  was  ich  sagen  will! 

Ist  diess  hier  das  Ränzel,  wo  dein  Kästchen  drin  seyn  sollte  V 
Palaestra.  Ja. 

Gri])us.     Acli,  ich  Aermster,  bin  verloren.     Eh'  sie   ihn  nur  angesehn, 
Sagt  sie  schon,  er  sey's. 


Das  Schiffsseil.     Die  Erkemumgsscene.  531 

Palaestra.    Ich  will  dir  Alles  klar  zu  wissen  thun. 

Hier  in  diesem  Mantelsacke  muss  ein  Binseukästchen  seyn. 
Was  da  drin  ist,  will  ich  einzeln  alles  nennen  und  du  sollst 
Gar  nichts  zeigen.  Sag'  ich  Lügen,  hab  ich  es  umsonst  ge- 
sagt. 
AHes,  was  sich  sonst  drin  findet,  das  soll  sämmtlich  euer  seyn, 
Doch  ist's  mehr,  so  bitt'  ich,  dass  man  mir  das  meine  giebt. 
Daemones.  So  sey's! 

Klares  Eecht  nach  meiner  Meinung! 
Grripus.     Doch  nach  meiner  klarer  Trug!  .  .  . 
Daemones.  Ist  es  diessV 

Palaestra.  Ja,  das  ist's!   0  meine  Aeltern,  hier  halt'  ich  euch  eingehegt. 
Hier  verberg'  ich  Glück  und  Hoffnung,  wieder  zu  finden  euch 
dereinst. 
Gripus.      Nun  dann  müssen  alle  Götter  dir  erzürnt  seyn,  wer  du  seyst, 
Da  du  deine  Aeltern  in  so  engen  Kaum  zusammenpferchst. 
Daemones.  Hieher,  Gripus!   Deine  Sach'  ist's!    Du  dort,  Mädchen,  steh' 

von  fern. 
Sag'    uns  Alles ,    was  darin  ist ,  und  wie's   aussieht,  nenn'  es 

uns 

Palaestra.  Spielzeug  ist  darin. 

Daemones.  Das  seh'  ich. 

Gripus.  Ich  verlor  die  erste  Schlacht    .  .  . 

Daemones.  Wie  sieht  es  aus?    Antworte  nach  der  Reih'. 

Palaestra.  Erst  ein  kleiner  goldner  Degen  mit  n'er  Aufschrift. 
Daemones.  Sage  dann. 

Welche  Aufschrift  hat  der  Degen  V 
Palaestra.  Vatername  steht  darauf. 

Dann  von    der   andern   Seit'    ein   Beilchen   steht  der   Mutter 
Namen. 
Daemones.  Wart! 

Was  steht  als  Vatername  auf  dem  Degen? 
Palaestra.  Daemones. 

Daemones    (entzückt). 

Grosse  Götter,  wo  steht  meine  Hoffnung? 
Gripus.  Wo  die  meinige?  .  .  . 

Daemones.  Sprich,  wie  heisst  der  Mutter  Name,  welcher  auf  dem  Beil- 
chen steht? 
Palaestra.  Daedalis. 
Daemones.  Die  Götter  retten  mich. 

Gripus.  Doch  mich  vernichten  sie. 

Daemones.  Ganz  gewiss  ist's  meine  Tochter,  Gripus! 
Gripus.     Sey  sie's  meinethalb! 

(zu  Trachalio) 
AUe  Henker  mögen  dich  holen,  dass  du  lieut  mir  zugesehen. 


532  I^ic  römische  Komödie. 

Palaestra.   Dann  'ne  kleine  silberne  Sichel  und  zwei  Händchen  fest  ver- 
schränkt. 
Und  ein  Schweinchen. 
Gripus.  Geh'  zum  Henker  sammt  den  Fackeln  und  dem  Schweüi ! 

Palaestra.  Dann  ein  Goldherz,  das  mein  Vater  zum  Geburtstag  mir  ge- 
schenkt. 
Daemones.  Ja  sie  ist's,  ich  halte  mich  nicht  länger,  eh'   ich   dich   um- 
armt. 
Tochter  sey  gegrüsst ;  dein  Vater  bin  ich,  welcher  dich  erzeugt. 
Ich  bin  Daemones,  und  im  Haus'  ist   deine  Mutter  Daedalis. 
Palaestra.  Heil  dir  unverhoffter  Vater! 
Daemones.  Und  auch  du,  wie  lieb  ich  dich!.  . 

Den  Prolog  lässt  Plautus  vom  Arcturus  sprechen,  dem  als 
Grott  personificirten  Sterne  im  Bootes  (am  Schwanz  des  Bären), 
von  dem  man  glaubte,  dass  er,  besonders  bei  seinem  Untergange 
im  Herbst,  gTosse  Stürme  bringe. 

Die  Zeit  der  Aufführung  fiel  nach  Ritschi  nicht  vor  559 
d.  St.,  zehn  Jahre  vor  Plautus'  Tod. 

D  e  r  K  a r t  h  a  g  e r  (Poenulus).  Auch  diese  Komödie  dreht  sich 
um  Raub  und  Verkauf  von  Kindern,  und  deren  schliessliche  Er- 
kennung und  Anerkennung  als  Freigeborene.  Im  Poenulus  gilt 
es  gar  die  Entführung  eines  Knaben  und  zweier  Mädchen  aus 
Karthago.  Knabe  und  Mädchen  sind  Geschwisterkinder.  Jener, 
Agorastocles,  unser  Poenulus,  wurde  nach  Kalydon,  in  Aeto- 
lieu,"  an  einen  alten  reichen  kinderlosen  Herrn  verkauft,  der  ihn, 
bei  seinem  Tode,  an  Kindesstatt  annahm,  und  zum  Erben  seiner 
Güter  einsetzte.  Der  Vater  des  Knaben  war  bald  nach  dem  Ver- 
schwinden seines  siebenjährigen  Söhnleins  vor  Harm  gestorben. 
Die  beiden  Cousinen  des  Agorastocles,  ihrem  Vater,  im  Alter  von 
5  und  4  Jahren,  zugleich  mit  ihrer  Amme,  geraubt,  hatte  der 
Räuber  an  einen  Mädchenwii-th ,  Lycus  (Wolf),  aus  Anachorium 
(Acarnanien)  verhandelt  —  „den  ärgsten  Schuft  von  Allen,  so  die 
Erde  trägt",  rühmt  ihm  der  Prolog  nacli.  Der  Mädchenhändler 
siedelt  nach  Kalydon  über  und  wohnt  liier  in  einem  Hause  mit 
Agorastocles.  Dieser  verliebt  sich  in  die  ältere  der  beiden  Schwe- 
stern, Adelpliasium:  „docli  weiss  er  nicht,  dass  sie  mit  ihm 
Geschwisterkind'',  deutet  der  Prolog  an  (v.  97  ff.j: 

Noch  berührt  er  je  sie ;   also  quält  der  Kuppler  ihn  .  .  . 
Noch  l'reit'  er  sie,  noch  wollte  jener  sie  lassen  ziehn. 
Weil  er  verliebt  ihn  merket,  l'ührt  er  ihn  ins  Netz. 


Plaiitus.     Der  Karthager  (Poenulns).  533 

Die  jüngere,  Anterastilis,  will  ein  Hauptmann  Authemoni- 
des  zur  Beischläferin  sich  kaufen.  Zum  Glücke  der  Mädchen 
trifft  ihr  Vater,  Hanno,  der  seit  Jahren  sie  aufsucht,  in  Kaly- 
don  ein,  bevor  sie  Unwürdiges  erdulden  müssen.  Der  leidenschaft- 
lich verliebte  Agorastocles,  durch  die  Habsucht  des  Kupplers 
Lycus  aufs  Aeusserste  gequält,  hat  diesen  unterdessen  in  einen 
doppelten  Process  verwickelt,  mit  Hülfe  eines  seiner  Sklaven,  wel- 
cher, als  fremder  Soldat  verkleidet,  mit  einer  angeblichen  Kriegs- 
beute von  300  Philippstücken,  verabredetermaassen,  sich  bei  dem 
Kuppler  eingestellt  und,  für  die  genannte  Summe,  bei  demselben 
Aufnahme  und  Herberge  gefunden  hatte.  Daraufhin  \vurde  Lycus 
von  Agorastocles  vor  Gericht  des  doppelten  Verbrechens  ange- 
klagt: einen  entlaufenen  Sklaven  verhehlt,  und  den  Diebstahl  mit 
ihm  begangen  zu  haben.  Bei  dieser  Verhandlung  kommt  auch 
die  Herkunft  der  beiden  Mädchen  an  den  Tag,  die  iln-  zu  rechter 
Zeit  eingetroffener  Vater,  Hanno,  durch  ihre  Wärterin  Gidde- 
neme,  als  seine  ihm  geraubten  Kinder  erkennt.  Zu  gleicher  Zeit 
findet  er  in  Agorastocles  seinen  Neffen  wieder,  dem  er  mit  Freu- 
den seine  ältere  Tochter  Adelphasium  vermählt. 

Den  Hanno  lässt  Plautus  Punisch  sprechen  und  es  von  Ago- 
rastocles treuem  Diener  Milphio  verdolmetschen,  dem  aber  der 
gelehrte  Dr.  Bellermann  in  drei  Programmen  ';  die  beschämendste 
ünkenntniss  und  die  gröbsten  Schnitzer  gegen  die  punische  Gram- 
matik nachgewiesen.  Zm-  Zeit  des  zweiten  punischen  Krieges, 
wo  Plautus  lebte  und  im  römischen  Theater  die  Bellermann's 
dicht  gesät  sasseu,  die  des  Karthagischen  mächtig  waren  und  es 
so  geläufig  sprechen  mochten,  wie  der  gelehrte  Berliner  Punier, 
Dr.  Bellermann,  musste  der  fünfte  Act  durch  das  geradebrechte 
Karthagisch  ungemein  belustigend  wirken.  Heutzutage  ist  dieser 
Hochgenuss  einem  einzigen  Sterblichen  beschieden,  dem  Dr.  Bel- 
lermann. Dagegen  versteht  die  Liebesscene  zwschen  Agorastocles 
und  Adelphasium  noch  heutigen  Tages  Jederaiann,  die,  wer  weiss? 
vielleicht  für  die  Bellermann  wieder  puuisch  klingen  mag.  Adel- 
phasium mit  ihrer  Schwester  treten  auf.     Agorastocles  und  sein 


1)  Versuch  einer  Erklär,  der  punischen  Stellen  im  Poenulus  des  Plaut. 
Drei  Programme  von  T.  .1.  Bcllermann.    Berl.  1808. 


534  Die  römische  Komödie. 

Diener  Milphio,  die  das  Stück  eröffnet,  befinden  sich  auf  der 
Bühne  (I,  2): 

Milphio.  Sieh  da,  willst  du  nicht 

Dein  Mädchen  sehn  V 
Agorastocles.  Das  lohne  dii-  der  grosse  Gott, 

Da  du  diess  angenehme  Schauspiel  mir  gebracht  .  .  . 

Die  Schwestern  verhandehi  ihre  Angelegenheiten  über  Putz  u. 
dgl.  für  sich,  ohne  jene  zu  bemerken. 

Agorastocles.   Wie  schön  ist  der  Tag  heut,  wie  hold  und  voll  Anmuth, 
So  würdig  der  Liebesgöttin,  die  heut  ihr  Fest  hält! 
Milphio.    Bedankst  du  dich  wohl,  dass  ich  jetzt  dich  herausrief? 
Du  fühlst,  billig  ist's,  mir  ein  Fass  alten  Weins 
Zu  schenken.    Befiehl,  dass  man's  hergiebt !  Du  schweigst 

noch  ? 
Fiel  die  Zung'  ihm  aus?   Zum  Henker,  warum  stehst  du 
so  versteinert? 
Agorastocles.  So    lass     mich    verliebt    seyn.       Verstör'     mich    nicht, 

schweige!  — 
Milphio.     Gut!    Ich  schweige  .... 
Antera  stilis.    (zu  Adelph.) 

Lass  uns  gehen! 
Adelph.  Ach  ich  bitte,  warum  eUst  du  so? 

Anter astilis.  Du  fragst? 

Weil  der  Herr  auf  uns  am  Tempel  wartet! 
Adelph.  Lass  ihn  warten!   Bleib!  .  ,  . 

Oder,  meint  sie  zur  Schwester,  willst  du  dort  Verkehr  mit  Bäder- 
liebchen, Sklavenschätzchen  pflegen?  üeber  die  „Sklavenschätz- 
chen"  erbost  sich  Milphio  bei  Seite: 

,, Solch  ein  Wort  spricht  so  ein  Ding 
Nicht   mit   einem  Glas   voll  Nebel   kauf   ich   ihr   sechs 
Nächte  ab." 
Agorastocles.  0  ihr  grossen  ewigen  Götter,  was  ist  schöner  unter  euch? 
Was   besitzt  ihr ,  dass  ich  glaube ,    ihr  seyd  glücklicher, 

als  ich  selbst. 
Der  ich   so  viel  Schönes   sehe?    Venus   ist  nicht  Venus 

mehr. 
Diese  Venus  wUl  ich  ehren,  dass  sie  mich  holdselig  Uebt  . . 

Milphio.     —  Die  du  niemals  angerührt? 

Agorastocles.  Auch  die  Götter  lieb'  imd  ehr'  ich,  und  doch  rührt'  ich 

sie  nicht  an  .  .  . 


Der  Karthager.    Eiue  Liebesscene.  535 

Kann  Eomeo  zarter  schwärmen?  Ein  Calderon'scher  Liebesritter 
verzückungsvoller  anbeten?  Und  ohne  dass  die  munteren  Farben 
des  Lustspieltons  von  der  Liebesbegeisterung-  in  der  leisesten 
Schattirung  versehrt  würden! 

Agorastocles.   Höre,  willst  du  etwas  Kluges  und  Gescheites  thun? 

Milphio.  0  ja! 

Agorastocles.   Kannst  du  mir  auch  folgen? 

Milphio.  Freilich. 

Agorastocles.  Geh'  nach  Haus'  und  häng'  dich  auf! 

Milphio.     Weshalb  das? 
Agorastocles.    WeU  du  doch  niemals  mehr  so  süsse  Worte  hörst. 

Wesshalb  wolltest  du  länger  leben  ?  Folge  mir  und  häng' 
dich  auf! 
Milphio.     Wenn  du   nur  mit  mir   zusammen  zur  Eosine  ')  werden 

willst. 
Agorastocles.    Doch  ich  liebe  diese. 

Milphio.  Doch  ich  Speis'  und  Trank. 

Jene  komische  Kehrseite  des  Gracioso  in  der  spanischen  Komödie, 
die  das  naiv  sinnliche  Volksempfinden,  dem  geistig  schwärmeri- 
schen üeberschwang  und  Hochflug  der  Ritterstimmung  gegenüber, 
festhält,  und  dessen  komischen  Gegensatz,  nach  Seiten  der  AVelt- 
betrachtung  und  Lebensauftassuug,  Cervantes  in  dem  Dualismus 
zwischen  dem  Junker  von  La  Mancha  mid  seinem  Knappen  bis 
zur  Pliilosophie  dieses  bewussten  Contrastes  vertiefte  —  wir  finden 
diese  sinnreiclie  Parodie  schon  in  der  Komödienstellung  der  Plau- 
tinischen  Sklaven  zu  ihren  jungen  Herren  angedeutet,  und  viel- 
leicht in  keiner  andern  Scene  mit  so  viel  anmuthigem  Witze  zur 
Wirkung  gebracht,  wie  in  dieser.  Wie  artig  und  zierlich  sind 
die  Apaiie's  der  beiden  Gruppen  des  Liebenden  mit  seinem  Die- 
ner, und  der  Geliebten  mit  der  Schwester  und  Magd,  behandelt! 

Adelphasium.  Noch  eins! 

Anterast.  .  Und  was? 

Adelphasium.    Sieh'  mal,    sind  die  Augen  klar  nun?   Vorher  hatt'  ich 

was  darin. 

Anterast.    Nein,  es  sitzt  noch  in  der  Mitten  Etwas. 
Adelphasium.  Nimm  doch  deine  Hand: 


1)  Uva  passa ,  weil  die  Weintrauben ,   um  zu  Eosinen  zu  vertrocknen, 
aufgehängt  werden.    Pensilis  uva.    Hör.  Sat.  II,  2.  v.  121. 


536  I^i^  römische  Komödie. 

Agorastocles   (unwillig  vor  sich  hin). 

Dass    du  gar    mit   schmutzigen    Händen   ihr  die   Augen 
reiben  darfst ! 

Illotis  manibus,  „mit  ungewaschenen  Händen",  klingt  feiner.  Es 
Hesse  sich  vielleicht  übersetzen:  „dass  mit  ungeweihten  Händen 
du  die  x4.ugen  reiben  darfst!" 

(Die  Mädchen  sprechen  für  sich). 
Agorastocles.    Jlilphio! 

Milphio      (für  sich).     Auch  du  armer  Müphio!  —  (laut)  Nun,  was 

steht  cUr  zu  Befehl? 

Agorastocles.  Ich  beschwöre  dich,  wie  Süsses  spricht  sie? 

Milphio.  Lauter  Waifeln  nur, 

Sesam,  Mohn  und  Honigkuchen,  Nüsse,  Rosinen  und  Man-  * 
dÄkern. 
Agorastocles    (nähert  sich  den  Mädchen  zaghaft  und   schüchtern,  und 
begrüsst  sie,  zu  Adelphasium) : 
Wohin  eUst  du? 
Adelphasium.  Ich?  zum  Tempel. 

Agorastocles.  Was  zu  suchen? 

Adelphasium.  Venus'  Huld. 

Agorastocles.  Zürnt  sie  dir?   Sie  ist  dii-  gnädig.     Ich   verbürge  mich 

für  sie. 
(Adelphasium  behandelt  ihn  spröde). 
Agorastocles.  Nimm  doch  deinen  Sclileier  auf ! 

Adelphasium.    Ich  bin  rein,  drum  bitt'  ich,  fass  mich  ja  nicht  au,  Ago- 
rastocles !  .  .  . 
Agorastocles.  Wie?   Dich  könnt'  ich  fahren  lassen?   Milphio,  sage! 
Milphio      (für  sich).  Ach  verdammt! 

(laut)  Was  beliebt  dir? 
Agorastocles.  Wesshalb  zürnt  die? 

Milphio.  Wesshalb  diese  auf  dich  zürnt? 

Was  soll    mich   das  wohl  bekümmern?  —  Das  ist  deine 
Kümmerniss. 
Agorastocles.  Wahrlich,  Kerl,  du  bist  verloren,  machst  du  sie  mir  nicht 

so  still. 
Als  die  See  ist,  wenn    das  Meerhuhn  seine  Jungen  führt 
hinaus. 
Milphio.     Was  kann  ich  denn?  — 
Agorastocles.  Bitte,  schmachte,  kose.  — 

Milphio.  Gut,  das  wiU  ich  thun. 

Aber  dass  du  nicht  den  Sprecher  hinterher  mit  Fäusten 
schlägst. 
.\delphasium     (im  Fortgehen  zu  Agorastocles,  der  sie  aufhalten  will): 


Der  Karthager.     Eine  Liebesscene.  537 

Lass  mich,  bist  ein  böser  Mann.  — 

Viel  versprichst  du,  doch  von  Allem  hältst  du   nicht  das 

Mindeste. 
Du  beschworst,  mich  frei  zu  kaufen ,  einmal  nicht ,  nein 

hundertmal. 
Weil    ich     deiner    harre,     schafft'    ich    nirgends     andre 

Hülfe  mir. 
und  von  dir  kommt  nichts  zu  Tage;  also  dien'  ich  nach 

wie  vor. 
Komm,  0  Schwester!  (zu  Agorast.)  Du  verlass  mich! 
Agorastocles.  Weh!  was  machst  du,  Milphio? 
Milphio      (sich  der  Adelphasium  nähernd). 

Mein  Vergnügen,  mein  Entzücken;  du  mein  Leben,  meine 
>  Lust, 

Du  mein  Aeuglein.  du  mein  Lippchen,  meine  Wohlfahrt, 

du  mein  Kuss, 
Du  mein  Honig,  du  mein  Herzchen  ,  meine  Mich ,   mein 

weisser  Schwan ! 
Agorastocles.  Das    muss    ich    ihn   sagen  hören V     Lieber   geh'   ich  in 

den  Tod, 
Als  dass  ich  ihn  nicht  gleich  mit  vieren  schle]3pen  lasse 

zum  Henkerknecht. 
Adelphasium    (zu  Müphio). 

Port  mit  dir,  du  Zungendrescher! 
Milphio.  Ich  will  gehn.     Doch  weisst  du  wie? 

Lass   dich    erbitten ,   lass  am  Ohr  dich  fassen ,    lass  dich 

küssen  dann. 
Denn  ich  werd'  ihn  weinen  machen,  wenn  ich  dich  nicht 

besänftige. 
Und  dass  er  mich  dann  zerprügelt,    söhn'  ich  dich  nicht 

aus  mit  ihm. 
Das    befürcht'   ich ,    denn    ich    kenne    dieses   Murrkopfs 

böse  Art. 
Desshalb  bitt  ich.    mein  Entzücken,    lass  dich  doch  von 

ihm  erfiehn! 
Agorastocles.  Nicht   sechs  Dreyer   will  ich  werth  seyn ,  schlag  ich  je- 
nem Hundekerl 
Nicht  die  Augen  aus  und  Zähne.    (Er  prügelt  auf  ihn  los.) 

Hier  ist  eins  für  deine  Lust. 
Hier  der  Honig,   hier  das  Herzchen,  hier  das  Lippchen, 

hier  der  Kuss! 
Milphio.    Herr,  du  versündigst  dich,  den  Sprecher  prügelst  du. 
Agorastocles    (giebt  ihm  noch  einige  Schläge). 

Nimm  dicss  dazu. 
Noch    das  Aeuglein,   und   das  Lipiidien    und   di(>    Zung! 


538  ^i^  römische  Komödie. 

Milphio.  Wami  hörst  du  auf? 

Agorastocles.   Hiess  ich  so  dich  jene  anflehn? 

Milphio.  Wie  denn  sollt'  ich  flelm? 

Agorastocles.  Du  fragst? 

Also  solltest  du  sagen,  Schurke :    Dessen  Lust   hier  fleh' 

ich  an, 
Dessen  Honig,  dessen  Herzchen,  dessen  Lippchen,  Zung' 

und  Kuss, 
Dessen  Wohlfahrt,  dessen   Anmuth.   dessen   süsse  Lieb- 
lichkeit, 
Dessen   Müchbrust ,    dessen    zuckersüsser    Schmant ,    du 

Galgenstrick, 
Dessen  Leben,  dessen  Liebe,  dessen  Inbrunst,  Galgenstrick; 
Alles  was  du  dein  genannt  hast ,    musstest  du  benennen 
nieiü ! 
Milphio.     Nun  so  seyst  du  dann  beschworen,  dessen  Lust  und  mein 

Verdruss, 
Dessen  wohlbebriistete  Freundin,  meüie  schwerentrüstete. 
Dessen  Auge,  meine  Blindheit,  dessen  Honig,  meine  GaU', 
Dass  du  ihm  nicht  länger  zürnest,  oder  wenn  dirs  nicht 

möglich  ist 

Adelphasium     (ihn  unterbrechend). 

Nimm   den  Strick    dich   aufzuhängen   sammt  dem  Herrn 
und  eurem  Haus!  .  .  . 
Anterastilis     (zu  Adelphasiiim). 

Gieb  ihm  nur  was  Guts  zur  Antwort,  dass  er   uns  nicht 

länger  Mer 
Lästig  werde,    denn   er  hält    uns  nur  von  unsrem  Gang 
zurück. 
Adelphasium     (folgt  der  Schwester,  mehr  noch  ihrem  Herzen  imd  sagt 
zu  Agorastocles): 
Diessmal  ^vill  ich  dii-'s  noch  schenken,  Agorastocles! 
Ich  bin  nicht  mehr  böse. 
Agorastocles.  Nicht? 

Adelphasium.  Nein. 

Agorastocles.  Ist  es  wahr,  gieb 

mir  'nen  Kuss! 
(Da  ergo,  ut  credam,  suavium,  klingt  inniger  und  lieb- 
licher. Vielleicht:  ,,Dass  ich's  glaub',  o  einen  Kuss!") 
Adelphasium.  Ja,  sobald  ich  von  dern  Opfer  hier  bin. 
Agorastocles.  Gut,  so  spute  dich! 

Adeli)hasion.    Komm,  o  Schwester! 
Agorastocles.  Aber  hi')rst  du,  grüss  in  meinem  Namen  auch 

Göttin  Venus! 
Adelphasium.  Soll  geschehn. 


Plautus.    Epidicus.  539 

Agorastocles.  Und  noch  Eins! 
Adelphasium  Was  giebt  es  noch? 

Agorastocles.  Fass  dein  Opfer  mit  kurzen  Worten !  hörst  du,  sieh  mich 

auch  freundlich  an!  (entzückt) 
Ja  sie  that  es.    Eben  diess   auch  wird  an  dir  die  Venus 
thun.    (Die  beiden  Mädchen  ab.) 

ßespexit.    Idem  pol  Venerem  credo  facturani  tibi  — 

Schliesst  mit  vollerem  Tonfall  und  gefiihlterem  Nachruf.  Vielleicht: 

,,Ja  sie  that  es!  Sey  dir  Venus  hold,  Geüebte,  wie  du  mir!" 

Wir  erinnern  uns  keiner  Liebes-Scene  in  der  ganzen  Komödien- 
Literatur,  die  so  reich  au  Tönen  wäre,  an  Schlaglichtern  und 
Schattirungen,  wie  diese;  so  voll  Komik,  drolligem  Ernst,  anmu- 
thigem  Sprödsinn  und  liebesinniger  Süsse.  Nur  Einer  möchte 
eine  Fülle  solcher  Scenen  gedichtet,  und  er  allein  den  musikali- 
schen Reiz  der  Situation  als  höchsten  Kmistzauber  ausgesprochen 
haben:  Mozart. 

Epidicus.  Der  Name  des  Haussklaven  von  Stratippo- 
cles,  einem  jungen  Athener,  der  diesem  seinem  Diener,  Epidicus, 
zm-  Zeit  des  thessalischen  Krieges  den  Auftrag  gegeben,  ein  Mäd- 
chen, das  er  liebt,  von  einem  Kuppler  zu  erkaufen  und  dieselbe, 
während  seiner  Abwesenheit  beim  Heere ,  an  einem  sichern  Orte 
unterzubringen.  Das  Kaufgeld  schwindelt  Epidicus  dem  Peri- 
phanes,  Vater  des  Stratippocles ,  durch  das  Vorgeben  ab:  das 
Mädchen  sey  dessen  von  den  Feinden  entführte  Tochter,  die  als 
solche  denn  auch  in  das  Haus  des  Alten  aufgenommen  wird. 
Mittlerweile  verliebt  sich  Stratippocles  in  eine  andere;  ein  junges 
Mädchen,  das  sich  unter  den  Gefangenen  bei  Theben  findet,  zu 
deren  Loskaufung  er  das  Geld  bei  einem  dortigen  Wucherer  auf- 
nimmt. Um  sich  bezahlt  zu  machen,  begleitet  der  Wuclierer  den 
Schuldner  mit  dem  Mädchen  nach  Athen.  Auch  diese  Schuld- 
summe weiss  Epidicus  den  Periphanes  abzulisten,  indem  er  dem 
Alten,  der  gerade  eine  anständige  Verheiratliung  des  Solmes  im 
Sinne  hat,  weissmacht:  dieser  wolle  eine  Harfenspielerin  vom 
Kuppler  kaufen  und  zur  Frau  nehmen.  Cm  dem  zuvorzukom- 
men, giebt  Epidicus  dem  Alten  den  ßatlj,  einen  Vorkauf  zu  ma- 
chen, wobei  noch  zu  gewinnen  stände,  dn  (>i)i  reicher  Offizier 
diese  Harfenspielerin   liebe.      Der   Diener   erhält  das  Geld   und 


540  I^iß  röiuische  Komödie. 

führt  dem  Alten  eine  Harfenspielerin  als  die  Geliebte  des  Sohnes 
zu.  Der  doppelte  Betrug  kommt  bald  an  den  Tag.  Philippa, 
eine  frühere  Geliebte  des  alten  Periphanes,  von  der  er  jene  ent- 
führte Tochter  hatte,  erkennt  diese  natürlich  nicht  in  der  von 
Epidicus  eingeschwärzten  Hetäre,  der  ersten  GeUebteu  des  Stra- 
tippocles.  Ebensowenig  erkennt  der  Offizier  die  Harfenspielerin 
für  sein  Mädchen.  Epidicus  kann  sich  auf  zwei  Peitschen  und 
zwei  Galgen  gefasst  machen.  Aber  je  mehr  Galgenstrick,  je 
mehr  Glück.  In  dem  aus  Theben  mitgebrachten  Mädchen  er- 
kennt er,  der  doppelt  gedrehte  Galgenstrick,  der  Epidicus,  erkennt 
er  zuerst  die  verlorene  Tochter,  Telestis,  wofür  der  Wicht  vom 
Alten  noch  obendrein  Freiheit  und  Versorgung  erpresst.  Der  aus 
einem  Liebhaber  in  einen  Halbbruder  umgewandelte  Stratippo- 
cles  muss  froh  seyn,  dass  ihm  Epidicus  das  erste  Liebchen  in 
Sicherheit  gebracht. 

Diese  durch  Intrigue,  witzigen  Dialog  und  Charakteristik  sich 
auszeichnende  Komödie  stellen  wir,  in  Bezug  auf  Innern  Gehalt, 
den  vorher  besprochenen  nach.  Fabel  und  Motive  stempeln  sie 
zu  einer  Localkomödie.  Von  allen  Plautinischen  Komödien  scheint 
uns  diese  am  entschiedensten  die  griechische  Farbe  des  Philemon- 
Menander-Lustspiels,  und  am  wenigsten  die  der  römischen  Sitten 
zu  tragen.  Der  Epidicus  ist  kein  Lustspiel  für  alle  Zeiten,  wie 
Captivi,  Triuummus,  Eudens,  selbst  die  Aulularia  und  der  Miles 
gloriosus.  Der  Epidicus  hat  keinen  andern  Zweck,  als  zu  unter- 
halten; in  den  Augen  der  Selbstzwecks -Aesthetik  fi-eilich  sein 
höchster  Werth. 

P  s  e u  d  0 1  u  s.  Auch  dieses  Stück  führt  den  Namen  vom  Haus- 
sklaven und  Vertrauten  des  jungen  Calidorus,  dessen  Vater 
Simo,  einen  wohlhabenden  Athenischen  Bürger,  unser  Pseudolus 
um  eine  Summe  Geldes  zu  prellen  vorhat,  womit  er  die  Phoeni- 
cium,  das  Liebchen  seines  jungen  Herrn,  vom  Mädchenliändler 
Ballio  loskaufen  will,  bevor  sie  ein  macedonischer  Offizier  ent- 
führt. Der  alte  Simo  hat  aber  von  Pseudolus'  Absicht  Wind  be- 
kommen und  nimmt  den  Kneclit  in's  Verliör.  Dieser,  weit  ent- 
fernt, sich  einschüchtern  zu  lassen,  sagt  dem  Alten  auf  den  Kopf 
zu:  er,  Simo,  werde  ihm  freiwillig  das  Geld  dazu  geben,  um  das 
er  aber,  Pseudolus,  den  Kuppler  so  gewiss  zu  prellen  gedenke, 
wie  um  das  Mädchen.    Dem  Alten  erscheint  das  eitel  Aufschnei- 


Plautus.    Pseudolus.  541 

derei  und  er  ist  launig  genug,  dem  Pseudolus  das  Kaufgeld  für 
das  Mädchen  zuzusagen,  wenn  ihm  der  beabsichtigte  Doppelbetrug 
gelingt.  Pseudolus  denkt:  Caesar  und  Glück!  und  verlässt  sich 
auf  die  Gelegenheit,  die  Mutter  der  Schelme  und  Diebe,  grosser 
wie  kleiner.  Die  führt  ihm  auch  schon  in  dem  Harpax,  dem 
einfältigen  Trossknecht  oder  Zeltburschen  (caculaj  des  macedoni- 
schen  Offiziers,  das  taugliche  Subject  zu.  Pseudolus  giebt  sich 
für  des  Ballio,  des  Mädchenhändlers,  Hausvog-t,  S\tus,  aus,  und 
erhält  vom  Harpax  den  Brief,  worin  die  Marke  liegt,  gegen  deren 
Empfang  der  Mädchenhändler  das  Mädchen  ausliefern  soll.  Pseu- 
dolus, im  Besitz  von  Brief  und  Marke,  empfiehlt  dem  Harpax  die 
nächste  Schenke,  wo  er  sich  einstweilen  erfrischen  kann  mid  auf 
weitere  Nachricht  warten.  Hai-pax  wäre  untergebracht.  Aber 
schon  steht  sein  Doppelgänger,  Pseudolus,  als  Harpax  vor  dem 
Mädchenwirth  mit  Brief  und  Marke,  auf  deren  Vorzeige  Ballio 
das  Mädchen  für  den  macedonischen  Offizier  ohne  Umstände  aus- 
liefert, und  sogar  voller  Freude  dariiber,  dass  er  dem  befürchteten 
Betrug  entgangen,  vor  welchem  ihn  der  Alte  Simo,  um  völlig 
sicher  zu  seyn,  gewarnt  hatte.  Vor  Freuden  macht  sich  der 
Kuppler  anheischig,  an  den  zweifelnden  Simo,  mit  dem  er  gleich 
darauf  zusammenkommt,  zwanzig  Minen  zu  verlieren  und  das 
Mädchen  obendrein,  wenn  sich  die  Sache  anders  verhält.  Unter- 
dessen sitzt  der  wirkliche  Harpax  immer  noch  in  der  Kneipe,  und 
wartet  auf  Ballio's  Hausvogt,  den  S}tus,  der  ihm  das  Liebchen 
seines  Macedoniers,  die  Phoenicium,  zuführen  soll.  ^Endlich  eine 
Komödie  des  Plautus,  wo  die  KJieipe  mitspielt.  Ob  sie  aber 
Opposition  dem  Haus  macht,  ist  noch  die  Frage.  Statt  dass  die 
Kneipe  Opposition  gegen  das  Haus  macht,  macht  vorläufig  der 
Hausvogt  Opposition  gegen  die  Kneipe  und  kommt  nicht.  In  der 
Zwischenzeit  hat  sich  Hai-pax  so  weit  erfrischt,  dass  er  selbst  den 
Ballio  aufsuchen  kann,  der  ihn  aber,  zu  seiner  nicht  geringen 
Ueberraschuiig,  für  den  falschen  Harpax  hält,  und  für  einen  von 
Pseudolus  angestifteten  Betrüger.  Bald  genug  entdeckt  der  Mäd- 
chenwirth die  grauenvolle  Täuschung  und  merkt  zu  seinem 
Entsetzen,  dass  er  den  Wiiih  gemacht  ohne  die  Rechnung. 
Das  vom  Offizier  empfangene  Geld  muss  er  diesem  wieder  heraus- 
geben: zwanzig  Minen,  den  üblichen  Mädchenpreis.  Andere  zwan- 
zig Minen  hat  er,   als  verlorene  Wettsumrae,  an  den  alten  Simo 


542  Die  römische  Komödie. 

ZU  zahlen.  Der  dreifache  Mädchenpreis,  das  Mädchen  mit  gerech- 
net, ein  Verlust  von  circa  2000  Thlr.  in  Einem  Strich,  und  da 
soll  Ballio  iiicht  gebrochen  an  Leib  und  Seele  davon  wanken  und 
jammern : 

Den  Geburtstag  will  ich  machen  nun  zu  meinem  Sterbetag. 

und  nicht  der  alte  Simo  sich  in's  Fäustchen  lachen,  um  es  dann 
vergnügt  zu  öffnen  und  daraus  die  dem  Pseudolus  versprochne 
vom  Kuppler  selbst  bezahlte  Loskaufsumme  für  das  Liebchen  sei- 
nes Sohnes  in  die  Hand  des  biedern  Erzgauners  gleiten  lassen, 
mit  den  Worten  (IV.  Sc.  8.  v.  5 ff.): 

Ist  er  doch  ein  sehr  gescheidter,  kluger  und  durchtriebener  Wicht. 
Ueber  den  trojan'schen  Dolus  und  Ulyss  geht  Pseudolus. 

„Dolmn"  für  Dolonem ;  jener  troische  Kundschafter  Dolon  i), 
den  ein  feinerer  Spürer  und  Schlaukopf,  Ulysses,  bekanntlich  er- 
schlug. Pseudolus  ist  durchtrieben  für  beide,  was  sein  Name 
(Pseudos  und  Dolos,  Lug  und  Trug)  treffend  bezeichnet.  Aber 
kein  Dolon  und  Ulysses  hat  seine  gelungene  List  mit  einem  so 
gründlichen  Doppelrausch  gefeiert  wie  Pseudolus.  Taumelnd  wankt 
er  daher,  um  seinen  Lohn  zu  empfangen  (v.   L): 

Was  ist  dasV  Wie  kommt  das?    So  steht  doch,  ilire  Füsse. 
Der  Wein  hat  den  mächt'gen  Fehler,  er  schlägt  uns 
Zuerst  in  die  Füsse,  ein  listiger  Fechter 

(luctator  dolosu'st) 
Ich  gehe  nun  recht  tüchtig  begossen  nach  Hause     ."    .     . 

Ist  das  eine  Opposition  gegen  das  Haus,,  oder  nicht  vielmehr  die 
schönste  Eintracht  zwischen  Kneipe  und  Haus? 

Die  Moral  des  Stücks  ist  locker;  die  Laune,  scherzhafte  Lust 
und  meisterhafte  Charakteristik  unvergleichlich.  Der  Prolog  kün- 
det es  auch  getreulich  an: 

Ubi  lepos,  joci,  risus,  vinum,  ebrietas  decent: 
Gratiae,  decor,  hUaritas  atque  delectatio. 

Wo  muntrer  Scherz   und  Lachen,    Wein    und  Rausch   sich  ziemt: 
Da  waltet  Anmuth,  heitre  Lust  und  Fröhlichkeit  .  .  . 


1)  n.  X. 


Plautus.     Truculentus.  543 

Gellius  nennt  die  Komödie  festivissima,  „die  ergötzlichste."  Fried- 
rich Tauhmann,  einer  der  gelehrtesten  Herausgeber  und  Erklärer 
des  Plautus,  bewundert  den  Pseudolus  über  alles.  Ein  anderer 
berühmter  Commentator  aus  dem  1 7.  Jahrb.,  Camerarius,  preist  das 
Argument  als  reichhaltig  und  wunderwürdig  (argmuentum  est  va- 
rium  et  mirificum).  Joh.  Douza  nennt  dieses  Lustspiel  „das  Auge 
der  Plautinischen  Fabeln:"  Ocellus  fabularum  Plauti.  Soll  doch 
Plautus  selbst,  wie  Cicero  im  Cato  versichert,  an  dem  Pseudolus 
und  Truculentus  sich  mehr,  als  an  seinen  andern  Stücken  erfreut 
haben:  quam  gaudebat  —  Truculento  Plautus,  quam  Pseudolo! 
Lassen  wir  denn  gleich  den  Lihalt  des 

Truculentus  folgen:  „der  rohe  Hitzkopf."  So  übersetzt  das 
Wort  Fr.  W.  Rost,  dessen  Verdeutschung  der  von  Köpke  unübersetzt 
gebliebenen  Komödien  des  Plautus  wir  benutzen.  Truculentus  ist 
der  rauhe,  unwirsche  St  rat  i  lax,  Diener  des  Strabax,  eines  der  An- 
beter, die  in  den  Fesseln  der  verschmitzten  und  habsüchtigen  Buhle- 
rin,  Phronesium,  schmachten.  Der  Erste  derselben,  Dinarchus, 
ein  junger  Mann  aus  Athen,  erfährt,  dass  er  an  Stratophanes, 
einem  Soldaten  aus  Babylon,  dem  windigsten  Maulmacher  der 
drei  Welttheile,  einen  Nebenbuhler  erhalten.  Phronesium  hatte 
diesen  Stratophanes,  der  wieder  in  seine  Heimath  gereist  war,  mit 
der  Vorspiegelung  zurückgelockt,  dass  sie  von  ihm  schwanger  sey. 
Der  Narr  eilt  flugs  herbei,  aufgeblasen  von  stolzer  Vaterfreude 
ob  eines  Kindes,  das,  als  sein  Sprössling,  nicht  anders  denn  ein 
Weltwunder  seyn  kann.  Kaum  angelangt,  fragt  er  die  Asta- 
phium,  Phronesium's  Magd  TH.  Sc.  6): 

Ist  Phrunesiuni  Mutter?  sprich! 
Astaph.  Einen  köstlichen  Jungen  hat  sie. 

S  t  r  a  1 0  p  li  a  n .  Aehnlich  mir  ? 

Astaph.  Das  fragst  du  noch? 

Gleich  nach  dem  er  geboren  war,  da  rief  er  schon  nach  Schwert 

und  Schüd. 
Str  atoj)  lian.     Das  beweist,  er  ist  von  mir. 

Die  Eifersucht  auf  Dinarebus,  von  dem  Phronesium  in  seiner 
Gegenwart  neue  Geschenke  erliält,  geht  zwar  mit  den  Vaterfreu- 
den des  Babyloniers  zu  verschiedenen  Malen  durch,  aber  nur  um 
mit  reichern  Gesclienkeii  wieder  umzukehren.  Bei  der  nächsten  sol- 
chen Tour  findet  er  einen  dritten  Nebenbuhler  in  zärtlichem  tete- 


544  ^^^  römische  Komödie. 

ä-tete  mit  der  Mutter  seines  iiutergeschobeuen  Sprösslings:  den 
jungen  Strabax,  den  Sohn  eines  Landgutbesitzers  bei  Athen,  und 
HeiTu  unseres  Truculentus.  Der  Babyloiiier  geräth  zum  zweiten 
Mal  ausser  sich  (V.   1): 

Stratophaiies  (für  sich).  Leiden  soll  ich,    dass  sie  unter  meinen  Augen 

Andre  herzt? 
Wirklich  lieber  will  ich  todt  seyn.   (zu  Phronesium)    Weg 

von  dem  da  mit  der  Hand. 
Oder  du  und  er  soll  sterben  durch  das  Schwert  in  meiner 
Hand. 
Phrones.     Wenn    du  willst  geliebt   seyn,    spare   das  Gewäsch,    Strato- 

phanes. 
Eisen  nicht ,    nur  Gold  kann's  hindern ,    dass  mich  der  nicht 

weiter  liebt  .  .  . 
Stratophan  es.     Alle  haben   bei  ihr   Zutritt;   weg  von  ihr  mit    deiner 

Hand! 
Strabax.     Nun  so  sollst  du  tüchtig  ausgedroschen  werden  grosser  Held  .  .  . 

Zuletzt  geht  das  Wortgefecht  in  einen  Wettstreit  mit  Ge- 
schenken über,  den  Phronesium,  als  Schiedsrichteriu,  natürlich 
ungesclilichtet  lässt,  zu  welchem  Zwecke  sie  beide  Nebenbuhler 
an  Einem  NaiTenseil  festhält.  Mit  diesem  Triumphzug  schliesst 
die  Komödie.  Den  dritten,  Diuarchus,  befreit  aus  den  Schlingen 
der  Buhlerin  das  untergeschobene  Kind,  das  sich  als  das  seinige 
ausweist,  von  der  Tochter  eines  Mitbürgers  aus  Athen,  der  sie 
ihm  zm-  Frau  giebt. 

„Welche  Freude  hatte  Plautus  nicht  an  seinem  Truculentus ! " 
Nur  um  dieses  Zeugnis«  des  Cicero  —  sonst  müssteu  wir  die 
Vaterfreuden  des  Plautus  in  Eine  Klasse  mit  denen  seines  Baby- 
loniers  setzen.  Der  lebenswahren  Charalvteristik  nach,  besonders 
in  Schilderung  der  Hetären-Häuslichkeit  der  Buhlerin  und  ihrer 
Zofe,  des  prahlerischen  Gecken,  der  in  der  Sammlung  Plautini- 
scher  Thrasonen  als  Narr  hervorglänzt,  eine  Art  Fähudrich  Pistol 
als  eingebildeter  Vater  —  kurz,  was  leichte,  gefällige,  bei  aller 
Manniglaltigkeit  bunter  Misclmng  einfache  Knüpfung  und  Ent- 
wickelung  des  Fabelgewebes  betrifft:  darl'  die  Freude  des  Plautus 
an  seinem  Truculentus  für  berechtigt  und  wohl  begründet  gelten. 
In  Bezug  auf  komischen  Kerngchalt  aber,  auf  Kunstwürdigkeit, 
und  in  BetracJit  der  durcliweg  schlechten,  anrüchigen  Gesellschaft, 


Trueuleiitus.     Stratilax.  545 

worin  die  Sklaven  noch  die  ehrenwerthesten,  wahre  Biedermänner 
sind:  scheint  es  mit  der  inneru  Beschaffenheit  dieser  Komödie 
schier  so  misslich  bestellt,  wie  mit  der  äussern  des  Textes; 
möchte  der  specitische  Kunstwerth  der  Komödie  für  eben  so  cor- 
mmpirt  gehalten  werden  dürfen,  wie  ihr  Text,  welchen  Turnebius 
für  so  verderbt  erklärt,  dass  ihn,  wie  er  sich  ausdrückt,  kaum  ein 
Aesculap  mit  seinem  Vater  zu  heilen  vermöchte. 

Ruhm  dir,  Stratilax!  Wackerer  Grobian,  treugrimmiger  Haus- 
hund, bärbeissiger  Truculentus!  Einziger  Hort  und  Verfechter  der 
Komödien-Ehre,  der  sittlichen  Entrüstung,  der  biederben  Unge- 
schlachtheit, der  rauhehrlichen  Bauerneinfalt  in  diesem  städtisch 
verpesteten  Lustdirnen-Lustspiel!  Voll  Eiferzorns  gegen  die  Un- 
zuchtswirthschaft  der  Phronesien,  der  Astaphien,  bist  du  ein  länd- 
licher Flur-  und  Feldgott,  aber  als  Lar  und  Hüter  der  Hauswürdo 
und  Sitte.  Vergleichbar  jenem  Klotz,  jenem  truncus  ficulnus,  den 
der  Meister,  unschlüssig,  ob  er  eine  Bank  mit  vier  Prügelbeinen 
schaffe,  „lieber  zum  Gott  erkor",  maluit  esse  Deum. ';  Als  Gott 
nun  stehst  du,  dem  diebisch  liederlichen  Volk  der  Phronesien  und 
Astaphien  ,.ein  mächtiger  Schreck",  maxima  fonuido.  Denn  zu- 
rück weist  sie  die  Rechte  „nebst  dem  gerötheten  Pfahl",  —  die- 
ser aber  in  der  Rechten  als  sitteneifriger  Knüppel,  „der  Ahndung 
droht  den  Frevlern."  Und  gleich  wie  jener  mit  beweglichem 
Schilfrohr  bekränzte  Gott-Pfahl  das  Furienpaar,  die  zwei  verruch- 
ten Hexen,  die  in  finstrer  Nacht  ihr  namenloses  Werk  trieben, 
die  Canidia  und  Sagana,  mit  einem  eben  so  namenlosen,  jeder 
Bezeiclnamg  spottenden  Schret^kensknall  entsetzte,  „gleich  stark, 
wie  die  Blas'  aufkracht,  die  zerplatzende",  dass  es  schallte,  wie 
wenn  ein  feigener  Stotz  aufreisst  und  berste n<l  klafft:  also  schreckst 
auch  du,  pfahlbewehrter  Hauswart  und  Itliyphallus  der  Familien- 
zucht, die  kupplerische  Magd  der  Buhlerin  von  deiner  Hausthür 
fort  mit  scheltendem  Gepolter  (H,  2): 

—  Wenn    du   niclit  gleich   dich  fortpackst  und  geschwind  sagst,    was  du 

willst, 
Tret'  ich  dich  mit  Füssen,  Weibsstück,  wie  die  San  die  Jungen  tritt. 

Göttlicher  Sauhirt,    Truculentus!    „Das  ist  ächte  Dorfart",  h'^liut 
die  Zofe. 


1)  Hör.  Sat.  I,  H. 

u.  -yo 


546  r)i"?  römische  Komödie. 

Stratilax.  0  du  hcässliches,  schmutziges  Affenthier  (clurinum  pecus) 

Wirfst  uiir's  Dorf  vor?   Ja,  da  triifst  du  den,  der  sich  daraus 

was  macht. 
Komm  hierher,  versuch'  es  nur,  du  aufgeputzt  Gerippe  du  .  .  . 

Astaphium.  Rühre  mich  nicht  an! 

Stratilax.  Dich  anrühren?  Bei  der  Hacke,  lieber  lass' 

Ich  mit  einem  stöss'gen  Ochsen  mich  zusammenspannen.  und 
Will  mit  ihm  die  ganze  Nacht  so  auf  der  Streu  zubringen,  als 
Dass  ich  hundei-t  freie  Nachtgelage  haben  möchte  bei  dir  .  .  . 
,, Schandgelichter  seyd  ihr"  — 

Warum  denn?    fragt  schnippisch-frech  die  Magd.     „Mehr  weiss 
ich,  als  du  denken  magst."  —  Nuu,  was  weisst  du? 

Stratilax.  .  .  .        Wie  unser  junger  Hen-.  Strabax,  zu  Grunde  geht 

Dort  bei  euch ,    und  wie   ihr  ihn  in  Schaden  und  in  Aufwand 

stürzt  .  .  . 
.     .     .     .     zu  vergeuden  hat  er  nicht 
Sein  Vermögen  aufgesammelt;  nein,   zu  strenger  Sparsamkeit. 

Quam  gaude1)at  Truculento  Plautus  -  -  ruft  Cicero.  Ja,  Plautus 
hatte  seine  Freude  an  dem  Truculentus;  aber  au  der  Figur,  dem 
Charakter,  der  Lustspielpersou  Truculentus,  nicht  an  der  Komödie 
Truculentus,  die  er  nach  ihm,  dem  eigentlichen  Helden  derselben, 
benannte,  dem  Helden  seiner  Dichter-Intention,  den  er  schuf,  um 
mit  ihm  zu  scherzen,  dem  Schoossbären  seiner  Komödien- Absicht, 
der  Favoritfigur  seines  kunststrengen  Dichterherzens,  seiner  in 
Mark  .und  Kern  grundsittlichen  Komik,  die  allein  die  grossen 
Komödiendichter  beseelt,  ihr  Baccheus  oestrus,  ihr  Bacchischer 
Begeisterungs-Stachel  ist.  Eine  Absichtsfigur  ist  der  Stratilax, 
dessen  rauhe,  naturwüchsige,  widerborstige  Bauernderbheit  er  der 
städtischen  Hetären- Verderbuiss  entgegensetzte.  Des  Dichters 
Busengedanken,  als  Truculentus  verkörpert,  ist  dieser  Stratilax; 
der  mürrisch  zottige  Elu'eidiold-Sklave;  des  Dichter-Müllerknech- 
tes Leibsklave;  der  zur  komischen  Schreckfigur  hervorgeschnellte 
Truculentus  aus  des  Dichters  eigner  Brust,  und  nebenbei  der  Ael- 
tervater  von  Lustspiel-Charakteren,  wie  Lessing's  Just,  wie  Mo- 
liere's  Misantlirope ,  und  von  tragischen  Elias -Keissbären,  wie 
Shakspeare's  Kent. 

In  der  zweiten  Scene  des  dritten  Actes  scheint  Stratilax 
plötzlich  wie  umgewandelt.  Wirklich?  scheint  er  so?  Nun,  die 
ümwandelung  möchte  eben  auch  nur  eine  scheinbare  seyn: 


Plaiitus.    Slichus.  547 

Str atilax.  Ich  bin  iiiclit  mehr  so  wüthig,  Astaphiuni,  als  ich  war. 
Auch  bin  icli  nicht  so  grob  mehi*  .  .  . 
Ganz  neue  Sitten  hab'  ich,  die  alten  sind  vorbei. 
Jetzt  Ivann  ich  lieben,  wär's  auch  eine  Bulüerin. 

Hör'  an ;  seitdem  ich  öfter  komme  in  die  Stadt, 

Bin  ich  ein  Witzbold  .  .  . 
Astaph.   Komm  mit  hinein,  du  meine  Wonne  .  .  . 
Str  atilax.     .     .     .     Ich  warte  hier  noch  auf  Strabax. 
Astaph.     .     .     .     Der  ist  hier  bei  uns,  Strabax 

So  eben  kam  er. 
Stratilax.  Und  ging  zur  Mutter  nicht  zuvor?  — 

(auffahrend)  0  der  Nichtswürdige! 
Astaph.  Fängt  das  Alte  wieder  an? 

Stratilax.  Ich  will  nichts  sagen.  — 

Sieht  das  nach  einer  Umwandlung  aus?  Und  wenn  es  eine 
wäre!  Wenn  selbst  der  Truculentus  sich  als  mitergriffen  von 
der  städtischen  Ansteckung  bekennen  sollte:  so  läge  in  dieser 
Umwandlung  erst  recht  die  bitterste  Ironie  gegen  die  Zeitver- 
derbniss  und  ilir  Abliild,  diese  Komödien-Gattung.  Schmeckt  der 
Abgang  des  Stratilax  Hand  in  Hand  mit  Astaphium  nicht  ganz 
nach  solcher  Ironie? 

—  In  das  Wirthshaus  werd'  ich  eingeführt, 

Wo  für  mein  Geld  man  mich  sehr  schlecht  bedienen  wird. 

—  in  tabernam  ducor  devorsoriam, 

Ubi  male  accipiar  mea  quidem  mihi  pecunia. 

Welcher  sarkastische  Protest  zugleich  gegen  die  bewusste  Oppo- 
sition, die  bei  Plautus  das  Wirthshaus  dem  Hause  machen  soll. 
Mag  die  Fabel,  die  ganze  Komödie,  der  Menander-Komödie  ent- 
lehnt seyn,  wie  ihr  denn  eine  solche  auch  unzweifelhaft  zum 
Gmnde  lag:  der  Truculentus  selbst  ist  Plautinisch,  ist  des  Plau- 
tus ureignes  Geschöpf.  Die  Stimme  der  Komödie  ist  Menander's 
Stimme,  die  rauhhaarigen  Hände  des  Truculentus  aber  sind  Plau- 
tus' Hände. 

Der  Stic  hu  s  bildet  zum  Tmculentus  insofern  das  Gegen- 
stück, als  hier  die  eheliche  Treue  zu  Ehren  und  zu  ihrem  Rechte 
gelaugt;  während  der  Haussklave,  Stichus,  der  dem  Stücke  den 
Namen  giebt,  dasselbe  mit  einem  gemeinschaftlichen  Bedienten- 
schmause  und  einem  gemeinschaftlichen  Liebchen  beschliesst,  zur 

35* 


548  ^'^'^  röiiiisclie  Komödie. 

Feier  der  Wiederkehr  ihrer  Herren.  Diese  hatten  ihre  Frauen, 
zwei  Scliwestern,  verlassen,  nachdem  sie  das  Vermögen  dersell)en 
durchgebracht.  Antipho,  der  Vater  der  beiden  verlassenen 
Frauen,  bietet  Alles  auf,  um  sie  zu  einer  zweiten  Ehe  mit  wohl- 
habenden Männern  zu  bestimmen.  Sie  aber,  als  ehrsame,  treue 
Gattinnen,  die  ihre  Männer  aus  Liebe  geheirathet  und,  nun  wo 
sie  verarmt  sind  und  ihr  Glück  in  der  Ferne  suchen,  ilmeu  um  so 
getreuer  anhangen  zu  müssen,  sich  verpflichtet  glauben,  sie  wider- 
streben dem  Ansinnen  ihres  Vaters  und  harren  aus,  in  Sehnsucht 
erwartend  die  Kückkehr  ihrer  Gatten.  Ihre  Zuversicht  hat  sie 
nicht  getäuscht.  Die  Männer  kehren  bereichert  wieder,  und  da- 
her auch  dem  Schwiegervater  hochwillkommen.  Was  die  Titel- 
person, den  Stichus  betrifft,  so  ist  der  Ankunftsschmaus  der  ein- 
zige Beitrag,  womit  sich  derselbe  bei  der  Handlung  des  Stückes 
betheiligt. 

Die  Moral  ist  lobenswerth,  die  Lage  der  beiden  Frauen  und 
ihr  Verhalten  herzgewinnend;  die  Fabel  schwach,  die  Komik  — 
und  das  ist  das  Bedenklichste  —  dünn  und  dürftig:  ein  noch 
grösserer  Uebelstand  als  der  umgekehrte  Fall.  Das  komische  Salz 
ist  immer  ein  Präservativ,  eine  Würze  gegen  die  moralische  Fäul- 
niss  der  Komödie,  die  es  wenigstens  eine  Zeit  lang  hinhält.  Zu- 
letzt freilich  befördert  es  dieselbe,  wie  Salztleiscli  den  Scliarl)Ock. 
Gute  Moral  und  gute  Komik  vermischt,  bleibt  stets  die  gesun- 
deste Kost  zur  See  und  zu  Lande.  Ein  komisches  Genie  jedoch 
von  so  kräftiger  Naturkomik,  wie  Plautus,  Moliere,  Mozart,  solche 
grosse  Aesculape  der  Komik  machen  Wundercm'en.  Eine  todt- 
kranke  Fabel  von  der  schwindsüchtigsten  Moral  bringen  sie  durch 
heilsame  und  zugleich  wohltluiende  Erschütterungen  ihrer  vis  co- 
mica  auf  die  Beine,  und  bewirken  in  beiden,  in  Fabel  und  Moral, 
eine  so  gründliche  Nervenumstimmung,  dass  diese  ihre  Krücken 
wegwerfen  und  ilir  Lotterbett  aufnehmen  und  mit  ihm  davongehen, 
stramm  und  fest  in  den  Knöcheln,  wie  die  jungen  Götter.  Solcher 
vis  comica  wohnt  die  Wunderkraft  jenes  frischen  Windhauches 
inue,  womit  der  Engel  den  See  Bethesda  erregt.  Und  sähe  Fa- 
bel, Moral  und  Komödie  so  aus,  wie  jene  runzeligen  Hexen  auf 
Lucas  Kranacli's  Bild,  das  diesen  Teich  vorstellt:  sie  kämen 
doch.  Dank  dem  lieblichen  Engelwehen,  aus  dem  Jungbrunnen 
heraus  als  sechzehnjährige  Aphroditen.    Aber  das  Eugelwehen  ist 


Pltiutus.     CasiiKi.  549 

Bedingung.  Von  dem  lieblichen  Schauer  des  lüninilischen  Boten 
muss  man  die  vis  comica  erregt  rülileii:  von  jenem  erzitternden 
Meereskräuseln,  das  Aescliylos  yl'kaajiu^  Meeresläclieln,  nennt: 
71OVTU01'  TB  yj:f.ichiov  ^AvrjQi^fiov  ytXaof.ia'^):  „Du  im  Wel- 
lenspiel der  See  Unzähliges  Lachen".  So  hört  auch  Catullus 
im  Murmelplätschern  des  Meers  lenes  cachimd  -j,  „leises  Kichern". 
Eine  vis  comica  von  diesem  erfrischenden  Verjüngungsschauer 
spürt  man  z.  B.  auch  durch  die 

Casina  wehen,  und  ihre  verfängliche  Fabel  frisch  und  ge- 
sund schei'zen.  Die  Casina  ist  eine  Nachbildung  der  Komödie 
Klerumenoi,  „die  Loosenden",  von  Diphilos.  Casina,  ein  aus- 
gesetzt gewesenes  Mädchen,  wird  in  dem  Hause  des  alten  St alino 
von  dessen  Frau,  Cleostrata,  mit  mütterlicher  Sorgfalt  erzo- 
gen. Herangewachsen,  facht  sie  heftige  Liebesbegi^rde  in  Vater 
und  Sohn  zugleich,  die  ))eide  auf  dasselbe  Auskunftsmittel  zur 
Befriedigung  ihrer  Leidenschaft  gerathen.  Der  verliebte  Greis 
stiftet  nämlich  seinen  Pächter,  Olympio;  der  Sohn  den  ihm  er- 
gebenen Haussklaven,  Chalinus,  an,  um  das  Mädchen  anzuhal- 
ten, wodurcli  Beide,  Vater  und  Sohn,  am  gewissesten  zu  ihrem 
Ziele  zu  gelangen  lioften,  in<lem  jeder  in  der  Ergebenheit  seines 
Knechtes  die  Bürgschaft  eines  verschwiegenen  Besitzes  der  jun- 
gen Frau  sich  zu  sichern  meint.  Schon  aber  spinnt  die  alte 
Cleostrata  an  der  Gegenintrigue.  Sie  entfernt  den  Sohn,  um  desto 
Avirksamer  die  Bewerbung  seines  Dieners,  Clialinus,  zu  betreiben. 
Beide  Freier  kommen  überein,  um  die  Braut  zu  looseu.  Das 
Loos  begünstigt  den  Pächter,  den  Knecht  und  Mitgatten  (com- 
maritus;  des  alten  Stalino.  Dieser  reibt  sich  schon  vergnügt  die 
Hände,  aber  auch  seine  Alte,  die  Cleostrata,  die  den  Chalinus, 
den  Diener  ihres  Sohns,  sicli  als  Casina  verkleiden  und  in  das 
Haus  des  Päcliters  führen  lässt.  Der  muntere  Alte  husch  im 
Trabe  nach,  und  liinüber  in  das  verschwiegene  Häuschen  der  Neu- 
vermählten, wo  ihn  die  zärtliclistcn  Liebkosungen  von  den  Fäusten 
und  Hacken  seiner  Casina  empfangen.  Welche  Brautnacht  für 
Mann  und  Mitmann!  Denn  Beide,  Pächter  und  Pacht-Herr,  der 
Knecht  Olympio  und  sein  Herr,  der  alte  Stalino,  werden  nach- 
einander im  Finstern  von  der  vermeinten  Casina  so  epithalamisch 


1)  Prom.  viuct.  v.  00.  —  2]  64.  27.3. 


550  I^iß  römische  Komödie. 

durchgebläut  und  dann  hinausgejagt,  dass  sie  aussehen,  wie  der 
verstümmelte  Text,  der  die  Brautnacht  schiklert ;  so  voller  Lücken 
und  so  besät  mit  Beulen  und  blauen  Flecken,  wie  der  Text  mit 
Sternchen.  „Mein  Treu"  --  ruft  in  zwei  Schlussversen  Chalinus- 
Casina:  —  „Mir  ist  himmelschreiendes  Unrecht  widerfahren". 
Zwei  hab'  ich,  zwei  Bräutigame,  und  keiner  von  ihnen  hat  einen 
Begrifl"  davon,  was  man  einer  Neuvennählten  schuldig  ist:  Neuter 
fecit  quod  novae  nuptae  solet.  Und  die  wirkliche  Casina?  Und 
der  Sohn  Euthynicus?  Sie  kommen  Beide  nicht  im  Stücke  vor. 
Doch  was  wird  aus  ihnen?  Auch  das  erfahren  mr  nicht  aus  der 
Komödie.  Nachdem  Alles  zu  Ende,  theilt  der  Epilog  (gi'ex,  ca- 
terva)  den  Zuschauern  mit,  dass  die  Casina  die  freigeborene  Toch- 
ter eines  Athenischen  Bürgers  und  Nachbars  von  Stalino  ist,  und 
dass  sie  sich  mit  dessen  Sohn  Euthynicus  vermählte.  Wer  nicht 
lauten  Beifall  klatsche,  der  halte  Brautnacht  wie  Stalino  und 
Olympio : 

Verum  qui  non  maiiibus  clare,  quaiitum  poterit,  plauserit, 
Ei  pro  scorto  supponetur  hircus  unctns  nautea. 

Die  Casina  hat  im  16.  und  17.  Jahrh.  eine  Unzahl  von  Nach- 
ahmungen hervorgerafen,  worunter  die  berühmteste  ist  die  Clizia 
des  grossen  Niccolö  Macchiavelli. 

Der  Esels  verkauf  (Asinaria).  Die  austössigste  von  Plau- 
tus'  Komödien.  Ein  bejahrter  Hausvater,  Namens  Demaenetus, 
verleitet  seinen  Sklaven,  das  seiner  Frau  für  den  Verkauf  eines 
Esels  eingegangene  Geld  zu  veruntreuen,  und  es  seinem  Solme 
für  dessen  Liebchen  zu  bringen,  mit  dem  Beding,  dass  der  Sohn 
ihm,  dem  alten  Krückenstösser ,  seinem  Vater,  das  Mädchen  auf 
eine  Nacht  überlasse.  Der  Sohn  geht  auf  die  Bedingung  ein. 
Am  Schlüsse  sehen  wir  ein  munteres  Soupe,  selbdritt  zwischen 
Vater,  Sohn  und  Hetäre.  Die  davon  benachrichtigte  Ehefrau, 
Artemona,  überrascht  die  Partie,  und  schafft  ihren  angetrunke- 
nen Alten,  unter  schmähenden  Vorwürfen,  vom  Gelage  der  Buh- 
lerin  nach  Hause.  Tui-pe  senilis  amor,  und  nun  gar  eine  solche! 
Vielleicht  hat  aber  der  Komiker  dieses  Hässliche  den  alten  Vä- 
tern unter  seinen  Zuschauern  vorhalten  wollen.  Sey's  um  das 
Hässliche,  aber  das  moralisch  Ekelhafte  darf  der  Komiker,  selbst 
in  bester  Absicht     so   nicht  schildern   wollen.     Niemand    ist  es 


Plautus.     Asinaiia.  55 1 

noch,  so  viel  wir  wissen,  eingefallen,  Hogarth's  gestochene  Meister- 
dramen, auf  die  Bühne  7a\  l)ringen.  Wunderwerke  eines  bis  7Aim 
Tragischen  witzigen  Grabstichels  oder  Pinsels,  würden  diese  Spi- 
talbilder der  Seele  und  der  Zeitverderbniss  auf  der  Bühne  nur 
Schauder  und  Abscheu  erregen.  Im  „EselsverkauP'  ist  etwas  von 
jenem  fressenden  Aetzgifte  des  Hogarth'schen  Griffels;  um  so  ätzen- 
der, als  die  Satyi'e  von  der  Komik  völlig  absorbirt  scheint,  wäh- 
rend das  Umgekehrte  die  Hogarth'schen  Schilderungen  kennzeich- 
net, die  das  moralische  Correctiv  in  der  Schärfe  der  satyrischen 
Intention  zur  Schau  tragen.  Einen  Demaenetus  zu  zeichnen,  hätte 
selbst  Hogarth's  Stift  nicht  gewagt.  Der  verkaufte  Esel  muss  sich, 
noch  in  seinem  neuen  Stall,  in  die  Seele  des  grauen  Sünders, 
seines  frühern  Hemi,  schämen,  der  von  dem  ehrlichen  Gelde,  das 
sein  Weib  für  ihn  gelöst,  einen  so  schändlichen  Gebrauch  ge- 
macht! Und  grämen  muss  er  sich,  und  dem  Komiker  grollen, 
der  seinen  guten  Namen  an  den  Pranger  gestellt  und  die  Komö- 
die nach  ihm  benannt.  Der  eine  Trost  wenigstens  ist  ihm  ge- 
blieben, dass  er  einer  Familie  nicht  mehr  angehört,  deren  Haupt 
das  Sj^mbol  alles  Ehrwürdigen,  das  gTaue  Haar,  entweihte  und 
mit  Schmach  bedeckte ;  das  graue  Haar,  seine  Leibfarbe,  das  Erbe 
seiner  Ahnen,  die  Ehrenfarbe  seines  uralten  Familienwappens, 
prangend  auf  dem  Adelsdiplom,  seiner  Eselshaut,  womit  er  auf  die 
Welt  gekommen.  „Eine  unsägliche  Schmach  und  verruchte  Schand- 
that  wird  in  dieser  Komödie  dargestellt":  Ingens  turpitudo  et 
nefarium  flagitium  hac  fabula  exponitur,  eifert  schaudernd  auch 
der  grosse  Gelehrte,  Camerarius,  über  die  bodenlose  Sündhaftigkeit 
dieser  Eselskomödie,  die  er  für  nicht  weniger,  als  ein  Strafge- 
richt Gottes  hält:  Atque  haec  est  horribilis  ira  Dei  (argum. 
Asin.) 

Das  komische  Genie  verläugnet  sich  trotzdem  auch  in  ihr 
nicht.  Sie  ist  voll  guter  Spässe,  treffender  Witze  und  gesunder 
Komik.  Unübertrefflich  ist  die  Schilderung  der  Magd  und  Buh- 
lerin.  Die  Zerwürfniss-Scene  zwischen  Argyrippus,  dem  Sohne 
des  Demaenetus,  und  der  Buhlerin  Philenium  wäre  in  einer 
decenteren  Komödie  ein  Prachtjuwel,  ein  Brillant  vom  reinsten 
Plautinischen  Wasser;  hier  ist  sie  einer  in  der  Pfütze.  So  werth- 
voll  der  Brillant  ist,  scheuen  wir  uns  doch,  ihn  herauszufischen. 
Lasst  uns  zur  Ehre  des  genievollen  Meisters  der  Comoedia  pal- 


552  ^^^  röinische  Komödie. 

liata,  zur  Ehre  unseres  Plautus,  glauben,  dass  die  verwerfliche 
Fabel  auf  Rechnung  des  Deniophilos,  wie  ihn  der  Prolog  nennt, 
oder  des  Diphilos  komme,  dessen  Komödie  Onagos,  der  Eseltrei- 
ber, oder  Eselhändler,  Plautus  in  der  Asinaria  nachgebildet ;  dass 
aber  jene  vorzügliche  Sceue,  der  glänzende  Witz,  die  naiven  ko- 
mischen Züge,  die  heitere  erfrischende  Laune,  kurz  der  goldene 
Naseming  im  Eüssel  der  Demophilos-Komödie  aus  dem  Schmuck- 
kästchen des  Plautus  stamme. 

Die  Zwei  Bacchideu.  Ewig  und  immer  dasselbe  Thema, 
aber  siimreich  verändert,  mit  neuen  Motiven.  Die  Bacchiden  sol- 
len aus  dem  Euautides  des  Phileraon  entstanden  seyn.  Das  La- 
tinisiren  der  gTiecliischen  Fabeln  verstand  Plautus  so  gründlich, 
wie  Autol3kos,  der  Sohn  Mercm's,  des  Gott-Diebes  und  des  Got- 
tes der  Diebe,  die  Farbe  der  gestohlenen  Kühe  so  zu  verändern 
wusste,  dass  der  beraubte  Besitzer  sein  eigenes  Vieh  nicht  mehr 
erkennen  konnte. 

In  dieser  Komödie  wirken  fast  sämmtliche  Figuren  als  Grup- 
penpaare. Zwei  Zwillingsschwesteru,  die  Bacchiden;  zwei  Lieb- 
haber-Jünglinge, Mnesilochus  und  Pistoclerus;  zwei  be- 
thörte Vätergreise,  Nicobulus,  Vater  des  Mnesilochus,  und 
Philoxenus,  Vater  des  Pistoclerus;  zwei  Sklaven,  Lydus,  ein 
sitteneifriger  Pädagog,  der  über  die  Liebschaft  seines  Zöglings, 
Mnesilochus,  Zeter  ruft  und  jammert,  und  der  Sklave  Chrysalus, 
der  übliche  Helfershelfer,  Gelegenlieitsmacher,  Väter-Preller,  kurz, 
der  Leib-Intrig-uen-Sklave,  der  die  Liebschaften  seines  jungen 
Herrn  in  Scene  setzt  und  in  dramatischen  Schwung  bringt.  Hier 
lässt  er  alle  Künste  und  Listen  spielen,  um  dem  alten  Nicobulus 
das  Geld  aus  der  Tasche  zu  locken,  das  Mnesilochus  für  den  Los- 
kauf der  einen  Bacchis  unmiigänglich  braucht. 

IV.  Sc.  9  fasst  Chrysalus  seine  Lebensphilosophie  in  den 
goldenen  Spruch: 

Ein  kluger  Kerl  muss  alle  Farben  spielen  können; 

Mit  Braven  brav,  mit  Schlechten  schlecht,  je  nach  Befund. 

Eine  der  anschlägigsten,  an  Nothbehelfen  erfindungsreichsten  Be- 
dientenschelme, dieser  Chrysalus.  Der  Ulysses  unter  den  Haus- 
sklaven, mit  dem  er  sich,  in  der  angegebenen  Scene,  selbst  ver- 
gleicht.    In  neuerer  Zeit  möchte  ihm  nur  Talleyrand  gleichkom- 


Plautus.     Bjicchides.  553 

meu  an  unergründlicher  Verlogenheit  und  freier  über  alle  Gewis- 
sensfragen schwebender  Ironie.  Chrysalus  ist  ein  unerschöpflicher 
Trug-  und  Lügenborn;  die  hohe  Schule  der  Politik  und  Diplo- 
matie; das  Url)ild  eines  Höflings  nebenbei,  der  Seel'  und  Selig- 
keit an  die  Befriedigung  der  Gelüste  seines  Herrn  setzt,  ohne 
anderen  Vortheil  und  Genuss  für  sich  selbst,  als  den,  dass  er  an 
Erreichung  dieses  Zweckes  Kopf  und  Kragen  wagt.  Ein  weisser 
Kabe  also  unter  den  Höflingen,  die  umgekehrt  die  Laster  und  bö- 
sen Neigungen  ihres  Herrn  ausbeuten,  um  ihre  Lust  zu  büssen: 
galt'  es  auch  nur  der  Befriedigung  eines  heimtückischen  Raclie- 
kitzels,  wie  z.  B.  bei  Marinelli.  Kuppler  nennt  ihn  die  unglück- 
liche Claudia  in  übertreibender  Mutter- Verzweiflung.  Wie  über- 
schätzt sie  ihn!  Marinelli  ist  ein  Kuppler,  ja,  aber  zweiten  Ran- 
ges, ein  solcher  nämlich,  der  an  der  Lustbefriedigung  seines  Herrn 
einen  Kuppelpelz  verdienen,  sein  specielles  Mütlichen  dabei  kühlen 
will.  Der  Kuppler  ersten  Grades  ist  der  römische  Haussklave, 
der  spätere  Valet  des  französischen  Lustspiels ;  die  uneigennützige, 
sich  selbst  aufopfernde  äme  damnee  seines  Herrn;  die  treue 
Knechtsseele,  als  anschlägiger  Kuppler,  Geldabschwindler  und  mit 
allen  Hunden  gehetzter  Gauner,  aber  Alles  in  usum  Delphini.  Die 
Bedeutung  der -römischen  Komödien-Sklaven  ist  von  unermessli- 
cher  Tragweite,  sowohl  in  Beziehung  auf  die  Weltgeschichte,  wie 
auf  die  Geschichte  des  Drama's.  Welches  Gelichter  gab  dem 
kaiserlichen  Rom  den  Gnadenstoss?  üie  Palastsklaven,  ein  Ti- 
gellinus,  Narcissus,  die  kaiserlichen  Palastsklaven  und  Freigelas- 
senen, deren  Geschichte  die  römische  Kaisergeschiehte  bildet,  und 
die  Tacitus  mit  acherontischen  Gluthfarben  eingeätzt  in  Klio's 
eherne  Tafebi;  jeder  Griftelstrich  ein  unvergängliches  Brandmal. 
Jenen  furcht))aren  SklavenaulVuhr  in  Sicilien  (103 — 33  v.  Cln-.) 
konnte  die  Republik  Rom  unterdrücken.  Aber,  Avie  ein  unter- 
drückter Aussclilag  eben,  warf  sich  der  Sklaven- Aussatz  von  der 
Oberfläche  des  Gemeinwesens  auf  die  Innern  Lebensorganc  des 
römischen  Gewaltstaates  und  richtete  dasell)st  jene  schauderhaf- 
ten, jene  kaiserlich  schauderhaften  VerAvüstungen  an,  deren  tödt- 
liche  Krise  in  dem  letzten  kaiserlichen  Purpur-Ski iiven  autlirach, 
den  die  Geschichte  wie  zum  Hohn  Romulus-Augustulus 
nennt,  als  ob  sie,  in  dem  lächerlichen  Namensträger  der  ))(>iden 
Dynastien-Gründer  und  Machtstifter  eines  von  Hause  aus  Sklaven- 


554  Di^  römische  Komödie. 

HeiTschafts-Staates,  den  Ursprung  und  Ausgang  dieses  Staates 
zu  Einer  Spottgeburt  sarkastisch  habe  verknüpfen  wollen.  Der 
letzte  Anführer  jenes  sicilischen  Sklavenaufstandes,  Satyrn s'j, 
lebt  immer  meder  auf,  und  spukt  gleichsam  als  Rachegespenst 
mit  der  klirrenden  Sklavenkette,  und  geht  so  lange  um  in  der  Weltge- 
schichte, bis  das  gTÖsste  an  der  Menschheit  begangene  Verbrechen, 
die  Sklaven-Blutschuld,  in  jeglicher  Form,  gebüsst  und  gesühnt  ist. 
Wie  im  Vorgefühle  solcher  Zukunfts-Mission  der  Hausskla- 
ven, scheinen  die  beiden  römischen  Palliadendichter  diese  provi- 
dentiellen  Scliicksalsiiguren  zum  Mittelpunkt,  zur  Seele  iln'er  Ko- 
mödien gemacht  zu  haben;  ohne  jedoch  zu  ahnen,  welche  Schlange 
sie  im  Busen  ihrer  Palliaten  pflegen  und  gi'ossziehen.  Oder  ahn- 
ten sie's,  und  wollten  eine  Sklaven-Schule  in  ihren  Komödien 
eröffnen?  Ach,  wie  schwer,  wie  bitter  wurde  diese  patriotische  Ab- 
sicht getäuscht!  Sie  brüteten  im  dem  Gehren  ihrer  Palliaten  ein 
Sklavengezücht  aus,  das  alle  Laster  der  Haussklaven,  nur  in's  Ko- 
lossale entwickelt,  besass,  ohne  deren  Hingebung,  Hundetreue  und 
Selbstaufopferung.  Sie  heckten  eine  Sklavenbrut  aus,  die  jene 
kleinen  Familien-Ränke  alsbald  in's  Grosse  trieb,  aufs  Weltge- 
schichtliche Übertrag;  eine  Sklavenbrut,  die  mit  furchtbarer  Schnel- 
ligkeit zu  Staaten  regierenden  Haus-  und  Hof- Sklaven  erwuchs; 
die  zu  Palastwürdnern ,  Ministerialen,  in  Byzanz  und  an  kai- 
serlichen und  königlichen  Höfen  der  Folgezeit;  die  zu  Reichs- 
und Landpflegern,  zu  den  höchsten  Staatsbeamten,  den  mächtig- 
sten Regierungs-Vei-waltern  gedieh,  bis  auf  die  neuere  und  neueste 
Zeit  herab;  als  oberste  Rechtssprecher  und  Staatenlenker  sitzend 
auf  Schoppen-  und  Richterstühlen,  in  Tribunalen,  an  Minister- 
tischen. Und  aus  welcher  Ansteckungsquelle  schöpften  die  römi- 
schen Palliatendichter  dieses  zunächst  Haus  und  Familien,  dann 
Staaten  durchwühlende,  das  Todesgeschick  der  Völker,  Throne  und 
Reiche  entscheidende  und  ihre  rasche  Zersetzung  bewirkende  Skla- 
vengift, um  es  in  die  Adern  ihrer  Komödien  zu  flössen,  von  wo  es 
in  die  Eingeweide,  des  römischen  Staates,  Senats  und  Volkes  ein- 
drang? Bekanntlich  holte  es  sich  die  römische  Komödie  von  der 
Menander-Komödie.  Und  woher  diese?  Aus  der  Zeitgeschichte, 
wie  jeder  weiss;  von  den  Diadochen,  den  Nachkönigen  Alexander 

1 )  Diod.  Sic.  IV.    Exe.  Phot.  L.  XXX\^.  p.  60.  ed.  Dind. 


Die  Baochideu.     Der  Komödien-Sklave.  555 

des  Gr.,  die  das  Sklavenpestgift  aus  Asien  einschleppten;  an  den 
asiatischen  Despotenhöfen  davon  angesteckt,  es  den  griechischen, 
durch  Sittenverderhniss  dafür  empfänglich  gestimmten  Staaten 
mittheilten  —  lioc  fönte  derivata  clades.  Die  asiatische  Eu- 
nuchen-Sklaven -Regierungswirthscliaft,  sie  schwärt  durch  alle 
Jahrhunderte  fort.  An  ihr  eitern  die  Eingeweide  der  Staaten; 
siechen  Völker  und  Dynastieen  hin.  An  die  Heilung  dieses  Krehs- 
geschAvürs,  dessen  Verzweigungskanäle  sich  mit  dem  Markschwamm 
der  Sklavenfrage  selber  verflechten,  setzt  die  Geschichte  ihre  ganze 
Therapeutik,  ihr  sanat  ignis  quod  non  sanat  ferrum.  Und  wie  die 
Geschichte,  so  fanden  wir  das  ächte  Drama  für  denselben  Heil- 
zweck wirken;  mit  seinem  sanat  ignis,  seiner  idealen  Feuer- 
cur,  am  Befreiungswerke  der  Menschheit  arbeiten;  an  der  Befreiung 
vom  Siechthum  jeglicher  Frohn-  und  Sklavenherrschaft;  an  der 
Befreiung  des  Gemüthes,  an  der  Reinigung  der  Seele  vor  Allem; 
aber  mit  dem  praktischen  Augenmerk:  Geist,  Gemüth  und  Cha- 
rakter als  heroische  Rüstzeuge  dem  grossen  Heilzweck  der  Ge- 
schichte zuzubilden :  gegen  das  Unft'eie,  des  Menschen  Unwürdige, 
immerdar  und  mit  aller  poetischen  Macht  und  Angriffskühnheit  los- 
zudringen;  des  üebels  Sitz  und  Wurzel  im  Staatswesen  selber, 
in  den  Gewalthabern,  in  den  Institutionen  und  deren  Vertretern, 
als  dem  Nachwüchse  jener  orientalischen  Eunuchen-Sklavenherr- 
schaft, aufzuzeigen.  Diess  und  nichts  anderes  ist  Aufgabe,  Ziel 
und  Berufswerk  der  grossen  Tragik  und  Komik,  was  sich  uns 
denn  auch  an  den  Meisterschöpfungen  der  Bühne  durchweg  offen- 
baren wird,  deren  eine  eben  die  Emilia  Galotti  ist;  ein  Trauer- 
spiel, das  in  so  enger,  knapper,  bürgerlicher  Form  sich  zu  bewe- 
gen scheint,  und  doch  eine  Perspective  von  der  weittragendsten 
historischen  Tiefe  eröffnet,  mit  einem  Höflings-Sklaven  als  Mit- 
telpunkt, der  den  Kopf  der  Sclilange  gleichsam  bildet,  die  das  römi- 
sche Palliaten-Lustspiel  gepflegt  und  gehegt  und  auf  den  man,  nach 
Lessing's  Vorgang,  immer  wieder  den  mit  Kothurn  und  Soccus  be- 
wehrten Fuss  stellen  muss,  bis  man  ihn,  den  zählebigen,  zertreten. 
Wie  naiv,  wie  gemüthlich  naiv  erscheint  noch,  im  Vergleiche, 
der  Haussklave  in  der  römischen  Palliata.  Bei  Plaufcus  liebens- 
würdig geistreich,  der  glänzende  Prototyp  aller  Harlekine,  Truf- 
faldino's,  Maskarillen,  und  eines  Gracioso,  wie  Penn  in  Moretos 
Donna  Diana.     Ein  unversieglicher  Spmdelquell  von  Geist,  Witz, 


556  Die  löniisclie  Koiiioflit'. 

Erfindung,  und  Schelniengenie.  Und  unter  Plautus'  Intriguen- 
Sklaven  ragt  Chrysalus  um  Kopfes  Länge  hervor.  Nachdem  sein 
Herr,  der  junge  Mnesilochus,  in  Verzweiflung  über  die  vermeint- 
liche Untreue  seiner  Bacchis,  und  den  eingebildeten  Verrath  sei- 
nes Freundes,  Pistoclerus,  der  die  Zwilliugsschwester,  Bacchis  II. 
liebt  —  nachdem  Mnesilochus  in  dieser  chimärischen  Verzweif- 
lung seinem  Vater  all  das  schöne  Geld  zurückgegeben,  um  wel- 
ches Chrysalus  den  Alten  so  glücklich  geprellt,  heckt  Chrysalus 
sofort  ein  neues  Plänchen  aus.  Er  dictirt  dem  vom  Freunde, 
von  I'istoclerus,  nun  eines  Bessern  belehrten  Mnesilochus,  in  des- 
sen Gegenwart,  einen  Brief  an  den  Vater,  worin  dieser  vor  Chry- 
salus gewarnt  wird  (IV.  Sc.  4),  mit  dem  Beifügen,  der  Vater 
möchte  ihn.  den  Chrysalus,  nicht  züchtigen,  sondern  nur  binden 
und  festhalten  lassen.  Das  Motiv  hat  Schiller,  mit  der  erforder- 
lichen Modification  natürlich,  für  seinen  Fiesco  benutzt  und  auf 
den  Mohren  angewendet.  Mehr  dictirt  Chrysalus  nicht ;  das  Wei- 
tere ist  sein  Geheimniss.  Pistoclerus  ruft,  ganz  staiT  vor  Stau- 
nen über  den  abgefeimten  Spitzbuben:  0  imperatorem  prohum! 
und  l)egiebt  sich  mit  dem  Freunde  auf  den  ilmen  vom  Impera- 
tor-Galgenstrick angewiesenen  Posten;  zum  Bankett  nämlich 
selbviert  mit  den  Zwillings-Maitressen.  Chrysalus  spornstreichs 
mit  dem  gesiegelten  Billet  zum  Alten  hin.  Lesen,  Stricke  holen 
und  den  Ueberbringer  binden  lassen,  besorgt  der  Alte,  eh'  man 
sich  umsieht.  Peinliches  Verhör,  das  lustig  peinlichste,  das  sich 
anstellen  lässt.  Der  gefesselte  Sklave,  frei,  wie  nur  irgend  ein 
loser  Vogel,  und  der  Alte,  der  Hampelmami  au  seinem  Schnür- 
chen. Der  Sohn  —  so  vertheidigt  sich  Chrysalus  —  hätte  ihn 
nur  stumm  und  wehrlos  machen  wollen,  mn  ungehindert  von  dem 
durch  ihn,  Cbrysalus,  gewarnten  Vater  in's  Verderben  zu  rennen. 
Was  für  Verderben,  fragt  der  erschrockene  Alte.  Blick  auf!  ruft 
der  Gebundene.  Siehst  du  dort,  im  Nachbarhause,  das  Zechge- 
lage? -  Freilich,  versetzt  der  Alte,  den  Pistoclerus  und  die 
Bacchis,  schrägüber  -  Nicht  doch  —  dort,  auf  jenem  andern 
Lager  hingestreckt  beim  Schmause  —  „Weh  mir  Armen"  — 
schrickt  der  Alte  zusammen  „Ich  bin  des  Todes!"  —  Er  hat 
den  Soim  erblickt  an  der  Seite  der  andern  Bacchis  —  Und  kein 
Wort  weiter  aus  Chrysalus  herauszubringen.  Da  kommt  ein  Drit- 
ter heran   mit  rollendem  Wutliblit'k.     Der  Alte   schaudert.     Ein 


Bacchiiles.     Cliysalus.  557 

Soldat  isfs  mit  fürchterlichem  Pallasch.  Jeder  Blick,  womit  der 
Fürchterliche  das  Gelage  bestreicht,  Mord  mid  Todtschlag.  Jedes 
Wort  ein  nach  Blut  lechzender  Fluch,  der  kein  Erbarmen  kennt: 
Himmel  und  Hölle,  sein  Weib!  An  ilirer  Seite  Mnesilochus, 
des  Nicobulus  Sohn!  wüthet  der  Tiger,  brüllend  vor  Eifersucht. 
Zitternd  fragt  der  Alte  den  (Jhrysalus:  Wer  der  Entsetzliche 
sey?  „Ihr  Mann"  —  erwiedert  der  Gebundene  kalt  —  Im  Nu 
aber  auch  schon  niclit  gebunden,  damit  er  den  to))enden  Soldaten 
nur  sehnell  besänftige,  der  mit  dem  Fleisch  des  p]hebi'echers  die 
Raben  zur  Stelle  füttern  will.  Die  Raben  —  oder  zweihundert 
Philippstücke,  knirscht  er,  schäumend  wie  ein  Eber,  den  Chry- 
salus  an  -  vers])rich!  murmelt  der  geängstigte  Alte.  Versprich 
nur!  Er  soll  das  Geld  haben.  Chrysalus  verhandelt  abseits  mit 
dem  Menschenfresser  und  zeigt  ihm  die  Zähne.  Der  Wütherich 
klemmt  den  Pallasch  kleinlaut  zwischen  die  Beine  und  zieht  ab. 
Nun  tritt  Chrysalus  an  den  Alten  heran,  mid  beschwört  ihn,  dass 
er  ihm  gestatten  möchte,  hinüberzugehen  in  jenes  schlechte  Haus, 
und  dem  Sohn  den  Kopf  tüchtig  zu  waschen,  der  seinem  guten 
Vater  so  viel  Verdruss  und  Kummer  macht.  Er  soll's  von  mir 
zu  hören  kriegen!  Der  Alte  bittet  ihn  darum  (Imo  oro  ut  fa- 
cias).  Wälirend  Nicobulus  den  ersten  Brief  des  Sohnes  noch  ein- 
mal überlesen,  hat  Chrysalus  ein  zweites  Bill  et  fertig,  das  er  drü- 
ben geschmiedet,  bei  der  lustigen  Gesellschaft,  und  nun  dem  Va- 
ter, frisch  aus  der  Präge,  zustellt.  Dieser  liest  es  laut.  Es  ist 
ein  weh-  und  domüthiger  Brief;  ein  reuevolles  Schuldbekennt- 
niss,  nebst  der  kindlich  frommen  Bitte:  ihm  docli  noch  weitere 
zweihundert  l'hili](pstücke  zu  senden,  die  —  nicht  eins!  unter- 
bricht Clirysalus  nicht  p]in  Philippstück!  Lass  mich  zu  Ende 
lesen!  begütigt  schmunzelnd  (U-r  Vater,  und  liest  weiter:  Mit 
einem  Eide,  heisst  es  im  Brief,  habe  er  sich  gegen  das  Frauen- 
zimmer verpflichtet,  ihr  diese  Summe  vor  Abend,  ehe  sie  sich 
trennen,  eiiizuliändigen.  Der  gütige  Vater  werde  ihn  niclit  mein- 
eidig werden  lassen,  und  sich  gewiss  beeilen,  ihn  von  der  Ver- 
führerin mit  der  Summe  für  immer  loszukaufen.  „Was  meinst 
du,  ClnysalusV"  (Jhrysalus  spielt  den  Sc.hwierigcMi,  den  Bedenk- 
lichen, (h'ii  Zauderer.  Der  Alt(\  IVuh,  um  diesen  l*reis  (k'u  Sohn 
wieder  zu  gewinnen,  geht  und  liolt,  die  zweilnuitlert  Goldstücke. 
Gelt  ein  vierter  A<'t  und  Sehhiss,  woran  nocli  die  V^iter  künltiger 


558  Die  römische  Komödie. 

Komödieiigeschlechter  werden  zu  kauen  haben!  Von  allen  Kno- 
tenscbürzungen  der  Schelnien-Komödie  ist  diese  die  witzigste, 
komischste,  durch  Charaktere  und  Situationen  meisterlichste. 

Mit  dem  fünften  Act  kommen  die  Nachweheu  des  geprellten 
Alten,  dem  die  letzte  Scene  des  \iei'ten  Actes  vierhundert  Phi- 
lippstücke gekostet,  was  sie  unter  Brüdern  werth  ist.  Er  bejam- 
mert, nun  er  Alles  weiss,  weniger  das  Gold,  als  seine  Thorheit, 
dass  er  sich  eine  solche  doppelte  Nase  von  dem  Erzschuft.  dem 
Chrysalus,  habe  drehen  lassen.  Hinzu  tritt  noch  der  zweite  Un- 
glücksvater, Nachbar  Philoxenus,  dem  Nicobulus  die  Hetären- 
Wirthschaft  drüben  zeigt.  Philoxenus,  der  keine  Ahnung  davon 
hat,  glaubt,  der  Schlag  trifft  ihn,  wie  er  seinen  Sohn  drüben  auf 
Einem  Tafelbette  mit  Bacchis  II.  lagern  sieht.  Im  Sturmsclmtt 
gehen  die  beiden  Vätergreise  auf  die  Hausthür  der  Zwillings-He- 
tären  los.  um  die  Söhne  herauszuschaffen,  und  mit  Hacken  und 
Beilen  drohend,  wenn  die  Dirnen  nicht  öffnen.  Die  Mädchen  er- 
scheinen. Das  Greisenpaar  und  das  Hetärenpaar.  Anfangs  als 
gesonderte  Duo-Gruppen  mit  komisch  reizenden  Apartes.  Welcher 
fünfte  Actschluss!  Im  Style  von  Cosi  fan  tutte,  oder  sonst  eines 
solchen  Meister-Singspiels  von  Favart  oder  Sedaine.  Die  Alten, 
erst  als  strammväterliche  Grimmbärte  ihre  Würde  wahrend;  die 
Mädchen  kichernd  und  spottend.  Die  Alten  steife  unbiegsame 
Sturmböcke,  auf  Herausgabe  ihrer  zwei  Lämmer  pochend  (Nostros 
agnos  conclusos  istic  ajunt  esse  duos):  schäkern  die  Mädchen 
und  macben  sich  lustig  über  die  zwei  alten  geschorenen  Schaaf- 
böcke.  Bacchis  II.  schwört  Edepol,  dass  der  Eine  heute  zweimal 
geschoren  worden.  Der  zweimal  Geschorene  vermisst  sich,  mit 
seinem  Gefährten  selbander,  als  ein  Paar  der  stössigsten  Mauer- 
widder auf  die  Zwillingshetären  Sturm  zu  laufen,  wenn  sie  die 
.,zwei  Lämmer"  nicht  ausliefern:  arietes  truces  nos  erimus,  jam 
intus  incursabimus.  Die  Scbwestern  winken  einander  an,  und 
lassen  es  auf  die  Widder  ankommen;  jede  auf  den  ihrigen.  „Was 
flüstern  die  Grasaffen?"  fragt  Nicobulus  den  Gevatter.  Gevatter 
Pbiloxenus  tuschelt  und  zwinkert  mit  den  Augen:  Was  meinst 
du?  Wie  denksf*du?  Was?  hem?  Wie?  Nicht  übel  —  die  da, 
das  Frauenzimmerclien  -  dort  die  .  .  .  Alter  Ehekräppel!  brüm- 
melt  Gevatter  Nicobuhis,  schämst  dich  nicht?  In  deinen  Jahi-en! 
—  „Ei  was!  das  Herz   ist  jung,   der  Pfeil  sitzt,   ich   spür's"  — 


Bacchides.    Das  Banquet.  559 

Denk  au  deine  Gicht,  runzeliger  Stockfisch !  Pfui!  —  „Pfui  soviel 
du  willst.  Die  Hexen  sind  niedlich,  und  die  Jungens  gescheidter 
als  wir.  Si  aniant,  sapienter  faciunt.  Die  beiden  Bacchiden  lassen 
ihre  Künste  spielen;  locken  und  winken.  Nicohulus,  felsenfest, 
unnahbar,  weist  sie  barsch  zuiiick.  Philoxenus  nennt  ihn  einen 
Unmenschen.  Bacchis  I.  geht  ihm  um  den  Bart.  Sie  bittet  so 
artig,  so  flehentlich  neckisch.  Er  brummt  sie  an  und  droht,  ihr 
Eins  zu  versetzen.  Immerhin!  fpatiar).  Es  soll  sie  nicht  schmer- 
zen, wenn  er  sie  auch  schlägt;  sie  fürchte  nichts  —  aber  ich! 
meint  Nicobulus  —  die  Schmeichelkatze!  Gevatter  Philoxenus 
pfeift  indess  auf  einem  andern  Ton  mit  Bacchis  11.  Nicht  sie, 
er  bittet  und  fleht;  indess  Bacchis  I.  den  Vater  ihres  Liebsten 
mit  Ambrosia  und  Nectar,  mit  Wein  und  Liebe  kirrt.  Sie 
will  sich  an  seine  Seite  lagern,  anschmiegen,  ihn  liebkosen.  Dem 
Alten  ki'ibbelt  es  so  wunderlich  über  die  Haut  —  weg  ist  er,  hin 
ist  er!  Caput  prurit  perii!  Halb  zog  sie  ihn,  halb  sank  er  hin. 
Drinnen  sitzen  sie  nun  die  beiden-  Väter  zwisclien  Söhnen  und 
Liebchen  und  poculiren. 

Doch  unser  Chrysalus?  Schlüpft  natürlich  bei  solcliem  Con- 
vivium  durch.  Und  sollte  er  etwa  nicht?  Er  der  Beste  fürwahr 
in  der  Sippschaft,  dessen  Schelmengenie  seine  Haut  zu  Markte 
trug,  damit  es  Andern  wohl  sei  in  der  ihrigen.  Der  Dichter  thut 
ein  Uebriges,  wenn  er  ihn  aus  Schicklichkeit  verborgen  hält.  In 
Wahrheit  gehört  er  in  die  Gesellschaft,  als  ihr  Tüpfelchen  aufs 
I.  und  als  das  der  Komödie.  Von  rechtswegen  müsste  er  bei 
solchem  Göttermahl  das  Schenkeiianit  versehen. 

Der  Prolog  zu  den  Bacchiden,  den  Silenus  spricht,  soib 
so  wie  der  Anfang  der  ersten  Scene,  den  Dichter  der  Laura-So- 
nette, Francesco  Petrarca,  zum  Verfasser  liaben. 

Die  Lehre,  die  der  Schauspieldirector  als  Epilog,  im  Namen 
der  ganzen  Gesellschaft  fgrex,  catervaj  dem  Publicum  mit  auf 
den  Weg  giebt,  lautet: 

Die  Greise,  wären  sie  von  jung  auf  nicht  verderbt, 
Begingen  solche  Schmach  nicht  heut  mit  weissem  Haar. 
Und  wir  auch  spielten's  euch  nicht  vor,  wenn  nicht  gar  oft 
Wir  Väter  so  mit  Söhnen  hätten  zechen  sehen. 

Tanquam  in  speculo!  der  Dicliter  aber  darf  seine  Hände  in  lii- 
schuld  waschen  und  sagen:  salvavi  aiiimam  ineam. 


560  ^i^  römische  Komödie. 

Der  Kaufmann  (Mercator).  Der  alte  Dem ipbo,  ein  Athe- 
niensisclier  Bürger,  schickt  seinen  leichtsinnigen  Sohn,  Charinus, 
nach  Rhodiis,  mn  ihn  durch  Geschäftsreisen  den  Ausschweifungen 
der  Hauptstadt  zu  entziehen;  zugleich  aber  auch  in  der  Absicht, 
damit  der  Sohn  dm'ch  kaufmännische  Unternehmungen  dem  durch 
seine  Schuld  zerrütteten  Wohlstande  der  Familie  wieder  aufhelfe. 
Nach  zweijährigem  Aufenthalt  in  Khodus  und  nach  giückhch  be- 
endeten Geschäften  kehrt  Charinus  in  die  Heimath  zurück.  Unter 
der  schweren  Waarenladung  auf  seinem  Schiffe  befindet  sich  eine 
leichte  Waare,  die  Hetäre  Pasicompsa,  die  mit  der  schweren  Gü- 
terfracht in  kürzester  Zeit  aufräumt.    „Euch"  —  singt  Schiller  — 

,,Euch,  ihr  Götter,  gehört  der  Kaufmann;  Güter  zu  suchen 
Geht  er,  doch  an  sein  Schiff  knüpfet  das  Gute  sich  an." 

Vater  Demipho,  welcher  das  im  Hafen  von  Piraeus  gelandete 
Schiff'  besucht,  fühlt,  beim  Anl)lick  der  Pasicompsa,  seine  welken 
Adern  plötzlich  von  jugendlichem  Feuer  durchwallt,  und  sein  vä- 
terliches Herz  von  der  Begierde  entbrannt,  einen  so  gefährlichen 
Gegenstand,  bevor  es  zu  spät  ist,  seinem  Sohne  zu  entreissen.  Als 
alle  Versuche  an  dessen  Eigensinn  scheitern,  lässt  er,  kraft  seiner 
väterlichen  Gewalt,  das  Mädchen  als  Sklavin  feilbieten,  und  durch 
seinen  Altersgenossen,Freund  und  Nachbar,  Lysimachus  heimlich 
für  sich  erwerben,  in  dessen  Hause  sie  einstweilen  verborgen  ge- 
halten wird.  Schon  will  Charinus,  aus  Verzweiflung  über  das  Ver- 
schwinden der  Geliebten,  sein  Vaterland  verlassen,  als  sein  Freund 
Eutycluis  ihm  die  Nachricht  bringt,  dass  sich  das  Mädchen  im 
Hause  seines  Vaters  Lysimachus  befinde.  Dem  alten  Mädcheu- 
behler  wäre  aber  inzwischen  sein  Freundschaftsdienst  schier  übel 
bekommen.  Seine  Frau  Dorippa,  die,  bei  ihrer  Kückkehr  vom 
Lande,  die  Schöne  in  ilu'em  Hause  fand,  hält  sie  für  die  Buhle- 
rin  des  Mämies,  und  wer  weiss  was  geschehen  wäre,  wenn  der 
Sohn  Eutycbus,  durch  Mittheilung  des  Gelieimnisses,  nicht  die 
Mutter  beschwichtigt  und  Frieden  zwischen  den  Eltern  gestiftet 
hätte.  Die  letzte  Scene  hält  über  den  alten  Sünder  Demipho 
Gericht  und  Eutycbus,  der  wackere  Jüngling,  spricht  das  ürtheil: 
der  Jüngling,  als  Sacbfülirer  der  guten  Sitte  über  das  sittenlose 
Alter  Cv.  4.;: 

Kutychus.      Menschen,  ilie  von  guter  Flerlvunft.  aber  schlechter  Denk- 
art sind 


Plautus.     Der  Perser.  561 

Schänden    sich  und   machen  durch  die  Denkart  ihre  Her- 
kunft schlecht. 
Demipho.     Der  hat  Recht. 
Lysimachus    (zu  Demipho). 

Dir  gut  das,  sage  ich. 
Eutychus.  Um  so  mehr  wird's  richtig  seyn. 

Andern    Jahren   kommen,    wie    anderer    Jahrzeit,   andere 

Triebe  zu. 
Denn   wenn    das  erlaubt  ist,   dass   man  noch  im  Greisen- 
alter buhlt, 
Was  soll  aus  dem  Staate  werden?  .  .  . 
Nam  si  istuc  jus  est,  senecta  aetate  scortari  senes, 
Ubi  loci  res  summa  nostra  est  publica?  .  .  . 

Ist  der  Fingerzeig  nicht  deutlicli  genug?  Der  zerknirschte 
Demipho  bittet  um  Eutychus'  Verraittelung  bei  seinem  Sohn. 
„Lasst's  genug  seyn,  gebt  mir  lieber  Geisseihiebe."  Der  Sohn 
mag  das  Mädchen  behalten.  Er,  für  seine  Person,  wolle  hinführo 
ein  gesitteter  vernünftiger  alter  Mann  seyn,  und  Buhlschafteu 
meiden,  so  gut  er  kann.  Der  von  Chariuus  gesprochene  Prolog 
giebt  au,  dass  der  Mercator  die  lateinische  Bearbeitung  des  Em- 
poros  (Kaufmann)  von  Philemon  sey. 

Der  Perser  (Persa).  Als  Perser  vermummt  ist  der  Sklave 
Sagaristio  bereit,  dem  Kuppler,  Dordalus,  eine  Summe  Gfeldest 
wieder  abzuschwindeln,  die  er  von  seinem  HeiTu  erhalten,  um  in 
Eretria  Vieh  einzukaufen;  für  die  er  aber,  statt  dessen,  eine  Dirne, 
Lemniselene.  vom  Kuppler  erhandelt  hatte,  die  Liebste  seines 
Freundes  und  Genossen,  des  Sklaven  Toxilus,  welcher,  in  Ab- 
wesenheit seines  Herrn,  Timarchides,  bei  dem  er  Hauswart,  mit 
dem  losgekauften  Schätzchen  seinen  Geburtstag  zu  feiern  sich 
vorgesetzt.  Sagaristio  soll  nun,  als  Perser  verkleidet,  dem  Dir- 
nenhändler Dordalus,  um  ihm  das  Geld  wieder  abzugaunern,  eine 
Kriegsgefangene  zum  Verkauf  anbieten,  in  Vollmacht  und  Auf- 
trag des  Timarchides,  der  sich  Geschäfte  halber  in  Persien  auf- 
halte, und  von  dem  er  einen  Briei'  an  dessen  Hauswart  Toxilus 
vorzeigt,  worin  dieser  aufgefordert  wird,  dem  Perser  allen  mög- 
liclien  Vorschub  zu  leisten.  Die  Kriegsgefangene  nuiss  der  Haus- 
Schmarotzer,  Saturio,  in  seiner  Tochter  stellen,  oder  er  ist 
die  längste  Zeit  Haus-Schmarotzer  gewesen,  und  wird  ohne  Gnade 
und  Barmherzigkeit  ausgehungert  ''T,  :).): 

U.  ;t(i 


562  Die  römische  Komödie. 

Toxilus.    Wie  nun?    Was  giebt's?   Erkläre  was  du  Willens  bist. 
Saturio.     Ich  bitte,  verkaufe  mich  sogar,  wenn  dir's  gefällt. 
Nur  aber  gesättigt  .  .  . 

Der  gewinnsüchtige  Kuppler  geht  richtig  in  die  Falle,  und  kauft 
auf  Zureden  des  Toxilus  das  Mädchen.  Als  Schmarotzers-Toch- 
ter ist  die  vermeinte  Kriegsgefangene  aber  eine  Freigeborene,  und 
der  Kauf  ungültig.  Der  Kuppler  muss  die  zurückgeforderte  Toch- 
ter iln-em  Vater  wiedergeben  und  das  für  sie  bezahlte  Geld  im 
Stich  lassen.  So  gelangt  Sagaristio  wieder  zu  seinem  Darlehen, 
Toxilus  feiert  seinen  Geburtstag  mit  dem  freigeschwindelten  Lieb- 
chen bei  einem  fröhlichen  Gelage,  wozu  sich  auch  der  Kuppler 
ungebeten  einstellt.  Er  wird  aufs  gastfremidschaftlichste  aufge- 
nommen und  mit  einer  in  aller  Eile  und  eigens  für  ihn  zuberei- 
teten Prügelsuppe  tractirt: 

Lebt  wohl,  ihr  Zuschauer !  der  Kuppler  ist  mausetodt,  klatscht  Beifall  uns. 

Mit  diesem  Vers  schliesst  Toxilus  die  Komödie,  die  einzige  des 
Plautus,  wo  die  Liebschafts-Intrigue  von  der  Hefe  des  Hauswe- 
sens ausschliesslich  bestritten  wh'd,  auf  Kosten  der  beiden  ver- 
ächtlichsten und  stereot}rpen  Sündenböcke  der  Palliata:  auf  Kosten 
des  Kupplers  und  des  Schmarotzers.  Vielleicht  wollte  aber  Plau- 
tus auch  einmal  den  blossen  Khyperographen  oder  Schmutzmaler 
spielen,  um  das  Sprichwort  zu  iUustriren:  „Wie  der  Herr  so  der 
Diener",  und  in  dem  „Perser"  den  Kern  des  ganzen  Genre's  bloss- 
legen.  Aus  Persien  fanden  wir  die  Sagaristio's  und  Toxilus  stam- 
men :  der  „Perser"  ist  daher  auch  der  bezeichnendste,  der  stamm- 
bürtige  Titel  der  Diadochen-Komödie,  welche  gerade,  als  reine, 
ausschliessliche  Sklaven  -  Dirnen  -  Schmarotzer  -  Kuppler  -  Komödie, 
hier  in  ihrer  primitiven  Form,  in  ihrer  Grundgestalt,  erscheint. 

Ourculio,  zu  deutsch  Kornwurm,  der  Name  des  Schma- 
rotzers im  Stücke.  Kornwm-m  erhält  von  Phaedromus,  einem 
jungen  Manne  in  Epidaurus,  der  seine  Geliebte,  Planesium, 
vom  Mädchenliändler,  Cappadox,  loszukaufen  wünscht,  den  Auf- 
trag, das  dazu  nöthige  Geld  von  einem  Freunde  in  Carlen  für  ihn 
zu  borgen.  Der  Freund  entschuldigt  sich  mit  eigener  Dürftigkeit. 
Zufällig  trittt  Curculio  mit  einem  Soldaten  Therapontigonus, 
zusammen,  der  sich  bei  ihm  nach  einem  Wechsler  in  Epidaurus 
erkundigt,  dem  er,  Therapontigonus,  aulgetragen,  dem  Vorzeiger 


Plautus.  Aniphitruo.  563 

einer  auf  den  Wechsler  ausgestellten  Anweisung  auf  eine  bei  dem- 
selben niedergelegte  Summe,  sich  vom  Kuppler  Cappadox  ein  Mäd- 
chen ausliefern  zu  lassen,  das  er.  der  Soldat,  dem  Cappadox  ab- 
gekauft. Diese  Mittheilung  fasst  Curculio  in's  Ohr,  versichert 
dem  Soldaten,  Beide,  den  Wechsler  und  den  Kuppler,  genauer  zu 
kennen;  nimmt  des  Soldaten  Einladung  zu  Tische  dankbar  an. 
lockt  ihm  den  Namen  des  Mädchens  ab,  das  keine  andere  als 
seines  Herrn  Geliebte,  Planesium  ist,  entwendet  dem  Soldaten  den 
Siegelring,  hintergeht  den  Wechsler  bei  seiner  Rückkehr  mit  einer 
falschen  durch  den  Siegelring  beglaubigten  Anweisung  und  nimmt. 
nach  geleisteter  Auszahlung  des  Geldes  durch  den  Wechsler  an 
den  Cappadox,  von  letzterem  das  Mädchen,  die  Planesiam,  in  Em- 
pfang. Aber  schon  ist  auch  der  Soldat  in  Epidaurus  angelangt, 
und  findet  sich  um  Geld  und  Mädchen  geprellt;  entdeckt  aber 
auch  gleich  den  Betrüger  mit  seinem  Ringe  —  und  siehe  da: 
aus  diesem  Ringe  des  Soldaten  und  einem  Ringe,  den  das  Mäd- 
chen besitzt,  g^ht  hervor,  dass  Planesium  eine  Freigeborene  und 
der  Soldat  ihr  Bruder  ist.  Der  Kuppler  muss  das  erhaltene  Geld, 
im  Betrage  von  3(1  Minen,  dem  Soldaten  zurückzahlen,  und  Korn- 
wurm versäumt  nicht,  als  Zeichen  seiner  unwandelbaren  Freund- 
schaft, bei  dem,  zur  Feier  von  Planesium's  Vermählung  mit  dem 
jungen  Epidaurier  veranstalteten  Hochzeitsschmause  seinem  Na- 
men Ehre  zu  machen,  und  zu  schroten,  was  nur  ein  Curculio,  als 
Brautwerber,  hei  solcher  Gelegenheit  schroten  kann.  Abermals 
ein  treulicher  Kuppler-Spiegel,  woraus  aber  Niemand  mehr  zu 
lernen  und  für  sein  ehrliches  Handwerk  zu  profitiren,  in  der  Lage 
ist,  als  der  gefoppte,  aber  auch  an  dem  ihm,  zu  seiner  Witzigung, 
unablässig  vorgehaltenen  Spiegelbilde  seiner  leichtgläubigen  Thor- 
heit  sich  bildende  und  schulende  Kuppler. 

Ihren  Triimtiph,  ihre  Apotheose,  feiert  die  Kuppler-Komödie  im 
Aniphitruo,  wo  das  Geschäft  von  dem  Cappadox  der  Unsterb- 
lichen, von  Gott  Mercurius  betrieben  wird,  als  olympisches  Pri- 
vatvergnügen, als  himmlischer  Jux  und  Götterspass;  wo  das  ge- 
meine, mühselige,  von  aller  Bescliränktheit  irdischer  Wechsel- 
geschicke heimgesuchte  Handwerk  zur  vollendeten  Kunst,  zur 
Kunstseligkeit  verschönt  und  verklärt  wird,  ganz  im  Geiste  und 
nach  dem  Herzen  der  selbstzwecklichen  Kunstphilosophie  und 
Aesthetik:  von  keiner  boriiirt  prosaischen  Sittlichkeitstendenz  ge- 
rn* 


564  ^^^  römische  Komödie. 

trübt:  vou  keiner  Tendenz  überhaupt,  als  der  höchsten,  göttlichen 
Tendenz  des  reinen  Kuppelthmns  und  der  daraus  von  selbst  ent- 
springenden Genussseligkeit  und  absoluten  Wohlgemuthheit.  Auf 
der  Höhe  dieser  Kunststimmung  verschwinden  alle  Maassstäbe 
der  engherzigen  gemeinen  Moral;  der  Ehebruch  wii'd  zur  himm- 
lischen Gnade  und  jugendlich,  vou  allen  Erdenmaleu  frei,  in  der 
Vollendung  Strahlen  schwebt  liier  der  Kuppelpelz.  Im  Amphitruo 
empfängt  der  olympische  Cappadox,  Namens  all'  seiner  in  den 
andern  Komödien  so  schmählich  verhöhnten  und  misshandelten 
Genossen,  seinen  Himmelslohu,  seine  himmlische  Genugthuung, 
seineu  Gewerbe- Verklärungs-Schein.  Daher  hat  auch  der  grösste 
Komiker  der  Franzosen,  des  neuclassischen  Lustspiels  überhaupt, 
hat  Moliere,  in  seiner  bewundernsweiiben  Nachahmung  dieser 
Komödie,  im  Amphitryon,  durch  die  Götterfabel  das  galante  Ju- 
piterthum  des  Oeil  de  Boeuf  durcliscliimmern  lassen,  mit  allem 
Zauber  der  feinsten  Komik  und  leichtfertigen  Ironie.  Den  ironi- 
schen Duft,  als  einen  immer  noch  tendenziösen,  von  tagesge- 
schichtlichen Beziehungen  angetrübten  Hauch,  streifte  die  hoch- 
romantische Komödie  in  Heinrich  v.  Kleist's  Umdeutschung  dieses 
Stoffes  so  gründlich  ab,  dass  Adam  Müller  vor  Kleist's  mystisch- 
hyperromantischem  Amphitryo  fronunselig  niederknieen ,  und  in 
dem  heidnischen  Götterschwank  eiue  „Ueberschattung  des  heiligen 
Geistes"  inbrünstig  anbeten  durfte.  Wir  werden  ihn  in  dieser 
Andachtsübung  wohl  noch  seiner  Zeit  Itetreffen. 

Von  dem  Allen  hat  sich  der  ursprüngliche  Schöpfer  des  Am- 
phitryon, der  mehrgedachte  Possendichter  Rhiuthon,  nichts  träu- 
men lassen,  dessen  Hilarotragödie,  als  Tragikomödie  Amphitryon, 
Plautus  allem  Anschein  nach,  zu  seinem  Amphitruo  benutzt  hat.  Die 
Komödie  ist  so  oft  besprochen,  und  namentlich  durch  Lessing's 
Erörterungen  in  der  Dramaturgie  so  allgemein  bekannt,  dass  wir 
es  l)ei  einem  Inhaltsauszuge  aus  (knn  von  Mercurius  gesprochenen 
Prolog  dürfen  lierulicn  lassen: 

Die  Stadt  heisst  Theben.     Dort  in  jenem  Hause  wohnt 
Am]ihitruo,  der  aus  Argos  wie  sein  Vater  stammt. 
Alcmene,  des  Electrus  Tochter,  ist  sein  Weih. 
Amiihitruo  nun  befeldigt  jetzo  die  Armee, 
Denn  Tlieljcn  ist  im  Kriege  mit  den  Telehoern. 
Noch  ehe  er  von  liier  zum  Heere  abging,  ward 


Aphitruü  und  Jupiter.  565 

Alcmeue,  seine  Gattin,  schwanger.  —  Ich  denke  doch, 

Ihi*  werdet  es  schon  wissen,  wie  mein  Vater  ist 

Er  hat  nun  in   Alcmenen  sich  verliebt  .  .  . 
Jetzt  ist  Alcmene  doppelt  schwanger,  dass  ihr  es 
Genau  wisst,  von  dem  Manne  imd  von  Jupiter. 
Mein  Vater  liegt  jetzt  neben  ihr  im    Hause  drin. 
Aus  diesem  Grunde  ist  verlängert  diese  Nacht, 
So  lang  er  seine  Lust  an  der  Geüebten  hat. 
Doch  hat  er  sich  verstellt,  als  wär's  Amphitruo. 
Verwundert  euch  nicht  über  meinen  Anzug,  dass 
Ich  hergekommen  bin  gestaltet  wie  ein  Knecht. 

Ich  habe  angenommen  des  Sklaven  Sosia 
Gestalt,  der  zur  Armee  ging  mit  Ampliitruo. 

Heut  kommt  Amphitruo  von  dem  Heer  zurück  hieher 
Nebst  jenem  Sklaven,  dessen  Bild  ich  an  mir  trag'. 
Dass  ihr  uns  beide  leichter  unterscheiden  könnt. 
So  hab'  ich  diese  Federn  immer  auf  dem  Hut; 
Mein  Vater  aber  wird  von  Golde  eine  Wulst 
Am  Hute  tragen - 

Die  letzten  Worte  in  Betreff  des  Unterscheidungszeichens 
lassen  keinen  Zweifel  darüber,  dass  Plautus'  Schauspieler  ohne 
Gesichtsmaske  auftraten.  Die  Sceuenführung ,  die  aus  der  zwie- 
fachen Doppelgängerschaft  entspringende  Verwickelung,  die  er- 
götzlichen Situationen,  die  diese  unfreiwillige  Selbstverdoppeluug 
des  Amphitruo  und  Sosia's  zur  Folge  hat,  bekundet  die  grösste 
Meisterschaft  der  Komik,  und  stempelt  die  Komödie  zu  einem 
Werke  der  reifsten  Kuustübung.  Auf  dem  Gipfel  der  Verwirrung 
und  verblüfften  Ratlüosigkeit,  erfährt  Amphitruo  von  der  Magd 
Bromia  das  Schreckenswundei',  das  drinnen  im  Hause  sich  ereig- 
net: wie  nämlich  der  Säugling,  Hercules,  das  fürchterliche  Schlan- 
genpaar in  der  Wiege  erwürgte  (V,  L): 

Dein  Kind  wäre  das  andere. 
Amphitr.  In  der  That,  es  darf  mich  nicht  gereun 

Dass  ich  etwas  Gutes  theile  zur  Hälfte  mit  dem  Jupiter  .  .  . 
Doch  was  ist  dasV    Wie  heftig  donnert  esV  Götter  ich  bitte, 
steht  mir  bei ! 

Jupiter  erscheint    in  seiner    wahren  Gestalt   und  verkündet 


5ßß  Die  römische  Komöclie. 

ihm  die  Gnade  seiner  Heimsuchung  und  die  Heniichkeit,  die  sei- 
nem Sprössling  Hercules  bevorsteht: 

Versöhne  dich  wieder  mit  Alcinene  deiner  Frau. 

Sie  hat  es  nicht  verdient,  dass  du's  zur  Last  ihr  legst. 

Sie  that's  von  mir  gezwungen.     Gen  Himmel  steig'  ich  nun. 

Amphitruo  ist  ganz  hornselig  und  ruft: 

Nun,  Zuschauer,  um  Jupiters  Willen  klatscht  lauten  BeifaU  zu. 

Vor  Moliere  hat  Kotrou  in  seinem  Lustspiel  Les  deux  Sosies 
Plautus'  Amphitruo  zum  Vorbilde  genommen;  Kotrou's  Nachah- 
mung Dryden  in  dem  Lustspiel  The  two  Sosias  bearbeitet  und, 
lange  vor  Rotrou,  Dryden  und  Moliere,  der  grösste  epische  Dich- 
ter der  Portugiesen,  Luis  Camoens,  eine  Komödie  Amphitryon 
nach  Plautus  geschrieben. 

Zu  bemerken  ist  noch,  dass  fast  der  ganze  vierte  Act  in 
Plautus'  Amphitruo  untergeschoben  und  eingeschaltet  ist. 

„Zu  diesen  zwanzig  Komödien  sagt  Lessing  am  Schlüsse 
seiner  Abhandlung  von  dem  Leben  des  Plautus,  „fügen  Pareus 
und  einige  andere  Ausgaben  noch  die  ein  und  zwanzigste  Komödie 
unter  dem  Titel  Querulus.  Dieses  Stück  hat  Peter  Daniel  zu 
Paris  1564  zum  erstenmale  herausgegeben  ...  Ob  nmi  zwar 
auch  einige  Manuscripte  dieses  Stück  dem  Plautus  zueignen,  so  haben 
doch  die  Kunstrichter  erwiesen,  dass  es  weit  neuer,  und  ungefähr 
zu  den  Zeiten  des  Theodosius  des  jüngeren  geschrieben  sey." 

lieber  andere,  dem  Plautus  beigelegte  Stücke  und  die  nur 
vermuthungsweise  bestimmbare  Aufiiihrungszeit  seiner  vorhande- 
nen Komödien  verweisen  wir  auf  Ritschrs  mehr  erwähnten 
Aufsatz.  1) 

Die  von  Georg  Fabricius  gesammelten,  von  Peter  Daniel  ver- 
besserten und  vermehrten  Fragmente  des  Plautus  hat  Jac.  He- 
llas den  von  ilim  zu  Paris  herausgegebenen  Commentarien  des 
Lambiims  hinzugefügt.  Diese  Fragmente  stehen  auch  in  der  Aus- 
gabe des  Plautus  von  Frid.  Gronov.^)  Es  sind  Bruchstücke  oft 
nur  von  Einer  Zeile,  aus  39  verlorenen  Komödien;  eine  Handvoll 
aus  dem  Kehricht  aufgelesener  Federn,  woraus  man  den  Vogel 
nicht  erkennt. 

i)  Parerg.  111.  Die  Fabulae  Varrun.  des  Plautus.—  2)  II,  p.  475— 486. 


Terentius'  Lebensverhältnisse.  567 

Publius  Terentius  Afer. 

Das  Wenige,  was  man  von  seineu  Lebensverhältnissen 
weiss,  hat  der  Grammatiker  Aelius  Donatus  (4.  Jahrh.  n. 
Chr.)  aus  Suetou's  Schrift  de  dar.  Orat.  et  Poetis,  wovon  nur 
Bruchstücke  sich  erhalten  haben,  entlehnt.  Afer,  der  Afri- 
kaner, heisst  unser  Komiker  von  seiner  Gebmisstadt,  Carthago. 
Das  Geburtsjahr  ist  nicht  bekannt.  Er  kam  jung  nach  Eom, 
wo  er  als  Sklave  in  dem  Hause  eines  Senators,  Terentius  Lu- 
canus, lebte,  der  ihm,  aus  Rücksicht  auf  seine  ausgezeichneten 
Fähigkeiten,  die  Freiheit  schenkte,  und  dessen  Vornamen  dann 
auch  der  Freigelassene  trug.  Nach  Andern  soll  Quintus  Teren- 
tius Culleo,  welchen  Publ.  Scipio  aus  Cai-thagischer  Gefangen-^ 
Schaft  befreit  hatte  ';,  und  der  späterhin  (559  d.  St.)  Gesandter 
in  Carthago  war,  unsern  jungen  Afrikaner  nach  Rom  mitgebracht 
haben.  Den  Vornamen  Publius,  statt  Quintus,  meint  man,  hatte 
unser  Komiker  von  seinem  spätem  Gönner,  dem  Publius  Scipio, 
angenommen,  unter  diesen  auf  keinerlei  Thatsachen  beruhenden 
Angaben  scheint  diess  nur  gewiss,  dass  er,  begünstigter  als  sein 
Vorgänger,  der  Mühlendreher  Plautus,  sein  Brod  auf  angenehmere 
Weise,  an  den  Tischen  der  Grossen  und  Vornehmen,  zu  erwerben 
wusste,  und  deren  feingebildeten  Umgang  noch  dabei  als  Zubrod 
genoss.  In  solcher  Gesellschaft,  voraus  in  der  eines  P.  Scipio  und 
L.  Laelius,  die  damals  an  der  Spitze  von  Roms  giiechisch  gebil- 
detem Adel  standen,  fand  der  junge  Schöngeist  alle,  seinem  Ge- 
schmack und  seinen  Anlagen  gemässen  Elemente,  um  sich  zum 
römischen  Menauder,  wenn  auch  nur  zu  einem  „halben",  wie  ihn 
Julius  Caesar  nannte  (dimidiate  Menanderj ,  auszubilden.  Sueton 
führt  darauf  bezügliche  Verse  eines  gewissen  Porcius  an,  die  die- 
ses Verhältniss  des  Komikers  zur  römischen  vornehmen  Welt  be- 
stichein; gewiss  nur  aus  Missgunst  und  literarischem  Neide: 

Dum  lasciviaiu  nobilimn  et  fucosas  laudes  petit  ... 

Dum  ad  Furiam  se  coenitare  et  Laclium  pulchrum  putat  etc.*) 

Und   was  half  ihm,  fügt  Porcius  satyi'isch  hinzu,  was  half  dem 
eleganten  Salon -Komiker  die  feine,   vornehme   Gesellschaft  und 

1)  Liv:  XXX,  43.  —  2i  Donat.  Vita  P.  Tcront.  p.  IX, 


568  Die  römische  Komödie. 

ihre  noch  feinere  Küche?  Ipsiis  sublatis  rebus  ad  summam  in- 
opiam  reclactus  est:  „Nachdem  er  alle  seine  Habseligkeiten  ver- 
loren, gerieth  er  in  die  äusserste  Dürftigkeit"  in  der  ihn  seine 
vornehmen  Gönner  umkommen  Hessen.  Terentius  starb  in  Ar- 
kadien; in  einem  elenden  arkadischen  Doife,  wohin  er  sich  aus 
einem  Seesturm  gerettet,  der  ihn  seiner  ganzen  Habe  beraubt  hatte, 
worunter  sich  die  Abschriften  sämmtlicher  Komödien  des  Menan- 
der  befanden,  deren  Aufsammlung  und  Bearbeitung  ihn  zu  der 
üeberfahrt  nach  Griechenland  bewogen.  Einer  Notiz  des  P. 
Cosconius  oder  Cosentius,  wie  er  bei  Sueton  heisst,  zufolge, 
soll  Terenz  in  dem  Seesturme  umgekommen  und  mit  108  über- 
setzten Stücken  des  Menander  zu  Grunde  gegangen  seyn,  im  Al- 
ter von  35  Jahren  (595  d.  St.,  159  v.  Chr.).  Da  konnte  ihm  denn 
freilich  weder  Scipio,  noch  Laelius,  noch  Furius  helfen,  wie  jener 
Porcius  unedel  und  lieblos  spottet  (Nihil  Publius  Scipio  profuit, 
nihil  ei  Laelius,  nihil  Furiusj.  Desto  mein'  sollen  ihm  die  hohen 
Gönner  bei  den  Komödien  geholfen  haben,  meinten  wiederum 
Seine  Missgönner  und  Neider,  namentlich  ein  älterer  Atellanen- 
dichter,  Lucius  Lanuvianus,  oder  Luscius  Lavinius,  gegen  dessen 
Verleumdungen  sich  Terenz  im  Prolog  zu  den  Adelphi  verwahit, 
aber  mit  der  feinen  Wendung  eines  dankbaren  Schützlings,  der 
die  böse  Nachsage  halb  und  halb  dahinnimmt,  um  ihr  den  An- 
strich einer  verbindlichen  Artigkeit  gegen  seine  Gönner  zu  geben: 
Er  rechne  sich,  sagt  er,  den  Vorwurf  zum  gTössten  Lobe,  da  eine 
solche  Mithülfe  nur  das  Wohlgefallen  jener  edlen  Geister  an  sei- 
nen Bestrebungen  bezeugen  würde.  Die  scliwache  Abwehr  mag 
den  Wiedereinführer  der  Atellanen,  den  Redner  Q.  Memmius,  zu 
der  von  Sueton  mitgetheilten  Aeusserung  veranlasst  haben:  Pu- 
blius Scipio  hätte  nur  den  Terentius  vorgeschoben,  um  von  ihm 
selbst  verfasste  Komödien  unter  dessen  Namen  auf  die  Bühne  zu 
bringen. 

Es  muss  in  der  That  dahingestellt  bleiben,  wie  viel  wir  in 
dem  „halben  Menander"  von  Terentius  selbst  von  seinem  Geiste, 
seiner  Erfindung,  seiner  Kunst  besitzen.  Selbstgeständlich  hielt 
er  sich  genau  an  seine  Vorbilder,  er  vertheidigt  sich  sogar,  im 
Prolog  zu  den  Adelphi,  gegen  den  Vorwurf  eines  an  Plautus  be- 
gangenen Plagiats  mit  der  Versicherung,  dass  er,  in  Betreff  der 
beschuldigten  Scenc,    seiner  Vorlage,  der  Komödie  des  Diphilus, 


Terentius  und  Plautus.  569 

wörtlich  gefolgt  sey:  verbum  de  verbo  expressum  tulit.  Teren- 
tius ist  in  diesem  Punkte  der  Widerpart  zu  Plautus,  indem  er 
geflissentlich  das  Römische  in  Sitten  und  Charakteren  zu  gi'äci- 
siren  sich  bestrebt,  wogegen  Plautus  die  entlehnten  Stoffe  völlig 
umgestaltet  und  in   Saft  und  Blut  seines  Volkes  verwandelt  hat. 

Die  Fabeln  von  Terentius'  sechs  Lustspielen  drehen  sich  um 
ähnliche  Motive,  wie  die  Komödien  des  Plautus,  nur  einförmiger 
und  mit  gleichartigen  in  den  Grundzügen  übereinstimmenden 
Charaktertypen,  so  dass  man  in  jeder  Komödie  nahezu  dieselben 
Figuren,  nur  in  veränderten  Situationen  zu.  finden  glaubt,  sogar 
in  ähnlicher  Gegenüberstellung  und  zu  analogen  Wechsehvirkungen 
gnippirt:  Ein  Paar  Väter-Brüder,  ein  Paar  Söhne  und  deren  Lieb- 
chen, wovon  die  eine,  zuletzt  in  der  Kegel  als  Verwandte  und 
Freigeborene  erkannt,  den  Einen  heirathet,  die  andere,  einem 
Mädchenhändler  durch  List  oder  Gewalt  entführt,  dem  Vetter  als 
Maitresse  verbleibt,  mit  stillschweigender  Zustimmung  des  Vaters, 
oder  gar  im  väterlichen  Hause  als  Mitglied  der  Familie  Aufnahme 
findet.  Auch  der  zettelnde  Diener  führt  die  Intriguen  in  jeder 
Komödie  in  ähnlicher  Weise,  mit  grösserer  Feinheit  und  Gewandt- 
heit in  der  Form  seiner  Listen  und  Ansclüäge,  als  Keichthum 
an  Witz  und  Erfindung,  üeberhaupt  möclite  in  Absicht  auf  die 
wesentlichsten  Eigenschaften  der  Komödie  der  „halbirte  Menander" 
auch  nur  ein  verdünnter  Plautus  scheinen:  in  Absicht  auf  Füh- 
rung der  Fabel,  überraschende  Incideuzen,  Mannigfaltigkeit  der 
Charaktere,  Kühnheit  des  Situationswitzes,  geistreiche  Wendungen, 
Naturell,  volksthttmliches  Colorit  und  imiere  Lebenswahrlieit.  Li 
Ansehung  namentlich  aller  dramatischen  Momente;  vollends 
aber  was  die  Seele  des  Lustspiels  anlangt:  die  komische  Be- 
wegung; jene  alles  Lächerliche  und  Thörichte  in's  hellste  Licht 
strahlende,  in  ihrem  eigenen  Feuer  sich  läuternde  und  mit  der 
blitzhaft  muntern  Lebendigkeit  des  Salamanders  darin  scherzende 
Gemüthslust. 

Mangel  an  Erfindung  ist  die  Hauptschwäche  des  Terentius, 
vielleicht  entspringt  aber  auch  aus  diesem  Mangel  seine  Kunst. 
Wie  die  Noth  für  die  Mutter  dei-  Künste  gilt,  so  könnte  die  Er- 
findungsschwäche bei  Terentius  die  Mutter  seiner  Kunst  seyn, 
und  ihr  Vater  der  feine  Geschmack.  Die  geringe  Erfindungs- 
gabe nöthigt  ihn  zu  dem  Auskuiiftsmittel  der  Zusainmenlh'chtung 


570  Die  römische  Komödie. 

zweier  Tabelstoffe  aus  zwei  verschiedenen  griechischen  Komödien 
zu  Einer  Komödie  (Contaminatio).  Ein  bedenklicher  Kunstbehelf, 
dem  nur  das  Genie,  die  Fülle  poetischer  Schöpferkraft  ungeahnte 
Quellen  höchster  Kunstwirkungen  zu  entlocken  vennag;  -svie  Shak- 
speare  aus  verschiedenen  Erzählungen  einen  doppelten  ja  dreifa- 
fachen  Eabelstoff,  letztern  im  Kaufmann  von  Venedig  z.  B.,  zu 
dem  wundervollsten  Drama  mit  erstaunlicher  Kunst  ineinander- 
flicht;  in  der  Weise  etwa,  wie  ein  gi'osser  Harmoniker  zwei  The- 
mata dm-cheinanderschlingt  und  sie  zu  vollkommener  Harmonie 
verschmelzt.  Für  Dichter  von  unergiebiger  Phantasie  l)ei  sinn- 
reicher Combination,  feiner  Beobachtungsgabe,  betriebsamer  Ver- 
ständigkeit, geläutertem  Geschmack  und  glücklichem  Nachahmungs- 
talente bleibt  das  Auskunftsmittel  immer  nm-  ein  Nothbehelf,  um 
die  Mannigfaltigkeit  der  Triebfedern  und  Contraste,  die  sie  aus 
dem  Innern  einer  begrenzten  Handlung  zu  entwickeln  nicht  ver- 
mögen, durch  geschickte  Verschränkuug  ungleichartiger  Begebnisse 
künstlich  und  äusserlich  zu  ersetzen.  Wie  Zwitter  und  Bastard 
ist  solche  Contaminatio  mit  Unfruchtl)arkeit  behaftet.  Gesellt 
sich  zu  einer  schwächlichen  Erfindungsgabe,  im  Verein  mit  den 
bezeichneten  Vorzügen,  eine  geringhaltige  vis  comica,  eine  dünne 
komische  Ader,  bei  einer  empfindsamen,  zart  und  edel  fühlenden 
Seele :  dann  wird  ein  solcher  Komödiendichter,  wie  er  den  Maugel 
an  Ei-findungsgeist  durch  materiellen  Inhalt  heterogener  Fabel- 
stoffe auszufüllen  strebt,  ähnlich  ftlr  den  Mangel  an  achtem  Lust- 
spielhumor,  an  Gemüthskomik,  ein  Surrogat  in  edlen,  würdi- 
gen Triebfedern,  in  der  empfindsamen  Stimmung,  in  Cliarakteren 
von  wackerer  Gesinnung  suchen;  er  wird,  im  GefüJile  seiner  Ar- 
muth  au  komischem  Genie  und  ergötzlich  schöpferischer  Gemüths- 
kraft,  ein  Anlehen  bei  der  empfindsamen  Seele  eröffnen  und  die 
Beweggründe  adeln,  anstatt  das  Lächerliche  aus  ihnen,  wie  einen 
lebendigen  Springquell,  zu  schlagen.  Das  gemütlüiche  Natm-ell 
seiner  Figuren  muss  für  die  Unergiebigkeit  seiner  Gemüthskomik 
auflfommen,  und  eine  gediegene  Eühruug  die  herzliche  Lachlust 
mit  dem  sanften  Lächeln  eines  schönen  Charakters  abfinden.  Das 
ist  bei  Terentius,  wie  bei  keinem  andern  Lustspieldichter,  der  Fall. 
Ein  Schimmer  seiner  edlen  Menschlichkeit,  seiner  feineu  Em- 
pfindsamkeit, fällt  auf  alle  seine  Komödieufigm-en,  bis  auf  die 
niedrigsten  herab.    Schmarotzer,  Haussklaven,  Hebammen,  selbst 


Terentius  als  Cliarakterzeichner  und  Sittenmaler.  571 

die  Kuppler  erscheinen  edelgesinnt  und  mit  der  Anstandsschminke 
des  Schönmenschlichen  bemalt;  anstatt  dass  vielmehr  das  Niedrige, 
Gemeine,  moralisch  Hässliche  an  ihnen  in  der  Beleuchtung  komischer 
Verwickelungen,  in  dem  vollen  Glänze  ihrer  Lächerlichkeit  strahlen 
und  dadurch  poetisch  veredelt  erscheinen  sollte.  Wie  in  der  Tra- 
gödie alle  Hülfsquellen  des  Geistes  und  Herzens  den  Mangel  au 
tragischer  Kraft  nicht  ersetzen,  und  ohne  diese  keine  Tragödie  zu 
Stande  kommt:  so  giebt  es  in  der  Komödie  kein  Surrogat  für 
die  komische  Kraft;  vermögen  alle  andern  Gaben  und  Talente  für 
den  Abgang  der  vis  comica  keinen  Ersatz  zu  bieten;  eben  so 
wenig,  wie  eine  reich  besetzte  Tafel  einen  schwachen  ]\Iagen  er- 
quicken; wie  alle  Schätze  und  Güter  der  Welt  einen  Todtkranken 
beleben  und  erfreuen  können. 

Terenz  gilt  in  der  Regel,  mit  Plautus  verglichen,  für  den 
edlern  Charakterzeichner  und  Sittenmaler.  Sollte  Terentius  darum 
der  vorzüglichere  Sittenmaler  seyn,  weil  er  der  Schönmaler  ver- 
derbter Sitten  ist,  und  seine  feine  Schminke  das  Siech thum  des 
Familienlebens  und  der  gesellschaftlichen  Zustände  zu  blühender 
Gesundheit  lügt?  Da  lob'  ich  mir  die  rauheren  Pinselbürsten  des 
Plautus,  der,  wie  seine  Schauspieler,  ohne  Maske  spielte,  der  Zeit- 
sitte mit  seinem  Borstenpinsel  die  Schminke  von  den  Wangen 
streicht  und  bürstet,  dass  schon  die  kräftige  Reibung  wolilthätig 
und  heilsam  wirkt,  und  in  der  schlaffen  welken  Haut  eine  natür- 
liche Wärme-Köthe  und  Spannkraft  anregt,  die  ihr  jedenfalls  besser 
bekommt,  als  die  Schminke ;  um  von  dem  dabei  sich  entwickelnden, 
und  frei  werdenden  elektrisclien  Lachstoff"  zu  scliweigen,  wodurch, 
in  Folge  solcher  Hauterregung,  von  innen  heraus  eine  heilsame 
ümstimmung  und  Belebung  des  ganzen  Organismus  bewirkt  wird. 

Alle  Schönheiten  des  Terenz,  sagt  Madame  Dacier  in  der 
Preface  zu  ihrer  Uebersetzung  seiner  Lustspiele,  „befriedigen  zu- 
gleich den  Geist  und  das  Herz."  Ob  aber  Sklaven,  die  in  den 
Mitteln,  behufs  Täuschung  der  Väter  zum  Verderben  der  Söhne, 
den  Ränke  zettelnden  Sklaven  des  I'lautus  gleichen,  sich  vor  die- 
sen durch  edlere  Triebfedern,  durch  anständigere  Motive, 
ihrer  Schelmenstreiche  auszeichnen  dürfen,  die  unsere  Missbilliguug 
der  ins  Spiel  gesetzten  Mittel  bestechen,  captiviren,  vertuschen  —ob 
eine  solche  Motivirung  verweiflicher  Anstiftungen  charaktergemäss, 
natur-  und  lebenswahr,  ob  sie,  mit  einem  Worte,  würdig  ist,  „un- 


572  Die  römische  Komödie. 

seru  Geist  und  unser  Herz  zugleich  zu  befriedigen":  das  hat  die 
classisch  gelehrte  Dame  und  ausgezeichnete  Kunstrichterin  zu 
priifen  unterlassen.  „In  seinen  sechs  Komödien",  heisst  es  weiter, 
„ist  kein  Zug  zu  finden,  der  die  Grenze  des  Austands  überschritte." 
Wie  aber,  wenn  Fabel,  Intrigue,  Ausgang,  kurz  der  ganze  Ge- 
halt und  Inhalt  der  Komödie  dem  Anstand  ins  GJesicht  schlägt?  Die 
Komödie  an  und  für  sich  anständig  unanständig  ist?  —  wie  dann? 
Eine  andere  Anständigkeit  beseelt  auch  die  Terentianische  Komö- 
die nicht,  die  immerhin  eine  lateinische  Menander-Komödie  seyn 
mag ;  die  auch  als  „halbe"  Menander-Komödie,  was  anständige  Unan- 
ständigkeit betrifft,  für  voll  zu  nehmen.  Bei  Plautus  erfährt  diese, 
wie  gesagt,  eine  Läuterung  durch  das  Fegefeuer  der  Komik.  Es 
ist  ein  grosser  Unterschied,  ob  ein  Lustspieldichter  das  moralisch 
Unzulässige  und  Verwerfliche  dem  Gelächter  preis  giebt,  oder  ob  er 
dafür  Sympathien  erweckt  durch  Verfälschung  mittelst  rührender, 
gewinnender  Motiven.  Den  „pädagogischen  Zweck"  erstrebt  Te- 
renz  nur  mit  grösserer  Absichtlichkeit,  als  Plautus,  aber  nicht 
mit  demselben  Erfolge.  „Man  darf  behaupten",  sagt  Mad.  Dacier, 
„dass  die  ganze  Latinität  ftoute  la  latinite)  nichts  aufzuweisen 
habe,  was  sich  mit  dem  Adel,  der  geschmackvollen  Einfachheit, 
mit  der  Anmuth  und  der  feingebildeten  Zierlichkeit  seines  Dia- 
loges vergleichen  lasse."  Vollkommen  wahr,  und  in  dem  Um- 
fange wahr,  dass  man  diese  trefflichen  Eigenschaften,  diese  Blu- 
men eines  feinen  Musterdialoges,  selbst  in  der  Sprechweise  seiner 
Schmarotzer,  Haussklaven  und  Kuppler  empfindet;  so  ohne  Aus- 
nalmie  wahr,  dass  die  Lebens-  und  Naturwahrheit  dieser  Art  von 
Figuren  mit  dem  Adel,  der  Anmuth,  der  feingebildeten  Zierlich- 
keit der  Dialoges  in  den  schroffsten  Widerspruch  geräth  und  das 
feine  Colorit,  der  edle  farbenreine  Schmelz  die  Cliarakterwahrlieit 
jener  Figuren  in  Frage  stellt.  Aus  der  Maske  dieser  Schmarotzer, 
Sklaven,  Kuppler  glaubt  man  Personen  aus  Roms  oder  Athens 
vornehmer,  feiner  Gesellschaft  sprechen  zu  hören.  Giebt  man  dem 
Terenz  diesen  unausgieichbaren  Widerspruch  preis,  wird  man  ihn 
unstreitig  an  die  Spitze  aller  Lustspieldichter  seiner  Gattung  zu 
stellen  haben;  jener  Lustspieldichter  nämlich,  die  mehr  durch 
Grazie  des  Ausdrucks,  durch  edle  einnehmende  Haltung  der  Cha- 
raktere, durch  feine  behagliche  Sittenschilderung,  aber  auch  nur 
innerhalb  dieses  auserlesenen  Kreises  einer  vornehmern  und  pa- 


Terentius.    Andria.  573 

tricisch  gefärbten  Bürgerwelt,  als  durch  Komik,  als  durch  Dar- 
stellung ächter  Volks-  und  Lebensfigureu,  als  durch  kunstvoll 
getreue  Scliiklerung  der  Zeitsitte,  kurz  als  durch  Eigenschaften 
glänzen,  die  allein  ein  Lustspiel  zum  Lustspiel  machen.  Plautus 
ist  dem  Terenz  nicht  blos,  wie  Mad.  Dacier  treffend  bemerkt,  in 
Absicht  auf  Lebhaftigkeit  der  Action,  mannigfaltige  und  kunst- 
reiche Schürzung  des  Intriguenknotens,  mit  einem  Worte,  in  allem 
überlegen,  was  den  Dramatiker  und  komischen  Volksdichter  aus- 
macht: Plautus  steht,  unseres  Erachtens,  auch  als  Sittenmaler 
und  Charakterzeichner,  selbst  als  Künstler  in  Styl  und  Dialog 
hoch  über  Terenz,  denn  Plautus  giebt  ein  vollkommen  naturge- 
treues, lebenswahres,  durch  keine  Schaumalerei  übertünchtes,  son- 
dern einzig  und  allein  durch  die  Poesie  seines  Genre's,  durch  den 
Geist  der  Komik  verschöntes  Sittengemälde  von  Roms  bürgerli- 
chem Mittelstand  und  Familienwesen.  In  Terenzens  Familien- 
Komödien  athmet  mehr  attisches,  als  römisches  Hauswesen;  oder 
doch  mehr  attisch  gräcisirtes  Patricier-Bürgerthum,  als  das  ächte, 
ursprünglich  römische  Hauswesen  und  Familienleben. 

Nach  unparteiischer  Würdigung  möchte  dem  Terentius  die 
Mittelstellung  zwischen  den  beiden  extremen  Urtheilen  zukommen : 
dem  des  Komödiendichters  Afranius,  wonach  Niemand  dem  Teren- 
tius gleich  zu  stellen:  Terentio  non  similem  esse  quempiam; 
und  dem  geringschätzigen  [Jrtheil  des  Julius  Scaltger:  „Hie  no- 
stra  miseria  magnus  factus  est:  Tei'enz  habe  seine  ganze  Grösse 
unserer  Armseligkeit  zu  danken." 

Mögen  nun  die  sechs  Komödien  selbst  vortreten  und  für  ihn 
und  gegen  ihn  zeugen: 

Andria,  oder  „das  Mädchen  aus  Andres."  Zum  ersten  Male 
an  den  M  egalcnsischen  Spielen,  unter  den  Curulischen 
Aedilen  M.  Fulvius  und  M.  Glabrio,  von  der  Truppe  des 
Lucius  Ambivius  Turpio  und  Lucius  Attilius  Praeue- 
stinus  aufgeführt.  Die  Melodien  dazu  c.omiwnirte  Flaccus  Clau- 
dius, für  gleiclie,  rechte  und  linke  Flöten  i'Tibiis  parib.,  dextr. 
et  sinistr.).  Die  Didaskalia  fügt  hinzu:  die  Komödie  „ist  ganz 
griechisch  (et  est  tota  graeca;,  und  kam  zur  Darstellung  unter 
dem  Consulat  des  M.  Marcel  Ins  und  (J.  Sulpitius  ;5S7  d. 
St.,  164  vor  Chr.j 

Mit   dieser  l'>rstlingskomödie,  so  erzählt  Sueton,    suchte  der 


574  Die  römische  Komödie. 

jugendliche  Verfasser,  nachdem  er  sie  dem  Aedil  verkauft,  den 
altberühmten  Komödiendichter,  Caecilius,  auf,  um  von  dem  grossen 
Komiker  ein  vertrauliches  Urtheil  über  sein  Stück  zu  empfangen. 
Cäcilius  Avar  gerade  bei  Tische.  Er  liess  den  jungen  Mann  ein- 
treten und,  ärmlich  gekleidet  wie  er  war,  auf  einem  niedrigen 
Bänkchen,  neben  seinem  Tisch-Sopha,  Platz  nehmen.  Kaum  hatte 
der  junge  Dichter  die  ersten  Verse  seiner  Komödie  vorgetragen, 
wies  ihm  auch  schon  der  freudig  übeiTaschte  Caecilius  einen 
Tischplatz  an  seiner  Seite  an.  Als  Tereutius  nach  Tische  weiter 
las,  steigerte  sich  die  Theilnahme  des  alten  Dichters  von  Scene 
zu  Scene.  Er  hörte  bis  zu  Ende  mit  der  grössten  Aufmerksam- 
keit zu,  und  sprach  am  Schlüsse  dem  hochbeglückten  Erstlings- 
dichter seine  volle  Befriedigung  aus. 

Die  Andria  gehört  in,  der  That  zu  Terentius'  besten  Komö- 
dien, und  zeigt  in  Eorm  und  Füluimg  eine  Glätte  und  zierliche 
Gewandtheit,  die  seine  gerühmtesteu  Lustspiele,  „der  Selbstquä- 
ler", „Eunuchus"  und  „die  Brüder"  (Adelphi)  kaum  überbieten. 

Dem  Stücke  geht,  wie  üblich,  ein  Prolog  vorauf,  der  sich 
aber,  wie  alle  Prologe  des  Terentius,  von  denen  des  Plautus  darin 
unterscheidet,  dass  er  das  Publicum  nicht  über  den  allgemeinen 
Inhalt  der  Komödie,  sondern  über  die  literarischen  Streitigkeiten 
des  Dichters  mit  seinen  Gegnern  i^terrichtet.  Seine  Prologe 
gleichen  hierin»  den  modernen  Vorreden  zu  Theaterstücken.  Frei- 
lich musste  Terentius  sich  erst  seine  Stellung  und  die  gute  Stim- 
mung des  Publicums.  gegenüber  den  böswilligen  Ausstreuungen 
seiner  Feinde,  erobern.  Mit  dieser  Entschuldigung  tritt  er  denn 
auch  in  seiner  ersten  Komödie,  in  der  Andria  vor  die  Zuschauer : 
„Auf  Prologe",  sagt  er,  „muss  ich  meine  Mühe  wenden,  nicht  um 
den  Inhalt  meiner  Stücke  anzugeben  (Non  qui  argumentum  nar- 
ret), sondern  um  der  Sclmaähung  eines  alten,  schlecht  gesinnten 
Dichters  (Lucius  Lanuvianus  oder  Luscius  Lavinius)  zu  begegnen." 
Andererseits  mochte  sich  Terentius  einei"  Inlialtsaudeutung  im 
Prologe  vielleicht  auch  aus  Gründen  der  Kunsttechnik  über- 
hoben glauben,  in  der  Ueberzeugung,  dass  die  Komödie  selbst  die 
nöthigen  Aufschlüsse  zu  geben  habe.  Seine  Kunsttechnik  durfte 
diess  um  so  sicherer  voraussetzen,  da  seine  Compositionsweise  auch 
in  dieser  Hinsiclit  dem  griechischen  Vorbilde  sich  getreu  an- 
schmiegt, wo  die  Erzählung  vor  der  eigentlichen  Handlung  vor- 


Terentius.    Andria.     Die  Pabel-Intrigxie.  575 

waltet,  indem  die  thatsächlicheu  Begebnisse  hinter  der  Scene  vor- 
gehen, und  meist  nm*  deren  Wirkungen  und  Folgen  sich  auf  der 
Bühne  in  den  Situationen  reflectiren.  Bei  Plautus,  wo  die  dra- 
matische Bewegung,  die  arbeitende  Fabel,  in  vollem  Gang  ist 
(das  „properare"),  kommt  die  Erzählung  kaum  zu  Worte.  Danach 
wäre  auch  hier  die  scheinbar  grössere  Kunst  des  Terentius  im 
Gnmde  nur  eine  dramatische  Schwäche;  jedenfalls  nur  das  Ver- 
dienst einer  den  griechischen.  Vorbildern  getreulichst  nachlebenden 
Komödienforra. 

In  Betreff  der  Andria  lässt  Terentius  seinen  Prolog  nur  den 
Vorwmf  ablehnen,  dass  er  durch  Benutzung  zweier  Komödien  von 
Menander,  der  Andria  und  Perinthia,  ein  gefälschtes  und  bunt- 
scheckiges Werk  zu  Stande  gebracht  (contaminari  non  decere  fa- 
bulas).  Aus  dem  Lustspiel  selbst  mag  erhellen,  ob  der  Dichter 
den  Von\Tirf  entkräftet  und  beseitigt  hat. 

Gang  und  Inhalt  des  Stückes  sind  in  Kürze  wie  folgt:  Gly- 
cerium,  die  vermeintliche  Schwester  einer  aus  der  Insel  Andros 
nach  Athen  übergesiedelten,  und  vor  Kurzem  verstorbenen  He- 
täre, ist  von  Pamphilus,  dem  Sohne  des  Bürgers  Simo  zu  Athen, 
schwanger.  Der  Alte,  der  nur  von  einem  Liebschaftsverhältniss 
seines  Sohnes  mit  Glycerium,  nicht  aber  von  dem  Zustande  des 
Mädchens  unterrichtet  ist,  wiU  ihn  mit  der  Tochter  seines  alten 
Freundes  und  Nachbars.  Chremes,  verheii'athen,  die  ein  anderer 
Jüngling,  Charinus,  liebt.  Die  komische,  von  Davus,  dem 
Hausdiener  des  Simo,  gefädelte  Intrigue  dreht  sich  um  allerlei 
Nothlisten,  die  Vermählung  seines  jungen  Herrn  mit  des  Nach- 
bars Tochter  hinzuhalten,  kurz,  um  das  ziemlich  kahle,  an  komi- 
schen Verwickelungen  wenig  ergiebige  Notlmiittel:  Kommt  Zeit 
kommt  Rath.  Der  Notlibehelf  wird  gleich  vorweg  in  die  grösste 
Verlegenheit  durch  die  Nötlien  der  Glycerimn  gesetzt,  für  welche 
ihre  Dienerin  schon  die  Hebamme  besorgt.  Nachdem  Davus  die 
erste  Kunde  von  der  beabsichtigten  Vermählung  des  Pamphilus 
durch  dessen  Vater,  den  alten  Simo,  erhalten,  spricht  er  seine 
Verlegenheit  in  einem  Monologe  aus  (I,  3.),  wobei  wir  zugleich 
den  Ausgang  und  Tnlialt  des  Stückes  erfahren.  Vorläung  nur 
als  ersonnene,  von  Paiiipliilus  und  seinem  Liebchen  ausgedachte 
[ntrigue;  dass  nämlich  Glycerium  ein  freigeborenes  Bürgermäd- 
chen aus  Athen  sev.  «leren  Vater,  ein  alter  Ihmdelsmann,  mit  der 


576  Die  römische  Komödie. 

Kleinen  bei  der  Insel  Audros  Schiffbruch  gelitten.  Der  Vater 
sey  umgekommen,  das  älternlose  Töchtercheu  aber  gerettet  und 
in  dem  Hause  jener  Hetäre  als  deren  Schwester  erzogen  worden, 
welche,  wie  schon  gemeldet,  aus  Andros  nach  Athen  übergesie- 
delt war.  Das  erzählt  nun  Davus,  als  ausgehecktes  Märchen, 
woran  er  nicht  glaube,  das  aber  der  Verlauf  und  Ausgang  der 
Komödie  als  reine  Wahrheit  ausweist.  Davus  spricht  also  ge- 
mssermaassen  den  Monolog  als  Prolog,  zwar  als  ungläubiger  Pro- 
log, dem  aber  das  Publicum  doch  glaubt.  Ob  eine  solche,  statt 
des  Prologs  von  einer  Spielperson  dem  Publicum  unter  den  Fuss 
gegebenen  Andeutung  über  den  Inhalt  der  Komödie  ein  Kunst- 
behelf oder  Nothbehelf  ist,  bleibt  mindestens  zweifelhaft,  von  der 
ünwahrscheinlichkeit  abgesehen,  dass  eine  von  den  Betheiligten 
ausspintisirte  Intrigue  (et  fingunt  quandem  inter  se  nunc  falla- 
ciam),  als  die  wirkliche  des  Stückes  verläuft.  Der  erste  Act 
schliesst  mit  der  Scene  zwischen  der  Dienerin  Mysis,  die  auf 
dem  Wege  nach  einer  Hebamme  ist,  und  Pamphilus  in  der  Klemme 
zwischen  einer  im  Anzug  begriffenen,  ihn  beglückenden  Vater- 
schaft und  der  ihm  drohenden,  verhassten,  noch  heute  stattfinden- 
den Hochzeit, 

Der  zweite  Act  führt  den  andern  Jüngling,  den  Charinus, 
der  die  dem  Pamphilus  zugedachte  Braut  liebt,  mit  seinem  Die- 
ner, Birria,  herbei.  Beide  rathlos.  Pamphilus  kommt  hinzu: 
„dir  nah'  ich  mich",  redet  Charinus  den  Freund  an,  „um  Hoff- 
nung, Rettung,  Hülfe,  Rath  bei  dir  zu  suchen."  Worauf  Pam- 
philus: „Ich  weiss  mir  selbst  nicht  ßath."  Er  weiss  von  Chari- 
nus' Herzleid  nichts,  und  als  er  danach  fragt,  lässt  Terentius  den 
Jüngling  seinen  Diener  Birria  leise  bitten:  Er  sey  zu  blöde,  um 
es  dem  Pamphilus  zu  gestehen,  „Sag  du's  ihm,  Birria;  ich  bitte 
dich!"  Ein  anmuthiger  Zug;  aber  so  verschämt  mädchenhaft  und 
zartsinnig  lässt  Tereuz  mitunter  auch  Jünglinge  sprechen,  die  ein 
regelrechtes  Liebesverhältniss  mit  Hetären  haben.  Pamphilus 
giesst  dem  feinen  Jüngling  Balsam  in's  Gemüth  mit  den  Wor- 
ten: „Weit  melir  wünsch'  ich  der  Heiratli  zu  entgehen,  als  du 
sie  nur  begehren  magst."  Des  Charinus  Bitte,  die  Heirath  um 
einige  Tage  aufzuschie))en,  macht  der  athemlos  mit  einer  guten 
Nachricht  her1)eieilende  Davus  überffüssig:  Chremes  venveigert 
die  Tochter,  wegen  Pamphilus'  Verhältniss  mit  Glycerium.   Beide 


Terentius.     Andria.  577 

Jünglinge  hinimelfi-oh  darüber.  Nun  aber  Davus'  Rath  und  Notb- 
behelf,  als  er  mit  Pampliilus  allein  blieb?  Panipbilus  soll  schein- 
bar in  die  Heirath  mit  Chremes'  Tochter  willigen,  damit  der  Vater 
keine  Schritte  gegen  Glycerium  thue.  Zeit  gewonnen,  Alles  ge- 
wonnen. „Indessen  trifft  vielleicht  sich  etwas  Günstiges."  Ein 
Plautinischer  Servus  würde  seinen  Collegen  Davus  mit  seinem 
„Indessen"  und  „Vielleicht"  auslachen.  Das  Nächste,  was  sich 
indessen  trifft,  ist  die  von  Charinus'  Diener,  dem  Birria,  zufällig 
behorchte,  von  Pamphilus  seinem  Vater  zugesicherte  Bereitwillig- 
keit zu  der  Vermählung  mit  Chremes'  Tochter.  Ein  Donnerschlag, 
den  Birria  auch  sofort  seinem  jungen  Henii  überbringt.  Ein  so 
wohlfeiles  Missverständniss,  behufs  der  Knotenschürzung,  würde, 
im  Vorbeigehen  gesagt,  ein  heutiges  Lustspiel  ablehnen  müssen, 
üeberhaupt  spielen  Behorchungen  eine  Hauptrolle  in  den  Komö- 
dien des  Terenz,  als  stehender  Behelf,  um  die  Handlung  vorwärts 
zu  bringen,  und  neue  Incidenzen  von  Verwickelungen  und  Miss- 
verständnissen anzuknüpfen.  Dafür  ist  aber  der  Dialog  von  mu- 
sterhafter Lebendigkeit  und  einer  Bewegtheit,  die  der  Handlung 
immer  um  eine  Nasenlänge  voraus  ist.  Die  Figuren  sind  treff- 
lich gezeichnet  und  bis  auf  die  berührte  Unverträglichkeit  von 
gemüthlichem  Biedersinn  bei  Ränke  spinnenden  Sklaven,  die 
Charaktere  naturgetreu,  und  durchaus  komödienhaft  in  Ton  und 
Gebahren.  Der  alte  Simo  z.  B.,  der  es  an  Schlauheit  mit  dem 
ihn  täuschenden  Davus  aufnimmt,  ist  eine  Eigur  aus  dem  Leben. 
Der  dritte  Act  whnmelt  von  Behorchuugeu.  Simo  behorcht 
die  Magd  und  Hebamme  der  Glycerium  und  erfährt  dabei  von 
seiner  unverhofften  Grossvaterfreude.  Aber  der  Alte  legt  sich  auf 
die  schlaue  Seite,  und  hält  die  Kindesnöthen  für  Verstellung;  er- 
funden, um  Chremes,  den  er  herumzuholen  auf  bestem  Wege  ist, 
abzuschrecken.  Sein  lauschendes  Ohr  trifft  ein  Kindesnöthenschrei. 
Glycerium  stösst  ihn  aus,  die  im  Hause,  hinter  der  Scene,  den 
stehenden  Nothruf  der  ehrbaren  Bürgermädchen  und  Freigebornen 
der  römischen  Komödie  in  solchen  Lagen  hören  lässt:  „0  Juno 
Lucina,  hilf  mir,  oh,  rette  mich!"  Der  Alte  vernimmt  das,  und 
meint,  der  Schlaukopf:  „Ei.  so  geschwind?  Das  ist  doch  spass- 
haft!  So  bald  sie  hörte,  dass  ich  vor  der  Thüre  sey,  beeilt  sie 
sich.  0  Davus,  hier  hast  du  in  der  Zeit  dich  verrechnet!"  Da- 
vus, der  den  Alten  belauscht,  begreift  nicht  gleich.  „Fürwahr", 
n.  •  37 


578  ^^^  römische  Komödie. 

sagt  er  für  sich,  „diessmal  betrügt  er  selbst  sich,  ich  nicht  ihn", 
und  benutzt  diese  Selbsttäuschung  des  Alten,  indem  er  ihn  darin 
bestärkt:  die  Hebamme  habe  der  verstellten  Wöchnerin  ein  Knäb- 
lein  untergeschoben.  Simo  möchte  nur  rasch  tue  Hochzeitsange- 
legenheit betreiben,  bevor  man  ihm  das  Kind  vor  die  Thür  legt. 
Der  Lügner  baut  auf  das  fait  accompli,  das  nicht  wegzuläugnen, 
und  die  Heirath  doch  hintertreiben  muss.  Etwas  Wesentliches 
gewinnt  er  mit  dem  neuen  Trug  freilich  nicht;  im  günstigsten 
Falle:  die  Galgenfrist  aufgeschobener  Prügel.  In  der  nächsten 
Scene  wird  Chremes  von  Simo  wirklich  hermngeholt,  mit  der  Ver- 
sicherung, die  Liebenden  hätten  sich  entzweit,  was  er,  Simo,  von 
Davus  selber  wisse,  der  dazu  kommt,  und  es  bestätigt.  Simo  be- 
lobt den  Knecht  imd  nimmt  seine  schlechte  Meinung  von  ihm 
zurück,  da  sich  Davus  so  gut  bewährt;  es  &ey  „ein  braver  Kerl." 
Dass  der  geriebene  Alte  sich  selbst  so  hinter's  Licht  führen  hilft, 
ist  vortrefflich,  mid  würde  noch  wirksamer  seyn,  wenn  Davus 
einen  stetigen  Plan  verfolgte,  und  nicht  so  aus  der  Hand  in  den 
Mund  löge.  Auch  der  jetzt  erfolgte  Rückschlag  auf  Davus, 
nachdem  er  die  von  Chremes  erlangte  Zustnnmung  zur  Hochzeit 
erfahren,  würde  noch  drastischer  treffen,  wenn  sein  Lügengebäude 
nicht  so  gelegentlich  vom  Zaun  gestoppelt  erschiene.  Nun  ist 
Davus'  rathlose  Verlegenheit  auf  dem  Gipfel:  „Ich  habe  diess 
Gewirr  herbeigeführt.  0  welche  Schlaulieit!  hätt'  ich  mich  ruhig 
imr  verhalten,  so  wäre  dieses  Unglück  nicht  geschehen."  Eine 
brave  Selbstkatechisirung  zu  Nutz  und  Frommen  der  Sklavenge- 
nossenschaft; allein  ungeschicktes  Intriguiren  verdirbt  die  Komö- 
die, und  bessert  doch  den  Sklaven  nicht.  Da  führt  der  Dämon 
noch  den  Pamphilus  daher:  Davus  ist  des  Todes.  Er  sieht  sich 
nach  einem  Orte  um,  „von  dem  herab  er  sich  den  Hals  abstürzen 
könnte."  So  ganz  hat  er,  ohne  Abstm-z,  den  Kopf  verloren,  dass 
er  das  fait  accompli  vergisst,  das  doch  das  wirksamste  Ab- 
schreckungsmittel für  Cln-emes  ist.  Obgleicl)  Davus  durch  die 
Stegreif-Lüge  vom  untergeschobenen  Kinde  dem  Mittel  die  Spitze 
abgebrochen,  so  kann  es  doch  noch  die  Partie  rückgängig  machen, 
da  es  den  Verdaclit  bei  Chremes  immer  bestehen  lässt,  das 
Kind  könne  von  Pamphilus  seyn.  Trotzdem  tinden  wir  Davus 
die  beiden,  durch  die  bevorstehende  Hochzeit  des  Pamphilus  mit 
der  Geliebten  des  Charinus  um    die  Wette  verzweifelnden  Jung- 


Anclria.     Behorclmn^'S-Iiitrigue.  579 

linge,  noch  im  Beginn  des  vierten  Actes,  mit  Ungewissen  Ver- 
tröstmigen  auf  einen  neuen  Plan  hinhalten,  der  ihm  nur  bis  jetzt 
noch  nicht  einfallen  will.  „Als  Sklav  bin  ich  vei-pflichtet,  Pam- 
philus,  mit  Hand  und  Fuss,  Tag  und  Nacht,  für  dich  zu  ster- 
ben, selbst  Gefahr  des  Lebens  nicht  zu  scheuen,  wenn  ich  dir 
nur  nützen  kann."  Edler  Sklav!  Rathloser  Verlegenheits-  statt 
Gelegenheitsmacher,  aber  wacker.  Er  geht  für  seinen  Herrn  ins 
Feuer,  wüsste  der  Brave  nur  wie?  Oder  wollte  das  Feuer  doch 
wenigstens  ihm  auf  lialbem  Wege  entgegen  kommen.  Ein  Diener 
des  Plautus  hätte  das  Feuer  erfunden,  und  wäre  schon  durch 
dasselbe  gegangen,  ohne  dass  sein  Lügenmaul  überliefe,  wess  sein 
biederes  Herz  voll  ist.  Endlich,  nach  einer  ziemlich  überflüssigen 
Scene  zwischen  ihm,  den  verzweifelnden  Jünglingen  und  der  von 
Pamphilus  getrösteten  Magd  der  Wöchnerin,  hat  Davus  den  Plan 
beim  Zipfel.  Er  holt  das  neuge])orene  Kind  heraus,  mn  es  vor 
Sirao's  Thür  von  der  Magd  hinlegen  zu  lassen.  Was  soll's  mit 
dem  für  untergeschoben  von  Davus  selbst  ausgegebenen  Kinde 
vor  Simo's  Hausthür?  Der  Plan  ist  blind  geboren,  und  hat  nicht 
Hand  noch  Fuss.  Ein  Glück,  dass  ein  besserer  Planmacher  den] 
Anschlag  des  wackern  Davus  unter  die  Arme  greift:  Gott  Zufall, 
der  den  alten  Chremes  herbeiführt.  „Nun  muss  ich",  ruft  Davus, 
..meinen  frühern  Plan  verwerfen",  und  thut,  als  kam'  er  von  einer 
andern  Seite,  da  eben  Chremes  das  Kind  vor  Simo's  Hausthür 
erblickt.  Davus  stellt  sich,  als  sah'  er  den  Alten  nicht,  fährt 
auf  die  erschrockene  Magd  los  und  ängstet  ihr,  in  einem  komiscli 
peinlichen  Verhör,  den  Namen  von  des  Kindes  Vater  ab,  wo  die 
Aparte's  von  Seiten  des  verblüfften  Chremes  nicht  felüen,  der  nun 
das  corpus  delicti  vor  sich  sieht,  und  die  Unmöglichkeit  der  Ver- 
bindung des  Pamphilus  mit  seiner  Tochter.  Davus  torquirt  die 
Magd  mit  der  Unterscliiebung  des  Kindes,  bis  zur  eidliclien  Be- 
theuerung  der  vor  Sclireek  und  Staunen  Erstarrten:  dass  Pamphilus 
der  Vater  ist.  Jetzt  kann  Davus  den  Chremes  erst  bemerken; 
dieser  weiss  genug  und  eilt  hinein  zu  Simo,  um  ihm  den  Handel 
aufzusagen.  Die  geschilderte  Scene  wäre  musterliaft  und  von 
wii'kungsvoller  Komik  ohne  die  Zerfahrenheit  in  Davus'  Anschlä- 
gen, und  wenn  es  nicht  am  Ende  doch  nur  eine  Stegreif-Situation 
wäre,  die  auf  das  zufällige  Erscheinen  des  Chremes  und  dessen 
heimliches  Behorchen  berecliiK't  und  angeh'gt  ist. 


580  Die  römische  Komödie. 

Zum  Glück  für  Davus'  Rücken,  auf  dem  sonst  der  Knoten 
müsste  zerhauen  werden,  kommt  Gastfreund  Crito  aus  Andros 
zur  rechten  Zeit  dazwischen,  der  die  nöthigeu  Aufschlüsse  über 
Glycerium's  Herkunft  giebt,  von  welcher  wir  bereits  durch  den 
prologischem  Monolog  (I,  3.)  unterrichtet  sind,  bis  auf  den  Um- 
stand, dass  Glycerium's  Vater,  jener  alte  Handelsmann,  der  im 
Schiffbruch  vor  Andros  mngekommen,  des  Chremes  Bruder  war, 
Glycerimn  mithin  die  Nichte,  und  das  Neugeborene  der  Gross- 
ueffe.  Die  Nichte  kann  nun,  unbeschadet  der  Wöchnerin,  sich 
in  Ehren  mit  Pamphilus  vermählen,  Chariuus  die  Geliebte  zur 
Frau  erhalten,  und  Pamphilus  für  den,  auf  Simo's  Befehl,  in  Fes- 
seln gelegten  Davus  Verzeihung  erbitten. 

Ziehen  wir  die  Simime  der  Vorzüge  und  Mängel  dieser  ersten 
Komödie  des  Terentius,  so  erhalten  wir:  eine  Verwickelung  von 
fraglichem  Werthe;  eine  Entwickeluug,  die  in  Betracht  ihrer  Aus- 
kunftsfigur, des  improvisirten  Knotenlösers,  Crito,  welcher,  wie  zu 
diesem  Zwecke,  unversehens  hergereist  kommt,  entschieden  ver- 
fehlt genannt  werden  muss;  ein  paar  gute,  schlagfertige  Scenen 
von  komischer  Wirkung,  deren  volle  Schlagkraft  jedoch  dm"ch  die 
haltlose  Motivirmig  und  die  Planlosigkeit  des  intriguirenden  Die- 
ners wesentlich  beeinträchtigt  wird;  einen  vorzüglichen  Dialog; 
die  Figur  des  Sinio,  mit  Meisterhand  gezeichnet.  Wie  viel  von 
allem  dem  auf  Rechnung  des  ganzen  oder  des  halben  Menander 
kommt,  steht  dahin.  Weniger  zweifelhaft  möchte  der  Fehlversuch 
scheinen:  den  halben  Menander  zum  ganzen,  durch  die  Verflech- 
tung eines  zweiten  Menandrischen  Stückes  mit  der  Andria-Fabel, 
zu  vervollständigen.  Denn  der  Charinus  mit  seiner  Liebestrübsal 
erscheint  als  völlig  episodisch,  wo  nicht  überflüssig.  So  ganz 
unrecht  hätte  also  des  Terentius'  Widersacher  aus  Gewerbsneid, 
der  Luscius  Lavinius,  mit  seinem  Tadel  der  contaminatio  doch 
nicht.  Man  muss  auch  von  seinem  Feinde  guten  Rath  annehmen. 
„Lehrt  mich  der  Fremid,  was  ich  kann,  lehrt  mich  der  Feind, 
was  ich  soll."  Dieser  Spruch  war  zu  Terentius'  Zeit  zwar  noch 
nicht  bekannt;  könnte  aber  dreist  einen  P^hrenplatz  unter  den 
goldenen  Sprüchen  einnehmen,  womit  die  Komödien  des  Teren- 
tius so  reich  ausgestattet  und  geschmückt  sind. 

Die  Seh  wiegermutter  ^Hecyra).  Es  kommen  zwei  Schme- 
germüttcr    in   dieser    Komödie    vor;    doch    ist    vorzugsweise   die 


Terentius.     Hecyra.  581 

Schwiegermutter  der  Frau,  die  Mutter  des  Mannes  gemeint,  was 
e/.vQcc  im  Griechischen  auch  bedeutet.  Vom  Missgeschicke  die- 
ser dem  Apollodorus  nacligebikleten  Komödie  war  schon  oben  die 
Eede.  Sie  fiel  zweimal  durch.  Das  erste  Mal  an  den  Megalen- 
sischen  Spielen,  unter  der  Theaterleitung  der  Curulisclien  Aedileii 
Cn.  Corn.  Dolabella  und  Sext.  Jul.  Caesar,  und  dem  Consulat  des 
Cn.  Octavius  und  T.  Manlius  5S8  d.  St.  Die  Musik  zu  den  Cant. 
hatte  wieder  Flaccus  componirt  und  für  die  gleiche  Doppelflöte 
(tibiis  par.)  gesetzt.  Das  Stück  koimte  nicht  zu  Ende  gespielt 
werden,  wie  der  Prolog  zur  zweiten  Auffühi'ung  -  ein  erster  ist 
nicht  vorhanden  —  schonend  gegen  Stück  und  Publicum  be- 
merkt: „p]s  konnte  nicht  gesehen  und  beurtheilt  werden,  so  hatte 
seinen  Sinn  das  Volk  in  staunender  Bewunderung  einem  Tänzer 
zugewandt"  fita  populus  studio  stupidus  in  funambulo  animum 
occuparat). 

Die  zweite  Aufführung  fand  in  demselben  Jahre  an  den 
Leichenspielen  'ludis  funebribus)  des  Paulus  Aemilius  statt,  mit 
keinem  günstigeren  Erfolge,  worüber  der  treffliche  Schauspiel- 
Director,  Lucius  Ambivius  Turpio,  im  dritten  Prologe  klagt:  „Ich 
fing  nun  an,  bei  diesem  neuen  Stücke  meine  altgewohnte  Weise 
anzuwenden,  dass  ich's  noch  einmal  versuchte.  Ich  gab's  von 
neuem.  Im  ersten  Act  erwarb  ich  Beifall,  als  sich  inzwischen 
das  Gerücht  verbreitete,  dass  ein  Gladiatorspiel  gegeben  werden 
würde.  Das  Volk  stürmt  hin,  man  lärmt,  mein  schreit',  man 
schlägt.  Inzwischen  könnt'  ich  meine  Stelle  nicht  behaupten" . .  . 
L.  Ambivius  Turpio,  die  Perle  aller  Schauspieldirectoren ,  liess 
sich  nicht  abschrecken  und  brachte  sie  zum  dritten  Mal  589 
d.  St.  auf  die  Bühne.  Placuit,  meldet  die  Didaskalie:  „sie 
gefiel". 

Sehen  auch  wir  nun,  ob  wir  dem  placuit  zustimmen  können. 
Uns  zieht  kein  Seiltänzer,  kein  Fechter  noch  Faustkämpfer  ab. 
Wir  sind  in  der  Lage,  dem  Stücke  eine  unbefangene  Prüfung  an- 
gedeihen  zu  lassen. 

Pamphilus  hat  dem  Wunsche  seines  Vaters  Lach  es,  sich 
mit  Philumena,  der  Tochter  seines  Nachbars,  Phidippus,  zu 
vermählen,  nachgegeben,  mit  schwerem,  von  leidenschaftlicher 
Liebe  für  seine  Maitresse,  die  Buhlerin  ßacchis,  erfülltem  Her- 


5g2  ^^^  römische  Komödie. 

zen.  Seine  junge  Frau  lebt  in  dem  Hause  seiner  Eltern,  nicht 
anders  als  ein  jungfräuliches  Mädchen  in  dem  Hause  ihrer  Eltern 
lebt:  sie  blieb  unberührt  vom  Manne,  der  seine  Besuche  bei  der 
Bacchis  fortsetzt.  Diese  begegnet  ihm  aber  unfreundlich  und 
trotzig.  Sein  Herz  wendet  sich  desshalb  von  der  Maitresse  ab,  zu 
Gunsten  seiner  Frau,  die  ihre  Schmach  und  Kränkung  still  und 
entsagungsvoll  erträgt.  So  erzählt  sein  Diener,  Parmeno,  der 
Philotis,  einer  Freundin  und  Genossin  der  Bacchis  (I,  2):  „die 
Frau  war  so,  wie  man  bei  edlem  Herzen  seyn  muss,  keusch,  be- 
scheiden, trug  von  ihrem  Manne  jegliche  Beleidigung  und  alles 
Um-echt,  und  verdeckte  jede  Schmach.  Von  Mitleid  mit  der  Gat- 
tin theils  durchdrungen,  theils  durch  die  Ungerechtigkeit  der 
Bacchis  getrieben,  wandte  sich  sein  Herz  albnälich  von  der  Bacchis 
ab.  Er  trug  die  Liebe  nun  auf  seine  Gattin  ü))er,  da  er  bei  ihr 
ein  Herz  dem  seinen  gleich  fand"  .  .  .  Nur  die  Liebe  nicht,  die 
er  für  die  Baccliis  fühlte,  und  überwunden  zu  haben  glaubte: 
Philumena  bleibt  nach  wie  vor  das  jungfräuliche  Mädchen  in  dem 
Hause  ihrer  Schwiegereltern,  das  sie  ])ei  iliren  Eltern  gewesen. 
Wie  erklärt  der  Dichter  diese  auffällige  Ersclieinung?  Sein  Par- 
meno motivirt  es  mit  einer  plötzlichen  Abreise  des  Pamphilus, 
der  unverzüglich  nach  Imbrus  eilen  musste,  mn  eine  Erbschaft 
zu  beheben.  „Ganz  wider  Willen  trieb  der  Vater  nun  den  Pam- 
phUus,  den  liebenden,  dahin".  Die  nun  geliebte  Frau  bleibt  bei 
seiner  Mutter,  Sostrata;  der  Vater  hat  sich  aufs  Land  zurück- 
gezogen. Jetzt  bricht  zwischen  den  beiden  in  der  Stadt  allein  ge- 
bliebenen Frauen,  der  Schwiegertochter  und  der  Schwieger- 
mutter (flecyra;,  Unfrieden,  Hass  und  Feindschaft  aus,  ohneAn- 
lass,  ohne  Grund.  Inzwischen  beginnt  die  junge  Frau  —  fährt 
Parmeno  in  seinem  Berichte  fort  —  „aufs  bitterste  die  Sostrata 
zu  hassen,  und  doch  niemals  Zank,  keine  Beschwerde".  Die 
Schwiegertochter  läuft  der  Schwiegermutter  davon,  die  ihr  nichts 
zu  Leide,  vielmelu-  alles  zu  Liebe  thut,  und  zu  ihren  Eltern  zu- 
rück -  Niemand  weiss  warum.  Die  Schwiegermutter  verlangt 
wiederholt  und  aufs  liebreichste  die  Entlaufene  von  den  Eltern 
zurück:  sie  kommt  nicht.  Die  Schwiegermutter  geht  nun  selbst 
hinüber,  um  die  Schwiegertochter  zurückzuholen;  sie  wird  nicht 
vorgelassen:  Philumena,  heisst  es,  sey  krank.  Diese  erzählte 
Exposition  füllt  den  ersten  Act,  der  dadurch  zu  einem  von  aller- 


Hecyra.     Wunderliche  PJhe- Krankheit.  583 

lei  Querfragen  unterbrochenen  Prologe  wü'd,  welche  eine  Philotis, 
eine  eigens  hiefür  erfundene  Buhlerin,  dazwischenwiift,  die  in  dem 
Stücke  weiter  nicht  vorkommt,  mit  Handlung,  Verlauf,  Intrigue. 
nicht  das  Mindeste  7a\  schaffen  hat  und.  nach  Erledigung  ilirer 
Zwischenfragen,  aus  der  Komödie  verschwindet.  Ein  solcher  Ex- 
positions-Act  mit  einer  solchen  Fragezeichen -Figur  wäre  heut- 
zutage sehr  fraglich,  selbst  wenn  letztere  eine  ehrbare  Person 
wäre. 

Hören  wir,  was  der  zweite  Act  bringt.  Zunächst  eine  erste 
Scene  zwischen  dem  mittlerweile  vom  Land  zurückgekehrten  Laches 
und  seiner  Frau  Sostrata,  die  allein,  und  zwar  in  ihrer  Qualität 
als  Schwiegermutter,  das  ganze  Unwesen  im  Hause  verschuldet 
haben  muss.  „So  hassen  die  Schwiegermütter  allzusammen  ihre 
Schwiegertöchter",  schilt  der  Alte.  Die  arme  unschuldige  Frau, 
ein  wahres  Ideal  von  Schwiegennutter,  mag  dagegen  einwenden, 
was  sie  will.  Die  Scene  konnte  unserem  Schiller  bei  der  ersten 
seines  ersten  Actes  von  Kabale  und  Liel)e,  zwischen  Geiger  Miller 
und  Ehefrau,  vorgeschwebt  haben.  Der  Laches  hat  in  seiner  zu- 
fahrenden Barschheit  ein  Korn  vom  Stadtmusicus  Miller,  nur  so 
grob  ist  er  nicht,  sondern  Terentianisch  unwirsch,  glimpflich  rauh, 
fein  gi'ob,  anständig  grob,  manierlich  grob,  mit  attisch-patricischem 
Geschmack  und  zierlicher  Würde.  Seine  Widerborstigkeit  ist  die 
eines  Seidenhasen;  nicht  wie  Schiller's  deutscher  Musikant,  der 
sein  Violoncell  an  dem  Hirnkasten  seiner  Frau,  der  „alten 
Heulh"  —  entzweischlagen  will.  Mit  demselben  gelinden  Unge- 
stüm fordert  Laches  von  Philumena's  Vater,  Phidippus,  der  in- 
zwischen eingetreten,  die  angeblich  kranke  Schnui'  zurück.  Phi- 
dippus, als  Schwäher  die  Contraftgur  zu  Laches,  schützt  sein  „von 
Natur  weiches  Herz"  vor,  das  „den  Seinigen  nicht  zuwider  seyn 
kann",  die  nun  einmal,  Mutter  wie  Tochter,  auf  ihrem  Sinn  be- 
ständen, dass  nämlich  Philumena  ihre  Krankheit  bei  der  Mutter 
pflegen  soll,  nicht  bei  der  Schwiegermutter.  Was,  um  aller 
Schwiegermütter  willen,  was  für  Krankheit  mag  das  nur  sejii? 
fragt  der  Leser.  Der  nach  weltliche  Leser,  denn  der  Zuschauer 
der  Hec}Ta  sitzt  längst  beim  Seiltänzer,  an  dessen  Verwickelun- 
gen und  Entwickeluugen  der  Glieder  er  mit  gaffendem  Staunen 
studio  stupidus;  sich  ergötzt,  und  dessen  Künste  ihm  kunst- 
gerechter  erscheinen,    als  diese    vorkannte   Schwiegermutter   und 


584  L*ie  römische  Komödie. 

diese  ki-anke  Schwiegertochter,  über  deren  Verkannt-  und  Krank- 
seyn  der  erste  und  nun  auch  der  zweite  Act  noch  immer  in  der 
Schwebe  lässt. 

Im  dritten  ist  der  Erbe  in  partibus,  unser  Pamphilus,  wie- 
der heimgekehi-t,  natürlich  ohne  Erbschaft.  „Nun  sag',"  fragt  ihn 
beim  Willkonmi  sein  Vater  Laches,  „was  hat  uns  unser  Vetter  hin- 
terlassen?" —  Uns,  meint  der  Sohn,  so  viel  wie  nichts,  aber  sich 
hat  der  Vetter  „den  Euhm  hinterlassen:  Er  lebte  gut  so 
lang  er  lebte":  Vixit  dum  \ixit  bene.  Diesen  Euhm  und  die- 
sen goldenen  Spruch  hat  uns  der  Vetter  vermacht.  Zum  Geier 
mit  den  goldenen  Sprüchen,  denkt  der  Alte,  wenn  kein  anderes 
Gold  dahinter  ist,  als  Komödiengold,  das  eben  nur  gieisst,  wie 
das  Gold  der  Komödien-Sprüche  und  schönen  Sentenzen,  hinter 
denen  keine  Komödie  ist.  Das  denkt  der  Alte,  drückt  es  aber 
milder,  urbauer  aus:  „Hast  du  denn  gar  nichts  mitgebracht  als 
diesen  Spruch  allein?"  Tum  tu  igitur  nihil  attulisti  huc  plus 
una  sententia?  (III,  5j.  Und  der  Komödie  —  so  fragen  wir  — 
was  hat  Pamphilus  der  Komödie  mitgebracht?  Welche  Auf- 
schlüsse, oder  welche  neue  Verwickelung?  Eine  betrübsame  Figur 
hat  er  mitgebracht,  eine  gar  nicht  lustspielmässige  Figm-;  für  die 
weinerlichste  Kühr-Komödie  noch  viel  zu  larmoyante  Figur.  Der 
Zvdst  zwischen  der  theuern  Gattin  und  seiner  verehrten  Mutter, 
die  Entfernung  des  geliebten  und  unberührten  Weibes,  die  ge- 
heimnissvolle Krankheit  —  „0  weh  mir  Armen!"  —  wimmert  er 
—  „Ist  jemand  auf  der  Welt  gleich  mir  unglücklich?  .  ,  .  Wenn 
ich  es  so  gefunden  habe,  was  bleibt  mir  in  Zukunft  weiter  noch 
als  Elend?"  .  .  .  Umsonst  erschöpft  sich  Parmeno,  sein  Diener, 
in  Trostzusprüchen.  Parmeno  ist  keiner  von  den  Plautinischen 
Väterprellern  und  Tntriguenschelmen,  die  so  lästerlich  komische 
Verwickelungen  anzettehi,  so  verrucht  ergötzliche  Lustspielknoten 
schürzen  aus  gedrehten  Väternasen.  Parmeno  ist  nicht  der  Haus- 
sklave, wie  er  ist,  und  durch  Gewerbe  und  Entwürdigung  seyn 
muss,  als  welchen  ihn  die  Plautinische  Komödie  ihrem  Publicum 
zur  Erkenntniss  bringt,  und  gleichsam  in  den  Sehpunkt  seiner  Be- 
herzigung rückt,  beleuchtet  vom  hellsten  klarsten  Licht.  Par- 
meno ist  der  Haussklave,  wie  er  sein  müsste,  wenn  er  kein  Haus- 
sklave wäre ;  rein  von  allen  Fehlern,  die  ein  Lustspiel  ergötzlich 
machen,  folglich  Tugenden  des  Lustspiels  sind.    Parmeno  ist  frei 


•    Hecyra.     Monolog  des  Paiupliilus.  585 

von  solchen  Lastern,  bis  auf  ein  paar  kleine  Fehlerchen,  die  aber 
nicht  im  mindesten  lächerlich  sind,  wie  z.  B.  eine  ganz  müssige 
für's  Lustspiel  gleichgültige  und  daher  lästige  Geschwätzigkeit; 
ein  klein  bischen  Neugierde  von  beträchtlicher  Langweiligkeit; 
etwas  weniges  Faulheit,  aber  keine  von  der  lästigen  Sorte,  son- 
dern von  der  unbescholtensten  breitträschigsten  Bethulichkeit, 
ohne  Spur  von  Komik.  Dieser  ungesalzene  Bedientenhäring  passt 
zu  einem  jungen  Herrn,  der  salzlose  Thränen  scheffelweis  ver- 
giesst,  man  weiss  nicht,  ob  wegen  der  abgedanlden  Maitresse, 
oder  um  die  entlaufene  kranke  Frau,  oder  um  den  Vetter,  der 
einen  goldenen  Spruch  als  ganze  Erbschaft  hinterlassen,  oder  ob 
der  Jammer  seinem  Strohwittwerthume  gilt,  von  thränennassem 
Stroh.  Glücklicherweise  wird  die  lamentable  Scene  (III,  1)  von 
einem  dankenswerthen  Geräusch  im  Hause  der  Schwiegermutte]" 
wohlthuend  unterbrochen.  Pamphilus,  horchend:  „Ich  bin 
verloren."  —  Farmen.  „Wie  so?"  —  Pamphil.  „Ich  bin  ver- 
nichtet." —  Farm.  „Warum?"  —  Famph.  „Gewiss  verbergen 
sie  ein  grosses  Unglück  mir."  —  Farmen.  „Sie  sagten,  deine 
Gattin  leide  an  Beängstigung"  (pavitare,  nescio  quid  dixerunt).  — 
Famph.  „0  weh,  wesswegen  hast  du  mir  das  nicht  gesagt?"  — 
Farmen,  (ungemein  treftend;:  „Weil  ich  nicht  Alles  auf  einmal 
erzählen  konnte."  Famphil.  „Was  ist's  für  eine  Krankheit?"  — 
Farm.  „Ich  weiss  es  nicht."  —  Famphil.  „Wie?  hat  denn 
niemand  einen  Arzt  geholt?"  Farmen.  „Ich  weiss  es  nicht."  — 
Famphilus  will  es  aber  durchaus  wissen,  stürzt  in's  Haus  und 
bald  weder  zurück  auf  die  Strasse,  mit  einem  langen,  unheil- 
schwangern  Monolog,  der  mit  einer  verblüüendeii,  in  den  Hebam- 
men-Annalen  ehelicher  Entbindungsanstalten,  unerhörten  Krank- 
heitsgeschichte niederkommt  (III,  3):  „Als  ich  sie  sah"  (die 
kranke  Fhilumena)  ,,rief  ich:  0  Schändlichkeit!  und  stürzte  wei- 
nend, von  der  schrecklichen  unglaublichen  Begebenheit  zermalmt, 
sogleich  heraus.  Die  Mutter  (der  Fhilumena)  eilt  mir  nach.  Da 
ich  schon  aui"  der  Schwelle  stand,  warf  sicli  die  Arme  wimmernd 
mir  zu  Füssen"  -  hier  kommt  ein  goldner  Spruch,  über  den  wir 
hinwegeilen  „drauf  begann  sie  so  mit  mir  zu  sprechen:  0 
bester  Pamphilus,  du  siehst  den  Grund,  wesswegen  sie  von  dir 
gegangen  ist.  Das  Mädchen  ist  ohnlängst  (vor  neun  Monaten  näm- 
lich) von  einem  unbekannten ,  schlechten  Mann   missliraucht.     Zu 


586  Die  römische  Komödie. 

uns  nahm  sie  nun  ihre  Zuflucht,  um  vor  dir  und  Andern  ihre 
Niederkunft  geheim  zuhalten."  Sie  beschwört  ihn,  seine  Schwie- 
germutter, beschwört  ihn  auf  der  Schwelle  der  Wochenstube,  be- 
schwört ihn  ZAvischen  Thür  und  Angel  —  die  Schande  zu  ver- 
schweigen. Pamphüus  kann  dazu  nur  weinen:  „Wenn  ich  an 
ihre  Bitten  denke,  kann  ich  Armer  mich  der  Thränen  nicht  er- 
wehren." —  „Seitdem",  lässt  Pamphilus'  Monolog  Philumena's 
Mutter  fortfahren  —  „Seitdem  sie  sich  dir  nahte"  (d.  h.  mit 
ihm  verheirathet  ist)  „geht  es  in  den  siebenten  Mond"  ...  Er 
möchte,  um  der  Schande  willen,  die  Vaterschaft  des  Siebenrao- 
natkindes  auf  sich  nehmen:  „Du  hast  davon  nicht  den  gering- 
sten Schaden,  und  verdeckst  das  Unrecht,  welches  jener  Armen 
schmählich  widerfuhr"  .  .  .  Pamphilus  thut  Alles,  was  man  will, 
und  fängt  wieder  an  zu  weinen:  „Ich  weine,  wenn  ich  denke, 
was  fortan  mein  Leben  seyn  wird"  .  .  .  Zur  Vaterschaft  will  er 
sich  vor  der  Welt  bekennen;  er  hat  es  mit  Thränen  versprochen, 
und  was  er  mit  Thränen  verspricht,  hält  Pamphilus,  —  aber  — 
der  Anstand  vor  Allem !  —  „die  Wiederheimführung  seiner  Frau, 
das  wäre  gänzlich  unanständig"  de  reducenda,  id  vero  neutiquam 
honestum  esse  arbitror;  .  .  . 

Darüber  geräth  er  in  Conflict  mit  seinem  Vater  Laches.  Der 
Alte,  hocherfreut  über  den  Siebenmonatsenkel,  besteht  auf  der 
Wiederheimführung  der  Schwiegertochter  nun  um  so  ungestümer. 
Pamphilus  benutzt  das  Zei'würfniss  seiner  Mutter  mit  seiner  Frau 
als  Vorwand  gegen  die  Rückkehr,  Er  liebe  seine  Frau,  er  sehne 
sich  nach  ihr  unbeschreiblich,  aber  die  Mutter  gehe  vor.  Weder 
ist  dieses  Missverständniss  von  Seiten  des  Vaters  komisch,  noch 
kann  es  in  Bezug  auf  den  Sohn,  in  solcher  Lage,  rührend  wir- 
ken; am  wenigsten  kommt  es  der  Mutter  zu  Gute,  die  in  den 
Augen  ihres  Mannes  jetzt  vollends  als  ein  Drache  von  Schwie- 
germutter erscheinen  muss.  Philumena's  Mutter  Myrrhina  ist 
wieder  darüber  miglücklich,  dass  ihr  Mann  Phidippus  den  Kna- 
ben behalten  will,  „dessen  Vater  wir  nicht  kennen."  Denn  ihre 
Tochter,  sagt  sie  in  einem  Selbstgespräch,  konnte,  als  sie  um  ihre 
Unschuld  kam,  im  Dunkeln,  auf  der  Strasse,  die  Gestalt  des  Thä- 
ters  nicht  erkennen.  „Beim  Scheiden  hat  er  mit  Gewalt  dem 
Mädchen  ihren  King,  den  sie  am  Finger  trug,  entrissen."  Ein 
Ring   ~    Gott  sey  Lob  und  Dank     -  der  Ring  bringt  das   fatale 


Hecyra.     Sonderbares  Ehe-Trübsal.  587 

Rührspiel  wieder  in's  Liistspiel-Geleis.    Um  welchen  Preis,   wer- 
den wir  gleich  sehen. 

Der  alte  Laches  verliert  die  Geduld  und  sagt  dem  Sohne 
geradezu  ^IV,  4.):  „Jetzt  hast  du  wiederum  dein  Herz  an  diese 
Buhlerin  gehängt  (die  Bacchis),  und  dieser  dienend,  thust  du  un- 
recht deiner  Frau"  .  .  .  „Das  hat  auch  deine  Frau  gemerkt,  denn 
welchen  andern  Grund  hätte  sie  gehabt,  um  von  dir  wegzuge- 
hen?" Pamphilus  weist  den  Verdacht  zurück;  den  wahren  Grund 
könne  er  nicht  angeben,  und  läuft  davon.  Der  Vater  hält  an  sei- 
nem Argwohn  fest,  und  lässt  die  Baccliis  rufen,  um  diese  in's 
Gebet  zu  nehmen  und  ihr  scharf  wegen  des  Sohnes  zuzusetzen. 
Sie  erscheint.  Der  Alte  lernt  in  ihr  eine  ehrenhafte  Buhlerin 
hoch  schätzen,  die  ihren  Charakter,  unbeschadet  des  Gewerbes, 
„rein  bewahrt"  (V,  i):  Ne  nomen  mihi  quaestus  obstet  apud  te, 
nam  mores  facile  tutor.  Sie  schwört,  dass  sie  Pamphilus,  seitdem 
er  verheirathet ,  fern  gehalten,  begiebt  sich,  die  brave  H— ,  auf 
den  Wunsch  des  Laches,  liineiu  zu  der  Gattin  und  Schwieger- 
mutter ihres  ehemaligen  Geliebten,  um  vor  den  Frauen  den  Schwur 
zu  erneuen,  und  verpflichtet  sich  gegen  Ladies,  bevor  sie  in's  Haus 
geht,  Alles  aufzubieten,  um  Pamphilus  mit  seiner  Frau  auszu- 
söhnen und  deren  Wiederkehr  zu  bewirken.  Eine  curiose  Ent- 
wickelungs-Situation :  Hier  die  Tochter  aus  einem  guten  Atheni- 
schen Bürgerhause;  drinnen  als  Wöchnerin  in  P'olge  eines  sol- 
chen, im  Dunklen  auf  der  Strasse  erlebten  Abenteuers;  dort  eine 
rechtschaffene  Bulildirne,  die  der  Frau  und  Schwiegermutter,  im 
stolzen  ßewusstseyn  iln-es  edlen  Cliarakters,  entgegentritt,  um  als 
Vermittlerin  Familienglück  und  Frieden  weder  herzustellen,  und 
die  Gattin  ihrem  vormaligen  Geliebten,  dermalen  — •  um  einen  ge- 
linden, Terentianischen  Ausdruck  zu  wählen  -  weinerlichen  Pinsel, 
und  um  keinen  Plautinisch  derben  Kernnamen  zu  brauchen,  näm- 
lich: Waschlappen.  Fürwahr,  jedes  andere  Publicum,  als  das  rö- 
mische, wir  Alle,  die  wir  heutzutage  leben,  wir  liätten  uns  auch  bei 
der  dritten  Vorstellung  der  Hecyra  nach  einem  Seiltänzer  umge- 
sehen. Gott  Mahadö  sieht  mit  lächelnder  Freude  „durch  tiefes  Ver- 
derben ein  menschliches  Herz.  Hs  freut  sich  die  Gottheit  der  reui- 
gen Sünder;  Unsterbliche  he])en  verlorene  Kinder  mit  feurigen  Ar- 
men zum  Himmel  empor"  —  mit  feurigen  Armen,  um  sie  von  den 
Fehlen   und  Sünden    eines  Lasterlebens  zu  läutern    und    rein   zu 


588  ^^'^  römische  Komödie. 

glüheu.  Der  Göttliche,  der  Heilige,  Er  mochte  von  der  bussfer- 
tigen Sünderin  sagen,  sie  habe  das  bessere  Theil  erwählt;  ihr  sey 
viel  vergeben,  denn  sie  habe  viel  geliebt,  und  ihre  sündige  Liebe 
durch  eine  himmlische  gesühnt.  Aber  in  einem  Lustspiel,  vor 
Tausenden  von  Vätern,  Müttern,  Jünglingen  und  Töchtern  eine 
Lustdirue,  in  der  Fülle  ihres  Schandlebens,  in  der  üeppigkeit  und 
VoUblüthe  ihres  Gewerbes,  von  dem  greisen  Vater  einer  Familie, 
deren  Hausfrieden  doch  auch  sie  hatte  verworren  helfen,  als  Wie- 
derherstellerin  der  Familienehre,  des  häuslichen  und  ehelichen 
Glückes,  berufen  lassen:  das  will  uns  —  sit  venia  verbo  —  eben 
so  abgeschmackt,  wie  unsittlich  scheinen.  Welches  Brekekeke 
hätte  Aristophanes  von  seinen  Fröschen  einer  solchen  Komödie 
anstimmen  lassen,  wenn  er  sie  erlebt!  Welches  Koax-koax  ihrem 
Dichter  anstimmen  lassen,  dem  Apollodorus  oder  dem  Terentius 
Afer,  dem  ganzen  oder  halben  Menander!  Wie  hätte  Aristopha- 
nes alle  Lachschreckeu  eines  komischen  Tartarus  und  Acheron, 
alle  persiflirenden  Furien-Schlangen  und  Furiengeisseln  hellauf- 
lachender Erinnyen  gegen  diese  ganze  Komödien-Gattung  erst  auf- 
geboten, wenn  er  solche  Heerschaaren  infernalischer  Spottfrösche 
gegen  den  Euripides  in's  Treffen  fülirte,  der  nicht  den  zehnten 
Theil  der  Frevel  und  Versündigungen  an  der  tragischen  Muse  auf 
sein  Kunstgewissen  lud,  nicht  den  zehnten  Theil  der  Sünden,  die 
sich  die  mittlere  und  neue  Komödie  gegen  die  Muse  der  Komik 
hat  zu  Schulden  kommen  lassen,  und  in  dessen  Ti-agödie  Aristo- 
phanes' prophetischer  Geist  vielleicht  nur  die  Ahnmutter  dieser 
Komödien  hat  geissein  wollen! 

Ehren  Phidippus,  des  Pamphilus  Schwiegervater,  der  bringt 
gar  die  Hetären-Moral  in  pädagogische  Grundsätze,  die  er  seiner 
Frau  Myrrhina  an's  Herz  legt.  IV,  1 ,  spricht  er  von  Pamphi- 
lus' Liebschaft  mit  der  Bacchis.  „Um  seine  Liebschaft",  sagt 
Pamphilus  Schwiegervater  zu  seiner  Alten,  „hab  ich  schon  eh'r, 
als  du,  gewusst.  Doch  liab'  ich  der  Jugend  niemals  diess  als 
Fehler  angerechnet,  weil  es  allen  angeboren  ist"  .  .  ,  „Könnte  er 
sich  (Pamphilus)  von  der,  mit  welchei-  er  so  viele  Jahre  umge- 
gangen ist.  so  plötzlich  losreissen  ^von  der  Bacchis);  dann  würde 
ich  ihn  für  keinen  Menschen  halten,  nicht  für  einen  treuen  Gat- 
ten meiner  Tochter"  .  .  .  Hetären  -  Umgang,  meint-  der  alte 
Schacher,  ist  für  wohlgezogeiK?  Jünglinge  die  beste  Gattenschule; 


Hecyra.     Die  Hetäre  als  Wiederherstellerin  der  Faniilienelire.     5g9 

das  Bordell  die  Propädeutik  für  gesittete  Eheniäuner  und  junge 
Familienväter.  Keine  bessere  Vorbildung  zu  häuslicher  Zucht  und 
Ehrbarkeit  lässt  sich  denken  als  Unzucht  und  Prostitution.  Die 
Pädagogik,  traun,  ist  der  Vätergreise  würdig,  die  als  Jünglinge 
eine  solche  Hetären-Schule  durchgemacht.  Welche  Väter  sind 
nun  walii'er,  sittengerechter  und  sittenheilsamer  gezeichnet:  Die 
des  Plautus,  die  das  Sprichwort:  Jung  gewohnt,  alt  gethan,  zu 
Ehren  bringen;  oder  die  des  Terentius,  die  sich  und  ihrem  Pu- 
blicum weissmacheu  woUen:  Alter  schütze  am  besten  vor  Thor- 
heit,  und  die  gTauen  Haare  wären  das  unfehlbare  Mittel,  den 
Esel  abzuhalten,  dass  er  auf's  Eis  tanzen  gehe?  Und  welche  Ko- 
mödie „beruht  auf  einer  sittlicheren  Auffassung  des  ehelichen  Le- 
bens": die  des  Terentius,  für  welche  sie  der  berühmte  Historiker 
vorzugsweise  in  Anspruch  nimmt;  eine  Komödie,  die  das  Bordell 
geradezu  in's  Familienleben  sel])st  verpflanzt,  was  aus  den  ande- 
ren Komödien  des  Terentius  noch  deutlicher  erhellen  wird  —  oder 
die  Auffassung  des  Plautus,  dessen  Komödie  die  Hetärenwirth- 
schaft  aus  dem  Haus-  und  Familienwesen  herausschwing-t ,  wie 
der  Worfler  Spreu  von  Weizen  sondert? 

Doch  der  Haussegen,  die  Hetäre,  Bacchis,  wie  stiftet  sie  denn 
dieses  Familienheil?  P'rieden,  Glück  und  Eintracht,  wie  stellt  sie 
das  Alles  in  der  zerrütteten  Häuslichkeit  dreier  Familien  wieder 
her?  Und  die  Hausehre,  die  gute  Sitte,  eheliche  Treue  und  Liebe, 
diese  höchsten  Familiengüter,  wodurch  führt  die  Bulilerin  sie  wie- 
der ein  bei  den  jungen,  durch  ein  so  ärgerliches  Zerwürfniss  ein- 
ander entfremdeten  Gatten?  Kraft  welcher  Weihe  geht  von  den 
Händen  der  Buhlerin  eine  solche  Heiligung  der  Ehe  aus?  Sie 
strahlt  dem  Ehepcar  aus  dem  King  an  ihrem  Finger  entgegen. 
Am  Finger  der  Bacchis  glänzt  jener  Ring,  welcher  der  Philu- 
mena  mit  Ehre  und  Unschuld,  und  von  keinem  andern  natürlich 
als  Pamphilus,  entrissen  worden.  Bacchis  selbst  giebt  uns  über 
die  freudige  durch  sie  lierbeigefiihi'te  Entdeckung  in  einem  Mo- 
nologe den  befriedigendsten  Aulschluss  (V,  3.j:  „Der  Uing  hier 
war  der  Anlass,  alle  diese  Dinge  zu  entdecken.  Denn  ich  erin- 
nere mich,  wie  Pamphilus  vor  ungefähr  zehn  Monden  gegen  Nacbt 
hin  ausser  Atliem  zu  mir  in  das  Haus  gestürzt  kam,  allein,  voll 
Weins,  mit  diesem  Ringe.  Mein  Pamphilus,  sagt'  icli  zu  ihm, 
ich  bitte  dich,  warum  so  ausser  dir?  Wolier  hast  du  den  L'ino-?. .. 


590  ^^^  römische  Komödie. 

Da  gesteht  mir  der  Mensch,  er  habe  auf  der  Strasse  einem  un- 
bekannten Mädchen  Gewalt  angethan  und  ihr  den  Eing,  indem 
sie  sich  zur  Wehr  setzte,  abgestreift.  Die  Myrrhina,  die  Mutter 
der  Philumeua,  bemerkte  gleich,  dass  icli  ihn  an  dem  Finger 
habe  ...  Da  machten  wir  denn  die  Entdeckung,  dass  an  Phi- 
lumena  von  ihm  Gewalt  geübt,  und  dieses  Kind  davon  die  Frucht 
sey.  „Ich  freue  mich"  —  versichert  das  kreuzbrave  Mädchen  der 
Freude,  die  Bacchis,  ilu'em  Publicum  —  „Ich  freue  mich,  dass 
ihm  (Pamphilus)  durch  mich  so  viele  Freude  zu  Theil  wird,  ob- 
gleich wohl  andere  Buhlerinnen  so  nicht  denken ;  denn  zu  unserem 
Nutzen  ist  es  nicht,  wenn  ein  Liebhaber  seiner  Ehe  froh  wird" . . . 
Mit  andern  Worten:  Im  wirklichen  Leben  giel)t  es  keine  solche 
Bacchis.  Meine  Standesschwestern  werden  mich  auslachen,  mich 
und  meinen  Dichter  dazu,  und  ihm  wohl  gar  den  Lorbeerkranz 
abreissen,  den  ihm  die  gute  Gesellschaft  und  die  Besten  der 
Schule  zuerkannt,  ob  der  lebenswahren  Sittenschilderung,  der 
musterhaften  Moral  und  der  „sittlichen  Auffassung  des  ehelichen 
Lebens"  —  herab  mit  ihm  —  Haltet  ein !  ihr  thöricliten.  unüber- 
legten, undankbaren  Schwestern  in  Priapo  et  pulchra  Laverna^ 
unserer  holden  Göttin,  der  schönen  Laverna,  zu  welcher  der  „feine 
Mann"  beim  Dichter^)  betet:  „Holdselige  Laverna,  leihe  mir 
Täuschung."  —  Bei  dieser  Göttin,  haltet  ein!  Trüge  unser  Dich- 
ter den  Kranz  nicht  schon,  den  wohlverdienten,  unbestrittenen  Lor- 
beerkranz, der  fortgrünen  wird  auf  seinem  Haupte  durch  alle 
künftigen  Geschlechter:  müsstet  ihr  ihm  einen  winden  und  auf- 
setzen, dm'chflochten  von  den  köstlichsten  Blumen  und  Reisern, 
worauf  wir,  nach  durch  schwärmten  Orgien,  geruht  mit  unsern 
Jünglingen.  Und  müsstet  seine  mit  solchem  LorbeervoUkranz  ge- 
schmückte Herme  aufstellen  zur  Verehrung  in  euerem  geheimsten 
Lustgemache,  und  ihr  häutige  Opfer  spenden  unter  andächtigen 
Dank-  und  Segengebeten,  für  das  nicht  genug  zu  preisende  Hoch- 
verdienst,  das  sich  der  halbe  Menander  um  die  römische  demi 
monde  erworben,  durch  die  feine,  menschlichschöne  Moral,  die 
seine  Lustspiele  lehren,  und,  an  den  liebenswürdigsten  Musterbil- 
dern unseres  Gewerbes    mit   der  zierlichsten  Kunst  verbeispielt. 


1)   Hur    E\).  1,   16.  V    üti  r. 


Hecyra.     Hetären-Oultus.  591 

seineu  Zuliöreni  und  Zuhörerinnen  einschärft,  zur  Erbauung  von 
Senat  und  römischem  Volk,  und  zum  Heil  und  Segen  des  Staa- 
tes und  der  Familien;  die  menschlichschöne  Moral:  dass  ein  Mäd- 
chen eine  feile,  liederliche  Dirne  seyu  kann,  und  doch  dabei  tu- 
gendhaft; das  ehrloseste  Lasterleben  führen,  Jünglinge  an  Leib 
und  Seele  zu  Grund  richten,  Schmach  und  Schande  über  acht- 
bare Bürgerfamilien  und  Zerrüttung  in  ihr  Hauswesen  bringen,  — 
dabei  aber  doch  das  edelste  Herz  besitzen  kann,  das  uns  zu  dem 
Hochberufe  weiht  und  ermächtigt:  in  denselben  Familien,  die  wii' 
geschändet  und  zerrüttet,  als  rettende  Genien  zu  erscheinen  und 
Sitte,  Tugend,  beglückende  Eintracht  im  ehelichen  Leben  wieder- 
herzustellen, als  dessen  eigentUche  Schirmerinnen  und  Schutzgöt- 
tinnen unser  edelgesinnter,  in  der  vornehmen  Welt  ausgebildeter 
und  für  das  Humane,  das  Schönmenschliche,  feingestimmter  Dich- 
ter, uns,  die  Hetären,  feiert.  Auch  sehe  ich  im  Geiste  die  Zeit 
herannahen  mit  mächtigen  Schritten,  wo  die  für's  erste  auf  der 
Bühne  hen-schenden  Grossmächte  der  Comoedia  palliata:  die  Skla- 
ven und  Hetären,  zu  weltgeschichtlichen  Mächten  sich  erheben  und, 
als  solche,  sich  behaupten  werden;  wo  der  Sklav  und  die  Hetäre 
das  Scepter  der  wirklichen  Herrschaft  ergreifen ;  der  Sklav  und  die 
Hetäre,  der  Servus  und  die  Meretrix,  die  Buben  und  H— ,  zu- 
nächst in  Rom,  von  Pui-perstühlen  und  Thronen  herab  die  Ge- 
schicke der  Völker  und  Staaten  entscheiden  werden.  Darum,  ge- 
liebte Bulilschwesteru,  segnet  das  Andenken  der  halben  und  der 
ganzen  Menander,  die  in  ihren  Komödien  die  ersten  Keime  un- 
serer grossen  Zukunft  ausgestreut,  und  die  Begriffe,  den  Ge- 
schmack und  die  Gesinnungeji  ihrer  Zeitgenossen  für  unsere  und 
unserer  treuen  Verbündeten,  der  Schelme  und  Buben,  Lakeyen 
und  Schranzen,  dereinstige  Weltherrschaft  empfänglich  gestimmt, 
die  Sklaven-Hetären-Komödie  zur  Vorschule  der  künftigen  Ju- 
genderziehung eingeweiht,  und  ihren  schönsten  Dichterberuf  in 
der  Aufgabe  erkannt  haben:  das  Kuitplergewerbe  zur  feinsten  Ko- 
mödienkunst auszubihlen,  und  in  unserem  Dienste  und  zu  unse- 
rem Nutz  und  Frommen  zu  treiben  und  zu  pflegen! 

Damit  aber  die  Bacchis  nicht  ganz  aus  der  Rolle  ihres  ]\Ie- 
tiers  falle,  folgt  nocii  eine  Scene  hinterher  zwischen  ihr  und  Pam- 
philus,  die,  freilich  gegen  die  Absicht,  ganz  dazu  angethan,  die 
Vermutlmnof    zu    bv?<i:ünstigen. :    die    schlaue    HuIiIimmu    Inilie    den 


592  I^ie  römische  Komödie. 

Liebesdienst  nur  als  Hamen  und  Angel  in  das  Herz  ihres  frü- 
hern Geliebten  werfen  wollen,  das  ihr  in  letzter  Zeit  abspenstig 
geworden  schien.  Die  schliessliche  Zusammenkunft  zwischen  ihr 
und  Pamphilus,  sagen  wir,  könnte  eine  solche  Vermuthung,  gegen 
des  Dichters  Wollen  und  Wissen,  aufkommen  lassen ;  wesshalb  wir 
die  Scene  für  schädlich  und  verfehlt  halten  müssen.  Pamphilus 
tiiesst  über  von  den  bedenklichsten  Dankgefühlen,  die  nur  verra- 
then,  welchen  Stein  im  Brette  die  frühere  Maitresse  bei  ihm 
hat,  die  sich  mn  sein  häusliches  Glück  ein  so  grosses  Verdienst 
erworben:  „Noch  immer  hast  du  deine  alte  Liebenswürdigkeit 
bewahrt,  so  dass  dein  Umgang,  deine  Reden,  deine  Nähe  überall, 
wo  du  nur  hinkommst,  Freude  macht."  Das  Freudemachen  ist 
ja  ihr  Geschäft  und  unser  Pamphilus  ganz  der  Ehemann  dazu, 
den  zärtlichen  Gatten  mit  dem  dankbaren  Liebhaber  zu  verbinden, 
und  unsere  Bacchis  ganz  die  Hetäre  für  das  fumet  eines  solchen 
doppelt  gebeizten  Ehehasen  —  Nicht  doch,  nicht  doch!  Wie, 
wenn  ein  ganz  anderes,  ein  psychologisch  tieferes  Motiv  der 
Komödie  zu  Grunde  läge?  Wie,  wenn  der  Dichter  diese  geheim- 
nissvolle, unbewusste  Herzenssjaiipathie  zwischen  dem  noch  unent- 
deckten  Ehrenräuber  und  seiner  durch  ihn,  ohne  dass  er  und  sie  es 
ahnen,  zur  Mutter  entehrten  Frau  —  wenn  der  Dichter  diesen  gegen- 
seitigen Zug  und  unbewussten  Liebesdrang  zu  einander  zwischen 
dem  .Schänder  und  seinem  Opfer  zum  Angelpunkte  und  sittlichen 
Grundgedanken  der  Komödie  hätte  machen  wollen?  Diese  dunkle 
magnetische  Sympathie  zweier,  gerade  durch  eine  Schandthat  und 
so  nur  sühnbare  Schandthat  untrennbar  gefesselter,  und  Kraft 
dieser  Untrennbarkeit  zu  innig  heiliger  Gattenliebe  sich  läutern- 
der Herzen  —  wie,  wenn  diess  des  Dichters  Problem  und  innerste 
Kunstabsicht  gewesen  wäre?  —  Ein  sinnreich,  ungemein  sinnreich 
ausgetifteltes  Komödien-Motiv.  Nur  Schade,  dass  eine  solche 
Seelenmystik  und  magnetische  Wahlverwandtschaft,  in  Folge  eines 
nächtlichen  Strassen-Ehrenraubes,  einem  alten  Dichter  als  Komö- 
dien-Motiv unterschieben,  vom  Gesichtspunkt  der  classischen 
Komödie  und  Psychologie  baarer  Unsimi  wäre.  Selbst  als  In- 
tention eines  Komödiendichters  aus  der  romantischen  Schule, 
einer  Novalis -Arnim -Brentano -Komödie,  wäre  das  Motiv  un- 
brauchbar und  bis  zur  Abgeschmacktlieit  undramatisch;  im 
glücklichsten     Falle     nui-    als    Novellen- Motiv    verwendbar,    in 


Terentius.    Der  Selbstquäler.  593 

einer  Novelle.  Avie   etwa  „die  Marquise  0***"  von  Heinrich  von 
Kleist. 

Indessen  hätte  trotz  alledem  ein  geschiclderer  Meister  als  Apol- 
lodorus  aus  den  Elementen  der  Hec}Ta  eine  bessere  Komödie  ge- 
stalten können ;  hätte  auch  Plautus  aus  demselben  Stoffe,  wenn  er 
ihn  überhaupt  gewählt,  ein  wirkliches  Lustspiel  herausgearbeitet: 
ergötzlich,  belustigend,  voll  Heiterkeit  und  Komik.  Die  beiden 
Väter  namentlich,  die  schwächsten  und  schattenhaftesten  des  Te- 
renz,  hätte  Plautus  ganz  gewiss  mit  lebendig  drastischem,  gemüth- 
lich  drolligem  Zügen  ausgestattet.  Das  begossene  Huhu,  den 
Pamphilus,  ohnstreitig  zu  einem  seiner  kecken,  witzig  muntern,  von 
Sitten  lockern,  aber  von  Herzen  gesunden  und  kernhaften  jungen 
Wüstlinge  gescherzt  und  umgelacht.  Vor  Allem  hätte  er  den 
Parmeno  nicht  als  einen  solchen  hölzernen  Sklaven-Fussblock  der 
Komödie  nachschleifen  lassen.  Beseelt  hätt'  er  ihn  zu  dem  an- 
schlägigsteu  und  listenreichsten  Beutelschröpfer,  der  die  alten 
Gäuche  wie  das  Zipperlein  heimsucht,  das  sie  an  ihre  Jugendsün- 
den mahnt. 

Der  Selbstquäler  (Heautontimorumenos)  ist  einer  Ko- 
mödie des  Menander  nachgebildet  und  wurde  au  den  Megalensi- 
schen  Spielen,  unter  den  curulischen  Aedilen  Corn.  Lentulus  und 
L.  Val.  Flaccus,  von  der  Truppe  des  Ambivius  Turpio  aufgeführt. 
Die  Musik  componirte  Flaccus,  Sohn  des  Claudius,  erst  für  un- 
gleiche Flöten  (tibiis  impar.),  dann  für  zwei  rechtseitige  (deinde 
duabus  dextris).  Die  dritte  Vorstellung  fand  statt  unter  den  Con- 
suln  M.  Juventius  und  Tit.  Sempronius  (163  v.  Chr.). 

Die  Bühne  stellt  eine  ländliche  Gegend  bei  Athen  vor.  An 
der  Strasse  nach  Athen  liegen  die  Landgüter  der  beiden  Väter, 
des  Menedemus  und  Chremes,  mit  ihren  Häusern.  So  ziem- 
lich die  stehende  Decoration  der  römischen  Komödie;  die  ganze 
Oertlichkeit ,  zusammengepackt  wie  in  der  Kinderscliachtel.  Im 
Prolog  tritt  der  Theaterunternehmer  und  Spieler  der  ersten  Bollen, 
Ambivius  Turpio,  hervor,  wieder  als  Anwalt  der  literarischen  Feh- 
den des  Dichters  mit  dessen  stehendem  Gegner,  Luscius  Lavinius: 

Zum  Anwalt  nicht  Prolog  erkor  der  Dichter  mich : 
Oratorem  voluit  esse  me,  non  proloi^uui 

Der  Vorwurf  der  Contaminatio,  Verschmelzung   zweier  Komödien 

n.  3b 


504  Die  römische  Komödie. 

in  Eine  kommt  abermals  zur  Sprache.  Die  Verzmefachung  der 
Personen,  die  in  Menander's  Komödie  nur  einfach  sind,  wird  zu- 
gegeben; dieser  Brauch  aber  als  ein  üblicher  gerechtfertigt.  Der 
Sprecher  empfiehlt  seine  Komödie,  als  eine  statarische,  eine 
Charakter-Komödie  nämlich  von  ruhigem  Gange,  dem  gütigen 
Gehör  des  Publicimis:  Date  potestatem  mihi  statariam  agere  ut 
liceat  per  silentium.  Die  statarische  Komödie  wird  hier  im  Ge- 
gensatze zur  motorischen,  zu  der  bewegten  Intriguen-Komödie 
(Plautinischen)  betont.  Beide  Benennungen  sind  von  den  griechi- 
schen, den  BewegTings-  oder  Stülstands-Charakter  der  Chöre  beim 
Vortrage  ihrer  Lieder  (ozäGif-ia  oder  7iaQodi/M  (.itlru  bezeichnenden 
Kunstwörtern  übertragen  worden  auf  den  mehr  oder  weniger  leb- 
haften Entwickelungsgang  der  Comoedia  palliata  selbst.  In  un- 
serem Prolog  sieht  die  Gegenüberstellung  der  beiden  Komödien- 
arten ganz  nach  einem  spöttischen  Seitenblick  auf  die  motorische 
Lebhaftigkeit  der  Plautinischen  Komödie  aus,  auf  das  properare, 
womit  Horaz  den  Gang  derselben  kennzeichnet:  „Vergönnt  mir", 
sagt  der  Prolog,  „dass  ich  ein  Stück,  das  ruhig  seinen  Gang 
geht,  ohne  Störung  jetzt  aufführen  darf,  damit  ich  doch  nicht  stets 
geflissentlich  mit  mächtigem  Geschrei  und  grosser  Anstrengung 
euch  Leute  vorzuführen  habe,  als  da  sind:  ein  Sklave  im  vollen 
Lauf,  ein  Greis  im  Zorn,  ein  hungriger  Schmarotzer,  ein  habsüch- 
tiger Kuppler"  (Ne  semper  servus  currens,  iratus  senex,  edax  pa- 
rasitus,  sycophanta  autem  impudens,  avarus  leno,  assidue  agendi 
sint  —  clamore  summo  cmn  clamore  maxumo).  Das  eriuneii  au 
die  Fabel  von  der  Schnecke  und  dem  Schmetterling,  über  dessen 
ewige  Beweglichkeit  und  flatterndes  Umgaukeln  der  Blumen  die 
Schnecke  spottet,  dieweil  sie  von  Blume  zu  Blume,  von  einem 
Strauch  zum  andern  langsam  und  unmerklich,  aber  mit  würdiger 
Gemessenheit  und  statarischer  Gemächlichkeit  dahinkriecht. 

Den  Styl  rühmt  der  Sprecher,  und  mit  vollem  Fug,  als  rein 
und  tadellos:  In  hac  est  pura  oratio.  Mad.  Dacier  bemerkt  hier- 
über^): Ce  n'est  pas  sans  raison  que  Terence  loue  le  Style  de 
cette  piece,  il  n'y  a  rien  au  monde  de  plus  pur,  ni  de  mieux  ecrit ; 
ce  grand  Poete,  voyant  qu'elle  etait  denuee  d'action,  c'est  ef- 
force  de  reparer  cela  par  la  vivacite  et  par  la  purete  du  style. 


n  II.   1).   15.  V.  4ü.  not. 


Der  Selbstquäler.    Der  Prolog.  595 

„Dieser  grosse  Dichter  glaubte  den  Mangel  an  Handlung  durch 
Lebhaftigkeit  und  Reinheit  des  sprachlichen  Ausdrucks  ersetzen 
zu  müssen."  In  obiger  Fabel  —  das  wurde  zu  erwälnien  ver- 
gessen —  mutzt  die  Schnecke  dem  geflügelten  Irrlicht  der  Blumen, 
dem  Falter,  auch  sein  leichtes,  buntes,  nur  wie  angehauchtes 
Sommerkleidchen  auf,  eine  närrische  Hanswurstjacke,  im  Vergleich 
zu  ihrer  so  einfach  kunstvoll  um  einen  festen  geraden  Spindel- 
Stiel  gewundenen,  statarisch  glatten  Wickelschale.  Geht  nicht 
gar  der  Neidhammel,  Luscius  Lavinius  in  seiner  Herabsetzung 
des  vorzüglichen,  durch  reine  Form,  Sauberkeit  des  Styls,  feine 
und  edle  Zeichnung  musterwürdigen,  wenn  auch  nicht  gerade 
„grossen  Dichters",  so  weit,  dass  er  ihn  des  Dilettantismus 
beschuldigt?  fProl.  23  fr.):  „Jener  alte,  missgünstige  Dichter  (La- 
vinius) sagt,  dass  unser  Dichter  sich  so  plötzlich  mit  der  Dicht- 
kunst abgegeben  habe,  seiner  Freunde  Geistesgaben,  nicht  dem 
eigenen  Talent  vertrauend": 

—  iiialevolus  vetus  Poeta  dictitat, 

Repente  ad  Studium  hmic  se  applicasse  musicum, 

Amicüm  ingenio  fretum,  haud  natura  sua. 

Gewiss  konnte  nur  Verkleinerungssucht  einem  veralteten,  verbis- 
senen Neidhart  eine  solche  aus  Handwerks-Missgunst  entspmngene 
Verdächtigung  eingeben.  Indessen  wird  doch  eine  unbefangene 
Prüfung,  nach  zweitausend  Jahren,  ohne  für  böswillig  und  par- 
teiisch zu  gelten,  die  Kunstmeisterschaft  dieses  schönen,  liebens- 
würdigen, aber  nicht  allzureichen  Talentes,  auf  die  genannten 
Vorzüge  beschränken,  und  das  Amicüm  ingenio  fretum,  haud  na- 
tura sua,  nicht  mit  dem  scheelsüchtigen  Ankläger  auf  des  Dich- 
ters vornehme  römische  Freunde,  wolil  aber,  bei  aller  Aner- 
kennung und  Hochstellung,  cum  gTano  salis,  auf  dessen  griechi- 
sche Freunde  in  Apolline,  auf  die  gründlich  benutzten  und,  eiu- 
gestandenermaassen,  nicht  selten  wörtlich  übersetzten  Dichter  der 
neuen  attischen  Komödie,  mit  einigem  Ke<ihte,  beziehen  dürfen. 
Die  statarische  Fabel  verläuft  gemächlich  von  dem  Ausgange 
an:  von  der  Trostlosigkeit  des  Selbstpeinigers,  des  alten  Mene- 
demus,  über  des  Solmes,  durch  ihn  veranlasste  Iilntfernung.  Im 
den  harten  Vorwürfen  auszuweichen,  womit  der  scheltende  Vater 
seinen  Sohn   Clinia,  wegen  dessen  Liebesverhältniss  mit  einer 

:ts* 


596  I^ie  römische  Komöclie. 

Biihlerin  unablässig  bestürmte,  hatte  der  junge  Mann  seine  Hei- 
matli  verlassen,  um  Kriegsdienste  im  Heei'e  des  Perserkönigs  zu 
nehmen.  Darüber  grämt  sich  nun  der  Alte ;  sein  verödeter  Haus- 
stand wird  ihm  unerträglich ,  er  verkauft  Haus  und  Habe  in  der 
Stadt  und  begiebt  sich  aufs  Land  und  bebaut  hier  sein  Feld 
eigenliändig,  als  auferlegte  Busse,  sich  selbst  peinigend  in  Sehn- 
sucht nach  seinem  abwesenden  Sohn.  Das  erzählt  er  bei  der 
Feldarbeit  seinem  Nachbar  Chremes,  auf  dessen  theilnahmvoUe 
Befi-aguug  um  den  Grund  seines  Kummers. 

Die  Sehnsucht  des  Vaters  nach  dem  Sohn  ist  aber  nicht 
stärker,  als  die  des  Sohnes  nach  seiner  Geliebten.  Sie  wirkt  bei 
diesem  so  heftig,  dass  wir  ihn,  in  der  zweiten  Scene  bereits,  heim- 
lich wieder  angelangt  finden,  und  sich  vorläufig  bei  Clitipho, 
dem  Sohue  des  Chremes,  verborgen  haltend.  Chremes  erfährt  es 
durch  seinen  Sohn  Clitipho,  verschweigt  diesem  aber  die  Gemüths- 
lage  des  Menedemus,  damit  Clinia  nicht  die  Stimmung  des  Vaters 
zu  Gunsten  seiner  Leidenschaft  und  auf  Kosten  des  Vaters  aus- 
beute. Er  nimmt  daher  gegen  Clitipho  die  vermeintliche  Härte 
von  Clinia's  Vater  in  Schutz,  mit  einem  beiläufigen  pädagogischen 
Wink  für  seinen  eigenen  Sohn,  den  Clitipho:  „Ein  jeder  recht- 
schaffener Vater",  giebt  Chremes  dem  Sohn  zu  hören,  ..wii'd  sei- 
nen Sohn  vor  liederlichen  Dirnen  hüten,  wird  ihn  nicht  bei  Zech- 
gelagen schwärmen  lassen  wollen,  mxä  ihn  kurz  halten"  .  .  .  Der 
väterliche  Fingerzeig,  auf  mögliche  künftige  Fälle  gerichtet,  findet 
den  Clitipho  bereits  in  der  Lage,  die  sein  Vater  als  eine  noch 
eventuelle  betrachtet.  Clitipho,  nicht  Clinia.  liebt  jene  Buhlerin, 
die  Menedemus  und  auch  Chremes  für  Clinia's  Geliebte  halten, 
welcher  aber  nicht  diese,  nicht  die  Hetäre  Bacchis,  sondern 
ein  junges,  aus  Attica  geraubtes  Mädchen,  Antiphila,  leiden- 
schaftlich liebt,  das  die  Bacchis  von  der  alten  verstorbenen  Pfle- 
gerin des  Mädchens,  für  ein  Anlehen  von  tausend  Draclnueu,  als 
üntei'pfand  erhalten,  und  in  ihrem  Hause  für  ihr  Gewerbe  auf- 
erzieht. Die  dünne  Intrigue  dreht  sich  nun  um  diesen  Glauben 
des  Chremes,  dem  sein  Sklave,  Syrus,  Geld  für  Clitipho  ablocken 
will,  das  die  üppige  verschwenderische  Bacchis  mit  ungestüm 
verlangt,  und  unverzüglich  envartet,  wenn  sie  nicht  zu  ihrem 
Offizier,  der  sie  reichlich  beschenlvt,  nach  Korinth  zurückkehren 
soll.     Syrus'  Plan  geht  nun  dahin,  den  Alten  in  dem  Glauben  zu 


Der  Selbstquäler.     Die  Intrigue.  597 

bestärken,  die  Bacchis  sey  des  Clinia  Geliebte.  Als  solche  lässt 
er  sie  im  Hanse  des  Chremes  bei  Clitipho's  Mutter  Wohnung 
nehmen  mit  ihrem  ganzen  ansehnlichen  Gefolge  von  ,,zehn  Mäg- 
den", worunter  auch  Autiphila.  Clinia  muss  sich  stellen,  als  liebe 
er  die  Bacchis.  Mittlerweile  hat  Menedemus  zu  seiner  unaus- 
sprechlichen Freude  von  Cln-emes  die  Heimkehr  seines  Sohnes. 
Clinia,  erfahren,  bereit  alle  Wünsche  des  Sohnes  zu  befiiedigen, 
wenn  er  ihn  nur  wieder  besitze.  Der  pädagogische  Chremes  hält 
es  aber  für  gerathen,  dem  überwallenden  Vatergefühl  des  alten 
Freundes  in  die  Zügel  zu  fallen,  damit  er  nicht  mit  dessen  Ver- 
stände und  Beutel  dm-chgehe,  und  erzählt  ihm  von  dem  flotten 
Leben  der  Bacchis,  und  wie  hoch  sie's  in  seinem  Hause  hergehen 
lässt.  Menedemus  hört  nichts,  und  will  nichts  hören,  ihn  verlangt 
nur  nach  dem  Anblick  seines  Sohnes:  „Er  möge  thun,  was  ihm 
gut  dünkt.  Er  liebe,  zeche,  prasse.  Ich  habe  fest  besclilossen, 
es  zu  leiden,  wenn  er  nm-  bei  mir  bleibt."  Chremes  legt  ihm 
die  väterliche  Würde  an's  Herz,  und,  als  Pädagog,  das  Erziehuugs- 
heil  des  Sohnes.  Es  komme  hier  darauf  an,  wie  man  das  Geld 
dem  jungen  Menschen  mit  der  mindesten  Gefahr  zuüiessen  lasse. 
damit  sich  der  Sohn  nicht  übernehme,  die  Güte  des  Vaters  miss- 
brauche, und  dieser  „der  Schlechtigkeit  Thür  und  Thor  öffne- 
HI,  t).  Was  räth  ihm  nun  der  alte,  pfiffige  Pädagog?  „Gieb 
ihm  durch  einen  Dritten;  lass  dm'ch  seines  Sklaven  Kniffe  lie- 
ber dich  betrügen."  Schon  wären  sie  dabei;  er  merke  was:  des 
Clinia  Sklave,  Dromo,  und  sein,  des  Chremes  Hallunke,  der 
Syrus,  betrieben's  schon  heimlich.  Menedemus  kann  das  Geprellt- 
werden nicht  erwarten:  „Trag'  Sorge",  dringi  er,  „dass  sie  den 
Betrug  bald  an  mir  vollbringen."  Chremes  ist  denn  auch  hin- 
terher, und  giebt  seinem  Diener,  Syrus,  das  Schröpfen  schlau  unter 
den  Fuss,  und  schilt  den  Dromo  einen  Tropf,  dass  er  nicht  längst 
seinem  jungen  Herrn  Geld  für  dessen  Liebeshandel  vom  alten 
Menedemus  zu  verschaffen  gewusst.  „Du  musst  ihm  helfen", 
muntert  er  seinen  Diener  auf,  „um  des  jungen  Menschen  willen." 
Syrus.  „Das  kann  ich  leicht,  wenn  du  befiehlst"  .  .  .  „Doch 
höre,  denk'  auch  ja  hieran  zurück,  wenn's,  wie  der  Weltlauf  ist. 
sich  einstens  treffen  sollte,  dass  dein  Sohn  selbst  etwas  Aehnli- 
ches  sich  unterfinge",  Chremes  denkt:  hoho!  Ein  Pädagog,  wie 
ich!    „Der   Fall    wird    nicht    vorkommen"  .  .  .    Syrus   hat    sein 


598  ^^^  römische  Komödie. 

Planchen  schon  bei  der  Hand.  Er  theilt  es  dem  Chremes  mit: 
Die  Bacchis  will  dem  Clinia  die  schöne  Antiphila  für  die  tausend 
Drachmen,  die  sie  ihr  gekostet,  überlassen.  Diese  tausend  Drach- 
men soll  Menedemus  hergeben,  dem  er,  Syrus,  weissmachen  will, 
die  Antiphila  sey  aus  Carien  geraubt,  reich  und  vornehm;  reich- 
lichen Gewinn  werde  es  ihm  bringen,  wenn  er  sie  loskauft.  Wa- 
rum Chremes  von  diesem  Plan  nichts  wissen  will,  bleibt  unauf- 
geklärt. Dazmschen  kommt  Chremes'  Frau,  Sostrata,  mit  der 
Freudenpost:  die  Antiphila  sey  ihr  verlorenes  Kind;  sie  habe  sie 
an  einem  Ring  erkannt.  Nun  ist  Syi'us'  Anschlag  in's  Wasser 
gefallen.  Clinia  wird  um  Antiphila  offen  werben.  Die  Liebschaft 
des  Clitipho  mit  der  Bacchis  kommt  an  den  Tag  —  dem  Syrus 
fängt  an  die  Haut  zu  jucken.  Das  Geld  lässt  er  aber  doch  nicht 
los;  ein  neuer  Plan  ist  fertig:  „Ich  hole  dich,  entlaufenes  Geld, 
doch  wieder  ein."  Die  Lüge  lässt  ihn  im  Stich,  so  muss  die 
Wahrheit  zum  Gelde  verhelfen.  In  der  Noth  sind  aUe  Mittel 
gerecht,  selbst  die  Wahrheit.  Der  feinste  Diplomatenkniff  be- 
kanntlich; das  letzte  Mittel  der  Syi'use  von  der  Diplomatie,  ihr 
Acheronta  movebo.  Clinia,  der  wonneberauschte  Clinia  soU  seinem 
Vater  Menedemus  die  ganze  Wahrheit  gestehen,  dass  er  Anti- 
phila, nun  die  Tochter  des  Chremes,  liebe,  die  Bacchis  aber  Cli- 
tipho's  Geliebte  ist.  Letzteres,  meint  Clinia  verwundert,  müsste 
sein  Vater  Menedemus  natürlich  dann  dem  Chremes  verschwei- 
gen. Syrus.  „Im  Gegentheil."  —  Clinia.  „Bist  du  von  Sin- 
nen?" —  Syrus.  „Gerade  diesem  Plan  geh'  ich  den  Ehrenpreis. 
Viel  bilde  ich  mir  ein,  dass  solche  Kraft  in  meinem  Geiste  wohnt, 
so  grosse  List  mii*  zu  Gebote  steht,  um  Beide  durch  aufrichtiges 
Gestehen  der  Wahrheit  so  zu  täuschen,  dass,  wenn  euer  Alter 
auch  dem  unsrigen  erzählt,  die  Bacchis  sey  des  Clitipho  Geliebte, 
er  es  doch  nicht  glaubt."  Wenn  aber  —  wirft  Clinia  richtig  ein 
—  Chremes  bei  dem  Glauben  bleiben  soll,  dass  er,  Clinia,  die 
Bacchis  liebt,  dann  giebt  ihm  Chremes  die  wiedergefundene  Toch- 
ter, Antiphila,  nun  und  nimmeraiehr.  Syrus  meint  dagegen:  es 
handele  sich  nur  um  diesen  einen  Tag,  „bis  er  das  Geld  für  die 
Bacchis  erwischt"  (dum  argentum  arripio).  Bis  dahin  soll  er  die 
Bacchis,  wenn  er  von  hinnen  geht,  mit  sich  in  sein  Vaterhaus 
hinüber  nehmen;  „denn  lässt  er  sie  in  Chremes  Hause,  so  merkt 
es  der  Alte  auf  der  Stelle,  dass  sie  Clitipho's  Geliebte  ist." 


Der  Selbstquäler.    Chremes  und  Syrus.  599 

Cliüia  hat  nun  die  Bacchis  mit  ihrem  ganzen  Haushalt  hin- 
über gebracht  zu  seinem  Vater.  Syrus  setzt  dem  Chremes  die 
Schraube  an  (IV,  1):  „Clinia  hat  seinem  Vater  aufgebunden,  dass 
die  Bacchis  des  Clitipho  Geliebte  sey;  er  habe  sie  nur  desshalb 
mit  zu  ihm  gebracht,  dami^  du  ja  nichts  merken  mögest."  Chre- 
mes. „0  schön!"  —Syrus.  „Meinst  du?"  —  Chremes.  „Vor- 
trefflich, sag'  ich  dir."  —  Syrus.  „Nun  so  leidlich.  —  Doch  höre 
weiter!  —  Er  habe,  sagt  er  ferner,  deine  Tochter  schon  gesehen. 
Auf  den  ersten  Blick  sey  er  von  ihrer  Schönheit  hingerissen  wor- 
den. Diese  wünsche  er  sich  zur  Gattin"  ...  Chremes.  „Wess- 
halb  denn  das?"  ...  Syrus.  „Wesshalb?  Zur  Hochzeit  braucht 
er  Geld,  um  Goldgeschmeide ,  Putz  —  verstehst  du  mich?"  — 
Chremes.  —  „Ihi-  anzuschaffen?"  —  Syrus.  „Getroffen!"  — 
Chremes  verwirft  den  Vorschlag,  um  keinen  Preis  wird  er  seine 
Tochter,  auch  zum  Scheine  nicht,  mit  einem  solchen  Menschen 
verloben,  wie  der  Clinia,  der  mit  einer  Buhlerin  eine  Liebschaft 
unterhält.  So  geht  auch  dieser  Anschlag  in  die  Brüche,  aber 
nicht  ganz  aus  Ckremes'  Schuld.  Hat  es  Clinia  dem  Syrus  nicht 
vorhergesagt?  Fahre  hin  denn,  sagi  Syrus  auch  zu  diesem  Plan. 
Dann  muss  ich  etwas  Anderes  ersinnen"  .  .  .  Wie  steht  es,  fühlt 
Syms  dem  Alten  auf  den  Zahn,  mit  der  Loskaufsumme  von  tau- 
send Drachmen,  die  Bacchis  für  Antiphila  erhält?  Chremes. 
„Ich  will  ihr  sogleich  die  Summe  bringen."  —  Syrus.  „Nein, 
lass  es  lieber  deinen  Sohn  thun."  —  Chremes.  „Warum?"  — 
Syrus.  „Weil  man  auf  ihn  Verdacht  geworfen  hat,  als  habe  er 
sich  mit  Bacchis  eingelassen."  —  Chremes.  „Wie  denn?"  - 
Syrus.  „Bringt  er  das  Geld  ihr  selbst,  so  wird's  dadurch  nur 
wahrcheinlicher,  und  um  so  leichter  kann  ich  meinen  Zweck  er- 
reichen." Vom  Menedemus  nämlich  für  Clinia  Geld  zu  schaffen. 
Chremes  holt  das  Geld  und  händigt  es  selbst  dem  Sohne  ein. 
Dieser  eilt  damit  zur  Bacchis.  Konnte  Syi'us  nicht  gleich  auf 
diesem  einfachen  Wege  das  Geld  dem  Sohne  in  die  Hand  spie- 
len, ohne  erst  allerlei  künstlich  verschränkte  Fehlversuche  zu  ma- 
chen? Erfindsamkeit  in  Anschlägen  besteht  nicht  darin,  dass  man 
auf  allerlei  Auswege  verfällt,  deren  jeder  in  eine  Sackgasse  führt; 
sondern  in  der  Zweckmässigkeit  und  Erfolgssicherheit  oder  doch 
Wahrscheinlichkeit  eines  gut  ausgedachten,  einschlagenden  Pla- 
nes, und   in  der    geschickten  Benutzung   jeglichen,    selbst    un- 


600  I^i^  römische  Komödie. 

günstigen  Umstandes  zur  Förderung  des  Anschlags.  Wendungen, 
Umknüpfungen  des  Intriguenplanes,  Abreissen  der  Fäden,  andere 
anspinnen,  mag  im  Lustspiel  gestattet  seyn,  wenn  äussere  Zufälle 
Striche  durch  die  Rechnung  machen,  die  einen  neuen  Aufzug  der 
Gedanken,  oder  einen  andern  Einschlag  bedingen,  wie,  um  ein 
modernes  Lustspiel  zu  nennen,  Bolingbroke  im  „Glas  Wasser" 
durch  solche  Zufälle  veranlasst  wird,  andere  Saiten  aufzuziehen; 
neue  Pfeifen  in  seinen  Dudelsack  zu  stecken.  Fehlerhaft  aber 
ist  jede  Planänderung  im  Lustspiel,  die  der  Anzettler  selbst,  we- 
gen Uuhaltbarkeit  des  Planes,  vornehmen  muss,  womit  er  nur  seiner 
Erfiudsamkeit  ein  Armuthszeugniss  ausstellt.  Ein  Fehlversuch  ist 
eine  Fehlgeburt,  und  Windeier  von  Anschlägen  kein  Beweis  für 
die  Fruchtbarkeit  der  Erfindungsgabe. 

Die  nun  folgende  Scene  zwischen  Meuedemus  und  Chremes 
ist  formell  vortrefflich  und  auf  komische  Wirkung  angelegt.  Chre- 
mes giebt  dem  Menedemus  zu  verstehen:  die  Werbung  um  seine 
Tochter  für  Clinia  sey  eine  abgekartete  Finte,  um  ihm,  der  be- 
wussten  Verabredung  gemäss,  Geld  für  den  Sohn  abzulocken. 
Allein  die  beabsichtigte  Wirkung  ist  einmal  nur  einseitig,  da 
Menedemus  mit  Vergnügen  das  Geld  hergiebt.  Menedemus  trägt 
daher  für  sein  Theil  nichts  zu  dem  Komischen  der  Situation  bei. 
Dann  ist  das  Komische  aber  auch  von  Seiten  des  Chremes  nicht 
volllöthig,  wegen  der  gekünstelten  und  doch  nicht  stichhaltigen 
Listen,  die  obendrein  sämmtlich  auf  der  geschraubten  Spitze  einer 
zu  dem  Zwecke  gedrehten  Finte  schweben :  auf  jener  Verabredung 
nämlich,  sich  gutwillig  betrügen  zu  lassen;  um  von  dem  Wider- 
sprache  zu  schweigen,  zwischen  der  freudigen  Zustimmung  des 
Chremes  zu  Cliuia's  Verlobung  mit  seiner  Tochter,  dem  Menede- 
mus gegenüber,  und  der  Entrüstung,  womit  Chremes  eben  nur 
das  von  Syrus  an  ihn  gestellte  Ansinnen  einer  Scheinverlobung 
zurückwies.  In  Bezug  auf  Menedemus,  der  jedem  auf  ihn  ge- 
münzten Anzapfungsversuche  seelenvergnügt  und  mit  offenen  Ar- 
men entgegeneilt,  erscheint  die  Intrigue  jedenfalls  zwecklos.  Von 
allen  Lustspielintriguen  aber  die  verfehlteste  ist  die  überflüssige, 
und  je  feiner  angelegt,  desto  verfehlter.  Die  komische  Intri- 
guenfigur  ist  mithin  nur  Chremes.  Freuen  wir  uns,  wenn  er 
wenigstens  zum  vollen  Rechte  seiner  Komik  kommt.  Chremes 
ft-eut  sich  königlich  über  Menedemus'  gutwillige  Täuschung,  und 


Der  Selbstquäler.    Meneclemus  und  Chreraes.  60 1 

lacht  sich  die  Haut  voll  über  den  Erfolg  seiner  Einwilligung  zur 
Verlobung  mit  dem  vermeintlichen  Bräutigam  seiner  Tochter  An- 
tiphila.  Hat  wohl  tüchtig  herausgerückt,  der  Alte,  für  Hochzeit- 
geschenke, Putz,  Geschmeide,  und  was  noch  alles  der  Dromo,  a-uf 
Anstiften  des  Sj^'us,  zu  Brautgeschenken  ihm  abluchste?  Nicht 
einen  Denar!  sagt  Menedemus.  Und  Syrus?  fi'ägt  Chremes.  Der 
SjM'US,  versetzt  Menedemus  (V,  1.)  „hat  auch  deinen  Clitipho  so 
trefflich  abgerichtet,  dass  man  gar  nicht  wittern  kann,  die  Bac- 
cliis  sey  des  Clinia  Geliebte."  —  Chremes.  „Was  sagst  du?"  - 
Mened.  „Vom  Küssen,  vom  Umarmen  sag'  ich  nichts.  Das  ist 
nur  Kleinigkeit."  —  Chremes.  „Wie?  treibt  er  die  Verstellung 
noch  weiter?"  —  Mened.  „Und  wie!"  —  Chremes.  „Nun?"  — 
Mened.  „So  höre  denn!"  —  Kurz,  ein  Beweis  in  flagranti. 
Chremes.  „Und  sah  denn  Clinia  das  mit  an?"  —  Mened.  „Ja 
wohl,  so  gut  wie  ich."  —  Chremes.  „Dann  ist  die  Bacchis  die 
Geliebte  meines  Sohnes,  Menedemus  —  Ich  bin  des  Todes!"  Jetzt 
zieht  Menedemus  den  klugen  Pädagogen  auf.  Chremes  kennt 
sich  nicht  vor  Zorn.  Er  jiündigt  dem  «6ohn  an,  dass  er  sein 
ganzes  Vermögen  seiner  Tochter,  Antiphila,  der  Frau  des  Clinia, 
übergebe.  Bei  ihr  würde  Clitipho  nun  künftig  Nahmng,  Klei- 
dung, Obdach  finden.  So  sey  es  besser,  als  dass  seine  Erbschaft 
in  der  Bacchis  Hände  fällt.  Clitipho  ist  vernichtet,  Syrus  ver- 
blüfft. Aber  als  Intriganten,  dem  der  Zwirnsfaden  ausgeht,  so 
oft  er  ihn  einfädeln  wiU,  überkommt  ihn  ein  plötzlicher  Einfall, 
der  den  Knoten  lösen  muss,  und  wenn  dieser  bersten  sollte.  „Ich 
hab's!"  ruft  er  dem  zerschmetterten  Clitipho  zu.  „Ich  glaube 
nicht,  dass  du  der  Sohn  deiner  Eltern  bist."  Clitipho,  in  Ver- 
zweiflung über  diese  Nachricht,  stürzt  zu  den  ihm  abgesprochenen 
Eltern  hin,  um  nähern  Aufschluss  zu  erhalten,  worauf  uns  Syrus 
über  das  Motiv  seines  vom  Zaun  gebrochenen  Einfalles,  behufs 
Lösung  des  Knotens,  belelirt:  „Der  Einfall  kam  zu  rechter  Zeit. 
Je  schwächer  jetzt  des  jungen  Menschen  Hofthung  ist,  desto  leich- 
ter wird  er  mit  dem  Vater  Frieden  schliessen,  wie  ihn  dieser  vor- 
schreibt. Vielleicht  geht  er  noch  gar  auf  eine  Heirath  ein."  — 
Richtig!  Syrus'  Einfall,  den  man  weniger  envartet  hat,  als  des 
Himmels  Einfall,  lacht  zuletzt,  —  aber  alle  seine  eigenen  müssigen 
Pläne  aus.  Clitipho  wirft  sich,  um  Verzeihung  bittend,  zu  des 
Vaters  Füssen:    die  Mutter   und   Menedemus    unterstützen  seine 


602  -Di^  römische  Komödie. 

Guadenbitte.  „Befiehl  nui*,  Vater!  Alles  will  ich  thun."  — 
Chremes.  „Heiratheu  sollst  du!"  Nach  einigem  Zögern  ist  er 
auch  dazu  bereit.  Seine  letzte  Bitte :  Verzeihung  für  Syrus,  wird 
gewährt  und  —  plaudite! 

Der  IntrigTie  nach  also,  den  Anschlägen,  Zetteleien  und  Pfif- 
fen des  S)T."us  nach,  wäre  diese  Komödie,  in  unserem  Sinne, 
statarisch ;  denn  sie  fleckt  nicht,  ilire  Intrigue  bringt  sie  nicht  von 
der  Stelle.  Zur  Intrigue  gehört  Einer,  der  täuscht  oder  foppt, 
und  Einer  der  gefoppt  wird.  Syrus  kommt  aus  den  Anstalten 
zum  Betrug  und  aus  den  Fehlschlägen  nicht  heraus.  Die  An- 
stalten trifft  er  auf  Betrieb  und  Instigation  des  Chremes;  die 
Fehlsclüäge  betreibt  er  auf  eigene  Hand.  Es  kommt  hier  durch 
die  Intrigue  selbst  zu  keinem  wahren  Lustspielknoten,  und  den 
Scheinknoten  zerhaut  sie  mit  einem  Luftstreich.  Ueber  sein  Miss- 
geschick, wenn  nicht  Ungeschick,  keinen  Knoten  schürzen  zu 
können,  will  Syrus  mit  einem  aus  der  Luft  gegriffenen  Schlussein- 
fall, mit  einem  Coup  de  tete,  täuschen.  Diese  Täuschung  gelingt 
ihm  am  wenigsten.  Ufid  wo  ist  dei;  Betrogene ,  der  Gefoppte? 
Menedemus,  wissen  wir,  ist  es  nicht,  und  soll  es,  abgeredetermaassen 
auch  beileibe  nicht  seyn.  Er  wird  gleich  von  vornherein  durch 
Chremes  schussfest  gegen  die  Intrigue,  gegen  das  Gefopptwerdeu, 
gegen  das  Lächerliche  folglich  und  Komische,  gemacht,  und  da- 
mit ausser  den  Bereich  der  Komödie  gestellt.  Aber  auch  Chre- 
mes ist  der  Betrogene  nicht,  wenigstens  in  Folge  der  Zettelungen 
des  Syrus  nicht.  Denn  das  Geld,  die  zehn  Minen,  hätte  die  Bac- 
chis  als  Loskauf-Summe  vom  Alten  jedenfalls  bekommen.  Dass 
er  ihr  das  Geld  durch  seinen  Sohn  zustellen  lässt,  ist  auch  nur 
ein  angehäkeltes  Motiv  von  episodischer  Nebenwirkung  und  Schein- 
koraik,  da  es  zum  Hauptschlage  nichts  beiträgt.  Ja  sogar  der 
Hauptzweck  der  Komödie,  worauf  es  dem  Dichter  wesentlich  an- 
kommt: dass  sich  Chremes  selbst  in  die  Falle  hineinintrigiiirt, 
wird  nicht  vollständig  erreicht,  weil  das  Betreffen  des  Clitipho  in 
flagranti,  was  dem  Alten  plötzlich  die  Augen  öfthet,  ausser  aller 
Beziehung  zu  den  Anstalten  seiner  Selbsttäuschung  steht.  Dieses 
Schlussereigniss  ist  ein  Stegreif-Tableau ,  vom  Zufall  arrangirt 
mitten  in  der  Katastrophe.  Ebensowenig  kann  es  für  einen  Rück- 
schlag und  Selbstschuss  in  Absicht  auf  Syrus'  Anstiftungen  gel- 
ten; denn  eine  solche  zu   einem   Selbstschuss  sich   verwickelnde 


Der  Selbstquäler.    Die  Charaktere.  603 

und  vereitelnde  Komödien-Intrigue  setzt  Gegenminen  voraus.  — 
Wo  sind  diese  Gegenminen?  Jenes  in  flagranti  wirkt  als  blosse 
Zufalls-Ueberraschung,  wie  wenn  Jemand  beim  Hemdewechseln 
betroffen  wird.  Auch  könnte  der  Vorfall  sich  eben  so  gut  im 
Hause  des  Chremes  ereignen,  wo  wirklich  etwas  Aehnliches, 
das  Vorspiel  dazu,  sich  ereignet  hat  (III,  3).  Hier  nämlich  be- 
trifft Chremes  seinen  Sohn  Clitipho  bei  einer  Umarmung  der  Bac- 
chis.  Der  Alte  hält  diess  für  eine  gegen  Cliuia  vom  Freunde  be- 
gangene Ti'eulosigkeit  die  er  scharf  tadelt;  was  übrigens  einem 
Nichtsehenwollen,  der  Intrigue  zu  Gefallen,  ähnlich  sieht,  und 
daher  ebenfalls  die  rechte  Wirkung  verfehlt. 

Die  dramatische  Bewegung  im  Selbstpeiniger,  das  innere 
Leben,  ist  also  nur  scheinbar,  und  mit  der  Stumpflieit  der  ge- 
schäftigen Motive  wird  nothwendigerweise  auch  das  Komische 
der  Situationen  stumpf  und  matt.  Die  Charaktere  müssten 
es  denn  nun  seyn,  die  durch  Gegensatz,  Lebendigkeit,  Eigenart 
und  natürlichen  Humor  belustigend  Avirken;  und  wenn  das  nicht, 
durch  Consequenz  und  Haltung  befriedigen.  Der  Selbstpeiniger 
hört  schon  nach  der  ersten  Scene  auf,  Selbstpeiniger  zu  seyn.  Die 
Ankunft  des  Sohnes  wirft  ihn  sogleich  aus  seiner  Cliarakter-Rolle. 
Der  statarische  Selbstpeiniger  schlägt  plötzlich  in  einen  stationä- 
ren Jubelvater  um,  den  kein  Plautinischer  Intriguenschelm  düpi- 
ren,  lächerlich,  komödienhaft  machen  könnte,  geschweige  ein  Syrus. 
Und  die  Gegenfigur  zum  Selbstpeiuiger,  zu  Vater  Menedemus:  der 
Selbsttäuscher,  Vater  Chremes,  vermag  er  durch  seine  zugewiesene 
Rolle  ein  Lustspiel-gemässes  Interesse  zu  erregen?  Wir  fanden 
schon,  dass  er  es  nicht  vermag;  dass  durcli  ihn  kein  ordentlicher 
komödienwürdiger  Selbstbetrug  zu  Stande  kommt.  Syrus  endlich 
-  denn  die  andern  Figuren  kommen  nicht  in  Betracht  —  Syi'us 
steht  eingeklemmt  da  zwischen  Rinde  und  Borke;  zwischen  der 
Unfähigkeit,  Andere  zu  foppen,  und  der  Fähigkeit,  sich  selbst  zu 
betrügen,  und  hilft  sich  mit  dem  bekannten  Einfall  des  übersatten 
Faulthiers  in  Raff's  Naturgeschichte  aus  der  Klemme.  Syrus  hat 
weit  mehr*  von  einem  Hofmeister  in  tausend  Aengsten,  aus  treuer 
Anhänglichkeit  für  seinen  Zögling,  als  von  einem  Ränke  spinnen- 
den Komödiensklaven.  Wie  denn  auch  wirklich  die  Komödien 
des  Terenz  Ehrenrettungen  seiner  fi-üheren  Standesgenossen,  der 
Haussklaven,  scheinen  könnten,  die  der  Lustigmachor,  der  Plautus, 


604  I^i^  röiuisclie  Komödie. 

durch  seine  witzigen,  an  Pfiffen  und  Listen  unerschöpflichen,  von 
Geist,  Jovialität  und  Komik  spradelnden  Sklaven  in  den  Geruch 
von  ausgepichten,  mit  allen  Laugen  der  lachenmachenden  Komö- 
die gewascheneu  Schelmen  gebracht  hat;  mit  allen  Laugen  der 
leidigen,  motorischen  Komödie ;  so  motorisch  und  so  wenig  stata- 
risch,  dass  man  aus  der  komischen  Bewegung  und  aus  dem  La- 
chen gar  nicht  herauskommt,  und  das  einzige  Statarische  diese 
stehende  Belustigung  ist.  Was  endlich  die  Moral  des  Selhst- 
peinigers  betrifft  und  ihre  Pointe  --  wenn  dieselbe  darin  liegen 
soU,  dass  gezeigt  mrd:  wie  nichtig  Täuschungen  in  sich  selber 
sind,  wie  überflüssig  folglich,  und  dass  der  gerade,  wahre  Weg 
der  kürzeste  und  beste ;  wenn  der  Dichter  seinen  frühern  Standes- 
genossen diese  Lehre  an' s  Herz  legen  wollte:  so  könnte  die  ganze 
römische  Sklavenzunft  dagegen  aufstehen  und  ihrem  einstigen  Col- 
legen  zu  bedenken  geben:  Wenn  das  Intriguii'en  in  sich  selber 
nichtig  und  überflüssig  ist:  so  ist  diess  um  so  gewisser  eine  Ko- 
mödie, die  mit  dieser  Nichtigkeit  und  Ueberfiüssigkeit  gleich  be- 
ginnt; die  uns  diese  Vergeblichkeit  nicht  an  einer  gutdurchge- 
fiihi'ten  und  gelungenen  Intrigue,  dergleichen  wir  in  der  Regel 
zetteln,  nachweist  und  aufzeigt;  sondern  in  einer  Intrigue,  die 
von  vornherein  und  von  Haus  aus  nichtig  und  überflüssig  ist. 
Deine  Moral,  Herr  Bruder,  mag  sich  nm*  dein  „Selbstpeiniger" 
selber  merken. 

Dagegen  zeichnet  sich  unsere  Komödie  vdeder  durch  eigeu- 
thümliche  Vorzüge  aus.  Unter  diesen  sticht  auch  hier  die  Be- 
handlung des  Dialogs,  die  Gesprächsführung,  hervor.  Er  bleibt 
für  alle  Zeiten  eine  Musterstudie  durch  die  formell  komische 
Bewegung,  Zierlichkeit,  Eleganz  und  den  feinsten  Geschmack 
einer  gelind  vornehmen  Heiterkeit,  die  so  wolüthuend,  natürlich 
und  anmuthig  in  fast  jeder  Scene  waltet.  Erregen  diese  Figuren, 
diese  Situationen  gerade  keine  innige  Seelenlust,  wenn  man  schon 
auf  jenes  womievolle,  enthusiastische  Lustspiel-Lachen  verzichten 
soll;  —  so  behaupten  sich  doch  diese  stattlichen  Grossbürger,  in- 
mitten der  glimpflichen  Lächerlichkeiten,  wozu  sie  Anlass  geben 
möchten,  immerhin  als  biedere,  würdige  Lustspiel- Väter  und  re- 
spectable  Komödien-Greise.  Ja  sie  erheben  sich  zuweilen  zu 
einem  Gemüthsadel  von  dem  gediegensten  Korn,  bis  zu  ächt- 
menschlicher Weisheit  und  Milde.    Sie  vertreten  auch  den  Söhnen 


Der  Selbstquäler.     Das  Humane.  605 

gegenüber  die  väterliche  Autorität  mit  dem  würdevulleu  Nach- 
dmck  heilsamer  Strenge.  Wie  unser  Chreraes  z.  B.  (v.  4.)  dem 
Clitipho  gegenüber,  in  einer  kurzen,  kräftigen,  eindringlichen  Straf- 
scene,  welche  dem  Horaz  jenen  Vers  eingeben  mochte  '): 

Iratusque  Chrenies  tuuiido  delitigat  ore 

.,ChreiHes  tobt  in  der  Hitze  des  Zorns  aus  schwellendem  Munde.'" 

Aus  seinem  Munde  ertönt  auch  l,  l  25.)  jener  weltberühmte 
Vers: 

Homo  sum,  nihil  hiimani  a  nie  alieuum  puto. 

Ich  bin  ein  Mensch,  und  nichts,  was  menschlich,  ist  mh'  fremd. 

Ein  Vers,  dem,  wie  der  h.  Augustinus  berichtet,  das  römische 
Theater-Publicum ,  so  oft  er  gesprochen  wurde,  zujauchzte;  das- 
selbe Publicum,  das  die  Gladiatoren  mit  seinen  Zurufen  zu  gegen- 
seitiger Zermetzelung  anfeuerte.  Der  Terentianische  Spruch  bliebe 
immer  noch  bejauchzenswürdig,  sollte  das  humanum  auch  nicht 
ganz  dem  Sinn  entsprechen,  den  wir  mit  dem  „Allgemeinmensch- 
lichen" verbinden,  und  nur  die  Bedeutung  haben,  die  ihm  Cicero  2) 
beilegt,  wonach  es  das  theilnehmende  Mitgefühl  bezeichnen  würde, 
ähnlich  wie  Virgil's: 

Non  ignara  mali  miseris  succurrere  disco. 

Leider  müssen  wir  aus  dem  Munde  desselben  Chremes,  des  Hu- 
manisten und  Pädagogen,  Gesinnungen  vernehmen,  die  zu  jenem 
goldensten  von  Terentius'  Sprüchen  einen  grellen  Missklang  bil- 
den. In  der  Scene  (III,  5.),  wo  Sostrata  ihrem  Manne,  Chre- 
mes, die  Nachricht  von  der  wiedergefundenen  Tochter  bringt,  lässt 
derselbe  Aeusserungen  fallen,  die  das  Homo  sum  in  Frage  stellen. 
Die  Kunde  nimmt  er  mit  dem  unmenschlichen  Vorwurf  entgegen: 
„Wenn's  dein  Wille  war,  wie  ich  gebot  zu  thun;  so  hättest  du 
das  Kind  umbringen  lassen  müssen,  nicht  in  Worten  seinen  Tod 
mir  heucheln"  .  .  .  Mad.  Dacier  bemerkt  zu  dieser  Aeusserung: 
Je  ne  lis  jamais  ce  passage  sans  horreur:  „Ich  lese  diese  Stelle 
niemals  ohne  Schauder."  Wer  empfände  ihn  nicht  mit  ihr? 
Die  treftliche  Fniu  macht  aber  die  „usages"  dafür  verantwortlich ; 
wir  den  Dicliter.  „Du  liättest  diese  Aeusserung  umbringen  müssen", 


1)  Ad  Pis.  94.         2)  de  off.  I,  36. 


606  I^i^  römische  Komödie. 

intereniptam  opportuit,   rufen  wir  ihm   zu,  und,   fandest  du  sie 
im  Menander,  sie  in  der  griechisclien  Wiege  ersticken  müssen. 

Der  Eunuch  (Eunuchus).  Aufgeführt  an  den  Megalenseu, 
unter  den  curul.  Aedilen  L.  Postumius  Albinus  und  L.  Corn.  Me- 
nela,  und  den  Consuln  M.  Valerius  und  C.  Fannius  Strabo  (592 
d.  St.,  159  V.  Chr.).  Fünf  Jahre  nach  der  ersten  Vorstellung  der 
Audria.  In  Scene  gesetzt  von  L.  Ambiv.  Turpio  und  L.  Attilius 
aus  Praeneste.  Die  Cautica  componirte  Flaccus,  Sohn  des  Clau- 
dius, für  die  ungleiche  Doppelflöte,  die  recht-  und  linkseitige 
(tibiis  dextra  et  sinistra^;  wie  Donat  zu  dieser  Komödie  bemerkt: 
wegen  ihres  aus  scherzhaft  ernsten  Bestandtheilen  gemischten  Cha- 
rakters (ob  jocularia  multa  permixta  gravitatej.  Sie  wurde  zwei- 
mal gespielt.  „An  einem  Tage  zweimal"  (bis  die  acta},  was  auf 
einer  falschen  Abschrift  beruhen  mag,  da  „die"  in  einigen  Manu- 
scripten  fehlt. 

Im  Eunuch  hat  Terentius  wieder  zAvei  Stücke  des  Menander, 
dessen  Evvovyoc  und  Köla'S.  (Schmeichler),  contaminirt  oder  ver- 
flochten, und  wird  auch  dafür  wieder  von  seinem  stehenden  Geg- 
ner, der  stereotypen  Maske  seiner  Prologe  gleichsam,  dem  Lusc. 
Lavinius,  angegrifl'en,  „dem  fertigen  Uebersetzer  und  sclilechten 
Dichter",  wie  ihn  der  Prolog  bezeichnet.  Die  Thatsache  jener 
Verschmelzung  von  Menauder's  zwei  genannten  Stücken  stellt  der 
Prolog  keineswegs  in  Abrede  (30  if.):  „In  diesem  Stücke  kommt 
ein  Schmeichler  und  prahlender  Soldat  vor.  Der  Dichter  läugnet 
nicht,  dass  er  diese  Figuren  aus  dem  Griechischen  in  sein  Stück, 
den  Eunuchen,  übertragen".  Den  Vorwurf  aber  seines  Geg- 
ners, dass  er  ein  Plagiat  an  Naevius  und  Plautus  begangen, 
als  sey  der  Eunuchus  das  alte  Stück  von  Naevius  und  von  Plau- 
tus, der  Schmeichler,  die  Kolle  des  Parasiten  und  prahleri- 
schen Soldaten  daher  entlehnt  —  das  weist  der  Prolog,  im  Namen 
des  Dichters,  aufs  entschiedenste  zurück:  „doch  gänzlich  läugnet 
er  es  ab,  schon  früherhin  ge-^iisst  zu  haben,  dass  die  Stücke 
im  Lateinischen  vorhanden  waren"  (sed  eas  fabulas  factas 
Latinas,  scisse  sese,  id  vero  pernegat).  Eine  allerdings  auftal- 
lige  Behauptung,  die  wir  indessen  auf  guten  Glauben  annehmen 
müssen,  da  sich  Terentius  damit  vor  seinem  Publicum  rechtferti- 
gen   durfte.     Von  dem  grossen  Erfolge    des  Stückes    und    dem 


Tereiitius.     Der  Eunuch,  607 

aussei'gewölmliclieu  Honorar,  das  der  Dichter  dafür  erhielt,  haben 
wir  schon  berichtet. 

Der  Inhalt  ist  im  Wesentlichen  folgender:    Die  aus  Rhodus 
nach  Athen  übergesiedelte  Buhlerin,  Thais,  erhält  von  Thraso. 
einem  prahlerischen  Offizier,  der  sie  unterhält,    ein  junges  Mäd- 
chen zum  Geschenk,  welches,  als  freigeborenes  Kind  edler  Eltern 
aus  Attica,   war  geraubt,   nach  Rhodus  entführt  und  der  Mutter 
der  Thais  von  einer  Freundin,  die  das  Kind  gekauft  hatte,  ge- 
schenkt worden.    Nach  dem  Tode  von  Thais'  Mutter  wurde  das 
Mädchen  von  deren  Erben  zum  Kaufe  ausgeboten  und  von  dem 
Thraso  für  die  Thais  erworben.     Doch  will  er  das  Mädchen,  Na- 
mens Pamphila,  der  Geliebten   nur  unter  der  Bedingung  las- 
sen, wenn  sie  den  Phaedria,  einen  jungen  Athener,  den  sie  in- 
zwischen hatte  kennen  lernen,    und  mit  dem  sie  ein  zärtliches 
Verhältniss  angeknüpft,  verabschiedet.     Thais,  von  dem  uneigen- 
nützigen, edlen  Antrieb  bestimmt:   das  Mädchen  ihren  attischen 
Eltern,  sobald  diese  ermittelt,  zurückzustellen,  ^vünscht  lebhaft  in 
den  Besitz   des  ihr  theuern  Kindes  zu  gelangen,    das  im  Hause 
ihrer  Mutter,  als  ihre  Schwester,  war  erzogen  worden.     Sie  ent- 
fernt daher  den  Phaedria,  obgleich  sie  ihm  zugethan,  und  der 
Jüngling  sie  leidenschaftlich  liebt.     In  seinem  Liebesgram  zieht 
sich  Phaedria  auf  einige  Tage  in  ländliche  Einsamkeit    zurück, 
nachdem  er  zuvor,  um  dem  Offizier  an  Freigebigkeit  nicht  nach- 
zustehen,   seinem  Diener,  Parmeno,   den  Auftrag  gegeben,  der 
Thais  einen  für  theueres  Geld  gekauften  Eunuchen,  als  Zeichen 
seiner  unveränderten  Zärtliclikeit,  zuzuführen.     Das  Mädchen,  die 
Pamphila,  wird  nun  vom  Schmarotzer  des  Thraso,  von  Gnatho, 
der  Thais  zugeführt.    Im  Piraeus,    von  wo  der  Schmarotzer  die 
Pamphila  abholte,  hatte  des  Phaedria  jüngerer  Bruder,  Ohaerea, 
der  dort  auf  Wache  war,  das  wunderschöne  Mädchen  erblickt  und 
sich  zur  Stelle  in  sie  verliebt,  so  unwiderstehlich,  dass  er  seinen 
Posten  im  Stiche  lässt,  um  dem  Mädchen  nach  der  Stadt  zu  fol- 
gen.   Hier  verliert  er  sie,   von  einem  lästigen  Bekannten  aufge- 
halten, aus  den  Augen,  trifft  dann  mit  Parmeno,  dem  Diener  sei- 
nes altern  Bruders,  vor  dem  Hause  der  Tliais  zusammen,  in  Ver- 
zweiflung übe)'  sein  Missgeschick.     Die  Verschwundene  hatte  Par- 
meno so  eben  in  das  Haus  der  Buhlerin  führen  sehen  und  theilt 
diess  dem  Chaerea   mit.     Dieser,   lichterloh,  beschwört  den  Par- 


ßQg  Die  römische  Komödie. 

meiio.  ein  Mittel  zu  ersinnen,  wie  er  des  Mädchens  habhaft  wer- 
den möchte,  da  er  die  Tliais  nicht  kenne,  und  daher  keinen  Zu- 
tritt in  iln-  Haus  habe.  Wie  beneidet  er  den  glücklichen  Eu- 
nuchen, von  dem  ihm  Parmeno  eben  erzählt  hat,  um  dieses  Vor- 
recht, mit  dem  geliebten  Mädchen  bald  unter  demselben  Dache 
weilen  zu  dürfen.  Kaum  hat  Chaerea  diesen  Sehnsuchtsseufzer 
ausgestossen,  hat  auch  schon  Parmeno  einen  Anschlag  beim  Zipfel. 
Und  kaum  lässt  Parmeno,  mehr  in  Scherz  als  Ernst,  das  erste 
Wort  von  einer  Einschwärzung  des  Chaerea  als  Eunuchus,  au 
dessen  Stelle,  fallen,  fühlt  auch  schon  der  sechzehnjährige  Junge 
sich  Mamis  genug  für  die  Rolle;  Parmeno,  dem  der  Spass  doch 
Bedenken  erregt,  mag  sich  sperren,  wie  er  will.  „Ich  befehl's" ! 
ruft  Chaerea,  „ich  zwinge  dich,  gebiet'  es  dir  .  .  .  Nie  werd'  ich 
läugnen,  dass  ich  es  angestiftet  --  Folge  mir!" 

Zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Act  ist  der  sechzehn- 
jälu'ige  Unband  als  Eunuch  im  Hause  der  Thais  installirt.  Er 
müsste  der  seyn,  der  er  niclit  ist,  um  den  Zwischenact  nicht  so 
zu  benutzen,  dass  nicht  schon  der  dritte  an  die  Katastrophe  den- 
ken müsste;  zumal  ein  Bruder  des  Mädchens,  ein  junger  Land- 
mann, den  Thais  entdeckt  und  zu  sich  hinbeschieden,  in  ihrer 
Wohumig,  während  sie  mit  dem  Thraso  ausser  dem  Hause  dinirt, 
sich  eingestellt  hat,  bald  nachdem  der  sechzehnjährige  Ersatz- 
mann des  Eunuchen  sein  Wächter-Amt  bei  der  Pamphila  ange- 
treten. Des  Pseudo-Eunuchen  erste  Dienstleistung  war  die:  von 
dem  eingeschlummerten  Mädchen  die  Fliegen  abzuwehren  mit 
einem  Fliegenwedel.  Wie  erschraken  Thais'  Mägde,  die  unten 
inzwischen  ein  Bad  genommen,  als  sie  wieder  herauflvamen  in  die 
obere  Stube,  und  das  Mädclien  erblicken,  auch  sich  badend,  al)er 
in  Thränen;  neben  iln-  den  Wedel,  aber  keinen  Eunuchen,  der 
mit  der  letzten  Fliege  davongeflogen.  Eine  schöne  Menander- 
Komödie,  denken  die  Zofen.  Wenn  nun  der  Bruder,  den  sie  zur 
Thais  in's  Gasthaus  geschiclft,  wo  diese  mit  dem  Thraso  zusam- 
menspeist -  -  wenn  des  Mädchens  Bruder,  der  Landmann,  mit  der 
Herrin  zurückkehrt,  und  Beide  die  Schwester,  er  die  leibliche,  sie 
die  angenommene,  so  vor  sich  sehen!  Sie  fi-euen  sich  schon  auf 
den  vierten  Act,  nach  einem  solchen  dritten.  Und  was  wird 
Phaedria  in  diesem  vierten  Act  zu  seinem  entsprungenen  Eu- 
nuchen sagen,  wenn  er  vom  Lande,   nach  den  zwei  Tagen  Frist 


Der  Eunuch.    Phaedria.   Dorus.   Pythias.  609 

zurückkommt,  um  welche  ihn  die  Thais,  im  Interesse  des  Mäd- 
chens, gebeten?  Denn  der  Pamphila  zu  Liebe  lässt  sie  sich  die 
Gesellschaft  des  unausstehlichen  Thraso  gefallen,  den  sie  nun  von 
des  Mädchens  mittlerweile  entdecktem  Bruder,  gleich  nach  auf- 
gehobener Tafel,  will  fortjagen  lassen,  um  sich  wieder  mit  ihrem 
geliebten  Phaedria  vereinigen  zu  können.  Die  Augen,  die  Phae- 
dria bei  der  ersten  Kunde  von  dem  Verschwinden  seines  Eu- 
nuchen machen  wird,  und  von  dessen  Fahrten,  bevor  er  das  Weite 
gesucht,  wenn  ihm  auch  hiervon  die  Mägde  der  Thais  ausführ- 
lichen Bericht  abstatten!  Dorus  —  wer  hätte  das  von  ihm  ge- 
dacht! —  Dorus,  sein  runzeliger,  verschrumpfter  Eunuch,  der  kei- 
ner Fliege  etwas  zu  Leide  thun  kann,  und  solche  Streiche!  Wie 
wird  Phaedria  vollends  Augen,  Ohren,  Nase  und  Mund  aufsperren 
vor  verblüfftem  Erstaunen,  wemi  er  drinnen,  in  seiner  Wohnung, 
das  unbegreifliche  Naturspiel,  den  Dorus,  nihig,  gemächlich  und 
ehrbar,  wie  es  einem  Eunuchen  zukommt,  wird  sitzen  sehen,  und 
in  ganz  andern  Kleidern,  als  dem  bunten,  hübschen  Castraten- 
Anzug,  womit  er  seinen  Hämling,  zu  Ehren  der  Geliebten,  her- 
ausgeputzt hatte! 

Wer  beschreibt  Phaedria's  Augenaufsperren  nun  gar,  als  er 
den  hervorgezerrten,  und  mit  den  elirenrührigsten  Ausrufungszei- 
chen begrüssten  Dorus,  in  Gegenwart  von  Thais'  Magd,  der  Py- 
thias, dem  strengsten  Untersuchungsverhör  unterwirft,  und  diese 
erst  gar  nicht  begreift,  was  es  mit  dem  alten  Stinkwiesel  auf  sicli 
hat,  und  dann  erklärt:  dieses  alte  Weib  gliche  ihrem  Eunuchen 
so,  wie  ein  als  Eunuch  verkleideter  Hammel  einein  jungen,  kräf- 
tigen Burschen  von  sechzehn  Jahren,  „mit  schönem,  ohiiem  Ge- 
sichte", gleicht,  i^hidlich,  als  der  Hammel,  in  seiner  Angst,  Ge- 
ständnisse zu  blöken  beginnt,  und  Phaedria  in  seinem  Jüngern 
Bruder,  Chaerea,  den  rechten  Mann  liinter  dem  unrechten  Eu- 
nuchen erkennt:  da  fängt  auch  er  an  hell  zu  sehen;  er  und  die 
Pythonissin,  die  Seherin  Pythias.  Wer  beschreibt  nun  aber  auch 
die  Kippenstösse  und  Fusstritte,  womit  Phaedria  den  richtigen  Eu- 
nuchen, als  einen  Lügenbeutel,  in's  Haus  zurückbefördert!  Und 
wer  die  Scene  im  fünften  Act  zwischen  Thais,  der  Magd  Pythias 
und  Chaerea,  -  CliaereaV  Ja,  Chaerea,  der  sich  eiligst  wieder 
auf  seinem  Posten  eingefunden!  --  nicht  auf  dem  Wachtposten 
in  Piraeus,  bewabre!  auf  seinem  Wächter-Posten  bei  Panijthila, 
II.  ;j'j 


ßlQ  Die  römische  Komödie. 

uin.  falls  sie  wieder  eingeschlafen,  die  Fliegen  zu  verjagen.    Die 
Scene  zu  beschreiben,  ist  unmöglich ;  abschreiben  geht  schon  eher 

(V.  2.): 

Thais.    .     .     .     Ei,  Dorus,  wackerer  Mann,  willkomraeii!    Sag'  mir,  bist 

du  davon  gelaufen  V 
Cliaerea.  Ja.  Herrin. 

Thais.     Kannst  du  selbst  das  billigen V 
Chaerea.  Nein. 
Thais.     Glaubst  du,  es  werde  ohne  Strafe  dir  so  hingehn? 
Chaerea.  Diess  einzige  Versehen  übersieh;  verseh  ich  dann  mich  wieder, 
dann  magst  du  mich  tödten. 
Thais.     Warst  du  vor  meiner  Strenge  etwa  bange? 
Chaerea.  Nein  .  .  . 

Thais.     Was  hattest  du  begangen? 
Chaerea.  Oh,  ijichts  Erhebliches. 
Pythias.  Wie,  Unverschämter!  nichts  Erhebliches,  ein  junges  Mädchen  — 

eine  Bürgerin?  — 
Chaerea.  Ich  hielt  sie  für  eine  Mitsklavin. 

Pythias.  Für  eine  Mitsklavin?    Kaum   halt'  ich  an  mich,    dass  ich   üim 
nicht  in  die  Haare  fahre.     Das  Ungeheuer  kommt  noch,  seinen 
Hohn  mit  uns  zu  treiben!  .  .  . 
Thais.     ...     Du  hast  nicht  deiner  würdig  gehandelt,  Chaerea.    Denn 
war  ich  solchen  Schimpfes  werth.  so  war  es  deiner  dennoch  un- 
würdig,   mir  ihn  anzuthun.     Fürwahr  jetzt   weiss    ich   mir   des 
Mädchens  wegen  keinen  Rath  .  .  . 
Chaerea.  Nun  bitt'  ich  dich,  dass  du  mir  Helferin  in  dieser  Angelegen- 
heit seyn  wollest;  deinem  Schutze  übergebe,  überlasse  ich  mich. 
Dich  wähl'  ich  zur  Vertheidigerin  .  .  .    Dich  fleh'    ich  an.     Ich 
will  des  Todes  seyn,  wenn  ich  sie  nicht  zur  Gattin  nehme. 
Thais.     Doch  wenn  dein  Vater  -- 
Chaerea.  Ich  weiss  gewiss,  der  giebt  es  zu,  wenn  sie  eine  Bürgerin  von 
hier  ist. 
Thais.     Dann  warte  nur  ein    wenig,    wenu's   dir-   so  beliebt.     Des  Mäd- 
chens Bruder  wird  gleich  wieder  hier  seyn  .  .  .    Beim  Wieder- 
erkennen soUst  du  selbst  zugegen  seyn  .  .  . 
Pythias.  Was  fängst  du  an,  ich  bitte  dich! 
Th  ais.     Wie  so? 
Pythias.  Du  fragst?    Nach  solchem  Vorfall  denkst  du  diesen  in  dein  Haus 
wieder  aufzunehmen? 
Thai  s.    Warum  nicht  ?  .  .  . 
Pythias.  Du  scheinst  mir  .seine  Dreistigkeit  nocli  nicht  genug  durchschaut 

zu  haben. 
Chaerea.  Ich  thu'  nichts  Arges.  Pythias, 
Pvthias.  Dir  traue  ich  iiidit  eher,  als  bis  nichts  begangen  ist. 


Der  Eunuch.     Thais.  (JH 

Chaerea.  Nun,  P^thias,  so  suUst  du  mich  hüten. 

Pythias.  Dir  möcht'  ich  wahrlich  weder  was  zu  hüten  geben,   noch  dich 
selber  hüten.     Bleib  mir  weg  damit.  .^■■ 

Thais.    Da  kommt  der  Bruder  ja  gerade  recht. 
Chaerea.  0  weh!    Ich  bitte  dich,  lass  uns  hineingehen,  Thais.    Ich  majf 
nicht,  dass  er  auf  der  Strasse  mich  in  dieser  Kleidung  sieht. 
Thais.     Wesswegen  nicht V     Schämst  du  dich  etwa? 
Chaerea.  Das  ist's  gerade. 
Pythias    (lachend).    Das  ist's  gerade!    Wie  jüngferlich !  — 

Wie  meisterlich  dialogisii-t!  Die  Figuren  wie  anmuthig  und 
natürlich  in's  Spiel  gesetzt,  aber  für  welche  Situation,  für  welche 
Fabel!  Wie  müd  und  lieblich  das  Frechste  versüsst;  wie  ver- 
söhnlich skandalös,  wie  einschmeichlerisch  obscön,  wie  liebens-wür- 
dig  schandvoll,  wie  naiv  unzüchtig!  Von  aussen  hui,  von  innen 
pfui.  Introrsum  tui'pem  speciosum  pelle  decora.  Von  aussen  so 
gefällig,  glatt  und  manierlicli;  von  innen  so  ekelhaft  unsittlich, 
so  liederlich  schmutzig!  Quidquid  come  loquens  ac  omnia  dulcia 
dicens:  „Was  er  spricht,  klingt  Alles  so  lieblich,  so  hold  und  rei- 
zend", sagt  Cicero  von  Terenz  in  dem  ihm  zugeschriebenen  Ge- 
dichte, „die  Blumenau"  (Limon).  Ja  wohl;  Alles  aufs  zierlichste 
und  reizendste  vertuscht  und  verwischt;  mit  scherzhafter  Heiter- 
keit der  zarteste  Duft  und  Hauch  der  Sittsamkeit:  die  Scham- 
röthe,  bis  auf  die  leiseste  Spur  weggelächelt.  Das  süsseste  Gift; 
die  geschmeidigsten  Nattern  unter  den  unschuldigsten  Rosen.  Aber 
das  zuckersüsse  Gift  und  die  Nattern  unter  den  pädagogischen 
Blumen,  sie  rulien  gleichwohl,  unserem  berühmten  Gewährsmann 
zufolge,  auf  einer  sittlichen  Auflassung  des  Lebens,  auf  den  rein- 
sten pädagogischen  Zwecken.  Ist  die  Thais  nicht  wieder  die 
schönste  der  Seelen?  Die  uneigennützigste,  bis  an  die  Haar- 
spitzen, man  weiss  nicht,  ol)  mehr  in  edelmütliige  Ausschweifung 
oder  in  ausschweifenden  Edelinuth  getauchte  Buhlorin?  Ist  sie 
nicht  die  veredelte,  die  vervollkommnete  Bacchis  aus  der  Hecyra, 
vervollkommnet  und  emporgeläutert  bis  zu  einem  Ideal,  einem 
Engel  der  Prostitution?  Menander  mochte  begreiflicherweise  die 
ganze  Frauenwelt  sub  specie  aeterni  seiner  vergötterten  Glycera 
betrachten;  Sittsamkeit,  Scham,  Unschuld,  Seelenreinheit  des  Wei- 
bes, als  geschändete  Sklavinnen  an  die  Bettstollen  des  goldenen 
Freudenlagers  seiner  Glycera  anketten;  mochte  das  Theater  des 
Freudengottes  Dionysos   zum  Freudeidiause    einer   Freudengöttin 

39* 


612  Die  römische  Komödie. 

weihen:  aber  der  halbirte  Meiiander?  —  Der  Menander-Eunuchus 
im  bunten,  schmucken  Seidenkleide?  —  Der,  so  viel  man  weiss, 
in  keiner  Gl3'Cera  Circe-Fesseln  scliniachtete  ?  — ^ 

Thais,  ob  sie  gleich  das  Weib  vorstellt,  wie  es  seyn  soll, 
wird  doch  von  ilirer  Magd,  der  Pythias  —  die  kostbarste  Figur 
in  dieser  Komödie  —  audax  Pythias  ^),  an  lusthäuslicher  Ehrbar- 
keit und  Würde  übertroffen.  Sie,  die  Pythias,  ist  die  Berufene, 
die  Auserwälüte,  die  allein  für  des  Hauses  Ehre  in  die  Schran- 
ken tritt;  ja  die,  aus  Gründen  der  öftentlichen-Häuser-Sittlich- 
keit,  die  Nothzucht  auf  die  einfache,  anständige  Unzucht  er- 
mässiget  wissen  möchte.  Sie  ist  es  denn  auch,  die  treffliche  Py- 
thias, die  sich  zur  Nemesis  dieser  Komödie  berufen  fühlt,  als 
welche  sie  an  ihrem  Geschäftsfi-eunde  und  Gewerbsgenossen,  dem 
Haussklaven  Parmeno,  der  das  Handwerk  in  Misscredit  bringt, 
eine  verdiente  Lustspiel-Rache  nimmt. 

Sie  sieht  ihn  daher  kommen  f V,  3) :  „da  schreitet  ja  der 
wackere  Mann,  der  Parmeno  heran.  Wie  er  doch  so  gemüthlicli 
schlendert!  Ich  hofte,  dass  ich  jetzt  auf  meine  Weise  ihn  ge- 
hörig quälen  kann.  Erst  gehe  ich  hinein,  um  von  dem  Wieder- 
erkennen mich  zu  überzeugen.  Gleich  bin  ich  wieder  hier,  und 
setze  meinen  Schurken  dann  in  Angst  (ab)".  Parmeno  schlendert 
wirklich  daher,  ganz  erfüllt  und  wie  berauscht  von  demBewusst- 
seyu  seiner  Verdienste  um  Chaerea  und  dessen  Familie:  „Hat  er 
die  Sache  listig  angefasst,  o  Götter,  welches  grosse  und  verdiente 
Lob  gebührt  dem  Panneno  dann".  Doch  hiervon  —  fährt  er 
fort  —  ganz  abgesehen,  darf  ich  noch  auf  ein  anderes  Verdienst 
stolz  sejm,  „und  diess  gerade  ist's,  wofür  die  Palme,  wie  ich 
glaube,  mir  gebührt  —  dass  ich  herausgefunden,  wie  ein  junger 
Mensch  die  Sitten  und  die  Sinnesart  der  feilen  Dirnen  kennen 
lernen  kann  .  .  .  Denn  sind  sie  ausser  ihrem  Hause,  nichts  er- 
scheint dann  reinlicher,  anständiger  und  feiner  .  .  .  Den  Schmutz 
in  ilu'em  Hause,  die  IJnsauberkeit  in  ihrem  Aeussern"  —  will 
sagen,  in  ihrem  Innern  --  „alles  diess  zu  kennen  ist  das  Heil 
für  junge  Leute".  "Wie  doch  der  Kuppler-Sklave,  Parmeno,  so 
tief  in  seines  Dichters  Seele  liest!  Wie  er  doch  so  ganz  aus  die- 
ser Seele  spricht;    und   welcher  getreue   Dolmetsch    er   von  des 

J)  Hör,  A.  P.  V.  38. 


Der  Eiiniu-li.     raniieno  und  Pythias.  613 

Dichters  pätlaoogischcr  Komödien -Tendenz  ist:  dass  man  sech- 
zehnjährige Jüngiinge  im  Sumpfe  der  Liederlichkeit,  wie  Achilles 
im  St}Tc,  stählen  und  abhärten  muss  gegen  die  Regungen  eines 
wüsten,  liederlichen  Lebenswandels.  Mit  andern  Worten,  dass 
man  die  Söhne  rechtschaffener  Eltern  erst  in  schlechten  Häusern 
von  Grund  aus  verderben,  von  habsüchtigen  Dirnen  erst  an  Seele 
und  Köii»er  aussaugen  und  ausmergeln  lassen  muss,  bis  sie  die 
Fähigkeit  zur  Liederlichkeit  verschlemmt  und  vergeudet  haben, 
und  als  moralische  Eunuchen,  Eunuchen  an  Leib  und  Seele,  nach 
ihrem  häuslichen  Heerde  zurückwanken,  um  fürderhin  als  gesit- 
tete, enthaltsame  Ehemänner  und  Familienväter  zu  leben.  Dass 
dieses  die  Quintessenz  von  Parmeno's  Worten,  und  seine  Moral 
im  Wesentlichen  die  der  Komödie  selber  ist,  wird  die  Entwicke- 
lung  noch  deutlicher  und  überzeugender  vor  Augen  stellen. 

Die  Zofe  ist  wieder  zur  Stelle  und  hat  Parmeno's  Selbstge- 
spräch belauscht: 

Pythias.  „Nun  warte,  Bösewicht,  für  das,  was  du  gespro- 
chen und  gethan  will  ich  Eache  nehmen  .  .  .  (laut):  0  Göt- 
ter, welclie  gi'ässliclie  Begebenheit  —  der  arme,  junge  Mensch! 
0  der  verruchte  Pamieno,  der  ihn  hierher  gebracht  hat!  Par- 
meno  (für  sich).  Was  giebt's?  Pythias.  Er  dauert  mich.  Ich 
lief  nur  aus  dem  Hause  weg,  um  nicht  mit  anzusehen,  welches 
fürchterliche  Beispiel  sie  an  ihm  aufstellen  wollen.  Parmeno  in 
der  grössten  Seelenangst:  Was  giebt's  denn,  Pythias?  —  Pythias. 
Was  es  giebt?  .  .  .  Der  Unglückselige  hat  an  ihr  Gewalt  geübt  — 
Sobald  ihr  heftiger  Bruder  diesen  Vorfall  hörte  —  Parmeno. 
Was  that  er  da?  -  Pythias.  Hat  er  sogleich  ihn  jämmerlich 
geknebelt.  Parmeno.  Geknebelt?"  ,  .  .  Das  sey  aber  nur,  be- 
merkt Pythias,  das  Vorspiel  zu  dem  Grässlichen,  was  der  Bruder 
jetzt  mit  dem  Pseudo-Eunuchen  vor  hat;  nicht  mehr  und  nicht 
weniger  nämlich,  als  das  Pseudo  auszumerzen  --  Parmeno  ist 
einer  Ohnmacht  nahe.  Der  Schlag  hätte  ihn  gerührt,  wenn  er  nicht 
den  leibhaften  Schlag  daherwandeln  sälie,  in  Gestalt  des  alten 
Lach  es,  des  Vaters  von  Phaedria  und  Chaerea,  der  eben  vom  Land 
in  die  Stadt  kommt,  keine  Ahnung  hat  von  dem,  was  vorgefal- 
len, und  was  noch  im  Werke  ist.  Pythias,  die  Schelmin,  freut 
sich  wie  ein  Stint  und  entschlüpft.  Die  Scene  nun,  die  Situation 
zwischen  Laches  und  Parmeno  ist  unübertrefflich,  wie  denn  dieses 


ßl4  Di^  römische  Komödie. 

Lustspiel  überhaupt  von  den  bisher  besprochenen  das  abgerundet 
vollendeteste  ist  in  Form  und  Führung,  voll  ächter  Komik  und 
Komödien-Laune,  und  doch  nur  ein  Sodomsapfel  in  Kern,  Fabel, 
und  Ausgang.  Das  Treffliche:  ein  Ring- Juwel,  worin  ein  Gift- 
tropfen eingeschlossen;  und  die  Komik  die  verwerflichste,  ja  die 
wohlfeilste,  wozu  eben  kein  sonderliches  Genie  gehört:  die  Komik 
des  schmutzigen  Skandals. 

Der  alte  ehrliche  Zusammenhalter  und  Sparer  wird  da  schöne 
Sachen  zu  hören  kriegen,  Parmeno  fühlt  das  Messer,  das  er  Cliae- 
rea's  Bruder  über  das  Pseudo  schwingen  sieht,  an  der  Kehle 
sitzen,  und  weiss  keine  andere  Eettung,  als  dem  Alten  Alles,  Alles 
zu  sagen  (V,  5):  Zuerst  vom  Eunuchen,  den  der  ältere  Sohn, 
Phaedria,  gekauft.  Dem  Alten  läuft  es  kalt  über  den  Rücken  — 
Gekauft?  „Für  Wen?  0  weh!  Wie  theuer?"  —  Parmeno.  „Um 
zwanzig  Minen"  -  Lach  es.  „Aus  ist's  mit  mir"  .  .  .  Geduld, 
alter  Wackelkopf!  Das  dicke  Ende  kommt  erst.  Parmeno. 
„Dazu  liebt  Chaerea  eine  Saitenspielerin".  —  Lach  es.  „Wie? 
Was?  .  .  .  Weiss  der  auch  schon,  was  feile  Dirnen  sind?"  Par- 
meno. „0  HeiT,  sieh  mich  darauf  nicht  an!  Auf  meinen  An- 
trieb hat  er's  nicht  gethan".  La  che s.  „Hör'  auf  von  dir  zu  spre- 
chen. Wenn  ich  am  Leben  bleibe,  Taugenichts  —  Jedoch,  er- 
zähle mir  erst".  —  Parmeno.  „Er  ist  statt  des  Eunuchen  zu 
der  Thais  hingebracht".  Der  Alte  erstarrt.  Parmeno.  „Sie  ha- 
ben ihn  nachher  als  Ehebrecher  festgehalten  und  geknebelt". 
Lach  es.  „Mir  schaudert".  Mit  kläglich  zitternder  Stimme :  „Ist 
noch  —  Ist  noch  ein  Unglück  übrig?"  .  .  .  Mehr  weiss  Parmeno 
nicht  vor  der  Hand.  Der  Alte  schnell  hinein  in's  Haus  der  Thais, 
um  das  Unglück,  das  noch  übrig  ist,  zu  verhüten,  den  Stamm- 
halter zu  retten.  Pythias  stürzt  lachend  auf  die  Scene  über  Par- 
meno's  dumme  Leichtgläubigkeit,  der  verklotzt  dasteht.  Par- 
meno. „Was  sagst  du.  Schändliche?  Hast  du  gelogen?  Lachst 
du  noch?"  Pythias.  „Gewaltig".  -  Parmeno.  „Ich  werd'  es 
dir  vergelten".  —  Pythias.  „Ich  glaub'  es  gern.  Jedoch  viel- 
leicht verschiebst  du  noch,  was  du  jetzt  drohst.  Du  hängst  bald 
in  der  Luft,  weil  du  den  unerfaln-nen,  jungen  Mann  erst  zu  Aus- 
schweifungen verführst  und  ihn  dann  beim  Vater  angiebst.  Beide 
stellen  an  dir  ein  Beispiel  auf.  —  Parmeno.  „Ich  bin  ver- 
nichtet".  —    Pythias.     „Das   ist  der  Lohn  für    dein  Geschick. 


Der  Eunuch.     Die  Schluss-Moral.  6I5 

Empfehle  mich  (ab)",  unvergleichlich.  Der  Dichter  ist  auf  dem 
Punkte,  das  grösste  Kunststück  zu  machen,  ein  wahres  Hexen- 
meisterstück. Er  ist  auf  bestem  Wege,  die  strengste  Kritik  der 
spätesten  Jahrhunderte,  durch  eine  geschickte  Volte,  eine  glück- 
liche Schlusswendung,  mit  der  abscheulichen  Komik  seines  Fa- 
belmotivs auszusöhnen.  Wie  grundverderbt  aber  diese  Komödien- 
Grattuug  in  ihrer  Wm-zel  ist,  wii'd  durch  die  Schlusswendung  eben 
offenbar.  Der  meisterlichste  Wurf  endet  damit,  dass  er  die  Ko- 
mödie selbst  über  den  Haufen  wirft.  Der  Schluss  ist,  im  Maasse 
seiner  formellen  Vortreftlichkeit,  sowohl  vom  Gesichtspunkt  der 
komischen  Kunst,  die,  wie  jede  wahre  Kunst,  im  Kern  decent 
und  sittlich  ist,  wie  vom  Gesichtspunkt  des  Bühnen-Schicklichen 
und  Erlaubten,  gleich  verdammlich. 

Ausser  sich  vor  Freuden,  kommt  Chaerea  herbei  gestürzt: 
seine  Pamphila  ist  als  Bürgerin  anerkannt;  sein  Vater  hat  in  die 
Verlobung  mit  ihr  gewilligt.  Der  Freudenrausch  des  Bräutigams 
versöhnt  uns  mit  dem  Eunuchen-Chaerea,  nicht  aber  mit  dem  „Eu- 
nuchen" des  Dichters,  dem  nicht  alle  Mittel  gerecht  sejm  dürfen 
für  seinen  Zweck;  der  seinen  jungen  Leuten  im  Theater  nicht, 
mit  allen  Verführungskünsten  eines  gauklerischen  Lustspiels,  die 
Lehre  in  die  empfänglichen  Gemüther  schmeicheln  darf:  dass  aus 
einem  Faublas  im  Handmndrehen  ein  musterhafter  Ehemann  wird 
und  schlechte  Häuser  die  beste  Vor])ereitungs-  und  üebungs- 
schule  guter  Sitten  seyen.  Auch  darf  ein  Komödien-Schluss  keine 
blosse  Vertuschung  der  Aergernisse  seyn,  die  sie  augerichtet, 
wie  das  hier  der  Fall  ist,  wo  eine  glückliche  Ehe  auf  so  faulem 
Grunde  gestiftet  vdrd;  ja  in  dieser  ganzen  Komödien-Gattung 
überhaupt  der  Fall  ist,  deren  Moral  ihr  Ebenbild  in  jener  Natur- 
Schürze  der  Hottentottinnen  ündet,  die  erst  recht  einer  Schürze 
bedürfte. 

Ist  etwa  Chaerea's  jubelseliger  Dankerguss  gegen  Parmeno 
nicht  ein  neues,  das.  anstössigste  Aergerniss?  {V,  8):  „0  mein 
Parmeno",  schwärmt  Chaerea  —  „0  du  Erfinder,  du  Stifter,  du 
Vollbringer  meines  ganzen  Glückes  (0  Parmeno  mi,  o  mearum 
voluptatum  omnium  Inventor,  inceptor,  perfector),  weisst  du,  welche 
Freuden  mir  geworden  sind?"  .  .  .  Also  wer  Wind  gesäet,  erntet 
Freudenstürme;  der  den  Wip])galgeii  verdient,  wird  von  Dem  auf 
Händen  getragen,  den  nur  ein  Zufall  dem  Abgrund  entrissen,  an 


ßl(i  Die  römische  Kmiiödie. 

den  ihn  der  Stifter  und  Erfüller  aller  seiner  Wonnen  hinge- 
lockt. Damit  sind  aber  Parmeno's  Verdienste  noch  nicht  er- 
schöpft. „Ausserdem  freue  ich  mich  noch"  —  jauchzt  der  glück- 
liche Bräutigam  einer,  durch  die  bestialischste  aller  Liebesbewer- 
bungen, in  einem  öffentlichen  Hause  gewonnenen  Braut  —  „Freue 
ich  mich  noch,  dass  mein  Bruder  Phaedria  nun  im  Genüsse  sei- 
ner Liebe  gänzlich  ungestöii;  bleibt.  Jetzt  ist's  ein  Haus  (una 
est  domusj".  Das  Haus  der  Hetäre  nämlich  und  sein  Vater- 
haus. „Die  Thais  hat  sich  meinem  Vater  werth  gemacht.  Sie 
hat  sich  unserem  Schutze,  unserer  Obhut  ül)ergeben".  Beide  Fa- 
milien machen  künftig  nur  Eine  Familie  aus.  Beide?  Drei  Fa- 
milien nur  Eine  Musterfamilie:  Vater  und  Mutter;  der  ältere 
Sohn  mit  seiner  Maitresse,  der  Thais,  und  Chaerea,  mit  seinem 
geliebten  Weibchen,  das  er  unter  solchen  Auspicieu  zu  seiner  Gat- 
tin weihte.  Alle  Unterschiede  des  Standes  und  Anstandes  sind 
ausgeglichen;  Sitte  und  Liederlichkeit  schliessen  einen  Schwester- 
bund; Nothzucht  und  Unzucht  vermisclien  sich  zur  reinsten  Fa- 
milienzucht auf  der  Unterlage,  worauf  bekanntlich  die  Terentiani- 
sche  Komödie  ruht:  auf  der  sittlichen  Auffassung  nämlich  „der 
Frauennatur  und  namentlich  des  sittlichen  Lebens".  Hier,  im 
Eunuchus  und  in  dessen  herrlichem  Komödienschluss  erscheint  des 
unedlen,  niedrigen,  rohen,  mit  Sprache  und  Sitten  noch  in  der 
Kneipe  stehenden  Plautus  verrufene  Opposition  dieser  Kneipe  ge- 
gen das  Haus  siegi'eich  überwunden;  hier,  in  diesem  erhebenden 
Versöhnungs-  und  Familienfeste  von  Bordell  und  Haus,  von  Pro- 
stitution und  ehrbarem  Familienleben.  Das  una  est  domus 
ist  das  aufgesetzte  Licht,  das  Tüpfelchen  auf's  J  der  Menander- 
Komödie,  und  ihres  Busengedankens:  Doulopornokratie,  Sklaven- 
Hetärenherrschaft;  Doulagogie  und  Hctäresirung  der  Familie  und  der 
Gesellschaft.  Mit  voller  Ueberzeugung  und  wohlüberlegter  Ab- 
sicht drücken  wir  dieser  Komödie  in  ihrer  gewinnendsten  und 
moralisirend  gleissnerischsten  Form,  als  Terentianischer  Komödie, 
das  Brandmal  auf  die  Stirne;  weil  die  Komödie  des  Terenz,  nicht 
die  des  Plautus,  als  die  Stammwurzel  der  schmutzigen  Skandal- 
Komödie  durch  alle  Zeiten  fortwuchert.  Wir  werden  sie  ihre  üp- 
pigsten Schösslingo  in  Epochen  treiben  sehen,  welche,  der  Zeit- 
epoche verwandt,  die  der  Menandcr-Komödie  den  Ursprung  gab, 
die  Doulopornokratie,  in  Staat  und  Gesellschaft,  immer  wieder  von 


Ein  Faiiiilieiibund.  617 

neuem  aufrichten,  herstellen,  restauriren.  So  wird  uns  diese  Ko- 
mödie, in  frechster  Gestalt,  als  englisches  Lustspiel  des  XVII. 
Jahrh.  nach  Shakspeare,  entgegentreten,  zur  Zeit  der  Stuarte;  in 
vollster  Blütlie  nach  der  Restauration  Carl's  II.  Wir  werden  sie 
im  französischen  Lustspiel  herrschen  sehen,  durchhin,  mit  seltnen 
Ausnahmen,  und  in  wachsender  Schamlosigkeit  bis  zu  der  Came- 
lien-Komödie  herab,  die  wiederum  mit  der  Doulopornokratie  in 
Staat  und  Gesellschaft  zusammenfällt,  und  deren  Dichter,  —  dra- 
matische H  -wirthe  ilires  Publicums,  —  in  dem  Leno  der  römi- 
schen Komödie  ihren  Ahnherrn  erkennen  und  verehren. 

Doch  unser  Eunuchus?  Noch  sind  wir  nicht  am  Ende;  noch 
ist  der  Komödie  nicht  die  Krone  aufgesetzt;  die  letzte  Scene  vol- 
lendet erst  das  schöne  Ganze.  Thraso  und  sein  Leibschraarotzer 
Gnatho  müssen,  der  Contaminatio  gemäss  —  das  Wort  bedeu- 
tet, ausser  „Vermischung"  auch  noch  „Befleckung"  —  müssen  den 
Eunuchus  zu  seiner  höchsten  Spitze  emporgipfeln;  die  Contami- 
natio muss  ihm  den  Rest  geben.  Thraso  und  Gnatho  hatten  sich 
unbemerkt  herbeigeschlichen,  und  Chaerea's  Jubel-Ausbruch  mit 
angehört,  den  Thraso  als  seinen  Ausbruch  der  Verzweifelung  be- 
trachten zu  können,  nicht  ohne  Grund  glauben  darf.  Um  den 
Ausbruch  voUeuds  dazu  zu  machen,  eilt  noch  Phaedria  herbei. 
Thraso  fleht  abseits  den  Sclmiarotzer  um  Vermittelung  an,  „dass 
er  doch  einigen  Antheil  an  der  Thais  habe"  .  .  .  und  verspricht 
ihm:  „Was  du  begehrst,  soll  dir  gewährt  seyn".  Gnatho  be- 
dingt sich  freie  Tafel  aus,  für  ewige  Zeiten.  Thraso  sagt  es  mit 
Freuden  zu.  Gnatho  begiebt  sich  an's  Geschäft,  zieht  die  beiden 
Brüder  in's  Gespräch,  häkelt  sich  an  Phaedria  fest,  heisst  den 
Thraso  auf  die  Seite  treten  und  beginnt,  gegen  Phaedria  gewen- 
det: „Zuerst  wünsche  ich  gar  sehr,  ihr  möclitet  Beide  glauben, 
dass  Alles,  was  ich  in  der  Sache  thue,  ich  ganz  besonders  mei- 
netwegen thue.  Doch  wenn  auch  euch  dasselbe  nützlich  ist,  so 
wäre  es  Thorheit,  wenn  ihr  es  nicht  thätet".  Phaedria.  „Was 
ist  es  denn?"  —  Gnatho.  „Ich  meine,  dass  ihr  den  Offlzier  da 
als  Nebenbuhler  wohl  dulden  könntet".  -  Phaedria.  „Dulden?" 
Gnatho,  „Bedenke  nur.  Du,  Phaedria,  lebst  gern  vergnügt  mit 
ihr,  gern  recht  vergnügt.  Was  du  ihr  giebst,  ist  wenig,  und  die 
Thais  braucht  viel.  Um  deiner  Liebe  nun  in  allen  Stücken  ohne 
eigene  Kosten   zu  genügen,    ist  wohl  keiner  mehr  geeignet  oder 


618  Die  römische  Koiuödie. 

besser,  als  der  Offizier.  Er  hat  zu  geben,  und  giebt  reichlicher. 
Er  ist  ein  Tropf,  ein  Dummkopf,  ein  Faullenzer,  und  schnarchet 
Tag  und  Nacht."  —  Phaedria  (zu  Chaerea).    „Was  thmi  wir?" 

—  Gnatho.  „Dazukommt  noch,  was  mir  weit  über  Alles  geht: 
Kein  Mensch  bewirthet  besser  oder  köstlicher."  Chaerea  —  ge- 
wiss hat  der  wackere  Chaerea  dem  unverschämten  Tellerlecker 
mindestens  ein  Dutzend  Fusstritte  in  den  Wanst,  als  ersten  Schüs- 
selgang, verabreicht,  und  beide  elende  Schufte  mit  dem  Komö- 
dien-Pantoffel zur  Thür  hinausgeklopft.  Meint'  Ihr?  unser  Ex- 
Eunuch wäre  nicht  der  würdige  Held  seiner  Komödie,  der  er  ist,, 
wenn  er  auf  die  Insinuation  des  Gnatho :  „Kein  Mensch  bewirthet 
besser  als  Thraso",  seinem  Bruder  anders  riethe,  als  er  rathet: 
„Den  Menschen  kann  man  allerdings  gebrauchen."  —  Gnatho. 
„Ihr  thut  wohl  daran.  Das  Eine  bitte  ich  noch,  dass  ihr  in 
eueren  Kreis  mich  aufnehmet."  —  Phaedria.  „Wir  nehmen's 
an."  —  Chaerea.  „Und  zwar  recht  gern."  —  Gnatho.  „Dafür 
geb'  ich   auch  jenen  preis,  ihn  zu  beschmausen,  zu  verhöhnen." 

—  Chaerea.  „Das  gefällt  mir."  —  Phaedria.  „Er  hat's  ver- 
dient." ,  .  Gnatho  lässt  nun  den  Thraso  näher  treten.  Dieser 
fragt  ihn  leise:  „Wie  steht's  mit  uns,  ich  bitte  dich?  Gnatho. 
„Wie's  steht?  Sie  kannten  dich  nur  nicht.  Als  ich  denselben 
deine  Sinnesart  geschildert  hatte,  und  dich  ihnen  nach  Verdienst 
und  Thaten  lobte,  hab'  ich's  ausgewirkt  .  .  ." 

So  ist  auch  dieser  Bund  glücklich  geschlossen;  der  Drei- 
Familienbund  um  einen  vierten  vermehii.,  und  zu  erfreulichster 
Eintracht  verbrüdert.  Die  herrlichste  Prahler-Schmarotzer-Hetä- 
ren- und  Gaunerwiithschaft,  die  jemals  Ein  gemeinsames,  gemüth- 
lich  bürgerliches  Familienband  umschlungen.  Ein  solcher  Komö- 
dienschluss  verlohnt  schon  eine  Contamination ,  das  Zusammen- 
schlagen zweier  verschiedener,  ob  noch  so  heterogener  Fabelstoffe, 
wie  der  Eunuchos  und  Kolax  von  Menander,  zu  Einer  Komödie; 
mag  auch  der  Held  derselben,  der  Cliaerea,  der  doch  ohnehin  genug 
auf  seiner  Kappe  hat,  noch  unwürdiger,  noch  widerwärtiger  er- 
scheinen. Zu  Gunsten  eines  solchen  Schlusses  darf  sich  die  ge- 
rühmte, und  gerade  um  diese  Verflechtung  zweier  Fabeln,  ge- 
rühmte „Kunst"  des  Terentius  unbedenklich  hinwegsetzen. 

Phormio.  Wie  bei  den  Fabeln,  kehi-t  auch  bei  den  Didas- 
kalien  in  den  Grundzügon  dasselbe  Schema  wieder.    Die  Personen 


Terentius.    Phorinio.  619 

der  Aedilen  und  Consuln  wechseln;  im  Uebrigen  stimmen  die 
Aufltuhrungstabellen  nahezu  tiberein.  Director,  Coraponist  bleiben 
dieselben.  Die  begleitende  Doppelfiöte  ist  hier  die  ungleiche. 
Statt  der  Megalensen  sind  die  römischen  Spiele  angegeben  (Ludi 
Romani).  Als  Theater-Intendanten  fungiren  die  curulischen  Aedi- 
len, L.  Postumius  All)inus  und  Corn.  Merula.  Die  Aufführung 
fand  statt  unter  dem  Consulat  des  C.  Tannius  und  M.  Valerius 
Messala  (592  d.  St.,  1 59  v.  Chr.).  Die  griechische  Grundlage  des 
Stückes  bildet  der  Epidikazomenos  (Kläger)  der  Apollodoros, 
oder,  wie  Donat  will,  dessen  Epidikazomene,  mit  Beziehung  auf 
das  Streitobject,  das  Mädchen,  um  welches  geklagt  wird.  Der 
Phormio  wurde  viermal  in  demselben  Jahre  gespielt.  Andern 
zufolge  soll  acta  quarto  bedeuten:  der  Phormio  sey  als  die  vierte 
von  Terentius'  Komödien  gespielt  worden,  was  aber  durch  die 
vorhergegangene  Darstellung  des  „Eunuchus"  an  den  Kybele- 
Spielen  fMegalensen)  widerlegt  wird,  welchem  die  vierte  Stelle  in 
der  Reihefolge  von  Terenz'  Komödien  zukommt. 

Gleichermaassen  bewegt  sich  der  Prolog  um  denselben  Span, 
den  der  Dichter  mit  seinem  stehenden  Ankläger,  dem  langweiligen 
Lusc.  Lavinius,  schlichtet.  Den  eigentlichen  Prolog  vertritt  auch 
hier  der  erste  Act,  der  über  den  Vorgang  Aufschluss  giebt,  und 
aus  der  einzigen  Scene  besteht,  worin  der  Sklave  Geta  seinen 
Mitsklaven  Davus,  und  mit  ihm  das  Publicum  über  die  in's  Spiel 
gesetzte  Intrigue  orientirt:  Geta's  Haussohn,  Antipho,  hat  sich, 
während  der  Abv^esenheit  seines  Vaters,  Demipho,  eines  Atheni- 
schen Bürgers,  der  nach  Sicilien  in  Geschäftsangelegenheiten  ge- 
reist war,  in  die  Thränen  eines  ehrsamen,  aber  armen  ßürger- 
mädchens  verliebt,  die  sie  bei  dem  Leichenbegängnisse  ihrer  Mut- 
ter weinte,  und  die  ihr  reizendes  Gesicht  noch  schöner  macliten. 
als  es  von  Natur  schon  war.  Schon  am  folgenden  Tage  bestürmt 
er  die  alte  Aufseherin  oder  Amme  des  Mädchens  um  Zulass  zu 
der  schönen  Weinerin.  Die  Alte  bedeutet  ihn:  „Das  Mädchen 
sey  eine  attische  Bürgerin,  unl)escliolten,  von  guten  Eltern."  Zu- 
lass? —  Nur  mit  dem  Ring  am  Finger.  „Wenn  er  sie  nach  dem 
Gesetz  zur  Frau  nehmen  wolle,  so  stehe  ihm  der  Zulass  fi-ei, 
sonst  nicht."  Die  Weigerung  setzt  sein  jugendliches,  sclion  von 
den  reizenden  Thränen  brennendes  Herz  in  volle  Flammen.  Die 
Rückkelir  des  Vaters  abwarten,  und  bis  dahin  die  geliebte  Pha- 


520  I*^*^  römische  Komödie. 

niiim  uicht  sehen,  hiesse,  so  lange  nicht  athmeu.  Cnd  wird  sein 
Vater  Demipho  die  Verbindung  mit  der  armen  Waise  zugeben, 
deren  einzige  Aussteuer  himmlische  Thränen?  Für  solche  Be- 
drängnisse hat  aber  Gott  Amor  vorgesorgt;  und  -svie  für  die  Blu- 
men als  Liebes-  mid  Heirathsvennittler  gewisse  Insecten,  also  hat 
er  auch,  zu  Nutz  und  Frommen  junger,  verliebter  Komödien-Her- 
zen, Sklaven  mid  Schmarotzer  geschaffen.  In  unserer  Komödie 
heisst  das  Schraarotzer-Insect  Phormio,  durch  dessen  Vermitte- 
lung  Antipho  in  den  Besitz  seiner  Phanimn  gelangt,  und  zwar 
auf  gesetzlichem  Wege,  im  Process-Wege  nämlich,  den  er,  der 
Schmarotzer  Phonnio,  als  vorgeblicher  Freund  von  des  Mädchens 
verstorbenem  Vater,  gegen  Antipho,  im  Einverständniss  mit  die- 
sem, besclu-eiten  will,  auf  Grund  eines  vorgeschobenen  Gesetzes, 
laut  welchem  ein  elternloses  Mädchen  iliren  nächsten  Verwandten 
ehelichen  soll.  Als  solchen  giebt  Phormio  den  Antipho  aus. 
Dieser  erhebt  vor  Gericht  natürlich  keinen  Einwand.  Der  Schma- 
rotzer gewinnt  den  Process ;  Antipho  heirathet  das  Mädchen.  Der 
Alte  wird,  nach  der  Rückkehr,  Lärm  schlagen,  den  Schmarotzer 
belangen  —  mag  er!  Antipho  hat  sein  Schäfchen  im  Treugen, 
und  kann  dazu  lachen,  und  seine  Phanium  die  süssesten  Thränen 
dazu  beisteuern.  Nun  muss  doch  aber  jede  Komödie  des  Terenz, 
aus  Gründen  der  Contaminatio ,  einen  doppelten  Liebeskern,  wie 
eine  Vielliebchen-lMandel,  in  sich  schliessen;  einen  doppelten  Fa- 
belknoten folglich,  dessen  ZmUinge  auch  ganz  so,  wie  die  Kerne 
in  der  Mandel,  flach  nebeneinander  liegen ;  nicht  ineinander  concen- 
trisch  eingesenkt  und  unzertrennlich  verwoben,  wie  bei  Shakspeare 
z.  B.  Die  Gruppe  zur  zweiten  Intrigue  stellt  die  Familie  eines 
zweiten  Vaters,  Obrem  es,  welcher,  ein  Bruder  von  Demipho, 
sich  gleichfalls  auf  Reisen  befindet,  nach  der  Insel  Lemnus,  und 
in  ganz  eigenen  und  besondern  Geschäften,  dergleichen  keiner 
von  den  Vätern  in  den  vier  schon  besprochenen  Komödien  zu  er- 
ledigen hatte.  Vater  Chremes  ist  nämlich  eine  Vielliebchen- 
Mandel  mit  doppeltem  Kern  auf  eigene  Hand,  eine  bigamische 
Mandel,  eine  Mandel  mit  zwei  Frauen:  einer  armen  und  einer 
reichen.  Die  arme  lebt  auf  Lemnus,  die  reiche,  seine  rechtmässige 
Frau,  Nausistrata,  mit  ihm  in  Athen.  Von  der  reichen  hat  er 
einen  Sohn,  Phaedria;  von  der  armen  eine  Tochter.  Für  seine 
Familie  in  Athen  heisst  er  Chremes;  für  die  Familie  in  Lemnus 


Phonuio.     Ein  Doppelvater.  621 

Stilpho.  Beide  Frauen  uiitl  Familien  wissen  von  einander  nichts. 
Chremes  hat  sich  nun  als  Stilpho  nach  Leninus  begeben,  um  von 
dort  sein  heimliches  Töchterchen  abzuholen,  das  er  seinem  Bru- 
der, Demipho,  für  dessen  Sohn,  Antipho,  als  Gattin  zugesagt.  Mitt- 
lerweile aber  ist  dieses  Töchterchen  bereits  mit  ihrer  Mutter  in 
Athen  angelangt;  die  arme  Mutter  gestorben;  und  sind  auch  jene 
reizenden  Thränen  geflossen,  die  ihr  den  zugedachten  Gatten  ge- 
wannen, natürlich  ohne  dass  die  Neuvermählten  von  ihrer  Ge- 
schwisterkindschaft, und  dass  sie  für  einander  bestimmt  von  ihren 
Vätern,  die  leiseste  Ahnung  haben.  Man  kann  sich  die  Ueber- 
raschung  der  zwei  Väter  und  Brüder  bei  ilu'er  Rückkehr  denken, 
die  beide  von  der  angeblichen  Verwandten  nichts  wissen,  in  wel- 
cher Chremes-Stilpho  auch  die  Tocliter  zu  vermuthen,  weit  ent- 
fernt ist,  die  ihm  fürs  erste  unsichtbar  bleibt.  Demipho  will  dem 
Schmarotzer  einen  Process  an  den  Hals,  und  die  Schwiegertochter 
zur  Thür  hinaus  werfen.  Der  Schmarotzer  Phormio  erbietet  sich 
zu  einem  gütlichen  Abkonnnen,  und  erklärt  sich  bereit,  die  Schei- 
dung der  eingesclmiuggelten  Schwiegertochter  zu  bewirken,  und 
sie  selbst  zu  heiratlien,  wenn  man  ihm  die  Mitgift  ersetzt,  die 
ihm  seine  vorgel »liehe  Braut  zuln-ingt.  Von  solchem  Firsatze  will 
der  alte  Demipho  nichts  wissen,  vollends  als  ihm  sein  Sklave, 
Geta,  der,  mit  dem  Schmarotzer  im  Einverständniss,  die  Prellerei 
einleitet,  den  Vollbetrag  der  von  Phormio  geforderten  Summe 
specificirt,  im  Ganzen  dreissig  Minen.  Der  alte  Demipho  ist  im 
BegTiff'e  aus  der  Haut  zu  fahren',  wird  aber  von  Chremes-Stilpho 
daran  verhindert,  der  ilm  Ix^gütigt,  aus  einer  sehr  erklärlichen 
Scheu  vor  Erörterungen  mit  einem  neuen  Schwiegersohn,  von 
wegen  desStilplio;  noch  mein*  aber  aus  Angst  vor  seiner  reichen 
Frau,  Nausistrata,  olme  deren  Einkünfte  er  ein  Bettler  wäre.  Er 
bewegt  dalier  seimni  Bruder  Demipho,  der  in  seine  Verhältnisse 
halb  und  lialb  eingeweiht  ist,  auf  den  Vorsclilag  des  Schmarotzers 
einzugehen,  mit  dem  Erbieten,  die  dreissig  Minen  von  dem  Gelde 
neliinen  zu  wollen,  das  er  als  Ertrag  der  Ländereien  mitgebracht, 
die  seine  Frau  auf  Lemnus  Ijesitzt.  Gleich  darauf  begegnet  dem 
Chremes  die  Amme  seiner  Tochter,  von  der  er  die  Sacldage  ei- 
fährt.  Bei  der  ersten  Mittheilung,  dass  Phanium  mit  Antipho 
vermählt  ist,  fragt  Chremes  betroffen  (JV,  6.):  „Wie?  hat  denn 
der  zwei  Frauen?"     Eine  vom  Dichter  psychologisch  tief  gegrif- 


622  Die  römische  Komödie. 

feiie  Frage;  eine  recht  eigentliche  Gfewissensfrage  im  Munde  des 
überraschten  Bigamisten.  Jetzt  natürlich  ist  Chremes  eben  so 
beeifert,  den  Handel  mit  Phormio  rückgängig  zu  machen,  als  er 
ihn  vor  dieser  Nachricht  angelegentlich  betrieben.  Eiligst  sucht 
er  den  Bruder  auf,  den  er  beauftragt  hatte,  seine  Frau,  Nausi- 
strata,  zu  bereden,  dass  sie  die  fi'emde,  dem  Antiplio  aufge- 
zwungene Frau  zur  Treimung  von  ihm  bewege,  und  tindet  nun 
auch  schon  den  Demipho  mit  der  Nausistrata  darüber  verhandeln, 
zu  seiner  nicht  geringen  Bestürzung,  besonders  als  er  von  Demi- 
pho hört,  dass  Phormio  bereits  das  Geld  erhalten.  Auf  Demi- 
pho's  Frage,  wie  die  Sache  steht,  erwidert  Chremes:  Antipho's 
Frau  wolle  von  Trennung  nichts  hören  fv.  3.):    „Warum  nicht?" 

—  Chremes.  „Weil  Beide  sich  so  lieb  haben."  —  Demipho. 
„Was  geht  das  uns  an?"  —  Chremes.  „Viel.  Ausserdem  habe 
ich  erfahren,  dass  sie  wirklich  unsere  Verwandte  ist."  —  Demi- 
pho. „Was,  bist  du  rasend?"  —  Nausitrata  legt  ein  Wort  für 
die  „Verwandte"  ein.  Die  Scene  ist  wieder  meisterhaft  vorberei- 
tet, angelegt  und  durchgeführt;  die  Missverständnisse  im  ächten 
Styl  der  Intriguen-Komödie,  und  durch  die  Situation,  so  weit  es 
die  hässliohe  Stellung  des  Chremes  zu  seiner  Frau  zulässt,  ko- 
misch. „Nun  wohl!"  fragt  Demipho:  „Wie  aber,  was  soll  aus 
jener  Tochter  unseres  Freundes  werden?"  (Er  meint  des  Chre- 
mes Tochter.)  Chremes.  „Für  die  ist  gesorgt."  —  Demipho. 
„Wir  geben  sie  also  auf?"  —  Chremes.  „Warum  nicht?"  — 
Demipho.  „Und  Jene  soll  bleiben?"  —  Chremes.  „Ja."  — 
Demipho.    „Dann  kannst   du  nach  Hause   gehen,  Nausistrata." 

—  Nausistrata.  „Ich  glaube  auch,  dass  es  weit  angemessener 
für  uns  Alle  ist,  wenn  sie  im  Hause  bleibt,  als  wie  du  es  im 
Sinne  hattest.  Sie  schien  mir  doch,  als  ich  sie  besuchte,  ein  sehr 
wohlerzogenes  Frauenzimmer  zu  seyn  (ab)."  —  Demipho.  „Was 
ist  es  denn?"  —  Chremes.  „Ist  die  Thür  schon  zu?"  —  De- 
mipho. „Ja."  —  Chremes.  „0  Jupiter,  die  Götter  sind  uns 
gnädig.  Ich  habe  meine  Tochter  mit  deinem  Sohne  verheiratiiet 
gefunden."  —  Demipho.  „Was?  Wie  wäre  das  möglich?"  — 
Chremes.  „Der  Ort  ist  hier  nicht  sicher  genug,  um  es  dir  zu 
erzählen."  Demipho.  „Nun  so  komm'  mit  hinein."  —  Chre- 
mes. „Dass  aber  unsere  Söhne  ja  nichts  davon  erfahren,  hörst 
du?  (Beide  ab)." 


Phonnio.     Der  Process.  623 

Was  hat  nun  Pliorniio  mit  den  dreissig  Minen  angestellt? 
Der  Hausschmarotzer  hat  sie  redlich  und  unverzüglich  dem  Sohne 
des  Chremes,  dem  Phaedria,  eingehändigt.  Wozu?  Ei,  zu  Nutz 
und  Frommen  des  zweiten  Intriguenknotens ,  als  stehende  Los- 
kaufsumme. Für  Wen?  Die  Frage!  Für  Phaedria's  Hetäreu- 
Schätzchen;  irgend  eine,  nicht  einmal  genannte  Citherspielerin, 
die  er  vom  Mädchenwirth  mit  den  vom  Schmarotzer,  im  Ein- 
verständniss  mit  dem  Haussklaven  Geta,  dem  Alten  abgelockten 
dieissig  Minen  nun  freigekauft,  vermuthlich,  um  mit  seinem 
Vetter,  Antipho,  im  Elternhause  gemeinschaftliche  Familie  zu 
bilden,  mit  Phormio,  als  permanentem  Tischgast.  Terenzens  Con- 
taminatio  erweist  sich  wiederum  als  eine  Contaminatio  der  Me- 
nander-Komödie  seihst.  Contaminatio  in  der  Bedeutung  von  „Be- 
fleckung"; insofern  sie  nämlich  das  Amiichige  der  neuattischen 
Komödie  noch  steigert  und  an  dem  Skandal  raftinirt.  Denn  einer 
Palliate  ohne  Hetärenintrigue  fehlt  der  Hochduft,  der  muffelnde 
Wildgeruch,  das  Aroma  für  die  Nasen  der  feiiien  römischen,  der 
feinen  Gesellschaft  überhaupt,  die  selbst  in  solchem  Aroma-Sta- 
dium sich  befindet. 

Bevor  aber  Phormio  den  permanenten  Tischgast  durchsetzt, 
hat  er  noch  einen  harten  Straus  mit  beiden  Väter-Brüdern  zu 
bestellen,  die  ihre  dreissig  Minen  zurück  verlangen  fv.  7.):  De- 
mipho.  „Gieb  uns  das  Geld  lieraus."  —  Phormio.  „Nein,  gieb 
mir  die  Frau  heraus."  -  Demipho.  „Fort  vor  Gericht!"  — 
Phormio.  „Hört  ihr  nicht  bald  auf,  mich  zu  ärgern?"  —  De- 
mipho.   „Was  willst  du  denn  anfangen?"  —  Phormio.    „Ich? 

—  Ihr  meint  vielleicht,  dass  ich  nur  Schutzredner  für  unbemit- 
telte Mädchen  bin.     Ich  pflege  es  auch  für  bemittelte  zu  seyn." 

—  Chremes.  „Was  geht  das  uns  an?"  —  Phormio.  „Gar 
nichts.  —  Ich  kenne  hier  aber  eine  Frau,  deren  Mann  noch  eine 
zweite  Frau"  —  Chremes.  „Ha!"  -  Phormio.  —  „in  Lem- 
nus  hatte."  —  Chremes.    „Ich  bin   vernichtet."  —   Phormio 

—  „von  welcher  er  eine  Tochter  hat,  die  er  heimlich  erziehen 
lässt."  —  Chremes.  „Ich  sinke  in  die  Erde  .  .  .  Woher  es  der 
Schuft  nur  erfahren  haben  mag?"  fragt  er  leise  wimmernd  den 
Bruder,  dem  es  ein  Käthsel  ist,  wie  jenem  ein  unbegreifliches 
Wunder.  Als  ob  es  vor  Hausschmarotzern,  die  mit  Sklaven  und 
Ammen  auf  du  und  du  stellen,  Geheimnisse  gäbe;  und  mit  Söh- 


624  ßi^  röniisclio  Komödie. 

uen,  denen  sie  Liebchen  von  Kupplern  mit  dem  Gelde  loskaufen, 
das  sie  den  Vätern  abgejagt.  Der  Dichter  nennt  auch  gar  nicht 
die  Quelle,  woher  Phormio  um  das  Geheimniss  wisse.  Einem 
Phormio  erzählen  das  die  Sperlinge  auf  dem  Dache.  Iii  der 
Scene  vorher  (V,  6)  wo  Geta  das  von  ihm  an  der  Thüre  von  An- 
tiphila's  Wohnung,  wo  sich  gerade  Chremes  befand,  erhorchte  Ge- 
heimniss dem  Antipho  und  Phormio  mittheilt,  in  dieser  Scene 
sagt  schon  Phormio:  „Wahrhaftig,  auch  ich  habe  von  der  Ge- 
schichte gehört"  (atque  hercle  ego  quoque  illam  inaudivi  fabulam). 
Mit  Demipho  hat  aber  der  Schmarotzer  nicht  so  leichtes 
Spiel  wie  mit  Chremes:  „Wie?"  ruft  Demipho,  „und  solcher 
Mensch  soll  uns  so  viel  Geld  abnehmen,  und  uns  noch  so  offen- 
bar verhöhnen?  Auf,  rüste  dich  mit  Mannesmuth  und  Geistes- 
Gegenwart!"  feuert  er  den  Bruder  an.  Jetzt  kann  es  der  Nau- 
sistrata  doch  nicht  mehr  verborgen  l)leiben  .  .  .  Verklagen  wollen 
wir  den  Schuft."  —  Phormio.  „Verklagen?"  (auf  das  Haus  des 
Chremes  zeigend):  „Dort,  wenn's  euch  beliebt."  Und  nimmt  eine 
Wendung  gegen  das  Haus.  Chremes  und  Demipho  lialten  ihn 
fest.  Phormio  schreit  aus  Leibeskräften:  „Nausistrata ,  komm' 
heraus!"  Sie  kommt:  die  Katastrophe  in  leibhafter  Gestalt. 
Nun  sitzt  unser  Chremes-Stilpho  in  der  Patsche.  Die  Situation 
hat  er  vollauf  verdient.  Wär's  nicht  um  die  Lustspiel-Stimmung, 
müsste  man  den  glimpflichen  Ausgang,  in  Bezug  auf  ihn,  für 
viel  zu  gelinde,  ja  für  anstössig  halten.  Auf  Fürbitte  des  Demi- 
pho erhält  der  Doppelgatte,  die  Contaminatio  in  Gestalt  eines 
Bigamisten,  Verzeihung  von  der  gutmüthigen  Nausistrata.  Giebt 
man  dem  Lustspiel  die  günstige  Wendung  drein;  so  wirkt  dafür 
das  Verhalten  des  Schmiirotzors  um  so  widriger,  der  den  alten 
Mann,  Angesichts  seiner  Frau,  in  der  ganzen  Blosse  seines,  für 
eine  Komödie  nichts  weniger  als  spasshaften  V^ergehens,  an  den 
Pranger  stellt.  Zuletzt,  als  er  die  Verwendung  der  dreissig 
Minen  angiebt,  zum  Loskauf  einer  Dirne  für  den  Sohn,  findet  der 
Schmarotzer  eine  eifi'ige  Vertreterin  in  der  Mutter  gegen  den 
Vater,  der  über  diese  neue  Nichtswürdigkeit  des  Parasiten  auffahrt 
(v.  S.j:  Nausistrata.  „Scheint  dir  das  so  schändlicli?"  fragt 
sie  den  Mann,  „wenn  dein  Sulni,  der  junge  Mensch,  ein  Lieb- 
chen hat,  und  du  zwei  Frauen."  Eine  bittere,  aber  gesunde, 
eine  Plnuiinischc  l'ilh';   vielleicht  die  einzige  der  Art  bei  Terenz. 


Phormio.     Das  Puljlicuiu.  625 

Demiplio.  „Er  wird  tlmii,  was  du  willst."  Nausistrata.  „Nun 
so  höre  meinen  Beschluss.  Icli  verzeilie  nichts,  verspreche  nichts, 
erwiedere  nichts,  bis  mein  Sohn  hier  ist.  Seiner  Entscheidung 
überlass'  ich  Alles.  Was  er  l)estimmt,  will  icli  thun."  —  Phor- 
mio. „Du  bist  eine  kluge  Frau,  Nausistrata."  —  Nausistrata. 
„Bist  du  zufrieden?"  —  Phormio.  „Oh,  so  ist's  schön  und  hen- 
lich  und  mehr,  als  ich  hoft'te."  —  Nausistrata.  „Aber  wie 
heissest  du?"  —  Phormio.  „Ich?  —  Phormio,  ein  treuer 
Freund  euerer  Familie  und  hauptsächlich  deines  Sohnes, 
Phaedria."  —  Nausistr.  „Verlass  dicli  darauf,  Pliormio,  ferner- 
hin will  ich  dir  zu  Grefallen  Alles  thun  und  sagen,  was  ich  kann, 
und  was  du  willst."  —  Phormio.  „Du  bist  sehr  gütig."  — 
Nausistr.   „Du  hast  es  verdient  .  .  ." 

Schwerlich  möchte  ihr  ein  Publicum  der  Neuzeit  beii)tlicliten, 
noch  auch  in  den  Beifall  einstimmen,  den  der  Chor  der  Schau- 
spieler in  der  stehenden  Schlusszeile  von  seinem  Publicum  erbat, 
und  auch,  in  Betracht  der  vorzüglichen,  bis  auf  Haupt-  und  Kern- 
punkt, meisterwürdigen  Komödie,  mit  Recht  erhielt.  Selbst  das 
Pariser  Publicum  der  Loretten- Komödie  würde  einen  Komö- 
dien-Vater, in  der  Lage  des  Chremes,  von  der  Bülme  zischen, 
und  einen  Schmarotzer  von  Phormio's  Verdiensten  um  Chremes' 
Familie  mit  faulen  Aepfeln  bewerfen.  Auch  die  von  der  Mutter 
in  Aussicht  gestellte  üel^eiiragung  des  Schiedsrichterurtheils  über 
den  Vater  an  den  Solm,  möchte  das  Pariser  Publicum  der  Lo- 
retten-Komödie  schwerlich  goutiren.  Nur  der  Geschmack  einer 
einzigen  Separatistengemeinde  der  holien  Kritik  würde  vielleicht 
aus  dieser  Komödiengattung  den  höhern  haut-goüt  herausdüfteln 
und  herausschnüfteln:  die  hohe  Kritik  der  Nachzügler  unserer 
ironisch-ro)iiantiscl)eii  Scliule.  Sie  alhnn  kCninten  in  dem  schliess- 
liclien  Ko]n<idien-Triumph  des  Schmarotzer- Hetärenthums  den 
'riiiunph  ihres  ironischen  Kunstprincips  geniessen,  das  die  höchste 
Kunst))efriedigung  und  den  feinsten  geistigen  Wollustkitzel  darein 
setzt:  wider  den  Staeliel  des  gesunden  Menschenverstandes  und  sitt- 
liclieii  Empfindens  zu  locken.  Für  uns  Andere,  die  ihren  Kunstge- 
schmack nocli  nicht  bis  zu  dieser  mephitiscli-spiritual istischen 
Schwelgerei  in  laitrescirender  Geistigkeit  verl'eiiiert  ha])eii,  stellt  es 
nicht  nur  fest,  dass  besagte  Aesthetik  der  iionie.  in  Bezug  auf  ge- 
sundes und  riclitiges  Kunstvorständniss.  Iiei  dem  Pariser  IMililienm 
II.  1" 


626  Die  römische  Komödie. 

der  Loretteii-Komödie  in  die  Schule  gehen  kann:  wir  hegen  so- 
gar die  Ueberzeugung,  dass,  möclite  auch  das  moderne  Lustspiel, 
in  Hinsicht  des  fonnellen  Kunstwerthes  und  selbst  des  feinen 
Sinnes  für  Situations-Komik,  hinter  dem  des  Menander  und  Teren- 
tius  zurückgeblieben  seyn,  was  wir  keineswegs  zugeben:  so  ist 
doch  das  Theater-Publicum  fortgeschritten;  so  hat  doch  das  Pu- 
blicum der  Gegenwart,  was  dramatisches  Schicklichkeitsgefühl 
betrifft,  verglichen  mit  dem  Publicum  des  Menander  und  Teren- 
tius,  einen  Riesenfortschritt  gethan. 

Die  Brüder  (Adelphij  wurde  an  den  Leichenspielen  (ludis 
funebribus)  aufgeführt,  welche  zu  Ehren  des  L.  Aemilius  Paulus 
stattfanden,   des  Besiegers  von  Perseus,  König  von  Macedonien, 
daher  Macedonicus  genannt  Tgest.  59;i  v.  St.,  158  v.  Chr.).     Die 
Spiele  wurden,  wie  üblich,  von  den  Söhnen  des  Verstorbenen,  in 
diesem  Falle  also  von  Fabius  Maximus  und   Publ.  Corn.  Scipio 
veranstaltet,  die  beide  sich  nach  ihren  Adoptivvätern  nannten: 
Ersterer  nach  Qu.  Fabius  Maximus,  seinem  Pflegevater;  der  zweite 
nach  dem  Sohne  des  ersten  Scipio,  genannt  der  Afrikaner.    Beide 
Söhne  stehen  daher  auch,  in   der  Didascalia  zu  dieser  Komödie, 
an  Stelle  der  Aedilen  verzeichnet.     Gespielt  wurden  die  Adelphi 
von  den  Truppen  des  L.  Ambivius  und  L.  Turpio,   soll  heissen, 
Ambivius  Turpio  und  L.  Attilius  Praenestinus.      Die  Didascalia 
giebt  an:  L.  Attilius  Praenest.  und  Minut.  Protimus  als  Schau- 
spieldirectoren.     Die  Arien  setzte  wieder  Flaccus,  Sohn  des  Clau- 
dius, für  die   lydische  Doppelflöte,  wie  Donat  angiebt,   d.  h. 
für  die  Doppelflöte,  bei  welcher  beide  Flöten  rechtseitige  waren; 
die  Löcher  nämlich  an  der  rechten  Seite  hatten,  und  einen  tiefen, 
feierlichen  Ton,  den  Durton,  angaben,  dem  Cliarakter  der  Leichen- 
spiele entsprechend.    In  der  Didascalia  heisst  es  dagegen:  Tibiis 
Serranis  oder  Sarranis;  mit  Begleitung  der  SaiTanischen  oder  Sy- 
rischen Doppelflöte.     fTyrus  nannten  die   Phönicier  Sar,   daher 
„Sarranisch.")     Bei  dieser  Doppelflöte   waren  beide  Rohre  link- 
seitig  gebohrt  und  gaben  einen  hellen,  fröhlichen  Klang.      Die 
Angabe  der  Didascalia  bezieht  sich  auf  die  zweite   Vorstellung 
der  Adelphi,  wo  jene  feierliche  Veranlassung  fortfiel,  und  daher 
die  serranische  Flöte   am  Orte  war.     Donat  bemerkt:   Modulata 
est  autem  tibiis  dextris,  i.  e.  Lydiis,  ob  seriam  gravitatem,  qua 
lere  in  omnibus  comediis  utitur  hie  [»oeta.     Saepe  tarnen,  muta- 


Terentius.     Adelphi.  627 

tis  per  Sceuam  modis,  caiitica  mutavit,  quod  significat  titulus 
Scenae,  habeiis  subjectas  personis  literas  M.  M,  C.  fMutatis  mo- 
dis Cantici):  „Terentius,  sagt  er,  wende  meist  die  tibiae  dextrae, 
mit  dem  ernsten  tiefen  Tone,  an;  doch  ändere  er,  nach  Umstän- 
den, auch  die  Arien  oder  Melodien,  was  die  Anfangsbuchstaben 
M.  M.  C.  unter  dem  Scenentitel  andeuten,  und  in  diesem  Falle, 
wie  sich  von  selbst  versteht,  auch  den  Flöten-  und  Toncharakter." 
Die  Didascalia  führt  noch  an,  dass  die  griechische  Komödie,  wel- 
cher die  Adelphi  nac]igel)ildet  worden,  von  Menander  sey,  und 
dass  die  Adelphi  unter  den  Consuln  M.  Juventius  und.  M.  Sem- 
pronius  zum  drittenmal  gespielt  wurden. 

Dass  der  Prolog  abermals  die  unvermeidliche  RechtfertigTing 
des  Dichters  gegen  die  Angriffe  seines  Leibfeindes  vor  das  Publi- 
cum bringt,  versteht  sich  von  selbst.  Donat  scheint  aus  diesen 
Prologen  des  Terentius  seine  vier  Ai-ten  von  Prologen  entwickelt 
zu  haben.  Er  theilt  nämlich  die  Komödien-Prologe'):  in  den 
„empfehlenden"  Prolog  {öcotaciKÖg,  comraendatitius),  welcher 
das  Stück  oder  den  Dichter  der  Gunst  des  Publicums  ompfielilt; 
den  „beziehendliclien"  («rayo^</.oc,  relativus),  der  auf  den 
Gegiier  Bezug  nimmt.  Dieser  ersten  Prologen  -  Gattung  steht, 
nach  Doimt,  eine  zweite  gegenüber:  der  „Inhaltangebende" 
{in()0&ir/.ög,  argumentativus)  und  der  „gemischte  Prolog" 
(liiiy.Tog),  der  die  drei  Arten  in  sich  vereinigt.  Offenl)ar  theilten 
sich  Terentius  und  Plautus  in  die  l)eiden  Prologe n-Paare:  dem 
Terentius  fällt  das  erste  Paar,  dem  Plautus  das  zweite  zu.  Der 
Prolog  zu  den  Adelphi  beginnt  mit  einem  gelinden,  anaphorischen 
Ablehnen  der  Beschuldigung  seiner  Neider  und  Feinde:  als  habe 
Terentius  ein  Plagiat  an  der  verloren  gegangenen  Komödie  des 
Plautus:  „die  Zusammensterbenden"  (Synapotlinescontcs)  begangen. 
Nun  befinde  sich  aber  in  diesem,  einer  griechischen  gleichnamigen 
Komödie  von  Diphilos  nachgol)il(leteii  TAistspiele  des  Plautus  die 
Scene  gleich  im  Anfang  gar  nicht,  wo  ein  Athenischer  Jüngling 
einem  Kuppler  eine  Buhlerin  entreisst,  die  er  dagegen,  Terentius, 
in  seinen  dem  Menander  entlehnten  Adelplii  getreulich  angebracht 
„und  wörtlich  übersetzt"  (eum  hie  locum  sumpsit  sibi  In  Adel- 
phos,  verbum  de  verbo  expressit  v.  10  ff.).     Hier  geht  der  Prolog 


1)  Prolegg.  ad  Terent. 

4il* 


628 


Die  römische  Komödie. 


aus  dem  Anzügliclien  in  das  Bezügliche  oder  Bezieheiidliclie  ü])er, 
und  stellt  dem  geneigten  Urtheil  des  Publicums  anlieim,  ob  eine 
aus  zwei  verschiedenen  griechischen  Komödien  contaminiiie  Pal- 
liata  von  Kechtswegen  als  ein  „Diebstahl"  an  Plautus  aufgemutzt 
werden  darf,  der  doch  jene  Scene  ganz  und  gar  fortliess.  (Fur- 
tumne  factum  existimetis,  an  locum  lieprehensum  qui  praeteritus 
negligentia'st):  „öder  ob  nur  eine  Stelle  (Scene)  wieder  aufge- 
nommen sey  (und  zwar  wörtlich),  über  welche  Plautus  aus  Nicht- 
achtung hinwegging."  Nun  greift  der  „bezügliche"  Prolog  wieder 
in  den  „anzüglichen"  zurück,  indem  er  auf  die  schon  erwähnte 
Unterstellung  gewisser  Bösgesinnten  hinzielt;  dass  er  sich  näm- 
lich, ausser  den  griechischen  Federn,  auch  noch  mit  den  lateini- 
schen  seiner  hohen  Gönner    schmücke  (des  Scipio,  Laelius  und 


i!!an  nlo  .        Ctel 


Bern  ei 


Mieio. 


tS'i/jfitj' 


Dromo .  Cie-Pij}ho.      Ae^fchinUS- 


Furius  Publius);  benutzt  aber,  wie  schon  erwähnt,  zugleich  mit 
seltener  Feinheit  die  erste  Prologenform,  die  „systatische"  oder 


Adelphi.    Erziehungsresultate.  629 

Empfehliingsfonn,  um  nach  beiden  Seiten,  gegen  die  hohen  Gönner 
und  gegen  das  Publicum  hin,  mit  einem  zierlich  urbanen,  ge- 
schmackvollen Complimente  zu  schliessen,  und  sich  der  Geneigt- 
heit beider  HeiTschaften,  seiner  vornehmen,  hochadeligen  Be- 
schützer und  des  verehrungswürdigen  Publicums,  zu  empfehlen. 
Die  Komödienfabel  nimmt  folgenden  Verlauf: 
Von  zwei  Brüdern  ist  der  eine  Landraann  und  Familienvater, 
Namens  Demea;  der  andere,  Micio,  lebt  als  alter' Junggeselle 
in  der  Stadt.  Der  ehelose  Micio  adoptirt  Demea's  altern  Sohn, 
Aeschinus;  den  zweiten,  Ctesipho,  erzieht  Demea  selbst  auf 
dem  Lande.  Micio  lässt  seinem  Adoptivsöhne,  Aeschinus,  seinen 
Erziehungs-Principien  gemäss,  alle  mögliche  Freiheit,  auf  die  ein 
Jüngling  von  guter  Familie  Anspruch  machen  darf.  Aeschinus 
lebt  denn  auch  ganz  nach  den  pädagogischen  Grundsätzen  seines 
Adoptivvaters.  Er  übt  Gewalt  an  einem  unschuldigen  Bürger- 
mädchen und  schwängert  sie.  Nachdem  er  die  praktische  Vor- 
züglichkeit von  seines  Pflegvaters  Erziehungsmethode  so  glänzend 
bewälu't,  liefert  er  gleich  darauf  den  zweiten  Beweis  von  der  viel- 
seitigen Anwendbarkeit  der  pflegeväterlicheu  Pädagogik  durch 
eine  zweite  Gewaltthat,  indem  er  eine  Harfenspielerin  ihrem  Kup- 
pelwirth  und  Bordellvater,  dem,  bei  dieser  Gelegenheit  noch  jäm- 
merlich durchgeprägelten  Leno,  Sannio,  entreisst  und  entführt. 
Als  Bruder  Demea  seines  Sohnes  Aeschinus  praktische  Nutz- 
anwendung der  pädagogischen  Leitung  seines  Bruders  Micio,  die 
gewaltsame  Entführung  der  Harfenspielerin,  erfährt,  sucht  er  die- 
sen in  der  Stadt  auf,  und  überschüttet  den  Pädagogen  und  die 
Methode  mit  Holm  und  Spott  (I,  2.j.  Micio  vertheidigt  seine  Theorie 
mit  Festigkeit  und  Nachdi'uck,  und,  vom  Standpunkt  einer  milden, 
Vertrauen  einflössenden,  liebevollen  Jünglingserzieliung  gewürdigt, 
auch  wohl  nüt  einleuchtenden,  belierzigenswertlieu  Gründen.  Bru- 
der Demea  aber,  der  sich  zu  der  entgegengesetzten,  einer  strengen, 
die  Söhne  knapphaltenden  Erziehungsmetliode  bekennt,  erweist 
die  praktische  Vorzüglichkeit  derselben  an  dem  Beispiel  seines 
wohlgerathenen  ländlich  begnügsamen  und  haushälterisch  erzoge- 
nen zweiten  Sohnes,  Ctcsiphon,  den  er  als  Muster  von  einem  ge- 
sitteten Jüngling  dessen  älterem  Bruder,  Aeschinus,  gegenüber- 
stellt, bei  welchem  die  Erziehung  von  Bruder  Micio  solclie  Früchte 
getragen.     Doch  sey  dieser  nunmehr  Adoptivvater,  und  er,  der 


630 


Die  römische  Komödie. 


wirkliche  Vater,  müsse  mit  schwerem  Herzen  sich  darein   fügen. 
Nun    wird    der    Zuschauer    in    die   wahre    Sachlage    eingeweiht. 


Aeschinus  hat  die  Harfenspielerin  dem  Mädchenwirth  nicht  als 
sein  Liebchen  und  nicht  für  sich,  sondern  als  seines  Jüngern  Bru- 
ders Ctesipho  Liebchen,  zu  dessen  unsäglicher  Freude,  entführt. 
Da  wird  denn  Demea  der  komische  Sündenbock,  und  seine  Be- 
schämung ist  so  gTüudlicli,  und  bewältigt  ihn  dergestalt,  dass  er, 
halb  im  Ernst,  halb  im  Scherz,  hall)  ironisch,  im  Grunde  aber 
doch  aus  dem  Cojicept  geworfen,  zu  des  Bruders  Methode  schwört, 
ja  sie  noch  zu  überbieten,  sich  beeifert,  indem  er  der  Zustimmung 
desselben  zu  der  Vermählung  des  Aeschinus  mit  der   inzAvischen 


Adelphi.     Ungelöstes  Problem.  631 

eines  Knäbleiiis  genesenen  Pampliila  ein  Paroli  biegt  und  sich 
auch  mit  Ctesipho's  Harfenspielerin  einverstanden  erklärt.  Demea 
geht  noch  weiter.  In  der  FüUe  seines,  zu  Micio's  liebreichen 
Grundsätzen  bekehrten  Herzens,  bestimmt  er  diesen,  er  mag  wollen 
oder  nicht,  einer  Verwandten  der  Pamphila  ein  ansehnliches  Grund- 
stück zu  schenken;  hiernächst  die  alte  Mutter  der  Pamphila  zu 
heirathen  und  schliesslich  dem  Anstifter  all'  der  Streiche  und 
Helfershelfer  bei  Verführung  und  Mädchenraub,  dem  Syrus,  des 
Micio  Sklaven,  und  gleich  hinterher  auch  der  Frau  des  Sklaven, 
die  Freiheit  zu  schenken,  die  dem  neugeborenen  Enkelchen  ja 
zuerst  die  Brust  gereicht.  Nun  könne  Bruder  Micio,  da  er  ein- 
mal im  Zuge  sey,  noch  ein  Uebriges  thuu,  und  dem  wackern 
Syrus  einen  kleinen  Geldvorschuss  auf  die  Hand  geben,  damit 
sich  der  brave  Bm'sche  als  Freigelassener  mit  seinem  Weibe  an- 
ständig etablii'e. 

Nach  Abzug  des  Unzulässigen  und  Verwerflichen,  das  die 
Komödie  mit  allen  übrigen  gemein  hat,  scheint  sie  uns  das  Mei- 
sterstück des  Tereuz;  sowohl  in  Absicht  auf  Gang  und  Führung, 
Lebhaftigkeit  der  Handlung  und  vorzügliche  Charakteristik,  als 
in  Bezug  auf  wohlthueude  Mischung  von  gemüthlichem  Ernst  und 
scherzhafter  Ironie.  „Die  Exposition,  sagt  Donat,  ist  ungestüm, 
die  VerAvickelung  stürmisch,  die  Auflösung  gelinde."  (Protasis 
est  turbulenta,  Epitasis  clamosa,  catastrophe  lenis).  Liebreiche 
Seelenmilde,  weise  Menschenfreundlichkeit  bildet  den  gediegenen 
Kern,  und  kommt  durch  einen  Charakter  zur  Geltung,  den 
schönsten  vielleicht  unter  allen  gemüth vollen  Vätern  der  edlern, 
scherzhaft  belehrenden  Komödie.  Nicht  olme  Bezug  auf  das  Adop- 
tivverhältniss  zu  den  Pflegevätern  der  beiden  bedeutenden  Män- 
ner, die  diese  Leiclienfeier  begingen,  scheint  uns  die  Komödie 
der  „Brüder"  gewählt.  Micio  ist  der  ehrwürdig  köstlichste  Lust- 
spielvater oder  Lustspiel-Pttegvater;  die  vollausgereifte  Frucht 
gleichsam  von  Terentius'  Erziehmigs-Komödien  und  Väter-Schulen, 
die  fast  durchweg  den  milden,  nacbsicbtigen  Vater  dem  strengen 
und  herben  entgegenstellen.  Das  Problem  selbst  blieb  ungelöst 
oder  doch  in  der  Schwebe.  Die  an  Aeschinus  erläuterten  Erzie- 
hungs-Resultate sprechen  sogar  eher  gegen  die  Methode  des  Micio, 
als  zu  Gunsten  derselben.  Denn  Aeschinus  ist  es,  der  die  ganze 
Verwirrung  anrichtet,  und  zu  dem  eigenen  Frevel  noch  den  fügt, 


(532  Die  vöniisclie  Komödie. 

dass  er  seinem  jungem  Bruder  starke  Hand  leiht  zu  einer  Unge- 
bühr, die  dieser  aus  Scheu  vor  dem  strengen  Vater  selbst  zu 
begehen  kaum  gewagt  hätte.  Tolle  Jugendstreiche  verunehren 
nur  dann  einen  Jüngling  nicht,  wenn  ein  herzhaft  edles  Motiv 
sie  veranlasst;  der  jugendliche  Muthwille  und  üebermuth  nur  als 
das  üeberschäumen  einer  edlen  Gesinnung  sich  kundgiebt.  Und 
nur  solche  tolle  Streiche  sind  lustspielwürdig.  Zwei  an  Mädchen 
verübte  Gewaltacte,  wovon  der  eine  ein  brutaler  ünschuldsraub, 
der  zweite  immer  ein  gesetzwidriger  Eigenthumsraub  ist,  der  noch 
obenein  den  altern  Bruder  zum  Kuppler  des  Jüngern  macht, 
derlei  Fahrten  möchten  schwerlich  in  die  Kategorie  der  gemüth- 
lichen  Jugendtolllieiten  gehören  und  als  Belege  für  die  Empfeh- 
lenswttrdigkeit  eines  Erziehungsprincipes  dienen.  Auch  lässt  sich 
das  Problem  in  dieser  Allgemeinheit  nicht  an  den  Erfolgen  ver- 
beispielen.  Die  Berechtigung  beider  Methoden  hängt  von  den 
Charakter  der  Zöglinge  ab,  an  welchen  sie  sich  bewähren  sollen. 
Bei  dem  Einen  kann  ein  Uebermaass  von  nachgiebiger  Milde,  bei 
dem  Andern  wieder  unzeitige  Strenge  verderblich  wirken.  Die 
Weisheit  der  Erziehung  besteht  in  einer  zweckmässigen  und,  je 
nach  dem  Charakter,  abgewogenen  Mischung  beider  Methoden; 
vor  Allem  in  dem  Festhalten  an  der  unwandelbaren  Maxime :  den 
Principien  der  Ehrenhaftigkeit  nichts  zu  vergeben;  mag  auch  in 
praxi  die  Methode  des  Micio  ein  Wörtchen  mitsprechen.  Schän- 
dung und  Mädchenraub  haben  zu  keiner  Zeit  für  verträglich  mit 
diesen  Principien  und  mit  der  Ehrenliaftigkeit  eines  edlen  Jüng- 
lingsgemüthes  gegolten.  Das  beweist  selbst  die  Hetären-Komödie 
durch  die  VerwiiTung,  die  solche  Streiche  in  der  Häuslichkeit 
ihrer  Bürgerfamilien  anrichten;  ein  Familien- Aergerniss,  das  sie 
aber,  diese  Komödie,  leichtfertig  lockern  Gewissens,  nur  durch 
einen  glücklichen  Zufall  mehr  vertuschen  als  beseitigen  lässt.  Die 
Terentianische  Komödie  geht  in  diesem  Punkte  vielleicht  noch 
über  die  neuattische  hinaus,  insofern  ihre  Lösung  sich  bei  einer 
Abtindung  mit  den  anstössigsten  Verirrungen  beruhigt,  ja  diese 
durcli  die  schliessliche  Vermittelung  des  Lasters  selber  gewisser- 
maassen  sanctionirt.  Micio  ist  nicht  blos  mild  in  der  Praxis ;  er 
geht  auch  von  laxen  Erzielumgsgrundsätzen  aus.  Seinem  Bruder 
Demea  predigt  er  die  Lehre:  Mit  Mädclien  unzüchtigen  Umgang 
pflegen,  zeclien,  Thiiren  eiiibrecben  u.  <lgl.  sey  bei  jungen  Leuten 


Adelphi.    Aeschiims  und  Micio.  633 

nichts  Sträfliches  fl,  2.  v.  22  ff.):  Non  est  flagitium,  mihi  crede, 
adolescentiüum  Scortavi  neque  potare;  non  est  neque  foresEffrin- 
gere  .  .  .  Das  Wahre  und  Schöne  in  diesem  Charakter,  und  der 
Reingewinn  von  Micio's  Erziehungsweisheit  bleibt  das  liebreiche 
Wesen:  die  väteidiche  Liebesfülle,  als  pädagogisches  Mittel,  das 
aber  oft  in  Form  strafender  Strenge  sich  am  segenreichsten  be- 
kundet. Micio's  und  des  Dichters  Errthum  ist  der,  dass  sie  von 
dieser  Form  gänzlich  absehen  und  liebreiche  Milde  als  ausschliess- 
liche, unter  allen  Umständen  heilsame  und  zweckmässige  Erzie- 
hungsnorm aufstellen.  Doch  scheint  der  Dichter  ein  Bewusstseyn 
von  der  bedingten  Grültigkeit  dieser  pädagogischen  Mildseligkeit 
in  der  Ironie  zu  verrathen,  womit  er  den  Demea  sich  am  Schlüsse 
zu  derselben  bekennen  und  sie  überbieten  lässt.  Da  aber  dieser 
sarkastische  Humor  des  Demea  ihm  selber  nicht  zum  Bewusst- 
seyn, noch  irgendwie  dem  Ausgang  der  Komödie  zu  gute  kommt: 
bleibt  der  wunderliche  Tick  so  viel  wie  ganz  aus  dem  Spiele,  er 
hat  höchstens  den  Werth  eines  geistreichen  Streiflichtes,  das  nur 
ein  IiTlicht  mehr  ist,  dem  die  tiftelude  Aesthetik  nachlaufen  mag, 
das  aber  dem  Publicum  kein  Licht  aufsteckt.  Selbst  die  herr- 
liche Scene  zwischen  Micio  und  Aeschinus  (IV,  5.),  die  von  diesem 
mahnenden  Berichtigungsbedürfniss  inspirirt  scheint,  ändert  an 
der  Hauptsache  nichts,  und  stellt  die  Komödie  nicht  fest  in  ihren 
Knöcheln,  ut  recto  stet  fabula  talo. 

Aeschinus  ist  auf  der  Scene;  in  der  peinlichsten  Lage,  weil 
Pamphila,  die  übrigens  gar  nicht  erscheint,  den  Verdacht  hegt, 
er  habe  die  Harfenspielerin  für  sich  entführt.  Aeschinus  hat  an 
ihre  Thür  geklopft.  Micio  kommt  aus  dem  Hause,  wo  er  mit 
einem  Verwandten  der  Pamphila  die  Angelegenheit  eben  geordnet: 

Aeschinus     (für  sich).    Fürwahr,  mein  Vater  ist's,  o  weh! 

Micio     (ihn  erblickend).     Aeschinus! 
Aeschinus     (für  sich).     Was  hat  der  hier  zu  thunV 

Micio.  Hast  du  an  diese  Thür  geklopft?  (für  sich).  Ich  niuss 
ihn  ein  wenig  necken  .  .  .  (laut).  Du  giebst  mir  keine 
Antwort  V 
Aeschinus.  Ich  —  ich  habe  nicht,  so  viel  ich  weiss,  an  jene  Thür  — 
Micio.  Nun  ja.  Es  wundert  mich  auch,  was  du  wohl  hier  zu  su- 
chen hättest,  (für  sich).  Er  wird  roth;  die.  Sache  steht 
noch  gut. 


534  ^^6  römische  Komödie. 

Aeschinus.    Aber  Vater  —  sag  mir  doch,  ich  bitte  dich,   was    du   hier 
suchtest  .  .  . 
Micio.     Ich   eben   nichts.     Ein  Freund   hat  mich    vom   Forum   mit 
hierher  genommen,  als  seinen  Anwalt. 
Aeschinus.    Wie  das? 

Micio.     Ich  will's  dir  sagen.     Es  wohnen  einige  arme  Frauenzimmer 
hier.     Vermuthlich,  oder  sicherlich  vielmehr    kennst  du   sie 
nicht;  denn  erst  vor  kurzer  Zeit  sind  sie  hier  eingezogen. 
Aeschinus.    Was  weiter? 

Micio.     Ein  junges  Mädchen  ist's  mit  ihrer  Mutter. 
Aeschinus.    Erzähle  doch. 

Micio.     Des  Mädchens  Vater   ist  gestorben.     Mein    Freund    ist   ihr 
der  nächste  von  Geburt.    Sie  ist  durch  das  Gesetz  gehalten , 
ihn  zu  ehelichen. 
Aeschinus.    Ha! 

Micio.     Was  ist? 
Aeschinus.     Nichts,  gar  nichts.     Fahr'  nur  fort. 

Micio.    Der  ist  nun   gekommen,  sie  abzuholen,   denn  er  wohnt  in 
Müet  .  .  . 
Aeschinus      (für  sich).    Mir  ist  nicht  wohl  zu  Muthe.    (laut).    Und  sie? 
Was  sagen  sie? 
Micio.     Was  meinst  du  wohl?  —  Nichts  eben.     Die  Mutter  wandte 
vor,  es  sey  ein  Knabe  da  von  einem  andern  Mann,  ich  weiss 
nicht  welchem,  denn  sie  nennt  ihn  nicht.    Der  gehe  vor  .  .  . 
Aeschinus.     Wie?    Scheint  diess,   bei  so   bewandten  Sachen,   dir   nicht 
recht  und  billig? 
Micio.    Nein. 
Aeschinus.     Nein,  lieber  Vater?  —  Wird  er  sie  denn  mit  sich  nehmen? 

Micio.     Wie  soUt'  er  nicht? 
Aeschinus.     Da  habt   ilir  hart   und    mitleidslos  und,  wenn  ich  es  noch 
offner  sagen  soll,  ehrlos  gehandelt. 
Micio.    Wie  so? 
Aeschinus.     Du  fragst?    Wie  mag  dem  Armen  wohl  zu  Muthe  seyn,  der 
früher  mit  ihr  Umgang  pflog,  dem  Unglückseligen,  der  viel- 
leicht  sie  jetzt  noch  sterblich  liebt  .  .  .     Die  That  ist  un- 
gebührlich, Vater  .  .  . 
Micio.     0  lächerlich!    Ich  sollte  gegen  Den  Partei  ergreifen,  welcher 
mich   als   seinen    Anwalt    angenommen?    —  Was   geht  das 
Mädchen  uns   denn  an?    Was   haben    wir   mit  denen  da  zu 
schaffen,  Aeschinus?   Komm,  lass  uns  gehn!  —  Was  ist's? 
Was  weinest  du? 
Aeschinus.     0  bester  Vater,  höre  mich! 

Micio.  Ich  habe  Alles  schon  gehört,  und  weiss  es,  Aeschinus.  Ich 
liebe  dich  ,  und  um  so  mclir  liegt  Alles  mir  am  Herzen, 
was  du  tliust. 


Caecilius  Statius.  635 

Aeschinus.  0  möchtest  du,  mein  bester  Vater,  mich  dein  h'belang  so 
deiner  Liebe  würdig  finden ,  wie  micli  meine  That  gereut, 
und  ich  mich  vor  dir  schäme! 
Micio.  Das  glaub  ich  gern.  Ich  kenne  deinen  edlen  Sinn.  Doch 
furcht'  ich ,  dass  du  gar  zu  sehr  leichtsinnig  bist.  In  wel- 
chem Staate  wähnst  du  denn  zu  seyn?  Zum  Fall  gebracht 
hast  du  ein  Mädchen,  welches  zu  berühren  das  Gesetz  ver- 
bot. Schon  dieses  Erste  war  ein  grosser  Fehler,  ein  sehr 
grosser.  Doch  ist's  noch  etwas  Menschliches ;  auch  andere 
haben  es  gethan ,  und  gute  Menschen!  Aber  sag',  als  das 
begangen  war ,  hast  du  alsdann  nach  Rath  im  mindesten 
dich  umgesehen ,  und  bedacht ,  was  werden  soUte ,  wie  es 
werden  sollte  V  .  .  .  Preis  gabst  du  dich  selbst,  jene  Arme, 
und  das  Kind,  so  viel  an  dir  lag  .  .  .  Ich  wünsche  nicht, 
dass  du  in  andern  Dingen  eben  so  sorglos  bist.  Indess  sey 
guten  Muths;  deine  Gattin  soll  sie  werden. 

Aeschinus.     Ha! 

Micio.  Sey  guten  Muthes,  sag'  ich  dir  .  .  .  Geh'  jetzt  nach  Haus' 
und  bete  zu  den  Göttern,  dass  du  sie  zur  Gattin  nehmen 
könnest.     Geh ! 

Aeschinus.     Sogleich  zur  Gattin  ? 
Micio.     Sogleich. 

Aeschinus.     0  Vater!    Wenn   ich  dich   nicht    mehr,   als   meine   eig'nen 
Augen  liebe,  mögen  mich  die  Götter  allzusammen  hassen. 
Micio.     Wie?  mehr  als  jene,  liebst  du  mich? 

Aeschinus.    Ganz  eben  so. 
Micio.     Sehr  gütig!  ... 

Väter  von  solcher  himmlischen  Herzeiiso-üte  findet  man  nur 
in  Romanen  wieder,  in  englischen  Romanen  vorzugsweise.  Tom 
Jones'  Pflegevater  z.  B.  ist  ein  ähnlicher  Charakter.  Dem  Micio 
muss  man  freilich,  der  Komödie  zu  Liebe,  einen  Jüngling,  wie 
Aeschinus,  vergeben,  der  bei  solchen  Streichen  ein  so  kindlich 
edles  Herz  und  so  viel  sittliches  Schamgefühl  besitzt. 

Von  C.  Caecilius  Statius,  dem  ältesten  hochberühmten 
Dichter  der  Com.  palliata,  sind,  ausser  ein  paar  dürftigen  Notizen 
über  ihn,  nur  kümmerliche  Verskrümel  aus  40—5(1  Komödien 
nebst  deren  Titel  auf  die  Nachwelt  gekommen.  Den  Notizenbe- 
stand bildet  das  sclion  angeführte  Lob  des  Cicero  •;:  Caecilius 
fortasse  summus  poeta  comicus.     Ferner  Cicero's  minder  schraei- 


1)  De  opt.  gen.  orat.  I,  2. 


636  ^^^'^  römische  Komödie. 

clielhafte  Bemerkung  über  das  Latein  des  gTössten  komischen 
Dichters :  malus  auctör  latinitatis  i),  und  Gellius'  Meinung  -),  dass 
Alles  in  Allem  die  Stücke  des  Menander  doch  ungleich  vorzügli- 
cher wären,  als  die  des  gi'össten  komischen  Poeten.  Hiezu  die 
biographische  Ueberlieferung,  dass  Caecilius  aus  dem  Lande  der 
Insubrer  in  Oberitalien  stamme,  wie  seine  Kunstgenosseu  Plautus 
und  Terentius,  Sklave  gewesen  und  586  d.  St.  gestorben  sey. 

Seine  Fragmente  und  die  dazu  gehörigen  Titel  finden  sich 
in  der  Sammlung  von  Bothe'^)  uiid  in  Leonh.  Spengel's  Ausgabe 
von  ]  829.  ^)  Hier  prangen  sie  in  alphal)etischer  Ordnung :  Bröck- 
chen,  nicht  grösser  als  die  in  einem  Mineralkästchen,  nur  dass 
sich  an  letzteren  die  Steinart  ganz  gut  erkennen,  aus  den  Grus- 
und  Sandkörnchen  in  Bothe-Spengel's  Schublädchen  dagegen  sich 
im  geringsten  nicht  die  Beschaffenheit  der  Stücke  errathen  lässt, 
als  deren  verwitterte  Bruchstückchen  sie  zurückgeblieben.  Aus 
den  Titeln  schloss  Meineke  %  dass  die  meisten  von  Caecilius' 
Komödien  den  gleichnamigen  des  Menander  nachgebildet  waren: 
Andria,  Androgynus,  Epiclerus,  Hynniis,  Hypoboli- 
maeus,  Imbrii,  Nauclerus,  Plocium,  Poluraeni,  Syna- 
ristosae,  Synephebi,  Titthe.  Die  andern  Buchstaben  des 
Titel-ABC  suche,  wer  will,  bei  Bothe  und  Spengel.  0  der  Un- 
sterblichkeit des  grössten  komischen  Poeten,  von  dessen  Werken 
nichts  übrig  bleibt  als  das  ABC.  Für  den  Mann  mit  der  Sand- 
uhr und  Hippe  sind  das  eben  die  lustigsten  Komödien.  Auch 
ist  er  der  Einzige,  der  immer  zuletzt  lacht  und  desshalb  aus  dem 
Zähnefletschen  gar  nicht  herauskommt,  der  spassige  ABC-Schütz. 

Die  Comoedia  togata  (römische  Nationalkomödie). 

Das  Allgemeine  darüber  hat  oben  bereits  Erwähnung  ge- 
funden.    Es  erübrigt  nur  noch,  die  Dichter  derselben  zu  nennen. 

Als  Erfinder  der  Comoedia  togata  wird  von  Donatus'')  Li- 
vius  Andronicus  angegeben.  (Comoediam  et  tragoediam  toga- 
tam  primo  Livius  Andronicus  reperit.)  Da  indessen  diese  Be- 
hauptung vereinzelt  dasteht,  auch   die  Fragmente  des  Liv.  An- 

1)  ad  Att.  VII,  3.  Brut.  74.  —  2)  N.  A.  II,  23.  —  3)  Poett.  Sceiiici 
Latt.  Vol.  VI.  Fras'iH.  Com.  p.  128  ü'.  —  4)  Caii  Caecilii  Comic.  ]»oet.  de- 
perditar.  Fabular.  FraH'mcnta.  Moiiach.  —  5)  Praef.  ad  Meii.  Fragm.  p. 
XXXV.  —  (i)  De  (Jomocd.  a.  a.  (>. 


Die  Coraoedia  togata.  637 

dron.  keine  Spur  weder  von  einer  Tragoedia  praetexta,  noch  von 
einer  Com.  togata  verratlien,  mag  die  Stelle  bei  Donat  ge- 
fälscht oder  untergeschoben  seyn.  ';  Des  Liv.  Andronic.  nächster 
Nachfolger  Cn.  Naevius  könnte  für  den  Erfinder  der  Comoedia 
togata  gelten,  wenn  sein  Romulus,  den  Lange  2)  für  eine  solche 
erklärt,  niclit  sclion  von  Regel  und  dann  auch  von  Neukirch  als 
eine  Praetexta  wäre  nacligewiesen  worden.  Doch  nimmt  Neu- 
kirch an  3),  dass  Naevius  auch  togatae  tabernariae  geschrieben, 
was  sein  Clastidium  beweisen  soll,  nach  einem  Städtchen  in 
Gallien  so  genannt,  worin  folglich  auch  nur  römische  Sitten  vor- 
kommen konnten.  Die  Erbitterang  des  Naevius  gegen  die  römi- 
schen Optimaten,  meint  Neukirch,  möchte  ihn  überhaujit  zur  Be- 
handlung von  römischen  Fabelstoflfen  bestimmt  haben. 

Als  Dichter  von  Togaten,  Tragödien  mid  Komödien,  führt 
der  Scholiasta  Cruquii^)  an:  Den  Aelius  Lamia,  Antonius 
Kufus,  Cn.  Melissus,  Afranius,  Pomponius.  Lange  ^j  be- 
zweifelt, dass  einer  von  diesen  Genannten  eine  praetexta  geschrie- 
ben, und  liält  sie  sämmtlich  für  Dichter  von  Togaten-Komö dien 
oder  Atellanen,  worin  ihm  Neukirch  ])eistimmt.  Von  Afranius 
sagt  Horaz '') : 

Dicitur  Afrani  toga  convenisse  Menaiidro.  — 

Danach  wäre  Afranius  der  Menander  der  römischen  Com.  togat. ; 
wie  Terentius,  den  Afranius  l)ewunderte  und  nachahmte,  der  lialbe 
Menander  der  römischen  Palliata  war. 

Als  Vertreter  der  Tabernaria,  der  Localkomödie,  oder  der 
Comoedia  togata  des  Khänbürgerthums  werden  angefülirt: 

Qu  in  ct.  Titini  US,  Die  Zeit,  wann  er  lebte,  lässt  sich  nicht 
genau  bestimmen.  M.  Ter.  Varro  ")  ist  der  älteste  Schriftsteller, 
der  ihn  erwälmt.  Er  le])te  wahrscheinlicli  in  dem  Zeitraum  zwi- 
schen Caecilius  und  Terentius.  Von  Titinius  *)  haben  sich  14  Ko- 
mödientitel erhalten.  Varro  rühmt  ihn  als  Sittenmaler.  Nächst 
Terentius  liabe  Titinius  am  vorzüglidisten  die  */^ry  (Sitten)  ge- 
schildert.   Seine  Stücke  spielen  gTösstentlicils  in  Landstädten  des 


1)  Neuk.  de  lab.  tog.  p.  (12.  2)  Vind.  trag.  R.  p.  N.  :i)  a.  a. 
0.  t)6.  —  4)  ad  Hürat.  Ep.  ad  Pis.  v.  288.  —  5)  a.  a.  0.  p.  11.-6)  Ep. 
IT,  1.  V.  57.  --  7)  Cham.  II,  p.  215  ed.  Putsch.  —  8)  Vgl.  Neuk.  a.  a.  0. 
p.  97  rt'. 


538  ^^^  römische  Komödie. 

südliclien  Latiums,  in  Setiae,  Fereiitinum,  Velitrae,  und  bewegen 
sich  im  kleinbürgerliclien  Leben:  z.  B.  Die  Walker  (Fullones). 
Der  Jurist  (Jurisperita;.  Die  Harfenistin  von  Pherenti- 
num  (Pherentinas).  Die  Zwillingsschwester  (Gemina).  Die 
Stiefmutter  (Privigna).  Aus  diesen  Komödien  finden  sich  bei 
den  Lexikographen  und  Grammatikern  einzelne  Verse  und  Worte 
angeführt. 

T.  Quinctius  Atta.  Atta  bedeutet,  nachFestus:  „Klump- 
fuss",  woher,  ihm  zufolge,  dieser  Tabei'narien-Dichter  den  Namen 
bekommen  hätte.  (Quod  Cognomen  Quinctio  poetae  adhaesit.) 
Sein  Todesjahr  setzt  Hieronymus ')  Olymp.  1 75,  3  =  ü.  C.  676 
:=  V.  Chr.  78.  Euanthius  nennt  ihn  2)  einen  grossen  Komiker. 
Horaz  wirft  ihn  im  Stillen  unter  das  alte  Eisen: 

Zweifelt'  ich  nur,  ob  Atta's  Stück  noch  jetzt  es  verdiene, 

Ueber  die  Bühne  zu  wandeln,  so  schrieen  fast  sämmtUche  Väter  u.  s.  w. 

Rectum  necne  crocum  floresque  perambulet  Attae  ^) 

Fabula,  si  dubitem,  clament  etc. 

Von  ilim  sind  Bruchstücke  aus  II  Komödien  vorhanden: 
Aedilicia.  Aquae  caldae  (Warme  Bäder).  Couciliatrix 
(Die  Vermittlerin).  Gratulatio  (Der  Glückwunsch).  Lucu- 
bratio  (Nächtliche  Vorbereitung  zur  Hochzeitfeier,  wie  man  aus 
den  Bruchstücken  vermuthet).  Matertera  (Die  Stiefmutter). 
Megalensia  (Das  Megalensien-  oder  Cybele  -  Fest;.  Socrus 
(Die  Schwiegermutter;  vielleicht  im  Stoffe  älinlich  der  Hecyra 
des  Terenz).  Supplicatio  (Das  Bittgesuch).  Tiro  proficis- 
cens  (Der  in  Krieg  ziehende  Kekrut). 

L.  Afranius.  Den  Vornamen  L.  (Lucius)  giebt  ihm  Ci- 
cero. ^)  Die  Lebenszeit  sclieint  Vell.  Paterc.  •')  fast  gleichzeitig 
zu  setzen  mit  Caecilius  und  Terentius  (suppari  aetate  nituerunt). 
An  einer  andern  Stelle"^)  clara  etiam  per  idem  aevi  spatium  (zur 
Zeit  des  Scipio  Aeinilian.,  Laelius,  L.  Crassus  etc.)  fuere  ingenia, 
in  togatis  Alranii  etc.  „In  demselben  Zeitraum  glänzten  Afra- 
nius in  Togaten"  u.  s.  w.  Hiernach  möchte  Afi-anius  13()  v.  Chr. 
geboren  seyn.    Geburtsort  l)lieb  unbekannt.    Neukirch  nimmt  Rom 

1)  in  Chron.  Eus.  --  2)  Comnicnt.  de  fabul.  —  3)  Ep.  11,  1.  v.  79. — 
4)  Brut.  45.  —  5)  I,  17,   1.  -    0)  IJ,  '.),  3. 


Der  Mimus.  639 

an  als  Vaterstadt.  ')  Dass  Afranius  Localstücke  (Taberiiarieu)  ge- 
schrieben, sagt  Diomedes  ausdrücklich 2) ,  Togatas  tabernarias 
in  scenam  diictaverant  praecipue  duo,  Afranius  et  Quinctius  fTi- 
tinius).  Unter  den  Titeln  seiner  Stücke  findet  sich  auch  Thais, 
woraus  Einige  leichthin  folgern  wollen,  dass  Afranius  auch  Pal- 
liaten  geschrieben.  Afranius'  Lustspiele  ^vurden  noch  zu  Nero's 
Zeiten  gespielt,  ^j  Apulejus  ^)  nennt  den  Afranius  einen  „elegan- 
ten Schriftsteller".  Quinctilian  ^j  rühmt  von  ihm:  „Afranius 
zeichne  sich  in  den  Togaten  aus;  leider  beflecke  er  seine  Fal)eln 
mit  hässlichen  Knaben-Liebschaften"  (Togatis  excellit  Afranius, 
utinamque  non  inqui nässet  argumenta  puerorum  foedis  amoribus). 
Auf  die  vitiosa  libido  in  den  Lustspielen  des  Afranius  zielt  auch 
ein  Epigramm  von  Ausonius "; :  Quam  toga  facundi  scaenis  agita- 
vit  Afrani.  Davon  mindestens  hat  sich  die  Palliata  reingehalten. 
Ueber  vierzig  Titel  von  Afranius'  Togaten  werden  aufgezählt. 
Man  findet  sie  bei  Neukirch  ')  mit  allen  aus  Nonnius ,  Charisius 
und  sonstigen  Grammatikern  zusammengetragenen  Bruchstück  Ver- 
sen und  zerstreuten  vereinzelten  Worten  alphabetisch  aufgeführt. 
In  diesem  Titelverzeichniss  konnnt  sogar  ein  Komödientitel  vor 
unter  dem  Namen:  Titulus,  mit  der  Belegstelle  aus  Gellius:^) 
Sicut  Afranius  dixit  in  togata,  cui  Titulus  nomen  est.  Eine 
andere  von  Afranius'  Togaten  führt  den  Namen  ihrer  Gattung: 
Togata,  von  Q.  Ter.  VaiTO  angeführt^;,  gelegentlich  eines  Wor- 
tes (Puticulij,  das  sich  in  dieser,  „Togata"  betitelten,  Togata  des 
Afranius  finde. 

Mimus. 

Kr  stannnt  ursprünglich  aus  Sicilien,  wie  schon,  gelegent- 
lich der  Mimen  {!.ii/.ioij  des  Sophron,  bemerkt  worden.  Der 
römische  Mimus  scheint  aus  der  Abart  des  siivelischen  Mi- 
mus hervorgegangen,  die  Plutarch  yiaiyvia  nennt  "^):  schmutzige 
Possen,  welche,  wie  er  hinzuiügt,  wegen  ihrer  Obscönität,  von 
Knaben  iiiclit  gespielt  werden  durften.  In  seiner  niedi-igsten  Form 
beschränkte  sich  der  römische  Mimus  auf  Nachahmung  von  1'hier- 

1)  a.  a.  ().  lüO  fi.  --   2)  III.  p.  4sS,  Putscli.  —  3)   Suet.  Ner.  11.  — 

4)  Apolüg.  420.  -  :>)  Orat.  X,   1,   lüO.        G)  Ep.  LXXI.  —  7)  p.  176—279. 

—  «,)  X,  11.    -  9)  L.  L.   V.   12.  p    42.    ed.  Spengel.     -    10)  Sympos.  VII, 
8,  4.  p.  712. 


640  Die  römische  Komödie. 

lauten  '),  dann  ging  er  zu  gesticulirender  Nachahmung,  gemeiner 
Unanständigkeit  und  Zoten  über,  mit  grellem  Geberdeuspiel,  Ge- 
sichtsverdrehungen und  Grimassen,  woher  die  Veranstalter  solcher 
Zerrmienen  Sanniones  hiessen.  Sanna  bedeutet  eben  „verzerr- 
tes Gesicht",  es  distortum ,  wie  Pseudocornutus  zu  Persius '-)  das 
Wort  erklärt,  übereinstimmend  mit  Cicero  3):  Quid  porro  tam 
ridiculum  quam  Sannio  est?  qui  ore,  vultu,  imitandis  moribus, 
voce,  denique  corpore  ridetur  ipso.  „Giebt  es  etwas  Lächerliche- 
res als  den  Sannio?  Der  mit  Mund,  Gesicht,  nachspottender  Ge- 
berde, mit  der  Stimme,  ja  mit  dem  ganzen  Körper  lacht".  Viel- 
leicht lässt  sich  der  Name  Sannio  auf  den  Komiker  und  Lach- 
spieler Sannyrion  {^avvvQi'ov)  zurückführen,  einen  Nebenbuhler 
des  Aristophanes,  der  diesen  Saimyrion  im  Gerytades  verspottet 
hatte,  wofür  ihn  Sannyrion  in  seinem  Stücke  „Das  Lachspiel" 
{rähog)  4)  wieder  aufzog.  ■'•)  Welcker  nimmt  auch  wirklich  den 
Sannyrion  für  den  Charakternamen  des  Narren.'') 

Anfangs  waren  die  Mimiker  nichts  als  solclie  Possenreisser 
oder  Sanniones. ')  Ihre  Fertigkeit  im  Gesiclitersclmeiden  und  Ge- 
berdenspiel wurde  bald  zur  Aushülfe  für  den  sprechenden  Schau- 
spieler in  der  Komödie  benutzt,  den  sie  mit  der  Gesticulation 
unterstützten.  Der  Schauspieler  sprach  und  sie  schnitten  die  Ge- 
sichter dazu.  Eine  ähnliche  Trennung  und  Theilung  in  den  Vor- 
trag, wie  uns  beim  Canticum  schon  begegnete,  wo  der  Schauspie- 
ler den  Gesang  durch  stumme  Tanzgeberde  ausdrückte.  Oder  der 
Sannio  trat  in  den  Zwischenacten  allein  auf,  um  in  der  Orcliestra 
seine  Possen-Mimik  dem  Publicum  zum  Besten  zu  geben.  ^)  Die 
allerniedrigste  Nachahmung  durch  Gesticulation  war  also  das  ur- 
sprüngliche Handwerk  des  Mimus,  und  der  C'harakter  des  vorge- 
stellten Mimus.  Das  Wort  bezeichnet  nämlich  Beides:  den  Spie- 
ler und  die  Darstellung.  Diese  Faxenmaclier,  sag-t  Euantliius  ■'), 
werden  Mimi  genannt,  wegen  der  beständigen  Nachahmung  ge- 
meiner Gegenstände  und  niedriger  Personen  fMimos  dictos  a  diu- 
turna  imitatione  vilium  rermn  et  levium  personarumj. 


n  Suet.  Vitell.  Jl.  Anson.  Epigr.  LXXV.  Anthol.  Lat.  IV,  20.  ed.  Burm. 
Diom.  11,  4S7.  Phaedr.  Fub.  V,  5.  -  2)  Sat.  I.  v.  72.  —  3)  Orat.  II.  c. 
5.  —  4)  Fr.  p.  Slli.  5)  Schol.  Plat.  ]».  331.  Bek.  —  6)  Schulz.  1js30  U. 
p.  419.  —  7)  Ziegler  de  Mimis  Rümaii.  Comment.  Gott.  17!>S.  \>.  8.  — 
8)  Fest.  V.  ürchestra.  —  !i)  Tract.  de  Trag,  ft  Com. 


Planipedia.    Archiiuiiaus.  641 

Der  lateinische  Name  für  die  Mimenspiele  war  Planipedia; 
für  die  Spieler  Planipedes.  „Planipedes  wm-den  sie  genannt, 
weil  die  Darsteller  planis  pedibus,  d.  h.  barfuss  fnudis  pedi- 
bus)  die  Bühne  betraten".  Darunter  ist  aber  nicht  „bloss-  oder 
nacktfüssig"  zu  verstehen,  sondern,  wie  Diomedes  ')  hinzubemerkt, 
ohne  den  Kothurn  der  tragischen  Schauspieler  und  ohne  den  Soc- 
cus  der  Komiker  (Non  ut  tragici  actores  cum  cothurnis,  neque 
ut  scenici  [Komödienspieler]  cum  soccis).  Der  Mime  hatte  bloss 
eine  leichte  Sohle  unter  den  Fuss  gebunden,  wesshalb  die  Mimen 
auch  excalceati  (Schuhlose;  Messen.  Uebereinstimmend  mitEuan- 
thius  erklärt  Donatus'-^):  Planipedia  dicta  (nämlich  die  römi- 
schen Mimenspiele)  ol)  humilitatem  argumenti  ejus  ac  vilitatem 
actorum:  „Planipedia  wurden  diese  Spiele  genannt,  wegen  der 
Niedrigkeit  des  dargestellten  Gegenstandes  und  der  Verächtlich- 
keit der  Spieler".  Wobei  Donatus  von  der  Etymologie  des  Wor- 
tes absieht.  Den  Mimus,  als  Vortrag,  erkläit  Diomedes  ebenfalls 
durch  motus  sine  reverentia:  „ein  anstand  swidriges  Geberdenspiel, 
oder  eine  muthwillige  Nachahnmng  schmutziger  Handlungen"  (vel 
factorum  turpium  cum  lascivia  imitatio). 

Bis  etwa  um  die  Zeit  des  Dictators  Sulla,  der  ein  leiden- 
schaftlicher Liebhaber  und  Gönner  dieser  Zotenposse  und  ihrer 
Spieler  war,  gab  es  nur  Steg  reif  vor  Stellungen  dieser  Gat- 
tung; ungeschriebene  Mimen.  Aber  auch  die  spätem  schrift- 
lich abgefassten,  die  niedergeschriebenen  Mimen,  von  de- 
nen Gellius^)  und  Macrobius^;  sprechen,  scheinen  nur  Skizzen 
gewesen  zu  seyn,  die  aus  einem  Prolog  und  einigen  Hauptanga- 
ben oder  Anweisungen  bestehen  mochten,  um  die  Aufeinander- 
folge der  einzelnen  Situationen  für  den  Hauptacteur  (Archimi- 
mus)  ^)  zu  bestimmen.  Seincsn  Haupttheilen  nach  wurde  der  Mi- 
mus demgemäss  von  einem  solchen  Hauptspieler  oder  Archimimen 
dargestellt,  mit  untergeordneten  Mimen,  die  ihn  nur  hie 
und  da  mit  einigen  Andeutungen  unterstützten  und  sein  Einzel- 
gespräch, womit  er  al»  und  zu  sein  Gel)erdenspiel  erläuterte,  durch 
kurze  eingestreute  Bemerkungen  oder  Antworten,  zum  Dialoge 
(diverbium)  belebten.  An  solclie  mimisclie  Nebenrollen 
(partes  secundas;  denkt  Horaz  ''j : 

1)  lU.  p.  487.  -  2)  de  Com.  p.  VIII.  -  .i)  XVII,  14.  4)  Sat.  11, 
7.  ~  5)  Suet.  VitcU.  19.  —  (j)  Ep.  I,  18.  v.  13  f. 

n.  41 


542  Die  römische  Komödie. 

,, Hallt  so  Jegliches  Avieder  und  hascht  die  entfallenden  Wörter, 
Dass  nachbetend  du  glaubest  den  Knaben  die  Worte  des  strengen 
Schulherrn,  oder  den  Minien  behandelnd  die  untere  Eolle". 
(.     .     .    vel  partes  mimum  ti'actare  secundas.) 

Petronius  spricht  gar  ^j  von  einer  ganzen  Gesellschaft  Mimen 
(grex  Mimorunij,  die  eine  Vorstellung  mit  vertheilteu  Rollen  ga- 
ben, wo  der  Eine  den  Vater,  der  Andere  den  Sohn  u.  s.  w.  agirte. 
Bei  Cicero  "^)  finden  sich  noch  aus  einem  solchen  Zwiegespräch  ein 
paar  zwischen  zwei  Mimen  gewechselte  Worte. 

Im  Mimus  traten  Männer  und  Frauen  auf,  beide  in  Haupt- 
rollen. Der  ganze  Mimus  wurde  von  der  Flöte  begleitet  3),  und 
ohne  Maske  gespielt,  mit  glattgeschorenem  Kopf.  ^,  Das  Co- 
stüm  war  ein  bunter  Harlekinsrock  Centunculus,  darüber  ein 
kurzes  Mäntelchen,  ricinium,  wovon  die  Mbnen  auch  ricinati 
oder  recimati  hiessen.  ^) 

Die  geschriebenen  Mimen  unterschieden  sich,  was  den  In- 
halt ihrer  Vorstellungen  betriflt,  nicht  wesentlich  von  der  impro- 
visirten  Mimenposse.  Ovid  nennt  die  Mimen  überhaupt,  geschrie- 
bene oder  ungeschriebene:  imitantes  turpia:  „Nachahmer  des 
schmutzig  Ungesitteten".**)  W^ie  z.  B.  seine  Ars  amandi,  die, 
nach  dieser  Erklärung,  ein  Mimus  wäre  in  elegischer  Form.  Ob- 
scoena  jocantes 'j :  „die  durch  Obscönitäten  zu  unterhalten  such- 
ten", wie  z.  B.  sein  remedium  amoris.  —  Das  gewöhnliche  Thema 
dieser  Spiele  war  Ehebruch. ")  Das  Thema  ist  auch  das  stehende 
des  fi-anzösischeu  Lustspiels,  das  sich  aus  dem  von  der  Terentia- 
nischen  Komödie  in  die  Familie  gastfreundlicli  aufgenommenen 
und  eingebürgerten  Hetärenthum  hervorgebildet  und  ein  Zwitter- 
spiel vorstellt  von  Mimus  und  Terentianischem  Raffinement.  Ne- 
ben dem  Ehebruch  war  Diebstahl  das  Lieblingsthema  des  Mi- 
mus, wie  im  Cophinus  z.  B.,  einem  Mimus  des  Laberius.  Um 
Kinderraub  und  Diebstahl  dreht  sich  überhaupt,  Avie  wir  sahen, 
<las  ganze  Lustspiel  der  feinen  griechischen  und  römischen  Ge- 
sellschaft, die  Menander-  und  Palliaten- Komödie.  Der  Mädchen- 
wirth    oder  Mädchendieb    und  Hetären-Züchter    oder  Unzüchter, 


1)  C.  80.  —  2)  de  Orat.  11,  67.  —  3)  GeU.  I,  11.  —  4)  Mart.  II,  72. 
—  5)  Fest.  s.  V.  —  6i  Trist.  II.  v.  513.  -  7)  Da.s.  11,  447.  —  S)  Das. 
II,  497. 


Die  Mimen.    Cicero.    Caesar.    Seneca.  643 

der  Leno  {nQocc/ioyÖQ^  ^iuotqohÖq,  vinovoßna/.og)  ist  doiin  aueh 
Axe  und  Zapfen  dieser  Komödie;  in  ilim  vereinigen  sich  beide 
Factoren  dersell)en  zu  vollkonmienster  Contaminatiu:  Diebstahl 
und  Prostitution;  freilich  aucli  die  Factoren  der  Welt,  die  jene 
nacharistophanische  Komödie  bedeutet  bis  auf  den  heutigen  Tag. 
Mit  seltenen  Ausnahmen  blieb  das  Lustspiel,  bis  auf  die  neuesten 
Zeiten  herab,  der  rüniisclie  Minius  in  Menandrischer  Form.  Haben 
wir  doch  den  wohlerzogenen  Bürgerjüngling  Aeschinus,  in  Teren- 
tius'  gediegenstem  und  feinstem  Lustspiel,  in  den  Adelphi,  jene 
beiden  Functionen  dem  Leno,  Sannio,  abnehmen,  sie  ihm  entreissen 
sehen,  und  dessen  Kolle  durchführen,  als  Hetärenräuber  und  ge- 
waltthätiger  Leno  seines  Jüngern  Bruders. 

Cicero  macht  sich  die  bittersten  Vorwürfe,  dass  er  Mimen 
angesehen  ';,  und  zwar  die  besten  noch  und  edelsten  der  Gattung, 
die  Mimen  des  Laberius  und  Publius  Syrus:  „Ich  bin  schon  so 
abgehärtet",  schreibt  er,  „dass  ich  bei  Gelegenheit  der  Festspiele 
unseres  Cäsar,  gelassenen  Muthes,  einen  T.  Plancus  mir  ansehen 
und  die  mimischen  Poeme  des  Laberius  und  Publius  (83^118)  an- 
hören konnte".  Equidem  sie  jam  obdurui,  ut  ludis  Caesaris  nostri 
aequissimo  animo  viderem  T.  Plancum,  audirem  Laberii  et  Publii 
poemata.  „Unser  Caesar"  theilte  mit  unserem  Sulla  die  leiden- 
schaftliche Liebhaberei  für  die  Mimen  und  vererbte  sie  auf  seine 
Nachfolger.  Die  Lie])hal)(U'ei  erklärt  sich  ganz  natürlich  aus  der 
Seelenverwandtschaft.  „Unser  Caesar",  in  seinem  Gmndwesen  auf- 
gefasst,  ist  der  Mimus  /.ar'  eBoxi']v;  der  grosse  Mimus,  der  die 
genannten  zwei  Hauptqualitäten  der  Helden- Possenreisser  in  der 
grossen  Weltposse,  zur  höchsten  Potenz  ausgebildet,  in  sich  dar- 
stellt; der  Archiniimus,  neben  dem  seine  Nachfolger,  durch  alle 
Zeiten  bis  auf  den  heutigen  Tag,  die  partes  secundas  tractiren. 
Den  grossen  Minius,  unsern  Caesar,  werden  wir  sogleich  als  den 
eilrigsten  Gönner  und  Befrirdcivr  der  Mimen  vor  uns  sehen. 

Von  den  Spässen  der  Minu-n  sagt  Seneca,  der  Philosoiih  die- 
ser Sorte,  und  als  solcher  ein  grosser  Bewunderer  der  DcMÜisprüclie 
und  Sentenzen  in  den  Mimen  des  Laberius  und  Syrus:  „die  Sprech- 
weise der  Mimen  ist  für  die  obersten  Sitzreihen  (die  Gallerie;  be- 
rechnet'^):  verlia   ad  summam  caveam  spectantia.    Aber,  fügt  der 

1)   ad  div.  XII,   18.  —  2)  Tmuki.  anim.    II. 


644  ^^^  römische  Komödie. 

Philosoph  hinzu,  in  dem  Koth  befinden  sich  die  kostbarsten  Per- 
len, Ki'aftsprüehe,  die  an  Stärke  und  Gehalt  die  schwungvollsten 
Sentenzen  des  Kothurns  überflügeln,  wobei  er  an  seinen  Kothurn 
denken  mochte. 

Unbeschadet  ihrer  Verrufenheit  hatten  die  Mimen  Zutritt  in 
die  Gesellschaften  der  vornehmsten  Kömer,  die  in  der  Regel  auch 
die  sittenlosesten  waren.  ')  Des  Sulla,  des  feinen  Wüstlings  und 
Schwelgers  beständiger  Umgang,  tägliche  Gesellschaft  waren  Mi- 
men; sein  Busenfreund  war  der  Archimimus  Sorix.  "^)  Sulla  lud 
sie  ein  zu  seinen  schwelgerischen  Gelagen,  schenkte  ihnen  grosse 
Ackerstücke  vom  Gemeindeland^),  überhäufte  sie  mit  Reichthü- 
mern,  Gold  und  Edelsteinen,  Der  Triumvir  Antonius  ging  in 
seiner  Leidenschaft  für  die  Mimenspieler  wo  möglich  noch  weiter. 
Mimen  mussten  ihn  auf  allen  seinen  Reisen  begleiten.  Sein 
Haus  und  seine  Villen  wimmelten  von  Mimen.  ^)  Unter  den  Tän- 
zern waren  Hippias  und  Sergius  seine  Lieblinge.  Als  Antonius 
einst  bei  der  Hochzeit  des  Hippias  die  Nacht  durchgeschwelgt 
hatte,  und  er  am  Morgen  in  der  Volksversammlung  sprechen 
musste ,  erschien  er  auf  der  Rednerbühne  ekelhaft  betrunken.  ■' ) 
Noch  ärgerlicher  war  sein  Verhältniss  zu  der  Mimentäuzerin 
Cytheris.  An  ihrer  Seite  durchzog  er,  in  oftener  Sänfte,  ganz 
Italien  in  öffentlichen  Geschäften.  '^)  Selbst  Cicero  befand  sich 
bei  einem  lustigen  Abendschmause,  Cicero,  der  pater  patriae,  wie 
einer  von  Plautus'  Komödienvätern  bei  dem  Hetärengelage  ihrer 
Söhne.  Den  lustigen  Abendschmaus,  dem  der  pater  patriae  bei- 
wohnte, gab  Volumnius  Eutrapelus  dieser  Tänzerin,  der  Cytheris, 
zu  Ehren:  „Unterhalb  von  Eutrapelus",  schreibt  Cicero'),  „hatte 
Cytheris  ihren  Platz  am  Tische.  Wie?  hör'  ich  dich  rufen:  ein 
Cicero  bei  einem  solchen  Gastmahl !  Beim  Hercules,  ich  hatte  sie 
doi-t  nicht  vermuthet".  (Ist  wolil  nur  eine  rednerische  Figur.) 
„Uebrigens  glaubte  aucli  jener  Sokratiker,  Aristippus,  nicht  er- 
rötheu zu  dürfen,  als  ihm  der  Umgang   mit  der  Lais  vorgerückt 


1)  Athen.  VI,  261  C.  Cic.  Attic.  X,  I(»,  Pliii.  H.  N.  VIII,  21.  Plut. 
Süll.  2,  36.  —  2)  Plut.  Snll.  36.  —  3)  Athen.  VI,  261  C.  -  4)  Cic.  Phü. 
II,  27.  Plut.  Anton.  21.  Vgl.  Grysar,  Allg.  Schulz,  etc.  p.  357  ff.  —  5)  Plut. 
Ant.  9.  Cic.  Phil,  II,  25.  6)  Cic.  Attic.  X,  U).  Phü.  II,  22.  24.  25.  — 
7)  ad  div.  IX,  26. 


Mimen-Tänzeriimen.  645 

ATOrde".  Aber  Aristippus,  trefflicher  pater  patriae,  wetterte  niclit 
gegen  eleu  Oatilina,  Verres,  Clodius,  imd  den  liederlichen  Gla- 
diator-Feldhemi  und  Miinen-Gönner,  den  M.  Antonius.  rSed  tarnen 
Aiistippuö  quideni  ille  Socraticus  non  erubuit  quum  esset  ob- 
jectum  habere  eura  Laida.) 

Zu  den  berülinitesten  Mimen-Tänzerinnen,  zur  Zeit  des  Ci- 
cero, gehörten  die  Origo  ,  die  Lycoris  und  Arbuscula.  Der 
Origo  gedenkt  auch  Horaz  '): 

.  .  .  ,,Wie  weiland  Marsaeus,  Origo 's  Buhle,  derselbe, 

Der  sein  väterlich  Er)}'  und  Haus  verschenkt  an  die  Mimen"  ,  .  . 

Ut  quondani  Marsaeus,  amatur  Originis  ille, 

Qui  ]iatriuni  niiniae  donat  fundunique  larumque  .  .  . 

Von  einem  Auftreten  der  Arbuscula  spricht  Cicero. -)  Er  schreibt: 
„Die  Arbuscula  hat  sehr  gefallen".  (Arbuscula  valde  placuit;. 
Wie  sollte  sie  nicht  i*  Schon  das  Costttm  war  danach  angethan. 
Diese  Tänzerinnen  erschienen  gewöhnlich  in  der  blossen  Subu- 
cula,  einem  kurzen,  dünnen  Uutergewand.  Balletfi'eunden  zur 
Auskunft  diene  die  archäologische  Notiz,  dass  beregtes  ünterge- 
wand  von  so  zweifelhafter  Gewandlichkeit  war,  dass  Val.  Max.  3) 
ohne  der  Wahrheit  das  Geringste  zu  vergeben,  schreiben  durfte: 
Nudae  saltabant.  Kurz  eine  Subucula,  in  Vergleich  mit  welcher 
unser  Ballet-Tricot  oder  Maillot  eine  Eisen-Rüstung  ist,  von  Kopf 
bis  Fuss,  unnahbar  wie  die,  in  welcher  man  die  Männerfeindin 
Libussa  im  Zeughaus  zu  Prag  sitzen  sieht  lioch  zu  Ross.  Welche 
Fortschritte  in  solider  Sittlichkeit  und  sittlicher  ündurchdring- 
lichkeit  hat  die  römische  Sul)ucula  nicht  gemacht,  wenn  man  sie 
in  ihrer  jüngsten  Avatare  oder  Fleischwerdung  betraclitet,  als  jene 
neapolitanische  weltberühmte  grüne  Ballethose  nämlich,  unter  den 
letzten  Bourbonen,  deren  Herrschaft  sie  nur  leider,  trotz  Dichtig- 
keit und  gi'üner  Solidität,  nicht  zu  stützen  vermochte! 

Wir  müssen  noch  von  den  zwei  vorzüglichsten,  schon  ge- 
nannten Mimen -Dichtern  Laberius  und  Publius  Syrus 
sprechen : 

Decimus  Laberius,   römischer  Ritter,   wurde  645  d.  St. 


1)  Sat.  I,  2,  55  f.  —  2)  ad  Att.  IV,  15.  —  3)  X,   11. 


646  ^^'^  röiuisclie  Kumödie. 

geb.,  me  ans  seinem  von  Macrob.  ')  aufbewahrten  Prolog  erhellt, 
worin  Laberius  mit  schwerem  Herzen  dem  Publicum  klagt,  dass 
er  705  d.  St.  im  60.  Jahre  seines  Lebens,  auf  Befehl  des  Julius 
Caesar,  die  Bühne  zu  betreten,  genöthigt  worden.  Laberius  schrieb 
Mimen  zu  seinem  Privatvergnügen  und  Hess  sie  von  Schauspie- 
lern des  Faches  aufführen.  Nach  dem  Vorbilde  des  Atellanen- 
dichters  Pomponius  geisselte  er  die  öffentlichen  und  geheimen 
Sünden  der  guten  Gesellschaft.  -)  Ziegler  erklärt  den  erhaltenen 
Prolog  für  würdigt),  den  treffliciisten  Schriftstücken  der  Römer 
zugezählt  zu  werden. 

„Er  ist  so  schön",  schreibt  Wieland  ^),  „und  so  geschickt,  uns 
einen  Begrift'  von  dem  Geiste  und  der  Manier  dieses  einst  be- 
rühmten Mimen-Dichters  zu  geben,  dass  ich  nicht  umhin  kann, 
ihn  hier,  jiebst  dem  Originale,  so  gut  als  es  mir  gelingen  wollte, 
übersetzt  mitzutheilen : 

Die  Noth,  ein  Strom,  den  viele  durch  Entgegenschwimmen 

Zu  überwinden  schon  versuchten,  wenige 

Vermochten,  wohin  hat  sie  beinahe  noch 

In  meine]i  letzten  Augenblicken  mich  gebracht  V 

Mich,  den  nicht  Ehrgeiz,  noch  Gewinnsucht,  keine 

Gewalt,  kein  Ansehn,  keine  Furcht,  in  meiner  Jugend 

Aus  meinem  Stande  heben  konnte,  seht 

Wie  leicht  der  grosse  Mann  durch  gnädige, 

Zu  sanften  Bitten  herzgewinnend  sich 

Herunterlassende  Beredungen 

Mich  alten  Mann  aus  meiner  Stelle  rückte! 

Doch  ihm,  dem  selbst  die  Götter  nichts  versagen  konnten, 

Wie  hätt'  ich  blosser  Mensch  ihm  etwas  abzuschlagen. 

Mich  wohl  erkühnen  dürfen?    So  gescliah  es  denn. 

Dass  nun,  nach  zweimal  dreissig  ohne  Tadel 

Verlebten  Jahren,  ich,  der  meinen  Herd 

Als  röjnischer  Ritter  eben  itzt  verliess. 

Nach  Hp,us  als  Mimus  wiederkehren  werde. 

Um  diesen  einzigen  Tag  also  hab'  ich 

Zu  lang  gelebt!    0  du  im  Bösen  wie  im  Guten 

Unmässige  Fortuna,  wenn  es  ja 

Dein  Wille  vfnr,  des  Ruhmes  Blume,  ilen 

Die  Musen  mir  erwariicu,  al)/.ul<uicken. 

I)  Sat.  11  ,  7,  -^  2)  Senec.  ("oiitrov.  lll,  J8.  -  3)  a.  a.  0.  S.  49.  - 
■n   Hör.  Satyren  1.  8.  2i)2.  2.  Aufl. 


LabiieuK  und  (^aesar.  647 

Waruiu  nicht  lieber  damals,  da  ich  noch 

In  frischen  Jahren  grünte,  noch  die  Kräfte  hatte 

Dem  Volk  und  einem  solchen  Mann  genug  zu  thun? 

0!  warum  beugtest  du  nicht  lieber  damals  mich. 

Da  ich  noch  biegsam  war,  um  meine  Zweige 

Zu  schneiden  V    Jetzt,  wozu  so  tief  herab  mich  di-ücken? 

Was  bring'  ich  auf  den  Schauplatz?  etwa  Schönheit,  Anstand. 

Muthvülle  Kraft  des  Geistes,  Reiz  der  Stimme? 

Ach!  wie  dem  Baum  der  Epheu  durch  Umarmen 

Das  Leben  raubt,  so  hat  das  Alter  langsam  mich 

Umschlingend  ausgesogen,  und  gleich  einem  Grabe 

Behielt  ich  von  mir  selbst  nichts  als  den  Namen. 

Necessitas,  cujus  cursus  transversi  impetura 
voluerunt  multi  etfugere,  pauci  potuerunt, 
quo  nie  detrusit  paene  extremis  seusibus? 
Quem  nulla  ambitio.  nulla  unquam  largitio, 
nuUus  timor,  vis  nulla,  nulla  auctoritas 
movere  potuit  in  juventa  de  statu, 
ecce  in  senecta  ut  facile  labefecit  loco 
viri  excellentis  mente  demente  edita 
submissa  placide  blandiloquens  oratio! 

Etenim  ipsi  Dil  negare  cui  niliil  potuerunt 

hominem  me  denegare  quis  posset  pati? 

Ergo  his  trecenis  annis  actis  sine  nota 

Eques  Romanus  Lare  egressus  meo 

domum  revertar  Mimus.    Nimirum  hoc  die 

uno  plus  vixi,  quam  mihi  vivendum  fuit. 

Fortuna,  immoderata  in  bono  aeque  atque  in  malo, 

si  tibi  erat  libitum  litterarum  laudibus 

florens  cacumen  nostrac  famae  frangere. 

cur,  cum  vigebam  mcmbris  praeviiidantibus, 

satisfacere  populo  et  tali  cum  poteram  viro, 

non  flexibilem  mc  concurvasti  ut  carperes? 

Nunc  me  quo  dejicis?    Quid  ad  scenam  aftero? 

Decorem  formae,  an  dignitatem  corporis. 

Animi  virtutem,  an  vocis  jocundae  sonum? 

Ut  hedera  serpens  vires  arboreas  necat, 

ita  me  vetustas  araplexu  annorum  enecat. 
Sepulcri  similis  nil  nisi  nomen  retinco. 

Tn  Folge  von  Lahcrius'  Auftreten  als  Mimus  wollten  ihn  seine 
Standesgenossen,  die  Hitter,  nicht  unter  sich  im  Theater  Platz 
nehmen" lassen,  ob  ihn  gleich  Julius  Caesar,  durch  Wiederver- 
leihung   des  goldenen  Kinges.    auch    in   die  AViirdcn  und  Ehren 


648  ^^^c  röiuisclio  Komödie. 

eines  ßitters  wieder  eingesetzt  zu  haben  meinte.  Als  bei  dieser 
Gelegenheit  der  tiefgeki'änkte  Laberiiis,  um  einen  Platz  verlegen, 
an  Cicero  vorbei  kam,  bedauerte  dieser,  ihm  keinen  Platz  anbie- 
ten zu  können,  weil  er  seilest  zu  eng  sitze.  Worauf  ihm  Labe- 
rius,  mit  einer  Anspielung  auf  die  zweideutige  Parteistellung  des 
Cicero  zwischen  Pompejus  und  Caesar,  versetzte:  „Ich  wundere 
mich,  dass  du  zu  eng  sitzest,  der  du  auf  zwei  Stühlen  zu  sitzen 
gewohnt  bist".  Laberius  starb  zu  Puteoli,  zehn  Jahre  nach  der 
Ermordung  Caesar's,  wie  Eusebius  in  seiner  Chronik  berichtet. 

Publius  Syrus,  von  seinem  Geburtslande,  Syrien,  Syrus 
genannt,  des  Laberius  jüngerer  Zeitgenosse,  Sklave  seines  Stan- 
des, gab  noch,  als  Vorstand  eines  Tlieaters,  mimische  Vorstellun- 
gen zu  Rom,  als  Laberius  starb.  Sein  Talent  erwarb  ihm  die 
Freilassung.  Er  hatte  sich  als  Mimendichter  und  Spieler  bereits 
einen  grossen  Ruf  in  ganz  Italien  erworben,  als  ihn  Caesar  für 
seine  Festspiele  nach  Rom  berief.  Hier  forderte  Publius  seine 
Mitbewerber  und  Kunstgenossen  zum  Wettstreit  auf  und  siegte 
über  Alle,  worunter  auch  Laberius  sich  befand.  Letzteren  be- 
schenkte Caesar  mit  einem  goldnen  Ring  und  einer  ansehnlichen 
Geldsumme  ^500,000  Sest.  =  12,500  Rthlr.j.  Dem  Sieger  aber, 
dem  Publius  Syrus,  erkannte  er  die  Palme  zu.  Bei  dieser  Veran- 
lassung soll  Pul)lius  von  dem  weichenden  Laberius  mit  den  Wor- 
ten Abschied  genommen  haben: 

„Den  als  Dichter  du  bekämpftest,  stärk'  ihn  als  Zuschauer  nun", 
Quicum  contendisti  scriptor,  hunc  spectator  subleva.  ') 

Von  seinen  fernem  Geschicken  weiss  man  so  wenig  wie  von 
seinem  Todesjahr.  Viele  der  ihm  zugeschriebenen  Denk-  und 
Sittensprüche  finden  sich  in  allen  lateinischen  Fibeln,  seitdem  die 
Sententiae  Publii  Syri  et  L.  Annaei  Senecae  von  J.  Gruterus  ge- 
sammelt und  herausgegeben  worden.  Die  neueste  uns  bekannte 
Ausgabe  derselben  ist  die  von  Tafel.  -)  Die  Verbindung  der  Sit- 
tenspriiche  des  Syrus  mit  den  Sentenzen  aus  Seneca's  Sclmften 
mag  dieser  wohl  selbst  durch  seine  überschwengliche,  bereits  an- 
geführte Lobpreisung  der  Denksprüche  dieser  Mimen   veranlasst 


1)  Macrob.  .Sat.  II,  7.    -  2)  Lond.  u.  'riibinj?.   1S41.  8. 


Pnblius  Sj'rus.    Miinus:    Virj^o.  649 

haben.  ( .  .  .  intcr  niulta  alia  cothuvuo  non  tantiim  sipario 
fortiora  diceret).  Aehiiliches  wiederholt  er  an  einem  andern 
Orte  1) ,  mit  Berufung  auf  den  Ausspruch  des  Cassius  Severas : 
„Es  komme  Vieles  bei  Publius  vor,  was  besser  ausgedrückt  sey, 
als  Alles,  Avas  bei  griechischen  oder  römischen  Tragikern  und  Ko- 
mikern der  Art  sich  finden  liesse".  (Quae  apud  eum  melius  dicta 
essent,  quam  apud  quemquani  Comicum  Tragicumque  aut  roma- 
num  aut  graecum.)  Ein  merkwürdiger  Rücklauf  der  römischen 
Zotenposse  in  den  sicilischen  Mimos  des  Sophron,  die  Lieblings- 
studie des  Piaton.  Indessen  mochten  die  Mimen  des  Publius  im- 
merhin treffliche  Sprüche  enthalten,  ohne  einen  Anspruch  auf 
besondern  dramatischen  Werth  erheben  zu  können.  Den  Mi- 
men des  Laberius  wenigstens  gestellt  Horaz  -j  diesen  Anspruch 
nicht  zu: 

.  .  .  Nain  sie 
Et  Laberi  mimos  ut  piilchra  poemata  inirer. 

Mochte  doch  selbst  die  Mehrzahl  der  852  noch  vorhandenen  Denk- 
sprüche des  Publius  S3'rus  dem  heutigen  Leser  bereits  zu  Ge- 
meinplätzen von  schuUäutiger  Fibelweisheit  verklungen  seyn. 

Ausser  diesen  Sprüchen  hat  sich  von  den  Mimen-Dramen  des 
Publius  Syrus  nichts  erhalten.  Selbst  die  sonst  so  zählebigen  gar 
nicht  umzubringenden  Titel  sind  unwiederbringlicii  verloren.  Da- 
gegen zählt  Ziegler  -^  XLIII  Titel  mit  den  dazu  gehörenden  halb- 
und  vollzeiligen ,  meist  jambisch-senarischen  Versfragmenten  auf, 
als  Reliquien  von  Laberius'  Mimen-Stücken.  Der  letzte  dieser  Reli- 
quien-Titel lautet :  V  i  r  g o  „Die  Jungfrau".  Hierzu  bemerkt  Z i  e g  1  e  r 
Note  z.:  Virgo  praeguans,  mit  dem  Beifügen:  „Das  gewöhnliche, 
der  Ausgelassenheit  der  Mimenspiele  würdigste  und  entsprechendste 
Sujet"  (Argumentum  Mimorum  lasciviae  acconnnodatissimum).  Um 
derlei  Jungfrauen  drehten  sicli  auch  die  Atellanen.  Denselben 
Titel  führte  eine  Atellane  des  Novius,  aber  vollausgeschrie- 
ben mit  der  Contradictio  in  adjecto  an  der  Seite:  Virgo  praeguans. 
Priscianus  citirt*)  eine  Redensart  aus  besagter  Atellane  des  No- 
vius: in  ,„Virgine  praegnante".     Dasselbe  Hauptmotiv  fonden  wir 

1)  Controv.  .'},  18.  —    2)  Sat.  I,  10.  v.   5.  —   3)  a.   a.  0.  53  ff.    -  4) 
p.  74. 


550  I-^i^  rönnsohe  Komödie. 

als  durchgängiges  in  der  Comoedia  palliata.  Es  wird  sich  ferner 
zeigen,  dass  die  virgo  praegnans  das  stehende  Thema  des  mittel- 
alterlichen Drama's  war,  zuweilen  in  der  schmutzig  mimisch-atel- 
lanischsten  Form.  Das  Motiv  taucht  immer  weder  auf,  bis  in 
die  neue  und  neueste  Zeit  herein.  Es  beherrscht  die  wüste  Tra- 
gödie der  Nachfolger  Shakspeare's  und  die  liederliche  englische  Ko- 
mödie derselben  Nachfolger  im  XVll.  Jahrh.  Im  XVIII.  nahm 
das  Thema  empfindsamere  Formen  an:  schlich  es  sich  in  das 
deutsche  Rührspiel  und  die  bürgerliche  Tragödie  ein;  ängstigte 
es  die  Gemüther  in  den  übergenialischen  Caricaturen  der  Sturm- 
und Drang-Stücke,  in  Wagner's  „Kindesmörderin"  z.  H.,  und  er- 
schien plötzlich  in  den  vierziger  Jahren  des  laufenden  Jahrhun- 
derts, wie  ein  wieclerkehrender  Schweifstern,  als  Hebbel's  „Maria 
Magdelene"';  bis  jetzt,  unseres  Wissens,  der  letzte  und  jüngste 
deutsche  Mrnius,  in  Form  eines  bürgerlichen  Trauerspiels.  Das 
einzige,  in  innerster  Seele,  von  Herzen  dichterische,  und  von  Genie 
strahlende,  die  ganze  Gattung  poetisch  verklärende  Kunstwerk, 
die  Transfiguration  derselben  gleichsam,  die  Virgo  praegnans  als 
Sternbild  im  dramatischen  Zodiacus,  werden  wir  in  dem  wunder- 
barsten Mimus,  in  Goethe's  Faust,  aufleuchten  sehen.  Gretchens 
Himmelfahi-t  sühnt  und  purificirt  das  Genre  der  Mimus-Atellane, 
und  hat  für  das  profane  Drama  eine  ähnliche  Bedeutung,  wie  die 
m3^stisch -dogmatischen  Mimen  und  Atellanen,  die  zu  poetischer 
Kunstform  geläuterten  Mysterien  -  V  o  1  k  s  s p  i  e  1  e :  die  Autos  sacra- 
mentales  des  Calderon,  für  das  religiöse  Drama,  das  eine  himm- 
lische Liebschaft  durch  Engels-Vermittelung ,  Heimsuchung  und 
Prosagogie,  das  eine  göttliche  Buhlschaft  zum  Thema  hat,  mit 
dem  gebüssten  Hetärenthum  als  Beatitication ,  und  mit  der  virgo 
praegnans  durch  unbefleckte  Empfängniss  und  weltheiligende 
Geistesüberschwebung. 

Ausser  Laberius  und  Publius  werden  noch  als  Mimographen 
genannt: 

Pliilistio.  Ein  Grieche,  geb.  zu  Magnesia  Ol.  196.  Er 
blühte,  nach  Eusebius,  in  der  letzten  Lebenszeit  des  Kaisers  Au- 
gustus  und  schriel)  seine  Mimen  in  Rom.  Sein  Mimus  cpiXnyeXcov 
^Lachfreundj  erfüllte  das  Tlieater  mit  Lustgelächter.  Seine  Mi- 
men werden  noch  im  3.,  4.,  5.  Jahrh.  mit  grossen  Lobsprüchen  er- 
wähnt, wo  Laberius  und  Syrus  schon  vergessen  waren. 


Anderweitige  Mimographen .  651 

Catullus,  unter  Tiberius  und  Nero.  Juven.  gedenkt  seiner 
in  einem  Vers  ^): 

.  .  .  clamiisuni  ageres  ut  ]i  h  a  s  in  a  Catulli 
.  .  .  verdingst  du  an  Bühnen  die  Stimme 
0  Damasipp,  um  Catull's  diimjifdröhnendes  Phasraa  zu  geben. 

Ein  Mimus  veraiuthlich  nach  der  gleichnamigen  Komödie  von 
Menander. 

Latin  US.  Ein  Mime,  der  zur  Zeit  des  Domitianus  lebte. 
Martial"-)  nennt  ihn  die  Zierde  der  Scene  und  lobt  seine  Sitten- 
reinheit. 

Lentulus.  Ebenfalls  unter  Üomitian.  Von  ihm  führt  Ter- 
tullian  3)  den  Mimus  Catinenses  au.  Juven.  erklärt  ihn  fiir  einen 
Galgenstrick  an  der  eben  oitirten  Stelle: 

„Le.ntulus  gab,  der  gewandte,  mit  Schick  des  Laureolus  Rolle. 
Werth  im  Ernste  des  Kreuzes,  wie  mir  dünkt. 
Laureoluni  velox  etiam  bene  Lentulus  egit. 
Judice  nie  dignus  vera  cruce  .  . 

Laureolus  wird  nämlich  im  Stücke  gekreuzigt. 
Phaedrus.     Martial*)  nennt  ihn  improbus: 

An  aeinulatur  iraprobi  jocow  Phaedri 

Wetteifert  es  mit  den  Schwänken  des  boshaften  Phaedrus? 

Sonst  weiss  man  nichts  über  ihn.  Swabe.  in  seinem  Leben  des 
Fabeldichters  Phaedrus,  hält  beide  für  dieselbe  Person. '") 

Virginius  Roraanus.  Zeitgenosse  des  Plinius  Secundus, 
der  seinen  rechtschaffenen  Wandel,  seine  Geistesbildung,  und  die 
Mannigfaltigkeit  seiner  Werke  rühmt.  '•)  p]r  hat  Mimijamben  ver- 
fasst,  „sinnreich,  zierlich  und  in  seiner  Art  mit  Redekunst." 
Scripserat  Mimijambos  argute,  venuste,  atque  in  hoc  genere  elo- 
quentissimus. 

Luc.  Crassitius.  Sueton  erwähnt  ihn ')  als  Einen,  der  den 
Mimographen  aushalf.     Miraogi-aphos  adjuvisse. 

Marc.  Marullus.     Von  ihm    weiss   man   aus  Jul.  Capitol. 


n  Sat.  Vni.  V.  185.    —    2)  IX.  ep.  21.   I,  IV.    -    .3)  de  Pall.  IV.  — 
4)  III,  20.  —  5)  Vor  sein.  Ausg.  S.  10.  —  (i)  L.  VI.  eji.  21.  7)  de  il- 

lustr.  gram.  c.   18. 


652  r^Jt^  römische  Komödie. 

dass  er  unter  dem  Kaiser  Antoninus  Philos.  lebte.  Servius  gedenkt 
seiner  als  eines  Mimeudichters. ')  Das  ist  Alles,  Avas  Gramma- 
tiker und  Archäologen  über  den  Marullus  zu  berichten  wissen. 
Selbst  Ziegler  weiss  nicht  mehr. 

Der  Pantoniimus. 

{navtöf.iL(.iog  oQxrjoig).  Wie  Mimus,  bezeichnet  das  Wort 
Pantomimus  zugleich  den  Spieler  und  das  Spiel,  die  Pan- 
tomime. Auch  liegi  schon  in  dem  Worte  der  Unterschied 
vom  Minms,  bezüglich  der  Vortragsweise.  Beim  Mimus  kommt 
die  Rede  dem  Geberdenspiel  zu  Hülfe  und  erläutert  das- 
selbe ,  oder  wechselt  doch  mit  ihm.  Im  Pantomimus  ist  das 
Geberdenspiel  ausschliessliches  Bezeichnungsmittel;  waltet  allein 
die  Geberdensprache,  wie  in  der  modernen  (italienischen)  Panto- 
mime, von  welcher  sich  der  römische  Pantomimus  Avieder  durch 
den  die  geberdliche  Ausdrucksbezeichnung  l)egleitenden  Tanz 
unterscheidet.  Durch  diesen  Verein  von  Tanz  und  Geberdenspiel 
kommt  der  Pantomimus  unserem  Ballet  näher,  von  dem  er  jedoch 
in  anderer  Beziehung  wieder  abweicht.  Einmal  durch  die  Dar- 
stellungsform,  indem  beim  Pantomimus  der  Tanz  nur  die  Bedeu- 
tung einer  unterstützenden,  begleitenden  Bezeichnung  hat,  das 
Geberdenspiel  dagegen  das  Wesentliche  ausmacht;  insbesondere 
das  Spiel  der  Arme  und  Hände,  der  Finger  vorzugsweise,  der 
zehn  stumm  beredsamen  Zungen  des  Pantominuis:  loquacissimae 
manus,  linguosi  digiti,  silentium  clamosum-),  „redseligste  Hände, 
zungenfertigste  Finger,  lautschallendes  Schweigen."  Im  Ballet, 
wie  jeder  weiss,  haben  die  Füsse  die  Hände  voll  zu  thun,  und 
letztere  scdieinen  auf  die  stumme  Geberde  angewiesen:  dass  sie 
die  Füsse  nicht  zu  Worte  kommen  lassen.  Im  Ballet  ist  der 
dramatische  Ausdruck,  zugleich  mit  der  dramatischen  Kunst,  auf 
Kothurn  und  Soccus  heruntergekommen;  ist  beiden  gleichsam  die 
recitirend  beflügelte  Zunge  und  das  leidenschaftliche  Herz  in  die 
Schuhe  gefallen ,  und  von  Dionysos'  Tragödien-Bock  nichts  als 
die  Sprünge  übrig  geblieben.  Im  Pantomimus  herrscht  die  dra- 
matische Seele  noch  in  der  obern  Kör]»erliälfte,  und  begeistert  ihn 
bis  in  die  Fingerspitzen.     Die  untere  Hälfte  übernimmt,  so  zu 


1)  Eclog.  VII,  26.  Aen.  VII,  499.  -  2)  Cassiod.  V.  L.  4.  p.  51. 


Der  Pantominuis.  653 

sagen,  die  Rolle  des  Tibiceii  und  Taetscdilägers,  der  dem  drama- 
tischen Arm-  und  Finger- Vortrag  die  Khythmen  angiebt. 

Ausserdem  unterscheidet  sich  der  Pantomimus  von  Ballet 
und  Pantomime  wesentlich  dadurch,  dass  in  dem  Pantomimus 
eine  einzige  Person  alle  Rollen  eines  Stückes  darstellt;  ob- 
gleich es  auch  Nebenfiguren  ')  gab ,  die  jedoch,  wie  im  Mimus, 
nur  auf  untergeordnete  Aushülte-Leistuugen  und  Statistendienste 
angewiesen  waren.  Die  italienische  Pantomime  ist  eine  gesticu- 
lirte  Tabernaria  oder  Atellane;  das  französische  Ballet,  seinem 
ursprünglichen  Stoff  und  Inhalte  nach,  eine  getanzte  mythologische 
Fabel.  In  dieser  Beziehung  gleicht  das  Ballet,  seiner  frühern 
Gestalt  nacli,  dem  Pantomimus,  dessen  Fabelstoff"  stets  aus  der 
Mythologie  und  Heroenmythe  genommen  war.  Der  Pantomimus- 
Spieler  tanzte  ganze  Tragödien."'^)  Pylades  z.  B.  den  Agamemnon; 
Mnester  die  Trachinierinnen  des  Sophokles  und  die  Tragödien  des 
Euripitles  ^),  nach  einem  für  den  Einzeltäuzer  eigens  componirteu 
und  in  griechischer  Sprache  verfassten  Text^),  da  diese  Tänzer 
in  der  Regel  Griechen  waren.  Diverbien  und  Chöre  blieben  na- 
türlich von  diesem  Texte  ausgeschlossen.  Die  Situationen  wurden 
blos  durch  mimische  Monologe  dargestellt,  welche  die  Römer 
auch  in  der  Pantomime  Cantica  nannten,  da  sie  von  der  Flöte 
begleitet  waren.  So  heisst  es  bei  Macrob.  ■''):  quum  canticum  sal- 
taret  Hylas:  „Als  Hylas  das  Canticum  tanzte."  Dessgleichen  Sue- 
ton  ^) :  desaltato  cantico. 

Das  Geschiclitliche  des  Pantominms  lässt  sich  in  wenige  No- 
tizen zusammenfassen.  Den  Keim  desselben  durften  wir  erkennen 
in  jener  ersten,  durch  Livius  Andronicus  bewirkten  Trennung  des 
Canticums  in  den  Gesangs  vertrag  und  den  ilm,  mittelst  Geberden- 
spiels,  ausdrückenden  Tanz,  beide  durch  besondere  Schauspieler 
ausgeführt.  Dem  Grammatiker  Diomedes  zufolge')  trat  mit  der 
Zeit  eine  gänzliche  Scheidung  der  rein  mimisclien  Darstellung 
von  der  recitirenden  ein,  aus  dem  Grunde,  wie  er  meint,  weil  der 
Mime  seine  Kunst  als  eine  selbständige  zur  Geltung  bringen 
wollte:   ut  —  nolentibus  cedere  mimis   in  artificio  suo  caeteris, 

1)  Vgi.Lessinj^-Abliiiudl.  v.  .1.  l'iiMtoi.iiine  .1.  .Uten,  15.1.  X.I,  8.  1 1 IV.  u.  Gry- 
sar,  üb.  d.  Puntoiuimeii  d.  Röiii.,  Rhein.  Mus.  f.  Philol.  Ib33.  2.  Jahrg. 
1.  Heft.  S.  3()"S(i.  2)  Suet.  Calig.  57.  -  li)  Arnob.  adv.  g.  -1.  —  4) 
Lucian.  de  salt.  c.  84.  —  5)  II,  7.  —  6)  Calig.   14.         7)  p.  4b9. 


654  I^i^  römische  Komödie. 

separatio  fieret  reliquonim.  Die  pantomimische  Fingersprache 
hiitte  indessen  schon  Telestes,  der  berülinite  Tänzer  des  Aeschylos, 
zu  grösster  Vollkommenheit  ausgebildet:  Telestes,  bemerkt  Athe- 
uaeos  '},  drückte  den  gesprochenen  Vortrag  der  Schauspieler  durch 
Tanz-  und  „Händebewegung  so  vollkommen  aus,  dass  man  die 
ganze  Handlung  aus  seinem  Tanz-  und  Geberdenspiel  klar  und  deut- 
lich erkannte"  {axuiog  raig  xegoi  rä  Atyöf.i£ra  deiy.noi  oaig  — 
toote  SV  T<[)  0(JX€iod-ai  cpavEQu  noirjOai  za  7iQäy/iiaTa  öt  oQyj'.oeioo). 

In  Rom  gab  es  schon  um  die  Zeit  des  zweiten  punischen 
Krieges  Tanzschulen,  „die  sogar  von  deu  angesehensten  Män- 
nern und  edelsten  Matronen  besucht  wurden"  -),  und  immer  leb- 
haften Zuspruch  fanden,  trotz  Cicero's  Nemo  saltat  sobrius:  „Nie- 
mand tanzt  im  nüchternen  Zustand."  Wir  haben  ihn  selbst  bei 
einem  Zechgelage,  wenn  nicht  tanzen,  so  doch  den  heimlichen 
Aristipp  spielen  sehen  bei  der  Mimus-Tänzerin ,  Cytheris.  Als 
Schöpfer  des  röinischen  Pantomimus  sind  aber  dessen  berühmteste 
Vertreter  zu  betrachten:  Pylades  und  Bathyllus,  die  Beide 
zur  Zeit  des  Augustus  blühten.  Pylades  war  vorzugsweise  Tra- 
gödien-Pantomime; Bathyllus  Darsteller  des  Weichlichen,  Uep- 
pigen,  Wollüstigen;  bewundert  und  vergöttert  von  der  römischen 
beau  monde,  von  den  Damen  insbesondere,  als  Tänzer  mytholo- 
gischer Liebschaften,  Leda's  z.  B.  mit  ihrem  Schwan.  Bathyllus 
spielte  Schwan  und  Leda  zugleich.  Seine  Schule  lebt  fort  in  un- 
serem Ballet.  Lnsere  Tanzschwäninnen  tanzen  die  reizendsten 
Arabesken  von  Schwan  und  Leda,  wie  jeder  Opernguker  weiss. 

Mit  Pylades  ist  es  eine  andere  Sache.  Sein  tragischer 
Tanz,  seine  grossartige  'J'anzmalerei  scheint  ganz  erloschen.  Ein- 
zelne Spuren  und  Funken  davon  mögen  sich  in  dem  Geberden- 
spiel der  grossen  Schauspieler  des  modernen  Drama's  erhalten 
haben.  Einer  Angabe  des  Grammatikers  Aristonikos  gemäss  'j, 
sollen  Pylades  und  Bathyllus  den  Pantomimus  aus  den  drei  uns 
schon  ))ekannten  Tanzarten  des  hellenischen  Drama's,  aus  der  Em- 
meleia,  Sikinnis  und  dem  Kordax,  zusammengesetzt,  und  durch 
diese  Verbindung  die  italische  Tauzart  {ituU'/.ij  o(JxrjOtg)  er- 
funden haben.     Nach  Suidas-*)  hätte   Pylades  auch   eine  Schrift 

1)  p.  21  F.  —  2)  Grys.  a.  a.  0.  S.  .H3.  —   3)  Atlien.  I,  20  E.  —  4) 

V.    Hv).(xdtig. 


Pylades  und  Batliyllus.  655 

Über  die  von  ihm  erluiideiie  italische  Tanzart  verfasst.  Die  Wir- 
kung des  Pantomimus  niuss  eine  überschwengliche,  für  uns  kaum 
begreifliche  gewesen  seyn,  wenn  man  der  Schrift  des  Lucian  über 
den  Tanz  glauben  darf,  die  das  einzige  historische  üocument  und 
die  Hauptquelle  für  diese  Materie  geblieben.  Sie  bildet  die  Grund- 
lage von  Grysar's  sehr  schätzenswerther  Abhandlung  über  die 
römisclien  Pantomimen.  Lucian  entwirft  eine  enthusiastische  Schil- 
derung von  der  Wirkung  der  Pantomime  '):  „Sie  rühre,  entzücke 
und  belehre.  Das  Spiel  enthülle  mit  einer  solchen  Wahr- 
heit und  Tiefe  das  menschliche  Innere,  dass  mau  mit  dem 
grössten  Behagen  sich  selbst  darin  finde  und  die  Aufgabe  des 
Delphischen  Gottes  (erkenne  dich  selbst)  gelöst  zu  liaben  glaube." 
Unzweifelliaft  schliesst  sich  unsere  schauspielerische  Mimik,  für 
die  Geschichte  des  Drama's,  an  die  Pantomime  des  Pylades.  l]s 
möchte  wohl  gar  die  moderne,  im  Vergleich  zu  der  antiken  Tra- 
gik, tiefere  Innerlichkeit  und  reichere  Gedanken-  und  Gefühls- 
malerei im  dramatischen  Ausdruck  durch  diese  Pantomimen,  sfe- 
schichtlich  genommen,  vorbereitet  und  angeregt  worden  seyn.  Ja 
Shakspeare's  erstaunliche  Seelenmalerei,  sein  psychologischer  Styl, 
seine  unbegreifliche  und  fast  übermenschliche  Oftenbarungstragik. 
in  welcher  zuerst  jene  Delphische  Mahnung  der  Selbsterkenntniss 
sich  erfüllte;  Shakspeare's  Enthüllung  des  menschlichen  Innern 
bis  in  seine  letzten  Tiefen,  wo  man  den  Gedanken  keimen  sieht 
und  gleichsam  das  Gras  tragischer  Entschlüsse  wachsen  hört:  sie 
scheint  eine  pantomimische  Kunst,  wie  die  des  Pylades,  voraus- 
setzen zu  müssen. 

Dabei  spielte  der  Pantomime  in  einer  Gesichtsmaske,  die 
der  Mimus  nicht  vornahm.  Das  Minen  spiel  blieb  also  in  der 
Pantomime  ausgeschlossen,  ein  für  die  neuere  Schauspielkunst  so 
wichtiges,  ja  ihr  vornehmstes  Bezeichnungs-  und  Ausdrnckszeichen. 
Aber,  wie  ein  Vers  in  der  lat.  Anthologie-)  vom  Pantomimus 
rühmt: 

Tot  liiiguae  (ßiut  inoiubra  viro!  miralnlis  ars  est. 

So  viel  Zungen  wie  Glieder  !   Fiirwalir  ciiie  eistaiiidiclie  Kmist  itjt's. 


1)  a.  a.  O.  ]).  7i)  ff.     Vgl.  Grys.  a.  a.  ü.  -     2)  I.  p.  (j22. 


ß56  ^^^  römische  Kuinüdie. 

An  der  Maske,  welche  die  Pantomimen  trugen,  waren  die  Lippen 
geschlossen,  'j  Ore  clauso  manibus  loquitur:  „geschlossenen  Mun- 
des ,  spricht  er  mit  den  Händen" ,  sagt  Cassiodor.  ^)  Nur  die 
Augen  hatten  freies  Spiel.  Apulejus  konnte  daher  sagen  3): 
saltare  solis  oculis:  „mit  den  blossen  Augen  tanzen." 

Pylades  stammte  aus  Cilicien  in  Kleinasien,  aus  dem  Flecken 
der  Mistharner.  Den  Charakter  seines  Tanzes  bezeichnet  Athen. '') 
als  „erhaben,  pathetisch  und  vielgestaltig"  [oyxcodrjg,  nai)  11x17.1] 
yial  7Toh'r()onng,  so  lesen  wir  statt  nokv/.nrcoQ).  Plutarch  nennt 
den  Vortrag  „vielgesichtig"  {nolvjTQnoionoQ).  Im  scherzhaften 
Tanz  dagegen  war  Pylades  mittelmässig;  umgekehrt  ßathyllus.  ^) 
Pylades'  Meisterstück  war  der  Bakchos  in  Euripides'  Bakchae. 
Pylades  stiftete  eine  Tänzer  schule'),  deren  glücklichen  Fortbe- 
stand Ammianus'')  andeutet.  Sein  bedeutendster  Schüler  war 
Hylas.  Als  derselbe  einmal  den  Agamemnon  mit  gestreckten 
Attitüden  tanzte,  rief  ihm  sein  Lehrer  Pylades  aus  der  Cavea  zu : 
„du  machst  ihn  lang  aber  nicht  gross"  {ov  (.Lay.Qov  ov  f.ityav 
noLilg).  Pylades  tanzte  dasselbe  Canticum  zur  Stelle,  aber  den 
Agamemnon  in  nachdenkender  Stellung.  Bei  einer  andern 
Gelegenheit,  als  Hylas  den  geblendeten  Oedipus  darstellte,  und 
dabei  mit  sicheren,  festen  Schritten  auftrat,  bedeutete  ihn  Pyla- 
des: „du  siehst  ja!"  (ov  ßUjitig).^)  Er  trat  öfter  im  Wettkampf 
mit  seinem  Schüler  Hylas  auf.  Dass  solche  pantomimische 
Agonen  stattfanden,  geht  aus  verschiedenen  Stelleu  und  Ueber- 
lieferungen  hervor.  Tacitus  erwähnt  ausdrücklich  ^) ,  mit  Bezug 
auf  Pylades  und  Bathyllus,  eines  Wettkampfs:  ex  certamine 
histrionum.  Ferner  bei  Suet. :  Ludis  productis  in  commissione 
p  a  n  1 0  m  i  m  i  s.  „Als  pantomimische  Spiele  im  W  e  1 1  k  a  m  p  f  auf- 
geführt wurden."  Commissio  bedeutet  nämlich  „Wettkampf." 
Auch  finden  sich  Krönungen  und  Siege  der  Pantomimen  an- 
gegeben '"j;  folglicli  musste  auch  ein  Wettstreit  stattgefunden 
haben.  Dem  widerspricht  zwar  Lucian  '  'j,  wenn  er  sagt:  die  Ago- 
notheten  Hessen  die  Pantomimen  desswegen  nicht  wettkämpfen, 


1)  Luc.  c.  (50.  —  2)  I,  20.  —  3)  Mt'taiii.  X.  ]).  235  Oudon.  —  4)  I. 
]).  20  E.  —  5)  Seiiec.  epitoin.  III.  praef.  —  6)  Miicrob.  II,  7.  -  7)  XIV, 
(5,  19.  —  8)  Macrol).  das.  -  !»)  Amial.  I,  54.  —  lOi  Insoriptt.  lat.  b.  Orelli 
u.  2(127.   11.  2()28.  -    11)  a.  a.  0.  c.  32. 


BathyUus.  657 

weil  die  Kunst  ihnen  zu  gross  und  ehnvürdig  für  den  Wettkampf 
erschien  (ftsiCov  v.al  osuvoTsgnv  to  ngäy/iia,  tj  wore  elg  s^tza- 
oiv  xahiod^ai).  Vielleicht  war  diess  aber  gerade  zu  seiner  Zeit 
der  Fall.  Grysar  sagt:  In  Wettkämpfen  traten  die  Pantomimen 
nur  in  Neapel  auf,  ohne,  so  viel  uns  erinnerlich,  eine  Quelle 
anzugeben.  Pylades  genoss,  während  seiner  Lebzeit,  einer  hohen 
Achtung  und  Bewunderung.  Was  der  grösste  römische  Tragöde, 
Aesopus,  für  die  Tragödie  war,  das  war  Pylades  für  die  tragische 
Tanzpantoni ime.  Er  steht  in  seiner  Kunst  einsam  da.  Nach  sei- 
nem Tode  setzte  ihm  eine  Gesellschaft  von  Pantomimen  (grex) 
ein  Denkmal,  dessen  Inschrift  noch  erhalten  ist.  i) 

Bathyllus,  aus  Alexandrien  gebürtig,  war  Freigelassener 
des  Maecenas,  und  vielleicht  dessen  Lustknabe,  sagt  Grysar,  ohne 
Angabe  der  Quelle.  Doch  ist  das  „Vielleicht"  nicht  ohne,  wenn 
man  Beider  Geistesart,  Charakter  und  ihr  gegenseitiges  Verhält- 
niss  eiiväg-t.  Aus  Tacitus  weiss  man,  dass  Augustus,  weit  ent- 
fernt, die  Pantomimen  erfunden  zu  haben,  wie  Suidas  von  ihm 
einfältiger  Weise  beliauptet,  die  Pantomimen  nur  dem  Maecenas 
zu  Gefallen  duldete,  effuso  in  amorem  Bathylli  '^)  „welcher  für  den 
Bathyllus  eine  leidenschaftliche  Liebe  hatte"  oder  Vorliebe  für 
dessen  Tanzweise,  deren  Wirkung  JuvenaP)  so  schildert: 

Wenn  der  zarte  Bathj-ll  anmuthige  Tänze  der  Leda 
Anhebt:  ha!  wie  geberdet  sich  Tuccia,  und  wie  in  Wollust 
Appula  bebt  .  .  . 

Weit  stärker  und  drastischer  lautet  der  Vers  des  römischen  Sa- 
tyrikers,  fast  unübersetzbar: 

ChironuiiioH  Ledaiii  iiiolli  saltante  Bathyllo 
Tuccia  vosicae  non  imperat,  Appula  gannit. 

Maecenas,  Tuccia  und  Appuln  waren  aber  keineswegs  die  einzigen 
Enthusiasten  in  Rom  für  den  Bathyllischen  Leda-Tanz.  Bei  den 
Römern  und  Römerinnen,  Volk  und  Senat,  Adel  und  Plebejern 
herrschte  überliaupt  eine  ausscli weifende  Leidenscliaft  für  die 
Pantomime.  Ging  ein  beliebter  Tänzer  über  die  Strasse,  so  hatte  er 
ein  Ehrengefolge  der  angesehensten  Männer  zur  Begleitung  neben 


1)  Gruter,  1024.  5.  —  2)  Anna).  I,  5-1.  --    3)  VI.  v.  GU  ff. 
II.  42 


658  Die  römische  Komödie. 

und  hiuter  sich.  Seneca  nennt  desshalb  die  adeligen  Jünglinge 
Roms  (juvenes  nobilissimos  die  Leibsklaven  der  Pantomimen 
Cmaneipia  pantomimoram). 

Auch  dem  Bath^^llus  fehlte  es  an  Denkmalen  nach  dem  Tode 
nicht.  i\Ian  hat  mehrere  solcher  Monumente  in  dem  Columba- 
rium  der  Livia  gefunden.  Darunter  Graburnen.  Bildsäulen,  die 
ihn  vorstellten,  mit  Inschriften.  ') 

Vornehme  Römer  und  Römerinnen  liielten  sich  sogar  Panto- 
mimen zu  ihrem  Privatgenuss.  Plinius  d.  j.  nennt  eine  alte 
vornehme  Dame  Quadratilla -) ,  die  von  ihrem  Haustänzer  sich 
Pantomimen  vorspielen  liess.  Von  den  Schoosstänzem  der  römi- 
schen Kaiserinnen  zwitscherten  die  Sperlinge  auf  allen  Dächern 
Roms:  Von  denen  der  Kaiserin  Domitia  z.  B.  ^)  mid  der  Gemah- 
lin Autonin's  des  Philosophen*),  um  nur  ein  Paar  von  diesen 
kaiserlichen  Leda's  zu  nennen. 

Doch  theilten  die  Kaiser  nicht  immer  und  nicht  alle  den  En- 
thusiasmus der  Kaiserimien  für  die  Pantomimentänzer.  Schon 
Augustus,  dessen  Scepter  den  pantomimischen  Tanz,  in  Rom,  zu- 
erst als  vollendete  Kunst  ins  Leben  rief  und  dessen  Thron,  wie 
den  des  olympischen  Zeus  die  Hören,  der  getanzte  Sophokles  und 
Euripides,  und  Zeus  selber  als  getanzter  Leda-Schwan.  umschwebte 
— ^  schon  Augustus  duldete  mehr,  wie  gesagt,  die  tragischen  und 
mythologischen  Tänzer,  als  dass  er  sie  begünstigt  hätte.  Sey  es, 
weil  er  das  plaudite  für  sich  aufsparen  wollte,  mid  ein  Allein- 
herrscher keinen  andern  Götzen  neben  sicli  vertragen  kann;  sey 
es  aus  Gründen  der  Sittenpolizei,  die  er  bekanntlich  gegen  seine 
eigene  Tochter  in  aller  Strenge  walten  liess,  und  sogar  gegen 
Ovid's  harmlose  Distichen,  blos  weil  Hexameter  und  Pentanieter 
das  Leda-Jupiter-Tanzspiel  mit  poetischen  Füssen  darin  tanzen. 
Eines  schönen  Tages  liess  Kaiser  Augustus  den  besten  Schüler 
des  Pylades,  den  Agamemnontänzer  Hylas,  auf  den  Antrag  des 
Prätors,  in  der  Vorhalle  seines  Palastes  so  stramm  und  steif  über 
die  Bank  hinlegen,  wie  derselbe  den  König  der  Könige  getanzt 
hatte,  und  eines  Stabführers  Stecken,  der  das  richtige  Mecklen- 
burgische Maass  hatte,  auf  des  gefeierten  Hylas  Allererhabensten 

1)  Ficcoroni  de  larv.  scen.  p.  S.  —  2^  Kp.  VH,  24.  --  li)  D.  Cass. 
LX\^1,  :J.  —  4)  Capitol.  Anton.  23. 


Die  Kaiser  und  die  Paiitumiinen.  659 

einen  Aganieinnon-Tanz  austulin^n.  der  „lang"  und  „gross",  f.ia- 
y.Qoc  und  iiäyctg  7.ugleie]i  war,  und  den  ihm  selbst  Pylades  nicht 
nacligetanzt  liätte.  Jagte  Kaiser  Augustus  docli  selbst  diesen, 
den  Pylades,  aus  Italien,  i)  Freilich  nur,  um  ihn  alsbald  wieder 
zurückzurufen.  Ein  Pylades  konnte  Eom  eher  entbehren,  als  Rom 
einen  Pylades,  und  im  Nothfall  ein  Pylades  einen  Augustus  er- 
setzen, aber  kein  Augustus  einen  Pylades.  Etwas  Aehnliches  galj 
ihm  auch  der  zurückgekehrte  Tänzer  zu  verstehen-),  und  der 
Kaiser  musste  nach  des  Tänzers  Pfeife  tanzen.  Augustus'  Nach- 
folger wechselten  diesen  Tanz  mit  den  Pantomimen,  so  dass  bald 
der  Kaiser  bald  der  Pantomime  tanzte,  oder  Einer  um  den  An- 
dern dazu  blies.  Tiberius,  wie  schon  gesagt,  verbot  den  Senato- 
ren die  Häuser  der  Pantomimen  zu  besuchen,  ^j  Da  blieb  den 
Pantomimen  nichts  übrig,  als  die  Häuser  der  Senatoren  zu  be- 
suchen, jedoch,  um  kein  Aergerniss  zu  geben,  wenn  die  Senato- 
ren abwesend,  und  nur  die  Senatorinnen  zu  Hause  waren.  Kaiser 
Caligula,  das  „Stiefelclien",  legte  seine  Vorliebe  für  den  Tanzschuh 
des  Pantomimen  Mnester  so  unverhohlen  an  den  Tag,  dass  er 
ihn,  den  Mnester  nämlicli,  öffentlich  im  Theater  küsste,  und  jeden 
Zuscliauer  auf  der  Stelle  geissein  liess,  -wenn  er,  während  Mnester 
tanzte,  nur  die  geringste  Störung  veranlasste.  ^)  Nero  trieb  den 
Pantomimen-Cultus  bis  zum  Fanatismus,  bis  zur  wüthendsten 
Proselytenmacherci.  Er  ZAvang  die  vorneiimsten  Römer,  Panto- 
mimen zu  tanzen,  und  er  selbst  tanzte  sie  ilmen  vor.  „Da  sah 
das  Volk  <lie  Nachkommen  der  grössten  Helden,  die  Furier,  For- 
cier, Fabier,  Valerier,  heruntergesuiiken  zum  infamen  Gewerbe  der 
Tänzer."  ■')  Hätte  Pyhides  oder  Mnester  Annalen  verfasst,  würden 
sie  dieser  Beklagniss  eine  andere  Wendung  gegeben  und  geschrie- 
ben haben:  „Da  sah  das  Volk  die  Kunst  der  Pylades,  Batliyllus 
und  Mnester  heruntergesunken  zum  infamen  Gewerbe  solcher  Kai- 
ser." Kein  Alter  war  vor  Nero's  TanzwutJi  sicher;  Alles  musste 
heran,  bis  auf  die  neunzigjährige  Aelia  Gate  IIa,  die  er  als  Sal- 
tatrix  aufzutreten  zwang:  ein  Anblick,  grauseliger  als  irgend  wel- 
cher in  Holbein's  Todtentanz.  Und  wie  zum  Hohn  musste  das 
zusammengeschrumpfte  Tanzmütteichm    noch   an  den   von    Nero 


1)  Suet.  Oct.  45.  -    2)  D.  Cass.  l.IV.    17  :})  Tacit.  Ann.  1.  27.  — 

4)  Suet.  (Jalig.  55.  —  5)  ü.  Cass.  LI,   17.  'I'ac.  An.  XIV.    14. 


660  Die  römische  Komödie. 

gestifteten  Jugend -Spieleu,  au  den  ludis  juvenalibus,  ihr  altes 
Geriiipe  klappern  lassen !  Nero's  LeiLtänzer  aber  war  Paris,  Frei- 
gelassener der  altern  Domitia,  der  Tante  des  Nero;  nebenbei  sein 
Vertrauter^),  Busenfreund  und  Hausminister;  lauter  Eigenschaf- 
ten und  Hofämter,  die  den  Auserwählten  des  hohen  Beschützers 
von  Kunst  und  Künstlern  ans  Leben  gingen.  Auf  dem  höchsten 
Gipfel  der  kaiserlichen  Gnaden  und  Freundschaft,  zu  dem  sich 
Paris  emporgetanzt,  musste  er  einen  salto  mortale  ausführen  und 
den  Kopf  über  die  Klinge  springen  lassen.  Nicht  als  Kaiser  je- 
doch, sondern  als  Nebenbuhler  in  der  Kunst,  aus  Kunsteifersucht 
und  Wetteifer  um  den  Beifall  und  die  Gunst  des  Publicums,  liess 
Nero  den  Paris  um  einen  Kopf  kürzer  machen.  Niemals  hat  sich 
ein  Herrscher  aufrichtiger  und  eifriger  um  die  Zuneigung  und 
den  Beifall  seines  Volkes  beworben,  als  Nero.  Ein  noch  grösserer 
Abgott,  als  dieser  ältere  Paris  von  Nero  gewesen,  war  der  jün- 
gere Tänzer,  Paris,  von  der  Kaiserin  Domitia,  Gemahlin  des 
Kaisers  Domitianus,  der  bekanntlich  Fliegen  für  sein  Leben  gern 
spiesste,  als  wären  es  Menschen,  und  Menschen  todtschlug,  wie 
die  Fliegen.  Eines  schönen  Morgens  spiesste  Kaiser  Domitian 
den  Jüngern  Paris  mit  seinem  Dolche ,  auf  der  Strasse ; '-)  aber 
nicht  aus  Kunsteifersucht,  wie  Nero  den  Aelteren  hatte  springen 
lassen,  sondern  aus  reiner  Eifersucht,  wegen  der  Abgötterei,  die 
seine  Gemahlin  Domitia  mit  dem  Tänzer  trieb,  die  muntere  Fliege. 
Paris,  der  jüngere,  tanzte  aber  auch  darnach.  Er  war  nicht  allein 
ihre  Wonne,  er  war  auch  „die  Wonne  der  Stadt",  m"bis  deliciae, 
wie  ihn  enthusiastisch  Martial  nennt  ^j,  und  „Zierde  des  römischen 
Theaters,"  Romani  decus  theatri.  Aber  Wonne  und  Zierde  ver- 
fing nicht.  Der  Stachel  des  kaiserlichen  Spiessers  traf  die  Zierde 
des  römischen  Theaters  mit  Wonne,  und  die  Wonne  der  Stadt 
und  seiner  Gemahlin  mit  der  Zierde  seines  Spiess er- Zinkens. 
Und  weil  der  Zinken  einmal  im  Stechen  begriffen  war,  stach  er 
gleich  auch  den  Schüler  des  Paris  nieder,  blos  weil  der  Schüler 
dem  Lehrer  ähnlich  sah. 

Trajan  machte  kurzen  Process,   und   verbot  die  Pantomimen 
ganz  und  gar.     Desto  üppiger  blüliten  sie  unter  Kaiser  Antoninus 


1)  Tacit.  XlJl,   l',t.  22.  27.  -    2)    Öuet.  Dum.  3.    Dio  Cass.  LXVII,  3. 
3)  Ep.  XI,  11. 


Die  Kaiserin  Tlieoclura.  (561 

dem  Pliilosoplien  (Marc  Aurel;,  der  als  Stoiker  au  den  paiitomi- 
mischeu  Entzückungen  seiner  Gemahlin,  der  Kaiserin  Faustina, 
seine  stoische  Geduld  und  Gelassenheit  üben,  und  die  erspriess- 
lichsten  Abhäi-tungsstudien,  bis  zur  Verhornung  seiner  kaiserlich 
stoischen  Denkerstirne,  daran  machen  konnte.  Unter  Constantinus 
und  Galerius  wurden,  wegen  einer  bevorstehenden  Hungersnoth, 
alle  Redner,  Dichter,  Lelirer  der  freien  Künste,  Gelehrte,  Philo- 
sophen, kurz  alles  was  schreiben  und  lesen  konnte,  aus  der  Stadt 
gejagt;  aber  30(l()  Tänzer  und  Tänzerinnen  mit  eben  so  vielen 
Chorsängern  hielt  man  für  die  Hungersnoth  zurück.  •)  Der  fromme 
Kaiser  Theodosius  (394  n.  Chr.;  widmete  der  Pantomime  die  zärt- 
lichste Sorgfalt,  vielleicht  dem  Rlietor  und  Heiden  Libanius  zum 
Possen,  der  die  Pantomimen  verketzerte  und  eine  bekannte  Ab- 
handlung gegen  dieselben  geschrieben.  Die  Vorliebe  des  recht- 
gläubigen Kaisers,  Theodosius  des  „Grossen",  \am  aber  der  Schau- 
spielkunst nicht  zu  gute,  die  sein  Codex  in  den  Schauspielern 
verfehmt,  wo  diese  mit  allerlei  anderem  Gesindel,  Histrionen, 
Kupplern  und  öffentlichen  Dirnen,  als  ehrlos  gebrandmarkt  wer- 
den, als  personae  inhonestae. -)  Unter  der  Regierung  des  Kai- 
sers Justinianus  (527 — 565)  sass  die  gekrönte  Pantomime  neben 
ihm  auf  dem  Thron,  in  der  Kaiserin  Theodora,  einer  berüchtig- 
ten Pantomimentänzerin,  die  der  Gründer  des  berühmten  Codex 
und  des  nocli  heutigen  Tags  Schiden  und  Staaten  beherrschenden 
Römischen  Rechts  aus  der  Cloaca  maxima  der  schandvollsten 
Liederlichkeit,  in  welche  die  Pantomime  versunken  war,  zur  Kai- 
serin und  unbeschränkten  Herrscherin  des  mächtigsten  Reiches 
erhob.  Zitternd  lag  Senat  und  Volk  zu  ihren  Füssen,  in  erster- 
bender Ehrfurcht  ilire  Schuhsohle  küssend;  das  Weltherrn- Volk, 
das  Triumphirvolk,  das  einst  den  Fuss  auf  die  Nacken  gekrönter 
Häupter,  in  Staub  gebeugter  Könige,  setzte,  und  das  nun  mit  an- 
dächtiger Inbrunst  die  Schuhsohle  einer  gekrönten  Motze  leckte, 
die  es  mit  Füssen  trat;  dasselbe  Volk,  dem  sie  früher  die  öbscön- 
sten  Tänze  liüllenlos  hatte  vortanzen  müssen,  wie  in  des  Proco- 
pius  „Anecdota"  zu  lesen.  In  Theodora,  der  liederlichen  Kaise- 
rin-Pantomime, entfaltete  sich  Roms  Btthnenschande  zur  vollen 
Blume,  prangend  in  üppiger  Purpurkrone.    Sie  sass  neben  Justinia- 


1)  Ammian.  XIV,  6,  li).  —  2)  L.  XV.  tit.  52.  Cod.  Theod. 


6(52  LMe  römisclic  Komödie. 

niis  auf  dem  Kaiserthron,  als  die  schliessliche  Erfülluiicf  jenes 
Wiinderzeicliens:  als  die  eingclieischte  Sage  von  der  Muttersau 
mit  den  dreissig  Jungen,  deren  Simipflager  dem  Aeneas  die  Grün- 
dungsstellc  für  das  künftige  Könierreicli  anwies.  Die  Erhöhung 
einer  Schanddirne,  des  Auswurfs  ihres  Gewerbes  und  ihrer  Kunst, 
zu  seiner  Kaiserin  verhinderte  indessen  Diren  Gemahl,  den  Kaiser 
Justinianus,  keinesweges,  den  Schauspielerstand  in  seinem  Codex 
mit  demselben  Brandmal  zu  belegen,  den  ihm  Kaiser  Theodosius 
in  seinem  Gesetzbuch  aufgedrückt.  Auch  in  dem  Cod.  Justinian. 
wird  der  Schauspielerstand  als  eine  inhonesta  professio  geächtet, 
und  der  Name  „Schauspieler"  für  einen  Schimpf  erklärt,  'j 

Kaiserin  Tlieodora  ragt  als  Mittelgipfel  und  Hochpunkt  her- 
vor aus  der  Reihe  der  berühmtesten  Pantomimentänzerinuen  vor 
und  nach  ilir,  unter  denen  eine  Helladia  glänzte,  die  den  Hek- 
tor  tanzte,  und  von  dem  Dichter  Leontius  in  7  Epigrammen  als 
Hektor-Tänzerin  gefeiert  ward. "-)  Das  5.  Jahrhundert  verhen- 
lichte  die  Pantomimentänzerin  Rhodoclea;  und  noch  im  '.».  Jahrh. 
strahlte  die  Anthusa.  Sie  alle,  das  Hochentzücken,  die  Won- 
nen ihrer  Zeit,  deliciae  geueris  humani,  mit  grösserem  Recht,  als 
Titus  der  Gütige.  Und  mächtiger,  als  es  die  grössten  Köpfe  je 
vermocht,  erschütterten  ihr  Zeitalter  ihre  dunes  crispatae,  ihre 
coxendices  fluctuantes  ^j,  jenes  zauberische,  wallende,  schwinmieude 
Hüftenspiel,  das  die  spanischen  Tänzerinnen,  die  Mädchen  von 
Gades  (Cadix)  schon  damals  auszeichnete,  und  das  auch  unsere 
Generation,  die  glückliche,  an  der  wunderbarsten  aller  Hüftleriu- 
nen,  an  den  cluues  crispatae  und  coxendices  fluctuantes  des  jüng- 
sten Mädchens  von  Gades,  an  der  Senora  Pepita  de  Oliva,  bis 
zur  Extase,  bis  zur  Frenesie,  bewunderte  und  bestaunte,  mit  em- 
porgereckten Köpfen,  durch  gezogene  Sehrohre: 

—        —  ut  Gadisana  canoro 

Incipiat  prurire  choro,  plausiique  })robatae 

Ad  teiTam  tremula  descendimt  clune  puellae.  ^) 

Die  Pantomime  feiei-te  aber  nicht  blos  in  Rom  Triumphe; 
unter  ihrem  Zauber  lag  ganz  Italien;   sie   beherrschte  die  ganze 

1)  Cod.  Justin.  Nov.  51  pracf.  —  2)  Antliol.  IV.  p.  74.  Jacobs.  —  3) 
Arnob.  adv.  gent.  IV.  c.  35.  —  4)  Orell.  Inscriptt.  n.  2627.  Grut.  inscriptt. 
3.30.  n.  3. 


Die  Paiitomiiuen  in  den  Provinzen.  ß63 

Halbinsel  mit  ihrem  Circc-Stab,  von  dem  höchsten  Alpenscheitel 
bis  zu  des  Apennin  meerunihiipfter  Sohle.  Campanien  vor  allem, 
das  einstige  Gebiet  der  Circe  mit  der  Luststadt  Neapel,  wo  ausser 
dem  ewig  gTünen  Lorbeer  die  grünen  Ballethosen  spriessen.  unter 
den  italischen  Städten  that  sich  besonders  auch  Praeneste  hervor 
in  Pflege  der  Pantomime.  Praencste's  Bürger  verewigten  den 
Sieg  ihres  Pantomimen  M.  Aurelius  ügilius  dm*ch  Denkmal  und 
Inschrift.  0  Ausserhalb  Italiens  wetteiferten  im  Pantomimen- 
Cultus  vornehmlich  die  Grossstädte  Antiocliia,  Byzanz,  Carthago-), 
dessen  Tänzer  und  Tänzerinnen  dem  delendum  esse  des  Cato 
mit  Händen  und  Füssen  die  lachendsten  Schnippchen  schlugen, 
und  dem  alten  Karthagofresser  eine  der  hohnneckendsteu,  verrufen- 
sten Spottgeberden  der  Pantomime  in's  Grab  hinunterstachen  und 
mit  Hand-  und  Fussfingern  zeigten:  die  Feige;  oder  gar  den 
Mittelfinger  vorstreckten,  ein  Spottzeichen  von  pyramidaler  Unan- 
ständigkeit, das  in  der  Pantomimensprache  axiiialiteiv  hiess,  auf 
lateinisch:  digitum  infamem  porrigere,  das  non  plus  ultra 
frecher  Verhöhnung. 

Noch  ist  zu  bemerken,  dass  die  Pantomimen  nicht  in  der 
Orcliestra,  sondern  auf  dem  Pulpitum  getanzt  wurden.  Hinter 
dem  Tänzer  war  der  Chor  aufgestellt.  Das  Auftreten  des  Pan- 
tomimus  und  den  Gegenstand  seines  Stückes  verkündete  jedesmal 
ein  Herold.-^)  So  wie  der  Pantomime  die  Bühne  betrat,  begann 
der  Chor  eine  Art  von  Vorspiel  mit  allerlei  Instrumenten,  Flö- 
ten, Rohrpfeife  (Syi'inxj  und  Cymbel  (yJjißalov):  assistunt  con- 
soni  chori  diversis  organis  eruditi.  ^)  Auch  diese  Neuerung  wird 
in  der  Chronik  des  Euseb.  dem  Pylades  zugeschrieben:  yrgiöto^ 
Tag  acQiyyag  xat  lov  xoQnv  havuli  hiaöeiv  ejinitjot.  Nach  dem 
Vorspiel  begTüsste  der  Pantomime  das  Publicum.  Das  hiess: 
adorare,  manu  veuerari. '•)  Selbst  Nero  befolgte  die  Sitte,  wenn 
er  als  Citharoede  auftrat.  Als  Saltator  trug  er  das  Pracht- 
gewand eines  Tragöden.  '^)  Sonst  war  das  Gewand  des  Pantomi- 
men von  Seide,  iad^rjg  ^rj()ixr,. ') 

Atellanen,  Mimen  und  Pantomimen,  gegen  diese  Brutöfen 


1)  August,  de  düctr.  christ.  II,  38.  —  2)  Juv.  X,  25.  Pars.  11,  33.  — 
3)  August,  a.  a.  0.  —  4)  Cassiod.  V,  50.  IV,  51.  —  5)  Tacit.  Ann.  XVI, 
4.  —  6)  J]utr.  Vn,   14.   Giys.  a.  a.  0.  —  7)  Luc.  c.  63. 


664  Die  römische  Komödie. 

aller  Schanden  und  Laster  war  vorzugsweise  der  heilige  Zorneifer 
der  ersten  Kirchenväter  gerichtet.  Tertullian,  Presbyter  zu  Kar- 
thago, Clemens  Alexandrinus ,  Presbyter  der  Kirche  zu  Alexan- 
dria, C}T)riau,  Bischof  von  Karthago  i),  die  im  2.  und  xinfang  des 
3.  Jahrh.  lebten,  hatten  bei  ihrer  Verdammung  des  heidnischen 
Theaters  vornehmlich  die  bezeichneten  drei  Formen  seiner  Entar- 
tung im  Auge.  Schon  vor  C}i)rian  schrieb  Marc.  Minucius  Felix 
in  seiner  Apologie  des  Christenthums,  Octavius"'^),  einem  Dialoge 
zwischen  einem  Heiden  und  Christen:  „der  Mime  lehrt  den  Ehe- 
bruch oder  stellt  ihn  vor,  der  entnervte  Histrio  ahmt  die  (un- 
keusche) Liebe  nach  und  flösst  sie  dem  Zuschauer  ein  und  entehrt 
die  Götter,  indem  er  sie  Verbrechen  begehen  lässt"  u.  s.  w. 
Caec.  Lactantius  ("st.  330)  dehnt  die  Verwerfung  auch  auf  die 
Komödie  aus:  „Die  Lustspiele",  sagt  er,  „handeln  von  dem 
Fall  keuscher  Jungfrauen  oder  von  den  Liebesangelegenheiten 
öffentlicher  Dirnen,  und  je  zierlicher  die  Dichter  solcher  unzüch- 
tigen Komödien  zu  reden  wissen,  desto  leichter  beschwatzen  sie 
durch  die  Eleganz  ihrer  Sentenzen  .  .  .  Was  soll  ich  endlich 
von  den  Mimen  sagen,  welche  den  Ehebruch  lehren,  indem  sie 
ihn  darstellen."  '^)  Der  h.  Chrysostomus  ist.  407)  eifert  gegen  das 
berüchtigte  Schauspiel  Majuma,  („Wasser"  auf  Syrisch),  worin 
Mädchen  nackt  badeten.  *)  Das  Stück  war  schon  zur  Zeit  Con- 
stantin's  d.  Gr.  aufgekommen,  und  wurde  bis  zu  den  Zeiten  des 
Arcadius  achtmal  verboten  und  wieder  erlaubt.  Die  Ansicht  des 
h.  Augustinus  von  den  entarteten  Schauspielen  der  Römer  wurde 
schon  berührt. 

Der  fromme  Eifer  gegen  die  Schauspiele  erstreckte  sich  na- 
türlich auch  auf  die  Schauspieler,  die  bereits  Cyprian^)  aus  der 
Gemeinschaft  der  Christen  ausschloss.  Das  Concil  zu  Elvira  (Gra- 
nada) (305  u.  Chr.)  enthält  die  Bestimmung:**)  „Wenn  Panto- 
mimen Christen  werden  wollen,  müssen  sie  zuvor  ihr  Gewerbe 
aufgeben.  Die  Apostolischen  Constitutionen'^)  verordnen:  Schauspie- 
ler, Theaterunternehmer,  Gladiatoren,  Wagenlenker,  Flötenbläser, 


1)  de   opera    et    eleemosynis   Oper.    ed.    Baluz.   fol.  —    2)  e.   37.   — 
3)  Lact.    Op.    Bipont.    1756.    p.  4)   Homil.    contr.   lud.    et  theatr.    T. 

Vll.  273  if.   ed.  Muntf.  —  5)  Epp.  1,  10.  -   6)  Concil.  Illib.  Cau.    62.  — 
7)  VIII,  32. 


Die  Pantoiniiiieii  und  clie  Kü-chenväter.  665 

Tänzer  u.  s.  w.  von  der  Kirche  fem  zu  halten,  so  lange  sie  ihr 
Gewerbe  treiben.  Die  Ausschliessung  von  der  kirchlichen  Ge- 
meinschaft dehnen  die  Apostolischen  Constit.  sogar  auf  die  The- 
atromanen  aus:  ^■eaTQOf.iaviu  £t  ng  TiQÖG/ieitaL  t]  navaaod-o) 
rj  anoßaleod^at.  „Wer  dem  Theaterbesuch  leideuschaftKch  nach- 
hängt und  nicht  davon  lassen  kann,  soll  ausgestossen  werden". 
Das  vierte  Karthagische  Concil  ?  ;}!J9  n.  Chi'.j  excommunicirte  die- 
jenigen, Avelche  an  Sonn-  und  Festtagen,  mit  Vernachlässigung 
des  Gottesdienstes,  in's  Theater  gingen,  i)  Schon  damals  segnete 
die  Kirche  keine  Ehe  zwischen  Christen  mid  Histrionen  ein,  sie 
reichte  keinem  sterbenden  Histrionen  das  Sacrament.  ^) 

Neben  dem  Abscheu  gegen  die  Unzüchtigkeit  der  damaligen 
Schauspiele,  mochte  die  Feindseligkeit  der  Kirche  gegen  dasselbe 
auch  in  der  Verspottung  ihren  Grund  haben,  welche  das  verfolgte 
Christenthum  auf  der  Bühne  erfuhr.  So  wurde  die  Taufe  an  dem 
Schauspieler  Genesius  parodistisch  vollzogen.  Genesius,  der 
darüber  tiefsinnig  geworden,  entsagte  von  Stund  an  seinem  Ge- 
werbe, bekehrte  sich  imd  starb  zu  Rom  in  der  Diokletianischen 
Verfolgung  r28())  den  christlichen  Märtyrertod.  Genesius  wiu'de 
desshalb  nachmals  als  Schutzpatron  der  Schauspieler  ver- 
ehrt und  sein  Gedächtnisstag  am  25.  August  feierlich  begangen. 
Aehnliches  berichtet  die  Legende  von  der  h.  Pelagia  Mima, 
die  vor  ihrer  Bekehrung  Margaretha  hiess,  das  Christenthum  ver- 
achtete und  lächerlich  machte,  und  eiimial  zum  Spott  im  grössten 
Putz  in  die  Kirche  ging.  Hier  aber  wurde  sie  von  der  Predigt 
des  h.  Nonnus  so  ergTiflfen,  dass  die  Mimenspielerin  zerknirscht 
nach  Hause  ging,  Busse  tliat,  allen  Flitterstaat  abwarf,  ihr  Ge- 
werbe aufgab,  sich  taufen  Hess,  den  Namen  Pelagia  annalim,  und 
von  da  an  in  einer  Höhle  bei  Jerusalem  als  Einsiedlerin  lel>to. 
Sie  wurde  dafür  die  Schutzpatronin  der  Schauspielerin- 
n  e  n  und  ihr  Gedächtnisstag  am  8.  Octob.  gefeiert.  ^) 

Fürwahr  dem  SchauspielerweseJi  tluit  ein  Schutzpatron  und 
eine  Scliutzpatronin  Noth.  Die  Kirelie  sellist,  deren  erste  Väter 
und  Lehrer  über  das  heidnische  Drama  ihrer  Zeit  ein  verdientes 
Anathem  sprachen,  musste  es  unter   ihre  Flügel   nehmen.     Wie 


1)  IV,  c.  88.  —  2)  Vgl.  Alt:   Theater  u,  Kirclie.  p.  310  fV.         3)  Alt; 
a.  a.  0. 


66(5  Die  röiiiischc  Komödie. 

zum  Heil  der  Welt,  so  sollte  der  (jottessolm  auch  zum  Heil  ihres 
Abbildes,  der  Bühnenwelt,  erscheinen ;  sollte  auch  dem  Drama  im 
Heiland  ein  reinerer,  ein  Avaiu'liaCt  göttlicher  Dionysos  erstanden 
seyn:  der  Gott  himmlischen  Seelenweines,  heiligen  Kelches,  hei- 
liger Trunkenheit.  Wir  stehen  au  der  Schwelle  des  geistlichen 
Drama's,  der  cliristlichen  Mysterien  und  Passionsspiele.  Bald  wird 
sich  zeigen,  ob  das  daraus  hervorgegangene  weltliche  Drama  auch 
wirklicli  in  dem  Weine  des  Herrn  das  Blut  seines  himmlischen 
Erlösers  genossen. 

Jahrlumderte  werden  über  die  europäische  Völkergeschichte 
hinfliegen,  bevor  wieder  ein  Dämmerstrahl  dramatischen  Lebens 
in  die  Geschichte  des  Drama's  fällt.  Anderthalbjalntausende  wer- 
den an  neuen  Völker-  und  Staatenbildungen  in  unserem  Welt- 
theil,  dem  Medeakessel  verjüngender  Umkochung  alter  Böcke, 
brauen,  bevor  der  dramatische  „Bock"  aus  dem  Zauberkessel  als 
verjüngter  hervortreten  wird.  Ja  erst  nach  tausendjährigem 
Kampfe  der  Kirche  mit  der  Pantomime  wird  das  geistliche  Drama 
sein  Hosianna  anstimmen,  zur  Feier  eines  Scheiusieges  über  einen 
Todtfeind,  der  nicht  umzubringen;  der  mittlerweile,  wie  die  Schlange 
in's  Paradies,  unter  das  Brusttuch  einer  frommen  Klosterjung- 
fi-au,  der  fürstlichen  Nonne  Hroswita  von  Gandersheim,  wird  ge- 
schlüpft seyn,  um  alsbald  aus  dem  keuschen  Busenlatz  der  Bran- 
denburgischen Klosterschwester,  in  der  Maske  maiijTologischer 
Heiligkeit,  doch  wieder  als  Tereutianisches  Spiel  zmn  Vorschein 
zu  kommen.  Letzteres  wird  in  ihren  sechs  Passions-Komödien 
sein  Raffinement -Gelüste  büssen,  wie  man  eben  ein  Gelüste 
büsst:  indem  es  den  Conat  auf  die  ekstatische  Spitze  treibt,  und 
dem  Motiv  durch  den  himmlischen  Kitzel  heiliger  Märtyi-erbraust 
eine  geistliche  Weihe  giebt. 

Allein,  wie  die  Weltgeschichte,  steht  auch  die  Geschichte  des 
Drama's  nicht  still.  Während  das  Drama  in  Europa  erloschen 
scheint,  oder  docli  bis  auf  die  schmutzige  Hefe  herunterge- 
schlämmt,  seine  ursprüngliche  Komödienmaske :  sehen  wir  im 
Orient,  fast  gleichzeitig,  ein  Drama  im  herrlichsten  Blüthenglanze 
prangen,  von  einem  hinmilischen  Dufte,  einer  Seeleninnigkeit, 
einer  Reinheit,  ja  Heiligkeit  der  Motive,  einem  sittlichen  Zartge- 
fühl vor  Allem,  das  die  classische  Tragödie  niu-  auf  dem  Gipfel 
ihrer  Vollendung,  das  europäische,  moderne  Drama  nur  ausnahms- 


Das  Drauiii  im  Orient.  657 

weise  und  auf  in  seiiieu  liöclisten  Offeiibaruiigt'ii  athmet.  Wir 
sprechen  von  dem  Indischen  Drama,  einem  Phönix,  an  dem 
das  grösste  Wunder:  (hiss  er  alle  Kig-ensclial'ten  der  Ursprungs- 
Herrhchivi'it  des  aralnschen  Wandervogels  zur  Schau  trägt;  alle 
Verjüngungsmerkrnale  einer  Gewürze  hauchenden  Plammenwiege, 
einer  Auferstehung  aus  dem  Feuerdüftenest,  strahlend  schön,  wie 
ein  unschätzbarer  Schrein  hervorgeht  aus  don  Feuer  des  Gold- 
schmieds —  und  dennoch  ein  Phönix,  der  aus  keiner  Ahnen- Asche 
gehoreji,  ein  aschenloser  Phönix,  der  keine  Entstehungswiege  haben, 
dessen  Ursprung  unentdeckbar  soll  geblieben  seyn.  Ein  Vogel 
Phönix,  der  aus  der  Hirnschale  eines  Einsiedlers  plötzlich  aufge- 
flogen wäre.  Treten  wir  an  dieses  geschichtslose  Kunstwunder 
heran. 


Namen-  und  Sachregister  zum  ersten  und 
zweiten  Bande: 

Drama  der  (iriecheu  uud  Römer. 


Abdera.  Euripid.  Aiidroinede  in,  1, 512. 

Abgesengten,  die,  Komödie  des  Kra- 
tinos  II,  54. 

AbsiclitdesDrama'snacliLessingl,  85. 

Accius,  L.,  siehe  Attius. 

Achäermahl,  das,  Tragödie  des  So- 
phokles 1,  399. 

Achäerversaiuiulimg,  die,  Tragödie  des 
Sophokles  I,  396.  397. 

Achäos  von  Eretria,  Tragödiendichter 

I,  512.  515. 

Acharner,  die,  des  Aristophanes  11. 
82  f.  92  If. 

Achilleis,  Trilogie  des  Aeschylos  1, 3ü3. 

Achilles,  Tragödie  des  Liv.  Andro- 
nicus  U,  331.  Drama  des  Ennius 
n,  337.  Tragödie  des  Attius  II,  341. 
Tragödie  desKaiser  Augustus  II,  348. 

Achüleus,  Tragödie  dos  Kleophon  II, 
251;  des  Diogenes  II,  251.  AchiUeus' 
Liebhaber,  Satyrspiel  des  Sopho- 
klesl,  4U3.  Achilleus Thersitestödter, 
Tragödie  des  ("liäremon  II,  251. 

Actives   Element  der   röm.   Tragiklic 

II,  302  f.  300. 

Actores  priniarum  =  Hauptschauäpie- 

1er  II,  473. 
Addictus,  Lustspiel  des  Plautus  II,  482. 
Adelphi,  Atcllane  des  Pomponius  II, 

329.  Komödie  des  Terenz  11,  626  ff. 


Admetos,  Komödie  des  Phormis  11, 
22.  Komödie  des  Aristomenes  II, 
64.  188. 

Adonis,  Komödie  des  Piaton  U,  75. 
Komödie  des  Nikophron  II,  188. 
Komödie  des  Antiphanes  II,  214. 
Tragödie  Dionysios'  d.  ä.  11,  249. 

Aedüen,  Veranstalter  scenischer  Dar- 
stellungen n,  472.  473. 

AedUicia,  Komödie  des  Atta  11,  638. 

Aeditumnus,  AteUane  des  Pomponius 
II,  329. 

Aegeus,  Tragödie  des  Euripides  I, 
447.  510. 

Aegisthus,  Tragödie  des  Liv.  Andro- 
nicus  n,  331.    Tragödie  des  Attius 

n,  341. 

Aegyptier.  die,  Drama  des  Phrynichos 
I,  134.  Tragödie  des  Aesclij'los  I, 
211.  3(13.  Komödie  des  Anti])ha- 
nes  U,  215. 

Aegyptios,  Komödie  des  Kallias  II,  64. 

Aegyptische  Geheimweihen,  ihr  Ver- 
hältniss  zur  Katharsis  I,  24  ff.  — 
Festumzüge  als  Keim  der  griech. 
Komödie  II,  1  f. 

Aeneadae  oder  Decius,  Tragödie  des 
Attius  II,  342. 

Aeneas,  Tragödie  des  Pomponius  Se- 
cundus  II,  347. 


Register. 


669 


Aeolisch-ionischer  Satyrchor  I,  112. 

Aeolos,  Tragödie  desAeschylosI,  3ü4. 
Tragödie  des  Euripides  I,  447.  511. 
n,  206.  Komödie  des  Antiphanes 
n,  214. 

Aeolosikon ,  Komödie  des  Aristopha- 
ues  II,  S9.  206. 

Aeschylos  I,  lS4if. ;  mit  Herodot  und 
Pindar  parallelisirt  I,  184  f.  Seine 
Tragik  I,  1S6  ff.  Lebensumstände 
I,  196  ff  Grabschrift  I,  202.  Seine 
Tragödien  I,  202  ff.  211  ff.  221  ff. 
236  ff.  251  ff.  254  ff.  260  ff.  277  ff. 
294  ff.  Verlorene  Tragödien  I,  301  ff. 
In  Aristophanes'  Fröschen  I,  422  ff. 

Aeschylos  aus  Alexandria.  Tragödien- 
dichter II,  262. 

Aeschines  als  Schauspieler  II,  254. 

Aesopos,  Komödie  des  Alexis  II,  216. 

Aesopus,  Schauspieler  II,  480. 

Aethiopier,  die,  Tragödie  des  Soiiho- 
kles  I,  398. 

Aethiopis ,  Trüogie  des  Aeschylos  I, 
303.—,  die,  des  Arktinos,  Quelle  für 
Sophokles'  Aethioi)ier  I,  398. 

Aetnäerinnen ,  die ,  des  Aeschylos  I, 
199.   304. 

Al'ranius,  Lustspicldichter  II,  4S5. 
637.  638  f. 

Agamemnon,  Tragödie  des  Aeschylos 
I,    254.  260  ff.    Tragödie    des   Jon 

I,  514.  Tragödie  des  (Ehetors  Mar- 
cus?) Seneca  II,  352.  447  ff.  —  sup- 
positus ,    Atellane    des   P(iin])onius 

II,  329. 

Agamemnonidae,  Tragödie  des  Attius 
II,  341. 

Agatharclios,  Deconitionsuialer  I,  149. 

Agathon,  Tragödiendichter  I,  517  ff. 
II,  185  ff 

Agitatoria,  Komödie  d.Naevius  11,  333. 

Agonen,  tragische,  I,  122.  ])antomi- 
mische  II,  65(>.  Vergl.  Wettkämpfe. 

Agorakritos  in  den  Rittern  des  Aristo- 
phanes II,   iito  ff 


Agricola,  Atellane  des  Pomponius  II, 
329;  des  Novius  II,  329.  Komödie 
des  Naevius  11,  333. 

Agroikos,    Komödie  des   Antiphanes 

n,  215. 

Aiantides ,  nachalexandr.  tragischer 
Dichter  II,  258.  262. 

Ajas  der  Telamonide,  Trüogie  des 
Aeschylos  I,  303.  363.  Tragödie 
des  Sophokles  I,  357  ff.  397.  Tra- 
gödie d.  Theodektes  II,  252  f.  —  der 
rasende,  Tragödie  des  Astydamas 
I,  513.  —  derLokrer,  Tragödie  des 
Aeschylos  I,  304.  Tragödie  des  So- 
phokles I,  398.  Ajax,  Tragödie 
des  Liv.  Andronicus  II,  331.  Drama 
des  Ennius  II,  337.  Tragödie  des 
Kaiser  Augustus  II,  348. 

Aüinos,  chorischer  Trauergesang  I, 
105.  107, 

Akestrien,  Mimos  des  Sophron  II,  27. 

Akrisios  oder  Danae,  Tragödie  des 
Sophokles  I,  401. 

Aktäon,  Drama  des  Phrynichos  I,  134. 
Tragödie  des  Kleophon  II,  251. 

Alcestis,  Tragödie  des  Attius  II,  341. 
Sielie  Alkestis. 

Alcumaeo,  Drama  des  Ennius  II,  337. 
Tragödie  des  Attius  II,  341.  Siehe 
Alkmäon. 

Aleones,  Atellane  d.  Pomponius  11,  329. 

Aletes,  Tragödie  des  Sophokles  I,  399. 

Aleuaden,  die,  Tragödie  des  Sopho- 
kles I,  402. 

Alexander  d.  Gr.  u.  seine  Zeit  II,  224  ff. 

Alexander,  Drama  des  Ennius  II,  337. 
Siehe  Alexandros. 

Alexandra,  Tragödie  des  Lykophron 
U,  259  ff. 

Alexandros,  Tragödie  des  Sophokles 

I,  396.    Tragödie  des  Euripides  I, 
429.  447.  507.    Siehe  A]e.vander. 

Ale.vandros  (Aetolos) ,  naclialexandr. 
Dichter  von  Kinäden  u.  Tragödien 

II,  30.  258.  261. 


670 


Register. 


Alexis,  Dichter  der  niittl.  att.  Koinö- 
ilie  U,  211.  213.  21(if. 

Alkäos,  Komödiendichter  II,  TS  f.  Ibh. 

Alkestis,  Drama  des  Phryiüchos  I, 
134.  Satyrspiel  d.Euripides  I,  44Sft'. 

Alkestor,  Tragödiendichter  II,  254. 

Alkibiades  und  der  Feldzug  nach  Si- 
cilien  in  den  Vögeln  des  Ai-isto- 
phanes  verspottet  II,  15.5  if.  175  f. 

Alkimenes,  Komödiendichter  II,  62. 

Alkinoos,  Komödie  desPhormisII,  23. 

Alkmäon,  Tragödie  des  So])hokles  I, 
4ÜÜ.  Tragödie  des  Astydamas  I, 
513;  des  Agathon  I,  5lSi;  des  Theo- 
dektes  II,  253.  —  (iuKorinth),  Tra- 
gödie des  Euripides  I,  448.  485. 
492. —  (inPsophis),  Tragödie  d.Eu- 
ripides I,  447.  448.  Siehe  Alcumaeo. 

Alkman  aus  Sparta,  Dreitheilung  des 
dorischen  (Ihores  durch  ihn  I,  lOi). 

Alkraene,  Tragödie  des  Aeschylos  I. 
304.  Trag()die  des  Euripides  I,  447. 
509.  Tragödie  Dionysios"  d.  ä., 
n,  249. 

Alkj'oues,  Komödie  desPhormisII,  23. 

Allegorische  Personen  als  Sprecher 
des  Prologs  in  der  neuen  att.  Ko- 
mödie n,  237  f. 

Allerlei,  vervollkommneter  mimischer 
Tanzgesang  zu  Rom  II,  315.  317. 
Vgl.  Satura. 

Alope,  Drama  des  (Ihörüos  I,  127. 
Tragödie  des  Euripides  I,  447.  510. 

Al])hesiböa,  Tragödie  des  (!häremon 
II.  251.  Tragödie  des  AttiusII,  341. 

Amazonen,  Komödie  des  Deinolochos 
II,  23. 

Aiiibivius  Tur])io,  Schauspieldirector 
II,  473.  475.  581. 

Ameipsias,  Komödiendichtcr  II,  73. 
74,  7Ü.  152. 

Ameisen,  die,  Komödie  des  Kantharos 
11,  79. 

Ameisenmenschen,  die,  Komödie  des 
Pherekrates  II,  58. 


Ammen,  die,  des  Dionysos,  Tragödie 
des  Aeschylos  I.  301.  —  Ihre  Rolle 
in  Seneca's  Tragödien  II,  3(i7.  309. 
373.  375. 400  f.  437.43S.448.4GO.402. 

Am]ihiaraos,  Satyrspiel  des  Sophokles 

I,  403.    Komödie  des  Aristophanes 

II,  204.  Tragödie  des  Kleophon 
II,  251. 

Am[)hikty(jnen,  die,  Komödie  des  Te- 
leklaides  II,  59. 

Amphis,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II.  213. 

Amiihitruo.  Trag,  des  Attius  IL  342. 
Komödie  des  Plautus  II,  471.  563  ff. 
Amphitryon,  Tragödie  d.  Sophokles 

I,  402.  Posse  von  Rhinthon  II,  29. 
564.  Komödie  des  Archippos  II, 
7().  Tragödie  des  Aeschylos  aus 
Alexandria  II,  262. 

Amykos,  Satyrspiel  des  Sophokles  I, 
403.  Komödie  des Epicharnios  II,  20. 

Amymone,  Satyrspiel  zur  Danais-Tri- 
logie  des  Aescliylos  I,  212.  221. 
305. 

Anagnostiker  II,  251. 

Anagyros,  Komödie  des  Aristophanes 

II,  205. 

Anapästos,  Parabase  im  engern  Sinn 
II,  45. 

Anapiesmata,  Versenkungen,  im  grie- 
cliischen  Theater  I,  149. 

Anaxandrides,  Dichter  der  mittl.  att. 
Komödie  II,  213.  217. 

Auaxilas,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  209.  213.  217. 

Anaxi]ii)0s .  Dicliter  der  neuen  att. 
Kojiiödie  II,  230. 

Andria,  Komödie  d.  Tereuz  II,  573  ff. ; 
des  Caecilius  II,  636. 

Androgynus,  Komödie  des  Caecilius 
II,  63(i. 

Andronuiclie,  Tragödie  des  Euripides 
1 ,  430.  465  ff.  507.  Tragödie  des 
Anliplioii  II,  250.  Atellane  des  N<i- 
vius  II,  329.    Tragödie  des  Naevius 


Register. 


671 


n,  333.    Andromacha  Acchiiialotis, 
Drama    des  Enniiis  II,  337. 
Andromeda,  Tragödie  des  Sophokles 

I,  401.  Tragödie  des  Enripides  I, 
447.  460.  511.  Tragödie  des  Liv. 
Androiiicus  II,  331.  Drama  des  En- 
nius  II,  337.  Tragödie  des  Attius 
U.  342. 

Andronicus,  Livius,  erste  Auttuhrung 
eines  Drama's  durch  ihn  zu  Rom 

II ,  315.  318.  Seine  Tragödien  II, 
331  f.  Erfinder  der  comoedia  togata 
n,  6.36  f. 

Andronikos.  Schauspieler  11,  254. 
Ankylion,  Komödie  des  Alexis  II,  216. 
Anstands-Komödie  bei  Aristoteles  II, 

S.  220. 
Antäos,  Komödied.  AntiphanesII,  214. 
Antenoridae ,     Tragödie    des    Attius 

n,  342. 
Antepirrhema,  Theil  der  Parabase  II, 

44.  46. 
Antheas   aus  Lindos,    Posseiidichtei' 

II,  51. 
Anthesterien ,   Fest   der,   Theaterzeit 

I,  137. 

Anthippos,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  II,  230. 

Anthusa,  Pantominientänzerinll,  662. 

Antidotos,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie U,  213. 

Antigone  in  Aeschylos'  Siel)en  gegen 
Tlieben  I,  232  f."  Tragödie  des  So- 
phokles I,  233.  352  f.  382  ff.  Tra- 
gödie des  Euripidcs  I,  447.  5071. 
Tragödie  des  Attius  II,  342. 

Antilais,  Komödie  des  Kcphisodoros 

II,  80.  Komödie  des  Epücrates  U. 
209.  217. 

Antiope,   Tragödie  des  Euripides  I, 

447.478.  II,  338.    Tragödie  des  Pa- 

cuvius  II,  338. 
Antiplianes,  Dicliler  der  iniltleren  att. 

Komödie    II,    20S.    211,    212.   213. 

214  ff. 


Antiphon,  Tragödiendichtcr  II,  2491. 

Antisthcnes.  Chorlehrer  I,  171. 

Antistrophe ,  als  Tlieil  der  Parabase 
n,  44.  46. 

Antistrophische  Form  des  Chorge- 
sangs I,  199. 

Antonius  (Triumvir)  Freund  von  Mi- 
menspielen n,  (»44. 

Aparte's,  von  Euripides  zuerst  häu- 
figer angewendet  I,  475. 

ApeUes  v.  Askalon,  Schauspieler  II,  266. 

Aphareus,  Tragödiendichtcr  II,  250. 
252. 

Aphodos  des  C'hors  I,  1()5. 

Aphrodisias  in  Karlen,  Schauspieler- 
gescUschaft  daselbst  II,  266. 

Aphroditen's  Geburt,  Komödie  des 
Polyzelos  ll,  80. 

ApoUiuares  (ludi) ,  röm.  Theaterzeit 
II,  472. 

ApoUinaris  von  Alexandria,  VI.  bibl. 
Tragödien  u.  Komödien  U,  263. 

A])ollo  -  und  Dionysoscult  in  seiner 
Beziehung  zum  Drama  I,  50  ff'.  Apol- 
lo's  Sieg  über  den  Python  drama- 
tisch gefeiert  I,  56. 

Apollodoros,  Decorationsmaler  I,  149. 

Apollodoros  v.Gela,  Dichter  der  neuen 
att.  Komödie  II,  230. 

Apollodoros  v.  Karystos,  Dichter  der 
neuen  att.  Komödie  11,  230.  248. 
619. 

Apostolische  (Constitutionen ,  gegen 
Theater  und  Schausjiieler  II.  664. 

Aquaecaldae,  Komödie  des  Atta  II,  638. 

Ai-aber  ermangeln  der  dramat.  Dicht- 
kunst I,  91. 

Araros,  Dicliter  der  mittl.  alt.  Ko- 
mödie U,  213. 

Aratos,  Sohn  des  Aristophanes  II, 
89.  206. 

Arbuscula,  Mimentänzerin  II,  645. 

Archelaos,  Schauspieler  I,  512. 

Arclielaos,  Tragödie  des  Euripides  I, 
447,  448.  509. 


672  Register. 

Archestrata,  Komödie  des  Antiphanes  neu  Stücke  II,  204  ff.   Sein  Urtheil 

n,  214.  über  Euripides  I,  412.  420  ff.    Sein 

Archestratos   v.    Gela,    drain.  Paro-  Urtheil  über  Kratiiios  II,  .51  f.  Sein 

dieudichter  11,  30.  Verhältniss  zu  Eupolis  II,  66  f. 

Archias,  Schauspieler  II,  2.54.  Aristophanische  Komiklie  11.  31.  41  ff. 

Archidikos ,    Dichter   der  mittl.    att.  Aristophon ,    Dichter    der  mittl.   att. 

Komödie  II,  213.  Komödie  II,  20S.  217. 

Archiloche ,    die ,    Komödie  des  Ki-a-  Aristoteles ,   seine  Katharsis  1 ,  12  fi'. 

tinos  II,  43.  53.  Komödie  des  Alexis  Ueber  Euripides  I,  297.  413f.   Geg- 

II,  216.  ner   der   altattischen  Komödie  11, 

Archilochos  von  Faros,  Dichter  dithy-  8.   90 ;  Lobredner   der  mittl.    und 

rambischer  Lieder  I,  110.  Erfinder  neuern  II,  220. 

des  jambischen  Trimeter  I,  118.  Armorum  Judicium,  Tragödie  des  Pa- 

Archimimus  II,  641.  cuvius  II,  338.  Tragödie  des  Attius 

Archippos,  Komödiendichter  II,  76  f.  II,  342.    Trag,  des  Pomponius  Se- 

Ares'  Geburt,  Komödie  des  Polyzelos  cundus  II,  347.   Vgl.  Waffenrechts- 

n,  80.                      .  streit. 

Ai'giver,  die,  Tragödie  des  Aeschylos  Armuth ,    die  neue  att.  Komödie  als 

I,  303.  Anwalt  derselben  II,  241. 

Argo,  Tragödie  des  Aeschylos  1,301.  Artabazes,  König  von  Armenien,  als 

Ariolus,  Komödie  des  Naevius  II,  333.  Verf.  griech.  Tragödien  II,  263. 

Arion  aus  Methymna  führt   den  tra-  Aruspex,  Atellane  des  Pomponius  11 

gisehen  Chor  ein  I,  52.  109ff.  329. 

Aristarchos  von  Tegea,  Tragödiendich-  Arvalische  Brüder  und  ihre  Gesänge 

ter  I,  515.  11,  277. 

Aristias,  Sohn    des  Pratinas,  Satyr-  Arzt,  der,  Kom.  d.  Antiphanes  11,  215. 

spiel  -  Dichter  I,    126.    Verf.   einer  Asiatische  Völker    ohne   dramatische 

Tetralogie  I,  175.  II,  250.  Poesie  I,  91. 

Aristodemos ,    Schauspieler   II,    254.  Asinaria,   Komödie  des   Plautus    U, 

255.  550  ff. 

Aristokritos,  Schauspieler  II,  255.  Asinius.  AteUane  des  Novius  II,  329. 

Aristomenes,  Komödiendichter  II,  64  f.  Askolien  an  den  ländlichen  Dionysien 

188.  I,  135. 

Aristomenes,  Schauspieler  II,  266.  Asotoi,  Komödie  d.  Antiphanes  II,  215. 

Ariston  ,  Sohn  des  Sophokles  I,  312.  Astyanax,  Tragödie  des  Attius  II,  342. 

Aristonymos,  Komödiendichter  II,  76.  Astydamas,  Tragödiendichter  I,  513. 

Aristophanes  II,  81  ff.  Sein  Leben  II,  Atalanta,    Tragödie  des  Aeschylos  I, 

82^ff.  Von  Kleon  verklagt  U,  83.  304.    Komödie  des  KalUas  II,  64. 

Auftreten  in  seinen  eigenen  Komö-  Tragödie  des  Kritias  II,  250.  Drama 

dien  11,  85.    Von   Kleon   misshan-  des  Pacuvius  II,  338.   Tragödie  des 

delt  II,  87.    Urtheilc   üljer   ihn  II,  .1.  Grachus  II,  346. 

!)()  f.     Seine    noch    erhaltenen    Ko-  Atalantai,  Kom.  d.  Pliormis  II,  23. 

niödien    II,    92  ff.     105  ff.     112  ff.  Atellanen,    oskische  Possen,  II,  315. 

132  ff.    143  ff.   152  ff.    ]s2ff.  185ff.  3 1  (;.  .•{20.  470.  Als  Nachspiele  zu  Tra- 

1b8ff.   190 IV.    198  if.    Seine  verlöre-  gcHlien   II,  321.    Keine  Satyrspiele 


Register. 


673 


322 ff.  Obscönititt derselben  II,  32« f.; 

von  Tiberius  verboten  II,  330. 
Athanias,  Tragödie  des  Aeschj'los  I, 

302.   Satyrspiel  desXenokles  I,  429. 

Drama  des  Enuius  II,  337.  —  u.  Ino, 

Tragödie  des  Sophokles  I,  40  t. 
Athena's  Geburt,  Komödie  des  Her- 

mippos  II,  61. 
Athenodoros,  Schauspieler  II,  255. 
Attilius,  M.,  Tragödien-  und  Komö- 

dieudichter  U,  344.  485. 
Attilius  Praenestinus ,    Schauspieldi- 

rector  11,  473. 
Attius,  L.,  Tragödiendichter  II,  30Ü. 

341  ff. 
Atreus,  Tragödie  des  Attius  II,  342. 

Tragödie  des  Pomponius  Secundus 

II,  347.     Tragödie    des  Mamercus 

Aemil.  Scaurus  II,  350.  —  oder  M,y- 

kenäer ,    Tragödie     des    Sophokles 

I,  401. 

Atta,    T.    Quinct. ,    Komödiendichter 

II,  63b. 

AttaUsten.  Schausi)iele|gesellschaft  II, 
266. 

Auge,  Tragödie  des  Euripides  I,  447. 
510. 

Augeas,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie U,  213. 

Augustus,  Kaiser,  als  Tragödiendich- 
ter  II,  34«,  Von  ihm  erbautes  Thea- 
ter zu  Rom  II,  313. 

Aulaeum  des  röm.  Theaters  II,  312. 

Aulularia,  Komödie  des  Plautus  II, 
492  ff. 

Ausreisserinnen,  die,  Komödie  des 
Kratinos  il,  55. 

Auszug  aus  Aegypten,  Drama  des 
Ezechiel  II,  262  f. 

Autokabdalen,  dorische  Stegreil'spie- 
1er  11.  5. 

Autokrutes,  Komödiendichter  II,  SO. 

Autolykos,  Satyrspiel  des  Euripi- 
des I,  447.  Komödie  des  Eupolis 
n,  70  f. 

n. 


Axionikos,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie U,  212.  213. 

Babylonier,  die,  des  Aristophanes  II, 

S2f.  92.  204. 
Bacchae,  Tragödie  des  Attius  II,  342. 

Vgl.  Bakchae  u.  Bakchen. 
Bacchides ,  Komödie  des  Plautus  II, 

552  ff. 
Badestube,  die ,  oder  die  Nachtfeier, 

Komödie  des  Pherekrates  II,  57. 
Bäckerweiber,  die,  Komödie  desHer- 

mippos  II,  61. 
Bakchä ,    Tragödie    des  Aeschylos  I, 

3ltlf. ;  des  Euripides  I,   448.  485. 

492  ff. 
Bakchen,  die,  Tragödie  des  Xenokles 

I,  429.    Komödie  des    Epicharmos 
n ,    20.     Komödie    des     Lysippos 

II,  63.    Tragödie  des  Kleophon  11. 
251. 

Bakchis,  Posse  des  Sopatros  II,  29. 
Bakchos,  siehe  Dionysos. 
Bakis'  Weihgesänge  I,  23. 
Baibus,  von  ihm  erbautt'S  Theater  zu 

Rom  II,  313. 
Barbitisten,  die,  Komödie  des  Magnes 

II,  11. 
Basilisten ,      Sdiauspielergesellschatt 

II,  266. 
Bassariden .   Tragödie  des  Aeschylos 

I,  301. 

Bathyllus,  Pantomimentänzer  II,  654. 
657. 

Baten,  Dichter  der  neuen  att.  Komö- 
die II,  230. 

Bauer,  der,  Komödie  des  Ei)ichannos 

II,  21. 

Bedeckung  des  Theaters  von  Catulus 
eingeführt  II,  311. 

Belleroi)hontcs,  Tragödie  des  Euri])i- 
des  I,  447.  511;  des  Astydamas  1, 
513;   des  Theodcktes  II,  253. 

Bergleute,  die,  Komödie  des  Phere- 
krates II,  58. 

43 


674 


Register. 


Bernays    über  Aristoteles'  Katharsis 

I,  2Uff. 

Bernhard}'  über  Aeschylos'  Perser  I. 

208  f.;  über  Euripides  I,  431  f. 
Bettler,  die,  Komödie  des  Chioiiides 

II,  9. 

Bewegung,  dramatische,  I,  (i. 
Biedermänner,     die.      Komödie    des 

Strattis  II.  77. 
Bildsäulen     im    Dionj'sostheater    zu 

Athen  I,  153.  155. 
Bläsos,  Possendichter  U,  29.  3U. 
Blitzmaschine    des   griech.    Theaters 

I,  149. 
Blume ,   die ,    Tragödie  des  Agathon 

I,  518. 
Blumenfest,  Dionysisches,  Theaterzeit 

I,  137. 
Bock  (Tragos)  I,  55.  111. 
Bote,  der,  Mimos  des  Sophron  II,  27. 
Botrylion,  Komödie  des  Anaxilas  II, 

217. 
Bousiris,  Tragödie  des  Euripides  I,  447. 

Komödie   des  Epicharmos  II,   2U. 

Komödie  des  Ki-atinos  II ,  55 . 
Brautjungfer,  die,  Mimos  des  Sophron 

n,  27 

Brouteion,  Theatermasehine  I,  149. 
Brüder,  die,  Komödie  des  Alexis  II. 

216. 
Brutus,  Tragödie  des  Attius  II.  3ü6. 

342  ff. 
Bubulcus  Cerdo,  Atellane  des  Novius 

n,  329. 
Buchstabendrama  des  KaUias  II.  63. 
Bucco.   oskische  (^haraktermaske   II, 

324. 
Bucco  aduptatus,  Atellane  des  Pom- 

ponius  11,  324.  329. 
Buccula,     Atellane    des    Novius    II, 

329 ;  Komödie  des  Naevius  II,  333. 
Bücherwürmer,   die,   Posse    des  S<>- 

patros  II,  29. 
Bühne,    Gesänge   von   der,    I,   170. 

172;  des  Thespis  I,  117;    bauliche 


Einrichtung    der    griechischen    I, 

145  ff. 
Bühnenapparat,    der.   Komödie    des 

Piaton  n.  75. 
Buhler,  die,  Komödie  des  Ameipsias 

n,  76. 
Bundesstädte,  die,  Komödie  des  Eu- 

polis  II,  69. 
Buss  -  und  Sühnopferidee   im  Drama 

I,  7. 

Butalion .    Komödie    des  Antiphanes 

II,  215. 

Caecilius  Statins,  C,  Komödiendich- 
ter II,  475.  4S5.  574.  635  f. 

Caesar,  C.  Jul.,  als  Tragödiendichter 
II,  348.  Freund  und  Beförderer  der 
Mimenspiele  II,  643.  64fr.  648. 

Calderon  siehe  Faeton. 

(  antica  in  Seneca's  Tragödien  und 
in  der  röm.  Komödie  II,  476 f.; 
im  Pantoniimus  gleichbedeutend 
mit  Monolog  II.  653. 

Captivi,  Lusl^piel  des  Plautus  II, 
485.  513  ff. 

Carbouaria ,  Komödie  des  Naevius 
II,  333. 

Casina,  Komödie  des  Plautus  II,  549  f. 

Cassius  aus  Parma,  Tragödiendichter 
II,  349. 

Casuistik  in  der  neuen  att.  Komö- 
die II,  238  f. 

Catella,  Aelia,  90jährige  Matrone,  von 
Nero  zum  Tanzen  gezwungen  II,  659. 

Catienus,  Schauspieler  II.  339. 

Catinenses,  Mimus  des  Lentulus  II, 
651. 

Cato,  Tragödie  des  (!uriat.  Älatornus 
II,  306.  459. 

('atuUus.  Mimograi»h  II,  651. 

C'avea  I.  141;  des  röm.  Theaters  II, 
308. 

('entunculus.  zum  (!ostüni  der  Mi- 
menspieler  gehörig  II,  642. 

Chäremon,  Tragödiendicbter  II,  251; 


Eegister. 


675 


sein  Verhältuiss  xu.  Euripides'  Iplii- 
genia  in  Aulis  I,  486  ff. 

Charakter,  dramatischer,  I,  65.  84. 

Charakter-Drama,  der  Philoktet  des 
Sophokles  das  einzige  Ch.-Dr.  der 
attischen  Tragödie  I,  370. 

Charaktere  in  Euripides'  Tragödien 
1,  432  f. 

Charaktermasken  der  inittl.  att.  Ko- 
mödie n,  209  ff ;  der  neuen  II, 
220 f.;  oskische  II,  323 f. 

Charakterstücke  des  Epicharmos  II, 
21.  22;  bei  den  Körnern  II,  471. 

Charonische  Stiege  im  Theater  I,  145. 

Cheirouen,  die,  Komödie  des  Kratinos 

n,  54. 

Chinesisches  Drama  I,  91  ff. 
Chionides,  erster  attischer  Komödien- 
dichter  II,  7.  9. 
Choen,  zweiter  Tag  der  Anthesterien 

I,  137. 

Choephoren,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los  I,  254.  277  ff. ;  verglichen  mit 
der  Elektra  des  Sophokles  und  des 
Euripides  I,  27b  ff. 

('hörilos,  , .König  im  Satyrspiel",  I, 
122  f.   127. 

Chor,  der  tragische,  wurzelt  im  Apollo- 
u.  Dionysos-Dienst  I,  52;  von  Arien 
eingeführt  I,  52;  tragische  Chöre 
des  Epigenes  I,  111 ;  ihr  Name  bei 
HeroiVot  I,  1 1 1  f.  Seine  Bedeutsam- 
keit bei  Aescliylos  I,  217  ff.  224. 
2301'.;  sein  (Jharakter  bei  Sopho- 
kles I,  324 f.;  bei  Euripides  I,  325. 
440  ff. ;  bei  Epicharmi^s  II,  17.  Ver- 
kümmert in  der  mittl.  att.  Komö- 
die II,  213;   in  der  röm.  Tragödie 

II,  306 f.;  in  den  röm.  Pantomi- 
men 11,  6()3.  Aufwand  für  den  tra- 
gisclien  1,  164.  Stärke  desselben 
I,  164.  Aufstellung  im  Viereck  I, 
165;  in  Reihen  oder  in  Gliedern  I, 
165 f.';  in  der  alten  Komödie  II,  6. 
43.  47  f.    Aufwand  dafür  II,  48. 


Chor  und  Choregie  I,   161  ff. 

Choregos,  der,  I,  163;  sein  Sieges- 
preis I,  164. 

Chorführer,  der,  I,  165. 

Cliorgesang  I,  166  ff. 

Chorlehrer  I,    171. 

('horlieder  der  Komödie  II,  49. 

Chormeister,  der,  I,   164. 

Chorpoesie  der  Cliinesen  I,  95 f.,  der 
Griechen  I.  103  ff. 

Chortragödie  I,  111. 

Chresphontes.  Drama  des  Ennius  II, 
337. 

('hristus,  der  leidende  (Christos  Pa- 
schon) ,  griechisches  Passionsspiel 
II,  264. 

Chryses,  Tragödie  desPacuvius  II,  339. 

Chrysippos,    Tragödie   des  Euripides 

I,  447.  508.  Tragödie  des  Diogenes 

II,  251.    Chrysippus,  Tragödie  des 
Attius  II,  342. 

( Jhytren  ,  dritter  Tag  der  Antheste- 
rien I,  138. 

Cicero  über  die  Mimenspiele  11,  643. 
644. 

(Üncius  (et)  Faliscus  bedient  sich  zu- 
erst einer  Maske  in  der  Komödie 
II,  479. 

Cistellaria,  Komödie  des  Plautus  II, 
500  ff. 

Classisches  Drama  1.   lo2. 

Clastidium,  Tragödie  (Komödie?)  des 
Naevius  II,  333. 

Claudius,  Kaiser,  Verf.  griecli.  Ko- 
mödien II,  263. 

Clytämnestra ,  Tragödie  des  Attius 
II,  341.   Vgl.  Klytämnestra. 

Colax,  Atellane  des  Novius  11,  329. 

('(»iiiiiiunismus,  verspottet  in  Aristu- 
})lianes'   I<>kklesiazusen  11,   199  f. 

(!()moodia  palliata  11.  469  ff. ;  toguta 
11,  636  ff.    Vergl.  Komödie. 

( 'onciliatrix,  Komödie  dos  Atta  II,  638. 

ri)Ti{|Misitores  des  riHn.  Theaters  II, 
;!I2. 

43* 


676 


Register. 


Contaminatio,  Verflechtimg  mehrerer 

Fabelstoife   zu  einem   Stücke ,    bei 

Terenz  II,  570.  .575. 
Cophiniis,  Jlimus  des  Laberius  II,  642. 
Costüm,  komisches  II,   50;   im  röm. 

Lustspiel  II,  480. 
Crassitius,  Luc,  Mimograph  II,  651. 
Crepidatae  (fabulae)  II,  305.  330. 
Cuneil,  142;  des  röm.  Theaters  II,  308. 
Curculio,   Zomödie  des   Plautus  II, 

562  f. 
Curio ,    Scribonius ,    sein  Theater    zu 

Rom  II,  309. 
Cytheris,  Mimentänzerin  II,  644. 

Dacier,    Madame,    über    Terenz   II, 

571  ff. 
Dädalos,  Satyrspiel  (?)  des  Sophokles 

I,  403.    Komödie  des  Aristophanes 

II,  205. 

Damoxenos,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  II,  230. 

Danae,  Tragödie  des  Aeschylos  I, 
303.  Tragödie  des  Emipides  I. 
447,  508.  Tragödie  des  Liv.  An- 
dronicus  II,  331;  des  Naevius  II, 
333.    Siehe  auch  Akrisios. 

Danaiden,  die,  Drama  des  Phrynichos 
I,  134.  Tragödie  des  Aeschylos  I. 
212.  220f.  303.  Komödie  desAristo- 
phanes  II,  205. 

Danais,  TrUogie  des  Aeschylos  I, 
211.  303. 

Dante's  Göttliche  Komödie  I,  36  f. 

Decius,  Tragödie  des  Attius  II,  306. 
342. 

Decorationsmalerei  im  griech  Thea- 
ter I,  149. 

Decuma  fuUonis,  Atellane  des  Pom- 
ponius  II,  329. 

Deikelisten  II,  5. 

Deinolochos,  Komödiendichter  II,  23. 

Deiphobus,   Trag,  des  Attius  II,  342. 

Domen,    die,    Komödie  des  Eupolis 

n,  71  f. 


Demetrios ,    Dichter   der    neuen   att. 

Komödie  II,  230. 
Demetrios.  Komödie  des  Alexis  II,  217. 
Demokopos  (MyriUa),    Architekt   des 

Theaters  zu  Syrakus  II.  22. 
Demokratie,     ihr    Eiufluss    auf     die 

Entwickelung  des  Drama's  I,  127  ff. 
Demophüos,   Dichter  der  neuen  att. 

Komödie  II,  230. 
Designatores  des  röm.  Theaters  II,  312. 
Deuteragonistes,  zweiter  Schauspieler 

I,  159. 

Deuterostatae  oder  Dexiostatae    des 

Chors  I,  166. 
Dexamenos,    Tragödie  des  Kleophon 

II,  251. 

Dexion,    Heroenname  des  Sophokles 

I,  311. 

Dialog ,  von  Thespis  geschaffen  I, 
117.  —  der  mittl.  att.  Komödie  II, 
213.     Vgl.  Diverbium. 

Diaskeuasen  der  griech.  Dramen  bei 
wiederholter  Aufführung  I,  182. 

Diaulion  im  trag.  Chorgesang  I,  170. 

Diazomata  im  griech.  Theater  I,  142. 

Dichter ,  die  tragischen ,  oder  die 
Freigelassenen,  Komödie  des  Phry- 
nichos II,  74.  — ,  die,  oder  die  La- 
konen.  Komödie  des  Piaton  II 75.  — , 
der,  Komödie  des  Diokles  11,  79. 

Didaskalien,  tragische,  I,  177.  182. 

Didaskalische    Schritten    der    Römer 

II,  473  f. 

Diener,  der,  Charaktermaske  II,  9. 
Dienstunfähigen,  die,  oder  Weibünge, 

Komödie  de^  Eupolis  II,  69. 
Dikäogenes .      Tragödiendichter     II, 

249. 
Diktys,    Tragödie    des    Euripides   I, 

436.  447.  453. 
Dilogien,  tragische,  I.   177. 
Diodoros,     Dichter    der    neuen    att. 

Komödie  II.  230. 
Diogenes,    Tragödiendichter  II,  251 

254. 


Register. 


677 


Diokles   v.  Phlius .    Koniödiendichter 

n,  79. 

Diomedes,  Tragödie  des  L.  Attius  II, 
342. 

Dionyseii .  Komödie  des  Epicharmos 
IL  2U. 

Dionysieii ,  ländliche,  Theaterzeit  I. 
135;  grosse  oder  städtische  I,  13Sf. 

Dioiiysios.  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  230. 

Dionysios  d.  ä.  von  Syrakus  als  Tra- 
gödiendichter II,  249  f.  254. 

Dionysios ,  Komödie  des  Eubulos  11, 
212. 

Dionysos,  drauiat.  Darstellung  seines 
Leidens  und  Sterbens  1 ,  48.  Ver- 
einigung seines  ('ultus  mit  dem  des 
ApoUo  l,')i).  Theater  des  —  zu  Athen 

I,  139.  150if.  Dionysos-Zagreus  I, 
43.  48.  53  f. 

Dionysos,  Komödie    des   Magnes  II, 

II.  Komödie  des  Aristomenes  II, 
64.  Dionysos ,  der  kleine ,  Satyr- 
spiel des  Sophokles  I,  403.  Dio- 
nysos' Gehurt,  Komödie  des  Poly- 
zelos  11,  ^0. 

Dionysosdienst,  der,  sein  Ursprung 
aus  dem  ägypt.  Osiriscult  I,  40. 

Dionysische  Geheimweihen  I,  47  ff. 

Dio])eithes  von  Lokroi,  mimetischer 
Charakter   seiner  ('horlyrik  I,  IKi. 

Dio])hantos,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  II,  230. 

Di])hilos,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  211. 

Diphilos,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  230.  247  f.  459.  552. 

Dithyrambischer  Tropos  I,  HO. 

Dithyrambus ,  Bakchischer  Ohorge- 
sang  I,  103;  strophische,  antistro- 
})hische  und  epodische  Form  des- 
selben I,  109;  mimetischer  Cha- 
rakter desselben  I,   116. 

Diverbium  (Dialog)  und  sein  Vortrag 
im  röra.  Schauspiel  II,  477. 


Doloper.  die.  Tragödie  des  Sophokles 

I,  397. 
Donnermaschine  des  griech.  Theaters 

L   149. 
Dorische  Tonart   des  Chorgesangs  I. 

171. 
Drama.  Wesen  und  Erfordernisse  des- 
selben L  ''ff-;  Ursprung  aus  ägyp- 
tischen und  hellenischen  Geheim- 
lehren 1,  7.  24  ff. ;  religiöses  der 
Aegypter  I,  30;  Name  I,  60;  der 
(nünesen  I,  91  ff. ;  der  Inder  I,  96  f. : 
der  Mexikaner  I,  97 ;  der  Peruaner 
I,  98 f.;  Eintheilung  desselben  1, 
100 ff'.;  historisches  I.  lOOL;  psy- 
chologisches I,  101  f.:  classisches 
1,  102;  romantisches  I,  102;  das 
griechische  I,  103  ff. ;  das  griechi- 
sche zur  Zeit  Alexand.  d.  Gr.  II, 
248  ff. ;  nach  Alexander  d.  Gr.  II, 
256  ff.  Das  römische  II ,  268  ff. : 
sein  Ursprung  II,  314  ft'.;  histori- 
sches bei  den  Römern  11,  305  f. 

Drama,  das  grosse,  Tragödie  des  Jon 
1,  514. 

Dramatische  Bewegung  I,  6 ;  Grund- 
attecte:  Furcht  und  Mitleid  I,  6. 
13 ff.;  Handlung  I,  10 f.;  Katharsis 
1,  12  ff. 

Dramen,  die,  Komödie  des  Aristo- 
phanes  II,  205. 

Drehmaschinen  statt  der  Coulissen 
im  griech.  Theater  I,  148. 

Dromo,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Droysen  über  Aristophanes'  Vögel  IL 
176tt'.;  über  die  Wolken  des  Aristo- 
phanes II,  121  f.   125.  129. 

Dulorestes,  Tragödie  des  Pacunus  IL 
338.  339. 

Duo  Dosseni,  Atellane  des  Novius  IL 
329. 

Dux  gregis  ~  Schauspieldirector  IL 
473. 


67S 


Kesfister. 


Ecliippus,  Dichter  der  inittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Edonen  (Edonier),  Tragödie  d.  Aeschy- 
los  I,  301. 

Effecthascherei  des  Euripides  I,  427  f. 

Ehebrecher,  die,  Komödie  des  Auti- 
phanes  II,  215. 

Eingänge  zum  Theater  I,  li'.i;  zur 
Orchestra  I,  145. 

Einüeit  des  Ortes  im  Drama  I,  2i)5f.; 
der  Zeit  I,  296.  U,  516;  der  Hand- 
lung I,  296;  von  Euripides  ver- 
nachlässigt I,  425  f. 

Eintrittsgeld  bei  den  griech.  Thea- 
tervorstellungen I,  ISlf. 

Einzeldrama  im  Gegensatz  zu  den 
Didaskalien  I,  177.  Neuerung  des 
Sophokles  I,  315.  .321. 

Ekklesiazuscn ,  die ,  Komödie  des 
Aristophanes  II,  89.   198  flf. 

Ekkyklema,  griech.  Theatermaschine 
I,  148. 

Ekphantides,  Komödiendichter  II,  11. 

Electra.  Tragödie  des  M.  Atüius  IL 
344.    Vgl.  Elektra. 

Elegisches  Moment  des  Drama's  I, 
106  ff. 

Elegos,  der,  I,  106  f. 

Elektra  in  Aeschylos'  Choephoren  I. 
279  ff.;  in  Sophokles'  Elektra  I, 
2S0ff.;  in  Euripides' Elektra  I,  2S0. 
282.  —  Tragödie  des  Sophokles  I, 
278.  280  ff.  374  ff.  399.  Tragödie 
des  Euripides  I,  278.  280  ff.  475. 
477.  507.   Vgl.  Electra. 

Eleusiuier,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los I,  303. 

Eleusinische  Mysterien  I,  45  ff. 

EniiliaGalotti  von  Lessing  u.  Aeschy- 
los' Dajiais  1,  2 19  f. 

Enipedokles,  seine  Sühn  -  und  Buss- 
gesänge I,  19  f. 

Endymion,  Komödie  desAlkäosIl,  79. 

Enkyklema,  griech.  Theatermaschine 
L   118. 


Ennius,  Q. ,  Tragödien-  und  Komö- 
diendichter II,  288.  3.33  ff.  485. 
Seine  Dramen  U,  337.  Nachahmer 
des  Euripides  I,  415.  Sein  Achüles 
Aristarchi  I,  515. 

Epei'os,  Tragödie  des  Euripides  I,  507. 

Epeisodion  der  griech.  Tragödie  1. 
166;  der  Komödie  II,  49. 

Ephialtes.  Komödie  des  Phrynichos 
IL  73. 

Epicharmos  von  Kos,  Komödiendicli- 
ter  II,  7.  llff. ;  Lebensumstände 
II,  121'.;  seine  Verspottung  der 
Volksgötter  II,  13  f.  Charakter  u. 
Gruppirung  seiner  Komödien  II, 
17  ff.  Begründer  des  eigentUchon 
Lustspiels  und  derLocalpossell,  22. 

Epiclerus,  Komödie  des  CaecUius  11, 
636. 

ICpidaurier ,  die,  Komödie  des  Anti- 
phanes  II,  215. 

Epidicus,  Komödie  des  Plautus  IL 
539  f. 

Epidikazonienos ,  Komödie  des  Apol- 
lodoros  aus  Karystos  II,  248. 
619. 

Epigenes  von  Sikyon ,  seine  tragi- 
schen Chöre  I,  111. 

Epigenes,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Epigonee,  angebl.  TrUogie  des  Aeschy- 
los I,  235.  303. 

Epigonen,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los I,  303;  des  Sophokles  I,  400. 
Tragödie  des  Attius  IL  342. 

Epikrates,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  208.  214.  217. 

Epikur,  sein  Einfluss  auf  Menander 
IL  231. 

Epilykos,  Komödiendichter  IL  80. 

Ejjimeleten.  Choraufseher  I.  164. 

Eiiinikios,  Komödie  des  Epicharmos 
iL  20. 

Epinikos,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  230. 


Reüister. 


679 


EpirrliL'uui.    Tlieil    der  l'arabasc  IJ, 

44.  45. 
Episcenien  des  Scauvus  II.  309. 
Episches  Moinent  de.s  Draiiia's  I,  lub. 
Epüdisohe  Form   des  ('horgesangs  1, 

109. 
Epodos  der  Komödie  II,  4'J. 
Equus  Trojanus,    Tragödie  des    Liv. 

Andronicus   II.    Xi];    des   Naevius 

II,  33.'}. 
Ei-btochter,  die ,  Komödie  des  Alexis 

n,   211.    Komödie   des    Menander 

U,  237. 
Erde  und  See,  Komödie  des  Epichar« 

mos  II,  21. 
Erechtheus,   Tragödie   des  Euripides 

I,  447.    Drama  des  Ennius  II,  337. 
Erigone,  Tochter  des  Ikarios  I,  118; 

Schaukelfest  in  Athen  ilrr  zu  Ehren 

I,    118.    Tragödie  des  PhrjTiichos 

I,  119.  Tragödie,  des  Sophokles  I, 
399;  des  Philokles  I,  .513.  Tragö- 
die des  Kleophon  II,  251.  Tragö- 
die des  Attius  II,  341. 

Erinausimacha ,  Tragödie   des  Attius 

II,  342. 

Eriphos,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Eriphyle ,  Tragödie  des  Sophokles  I. 
4(10.    Tragödie  des  Attius  II,  342. 

Eris,  Satyrspiel  {?)  des  So])hokles  I, 
403. 

Esel,  der  Schlauchtragende,  Komödie 
des  Leukon  II,  77. 

Esels  Schatten ,  des ,  Komödie  des 
Archippos  U,  76. 

Etruskiscber  Einfluss  in  Rom  II,  274. 
Etrarische  Tänzer  in  Rom  II.  .315. 
316. 

Euantides,  Komödie  des  Philemon  II. 
552. 

Eubulides,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Eubulos,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  212.  214. 


Eubulotlieombrotos,  Posse  des  Sopa- 
tros  IL  29. 

Eudüxos,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  230. 

Euetes,  attischer""Kouiiker  IL  9. 

Eumeniden,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los  I,  2.54.  257  ff.  294  ff.  Drama  des 
Ennius  11,  337. 

Euniden,  die.  Komödie  des  Kratinos 
n,  54. 

Eunuchus.  Komödie  des  Terenz  nach 
Menander  II,  475.  006 ff. 

Eupliorion,  Sohn  des  Aeschylos,  dram. 
Dichter  I,  354.  436. 

Euphron,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie n,  230. 

Eupolideisches  Versmaass  II,  45. 

p]upolis,  Komödiendichtern.  65 ff. 
143;  sein  Verhältniss  zu  Aiisto- 
phanes  11,  66  f. 

Euripides  I,  403  ff.  Lebensumstände 
I,  4(t4  ff.  Verschiedene  Urtheile 
über  ihn  I,  412  ff.  Mit  .-Ukibiades 
zusammengestellt  I,  412L  Sein  An- 
sehen bei  den  Römern  I,  415.  Ver- 
spottet von  Aristophaues  I,  420  ff'. 
460.  IL  !»6.  lS5f.  204;  desgl.  von 
den  Dichtern  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  212.  Seine  Verspottung 
des  Aeschylos  I,  282.  Der  tra- 
gischste unter  den  Dichtern  nach 
Aristoteles  I,  297.  Sein  religiöser 
Skepticismus  1 ,  474.  477.  4S2  f. 
Grosser  Aufwand  bei  Aufführung 
seiner  Stücke  I,  497  f.  Seine  Te- 
tralogien I,  176.  Seine  Tragödien 
I,  280  ff.  4.34  ff.  441  ff.  44S  ff.  453. 
454  ff.  458  ff.  460  ff".  4()3  ff.  465  L 
466  ff.  468  ff.  471  ff.  475  ff.  478  ff. 
485  ff.  492  ff.  500  ff.  502  ff.  Verlo- 
rene Dramen  I,  447. 

Euripides  der  Jüngere  I,  448.  485. 

Europe,  Tragödie  des  Aeschylos  I. 
304.    Komödie  des  Piaton  II,  75. 

Eurysaces,  Trag,  des  Attius  IL  342. 


680 


Eegister. 


Eurystheus,  Satyrspiel  des  Euripides 

I,  447. 
Eurytiden,  die,   Tragödie  des  Jon  I, 

514. 
Euthj-kles,  Komödiendichter  II,  b(». 
Euxenides,  attischer  Komiker  II,  9. 
Evangelos,    Dichter    der    neuen   att. 

KomödiB  II,  23ü. 
Exodia ,    Nachspiele    auf   dem   röm. 

Theater  II,  316.  32üf. 
Exodos  der  griech.  Tragödie  I,  166. 
Ezechiel,  draraat.  Dichter  II,  262. 

FabelqueUen  des  Aeschylos  I,  301  ff. ; 
des  Sophokles  I,  395  ff. ;  des  Eu- 
ripides I,  507  ff. 

Fabiüae  Varronianae  des  Plautus  II, 
4S3. 

Faeton,  El  Hijo  del  Sol,  von  Calderon 

I,  510  f. 

FaUeroni,     noch     vorhandenes    röin. 

Theater  daselbst  II,  313. 
Fassöffnung   an   den  Anthesterien  I, 

137. 
Fescenninische  Lieder  II,  278. 
Fest,  das ,  und  die  Inseln  ,  Komödie 

des  Epicharmos  II,  20. 
Festtänzer,    die,    Komödie    des  I]pi- 

charmos  II,  20. 
Festumzug,  ägyptischer,  als  Keim  der 

griech.  Komödie  II,  1  f. 
Fische,  die,    Komödie  des  Archippos 

II,  76. 

Fischer,  der,  Mimos  des  Sophron 
II,  27. 

Fischhändler,  der,  seine  Rolle  in  der 
mittl.  att.  Komödie  II,  211. 

Fischweib,  das,  Komödie  des  Anti- 
phanes  II,  215. 

Flaccus,  Sohn  des  Claudius,  Kompo- 
nist II,  573.  581.  593.  626. 

Flitterstaat,  der ,  Komödie  des  Phe- 
rekrates  II,  58. 

Flöte  als  Begleiterin  des  ditliyraml). 
Vortrags  I,   114.    Arten    und  Ge- 


brauch    derselben     auf    der    röm. 

Bühne  II,  478;   beim   röm.  Mimus 

II,  642. 
Florales   (ludi),  röm.   Theaterzeit   II, 

472. 
Florus,  L.  Ann.,    Verf.  der  Tragödie 

Octavia  (?)  II.  459. 
Flugmaschine    des    griech.    Theaters 

I,  149. 

Frauen    im    griech.    Theater  I,    183, 

II,  151  f.;  als  Mitspielende  im  röm. 
Mimus  n,  642.  —  die,  welche  die 
Theaterplätze  vorwegnehmen ,  Ko- 
mödie des  Aristophanes  II,  204  f. 

Prauenchi')re  in  der  griech.  Tragödie 

I,  167. 
Frauenemancipation  in  Aristophanes' 

Ekklesiazusen  II,  199  f. 

Frauenmasken,    von   Phrynichos    er- 
funden I,  127. 

Fresser,  die,  Komödie  des  Ameipsias 

II,  76. 

Freunde,   die,   Komödie  des  Eupolis 

II,  66. 
Freundeliebhaber,  der,  Komödie  des 

Philonides  II,  62. 
Friede,  der,  des  Aristophanes  I,  514. 

II,  69.  86.  143  ff. 
Frösche  ,    die ,    Komödie  des  Magnes 

II,   11.    Komödie    des   Kallias  II, 

64.    Komödie   des  Aristophanes   I, 

420  f.  422  ff.   517  f.  n,   190  ff". 
FuUones,    AteUane    des    Novius    II, 

329.    Komödie  des  Titinius  II,  63S. 
Funambuli  II,  254. 
Funebres  (ludi),  röm.  Theaterzeit  II, 

471. 
Furcht  u.  Mitleid,  dramatische  Grund- 

attecte  I,  6.  13  ff. 
Fusius,  Schauspieler  II,  339. 

Galerus,    Kopfbedeckung    der    röm. 

Schauspieler  II,  479. 
Galli  Transalpini,  AteUane  des  Pom- 

ponius  II,  329. 


Register. 


681 


Ganymedes ,     Komödie     des     Alkäos 

II,   79. 
Gaubewohner,  die,  Komödie  des  Her- 

mippos  II.  61. 
Gaukler,  die,  Komödie  des  Aristome- 

iies  II,  64. 
Gefesselten,  die,  Komödie  des  Krates 

II,    56.     Komödie    des  Kallias    IT. 

63. 
Geheimweihen,  ägyjjtische  u.  phry.f,n- 

sche,  ihr  Verhältniss  zur  Katharsis 

I,  24 ff.;  hellenische  I,  38 ff.;  Eleu- 
sinische  I,  45ff. ;  Dionysische  I, 
47  ff. 

Gemina,  Komödie  des  Titinius  II, 
63S. 

Gemini,  Atellane  des  Novius  II,  329. 

Genesius,  Schutz])atron  der  Schau- 
spieler II,  665. 

Gephyristen  II,  3. 

Gerechtigkeitsschänder ,  die ,  Komö- 
die des  Eupolis  II,  67. 

Germanicus,  Caesar,  als  Verf.  gricch. 
Komödien  II,  263. 

Gerytades,  Komödie  des  Aristopha- 
nes  II,  205.  640. 

Gesänge  von  der  Bühne  I,  170.  172. 

Gesandten,  die,  Komödie  des  Leukon 

II,  77.  133. 

Geschorene,  die,  Komödie  des  Me- 
nander  II.  237. 

Gesetze,  die,  Komödie  des  Kratinos 
II,  .55. 

Gesticulation  der  röm.  Scliaus]neler 
II,  479. 

Giganten,  die,  Komödie  Kratinos'  d. 
Jung.  II,  217. 

Gigantomachie ,  Parodie  des  Hege- 
mon II,  65. 

Glaukos,  Tragödie  des  Euripides  1, 
447.  —  Pontios ,  Tragödie  des 
Aeschylos  I,  202.  24(».  304. 

Glykera,  Geliebte  Menander's  II, 
232  f. 

Goethe,  siehe  Iphigenia  in  Tauris. 


Götter,  die,  Komödie  des  Hermippos 
II,  61. 

Göttertravestien  des  Epicharmos  II, 
13  ff. 

Göttliche  Komödie,  Dante's,  I,  36  f. 

Gorgonen,  die.  Komödie  des  Aristo- 
phanes  II,  204. 

Grabesspenderinnen,  die,  siehe  Choe- 
phoren. 

Grachus ,  Junius ,  Tragödiendichter 
II,  346  f. 

Grammatische  Tragödie,  die,  des 
KalUas  II,  63. 

Gratulatio,  Komödie  des  Atta  IL  638. 

Gregor  v.  Nazianz,  Verf.  des  Dra- 
ma's  Christos  Paschon  (?)  II,  264. 

Greife ,  die ,  Komödie  des  Piaton 
II,  75. 

Greisinnen,  die,  Komödie  des  Phere- 
krates  II,  57. 

Grex  =  Schauspielertruppe  11,  473. 

Griechisches  Drama  I,  103  ff. 

Grossprahler,  der,  Komödie  des  Epi- 
charmos 11,  20. 

Gruppe,  0.  T.  (in  s.  ,,Ariadne")  ge- 
gen Euripides  I,  419.  485;  über 
Euripides'  Iphigenia  in  Aulis  I, 
486  ff. ;  über  Euripides' Rhesos  I,  501. 

Gürtel,  der,  Satyrspiel  (?)  des  Sopho- 
kles I,  403. 

Gymnopädien,  Fest  der,  zu  Sparta 
I,   104. 

Gypsmaske  I,  54. 

Halbchöre,  zwei  feindliche,  in  den 
Acharnern  des  Aristojdianes  11,  97. 

Handlung,  dramatische,  im  Gegen- 
satz zur  ei)ischen  I,  10 f.;  ihr  Be- 
griff L  84;  l)ei  Aeschylos  I,  208  f. 
225ff.  24()ff.;  bei  Sophokles  1.  324 f. 
374  f. 

Härtung,  .T.  A. .  iihm-  Euri])ides  und 
seine  Tragik  1.  4121'. 

Heautontimoroumenos,  Komödie  des 
Terenz  II,  593  ff. 


682 


Register. 


Hebeinaschiaie  des  griechischcu  Thea- 
ters I,  149. 

Hebe's  Hochzeit,  Koiiiödie  des  Epi- 
charmos  II.  17. 

Hebräer.  Mangel  der  drauiat.  Poesie 
bei  ihnen  I,  88  ff. 

Hector,  Tragiidie  des  Naevius  II,  ;33.'i. 
Vgl.  Helvtor. 

Hectoris  Lustra,  Drama  des  Ennius 
II,  337. 

Hecuba,  Drama  des  Ennius  II,  3.37; 
Tragödie  des  Attius  II.  342.  Vgl. 
Hekabe. 

Hecyra,  Komödie  des  Terenz  II,  473. 
.580  ff. 

Hefeninaskc  II,  2. 

Hegel  über  tragische  Schuld  I,  3SS  ft'. 
Sein  Begriff  des  Komischen  11,  37. 

Hegemon  von  Thasos,  dram.  Paro- 
diendichter II,  30.  6.5. 

Hegesippos,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  II,  23ü. 

Hektor's  Lösung,  Tragödie  Dionysios' 
d.  ä.,  II,  249.    Vgl.  Hector. 

Hekabe,  Tragödie  des  Euripides  I, 
428.  475  ff.  507.    Vgl.  Hecuba. 

Helena,  Tragödie  des  Euripides  I, 
428.  4ü()ff.  507.  II,  331.  Tragödie 
des  Diogenes  11,  251;  des  Theo- 
dektes  II,  253.  Tragödie  des  Liv. 
Andronicus  II,  331.  Helen a's  Ent- 
führung, Komödie  des  Alexis  II. 
217. —  Freier,  Komödie  des  Alexis 
II,  217.  —  Hochzeit,  Satyrspiel  [?) 
des  Soi)hokles  I,  403.  —  Zurück- 
forderung,  Tragödie  des  Sophokles 
1,  390.  397. 

Heliaden,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los  I,  304. 

Helios,  der  frierende,  Komödie  des 
Aristonymos  11.  70. 

Helladia,  Pantomimentänzerin  11,  002. 

Hellcnes,  Tragödie  des  Attius  II, 
342. 

Hellenische  Mysterien  I,  38  ff. 


Heloten,    die,    Komödie  des  Eupolis 

II,  67. 
Hemichoria     (Halbchorgesänge)     der 

griech.  Tragödie  I,   170. 
Hemikyklion,  Theatermaschine  I,  149. 
Heniochos ,    Dichter    der    mittl.    att. 

Komödie  II.  214. 
Herakleiden,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 

los  I,  304.   Tragödie  des  Euripides 

I,  468  ff. 

Herakleitos  (oder  Herakleides),  Dich- 
ter der  mittl.  att.  Komödie  II,  214. 

Herakles,  Posse  des  Rhinthon  11,  29. 
Tragödie  des  Diogenes  II,  251.  — 
der  rasende,  Tragödie  des  Euripi- 
des I,  441  ff.  4"7ö. — der  heirathende, 
Komödie  des  Archippos  II,  76.  — ■ 
der  verbrannte,  Tragödie  des  Spin- 
tharos  II,  253. 

Hercules,  der  rasende,  Tragödie  des 
(Rhetors  Marcus  ?)  Seneca  II ,  352. 
353.  429  ff". —  am  Oeta,  dem  Seneca 
von  Einigen  abgesprochene  Tragö- 
die II,  353.  436  ff. 

Herder    über    röm.    Eroberungssucht 

II,  290ff. ;  über  das  röm.  Drama 
II,  296. 

Hermann,  G. ,    über    die   Chöre    bei 

Aeschylos  I,  226  f. 
Hermione,    Tragödie    des   Sophokles 

I,  3!)9.  Tragödie  des  Liv.  Andro- 
nicus II,  331.  Tragödie  des  Pacu- 
vius  II,  339. 

Hermi])pos,  Komödiendichter  II,  60  f. 
Herodes   d.  alt.    zieht   griech.   Spiel- 
leute nach  Jerusalem  II,  267. 
Heroen,  die,  Komödie  des  Chionides 

II,  9.  Komödie  des  Krates  II,  56. 
Komödie  des  Aristophanes  II,  204. 

Heroen-Rlutsühne  I,   19  f. 

Hesiode,  die,    Komödie  des  Teleklei- 

des  II,  43.  59. 
Hesiona,  Trag,  des  Nae-vius  U,  333. 
Hetaera,  Atellane  d.  Novius  II,  329. 
Hetären,  ihre  Rollen  in  der  mittl.  u. 


Register. 


683 


neuen  att.  Komödie  II,  2()'Jf.  232; 
bei  Terenz  II,  589  ff. 

Hüaroden ,  eine  Art  Mimenspicler 
11,  25. 

Hilarotragödien  der  Tarentiner  IL 
28;  bei  den  Römern  II,  471. 

Hi])]>archos ,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  II,  2'M). 

Hip]iias,  Mimentän'/er  II,  ()4-4. 

Hip})olytos  (der  Verhülltet,  Tragödie 
des  Euripides  I,  447.  -  ■  (der  Ge- 
krönte), Tragödie  des  Euripides  I, 
448,  454  ff.  —  Posse  des  Rhinthon 
11,  29.  Hi])i)olytiis ,  Tragödie  eines 
älteren  Tragikers  (?)  Seneca  II,  352. 
405  ff. 

Hippen,  Philoso])h.  von  Kratinos  ver- 
spottet II,  55. 

Hii)]»os,  Komödie  des  Phormis  II,  23. 

Hirten,  die ,  Tragödie  des  Sophokles 

I,  396.  397. 

Historisches  Drama  I,  lüof. ;  bei 
den  Römern  II,  305  f.    -  Lusts])iol 

II,  21S. 
Histriones  II,  315. 

Hoclizeit,    die   heUige.   Komödie  des 

.\lkäos  U,  79. 
Hoffnung  u.  Reichthum,  Komödie  des 

Epicharmos  II,  21. 
Holkaden.  die,  Komödie  des  Aristo- 

phanes  II,  204. 
Hol/.träger,  die,  Komödie  des  Aristo- 

menes  II.  (14.  105. 
Homeros    der  Jung. ,     nachalexandr. 

trag.  Dichter  II,  258.  259. 
Homeros  oder  die  Asketen,  Komödie 

des  Metagenes  II,  77. 
Honorar  röm.  Theaterdichter  II,  473i'. 
Honorarii  (ludi),  Tlioaterauffiilirnngcn 

dabei  II,  473. 
Horaz ,    II,    280  ff". ;     über    das    röm. 

Theater  II,  310;  über  die  Atellane 

II,  322  f. 
Hören,  die,  Komödie  des  Kratinos  11, 

55.  Komödie  d.  Aristdidiaiics  II,  20(). 


Horos,  der  ägyi)tische,  identisch  mit 
ApoUo  I,  24. 

Hospitalia,  Seitenthüren  im  Hinter- 
grunde des  röm.  Theaters  II,  312. 

Hülfstrup])en,  die,  Komödie  des  Ari- 
stomenes  II,  ()4. 

Humanität,  ihre  Grundsätze  vertre- 
ten in  der  neuen  att.  Komödie  II, 
242. 

Humor  I,  42.    Vgl.  II,  Slitt'. 

Hyakinthien  zu  Sparta  mit  C'liorge- 
sang  gefeiert  I,  105. 

Hylas  ,  Pantomimenspieler  11 ,  653. 
656.  658  f. 

Hymnis,  Komödie  des  Caecilius  II. 
()36. 

Hy^ierbolos ,  Komödie  des  Piaton 
II,  75. 

Hypoboleus,  der.  sein  Platz  im  Thea- 
ter I,  144. 

Hy])obolimäoi,  Komödie  des  Menan- 
der  II,  244. 

Hypobolimäos,  Komödie  des  Alexis 
11,  217.  Komödie  des  Caecilius  II, 
636. 

Hypokritcs,  Schaus])ieler  I,  120.  158. 

Hyporchem  (Tanz  -  Gesang) .  Grund- 
form des  Drama's  I,  76.  104.  107; 
bei  den  Römern  II,  3161".  318. 

Hy|ioskeni()n  im  griech.  Tlieater  I, 
147. 

Hypsii)yle,  Tragödie  des  Aeschylos 
I,  301.  Tragödie  des  Euripides  I. 
447.  478. 

Jacobs,   über  Seneca's  Tragödien  II, 

355  f. 
Jakchos  I,  48. 
Jalcmos,   ein    rhorisclier  Klaggesang 

I,   105. 
Janiljo  II,  2. 

Jambischer  Triinctcr  1.   118. 
Jamliisten   11,  3    5. 
Jason,  Scbaus|iicb'r  II.   26.(.   266. 
JasoiK'ia,  TiLldgie  des  Aeschylos  I.  301. 


684 


Eegister. 


Idäer  oder  die  Abgesengten ,  Komö- 
die des  Kratiiiüs  II,  54. 

Jerusalem .  theatral.  Vorstellungen 
daselbst  II,  266 f. 

Ikarios .  tragischer  Charakter  der 
Mythe  von  Ik.  I,  IIS;  mythischer 
Begründer  der  dram.  Mimik  I,  119; 
in  der  ältesten  attischen  Tragödie 
I,  119. 

Ikarisches  Lustspiel  II,  6. 

Ilias,  die  kleine,  des  Lesches.  Quelle 
Sophokleischer  Dramen  I.  397  ;  Eu- 
ripideischer  I,  5(17. 

Ilierinnen,  Tragödie  des  Aeschylos 
I,  303. 

niona,  Tragödie  des  Pacmäus  II,  339. 

Hions  Zerstörung,  Trüogie  des  Aeschy- 
los I,  303.    Tragödie   des  Agathon 

I,  518f.  Komödie  des  Phormis  II. 
23.  Tragödie  des  Kleophou  II, 
251.  Epos,  Quelle  Sophokleischer 
Dramen  I,  398;  Euripideischer  I. 
507. 

Imbrii.  Komödie  des  Caecilius  U,  636. 
Immoralität  der  neuen  att.  Komödie 

II,  238  f. 

Inachos,  Satj'rspiel  (?)  des  Sophokles 

I,  403. 
Indisches  Drama  I,  96  f. 
Ino,  Tragödie  des  Euripides  1 ,    447. 

508. 
Intrigue  in  der  Tragödie  I,  237.  Von 

Sophokles  eingeführt  I,  317 f.;  ihre 

Bedeutung  in  der  Komödie  II,  38 ; 

in  Aristo])hanes'  Lysistrate  II,  188. 
Intriguenstücke    bei   den  Römern  II. 

471. 
Jo    im    gefesselten  Prometheus    des 

Aeschylos   I,    243  ff.    Komödie  des 

Piaton  II,  75.    Tragödie  des  Chä- 

remon  II,  251. 
Jobates,  Posse  des  Rhinthon  11,  29. 
Jolaos,  Tragödie  des  Sophokles  I,  402. 
Jon,   Tragödiendichter  I,    448:  512. 

513  f. 


Jon,  Tragödie  des  Euripides  I,  471  ff. 

Jonische  Philosophie,  ihr  Einfluss  auf 
die  Ent\vickelung  des  Drama's  I. 
60  ff. 

Jophon.  Sohn  des  Sophokles,  Tragö- 
diendichter I,  313.  448. 

Iphigenia,  Trüogie  des  Aeschylos  I, 
303.  Tragödie  des  Naevius  II,  333. 
Iphigenia  in  Aulis ,  Tragödie  des 
Aeschylos  I,    303;    des    Sophokles 

I.  396.  397.  Tragödie  des  Euripi- 
des I,  433.  448.  485  ff.  507.  Tra- 
giulie  des  Chäremon  I.  486  ff.  II, 
251.  Posse  des  Rhinthon  11,  29. 
Drama  des  Ennius  II .  337.  Iphi- 
genia in  Tauris ,  Tragödie  des 
Euripides  I,  428.  478  ff.  II.  338.— 
von  Goethe  verglichen  mit  der  Eu- 
ripideischen  I,  483  f.  —  Posse  des 
Rhinthon  II ,  29.  Tragödie  des 
Polyeidos  II,  253. 

Ironie,  tragische,  des  Sophokles  I. 
318  f. 

Isthmiasten,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los I,  302. 

Isthmiaznsen ,    Mimos    des    Sophi-on 

II,  27. 
Ithyphallen  II,  3f. 

Jünglinge,    die,   Drama  des  Thespis 

I,  121.  Tragödie  des  Aeschylos  I, 
301.  304. 

Junius,    AteUane    des    Memmius    II. 

330. 
Juno,  Tragödie   des  Liv.  Andronicus 

II,  331. 

Jurisperita.  Komödie  des  Titinius 
II,  638. 

Justinian,  Kaiser,  verbietet  diedramat. 
Aufführungen  in  Konstantinopel  II, 
26(1;  erklärt  die  Schauspieler  für 
ehrlos  11.  662. 

Ixion,  Tragödie  des  Aeschylos  I,  304 ; 
des  Sophokles  1 ,  402 ;  des  Euripi- 
des I,  447. 


Register. 


685 


Kabiren,  die,  Tragödie  des  AeschyloB 
I,  301. 

Kabirische  Passionsspiele  I,  44. 

Kalliades,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

KaUias,  Komödien  dichter  II,  tliU'. 

KaUikrates ,  r)ichter  der  mittl.  att. 
Komödie,  II.  214. 

KaUimachos  als  dramat.  Dichter  II,  258. 

KaUipides,  Schauspieler  I,  161.  307. 

KaUipides,  Posse  des  Strattis  II,  78. 

Kallipos,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  23U. 

KaUisto ,  Satyrspiel  des  Aeschylos  I, 
3U5.    Komödie  des  Alkäos  II,  79. 

KaUistratos,  Schauspieler  des  Aristo- 
phanes  II,  82.  92.  182.  2ü4. 

Kamikier  oder  Minos,  Tragödie  des 
Sophokles  I,  402. 

Kanimerjungfer ,  die,  Komödie  des 
Antiphanes  II,  215. 

Kampfpreise  bei  den  dramat.  Wett- 
kämpfen I,   182. 

Karnpfricliter  bei  den  dramat.  Wett- 
kämpfen  I,   180  f. 

Kampfspiele  des  Peleus,  Drama  des 
Thespis  I,   121. 

Kantharos,  Komödiendichter  II,  79. 

Karer,  die^  Tragödie  des  Aeschylos 
I,  304. 

Karkinos,  Tragödiendichter  I,  510. 

Kassandra  in  Aeschylus'  Agamemnon 

I,  209  tf. 

Katharsis,  dramatische,  des  Aristo- 
teles I,  1211'.;  hieratische  I,  18ff. ; 
der  Götter  1,  24;  in  den  ägypti- 
schen und  phrygischen  Gehcini- 
wcihcn  1,  24 ff.;  etliische  1,  04; 
mufiikalische  des  Pythagoras  I,  09; 
neiiplatoiiisclie  i,  81  f.;  bei  Sopho- 
kles 1,  31.>  ff.  35]  f.  .{(io.  .-{(iiiff. ; 
die  komische  II,  391. 

Kaufmann,  der,  Komödie  des  Diphilos 

II,  211.    Komiidio  des  Philemoii  II, 
247.  501.    Vgl.  Mercator. 


Kehricht,   der,    Komödie  des  Platou 

n,  75. 

Kelterfest,  das,  Theaterzeit  I,  136. 
Kentauros,  der,  Tragödie  des  Chäre- 

mon  I,  487.  II,  251. 
Kepheus.  Komödie  des  Phormis  II,  23. 
Kephisodoros,  Komödiendichter  U,  8U. 
Kephisophon,  Schauspieler  des  Euri- 

pides  I,  161.  410. 
Keren,    die,    Drama    des  Aristias  I, 

120. 
Kerkides  im  griech.  Theater  I,  142. 
Kerkopen,  die,  Komödie  des  Hermip- 

pos  II,  61. 
Kerkyon ,    Satyrspiel    des    Aeschylos 

I,  305. 

Kerykes,  Satyrspiel  des  Aeschylos  I, 
305. 

Kette,  die,  Komödie  des  Menander 
Li,  230  f.  242. 

Kilissa,  Amme  des  Orestes  in  Aeschy- 
lus' Choephoren  I,  288  f. 

Kin.äden  II,  30. 

Kinesias ,  Dithyrambendichter,  von 
Aristophanes  verspottet  II,  171.  205. 

Kinesias,  Komödie  des  Piaton  II,  75. 

Kii-chenväter  eifern  gegen  Theater  u. 
Schauspieler  11,  604. 

Kii-koi,  Satyrspiel  desAeschylos  I,  305. 

Kleandros,  Schauspieler  des  Aeschy- 
los I,   101. 

Kleobuliiie,  Komödie  des  Alexis  II, 
216. 

Kleobulinen,  die ,  Komödie  des  Kra- 
tinos  II,  54.  2J3. 

Kleomenes,  König  von  Sparta,  Typus 
des  tragischen  Helden  I,  62  f. 

Kleon,  der  Gerber,  von  Aristophanes 
verspottet  II,  82 ff.  105  ff. 

Klcophanes,   Komödie  des  Epikrates 

II,  209. 

Kleu|ihon,  Tragi'idieiidicliter  II,   250 f. 

2.)l. 
Kleitphdii,  Kiiiii.Hlic  des  Piatun  II,  75. 

190. 


686  Eegister. 

Klideinides ,  Schauspieler  des  Sopho-  Koplioi ,  Satj'rspiel  des  Sophokles  I, 

klos  1,  lül.  403. 

Klytämuestra  in  Aeschj^los'  Agamein-  Koraliskos ,    Komödie    des    Epilykos 

11011  I,  21)0  ff.    Siehe   Clytäiiinestra.  11,  80. 

Knabeuliebhaber ,    der ,    Komödie  des  Korbylos,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 

Antiphanes  II,  215.  niödie  II,  230. 

Knochenaufleser,    die,    Tragödie   des  Kordax,  der,    Tanz  in  der  alten  Ko- 

Aeschylos  I>  304.  mödie  1,  124.  II.  42. 

Koch,  der,  Charaktermaske  II,  9.  In  Korianno ,   Komödie    des  Pherekrates 

der  mittl.  att.  Komödie  11^  21U.  II,  57. 

König  Oedipus,  Tragödie  des  Sopho-  Kothurn,  der,  I,  156. 

kies  1,  328  ff.  Kothurne,  die,  Komödie  des  Philoni- 

Kokalos,   Komödie   des  Aristophanes  des  11,  62. 

II,  89.  206.  Kottabosspieler ,    die,    Komödie    des 

Kolchierinnen,  die,  Tragödie  des  So-  Ameipsias  II,  76. 

phokles  I,  401.  Krapetalen,  die,  Komödie  des  Phere- 

Kojnmasten,  die,  Komödie  des  Phry-  krates  II,  57. 

nichos  II,   74;    des    Ameipsias  II,  Kraspeditae  des  Chors  I,  166. 

73.  74.  76.  152.  —  oder  Hephästos,  Krates,  Komödiendichter  II,  7.  56. 

Komödie  des  Epicharmos  II,  18.  Kratinos,    Komödiendichter    II,    43. 

Kommation,     Theil     der     Parabase  51  ff'.  64.    Leben  II,  52.    Seine  Ko- 

II,  45.  mödien  II,  53  ff.  213. 

Kommos,  der,  threnetischer  Wechsel-  Kratinos  d.  Jung.,  Dichter  der  mittl. 

gesang  I,  105.  170.  att.  Komödie  11,  214.  217. 

Komische,  das,  sein  Wesen  II,  34 ff.,  Krautlesei innen ,    die,    Komödie   des 

Hegel's  Ansicht  darüber  11,  37.  Phrynichos  II,  74. 

Komodotragoedia ,    Komödie    des  AI-  Kresphontes,   Tragödie  des  Euripides 

käos  II,  79.  I,  447.  509. 

Komödie,  ihr  Ursprung  II,  1.    Name  Kressai,    Tragödie   des    Euripides  1, 

II,  2.    Verhältniss  zur  Tragödie  II,  447. 

19.   33  ff.     Bestandtheile   derselben  Kreteis ,    Tragödie    des   Euripides  1, 

II,  42 ff.;  altattische  II,  31 ;  im  Ge-  447. 

gensatz  zur  neuattischen  II,   40  f.;  Kreterinnen,  die,  Tragödie  des  Aescliy- 

Aristophanische  II,  31.  41  ff.  81  ff'.;  los  I,  304.    Tragödie  des  Emipides 

mittlere   attische  II,    206 ff.;  neue  I,  448.  II,  204. 

att.  II,  21811'.;  ri>mische  II,  469  ff. ;  Kreusa,    Tragödie    des  Sophokles   I, 

('om.  palliata,    togata,   tabernaria  472. 

II,  469;  trabeata  II,  470;  stataria,  Krisis,  Satyrspiel  des  Sophokles  I,  403. 

motoria,    mixta  II,    471.  594.     Ihr  Kritias,  Tragödiendicliter  11,  2oO. 

Zweck    nach   A.  W.    von    Schlegel  Kriton ,    Dichter  der   neuen  att.  Ko- 

II,  221  r.  mödie   11,  230. 

Komos,  liakchischer  Festiimziig  II,  2.  Kroiios,      Komödie     des    Phrynichos 

Konistra  im  griecli.  Theater  1,   113.  II,  71. 

Konnos,  Komödie  des  Phryniclios  II,  Kinistpliilosophie,  ihr  Kiulluss  aul' die 

73;    des  Ameipsias  11,  73.  76.   112.  dramatische  Kunst  1,  37. 


Eegister.  6^7 

Kyklische  Chöre  I,  1U9.  llu.  —  Ge-  Lanuviauus  (oder  Lavinius),  L.,  Atel- 

dichte,  Dramenstoffe  des  Sophokles  lanendichter  II,  568.  574.  59J-.  595. 

daraus  I.  397.  Laokoon,  Trag,  des  Sophokles  I,  39S. 

Kyklopes,  Komödie  des  Kallias  II,  64.  Lar  fainüiaris,    Atelluiie  des  Pompo- 

Kjklops,     draniat.    DithjTanibos  des  nius  II,  329. 

Philoxeiios  I,   115.   Satyrdraraa  des  Lasos    aus    Heriiiione  verpHanzt  den 

Aristias  I,  126.    Satyrspiel  des  Eu-  Dithyrambus  des  Ariou  nach  Attika 

ripides  I,  50211'.   Komödie  des  Epi-  I,   114,  116. 

charmos  II,  2o.  Latiiuis,  Mimograph  II,  651. 

Kyknos,    Tragödie   des   Aeschylos   I,  Laurostatae  des  Chors  I,  166. 

304.  Lavinius  siehe  Lanuviauus. 

Kyprier,  die,   Tragödie  des  Dikäoge-  Lebedos,  Sitz. der  Schauspielercorpo- 

nes  II,  249.  ration  II,  266. 

Kyprisches    Gedicht,    von    Sophokles  Leda,    Tragödie  Diouysios'    d.  ä.    II, 

daraus    entnommene    Dramenstoffe  249. 

1,396.    Fabelquelle  des    Euripides  Leichentestspiele,  röm.  Theaterzeit  II, 

I,  507.  471. 

Kythen ,   die,   Komödie  des  Antipha-  Leidens-    und   Leidenschafts  -  Pathos 

lies  II,  215.  in  der  Tragödie  I,  433  f. 

Leninier,  die,   Tragödie  des  Aeschy- 

Laberius,    Decimus,    Verf.    von    Mi-  los  I,  3U4. 

men  II,  642.  (J45ff.  Lemnierinnen,  die,  Komödie  des  Ari- 

Lachspiel,  das,   Komödie  des  Saiiny-  stophanes  II,  205. 

rion  II,  79.  640.  Lenäen,  Fest  der,  Theaterzeit  I,  13ö. 

Lächerliche,    das,    worin   es   besteht  Lentulus,  Mimograph  II,  651. 

II,  34  ff.  Leonidas,    Komödie    des   Antiplianes 
Laertes,  Tragödie  des  Jon  I,  514.  II,  214. 

Läuterung ,    dramatische ,    siehe   Ka-   Lesches  siehe  Ilias,  die  kleine. 

tharsis.  Lessing  über   die    Absicht    des  Dra- 

Laios,  Tragödie  der  Thebais-Trilogie       ma's  I,  85;  über  Euripides  I,  41G; 

des  AeschyL)s  I,  235.  303.  Komödie       über  Seneca's   Tragödien  11,    355; 

des  Kleophon  U,  75.  über  Seneca's  Thyestes  II,  415  ff. ; 

Lakonen,  die,  oder  die  Dichter,  Ko-       über    den     rasenden    Hercules    II, 

mödie   des  Platon  II,  75;    des  Ni-       429  ff. ;     über    l'huitus'    Gefangene 

kochares  II,   ISS.  II.  5J3f. 

Lakonerinnen,  die,  Tragödie  des  So-   Leukadia,  Komödie  des  Menamlcr  II, 

phokles  I,  .397.  241. 

Lamia,  Aelius,  Tragödien-  u.  Komö-   Leukippos,    Tragödie    des    Kle(i|ib(.n 

dieivlichter  II,  637.  II,  251. 

Lamia,    TragiWlie    des    Kuripidos    I,    Leukon,  KdiuiHliendicblrr  II.  77.  113. 

447.    Komödie  des  Krates  IL  56.       läcinius,   Liistsi)ieldicli1er  II,  4S5. 
Landmann,    der,    Komödie    des  Mf-    Liebe,   die,   ilire  Rolle   in    der  neuen 

nander  II,  237.  att.  Komödie  11,  243. 

Lange,  A.  G. ,   über  das  röm.   Drama    Liebesgött(;r,  die.   Komii.lir  des  Mvr- 

U,  296  f.  tilos  11,  61. 


688 


Register. 


Liebesintrigue  in  der  Komödie ,  voll- 
ständig ausgebildet  von  Anaxan- 
drides  II,  217. 

Liebling ,  der ,  Mimos  des  Sophron 
II,  27. 

Liederlichen,  die,  Komödie  des  Anti- 
phanes  II,  215. 

Likj'mnios,  Tragödie  des  Euripides 
I,"  447.  509. 

Linos,  ein  chorischer  Klaggesaug  I, 
1U5. 

Linsengericht,  das,  Posse  des  Sopa- 
tros  II,  29. 

Linus,  seia  Bericht  üb.  den  Ursprung 
des  röni.  Draina's  II,  314  if. 

Localstücke  des  Epicharmos  II,  20. 

Löwe,  der,  Satyrspiel  des  Aeschjlos 

I,  305. 

Logeion  der  griechischen  Bühne  I,  147. 
Logos    und    Loginas,     Komödie    des 

Epicharmos  II,  21. 
Lokrische  Chorlyrik  1,  Hb. 
Loosenden,  die ,  Komödie  des  Diphi- 

los  II,  549. 
Lucubratio,  Komödie  des  Atta  II,  ti38. 
Ludiones  =  Histriones  II,  317.   319. 
Lüfte,  die,  Komödie   des  Metagenes 

II,  77. 

Lug-Truglosen,  die,  Komödie  des  Te- 
lekleides  II,  59. 

Luscius,  Komödiendichter  II,  485. 

Lustspiel,  ikarisches,  II,  (i. 

Lycoris,  Mimentänzerin  II,  645. 

Lycurgus ,  Tragödie  des  Naevius  II, 
332.  333.    Siehe  Lykurgos. 

Lyder,  die,  Komödie  des  Magnes 
'll,   II. 

Lydische  Tonart  des  ( üiorgesangs  I, 
171. 

Lykaon,  Tragödie  desXeudklesL  429. 

Lyko))hron,  nachalexandr.  trag.  Dich- 
ter 11,  25S.  259  ff. 

Lykurgea ,  Tetralogie  des  Aeschylos 
I,  301. 

Lykurgos,     sein     Gesetz     über    Aul- 


tuhrung  der  Dramen  des  Aeschy- 
los, Sophokles  u.  Euripides  II,  253. 

Lykurgos ,  Drama  des  Aeschylos  I, 
301.    Siehe  Lycurgus. 

Lynkeus,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  230. 

Lynkeus ,  Tragödie  des  Theodektes 
n,  252. 

Lyrische  Tragödie  I,   109. 

Lysippos,  Komödiendichter  II,  63. 

Lysis,  Kinädendichter  II,  30. 

Lysistrate,  Komödie  des  Aristopha- 
nes  II,  1*52  ff. 

Lytierses,  Satyrspiel  des  Sositheos 
II,  2.59. 

Macci,  Atellane  des  Novius  II,  329. 
—  gemini,  AteUane  des  Pompo- 
nius  II,  324.  320.  329. 

Maccus,  oskische  Charaktermaske  II, 
323.  324.  Atellane  des  Pomponius 
II,  329.  — -  Caupo,  AteUane  des  No- 
vius II,  329.  —  Exul,  Atellane  des 
Novius  II,  329. —  mües,  Atellane  des 
Pomponius  II,  324.  329.  —  Se- 
quester, Atellane  des  Pomponius 
II,  329.  —  virgo,  Atellane  des  Pom- 
ponius II,  329. 

Machon ,  nachalexandr.  Komödien- 
dichter II,  25S. 

Maecenas,  angebl.  Verf.  einer  Tragö- 
die Octavia  II,  459. 

Mädchen  von  Delos ,  Komödie  des 
Kratinos  II,  55.  —  von  Dodona, 
Komödie  des  Antiphanes  II,  215. 
— ■  das  geschlagene,  Komödie  des 
Menander  11,  237.  —  von  Knidos, 
Posse  des  Sopatros  II,  29.  —  von 
Korinth,  Komödie  des  Antiphanes 
11,  215.  —  von  Lemnos,  Komödie 
des  Antiphanes  II,  215.  —  von  Me- 
gara,  Komödie  des  Epicharmos 
11,  21. 

Mäson,  Komiker  11,  >>  f .  Erlinder  der 
komischen  Maske  11,  49. 


Register. 


6S9 


Magiies,  Verf.  von  Spottgedichten 
II,  ü;  von  Komödien  II,  üif. 

Magoden,  eine  Art  Mimenspieler  II,  25. 

Majuma  (Wasser),  Schauspiel  II,  WA. 

Makron,  Theil  der  Parabase  II,  45. 

Mandrobulos,  Tragödie  des  Kleophon 
II,  250. 

Manducus,  oskische  Charaktermaske 
II,  324. 

Marikas ,  Komödie  des  Eupolis  II, 
6C.  70. 

Marionette,  älteste,  II,  2. 

Markthallen,  die,  Komödie  des  Alexis 
II,  211. 

Marsyas ,  Erfinder  der  auletischen 
Trauern! elodien  I,  114  f. 

Marsyas,  AteUane  des  Pomponius  II, 
329. 

Marullus,  Mimograph  II,  05 1. 

Maschinen  des  griech.  Theaters  I, 
148  ff. 

Masken,  ihr  Gebrauch  in  der  röm. 
Komödie  II,  479.  Siehe  Spiel- 
maske. 

Mattenträger,  die,  Komödie  des  Her- 
mippos  11,  Ol. 

Maternus,  Curiatus,  Tragödiendichter 
II,   300.  459. 

Matertera,  Komödie  des  Atta  II,  03S. 

Matron,  dram.  Parodiendichter  II,  30. 

Mausolos ,  Tragödie  des  Theodektes 
II,  252. 

Medcia,  Tragödie  des  Euripides  I, 
434  f.  43Sf.  453.  508.  II,  361  f.  Tra- 
gödie des  Neophron  I,  430.  515; 
des  Melanthios  I,  517.  Komödie 
des  Deinolochos  II,  23;  des  Anti- 
phanes  II,  214.  Tragödie  des  Di- 
käogenes  11,  249;  des  Antiphon  II, 
250;  des  Diogenes  II,  251.  Medea, 
Tragödie  des  Ovid  II,  345;  des  (Philo- 
sophen V)  Seneca  II,  352.  300  ff.;  des 
Attius  II ,  342.  —  (Atheniensis), 
Drama  des  Ennius  II,  337.  —  exul, 
Drama  des  Ennius  II,  337. 
II. 


Medicus,  AteUane  des  Pomjionius 
II,  329. 

Medus,  Tragödie  des  Pacuvius  II, 
339  f. 

Meer-Glaukos ,  Tragödie  des  Aeschy- 
los  I,  202.  210. 

Megalensia,  Komödie  des  Atta  II,  638. 

Megalensische  Spiele,  röm.  Theater- 
zeit II,  471. 

Megalopolis,  Theater  daselbst  II,  255. 

Megarische  Komödie  II,  Of. 

Melampus  führt  den  Bakchischen 
Tanz  ein  1 ,  23  f. ;  vergeistigt  den 
Dionysosdienst  I,  40. 

Melanippe ,  Tragödie  des  Euripides 
I,  447.  511.  Melanippa,  Drama  des 
Ennius  II,  337. 

Melanippides  aus  Melos ,  Dithyram- 
bendichter I,  115. 

Melanthios,  Tragödiendichter  I,  517. 

Meleagros,  Tragödie  des  Aeschylos 
I,  304;  des  Sophokles  I,  402;  des 
Euripides  I,  447.  Posse  des  Rhin- 
thon  II ,  29.  Posse  des  Skiras  II, 
31.  Komödie  des  Antiphanes  II, 
214.  Tragödie  des  Antiphon  II, 
250.  Meleager,  Tragödie  des  At- 
tius II,  342. 

Meletos,  Tragikliendichter  I,  517.  ]L 
205. 

Melissa,  Komödie  d.  Antiphanes  II,  2 1 4. 

Melissus,  C,  Erfinder  der  Com.  tra- 
beata  II,  409. 

Melistus,  Cnejus,  Tragödien-  und  Ko- 
mödiendichter II,  037. 

Memmius,  Atellanen-Dichter  II,  330. 
508. 

Memnon ,     Tragödie    des     Aeschylos 

I,  303. 

Menaechmi,     Komödie    des    riautus 

II,  528. 

Menandros,  nächst  Pliilemon,  Gründer 
der  neuen  att.Kom.  II,207.  Lebens- 
umstände II,  230  ff. ;  Komödien  II, 
234  ff.  275;   sein  Styl  11,  245  ff. 
44 


690 


Resrister. 


Menedemos,  Satyrspiel  des  Lylioijlnoii 
II,  259. 

Meuelaos,  Komödie  des  Piaton  U,  75. 

Menschenzerreisser ,  der,  Posse  des 
Strattis  IL  78. 

Mercator,  Komödie  des  Plautus  II. 
247.  5bU  f.   Siehe  Kaufmann. 

Merope.  Tragödie  des  Agathon  I,  5 IS. 

Mesotribas  ,  Posse  des  Bläsos  II,  30. 

Metagenes,  Komödiendichter  II,  77. 

Metra  in  Seneca's  Tragödien  II,  4ö5. 

Mexikanisches  Tanzdrama  I,  97. 

Miles  gloriosus,  Komödie  des  Plau- 
tus II,  521  ff. 

Milesier,  die,  Komödie  des  Alexis 
II,  217. 

Milet ,  I^innahme  von ,  Drama  des 
Phrynichos  I,  133. 

Mimen,  Inhalt  derselben  II,  23.  M. 
des  Sophron  II,  23.  26.  Vorbild 
der  Platonischen  Dialoge  II,  24. 
Eintheüung  ders.  II,  26.  Beliebt- 
heit bei  Alexander's  d.  Gr.  Nach- 
folgern II,  26.  Von  den  Römern 
gepflegt  II,  26;  römische  II,  47U. 
639  ff. ;  ungeschriebene  Mimen  II. 
641. 

Mimetisch-dramatisclie  Darstellung  d. 
Leidens  und  Sterbens  des  Dionysos 
1 ,  48.  Minietischer  Charakter  des 
attischen  DithjTambos  I,  116. 

Mimi  =  Schauspieler  II,  255. 

Mimische  Tanzspiele  I,  47.  Mimisch- 
orchestisches  Moment  des  Drama's 
I,  108.  Mimischer  Tanzgesang  zu 
Rom  II,   315.   317. 

Mimogra]jhen  II,  23  ff.;  römisclie  IL 
645  ff. 

Minos  siehe  Kamikicr. 

Minutius  (et)  Prothonius  bedient  sich 
zuerst  (?)  einer  Maske  in  der  Tra- 
gödie 11,  479. 

Mixolydische  Tonart  des  Chorgesangs 
I,  171  ff. 

Mixtae  (conioediae)  11,  471. 


Mnesüochos ,  Euripides'  Schwiegerva- 
ter, in  Aristophanes'  Lysistrate  II, 
185  ff. 

Mnesimachos,  Dichter  der  mittl.  att. 
Komödie  II,  214.  218. 

Mnester,  Pantomimenspieler  II ,  653. 
659. 

Mommsen,  Th. ,  röm.  Geschichte  II, 
272;  über  Plautus  und  Terenz  IL 
487. 

Monate ,  die ,  Komödie  des  Epichar- 
mos  IL  20. 

Monitor,  Souft'leur,  II,  479. 

Monodien  der  Tragödie  I,  170;  der 
Komödie  II,  49. 

Moral,  die ,  in  der  neuen  att.  Komö- 
die IL  221  ff. 

Morsimos,  Tragödiendichter  L  513. 

Mortis  et  vitae  Judicium ,  Atellane 
des  Novius  II,  329. 

Morychos,  Tragödiendichter  I,  516. 

Mostellaria,  Komödie  des  Plautus  11, 
504  ff. 

Motiräung  der  Katastrophe  in  So- 
phokles' Tragödien  I,  326 f.;  bei 
Euripides  I,  427, 

Motoriae  (conioediae)  11,  471. 

Müssigen ,  die ,  Komödie  des  Kallias 
IL  64. 

Mumniius,  L. ,  führt  in  Rom  griech. 
Schauspiele  ein  II,  266.  307. 

Musen,  die,  Komödie  des  Epicharmos 
II,  17.  Komödie  des  Phrynichos 
11.  72  f.  190.  —  Geburt  der,  Ko- 
mödie des  Pulyzelos  II,  80. 

Musik,  ihre  Beziehung  zum  Drama 
1,  74 ff.;  ethische  Wirkung  dersel- 
ben I,  75 f.;  ägyptische  I,  77. 

Mykenäer  siehe  Atreus. 

Myllos,  attischer  Komiker  II,  9. 

Myniskos,  Schaus])ieler  des  Aeschylos 
L  161. 

Myrilla  siehe  Demokopos. 

Myrmidonen.  Tragödie  des  Aeschylos 
1,  303.  Tragödie  des  Attius  11,  341. 


Resister. 


691 


Myrtilos,  Kümödiendichter  II,  61  f. 
Myser,   die,    Tragödie  des  Aeschylos 

I,  304.  —  oder  Tele})lios.  Tratfödie 
des  Sophokles  I,  402. 

Mysten,  die,  Posse  des  Sopatros  II, 
29.  Komödie  des  Phrynichos  II,  74. 

Mysterien ,  ägyptische  u.  phrys^ische. 
ihr  Verhältniss  zur  Katharsis  I, 
24  if.;  heUenische  I,  38  ft".;  Eleusi- 
nische  I,  45ff. ;  Dionj'sische  I.  47  ff. 
Vgl.  Geheiniweihen. 

Mystos,  Verf.  von  Spottgedicliten  II,  (i. 

Nachbarn,   die.   Komödie  des  Krates 

II,  56. 

Nachspiele  auf  dem  röm.  Theater,  II, 
316.  320 f. 

Nacht,  die  lange,  Komödie  des  Pia- 
ton II,   7.). 

Nachtigallen,  die,  Kominlie  des  Kan- 
tharos  II,  79. 

Nänien  II,  276. 

Naevius,  Cn.,  Tragödien-  und  Komö- 
diendichter II,  332  f.  485.  637. 

Naive,  das,  als  Grundbedingung  des 
Komischen  II,  36. 

Nauclerus ,  Komödie  des  (!aocilius 
II,  636. 

Nauplios  (der  Feueran/ünderi,  Tragö- 
die des  Sophokles  1.  399;  des  Phi- 
lokles  I,  513. 

Nausikaa,  Tragödie  des  Sophokles  I. 
399. 

Nebenbuhlerin,  die,  Komödie  des  An- 
tiphanes  II,  215. 

Nemea,  Tragödie  des  Aeschylos  I, 
303.    Drama  des  p]nnius  II,  337. 

Nemesis,  Komödie  des  Kratinos  II. 
54  f. 

Neophron  aus  Sikyon,  Tragödieiidicli- 
ter  I,  436.  515. 

Neoptolemos,  Schausjjieler  II,  255. 
256.  266. 

Neoptolenius ,    Tragödie    tles    Attius 

*    II,  342. 


Neottis ,    Komödie   des  Anaxilas  II, 

201);  des  Antijdianes  II,  214. 
Nereiden ,    Tragödie     des    Aeschylos 

I,  303. 

Nero,  Kaiser,  leidenschaftlicher  Spie- 
ler des  Euripides  1 ,  415;  als  Tra- 
gödiendichter II,  350. 

Nero,  Tragödie  des  Maternus  II,  306. 
459. 

Netzmacher,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los I,  302. 

Neumonde,  die,  Komödie  des  Eupolis 

II,  68. 

Neuplatonische  Katharsis  I,  81  f. 
Niebuhr,  röm.  Geschichte  II,    270  ff. 

2^5  ff.  289 f. 
Nikochares,   Komödiendichter  II,  79. 

188. 
Nikolaos,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II ,  230. 
Nikolaos  von  Damaskus ,    Tragödien- 
dichter II,  263. 
Nikomachos,  Tragödiendichter  I,  546. 
Nikomachos,   Dichter  der  neuen  att. 

Komödie  II,  230. 
Nikophron  ,  Komödiendichter  II ,    79. 

188. 
Nikostratos,  Schauspieler  I,  161. 
Nikostratos ,   Dichter    der  mittl.  att. 

Komödie  11,  214.  217. 
Niobe,  Tragödie  des  Aescliylos  I,  303; 

des  Soi»hokles  I,  400. 
Niobea,    TrilDgie    des    Aeschylos    I, 

302  f. 
Niptra.  Tragödie  desPacuvius  II,  340. 
Nomischer  Tro])Os  I,  1 10. 
Nosten,    die,    Quelle  Sophokleischer 

Dramen  I,  390;  Euripideischer  Dr. 

I.  507. 
Notenzeichen,  nmsikal.,  bei  Grieciien 

u.  Römern  II,  479. 
Novius,    C!n.,   Atellanen -Dirbter   U, 

324.   329  f. 
Nujitiae,  Atellane  Aca  Fompoiiiiis  II, 

329. 

44  * 


692 


Register. 


Kyctegresia,  Tragödie  des  Attius  II, 
342. 

Üctavia,  Tragödie  des  Seneca(?)  II, 
306.  330.  352.  45Sif.;  Tragödie  des 
Maecenas  (V)  II ,  459 ;  des  Florus  (V) 
II,  459. 

Odyssea,  Trilogie  des  Aescliylos  I,  3o4. 

Odyssee,  die,  Quelle  Sophokleischer 
Draiiieiistoffe  I,  399  f. 

üdysseii,  die,  Komödie  des  Kratinos 
II,  54. 

Odysseus,  der  abgewaschene,  Komö- 
die des  Alexis  II,  217.  — ,  der  ra- 
sende, Tragödie  des  Sophokles  I, 
396.  — ,  der  schiffbrüchige,  Komö- 
die des  Epicharmos  II,  2ü  — ,  der 
stachelgetroftene,  Trag,  des  Aeschy- 
los  I,  304.  —  vom  Eochenstachel 
getödtet,  Tragödie  des  Sophokles 
I,  400.  II,  340.  —  der  Ueberläu- 
fer,  Komödie  des  Epicharmos  II, 
20.  — ,  der  webende,  Komödie  des 
Alexis  II,  217.  Odysseus'  Tod,  Tri- 
logie des  Aeschylos  I,  304. 

Oedipodee,  angebl.  Trüogie  des  Aeschy- 
los I,  235.  303;  Trilogie  des  Mele- 
tos  I,  517. 

Oedipus,  Tragödie  der  Thebais-Tri- 
logie  des  Aeschylos  I,  235.  —  (auf 
Kolonos),  Tragödie  des  Sophokles 
I,  168.  313.  317.  327.  352.  390ff. 
—  (König),  Tragödie  des  Sophokles 

I ,  328  ff.  — ,  Tragödie  des  Xeno- 
kles  I,  429;  des  p]uripides  I,  447. 
507;  des  Pliilokles  I,  513;  des 
Achäos  I,  515.  Tragödie  des  Dio- 
genes II,  251;  des  Theodektes  II, 
253.    Tragödie    des  C.  Jul.  Caesar 

II,  348.  Tragödie  des  (Rhetors 
Marcus?)  Seneca  II,  352.  453  ff. 

Oeneus,  Tragödie  des  Euripides  I, 
447;  des  Philokles  I,  513;  desChä- 
remon  II,  251. 

Oenomaos,    Tragödie   des   Sophokles 


I,  401;   des  Euripides  I,  447.  508; 
des  Attius  II,  342. 

Oenonas  von  Lokroi,  mimetischer 
Charakter  seiner  Chorlyrik  I,  116. 

Olympos,  Flötenspieler  I,  115. 

Olynthier,  die,  Komödie  des  Alexis 
il,  2J7. 

Omphale,  Tragödie  des  Jon  I,  514. 

Ouagos,  Komödie  des  Diphilos  II,  552. 

Opferliebhaber,  der,  Komödie  des  Me- 
tagenes  II,  77. 

Ophelio,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Opprobria  rustica  II,  32(1. 

Orchesten  II,  5. 

Orchestra  im  griech.  Theater  I,  143; 
im  röm.  Theater  II,  308. 

Oreithyia,  Tragödie  des  Aeschylos  I, 
304. 

Orest- Autokleides,  Komödie  des  Ti- 
mokles  II,  2l!5. 

Oresteia,  Trilogie  des  Aeschylos  I, 
254  ff.  304. 

Orestes ,  Tragödie  des  Euripides  I, 
463  ff.  507.  Tragödie  des  Theodek- 
tes 11,  252.  Posse  des  Rhinthon  II, 
29.    Posse  des  Sopatros  II,  29. 

Origo,  Mimentänzerin  II,  645. 

Orpheus.  Aegyptischer  Urspi-ung  sei- 
ner Geheindehren  I,  39 f.;  läutert 
den  Dionysosdienst  von  phrygisch- 
orgiastischen  Beimischungen  I,  44. 
49. 

Orplieus,  Drama  des  Aristias  I.  126. 

Osiris  identisch  init  Dionysos  1 ,  24. 
Sein  Cult  Grundlage  des  Dionysos- 
dienstes I,  40. 

Oskische  S])iele  in  Rom  II,  316.  320; 
siehe  Atellanen. 

Ovid  als  tragischer  Dichter  II,  345  f. 

Pacuvius,   M.,    Tragödiendichter   II, 

306.  338  ff. 
Päan,    Ap(dlini.sclier    (!horgesang    1, 

103;  bei  Homer  I,  103. 


Reiristcr. 


693 


Päderastie  in  Atranins'  Komödien  II, 

6:J9. 
Palästra,  Komödie  des  Alkäos  II,  7'J. 
Palamedes,    Tragödie   des  Aescliylos 

1,-304;  des  Sophokles  I,  396.  :WT  ; 

des  Eurii^ides  I,  429.  447.  507. 
Palliatae  (comoediae)  II,  409. 
Pandionis,  Tetraloi^äe  des  Pliilokles  I, 

354  f.  513. 
Pandora,  Satj'rspiel  (?)  des  So})hokles 

I.  403. 

Panopten,  die,  Komödie  des  Kratinos 

II,  55. 

Pantomimen,  röraisclie  IL  319.  652ff. ; 
von  Trajan  verboten  II,  6tiO. 

Pappus  praeteritus,  Atellane  desPom- 
ponius  und  Novius  II,  ;!29. 

Parabase  der  alten  Komödie  II,  421'.; 
ihr  Ursprung  und  Bau  II,  44  f. 

Parasit,  schon  bei  Epicharmos  aus- 
gebildeter Charakter  II,  21.  Inder 
mittleren  att.  Komödie  II,  210. 

Paraskenien  im  griechischen  Theater 

I,  146. 

Paris,  der  alt.  u.  jung.,  Pantoniimen- 
tänzer  II,  660. 

Parodie  der  Mythe  in  den  Komödien 
des  Epicharmos  II,  17.  21;  des 
Phormis   II,   53;    des   Deinolochos 

II,  23. 

Parodoi  in  der  ürchestra  des  gricch. 

Theaters  I,  145. 
Parodos  des  Chors  I,  165.  167  f. 
Pasiphae,    Komödie    des   Alk.äos   II, 

79.   ISS. 
Passionsspiel  I,  7;  kabirisches  I,  44; 

ältestes  christliches  II,  264. 
Paullus  Aemilius,   Tragödie   des  Pa- 

cuvius  II,  :J06,  341. 
Pegasos  aus  Eleutherä  führt  diePlial- 

lo])horien  in  Attika  ein  II,  4. 
Peirithoos,  Tragödie  des  Euripides  I, 

447.510.  Tragödie  d.  Kritias  II,  250. 
Pelagia,    Scliutzpatronin    der   Schau- 
spielerinneu II,  665. 


Pelarger,    Komödie  des  Aristophanes 

II,  205. 
Peleus,    Tragödie    des   Aeschylos    I, 

301.     Tragödie    des    Euripides    I, 

447.  507. 
Peliaden,    die ,   Tragödie    des  Euripi- 
des I,  410.  447.  508.   Tragödie  des 

Gracchus  II,  346. 
Pelopidae,    Tragödie    des   Attius  II, 

342. 
Penelope ,  Tragödie  des  Aeschylos  I, 

304;  des  Pliilokles  I,  513. 
PenthesUea,  Tragödie   des  Aeschylos 

I,  .303. 

Pentheus,  Drama  des  Thespis  I,  119. 
121.  Tragödie  des  Aeschylos  I, 
301  f.  Tragödie  des  Pacuvius  II, 
341. 

Periaktoi  der  griecli.  Bühne  I,  148. 

Periboea,  Trag,  des  Pacuvius  II,  341. 

Perikles,  von  den  Komikern  verspot- 
tet II,  53  f.  59.  60. 

Peripetie,  kunstvolle,  in  Sophokles' 
Tragödien  I,  323;  bei  Euripides  I, 
431.  479    481. 

Perrhäberinnen ,  die ,  Tragödie  des 
Aeschylos  I,  304. 

Persa,  Komödie  des  Plantus  II,  561  f. 

Perseis,  Trilogie  des  Aeschylos  I,  303. 

Perser,  die,  des  Aeschylos  I,  200. 
202  tf.  Komödie  des  Chionides  II, 
9.   Komödie  des  Epicharmos  II,  20. 

Perseus,  Komödie  des  Phormis  II,  23. 

Persidae,  Tragödie  des  Attius  II, 
342. 

Peruanisches  Drama  I,  98  f. 

Petala,     Komödie     des    Pherekrates 

II,  58. 
Petauristae  II,  255. 

Phädra,  Tragödie  des  Sophokles  I, 
402.  Tragödie  des  Agathen  I,  518. 
Racine's  verglichen  mit  Euripides' 
Hijjpolytos  I,  456  tr. 

Pliädros,  Komödie  des  Alexis  II,  216. 

Phaedrus,  Mimograph  II,  651. 


694 


Reerister. 


Phaeton  (Klymene),  Tragödie  des  ¥a\- 

ripides  I.  447.  510. 
Phallische  Lieder  II,  4. 
Phallos-Cult  II.  3  f. 
Phaon .    Komödie  des  Piaton  II.  7.5. 

Komödie  des  Aiitiphanes  II,  214. 
Phasma ,   Komödie  des  Menander  11. 

2351".  242.    Mimus  des  CatuUus  II. 

651. 
Phereki'ates  ,      Komödiendichter     II. 

57  ff. 
Pherentinas,    Komödie    des    Titinius 

II,  63S. 
Philemou,  Komödiendicbter  II,  524  f. 
Philemon,  Dichter  der  neuen  att.  Ko- 
mödie n.  230.  232.   233.  241.  245f. 

247.  .524.  552.   561. 
Philetäros,    Dichter    der    mittl.   att. 

Komödie  II,  214. 
Philetäros ,   Komödie    des  Philonides 

n.  62. 

Phüeuripides,  Komödie  des  Axionikos 
II,  212. 

Philinna,  Komödie  des  Hegemonll.  65. 

Philippides ,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  11,  230.  248. 

Philijipides ,  Schauspieler  des  Sopho- 
kles I,  161. 

Phüip])os ,  Dichter  der  mittl.  att. 
Komödie  II,  214. 

Philiskos,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie n,  214.  218. 

Philiskos ,  nachalexandr.  Tragödien- 
dichter II,  25S.  261. 

Philistion.  Lustspieldichter  II,  30. 
Mimograph  II.  650. 

Philokles,  Tragödiendichter  I,  344. 
3.54  t.  513.    II,  254. 

Philoktetes,  Tragödie  des  Aeschylos 
I,  304;  des  Sophokles  I,  369  ff.  397; 
des  Euripides  I,  436.  447.453.507; 
des  Philokles  I,  513.  Komödie  des 
Epicharmos  II,  20.  Komödie  des  Aii- 
tijihanes  II,  214.  Tragödie  des  An- 
tiphon  II ,   250  ;     des    Theodektcs 


U.  253.  Philocteta.  Tragödie  des 
Attius  II,  342. 

Philonides,  Schauspieler  und  Komö- 
diendichter n,  62  f.  132  f.  204.  217. 

Philosoph,  der  seenische,  Beiname 
des  Euripides  I,  410. 

Philosophia,  AteUane  des  Poniponins 
II,  329. 

Philosophie  ,  ionische  u.  pythago- 
räische,  ihr  Einfluss  auf  die  Ent- 
wickelung  des  Drama's  I.  60  ff. 
66  IV. 

Phüostephanos ,  Dichter  der  neuen 
att.  Komödie  11,  230. 

Phüostratos  d.  alt.,  Tragödien-  u. 
Komödiendichter  11.  263. 

Phüotis ,  Komödie  des  Antiphanes 
IL  214. 

Pliüoxenos  aus  Kj-thera,  Dithyram- 
bendichter I,  115. 

PhüyUios.  Komödiendichter  IL  79. 

Phineus.  Tragödie  des  Aeschylos  I, 
202.  209  f.  Tragödie  des  Sophokles 

I,  401. 

Phinidae,  Tragödie  des  Attius  11,  342. 

Phlyaken  .  Stegreif-Possenreisser  IL 
5!  28. 

Phönikides .  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  11,  230. 

Phönissen,  die,  des  Phrynichos,  1,132. 
Tragödie  der  Thebais-Trilogie  des 
Aesch3dos  nach  Welcker  I,  234  f. 
303 ;  des  Euripides  I,  234.  426.  476. 
478.  507.  n,  206.  Komödie  des 
Aristophanes  IL  206.  AteUane  des 
Novius  II,  330.  Tragödie  des  Seneca 

II,  442  ff". 

Phönix ,  Tragödie    des    Sophokles    I, 

397.   Tragödie  des  Euripides  I,  447 ; 

des  Jon  I,  514.   Drama  des  Ennius 

n,  337. 
Phorkiden ,    Tragödie    des  Aeschylos 

I,  303. 
Phormio,    Komödie    de.>   Tcrenz,    11, 

248.  618  ff. 


Roüister. 


695 


Phoriuis  oder  Plionnos ,  Kumüdicn- 
dichter  II,  7.  Lebensunistäiide  II, 
22.  Theaterprunk  durch  ihn  ein- 
gefühi-t  n,  22.    Titel  seiner  Stücke 

n,  22  f. 

Phratores,  Koinödie  des  Leukon  II, 
«9.  77.  143. 

Phrixos ,  Tragödie  des  Sophokles  I, 
401;  des  Euripides  I,  447.  5US; 
des  Achäos  I,  515. 

Phryger,  die,  Tragödie  des  Aeschy- 
los  I,  303.  304. 

Phrygische  Geheimweihen  ,  ihr  Ver- 
hältuiss  zur  Katharsis  I,  24.  Ton- 
art des  Chorgesangs  I,  171. 

Phrynichos,  Schüler  des  Thespis  I, 
119.  127;  seine  Dramen  1,  132  tt".: 
Verf.  von  Tetralogien  I,  175. 

Phrynichos  aus  Athen ,  Komödien- 
cUchter  11,  72  ff.  190. 

Phthiotides ,  Tragödie  des  Aeschylos 

I,  304. 

Physiologos  ,     Posse     des     Sopatros 

II,  29. 

Pictores ,    Atellanc    des    Pomponius 

U,  329. 
Pindaros,  seine  Dithyranibcnl,  109. 1 1 5. 
Piscatores ,    Atellanc  des  Pomponius 

n,  329. 
Pithon,     Komödie     des    Epicharmos 

II,  20. 
Planijiedaria  (comoedia)  U,  470. 
Plauipedes,    Darsteller    von    IVIimen 

n,  Ü41. 

Planijtedia  so  viel  wie  Mimenspiele 
II,  041. 

Platou,  seine  Gedanken  über  Tragödie 
und  Komödie  I,  79.  80.  II,  89. 
Verspottet  in  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  217. 

Piaton,  Komödiendichter,  II,  75  f.  19(i. 

Piaton  ,  Komödie  des  Aristojihon 
II,  217. 

Plautus  ,  Marc.  Accius ,  Komödien- 
dichter  11,  31.  247.  320.  471.  4S(I  il'. 


Name  und  Lebensumstände  II,  4SI. 

Urtheile  über  um  U,  483  ff.  Vers- 

maass    seiner  Lustspiele  II.  487  ff.; 

seine  Komödien    IL  492  ff.    500  ff. 

504  ff.  521  ff.  524  ff.  528  ff.  532  ff. 

539  f.    540  ff.  543  ff.   547  ff".  549  f. 

550  ff.   552  ff.  500  f.    561  f.  562  f. 

563  ff.    566.  ()27. 
Plebei  (ludi),  röm.  Theaterzeit  II,  472. 
Pleisthenes ,  Tragödie   des  Euripides 

I,  447.  508. 
Pleuronierinnen,  die.  Drama  des  Phry- 
nichos I,  134. 

Plocium,    Komödie  des  CaeciHus  II, 

636. 
Plutarch  ,    sein   Urtheil  über  Aristo- 

phanes  II,  91  ;    über    die   Sprache 

der  neuen  att.  Komödie  U,  245. 
Plutoi,  Komödie  des  Ki-atinos  II,  55. 
Plutos ,  Komödie  des  Archippos  II, 

76.    Komödie  des  Aristophanes  IL 

S9.  1S8  ff. 
Pnigos,  Theil  der  Parabase  11,  45. 
Poastria,  Komödie  des  Magnes  II,  11. 
Podium  des  röm.  Theaters  II,  30S 
Poenulus,    Komödie    des  Plautus  II, 

532  ff.- 
Poesie,  die,  Komödie  des  Ajitiphanes 

n,  212. 

Politik  in  der  Tragödie  I,  355.  467  f. 
Pollio,  Asinius,  Tragödiendichter  II, 

345 ;  Vrf.  von  Lesetragödien  II,  355. 
Polos,    Schausjdeler  1,  161.    IL  254. 

256. 
Pülumeui ,     Koinödie     des    (Jaecilius 

II,  636. 

Polydektes ,  Tragödie    des  Aeschylos 

I,  303. 

Polyeidos,    Tragödiendichter  IL  253. 

Polyeidos,  Tragödie  des  Euripides  I, 

447.      Komödie    des    Aristophanes 

II,  205. 

Poly])liradmon,  Sohn  des  Phrynichos, 

Verf.  von  Tetralogien  L   175. 
l'oly  .\c)ia,  Tragödie  d.  Sophokles  1, 398. 


698 


Kesister. 


Polyzelos.  Koraödiendichter  II,  Sü. 
Poinpejus  Magii.,  Erbauer  des  ersten 

steinernen    Theaters    zu    Eom    IL 

307.  310. 
Poinponius.  von  Bononia,  Atellaueu- 

Dichter  II,  324.  326.  328  f. 
Pomponius  Secundus,  Tragödiendicli- 

ter  II,  347. 
Pomponius,  Tragödien-  und  Komö- 

diendiehter  II,  637. 
Porcaria,    Posse    des  Pomponius  II, 

326. 
Pornoboskos,  Komödie  des  Posidip- 

pos  II,  24S. 
Porticus  am  röm.  Theater  II,  312. 
Posidippos ,   Dichter   der  neuen  att. 

Komödie  II,  230.  248. 
Potamier,  die,  Komödie  des  Strattis 

II,  79. 
Potheinos,  Puppenspieler  I,  49S. 
Praecinctio  I,  142;  des  röm.  Theaters 

II,  3üS. 
Praeco  des  röm.  Theaters  II,  313. 
Praestigiatores  II,  255. 
Praetextae  (fabulae)  II,  306.  330. 
Praetor  urbanus,  Veranstalter  sceni- 

scher  Darstellungen  II,  472. 
Pratinas  von  Phlius,  Satjrspiel-Dioh- 

ter    I,  123;    siegt   über  Aeschylos 

I,  123 ;  Verfasser  von  Tetralogien  (V) 

I,   125.  175. 
Preise  bei  den  dramat.  Wettkämpfen 

I,   182. 
Preisrichter    bei    den   dramat.  Wett- 
kämpfen I,  ISO  f. 
Priamos ,     Tragödie     des     Philokles 

I,  513. 

Priester,  die,  Drauui  desThespisI,  121. 

Priesterinnen,  die,  Tragödie  des  Ae- 
schylos I,  303. 

Privata  (spectacula)  II,  473. 

Privigna,  Komödie  des  Titinius  II, 
638. 

Proagon,  Komödie   des  Aristophanes 

II,  133.  204. 


Proaulion  im  trag.  Chorgesang  L  170. 

ProbevorsteUungen  auf  der  röm.  Bühne 
II,  473. 

Prokerygma,  Theil  der  Parabase  II, 
45. 

Prolog  von  Thespis  erfunden  I,  117; 
in  der  griech.  Tragödie  I,  166; 
von  Aesch_ylos  in  den  Eumeniden 
angewendet  I,  295;  bei  Euripides 
I,  416;  der  Komödie  II,  49.  237  f. 
Arten  desselben  11,  627. 

Promrthee,  Trilogie  des  Aeschylos 
I,  236. 

Prometheus  (der  gefesselte),  von  Ae- 
schylos I,  186  ff.  236  ff.  II,  172  f. 
—  (Feuerlanger\  Tragödie  der  Pro- 
metheus-Trilogie  des  Aeschylos  I, 
190.  236.  —  (Feueranzünder),  Sa- 
tyrspiel zu  Aeschjdos'  Perser -Tri- 
logie I,  209.  211.  —  (der  gelöste), 
Tragödie  derPromethee  des  Aeschy- 
los I,  236.  251  ff.  -  (der  befreite), 
Tragödie  des  Attius  nach  Aeschy- 
los I,  251  f.  II,  341.  —  Mimos  des 
Sophron  II,  27. 

Propompoi,  Tragödie    des  Aesch)dos 

I,  303. 

Proskenion  im  griech.  Theater  I,  146. 

Prospaltier,  die,  Komödie  des  Eupo- 
lis  II,  69. 

Prostibulum ,  Atellane  des  Pompo- 
nius II,  329. 

Protagonistes ,  erster  Schauspieler  I, 
159;     zugleich     Schauspieldirector 

II,  255. 

Protesüaos ,    Tragödie  des  Euripides 

I,   447.  507. 
Proteus ,  Satyrspiel  zur  Oresteia  des 

Aeschylos  I,  254.  304. 
Prytanen,  die,  Komödie  des  Teleklei- 

des  II,  .59. 
Pseudo-Herakles,  Komödie  des  Pherc- 

krates  II,  59. 
Pscudolus,  Komödie  des  Plautus  II, 

540  ff. 


Ro^äster.  697 

Psychagogen,  die,  Tragödie  des  Ae-  Rhadamanthys ,   Tragödie  des   Euri- 

schylos  I,  .304.  pides  I,  447. 

Psychasten,  die,  Komödie  des  Strat-  Rhesos ,    Tragödie    des  Euripides  1, 

tis   II,  78.  500  ff. 

Psychostasie ,  die,  Tragödie  des  Ae-  Rhetorisches    Element   der   Tragödie 

schylos   I,  'My.i.  II,  2.52.   Bei  Seneca  II,  -iöö. 

Publius     Syrus  ,     Mimeiulichter     II,  Rhinon ,    Komödie  des  Archippos  II, 

648  ff.  76.   84. 

Pulpitura  des  röm.  Theaters  II,  308.  Rhinthon,  Dichter  tragischer  Fargen 

Pupins.  Verf.  von  Rührstücken  II,  349.  II,  28.  471.  .564. 

Puppenfabrikant,  der,    Komödie  des  Rhinthonicae  (comoediae)  II,  471. 

Antiphanes  II,  215.  Rhodoclea,    Pantomimentänzerm   II, 

Puppenspiele  in  Athen  I,  498.  662. 

Putzmacherin,  die,  Komödie  des  An-  Ricinati  =  Miraenspieler  II,  642. 

tiphanes  II.  215.  Ricinium ,    zum  Costüm   der  Mimen- 

Pylades ,     PantomimendarsteUer    II,  spieler  gehörig  II,  642. 

653.  654.  656.  659.  Rinderhii-ten,  die,  Komödie  des  Kra- 

Pyläa,  Komödie  des  Kratinos  II,  55.  tinos  U,  55. 

Pyrrha  u.  Prometheus,  Komödie  des  Ritter,  die,  des  Aristophanes  II,  66. 

Epicharmos  II,   18.  84  f.  105  ff. 

Pyrrhiche,  Waffentanz  des  dithyramb.  Römer  und  Hellenen  II,  268  f.  Rom. 

Chors  I,  124.  134.  Kunst  II,  273  f.;  altröm.  Lyrik  II. 

Pythagoras  ,    Einfluss    seiner   Philo-  279  f.;  altr.  Epen  II,  285  ff. 

Sophie    auf    die    Entwicklung    des  Rom ,    Einführung    griech.    theatral. 

Drama's   I,  68  ff.;    seine   niusika-  Vorstellungen  daselbst  II,  26b. 

lische  Katharsis  I,  69.  Romani  (ludi),    röm.  Theaterzeit  II, 

Pythagorist,  der,   Komödie  des  Ari-  472. 

stophon  II,  208.  Romantisches  Drama  I,  102. 

Pythagorizusa ,    Komödie   des  Alexis  Romulus .   Tragödie   (Komödie?)  des 

II,  216.  Naevius  II,  .332.  637. 

Roscius    Gallus ,     Schauspieler ,     ge- 

Querulus,    Komödie    des   Plautus  (V)  braucht  zuerst  ausnahmsweise  bei 

II,  566.  den  Römern  die  Gesichtsmaske  II, 

327.  479. 

Racine  siehe  Phadra.  Rudens ,    Komödie    des    Plautus   II, 

Räthselspiele,  Lustspiolart  der  mittl.  528  ff. 

att.  Komödie  II.  213.  Rührstücke,    römische,    des   Pui>ius 

Räubereien ,    Komödie    des    Epichar-  II,  349, 

mos  II,  20.  Rührungs-Tragik  I,  351.  427  f. 
Recensionen,  neue,  bereits  aufgefiihr-  Rufus,  Antdiiius,  Tragödien-  und  Ko- 
ter Dramen  I,  182.  niiHliendichter  II,  637. 
Recitationen  aus  Tra,gödien  II,  265  f.  Rundchöre   I,  109.  1 10. 
Regel,  G.,  über  das  röm.  Drama  II,  296. 
Rettungslosen,  die,  KoniiWlic  des  Eu-  Säulenhalle    als    Umschliessung    des 

thykles  II,  8o.  Theaters  1,  112. 


698 


Register. 


Salaiuiuerimien ,   die,    Tragödie    des 

Aescliylos   I,  303.  363. 
Salische    Priester    und    Gesänge    II, 

277. 
Samier ,    die ,    Komödie    des   Krates 

II,  56. 
Sannion,  Chorlehrer  I,  171. 
Sanniones,  Possenreisser  11,  640.    — 

Atellane  des  Novius  II,  330. 
Sannyrion ,   Koniödiendichter   II,  79. 

205.  640. 
Sappho ,  Komödie  des  Amei])sias  11, 

76.     Komödie   des  Antiphanes  II, 

212.   214. 
Satira,  Atellane  desPomponius  11,  32'J. 
Saturae.  in  Rom  aufgeführt  II,  315. 

317.  319. 
Saturio,  Lustspiel  des  Plautus  11,482. 
Saturuischer  Vers  II,  279. 
Saturnus,  Posse  des  Bläsos  II,  31. 
Satyrchor,  äolisch-ionischer  I,  112  f.; 

in  Versen  I,  114.   Rundtanz  dessel- 
ben I,  124. 
Satyrn  ,    die ,    Komödie  des  Ekphan- 

tidesll^ll.   Komödie  des  Kratinos 

II,  64.  105.    Komödie  des  Phryni- 

chos  II,  74. 
Satyros,  Schauspieler  II,  254. 
Satyrspiel  I,  122  ff.;  ohne  Begleitung 

von  Tragödien  I,  125. 
Sau,  die,  Komödie  des  Kephisodoros 

II,  80. 
Scabillum  (Tactschämel)  II,  478. 
Scaurus ,   Mamercus   AemiUus ,   Tra- 
gödiendichter n,  350. 
Scaurus,  Aemil.,  sein  Theater  zu  Rom 

II,  309. 
Scena    des   röm.  Theaters    II,  30S  f. 

Siehe  Skene. 
Scenenwechsel   in   Aeschylos'   Eunie- 

niden  I,  295  f.;  in  Sophokles'  Ajas 

I,  361;  in  der  Komödie  II,  50  f. 
Scenici  (ludi)  II,  473. 

Schätze,  die,  Komödie    des  Kratinos 

II,  55. 


Schafmeister,  der,  Komödie  des  An- 
tiphanes II,  215. 

SchaUgefässe  im  Theater  I.  143. 

Schatz,  der,  Komödie  des  Philenion 
II,  247.  524  f.   Vrgl.  Thesauros. 

Schaukelfest  in  Athen  I,  118. 

Schauspieldireetor  hei  den  Römern 
n,  473. 

Schauspieler  von  Thespis  eingeführt 

I,  117;  Name  I,  120;  zwei  des 
Phrjarichos  I,  133;  drei  des  Sopho- 
kles I,  158.323.  —  des  Aeschylos, 
Sophokles  und  Eui'ipides  I,  161. 
—  als  Stand  II,  255,   —  römische 

II,  473.  —  für  ehrlos  erklärt  im 
Cod.Theod.  11,661 ;  im  Cod.  Justin. 
11,  662. 

Schauspieler-Privilegien  II.  266. 
Schauspielkunst  11,  254. 
Schauspielwesen  der  nachalexandrni. 

Zeit  n,  264  f. 
Schelmenhasser ,   der ,    Komödie    des 

Antiphanes  II,  211. 
Schicksal ,   das ,    seine  Rolle  in    den 

Dramen  des  Euripides  I,  435.  466. 
Schicksalsgöttinnen,  die,  Komödie  des 

Hermippos  11,  60. 
Schicksalsidee  des  Aeschylos   I,  187. 

194  f. 
SchiUer,  sein  Urtheil  über  Euripides' 

Iphigenia  in  Aulis  I,  189. 
Schlauchspringen    an  den  ländlichen 

Dionysien  I,  135. 
Schlegel,  A.  W.,  Gegner  des  Euripides 

I,  417.  456  f.  483.  Seine  Umarbeitung 

des  Jon  von  Euripides  1, 473.    Ueber 

Moral  des  Lustspiels  11,  221  f. 
Schleuder,  die,   Komödie  des  Aniei- 

psias  II,  76. 
Schmähungen,  die,  Komödie  des  Ly- 

sippos  11,  63. 
Schmarotzer,  die,  Komödie  des  Eupo- 

lis  II,  69.  143. 
Schmeichler,  der,   Komödie  des  Me- 

nander  II,  606. 


Eegister. 


699 


Schnitter,  die,  Satyrspiel  des  Euriiii- 
des  I,  436.  447.  453. 

Schömann,  G.  F.,  über  die  Pronie- 
thens-Idee  bei  Aeschylos  I,  192. 

Schiitzinnen ,  die ,  Tragödie  des  Ae- 
schylos I,  303. 

Schuld,  tragische,  I,  326.  367  tf.  3S6  ff. 
393  f. 

Schiilphilosophie  von  Euripides  in 
die  Tragödie  eingeführt  I.  40.ö  f. 
455  f.  477. 

Schutzflehenden ,  die  ,  des  Aeschylos 
1,211.  213ff.  303.  Tragödie  des  Eu- 
ripides I,  433.  466  ff. 

Schwebemaschine  des  griech.  Thea- 
ters I,  148. 

Schwestern,  die  buhlenden,  Komödie 
des  Alkäos  II,  79. 

Schwiegermutter,  die,  Mimos  des  So- 
])hron  II,  27.  Lustsp.  d.  Terenz 
II,  5S(). 

Schwimmerinnen,  die,  Komödie  des 
Alkinienes  II,  62. 

Seemann,  der,  Mimos  d. Soi)hron  11,27. 

Seiltänzer  II,  255. 

Selbstverschuldung  als  draniat.  Mo- 
ment I,  16.  63. 

Selbstzweck  der  Kunst  I,  418  1".  II, 
96.   198. 

Semele  (oder  die  Waffenträger),  Tra- 
gödie des  Aeschylos  l,30l.  —Tra- 
gödie des  Diogenes  II,  251.  -  die 
blitzgetroffene,  Tragödie  des  Spin- 
tharos  II,  253. 

Senar,  Versmaass  der  röni.  Tragödie 
II,  306.  —  der  komische  II,  487  f. 

Seneca,  L.  Annaeus ,  Tragödiendich- 
ter I,  415.  II,  306.  330.  351  ff. 
Streit  über  s.  Person  II,  352  ft'. 
Verschiedene  UrtheUe  über  s.  Dra- 
men II,  354  ff.  Seine  Tragödien 
II,  360  ff".  3S3  ff.  405  ff.  414  ff. 
429  ff.  436  ff.  442  ff.  447  ff.  453  ff. 
458  ff.  Seneca  (der  Philos.)  über  die 
Mimenspiele  II,  643  f. 


Sentimentalität  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  244. 

Sergius,  Mimentänzer  II.  644. 

Seriphier,  die,  Kom.  d.  Kratinos  II,  55. 

Sieben  gegen  Theben,  die,  Tragödie 
des  Aeschylos  I,  1031.  221  tf.  303. 
426.  —  die,  vor  Theben,  Komödie 
des  Alexis  II,  217. 

Siebengestim,  tragisches,  II,  258. 

Siege,  die,  Komödie  des  Piaton,  II,  75. 

Sikinnis,  Tanz  des  Satyrchors  1, 124. 

Sikyonier,  Erfinder  der  Tragödie  nach 
Themistius  I,  112. 

Sillen  II,  30. 

Simonides  aus  Keos,  seine  Dithyram- 
ben I,  109.   115. 

Simos,  Kinädendichter  11,  30. 

Simplos ,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  II,  230. 

Siparium,  kleiner  Vorhang  im  röm. 
Theater   II,  312. 

Sirenen,  Komödie  des  Epicharmos  II, 
20.  Komödie  des  Nikophron  II,  79. 

Sisyphos,  Tragödie  des  Sophokles 
I,   402.     Satyrspiel   des    Euripides 

I,  429.  447.    Tragödie  des  Kritias 

II,  250.  —  Steinwälzer,  Tragödie 
des  Aeschylos  I,  304.  —  Ausi-eisser, 
Satyrspiel  des  Aeschylos  I,  305. 

Situationen  fehlen  in  der  Aristoi)ha- 

nischen  Komödie  U,  103  f. 
Sitzstufen  im  Tlieater  1, 142;  im  röm. 

II,  307 ;    getrennte    für   Volk    und 

Senat  II,  307. 
Skeiron,   Satj'rspiel  des  Euripides  I, 

447.  Komödie  des  I]picharmos  11,20. 
Sklaven  als  Träger  der  Intrigue  in  der 

neuen  att.  Komödie  II,  242  ;  in  der 

röm.  Komödie  II,  552  ff. 
Sklavenscliuhneister,    der,     Komödie 

des  Pherekrates  II,  57. 
Sklaverei ,    Ansicht  von  derselben   in 

der  neuen  att.  Komödie  II,  241. 
Skene,  die,  im  griech.  Theater  I,  145  f. 

Siehe  Scena. 


700 


Register. 


Skeneugebäude ,   das   griecliische ,    I, 

145  ff. 
SkenenAvand,  die,  im  griech.  Theater 

I,  145  f.;  bewegliche  I,  148  f. 
Skiras,  Possendichter  II,  29.  3ü. 
Skyriai,    Tragödie    des   Euripides  I, 

447.  507. 

SkjTieriunen ,  die ,  Tragödie  des  So- 
phokles I,  .396. 

Socrus,  Komödie  des  Atta  II,  638. 

Sokrates ,  seine  Verspottung  durch 
Aristophanes  II,   117  f.  174. 

Soldat,    der,    Komödie     des    Alexis 

II,  216. 

Soldaten,  die,  Komödie  des  Hermip- 
pos  II,  61. 

Solon,  sein  Urtheil  über  das  Theater 
des  Thespis  I,  119. 

Sonderling,  der,  Komödie  des  Phry- 
nichos  II,  73.  152. 

Sopatros ,  Verfasser  von  Mimen  in 
rhythmischer  Prosa  II,  23.  24. 
Lebensumstände  II,  25.  Possen- 
dichter II,  29. 

Sophilos,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Sophisten,  die,  Kom.  des  Piaton  II,  75. 

Sophokles  I,  305  ff. ;  tritt  zuerst  mit 
Einzeldramen  auf  I,  174.  177.  315. 
321;  seine  Tragik  I,  305  ff.  Lebens- 
umstände I,  308  ff.  Sein  Sieg  über 
Aeschylos  I,  309.  Verhältniss  zu 
Euripides  I,  314.  Tod  I,  307  ft".  315. 
Verglichen  mit  Aeschylos  und  Euri- 
pides I,  320.  Seine  Tragödien  1, 280  ff. 
328  ff".  352  f.  357  ff".  364  ff.  369  ff,  374  ff. 
382  ff".  390  ff'.  Verloren  gegangene 
Dramen  1,  395  ff.  Der  Rhesos  des 
Euripides  ihm  zugeschrieben  1,501. 

Sophokles  der  Jung.  1,  312. 

Sophokles  aus  Athen ,  nachalexandr. 
Tragödiendichter  \l,  258. 

Sorix,  Archimimus  II,  644. 

Sosipatros,  Dichter  der  neuen  att. 
Komödie  II,  230. 


Sosiphanes,  nachalexandr.  Tragödien- 
dichter II,  253.  258.   261  f. 

Sositheos ,  nachalexandr.  Tragödien- 
dichter II,  258.  259. 

Sotades  v.  Maronea,  Kinädendichter 
II,  30. 

Sotades,  Dichter  der  mittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Spectacula  privata  bei  den  Römern 
II,   473. 

Sphinx,  Satyrspiel  zur  Thebais-Tri- 
logie  des  Aeschylos  I,  235.  303. 

Spielmaske,  ilir  Ursprung  I,  54 ;  die 
drei  Sp.  des  Thespis  I,  121 ;  des 
Chörüos  I,  127;  Frauenmasken  I, 
127.  Verschiedene  Arten  I,  157  f.; 
komische  II,  49.;  bei  den  Römern 
II,  327.;  in  den  Mimen  nicht  ge- 
braucht II,  642;  wohl  aber  in  den 
Pantomimen  II,  655. 

Spintharos,  Tragödiendichter  II,  253. 

Sponsa  Pappi,  Atellane  des  Pompo- 
nius   II,  329. 

Sprechbühne    des    griech.    Theaters 

I,  147. 

Sprichwörter,  Lustspielart  der  mittl. 
att.  Komödie  II,  213. 

Spruchweisheit  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  234  f.  240  f.;  der  röm. 
Mimen  II,  643  f.  648  f. 

Ständemasken  der  mittl.  att.  Komödie 

II,  209  ff. 

Starren,  die,  Komödie  des  Teleklei- 
des  II,  60. 

Stasima  der  griech.  Tragödie  I,  168  ff". 

Statariae  (comoediae)  II,  471. 

Stephanos,  Dichter  der  mittl.  att. 
Komödie  II,  214. 

Stesichoros  ,  seine  heroisch  -  mythi- 
schen (Hiöre  1,  108. 

Sthenelos,  Tragödiendichter  I,  517. 
II,   254. 

Sthenoboia ,  Tragödie  des  Euripides 
I,  447. 

Stichus,  Komödie  d.Plautus  II,  547  ff'. 


Realster. 


701 


Strabo,  Jul.  Caesar,  Tragödiendichter 
II,  34S. 

Strack ,  über  das  Dionysostheater  in 
Athen  I,  läU  i^. 

Strato ,  Dichter  der  niittl.  att.  Ko- 
mödie II,  214. 

Strattis,  Komödiendichter  II,  78. 

Strophe ,  als  Theil  der  Parabase  II, 
44.  45. 

Stroplüsclie  Form  der  ('höre,  durch 
Arion  eingeführt  I,  109. 

Stumpfsinnige  Menschen  s.  Kophoi. 

Sturnibedrängten  ,  die .  Komödie  des 
Kratinos  II,  68. 

Styl  der  alt-  und  neuattischen  Ko- 
mödie II,  244  ft". 

Subucula,  Gewand  der  Mimentänze- 
rinnen II,  645. 

Sühnidee  im  Drama  I,  7.  Vrgl.  Ka- 
tharsis. 

Süvern  über  Aristophanes'  Vögel  II, 
175. 

Sulla ,  Liebhaber  von  Mimen  II, 
642.  644. 

Supplicatio,  Komödie  des  Atta  11,638. 

Susanna,  Tragödie  des  Nikolaos  von 
Damaskus  II,  263. 

Susarion  aus  Tripodiskos  in  Megaris, 
Dichter  komischer  Chöre  II,  6. 

Syleus,  Satyrspiel  des  Euripides  1, 447. 

Synapothnescontes,  Komödie  des  Di- 
philos  und  Plautns  II,  627. 

Synaristosae,  Komödie  des  (Jaecilius 
II,   636. 

Synei)hebi ,  Komödie  des  (Jaecilius 
II,   636. 

Synodos  =Scliaus]>i('k'rtriip]ie  11,255. 
266. 

Syrakus,  Theater  zu,  II,  22. 

Syrakusanerinuen ,  die,  des  Tlieokrit 
11,  27. 

Syrus  siehe  Tublius. 

Tabernariae  (comoediue)  11  .  461). 
637  f. 


Tagenisten,  die,  Komödie  des  Aristo- 
phanes II,  205. 

Tantalos,  Tragödie  des  Phrynichos 
I,  134. 

Tanz,    seine  Beziehung   zum  Drama 

I,  75  f.  Arten  I,  124. 
Tanzart,  italische  II,  654. 
Tanzdrama  der  Mexikaner  I,  97. 
Tanzgesang,  mimischer,  in  Rom  II, 

315.  317. 
Tanzschulen,  römische  II,  654.  656. 
Tanzspiele,  mimische,  I,  47. 
Tarentiner,    die    Hilarotragödie    bei 

denselben  II,  28. 
Tarentiner,  die,  Komödie  des  Alexis 

II,  216. 

Taucher,  die,  Komödie  des  Eupolis 
II,  65.  71. 

Taurier,  die,  Komödie  des  Antipha- 
nes  II,  215. 

Taxiarchen,  die,  Komödie  des  Eupo- 
lis II,  67. 

Technitai  =  Schauspieler  II,  255. 

Telamo,  Drama  des  Eunius  II,  337  f. 

Teleklcides,  Komödiendichter  II,  43. 
59  f. 

Telephos ,  Tragödie  des  Aeschylos 
I,  304.  Tragödie  des  Euripides  I, 
447.  448.  507;  des  Agathon  I,  51s. 
Komödie  des  Deinolochos  II ,  23. 
Posse  des  Rhinthon  11,  21).  Tra- 
gödie des  Kleophon  II,  251.  Tele- 
})hus,  Drama  des  Ennius  II,  337. 
des  Attius  II,  342.    Siehe  Myser. 

Telmossier,  die,  Komödie  des  Aristo- 
phanes II,  2)16. 

Temeniden  ,  die,  Tragiklie  (b's  Euri- 
pides I,  447.  509. 

Temeu(^s ,  Tragiklie  des  Eurii)ides 
I,  447. 

Tercntius  Afer,  Ptiblius,  KomiHlien- 
dichter  U ,  248.  485 ;  verglichen 
mit  Plautus  II,  487.  Lebensum- 
stände II.  5)17  f.  Charakter  seiner 
Stücke  II,  5)is  ir.    Seine   Lnsispiele 


702  Reifister. 

II,  573  fF.    580  ff.     593  ff.   60«  ff.  Tliebaide,  dem  Seneca  von  Manchen 

(JlS  ff.  020  ff".  abgesprochene  Tragödie  II.  353. 

Tereus ,   Tragödie    des  Sophokles    I.  Thebais,   Trilogie    des    Aeschylos    I, 

402;  des  Philokles  I,  5J3.  Komödie  234  f.    303.     Tragödie    des    Attius 

des  Kantharos  II,  79.   Tragödie  des  11,342.  Tragödie  des  Seneca  II,  442. 

Liv.  Andronicus  II.  331  ;  des  Attius  Theodektes,  Tragödiendicliter  II,  252  f . 

II,   342.  Theodora ,    Gemaliün  Kaisers   Justi- 

Terpandros  aus  Lesbos  I,  107.  nianus  ,     Pantomimentänzerin     II, 

Tessera,  röm.Theaterbillet  11,312. 313.  001  f. 

Tetralogien,  älteste,  I,  125.  126;  dra-  Theodoros,    Schauspieler  I,  161.    II, 

mat.,  I.  173  ff.  Zeit  der  Aufführung  254.  250.  266. 

I,  179.  Theodosius  d,  Gr.  erklärt  die  Schau- 

Teukros  ,  Tragödie   des  Sophokles  I,  spieler  für  ehrlos  II,  601. 

362.  399;  des  Jon  I,  514.    Teucer,  Theognetos ,    Dichter  der  neuen  att. 

Tragödie  des  Pacuvius  II,  341.  Komödie  II,  230. 

Thais,  Komödie  des  Afranius  II,  639.  Theognis,    Tragödiendichter   I,  516. 

Thalamopoioi ,  Tragödie  des  Aeschy-  II,  254. 

los  I,  303.  Theokrit  als  Nachahmer  des  Sophron 

Thaletas  aus  Kreta    führt  das  Hyp-  II,  27. 

orchem  in  Sparta  ein  I,  104.  Theologeion,  Theatermaschine  I,  148. 

Tham.yris ,   Tragödie    des   Sophokles  Theophilos ,   Dichter  der    mittl.    att. 

I,  402.  Komödie  II,  214. 

Theater  des  Thespis  I,  117;  des  Dio-  Theophilos,  Dichter  der  neuen    att. 

nysos   in  Athen  1,  139.  150  ff.;  zu  Komödie  II,  230. 

Sj'rakus  II,  22.;    angesehenste  zur  Theophrastos ,   sein  Einfluss  auf  Me- 

Zeit  Alexand.  d.  Gr.  II.  255.  nander  U,  231. 

Theaterbeamte,  römische  II,  312  f.  Theopompos,  Komödiendichter  II,  80. 

Theaterbillets ,    griechische,    I,    142;  Theoren  oder   die  Isthmiasten,  Tra- 

römische  II,  312.  gödie  des  Aeschylos  I,  302. 

Theatercostüm    I,    127;     tragisches  Theorikon ,     Eintrittsgeld     bei     den 

I,  155  f.  griech.  Theatervorstellungen  1, 181  f. 
Theatergebäude,  Einrichtung  des  grie-  Theoris  ,  Hetäre,    Geliebte    des   So- 

chischen   I,  139  ff".;   römisches  II,  phokles  I,  312  f. 

306  ff.;  das  erste  steinerne  zu  Rom  Thesauros ,    Komödie   des  Menander 

II,  307;     prachtvolles    des    Aem.  11,  235.    Vgl.  Schatz. 

Scaurus  II,  309 ;    bewegliches   des  Theseus ,  Tragödie   des  Eui-ipides  1, 

Scribon.  Curio   II,  309;    bedecktes  447.  510.     Komödie   des  Aiistony- 

.seit  (;atulus  II,  311;  des  Marcellus  mos  II,  70. 

II,   313;  des  Augustus  II.  313.  Thesmo]ihoriazusen  ,     Komödie     des 

Theatermaschinen  I.   14S  1f.  Aristo}duines  1,  400.  518.  II,  185  ff".; 

Theaterprunk    bei    den    Römern    11,  die  zweiten  II,  188. 

308  ff.  Tlicsjjis   aus  Ikaria    stellt   den  Chor 

Theaterzeiten,    griechische   1,   134  ff.  im  Viereck    aut     1,    110;    erfindet 

römische  II,  471  ff.  den    Dialog     1,    117;     führt    den 

Theaterzettel,  röm.  11,  313.  Schauspieler    ein    I,     117;     seine 


Register. 


703 


Bühne    I.  117;    seine    Dramen    I, 
121;  sein  Chor  I,  121. 

Thessalos,  Schauspieler  U,  255. 

Thestylis  des  Theokrit  II,  27. 

Thiasos  =- Schauspielergesellschaft  II, 
255. 

Thiere,  die.  Komödie  des  Krates 
II,  56. 

Thrakerinnen,  die.  Tragödie  des  Ae- 
schylos  I,  303.  3B3.  Komödie  des 
Kratinos  II,  53  f. 

Threnodie,  Chor-Trauergesang  I.  104. 

Thronsessel  im  Dionysostheater  zu 
Athen  I,  151  ff. 

Thüren  in  der  Skenenwand  I,  146. 

Thunfischfänger,  der,  Mimos  des  So- 
phron  II,  27. 

Thurioperser,  die,  Komödie  des  Me- 
tagenes  II,  77. 

Thyestes  in  Sikyon,  Tragödie  des  So- 
phokles 1,401.  Thyestes,  Tragödie 
des  Agathon  I,  518.  Thyestes,  Tra- 
gödie des  Kleophon  II,  251;  des 
(Jhäremon  11,  251 ;  des  Diogenes  II, 
251.  Drama  des  Ennius  II,  337 ;  des 
Varius  Rufus  11,346;  des  Grachus 
II,  346.  Tragödie  des  (Rhetors  Mar- 
cus?) Seneca  II,  352  ff.  414  ff. 

Thymele  im  Theater  1,  117.   144. 

Thymelikoi  in  Jerusalem  II,  267. 

Tibia  dextra,  sini.-itra.  pares.  imjiares 
II,  478. 

Timokles ,  Dichter  der  mittl.  att. 
Komödie  II,  214.  218. 

Timon  v.  Phlius,  SiUendichter  II,  30. 

Timon,  Komödie  des  Antii)hanes  II. 

214. 
Timotheos  aus  Milct,    DitliynimlK'ii- 

dicliter  I,  115. 
Timotheos    von    Zakyntlios .    Scliau- 

spieler,  I,  363. 
Timotheos,    Dichter    der    miltl.  att. 

Komödie  II,  214. 
Tiro  proficisceus ,  Komödie  iles  Atta 
II,  638. 


Tischgenossen,  die,  Tragödie  des  So- 
pliokles  I,  399. 

Titakides,  Komödie  desMagnes  II,  11. 

Titanen ,  die ,  Komödie  Kratinos'  d. 
Jung.  II,  217. 

Titanopane ,  die ,  Komödie  des  Myr- 
tilos  n,  61. 

Titinius,  Quinct.,  Komödiendichter 
n,  637  f. 

Titius  Septimius,  C,  Tragödiendich- 
ter II,  349. 

Titthe,  Komödie  des(!aecilius  II,  636. 

Titulus,  Komödie  des  Afranius  II,  639. 

Tlepolenios,  Scliauspieler  des  Sopho- 
kles I,  161. 

Todtenbuch,  ägj^tisches  I,  28  ff.;  ein 
religiöses  Drama  I,  30. 

Töpfe,  die,  Komödie  des  Epicharmos 

n,  21. 

Togata,  Komödie  des  Afranius  II, 
639. 

Togatae  (comoediae)  II,  469.  636  ff. 

Tolynos,  Erfinder  der  komischen  Mas- 
ken II,  49. 

Tonarten  der  Chorgesänge  I,  171  ff. 

Trabea,  Komödiendichter  II,  485. 

Trabeatae  (comoediae)  II,  470. 

Trachinierinneu ,  Tragödie  des  So- 
phokles I,  364  ff.  II,  436.  439. 

Tragikotatos,  Beiname  des  Euripides 
bei  Aristoteles  I,  413.  432. 

Tragischer  Chor  I,  lil.  —  Tr()])0s 
I,  HO. 

Tragödie,  lyrische  I,  109.  111.  Name 

I,  111.  Gliederung  der  griechi- 
sclicn  1.  166.  Ihr  Verliältniss  zur 
Komödie   II,   19.  33  ff.    Römische, 

II,  29()  ff'.  Fortsclirittsmoment  der- 
selben der  griecli.  gegenüber  II, 
.300  ff'.  Geschichte  derselben  II. 
330  ff.;  griechisdi  -  rinuisclii-  11, 
.•{31  ff. 

Tragos  I,  55.  111. 

Trilogie,  erste,  I,  56.  Aeschylische  I, 
173  f.    Princip  derselben  I,   175  f. 


704  Register. 

Triiiieter,  jambischer  I,  118.  Ueberarbeitungen  von  Dramen  I,  182. 

Trinummus  ,    Komödie    des    Plautus  Ueberläufer,  die,  Komödie  des  Phe- 

II,  247.  524  ff.  rekrates  II,  57. 

Triphaies,  Komödie  des  Aristophanes  Ugilius,  M.  Aur.,  Pantomime  II,  663. 

n,  205.  Umgänge  im  griech.  Theater  I,  142. 

Triptolemos,  Tragödie  des  Sophokles  Umzüge ,  festliche   in  Aegypten ,  als 

I,  3Ü9.  Keime  der  griech.  Komödie  II,  1  f. 
Tritagonistes,  dritter  Schauspieler  I,  Unterbühne    im    griech.    Theater    I, 

159.    Von  Sophokles    eingeführt  I,  147. 

212.  323  f.  Untergeschobenen,  die,  Komödie  des 

Troer,     Komödie     des     Epicharmos  Menander  II,  244. 

II,  20. 

Troerinnen    (die    gefangenen) ,    Tra-  Valckenaer,  L.  C,  über  Euripides  I, 

gödie  des  Sophokles  I,  398.    Tra-  415  f. 

gödie   des  Euripides   I,    428.   429.  Varius   Eufus,   L.,    Tragödiendichter 

458  ff.  507.     Tragödie   des  (Philo-  II.  346. 

sophen?)  Seneca  II,  352.  3b3  ff.  Varroniauae     fabulae     des     Plautus 

TroUos,   Tragödie    des  Sophokles    I,  II,  483. 

396.  397.  Vaterländische     Tragödien stoffe     bei 

Trommler,  die,   Komödie    des   Auto-  den  Römern  II,  305  f. 

krates  II,  80.  Velarium  I,  143. 

Trophoi,   Tragödie   des  Aeschylos  I,  Vergessliche,  die,  oder  Thalatta,  Ko- 

3U2  f.  mödie  des  Pherekrates  II,  57. 

Tropos,  Singweise ,  verschiedene  Ar-  Verres  aegrotus ,   AteUane  des  Pom- 

ten  desselben  I,  110.  ponius  II,  329. 

Trostlose,  der,    Komödie  des  Piaton  Versenkungen     im    griech.     Theater 

n,  75.  I,  149.  ^ 

Truculentus ,    Komödie    des  Plautus  Versmaasse  des  Plautus  II,  487  ff. 

II,  543  ff.  Vertriebene,    der   vom   Hause,    Ko- 

Tiullanisches  Concil,  verbietet  Mimen  mödie  des  Philemon  II,  241. 

und  Tänze  II,  260.  Viereckige    Aufstellung    des    Chores 

Tuchwalker,  der,  Komödie  des  Anti-  (durch  Thespis)  I,  110.  165. 

plianes  II,  215.                                 ,  Vindemiatores ,  AteUane  des  Novius 

Turpilius ,   Komödiendichter  II,  485.  II,  330. 

Turpio  Ambi\äus,  Schauspieldirector  Virginius  Romanus,   Mimograpli  II, 

II,  473.  475.  651. 

Turranius  ,      Tragödiemlichter     II,  Virgo ,   Minms  des  Laberius  II,  649. 

34b  J'.  —  praegnans,  AteUane  des  No\aus 

Tydeus,     Tragödie    des    Theodektes  II,  330.  649. 

II,  252.  Vischer,     Prof.,     Beschreibung    des 

Tympanist,  der,  Tragödie  des  Soidio-  Dionysos -Theaters    in    Athen    I, 

"kies  I,  401.  150  ff". 

Tyrannis,   dir,    Kuiiiödie  des  Phore-  Vögel,    die,    Komödie    des    Magnes 

krates  II,  58.  H ,   H;    des  Aristoidianes   I,   132. 

II,   152  ff. 


Register. 


7ü5 


Vogelsteller,  der,  Komödie  des  Niko- 

stratos  II,  217. 
Volkschor  I,  113. 

Vorbühne  im  griech.  Theater  I,  14(5. 
Vorhang  im  griech.  Theater  I,  14(3; 

im  römischen  II,  312. 
Vortragsweise  röm.  Schauspieler  II, 

477. 
Votivi    (ludi),    Tlieateranffiihruugen 

dabei  IL  473. 

Wächter ,    die ,    Tragödie    des     Jon 

I,  514. 

Waftengericht    vgl.    Armornm    jndi- 

cinm. 
Watfenrechtsstreit,  der,  Tragödie  des 

Aeschylos  I,  303.  363. 
Wagen,  der,  Komödie  des  Philonides 

II,  62. 

Wandernde    Schausjjielertruppen    II, 

266. 
Wasserkanäle  in   der  Orchestra   des 

griech.  Theaters  I,  145. 
Wasserträger ,  Tragödie   des  Sopho- 
kles I,  400. 
WeinHasche,  die,   Komödie  des  Kra- 

tinos  II,  43.  52.  112. 
Welcker  über  das  Satyrspiel  I,  122  ff.; 

über    Aeschylos'    Prometheus     I, 

192  ff. 
Wespen ,  die ,    Komödie   des  Magnes 

II,  11.  84.  88.    Komödie  des  Aristo- 

phanes  I,  516  f.    II,  132  ff. 
Wettkämpfe,  Chorgcsang  dabei  1, 104 ; 

tragische  I,  122:  ausserhalb  Attika 

II,  255.  265 ;  pantomimische  II,  65(>. 

Vgl.  Agonen. 
Wilden,  die,  Komödie  des  Pherekra- 

tes  II,  57. 
Wolken,    die,    des  Aristophanes   II. 

83.  112  ff. 
Wollüstling,  der,  Komödie  desTheo- 

pompos  II,  80. 


Wucherer,  der,    Komödie  des  Niko- 

stratos  II,  217. 
Wurst ,   die ,    Komödie  des  Epichar- 

mos  II,  20. 

Xanthias,  Dienerrolle   in  Aristojjlia- 

nes'  Frösclien  II.   192  ff'. 
Xantrien,  Tragödie  des  Aeschylos  I, 

301  f.  499. 
Xenarehos ,    Dichter    der  mittl.    att. 

Komödie  II,  214. 
Xenokles ,    Tragödiendichter    I,  429. 

516.   II,  254. 
Xenokritos ,   Gründer  des  lokrischen 

Styles  I,  116. 

Zecher,  die,  des  Aristophanes  II,  62. 
92.  204. 

Zeitalter,  das  goldene,  Komödie  des 
Eupolis  II,  68. 

Zeitgeschmack ,  seine  Berücksichti- 
gung in  der  Tragödie  I,  406  i'. 

Zeltbedeckung  des  Theaters  I,  143. 

Zerstörung  Ilions.  die,  Tragödie  des 
Aeschylos  I,  303. 

Zeus,  der  misshandelte,  Komödie  des 
Piaton  II,  75.  Im  gefesselten  Pro- 
metheus des  Aeschylos  I,  186  ff. 
191  ff.  240. 

Ziegen,  die,  Komödie  des  Eupolis 
II,  68  f. 

Ziegenbock  (Tragos)  I,  55.  111. 

Zopyros,  der  angebrannte,  Komödie 
des  Strattis   II,  78. 

Zorn,  der,  Komödie  des  Menander 
II,  232. 

Zufall,  der.  in  der  Tragödie  I.  477. 
Seine  Rolle  in  der  neuen  att.  Ko- 
mödie II,  243  f. 

Zugänge  zu  den  Theatersitzen  I, 
142. 

Zuschauerraum  am  giiech.  Theater 
I,   141. 


II. 


45 


Druckfehler. 

st.  iliologisohen  1.  dialogischen. 
'     Holbein  1.  Holberg. 

Dialektiker  1.  Di  da  ktik  er. 

-  das  1.  der. 
'     die  1.  den. 

-  Planeten  1.  Platanen. 
=    Manier  1.  Manie. 

-  und  S.  681''  Z.  6  v.  o.  Gorgonen  1.  Georgen. 
'-    Uebungsdrama  1.  U e  b  e  r  g  a  n  g  s  d  r  a  in  a. 

-  Welt  r.  Unterwelt. 
=    dadirt  1.  datirt. 

..nicht"  fällt  fort. 

=     KaiactQ  1.  KccTattn. 
st.   Marcus  1.  L.  Jun. 

-  Scene  1.  Sonne, 
hinneu  1.  hinein. 

==    ich  1.  d  ich. 

-  er  1.  nii;-. 

^    FaU  1.  Schall. 

5    Blutherrinuen  1.  Blutheroinen. 
G.  Vossius  1.  Poet.  c.  XII. 
st.  den  1.  dem. 

'  Caesar  u.  Glück  1.  C  a es  a  r  n.  sei  n  G 1  ii  c  k 

'-  nach  ..selbst"  ein  Konuna. 

-  Schaumalerei  1.  Seh  önmaliMei. 
'  lästigen  1.  lustigen. 

n.    nach     „Terentius"    einzuschalten:    über    der- 
gleichen, 
st.     vergeben  1.  vorgeben, 
in  der  Uel)erschrift.   statt:  T^nbrieus  1.  LalnM-ius. 


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