D^ —
CO
o CNJ
g ^
n ^^
£=r^
S^=^
o
^
^^ r^
■- ■ ■■■■, ", = ^^
CO
GESCHICHTE DES DRAMAS.
''^
r
GESCHICHTE
DES
DRAMAS
VON
J. L. KLEI N.
IL
Die griechische Komödie und das Drama der Römer.
LEIPZIG,
T. 0 W R I G E L.
1865.
.^^
GESCHICHTE
DE.S (iRIKCHlSCHEN U.Nil ItÖMI.SCHKN
DRAMAS
VON
J. L. KLEIN.
ZWEITER BAND.
Die griechische Komödie und daf. Drama der Römer.
LEIPZIG,
T. 0. w i; I (; Vj t.
I S(i5.
. . . Liberins si
Dixero (juid. si forte jocosius; Imc mihi iuris
Ciiiii venia dahi.-.
Hör. Sat. I. IV, v. l(i;i ff.
•^(j C '"■'' -'^"'"'' ''f'"»" ''''■'i f^"" I-!»'t'lit "lei" LIther.sei/.uiig vor.
e\a--
Inhalt
des zweiten Bandes.
Seite
Die iinecliisclie Koiiiiitlic ] — 24'5
Vor Aristophanes I — !5i
Aristophanes Sl— 2ü6
Die mittlere attische Komödie ........ 2(i0- 218
Die neue attische Komödie . . 2IS--24S
Tragiker zAvischen Euriii. iiiul Alex. d. Gr 24b -2.'j6
Das griechische Drama iiath Alcvand. d. Gr 2")() — 207
Das römische Drama 26S — 46b
Die römische Tragödie Ji'iO— 468
Die römische Komödie 409 — 667
Namen- und Sachvcu ister zum ersten und zweiten Bajide . 668 — 705
Die griechische Komödie.
Im zweiten Buch der Gescliichten des Herodotos c. 58 ff. le-
sen wir Folgendes über die festliclien Aufzüge der Aegypter:
„Auch Festversamniluugen und Aufzüge und Opfergaben ha-
ben unter allen Völkern die Aegypter zuerst bei sich eingefülut
und von ihnen liaben's die Hellenen gelernt. Ein Beweis dafür
ist mir dieses, dass sie bei jenen schon lange Zeit im Gebrauche
sind, bei den Hellenen aber erst seit kurzem.
„Es lialten aber die Aegypter festliche Versammlungen nicht
blos einmal im Jahre, sondern dieselbigen sind sehr häufig. Vor-
züglich und mit dem grössten Eifer in der Stadt Bubastis der
Artemis zu Ehren. . . . Wenn sie nun erstlich gen Bubastis fah-
ren, so geht es also her: Es schiften zusammen Männer und Wei-
ber und eine grosse Menge beiderlei Geschlechts in jeglichem
Fahrzeug. Der Weiber etliclie liaben Khip]iern und klappern da-
mit, einige Männer singen und klatschen in die Hände. Und
wenn sie auf ilnrr Fahrt an eine andere Stadt kommen, so hal-
ten sie das Falirzeug nahe an das Land und tliun also: Etliche
Weil)er thun, wie ich schon oben gesagt, etliche iiuhnnecken die
Weiber in derselbigeu Stadt mit lauter Stimme und etliclie tan-
zen, etliche aber stellen auf und lieben ihre Kleider in die Höhe.
So machen sie's bei jeglicher Stadt, die an dem Flusse liegt.
Wenn sie ankommen zu Bubastis, so feiern sie das Fest und
bringen grosse Opfer, und bei diesem Feste geht mehr I\'(>ben-
wein drauf, denn das ganze übrige Jahr."
Wir finden hier den ältesten volksfestlichen Umzug von
gottesdienstlich scherzhaftem Charakter geschildert: den Komos
{■Kwi-iog) der Dorier, die wohl am frühesten von allen iiellenischen
Stämmen, in Folge der Hanaus- ixoloMJc und der Wanderungen
U. J
2 Die g-riechiselie Komödie.
der Aigivischen Jo, von jenem Uiiaude des Naturgottesdienstes
Festgebräuche und Culttbrmen annahmen. Wir haben hier folg-
lich auch den Urkeim der Komödie, die ihren Namen von dem
Bakchischen Komos, oder Festumzuge zu Wagen und zu Fuss,
ableitet. Der dorische Komos geschah von Dorf {y.iö[.ir]) zu
Dorf, von Ortschaft zu Ortschaft; ähnlich wie jene Festwasserfahrt
der ägj-ptischen Bevölkerungen von Stadt zu Stadt. Dem Aristo-
teles zufolge ') nalmien auch die Megarischen Dorier die Erfindmig
der Komödie auf Grund der Benennung in Ansprach. „Sie nann-
ten," sagt er, „die Dörfer Komas (zoJ/<ag), die Athener aber Demous
{di](.iovg)\ man habe daher die Komödianten (xn/.iqjdnvg) nicht von
y.iof.iu^£u\ schmausen und jubeln, sondern von ihrem Herumtrei-
ben auf den Dörfern {/.acä xwfxag) benannt."
Den Namen /.w/.iwdLa erklären die alten Grammatiker ^) als
Dorfgesang (xw'/a; und (/>()/;) ; zugleich aber auch als Schlaf-
gesang (y.iof.ia und <;>()'>;; und bringen diese Etymologie mit einem
eigenthümlichen Vorgang in Verbindung. Attische Bauern hatten
nämlich zur Nachtzeit die von den reichen Bürgern Athens erlit-
tenen Beleidigungen durch Spottredeu gerächt. Zur Verant-
wortung gezogen, erhielten die Bauern von den Richtern Erlaub-
niss, auf öffentlichem Markte ihre Spottreden im Angesichte des
Volkes zu wiederholen. Um von den verspotteten reichen Städ-
tern nicht erkannt zu werden, bestrichen sich die Landleute das
Gesicht mit Hefen. Umzugsschwarm und Spottreden, die zwei
Hauptmerkmale dieses scherzhaften \'olksfestes, liat auch der Bak-
chische Komos der Attiker mit dem ägyptischen gemein. Selbst
zu jenem Zuge muth willigen Hohnneckeus in Herodot's Beschrei-
bung, das durch Emporheben der Kleider sich zu erkennen gab,
findet sich ein entsiirecheuder in der hellenischen Demeter-Le-
gende. Auch die, der Demeter (Ceres; zu Ehren gefeierten De-
metrien beging man mit solchem Necken und gegenseitigem Ver-
spotten, weil (lie Göttin selbst in ihrer Trauer über die geraubte
Tochter durch die Spottreden der Jambe, einer alten Dienerin
des Königs Keleos von Eleusis, zum Lachen gebracht wm'de, wo-
bei die alte Jam])e ihre Scherzreden mit einer Gebärde erläuterte,
I) Poet. III, (>. — 2) ('rainer, Auccd. gr. T. 3. p. 355, 7. Meineke,
Hist. rrit. Com. gr. p. 535. 53S. 55b.
Jambisten. Gephyristeii. Ithjiihallen. 3
die an Freiinuth jener von Heiudot bezeichneten nichts nachgab. *)
Von dieser Jambe wird auch der Name des jambischen Spottver-
ses abgeleitet, dessen sich Archilochos für seine Satiren zuerst
als Kunstform bediente:
Archilochum proprio raljies annavit iaiubo. '^)
„Seinen Jambus erfand sicli als Welir Archilochos' Zdnnvutli."
Jambisiren iluiAßiCeivj ist daher aucli gleichbedeutend mit „spot-
ten." Aristoteles braucht den Ausdrucli von dem gegenseitigen
Schmähen der Jambenchöre. „In diesem Metrum," sagt er 3),
„neckten sich jene Chöre gegenseitig" (lüfißi'^nf c(X/.i'jIolc). Das
Schmähen der Weiber an den Thesmophorien zu Athen sollte
gleiclifalls an die alte Jambe erinnern.^) Zm* Zeit der Euleusi-
nischen Mysterienfeier versammelte sicli auf einer zwischen Athen
und Euleusis über den Kepliissos führenden Brücke ein Schwärm
von Vermmumten, die den vorübergehenden Staatsmännern
Schmäh- und Schimpfreden zuriefen.^) Daher hiessen diese Brücken-
spötter Gephyristen, von /£yt'(>a = Brücke. ^)
Dm'ch die Verbindung des Dionysos-Cultus mit dem Deme-
ter-Dienst erliielt diese festliche Spottlust einen ithypliallisclien
Charakter. Den Dionysischen P]iallos-(Jult ülierkamen aber, nach
Herodot, die Hellenen ebenfalls aus Aegypten, wie die Demeter-
Mysterien. „Die Aegypter," sagt Herodot'), „feiern das Diony-
sosfest beinahe eben so, wie die Hellenen, mir statt der Scham-
theile haben sie sich andere Bilder erdacht, ungefähr eine Elle
lang, die werden durch eine Schnur gezogen, und Weiber tra-
gen's in den Dörfern umlier. Voraus gebt ein Pfeifer und hinter
ihm kommen die A\'eil)er und l)esingen den Dionysos." Charles
Magnin glaubt desshalb in diesem beweglichen Phallos der Aegypter
die älteste Marionette oder Si»ielpuppe zu erkeimen.''; „Nun glaub"
ich," fährt Herodot fort, „dass Melampus, der Sohn Amythaon's,
von diesem Opferdienst Keimtniss und Erfahrung gehabt. Demi
bei den Hellenen hat Melampus eingeführt des Dionysos Namen
und das Opfer und des Phallos Umgang." . . . Den Ithyphailos
1) Hcsych. V. '/cifißi]. Prellor, Dciiiet. iiini Persephone. S. 9^ tt'. — 2)
Hör. ad Pis. 7',). :») Pout. IV, 2(i. 4) Apollod. I, ö, I. — 5) Strab.
tX. p. 4U0 A. Ael. H. An. IV, V.i. - (i) Ik-sych. v. yt(fV(,{C<or. - ") II,
48 ff. — S) Hist. des Marionettes etc. Ib52. p. 1').
1 •
4 Die grieclüsclie Komödie.
oder ragenden Phallos nalmien, Herodot 7Aifolge, die Athener von
den Pelasgeni an. „Darüber erzälilten sie ')," fügt er hinzu, „eine
heilige Sage, die da offenbart wird in den Mysterien zu Samo-
thrake." Die ithyphallischen Lieder, deren Vortrag chorisch -or-
chestisch war 2), wurden in Sikyon von eigenen Chören der Ithy-
phallen und Phallophoren gesungen, deren Vorsänger und Chor-
fühi'er durch ihre jambischen Z-wischenreden und Stegreifschwänke
Anlass zur Ei^findung der Komödie, als Kunstform, gaben, wie
aus dem dithyrambischen Chor des Arion sich die Kunstform der
Tragödie hervorgebildet. In den verschiedeneu Formen dieser
Komosgesänge dürfen wir die Vorstadien zu der attischen oder
Aristophanischen Komödie erblicken.
Die phänischen Lieder {xa (fal.Xv/.a.) wurden zm' Zeit
der Weinlese oder Lenäen auf Festumgängen von einem Heilig-
thura des Dionysos zum andern von schwärmenden Schaaren ge-
sungen. Vorauf schritt, unter dem Schalle fröhlich üppiger Lie-
der und muthwilliger Neckereien, der Phallosträger; wie bei dem
ähnlichen Festzuge der Aegypter, nur dass bei diesen das beweg-
liche Sinnbild der zeugenden Naturkraft von Frauen getragen
wurde. Aristoteles erblickt in diesen phallischen Liedern die
Keime der Komödie.^) Die Einführung der Phallophorien in At-
tika wurde dem Pegasos aus Eleutherä, einem Städtchen an
der böotischen Grenze, zugeschriebeu. ^j In den Acharuern stimmt
Dikäopolis, von seiner Familie mngeben, ein solches Phallikon an
(239 ff.):
Schweigt in Andacht ! Schweigt in Andacht !
Du tritt ein wenig vor, Korbtr<ägerin !
Du Xantbias, den Phallos richte hier empor!
(hetend)
0 Dionysos, Herr und Gott,
Las.s du- wohlgefällig diesen Feierzug
Aufführen, und nachdem ich sammt des Hauses Schaar
Geopfert, glücklich auf dem Land dein Fest begehn. . . .
Nach dem Gebet stimmt er das phallische Liedchen an, dem
Phallos, als Gott Pliales, lobsingend (2630".):
1) a. a. 0. c. 52. — 2) Eichstaedt, Progr. de Ithyphallis. Jena 1806.
— 3) Poet. IV, 14. — 4) Schul. Acliarn. 242. Paus. 1, 2, 5.
Aiitokabdalen. Dikclistcn. Orchesten. Phlyaken. 5
0 Phales, Bakchos' Spielpenoss',
Nachtschwärmer, heitrer Spielgesell,
Nach Fraun und Knaben lüstern --
Ich grüsse dich. . . .'■
durchrauscht von satyrischen, auf die Tagespolitik geschleuderten
Geschossen nacli der Art der alten Phallossänger, die ihre Lied-
chen mit ähnlichen Ausfällen würzten. In den aristoki'atisch re-
gierten dorischen Städten durfte der .Spott nur die Lächerlichkei-
ten des Privatlebens zum Ziele nehmen. Diese dorischen Spott-
sänger und Festschwärnier hatten verschiedene Namen, die Athe-
näos 1) den Schriften des Sosibios und Semos entnahm , und un-
sere Archäologen aus Athenäos abschrieben. -)
Die bereits erwähnten Jambisten Messen im dorischen Si-
kelien Autokabdalen {avzoy.dßdalot) Stegi'eifspieler, und ihre
Spiele und Vorträge Autoschediastika {avrnayjdia nnii^iaTa). Die
Lakoner nannten sie: Dikelisten {deiy.rjkiozai), Nachahmer, Dar-
steller der gemeinen Wirklichkeit im possenhaften Styl. Bei den
Syrakusern hiessen sie Orcliesten fnQyj]OTai), mimetische Tän-
zer. In Xenophon's Symposion wird das Tanzen dieser sikelischen
Orchesten oiy.rjXi'Ceiv genannt. Der Polyhistor Solinus^) schreibt
daher auch die Erfindung der Komödie den Sikulern oder Syi'a-
kusanern zu. Ein Fragment von Epicharmos ^) , des Aeschylos
Zeitgenossen, nennt den Aristoxenos, einen Zeitgenossen des Ar-
chilochos (Ol. 29, 3 = 662 v. Chr.), also 200 Jahre vor Epichar-
mos, als den ersten Einfülirer der sikulischen Jambenchöre, die
nach dem InstiTunent Jambyke^) die Jambyke tanzten."^)
Die Ithyphallen trugen Masken von Betrunkenen, und, ^vie
schon gemeldet, Tarentinische Frauengewänder mit langen blu-
migen Aermeln. In Unteritalien führten die Ith\T;)hallen den Na-
men Phlyaken ((pXva'/.eo)^ Possenreisser; eine Benennung, die
noch den spätem italienisclien Komikern, dem iihinthon aus Ta-
rent z. B., verblieb. "j Antheas aus Lindos auf Rhodos (Ol. 46
= 596) ist der einzige Dichtername, der das alte dorische Pos-
senspiel vertritt. Er soll auch Komödien gedichtet haben, d. h.
1) laV. p. 021 D. bi.s 022 D. — 2) Grysar, de Dor. (Joni. I. p. IS- 63.
Ad. SchöU, de orig. gr. drara. Pars I. etc. 1828. p. 19 ff. — 3) ('XI ed.
Bas. — 4) fr. p. 54. ed. Kruseman. — 5) Phot. lex. v. Ict^ßi'xrj. — 6) Athen.
XIV. p. 629 B. — 7) Eustath. ad Dionys. perieg. 376. Suid. v. 'Phi^tuv.
6 Die griechische Komödie.
phallische Lieder, die Phanedemos *) „Komödien" nennt , wie des
Arion tragische Chorlieder Ti'agödien genannt wurden. -)
Um Ol. 50, 3^578 führte Susarion, aus dem Flecken Tii-
podiskos in Megaris, zuerst die komischen Chöre in Ikaria ein,
des Thespis Vaterstadt. Da hier der Bakchische Komos schon
vor Susarion im Schwange war, konnte seine Neuerung nur in
dem jambischen Element des komischen Chors, in den Spott- und
Zmschemeden bestehen, die gegen bekannte Personen oder ganze
Stände gerichtet waren. Den Ausfall auf die Weiber in einigen
bei Tzetzes erhaltenen und dem Susarion beigelegten Jamben 3)
soll, der Sage nach, seine eigene Frau veranlasst haben. Das sog.
Ikarische Lustspiel, als dessen Erfinder Susarion, von einem
unedirten Grammatiker^), und, mit Mystos und Magnes, vom
Grammatiker Diomedes ^) bezeichnet wird, Avar sonach nichts wei-
ter, als ein jambisches Spottgedicht, vom Chorführer des Bakchi-
schen Komos an passenden Stellen der Phalloslieder vorgetragen.
Als Siegei-preis erhielt der Dichter solcher komischen Chöre einen
Korb Feigen und einen Krug Wein oder Most*^), der Jahreszeit
der Weinlese entsprechend, wesshalb diese Komödie selbst Wein-
lesegesang genannt wm-de oder Trygödie „Hefengesang" {tqv-
yqjöla), von der Hefe (^QvS), womit der Dichter, um beim Hersa-
gen der Spottjamben nicht erkannt zu werden, sich das Gesicht
bestrich. Gewöhnlich, vorzugsweise an den Choen und Lenäen,
warfen die Jambisten vom Wagen herunter') ihren Spott aus.
Daher das Sprichwort: „vom Wagen herunter spotten," so nel
bedeutet, als mit platten und plumpen Spässen um sich weifen. 8)
Entsprechend der „lyrischen Chor -Tragödie" hat man die komi-
schen Chorlieder als lyrische Komödien bezeichnen wollen. 9)
In seinem dürftigen Abriss vom Ursprung der Drama's be-
zeichnet Aristoteles 1") den Anspnich der Megarer auf die Er-
findung der Komödie als eine Anmaassung {avtmoiovvTai). „Selbst
aus der Epoche," heisst es^»), ,7^0 die Komödie schon gewisse
1) Athen. X, 445 AB. — 2) Herrn. Opusc. T. 7. y. 222. — 3) Cram.,
anecd. gr. T. 3. p. 336. —4) Das. T. 4. p. 315, 19. — 5) IH, 4SB Putsch.
- 6) Marm. Par. ep. 40. — 7) Suid. v. i^ a/uä^rii. — S) Demosth. de
Cor. 37 p. 2G8 Reiske. Vgl. Bode, 3, 2. 22, 10. — 9) Boeckh, Staatshaush.
II,. 361 ff. Corp. Inscr. I, 766. II, .500. Dagegen Hermann, de trag, comoed,
lyrica. Opusc. \TI. p. 222. — 10) Poet. III, 5. — 11) Das. V, 4-7.
Susarion. ('hionides. Die Megarische Koiiiödio. 7
Formen hatte, keimt umii wenig Dichter derselben. Wer aber
die Masken aufl)rachte, oder die Prologe, oder mehr Schauspieler
und dergleiclien, lässt sich nicht bestinimon. E pich armes und
Phormis (die berühmtesten Dichter der sikeliotischen Komödie)
waren die ersten, welche Fabeln {(xvd-ovQ) erdichteten. Ursprüng-
lich kam diese Neuerung aus Sikelien. Zu Athen machte Kra-
t es den Anfang, die jambische Manier zu verlassen, und (statt
persönlicher Satiren und Verspottungen bestimmter Personen) er-
dichtete und allg(!mein gehaltene Begebenheiten und Redeweisen
zum Inhalt seiner Komödie zu machen'' (drpef.uvnt^Tt'guc/iißixrjC
iöiag y.ad 6ko v noislv loyovg rj/xu^ovc). Wir kommen auf diese
Stelle bei der attischen Komödie wieder zurück, und nehmen hier
nur darauf Bezug, als einen Beleg für den nicht unbegTündeten
Anspruch der Megarer auf die Firtindung der Komödie; die Ko-
mödie nämlich, nicht im Sinne, den Aristoteles damit verbindet,
sondern im Sinn ihres Ursprungscharakters, demgemäss sie nichts
Anderes bedeutet, als komische, mit Spottreden durchflochtene
Chöre, die ja auch der Megarer Susarion, 130 Jahre vor Krates
und ein Jahrhundert vor ?]picharmos, in Ättika einführte. Unter
der HeiTschaft der Peisistratiden konnten die Spottchöre des Su-
sarion freilich nicht gedeihen. Nach ihm verstummte der Chor;
das erste turpiter olnnutuit, und schwieg achtzig Jahre lang. Erst
mussten die Peisistratiden vertrieben und die demokratische Re-
gierungsform musste durch Kleisthenes wieder eingeführt werden
(Ol. <i7, 3 = 510), ehe dieser spottlustige Chor sein Haupt wieder
erhob.
Der erste attische Dichter, den, nach Susarion aus Megara,
die Geschichte der griechischen Komik nennt, ist Chionides
(Ol. 72 = 487), drei Jahre nach der Schlacht von Marathon.
Konnte doch selbst in Megara nur nach Vertreibung des Ty-
rannen Theagenes (um 01.46^506) die megarische Komödie
autkoiiunon, welche zwar auch nur, wie schon bemerkt, eine cho-
rische Kornödie seyn mochte vom gröbsten ochlokratischen Korn,
deren politische Tendenz aber der attischen Komödie zum Vor-
bilde diente. Die Hedeutuiig, die das dithyrambische Kle-
ment für die dorisciic Chortragödie hatte, die mit demselben sich
erst verbinden musste, um zur attischen Tragödie sich zu er-
schliessen, dieselbe Bedeutung scheint uns das ja m bistische
g Die griecliisclic Koiiiudie.
Element, die persönliche Spottrede, die Aristoteles zm-ückweist,
für die alt-attische, die Aristophanische Komödie, gehabt zu ha-
ben. Folgerichtig muss Aristoteles, seinem xad^olov gemäss, sei-
ner Vorschrift gemäss: „die jambische Manier zu verlassen, und
allgemein gehaltene Begebenheiten und Eedensweisen, nicht per-
söiüiclie Spottreden zum Inhalt der Komödien zu machen," auch
die Komödie des Aristophanes , die von der „jambischen Idee" so
gewaltig gähi-t und braust, wie der junge frische Most im Schlauch,
als eine unächte, unlautere Gattung aus dem reinen, geweihten
Bezirk der Anstands-Kom ödie (ngog evoyjj^wovvrjv) verbannen.
Wir werden bald aus der Nikomachischen Ethik') erfahren, dass
er diess wirklich thut, und die ganze alte Komödie, folglich auch
die des Aristophanes, als eine Komödie derAischrologia, der Schmäh-
reden ausstösst; im Gegensatz zu der neuattischen, der Menan-
der-Komödie, der Komödie der „Freien", der „Gebildeten", der
Fürstenhöfe und der guten Gesellschaft; der Komödie „des ver-
hüllten Ausdrucks," des Anstands (svoxtj^toovpijg).
Die megarische Spottsucht war sprichwörtlich. Schon im
siebenten Jahi'hundert wm^den die Megarer von Pittakos „bitter"
genannt-), der als einer der sieben Weisen Griechenlands und
nebenbei noch Tyrann von Mitylene, kein Freund von solchen
Spässen war, weder megarischen noch attischen. Selbst der Knecht
Xanthias , in Aristophanes' Vespen , möchte sich nicht an einem
megarischen Scherz die Finger verbrennen (v. 65 f.). Und vor
Aristophanes sagte der attische Komiker Ekphantides 3) :
— — — — — — — — Megarischer
Komödie Lieder lass' ich bei Seit'; ich schämte mich
Ein megarisch Drama hier zu spielen.
Mit der, Ol. 89 wieder aufgehobenen Demokratie der Megarer
hörte ihre zottige Spasshaftigkeit von selbst auf. Von der mega-
rischen Posse ist nichts zurückgeblieben als ihr übler Geruch.
Kein Dichternamen vertritt sie. Denn der als Megarer genannte
Komiker Mäson stammt aus dem sikelischen Megara, dessen
Einwohner Gelon Ol. 72, 2, nachdem er ihre Stadt zerstört, nach
]) IV. C. 14. I). 1128 a. 20. Eck. — 2) Anthol. Pol. X, 41(1. itn) yaQ
TitxQoC. — '.i) Meincke a. a. 0. p. 22.
Die Komödien des CMonides. 9
SjTakus übersiedelte. '; Jener Komiker Mäsou aus sikelisch Me-
gara gilt als Erfinder zweier Cliarakterraaskeu, des Dieners und
des Kochs. Den Koch spielte Mäson selbst, daher trug die
Maske seinen Namen, und seine haiigesottenen Witze hiessen
Mäsonische Witze.-)
Als Zeitgenossen des Aeschylos und des Epicharmos, welcher
damals (Ol. 73, 2-=4S7 bis Ol. 73, 4 = 485), seclis bis acht Jahre
vor den Perserkriegen, seine Komödien in Syrakus aufführte, wer-
den fiuif attische Komiker genannt: Chionides, Euetes, Eu-
xenides, Myllos und Magnes, deren ganzes Vermächtniss in
ihren Namen und den Titeln einiger ihrer Komödien besteht.
Euetes und Euxenides sind zu blossen Nieten verschollen. Myl-
los ist durch seine mit Mennig gefärbten Masken bekannt 3) mid
seine Darstellung des „tauben Mannes," der doch Alles hört.
Daher stammte das Sprichwort, das schon beim alten Komiker,
Kratinos, vorkam : „Myllos hört Alles." Den oben schon erwälm-
ten Chionides setzt Aristoteles mit Magnes lange nach Epichar-
mos.^) Suidas hingegen lässt ihn seine Stücke Ol. 73, 2, also
acht Jahre vor den Persei-kriegen aufführen, um welche Zeit auch
Epichamios seine Travestien in Syrakus spielte.
Von Chionides werden drei Komödien genannt: die He-
roen. Die daraus erhaltenen Verse geben so wenig eine Vor-
stellung von dem Stücke wie die paar Härchen, die von einem
Verstorbenen als Andenken aufbewahrt werden, von seiner Phy-
siognomie. Die Bettler sind das nicht einmal; denn schon
bei Leibesleben war an ihnen kein achtes Chionides-Haar. Schon
Athenäos ^) verdächtigt sie als untergeschoben. Drei Verse sind
die einzigen Lappen, die von diesen „Bettlern" übrig geblieben.
Als dritte Komödie des Chionides werden von Suidas die Per-
ser, oder Assyrier, erwähnt. Sie sollen eine Nachahmung von
Epicharmos' gleichnamigem Stücke gewesen seyn. Darin aber
gleichen sich beide Stücke, dass sie zusammen spurlos verschwun-
den sind, da aucli l^picharmos' „Perser" bis auf den Namen ver-
schollen.
Von Magnes aus Athen giebt der ('horführer in Aristopha-
1) Thukyd. VI. I. Ilndd. VII, i:.(;. 2) llosycli. v. Moi'nioiti. -
.'i)Eu8tath. ad Od. X\. Int, p. is.iS, 21. — 4) Poet. 111, ö. - .-)) IV, l;nC.
10 Die griechisclie Komödie.
nes' „Kitter" im Namen des Dichters, folgende Charakteristik
(520 ff.):
Auch A\dss' er (Aristophanes) ja längst, Avie die Launen bei euch mit jegli-
chem Jahre sich ändern,
AVie ti-eulos frühere Dichter ihr stets, nachdem sie ergrauten, verachtet:
Wohl se}' ihm bekannt, -nle's Mag nes erging, nachdem ilmi erblichen die
Haare,
Ihm, -welcher so oft im dramatischen Kampf sich errang die Trophäen des
Sieges,
Der jeglichen Ton anstimmte für euch, mit der Harf und mit Vögel-
gezwitscher,
iVIit Lydergesang, mit Wespengesumm und Gequak laubfrö-
schiger Larven;
Doch hielt er sich nicht, und im Alter zuletzt — -wohl war in der Jugend
es anders —
Da stiegst ihr- den Greis von den Brettern hinweg, da der beissende Witz
um verlassen. . .
Daraus erfahren wir, dass Magnes, vor Aristophanes, Aristopha-
nische Komödien gedichtet; dem Aristophanes mindestens die
Chormaske „Vespeu," „Yögel," „Frösche" vorweggenommen. Mag-
nes war ein Ikarier, wie Thespis. Seine Blüthezeit fällt gegen
Ol. 80, 1 = 460, noch vor die AuflFiilrrmig der Orestie des Aeschy-
los, die Epicharmos noch erlebt hat, da er in einem seiner Dra-
men auf Aeschylos' Eumeniden Bezug nahm.^) Aus obiger Chor-
stelle geht ferner hervor, dass zu Magnes' Zeit die komischen Wett-
kämpfe schon stattfanden, die vielleicht damals erst, und wie man
meint, durch Perikles eingesetzt wurden, mit Chorbewilliguug von
Seilten des Archon, während der tragische Chor viel früher zuge-
standen ward. Aristoteles bemerkt ausdiiicklich -) : „den komi-
schen Chor hat der Archon erst spät bewilligt." Die frühern Ko^
miker, von Susariou bis Magnes, mussten die Kosten des Chors
selbst bestreiten, darum Messen sie sd-skovral, „Freiwillige": aXk'
kd-elnvtui ^aar, fügt Aristoteles seiner Notiz hinzu. Die Zahl von
Magnes' Siegen geben die Didaskalien auf elf an. Seine Dramen
waren schon zur Zeit der Alexaudrinischen Kritiker nicht mehr vor-
handen. DerAnonymos de Comoed. beiMeineke^) nennt elf Siege
des Magnes mit Dramen, wovon kein einziges sich erhalten {ovötv
1) Schol. Aeschyl. Euiii. 02',). — 2) Poet. V, 3. — 3) a. a. 0. p. 535.
Magnes. Eki)liaiitides. Epicharuios. \\
awlezai). Die neun Koin(Mien, die unter seinem Namen s^ingen, und
deren Titel nocli vorhanden, galten für unäclit, oder doch für Um-
arbeitungen -^Diaskeuasen): Frösche, Dionysos, Lyder, Vögel,
Poastria, Titakides, Barbitisten (Harfenspieler), Wespen.
Der neunte Titel ist uns ablianden gekommen. Den Meineke
daram nachzuschlagen lohnt sich nicht; lassen wir ihn laufen.
Den Ekphantides nennt Aspasios 0 den ältesten unter den
alten attischen Konn'wliendiclitern (/toirjTi.gzcov a^yalojv naXaioza-
toq). Von Kratinos soll er den Spitznamen xauviag „der llauchige"
oder ..Finsterling"- erhalten haben.-) Aufweiche Eigenschaft hin,
blieb im Dunklen, üebrigens bedeutet Kapnias auch ..alter Wein,"
weil man die Weine anrauchen liess, um ihnen den Geschmack
von alten Weinen zu geben. Vielleicht hijig der Spitznamen mit
dieser Bezeichnung zusammen. Einerlei. Der AVein ist verflo-
gen, der Kauch gel)lieben, nebst dem Titel von einer Komödie:
die Satyrn, mit einem einzigen Vers, worin ausser jambischen
Füssen auch gekochte Schweinsfüsse vorkommen. 3)
Epicharmos von Kos, Philosopli. Arzt und komischer
Dichter. Einer der merkwürdigsten Männer jener Zeit, den aller-
grössten ebenbürtig, einem Pythagoras, Aeschylos, und in seiner
Komödiengattung F]poche machender, ursprüngliclier Schöpfer.
H. P. Kmseman fHarlem 1834) hat seine Fragmente und die
Titel seiner Komödien herausgegeben. Eudolda'*) spricht von
Epicharmos' pliysischon, pliilnsopliisclien und vielen medicinischen
Schriften (oiyyoc'qi/^icaa). Im Tlieätet^j nennt Plato den Epichar-
mos als Gewährsmann neben Homer, die er^ie Spitzen der bei-
den Dichtungsarten nennt: E}ticharmos der Komödie, und Homer
der Tragödie 'cwr yiniriTOjv rn ('r/.ooi tt^g nnu^oeioi; r/.ciTfQUQ). Der
Anonymos bei Küster setzt den Kpicharmos an die Spitze der
ruhmwürdigsten Dichter U\S:in).oyi'rtaxoi) der alten Komödie. Der
Philosopli .Mkiiiios 'y behau]iteto sogar, l'Iato iiätte sicii Eitichar-
mischo Lehren angeeignet. .lamblichos rühmt von ihm**): „Seine
Denkspniclie le])ten in aller Philosophen ^luiid." Als Komödien-
di<;ht(n" ist (T dem Anonymos'; Krhnder, Künstler ('£/'p£f//.oi,\/M)AAo:
1) Zu Arist. Ktli. Nie. I\', 2. ]., :):> |{. 2) .Scliul. Arist. Vcsi». löl.
— .3) Atlicn. III. i>. !tii ('. 1, p. lü.j. _ .5) p. 1.^2 E. — 6) praef. zu
Aristoi)h. 7) l)i<.g. I.aert. 111. 1» 17. s) Vit. Pytii. 2!). § Kiß. — 9)
Mein. a. a. 0. p. ö.'{5.
12 Die griechische Komödie.
TTQooq^ilnteyvrjaag). Epicharmos ist der Einzige von allen komi-
schen Dichtern, dem die Denksysteme der gleichzeitigen Philoso-
phen geläuiig waren mid der aus der Komödie eine Schule phi-
losophischer Lehren machte. Melden Avir in Kürze das Wesent-
lichste aus dem Wust von Unwesentlichem, das die Notizen-
sammler über ihn aufgelesen. Gleich an der Schwelle A\ird man
stutzig, dass Diog. Laertios ^) von Epicharmos als Philosophen
spricht; von dem komischen Dichter aber kein Woi-t sagt.
Sein Vater Elothales, Arzt, Freund und Schüler von P}i;ha-
goras, wanderte, drei Monate nach der Geburt des Sohnes, aus
Kos hinüber nach dem sikelischen Megara (um Ol. 60, 1 =540).
Der Vater des Epicharmos konnte die Zerstörung dieses Megara
durch Gelon und die Verpflanzimg der Einwohner nach Syrakus
(Ol. 73, 4 — 485) noch erlebt haben. In diesem Jahre soll Epi-
charmos in Syrakus zuerst Komödien aufgeführt haben. Von sei-
ner Jugendgeschichte weiss man nm* so viel, dass sie in die Blü-
thezeit der Pythagoräischen Philosophie fällt. Aller AVahrschein-
lichkeit nach, gehörte die Familie des Epicharmos zu den Askle-
piaden der Insel Kos. "-) Die medicinischen Schriften des Epichar-
mos waren, dem JambKchos zufolge^), in dorischer Sprache ab-
gefasst.
Nächst der Philosophie des Pythagoras eignete sich Epichar-
mos auch die Lehren eines andern Zeitgenossen, des Xenophanes,
an, eines Hauptes der Eleatischen Schule, dessen Wirkungskreis
seit Ol. 61=536 ebenfalls Grossgriechenland war. Wemi Epi-
charmos das hohe Alter von 90 — 97 Jahren, das ihm Diod. Sic.^)
giebt, wirklich eiTeicht hat, so lebte er noch um Ol. 82 oder 83,
wo Krates und Kratiuos ihre komischen Siege in Athen unter
Perikles feierten. Die eine von der doppelten Inschrift auf sei-
ner Bildsäule besagt: die Bürger von Syrakus hätten den Epi-
charmos, ihren Mitbürger, aus Erz gebildet, und die Statue dem
Dionysos aus Dankbarkeit geweiht, weil Epicharmos ihre Kinder
viele fürs Leben nützliche Dinge gelehrt.^) Die zweite Inschrift
rühmt: So sehr die Sonne alle Gestirne und das Meer alle Flüsse
an Grösse übertreffe, so sehr rage Epicharmos in Weisheit her-
1) VIII, 78. — 2) Sprengel, Gesch. der IMedic. B. I. p. .'549 ff. — 3)
a. a. 0. ■Mi. § 2m. -l) XI, ib. — 5) Tlieokrit. Epigr. XML
Die philosophische Komödie des Eiiicharnios. 13
vor. ^) Epicharmos soll eine Zeit lang in der \'erbamiiuig auf der
Insel Kos, seinem ui-spiiingliclien Vaterlande, zugebracht haben-),
wie man verrautliet, in Folge der Unterdrückung und Auflösung
des Pythagoräischen Bundes, dessen Schicksale Epichannos, als
eifi-iger Schüler des Pythagoras, getheilt hätte. 3) Welcker hält
diese ganze Nachricht von dem Exil des Epichannos für eine
leere Erfindung. ^;
Die Philosophie, die wir als eines der wesentlichen Gestal-
tungsmomente des alten Drama's erkannten, kehrte sich aber auch
alsbald, in Bezug auf die Komödie sowohl wie auf die Tragödie,
in ein Auflösungselement des Drama's in dem Maasse um, als
die Philosophie den Volksglauben uutergTub und zerstörte, wel-
cher doch ihre Idee, nur in Gestalt der syml)olischen Mythe, zum
Inhalt hatte. Hiebei wirkte des Pythagoräisch und Eleatisch ge-
schulten Epicharmos Komik nicht mierheblich mit, die, ihrer gan-
zen Tendenz nach, eine Travestie der Götterfabel war. Scheint
es doch, als habe Epicharmos durch travestirende Verspot-
tung der Göttenvelt, zu Gunsten des metaphysischen Schulgottes,
sich für die Enthaltung von politischen Tendenzen in seinen Ko-
mödien rächen wollen, und den Zwang, den ihm Hieron's Thea-
tercensur auferlegte, die Götter entgelten lassen. Wie herzlich
mochte Hieron über diese dem Spotte preisgegebenen Volksgötter
gelacht haben, ohne zu merken, dass sein eigenes Königtlium von
Göttergnadeu bei diesem schüttelndeu Gelächter wackelte. Hie-
ron lachte über diesen Poseidon, der mit seinem Dreizacke, als
Fischergabel, herbeigeeilt kam, zum Fischfang für die Hochzeit
der Hebe. Lachte hell auf über diese Musen, die zu Fischwei-
bern herabgespottet, für besagte Hochzeit die köstlichsten Fische
in die Küche lieferten; eine endlose Liste, auf die Aelian sich
bezieht.^) Darunter ein Fisch Elops, von dem es in dieser Ko-
mödie hiess, Zeus habe den einzigen vorhandenen sich zu Gemüthe
geführt, und seine Frau auf den näclisten vortröstet, den man
fangen würde. Hieron lachte sich die Haut voll über ikn urko-
mischen Waifentanz, den die beiden Dioskuren, während des Göt-
terschmauses, ausführten, und zu dem Tüllas Athene, in Gestalt
1) Diog. Laert. VIII, 78. — 2) Dunw. 111. ].. l'^(>. li) Bode a. a. 0.
42. - - 4) Schulzeit. ls;t(i. S. 420. — 5) Hist. An. 111. I.
14. Die griechische Komödie.
einer dickeu sikuiisclieu Älilcbmagd , die Flöte blies, und zwar
den enoplios Nomos ^) : eine Waffentanz-Melodie von dem würdig
feierlichsten Ernst. König Hieron, die Königin, der ganze Hof
von Syrakus, sie lachten ihre dicken Thränen über diese Schwanke
eines Pythagoräers als Hanswiurst; über diese fabelhaft possierli-
chen Götter und ihre schnackischen Mythen, ohne entfernt daran
zu denken, dass sie selbst nur eine Mythe sind, an die man glau-
ben muss, um sie, die allerhöchsten Herrschaften, für Götter die-
ser Welt und nicht für eine possenhafte Travestie, für die lächer-
lichste Fal)el zu halten. Der staatskluge, mächtige und aufge-
klärte Hieron lachte sich auch über das Bedenken hinweg , dass
der gemeine Volksverstand von solcher Verhöhnung, im Zwecke
eines reinen, aus der symbolischen Hülle herauszulösenden Ideen-
gewinnes und philosophischen Kerns, nur die negirende zerset-
zende Verspottung sich aneigne, nicht die Philosophie und den
reinem Gottesbegriff. Wie denn auch das syrakusanische Volk,
nicht lange nach Hieron, wilder und sittenloser ausartete, als ir-
gend ein hellenisches Stammglied. Der blosse leichtfertige Spott
wirkt jederzeit seelenverderblich, vergiftend und zerfressend mit
seiner Aetzkraft den Volksgeist und das Volksgeniüth. Die gi'osse
Satire, jenes geistige Fegefeuer, jene allgemeine öffentliche Lu-
stration durch das Spottgelächter der Komik wirkt dann nur heil-
sam, wenn der Spott aus den ewigen Gedanken des Kechtes und
des Sittengebotes, aus den unwandelbaren Grundgefühlen des Ge-
müthes hervorbricht, wie diess in der Aristophanischen Komödie der
Fall ist. Die „jambische Idee" hat den Beruf, das Niclitige und
Schlechte in seiner festen Burg, der öffentlichen Gewalt, anzu-
greifen und seine HeiTSchaft zu brechen; und, wenn es sich in
einer volks- und staatsgefälnliclien Persönliclikeit als das incar-
nirt Böse verkörpert, diese Persöiilicldveit, ohne Gnade und Barm-
herzigkeit, zu vernichten. Eine solche Spottlust ist keine nega-
tive; im Gegentheil: sie greii't den Geist, der stets verneint, in
seiner Wmv.el an, in seiner lurchtb;irsten Gestalt: als angemaasste,
öffentiiclie Macht, als den bösen Geist, der das Gute stets ver-
neint; das wahre öffentliche Heil, das wahre Volkswohl stets ver-
neint, das von der politischen Freilieit, von der ausschliesslichen
1) Athen. IV, 184 F.
Die philos. Götter-Travestie des Epicliarmos. 15
Herrschaft des gesetzlichen \'oIks\villeiis, uiizertreiiulicli ist. Diese
Komik, diese „jambische Idee", ist das Salz der Staaten, und die
Aristophauisclie Komödie, deren radicale Heilcur, die eigentliche
zu gewissen festlichen Zeiten vorgenommene öftentliclie Volks-
süline, Februatio; die gründlichste Aristotelische Katharsis in ili-
rer reinigendsten und gesund lachendsten Bedeutung. Und ge-
rade diese liöchste Consequenz seiner Katharsis wollte der grosse
Logiker und Energiendenker nicht aus seiner Kunstlehre und
Etliik zielicn, deren heiligste Interessen mid Lebensfragen die
gTOSse Komödie von der jambischen Idee, die alte, die Aristo-
phanische Komödie, doch am eifervollsten wahrnimmt, und erha-
ben begeistert. Dionysisch-enthusiastisch, heldenmüthig und glän-
zend ausheilt. Die Travestie des Epicharmos dagegen spottet
den Volksglauben, die Volksideale zu nichte, die bei Culturvöl-
kern stets einen geistigen Tiefgehalt verbildlichen, wie die Kalk-
schale des „kopflosen" Weichthiers die kostbare Perle ])irg-t. Und
was setzt die Komödie des Epicharmos an Stelle der von ihr zu
Schanden gelachten Volksideale? Welche Heilslehre bringt sie
dem Volksverständniss , dem Volksgemüthe , zu? Welche Götter
richtet sie auf in seinem von allen sittlichen und religiösen Ideen,
diesen Tempelschätzen seines Innern, ausgeplünderten imd ver-
wüsteten Geiste? Die Komödie des Epicharmos, wie die neu-at-
tische, die Menander-Komödie auch, giel»t dem Volksgemüth, für
seine Götter- und Heilsbegritte , Gemeinsprüche, Moralsentenzen,
SchulfoiTneln, metaphysische Abstractionen ; die Menander-Komödie
gar, wie sich zeigen wird, eine lockere Scheinmoral, deren lt'l)ens-
kluge Spruchweisheit und aus den anstössigsten Koniödicnrabchi
entwickelte Klugheitsregeln und Vorschrilten zu einer gcdcilili-
chcii Lebensjmixis dem Volkssinne so iK^komnit, wie Jener „Brief",
(h'm l'ropheten bekam, dem er im Munde süss schmeckte wie
Honig; genossen aber, bitter wie VVcrmulli uiul (^all^^
Es ist erstauidicli, was für nackte sjjcculative Gedanken diese
Travestien-Komödie auf lU-ni l'räsentirteller den Feinschmeckern
vorlegte; recht eigentlich auf dem l'räsentirteller, da sieb diese
Komödie meist um Tellerieckerei und gute Schüsseln bewegt:
„Menschen und Thiere sind und leben nur durch die ihnen ein-
wohnende Idee, und diese ist ihre Seele. Die Gottheit aber ist
Ur(|uell aller Ideen, wodurch das Weltall zusammengelialten wird."
\Q Die griechische Komödie.
„Die Eigeuschaften dieses göttiiclieii Logos bestehen in Allgegen-
wart und Allmacht" ^), und dergl. mehr. Treffliche Lehren, ohne
Frage; ganze Schulsysteme in kurzen Sprüchen, zum Hausgebrauch
für Schulweise und deren Jünger. Nackte Philosopheme und tra-
vestü-te Götter, so leicht und angenehm verschluckt im Salzwas-
ser des komischen Spottkitzels, wie man heutzutage Austern
schluckt, und an Hieron's Tafel den Fisch Elops in Seewasser,
oder gewürzter Tunke genoss. Kein Wunder, dass in diesen
Symposien der sikelischen Komödie der guten Küche die Philo-
sophen, Piaton an der Spitze, wie an Götteitafeln schwelgten, und
sie hoch über die Aristophanische Komödie stellten, welche, um-
gekehrt, travestirte Philosopheme und nackte Götter in die See-
len lacht, deren Blossen aber keine parties honteuses sind, wie
die der sikelischen Komödie, sondern glänzende Schönheiten ; ho-
merisch lichte Nuditäten; Götterskandal, der erleuchtet, wie
Aphrodite und Ares im Goldnetze, geschmiedet von dem hin-
kenden, wunderlichen Kunstgott und Mundschenk, Hephästos, dem
Erreger unsterblichen Göttergelächters; und das Goldnetz mit
seinem herrlichen Fang beleuchtet vom Lichtgotte Helios oder
Phöbos Apollon, dessen goldne Flamme auch in der Aristophani-
schen Komödie aufschlägt als helle Lust, als selig helles Geläch-
ter. Auch das ist kein Wunder, dass die Lehren der sikelischen
Komödie des Epicharmos, die bei aller Kunst und durchdachten
L-onie, als Travestien, nur für eine eigenthümliche Art von spe-
culativer Posse und Schulkomödie gelten kann — dass diese Leh-
ren zu Spruchsammlungen für Schulen eifrig ausgezogen und als
Gruudljücher für Erziehung und Bildung der Jugend betrachtet
•vMirden. Oder dass die Kunstrichter im Alexandrinischen Mu-
seum den Epicharmos an die Spitze ihres Kanons für die alte
Komödie stellten. Oder dass einer der ältesten römischen Dich-
terphüosophen, Ennius, von dem Horaz sagt, er habe nie anders
als betrunken seine Heldengediclite geschrieben (Ennius ipse pa-
ter nunquam nisi potus ad arma prosiluit scribenda 2) , — ■ dass
der Lebemaini und Tischgenosse des römischen Adels, p]nnius,
jene Lehrs}irüchc und Schulsätzo unter dem Titel: Epicharmus,
in römische Verse braclite, wovon noch Fragmente vorlianden,
1) Cleiii. Alex. Strom. V. j.. (;71. — 2» K|.. 1, 19, 7.
Epicbarmos. Drei Komüdieu-Gruppen. \^
herausgegeben von Hessel. Dass aber trotzdem, trotz Epicbarmos
und seiner Komödie, die Homer's Götterwelt in die läcberlicbsten
Situationen der geraeinen Wirldicbkeit herabzog, Homer's gött-
liche Ideensymbole zu nüchternen Alltagsfiguren , schmutzigen
Fischhändlern, Küchentrullen, zu Pickelhäringen und Hanswürsten
spottete, und trotz alledem der Glaube an diese Götter noch über
ein Jahrtausend nach Epicbarmos und seiner Komödie vorhielt,
das ist ein Wunder, das grösste Wunder Gottes.
Die Zahl von Epicbarmos' Komödien schwankt in den An-
gaben zwischen 52 und 35. ') 37 seiner Komödien-Titel werden
noch aufgeführt. Athenäos zählt allein deren 26 auf. "-)
Die Stücke lassen sich, dem Stoffe nach, in drei Grup-
pen bringen. Zur ersten werden die eigentlichen Travestien
der Götter- und Helden-Mythe gezählt. Dazu gehören 5 Komödien,
d. h. Komödien-Titel : Hebe's Hochzeit; in einer zweiten Be-
arbeitung die Musen genannt. Von beiden finden sich inKruse-
man's Sammlung an vierzig Fragmente, die sich wohl zu einer
Speisekarte der auserlesensten Gerichte und Leckerbissen, aber
zu keiner Inhaltsangabe zusammensetzen lassen. Den ungefähren
Inhalt haben wir schon angedeutet. Bode vermuthet in den Mu-
sen den Chor zur Hochzeit der Hebe. „Aber was für Musen!"
ruft er aus. Sie stammen von Pieros, dem Feisten und von
Pimpleis, der Dicken, und als Quellnymphen haben sie für die
schmackhaftesten Fische zu Hebe's Hochzeit zu sorgen. Nach
Grysar waren die Chöre des Epicbarmos von denen der attischen
Komödie darin verschieden, dass sie auf der S c e n e, wie bei den
Römern, nicht wie die attischen Chöre in der Orchestra, zubrach-
ten 3), und sich der dialogischen Form und desselben Metrums
wie die Schauspieler bedienten. Die komischen Chöre des Epi-
cbarmos hatten also weder chorische Gesänge (/.islrj xoQiyid), noch
Parabasen u. s. w. Ausserdem, meint Grysar, hätten Gespräch
und Gesang in der Komödie des Epicbarmos so abgewechselt,
wie in unsern Singspielen und Gesangspossen. Da kein einziger
Chorvers in den Bruchstücken zu finden, stehen alle Vennuthun-
1) Suid. V. !E77//. — 2) X. p. 418 C. — 3) de Dor. Com. quaest. 1828.
135.
U. 2
1 8 T)ie griechiselte Komödie.
gen über den Clior dieser Komödien auf schwachen Füssen, oder
riclitiger auf gar keinen Füssen.
Die Komm asten, oder Hephästos, travestirten die Mythe
von der Fesselung und Lösung der Götterkönigin durch den
Schmiedegott, als Strafe von Zeus über sie verhängt, wegen der
Verfolgung des Herakles. Die Befestigung der Hera an den von
Hephästos verfertigten Zauberstuhl, mit Hülfe von Ares und dessen
Bruder Enyalios, durch Hephästos ist auf einer italischen Yase
dargestellt. 1) Für das Mitleid, das Hephästos bei der Fesselung
bezeigi, wird er von Zeus aus dem Himmel gestürzt. Zur Erlö-
sung vom Sitzzauber, die nur Hephästos vollbringen kann, lässt
ihn Zeus durch Dionysos zurückholen. Den Einzug in den Olymp
hält Hephästos auf einem Esel, begleitet von Satyrn als Komma-
sten, die den* Chor bildeten. In der Abbildung dieser Scene auf
einer italischen Vase will man eine Scene aus Epicharmos' Kom-
masteu erkennen. "■^)
Pyrrha und Prometheus, Travestie des Mjiihus von
der Menschenschöpfung und der Sündfluth. Das ihnen durch
Prometheus verliehene Feuer benutzen die Menschen zu Zwecken
der Kochkunst. Sie werden Schlemmer und Prasser. Zeus ver-
tilgt das Kothgeschlecht (nläo^iaTa m^lov Aristoph. Av. 686),
l)is auf Pyrrha und Deukalion, Kinder des Epimetheus und Pro-
metheus und Stammeltern eines neuen dauerhaften Geschlechts,
aus Steinen gebildet. Daher Laos {laog) „Volk", das auch „Stein"
bedeutet (A«c, lang). Man wollte in dieser Komödie eine Paro-
die von Aeschylos' Prometheus finden. Ist auch Buttler's Ansicht 3),
dass Epicliarmos, der mit Aeschylos an Hierou's Hof verkehrte,
die Redeweisen des grossen Tragikers, ja ganze Tragödien von
ihm parodirt hätte, längst beseitigt: so bleibt die Epicharmische
Komödie doch, ihrem Wesen und Charakter nach, eine Parodie
der Tragödie überhaupt; und diese liiclitung ist es, die ihr das
Anrecht auf eine poetische Darstellung der komischen Idee ab-
spricht, und sie in die Klasse des Schwankes edlern Styls und
der mit gedankem-eichen Schulsprüchen verzierten Bm-leske ver-
1) Hancaiville T. :j. pl. lüS. Milliii , Gal. inythol. 13, 4S. — 2) La-
borde T. I. tab. 52. Milliii, G. m. 1, 80. 3SS. Vascs. T. I. pl. 9. T. II. pl.
ÜÜ. — 3) ad Aoscli. Proin. arg. T. I.
Epicliarinos. Die.pliilosophisclie Parodie. 19
weist. Die poetische Komödie mag wohl die Form der Tragö-
die, den Kothurn, parodiren: in ihren Richtmigen und Zwecken,
in ihrer innersten Wesensidee treffen beide zusammen und ergän-
zen sich einander, wie Demokrit und Heraklit dieselbe Weltan-
schauung durch verschiedene Kundgebungen und in entgegenge-
setzten Stimmungen offenbaren: der eine durch Lachen, der an-
dere durch Weinen. Ist es gestattet, das Bild weiter auszufüh-
ren, so denke man an jene mit den Seiten zusammengewachseneu
Menschenwesen, die Aristophanes in Platon's Gastmahl, zur Er-
läuterung seines Begriffes vom seelenverschmelzenden Eros, schil-
dei^t. Komödie und Tragödie, Demokrit und Heraklit, des lachen-
den und weinenden Philosophen verschwisterte Seelen, sie gleichen
solchem, durch vorherbestimmte Harmonie für's erste nur seitlich
zusammengewachsenen Menschenpaar. Nun stelle man sich die-
ses nach seiner, auf des Schöpfers Machtwort, erfolgten Theilung
und Auseinanderlösung vor. Eine unendliche Sehnsucht über-
kommt die getrennten Zwillingsseelen. Der Demokrit weiss nicht,
wie ihm geschieht, ob er lachen oder weinen soll; und dem He-
raklit ist zu Muthe, als müsste er vor Weinen lachen. Bis sie
sich erschaut, und Aug' in Auge blickt. Nun liegen auch schon,
wie zwei Schwesterflammen, die beiden Zwillingsseelen einander
in den Armen, und halten sich so innig umflochten und um-
schlungen, und vermischen so liebeselig ihr Lachen und Weinen,
dass sie jetzt erst zu vollkommener Wesens-Durchdringung ver-
schmolzen scheinen. Ist diess etwa nur ein müssiger, willkürlicher
Vergleich? Oder hat sich das, in dem antiken Drama blos äus-
serlich und seitenveiivandtlich vereinigte Zwillingspaar, Tragödie
und Komödie, die Hei'aklit- und Demokrit-, die weinende und
lachende Philosophen-Seele, haben sie sich nicht wirklich in dem
Drama des poetischen Humors, im Shakspeare-Drama , zur innig-
sten Seeleneinheit vermischt. Ein Herz und Eine Seele? Wie
verhielt sich nun aber die pjiilosopliische Parodie des Epiclmrmos
zu der wirklichen Identitätsphilosophie des tragischen Weinens
und komischen Lachens? Wie ungefähr jener Kyau im Volks-
schwank, der vom Himmel hernieder seine Privatgeschäfte abmacht,
und dabei, in einer unaussprechlich hockenden Stellung, die Erde
mit allem was darauf sich regt, kreucht und weset, wonueselig
und wunderfreudig anlacht. Aehnlich die i)hilosophische Parodie
2*
20 Die grieeliiscli? Koiniklie.
des Epicharmos, die beim Anblick des seelenverschwisterteu Paars
vor Freuden den Himmel für einen Kyau-Stuhl ansieht, und von
demselben auf den curiosen Zwilling, als auf die neckisch spas-
sigste Missgeburt, sich den Bauch haltend vor Schüttelwonne,
herunterlacht. Ihrem Geist und Wesen nach, ist die sikeliotisch
italische Posse, als Götter- und Heldenparodie, zugleich die Par-
odie der tragischen und komischen Idee selbst, deren in innerster
Tiefe gemeinsamen Ernst und läuternde Kraft sie in den Koth
spottet und dadurch sich selbst zur Aften-Fratze grinst. Des Epi-
charmos Mythen-Bmieske mochte sich vor dieser gemeinen Phly-
aken-Posse durch Kunst, edlere Haltung und speculative Elemente
auszeichnen; in ihrem Grand und Wesen blieb sie ihr doch ver-
wandt. Ja die italiotische Posse kann nur für eine verkommene
Abart der Mythen -Travestie des Epicharmos gelten. So gross
dieser in seinem Genre war, so verwerflich scheint uns sein Genre
vom kmistpoetischen Standpunkt aus, weil es diesen selbst aulhebt
und ihn zur Narrensposse äfft.
Die Bruchstücke der Bakchen und Dionysen von Epi-
chamios geben keine Andeutung von dem Inhalt dieser wahr-
scheinlichen Travestien des Pentheus-Mythos. Dieser ersten Gruppe
schliessen sich die Parodien Homerischer Mythen an: die
Troer, Philoktetes, Odysseus der Ueberläufer, der
Kyklop, die Sirenen und der schiffbrüchige Odysseus.
Eine nähere Angabe gestatten die kümmerlichen Bruchstücke
nicht. Dasselbe gilt von Skiron, Busiris und A mykos.
Die zweite Gruppe der Epicharmischen Komödie bilden
Localstücke, sikelische Charakterbilder aus dem Privatleben.
Wiefern dieses Gem'e mit dem der mittlem mid neuern Komödie
vei-wandt ist und auf diese eingewirkt haben mag, lässt sich aus
den spärlichen Bruchstücken nicht erkennen. Die Perser, die
Räubereien, das Fest und die Inseln, bleiben für die Ge-
schichte des Drama's Bölimische Dörfer. Vom Inhalt des Pithon
(Affe), der Monate, der Wurst, des Grossprahlers, desEpi-
nikios, der Festtänzer, lässt sich so viel errathen, wie von
dem Inhalt der Vogclgcspräche. Epinikios und Festtänzer waren
dem Grammatiker Hephästos 'j ziüolge und nach einem Schol.
1) p. -i'). (^aisf.
Epichaniios. Mythen-Parodien. Local-Stücke. Lustspiele. 21
Aristoph. ^) in anapästischeu Tetraraetern gedichtet. Was von
Epicharmos übrig geblieben, besteht, bis auf eine kleine Anzahl
Jamben, aus trochäischen Tetrametern.
Die dritte Gruppe endlich enthalten, bis auf zwei, Stücke
von allgemeinem Lustspielstoflfen aus dem wirklichen und ge-
wöhnlichen Leben; die Vorbilder und Vorlagen des Plautus:
„Plautus eüte zum Ziel der Entwicklung, wie Epicharmos."
Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi. 2)
Das properare deutet auf die rasche, muntere, vorwärts eilende
Bewegung in der Komödie des Plautus, worin er den Epichar-
mos zum Muster genonmien.^) Von diesen Stücken des Epichar-
mos werden sieben Titel genannt: Die Töpfe, der Bauer, Hoff-
nung und Reichthum, das Mädchen von Megara, Erde
und See, Logos und Loginas. Die Töpfe hat Plautus wahr-
scheinlich in seiner Aulularia nachgeahmt ; den Bauer (AyqtooiT.-
vng) in seinem Truculentus oder dem verloren gegangenen AgToe-
cus. Hoffnung oder Reichthum enthielt schon den Charak-
ter des Parasiten vollständig ausgebildet. Erde und See (Fcc
•/Ml Qdlaooa) mochte ein Küchenstück gewesen seyn, wozu Erde
und Meer die Leckerbissen lieferten. Die Bruchstücke enthalten
meist auch Leckereien. Logos und Loginas scheint eine Per-
sonification von Verstand und Witz, ähnlich den Figuren im indischen
Drama: „Die Geburt des Begi-Lös." Das Fragment deutet auf eine
Scene zwischen Logos und Loginas, worin die beiden wunderlichen
Personen sich mit doppelsinnigen Wortspielen neckten. Der Schöpfer
der sikeliotischeu Komödie, dieser hoch- und reichbegabte, nach
so verschiedenen Richtungen hin merkwürdige und grosse Geist,
bietet, als dramatischer Dichter, zwei entgegengesetzte und doch
sich ergänzende Seiten dar: eine negative und positive Seite.
Erstere vertritt seine Mythen-Parodie, womit er der Homeri-
schen Götterwelt, und in ihr, der Tragödien- und Komödien-Fabel,
dem Stoffe wie der Idee nach, als Philosoph, schulsystematisch,
den Garaus spielen wollte, und sie ausrotten mit Stumpf und
Stiel. Dieser Vernichtungsfeld zug endigte mit der vollständigen
l) Plut. 487. — 2) Hör. Ep. II, I, 58. — 3) C. Lmze de Plauto pro-
perante ad exemplar Epicharmi. Breslau 1S28. (Schulprogi'anim.)
22 l^i»3 griecliische Koiiiödio.
Niederinge des Philosophen wie des Dichters. Der alte Homeri-
sche Geist wandte die Schärfe des Schwertes gegen die Schul-
secte selbst, welcher Epicharmos angehörte, gegen den Pythago-
räischen Bund in Unteritalien, dem er mit Einem Schlage ein
Ende machte, und erhob sich gleichzeitig in der attischen Tra-
gödie, bald auch in der altattischen Komödie, so herrlich gross
und glänzend, wie er nur jemals als episch-lyrischer Sonnengeist
ganz Hellas erleuchtet hatte. Die positive, die fruchtbar fort-
zeugende Schöpferkraft entfaltet der wunderbare Asklepiade, Py-
thagoräer und Burleskendichter in den Komödien der zweiten und
dritten Gruppe, in seinen Local- und Charakterstücken,
durch welche sich Epicharmos als Vater und Begründer des eigent-
lichen Lustspiels und der Localposse im modernen Sinne beur-
kundet ; ein unsterbliches Verdienst, das ihm eine der ersten Stel-
len in der Geschichte des Drama's anweist.
Gleichzeitig mit Epicharmos dichtete Phormis oder Phor-
mos am Syrakusischen Hofe Komödien, und theilt mit seinem
Kunstgenossen die Ehre, als Erfinder der dorischen Komödie zu
gelten. Phormis war Erzieher von König Gelon's Söhnen. Ihm
schrieb man, nach Suidas '), die Einführung- der langen Gewänder
und die Ausschmückung der Scene mit rothgefärbten Fellen zu.
Von dem prunkhaften Aufwände der Choregen in der Megarischen
Komödie, welche gleich beim Eingange Purpurstoffe zur Schau
trugen, spricht Aristoteles in der Nikomachischeu Ethik. 2) Das
grosse steinerne Theater zu Syi'akus, dessen Ruinen jetzt noch
Staunen erregen 3), war lange vor Sophron, dem Zeitgenossen des
Aristophanes, erbaut. Der Architekt Demokopos soll, nach Voll-
endung des kolossalen Baus, wohlriechendes Oel unter seine Mit-
büi-ger in Syi'akus vertheilt und desshalb den Namen Myrilla
erhalten haben. Die dem Epicharmos, nach Theolait's Angabe,
von seinen Mitbürgern gesetzte Statue lässt vermuthen, dass er
den nächsten Anlass zum Bau des grossen Theaters gegeben habe,
der unter Hieron begann, aber erst Ol. 78, 3 = 466 vollendet
wurde. Hieron starb Ol. 78, 2 ==467.
Suidas zählt 8 Titel von Stücken des Phormis auf. Admetos,
1) V. 'fyÖQ/uos. — 2) rV, 2, 20. — 3) Honel T. 3. pl. 187tf. WUkiiis,
Magn. Graec. etc. II. ]>. <i. y\. 7.
Miiiiographen. 23
Alkyones, Alkinous, Ilions Zerstörung, Hippos, Ke-
pheiis imd Perseus. Ein neuntes Atalantai nennt Athenäos. 0
Sie gehören sämmtlich in die Klasse der Mythen-Travestien. Als
dritter Kunst- und Zeitgenosse von Epicharmos und Phonuis wird
Deinolochos genannt, Schüler oder gar Sohn des Epicharmos.
Aelian bezeichnet ilm als einen Mitbewerber und Nebenbuliler
{avTayioviOTiQ) des Epichamios. 2) Suidas schreibt dem Deinolo-
chos 14 Komödien zu, wovon nur 3 dem Titel nach bekannt sind:
Telephos, Amazonen, Medeia, die ebenfalls der M}i;heu-
Komödie, oder der Parodie tragischer Stoffe beizuzählen.
Die Mimographen. Die von Piaton bewunderten Mimen
(^If.wi) des Sophron waren scenische Bilder aus dem sikelioti-
schen Volksleben mit scheinloser, leichter Ironie und hannloser
Scherzhaftigkeit (jägiTsg eixEleiQ), für die gebildete Gesellschaft,
in frischen heitern Farben ausgeführt. Diese kleinen, dramati-
schen Spiele stellten Figuren aus den untern Volksklassen, Land-
leute in der Kegel, dar, in drolligen Contrasten mit dem städti-
schen Wesen, die aber nur erzählungsweise, im Zmegespräche,
unter den betreffenden Personen verhandelt Avurdeu, und durch
das dabei entwickelte Gebärden spiel um so ergötzlicher wk-
ten. Wir erklären uns den Namen Mimoi aus diesem, den Volks-
typen, besonders den sikeliotischen Landleuten eigenthümlichen
malerischen Mienenspiel bei Schilderang ihrer Verlegenheiten und
Bedrängnisse in der Stadt und bei städtischen Schaugeprängen.
Dieser Reiz von natuifiischer Ländlichkeit mit Durchblicken in
das städtische Leben und den contrastirenden Ton der fein-en Ge-
sellschaft musste auf einen Geist wie Piaton um so anregender
und fesselnder wirken, als er sich selbst mit seinen dramatischen
Bestrebungen und Anlagen aus den Wettkämpfen der tetralogi-
schen Tragödie in den Dialog der speculativen Idylle gleichsam
zmlickgezogen hatte, deren belebende Seele Sokrates war, eine
Mimenfigur schon durch die äussere Erscheinung, die Alkibiades,
in Platon's Symposion, so treffend mit den Figuren von Silenen
und Satyrn vergleicht. Piaton lernte die Soplironischen Mimen
durch Dion kennen''), nahm sie mit sich nach Athen, wo sie
]) XIV. p. 623A. — ■>) Hist. An. Yl, 51.-3) Plat Epist. VII. p. 324 A.
24 Die griecliisclic Kuiuödie.
durch ilm zuerst bekannt wurden ^), und studirte sie eifrig als Muster
der diologi sehen Kunst, zu Nutz und Frommen der feinen, mimisch-
dramatischen Färbung seiner Dialoge, die dem Genre des Sophron
darin venvandt scheinen dürfen, dass der Gegensatz der einfachen
ewigen Wahrheit der speculativen Idee zu den künstlichen Wirren,
Täuschungen und Truglehren der vielgewandten und vielge-
staltigen Sophisten dem Gegensatz entspricht, den die in jenen
Darstellungen ländlicher Sitte geschilderte einfache Natm'wahrheit
zu den trügerischen Inamgen und der vielgeschäftigen Nichtig-
keit des Stadtlebeus bildet. Seine Verwandtschaft mit den So-
phronischen Mimen spricht der Platonische Dialog auch in der
Form aus. Sophron's mimische Dialoge waren in Prosa 2) mit
unscheinbarer, aber feindurchdachter Kunst, in rhythmischen Ab-
schnitten geschrieben. 3) Hierauf bezüglich sagt 0. Müller:^) „So-
phron's Mimen hatten durchaus nichts Orchestisches und Musikali-
sches, womit zusammenhängt, dass sie gar nicht in Versen, sondern,
obzwar in gewissen rhythmischen Abschnitten, doch immer in
Prosa geschrieben waren." So hat schon ein alter Kunstrichter
auch in der Prosa der Platonischen Dialoge eine poetisch geho-
bene Khythmik erkannt.^) Die aus jenem Gegensätze von länd-
lich städtischem Wesen und einzig durch die objective Kunst der
Darstellung in Sophron's Mimen fliessende und wie ein feiner
Duft darüber gehauchte Ironie beseelt Platon's Dialoge als specu-
lativer Stimmungston gleichsam, welcher aus dem Zauber der
Composition und der Harmonie dieser dialektischen Kunstwerke
quillt. In der Poetik^') nimmt Aristoteles einen gemeinschaftli-
chen Namen für die Mimen des Sophron imd Xenarchos, des
Sohnes von Sophron, und für die Sokratischen Dialoge in
Anspruch, als deren Erfinder Aristoteles') den Alexamenos aus
Teos nennt. Mit Recht konnte daher Olympiodoros ^) sagen, Plato
habe dem Sophron die Kunst nachahmender Charakterschilderung ab-
1) Diog. La. Vit. Plat. III, IS. — 2) Athen. XI, 505 C. aus Aristot.
verlor. Buch, nsgl noirjjwr. — 3) Gramm, med. bei Montfauc. Bibl. Coisl.
part. 1. p. 120. — 4) Dor. II. p. 260. Vgl. Grysar, de Sophrone Mimu-
grapho p. 12ff. — 5) Dion. Halic. Epist. ad Pomp. p. 205 ed. Hudson: on
Tuv oyxov jrji 7roir]riy.rig xarctaxtu^g inl löyovg r^yuyi tftXoaöifovg. —
6) I, S. — 7) Athen. XI, 505 B. aus Aristot, nsQi noirjTüir. — 8) Vit.
Plat. §. .•{.
Sopliron. 25
gelauscht, und, kann man hinzufügen, die d i a 1 o g i s t i s c h e Kunst.
Denn das Eigenthümliche des Mimos war nicht sowohl das Dra-
matische, als eine mimisch charakteristische Unterhaltung, ein dia-
logisches, in lebhaften Localfiirben skizzktes Charakterbild. Plu-
tarch's Symposion berichtet sogar von einem merkwürdigen Ver-
such, der in späterer Zeit zu Rom mit Platonischen Dialogen
gemacht worden, sie dramatisch aufzuführen. Dass diese Dialoge,
nach Ai-t der Tragödien, trilogisch und tetralogisch zusammen-
gestellt worden 0, ist bereits erwähnt. Ausser Piaton, unter des-
sen Sterbekissen man die Mimen des Sophron gefunden haben
soll-), wird der heilige Gregor von Nazianz als Nachahmer des
Sophron genannt in dem schon angeführten Schol. zu seinen klei-
nen Gedichten. Dem Job. Laur. Lydus zufolge ^j hätte auch der
Römische Satirendichter Persius den Sophron zum Muster genom-
men. Von Apollodoros lag dem Athenäos ein Werk über Sophron
vor, das aus mehreren Büchern bestand. "*)
Sophron, ein Sohn des Agathokles und der Damnasyllis,
war zu Syrakus geboren. Seine Blüthezeit fällt mit der des So-
phokles und Em-ipides zusammen (Ol. 83, 1=448). Improvisirte
Mimenspiele hatte es in Sikelien und ünteritalien lange vor So-
phron gegeben. Die Spieler derselben waren mimische Lustig-
macher {/nTf-ioi ycal yalwxouoLoi), deren Kunst hauptsächlich im
Gebärdenspiel bestand, gewürzt mit platten mid unanständigen
Spässen. Ein Verzeichniss dieser Gattung von Miraenspielern
giebt Athenäos. ^) Die beliebtesten solcher mimischen und von Für-
sten und Voruelunen besonders bevorzugten Posseureisser waren
H ilaroden und Mag öden. Die Kunstleistungen derHilaroden
beschränkten sich auf Caricaturen von Tragödien mit musikalischer
Begleitung und im tragisclien Costüm. „Der '/Ac^orodoc;", sagt
Athenäos*^), „ist ernsthaft (a€f.iv6TSQog); er holmlacht nicht, grinst
und fletscht nicht" (ovöi yccg oxiviCsrai). Der Magode grimas-
sirte Komödien-Stoffe zu Nichte unter dem Schalle von Tam])urin
und Zymbel. Ein anderer Unterscldcd bestand darin, dass die Hi-
laroden Männer- und Frauen-Rollen, die Magoden aber nur Frauen-
1) Diog. La. m, 35, 56. —2) Quinctil. Or. I, 10, 17. Val. Max. VIII,
7. Extr. 3. Euclok. p. 38!). — 3) de iiiagist. Rom. 1, 41. — 4) Athen. III,
89A. VII, 280E. Schol. ad Arist. Vesp. 523. - 5) I, 1!»F. 2üA. Y, IDöF,
X, 439D. — 6) Athen. XIV, (•.21(;. 1). Vgl. Bodo 3, 2. S. Si). Not. 4.
26 T^^^ie .srriechisclie Komödie.
Rollen spielten in langer Frauenkleiduug. Der Preis war ein Gold-
krauz. Diese Mimenspiele nahmen die Eömer in ilire drama-
tische Kunst auf und pflegten sie mit grosser Vorliebe.
Auch Sophron's Mimen zerfielen in zwei Gattungen, in
ernste und spasshafte, und wurden, je nach den männli-
chen oder weiblichen Charakteren, die sie vorführten, avÖQeioi
oder yvvctLY.Eioi genannt.*)
Plutarch'^) nimmt zweierlei Mimen an: 1) vnod^Eoeig, mit
Fabel und Handlung nämlich, dergleichen der römische Mimus
war, dessen nähere Bekanntschaft wir noch machen werden. 2)
Tiaiyvia, die griechischen Mimen, wie sie schon vor Sophron
im Schwünge waren, die Mimen niedrigen Styls, Die Beschaffen-
heit der letztern bezeichnet Dio Chrysostomos 3) in seiner Erklä-
rung des Mimendichters, welcher /ulinog, wie die Darstellung, hiess:
Der Mimos, sagt er, ist ein Darsteller des Lächerlichen, oder ein
Lachenmacher (ye^torog noLrjTi'g) mittelst Possenreissereien in
gebundener oder ungebundener Rede. Von dem Charakter dieses
Mimos giebt Athenäos ^) einen Begriff, der vom König Antiochos
Epiphanes berichtet, er habe einmal so skandalöse Mimen auf-
führen lassen, dass alle Zuschauer davon liefen (ojots navtag
alaxvvopLEvnvg qtsvysiv). König Antiochos tanzte und spielte in
diesen Mimen mit (wqxsito ymi vnsxQiveTo). Die schmutzige
Mimenposse war überhaupt der Hoehgenuss für Alexander's Nach-
folger und von allen Bühneuspielen die einzige, die sie leiden-
schaftlich begünstigten und pflegten. „Der Logomimos Herodotos",
berichtet Athenäos'^) nach Hegesaudros, „und der Tänzer Ar chelaos
standen bei König Antiochos in höchsten Ehren, und er zeichnete
sie vor allen seinen Freunden aus" {(.läliota hif.uovco tcov cplXiov).
König Ptolemäos Physkon konnte selbst seine übermässige Fett-
lei]jigkeit nicht abhalten, bei Gastmahlen mimische Tänze auszu-
führen. Er, der keinen Schritt gehen konnte, ohne von zwei Kam-
merberrn unterstiitzt zu werden, sprang munter, wie Silen, von
seinem Tafelsitz in den Tanzplatz hinunter und tanzte unbeschuht
{ävv7i6dr)i:og) seinen Mimos mit den geübtesten Possentänzeru
um die Wette.
1) Eudok. p. 3S9. Athen. VIT, 286 D. 306 D. — 2) Sympos. "VII. qu.
8. — ■^) (hat. II. 4) 1, J!)D. — 5) XII,- 550B.
Sopliroii. I'lieokrit. 27
Aus Blomfielfl's Sammlung der Fragmente von Sophron könnte
man sich schwerlich eine Vorstellung vom Charakter dieser Mi-
men bilden. Zmn Glücke besitzen wir in Theobit's Syrakusa-
nerinnen, welche dem Adonisfeste in Alexandrien beiwohnen,
eine Nachbildung der Isthmiazusen des Soplu'on^), die uns
einen ungefähren BegTiff von dem Genre geben können. Wie
Theokrit's Syrakusanerinnen aus den untern Ständen sich über die
Adonisfeier in Alexandrien unterhalten, so mochten auch Sophrou's
Frauen über die isthmischen Spiele in Koriuth schwatzen, wohin
sie aus Syrakus sich begeben hatten. Bei Theokrit gesellen sich
im Verlaufe der im Wechselgespräch geschilderten Vorgänge bei
der Adonisfeier zu den sich unterredenden Frauen, Gorgo und
Praxinoe, noch eine alte Frau, ein Fremder und eine Sängerin,
die nach einander auftreten. Ein ähnlicher Verlauf lässt sich in
den Isthmiazusen des Sophron annehmen; dessgleichen die drama-
tische Dreitheilung, Exposition, Verwickelung und der befriedi-
gende Ausgang, so wie die Observanz, dass nicht mehr als drei
Personen am Gespräche Theil nehmen. Weniger glücklich hat
Theokritos in seiner Thestylis die Akestriä (AAtoxQLai) des So-
phron nachgebildet. 2) Sophron's Frauenmimos, die Akestrien,
von denen sich die eine beklagt, dass ihr Liebhaber einer erzdie-
bischen Krämerin in die Hände gefallen 3), war ohne Zweifel dialo-
gischdramatisch gehalten. Theolait dagegen lässt seine liebera-
sende Zauberin ihre Dienerin Thestylis in einem ununterl)rochenen
Monologe anreden, ohne die Dienerin handelnd einzuführen und
am Gespräche Theil nehmen zu lassen.
Ausser den genannten sind die Titel von zwei Sophronischen
Frauenmimen auf uns gekommen: die Brautjungfer und die
Schwiegermutter. Die erste schilderte die Hoclizeitf eier unter
der niedern Volksklasse der Sikelioten. Aus der Schwieger-
mut tei- ist nichts erhalten, als eine Aufforderung zum Essen.
Von Sophron's Männermimen, denen Apollodoros in seinem
schon erwähnten Werke über ihn das dritte Buch gewidmet, sind
nur fünf dem Namen nach bekannt: der Seemann oder Fischer,
der den Bauer spielt; der Thunfischfänger, der Bote, der
1) Argum. Theoer. Idyll. XV, i). SIG. Kiesel. — 2) Das. p. 809. —
H) Blomficld, Class. Journ. Vol. 4. p. ;{86.
28 Die grieoliische Komödie.
Liebling und Prometheus. Die Bruchstücke aus dem ersten
sprechen nm- von Muscheln und schlechten Fischen. Aus dem
letzten, dem Prometheus, ist nur ein einziger Vers erhalten, und
aus den Wörtern, die von den übrigen auf die Nachwelt gekom-
men sind, kann sich diese keinen Vers machen.
Die Hilarotragödien der Tarentiner. Die Tarentiner,
eine Spartanische Kolonie, gründeten Taras (Tarent) Ol. 1 8, l = 708.
Die Sitten ihrer Mutterstadt vei-pflanzten sie aber nicht nach
Grossgriechenland. Sie übertrafen selbst die Sybariten an Genuss-
sucht, Feinschmeckerei und üppigem Kleiderprunk. Sie standen
noch zu Platon's Zeiten unter dem Zauberstecken der Circe. Pia-
ton, welcher bei Gelegenheit seiner sikelischen Reise ("Ol. 98=388)
auch jene Gegenden besucht hatte, kann nicht genug von der
Dionysischen Festlust und den maasslosen Schwelgereien der Ta-
rentiner erzählen. 1) Sogar die Tragödie konnte ihnen nur als
Hilarotragödie, oder lustige Tragödie, schmecken, woraus Plau-
tus, im Prolog zu seinem Amphitryo, einer Nachahmung eines
solchen Tarentinischen lustigen Trauerspiels, Tragicomödia machte.
Wahrscheinlicher aber bildete Plautus sein Wort nach dem Titel
'/.o)f.i(i)dmQay(t)6ia, unter welchem die Komiker Alkäos und Ana-
xandrides Dramen schi'ieben. 2) Die Tarentinische Hilarotragödie
ging aus den Stegreifpossen der Phlyakeu hervor, wesshalb auch
für die Hellenen Hilarotragödie und Phlyakographie gleichbedeu-
tend war. Zur literarischen Kunstwürde erhob die Phlyakogi-aphie
Rhinthon, der Sohn eines Töpfers, zur Zeit des ersten Ptole-
mäos, unter welchem er blühte.^) Er hinterliess 35 Dramen, hi-
larisirte Caricaturen tragischer Stofte. Die Römer nannten auch
diese in ünteritalien überaus beliebte Gattung edlerer Phlyaken-
spiele Rhinthonisch.-*) Suidas nennt sie xw/<r/« loayixa, wie
Plautus. Bei Steph. Byz. ^) heisst Rhinthon schlechtweg cplva^^
Possenreisser. Der Lexikograph Nessis, der die Rhiuthonischen
Dramen aus eigener Erfahrung schildert, bezeichnet sie treffend
als tragische Farben. "^j Das Tragisclie an der Far^e bestand
wahrscheinlich nur in der gottsjämmerlichen Verhunzung der tra-
1) De Legg. I. p. 637 B. Athen. IV, 166 p]P. — 2) Meinekc a. a. 0.
T. I. p. 247. 371. 3) Suid. v. 'Pir&wv. — 4) Donat. ad Terent. Adelph.
|irol. 36. — ö) V. JccQitg. — 6) C'asiiub. de Sat. poes. ]i. loOlV. Ranib.
Hilarotragödien. Rhinthon. Plilyakograplieii. Sillen. Kiiiäclen. 29
gischen Fabel. Eliiuthou's Hilarotragödie scheint nichts weiter
gewesen zu seyn, als die heruntergekommene Komödie des Epi-
chaiTiios, als eine plebeische Götter- und Helden-Caricatur ohne
Sprucliweisheit und philosophische Ironie. Mit der Angabe des
Grammatikers Lydus ^) von ihrer hexametrischen Form stim-
men die wenigen Bruchstücke nicht, worin kein einziger epischer
Hexameter zu finden, sondern nur jambische Trimeter; Lydus
müsste denn auch diesen Sechsfuss Hexameter genannt haben.
Ausser dem Orestes sind von Rhinthon nur noch sieben
Uramentitel bekannt: Iphigeuia in Aulis und in Tauris,
Telephos, Amphitryon, Herakles, Meleagros und Jo-
bates. Der Ampliitryon und Jobates scheinen Parodien von So-
phokles' Tragödien Amphitryon und Jobates.
Nach Rhinthon cultivirten diese Gattung der italiotisch-do-
rischen Komödie oder Hilarotragödie, Sopatros, Ski ras und
Blas OS. Ersterer, aus Paphos, lebte noch zur Zeit des Ptole-
mäos Philad. (Ol. 124, 2--- 283). Bei Athenäos wird er bald Par-
ode, bald Phlyakograph genannt. Ob er derselbe Sopatros ist,
der, nach Aelian -), Alexander d. Gr. die Hörnereines wilden Esels
überreichte, lässt Bode dahingestellt. Besagter Sopatros scheint
nicht blos attische Tragödien, -wie Orestes, Hippolytos, son-
dern auch attische Komödien parodirt zu haben: in der Bakchis
z. B. die Bakclien der Komiker Lysippos, Antiphanes und Epi-
genes; im Mädchen von Knidos die Komödien gleichen Na-
mens von Menandros und Alexis. 3) Der Physiologos soll eine
Verspottung des l)erüchtigten Schlemmers Philoxenos gewesen seyn,
welcher die Naturforschung als p]sskünstler betrieb, und als Na-
turschwärmer einmal auf dem Aetna in der wundervollen Aus-
sicht zwischen einer Reihe von leckern Schüsseln schwelgte.-')
Den Eubulotheombrotos dieses Sopatros lassen wii- mit den
Hörnern seines wilden Esels, die er als Fragment dem grossen
Alexander verehrte, auf sich benilien. Dessgleichen dieMysten,
das Linsengericht und die Bücherwürmer, die ja ohnehin
alles Andere, und zuletzt sich selber auffressen.
Andere dorische Dichter von Travestien, Burlesken, Parodien,
1) De magistr. Rom. 41, p. 70, — 2) Hist. Aniiii. X, 4(». Stob. ocl.
phys. p. 130. — 3) Mein. Menand. fr. ]). i)S. — 4) Athen. VUI, 34] E.
30 I^ic griecbisclie Komödie.
wie Hegemon von Thasos, der Lieblings-Parodist der Athe-
ner, Arcliestratos aus Gela, Matron, u. s. w. berühren nur
mittelbar das dramatisclie Gebiet, da das Eigenthümliche dieser
Schwanke in der Coutrastirung eines niedrigen gemeinen Inhalts
mit dem hochernsteu feierlichen Tone epischer Phraseologie be-
steht. Eine nähere Beziehung 7Ami Drama möchten die Sillen
und Kinäden (^lIIoi, Kiraidoi) dm"ch die mimische Vortrags-
form ansprechen dürfen. Als berühmtester Silleudichter wii'd der
skeptische K y n i k e r Timon aus Phlius genannt ') (Ol. 1 25 = 280 v.
Chr.). Er hat drei Bücher Silloi in parodü-enden Hexametern ge-
schrieben, scherzhafte Todtengespräche ; eine Travestie der Ho-
merischen Nek3da und eine Nekyomantie seiner Gegner, der dog-
matischen Philosophen.-) Timon der Phliasier schi'ieb sogar Tra-
gödien und auch Satyrspiele ^), welche die Alexandriner benutzten.
Zu den Dichtern der schlüpfrigen Kinäden wird Alexandres
der Aetolier gereclmet, dem wir als Mitglied der Alexandrinischen
Pleias begegnen werden. Der namhafteste und älteste dieses
Genre's ist Sotades von Maronea (Thracien); nicht zu verwech-
seln mit dem gleichnamigen Dichter der mittlem Komödie. Er
schrieb, sagt Suidas, Phlyakeu oder Kinäden (W/.vay.ag rJToi Ki-
vaidovQ) im jonischen Dialekte. Sotadisc he Gedichte sind gleich-
bedeutend mit unzüchtigen Poesien. Dem Strabon zufolge schrieb
Sotades, und nach ihm Alexander Aetolus, Sillen in Prosa {ev
xlitho }>6yü)), dagegen Lysis und Simos melisch, d. h. in ge-
bundener Kode mit musikalisch-mimischer Begleitung. '*) Endlich
wird Phil ist ion aus Bithynien, der in Koni unter Tiberius lebte,
den Mimographen beigezählt. Suidas meldet von ihm, er habe
biologische Komödien geschrieben, wahrscheinlich mimische
Sittenbilder aus dem gewöhnlichen Leben.
Süllen wir uns noch mit den paar Bettlerlappen der beiden
„heitern Tragöden," des Tarentiners Skiras und desBläsos von
der Insel Capri (Caprea) befassen? Eichten wir lieber ein brün-
stiges l)ankge))et an den Zahn der Zeit, dass es ilun gefallen,
von dem Mesotribas des Bläsos nur ein einziges Wort übrig
1) Diog. Laert. IX. c. 12. Vgl. Langheiiirich : De Timone 1720—23.
3 Progr. Woelke: De Graecor. Sillis. 1!52(). — 2) Sext. Pyrrh. I. 224.
— 3) Diüg. IX, llU. — A) Atlieii. \\.\ . p. (i2(l I).
Die Aristophanische Komödie. 31
ZU lassen, und tiass der Saturn us dieses Plilyax, „ein tapferer
Trinker," sich selber durch die Gurgel jagte, bis auf die in einem
Versstummel enthaltene bescheidene Anfrage bei der Nachwelt:
„Ob er sich wohl sieben Becher vom Süssesten ausbitten dürfte,
die aber auf einmal?*' 0 Was den Meleagros des Skiras an-
betrifft, so wollen wir die artige Aufmerksamkeit des Meleagros,
welcher nur den Kopf des ätolischen Ebers der Atalanta zu
Füssen legte, noch überbieten, indem wir dem Skiras, dem Dich-
ter des Meleagros, diesen ganz und gar schenken. Wem der
Mund nach mehr solcher verschollenen Phlyaken wässei't, findet
noch eine handvoll Namen und Titel bei Bernliardy, ^) Bei Fa-
bricius gar wimmelt es davon in seiner Notitia Comicor. deperditor. 3)
Wir wenden uns zu der Aristophanischen Komödie
zurück, die uns allein aus dem reichen Schriftschatz der altattischen
Komödie gerettet worden und, gleich jenem einzigen Buche der
Kumäischen Sibylle, den Werth aller vernichteten in sich verei-
nigt. Die dorische Komödie in Sikelien und Grosshellas lehrt
uns die Bedeutung und den poetischen Kunstwerth der alten at-
tischen Komödie nur desto höher schätzen. Auch in der Pflege
dieser Kunstspiele bilden die beiden Bruderstämme den entschie-
densten Gegensatz. Die sikeliotisch- italische Komödie zieht die
komische Kunst in den realistischsten Koth herab und verliert
sich in die platte gemeine Posse. Die altattische Komödie schwingt
sich in ihrer staatssittlichen Kerntendenz, ihren tiefen ethischen
Zwecken, bis zur Höhe der Tragödie empor. Sie gleicht dem.Ad-
1er, der vom Leichnam des Rindes, das er mit Flügelsclilägen,
unabwendbar wie Scliicksalssehläge, in den Abgrund gesclüeudert
und zerfleischt, sicli aufschwing-t zm- Sonne oder zum Wolken-
sitze des Donnerers, um den dreizackigen Blitzstrahl mit den
mächtigen Fängen zu ergreifen, die noch von dem Blute seines
Opfers triefen, Haupt und Schnabel so tief, wie eben nur in das
Herz seiner Beute, tauchend in Ambrosia und Nektar, in die
Himmelskost hehrer Poesie. Unten raschelt schon die dorische
Posse, die aflenschwänzige Anger-ßatte, an den Ueberresten paro-
distisch nagend, die der Adler zurückgelassen. In der leckersten
1) Das. XI, 487 C. — 2) Grundr. U. S: 479. — 3) Bibl. gr. II. c. XXII.
p. 405— 5ÜÜ.
32 I^ie griechische Komödie.
Form mid Zubereitung ist die dorische Komödie noch immer kein
Mahl für Götter; nur ein Gaumenkitzel für die Geniesser und
Schwelgiinge eines vornehm -anrüchigen Geschmacks, dessen Ge-
lüste nm' die Verspottung der vom Volke heilig gehaltenen Sym-
bole und des Volkes selber noch reizen und erregen kann; dem
Geschmackskitzel ähnlich, der aus den Eingeweiden der Schnepfe
Göttenvouuen kostet, und in Schwalbennestern die mit dem Stras-
senkoth vermischten Excremente der Vögel als die köstlichsten
Leckerbissen schlürft. Epicharmos strich nur den Schuepfenex-
tract auf die hartgerösteten Scheibchen abstracter Schulweisheit.
Sophron würzte nui* die Schwalbennester mit den feinen Spece-
reien ironischer Contraste, und salbte sie mit den Blüthen-Essen-
zeu einer raffinirteu, die überreizt lüsternen Hofzungen prickeln-
den Naturunschuld und Volk'sidylle. Theokrit's ländliche Gedichte
athmen köstliche Naturfrische, wie etwa die beflitterten, mit Wat-
teau's oder Boucher's Idyllen-Bilderchen bemalten Pruukfächer den
Hofft-äulein des Oeil de boeuf, im Grünen, bei ländlichen Spielen,
Külilung zufächeln mochten, als geschäftige, blitzschnelle, wink-
bereite Kuppler sich reg'end, mn das künstlich gefachte Wangeu-
rotii mit der feinen Schminke, durch Vermittelung zugewehter
Naturhauche, zu vermählen. Theokrit's für den ägyptischen Hof
berechnete Idyllen atlmieu Natureinfalt und Hirtenunschuld ; aber
doch um- als pikante Würze für die petits soupers oder parties
fines dieses Hofes der genussgierigen Ptolemäer, die in seltenen
Handschriften und Geisteswerken mit demselben Schmausbehagen
wie in seltenen Fischen und Backwerken schwelgten. Die italio-
tischen Phlyaken sahen zuletzt gar nur auf das Anhängsel der
Schnepfen im Allgemeinen, und brauchten schliesslich ihr Schreib-
rohr wie der Kiebitz den Schnabel. Da rufen nun die Feinen und
die Guten, die Euschenionisten, Zeter über die Unanständigkeiten
dei alten attischen Komödie, des Aristophanes, der doch nur die
Kunst der grossen Coloristen in höchster Meisterschaft übt und,
gleicli diesen, aus farbigem Koth zaubervolle Wirkungen, all die
Herrlichkeiten, den Glanz und die Pracht seines breiten, saftigen
Pinsels lockt und entfaltet. Demi ist die Malerfarbe etwas an-
deres, als leuchtender KothV Diese Kimstwirkung übt sie aber
nm- nackt aufgetragen, an der Oberfläche eben, in unmittelba-
rer Berührung mit dem reinen heiligen Lichte, das sich nicht vor
Das komische Ideal. 33
dem bunten Quark ekelt, der noch obendrein, mit der Frechheit
des Baberinischen Fauns, sich vor ihm hinlagert in aller Breite,
wie ihn Gott geschaffen. Das reine, keusche Licht wendet sich
nicht scheuselig ab von der schmutzigen Farbentünche, wie die
Lobpreiser der ehrbaren Anstands- Komödie, die Feingebildeten
des Aiistoteles und Plutarch, sich von dem derben, unverschleier-
ten Farbenauftrag des Aristophanes abwenden; die Feinen und
Guten, die hochgebildeten Menandristen, die für die Lustdirnen,
Kuppler und im Weinrauscli geschwängerten Bürgermädchen der
neuern Komödie gesittet und anständig schwärmen. Das hehre,
göttliche Licht küsst den Farbenkoth schön und rein und duftig,
und durchleuchtet ihn mit seinem Wesen, seiner Lauterkeit und
Anmuth. Dieses hehre Himmelslicht in der Komödie des Ari-
stophanes, es ist der hohe sittliche Ernst, der in der tiefsten Tiefe
dieser Komödie als ihr innerstes Wesen, ilir Lebeusgeist, als der
Born ihi-er Komik quillt. Die altattische, die Aristophanische
Komödie, fasst dieselben höchsten Ziele des würdigsten Staats-
und Bürgerlebens in's Auge, wie die Aeschylische Tragödie; ist,
gleich dieser, eine kunstvolle Symbolik göttlicher Ideen, voll er-
habener Lelu'weisheit und Anregung zu frommer Sitte und tu-
gendreichem Wandel; ist, wie die Tragödie des Aeschylos und
Sophokles, eine hohe Schule segenvoller Staatskunst, und, gleich
jener, die eifervollste Schirmerin und Pflegerin heiliger Satzun-
gen, ruhmreicher Ahnengrösse, begeisterter Vaterlandsliebe. Das
komische Ideal dieser Komödie, es ist völlig identisch mit dem
tragisclien Ideal; durchaus niclit, wie die Schulästhetik eine der
andern nachspricht, das „verkeln-t Tragische," ein „umgekehiies
Ideal", und was des Umgekehrten und Verkehrten mehr ist. Nein,
das komische Ideal des Aristophanes ist das tragisclie Ideal sel-
ber; nur dass dieses die speculative Idee der Seelenheiligamg und
Erweckung zum schönsten und würdigsten Leben und Handeln
in allgemeiner, gleichsam theoretisclier Keinheit ausspriclit für
alle Ewigkeit und Folgezeiten; das komisclie Ideal hingegen die-
selbe Idee in der unmittelbaren Gegenwart abspiegelt; an einem
vom laufenden Tage gleichsam gegebenen Falle zum Bewusstseyn
bringt, und mit praktischer Nutzanwendung auf die Zeitumstände,
die Tagespolitik, die „schwebenden Fragen." Das komische Ideal
ist das auf die Tageszwecke und ihre Nichtigkeiten angewendete
n. 3
34 Die griechische Komödie.
tragische Ideal, luid diese Anwendung der erste grosse Contrast
und wunderliche Widerspruch, den das Lächerliche bedingt.
Das blosse Missverhältuiss aber von Zweck und Mittel, von
Erwartung und Erfüllung, Spannung und Befriedigung, Vorberei-
tung und üeberraschung, das allein macht so wenig das Lächer-
liche aus, dass derselbe Gegensatz und Widerspruch das Tragische
hervormft, sobald die Täuschung zum Verderben des im Wider-
spruch Verstrickten ausschlägt. Der tragische Widerspmch zwi-
schen Zweck und Mittel endet mit Schrecken. Der L-rthum und
die VeiTechnung oder Verblendung aus übeiinüthigem Selbstver-
trauen entwickelt sich, in progressiver Steigerung, zu gemeinsamer
Vernichtung. Das IVIissverhältniss schwillt hier lawinenmässig an
und begräbt im Stm'ze Königshäuser und Geschlechter. Der Wi-
derspruch des Lächerlichen verhält sich gerade mngekehrt. Die
unendliche Ei-wartung läuft in ein unendliches Nichts aus; die
Grösse der Spannung steht zu der Winzigkeit des Ausgangs in
umgekehiiem Verhältniss. . Es ist der Berg, der die Maus gebiert,
ridiculus mus; die lächerliche Maus, und die Maus des Lächer-
lichen. Dahingegen der tragische Widerspruch dem Wachsen des
Krokodils gleicht, das, wie Plinius bemerkt, vom verhältnissmäs-
sig kleinsten aller Tliierjungen zum gi'össten und fürchterlichsten
Raubthier anwächst. Dieser Widerspruch versteht keinen Spass.
Kehrt aber, stülpt aber dieses gegensätzliche Verhalten von ko-
mischer und tragischer Katastrophe darum schon das tragische
Ideal um? Nichts weniger ! Die höchsten und letzten Ziele haben
beide Dramenformen gemein. Nur die Mittel und Wege zm* Er-
reichung der gemeinsamen Zweckidee möchten allenfalls verschie-
den seyn. Allein selbst diese Verschiedenheit ist nur scheinbar.
Denn Steigerung der Selbsttäuschung und Steigerung der ihr
entsprechenden Situationen greift hier wie dort um sich, in der
Tragödie wie in der Komödie. Worin besteht nun der Unter-
schied? Wodurcli wirken die Contraste in der einen tragisch in
der andern komisch? Bekanntlich erklärt die Poetik des Aristo-
teles die komische Schuld -Busse als eine schmerzlose Beschä-
mung.'j Das positive Moment zu dem negativ bestimmten möchte
indessen wohl noch aus einer andern Quelle tliessen. Die (Quelle
1) V, 1—3.
Das Lächerliche und das Komische. 35
liegi, unseres Erachtens, in dem verschiedenen Verhalten des ko-
mischen und des tragischen Heklen 7Ami Pathos der Selbsttäu-
schung; liegt in ihrer Grundstimmung, ihrem üeberhebungs- Af-
fe ct. Die komische Hybris, der Uebermuth des komischen Hel-
den, ist wohlgemuth, leichtblütig von Natur, aufgeräumt und gu-
ter Dinge durch Anlage und Temperament. Dieser Contrast der
Stimmung zur Thorheit bewirkt erst das Lächerliche. Das
Lächerliche hat das Komische dieses Contrastes zur Voraussetz-
ung. Der Affe et der komischen Person muss von Hause aus
komisch seyn. Denn ein blosser, noch so auffälliger Fehlschluss,
eine noch so wunderliche VeiTechnung, ein noch so befremdliches
Missverhältniss zwischen Folgerung und Prämissen, kurz ein bloss
theoretischer error in calculo ist absurd, ungereimt, verkehrt, quer-
köpfig, Alles, nur nicht lächerlich, geschweige komisch. Der Wi-
derspruch muss ein persönliches Literesse berühren, er muss sich
in einen Affect verwandeln; als getäuschte, und zwar durch die
Nichtigkeit des Erfolges, getäuschte Erwartung empfunden wer-
den, um lächerlich zu wirken. Das Lächerliche verlangt daher
ein Subject, das dm-ch die Unzweckmässigkeit seiner in's Spiel
gesetzten Mittel zur Förderung seiner Interessen sich von dem
verfehlten Zwecke getäuscht und gleichsam von sich selbst ge-
foppt sieht, ohne empfindlichen Schaden zu nehmen. Aber auch
dieses Lächerliche bedarf noch eines gewissen Etwas, eines Ele-
mentes, damit es lusterregend, damit es komisch wirke. Jedem,
auch dem Verständigsten und Gesetztesten, kann einmal eine
solche Verkehrtheit im Gebrauch der Mittel beim Verfolgen eines
erlaubten Zweckes begegnen. Jeder kann sich auf diese Art lä-
cherlich machen, ohne desslialb durch das Lächerlichwerden einen
lustigen, einen komischen Eindruck hervorzubringen. Hierzu ge-
hört, wie schon angedeutet, eine besondere Anlage von Seiten
dessen, der durch sein Lächerlichwerdon heiteres, wohlthuendes
Lachen en'egen soll. Diese Anlage besteht darin, dass das Lä-
cherliche nicht aus seinem Verstände, aus einer blossen falschen
Ansicht, Thorlieit und dergl.; sondern aus einer gewissen Eigen-
art, einer angeborenen Gemüthsstimmung, aus einer Prädisposi-
tion zu Lächerlichkeiten, ents])ringe. Mit andern Worten, das
Lächerliche im Lustspiel muss von Personen ausgehen, die das
Temperament, die Marotte, den Humor des Lächerlichen haben,
36 Die griechische Komödie.
aber den naiven, unbewussten, unabsichtlichen Humor. Ja die
Wohlgemuthheit, „Wohligkeit des Gemüths" ist nicht immer die
Grundstimmung der gleichwohl komischen, und zwar ideal komi-
schen Person. Der komische Wahn kann die Farbe einer gar
feierlichen Gemüthsverfassung tragen, und wird nm' um so hoch-
komischer wirken. Diese Gemüthsverfassung der lächerlichen,
durch das Missverhältniss zwischen Einbildung und realer Zweck-
mässigkeit lächerlichen Selbsttäuschung ist die Gemüthsverfassung
der erhabenen Narrheit, ist die Donquijoten- Stimmung. Doch
bleibt es fraglich, ob eine solche der Komik des poetischen Lustspiels
eben so gemäss ist, wie dem Humor des Eomans. Aber Humo-
risten von Charalrter und Stimmung müssen die acht komischen
Figuren seyn. Sie müssen sich gemüthlich läclierlich machen
können olme Wissen und Wollen, ohne zu wissen, wie komisch
sie sind. Das sind die eigentlichen lustspielfähigen, die bela-
chenswürdigen, wahrhaften Komödiefiguren mid komischen Perso-
nen, und das Lächerliche, das aus dem Dichten und Trachten
solcher Subjecte sich entwickelt, ist das acht Komische, das na-
tm-wtichsig Lächerliche, das Lächerliche vom Quell und Sprudel.
Alle andern Arten: das Situationskomische, das aus künstlichen
Vei-wickelungen der Lagen und Spannungen hervorgeht; das ka-
leidoskopisch aus den zufalligen oder künstlich grappirten Con-
trasten der seenischen Momente sich mischt, oder gar aus dem
Intriguenspiel absichtlicher Verstrickungs- Anschläge und Düpi-
rungen sich hervorspinnt, alle diese Arten des Lächerliclien olme
die Aflfect-Komik, ohne die komische Grundfarbe des Charakters,
ohne den Hang und Kitzel zur gemüthlichen Selbsttäuschung,
mögen sich zu den sinnreich ergötzlichsten Witzspielen kreuzen,
verflechten und entwiiTen lassen: das poetische Element des
Lustspiels, die subjective Charalvterkomik, werden sie niemals aus
sich selbst erzeugen.
Doch ist das Naive, ünbewusste in dieser komischen
Gemüthsart Grundbedingung zur reinen poetischen Lustspielwir-
kung. Die Folie des komischen Charakters ist daher der volle
Ernst seiner Zwecke und seiner gründlich lächerlichen Mittel.
Jene „unendliche Wohlgemuthheit und Zuversicht, durchaus er-
haben über seinen eigenen AViderspruch zu seyn;" jene „Seligkeit
und Wohligkeit der Subjectivität , die, ihrer selbst gewiss, die
Das unbewiisst Komische. 37
Auflösung ilirer Zwecke und Realisationen ertragen kann" •)» setzt
eine dem komischen Charakterhumor so völlig entgegengesetzte,
eine so bewusstvoUe, den eigentlichen Reiz der naiven Gemüths-
komik zerstörende Stimmung voraus, verwandter der künstlich
erzeugten Weinlaune, als der unbewussten Trunkenheit des poe-
tischen Humors: dass uns diese „unendliche", dem komischen
Charakter untergeschobene, „Wohlgemuthheit und Woliligkeit,"
von welcher, seit dem grossen, deutschen Kunstphilosophen, die
Aesthetiken niclit genug zu erzählen wissen, auf einer Verwech-
selung der in dem Zuscliauer durch den komischen Humor der
Lustspielfigur zu erregenden Stimmung mit der des komischen
Charakters selbst, zu beruhen scheint. Keine von Shakspeare's
oder Holbein's oder Aristophanes' komischen Figuren weiss etwas
von dieser unendlichen Wohlgemuthheit und Zuversicht und Er-
habenheit über den eigenen Widerspruch, Seligkeit und Wohlig-
keit — lauter Reflexionsstimmungeu, die wohl die Meistergebilde
jener grossen Lustspieldichter athmen und eiTegen; die den Dich-
ter selbst überkommen, ja bei dem sie, jedoch in Form eines tief
besonneneu Ernstes idealer Gestaltung, den Grundton seines
Schöpferhumors, während des Schaffens, bilden mögen. — Un-
möglich können aber diese, das vollste, man möchte sagen, dia-
lektisch-philosophische Bewusstseyn voraussetzende Zuversicht und
Erhabenheit über den eigenen Widerspruch die komisch-poetische
Figur selbst erfüllen, ohne jene Wesenseigenschaft derselben : die
gi'undinnerliche Naivetät, völlig zu vernichten, von welcher die
Figuren des Aristoplianes namentlich, diese ernsthaft gemeinten,
zur Symbolisirung substanzieUer Ideen und zweckvoller Staats-
praxis verwandten phantastischen Personen, so durchaus beherrscht
und beseelt erscheinen, dass diese Naivetät ihre poetisch-phanta-
stische Existenz bedingt, ihren geistigen Lebensodem facht, ihre
phantastisch-komische Lichthülle bildet. Bald wird sich uns auch
der Grund ergeben, warum diese von des Dichters Litentionen
völlig durclidruugenen Figuren um so weniger jene Zuversicht,
jenes selige Selbstbewusstseyn ilirer Erhabenheit über den eige-
nen Widersprucli athmen können. Das Cliarakteristisclie , Urei-
gene, der Aristophanischen Komödie besteht, unserer Ansicht nach,
1) Hegcl's W. X, 3. 5;J4. 2. Aufl.
38 Die griechische Komödie.
eben iu jenem, alle andern komischen Widersprüche überwiegen-
den und beherrschenden Gmndcontrast, den ihre grotesken Phan-
tasiefigiireu mit der Erhabenheit ihrer Zweckidee büdeu. Die
Komödie des Aristophaues nimmt gemssermaassen eine Gattung
für sich in Anspruch: sie ist die Komödie der erhabenen Ko-
mik; in ihr feiert die von Aristoteles abgelehnte „jambische
Idee''^) ihre Verklärung, ihi-e Apotheose.
Vorerst müssen wir aber noch ein paar Lichter zur Erläute-
rung des Täuschungsalfectes aufsetzen. Die lusten'egende Täu-
schung, so sagten wir, wirkt nur als Selbsttäuschung rein ko-
misch; wie die tragische nur durch ihre Selbstverblendung im-
putabel und dadurch tragisch wird. Der NaiT seiner selbst sejm,
ist im Lustspiel hochkomisch, wie im Trauerspiel hochtragisch.
Durch Andere düpirt und gefoppt Averden, wirkt blos lächerlich,
nicht komisch. Die schlauen, gängelnden, umgarnenden, in die
Falle lockenden Anschläge, die noch so -witzig angeleg-te und ein-
schlagende Intrigue compromittirt zu sehr die Verstandeskräfte
des Gefoppten und kitzelt andererseits Avieder zu schmeichelhaft
die des Känkespielers, um in dem Zuschauer behagliche Lust,
heiteres Wohlgefühl, zu erregen. Läuft der Genarrte in's Netz,
nicht aus blossem Mangel an üeberlegung, sondern in Folge einer
wimderlichen Eigenheit, eines Gelüstes, Ticks, einer Erpichtheit
gleichsam aufs Gefopptwerden, eines Affe et es mit einem Wort:
so ist diess das Komische, nicht der berechnete, durch schlau und
zweckmässig gelegte Schlingen erzielte Erfolg. Dann ist es aber
wieder nm- die Selbsttäuschung, welche komisch wirlvt. Wie jede
Tragödie sich auf eine Tragödie der Verblendungen zui'ückführen
lässt, so ist jede Komödie eine Komödie der ÜTungen, der Täu-
schungen, und am lustigsten, komischsten, poesie- und kunstge-
mässesten, als Komödie der Selbstschüsse, der Selbsttäuschun-
gen. Gleichermaassen liegt der Schwerpunkt der tragischen Schuld
und Wirkung in der Selbsttäuschung. Kassandra, die ihrem Tode
mit ottenen Seher- Augen zustürzt, ist gleichwohl nur das tragische
Opfer eines selbstverblendenden Wahnes; da sie eine falsche Pro-
phetin wäre, wenn ihre Todes- Vorschau sie ihrem Verderben nicht
entgegemisse, und sich in diesem erfüllte. So lockt und schmei-
1) Poet. V, 2.
Die komische Katharsis. 39
chelt die helle Flamme eleu Falter in sein Feuergrab, und ver-
blendet ihn mit unfreiwilligem Selbstmord. Dass die Selbsttäu-
schung des komischen NaiTon seiner selbst in der glimpflichsten
Form auftritt, als Selbstgefälligkeit, Zufriedenheit mit sich selbst
und seinem Wahne, als kitzelndes Behagen an seiner Verkehrtheit,
hat deim auch, im unterschiede von der tragischen Sühne, die
Vergeltungsfolge, dass die VerwiiTungen, die den tragisch Schul-
digen in schreckenvolle Strudel und Wirbel des Jammers und
Untergangs hinunterziehen, über den komischen Büsser nur als
Sturzwellen gleichsam und Sturzbäder des Lächerlichen und Ge-
lächters zusammenschlagen. Die neckische Nemesis entspricht
der spasshaften Selbstbethörung. Wie die Tragödie, so rächt auch
die Komödie jenes Weltgrundgesetz : das ürsächlichkeitsgesetz,
und schliesst, ganz wie die Tragödie, den Zufall aus, dessen ko-
mische Maske die Vergeltung nm- vornimmt, wie dort das Ver-
geltungsgesetz die tragische Maske des Schicksals. Die harm-
und schuldlose Verkehrtheit des komischen Sünders büsst irgend
einen „beschämenden Fehler, der keinen Schmerz verarsacht mid
nicht verderblich ist" {a{.iäQzrji.iä xi xal aiaxog dvwövpov y.al oh
(pÜ^aQTi/.6v). Das Gesetz der Causalität, die Kategorie des ge-
sunden Menschenverstandes, wird in lusterregender Weise gesühnt,
zu Nutz und Frommen aller Derer, die an solchem Beispiele sich
belehren mögen, um in ähnlichen Fällen, nicht wie die Lustspiel-
figur erst durch eigenen Schaden klug, gesittet und bescheiden
zu werden. Denn Lebensklugheit ist auch eine sittliche Eigen-
schaft, wesshalb sie Aristoteles, in seinen Ethiken, den Tugenden
beizählt, indem die Lebensklugheit zur Selbstbescheidung und
verständigen Anwendung des ürsächlichkeitsgesetzes aufs Prak-
tische, in gegebenen Fällen, anleitet.
Das wäre nun die komische Katharsis, die Keinigung
der Selbstbethörung und ähnlicher Aflfecte, welche Gemüthsreini-
gung die Komödie durch Lustgelächter, durch Heiterkeit und
Lachen vollzieht, wie die Tragödie ilire Katharsis der Selbst-
verblendimg, oder Hybris, durch Furcht und Mitleid. Aber
auch die Katharsis „solcher und ähnlicher Aftecte," die Keini-
gung des Lacheffectes selbst, und der Lust am Lächerliciien be-
wirkt die Komödie; wie die Tragödie die Läuterung an den Ge-
müthsbewegungen des Mitleids und der Furcht vollbringt. Die
40 T)ie griechische Komödie.
Komödie bringt Maass und Gleichgewicht in die Aifecte der Lach-
lust und des Wohlgefallens am Lächerlichen, indem sie diese
Kriterien des verständigen und besonnenen Handelns einestheils
schärft, leichteiTegbar und feinfühlig erhält; anderntheils aber
auch die Lust am Lächerlichen von den Schlacken der Schaden-
freude läutert und diese auf das Maass einer verständigen Freude
an der Berichtigung der Thorheit und Verkehrtheit durch eine
leichte Busse und Beschämung herabsetzt. Das Behagen an der
komischen Figur und ihi-em wohlgemuthen Selbstverirauen ent-
spricht dem Mitleidgefühl in der Tragödie; die Freude an dem
bevorstehenden schmerz- und schadlosen Misserfolge ihrer heitern
Illusionen, der Furchterregung in der Tragödie. Denn diese
Freude ist im Gmude nm- das Genugthuungs- und Befriedigungs-
gefühl ob der Kechtfertigung des Causalitätsgesetzes , als Klug-
heitswarnung; ähnlich wie die Fm*cht als Ehrfurchtsschauer vor
der göttlichen Ahndung, vor der unentrinnbaren Ereilung der
Schuld, in Kraft desselben Gesetzes, das Gemüth erregt. Die
Uebertragung der Aristotelischen Definition der Tragödie auf die
Komödie, die sich bei dem schon erwähnten Anonymes findet '),
bleibt inmier beachtenswerth : „Die Komödie ist die Nachalimung
einer lächerlichen Handlung u. s. w., welche nicht vennittelst
Erzählung, sondern durch Lust und Lachen die Keinigung der-
artiger Gemüthsbewegungen vollzieht." Uns scheint es unzwei-
feUiaft, dass der „Schematiker ," wie Bernays diesen Anonjiuos
verächtlich nennt 2), darin nur den Vorlagen oder doch üeberlie-
ferungen gefolgt ist, die bis auf die verloren gegangenen Abhand-
lungen über die Komödie in der grössern Poetik des Aristoteles,
oder in der Skizze derselben, der erhaltenen Poetik, zm*ückrei-
chen möchten.
In der neuattischen Komödie des Menander und in der gan-
zen aus ihr hervorgegangenen Lustspielgattung ist die zweideu-
tige Moral, auf die sie abzielt, das einzige Lebenszeichen, das
der Dichter dieser Komödiengattung von seiner persönlichen
Betheiligung giebt und, nach den Kunstregeln dieser neuen und
neuesten Komödie, das einzige, das er geben soll. In der altat-
1) Craiii., anecd. gr. Par. Vol. I. p. 7, 24. — 2) Ergänzung zu Ari-
stoteles' Poetik, Mus. d. Pliilol. etc. Jahrg. 8. 1853. S. 568.
Der Dichter und die altattische Komödie. 41
tischen, der Aristophanischen Komödie, führt der Dichter sein
erhabenes, um das höchste Natioualheil und die Katharsis des
Staatslebens sich bewegendes Thema in eigener Person durch,
von Anfang bis Ende; ist der Dichter der überall gegenwärtige
Held seiner grossen Komödienidee, der, wie seine Tendenz, frank
und frei und unverholen, nicht blos aus dem Chor, dem eigent-
lichen Sprecher und Dobnetscher seiner Herzensgedanken, der
Collectivperson seiner selbst, sondern aus allen Personen spricht,
aus seinen, des Dichters, durchsichtigen Masken, die daher we-
sentlich Ideen- oder Phantasiefiguren sind ; komische Grotesken-
Symbole der höchsten sittlich -politischen Staatsheilslehre. Die
ganz real gemeinten Personen aus dem wirklichen Leben der Ta-
gesgeschichte liefern, im Gegensatz zu den symbolischen Masken-
typen, eine zweite Art von komischem Contraste, durch ihren Ab-
stich gegen die phantastischen Figuren und die Idealtendenz, die
durch die symbolische Figur hiudm'chscheint, und die reale Per-
son mit ihren niedern, verwerflichen Zwecken komisch vernichtet.
Aus diesem Grundwiderspruche zwischen dem Idealzweck der In-
haltstendenz und den theils phantastisch gTotesken, theils gemein-
wirklichen Figuren folgen die formellen Contraste in dieser Ko-
mödie von selbst: Bizarre Conception bis zur ausschweifendsten
Phautastik bei dem einfachsten dramatischen Bau und Plan, wo-
rin kein Ineinandergreifen der Scenen, keine Verflechtung, keine
Charakterentwicklung an Situationen, keine eigentlichen Charak-
tere, sondern ein Mummenschwanz von komisch karikirten Per-
sönlichkeiten mit tyjiischem Gepräge und von symbolischen Gat-
tungsfiguren. Von demselben Contrast und Widerspruch ist Styl
und Ausdruck durchdrungen. Der höchste lyi'ische Schwung ge-
dankenvoller Dithyi'ambik wechselt mit den gemeinsten Tönen
der niedern Komik. Die überschwäugiichsten Gegensätze schlin-
gen sich zu einer ungeheueilichen Arabeske von erhabenster Poe-
sie und frechster Zote. Die grellsten Dissonanzen lösen sich in
die farbigste Harmonie auf; die Vermählung des Gemeinsten mit
dem Erhabensten in die höchste Kunst. Im Haushalt dieser Ko-
mödie scheint Schmutz und Unflath sicli von selbst zu verstehen,
wie Dung und Auswurf im Hauslialt der Natur. Die Sonne geht
bekanntlich aus einem Pfützenbade ganz so hendich und spiegel-
klar hervor, als ob sie ein frisches Bad von Morgentliau genommen.
42 Die griechische Komödie.
Selbst den orchestischen Theil durchzieht der komische Wi-
dersprach und bestimmt den Charakter der Komödientänze, den
Kordax vor Allem, in Mimik und Rhythmen. Das trunkene
Taumeln mit dem vergeblichen Streben, den Schwerpunkt festzu-
halten, malt den komischen Contrast von unstetem, mit Steifstel-
ligkeit der Beine abwechselndem Hüftespiel ; wie dieser lascive
Wackeltanz, der classische Cancan, sich wieder im trochäischen
Tetrameter spiegelt, dessen Rhythmen Aristoteles mit dem des
Kordax vergleicht: 6 ds T^oxcung y.nQÖaxcüTeQog. ^) Nicht blos
vom Chor in der Orchestra, auch auf der Bühne wurde der Kor-
dax von einzelneu Schauspielern getanzt. Philokieon führt ihn
in den W^espen aus, und Dikäopolis in den Ac^harnern tanzt ihn
beim Vortrag des phallischen Liedes (251 — 267). In seiner gros-
sen idealkomischen Staatsactiou ist es der Dichter aber, wir wie-
derholen es, der als Hauptperson alle diese Contraste durch-
spielt.
Man hielt die Parabase, worin sich der Chor, im Namen
des Dichters, an das Publicum wendet, für eine auffällige Er-
scheinung in einem dramatischen Kunstwerk. Die alten Scho-
liasten^) betrachten die Parabase in der politischen Komödie für
einen Lückenbüsser , ein blosses Ausfüllsel der Zwischenacte.
Zu dieser Ansicht bekennt sich auch Platonios. 3) Neuere Kriti-
ker, W. H. Kolster*) z. B., wollen sie als einen Ruliepunltt für den
Zuschauer betrachtet wissen; eine Pause, um sich vom Lachen
zu erholen: 'ut auimum a ridendo remitteret.' Die Parabase ist
aber so wenig eine blosse Erholungspause; die Komödie fällt in
der Parabase so wenig aus der Rolle; der Dichter steckt in ihr
den Kopf so wenig unversehens aus der Coulisse hervor: dass
die Komödie vielmehr, nicht blos, wie schon Thiersch und nach
ihm Köster •') dargethan, sich aus der Parabase, als ihrem Grund-
keim, entwickelt, — dass die alte Komödie vielmehr, in Beziehung
auf den Dichter, eine durchgängige Parabase ist, worin der
Dichter gar nicht aufhört, durch alle Momente, Wandlungen, al-
legorische und wirklich gemeinte Figuren hindurch, mit den Zu-
]) Rhet. III, 8. — 2) Plut. v. 627. — 3) mal dictt/onag etc. p. 3.
— 4) de Gr. Com. Parab. p. 20. — 5) Comment. de gr. Com. parabasi.
Strasb. 1S35 ].. 10.
Die Parabase. 43
schauern in eigener Person zu verkehren. Die Aristophanische
Komöclienfigur lebt, spricht und handelt denn auch keinesweges
aus einem selbeigeuen Persönlichkeitsbewusstseyn heraus. Auch
hat es der Dichter gar kein Hehl, dass diese Fig-uren und ihi'e
tolle Wii-thschaft nur seine Maske sind, durch die seine prak-
tische Staatseinsicht über die wichtigsten öffentlichen- Angelegen-
heiten des Tages mit seinen Zuschauern, d. h. mit seinem Volke
immittelbar, verhandelt ; dass dieser phantastische Spuk des Dich-
ters Maske ist, die er in der Parabase nur lüftet, mu seinem
Publicmn die Illusion zu benehmen, als sey das Alles blosses
Gaukelspiel, tolles Possenzeug und NaiTetheidung; um seinem
Publicum den Standpunkt klar zu macheu, dass es sich hier um
keine Fratzen, kein blosses Lachvergnügen, um kein eitel ästhe-
tisches Lust- und Kunstspiel, sondern um die allererastesten und
wichtigsten Dinge handelt, und dass er, der Dichter liier, die
Rolle des wahren, lautern, ehi'lichen, für das Beste des Gemein-
wesens aufrichtig und eifervoll bedachten Demagogen, Berathers,
Ermahners und Staatslehrers übernommen. Ist doch des 9( »jäh-
rigen Kratinos letzte Komödie, die Weinflasche (Pytine), durch
und durch ein ganz persönlicher Privathandel, den der greise
Dichter dem Volke zu dessen unendlichem Ergötzen vorspielte.
Tritt doch in dieser gekrönten Komödie des Kratinos die Komö-
die als Ehefrau des Dichters auf, die ihre Rechte auf ihi-en
Ehemann, den Dichter, gegen seine Geliebte, die Weinflasche
oder Met he (I\Ie-i)-r], Tnmkenheit), durchsetzt, auf Grund des
ehelichen Segensspruches: Ein Leib und Eine Seele. Wie sehr
der Komödienchor nur den Stellvertreter des Dichters, als öffent-
lichen Anklägers und Volksanwalts, bedeute, das zeigen am augen-
scheinlichsten die „Archiloche" desselben Kratinos, eine Ko-
mödie, worin der Chor als eine Schaar von 24 solcher Sittengeiss-
1er auftrat, wie jener Archilochos aus Faros einer war, der furcht-
bare Jambendichter, dessen Satiren die Opfer seiner Stachelverse
zur Verzweiflung und zum Selbstmorde trieben. Der aus lauter
Hesioden bestehende Chor in der Komödie gleichen Namens
von Telekleides, eines andern Komikers und altern Zeitgenossen
des Aristophanes , kann aberaials als Beleg für die Mission eines
öffentlichen Volkslehrers gelten, die der Komödienchor, in Voll-
macht und als alter Ego des Dichters, zu erfüllen hatte. Das
44 Die griechische Komödie.
Amt eiues Lehrers ländlicher Frömmigkeit mid Tugend, das der
epische Dialektiker, Hesiodos, so treuherzig und patriarchalisch
in seinen Gedichten vom Landbau versah, übertrug der Komiker
Telekleides auf seinen Hesioden-Chor, den er als Strafreduer und
Sittenlehrer dem literarischen Unfug seiner Zeit und den schlech-
ten Ti-agikern entgegenstellte, welche der Scholiast zu Aristopha-
nes ') namhaft macht.
Am deutlichsten erhellt die Personification gleichsam der
Dichterpersönlichkeit zu seiner Komödie aus dem Ursprung und
der Gliederung der Par abäse selbst. Ihr Ursprung aus dem
phallischen Liede gilt für unzweifelhaft. Die Bestandtheile des-
sell)en : der Lol)gesang auf Bakchos und die Spottverse gegen be-
stimmte Persönlichkeiten, bilden auch die wesentlichen Elemente
der Parabase. Der strophische Theil derselben, Strophe und
Anti Strophe, entspricht dem Bakchos -Anrufe im phallischen
Chorlied, und enthält auch in der Parabase Lobgesänge zum
Euhme des Dionysos oder zur Verherrlichung der Stadt Athenä.
Die Strophe nennt Köster^) die Wurzel der ganzen Parabase.
Dem melischen oder strophischen Gesangstheile schliessen sich
die den phallischen Spottversen entsprechenden epir rhemati-
schen Glieder an; zwei trochäische Recitative des Chorführers,
bestehend aus einem zwischen Strophe (OTQocprj) und Antistrophe
(avTioTQocpog) eingeschobenen Epir rhema (suiQQr]/iia), und einem
auf die Antistrophe folgenden Schluss- Couplet, dem Antepir-
rhema (avTSTiiQQtj/na). Beide, Epirrhema und Antepirrhema,
enthalten in der Regel politische Ermahnungen und Rathschläge.
Das Versmaass ist der trochaicus tetrameter catalepticus. Diesem
aus den vier genannten Güedern, der epirrhematischen Syzygie,
bestehenden, vom phallischen Stegreif- Chorliede überkommenen
Grundtheile der Parabase, geht der neuere hinzugekommene ana-
pästische Theil vorauf, dessen Entstehungszeit, nach Küster^),
mit dem Beginn des peloponnesischen Kriegs zusammenfiel, und
als dessen Erfinder von ihm die politischen Dichter der alten
Komödie bezeichnet werden, unter denen Eupolis, Pherelcates
und Aristophanes die Hauptstelle einnahmen. Dieser erste ana-
pästische Theil der Parabase besteht aus vier Gliedern:
1) Thesiu. V. KiS. Av. 112(i. — 2) a. a. 0. 14. — 3) Ebendas.
Tlieile der Parabase. 45
t) Kommatiou {xoi.if.iäTinv): Ein kurzes Präludium, daher
auch ProkeiTgma {7iQoyJ^Qvyi.ia) genannt. ^) Es bestand aus we-
nigen lyrischen, zuweilen aber auch anapästischen Versen. Das
Kommatiou in Aristophanes' „Vögel" z. B. ist in glykonischen
Maassen. Im „Frieden" besteht es aus fünf anapästischen Tetra-
metern. Es wurde während der ersten Schwenkung gesungen,
die der Chor in der Orchestra, beim Frontmachen vor der Bühne,
gegen das Publicum , mit gleichzeitigem Vortreten in tanzender
Bewegung, ausführte. Von diesem Herantritt an's Publicum (na-
(ja^aivuv) kommt der Name TiaQccßaoig, Parabase. Aristo-
phanes bezeugt selbst die Ableitung: Ttgog xb ^tazQov na^a-
ß^vai.^)
2) Anapästos (dvanaiOTog); Parabasis im engern Sinne 3),
wm-de in der Komödie des Aristophanes in Anapästen vorgetra-
gen (tetrameter catal.). Nur in den Wolken hat diese Parabasis
(Anapästos; das Eupolideische Versmaass, vom Komiker Eupolis
so benannt, weil er es am häufigsten gebrauchte, wie Aristo-
phanes die anapästische Parabase, daher dieses Metrum das Ari-
stophanische heisst.
3) Pnigos (uviyog) oder Makro n (das lange, (.laKQov),
welches seinen Namen von dem langen Athem erhielt, der zu
dem heftigen Vortrage gehörte. Woher es wohl auch Pnigos (das
Sticken vom ausgehenden Athem) heissen mochte : öiä t6 anvEv-
oxi keysGÜ-at*) (i.iay.QnxsQov, S7tif.irj/.äoT£Qnv). Es besteht aus
einem eng verbundenen anapästischen System (kataleptiscli). Diese
eigentliche Parabase im engern Sinn wurde ohne Tanzbewegung,
die ganze Parabase aber, nach dem Scholiasten ^) , miter Flöten-
begleitung vorgetragen. Bei der
4J Strophe nahm der Chor eine Wendung nach links, und
kehrte dann, nachdem er die Strophe gesungen und getanzt, in
seine vorige Stellung zurück, wo der Chorführer, mit seinen Chor-
leuten wiedemm vor dem Publicum Front machend, das
5) Epirrhema allein sprach. Hierauf sang der Chor mit
einer rechtshin ausgeiührten Schwenkung die
1) Schol. Vesp. 1009. — 2) Eq. 5U6. Acharn. G04. Pax. 7:15. IG. Schol.
— 3) Kolster, 1. c. p. 24. — 4) Hephaest. p. 132. Koest. p. 10. — 5) Ari-
stüi)h. Av. üS2.
46 Die griechische Komiklie.
6) Antistrophe, nach deren Beendigung der Cliorfüli-
rer das
7) Antepirrhema, auf dem ersten Standort, wie das Epir-
rhema, vortrug.
Vollständige Parabasen mit allen 7 Gliedern giebt es nur
in wenigen Stücken. Die meisten Parabasen sind unvollstän-
dige {aTeXelg, ov TslsLai). Besonders ist dies bei der zwei-
ten Parabase der Fall, welche bisweilen in der zweiten Hälfte
der Komödie noch angebracht wird. So fehlen der Schlusspara-
base der Ritter die drei ersten Glieder; denn diese zweite Para-
base enthält nui- die melische Partie und das Epi- und Ant-
epin'hema (die av'Cvyia eniQQrjUaTi-/.}]). Aber auch in den er-
sten Parabasen kommen bei Aristophanes Variationen der Grund-
form vor. Im „Frieden" werden die ersten drei Glieder durch
einen ganzen Zwischenact von den vier letzten getrennt. ^) Die
fünf anapästischen Tetrameter 713 — 717 bilden das Kommation;
die folgenden 30 (718 — 748) die eigentliche Parabase und das
anapästische System (749 — 759) das Pnigos oder Makron. Die
zweite Hälfte der Parabase steht erst 1093—1156 (Strophe, Epir-
rhema, Antistrophos und Antepirrhema). In den „Wolken" fehlt
der Parabase das Pnigos. Die Vögel haben eine vollständige Pa-
rabase ; späterhin noch eine zweite, die aber der ersten drei Glie-
der ermangelt. In den „Thesmophoriazusen" hat die Parabase
nur den Anapästes mit dem Pnigos und das Epirrhema. Der
melische Tlieil, aber ohne antistrophische Form, folgt erst nach
einem Dialoge zwischen Euripides und Mnesilochos. Die Para-
base in den Fröschen enthält dagegen nur den antistrophischen
Theil mit EpiiThema und Antepirrhema, jedes aber, nicht wie in
der Regel, zu sechzehn, sondern zu zwanzig trochäisclien Tetra-
metern. Wie in die Parabase, so theilt sich der Dichter mit Gott
Dionysos auch in die Komödie, welche doch nur die entwickelte
Parabase ist, und vertheilt die Glieder derselben als Wahrzeichen
seiner Allgegenwart.
In den Fröschen tritt die l'arabase schon zurück, um in den
Ekklesia/Aisen, in der Lysistrate und im Plutos gänzlich zu ver-
schwinden. Das Schicksal der Parabase ist mit dem der Denio-
1) Pax 7(J0-784.
Der komisclie Chor. 47
kratie verflochten. „Die Komödie, die eine Parabase liat," sagt
Platoniosi), „wurde in Zeiten gespielt, wo das Volk herrschte."
(xar SKslvov Tov XQovov sdidäyßrj, yia^ ov h öFiiiog ixgccrsi).
Chor und Parabase, wie heutzutage die Pressfreiheit, waren Merk-
zeichen und Bürgschaften der Volksft'eiheit. Daher kämpfte die
alte Komödie für die wahre, dauernde Volksfreiheit, der die Wecli-
selfälle der heimischen Kriege am verderbhchsten waren, mit der-
selben Energie, mit welcher sie die gefährlichsten Feinde jener
beiden höchsten Segensgüter des Staatswesens, die Feinde der
Volksfreiheit und des Friedens, bekämpfte: die Demagogen. Friede
unter den hellenischen Stammesgenossen, Friede und Fi'eiheit,
Bürgertugend und Gesetzesherrschaft, für diese heiligsten Schutz-
gottheiten des öffentlichen Wohls und Volksgiückes betraten Ko-
mödien-Chöre und Parabasen die musische Kampfbahn; zur Si-
cherung dieser heiligsten Palladien des Volksbestandes und Wohl-
standes, trat die alte Komödie, mit Chor und Parabase, wie mit
einer Pallas-Wehr, wie mit Helm, Panzer, Lanze und furchtbarer
Aegis der Göttin Athena, ausgerüstet, den Staats- und Volksver-
derbern, Demagogen, Sophisten und Kunst und Sitten entnerven-
den Dichtern, entgegen; und, wie Pallas aus dem Haupte des
Donnerers, so ward auch diese Komödie von des Dichters Kunst-
hammer aus dem hai*ten, gewaltigen Schädel des Demos geschla-
gen, des Theaters-Erschütterers mit donnerndem Gelächter; und
wie Pallas Athena, die Aegis -Schüttlerin, Gorgoschrecken, so
blitzte diese Komödie von ihrem Medusenschilde schüttelndes
Lachen.
Der Chor. Als Theilglied verhält sich der Chor in der
Komödie zum Ganzen, wie der Chor in der Tragödie. Der Be-
deutung nach ragt aber, in unsern Augen, der Komödienchor über
diese formelle Einordnung in's komische Kunstwerk, und ragt
auch, vennöge seiner gestaltenvollen Symbolik, an poetisch - dra-
matischer Wesenhaftigkeit ül)er die mehr lyrisch beschauliche
Selbstbescheidung des tragischen Chors hinaus. Nur der Aescliy-
lische Chor ist dem Aristophanischen an Bedeutung und innerem
Gewichte zu vergleichen, da bei Aeschylos, wie l)ei Aristoplumes,
der ideale Schwerpunkt des dramatischen Kunstwerkes in den
1) a. a. 0.
48 Die griechische Komödie.
Chor fällt. Ausserdem nimmt der Komödieuclior die Eigentliüm-
liclikeit in Anspruch, dass er vorzugsweise jene Gestaltenwande-
luiigeu, jene Formenwechsel darstellt, welche eine der Götter-
qualitäten des Dionysos bilden. Diese ümwaudelungseigenschaft
kommt auch in dem Rolleuwechsel zum Vorschein, womit der
Chor manchmal eine anfängliche, zu der Tendenz des Dichters
scheinbar gegnerische Rolle, wie in den „Wespen" z. B., plötzlich
gegen seine eigentliche, den Dichter und dessen Tendenzidee ver-
tretende Rolle umtauscht.
Die Aufstellung und Anordnmig des komischen Chors er-
folgte nach denselben Gesetzen, wie die des tragischen. Beide
bildeten beim marschartigen Auftreten in Rotten oder Gliedern
ein Viereck {sv leTQayövw).'^) Der tragische Chor schritt, be-
richtetermaassen, fünf Mann hoch und drei Mann tief, oder auch
drei Mann hoch und fünf Mann tief; der komische, aus 24 Chor-
leuten bestehende Chor dagegen sechs Maim hoch und vier Mann
tief, oder vier Mann hoch und sechs Mann tief.'^) Der Aristo-
phanische Chor, der gewöhnlich aus Einheimischen besteht, zog
in der Regel durch das linke Bogenchor in die Orchestra ein,
den linken Flügel den Zuschauern, den rechten der Bühne zuge-
kehrt. An der Thjmiele angelangt, theilte er sich gewöhnlich in
zwei Hälften und stellte sich auf beiden Seiten der Thymele auf, die
Gesichter einander zugewendet. Der Koniödienchor versorgte aus
seiner Mitte, erforderlichen Falles, kleinere Nebenchöre mit Cho-
reuten, die zuweilen hinter der Scene wirkten, wie in den Frö-
schen der Froschchor, und in der Lysistrate ein unsichtbarer
Frauenchor. Auch die Parachoregemata {naQaxoQ}jy)]/.iaTa) stellte
der Chor, wo Schauspieler nicht ausreichten, aus seinen Mitglie-
dern, die dann auf versteckten Plätzen aushalfen in Gesang und
Dialog. Der Unterschied des Kostenaufwandes für Aufstellung
eines komischen und eines tragischen Chors mag aus einem
Beispiel erhellen: Für die siegreiche Didaskalie des komischen
Dichters Kephisodotos (Ol. 74, 3^403) betrug der Aufwand nur
160U Drachmen (gegen 380 Thlr.); während der tragische Chor
(Ol. 92,3=410) 3000 Drachmen (gegen 714 Thlr.) gekostet hatte. 3)
1) Vit. Aristoph. bei Meineke T. I. p. 545, 19. — 2) Poll. IV, lOS.
109. Phot. Lex. V. Ci'YÖi P- 54, 17. p. 604, 19. — 3) Anon. bei Lysias p.
I(i2, 2. Boeckh, Staatäh. I. S. 4 IS f.
Die kölnischen Masken. 49
Prolog, Cliorlieder, Epeisodieu und Epodos, bezeich-
neten schon die alten Grammatiker als Bestandtheile , welche die
Komödie mit der Tragödie gemein liabe. i) Dem Koramos ent-
sprechende Gesänge, wo nämlich lyrische Klaglieder zwischen
Schauspieler und Chor wechseln, finden sich häufig bei Aristo-
phanes, nur dass die Zuschauer die Thränen zum komischen Thre-
nos lachten. Stasima hat die Komödie so gut wie die Tragö-
die. Sie wurden in der Kegel antistrophisch, zuweilen jedoch
auch monostrophisch mid auf dem Standort an der Thjnnele ge-
sungen. Der Inhalt ist meist jambistisch; Spottergüsse über Per-
sonen, die mit der Handlung des Stückes in keiner Beziehung
stehen. Solche komische Stasima stellen gleichsam die Gedenk-
feier ihres Ursprungs aus den Jambistenchören vor. Auch an
Einzelgesängen des Schauspielers {tcc ano oxrjvijg) fehlte es
der Komödie nicht, und sie Messen vielleicht ebenfalls, wie die
Klage-Solo's der Tragödie, Monodien.
Die komischen Masken mögen wohl, wie die tragischen,
ihre Stadien durchgemacht haben, von der Gesichtshefe bis zur
grotesken Charakter- und Portrait -Maske' der alten Komödie'^).;
und von dieser bis zu den schematischen Caricatur - Masken der
neuen att. Komödie, deren Spieler, um keinen Verdacht irgend
welcher Portraitähnlichkeit bei den makedonischen Gewalthabern zu
erregen, ein Uebriges thaten, und einen allgemeinen Maskentjpus
von VerzeiTung und Hässlichkeit zur Schau trugen. '^j Al)bildun-
gen von komischeu Maskenformen aus der Zeit des Aristophanes
sind nirgend vorhanden, uns wenigstens nicht bekannt. Als die
ältesten Erfinder der komischen Masken werden der. schon ge-
nannte Mäson und Tolynos, zwei Komiker der sikelisch-mega-
rischen Komödie und Zeitgenossen des Aeschylos, angeführt. Von
der Mannigfaltigkeit der Charaktermasken in der alten Komödie
können die Vögel des Aristophanes eine Vorstellung geben, welche
mehr als 50 verschiedene Masken erforderten. Die meisten ko-
mischen Chöre bestanden aus einer gleichförmio- costümirton Masse,
wie die Kitter, die Acharner, die attischen Bauern im Frieden,
die attischen Frauen in den Thesmophoriazusen und in der Lysi-
1) Anonym, vit. Arist. bei Mein. T. I. p. 546, 1. Tzctzes, (•ram. Aiiecd.
Par. T. I. p. 405, 15. — 2) PoU. IV, 143. — 3) Platonios a. a. 0.
II. 4
50 Die griechische Komödie.
Staate, das Wolken- imd Wespeuchor. Die Masken der einzelnen
komischen Figuren waren, je nach dem Charakter,- die letztere
vorstellten, groteske Phantasie- Gattuugs- oder Portrait-Maskeu.
Was die Costüme anbetrifft, so enthalten Suidas, Pollux.
Hesychios, Photios nur Angaben über die Garderobe der neuen
attischen Komödie. Für Männer bestand dieses Costüm in einem
weissen Leibrock mit Einem Aermel und Einer Naht an der rech-
ten Seite. Die Alten trugen ihn ohne alle Verzierung, die Jüng-
linge mit einem Pui-purstreifen (s§cof.iLg). Parasiten trugen ein
schwarzes oder graues Kleid mit Kamm und Salbenbüchse. ^) Skla-
ven hatten über der Exomis noch einen kurzen Ueberwurf und
die Köche einen ungewalkten Doppelmantel. Alte Frauen hüllten
sich in einen dunkelgelben oder himmelblauen. Priesterinnen in
einen weissen Mantel. Jungfrauen erschienen in einem weissen Ge-
wände, mit Fransenbesatz für Erbtöchter. Eanzen, Stab und lederner
Leibrock zeichneten den Landmann aus. Hetären und Kupple-
rinnen, der Hauptbestand der neuen Komödie, trugen um den
Kopf eine kleine Purpurbinde.-)
See nen Verwandlungen kamen in der Komödie häufiger
vor als in der Tragödie. So verwandelt sich in den Acharnern
der die Puyx vorstellende Schauplatz, beim Eintreten des Chors,
in eine ländliche Gegend mit Häusern. In den Rittern spielt die
Handlung anfangs vor Kleon's Hause; mn die Mitte des Stückes
auf der Pu}^;, von wo aus den Zuschauern gegen Ende der Vor-
stellung durch das Enkyklema die Ansicht Athens im Hinter-
gTunde gezeigt wird, Demos tlu'ouend daselbst im schmucki-eichen
Gewände der Marathonischen Zeit, des goldenen Zeitalters für die
Tragödie des Aeschylos und die Komödie des Aristophanes. Im
Frieden verwandelt sich der anfängliche Schauplatz, der Futter-
hof des Kolossalen Mistkäfers, während des Aufflugs des Trygäos,
in den Oh mp. Am Schluss ist die Scene wieder wie zu Anfang
des Stückes. Die Scenerie der Frösche hat Genelli, in seinem
„Tlieater y.u Atlien", ausführlich geschildert aus freier Phantasie.
In ^^'a]lr]leit zeigi sich anfangs ein gewöhnliches Haus. Nach
der Unterredung zwischen Dionysos und Herakles stellt die Or^
chestra den Vorhof zur Unterwelt vor, wo Charon auf dem Styx
1) PoU. IV, IJ'J. 2} Das. 2ü.
Kratiuos. 5J
rudert, unter Gesangesbegleitung des verborgenen Froscbchors.
Die nöthige Decoration konnten sich die Athener hinzudenken,
wenn ihnen Genelli's Einbildungskraft zu Hülfe kam. Beim Ein-
züge des Chors spielt die Handlung wieder auf der Bühne, welche
das Eingangsthor zum Palaste des Pluto darstellt. Hier geht
die ganze Unterweltsverhaudlung vor sich und entwickelt sich in
der letzten Hälfte des Stücks zum literarischen Höllengericht,
wo die beiden Tragiker nach ihrem Werthe auf der Wage der
poetischen Gerechtigkeit gewogen werden. Eine allgemeine Scliil-
derung der Ausstattung der altattischen komischen Skene giebt
der Anonymos bei Gramer.^) Bahnen wir uns nun einen Weg
durch die Triiimner und Schutthaufen der etwa vierzehn altern
Zeitgenossen des Aristophaues, um bis zu diesem selbst und sei-
nen elf erhaltenen Komödien vorzudringen.
Kratinos. Die Charakteristik, die Aristophaues in der
mehrfach angezogenen berühmten Parabase der Kitter vom Ko-
mödienstyl des damals hochbejahrten Kratiuos giebt, erschöpft in
wenigen Verszeilen Alles, was die gelehrte, citatenreiche Nach-
kritik aus den Bruchstücken mühsam zusammenstoppelt. Die elf
Anapästen- Verse der Parabase sind elf Perlenschnüre ; die gelehrte
Forschung und Fragmenten-Klitterung von Theophilus Bergk'^),
unschätzbar verdienstvoll in Bezug auf Sammelfleiss und Sitzlleisch
von Blei, stellen gleichwohl nur den aufgeschütteten Haufen Auster-
schalen vor, wo nicht gar deren, an der Sonne in ihre chemischen
Bestandtheile aufgelösten Keste. Ai'istophanes' Parabasen-Schil-
derung des Kratinos, in der Mitte zwischen der von Magnes und
Krates, lautet 3) (526 ff.)
An Kratinos sodann auch denkt er zurück , der einst in dem Strome des
Kuhnies
Durch flache Gefilde mit Macht sich ergoss, und gewaltsam wühlend von
Grmul auf
Eichstämme mit sich und Planeten zugleich und entwurzelte Gegner hiu-
wegtrug ;
Da sang man am Mahl kein anderes Lied, als: jjFeigholzsohlige Dore!"
1) Anecd. Par. T. I. p. 9, 2. Vgl. Bode a. a. ü. 296. Not. 2. — 2)
Commentt. de Eeüq. Attic. comm. antiq. Lips. Ib3t>. — 3) Nach Dou-
ner's Uebers.
4*
52 Pie griechische Komödie.
Und: ,,0 Meister im Bau kunstreichen Gesangs!" So sehr war jener im
Flore.
Doch seht ihr ihn jetzt hinschleichen als Greis, als Faselnden, jammert es
Keinen,
Da der alternden Lyra der Steg los ward und der Klang in den Saiten
verstummt ist,
Und die Fugen gelöst aufklaffen an ihr: nun seht, wie der Alte dahin
wankt,
Gleich Konnas dort, hinschmachtend vor Durst, mit welkendem Kranz auf
dem Haupte,
Er, der's durch frühere Siege verdient, im Saal der Prytanen zu zechen,
Nicht Fas'ler zu seyn, nein, seUg in Lust an Bakchos Seite zu sitzen.
Die Gesammtzahl der Komödien alten Styls, von Kratiuos
an gerechnet, betrug 365. ') Wir können aus den Sclierbenhügeln
bei Bergk uud Meineke nur eine Handvoll Ziffern und Namen
herausgreifen.
Kratinos, Sohn des Kallimedes, aus der Oeneischen Phyle
in Attika, wahrscheinlich Ül. 65, 2=519 geb.; muthmaasslich Ol.
89, 3=422 gest., hätte danach ein Alter von 97 Jahren erreicht.
Er gilt für den eigentlichen Schöpfer der altattischen Komödie
und steht, dem Anonymos zufolge -), zu seiner Kmist in demsel-
ben Verhältnisse, wie Aeschylos zur Tragödie (yiazao/.svaCav sig
ihv ^ioxi'/iov yaQay.TfjQa). Er trat öfter mit Aristophanes in die
komischen Schranken, uud siegte über dessen erste Wolken und
den Konnos des Ameipsias noch mit seinem schon genannten
letzten Stücke, mit der Weinflasche, kurz vor seinem Tode.
Aristophanes verbindet die beiden Angaben über die Veranlassung
seines Todes in Ein komisches Epitaph (Pax 686 ff.):
Trygäos. Er starb zur Zeit des Spartereinfalls.
Hermes. Und woran ?-
Tryg. Er fiel in Ohnmacht! unerträglich war es ihm
Ein volles Wcinfass mit Gewalt zerschellt zu sehn.
Diese Manenspende mit dem Weinfass ist ein Gussopfer auf das
Grab des grossen Kunstältesten für dessen Sieg mit der „Wein-
flasclie." In den Fröschen feiert er den Verstorbeneu mit einem
Beinamen des Komödiengottes selber: er nennt ihn Taurophagos,
1) Meineke Anonym, de (Jom. T. L p. 535, 14. — 2) Mein. H. er.
p. ."J^ü. 5.
Kratinos der Geissler. 53
Stieiiresser. Unter Stieren, Ochsen und sonstigen Rinderheerden
hat auch in der That dieser Ajas der alten Komödie furchtbar
gehaust und aufgeräumt. Sein Odysseus, als des Ajas „grosser
Widder", war der grosse Leitbock der damaligen Staatspolitik, und
auch Leitbock von Aspasia's schönen Schäfchen: war Perikles. Die
tragische Geissei des Ajas strich seinen grossen Widder nicht
schonungsloser, als Kratinos' komische Geissei den seinigen gerbte.
So arg, dass unter dem Archon Morychides (Ol. 85, 1=440) ein
Volksbeschluss, der die Spottlust der Komiker beschränlite, dem
Geissler in den Arm fiel. Aber schon drei Jahre darauf wurde,
unter dem Archon PJntliymenis, das Gesetz wieder aufgelioben i),
und des Kratinos, von Dionysos Geiste besessene Ajas-Geissel
hieb nun erst recht auf den Widder los, wie verrückt. Der Ano-
nymos de Com. vergleicht auch die Komödie des Kratinos mit
einer öffentlichen Geis sei {üansQ drßioöia f^doTtyi Ttj xco-
fx(i)dice yioXdII.ojv).^) Was Wunder, dass diese Dionysos-Göttergeissel,
vor dem achzigsten Jahre ihres Schwingers, keinen einzigen Sieg
von den Archonten, unter dem Einflüsse des grossen Leitbocks,
eiTang! Dafür erstritt Kratinos, der „Stierversclilinger"' in den
folgenden siebzehn Lebensjahren neun Siege auf 21 hinterlassene
Komödien.
In Bezug auf die Oekonomie seiner Stücke rühmt Platonios 3)
die poetische Kühnheit, die grosse Geschicklichkeit der Anord-
nung; bemerkt aber, dass Verlauf und Ausgang der Aidage nicht
entsprach und dass er im B'ortgange des Stückes die Grundmotive
der Handlung zerstreute (öiaovudv), wodurch diese ins Dünne
verlief (ofx dy.olov^oQ 7rktjQn7 rd ÖQcqiaia). Kratinos verband
das poetische Feuer des Aeschylos mit den satirisclien lieisszäh-
nen. des Archilochos (rabiesArchilochi). ßergk hat aus den schon
genannten „ Archilochen", der ältesten Komödie des Kratinos,
einige fossile Bruchstücke solclier Zähne gesammelt.^)
In den Thrakerinnen (OgäTTai), bald nach Ol 84, 2=443.
gegel)en, spielte Perikles eine Hauptrolle. Kratinos parodirte da-
rin den Meerzwiebelkopf des Volks -Zeus, glatt wie die Kuppel
des eben von Perikles errichteten Odeions. Thrakische Frauen,
1) Aristoph. Achar. 671. Bergk a. a. O. 142. — 2) Mein. I. \>. :>W, 9.
- 3) de Com. 534. — 4) \>. 4, 1, 29.
54 I^ie griechische Komödie.
als Priesterinnen einer neuen, unter Perikles' Schutz eingeführten
Gottheit, Bendis, der thrakischen Hekate, bildeten darin den ko-
mischen Chor. Die Komödie war ein Pai-teistück , womit Krati-
nos die durch Perikles bewirkte Verbannung des Thukydides, als
dessen Anhänger, rächte.
Einen ähnlichen Stoff hatten die Idäer, oder Abgeseng-
ten (ELininGC'4ievoi): Priester der phrygischen Kybele, welche
sich durch Absengen aller Haare dem Dienste der gi'ossen Göttin
weihten. In den Euniden, nach einer attischen Kitharoden-
Familie so benannt, vermuthet mau einen gegen die Neuerungen
der Musik gerichteten Spottchor. Einen satirischen Frauenchor
von ähnlicher Tendenz mochten die Kleobuliuen in der Komödie
dieses Namens vorstellen. Wie die Archilochen scheinen die Kleo-
buliuen ein Collectivname für die ßäthsel-Dichterin, Kleobuline
aus Liudos, die damals mit iliren Räthselgedichten die attische
gebildete Welt in Bewegung brachte. Berühmt sind die Chei-
ronen, eine Komödie, deren kunstreiche Ausarbeitung, wie Kra-
tinos selbst in einem erhalteneu Verse sagt, ihm zwei Jahre ge-
kostet. ^) Er war so stolz auf die Cheironen, wie Aristophanes
auf seine Wolken. Auch hier brauchte Kratinos den Namen des
hochgepriesenen Lehrers von Achilleus, des Kentauren Cheu'on,
als Collectivbezeichnung für seinen, die edelsten Lehren von Tu-
gend und Sittlichkeit vertretenden Chor von Cheironen. Es sollte
eine volkspädagogische gegen Perikles und Aspasia's Staatserzie-
hung gerichtete Komödie seyn. Die Cheironen stehen dem Selon
zur Seite, der zu den Personen der Drama's gehörte. Ilu'e Lieder
priesen die g-ute alte Zeit im Gegensatze zur Sittenlosigkeit der
Gegenwart.-)
Die Nemesis, hier die Schwänin-Mutter der Helena und
der Dioskuren, die sie mit Zeus als Schwan erzeugt, ist eine
Mythen-Komödie im Geiste des Epicharmos, worin Tyndareus,
der Gatte der Nemesis, während der Bebrütung des Schwanen-
eies sein Weibchen als zärtlicher Ehemann füttert. Die Odyssen
(Oöiooeig), eine Satire auf die Abenteuer des Üdysseus und seiner
Gefährten, fällt wahrscheinlich in den Zeitraum, wo das Gesetz
1) Aristid. Or. 49. Vol. 2. p. 521 Bind. — 2) Athen, XII, 353 E. Bek-
ker, Anecd. p. 335, 12.
Kratiuos' Koiiiö<lieii-Titel. 55
gegen die Freiheit der Komödie iu Ki-aft war (Ol. 85, 1. 2. 3);
denn diese Komödie hat weder Chor noch Parabase und enthielt,
wie Platonios bemerkt 0 , keine Ausfälle gegen Personen der Ge-
genwart. Zu dieser Gattung von Komödien gehörten auch die
Seriphier {^Egicpioi), welche die Perseus-Sage behandelten, und
der Busiris, der mit dem gleichnamigen Stück des Epicharmos
übereinstimmt. Die Mädchen von Delos {Jr]kuiöec) werden
mit der Reinigung der Insel Delos durch die Athener (01.88,3.)
in Verbindung gebracht.
Die Aus reisse rinnen (z/QajieTideg) waren eine Verspot-
tung des Gaukelpropheten Lampron. Die Gesetze (Nofiot) t^bm-
sonificirte ein Greiseuchor, der an Stäben daher schritt. Die P a-
uopten (/Töj'ojcrot), Allesseher, hatten einen Chor von Leuten
mit doppelten Köpfen und unzähligen Augen, der die Lehre des
Philosophen Hippon, eines krassen Materialisten, lächerlich machte,
welchem zufolge das H i m ra e 1 s g e w ö 1 b e ein gTOsses Kohlenbecken
sey, worin die Menschen die Kohlen.-) luden Schätzen (Hkov-
zoL), von wahrscheinlich älmlicher Tendenz, wie Aristophanes'
Plutos, bestand der Chor aus lauter Ploutoi, personificirten
Goldtöpfen. Ob die Pylaea {JlvXaia) die Amphiktyonen- Ver-
sammlung zu Pylä, oder einen Pylischen Jahrmarkt zmn Inhalt
hatten, muss selbst Bode auf sich beruhen lassen. Aus den 22
Bruchstücken der Hören C^Iqcu) verniag sogar dieser gewissen-
hafte, aUe Citate erschöpfende Literarhistoriker nicht zu ennit-
teln, ob mit den Horai die Thürhtiterinuen des Himmels und die
Dienerinnen der Götter, oder die Vorsteher! mien der Jahreszeiten,
Segensspenderinnen und Schöpferinnen alles Schönen gemeint
seyen ; und ob diese Reigentanzenden Göttinnen der guten Stunde
sich um eine Liebschaft des Dionysos oder um andere Liebschaf-
ten gedrelit haben. Die Rinderhirten endlicli stürzten, als
Chor, mit einem Dithyrambos in die Orchestra, und über den Ar-
chon her mit Bakchischen Spottergüssen, weil derselbe dem Dich-
ter zu diesem Stü(;ke die Austattung des Chors verweigert, und
ihn genöthiget hatte, Freiwillige {ed-elovcai) für den Chor
seiner „Rinderhirten" zu werljen. Mehr als diese Notiz ^) hat sicli
von dem Stücke nicht erhalten.
1) a. a. 0. 553, 13. — 2) Aristoph. Nub. !)3 ib. Scliol. — 3) Hesych,
V. nvijntQt'Y/ei. Mein. T. U, 1. p. 20.
56 Die griechische Komödie.
Krates. Ihn glaubt Aristoteles i) ganz besonders auszuzeich-
nen, wenn er von Dun rühmt, er sey in die Fusstapfen des Epi-
chaiTnos und Phonnis geti;eten, der ersten komischen Dichter,
„welche Fabeln (i^ttd-ovg) ersonnen." „Ursprünglich", sagt Ari-
stoteles „kam diese Neuerung aus Sikelien. Zu Athen machte
Krates den Anfang, die jambische Manier zu verlassen und,
statt persönlicher Ausfälle und Verspottungen bestimmter Indi^ä-
duen, erdichtete und allgemein gehaltene Begebenheiten und
Redeweisen zmn Inhalt seiner Komödien zu machen" {dcpef^e-
vog rT]g ia/iißr/.tjg Ideag -/.ad-olov noislv Xoyovg rj fäd^ovg).
Mit Aristoteles' Worten stimmt die kurze Schilderung überein,
die Aristophanes in der wiederholt beregten Parabase der „Ritter"
von Krates' Komödienstyl in drei Zeilen entwiift (537 ff.):
Und Krates sodann — — — — — — — — — —
Der oft mit so geringem Aufwand euch abfütterte, wenn er am Frühmahl
Mit dem nüchternsten Mund den Brei stadt massig manirlicher
Witze vorkäute
(dno xonußoiaTOV GTojuaTog fAUTTtov üaTfioTccTctg inivoiui)
Aus Athen gebüitig, anfangs Schauspieler des Kratinos, trat
Krates um Ol. 82, 4=447 mit eigenen Komödien auf. Suidas
zählt sechs Komödien von ihm her: Nachbarn (Taiioveg), He-
roen C'HQcosg), Thiere (QrjQia), Lamia (^afxia), Gefesselte
(IIsör^Tai), S amier (2df.tioi). Unter allen diesen sind die Thiere
das. einzige Stück, von dem sich ein Inlialt angeben lässt. Es
ist eine Aesopische Komödie mit einem Thier-Chor. Diesen ge-
genüber verhandeln zwei Personen über das wahre Glück. Der
Thier-Chor hält es mit dem Vertheidiger der grössten Einfachheit
in Sitten und Lebensweise, als deren conditio sine qua non ge-
dachter Thierchor, in Gesängen pro domo, die Enthaltung von
aller und jeder animalischen Kost betrachtet, worauf er aber mit
aller Entschiedenlieit bestehen müsse. Aristophanes führt auch
Thierchöre ein, Wespen, Vögel, Frösche u. dgl., die sich al)er we-
niger ihrer Haut wehren, als sie die Häute anderer Bestien zu
Markte tragen, wie die des Gerbers Kleon z. B. Was die übri-
gen zu blossen Titel- und Bruchstück-Bälgen abgezogenen Komödien-
1) Poet. III, .5.
Pherekrates. 57
Häute des Krates betrifft, so mag sich, wer Lust hat, die inter-
essante Sammlung in den Antiken-Cabinetten und Kunst-Todten-
kammern des Suidas, Pollux, Athenäos, Bergk und Meineke, selbst
ansehen.
Pherekrates aus Athen war ebenfalls erst Schauspieler und
hatte in Krates' Stücken mitgewirkt. In dem Verzeichniss der
Alexandrinischeu Bibliothek folgte er unmittelbar auf Krates, da
von ihm Komödien aus dem Zeitraum vor Ol. 87, 4=429 vor-
handen waren. Ol. 90, I =^ 420 brachte er die W i 1 d e n CAyQLoi)
auf die Bühne, eine Satire auf die eim-eissende Gesetzlosigkeit
der Athener, worin ein Chor von Natunnenschen auftrat, an denen
J. J. Rousseau seine Freude gehabt hätte. Pherekrates nennt
seine Buschmänner selbst „grosse Antronische Esel", von der Stadt
Antron am Oeta. Als Contrast sind Gruppen von Vorschmeckern,
in denen sich die Athenischen Feinkoster spiegeln konnten, darin
thätig, welche die besten Leckerbissen vorwegkauften. ') Die
üeb erlauf er C AvTaf-ioloi) waren gegen die Argiver gemünzt,
welche Ol. 90, 3 = 418 das Bündniss mit Athen brachen und zu
den Spartanern übergingen. Die G r e i s i n n e u ( / ^oCxag) hatten einen
Parasiten zum Thema, den Jemand als Vielfi'ass mit sich herum-
führte. Der Sklavenschulmeister peitschte die attischen
Sklaven auch noch mit der satirischen Geissei durcli. Die Ver-
g es s liehe oder Thalatta C ETiilri(jf.ihw // BälazTo) ist eine
Hetäre; vom Uebrigen schweigt die Literaturgescliiclite. Wie Kra-
tes, war auch Pherekrates der „Vorschmecker" der mittlem und
neuen attischen Komödie und ein grösserer Liebhaber von der
hetärischen, als von der jambischen Idee. In der Badestube
oder der Nacht fei er CIjtvoq ]] Tlavvvyic) treiben sich Sal-
benhändler, Köche und Fischkrämer herum, als Nachzüglicher
der Sikeliotischeii Komödie. Die Hetäre Korianno prellt einen
zahnlosen Greis und hält es mit dem vollständigen Gcbiss seines
Sohnes. Die Krapatalen (Koa7raTccXoi), eine höllische Münzsorte,
spielt, wie Aristophanes' Frösche, in der Unterwelt. Auch Aeschy-
los kommt darin vor. Die Komödie scheint eine Satire auf die
Preisrichter. Pollux und Photius geben genau den Werth der
Acherontischen Münze, Krapatale, an, dass sie zwei Psotliien oder
1) Athen. IV. 1711). ScIhiI. zu Arist. Nuh. tl!)S.
58 Die griechische Komödie.
sechzehn Kikaben galt; vom Werthgehalte des Stückes aber sagen
sie kein Wort. Und was die Fragmente anbelangt, so ist der
Rest der Reste gleichfalls Schweigen. Dass der Weib er t and
{^i^QOL) oder Flitterstaat den Titel zum Inhalt hatte, um uns
das zu erzälüen, dazu brauchten die zwei oder drei Bruchstücke
auch nicht von jenseits zukommen. In den Bergleuten (ilit-
xallsig) steigen vier und dreissig Verse aus dem Hades, um zu
melden, dass sie eigentlich nicht von Pherekrates herrühren, son-
dern von Mkomachos. Hinter den A m e i s e n m e n s c h e n ( Mvqji r^ -
■/.är^oomoL) vermuthet Bode ^) ein Fisehorakel, das denn auch über
den Inhalt des Stückes stumm bleibt wie ein Fisch, und so dunkel
wie ein Orakel. Note 5 bei Bode fügt Athenäos hinzu - 1 : Deuka-
lion wäre in dieser Komödie dringend von Jemand gel)eten worden,
nur jetzt keinen Fisch aufzutischen. Dieser Jemand, meint Bode,
konnte nur PyiTha gewesen seyn. Ihr vor Allem musste jetzt,
nach kaum überstandner Süudflutli, Alles, was Fisch heisst, zum
Hals herauswachsen und schwerer im Magen liegen, als die Steine,
die sie hinter sich warf und die sich in Menschen verwandelten,
welche sie, wie sie's verdienten, mit dem Rücken ansah. Nun
lässt Phereki-ates aber die Menschen in seiner Komödie aus Amei-
sen und nicht aus Steinen hervorgehen, womit Athenäos' „Jemand''
und Bode's Yermuthung zu Boden fällt. Petala (JTbxähj) hiess
eine Komödie nach der Hetäre Petala, welche die Titelrolle spielte.
Was sie aber spielte, sagt uns weder der Tragiker Melanthios,
noch der Salbenki'ämer Megellos, noch der mit Füssen getretene
Sklave, trotzdem alle drei in den Fragmenten der Komödie vor-
kommen. „Einen mytliischeu Stoff darf man in der Tyrannis"
(TvQavvig), „vermuthlich Weiberherrschaft, annehmen", meint
wieder Bode, der nicht müde wird, ein Meer von Vermuthungen
mit dem löcherigen Fragmenten-Siebe auszuschöpfen. Ausserdem
kam ein ungeheuer weitläufiger Rauchfang vor, den Zeus, behufs
Centralisation des Opferrauches, im Hinnnelsgewölbe angebracht.
Licht über das Stück, ex fmno lucem, erhalten ^^^r aber von die-
sem (Jpferrauche nicht. Der Lexikogi'aph Harpoki-ation, der den
Kaiser Vems in der griechischen Grammatik unterrichtete, bringt
1) ;i. a. Ü. 15b. — i) VIU, ;j;<5A.
Telekleides. 59
die Notiz vom Opferrauch'), das lucem aber zum ex fumo stellt
er unter den Scheffel. Aus Athenäos '^) und Eustathios ^) erfahren
wir doch so viel, dass die Weiber in dieser Komödie aus weit
grossem Bechern tranken als die Männer: der stärkste Zug aller-
dings von Weiberherrschaft. Im Pseudo-Herakles {W€vöt]QayiXijg)
endlich hat sicli der Herakles mit Löwenhaut und Keule aus dem
Staub gemaclit und nichts zurückgelassen, als das Pseudo. Die
scharfsinnigste Fragmenten-Conjecturalkiitik „wirft ein muthloses
Anker hie."
Telekleides aus Athen. Wie Pherekrates an Krates, so
schloss sich Telekleides in Styl und Eichtung an Kratinos an.
Seine Komödie war wesentlich politisch und wie Kratinos hielt
er zu der conseiTativen , der Demagogie feindlichen Partei. Mit
nicht geringerer Kühnheit, als dieser, griff er den zwiebelköpfi-
gen Zeus an, der damals nach Vertreibung seines Gegners, Thu-
kydides, (Ol. 84, 1^^=444) auf der Höhe seiner Macht stand. Von
den sechs Komödien des Telekleides sind nur fünf Titel erhalten.
Die Amphiktionen (j/iicpi/.Tinv€Q) parodirten die Hesiodische
Schilderung des goldenen Zeitalters. In welchem satirisch-komi-
schen Zusammenhange mit den Zuständen des Tages — um derlei
Aufschlüsse kümmerten sich die Deipnosophisten oder Brocken-
sammler, die Athenäos und Alterthümler, nicht, die nach den
Abfällen, Knochen und Gräten unter dem Tische der Zeiten be-
gierig schnappten. Mit den Theaterstücken, die sie noch voll-
ständig hatten, hielten sie es, wie die Kernbeisser mit den Obst-
kernen, deren Mandeln sie ausspucken, um die Bruchstücke der
Schalen zu geniessen.
Aus den Lug-Truglosen (AxpEvdiäq) des Telekleides hat
Julius Pollux eine „Sammlung von Küssen" einbalsamü-t, und
Photios *) ein paar beschmutzte Tiegel der Vergessenlieit entrissen.
Von den Hesioden (Heoiodoi) war schon oben die Rede. In
den Prytanen {JTQvxdvsig)^ die zur Zeit des Themistokles spiel-
ten, wurde die Ueppigkeit dieser obrigkeitliclien Körperschaft ge-
hechelt. ^) Bergk, der das Fragment aus Atlienäos anfülirt "j, nimmt
1) V. ß(ofioX6xoi p. 47, .3. — 2) XI, 481 B. ~ 3) Odyss. IX, 346. p.
1632, 30. - 4) Lex. v. atlam p. 504. — 5) Athen. XI, 4S5F. IV, 170D.
— 6) a. a. 0. 373.
60 Die griechische Komödie.
sich eines verkannten Infinitivs mit Eifer an; hält es aber doch
für gerathener, bei so dürftigen Ueberbleibsehi (tarn exiguis reli-
quiis), den Infinitiv seinem Schicksal zu überlassen. Dank dem
Athenäos, der reichhaltigsten und unschätzbaren Müllgrube archäo-
logischen WegAnu'fs, woraus die blinde Henne, Philologie, schon
so manches Körnlein schanie, wissen wir, dass die Starren
(^TeoQoi), ähnlich wie in den Thesmophoriazusen des Aristopha-
nes, weibliche Verkleidungen von Männern enthielten.^) Mit die-
ser Notiz wird nicht einmal der Titel erklärt. Halten wir an
Bergk's goldener Kegel fest: in tarn exiguis reliquiis nihil mu-
tandum. Lassen wir die „Starren" auf sich beruhen:
,, Suche nicht verborgne Weüie!
Unterm Schleier lass das Starre!"
Hermippos, aus Athen, nannte in einer seiner vierzig Ko-
mödien den Perikles einen Feigling oder Satyrkönig {BaoiXevg
SaTVQwv), weil der grosse Demagoge sich der spai-tanischen In-
vasion -) mit der attischen Armee entgegenzustellen zögerte (öl.
87, 3=430). Plutarch führt die Verse an 3), ohne Angabe der
Komödie. Im Husch hat aber schon die leichtfüssige Veraiu-
thungslaitik eine aus den vierzig Komödien, die Schicksals-
göttinn en (Molgai) bei den drei Härchen gefasst, die Athenäos ^)
sorgfältig aufbewahrt. Kein Zweifel für Bergk^), dass Perikles
selbst in den Moiren als SatjTkönig eine Rolle hatte, von einem
Chor lustiger Schwelger, wie Bakchos von seinem Satyrchor, um-
jauchzt, unbekümmert um den Einfall der Spartaner, die sich von
der lustigen Gesellschaft eines Angriffs nur in dem Falle zu ver-
sehen hatten, wenn an ihrer Spitze ein Schweinebraten stände.*^)
Derselbe Hermippos hatte kurz vor dem Ausbruch des peloponne-
sischen Kriegs (Ol. 87, 1 =432), als Phidias eben im Gefängnisse
gestorben. war, eine Doppelanklage gegen Aspasia, als Frevlerin
wider den bestehenden Cultus und als Kupplerin, vorgebracht.'')
Aspasia hatte ihre Rettung nur den Tln-änen des Perikles zu
danken.
1) IX; 399C. XIV, 056E. — 2) Thukyd. II, 14. - 3) Pericl. 35. p.
170B.E. — 4) XV, fiOSA. — 5) a. a. 0. p. 320. — 6) Athen. VTH, 344C.
- 7) Plut. Pericl. 32. p. 1(14 1).
Heriuippos. 61
Von den 40 Komödien des Hermippos haben uns die Schick-
salsgöttinueu nur acht Titel gönnen wollen, diese aber dafür auch
im besten Zustande, trefflich conservirt: Athena's Geburt
C^4i^7jväg yoval). Die Hammergebui-t ist zwar, Dank dem Stobäos,
Photios, und andern Geburtshelfern und Wehmüttern, einer Zangen-
geburt gewichen, wobei die Atheua stückweise, in einzelneu Vers-
gliedern aus Zeus' Schädel, wie Würmer aus der Nase, gezogen
wurde; aber der Titel gottlob ist ganz und unversehrt geblieben.
Desgleichen der zweite Komödientitel: Europe, von welcher Sui-
das ein einziges Bröckchen aufbewahrt, das wir ihm schenken
wollen. Die Kerkopen {KEQxwni-g) , berüchtigte Gauner, die
Herakles über dem Kücken, an seine Keule gebunden, wie Hasen,
forttrug, eigneten sich ganz gut für einen komischen Chor, versichert
Bode. Wenn nur die Kerkopen dieselbe Ansicht gehabt hätten.
Sie hatten aber eine ganz andere, die frechen Buschklepper, und
eine weit lustigere, auf Herakles' nacktem Rücken, wo sie kopf-
abwärts hingen, und in dieser Lage über die Ansicht, die von
Herakles nämlich, sich so ergötzten, dass sie selbst als Lachchor
liinter des Helden gewaltigem Rücken wirkten. ') Es ist kaum
anzunehmen, dass Hermippos sein Kerkopenchor auf die Weise
angebracht hätte. Wahrscheinlicher ist daher ßode's Vermuthung,
dass dieser Kerkopenchor eine Beziehung zu dem Kerkopenmarkt
in Athen hatte, welcher wegen seines Gesindels verrufen war."^)
Was die Mattenträger ((ij<)of.i<}(f6(jot), die Bäckerweiber
{ ^QTOJuöliöeg), die Gaubewolmer (.JtjinÖTai), die Soldaten
(^TQaTuoTcci) und die Götter (Oeoi) für Komödien waren, das
wissen die Götter, von denen wir niclits wissen.
Noch weniger bekannt, als Hermippos, ist sein Bruder Myr-
tilos, der froh seyn mag, dass sein Name mit denen seiner
einzigen zwei Komödien auf die Nachwelt gekommen: Titan o-
pane i liTavo/taveg) und Liebesgötter {" E^jidtsi;). Von den
letztern hat sich kein einziges Wort erhalten. Aus diesem ein-
zigen Woi't, das sich nicht erhalten, glaubt Bode mit Sicherheit
folgern zu können, dass in den Ki'otes „ottenbar Intriguen und
Liebeshändel entwickelt wurden.^)" Dagegen verzweifelt er, über
1) Plut. de Adul. et Ain. is. p. (iuC. Suidas v. K^Qy.ojnfg. — 2) \a\-
kiaii. Alex. 84. — 3) A. a. 0. 170, 7.
62 Die griecliische Komödie.
den Titel „Titanopane" Aufschluss von der Blatter auf der Zunge
zu erlangen, die uns Pollux ') als Reliquie aus dieser Komödie des
Myrtilos aufzubewahren so glücklich war.
Alkimenes aus Athen wird als Verfasser von „Schwimme-
rinnen (ÄoAr^ti/ittiaaO genannt, die jeuer von Piaton, imPhädros,
als Päanendichter bewunderte Tynnychos so lieb gewonnen hatte,
dass er sich selbst des Nachts im Bette von ihnen nicht trennen
konnte.-) Leider findet sich vom Bette des Tynnychos keine
weitere Spur. Wir müssen daher alle Hoffnung aufgeben, Nähe-
res über den Inhalt dieser Schwimmerinnen zu ermitteln, die mit
dem Bette des Tynnychos zusammen in'sMeer der Vergessenheit
geschwommen sind.
Philonides, aus der attischen Ortschaft Kydathenäon, von
dessen Komödien man nur drei Titel kennt: die K othurne (Kö&oq-
voi), der Wagen CAnr'ivri) und der Freundeliebhaber ((Dike-
xaiQOQ), ist bekaimter als Schauspieler des Aristophanes, der ihm, als
jüngerer Dichter, die Aufiührung seiner ersten Komödien, neben Kal-
listratos, übertrug.^) Das erste Stück des Aristophanes, worin
Philonides auftrat, waren die Zecher (.JatTa/tticOl. 88, 2 = 427).
Zwei und zwanzig Jahre später brachte Philonides auch Aristophanes'
Frösche auf die Bühne. Weiter lässt sich seine Laufliahn nicht ver-
folgen. Vom P h i 1 e t a i r 0 s des Philonides ist kein Wort vorhanden
„Von dem Wagen ist nichts zusagen"^), als dieses, dass nichts
darüber zu sagen ist. Und was die Kothurne anbetrifft, „so
gewähren die wenigen Bruchstücke bei Athenäos ^) und Pollux '0
keine Einsicht in die Handlung der Komödie." Nur so viel lässt
sich muthmaassen, dass die komischen Kothurne Leute vom
Schlage des Theramenes durch die Hechel zogen, dessen mehr-
facher politischer Gesinnungswechsel und Ueberläufereien von einer
Partei zur andern ihm den Spottnamen Kothurn zuzog, weil
diese Fussbekleidung auf beide Füsse passte.'*) Erst Volksmann,
dann Oligarch, dann wieder Volksmann, musste Theramenes
endlicli den Oiftl)echer trinken. Der Kothurn geht so lange von
einer Partei zur andern, bis ihm die Strippen reissen. Wie viele
]) II, 110.— 2) Ptolem. Hephaest. ed. Roulez p. 3Ü. u. llü. - 3) Vit.
Arist. p. 545, 26. Meüi. — 4) Bode a. a. 0. 173, 3. - 5) VI, 228 E. 247 E.
XV, 700 F. - 6) X, 115. - 7) Schol. Arist. Kan. 47.
Alkimeiies. Pliilonicles. Lysippos. Kallias. 63
Chöre solcher komischen Kothurne könnte die moderne Komödie,
mir seit Talleyi'and, zusammenbringen, den die Natur mit einem
eigenen Klumpfuss ausgestattet, um den Kothurn des Therame-
nes nach Bequemlichkeit siebzehnmal zu wechseln.
Lysippos aus Athen gewann einen einzigen Sieg mit einer
einzigen Komödie, Schmähungen (Karax^pai) 01.86, 2^435,
von welcher nur der Name übrig geblieben. In den Bake he n
verspottet er den Opferpropheten, Lampron, ein Stichblatt der alten
Komödie.
Der Athener Kallias ist durch ein Buchstabendrama
berühmt, eine „grammatische Tragödie", worin die 24 Buch-
staben des Jonischen Alphabets i) den komischeu Chor bildeten.
Der Chor buchstabii-te antistrophisch alle Consonanten mit den
sieben Vocalen der Keihe nach zu einfachen Sylben zusammen.
Die erste Strophe lautete:
ßiiru uX(fU ßcc, ßrjTU fi ßf
ßfJTa ijia ßrj, ßtjTct iujra ßi
ßt]Tct Oll ß o, ßfJTa V ßv, ßfjTa (o ß(ü.
Die Antistroplie hiezu war genau in demselben Metram und Me-
los. Solcher Strophenpaare folg-ten acht nacheinander mit der
Epode rpi akcpa ipa.
Das Merkwürdigste al)er ist, dass diese dramatische Fibel
für die grössten Ti-agiker, für Sophokles und Euripides, ein Kanon
wurde, den sie als Muster und Vorbild für den metrischen Bau
ihrer Tragödien nahmen, und woraus sie manche Neuermigeu,
z. B. die P^lision am Ende des jambischen Trimeters, in ihre Tra-
gödien übertrugen. In Sophokles' König Oedipus z. B. finden sich
fünf solcher Elisionen ^v. 2'.). 332. 785. 1184. I224).2j Aehnlich
hat Euripides die melischen Partieen seiner Medeia nach dem
Muster des KaUias eingerichtet. 3) Die Blüthe des Kallias setzt
Welcker gleichzeitig mit der des Aristophanes Ol. 94, 2 = 4U3.^)
In seiner Komödie, die Gefesselten {IlLÖiitai), zog Kal-
lias den Opferpropheten Lampron als Leckermaul durch; neckte
1) Athen. X, 454B.C. — 2) Herrn. El. D. M. p. 56. Welcker Rh. Mus.
1 (1833) p. 149ff. - 3) Klearch. bei Athen. VII, 276A. 453C. Bert;k a. a.
0. p. 117 ff. — 4) Rhein. Mus. 1833. p. 149 ff.
64 Di^ griechische Komödie.
er die Aspasia als Lehreriu des Perikles; hechelte er den Tragi-
ker Akestor als Ausländer; hielt er dem Euiipides vor, dass er
dem Sokrates das Beste in seinen Tragödien verdanke. Frau
Tragödia lässt er einem Bewunderer ihres erhabenen und feierli-
chen Gebahi'ens beim Euripides, in einem seiner Stücke, ei'wiedern :
„Dies Wesen frommt mir trefflich, dank dem Sokrates"
Ausser den genannten Stücken fühi-t Suidas noch fünf Titel von
Kallias Komödien an: Aigyptios, Atalanta, Kyklopes, Ba-
trachoi (Frösche) und Scholazontes (die Müssigen). Kallias
war der Sohn eines Binsenflechters ; Kratiuos nannte ihn daher
„Binsenspross" {2:xoiviio}'). Die „öffentliche Geissei'", Kratinos,
dehnte das ovoixaoxl YMficodeiv, das Namhaftmachen des Ver-
spotteten, bis auf das Verspotten der Namen aus. Er peitschte
mit Spitznamen wie mit Spitzruthen; bezog überhaupt seine Ku-
then aus erster Hand, woher auch die unfügirlichen, und die
schärfsten, beissendsten , kommen: aus den röhr- und zwiebelar-
tigen Gewächsen. Den Perikles strich er zum „Zwiebelkopf"
(Schinokephalos) , wie die Spartaner ihre Knaben mit frischem
Lauch peitschten; und den Kallias zum Binsensprössling (Schoi-
nionj, die Komödie schwingend als „Scharfrichter-Geissel" (töontfj
dij(.iooi<^ fiaoiLyC).
Den Athener Aristomenes führt das Argument zu Ai'isto-
pbanes' Kittern (Ol. 89, 1 = 424) mit den Holzträgern (YXo-
(fiÖQOi) unter den Bewerbern um den Preis des komischeu Sieges
auf; als . dritten neben Aristophanes, der mit den Kittern siegte,
und Kratinos, als zweiten Sieger mit den Satyrn. Auch Aristo-
menes hatte seineu Spitznamen: Thüruiacher (^vQoyioiog), man
weiss nicht, wolier. Die Alexandrinischen Kritiker zählten ihn
zu den aitkomischen Dichtern zweiten Kanges. Sein Admetos
soll eine Parodie von Euripides' Alkestis gewesen seyn. Die
Hülfstruppen (Bor]Ö-olj will man mit Ereignissen des pelopon-
nesischen Krieges in Verbindung bringen, und die Gaukler (/ory-
rtg) hält man für eine Satire auf fromme Heuchler, wonach hier
das älteste Beispiel einer Taitüffe-Komödie vorläge. Im Dionysos
1) Diog. La. 11, lö.
Hegemon aus Thasos. Eupolis. 65
C AoY.rjTyjg) erschien der Theatergott nicht als frauenhafter Weich-
ling, sondern unter Ringern und Faustkämpfern als mannhafter
Held.i)
Vom Parodiendichter Hegemon aus Thasos ist die Gigan-
tomachie durch zwei Ereignisse berufen: durch das beispiellose
Gelächter, das sie im Theater zu Athen hervorrief, und durch die
Nachricht von der sikelischen Niederlage des Nikias, die mitten
im Jubel eintraf.'-) Hegemon's Spitznamen war „Linse" (yax^),
von seinem Lieblingsgerichte, Linsen. In einer Parodie nennt er
sich selbst so und noch dazu cpcc/S] ßdelvQij 3), „Schmutzlinse."
Für ein solches Linsengericht hätte sich selbst Esau bedankt. Die
einzige von Hegemon bekannte Komödie (nicht Parodi§), Phi-
linna, hatte eine Hetäre zum komischen Thema; die Alnunutter
von Goethe's Philine, und, wiewohl im alten Styl geschrieben^),
auch die Ahnmutter der mittlem und neuen attischen Komödie,
die vorzugsweise eine Hetären-Schule war. Daraus sind zwei
Trimeter erhalten, die von Leckerbissen reden, und daher vom
Schmaussophisten Athenäos in seinem Ranzen aufl)ewahrt ^) wur-
den für den haut-goüt der Archäologen post festum.
Eupolis aus Athen. Die alten Grammatiker und Kunst-
richter stellten die drei grössten Dichter der altattischen Komödie
Kratinos, Aristophanes und Eupolis, mit den drei grössten Tragi-
kern, Aeschylos, Sophokles und Euripides in Parallede. Hiernach
Avürde Aristophanes, wie Sophokles, die Mitte halten zwischen
dem erfindungsmächtigen Zorngeiste, dem gewaltigen und kühnen
Style des Kratinos und der einschmeichelnden Anmuth (irtixccQtg)
des Eupolis. "^j Der Grammatiker Platonios charakterisirt die drei
Komiker'), ähnlich wie Dio Chrysostomos die drei Tragiker.'^)
Schon als Jüngling von 17 Jahren erhielt Eupolis vom Archen
Apollodoros (Ol. 87, 4 = 429; einen komischen Clior.'-*) Nach Ol.
93, 4 = 405 verschwindet er aus den Didaskalien. Platonios lässt
ihn von Alkibiades aus Rache wegen der in Eupolis' „Tauchern"
{Bdmai) erfahrenen Verspottung auf seiner Fahrt nach Sikelien
(Ol. 91, 2 -=415; im Meer eiträidvcn. '") Es war aber nur eine
1) Poll. lU, 150. - 2) Cliainael. bei Athen. IX, 4Ü6E. — 3) Das. —
4) Athen. XV, 699 A. — 5) III, 108 E. — 6) Anonym, de comoed. p. 536.
17. — 7) Das. — 8) Or. LXII. — 9) Suid. v. u. Eudok. p. 167. - 10)
a. a. 0. p. 532.
n.
C6 Die griechische Komödie.
uugefälirliclie Seetaiife, die der übermütliig genialste Junker aller
Zeiten und Adelsgeschleehter dem Komiker zugedacht. Alkibia-
des widmete dem Vorfall ein Epigramm, worin er sich rühmt,
dem Eupolis mit herbem Salzfluthen {vüuaoi /uxQoreQoig) den
Kopf gewaschen zu haben, als ihn der Komiker in den Bapten
eingelaugt hatte. ^) Eupolis kam aber nur noch gesättigter an
Aphroditischem Salz aus dem Seewasser, während der Expedition
des Alkibiades das Seebad versalzen ward. Suidas und Eudokea -)
lassen ihn im Hellesponte umkommen, als ob dm'chaus nur ein
Salzgrab das würdige Mausoleum wäre für den grossen Spötter
und Taucher in Salzfluthen, geschwängert mit attischem Salze.
Der als Kvrog ^gr^vog (des Hundes Trauerklage) bezeichnete Platz
auf Aegina, wo des Eupolis' Hund, Augeas, im Jammer über den
Tod seines Herrn verhungert seyn soll, würde für Aelian's An-
gabe 3) sprechen, dass Eupolis auf Aegina begraben liegt.
Eupolis und Aristophanes scheinen anfangs in Gemeinschaft
Komödien verfasst zu haben und dann aus einander gerathen zu
seyn, da denn Einer dem Andern Entwendungen vorrückte. In
den Wolken beschuldigt Aristophanes den Eupolis, dass ilnn die-
ser im Marikas seine Ritter ausgeschrieben (545 f.):
So zuerst schleppt' Eupolis uns seinen Maiilias herbei:
Meine Ritter waren es nur — schmählich ! ein gewendetes Kleid.
Dagegen behauptete Eupolis, er, Eupolis, habe dem Kahlkopf, Ari-
stophanes, die Ritter ausarbeiten helfen, und ihm sein Theil darin
geschenkt^):
xäxfi'vovs Tovg 'innf'ag
awiTToirjau Tio (faluxQOJ tuvtm xdi^wotjaüjurj}'.
Ein Scholion^) bezeichnet den ganzen Schlusstheil der zweiten
Parabase der Ritter als einen Beitrag aus der Feder des Eupolis
von Vers 1288:
Wer mir einen solchen Menschen nicht verabscheut . . .
bis zum Schlussvers 1315:
Mit dem Kahn, auf den er seine Lanzen einst als Krämer lud.
1) Arist. T. 3. p. 444. Dind. — 2) p. 167. - 3) Hist. An. X, 41. Tzetz.
Chü. IV, 245 if. — 4) Schob Arist. Nub. 554. — 5) Eq. 1288.
Eu])olis. 67
Wir möchten, zm* Ehrenrettung von Aristophanes' Geschmack und
attischem Geiste, noch ein ganzes Stück in dieser Parabase dem
Eupolis zugeben: die Verse nämlich von v. 1274 an. Sie ent-
halten das ekelhaft ünfläthigste, womit die alte Komödie, die der
Buschmänner, Botokuden und lehmfressenden Indianer nicht aus-
genommen, sich besudelt. Nach einer Parallelstelle würde man
bei Aristophanes vergebens suclien. Dahingegen werfen die Scho-
liasten dem Eupolis den ungescheutesten Gebrauch gemeiner und
schmutziger Bilder vor. ^) Unzweifelhaft war Ai'istophanes, wie
der grösste Poet unter den Komikern der alten Komödie, so auch
der Gebildetste und vom feinsten Kunstgeschmack. Der Koth an
Aristophanes' komischer Schuhsohle bleibt immer doch attische
von attischem Salz durchdrungene Erde, und seine kolossalste
Zote ist immer noch vergleichbar jenem aus Nilschlamm geform-
ten ägyi^tischen Sonnengotte, Horus, von dessen Haupt das goldene
Sonnenbild strahlte. Besagte Verse können nur von Eupolis her-
rühren. Er mag sie behalten; sie sind sein eigen; wenn Eupo-
lis um derentwillen die Seetaufe erhalten liätte, würden kaum
alle Wasser des „grünen Oceans" hingereicht haben, um den „An-
muthigen («V/^a^tt,') von dem Schmutze rein zu waschen.
Die Heloten (EiXioreg) mit einem Helotenchor, ein ange-
zweifeltes Stück, verspotteten die Staatseinrichtuug der Spartaner
und ihr Verhältniss zu ihren Leibeigenen, den Heloten. Diese,
beim Ausbruche des pelopounesischen Krieges aufgeführte Ko-
mödie wäre sein friihestes Stück. In dieselbe Zeit fallen auch die
Freunde (UtUot), worin Eupolis von der Aspasia als einer neuen
Omphale sprach, die, in Perikles' Löwenhaut, dessen Keule schwinge,
wälirend er in iln'er Haube am Rocken iln-en Flachs zu Garnen
verspinne.^) Von den Gerechtigkeitsschändern (YßQiaxo-
öixai) ist imr der Titel bekannt. Aus den Fragmenten der Re-
gimentsbefehlshaber {'ia^uc{)yoi) will man die Tendenz er-
kannt haben, um der schlechten Ausübung der Mannszucht wil-
len, unter Leitung des Seehelden Phormion, die Taxiarclien als
Chor lächerlicli zu machen. Pliomiion hatte, im Anfang des pe-
lopounesischen Krieges, einen glänzenden Seesieg über die Spar-
1) Pax. 1176. Mein. Fragiu. T. 11, 1. p. 510. — 2) Scliol. Tlat. p. 3iy
ed. Bek. Pkt., Vit. Pericl. 24. p. Kw D.
5*
68 Die griechische Konii'xiie.
taner am korinthisclieu Golfe erlangt. ^) Bode theilt ihm die
Hauptrolle in der Komödie zu, auf Grund von Citaten, die aber
diess nicht so „unstreitig" angeben. -) Pollux nennt den Phormion
nur als Person des Stückes. ^) Einen Gegensatz zu dem im streng-
sten Kriegsdienste abgehärteten Feldhemi soll ein Weichling
Dionysios, oder gar Dionysos der Theatergott, bilden, und mehr
dergleichen aus den Bruchstücken herausgewitterte und zu gan-
zen Komödien -Fabeln verbundene Inhaltsbestandtheile. Wie
etwa Paläontologen sich aus den vorweltlichen Koprolithen ein
Bild von der Gestalt der Kiesengeschöpfe entwarfen, denen jene
Ueberreste angehören mochten.
Mit den Neumonden (Novfx)]viai) fiel Eupolis (Ol. 88, 4
=425) gegen Aristophanes' Acharner dm'ch, welche den ersten
und gegen Kratinos' Stm'mbedrängte , die den zweiten Preis er-
hielten. Vom Inhalt verlautet nichts. Bei den Neumonden des
Eupolis zeigt auch der literar-historische Kalender einen randen
schwarzen Inhalts-Fleck. Dagegen nimmt der Mond der Conjectu-
ralkiitik im nächstfolgenden Stück von Eupolis: Das goldene
Zeitalter (jqvöovi yhoo) wieder zu. Diess soU die Ei-wartung
eines solchen Zeitalters von Seiten der siegestrunkenen Athener, nach
Kleon's Einnahme von Sphakteria, dem Spotte preisgegeben haben.
Kleon, die mit Nikias' Pfauenfedern geschmückte Krähe, hatte
eine Rolle in der Komödie. Der Chor, der aus attischen Bürgern
und „Schuften -wie Kleon" bestehen konnte, „musste in Kleon's
Interesse reden und singen und die Idee der Kleon'schen Gold-
zeit hervorheben." Bergk lässt den Chor aus Kyklopeu beste-
hen^), Bode aber besteht auf einem Chor von Schuften, der da
musste — kein Mensch muss müssen, imd ein Chor Schufte, von
denen kein Mensch etwas weiss, sollte müssen?
Die Ziegen {^iyeg), mit einem Ziegenchor, lassen einem
Ziegenhii-ten von einem in Bockstrillern wohlerfahrenen Musiker
Musikstunde geben, hinter welchem Bergk '^j den Prodikos, Bode*^)
den Pronomos, Alkibiades' Musiklehrer, zu wittern nicht umhin
können, da Boden von einem Prodamos nichts bekannt ist, welchen
Quinctilian ''; als denjenigen nennt , der bei Eupolis musicam et
1) Thukyd. II, 83. - 2) a. a. 0. 192. — 3) IX, 102. — 4) p. 335.
5) p. 335. — 6) 196, 12. — 7) Inst. Or. 1, lu, 17.
Eupolis. 69
litteras docet. Die D i e n s t u n f ä h i g e ii oder W e i b 1 i n g e (Aotqü-
TsvToi rj ^ AvÖQÖyvvai) waren mit ihrem aus solchen Subjecten
bestehenden Chor selbstredend gegen diese Klasse von Athenisclien
Weichlingen und Dienstflttchtigen gerichtet. Diese Umschreibung
des Titels ist so ziemlich Alles, was die Gelehrten von der Ko-
mödie zu sagen wissen. Die Prospaltier {TlQOo/tdlTioi) —
der Name einer attischen wegen ihrer Processsucht verrufenen
Gemeine — hatten „also" dieses Laster zum Thema, wie die
Wespen des Aristophanes.
Eine der erfindungsreichsten Komödien des Eupolis waren
die Bundesstädte (Uolsig), worin die Bundesstädte der Athe-
ner als vierundzwanzig Frauen den Chor bildeten. Die Auffüh-
rungszeit vermuthet man um Ol. 89, 3 = 422. Der Inhalt ging
auf die Bedriickungen und grausamen Erpressungen, die sich die
Athener gegen ilu'e Bündner zu Schulden kommen Hessen. Das
Thema gereicht dem Muthe und Edelsinn des Dichters zum ho-
hen Ruhme. Den Chor der Bimdesstädte lässt Meineke ^) einzeln
{GrcoQCidvr) in die Orchestra einziehen; G. H. Raspe in seiner
Monographie -) in chormässiger Schaar {xaxa oznlxovg xca tvya).
Jede Chorfigur trug ein charakteristisches Costüm : Chios erschien
mit den Insignien der Schiftfahrt. '^) Die Insel Tenos führte Schlan-
gen in der Hand. ^) Amorgos zeigte sich im durchsichtigen Flor-
gewande von Amorgischem Flachse, dergleichen die üppigen Athe-
nischen Frauen, wie die Kölschen Gewände, bei schwüler Wit-
terung trugen. Mehr lassen die Fragmente nicht errathen.
Die Schmarotzer (Äo^axeg), wie die meisten dieser Ko-
mödien nach dem Chor benannt, schilderten das wüste Leben des
reichen Verschwenders Kallias, in dessen Circe- Palast die be-
rühmtesten Sophisten, Gorgias, Prodikos, Protagoras, in einem
eigens für sie hergerichteten Saale ^) sich gütlich thaten , so na-
turwüchsig, als ob sie wirklich von Circe's Zauberstabe wären be-
rührt worden. Mit dieser Komödie siegte Eupolis (an den gros-
sen Dionysien Ol. 89, 4 = 421) über Aristophanes' Frieden und
Leukon's Pln-atoren.") In einem erhaltenen längern Bruchstücke')
1) T. II, I. p. 308. — 2) De Eupolidis Jr'uuoig ac fhJXtatv. Lips. 1832.
p. 18. — 3) Schol. Av. V. 881. — 4) Scliol. Arist. Phit. 718. — 5) The-
mist. Or. 19. p. 347 C. — 6) Arg. Arist. Pac. bei Diudorf T. IV, p. 3. p.
4, 3U. — 7) Athen. VI, 256 E.
70 Die griechische Komödie.
schildert der Parasitenchor seine eigenen Künste, die ihm zu gu-
ten Bissen an den Tafeln der dummen Kalliase verhelfen. Weder
Feuer noch Schwert hält ihn von einer reich besetzten Tafel ab. ^j
Der Magen ist sein Abgott und die liebliche Würze der herzer-
freuenden Bissen die reizenden Tänzerinnen, die das Mahl erhei-
tern.'^) Diese alte Komödie bleibt ewig neu, spielt heute noch
und wird fortspieleu bis zum jüngsten Gericht. Protagoras gab
hier, in Kallias' Speisesaal, die praktische Erklärung zu dem
Hauptsatz seiner Philosophie: „Von allen Dingen ist das Maass
der Mensch.'' In der Theorie nämlich; in der Praxis isst er,
mit scharfem Ess, das rechte Maass von allen Dingen, die gut
schmecken; isst der Mensch sich identisch mit seinem Magen, so
dass dieser der ganze Mensch und das volle Maass aller Dinge
ist. „Diess ist ein grosser Satz," sagt Hegel. 3) Auch that Eupo-
lis' Protagoras alles Mögliche, und kaute den gTossen Satz dem
Schmarotzer-Chor so lange vor, bis er ihn auswendig wusste. Nächst
Protagoras erwarb sich in dieser Komödie das meiste Verdienst
Melanthios, der Tragiker, der grösste Eresser unter den Tragikern
und der grösste Tragiker miter den Fressern ■*) , und als dritter
im Bunde Chärephon der Sokratiker ^), der die ganze Philosophie
des Sokrates in Form von „Sj^mposien" brachte. Auch Alkibia-
des, der Schwager des Kallias, hatte eine Rolle unter den Schwel-
gern und Prassern in Eupolis' Schmarotzer-Komödie % worin ein
doppelter Chor wirkte, aber einer davon, wie in Aristophanes' Ly-
sistrate, hinter der Scene.'')
Im dritten Jahre nach Aristophanes' ersten Wolken und
einige Monate vor den Schmarotzern gab Eupolis seinen Mari-
kas an den Lenäen Ol. 89, 4=421. Unter dem „vermuthlich"
thrakischen Spitznamen Marikas wurde der Lampenfabrikant und
Demagoge Hyperbolos, Kleon's Nachfolger, darin gegeisselt und
mit seinen eignen Lampen heimgeleuchtet. Einen zweiten An-
griff auf den reichen Schmarotzei-wii-th Kallias machte Eupolis in
seiner Komödie Auto ly kos, die ein Jahr nach den Schmarotzern
(Ol. 90, 1=420) zur Aufführung gelangte. Den Titel hatte das
1) Plut. PhU. esse c. princ. HI. p. 778 D. — 2) Athen. HI, 286 B.
— 3^ Gesch. d. Philos. 11. S. 30. - 4) Schol. Arist. Pac. 803. — 5) Schol.
Pkt. p. 331. Bek. — 6) Athen. XII, 535 A. — 7) Schol. Lysistr. 1191.
Eupolis. 71
Stück von dem Liebling des Kallias, dem schönen Autolykos,
dessen Sieg im Pankration an den grossen Pauathenäen (Ol. 89,
4—421) Kallias durch ein grosses Festmahl feierte, welches Xe-
nophon in seinem Sj'mposion beschreibt. Des Eupolis' Sieges-
schmaus mochte dem schönen Autolykos, dem bewirtheten Ga-
nymed des Kallias, nicht so gut bekommen wie der Sclimaus bei
Kallias und des Xenophon Symposion, worin der schöne Jüngling
mit dem Zuckerwerk der süssesten Lobeserhebungen regalirt wird.
Sein Verhältniss zum Kallias erscliien bei Eupolis im zweideutig
hellsten Lichte ^) , wovon ein scharfer Reflex auch auf die Eltern
des Jünglings fiel. Derselbe Autolykos, von Eupolis schon abge-
than, ^vm'de unter der Herrschaft der dreissig Tyrannen noch
nachträglich hingerichtet."^) Die Taucher {BäTtrai) fanden be-
reits Erwähnung. Ihre Rolle spielte der Chor. Welche Art Täu-
fer diess waren, deutet JuvenaP) an:
„Solcherlei Orgien feierten, bei heimlicher Fackel, die Bapten,
Abzumüden gewohnt die cekropische Göttin Kotytto."
Es waren Priester der verrufenen Kotj^tto- Mysterien, in deren
Schanddienst der Täufling Alkibiades von den Bapten eingeweiht
wurde, diesen Weihen ist Alkibiades bis an sein Lebensende
getreu geblieben.
In Eupolis' Demen (J-^fim) bestand der Chor aus Vertretern
der altattischen Ortschaften oder Demen. Die guten Demen! In
der allgemeinen Kriegsbedrängniss winschen sie die alten längst-
moderndeu Gesetzgeber, Staatsmänner und FeldlieiTen herbei, über
die sie einst Scherbengericht gehalten; über die das schlimmste
Scherbengericht die Komödie gehalten; das schlimmste, das die
gi'ossen Männer selbst „wie die Töpfe zerschmeisst" , und mit
ihnen ilu-e Polterabende feiert. Nun lassen sich die Demen die
Schatten von Solon, Miltiades, Aristidcs und Perikles aus der
Unterwelt kommen, um zu rathen und zu helfen. Und dieser
Schlag in's Gesicht der alten Komödie ! Und von Eupolis geführt,
der den Perikles zu Tode gespottet! Dessen Beredsamkeit, in Ver-
gleich mit der grüjischnäbligen Staatsschwätzerei des Tages, Eu-
polis nun nicht genug rühmen und preisen kann ! In einer Stelle,
1) Max Tyr. XXVI, 8. — 2) Plut. Lys. 15. — 3) II, 92.
72 I^ie griechische Komödie.
die selbst als ein Meisterstück der Wolilredenlieit von den Scho-
liasten gepriesen wird '); von welcher Stelle aber in den Frag-
menten unserer Scholiasten kein Sterbenswörtchen mehr zu fin-
den! Beim Erscheinen von Perikles' Schatten brach ein lauter
Jubel aus unter den Demen im ZuschaueiTaum. 2) 0 die dami-
schen Demen! Eine schönere Ehrenerklärung konnte ihm Eupolis
nicht geben, und kein tragikomischeres Schauspiel den Athenern
bieten, als von den Geistern ihrer grossen Todten den „unfähigen
Jungen" {f.iEiQcr/.La -/.ivovfxeva), die nun den Staat lenkten, die
Köpfe waschen zu lassen:
,,0 Herr Miltiades und Herre Perikles,
Lasst doch nicht herrschen das leichtfüssige Knabenvolk,
Das seine ganze KJiiegslust in den Knöcheln trägt."
In den Bundesätädten hatte Eupolis die äussere Politik der Athe-
ner an den Pranger gestellt; in den Demen lässt er die innere
Staatsführung von einem aus den abgeschiedenen Seelen der vier
grössten attischen Staatsmänner zusammengesetzten Höllengericht
verdammen. In den Staatslenkern geisselt die alte Komödie doch
nur den Demos, das Athenische Volk. Sie schlägt den Sack und
meint doch nur den Esel. Wie gross erscheint dieser Esel, wie
bewundernswürdig gross, der die Schläge nimmt, wie sie gemeint
sind, und sich doch darüber die Haut voll lacht; und sich doch
frohgemuth in den Abgrund lacht, vor dem ihn die Schläge war-
nen soUen!
Phrynichos aus Athen. Er ist oft mit dem Tragiker Phry-
nichos und, wie dieser, auch mit dem attischen Feldherrn glei-
chen Namens verwechselt worden. Er begann mit Eupolis zugleich
seine dramatische Laufbahn '0 unter Archon Apollodoros (Ol. 87,
4 =-429). Nach Ol. 39, 4 = 405, dem Jahre, wo Aristophanes'
Frösche den Musen des Phrynichos den ersten Preis entrissen,
ist von ihm nicht mehr die Eede. Phrynichos fand zwar keine
Stelle im Kanon der Alexandrinischen Kritiker, wurde aber von
ihnen zu den vorzüglichsten Dichtern der alten Komödie gezählt. ')
1) Zu Aristoph. Acharn. 529. u. zu Arist. Or. T. 3. p. 472. Dind. —
2) Arist. Or. 3. p. 433 B. — 3) Anonym, de Com. p. 536, 17. — 4) Das.
p. 535, 5.
Phrynichos. 73
In den Wolken (v. 548) wft Aristophanes dem Eupolis vor, die-
ser habe dem Phiynichos „ein altes trunkenes Weib," (aus des-
sen Komödie Andromeda) gestohlen und 7a\ Nutzen seines Mari-
kas verwendet. Trotzdem versetzt Xanthias Eins dem Phryni-
chos in den Fröschen (v. 13), wegen seiner Liebhaberei für un-
saubere Spässe, und das mit Witzen, die Phiynichos loslassen
konnte. Suidas, seinem Amte als Namenlisten -Ableser getreu,
führt die Titel von Phiynichos' zehn Komödien auf, und hält, wie
gewöhnlich, einen Namensaufruf aus einer Liste Verstorbener,
wozu sich Niemand meldet: Der Sonderling ( MovoTQOTtog),
an den grossen Dionysien (Ol. 91, 3^414) von den Komasten
des Ameipsias, der den ersten, und von den Vögeln des Aristo-
phanes, die den zweiten Preis erhielten, besiegt *), hat ein Bruch-
stück hinterlassen, worin der Sonderling seinen Namen selbst er-
klärt, sich dem Publicum als Menschenfeind und Seelenvei-wand-
ten seines Zeitgenossen, des berühmten Misanthropen Timon (Cco
de Tiuiovog ßiov), vorstellt. In den Musen (Lenäen Ol. 93,
4—405) kamen die schon erwähnten Verse vor, die eine Selig-
sprechung des eben verstorbenen Sophokles enthielten. In einem
andern Bruchstücke dieser Komödie fordert ein Richter zum Ab-
stimmen auf. Das erregii bei Bergk -j die Vermuthung von einer
Aehnlichkeit beider Fabeln, in Phrynichos' Musen und Aristopha-
nes Fröschen: (Non adeo dispar Aristophaniae fabulae). Beide
Komiker hätten in ihren mit einander kämpfenden Komödien dem
Euripides den Process gemacht — den Aristophanes' Frösche ge-
gen PhrAiiichos' Musen gewannen. Die Vermuthung scheint uns
eine der glücklichsten auf dem Gebiete der archäologischen Ne-
kromantik. Aus einem Parabasenbmchstück der Komödie Ephi-
altes von Phiyniclios, worin von gefährlichen Schmeichlern die
Rede, lässt sich übei- den Tnhalt derselben mit dem besten Wil-
len nichts errathen und nichts vermuthen. Im Kenne s diente
wahrscheinlich derselbe Musiklehrer des Sokrates als Zielscheibe,
den Aristophanes in den Rittern spottweise „Konnas" nennt (v.
532): „Hinschmachtend vor Durst mit welkendem Kranz auf dem
Haupte." Mit einer Komödie Konnos besiegte Ameipsias (Ol.
89, 2=423) die Wolken des Aristophanes. So rächte der alte
1) Arguin. Arist. Av. I. p. 142. Dind. Sehol. Av. 918. — 2) a. a. 0. 377.
74 Die griechische Komödie.
Miisiklehrer Konnos „mit welkeudem Kranz auf dem Haupte"
seinen Schüler Sokrates, indem er den Kranz von Ai'istophanes'
Haupte riss, imd rächte zugleich sich für den Stich in den Rit-
tern (Ol. 88, 4^424), für das „hinschmachtend vor Durst," da-
durcli, dass er doch zum wenigsten seinen Rachedm'st löschen
konnte, obgleich auf seine Kosten. Ueber Phrynichos' Komödie
Kronos schrieb der Grammatiker Didymos einen besondern Com-
mentar ^), den Gott Kronos zusammen mit seinem Namensvetter,
des Phrynichos Kronos, verschlang. Die fünf Bruchstücke der
Komödie , die der Gott als unverdaulich wieder von sich gab,
„geben," Avie Bode selbst gesteht, „keinen Fingerzeig zur Ermit-
telung des Inhalts." Die Ko mästen behandelten ein Bakchi-
sches Thema. Unter demselben Titel führte Ameipsias (Ol. 91,
3=414) eine Komödie in die Schranken, mit welcher er, wie
schon berichtet, über die Vögel des Aristophanes und den Mo-
notropos des Phrynichos siegte. Nach Bergk hätte sich in die-
sem Wettkampfe Phrynichos selbst besiegt, da, dem unerschrocke-
nen Vermuther zufolge, des Phrynichos' Komasten, oder Zecher,
mit den Komasten des Ameipsias identisch seyen. Phrynichos
soll nämlich mit zwei Komödien zmnal in's Feld gerückt seyn,
mit dem Monotropos und den Komasten, und hätte die eine,
die Komasten, nur desshalb unter Ameipsias' Namen mitkämpfen
lassen, weil ein Gesetz verbot, zwei Komödien desselben Autors
auf einmal in die Schranken zu stellen. Diese verwegene Hypo-
these, mit welcher Bergk zuerst bei Fritzsche^), und daim in
seineu eigenen „Reliquien" 3) hervortrat, hat nur den einen Fehler,
dass sie sich auf nichts als auf sich selber stützt.
lieber Phrynichos' Mysten, Satyrn, Krautleserin-
nen (noaGTQtai) ist Gras gewachsen, und über seine tragischen
Dichter (Tgaytoönl) oder Freigelassenen (rj ^ AtisIsvS-eqoi),
wüsste selbst der Salomo unter den Vögeln, der Vogel Simurg vom
Gebirge Kaph, keine nähere Auskunft zu ertheilen, als die Ge-
schichte der classischen Literatur giebt, laut welcher der erste
Titel, „die tragischen Dichter," sich auf die tragischen Dichter,
und der zweite, die Freigelassenen, sich auf eine Fabel bezieht,
nach der kein Hahn ki-äht.
]) Athen. IX, 271 F. — 2) Quaest. Arist. I. p. 322. — 3) p. 369f.
Platon. 75
Der Komiker Platon aus Athen trat seine dramatische Lauf-
bahn gleichzeitig mit Aristophaues au (Ol. 88 = 428) und führte
noch unter dem Archon Philokles fOl. 97, 2 = 391) Komödien
auf. Er soll für Andere Komödien gedichtet haben, die von den
Käufern, als rechtmässig erworbenes Eigeuthum, unter ihren Na-
men, in die Kampfbalin geführt wurden. Dafür entschädigte sich
Platon durch Plagiate aus Komödien seiner Zeitgenossen, i) Die
Notiz von seinem Handel mit Komödien ist die einzige, die über
seine Lebensverhältnisse zur Keimtniss der Nachwelt gelangte.
Bruchstücke aus seinen Komödien Hyp erb olos, Kleophon und
K ine Sias zeugen von der Bitterkeit seiner Angriffe auf Volks-
führer, Redner und Dichterlinge der Zeit. Bei Athenäos allein
finden sich Anfühnmgen aus 23 seiner Komödien, deren er 28
hinterlassen. In der Komödie die Siege (N7yt.ai) machte er sich
über Aristophaues' kolossale Friedensgöttin in dessen „Frieden"
lustig. Ol. 93, 3=405 Avurde, wie schon gemeldet, Platon' s Kleo-
phon von Aristophaues' Fröschen und Phrynichos' Musen besiegt.
Der Trostlose (IleQiaXyrjg) hatte die verzweifelte Lage des Staa-
tes zum VoiTvurf. Ausser politischen Komödien schrieb Platon
auch literarische, wie die Lakonen oder die Dichter. Die
Sophisten mochten eine ähnliche Tendenz verfolgen, wie Ai'i-
stophanes' Wolken. Der Bühnenapparat (^ycevai.) scheint eine
Satire auf die Ausstattungen der Tragödien. Im Kehricht (.3t'^-
g)a^) nahm er den Schlemmer Myniskos, einen Schauspieler des
Aeschylos, vor. Ueber die Greife {rgdTcsg), das einzige Stück
von Platon mit einem symbolisclien Chor, geben die paar Bmch-
stücke nicht den geringsten Aufschluss. Mythen-Komödien
waren: Adonis, Laios, Menelaos, Europa, Je, lauter My-
then von Komödien für die Geschichte des Drama's. Die lange
Nacht (Nv^ (.layigci) bezog sich auf die Nacht, die Zeus bei
Alkmene zubrachte, und die nur dem Amphitryon zu lang vor-
kam. Vom Inhalt des misshandelten Zeus {Zevg y.a'/.nv-
fiBvog) verräth der Titel keine Sylbe. Vom Phaon haben sich
einige Bruchstücke erhalten -j, woraus hervorgeht, dass diese Ko-
mödie eine Parodie von Grillparzer's Sappho war. Wer über
1) Berpk, a. 0. p. 420. — 2) Fr. p. fi72ff.
76 Diß gi'iechische Komödie.
den Komiker Piaton noch mehr nichts erfahren will, findet das
nöthige Material dazu in der trefflichen Schrift von C. G. Cohet. i)
Aristonymos, ein älterer Zeitgenosse von Äristophanes, hat
sich dm-ch zwei Titel von Komödien bei der Nachwelt unsterb-
lich gemacht: Theseus und der frierende Helios C'Hliog
qiycov). Vom frierenden Helios haben sich noch antiquarisch
in den Fragmenten-Sammlungen ein paar Eiszapfen erhalten. Da-
gegen ist der Theseus ganz aufgethaut und zu Wasser geworden.
Mehr als bereits über Ameipsias vorkam, lässt sich nicht
beibringen. Äristophanes wirft ihn-) mit Phrynichos und Lykis
in Einen Sack: ein stumpfer Biss für die zwei Siege, die ilim
dieser Ameipsias mit dem Konnos (Ol. 89, 2=423) über die
Wolken, und mit den Ko mästen (Ol. 91, 3 = 414) über die
Vögel entrissen hatte. In den Kottabosspielern ( Auo-noxta-
ßltovTsg) soll ein Trinkgelage vorgekommen seyn. Von seinem
Fresser lässt sich ein ähnliches nur vermuthen. Die Buhlen
(Mo r/Ol), die Schleuder (^cpevdovrj) mid Sappho gehören zu
derselben grossen Komödienfamilie, von welcher sich nichts sagen
lässt; von der Sphendone nicht einmal so viel, ob sie „Schleu-
der" oder „Ring" bedeute.
Archippos hat zwar nur einen einzigen dramatischen Sieg
Ol. 91 eriimgen; dafür aber weiss keine. Sterbensseele, mit wel-
chem Stück und über Wen er diesen einzigen Sieg errungen.
Man hat die Fische Ch-^^'S) in Verdacht. Mit diesen treffen
aber die Athener in den Bruchstücken ein Abkommen, laut wel-
chem sie den Fischen alle Fischliebhaber zum Rachefrass auszu-
liefern sich verpflichten. Die Athener hätten sich also, Sollten
sie nicht contractbrüchig werden, selbst den Fischen vorwerfen
müssen, wenn sie durch die Zuerkennung des Preises sich als
solche Liebhaber von Archippos' Fischen öflentlich bekannten.
Amphitryon, der heirathende Herakles CHQa-/.lrjg ya-
f-icov), Plutos, Rhinon, von diesen anderweitigen vier Komödien
des Archippos ist nicht mehr und nicht weniger, als von der
fünften, übrig geblieben: Des Esels Schatten ("0»'ot' o-^td).
Letzterer ii-rt selbst unter den Trümmern der Fragmentensamm-
J) Observatt. criticc. in Piaton. Comic, reliq. Anistelod. 1S40. — 2)
Ran. 10.
Leukon. Metagencs. Strattis etc. 77
1er nur als der Schatten eines vierfüssigen Peter Sclileniilil um-
her, welcher seinen Körper verloren.
Mit zwei Niederlagen und einem Schi auch tragen den
Esel C'Ovog doxocpoQog) hat sich der Komiker Leukon, aus
Athen, in dem Beinhause der Fragmentensammlungen zu seinen
Vätern versammelt. Phratoren, Gesandte und Esel sind
die Anspruchstitel , welche die beiden ersten , im Wettstreit mit
Aristophanes' Wespen und Frieden (422 und 423 v. Chr.) durch-
gefallenen Stücke auf die ünsterblichkeitsehre können geltend
machen: zusammen mit dem dritten in einer gemeinschaftlichen
Knochengrube als moderwürdig verzeichnet zu stehen, in welcher
selbst von den Gerippen nur die Zettehimnmern übrig l)leiben,
die an der grossen Zehe der zur Obduction überlieferten Leichen
zu hängen pflegen. Denn von den Phratores (Gemeindegenos-
sen) sind . unter den Fragmenten ^) nur drei Citate vorhanden.
Die Gesandten (ngsoßsüg) traf das Schicksal aller Gesandten,
dass von ihnen nur die Titel übrig blieben. Von dem Honig
endlich in den Schläuchen des „Schlauchtrageuden Esels" hat
sich in den papiernen Scliläuchen der gelehrten Schlauchträger
blos das Sprüchwort conserviii: „Etwas Anderes trägt Leukon's
Esel, etwas Anderes Leukon i^' AXXa idv o ylBvy.MvoQ ovog tps-
()Bi, alla ÖS Aeiy.iov). Auf dem geschmuggelten Honig lag näm-
lich, um ihn den Zöllnern zu verbergen, Eselsfutter.'-)
Dem Komiker Meta genes, eines Sklaven Sohn, aus Athen,
schiebt Suidas vier Dramentitel in den komischen Schuh: Die
Lüfte (AvQai); Thurioperser {(^ovQionsQoai), eine niemals
aufgeführte, die s} baritischen Tluirer in Unteritalien hechelnde
Komödie; den Opferliebliaber {^<J>iXo'D-rit]Q) und Homer os
oder die Asketen ('Oi.irjQog rj ' Ao-KrjTai). In ersterer kamen,
wie Forscher-Scharfsinn ermittelt, Opfer vor; in der zweiten „bil-
dete Homeros die Grundlage." Die schätzbare Notiz haben wir
Bode's gelehrter und lehrreicher Geschichte der hellenischen Dicht-
kunst'*), wie so vieles andere, zu verdanken.
Lange vor Th. Barriere's Les läux Bonsliommes brachte die in die
mittlere Komöd ie übergehende altattische Komödie Biedermänner
1) p. 749 f. - 2) Suid. v. l'<Xla u. Gaisforcl zu Suid. p. 229SG. -- 'i)
m, 2. S. 384, 7.
78 Die griechische Komödie.
CAyad-oi), von dem Athener Strattis auf die Bühne, dem Suidas
nicht weniger als funfzelin Titel zuschreibt, die Bernhardy ^) auf 1 9
zu bringen sich getraut, und aus welchen er zuerst und allein den
Strattis als einen Dichter erkannte, „der mehr Witz und Eleganz,
als Tiefe besass." Den zweiten Titel der „Biedermänner" {j'itoi
^ uäqyvQLov acpavLOfxög) würde jeder Andere einfach für eine Er-
klärung der Biedermänner halten. Bergk aber fördert aus der
tiefen Schachtgrube der zweiten Benennung den Inhalt zu Tage:
dass mit dem Verschwinden des Silbers das Verschwinden des
Goldes gemeint sey, als einzige Beding-ung zur Wiederherstel-
lung des goldnen Zeitalters und der Biedermänner in des Wortes
patriarchalischster Bedeutung.-) Die Psychaste n des Strattis
zogen die Genusssucht und das faule Stillleben der Athener durch.
Der angebrannte Zopyros, wenn er nicht der Lehrer des Al-
kibiades oder der Verfasser des Soki-atischen Dialogs Phädon ist 3),
so ist er jedenfalls ein anderer. Sechs Mythen -Parodien, zwei
Coulissenreisser- Komödien — schreiben wir auch noch deren Titel
nebst vier andern ab, um das Dutzend voll zu machen? Die ge-
nannten genügen vollkommen, um in Strattis den Dichter würdi-
gen zu lernen, für den ihn Bernliardy erklärt: einen Komiker, der
mehr Witz als Tiefe besass; was schon die witzigen, eleganten,
aber aller Tiefe ermangelnden, mehr seichten als gründlich durch-
gebildeten Titel bezeugen. Nur in Betreff der zwei Coulissen-
reisser-Komödien bemerken wir, um Missverständnisse zu verhü-
ten, dass die Benennung nicht den Komödien gilt, sondern den
Schauspielern, die sie zum Stichblatte nahmen. Die eine
heisst der Menschenzerreisser ( Avi)-{)Mn.oQQaLOTrig) , womit
der Schauspieler Hegelochos gemeint seyn soll, „welcher die Kolle
des Euripideischen Orestes mordete"^); zur zweiten musste der
Schauspieler Kallipides seinen Namen hergeben; ein berühmter
Protagonist, welcher den Alkibiades auf seiner Rückkehr aus
Asien l)egleitete, und den diese Komödie des Strattis als einen
Coulissenreisser in Stücke riss.
AVann Alkäos aus Mitylene seine dramatische Laufbahn be-
gonnen — „wissen wir nicht." Vom Inlialt seiner vier Mythen-
1) Grundriss d. gr. Lit. II. S. 523. — 2) a. a. 0. p. 285, — 3) Bode
a. a. 0. 3b5, S. — 4) Schul. Eur. Ür. 2(3U.
Titularkomödien. 79
Komödien: Eiulj-mion, Ganymedes, Kallisto, die heilige
Hochzeit CleQog yccf^iog, die des Zeus mid der Hera) — wis-
sen wir nichts. Von der Komödie Komodotragoedia wissen
wir so viel, wie Soki-ates zu wissen sich rühmte: dass wir näm-
lich nichts wissen. Von den buhlenden SchAvestern und von
Schwester Palaestra, „Tummelplatz," nach einer Hetäre so
benamt, von der doch alle Welt wusste, wissen nur wir nichts,
üeber dieses Sokratisclie Wissen stellt uns Bode, der Alles weiss
und, wie seine Citate bekunden, Alles gelesen, Zeugnisse über
Zeugnisse noch volle sechs Seiten aus. und was sie uns wirk-
lieh wissen lassen, könnten wir zu wissen vollends überhoben
seyn: dass z. B. die Pasiphae des Alkäos Ol. 98, 1 = 388 ge-
gen den zweiten Plutos des Aristophanes ankämpfte, aber nur
den fünften Preis erhielt. Eine spottwohlfeile Komödie, die die
vollständigste Todtenliste von Dramen nicht geschenkt möchte. Dass
ferner der Athener Kantharos, zu deutsch „Käfer", Ameisen,
Nachtigallen und den Wiedehopf Tereus auf die Bühne
brachte. Dass der Athener und Komiker Sannyrion von Ari-
stophanes in der verloren gegangenen Komödie, Geiytades, durch-
gezogen wurde, wofür sich Sannyrion in seinem Lachspiel (r^-
kwg) rächte, das der blosse Titel, als lachender Erbe, überlebte.
Dass u. a. der Athener Philyllios sechs Titel zu Komödien
schrieb, über die kein Mensch als unser Komiker Strattis lachte,
der, bekanntlich von mehr Witz als Tiefe, die in Philyllios' Ko-
mödien stehend angebrachten Fackelzüge so komisch fand, dass
er sie in seiner Komödie, diePotamier, lächerlich machte, ohne
eine Ahnung davon zu haben, wie lächerlich uns seine Potamier
selbst vorkommen, mit ihrem Titel ohne JMittel. Schier so lä-
cherlich, wie die sieben Komödien des Phliasiers Diokles, deren
sieben magere Titel die sieben fetten Stücke aufgefressen. Oder die
zehn des Atheners Nikochares, der gegen Aristophanes' zweiten
Plutos mit einem Stück kämpfte, von dem wir wissen würden,
dass es noch unter den Preiswerbern Ol. I()6, H. gekämpft, „wüss-
ten wir, dass er ein Drama, der Dichter betitelt, geschrieben
hätte".') Was kennt man von den Sirenen des Nikophon?
Dass sie niemals aufgeführt worden. Was von den vier „Ge-
1) Bode, S. 3bb, 12.
gO Die griechische Komödie.
burten des Polyzelos: Dionysos' Geburt, der Musen
Geburt, Apbroditen's Geburt und des Ares Geburt?
Dass es vier Missgeburten, die mit blossen Titelköpfen auf die
Welt der Nachwelt kamen. Unter dem Archon Euklides (Ol. 94,
3 ==402) siegte der Athener Kephisodoros, steht geschrieben
— mit welchem Stücke wird offenbar, wenn die todten Komödien
auferstehen. Eine seiner Komödien, erfahren wir, nannte sich
Antilais, die Mit- und Nebenbuhlerin der Lars; eine andere
schlechtweg die Sau. Ob letztere auch eine Hetären-Komödie,
selbst darüber lassen die Fragmente bei Meineke ^) im Dunkeln.
Weitaus die vernünftigsten von all diesen Dichtern posthumer
Todtengebui-ten waren die Komiker Epily kos, Euthykles und
Autokrates, deren jeder mu- Ein Stück schrieb, das den Uebri-
geu, die sie nicht geschrieben, die Mülie, verloren zu gehen, er-
sparte, und sich aufopferte für alle. Schon um dieser That wil-
len verdient der Name jedes der drei Einzigen fortgepflanzt zu
werden: Koraliskos von Epilykos; die Kettungslosen ('Aoco-
Toi) von Euthj^kles, und die Trommler {Tvf.i7Tccvi0Tal) von
Autokrates.
Als letzten Zeitgenossen des Ai'istophaues nennen wir noch
den Theopomp OS. Die Mehrzahl seiner Stücke gehören ihrem
Stoffe nach der mittlem Komödie an, deren Grenzen aber sich
in die alte Komödie verlieren. Das nennenswertheste darunter
ist der Wollüstling ('üö't';{«(»r;g), Platon's wegen, über den
sich diese Komödie des Theopompos lustig machte. -)
Fort aus dieser HöMe voll Larven, mit denen wir uns her-
umschlagen, wie Don Quijote mit dem Heer Fledenuäuse in der
wüsten Felskluft! Empor aus diesem l'odtenreich der Fragmen-
ten-Nek}ia, wo, auf den Kuf von ßergk und Meineke, um die,
statt des schwarzen Blutstroms aus zerschnitteneu Schafgurgeln,
mit einem schwarzen Dintenstrome gefüllte Gruft, wo um diese
Gruft, nicht Seelen und Geister, nein - „tief aus dem Erebos"
Titel sich versammeln und klägliche Fetzen abgeschundener Ko-
mödien! Empor aus dem nächtlichen Dunkel des Keliquien-A'i-
des, öder als Persephoneia's Keich! Denn hier „schweben", wie
der Dichter singt, „gestaltlos umlier, massenweis Schatten vom
1) p. 883. — 2) Diog. L. III, 26.
Aristoplianes. gl
Namen getrennt": in dem schauerlichen Hades der Bruchstücke
aber Namen von den Schatten getrennt, und der gräuliche Spuk
zerpflückter , aus den Gelenken gelöster und entrenkter Gerippen-
Phantome. Hinan zum goldenen Lichte des heitern Lebens, der
blühenden Gestaltenfülle Dionysischer Lust und schwellender
Freude !
„Da blickte durch der Felsschlucht ob're Rundung
Der schöne Himmel mir aus heitrer Ferne,
und eilig stiegen wir aus enger Mündung,
Und traten vor zum Wiedersehu der Sterne."
Aristophanes.
Grollen wir dem eisernen Besen der Zeit nicht allzusehr,
dass er die ganze alte Komödie, wie Schutt, hinweggefegt, um die
damuter verborgenen Schätze zu Tage zu legen, die uns in Ari-
stophanes' elf Komödien anfunkeln und anlachen. Wie in ihrem
Schöpfungs- Haushalte die Natur, wirft auch die Geschichte in
dem Haushalte der Kunstschöpfungen einen Damm der Uebervöl-
kerung entgegen. Und wie die Schöpfungsges(;hichte in den fos-
silen üeberresten ganzer Bildungen vorweltlicher Thiergeschlech-
ter das nothwendige Fundament eines beruhigtem, vollkommnern
Erdenlebens aufdeckt: so mögen uns die in den Straten der Kunst-
geschichte eingeschlossenen Reste als nothwendige Trüramergrund-
lage gelten zum gedeihlichen Emporblühen neuer, segenreicher
Gestaltung; so dürfen wir auch, auf unserem Gebiete, die eben
vor uns aufgethane Schädelstätte in ein mit Scherben bestreutes
Gartenland umgewandelt glaul)en, woraus Aristophanes' lachendes
Paradies erblühte, belebt, erfüllt und durcliHattei-t von den wun-
dersamsten, närrisch-herrliclisten Gestalten: Götter- und Menschen-
wesen, Thiere, Vögel, Amphibien, Insecten, ein Zauberpark, wie
ihn Circe's Stab nicht lustig -ungethüm lieber bevölkert. Ja ein
Wunderland thut sich vor uns auf, von elf Komödien, gleich je-
nem zeichen vollen Lande der zehn oder elf Wunder, durch eines
Befreier-Propheten Zauberstab hervorgerufen. Und die elf Komö-
dien aucli sie Wunderplagen; aber Lachi>liigeii des Himmels:
Blutiger Spott; hüpfende Frösche ; unnacliahmliclie Witze, Göttes-
tinger-Witze; Wespen, gestachelter, verderblicher, als das Unge-
ziefer der vierten Pharaonen- Plage. Dann die Lachepidemie,
U. ti
■¥
82 Die griechische Komödie.
welcher grössere „Esel, Kameele und Ochsen" erlagen, als die
Pestilenz des Prophetensteckens hinraÖte. Kurz elf Stücke, deren
Heimsuchungszweck ja auch nur Befreiung des Volkes war;
Befreiung von seinen grössten Landplagen ; und die auch nur auf
ein gelobtes Land hinwiesen: auf die segeureiche Marathonzeit,
die der grosse Komiker seinem Volke heraufzuführen verhiess,
wenn es nur von dem AbgTunde, dem es Leichtsimi-trunken und von
schlimmen Geistern verlockt, entgegentaumelte, sich hätte losreis-
sen, wenn es üim, dem lachenden Propheten, nur hätte folgen wollen.
Aristophanes' Komödien sind zugleich die einzigen Urkun-
den seiner Lebensbeschreibung; die Quellen, woraus allein seine
Biographen, wie Thomas Magister, der Anonymos, die Scholiasten,
Verlässliches haben schöpfen können: so eng verwebt ist die Per-
sönlichkeit des Komikers mit der alten Komödie; so völlig geht
ihr Wesen in seine Subjectivität auf; aber auch so verquickt, ja
identisch sind seine Dichter-Interessen und Zwecke mit denen des
Gemeinwesens und des Gesammtvolks, mit „der Stadt." Die Bio-
graphen können dem grössten Komiker aller Zeiten nicht einmal
ein bestmimtes Vaterland zuweisen; auch sein Geburts- und To-
desjahr nicht angeben. Auf Aegiiia, wo sein Vater Philippos,
ein attischer Bürger, reiche Besitzungen hatte, soll er geboren,
und von da, nach des Vaters Tode, als Knabe in Athen einge-
wandert seyn. Die Biographen erzählen von einer Klage auf ün-
ächtheit der Geburt, die Kleon gegen den jugendlichen Dichter
der Babylonier, aus niedriger Rachgier, anhängig gemacht. Der
Process fiel zu Gunsten des Aristophanes aus; er wurde freige-
sprochen. In den Acharnern, welche er ein Jahr nach den Ba-
byloniern, die ihm den Process zugezogen, und abennals unter
dem Namen des Schauspielers Kalhstratos, auffülireu Hess, erin-
nert dieser, in der BoUe des Dikäopolis, blos an die durch Kleon
erlittene Verfolgung (377 if.):
Auch bleibt mir unvergessen, wie Kleon mir selbst
Des Stückes wegen mitgespielt im letzten Jahr.
Er schleppte mich zum hohen Rath, verläumdete,
Belangte mich mit Lug und Trug, ein strudehider
Waldstrom, den Kopf mir waschend, dass ich fast versank
In seines Gerberloches unflathreichen Sumpf.
Kleon hatte den Dichter der an den grossen Dionysien (Ol.
Aristophanes' Komödien als biographische Quelle. §3
88,3=^426) aufgeführten Babylouier beschuldigt: er habe iu ihm
die Stadt, iu Gegenwart der fremden Gesandten, verläum-
det und lächerlich gemacht. Auch hierauf zielt der Chor in der
Parabase der Acharner (631 f.):
— — — Weil ilin die Feinde
Verunglimpft jüngst vor hastig entschlossenem Volke,
Dass er unsere Stadt und die Bürger Athens mit komischem Spotte ver-
höhnte . . .
Nähere Aufschlüsse als diese von Aristophanes selbst gegebenen
Andeutungen über Zeit und Schicksale seines ersten Auftretens
vennögen auch die Biogi'aphen nicht zu geben. Von einer Klage
der Fremdheit {^evlag ygacpi]) oder auf Unächtheit der Geburt
findet sich weder in den Acharnern noch sonst bei Aristophanes
eine Spm'. Vielleicht hat die von Kleon, wegen Verhöhnung in
Gegenwart von Fremden, vorgebrachte Klage zu der Verwech-
selung mit einer Fremdheits-Klage Veranlassung gegeben. Seine
Absichten und Ziele lässt Aristophanes durch den Chorführer in
den Acharnern darlegen (655 if.):
Ihr aber, besorgt nun, dass er hinfort in Komödien höhne, was recht ist;
Manch heilsame Mahnung bietet er euch, und verheisst euch glücklich zu
machen.
Nicht hätschelnd das Volk, nicht ködernd mit Lohn, kein schlängelnder
Eänkeverhüller ,
Nicht tückischen Sinns es beträufelnd mit Lob, nein, stets euch rathend
das Beste.
Drum gürte dich , Kleon , ringe mit uns ; und strebe mit jeglicher Kunst
mich zu fahn :
An der Seite mir wird, was gut und gerecht, dastehen im Kampf. Nie
zeihe man mich,
Dass ich unserer Stadt mitspielte, wie du Hundsfott mit dem Muthe des
Weibes. . . .
Die Scheu, unter dem eigenen Namen die Erstlinge seiner
jungen Muse vorzuführen, giebt er selbst, in der Parabase der
Wolken, als Grund von seinem anfänglichen Auftreten unter frem-
dem Namen an (528 ff.):
Denn seit hier von Männern, die schon anzureden Freude macht,
,, Tugendsam und Liederlich" •) einst grossen Beifall sich gewann,
1) ö atäffQwv Tf yjo xHTctnvywv: zwei Charaktere in Aristophanes'
erstem Stücke, ,,die Zecher" {JanaXdg).
§4 Die griechische Komödie.
Dass ich — Jungfrau war ich ja noch , durfte noch nicht Mutter seja —
Ansetzt' und eüi anderes Weib freundlich auf die Arme nahm,
Und das Ihr grossmüthigen Sinnes hegtet dann und auf erzogt:
Ja, seitdem hat treu sich und fest eure Huld an mii- bewährt. . . .
In der Parabase der Wespen beruft er sich auf das Verdienst,
das er sich, noch als heimlicher Gehülfe anderer Dichter, um die
Athener eiivorben (lOlTfl'.):
Der euch \'iel Gutes gethan hat
Nicht offen im Anfang, nein, üigeheim als anderer Dichter Gehülfe'),
Da des Eurikles '^) Kunst , weissagenden Geist und Erfindungen wählend
zum Vorbild,
Er heimlich in Anderer Bauch sich verbarg, und des Komischen viel ihm
entströmte ;
Doch trat er hernach und otfen hervor und wagte sich selbst in die Renn-
bahn,
Und lenkte der eigenen Musen Gespann, zog nicht am Gespanne der
Fremden.
Das geschah bekanntlich in den Kittern, dem ersten seiner Stücke,
das er unter eigenem Namen zur AuÖührung brachte, imd worin
er auch selbst, als Protagonist, den Kleon spielte. In der be-
rühmten Parabase lässt er diess, mit Berufung auf die Schicksale
seiner drei grossen Vorgänger, des Magues, Kratinos und Krates,
den Chor andeuten (541 if.):
Diess fürchtend besann sich der Dichter bis jetzt und sträubte sich immer
und sagte:
Man müsse zuerst doch Ruderer sej'n, bevor man ergreife das Steuer,
Hierauf dasteh'n auf dem Vorderverdeck und wohl nach den Winden sich
umschau'n,
Dann werde man erst Schitfslenker für sich. Wohlan, um alle die Gründe,
Da bescheidentlich er, idcht ohne Verdacht und mit albernen Possen in
See ging,
Lasst rauschen die Woge des Beifalls ihm ; elfmal mit den schallenden
Rudern
Hebt jubelnden Sturm der lenäischen Lust,
Dass der Dichter erfreut heimkehre von hier,
1) inixnvQwv xQvßSrjv fTfQoiai noirjTrtts. — 2) Ein weissagender Bauch-
redner in Athen, von dem man behauptete, dass er einen begeisternden
Dämon im Leibe habe; vergl. Schol. zu v. Iul4.
Aristoplianes und Kleon. g5
Sich des Ruhmes bewusst,
Voll strahlender Wonne das Antlitz.
Diese Ruhmes-Wonne Avurde ihm durch den Siegespreis zu Theil,
den die Ritter erhielten. Ruderer, Verdecksmann und Schiffsherr,
soll angeblich eine figürliche Bezeichnung des Stufengangs be-
deuten, dea. er selbst vor dem Publicum durchgemacht, indem
er zuerst, in seinen Zechern vermuthlich, als Chorist, dann in
den ßabjloniern als Tritagonist, hierauf in den Acharnern als
Deuteragonist, und endlich als Protagonist und Didaskalos in den
Rittern aufgetreten sey.
Das unsterbliche Verdienst, das die Stammheroen dm-ch Säu-
berung des vaterländischen Bodens von Ungeheuern, gefährlichen
Räubern und verwüstenden Thieren sich erwarben ; Theseus z. B.
durch Befreiung Attika's von der Kromyouischen Sau, von dem Ma-
rathonischen Ochsen ; Herakles dm'ch Erlegung des Erymanthischen
Ebers u. s. w. : solches unsterbliche Verdienst durfte Aristophanes,
fassend auf Kleon's moralischer Vernichtung, auch für sich in An-
spruch nehmen. Und wie Held Theseus mit der Keule des von
ihm ersclilagenen Räubers Periphetes; Herakles in der Haut des
Nemeischen Unthiers daherzog: so erscheint Aristophanes, in den
Parabasen, geschmückt gleichsam mit den Exuvien des niederge-
worfenen Landesfeindes, der nur, als solcher, auch sein persönli-
cher Gegner war, vor seinem im Theater des Dionysos versammel-
ten Volke. Durch den Mund des Chörführers bezeichnet der he-
roische Komiker, in der Parabase der Ritter, den Kleon als sol-
ches verderbliche Ungethüm. Der Chor, den, allem Anscheine
nach, Mitglieder des Ritterstandes selber bildeten, preist den
Dichter ob seiner patriotischen Heldenthat (507 ff.):
Hätt' irgend einmal in der früheren Zeit ein alter Komödienraeister
Uns irgend bestürmt, mit des Stücks Vortrag vor der schauenden Menge
zu treten;
Er hätte von uns das schwerlich erlangt. Doch der ist's würdig der
Dichter,
Der eben dieselben befeindet, ^vie wir, und es wagt, zu verkünden die
Wahrheit,
Und mit tapferem Muth auf den Typlios sogar anstürmt i;nd die wir-
belnde Windsbraut.
„Typhos" (Tvg)Mg) und „wirbelnde Windsbraut" (SQitülrj) — Kleon
gg Die griechische Komödie.
eben, der den ganzen Staat in einen Drelischwindel umwirbelt
und in den Abgrund reisst. In der Wolken-Parabase (549 ff.):
Schlug ich doch, wie mächtig er war, einst dem Kleon auf den Bauch,
Aber trat nicht weiter auf ihn, als er todt im Staube lag.
Seine Komödie erhebt sich durch diesen ritterlichen Edebnuth
hoch über die seiner Genossen; und frei spricht es die Parabase
aus, deren stolze Segel des deutschen Dichters Gesinnungen blä-
hen und schwellen: „Nur die Lumpe sind bescheiden. Brave fr'euen
sich der That." — Doch Die dort, weist die Parabase auf die
Genossen mit Fingern:
Doch Die dort, nachdem sich einmal Blossen gab Hj'perbolos,
Stampfen auf den ärmlichen Wicht stets und seine Mutter los. . . .
Am hochgemuthet stolzesten schreitet sein grosses Kunstbewusst-
seyn, seine heroische Komik, durch die Parabase im Frieden
(729 ff.):
Wohl soUte der Stab ') vollziehen sein Amt , wenn hier ein Komödien-
dichter
Sich selbst lobpreist, an die Menge gewandt im Schwung anapästischer
Weisen.
Doch wenn sich's geziemt, o Tochter des Zeus, dem Ehre zu thun, der im
Lustspiel
Als Meister sich weit vor den Andern bewährt und den herrlichsten Ruhm
sich errungen,
Dann dünkt, der uns einübte das Spiel, vorzüglicher Ehre sich würdig. —
Denn AUe, die einst wettkämpften mit ilim, hat er ja, der Eine, be-
schwichtigt. . . .
Solch' faules Geschwätz, solch' hässlichen Schlund, solch' niedrige Fratzen
vertrieb er.
Und erschuf uns gross die gesunkene Kunst, und thürmte den Bau in die
Lüfte
Mit Gedanken und Wort von erhabnem Gehalt und nicht marktähnlichen
Witzen,
Das Gewöhnliche nicht durchziehend mit Spott, alltägliche Männchen und
Weibchen ;
Nein, Herakles' Muth in der zornigen Brust, legt Er an die Mächtigsten
Hand an.
Durch Ledergeruch 2) und entsetzlichen Dunst kothsprudelnder Drohungen
schreitend.
1) Die Stabträger (Rhabduchen) , die als Aufseher Ordnung und Ruhe
im Theater zu erhalten, aufgestellt waren. — 2) Der Gerber Kleon.
Aristophanes und Kleon. 87
Und zuerst und vor Allen bekämpf ich ihn selbst mit den spitzigen Hauern,
den Unhold,
Denn fürchterlich, ha ! von den Augen daher, wie der KjTina ') , sprühten
die Blicke,
Dem hundert Häupter umher unseliger Schmeichler beleckten
Sein grässliches Haupt ; er hatte den Laut, wie des allzerstörenden Wald-
stronis . . .
Solch' Grauen zu schau'n, es erschreckte mich nicht; nein immer für euch,
ihr- Athener,
Und die Insehi, bestand ich mutliig den Kampf. . . .
Die gegen Kleon gerichtete Stelle kommt wörtlich auch in der
Parabase der Wespen vor. Man vermiithet, dass die Stelle dm-ch
ein Versehen der Abschreiber oder dm*ch spätere Diaskeuase in
die Parabase des Friedens gelangt sey, weil der Frieden bald
nach Kleon's Tode (Ol. 89, 3=422) aufgeführt wurde (in den
Lenäen desselben Jahres), und Aristophanes sich nach Kleon's
Ableben der Ausfälle gegen ihn enthielt.
In Folge der Aufführung der Babylonier hatte Kleon, nach
gerichtlicher Untersuchung, der Ritterschaft fünf Talente zurück-
zahlen müssen, welche er durch Betrug von den Inselbewohnern
erhalten, um diese von gewissen Abgaben zu befreien (Acharn. 5 ff.):
Nun ja ^ mein Herz war überglücklich, als ich's sah! —
Die fünf Talente, die der Kleon ausgewürgt,
Das war mir Labsal, und die Pdtter lieb' ich traun.
Um diese That: ,,sie war der Hellassöhne werth!" . . .
Darüber erbittert, warf ihm der Demagoge jenen Process an den
Hals. Da Kleon, wie schon gemeldet, damit durchfiel, nahm er,
nach Auffülirung der Ritter, die unter gi'ossem Jubel der Zu-
schauer gespielt und gekrönt wurden, an dem Dichter persönliche
Rache. Die „wirbelnde Windsbraut" ergriff iliu, wahrscheinlich
unmittelbar nach der Vorstellung der Ritter und im Theater selbst,
und führte mit ihm einen Drehtanz aus, wie dergleichen Winds-
bräute mit ihrem Bräutigam zu tanzen pflegen. Als Staatsmann,
Feldherr und Gerber liess Kleon von seinem Stab (den Herren
vom Stab) dem Dichter die Haut gerben. Bei dieser von Kleon
aufgeführten Gerber-Komödie hatte er dieselben Lacher auf seiner
Seite, die den Dichter der Ritter auf Kosten des Gerbers nm*
1) Eine freche Buhlerin.
88 Die griechische Komödie.
eben gekrönt hatten. Darauf zielt der Sprecher des zweiten
Halbchors in den Wespen, den Aristophanes selbst spielte, da
Philonides die Hauptrolle, den Philokieon, gab (1284 ff.):
Einigen gefiel es zu behaupten , ich sey ausgesöhnt,
WeU mich da der Kleon doch ein Bischen in die Enge trieb,
Und mich weidlich zwackte; ja, als ich ward abgegerbt,
Lachten die draussen, die's sahen, über mein Geschrei,
Kümmerten sich nicht um mich, wollten abwarten nur.
Ob ich in der Klemme noch einen Witz schleudere.
Als ich es bemerkte, ja, da schwänzelt' ich ein wenig wohl;
Doch der Pfahl, auf den der Eebstock baute, der betrog ihn arg.
Das bewies der Pfahl, den der Rebstock stockstumm geknebelt zu
haben wähnte, sogleich in den Wespen. An der Haut des Dich-
ters eine moralische Vernichtung rächen, das erinnert an den Biss,
den der verstockte Raubmörder seinem, vor der Hinrichtung, ihm
eifervoll das Gewissen schärfenden Beichtiger in die Nase gab.
Die Bissnarbe, ein Ehremiial, eine Zierde im Gesichte des gott-
eifrigen Seelsorgers, war im Andenken des Bösewichts ein Schand-
und Brandmal mehr, noch lange nachdem der Wind mit seinen
Gebeinen Kuöchelchen spielte.
Auch darf man in den Angriffen der alten Komiker auf po-
litische Persönlichkeiten keinen Paiieihass im gewöhnlichen Sinne
erblicken. Die oligarchische Partei, auf deren Seite die alte Ko-
mödie kämpfte, war identisch mit der Partei des Aristides, Mil-
tiades, Kimon, mit der Partei der grossen Ahnen jenes, die ganze
Geschichte durchstrahlenden Marathonischen Ruhmes, dessen Glanz
aus dem Lichtkern erhabener Seelengrösse und Bürgertugend her-
vorbrach. Das war und ist die Partei aller Guten mid Braven
zu allen Zeiten; denn es ist die Partei des Guten und Rechten.
Was die Marathonische Zeit bedeutet: Selbstaufopferung für
Freiheit, Ehre, Heil und Wohlfahrt seines Landes, ja für die
höchsten Ideen und Bürgschaften der Menschheit — das schreibt
diese selbst, in allen Stadien ihrer geschichtlichen Kämpfe, auf
ihre Fahne.
Ungeachtet der öffentlichen Verderbniss, erkannte und ehrte
das Athenische Volk in Aristophanes den gTOSsen Patrioten und
Dichter, der ruhmvolle Heldensiege über die gefährlichsten Innern
Feinde des Volksgeistes und des Staates, über Demagogen, So-
Aristophaiies und Platoii. 89
phisten und Rechtsverdreher erfochten, „so dass er mit der Auf-
führung der Wespen, in einem Alter von kaum vier mid zwanzig
Jahren bereits die drei Hauptelemente des attischen Lebens, Po-
litik, Erziehung und Justiz, in das Gebiet seiner Kunst gezogen
und als verkehrte Welt dem leichtfertigen Publicum preisgegeben
hatte." 1) In Anerkenntniss solcher Verdienste -wurde der gTosse
Komiker durch Volksbeschluss Ol. 93, 4 = 405 feierlich mit einem
Zweige des heiligen Oelbaums bekränzt; eine Auszeichnmig, die
der Bekränzung mit einem goldenen Kranze gleichkam.-) Im
Jahre darauf rückte Lysandi'os in Athen ein. Da hörte die la-
chende Nachtigall auf zu schlagen. Erst in den Ekldesiazusen
(Ol. 97, 1=392) regt sich ihre Kehle wieder; für uns mindestens
erst in dieser Komödie, der ersten, von welcher, nach Unterbre-
chung der scenischeu Chronologie während eines Zeitraums von 1 3
Jahren, sich die Auff'ührungszeit mit Bestimmtheit angeben lässt.
Nach der Vorstellung des zweiten Plutos (Ol. 98, 1 =388) ver-
lautet nichts weiter von dem damals etwa 56jährigen Dichter,
als dass er die Autorschaft seiner letzten Stücke, des Kokalos
und des zweiten ^mugearbeiteten) Aeolosikou, seinem Sohne Aratos
abgetreten. 3) Der Vita zufolge starb er bald nach der Auffüh-
rung des zweiten Plutos. Die Notiz, dass er zm- Zeit der Pest
in Athen noch ein Knabe gewesen, und die Voraussetzung, dass
er, wie Eupolis, bei der Aufführung seines ersten Stückes sieb-
zehn Jahre alt war, könnte, meint Bode, zu der wahrscheinlichen
Annahme führen, dass Aiistophanes Ol. 84, 1=444 geboren
worden.
Neben Epicharmos und Sophron gilt Aristophanes für den
Lieblings-Komiker Platon's, trotzdem dass dieser als Gesetzgeber
die Komödie aus seinem Staate und noch entschiedener als die
Tragödie verbannte.^; Ein Staat ohne Homer, ohne Aeschylos,
Sophokles, Aristophanes — ein Himmel ohne Sterne, olme Götter.
Doch soll ja eben Platon's Ideenstaat die factische Erfüllung des-
sen seyn, was diese grossen Lichter der Poesie nur als Probleme
der Entwickelungen weissagungsvoll aussprechen. Der Platonische
Staat, der das goldene Zeitalter der Ideenlierrschaft selber ist.
1) Bode a. a. 0. 228, 10. — 2) Vit. p. 544. — 3) Das. p. 545, 7. —
4) Legg. Vn. p. S16D.E. IX. p. 935C. E. Kep. X. p. 6(i(i C. Pliaedr. 236 0.
90 Die griechische Komödie.
der HeiTschaft des Guten, Rechten und Schönen, was bedarf er
ihrer Propheten, der grossen Dichter? Wie nun aber, wenn diese
Dichter es vor Allen sind, die für die Möglichkeit eines solchen
Staates zeugen? Wenn die Dichter die Baumeister sind, die Riss
und Plan zu jenem herrlichen Tempelbau der Weltgeschichte,
der Menschheit, zeichnen? Den Grundriss, den die Bauwerke und
Mauerpoüre, die Völker und ihre Werkführer immer einsehen,
immer vor Augen haben müssen, um sich danach zu richten?
Dass Platou, der göttliche Piaton, diess verkennen mochte, dessen
Philosophie ihre Göttlichkeit aus den verwesten Trümmern des
Poeten sog, der in ihm verdorben war! Das Epigramm auf Ari-
stophanes, das dem Piaton sein Biogi-aph Olympiodoros i) zu-
sclu'eibt, ist ein solches Elementartheilchen eines in philosophische
Tetralogien zersetzten Poeten:
„Als die Charitinnen einst einen ewigen Tempel sich suchten,
Wählten, Aiistophanes, sie deine Seele dazu."
Ai /ccQiTig Tf/A-Svög ri XaßeTv oneQ ov^l ntaeirai
ZriTovGai, \pvxy]V ivQov liQißrotpävovg.'^)
Und zeichnet er den gTOssen Komiker in seinem Gastmahl nicht
dm'ch die höchste Ehre aus, die ihm, in Platon's Sinne, nm" wie-
derfahren konnte? dm*ch die Ehre, seine Liebestheorie, bei einem
heitern Freundschaftsschmause , in Gesellschaft des Sokrates vor-
zutragen, dessen Tod, oder doch Meletos' Anklage, die ihn her-
beiführte, Piaton, in der ihm zugeschriebenen Apologie des Soki'a-
tes, als von Aristophanes angeregt und vorbereitet, erklärte?
Den Aristoteles haben wir bereits als Gegner der alten Ko-
mödie kennen lernen. Doch scheint eine Nebeneinanderstellung
von Sophokles und Aristophanes 3), insofern beide, jeder in seiner
Art, die poetische Nachahmung im Geiste Homer's verbeispielen,
dafür zu sprechen, dass Aristoteles den Aristophanes, wenn er sich
auf ihn, neben dem in seinen Augen grössten Tragiker, als Beleg
für seine Erklärung berief, mindestens doch als den würdigsten
Vertreter der alten Komödie betrachten mochte. Die mittlere
und neuere Komödie musste mit der alten Komödie zugleich de-
ren grössten Meister verdrängen, und musste das Verständniss
1) §. 5. 585. — 2) Anthol. Pal. append. 63. — 3) Poet, in, 4.
Aristoplianes und Plutarch. 91
für ihn endlich ganz auslöschen. Doch brachte die Alexandrini-
sche Kritik, vor Allen ihr berühmtester Kepräsentant, des Aiisto-
phanes Namensvetter, Aristophanes von Byzanz, das Genie und
die Kunst des grossen Komikers wieder zu Ehi-en. Wie Dio
Chrysostomos, in der öfter angeführten Rede, dem Sophokles die
Mittelstellung zwischen Aeschylos und Emipides zuweist, deren
Beider Vorzüge Sophokles vereinige; ähnlich hält auch, dem Gram-
matiker Platonios zufolge ^), Aristophanes die Mitte zmschen Kra-
tinos und Eupolis, indem er des erstem bittere Schärfe mit der
Amnuth des Eupolis verbinde. Ein Anonymos bei Meineke -) nennt
Aristophanes den vorzüglichsten Künstler (aQioTog Ttxvitrig) der
alten Komödie. Ein Anderer sagi 3), Aristophanes glänze in allen
Komödiengattuugen, und sein Plutos sey als Vorläufer der neuen
Komödie zu betrachten. Auf den Gipfel der Verherrlichung stellt
ihn der Eine seiner Biographen, Thomas Magister, dem wir un-
bedingt beipflichten, wenn er von Aristophanes rühmt : seine Dramen
seyen voll des edelsten Kuustgefühls und attischer Grazie (sv/^iov-
aiag -/.al xagizog ^^TTi/.rjg (.uotä) und sein Spott habe stets nur
das Beste des Staates im Auge gehabt.^) Plutarch's bekannte
Vergleichung des Aristophanes mit dem von ihm vergötterten Me-
nander ^) ist nichts als die zm- Anklage- und Verdammungsschrift
gegen Aristophanes ausgearbeitete Bemerkung des Aristoteles in
seiner Nikomach. Ethik '^), auf die wir, bei Besprechung der Me-
nander-Komödie, zurückkommen werden. Den treffendsten Cha-
rakterzug für Aristophanes' Komik finden wir in dem Epigramm
des Antipatros von Thessalonike. ') Ihm sind die Schriften des
Aristophanes (BlßXoi \4QLoxocfccvovg) voll der furchtbaren Gra-
zien {cpoßEQiov nlrjd-6/iisvoL xagittov). Furchtbare Huldinnen,
das sind die Moiren der gi'ossen Komödie, die ein Aristoteles nicht
mehr vertragen konnte, wie viel weniger der lehrreich amüsante
Parallelenzieher, der pädagogische Prinzenschriftsteller und Mora-
list, der Fenelon des Tiajanischen Zeitalters, der unter Domitian
Philosophie in Kom lelu'te, den Trajan zum Consul, Hadrian zmii
Procurator von Griechenland machte: der frommgläubige ApoUo-
priester und Vorläufer des Neuplatonismus, Plutarch.
1) Mein. p. 534, 17. — 2) p. 539, 4. — 3) Das. 540, 11. — 4) Das.
p. 546, 14. — .5) Moral, p. 853 ff. — 6) IV, c. 14. p. 1128. a. 20. — 7)
Anthol. Pal. IX, 1S6.
92 Die griechische Komödie.
Unsere Ansicht über den „Kuustcharakter" des Aristophanes
haben wir zugleich mit der Darlegung des Wesens und der Eigen-
thümlichkeiten der alten Komödie ausgesprochen, die Aristopha-
nes für die Nachwelt allein veiiritt und erschöpft. Wir wollen
nun seine elf vorhandenen Komödien in chronologischer Folge
vorführen. Dem Athenäos (3. Jahrb. nach Chr.) lagen noch
sämmtliche vierzig Komödien vor, die der Anonymos bei Mei-
neke 0 dem Aristophanes zuschreibt. vSuidas (10 — 11. Jahrb. nach
Chr.) kannte bereits nur die elf erhaltenen Komödien. Diese um-
fassen einen Zeitraum von 27 Jahren, von den Acharnern (Ol.
88, 4^=425), der dritten Komödie des Aristophanes, bis zur Auf-
führung des Plutos (Ol. 98, 1=388), seines letzten, unter eigenem
Namen aufgeführten Stückes.
Die Acharner C -^lyaQvr^g). Aufgefühi-t an den Lenäen Ol. 88,
4 = 425, unter dem Archon Euthydemos, im 6. Jahre des pelo-
ponnesischen Krieges. Mit dieser Komödie siegte Aristophanes
über die „Sturmbedrängten" des Kratinos und über die „Neumonde"
des Eupolis, also über die beiden, nächst ihm, gTössten Vertreter
der alten Komödie. Aristophanes' zwei erste Stücke, die Zecher
und Babylonier, hatten den zweiten Preis erhalten. Die Achar-
ner Hess er noch imter dem Namen des Schauspielers Kallistra-
tos auffiihren, der darin den Protagonisten, die Rolle des Dikäo-
polis, spielte und auch den Preiskranz empfing.
Den Namen trägt die Komödie vom Chor, der aus Kohlen-
brennern der attischen Oi-tschaft Acharnä besteht. Die Achar-
ner gehörten zu den tapfersten und kriegesmuthigsten der attischen
Landbewohner. Sie hatten beim ersten Einfalle der Spartaner in
Attika dreitausend Bewaffnete gestellt, und brennen jetzt noch,
lichterloh wie ihre Meiler, von grimmigem Hass gegen den Lan-
desfeind, der zum vierten Male bereits ihre Aecker verwüstet.
Nun setzt sich der Zweck unserer Komödie: den Athenern den
Frieden mit Sparta als einziges Heil an's Herz zu legen, von
vorneherein mit der kriegerischen Stimmung der erbitterten Koh-
lenbreiiner aus Acharnä in offenen AViderspruch. Die Bewegung
der l\oin<uli(.' besteht denn auch in der komischen Ausgleichung
dieses Gegensatzes, den der Dichter an der groteskphantastischen
1) T. 1. p. 545, n.
Aristophanes' Achanier. 93
Controverse durchführt und schlichtet, welche zwischen Dikäo-
polis, der, als symbolische Gattungsfio-ur, die friedeusbedürftige
LandbevölkeiTing vertritt, und zwischen der, als Koliler-Chor vor-
gestellten CoUectivperson entbrennt, der für die ländliche Kriegs-
partei einsteht. Chor und Dichter sind die eigentliclien Beweger
der komischen Dialektik, insofern Dikäopolis seine Sache aus der
Seele des Dichters führt, und die dramatische Bewegung in der
üeberführung des kriegslustigen Chors und seiner Umstimmung
für den Frieden verläuft; in der üeberführung des Zuschauers also,
des kriegseifrigeu athenischen Volkes, dessen Rolle der Chor in
dieser Komödie spielt. Zwischen Dichter und Zuschauer wird
demnach die ganze Komödie wie ein persönlicher Handel abge-
wickelt, zu nicht geringer Verblüffung der Aesthetik. Und die
Verhandlung zwischen den beiden eigentlichen Hauptfiguren der
Komödie, dem Dichter und Zuschauer, erfolgt hier nicht blos
der Idee nach, wie etwa jedes Drama, im letzten Grunde, auf
einer geheimen Beziehung zwischen Dichter und Publicum beruht ;
nicht blos in dieser Weise, sondern handgreiflich, wenn auch mit-
telst allegorisch vermummtBr Personen. Neben diesen zwei Haupt-
vertretern, dem Dichter, als Dikäopolis und dem Kohlenbrenner-
chor, als Repräsentanten ^les kriegslustigen Demos, tritt aber noch
eine dritte wunderliche, der Aesthetik höchst missliebige Figur
in die komische Verhandlung ein: die Tendenz des Stückes.
Und wie frech! Auf dem Versammlungsplatz, auf der Pnyx, er-
scheint vor Prytanen und Volk der mythische Heros Amphi-
theos, Sohn der Demeter und des Triptolemos, der, im Style
eines Euripideischon Prologs sein Stammregister aufsagend, sich
vorweg als lächerliche Figur darstellt, unbeschadet seiner segens-
reichen Mission, kraft welcher Heros Amphitheos, als Sprössliug
zweier dem ländlichen Segen vorstehenden Gottluuten, im Begriff"
ist, auszuziehen, um „mit Spaiiu abzuscldiess(Mi" (54 f.):
Aiiipbith. Doch mir, dem Gotte, Mämier, felilCs au Keisegeld;
Denn die Prytanen geben nichts -
Ein Prytane. Die Wächter lier !
Der Gott wird abgeführt. Da tritt Dikäopolis vor, der schlichte
Landmann aus der Ortschaft Chollidä, und iiiniuit sich des
Gottes und der Friedenssache an. Kaum ist dns Wort gesjiro-
94 Die griechische Komödie.
chen, schieben sich drei aufeinaiulerfolgeude Scenen dazwischen,
die Athens auswärtige Gesandtschaftspolitik aufs ergötzlichste
verspotten, zu Nutz und Frommen des Friedens im Innern unter
den Hellenen und der Nothwendigkeit eines Friedensabschlusses
mit Sparta. Der aus Persien heimkehrende attische Gesandte
mit Gefolge, worunter auch Pfauen, legt seinen Gesandtschaftsbe-
richt ab, begleitet von Dikäopolis' Zwischenbemerkungen, die den
ganzen Aufzug als Erzaufschneiderei und Windbeutelei verhöhnen.
Der Gesandte, der vom „grossen König" Hülfsgelder zum Kriege
mit Sparta mitbringen sollte, verheisst goldene Berge; doch
welche! (60 ff.):
Im vierten Jahi-e kamen wir zur Königsburg;
Der war zu Stuhl gegangen sammt des Hofes Tross,
Und sass auf goldnen Bergen dort acht Monde lang.
Als Zeuge dessen mxä der persische Gesandte eingefülu-t, „des
grossen Königs Auge" genannt, mit Verschnittenen als Gefolge.
Der augebliche Gesandte, Pseudartabas, d. i. Lugartabas, hat,
seinem Schauamte gemäss, eine Maske, die aus einem Ungeheuern
Auge besteht. Wie Dikäopolis den erblickt, ruft er:
Fürst, Herakles, hilf!
Beim Himmel, Mensch, du guckst ja wie ein Ruderloch ! . . .
Aber Lugartabas lässt sich nicht spotten. Er kommt nicht mit
leeren Händen, sagt er auf pseudopersisch. Dikäopolis wittert auf
der Stelle den Sinn, dass nämlich Lugartabas obenvenneldete
goldene Berge sämmtlich an die Athener abzuliefern in der Lage
ist. Dikäopolis erkennt die Verschnittenen als gute Athener und
heimische Eunuchen oder Mannweiber. Inmittelst hat sich Gott
Amphitheos wieder eingefunden. Ergrimmt über die an solche
Gesandtschaft verschwendeten Summen, über die Pfauen, die Ver-
schnittenen, den Lugartabas und die goldnen Berge, zu deren
Herstellung der gTOSse König acht Monate gebraucht hatte, wen-
det sich Dikäopolis gegen Amphitheos und spricht (130 ff.):
Da nimm von raii- acht Drachmen, geh und schliesse mir
Mit Lakedämon Frieden, blos für mich allein.
Zugleich für meine Kinder und mein Ehgemahl.
(^Gegen die Zuschauer).
Schickt i h r iiidess Gesandte, gati't und schnappt nach Luft !
Die Achanier. Dikäopolis. Der Chor. 95
Nach einer Zwisclieusceue , worin der aus Thrake heimkehrende
Theoros mit schäbigen Hülfstruppeu, „Odomantenvolk" vom
thraldschen König Sitalkes erscheint, Diebsgesindel mit kleinen
Tartschen, die, kamn eingetreten, dem Dikäopolis schon seinen
Lauch gestohlen, — nach dieser nicht minder lustigen Scene,
kommt auch schon Amphitheos aus Sparta mit drei Krügen zu-
rück,, worin dreierlei Friedensprobeu : Frieden auf fünf, auf zehn
und auf dreissig Jahre. Die ersten zwei Proben spuckt Dikäo-
polis wieder aus, aber die Probe vom Dreissigjährigen, die schmeckt
ihm! (196 ft".):
Dikäop. Ha, Dionysoslust!
Der riecht nach lauter Nektar und Ambrosia . . .
Ich eüe frei des Krieges und des Ungemachs,
Aufs Land hinaus und feiere eiu Dionj^sosfest.
Amphitheos, der mit genauer Noth den Acharnern entkam, die
ihn, wegen der Krüge mit dem Friedenswein, steinigen wollen,
entflieht. Die Scene verwandelt sich in eine ländliche Gregend
mit Dikäopolis' Gehöft im Hintergründe. Der mit Steinen be-
waffnete Acharnerchor tritt ungestüm mid in zerstreuten Grup-
pen, ähnlich wie der Chor im Oedipus auf Kolonos, suchend nach
Amphitheos, um ihm, wegen der Krüge, den Garaus zu machen,
und gleichzeitig den Dikäopolis, für seinen Separatfriedensabsehluss
mit Sparta, zu züchtigen. Dikäopolis kommt aus seinem Hause
mit Frau und Töchtern, und will eben sein Friedensdankopfer
mit Gebeten an Gott Dionysos und Gott Phales (Priapos) „des
Bakchos Spielgenossen", verrichten, als der versteckte Chor plötz-
lich hervorstürzt mit wildem Angriffsgeschrei (280 f.):
Werfet, werfet, werft ihn !
Haut ihn, haut den Schurken durch!
Dikäopolis setzt ihnen die Gründe, die ilm bestimmten, auseinan-
der. Die zornentbrannten Köhler wollen von nichts hören: „Wisse,
sterben musst du jetzt." Da holt Dikäopolis rasch einen Kolil en-
korb aus dem Haus, den er „todt zu machen" droht, mit dem
Schwert in der Hand, wenn sie die Steine nicht fortwerfen. Der
Kohlenkorb allegorisirt iln* Gewerbe, dem es an Hnls und Kragen
geht, wenn sie nicht Frieden halten. Der pliantastisch-allogo-
rische Styl bedingi durcliweg den derbsten Auftrag des Zweck-
96 Die griechische Komödie.
gedankens, der Tendenz. Diese Kuiistform vei-körpei-t sich bei
Aristophaues ganz zu einer Plastik der Tendenzidee. Der Selbst-
zweck der Kunst wird hier zu Schanden. Der Zweck der komi-
schen Kunst ist, wie bei jeder ächten Kunst, mit dem Staatszweck
identisch, nur dass sie diesen in der ihr eigenthümlichen Form
poetisch zur Anschauung und zur Geltung bringt. Die selbst-
zweckliche Kunst ist hohl ; ihr Inhalt ein leeres, frivoles Fomien-
spiel; ihi'e Idee: der raffinirte Genusskitzel einer impotenten Ab-
straction. Schreckerstan-t ruft der Chor (333 ff.):
Weh, wir sind dahin, verloren, unser Landsmann ist der Korb . . .
Meinen schwarzen Kameraden mordest du, den Kohlenfreund V
Sie sind nun l)ereit, seine Vertheidigungsrede anzuhören, die er
„mit dem Kopf auf dem Hackblocke" zu halten, sich erboten
hatte. Erst aber muss er sich, um die gehörige Wirkung und
Rührung ]iervorzul)riugen, die dazu erforderlichen Bettlerlumpen
von Em'ipides borgen, der hier, als Dikäopolis' Nachbar, in einem
Nebenhause wohnt. Kephisophon , des Euripides Gehülfe , steckt
den Kopf vor. Bald kommt auch Euripides mittelst der Dreh-
maschine zum Vorschein, in einem Hängekorb schwebend und
mitten in der Arbeit. Dikäopolis bringt nun, in einer unvergleich-
lichen Scene, seine Anliegen wegen der Lmupen vor (415 ff.):
Ein Lümpchen gieb mir aus dem alten Trauerspiel.
Euripides kann mit verschiedenen Sorten dienen. Dikäopolis ent-
scheidet sich für die Lumpen des Telephos, mit dem Myserhüt-
chen, dem Körbclien, durchgebrannt vom Kerzenlicht, dem Be-
cherlein mit ausgebrocheuem Rande, dem Töpfchen mit dem
feuchten Schwamm, und bettelt sich die Bestandstücke, eins nach
dem andern, zusammen mit Versen aus Euripides' Tragödien. Die
Scene ist von unnachahmlicher Komik, wie sie nur das Genie
hinwirft, und ein Meisterstück genussreichster Verspottung, die
ilir Erg(»tzli(*lH!s aus der Grösse einer stolzen hocligesinnten Kunst
schö))ft, deren Zweck und Wesen die kleinlichen Behelfe einer
tiftelnden Tragik durch den blossen Contrast vernichten. So aus-
staffii-t tritt nun Dikäopolis an den Hackblock, um seine Recht-
fortigungsredo , zu Gunsten des Friedens mit Sparta, vor dem
Chor der Kohlenbrenner zu lialten, der sich in zwei Halbchöre
Die Acharner. Dikäopulis und die beiden Halbcliöre. 97
von entgegengesetzten Stinimnngen getlieilt. Der eine Halbchor,
dem Dikäopoüs' Gründe einleuchten, tritt gegen den andern Halb-
chor, den die Vertheidigungsrede noch heftiger aufgereizt, für
Dikäopolis in die Sclu'anken. Das einzige Beispiel vielleicht auf
der alten Bühne, wo zwei Halbchöre, ähnlich wie die Doppelchöre
in Schiller's Braut von Messina, feindlich und angriffsweise an
einander gerathen. Der gegnerische Halbchor ruft im Gedränge
den kriegerisch gesinnten Feldherrn Lamachos zu Hülfe, der auch
gleich in Kriegerrüstung aus seinem Hause daneben hervortritt,
als guter Nachbar von Dikäopolis. Wie der kriegsfeuerige La-
machos von dem Separatbündler Dikäopolis empfangen und mit-
genommen wird, das lässt sich nur aus dem Auftritt selbst er-
messen (572 — 623). Dem tapfern Eisenfresser in Panzer und
Federbusch schwillt der Kamm ellenhoch:
Lamachos. Slit einem Feldherrn redest du, der Bettler, so?
Dikäopol. Was, Bettler? Ich ein Bettler?
Lamachos. Nun, was bist du sonst?
Dikäopol. Was sonst? Ein guter Bürger, kein Amtsjägerling,
Vielmehr, so lange währt der Kjrieg, eia Kämpferling,
Doch du, so lange währt der Krieg, Soldherrscherling.
Lamachos. Mich hat das Volk erkoren.
Dikäopol. Ja, drei Kukuke!
Darüber voll von Aerger schloss ich Frieden ab ... .
Der Zweikampf endet damit, dass Lamachos davonstürmt, die
Peloponnesier zu befehden, und Dikäopolis, um mit ihnen Handel
zu treiben:
Ich rufe hierher alle Peloponnesier
Und alle die Böotier und die Megarer,
Bei mir zu markten, aber nicht mit Lamachos . . .
Der Act schliesst mit der lierrlichen sdion besproclienen Parabase.
Der Chor ist nun wieder mit dem Dichter identiscli; Ein Sinn
und Ein Herz. Die Selbstverherrlichung erschwingt den höch-
sten Gipfel in den Anapästen, wo von den an den grossen Dio-
nysieu zum Feste herbeiströmenden Fremden die Kede, die nach
ihm, dem Dichter, als der grössten Sehenswürdigkeit in Athen,
sich umschauen:
Drum kommen sie von den Städten daher, um euch zu entrichten die
Schätzung.
U. 7
98 I^i^ griechische Komödie.
Dann brennen sie stets, ihn mit Augen zu sehn, den gewiegtesten Mann
des Gesanges.
Der kühn es gefragt, was wahr und gerecht, dem Athenischen Volk zu
bedeuten.
Ja. so weit scholl in der Ferne bereits das Gerücht von dem muthigen
Dichter,
Dass der König sogar'), ausforschend einmal der lakonischen Männer Ge-
sandtschaft,
Sie befragte zuerst, ob wir, ob sie jetzt mächtiger wären im Meere,
Und dann der Poet, ob er ihnen, ob uns am bittersten sage die Wahr-
heit . . .
Der zweite Act stellt, vor Dikäopolis' ländlicher Wohnung,
den Jahrmarkt vor, auf dem alle Peloponnesier, Megarer und Böo-
tier markten dürfen mit dem Beding, dass sie nur mit ihm, nicht
mit Lamachos, handeln. Die lustigsten Scenen folgen aufeinan-
der. Ein Megarer verkauft ihm für ein Nessel Salz und ein
Knoblauchbüschelchen, seine zwei Töchtercheu im Sack, als em
Paar Ferkel. Seinerseits verhandelt Dikäopolis an einen böotischen
Bauersmann, gegen dessen Geflügel und fette Aale vom Kopäersee,
einen Sykophanten, den er, wie einen „Topf" eingewickelt und
wie eine Garbe mit dem Tragband umflochten, an den Füssen,
kopfunten, emporhebt, vom Böotier fest verpacken und, einge-
schnürt, forttragen lässt. Die Scenen müssen mn so ergötzlicher
gewirkt haben, da Aristophanes den Megarer und Böotier in ihrer
Mundart sprechen lässt. Jetzt kommt auch ein Diener von La-
machos auf den Markt und bittet den Dikäopolis, seinem Herrn
zum Kannenfest für eine Drachme Krammtsvögel abzulassen, und
für drei Drachmen einen Kopäeraal. „Der Lamachos?", fragt
Dikäopolis, und Aal?
Nein, nein, und gab er seinen Schild für einen Aal! . . .
Ich nehme meine Waare selbst und gehe flugs,
„Von Amseln und Krammtsvögeln rings umscliAvebt", hinein.
Mit einer zweiten, den Act scliliessenden Parabase wendet
sich der Chor, der nun Eins mit sich und dem Dichter, an die
Zuschauer, denen er die Segnungen des Friedens an dem Bei-
spiele des Mannes preist (Dikäopolisj , welcher „voll Verstand
1) Der jjersische.
Die Acharuer. Dikäopolis als Friedens-Scliankwirtli. 99
ferneher jeglichen Bedarf bezieht", und schliesst mit einem Grruss-
gebet an die Versöhnung {zlictllayri) 987 ff.:
Kypria's Freundhi und Holder Chariten Gespielin, o Versöhnung, holdes
Kind!
Dass sich dein wonnigliches Angesicht uns verbarg!
Möchte doch ein Eros mich ewig dir vereinigen
Wie im Bild jener dort, leuchtend in der Rosen Kranz ! . . .
Im dritten Act schlägt der komische Contrast von Friedensselig-
keit und Kriegselend in seine lustigsten Extreme auseinander.
Dikäopolis, als Festwirth des Chors beim Friedensjubelschmaus
am Kannenfest auf der einen Seite; auf der andern Lamachos,
hereingetragen aus dem Kampfe, durchbläut, kläglich stöhnend,
heulend über den Stich von Feindes Speer. Seine hochkomische
Beleuchtung empfängt der zwerchfellerschütternde Gegensatz aber
erst durch die ihn vorbereitenden Auftritte: durch Dikäopolis'
wohlgemuthe Anstalten zum Schmause; mid daneben der jam-
mernde Landmann, dem die Böotier sein Stiergespann geraubt,
und der nun von Dikäopolis „etwas Frieden" erfleht, um Gottes-
willen „auf fünf Jahre nur!" wie Einer mit geschwollener Backe
in die Apotheke läuft, und um ein Paar Tropfen auf Baumwolle
in die Zahnlücke jammert (lü33ft'.):
Der Land mann. So träufle nur ein einzig Tröpfchen Friede mir
In dieses Röhrchen hier hinein, ich bitte dich.
Dikäopolis. Kein Sonnenstäubchen! Geh und heule, wo du willst!
Der La n dm an n. Weh mir, ich Armer! Ach, das Ackerstierepaar.
(ab).
Brautführer und Brautjungfer kommen mit einer Fleischspende an
Dikäopolis vom Bräutigam aus dem Feldlager, und bitten sich
für diesen ein Schlückchen Frieden aus. „Nicht für tausend
Drachmen", sagt unser Friedens-Schenkwirth. Darauf flüstert ihm
die Brautjungfer etwas in's Ohr. Die Aristoplumischen Huldgöt-
tinnen lächeln schalkhaft über diesen auserlesnen Zug, der so fein
und lieblich mitten in die vollsaftigste Grotteskkomik sich hinein-
stiehlt; wie etwa in den lärmenden Freudensclimaus einer Bauern-
hochzeit ein verstohlener l^uss des Bräutigams, den nur die Rose
verräth, die dabei aus dem Busensträuschen der Braut auf den
Teller der Nachbarin fällt. Das ist ein Pinselstrich, den von
100 Die griechische Komödie.
alleo Komikern der alten Komödie mir die feiiigestimmte Kmist-
seele des Aristoplianes so scliälklicli mid am rechten Ort anzu-
bringen verstand. Auf das Olirgeflüster der Brautjungfer ruft
Dikäopolis a 058 ff.):
Gott, wie lächerlich
Der Wunsch der Braut ist! Dringend bitten lässt mich die,
Dass ihr zu Hause bliebe doch der Bräutigam.
Bringt her die Spende ! Die bekommt allein davon,
Weü sie, die Jungfrau, keine Schuld am Kriege hat.
Komm, halte deinen Salbenuapf hier unter, Kind!
Und weisst du, wie man's brauchen muss? Bedeute uns
Die Braut, sobald ein Kriegeraufgebot ergeht,
Bestreiche sie den Bräutigam beim Mahl damit!
Nachbar Lamachos wird von dem Oberkriegsherrn in's Feld
gegen die Räuber in Böotieu durch einen Herold beschiedeu ; Di-
käopolis von einem dahereilenden Boten zum Schmause heimge-
rufen (lu9()ff.):
Esstische, Lager, Polster drauf und Teppiche,
Festkränze, Salben, Näschereien, Lustmädchen auch,
Mustorten, Sahnenkuchen, Fladen, Honigbrod,
Und Tänzerinnen, beim Gelag das Süsseste.
Nun spute dich, so sehr du kannst, (ab).
Lamachos. Weh über mir!
Nun wechseln in den ergötzlichsten Stichomythien Dikäopolis und
Lamachos ihre contrastirenden Anordnungen: Der betrübte La-
machos für den Auszug in's Feld; der schmausvergnügte Dikäo-
polis für das Festmahl:
Lamachos. Auf, Junge, bringe meinen Kober mii- heraus!
Dikäopolis. Auf, Junge, bringe meinen Speisekorb heraus!
Lamachos. Auch hole mir die Federn für den Helm heraus.
Dikäopolis. Mir bringe noch die Tauben und die Drosseha her . . .
Lamachos. Bring her die Kapsel für des Helms dreifachen Busch.
Dikäopolis. Mir gieb die Schüssel mit dem Hasenbraten her . . .
Lamachos. Auf, Junge, geh' und hole mir den Speer heraus.
Dikäopolis. Auf, Junge, geh" und brmge mir die Magenwurst.
Lamachos. Gieb her, ich will aus seiner Scheide ziehn den Speer,
Nun halte fest, Bursch!
(sie ziehen den Speer heraus)
Dikäopolis. Junge, nimm und halte fest!
(sie ziehen die Wurst vom Bratspiess).
Die Acharner. Dikäopclis und Lamachos. 101
Lamachos. Nun bringe her des Schildes Gorgowölbig Rund.
Dikäopolis. Gieb mir des Kuchens käsewölbig Rund heraus.
Lamachos. Ist solch Geneck nicht Jedermann ganz lächerlich?
Dikäopolis. Ist solch Gebäck nicht Jedermann ganz wonniglich? . . .
Lamachos. Bursch, bringe mir den kampfgewohnten Harnisch her.
Dikäopolis. Auch meinen Harnisch hole mir — die Kanne, Bursch!
Lamachos. Mit diesem stech' ich jeden Feind im Raufen aus.
Dikäopolis. Mit diesem stech' ich jeden Freund im Saufen aus . . .
Lamachos. Heb' aiif den Schild und tummle dich von hinnen, Bursch!
Es schneit: der Henker! heute macht sich's winterlich.
Dikäopolis. Heb' auf die Schüssebi! heute macht sich's trinkerlich.
(beide ab).
Was thut nun der Chor? Er deutet mit Fingern auf den Con-
trast, und schärft ihn noch hinterher aufs nachdrücldichste den
Zuschauern ein (1144):
Der geht, um zu zechen, das Haupt umkränzt . . .
Der, frierend im Schnee, muss wachen die Nacht . . .
Wir sehen die glänzendste Kunst im Frohndienst nicht blos
der allgemeinen Sache, der Staats- und Volks-Interessen ; wir sehen
die edelste Muse, Kmist, Genie, Begeisterung, zur Förderung eines
unmittelbaren Tageszweckes, einer praktischen Zeitfrage, aufbieten,
und alle Schätze komisch-phantastischer Poesie an die Erreichung
dieses Zweckes wenden:
Der Mann da gewinnt mit Reden den Sieg; ihm glückt es, das Volk zu bereden
Für den Frieden . . .
Beginnt die zweite Parabase, „Mit Reden" (roioi InyoioLv rov
drj(.iov (.leraneid-eL); wie ein Staatsredner, zweckdienlich, auf un-
mittelbare EntSchliessungen, aufs Praktische abzielend ; ganz auf-
gehend in die Tagesgeschichte, in- augenblickliches Handeln. Ja
diess Handebi spielt in die Komödie hinein als ihr Handeln, und
dient ihr an Stelle fast der dramatischen Fabelhandlung, die nicht
aus einem Mittelpunkte sich hier entfaltet, sondern in Situationen
phantastischer Controversen , Für- und Widerreden, auseinander-
bricht. Und gleichwohl die feinste Kunst Bakchischer Vernunft,
beredsamer Gestaltung, poetisch überzeugender Staatsweisheit. Ja,
die Tages-Tendenz ist dem Dichter das Wesontliclie, alles Andere
nur spielendes Beiwerk; der Ernst dieser Zweckidoe seine komisch-
ideale Grundstimmung; die Posse nui- die symbolische Maske, die
J02 Die griechische Komödie.
er jeden Augenblick lüftet und Lügen straft. Wie steht es da
mit dem Selbstzweck der Kunst, dieser Fliege im hohlen Ei, das
von selbst zu schweben meint?
Kamii hat der Chor seine drei Strophen gesungen, ruft schon
ein Diener des Lamachos nach gewärmtem Wasser, Leinwand,
Heftpflaster, für seinen elendlich aus dem Kampfe heimgetrage-
nen HeiTn; schreit auch dieser schon auf seiner Bahre: „0 weh!
0 weh!" und zu seinem grössten Jammer mit Dikäopolis' „Juchhe!
Juchhe!" den die auf der entgegengesetzten Seite sich öftnende
Bühne zechend zwischen zwei Dirnen zeigt in dulci jubilo (121 4 ff.):
Lamachos. 0 haltet mii- doch, haltet mir doch das Bein! o weh!
Haltet fest, Freunde, fest!
Dikäopolis. Ihr, schlingt um meinen Gürtel hier die Anne fest.
Schlingt sie fest, Mädchen, fest!
Lamachos. Vom Schlag des Steines scliMdndelt noch mein mattes
Haupt :
Der Blick dunkelt mir-.
Dikäopolis. Ich wiU zu Bette, wiege mich in süsse Lust;
Der Blick funkelt mir. . . .
Lamachos. Mir ist, o Schmerz! ein Lanzenstich durch Mark und Bein
gedrungen (er wird fort getragen).
Dikäopolis (die Kanne schwingend)
Hu- seht hier die Kanne leer! TralaUa, Heil dem Sieger!
Chor. Tralalla, stimm' ich ein mit dir, Heil Alter, Heil dem
Sieger !
Dikäopolis. Ich schenkte nochmals lautern ein und sog's in einem
Zug aus.
Chor. TralaUa, zeuch nun, edler Held, mit deinem Preis, dem
Schlauche !
Dikäopolis. So folget nun und singet laut: Tralalla, Heil dem Sieger !
Chor. Wir folgen AUe dir zu lieb.
Und singen dir und deinem Schlauch:
TralaUa, HeU dem Sieger!
Damit endet diese grosse, erhabene Volks-Komödie. Gegen
den Bürgerkrieg ist ihre Schneide gerichtet; gegen das Ver-
heeren und Verwüsten griechischer Laude durch Bruderstämme;
im sechsten Jahre eines Stammgenossenki'ieges, der noch fast ein
viertel Jahrhundert fortwüthen sollte, um ein allverschlingendes
Grab dem herrlichsten der Völker zu wühlen. Ach, kein Jesaias,
Hesekiel, Jeremias, nicht die drei grossen, zusammen mit den
dreizehn kleinen Propheten konnten den Untergang Jerusalems
Die Situationen in der Aristophanischen Komödie. 103
abwenden ; und nicht den Untergang Griechenlands die drei gTos-
sen Komiker nebst sämmtlicheu kleinen in Bergk's oder Meine-
ke's Reliquien-Kisten und Kasten. Wäre es möglich gewesen, so
hätten Aristophanes' Komödien, selbst auch nur die elf, es bewir-
ken müssen; die elf Sibyllen, weissagend in erhabenen Possen,
aus den tollweisesteu Prophetenbücheru, deren Blätter die lachen-
den Grazien umwandten. Für uns amie Schacher sind es Schul-
fiebeln, mit ästhetisch, literarhistorisch -philologischen Randglos-
sen vollgelmtzelt. Die ßilderchen darin, mit Lampenruss und
Oelfarbe, vom berühmten Oel des oleum et operam perdidi, über-
strichen, blicken kaum kenntlich darunter vor. Das Wenige, was
dui'ch die verwitterte Deckschichte noch durchscheint, erklärt uns
die Schulweisheit dm-ch die blaue Brille zu blauen Wundern,
eitel blauen Enten, die nur den Einen Fehler hatten, dass sie
auf dem Strome der Tagesbewegung schwammen, und nicht lie-
ber in's Blaue hinein gaukelten, oder doch mindestens dahinru-
derten auf dem allgemein verschwommen menschlichen Fahi-was-
ser der Professoren- Aesthetik, untertauchend im selbstzwecklosen
Element bis an den himmelwärts gerichteten Bürzel. Auch über
„Situationen" in diesen Komödien belehrt uns die Alte, mit
dem düiTen Finger an der tröpfelnden Nase. Doch welcher Art
diese Situationen sind, und worin sie sich von denen anderer Ko-
mödien, besonders von den Situationen unserer Dramen, unter-
scheiden, das hat sie noch nicht aus ihrer Nasenspitze herausge-
klügelt, die weisse Sibylle. Da werden wir uns schon selbst ein
Licht aufstecken müssen, ob noch so klein und so gut es eben
leuchten mag. [n allen andern Dramen, die regelrecht aus einer
in Conflicten sich bewegenden Handlung ihre Spiele zetteln, da
ist die Situation ein Product aus der Fabelbewegmig und Gegen-
wirkung der an der Handkmg sich entwickelnden Charaktere;
sind die Situationen Knotenpunkte gleichsam in den sich kreu-
zenden, aus den Entmckelungs- Momenten von Charakter und
Handlung oder Intrigue verschlungenen Fäden. Von einer solchen
combinirten Situation kami in einer Komödie nicht die Rede seyn,
wo sich weder Scene aus Scene hervorgliedert, noch die Charak-
tere sich mit und an dieser Scenenbewegung entwickebi; wo viel-
mehr jede einzelne Scene nur die Illustration der Tendenz ist,
und der Charakter nur die symbolische Figur, die stehende Maske,
j(j4 l^i^ griechische Komödie.
die erläuternde Person dieser bestimmten, zweclrv'oll praktischen
Grundidee ; wo, mit einem Worte, die Situationen nur als die Re-
flexe der „schwebenden Situation" des Tages erscheinen. In einer
derartigen Komödie reiht sich eine Situation an die andere, ähn-
lich wie auf einem entrollten Bild er streifen ein Bild an das an-
dere; mit der Maassgabe, dass in jeder nächsten Scene nicht die
Fabel und Handlung mit den gleichmässig entwickelten Charak-
teren, sondern die Tendenzidee, nm* in gesteigerter Illustration,
sich ihrem Abschlüsse zubewegt. Die Aristophanische Komödie
stellt daher nur scenische Bilder ein- und derselben, die poli-
tische Zweckidee abspiegelnden Grundsituation im Kreise auf, um
einen mehr oder minder handelnd bewegten Chor, der die jedesmalige
„Lage", aus der Seele des Dichters heraus, erklärt und aufliellt, mit-
telst kunstvoll und stufenweise verstärkter Beleuchtung von der in-
tensivsten komischen Lichtwirkung, die den Schein dramatischer Ent-
wickelung, den Schein von dramatischen Situationswandelungen, er-
zeugt. Das Intriguen-Drama knüpft geheim, versteckt und künstlich
seine Situationen ; die Aristophanische Komödie, äusserlich maskirt,
spielt offenes Spiel, mit lauter stechenden Trümpfen in der Hand ; so
offen wie laut schallendes Gelächter ; wie Bakchantische Lust und
Dionysischer Freudenjubel ; so offen wie die unfehlbaren Pfeile von
ApoUon's silbernem Bogen treffen. Das nacharistophanische Lust-
spiel oder Drama, das kunstfonnale, regeh-echte, das Aristotelische
Drama, ist das Drama des combinirenden Verstandes, des anre-
genden Spiels, der witzigen Unterhaltung, im Geschmacke einer
auch im Leben an kleinen Ränken und gi'ossen Skandalen sich
ergötzenden, blasirt entnervten und darmn der flüchtigen Geistes-
salze bedürftigen Gesellschaft; einer Gesellschaft, in welcher das
Verständniss der poetischen Idee und ihrer grossen Kunst mit
dem Reiz dafür erloschen; der Witz mid Intriguen- Verstand da-
gegen sich ungemein regsam und geschäftig zeig-t; ein ganzer
Wimmelhaufen von kleineu Geisteskünsten, der voll witzfertiger
Beweglichkeit sich auf dem Leichnam der verwesenden Poesie tum-
melt, und ihn bis aufs Gerippe verputzt, blank und schmuck, wie
etwa ein Haufen Ameisen einen todten Mauhvurf, den „wackern
Minirer", dessen Skelett sie so rein und zierlich herausarbeiten,
vne kein Anatom es meisterlicher und kunstgerechter präpariren
könnte, und auch kein Aesthetiker das Begriffsgerippe aus dem
Die Ritter. 105
Leichnam seiner Kunstidee so glatt und so sanber herausseciren
möchte. Das altattische Drama, in seiner mächtigsten und voll-
konamensten Erscheinung, als Aeschyüsche Tragödie und Komö-
die des Aristophanes . ist das Drama der poetischen Kuustphau-
tasie, der Ideen-Symbolik; das Drama der grossen Nationalitäts-
Tragik und Komik, und als solches nur das vorzugsweis geschichts-
philosophische Drama, das die Idee der Menschheit als jedesma-
lige Nationalitäts- und Volksidee verköi-pei-t und kunstgestaltlich
individualisirt. Das Intriguen-Drama, ohne diese Ideen, entartet
zum müssigen Verstandesspiel voll geschäftiger Ameisen-Weisheit
und Betriebsamkeit. Und das blieb es bis auf Shakspeare, dem es
vor allen Dichtern gelungen, die reichste Fabelbewegung mit Ae-
schylisch- Aristophanischer Ideen -Poesie in höchster Kunstvollen-
dung zu verschmelzen; und Avird das Intriguendrama jederzeit
und in dem Maasse bleiben, als es sich aus der Sonnenbahn der
Aeschylisch - Aristophanischen oder Shakspeareschen Ideenpoesie
verliert, um in die Sternschnuppen des Menander- oder romani-
schen Drama's zu versprühen.
Die Ritter (Inneig). Schon im nächsten Jahre nach der
Aufführang der Acharner, an den Lenäen (Ol. 89, 1=^424), Ar-
chon Stratokies, siegt Aristophanes mit den Rittern über die Sa-
tyrn des Kratinos und die Holzträger des Aristomenes. ^) üeber
die tagesgeschichtliche Veranlassung zu dieser Komödie und ihre
Folgen haben wir das Nöthige berichtet. Die in Aristophanes'
ersten Komödien zerstreuten Angriffe auf Kleon sind liier in
Einem Brennpunkte vereinigt, der den Volksgötzcn zu Schlacken
schäumt und in einen Klumpenprass zusammenschmelzt; denPa-
phlagonier, wie Aristophanes den Kleon in dieser Komödie
nennt; von /iaq)XdCeiv, meint der Scholiast'^), was brodeln, auf-
schäumen, Blasenwerfen u. dgl. bedeutet, um den hitzigen, pol-
ternden Demagogen zu bezeichnen, mit der Nebenbeziehung auf
die asiatischen Paphlagonier, die für rohe, ungeschlachte Polte-
rer galten. Die komisch -kathartische Idee des Stückes ist eben
so merkwürdig als ergötzlich: Das Athenische, im Demos per-
sonificirte Volk wird vom Paphlagonier, seinem „Hausvogt", wie
von einer bösen Krankheit, durch einen, den Lederhändler Kleon
1) Argum. II, Equ. — 2) Equ. 2.
10(5 Die griechische Komödie.
an Brutalität, Gemeinheit und Sclimäliwuth noch überbietenden
Wursthändler, Namens Agorakritos geheilt; nach homöopathi-
scher Methode also, aber in stärksten Dosen. Die Kur wirkt
Wunder. Vom Paphlagonier genesen, erscheint Demos zuletzt
verjüng-t, in der alterthümlichen Tracht der Marathonischen Zeit,
im Hintergrunde die Akropolis, scharaselig über seine bisherige
Verblendung ; aber, in dieser Schamröthe lustverklärt , wie in ro-
senrother Schlussbeleuchtung. Eine komisch blutigere Satire, als
diese Verjüngung, war nicht zu ersinnen; doppelt komisch und
doppelt blutig, für den rohen Volkstäuscher wie für das betrogene
Volk. Demagogie und Demos werden gleich schonungslos in die
Pfanne des Wursthäudlers gehauen, und nm* der Gnade und
patriotischen Sympathie des Dichters hat es Demos zu danken,
wenn der Wurstkessel des Agorakritos als Zauberkessel wirkt und
ihn, den Demos, jung kocht; während der lederne Demagoge,
selbst für den Kochkessel zu zähhäutig, als Grundspülicht und
Wegwurf ausgeschüttet und fortgeworfeu wird.
Wer ist nun Agorakritos? Welche Tagespersönlichkeit steckt
hinter dem Wursthändler Agorakiitos? In einer Komödie, die,
mehr als irgend eine andere von Aristophanes, eine Tagesgeschichts-
komödie ist mit wirklichen Figuren aus dem Leben ; die der Kit-
terstand selbst mit Choreuten aus seiner Mitte beschickte, und
worin das attische Volk, als Demos in Person, den Herrn und
komischen Helden spielt ; in einer Komödie, worin die zwei Heer-
führer, Demosthenes und Nikias, denen der Lederhäuter den Ruhm
der Einnahme in Sphakteria, als ob's ein Schaffell wäre, gestohlen ;
worin diese zwei Feldherrn als Knechte von Demos, dem Rit-
terchor zu Kleon's Sturz hülfreiche Hand leisten; — in einer
Komödie endlich, worin der Dichter selbst seine Spottgebui-t dar-
stellte, deren Gesichtsform er sogar cigcidiändig sich erst schaf-
fen nmsste, da sie ihm bekanntlich kein Maskenverfertiger zu
liefern wagte: in dieser Komödie sollte eine so wichtige Person
wie der Wursthändler Agorakritos, der den Lederhändler überty-
rannt oder überdemagogisirt, eine blosse Phantasiefigur seyn ohne
reale Folie? Kine blosse Aushülfe - Figur oline politische Absichts-
bedeutung? Nur so eine abstracte Ueberbietungs-Figm- seyn? ')
2) Th. Rötscher, Aristophanes und sein Zeitalter etc. S. 176.
Aristophanes' Ritter. Agorakritos. 107
Eine solche Windblase mag in dem verwelkten Gehirn eines
ästhetischen Formeldrehers auftauchen ; nicht aber in einem Dich-
tergehirn von so positivem Ideengehalt, wie Aristophanes eines in
seinem nur äusserlich kahlen Haupte trug ; nur äusserlich kahlen,
inwendig aber von Gedankenquellen übersprudelnden und von den
höchsten und essentiellsten Ahnungen, wie von Sternbildern, er-
füllten Haupte trug. Nein. Im Agorakritos hatte Aristophanes
die Personification einer bestimmten politischen Idee, eine phan-
tastische Tendenzfigur von staatsideeller Bedeutung im Sinne.
Auch liegt, so erscheint es uns, die Tendenz dieser Figur deut-
lich und bestimmt vor Augen; mit breitem vollgetränkten Pinsel
aufgetragen und leuchtend in einer Farbentünche wie Shakspeare's
Christoph Sly. Kurz und gut, der Wursthändler verhält sich,
unseres Bedünkens, zum Lederhändler, wie die Strassen -Ochlo-
kratie zur bürgerlichen Ochlokratie; wie die proletarische Pöbel-
herrschaft zu der banausischen Demagogie eines Kleon, Hyper-
bolos u. s. w. Aristophanes' tiefblickender Poetengeist personifi-
cirt, unserer Meinung nach, im Wursthändler die niedrigste, ko-
thigste Form der Pöbelherrschaft, die, als letztes, heroisches Heil-
mittel, in einem demagogisch siechen, durch Volksschmeichler
zeiTütteten Staatswesen noch mögKcherweise eine rettende Uni-
wandelung bewirken kann, wie man aufgegebene Siechlinge durcli
Koth- und Sclilammbäder heilt. Sind ähnliche Wiederherstellungs-
und Verjüngungscuren nicht von der Geschichte wirklich unter-
nommen worden, und mit günstigem Frfolg? Von den Agorakri-
ten z. B. der französischen Kevolution? Auch das ist schon vor-
gekommen, und kommt noch heutigen Tages vor, dass gerade die
Ritter Legionen derartiger Agorakriten aus dem Strassenkoth
zu stampfen versuchten, um die alte gute Zeit, ihre Maratho-
nische Zeit, d. h. die Bürger- und Bauernschinderzeit, wieder
herzustellen und, weniger den Staat, als ihre Privilegien zu verjün-
gen. Ist denn nicht auch thatsächlich eine solche Allianz zwi-
schen der attisclien Ritterscliaft und dem Strassenpöbel, oder doch
dessen kothigsten Führern, zum Sturze des Alkibiades, geschlos-
sen worden, der nur ein Kleon von feinerem Tone, vornehmer
Bildung, ein aristofa-atischer Kleon war? Eine Allianz freilich, die
nicht mit der Verjüngung des guten Demos, sondern mit dessen
gänzlicher Auflösung endigte. Was hat es denn so ünwarscheiu-
108 Die griechische Komödie.
liches, (iass dieses, in der politischen Atmosphäre der Zeit sehwe-
bende Radicalmittel in Aristophanes' erfindungsreich vorschauen-
dem Sehergeiste die Gestalt seines Agorakritos annahm? Zu
Deutsch: „Markt- oder Strassenkritiker," Strassenkothpolitiker.
Nikias, dem Kleon den Feldherrm'uhm diebisch entwendete,
macht es ihm nun wett, indem er, als Knecht von Demos, dem
schlafenden Paphlagonier den Zettel mit Orakelsprüchen stiehlt,
die daliin lauten, dass ein Wursthändler den Paphlagonier tiber-
wältigen werde. Wie gerufen kommt gerade der Agorakritos den
beiden Knechten in den Wurf (147 ff.):
Demosthenes. Seliger, du, Gesegneter!
0 jetzt ein Nichts noch, morgen übermächtig gross !
Erhabnes Haupt der hochbeglückten Stadt Athen !
Wursth. Mein Freund, warum das? Spülen Iass die Darme mich,
Und meine Würste verkaufen. Was verhöhnst du mich?
Demosth. 0 Thor du, welche Darme? Schau hierher einmal!
(auf die Zuschauer deutend)
Du siehst die Reihen dieses Volkes doch?
Wursth. Ja wohl.
Demosth. Von diesen allen wirst du selbst das Oberhaupt,
Wirst Herr des Markts, Herr uns'rer Häfen, Herr der Pnyx,
Zertrittst den Rath, des Heeres Führer schindest du,
Schlägst sie in Bande, liebelst im Prytanensaal. . . .
Wursth. Sage mir doch auch, wie ich
Wursthändler hier der grosse Mann doch werden soll.
Demosth. Gerade darum wii-st du ja der grosse Mann,
Weil du gemein, verwogen und vom Markte bist.
Warsth. Ich achte mich für solche Würde zu gering.
Demosth. Ei, ei, warum denn achtest du dich zu gering?
Du bist des Edlen dir be^iisst, so scheint es mir:
Wirst wohl von edlem Hause sein ?
Wursth. Beileibe, nein.
Von ganz gemeinem.
Demosth. Welch' ein unaussprechlich Glück!
Wie ganz befähigt bist du für ein solches Amt!
Wursth. Doch, Bester, auch von Musenkünsten weiss ich nichts,
Bis auf (las Lesen, aber dicss auch schlecht genug.
Demosth. Dicss kann allein dir schaden, ist's auch schlecht genug.
Des Volkes Leitung ist hinfort nicht Sache mehr
Des Feinerzognen und des Wohlgesitteten,
Nein, nur des roh Gemeinen. . . .
Die Kitter. Kleon niul Agorakritos. 109
Das erste Begegniss des Wursthäudlers, in Gesellschaft des
Ritterchors, des Nikias und Demostheues, mit Kleon (234 — 481)
gleicht einer grossartigen Marktprügelei von Beulen und Löcher
in den Kopf schlagendem Wettschimpfen (284 ff. j:
Kleon. Sterben sollt ihr auf der Stelle !
Wursth. Wie du schreist, so schrei ich dreifach.
Kleon. Nieder schrei' ich dich mit Schreien.
Wursth. Nieder brüll' ich dich mit Brüllen.
Kleon. Dich zerhack' ich, wenn du mucksest.
Wursth. Dich bek— ich, wenn du schwatzest.
Dazwischen die Ritter im Chor:
Nieder, nieder mit dem Erzschelm, Würgehund der Eitterschaar,
Mit dem Zöllner , mit dem Abgrund , dem Charybdisräuber-
schlund. . . .
Auf denn, schlagt ihn, auf, verfolgt ihn, äugstet, bringt ihn
ausser sich.
Speit ihn an , wir helfen alle , stürmt auf ihn lautschreiend
ein ! . . .
Zweite Begegnung vor dem Rathhaus (69 1 ff.) :
Kleon. Mit meinen Nägeln reiss' ich die Gedärm' dir aus.
Wursth. Weg kratz' ich dir vom Munde dein Prytanenmahl.
Kleon. Ich schleppe dich zum Demos, da, da büsse mir!
Wursth. Ich schleppe dich hin, hechle dich noch ärger durch.
Kleon. Nun deinen Worten glaubt er nicht, elender Mensch:
Ich habe meinen Spott mit ihm, so viel ich will.
Wursth. Wie ganz du doch den Demos schon dein eigen glaubst
Kleon. Weil ich's verstehe, wie man ihm den Gaumen stopft.
Wursth
Und selbst verschlingst du dreimal mehr als e r bekommt. . . .
Kleon Zum Demos lass uns gehn!
Wursth. Nichts lündert uns.
Nur zugegangen. . . .
Kleon (ruft in das Haus hinein)
Mein Demos, hierher komm heraus!
Wursth. Ja, Väterchen,
Ja, komm heraus!
Kleon. Mein Demchen, allerliebster Schatz!
Heraus, und siehe, welchen Hohn ich dulden muss!
Demos, ein Greis in bürgerlicher Kleidung, kommt zum
\ ] Q Die griechische Komödie.
Vorschein. Er bescheiclet die um seine Gunst sich bewerbenden
Nebenbuhler auf die Pnyx, den bekannten Ort vor der Burg, wo
das Athenische Volk sich zu Berathschlagungen zu versammeln
pflegie. Hier entwickelt sich nun auch ein Zweikampf der beiden
Zungenfaustschläger , dass die Zuhörer zerschlagene Pankratia-
sten-Ohren davontragen mussten. Unser Wursthändler versteht
nicht allein Würste, sondern auch Polster ausgezeichnet zu fül-
len, dergleichen einen er dem Demos unter das Gesäss schiebt.
Demos fühlt sich wie auf Kosen gebettet: „Wahrhaftig," ruft er,
„du thatst als Volksfi'eund hier und bethätigst edle Gesinnung."
Als ihm der Wm'sthändler gar, nach einer meisterhaften Aus-
einandersetzung, me hündisch ihn Kleon behandelt, ein paar
Schuhe hinstellt, dem der Lederhändler keine Sohle jemals ge-
schenld;, und als er gleich darauf dem „hochbetagten Alten," dem
Demos, den der Lederhändler im strengsten Winter frieren lässt,
ein neues Wamms reicht: da muss Demos seinen Gefühlen Worte
leihen; er betheuert (864):
So etwas hat Themistokles niemals herausgegrühelt. . . .
Den Mantel, den ihm Kleon, um den Wursthändler auszustechen,
umhängt, wirft Demos, ihn tüchtig ausfilzeud; ab (892):
Geh fort zum Geier und Verderb ! Der riecht ja ganz nach Leder. . . .
Schon überreicht Demos dem Wm-sthändler den Vollmachtsring.
Kleon beschwört ihn, sein Orakel vorerst zu vernehmen. Wurst-
und Lederhändler holen ihre Orakel und bringen Haufen von
Schriftrollen herangeschleppt. Nmi geht der Orakel-Wettstreit an,
der wieder zu Gunsten des Wursthäudlers ausfällt. Endlich
keuchen die beiden mit Esskörben und Geräthschaften herbei.
Kleon setzt dem Demos einen Stuhl, Wursthändler einen Ess-
tisch vor. BTleon reicht ihm ein Gerstenbrödchen aus Pylos'
Opfermelil ; Wursthändler zwei grosse Semmeln , „welche Pallas
selljst ausgekrumt mit der Hand von Elfenbein." Kleon Erbsen-
mus , „das Pallas selbst gerührt ;" Wursthändler einen Topf voll
Suppe; Kleon einen Pückling; Wursthändler Suppenfleisch und
Magenwurst, von Athena geschickt, nebst Wein und Honigfladen.
Den Hasenbraten, n]it dem Kleon den Wursthändler auszustechen
im Begriffe ist, maust ihm dieser geschickt unter der Hand weg.
Die Ritter. Demos. Kleon. Agorakritos. 111
wie Kleon seine Helcleutliaten bei Pylos imd Sphakteria, und setzt
das Wildpret schnell dem Demos vor. Noch baut Kleon auf
einen Götterspruch, der ihm den Mann nennt, welcher allein ^n
stürzen soll. Der Götterspruch bringt Oedipus' Schicksal über
ihn: Kleon fragt dem Wursthändler sein Schreckeusende ab.
Eine köstliche Parodie der tragischen Orakel-Erfüllungs-Katastro-
phen (I235flf.):
Kleon. In welche Schule gingst du, da du Knabe warst?
Wursth. Durch Schläge setzten Fleischer mii- den Kopf zurecht.
Kleon. Was sagst du? Wie der Götterspruch das Herz er rührt.
Gut, gut!
Und auf der Ringerschule dann — was lerntest du ?
Wursth. Zu stehlen, abzuschwören und frech dreinzusehn.
Kleon. 0 Lyker, Phöbos' Apollon, was verhängst du mir?')
Und Avelches Handwerk triebst du zum Manu gereift?
Wursth. Wursthandel trieb ich. . . .
Ich gab mich hin. 2)
Kleon. Weh mii- dem Unglückssohn! Nichts, nichts mehr bin ich!
„Nur einer Hofiuung Dänmierhelle hält mich flott." 3)
Du sage nur noch, ob du wirklich auf dem Markt
Wursthandel triebst, oder bei dem Thore dort.
Wursth. Am Thore, wo man eingesalznes Fleisch verkauft.
Kleon. Ach, ach! der Spruch der Götter ist erfüllt an mir-!
,, Wälzt mich hinein, des Missgeschickes armen Sohn!"*)
Mein Kranz, auf ewig fahre wolil, ich lasse dich
Ungern: ,,dich besitzen, wird em andrer Mann,
Ein grössrer Dieb wohl schwerlich, aber glücklicher !" s)
(Kleon sinkt halb ohnmächtig nieder. Demos fragt den Wurst-
händler nach seinem Namen) (1257):
Wursth. Agorakritos,
Weil ich von Händebi auf dem Markt mich mästete. 6)
1) Ein^Vers aus Euripides. — 2) Als Buhlknabe. 3) Vers aus Euri-
pides. — 4) Vers aus Euripides. — 5) Parodie der Worte der Alkestis bei
Euripides (v. 176):
,,Dicli besitzen wird ein andres Weib,
Nicht tugendhafter wahrlich, doch wohl glücklicher!"
ö) ^»/ ((yu()u yüo X(>iv6fjfvoi fßoaxufxijv.
\ 1 2 Die griechische Komödie.
Demos. Dir denn vertrau' ich ftirder mich, Agorakritos,
Und diesen Paphlagonier übergeh' ich dir. . . .
Kleou wird nun fortgeschafft. Demos und Wursthändler gehen
ab. Der Chor singt den Actschluss. Der dritte Act zeigt, wie
schon gemeklet, den verjüngten Demos (1333 ff.):
Wursth. Dort könnt ihr ihn sehn, mit Cicaden im Haar'), glanzvoll im
Gewände der Vorzeit,
Nicht duftend nach Muscheln 2), von MjTrhen umwallt und dem
Balsamduft des Friedens !
Chor. 0 Freude dir, König in Hellas' Geschlecht, und vereint dir,
freuen auch wir uns!
Denn wieder erscheinst du würdig der Stadt, der Trophäen in
Marathon würdig.
Demos. Mein Liebster, Bester, komm doch her, Agorakritos!
Welch' eine Wohlthat, dass du mich jung gekocht! . . .
Auf Demos' Schlussfrage: Was er dem Paphlagonier anzuthun
gedenke, antwortet der Wursthändler:
Nichts Arges weiter; mein Geschäft bekommt er nur;
Er soU allein Wursthaudel treiben unterm Thor,
Zusammenwurstend Hundefleisch und Eselszeug. . . .
Demos befiehlt den Paphlagonier hinaus an sein Geschäft zu füh-
ren mit dem Verse schliessend:
Dass ihn die Fremden sehen, die er einst gezwackt!
Die Wolken. Diese von allen Stücken des Aristophanes
berühmteste, und von dem Dichter selbst als sein vollkommen-
stes Werk gepriesene Komödie erfuln- das Missgeschick, zweimal
durchzufallen. Bei der ersten Auftiihrung (an den grossen Dio-
uysien Ol. 89, 2 = 423, Archen Isarclios) wurde sie durch Krati-
nos' Weinflasche und den Konnos desAmeipsias besiegt. Keinen
bessern Erfolg hatte die Umarbeitung, die unter dem Archen
Ameinias ein Jahr später (01.89,3 = 422; zm- Darstellung kam. 3)
Die erste Ausgabe hat sich nicht erhalten. Hermann nimmt
an '*) : die vorhandenen Wolken wären aus der ersten und zweiten
Bearbeitung von einer spätem Hand zusammengesetzt. Nach
1) Die attischen Männer aus der Marathonzeit trugen goldene Cicaden
im Haar. - 2) Nach Stimm.^teincn. — .'{) Arg. Nub. v. extr. Schol. Nub.
8] u. 522. — 4) Praef. ad Ari«t. Nub. p. XXI.
Aiistophanes' Wolken. 113
Argrnn. VI. hätte Aiistophanes seine Diaskeuase, aus irgend wel-
chem Grande (öt r^v nox alzlav), nicht zur Aufführaug gebracht.
Eratosthenesi) bezieht das aber, wie es scheint, auf eine Wieder-
holung der zweiten Ausgabe ((or^d-t] öeIv avaöidcc^ca zag Nscpt-
lc*q tag ösvzeQag). Die Ei^wähnung von Eupolis' Marikas in der
Wolken -Parabase beweist sogar, dass diese Stelle nach dem Ar-
chontenjahr des Ameinias in die Parabase vom Dichter eingescho-
ben wurde, was für eine dritte Umarbeitung zu sprechen scheint. -)
Den wiederholten Misserfolg glaubt man Parteieinwirkungen zu-
schreiben zu müssen. Publicum und Preisrichter hätten nämlich
in der Verspottung der vornehmen, oligarchisch gesinnten, im
Pheidippides charakterisirten Athenischen Jugend, die dm'ch Sokra-
tes' Lehren entsittlicht würde, eine Hinneigmig zu Kleon's Par-
tei gewittert. Auf solche Motive findet sich aber in den Voiivüifen
und Klagen der Parabase über die Einsichtslosigkeit des Publi-
cums und der Eichter nicht die entfernteste Hiudeutung.
Wie dem auch sey, für uns liegt das wichtige und neue
Moment dieser Komödie darin, dass der Dichter, nachdem er in
seinen frühern Stücken die offenen Schäden im öffentlichen Le-
l)en, in der Staatsverwaltung blossgelegt, nun auch die Zerrüttung
und tiefe Verderbniss im Familienleben an dem Verhältnisse zwi-
schen Vater und Sohn, zwischen Strepsiades und Pheidippides,
mit der Fackel der Komik beleuchtet, die schliesslich als Zünd-
fackel auflodert, um das ganze Nest der vom Dichter als Wur-
zel alles Unheils bezeichneten Sophistenbrut auszubrennen.
Pheidippides, durch die Mutter ein Neffe des Megakles, aus
dem vornehmen Adelsgeschlechte der Alkmäoniden, aus welchem
auch Perikles und Alkibiades stammten, vei"wüstet des alten Strep-
siades, seines Vaters, Hauswesen durch die noble Passion der
Junker aller Zeiten: Pferde und Wettrennen. Der Alte, den am
frähen Tage Sorgen wegen der Schuldenlast wecken, die ilmi die
„Pferdesucht" seines vornehmen, von der hochgesippten Mutter
verhätschelten Jungen aufgebürdet, sinnt hin und her, an der
Seite seines noch schlafenden Sohnes, nicht wie er die Schul-
den bezahle; als alter Gauner, der selbst schon angefault ist,
grübelt er über dem trefflichen Auskunftsmittcl, das er sicli in
1) Schol. Nub. 552. - 2) Vgl. Bode, 317. Not. 2.
n.
] ] 4 Die griechische Komödie.
der schlaflosen Nacht ausgedacht, und nun auch gleich seinem
wachgerättelten Jungen mittheilt (90 ff.):
Pheidippides. So sage, was verlangst du?
Strepsiades. Wirst du folgen?
Pheidipp. Ja,
Das werd' ich, beim Dionysos.
Strepsiades. Hieher schaue denn!
(sie treten aus dem Hause.)
Du siehst doch hier das Pförtchen und das kleine Haus?
Pheidipp. Ich seh' es; aber, Vater, sprich, was solFs damit?
Strepsiades. Da haben weise Geister ihr Studirgemach.
Es wohnen Männer drinnen, die beweisen dir*
Der Himmel sey nichts anders, als ein Stülpkamin,
Der rings um uns sich wölbe, wir die Kohlen drin.')
Die lehren dich, mit Worten Unrecht oder Eecht
Siegreich verfechten, wenn du sie dafür bezahlst . . .
Pheidipp. Abah! Die Schufte kenn' ich wohl. Die würdigen
Barfüsse meinst du, meinst die Bleigesichter doch,
Mitsammt dem Unhold Sokrates und Chärephon ? '^) . . .
Strepsiades. Ich bitte dich, ,,du liebster aUer Menschen mir".
Geh' hin und lerne!
Pheidipp. Vater, und was lern' ich denn?
Strepsiades. Zwei Reden haben jene HeiTu, behauptet man,
Die stärkre, wie sie's nemien, und die schwächere.
Von diesen beiden, heisst es, kann die schwächere
Den Sieg gewinnen, schwatzte sie auch ungereclit.
Erlernst du nun die ungerechte Rede mir.
So zahl' ich Niemand einen Obolos zurück.
Pheidipp. Das lass' ich bleiben: denn so bleich und abgezelirt,
Wie wagt' ich's je, die stolzen Ritter anzuschaun!
Strepsiades. Dann bei Demeter, kostest du nicht mehr ein Brot . .
Ich jage dich zum Geier aus dem Hause fort.
Pheidijjp. So lässt der Ohm Megakles mich nicht ohne Ross;
Zu diesem geh' ich, kümm're mich nicht mehr um dich,
(geht ab.)
Welches Sittenbild mit wenigen schlichten, meisterhaften Zü-
gen gleich in der Eingaugs-Scene. Der Alte hatte, vor der Ver-
heirathung mit der hochadelichen Städterin, als wohlhabender
1) Lehre des Sophisten Hii>])on. — 2) Freund und Genosse des Sokra-
tes. Chärephou hatte den Delidiischen Orakelspruch erwiikt, welcher den
Sokrates für den Weisesten der Sterblichen erklärte. Damals benutzte man
Orakel zu Reclamen.
Die Wolken. Strejisiiides und Plieidippides. 115
Bauer auf dem Lande so glücklich gelebt, „au Bienen reich und
Schaafen, reich an Wein und Gel" (4b). Die vornehme Edeldame
bringt Venvirrung in seinen gesegneten Hausstand, flösst dem
Sohne Geringschätzung gegen den Vater ein und zerrüttet schon
durch das hochmüthige Fühlenlassen des Standesunterscliieds sein
einfältiges Bauerugewissen. Das Bedeutsame ist aber, dass wir
es hier wieder nicht mit Einzelpersonen, sondern mit Gattungs-
und Collectivfiguren zu thun haben. Im Strepsiades ist das at-
tische, m'sprünglicli vom Lande nach der Stadt verpflanzte Bürger-
thmn gezeichnet. Bauernpfiffige Verschlagenheit und Fintendreherei,
Geldgier und Processsucht, diese dem Bauer von Haus aus
inwohnenden Eigenschaften erscheinen im demokratischen Bür-
geiihum Athens zum festen Charaktertypus ausgebildet, den
Aristophanes aller Orten und in der verschiedenartigsten Ver-
larvung so ergötzlich und so gründlich komödirt. Strepsiades
deutet schon im Namen {ot()Bq)to drehen) diese dem attischen
Bürger eingeknififene Falte von Bauern-Kabulistik an; wie Phei-
dippides (Eosssparer) ironisch auf das mittelschlächtige, aus demo-
kratisch-oligarchischen Bestandtheilen gemischte Wesen des atti-
schen Alkmäoniden-Junkerthums zielen mag. Die Genealogie des
Namens giebt Strepsiades in seinem ersten Selbstgespräch an (60ff.j.
Die Mutter wollte dem Söhnlein bei der Geburt durchaus ein
„Hippos" (Boss) angehängt wissen. „Ich aber", sagt Strepsiades,
„liiess ihn nach dem Ahn Pheidonides" {cpsiöio sparen). Die El-
tern einigten sich in dem aus väterlichen und mütterlichen Standes-
Eigenheiten zusammengesetzten Mischnamen Pheidippides. In
solchen scheinbar unwesentlichen Zügen hat man bei unserem
Komiker Hindeutungen auf Ideen -Personificationen zu erkennen
von politischer Tragweite. Der Name Pheidippides schlägt wohl
gar zwei Fliegen mit Einer Klappe. Es sollte vielleicht nel)enbei
auch auf den Mischlings-Charaktor von demokratischer Oligarcliie,
der nm* eine Vermischung von beiderlei Gel)reclien und Schrullen
darstellt, ein komisch -satirisches Streifliclit fallen. Oder liegt
die Vermuthung so ganz aussoriialb des Gesichtskreises der Ari-
stophanischen Komödie und jenseits der Tastsphäre der kritisclien,
ihrer Feinheit wegen, berufenen Fühler des Athenischen l*ublicunis,
dass sie als eine untergeschobene abzulehnen wäre? Die Vermu-
thung: eine solche Intention, von Seiten des Komikers, möchte
•j ] ß Die griechische Komödie.
vielleicht mit zAini Sturze einer Komödie beigetragen haben, welche
nicht blos, wie die frühern, in allegorischen oder wirklichen Ta-
gesfiguren die Staatsverwaltung und Politik dem Gelächter bloss-
stellt: die sogar nun auch in Vater und Sohn die geschichtliche
Genesis der attischen, zu einem Misclivolk aus demokratisch-
oligarchischen Elementen von Staatsordnern und Gesetzgebern,
von Theseus schon, vereinigten Stadt- und Landbevölkerung anzu-
tasten wagt, und in den Folgen und Ergebnissen nm>als eine
Fusion gegenseitiger Verderbniss bestichelt und verspottet. Sol-
cherlei Intentionen bei Dichtern ersten Ranges, von dem unmess-
baren Tief- und Weitblick eines Aristophanes, Aeschylos, Shak-
speare, mögen, gleich jenen mit den schärfsten Fernrohren nur
erspähbaren Lichtnebeln, in dem Geiste solcher Kunstschöpfer,
ihnen selbst vielleicht unbewusst, schweben ; mögen erst nach Jahr-
hunderten, Jahrtausenden, als lichte Gedankengruppen, wie jene
Nebelflecke zu Sternbildern und Sonnensystemen sich entwickeln,
für die Erkenntniss einer späten Betrachtung hervortreten: sind
diese Intentionen oder schöpferischen Lichtkernpunkte darum sol-
chem Geiste fremdartig, weil sie embryonisch in ihm schwimmen?
Das kritische Mäuslein, das in der Mausefalle eines Zeitungs-Re-
ferats oder einer Feuilleton -Kritik an seinem armseligen Stück-
chen Speck knabbert, — das freilich wird auch hinter Aristopha-
nes und Shakspeare nichts als Klümpchen von Geschmack und
Grösse seines Stückchens Speck suchen. Absichts-Ideen eines
gi'ossen Dichters muss man, wie der Taucher die Perlenmuscheln,
aus der Meerestiefe seüies Genies an's Licht emporholen. Dünken
sich freilich aucli gar Viele solche Taucher und Perlenfischer, die uns
die ersten besten, aus dem flachen Ufersande aufgelesenen Muschel-
schalen, auf den Perlmutterglanz liiu, als ächte Perlenaustern vorzei-
gen. Es giebt wohl gar auch solche, die, weil die Perle, wie man
sagt, ein Krankheitsproduct, eine Warze, die dasPerlthier ausschwitze,
die höckerigen Auswüchse ihres Gehirns dem Dichter, den sie iuter-
pretircn, in die Seele schiel)en. Die Probe einer Deutung liegt darin:
Die herauserklärte Absichts-Idee, um kritisch berechtigt zu erschei-
nen, muss eiinnal den Anscliauungscliarakter des erläuterten Dichters
tragen, und zweitens ein aufliellendes Licht in seine Composition
werfen ; sodass diese, ohne die entwickelte Absichts-Idee, ein ßucli
mit sieben Siegeln bliebe, oder ein flaches Blatt, wie andere mehr,
Die Wolken. Sokrates. WJ
oder gar niu* eine hohle Attrappe, zu welcher, iiin ein Beispiel
anzuführen, Diejenigen auch den Hamlet interpretiren, die ihn
zum kläglichen Helden einer, aus Schuld seiner Feigheit und ün-
entschlossenheit , in Bezug auf ihn, handlungslosen Tragödie ma-
chen. Man entschiddige die Nebenbetrachtung; sie ist nicht so
episodisch als sie scheint, und wird im Verlauf unserer Geschichte
sich erlauben, noch öfter den Kopf durch die Tapete zu stecken.
Ausser dem angedeuteten, für uns wahrscheinlichen Anlass
zum wiederholten Misserfolg der „Wolken", musste die Komödie
dadurch Aergerniss erregen, dass die, von der vornehmen Jugend
Athens aufgesuchte Sophistenschule als das Fennent bezeichnet
wird, welches den in die Familien geworfenen Keim von Herzens-
entft-emdung und ünehrerbietigkeit zur vollen Eeife bringt durch
gottlose, alle Begriife verwiiTende Lug- und Truglehren und in
dem zerrütteten Familienleben die Grundlagen der Staaten selbst
zerstört. In Ansehung der Sophisten überhaupt lässt sich von
Aristophanes' Ansicht kein Jota rauben. Wenn er aber den Mann
gerade als Urbild der ganzen Gattmig preisgab, welcher die So-
phisten nicht anders auffasste und ihr Treiben und ihre Lehren
im Wege dialektischer Ironie zu vernichten strebte; so darf sich
Aristophanes, zu seiner Rechtfertigung, einmal darauf berufen,
dass zu jener Zeit das Bestreben des Sokrates keineswegs so klar
gesichtet und das Facit seiner Lehren so rein vor Aller Augen
dalag, wie dasselbe aus den Scluiften seiner gi'osseu Schüler in
der Folge hervortrat; dass es mitliin nicht Amt und Aufgabe der
Komödie war, diese prüfende Unterscheidung zwischen dem be-
rühmtesten, von der gebildeten Jugend Athens am eifrigsten auf-
gesuchten Freidenker und den Sophisten von Gewerbe selbst vor-
zunehmen. Aristophanes mochte um jene Zeit den Sokrates nur
aus ]\Iittheikmgen und Anekdoten kenneu, die ihm denselben in
keinem wesentlich verschiedenen Lichte zeigten, als in welchem
ilim die Sopliisten selbst erschienen. Zumal Aristophanes an nam-
haften Scliülern, Jüngern, Freunden und Genossen des Sokrates,
einem Euripides, Chärephon, Alkibiades u. s. w., gerade solche
Bestrebungen verfolgen konnte, die er nach allen Richtungen hin,
in Bezug auf Staat, Kunst und Privatleben, für spottwürdig, ver-
dammlich und gehihrvoll erachten musste. Fand er den Sokrates
nicht im offenen Gegensatz, Kampf und Widersprucli mit den
118 Die griechische Komödie.
altehi*wiirdigen Vorstellungen und Volksbegriffen, ja mit den Vor-
aussetzungen, auf denen, seiner Meinung nach, der Bestand des
Staates und des Gemeinwohls berulite? Bewegten sich die Erör-
terangen des Soki'ates nicht auch in Formen und Wendungen,
die dem Uneingeweihten als leeres Geklügel, müssige Haarspal-
tereien und Spitzfindigkeiten erscheinen konnten, deren Gehalt
und Ergebniss einem so genialischen, erfindungsreichen, von den
höchsten Gedanken und Ideen überquellenden Kopfe, wie Aristo-
phanes, in keinem Verhältnisse zu dem Aufwände von syllogisti-
schen Windungen und desultorischen Winkelzügen zu stehen be-
dflnken mochten? Ja dmfte er den Luxus des abstracten, me-
taphysischen Grübelns, voraus mit Bezug auf die Jugend, nicht
für gefährlicher und Geist verderbender halten, als sich die Wahr-
heiten, die dadurch ermittelt würden, einleuchtend, unanfechtbar
und erspriesslich erwiesen? Wie wenn Aristophanes' komische
Polemik gegen diesen Luxus des Klügeins hauptsächlich, gegen
diese speculativen Gaukeleien und Taschenspielerkünste, dieses
Sophistische des formellen Umschlagens der Gegensätze in einan-
der gerichtet wäre? Liefern doch die Wolken selbst das ergötz-
lichste Beispiel dazu in der Scene, die ein solches Umkehren der
„stärkern Rede in die schwächere", wie in einem Sokratischen
Dialoge, an der Controverse erläutert, welche die zu Komödien-
figm'en personificirte „Stärkere" und „Schwächere Rede" mit un-
nachahmlicher Komik mid schlagender Wirkung gegeneinander
durchfechten; der dialektischen Methode gemäss, wonach beiden
Entgegengesetzten keine unbedingte Gültigkeit zukommt, da beide
gleich wahr und gleich unwahr sind. In dieser Methode zeigt
sich Aristophanes' '.Adixog. Xöync, die Schwächere, auf Seiten des
Unrechts kämpfende Rede, als ein solcher Meister, dass er in den
JlxaLog loyog umschlägt, der Uiu^echt in Recht, wie einen Strumpf,
umkehrt, und den guten Dikäos Logos aus dem Felde schlägt.
p]ine derartige Methode, da sie eine voraussetzungslose seyn will,
die keinen festen Grundsatz, kein Axiom zulässt, sondern aus der
Denkbewegung allein die Begriffe ermittelt, — diese Methode,
auf den Reclits- und Pfiichtenbegriff angewendet, muss die ge-
fährlichste Verwimmg anrichten, die sie denn auch, selbst bei
Denkgeübten, angerichtet hat. Von dieser, wir wollen annehmen
scheinbaren, Sophistik ist keine Philosophie frei; ja sie ist ihr
Strepsiades bei Sokrates. tlQ
Wesen und Inhalt. Hat doch Goethe selbst im Piaton nur einen
feinern, gewandtem, kunstreichern Sophisten erkennen wollen.
Und welche Gaukler und Truglehrer hat nicht der letzte berühmte
deutsche Philosoph, hat nicht Schopenliauer, in unsern drei, nach
Kant, berühmtesten Dialektikern und Gründern von philosophi-
schen Systemen, in Fichte, Schelling und Hegel, zu entlarven und
zu brandmarken geeifert! In Vergleich zu Schopenliauer' s Herab-
würdigung und Verlästerung dieser Denker, als der schamlosesten
sophistischen Windbeutel, ist Aristophanes' Verunglimpfung des
Sokrates eine Apotheose. Ein so wolkenliaft wandelbares Formen-
spiel ist die Dialektik, und so schwer ist sie von Tmglehre und
Sophistik zu unterscheiden.
Unser Strepsiades baut Häuser, sein eigenes Haus und Haus-
wesen, auf das Umschlagen der Begi'iffe und dialektischen Gegen-
sätze. Da sein Taugenichts von den „Barfüsslern" und „Blei-
gesichtern" nichts wissen will, in deren Denkofficin die Schwä-
chere Rede, die Um'echt in Recht im Handumdrehen umstülpt,
das üniversalmittel gegen Schuldenbezahlen, gebraut wird; so
macht er sich selbst stracks auf den Weg (126 ff.):
Und alle Götter fleh' ich an und wandere
In die Denkerklause ; nehme selbst noch Unterricht.
Er klopft an Sokrates' Hausthür. Ein Schüler fährt den plumpen
Pocher an, dass er „so ungestüm umvissenschaftlich an die Thüre
stampft und ihm abtrieb die Frucht des Gedankens, der im Wer-
den war." Besänftigt giebt ihm der Jünger sogleich einen Vor-
schmack von des Meisters Geistesfünden , der Flohsprünge aus-
misst mittelst Wachspantöffelchen, die er ihnen an die Beine klebt ;
der, auf Chärephon's Frage: „Ob die Schnacken wohl mit dem
Munde geigen oder mit dem Hintertheil", nach tiefem Nachden-
ken sich für das letztere entschieden, und das Phänomen aus
dessen Beschaffenheit erklärt habe. Worauf Strepsiades staunend
ruft (165 ff.):
Tronipetenartig wäre dann der Schnacke Steiss!
0 selig dreimal, wer in des Darmes Tiefe blickt!
Wie leicht entgeht er vor Gericht den Gläubigern,
Wer so der Schnacke Darmcanäl ergründet hat!
Als aufzunehmender Jünger nun in dif Denkanstalt einge-
120 Die griechische Komödie.
führt, erblickt der alte Gauch den Sokrates im Deiikkorbe schwe-
ben und im Anschauen des Himmels vertieft:
Ha!
Wer ist denn der da droben, dort in dem Hängekorb?
Schüler (feierlich andächtig).
Er!
Strepsiades. Welcher Er denn?
Schüler. Sokrates! . . .
Er lässt den Alten allein mit dem tiefen Denker. Welche Scene !
Der Alte bringt sein Anliegen vor (243 ff.):
Sokrates. Wie kamst du denn in Schulden, unbemerkt dir selbst?
Strepsiades. Mich rieb ein fressend Uebel auf, die Pferdesucht.
Drum lehre mich von deinen beiden Eeden die,
Die Nichts bezahlt , . .
Er schwört ihm bei den Göttern Bezahlung zu und Ehrensold.
„Bei was für Göttern? " fragt Sokrates. „Denn die Götter sind
bei mir nicht gangbare Münze":
Sokrates. Willst du der Götter Wesen aus dem Grund verstehn,
Wie's -wirklich ist?
Strepsiades. Ja wahrlich, wenn es möglich ist.
Sokrates. Und mit den Wolken, die für uns Gottheiten sind,
Im Zwiegespräch verkehren?
Strepsiades. Ja, von Herzen geni.
Sokrates. So setze dich auf dieses heil'ge Lotterbett.
Soki'ates nimmt mit ihm die Einweihung zwm würdigen Verkehre
mit den Wolken vor. Dann erhebt er ein Andachtsgebet an die
Wolken voll feierlicher Weihekraft. Man fühlt, mit welchem tiefen
Verständniss Aristophanes , vor allen andern Sophisten, den So-
krates zum Wolken-Philosophen gewälüt: nicht blos weil er da-
mals Modephilosoph war; sondern der einzige war, der sein We-
sen mit dem heiligsten Ernste trieb; nicht wie die Sophisten,
Gorgias, Hippias, Protagoras, frivole Charletans und Gaukler, mit
dem Bewusstseyn ihrer Lügenkünste. Der ungeheuchelte Ernst,
der gi'üiKlliche Eifer, womit sich Sokrates in den Dunst und Ne-
bel seiner feierlichen Alfanzereien hüllt, macht ilin zu einer ehr-
würdigen Komödienfigur, weilit ihn zum komischen Wolken-Hei-
ligen. Sokrates' Gebet an die Wolken, die Einführung des Wolken-
Der Wolkenchor. 121
Chors, die Eiiiudung dieses Chors, die Chorgesänge, sind als poe-
tische Kunstgebilde und Conception des allergrössten Dichters
würdig; anschauungstief, kühn, geistreich im höchsten Styl, er-
haben wie ein Aeschylischer Chor. Das Wunder komischer Kunst
ist die Wendung, die im Verlauf der Komödie der Wolkenchor
nimmt, im scheinbaren Widerspruch mit seiner eigenen Tendenz,
indem er gegen seinen Schützling und Herbeirufer, gegen Sokra-
tes, Front macht; und dass sie plötzlich, die Wolkenschwestern,
sich als Schicksalsschwestern enthüllen, den Hexen im Macbeth
verwandt, denen sie in mehr als einer Beziehung gleichen. Was
soll man nun zu Droysen's Zumuthung an Aristophanes sagen i)?
Droysen nimmt den Dichter der Wolken in die Schule, und be-
lehrt ihn: „Die poetische Wahrheit hätte gefordert, dass jene
Göttinnen Wolken ihren Liebling Soki'ates retteten, die Feuers-
brunst löschten und ihn oder seinen gelehrigen Schüler Pheidip-
pides, ich weiss nicht wie, erhöhten." Nichts Verkehrteres und
Missverständlicheres lässt sich zu Markte bringen; kein schlagen-
derer Beweis liefern, wie selbst ein hochgeschulter und bis zum
Genialitätskitzel geistreichernder Zwitter vonHistoriker undAesthe-
tiker sich blossstellen kann, wo dem Geistreichischen der Faden
ausgeht; wo es poetische Anschauung gilt, poetische Phantasie,
zur Erklärung eines Kunstwerks; wo die Trämne des schulweisen
Dünkels in eiteln Dunst zerfliessen. Vernehmen wir zunächst das
Gebet des fi-ommen Wolken-Priesters (263 ff.):
Voll Andacht ziemt es zu schweigen dem Greis und fromm dem Gebete
zu lauschen.
Allherrschender Gott, unermesslichc Luft, die den Erdball schwebend eni-
porhält,
Und Acthcr im Glanz, und o Göttinnen ihr, ihr blitzlielldoiinoriiden
Wolken,
Steigt auf und dem sinnenden Forscher erscheint, clirwürdige Fraun, in
die Lüfte!
Strepsiades (zieht den Mantel über den Kopf.)
Noch nicht, nocli nicht, bis den Mantel ich erst umschlug,
um dem Regen zu wehren.
Unscrger ich, dass ohne den Hut ich licuto von Haus
mich entfernte!
1) Uebers. B. :{. S. JB.
1 22 Dip griechische Komödie.
Sokrates. Auf, auf, o gefeierte Wolken, erscheint und enthüllt ihm eure
Gestalten,
Ob auf des Olympos Höhen ihr thront, in den heil'gen Schnee-
regionen,
Ob festliche Eeihn mit den Nymphen ihr sclilingt in Vater
Okeanos' Garten,
Ob ihr eben die Fluth an den Borden des Nil einschöpft in
die goldenen Eimer,
Ob ihr weüet am See der Mäoten, ob fern auf schneeiger
Kuppe des Miraas", ^)
0 hört mich, empfangt mein Opfer mit Huld, und der heü'-
gen Weihen erfreut euch!
Der Chor der Wolken. (Man hört den Gesang aus der Ferne, von
Blitz und Donnerschlägen begleitet.)
Wolken, unendliche Fluth!
Hebt euch, leuchtend in ewig beweglichen Thauesgestalten,
Her von dem tosenden Vater Okeanos
Auf die bewaldeten Häupter erhabner
Berge, von wannen wir
Fern auf schimmernde Welten und heilige
Lande, von Feuchtem geschwängert, und göttliche
Ströme mit rauschenden WeUen und wogende
Tiefaufbrausende Meere hinabschaun!
Demi unermüdet ja leuchtet das Auge des Aethers,
Stralilend in heiterem Glänze.
Auf, von dem thauigen Schleier enthüllen wir
Uns den unsterblichen Leib und betrachten mit
Fernspähndem Auge das Erdreich!
Sokrates. Ihr hochehrwürdigeu Wolken erschient und hörtet mich, als
ich emporrief!
(zu Strepsiades)
Du vernahmst doch die Stimm' und den Donner zugleich, der
feierlich brüllte von Zeus her?
Strepsiades. Ja, ich beuge mich tief, ihr Erhab'nen, vor euch, und des
rollenden Donners Geprassel
EntgegenzuknaUeu, gelüstet mich wohl, ich erbebe vor euch
und erzitt're:
Und ob es erlaubt ist oder auch nicht — ich verhalt' es
nicht länger, ich k !
Sokrates. O lass mir die Possen und mache niir's nicht, wie des Lust-
spiels Hefengespenster! ^)
1) Berg in Jonien. — 2) T()uyoäct{fj,ovtg ovroi , die sclüechten Komö-
diendichter, deren komische Figuren sich vor „Wohlgemuthheit und Woh-
Der Wolkenchor. ]23
Schweig' antlachtvoll; denn der Göttinnen Schwann braust
eben daher mit Gesängen.
Der Chor der Wolken (der Gesang kommt allmählig näher)
Gegenstrophe.
Mädchen mit thaucndem Haar!
Wallen wir hier zu der Pallas gesegnetem Lande. Des Kekrops
Heldengebiet zu begrüssen, das liebliche,
Wo zu der unnennbaren Geheimnisse
Feier das mystische
Haus 1) an den Festen der Weihe sich aufschliesst,
Dort, wo heilige Gaben die Himmlischen,
Bilder und ragende Tempel, verherrlichen,
Festzüg' auch zu den Sitzen der Seligen
Wallen, und, lieblich im Kranz, Brandopfer und Mahle
Wechseln im Tanze der Hören:
Heut im Beginne des Lenzes die Bakchische
Lust und singender Chöre Bezauberung
Bei schmetterndem Klange der Flöten ....
Pindar und Simonides hätten sich zu dieser Lyrik bekannt.
Aber einen Chorgesang durch alle weihevoll komischen und feier-
lich parodirenden Töne, Contraste und Wandlungen so wunderbar
schattiren, so ergötzlich sublim, und mit einer so weisheitsvollen
Phantastik tiefer Komödienkunst die Spottgebilde beleuchten: das
hat selbst Aristophanes mit keinem andern seiner Chöre vermocht.
Nun trägt aber auch Strepsiades seine bescheidene Bitte den Wol-
ken vor. Die Chorführerin verspricht ihm (431 flf.):
— — — — — — Forthin soll keiner von heut an,
Wie du, vor versammeltem Volke das Feld in den mehrsten Händeln be-
haupten !
Strepsiades. 0 rede mir nicht von den Händeln im Staat; denn nicht
nach solchen verlangt mich,
Nein, nur so für mich an dem Eechte zu drehn, und die
Gläubiger tüchtig zu prellen . . .
Chorführerin (zu Sokrates)
Auf, nun greif an, lass kosten den Greis von der künf-
tigen Lehre den Vorschmack,
Eeg' auf die Gedanken in seinem Geliini, und erforsche
mir seinen Verstand erst!
ligkeit" nicht zu lassen wissen, um<1 ,,übcr iliroii cig(!nen Widerspruch er-
hoben", im Bewusstseyn desselben, sich ewig selbst iiiirndircu. — \] In
Eleusis.
1 24 Diß griechische Komödie.
Sokrates beginnt vor der Prüfung, die der graue Schlauerian als
alter Esel besteht:
Hast du Gedächtniss ?
Strepsiades. Allerdings und zweierlei:
Ist Einer mh- was schuldig, da behalt ich leicht;
Bin ich der Schuldner, (wehe mir!) vergess' ich leicht ...
Sokrates wird ärgerlich: „Ganz ungebildet, ein Barbar ist
dieser Mensch;" heisst ihn, Schuhe und Mantel ablegen und ihm
ins Innere des Hauses folgen. Der Chor singt die hochbedeut-
same Schlussparabase, die wir schon keimen. Hierauf stürzt So-
b-ates aus dem Pmfungs- Verschlag hervor, ganz schwindelig über
das Hornvieh von Bauer:
Nein solchen Bauer sah ich nie mein lebenlang . . .
Euft ihn herbei; examinirt ihn über Maasse (metra). Das Kapi-
tel hat Strepsiades am Schnürchen und erfreut den Lehrer auf
die Frage: Ob Dreimesser (Trimeter) oder Viermesser (Tetrame-
ter j ihm das schönere Maass dünkt, frischweg mit dem herzhaften
Bescheid:
Mir dünken, traun, \der Mässcheu über Alles werth.
Sokrates wirft ihm einen Dummkopf an den Schädel und ninmit
diesen noch schärfer iu's Verhör. Aber scliäifer noch setzen dem
Gegentheil desselben die Wanzen im Stuhle zu, ganz nach der
Soki'atischen Methode: mit beissender Ironie. Seine Antworten
sind auch demgemäss — Soki'ates reisst die Geduld: „Foi-t mit
dir! Solchen Schüler hab' ich satt." Er lässt ihn nochmals auf-
sagen. — Strepsiades rein Alles vergessen! Soh-ates schreit auf:
An den Galgen mit dir, „Du vergessliches , unbeholfenes altes
Ungethüm!" Die Wolken stehen da wie aus den Wolken gefallen
über solchen Klotzkopf, und geben ihm den Rath, den Sohn her-
zuschicken, damit dieser für ihn lerne. Mit brummendem Schä-
del und zerbissenem Gegentheil eilt der Alte heim. Zu Hause
schwört er l)eim „Nebel"; lacht den Sohn aus, wegen seines Olym-
pischen Zeus, an den er noch glaul)e, und legt so glänzende Pro-
ben ab von dem, was er bei Sokrates gelernt, dass ihn der Sohn
für veiTückt erklärt. Endlich bewegt ihn der Vater doch, mit ilim
zu Sokrates zu gelien. Hier thut sich eine wmidersame Schule
auf: die Schwächere und die Stärkere Rede wir kennen
Der Wolkenelior. 125
sie — treten in Person vor. Erstere (adi-Aog Aoyoc), als Sacli-
walt des Unrechts; diese, die stärkere Rede (öUaiog loyog), als
wirklicher Rechtsanwalt, stellen sich einander gegenüber, und
halten, vom Chor aufgerufen, ihre Disjmtation (954 if.)- Der Logos
dikaios preist die alte Marathonische Zeit, die er durchlebt, wo
er, der gerechte Logos, im Flor und die Sittsamkeit erstes Gre-
setz war; schildei-t „die Sitten, durcli welche der Marathonkämpfer
Geschlecht aufspross aus seiner Erziehung"; liält dem Jüngling,
Pheidippides, den Spiegel beider Zeiten vor, der alten und neuen:
Artet er jener nach, dann blüht er im Glänze der Gesundheit;
„kein Schwätzer des Markts katzbalgend um Recht in dem Bet-
telhalluukenprocesse" (l(Jü5ff.):
Nein, schreitend hinab zu den Akademien histwandelst du friedlich im
Oelhain,
Mit dem schimmernden Rohr um die Stirne gekränzt, an dem Arm des
bescheidenen Freundes,
In des Epheus Duft, in der Müsse Genuss, uralaubt von der silbernen
Pappel,
In der Frühlings-Lust, Avann traulich und hold mit dem Platanos flüstert
die Ulme!
Doch wenn du es triebst, wie die heutige Welt,
Dann wird dir zum Lohn blassgelb das Gesicht,
Und die Schultern gedrückt, \mä schmächtig die Brust ...
Und er redet dir ein,
Dass Hässliches schön und das Schöne sogar
Dir hässlich erscheint . . .
H a 1 b c h 0 r (zu dem Vertreter des Eechts)
Du, der du treu schirmest die Burg
Göttlich erhabner Weisheit,
Wie duftig blüh'n sittlicher Kral't
Blumen in deinen Worten!
Ja, hochbeglückt waren sie, traun.
Die vormals mit dir gelebt.
Hier lüftet schon der Chor den Wolkenscldeier, und giebt
sich als den, der er in Wahrheit, in jeder Komödie, ist, als den
Dolmetscli des Dichters und Verkfmder von dessen innerster Ge-
sinnung und Uusengedanken zu erkennen; mit hohnlachender Ent-
rüstung zurückweisend die schulmeisternde Diaskeuase des deut-
schen Professors, der in's Blaue hinein den Wolken das Coneept
c^n-igirt, und ilincn den Kopf dafür wäscht, dass sie „ihren Lieb-
ling, Sokrates, nicht gerettet, und ihn und seinen Schüler Pliei-
\ 26 Diß griechische Komödie.
tlippides, ich weiss nicht wie, erhöht." Der Anfangs scheinbar dem
Dichter gegensinnige Chor nimmt solche Wendung und Wand-
lung auch in den Acharnern, Wespen, überall vor, und tritt auf
Seiten der Tendenzidee, der Moral des Stückes, und bricht den
Stab, in jeder Komödie, über die vom Dichter Verworfenen, und
zündet ihnen in jeder Komödie das Haus über dem Kopf an, wie
hier dem^Sokrates, der ganz ebenso des Wolkenchors „Liebling"
ist, wie des Dichters Liebimg; wie Kleon sein Liebling ist, oder
der des Ritterchors. Tritt der Chor zu Anfang im Charakter des
Athenischen Demos auf, parodistisch, wie z. B. in den Wespen, so
läutert er sich, im Verfolg der Komödie, zu der Volkspersönlich-
keit, die der Dichter im Sinne hat ; wie der Demos seyn soll, nach
dem Herzen des Dichters; läutert sich der Komödien-Chor zu der
Bedeutung des tragischen Chors, welcher überall im Geiste des
Dikaios Logos und fih* denselben seine Stimme erhebt.
Mit den nichtigsten Scheingrüuden, die nur stark durch jene
Frechheit, welche grundsätzliche Schlechtigkeit verleiht, kehrt der
Vertreter des Unrechts, unser Schwächerer Sprecher, oder
Fürsprach der schlechten Sache, dem Gegner die Worte im Munde
um, mit Beweisfülu'ungen, die jederzeit von gutem Klang waren
und von erbaulicher, weitgreifender Wirkung, so weit um sich
greifend, wie Krebsschäden und die böse Käude. Dem Vertreter
des Unrechts wächst die Schwächere Rede, unter'm Sprechen, über
den Kopf und zu einer solchen gräulichen Grösse und Stärke,
wie dem Basilio im Barbier von Sevilla, unterm Singen, die „Ver-
leumdung", die klein anfängt und grossmächtig aufhört, „klein
aber mächtig", wie eine bekannte Partei. „Folgst du mir nach"^
ruft der markfaule, aber knochenstarke, der Rechts-schwache, aber
Macht-freche Logos dem Jüngling Pheidippides zu (1077 ff.):
So hüpfe, lache, freue dich der Kraft und achte niemals
Etwas für schändlich . . .
Vires acquirit eundo. Aus dem Schlamm, worin er watet, schöpft
er, wie jener Kothriese, neue Kräfte. Zuletzt offenbart sich in
dem „Schwachen" der HeiT so mächtig, wird der schwache Strei-
ter auf Seiten der schlechten Sache zu einem so starken auf Seiten
der äussei-sten Rechten und Schlecliten, dass der Vertreter des
Rechts, der anneDikäos Logos, die Waffen streckt und ruft(l I02fl'.):
Der Schwächere und der Stärkere Sprecher. 127
Ich bin besiegt! —
und rettet sich zu den Zuschauern hinunter:
Ich flüchte mich zu euch hinunter . . .
{^^avTOfioXüi TTQog ifiug) . . .
wie auch aus dem Adikos Logos als „Rundschauer" oft der „Zu-
schauer" wird.
. Strepsiades ist entzückt, empfiehlt den Sohn der rechtschwa-
chen Redekunst des unrechtstarken Sachwalts — für ihn der rechte
Mann — und überlässt ihn der Ausbildung des Sokrates. „Ge-
trost", sagi dieser, „du führst ilm als gewandten Denker heim!"
Und Sokrates hält Wort. Der Alte kennt sich schon jetzt nicht
vor Jubel, ob der hoffnungsvollen Aussicht, dass der aus der hohen
Hangematten -Schule der Denkerei heimgekehrte Sohn ihm bald
nun alle Gläubiger zu Boden sprechen wird mit der schwächern
Rede. Zwei solcher Gläul)iger schlägt er selbst in die Fluclit,
indem er Meineide schwört, so viel sie wollen. Der Meineid ist
bekanntlich die schwache Seite bei den starken Vertretern des Un-
rechts, und desslialb eben ihre Hauptstärke. Aber schon erhebt
sich der Wolkenchor als Nemesis der Komödie. „Aus den Wol-
ken zucld der Strahl", wie es in Schiller's Glocke heisst. flSOTff.j:
Nicht felrlen kann es, heute trüft
Sicher ihn ein Ungemach,
Dass der abgefeimte Wicht
Unversehns
Für seine Schelmereien aU
Den Lohn empfängt, der Klügling.
Kaum gesagt, klopft aucli schon der Solin beim Alten an, und
zwar mit der Tliiir in's Haus, und gleich an seines Vaters Buckel
und mit den stärksten Schlägen, die selbst ihn, den Alten, von
dem Vertreter der schwächern Rede, übeiTaschen (1331 ff.):
Strepsiades. Du schlugst den Vater?
Pheidippides. Und beweisen will ich traun
Dass ich's mit allem Recht that . . .
In welcher Redeweise, das entscheide selbst.
Strepsiades (verblüfft).
In welcher ?
Pheidippides Nun, der stärkern oder schwachem?
Jammernd klagt der Alte dem Chor sein Geschick. Kr hat aus
1 28 Die grieclnsche Komödie.
einem Gesang des Simonides einige Woiie in seine Klage einge-
flocliten — gleich fällt der Junge über ihn her, dass er so alt-
modisches Zeug dahersinge. Hierauf stimmt der Alte Einiges
aus Aeschj'los an. — „Von Aeschylos?" lacht ihm der Sohn in's
Gesicht. „Nun", meint der Vater, „dieser dünkt mir, traun, der
erste Meister." „In Schwulst", höhnt Pheidippides:
In Schwulst und Bombast, ungesclilaclit und aufgedunsen . . .
Und singt selbst ein Liedchen, — wehklagt der Alte weiter dem
Chor, — „ein Liedchen aus einem Stücke ') des Euripides, worin
— Apollon wend' ab den Fluch! — worin der Bruder beiwohnt
der eigenen Schwester. Nun kann der Alte nicht mehr an sich
halten; er muss losplatzen mit Verwünschungen und Flüchen.
Ein Schmähwoii giebt das andere, fährt der Alte in seiner Klage
fort, „bis der an mich heranspriugt" (1375):
Und micli zerstampft, durchbläut und presst und fast das Herz mir aus-
würgt.
Pheidippides. Mit Eecht, da du Euripides, den ersten aller Weisen,
Nicht ehrst! . . .
Und entwickelt ihm mit unwiderleglichen Kechtsgrüuden, wie sie
nur einem Zögling aus der Macht -vor -Eecht -Schule zu Gebote
stehn, dass Vater und Mutter schlagen ,.ihm Pflicht sey." Ver-
zweifelnd wendet sich der Alte zu dem Wolkenchor (1453 ff".):
Ihr tragt die Schuld, ihr Wolken, dass ich diess erlebt,
DiewcU ich all mein Trachten euch anheimgestellt!
Die Chorführerin.
An all dem Unheil hast du selbst allein die Schuld,
Da du zu bösem Trachten selbst dich hingewandt.
Strepsiades. Warum denn habt ihr solches mir nicht gleich gesagt.
Warum mich alten dummen Mann noch mehr bethört V
Chorfülircr in. Das thun wir immer, jedesmal, wenn Einer
uns
Erscheint in böses Trachten ganz und gar
verstrickt.
Bis wir den Thoren tief gestürzt in Un-
gemach,
Damit er Ehrfurcht lerne vor der Götter
Macht.
1) Aeolos.
Der AVolkenclior als koiiüsche Nemesis. 129
Ist das nicht die Philosophie von Macbeth's Schicksalsschwe-
stern? nicht Shakspeare's Herzeusmeinung mit seinen Hexen?
„Erdblasen", wie er sie nennt, „die in Luft zerfliessen;" leib-
liche Cousinen also von Aristoplianes' Wolken! Was? und diese
Wolken, die sich so aussprechen, die für jeden, der Aiistophanes
und seine Wolkeusprache versteht, durchweg, in der ganzen Ko-
mödie, nicht anders denken und sprechen — diese Wolken soll-
ten noch das Feuer löschen, das der vom Sohn durchgeprügelte
Vater in Sokrates' Giftküche, die verteufelte Denkerei, wirft? Noch
mehr! Aristophanes soll sich au der „poetischen Wahrheit" da-
durch versündigt haben, dass er die Lug- und Trugfabrik nieder-
brennen und uicht von den Wolken löschen Hess ; die alles Gute
und Kechte zu Nichte klügelnde Denkanstalt, wo eben nur hirn-
gespinnstische Zündstoffe fabricirt werden, geeignet, dem Staate,
dem Gesammtvolke, wovon Strepsiades ein gut Theil vertritt, das
Dach über dem Kopfe anzuzünden! Ging's nach dem Fenerlärm,
den das historisch-ästhetische Nachtwächterhorn, zur Eettung der
in Feuersgefahr schwebenden „poetischen Wahrheit," bläst: so
müssten Aristophanes' Wolken flugs mit ihren Eimern, Schläu-
chen und Feuerspritzen herbeieilen, um ihrem „Liebling" seineu
in der Luft schwebenden Denkkorb zu retten, von wo aus der
Liebling, wie Aristophanes glaubt und glauben durfte, Giftpfeile
auf die Stadt schleudert, die unsichtbar fliegen, und erst Feuer
fangen, wenn sie festsitzen ! Und weil die Wolken uicht als Feuer-
wehr und Spritzenmannschaft herbeirasseln, um Strepsiades' Fackeln
in der Feuerwiege zu ersticken, werden sie, die Wolken, für die
„handgreifliche Moral" verantwortlich gemacht, auf welche das
ganze Stück „hingegipfelt wird" 1): „Statt dass man ein feierliches
Erfüllen aller der Holfnungen, zu denen die raschen und glück-
lichen Fortschritte des Fheidippides berechtigen, erwartet, schliesst
das Stück mit dem Niederbrennen der Denkerei, und das ganze
Stück wird dadurch auf eine sehr handgreifliche Moral hinge-
gipfelt, eine Moral, die desto unangenehmer wirkt, da sie ohne
poetische Gerechtigkeit ist." Wieder Einer von denen, die
Ixion mit der Wolke erzeugte! Aber von der Sorte, die wir schon
an einem Exemplar der Drei-Tragiker-Kritik, als seltenes Natur-
1) Droysen, das. S. 15.
U.
I ^0 Die irriecliische Koiiiörlie.
spiel, betrachtet und bewundert haben, als einen umgestülpten
Kentauren, bei dem das Pferdliehe ol)en, das Menschliche hinten
sitzt. Wie wäre sonst diese Verkehitheit in der Auflassung von
Aristophanes' Komödienchor, dieses Aufdenkopfstellen des Aristo-
phanes und seiner Komödie erklärlich? Nach Allem, was in den
Wolken vorgeht, was in jeder Scene, jedem Vers, jedem Versfuss,
jeder Sylbe und Betonung gepredigt wird: dass dieser Sokrates
ein hirnverbraimter, wiewohl von seinem eigenen Aberwitz über-
zeugter Wicht ist, dessen verbranntes Gehirn und Oberstübchen
an und für sich schon. seinem Hausdache den rothen Hahn zu-
spricht und in Aussicht stellt; nach Allem, was jeder Accent,
Spiritus lenis und asper, in dieser Komädie ein- und ausathmet:
dass nämlich hier eines der schädlichsten Wespen- und Horuiss-
nester auszubrennen ist; dass die vom sophistischen Hexenmei-
ster als seine Schutzgöttinnen citirten Wolken verkappte Kächerin-
nen, verschleierte Erinnyen sind, mit Wassereimern statt Feuer-
fackeln bewaftuet, die ihn, ihren vermeinten Liebling, der Thor
genug ist, sie für seine Schutzgöttinnen zu halten, — ihn unschäd-
lich zu machen, ihn, die Brandfackel der Jugend, auszulöschen,
Weisung und Vollmacht haben: Nach allen diesen handgreifli-
chen Fingerzeichen und trotz dem heftigen durch die ganze Wol-
ken-Komödie brausenden, vor den blitz- und donnersch wangern
Wolken einherziehenden Sturmwind, schwebt für das ästhetisch-
historische Uebersetzerhorn, beim Niederbrennen der Denkerei, die
„poetische Gerechtigkeit" selbst in Feuersgefahr und, was das
Aergste — Apollon wend' uns ab den Fluch! - „Das Stück wird
dadurch auf eine sehr handgreifliche Moral hingegipfelt." Die
handgreifliche Moral, das ist des Pudels Kern! Das Schiboleth
der frivol-pedantischen Schulästhetik, das uns die Tragik der Al-
ten und nun auch ihre Komödie vertifteln und verfuchsschwän-
zeln möchte. Frivol-pedantisch: frivol, weil diese Aesthetik die
Kunst zum Faulpolster eines müssigen Formspiels entnervt, zu
jenem Verdaunngs- Behagen, das der fette Siamese, nach einer
guten Mahlzeit, bei dem gelinden, schwebenden Fingerspiel em-
pfindet, das sein kunstgeschulter Bauchtrommler entwickelt, wenn
er ihm sanft und leise, ohne eine Spur von handgreiflicher Mo-
ral, wie mit den l-Jlfenflngern eines vollendeten Pianospielers,
sammetpfötiglich den Abdomen klöppelt, und ihn säuftiglich ein-
Aa-istophanes und seine Dolmetsche. 1 3 1
lullt in süssen Verdauungssclilunimer. ?o(l antisch ist dieses
Dogma eines geistigen Bauchtronimelkunstspiels, weil damit ge-
stempelt und gewogen wd; weil keine Dichtung, keine drama-
tische insbesondere, für voll gilt, die nicht an einem Kunstpro-
fessor ihre siamesische Wirkung erprobt hat.
Handgi-eifliche Moral, ohne poetische Gerechtigkeit — und
Seite 12 auch noch „gesinnungslos." Ja, Seite 12 der Ein-
leitmig zur Wolken-Uebersetzung wird Aristophanes auch als ge-
simraugslos von seinem üebersetzer abkathedert. „Aristophanes
hat die Gesinnungslosigkeit seiner Zeit in vollstem Maasse in sich
aufgenommen" — „ohne ßespect und ohne Wahrhaftigkeit gleicht
er" — doch darauf bringen uns die Vögel des Aristophanes zu-
rück, und seines üebersetzers historisch -ästhetische Schrift über
diese Vögel. Wir werden das Hühnchen, gelegentlich der Vögel,
zu Ende pflücken.
Armer Aristophanes! Der Eine seiner Dolmetsche findet seine
Moral zu handgreiflich und desto unangenehmer, da sie ohne poe-
tische Gerechtigkeit. Ein Anderer von derselben kuustphiloso-
phischen Schulheeke, der sich aber, was Kenntnisse und Profes-
sor-Wissen und Schultüchtigkeit anbetrifft, zu jenem verhält, wie
die ärmste Kirchenmaus zu einer Feldmaus, die ihr volles Spei-
cherchen einsammelt auf historisch-ästhetischem Felde — dieser
Andere, der ein dickes, schon angeführtes Buch „über Aristopha-
nes und sein Zeitalter" geschrieben, kalmäusert vdeder dem Ari-
stophanes auf den Kopf zu^: „Man finde das von Aristophanes
bekämpfte Princip bereits in seinen eigenen Werken; insofern
nämlich die Komödie, die den Widerspruch darstellt, auch die
substanziellen Mächte dem Scherz preisgiebt und in ein Spiel
verwandelt, so bleibe nichts absolut Festes zurück." Eine Komödie
aber, die die „substiinzielh^n Mächte" dem Spott und Gelächter
preisgiebt, ist eine unsittliche Komödie, ist die Poesie der Uu-
sittlichkeit selbst, die alles „absolut Feste" als nichtig verlacht,
wozu in erster Linie das Sittliche gehört, das, mit allem absolut
Festen, Aristophanes' Komödie folglich zu Nichte spottet. Und
nun die Moral, — die doch nur die Anwen^iung der Sittenlehre
ist auf einen besondern Fall, niuss nicht auch die Moral mit
1) a. a. 0. S. 365 ff.
1 32 r*ie griechische Komödie.
den substanziellen Mächten, mit dem absolut Festen bei Aristo-
phanes in die Geude fliessen? Dieselbe handgreifliche Moral, die
andrerseits wieder der üebersetzer- Dolmetsch dem Aristophanes
als Ruthe auf den Rücken bindet, und seinen Wolken als Brand-
mal auf die Stirne prägt! 0 du armer Aristophanes! Beim zwei-
ten Erklärer, der mit Aristophanes gleich dessen Zeitalter miter-
kläii, und beiden das Preisgeben der sittlichen Mächte und des
absolut Festen in's Gewissen schiebt, fällt der Voi-wurf um so
schwerer ins Gewicht, weil der Erklärer keinen Satz, wie Jeder
weiss, in seinen Theaterkritiken schrieb, worin nicht das „Sitt-
liche" in gespenier Schrift ganz besonders hervorgehoben und
eingeschärft, gleichsam mit dem Finger darauf hingewiesen wird,
als das stereotyp und absolut Feste in jeder Theaterkritik. Das
Sittliche und absolut Feste ist nicht nur sein drittes Wort, es ist
ihm die Wahrheit selbst. Lessing's bekanntes Wort: er würde,
wenn er die Wahrheit in der Hand hätte, die Hand zumachen
und die Wahrheit darin festhalten, macht dieser Erklärer erst zur
Wahrheit, in Bezug auf das absolut Feste, das er gar nicht los
lässt, und gleichsam beständig festhält in der geschlossenen Hand.
Stehend, sitzend, auf Spaziergängen, im Theater auf seinem kri-
tischen Stuhl. Wie Strepsiades auf seinem Stuhl (ro Tteng sr rf]
ds^ia), so der Erklärer des Aristophanes; überall und allenthal-
ben das „Sittliche" im Mund oder in gesperrter Schrift, und das
absolut Feste in der Hand. Von einem solchen sittlichkeitsbe-
flissenen Theaterkritiker ein Vorwiuf wie der: Aristophanes' Ko-
mödie gebe auch die substanziellen Mächte dem Scherze preis,
verwandele sie in ein Spiel, so dass nichts absolut Festes mehr
zurück bleibt — o schwere Last! Armer Aristophanes, dem der
Eine grobe Moral, der Andere grobe Unmoral aufrückt! Ein Glück,
dass du in deinem Zeitalter und nicht in dem von „Aristopha-
nes und sein Zeitalter" gelebt hast ; ein wahres Glück ! du wärest
im Stande gewesen, deinen Erklärei' in die Sammlung deiner ko-
mischen Figuren, der Kleonymos, Chärephon, Morsychos, und wie
sie alle heissen, mit aufzunehmen, und unter andern substanziel-
len Mäcliten, auch ihn dem Scherz und (lelächter preiszugeben.
Ein wahres Glück!
Die Wespen p'y*;xfic;), Lenäen Ol. 89, 3=422, Archon
Ameinias, erhielten den zweiten Preis. Philonides, der darin die
Aristophanes' Wespen. 1 33
Hauptrolle hatte, brachte, als Didaskalos, unter seinem Namen,
den Proagon des Aristophanes in den Wettkampf. Aristopha-
nes trat sonach diesmal mit zwei Komödien zugleich auf, und
gegen sich selbst gewissermaassen in die Schranken. Zum zwei-
ten Stücke, dem Proagon, gab Philonides den Namen her, weil
ein Gesetz den Dichtern verbot, mit zwei Stücken zu gleicher
Zeit zu kämpfen. Der Proagon schlug die Wespen; er bekam
den ersten Preis. Als dritter wird Leukon genannt, der mit sei-
nen „Gesandten" den dritten Preis erhielt, d. b. durchfiel. Vom
Proagon weiss man nur '), dass er gegen Euripides gerichtet war.
Die Wespen bilden, in Bezug auf das Verhältniss von Vater
und Sohn, ein Seitenstück zu den Wolken. In diesen lässt der
Alte den Sohn zu seinen Zwecken einschulen, um sich bei Pro-
cessen mit Hülfe von dessen Trugreden herauszuschwindeln. In
den Wespen ist es der Sohn, der seinen Vater von der Kichter-
wuth zu heilen unternimmt, und den Alten, nachdem er ihn eine
Zeitlang in seinem von Netzen umzogenen Hause gefangen gehal-
ten, und von den Knechten hatte bewachen lassen, dann auch
wirklich durch überzeugende Gründe in einer zwischen beiden
darüber geführten Streitrede zur Erkenntniss bringt. Auch die
mit den Figuren von Vater und Sohn beabsichtigte Gattungsbe-
deutung ist in beiden Komödien dieselbe. Wie Strepsiades den
Demos, als Athenischen Spiessl)ürger und Hausvater, personificirt,
so stellt der alte Philokieon (Liebkleon; in den Wespen diesen
Demos, das souveräne Volk, die souveräne Bürger-Demokratie, als
wüthenden Heliasten, als einen von den, dm'ch's Loos gewählten,
6000 Richtern vor, die für dreiObolen des Tags (3 Ggr.) in dem
Gerichtssaal, Heliäa, Gericht hielten und, da das Athenische ßür-
gervolk zugleich der Souverän war, in jedem peinlichen Rechts-
fall als Partei und Richter in der eigenen Sache entschieden.
Natürlich waren solche Richter stets geneigter zum Vcrurtheilen
als zum Freisprechen, indem eine Verurtheilung in der Regel
Vermögensconfiscationen, also Füllung des Staatsschatzes zur Folge
hatte, woraus der Richtersold bestritten wurde.-) Eine treffiiclie
Justizpflege, die allein schon hingereicht hätte, um mit dem Ge-
1) Schol. Vesp. 61. — 2) G. P. Schömann, de sortitionc judicum apud
Atheniens. Greif sw. 1828.
134 Die grieeliisclic Komödie.
richtswesen zugleich den Staat auf eleu Huud zu bnngen, auf
welchen Philokleon's Sohn, Bdelykleon (Hasskieon), die attische
Justiz als schon thatsächlich gekommen, in einem leibhaftigen
Hund uns vor Augen stellt, und in dem unsterblichen Hunde-
process verbeispielt, der in dieser Komödie zum Austrag gelangt.
Seinem Vater Philokieon gegenüber vertritt der Sohn, Bde-
lykleon, vde Pheidippides in den Wolken, das Neumodische, das
oligarchische Junkerthum. Indem er den alten Philokieon von
der Heliasten- Manier zu befreien sucht, heilt ihn Hasskieon zu-
gleich von der IDeon- Affenliebe. Die Endabsicht der Komödie
zielt also auch hier wieder auf den gi'ossen Paiteien-Conflict zwi-
schen Bürgerdemokratie und Neujunkerthum; im Gegensatze m
Aristophanes' Ideal: HeiTschafb, im Sinne der Marathonischen Zeit;
einer HeiTSchaft der Edelsten und Besten, auf den Grundlagen
eines gesetzlich freien, sittlich heroischen Staatsbürgerthums. Und
auch hier kommt jener Grundconllict in der ureigenen, solchem
Komödienzweck und lulialt einzig gemässen Kmistform zur Er-
scheinung : als eine Trausfiguration gleichsam real komischer Phan-
tastik, die beide Parteien in ihrer vollkommenen Thorheit und po-
litischen Verderbniss, wie in einer Glorie von Lächerlichkeit,
leuchten lässt. Den von seiner bettelhaften Dreiobolen-Souve-
ränetät und Kichterwuth genesenen, nicht minder aber auch aus
dem feinern Bildungs-Dusel der vornehm liederlichen Trinkgelage
ermannten Demos-Pliilokleon lässt der gTOsse Komiker am Schlüsse
eine Kückwandelung, nicht, ^vie HeiTDroysen meint, „in die alt-
fränkische lustige Weise," erfahren; sondern, nach einer aus bei-
derlei Partei- Verderbnissen und Schwindel -Taumel zu sich kom-
menden Witzigung, innewerden seiner eigentlichen angestammten
Natur. Die Tanzweisen des Thespis und Phrynichos, in die zu-
letzt der verjüngte Demos -Pantalon wonneselig mit seinem sich
gleichfalls verjüngt fühlenden Collegen, dem Wespenstacheligen
Heliasten-Chor, sich hineintänzelt, sind nm* symbolisch zu deuten.
Diese Seligkeitsstimmung quillt aus jenem Innewerden seines ur-
eigenen Wesens, das wie ein Jungbrunnen mrkt. An keine Rück-
wandelung, „kein Zurückkrieche n in die altfränkische Wiege frü-
herer Zustände", wie Herr Droysen ihm aufmutzt, konnte ein
Geist wie Aristophanes denken. Solche Armseligkeiten fielen
seinem tiefschauend en politischen Genie nicht im Traume ein.
Die Wespen. IMiiloklcon. J 35
Dass kein Volk, kein Staat, in seine Windeln und Kinderschuhe
wieder hineinkriechen kaini, das wird wohl Aristophanes, dessen
komisches Genie sich die ästhetisch -historische Weisheit seines
Uebersetzers an den Kinderschulien abgelaufen, nicht erst von
diesem zu lernen haben. Eine solche Verjüngung wäre die al-
bernste Vei'kindischung eines kindisch gewordenen Greises. Des
alten Philokieon Verjüngung ist keine Zurückbildung in den Win-
delzustand, sondern eine Ermannung zu seiner eingebornen Kraft
und Heldenstammeswürde. Wenn ein Volk geschichtlich so her-
untergekommen, dass es auch solchen Hochbewusstseyns, solcher
Erinnerung, unfähig geworden, dann sinkt der Volksdichter noch
unter sein Volk heral), welcher, im Gefühle seiner eigenen iimer-
lichen Jämmerlichkeit, dieses erljärmliche Verkommenheitsbe-
wusstseyn in die Seele seines Volkes hineinfühlt, und es ihm
mit Koboldtücke noch als Spiegel vorhält. Wehe dem Dich-
ter, der an der Ermannuugsföhigkeit seines Volkes verzweifelt.
So lange ein prophetischer Hauch seine Brust schwellt, muss er
ihn in die erlöschende Geschichtsseele seines Volkes athmen. So
hielten es die Propheten alle, die Poeten alle, die nm* als Volks-
propheten und Erwecker Dichter sind. Ein Volk ist dann erst
politisch und geschichtlich todt, wenn es keinen Dichter mehr
hat, der an seine Zukunft glaubt; an eine Zukunft, gTOSS wie
seine Vergangenheit und ihrer würdig; keinen Dichter mehr hat,
der es mit seinem letzten Athem zur Verwirklichung dieser Zu-
kunft und Wiedergeburt aufruft, ermannt, begeistert. Die Staats-
kunst, die eines Volkes ersterbende Lebensfunken in seine soge-
nannte Wehrkraft hinü1>er zu retten, in dieser pflegen und hüten
zu können vermeint ; die ganze Kraft eines Volkes an dessen Wehr
setzt und von ihr aufsaugen lässt, eine solche Staatskunst kann
an dem Beispiel aller Militärstaaten sich belehren, wenn sie be-
lehmngsfähig ist, dass dieses Volkserlialtungs- und Stärkungsmit-
tel überall und jederzeit auf den Heilversuch liinauslief: einem
Sterbenskranken die Adern zu ölfnen, um ihn in dem eiseniialti-
gen Bade seines eigenen Blutes aufleben zu lassen und zu Kräften
zu bringen. Oder sie mag, diese Staatskunst, mit ihrer Stärkung
eines geistig und sittlich verkommenen Volkes, mittelst Potenzi-
rung seiner Welirkraft, ihr Vorbild in dem Brauche jener Lap-
pen- und Ka)utsclia-<hi](Ui-Häuptlinge erkennen, die sich mit ihrem
136 Di^ griechische Komödie.
Bärenjagdmesser und einem Bärenschiuken begraben lassen, in
der Zuversiebt, dass ibuen der Bärenscbinken die Kraft verleiben
wii'd, mit dem Bärenjagdmesser ibr tapferes Handwerk bei ver-
wesendem Leibe fortzusetzen. Kein Beispiel aber ist aus der
Gescbicbte ])ekanut, dass ein Volk untergeht, so lange dessen Le-
bensgluth der begeisterte Gesangesodem seiner Barden und Dich-
ter anfrischte; solange seine Barden und Dichter mit dem bele-
benden, hochaufregenden Geisteshauche der Mahnung und Erin-
nemng an seine grosse Vergangenheit, an seiner Ahnen Thatenruhm,
die sinkenden Lebensflammen eines solchen Volkes durchwehen
mid erschüttern konnten. So wenig ein Mensch in Schlechtigkeit
zu Grunde gehen muss, so wenig muss ein Volk bei Leibesleben
verfaulen. Nur wer nicht hören will, ob Einzelner ob Nationen,
ja, der muss fühlen. Der Prophet ruft, höre mich, Israel! Dess-
gleichen der Poet. Tritt der Tod ein Volk an, nun so sterb' es
me ein Held. Seine Propheten, seine Heilande, die Poeten, die
ächten nämlich, lehren es heroisch leben, heroisch sterben. Nicht
an seinen Dichtern, seinem Aeschylos, Sophokles, Aristophanes,
ist der attische Staat zu Grunde gegangen — diese und die
ihnen Gleichgesinnten gaben ihm vielmehr das zeitige und ewige
Leben — nein, an der Frivolität seiner Philosophen, seiner aus
dem ethischen Schwei'punld; gewichenen Schulweisheit, an dem
Eitelsinn und der Windigkeit seiner Jugendlehrer ging er zu
Grande. Und nur eine verwandte Frivolität kami dieser That-
sache das schäbig gewordene, geschichtsphilosophische Sophisten-
mäntelchen umhängen, das die Thatsache zu einem blossen
Symptom der allgemeinen Verderbniss heucheln möchte, deren
eine und tiefsitzende, grundinnerliche Krankheits- Ursache sie
doch war. Nur eine mit den Lelii"principien jener Sophistenschu-
len einverstandene Geschichts- und Kunstauffassung durfte den
grössten Komiker, der diess wesentlich in Kraft seiner heroisch-
patriotischen Begeisterung für seines Volkes staatssittliche
Wohlfahrt und Machtgrösse war — durfte den grossen Patrioten
und Dichter, Aristophanes, der Gesinnungslosigkeit beschuldigen,
und ihn als mitverwickelt in die allgemeine Verderbniss anschwär-
zen und verlästern. Wunderliches Beginnen: der Uebersetzung
eines solchen Dichters durch dessen Herabsetzung, und durch
die ehrenkränkendste, ein Relief zu geben! Das Genie seines
Der Wespenchor. 137
Dichters auf Kosten seiner Gesinnung herauszustreichen, des Quell-
punkts jedes ächten Genies und seines heilsamen Wirkens; des
Lichtkerns aller seiner segenbringenden , Mit- und Nachwelt er-
leuchtenden Ausstrahlungen! Welche Früchte mag ein Genie
tragen, die aus einem faulen Kerne reifen? Schon die Annahme
der Möglichkeit, dass ein schlechtes, gesinnungsloses Subject ge-
nievolle Kunstschöpfungen hervorbringe, dünkt uns eine Lästerung
der Kunst; ist uns ein „Symptom" sittlich angefliulter Kunstbe-
giiffe, frivoler Lebensauffassung und Menschenwürdigung. Auf
dem ganzen Gebiete der Wissenschaft und Kunst finden wir kein
Beispiel, dass ein sittlich unlauteres ^Subject, ein Gesinnungs-
Lump, etwas Grosses und Heilbringendes geschaffen.
Der Wespen- Chor stellt als komische Vereins- und Mas-
sen-Figur den Richterstand vor, oder doch eine Rotte der 6000
in je 500 Haufen durch Loosung vertheilten und nach den ver-
schiedenen Gerichtshöfen abgeordneten Heliasten. Sie kommen
als Greise, wespeuähnlich maskirt, mit langen Stacheln, am frü-
hen Morgen, von Knaben, die Handleuchten tragen, begleitet, auf
ihrem Wege nach einem der Gerichtslocale an dem Hause ilires
Amtsgenossen vorbei, im Begriffe, sich in die Sitzung zu begeben,
wohin sie Kleon entboten, um in dem Erpressungsprocess gegen
seinen politischen Widersacher, den Feldherru Laches, Eecht,
d. h. das Verdammungsurtheil, zu sprechen (240 f.):
— — — Denn heute gilt's dem Laches !
Der hat, behauptet alle Welt, den Bienenstock voll Silber.
Grand genug für Wespen, diesen Bienenhonig zu sclilucken. Sie
wundern sich, dass der College noch nicht an ihrer Stelle, und
singen ihm ein Fhrynichos- Liedchen, als Morgenständchen, die
alten Wespen -Gäuche, die wohl auch vor fünfzig Jalu'eu die
.Glocken um Mitternacht haben läuten hören, wie der Friedens-
richter Schaal sagt, der auch so ein Richter-Pantalon , aber ohne
Stachel. Vor der Parodos des Wespen -Chors sahen wir schon
den alten Philokieon in seinem Garngefängniss, von zwei Knech-
ten bewacht. Das sind wieder Eröffnungsscenen von einer Er-
findung und vis comica sondergleichen. DieEiitwischungsversuche
des Alten erfüllen uns noch jetzt mit dem h()chsten F]rgötzon.
Es gehört zum urkomisch Witzigsten, was die symbolische Gro-
138 Die griechische Komödie.
teskphantasie der alten Komödie zu ersiimen vemnochte. Man
sieht den Alten, wie eine Maus oder ein Wiesel in der Falle, sich
an dem Strickwerk herumbeissen. Der Knecht Xanthias er-
zählt den Zuschauern das Motiv des Stückes. Da ruft der junge
Bdelykleon von seiner Kammer herab: der Alte sey in die Küche
geschlüpft; sie möchten zusehen, dass er nicht durch den Schorn-
stein entwische, um nach dem Gericht zu rennen. Nun erblickt
man den Alten aus dem liauchfang hervorgucken (144 ff.):
Bdelykleon. Wer bist du ? heda !
Philokieon. Ich? der Eauch — ich zieh' hinaus!
Vor dem Deckel kriecht Ä' wieder zurück. Philokieon erscheint
oben an einem der Netze: „So beiss ich," sagt der Alte, „hier
das dünne Netz mit den Zähnen durch." Dazu aber fehlen ihm
die Zähne. Er müsse, meint er, den Esel zum Verkaufe treiben.
Der Sohn meint dagegen, er selbst könne den Esel verkaufen,
und führt auch das gesattelte Saumthier herbei. Was muss er
sehen? Der Alte hängt an dem Bauche des Esels, wie weiland
Odysseus an dem des Schaafbocks :
Bdelykleon. Wer bist du Mensch? Bekenne frei!
Philokieon (unter dem Bauche des Esels mit verstellter Stimme)
Niemand, bei Zeus !
Bekanntlich nennt sich Odysseus Otzic, „Niemand," um den Po-
lyphemos zu täuschen. Der Niemand wrd sofort wieder in sei-
nen Netzkäfig zurückgeschoben. Nun die Klage-Arie, die er dem
Lockgesange des Chors aus der Dachluke entgegensingt! Die
Wespen -Brüder muntern ihn auf, nur heute nicht auszubleiben
und um jeden Preis zu entschlüpfen: „Auf, setze deine Kiefer
an!" Der Kiefer schrotet an den Garnen, was er schroten kann.
— Er hat sich glücklich durchgesägt. Im Begriffe sich herab-
zulassen, wird er von Bdelykleon gefasst, und von einem der
Knechte mit Ruthenstreichen wieder zurück befördert. Der Alte
ruft die Genossen um Hülfe an. Der Wespenschwarm geräth in
Bewegung, streckt die Stacheln vor, und beordert Kleon zur Stelle.
Nach einer lebhaften Auseinandersetzung zwischen Chor, Sohn
und Vater, worin dem Bdelykleon Verschwörung gegen den Staat
und Tyrannen-Gelüste vorgehalten werden, worauf Bdelj^kleon die
Antwort nicht schuldig l)leibt, gelingt es diesem sclüiesslicli die
Die Wespen. Der Hundeprocess. 139
zornige Wespengesellschaft mit der Versicherung einigermaassen
zu besänftigen, class er blos wünsche, den Vater abzubringen von
„diesen Morgenwanderhändelspinnerechtsverhunzerei'n,"
und erbietet sich, den Beweis zu führen, dass sein Vater, anstatt,
me er sich einbildet, zu richten und zu herrschen, der Frohn-
knecht Anderer sey. Er fordert den Chor zum Schiedsrichter
auf. üie übliche Scene kommt in Gang. Philokieon und Bde-
lykleon stellen sich einander gegenüber. Die Debatte beginnt.
Das schlagende Argument, dass von den Staatseinkünften für den
gesammten Kichterstand der 600(> Heliasten kein Zehntel abfällt,
erregt Sensation. Die nähere Ausführung löst dem Alten die
Schuppen von den Augen. „Ach," ruft er, „wie wühlst du von
Grund mein Herz auf." Der Chor ist vollständig zu Hasskleon's
Ansicht bekehrt und spricht ihm den Sieg zu. Der Alte aber
will eher sein Leben als den Stimmtopf lassen (762 ff.) :
Nicht mehr zu richten — dieses soll
Der Hades eh' entscheiden, als ich folgen will!
Endlich wird ein Vertrag geschlossen, dass Philoldeon seine Rich-
terpassion zu Hause mit aller Bequemlichkeit an Familienzwi-
stigkeiten befriedigen, und seinen Strafeifer an seinem Haus-
gesinde auslassen mag. Die Auszahlung des Richtersoldes über-
nimmt der Sohn. Der erste Rechtsfall ist gleich der Hundepro-
cess. Der Haushund, genannt der Kydathenäer, nach der
attischen Gemeinde, aus welcher Kleon stammte, verklagt den
andern Haushund, Labes (Laches) aus Axione (Ortschaft des
Lachesj, und beschuldigt diesen, dass er den sikulischen Käse
allein gefressen und ihm nichts davon abgegeben. Eine Parodie
der schon erwähnten Anklage des Kleon gegen Laches auf Er-
pressung im sikelisclien Feldzuge. Der Diener Xanthias, als
Kläger, betritt mit dem Hund, dem Kydathenäer, die Redner-
bühne. Bdelykleon führt die Vertheidigung des angeklagten
Hundes, Laches, vor Pliilokleon als Richter, der in der vollen
Würde seines Amtes fungirt. Als Entlastungszeugen treten auf:
Schüsselchen, Käseraspel, Stämpfel, Bratwurst, Topf u. s. w. Die
Scene ist einzig in ihrer Art. Bekanntlicli liat sie Racine zu
seinem Lustspiel, Les Flaidcurs, benutzt und noch Lorbeeren da-
mit errungen. Das Beste konnte er freilich niclit in seinen Nu-
140 Die griechische Komödie.
tzen verwenden: die beiden damals mächtigsten Männer des Staats,
die hier in Gestalt zweier Haushunde einen Capitalprocess als
Käsediebstahl verhandeln. Hund Labes wird von Philokieon, der
nichts von Gnade hören will, zum Tode verurtheilt. Bdelykleon
verwechselt gescMckt die Stimmurnen. Labes ist freigesprochen.
Der Alte fällt vor Schreck in Ohimiacht, über die Schande, dass
ihm so etwas wie Freisprechen begegnen konnte:
Ihr hochverehrten Götter dort, vergebt es mir!
Ich that es wider Willen, nicht nach meiner Ai-t.
Der Sohn begütigt ihn mit dem Versprechen, ihn köstlich zu
pflegen. Dm überall zu jedem Festschmaus und Trinkgelage mit-
zunehmen, und fühi-t ihn in's Haus. Der Chor singt die schon
besprochene Parabase.
Hasskleou löst sein Wort und führt den modisch herausge-
putzten und über das zu beobachtende Benehmen in guter Ge-
sellschaft wohl belehrten Alten bei vornehmen Zechbrüderschaf-
ten ein, wo er Anstand lernen und sich an den feinen Manieren
und an der geistreichen Unterhaltung bilden soll. Der Alte macht
im Zechen und Sichbetrinken erfreuliche Fortschritte. Bald trinkt
er die feinsten Wüstlinge unter den Tisch; lärmt und prügelt
die Symposien der Edeljüngiinge aus den vornehmsten Familien,
ihre Orgien vom besten Tone, zu den schönsten Bauernschläge-
reien in dunstigen Schenkstuben. Seinen Diener Xauthias hat er
so meckelnburgiscli durchgedroschen, dass derselbe eben dem Chor
sein Leid auseinandersetzt, als der muntere Alte, nun ein Aus-
bund von anständigster Betrunkenheit, eine Fackel in der Hand,
mit einer Flötenspielerin tänzelnd und singend hereinliüptt. „Platz
gemacht!" jubelt er, den durchgebläuten Drängern, die ihn, schul-
denhalber, verfolgen, die Feigen zeigend (1330 ff.):
Schurken, ha! Mit dieser Fackel
Rost' ich euch zu Gründlingen!
CJhort'iihrer. Wahrhaftig morgen sollst du gleich uns Allen hier
Dafür die Busse leisten, thätst du noch so jung;
Denn allzumal dich vorzuladen kommen wir.
Philoklcon. Trari, Trara! Vorladen — mich?
Mit eurem alten Plunder!
Auch nicht hören mag ich niclu" vom Richter.
Merkfs euch! 0 pfui doch, pfui doch!
Die Wespen. Philokleon's UniwaiuUung. 141
(auf die Dii'ue zeigend)
Die gefällt mir! Fort du Stinimtopf!
Gehst du nicht sogleich V Wo ist noch
Ein Gerichtsniann? Weg mit ilim !
Der alte Bruder -Liederlich, ein Jubelgreis wüster Völlerei,
schwebt auf dem Gipfel komischer Luststimmung , die aber des
Dicliters poetische Absiclit in ilir Gegentheil taumelt: in den
tiefsten Ernst, den sein bakchisch - satynscher Vexirspiegel dem
Zuschauer -Demos zuwirft, und in dessen phautaütischem, aus
einem Kleon- Narren und Richter -Tropf zu einem neumodischen
Altgecken verliederlichten und veijuukerten Ebeubilde entgegen-
blitzt, anscheinend im heitersten Lichte komischer Lust, dessen
Nachbild aber, das auf dem Grunde des Zuschauer-Gewissens zu-
räckbleibt, eine ganz andere Lehre spiegelt; in eine Nachstim-
mung auskhngen soll, der tragischen verwandt; den Nachgeschmack
zurücklassen soll, den ein Körnchen von dem Wumisamen erregt,
den Hamlet's Vexir- Drama den Oheim -König schmecken lässt
und womit er dessen Gewissen schärft. Philokleon's Wonnedusel,
des schamlosen alten Wüstlings, ist das ,.Sauwohlseyn," nicht im
Sinne der dafür schwärmenden Schulästhetik, als bestände darin
das Wesen und der höchste Zweck dieser Komik selber. Eitel
Abeiivitz! Das „Kanibalische" des Sauwohlseyns, darauf liegt
der Accent, das ist Wesenspunkt, innerste Absicht; dahin zielt
des Dichters tiefbesonnene, keusche, weisheitvolle Komödienkunst.
Zielt dahin, nicht darauf deutend mit moralisirendem Zeigefinger;
sondern diese Absicht dramatiscli verbeispielend und gestaltend;
schitnbildlich, paradeigmatisch ; indem des Dicliters Kunst den
Seligkeitstaumel wüster Lust in der schärfsten Beleuchtung, im
hellsten Brillantfeuer gleichsam strahlen lässt, woraus das Gegen-
bild der wahren, reinen, der ethischen Glückseligkeit, von selbst
hervorleuclitet, die Aristoteles in seiner Sittenlehre aus dem Tu-
gendbegriff als höchste Lust eines weisen tugendhaften Wandels
entwickelt, und die der komische Dichter durch parodirende Con-
trastwirkmigen phantasmagorisch hindurchsclieinen lässt.
Der Schluss sprüht von Fulgurationen eines unerreichbaren
komischen Witzes: dass z. 13. der Holiastenclior seinen Genossen
in einem solchen Zustande vor Gericht laden kommt. Dass der
auf Processe sonst vei'pichte Spruchrichter nun als Verklagter von
142 l^i<^ ,e:riechische Koniödie.
seinen eigenen Collegen vor die Schranken gefordert wird. Dass
der Alte sie auslacht, schäckernd im AVonnerausch mit der Dirne ;
zugleich aber in den phallischen Witzen Streiflichter auf die Wirth-
schaft der vornehmen Liederlichkeit fallen lässt. Es ist die ko-
mische Nemesis, die den Sohn, den Bdelykleon, ereilt, der den
Alten in die Mysterien der neumodischen Bildung eingeweiht, und
ihm nun zuruft:
He, lie, du grauer Faselhans, du Dii-nenbock !
Wie Kläger, Zeugen, nun in Schaaren auf den alten Schwiemel
eindringen; Bdelykleon sie beschwichtigt, Bürgschaft leistet; der
Alte dem geprügelten Gläubiger die vergnüglichsten Anekdoten
und lustigsten Märchen um den Mund streicht, und dessen Klage-
forderung nicht zu Worte kommen lässt. Bdelykleon, in Ver-
zweiflung den Alten huckepack nimmt, um ihn in's Haus zu tra-
gen; dieser aber, auch noch aufgehockt und von den Schultern
des Sohnes herab, seine schnackischen Geschichtchen weiter er-
zählt und, von dem scheltenden Sohn unterbrochen, gleich wieder
seine wunderschönen Anekdoten aufnimmt. Welche Komödie in
der Welt kann ein solches Schmuckkästchen voll Juwelen unbezahl-
barer Komik blitzen lassen? Bleibt der Alte etwa nun im Hause?
Sein toller Humor spränge dem Tode selber aus dem Netz. Da
kommt er wieder zu allerletzt mit Tänzen aus Thespis' Zeiten
herangetänzelt und hereingeschwenkt mit einem schwungvoll alt-
fränkischen Hopser (14S5tt'.;:
Nun dreht sich unserer Hüfte Gelenk
Und kreiselt behend in der Pfanne.
Zum AVetttanze herausfordernd aus den Zuschauern, wovon schon
gemeldet, die jüngsten Tragiker, die Karkiniten, das ganze Krab-
bengeschlecht des alten Tragöcliendichters Karkinos; bis die tolle
Lust auch dem Chor in die dürren Beine fährt, der mit den
IvülinstcH Sprüngen sich dem Ballet anschliesst und den Auskehr
tanzt; eine unerhörte Neuerung, denn:
Bis heute ward ja ik)c1i nie gewagt das Wagestück,
Dass Einer den komischen Chor zum Tanze liess hinausziehn.
Den lustigen Anekdoten des alten Tausendsasa mag noch die
marktläutige vom kranken Biscliof das letzte Licht aufsetzen; je-
Antiphanes' Friede. ] 43
nein Bischof, den alle Aerzte aufgegeben und sein Affe von einem
tödtlichen Geschwür heilte, das in Folge eines herzhaften Auf-
lachens platzte, als der Todkranke seinen Affen vor dem Spiegel
in vollem Bischofs-Ornat erblickte. Bei dem allgemeinen Ileljer-
seitbringen der Habseligkeiten hatte der Aife die Pontiticalia er-
wischt und angezogen. Wenn der attische Theater-Demos beim
Anblick seines Ebenbildes auf der Bühne, seines Affen, und mit
einem solchen „Affen," von seinem Gebresten, trotz Lachen, nicht
genas, wie unser Bischof; ja dann war er freilich rettungslos ver-
loren und werth, dass er zu Grunde ging. Der Affe in des Dich-
ters Spiegel hatte seine Schuldigkeit gethan. Ueber das ürtheil
A. W. Schlegels i), der die Wespen für Aristophanes' schwächste
Komödie erklärt, hätte sich der Bischof, nach der Genesung, wie-
der krank gelacht.
Der Friede (MiQrjvrj) Ol. S9, 4=421 an den grossen Dio-
nysien unter dem Archon Alkaios aufgeführt. Aristophanes er-
hielt den zweiten, Fupolis mit den Schmarotzern den ersten,
die Phratoren des Leukon den dritten Preis. Etwa acht Monate
vor der Aufführung des Friedens war Kleon in der Schlacht von
Amphipolis gefallen. Sein Tod hatte die Kriegslage für Athen
verschlimmert. Mehrere Bundesstaaten waren abgefallen. Die
Kriegsnoth war auf's Höchste gestiegen. Ein Friedensschluss
schien das einzige Rettungsmittel. Aristophanes brachte den An-
trag in seiner Komödie vor's Volk. Der Antrag ging durch. Bald
nach der Auftühning kam ein Friedensabscliluss mit Sparta auf
fünfzig Jahre zu Stande-), der aber eben so spurlos verschwand,
ähnlich wie Aristophanes' Friedensgöttin, in der zweiten Hälfte
des Stückes, dem Dichter und seinem Trygäos a])handen kommt;
Niemand erfährt, wohin sie gerathen und was aus ihr geworden.
Bis dahin aber ist diese Komödie das grösste Wunderwerk gross-
artiger Komik. Die Kühnheit der Erfindung und gleichwohl
diese für den gemeinsten Volksverstand fassliche Symbolik ist
wahrhaft staunenswürdig. Unbegreitiich und ganz wunderbar die
Sparsamkeit, der Lakonismus gleichsam des Farbenauftrags ))ei
der kolossalen Wirkung. Die sinnbildlichen Grotesken gigantisch
ungeschlacht, eine wahre trygodische Hefemnalerei, aber von der
n Vorles. I. S. 311. — 2) Thukyd. V, lü.
144 Die griechische Komödie.
lacheiidsteuFarbengluthund Durclisichtigkeit des Tons; eine Ehy-
parograpliie, eine Sclimutz- und Kotlimalerei im Phidias - Styl.
Was lässt sich gemein -Grandioseres, niedrig -Erhabeneres erden-
ken, als eine Mistkäfer-Himmelfahrt, die 7Aigleich eine, nach der
Friedensgöttin von einem attischen Bauer, Trygäos, angetretene
Brautfahrt. Geradeswegs vom Schweinestall in den Himmel, in
den Götter-Olymp. Jenen stellt uns gleich die Eingangs- Scene
vor Augen und Nase, und vor letztere so ummiwunden, dass
einer der Knechte, der das Futter für den Riesenkäfer, Tr3^gäos'
Himmelsrösslein von Grösse eines Bukephalos, im Backtrog knetet,
sich an die Zuschauer mit der dringenden Bitte wendet (2(jff.):
Ihr, wenn es Einer weiss, der sage mir's,
Wo man sich Nasen ohne Löcher kaufen kann.
Aber Käfer und Futterpillen sind Verbildlichungen der Ländlich-
keit und ihres Feldsegens. Waren dem Aeg}q)ter doch beide
desshall) heilige Symbole der Fruchtbarkeit und des Naturlebens,
deren reale Gegenständlichkeit von so manchem feineu uud hüb-
schen Stadtnäschen aufgesucht wird, das nicht so ekel ist, wie der
Leil)bäcker von Tr3fgäos' Käfer. Solchen VoiTCchtes erfreut sich
aber auch nur die Aristophanische Komödie, die, in ihrer ewigen
Beziehung auf die grössten Gedanken und Anschauungen, ideal
und geistig durch und durch, das Gemeinste adelt, und die Hei-
ligkeit und Schönheit erhabener Vernunftzwecke durch das Nie-
drigste, Schmutzigste, leuchten lässt.
Wie in den Acharnern der Landmann Dikäopolis mit den
Spartern auf eigene Hand Frieden schliesst, so will hier der Wein-
bauer, Trygäos, durch einen vom Himmel selbsteigeu herabge-
holten Frieden Hellas retten. Mit welchen hochschwebenden Pa-
rodien, waghalsigen Spässen, käferm istischen Himmelfahi-tswitzen,
schwingt sich Trygäos in die Lüfte! Schon das Besteigen des
gepanzerten Flügelrosses zum Luftritt giebt ein köstliches Sce-
nenbild (82 ff.):
Trygäos. Nur sacht, nur saclit, mein Käfer, gemach!
Nicht stürme mir allzu trotzig dahin,
Nicht schnaube so toll, ich beschwöre dich, Wurm ! . . .
Knecht. 0 G ebieter und Herr, wie bist du verrückt ! . . .
Trygäos. Hoch flieg' ich empor, den Hellenen zum Heil:
Aristophanes' Friede. 145
So verwegen, so neu ist, was ich ersann. . . .
Knecht. Bei Gott, so hing ich lebe, tliust du solches nicht!
Trygäos. Es ist einmal nicht anders.
(Er steigt höher.)
Der Knecht ruft die beiden Töchterchen des Tiygäos herbei. Der
drollig weinerliche Abschied des einen der Töchterlein bewegt
sich in der lustigsten Parallele des väterlichen Luftritts mit dem
von Euripides' Bellerophon auf dem Pegasos (135 ff.):
Das Töchterchen. 0 hättest du lieber angeschirrt den Pegasus!
So schienst du doch den Göttern etwas tragischer.
Trygäos. Da braucht' ich doppelt Putter ja , du thöricht
Kind. —
Wie SO? erfährt man in unserer Komödie, die eine Nase hat, wie
Trygäos' Knecht sich wünscht.
Das Töchterchen. Nur Eines beachte, dass du nicht im Schwindel dort
Hinunteriallst, und hinkend dann dem Euripides
Den Stoff zu Märchen bietest und zum Trauerspiel. . . .
Nun beim Aufsteigen seine Unterhaltung mit dem Käfer; sein
Schreck beim Hinabschauen, als er Einen im Pyräeus sitzen sieht,
in einer Stellung, die den Käfer zur Niederlassung reizt, den
Reiter zum Phaeton, und ganz Hella^ zur Beute neuer Kriegs-
drangsale machen könnte. Von dieser Angst kaum befreit, muss
er dem Maschinenmeister zurufen:
Wie graut mir ! Wehe ! Nicht im Scherze red' ich so,
Maschinenmeister, habe ja recht Acht auf mich!
Der Dichter sitzt so sicher und sattelfest auf seinem phanta-
stisch-sjmbolischen Ideen -Luftross, dass ihn die lUusiunsstörung
nicht schwindelig macht, und desshalb auch nicht sein Publicum.
Mittlerweile wird der Olympos mit den himmlischen Wohnungen
sichtbar. Hier aber hausen gegenwärtig nur zwei wüste Riesen-
Gesellen: der Krieg mit seinem Knechte, dem Tumult. Die
Götter haben sicli hinter den Luftäther zurückgezogen, um den
Krieg schalten und walten zu lassen nach Belieben. Hermes
allein ist als Thürhüter zurückgeblieben. Kcmii Kettenhund, nicht
der gröbste Portier, schnaubt einen Kremden so wütlieml an, wie
U. 10
I 46 r»i6 griechische Komödie.
Heraies den Trygäos. Ein guter Schinken besänftigi den Him-
melswächter. Er giebt nun die erwünschte Auskmift : Die Frie-
densgöttin (EiQr^vT]) liegt in einem AbgTnmd miter einem Stein-
haufen begraben. Krieg (ii6l€f.wg) ist eben im Begiiffe, die
hellenischen Städte in einem Mörser zu zerstampfen. Als Mör-
serkeule gebraucht er hellenische FeldheiTen. Die am besten
stampften, Kleon und der Spartaner-Feldherr Brasidas, sind lei-
der Beide todt. Der Knecht Tumult (Kvdoif.inQ), der sie holen
ging, kommt mit leeren Händen zurück. Krieg geht hinein,
einen neuen Stössel suchen. Die Zwischenzeit benutzt Trygäos,
um, mit Hülfe herbeigerufener Lastzieher, die verschüttete Frie-
densgöttin emporzuwinden (296 ff.):
Ihr Feld besteiler, Krämer, ihr Beflissenen
Der Kunst, des Handwerks, Schutzgenossen, Fremdlinge,
üir Inselmänner, kommt heran, kommt alles Volk!
ungesäumt ergreift die Hacken, nehmt Hehebaum und Strick!
Nun gelingt's uns, wii- erhaschen einen Trunk vom guten Geist!
Er meint den Trunk migemischten Weines, nach Tische zu Eh-
ren des „guten Geistes" fDionysos;. worauf auch Schiller's: „Die-
ses Glas dem guten Geist," hinzielt. Auf Trygäos' Heramuf
tritt der Chor in die Orchestra. Während Trygäos' Luftreise
hatte ein Scenenwechsel stattgefunden; sein Bauernhof sich in
eine Gljaupos-Decoratiou verwandelt. Aus Olympischeu Höhen
iTift Trygäos den Chor herbei. Sofort hält derselbe denn auch
seine Parodos in die Orchestra, als ob diese in gleicher Ebene
mit dem Olympos läge. Vor dem Gesetze der phantastischen
Ideen-Komik ist Alles gleich: Zeit, Baum, Perspective. Hat sich
Kaphael, bei der Himmelfahrt der Sixtinischen Madonna, an eine
Perspective gekehrt? Und ist doch keine Komödie: und ein Wun-
der der Farbenkunst! Die Figuren auf diesem Bilde erscheinen
uns so, als ständen wir mitten miter ihnen, in den Wollien.
Der Chor, von attischen Landleuten gebildet, im Verein mit
den syml)olischen Gestalten der Bundesstädte und der kriegfüh-
renden hellenischen Völker, begiebt sich an die Arbeit (458 ff.):
Chor. Frisch, greifet an, ihr alle! Zieht die Taue, zieht!
(Der Chor zi(;ht an den Tauen, die durch die Orchestra hüi bis in den
Abgrund reichen, um die FviedensgiHtin h eraufzuheben, unter gegen-
seitigem Zurufen.)
Die Friedeiisgötth]. 147
Hermes. Ho heia!
Chor. Heia frisch !
Hermes. Ho heia!
Chor. Heia frisch!
Hermes. Ho heia! Ho heia!
Trygäos. Sie ziehen ja ganz ungleich an den Tau'n.
(Zu den Böotiern, die sich seitwärts gestellt. haben)
Greift an mit einander! 0 sträubt euch nicht!
Bald sollt ihr es büssen, Böotier.
Hermes. Heia nun!
Trygäos. Heia ho! . . .
Hermes. Auch Argos' Söhne ziehen hier schon lange nicht. . . . '
Chor. Auch dort die Megarer schaifen nichts. . . .
Trygäos. Wir fördern nichts, o Männer, auf, einmüthig gehn
Wir alle wieder mit vereinter Kraft an's Werk!
(Alle fassen wieder an.)
Hermes. Ho heia!
Trygäos. Heia ho!
Hermes. Ho heia!
Trygäos. Ho bei Zeus!
Hermes. Ho heia! Ho heia! ....
Trygäos. Abscheulich ist's.
Die hier zieh'n an, die ziehen zurück!
Bald fühlt ihr die Faust, ihr Argeier!
Hermes. Heia nmi!
Trygäos. Heia ho!
Chor. Böswillige giebt's in unsern Reih'n.
Trygäos. Auf ihr denn, die voll Sehnsuchtsschmerz
Nach dem Frieden verlangt, zieht mannhaft, zieht!
Chor. Doch stören so viele das Werk hier.
Trygäos. Ihr Megarer, schceret euch zum Geier fort! . . .
Chor. Auf, Männer, schatten wir allein das Werk, wir Landbcsteller.
(Der Chor — die attischen Landleute fassen allein die Taue , ein sinnvol-
ler Fingerzeig.)
Hermes. Schon geht es, wenn ihr zieht nur, viel besser, traun, ihr
Männer !
(!hor. Schon geht es, meint er; alle denn greift an und schattet
wacker !
Hermes. Fürwahr, die Bauern ziehen sie heraus, und wei-
ter Nieman d !
Chor. Frisch auf! AU" auf!
Schon ist die Göttin nahe.
Nicht nachgelassen jetzo, nein.
Mannhafter imr euch angestrengt!
Schon ist es uns gelungen!
tu*
148 Die griechische Komödie.
(Die Friedensgöttin [Eirene] steigt aus der Tiefe, mit ihr die Gestal-
ten der Fruchtgöttin [Opora] ') und Festfeier [Theoria].
Ho heia nun! Ho heia rings!
Ho heia, heia, heia, heia!
Ho heia, heia rings!
In der gesanimten Komödienwelt möchte wohl kaum eine ähn-
liche Scene sich finden lassen. Einer Analogie von diesem sym-
bolischen Witze politischer Ideengestaltung begegnen wir viel-
leicht nur in Swifts grossen satirischen Staatsschriften und, auf
dem Gebiete der zeichnenden Kunst, doch schon mit überwie-
gender Illustration der bis zum Tragischen grauenvollen Sitten-
verderbniss: bei Hogarth.
Trygäos. 0 hehre Traubenspenderin, wie griiss' ich dich!
Wo nehm' ich's her, das Zehntausendfuderwort,
Um dich zu grüssen? Denn ich habe keins daheim.
Opora, Heil dir! Sey gegrüsst Theoria!
Welch' lieblich Antlitz hast du doch, Theoria!
Wie duftest du, wie lieblich, bis in's Herz hinein,
So wonnig süss, wie Watt'enruh und Nardenöl!
Hermes. Und wahrlich gar nicht einem Kriegstornister gleich.
Chor. Pfui vor des eklen Söldlings eklem Kriegsgepäck!
Da duftet's ja nach Zwiebelessigrülpsen nur,
Und hier nach Aernte, Lustgelag, Dionysosfest,
Schalmei'n, Tragödien, Sophokles, Krammtsvögelchen,
Nach Verschen aus Euripides —
Trygäos. Das büssest du.
Die Göttin so zu lästern! Denn sie labt gewiss
Den Dichter nicht mit seinen Anwaltsrednerei'n.
Chor. Weinschläuche, Epheu, Lämmerblöken auf der Trift,
Geschürzten Frauen, eilen auf das Feld hinaus,
Betrunkenen Dirnen, umgestürztem Trinkgeschirr,
Und vielem andern Guten. . . .
Füi-wahi- alle ßundesstädte und Provinzen stimmen in den Ruh-
mes-Päaii ein, womit der Chor in der bereits erörterten Parabase
dieser Komödie den nicht hoch genug zu preisenden Dichter ver-
heiTlicht.
Das Alles ist so gewaltig, von solcher Fülle, Pracht und
Meisterschaft in schwungvoll komischer l^^rhndung und sprudeln-
1) 'ÜTiojya ,, Fruchtzeit," zwischen Aufgang des Hundssterns und des
Arkturus.
Aristophanes' Friede. Opora und Theoria. 149
dem Witz, dass vielleicht aus diesem Grande allein die zweite
Hälfte der Komödie sich nicht auf der Höhe der ersten behaup-
ten konnte. Die zweite Hälfte, im Vergleich zur ersten, nimmt
sich aus, wie ein schönes Weib, das wir in der tippigen Bltithe
ihrer Reize kannten und liebten, und als Grossmutter wieder fin-
den. Trygäos hat sich mit Opora und Theoria in sein Gehöft
niedergelassen. Das Vorgefallene ist wie ein Traum zerstiebt;
von der Friedensgöttin, wie schon ei-wähnt, nichts zu sehen, als
läge sie wieder verschüttet im Abgrund begraben. Das Friedens-
fest, das der Chor mit Gesängen und Opfern feiert, ist von er-
müdender Umständlichkeit ; für uns mindestens, und wird es noch
mehr durch den Abstich gegen die ergötzliche Scene, die vorher-
geht, wo Trygäos die Theoria ^Festfeier; den auf den vordersten
Sitzreihen oder Thronsesseln zuschauenden Prytauen zuführen
lässt. Nach der zweiten Parabase mischt der Schluss kunterbunt
noch eine oder andere parodirte Tagesfigur ein, wie den Priester
Hierokles von der Kriegspartei , der als Lügenprophet verspottet
wird. Nicht viel anregender wirkt die Scene, wo die Künste des
Friedens und des Krieges in Contrast gestellt werden 1191 ff);
obschon v£)ll Kernwitze und saftiger Spässe. So z. B. die Ver-
wendung des Panzers und Kriegshelms zu Friedens-Gefässen, dem
ähnlich, wozu auf Hogarth's Blatt, „die Komödienprobe," der Affe
sich des Helms von Alexander dem Grossen bedient. Schliess-
lich behält Trygäos das Beste für sich; er führt die Opora als
Braut heim; der Winzer die Göttin Fruchtbarkeit. Aus ihrem
Füllhorn schüttet der Dicliter noch herrliche Einfälle, die zu den
ei-findsam lustigsten Situations - Contrasten reifen und schwellen.
Z. B. der Festgesang der Knaben (1270 ff.), wovon der Eine mit
einem Kriegsvers beginnt, den Trygäos sogleich wie einen bren-
nenden Plunder, dem ein unvorsichtiger Junge mit dem Lichte
zu nahe gekommen, erschrocken austritt, und dann über den Jun-
gen herfährt. Mit dem Knaben geht aber die kriegerische Zunge
durch; er singt weiter von Lanzen, Schilden und Kriegsjammer-
geheul und genabelten Tartschen:
Trygäos. — Du heulst noch, beim Dionysos
Singst du von Jammergeheul, und genabeltem Jammer!
Knabe. Doch was soll ich denn singen?
Trygäos. ,,Also schmausten die Männer am Stierfteisch"
150 Die griechische Komödie.
Der Knabe stimmt das Lied vom Stierfleisch an, aber der nächste
Vers lautet schon: „Alle der Mahlzeit müde, behelmten sich:"
Trygäos. Lustig mit Wein wohl.
Knabe. „Strömten hinaus zu den Thoren und endlos tobte der Kriegs-
lärm."
Trygäos. Dass dich der Henker, Bube, dich sammt dem Krieg — !
Du singst nichts als Ki'iege. Wem gehörst du denn?
Knabe. Ich?
Trygäos. Allerdings du !
Knabe. Bin der Sohn des Lamachos.
Tiygäos lacht laut auf; wie denn erst sein Publicum! Die Ueber-
setzer lassen ihn wenigstens laut auflachen: Donner und Droysen.
Aiistophaues' Trygäos ruft alßol , was mehr ein Schnalzlaut
überraschten Unwillens: Holla Jüngelchen! Die Hahaha- Laune
ist nicht die des Trj^gäos. Das Theater bricht in schallendes
Gelächter aus, um so schallender, als Trygäos sich das Lama-
chos - Söhnchen mit unwirrschem Missblick ansehen mag. Doch
es sey dämm (1291 fl".):
Trygäos. Ha, ha, ha! (oder wie Droysen übersetzt: ..hahahaha!")
Wahrlich, ein seltsames Wunder erschien mir's, wärst du der
Sohn nicht
Eines dem Kampfe so holden und kampfwuthathmenden
Vaters.
Auf, packe dich, den Lanzenträgern singe das!
(Der Sohn des Lamachos ab.)
Wo steckt mir denn das Söhnchen des Kleonymos?') Wohl
weiss ich doch, du
Singst nicht von Händeha, du, des klugen Vaters Sohn. . . .
Unvergleichlich! Des Aristophanischen Gottes voll, wie nur sein
Bestes; dennoch aber disjecta membra. Die Komödie liegt zer-
brochen da, wie der Sonnenwagen mit dem gestürzten Phaeton.
Euripides mochte sich vor Schadenfi'eude die Hände gerieben ha-
ben in die Seele seines verspotteten Bellerophon, der, vom Pega-
sos herabgeworfen, mit lahmer Hüfte davonliinkt. Kein viel bes-
seres Ende nimmt Tiygäos, der Käfer -Bellerophon, mit der Ko-
mödie: beide lahmen zuletzt davon; Trygäos freilich mit seiner
1) Der den Schild in der Schlacht wegwarf und davon lief.
Eine Stelle im ..Frieden." 151
schmiickgebadeten Opora, begleitet vom Hochzeitsliede seiner
ländlichen Cliorgenossen.
Die Gelehrten wollen „die Mängel an fester Consequenz nnd
Steigerung des f]ffects'' durch Annahme einer späten Umarbei-
tung, einer doppelten Friedens -Komödie, kurz durch Voraus-
setzimgen erklären, die Alles, nur nicht den Abfall der zweiten
Hälfte in diesem „Frieden" gegen dessen erste erklären. Era-
tosthenes, Krates, zwei Alexandrinisclie Grammatiker, sprechen
wohl von einem andern Frieden, die Folgerungen jedoch, die
Drojsen ^) daraus zieht, sind gezogene Nieten.
Auf eine noch nicht rein geklitterte Stelle in dieser Komö-
die wollen wir noch hindeuten. In der Opferscene fordert Try-
gäos den Knecht auf, Gerstensamen unter das Volk (die Zuschauer)
zu werfen. Es geschieht. Darauf meint Trygäos (;i66}: „Die
Frauen erhielten keinen (ovx ccl ywaiy.sg y slaßov). Das scheint
für Anwesenheit der Frauen in der Komödie zu sprechen. Wie
gewandt sich die üebersetzer durch die Scheeren- Klippen der
zweierlei Auslegungen schlängeln; beide Üebersetzer, Donner und
Droysen! Ersterer verdeutscht schlechtweg: „Die Frauen erhielten
keinen?'' Was sich als berichtigende Entgegnung auf die Worte
des Knechtes deuten lässt - „Von allen diesen Zuschauern, so viel
deren hier sitzen, ist keiner, der nicht etwas von der Opfer-Gerste
abbekommen" (toltcov oöoLnsQ elol rtov ^ewi^ievtov ovx eotiv
oiöeig oorig ov y.QLd^)]v l'xei). Keiner sagst du? So haben denn
die Frauen nichts abbekommen, weil sie eben nicht anwesend
sind. Die Partikel ys (y e'Kaßov) löst Doimer in das Fragezei-
chen auf. Droysen drückt die Partikel durch „also" aus und zu-
gleich ft-agweis: „Erhielten also die Frauen keinen?" Da die
„Herren Zuschauer" {oooinsg) blos welchen abgekriegt, und
die Frauen nicht im Theater anwesend. Trotzdem scheint uns
die Stelle doch noch eine oft'ene Frage, weil der Witz nicht ganz
in's Schwarze trifft, wenn Trygäos auf die Bemerkung des Knech-
tes: Alle mäiudichen Zuscliauer hätten davon bekonmien, einwen-
det: Aber die Frauen nichts, weil sie zu Hause sind und nicht
unter, den Zuschauern sich befinden. Da versteht es sich von
selbst, dass sie nichts erhalten konnten. Trygäos' Gegenbemer-
1) a. a. 0. 1, 12.
] 52 I^iß griecliische Komödie.
kling wäre somit vom Zaune gebroclien, blos um eine Unan-
ständigkeit anzubringen. Dergleichen Gersten -Witz scheint uns
nicht vom ächten Aristophanischen Schrot und Korn. Warum
sollten die Frauen nicht ausnahmsweise die Komödie haben
besuchen dürfen; je nach Beschaffenheit derselben? Gerade diese
Friedensfeier-Komödie möchte eine solche Komödie gewesen seyn
können ; um so mehr, als sie zu den für Frauen weniger anstössi-
gen geliört.
Die Vögel ('OQVLd-eg) Ol. 91, 3=414. An den grossen
Dionysien unter Archen Chabrias aufgeführt. Aristophanes erhielt
den zweiten, Ameipsias mit den Komasteu, den ersten, Phiy-
nichos mit dem Monotropos den dritten Preis. ^)
Die Vögel sind in gewissem Betracht eine Ausnahms- Ko-
mödie, die sich von allen andern des Aristophanes in Idee und
Kichtung unterscheidet. Jede derselben hat ihren festen Mittel-
punkt in den Innern Zuständen des attischen Gemeinwesens. Sie
alle bringen die Verkehrtheiten und Verderbnisse in den verschie-
denen einzelnen Staatsfactoren, Verwaltung, Rechtspflege, Kunst,
Wissenschaft, der Reihe nach in den Schmelz- und Glüliofen
des läuternden Gelächters. Immer ist es ein bestimmtes von
einem chronischen Leiden ergrifi'enes Organ, gegen welches je
eine der zehn andern Komödien ihre wirksamsten Mittel in An-
wendung bringi: gründliche Blutreinigung, Milzausfegung und
Erschütterung des Zwerchfells. Im Ganzen fühlte sich der alte
Knabe, Demos, noch wohl und munter; und weil ihm die Cur
gut bekommt, lässt sich der leichtsinnige, lebenslustige Krücken-
stösser sein organisches Gebresten nicht sonderlich anfechten, und
lebt wohlgemuth darauf los; begeht einen Diätfehler nach dem
andern und schlägt dem Arzt ein Schnippchen. Umsonst steUt
ihm dieser, Avenn er eine vernünftige Lebensordnung einhält, völ-
lige Wiedergenesung, ja Wiedergeburt, Verjüngung in Aussicht.
Wie durch bösen Zauber von seinem politischen, sophistischen
und poetischen Circen behext, lacht der alte Sünder seinem Arzt
in's Gesicht und meint, dieses Lachen bekomme ihm besser, als
alle Arzeney. Bis endlich der ganze Organismus ergriffen ist;
bis jener Giftkeim, der ihm, noch von den Perserkriegen her, in
1) Arg. Av. I. p. 142. Dind. Scliol. Av. 99S.
Aristophanes' Vögel. 153
den Knochen sitzt, und dessen Umsichgreifen die Quacksalber blos
vertuscht und überpflastert hatten, nun auch Blut und Säfte ent-
zündet, durch alle Adern und Eingeweide sein verzehrendes Feuer
jagt, und um so zerstörender wirkt., als dieser Giftstoff unserem
Demos in der Blüthe und Fülle seiner jugendlichen Mannskraft
von den asiatischen Barbaren, zur Zeit der Befreiungskriege, in's
Blut geflösst ward. Aber auch desshalb bricht die Folgewirkung
so verderblich aus, weil das eingesogene Gift mit der Natur und
dem Wesen des davon Ergriffenen im feindseligsten Gegensatze
steht. Denn dieses Wesen, worauf fanden wir es gestellt? Auf
vollkommene Ausbildung des Staatsköqiers zu einer harmonisch-
schönen, sittlich-freien Individualität; zu einem schön geglieder-
ten und musisch beseelten Volksorganismus, einem Gemeinwesen,
worin der Einzelne das verkörperte Abbild des Stammes- und
Nationalitäts-Ideals, und das Ganze wieder das schöne Ebemnaass
einer vollendeten Persönlichkeit darstellt. Dieses Ideal schwebte
unserem Poeten nicht als Phantasiegebilde vor: er sah es in den
grossen Gestalten, in den Heroen der Perserkiiege, in dem Mara-
thonischen Heldenthum verwirklicht. Der geschichtliche Missions-
zweck dieses Volkswesens und Ideals lässt sich dalier auch in die
Aufgabe zusammenfassen: in einer Staats- und Volksindividuali-
tät für alle Folgegeschlechter ein Urbild gleichsam, wie ein Kunst-
werk, aufzustellen, dessen Mustergültigkeit nur aus jener höchsten
Göttergabe hervorsprosseu konnte: aus einem vollkommenen, vor
allen Völkern diesem Volksgenie verliehenen Schönheits- und
Maassgefühl. Klima, Bodengestaltung, der bestimmt umsclirie-
bene, jeglichem Hellenenstamme zugemessene Gebietsautheil, Alles
stand mit dieser schönen Selbstgestaltung zu freimenschlichen
Staatsgebilden und Persönlichkeiten im Einklang. Als der feind-
lichste Gegensatz hiezu erwies sich uns das Perserthum. Wie bei
den Hellenen das schöne Maass sich als die Beglaubigung ihrer
Mission zur Weltbefreiung und Weltcultur hervorthat; so ist die
Maasslosigkeit, die Niederwerfung aUer, die Willkür des Allein-
gebieters hemmenden Schranken das Feldgeschrei des dazumal
in dem persischen Despotismus incarnirten Barbarenthums. Die-
ser orientalisclie, dem hellenischem Ansiedelungs-, Anpfianzungs-
und Staatengestaltungs-Genie entgegengesetzte Hang tritt in sei-
ner wüstesten Unform als nomadischer Trieb auf, als jenes wilde,
154 I^ie griechische Komödie.
in's Unbegrenzte hinausstrebende Völkerschweifen, jener heimath-
lose Fernentrieb, der, je nach den Massen und Scliaaren, die er
ergreift, als Erobenings-, Völkerwanderungs- oder als Abenteuer-
Geist epidemisch die Welt überzieht, um dann, so Gott will, und
nach Jahrhunderten verfinsternder Barbarei, von dem Culturgeiste
bewältigt, sich zu neuen Völkerforaien und Staatenbildungen zu
gestalten. Das Hellenische und Orientalische, der plastische Cul-
turgeist und der nomadische Abenteuertrieb, das Classische und
Romantische, sind verschiedene Bezeichnungsformen derselben Ge-
gensätze. Fernentrieb, Sichaufgeben an die Fremde, Selbstent-
fremdung, Abenteurerhang, wechseln, je nach Stimmungen und
Objecten, ihre Weisen. Als Gefühlsstimmung löst sich dieser Trieb
in Sehnsucht auf; als Kunststimmung ist er das Romantische,
das Unbestimmte^ Ahnungsvolle; als philosophische Geistesstim-
nmng das Transcendente. Aufs Praktische und Zweckhafte ge-
richtet, geräth solcher Hang durch sein Hinausstreben aus sich
selbst und unbezwingliches Selbstentfi'emdungsgelüste , seine ün-
stätigkeit und Zerfahrenheit, mit seinem eigenen auf einen be-
stimmten Zweck gerichteten Trachten in Widerspruch, und wird
zum abeuteuerischen Schwindelgeiste, zur Phantasterei, zm* Pro-
jectenmacherei, zur Chimäre. Und zu dieser bösen Saat
hat sich der unlieilvoUe, von den Perserkiiegen dem hellenischen
Volksgeist mitgetheilte Giftkeim entwickelt. Der heimatheutfrem-
dete Eroberungs-Schwindel-Geist ist über den attischen Demos
gekommen. Die Expeditions-Projectenmacherei, der Xerxes-Taumel
hat sich seiner bemächtigt; die Phantasterei der Raubzugs- Aben-
teuerfahrten, die Insel- und Länderunterjochungs-Chimäre. Und
Aristophanes' Vögel sind die Komödie dieser Chimäre. Aus dem
Trygäos, der auf seinem Ackerdüngungs-Symbole , dem Riesen-
käfer, eine Luftreise nach der Göttei-wohnung unternommen, um
von dort seinem geliebten attischen Vaterlande, zum Heil und
Segen der heimischen Felder, den Frieden herunterzuholen, ist
ein Chimären-Glücksritter geworden, der eine Reise in's Blaue un-
ternimmt, um die Götter selbst in ihrer Aetherbm'g zu bekriegen,
und sie zur Auslieferung, nicht der Friedensgöttin, nein, der wüsten
Reisegesellen, Krieg und Tunuilt, zu zwingen, damit er sie seinem
Vaterland auf den Hals schicken könne. Im Weigerungsfalle
würde er den Olymp mit seinem Vögelheere stürmen, mit den-
Die Vögel. Der Scliwindelgeist. 155
selben Vögeln, in Bezug auf welche Trygäos' Töchterchen, zur
Zeit seines Ausflugs nach der Friedensgöttin, ihrem Vater nach-
gerufen (116 f.):
Willst du mit Vögeln, verlassend die Deinigen,
Hoch in die Luft zu den Raben entweichen?
Und siehe da! Sechs Jahre nach dem Frieden, ist Väterchen Try-
gäos, oder Papa Demos oder wer hinter dem Peisthetäros stecken
mag, wirklich mit Vögeln 7a\ den Kaben und Geiern entwichen,
um gar nicht mehr heimzAikehren ; sondern eine Vogelstadt in
der heimathlosen Luft zu hauen, und darin mit der Göttin Ba-
sileia zu hochzeiten, einer Cousine der persischen Basileia, der
glückseligen Alleinherrschaft des „grossen Königs"; und um ein
Chimärenreich zu gründen, von wo er, nach oben die Götter, und
nach unten die Menschen zu beherrschen, in der Lage wäre, als
unbeschi'änkter Gel)ieter eines beflügelten, wndköpfigen Vögelvol-
kes, das, älter und ehrwürdiger, als die Götter, und mächtiger, als
die Menschen, ein unbegrenztes, Götter, Menschen, Erde, Meer
und Himmel, das ganze Universum umfassendes Weltreich, das
schrankenlose Liiftreich, das bodenlose Reich der Chimäre, sein
Vaterland nennt.
Nicht als ob besagter Schwindelgeist Papa Demos jetzt plötzlich,
wie von ihm angeblasen, ergriflen. ImGegentheil hatte jener orienta-
lische Peststoff" abenteuerlicher Alleinallheri'schaft schon in den Un-
ternehmungen des Perikles, als Hegemonie-Schrulle, sich zu regen
begonnen; und hatte, gleichzeitig mit der Pest, durch unzweifelhafte
Symptome seinen orientalisclien Ursprung in dem peloponnesisclien
Kriege enthüllt. Schon Perikles' Politik war eine Abenteuerer-Politik,
die in Alkibiades ihren Liebling und Mignon, in Alexander dem
Grossen ihren weltliistorischen Helden fand, dessen Epigonen den
Untergang von Hellas lierbeiführten. Alkibiades' Eroberungszug
nach Sikelien glich mehr einem, gegen sein Vaterland unternom-
menen Freibeuter- und Xerxes-Zuge, als der wohlüberdachten
Kriegsexpedition eines attischen Feldherrn im Nutzen seines Lan-
des. Aus Thukydides' und Plutarch's Darstellungen erhellt deut-
lich, dass die waghalsige Expndition des Alkibiades zugleicii eine
hochverrätherische war, die darauf abzielte, das ('i-o))erte Sikclioii
zur Operationsbasis gegen sein Vaterland zu machen, um sich
156 Die griechische Komödie.
von da ans der OberheiTscliaft über Athen und ganz Griechen-
land zu bemächtigen. Der abenteuerliche Schwindelplan ging
dahin, von dem eroberten Sikelien aus, das. unter seine Partei-
und Hetärie-Geuosseu als gute Priese veriheilt worden wäre, zu-
nächst Italien, hierauf Karthago zu erobern, dann den Peloponnes
zu unterwerfen, um sich zum unumschränkten HeiTu und Allein-
herrscher von ganz Griechenland zu machen, i) Von der Vogel-
perspective seines luftigen, hochfliegenden Planes erblickte schon
Alkibiades sein Vaterland, sein Attika, tief unter sich zu einem
verächtlich kleinen Gebiete zusammengeschrumpft, in einer Schwin-
del-Hochflugsstüumung, einem Kukukswolkenheimgefühl , das der
Vögel-Chorfülu-er , in der Parabase unserer Komödie, so unsterb-
lichkeitsbcAvusst, so vogelperspectivisch, so wolkenseglerisch und
ätherselig ausspricht, in seiner von obeuheruuter das Menschen-
gewürm ironisirenden Apostrophe an die „ohnmächtige Brut", die
„Eintagsfliegen, zum Fluge zu schwach, traumähnliche Söhne des
Jahres."
Nur hat man sich die Expedition nach SikeKen nicht als ein
blosses Partei-Project , einen Verschwörungs- Handstreich, ausge-
heckt von Alkibiades und seiner Hetärie oder Synomosie, nicht
als ein blosses „Zeichen der Zeit" zu denken, wie etwa die Cati-
linarische Verschwörung. In Athen hatte der Eroberungs- und
Oberherrschafts-Schwiudelgeist das Volk, den Demos selbst, er-
grifl'en, der, nach Alkibiades' Flucht, das Project mit aller Macht
vertrat, und mit dem ganzen Aufgebot seiner Kräfte mid Mittel
durchzusetzen beeifert war. Andernseits aber scheint uns die An-
sicht: Aristophaues' Vögel bezögen sich auf kein bestimmtes Er-
eigniss, namentlich nicht auf den sikelischen Feldzug, aus einer
noch flüchtigeren Würdigung der Zeitlage und einem völligen
Verkennen der Aristophanischen Komödie zu entspringen, die wir
allenthalben ihren politischen Wurzelgedanken aufs gTÜndlichste
entwickeln sehen. Welcher Missverstand, dass eine solche An-
schauung, im Handumdrehen, eine Tagesfrage von dieser Trag-
weite, im Style unserer Aesthetik, mit souverän aftei-poetischer
Geringschätzung und kunstabstracter Tendenzenscheu hätte ver-
nebeln und verschwebeln können ! Aristophanes müsste denn sei-
J) Thiikyd. VI, '.»0.
Ai-istophanes' Vögel keine Phantasmagorie. 157
nem eigenen Genie den Rücken gewandt haben, wie sein Peisthe-
täros dem Vaterland, um das in der Luft schwebende, „hochpoetische"
Schlaraffenland unserer Märchen-Dramatiker und ästlietischen Wie-
dehopfe aufzusuchen. Er müsste geradezu sich zum Peisthetäros
seiner selbst aus dem StegTcif vervogelt haben, und seine durch
und durch real-phantastische Komik in eine verschwommene Chi-
mären-Poesie, eine Luftspiegelungs-Wolken-Phantomisterei, kurz
in das Kukuksuebelheim Tieckscher Märchen-Ironie zerquirlt und
verbrodelt haben. Aristophanes', aus dem frischen Schaum der
Tagesströmungen, wie Aphrodite aus Meeresschamn , geborene
Komödie sollte sich mit eins in derlei wesenlose Duustdichtung
aufgelöst haben? In eine nebulose Phantastik verloren haben, die
den Dusel -Visionen der Betel- und Opiumkäuer ähnlich, deren
ausgesogene Mohnköpfe noch nachträglich die langzopfigen chine-
sischen Kunstphilosophen in kunstphilosophische Formeln umkäuen?
Ein offner Blick in Aristophanes' Vögel zeigt uns, dass unser Poet
kein solcher Betelkäuer oder Opiumesser war, und auch keine
dergleichen Visionen dichtete nach den Fomieln einer langge-
zopften chinesischen Aesthetik; dass er im Gegentheil, nach ge-
wolmter Weise und Kunstmethode, dem in's Nebelhafte, Meteorische
und Abenteuerliche verstiegenen Staats- und Volksgeiste dessen
leibhaftes Ebenbild zeigte im Demantspiegel seiner objectiven, dem
Tagesleben immanenten, aus bestimmten, concreten Ideen gestal-
tenden Komik.
Zwei Athener, im Greisenalter Beide, erscheinen als Auswan-
derer in waldiger Felsenwildniss. Ihre Namen sind bezeichnend.
Der Führer heisst Rathefreund, Peisthetäros, der Genosse,
Hoffegut, Euelpides. Die Namen charakterisiren unübertrefflich
die gegenseitige Stellung und Genossenschaft zwischen Planmacher
und hoffnungsgläubigem Nachfolger; Projecten- Vorschwindler und
dessen Düpe. Die bezeichnendsten Belege zu diesen Namen lie-
fern die geschichtlichen Urkunden des Thukydides und Plutarch.
Liest man bei Ersterem ') das Verhalten der Parteigenossen zu
Alkibiades' Expeditions -Project; die Schilderung des Holfnungs-
schwindels, worin sich seine Hetärie, oder heimliche Staatsstreichs-
Brüderschaft, in Bezug auf den Eifolg des Feldzuges, wiegte: so
1) VI, 24.
■158 Die griechische Komödie.
möchte mau glauben, Aristophanes habe in Euelpides, seinem
Hoflfegut, die Gattuugsfigm- jener hetäristischen Euelpiden; und
im Peisthetäros den Rathefreund, ilir Oberhaupt, zeichnen wollen;
dem Geiste und Wesen nach, nicht äusserlich, den damals 28jäh-
rigen Alkibiades etwa, da er ja seinen Rathefreund hinter eine
Greisenmaske verstecld. Denkt man wieder an Plutarch's Worte ^):
Alkibiades habe das Volk überredet, indem er es hoffen Hess,
während er selbst noch Grösseres erstrebte, so möchte man wieder
anzunehmen geneigt seyn: Aristophanes' Euelpides sey die neueste
Maskenfigm* für den guten alten Demos-Pantalon, besonders wenn
man Plutarch's Worte vor Augen hat: 'Jkxtßiädsg tbv ts Öij-
(xov fieyccXa neiouq ilu i'Ceiv u. s. w. Als ob Plutarch durch
diese Zusammenstellung die beiden Namen von Aristophanes' zwei
wunderlichen Käuzen hätte erklären wollen. Erwägi man endlich
den Charakter der Aristophanischen Masken-Symbolik, die keine
Figur mit der Consequenz unseres Drama's festhält: so wird die
Ansicht sich auch wohl hervorwageu dürfen, dass die Parteifigur
zugleich in weiterer Bedeutung genommen sey, und auch das Volk
den Demos selbst vorstellen könne, die Alkibiades-Partei im aus-
gedehntesten Sinne. War denn der Demos nicht im Grunde wirk-
lich, besonders in Absicht der sikelischen Expedition, mit seinem
Liebling Ein Herz und Eine Seele? Hat das Volli nicht schliess-
lich immer die Politik seines Herzblatt- Demagogen acceptirt?
Kurz war es nicht jederzeit der Euelpides seines Peisthetäros?
Und wie viel fehlte denn, dass unser biederer Demos nicht selbst
die Basileia vom Himmel für seinen Abgott herunterholte? Dass
es nicht geschah, kommt der Gegenpartei, den Oligarchen, in
Reclmung, nicht dem Volke. Die Parodie, die Ironie des grossen
Komikers erscheint um so ergötzlicher, tiefer, allüberflügelud,
wenn gleichzeitig, wo eben durch Volksbeschluss das Staatsscliiff,
die Salaminia, zur Vorladung des Hochverräthers war ausgesandt
worden, wenn in der Komödie dersell)e Euelpides, als treuer Ge-
simmngsgenosse, seinem Freunde und Fülu'er, Peisthetäros, ver-
trauensvoll mid hoffeselig naclifolgte, während sein im Theater
vor ilim dasitzender und ihn aushichender Doppelgänger, Demos-
Euelpides, sich gleichsam selbst vor Gericht citirt und mit dem
1) I, 17.
Peisthetäros. Euel]n(les. T)er Vögel-Chor. ISQ
Vorladungsschiff steckbrieflich verfolgt. Wir wären sogar geneigt,
dieses Ineinanderspielen und Schillern der Figuren-Bedeutung, das
uns schon in den besprochenen Komödien überraschte, auf den Vö-
gel-Chor selbst auszudehnen, und in ihm dieselbe, aber zur Volks-
menge ver\ielfältig-te Euelpides- Figur zu erblicken: Alkibiades'
Hetärie zum Vögelstaat erweitert; das Athenische Volk, in seinem
flüchtigen, luftigen, windköpfigen Vogelwesen, komödirt zu einem
Volk von Vögeln; vielleicht wohl gar jene aristokratisch-demago-
gische Elite Athens, die hochgesippten Alkmäoniden und die zu
ihnen haltenden Familiengeschlechter als uradelige Vögel-Haute
volee verbildlicht.
Unsere beiden Auswanderer also, mit Führervögeln, Eathe-
freund mit einer Krähe, Hoöegut mit einer Dohle, suchen ein
Utopien, Eldorado, ein Schlaraffenland, wo sie, laut Hoffegut's ver-
traulicher Eröffnung an die Zuschauer, von den ewigen Rechts-
händelu in Athen ausruhen und ihrer Müsse leben können; su-
chen, mit einem Wort, ein ubi bene ibi patria. Wie Hermes im
„Plutos" sagt (1150): „Dort ist die Heimathserde, wo's uns wohl
ergeht" (Tiargig ydg eoxi näo' iV av jtqcixtij tiq €?;.) Zuerst
wollen sie, aus alter Schwägerschaft, bei Ter aus anklopfen, jenem
bekannten, in einen Wiedehopf verwandelten Tochtermann des at-
tischen Königs Pandion (4(3 ff'.) :
Und nun zu Tereus ziehu wir aus, dem Wiedeliopf;
Von ihm zu hören wünschen wir, oh irgendwo
Er solche Stadt auf seinen Flügen je geseh'n.
Zaun schlüpf er kommt herangehüpft, Wiedehopfs Botenläufer
und Diener. Gegenseitige unsäglich komische Verblüffungs-Be-
grüssung, bei welcher dem Hottegut, vor Schrecken über Zaun-
schlüpiers grossen Schnabel, etwas Menschliches passirt, was den
Zaunschlüpfer nur noch mehr in seiner Angst bestärki;, dass er
Menschen, folglich Vogelsteller, vor sich sehe. Die Beiden geben
sich für Vögel aus: Hotfegut für den Vogel Zitterherz aus Libya;
Rathefreund :
Ich hin der Hoscnk — aus dem goldnen Land.
Darauf meldet sie der Zaunschlüpfer. Tereus- Wiedehopf hat gi-ade
die Mauser und erscheint in diesem Neglige. Sie bringen ihn.'
160 Di<? griecliische Komödie.
Frage vor, von wegen der „Woimestadt." Wiedehopf nennt eine
am rotlien Meer belegen (I46f.):
Hoffegut — — _ Weh, nur kerne Stadt
Am Seegestade, wo die Salaminia
Uns heimzuführen morgen früh aufducken kann.
Wie es demi bei den Vögeln aussehe? Ganz vergnüglich, meint
Wiedehopf.
Peisthetäros. Ali, Ah!
Zu stolzer Herrschaft, seh' ich, ist der Vögel Volk,
Zu grosser Macht erkoren, folgt ihr memem Eath.
Er erklärt sich näher. Anstatt mit offenem Schnabel mnherzu-
gaffen und zu schwärmen, sollen die Vögel sich auf ernste, solide
Zwecke verlegen, einen Stadtbau in Augi'iff nehmen — Wo? welche
Stadt? — Alberne Wiedehopf-Frage, bei einem Baugrund, wie Luft
und Wolken sind! Ein Vogelreich, so weit der Himmel blau ist.
Frisch gebaut mid befestigt ! Von der Wolkenstadt aus beherrscht
ihr die Menschen und hungert die Götter aus. — Wie so? —
Durch Grenzsperre. „Schliesset Stadt und Luftgebiet ab", und
lasst keinen Opferrauch durch und keinen „Opferschenkelduft"
AV i e d e h 0 p f . Juchhe! Juchhe !
Bei Schlingen, Netzen, Garnen, bei der Erde Macht,
Solch hübschen Einfall hört' ich nicht mein Leben lang ! . . .
Wiedehopf beruft die Vögelversammlung. Doch zuvor lockt er sein
Gemahl, die in eine Nachtigall verwandelte Prokne, aus dem
Gebüsch. So poetisch schön klingt kein Nachtigallenlied aus mond-
beglänzten Fliederbüschen, wie dieser Lockeruf des zärtlichen
Gatten- Wiedehopfs in der Mauser (2 10 ff.):
Mein trautes Gemahl, auf, banne den Schlaf,
Lass wallen den Strom des geweiliten Gesangs,
Den süss liinströmt dein seliger Mund,
Um Itys, ach, mein Söhnchen und deines
IlelLstinimigen Klang's aus Tiefen der Brust
Aushauchend den Schmerz!
Klar scliwingt sich der Hall durch wankendes Grün
Von dem Ahorn auf zu dem Throne des Zeus,
Wo der Gott mit den goklnen TiOckeu ihm lauscht,
Und, deinem Gesang antwortend, mit Macht
In die Lyra greift und den heiligen Chor
Die Vögel. Wiedehopfs Lockenif. \Q\
Der Olympier führt:
. Und vom seligen Mund, dem unsterblichen, tont,
Einstimmend mit dir,
Der Olj'mpier göttliche Klage.
(Man hört eine Flöte, die den Nachtigallenton nachahmt.)
Peisthetäros. 0 König, o Zeus! Welch lieblich Vogelstimmchen das!
Wie füllt der honigsüsse Laut den ganzen Hain!
Euelpides. Du —
Peisthetäros. Was beliebt dir?
Euelpides. Schweige doch!
Peisthetäros. Warum denn das?
Euelpides. Zu neuem Liede rüstet sich der Wiedehopf.
Wiedehopf. Hup hup, wuwu! Hup hup, wuwu!
0 kommt, o kommt heran, zu mir, zu mir
Heran, ihr alle meine Mitgefiederten:
Die ihr in reichen Au'n des Landmann's umher,
Hir Gerstennäscher, schwärmt in ungemessner Zahl,
Und ihr Samenpicker, schnellfiiegend Volk
Mit dem anmuthreichen Laute;
Und die in Furchen ihr
Um die Scholle trippelnd, oft so lieblich zwitscliert,
Eurer Stimme froh:
Tio, tio, tio, tio, tio, tio, tio, tio!
Und ihr Anderen, in dem Gärtlein, in des Epheus
Rankendem Laub umher, die ihr in Bergen schwärmt,
Ln Oleaster nascht, weidet im Aj-tubus;
0 fliegt eilig heran, achtend meines Rufs:
Trioto, trioto, totobrinx!
Die ihr im Moor tiefer Bergschluchten euch
Scharfe Stechfliegen schnappt,
Die ihr thaufeuchtcn Grund
Liebt, umher schwärmend durch Marathons
Liebliche Gefilde !
Komm, bunfflügliger Vogel du
Haselhuhn, Haselliuhn!
Und die im Schwann mit den Lenzhalkyonen
Flattern auf wogendem Schwalle des Meeres,
Eilet heran, zu vernehmen die neueste
Kunde! Berufen wir doch die Geschlechter —
Alle der halsausreckcnden Vögel.
Ein alter, ein scharf (lunlidringoiHler (ieist.
Kam, seltsame Plan'
Und seltsames Werk aussinnend für uns.
Kommt zu Ratli denn, kommt, ihr alle.
Eilet hierher, eilet liicrher!
IL il
162 r)i<^ griechische Komödie.
Torotoro, torotoro, torotiiix!
Kikkabau, kikkabau!
Torotoro, toroto, lilüinx!
Lässt sich etwas Keizendeves denken? Die goldene Phantasie !
Der innige Natursinn! Das Vogelwesen- Verständniss ! Das liebe-
voll in Gottes Creaturen versenkte und ihre Sprache verstehende
Dichtergemüth ! Ein Vogelweiser Salomo mit Papageno's Lock-
pfeife und Glockenspiel, der sein Weibchen herbeilockt, sehnsüch-
tig zärtlich, nachtigallenbräutlich, epithalamisch-minniglich , liebe-
selig-entlmsiastisch. Im Sommernachtstramn regi das Mondelfen-
Waldzauberweben, der duftig-holde Menschen-Feengeisterspuk, so
arabeskenhaft träumerisch in einander geschlungen und als lieb-
lichstes Naturzauberspiel gauklerisch vergeistigt, — regt Shak-
speare's volksromantische Märclienwundeiivelt die Seele nicht reizen-
der an, poetisch sinniger, ueckisch-anmuthiger, als diese tageslichte,
diese plastische Phantasie; als dieser realistisch-helle, staatsalle-
gorische Zeitspuk, und doch ist für den Griechen dieses allge-
mein Poetische nur Zierrath, nur Känderguirlande und Blätter-
schmuck, nicht Kern, Stamm und Wurzel, nicht Hauptzweck, wozu
die Aesthetik des Opium-Dusels das Poetische entleiben und ent-
weltlichen möchte; in Uebereinstimmung mit der Alfanzerei mo-
derner Nebeldichter, die ihr poetisches Genie in dem Maasse für
hochbedeutsam und Alles übarflügelnd erachten, als es sich baar
an wirklichem Lebensgehalt und Lebenswahrheit bekundet; als
es in den Idauen Dunst der absolut poetischen Tendenzlosigkeit
sich verflüchtigt. Gerade so, wie wenn man den Eauch. womit man
den betäubten Bienen den Honig abnebelt, schon für diesen sel-
iger nehmen wollte; oder wie wenn der Ertrag eines Bergwerks
na eil den Schwaden geschätzt würde, die sich aus einer Erdgrube
entwickeln. Sothane Nibel-Nebeldramatik wäre die einzige Pythia,
deren Weissagungen in den Dämpfen beständen, so ihren Sitz
bestreichen.
Die Parodos der Vögel kaim nicht genug bewundert werden
CJOoff.):
Eucliüdes. Hui 111, huhu! Was Vögel liier!
Huhu, huhu! Was Amseln hier!
Wie mit Piepen, wie mit Schnattern Alles durcheinander
rinnt !
Die Vöt;-el. Die Parudos. 163
Schueeflockendicht ; ein Flattevsturm , und als solcher auch auf
das Meuscheupaar losstürzend mit Schnabel und Krallen. Die
beiden Genossen beschilden und bewaffnen sich mit Topf und
Bratspiess.
Chor. HoUaholi! Rückt an! den Schnabel senket ein!
Zerre, raufe, stosse, kratze ! . . .
Wiedehopf wirft sich den Angreifern entgegen, deckt mit seiner
mausernden Brust seine „Stammgenossen", „die Verwandten seines
Weibes", und erbittet für sie Gehör. Es wird bewilligt. Peisthe-
täros lässt sich üifede schwören, dass er mit unausgehackten
Augen sprechen kann, und eiTegt gleich mit dem ersten Kraft-
wort: „Die Vögel sind von Haus aus Könige", die grösste Sen-
sation (469):
Und älter ja seyd ihr, früher gezeugt, als Kronos sammt den Titanen.
Rühmten sich die Attiker als Autochthonen, Heimathentsprossene ;
so sind die Vögel Urwesen, älter als die Erde selber, die mit dem
üranos (Himmel; Götter und Menschen zeugte. Die Belege zu
seiner Vogelmythe nimmt Peisthetäros aus den glaubwürdigsten
Urkunden: aus Aesop's Fabeln; aus der Schöpfungsgeschichte der
Lerche, die, wie in Aesop geschrieben steht, ihren Vater im eige-
nen Kopfe begi'ub. Einen zweiten, unverwerflichen Beweis liefert
ihm der aus Persien stammende Haushahn, der „vor Allen ge-
bot in dem persischen Reich" (486 ff.):
Drum schreitet er noch heute daher, wie der mächtige König von Persis.
Hier schlägt schon, wie die Flamme zum Schornstein, die persische
Oberherrschafts- Marotte aus dem Chimären-Püstericli, dem Pei-
sthetäros, heraus. In den Anapästen sieht man zackig hoclirotli
den Kronenkamm des Perser-Hahnes schwellen:
Und trägt auf dem Haupte von den Vögeln allein stets aufrecht seine Tiara
bekräftigt Euelpides. Der allerzwingendste Beweis, der Königs-
ßeweis, so zu sagen, für der Vögel Öberherrschaftsrecht ist das
Machtsymbol auf dem Königs-Scepter: ein Vogel. Und ist nicht,
schalten wir ein, ist jener Chimären- Vogel, Vogel Greif, von Aeschy-
los „Rosshahn" genannt, ist er nicht persisches Reichs- Symbol?
Und wird hier nicht unser Eingangs -Hinweis auf den persischen
II*
154 I^is griechische Komödie.
Hahnentritt gereclitfeiiigt, der dem jungen Ei der hellenischen
Freiheit den Oberhoheits-und Herrsehaftskeim eingetreten, woraus
diese ganze Yogelhecke von abenteuerlicher Schmndel-Politik her-
vor kroch? Peisthetäros beruft sich noch auf andere vogelherr-
schaftliche Machtembleme: Trägt Zeus nicht, fi'agt er, den geflü-
gelten Aar auf dem Haupte? Athenäa die Eule, Apollon den Ha-
bicht? Peisthetäros' „geflügelte Worte" schiessen den Vogel ab;
sie machen seinem Namen Ehre. Als er gar das Knechtesloos
der gejagten, mit Leimruthen, Dohnen, Sprenkeln, Fangschlingen,
Stellgarnen, Fallen und Netzen verfolgten, geängstigteu, einge-
fangenen, dann schockweise zu Markte gebrachten, hierauf ge-
rupften und schliesslich an den Spiess gesteckten und jämmerlich
gebratenen Vögel beweint und bejammert und, o Schmach, o
Gräuel, damit nicht genug (532 ff".):
Nein, Essig und Oel noch mengen sie bei
Und Käs' und Gewtirzlauch, rühren zugleich
Aus Honig und Fett noch ein andres Gebräu
Und giessen es dann euch über den Leib
Heisskochend herab,
Als wäret ihr Mumienäser ...
— da fliegt dem Gesammtvolk der Vögel die brennende Scham-
röthe in die Wangen, und ein Schaudermurmeln durchzittert jede
Vogelbrust. „Und, wie im Meere WelF auf Well', so läuft's von
Mund zu Munde schnell", und dumpfgrollend ächzt der Chor:
0 wie bang, o wie bang und betrübend kUngt das Wort,
Das du gebracht hast, Mensch! Ich beweine die Schuld,
Unserer Väter Feigheit,
Dass sie solchen Glanz, von den Ahnen ererbt.
Lassen an uns erbleichen — — —
Du bringst Eettung!
Chorführer. Auf, sage jetzt: Was müssen wir thun?
Nicht lohnt es der Mühe zu leben.
Wenn nicht die verlorene Herrschaft uns, wie's geh'n mag,
wieder zu Theil wü-d.
Peisthetäros. Ich rathe zuerst: ihr Vögel erbaut zur Behausung eine
(jicsammtstadt,
Dann müsst ihr die neblige Luft ringsher und alle den
Raum in der Mitten
Mit Mauern umziehn, wie Babylon einst, aus riesigen
Quadern von Backstein.
Die Vogel. Der Chor. 165
Wiedehopf schlägt die Flügel üher dem Kopf zusammen über das
„gi'ausige Wunder von Stadtbau":
Peisthetär OS. Tliliniil fertig das Werk iu ilie Luft sich empor, dann
fordert dem Zeus die Gewalt ab . . .
Macht er Mäuschen, „kündigt den heiligen Krieg iliin an." Ver-
legt ihm den Pass, wenn er durch euer Gebiet sich zu den Mägd-
lein und Weiblein der Menschen schleichen will; ihm und seinen
Olympischen Spiessgesellen. Ein anderer Vogel, als Herold, for-
dere das Menschengesclilecht auf, fortan den Vögeln, „da sie Kö-
nige nunmehr seyen", zuerst zu opfern, und dann erst den Göttern.
Widrigenfalls würde ein Spatzengevölk iln-e Saaten zerfressen;
Krähenschaaren dem ackernden Vieh die Augen auspicken und
den Schafen der Trift. Doch leisten Gehorsam die Menschen,
„sollen die knospenden ßlütheu des Weins nicht mehr Heuschrecken
zerfressen." Ein Trupp Thurmfalken und Käuze genügt, um die
Heuschrecken in die Pfanne zu hauen ; ein einziger Zug Krammts-
vögel, um unter den Wespen und Fliegen aufzuräumen, die „sich
stets naschhaft an den Feigen ergehen."
Nun sind die beiden Athener vogelwürdig befunden. Wiede-
hopf ladet sie in sein buschiges Haus ; ruft sein Weibchen Prokne,
die Nachtigall, herbei, um ihr die Gäste vorzustellen. Sie er-
scheint in Gestalt einer schön geputzten Flötenspielerin mit einem
Schnahel von zwei Bratspiesschen. Peisthetäros ist ganz entzückt ;
Euelpides will sie küssen. Die Beiden treten mit Wiedehopf in's
Gebüsch, um dort ihre Vogelverwandlung vorzunehmen. Chor
und Nachtigall bleiben zurück. Eine der schönsten Parabasen
des Aristophanes erschallt, [)egleitet von Nachtigallenflötenklang
r676ff.):
Chor. Trauteste, Blonde, du.
Mein trautestes Vögelchen,
Unsres Hymen Geleiterin,
Nachtigall, o Gespielin !
Kommst du, kommst, erscheinst du.
Biingst anmuthigc Lieder uns ?
Die von liehlicher Flöte du
Süsse Lenzuielodien tönst,
Auf, stimm' an Ana])äste!
Dem Liede gleich, das jene geflügelten Sirenen bei Pindar von
1 66 Die griechische Komödie.
den Zinnen des Tempels hernieder singen, tönen diese schwung-
voll liehren, ätherisch hochgemuthen, von der allüberschwebenden
Höhe des luftigsten Weltherrschafts- Vogelbewusstseyns erschallen-
den Anapästen:
Chorführer (an den Zuschauer).
Auf, die ihr im Finstern blind hinlebt, ihr Sterblichen,
Blättern vergleichbar,
Unmächtige Brut , Bildwerke von Lehm , kraftlos gleich
wankenden Schatten,
Ihr Eintagsfliegen, zum Fluge zu schwach, traumähnliche
Söhne des Jammers,
Leiht uns unsterblichen Wesen Gehör, uns Ewigen ewi-
ger Dauer . . .
Er entrollt eine Theogonie der Vögel von majestätischer Pracht:
„Nur Chaos und Nacht und Erebos war und des Tartaros Oeden
im Anfang." „Die Nacht mit den dunkeln Sclnvingen" gebiert,
als Urvogel gleichsam, das vom geflügelten Winde befruchtete
Urei, „aus dem der verlangende Eros hervorspross, am Kücken von
zwei Goldschwingen umgiänzt", der lose Vogel-Erstgeborene der
Schöpfung:
Und Er, dem geflügelten Chaos gesellt in des Tartaros nächtliche Tiefe,
Heckt' aus im Neste der Vögel Geschlecht, und riefs an die Helle des
Tages . . .
Er mahnt in den Zuschauern die ganze Menschheit auf, dem Göt-
tergeschlechte der Vögel zu huldigen. Dem Pnigos folgt der
herrliche Strophengesang (737 ff.):
Chor. Muse des Haines, —
Tiotio, tiotio, tiotinx, —
Tönereiche, mit der ich oft
Auf Waldeshöhen und in Thaiesschluchten, —
Tiotio, tiotio, tiotinx, —
Aus schmetternder Kehl' ausströmte des Lieds
Heilige Weisen dem Pan und geweihte
Chöre der bergdurchschwärm enden Mutter, — ')
Torototo, torototo, torotinx, -
Dass von dorther, wie die Biene,
Phrynichos liebliche Frucht der unsterblichen Lieder ich
pflückte,
1) Kybele.
Die Vögel, Der Vogelstaiidpuiikt. 167
Allzeit verhauchend süssen Wohllaut,
Tiotio, tiotio, tiotinx!
Das EpiiThema, womit der Clioifiihrer sich nun mecler an den
Zuschauer wendet, verkündet eine Vögel-Moral von dem verwun-
derlichsten Bekenntniss. Es wirft ein breites Blendlicht, wie einen
jähen Blitz, über die verborgene, in dieser Komödie sich gleich-
sam hinter Wolken verheimlichende Absiclit des Dichters:
Wünscht von euch Jemand, ihr Hörer, mit den Vögeln fürderhin
Frohe Tage hinzuspinnen, komme der zu uns herein!
Denn was hier bei euch zu Lande das Gesetz als Frevel straft.
Alles das ist unter uns dort, bei den Vögeln, wohlgethan.
Den Vater schlagen und ähnliche schöne Exercitieu sind bei den
Vögeln rühmlich. Aus der Vogelperspective der Staatsgaukler,
Seil Windelpolitiker und sonstiger hoch über den Gesetzen der Erde
schwebender Luftspriuger erbhckt man die gemeine Sittenlehre
auf den Kopf gestellt, wie den Märchem'omantikern die prosaische
hausbackene Moral verkehrt erscheint im Vexirspiegel der Ironie;
wie die Schwindelästhetiker für eine Poesie schwärmen, die Alles
seyn darf, nur ura's Himmels willen nicht moralisch und nicht po-
litisch. Darauf stimmt die Gegenstrophe das tiotio, tiotio, tiotinx !
wieder an und singt von den Schwäneliedern, denen die Tliiere
des Waldes lauschten (770 ff.):
Heiter und windlos senken die Wogen:
Totototo, totototo, tototinx! —
Eings der Himmel hallte wieder,
Staunen ertasste die Herrscher, olympische ('hariten stimmten,
Die Musen stimmten ein zum Jubel : —
Tiotio, tiotio, tiotinx! —
0 des schönen, des angenehmen GöttervoiTechts, beflügelt zu seyn,
ruft, die Parabase beschliessend, das AntepiiThema den Zuschauern
hinab von seinem Vogelstandpunkt, und erprobt auch die Vor-
theile an einzelnen Fällen und einzelnen Schachern im Tlieater
auf gut antepirrhematisch; wenn auch nicht in der ganzen Fülle
der „jambischen Idee", wie in frühern Komödien, und obgleich
gedämpft mit der Sordine von S}Takosios' Theater - Gesetz gegen
das namhaft machende Verspotten {ovofxaoTl y.co/.io)d6lv). Aus
solchem Lulldruck des Tages und der politischen Atmosphäre mag
168 Die griechische Komödie.
SO manclies Rücklialtige in dieser Komödie, das nur allgemein
und schwebend Angedeutete zai erklären seyn, worin aber unsere
Kmistphilosoplien von der romantischen Schwebel-Aesthetik gerade
die sublime, beziehungslose, allgemeinweltliche Seifenblasen-Poesie
lobpreisen und bewundern. Vielleicht liess auch jener Druck der
politischen Tagesatmosphäre den Peisthetäros , im Alkibiades-Alter
von 28 Jahren, grau vor der Zeit werden, so dass ihn der Dich-
ter in eine Greisenmaske zu stecken für gerathen fand. Wir
dürfen noch weiter gehen, und aus der berühi-ten Zeitlage den
eigenthümlichen , von den andern politischen Komödien des Ari-
stophanes abweichenden Charakter uns erklären.
Wie auffallend unterscheidet sich auch die in allen ihren
Gliedern vollständige Vögel-Parabase von allen andern Parabasen
des Aristophanes ; und in einem wesentlichen Punkte! Welcher
Punlvt ist diess? Unseres Bedünkens dieser: Die Vögel sind die
einzige Komödie, wo der Dichter dem Gegentheil von seiner Her-
zensmeinung scheinbar gewonnen Spiel giebt, sein eigentliches
Thema scheinbar aus den Augen verliert, mid die gi'össte Ver-
kehrtheit am Schlüsse mit der vollen Erreichung ihres aberwitzigen
Zweckes ki'önt. Sie ist die einzige seiner Komödien, die in eine
ironische Spitze ausläuft und mit einem negativen Eesultat ab-
schliesst. Daher auch die einzige, wo der Dichter nicht zu
Worte kommt, selbst in der Parabase nicht, worin er doch sonst
immer unverschleiert hervortritt, sein eigener Dens ex machina.
Hier aber dreht die Parabase dem Dichter das Wort im Munde
um, und verherrlicht, statt seiner, das Widerspiel zu seiner Grund-
absicht, seiner Zweckidee. Das Alles natürlich zur Freude mid
Womie unserer Kunstlehre, unsrer dramaturgischen Schulweisheit,
unserer mit Polizei und Theater-Censur so seelenveiivandten und
verbündeten Staats -Aesthetik. Aber wie diese Weisheit, diese
Kunstlehre und unsere ganze ihr nachbuhlende Poesie, insonders
dramatische Poesie, eine negative ist, gegenüber der antiken,
substantiell positiven: so sclieint uns die Komödie der Vögel, in
Rücksiclit auf ihre negative Idee, mithin auch negative Komik,
an poetisch positivem Grundgehalt, im Vergleich zu solchen, wie
die Acharner, Wolken, Wespen, Frösche, die geringere; weim sie
schon an lyrischem Reiz, Pliantasiezauber und Duftigkeit, an allen
formellen Vorzügen des poetischen Genies, ihre Schwestern über-
Die Vögel. Kukukswolkenheim. 169
glänzen mag. Im Scliätzungssinne attischer Kunstrichter erhielt
sie ihr zugewogeu Theil. Sie konnte, abgesehen von Partei-Ein-
wirkungen, nach der Weiiihbestimmung dieser Kampfrichter nur
den zweiten Pi'eis davontragen, um so wichtiger erscheint es,
trotz alledem, den liimmelliohen Unterschied zwischen dem Ver-
hältniss der Poeten-Gesinnung zu seinem Gedichte in Aristo-
phanes' Vögel-Komödie und dem in einem sogenannten „Kunst-
werk" aus der romantischen Schule hervorzuheben. Unerwogen
die einzelnen sonnenklaren, durch ihr- blosses Aussprechen sich
selber richtenden Vögel-Principien, wie z. B. die im Antepirrhema:
ist das ganze Thun und Treiben von so chimärenhaftem Abermtz,
dass, bei aller Nichtinterventiou des Dichters, über dessen eigent-
liche Absicht kein Zweifel aufkommen kann. Allein auch so bleibt
als Kesultat eine blosse ironische Negation zurück, womit kein
vollkommenes Gedicht abschliessen darf.
Erwähnens- und bedenkenswerth für die Epigonen muss das
ästhetische Urtheil unserer Kunstrichter erscheinen, die, wie ge-
sagt, gerade aus jener, durch die Ungunst der politischen Ver-
hältnisse, durch den Drack auf die poetische Freiheit des Genies
verschuldeten Abschwächung und Bemäntelung des Grundgedan-
kens das poetische Verdienst dieser Komödie ableiten. Zuvörderst
müssen wir aber unsere Komödie unter die Haube bringen. Das
Nächste ist nun: der noch nicht existirenden Wolkenstadt einen
grossen Namen zu geben. Kukukswolkenheim {Xecpelo/.oy.xvyla)
findet allgemeine Zustimmung. Als Schutzgottheit der Stadt aus
der Luft wird die Schutzgöttin Atliens, Athena, vorgeschlagen, abge-
lehnt, und der Persische Haus bahn beliebt. Zum Baumeister
wird Euelpides l)estellt. Die unvermeidliche Opferscene bleibt nicht
aus. Der Opferduft lockt allerlei ungebetene Gäste herbei. Ein
hungeriger Poet, ein Waln-sager mit einem grossen Orakell)uch
werden, aber nicht nach ihrem Gaumen, abgespeist: jeiier mit
einem Bettelbrocken, dieser mit Schlägen. Nicht besser ergeht
es dem berühmten Mathematiker und Astronomen Meton, der den
Attikern einen neuen Kalender lieferte. Trotz Kalender macht
ihm Peisthetäros mit der Peitsche Beine. Dieser Meton, wohlge-
merkt! war mit Sokrates einer von den Wenigen, welche den
Sikelischen Feldzug wderriethcn. Zöllner, Händh^r mit Gesetzen,
die neue Stadt witternd, wollen auch ihren Senf dazu geben; die
170 I^i^ griechische Komödie.
Peitsche lässt sie den ihrigen kosten. Nichtathenern muss diese
Opferscene ganz so langweilig vorkommen, wie die in den andern
Komödien. Den Act schliesst eine zweite, unvollständige Para-
base, worin ein Anathem über alle Vogelsteller, Verkäufer und
Brater ausgesprochen ^vird, und das Epirrhema, das, „des Preises
wegen", den Richtern gespickte Beutel voll Eulen -Münzen von
Silber, aus dem Sill)erbergwerke Laurion in Attika, wünscht, nota
bene, „wenn ihr Spruch für uns ist."
Nach der zweiten Parabase ist der Mauerbau fix und fertig.
„Das schönste Werk von wunderbarer Pracht", meldet der Bote.
Und Alles haben die Vögel „eigenliändig" {avToxsiQsg) zu Stande
gebracht (11 35 ff.):
Bote. — — — — Staunend sah ich zu.
Aus Libya kamen dreissigtausend Kraniche,
In ihren Kröpfen Gruudgestein zum Unterbau.
Das hieben dann die Schnärze mit den Sclrnäbehi zu.
Zehntausend Störche schleppten drauf die Ziegel her,
Und Wasser trugen in die Luft von unten auf
Die Taucher und die Vögel aller Art . . .
Ein Wächter eilt athemlos herbei, eine Sclu-eckenspost meldend:
„Der Götter Einer flog durch ein Stadtthor eben in der Luft
herein." Peisthetäros , zornsprühend über diese unerhörte Frech-
heit, ruft zu den Waffen. Der Chor schaart sich kampfbereit.
Iris erscheint in geflügelter Mädchengestalt mit ßeisehut und
Schleier: Peisthetäros ruft empor: „Du diin, wo fliegst du hin?
stillgehalten! .... Fliegt nicht gleich ein Taubenstösser auf, um
diese da zu greifen?" — „Mich greifen?" fragt Iris, „das ist ja
völlig ungereimt!" — „Durch welches Thor", schnaubt Peisthetäros,
Verruchte Dinie kamst du her in unsre Stadt? . . .
Was suchst du, wo schiffst du hinV" . . .
Sie komme, die Menschen aufzufordern, dass sie den Göttern Opfer
bringen. Götter? Schnacken! „Was für Götter?" Die Vögel sind
jetzt Götter bei den Sterblichen! Iris droht mit Zeus' grobem Ge-
schütz. Peistlietäros l-aclit ihr in's Gesicht. „Wisse", spricht er,
„wcim mich euer Gott noch weiter scliiert, dass seine Wohnung
ich mit gluthl)ewchrten Adlern einäschere!" Willst du machen,
dass du fortkommst? „Husch hinweg in Kreuz und Quer!" Iris
im Davonfliegen:
Die Vögel unter den Zuschauern. 171
Mein Vater Zeus Avii-d deine Frechheit händigen.
Gleich darauf kommt der an die Mensclien abgeschickte Vogel-
Herold mit froher Botschaft hergeraiint, einen goldnen Kranz dem
„seligen, allweisesten, klügsten und feingcschliftensten" überrei-
chend, mit dem ihn, „ob seiner Weisheit, kränzt und feiert alles
Volk in aller Welt", ilm den Gründer dieser „hochberühmten
Aetherstadt". Das ganze Menschengesclilecht schwört jetzt bei
Peisthetäros. Ehedem „lakonisirten Alle, Nun vogelisiren Alle",
und ahmen in allen Stücken die Vögel nach. Einzelne Vögel
werden von Peisthetäros aus den Zuschauern herausgegriffen, ge-
rupft, und an den ausgerissenen Federn wird ihre Vogelart er-
kannt. Ein Modevogel meldet sich schon: „Ein ungerathener
Sohn"; im Text ein Vatermörder {/ia%Qaloiag\ den „nach den
Vogelsatzungen verlangt", laut welchen es „für wacker gilt, den
Vater würgen und beissen". Diesen Rabensohn nimmt Peisthe-
täros mit Freuden auf, „als unsern Freund", und befittigt und be-
helmt und bespornt ihn. Ungemein lustig ist die folgende Sceue,
die den kyklischen Dithj^ambiker Kinesias vorführt, den Peisthe-
täros als „Mann von Lindenholz" begi'üsst. Er war nämlich so
lang, hager und säbelbeinig, dass er sich, um nicht zusammen
zu knicken, Brust und Rücken mit Lindenbrettern umband. Er
kommt, „aus den Wolken, sicli neue Melodien holen, luftumwogte,
schneeumstöbert". Während dem Aufstutzen zum Vogel drillt
Peistlietäros den immer darauf los ditliyrambisirenden in Linden-
brettern eingebundenen Lyriker um den Absatz herum, dass ihm
Hören und Sehen vergeht. Schliesslich lernt noch ein Syko-
phant den höheren Flügelschlag kennen.
Eine der glänzend komischsten Incidenzen dieser Komödie
ist die Einführung des Prometheus. Als titanischer Hasenfuss
kommt er, aus Furclit vor Zeus, tief vermummt, herangeschliclien.
Aengstlich winkt er Peisthetäros an: „Siehst du nicht da liinter
mir der Götter Einen schleichen?" Peisthetäros sieht nichts.
Prometheus, immer bänger sicli in seine Vermumnumg verkrie-
chend, fragt, wie spät es seyn mag? und graulend hohl: „Was
für Wetter?" Peisthetäros findet den Mumelpopanz unangenehm
{oXfx iog ßdeXvzTOfxai 0€) (1501 ff.j:
Prometheus. Nun so zeig' ich mich enthüllt,
(er enthüllt sich.)
172 Die griechische Komödie.
Peisthetäros (ihn erkennend).
Mein Freund, Prometheus !
Prometheus. Sachte, sachte, schreie nicht!
Peisthetäros. Was hast du?
Prometheus. Still doch, nenne meinen Namen nicht!
Ich hin des Todes, wenn mich Zeus liier unten sieht.
Doch dass ich dir berichte, wie's da droben steht,
So fasse diesen Sonnenschirm und halte mir
Ihn über's Haupt , dass mich die Götter nicht erspäh'n !
Peisthetäros. Heida! Heida!
Das hast du sinnreich, acht promethisch vorbedacht!
Nun ducke schnell hier unter und dann sprich getrost!
Prometheus. Zeus ist dahin
Peisthetäros. Wie? Zeus dahin? Seit wann dahin? . . .
Ausgehungert sammt allen Göttern durch Peisthetäros' Opfer-
duft-Sperre mittelst der Wolkenstadt! Die Barbarengötter, die
ihr Opferfleiscli nicht verzehren können in offener Empörung! Er,
Prometheus, als alter anerkannter Menschenfreund und Götterfeind
konnte nicht umhin, einem Collegen, wie Peisthetäros, über den
Stand der Angelegenheiten ein Licht aufzustecken, wie diess sein
Geschäft mit sich bringt, und ihm in aller EUe einen heimlichen
Wink zu geben, betreffs der Gesandtschaft, welche Zeus und die
Barbarengötter, die Triballer (illyrische Götzen), an Peisthetäros,
wegen Abschliessung eines Bündnisses, abgeordnet, und die schon
unterwegs. „Schliesst mit ihnen keinen Bund, bevor Zeus euch,
den Vögeln, wiederum den Herrscherstab abtritt und die Basileia
zur Gemahlin giebt" (1537 ff.):
Peisthetäros. Wer ist die Basileia?
Prometheus. Gar ein schönes Weib,
Die künstlich töpfert Zeus' gewaltigen DonnerkeU,
Und mächtig alles Andre schirmt, den weisen Rath,
Das weise Gesetz, die Avackere Zucht, den Flottenbau,
Die losen Mäuler, Richtesold, Rentmeisterei.
Peisthetäros. Ihm führt sie denn die ganze Wirthschaft?
Prometheus. Mein' ich doch
Sobald du sie von ihm bekommst, ist Alles dein . . .
Und nun Ade! Ich muss machen, dass ich fortkomme. Schnell
„Den Schirm!" Dass mich Zeus von oben nicht gewahr wird...
Kine wunderwürdige Parodie und zugleich der Schlüssel zur
Komödie. Mit der Basileia, der Weltherrschaft, entreisst der
Die Vögel. Die Friedensconferenz. I73
Abenteurer und Beschwatzer des leichtgläubigen Vögelvolkes den
Herrscherstab dem Zeus gegen Opferdampf und Kauch. Ist das
nicht die Philosophie der Geschichte aller HeiTschaftsgTündung
auf Täuschung der Massen und priesterliches OpfervoiTecht? Sturz
der. blinden Machtherrschaft, als Naturgewalt, und Gründung der
Herrschaft auf Vernunft, Gesetz und Freiheit, dieser innerste Ge-
danke der Aeschylischen Prometheus-Mythe, konnte er tiefer par-
odirt werden, als zur Komödie der HeiTSchafts- Nichtigkeit und
Chimäre; zur Komödie eines in der Luft schwebenden Vögel-
staats? Dass der mythische L'rvertreter der auf Rechtserkeuntniss
und Geistesbefreiung basirten Vernunftherrschaft in der Parodie
die Mittelsperson, den Gelegenheitsmacher abgiebt; dass der Tita-
nische Urdemokrat, Prometheus, hier d.en Kuppler spielt zwischen
der chimärischen Königsherrschaft, der Basileia, und dem politi-
schen Schwindelgeist: eine solche Komödirung scheint selbst die
Vermählmig gleichsam des gTÖssten komischen Dichtergeistes mit
der tiefsten Erkenntniss des Staatswesens zu feiern. Aristopha-
nes' Vögel sind die Kehrseite von Aeschylos' Prometheus und
ihre Gegenprobe. Nur diess glauben wir nicht, dass die von
den Verhältnissen gebotene Verschleierung der Idee den Kunst-
werth der Komödie erhöhe. Wir sind vielmehr der Ansicht, dass
eine Durchfühnmg dieser Idee im grossen unverhüllten Styl der
demokratischen Komödie, im plastischen Titanenstyl der Wolken,
der Acharher, der Ritter, im Prometheus -Style mit einem Wort,
uns eine bei weitem mächtigere und grossartigere Vögel-Komödie
aufgerollt hätte.
Nun folgt die Gesandten-Scene. Poseidon, Herakles nud
ein illyrischer Barbarengott, Triballos, ersclieinen, um das
Friedensbündniss mit Peisthetäros abzuschliessen. Dieser macht
sich sclilau mit Zubereitung einer leckern Schüssel etlicher, we-
gen Aufruhrs, durch die Vögelbürgerschaft zum Gebratenwerden
verurtheilter Vögel in der Küche zu schaffen. Herakles schnüffelt
ßratengeruch. Dieser Umstand übt bedeutenden Kinfluss auf die
Friedensverhandlung. Unterm Zubereiten stellt Peisthetäros seine
Bedingung: Die Uebergabe des Herrscherstfibes. „Wenn wir uns
vereinigen auf diess, ihr Boten, lad' ich euch zum Essen ein."
Der Held -Schmarotzer, der Fresser -Halbgott, der Urtypus aller
Parasiten: Herakles, ruft sogleich entschlossen (1603):
[71 Die grieohisclie Komödie.
Nun mir genügt das völlig, und ich stimme zu.
Triballos pflichtet ihm in seinem Kaudei*welsch bei ; Poseidon fügt
sich der Stimmenmehrheit. Jetzt rückt Peisthetäros mit der zwei-
ten Bedingung heraus: „Jungfer Basileia". Davon will Poseidon
durchaus nichts wissen. Der Meergott macht kehrt. Peisthetäros
ruft dem Koch zu: „Die Bratenbrühe süss gemacht!" Herakles
hält Poseidon am Zipfel zurück. Peisthetäros raunt dem He-
rakles heimlich zu: Wenn er's mit ihm hält, tischt er ihm den
feinsten Leckerbissen, „Hühnermilch" auf {oqvi^cov yaka, lait
de poule) 1672 ff.:
Herakles. Mii- scheint gerecht auch deine zweite Forderung ^
Der Dirne wegen: meinethalben sey sie dein.
Poseidon protestirt feierlich. Triballos hält zu Herakles und den
gebratenen Vögeln. Bald geht indess Poseidon von dem activen
Widerstand in den passiven über. „Wenn's euch genehm ist, bin
ich still dazu". Der Erderschütterer ist im Grunde friedfertiger
Natur und verläugnet auch hier nicht die nachgiebige Gemüthsart
des alten Okeanos in Aeschylos' gefesseltem Prometheus. Jetzt
geht Peisthetäros mit Poseidon und Triballos sich die Basileia zu
holen. Herakles bleibt bei den Krammetsvögeln. Mittlerweile
spielt noch der Chor, in einer nachzüglerischen, epin-hematisch
gehaltenen Strophe im Parabelstyl, auf „Znngenbäuchler" an
{hyykomoyaütoQiov yemg), Leute, die durch feile Schönrednerei,
wie die Sophisten Gorgias und Philippios, durch die Zunge also,
die Bäuche mästen. Eine ähnliche Zwischenspiel- Strophe hatte
der Chor, nach Abgang des Prometheus, orchestisch parabelt ge-
gen Sokrates (1553 ff.):
Ferne bei den Schattenfüsslern
Liegt ein See, wo Sokrates
Wühlt im Schmutz und Seelen hascht . . .
Nach zehn Jahren also, seit den Wolken, hat Aristophanes, in
Bezug aul' Sokrates, keine günstigere Meinung gefasst.
Der Schluss stellt den festlichen Einzug des Peisthetäros mit
seiner Basileia dar, unter Jubelbrautliedern des Chors. Pei-
sthetäros tanzt mit Braut Basileia den Kehraus. Der Chor tanzt
sina'end nacli:
Die Vöufol und ihre Erklärer. 175
Tralalla, Heil dem Sieger, Heil
Dir dem Götterkönige !
oder wie Droysen übersetzt:
Tralleri! Trallera! TraUerei! Juchhei!
Hurrah, Heil dir im Siegerkranz !
Höchster du der Himmlischen!
Bezüglich der zeitgeschichtlichen Tendenz unserer Komödie
haben sich nun zwei entgegengesetzte Ansichten in der deutschen
Kunstkritik hervorgethan. Süvern war der erste, der die historischen
Andeutungen in den alten Argumenten zu den Vögeln in einem
lesenswerthen Aufsatz ') zu einer Durchführung der Ansicht ent-
wickelte: dass Aristophanes' Vögel eine durchgängige Allegorie
auf die sikelische Kriegsunternehraung und auf Alkibiades be-
zwecke. Peisthetäros sey kein anderer als Alkibiades mit einer
Schattirung vom sophistischen Schönredner Gorgias. Die Vögel
bedeuten die Athener; die Götter die Spartaner; die Menschen
die übrigen kleinen griechischen Staaten. Der Bau der Wolken-
stadt verbildliche das sikeUsche Seeunternehmen; die Mauer den
Schiffscordon , durch welchen die Spartaner eingeschlossen und
von ihren Bundesgenossen abgesperrt werden sollten. Die Ver-
mählung mit der Basileia ziele auf die Tyrannis des Alkibiades.
Süvern's allegorisirende Hermeneutik dringt, wie die Ausspritzungs-
niasse eines anatomischen Präparats, bis in's feinste Geäder. Unter
dem Bilde der Iris wird ein durch den Schiffscordon durchge-
schlüpftes schnellfahrendes Botenschiff der eingeschlossiuien Pelo-
ponnesier vorgestellt, welches die kleinern Bundesstaaten antreiben
soll, die stockenden Abgaben zu entrichten. Beim Bau der Mauer
könne nur von eiiiem Seeunternehmen die Bede seyn; darauf
deuten die bei der Arbeit beschäftig-ten Sumpf- und Wasservögel.
Epops sey der Feldlierr Lamachos, wie er leibt und lebt; zum
Beweis: die Schopfhaube des Wiedehopfs, die sich auf den grossen
Hehnbusch dieses Feldherrn bezielit u. s. w. Aeusserst sinnreich
ausgetüpfelt! Aber in der Weise mag ein Mustermaler arbeiten;
eine Buntstickerin nach der Patrone Stich für Stich die Figuren
übertragen: die freischöpferische Kunstphantasie gestaltet nach
1) Abhandl. d. histor. -pliilos. Klasse d. Akad. d. Wissensch. in Hcr-
ün 1S27.
176 Di^ griechische Komödie.
einem selbstentworfneu Plan und Griindriss, der immer ein grosser
Culturgedanke ist, und scharwerkt nicht im Dienste eng um-
schriebener Geschichts- Vorlagen. Ein Dichter, ein Komödiendich-
ter, ein Dichter wie Aristophanes vollends, copirt nicht mit ängst-
licher Hand die Thatsachen, die ihm die Geschichte vorzeichnet;
er stellt Ideen derselben dar. Er ist kein Mosaikstiftler, der nach
einem historischen Carton seine bunten Würfelchen nach Zoll
mid Linie aneinander fügt. Auch kein Vogel, der sein Nest aus
Klümpchen Koth, aufgepickten Federchen und Strohhälmchen zu-
sammenlöthet; oder, gleich dem Spechte, sich ein historisches Er-
eigniss als T od tenkopf aufsucht, worin er niste und briite. Das
historische Tagesfactmn, das einer Aristophanischen Komödie zum
Grunde liegt, ist stets ein Weltei, woraus eine Wuuderschöpfuug
der Phantasie hervorgeht, die den Inhalt und das AVesen der wirkli-
chen Tages- und Menschenwelt zur Erscheinung bringt, in ko-
misch - phantastischer Beleuchtung.
Eine der Ansicht Süvern's entgegengesetzte verficht Droysen ;
unseres Wissens zuerst in der bereits ei-wähnten Schrift. >) Die
vorangeschickte, von gelehiteu Citaten starrende Abhandlung über
den Hermenfi-evel steht mit der zweiten, über die Vögel, in gar kei-
nem kritischen Zusammenliang, da erstere, völlig ergebnisslos an und
für sich, diess auch in Bezug auf die Komödie bleibt. Die Schrift
macht sich ringsum niit historischen Citaten stachlig, um sicli
vor der Tatze der Kritik zu sichern, wie der Igel sich zusam-
mem-ollt vor der Tatze des Löwen. Eine flüchtige Anspielung
auf die Hermenangelegenheit kommt in den Vögehi nur einmal
vor. Der Zöllnev' {in loxonog) ruft dem ihn davonjagenden Pei-
sthetäros zu (1054):
Gedenkst du, wie du Hermes' Bild bei Nacht bek— V
Auf diesem Vers konnte der Verfasser der Hermokopiden allen-
falls fussen; zu Nutz und Frommen seiner Auffassung der Ko-
mödie jedoch durite er ihn füglich bei Seite lassen. HeiT Droysen
kehi-t Stivern's Spiess um (S. 78) . . . „Alles Factische und Per-
sönliche, gleichsam aufgelöst zu einem allgemeinen l^^indruck, zu
einer Stimmung, einem durchaus Innerlichen, und in dem
1) Des Aristophanes Vögel und die Hermokopiden. Bonn 1835.
Aristophanes und seine Yogeldeuter. |77
die Farben der Wirklichkeit zu Einem Lichtton verschwim-
men, das ist der Stofl", aus dem diese Komödie geworden ist,
und darum ist sie so vollkommene Poesie". Ja, die vollkommene
Poesie der Nebelromantiker, die wir schon keimen; aber Aristo-
phanische Komödien-Poesie eitel Stimmungs-Poesie? Ein durch-
aus Innerliches r* Innerliches ohne Aeusserliches ? — • d. h. der
Inhalt einer Seifenblase, aber ohne Iris, ohne Regenbogenspiegelung
solcher Kugel, wozu bekanntlich gar mancherlei Aeusserliches
gehört: ein Strolüialm, eine Nussschale, und in dieser Seifenwasser,
das aus Lauge, wie man weiss, und Fett besteht, in Wasser auf-
gelöst; kurz alle vier P]lemente beisammen in der Nussschale:
Erde, Wasser, Luft und Feuer. Ja, auch Feuer. Wie möchte die
Seifenblase sonst in so glänzenden Farben, in aller Pracht von
Iris' Farbenfeuer spielen? Eine schwebende Seifenblase, die ein
Hauch zerbläst, diese bedarf zu ihrer Augenblicks-Existenz aller
vier Elemente, Avoraus die Welt selber besteht ; aller vier Elemente,
die, so sagt der Dichter, „innig gesellt bilden das Leben und
bauen die Welt." — Wie? und eine Aristophanische Komödie
wäre dadurch „vollkommene Poesie", weil sie dreimal weniger
Realität aufweist, als eine Seifenblase? mit welcher die Komödie,
als ein „durchaus Innerliches", nur das Bischen leere Luft ge-
mein hätte? Und aucli diese nicht einmal: indem doch die Luft
das Innere der Seifenblase ausfüllt, während das blos Innere
ohne bestimmten Inhalt das leere Nichts ist, „in dem die Far-
ben der Wirklichkeit", nicht wie bei der Seifenkugel, wirkliche
Farben sind, sondern „zu einem Luftton verschwimmen", d. h.
zu Einem aschgi-auen Nichts von der verschwommensten Parben-
unwirklichkeit. Wenn das die vollkommene Poesie von Aristo-
phanes' Vögel- Komödie ist: welche Vollkommenheit mag nicht
erst „des Aristophanes Vögel und die Hermokopiden" , als histo-
risch-ästhetische Kunstkritik der Komödie, in Anspruch nehmen!
Und welche der historisch-kritische Kopf, der über diese Komödie
eine kunstphilosophische Ansicht entwickelt, von vierfach geringe-
rem Stoffgehalt, als den ein Tropfen Seifenwasser, in einer Nuss-
schale, mit Hülfe eines Strohhalms, einer Seifenblase liefeit!
„Auf ihrem höchsten Gipfel", sagt Goethe ')» „scheint die
1) W. 111, 101.
U. 12
178 ^^^ griechische Komödie.
Poesie ganz äusserlich; je mehr sie sich iu's Innere zurück-
zieht, ist sie auf dem Wege zu sinken." Herrn üroysen's durchaus
Innerliches würde Goethe unfehlbar in den untersten Höllenkreis
der gesunkensten Poesie, der Poesie des vollkommenen Nichts,
werfen. Dazu erklärt Herr Droysen selbst seine Idee von den
Vögeln, indem er uns weiter belelu-t: „dass das Vogelreich und
die Wolkenstadt und alles Wesen und Treiben da meder Athen
ist, versteht sich von selbst . . . nur dass es ein Traum -Athen
ist, und man träumend zu wachen meint, alles Bekannte,
traumhaft verzogen, an sich vorüber schwimmen sieht und
endlich am Scliluss, wenn man erwacht, sich die Augen reibt,
umherfühlt, endlich sich überzeugt, dass es nur ein Traum war,
ein seltsamer Traum!" Zettel im Sommernachtstraum, der
ganze Zettel, wie er aus seinem Traum erwacht ') • • • ? J^h habe
ein äusserst rares Gesicht gehabt. Ich hatte 'nen Traum — 's
geht über Menschenwitz zu sagen, was es für ein Traum war.
Der Mensch ist nur ein Esel, wenn er sich einfallen lässt, die-
sen Traum auszulegen. Mir war, als war' ich, und mir war, als
hätt' ich — aber der Mensch ist nur ein lumpiger Hans^vurst,
wenn er sich unterfängt, zu sagen, was es war, als hätt' ich;
des Menschen Auge hat's nicht gehört, des Menschen Ohr hat's
nicht gesehen, des Menschen Hand kann's nicht schmecken, seine
Zunge kann's nicht begreifen und sein Herz nicht wieder sagen,
was mein Traum war. — Ich will den Peter Squenz dazu krie-
gen, mir von diesem Traum eine Ballade zu schreiben, weil sie
so seltsam angezettelt ist" . . . Ist das nicht auf's Haar das Auf-
wachen aus dem Vögel -Traum, wie es Hen* Droysen schildert"?
Zwar ist Zettel's Traum zu keiner Ballade von Peter Squenz ver-
arbeitet worden; aber doch zu einer Zettel-träumerisch gestimm-
ten Kritik über Aristophanes' Vögel. Zettel's Traum — darauf
läuft alle durchaus innerliche Stimmungs-Poesie hinaus, der „voll-
kommenen Poesie", der verschwommenen Farbenfuselei der Herrn
Droysen und Genossen. Doch welches classisch volllötliige, poe-
tisch gesunde Verständniss der Komödien lässt sich von ihrem
Uebersetzer mid Kritiker erwarten, der vom Dichter dieser Ko-
mödien die oben sciion l)orührte Ansicht hegt und sie auszuspre-
1^ Act. IV. Sc. 2.
Aristophaiios iiiid oiii Paar sciiK-r kniiiisclisteii Vögel. 179
chen kein Bedenken trug? Wir Avollen nun die ganze Stelle
wiedergeben '): „Aristophanes hat die Bildung und die Ge-
sinnungslosigkeit seinerzeit im vollsten Maasse in sich auf-
genommen; so jung wie er noch ist, ohne ßespect und ohne
Wahrhaftigkeit, gleicht er selbst dem „Sprecher der Unge-
rechtigkeit", der durch die Kunst und den Reiz seiner Rede auch
das Unwahrste überzeugend darzustellen weiss". Noch mehr!
Herr Droysen erweitert seine Beliauptuug zu dem allgemeinen
Ausspruch: „dass mit der Aristophanischen Art des Spottes Ge-
sinnung nicht vereinbar sey." Ein poetischer Genius, ein
grosser Dichter, denn das ist Aristophanes auch für seinen
üebersetzer, kann, in den Augen des HeiTu Droysen, nebenbei
ein gesinnungsloser Lump sein, ein durchaus innerlicher lAmip.
Ein solches Samenkörnchen fällt nicht leicht in ein anregba-
res Jüngerohr, ohne Wurzel zu fassen. An den Lippen des
verehrten Lehrers hangend, was Wunder wenn der begalite Jüng-
ling sein Talent in dem Maasse Aristophanisch-genial auszubilden
glauben kann, als er es mit dem Salze der Gesinnungslosigkeit
zu düngen sich beeifert. Auch fliesst die Doctrin folgerecht aus
dem Princip der „durchaus innerlichen Stinnnungspoesie" , das
diese Schule aufstellt. Aus ihr geht eben die Sorte vollkomme-
ner Poesie gesinnungsloser Subjecte hervor, dergleichen am aller-
wenigsten die alte Komödie erzeugen konnte, deren Dichter
sämratlich politische Charaktere und Partei -Vorkämpfer waren,
bis zur persönlichen Gefährde. Aus Aristophanes' Leben ist uns
gerade nur jener einzige Zug einer unerschrockenen, charakter-
festen üeberzeugungstreue bekannt; kein einziger, der das Gegen-
theil bewiese, und seine Komödien sind die lautern Spiegel eines
heldenmütliigen patriotischen Geistes, einer ideal -sittlichen Le-
bensgesinnung, so gross und ehrwürdig, wie die des Aeschylos
und Sophokles.
Die Herabsetzung des grössten Komikers durch seinen üeber-
setzer stimmt übrigens trefflich zu der Ehrenrettung, für die
derselbe zu Gunsten von Aristophanes' politischem Gegner vom
Leder zieht-); zu Gunsten einer urkundlich rohen und gemeinen
Seele; eines schon durch seine im Amt verübte Gelderpressung
I) Einl. zur Uebers. d. Wölken. S. 12. 2) Kiiil. d. Ritter S. 77.
12*
|§0 I^i*^ grieclüsche Komödie.
und Unterschlagung gebrandmarkten öffentlichen Charakters, —
der unmenschlichen, auf Niedermetzekmg ganzer Bevölkerungen
dringenden Anträge und Eathschläge dieses Volksführers von
hündischer Gemüthsaii nicht zu gedenken. Der üebersetzer des
Aristophanes erhebt zur Rechtfertigung des „Staatsmanns" Kleon
seine Stimme, den ein Dichter wie Aristophanes, und ein Ge-
schichtschreiber -wie Thukydides gezeichnet!
,, Schön ist liässlicli, liässlich schöu!
Schwebt diu-ch Dunst und Nebelhöhn ! "
(Fair is foul, and foul is fair:
Hover through the fog and filthy air. i) —
Das ist auch eine von den Hexen -Devisen der Stimmungs- Ro-
mantiker in Poesie und Wissenschaft; eine De\dse, zu welcher
sich schon vor Macbeth's Hexen der Vertreter der faulen Sache,
der Adikos Logos in Aristophanes' Wolken, bekennt, von welchem
der Anwalt der guten Sache, Dikaios Logos, sagt (1019 ff.):
xal a' (h'ccntiaei
t6 (xtv aiaxQov anctv xaXbv riytiOficn,
tö xaXov ()" ttia/Qov . . .
Was HeiT Droysen wort- und sinngetreu übersetzt:
,,Ja er schwatzt es dii' auf, dass Hässliches schön,
Dass wieder das Schönste dir hässlich erscheint."
„das Hässliche schön", z. B. Kleon; „das Schönste hässlich":
Aristophanes z. B., als Gesinnungsloser, und zwar durch sein
Genie schon und die Art seiner Komik nothwendig gesinnungs-
los! Bei gewissen Scholarchen der Hochschulen von der roman-
tischen Stimmungsfärbung tritt, bei solclier Würdigung, noch ein
anderes iustinctives Bedürfniss hinzu: die „dm'chaus innerliche"
Schweifwedelei, die, in einem Conflictsfalle zwischen Dichter und
Machthaber, sofort geneigt ist, vor letzterem den Fuchsschwanz
zu streiclien, und dem Dichter Eins damit auszuwischen; hätte
der Machtliaber auch vier Jahrhundeiie vor Christo das Staatsheft
in Händen gehabt und hiesse Kleon. üeber Jahrtausende hinaus
I) Macbeth I, 1.
Ari.stophaiies und Holofenies. jgl
verknüpft Ein seelenverwandtes Zopfband den ledernen Katheder-
sessel sammt Insassen mit dem Ledergerber Kleon. Im Privat-
leben durchaus würdige Männer, als Bürger die ehrenfesteste)i
Philister, als Fachgelehrte ordentliche Mitglieder holier Sclnilen,
die „im Gesicht den eingefrorenen Dünkel" ihrer Autorität als
Amtsstempel tragen — ist dieses ganze jüngere Schulgeschlecht
ästhetisch angefressen von einer Kunstsophistik, die es, an Frivo-
lität, blasirtem Geisteskitzel und windiger, im Einklang mit der
Stimnmngs- Romantik, der Tagesstimmung nachschwänzelnder
Eitelkeit, mit den gTiechischen Sophisten keck aufnelimen kann.
Nur dass diese, klaren Geistes, bestimmte Zwecke verfolgten,
und keine Zettel-Träumer waren, verloren in Stimmungs- Ver-
schwommen! leit und duselnd zwischen: „Mir war. als war' ich,
und mir war, als hätt' ich". - -
Noch einer dritten Ansiclit über Aristophanes' Vögel wollen
wir einen flüchtigen Abschiedsblick gönnen. Es ist die des ab-
soluten Kunstformeldrehers nach der Hegeischen Dogmatik. Wir
kennen ilin bereits, den Verfasser von „Aristophanes und sein Zeit-
alter"; den Schulmeister-Holofernes der „wissenschaftlichen" Thea-
terkritik, aus „Liebesleid und Lust". Hegel hat gehaltvoll tief-
sinnige Kunsturtheile ausgesprochen. Noch immer ist seine
Aestlietik die ideenvollste, auch für Künstler und Dichter ergie-
bigste Kunstlehre. Von allen seinen Jüngern al)er hat niemand
des Meisters Ideengehalt zu so absolut leeren Eierschalen ausgel)la-
sen wie Holofernes. Seine kunstkiitischen Abhandlungen, Cyklen,
dramaturgisclie Scliriftwerke, Tlieaterrecensionen , nach ihrem
specifischen Gewiclit gewogen, sind ebenso viele windgefüUte
Schwimmblasen, die ihn über Wasser hielten auf dem seichten,
aus allerlei trüben und verdäclitigen Alizugsgewässern der Bret-
terwelt zusammengeflossenen Tagesstrome, mit dem er immer
schwamm. Wie lautet nun die Formel für Aristophanes' Vögel?
In dieser Komödie „wollte Aristophanes die immer tiefere Auf-
lösung des alten Princips des Atlienischen Staats in die Willkür
des einzelnen Wollens und Meinens und das Verschlungen-
werden seiner Herrschaft von der Herrschaft des ein-
zelnen Subjectes vei'sinnlichen" ') . . . „Verschlungonwerdon" -
n a. a. 0. s. ;js(;.
182
Die oriecLische Komödie.
AUervortrefflichster Holüformler und Holofernes! Für diese ge-
schraiibtscliwülstige Hervorquetschuug von Aristophanes' Vögel-
Idee hätte dich sein Peisthetäros unter die Vögel aufnehmen
lassen als ausgestopfte „wissenscliaftliche" Kropfente, oder eine
von verschlungenwerdeuden Formelphrasen aufgeblasene Rohr-
dommel. Zwanzig Jahre später blies Theodor Brest, Collaborator
am Lyceum zu Ohrdruf, in einer sonst verdienstlichen Schrift ';
auch seinen Schulkropf zu derselben Vögel -Kropfidee auf, als
welche der Collaborator zu Ohrdruf „das selbstsüchtige Streben
des einzelnen Individuums" bezeichnet — „Autonomien an die
Stelle der Legalität zu setzen, und zwar mittelst erlangter
Unabhängigkeit im Raum"! Im leeren Lufträume nämlich
des Vogelstaats, wovon der Collaborator, dem Gesetz des hoiTor
vacui gemäss, einen Mundvoll verschluckt, und zwar nachträglich
aus dem vom Verschlungenwerden aufgeblähten Kropf der abso-
luten Rohrdommel. Im Verlauf der Schrift, die von Einsicht,
Urtheil und historischem Verständniss zeugt, ^vundert mau sich,
wie ein kritisch gut angelegter Kopf zu dieser Kropfphrase kommt,
dergleichen in der Regel, wie Gebirgskröpfe, nur in Gesellschaft
von Kretinismus angetroffen wird.
Lysistrate. Ol. 92, 2=411. Archen Kallias.
Wurde drei Jahre nach den Vögeln von dem Schauspieler
KaUistratos, im Namen des Aristoplianes, aufgeführt, wahrschein-
lich an den grossen Dionysien, und wie aus dem Auftreten der
Probulen im Stücke hervorzugehen scheint, bald nach Erneuung
der Zehnmänner, behufs Berathung der neuen oligarchischen Ver-
fassung, welche in der zweiten Hälfte des April 111 in's Leben
trat.-) Unter dem Einflüsse solcher Vorgänge konnte der Geist
der alten demoki'atischen Komödie nicht in voller Stärke und
Kühnheit wirken. Die unverkennbare Freude über die nahe Her-
stellung der Oligarchie, die Bode in dieser Komödie findet, wollte
uns nicht einleuchten. Die Oligarchie, für Avelche Aristophanes
kämpfte, war nicht die der Zehnmänner. Er stellt vielmehr Athens
friedenseifrige Weiber den Zehnmännern entgegen, deren Vertre-
ter, der Probulos, beim Angriff' auf die in der Burg verschanzten
J) Die Vögel d. Aristoph. Erfurt 1847. — 2) Thukyd. V, 2(i.
Lysistrate. Die beiden Chöre. 183
Frauen, mit seinen Seliergen aus dem Felde geschlagen mrd
462ff.;:
Probulos. Weh, weh! Wie schlecht ging's meinen Bogenschützen da!
Lj's ist rate. Was dachtest du? Du glaubtest wider Sklavinnen
Zu ziehen? . . .
Es handelt sich hier um eine Verschwörang der Frauen zu Gun-
sten des Friedens, unter Anfülu'ung der Athenerin Lysistrate,
die einen Frauenconvent aus Weibern der kriegführenden Mächte,
Attika, Böotien und Peloponnesos , zusammenberuf eu. Sie ge-
loben durch feierlichen Eidschwur auf einen Eimer Wein, von den
Männern getrennt zu leben, bis diese den Frieden hergestellt. Sie
bemächtigen sich der Akropolis und des daselbst im Parthenon-
tempel aufbewahrten Staatsschatzes. Den Frauenchor auf der
Ab'opolis, die der Hintergrund der liülme vorstellt, belagert von
der Orchestra aus ein Chor attischer Greise. Mit Brenn-
material und Kohlentöpfen ausgerüstet, will er die verschlossenen
Thore der Propyläen niederbrennen. Der Kampf der beiden
Chöre, des kriegsmuntern Greisenchors mit brennendem Rei-
sig, gegen den mit Wassereimern bewaffneten Weiberchor ge-
hört zu den ergötzlich lebendigsten Komödien-Situationen. Eine
lebenvolle Scene drängt die andere : Der Probulos mit seinen Hä-
schern in die Flucht gespritzt. Der lustige, die Parabase ver-
tretende Wechselgesang der beiden, sich mit Schmähungen, wie
mit Feuer und Wasser, überschüttenden Chöre (781 — ^828). Ly-
sistrate's gloiTeicher Sieg, den sie, als Weib bei der Spritze, über
die Kohlentöpfe der alten Flachsköpfe erficht. Sie selbst nun in
der grössten Feuergefalir durch den Innern Brand, der im Schoosse
des tapfern Frauenheeres ihrer Friedens-Amazonen ausgebrochen,
die, plötzlich von der alleifeurigsten Sehnsucht nach ihren Män-
nern ergriffen, alle Friedenshotthungen zu vernichten drohen. Die
Beschwörung dieses Brandes ist nicht minder stürmisch und ruhm-
voll, als der Sieg der Wassereimer über die Kohlentöpfe gewesen.
Das Gegenbild hiezu liefert der von Sehnsucht nacli seiner Frau,
Myrrhine, glühend verzehrte Kiuesias, heimlich, mit dem
Söhnchen auf dem Arme, die Burg erklimmend, um zu seinem
Myrrhinchen, seinem Goldchen, seinem lieben Weibchen zu ge-
langen und sie zu einem Stelldichein zu bewegen in der Pans-
kluft. Myrrhinchen ihm die Hölle heiss machend, auf eine neue,
Ig4 Die griechische Kumüdie.
noch nicht dagewesene Weise. Dann über den armen Mann, der
schier zu Asche brennt vor ehelicher Zärtlichkeit, einen Lösch-
eimer über den andern giessend, mid was für Löscheimer? Figür-
liche, die das Feuer nm- stärker anfachen durch neckendes und
— 0 Höllenbrand! — foppendes Hin- und Wiederlaufen. Der
Chor der Greise, der das mit ansieht in der Orchestra, wimmert
Zeter (959 ff.) :
In wie schrecklicher Pein, unseliger Mann
Dein Herz sich verzehrt, so schnöde getäuscht!
Ach, ach, wie jammert mich deiner! ....
Seine Verwünschungen des „abscheulichen Weibes" klingen zu pa-
rabolisch für unsere Verhältnisse, um sie wieder zu geben. Unser
Gehörsinn ist in dem Maasse zarter und empfindlicher geworden
für Anstand und Sitte, als sich alle andern Sinne dagegen abgehärtet
haben. Das Sittlichkeits- und Anstandsgefühl hat sich in's Innere
unseres Ohres, wie in ihr letztes hochgelegenes Kastell, zurück-
gezogen, nachdem die andern Aussenwerke alle vom Feinde er-
stürmt und besetzt worden. Auf dem Kastell zu Athen steht
Kinesias' Fall aber nicht vereinzelt da. Böotien, Sparta, der ganze
Peloponnes ist in seiner Lage. Lysistrate feiert einen vollständigen
Triumph. „Friede, Friede, liebes Weibchen!" schreit ganz Hellas.
Ein Spartanischer Herold ruft es aus im Namen aller griechischen
Kriegsvölker. Bald darauf stimmen die Spartischen Gesandten
unisono mit ein in den Ruf. Ilire aufrichtige Friedensgesinnung
ist über jeden Zweifel erhaben, das beweist schon ihr Aufzug.
Lysistrate darf hoffen, unter dem allgemeinen Jubel der Athener
und Spartaner einen dauernden Frieden zu schliessen.
Kaum Eine Scene lässt sich auszugsweise mittheilen aus
dieser Komödie von urphallischer und doch, durch das berechtigte
Verhältniss zwischen den gegenseitig nach einander begehrenden
Männern und Frauen, gmudsittlicher, keuscher Komik ; patriotisch-
heilvoller Komik zugleich, da ihr ergötzlicher Muthwille dem höch-
sten Gut, dem heiligsten Zwecke, gilt: dem Haus und Land, Stadt
und Staat beglückenden Frieden; ja einem für den ganzen Fami-
liencomplex des stammverbrüderten Hellas segenvollen Frieden
gilt. Desshalb wirkt auch, was auszugsweise unmittheilbar , im
Zusammenhange, das Einzelne wie das Ganze, — wirkt die ganze
Komödie von Anfang bis Kndc auf jedes tüchtige und gesunde
Die Thesiauphoriazusen. 185
Gemüth von Gmnd aus erfrischend und erquickend. Dafür giebt
man die fehlende Parabase gern preis.
Die Thesmophoriazusen (Qeo/noqiOQicclovGai, Thesmo-
phorienfeier begehende Frauen) Ol. 92, 3=410. Archen Theo-
pompos. Diese Zeit der Aufführung wird aus einer Anspielung
in der Parabase (v. 808) auf das Abtreten der Eubulen vom Amte
und den Sturz der Oligarchen (Ol. 92, 3.) abgeleitet. Auf die
Befreiung von den „Tyrannen" deutet ferner auch Vers 11 43 ff.
in dem Chor-Ausraf an die Pallas:
Erscheine, die du Tyi-aiinen
Verabscheust, wie Recht ist!
Die Bezeichnung der Jahreszeit (v. 67) „und Winters ist den
Strophenbau zu zimmern nicht gerade leicht", macht die Auffüh-
rung in den Lenäen wahrscheinlich. Gleich der erste Vers unse-
rer Komödie spielt auf den Winter an:
0 wann erscheint die Frühlingsschwalbe doch einmal'!'
Die Tendenz der Komödie: Verspottung des Eui'ipides und seines
Weiberhasses, ist uns schon bekamit. Zu dem Zwecke lässt der
Dichter die Komödie zur Zeit der Thesmophorienfeier spielen, eines
Weiberfestes, welches im October (vom 9—15. Pyanepsionj der
Demeter Thesmophoros (Gesetzgeberin) zu Ehren, zwei Tage lang
zu Halunus (Attika; und drei Tage lang zu Athen im Thesmo-
phorientempel von den attischen Matronen begangen ward.
Euripides erfährt in unserer Komödie: die Weiber hätten im
Thesmophorienteinpel seinen Tod beschlossen, wegen der Verläum-
dungen, die seine Tragödien gegen ihr Geschlecht ausstreuen.
Als das wirksamste Mittel, die Gefahr zu beschwören, erscheint
dem redegewandten Tragiker eine zu seiner Vertlieidigung gehal-
tene Kede in der Weil)erversammlung, die imr ein männliches
Individuum halten könnte. Einem solchen ist aber der Zutritt
zur Thesmopliorienf(!ier bei Todesstrafe vcrl)oten. Der Weiberfeind
und gleichwohl doch in seinen Dramen Alles verweiblicliende Tra-
giker ersinnt denn aucli in solchem persönlichen Bedrängniss ein
entsprechendes Auskunftsmittel. Er sucht in Begleitung seines
Schwiegervaters, Mnesilochos, seinen Freund und Kunstgenos-
sen, den Tragiker Agatlion, auf, den einzigen Mann unter seinen
186 Die griechiselic Komödie.
Bekaiiuten, der, in Frauenkleidern unter Weibern, nicht heraus
zu erkennen wäre, und selbst von diesen für ihresgleichen gehal-
ten würde. Die unübertreffliche Scene, eine der ergötzlichsten
und genievollsten des Aristophanes, wurde oben schon angeführt..
Agathon ist der Mann zu dieser WeibeiTolle ; er bekennt sich offen
dazu, fertigt aber doch den CoUegen mit einem Vers aus dessen
Alkestis (691) ab: „Dich freut das Licht; den Vater, meinst du,
nicht?" Glücldicher Weise erbietet sich Euripides' Schwäher, Mne-
silochos, zu der Vermeidung, die nun unter den aüerkomischsten
Anstalten vor sich geht. Das Abhaaren und Rasii'en des grauen
Schädels und Absengen sonstiger Haarstellen, das Euripides mit
Scheermesser und Fackel, unter Verzweillungs-Grimassen des zum
alten W^eibe balbirteu und gesengten Schwiegers, bewerkstelligt,
der dabei sich nicht wie ein Schwiegervater gebärdet, sondern wie
ein abgebrühtes Schwein, — diese Scene ist das unerreichte Vor-
bild aller Figaro-Bartholo-Rasir-Scenen. Dabei durchschimmernd
überall das tragische Handwerk des Männer zu Weibern abkah-
lenden und mit der Erinnyen-Fackel absengenden Weiberhassers!
So verweibt mid zur Frau verkleidet, begiebt sich Mnesilochos in
den Thesmophorientempel und hält die Vertheidigungsrede (v. 465 —
519), und welche! Im vertraulichsten ünteruns führt er den Frauen
zuGemüthe: was auch Emipides Ehrenrühriges gegen die Weiber
gesagt; so wäre das Alles doch Larifari gegen das, was er hätte
sagen können, mid was er dennoch verschwiegen. Er selbst, Mne-
silochos, „war drei Tage erst Frau und schlich von der Seite des
schlummernden Gatten zum Buhlen hinaus" — „das, seht ihr?
hat Euripides noch nie gesagt."
Wie dort die Frau dem Manne zeigt das Oberkleid,
Wie prächtig das im Lichte sej, und drunterweg
Den Buhlen hinauslässt — nein, er hat's noch nie gesagt . . .
Und so zählt er noch mehi' solcher Fahrten auf, mit dem Re-
frain: „Das hat er nicht gesagt." Die Weiber gerathen in Auf-
ruhr über die Frechheit der „Bübin" — „Kohlen her ! Abgesengt
ihr jedes Haar!" - Mnesilochos schreit im voraus wie amSpiess:
„Um alle Welt, nur nicht gesengt, ihr Frauen!" Grosser Tumult.
Mnesilochos schwebt in äusserster Gefahr. Nun muss auch noch
Kleisthenes, der unverkleidet , als AVeib in Männerkleidern, von
Thesmoplioriazusen. Kuiipirtes und Mncsilochos. ]87
den Frauen aufgeuommen wird, in die Versammlung treten, um
ihm den Rest zu geben ! Von diesem verrathen und entlarvt, wird
Mnesüochos vom Altar heruntergeschleift, auf den er sich mit
einem, der ersten besten Frau entrissenen Kinde geflüchtet, das
sich als ein Weinschlauch in Kinderwickeln ausweist. Vom Altar
wrd er auf den Pranger geschleppt, hier ausgestellt und einem
skythischen Häscher zau' Bewachung ül)ergebeu. Nun bietet Euri-
pides seine ganze Erfindungskraft auf, um den Schwiegerpapa vom
Schandpfahle zu befreien. Zuerst erscheint er als sein Menelaos,
der seine Helena zu entführen kommt. Der Skythe fällt, mit bar-
barisch griecliischen Verwünschungen, vor Menelaos den Wäch-
terspiess. Jetzt versucht es Euripides mit seinem Perseus, der
die an den Felsen gefesselte Andromeda befreien will, zwischen-
dm-ch als Echo hinter der Scene rufend, um den Skythen von der
Andromeda abzuziehen und durcli die sanft verhallenden Mitleids-
klagen dessen Barbarengemüth zu rühren. Der unaufhörliche Echo-
ruf wird selbst dem Mnesilochos auf dem Pranger lästig ; er möchte
am liebsten, lange vor dem Präsidenten in Kabale und Liebe, das
Echo hinauswerfen (1073 ff.):
Mnesilochos. Mich tödtet, o Weib, dein faules Geschwätz.
Euripides. Dein faules Geschwätz .
Mnesilochos. Du drängst dich, o Gott! zu lästig heran,
Gar sehr.
Euripides. Gar sehr . . .
Mnesilochos. Zu den Raben mit dir!
Euripides. Zu den Raben mit dir.
Mnesilochos. 0 verwünscht!
Euripides. 0 verwünscht!
Nun der Schütze (der Häscher; als Dritter dazwischen.
Schütze (zu Mnesil.) Was swaz du da?
Euripides. Was swaz du daV . . .
Schütze. Wat Düvel!
Euripides. Wat Düvel!
Der Sclitttze glaubt, Mnesilochos mache sicli den Spass, und will
auf ihn los. Der giebt die Echo an; diese aber ruft schon von
der entgegengesetzten Seite. Euripides erscheint wieder als Per-
seus und parodirt, mit Mncsiloclios zusammen, seine eigene An-
dromeda-Scene. Als er Miene macht, den Muesiloclios loszubin-
den, droht der Skythe: „Dann ich sueiden gleick mit diese Säbel-
1§3 Die griecliisclie Komödie.
messer ier den Kopp dir ab." Nun weiss Euripides nur noch ein
letztes Mittel : der Tragiker kommt als Kupplerin mit einer Tän-
zerin — das wirkt! Die Tänzerin lockt den Soldaten bei Seite;
der Tragiker löst dem Schwiegervater schnell die Bande und eilt
mit ihm davon.
Mit Eecht wird die meisterhafte Durchführung des Thema's
durch eine intriguenartige Handlung gerühmt: ein neues Mo-
ment in der Aristophanischen Komödie. Die Parodie, in Hand-
lung gesetzt, und durch den Helden derselben in eigener Person,
ist der Gipfel parodistischer Kunst. Schwerlich hat der Gründer
und Meister der parodirenden Komödie, Epicharmos, auch nm'
annähernd Dem Vergleichbares geschaffen, da er sich in allge-
meinen m}i:liologischen Travestien ergehen und jeder Personal-
verspottung enthalten musste. In den Thesmophoriazusen glänzt
Aristophanes' komisches Genie in seiner ganzen Stärke.
Von Aristox)hanes' zweiter Komödie dieses Namens sind
noch Bruchstücke vorhanden i), die aber aus keiner Umarbei-
tung dieses Stückes herrühren, sondern einer selbstständigen Ko-
mödie angehören, welche am letzten Tage des Thesmophorienfe-
stes, Kalligoueia genannt, spielte. Kalligoneia, die Namensträ-
gerin des Tages, sprach darin als Amme den Prolog. Man ver-
muthet, dass die zweiten Thesmophoriazusen zum Inhalte eine
Parodie der Antiope des Euripides hatten.-)
Plutos (IIlovTog.) Der Reichthum. Zuerst aufgeführt un-
ter Archen Diokles Ol. 93, 1=408, zwei Jahre nach den Thes-
mophoriazusen, und dann zwanzig Jahre später unter Antipatros
Ol. 98, 1=388. In der zweiten Form ist er auf uns gekom-
men. Hier trat Aristophanes zum letzten Male als Didaskalos
auf. Seine Mitbewerber waren Nikochares mit den Lakonen.
Aristomenes mit dem Admetos, Nikophron mit dem Adonis,
und Alkaeos mit der Pasiphae.^) In der zweiten Bearbeitung
des Plutos spielte Aratos, der Sohn des Aristophanes, die Titekolle.
. Neben den andern zehn Komödien ist der Plutos der blinde
Bettler, und seine Erscheinung, beim ersten Auftreten, die leib-
hafte Gestalt der auf den Bettelstab lieruntergekoramenen Aristo-
)) Diud. p. i;{!». Bergk, Allst, fragm. p. ISOff. 2) Poll. IX, 36.
Bergk bei Meineke p. 1083. — 3) Arg..Plut. IIT.
Aristophaiies' zweiter Plutos. 189
phallischen Komödie: Der Baueviichor hihm und kahl, wie des
Plutos Glatze; die Lyrik erloschen wie sein Augenlicht, nur dass
der Gott dieses im Aeskulaptempel wiedererhält, die Chor-Lyrik
aber bis zum Schlüsse blind bleibt; die Parabase, Anapästen und
Trochäen, ausgefallen wie seine Haare und Zähne; der ganze
Chor im Chorführer zu einem blossen Mitsprecher zusammenge-
schrmiipft und verhotzelt, der nichts zu sagen hat, und der zu-
letzt dem Festzuge, welcher den Plutos auf die Akropolis führt,
mit einigen kümmerlichen Anapästen folgt, wie ein Leidtragender
dem Nasenquetscher eines auf Gemeindekosten zu Grabe geleite-
ten Stadtamien. Trotz alledem, bei so tiefer Verkümmerung der
Poesie in der Komik, bei so gänzlicher Verarmung der alten
Komödie zu diesem einzigen erhaltenen Prototyp der mittlem und
neuern attischen Komödie, darf uns Aristophaues' Plutos immer
noch für ein Meisterstück dieser Gattung gelten. Vielleicht dür-
fen wir ihn sogar für eine besondere Eigenart betrachten, insofern
nämlich der Plutos charakteristische Merkmale aller drei Gattungen,
der alten, mittelern und neuen Komödie, in sich vereinigt. Der alten
Komödie scliliesst er sich au, durch die Erfindung einer phanta-
stisch allegorischen Verwandlung des blinden, d. h. seine Gaben
blind und wahllos, daher auch an Unwürdige austheilenden , in
einen sehenden, die Sclüechten von den Guten unterscheidenden,
wohlthätigen und gerechten Gott. Aus dieser Erfindung alten
Styls erwuchsen von selbst die in solchem Geiste durchaus gedach-
ten und ausgeführten Sc(Mien mit der in Lumpen gehüllten Kie-
sengestalt Penia (Armuth), deren Controverse mit den beiden
Bauergreisen über die Vorzüge d(!r Üedürftigkeit und der Treiberin
Noth, als Quelle aller Betriebsamkeit, Kunst und Ibrschenden Er-
kenntniss, das Hauptkennzeichen der alten Komödie an der Stirne
trägt, und in den gehaltvoll ernsten Gedanken die Gesinnungen
des Dicliters selbst auss})richt, die Parabase in gewissem Sinne
vertretend und ersetzend. In den mythischen Elementen und
Nachklängen, in dem kleinlauten, zurückgedrängten Clior hätte
man wieder Merkmale der mittlem Uebergangs- Komödie zu er-
kennen, wo Keminiscenzen aus der Göttermytlie mit dem (.'hör,
als Schatten und Anhängsel, aus der alten Komödie, zurückge-
blieben. Die Personen endlich, bis aul" Plutos, Penia und Her-
mes, sind sämmtlicii reale Charakterfiguren. Der alte Chremylos,
190 I^i*^ ^griechische Komödie.
sein Freund Blepsidemos, der schmarotzende Sykophant,
der Diener Karion vor Allen, sind vom Wirbel bis zur Zeh Fi-
guren der neuen attischen Komödie und des römischen Lustspiels.
Demgemäss ist auch der Dialog behandelt, und in der Scene
ZAvischen Chremylos und Blepsidemos, den beiden Bauergreisen
(322-414), zu einem vollendeten Meisterdialoge des neuen Styles
ausgearbeitet. In den Tendenzgedanken theilen sich endlich die
alte und die neue Komödie. Er ist im Sinne der letzten, mora-
lisch, insofern die Guten belohnt und die Schlechten bestraft
davon gehen. Im Geiste der alten Komödie ist der Ausgang
wieder insofern allegorisch -politisch, als der Ketter des Plutos,
der Chremylos, der den Gott aus Delphi mitgebracht, und ihm
durch Asldepios das Augenlicht wieder verschafft hat, dem ge-
heilten Gott seine dauernde Wohnung in der Schatzkammer
des Staates anweist, mit der Hindeutung: ist der Staat reich,
so geht es auch dem Einzelnen wohl. Zugleich macht der wackere
Bauer, Chremylos, sein Versehen wieder gut, das Versehen näm-
lich: die Heilung des blinden Gottes gegen Zeus' Absicht bewirkt
zu haben, in Folge dessen der Gott des Reichthums der Abgott
aUer Welt geworden, so dass der Beste nur aus Eigennutz sicli
dem Guten zuwendet und alle wahre Gottesfurcht und Gerechtig-
keit zu verschwinden droht. Plutos soH künftighin dem allge-
meinen Besten, dem Staat und Staatsschatze, Zinsen.
Die Frösche (Ol. 93, 4=405. Archon Kallias) wurden drei
Jahre nach dem ersten Plutos, durch den Schauspieler Philoni-
des, an den Lenäen, zur Aufführung gebracht. Aristophanes er-
hielt den ersten, Phrynichos mit den Musen den zweiten und
Platon's Kleophon den dritten Preis. Argum. I und III, er-
wähnen, mit Berufung auf das Zeugniss des Dikäarchos, einer
wiederholten Aufführung der Frösclie, die das Stück der Bewun-
derung verdankte, welche die Parabase erregte {ovvoj de ei^av-
(.müiJri 10 d(jü/iiu öiu tijv sp accu) nagäßaaiv Sgte nal areöi-
ötr/'})]). Die Komödie spielte ein Jahr vor der Einnahme Athens
durch Lysiindros und vor der Einsetzung der Dreissigtyrannen-
Herrschaft. Am Vorabende einer solchen Katastrophe, in so trost-
loser Zeithige und Stimmung, ging diese Komödie wie eine Sonne
über dem Atlienischen Staat auf, die ilm gleichsam in ein Strah-
lenmeer von herzstärkender Komik und gemütherhebender Lach-
Die P'ru,scho ilos Aristuphanes. 191
lust tauchte. Wie die Hölle selbst, die den Schauplatz dieser
Komödie bildet, so zauberte Aristophanes' Genie die Schrecknisse
des Tages in eine Eliseische Komik um. Eine Höllenfahrt, eine
Nekyia, eine Todtenbeschwörmig wie diese, hat nie wieder das
Herz der komischen Muse so gründlich, bis zu den erquicklich-
sten Lachthränen erschüttei-t. Aller Frohsinn, alle Lust, alle
sprudelnden Witze und himmlischen Spässe haben sich aus dem
Reiche der Lebenden in das Todtenreich geflüchtet, um dort Car-
ueval zu halten. Tod, wo ist dein Stachel ? Homer, Virgil, Dante,
Milton, in welchen tollfröhlichen Mummenschanz hat sich euer Ere-
bos, Aides' nächtliches Dunkel, Plutouisches Haus der Schrecken,
Flammenpfuhl der Verdammniss, dein „ewiger Wehe -Schlund",
Sänger des Liferno, verwandelt, der sich hier nur aufthut, höllen-
rachenweit, um in ein schallendes Lustgelächter auszubrechen,
üeber die Höllenpforte dieser „Göttlichen Komödie" würdest du,
grosser Alighieri, die Inschrift setzen: „Lasst, die ihr eingeht,
jede Trübsal fahren!" Dreimal selig, 0 voi ch' entrate! Die schreck-
liche Persephoneia , der finstere Plutou, bekommen Seitenstiche
vor Lachen.
„Himmlisch in die Hölle klangen
Und den wilden Hüter zwangen
Deine Lieder" — Orpheus der Komik! —
,,Minos, Thränen im Gesichte" — vor Lachen —
„Müderte die Qualgerichte;
Zärtlicli um Megärens Wangen
Küssten sicli die wilden Schlangen,
Keine Geissei klatschte mehr" — keine, als die lachende
Geissei —
,, Leiser hin am Ufer rauschten
Lethe und Kocytus, lauschten
Deinen Liedern", — Or])heus mit der Schellenkappe! —
Und ist doch keine possenhafte Parodie; kein Glfenbach'scher
„Orpheus in der Hölle." Der thrakische Sänger selber hat mit kei-
nen süsserhabeneren Klängen die Schattenseelen um sich versam-
melt, als der Chor der Eingeweihten hier erschallen lässt. Li
dem Possenhaften welche Weihe! In der Komik welcher Kunst-
ernst! In dem Lachgenie welche tiefe Seelenverwandtschaft mit
der grossen Tragik! Welche Balsamdüfte, welche Wohlgorüche
hoher Staats- und Kunstweisheit strömen aus der satirischen Zer-
■(92 I^iö griechische Komödie.
malmung, wie aus zerstampften Balsamstaudeh, und durchwürzen
die Hölle!
Auf Kosten des Gottes der Freude selber, des Komödiengottes,
Dionysos, herrscht hier solche tolle Lust. Er ist sein eigener
Sühn- und Sündenbock, und muss vorweg die komische Schuld
des ganzen Athenischen Volkes, die Sehnsucht nach Euripides,
auf seine Bakchos-Hörner nehmen. Herakles' Löwenhaut über
dem safranfarbigen Frauengewand, die Keule in der Rechten und
auf Kothurnen schreitend, macht sich der weibische Euripides-
Schwänner, Gott Dionysos, auf den Weg in den Hades mit sei-
nem Diener Xanthias, einem der drolligsten Diener-Käuze des
komischen Drama's, dem ürbilde Sancho Pausa's, und auch, wie
dieser, seinem Herrn zu Esel folgend. Zunächst spricht Dionysos
bei Herakles vor, als berühmtem Unterweltreiseuden und Höllen-
fahrer, um von ihm den kürzesten Weg in den Hades zu erkun-
den. Beim Erblicken seines Doppelgängers in Löwenhaut und
Weiberrock glaubt Herakles zu bersten vor Lachen. Was den
Weg in die Unterwelt betrifft, giebt Alkmene's Sohn seinem Vetter
verschiedene an zur Auswahl, als da sind : Strick, Schierling, einen
Purzelbaum vom Thurm herunter. Die Marschroute passt dem
Euripides -Reisenden Weingott nicht. Herakles beschreibt ihm
nun den Weg umständlich, wie ihm selber einst von seinem an
den Kaukasus geschmiedeten Wegweiser, dem Prometheus, die
Reiseroute angegeben worden. Xanthias wundert sich bei der
langen Unterhaltung nur über Eins: dass von ihm noch nicht die
Rede. „Immer noch kein Wort von mir?" Unerklärliches Räth-
sel, woran er für sich kaut, zwischendurcli die Frage im Stillen
wiederholend: „Immer noch kein Wort von mir?" — Nach dieser
Scene wird ein Todter auf der Bahre vorbeigetragen. Ein Juwel
von kleinem komischen Einschiebsel (171 if.):
Dionysos (zu dem Todten)
He, du da, he! Ich meine dich, Verstorbener!
Mann, nähmst du mir ein Päckchen wohl zum Hades
niitV
D e r T o d t e (sich aufrichtend)
Wie gross denn?
Dionysos. Dicss hier!
Der Todte. Zahlst du mir zwei Drachmen Lohn?
Dionysos. Das ist mir doch zu theuer.
Die Frösche. Dionysos. Der Froschchor. 193
Der Tüdte (zu den Trägern).
Furt ilir enres Wegs!
Dionysos. Halt, Guter, halt doch, wir vereingen uns \'ielleicht.
Der Todte. Erlegst du nicht zwei Drachinen, dann' kein Wört-
chen mehr.
Dionysos. Nimm neun Obole!
Der Todte. Lieber lebt' ich wieder auf!
(Wird weitergetragen.)
Sie befinden sich am Ort, wo Charon anlegt. Der greise
Färge erscheint. Dionysos steigt ein, nicht ohne safi-angelbe Angst.
Xauthias, als Sklave, darf nicht in den Kahn, er muss einen Um-
weg nehmen und am „Verschmachtestein" {naga tbv Avalvov
Ui)-ov) seinen Hen-n ei*wai-ten. Während Dionysos rudert, ertönt
der Froschgesang, von einem verborgenen i) Chore ge-
sungen. Die Frösche singen mit steigender Schnelligkeit des
Takts, so dass Dionysos immer rascher rudern muss zu seinem
ächzenden Verdruss, der weichliche Dickbauch (226 ff.):
Zerplatztet üir mit eurem Quacks!
Nichts als das ewige Quax koax!
Die Frösche. Allerdings, du Naseweiser!
Lieben doch mich die lyrafrohen Musen,
Mich liebt der Hornfuss
Pan, der Eohrflöte Meister ...
Brekekex koax koax.
Dionysos. Und ich, ich habe Blasen schon . . .
Die Frösche. Brekekekex koax koax.
Er überbietet sie mit Brekekekex und quakt sie endlich in den
Grmid. Der Kahn ist zur Stelle, Dionysos steigt aus und trifft,
im Finstern tappend, mit Xanthias zusannnen. „Lauter Dunkel-
heit und Schlamm." Beide graulen sich; Dionysos füi- zwei.
Xanthias sieht schon Hades-Gespenster (284 ff.):
Dionys. Wo wo?
Xanth. Dahinten.
Dionys. Gehe du denn hinter mich.
Xanth. Nein, nein, es ist da voran.
Dionys. Geh' du denn voran . .
Nun sieht Xanthias ein gi'osses Thier.
1) Schol. Ran. 211.
IL 13
194 ^ie griecliisclie Komödie.
Dionys. Wie sieht's?
Xanth. Entsetzlich; wandelt sich in allerlei!
Jetzt ist es Stier, Maulesel bald, darauf ein Weib,
Ein reizend Weib.
Dionys. Wo? Gegen diese geh' ich an.
Es ist das gräuliche Gespenst, die Empusa, mit einem Bein von
Erz und dem andern von Eselsmist. Dionysos vergeht vor Angst.
In seinem Schrecken wendet er sich an den Dionysospriester, der
voran auf seinem Ehrenplatz, dem bewussten Thronsessel, unter
den Zuschauern sitzt:
Mein Priester, hilf mir; heute zech' ich dann mit dii*.
Empusa verschwindet. Man vernimmt Flötenspiel. Der Chor
der Eingeweihten beginnt seine herrlich schönen Gesänge,
die uns schon bekannt. Dionysos klopft, als Herakles, beim Höl-
lenrichter Aeakos an. Aeakos empfängt den Entführer des Höl-
lenhundes, als war' er dessen Stellvertreter und läge an der Kette
(465 ff.):
Du Schuft,
Du Hauptschuft, aller Schufte schuftigster,
Der unsern Kerberos hinweggelockt . . .
Jetzt hab ich dich!
Für solche Grcäuel soUen . . . deiner Nieren Paar, zusamnit
mit den Gedärmen . . . zerfleischen die Gorgonen",
die er zu holen forteilt:
Xanthias. Was machst du, Herr?
Dionys. Ich k — . Sprich: Gott helfe mii'!
Xanthias schilt ilm den Feigsten der Götter und der Menschen.
Dionysos meint: gut! Bist du so beherzt, sey du Heraides, nimm
Löwenhaut und Keule. „Ich wiU dafür so lange dein Pacldräger
seyn." Xanthias lässt sich das nicht zweimal sagen. Der Kollen-
tausch giebt zu den ergötzlichsten Sceuen Anlass. Eine freund-
liche Magd der Persephone begrüsst iln'eu Held Herakles mit
freudigem Willkommen. Drinnen ständen schon für ihn drei
Töpfe voll Bolmemnus bereit mit köstlichen Broden und Semmel-
kuchen, die ihm Göttin Pi'oserpina gebacken. Auch eine Flöten-
bläserin sey für ihn da, wunderhübsch, und zwei bis drei Tän-
Die Frösche. Eollenwechsel zwischen Dionysos und Xanthias. 195
zeriiiiien, „im vollsten Saft der Jugend und wie Kinder glatt"
(519ff.):
Xanthias. So geh' und lass die Tänzerinnen dort im Haus
Vor allem wissen, dass ich selbst gleich kommen will.
(Die Magd geht ab. Xanthias zu Dionys.)
Du, Junge, i'olge hinter mir mit deinem Pack!
Dionys. He, wart' einmal! . . ,
Da nimm den Bündel wieder auf und trag' ihn fort!
Xanthias ruft alle Götter zum Zeugen an. „Was Götter!" sagt
Dionysos, „die Haut herunter!" Dionysos ist wieder Herakles.
Zwei Höllenwirthinnen hahen ihn erspäht und rufen einander zu:
„Kommt daher! hier ist der Schalk, der, als er jüngst in unsere
Wirtlischaft eingekehrt, die schönen sechzehn Brödchen uns ver-
schlang!" Xanthias reibt sich vergnügt die Hände: „Einem wird's
hier übel gehn." Erste Wirthin: „Und ausserdem die zwanzig
Würste" . . . Xanthias reibt noch vergnügter: „Einer büsst es
heut." Zweite Wirthin: Und das viele Pöckelileisch und der
frische Käse, „den uns der Unhold sammt dem Korb hinunter-
schlang!" Erste (561 ff.):
Und als ich ihm die Zeche dann abforderte.
So sah er mich ganz grimmig an und brüllte los.
Xanthias. Die Weise hat er, also treibt ers überall . . .
Die Wirt hinnen. Und zog den Säbel, und tobte wie ein Rasender,
Und stürmte fort und nahm die Binsenmatten mit !
Xanthias. Auch diese Weise hat er •
Die Wirthinnen eilen ab, um Kleon und Hyperbolos zu folgen,
die beide im Hades als Kechtsanwälte angestellt sind (579 if.):
Dionysos. Ich will verflucht seyn, lieb' ich nicht den Xanthias!
Xanthias. Was deine Absicht, weiss ich: lass die Worte seyn,
Ich werde nicht Herakles mehr!
Dionysos. Nicht also sprich.
Mein Xanthiaschen !
Xanthias verschwört Hals und Kopf, „nehm' ich jemals wiederum
den Schmuck dir ab." Kaum sind sie umgekleidet, poltert Aea-
kos mit seinen Knechten herein: „Auf scimürt ilin schnell zusam-
men, diesen Hundediel), damit er büsse, hurtig!" Nun sagt Dio-
nysos: „Hier geht's Einem schlimm!" (61511'.):
13*
IQß Die griechische Komödie.
Xanthias (zu Aeakos).
Sieh, einen Vorschlag mach' ich dir als Ehrenmann:
Nimm hier den Burschen, folt're den, und findest du
Mich dann im Unrecht, führe mich zum Tode hin! — —
Aeakos. Das lässt sich hören! . . .
Dionysos ist keinesweges dieser Ansicht, besinnt sich nicht lange
und giebt sich als „Göttei-sohn" zu erkennen. „Gott Dionysos,
Sohn des Zeus, und der ein Sklave." Xanthias meint: „Um so
mehr wird er durchzupeitschen seyn. Wenn er Gott ist, fühlt er
die Schläge nicht. Auch kommt es ihm auf eine Probe nicht an,
wer von ihnen beiden im Priigelaushalten mehr Gott ist. Aeakos
findet den Vorschlag gottvoll. Und nun wird, auf die Gottprobe
hin, von Aeakos abwechselnd gottsjämmerlich losgedroschen. Dio-
nysos will den Gott herausbeissen und verbeisst die Schläge. Xan-
thias hat, was Prügel anbetrifft, längst seine Apotheose hinter sich
und kann einen Götterpuff vertragen. Dionysos fängt an „scharfe
Zwiebeln zu riechen", und schreit ah! viermal; schluckt jedoch
die Zwiebeln hinunter. Jetzt kommt aber eine Bolle, die ihn in
seine Lieblingsstimmung versetzt, ins Dithyrambische. Aufschreit
er: „Apollon, — der du Delos oder Pytho schirmst", — fasst sich
aber und lächelt gottzwiebelselig: „Nur ein Jambos aus Hipponax",
meint er, „wäre ihm gerade bei dieser Gelegenlieit durch den
Kopf gegangen." (671 ff.):
Xanthias (zu Aeakos). So schallst du nichts; zerbhäue lieber ihm den
Wanst.
Aeakos. Zeus weiss es: auf denn, strecke deinen Bauch daher!
Aeakos schlägt auf den Gottbakchosbauch. Der Weingott ruft
den Wassergott, Poseidon, an, etwas Wasser in des Höllenrichters
feurigen Wein zu mischen, und bedient sich dazu einer Stelle aus
Sophokles' Laokoon:
Dionysos. ,, Poseidon, — "
Xanthias. Einem that es weh!
Dionysos. ,,Der du waltest am Agäerstrand
Oder in des blauen Meeres
Tiefem Grund!"
Aeakos. Ha bei Demeter! Kann ich's doch in keiner Art
Ergründen, wer von euch der Gott! Nun geht hinein.
Denn unser Herr und Persephassa werden euch
Alsbald erkennen, da sie gleichfalls Götter sind.
Die Frösche. Parabase. 197
Dionysos. Ganz recht; indessen wünscht' ich nur, du wärst zuvor
So klug gewesen , eh' du mir die Schläge gabst.
(Alle ab.)
Hier folgt die Prachtparabase (675 — 737). Wir geben ein Stück
daraus pour la bonne boiiche ; einen Theil vom Tbeile, da die Pa-
rabase der Frösche nur die zweite Hälfte, die trochäische Partie
vorträgt, den antistrophischen Theil, Epin-hema und Antepirrhema.
Die anapästische Partie scheint von der Parodos (v. 316 ff.) al)-
sorbirt:
Chorführer. Wandle mii-, Muse, heran zu den heiligen Chören und neige
Dein Ohr meinem Lied.
Wohl geziemt's dem frommen Chore, was der Stadt Ge-
deihen schafft,
p]inzuschärfen und zu lehren. Und vor Allem rathen wir,
Dass ihr gleichstellt alle Bürger und verbannt die Schreckens-
zeit,
Jedem, der gefehlt, von arger List umgarnt desPhrynichos •),
Muss es, sag' ich, unverwehrt sein, wenn er da gestrau-
chelt hat,
Durch Verantwortung zu tilgen seiner alten Fehle Schuld.
Weiter mein' ich: ehrlos darf hier Keiner seyn in unsrer
Stadt.
Schimpflich ist's ja, wenn ein Jeder, der zur See Einmal
gekämpft,
Gleich Platäer wü'd, ein Herr wii-d, wer vordem ein Sklave
war, — 2)
Was ich gar nicht tadeln möchte, dass es ungehörig sey,
Nein, ich lob' es, denn allein hier habt ihr
euch als klug bewährt; —
Doch dabei ziemt's euch, den Bürgern, die mit euch so
oft zur See
Schon gekämpft sammt ihren Vätern, euch verwandt durch
Stamm und Blut,
Nachzuseh'n den Einen Unfall, wenn sie flehn um diese
Gunst.
Auf vergesst denn alles Grolles, ihr so weise von Natur,
1) Der die Schreckenszeit der Vierhundert hatte lierbeiführen lieircn.
— 2) In der Seeschlacht bei den Argmusischen Inseln (vor Lesbos) liatten
die Sklaven tai)fer initgcfochten und den grossen Seesieg über die Spartcr
erkämpfen helfen. Sie erliielten dafür die Freiheit und das attLsche Bür-
gerrecht.
J98 Die griechische Komödie.
Lasset ubs die Menschen alle, die mit uns zur See gekämpft,
Freudig als Verwandte werben, Bürgerund an Ehre gleich !
AVenu wir hier uns überheben, wenn -wir uns hoffärtig
bläh'n,
Jetzt zumal , wo Sturm und Woge schaukelnd uns im Ai-me
wiegt,
Leben wir im Mund der Nachwelt nicht dereinst als Weise
fort . . .
Wie gross ist diese Komik ; wie mächtig gTOSs diese Dichter
und wie lächerlich klein unsere tendeuzscheueu Nebelingeu, die
Nebelzwerge der romantischen Nebelkappen-Dramatik, die denn
auch Alles unsichtbar macht: Poesie, Geschichte, Körper und Ab-
druck des Jahrhunderts, und deren Zauberkraft darin besteht, dass
sie das Leben in sein Anagramm umkehrt.
Die zweite Hälfte der Frösche, die Avunderl^arste Kunstkritik
als Komödie, die Psychostasie, die Kunstseelenwägung der beiden
Tragiker, haben wir bereits in unserer Besprechung desEuripides
gewürdigt. Die Komödie schliesst mit der Zurück-führung des'Ae-
schylos durch Dionysos, nicht des Euripides, in die Oberwelt nach
Athen, um durcli weisen liath, wie Pluto's Geleitsegen lautet, „die
uns geliebteste Stadt zu retten."
Die Ekklesiazusen CE-KyckrjOtcc^ovoai, Weibervolksver-
sammlung), Ol. 97, 1=392. Die Bestimmung der Auffülirungs-
zeit beiTiht auf einem Schol. Eccl. 195, wonach das (v. 195 f.
Eccles.) berührte Bündniss zwischen Athen, Theben, Korinth und
Argos, einer Angabe des Philochoros .gemäss, Ol. 96, 3 = 394,
zwei Jahre vor der Auftührung der Ekklesiazusen, wäre abge-
schlossen worden.
Das Problem dieser dritten von Aristophanes' Weiber-Komö-
dien muss uns, die wir das Thema, als zeitgeschichtliche Frage,
das gegenwärtige Geschlecht lebhaft beschäftigen sahen, von allen
Komödien-Motiven des Alterthums das überraschendste und das
unserem Jahi'hundert waldverwandteste scheinen. Frauen-Eman-
cipation, Frauen- und Gütergemeinschaft, um solche Fragen be-
wegt sich diese WeiberhciTschafts- Komödie. Nicht etwa blos
theoretisch, in Form eines lustigen Fraueneinfalls, Plans und An-
schlags; nein praldisch durchgeführt, als Handstreich von den
Frauen selbst den Männern über den Kopf weg, die es sich schliess-
lich — und das ist des Spasscs lustigste Spitze — gefallen las-
Aristo]jliaücs' Ekldesiazusen. Praxagora. |99
seu. Gewiegte deutsche Gelelu'te, Sclileiermaclier V? Bergk '^) ; vor
ihnen Morgenstern ^j , und noch Glypheus ■*), haben in dieser Ko-
mödie eine Parodie des Platonisclien Staats vermuthet, eines Wer-
kes, das zur Zeit der Auflulirung derselben noch gar nicht exi-
stirte.^) Gesteht doch Piaton selbst **) dem Aristophanes die Prio-
rität zu, wenn er dergleichen Grundsätze, wie Gemeinschaft der
Frauen u. s. w., gegen die Verspottung der Komiker verwahrt, die
sie lächerlicli dargestellt hätten.'') Aristophanes' Frauen haben
niclit nur ihren Männern, l)ei nachtschlafender Zeit, zugleich mit
den Kleidungsstücken die praktische Lösung der Frage über den
Kopf weggenommen; und nicht blos dem Piaton, sondern auch
den Communisten und Socialisten neuerer Zeit. Baboeuf, Saint
Simon, Gäbet, Proudhon und Madame Sand sind von der Bürge-
rin Praxagora und ihren Mitschwestern in der Selbstemancipa-
tion schon 392 vor Cln-. überholt worden. Ja Aristophanes' Weiber
haben diese Theoretiker in den äussersten Consequenzen des po-
litisch socialen Princips üljerliügelt, deren praktischen Werth sie
durch die unmittelbare über Nacht erfolgte Verwirklichung be-
wiesen. Den Fundamentalsatz der Communisten und Socialisten:
Eigenthum ist Diebstahl, trägt Praxagora, gleich bei ihrem nächt-
lichen Heraustreten aus dem Hause, in den ihrem schlafenden
Manne gestohlenen Kleidungsstücken unter dem Arme. Mit des
Mannes Hose — nach unserer Kleiderordnung — hat sie zugleich
die Zügel der Herrschaft ergriffen. Die That geht hier der Theo-
rie voran, die ihr erst V. 590 nachhinkt. Als Blepja'os, Pra-
xagora's Gatte, mit der Diogenes - Laterne seine Hosen sucht
und in ilmen den Mann, ist schon am frülien Morgen die
Staatsumwälzung erfolgt. Dank der Stimmenmehrheit, welche
die als ))äi-tige Männer verkleideten Frauen auf der Pnyx durcli
UebeiTumpelung erlangt. Jetzt erst trägt Praxagora ihrem eheli-
chen Ohnehosen den Fundamentalsatz theoretisch vor in Ana^tästen:
Icli will, daös Alles Gemeingut sey, das.s Jegliches Allen gehöre,
1) Piatons Werke B. 2, 1. S. 2ü. - 2) Rel. Com. att. p. 81. 404. —
3) De Piaton. Rop. Hai. 1794. — 4) Aristoph. Wcibervolksvers. Nebst einer
Abhandlung über Veranlassung, Absicht und DarstcHung d. .Stücks. Stuttg.
1836. - 5) C. Fr. Hermann De Uep. Plat. tempurib. Marb. 182!». --ü) ßep.
V. p. 453. 457. — 7) Vgl. Bude a. a. (). 3(52, 2.
200 I^iö griechische Komödie.
Dass Alle sich nähren von Einem Besitz , — nicht Dürftige geh' es und
Keiche . . .
— Allen gemeinsam mach' ich und Eins und gleich in Allem das
Lehen.
Aufs erschöpfendste wii'd die Doctrin zwischen ihr und ihrem
Manne, nach allen Seiten, ventilirt. Die Scene enthält die ganze
Kritik dieser Frage, und wird die Frauen- und Güter-Gemeinschaft
insbesondere von Praxagora so lichtvoll entwickelt und Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit für Alt und Jung,
Schön und Hässlich , so gleich massig alige wogen und vertheilt,
dass Blepyros, als ihm vollends Praxagora einen Vorschmack von
dem gemeinsamen Tafeln und Schmausen giebt und ihm das Bild
der Tafelfreuden so reizend ausmalt wie möglich, Hose und Re-
giment auf dem Altar der Frauen- und Schüsselgemeinschaft
opfert, mit hosenfreiem Hochgefühle begeistert ausrufend f 725 ff.):
Wolüan!
Ich folge dii- jetzt immer auf der Ferse nach,
Dass aUe Leute schau'n nach mir und rufen : ,,seht,
Seht unsrer Fürstin Ehgemahl! Bewundert ilm!"
Zu den lustigsten Situationen giebt das Alter -Vorrecht in
Liebessachen zwischen alten Koketten und jungen Mädchen An-
lass. Wir erhalten dadurch eine Fenster-Scene , in welcher man
das Vorbild zu 'den reizenden Balkon- und Ständchen -Scenen in
den Operetten des vorigen Jahrhunderts, eines Sedaine, Fiorivante
und selbst des göttlichsten aller Meister, Mozaiis, finden könnte,
dieses Oi-pheus-Aristophanes. Ein altes geschmücktes Weib er-
scheint am Fenster; am Fenster gegenüber ein junges Mädchen,
beide des Trauten harrend, liebeschmachtend. Die Alte im Kro-
kosröckchen trällert vor sich hin ein Liebeslied (877 ff.):
Musen, schwebt herab auf meinen Mund
Und haucht in Jonerweise mir ein Liedchen ein . . .
(singt zur Flöte:)
Wünscht es Einer gut zu haben,
Muss er ruh'n in meinen Armen;
Die verstehen Nichts, die Jungen,
Wir verstehen's allein, die Reifen,
Keine küsst und herzt so brünstig
Ihren Freund, als ich den Schatz,
Der mir im Arm ruht;
Nein, sie flattert stets zu neuen.
Ekklesiazusoii. Ständchen-Terzett. 201
Das Mädchen (singt)
Schmähe nicht auf uns, die Jungen!
Denn die süsse Lust der Jugend
Haucht um die zarten Hüften,
Und umhlüht die schwellenden Aepfel.
Du Greisin
Liegst geschniegelt, übertüncht da,
Eecht wie die Braut des Todes.
Die Alte. — — _ — ^ — — — — —
Dass du eine Natter im Bette
Fändest und an dich heranzögst.
Wenn dich nach Küssen lüstet!
Das Mädchen. Weh mir, weh! Wie geschieht mir noch?
Noch nicht kommt mein Trauter ;
Allein, einsam harr' ich hier;
Denn meine Mutter ist ausgegangen
Und nun. — was Weit'res zu sagen brauch' ich nicht.
Amme, ja, den Orthagoras i),
Ach, ruf ihn her ! . . .
Ein Jüngling tritt auf (938 ff.):
Der Jüngling (singend)
Dürft' ich doch mit der jungen Dirne kosen.
Nicht erst einer verschrumpften alten Hexe
Noch einem Stumpf mehr mich nahen . . .
Die Alte (am Fenster)
Da kommt der Holde selbst heran, von dem ich sprach!
Hier herein, hier herein,
Trauter Schatz, komm herein . . .
Mich stürmt das Verlangen umher,
Kind nach deinem Lockenhaar;
Ungestüm drängt die Sehnsucht mein' Herz,
Die inich verzehrend umfangen hält . . .
Der Jüngling (zu dem Mädchen hinauf)
Koiiiin heran, komm heran, steige doch
Zu mir herab und öffne mir die Pforte! . . .
Trautestes Mädchen, ich Hebe,
Thu' auf, umarme, küsse micli !
Um dich leid' ich Pein.
Mein goldner Schatz, meiner Gedanken Wonne,
Kind Aphrodite's,
Der Musen Biene, du, der Huld-
1) Ihren Komeo.
202 t>ie griechische Komödie.
Göttinnen Pflegling — —
Thu auf, uinanne, küsse mich!
Um dich leid' ich Pein. (Er pocht.)
Die Alte öffnet die Thüre. Sie bemächtigt sich seiner. Er sträubt
sich mit Händen und Füssen: heute, meint er, sey nicht die Reihe
an den üebersechzigjährigen :
Was unter zAvanzig wird von uns jetzt abgemacht.
Er wäre verloren, käme ihm nicht eine zweite Alte zu Hülfe, noch
scheussHcher als die erste und noch gesclmiinkter. Diese zieht
gleich eine Rolle hervor, den „Volksbeschluss , wonach er ilir zu
folgen hat" und liest ilim denselben vor. Das Mädchen befreit
ihn von dem Scheusal. Eine dritte, vierte Alte kommt. Es hängt
Gewicht sich an Gewicht, eine hässlicher als die andere. Als
die Vierte sich entschleiert, ruft der Jüngling mit Entsetzen
(loeSff.):
Hilf, Herakles!
Ihr Korj'banten, Pane, Dioskuren, helft!
Viel grauser noch ist diese Pest, als jene dort.
Was ist, um's Himmel willen, das für ein Ungethüni?
Ein Affe wohl, mit lauter Bleiweiss überschmiert?
Ein altes Weib, das aus dem Hades auferstand?
Die vierte Alte. Lass dein Gespött und folge mir!
Die dritte Alte. Nein, folge mii-! . . .
Jüngling. Ihr reisst mich noch in Stücke, verwünschte Hexen ihr!
Die dritte. ]Mif, mir zu folgen hast du dem Gesetze nach.
Die vierte. Nein, mir; den Vortritt hab' ich als die Hässlicliste . . .
Eine betrunkene Magd der Praxagora, Blepyros und der Weiber-
chor beschliessen die Komödie. Sie laden das ganze Publicum
zum Abendsclimaus. Die Chorführerin fordert den Blep}T0s auf,
sich ein Mädchen zu nehmen, und wendet sich dann an die Preis-
richter im Publicum (11 54 ff.):
Nur eine Mahnung ruf ich jetzt den Richtern zu :
Erst den Weisen, meiner Weisheit eingedenk zu krönen mich,
Dann den Lachern, weil ich ihnen Spass genuicht, zu krönen mich,
Und somit beschwör' ich Alle, wohlgeneigt zu krönen mich.
Das klingt wie ein Ghazel von Haiis. Die Chorführerin, im Na-
men des Dicliters, fährt fort:
Lasst uns auch nicht das entgelten, dass zuerst uns traf das Loos,
Ekklesiaziisen. Fraucneniancipation. 203
Aufzuti'eten; nein, gedenkend alles dessen, müsset ilu'
Ueber unsre Chöre richten, stets gerecht, dem Eide treu.
Ahmet nicht der argen Sitte schnöder Buhlerinnen nach.
Welche nur im Sinn behalten, wer zuletzt mit ihnen war.
Das Loos entschied also, v/ie schon erinnert worden, die Reihe-
folge, in welcher die Wettkämpfer mit ihren Stücken vorgingen.
Der frische Eindruck, den der letzte, der dritte, mit seinem Stücke
zurücklässt, war eine Gunst des Zufalls, den die Chorführerin den
Preisrichtern zu erwägen gieht. Der erste Halbchor erinnert nun
daran, dass sie „hin zum Schmause tanzen." Zweiter Halb-
chor (gegen die Zuschauer gewendet):
Ha, sie kau'n schon los darauf.
Und tanzen jauchzend davon.
Hinsichtlich des Chors ist noch zu bemerken, dass er der
eigentliche Schauspieler in dieser Komödie ist, und Praxagora
zugleich Chorführerin und Protagonistiu. Die Frauen erscheinen
in corpore gleich zu Anfang auf der Bühne, nicht als Chor, son-
dern als Schauspielerinnen; führen jedoch, nicht in der üblichen
Zahl von höchstens drei Sprechern, sondern ihrer zehn das Ge-
spräch, die Wechselreden in Weise von Choreuten tauschend.
Erst im zweiten Acte, wo die Frauen von der Pnjrx zurückkehren,
erscheinen sie als Chor in der Orchestra, und halten eigentlich
nun erst ihre Parodos. Die Paral)ase fehlt. Das socialistische Mo-
tiv hat gleichsam das politische absorbirt. In Bezug auf jenes
ist, im Vergleich zum Emancipationsbcgriffe der Neuzeit, der Un-
terschied festzuhalten: dass der griechische Komiker die Absur-
dität der vom Communismus, als auszuführendes Problem, aufge-
stellten Forderung an einer thatsäclilichen Verbeispielung nach-
weist und lächerlicli macht; mit einem ])edeutsamen Fingerzeige
jedoch auf den Ursprung solcher Pseudo-Probleme, als Auswüchse
entarteten Mannt hums und eines in der Auflösung begi-ilfenen
Staatswesens. Frauenhen-schaft, Frauenemancipation, im Sinne
jener Doctrin, ist dem Komiker, wie jeder gesunden Auflassung
des Staats- und Familienwesens, nichts anderes als die Ausge-
burt sittliclier p]ntmaiinung; das Aftorgebilde eines aus der Art
geschlagenen, in gemeine Genusssuclit und Sinnenlust versunkenen
Männergesclüechts. Frauenherrschaft und lustgekneclitetes Mann-
204 l^i^ g-riochische Komödie.
thum stehen in so nothwendig-er Wechselbeziehung, wie Omphale
in der Löwenliaut mit einem Herakles am Kimkel in der Weiber-
haube. Mit der HeiTschaft der Genusssucht ist schon die Frauen-
heiTSchaft volll)racht. Und allzeit und überall wird ihr Thron
auf den Trümmern derMannheit aufgerichtet. Die George-Sand' sehe
Frauenemancipation ist der Bienenstaat im Löwenaas.
Aus den Fragmeuteu der 32 Komödien, die Bergk^), der
43, die Meineke-), der 52, die Kanke^) dem Aristophanes zu-
schreibt, kurz aus den Fragmenten der schliesslich auf 41 festge-
stellten Gesammtzahl von Aristophanes' untergegangenen Komödien
lässt sich von den wenigsten auch nur der ungefähre Inhalt er-
kennen, und nur von vieren derselben die Aufführungszeit be-
stimmen. Diese vier Komödien sind: Die Zecher (.daiTaXeig)
Ol. 88, 2 = 427 von Philonides auf die Bühne gebracht. Es Avar
bereits von ihnen die Rede. Die Babylonier Ol. 88, 3 = 426.
Didaskalos Kallistratos. Ebenfalls schon erwähnt. Der Proagon
(die Vorfeier oder das Vorspiel) Ol. 89, 3 -=422. Eine muth-
maassliche Parodie auf die von Emipides in den Kreterinnen be-
handelte Thyestessage , mit Euripides als Hauptrolle. Dass Phi-
lonides mit dem Proagon die Wespen besiegte, ist schon mitgetheilt.
Der Amphiaraos, Ol. 91, 3^114 gespielt in den Lenäen,
zwei Monate vor den Vögeln. Die Aschen-Propheten als Reliquien-
Sammler weissagen rückivärts aus der Fragmenten -Asche des
Sehers Amphiaraos, dass diese Komödie des Aristophane's die Tra-
vestie einer gleichnamigen Tragödie gewesen, mit Beziehung auf
Kiiegsereignisse der Gegenwart.
Die unsterblichen Reste der Holkaden (Lastschifte) und der
Gorgonen (Landleute), sehnen sich nach Ruhe; jene, versunken
im Meere der Vergessenheit; die „Landleute" nach Grabesfrieden
in ländlicher Abgeschiedenheit. „Die Sehnsucht nach den Seg-
nungen des Landlebens spricht sich deutlich m ihnen aus" — so
sey Dmen die Landerde leicht; lassen wir sie ruliig darunter mo-
dern. Li den Heroen vernmthet man den Contrast der attischen
Vorzeit mit der Gegenwart. Die Frauen, welche die Thea-
terplätze vorwegnehmen {2-Krjva^ %aTala(.ißdvovoai), nah-
1) Aristoph. fragui. Brl. Jb4(». p. 13. — 2) T. 2, 2 p. 901. — 3) de
Aristoph. Vita p. (^CCXII tt".
Aristophanes' verlorene Komödien. 205
men wahrscheinlich die Plätze in der Komödie in Beschlag, von
welcher sie angeblicli ein Gesetz ausschloss, das Niemand kennt
und, „wie sich wohl annehmen lässt", in falschen Barten und in
Männerkleidern, ähnlich wie die Weiber in den Ekklesiazusen die
Pnyx besetzen. Was sie aber im komischen Theater durchsetzen
wollten, „steht dahin." Die Lemnierinnen, Anagyros, Tri-
phaies, sind drei Titel mit sieben Siegeln. Ueber die Komödie
Gerjtades hat Athenäos ') einige Notizen aufbewahrt, woraus
sich ergiebt, dass die Scene in der Unterwelt spielte, „wohin drei
ausgehungerte Poeten, Sannyrion, Meletos und Kinesias, als Re-
präsentanten einer dreifachen Kunstübung, der Komik, Tragik und
Dithyrambik, von ihren lebenden Mitbrüdern gesandt worden, um
daselbst die abgemagei-te Poesie mit den Phrasen der verstorbe-
nen Dichter wieder zu stärken und zu kräftigen. Charon hatte
seine Noth, die drei winzigen Gestalten ohne Ballast über den
PTuss zu schiffen. Sie waren so hungrig, dass sie das Wachs von
ihren Beglaubigungstäfelchen unterwegs verzehrt hatten." 2) Die
drei Hungrigen leben in den Reliquiensammlern fort, als welche
sie nun die Beglaubigungstäfelchen selbst verspeisen. Im Däda-
los bemächtigt sich, mit Hülfe dieses Attrappen-Künstlers, Zeus
durch immer neue Verwandelungen der Leda. Vermuthlich war
der Schwan das männliclie Seitenstück zu der hölzernen Kuh des
berülmiten Ki-etensischen Hof-Mechanikers. Die Danaiden gel-
ten für eine Parodie der Tragödie gleichen Namens. Die Dramen,
meint man, enthielten ein Drama im Drama, wie Hamlet's „Mause-
falle" solch eines ist; mit dem Unterschiede, dass Aristophanes'
Mausefalle mit Mann und Maus zu Grunde ging; das Drama mit
dem Einschluss(h'ama zusammen. Üb die Pelarger älteste
Ackerbürger von Hellas oder Störche waren, wissen die Frag-
menten-Forscher nicht, da der Titel beides bedeuten kann. Der
Polyeidos hatte ehien Walirsager zum komischen Helden, der
den jungen, in einem Syrupfass ertrunkenen Königssohn Glaukos,
Prinzen von Kreta, ins Leben zurücla'ief. Ob darin auch der Hof
von Kreta, als Clior von Höflingen, vorkam, die den Priiizen trocken
leckten, davon melden die Fragmente nichts. Die Tage nisten
{TayrjviaTul \on tüytjvo)' SchmorpHanne) scheinen mit der Sclima-
i) XII, 551 A. VII, 307 E. — 2) Bergk j). Il7ir. Bude 371, 8.
206 -^i^ griecMsche Komödie.
rotzer-Komödie verwandt. In den Te Im ossiern mochten Künste
der Waln-sager verhandelt Avorden seyn, laut Titel, der auf die
Bewolmer von Telmossos (St. in Lykien) gehen kann, die besten
Traumdeuter ihrer Zeit. Was können die Phönissen anders
gewesen seyn, als eine Parodie von Euripides' Ti'agödie gleichen
Namens? Stoff dazu und Angriffspunkte l)ot sie reichlich dar. Ob
die Hören die Tendenz von Kratinos' gleichnamiger Komödie
hatten, wie Welcker ^) glaubt, steht wieder dahin. Aristophanes'
Hören sollen, als Chor, den Streit altattischer Gottheiten mit dem
in Athen aufgenommenen Dienste phiygischer Gottheiten, der
Kotytto, des Sabazios u. dgl. m. begleitet, und der Streit mit
der Exmission der letztern geendet haben.
KokalosundAeolosikon Messen, wie schon erwähnt, die
beiden letzten, aber nicht von ihm selbst aufgefühi-ten Dramen
des Aristophanes. Beide trat er seinem Sohne Aratos ab, der sie
(bald nach Ol. 98, 1 =388) unter eigenem Namen auf die Bühne
brachte. Im Aeolosikon erkannten die Alexandrinischen Kritiker
den Charakter der mittlem, im Kokalos den der neuen attischen
Komödie. Der Kokalos spielte im Hause des Königs Kokalos in
der sikelischen Stadt Kamikos, und hatte die Verfolgung des Dä-
dalos durch Minos, König von Kreta, zum Gegenstaude. Da das
Stück Verführung, Erkennung u. s. w. erhielt, rechnet es die Vita-)
zu der Meuander-Komödie. Auch soU PhUemon den Kokalos in
seinem H3^)obol}^näos benutzt haben. ^) Aeolosikon, wie schon
berichtet, war eine Travestie von Euripides' Aeolos. Im Titel hat
Gravert*) eine Zusammensetzung von Aeolos und vom Koch Si-
kon erkannt.
Mittlere attische Komödie (jj fj-eat] mof.updla).
Ihre Blütliezeit fällt, nacli Meineke^), in den Zeitraum von Ol. 97
bis Ol. 1 10,3=388; eine Periode von etwa vierzehn Olympiaden, die
zwischen dem Abschluss des pelopomiesischen Krieges und der
Schlaclit von Chäroneia liegt. Diese Geschichtsepoche bezeichnet
für den attischen Staat eine üebergangskrise von demokratischer
HeiTSchaft und Freilieit zum Verluste nationaler Selbstständigkeit ;
1) Rhein. Mus. 1838. S. 58.5. — 2) p. .544, 25. — 3) Clem. Alex.
Strom. VI. ]). 752. — 4) Nicbuhr's Rhein. Mus. 1828. S. 59ff. — 5) Quaest.
scen. II. 1». 2.
Mittlere attische Komödie. 207
eine Uebergangsphase von oberherrliclier Volksmajestät zur djna-
stischen Familienherrschaft halbharbarischer , (Uirch asiati-
schen Einfluss entarteter Truppenführer (Diadochen;, die das west-
östliche Weltreich des grossen Alexander in Ideine Löwenautheile
zerfleischten. Gleichergestalt bildet die mittlere attische Komödie
nur eine Uebergangs-Abart zwischen der grossen erloschenen Ko-
mödie Staats- und volksfreier 01)erheit und der kleinen Haus- und
Hof-Komödie des Privat- und Familienlebens, der sogenann-
ten neuen Komödie (jy vsa), welche auch die neuere und neueste
geblieben; als deren Begründer und Meister Menandros durch alle
Zeiten gefeiert wird, und die noch heutigen Tags als die allein
mid ausschliesslich gültige sich behauptet. Schon A. W. Schle-
gel h hat die mittlere attische Komödie nur als eine Uebergangs-
form betrachtet. Diesen schwankenden Mittelcharakter derselben
hebt auch 0. Müller^) hervor. Ebensowenig lassen sich feste
Grenzpunkte für sie bestimmen. Tzetzes zälilt denn auch, ausser
dem Komiker Piaton, den Kratinos, Eupolis, Pherekrates, Aristo-
phanes u. s. w. zur mittlem Komödie "O, auf Grund solcher Stücke
offenbar, die als Zwischengattung den Charakter dieser Gattung
tragen, deren Wurzel in der altsikelischen Komödie, in der Ko-
mödie des Epichannos, zu suchen.
Betrachten ^vir die mittlere attische Komödie, soweit solches
die Bruchstücke gestatten, in Bezug auf Stoff und Form, so wird
sich, dem Angedeuteten zufolge, auch nur ein ZAvittercharakter
derselben von vorwaltend negativer Beschaffenheit ergeben. In
Ansehung des Stoffes ist sie auf Enthaltung von aller persönli-
chen, insbesondere gegen politische Charaktere gericliteten Satire
angewiesen. Andererseits hat sich diese Mittclgattuug noch nicht
zur Familien -Komödie entwickelt. Nach beiden Richtungen liin
also zwischen zwei Inhaltslosigkeiten schwebend, zwischen der
Entfremdung vom öffentlichen Staatslebeu und dem Unvermögen
sich zur Familienkomödie zu erschliessen , musste ihr Spielraum
nothwendigei-weise auf allgeineiiie Zustände, auf ein Absehen eben
vom Besondern und Persönlichen, ))eschränkt bleiben. Staat und
Haus, Gemeinwesen und Familie, blieben ihr verschlossen: wo
1) Vorles. I, 329. — 2) Gesch. d, hell. Lit. 11, 2üs. - .i) Craiu. Aiiecd.
üxüii. T. 3. p. 337, I.
20S I^ie griechische Komödie.
wird sie nun ihre Stätte aufschlagen ? Wie sie selbst eine Mittel-
stellung einnimmt, so wird sie aucli nur au eiuer Zwischensta-
tion gleichsam verkehren, sich nur einen provisorischen Aufent-
halt erobern, ihre Palästra nur auf einem Tummelplatze finden
können, der ähnlich zwischen öffentlichem und häuslichem Ver-
kehrsleben die Mitte hält: die Strasse, den offenen Markt. Die
mittlere Komödie ist die Komödie des öffentlichen Strasseulebens
und Markttreibeus, die Komödie des halb müssigen, halb bürger-
lichen Geschäftstreibens in häuslichen oder Gewerbs-Angelegen-
heiten. Ihre Figuren sind daher auch Markt- und Strassentypen ;
Gattungsfiguren des Strassenverkehrs, öffentliche professionelle
Charaktei't3T)en nach Ständen, Handwerken und Gewerben: Phi-
losophen, Köche, Fischhändler, Schmarotzer, Hetären; in jener
Zeit sämmtlich öffentliche Personen, Stadt- und Ständefiguren.
Der Allgemeinheit ihrer Personen entsprechend, ist die Sitten-
schilderung und die Satire in dieser Komödie gehalten. Namliaft
verspottet kamen in der Regel nur verstorbene Berühmtheiten
vor. Die AugTifle auf Lebende, auf Philosophen und Sophisten
des Tages z. B., sind nicht, wie die des Aristophanes gegen So-
ki'ates, auf die Gemeinschädlichkeit, sondern scherzhaft gegen ihre
Spitzfindigkeiten, ihr äusserliches Wesen und Gebahren gerichtet.
So z. B. im Pythagoristen {llvd-ayoQiöci.c) von Aristophon,
einem Dichter der mittlem Komödie. Hier beschränkt sich die
Satire auf Verspottung der ünsauberkeit, der schäbigen Mäntel
der Pythagoräer, die aber gleich den harmlosen üngiimpf mit der
Entschuldigung ihrer Armuth wieder gut macht. „Setz ihnen
aber nur eine gute Schüssel Fleisch oder Fisch vor, und ich will
zehnmal gehängt seyu, wenn sie nicht alles begierig verschlingen
und mit den Bissen ihre Finger dazu". 0 In einem andern Frag-
ment des Dichters F^pikrates-j werden akademische Schüler des
Piaton, Speusippos und Menedemos, wegen der grübelnden Verle-
genheit verspottet: in welche Klasse von Geschöpfen oder Vege-
tabilien die Koloquinte zu bringen sey. Das einzige Bittere in
dieser Satire ist die Koloquinte. Der vorzüglichste Dichter der
mittlem Komödie, Antiphanes, macht sich, in einem Gespräch
zwischen Vater und Sohn, über das syllogistische Kauderwelsch
1) Mein. fr. Com. gr. iU. p. 302. fr. III. — 2) Das. III. p. 370.
Die Hetäre der mittleren Koiiiiklie. 209
der Sophisten in seiner Komödie Kl eop ha nes lustig, ohne einen
Namen zu nennen, i) Die satirische Geissei wird in der mittlem
Komödie, wie der Stock auf jener gutmütliigen Insel in der Posse,
gehandhabt, wo die blossen Kleidungsstücke des Missethäters,
nicht der Ideiderblosse Verbrecher, gezüchtigt werden. Nicht so
leichten Kaufs kommen die Hetären davon. Hu'e preisgegebenen
Namen werden rücksichtslos an den Pranger gestellt und ihr Le-
benswandel mit Dornen und Nesseln gestäupt. In seiner Komö-
die Antilais nennt Epikrates die berühmte Lais „die FauUieit
und Trunkenheit in Person", und schildeit die alternde Hetäre
so herantergekommen von ihrem einstigen sii'enengieichen Zauber
und satrapenartigen Wohlleben, dass sie nach Jung und Alt für
ein Abendbrod angelt. „Sie ist so zahm geworden, dass sie selbst
ihren Buhlpfennig aus der hohlen Hand pickt."-) „Welches wilde
Drachenweib", heisst es in einem Fragment aus der Komödie
Neottis {NsoTTig) von Anaxilas, „welche feuerschnaubende
Chimäre, welche dreiköpfige SkyUa, welche Seehüudin, Spliinx,
Hydra, Löwin, Viper, geflügelte Harpye, hat jemals an Bosheit
diese verächtliche Brut (der Hetären) überboten ?"3)
Von Perikles, Kleon und Alkibiades, der Hochjagd der alten
Komödie, zu dem käuflichen, marktläufigen Nachwuchs der Aspasia,
zu den allgemeinen Schönheiten einer Plangon, Theano, Phryne
und Lais, welcher Abfall! Gleichwohl bilden diese das Vermitte-
lungsglied zwischen der böheren Staats-Hetäre, der Maitresse des
Perikles, und den Buhldirnen der neuen, der Sklaven- und Kupp-
ler-Komödie des Menand(;r: das einzige verwandtscbaftliclu; Band
vielleicht, das die drei Komödien -Gattungen verknüpft. Doch
welcherlei Art sind die Motive in dieser lel)haften Hetären- Sa-
tire? Entspringen sie etwa aus einem Sittliclikeits- oder nur Scliick-
lichkeitsgefühl von Seiten der DichterV „p]pikrates," bemerkt Guil-
laume Guizot in seiner Preisschrift ') , „Epikrates , Anaxilas und
Alexis, sie alle scln^nen sich vielmehr an dem Laster rächen, als
es verdammen zu wollen; sie warnen ihre Zuliörer, sich von den
Buhldirnen an der Nase herumführen zu lassen; nicht dass sie
die Warnung von Laster und Ausschweifungen zurückschrecken
1) Das. m. \>. 64. — 2) Das. 111. \,. 'M:^. Ir. 11. — 3) Das. p. 347.
1.-4) Meiiandre. Paris lS5rj.
U. 14
210 Die griechisclie Komödie.
soll. Nehmt euch vor diesen Geschöpfen in Aclit, das wollen sie
hlos sagen; sie werden euch in's Verderben stürzen, ohne euere
Opfer durch Gegenliebe zu verdienen. Nie und nirgend aber sa-
gen jene Dichter: Seht euch vor! Diese gefährlichen Wesen wer-
den euch sittlicli und geistig zu Grimde richten, euch verweich-
lichen und entnerven. Nicht gegen die Buhlerinnen als solche
sind ihre Angriffe gericlitet. Sie brandmarken nur die habsüch-
tige, falschherzige Verführerin, und ilire Ermahnung geht blos
dahin, das Vergnügen nicht zu theuer zu bezahlen. Allesammt
stimmen vielmehr in den Wahlspruch des Amphis ein: Liebt,
trinkt mid geniesset, denn das Leben ist kurz und ewig der Tod." ^)
Eine Hauptrolle in dem Personalbestande der mittlem Ko-
mödie spielten zwei andere Markt- und Strassenfigureu : Die Köche
und Parasiten; beide von der altmegarischen und sikelischen
Komödie überkommen. Im südlichen Italien ist noch gegenwär-
tig die Strasse zugleich allgemeine Volksküche; kein Wunder,
dass der Koch ein öffentlicher Charakter wurde. Hat ja Aristo-
phanes die Strassenköcherei in seinem Wurstschmorer Agorakritos
gar personificirt, und ihn zum Staatskoch und Demosverjünger
auserlesen. In der neuern Zeit haben sich Staats- und Kochkunst
in der Diplomatie aufs innigste gegattet und verschmolzen. Kü-
chen- und Feldbatterien, Schüsselgänge und Congresse, Far9e von
Gänselebern und Minister-Conferenzen-Farfe, Speise- und Stäude-
tafeln, Anrichtetisch und Ministertisch, ragoüt fin ä l'Empereur
als Zweite December, und verlorene Hühner ä l'italienne ; Kälber-
gesclilinge en caisser au pamiesan und in die Pfanne gehauene
Volksrechte und Nationalversammlungen; geschworene Verfassungs-
Eide imd gepeitschte Sahne oder vol au vent - endlich der
grösste Haussegen jener Einheit von Staats- und Kochkunst: dass
der Wirth, Budget, die Zeche bezahlt. Köche, Maitressen und
Parasiten, drei Grundsäulen der mittlem Komödie, waren von je-
her auch die Grundpfeiler der Diplomatie und Staatsregierungs-
kunst. Es ist desshalb ein Zeichen jener Zeit, dass die mittlere
Komödie mit ihrem (.'harakter-Masken-'J'erzett, als Uebungsdrama,
den Antritt der Diadochen-Herrschaft inaugurirte, dieses Bastard-
regimeutes von euro]iäisch-asiatischem Älonarchenthum, dem Vor-
1) Mein. fr. i'om. gr. III. ].. 227.
Die Parasiten der mittleren Komödie. 211
bilde aller spätem Regierungen von Köclie-Schmarotzer-Maitres-
sen-Gnaden.
Dass der Parasit niit den beiden Bundesgenossen den Stras-
sencharakter gemein bat, springt in die Augen. Wei' ist obdach-
loser als der Parasit? Der Pratenriecber segelt beständig mit der
Nase in der Luft, schnüffelnd von Küche zu Küche, von Haus
zu Haus. Eine vierte Marktfigur der mittlem Komödie ist fer-
ner der Fischhändler, der König der damaligen Markt- und
Verkaufshallen. Dem Fischhändler warf sein Gewerbe ein fürst-
liches Einkommen ab, wie das einzige Fragment aus Alexis'
JlvXalai (Markthallen; berichtet. ^) Mit unverschämter Insolenz
brandschatzte der Fischhändler seine leckern Kunden. Einen
Meeraal Hess er sicli mit Gold aufwiegen oder, v^ie Diphilos in
seiner Komödie "Ei-iTcogog, der Kaufmann, sich ausdrückt, die
Summe bezahlen, die Priamos für Hektor's Leiche dem Peliden
zuwog."-) Als ein solcher Tyi-ann des Fisclimarkts wird der Händ-
ler Sikion in des Alexis' 'ETilxXrjQog, „die Erbtochter" genamit.^)
Antiphanes lässt seinen MioonöviqQoc, (Schelmenhasser) eine
Skala von betrügerischen Handwerksklassen entwerfen, die mit
den Kinderammen beginnt und, von Stufe zu Stufe zu Pädagogen,
Hebammen, Kybele-Priestem emporsteigend, in den Fischverkäu-
fer gipfelt, desinit in piscem, welcher die höchste Sprosse mit dem
Geldwechsler theilt.^j
Ausser den genannten allgemeinen Cliaraktertj^pen des öffent-
lichen Verkehrs begegnet man in den Fragmenten dieser Komö-
dien noch andern Stände -Masken aus dem niedern Privatleben.
Dergleichen sind: einfältige Pauern, Flötenbläser, Nätlierinuen,
Kuppler, Bediente, polternde Enkel u. s. w.^) Auf welche Weise
diese Figuren in der mittlem Komödie zusammenwirkten, ist aus
den Bruchstücken, unter denen sich keine einzige Scene erhal-
ten, nicht abzusehen. Die meisten dieser Komödien mochten den
sogenannten Schubladen-Stücken (pieces-ä-tiroir) gleichen, wie z. B.
Moliere's Komödie Les facheiLX, die Ueberlästigen, (^ines ist, wo an
Einer Hauptfigur alle übrigen, wie an einem stehenden Garnbock,
die Fäden ihrer Nebenrollen, ohne alle Vei-wickelung und Dm-ch-
1) Das. p. 475. — 2) Athen. VI, 10. p. 22b E. — 3) Mein, p. 414.
4) Das. p. 85. Miaon. fr. unic. 5) Das. p. 'S, 24, 1», 12.
14*
212 Die griechische Komödie.
kreiizimg, abspulen. Indessen mögen wohl auch, dem Mittelcha-
rakter dieser Komödie gemäss, Stücke vorgekommen seyn, deren
Plan schon in die Form der neuen Komödie hineinspielte und eine
venvickeltere Handlung durchführte. Eine Komödie von Anti-
phanes, dem bedeutendsten Dichter dieser Zwischengattuug,
scheint sogar die beregte Frage zmn Motiv genommen zu haben.
In einem Fragment seiner Uolrjoig (die Poesie) wird die im Ver-
gleich zur Tragödie schwierigere Lage der Komödie erörtert. ')
Während in der Tragödie, heisst es, Stoff und Inhalt durch die
Mythe schon gegeben und jedem Zuschauer bekannt seyen,
müsse die Komödie ihren Stoff erfinden. „Die Begebenheiten, die
der Handlung vorangegangen, und die sich vor den Augen der
Zuschauer entfalten, Eingang, Entwickelung, was nicht alles
habe der Komödiendichter auszudenken und wie aus dem Nichts
hervorzurufen und zu erschaffen."
lieber die Mytheustoffe, die einen grossen Theil der mittlem
Komödie versorgen, wurde bei der Komödie des Epicharmos das
Nöthige mitgetheilt. Auch au Stücken von literarischem Thema,
wie z. B. die Frösche des Aristophanes, fehlt es der mittlem Ko-
mödie nicht. Hier aber beschränkt sich die in Scene gesetzte
literarische Kritik ausschliesslich auf diese, ohne alle Beziehung
auf Staat und öffentliche Sitte. Mehr als eine dieser Komödien
nimmt den Euripides von Neuem zmn Stichblatt, nicht alier we-
gen des Gehaltes und der Wirkung seiner Dramen. Der Eine,
z. B. Eubulos im Dionysios, spottet über den zu häufigen Ge-
brauch des Sigma (der Buclistabe S), wodurch die Verse des
Euripides wie eben so viele Schlangen zischten.-) Ein anderer
wieder, Axionikos im Phileuripides, macht sich über die Ver-
götterer des Euripides lustig, die keinen Andern neben ihm gel-
ten lassen. ^) Diese dramatische Kritik war also eine blosse
Schul- und Stylfrage ohne alle Beziehung auf ethischen Gehalt,
wie etwa die literarisch-satirischen Märclien-Komödien von Tieck.
Hierher gehört die Sapp ho -Komödie des Antiphanos, die ihre
Vorgängerinnen schon in ähnliclieu Dichter- und Di(;]iterinnen-
Stückeu der alten Komödie hatte. Vom Alexandrinischeu Kri-
1) Das. p. 105. Vgl. Guizot, Menandre p. 135 ff. — 2) Mein. p. 218.
fr. 11. — :i) Mein. Hist. er! Com. gr. p. 2t>7.
Die Form der mittleren Komödie. 213
tiker Antioc hos erwälmt Atheiiäos i; eine Schrift, die von den
Poeten handelte, welclie die mittlere Komödie zum Gegenstande
ihrer Verspottung machten — verstorbene Poeten, wie sich bei
dieser Komödie von selbst versteht.-) Ein anderes Lieblingstliema
der mittlem Komödie waren ferner die Käthselspiele und sog.
Sprichwörter, eine Lustspielart, die noch jetzt von den Fran-
zosen gepflegt wird (Proverbes). Aber auch hierin war die alte
Komödie der mittlem vorangegangen, wie die Kleobulinen des
Kratinos beweisen.
Was die Form der mittlem Komödie anbelangt, so konnte
auch diese keine eigentbümliche und selbstständige seyn. Sie
schwankt zwischen der alten und neuen Komödie. Von jener hat
sie noch, wie aus den lyiisclien Partien einiger Bruchstücke er-
hellt, den Chor beibelialten, aber verkümmert; da, in Folge der
politischen Entmuthigung und Erschöpfung, die Chorsteller den
Aufwand für Ausstattung der Chöre zu bestreiten, weder den An-
trieb noch die Mittel hatten. 3) Der Dialog nähei*te sich dage-
gen dem der neuen Komödie. Er vermied jeden poetischen Aus-
dmck, der nur parodistisch auftritt, und befleissigte sich der Sprache
des gewöhnlichen Lebens und des gebildeten Umgangs, die aber
hier noch einen studirten Anstrich hat und erst mit Menander
ihre Vollendung in dessen neuem Atticismus erreicht^) (nlaoi-ia-
Tog /Liiv ovx t'jipavxo 7coirjTLy.oi\ dicc de: ovvrjd-ovg l'nvTSS XaXiag
Xoyixag s'xovoi rag agerdg x. t. A.)
Siebeniindfunfzig Komiker sclnieben in dieser Periode nicht
weniger als 617 oder 817 Dramen. 5) Von den 57 Dichtern sind
einige dreissig dem Namen nach bekannt; von den Stücken nur
Titel, diese aber wie Sand am Meer. Wir werden mit beiden
brevi manu aufräumen. Die von Meineke '^) nach Athenäos al-
phabetisch zusammengestellte Liste trägt folgende Dichternamen:
Araros, Alexis, Antiphanes, Amphis, Anaxandrides,
Axionikos, Augeas, Anaxilas, Antidotos, Archidikos,
1) XI, 1». 4S2 ('. — 2) Vgl. Grauert de iiiediac Graecor. com. natur.
et forma, in Niebuhr's Rhein. Mus. 1S2S. Jahrg. II. Heft 4. S. 512. — 3)
Anonym, Dind. p. VI. Grauert 50.5. - 4) Anonym. tkqI xcofKifSütg ]>. XII.
ed. Kust. Meineke T. I. p. 291. — 5) Anonym, p. 537, 10. — 6) Quaest.
Seen. Specim. II. p. 5.
214 Die griechische Komödie.
Kalliades, Kalliki-ates, Kratinos d. J., Dromo, Epikra-
tes, Echippos, Epigeues, Enbulos, Eubulides, Eriphos,
Heraklides, Herakleitos (oder Herakleides), Heniochos,
Mnesimachos, Nikostratos, Ophelio, Philippos, Philis-
kos, Pliilateros, Sophilos, Sotades, Stephanos, Strato,
Timokles, Timotheos, Theophilos, Xenarchos. Unter
diesen ragen, dem Anonymos zufolge^), als die bedeutendsten
(d^ioloyuTaToi) hervor: Antiphanes und Stephanos oder, statt
des letztern, Alexis.
Antiphanes aus Athen, gest. in Kios am HeUespont, er-
reichte ein Alter von 74 Jahren. 2) Seine Lebenszeit erstreckte
sich von Ol. 93, 2 = 407 bis Ol. 11 J, 4 = 333. Der Charakter
seiner Komödien wird von Athenäos, der ihn xagisig nennt^), als
gefällig und anmuthig bezeichnet. Laut Angabe des Anonymes*)
war Antiphanes der fruchtbarste Lustspieldichter, der je gelebt
hat. Der Anonymos schreibt ihm 250, Suidas 280 Stücke zu,
mit Berufung auf Andere, die 365 Komödien von Antiphanes
zählen, Avomit er nm- dreizehnmal gesiegt haben soll. Für uns
sind es eben so viele Nullen, womnter eine erkleckliche Anzahl
Parodien mythischer Stoffe. Adonis, Meleagros, Medeia,
Philoktetes, Autäos und noch zwei Dutzend andere Mythen-
Komödien. Es sind sammt und sonders nur Parodien von jener welt-
bekannten Mythe von den zwei Löwen, die sich gegenseitig l)is auf
die Wedel aufgefressen, will sagen, bis auf die Titel. Darunter ein
Aeolos, der eine ähnliche Tendenz wie der Aeolosikou des Ari-
stophanes verfolgt haben soll. Um den Komödientitel Phaon
kämpfen zwei erbitterte Nebenbuliler: der spröde Liebling der
Sappho, und ein ausgehungerter Pythagoräer, Namens Phaon.
Folgen die historischen Titularen: Timon, Sappho, Leo-
nidas u. s. w., die Frauentitel ungerechnet, meist berühmter He-
tären, von denen das Schlechteste an ilmen sich erhalten hat:
der Namen: Neottis, Archestrata, Melissa, Philotis u. m.
dgl. „Wie umfassend ferner die Charakteristik des Privat-
lebens in den mannigfaltigsten Schattirungen bei Antiphanes
gewesen, kann eine Reihe von Titeln beweisen, welche auf Dar-
1) Bei Diiid. p. XI. — 2) Suid. v. :4vTi<f. und Eudok. p. fil. — 3) I,
27 D. IV, 15()C. 168 D. — 4) p. 537, 2ü.
Dichter der inittleru Komödie. 215
Stellung fast aller Stände, vom einfältigen Bauern und den ver-
schiedenartigsten Handwerkern und Künstlern bis zum verschmitz-
testen Sykophanten und Parasiten hinweisen." Bis auf die ge-
sperrte Schrift, sind dies Bode's Worte. ^; Die Putzmacherin
C A/.wiQia) , der S c h a f m e i s t e r (IlQoßaTsvg) , der Tuchwal-
ker {Kva(f£vg), der Puppenfabrikant (Kogonlad-og) , der
Arzt ClaxQog), das Fischweib ( A^tBvo[.iivr^, die Kammer-
jungfer (KniQig). Ferner Agroikos oder in der zweiten Bear-
beitung Butalion, worin einfältige Bauern die komischeu Figuren
waren. Die einfältigen Bauern sind iu's Kraut gewachsen, und
waren einfältig genug, nur ihren sprichwörtlich gewordenen Spitz-
namen, Butalion, zu hinterlassen, auf den seitdem jeder Bauern-
tölpel hörte, und der nocli jetzt im Französischen butor sein ur-
altes Familienwappen vorzeigen kann. Nationen- Komödientitel
von Antiphanes — wer zählt die Völker, nennt die Namen, die
gastlich hier zusammenkamen? Kythen, Taurier, Epidau-
rier, Aegyptier und was der Völker mehr, wobei noch gar
nicht die Mädchen alle : das M ä d c h e n v o n D o d o n a, das M ä d-
chen von Korinth, das Mädchen von Lemnos, lauter Mäd-
chen aus der Fremde, deren Spm* schnell verloren, noch ehe sie
Abschied nahmen. „Andere Titel lassen der Vermuthung
einen noch grössern Spielraum."-) Und nun fliegen uns
so viele Titelschaaren entgegen, als Vögel, Dohlen, Raben, Krä-
hen und Fledermäuse, den Bitter von La Manclia umschwärmten,
aufgescheucht aus der Höhle Montesinos : D i e B r ü d e r L i e d e r 1 i c h
C^acotoi,), die Nebenbuhlerin (AvTegtoGa)^ die Ehebre-
cher {Moixof), der Knabenliebhaber (naiösQaaTt'^g). Heer-
den solchen Nachtgevögels stürzen hervor aus Meineke's Höhle von
Montesinos. Doch statt dessen lieber ein Anekdötclien bei Athenäos
mitgetheilt'^j: Als Antiplianes einmal dem König Alexander etwas
aus einer Komödie vorlas, was dem König unwahrscheinlich vorkam,
meinte Antiphanes: Um das Zutreffende der Schilderung zu be-
greifen, müsse man wie er, Antiphanes, liäufig mit Hetären ver-
keln-t, zusammen geschmaust und in Gesellschaft derselben Scliläge
ausgetheilt und bekommen haben. Wie die Zeit, so die Dichter
— die berufenen nämlich, aber niclit die auserwälilteu: diese ste-
1) S. 402, 8. - 2) Bode 403, 4. - 3) XIII. p. 555 A.
216 Die griechische Komödie.
heil über ilu'er Zeit, als deren Lehrer, Zeicliendeuter und Prophe-
ten. Des Antiphanes' aus etwa hundert kürzern oder längern
Bruchstücken bestehende Sprüche sind, wie fast alle andern auch,
Gemeinsprüche über allerlei Gegenstände, über Liebe, Freund-
schaft, Weiber, Aerzte u. s. w., die in jedem didaktischen Ge-
dichte passender, als in einer Komödie, an ihrer Stelle wären.
Alexis, aus Thurioi in ünteritalien, vermuthlich nach Zerstö-
rung der Stadt (OL 97, 3) mit den Eltern nach Attika eingewan-
dert, soll ein Alter von 106 Jahren erreicht haben, was mau aus
Anspielungen auf den noch lebenden Piaton (gest. Ol. 108, 1),
auf Ai'istippos von Kyrene, ferner aus der Erwähnung von Ptole-
mäos Philad. Vermählung, welche nicht vor Ol. 123, 1 stattfand,
folgern will. Nach Suidas war Alexis der Oheim von Menander,
und nach dem Anonymes ') dessen Lehrer und Vorbild. Näclist
Antiphanes ist Alexis der fruchtbarste Komödien - Dichter , dem
Suidas nicht weniger als 245 Stücke beilegi. Athenäos allein hat
112 Dramen von ihm exceiiHii;, aber boshafterweise lauter Stellen,
aus denen kein Mensch den Inhalt der ausgezogenen Stücke er-
rathen kann. Die Nachwelt weiss nur von Alexis' beispielloser
Titelsucht, wovon unzählige mythische, historische, Natioualitäts-
und CharaMer- Komödien -Titel unverwerfliches Zeugniss ablegen.
Li der Kleobuline, in den Archilochen vermuthet man Nach-
ahnnmgen des alten Kratinos. Ln Aesopos hatte Selon eine
Hauptrolle."^) In den Tarentinern wurde die Lebensweise der
Pythagoräer, in derPythagorizusa die der Pjrthagorischen Frauen
mitgenommen. Im Ankylion, benannt nach einem aus der Schule
desSokrates, wie so Manche andere ähnlichen Schlages, hervorgegan-
genen Taugenichts, kam der noch lebende Plato vor. 3) Die Vermu-
thuug vonTh. Bergk^): in der Komödie Phädros von Alexis sey
der noch lebende Phädros (jener Schüler desSokrates, nach welchem
Plato seinen berühmten Dialog benannte) durchgehechelt worden,
widerlegt die Jahreszahl Ol. 98, 1, wo Alexis noch in den Kin-
derschuhen umherlief. In der Komödie die Brüder und der
Soldat maclite sich Alexis, nach einer Notiz des Athenäos^),
über Demostlienes' Rede de Halloneso lustig (um Ol. 109,2=343).
1) p. 538. —2) Athen. X, 4:il D. —3) Biog. Laert. II, 26. 28. Athen.
VIII, 354 D. — 4) Epist. ad SchUleruiii p. 133. — 5) VI, 323 F.
Dichter der mittleren Komödie. 217
Auf mythische Parodien deutende Titel : H e 1 e u a ' s E n t f tt h r ii n g,
Helena's Freier, die Sieben vor Theben, der abgewa-
schene Odysseus (Od. anoviTiTofxEvoQ) und der webende
Odysseus (Od. vcpaivtov) u. s. w. Historische Stoffe waren im
Demetrios, in den Milesiern, Olynthiern u. s. f. behan-
delt. Eines seiner letzten Dramen war der Hypobolimäos (der
Wechselbalg), worin die Hochzeit des Ptolem. Philad. mit seiner
Schwester vorkam. Mit noch 58 alphabetisch aufgezählten Na-
men von Stücken des Alexis hat Bode S. 409 gefüllt.
Der jüngste von Aristophanes' drei Söhnen Nikostratos
scheint in die Epoche der neuen Komödie hinein gedichtet zu
haben. Der Vogelsteller C Ogvtd-svTrjg), der Wucherer (To-
•/.iGTr^g), worin auch ein ruhmrediger Koch vorkam, und die Kö-
nige mit einem miles gloriosus als Nebenfigur, alle tragen Cha-
rakter und Titel der neuen Komödie. Athenäos führt noch 18
Namen von Komödien dieses jüngsten Sohnes des Aristophanes
an, deren Ausschreiben uns Bode vorwegnalmi.
Von 65 Dramen des Anaxandrides trugen, nach Suidas,
nur zehn den Sieg davon, aber wie Diebe, die mit der davonge-
tragenen Beute sich aus dem Staube gemacht. Anaxandrides
lebte um Ol. 101, 1 = 376. Sein Schauspieler war noch Philo-
nides. Aristoteles rühmt ihn wegen seiner gefälligen und ge-
wählten Schreil)art ^), wovon in den 35 Titeln seiner Komödie
nur ein literar-historischer Luchs wie Bernhardy noch die Spuren
zu entdecken vermöchte. Anaxandrides soll zuerst die Lieb es -
intrigue in der Komödie vollständig ausgebildet haben; in wel-
chen Dramen, „weiss man nicht genau." Vom Komiker Ana-
xilas, der den Piaton in einer Komödie Botrylion durchzog,
deren Namen sogar „räthselliaft ist," citirt Atlienäos 19 Stücke.
Auch von Aristophon erwähnt derselbe 2) eine Komödie, Na-
mens Piaton. Unter andern nahm auch der jüngere Krati-
nos Platon's Lehren zur Zielscheibe seines Spottes. Der jüngere
Kratinos schien es überhaupt auf Kiesen abzusehen, denn unter
seinen Komödien nennt man auch die Giganten und die Tita-
nen. Der Dichter der Antilais, Epikrates, zupfte ebenfalls den
1) Ehet. III, 10. 11. 12. Etil. ad. Eud. VI, 10. Niconi. VII. Kl. — 2)
XII, 552 E.
218 Die griechische Komödie.
Löwen Piaton am Bart, aber walirscheinlich den todten Löwen.
Mnesi machos soll sogar den König Philippos von Makedonien
auf die Bühne gebracht haben.') Das historische Lustspiel hat
seine Ahnen, wie man sieht und datirt nicht erst von Alexandre
DuvaL Von Philiskos ward u. a. eine Komödie Themistokles
genannt. Der Komiker Timokles Hess die wetteifernden Red-
ner und Staatsmänner Demosthenes, Hyperides, Kailimedon seinen
gelinden Stachel fülilen. Von diesem Timokles rührt auch jenes
oft genug aus Athenäos citii-te Fragment her, worin die prak-
tische Nutzanwendung der Tragödie von Seiten der Zuschauer
auf ihre eigenen Geschicke, behufs geduldsamer Ertragung der-
selben, zur Sprache kommt (jisr i^dnvr/g anrjld^B naiöevSslg
a/iia). Eine insofern komödienhafte Auffassung des Tragödien-
zweckes, als der tragische Fall sogleich im Nutzen einer ähnli-
chen persönlichen Lage verwerthet werden soll. Die verbeispielte
Armuth des Telephos z. B. soll dazu dienen, dass jeder von ähn-
lichem Loose Betroffene sich in seine im Vergleiche doch immer
erträgliche Armuth fügen und schicken lerne. Der Or est- Auto-
kleid es ist die einzige Komödie des Timokles, von welcher sich,
aus Andeutungen des Athenäos-), ein ungefährer Inhalt errathen
lässt. Hier scheint die Orestessage zur Satire auf den ausschwei-
fenden Autokleides (Orestautokleides) travestirt, welcher, wie Ore-
stes von den Furien, in dieser Komödie von einem schnarchenden
Chor alter Hetären umlagert wird, die den Ungetreuen verfolgen.
Von diesem Schlusstableau der mittlem Komödie wenden wir
uns zm'
Neuen attischen Komödie,
in welcher der ursprüngliche K omos, jener Bakcliisch ländliche, von
Dorf zu Dorf schwärmende Schmaus- und Spott-Chor in sein Gegen-
theil, zur F a m il i e n-H ä u s 1 i c h k e i t, umgewandelt und eingefriedet
erscheint. Die satirische Wanderposse hat sich in ihre vier Pfähle
zuräckgezogen. Sie wäscht nicht mehr die schmutzige Staats- und
Stadtwäsche öffentlich, sondern ihre eigene enfamille. Auch die sym-
bolisch-allegorischen Staatsfiguren der alten, die Stadt- und Stras-
sentypeu der mittlem Komödie, haben sich in der neuen atti-
schen Komödie zu stehenden Familientypen individualisirt. Die
1) Athen. Vm, 33S B. IX, 387 D. — 2^ Xlll, 567 E.
Die neue attische Komödie. 219
poetisch-symbolische Collectivperson des komischen Büvgevchors ist
zum Hausgesinde verspiessbürgert, hat zu hausbacknen Specialitäten
und Originalen sich uraphilistert. Der in alleriei Gestalten sonst
von Jambisten-Chorschaaren verspottete Demos guckt nun, als
Publicum, ihm, dem komischen Bürgerchor, in die Fenster, ohne
dass er es auch nur merken darf; überrascht nun ihn in den lä-
cherlichsten Blossen, und das schallende Gelächter kommt über
die Familienglieder der zu Alltagskäuzen ernüchterten Chor -Ko-
mödie, so unversehens wie des Himmels Einstm'z.
Jetzt erst scheint das poetisch-Allgemeine aus der Komödie
verschwunden. In Aristoteles' Lieblings -Komödie, in der neuen
attischen Komödie, in dieser gerade, ist ihm sein xa^olov, das
ideaüsirende Charakterisiren, in die Brüche gegangen. Seltsa-
mes, gegen seine dramaturgische Gruudforderuug gezetteltes In-
triguenspiel im Entwickelungsgange des Drama's ! Aristoteles' be-
günstigtster Tragiker, Euripides, findet sich in seinen, nach dem
Vorbilde gewöhnlicher Lebensfiguren, und insofern komödienliaft
gezeichneten Charakteren mit dem -Kad-nlov wohlfeilen Kaufes
ab. Und Aristoteles' bevorzugte Komödie, die mittlere, mehr noch
die neue, bricht mit dem Kad-olov vollständig, als treueste Co-
pistin und Naclizeichnerin des gewöhnlichen Lebens in seinen
engsten Verhältnissen, seinen spiessbürgerlichsten Formen. Denn
nicht das „namhaft machende Verspotten," nicht das ovof,iaoTi
Y.iOfX(pdEiv, schliesst das xa^olov aus, da ein solches Komödiren
die Person vollkommen in's phantastisch - Poetische hinüberspielt
und sie dadurch eben in den idealen Formen des Gattungsbegrif-
fes ilu'er Persönlichkeit erscheinen lässt. Dagegen mrd die schein-
bare Gattungsfigur des nach dem Leben gezeichneten, des pro-
saischen Lustspiels, der Menander- Komödie, dem /.ad-nlov auch
nur sclieinbar gereclit, indem eine solche Alltagsfigur immer nur
eine Einzelfigur in abstracto bleibt, wenn sie gleich Hinz und
Kunz bedeuten kann. Die persönlichste Spottfigur der Aristopha-
nischen Komödie erfüllt den Begriff" des poetischen Y,ad^6lov dem
Wesen nach; wälirend die Gemeinfigur des gewöhnlichen Lust-
spiels, im Sinne des Aristotelischen y.ai)-6lov, nur dem AUge-
meinheitsbegTÜfe der formalen Logik genügt. Erst das Lustspiel
im Geiste Shakspeare's und Moliere's, das die Menandrische Ge-
sinde-Komödie zu Charakter- und Sittengemälden der Gesell-
220 ^^^ griechische Komödie.
Schaft enveitert und veredelt, bringt das Katholon, die poetisch-
allgemeine Gattungs-Individualisirung und Charakteristik, Avieder
zu Ehren und Geltung.
„Der Scherz des Freien,'^ so lautet die schon bezielte Stelle
in der Nikomachischen Ethik '), „ist verschieden von dem des Un-
freien und wiederum der des Gebildeten und Ungebildeten. Man
kann das aus dem Vergleich der alten und neuen Komödie sehen.
Dort suchte man das Lächerliche in schändlichen Reden {aloxQo-
loyia), hier mehr in verhülltem Ausdruck. Der Unterschied die-
ser zwei Weisen für den Anstand (nQog EiGxrj(.ioGvvrjv) ist nicht
gering." Aus dem Gesichtspunkt des „Anständigen," der Eusche-
mosyne, rückt nun Herr 0. Bernays 2) die Bemerkung des Aristo-
teles in den desKatholou. „Denn," sagt er, „diess kami keinem
Aufmerkenden entgehen, dass Aristoteles bei dem entschiedenen
Gewicht, das er auf straffe Verknüpfung des Subjects zur Einheit
legt, bei der Strenge, mit welcher er nur allgemeine ('/mO-oXoc)
Charaktere als wahrhaft poetische Gestalten anerkennt, nothwen-
dig dahin kommen musste, die mittlere, und was ihm etwa von
der neuen Komödie noch bekannt wurde, als Gattung hoch über
die alte zu stellen." Bis über die Sterne hoch; nur dürfen wir
die Autorität des griechischen Kunstlehrers, so hoch wir dieselbe
über jede andere stellen, mit dem Zweifelbedenken bescheident-
lich umgi-enzen, das wir seines Ortes, unter Berufung auf Wel-
cker's Urtheil, über Aristoteles' Verständniss der Aeschylos- Tra-
gödie anregten, und das wir um so mehr, in Bezug auf des-
sen Entfremdung gegen die Aristophanische Komödie, gestattet
glauben.
Welcherlei stereotype Figuren bilden nun den Personalbestand
der neuen Komödie, als immer wiederkelu'ende Charaktermasken?
Apulejus zählt sie uns vor 3): der treulose Kuppler (leno per-
jurus); der leidenschaftliche Liebhaber (amator fervidus);
der verschmitzte Diener (servulus callidus); die Eänke-
spinnende Liebhaberin (amica illudens); der behttlfliche
Gefährte (sodalis opitulator); der ruhmredige Soldat (mi-
les proeliator) ; der gef rassige Schmarotzer (parasitus edax);
1) IV. c. 14. — 2) Ergänzung zu Aristoteles' Poetik, Mus. der Philol.
etc. JahrK. 8. 1853. S. 570. — 3) Florid. IG.
Das Personal der neuen attischen Konioclie. 221
die schmarotzenden Verwandten (parentes edaces); die
frechen Buhldirnen (meretrices procacesj. Die kostbarsten
Anstandsfiguren ; jede einzeln Aristoteles' Euschemosyne in Per-
son! Derlei gestempelte Tagesfigm-en lassen sich, gleich Karten-
figiiren, bequem zu lutriguenspielen mischen. Die Kuuststärke
dieser Komödie liegt denn auch vorzugsweise in der Verwickelung
undintrigue; in den Spannungen drolliger Verknüpfungsspiele, die
nicht sowohl aus den Gegensätzen und dem Humor der Charak-
tere, als aus den Zufälligkeiten abenteuerlicher und doch in dem-
selben stetigen Kreise sich bewegender Erfindungen entspringen.
Als dasind: ausgesetzte Kinder; einem Sklavenliändler oder Mäd-
chenverkäufer in die Hände gefallene freigeborne Töchter; Ver-
führung und Wiedererkennung {cpS-oga und uyayvcoQioig), und
als Moral und Ehrem-ettung der Familiensitte: Vermählung des
Verführers mit der Enteln-ten; eine von der Schande gleichsam
selbst gestiftete und eingesegnete Ehe. Scheint eine solche
Komödien-Moral nicht einer ähnlichen Ehe entsprossen, welche
die Komödie mit jenem ästhetischen Lehrsatz A. W. Sclüegel's ')
eingegangen? „Das Lustspiel soll unser Urtheil in üntersclieidung
der Lagen und Personen schärfen, dass es uns klüger macht,
das ist seine wahre und einzig mögliche Moralität.*' Mit
andern Worten: Das Lustspiel schärft unser Urtheil in Bezug auf
das, was uns Vortheil und Nachtheil bringt, ohne nähere Bestim-
mung der Klugheitszwecke; ohne weitere Rücksicht auf die Be-
schaöenheit der Mittel zur Erreichung des Vortheils und Vermei-
dung des Nachtheils ; ob unser Vortheil und unsere Klugheit näm-
lich mit Pflicht, Gewissen, mit dem Sittengesetz in Hinklang ist;
ob diese Klugheit die der liudemischen, Nikomachischen und Gros-
sen Ethik ist, oder die Klugheit der Schelme, pfiffigen Salon-
männlein, feinen Hechte und aller Derer, so in 1 )änemark lächeln
und immer läclieln und doch kluge Leute sind; ohne genauere
Angabe, ob die Schlegel'sche Klugheit die des Apostels ist: Schlan-
genklugheit im Vereine mit Tauben-Unschuld, oder ob das Lust-
spiel uns nur klug machen soll wie die Schlange, unbekümmert
um die Taube und ihre Unschuld. Denn soUte uns das Lustspiel
Schlangen-klug und Taul)en-froinni zugleich machen, so wäre ja,
I ) Vurles. 1, :yM) 11'.
222 I^i^ griechische Komödie.
ausser der Witzigimg, auch noch Seelenlauterkeit , wäre ja das
Sittliche an sich, als seelenbildende Macht, das eigentliche Kuust-
motiv der Komödie, die dann, so gut wie die Tragödie, wie jeg-
liche Kunst, in Gehalt und Wesen sich als eine Heilslehre, nur
in einer ihr gemässen Form, erwiese ; als eine Heilslehre, die na-
mentlich iliren Heilszweck in Form des Scherzes, das Gemüth
befeienden und läuternden Lachens zu erfüllen hätte. Diess aber
soll und darf ja eben, nach Ansicht des Salon -Dramaturgen, das
Lustspiel in keiner Weise, auf die Gefahr, sich selbst lächerlich
zu machen und als moralisch bornirt vor der guten Gesellschaft
zu erscheinen. Des Lustspiels wahre und einzig mögliche Mora-
lität ist ja eben die, dass es uns schlechtweg klüger, d. h. auf
unsern Vortheil bedachter macht; sollte auch diese Lustspiel-
Theorie noch so unfelilbar auf die Schlussfolgerung hinausführen :
dass die wahre und einzig mögliche Moralität des Lustspiels seine
— Immoralität ist.
Weit gefehlt, dass uns das Lustspiel klüger machen soll, be-
steht im Gegentheil seine Aufgabe darin, uns vom Klugdünkel
zu befreien, dem eigentlichen Wucherkraute, das in uns das Ver-
nünftige, Göttliche, das Kechts- und SittliclikeitsgefüM überspinnt
und erdrückt. Wenn daher das Lustspiel ein Witz- und Yer-
standesspiel ist, so ist es ein solches nur im Dienste und Nutzen
des Guten und Schicklichen, in majorem gloriam der Vernunft,
der guten Sitten, der reinen Menschenliebe und Weisheit, auf's
Praktische angewendet, auf das wii-kliche Leben und Handeln;
so erscheint das Lustspiel durch diese feinsten idealen Fasern
seiner innersten Kunstbestini mung verschwistert und verflochten
mit der Mission der Tragödie; so kommt dem Lustspiel jene alte
Bezeichnung des Satyi'drama's, als einer scherzenden Tragödie,
mit uocli grösserem Reclite zu. Die neue attische, in iln-er Voll-
endungshlüthe, die Menandrische Komödie, erscheint uns von die-
sem Komödien-Ideal in dem Maasse entfernt, als sie die mireinen
und nnsittliclien Elemente, die sie zu anregenden Spannungen
ineinan(h'rsc:hlingt, mit scheinbaren Klugheitslehren und den be-
stechenden lieizeu einer einschmeiclielnd(3n Lustspielform durch-
flicht, die erst von den Toeten dieser Gattung, von Shakspeare,
Moliere und den grossen romantisclien Lustspieldiclitern der Spa-
nier, zur Mustergültigkeit ausgebild(^t und erhoben wird.
Die neue Komödie und die Mural. 223
Die neue attische Komödie (r; vea) umfasst den Zeitraum
von Ol. HO bis 130, die Zeit Alexanders des Grossen und der
Diadochen; eine Epoche, die wie ein Tiiimmerfeld sich hinstreckt,
übersät mit dem Zerfall des alten Griechenlands, seiner Selbst-
ständigkeit und Freiheit, seiner grossen Poesie und Plastik. Denn
auch diese war in's ikouisch Kolossenhafte ausgeartet, wie auf dem
Kriegstummelplatz die üebermacht zügelloser Persönlichkeiten,
abenteuernder Kronem'äuber, Staaten und Völker niedertretend,
sich alles Menschlichen überhob, und zu maassloser Alleingeltung,
Alleinherrschaft und orientalischer Selbstvergötterung emponmchs.
Es ist das Zeitalter der gekrönten Freibeuter, Länderplünderer,
Völkeraussauger ; der zusammengeflickten Lumpenkönige, die mit
Kunst und Wissenschaft, Avie mit iliren Schwestern, Blutschande
trieben; die Zeit der gekrönten Thrasonen; der in Purpur prah-
lenden milites gloriosi. Zeugen dessen sind alle geschichtlichen
Urkunden und Staatsschriften aus jener gottentfremdeten, versun-
kenen Epoche, die eben so viele Philippika gegen die Makedo-
nisch-Macchiavellestische Fürstenpolitik sind '), eben so \Aq\q Denk-
säulen der Zeitschmach, Völkerzersetzuug und Fäulniss. Die
vom Geschichtsschreiber der „Diadochen" angepriesene „Ineins-
bildung des Griechisch -Makedonischen und Morgenländischen" "-j,
welche segensreiche Frucht hat sie der Weltcultur gebracht?
Ja durch welche thatsächlichen Folgen hat sich diese „In-
einsbildung" für die Weltgeschichte beglaubigt? Nichts wie
eitel Geflunker mit der Ineinsbildung ; nichts wie posthume
Scharrwenzelei , die, nach zweitausend Jahren noch, die Blut-
tapfen siegTcicher Gewalt küsst, das Gesicht tief gebeugt in
Schulstaub. Die Ineinsbildung, sie kommt aus derselben Präge
mit jenem Ausspruch über Alexander v. Makedonien '0: „Grosse
Männer haben das Recht nach ihrem Maasse gemessen zu wer-
den, und in dem, was man ihre Fehler nennt, liegt ein tieferer
Sinn als in der ganzen Moral, gegen die sie zu Verstössen den
Muth liaben." . . . Erbauliche Grundsätze eines Geschichtslehrers
an deutscheu Hochschulen! Trefflicher Sporn für einen etwaigen
1) Arist. Polit. VJ. 2. 4. 5. — 2) Droysen , Gesch. des Hellenisni. Jl.
S. 28. — 3) Droysen, Gesch. Alex. d. Gr. S. 24S.
224 Die griechische Komödie.
Zuhörer-Prinzen, dem solche Königsmoral privatissime oder öifent-
Hch vorgetragen würde! Einen Fusstritt der gemeinen Moral, —
und der Thronerbe sitzt auf dem Bucephal, ein anderer Alexan-
der! Das grosse Pferd macht den grossen Mann; hat dieser nur
den Muth, den Ochsenkopf — des Rosses nämlich — so hoch
empor zu halten, dass es seinen Schatten, die gemeine Moral, aus
den Augen verlieii;. Ein besonnener und einsichtsvoller Beur-
theiler des Geschichtschreibers erklärt diesen GrossmannsbegTÜi'
eines kleinen Professors aus der Chronomanie, aus der Zeit-
krankheit, die auch dem „modernen Geschichtsfasler " in den
Gliedern liege i) : „Je unfähiger ," sagi der kundige Beurtheiler,
,je unfähiger man im Allgemeinen zu tüchtigen und gediegenen
Leistungen ist, desto mehr erstrebt man den Schein der Ueber-
fähigkeit." Wenn es das allein nur wäre! Wenn hinter dem
Bücken des Geschichtschreibers nm* nicht noch ein anderes
Teufelchen ihm die Gedanken des Meisters zublies! Wie
lauten die Worte des Meisters, für den ein König bekannt-
lich nur „das Tüpfelchen aufs I", König Alexander von Ma-
kedonien aber das I selber war, worauf die Philosophie des
Aristoteles, des griechischen Hegel, das Tüpfelchen setzte?
— Wie lauten sie doch, diese verba magistri, die der kleine
Spiritus scholaris, das Teufelchen der bunten Knopflöcher, or-
dentlichen Professuren und ausserordentlichen Gratificationen
zu soulfiiren pflegt? Sicher wusste der wackere Historiker
selbst nicht, was für ein Teufelchen ihm im Nacken sass
und ilim die verba magistri einblies. Die Worte des Meisters
über Alexander den Grossen lauten aber so-): „Wenn er dem
Orient in diesem Kampf das Uebel vergalt, das Griechenland
von ihm erfahren, so gab er ihm auch für die Anfänge der Bil-
dung, welche von daher gekommen, das Gute zurück, indem er
die Keife und Holieit der Bildung über den Osten verbreitete und
das von ihm besetzte Asien gleichsam zu einem hellenischen
Lande umstempelte." 0 des gTOSsen Falschmünzers !-- wir spre-
chen vom grossen Alexander — o des glorreichen Umsteniplers
1) .luhn's N. Jalirli. liir Piiilol. I>eipzif^' l!535. V. Jahrg. XV. Bd. J. Hit.
ö. 172—197. — 2) Hegel'« J'liilos. d. Gesch. S. 332 f.
Die Verba magistri iiher Alexander d. Grossen. 225
von Asien 7A1 einem Hellenentlnmi seiner Satrapen -Königlein;
dieser Goldfliegen, die aus dem verwesenden Leichnam des per-
sisch-makedonischen Despotismus das Seuchengift aufsogen, das
sie dem Hellenenthum eiuflössten, nicht dass sie dieses dem Orient
eingeimpft hätten. Besagtes Teufelchen blies aber auch die sau-
bere Prinzenmoral dem Geschichtschreiber Alexander's des Gr.
in's Oln-, die derselbe Meister auf der folgenden Seite vom Lehr-
stuhl seiner Geschichts- Philosophie vorträgt: „Es würde zu der
grossen weltgeschichtlichen Gestalt Alexander's nicht heranreichen,
wenn man ihn, wie die neuern Philister unter den Histo-
rikern thun, nach einem modernen Maassstab, dem der Tu-
gend oder Moralität, messen wollte." Das prächtige Tüpfel-
chen, das der Meister über's Königs-I setzt, und das er zugleich
als Nasenschneller den Philistern unter den Historikern applicirt,
die Aristoteles' Ethik auch für Könige geschrieben glauben, die
bornirten Philister! Selbst ein Humboldt war zu tief von den
Miasmen der Höfe durchdrungen, um Alexander's des Grossen
Feldzug, den er „als wissenschaftliche Expedition" betrachtet wis-
sen will 1) , nach dem wahren Motive , nach den Innern Gründen,
würdigen zu können. Alexander's „barbarisirende Eichtung" tritt
in den Diadochen unverhüllt zu Tage. Mit ihnen verglichen,
mit Alexander dem Gr. verglichen, den maasslose Völlerei in der
Blüthe hinraffte, nach einem Leben, das er in Eroberungstaumel,
in Macht- und Blutrausch, durchras't — mit diesem verwilderten
Achilleus verglichen, erscheinen die persischen Achämeniden als
besonnene, weise, würdige Fürsten.
Stand etwa an P^ifer für Kunst und Wissenschaften Timur,
der WeltveiTvüster, dem Makedonier nach? So wenig, wie er ihm
an länderverschlingendem Wolfshunger nachstand, an reissender
Eroberungsgier, an Ruhmsuchts-Säuferwalmsinn und kriegsherrli-
cher Tollwuth. Timur oder Tamerlan, der Hinkfuss, zermalmte
noch mehr Throne und Völker, als Alexander der Schieflials.
Dabei war Timur der Gründer eines neuen Ungeheuern lieiclies,
dessen Grenzen den Länderumfang des Makedoniers vielleicht noch
überflügelten, und dessen Hauptstadt Samarkand über ganz Asien
I) Kosmos II. S. l'J2.
U. 15
226 Die griechische Komödie.
ihi-e Pracht, ihren Reichthiim, Glanz und Flor ausstrahlte. Ti-
mur's Liebe für die Wissenschaften kannte keine Schranken und
seine Erwerbungen, seine „Munilicenz" zu Gunsten derselben kein
Ziel und Maass. Ganze Heerden von Kameelen und Dromedaren,
bepackt mit Gelehrsamkeit, wie die Professoren, brachten ihm Bi-
bliotheken voll der seltensten Schriftwerke und Codices heran-
geschleppt und schütteten sie knieend auf allen Vieren, wie Hof-
geschichtschreiber, zu seinen Füssen aus, worüber das Nähere
bei Tamerlan's Geheimschreiber, einem deutschen Professor aus
München, Namens Schiltberger, in seiner Schrift zu lesen : „Schiit-
berger , der viel Wunders erfahren hat." i) War aber Tamerlan
darum weniger- ein gekaiserter Bluthund? Sass er darum weniger
auf einem aus Menschenschädeln aufgethürmten Kaiserthron?
Alexandrien, den Weltmarkt Alexandrien, den holen die Abgötterer
des grossen Weltmarktsgründers, als Perseus-Schild, sogleich aus
ihrem geschichts-philosophischen Sack hervor, um damit Jeden, der
vor dem Götzen nicht in die Knie sinkt, zu dessen Anbeter zu
versteinern. Alexandrien — als sey aus Alexandriens Weltmarkt
das Heil der Welt, aus Alexandriens Weltmarkt der Segeusstrom
aller Cultur entsprungen. Alexander's Welthandelstadt — zuge-
standen — ward in der Folge für Roms Handel der mächtige
Rüssel, die grosse Saug-pumpe, womit es Asiens, besonders Indiens
Schätze, Bergwerke, Fundgruben, alle Erzeugnisse, Specereien,
Edelsteine, ausschöpfte, und in die Speicher von Alexandrien aus-
spie; gleichzeitig aber auch den Weltstapelplatz zum Wälzeplatz
römischer Ueppigkeit und Schaudthaten, zum Lasterpfuhl römi-
scher Völlerei und Unzucht, zur Cloaca maxima allen Völkeraus-
wurfs spie. Des herrlichen Segens, den der Weltmarkt für die
Menschheit abwarf! — Aber die Verschlammung eines völkerver-
knüpfenden Stromes soll man diesem nicht, nicht dem Erbauer Ale-
xandriens die spätere Verderbniss seiner Schöpfung zur Last legen !
— Wohl. Aber eben so wenig sind auch alle aus solcher Schöpfung
im Verlaufe der Zeiten und Entwicklungen erwachsenen Vortheile
auf den Ehrenscheitel des Gründers zu häufen, und die Arbeit
des Geschichtsgeistes seiner Geistesgrösse , seinem Genie gut
1) Ulm 1473. S. 192.
Das heroische Königthuiii. 227
ZU schreiben. Am allerwenigsten darf man mit dem Weltmarkt
das ünmaass seiner Abscheulichkeiten weissbrennen wollen, und
ihn mit Haut und Haaren auf gut geschichts- philosophisch ver-
göttern, bis zur unphilosoi)hischsten Yerketzerung aller Derer, die
sich einen andern Begriff von Königs-Grösse und Köuigs-Bestim-
mung bilden. Mit dem Köuigsmaassstabe der historiogi-aphischen
Molochspfaffen gemessen, mag Alexander von Makedonien der
Prototyp eines gi'ossen Königs seyn und als das glänzendste Vor-
bild des Königthums von Moloch's Gnaden angestaunt werden.
Der Geschichtschreiber einer glücklichern, vernimftgerechten Zu-
kunft; der Geschichtschreiber eines mit den Völkern zugleich ge-
läuterten Herrsch aftsbegTiffes, wird Alexander den Grossen mit
Timur dem Tartarchan auf derselben Schlächtei"wage wägen, und
das Haar, um welches die Blutschale des Mongolen tiefer sinken
möchte, als Ausschlagsgewicht, in Rücksicht auf das Aederchen
hellenischen Geistes, zulegen, das in dem Herzen von Aristoteles'
Zögling schlug. Dem Historiker von geläuterten Gesichtsbegiif-
fen wird das heroische Königibum dereinst in einem andern Lichte
erscheinen. Einem solchen Geschichtschreiber wird derjenige
König nur ein heroischer Kriegsfürst heisseu, der Kriege einzig
im Dienste eines allgemeinen Heilzweckes führt; Schlachten im
Dienste jener grossen Entwickelungs- und Fortschritts-Ideen der
Menschheit liefert: im Dienste der Sitte, des Eechts und der
Freiheit. Solche Kriege Avaren die hellenischen Befreiungskriege
gegen die asiatischen und afrikanischen Barbaren, Perser und Kar-
thager. Zur Zeit Alexander's von Makedonien, wo die Hellenen
von der Höhe der grossen Civilisations-Bestimmung herabgesun-
ken waren; wo sie selbst eine Wendung nach der barbarisirenden
Richtung hin genommen hatten; wo jene ewigen Leitsterne al-
les Menschen- und Völkerheils, aller Segenswirkung, alles wahr-
haft Grossen und Heroischen, wo Sitte, Recht und Freiheit aus
dem Gesichtskreise des hellenischen Staats- und Volkslebens gänz-
lich zu verschwinden droliten: in dieser Epoche bestand auch der
Gegensatz nicht mehr in ursprünglicher Stärke und Gültigkeit;
der Gegensatz zwischen den beiden HeiTSchaftsprincipien: dem
der dynastischen P'amilienherrschaft, wonach von dem Oberhaupt
einer HeiTscheifamilie die Gesammtexistenz der Nation, der Staats-
begriff, selbst absorbirt wird; dem l^rincipe des Despotisnms, der
15*
228 -^^^ griechische Komödie.
Barbarei, imd zmschen dem ihm mfeindlich entgegengesetzten
Principe der Herrschaft jener Führer-Ideen des Menschengeschlechts
und der Menschengeschichte, jener allgemeinen Völker- mithin
wesentlich demokratischen Heilzwecks -Ideen: Sitte, Kecht und
Freilieit. Zur Zeit Alexander's von Makedonien lebten diese gros-
sen Gedanken, durch hellenische Bildung Iränstlich eingeimpft
und gepflegt, eben nur scheinbar im Geiste vereinzelter Herrscher ;
gleissten ihre Scheinbilder, wie die längst erloschener Gestirne,
in den ehi-geizig dynastischen Plänen solcher Machthaber trüge-
risch nach. Jene Ideen waren gleichsam selbst zu dynastischem
Erbbesitz geworden, mithin in ihr Gegentheil verkehrt. Asiatischer
Despotismus war von makedonischer Königsherrschaft nur schein-
bar, nicht im Geist und Wesen, nicht in der Maclitübung, ver-
schieden. Das makedonische Volk, ohne Gefühl und Bewusstseyn
eines Sellistzweckes, war, in althellenischem Simie, nicht freier und
autonomer, als ein asiatisches, dem Zwecke seiner Despoten frohn-
dendes Sklavenvolk. Alexander von Makedonien strebte und wirkte
daher nicht im Dienste der grossen Völkerzwecke, sondern als ihr
HeiT und Gebieter. Sie, die Völkerzwecke, mussten ihm, seinem
HeiTScherehrgeiz, seiner dynastischen Machtfülle, seiner uubegTenz-
ten Kuhmsucht, seinem Pseudoheroismus frohnden. Die Früchte
solchen Strebens entsprachen vollkommen ihrer im Marke verrot-
teten Wurzel. Die Früchte erwiesen sich als Sodoms-Aepfel:
aussen golden, innen todte Asche, in die Hellas sowohl wie das
persisch-makedonische Reich zerfiel. Wenn in dieser Asche Le-
bensfunken neuer geschichtlichen Entwickelungen fortglimmten;
so unterhielt und fachte sie der fortbildende unsterbliche Ge-
schichtsgeist; blies sie Gottes lebendiger Odem zu reicherem Völ-
kerleben wieder an ; war diess eine Geschichtsthat des in der Men-
schengeschichte fortarbeitenden Geistes, nicht die Absicht von
Alexander's Eroberungszuge; nicht Folge der Zertriimmerung des
asiatischen Despotismus, um dessen Trümmerstücke seine Nach-
folger ihre Kriogshorden sich gegenseitig metzeln und zerfleischen
Hessen, und mit dessen Trüiumerstücken sie auch ihre asiatische,
nicht hellenische Despotenherrschaft auf einer Pfütze von Blut
und Verbrechen gründeten. Wie der Zweck und der Beweggrund
so der Held. Alexander's von Makedonien, des Halbgriechen, Er-
oberungszwecke, im Innersten waren es persönliche, despotische,
Niebuhr über Alexander den Grossen. 229
Völker- und Freiheitsfeindliche Zwecke. Pseudolieroisch wie seine
Beweggründe, war auch Alexander ein Pseudo-Königsheld. Der
grösste dieses Schlages, aber auch nur dieses Schlages. Als ein
Gott Dionysos schien er seinen Zug anzutreten und beschloss ihn
als einer von des Gottes betrunkenen Faunen oder Silenen. Am
Ausgange ein Achilleus, endete er seine Laufbahn als Thersites.
Thebens Zerstörung, Alexanders erste Jünglingsgrossthat , schon
diese zeigt, wess Geistes Kind der Halbbarbar war, und brand-
markt ihn zum asiatischen Despoten.
Bemfen wir uns auf eine Autorität, die unsere Ansicht über
Alexander unter ihre Flügel nehme? Nun so nennen wir einen
Geschichtschreiber, dem der von Alexander dem Gr. nicht an's
Knie reicht, und zu dessen Füssen er noch als Professor sitzen
dürfte, auf seineu sämmtlichen Werken, lernbegierig lauschend, wie
ein Schüler der Sorbonne auf dem Strohbündel. — Niebuhr's Kern-
m^theil über Alexander ^) lautet wie folgt :
„Die Zeitgenossen Alexander's unter den Griechen täuschten
sich nicht über seine Einwirkung. Er starb mit dem Fluche und
der Verabscheuung Griechenlands und Makedoniens. Hätte er
länger gelebt, so hätte er vielleicht das Gebäude seines Glücks
selbst stürzen gesehen. Er konnte nur thätig und rege seyn, und
wirklich wäre er dabei gescheitert. Er wollte nicht Asien
griechisch, sondern Griechenland persisch machen.
Wäre er daher länger in Asien geblieben, so hätten wir unter
ihm ein griechisch-persisch-makedonisches Reich entstehen sehen.
Da er Griechen und Makedonier persisch bewaffnen wollte, so
hätten diese wahrscheinlich sich später empört und ihn umge-
bracht. Das einzige Kettungsmittel Griechenlands, wodurch es
frei hätte werden können, wäre gewesen, wenn Alexander ausge-
lebt hätte und mit dem liuhme seiner Thaten gefallen wäre."
Was nun seine und seiner Nachfolger Zeitepoche betrifft, so
ist diess das grösste, und nm* durch die Macht des im Erlöschen
noch gewaltigen hellenischen Geistes erklärliche Wunder: dass
die in voller Venvesung begriffene Zeit noch solche Meisterwerke
1) Vorträge über alte Geschichte herausg. v. M. v. Niebuhr. Bd. II.
S. 152 ff.
230 I^iß griechische Komödie.
der Malerei, und einer immerhin staunenswerthen, sey's auch
flberschwänglichen, Plastik hervorbringen; dass sie noch eine Ko-
mödie, wie des Menander, ans ihren gangi'änirten Eingeweiden
herausgebären konnte.
In dem alphabetischen Verzeichniss ,, das Meineke von den
Dichtern der neuen Komödie giebt ^ , sind folgende Namen auf-
gezählt: Apollodoros aus Gela (o Felwog), Apollodoros
aus Karystos (Euböa), Anaxippos, Anthippos, Baton,
Kriton, Korbylos, Kallipos, Diphilos, Damoxenos, De-
metrios, Demophilos, Diodoros, Dionysios, Diophan-
tos, Euphron, Epinikos, Evangelos, Eudoxos, Hege-
sippos, Hipparchos, Lynkeus, Menandros, Nikomachos,
Nikolaos, Philippides, Phoenikides, Posidippos, Phi-
lemon, Philostephanos, Simplos, Sosipatros, Theogne-
tos, Theophilos. Unter diesen ragten als Meister hervor: Me-
nandros (oder Menander), Philippides, Diphilos, Phile-
mon und Apollodoros der Karystier.
Menandros.
Greb. zu Athen Ol. 109, 3 ==342. Von seiner Mutter ist nur
der Name, Hegesistrata, überliefert. Sein Vater, Diopithes, athe-
nischer Feldherr, hatte eine Kolonie nach dqm Chersonesos ge-
führt. Hier ward er mit Philipp von Makedonien in Streitigkei-
ten vei*wickelt, der ihn bei den Athenern verklagte. Von De-
raosthenes, in der Rede de Chersoneso, vertheidig-t, wurde Diopi-
thes frei gesprochen. Ein Scholiasf-) bemerkt hiezu, Diopithes
hätte die mächtige Fürsprache des grossen Redners der Freund-
schaft zu verdanken gehabt, die z-wischen Demosthenes und dem
Sohne des angeklagten FeldheiTu, dem jungen Menandi'os, bestand.
Die Notiz ist eine gewöhnliche Scholiasten- Anekdote, In dem
Jahre, wo dieser Process stattfand, wurde Menander erst gebo-
ren. 3) Der junge Menander empfing eine sorgfältige Erziehung.
Auch an ihm, wie an allen ersten Meistern des griechischen Dra-
ma's, bewährt sich die bestimmende Einwirkung der gleichzeitigen
1) Quaest. Seen, specim. II. p. .5. 6. — 2) in Ms. e. cod. Redhigerano
descript. — .3) Meineke vit. Menandr. p. XXIV.
Menander. 231
Philosophie. Lehre und Umgang der beiden namhaftesten Philo-
sophen jener Zeit, des Theophrast und Epikur, erscheinen wie
vorbestimmt, ihn zum Vollender der neuen attischen Komödie
auszubilden. In den noch vorhandenen Charakteren-Schildermigen
des Theophrastos kann man die Vorstudien und Umrisse zu den
Figm'en dieser Komödie erkennen. Es sind allgemeine Charak-
terbilder, mit scharfer Beobachtungsgabe getreu nach dem Leben
gezeichnet, aus einzelnen stereotypen Zügen und Eigenschaften
von wirklichen, durcli Berufs-, Standes- und Neigungs-Eigenthüm-
lichkeiten absonderlichen Individuen abstrahirt. Aehnlich werden
wir die „Charaktere" des Le Bruyere die Komödien MoHere's be-
gleiten sehen, der aber den Menander an Komik und Genie weit
übertrifft und in seine Farben etwas von dem Geiste der alten
attischen Komödie, einen Blutstropfen von Aristophanes' Geissei,
mischt. Menander war in Eichtung und Gesinnung ein Dichter
der Höfe; Moliere verbarg hinter der Maske des Hofdichters ein
demokratisches Herz, wie Montaigne und Rabelais unter der bunt-
scheckigen Jack§. Epikur's Lelii'en, Principien und Maximen
trägt die Komödie des Menander, trägt sein Leben offen an der
Stirne. Er führte ein glänzendes, üppiges Leben (Xa/^ingog zcp
ßio)). Phaedrus schildert den Menander ^) schwimmend in Wohl-
gerüchen und Balsamdüften, dahinwallend in weiten, weichlichen
Gewanden; aufgelösten, schmachtend -wollüstigen Ganges. Er
liebte leidenschaftlich die Frauen: negi ywalxag sy.i.iaviorazng.'^)
Um ein Jahr älter als Epikur, blieb der Dichter bis an sein Ende
Freund und Genosse des Philosophen. In einem Epigramm ^j
vergleicht Menander seinen Jugendgefährten Epikur mit Themi-
stokles: „Beide Söhne von Vätern gleichen Namens (Xenokles),
habe der Eine (Themistokles; seinem Vaterlande die Freiheit er-
rungen, der Andere rEpikm'Os) es mit Weisheit begabt."
Schon im zwanzigsten Jahre hatte sich Menander als Ko-
mödiendichter ausgezeichnet. In demselben Jahre starl) Aristo-
teles (322 V. Chr.j, dessen Kunstlelu*e und dramaturgische Kegeln
er unzweifelliaft studirte, und mit Hülfe von Aristoteles' Lieb-
lingsschüler, seinem Lehrer Theophrastos, ergründen und sich an-
eignen mochte. Ein Jalu- später gewann er mit seiner Komödie
1) VI, 1. — 2) Suid. II. p. 531. — 3) Anthol. Jacobs T. I. p. 13ti.
232 Die griechische Komödie.
'Ogyrj, der Zorn, seinen ersten Siegesla-anz. i) In rascher Auf-
einanderfolge brachte er, nach Aul. Gellius^), 109 Komödien auf
die Bühne, deren Proben er selbst leitete. 3) Gleichwohl soll er
nur acht Siege eiTungen haben. Die meisten Kränze entwand
ilmi sein älterer Nebenbuhler, Philemon, den er einmal, gelegentlich
eines solchen Sieges, fragie : „Wirst du denn nicht schamroth zu-
weilen, wenn du deine Komödien den meinigen vorgezogen siehst? ^)
Berühmt ist Menander's Verhältniss mit der Glykera, einer
der schönsten und reizendsten Hetären ihrer Zeit, von seltenem
Zartgefühl und feiner Seelenbildung. Sie war früher die Maitresse
des verschwenderischen, ausschweifenden Harpalos, eines der Statt-
halter Alexander d. Gr. In Sp-ien Hess ihr Harpalos eine Statue
setzen. In Tarsos wohnte sie mit ihm in demselben Palaste und
theilte mit ihm die öffentlichen Ehren. Sie wurde daselbst vom
Volke angebetet. Erschien sie auf der Strasse, fiel Alles vor ihr
auf die Knie, wie vor einer Königin.^) Wenn Städte und Be-
völkerungen Götzenschande mit einer Dirne trieben, konnte die
Komödie, Spiegel und Abdruck der Zeit, nicht zurückbleiben. In
der mittlem Komödie war das Hetärenthum noch Stichblatt der
Satire; die neue Komödie macht es zu ilirem Herzblatt — ein
namhafter Fortschritt! Leider war der Dichter Menander kein
Harpalos, und konnte seiner Glykera solche Ehren nicht bieten.
Die trefflichste der Buhlerinnen hing trotzdem an ihrem Komö-
diendichter mit ganzer Seele, ohne sich selbst von seinem Schie-
len beirren zu lassen. Menander setzte der Geliebten dafür auch
ein dauernderes Denkmal, als eine Statue, in einer seiner Komö-
dien, worin Glykera als Heldin glänzte.*') Der griechische Eo-
manschreiber aus dem 2. oder 3. Jahrh. nach Chr., Alkiphron,
hat seinen 116 Briefen eine fingirte Correspondenz zwischen Me-
nander und Glykera eingetiochten, von einer Zierlichkeit, Zartheit
und Innigkeit des Gefühls, in den Briefen der Glykera besonders,
dass sie der Verfasser der Manon Lascaut nicht zärtlicher, ßer-
nardin de Saint Pierre niclit kindlich gefühlvoller hätte schreiben
können. Menander's Ablehnung einer vom Könige von Aegypten,
1) Eus. ad Olymp. CXIV, 4. Mein. vit. XXX. — 2) Noct. Att. XVII,
4. — 3) Alciphr. II, 4. — 4) Aul. GeU. XIII, 4. — 5) Athen. Xni, 68.
p. 595 D. — 0) Meineke, Men. et Pliil. Rcli(i. p. 39.
Menander. 233
Ptolemäos Lagi, an iliii ergangenen und von den schmeichelhaf-
testen Auszeichnungen begleiteten Einladung wird in jenem Brief-
wechsel durch die Liebe zur Glykera motiviit, die der Dichter
nicht für den Thron des Ptolemäers verlassen möchte. Aber eine
Hetäre bleibt am Ende doch nur ein Weib, und ihre Liebe denn
auch dem Wechsel und der Wandelbarkeit unterworfen. Menan-
der's Nebenbuhler, Philemon, der sich nicht gescheut hatte, ihm
die Siegeski'änze zu entreissen, trieb die Unverschämtheit so weit,
ihm auch die Geliebte zu rauben. ') Die verfeindeten Nebenbuhler
kämpften nun, nicht blos wie sonst, mit Komödien, sondern auch,
in diesen, mit Anspielungen auf Glykera, die von Seiten Meuan-
der's nur Anzüglichkeiten und die empfindlichsten Epigramme
mit den bittersten Pointen seyn konnten.
Von dem ersten Begegniss des Demetrios Phalereus, des da-
maligen HeiTn von Athen, mit unserem Dichter findet sich eine
Schilderung in einem Fragmente desPhädrus. '-) Als ihn Kassander's
Statthalter in der Menge erblickte, fragte er: wer der Weiclüing
dort wäre, der ihm unter die Augen zu treten wage? Der Name
Menander bewirkte eine augenblickliche ümstimmung in dem
Gewalthaber. Bald wurden sie vertraute Freunde. Aber wenig
fehlte, dass diese Gunst, bei dem damaligen raschen Glücks- und
HeiTScherwechsel, der in der Zeitluft, wie das Hetären- und Aben-
teurer-Wesen, zu schweben schien, dem Komödiendichter nicht
verderblich wurde. Als Günstling des gestürzten Tyrannen bei
dessen Nachfolger, Demetrios Poliorketes, denuncirt, hatte Menan-
der seine Rettung nur der Verwendung eines nahen Verwandten vom
siegreichen Tyrannen zu danken. 3) Dem einen Tyrannen entronnen,
fiel er einem noch tückiscliern in die Hände, dem „Meertyrannen."
Als Menander eines Tages in dem Hafen des Piräeus, in der Nähe
seiner kleinen Besitzung badete, ertrank er, von einem Schwimm-
krarapf ergriffen, im Alter von 52 Jahren.'*) Die Atliener errich-
teten ihm ein Grabmal am Saume der Wegstrasse, die vom Hafen
nach der Stadt führt, nicht weit vom Kenotaphium des Euripides,
den Menander von allen Tragikern an meisten bewunderte, stu-
dirte und nachahmte. Seiner Lehre von der Seelenwanderung zu
1) Athen. XIH. p. 594 D. — 2) VI, 11. — 3) Diog. La. V, 354.
4) Alciphr. Ei)ist. II, 4.
234 Die griechische. Komödie.
folge, würde P\i;hagoras den T^a/t/wxaroc; in Menander als ko-
mischen Hetären-Dichter wiedergefunden haben.
Aus den über tausend Nummern zälilenden gTössern und
kleinern Trümmerstücken von Menander's Komödien vermöchte
aber selbst Pythagoras nicht, den Dichter und seine Kunstart
wieder zu erkennen, viel weniger die Nachwelt. Fast könnte man
der lebensklugen Spruchweisheit, der Fülle von Klugheitsregeln,
Maximen, Gnomen und Sentenzen, womit der grösste Komödien-
dichter einer erbärmlichen Zeit, behufs praktischer Nutzanwen-
dung, seine Dramen würzte, grollen und sie verwünschen. Denn
nächst dem fanatischen Eifer der Byzantinischen Mönche, die
gegen die heidnische Poesie, insonders aber gegen die Komödie
einen Vernichtungskrieg führten mit Feuer und Schwert, trägt
vielleicht jene mundgerechte Spruchweisheit, jener Reichthum an
praktischen Lebensregeln zum täglichen Gebrauch, trägt jene Ka-
lenderweisheit, zu Nutz und Frommen des Umgangs und der
Menschenkenntniss, des Schlegelschen Klugmachungs-Zweckes, mit
einem Wort, die meiste Schuld an der Preisgebung der Dramen
selbst für das Spottgeld der aurea dicta; wie etwa Trödler die
werthvollsten Stoffe des Brandsilbers wegen verwüsten. Menan-
der's Komödien lagen zum grossen Theil noch dem Erzbischof
Eustathios vor (f 1198), welcher sie in seinen Erklärungen zur
Dias und Odyssee häufig citirt. Will man dem Leon. Allacci
glauben, so waren noch zu seiner Zeit (XVII. Jahrb.) vier und
zwanzig Komödien in den Manuscripten- Schätzen zu Konstanti-
nopel vorhanden, gesammelt und commentirt von Michael Psellos
(t 1079).^) Das gleicht freilich einer antiquarischen Legende,
gegenüber den Versicherungen des gi-iechischeu Flüchtlings De-
metrios Chalkondylas (f 1511), wonach sämmtliche Komödien-
Manuscr. des Menander und Philemon zugleich mit den erotischen
Elegien des Mimnermos und den Gesängen des Alkäos, auf Be-
treiben der zelotischen Priester und Mönche, von den Byzantini-
schen Kaisern den Flammen übergeben wurden, um, an SteUe
derselben, den Poesien des h. Gregorius von Nazianz Eingang zu
verschaffen.'^)
1) Leon. Allat. de PseU. p. 69. Fabr. Bibl. gr. U, 460. Vgl. G. Guizot,
Men. p. 43. -- 2) Alcyon. de Exilio I. Yen. 1522. 4.
Menander's Kuuiödien. 235
Eine der frühesten Blüthenlesen aus fünfzig Dichtern der
mittlem und neuen Komödie liegt uns von 1560 Baseler Ausg.
vor: rvioi-UAct oioKöusva, herausg. von Jacob Hertelius. Andere
Sammlungen zahlloser alphabetisch geordneter monosticher Gnomen
(Fvcdiitai /novoariyoi) nicht zu gedenken, wie die moralische Blu-
menlese des Butgersius z. B. i), unter dem Titel MsvdvÖQOv xal
0LXioticovig avyxQioig, worin jedoch des Letztern Beiträge, nach
Meineke'-), auf Rechnung des Philemon kämen. Alle diese Blü-
thenlesen blieben in den gelehrten Barten der Sammler hängen,
wie jene arabischen wohlriechenden Gummitropfen an den Barten
der Ziegenböcke haften bleiben, die von den benagten, und in
Folge dessen verdorrten Stauden blos die Harzklümpchen, als
Bartkötel, aufbewahren.
Was wir vom Inhalt einer und der andern Komödie des Me-
nander, Philemon, Diphilos, wissen, schulden wir, nächst ihren
Nachahmern und Bearbeitern, nächst Plautus und Terentius, dem
Erklärer des Terenz, dem Grammatiker Aelius Donatus (4. Jahrh.
nach Chr.). So z. B. die Fabel-Intrigue des Thesauros (der Schatz)
und die der „Erscheinung" {(pdG(.i(x); beides Komödien von Me-
nander. Die Mittheilungen des Donat sind um so schätzbarer, als
von beiden Komödien nur spärliche und nicht eiimial sinnklare
Bruchstücke vorhanden. Der Plan des Thesauros ist bekannt;
weniger der vom Phasma (die Erscheinung): Pheidon hat einen
Sohn aus erster Ehe. Pheidon's zweite Frau hatte sich, vor ihrer
Verheirathung mit ihm, von einem jungen Manne, den sie liebte,
verführen lassen und ein Mädchen geboren. Sie lässt die Toch-
ter heimlich in einem verborgenen Gemache, im Nachbarhause
eines nahen Verwandten ihres Ehegatten, erziehen. Um das Mäd-
chen, ohne Argwohn zu erregen, täglich sehen zu können, hatte
die Mutter in der Verbindungswand beider Häuser eine Oeffhung
anbringen, und das Cabinet selbst, in welches die Oefthung führte,
als vorgebliche Andaclitskapelle herrichten lassen. Durch diesen
von Blätterwerk verborgenen Zugang liess die Mutter das Mädclien,
so oft sie es sehen wollte, in das Cabinet eintreten. Eines Tages
wurden Beide, Mutter und Tochter, von dem Stiefsohn der Mut-
ter übeiTascht. Beim Anblick des schönen Mädchens bleibt er
n Varr. Lectt. p. .356—367. -- 2) Vit. p. VII if.
236 Die griechische Komödie.
wie angezaubert steheu. An diesem den Göttern und der Andacht
geweihten Orte muss er die Erscheinung für die eines göttli-
chen Wesens halten. Daher trägt das Stück den Namen. Bald
kommt jedoch der junge Mensch hinter das Geheimniss. Seine
Liebe entbrennt nun zu einer solchen Stärke, dass sein Leben vom
Besitze des Mädchens abhängt. Mutter und Vater geben ihre
Einwilligung. Die Vermählung des Liebespaares beschliesst, wie
üblich, die Komödie und lo'öut die artige Erfindung mit einer
Beglückung zweier Herzen, die ausserhalb der Combination un-
serer Lustspiel-Heirathen liegt.
Die Fabel zm- Komödie: Die Kette (IHoxinv) hat uns
Aul. Gell.^) überliefeii. Wir finden zwei Greise im Gespräch.
Der Eine, Simon, klagt seinem Nachbar, Menedemos, sein
Hausleiden. Seine Ehegattin, Korbyla, ein hässliches, zänkisches
und herrschsüchtiges Weib, das er nur ihrer Mitgift halber ge-
heirathet, hatte ihn aus Eifersucht gezwungen, eine junge hübsche
Sklavin zu entfernen. Einen Theil dieser Herzenserleichterung
des alten Simon enthält ein Fragment bei Meineke.-) Dasselbe
wird durch ein neues Fragment ergänzt, das Dr. Daremberg in
den unedirten Schollen über Hippokrates aus einer Handschrift
der vaticanischen Bibliothek entdeckte. 3) Die Klagen des alten
Simon finden ihr Echo bei Nachbar Menedemos. Dieser, obgleich
Wittwer, weiss von ehemals, wo einen Ehemann der Hausschuh
drückt. Seine Korbyla war ein giftiger Hausdrache ohne Mitgift.
Nachbar Menedemos ist blutarm. Sein ganzer Besitz besteht in
einer mannbaren Tochter; so mannbar, dass sie den Beweis ihrer
Heirathsfähigkeit vor der Hochzeit abgelegt. Der alte Grossvater
in spe hatte sich denn auch aufgemacht und ist vom Lande nach
der Stadt geeilt, um den jungen unbekannten Schwiegersohn mit
Hülfe der Gerichte aufzusuchen. Schon höi-t man Pamphila
in Kindesnöthen äclizen und weinen. Der alte, treue Haussklave
Parmenon stimmt, an der Thür horchend, in Pamphila's Wehen
ein mit den rührendsten Betrachtungen, deren gefühlvolle Ergüsse
Aulus Gellius nicht genug preisen und bewundern kann. Lizwi-
schen ist Nachbar Menedemos dem vorgreiflichen Schwiegersöhn-
1) N. A. II, 23. — 2) IV. p. 189. — 3) Vgl. G. Guizot, Men. p. 182.
Note 2.
Menander's Komödien. 237
chen auf der Spur. Der Entehrer seiner Pamphila ist kein an-
derer, als seines Stadtnachbars Simon Sohn, Aeschines. Der
brave junge Vergewaltiger bekennt sich zu seiner, im Tunmlt eines
ländlichen Festes und im trunkenen Zustande, überkommenen Va-
terschaft. Vater Simon ist mit der Einwilligung zur Heirath so-
gleich bei der Hand. Aber Mutter Simon? Korbyla? Wird sie,
deren Schönheit in der zugebrachten Mitgift bestand, eine Schwie-
gertochter acceptiren, deren Schönheit die einzige Mitgift ist? Eine
solche Schnur ist ihr ein Grcäuel. Nun setzt sich Simon auf die
Hinterbeine, zum erstenmal seit seiner Heirath, und so nachdrück-
lich, dass Korbyla verblüfft zurückweicht und sich endlich zum
Ziele legt. Diess ungefähr ist der Hergang in der Komödie Plo-
kion, wie derselbe sich nach Aul. Gellius, aus den Fragmenten
des Menander und seines römischen üebersetzers und Bearbeiters
Caecilius, bei Nonius, ermitteln lässt. Die eigentliche Ent-
wickelung ist damit freilich nicht angegeben. Wir wissen nicht,
durch welche Abzeichen der junge Aeschiues die Pamphila wieder
erkemit, deren flüchtige Bekamitschaft er im Rausch und in der
Dunkelheit gemacht hatte. Auch der Titel „Plokion" (die Kette)
bleibt unerklärt. Mr. Guizot's Deutung, dass Plokion, wenn es
nicht die Halskette ist, woran Pamphila erkannt wird, der Name
jeuer jungen Sklavin seyn möchte, die Simon aus dem Hause
hatte schaffen müssen, dürfen wir auf sich beruhen lassen.
Unter den Komödien des Menander finden sich verschiedene,
worin die Motive sich wiederholen. So hatten „das geschla-
gene Mädchen" (Pami'Qofxevrj)^) und „die Geschorene"
{IlBQiy.EiQO(xevrf) 2) die brutale Eifersucht eines Soldaten miteinan-
der gemein. Denselben Gegenstand mochte der Landmanu
behandelt haben.
Den von Euripides überkommenen Prolog behielt die mitt-
lere und die neue Komödie bei. Ein Stück des Philemon leitet
Zeus selbst mit einem Prolog ein.^) In der Erbtochter (Eni-
ytlriQog) des Menander hält ihn eine mitspielende Person. Auch
allegorische Personen lässt die neue Komödie die Prologe sprecheu,
Lucian'*) mft das Argument (Beweismittel "^'Ae/p^og), als den
1) Mein. fr. IV, 197. — 2) Das. p. 185. — 3) Das. p. 31. ~ 4) Pseu-
dol. c. IV.
238 Die griechische Komödie.
Prologensprecher vor einer Komödie des Menander, zu Hülfe. Im.
Fragm. ine. 351 lieisst es: ^'Elsyxog eif.1 iytö, 6 cpikog ctlrj-
&Eia xal naQQTjGia ^eng. „Ich bin das Beweismittel, der Wahr-
heit Freund und durch Zuverlässigkeit ein Gott." Philemon führt
die Luft als Vorredner ein; das Fragment eines Unbekannten
die Furcht. Aehnlich legt Plautus den Prolog seiner Cistellaria
dem Gotte Auxilium fBeistandj in den Mund.
Was hat nun die Menander-Komödie durch eine solche, im
Sinne des Aristoteles verwickelte Fabel-Intrigne vor dem einfachen
derben, in parallelen Scenen, wie in festen Aufzugs-Garnketten,
gespuhlten Grundgewebe der alten Komödie voraus? Bei Lichte
betrachtet: Zufallsspiele; üeberraschungen, äusserliche Spannungen ;
die Gaukelei scenisch er Effecte ; dramatische Escamotirungskünste.
Kurz, das blosse Amüsement ; den Reiz und Kitzel des unterhalt-
lichen Combinationswitzes, der eine ursprünglich unsittliche, dem
Familienleben und der gesellschaftlichen Ordnmig feindliche, in
der Regel geschlechtliche Verirrung, im Wege eines künstlichen,
taschenspielerischen Apparates und Mechanismus von Situations-
Attrappen, zu einer scheinbar wiederhergestellten und trügiichen
Genugthuung der verletzten Sitte sich entwiiTcn lässt. Der grosse
Gewinn und Fortschritt bestände also in vergnüglich täuschender
Vertuschung einer schmutzigen Geschichte, eines gemeinen Fa-
milien-Skandals. Sey's drum! Wenn dieser Ernst nur dem Spiele
bleibt, dass es ein Abbild des wirklichen Lebens, der gesellschaft-
lichen Zustände, der Familien- WiiTen. Ernst? Abbild? Ein gauk-
lerisches Lügenbild ist dieses Spiel, da es aus Ernst Spass macht ;
über den strafenden Ausgleich, den die wirklichen Verhältnisse
einem solchen leichtsinnigen Frevel zuerkennen, mit noch grösserem,
mit belustigendem Leichtsinne, lachenden Muthes, hinschlüpft und
über die Folgen kupplerisch und casuistisch täuscht. Die Legi-
timh'ung einer, nicht in Liebesleidenschaft, sondern im trunkenen
Zustand Entehrten durch die Ehe ist nur das gleissnerische Män-
telchen , das die blosse Belustigungskomödie über ihre schmutzige
Familienwäsche wirft. Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst
— aber diese Heiterkeit darf mit jenem Ernst kein muthwilliges
Spiel treiben, das den Ernst des Lebens zu einer Affenkomödie
aufheitert. Das Menander-Lustspiel bringt ein jesuitisches Ele-
ment, die Casuistik, in das Drama, die sich bekanntlich zur
Lustspiel-Casuistik. 239
Aufgabe stellt: der Sünde eine Lässlichkeits-Schürze vorzubinden;
dem Sitteugesetz von der Opportuuitäts-Moral eine wächserne Nase
drehen zu lehren, und deragemäss , in letzter Absicht, die Fami-
lienbande zu lockern und aufzufasern, um sie zu Gängelbändern
für die „Obern" zu flechten. Dabei kann der Unterschied immer-
hin in Geltung bleiben: dass die Ordens-Casuistik die gesell-
schaftliche und Familien- Ordnung grundsätzlich unterwühlt;
die entsittlichende Zerrüttung der Gesellschaft nur als Mittel zur
Befestigung und Disciplinirung der Ordens-Gesellschaft gebraucht;
während die lockere Familien-Komödien-Moral keinerlei Zweck,
als den eines geistreich anregenden Spieles im Auge hat. Heisst
das aber nicht die Frivolität selber als Endzweck aufstellen, und
diese Komödie unter die Ordenscasuistik herabsetzen, welche sich
doch mindestens der Entsittlichung der Familie als eines Mittels
zu einem höchst ernsten Zwecke bedient, und die gelockerten
Familienbande im Interesse eines allgemeinen, wenn auch ver-
dammlichen Gesellschafts- Begriffes um so straffer anspannt,
und solchergestalt den Schein jedenfalls alles sittlichen Staats-
und Gemeinwesens rettet: den Schein von Unterordnung aller
Lebens- und Pflichtenkreise unter eine höchste Gesellschafts-Ord-
nung. Die Komödie der lockern Familien-Moral theilt blos diese
mit der Casuistik, ohne aber auch nur den Schein eines tiefern
Zweckes zu erstreben. Solche Frivolität der vollkonunenen Zweck-
losigkeit mag dieser Komödie Brief und Siegel einer in demselben
Maasse vollkommenen Kunstwürdigkeit von Seiten der Schulästhetik
eintragen: vom Gesichtspunkt des poetisch höchsten Kunstzweckes
aus betrachtet, wie derselbe den grössteu Meistern vorschwebte,
als der strengste, ernsthafteste aller Zwecke, als Zweck der Zwecke,
und „herb" wie „des Lebens innerster Kern" — von dieser Höhe
poetischer Gestaltung aus gewürdigt, unterscheidet sich die Me-
nander-Komödie der lockern Familien-Moral von der casuistisclien
nur durcli die grössere Frivolität. Aber der Rächer blieb nicht
aus. Er kam, wie gewöhnlich, spät, aber er kam. Moliere's
Tartüffe ist der Alastor, ist der Rachegeist der Menander-Ko-
mödie, des frivolen Belustigungsspiels mit Familien -Intriguen-
Skandälchen; ist der Rachedämon der Lustspiel-Casuistik. Wir
werden den Tartütte als solclien Reiniger und I*]xorcisten der Me-
nander'schen Familien-Komödie seines Ortes zu würdigen haben.
240 ^^^ griechische Komödie.
Bald genug hatte denn aucli die epikuräisclie Lebensmoral
dieser Komödie der guten Gesellschaft ihre praktische Verwirk-
lichung gefunden in jener, nach den Statuten üppigen Genusses
und zügelloser Wollust, von Antonius und Kleopatra gestifteten
Brüderschaft der 2vva7toi)-avov(.ievoL, der Genussseligen auf
Tod und Leben; einer Genossenschaft, zu welcher jenes Herr-
scherpaar mit ihren auserwählten Günstlingen sich verbunden
hatte, dem Statutenzwecke gemäss: ein Leben ununterbrochener
Sinneslüste und Freuden durchzuschlemmen ; das Leben wie ein
Banquet zu verlassen — et exacto contentus tempore vitae Cedat
ut conviva satur — ; aus einem Daseyn voUer Woime sich in eine
gemeinschaftliche Todesseligkeit hinüber zu schwelgen und durch
ihr anstrebenswürdiges Vorbild und Beispiel der erstaunten Welt
zu zeigen: die Hetären -Komödie sey eine Wahrheit und das
Schlaraffenleben kein leerer Wahn.
In der mehrerwähnten, beachtensweithen Schrift von G. Guizot
werden die fortschrittlichen Culturmomente in der neuen Komödie
gebührendermaassen hervorgehoben. „Obgleich" — lautet eine
Stelle ^) — „Brüderlichkeit und barmherzige Nächstenliebe ( Charite)
noch unbekannte Worte waren; so hatte sich doch das natürliche
Mitgefühl und das Bedürfuiss gegenseitiger Hülfeleistung zu ent-
wickeln begonnen." Als Beleg liiefür wird auf jenes so oft ge-
tummelte Sprüchlein im Selbstquäler des Terenz ^) hingewiesen:
Homo sum, liumani nihil a me alienum puto : „Ich bin ein Mensch,
und nichts Menscliliches mii- fremd." Mit Recht erblickt Mr.
Guizot in dieser schönen, humanistischen Effect-Phrase den prä-
gnantesten und vollsten Ausdruck so vieler ähnlicher, auf das
„Reinmenschliche" hinzielender Sprüche in der neuen attischen
Komödie, die aber alle, unseres Erachtens, nur beweisen, dass die
griechische Gesellschaft, zur Zeit dieser Komödie, und ihre Nach-
blüthe, die römische Gesellschaft, zur Zeit des Terenz, auf jenen
Höhepunkt einer gewandt und mundrecht-schöngeistig formuliren-
den Phraseologie sich emporgebildet hatte, wo die geklärt m-bane
Gesellschaftssprache, die auf der Scene ihre feinste literarische
Blume gewann, sich mit der praktischen Bethätigung und Be-
währung ihrer Spmchweisheit durch eine wohlklingende Schön-
1) p. 2(33. ~ 2) Heautontiiu. act. 1 sc. 1. v. 25.
Die Humanität in der ucueu Komödie. 241
phrase abfinden durfte. Es war von jeher das Vorreclit verderbter
Epochen, die von der praktischen Tugend .und werkthätigen Men-
schenliebe vorgezeigten S.chuldwechsel mit den Papierzettcln der
„goldenen Sprüche" einzulösen. Dahin gehört die Anwaltschaft
zu Gunsten der „Armuth", im Munde von Dichtern, die in
schwelgerischem Ueberflusse lebten, wovon die Fragmente des
Menander. bei Meineke eine reichliche Lese darbieten. Dahin
gehört das Lob der Begnügsamkeit mit einem bescheidenen Le-
benslose ; dahin die Geringschätzung der Reichthümer und des Gel-
des, das nur, als ein Mittel wohlzuthun, Werth habe— Andern
nämlich, nicht sich wohlzuthun, während doch letzteres in der
Praxis auch bei diesen Dichtern ausschliesslich galt und gang
und gäbe war.
In der LeukadiaO verweist Menander die Armen, wie der
Pfaff auf der Kanzel, an den Himmel. „Die Götter sorgen stets
für die Armen", lässt er einen seiner mildthätigen Menschenfreunde
sagen. In Bezug auf die „Sklavenfrage" fliesst der Mund
der neuen Komödie über von Zucker und Honig. „Am Ende",
eifert der sklavenfreundliche Philemon"-), „Am Ende hat der
Sklave so gut Menschenfleisch am Leibe wie wir." Gesuchteres
sogar, muss bestätigt werden, preiswürdigeres, im Handel und
auf dem Menschenmarkt weit mehr geschätzt und begehrt, als
freigeborenes Menschenfleisch. Philemon geht noch weiter ^ in
seiner Philanthropie und lässt in einem andern Stücke (E^OLy.Ltö-
[xtvog: „Der vom Hause Vertriebene" ^\ einen Sklaven, Angesichts
seines Herrn, ausrufen: „Mensch bleibt Mensch, aucli in der Skla-
verei." Aber der Mensch bleibende Mensch bleibt darum doch
Sklave; oder, wie der grösste Philosoph und Sitteulehrer des Al-
terthums, wie Aristoteles^) sich, zeitgenössisch, ausdrückt: „Der
Sklave ist gewissermassen ein beseeltes Eigenthum" {y.ifj/.i(x tl
apipvxov) „und gleichsam ein lebendiges Werkzeug" (ytat aionsQ
ogyavov); ein Werkzeug von lebendigem Menschentteisch „zum
unbedingten Gebrauche seines Herrn" (pXwg öeoyiozov)/-') Die
sklavenfreundliche Menander-Komödie theilt diesem Menschen-
fleisch, als Zubusse, noch ausserdem die Intrigue zu, und beutet
1) Mein. fr. IV. p. 160. — 2) Das. IV. ]>. 47. — 3) Das. IV. p. 7. -
4) Poüt. I, 4, 2. — 5j Das. I, 4, 5.
U. n>
242 ^^^ griechische Komödie.
nicht blos das Fleisch, sondern auch die Seele und die Intelligenz
des Sklaven zu ihren Intriguen- Zwecken aus. Während dem
Verlaufe dieser Komödie ist die Seele des Knechtes mit allen
Eänken und Anschlägen die äme damnee, das y.TrjfiäTL e^iipvxov,
das üöjitQ o(jyavov des liederlichen Sohnes, und am Schlüsse der
Komödie, deren Seele der Sklave überhaupt ist, muss sein Men-
schenfleisch der Geissei des geprellten Vaters noch herhalten für die
Sklavendienste, die seine anschlägige Seele dem Sohn geleistet.
Indessen ist in der Am-egung solcher, wenn auch nm* fürs erste
als Komödie zur Sprache kommenden Fragen ein bedeutsames
culturgeschichtliches Fortschritts -Symptom nicht zu verkennen.
Wenn Gedanken, wie Lessing sagt, die Anfänge der Tbaten sind ;
dürfen Worte als Vorschatten von Ereignissen und Zeichen eines
sich vorbereitenden Umschwungs in den gesellschaftlichen Begiif-
fen angesehen werden. Ein solcher Umschwung kündigt sich denn
auch wirklich an. Ein allgemeines Humanitätsgefühl beginnt sich
in der Menschheit zu regen, dem über ein Kleines der Prophet
und Märtyrer in Galiläa erstehen, und das dm-ch die fast gleich-
zeitige Verbreitung der Buddha-Lehre im Herzen Asiens, in den
Ländergebieten des unvordenklichen Sklaven-Kastengeistes selber,
tiefe untilgbare Wurzeln schlagen sollte. Wir- werden die allmu-
fassende Menschlichkeitslehre als Buddhistisches Element auch
im indischen Drama wieder finden. Missachten wir daher die,
ob noch so belanglose Eegung auch in der Menander- Komödie
nicht, ohne sie desshalb als besondern Vorzug derselben zu be-
betonen.
Ueber das anderweitige Personal dieser Komödie, Schmarotzer,
Buhldirnen, Kuppler, so wie über das Verhältniss der Väter zu
den Söhnen wird uns die römische Komödie nähern Aufschluss
geben. Was die Frauen betrifiFt, müsse man, meint Mr. Guizot i).
den Griechen einräimien, „dass sie zm- Zeit der neuen Komödie
das eheliche Verhältniss in einem mit der freisinnigen und milden
Lehre des Christenthums übereinstimmenden Geiste aufzufassen
begannen." Die Beispiele dazu haben uns zwei von Menander's
gepriesensten und gesittetetsten Komödien geliefert: Die Kette
(Plokiou^ und die Erscheinung (Phasmaj; beide, in Eücksicht auf
1) Men. p. 305.
Die Liebe in der neixcn Komödie. Der Zufall. 243
Eheverhältnisse und Eheschliessung', für unsere Bülme unmögliche
Komödien.
Bezüglich der Kolle, welche die Liebe in dieser Komödie
spielt, wären, Mr. Guizot's Ansicht zufolge i). die Dichter der-
selben und ihre Nachahmer, die römischen Komiker, fast die
Einzigen unter den alten Schriftstellern, welche die Liebe nahezu
so begriffen hätten, wie die modernen Lustspieldichter. Besonders,
müssen wir beipflichtend hervorheben, die modernsten, die Dichter
der französischen Loretten-Komödie. Zum Beweise, dass Menan-
der, „dieser gTOSse Schüler und Eingeweihte des Liebesgottes,
von der Liebesleideuschaft durchaus wie ein Philosoph gesprochen",
führt Plutarch^) die Geschicklichkeit an, mit welcher Meuauder
seine jungen Ehrenschänder unvermerkt in die Ehe mit den Mäd-
chen hineinfädelt, die sie entehrt. Eine Inschrift^) nennt den
Meuander „die Sirene des Theaters, den glänzenden Genossen der
Liebe" und preist ihn als denjenigen, „der die Menschen gelehrt
habe, ein angenehmes Leben zu führen, indem seine Komödie
stets mit dem erfreulichen Schauspiel einer Heirath schliesse."
Nur hätte solche Heirath in der Regel allen Grund, eine heim-
liche Ehe zu bleiben, und sich als Haube, unter die sie ihre
Pärchen bringt, des unsichtbar machenden Helms von Pluton oder
Perseus zu bedienen. Die Menandrische Zärtlichkeit schöpft mit
Ovid's „Liebeskunst" aus Einem Born, wie denn Freund Ovid auch
zu Menander's unbedingten Bewunderern und Nacheiferern gehört:
Fabula jucundi nulla est sine amore Menandri^), ohne die Liebe
nämlich, die seine, Ovid's, ars amandi lehrt und feiert.
Als Epikuräer und Schöpfer der Intriguen-Komödie musste
Menander in der Göttin des Zufalls (Tt'x';) die höchste Gott-
heit verehren. „Thu nur ab deine Vernunft. Die menschliche
Intelligenz ist nichts anderes als der Zufall; nenn' es wie du
willst: Verstand, Geist, göttlichen Hauch. Der Zufall und nur
der Zufall regiert Alles, ob er zerstöre oder erhalte, umstürze
oder aufbaue. Alle unsere Gedanken, Worte, Thaten, nichts sind
sie als Zufall. Er allein ist es, der Zufall, der über Alles eiitschei-
det;ihm allein gebührt der Name Litelligenz, Klugheit, Gott." Das
1) p. 316. — 2) tkqI €<i(ütoi; ap. Stob. 3y.'{. 3) Boniietk. Aualect.
m. 269. — 4) Trist. 11, 370.
244 ^^^ gTiecMsche Komödie.
ist Menancler's Theodicee vom Zufall in seiner Komödie Hjqioboli-
maeoi, „die rntergeschobnen". '; Und wie schwärmt der fi'omme,
der bis zum Aberglauben fromme Plutarcli für diese Gott-Zufalls-
Komödie, und auf Kosten des Aeschylisch gesinnten Aristophanes !
Bei einer solchen Auffassung des Lebens und der Weltfüh-
mng war es um die innere Lust und die wohlgemuthe, götter-
fi'eudige Heiterkeit der alten Komödie geschehen. Eine unlau-
tere Mischung von rühriger Munterkeit und wehmüthelnder Rüh-
rung ki-änkelt schon in dieser Komödie und bereitet die wunder-
liche Missgeburt, das weinerliche Lustspiel vor. Aus zahlreichen
Fragmenten des Meuander weht uns der Hauch einer Aschermitt-
wochsstimmung nach dem tollfröhlichen Karneval der alten Ko-
mödie an: ,, Willst du wissen, was du in Wahrheit bist?" heisst
es in einem dieser Bruchstücke 2), „so wirf nur einen Blick auf
die Grabdenkmale, die dir unterwegs aufstossen. Was enthalten
diese Urnen, diese Todtenkrüge? Knocheureste und ein wenig
Asche. Einstmals waren das Könige, Tyrannen, Weise, Menschen,
stolz auf ihre Geburt, ihi-e Reichthümer, ihren Ruhm und ihre
Schönheit. Was sind sie nun? Eine Handvoll Staub. Das Schatten-
reich ist die grosse gemeinsame Urne, die unser Aller Nichtigkeit
umschliesst". . . . Eine TodtengTäberscene , TodtengTäber-Humor,
ist ein Geniewurf in. einem tiefsinnigen Trauerspiel, bei einer
Hamlet-Stimmung — aber in einer Komödie, die sich um einen
gewaltthätigen Conat dreht, unter den Flügeln von Gott-Zufall,
als höchster Weltvernunft — Eine schöne Lustspielwelt, eine
heitere Komödie!
Das poetische Verständniss, das Plutarch in seiner schon
berührten Parallele zwischen Ai'istophanes und Menander überhaupt
bekundet, erhellt auch aus seiner daselbst durchgeführten Ver-
gleichung der Komödiensprache, des Styls (cfgäoig) der beiden
Komiker; eine Vergieiclmng, die natürlich zu Gunsten des Lieb-
lii^s, des Menander, so entschieden und so überwiegend ausfällt,
dass Aristoplianes, auch in Rücksicht auf Diction, Styl mid Sprache,
als kunstloser Possenschreiber neben dem Meister der Komödie
dasteht. Der Unterschied lässt sich, unseres Bedünkens, mit
wenigen Worten erschöpfen. Aristophanes' Komödienspracho ist
1) Mein. fr. ('oui. Gr. VI, 212. - 2) p. 2^:^.
Der Sprachstyl des Aristophanes und des Menander. 245
die des Poeten; Meuauder's die des weltmänuisclien Schöngei-
stes, des eleganten Palast- und Hofkomikers, des makedoniscli
verwälscMen Atticismus. Plutarch vergleicht einen Miniaturmaler
mit einem Frescomaler; einen Maler erotischer schlüpfriger Ca-
binets-Bilderchen mit einem Michel -Angelo komischer Jüngster
Gerichte, der dabei colorirt wie ein Eubens der Komödie ; Jüngste
Gerichte, in den leuchtendsten Farben, den lachend glühendsten
Tönen, die der treffliche Vergleicher, neben dem feinen, vei-triebe-
nen, gleichmässigen Schmelz des delicaten Zartpinslers , neben
dessen harmonisch übereingeleclrter Tönung {f-iia te q>aLveod-ai -/.al
xiv 6f.ioi6zt]Ta Tr]Qelv), nicht anders denn als gi'elle, unförmliche,
rohe Tünche berufen und von der Hand weisen kann. Selbst der,
Anonymes i) zeigt hierin ein richtigeres kritisches Gefühl. Was
dieser von der mittlem Komödie bemerkt, dass sie der poetischen
Behandlung sich enthalte, und dass ihre Dichter sich der gewöhn-
lichen Sprachweise befleissigen, im Unterschiede von der alten
Komödie {dia rfjg ovvi]d-ovg l'ovTsg kaXiag); das gilt auch durch-
aus von der neuen Komödie. Plutarch's Parallele könnte ihrer-
seits wieder an den Vergleich jenes Wohlschmeckers erinnern,
welchem das prägelnde Geräusch einer in der Butter schmoren-
den Leipziger Lerche süsser und entzückender klang, als die
schönsten im blauen Aether jauchzenden Morgenlieder einer Früh-
lingslerche. Die verherrlichende Lobpreisung der Menandrischen
Diction, in die Plutarch an einer andern Stelle'-) sich ergeht,
stimmt mit der des genannten Wohlsclimeckers auch in sympo-
sischen Metaphern überein. "Hts yciQ U§Lg r]öeia xal ne^r) xa-
TeonaQtai zidv ngay/nänov , log firjTe vtio vrjrpovTwv -/.aracpQO-
vsloif-aL fit'jts oivw/nevovg dviav yvio^oloyica te yQtjoral xal
acpeXsig vnoQQeovaai y.al xä OT^XrjQÖxaxa xäv rjd^cov, iootisq ev
nvQi TW otVw fxaXaxxovoi xal ycd/nnxovoi ngog xo smEiy.löx(x-
Tov. „Die süsse die Handlung durchwürzende Sprache, welche
Nüchternen wie Trunkenen gleich angenehm munde; die treffli-
chen, einfachen Denksprüchlein, von denen die Sittenschilderung
dm-chdrungen wird, so dass alles Herbe und Trockne, wie in
Wein Geschmortes gleichsam, mürbe, zart und lieblich schmecki;."
1) TifQl xuofii^S. p. XII. ed. Kust. — 2) Syinpos. VIII. 3 p. 712]v
246 ^^^ griechische Komödie.
Lieblich, wie die in heisser Butter singende Lerche. Die Kehr-
seite zu Plutarch's Verherrlichung des Meuandrischen Styls liefern
zwei Scholarchen, die zur Zeit des Marc-Aurel und Commodus
lebten. Der Eine, Phrynichos Arrhabios, ein griechischer Gram-
matiker aus Bithynien, eifert gegen das Wesen, das sie von Me-
nander machen. „Beim Herakles!" ruft er, „ich begreife die Ver-
rücktheit dieser Menschen nicht, die in denMenander so vernarrt
sind . . . Wie ist es nur möglich, dass selbst Männer von Ein-
sicht und Geschmack so entzückt und bezaubert von diesem Ko-
mödienschreiber seyn können, der doch eine Unzahl von unächten
Wortformen in Umlauf setzte, die seine Unwissenheit bezeugen." ')
Der zweite» der Rhetor Julius Pollux, der unerschöpfliche Zettel-
kasten der Archäologen, der Mephistopheles-Sack der Literatoren,
der Pollux zu Kastor-Suidas, unter Kaiser Commodus, Professor
der Beredsamkeit zu Athen, dieser weist, wie sein Zeitgenosse
Arrhabios, Menander's Pseudo-Atticismus von der Hand, und will
dessen Komödien nur für ein Repertorium von bequemen Neolo-
gismen angesehen wissen. Die Urtheile beider Gramatiker zer-
fallen in Schulstaub. Menander's Sprache ist die seines Genres;
die Sprache der gebildeten Gesellschaft von damals, des feinen
Welttons, und ist für die Gattung Musterstyl. In diesem Sinne
bemerkt auch der Anonymes : -) „Die neue Komödie bedient sich
der neuen attischen Sprachweise und strebt vor Allem nach Klar-
heit." Li klarer, geschmackvoller Einfachlieit bleibt Menander
das unerreichte Vorbild dieser Komödie. Seinem Nebenbuhler
Philemon werden schon Künstelei und Verunzierung des Ausdrucks,
Wortspiele und antithetische Lautforraen vorgeworfen. Dem Schul-
redner Quiuctilian 3) gilt Menander, wie Euripides, als Muster voll-
endeter Redekunst. Der Grammatiker Demetrios hebt an Me-
nander's Styl besonders die vollkommene Angemessenheit für
theatralischen Vortrag hervor. ^) Auch in dieser Haupteigenschaft
einer Bühnensprache stand Philemon dem Menander weit nach.
Demselben Demetrios zufolge arbeitete Philemon seinen Dialog
so in's Einzelne und Gleichmässige aus, dass seine Komödien sich
besser für's Lesen als für die Darstellung eigneten, während Me-
1) Eclogac iioiiiin. et verbor. atticor. cd Paw. Utrecht 1739. — 2) de
Com. iJ. XXXII. — 3) X, I, 70. — 4) de Elocut. § 193.
Plülemon. Diphilos. Apollodoros u. s. w. 247
nander's Sprache erst durch das Spiel und die scenischen Acceiite
ihre volle Wirkung gewann.
Nachdem wir den Charakter der neuen Komödie im Allge-
meinen an ihrem Hauptvertreter zai schildern versucht, glauhen
wir uns der Aufzählung der noch vorhandenen Titel sowohl seiner
Stücke als derer seiner Zeitgenossen überhoben. Wen danach gelüstet,
der braucht nur einen Griff in die Füllhörner des grössten und ge-
lehrtesten Keliquiensamralers unserer Zeit, August Meineke's, zu thuu.
Demgemäss wollen wir es auch bei einer summarischen Angabe
einiger der namhaftesten Dichter dieser Komödie bewenden lassen.
Philemou, aus Soli ') oder Syrakus -j, Sohn des Dämon, älter
als Menander, betrat schon Ol. 112 die Bühne. Er starb fast
hundertjährig Ol. 129, 3. eines beneidenswertheu, ächten Komö-
diendichter-Todes: vor Lachen nämlich über den dadurch welt-
berüluut und unsterblich gewordenen. Feigen essenden Esel. 3)
Dank diesem eselseligen Tode ging Philemon's innigster Wunsch
auf die angenehmste Weise in Erfüllung, den er in einer Komö-
die einer seiner Personen in den Mund legte: „Wenn er wüsste,
in der Welt seinem Abgotte, dem Euripides, zu begegnen, würde
er, um dieses AnbKcks so bald wie möglich froh zu werden, Hand
an sich selber legen." Der Esel käute den tragischen Entschluss
in ein Sterben vor Lachen um. Aus 50 von Philemon's Komö-
dien sind Fragmente gesammelt. Sie hängen mit den Titeln als
Skalpe am Gürtel der antiquarischen Kothhäuter, oder in den
Glasschränkeu der gelehrten Karitäten-Sammler , wo sie Jeder in
Augenschein nehmen kann. Philemon's QijOavQÖg (der Schatz) wer-
den wir im Tiinummus des Plautus und seineu "'E^inooog (der
Kaufmann) in Plautus' Mercator begrüsseu.
Diphilos aus Sinope; Menander's Zeitgenosse. Er schrieb
himdert Stücke. Aus fünfzig derselben haben sich Fragmente
erhalten. Drei seiner Komödien hat Plautus nachgebildet. Viele
von DiphUos Stücken scheinen dramatische Küchenstücke gewesen
zu seyn, nach den Fragmenten zu schliessen, die sich in Scliil-
derungen von Speisen mid Gastmahlen überbieten. Eusebius nennt
ihn den komischsten und spmchreichsten von Allen (/w/uxwraTov
xat yvio(.iiy<.wTaTov). Bernhardy rühmt die „Feinheit und geist-
reiche Fassung seiner Moralsprüche." Einer davon lautet: „Der
1) Strab. XIV. p.67 1 .— 2) Suid. 'Ptl.— 3) Luk. Maki-ob. c. 25.Valer.Ma.\. LX, 12.
248 Nachlese von Tragödien-Titeln.
Arme ist der glücklichste aller Menschen, denn er hat keinen
Glückswechsel zu befürchten." Mit diesem Spruch würde ein
Diphilos unserer Zeit von Bernhardy keine so schmeichelhafte
Censur erhalten.
Apollodoros aus Karystos (Ol. 120 — 130.) Ihm wurden
47 Stücke beigelegt. Aus 12 sind Bruchstücke vorhanden. Sein
Epidikazomenos war das Vorbild zmii Phormio des Terenz. Dieser
Apollodoros der Karystier >vurde öfter, wie schon angegeben, mit
dem Apollodoros aus Gela (6 rshoog) verwechselt (Ol. 110 — 120),
von welchem nur 4 — 7 Komödien angeführt werden.
Philippides, Sohn des Philokles, blühte um Ol. 120. Gel-
lius erzählt: i) Philippides sey über einen im Komödien- Wettkampf
davongetragenen Sieg vor Freude gestorben. Er lebte mit König
Lysimachos in traulichem Verkehr, -wie Donatus Acciaiolus in sei-
nem Leben des Königs Demetrios berichtet, und wurde von dem-
selben, wegen seines biedern Charakters und edlen Freimuths,
hochgeschätzt. Atheuäos nennt blos 6 seiner Stücke. Bruch-
stücke sind aus 15 von 44 Komödien auf uns gekommen.
Posidippos aus Kassandrea in Makedonien. Gellius zählt ihn
zu den besten Komikern der neuen Komödie. Athenäos rühmt
vor Allen seinen Pornoboskos rDirnenhalter). Er trat zuerst Ol.
123 auf, im dritten Jahre nach Menander's Tod. Man schreibt
ihm 30 Dramen zu. Bruchstücke haben 17 geliefert.
Sprechen wir den Aschensegen über die modernden Eeste
der griechischen Komödien, von denen aus dem Grabe der Zeiten
nm* das hervorragt, was die ägyptischen Priester von den allein
erhaltenen und begrabenen Köpfen der verbrannten Opferstiere
aus der Erde hervorstehen Hessen: die Hörner. Als Komödien-
Köpfe heissen sie Titel, und werden von den Reliquiensammlern
als Hörner des Ueberflusses zu ihrem mythischen Attribut ge-
wählt. Wünschen wir den gi'iechischen Komödien- Titeln
eine glückselige Urständ, und lasset uns, eine fromme Pflicht
noch nachträglich erfüllend, ein flüchtiges Eiimierungsopfer den
Manen jener Schatten-Tragiker weihen, deren dramatische
Schöpfungen in den Zeitraum zwischen Euripides und Alexander
d. Gr. fallen, und deren Manen leider auch nur als ihr eigenes
1) III, C. 15.
Tragiker zwischen Euripides und Alexander d. Grossen. 249
Anagramm, als ihre Namen, durch die Grabmäler undKenota-
phien der Literaturgeschichten verschwindend schlüpfen.
„üeber die verlorenen Tragödien dieser Dichter", klagt
Welcker i), „ist uns kein Athenäus, kein PoUux zur Hand ! " Dei-
ne 2) zählt gegen 128 solcher mit ihren 2000 Tragödien ewig
verlorenen Tragiker. F. A. Wolf 3), neben 500 mit Beifall auf-
geführten Tragödien, 200 berühmte und als classisch anerkannte
Trauerspiele. In den Todtenregistern der Grammatiker und Lexi-
kographen, Harpokration, Suidas, Eudokea, steht ein tragischer
Dichter Dikäogenes verzeichnet mit zwei Trauerspieleu: Die
Kyprier, worin eine Erkennmig durch ein Gemälde vorkam, bei
dessen Anblick sich die betreffende Person durch ihr Weinen ver-
rieth. Als zweite Tragödie des Dikäogenes wird Medeia genannt.
Der Tragiker Antiphon lebte am Hofe des altern Dionysios in
Syrakus, wo er gemeinschaftlich mit dem Tyrannen Tragödien
dichtete ^), bis eines schönen Tages der Tyrann seinen Mitarbeiter
selber zum Helden einer Tragödie machte, und den Antiphon wegen
eines Witzwortes hinrichten liess. Ein Tragödien dichtender Ty-
rann ist gefährlicher als ein sich zahm stellender Wolf, der von
kleinauf mit dem Federvieh im besten Einvernehmen lebte, und
über Nacht mit seinem Milchbruder, dem Hühnerhof, aufi-äumt.
Ob Antiphon auch an jener schon gedachten Tragödie des Diony-
sios mitgearbeitet, worin nach Eustatliius'^}, Silen dem Kranken
Herakles auf der Bühne ein Klystier applicirt, ist von den Alter-
thumsforschern noch niclit ins Keine gebracht. Die Meisten schreiben
diese Tragödie der Aristotelisclien Bernays-Reinigung v.ax e^oxr/V
dem Dionysios aus Sinope zu. Dem Tvrannen Dionysios werden
noch verschiedene andere Tragödien beigelegt: Alkmeue^),
Leda''), Adonis.^) Ferner ein gegen Platou gerichtetes Drama,
woraus Tzetzes ^) einen Vers erhalten hat, und worüber Lukian ' ")
sich lustig macht. Von der Tragödie Hektor's Lösung ('E/xog og
XvTQa), weiss man nur, dass Dionys der ältere in Athen kurz vor
seinem Tode f367j mit besagter Tragödie, vielleicht über Astydamas
1) Gr. Trag. S. 888 if. — 2) Mus. d. Alterthuinsw. 1, 62. — 3) Vorl.
üb. d. Gesch. d. gr. Lit. S. 255. — 4) Phot. p. 483. — by ad D. XI, 514.
— 6) Stob. flor. 98, 30. — 7) Das. Iü5, 2. — 8) Athen. IX, 401 F. — 9)
Chil. 5, 185. — 10) adv. indoct. 15.
250 Nachlese von Tragödien-Titeln.
den Jüngern und Aphareus, siegte. Tragische Verse des Dionysios
finden sich noch bei Stobäus ^), und Plutarch.'^) Ol. 98, 1 hatte
Dionys der ältere, dieser dramatische Ahnherr des kaiserlichen
Histrio, Nero, unter grossem Gepränge und noch grösserem Ge-
spötte der Versammlung, in Olympia durch Theoren und Rhap-
soden seine Gedichte vortragen lassen. 3) Von Antiphon selbst
werden angefühi-t: die Tragödien Meleagros-*), Andromache^),
M e d e i a '^) und Philoktetes.'^) Das Tragödienschreiben scheint
um jene Zeit als Tyrannen-Epidemie geherrscht zu haben. Denn
auch in Athen wurde ein Tyi-ann von ihr befallen; Kritias näm-
lich, einer von den 30 Tp'annen, Schüler, leider Gottes, von So-'
krates, Freund des Alkibiades, und der als ausgemachter Theater-
Tyi-ann den Athenischen Staat 7a\ Schanden tragirte, bis ihm
Thrasybulos das doppelte Pfuscher - Handwerk legte. Von ihm
sagt Xenophon*^): „Kritias wurde in der oligarchischen Partei
zimi Eaubgierigsten, Gewaltthätigsten und Blutdürstigsten von
Allen (KoiTiag /iiiv yccg twv h rfj oliyaQyJa ndvrcov ^IsTiTioza-
Tog TS xal ßiaioTüTog yiai cpoviy.wTatog syevsxo). Er fiel im
Kampfe mit den unter Thrasybulos gegen Athen rückenden ge-
ächteten Flüchtlingen 403 v. Chr. (Ol. 94, 1). Als Dichter poli-
tischer Elegien hielt man ihn hoch. Am meisten that er sich
als Redner hervor. Als Philosoph tritt er bei Piaton auf; zunächst
im Timäos und im unvollendeten „Kritias." Die Seele des Men-
schen setzte er, ganz bezeichnend und in Uebereinstimmung mit
Xenophon's ihm beigelegten Epitheton cpovixtoTaTog (der Blut-
gierigste), in das Blut. 9) Von PoUuxi'') wird ihm die Tragödie
Atalante zugeschrieben, die aber von Aristias seyn soll. * ^) Zwei
andere ihm beigeleg-te Dramen, Peirithoos und Sisyphos, wer-
den dem Euripides vindicirt. '2)
Dem Kleophon aus Athen werden elf Dramen beigelegt:
Mandrobulosi3), das aber Buhle i'^), und Ritter i-"^) für ein
1) Flor. 49, 9. Ecl. phys. I, 149. ^ 2) de Alex. virt. 5. p. 338 C. —
3) Diod. XIV, 109. — 4) Arist. Rhet. ü, 2, 23. — 5) Arist. Eth. Eudein.
Vn, 4. extr. p. 1239 Bek. — 6) PoU. 7, 57. — 7) Stob. flor. 115, 15. —
8) Memor. I, 2, 13. — 9) Aristot. de aiiini. I, 2. und Comment. — 10)
vn, 31. — 11) Mem. II. er. Com. gr. p. 504. — 12) Fabr. Bibl. gr. El.
p. 253. Harl. — 13) Arist. Soph. elench. 15. p. 174B. 27. — 14) Aristot.
Ueber d. Kunist d. Poesie. S. 128. Not. 9. — 15) Arist. Poet. II, 5. p. 92.
Chaeremoii. Die Anagiiostiker. 251
episches Gedicht halten; Aktaeon, Amphiaraos, Achilleus,
Bakchen, Dexamenos, Erigone, Thyestes, Leukippos,
Iliupersis (Ilions Zerstörung), Telephos. „Kleophon", sagt Ari-
stoteles i) „stellt gewöhnliche (o/iioiovg) Menschen dar." Er ge-
hörte also zur realistischen Schule des Euripides, die ihre tragi-
schen Ideale nach dem Mittelschlage der gemeinen Wirklichkeit
portraitirten. Seine Ausdrucksweise bezeichnet Aristoteles 2) als
„gemein" (raTteLvifj).
Den Chäremon haben wir bereits zusammen mit Herrn
Gruppe erledigt. Chäremon gilt als Haupt der "Jvayvcoozr/.oi,
d. h. solcher Dramatiker, welche Dramen nicht für die Aufführung,
sondern für die Lesung schrieben 3); Dramen potentia, nicht actu,
die aber schliesslich auf Dramen impotentia hinauslaufen. Bern-
hardy stellt dem Chäremon folgendes Schulzeugniss *) aus: „In den
Besten dieses griechischen Matthison weht nirgend ein dramati-
scher Hauch, wohl aber ein üppiger Blumenduft. Sein Styl ist
überall fein durch Redeliguren erhöht. — Auch empfiehlt ihn die
Gewandtheit des glatten und flüssigen Versbaus." Ausser dem
Kentauros, einer, bemerktermaassen, aus allerlei Versarten zusam-
mengeflickten Rhapsodie {fM.ixzt)v Qaipcüdiav £| anavTiov tcov /iis-
TQü)v) % nennt Suidas, nach Athenäos, noch einige andere Tragö-
dien des Chäremon: Alphesiböa, Oeneus, Thyestes u. s. w.
Die Jo führt Athenäos an.*^) Achilles Thersitestödter C^x-
0£(>af ToxTovog) Stobaeus '') ; Iphigenia in Aulis Herr Gruppe.
Von dem, mit Diogenes aus Sinope verwechselten, Tragiker Dioge-
nes (Ol. 94, 1 ==404) zählen Suidas und PJudokea acht Dramen auf:
Achilleus, Helena, Herakles, Thyestes, Medeia, Oedi-
pus, Chrysippos, sämmtlich auch als Tragödien des Cynikers
Diogenes angeführt von Diog. Laert.^) und Eudokea.") Aus der
Semele hat Athenäos i^) ein „schönes Bruchstück" ^ i) über die
aufregende Musik der Asiaten im Dienste der Kybele erhalten.
Den Herakles dieses Tragikers hatte nochTertuUian vor Augen.* 2)
1) Poet, n, 5. — 2) Poet. XX, 1. und Rhet. IE, 7.— 3) Arist. Rhet.
in, 12, 2. Vgl. Bartsch, de Chäremoiie poeta tragico. Mogunt. 1843.— 4)
Grundr. ü, 2. S. 62. — 5) Arist. Poet. I, 12. — 6) XIII, 608 D. — 7)
Stob. Ecl. 1. p. 196. — 8) VI, 80. — 9) p. 141. — 10) Athen. XIV, fi3fiA.
— 11) Bode a. a. 0. 558. — 12) Apolog. 14.
252 Nachlese von Tragödien-Titeln.
Von den 37 Tragödien des schon genannten Aphareus fOl.
103, 1 = 368 bis Ol. 109, 4 = 341) ist kein einziges Bruchstück,
oder auch nur der Titel eines Drama vorhanden. Aphareus war
zugleich, ^vie andere Tragiker dieser Periode, Staatsredner. Das
Senfköralein der rednerischen Debatte hatte schon Sophokles in
die Tragödie gesenkt, unter Euripides' Pflege trieb es reichliche
Ranken und Schösslinge. In der Tragödie der spätem rhetorischen
Schulen gedieh es zu einem üppigen Strauche, und wuchs in der
Seneca-Tragödie zu einem Baume empor, in dessen Aesten sämmt-
liche Europäische Sing-, Raub- und Stelzengänger- Vögel der Tra-
gödie, bis auf die Gregenwart herab, hecken und brüten. Der
rhetorische Senf zur Tragödie ist ein wichtiges, für die Fortbil-
dung des Drama's wesentliches Ferment, das wir im Verlaufe
und zunächst in den dem Seneca zugeschriebenen Tragödien wer-
den zu beachten haben. Ein Tragiker der rhetorischen Schule,
und wohl der bedeutendste dieser Richtung, war Theodektes,
Sohn des Aristandros, aus dem dorischen Phaseiis in Lykien fgeb.
Ol. 101, 2). Theodektes bildete sich in den Schulen des Platoii
und Isokrates aus ^), und wandte sich erst zum Theater, nachdem
er den Lehrstuhl der Rhetorik aufgegeben. Als Zuhörer des Pia-
ton schrieb Theodektes eine Vertheidigung des Sokrates, als Kunst-
lehrer wd er von Dionysios Hal."^) mit und vor Aristoteles ge-
nannt. Dem Cicero ist er ein imprimis poHtus scriptor et ariifex.
Seine Tragödie Mausolos, die Gellius noch vor Augen hatte,
gewann den Preis, welchen die Gemahlin des Karischen Königs
Mausolos, die berühmte Artemisia, nach dem Tode ihres Gatten,
für dessen würdigste Verherrlichung ausgesetzt hatte. Mausolos
aber starb Ol. 107, 1 =^^ 352 und Artemisia zwei Jahi'e nach ihm.'\^
Danach muss Theodektes' Tragödie zwischen 352 und 350 fällen.
Schon als Jüngling schloss sich Theodek-tes an Aristoteles au, der
ihn wegen seiner Schöidieit, wie Sokrates den Alkibiades, bewun-
derte.*) Aiistoteles führt zwei seiner Tragödien in der Poetik an
zwei Stellen an^), den Tydeus und Lynkeus. Den Orestes
in der Rhfet.'^), so wie den Ajas, der den Waffenstreit enthielt.
1) Hennipp. bei Athen. X, 451 E. — 2) de Isaeo 19. — 3) Diod. XVI,
36, 45. - 4) Athen. XIII, 566 E. — 5) XVI, 4. u. XVHI, 1. — 6)
11. 24.
Theodektes. Das Gesetz des Keduers Lykm-gos. 253
welchen Diomedes zu (jiinsteu des Odysseus entschied, i) Den
Philoktetes auf Lemnos erwähnt Aristoteles in der Nikom.
Ethik 2); den Alkmäon in der Rhet.^) Atheuäos nennt noch
einen Oedipus^) und Stoh. Bellerophon und Helena.^)
Theodektes starb in Athen 41 Jahr alt. Sein Andenken ehrte
Alexander in Phaseiis auf dem Zuge durch Asien. '^) Er musste
also schon vor Ol. 111, 4=333 gestorben seyn. Theodektes er-
hielt in Attika ^) und in seiner Vaterstadt eine Ehrenbildsäule. *)
Sein poetischer Nachlass bestand aus 50 Dramen,- mit denen er
in 13 Wettkämpfen 8 Siege gewann. 9) Zu den Tragödiendichtern,
die in diese Zeit fallen und zugleich Sophisten und Redner waren,
sind ferner noch zu zählen : Polyeidos, Dichter einer Taurischen
Iphigenia; der SjTakusaner Sosiphaues, aus der Zeit des Phi-
lippos und Alexander von Makedonien, mit 73 Tragödien und 7
Siegen. Spintharos aus dem pontischen Herakleia, von Ari-
stophanes als Barbar und Phryger bezeichnet'**): „Schwärzte sich
ein Phryger hier ein, völKg so wie Spintharos." Von diesem Spin-
tharos erwähnt Suidas 'i) undEudokea '^) einen Verbrannten He-
rakles und eine Blitzgetroffene Semele. Der Name schon
— Spinther (oTTivd-rjQ) bedeutet Funken — weihte ihn zum Blitz-
tragiker, der seine Helden nicht anders als zu Asche brennen
konnte.
Aus dieser Zeit dadirt das schon angeführte Gesetz des Red-
ners Lykurgos (Ol. 109—122): Dass die Werke der drei Tra-
giker (Aeschylos, Sophokles und Euripides, von Pausanias'^) 0/
(pai'tQol „die Erlauchten" genannt), welchen die Stadt Büdsäulen
schuldig sey, nur nach den, aus den Originalen oder andern zu-
verlässigen Abschriften, aufzustellenden und öffentlich zu bewäh-
renden Handschriften, und unter der Controle des Staatsschreibers,
gegeben werden dürfen.'^) Derselbe Lykurgos stellte um diese
Zeit auch die abgekommenen Wettkämpfe der Komödien an dem
Chytrentage der Anthesterien wieder her.
1) Rhet. n, 2, 19. — 2) VIT, 7. — 3) II, 23. — 4) X, 451 E. — 5)
Flor. Grot. Exe. p. 445 ff. - 6) Plut. Alex. 17. p. 674A. — 7) Plut. X Or.
Vit. p. 837 C. — 8) Plut. Alex. 17. — 9) Suid. u. Steph. Byz. v. <Pc<afUi;.
— 10) Av. 763. ibiq. Schol. - 11) v. ünCv». — 12) p. 385. 13) I, 21,
3. — 14) Plut. Vit. X Or. Lyk. Vgl. Welcker gr. Trag. S. 9()(iff.
254 Di^ ScliauspielkuBst zur Zeit Philipp's u. Alexander's v. Maked.
Getadelt Avurde von der Komödie und der alten Kritik: an
dem Tragiker Philokles die Geschmack- und Talentlosigkeit;
an Theognis Frost und Trockenheit — sonst hatte er keine
tragischen Schmerzen — ein tragischer Thermometer; an Kleo-
phon und Sthenelos die Niedrigkeit — Kothurne ohne Sohlen;
an Alkestor der schlechte Plan; das Allegorische und die ver-
worrene Fabel amXenokles. Dem Diogenes wurde der Wort-
schwall zum Vorwurf gemacht, und der Tyrann Dionysios
wegen des Gesuchten und Räthselhaften im Ausdruck verspottet.
Die Schauspielkunst hatte in dieser Periode ihre höchste
Blüthe erreicht. Wie gewöhnlich, entfaltete sie auch dazmnal
ihren vollsten Glanz gleichzeitig mit dem allmäligen Erlöschen
der dramatischen Poesie. Wie die Dioskuren ihi'e Unsterblich-
keit theilen: wähi'end der eine Zwillingsbruder in die Schatten
der Unterwelt zurücktritt, prangt der andere in schönster Lebens-
fülle. Als die ausgezeichnetsten Schauspieler dieser Zeit werden
gerühmt: Theodoros, Spieler des Orestes und der Antigene. Po-
los, bewunderter Darsteller der Elektra und des Oedipus auf Kolo-
nos. Andronikos, dessen Glanzrolle die Eriphyle war. Archias,
hervorragend als Kreon. Den Satyros preist Lukian als einen
der vorzüglichsten Spieler Euripideischer Helden. Aeschines,
nächst Demosthenes der grösste Kedner, gab früher, als Tritago-
nist des Theodoros und Aristodemos, die Tyrannen in Sophokles'
und Euripides' Stücken; den Kreon; Kresphontes' Schatten u. s. w.
Welcker meint i), der Vermittelung der Schauspieler war es zu
danken, wenn Aeschylos und Sophokles in diesen Zeiten noch le-
l)endig und tief aufgefasst wurden."'^)
Die Schauspielkunst und die Plastik hielten das Ideal noch
fest, wie Welker treffend bemerkt. Nur dass letztere, erlauben
wir uns hinzuzufügen, die Plastik, vielleicht schon ein schauspie-
lerisches Ideal festlüelt; schauspielerisch in theatralischer Bewegt-
heit und pathetischen Motiven; Avährend die Schauspielkunst viel-
leicht in's Plastische sich verirren mochte, indem sie, wie z. B.
Aristodemos und Polos, Bildwerke nachalunte; anderntheils
1)) a. a. O. S. 912. — 2) Vgl. Grysar, de Graecor. Tragoed. qualis
l'uit circ. teinp. iJeiiiüSÜien. Colon. 1835. p. lUff.
Die ScliauspieUiUiist und die Plastik. 255
wieder über die feinen, geistigen Contouren hinauscolorireu mochte,
in dem falschen Bestreben, als selbststäudige, von ihrer Dichtung
emancipirte Kunst zu gebahren, in deren seelentreuer Verlautba-
rung doch ihr- Princip und Wesen beruht. Am Hofe König Fhi-
lipp's von Makedonien glänzten die Schauspieler Aristo dem os
und Neoptolemos aus Athen, nach Makedonien von Philipp zu
Vorstellungen berufen. ^ Beide wurden von' diesem Könige mit
Gesandtschaften betraut. Ai'istodemos war zugleich mit Demo-
sthenes und Ktesiphon Athens Gesandter bei Philipp, und wurde
von Demosthenes, als Schauspieler, so bewundert, dass der grosse
Eedner auf eine goldene Ehrenkrone für ihn antrug."^) Alexan-
ders des Gr. Lieblingsschauspieler war Thessalos.^) Bei dem
Hochzeitsfeste in Susa spielten die Tragöden Thessalos, Athe-
nodoros und Aristokritos. Agonen an Siegesfesten fanden
statt in Soli, Memphis, Tyi'os, Ekbatana. Bei der Leichenfeier zu
Ehren des Hephästion waren 3000 Agonisten zugegen. Eine ganze
Schauspielergesellschaft hiess Thiasos (i^-Zaaog Schwärm, Truppe).
Zu den angesehensten Theatern zählten in dieser Periode die zu
Epidauros, Thasos, Pherä, Tegea, Mantinea, Korinth u. a. Für
das grösste galt das Theater zu Megalopolis. An allen diesen
ausserattischen Theatern traten keine einheimischen Dichter
in die Schranken; wogegen viele fremde Tragiker als Mitkämpfer
in Athen stritten. Gegen Euripides kämpften z. B. Aristarchos
von Tegea, Achäos von Eretria, Jon von Chios. Der Tragiker Pa-
trokles war aus Thurii; der ältere Karkinos aus Akragas.
Zu Demosthenes, Zeiten bildeten die Schauspieler schon einen
besondern Stand unter dem Namen TExvlzat fKünstler, ol
nEQL Jiovvoov Texvizai).^) Techuitai nannten sich übrigens auch
die Mimi, funambuli, petauristae (Seiltänzer), praestigiatores und
ähnliche Gaukler und Virtuosen. 'O Auch vu6/LuodoL (Soldspieler)
wurden um diese Zeit die Schauspieler genannt.'') Der Protago-
nist war zugleich Schauspieldirector, mit dem die Städte, wo seine
Truppe {Oivoöog) spielen sollte, verhandelten. In Athen verschrieb
in dieser Zeitepoche der Archen die Schauspielertruppe.
1) Diod. XVIU. p. 558.-2) Aeschin. de fals. leg. 1, I. — 3) Athen.
Xn, 538 E. Plut. de fort. Alex. U, 2. - 4) Athen. V. p. 213A. Gell. XX,
14. — 5) ('asaub. ad Tlieophr. Char. p. I8J. ad Athen. XII. p. 539. Vgl.
Grysar a. a. 0. p. l'Jir. — Oj Lukian. de nieic. cund. 5. - - Plut. praec. pol. 21.
256 Das griechische Drama nach Alexander.
An den berühmtesten Schauspielern dieses Zeitraums werden
gewisse eigeuthümliche Vorzüge hervorgehoben. Plutarch ^) stellt
den Polos aus Aegina über alle gleichzeitigen Agonisten in Adel,
heroischer Würde und Empfindungsausdruck. Neoptolemos
war durch Stimm ki-aft gewaltig (iieyalocpiovia); den Theodoros
zeichnete höchste Wahi-heit der Darstellung aus. Er besass eine
besondere Stärke im Weinen, Erregen von Mitleid und Eührung
und „die Bühn' Ertränken in Thränen." Ein solcher Schauspieler
erspart den Theatern die kostspielige Vorrichtung: bei Feuerge-
fahr die Bühne unter Wasser zu setzen. Das deutsche Theater
der neuesten Zeit ist so glücklich einen Theodoros in zweiter Po-
tenz an einer Theodora, auf deutsch: „Gottesgabe", zu besitzen,
deren Dramen wir, kommt die Zeit, die gi'össten Theodorischen
Wii'kungen werden hervorbringen sehen; Dramen, deren keinem
jenes weltberühmte Meisterstück von Potter das Wasser reicht.
Das Griechische Drama nach Alexander.
Was der persische Despot beabsichtigt, aber aus Mangel
an FeldheiTngeuie und einem gutdisciplinirten Kriegsherr nicht
en*eicht hatte, das führte, wie wir gesehen, der Halbgrieche, Ale-
xander der Makedonier, der beides besass, gegen seine Absicht
aus. Sein Riesenplan, den Orient zu hellenisiren, schlug in's Ge-
gentheil um. Hegel's oben schon angeführte Behauptung, Ale-
xander d. Gr. habe „die Reife und Hoheit der Bildung über den
Osten verbreitet", ei-wies sich uns als der blaueste aller Weih-
rauchdämpfe, den je die Geschichte der Philosophie einem histo-
rischen Götzen zugeweht. Diese Behauptung wird von der Ge-
schichte glänzend Lügen gestraft. Jene armenischen, pergamischeu,
syrischen, parthischen, baktrianisclien , sogdianischen und was
der gi-iechisch- asiatischen Despotenhöfe mehr waren, die mit
ihrem hellenischen Anstrich prunkten; durch welche Schöpfungen,
Institutionen bekundeten sie „die Reife und Hoheit der Bildung",
welche Alexander d. Gr. dem ganzen Orient aufgeprägt haben
soll? Ueber den angeblichen Einfluss der Alexanderzüge auf Indien
sagt einer der grössten Gelehrten und Forscher dieses Faches,
1) Demosth. c. 28.
Der Ptoleiiicäische Fürsteiiliof. 257
Lassen 1): „Die vorhergelienden Bemerkungen zusammenfassend,
spreche ich die Ansicht aus, dass weder in den Ostiranischen noch
den Indischen von den Griechischen Königen regierten Ländern
eine Verschmelzung der hellenischen und morgenländischen Cul-
tur sich vollzog."
Ueber äusserliche Nachahmungen und Mode -Liebhabereien
einzelner Fürsten, die in Aufsammlungen giiechischer Handschrif-
ten, in Festlichkeiten und Theatervorstellungen nach griechischem
Vorbilde und mit verschriebenen griechischen Schauspielern sich
erschöpften, brachte es jene Keife und Hoheit der Bildung nicht.
In die Schichten der Bevölkerungen drang von dem griechischen
Geiste kaum ein Hauch. Die asiatischen Nationalitäten, die in
keiner so heimisch ursprünglichen Cultur, wie z. B. die indische,
wurzelten, blieben barbarisch ; und die Nachfolger Alexander's, wir
müssen es wiederholen, trugen weit mehr Elemente der Zersetzung
und Verwilderung in das hellenische Volkswesen, als Aristoteles'
königlicher Schüler Keime hellenischer Gesittung in die Bevölke-
iningen des Orients streuen mochte.
Der bedeutendste, durch gelehrte Bildung, Sammeleifer und
Förderung von Kunst und Wissenschaft glänz- und rulmireichste
dieser Fürstenhöfe, der Ptolemäische, was vermochte selbst dieser,
auf der Höhe seiner Macht und Blüthe, und mit allem Aufgebot
seiner prunksüchtigen Schutzherrlichkeit, Grosses zu erzeugen?
Die Riesenbauten, die dreissigrudrigen Prachtschifte, der dreihun-
dert Ellen hohe Leuchtthurai, was waren sie? Kolossale Thrasonaden.
Gelehrsamkeit, Kunst und Poesie, welchen Aufschwung nahmen
sie unter der pomphaften Fürstengunst der Ptolemäer? Welche
Erweiterung erfuhr die philosophische oder Natur- Erkenntniss,
wenn man die Begründer der wissenschaftlichen GeogTaphie und
Astronomie, den Eratosthenes und Hipparchos, ausnimmt? Jenes
hochberühmte „Museum", jene dreissigrudrige Gelehrten-Galeere,
jene Arche Noe der Alexandrinischen Akademiker — welche
denkwürdige Schöpfung brachte das Alexandrinische Museum
an's Licht? gebar dieser mit Sylbenstechern kreissende Mu-
senberg? Einen Rattenkönig von gelehrten in einander ver-
wickelten Schweif-Enden, den letzten Ausläufern und Anliäng-
1) Ind. Alterthuiiiskuiide. Bd. II. Buch 2. S. 343.
IL 17
258 ^^^ griechische Drama nach Alexander.
sein des giiechischen Geistes. Oder sollte das sogenannte Sie-
bengestirn von der Glorie der Ptolemäischen Fürstengunst
zeugen? Auch das Siebengestirn löst sich, genau besehen, in einen
Schwärm gelehrter Leuchtwürmer auf, die, an allen Zweigen und
Blättern des Schulwissens haftend, im Dunkeln ein klebriges Licht
von sich gaben ohne WäiTne und Leuchtki'att. Jene gelehrten
Verskünstler und dichtenden Gelehrten, jene Grammatiker-Poeten,
die man als geschlossene Schul-Meister-Sänger-Zunft unter dem
Namen „Alexandriner" zusammenfasst , deren versificirter Schul-
staub den Zeitraum zwischen Alexander und den B^'zautinern füllt,
sie stellen eine Gelehrtenrepublik von poetisirenden Archivaren,
Wortklitterern, Bibliothekaren, Literatoreu, Astronomen, Revisoren
der komischeu und tragischen Schriftwerke, Sammlern und An-
thologen dar, die in allen möglichen Dichtungsarten und Formen
sich versuchten, mid aus denen wieder Sieben, als tragisches
Siebengestirn (HXeiäg rgayr/.^), von den Graimnatikern zu
einer besondem Gruppe vereinigt wurden. Ein altes Scholion ')
zählt die Sieben in nachstehender Folge auf: Der jüngere
Homeros, Sositheos, Lykophron, Alexandres (Aetolos),
Philiskos, Dionysiades, Aiantides. Ein zweites Scholion-)
nennt Sosiphanes statt Dionysiades. Diese „vortrefflichsten Tra-
giker" (iiQLOTOL xQayi/.oi) blühten, dem Scholion zufolge, sämmt-
lich miter Ptolemäos Philadelphos um Ol. 125. Ausser den Ge-
nannten, prangen in der Zahl der tragischen Pleias noch andere
Gestirne. Suidas zählt einen Sophokles aus Athen dazu, der
aber nach den Sieben gelebt haben soll. Strabon'^) hebt den
Dionysiades als den vorzüglichsten Dichter unter den Sieben her-
vor. Athenäos"*; nennt sogar den Komiker Machon als einen der
Ausgezeichneten (.leicc xovg 'Enzd. Das achte Wunder dieser
sieben Alexandrinischen Weltwunder ist diess: dass sie, mit ein-
ander multiplicirt, immer nur Sieben bleiben. Noch gar manche
Dichter, die sich in andern Gedichtformen hervorthaten , werden
als Verfasser von Dramen gerülimt; der Elegiker Kallimachos
z. B., der unter König Euergetes dichtete, um 250 v. Chr. Ihm
legt Suidas Tragödien, Komödien und SatjTspiele bei, wovon Kal-
limachos selbst nichts wusste.
1) Schol. Hephaest. p. 53. — 2) p. 185. — 3) XIV, p. 675.-4) XIV. p. 664 A.
Das Siebengestirn. Lykophron. 259
Homer OS {veiöreoog), Sohn des Anclroinachos und der Dich-
terin M}TO von Byzanz, von deren Versen Athenäos eine Probe
mittheilt 1), war Verfasser von 45 Tragödien. In Byzanz wurde
er durch eine Statue geehrt.
Sositheos, ein improvisirender Schauspieler zu Athen-),
hatte das Satyrspiel im alterthümlichen Geist erneuert. Aus
dem Prolog seines Satyi'spiels , Lytierse's, hat Athenäos 3) drei
Verse aufbewahrt. Ein grösseres Bruchstück gab Casaubonus "*)
aus einem Scholion zu Theob'it.
Lykophron aus Chalkis. Suidas führt '^0 Titel seiner Tra-
gödien auf. Tzetzes giebt die Gesamratzahl auf (34 an. Ein tra-
gisches Fragment citirt Stobäus. Bei Athenäos ^) und Diog. ^)
finden sich Verse aus dem Satyrspiel Menedemos, die Bern-
hardy '') „zierlich stilisirt" nennt. Von König Ptolemäos Philad.
erhielt Lykophron den Auftrag, die komische Literatur zu
ordnen, deren erster Commentator er wurde. Hätte es der treff-
liche Alexandrinische Gelehrte beim Revisor und Commentator
doch bewenden lassen. Leider konnte er nicht umhin, sich selbst
auf den Pegasus zu schwingen und ihn als apokalyptischer Rei-
ter zu tummeln. Apokalyptisch — denn das einzige Gedicht, das
uns die Launen des Schriften-Fatums aus dieser Plejaden-Tragik
vollständig überlieferte, die Alexandra ('.^As^otc)^«), des Ly-
kophron, in 1474 Trimetern, ist ein apokaly^^tisches Stück Arbeit
vom ersten Wasser. Die Visions-Poesie mag wohl über die Sie-
ben, als Zeitgenossen der siebzig Bibel-Uebersetzer (Septuaginta),
gekommen seyn. Lykophron's Alexandra, neuester Zeit in der
„Alexandrea" eines — bis auf die Gelehrsamkeit — Berliner Ale-
xandriners, des Professor Dr. Märcker, zu einer l'rilogie erweitert,
besteht aus einem von der Kassandra vorgetragenen Monolog, der
beinahe so lang wie ihre Paraphrase, die Trilogie. Dabei von
einer so unerforschlichen Beschaffenheit, dass sie dem Verfasser
Heraklit's Beinamen erwarb : „der Dunkle" (o OY-OTeivög). La-
tebrasque Lycophronis atri, wie Statins sich ausdrückt*^): die
Schlupfwinkel-Tragik „des stockfinstern Lykopliron." Auf dem Ti-
1) XI. p. 491. - 2) Diog. L. Vll, 17;J. — 3) X. p. 415B. — 4) Lectt.
Theoer. 12. — 5) X. p. 420. — 6) II, 140. — 7) a. a. 0. II, 2. S. 71. —
8) Sylv. V, 3. V. 157.
17*
260 I^as griechische Drama nach Alexander.
telblatt von Jos. Scaliger's lateinischer Uebersetzung des Mono-
drams steht ausdriicklich bemerkt: to oxmsivbv noüj/ua „obscu-
rum et operosum poema." •) Fonn und Inhalt dieser Alexandra,
wer vermöchte sie zw schildern ? Beide sind so polyi3enhafter Na-
tur, dass ein Auszug so wenig eine Vorstellung davon giebt, vfie
ein abgetrennter Polypenärm von der Gestalt des Meerscheusals,
dem er angehört. Man denke sich einen unentwiiTbaren Weis-
sagungs - Weichselzopf als Monolog. Den Monolog, gehalten von
der wahnsinnigen Kassandra, als unwiderleglichen Beweis ihrer
Verrücktheit. Man denke sich die ganze blaue Alexandrinische
Bibliothek von mj^hologischer Gelehrsamkeit verknäult und ver-
fitzt zu unergründlichen Oflenbarungen über das letzte Schicksal
Troja's, der trojanischen und achäischen Helden, nebst propheti-
schen Excursen und Ausläufern über die Geschicke verschiedener
anderer zukünftiger Heroen und dereinstiger Völker. Scliliesslich
zur Verherrlichung von Alexander dem Gr. mid dessen unsterb-
lichem Ruhmeswerke, der Verkettung nämlich von Asien und
Europa zu einer Weltmonarchie , schliesslich das Ganze noch ein-
mal durcheinander geschlungen und noch fester und unauflöslicher
verstrickt zum Gordischen Knoten, an dem selbst Alexander des
Gr. Schwert zu Schanden würde. Damit noch nicht zufrieden,
haben sich auch noch spätere Intei^polationen, als nachträglich
prophetische Wirrzöpfe angenestelt, mit einem Schock Verse,
welche die Zukunft Roms einflechten. Und dieses gTammatisch-
mythologische Monstrum von Monolog hat seine Bewunderer gefun-
den, was man doch wenigstens der Trilogie, Alexandrea, nicht nach-
sagen kann; man müsste sich denn auf ihren einzigen Bewunde-
rer beruieu: den Verfasser. W^as will dieser Eine aber sagen,
gegen die Tausende, die Lykophron's Alexandra als das Meisterwerk
der Zeit anstaunten! das von gelehrten Commentatoren kritisch
erörtert, erklärt und erläutert worden, deren L'ntersuchungen
Tzetzes, im 12. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, als Scho-
llen-Spreu zu seinem bekannten Werke über Lykophron '-) , auf-
gespeichert. Diese Alexandra war das Lieblingsgedicht der By-
zantiner! Sie konnten nicht Abschriften genug davon nehmen,
wie die zahlreichen, seit dem 13. Jahrli. aufgesammelten Manu-
1) Lycüjihr. Chakdd. Alexandra Lat. 1584. — 2) II, löS.
Die Alexandra des Lykophron. 261
Scripte bezeugen. Ein solcher Schwndel von Geschmacks- und
Urtheilsverkehrtheit kann ganze Jahrhunderte ergreifen und epi-
demisch grassiren, wie der Veitstanz. Wir werden dergleichen
oft genug erleben, und die Epochen der grössten Schulgelehr-
samkeit sind es gerade, die von solclieu Epidemien kritischer Veits-
tänze, insbesondere auf dramatischem Gebiete, heimgesucht wer-
den. Ist doch, in neuester Zeit noch, einer der verdienstvollsten
deutschen Archäologen und Kunstrichter, Welcker, als Verfechter
und Ehrenretter der Alexandrinischen Poesie aufgetreten, ') „Aber
wenn irgend eine klingt diese Ehrenrettung verfehlt, und sie
stimmt nicht zum Vermögen eines Zeitraums, für den wir jetzt
keinen andern Maassstab als den historischen haben." So klingt
Bernhardy's Widerspruch 2), dem wir unbedingt beipflichten, mit der
Alexandra als Maassstab in der Hand, dem gepriesensten Mach-
werke einer der hervorleuchtendsten Sternschnuppen des Sieben-
gestirns. F. A. Wolfs Ausspruch"^): die Alexandrinischen Tragi-
ker „arbeiteten in einer kühnen, erhabenen Sprache, sie sind wahre
Seneca's," würde Niemand entschiedener zurückweisen, als der
römische Tragiker, der mit der tragischen Leidenschaft wie ein
Gladiator mit der wilden Bestie kämpft, und nicht selten eine
Höhe des theatralischen Affectes erschwingt, die selbst Euri-
pides nicht erreicht hat, geschweige ein Alexandriner.
Alexandros Aetolos aus Pleuren. Wie Lykophron für
die Musterung der komischen Literatur, so wurde Alexander,
der Aetolier, für die Revision der Tragiker von König Ptolem.
Philad. bestellt. Seine eigenen Tragödien sind verschollen. Die
gesammelten Fragmente seiner Epigramme und Elegien hat A.
Capellmann herausgegeben (Bonn 1830).
Philiskos aus Korkyra, war ausser Siebengestirnler noch
nebenbei Dionysospriester. ^) Dem Plinius zufolge ^) hat ihn Proto-
genes in dichterischer Meditation gemalt, wahrscheinlich über das
choriambische Metrum Phiücium nachdenkend, das seinen Namen
auf die Nachwelt bringen sollte, da diess seine Tragödien zu thun
unterliessen.
Sosiphanes, Verfasser von T.\ Stücken, aus denen einige
1) Gr. Trag. 1247 ff. — 2) a. a. 0. S. 68. — 3) Vorles. üb. d. Gesch.
d. griecli, Lit. S. 225. 4) Athen. XV. p. fi99B. — 5) H. N. XXXV. -c. 10.
262 Das griechische Drama nach Alexander.
Bruchstücke bei Stobäos zu finden. Im grössten derselben ■) er-
kennt Bernbardy, durch die Lupe kritisch formulirender Redens-
arten, Aehulichkeit mit dem Styl des Euripides.
Von Diouysiades oder Dionysides aus Kilikien führt Suidas
unter andern Schriften ein dramatisches Skizzenbuch au (xaQax-
xrjQEc. oder (pilox(p/.ioö6g), ohne die Beschaffenheit dieses Theater-
almana chs näher zu bezeichnen. Aiautides fehlt bei Suidas, wird
aber vom Scholiasten zu Hephästion in die Pleias versetzt. Von
Dramen, auch nur deren Titeln, ist uns nichts bekannt. Mehr
weiss auch Leisner nicht in seinem „Vorspiel" über die Pleias."^)
Dem Siebengestirn füg-t Bernhardy noch einen achten Pleja-
den hinzu auf eigene Hand, in der Person eines Aeschylos aus
Alexaudria, aus dessen Amphitryon Athenäos^) Verse citirt. Ho-
meros, Sophokles, Aeschylos — traun, an gi'ossen Namen fehlt es
dieser „zweiten Reihe" der grossen Tragiker (devTsga id^Et lüv
TQayrAiov) nicht.
Ein anderthalb Jahrhundert etwa vor Chr. tritt ein Dichter
jüdischer Tragödien auf, Ezechiel (Etayt.irjloQ\ aus dessen Drama
"E^ayioyi] „Auszug aus Aegypten"^), Clemens Alexandr. ^)
Stellen und Euseb. ^) die Skizze selbst mittheilt. Den jüdischen
Nachzügler durch's rothe Meer verfolgt Bernhardy mit kritischem
Sichelwagen, und setzt ihm nach, grimmig wie Pharao: „Dieser
ausgemergelte heilige Dialog eines jüdischen Dilettanten hat mit
einem Drama nichts gemein; er spricht mi flachsten Griechisch
und entbehrt alles eigentlichen Werthes." Für voll zu nehmen
ist der ausgemergelte Dialog freilich nicht: Moses spricht den
Prolog, worin er seinen Lebenslauf erzählt. Darauf folgt sein Be-
gegniss mit den Töchtern des Raguel. Moses theilt seinem Schwie-
gervater seinen Traum mit, den ihm dieser deutet. Dann er-
scheint der Herr dem Moses im Dornbusch. Hierauf führt der
Zauberstecken einige Kunststücke zur Probe aus. Jehova über-
reicht ilm dem Moses, der ihn annimmt mit Zittern und Zagen.
Ein Bote stattet Bericht ab von den 1 0 Plagen Pharaonis. Gleich
hinterher meldet ein Kundschafter des Elimäischen Gebietes von
1) p. 22], 3. — 2) Prolus. de Pleiade tragicor. graecor. 1745. 4. — 3)
XIII. p. 59'JE. - 4) 'E^fxiT^lov rov toTv ^lovöaCxtäv TQCtyMdiwv ttoitjtov
''Eiaywyri. Lat. 1591. 8«. — 5) Strom. I. p. 149. — 6) Pr. Ev. IX, 28. 29.
Jüdisch-griechische Dramen. Das älteste christliche Mysterien-Drama. 263
dem heiTlichen Palmenwalde und den zwölf Quellen. Nun folgt
noch eine Schilderung des Wundervogels. Der Wundervogel ver-
wandelt sich aus heiler Haut in den Geier, der Alles holt. Hier
bricht nämlich der „Ausgemergelte"' plötzlich ab. Der „Auszug"
hat keinen Ausgang , da dieser , statt Pharao , im rothen Meer
ersäuft: leinsi ralla. Wie aber Jesus, in der Legende, an dem
todteu Hund noch die schönen, weissen Zähne zu loben fand: so
liesse sich an dieser Exagoge des jüdischen Tragikers „vom flach-
sten Grriechisch" gleichwohl noch ein gutes Haar entdecken: dieses
nämlich, dass von seiner Exagoge vielleicht die biblischen Myste-
rien-Dramen zu datiren wären ; von dem „ausgemergelten Auszug
des jüdischen Dilettanten" die christlichen Mysterienspiele viel-
leicht ihren Ausgang nahmen. Aehnlich mag es sich mit einem
spätem Drama verhalten: „Susanna" (to dgäf-ia tijg 2ioadvvr]g),
dessen Verfasser, Nikolaos aus Da maskos, von König Herodes
an Cäsar Octavianus gesandt ward. Das Drama Susanna wird
dem Nikolaos, auf eine Andeutung des Eustathius hin"^), beige-
legt. Suidas sagt blos, Nikolaos habe rühmlich bekannte Tra-
gödien und Komödien gedichtet {f.vdo7.Lixovg).
Philostratos d. ä. (Ende des 2. Jahrh. nach Chr.j schrieb
nicht blos über Gremälde, und nicht blos Heroica: einen Dialog,
in welchem 21 Helden vor Troja geschildert werden. Nach Sui-
das hat er noch 43 verlorene Tragödien nebst 14 nicht mehr vor-
handenen Komödien gedichtet. Sogar der armenische König Ar-
tabazes schrieb griechische Tragödien.'^; An derselben Stelle be-
richtet Plutarch, dass der tragische Schauspieler Jason von Thral-
les in den „Bakchen" des Euripides, auf der königl. armenischen
Hofbühne, das blutige Haupt des Crassus, statt des Pentheus,
vorzeigte. Bis ins 4. Jahrh. nach Clu'. reichte diese griechische
Spätlings -Dramatik hinüber. Cäsar Germanicus hinterliess
griechisch geschriebene Komödien. Eine griechische Komödie von
dem blödsinnigen Kaiser Claudius wurde in Neapel bekränzt.
Apollinaris von Alexandria, Presb}iier in Laodikea (4. Jahrh.),
übertmg das alte Testament in griechische Hexameter und bil-
1) Vgl. Ezechicl u. Philo d. alt. Jerusalem. Herausg. u. comment. v.
Philippson. Berl. 1S3U. — 2) In Dionys. Perieg. p. 291. Fabr. B. gr. 11,
^^\•l. Harl. — 3) Plut. Crass. 33.
264 ^^^ griechische Drama nach Alexander.
dete aus den Geschichteu desselben, nach dem Muster des Euri-
pides, Menander und Pindar, Tragödien, Komödien und
Hymnen 1), um die profane Leetüre zu verdrängen. All' diese
Dramen, die königlich armenisclien, die kaiserlich römischen und
die biblischen des Presbyters in Laodikea hausen nun sämmtlich
in den „Eäumen der Tiefe," woraus keine Brücke, Gott sey Dank,
zu unserer Geschichte emporftthrt.. Ein anderes ist es mit dem
Cento-Drama :
„Der leidende Christus," von 2640 Versen, die aus sie-
ben Euripideischen Tragödien, nach Magnin^) gar, von drei ver-
schiedenen, ein paar Jahrhunderte auseinander liegenden Verfas-
sern, zusammen gestoppelt worden. Bis in's 16. Jahrh. galt es
für ein Werk des heiligen Gregor von Nazianz (4. Jahrh. j. Von
da ab wurde es, bald mehr bald minder entschieden, demselben
in einer Streitschriftenfolge abgesprochen, die zu einer eigenen
Literatur anwuchs; mit einer Rückschwenkung jedoch in neuester
Zeit, von Seiten zweier eifrigen Vertreter, eines Franzosen ^) und
eines Deutschen 4) ; jenes, zu Gunsten der Autorschaft des heili-
gen Nazianzeners ; des Deutschen, zu Gunsten des „Christos Pas-
chon" selbst. Immerhin bleibt dieses merkwürdige, mit Euripi-
des' Pfauenfedern zu Christi Verherrlichung buntgeschmückte
älteste christliche Passionsspiel, aus der Zeit Kaisers Julianus
Apostata, das einzige Drama nach Aristophanes' Plutos, das min-
destens als vollständig erhaltenes, sich den attischen uns
verbliebenen Dramen an die Seite stellen darf. Wir werden da-
her nicht umhin können, gehörigen Ortes, darauf Rücksicht zu
nehmen und uns näher mit ihm einzulassen.
üeber das Schauspielwesen, nach Alexander dem Gr.
hat Welcker ■^) eine Fülle von Notizen gesammelt. Einen Be-
griff von dem Pompe theatraKscher Feste kann man sich aus der
bei Athenäos von Kallixenes mitgetheilten Beschreibung'*) der
penteterischen (fünfjährlich wiederkehrenden) Procession bilden.
1) Sozom. V, IS. Vgl. Welcker gr. Trag. 13ü()ff. — 2) Journ. des
Savants 1847. p. 12—26. u. p. 275 — 288. — 3) J. Aug. Laianne, Dissert. etc.
p. IX, cf. p. XVII. — 4) Die Tragödie XQiarog TläaxMv etc. im Original-
text u. zum erst. Mal in metr. Verdeutsch, herausg. v. E. Elissen. Leipz.
1855. — 5) a. a. 0. S. 1242ff. -- fl) V. p. l<)()-203.
Das Schauspielwesen nach Alexander. 265
welche unter Ptolem. Pliilad. in Alexanclvia stattfand, an Reich-
thum, Schaustellungspracht und Kunstverschwendung einzig in der
Theatergeschichte. Während der Regierung dieses Ptolem. vmv-
den die Dionysien jährlich durch tragische Agonen gefeiert.
Nach Welcker waren die Didaskalien vermuthlich tetralogisch.
Die Hofbühnen der armenischen und parthischen Könige eiferten
in Glanz der Ausstattung den Hoftheatern in Alexandria und
Antiochia nach, wo bis zur sinkenden Kaiserzeit das Theaterwe-
sen eine glänzende Rolle spielt. Auf den Theatern von Laodikea
Petra (Hauptstadt der Nabataner am Pontus) bildete die Tragö-
die des Sophokles stehendes Repertoir. Wie Philipp von Make-
donien, nach der Einnahme von01}Tith, die dionysischen Künst-
ler (tragische und komische Schauspielerj in Masse zu ausseror-
dentlichen Festvorstellungen aufgeboten hatte : so verschrieben die
Könige, Antigonos von Syrien und Tigranes von Parthien, diony-
sische Künstler zur Einweihung ihrer Theater. Die römischen
FeldheiTen und Kaiser suchten diese Vorbilder an Pracht und
Pomp noch zu überbieten. M. Fulvius nobilior giebt (Ol. 1 47,
3^=186 vor Chr.) die im ätolischen Kriege gelobten zehntägigen
Spiele, wobei griechische Schauspieler agirteu (ludi graeci).
Aehnlich feiert L. Scipio die im antiochischen Kriege gelobten
Spiele von gleicher Dauer. Antonius und Kleopatra entboten nach
Samos alle dionysischen Künstler. Sulla feierte Epinikien in The-
ben, wo er bei dem Oedipusbaum eine Thymele aufrichten liess. ')
Antiochos Philopappos, König von Syrien und Komagene, beging
in Athen, als Agonothet und Chorege für alle Phylen, glän-
zend die Dionysien. PJbenso Kaiser Hadrian als Archen in atti-
scher Tracht.^) Half Alles nichts. Die Seele war entflohen.
In Asien, Aegypten, Athen, Bar])aren, Halbbarbaren, Römer, Grie-
chen — sie feierten aller Orten das Grabgepränge einer geschmink-
ten, in Gold und Purpur zur Parade ausgestellten Leiche.
Recitationen aus Tragödien (Qijoeig xara ösinvor}^)
wurden von berühmten Schauspielern an den Tafeln der Könige
beim Kreisen des Pocals {/laQcc rnv nntov) gehalten. Solche
Tafel-Declamationen hielten tragische Schauspieler aus Athen bei
1) Plut. Snll. lO. - 2) Dio Cass. LXIX. — .S) Athen. XI. p. 482 D.
266 Das griechische Drama nach Alexander.
Gastmallleu des Dionys d. alt. zu Syrakus; der Schauspieler Ja-
son aus Thralles bei den parthischen Königen; Theodoros bei
Alexander, Tyrannen von Pherä. Als einen der beiiüimtesten im
Vortrage von Glanzpartien aus Tragödien nennt Diodoros i) den
Neoptolemos.
Zu den ansehnlichsten Synoden oder Coi^porationen diony-
sischer Künstler zählten die jonische Synode und die zu Teos
und Lebedos. In Folge von Delphischen Orakelsprüchen haben
die Hellenen diesen Künstlergeuossen das Recht der Asylien und
der ünantastbarkeit verliehen.'^) Zu den Privilegien der Schau-
spieler gehörte auch die Steuerfreiheit. Eine der berülimtesten
Hoftruppen war die Gesellschaftder Attalisten, Hofschau-
spieler der Attaliden, Könige von Pergamos. In Strabo's Zeit
hatte die Corporation der Schauspieler ihren Sitz zu Lebedos.
Hier feierten sie jährlich, wie früher in Teos, ihre Panegyris (Ver-
einsfest) und Agonen. Ausser den ei-wähnten wird die Synode
der Basilisten auf einer Insel des Nils genannt; eine andere in
Aplu'odisias (Karlen). Die grosse Adrianische Synodos fühi-t ein
Elginischer Marmor an.^) Auch wandernde Truppen werden
erwähnt (vnoy.QLveGd-ai etil §£vrjg). P. E. MüUer zufolge ^) soU
schon von Justinianus in Konstantinopel die Aufführung der
Tragödie und Komödie zugleich mit den Consuln abgestellt
worden seyn, während die Mimen und Tänze erst das TruUa-
nische Concil Ende des 7. Jahrh. aufliob.
In Eom führte, wie Tacitus berichtet''), zuerst Mummius,
ausAnlass des Korinthischen Triumphes (Ol. 158, 3), theatralische
Spiele ein, nach griechischer Art. J. Cäsar Hess in allen
Sprachen spielen, griechisch, römisch, oskisch (Possen in oskischer
Mundart). Desgleichen Octavianus per omniura linguarum histrio-
nes.'^) Caligula hatte den Ap eil es von Askalon '), den berühm-
testen griechischen Tragöden seiner Zeit, immer bei sich. Ha-
drian den Athener Aristomenos, der zugleich als Gelehrter be-
rühmt war. Declamationsvorträge aus Tragödien gehörten an
Hadrian's Tafel zur Tischordnung. **) Selbst Herodes d. alt. Hess
1) XVI, 92. — 2) Choiseul, Marni. (kn-\>. Iiiscr. N. 3ül)7. — 3) C.
Inscr. N. 349. — 4) Com. hist. de genio, morib. et luxu aevi Theodosiani
1798. — 5) Ann. XIV, 21. - 6) Suet. Octav. c. 43. - 7) Suet. Calig. c.
33. _ 8) Spartian. Hadr. 26.
Griechische Schauspieler in Rom und Jerusalem. 267
griechische Spielleute fTh3rmelikoi) , Gesangsmimen , die vor der
Thymele zur Laute oder Flöte agirten, in dem von ihm erbauten
Theater zu Jerusalem auftreten, den Juden zum grossen Aer-
gerniss. ^)
1) Flav. Jos. Aiit. XV. c. 8. §. 1. Vgl. Joh. G. Eichhorn, de Judaeor.
Re scen. Commentt. Soc. reg'. Gotting. recent. V. II. p. 64.
Das römische Drama.
Die beiden Völker-Familien, die, mit den indischen Geschlech-
tern aus Einer Stammwm'zel, der arischen, entsprossen, ihre ür-
sitze in den verschwisterten , zu solcher Bestimmung- gleichsam
prädestinirten Halbinseln, Italia und Hellas, nahmen, unterscheidet,
auch in Bezug auf Staatenbildung, ein Wesensmerkmal, das aus
der Verschiedenheit ihrer Anlage, ihres Stammgeistes und Genies
entspringt. Den hellenischen Nationalgeist haben wir in allen
Richtungen und Formen nach vollendeter Gestaltung des maass-
voll-, des ethisch-Schönen, streben und es zur Erscheinung brin-
gen sehen. Der reinste Ausdruck dieses Vermögens ist die voll-
endete Individualität. Aus solchem Gestaltungsgeiste können nur
Staatenbildungen hervortreten, die als geschlossene Indindualitä-
ten sich gegeneinander verhalten; Staatengruppen, bei denen die
Selbstständigkeit, die ludividualisation, das Gemeinsamkeitsbedürf-
niss überwiegt; die Stammessonderung sich dem föderativen Be-
streben, die Stammespersönlichkeit sich der Bundesgenossenschaft
entgegenstellt. Alle auf ein Staatenbündniss- unter den helle-
nischen Stämmen abzielenden Institute, alle Mahnungen und Weis-
sagungen der Orakel, der grossen Patrioten, Redner, Dichter und
Denker, haben jenen mit dem Kunstgenie und Freiheitsdrange
identischen Trieb nach stammgemässer, in rastlosen Bürgerkriegen
sich behauptender Individualisirung und Selbergeltung des Staats-
wesens auf Kosten der Bundeseinheit nicht überwinden, und da-
her auch den Zerfall und Zusammenbruch der hellenischen Staa-
tengi'uppen nicht ablenken können, als das Princip ihrer staatli-
chen Selbstständigkeit , das maassvoll - , das ethisch - Schöne, aus
Loth und Schwerpunkt wich. Der zu spät errichtete achäische
Bund ist nur geeignet, den Unberuf der hellenischen Staaten zu
Das Genie der Eömer. 269
einer geschlossenen, schütz- und tmtz- festen Eidgenossenschaft
zu erhärten.
Das entgegengesetzte Bestreben zeigt sich bei den staniin-
vei-wandten Völkergruppen auf der Schwester -Halbinsel Italia.
Hier finden wir seit ürbeginn ein Netz gleichsam von Städtebün-
den über das ganze Landgebiet hingebreitet, mit der Maassgabe
jedoch, dass die tyiThenisch-pelasgischen und latinisch -sabelli-
schen Conföderationeu zu einer schliesslichen Verschmelzung ge-
langen; im Unterschiede gegen den Städteverband der dritten
Völkergruppe, die, im Süden Italiens aus griechischen Pflanzstät-
ten erwachsen, sich zu Gross -Hellas constituirt hatte, und, den
Stammcharakter nicht verläugnend, sich auch hier in gegenseiti-
ger Bekriegung aufrieb, bis sie von dem föderativen Aneignungs-
vermögen der latiuisch - sabellischen Stammgruppe ebenfalls ab-
sorbirt wurde. Nicht als sey jene Verschmelzung der Völkerhau-
fen, die in der obern Hälfte Italiens sassen, auf fiiedlichem Wege
erfolgt. Nur gingen die langwierigen, harten Kämpfe unter die-
sen Bundesgruppen schliesslich in eine Staatsgemeinschaft auf,
welche mit der Summe der Absorptionskraft aller nach und nach
assimilirten Völkerschaften \virkte. In Rom hat des Menenius
Agrippa Magen -Gleichuiss, und schon in sehr früher Zeit, sich
thatsächlich verwirklicht. Wie aus jenem Hexenbrei das „bewaff-
nete Haupt", so erhob sich aus dem mannigfachen Völker -Ge-
mongsel des „Wein- und Rinderlandes" Italien, Rom als eiserner
Magen, der zunächst die italienischen Stamm- und Bundesgenossen
einsog, bis er sich, im Maasse seiner Anfüllung, zum allgemeinen
Weltmagen entwickelte, der sämmtliche Völker mit Haut und
Haaren, Land- und Meerproducten, verschlang, und, vermöge seiner
universal-historischen Verdauungskraft, sich einverleibte.
Die historische Bezeichnung für ein Aneignungsvennögen, wie
es das Römervolk besass, ist unbegrenzte Raub sucht. In Er-
mangelung jener schöpferisch befruchtenden Civilisations-Elemente
und als Ersatz für dieselben, hatte die geschichtliche Vorsehung
das Römervolk mit solchem Aneignungsvermögen ausgerüstet von
beispielloser Tragweite, Stärke und Kühnheit. Dieses grosse als
Culturmacht wirksame Einverleibungsvermögen ist eben nur das
Raubgenie, angewandt auf die Bildungsgeschichte, auf Staaten- und
Völkergestaltung. Die „civilisatorische Idee" des jüngsten galli-
270 ^^^ römische Drama.
sehen Cäsar entsprosste als Schmarotzei'pilz demselben Stamme.
Die Kömer wurden ein civilisatorisches Volk im Wege der An-
eignung aus zweiter Hand ; einer Hand mit sehr langen Fingern.
Sie eroberten, erbeuteten selbst die Bildungsbedingungen auf
Kriegsraubzügen und schütteten die zusammengeplünderten Schätze
der Kunst, Dichtung und Wissenschaft in Eom, wie in einer
Räuberhöhle, auf. ') Zwar hat, nach Beaufort's Vorgang-), Nie-
buhr's, in Scheidewasser und Galläpfelsäure getauchter historisch-
kritischer Schwamm, mit dem Räuberhauptmann Romulus auch
dessen Räuberhöhle, das Asyl auf dem Capitolium, weggewischt,
und gleich in Einem Strich die ganze Sagengeschichte Roms aus
der Geschichte gelöscht; alles Farbige, Duftige, Licht und Schat-
ten, kurz jeden lebendigen Hauch, was die Sage eben zur Ge-
schichte macht, erbarmungslos getilgt, und nichts als ein caput
mortuum bestehen lassen von Grundmauer -Resten, Inschriften,
bronzenen Särgen und Spuren von ümrisslinien zu einem staats-
rechtlichen Schema und kritisch-historischeu Abstractum. Romu-
lus hat den Remus, Niebuhr den Romulus todtgeschlagen ; Numa,
Tullus Hostilius, Ancus Marcius, gleich mit : „die Namen der Kö-
nige sind vollkommen ersonnen." ^) „Romulus und Numa sind
ganz zu beseitigen.,"
Quid foret Diae
Mavortisque puer, si taciturnitas
Obstaret meritis invita Romuli V *)
,,Mavors' und Ilia's
Sohn, was war' er anjetzt, hätte das neidische
Schweigen jedes Verdienst Romulus' eingehüllt?"
Das unveräusserlichste Verdienst, das Verdienst, das mit uns ge-
boren wird, das Verdienst, existirt zu haben, selbst das hat dem
Romulus der deutsche Geschichtschreiber abgesprochen; für Roms
Geschichte der fürchterlichere Arminius, der sogar die Zwillings-
väter des römischen Volks in ilirer Urzeit Mutterleibe umgebracht.
Ein negativer Paläontologe, welclicr die fossilen Ueberreste von
1) Vgl. Sickler , Gesch. der Wegnahme u. Abt'ührg. vurzügl. Kunstw.
aus den erobert. Ländern in die Länder der Sieger. 1803. l.Thl. S. 83— 116.
2) Sur l'incertitude des premiers c\m{. siccles de l'hist. roniaine. 1 752. 2 VW. 12.
3) Vorträge üb. röm. Gesch. 1846. 1. Bd. S. 128. —4) Hör. Od. IV, 8, 20.
Korns Sagengeschichte. 271
Roms Vorgeschichte zu Fabelwesen construirt, und der — das
Widerspiel zu Cuvier — ex ungue beweist, dass der Löwe gar
nicht habe existiren können, und so gewissermaassen mit der
Löweiiklaue den Löwen zerreisst. Und wie zerreisst? — Nicht
etwa in Stücke, sondern so grändlich, dass nicht einmal die be-
rühmten Wedel übrig blieben , die doch selbst der Vernichtungs-
kampf jener beiden unsterblichen Löwen als historische Beweis-
stücke der Nachwelt hinterlassen.
„Die nun folgende Geschichte (Roms nämlich) ist wie ein
Bild von der Kehrseite betrachtet, wie Phantasmen." Dafür er-
klärt der grosse Geschichtskritiker merkwüi-digei-weise auch seine
eigene Geschichte, indem fast jede spätere Ausgabe Conjecturen
der frühern zurücknimmt, und andere an deren Stelle setzt, die
auch schon ihren Schwamm gefunden haben, oder noch finden
werden.
Sind die Sagengeschichten Phantasmen, so gehören die dafür
eingeschobenen geschichtliclien Conjecturen auch nur zu den com-
menta hominum; und commenta hominum, sagt der Römer, delet
dies. Die Sage vom Raub der Sabinerinnen wird von der Ge-
schichtskritik als ein allegorisches Phantasma des historischen
Factums gedeutet: dass die Römer das sabinische Ritual ange-
nommen.') Das sieht einem historisch-kritischen Phantasma ähn-
lich, wie ein hohles Ei dem andern. Der Sage von Romulus'
Räuberhöhle, um darauf zurückzukommen, geben die „Vorträge"
diese Wendung-): „Es sammelte sicli allerlei Volk, Diebe, Todt-
schläger, kurz mit einem altdeutschen Rechtsausdruck, Wildfänge.
Diess ist die einfache Ansicht, wie die Clientel entstanden. In
der Bitterkeit, mit der nachher die Stände sich betrachteten, hat
man diess auf die Patricier angedeutet, dass deren früheste Alin-
herren Spitzbuben gewesen." Mit Erlaubniss des ruhmwürdigen,
auf dem Gebiete der römischen Geschichtsforsclmng grössten und
tiefsten Kritikers, halten wir es, in Betreff der „Spitzbuben", mit
der Sage , maassen nicht blos die frühesten Almherren , sondern
auch die spätem und spätesten, in immer grössern Dimensionen,
dergleichen gewesen, wenn auch im grossen welthistorischen Räu-
berstyl. Wo die naive Sage die Grundzüge eines Volkes treuher-
1) Das. S. 123. - 2) Das. S. 118.
272 D^s römische Drama.
zig schildeii, da ist die Sage beglaubigte Geschichte und die Ge-
schichte, die jene Gmudzüge auslöscht, eine fable convenue. Ein
Gleiches ist es mit dem „Mischvolk", was die Römer selbst für
Niebulu' noch sind i), nicht aber für seinen ihm ebenbürtigen Nach-
folger, den jüngstgrössteu Geschichtschreiber der Eömer. für Th.
Mommsen.'^) Rücksichtlich des Mischlingscharakters dieses Vol-
kes verschmäht Niebuhr sogar das Zeugniss der „Fabeln und ent-
stellten Sagen'' nicht, die es „klar erkennen lassen'', dass die
Römer „deswegen keinem Volke angehörten, weil sie aus der
Mischung mehrerer, sich ganz fremder entstanden waren"; oiy-
■/(./.vöeg von den Griechen genannt; mU sagen: colluvies gentimu.
Unbeschadet unserer Verehrung vor dem berülimten Verfasser der
„Römischen Geschichte", halten wir es, in Bezug auf das Misch-
volk, mit Niebuhr und mit den „entstellten Sagen." Nur ein
Volk, das selbst die Elemente seines Ursprungs, seiner Existenz,
gleichsam zusammengeraubt hatte, konnte von der Geschichte
zum Weltraubvolk vorbestimmt und auserlesen werden. Den
Mischlingscharakter trägt die Staatskunst dieses Volkes, trägt
seine Völkerzucht, seine bildende Kunst, Poesie und Wissenschaft,
die durchaus eklektisches Stück- und Flickwerk. Das scheinbar
Selbstständigste und wie aus Einem Guss, es ist gleichwohl nur
ein Mischwerk, von „Korinthischem Erz", das bekanntlich ein zu-
fälliges Product der Einäscherung von Korinth, die der erste, und
einer der grössten Römischen Kunsträuber veranlasst: L. Mum-
mius, im Jahre Roms 6i)S. Eine colluvies gentium ist die Rö-
mische Sprache sogar, ein Allerlei, eine Satm'a von osldsch-si-
kulisch-pelasgischen Bestandtheilen: „Diese Eroberer" (Casker oder
Sacraner oder Prisci Latini; „redeten Oskisch und aus der Ver-
bindung ihrer Sprache mit der sikulisch-pelasgischen entstand das
merkwürdige Gemisch, welches wir Lateinisch nennen, wo zum
Theü die Grammatik, noch mehr aber die Etymologik einen so
bedeutenden giiechischen Bestandtheil enthält, worüber Otfr. Mül-
ler im eisten Bande seiner Etrusker die schönen Untersuchungen
angestellt iiat." ■'; Und da läugiie man noch, dass Romulus' Asyl
auf dem Capitolium eine Zufluchtsstätte für allerlei Welträuber-
1) Rom. Gesch. Ausg. in eineiu Uaml JbölJ. — 2) Rom. Gesch. I. S.
35 tf. — 3) Niebuhr, Vortr. S. 1U6.
Die Kunst der Römer ursprünglich etruskisch. 273
Volk in herba gewesen, und bestreite Doch, dass die Sage die
wahi-e Geschichte ist!
Ungleich den Griechen, deren poetisches Kunst- und Denk-
genie die von Aegypten. Thrakien und Phrygien empfangenen An-
regungen zu idealer Kunstvollendung und freier Gedanken-Dialektik
beseelte, oder, nach Platon's Bemerkung, das Aufgenommene zu
höchster Schönheit kunstschöpferisch ausprägte, erscheinen die
Römer, selbst auf dem Gipfel ihres Kunstvermögens, überall nur
als begabte, handfertige Nachahmer der Hellenen, als blosse Tech-
niker und Handwerker neben diesen. Ihre frühesten Bildwerke
in Thon und Erz sind etruskisch en Ursprungs, wie ihre Architek-
tur, worin sie noch am originellsten auftreten, aus dem etruski-
schen Bauwesen hervorging. ') Ihre gewaltigen Canalbauten, ihre
riesigen Wasserleitungen, ein steinernes Adersystem, durchströmt
vom Blute, Fett und Mark der Völker; ihre Cloaca maxima, das
unterirdische Hohlbild gleichsam des majestätisch erhabenen Hoch-
bildes von Rom, der Siebenhügelweltstadt; ihre prachtvollen, nur
von den altmexikanischen und peruanischen übertroffenen ^) Kunst-
strassen, — grossartige Strassenräuber-Heerwege, behufs massenhaf-
ter Niederwerfung und Ausplünderung von Nationen — all diese
Wunderwerke hatten die Römer theüs den im etruskischen Styl
ausgeführten Schöpfungen, theils den Anregungen zu danken, welche
sie von den Musterbauten ihrer Tarquinischen Könige empfingen, 3)
Von etruskischen Künstlern liess Sp. Carrilius aus dem Erze
Samnitischer Waffen einen Jupiter giessen, so kolossaler Grösse,
dass man ihn vom Gipfel des Albanerberges sehen konnte, und
aus dem Reste des Erzes sein eigenes Standbild ^) fertigen. Die
Statuen der Cloelia, des Horatius Codes u. a. waren tuskische
Arbeiten. •''j Jenes berühmte an der Ficus ruminalis 458 J. d. St.
errichtete Erzbild, die capitolinische Wölfin mit den säugenden
Zwillingen vorstellend, es gilt, nächst dem Sarge des Scipio Bar-
batus, für das Meisterwerk des etruskischen Kunststyls in Rom.**j
J) Nieb., Rom. Gesch. I, 86. 2. Aufl. — 2) Humboldt, Ansichten d. Na-
tur IL S,217ff. — 3) Vgl. 0. Müller, Etrusk. II. S. 146. u. Archäol. S. J72ff.
4) Plin. H. N. XXXIV, 18.— 5) Liv. II, 13. Plin. H. N. a. a. ü. c. Vi.
6) Winckelm. W. VII. Tf. 3. c. Micali Monurn. T. V, 42, 1. 0. Müller,
Archäol. S. 177.
11. Ib
274 ^^^ römische Drama.
Die Staatsfonn, die Staatseiurichtungen iu iliren Gmndzügen,
Religion, Religionsgebräuche, Auspicieu und Extispicien, das ganze
Ritualwesen und Priestersystem kam den Römern aus Eti-urien.
„Alles deutet bei Rom auf etruskischen Ursprung. Etruskisch
war die ganze älteste Verfassung, durch die heiligen Bücher die-
ser Nation angeordnet." ^) Wie dort, waren in Rom alle Staats-
gewalt und Wissenschaft, alle Opferhandlungen und heiligen Ver-
richtungen erbliches Eigenthum einer herrschenden Priester- und
Adelskaste. Der junge römische Adel wurde von Rom nach
Etrurien geschickt, mii daselbst den Tempeldienst und priester-
liche Kenntnisse zu erlernen. In Rom erhielten die vornehmen
Junker Unterricht von etruskischen Lehrern. '^) Selbst die zum
Opferdienst nöthigeu Flötenbläser kamen aus Etrarien. Als die
etmskischen Flöteubläser nach Tibur auswanderten, gerieth der
Senat in die gTösste Verlegenheit, da Niemand in der Stadt war,
der zu den Opfern blies. Und da sie zurückzukehren sich wei-
gerten, wurden sie, auf Ansuchen des Senats, von den Tiburtinern
trunken gemacht und so schlafend nach Rom gefahren.'^) Aus
Etrurien erhielten die Römer auch das Triumphgepränge und die
Ehrenzeichen der Magistrate.^) Durch Tarquinius Priscus lernten
die Römer zuerst griechische Idole kennen '^) ; den Dienst der zwölf
Olympischen Götter z. B., die sie dann bei sich einführten und in
Festprocessionen und pompis Circensibus aufstellten. Das in etrus-
kischen Opferbüchern gel)otene Vergraben eines lebenden gallischen
und griechischen Menschenpaares in Zeiten drohender Gefahr
wurde von den Römern einige Male, noch zur Zeit der punischen
Kriege, ausgeführt.*^) Ja zur Aufzeichnung der Zwölf-Tafeln-Ge-
setze, die sich die Römer durch Abgeordnete von italisch griechi-
schen Städten hatten holen lassen (300 J. d. St., 454 vor Chr.),
mussten sich die Decemvirn der Hülfe eines Griechen, des ver-
triebenen Ephesiers, Hermodoros, bedienen.'') Wie? Und dieses
Römervolk, das nichts zu Eigen hatte, das Alles erst erjagen,
erraffen, erJieuten und erplündern musste, es sollte nur allein keinen
Jungfi-auenraub in seiner Entstehungs - Geschichte aufzuweisen
1) Nieb., E. Gesch. I, 181. — 2) Liv. IX, 36. — 3) Liv. IX, 30. — 4)
Strab. V, 2. Dionys. HI. u. IV. — 5) Macrob. Saturn. UI, 4. — 6) Plin.
H. N. XXX, 3. - 7) Diog. L. IX, 2. 2. PLui. H. N. XXXIV, 2.
Die Urspruiigs.sagen der Römer. 275
haben? Der Raub der Sabinerinnen wäre nichts weiter, als eine
frostige Allegorie der Aneignung des sabinischen Rituals? Das
Römervolk sollte nur sein Haus- und Familienwesen nicht im
Wege der Gewalt und des Raulies gegründet haben? Und welchen
Familienwesens! Dessen unumschränkter Despot und Familien-
wolf der Hausvater war, der seinen Sohn dreimal hintereinander
als Sklaven verkaufen und freilich nur einmal hinrichten durfte.
„So lange der Hausherr lebt, ist ihm gegenüber Alles rechtlos,
was zur Familie gehört, der Stier und der Sldave, aber nicht
minder Weib und Kind." ') Ein solches Vater-, Haus- u. Ehe-Recht
konnte nur aus einer Raub- und Gewaltehe erwachsen. Solche
Väter konnten nur truppweise, wie die Wölfe, auf die Freite gehen
und ihre Bräute heimführen, wie die Wölfe die Lämmer: mit den
Reisszähnen. Um wie viel tiefer, kundiger, geschichtstreuer prüft
die Sage Herz und Nieren der Völker, als Roms rückwärts ge-
kehrte Sibylle, die römische Geschichte! Der Raub der Sabine-
rinnen ist für uns eine unumstössliche Thatsache, oder die Römer
sind keine Römer und keine Sagenräuber gewesen. Ja, Sagen-
räuber, die sogar ihre ürsprungssage geraubt, indem sie die alt-
italische, schon von Stesichoros aus Himera besungene, vom Epiker
Pisander, dem Vorbilde Virgil's, aufgeschmückte Mythe von Aeneas'
Auswanderung nach Hesperien, als gute Beute in Beschlag nahmen,
und bei der Gelegenheit auch ihre Abstammung von der Göttin
Venus. Nicht almend das Verhängniss, das ihnen aus dieser ür-
sprungsmähr entspriessen sollte; trotz aller sabinischen Vogel-
und P^ingeweideschau nicht ahnend, dass dieser, mit dem Juli-
schen Cäsar-Hause verwachsenen Ursprungswurzel der Stiel zur
Axt entstammen sollte, die dem gewaltigen, ur])em et orbem über-
schattenden Riesenweltbaum den ersten Todesstreich zu versetzen
bestimmt war! Davon hatte der „heilige Specht" nicht geweis-
sagt, welcher in der uralten Apennineustadt, Tiora, auf einer höl-
zernen Säule sitzend Orakel gab. 2) 0 wie viel untrüglicher ist
die Sage von Roms Räuber-Asyl, von Romulus' Brudermord, vom
Raub der Sabinerinnen, als der heilige Specht, der von der höl-
zernen Säule der Geschichts-Kritik herab die Sagen zu „dummen
Geschichten" orakelt.
1) Mommsen, Roui. Gesch. I, 50. — 2) Dionys. Halic. 1. 13.
IS*
276 Das römische Drama.
Die Attribute des Museugottes, Wolf und Specht, hatten
die Römer sich angeeignet. Wie stand es aber mit des Gottes
Gesangesgabe, die sich nicht erlisten lässt, nicht erjagen, erobern
noch erbeuten lässt? Wie stand es in der Sagenepoche des Römer-
volkes mn den Gesaug selbst, dessen Wellen, wie der grosse
deutsche Dichter singt, „hervorströmen aus nie entdeckten Quellen?"
Die daher auch nicht mittelst noch so kunstreicher Wasserlei-
tungen sich heranführen lassen. Mit Volksliedern, Nationalge-
sängen; — kurzum wie war es mit der heimisch ursprünglichen
Lyrik und Epik des alten Rom bestellt? Misslich genug, um nicht
zu sagen, kläglich genug. Denn was kann es Kläglicheres geben,
als ein Volk ohne Volksweisen, ohne Volkslieder und Gesang?
Es sey denn die noch ungleich trübseligere Erscheinmig: dass
ein Volk seine Kiudheitslieder verschmäht, verachtet, vergisst, oder
gar gegen wildfremde, miheimathliche , vertauscht; seine alten
Lieder, die Quellen seiner Stannn- und Vätersagen, seiner vater-
ländischen Geschichte, geflissentlich verschüttet, mn an künstlich
zugeführten seinen angeborenen Trieb zu letzen, dem gestohlene
Wasser süsser schmecken. Und dieser Maugel an Herz und Pie-
tät für ihre Volkspoesie kennzeichnet die Römer schon in ihrer
frühesten Zeit. „Es kam endlich dahin", sagt einer der gTössten
Alterthumsforscher, Heyne ^j, „dass die Römer die schlechtesten
Ausleger ihrer eigenen Sage waren." Nach Niebuhr-j ist die
älteste römische Geschichte aus Liedern hervorgegangen. Die
Nänien, Leichen-Loblieder z. B. bei Leichenmalen; die convi-
valia carmina, Tafellieder, zu Ehren ruhmreicher Ahnen und zum
Lobpreise ihrer Tugenden gesungen. 3) „Aus diesen Liedern ist,
was für uns jetzt Geschiclite der römischen Könige heisst, in
prosaische Erzählung aufgelöst."^) Wäre diess der Fall, so be-
wiese solche Umwandlung die Unfähigkeit der Römer nach zwei
Seiten hin. Ihr Gescliichtschreibungsberuf wäre damit eben so
in Frage gestellt, wie ihr Vermögen, die Volkssage zur Volkspoesie
zu gestalten. Wenn überhaupt jene von Niebulir vorausgesetzten
Tafelgesänge und Laudationen für Volkslieder, und nicht vielmehr
1) ad Virg. Aen. VII. exe. 4. — 2) Vortr. etc. I, 9. — 3) Cic. Brut,
c. 18. 19. Tiisc. Quaest. I. c. 2. Varro ap. Nomi. v. assa voce c. 3. p. 74.
Val. M. IJ, I. Kl. — 4) Nieb., E. G. I, 178.
Nänien. Arvalien. 277
für patricische Familieiilieder zu gelten haben. Die Salischen
Gesänge waren vollends hieratische Lieder; ausschliessliche
Weihelieder der Salischen Priester, einer Priesterschaft, welche,
dem Servius zu Folge •), von Dardanus für den Dienst der sa-
mothrakischen Gottheiten eingesetzt, nach Etrinien von den Pe-
lasgern eiiigeführt, und von hier erst nach Rom soll verpflanzt
worden seyn. Die Salischen Priester, sagt Macrobius^), sangen
allen Gottheiten Lieder mit Ausnahme der Venus; mit Ausnahme
der einzigen Gottheit folglich, welche die Römer als ihre Stamm-
göttin betrachten. Ein Beweis mehr für uns, dass dieses Priester-
collegium ein veiiDflanztes Institut war, von kretisch-phrygischem
Cultus. Dionysios Halik.^j nennt sie Säuger kriegerischer Gott-
heiten, v^vrjxaQ Twv svottXiwv ifswv, deren Festgesänge beson-
ders den Mars gradivus, und zwar nach Macrob. den Mars Ver-
nalis (Frühlingsgott; feierten. Auch sollen die Schilde nicht
kriegerische Abzeichen bedeuten, sondern als Schallbecken
dienen^), was, unseres Erachtens, auf den phrygischen Sabazios
hinzuweisen scheint.
Zwei Nänien haben sich, nach Niebuhr, auf den Gräbern der
Scipionen noch erhalten, die 1780 an der Appischen Strasse ent-
deckt ^vurden: „Auf diesen herrlichen Särgen sind Verse, aller-
dings wie Prosa, allein mit Striclien abgetheilt" — „Es sind diess
ganz schlichte einfältige Verse, aber es ist doch Versmaass darin:
Corneliu' Lüciu' Scipio Barbätus,
Gnäivo prognätu', fortis vir sapiensque
Consül, censor, aedilis, qui fuit apiid vos etc.
In unsern Augen die allergewöhnlichste Grabsclirift , die, von
wegen der Nänien-Poesie , sich immerhin zugleich mit dem seli-
gen Scipio Barbätus hätte können begraben lassen.
Auch die Carmina Arvalia, Frühlingslieder, von den Arva-
lischen oder Acker-Brüdern zur Feier der „schaffenden
Göttin" im Mai gesungen, gehören in diese Klasse. Es Avaren
hieratische Gesänge, keine eigentlichen Volkslieder. A ferendo
et arvis (ut fiiiges ferant arva) fratres arvales dicti, erklärt VaiTO. ^)
1) ad Virg. Aen. VIII. v. 285.— 2) Sat. I, J2. — 3) Antiq. Rom. II.
70. — 4) Vgl. W. Corssen Origin. Poes. Rom. Berol. isKi. S. 15 ff, 4.Sff.
— 5) L. L. V, 15. p. 33.
278 ^^® römische Drama.
Ihre Opfer und Betgesänge erflehten Segen für die Feldfrucht
von den ländlichen Gottheiten (Lares agrestes). Das einzige auf
uns gekommene Denkmal dieser „religiösen Litaneien" führt Momm-
sen an ') :
Enos, Lases, iuvate!
Ne velvuerve, Marmar, sine incurrere in pleores!
Satur furere, Mars!
Limen sali !
Sta b erb er!
Semunis alternis advocapit conctos!
Enos, Marmar, juvato !
Triumpe! triumpe! triumpe! triumpe!
An die Götter: Uns, Lasen, helfet!
Nicht die böse Seuche , Mars , Mars , lass einstürmen auf
mehrere !
Satt sey des Wüthens Mars!
An die einzelnen Brüder : Auf die Schwelle springe !
Steh ab vom Hüpfen!
An alle Brüder: Den Semoner, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen!
An den Gott: Uns, Mars Mars, hilf!
An die einzelnen Brüder : Juble ! juble ! juble ! juble ! juble !
Wahrscheinlich wurde schon dieser ländliche Arvalgesang als
Wechselgesang vorgetragen. Gewiss ist diese Vortragsweise von
den fescennischen oder fescenninische n Liedern, bäue-
risch obscönen Inhalts:
Inde joci veteres obscoenaque dicta canuntur^)
Schmähverse, ähnlich den phallischen, den Spottliedern der Jam-
bisten, Gephyristen u. s. w., die wir als Incunabeln-Satyre und
Vorspiele zur attisch-megarischen Komödie haben kennen lernen.
Die Fescenninen wurden, vermischt mit Lobgesängen der ländli-
chen Gottheiten, in Wechselversen von Landleuten gesungen:
,.Hier nun bildete sich fescennischer kecker Gesang aus.
Welcher in wechselnden Versen ergoss derb klingende Schmähung;
Jährlich erneuete sich, willkommen dem Volke, das freie
Heitere Spiel, bis beissender wurde der Scherz, und in oftne
Wuth ausartend, sich frech eindrängte in edele Häuser,
1) R. Ges.li. 1, 147. Lanzi, Saggio I. p. 142. 2) Ov. Fast. III, ,525.
Die Furcht vor dem Stocke urrönüsch. 279
Straflos drohend. Es fühlten den Schmerz die vom Zahne der Schmähsucht
Blutig Verletzten; das gleiche Geschick auch fürchteten Andre,
Die er verschont noch hatte, ja bald war strenges Gesetz da,
Das Schmählieder verbot und bedrohte mit peinlicher Strafe.
Schnell nun stimmten den Ton sie um, und die Furcht vor dem
Stocke
Lehrte sie harmlos scherzen, entfernt von verletzendem Hohne." i)
Die natürliche, ursprüngliche Entwickelung der Komödie, wir
sehen sie im Keime erstickt. Forniidine fustis — die Furcht
vor dem Stocke züchtet Stockpoeten, aber keinen Aristophanes ;
keine ächte, aus dem Volksgenie freikräftig erwachsene Komödie.
Der Stock ist ein vortrefflicher Lelu'meister für Hundekomödien,
für die Komödien der Lakeien, Schmarotzer, Sklaven, Kuppler,
liederlichen Dirnen, nicht für die Komödie, die ein freies Männer-
herz fi-oh und tapfer lacht. Eine Komödie ohne unbedingte und
nur durch das Kunstgesetz beschränkte Spottfreüieit ist die
Rebe ohne die Traube, der kahle Rebenstock eben in der Hand
des Büttels, nicht in der des Gottes Dionysos. Der Gott der
Komödie, Gott Eleuthereus, der Befreier, schuf die Weinrebe, das
Menscheuherz zu erfreuen, nicht zum Leidwesen von Rücken
sammt Zubehör. Und nicht dieser und nicht dieses soll von pur-
purschwellenden Beeren strotzen, sondern die Rebe. Seltsames
Surrogat für die „Furcht", die, nach Aristoteles die Tragödie er-
regen und reinigen soll: die Furcht vor dem Rebenstock ohne
Rebe, die formido fustis! In der Komödie hätten die Römer viel-
leicht etwas Selbstständiges, Eigenthümliches, leisten können, aber
auch diese Gottesgabe sollte in das Holz des patricischen Stockes
wachsen. „Hellas", singt der römische Dichter-Höfling weiter:
, »Hellas, bezwungen, bezwang den an BUdung dürftigen Sieger;
Tragend in Latiums rauhere Flur müdwirkende Künste.
So schwand der Saturnische Vers, und feiner Geschmack trieb
Herbes und Widriges aus" . . .
„Feiner Geschmack" ist eine euphemistische Variante zu fornii-
dine fustis:
sie horridus ille
Defluxit numerus Saturnius et grave A-irus
Munditiae pepulere . . .
1) Horat. Ep. I, 2. v. 145 f.
280 ^^^ römische Draina.
Munditiae, nämlich die glatte, elegante, römisch auflackirte Me-
nauder- Komödie, glatt und geschmeidig, wie ein Stab aus des
Lictors Steckenbündel. Den numerus Saturnius, den einzigen
Vers von römischem Schrot und Korn, den doch Plautus, das
einzige ächte römische Dichtergenie, mit meisterhafter Kunst
behandelt, und dessen nähere Bekanntschaft wir bald machen
werden — selbst diesen biederben numerus complimentirt der
feine, zierlich witzige Hofsatiriker aus der guten Gesellschaft der
gräcisirten römischen Poesie zur Thür hinaus, und wirft ihm noch
einen „Haarbuschigen Gesellen", einen horridus ille an den Kopf,
ilim die Wege weisend mit der zum satirischen Spielstöckchen
geleckten formidine fustis.
Das ist so ziemlich das ganze lyrische Schatzkästlein der
römischen Nationalpoesie, und selbst dieses von zweifelhaftem
Eigenthumsrecht. Viel reichhaltiger mochte das Schatzkästchen
schon zu Cicero's Zeiten nicht gewesen seyn, dem die alten Staats-
und Kechtsbücher bereits Sibyllinen waren. Auf eine grössere
oder geringere Anzahl von Arvalliedern , Nänien, Tafelgesängen
und Fescenninen kommt es nicht an, wo der goldenste Dichter
des goldenen Zeitalters römischer Dichtkunst , der selbst sich als
den „Zuhörer und Anwalt nur edler Scribenten" rühmt fnobilium
scriptormn auditor et ultor ') — wo Horaz gegen die ungeschlach-
ten Reliquien aus der UiTäterzeit heimischer Poesie Verwahrung
einlegt; stolz darauf, als Impfling und Pfropfreis einer fremdlän-
dischen, verpflanzten Literatur zu gelten.
Der gute Horatius! In ihm kämpften zwei Genien: sein recht-
schaffner, pleb eis eher Genius und der „Genius", der im Lateini-
schen auch Neigung zum Wohllel)en bedeutet, Appetit zum Gut-
essen und Guttrinken. In ihm kämpfte der tüchtige, wackere
Genius des Zöllner-Sohns von den edelsten Geistesgaben und er-
giebiger Dichterader mit dem Schmarotzer- Genius, der für die
Leibeigenen des Bauches ihr Fütter er ist; ebenfalls dem la-
teinischen Sprachgebrauch gemäss, wonach Schmarotzer ihre Gönner
und Schmausgober Genies nannten. Um seine arme Seele stritten
sich zwei Geschmacksgenien: der angestammte plebeische Ge-
1) Horat. K\>. 15. v. 39.
Horaz und die Fescennineii 281
schmack für die ländliche Natur, für Wahrliaftigkeit und Tugend ;
und der Geschmack, der im cornu copiae der vornehmen rö-
mischen Wohlleber, Lecker und Schlecker auch wieder „Genius"
hiess: Der gute Geschmack an Essen und Trinken. Und ein
auserlesener Geist, Avie er war, hatte der Aermste ein Bewusstseyn
dieses Zwiespalts in seiner Natur; fühlte er seinen Busen von
diesem Kingkampf des guten und nichtsnutzigen Princips zerris-
sen; von diesem Hader des freien, unabhängigen Dichters mit
dem Speichellecker der Aftergi'össen, wie von einem Brustkrampfe
gepeinigt und geplagt; so quälend, dass er aufseufzte, aber wie
ein von Natur scherzhafter und leichtblütiger Geist zu seufzen
pflegt; aufseufzend mit lächelndem Munde, in einer seiner schön-
sten Satiren, die zu diesem Zwecke gedichtet scheint: in der
siebenten des zweiten Buches, worin er witzig und sinnreich und
mit der besten Laune einer urbanen Ironie sich von seinem Skla-
ven Davus das Gewissen schärfen und den Finger in die Wun-
den seines Busens legen lässt; Wunden, ach, die für den unheil-
bar Kranken zu nothwendigen Fontanellen geworden:
Längst schon laur' ich und trachte mit Furcht dir ein Wörtchen zu sagen,
Ich, dein Knecht! — Du! Davus! — Ja dein leibeigener Davus,
Hold und treu und so brav, wie genug ist, niclits zu befahren
Für sein Leben von dir! — Wohlan, so
— — — — — — — — — schwatz, wie dii-'s einfällt!
— Immer.
Lobst du das Glück und die Sitten des Volkes der Alten, und gleichwohl,
Triebe dahin dich plötzlich ehi Gott, abschöbst du es weigernd.
Weü du entweder nicht fühlst, was du als Besseres ausschreist,
Oder nicht fest das Gute behaui)test, und in dem Morast tief
Sitzest, vergeblich bemühet, die Ferse dem Sclilamm zu entziehen.
Bist du in Rom, so zieht dich das Land; abwesend erhebst du,
Wankel, empor zum Himmel die Stadt. Lud etwa zu Schmaus dich
Keiner, wie lobst du gesundes Gemüs' und preisest, als ob du
Gingst in Banden gefesselt woliin, dich glücklich und selig,
Dass heut nirgend zu zechen du brauchtest. Wenn aber Mäcenas
Dich zu sich als Gast am Abend zu kommen, sobald die
Kerzen erglühen, entbeut: Gleich Oel her! Höret denn Keiner?
Schreist du, und tobst mit gräulichem Lärm, und läufst wie besessen.
Abzieht Mulvius saramt den Schmarotzern, die alle dir wünschen
Das und jenes! Je nun, ich gesteh's, sagt einer, der Magen
Ziehet mich leicht, und duftender Brodem erhebt mir die Nase;
282 I^^s römische Drama.
Bin untüchtig und faul, und dazu noch, willst du's, ein Fresswanst;
Doch da selber dasselbe du bist, und schlechter ^deUeicht noch.
Wie kannst du als Bess'rer mich schelten, in schmückende Worte
Dil' einhüllen die Fehler? Wie, wemi als grösserer Narr du
Würdest erfunden, denn ich, fünfhundert Drachmen dii- kostend V
Dräue so grinsend nicht her, halt' Faust und GaU' in den Schranken . . .
Wer von uns fehlt werther des Galgens?
Du mein Herr? abhängiger Sklav von Dingen und Menschen
Mehr und stärker denn ich!
GewissHch
Du, der Befehl mir giebt, dienst anderen wieder als Frohnknecht,
Und wirst gleich dem beweglichen Holz i) an Fäden gezogen
Ich bin Faulenzer und Schlingel,
Du kunstmässiger Prüfer und feinster Kenner der Alten.
Lump heisst Davus, gereizt von dem dampfenden Fladen; der mächt 'ge
Geist und die Tugend, wie deine, verschmäht ja die fettesten Schmause!
Mir ist's schlimm und verderblich, dem Bauche zu folgen. Warum das?
Muss es der Eücken doch büssen! Indess du weniger strafbar
Schnappst nach leckeren Bissen, die nicht um weniges fcü sind ....
Noch nimm, dass behelfen
Du kehl Stündchen dich kannst mit dir, noch klüglich der Muse
Brauchen, und selber dich fliehst gleich einem entlaufenen TroUknecht,
Bald mit Wein zu betäuben und bald mit Schlafe die Sorge
Suchend. Umsonst ! Schwarz drängt sie von hinten , und folget dem
Flüchtling !
— Ist bei der Hand kein Stein? 0 wozu denn? — Pfeüe ! wo sind sie?
— Easet doch, oder es dichtet der Mensch! — Pack gleich dich von
hinnen,
Oder du gehst als Neimter zur Frohn zum Acker Sabüuim!
Der Dichter fährt gegen den Diener auf und schmäht ihn von
dannen, aber in der Stimmung des Narren, der seinem Gevatter
Lear von der albernen Köchin erzählt, welche den Aalen, als sie
sie lebendig in die Pastete that, mit einem Stecken auf die Köpfe
schlug und ihnen zurief: Hinunter, ihr Gesindel, hinunter! So
schlägt unser Zöllner-Sohn und Enkel eines Freigelassenen den
Schlangen im Busen auf die Köpfe, so oft sie selbe aus der
Schmarotzer-Pastete stecken, und ruft wie die Köchin: Hinunter,
ihr Gesindel, hinunter! — Wenn er gegen seinen Gönner, Mäcenas,
sich verwahrt:
1) Duceris, ut ncrvis alienis mobile lignum (Marionette).
Die Fescenniiien als Hochzeitslieder. 283
Nee somnum plebis laudo satur altilium, nee
Otia divitiis Arabum liberriina muto ') . . .
„Nicht erst satt von dem leckern Schmause, erheb ich des Landmanns
Schlaf; auch tausch' ich die Freiheit nicht um Ai'abiens Schätze". . .
SO sind auch diess nur verkappte Gewissensschläge auf die — Aal-
köpfe. Seine vom Vater und Grossvater ihm angestammte Her-
zensmeinung spricht wohl seine Zunge aus, aber ihre nicht:
die Meinung seiner Zunge nicht, die der Pastete nach dem Munde
spricht. Den edelsten der Feinschmecker vom auserlesensten
kritisch -poetischen Feingeschmack, den liebenswürdigsten der
Schi'anz - Poeten , kann man häufig genug in der wunderlichen
Klemme überraschen, die er, ein Paar Verse vorher, mit einem
artigen Parabelchen, nach seiner Weise, anmuthig witzig iUu-
strirt (V. 30 f.)
„Durch engklaffenden Spalt in dem Waizengefülleten Kasten
War ein schmächtiges Mäuslein gekrochen, und mühte mit vollem
Leibe darauf umsonst sich ab, hinaus zu gelangen.
Wenn du, sagte ein Wiesel von fern, dort wieder heraus wiUst,
Schlüpfest du Freund nur mager heraus, wo mager du eingingst.
Zielt auf mich das BUd" n. s. w.
Hier folgt obiges Pochen auf die Aalköpfe. Von allen Teufeln,
denen man die fi-eie Müsse und Muse, die otia liberrima, die freie
Seele verkauft, hält sie keiner so fest wie der Pasteten-Teufel.
Doch nun wieder von Horazen's fescennischer , komödienliaft
gefärbter Wechselrede mit seinem Sklaven, seinem verköi-perteu Ge-
wissen, zurück zu Eoms Fescenninen aus der Vorzeit. Den Namen
leitet man von der tuskischen Stadt Fescennia ab, woher sie ein-
geführt wären. Andre läugnen die Existenz einer solchen Stadt und
lassen sie vom Erdboden versehenden, um doch wenigstens den
Fescenninischen Vers als Erbeigenthum den Römern zu retten.
Nach Festus soll das Wort von Fascinum, „Zauber", stammen,
den der Fescennische Gesang banne: quia fascinum putabantur
arcere. Daher die Abwendungsformel praetiscine! „Unberufen!"
Fascinum jbedeutet ausserdem, auch „Phallus", dessen Bild die
Landleute als Gegenzauber betrachteten. Man sang die Fescenni-
nen demnach als phallische Hochzeitlieder gegen Verzaubei-ung,
1) Hör. Ep. I, 7. V. :{5 f.
284 Das römische Drama.
Unfruchtbarkeit, Unsegeu in der Ehe. Als solche waren die
Fescenuinen bis in die Zeit der letzten Kaiser im Schwange.
Selbst Catullus dichtete welche, und im Saturnischen Versmaass;
feinere natürlich, im Kunstgeschmack. Auch spätere Dichter fer-
tigten noch dergleichen, Claudianus z. B. Als Schmähverse ^vur-
den die Fescennina Carmina von den Landleuten in Masken aus
Baumrinde gesungen:
Auf der Ausonischen Flur von Troja stammende Hirten
Feiern mit rohem Gesang ihr Fest und wildem Gelächter,
Und in scheussliche Larven vermummt von gehöhleter Rinde
Rufen sie dich, o Bacchus, durch fröhliche Lieder, und hängen
Dir an ragender Fichte herab die schwebenden Bilder . . J)
Doch möchten wir hieraus keinen Beleg für Mommsen's Vermu-
thung entnehmen, „dass schon in dieser Zeit sich die stehenden
Charaktermasken feststellten, die wir später bei Latinem und
Samniten finden." 2) Auch „dass aus diesem Wechsellied sich
sehr bald die Anfänge des Schauspiels entwickelten," will uns
nui- unter Vorbehalt etraskischer Vermittlung „begreiflich" schei-
nen, die denn auch wirklich bald eintrat und historisch feststeht.
Lässt doch auch Mommsen die Fescenninen im südlichen Etra-
rien heimisch seyu, in üebereinstimmung mit Gori, der Fescen-
ninische oder satirische Dialoge der Etmsker annimmt, die den
römischen Fescenninen als Vorbilder gedient hätten. 3) Wir
können daher nur jenen Forschern beipflichten, die, wie Planck *)
z. B., keine unmittelbare Entwickelung des Fescenninischen Wech-
selgesangs zu den Anfängen eines Scliauspiels oder Stegreifspiels
bei den Römern aimehmen wollen.
Ist es so mit Korns Lyrik aus seiner Vorzeit beschaffen ; lag
selbst diese für seine gelehrtesten und ältesten Alterthumsforscher
wie unter einem Zaubersiegel , dessen Lösungswort sie vergessen ;
glaubte Roms kunstreichster, geist- und geschmackvollster Lyri-
ker, Horaz, sein feines, zärtliches, griechisch zugestutztes Satyi'ohr
nicht sorglich genug gegen den Nacliliall jene]- bäuerischen Volks-
gesänge verwaJiren zu können, woraus doch allein möglicherweise
eine heimische Poesie und Literatur sich hätte hervorbilden können:
1) Virg. Georg. U, iJbö ff. 2) R. G. 148. — 3) Mus. Etrusc. T. U.
p. 349. - 4) Prolegg. ad Ennii Med. p. 10—31.
Eoms Sagenpoesie. 285
wie mag es mit dem zweiten Gestaltungsmomente einer solchen,
mit dem volkseigenen Sagenbe stände des alten Rom ausge-
sehen haben? Aermlich und trostlos, wenn man dem alten Samm-
ler glauben will, der noch ältere Zeugnisse anführt, welche dahin
lauten, dass selbst die römische Sagengeschichte aus der Vorzeit
an Stoff für eine poetische Bearbeitung derselben arm und dürftig
war; so dürftig, dass sogar die ältesten Geschichtschreiber, um
ihre Erzählung noch einigermassen aufzuschmücken , zu den
Griechen ihre Zuflucht uelmien und solche Facta von ihnen leihen
mussten. Die Geschichte z. B. der von den Sabinern bestoche-
nen Tochter des Sp. Tarpejus.^) Ferner die Geschichte der Ho-
ratier und Curiatier. '^) Desgleichen die Erzählung vom Betrüge,
den Sext. Tarquinius den Gabiern gespielt^), u. a. m., um hier
nur vorübergehend jene Hypothese zu berühren: Der erste rö-
mische Annalist, Fabius Pictor, habe die von dem Griechen Diokles
aus Peparethus (eine der Cykladenj gedichteten römischen Origines
in seine Urgeschichte Roms aufgenommen und in Gang gebracht. ^)
Hocherfreulich dagegen und wder Erwarten prächtig sieht es mit
der alten Sagenpoesie der Römer aus , wenn man auf die über-
raschenden Funde an uralten epischen Gedichten der Kömer
schwören will, die der gelehrteste Zergliederer und Sichter der
römischen Geschichte, die Niebuhr gethan, der doch sein unver-
gängliches historisches Werk auf einen von allem Sagenschutt
gesäuberten Boden gegründet. Aus demselben Sagenschutte hat
der tiefe Forscher Perlen, Juwelen von altepischen Gedichten ans
Licht gezogen, unschätzbare, kleine und grosse, Bruchstücke und
unversehrte: „Ein Fragment eines solchen Heldengedichts, über
den Kampf der Horatier und Curiatier handelnd, glaube ich bei
Livius entdeckt zu haben. Nun ist allerdings nicht anzunehmen,
dass Livius noch diese alten Heldengedichte gesehen und darnach
geschrieben habe, aber er schrieb theils unmittelbar theils mittel-
bar durch Varro nach den Büchern der Pontiftces und Augurn,
wo sehr viele Fragmente solcher alten Epopeen enthalten waren,
manche selbst aus der Zeit der Einnahme der Stadt heiTührend".-^j
1) Liv. I, 1). Vgl. Klitophon. bei Stob. Tit. X. p. 131. — 2) Liv. I,
25. Vgl. Deinarat. b. Stob. Tit. XXX\1II. p. 226. - 3) Liv. 1, 2.'>. Herod.
V, «. Vgl. Jacobs, Nachtr. zu Sulz. IV, 2. St. S. 335. Anui. d. — 4) ("luver.
Ital. antiq. 82b ff. — 5) Vortr. etc. S. 94.
286 Das römische Draina.
Nun hat zwar der deutsche Livius. in welchem der römische
erst seine Vollendung eiTeichte , jene Bücher der Pontifices und
Augurn auch nicht eingesehen, weder mittelbar noch umnittelbar ;
aber auch nicht einzusehen brauchen, maassen er der Pontifex
und Augur selber ist, der von der Höhe einer dreitausendjährigeu
Vergangenheit herab, und bewaifnet mit den schärfsten Fernglä-
sern der historischeu Conjecturalkritik , von der kein alter Ge-
schichtschreiber, weder Grieche noch Römer, sich hatte träumen
lassen, jene römischen Heldengedichte aus grauer Vorzeit zu er-
schauen und zu entdecken vermocht. „In dieser Stelle des Li-
vius nun" — belehi-t der grosse Augur der geschichtlichen Con-
jecturalkritik den Linus selbst — „wo die Provocation an das
Volk erzählt wh'd, die er (Livius) aus diesen Büchern genommen,
spricht er von einer lex horrendi carminis; die Formeln aus die-
ser Zeit Messen aber carmina, und waren in dem alten Vers-
maass." Alles zugegeben, die Schärfe, Treue und Ungefärbtheit
der Conjectural-Ferubiille unbestritten: so bekämen wir, vermag
anders unser schwaches Auge die Schlussfolgerung zu fassen,
bekämen wir, glücklichsten Falls, in diesen Heldengedichten Ge-
setzesformeln im alten Versmaass anzustaunen. Heldengedichte
horrendi carminis ohne alle Frage, die aber, so viel wir davon
verstehen, dem herkömmlichen Begriü" von einem Heldengedicht,
gelinde gesagt, in der hoiTendesten Weise vor den Kopf stossen.
Noch kühner und grossartiger wird die Entdeckmig in den Aus-
gaben der römischen Geschichte dargelegt. In dieser wird^) auf
eine „Epopöe" alten Styls aus Roms Urzeit hingewiesen, „die an
Tiefe und Glanz der Phantasie Alles weit zurücklässt, was das
spätere Rom hervorbrachte." „Mit L. Tarquinius Priscus" — so
lässt sich die rückwärts gekehrte Prophetenkunde vernehmen —
„beginnt ein grosses Gedicht, welches mit der Schlacht am Re-
gillus endigt, und dieses Lied der Tarquinier ist noch in seiner
prosaischen Gestalt (bei den Annalisten, Livius u. s. w.) unbe-
schreiblich dichterisch." Und eine solche in Annalistenprosa
„aufgelöste" Fata Morgana von urrömischer Epopöe hätte die
Phantasie eines Volkes geschaflen, dem der historische Flugdeuter
von Romulus' urpoetischen 24 Anspielen -Adlern, dem Niebuhr
selbst die poetische Pliantasie abspricht? Diess wäre ein noch
1) I, 178 S.
Roms uralte Epopöe. 287
gi-össeres Wunder als die aus ihrer Prosa -Auflösung herauskri-
stallisirte Epopöe. A. W. Sclilegel, ein Wundergläubiger und
Doctor Ecstaticus wie nur Einer — aus dieser Epopöe konnte
sogar A. W. Schlegel sich keinen Vers machen, wie aus seiner
Recension von Niebuhr's Rom. Gesch. erhellt, i) Schlegel zeigt sich
so verstockt -ungläubig gegen diese Epopöe, dass er sich hinter
die schon berührte Hypothese von Fabius', des ersten römischen
Annalisten, Benutzung der vom Griechen Diokles erdichteten
römischen Origines unangreifbar verschanzt. Einen gleich hart-
näckigen Widerstand leistet W. Wachsmuth, der sich gegen Nie-
buhr's palunpsestische Römer-Epopöe wie ein Igel zusammenrollt,
und die spitzesten Zweifelfragen wie Stacheln hervorkehrt.-) Am
ausführlichsten entwickeln die zweite und dritte Ausgabe von
Niel)uhr's Römischer Geschichte die Mythe von der „Epopöe."
Jene epischen Gesänge, „viel älter als Ennius", sollen im 4. Jahrh.
(J. d. St.) geblüht haben. Hier werden u. A. auch römische
Volksdichter entdeckt 3), an die selbst Macchiavelli nicht gedacht,
der doch in seinen Discorsi „sehr oft von Dingen redet, die gar
nicht da gewesen sind".'^) Wie aber in aller Welt konnte diese
vorgeschichtliche Epopöe so spurlos verschwinden und in Ver-
schollenheit gerathen, dass bei keinem alten Schriftsteller die
entfernteste Ahnung von ihrer Existenz verlautet? Welcher
Hexenmeister, welcher böse Zauberer hat diese Lieder, diese Ge-
sänge, diese Epopöe, wie die Hexe den Ariel in die Eingeweide
des knotigen Eichenstammes, in die knorrige Prosa der Annalisten
verzaubert und verwunschen und eingekeilt, woraus sie erst der
Zauberstab des deutschen Gescliichtschreibers befreit und erlöst?
Auch darüber erhalten wir, und von diesem selber, die er-
wünschtesten Aufschlüsse: Jener böse Hexenmeister war kein
Andrer als Ennius, der „diese Lieder in Hexameter umformte"
und sie dann „mit Erfolg unterdrückte".'^) Wenn ein Geschicht-
schreiber schon urzeitliche Sagenpoesien erfinden will; so dichte er
sie doch gleich lieber selbst, wie der treffliche Macaulay that in sei-
nen 1862 (2. Aufl.) erschienenen, artigen Legenden aus Roms
Urzeit, seinen Lays of Ancient Romc.
1) Heidelb. Jahrb. ISIO. N. 53—57. S. 833 ff. - 2) Die alt. Gesch.
des Rom. Staats 1SJ9. S. 22 ff. — 3) R. Gesch. II, 652. 663. 671. 632. —
4) R. Gesch. I, 8. — 5) 3. Ausg. I. S. 272 ff. 585. U. S. 585.
288 ^^^ römische Drama.
Wo die Könige unter den Geschichtschreibern Luftschlösser
bauen, liaben die Kärrner zu thun ! So schliesst ein Archivarius aus
Saturnischen Khythmen inLivius' Geschichte auf altepische Gedichte
der Kömer. ^) So nimmt ein Literarhistoriker -), und ein Ursprungs-
liistoriker ^) gar zweierlei epische Dichtungen au : Plebejische und
Patricische Heldengedichte aus der Zeit vor den punischen Kriegen.
Wie käme — müssen wir, unbein-t von den Visionen der
rückwärts gekehrten und manchmal verdrehten Propheten-Köpfe
fragen — wie käme der wesentlich receptive, nicht poetisch pro-
ductive Volksgeist, was diese selbst doch zugeben, — wie käme
ein derartiger Volksgeist zu einem ursprünglichen Volksepos?
Einer solchen Geistesart wird die Sagendichtung nicht an der
Wiege gesungen. Jenem Kriegsbauernadel, jenem Amalgam von
Eamnes, Tities und Luceres, hatte die Natur das Organ der
Poesie versagt: ein reizbar sinniges, leicht erregliches Gemüth
und die blühende, gestaltenholde Phantasie. Ausserdem erman-
gelte das Mischvolk auch noch der beiden Haupterfordernisse zu
einem Nationalepos : des Steifes und des Helden ; eines poetischen
Nationalstoffes nämlich und eines poetischen Natioualhelden. Denn
jener rastlose Kleinkrieg mit Nachbarstämmen um Kriegsbeute
und die Grundlage einer historischen Existenz , um Bodenbesitz,
mag eine gute Schule der Abhärtung, der Kriegstüchtigkeit und
der Entbehrungen abgeben; Stoff zu einem Epos können solche
Krautackerkriege nimmermehr liefern. Zu einem derartigen Völker-
gedichte gehören grosse geschichtliche Gegensätze, grosse Zwecke,
vor AUem eine grosse Nationalidee, ein Culturproblem von allge-
meiner welthistorischer Bedeutung. Konnte dergleichen bei jenen
engbegi-enzten Raub- und Beutezügen wirken? bei jenen Feld-
markenkriegen der ersten Kömerzeit? Erst die punischen Kriege
nahmen einen grössern Charakter an, und mit ihnen trat das
Römervolk eigentlich erst in die Weltgeschichte ein. Da fand
sich denn auch gleich das Epos zu dem umfassenderen gehalt-
reicheren Stotte, den bekanntlich der alte Ennius, der Halbgrieche,
zu einem Heldengedichte, dem ersten in römischen Hexametern
1) Köpke in Seebode's N. Archiv d. Philol. Hannov. 1826. Jahrg. 1.
1. Heft. S. .jO. -- Kraus, Gesch. d. Köm. Lit. S.67. - 3) Petersen, Origg.
Hist. Ki;in. [». 4.
Die Epopöe des Eimius. 289
Avälilte, mit Scipio Africaniis, seinem Gönner und Schutzherrn,
als Helden. Welchen Geistes diese Epopöe seyn mochte, lässt
sich begTeifen. Der gottbegeisterte Dichter mag, wie der blinde
Homeros, bettelnd von Ort zu Ort seine Nation und ihre Ruhmes-
thaten mit himmlisch erhabnen Rhapsodien feiern und ihre Helden
zu unsterblichen Göttern singen: niemals aber wird aus dem
Frohndienst, aus der Clientel und Gönnerschaft der Grossen ein
freies, der Nation selbst aus Herz und Seele gesungenes Götter-
lied erschallen; niemals ein Musen-geweihter Dichtermund Ge-
sangesbegeistrung aus den Schüsseln und Pokalen der Mächtigen
schlürfen. Auch schöpft man Heldengedichte nicht so ohne Wei-
teres aus den unmittelbaren, ob noch so rühm- und thatenvoUen
Strömungen der Tagesgeschichte ab. Der Fernenduft der Sage
muss über jedem ächten Heldengedichte schweben. Der Mund
des Volkes muss dem Sageustoff erst seine Seele eingeathmet
haben, bevor ihn der Hauch des Dichters zur Völkerleuchte
flammt. Davon zu schweigen, dass nicht jeder grosse rulimbe-
glänzte Geschichts- und Kriegsheld desshalb schon epopöenwürdig
ist. Nur ein Solcher ist's, der seines Volkes Geist in sich ver-
köi-pert; nur Der ist's, in welchem das Volk, die Volkssubstanz
und Masse, das Gemeinvolk selbst, sein Herz und Wesen erkennt,
sein Heldenthum, sein Fleisch und Blut, den Sohn seiner
Kraft und Lenden. Kann diess vom römischen Gemeinvolke gel-
ten, dessen Seele von Hass und Erbitterung, der begriindetsten,
l)erechtigtesten Erbitterung, gegen den Herrscheradel seiner Pa-
triciergeschlechter glühte und knirschte ? Von dem römischen
Gemeinvolke gelten, das von der Folter heimischer Peinigungen
hinweg seine huchmüthigen, herzlosen, adeligen Blutsauger und
Henkersknechte in das Blutbad hineinpeitschten, das ihr Wolfs-
gemüth in Kriegen vergoss, die ihre Raul)sucht und Volks-
schlächter-J*olitik entzündet? Oder war's etwa nicht so? Tragen
wir die Farben zu stark auf? Straft die Gescliichte diese Pinsel-
striche Lügen und setzt sie ihre Dämpfer auf die Farben? Nun
so nelime uns der grosse Scliilderer der römischen Gescliichte
und eben so gTOsser Bewunderer der Staatskunst, der Grossthaten
und „Tugenden" dieser römischen Patricier, nehme uns Niobuhr
den Pinsel aus der Hand und verschmelze und dämpfe die
grellen, die harten 'li'<nv: „Aber" so mildert er seine Pinsel-
11. lü
290 ßfts römische Drama.
striche — „wenn wii- uns lebhaft in jene Zeiten hineindenken,
so wild sich doch ein Grauen in diese Bewunderung mischen:
denn, verträglich und abgefunden mit diesen Tugenden herrschten
von den ältesten Zeiten her die furchtbarsten Laster, uner-
sättliche Herrschsucht, gewissenlose Verachtung des fremden
Rechts, gefühllose Gleichgültigkeit gegen fremdes Leiden, Geiz
als Raubsucht noch fremd war, und eine ständische Absonderang,
aus der nicht allein gegen den Sklaven, oder den Fremden, son-
dern gegen den Mitbürger oft unmenschliche Ver-
stockung entstand. Allen diesen Lastern bereiteten eben
jene Tugenden den Weg zm- Herrschaft, und gingen so selbst
unter." ')
Kann hier noch von einem epischen Heldengeist die Rede
seyn, so lebte er in der Plebs, in dem Gemeinvolk, das solche
Herrschaft durch heroischen Widerstand und Secessionen brach;
das mit dem „heiligen Berg", wie jene Riesen mit ausgerissenen
Felsen, sich die Rechtsgleichheit erkämpfte; so war die Plebs,
das Gemeinvolk, der Held einer Epopöe, die als Roms schönste,
gTOSse Zeit gestrahlt, und die schliesslich wieder die von den
„Geschlechtern" gefachten Bürgerkriege mit der Freiheit in die
tiefste Schmach und in Verbrechergräuel begruben. Nun erhob
sich aus dem in einen Ungeheuern Blutsumpf zusammengetrüm-
merten Freistaat die recht eigentliche Pöbelherrschaft in ihrer
scheusslichsten Gestalt; die grauenvollste Pöbelanarchie, im Cä-
sarenthum incarnirt. Die Ochlokratie der Wahnsinnsherrschaft
sass nun als tollgewordene Wöltin im goldenen Palast auf dem
Kaiserthron, die aus dem zerfleischten Rom, aus den Eingeweiden
von Senat und Volk, in Blutströmen die Milcli Avieder in sich
hineintrank, womit sie deren Ahnenzwilling einst am Ruminali-
schen Feigenbaum genährt.
Des Ennius Heldengedicht besang nicht nur keinen Volks-
helden in Scipio, es feierte in ihm ein Heldenthum, verherrlichte
eine Geschichtsthat, die seinem Vaterland eine der schwersten
Wunden schlug. Lassen wir auch hier eine Meisterhand unsere
Farben dämpfen! „Sey es Scipio selbst" — schreibt Herder"-) —
„der einem Karthago, das den Römern kaum mein- schaden kann,
1) R. G. I, 13. 2) Ideen III. 232 ff. (Karlsr. 1820.)
Roms Helden und ihre Politik. 291
das mit tlieurem Tiibut selbst Hülfe von ihnen erfleht und ihnen,
auf ihr Versprechen, jetzt Waffen, Schiffe, Zeughäuser und drei-
hundert vornehme Geiseln in die Hände liefert; sey es Scipio
oder ein Gott , der ihm in solcher Lage den kalten , stolzen An-
trag seiner Zerstörung als ein Senatusconsult mitbringt; es bleibt
ein schwarzer, dämonischer Autrag". . . „Mit Karthago fiel ein
Staat, den die Römer nie zu ersetzen vermochten. Der Handel
wich aus diesen Meeren und Seeräuber vertraten bald seine Stelle. . .
Das kornreiche Afrika war unter römischen Kolonien nicht, was
es unter Karthago so lange gewesen war; es ward eine Brod-
kammer des römischen Pöbels, ein Fanggarten wilder Thiere zu
seiner Ergötzung und ein Magazin der Sklaven. Traurig liegen
die Ufer und Ebenen des schönsten Landes noch jetzo da, denen
die Römer zuerst ihre inländische Cultur raubten'". . . „AVohin
sich von Karthago aus mein Blick wendet, siebet er Zerstörungen
vor sich, denn allenthalben Hessen diese Welteroberer gleiche
Spuren . . . Wenn PauUus Aerailius siebenzig Epirotische Städte
plündern und hundertfünfzigtausend Menschen als Sklaven ver-
kaufen lässt, um nur sein Heer zu belohnen ; wenn Metellus und
Silanus Macedonien, Mummius Korinth, Sulla Athen und Delphi
verwüsten und plündern, wie kaum Städte in der Welt geplündert
sind; wenn dieser Ruin sich forthin auch auf die griecliischen
Inseln erstreckt und Rhodus, Cypern, Kreta kein besseres Schick-
sal haben als Griechenland hatte, nämlich eine Kasse des Tri-
buts und ein Plünderungsort für die Triumphe der Römer zu
werden; wenn der letzte König Macedoniens mit seinen Söhnen
im Ti'iumph aufgeführt, im elendesten Kerker verschmachtet und
sein dem Tode entronnener Sohn als ein kunstreicher Drechsler
und Schreiber fernerhin in Rom lebet ; wenn die letzten Glimmer
der Griechischen Freiheit, der ätolische und acliäische Bund
zerstört und endlich alles, alles zur römischen Provinz oder zum
Schlachtfelde wird, auf welchem sich die plündernden, verwüsten-
den Heere der Triuinvirs zuletzt sell)st erschlagen — o Griechen-
land, welchen Ausgang gewähret dir deine Beschützerin, deine
Schülerin, die Welt-Erzieherin Roma! . . .
„Von Griechenland aus segeln wir zur asiatischen und afri-
kanischen Küste. Klein- Asien, Syrien, Pontus, Armenien, Aegyp-
ten, waren die Königreiche, in welche sich die Römer bald als
292 Das röiuische Drama.
Erben, bald als Vormünder, Schiedsrichter und Friedensstifter
eindrängten, aus welchen sie aber auch zum Lohn ihrer Dienste
das letzte Gift ihrer eignen Staatsverfassung geholt haben. Die
gTOssen Kriegsthaten des asiatischen Scipio, des Maulius, Sulla,
Luculis, Pompejus sind jedermann bekannt; welcher letzte allein
in Einem Triumph über fünfzehn eroberte Königreiche, achthun-
dert eingenommene Städte und tausend bezwungene Festungen
triumphiren konnte. Das Gold und Silber, das er im Gepränge
zeigte, betrug zwanzigtausend Talente: Die Einkünfte des Staats
vermehrte er auf den dritten Theil, zwölftausend Talente, und
sein ganzes Heer war so bereichert, dass der geringste Soldat von
ilim über zweihundert Thaler Trimiiph-Geschenk erhalten konnte,
ausser allem, was er schon als Beute mit sich führte; welch ein
Räuber! Auf diesem Wege ging Crassus fort, der aus Jerusalem
allein zehntausend Talente raubte, und wer fernerhin nach dem Orient
zog, kam, wenn er wiederkam, mit Gold und üeppigkeit beladen
wieder. Dagegen, was haben die Römer den Morgenländern ge-
geben? Weder Gesetze noch Frieden, weder Einrichtung, noch
Volk, noch Künste. Sie haben Länder verheert, Bibliotheken ver-
brannt, Altäre, Tempel, Städte verwüstet. Ein Theil der Alexan-
drinischen Bibliothek ging schon durch Julius Cäsar in Flammen
unter und den grössten Theil der Pergamenischen hatte Antonius
der Kleopatra geschenkt, damit einmal beide auf Einer Stelle
untergehen könnten. So machen die Römer, die der Welt Licht
bringen wollen, allenthalben zuerst verwüstende Nacht; Schätze
von Gold und Kunstwerken werden erpresst: Welttheile und
Aeonen alter Gedanken sinken in den Abgrund: die Charaktere
der Völker stehen ausgelöscht da und die Provinzen unter einer
Reihe der abscheulichsten Kaiser werden ausgesogen, beraubt,
gemisshandelt.
„Fast noch l)edauernder wende ich mich westwärts zu den
verheerten Nationen in Spanien, Gallien und wohin weiter die
Hände der Römer reichten. Dort waren die Länder, die sie un-
terjochten, meistens schon verblühete Blütlien; hier wurden durch
sie noch unreife, aber volle Knospen in ihrem ersten Jugend-
wuchse so beschädigt, dass von manchen ivaum noch ihre Stam-
mesart und (jattuiig erkennbar geblieben. Spanien war, ehe die
Römer hiiikaiin'ii. ein vvolilgebauetes, an den meisten Orten frucht-
Die Epopöen der Raubsucht. 293
bares, reiches und glückliches Land. Der Handel desselben war
beträchtlich und auch die Cultur einiger Nationen nicht verach-
tenswerth, wie es nicht nur die Turdetanier am Bätis, die mit
den Phöniciern und Karthagern am längsten bekannt waren, son-
dern auch die Celtiberier mitten im Lande beweisen. Das tapfre
Numantia Aviderstand den Römern mehr, als irgend ein andrer
Oii der Erde; zwanzig Jahre ertrug es den Krieg, schlug Ein
römisches Heer nach dem andern und wehrte sich zuletzt ^ gegen
die ganze Kriegskunst des Scipio mit einer Tapferkeit, bei deren
traurigem Ausgang jeden Leser schaudert. Und was suchten die
Verwiister hier im Innern Lande , bei Nationen , die sie nie ge-
reizt, die kaum ihren Namen gehört hatten? Gold- und Silber-
bergwerke. Spanien war ihnen das , was den Spaniern jetzt
Amerika seyn muss, ein Ort zum Raube. So plünderten Lucullus,
Galba u. s. f. gegen Treu und Glauben ; der Senat selbst macht
zwei Friedensschlüsse ungültig, die seine bedrängten Feldherren
mit den Numantinern geschlossen hatten. Grausam liefert er
diesen die FeldheiTen selbst aus, wii'd aber auch an Edelmuth
gegen die ausgelieferten Unglücklichen von ihnen über^vuuden.
Und jetzt tritt Scipio mit aller Macht vor Numantia, schliesset
sie ein, lässt vierhundert jungen Männern, den Einzigen, die dieser
Um*echt leidenden Stadt zu Hülfe kommen wollen, den rechten
Arm abhauen, hört auf die rührende Bitte nicht, da mitten im
Hunger ein bedrängtes Volk sein Erbarmen und seine Gerechtig-
keit anfleht; er vollführt den Untergang dieser Unglücklichen als
ein wahrer Römer. Als ein wahi-er Römer handelte Tiberius
Gracchus, wenn er in dem einzigen Lande der Celtiberier drei-
hundert Städte, wären es auch mir Flecken und Schlösser ge-
wesen, verwüstete. Daher der unauslöschliche Hass der Spanier
gegen die Römer: daher die tapfern Tliaten des Viriatus und des
Sertorius, die beide auf unwürdige Art holen und gewiss viele
römische Feldherren an Klugheit und Kriegesmuth übertrafen:
daher jene fast nie bezwungenen Bergvölker der Pyrenäen, die,
den Römern zum Trotz, ihre Wildheit beibehielten, so lange sie
konnten. Unglückliches Goldland Iberien, fast unbekannt bist du
mit deiner Cultur und deinen Nationen ins Reich der Schatten
gesunken, in wclcliem dicli schon Homer unter dem Glanz der
Abendsonne als ein Reich der Unterirdischen malet."
294 Das römische Drama.
Nachdem der herz- und geistvolle, völkerkundige Grossmaler
seinen Zoll der Bewunderung vor dem kolossalen Staatsgeiste und
den riesenhaften Unternehinungen der Römer entrichtet, fährt er
(S. 266; also fort:
„Der Geist der Völkerfreiheit und Menschenfreundschaft war
dieser Genius nicht: denn wenn man die ungeheure Mühe jeuer
arbeitenden Menschen bedenkt, die diese Marmor- und Steinfelsen
oft aus fernen Landen herbeischaffen und als überwundene Sklaven
errichten mussteu: wenn man die Kosten überschlägt, die solche
Ungeheuer der Kunst vom Schweiss und Blut geplünderter, aus-
gesogner Provinzen erforderten, ja endlich, wenn wir den grau-
samen, stolzen und wilden Geschmack überlegen, den dm'ch jene
blutigen Fechterspiele, durch jene unmenschlichen Thierkämpfe,
jene barbarischen Triumphaufzüge u. s. f. die meisten dieser Denk-
male uälirten; die Wollüste der Bäder und Paläste noch unge-
rechnet: so wird inan glauben müssen, ein gegen das Menschen-
geschlecht feindseliger Dämon habe Born gegründet, um allen
Irdischen die Spuren seiner dämonischen übermenschlichen Herr-
lichkeit zu zeigen. Man lese über diesen Gegenstand des altern
Plinius und jedes edlen Bömers eigne Klagen: man folge den
Erpressungen und Kriegen nach, durch welche die Künste Etru-
riens, Griechenlands und Aegyptens nach Kom kamen: so wird
man den Steinhaufen der römischen Pracht vielleicht als die
höchste Summe menschlicher Gewalt und Grösse anstaunen, aber
auch als eine Tyrannen- und Mördergrube des Menschenge-
schlechts verabscheuen lernen."
Mit der Bemerkung, wie theuer selbst die geistigen Vorzüge
der Römer und ihre Verdienste um Beredsamkeit und Dichtkunst
den Völkern zu stehen kamen; mit der Frage: „Waren diese
schönen Früchte eines erpressten goldenen x^lters solchen Auf-
wandes werth?" wendet sich unser grosser Gewährsmann zu der
Wirkung, die ihr „Recht" ausübte:
„Mit dem römischen Rechte ist's nicht anders: denn wem
ist unl)ekannt, welche Drangsale die Völker dadurch erlitten, wie
manch(' menschlicliere Einriclitung der verschiedensten Länder
dadurch zerstört worden? Fremde Völker wurden nach Sitten ge-
richtet, die sie nicht kannten; sie wurden mit Lastern und ihren
Strafen vertraut, von welchen sie nie gehört hatten; ja endlich
Das römische Recht. 295
der ganze Gang dieser Gesetzgebung, der sich nur zur Verfassung
Roms schickte, hat er nicht nach tausend Unterdrückungen den
Charakter aller überwundenen Nationen so verlöscht, so verderbet,
dass statt des eigeuthümlichen Gepräges derselben, zidetzt allent-
halben nur der römische Adler erscheint, der nacli ausgehackten
Augen und verzehrten Eingeweiden traurige Leichname von Pro-
vinzen mit schwachen Flügeln deckte. Auch die lateinische
Sprache gewann nichts durch die überwnndnen Völker und diese
gewannen nichts durch jene. Sie ward verderbt und zuletzt ein
romanisches Gemisch nicht nur in den Provinzen, sondern in
Rom selbst. Die schönere griechische Sprache verlor auch dm'ch
sie ihre reine Schönheit und jene Mundarten so vieler Völker, die
ilmeu und uns weit nützlicher als eine verdorbene römische Sprache
wären, gingen bis aufs kleinste üeberbleibsel unter. Die christ-
liche Religion endlich; so ausnehmend ich die Wohlthaten ver-
ehi-e, die sie dem Menschengeschlecht gebracht hat, so entfernt
bin ich zu glauben, dass auch nm- Ein Wegstein in Rom ur-
sprünglich ihretwegen von Menschen erhoben worde'h ......
Rom nahm die cluistliche Religion nicht anders auf, als es den
Gottesdienst der Isis und jeden verworfnen Aberglauben der öst-
lichen Welt aufnahm; ja es Aväre Gottes unwürdig, sich einzu-
bilden, dass die Vorsehung für ihr schönstes Werk, die Fort-
pflanzung der Wahrheit und Tugend, keine andern Werkzeuge
gewusst habe, als die tyrannischen blutigen Hände der Römer.
Die christliche Religion hob sich durcli eigne Kräfte, wie durch
eigne Kräfte das römische Reich wuchs, und wenn beide sich zu-
letzt gatteten: so gewann weder die Eine dadurch noch die
Andere. Ein römisch-christlicher Bastard entsprang, von welchem
manche wünschen, dass er nie entstanden wäre."
Die Culturbestimmung der Römer stempelt Herder mit
strengen, aber treffenden Worten:
„Wir haben also auch der Meinung zu entsagen, als ob in
der Fortsetzung der Zeitalter die Römer dazu gewesen seyen, um,
wie in einem menschlichen Gemälde über den Griechen ein voll-
kommneres Glied in der Kette der Cultur zu bilden
Also bliebe nichts übrig, als dass die Vorsehung den römischen
Staat und die lateinische Sprache als eine Brücke aufgestellt
habe, auf welcher von den Schätzen der Vorwelt auch Etwas zu
296 Das römische Drama.
uns gelangen möchte. Die Brücke wäre die schlechteste, die
gewählt werden konnte: denn eben ihre Errichtung hat uns das
Meiste geraubet. Die Römer zerstörten und wurden zerstört;
Zerstörer aber sind keine Erlialter der Welt."
Nun lenken wir in unser Geleis wieder ein mit Herder s ge-
wichtiger Bemerkung: „Als eine Sklavin war die Scenische
Muse bei den Römern eingeführt und sie ist bei ihnen immer
auch eine Sklavin geblieben." Nicht aber blieb sie das in den
Augen ZAveier verdienstvollen Schulmänner, A. G. Lange und
G. Regel, die in zwei gediegenen und gelehrten Abhandlungen
die entgegengesetzte Ansicht verfochten, und dem bis dahin gang-
baren, durch Lessing angeregten und, ^vie wir gesehen, von Herder
bestätigten, -ungünstigen ürtheil über die römische Tragödie
eine andere Richtung gaben. Beide Schriften, Lange's „Ehren-
rettung der römischen Tragödie" ') und Regel's spätere Abhand-
lung ^) näherten sich wieder, in Auffassung und Werthbestimmung
der römischen Tragödie, der ars poetica des J. Scaliger und den
Philologen und Kunstrichtern des 17. Jahrhunderts, dem D. Hein-
sius, Muretus und Dryden, in deren Schätzung die Tragödien
des Seneca so hoch, wo nicht gar noch höher standen, als die der
drei grossen griechischen Tragiker. Beide deutsche Schulgelehrten
gehen zwar nicht ganz so weit in ihrer Bewunderung der römi-
schen Tragödie wie die genannten Kritiker des 16. und 17. Jahr-
hunderts; immer aber so weit, dass uns diese Reformation des
Lessing-Herderschen Urtheils aus einer Verkennung des römischen
Genius hervorgegangen scheint. Lange will die römische Tra-
gödie nicht etwa auf gleiche Linie mit der griechischen gestellt
wissen ; hält aber doch dafür, dass sie, im Vergleich mit der Tra-
gödie anderer Nationen, eine hohe Bedeutung in Anspruch nehme. ^)
Dabei möchte dieser gelehrte Sachwalt die Tragödien des Seneca,
die einzigen doch, die vollständig genug, um daraus ein kriti-
sches ürtheil zu gewinnen, scliier lieber nicht erhalten wünschen,
weil die abschätzige Meinung über die römische Tragödie eben
diese Trauerspiele des Seneca verschulden sollen. An welchen
andern tragischen Schöpfungen der Römei- al)er, muss man fragen,
1) Vindiciae Trag. Rom. Leipz. 1822. 4. 2) Diversa Vir. doctor. de
re trag. Rom. judicia. Gott. 1834. 4. — 3) Vindic. p. 3.
Die römische Tragödie. 297
lassen sich Lange's Vindiciae messen, als an Seneca's Trauer-
spielen, da von den römischen Tragikern aus der Zeit der Ee-
pnblik nur Trümmerstücke vorhanden, die durchaus keinen Maass-
stab an die Hand geben, und da über den Werth ihrer Tragödien
nur die Urtheile römischer Schriftsteller vorliegen, auf deren
ästhetische Kritik, besonders über Leistungen ihrer eigenen Li-
teratur, kein gewiegter Schulmann schwören wird. Regel geht
in seiner Anpreisung der römischen Tragödie noch über Lange
hinaus, indem er i) die Ueberzeugung ausspricht, dass die Römer
auch ohne griecliische Vorbilder die Dichtkunst auf eine Höhe
der Ausbildung gebracht hätten, die ihren Werken den Stempel
eigener und ursprüngliclier Trefflichkeit aufgedrückt hätte. Eine
seltsame Argumentation, dem durchgängigen Charalder der rö-
mischen Literatur, und namentlich ihrer Dichtungen, gegenüber,
die das Gegentheil auf allen Blättern verkünden. Eine negative
Beweisführung lässt sich nicht so leicht in eine positive Schluss-
folgerung umstülpen, wie es manchmal gelingt, Ertrunkene da-
durch ins Leben zurückzuführen, dass man sie auf den Kopf
stellt. Uns hat sich aus geschichtlichen Momenten der Mangel
an ureigener Schöpferki-aft bei den Römern, und zwar im Ver-
hältnisse ihres ausserordentlichen Nachahmungs- und Aneiguungs-
talentes, ergeben. Dieser Mangel giebt sich schon in ihrer ab-
stracten, nicht symbolisch - plastischen Naturauffassung zu
erkennen. Der römischen Poesie, ihrer tragischen insbesondere,
fehlt die natursymbolische Gottesidee, die in den menschlichen
Geschicken, als sühnende Vergeltungsidee, das sittliche Gleich-
gewicht der innern Weltordnung wieder herstellt. Daher ist die
römische Tragik gott- und ideenlos. Eine solche Tragik kann
sich nur in Conflicten gegenseitiger Ueberlistung und Ueberwäl-
tigung bewegen; die menschlichen Geschicke als eine Frage der
Kriegstaktik entscheiden; kann nur eine Gladiator-Tragik seyn.
Das etruskische Wesen, die trübe, düsterstrenge Gemüthsart ver-
läugnet auch die römische Tragödie nicht. Dieselbe Geistesfarbe
tragen die Vorstellungen vom Uebersinnliclien, trägt ursprünglich
die Religion der Römer. Das Wort schon, Religio (lig-are), be-
zeichnet die „Gebundenheit" eines in dumpf abstrusem Aberglauben
1) a. a. 0. p. 8.
298 ^^^ römische Drama.
und geistverdüsterndem hetrurischen Formelwesen befangenen
Gottheitsbegriffes. Formlose Gottheiten wie Vacuna (Euhe), An-
geronia fSorge nnd Kummer,, müssen als Fetische der dumpfe-
sten Abstractiou gelten. Ein Gläubiger, der den Getreidebrand
(Robigo) anbetet, ist hirnverbrannter, als das von Melthau ver-
sengteste Getreide kornverbrauut ist. Die Griechen weihten
Altäre der Furcht und dem Mitleid; die Eömer dem Fieber und
der Dea Cloacina, einer Aftergöttiu, für deren Altardienst der
Weihrauch von ganz xlrabien nicht ausreicht, üeberall der auls
Praktische, Nutzbare gerichtete Sinn, ein potenzirter Thiergeist.
Die Götterkönigiu Juno dachte sich der Römer nicht blos als
Hebamme und Geburtshelferin, Lucina, er löste sie auch noch in
Knochenleim und Gallert auf, und sülzte sie zu einer Juno ossi-
pagina; zu einer Kalk- und Eiweiss-Göttin , welche die Knochen
des Kindes bildet. Ja er quacksalberte die Himmelskönigin zu
einer weissen Salbe, welche als Juno ünxia die Thürangeln bei
den Heirathen einsalbte und als solche göttliche Ehren empfing.
Man denke an Homer's von den köstlichsten Wohlgerüchen duf-
tende, mit dem Gürtel der Anmuth geschmückte Götterkönigin
auf dem Berg Ida — und diese Thürangel-Salbe ! Denkt man aber
an Homer's Götterwelt, dann weiss man wahrlich nicht, was man
von A. W. Schlegel's Ansicht vom Glauben der Römer denken
soll: „Der römische Glaube", sag-t er'), „und die darauf begiiin-
deten Gebräuche waren ernster, sittlicher, fi-ommer, natur durch-
schauender, magischer und geheimnissvoller, als wenigstens
derjenige Theil der griechischen Religion, der ausserhalb der My-
sterien gelehrt ward.'' Eine Göttin Unxia, eine Göttin Pommade
freilich, kennt weder Homer, noch Hesiod, noch der hohe Olym-
pos. „Naturdurchschauender-' — ein bischen Augensalbe von der
Göttin Unxia hätte dem feinen Kennerblick des gelehrtesten und
geschmackvollsten der deutschen Schöngeister wohl gethau. Seine
Epitheta, womit er den „römischen Glauben" ausstattet, „sitt-
licher, frommer, magischer und geheimnissvoller", möchten, bis
aufs „sittlicher", mehr zu dem ,,römischen Glauben" seines Bru-
ders Friedrich, als zu dem der alten Römer passen.
Nur künstlicli, nur gewaltsam, nur formell und äusserlich,
1) Vorl. 11, 21.
Die Philosophie der Kömer. 299
nur vermöge ihrer ausserordentlichen, Alles verschlingenden An-
eignungskraft, haben die Eönier ihr angeborenes, etruskisch fin-
steres Naturell mit hellenischen Kunstformen ttbergleissen kön-
nen. Sie mussten ihren angestammten Vorzügen, ihrem Tugendbe-
griff (vii'tusj, worunter sie eine selbstgenügsam strenge, stolzhenische,
entbehrungsnüchterne, durch Kriegszucht abgehärtete und zum
Felddienst ausschliesslich gestählte Mannhaftigkeit verstanden —
die Kömer mussten erst ihrer von Natur stoischen, gegen Poesie,
Kunst und Philosophie feindselig gestimmten Gemüthsart abtrünnig
werden, — entarten mussten sie erst, in sittliche Fäulniss übergehen,
um für hellenische Bildung, Kunst und Philosophie empfänglich zu
werden. Cato Censorinus, der staiTO, bildungsfeindliche Griechen-
hasser, das ist der ächte Kömer, der Urtypus eines Kömers ; eine ge-
festete Kömerseele, die das leibhafte Ebenbild jenes ruhmvoll Schwie-
ligen ist, jenes Keiterh — , den vor dem versammelten Senat der
SchwadronenfüTn'er P. Servilius ') mit demselben Erfolg entblösste,
wie der Kedner Hj^perides vor den Athenischen Richtern den Busen
seiner Clientin, der schönen Phryne. Gleichwie bei der Mispel Keife
und Fäulniss zusammenfällt; so musste der römische Charakter
in Markfäule übergehen, um für Kunst und Poesie reif zu seyn.
Daher scheinen uns, in Bezug auf letztere, und mehr noch in
Bezug auf Philosophie, G. Kegel's Einwendungen gegen Baden,
Planck und Bernhardy, die den Mangel an phüosophischem Talent,
insbesondere au philosophischer Gedankentiefe und Dialektik bei
den Kömern, und namentlich die Wirkung dieses Mangels auf
ihre Tragödie nachdrücklich hervorheben, sich in müssige und
fehltreffende Widerlegungen zu verlieren. Jene philosophische
Atmosphäre, in welcher allein, wie bereits ausgeführt worden, die
Tragödie ihre Blüthenpracht entfaltet; jene speculative Geistes-
hülle, aus welcher das Drama der Hellenen seine köstliche Keife
und ambrosische Fülle sog, ein solcher gedankenschwangrer Dunst-
kreis und Luftstrom umfloss die römische Tragödie nicht. Ohne
Wm'zel, ohne Gedankeu-Aether, der um die Wipfel spiele, glich
sie einem kahlen Blätterbaum, mit allerlei falschem Sentenzen-
schmuck und rhetorischen Würsten, wie mit Kletterpreisen, be-
hängi und lidiidtMi, zu dem die tragirende Declamation mit
1) Pün. H. N. VII, 24.
300 Das römische Drama.
Avnieu und Beinen sieb emporschraubt. Die beideji mit der Sit-
tenverderb uiss um sich gTeifeuden Lieblings-Philosophen der vor-
nehmen Römer, die Philosophie des Zenon und Epik ur, waren eher
dazu angetlian, der tragischen Poesie den Rest zu gehen, als ihr
aufzuhelfen: die stoische Philosophie verhärtet gi-undsätzlich das
Menschengemüth gegen Körper- und Seelenleiden, Prüfungen und
Göttergeschick. Die Helden, zu welchen das stoische Standhaf-
tigkeitsprincip die Charaktere aufspreizt und zu einer Art von er-
habenen Stockfischen ausdörrt, sind für die tragisclie Poesie gerade
so brauchbar wie diese. Mit Epikur's Lustlehre, für welche die
Tugend nur als Mittel zur Glückseligkeit allenfalls Werth hat,
wogegen die wahre Philosophie, wie die Ethik des Aristoteles und
Piaton, in der Tugend und AVeisheit au sich die höchste Glück-
seligkeit erkennt, — mit Epikur's Hedonik mag sich die Tragödie
der „Entladungs"-Katharsis trefflich abfinden: für die des Sopho-
kles, Aesch3dos, Shakspeare und Schiller, deren tragisches Genie
nur für die keusche, göttliche Glückseligkeits-Hedone des Ari-
stoteles sich entflammen und begeistern kann, ist die Epikuräische
Lustlehre ein Scheuel und Gräuel.
Können wir uns demnach von den Ausführungen der beiden
werthvollen und gründlichen Schulschrifteu nicht überzeugt er-
klären, noch auch der Ansicht Welcker's '), bei aller Deferenz vor
der philologisch- laitischen Autorität des grossen Gelelu'ten, in
allen Stücken beipflichten: so muss es uns um so mehr Wunder
nehmen, wie die trefflichen Anwälte der römischen Tragödie einen
Vorzug derselben, den einzigen vielleicht den sie aufweist, haben
übersehen mögen. Der Vorzug, der in gewissem Betracht als ein
Fortschrittsmoment, selbst der hellenischen Tragödie gegenüber,
zu bezeichnen wäre, entspringt aus dem Charakter gerade, der
Geistesart der Römer, die einer idealpoetischeu Gestaltung am
meisten zu widerstreben scheint; aus der diesem Volke eigen-
thümliclicn mannhaften Grundstimmung, die in das tragische Pa-
thos ein sprödes Korn gleichsam pflanzte, eine straffe Faser männ-
licher Thatkraft und Willensstärke, welche die heroische, unter
dem Druck von gottverhängter Schuldbüssung ächzende Leidens-
tragik der Griechen ausschloss. Durch dieses strengflüssige Ele-
1) Gr. Trag. 1350 ff.
Eiu Charaktennoment im Pathos der röin. Tragödie. 30I
ment kam in die üben\aegeucl passive, und schon bei Sophokles
im heroischen Schmerzensausdmck, selbst der thatkräftigsten tra-
gischen Helden, eines Ajas, Herakles, schmelzenden Affect eine
männliche Spannkraft, die, an SteUe der hellenischen kuustidealen
Schnierzensschönheit und Schmerzensverklärung auf dem huclisten
Gipfel der Seelenpein, eine Wirkung widersetzlichen, aus dem
Bewusstseyn eigener Willensstärke quellenden Schauers in die
Rührung mischt. Was der tragische Affect an Rührung und Mit-
leid erregender Kraft eiubüsst, wächst dem Activen, dem Charakter-
Momente zu: eine Stärkung ft-eilich, die das Wesen des Tragischen
zu erschüttern droht, jedoch nur dann, wenn der Charakter mit
Bewusstseyn und Absicht zu solcher Tragkraft des Seelenschmer-
zes sich aufspannt. Setzt er, in ungebrochener tragischer Stim-
mung, die ihm eingeborene Seelenstärke, als reinen Gemüthsaffect,
ohne die leiseste Wirkungsbetonung, dem Andrang der auf ihn
hereinbrechenden Leidensgewalt entgegen, so vermindert diese mit
dem vollen Ausdruck heisser Seelenbedrängniss sich kundgebende
Widerstandskraft die tragische Wirkung so wenig, dass sie viel-
mehr selbe in dem Maasse erhöhen kann, als der Widerstand,
wie das Erz im Schmelzofen mit Glühhitze, sich mit Leidens-
giuth sättigt. Wenn Hagen mit seinem Eisenschilde sich durch
die stürmende Fluth rudert, thut dies etwa dem drangvoll heissen
Kampf und Mühsal des Helden Abbruch? Das eiserne Ruder ist
im Gegentheil, wie der Gradmesser der Stromgewalt, so der
Stärkemesser von des Recken mühseligem Arbeitskampfe und
seiner Heldennoth. Die römische Tragödie, die als Seneca-Tragödie
vorliegt, sündigt freilich gegen das active Patlios bis zum schnö-
desten Missb rauch durch Ueberladung aus absichtlicher Wirkungs-
sucht und mit dem ganzen Kraftaufwand einer rhetorischen Ath-
letik. Auch 1)ringen wir das Ergänzungsmoment zur attischen
Leidenstragik nicht der römischen Tragödie in Rechnung. Auf
iln- ruht der unlösbare Fluch, dei- dem Römerthum überhaupt
anhaftet, der Flucli einer maasslosen Actionssucht, einer aus-
schweifenden Kraftverschwendung, der Tod aller Idealität, aller
poetischen Gestaltung, des Tragischen insbesondere, das eben auf
ein Ausscliwanken der heftigsten Seelenstürnni in eine trostvolle
Beruliigung abzielt, in eine Harmonie, deren Rliythmus diese Stürme
selbst wie eine Geistermusik wiegt. Demohnerachtet darf jenes
302 Das römische Drama.
in der römischen Tragödie hinzugetretene männliche Wirkungs-
moment nicht verkannt wreden; entwickelt sich auch dasselbe
erst im geiinanischeu Drama zum keimkräftigen Fortschrittsmo-
mente, gegenüber dem Druck und Schwergewicht des Dulderpa-
thos in der hellenischen Tragik.
Bemerkenswerth scheint uns eine Stelle bei Cicero, i) Er
spricht von den Pantomimen und fügt liinzu: „Allem Handeln
wohnt eine gewisse Naturkraft ein. Wesshalb denn auch von der
Wirkung solcher Thatkraft die Unerfahrnen, die Menge, die Bar-
baren vorzugsweise ergriffen werden. Denn blosse Worte ver-
mögen nur den zu treffen, den ein gemeinsames Band der Sprache
mit dem Redenden verknüpft. Eindringliche Sprüche gehen erfolg-
los an der Seele nicht scharf auffassender Hörer vorüber. Hand-
lung aber, die an sich schon eine Seelenbewegung zur Schau
giebt, ergi-eift Jedermann, reisst Alle mit sich fort." (In iis Om-
nibus, quae sunt actionis, inest quaedam vis a natura data.
Quare etiam hac imperiti, hac vulgus, hac denique maxime bar-
bari commoventur. Verba enim neminem commovent, nisi eum,
qui ejusdem linguae societate conjunctus est, sententiaeque acutae
non acutorum hominum sensus praetervolant: actio, quae per se
raotum animi fert, omnes movet). Die Tragödien des Seneca
werden uns Gelegenheit geben, die scenischen Vortheile sol-
cher actionellen Affecte, aber auch die poetischen Nachtheile
solcher Pathosbeliandlung zu würdigen, und nebenbei zu gewah-
ren, wie dieser männliche Ton im tragischen Schmerzensausdruck,
namentlich der Frauen, ja bei diesen stärker und entschiedener
als bei den männlichen Helden, auf Erregung und Entfesselung
von Leidenschaften ausgeht, die das attische Drama zu scliildern
und zu wecken vermied, oder doch in das Helldunkel seiner vor-
zugsweise auf Furcht und Mitleid abzweckenden Leidenstragik
zurückweichen Hess und harmonisch abdämpfte; während die rö-
mische Tragödie die Leidenschaften mit enkaustischen Farben
malt, ihnen eine Färbung einglüht, die selbst das Pathos des
Euripides aufzubieten scheute; die thatkräftigen, unternehmen-
den Leidenschaften zu herrschenden macht. Die des Hasses,
des Zornmuthes, der Rache, die Leidenschaften der splendida
1) de Orat. lU, 59.
Der Beruf der Römer zur Tragödie. 303
masciüa bilis, die auch die Grundfarbe des Pathos der modernen
Tragik bleibt, mit dem wichtigen Unterscliiede, dass die germa-
nische, die Shakspeare- Tragödie, das Pathos, unbeschadet jenes
römisch-activen Elementes, im Geist und Styl der Griechen, die
romanische Tragödie, die der Franzosen imd Italiener insbesondere,
durchaus in der Manier des Seneca behandelt.
Horatius glaubt, in seiner Nation die tragische Anlage zu finden :
— „spät lenkte der Römer a\ü' griechische Werke den Scharfsinn,
Und nach den punischen Kriegen beruhiget, forscht' er zuerst, was
Sophokles doch und Thespis und Aeschylus Nützliches brächten.
Bald auch sucht' er, in Latiums Sprache sie würdig zu kleiden.
Und er gefiel sich selbst, von Natur hochstrebend und feurig.
Denn es erhebt ihn tragischer Schwung, und er waget nüt Glücke." ')
Das natm-a sublimis et acer kann man dem Horaz immerhin
zugestehen, ohne daraus das tragicum spirat satis mit ihm zu
folgern. Ersteres dürfte sogar geeignet sejm, das tragicum so zu
überwuchern, dass es dem sublimen, hochraukenden Sclllingkraut
erliegt. Zudem stellt Horaz sein Zeugniss keinem Vollblut-Kömer
aus; denn nahezu sämmtliche Dichter römischer Tragödien vor
Horaz waren Griechen, jedenfalls keine geboruen Römer. Stammte
doch selbst Seneca aus Spanien. Die Römer hatten also schon
damals keine ursprüngliche Tragödie, wo sie noch nicht „die Tra-
giker der Weltgeschichte", noch nicht „die eiserne Nothwendig-
keit der Völker" waren. Darin konnte mithin auch nicht der
Grund liegen, dass sie keine Tragödie heiTorbrachten, weil sie
selbst die schrecklichste mit Königen und Völkern spielten, und
mit dem zermalmenden Fusstritt des Schicksals durch die Welt-
gescliichte schritten, wie A. W. Schlegel geistreicher als zutref-
fend bemerkt.-) Vielleicht wäre es richtiger zu sagen: Die Rö-
mer wurden darum die Tragiker der AVeltgeschichte , die eiserne
Nothwendigkeit der Völker, weil sie kein Genie und keinen Be-
nif zur Tragödie liatten; weil die Barbarei der Eroberungssucht
und Völkerknechtung ein Reich der Finsterniss gründet, im Ge-
gensatz zu dem schöpferischen Lichtreich der gestaltenden Poesie.
Der Geist der Tragödie schliesst den Römergeist eben aus, wie
die Freiheitsidee den völkerfeindlichen Soldatengeist ausschliesst.
Die Tragödie käni[tft den Aveltgeschichtlicheu Vernichtungskampf
1) Ep. n, 1. V. 155 ff. — 2) Vorles. II, 22.
304 Dä,s römische Drama.
mit diesem Geiste; jenen Kampf, den die beiden Principien der
Parsenlehre mn die Weltlierrschaft ausfechteu, Ormiizd und Ahri-
man. Einen Weltkampf, der mit Vernichtung des Hen-n der
Finsteruiss, des Aliriman, und mit dem Siege des Lichtes und
der Freiheit enden wird. Denn Licht und Freiheit sind Eins.
Das Licht erneut ewig den Schöpfungsact, Formen und Gestalten
offenbarend in ihrem wahren Seyn und Wesen. Und wie Gottes
Werderuf das Licht gebar; so ist das Licht das erscheinende
Gotteswort, das die Welt, die äussere und innere, ins Daseyn
ruft: Er spricht, und sie steht da. Dessgleichen das Licht der
Völker, die Freiheit, der leuchtende Aether, worin allein sie sehen
und erkennen; Wahrheit von der Lüge, das Gute vom Bösen un-
terscheiden, Natur und Gott von Angesicht zu Augesicht schauen.
Plülosophie, Gottesoffenbarung, als Geist und selbstbewusster Ge-
danke ; Religion, Gottesoffenbarung, als Harmonie der Wesen und
der Seelen, als Liebe ; Kunst, in ihrer höchsten Erscheinung, tra-
gische Kunst: diese beiden Offenbarungsweisen in Eins, als Geist
und Liebe zumal. Ohne solche Philosophie und Religion giebt
es keine Tragödie, keine tragische Kunst. Sie sind die Vorläu-
terungsstufen zu der Tragödie der Gottesschau im Lichte der Frei-
heit, das zugleich die Sonne der Wahrheit. Die reine Philosophie,
die reine Religion und die hohe Tragödie, sie Inlden eine Dreiei-
nigkeit in dem Einigen Gotte der Freiheit. Ein Volk, das keine
Philosophie der reinen Gotteserkenntniss, das keine Religion der
seelenbildenden Harmonie und seelenvereiuigenden Liebe aus sei-
nem Innersten herausstrahlt — Völker solchen Sclüages können
auch keine Tragödie, als nur eine todtgeborene, zur Welt bringen.
Aus diesem, und einzig und allein aus diesem Grunde hatten die
Römer keine Tragödie und konnten keine haben ; denn sie hatten
keine, aus ihnen selbst hervorgegangene Philosophie; die Philo-
sophie einer aus dem Gedankeni»rocesse entwickelten und mit ihm
identischen Gotterkenntniss ; hatten keine Religion der Versöhnung,
Läuterung und Harmonie, Seelen verbindend, umschlingend — ein
anderes li-gare, als das, wovon die Römer das Wort „Religio"
ableiten, und worauf sie auch ihre Religion, als finstern Staats-
geist, gründen: ligare, im Sinne von „Binden" niedergeworfener
Völker, und deren Anketten und Fesseln an ihre HeiTSchaft, ihren
Despotisnms. Das Römervulk war ein Volk der Finsterniss, nicht
Historischer Beruf der Eörner. Prätextaten und Togaten. 305
nicht der Erleuchtung ; das Volk der Knechtung und HeiTschsucht
kein Yorvolk der Menschenfreiheit und Völkerbefreiung, kein Pro-
metheus-Volk, wie die Sieger bei Marathon. Und darum konnte
auch nur aus jener, im germanischen Geiste mit der höchsten
Leuchtki'affc sich offenbarenden Dreifaltigkeit von Philosophie, Ke-
ligion und tragischer Kunst, das Drama in seiner Herrlichkeit,
das Shakspeare-Drama, hervortreten.
Die Römer hatten den historischen Beruf eines Uebergangs-
volkes zwischen den Hellenen und Germanen. Sie sollten die
Pioniere, die Pontifices, die „Brückenschlager", auch in Hin-
sicht auf die dramatische Kunst, seyn, und die Verbindungswege
und fliegenden Brücken zwischen dem Drama der Hellenen und dem
der Germanen herstellen. Wie nun jedes Missionsvolk, wissentlich
oder nicht, sein Scherflein zur Verwirklichung der grossen welt-
geschichtlichen Idee, der Culturentwickelung, beiträgt: so pflanzten
auch die Römer, ihres Theils, Keime zu neuen Gestaltungsfor-
men in das Drama, die sie selbst nicht zu befruchten und zu
entwickeln vermochten. Ein solcher Keim war, nächst dem von
uns angedeuteten theatralischen Momente in der Behandlung
des tragischen Pathos, der Versuch, den Horaz in seiner Epistel
über die „Dichtkunst" i) rühmend hervorhebt.
Deren geringstes A^erdienst es nicht war, ganz kühn von der Griechen
Spur abzugehn und die Thaten der heimischen Welt zu besingen.
Sey's nun dass Prätextaten sie spieleten oder Togaten.
Nil intentatum nostri liquere poetae:
Nee minimuin meruere decus, vestigia graeca
Ausi deserere et celebrare doraestica facta,
Vel qui Praetextas vel qui docuere Togatas.
Dramatische Stofte aus der heimischen Geschichte gewählt, das
historische Drama geschaften zu haben, wäre allerdings ein
grosses Verdienst, müssten niclit die Griechen auch hierin als
Vorgänger gelten. Des Phiynichos Phönissen, Einnahme von Mi-
let; des Aeschylos Persertrilogie , was waren sie anders als zeit-
geschichtliche, vaterländisch - historische Tragödien? Von allen
diesen heimischen Tragödien, welche die Römer, zum Unter-
schiede von den Crepidatae, von den nach griechischen My-
1) A. P. V. 285 fi'.
II. 20
306 Das römische Drama.
theustoffen gedichteten Tragödien, Praetextae, d. li. im pui*purbe-
setzten römischen Staatskleide gespielte Dramen aus der römischen
Geschichte nannten, hat sich nur eine einzige, die dem Seneca
beigelegte Octavia, erhalten. Eine nähere Prüfung wird sie
uns als seine schwächste kennen lehren. So verdienstvoll der
Paullus Aemilius des Pacuvius, der Brutus und Decius des Attius,
der Cato und Nero des Advocaten Curiatus Maternus seyn moch-
ten: so überzeugt sind wir, dass nur ein Einziger von allen Dich-
tern ächte Praetextas schrieb ; ein Einziger der berafene Tragiker
der domestica facta der Römer war, ihre Helden zu poetischen
Charakteren adelte, und den Stoffen aus der Römischen Geschichte
die tragische Weihe gab: Dieser Einzige ist der Dichter von Co-
riolan, Julius Cäsar und Antonius und Cleopatra.
Was die äussere Form der römischen Tragödie und des
römischen Theaters anbelangt, unterscheiden sich beide von dem
Bau der gi-iechischen Tragödie und des griechischen Theaters —
erstere, die römische Tragödie, nur durch kunstentblösste Nüch-
ternheit; das römische Theatergebäude durch einen verschwen-
derischen Prunk, der die Scheidewand niederbricht, welche die
scenischen Spiele von den Thierkampfspielen, des Theaters von
dem Amphitheater trennt. Das Gespräch zwischen den han-
delnden Personen der Tragödie bewegt sich im Versmaass des
Senarius, eines Sechsfüsslers, der aber nicht, wie der griechische
Trimeter, nach dem melodisch zwischen Quantität und Accenten
schwebenden Rhythmus sich gliedert, sondern, haften geblieben
im Saturnischen Vers, die Würde des Sylbeugehaltes zur blossen
Betonung verdünnt und zuspitzt. Ausnahmsweise wird der tra-
gische Senar von lyrischen, ziemlich dürftigen und kunstlosen
Maassen unterbrochen. Der Chor, der seinen Standort auf der
Bühne, nicht in der zu Sitzen für die Staatsbehörden umgewan-
delten Orchestra, nahm, erscheint, bei Seneca mindestens, auf die
Rolle von Statisten herabgesunken, die in den Zwischeuacten ihr
geographisch-mythologisches Pensum zur Flöte hersagten, welches
in der Regel zu der Handlung und dem Schicksale der Personen
passt, wie die Geographie in die Tragödie. Es ist die Chorform
der italienischen Operntexte; aber lauge nicht so lyrisch bewegt
und mit dem Texte verschwistert, wie z. B. der Chor bei Meta-
stasio. Wie hätte auch der Chor in der römischen Traorödie die
Theater-Gebäude der Kömer. 307
Volkspersönlichkeit zur vollen Geltung bringen mögen, die von
dem römischen Familienadel in der Plebs verachtet und entwür-
digt, wie letztere von den Cäsaren wieder nm- als Meute zur
Adelshetze und Klopfjagd gefüttert ward!
Tacitus nimmt drei Entwickelungsstufen des römischen Thea-
ters an. ') Die erste bezeichnet er als das Stadium, wo Volk und
Behörden in einem zeitweiligen Holzbau stehend zuschauten.
Versuche, Sitzplätze zu errichten, wurden durch Senatsbeschluss
(6. Jahrh. d. St.) als sittenschädlich verboten. 2) In der zweiten
Periode bestand ein Holzbau mit hölzernen Sitzen, beide nur zeit-
weilig: Subitariis gradibus et scena in tempus structa. 3) In einem
solchen Theater Hess L. Mummius, zur Feier seines Triumphes
nach Beendigung des gTiechischen Krieges, griechische Dramen
von griechischen Schauspielern aufführen. '*) Die dritte Stufe setzt
Tacitus in die Zeit, woKom das erste stehende, 699 d.St. von Pomp.
Magn. erbaute steinerne Theater (mansuram Theatri sedem) erhielt.
Halbkreisfönnig erhöhte Sitze existiiien zur Zeit des Plautus (530
— 570 d. St.) noch nicht. Hindeutungen darauf in den Prologen
verweisen diese eben, als spätere Producte, in die zweite Periode.
Zu Terentius' Zeit (588 — 594 d. St.) war es Sitte, sich die Ses-
sel von Sklaven ins Theater nachtragen zu lassen. Auf Antrag
des alt. Scipio wurde durch die Aedilen Attilius Serranus und
L. Scribonius eine Trennung der Plätze für Senat und Volk vor-
genommen, nachdem Senat und Volk 558 Jahre lang gemischt
den Spielen zugeschaut hatten. Bei den von genannten curuli-
schen Aedilen zuerst als Bühnenspiele gegebenen Megalensien
(588 d. St.j sali der Senat, zum erstenmal vom Volke abgeson-
dert, zu. Livius berichtet^), dass die Neuerung zu mancherlei
Keden Anlass gab: „Man habe der Würde des Gesammtvolkes
genommen, was man der Hoheit der Rathsherrn zugelegt habe.
Was denn auf einmal geschehen sey, dass die Rathsherren den
Bürgerstand nicht länger im Schauplatze mit sich vermischen
lassen wollten; dass der Reiche vor dem armen Nebeusitzer Ekel
bekommen?" . . .
1) Ann. XIV, 20. — 2) Liv. XXIV. c. 18. Vell. P. I, 153. Val. M. II,
4, 2. — 3) Tacit. a. a. 0. 4) Das. c. 21. - 5) XXXIII, 54.
20*
308 Das römische Draina.
Zu diesem exclusiveu Sitzraum wurde die Orchestra dem
Senate (566 d. St.) als eigenem Staude eingerämut. i) Locus se-
natorius heisst er bei Cicero.'^) Die Senatsmitglieder sassen darin
auf hölzernen Bänken. Der Prätor hatte einen erhöhten Sitz.
Caligula gab zuerst Erlaubniss, diese Bänke mit Kissen zu be-
legen.-^; Im Jahre 686 wurden auch dem Ritterstande, auf Antrag
des Volkstribun Eoscius Otho (lex Roscia; Roscia theatralis; , als
besondere Sitzplätze, die der Orchestra zunächst liegenden Sitz-
reihen augewiesen.-') Darüber kam es zu einem fi3rmlichen Auf-
ruhr im Theater zwschen Volk und Ritterschaft, den Cicero, da-
mals Consul, durch seine Beredsamkeit stillte.^) Ritter, die ihre
Zahlungen einstellten, banki'otte Ritter (decoctores) , mussten im
Theater abgesondert sitzen.*^) Unter Kaiser Augustus erhielten
auch die Soldaten einen vom Volke abgesondeiien Schauplatz.
So degradirten Adel, Ritter und Fürsten das römische Gemeiuvolk
bis zum Auswurf, bis zur Pariakaste, von der sich die höhern
Stände und die Soldaten ferne halten sollten. Die obersten Sitz-
reihen im ZuschaueiTamn (letzten Rang) nahmen die Frauen ein.
Als Ehi'enplatz wm'de auch der Raum vor den untersten Sitzreihen
rings um die Orchestra herum (Podium) betrachtet, wo die frem-
den Gesandten, vornehme Gäste u. dgl. Platz nahmen. Dieser
Sitzraum war so breit, dass etliche Reihen Sessel hintereinander
darin stehen konnten.")
Die Coustruction des Zuschauerraums (Cavea) stimmte mit
der des griechischen Theaters (y.olXor) überein. Der Schauplatz
(Cavea) bestand, wie dort, aus halbkreisförmig umherlaufenden
Sitzreihen, concentrisch getheilt durch breite Gänge (praecinctiones,
öiaKcöf.iaTa)', keilförmig durch herablaufende Treppen geschieden
(cunei, zgenidsg).
Das römische Logeiou, Pulpituni, der Sprechort der Schau-
spieler, war niedriger, als im attischen Theater. Die Scene,
ursprünglich ein gewölbtes Laubdach, blieb lange Zeit einfach
und schmucklos. Erst Claudius Pulcher schmückte die Scene
mit Gemälden.") Antonius und L. Muraena Hessen sie ganz mit
1) Vitr. V, 6. Suet. Oct. 44. — 2) Clueiit. 47. — 3) Dio Cass. LIX, 7.
— 4) Das. XXXVI, 20. — 5) Plut. Cic. 13. Cic. Attic. ü, 1. — 6) Cic.
Phil. II, 18. — 7) Suet. Ner. 12. Juv. II, v. 146. — 8) Valer. M. 11, 6.
Theater-Gebäude der Römer. Arena und Drama. 309
Silber, Petrejus rCatilina's Besieger) mit Gold, Q. Catulus mit
Elfenbein überziehen. i) Die Verschwendung erscheint um so
thörichter, als ein solches Theater kaum einen Monat stehen blieb.
Sämmtliche genannte Theater -Ausschraücker übeii:raf der Aedil
Aemil. Scaurus (694 d. St.) an Prachtverschwendung. Er
brachte auf der Scene drei Stockwerke von Säulenreihen (episcenia)
übereinander an, die untern von Marmor, die mittlem von Glas,
dem kostbarsten Material in jener Zeit; die oberste Reihe bestand
aus vergoldeten Holzsäulen. Im Ganzen 360 Säulen, in deren
Zwischenräumen 3000 Statuen prangten. Die Cavea fasste 80,000
Sitze, um die Hälfte mehr als das spätere Amphitheater des Pom-
pejus (697 d. St.). Dieser mit unermesslichem Luxus an Gemäl-
den, Purpurdecken, u. s. w. ausgeschmückte hölzerne Koloss, das
gi'össte Pracht -Monstrum aller Theatergebäude, wurde von den
erbitterten Sklaven des Erbauers, des genannten Aedilen Aemi-
lius Scaurus, in Brand gesteckt. Den Schaden schätzt Plinius"'^)
auf hundert Millionen Sesterzien (5,000,000 Thaler).
Das nächstmerkwürdigste römische Schauspielhaus war das
Theater, das Scribonius Curio zur Leichenfeier seines Vaters
errichten Hess (702 d. St.). Der Holzbau bestand aus zwei in
der Tangente sicli berührenden Halbkreisen, so dass die Zuschauer
auf den Sitzreihen des einen Halbkreises denen des andern den
Rücken zukehrten. Jeder dieser Zuschauer-Halbkreise hatte Vor-
mittags eine Scene vor sich, auf welcher Dramen gespielt wur-
den. Hierauf wurden, ohne dass die Zuschauer ihre Plätze ver-
liessen durch eine Maschine beide Halbkreise umgedreht, derge-
stalt, dass sie, mit den Endpunkten ihrer Schenkel zusammentreffend,
ein Amphitheater bildeten, wo nun ein Kampfspiel in der
eingeschlossenen Arena zur Schau kam.^j Eine treffliche Vorrich-
tung, um in dem Zuschauer das Verlangen nach Kampfspielen
dm'ch die von den dramatischen Spielen hingehalteue Unge-
duld bis zur Verwünschung solcher Spiele und bis zum Wi-
derwillen gegen dieselben auszubilden. Kein Wunder, dass die
Dichter alsbald vor „leeren Bänken" spielten, worüber wir den
Terentius, im Prolog zur Hecyra, werden bitter klagen hören.
1) Plin. H. N. XXXIII, 16. 2) Das. XXXVI, 15. - 3) Das.
XXIV, 8.
310 Das römische Drama.
Vorläufig führen wir Horazens darauf bezügliche sarkastische Glos-
sen') an:
„Selbst kühn wagende Dichter verscheucht und schreckt es zurück oft,
Dass die Geringern an Werth und Verdienst, vorwiegend der Zahl nach,
Ohne Geschmack und Sinn, und immer bereit mit den Fäusten,
Zeiget der Eitter sich anders gesinnt, oft mitten im Stücke
Bären verlangen und Kämpfer, die freudig begrüsset der Pöbel."
Si discordet eques, media inter carmina poscunt
Aut ursum aut pugiles: bis nam plebecula gaudet . . .
G. Regel -) steift sich auf diesen bessern Geschmack der Eitter,
und Avill darin einen Beleg zu Gunsten der in Rom unter den
gebildeten Ständen herrschenden Vorliebe für das Drama finden.
Der hinkende Bote folgt aber gleich hinterher:
,,Doch von dem Ohre des Ritters sogar wegzog der Genuss
sich
Hin zu dem unstät schweifenden Blick und zu eiteler Schau-
lust.
Oft vier Stunden, und länger sogar bleibt unten der Vorhang,
Während vorbeifliehn Reitergeschwader und Schaaren des Fussvolks ;
Fesselbeladene Könige dann schleppt hin der Triumphzug,
Kutschen, Karossen in raschem Gedräng, Streitwagen und Schiffe ;
Elfenbein glänzt herrlich im Zuge, ein ganzes Corinthus.
Wäre Democritus noch auf Erden, so würde er lachen,
Wenn dort Pantherkameel, Elephanten von glänzender Weisse
Zögen den staunenden Blick auf sich der versammelten Menge;
Mehr noch würd' er betrachten das Volk, als Mimen und Spiele,
Weil es ihm reicheren Stoff daj-böte zum Lachen und Denken,
Aber der Dichter erzählt, so müsste er denken, dem tauben
Esel ein Mährlein vor. Denn welche gewaltige Stimme
Kann das Geräusch durchdringen, das schallet in unsern Theatern?
Wie, wenn tuskische Meerfluth brüllt und der rauhe Garganus,
Schauet mit tobendem Lärm man dort Kunstwerke und Pomp an
Sammt ausländischem Prunk, und sobald sich, in diesen gekleidet,
Glanzvoll zeiget der Spieler, so klatschet die Recht' in die Linke.
Sagte er schon etwas? Nein, nichts! Was finden sie schön denn?
Wolle, die Purpurfarbe erhielt durch Beizen Tarentums . . .
Endlicli führte Pompejus M. sein grosses bleibendes Theater
in Stein auf (697 d. St.), nach dem Vorbilde des Theaters zu
Mitylene, das er im ]\Iithridatischen Kriege hatte kennen lernen, ^j
1) Ep. II, 1. V. 185 ff. — 2) a. a. 0. 56 ff. Lange, Vind. 3ü. — 3) Ta-
cit, Ann. XIV, 2().
Erstes stehendes Theater in Rom. Bedecktes Theater. 311
Von den pomphaften »Spieleu, womit es eingerichtet wm'de, be-
richtet Cicero, i) Es fasste 40,000. Zuschauer. Um einem Senats-
befelil zur Niederreissung des Theaters vorzubeugen, liess Pom-
pejus darin einen Tempel der Venus victrix errichten. Dem
Tertullian zu folge 2), hätte Pompejus den Tempel in sein Theater
hineinbauen lassen, aus Scheu vor dem Vorwmf der Nachwelt,
dass er diese feste Burg aller Schändlichkeiten aufgeführt cum
illam arcem omnimn turpitudinum exstruxisset). Der Tempel sollte
das rachlose Bauwerk beschönigen, meint der Kirchenvater, der
im Uebrigen der Grösse des Erbauers die Ehre giebt: „Pompejus
^er Grosse, der nur kleiner als sein Theater war" (Pompejus Magnus
solo theatro suo minor).
Catulus war der Erste, welcher die Bedeckung des Thea-
ters gegen die Witterung einführte (velorum obductiones) 3) und
purpurne Decken dazu verwandte.^) Nero liess sich einen solchen
Teppich mit Gold schmücken und in der Mitte in gestickter Ar-
beit sem Bild anbringen, s) Diese Theaterdecke war über die
ganze Cavea und Orchestra hingespannt, so dass der Zuschauer-
raum überschattet blieb. '^) Gegen die Sonnenhitze braclite Len-
tulus Spinther leinene (aus feinem spanischen Flachs gewebte)
Segeldecken an, corbasina vela, die Lucretius beschreibt.'') Mit
phönicischem Purjrar schmückte zuerst Scaurus die Bühne aus.**)
Derselbe führte auch goldgeschmückte Kleider ein,vestesAttalicae.^)
In der Kljiiämnestra erschienen 600 Maulesel : das stärkste Thea-
terpersouRl seit Menschengedenken. Im Equus Troj. sah Cicero
3000 Humpen auf der Scene prangen, 'ö) Die Blumenverschwen-
dung im Theater überstieg alles Maass. AUe Plätze wurden mit
Blumen bestreut. Besonders der Crocus wurde hiezu beliebt, ^i)
Pompejus Magnus liess zuerst die Wege und Treppen mit Wasser
befeuchten. ^'^) Bald trat an Stelle des Wassers eine Mischung
von Wein und Wasser, worin man Crocus auflöste. Diesen Cro-
1) ad Faniü. VII, 1. — 2) de Spectac. p. 28. — 3) Vitr. X. praef. -
4) Plüi. H. N. XIX, 16. — b) D. Cass. LXIII, 6. — 6) Lucret. IV. v.
73 ff. Liv. XXXIX, 7. - 7) a. a. 0. PUn. XIX, 6. Valer. M. II, 6. — 8)
V. Max. das. — 9) PUn. H. N. XXXVI, 24, 7. — 10) ad div. VH, 1. —
11) Hör. Ep. II, 1, V. .19. Ovid. Anior. I, 104. Plin. XXI, 17. — 12) V.
Max. II, 4, 6.
312 Däs römische Drama.
cuswein leitete man in Eöhren, die in den Mauern versteckt lagen,
und brachte ihn von da durch ein Druckwerk bis zu den obersten
Sitzen des Theaters. ') Dort hatten die Röhren ganz kleine OefiF-
nungen, durch welche der Wein wie ein feiner Eegen herab sprühte. -j
Hadrian Hess alle Stufen mit Balsamwein befeuchten, als er zu
Ehren des Trajan Schauspiele gab.'^)
Die Länge der Bühne betrug nach Vitmv'') zwei Durchmes-
ser der Orchestra. Die beiden Seitenthüren im Hintergrunde stell-
ten Fremdeuwohnungen vor (Hospitalia). Hinter der Scene befand
sich ein bedeckter Säulengang fPoiiicus;, der dem Publicum Zu-
flucht gegen den Regen bot. Hinter der letzten Sitzreihe wa»
ebenfalls ein solcher Porticus angelegt, dessen Dach die Höhe der
Scene hatte.
Der Bühneuvorhang (aulaeum), ein über die ganze Bühnen-
länge sich hinziehender Teppich mit eingewebten, gefangene Völker
vorstellenden Figuren, wurde, wie im griechischen Theater, beim
Beginn des Stückes niedergelassen 'mittere aulaeumj und am
Schluss emporgezogen (tollere aulaeum). '") Ein kleiner auf der
Bühne angebrachter Teppichvorhang, dem Mimus und der Komö-
die eigenthümlich, hiess Siparium, velum mimicum.'^) Dabei be-
merkt der Schol. des Juv. : „Velum sub quo latent paradoxi'' : Ein
Vorhang, hinter welchem sich die unerwartet Auftretenden aufhalten.
Die Theaterpolizei wurde von besonderem Beamten- und
Dienstpersonal versehen. Die Designatores wiesen den eintre-
tenden Zuschauern die Plätze an, nach der auf dem Theaterbillet
'(tessera) bezeichneten Sitznummer.'') Ulpiau vergleicht sie ^) mit
den griechischen ßQaßsvzai (Stabträger). Sie hatten das Recht,
nöthigenfalls den Beistand der Lictoren in Anspruch zu nehmen.
Sie vertheilten die Preise an die Schauspieler, und hatten auch
das Recht, die Züchtigung an denselben zu vollstrecken. Die
Conquisitores gingen durch die Sitzreihen, suchten das Paiiei-
bilden der Zuschauer zu hintertreiben und zugleich diejenigen
aufzufinden, die zum Beifallklatschen von den Schauspielern be-
]) Lucret. II, 416. Senec. Ep. 9. PUn. XXI, 6. — 2) Mart. Epigr. V,
39, 5. — 3) Spart. Ha.lr. 18. — 4) V, 7. — 5) Phaedr. V, 7, 23. — 6)
Senec. de Tranqu. 11. Juv. YIU, 185. - 7) Plaut, Poen. prol. 33. — 8)
Digest, m, tit. 2.
Theater-Polizei. Sitzmarke. Zweites stehendes Theater. 313
stellt worden. Sie waren die Beaufsichtiger der römischen Cla-
que.^) Der Praeco hatte, beim Niedergehen des Auläums und
Auftreten des Prologs, von der Bühne herab, Stille und Aufmerk-
samkeit zu gebieten: Exsurge, Praeco, fac populo audientiam. 2)
Mit dem Titel der Stücke wm'de das Publicum ebenfalls von der
Bühne herab bekannt gemacht (pronuntiare titulum fabiüae). Ver-
fasser, Hauptspieler und Compouist der Melodien wm-den zu die-
sem Titel mitgenannt. •^) Theater- oder Anschlagezettel,
dergleichen es für Fechterspiele gab*), verrauthet Grysar auch
für dramatische Spiele.
Eintritt in's Theater hatten alle von bürgerlichem Stande,
auch Frauen und Kinder.^) Eintrittsgeld wurde nicht entrichtet,
da das Schauspiel Geschenk des Gebers war (munusj. Die Tes-
sera, Sitzmarke, musste aber jeder mitbringen und dem Platz-
anweiser (designator) vorzeigen.^) Diese Marken wurden wahr-
scheinlich unter die Bürger, vor den Spielen, in den verschiede-
nen Stadtvierteln von den Designatores ausgetheilt. Nur die
Sklaven mussten bei ihrem Eintritt ein Stück Geld bezalilen.')
Tessera. Beistehende Abbildung ist die einer in Pompeji
( ~^ ~^ ^ gefundenen Tessera, worauf die Sitzreihe (Cavea
im engern Sinn), der Cuneus (der keilförmige Raum
in dieser Cavea), der Gradus (Sitzplatz), der Titel
des Lustspiels Casina von Plautus und der Name
des Dichters sich befinden. Das Lustspiel wurde
also noch kurz vor Pompeji's Zerstörung (63 nach
Chr. und 24ß .Jahre nach Plautus' Tod aufgeführt.
Das zweite stehende Theater in Rom erbaute Augustus,
zu Ehren seines Neffen, des jungen Marcellus. Baibus baute ein
drittes, zu Ehren des Augustus. Dies waren die drei berühm-
tea Schauspielhäuser, die terna theatra.'') Vollständigerhalten
ist das römische Theater zu Falleroni (Falaria in Picenum) ; selbst
von den Periakten ist noch die Unterlage vorhanden. 9)
1) Plaut. Amph. prol. 64. Vgl. Grysar: Ueb. den Zustand der Rom.
Bühne im Zeitalt. d. Cicero. AUgem. Schulz. 1832. S. 340 ff. — 2) Plaut.
Poen. prol. 7. — 3) Don. d. Com. — 4) Treb. PoU. Claud. 5. — 5) Ter.
Hec. prol. II. v. 27. Plaut. Poen. prol. v. 31. — 6) Cic. Attic. IV, 3. —
7) Plaut. Poen. prol. 2.5. - 8) Suet. Octav. 45. — 9) 0. MüUer, Archaool. d.
Kunst. 3. Ausg. S. 3!)2.
Cav. n.
Cun. m.
Grad. VHI.
Casina.
Plaut.
3 1 4 Das römische Drama.
Näheres über die äussere Geschichte und Form des römischen
Theaters findet mau bei Hirt^), Genelli^); kürzer zusammenge-
fasst in Stieglitz: Archäol. Unterhaltungen 3), Ferraro ^) u. a. Wir
lassen es bei diesen Andeutungen bewenden und kehren zu den
geschichtlichen Anfängen und üeberbleibseln des römischen Dra-
ma's zm-ück.
Diese Anfänge knüpfen sich nicht, wie bei den Hellenen, an
den Gott der Naturfreude und Naturtrauer; nicht an den Gott
des ewigen Blüheus und Verblühens, der ewig aus ihrem Hin-
sterben sich verjüngenden Natur: nicht an Gott Dionysos, den
Gott-Jüngling, das holde Vergötterungs-Symbol eines naturseligen,
aus der wehmuthsvollen Trauer ob der Vergänglichkeit des Ein-
zellebens um so herrlicher und gottfi'eudiger immer -wieder erwa-
chenden Gefühls der Unvergänglichkeit des Alls, eines ewigen
Naturlebens. Nicht an eine solche gottmenschliche Zwiegestalt,
das verköii)erte Mischgefühl von Lust und Wehmuth, von trauer-
samer Wonne und wonneseliger Betrübniss, mit einem Worte,
nicht an den Gott solcher Gemüths-Trunkenheit und Stimmung,
nicht au den Gott des poetischen Lust- und Schmerz eus-ßausches,
des Humors, knüpfen sich die Anfänge des römischen Schau-
spiels. Der Ursprung des römischen Drama's wm'zelt in dem
Grausen des Todes, des Todes in seiner scheusslichsten Gestalt.
Es entstieg jenen düstern, alles Leben hinrafteuden Dünsten gleich-
sam, die aus der finstern Höhle des Avernus dampfen. Der Pest
entstiegen die Anfänge der dramatischen Spiele in Korn. Die
historische Hauptquelle , ja die einzige für den ersten Anlass zu
römischen Bühnenspielen ist der Geschichtschreiber T. Livius,
dem Val. Maxim. ■>) nm- nachgeschrieben. Wh* setzen den Bericht
des Livius vollständig her. Im siebenten Buch C. 2 meldet er,
was folgt:
„In diesem und im nachfolgenden Jahre unter dem Consule
Cajus Sulpicius Peticus und Cajus Licinius Stolo dauerte die Pest.
Darum wurde nichts Denkwürdiofes unternommen, ausser dass
l) Gesch. d. Bauk. Berl. 1822. 11. S. 222 ff. - 2) Theat. zu Athen
1818. S. 47 ff. — 3) I. S. 76 ff. — 4) Stör, e descr. de' priiicip. Teatr.
antich. e moderni. Mü. 1831. Vgl. Pauly R. Encykl. Bd. VI, 2. S. 1772 ff.
5) II, 4, 4.
Anfänge des römischen Schauspiels. Livius Andronicus. 315
man, um die Gnade der Götter zu erflehen, jetzt zum drittenmale
naeh Eoms Erbauung ein Lectisternium (Sühn - Göttermahl; an-
stellte. Und da die Gewalt der Krankheit weder durch mensch-
liche Mittel, noch göttliche Hülfe gehoben wurde, so sollen bei
der abergläubischen Stimmung der Leute, unter andern Sühnmit-
teln des göttlichen Zorns, auch die Bühnenspiele — für ein krie-
gerisches Volk, welches bisher nur das Schauspiel der Rennbahn
gehabt hatte 3), etwas ganz Neues — aufgekommen seyn. üebrigens
war die Sache, wie insgemein alle Anfänge, unbedeutend und
noch dazu ausländisch. Ohne allen Gesang, ohne Darstellung
des Gesimgenen durch Geberdenspiel, wussten die aus Hetru-
rien geholten Spieler nach den Tönen einer Flöte zu tanzen, und
nach tuskischer Art nicht ganz ungescliickte Bewegungen zu ma-
chen. Es ahmten ihnen von nun an die jungen Leute nach, und
Hessen sich zugleich unter einander in scherzhaften freigearbeite-
ten Versen hören, und die Bewegungen waren dem Vortrage nicht
unangemessen. Die Sache fand Beifall, und wurde durch öftere
Uebung von einheimischen Künstlern ausgebildet. Weil Hister
auf Tuskisch ein Spieler hiess, so gab man ihnen den Namen
Histrionen, welche nun nicht mehr, wie sonst, ungefeilte und
holperichte Verse, den Fescenninen ähnlich, als Wechselgespräch
binwarfen, sondern ein im Silbemnasse vollendetes Allerlei (Satu-
ras), als ein von der Flöte geleitetes Singstück, mit angemesse-
ner Geberdung aufführten. Mehrere Jahre nachher soll Livius
Andronicus, der es zuerst wagte, statt des Allerlei, ein Schau-
spiel mit einer Haupthandlung anzulegen Targmuento fabulas se-
rens), als er, immer wieder aufgefordert, sich heiser gesungen
hatte — er war natürlicli, was damals Alle waren, zugleich Ver-
fasser und Aulführer seiner Stücke — nach erbetener Erlaubniss,
einen Knahen zum Singen vor den Flötenspieler gestellt und den
Gesang der einen Person mit so viel lebhafterer Bewegung be-
gleitet haben, weil ihm nun der Gebrauch seiner Stimme nicht
mehr hinderlich war (canticum egisse aliquanto magis vigente
motu;. Seitdem liess man zu dem Geberdenspiele der Histrionen
1) Dieses Schauspiel hatte das Volk dem Tarquinius Priscus zai dan-
ken, der (138 d. St.) Rennpferde und Faustkämpfer aus Etrurien hatte
kommen lassen. (Liv. I. c. 3.5.)
316 ^^^ römische Drama.
einen andern singen und nm* die Wechselreden blieben ihrer eig-
nen Stimme vorbehalten (diverbiaque tantum ipsorum voci re-
licta). Als sich durch diese Einrichtung der Bühnenstücke die
Sache immer mehr vom blossen Lachen und ausgelassenen Scherz
entfernte, und das Spiel allmälüich zu einer Kunst gediehen war;
so überliesseu die jungen Römer die Aufführung der Bühnenstücke
den Histrionen und begannen unter sich, nach alter Sitte, Lächer-
liches in Versen vorzutragen (more antiquo ridicula intexta ver-
sibus jactitare coepit), was man dann in der Folge Nachspiele
nannte, und hauptsächlich mit den Atellanischen Stücken
zusammenreihte (inde exodia postea appellata consertaque po-
tissimum Atellanis sunt). An diese den Oskern abgelernte
Ai-t Spiele hielt sich die Jugend und liess sie nicht von den Hi-
strionen entweihen. Darum bleibt die Einrichtung, dass die Auf-
führer Atellanischer Stücke nicht aus ihrem Bezirke rtribus) ge-
stossen werden und, als wären sie mit der Schauspielkunst ausser
aller Verbindung, Kriegsdienste thun dürfen. Unter die kleinen
Anfänge so mancher anderen Einrichtung glaubte ich auch den
ersten Ursprung der Schauspiele setzen zu müssen, um es bemerk-
lich zu machen, von Avelch' sinnigem Anfange die Sache zum
gegenwärtigen, kaum mächtigen Staaten erträglichen Unsinn ge-
diehen ist."
In diesem merkwürdigen Berichte, welcher die ganze Erst-
lingsgeschichte des römischen Drama's enthält, müssen wir nun
die Hauptstellen, der Entwickelungsfolge gemäss, in's Auge fas-
sen. Diese Hauptpunkte ordnen sich der Eeihe nach, wie folgt:
1) Das Schauspiel, das die aus Hetrurien geholten Spieler vor
den Römern aufführten, war nichts, als ein zur Flöte ausgeführ-
ter Tanz mit „nicht ganz ungeschickten Bewegungen nach tus-
kischer Art." Ohne allen Gesang, folglich ein stummer Tanz,
ohne Darstellung durch Geberdenspiel; mithin kein mi-
mischer Tanz, also nicht dramatisch. Aber auch nicht hypor-
chematisch, in Weise jener uralten, durch Tanzbewegung
nachahmenden, das Dramatische vorbildenden, aus Kreta nach
Griechenland verpflanzten m i m i s c h e n G e s a n g s t ä n z e der Ku-
reten, die uns schon bekannt.
% Dieses mimische Moment kam erst zu der tuskischen
Tanzweise durch die jungen römischen Patricier hinzu, welche die
Entwickelungsfolge in der Urspruugsgeschichte des römischen Theaters. 317
hetrurischeu Tänzer nachahmten fhonim saltationem juvenes imi-
tatos). Sie trugen scherzhafte, kunstlose ^iucondita) , den fescen-
nischen oder saturnischen ähnliche Verse in Wechselspottreden
zum Tanze vor, und zwar mit Bewegungen, welche „dem Vor-
trage nicht unangemessen waren" fmotibus haud absonis a voce) :
also in einer der hyporchematischen Darstellung sich nähernden
Weise. Annähernd, sagen wir, weil das andere Kennzeichen hyp-
orchematischer Ausführung dem Gesangstanze der jungen Rö-
mer noch zu fehlen scheint: der getrennte Vortrag nämlich
von Tanz und Gesang; derart getrennt, dass der Tänzer, wie in
dem kretischen Hyporchem ein Theil des Chors, in seinen Bewe-
gungen blos den Sinn des Gesungenen mimisch ausdrückt, wäh-
rend der Sänger ausschliesslich den Gesangsvortrag hält ohne
Gesangsbewegung: Non solum choras tripudians cantabat Carmen,
sed aliaequaedam personae (die aber unseres Erachtens zum
Chor gehörten; a choro decantata saltatioue mimica et
scenica quodammodo imitabantur {bycioQxovvTo).'^) Bei
Livius wenigstens ist, in Bezug auf das gesungene Tanzspiel der
jungen Eömer, von einer solchen getrennten Ausführung nicht
die Rede.
3) Dieser mimische Tanzgesang fand Beifall, und wm'de nun
von heimischen, von römischen Schauspielern (vernaculi artili-
ces; ausgebildet. Die Vervollkommnung bestand darin, dass, statt
der ungefeilten, holperichten Verse, „den Fescenninen ähnlich,"
ein dm-ch Sylbenmaass und Tonweisen kunstgerechteres Allerlei
(impletas modis Saturas) unter Flötenbegleitung mit angemes-
sener Geberdung ausgeführt wurde: Ein possenhaftes Quodlibet,
das, aller Wahrscheinlichkeit nach, groteske Scenen aus dem Land-
und Bauernleben darstellte, in bunter Mischung, ohne Zusammen-
hang (ut farciminis quoddam genus mixtum variumque mores
agricolamm vitamque vulgarem imitans, admixtis jocis etc.).-)
Diese heimischen Schauspieler erhielten den tuskischen Namen
ihres Berufes: Histriones, lateinisch ludioiies. Es waren Saturen-
Spieler von Handwerk, Darsteller von zusammenhangslosen, in ge-
feilterem Versmaass zur Flöte ausgeführten Tanz- und Gesangs-
1) ßoeckh. d. metr. l'ind. 111, Kl p. 270. — 2) Casaub. d. Satyric.
graecor. poet. et Romanor. Sat. p. 250.
318 Das römische Drama.
Grotesken, zu welchen sich der rohe fescenninische Tanzgesang
der jungen Patricier ei^veitert und kunstgemässer geregelt hatte.
4) Jetzt erst, das heisst, 120 Jahre nach dem Auftreten je-
ner, aus Anlass der Pest, verschriebenen hetrurischen Tänzer, er-
folgt eine bemerkenswerthe Umwand elung der Histrionen- Spiele
durch Livius Andronicus, einen Grossgriechen aus der spar-
tanischen Pflauzstadt Tarentum (Tagag), der Heimath, wie wir
wissen, der italiotischen Komödie, namentlich der Ehintonischen
Hilarotragödie. Nach Einnahme der Stadt Tareut durch die Rö-
mer (482 d. St.) wurde L. Andronicus als Kriegsgefangener nach
Rom gebracht. Wir kommen auf ihn zurück und knüpfen hier
nm* an seinen Namen die vom röm. Geschichtschreiber hervorge-
hobene Thatsache, dass Liv. Andronicus der Erste war, der, statt
des „Allerlei," den Römern ein Schauspiel mit einer Haupthand-
lung, mit einer Fabel, vorführte; der Erste folglich, der den Rö-
mern ein wirkliches Drama vorspielte. Heiserkeit soll ihn
zu einer Neuerung im Vortrage des Tanzgesanges veranlasst ha-
ben. Die angebliche Neuerung führt im Grunde nur den Tanz-
gesang des Andronicus auf den ursprünglichen Charakter des Hyp-
orchems zurück, den ihm der Tarentische Schauspieler dadurch
wiedergab, dass er Gesang und Tanz trennte, indem Androni-
cus, den von einem Andern ausgeführten Gesang mit seinem
Tanze begleitend, den Sinn des Gesungenen durch Tanzbewegun-
gen und Geberdenspiel ausdrückte. Das Nähere kommt noch zur
Sprache; vorläufig haben wir nur die von unserer Quelle angege-
bene Momentenfolge in der Entstehungsgeschichte der römischen
Bühnenspiele bis zu Ende zu begleiten. Als ein solches hinzu-
tretendes Moment ergiebt sich:
5) Die Fixirung des Nothbehelfs zur stehenden Vortragsform.
Von nun ab Hess mau stets zu dem Geberdenspiele der Histrionen
einen Andern singen.') Die Theilung von Gesang und Tanz, die
Andronicus wohl selbst als kunstbedingi erkannt haben mochte,
wurde zur Regel. Das Fabeldi'ama des Tarentiners Liv. Andro-
nicus gliedert sich sonach in drei verschiedene, neben einander
wirkende Vortragsweisen: den Gesang zum Flötenspiel (Can-
ticumj; den ihn ausdrückenden Geberdentanz (Saltatio) und
1) Vgl. Herrn, de (Jantico p. 12. Wolff, de Cantic. p. 22.
Satura. 319
den recitativisch gesprochenen Vortrag der dramatischen Fa-
bel (diverbium) , das eigentliche Stück. Die nähere Erörterang
dieser drei Grandelemente uns vorbehaltend, bemerken wir noch,
dass Liv. Androniciis in seinem selbstständigen, den Sinn des Can-
ticmn darstellenden stummen Geberdentanz, unseres Erachtens,
die Grundlinien zu der spätem Pantomime gezogen zu haben
scheint, die schliesslich die ganze dramatische Kunst der Römer
aufsaugte.
Was ist denn nun aber aus jenem Quodlibetsspiele, dem bun-
ten „Allerlei,'' aus der Satura geworden, zu welcher heimische
Histriouen, vor Andronicus, den rohen, fescenninischen Gesangs-
tanz der römischen Jünglinge ausgebildet hatten? Auch darüber
giebt der Geschichtschreiber Livius Auskunft. Die Satura, nach-
dem sie über ein Jahrhundert unverändert, fortschrittslos und
stereotyp von römischen Histriouen oder Schauspielern von Hand-
werk (Ludiones) gepflegt worden, sah sich allmählich durch An-
dronicus' Fabeldrama verdrängt. Ein Fabelspiel aber, das sich
„immer mehr vom blossen Lachen und ausgelassenen Scherz"
entfernte; das sich nach und nach „zu einer Kunst" ausbildete,
ein solches Kunstspiel war den jungen römischen Edelleuten nicht
zu Sinne, denen von ihren Urvätern her die rohe Kriegsbauernna-
tur und der Geschmack an entsprechenden Belustigungen im
Blute lag. Eine ernste Kunst, die sich mit dem „Schweren und
Guten" beschäftigt, lag ausserhalb ihrem Verständniss und Beha-
gen. Sie verlangten „von sceuischen Spielen eben nur blosses
Lachen und ausgelassenen Scherz." In der rohen Posse fühlten
sie sich heimisch. Der gTobe groteske Spass entsprach ihrer bäue-
risch-satyrhaften Anlage und war ihr eigentliches Element. Li
der Schmähverspottung und in der Bauernzotte erkannten sie ihr
Adelsvorrecht. „So überliessen die jungen Römer die Aufführung
der Bühnenstücke den Histriouen, den Schauspielern von Hand-
werk, und begannen unter sich nach alter Sitte Läclierliches in
Versen vorzutragen." Die alte Sitte aber mit Haut und Haaren
wieder herzustellen , das war schon zu jener Zeit verlorene Lie-
besmüh. Mit fescenninischen holperichten Schmähversen allein
ging es auch nicht mehr. Schon durch die geregelte Satura der
Histrionen ward jenes alterthümliche Bauerntanzs]nel verjährt.
Der Reiz einer dramatischen Fabel hatte, Dank dem Tarontini-
320 ^ä,s römische Drama.
sehen Kriegssldaven und Schauspieler Liv. Andronicus , den Ge-
schmack für ein zusammenhängendes, sinngerechtes Schauspiel
einmal geweckt ; ja das Bedüifniss nach einem solchen hatte selbst
in den römischen Edeljünglingeu sich zu regen begonnen. Allein
Sinn und Zusammeuliang bricht sich nicht vom Zaun. Erfindung,
Fabelerfindung zumal wächst nicht auf jedem lü'autjunkeracker.
Dem Römer fehlte es zur einfachsten Fabelposse an ursprüngli-
chem Talent. Da musste denn abermals das Aneignungsvermö-
gen aushelfen. Die Fabel zur Posse wurde, zugleich mit die-
ser, aus Campauien von den schon 412 d. St. unterworfeneu Os-
kern entlehnt und nach Rom verpflanzt. Die oskische Farce,
in der oskischen Hauptstadt Atella (jetzt St. Arpino, zwei Mei-
len von A versa bei Neapel) heimisch, und daher Atella na ge-
nannt i), bildet in dem Entwickelungsgange , den das römische
Bülinenspiel, nach unserer Quelle, nahm, die abschliessende Stufe.
Hiernach ist denn der aus Tarent in Grossgriechenland nach Eom
versetzte Kriegssklave L. Andron. als der Gründer der griecbisch-
römischeu Tragödie zu betrachten; wie ein halbes Jahrhun-
dert nach ihm der ÄlüUerknecht Plautus aus Umbrien für den
Schöpfer der griechisch-römischen Komödie zu gelten hat.
Zwischen beiden, von einem giiechischen Sklaven und einem um-
brischen Handmüller, dann Histrio, den Römern geschenkten
Schauspielfoi-men des Kunstdrama's steht die oskische Posse, das
begünstigte Lieblingsspiel der römischen vornehmen Jugend, des-
sen Darstellung sie als ihr AdelsvoiTecht, ihre noble Passion, sich
vorbehielten, die sie von den Histrionen, den ausscliliesslichen
Schauspielern der missachteten, für des Berufes freier Bürger un-
würdig gehaltenen Tragödie und Komödie, nicht wollten entwei-
hen, d. h. nicht spielen lassen. Die Tragödien- und Komödien-
spieler galten als Ausgestossene. Sie waren der Bürgerrechte
beraubt und vom Kriegsdienste ausgeschlossen. Dagegen blieben
die Spieler der oskischen Possen, der Atellanen, im Vollbesitze
aller Bürgerrechte und Ehren. Ausserdem hielt aber die rö-
mische Jugend doch auch an ihren alten fescenninischen Gesangs-
tänzen, au den opprobria rustica fest, welche in der Folge als
1) Val. Max. II. 4. Diom. UI. p. 487. Putsch
Atellane. 321
Nachspiele fexodia) meist iu Verbindung mit Atellauen aufge-
führt wurden, jedoch allem Anscheine nach in der veredelten
Form, die den fescenninischen Wechselspottreden die Histrionen
von Fach gegeben hatten, in Form der Satura. Irrthümlich hat
A. W. Schlegel!) (jjg Saturen, das einzige, wenn man will, hei-
mische Product unter den römischen Schauspielen, für identisch
mit den Atellaneu gehalten. Aber auch Ed. Munck, der Ver-
fasser einer gTündlichen und geschätzten Abhandlung über die
Atellanen-), hat, scheint uns, keine richtige Erklärung von der
Satura gegeben, wenn er den Namen davon ableitet, dass die Sa-
tura aus einem Gemische von Reden, Gesang und Tanz besteht.
Mit Recht wendet Corssen ein: diese Bestandtheile hätte die Sa-
tura mit andern römischen Volksgesängen gemein gehabt, sie
konnten daher kein besonderes Merkmal für die Satura abgeben.
Die richtigste oben bereits mitgetheilte Erklärung ist die von
Casaubonus.
Obgleich die Einführung der Atellanen in Rom, den An-
deutungen des Livius gemäss, nach dem Auftreten des Andro-
nicus zu setzen; wollen wir doch das Wenige, was uns davon
bekannt ist, gleich hier erledigen. In der schon bezeichneten
Stelle sagt der Grammatiker Diomedes-*): die Atellane sey dem
Satyrdrama der Griechen ähnlich. Die angebliche Aehnlichkeit
beschränkt sich auf den einzigen Umstand, dass späterhin die
Atellane als Nachspiel auf die Tragödie, zur Erheiterung der
Zuschauer, folgte. ^j Wie sich anfangs die Satura der Atellane
als Exodium anschloss: so wurde die Atellane bald das Exodium
der Tragödie, um späterhin ihrerseits vom Minms verdrängt zu
werden, welcher in der Folge als Zwischenact oder Ausgangsspiel
(Exodimri; beliebt ward ^j: ,.Ich komme nun," heisst es in der
angezogenen Briefstelle, „zu deinen Scherzen, da du, dem Oeno-
maus des Accius gemäss, nicht wie es ehemals der Fall war
die Atellane, sondern, wie es jetzt geschieht, den Mimus
eingeführt hast" (non ut olim solebat Atellanain, sed ut nunc
fit, mimum introduxisti). Von dem Atellanischen Nachspieler
1) Vorles. II. S. 6. — 2) De labulis Atellaiiis. Lips. 1840. p. 15.
3) ni; p. 487. — 4) Cic. ad Fam. IX, 16. Plut. Pelop. c. 34. Grass.
33. — 5) Cic. ad Div. IX, 16.
n. 21
322 Das römische Drama.
(Exodiarius) bemerkt ein alter Scboliast des Juvenal ') , derselbe
sey am Scblusse aufgetreten, um den Zuschauern mit Lachen die
Thräneu zu trocknen, die ihnen das voraufgegangene Trauerspiel
ausgepresst (ut quidquid lacrymarum atque tristitiae coegissent
ex tragicis affectibus, hujus spectaculi risus abstergeret). Schon
daraus erhellt, wie wenig die Atellane als Exodium mit dem gn"e-
chischen Sat}Tspiel gemein hatte, welches ein kunstgebotenes
üebergangsglied von der tragisch -heroischen Stimmung zu der
Komödie bildete ; keinesweges aber, wie das römische auf eitel
Spass abzweckende Exodium, als blosse Kurzweil zm- Aufheite-
rung der Zuschauer und Verwischung des tragischen Eindrucks
dienen sollte. Die Atellane hatte wohl auch nächst dem klein-
städtischen, das Landleben, aber das mrkliche rohbäuerliche, zum
Gegenstand, wälu-end das Satyrdrama die ländliche Natur symbo-
lisirte, die Menschenwelt zur Natur in eine mythologisch-heroische
Beziehung brachte und den Sinn der Tragödie der Volksan-
schauung gleichsam in's Ländlich-Mythische umdeutete und über-
trug. Von dem Allen weiss die oskische Zwischenspiel- oder
Ausgangsposse nichts, deren Natur und Wesen solchem Kunst-
zwecke schnurstracks zuwiderläuft. In der Atellane sind oskische
Bauern und Localfiguren die handelnden Personen. Im Satyi'spiel
bildet die Personification des Baiiernwesens, der ländlichen Gro-
teslniatur, die als Faune, Satyi'n, Silene und Pane eben vergöttert
worden, der Satyrchor, das Mittelglied zwischen dem mj-thi-
schen Helden und irgend einem phantastisch grotesken Naturun-
hold. Weiset doch auch Horaz-) dem SatjTspiel, was Styl und
Haltung betriflt, einen hohem Kaug an, als selbst der Terentia-
nischen Komödie:
Wer um di.'ii niedrigen Bock wettkämpft' im tragischen Spiele,
Zeigete bald vom Lande die Satyrn nackend, imd beissend
Uebt er, dem vorigen Ernste zum Holin nicht, Scherze, dieweil er
Musste mit lockendem Eeiz und lieblichem Wechsel verweilen,
Ihn, der kam vom Opfer, zu schau'u voll Trunks und gesetzlos.
Aber so Lachen als Spott von den Satyrn so zu empfehlen
Wird sich geziemen, den Scherz mit dem Ernstlichen so zu verbinden,
Dass nicht, welcher als Gott auftrat auf der Bühn' und als Halbgott,
1) Sat. III. v. IT.J. 2) A. P. V. 220 fr.
Atellane und Satyrspiel. 323
Jüngst im Prachtanzuge von Gold und köstlichem Purpur,
Wand're mit Schmutzausdrücken hinab zum niedrigen Ki-ämer;
Noch auch, hebt er^sich auf, er nur Dunst aufhaschet und Wolken.
Voll Unwillen verschmähen Tragödien Verse des Leichtsinns,
Und gleich Frau'n zum Tanz an des Festtags Feier genöthigt,
Scheinen sie etwas verschämt im Chore der scherzenden Satyrn.
Weder so ganz schmucklos und gewöhnliche Wort' und Benennung
Werden gewählt, Pisoneu. von mir als Dichter der Satyrn,
Noch so sehr abhalf ich mich ganz von dem tragischen Tone,
Dass im Wortausdruck gleich Davus sich zeig' und die freche
Pythias, reich nunmehr durch Trug vom Talente des Simon,
Und Aufseher und Diener des Pfleglings-Gottes, Silenus.
Selbst der Grammatiker Diomedes erkennt die Verschiedenheit
der Atellane vom Satyrdrama an.') Atellana a graeca Sat3rrica
differt, quod in Satyrica fere Sat}a-orum personae inducuntur, in
Atellana Oscae personae. Und zwar die letztern, „die oskischen
Personen," als bestimmte stehende Charaktermasken des oskischen
Landvolks: ut Maccus, „wie der Maccus," setzt Diomedes hinzu.
Den Vergleich der Atellane mit dem griechischen Satyi'drama
nennt Munck -) mit vollem Eechte eine inepta comparatio ; und
Stieve^) einen ganz äusserlichen (ad externam potius conditionem
pertinensj. Die Vergleiclmng kann sich aber selbst auf keine
äussere Aehnlichkeit stützen. Neukirch beruft sich^) zu Gun-
sten seiner Annahme eines römischen Satyrdrama auf Athenäos,
welcher von Sulla berichtet^), er habe oaivoLAag. y^co/LKiiötag ge-
schrieben. Sulla's „satyrische Komödien" werden wohl nur sa-
turische gewesen seyn, Saturae nämlich.")
Den vom alten Grammatiker hervorgehobenen Unterschied
zwischen Atellane und Satyrspiel verwandelt auchL. F. Schober^)
in eine Aehnlichkeit beider: „Die Atellane hat noch die Anwen-
dung bestimmter Cliaraktermasken mit dem Satyr-Drama ge-
mein." Einmal kann von stehenden Localmasken beim griechi-
schen Sat}Tdrama gar keine Kode seyn. Und hätte es solche ge-
habt, so würde daraus die Aelinlichkeit des Satyrdrama's mit der
Atellane so wenig folgen, wie dessen Aehnlichkeit mit der italie-
1) in, :}29. — 2) a. a. 0. p. 78. — 3) de Orig. re. scen. Rom. p.63.
4) de fabula togat. p. 18 ff. — 5) VI, 261 C. — 6) Vgl. Munck p. 80 ff. —
7) Ueb. d. atellan. Schausjjiele d. Rom. Leipz. Ih25. S. IS.
21*
324 I^s-s römische Drama.
nischen Stegreifskomödie auf Grund ihrer stehenden Masken, Har-
lekin, Pulicinell, Pantalon u. s. w., die in grader Linie von jenen
campauischen Localtypen abstammen. Bekanntlich hat A. F.
Gori in der auf dem Esquilinischen Hügel gefundenen, im Mu-
seum des Alessandro Capponi aufbewahrten kleinen bronzenen
Groteskfigur einen oskischen M accus erkannt, der mit dem Nea-
politanischen Pulicinell eine unverkeimbare Aehnlicbkeit hat; auf
jeden Fall eine gTössere, als die oskisch- römische Atellane mit
dem griechischen Satyrdrama. Dessgleichen jene auf Pompeja-
nischen Vaseugemälden häufig vorkommende Figur in einer mit
dem Harlekins-Kostüm übereinstimmenden Tracht. Verschiedene
andere solcher Oskischen Charaktermasken sind uns noch über-
liefert: der Bueco z. B. Bucco erklärt Isidor ^j durch gaiTulus,
„Schwätzer," vom Oskischen Bucco, das „Schlauch" bedeutet, un-
ser „Plaudertasche." Ferner Manducus a mandendo „kauen"-),
der „Fresser." Der Maccus und Bucco scheinen in manchen von
ihnen betitelten Stücken die Hauptrolle gespielt zu haben. Mac-
cus Miles z. B., „Maccus Soldat." ^j Macci gemini, „Die beiden
Maccus."'*) Bucco adoptatus^) u. s. w.
Was aber jeden Vergleich der Atollauen mit dem Sat}Tdrama
zurückweist, ist die melisch-orchestische Form des letztern, wäh-
rend die oskische Posse durchgängig gesprochen, anfangs sogar,
laut Strabon's Zeugniss '0, oskisch gesprochen wurde: i) dicdsK-
zog /itevei vcaQcc xoiq 'ftofiaioig. Erst in späterer Zeit nahm die
Atellane ein Canticum auf'), ähnlich den Couplets des fi-anzösi-
schen Vaudeville oder unserer .Localposse. Schober bezweifelt*)
die Richtigkeit von Strabon's Angabe, aus Gründen, worunter der
annehmbarste: „dass in den Bruchstücken der Atellane keine
Spur des Oskischen zu finden ist." Allein diese Bruchstücke rüh-
ren von den spätem, geschriebenen Atellanen her, den bereits
verschöngeistigten Atellanen des Novius, Pomponius u. s. w. aus
Sulla's und Cicero's Zeit. Audi JMommscn verwirft Strabon's No-
tiz **;, ohne ihn zu nennen. In einer Note'") wird die ganze Os-
1) X, p. 1070. ed. Putsch. — 2) Varro d. 1. lat. p. 57. — 3) Charis.
p. 99. — 4) Non. Marcell. p. 770. — 5) Das. p. 571. — 6) V. p. 203. —
7) Suet. Galb. c. 13. — 8) a. a. 0. S. 20 f. - 9) R. Gesch. U. S. 412. —
10) Das. S. 419.
Die oskische Atellane. 325
kerländschaft in's Reich der Fabeln vei-wiesen und, wie einst ganz
Italien von Metternich zu einem „geographischen Begriff," zum
blossen „poetischen Schauplatz" gemacht, wohin die Römer ihre,
in Latium seit Urbeginn heimisclien Atellanen verlegt hätten.
So hoch uns der jüngste deutsche Geschichtschreiber der Römer
steht, so darf uns doch sein Federstrich, der die ganze Osker-
landschaft sammt Atellanen aus der Karte des alten Italien, oder
doch zu einem blossen „poetischen Schauplatz" streicht, die aus-
drücklichen Zeugnisse der alten römischen Geschichtschreiber nicht
aufwiegen. Des Livius z. B., der von den Atellanen bemerkt:
genus ludorum ob Oscis acceptum ; oder des Valer. Maximus ') :
AteUani ludi ab Oscis acciti sunt u. s. w. Allen Respect vor
der nachweltlichen Geschichtskritik, besonders wenn sie mit so
grossem Talent, wie vom Verfasser der „Rom. Geschichte" geübt
wird. Nur muss diese nachweltliche Kritik nicht ihre eigenen
Quellen vom Dreifuss zu vorweltlichen erklären; oder, wie jener
Schwabe, glauben, dass sie den Strom selbst unterschlage, wenn
sie der Quelle die Hand auf den Mund legt. Die hochpreissliche
Geschichtskritik möge daher erlauben , dass wir von ihrem Aus-
^spruch : „Mit der oskischen Nation haben die Atellanen nichts zu
thuu" an die übereinstimmenden Zeugnisse des Livius, Valerius,
Strabon u. a. appelliren, um das Zeugniss des Grammatikers Dio-
medes ganz aus dem Spiel zu lassen; a civitate Oscorum Atella,
in qua primum coeptae, Atellanae dictae sunt.'^)
Casaubonus unterstützt seine Ansicht 3): die oskische Atel-
lane habe sich ursprünglicli frei von Unanständigkeiten erhalten,
mit hinreichenden Citaten, u. a. mit dem^ Zeugniss des Val. Ma-
ximus: „Diese ergötzlichen Spiele wären, von der italienischen
Strenge im Zamne gehalten, unbescholten und ohne Makel ge-
blieben" (quod genus delectationis italica severitate tempern tum,
ideoque vacuum nota est). Des Valer. Max. Commentator, der
Jesuit Cantel, erklärt jene Bemerkung dahin, dass die Atellani-
schen, ursprünglich oskischen Fabeln, ihrer Abkunft, als „oskisch,"
entsprechend, „obscön" gewesen; wären aber durch den „römi-
schen Ernst" gereinigt worden. Die Ableitung des Wortes Ob-
1) II, 4. — 2) m. p. 487. — 3) De Satyr, gr. etc. U. 1.
326 D^s römische Drama.
scoenus von Oscus ') ist eben so willkürlich als abgeschmackt und
eben so abgeschmackt als sie der Geschichte der AteUane wider-
spricht. Des Valer. „italiea severitate" ist keineswegs gleichbe-
deutend mit romana severitas, und bezieht sich vielmehr auf
den italienischen Charakter der oskischen Bevölkerung selbst und
ihrer scenischen Spiele, im Gegensatz zu dem Charakter der
Phlyaken-Posse in Grossgriechenland, die ebenfalls stehende Cha-
raktermasken hatte, die wir aber in die sittenloseste Bm-leske aus-
geartet fanden. Einen ähnlichen Verlauf nahm die römische
Atellane. Sie verband Kohheit des Ausdrucks mit den schmu-
tzigsten Anspielungen und Zweideutigkeiten. Vell. Paterc.-) nennt
sogar den Lucius Pomponius, der den Atellanen einen kunstge-
mässen, schriftstellerischen Anstrich gab, verbis rudern. Die mei-
sten bruchstücklichen Hinterlassenschaften von Pomponius und
Novius sind Koprolithen. Ein Paar zur Probe. Aus der Atel-
lane der Macci gemini von Pomponius ■*):
Peru, 11011 puellula est, nam quid abscondisti inter nates ?
Aus der Porcaria^):
Sciunt hoc oiimes, quautura est, qui cossim cacant.
Des Festus Bemerkung •'•) : frequentissimus fuit usus Oscis libidi-
num spurcarum gilt vorzugsweise von der römischen für die ge-
bildete Welt geschriebeneu Atellane in Cäsars und der Kaiser
Zeit. Es war die rohe, dreifüssige Zote (trisyllabo pede) frank
und frei; aber auch frei von jeder politischen Verfänglichkeit
oder gar Anspielung auf Staatsmänner und Personen aus patrici-
schem Geschleclit. Ein solches Verbrechen musste schon Naevius
mit Kerkerstrafe büssen. Wegen eines zweideutigen Scherzes
liess Kaiser Caligula, der ihn auf sich bezog, einen Atellanen-
Dichter mitten in der Arena des Amphitheaters verbrennen.'')
Das ist, bezüglich der Atellane, die romana severitas, die der
Jesuit Cantel lierausstreicht. In Koth und Blut wälzte sich mit
dem kaiserlichen Eom auch die Atellane und der spätere Mimus,
selbst noch im christlich kaiserlichen Byzanz. Tertullian trägi
n Fest. V. Oscum. p. 353. ^ 2) II, !l. — .3) Non. 526. - 4^ Das.
505. — 5) a. a. 0. — 6) Sueton. Cal. c. 27.
Gesichtsmaske. 327
durchaus keine zu starken Farben auf, wenn er von der Atella-
nischen Gesticulation schreibt'): „Ihr ganzer Reiz ist ein Destil-
lat von Schmutz und Unzucht" (sunima gratia ejus de spurcitia
plurimum concinnata est, quam Atellanus gesticulatur). Die per-
sönliche Satire dagegen war den Dichtern schwer verpönt. Schon
eine Verordnung der XII Tafeln setzt Stockprügel darauf als
Strafe: si qui pipulo occentasit, Carmen ve condisit, quod iufa-
miam faxit flagitiumve alteri, fuste feritor.-) Auch Cicero beruft
sich auf dieses Gesetz. ^) Von dem Wink des Horaz mit der
formidine fustis haben wir oben Notiz genommen.
Nächst der Zotenfreiheit hatten die Atellanenspieler auch
Maskenfreiheit, d. h. das Vorrecht, mit der Gesichtsmaske zu
spielen, was die Histrionen der Tragödie und Komödie anfangs
nicht durften. Roscius war der Erste, dem die Gesichtsmaske,
aus Rücksicht auf sein Schielen, gestattet wurde: Personis uti
primus coepit Roscius GaUus praecipuus histrio, quod oculis ob-
versis erat. "*) Daher Messen schon zu des Naevius Zeit die Atel-
lanenspieler Atellani personati, von dem Rechte, verlarvt spielen
zu dürfen.'^) Dabei bemerkt Festus: „Die Atellanenspieler konn-
ten, ihrem Vorrechte gemäss, nicht gezwungen werden, die Maske
auf der Bühne abzunehmen, was sich die andern Histrionen (Tra-
gödien- und KomödienspielerJ mussten gefallen lassen" (quia jus
iis non cogi in scena ponere personam, quod caeteris histrio-
nibus pati necesse est). Bekanntlich nahm Jul. Scaliger ponere
personam und pati necesse est in dem Sinne, dass die Spieler der
Tragödien und Komödien die Maske, wenn sie ausgepfiffen wur-
den, abnehmen mussten, um sich in's Gesicht auszischen zu las-
sen; während die Atellanenspieler vor einer solchen Schmach durch
ihr Masken- Vorrecht geschützt waren. Dagegen erklärt Stieve ")
die Steile so: Die Atellanenspieler konnten, vermöge ihres Vor-
rechts, nicht gezwungen werden, sich auf der Bühne der Maske
zu begeben, wogegen die andern Histrionen ohne Maske zu spie-
len, sich gefallen lassen mussten. Welche von beiden Erklärun-
gen die richtige sey, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann
1) De spectac. c. 18. — 2) August. C. D. II, 9. — 3) Tusc. IV, 2, 4.
— 4) Diomed. III, 486. — 5) Fest. p. 139. — 6) de lud. Seen, prisoor.
Roman. 1834. p. 15.
328 ^^^ römische Draina.
die des Scaliger nur von den Histrionen nachRoscius, undStieve's
nur von denen vor Roscius gelten. Stieve's Deutung müsste denn
auf Ausnahmefälle, nach Roscius, zu beziehen seyn, weim es näm-
lich dem Publicum etwa gelallen hätte, den Histrio ohne Maske
spielen zu sehen. Diess möchte um so mehr die richtigere Aus-
legung von Festus' Angabe scheinen, als Scaliger, auf Grund einer
Notiz des Macrobius'), wo von Pantomimen die Rede ist, auch
den Zweck des Abnelimens der Maske, um sich mit unbedeck-
tem Gesichte auszischen zu lassen, jener Stelle des Festus unter-
schob, und was von den Pantomimen galt, auf die Histrionen, auf
die Tragödien- und Komödienspieler, übertrug.
Das Versmaass der Atellane war der Tribrachische Trimeter,
wie M. Victorinus angiebt-) (trisyllabo pede et maxime tribracho).
Ausser diesem Metrum nimmt Victorinus 3) und Terent, Maurus^)
den katalektischen und akatalektischen Tetrameter in Anspruch.
In den erhaltenen Bruchstücken herrschen sogar die letztern bei-
den Versalien vor.^)
Die beiden Hauptvertreter der geschriebenen, in eine Art
von Kunstform gebrachten Atellane sind Pomponius Bononiensis
und sein Zeitgenosse Novius. Pomponius Bononiensis (aus
Bononia=Bologna) blühte, nach Casaubonus, um 664 d. St. 90 v.
Chr. Macrobius ''; nennt ihn egregimn Atellauarum poetam, „einen
vorzüglichen Dichter von Atellanen." Fronte''): „zierlich und ele-.
gant im Gebrauche ländlich scherzhafter und lustiger Ausdrücke"
(elegantem in verbis rusticanis, jocularibus et ridiculariis). Die
Hauptstelle über ihn findet sich bei Vellej. Pat.**) Vellejus rühmt
ihn als einen „durch sinnreiche Erfindung preiswürdigen, in seiner
Ausdrucksweise aber rohen (verbis rüdem) und durch die Neuheit
der von ihm erfundenen Gattung von Bühneuspielen enipfeh-
lenswerth": et novitate inventi a se operis commendabilem. Die
Neuheit besteht in der kunstgemässen Form, die er der Atellane
gab, indem er sie der Gestalt der Palliaten und Togaten, der
griechisch-römischen Komödie und dem römischen Locallustspiel,
näher brachte. Seine Atellanen stellten das Treiben ganzer
1) Sat. II, 7. — 2) II, 2527. - 3) UI, 2574. —4) p. 2436. - 5) Vgl.
Schober. S. 42. — 6) Sat. VII, 9. — 7) ad M. Caes. IV, 3. p. 95. ed. Mai.
— 8) II, 9, 6.
Die geschriebene Atellane. 329
Stände dar, der Hetären, aruspices, pictores, piscatores
(Fisch erj, pistores (ßäckerj, Aerzte, Winzer (vinderaiatores),
betrügerischen Spieler (aleones) u. s. vv. Pomponius ver-
setzte zuerst den Schauplatz seiner Stücke vom Lande auch nach
Rom. Seinen oskischen Masken gab er mytliische Personen bei,
im Agamemnon suppositus z. B. In Munck's mehrerwähnter Ab-
handlung finden sicli auch die erhaltenen Fragmente aus Pompo-
nius' Atellanen'), in alphabetischer Folge: Adelphi, Aeditum-
nus, Agamemnon suppositus, Agricola, Aleones (Wür-
felspieler, wie G. Voss-) annimmt, eine Nachahmung der v.vßev-
val von Alexis), Aruspex etc., Bucco adoptatus, Decuma
fullonis (der Walker-Zehnten, Opfer-Zehnten), GalliTransal-
pini, Lar familiaris (der Hausgeist), Maccus, Macci ge-
mini, M accus miles, Maccus Sequester TMaccus als Ver-
mittler), Maccus virgo (Maccus- Jungfrau), Marsyas, Medi-
cus,Nuptiae, Pappuspraeteritus ^der vergessene, hintange-
setzte Pappus), Philosophia, Pictores, Piscatores, Pro-
stibulum (Dirne), Satira, Sponsa Pappi (die Braut des Pap-
pus), Verres aegrotus (der kranke Eber). Die Fragmente be-
stehen, wie gewöhnlich, aus verstümmelten, meist einzelnen Ver-
sen, oft nur einzelnen Wörtern.
Von Cn. Novius, dem Xunst- und Zeitgenossen des Pompo-
nius, wissen die Antiquare nichts weiter zu berichten, als dass
er öfter mit dem Cn. Naevius, dem alten Tragödien- und Komö-
dien-Dichter, Zeitgenossen des Ennius, verwechselt worden. Die
Fragmente seiner Atellanen stehen bei Munck p. 170 — 184 von
A bis Z in Reih' und Glied, aber mit ausgerenkten, aus allen Ge-
lenken und Bändern gelösten Gliedern:
Agricola, Andromache, Asinius, Bubulcus Cerdo
(der Kuhhirt als Schuhflicker;, Buccula, Colax (der Schmeich-
ler), Duo Dosseni etc., FuUones (die Walker), Gemini, He-
taera, Macci, Maccus Caupo (Maccus als Schenkwirth),
Maccus exul ^Maccus im Exil), Mortis et vitae Judicium,
vielleicht eine Nachahmung von Ennius' Satire, worin dieser eine
Streitscene zwischen „Tod und Leben" schildert) 3) , Pappus
ly p. 135—164. - 2) de poet. Lat. p. 14. — 3) Qiünct. Or. EX, 2. ut
Mortem ac Vitam quas contendentes in Satira tradit Ennius.
330 Das römische Drama.
praeteritus, Phoeuissae, Sanniones (die Possenreisser),
Vindemiatores, Virgo praegnans (auch Titel eines Mimus).
Als der Mimus und die Tabernarien, letztere eine Art Volks-
komödie, welche die Sitten der untern Stände darstellte, in Mode
kamen, gerieth die Atellane in Verfall. Von ihi'em Wiederer-
wecker, C. Memmius, ist Näheres nicht bekannt. (C. Memmius
post Novium et Pomponium artem Atellaniam diujacentem
ressuscita^dt.) ') Der Grammatiker Charisius '^) führt von ilim eine
Redensart an aus der Atellane Junius: Mommius (Memmius) in
Atellaua Junius. Die Ausgelassenheit der Atellanen nahm schon
unter Tiber so überhand, dass dieser selbst in seinen Lüsten und
Ausschweifungen finstere Despot gegen die Atellanen von Staats-
wegen einschreiten und die Spieler aus Italien jagen liess.^) Wahr-
scheinlich aber mehr aus persönlichen als aus StaatsgTÜnden ; wie
man vermuthet, wegen einer vom Publicum mit stürmischem Bei-
fall aufgenommenen Anspielung auf den alten kaiserlichen „Bock,"
welche in einem Atellanischen Nachspiele vorkam. ^) Bald aber
sehen wir die AteEanen mit erneuter Wirksamkeit auftreten. Wie
der Pöbel die blutigen Kampfspiele, so konnte die vornehme Welt
in Rom die schmutzig unzüchtige Atellanenposse nicht mehr ent-
behren. Reich und Volk, so war es vom Schicksal bestimmt, soll-
ten an Sulla's Krankheit zu Grunde gehen.
Die römische Tragödie.
Sie tritt in zmefacher Form auf: in griechischer Gestalt, als
griechisch-römische Tragödie, nach griechischen Vorbil-
dern und Fabelstoifen von Griechen oder Halbgriechen bearbeitet
(SemigTaeci nihil amplius quam graeca interpretabantur) •') ; und als
eigentliche römische Tragödie der domestica facta, mit Helden
und Fabelstoffen aus der heimischen Geschichte. Von ersterer
(Crepidata, vom tragischen Schuh, crepida, so benannt) sind, aus-
ser Seneca's Tragödien, blos Bruchstücke; von der zweiten, prae-
texta, die den Namen vom römischen, purpurverbrämten Gewände
(Praetexta; hat, nur die Octavia des Seneca vorhanden, und selbst
diese lückenvoll und in verschobener Gestalt.
1) Macrob. Sat. X, 1. — 2) I. p. 118. — 3) Tac. Ann. IV, U. — 4)
Suet. Tib. c. 45: Hircum vetuluni etc. — 5) Suet. de illustr. gram. 1.
Die Crepidatae des Livius Andronicus. 331
Die griechisch-römische Tragödie.
Ihren Gründer haben mr schon in dem aus Tarentum nach
Rom geführten Kriegsgefangenen, Livius Andronicus, kennen
lernen. Livius hiess er nach seinem Gebieter, Li^^us Salinator,
dessen Kinder Andronicus unterrichtete, und der ihm die Freiheit
schenlde.i) Das Chronologische über ihn enthält eine Stelle in
Cicero's Brutus."-) Hiernach wäre Livius Andronicus 514 d. St.,
ein Jahr vor des Ennius Gebm-t, mit seinem ersten Drama in
Rom als Schauspieler und Dichter aufgetreten. 3) Cicero vergleicht
den Livianischen Styl, in Beziehung auf dessen üebersetzung
der Odyssee, mit den Dädalischen Bauten. Von den Dramen
des Andronicus TLiviae fabulae) meint Cicero, dass sie einer wie-
derholten Lesung nicht würdig (non dignas quae iterum legantur).
Ausser Tragödien soll er auch Komödien und einen Festgesang
gedichtet haben. Als „dreimal neun Jungfrauen'', auf Verordnung
des Oberpriesters, dieses Festlied im Tempel des Jupiter einübten
(544 d. St.), schlug der Blitz auf dem Aventinus in den Tempel
der Juno Regina ein.^)
Von Andronicus' Tragödien haben sich Titel und einzelne
Verse erhalten: Achilles (1 Vers), Ajax (l Vers), Aegisthus
(etwa ein Dutzend vereinzelter Verse), Andromeda (1 V.), Da-
nae (1 V.), Equus Trojauus (das trojanische Pferd; 1[., V.),
Hermiona (1 V.), Tereus (4 zerstückelte V.), Juno (4 Hexa-
meter mit jambischem Endfuss) und noch etwa ein Dutzend Ein-
zelverse aus unbekannten Dramen. Sämmtliche Fragmente sind
aus Tragödien nach griechischen Vorbildern, die gleichfalls zu den
verschwimdenen gehören, mit Ausnahme von Euripides' Helene,
deren Nachbildung ein erhaltener Vers aus des Andronicus gleich-
namiger Tragödie bekundet, den Avir aber bei Otto Ribbeck % so
wie auch den Titel der Tragödie, Helena, unter den Fragmenten
vermissen. Bei Macrob.'^) lautet der Vers des Andronicus:
Tu qui peniiciisus jjonti Marin alta vclivola"):
„Die du das Meer diircli messen, das seii'clwallende."
1) Euseb. Cliroii. n. MDCCCXXX. — 2) 18, 72. — 3) Vgl. Tusc. disp.
I. intpp. Kühner. — 4) Liv. XXVII, 37. — - 5) Tragic. Romanor. Reliq.
Lips. 1852. — (J) Sat. VI, 5. - 7) Eurip. Helen, v. 87(5.
332 I^^s römische Drama.
Die erwähnte üebersetzung der Odyssee von Andronicus ist im
altitalieuischen, saturnischen Sylbenmaass. Niebuhr meint, An-
dronicus habe die Odyssee wohl nur „in's Kurze zusammengezo-
gen, nicht in ihi-em ganzen Umfange übersetzt." Worauf sich
diese Annahme stützt, bleibt ein historisches Geheimniss.
Cneus Na e vi US, aus Campanien. Base') nennt ihn einen
„geborenen Griechen." Der grösste Theil der carapanischen Be-
völkerung sprach aber Oskisch.-) Immerhin kann Naemis als Halb-
giieche gelten. Er soU im ersten punischen Kriege als Soldat
mitgefochten haben. 3) Seit 519 d. St. führte er Dramen in Kom
auf und erwarb, namentlich als Komödiendichter, grossen Kuf.
Aus Anlass eines politischen Schmähgedichtes gegen die mächtige
Adelsfamilie der Meteller, nach Andern wegen einer im Geiste des
Aiistophanes geschriebenen Komödie, welche Angriife auf die Me-
teller enthielt, erlitt NaeAdus Kerkerstrafe. Von den Tribunen be-
freit, setzte er seine Angiiffe fort und wurde desshalb aus Kom
verbannt. Er starb im Exil zu ütica gegen 550 d. St., 204 v. Chr.
Naevius Comicus Uticae moritur pulsus Roma factione nobilium
ac praecipue Metelli.^) Für seine Tragödien nahm er Aescliylos,
Euripides und Anaxandrides (der einen Anchises geschrieben) zum
Muster. Naevius soU zuerst verschiedene Fabeln aus Lustspielen
der neuen attischen Komödie zu Einer Komödie verflochten ha-
ben.-^) Hat Naevius wirklich ein Drama Romulus geschrieben"),
das Lange') und 0. Müller*^) für eine Komödie, Signorelli 0), Neu-
kirch ^^) und Regel ^1) für eine Tragödie halten, so war Naevius auch
der Schöpfer der Praetexta oder Praetextata ^fabularum praetex-
tarum). Die Fragmente aus seiner Tragödie Lycurgus deuten
auf eine freie Behandlung des griechischen (verlorenen) Originals.
Sein Ausdruck scheint, von Schwung und Kühnheit abgesehen,
auch gewandter und geschmeidiger als der des Andronicus. Ci-
cero , der die Odyssee des letztern noch als ein rohes Dädalus-
werk bezeichnet, vergleicht das in saturnischen Versen gedichtete
1) Rom. Litteraturg. S. 77. §. 29. — 2) Niebuhr R. G. I, 117. — 3)
Gell. XVn, 21. — 4) Euseb. n. MDCCCX. - 5) Terent. Andr. prol. v. 20.
— 6j Varro L. L. VII. 107. — 7) Vind. p! 14. not. 18! — 8) zu Varro
Vn, 107. — 9) Stpr. crit. de Teatr. II, p. 21. -- 10) de fah. tog. p. 62.
— 11) a. a. 0. p. 40.
Cneus Naevius und seine Dramen. 333
Epos, „der punische Krieg" (bellimi Puuicum) von Naevius, rück-
siclitlich des Styls, mit einem Erzbilde von Miron. ^) Naevius'
Dramen scheinen sich bis in die Zeit des Horaz auf der Bühne
erhalten zu haben. Horaz ertheilt ihm das Lob eines „fast
Neuen" :
Naevius in manibus non est et mentibus haeret
Paene recens?-) . . .
,,Ist nicht Naevius Allen zur Hand, und lebt im Gedächtniss
Noch wie neu?" . . .
In Ribbeck's Reliq. finden wir folgende Titel mit den ein-
zelneu Yerszeilen als Bruchstücke aus Naevius' Dramen verzeich-
net: Andromacha (2 V.), Danae (11 vereinzelte V.), Equus
Troj. (IV.), Hector (proficiscens) (2 Einzelv.), Hesionafl V.),
Iphigenia (1 V.), Lycurgus igegen 30 vereinzelte V.). Lust-
spi.eltitel: Agitatoria (Treiber-Komödie), Agricola (der Land-
mann), Ariolus (Weissager), Buccula 'Grossmaul). Carbonaria
(Kohlenbrenner-Komödie) u. s. w. Wobei jedoch zu beachten,
dass Naevius, wie schon erwähnt, oft mit dem Atellanendichter
Novius verwechselt worden , und wohl manche dieser Titel auf
Rechnung des Letztern kommen dürften. Aus unbestimmten
Dramen des Naevius sind noch etwa ein Dutzend Versbröckel
vorhanden. Ausserdem werden ihm zwei Tragödien mit Fabel-
stoifen aus der heimischen Geschichte rPraetextae) zugeschrieben:
Clastidium^) mit einem Vers, und der schon erwähnte Romulus
s. Alimonium Romuli et Remi, das, nach einer Angabe
des Donat^), gespielt wurde: dum in theatro ageretur. Durch
sein Heldengediclit, Bellum Punicum, darf Naevius auch Anspruch
auf den Ehrentitel des ältesten Epikers der Römer machen, dem
Virgil manche Wendungen und manche Erfindung entlehnt hat. ■')
Quintus Ennius. Des Andronicus Landsmann, zu Rudiae,
in der Nähe von Tarentum (239 v. Chr.) geboren. Er soll, als
Genosse des Scipio Aft-icanus, den zweiten punischen Krieg mit-
gemacht, dann in Sardinien, unter Torquatus, als Centurio ge-
dient haben. Von Sardinien nahm ihn Cato mit nacli Rom.
1) Brut. c. 18. 19. - 2) Ep. U. I.'v. 5^1'. - 3) Varr. L. L. VII,
107 u. IX, 78. — 4) Donat. in Terent. Adelph. IV, 1, 21. — 5) Macrob.
Sat. VI, 4.
334 ^^^ röinische Drama.
Nachdem Ennius aus Aetolien, wohin er den M. Fulvius begleitet
hatte (565 d. St.) nach Koni zurückgekehrt war, bezog er den
Aventiuischen Hügel, als römischer Bürger, wo er sich kärglich
einrichtete mit einer einzigen Dienerin, die ihm die Wirthschaft
besorgte. ^)
Ennius war der erste zum römischen Bürger und Dichter
erhöhte Grieche, welcher des Umgangs der edelsten Familien ge-
würdigt ward und der öftentlicheu Achtung genoss. Die Scipio-
nen, deren Thatenruhm er in seinem Heldengedicht Scipio besang,
erwiederten seine poetischen Verdienste um ihr Haus mit ihrer
staatsmännischeu Freundschaft. Sein in Hexametern gedich-
tetes Staatsepos: Annales, ein umfassendes Werk in 18 Büchern-),
das von der Gründung der Stadt bis zu den jüngsten Kriegen
herabstieg, umgab das kriegerisch-aristokratische Eom mit einem
fernhintragenden, den Geschichtsberuf der Kömer und die Grösse
der vollbrachten Thaten weihenden, pragmatisch-poetischen Glo-
rienschein. Ennius lehrte die Römer zuerst die Poesie als eine
höhere Eingebung achten, mid sie aus Staatsgründen, als ein Werk-
zeug der Kuhmesverherrlichung, ehren. Er prägte ihr den Cha-
rakter einer pragmatisch-aristokratischen ürkundendichtung auf,
den acht römischen Stempel, den die wieder gräcisirende Epik
Virgü's verwischte. Die Richtung, die Ennius der römischen Poesie
auf die Zeitgeschichte gab, musste sie einhalten. Nur so konnte
eine halbschürige . heroen- und fabellose, mythenbaare, nachbild-
nerische Dichtkunst eine römische Nationalpoesie schaÖen. Sie
konnte es, wenn schon mit Preisgabe, mit herzhaft freiwilliger
Preisgabe idealer Gestaltung, des höchsten Reizes und Zaubers
fi-eilich dichterischen Bildeus, ja der geistigen Seele der Poesie..
die aber eiimaal dem römisclien Geiste versagt blieb, für deren
Mangel die gräcisirende Form nicht schadlos zu halten vermag;
ilm, im günstigsten Falle, nur verschleiert. Ennius hatte sich in
den Mittelpunkt gleichsam der römischen Anschauung hineinge-
leljt und hineinempfunden, einer Anscliauung, welche, der fi-eien
kunstbildnerischen Phantasie und Mythengestaltung entrathen,
1) Euseb. n. MD("(X"LXX. Hieroii. ('olunina in collect. Fragin. Ennii.
— 2) Suet. de ülustr. granini. 2. M. Hoclie, de Ennian. amiall. l'raginin.
Bonn. 1^39.
Quintus Eimius, Bearbeiter des Euripides. 335
das Göttliche selbst pragmatisirt, zu blosser Geschichtlichkeit nie-
derschwert, und dem Staatszwecke dienstbar macht. Aus diesem
Bewusstseyn heraus mochte Ennius sich die mythenlosen Begriffe
jenes Euemeros von Messana aneignen, welche in seiner, von
Ennius übersetzten Schrift, „das heilige Verzeichnisse (Uga ava-
yQaq)rj) den menschlichen Ursprung aller griechischeu Götter
aus Tempelarchiven zu beweisen vorgab, und dadurch, wie Plu-
tarch ') sich ausdrückt, die Welt entgöttei-te ; eine vollständige
Gottlosigkeit (/läoav aihsozrjza) über die Welt verbreitete. Hat
doch ähnlich der geschichtsstarre Staatsgeist der römischen Pa-
tricier die religiöse Disciplin der Etrusker zu politischen Zwecken
ihrer regierenden Kaste verwendet und, durchaus im Sinne des
Euemeros, die tuskische Dogmatik, die eine theologische Physik
war ^), als Geschichtshebel, im Dienste ihrer Herrschaftsinteresseu,
wirken lassen. Ein solches Verständniss des römischen Geistes
bekunden auch andere Schriften des Ennius: sein gastronomi-
sches Poem in Hexametern z. B.; eine Bearbeitung der Hedy-
pathetica oder Hedypathia oder Phagetica des Ai'chestratos ^), ein
esskünstlerisches Werk, das keinen würdigern Dolmetsch als den
Ennius finden konnte, von dem Horaz sagt:
Ennius ipse pater numquam nisi potus ad arnia
Prosiluit dicenda . . . ^)
„Urahn Emiius selbst, nie, ausser berauscht, zu der Waffen
Hochruhm sprang er hervor" . . .
Bekundet femer Ennius' Vorliebe für Epicharmos, mit dessen
Götter und Mythen parodirender Naturphilosophie sein „ E pi-
ch armus" die patricischen Geschlechter Roms bekamit machte:
eine Blumenlese aus Epicharmos' Schriften in Hexametern und
trochaischen Tetrametern.
Diese gründliche Erkenntniss des römischen Geistes und sein
vollkommenes Aufgehen in demselben beweist Ennius auch als
Tragiker, indem er, vorzugsweise auf PJuripides freigeistisi-hei-
Tragik fussend, die griechischen Vorbilder ins Lateinische nicht
1) Is. et Os. ]). IT.-) Wytt. - 2) (h-cuzer, Synib. 1. S. 121, ;j. AuH. —
3) Schneid. J<]i)inietr. J ad Aristot. H. A. p. LH. Vgl. Bernhardy Grundr.
d. Rom. Litt. S. 17y. Burmann, Anthol. lat. lU, 135. - 4) Ep. I, 19.
336 I^^^ römische Drama.
sowohl übertrug, als umsehmolz, mit Ausnahme der Medea, die,
nach Cicero i), eine wörtliche üebersetzung seyn soll, wahrschein-
lich nach einer altern Ausgabe von Euripides' Medeia, die Ennius
zur Hand gehabt. "') Osann dehnte die Voraussetzung einer er-
sten Recension auf alle Fragmente des Eimius aus, zu denen
sich keine griechische Textstelle in den vorhandenen Tragödien
wollte finden lassen. 3) Auch Boeckh brachte ein Fragment aus
Ennius' Iphigenia mit Euripides' angeblich erster aulid. Iphigen.
in Verbindung, weil dasselbe keiner Stelle in dessen vorhandener
Iphig. in Aul. entspreche. Der grosse Godofredus Hermann nahm
sogar, auf Grund jener Abweichungen, Text- Verbesserungen in
Euripides' Hecuba vor. Die grossen Gelehrten dachten nur nicht
bei diesen Voraussetzungen an jenes Surrogat, das den Römern
von der Mutter Natur als Ersatz für ursprüngliches Kunstgenie
verliehen worden. Wir meinen jenes ümgestaltungs-, ümwande-
luugs-, kurz jenes erstaunliche Aneiguungstalent, das sie nach
allen Richtungen hin bewährten und das auf dramatischem Ge-
biete Ennius zuerst im vollsten Maasse walten Hess, der sich
selbst ins Lateinische, so zu sagen, umgearbeitet hatte. Sein
ümgestaltungsgrundsatz erstreckte sich bis auf die Metra, indem
er häufig Trochäen anwendet, wo das griechische Original Jam-
ben braucht.
Ennius starb 585 d. St. (169 v. Chr.), ein Siebziger, an der
Gicht. Er wurde in dem Grabmal des Scipio Afric. (d. ä.) bei-
gesetzt. '^) Plinius schreibt ^), der ältere Africanus habe die Statue
des Q. Ennius- auf sein Grabmal setzen lassen. Cicero theilt des
Ennius von ihm selbst verfasstes Epitaphium mit''):
Aspicite^ o.cives, seuis Enuii imagini fonnam.
Heic vestrum panxit maxuma facta patrum.
Nemo rae lacrumis decoret iieque funera flctu
Faxit. Cur? Volito vivus per ora virüiii.
„Bürger, betrachtet des Ennius BUdiiiss, des greisen: denn Er war's, '
Der den unsterblichen Euhni euerer Väter besang.
Niemand weine mir nach und benetze mit Thränen mein Grabmal!
Fragt ihr warum? Weil im Mund' ewig der Männer ich leb'."
• 1) de lin. I, 2, 4. — 2) Vgl. Planck, Qu. Ennii. Med. Commentt. il-
lustr. Gotting. 1&07. 4. — 3) Annall. critt. p. 79 «'. —.4) Euseb. n. MDCCCXL.
- 5) H. N. Vll, 31. ü) Tusc. 1, 15.
Einiius uiul Enripides. 337
Ovids Aiisspmch: Emiius ingenio maximus, arte rudis^y: Ennius
gross durch Genie; roh nur und dürftig an Kunst, mag als
das Urtheil der Schöngeister des verweichlicht eleganten Korn
gelten, im „goldnen Zeitalter" ihrer Poesie. Das goldene Zeitalter
der Römer aber war iln- eisernes, auch hn Drama. Die Frag-
mente von Ennius' Schauspielen kann jeder, wer Lust hat, bei 0.
Ribbeck, in ßothe's -) Sammlung oder bei J. Wahlen ^) aufsuchen.
Wir begnügen uns mit Angabe ilirer Titel: Achilles (zehn
ein- und zweizeihge Bruchstücknummern), Ajax (2 V.), Alcu-
maeo (lY N. 13 V.), Alexander (X N. 28 V.). Androma-
cha Aechmalotis (die Kriegsgefangene Andromache) (XIII
N. 30 Y.), Andromeda (VHI N. 10 V.), Athamas (I N.
5 V.), Chresphontes (Vm N. 15 V.), Erechtheus (EI N.
4 V.), Eumeuides (IV N. 5 V.), Hectoris Lustra (Hektors
Sühne) (XV N. 22 V.), Hecuba (XI N. 15 V.), Iphigenia
(in Aul.) (XI N. 29 V.), Medea exul (die verbannte Medea) (XVI
N. 36 V.), Medea (Athenieusis) (I N. 2 V.), Melanippa (VI
N. 8 V.), Nemea (H N. 2 V.), Phoenix (VHI N. 11 V.),
Telamo (IX N. 16 V.), Telephus (VIH N. 10 V.), Thy-
estes (XI N. 17 V.). Aus unbestimmten Dramen (fcXIV N.
etwa 80 V.).
Die Uebereinstimmuug des Ennius mit den religiösen Vor-
stellungen seines griechischen Vorbildes mögen ein Paar Stellen
aus den Fragmenten des Telamo darthun (N. 1 u. II bei 0.
Ribbeck ^') :
Ego deüni genus esse semi)er dixi et dicain coelitum,
Sed eos non curare opinor, quid agat humanuni genus :
Nam si curent, bene bonis sit, male malis, quod nunc abest.
Immer sagt' ich, sag' es fürder,
Dass im Himmel Götter sind;
Doch nicht wähn' ich, dass um Menschen
Sie sich kümmern und ihr Thun:
War' es, ging es gut den Guten,
Schlimmen schlimm, doch ist's nicht so.
Sunt superstitiosi vates impudentesque Arioli,
Aut inertes aut insani aut quibus egestus imperat.
1) Trist, n, 424. — 2) Poett. Latt. Scenicc. T. V. p. 33 ff. — 3) En-
nianae poesis Keüq. Lips. 1854. — 4) p. 44.
U. 22
338 I^äs römische Drama.
Qui sibi semitam non sapimit, alteri monstrant viam.
Quibus divitias pollicentur, ab iis diachmam ipsi petunt.
Priester und Wahrsager sind nur abergläubige Schwärmer oder
Schamlose Fas'ler, Müssiggänger theils, theils unverschämte Thoreu . . .
Sie wissen selbst für sich nicht Weg und Steg und weisen Andern doch die
gute Bahn.
Verheissen Schätze und erbetteln sich nur eine Drachme . . .
M. Pacuvius, Schwestersohn von Ennius, aus Brundusium,
geb. 533 d. St. Starb im Alter von 90 Jahren zu Tarentum, wohin er
sich aus Eom zurückgezogen, nach einem der Malerei und der
dramatischen Dichtung gewidmeten Leben. Unter seinen 12 Tra-
gödien waren Autiopa und Dulorestes hochberühmt. Varro ^) hebt
seine Fülle und Fruchtbarkeit hervor. Horaz sagt von ihm : aufert
Pacuvius docti famam senis"^): „Pacuvius trägt den Euhm des
gelehrten Greises davon." Auch Quinctilian preist ihn als den
„Gelehrten", ^j Mit der gi'össten Kühnheit in Bildung von Wort-
formen und Zusammensetzungen verband Pacuvius künstliche Ver-
schlingung der Satzglieder und Perioden.-^) Darauf mochte Ci-
cero zielen, wenn er die Ausdrucksweise des Pacuvius riigt^):
male locutum. Ausser Tragödien wurde ihm eine Satura beige-
legt, dergleichen auch Ennius gedichtet. Ueber des Pacuvius'
Dulorestes, eine Nachbildung von Euripides' Iphigenia aufTau-
ris, hat der Lyriker H. Stieglitz, Dichter der „Bilder des Orients",
eine gute Doctor-Dissertation geschrieben (1826).
Antiopa (Kibb. XIV, 16). Nach Cicero*^) eine wörtliche
üebersetzung von Euripides' verloren gegangener Antiope. Cicero
zählt die Tragödie zu den trefflichsten und edelsten. Der Sati-
riker Persius nennt die Antiope des Pacuvius vemicosa ' j, „voller
Warzen", wormiter er altei-thümliche Auswüchse versteht. An
dergleichen Warzen fehlt es auch dem Persius nicht.
Armorum Judicium (Waftengericht.) (R. XVI. 18). Nach
Aeschylos.^)
Atalanta (R. XXIII. 28). Die im Wettrennen von Hip-
pomenos ersiegt ward.
1) Bei Gell. VII, 14. — 2) Ep. II, 1, 55 f. ~ 3) X, I, 97. — 4) I, 5,
7ü, Auct. Ehet. ad Herenn. IV, 7. — 5) Brut. c. 74. — 6) fin. I, 2. 4. —
7) I, 77. — 8) Welcker, gr. Trag. 1369iF.
Pacuvius. 339
Chryses (XXI. 34.) N. VI:
„Schau um dich, über dich, was rings die Erd
Umschliesst, bei uns das Coelum wird's genannt,
Die Griechen heissen's Aether. Was da ist
Der Himmel ist's, der es belebt und bildet
Und wachsen macht ; der Alles auch begräbt
Und in sich fasst, der Vater ist des Alls —
Die Erd ist Mutter, sie gebiert den Lei!),
Und dem vermählt der Aether dann die Seele.
Von dorther stammt, was da geworden ist,
Und was da war, da ging es unter auch."
Hoc vide circum supraque quod complexu continet
Terram . . .
Id quod nostri coelum memorant, Graji perhibent Aethera,
Quidquid est hoc omnia animal format alit äuget creat,
Sepelit recipitque in sese omnia, omnium quidera est pater. etc.
Chryses war der Halbbruder von der Cliryseis, der Kriegsgefange-
nen Agamemuon's, und Hoherpriester des ApoUon in Sminthe,
dort wurde er von dem aus Taurien entflohenen Geschwisterpaar
erkannt.
Du 1 Orestes fXXXII. 42). Der Name ist eine Zusammen-
setzung aus dovlog (Sklav) und Orestes, der wahrscheinlich in
dieser, der Iphigenia auf Tauris nachgebildeten Tragödie als
Sklave verkleidet auftrat. Oder, wie Andere wollen: Dolorestes,
von dVUoc „List" „Betrug", wegen der Täuschung, die Orestes
dem Thoas spielte, um das Bild dem Thoas zu entführen. Ci-
cero spricht von der Aufführung des Stückes und dem rauschen-
den Beifall, der demselben zu Theil ward. ')
Hermio na (XXIV. 28). Nach Sophokles.
Rio na (XVIH, 26). Worin des Polydorus Schatten der
schlafenden Iliona, seiner Schwester und Gemahhn des Polymne-
stor, erscheint. Von dem Schauspieler Fusius, der im Rausch die
schlafende Iliona verschlief, spricht Horaz ■) :
. . . Fusius, da er trunken
Einst die Iliona schlief, und wenn ('atienen^) zu Tausend
,, Mutter, vernimm mein Wort!" ausriefen . . .
Medus (XXIV. 23). Sohn der Medea von Aegeus. Mit
1) Lael. 7, 24.— 2) Sat. 11, 3. tiü tt". — 3) Catienus, ein Schauspieler mit
einer Donnerstimme.
22*
340 ^^^ rümische Drama.
einem von Medea ihm gereichten Schwerte erschlug Medus den
Perses, der sich den Thron von Medus' Grossvater Aeetes, König
zu Kolchis angemaasst hatte, und nahm das Reich als sein Erbe
in Besitz. Bei Pacuv. heisst Absyrtus, Medea's Bruder, Aegialeus. i)
Niptra (XI. 25). Nach Sophokles. „Das Waschwasser",
zum Fussbad des heimgekehrten Odysseus. Gegenstand der Tra-
gödie ist die unfreiwillige, mit einem Kochenstachel als Pfeilspitze
bewirkte Verwundung des Odysseus durch seineu mit der Circe er-
zeugten Sohn, Telegonus. (N. IX. S. 92.):
Ulysses (zum Chor) „Haltet mich, haltet! Mich verzehrt das Geschwür.
Entblösst mich, o mir! Mich vernichtet die Qual!
Verlasst mich, gehorcht, lasst mich allein!
Jede Berührung, jede Betastung,
Weh! sie verdoppelt den wüthenden Schmerz!
Ulixes. Retiuete, tenete! opprimit ulcus.
Nudate! heu miserum me, excrucior!
Operite, abscedite jamjam.
Mittite, nani attractu et qüassu
Saevum amplificatis dolorem.
Doch wird auch gleich der obligate römische Dämpfer auf diesen
heroischen Schmerzensausdruck Sophokleischer Tragik gesetzt, die
der Halbgrieche Pacuvius seinen Römern ins römische Helden-
pathos, d. h. in's Stoische des Schmerzverwindens umtragiren
musste (N. X.):
,, Still beklagen darf sein Schicksal
Doch bejammern nicht der Mann;
Also ziemt es ihm; denn Thränen
Sind des Weibes Eigenthum" . . .
Aber auch der Tragödie, gelehrter Greis!
Conqueri fortunam adversam, non lamentari decet,
Id viri est officium, fletus muliebri additus.
Muss solche Römer -Tragik nicht jedes Mitleid sich alles Ern-
stes verbitten? Und was ist eine Tragik ohne Mitleid? Si fra-
ctus illabatur oi'bis impavidum ferient ruinae — unter diesem er-
habenen Zeichen unbeugsamen Römersinnes mögen die Seneca
und grossen Corneille siegen; eine tragische Mitleidszähre fliesst
unter solchem Zeichen nicht.
1) Cic. de N. Deor. III, 19.
Attiu.s. 341
Pentheus. Ohne Nummer; ohne Bruchstück. Eine Ei-wäh-
nung von dieser Tragödie des Pacuvius findet sich bei Servius^),
nebst Angabe der Fabel, die wir aus Euripides' Bakchae kennen.
Fe riboea (XXVIII. 38). Mutter des Ajax, den die von
ihrem Vater verfolgte und als Sklavin verkaufte Gemahlin des
Telamon auf der Insel Salamis gebar. Ribbeck ^) hält diese Tra-
gödie für eine Nachbildung des Oeneus von Euripides.
Teucer nach Sophokles. 3)
Aus unbestimmten Dramen enthält die Fragmentensammlung
noch LX Nummern mit etwa 70 V.
Von Pacuvius' Praetexta: Paulus (Aemilius) sind 4 Verse
(N. IV.) übrig.
Lucius Attius. Geb. um 584 d. St. Aus seinem Leben
ist nichts bekannt, als dass er zu Tarent dem hochbejahrten Pa-
cuvius seinen Atreus vorlas.'*) Wie den Pacuvius Gelehrsamkeit
und Frachtbarkeit, so zeichnete den Attius Geisteshoheit, Schwung
und Erhabenheit aus: Aufert Pacuvius docti famam senis, Attius
alti; „Attius (oder Acciusj heisst der erhabne." Aehnlich Ovi-
dius.'^) und Quinctil.'*) Er strebte dem Aeschylos nach, dessen
befreiten Prometheus er iu's Lateinische übertrug. Das einzige
daraus erhaltene Fragment^) haben wir bei Besprechung von
Aeschylos' befreitem Prometheus mitgetheilt. Aus dem Titel Ae-
neadae (s. Decius) wollte Stieglitz S) eine trilogische Composition
vermuthen. Aeneadae und Antenoridae waren aber nur gemein-
same Titel für verscliiedene Stücke aus der römischen Geschichte.
Zugleich beschäftigte sich Attius, der Aeschylos der Römer und
ihr gi-össter Tragiker '0, mit der Theorie seiner Kunst, wie So-
phokles. Ausser einer Geschichte der dramatischen Poesie, Di-
dascalia in raehrern Büclieru, schrieb Attius auch ein Werk über
dramatische Kunst unter dem Titel Pragmatica.**^)
Achilles (III, 3j nach Aeschyl., Myrmidones iIX. \1) nach
Aeschyl., Aegisthus (V. 6.), Clytämnestra (X. 11) n. Aeschyl,
Agaraeranonidae (II, 5), Erigona (VII, 7) n. Sophokles,
Alcestis (1 V.j, Alcumaeo (VIII, 11), Alphesiboea (IX,
1) Aen. IV, 469. 2) S. 297. — 3) Welcker a. a. 0. - 4) GeU. XIH,
2. Euseb. n. MDCCCLXX. — b) Amor. I, 15. — 6) V, 13. - 7) Cic.
Tusc. II, 10. — 8) Dulor. p. 71. — 9) VeU. P. I, 17. — 10) Mercerus zu
Non. M. p. 134.
342 ^^^ römische Drama.
10). Diese hält Bothe ^) mit Alciimaeo für eine und dieselbe
Tragödie und vermuthet als Inhalt Alkmäon's Ermordung durch
die Söhne des Phegeus. Amphitruo (XIII, 15) nach Sophokles'^),
Persidae (I. 2) n. Aeschylos, Andromeda fXV. 18) u. Sophokles,
Antenoridae (V. 7) n. Sophokles, Deiphobus (V. 8), Antigone
(VI. 8) n. Sophokles, Armorum Judicium (XV. 16) n. Aeschylos,
Astyan ax (Xllt. 21 j n. Sophokles, Atreus (XIX. 32) n. Sophokles,
Bacchae (XIX. 20) n. Euripides, Chrysippus (V. 6) n. Sophokles,
Diomedes (Xu. 14), Epigoni (XVI. 20) n. Euripides, Eriphyla
(1 V.) n. Sophokles, Erinausimacha (XVII. 20), Eurysaces
(XXIII.43)n.Sophokles,Hecuba(lV.jn. Euripides, Hellen es (in.
5) n. Sophokles, Medea (XIII. 43) n. Euripides, Meleager (XVII.
20) n. Sophokles, Neoptolemus (XIII. 13) n. Sophokles (Polyxene),
Nyctegresia (X.IO). Der nächtliche Fürstenrath. Fabel des Rh esos.
Oenomaus (X. 20) n. Sophokles, Pelopidae (H. 7) n. Sophokles,
Philocteta (XXI. 45) n. Aeschylos, Phinidae (IX. 12) n. Ae-
schylos, Thebais (I. 2) n. Euripides, Telephus (XV. 23) n.
Aeschylos, Tereus (IX. 14) nach Sophokles.
Aus unbestimmten Dramen (XLI. 34).
Praetextae von Attius werden genannt : Aeneadae s. De-
cius (Xn. 15.). Inhalt: Des Decius Opfertod fürs Vaterland. 2)
Die Bruchstücke hat Ribbeck 'j zu einem vollständigen Fabel-
Skelett mit osteologischem Geschick verbunden.
Brutus (V. 25). N. 1. (Rib. S. 239):
Tarquiuius (Superbus).
Wie ich zu Nacht den Leib East halten Hess,
Durch Schlaf die müden Glieder zu erquicken:
Da war es mir im Traum, als trieb zu mir
Ein Hirte seine trefflich schöne Heerde.
Zwei Störe wählt' ich d'raus, in deren Adern
Ein Blut geflossen, und den besseren,
Den schlachtet' ich. Sein Bruder rennt darauf
Mit seinen Hörnern gegen mich, und wirft
Zu Boden mich mit einem Stoss, dass ich
Im Staube, rücklings, schwer verwundet lag.
Und da sah ich ein wunderbar Ereigniss
1) Rhein. Mus. 1836. S. 2.52. — 2) Welcker a. a. 0. - 3) Liv. X, 27.
— 4) S. 350.
Des Attius Praetesta: Brutus. 343
Am Himmel, denn der Sonne Feuerball
Zerschmolz und ging rechtwärts in andre Bahn.
N. n.:
Ein Augur. König! wenn was der Mensch im Leben
Handhabt, denket, sorgt und schaut,
Was er wachend thut und treibt,
Wenn ihm das erscheint im Traum,
Ist's kein Wunder. Doch ist diessmal
Deutungslos nicht dein Gesicht.
Drum hab' Acht, ob den du blöde
Achtest, und dem Vieh kaum gleich,
Ob er nicht im wackern Busen
Hohen Weisheitssinn bewahrt,
Dass er dich vom Thron nicht stosse. —
Was du an der Sonne sahst.
Deutet an, dass nahen Wechsels
Harren mög' das Eömervolk. —
Mag's dem Volk zum Heü gedeihen! —
Denn dass rechtwärts seinen Lauf
Nahm von links das stärkre Zeichen,
Deutet Günstiges uns an;
Dass in Herrlichkeit vor allen
Blühen wii'd das Römervolk. —
N. in. Volk. Wer uns am besten hat berathen.
Der steh als Haupt auch an des Volkes Spitze.
N. IV. TuUius, der fest gegründet
Hat dem Bürger Freiheit, Recht.
N. V. Lucretia. In stürmischer Nacht kam er in unser Haus.
Tarquin. Quum jam quieti corpus nocturno impetu
Dedi sopore placans artus languidos:
Visum est in somnis pastorem ad me adpellere
Pecus lanigerum eximia pulcritudine,
Duos consanguineos arietes inde eUgi
Praeclarioremque alterum immolare me.
Deinde ejus germanum cornibus conitier
In me arietare, eoque ictu me ad casum dari:
Qui prostratum terra, graviter saucium,
Resupinum in caelo contueri maxumum
Mirificum facinus: dextrorsum orbem flammeum
Radiatum solis liquier cursu novo.
N. n. (Augur) Rex, quae in vita usurpant homines, cogitant curant vident
Quaeque agunt vigilantes agitantque, ea si cui in somno
accidunt,
Minus mirum est, sed di rem tantam haud temere im-
proviso offeiiint.
344 ^^^ römische Drama.
Proin vide, ne quem tu esse hebetem deputes aeque ac
pecus,
Is sapieutia munitum pectus egregie gerat
Teque regno expellat: nam id quod de sole ostentum est
tibi,
Populo comniutationem rerum protendit fore
Perpropinquam. Haec bene verruncent populo! Nam quod
dexterum
Cepit cursum ab laeva signum praepotens, puloherrume,
Auguratum est rem Eomanam publicain sommam fore.
N. in. (Populus) . . . Qui recte consulat, consul elucet.
N. IV. Tullius, qui libertatem civibiis stabüiuerat.
N. V. Lucretia. Nocte intempesta nostram deveiiit domum.
Das sind die fünf Tragiker Roms, aus der Zeit der Republik ;
aus dem eisernen Zeitalter Roms, das aber in Wahrheit, wie schon
bemerkt, sein goldenes war, ähnlich jenem Stabe, den der Grün-
der dieser Republik, Marcus Brutus, dem Delphischen Apoll weihte
und der in einer Schale von hartem Eichenholz eine Stange barg
von gediegenem Golde. Einen sechsten Dichter dieser Periode,
M. Atilius, dessen Electra, eine üebertragung der Sophoklei-
schen Elektra, Cicero ablehnt, nennt er, mit Berufung auf Lici-
nius, ferreum scriptorem ')» „einen eisernen Schriftsteller", welcher
danach also nur von aussen jenem Brutusstabe glich, und den
Bernhardy denn auch als „ungeniessbar" zum alten Eisen wirft '-)
— den Tragiker Atilius nämlich; als Komödiendichter lässt ihn
auch Bernhardy gelten. Aus jenen fünf Grundsäulen der repu-
blicanischen Römertragödie, unter deren Scherbenhügel sie, als
ihre eigenen Grabstelen, halb verschüttet trauern, ragt M. Attius,
römischen Geschmacksrichtern zufolge, hoch hervor. Vellejus be-
zeichnet ihn als Gipfel der römischen Tragödie ^) ; Columella weist
dem Attius neben Virgil die höchste Stelle an.^) Quinctilian
preist Attius ^), und nächst ihm, Pacuvius, als die beiden an ge-
diegener Spruchweisheit, Gewicht der Worte und Schwergehalt
der Charaktere bedeutendsten Tragiker.
Von den Tragödien aus dem „goldenen Zeitalter" der ersten
Kaiser, namentlich aus der goldnen Zeit des Kaisers Augustus,
1) Fin. I, 2. — 2) Rom. Litt S. 181. — 3) II, 6. — 4) De re rust.
praef. — 5) X, I, 97.
Asinius Pollio. 345
der bekanntlich sein Leben als eine lustige Farce mit einem plau-
dite schloss, sind von den üeberbleibseln selbst nm- wenige küm-
merliche Brocken für den Ranzen der Antiquare abgefallen. C.
Asinius Pollio, einer der gefeiertesten Redner und Tragödien-
dichter jener Zeit, hat nicht einmal die Eine Klaue liinterlassen,
aus welcher ein Welcker, dieser Cuvier dramaturgischer Fossil-
knochen, den ganzen Löwen hätte herstellen können. Nicht ein
Vers von Asinius Pollio's Tragödien ist dem Untergang entrissen.
Asinius Pollio, dessen Dichtungen Vü'gil als die einzigen besingt,
die des Sophokleischen Kothurns würdig ^):
Sola Sophocleo tua carmma digna cotliurno.
und für dessen tragischen Trimeter Horatius Zeugniss ablegt -) :
„Pollio dein senarischer Vers sind Thaten der Grossen."
Pollio regum
Facta canit, pede ter percusso . . .
Nicht ein Riemlein von diesem Kothurn, nicht ein Bein von die-
sem senarischen Dreifuss ist auf uns gekommen. Was von Asi-
nius Pollio zu sammeln und aufzutreiben war, hat sein BiogTaph,
der Holländer Thorbecke, gemss aus allen Ecken und Enden zu-
sammengetragen mit heissem Bemühen; aber nach einem Bruch-
stück aus einer Tragödie des Pollio sieht man sich selbst in
Thorbecke's Schrift ■'') vergebens um — Halt! ein Splitterchen doch
erhascht! In des Charisius (410 nach Chr.) gram. lat. ed. Putsch,
p. 77. glücklich aufgestöbert: „Veneris antistita Cupras" fCjqn'iae).
Welcher Fund ! 0 Oder weiss Masson in seiner Vita Ovidii von
einem dritten Verse etwa zu den zwei einzigen aus Ovid's Medea
unter den Fragmenten aufbewahrten Versen? aus Ovid's, von
Quinctilian '') so hoch gepriesener und über Alles, was Ovid ge-
dichtet, gerühmter Medea?
..Gleich einer Gottverzückten schweif ich hin und her"
Feror huc illuc ut plena deo.
„Erhalten könnt' ich dich, ob ich verderhen
Dich kann, fragst du?" . . .
1) Ecl. Vm, 10. — 2) Sat. I, lü, 50f. — 3) de Asinü PoUion. vita
ac studiis doctrin. Lugd. Batav. 1820. — 4) das. p. 125. — 5) X, I, 98.
Tacit. Dial. 12.
346 ^^^ römisclie Drama.
Mehr über Ovid's Tragödie, Medea, hat auch Masson nicht von
dem Teiresias in der Fragmenten-Nekjia erkunden und erforschen
können ; geschweige dass er, in Betreff der sonstigen Dramen des
Ovidius, von dem Thebanischen Seher Winke erhalten hätte. Denn
dass Ovid mehr als ein Theaterstück gedichtet, vernehmen vrir
aus seinem eigenen Munde ^):
Et mea sunt populo saltata poemata saepe.
Und vor dem Volke wie oft nicht tanzte man meine Poeme.
Und 2):
Carmina quod pleno saltari nostra theatro
Versibus et plaudi scribis amice meis.
,,Unsre Gesäuge, so schreibst du, tanzt man bei vollem Theater;
Beifall, schreibst du mir, Freund, klatsch' auch den Versen das Volk."
Vom gepriesenen Thyestes des Varius Rufus, was enthält die
Topfscharre der Abhubsammleiin, Archäologie?
— ,,Das Grässlichste zu leiden und zu tbun.
Bin ich genötliiget" . . .
Jam ferre infandissima
Jam facere cogor ...
Dieser magere Bissen ist Alles, was von der Tragödie Thyestes
des L. Varius Rufus und der berüchtigten Mahlzeit übrig ge-
blieben. Und doch sagt Quinctilian, der Thyestes des Varius dürfe
jeder Ti-agödie der Griechen an die Seite gestellt werden: Jam
Varii Th3^estes cuilibet Graecorum comparari potest. ^) Ein harter
Verlust, über den sich Varius Rufus vielleicht am wenigsten grä-
men mag, da er ihn der nachrichterlicheu Vergleichung und Prü-
fung von Quinctilian's Lobspruch überhebt. Zumal Varius Rufiis
das Beste fort hat: die Million Sestertien (25,000 Thlr.), die er
für seinen Thyestes erhalten, welcher, nach der Schlacht bei Ac-
tium, an den Spielen bei dem Triumphe des Octavianus im August
des Jahres 725 d. St. aufgeführt ward. ^) Atalanta, Peliades,
Thyestes — wie viel ist uns von diesen drei Tragödien eines
Gracchus erhalten, den Is. Vossius mit dem C. Gracchus, Bru-
1) Trist. II. V. 519. — 2) das. V, 7. v. 25. — 3) X, I, 93. — 4) Schol.
aus ein. Pariser Cod. Quicerat, Bibl. de l'ecole des chartes. 1839. Zuerst
abgedr. I. p. 52. Dann von Schneidewin im Ehein. Mus. 1842. S. 106ff.
1843. S. 638.
Pomponius Secundus. 347
der des T. Gracchus vei^wechselte, die selbst als Volkslielden er-
schütternder Geschichtstrag'ödien fielen, von ihnen gedichtet und
gespielt, mit der ganzen römischen Plebs als tragischem Chor —
so erschütternd, dass der römische Staatskoloss von diesen auf
offenem Markte gespielten Tragödien vielleicht den ersten Stoss
und ßiss erhielt, an dem er barst und später zusammenbrach,
unser Gracchus, der Autor der genannten drei Tragödien, Ata-
lanta, Peliades und Thyestes, hiess Junius Gracchus. Und wie
viel der Brocken aus diesen Tragödien kann der dramaturgisch
archäologische Schnappsack auskramen? Aus jeder einen Vers,
und aus einer vierten von unbekannter Fabel einen halben! „Pur-
puram et Diadema" - bedeutsam genug für die beiden Plunder-
stücke aus der Rumpelkammer der Weltgeschichte, in denen der
vereinte ünheilsfluch von Nessus' Kleid und Althäa's Brand fort-
erbt und die doch zuletzt in den Zunder und Moder ihrer blossen
Namen zerfallen.
„Bei weitem der bedeutendste unter allen, die ich aus eige-
ner Erfahrung kenne (eorum quos viderim longe princeps) ist Pom-
ponius Secundus", rühmt Quinctilian ') von diesem durch
schmuckvolle Eleganz und Gelehrsamkeit (eruditione et nitore)
hervorragenden Tragödieudichter, in üebereinstimmung mit Taci-
tus und den beiden Pliuius. -) Ein halber Vers ist die einzige Spur,
die des Pomponius Tragödie Aeneas zurückgelassen. Sein Waf-
fengericht (Armor. Judicium) hat sich mit einer Zeile abgefun-
den. Aus anderthalb Versen besteht die ganze Hinterlassenschaft
seines Atreus. Als Zugabe drei Nummern aus titellosen, unbe-
stimmten Tragödien. N. III. mit dem einzigen Wort Omneis
„Alle" — und damit ist es auch alle.
Noch zwei Rubriken von Tragödien-Fragmenten schüttet der
Reliquien-Beutel vor uns aus: 1) Fragmente unbekannter Dichter
mit bekannten Dramentiteln ; Incertorum Poetarum fabulae 3) :
VII Nummern mit eben so vielen verstümmelten Verszeilen. 2)
Fragmente unbekannter Dichter unbekannter Tragödien mit un-
bekannten Titeln: Ex Inceitis Incertorum Fabulis ^): Die zahl-
reichste Klasse, die nicht weniger als CXLVI Nummern enthält
1) XI, 1, 98. - 2) mtpp. Epp. m. 5, 3. - 3) Eibb. 198 ff. -- 4)
Das. p. 200 flf.
348 D'i^ römische Drama.
— NoS' umuerus sumus, und au Zahl unbekauuter VerschoUen-
heiten nur von einer noch umfassendem dritten Klasse, von der
Klasse der unbekanuten Fragmente, überflügelt wird. Die letzte
Nummer der 2. Klasse, N. CXLVI, schliesst ab mit dem einzigen,
aber die Quintessenz der ganzen Dramatik enthaltenden Worte:
Plaudite! Mit demselben schon erwähnten Schlussworte, womit
der kaiserliche Komödiant Caesar Octavianus Augustus seine tra-
gikomische Posse dem Beifall der Mit- und Nachwelt empfahl.
Ausser dieser Posse, der einzigen, die sich auf dem Repertoir des
Weltgescliichtstheaters erhalten und mit ungeschwächtem Beifall
und dem glänzendsten Erfolge noch heutigen Tages, wenn auch
nicht immer von so geschickten Schauspielern wie der kaiserlich
römische Muster-Komödiant einer war, fortgespielt wird — ausser
dieser Posse hat C. Octavius Augustus auch ernste Dramen
verfasst: einen Ajax, den Sueton ^) und Macrobius-) anführen.
Suidas fügt noch einen Achilles hinzu. Aber schon sein grosser
Vorfahr Julius Caesar hatte sich als tragischen Dichter ver-
sucht und einen Oedip US verfasst, in frühern Jahren, noch bevor
er selbst mit seiner Mutter, der Republik, in Blutschande gelebt,
die er dann, statt der Sphinx, vom Tarpeischen Fels in den Ab-
grund gestürzt. Sein Trauerspiel Oedipus war ein Jugendwerk ^j,
das sein Nachfolger und Erbe unterdrückte: cum beneficio inven-
tarii. Aus den Tragödien von J. Caesar's Zeitgenossen und Na-
mensvetter, C. Julius Caesar, auch Strabo und Vopiscus ge-
nannt, sind noch zwei oder drei Verse vorhanden. In einem
Scholion zu Cicero' s Rede pro Scauro bemerkt Asconius von die-
sem J. Caesar Strabo: Idem inter primos temporis sui oratores
et tragicus admodum habitus est, hujus sunt enim tragoediae quae
inscribuntur Julii: „Derselbe der unter den ersten Rednern seiner
Zeit glänzte, galt zugleich als ein vorzüglicher tragischer Dichter.
Von ihm rühren die Tragödien her, welche unter dem Namen
Julii gehen (Julii imperatoris nämlich). Noch verschiedene an-
dere, als Tragiker unter Augustus gerühmte Dichter haben nicht
einmal die Namen ihrer Stücke, die ihnen einen gemacht, der Nach-
welt überliefert. Aus einem Vers des Ovidius*): Musaque Tur-
rani tragicis innixa cothurnis, erfahren wir, dass die Muse des
1) c. 85. — 2) n, 4. — 3) Suet. J. C. 56. — 4) Epp. e Ponto IV, 10.
Das weinerliche Schauspiel der Römer. 349
Tiirranius auf tragischen Stelzen einherging, nicht aber in wel-
chen seiner Tragödien. Wir vernehmen von einem Pupius, der
Rührstücke geschrieben:
Ut propius spectes lacriniosa poemata Pupi i)
,,Dass du näher betrachtest des Pupius thränende Stücke" —
Das ist Alles was uns Horaz von Pupius und seinen dramatischen
Thränenfisteln wissen lässt. Schon als Vertreter der Comedie
larmoyante bei den Römern, achtzehiilmndert Jahre vor La
Chausee, der als Erfinder der Gattung gilt, hätte Pupius von
Horaz eine nähere Angabe, zu Nutz und Frommen der Nachwelt,
verdient, damit auch sie „näher betrachte des Pupius weinerlich
Schauspiel." Gleichergestalt verhält es sich mit C. Titius Sep-
timius, von dem auch nur im Allgemeinen Horaz in einem
Verse "^) andeutet, dass er in der tragischen Stelzenkunst Grosses
leistete :
An tragica desaevit et anipullatur in arte.
Ob er in tragischer Kunst auftritt hochtrabend und tobend V
Derselbe Titius war nämlich auch lyrischer Dichter im Pindar'-
schen Styl:
„Der den Pindarischen Quell muthlos nicht zagte zu schöiifen.-" ^)
Pindarici fontis qui non expalluit haustus.
Ebenso riickhaltig zeigt sich Horaz in Betreff des Cassius P ar-
me nsis (aus Parma), in der nächsten Epistel^) an den f^legiker
Albius TibuUus, den er fragt, womit er sich denn zur Stunde be-
schäftige :
„Willst du verdunkeln vielleicht des Parniensischen Cassius Werke?
Quid nunc te dicani facere in i-egione Pedana?
Scribere, quod (!assi Parniensis opuscula vincat?
Hiezu bemerkt der Scholiast: scripserat (der Cassius) multas tra-
goedias, und damit gut. Demselben Parniensischen Cassius schreibt
ein anderer Scholiast ^) wohl fälschlich den Thyestes des L. Varius
zu; über diejenigen Dramen aber, die der Tragiker aus Parma
1) Hör. Ep. 1, 1. V. 67. — 2) Ep. I, 3. v. 14. - 3) Das. v. 7. — 4)
IV. V. 3. — 5) Cruqu. zu Hör. Ep. ad Pis. v. 283.
350 C)^^ römische Drama.
wirklich geschrieben, lässt uns auch der Cruquius im Blossen;
so dass vom Parmensischen Cassius nichts als sein Name übrig
blieb, der einem zwischen den Zähnen knirscht, wie sein Lands-
mann und Namensvetter, der Parmesanische Caseus. Noch schlim-
mer steht es mit den Tragödien des Mamercus Aemilius
Scaurus, von welchem Dio Cassius einen Atreus nennt ^), der
auf Kaiser Tiberius einen solchen Eindruck machte, dass er den
Dichter zum Selbstmord zwang. -) Der in Purpm- eingewickelte
und mit Lorberen und Diadem geschmückte Nachtalp Roms
glaubte nämlich in einigen Versen der Tragödie eine Anspielung
zu wittern — „Ich will dich zum Ajax machen", knirschte der
Alp, und hockte hin auf die Brust des Tragikers und drückte
und presste so gräulich , bis der arme Dichter aus Verzweiflung
sich selbst entleibte, wie Ajax. Grossmäclitigster Alp ! Würdiger
Cäsar! Worthj^ Caesar! Des Cäsar-Grusses höchst würdig, des
yaiQe Kaioag, das dem Stiefvater des Alp, dem Kaiser Augustus,
bekanntlich jener zu solchem Siegesgrusse vom römischen Schuster
abgerichtete Staar zurief, und welches „Glückauf Cäsar!" auch
ein Berliner Staarmatz, noch im sechsten Jahrzehnd des XIX. Jahr-
hunderts dem Blut-Alp Tiberius zuschnalzte, als sein Cäsarisches
„Gutheil!" nach] »läppernd getreulich, wie es ihm der Merivale
vorgekaut, der ihn darauf abgerichtet, und mit demselben Com-
mentar wie der römische Schuster seinen Staar mit der Glosse:
Operam et oleum perdidi!
Von Nero Claudius Cäsar, der den „Nero" otfen und frei
voranstellte, den Tiberius Claudius Nero hinter dem Tiberius
verbarg — von Nero durfte man sich schon eher Dichter- und
Tragödien-Morde versehen, weil er sie aus Handwerksneid be-
gangen hätte. Denn unzweifelhaft spielte und tanzte Nero auch
seine eigenen Tragödien' dem Publicum auf der Bühne vor. s)
Leider fallen auch sie in unsere dritte Fragmenten-Klasse, in die
der spurlos mit den Tragödien verlorenen Fragmente. Wir wären
sonst in der Lage, in den letzten Todesseufzer Kaiser Nero's ein-
zustimmen: Qualis artifex pereo! Welcli ein Künstler stirbt in
mir! Wunderbarer Weise sollten gerade unter diesem Imperator-
1) LVIII, 24. — 2) Tac. Auiial, VI, 29. ~ 3) Vgl. Reimar. zu Dioii
Cass. II. ]>. 1U25.
Seneca. 351
Histrio, der Rom selbst zur Schlussdecoration von Euripides' Troa-
den: zum brennenden Troja tragiiie, die Leier dazu spielend —
sollten unter Nero gerade die einzigen, nahezu vollständigen rö-
mischen Tragödien, neun Crepidatae (nach griechischen Vorbil-
dern) und Eine praetexta, mit dem Leben davon kommen. Den
Dichter dieser zehn Tragödien, wenn Nero's Lehrer der Philosoph
Annans Seneca, ihr Dichter war, machte zwar Nero Claudius Cä-
sar ebenfalls zum unfreiwilligen Ajax, zu welchem Tiberius Clau-
dius Nero den Mamercus Scaurus, den Dichter des Atreus, ge-
macht hatte; indessen entgingen doch die zehn dem Seneca zu-
geschriebenen Tragödien, wie dm'ch ein Wunder, dem Blutbade,
das ihr Dichter sich aus den eigenen .Adern herrichten musste.
Lucius Annaeus Seneca,
Sohn des Ehetors M. Annaeus Seneca, in der ersten Hälfte des er-
sten Jahrh. nach Chr. geb. in Corduba fColonia Patricia Cordubensis
in Hispania Baetica). Er kam schon als Kind nach Rom, erhielt
eine sorgfältige Erziehung, studirte unter Anleitung des Attalus und
Papyrius die stoische Philosophie, bekleidete hohe Staatsämter unter
Kaiser Claudius und wurde von diesem, wegen eines zärtlichen Ver-
hältnisses mit Prinzessin Julia, auf Anstiften der eifersüchtigen
Messalina, nach Corsica verbannt. Nach achtjährigem Exil kehrte er
in die Hauptstadt zurück, von Messalina's Nachfolgerin, Kaiserin
Agrippina, Nero's Mutter, dahin berufen. Prätor (44 nach Chr.),
Consul 58 nach Chi'., wurde Seneca zuletzt zum Lehrer und Erzieher
Nero's ernannt, den er recht eigentlich zu seiner Viper im Busen er-
zog. Angeblich in die Verschwörung des Piso verwickelt, starb er,
da ihm sein kaiserlicher Zögling die Wahl des Todes in Gnaden
zugestanden, mit stoischem Gleichmuth, wie schon angegeben, in
Folge von Verblutung im Bade, deren langsame Wirkung er durch
genossenes Gift beschleunigte (65 n. Chr.). Man nennt ihn, um
ihn von seinem Vater, dem Rhetor, zu unterscheiden, den „Philo-
sophen." rel)er die Identität des Philosophen Seneca mit dem
Dichter der unter seinem Namen gehenden Tragödien sind die
Gelehrten in Zwiespalt. Quinctilian schreibt dem Seneca Canniua
im Allgemeinen zu. ') Dessgleichen Tacitus. -) Als Verfasser
1) X, 1, 125. - 2) XIV, 52.
352 Das römische Drama.
vou Medea nennt Quinctil. Seneca schlichtweg i), ohne diesen nä-
her zu bezeichnen. "-) Andern Andeutungen des Quinctilian lässt
sich eine gezwungene Beziehung auf Seneca's Tragödien unter-
schieben. Sidonius Apollinaris (5. Jahrh. n. Chr.) unterscheidet
ausdrücklich den Philosophen vom Tragiker: quorum alter colit
hispidum Platona... Orchestram quatit alter Euripidis. 3) Zwölf
Jahi'hundei-te nach Sidon. Apollin. streitet Mart. Delrio wieder
für die Einheit von Dichter und Philosophen. ■*) Hierauf nimmt
die philologische Kritik des 16. und 17. Jahrh. eine Sondemng
unter den Seneca-Tragödien selber vor, indem sie dieselben an
verschiedene Verfasser vertheilt. Gestützt auf das Zeugniss des
Quinctilian, legt Justus Lipsius ^) nur die Medea dem Philosophen
Seneca bei. Die Fragmente der Thebais glaubt Lipsius noch in
das Zeitalter des Augustus hinaufrücken zu müssen. Die übrigen
Tragödien gehören, ihm zufolge, einem M. oder L. Seneca aus
Trajan's Zeitalter an. Die Octavia venvirft er ganz; er nennt sie
ein elendes Machwerk: verbere potius excipienda eruditorum, non
plausu, „das eher die Kuthe, als den Beifall des Gelehrten ver-
diene."
Daniel Heinsius^) nimmt fünf verschiedene Verfasser an.
Dem Philosophen Seneca vindicirt er: die Medea, auf das Zeug-
niss desQuinct.; die Troerinnen, mit Beruftmg auf den Gram-
matiker Aem. Probus (4. Jahrh.). Im Hippolytus erblickt Hein-
sius ein so vortreffliches AVerk, dass er ihn einem altern Tragi-
ker beilegen zu müssen glaubt, ungeachtet Priscian (6. Jahrh. n.
Chr.) ihn dem Philosophen Seneca zueignet. Dem Khetor Marcus
Seneca übenveist D. Heinsius den rasenden Hercules, Thy-
estes und Agamemnon, wegen der dem Euripides nachge-
ahmten Prologe, und den Oedipus. ') Einen andern Grund für
diese Zutheilung findet der berühmte holländische Kritiker in der
stoischen Haltung und Rhetorik, die er in den letztgenannten Ti'a-
gödien erkennen will; wohingegen der Dichter der Medea und
1) X, 2, 8. — 2) Vni, 3, 31. - 3) Carm. IX, 213. — 4) Syntagma
tragg. Latt. Antw. 2. Ausg. 1594. Prolegg. II. p. 64 ff. — 5) Antiq. Lect.
ed. Commel. 1589. — 6) L. et M. Ann. Senecae ac reliquar. quae ext. trag.
animadverss. 1642. — 7) Vgl. Bothe L. Ann. Senec. Tragoed. 1819. Praef.
J. Lips. Franc. Rapheleng. dissert. p. XVI ff.
Die Seneca-Kiitik. 353
der Troerinnen sich mehr zu den Ansichten der Epikuräer hin-
neige. Hercules am Oeta mid die Thebaide werden einem
vierten Verfasser zugesprochen. Endlich muss noch ein Fünf-
ter die Octavia auf seine Kappe nehmen. Den rasenden Her-
cules, meint Heinsius, dürfte Nero selbst gespielt haben, in wel-
chem Falle die Megara* eben so gewiss auf der Bühne wirklich
wäre getödtet worden, wie, laut Sueton '), Icarus im Theater wirk-
lich zu Boden fiel und, zerschmettert, die kaiserliche Bestie mit
seinem Blute bespritzte. Das kling-t so grauenvoll scheusslich,
dass man eigens einen Staar abrichten möchte, der es der Welt-
geschichte als eine böswillige Verläumdung aus dem Sinn schwatze.
Wie Minerva die Eule, so müsste Klio zu ihrem Leibvogel sich
den Staar anschaffen, der ihr die Blutbunde zu lauter Schoosshun-
den plappere. — Fast sämmtliche auf die Seneca-Frage bezüglichen
Ansichten und HyjDotliesen der philologischen Kritik jener Zeit
finden sich in der Sammlung des Petrus Scriverius vereinigt. '^)
Die Seneca-Kritik des 18. Jahrb., namentlich die der Fran-
zosen, kehrte zur Annahme eines Verfassers zurück. Brmnoy 3),
Diderot ■"), entschieden sich für die Einheit. Die deutsche Kri-
tik, in diesem, wie in allen andern Punkten, durch Lessing
vertreten, kann, unseres Wissens, nur Lessing's Abhandlung „von
den lat. Trauerspielen, welche unter dem Namen des Seneca
bekannt sind""") nennen, die aber leider, wie so manches An-
dere des grossen Kritikers und Dichters, ein Torso geblieben.
Hieran sclüiesst sich Lessing's „wahrscheinlicher Beweis, dass der
rasende Hercules und der Thyest Einen Verfasser haben." Der
Name Seneca bleibt dabei ganz aus dem Spiele. Damit bricht
die Untersuchung ab. Die übrigen Tragödien des Seneca sind
nicht in Betracht gezogen. So viel lässt sich indessen vorweg
aus diesen mit überzeugenden Gründen, in Betreff jener beiden
Tragödien, geführten Beweisen vermuthen, dass Lessing die acht
andern Tragödien dem Verfasser des rasenden Hercules und des
Thyest nicht würde zuerkannt haben. Nach Lessing brachte die
1) Ner. c. 21. — 2) Petr. Scriv. Collent. vett. tragg. Lugd. Bat. J621.
II, 8. - 3) Theätie des Gr. T. IV. p. 159. ed. n. - 4) Essai sur la vie
et Ics ecrits de Seneque, Oeuvres T. VI. — 5) Theatr. Bibl. II. S.
199.
U. 23
354 Das römische Drama.
Verfasserschaft der Seneca-Tragöclien bei uns zuerst wieder, so
viel Adr wissen , Jacobs in einem trefflichen Aufsatz ') zur Spra-
che. Jacobs stimmt Lessing, bezüglich der zwei Tragödien, bei,
deren Verfasser er auch noch die Troerinnen und den Oedipus
zutheilt.
In unserm Jahrhundert hat sich J.'G. L. Klotsch zuerst
wieder für die Identität des Philosophen mit dem Dichter Seneca,
und zwar zu Gunsten sämmtlicher zehn Tragödien erklärt. "-) Zu-
letzt haben sich Nisard 3) und Welcker für diese Einheit ausge-
sprochen; Welcker mit den Worten: „Ein von dem Philosophen
verschiedener berühmter Tragiker Seneca derselben Zeit ist durch-
aus unglaublich." ^)
Wie mochte nicht erst die Ansicht der Gelehi-ten, in Bezug
auf den Kunstwerth dieser Tragödien, abweichen? Die Thebais,
die Heinsius, der Holländer, für das Product irgend eines Decla-
mators erklärt, erscheint dem Plamänder Justus Lipsius als ein
so vorzügliches Werk, dass er es in das Zeitalter des Augustus,
d. h. unter die Sterne der römischen Literatur und Poesie, ver-
setzt. Während der grosse Holländer für die Troerinnen schwärmt,
und selbst der gelehrteste Sprössling des Hauses della Scala, frü-
her Page des Kaisers Maximilian, dann die grösste kritische Auto-
rität des 16. und 17. Jahrhunderts, Julius Caesar Scaliger, in
seiner Poetik, die Troerinnen des Seneca an die Spitze aller la-
teinischen Tragödien stellt und sie principem latinaruni tragoe-
diarum nennt: verspottet sie der berühmte Flame, Justus Lip-
sius, in einem Brief an Kaphelengius, als das Machwerk eines
verächtlichen unbekannten Stümpers: contemnendi et ignobilis
auctoris opus. Gegen den französischen Jesuiten, Pater Brumoy,
der Seneca's Tragödien mit Geringschätzung abfertigt, nimmt den
Verfasser des rasenden Hercules und Thyestes Lessing in Schutz,
ein Kritiker, der, au Gelehrsamkeit und Scharfsinn den aller-
grössten gewachsen, in Kraft und Vollmacht seines dramatischen
Genies, das kunstrichterliche Urtheil der gesammteu Schul- und
1) Nachtr. zu Suker IV. 2 St. S. 332 ff. 1798. — 2) Prolus. de Ann.
Senec. uno tragg. auct. Wittenb. u. Zerbst 1802. 8. S. 232 ff. Prolus. de
Octavia, 1814. 4. — 3) Etudes sur les poetes lat. I. p. 68 ff'. — 4) Gr.
Trag. 1452.
Lessing über Seneca's Tragödien. 355
schöngeistisclien Kritik aufwiegt. Von dem Dichter dieser beiden
Tragödien sagt Lessing 'j : „Er ist mit den poetischen Farben
allziiversehwenderiseh gewesen; er ist oft in seiner Zeichnung zu
kühn; er treibt die Grösse hier und da bis zur Sclivvulst; und
die Natur scheint bei ihm allzuviel von der Kunst zu haben.
Lauter Fehler, in die ein schlechtes Genie niemals fallen wird.
Und wie klein werden sie, wemi man sie nach dem Stoffe des
Trauerspiels beurtheilt, welcher, wie man gesehen hat, gänzlich
aus der Fabel entlehnt ist ... Dass unser Verfasser sonst
die Regeln der Bühne gekannt, und sich ihnen mit
vieler Klugheit zu unterwerfen gewussthabe, ist nicht
zu läugnen." Letzteres Zugeständniss ist von Wichtigkeit, da
die Schul- und Kunstkritik nach Lessing dem . Verfasser der Se-
neca-Tragödien nicht nur jede Bühneneinsicht und Berücksichti-
gung theatralischer Wirkungen absprach ; sondern auch mit einem
Alles abthuenden Machtspruch diese Tragödien als blosse „rheto-
rische üebuugsstücke'' den Lesedramen zuweist, jenen anagnosti-
schen Tragödien, die wir schon aus Aristoteles' Rhetorik kennen.
Von solchen dramatischen Schulübungen, tragischen Schul-Chrien
gleichsam, behufs rhetorischer Ausbildung, spricht auch Quinct. '^)
Der erste römische Dramatiker, welcher Lese-Tragödien zu aus-
schliesshchem Vortrage in Freundeskreisen (Recitationes) dichtete,
war Asinius Pollio. -^j Die Veranlassung dazu gab nicht, wie
die deutsche Literarhistorie und Kunskritik, nach Lessing, im
Styl der Cabinets-firlasse, decretirt, ein grundsätzliches Absehen
von der praktischen Bühne, Seitens der römischen Dramatiker;
sondern die gänzliche Geschniacksverwilderung des für Thierliatzon,
Klopffechterspiele, Minien und Pantomimen leidenschaftlich ein-
genommenen römischen Publicums, durch alle Stände, des niedri-
gen wie des vornehmen Pöbels, die Kaiser an der Spitze. |) Auch
Jacobs erklärt ^j die Tragödien des Seneca für „rhetorische Uebun-
gen, die ganz und gar nicht für die Aufführung bestimmt gewe-
sen." Lulessen weist der treffliche Beurtheiler auf den Zeitge-
schmack hin, und belegt diess mit Citaten aus der gewichtigen
Schrift: Dialog, de caus. coiTupt. eloq. *^) Glänzende, üppige Be-
1) a. a. 0. — 2) XI, 10, 4. — li) Thorbecke a. a. 0. p. Iü5 ff. - 4)
Vgl. Lange, Vind. etc. p. 24. — 5) a. a. 0. S. 348. -- 6) XIX— XX.
23*
356 I^^^ römische Drama.
Schreibungen forderte der Zeitgeschmack, in der Tragödie vor
allem." Die jungen Eömer liebten die mtzigeu und kurzen Denk-
spiliche. Seneca's Tragödienstyl war der ausschliesslich und einzig
gewünschte, war Mode-Luxus. Sollte aber die Folgerung nicht
die bündigere scheinen: dass diese Tragödien, weil sie Gepräge
und Farbe des Zeitgeschmacks so entschieden, so auffallend zur
Schau tragen ; weil ihre Adern ein Pulsschlag des Blutes schwellt,
das in der Arena, in den Thier- und Gladiatorkämpfen, fioss, - - dass
die Seneca-Tragödien , aus diesem Grunde eben, für die Bühne,
für die Darstellung, für den S. PQ. E. des kaiserlichen Kom, ge-
dichtet und bestimmt waren? Man wisse von keiner Aufführung
— zugestanden; von einer Nichtaufführung aber eben so wenig.
In einem solchen Falle möchte aber die positive, aus der Berück-
sichtigung des Zeit- und Theatergeschmacks abgeleitete Folgerung,
im Verhältnisse ihrer glänzenden Fehler gerade, der wirklichen
Aufführung dieser Tragödien das Wort reden. „Alles scheint in
ihnen darauf angelegt zu seyn", sagt Jacobs, „die Einbildungs-
kraft durch reiche und ausführliche Beschreibungen zu blenden."
• — Wenn nun aber das römische Publicum gerade solche Beschrei-
bungen verlangte! — „durch gehäufte Sentenzen die Aufmerk-
samkeit zu beschäftigen und den Verstand durch eine Menge
von rhetorischen Künsten zu betäuben." — Wie nun, wenn nach
diesen Eigenschaften die Schaumenge ganz besonders brannte,
darauf erpicht und versessen war? nach gehäuften Sentenzen,
rhetorischen Künsten, wie nach panem und Circenses schrie? „In-
wiefern daher der eigentliche Zweck der Tragödie, die Kührung,
eiTeicht wurde, scheint dem Verfasser" (der Seneca-Tragödien) „voll-
kommen gleichgültig gewesen zu seyn." — Es fragt sich : welche
Eühruug? Die Eührung der Sophokleischen oder auch Euripidei-
schen Tragödie; die von der poetischen Tragödie einzig be-
zweckte Eührung — diese Eülu'uhg freilich konnte das Augen-
merk einer Tragödie nicht seyn, welche ein Theaterpublicum er-
schüttern sollte, das, ßestienhatzen und Gladiatorkämpfe ganz aus
dem Spiele gelassen, zu dergleichen überreizten Schauwirkungen
durch seine Bürgerkriege, und schon zur Zeit der Eepublik durch
blutige, nicht selten von Mord und Todtschlag begleitete und
meist durch die hochmüthige Brutalität des Adels herbeigeführte
Markt-Tumalte war vorbereitet und gezüchtet worden. Selbst die
Lessing über die tragisclie Bühne der Römer. 357
tragische Rührung, das tragische Mitleid, war bei dem Römer
vom Blutgeiste der Grausamkeitswollust durchschauert. Daraus
aber auf Nichtaufführbarkeit, Nichtaufgeführtheit dieser Tragödien,
oder gar auf grundsätzliches Absehen von der Bühne, Seitens der
Dichter, schliessen — ebenso gut könnte man von den kunstge-
rechten, das letzte Todeszucken hinhaltenden Zerfleischungen der
Athleten, von den auf grosse Schau Wirkungen berechneten, den
Todesstoss verzögernden, mit der raffiuirtesten Virtuosität versetz-
ten und gehauenen Schlitzwundeu der Netz- und Klopffechter fol-
gern wollen: auch diese Schauspiele seyen blos für Hoflcreise und
die feine gebildete AVeit in Rom, nicht aber für das römische
Volk in Amphitheatern, bestimmt gewesen. So wird man denn
schon, auch was diesen Punkt betrifft, lieber auf Lessing's Ansicht
wetten, als auf Bernliardy's , der jene zu den Acten legt^), und
„diese Werke" (Seneca's Trag.) „als Uebungsstücke für die nüch-
terne Lesung" bezeichnet. 2) Lessing fasst seine Ansicht in fol-
gende Worte 3): „Klopffechter im Kothurn können höchstens nur
bewundert werden. Diese Benennung verdienen alle Personen der
sogenannten Senecaischen Tragödien, und ich bin der festen Mei-
nung, dass die gladiatorischen Spiele die vornehmste Ursache ge-
wesen, warum die Römer in dem Tragischen noch so weit unter
dem Mittelmässigen geblieben sind." Was wendet der gelehrte
Schulmann gegen den Verfasser des Laokoon und den Dichter des
Nathan ein? „Sowohl die Chronologie, als die psychologische
Schätzung der römischen Litteratur stehen diesem vorgeblichen
Einfluss entgegen." — „Sowolil die Chronologie?" Wie denn?
Gab es zur Zeit dieser Tragödien noch keine blutige Gladiator-
spiele, Thierhatzen, Wettrennen in Rom? So gar keine, dass Les-
sing's Meinung, das römische Volk sey durcii solche Spiele gegen
geistigere Eindrücke und seelenhaftere Schmerzgefühle abgestumpft
worden, den „wenig befriedigenden Muthmaassungen" verfallen
bliebe, „welche von zufälligen und oberflächliclien Wahrnehmungen
entnommen" sind? Die Chronologie unterstützt vielmehr diesen
vorgeblich „vorgeblichen Einfluss", als dass sie ihm entgegen
stände. Hatte nicht schon vor Sulla Q. Scaevola ein grosses Löwen-
1) a. a. 0. S. 171. Anm. 288. - 2) Das. S. 182. — 3) Laok. Bd. VI.
S. 401. Lachm.
358 r)as römische Drama.
gefecht zu Korn angestellt ? Nicht Sulla hundert Löwen mit ein-
ander kämpfen lassen? Liess Pompejus nicht 600 im Circus los,
und Jul. Caesar 400? Das weiss Herr Bernhardy aus Plinius ') so
gut wie wir. Oder glaubt er Lessing mit der Chronologie in Be-
zug auf die Gladiatorspiele trumpfen zu können , welche vor die
Tragödien fallen, die Lessing im Auge hat, aus denen doch allein
ein ürtheil über die Beschaffenheit der römischen Tragödie ge-
wonnen werden kann? Wie vollends „die psychologische Schätzung
der römischen Litteratur" den von Lessing angenommenen Einfluss
jener blutigen Spiele ad absurdum führen soll, das, gestehen wir,
geht über unser Verständniss, und möchte wohl auch nur so eine
von den ästhetisch-kritischen Professortiraden der Nach-Lessing'-
schen höhern Kunstgelehrsamkeit seyn, worin sich uns der Ver-
fasser der „Grundrisse" als unübertrefflichen Meister und Kraft-
künstler bei verschiedenen Gelegenheiten schon bewährte. Kommt
einmal diese Phraseologie in Schuss, geht sie mit dem gewieg-
testen, oft treffenden und belehrenden ürtheil durch. So auch
hier, „üeberall" — so jagt sie ^) mit der Seneca-Tragödie brau-
send dahin — „überall sind die mythischen Geschichten als die
unmittelbaren Objecte der Declamation zerlegt und gefärbt wor-
den, ohne Kunst und planmässige Berechnung; desto reicher aus-
gestattet mit schimmernden Betrachtungen und Aussprüchen der
stoischen Philosophie und mit geblähter Denkart, die, sich selbst
tiberbietend, in gehaltleeren Schwulst zerrinnt"' ... Es giebt, es
giebt eine literarhistorische Phraseologie, welcher, in ihrem kriti-
schen Schuleifer, etwas Aehnliches jezuweilen wohl auch passiren
kann.
Doch kehren wir zu Jacobs' besonnener, auch die Vorzüge
dieser Tragödien würdigender Beurtheilung zurück, .ob er sie gleich,
in Beziehung auf ihr Hauptverdienst, das theatralische Pathos,
unseres Bedünkens, ganz verkennt. „Die Anlage der FabeP) ist
fast immer mehr oder weniger fehlerhaft. Die einzelnen Theile
vereinigen sich nicht zu einem Ganzen , und das Tragische , das
sich in dem Einzelnen findet, bringt zwar zuweilen Stauneu oder
Entsetzen, aber niemals Rülirung hervor." In allen diesen Aus-
1) Vm, 2U. - 2) Grundr. d. röm. Litt. S. 183. — 3) a. a. 0. S.
350 ff.
Urtheile über Seneca's Tragik. 359
Stellungen pflichten wir dem einsichtigen Dramaturgen unbedenk-
lich bei, bis auf das „niemals", das Jacobs im Verfolge seiner
Kritik selbst wieder beschränkt und mit der treffenden Bemerkung
berichtigt: dass „einige Züge stiller Ergebung, Zärtlichkeit und
Liebe", ächter tragischer Rührung folglich, in Seneca's Trauer-
spielen gleichwohl vorkämen, „die wie einzelne Sterne an diesem
düstern Himmel funkeln." Wir werden nicht ermangeln, diese
Züge herauszuheben. Ebenso müssen wir Jacobs' Ansicht beitre-
ten, wenn er sagt: dass die Monologe und Erzählungen mit rhe-
torischem Sclimuck überladen; die Begebenheiten nicht mit ge-
höriger Sorgfalt herbeigeführt, die Scenen bei den meisten ohne
Verbindung sind. Dass Alles in gleicher Spannung von Anfang
bis zu Ende gehalten; dass von Entwicklung der Charaktere,
Wachsen der Leidenschaften, allmälichem Steigen zu einer interes-
santen Situation, in diesen Tragödien entweder gar nichts, oder
nur „zufälliger Weise" zu finden. Trotzdem findet Jacobs aber
doch auch vortreffliche, acht tragische Züge, sogar „etwas von der
Kraft des Aeschylos im Seneca", und veiivirft und verdammt nicht
alles und jedes in Bausch und Bogen, wie Bernhardy und, zu
unserem Leidwesen, auch Welcker thut. ') Die wahre Kritik
nimmt Gottes Barmherzigkeit zum Vorbilde. Diese mochte, um
der fünf Gerechten willen, selbst Sodom und Gomorrha vom Un-
tergänge lossprechen, und fünf gerade sejm lassen. Aber auf den
fünf Gerechten besteht sie; fehlen die - ja dann gilt's Feuer und
Schwefel und Bernhardy.
Was Oekonomie anbetrifft, Innern Bau, Fabelführung, Ent-
wickelung der Charalrtere und Leidenschaften an den allmälich
der Katastrophe zureifenden Situationen, mit einem Worte, was
Kunst und Kunsttechnik anbelangt: so steht diese Römer-Tra-
gödie, niclit blos im Vergleich zur griechischen, sondern auch im
Vergleich zu der aus ihr hervorgegangenen classisch-französischen
Tragödie des Corneille und seiner Scluile, auf der untersten Stufe.
Noch trostloser ist es mit ihr, in Rücksiclit auf Poesie der Tragik,
bestellt; in Bezug auf den philosophischen Gedankenkern, den
Versöhnungs- Begriff", das Aufgellen des Tragischen in ein grosses
Weltgesetz. Unter diesem Gesichtspunkt aufgefasst kann die
1) a. a. 0. S. 1453.
360 D^^ römische Drama.
Seueca-Tragödie auf keine, höhere Weihe und Berechtigung An-
spruch machen als die Circusspiele, die Gladiatoren- und Bestien-
wettkämpfe ; so gotteutfremdet und ideenlos ist sie in ihren letz-
ten Zielen. Dessen unerachtot darf ihr eigenthümliches, mederholt
von uns bezeichnetes Fortschrittsmoment nicht übersehen werden :
jenes active, entschlossenere, willensstraffe, aggressive Pathos, jene
spannungsvolle Energie im Leidensausdruck, zu welchem erst das
moderne Drama die entsprechend treibende, fortreissende Gewalt
der Handlung fand. Proben aus einzelnen Tragödien werden den
Charakter dieses Pathos anschaulich machen.
M e d e a. In Fabel , Verlauf, in den Hauptzügen . hält sich
der Römer an sein griechisches Vorbild, an die Medeia des Emi-
pides. Manches motivirt er anders, zu Gunsten seiner Heldin, die
er ins Römisch-Pathetische heroisiii; zu einer Heldin nämlich,
deren Leidenschaft, ungleich dem, aus Schmerz enszorn ob
verrathener Liebe, entsprungneu Rache-Pathos der Medeia des
Euripides, mit der wuthentbrannten Energie einer von Liebes-
weh und Kränkung unerschütterten Kl}i,ämnestra ihre Rachethat
vollbringt. Das Römische dieses Medea-Pathos zeigi sich darin,
dass der .Schmerz, der das Rachegefühl der Medeia des Euripides
durchdringt, bei der Medea des Seneca in dem Ausdruck der
Rachewuth ganz und gar verschwindet. Sie ist die personificirte
Weiberrache; die eingefleischte Vorschrift der ars poetica: Sit
Medea ferax invictaque ^) ; die leibhafte Furie , die selbst des
Schmerzes Stacheln als heissen Sporn sich in die Seele drückt,
rastlos hingespannt auf ihr Ziel und Opfer, nur über diesem brü-
tend, nicht über ihrem Weh, und jeden Jammerlaut und Seufzer
erstickend, als einen Abbruch an der Wollust ihrer Rache-Befrie-
digung. Tragisch wirkt aber nur ein von Schmerz durchdrmige-
nes Rache-Pathos. Ein blos thatfertiges, wuthentbranntes, kann
dramatische Spannungen herbeiführen, Staunen, Schi'ecken, Ent-
setzen erregen, nicht jene Seelensympathie, woraus allein Furcht
und Mitleid entspringen. Oder das Rachegefühl muss sich zur
Furchtbarkeit des Schicksals erheben, und in Gegenfiguren den
tragischen Schmerz entfesseln: wie Klj^tämnestra in der Kassan-
dra z. B., wie Richard EL in den Opfern seiner dämonischen
1) V. 123.
Seneca's Medea. 361
Ehrsucht. Die männliche Seite des tragischen Pathos, das Be-
wegende, die Katastrophe Beflttgehide, vertritt bei den Griechen
das Schicksal eben, das Gottverhängie , unter dessen Druck der
Leidensheld ächzt, welcher das Passive, das weibliche Moment der
Tragik darstellt, das Schmerzensmoment, die Gemttthsbedrängniss,
das Mitleid und Rührung Erregende, gegenüber dem Furcht Er-
weckenden, erhaben Furchtbaren. Die römische Tragödie, dem
Nothwendigkeitsbegriff, der Schicksalsidee, als göttlicher das Sit-
tengesetz vollstreckender Macht, entfremdet, lässt das Schreck])are
so ausschliesslich aus absichtsvoller Tücke und verruchtem Wollen
entspringen, dass Schmerz und Leidgefühl, auch seiner Wider-
standskraft sich bewusst, und kampffertig sich ermannend, in dem
Grade Mitleid und Rührung schwächen muss, als es dem Gegner
Trotz bietet. Welche Gegenfigur zur römischen Medea vermöchte
auch nur einen Schatten von dem Mitleid zu erregen, das Euri-
pides den Rachgefühlen seiner Kindermörderin zu entlocken ver-
stand, und das in der Theilnahme des Frauenchors einen Wieder-
hall findet? Die feindliche Stellung von Seneca's aus Korinthern
bestehendem Chor muss Medea's grauenerregendes Trachten in
dämonische Ausbrüche nur noch greller abheben. Unstreitig hat
Seneca's Jason mehr AVürde und männlichen Adel, als der des
Euripides, dessen Jason, wie die Mehrzahl seiner Männer, ein er-
bärmlicher Wicht ist. Bei Euripides rechtfertigi; Jason die Ver-
mählung mit seiner Fürsorge für die verstossene Gattin und die
Kinder, denen das neue Bündniss zum Vortheil gereiche. Eine
elende Beschönigung, die wie Hohn klingt, die aber, zu Jason's
Schimpf und Schande freilich, dem Mitleid mit Medea zu gute
kommt. Seneca's Jason kaim einen thatsächlichen Grund der
Bedachtnahme auf Gattin und Kinder, die Em-ipides' Jason nur
heuchelt, vorwenden. Der thessalische König Acastus hatte näm-
lich die Auslieferung der Medea und der Kinder von Kreon,
König der Korinther, gefordert, um den durch Medea verschulde-
ten Tod seines Vaters Pelias an ihr zu rächen. Dieses Motiv lässt
die Vermählung von Seneca's Jason mit der korinthischen Prin-
zessin, wodurch die Auslieferung Medea's verhütet wird, nicht
minder hassenswerth und verdammlicli, doch minder verächtlich,
als bei Euripides, erscheinen. Der Beweggrund mildert in etwas
Jason's PIlichtvergessenheit gegen Gattin und Kinder; giebt seiner
3(52 Das römische Drama.
Mauneswüi'de eiuigen Halt in imsereü Augen, und adelt gewisser-
maassen auch die Eache der Medea, die an der fühllosen Ver-
worfenheit des Euripideischen Jason scheiteH. Allein selbst dieser
den Jason des Seneca veredelnde Zug erhöht nur die Haltung der
Tragödie; scliwächt aber in demselben Maasse das Tragische der
Katastrophe, als jedes rechtfertigende Motiv auf Seiten des Un-
rechts, das sie verschuldet, das tragische Schwergewicht gleich-
sam vermindert. Das blos Verständige und Würdige, weit ent-
fernt, dem Untragischen der Leidenschaft aufzuhelfen, erhellt es
vielmehr nur mit seinem kalten Licht. Ein wirklicher Poet kann
aus einem Mangel an Oharakterfolge und Würdigkeit Vortheile
für die Erregung von Furcht und Mitleid ziehen, die der bessere
Charakteristiker, der kein Dichter ist, niemals eiTeicht, ja dadurch
eben, und im Verhältniss als seine Personen edler und würdiger
gebahren, verscherzt. Der wirkliche Dichter ist der Zauberer
eben — uti Magus — dem die Geister der Eührungen und
Schrecken zitternd und auf den Wink gehorchen; mögen auch
diese Rührungen und Schrecken böse, gefährliche Dämonen seyn,
und er selbst ein arger Zauberer, der, mit feindlichen Mächten
im Bunde, seine Zauberkunst und Zaubergewalt, sein Genie, wie
Euripides zuweilen, missbraucht. Aber er zwingt und beherrscht
doch die tragischen Geister, dass sie manchmal sogar die Gestalt
und Form der guten Genien, der ächten tragischen Leidenschaften
annehmen, und unser Gemüth berücken. Dem Römer ist auch
diese Kunst, diese Zauberraacht einer falschen täuschenden Tragik
nicht verliehen; er ist kein Hexenmeister. Sein Zauberstab ist
die hochrednerische Tirade, deren Schwung die tragischen Geister
eher verscheucht alsheraufl^eschwört; ein Zauberstab, der nur sein
strammes, gestrecktes Wesen den dramatischen Figuren als pathe-
tische Würdigkeit anzaubert, und sie selbst gleichsam zu ehren-
festen Zauberstecken emporsteift von der schwunghaftesten Wir-
kungslosigkeit in Beziehung auf Geisterruf und Bann. Tragische
Charakterhoheit mid tragische Leidenschaftswirkung zugleich ver-
mag einzig der gottbegnadete und gotterwählte Dichter-Prophet
in seinem dramatischen Personen zu verschmelzen; vermögen nur
die Prospero's der tragischen Kunst, die den Kaliban mit dem
Ariel bändigen und zwingen. Der Leidenschaftsausdruck des rö-
mischen Tragikers ist dem römischen Charakter-Pathos gemäss,
Medea. Charakter von Seneca's Pathos. 363
dem der romanischen Völker überhaupt, von rhetorischem Schrot
und Korn. Das heisst: der Römer behandelt die tragische Lei-
denschaft mehr in abstracter Weise, indem er ihren Grundzug
durchführt, anstatt die Hauptleidenschaft zur Katastrophe zu ent-
wickeln, so dass in ihr das ganze menschliche Herz sich offenbart
mit allen seinen Tiefen, Abgründen und Schrecken, die aber alle
die Grundfarbe der herrschenden Leidenschaft, der tragischen Do-
minante gleichsam, tragen. Der Römer versteht sich nicht auf
den vielstimmigen Satz der tragischen Leidenschaft, wenn man so
sagen darf. Daher wirkt seine Tragödie wie eine durchgängige
Monodie. Er versteht nicht — wenn wir ein Paar Situations-
Scenen ausnehmen — das kunstvolle Verflössen und Vertrei-
ben der Farben, nicht die feinen Dämpfungen, die Magie der
Licht- und Schattenvertheilung, den Zauber des Helldunkels. Da-
her macht seine Tragödie den Eindruck eines Monochrom. Und
woran liegt es, dass der römische Tragiker in dieser Weise das
tragische Pathos behandölt? Daran liegt es, weil in dem römi-
schen Wesen überhaupt das Charakter-Pathos vorwaltet vor dem
des Geistes und der Empfindung. Das ganze Innere des Römers
wuchert gleichsam in Thatkraft auf und in die einzige Leiden-
schaft ihrer Befriedigung als Genusskraft. Nun spannt die That-
kraft ihre ganze Energie auf einen praktisch bestimmten End-
zweck. That- und WiUenkraft als Individualität ist eben Cha-
rakter, dessen Richtung pfeilscharf und pfeilstarr auf ein unfehl-
bares Ziel hillstrebt. Dieselbe starreiuseitige Selbstbefriedigung
wird denn auch der tragische Charakter verfolgen; sein Empfin-
dungsausdruck den Geist dieser stetig angestrengten Spannkraft
athmen; den Geist praktisch zweckhafter Zielerstrebung, den rhe-
torischen Geist athmen. Wie der Schwimmer die andringen-
den Wogen, so wirft der rhetorische, vom Pathos starrer Zweck-
verfolgung erfüllte Charakterheld die anfluthenden Schmerzeus-
strömungen als Hemnisse aus dem Weg, und schleudert sie ab
„mit einer Brust des Trotzes." Der poetisch tragische Charakter
gleicht dagegen einem Schiff im Seesturm, das, ewig aus der
Richtung geworfen, in allen Fugen ächzt und schüttert; von heissen
Wunden klafft; die bittern Wasserfliithen eiiischlürft, bis es, von
Meer und Orkanen selber gleichsam zum Wogenschwalle gestürmt,
auseinanderbirst und zerschellt.
364 Dfis römische Drama.
Aber auch — um nicht selbst von unserer Medea zu weit
ab verschlagen zu werden — auch die von Manchen als eine Ver-
besserung des Euripides gerühmte plötzliche Wendung bei Seneca
will uns bedenklich scheinen; die Wendung in Medea's bis heran
ausschliesslich auf Kreon und dessen Tochter gerichteter Each-
gier, die sich nur gegen Jason in dem Augenblicke kehrt, wo
Medea aus der Weigerung Jason's, ihr seine Kinder zu lassen,
dessen Vaterliebe folgert, und sie miteins der Gedanke über-
kommt, nun ihn, den Treulosen, auch in diesem zweitverwund-
barsten Punkte seines Herzens tödtlich zu treffen. Als Peripetie
aus dem Stegi*eif und augenblicklicher Eingebung möchte dieser
Umschlag in Medea's Rachemotiven, in Bezug auf Erfindung und
tragische Wirkimg von zweifelhaftem, von fraglichem Werthe er-
scheinen dürfen. Auf Jason's Worte (V. 747) : „Eh kann ich dem
Leben selbst entsagen", als von den Kindern lassen — halt,
denkt Medea, „liebt er sie so heiss, nun fass' ich dich, nun treflT
ich dich gewiss!" — so spricht sie bei Seite. Und nun spaltet
sie den Blitzstrahl üirer Rache: der eine äschert die Braut sammt
Vater ein: den andern schmettert sie in Jason's Vaterherz. Das
veiTäth mehr Raffinement des Rachekitzels, als Racheverzweiflung
eines rasenden Weibes, einer unseligen Mutter. Der Einfall mag
für den Erfindungswitz des Dichters zeugen: aus der Gemüths-
lage seiner Heldin springt der Funke nicht, der ins Pulverfass der
Katastrophe fällt. Ein gewittervolles Herz, wie Medea, hat keine
unversehenen Einfälle: in der Regel Sternschnuppen eines unbe-
wölkten — Gehirns. Ein von Stürmen durchtobtes, mn die Wette
mit ihrem Zauberkessel von allen finstern Naturki'äften und Gif-
ten kochendes Medeagemüth durchzuclrt nicht mit einmal die
Erinnerung an das wichtigste, wie aus Zerstreutheit vergessene
Ingredienz zum Brautrank ihrer Rache. Euripides' Medeia fasst
den Entschluss, die Kinder zu tödten, nachdem sie vom Päda-
gogen vernommen, dass die Knaben vom Banne losgesprochen.
Nun ergreift der heftigste Schmerz üu- Innerstes. In Feindes-
land dem schlechtesten der Väter die mutterlosen Waisen über-
lassen - in dieser durch die gleichzeitige Meldung vom Erfolge
ihres entsetzlichen Brautgeschenkes grauenvollen Lage muss Me-
deia n, ja muss dem Zuschauer der Kindermord als ein Act des
Muttererbarmens, der Mutterzärtlichkeit erscheinen. Und in sol-
Das Pathos der Medea. 365
chem wenngleich täuschenden Lichte mildernder Beweggründe
hat Euripides die Schauderthat uns auch erscheinen lassen und
das Unglaubliche erzielt: das Herz der Zuschauer zum Mitleiden
mit der Giftmischerin, der Kindermörderin bewegt. Das ver-
mochte der Römer nicht, trotz allem Aufwände an Staunen er-
regender, dramatisch- theatralischer Kraft in leidenschaftlichem
Ausdruck, in Pracht und brennender Gluth der Farben, in den
erschütterndsten Gewitterschlägen eines rastlosen, die ganze Natur
in Mitleidenschaft stürmenden, rasenden Gemüthaufruhrs. Wir
schaudern ob dieser Medea, nicht um diese Medea. Sie starrt
uns zu unschmelzbarem Eis. Sie spricht lauter Medusenschilde.
Ihre Zaubergewalt bringt die Natur in Aufruhr, nicht unser Ge-
müth. Ihre Beschwörungen entreissen dem Himmel Sonne, Mond
und Sterne; unsern Augen nicht eine Thräne. Kräutern, Wur-
zeln und Stengeln versteht sie die ätzendsten Säfte abzupressen;
dem wimderlichen Gewächs mit der geheimnissvollsten Zauber-
wurzel, dem Herzen, nicht Einen salzigen Wassertropfen, den
heilkräftigsten Wunderbalsam. Kurz sie kann, was die Hexen
überhaupt nicht können — sie kann nicht weinen. Bekannt-
lich aber, und wie doch Seneca aus seines Landsmanns „Dicht-
kunst" wissen müsste : Si vis me flere dolendum est Primum ipsi
tibi. ^) „Willst du, dass ich weine, musst du selbst erst Kum-
mer mir zeigen." Von diesem Zauberspruch allein weiss Sene-
ca's Medea nicht, und glaubt sich der Wirkung sicher, wenn sie
auch jenem andern Kernspruch ins Auge schlägt:
Nee pueros corain populo Medea trucidet. ^)
„Nicht vor den Augen des Volkes ermorde Medea die Kinder."
Seneca's Medea tritt auch diese Warnung mit Füssen und
schlachtet beide Kinder, eins nach dem andern, coram populo,
und schleudert dem Vater, vom Drachenwagen herab, die Lei-
chen beider Knaben zu:
„Da, Vater, habe deine Söhne dir!"
Und fliegt durch die Lüfte davon.
Statt des Klaggestöhns hinter der Scene, womit gleich im
1) Hör. A. P. 102 f. - 2) Das. v. 185.
366 Das römische Drama.
Beginn Euripides' Medeia unser Herz bedrängt, Himmel, welche
Verwünschungen, welche Götteranrufe, welche Ohr erschütternden
Flüche und welche Masse von Mythologie schon in der Eingangs-
scene, mit Hülfe deren Seneca'sMedea unsere längst ausgeschwitzte
Götterlehre wieder von den Todten erweckt und heraufbeschwört!
Ihr Götter all', die ihr die Ehe schützt! Lucina,
Des freudenreichen Torus Hüterin!
Und, die dem Wogeubändiger Tiphys du
Das Schiff'), dies neue Wunder, lenken lehrtest,
Du auch, der Meerestiefen stürm'ger Herr,
Du Titan, der Welten spendet des Tages Licht!
Und, die dem schweigsam-ernsten Opferbrauch
Die Leuchte stellt, so kundig niederschaut,
Du dreigestaltige Hekate !
Ihr air, zu denen Jason einst mir schwur!
Und ihr, die nur Medea rufen darf:
Du Urgewirr der ew'geu Nacht, du Thron
Der himmlischen Feind', unselige Geister ihr,
Du Herr des Trau'rreichs, und Herrin du 2)
Von tr eurer Lieb' entführt : ich rufe euch,
Euf euch mit unglücksschwerem Ruf.
Herbei des Meineids Rächeriimen ihr!
Herbei mit grausig-losem Sclilangenhaar,
In blut'ger Hand die düstre Fackel schwingend, —
Wie schreckenvoll an meinem Brautbett ihr
Gestanden, Göttinnen, so kommt, bringt Tod
Der neu erkorenen Braut, dem Schwieger Tod,
Und Tod dem ganzen Königstamm! . . .
„Dem Bräutigam" (Jason) wünscht sie fürs Erste nur „Aechtung
und heimathloses UmheriiTen" an den Hals.
Durch Herzens Grund such' dir zur Rache Bahn,
Lebst du mein Muth; und blieb dir etwas noch
Von alter Kraft, so scheuch' die weib'sche Furcht,
Und hüUe dich in den unwirthbar'n Kaukasus.
Ha! Avildes Unheil, grässlich, unerhört,
Dem Himmel schreckhaft wie der Erde, kreist
In seinen Tiefen mein Gemüth . . .
Diesen Grundton schlägt der erste Monolog für alle Folge
1) Argo. — 2) Proserpina.
Medea. Seneca's Diction. 367
an. Das tliatverwogeue Pathos schwillt mit deu Scenen zu immer
kühnerer, wilderer Heftigkeit, vermag aber doch nicht einen Wechsel
der Stimmungen, eine Steigerung der Situationen, einen eigent-
lichen Fortschritt der Handlung zu bewirken. Trotzdem möch-
ten wir den Redeausdruck darum nicht bombastisch nennen. Das
Bombastische oder Schwülstige leidet, bei hochgebahrender Gross-
wortigkeit, zugleich an innerer Markleere und Hohlheit. Seneca's
Diction sündig-t vielmehr dm'ch Ueberstrafflieit, dm-ch Verwegen-
heit des Ausdrucks, üeberti-ieben mag man den Eedestyl lieissen,
unausgesetzt angespannt, voller Schwellungen vor drangvoller üeber-
kraft, wie der Körper eines Ringkämpfers, eines Milo. Seneca's
Styl ist athletisch, wie sein Pathos, mit dem er, wie der Thier-
kämpfer in der Arena mit Löwe und Tieger, ringt, aus Risswun-
den au allen Stellen blutend.
Der Chor singt das Hochzeitslied zur Feier von Jason's Ver-
mählung mit der Königstochter, wozu die ganze M3'thologie ein-
geladen wird. Der Seneca-Chor scheint überhaupt nur aufzutre-
ten, um einen V^ortrag über Mythologie, Geographie und Astro-
nomie zu halten, wie reisende Virtuosen sich in den Zwischenacten
hören lassen. Trotzdem ist auch der Chor-Styl in Form, Ausdruck
und selbst durch Gehalt und Gedanken, mit römischen Gewichten
gewogen, bedeutsam und studienwürdig. In Hoche's schätzbarer
Schrift 'j ist dieser Gegenstand mit kritischer Einsicht behandelt.
Medea vernimmt den Hochzeitsgesang und eröffnet den zwei-
ten Act mit einem zweiten Monolog von monotoner Redekraft,
aber wieder ein pathetisch-declamatorisches Prachtstück, berech-
net für Gehör und Schausinn, und desshalb theatralisch. Die
Amme tritt hinzu, die obligate Theater-Amme, rathend, warnend,
ermahnend und predigend, natürlich tauben Ohren. Sie leistet
dem Dichter und der Heldin den Dienst, den jener ausgestopfte
V Drache in Schiller's „Kampf mit dem Drachen", dem Ritter Kurt
leistet, der an ihm seine Hunde für den Kampf mit dem wirk-
lichen Drachen einübt. So müssen auch die Seneca-Ammen den
Leidenschaften ihrer Gebieterinnen herhalten, die an ihnen Vorstu-
dien machen. Medea's Scene mit der Annne ist eine solche Vor-
1) Die Metia des Tragikers Seneca. 1862. 8.
368 1^3'S römische Drama.
Studie, die aber hier ein wirklicher Drache mit einem ausgestopf-
ten anstellt.
Die Scene zwischen König Kreon und Medea ist, wie das
Seeuarium überhaupt, nach dem Schema des Euripides zugeschnit-
ten. Seneca's Kreon erscheint als gemeiner Theater-Wütherich,
verglichen mit dem des Euripides, der seinen Herrscher von Ko-
rinth durch einen Zug von dem attischen Königsanstand eines
Theseus zu veredeln wusste. Seneca's Korintherfürst schnaubt
seine vorschriftsmässige Tyrannenwuth in Schmähungen aus, denen
Medea das stolze Bewusstseyn ihres fürstlichen, ja göttlichen Ur-
sprungs „vom hohen Phöbus" entgegensetzt. Sie rühmt sich ihrer
Thaten und Verdienste um die Argonauten in einer glänzenden
Schilderung ihrer Wagnisse und Abenteuer ; so glänzend, dass ihr
Herzleid bei der ihr anbe&hlenen Entfernung und Trennung von
den Kindern davon verdunkelt wird, und der blendende Prunk
der Apostrophe ihre Mutterthränen aufsaugt, wie der Strahl des
Helios, ihres Ahnlierrn, den Morgenthau.
Kreon. Du solltest lange fort schon sejTi Wozu
Verbringst du mit Geschwätze hier die Zeit?
Medea. Noch einmal komm ich, Eines nur zu tieli'n;
Die Kinder, die unschuld'gen, treti'e nicht
Der Mutter Schuld ....
0 bei dem Glück, was diesem Fürstenpaar ')
Erblüh'n soll aus dem wonn'gen Hochzeitsbett,
Bei deiner Hotfnung, bei des Thrones Heil,
Den, schnellen Wechsels, stürzen kann das Glück —
Beschwör' ich dich, o gönne der Verstoss'nen,
Der Mutter eine kurze Frist, dass sie
Den letzten Kuss noch auf die Lippen drücke
Der Kinder, der geliebten, dann vielleicht
Im Schmerze sterbe! . . .
Rührende, herzbewegende Worte, die denn auch im Munde
von Euripides' Medeia ihre Wirkung nicht verfehlen; die aber an
dem Ruhmesbewusstseyn, womit Seneca's Medea ihren Ursprung
und ihre Thaten schildert, und in ihrem rednerischen Pathos er-
bleichen, das schier so blinkt und gleisst wie das goldene Vliess,
das sie erbeuten, und die Schuppen des Drachen- Wächters, den
1) Jason und Creusa.
Medea. Chor-Geographie. 369
sie erschlagen half. Kreon bewilligt noch eines Tages Frist und
entfernt sich. Der Chor singt von dem tollkühnen Wagniss der
ersten Meerfahrt. Der Gesang schliesst mit der berühmten Weis-
sagung, die man auf die Entdeckung Amerika's gedeutet:
Späten Geschlechteru
Wii'd kommen die Zeit,
Wo der Ocean lösen
Wird jede Umzäumung;
Wo das unermessliche
Weltall sich aufthut
Und ein Tiphys i)
Welten entdecket,
Die niemand geahn't.
Thule bleibt nimmer die
Markung der Erde.
Des Römers von der Höhe römischer Ländereroberung und
Weltbeherrschung in die Zeiten schauende Chor -Geographie hat
sich in diesen Worten bis zum geogTaphischen Prophetengeist, und
dennoch nicht bis zur Ahnung einer geographischen Zukunfts-
Dramatik emporgeschwungen, deren Keim schon in der Weis-
sagung liegt. Der Seherblick des Chors hat sich nicht bis zur
Vorherschau einer Tragödie der Geographie, der Cokmibus-Tragödie,
erhoben, die in der dramatischen Literatur der Neuzeit zu einer
besondern Gattmig gediehen, mid die uns seiner Zeit in Anspruch
nehmen wird.
Medea stürzt mit dem dritten Act aus dem Hause ; die Amme
ihr nach und, wie sich von selbst versteht, begütigend, besänfti-
gend, rathend, ermahnend, und diessmal auch noch in die Speichen
des unauflialtsam von der steilsten Anhöhe der pathetischen My-
thologie und Astronomie niederrollenden Rades der Leidenschaft
treubesorglich greifend :
0 bleibe, massige
Dein Toben, halte deinen Grimm zurück!
(zu sich selbst)
Wie die Mänade dort in heiliger Wuth
Umherstürzt, wenn die trunkne Brust der Gott
Gewaltig schwillt ....
1) Steuermann des Schitt'es Argo.
II. -24
370 Das römische Drama.
So rennt in wilder Wallung sie umher,
Im Blick der heissen schäumenden Eachgier Spur.
Ihr Antlitz flammt, jetzt stöhnt sie tief und bang.
Jetzt schreit sie auf, ein reicher Thränensti-om
Entstürzt den Augen, bald meder lächelt sie;
Und jede Leidenschaft tobt laut aus ihr.
Nun steht sie stiU, jetzt droht, jetzt braust sie auf.
Klagt nun und weint. Wo zieht das Wetter hin?
Wo trifft der Schlag? Wo bricht die Zornfluth sich?
Sie überströmt
— — — Ich seh' sie rasen.
Wie nie ich sie gesehen. Ungeheu'res
Droht uns, unmenschlich-gottlos-Grässliches.
0 macht zu nichte, Götter, meine Furcht!
Schilderung, Beschreibung von Affecten, die sich zu gleicher Zeit
in Medea's Geberdenspiel abspiegeln, dramatisch völlig überflüssig,
und doch, als rhetorisches Schaustück, prächtig wie ein in der
Sonne spiegelndes Pfauem-ad ; und der Situations-Monient vollkom-
men theatralisch.
Medea bleibt sinnend stehen und spricht für sich:
Siehst duj. o Arme, deiner Rache Maass
Und Ziel? — Sey deine Liebe Muster dir.
Ich soU die Fackel sehn des Fürstenpaars
HeU lodern ungerächet? Thatenlos
Entschwände mii- der Tag, den ich so schwer
Erlangt, den er so hart gewähret? Nein!
So lang der Himmel um den Erdball schwebt.
Die Schauerwelt dort ihre Bahnen roUt,
So lange nicht der Sand gezählt, so lange
Der Tag der Sonn', das Sternheer folgt der Nacht,
So lang den Pol der Bärin heU Gestii-n,
Das nimmer sich in Meerfluth taucht, umkreist,
So lange Ströme münden in das Meer.
Wird nimmer mir der Durst nach Räch' erlöschen.
Ja wachsen soll er, immer heisser glüh'n. —
Euripides' Medeia lässt in ähnlicher Situation die düstern
Flammen ihres Rachegefühls aus dem Innern Feuerschooss ihres
Schmerzes hervorbrechen, während Seneca's Medea sich mit glän-
zenden, von der Himmels- und von der Erdkunde entlehuten Bil-
dern die Flanken schlägt und zur Bache spornt. Nachdem sie
noch Scylla und Charybdis, das jonische und sicilische Meer, den
Medea und Jason. 371
Aetna und die stöhnenden Titauen in Unkosten gesetzt, kommt sie
auf Jason, den sie so gern entschuldigen möchte: ein schöner
Zug; stimmt er aber zu dieser Medea? Das prasselnde Feuer im
Kamin könnte eben so gut mit den Wassertropfeu, als seinen
Thränen, prahlen, die das arme Reisig schwitzt:
.... Er wich der Uebermacht allein,
Ungern nur giebt er ihr die Hand; doch könnt' er
Zur Gattin kommen, Lebewohl ihr sagen.
Ist es nicht, als ob der Aetna, abwechselnd mit Lava und glü-
henden Steinmassen, Rosen spiee? Jason kommt ihr Lebewohl
sagen, in einer Scene, die als Seneca's Meisterstück gelten kann,
und die wir, was theatralische Wirkung, vor allem Adel des Pa-
thos betrifft, über die ihr entsprechende des Euripides stellen:
Medea. Wir fliehen, Jason, flieh 'n! —
Mü- ist's nicht neu,
Unstät umher zu zieh'n; doch das Warum
Und Wie ich jetzt niuss flieh'n, das ist mir neu.
Mit dir, um deinetwillen irrt' ich sonst;
Nun zieh' ich von dir, ach ! weit fort, allein.
Von deinen Laren stössest du mich hinaus?
Zu welchen schickst du mich? Zu des Phasis Ufer,
Nach Kolchis hin in meines Vaters Eeich?
Weh' ! dort dampft mir- des Bruders Blut entgegen !
Gebeut, in welche Lande soll ich flieh'n.
Durch welche Meere? ....
0 undankbares Haupt! ruf ins Gemüth
Die feuerschnaubenden Stiere dir zurück . . .
Es folgt ein besclireibendes Prachtstück, wie ein reichgallo-
nirter Bedienter in der Paradelivree, oder ein aufgeschmückter kap-
padocischer Sklav seiner römischen Herrin folgt. Solche Prunk-
lappen kann nun einmal die römische Tragödie nicht entbehren.
Ihr Kothurn gleicht schier dem Krönungs-Stiefel jener russischen
Czarin, der so dick mit schweren Edelsteinen besetzt war, dass
die Czarin auf dem Krönuugsgang nacli dem Kremel nicht fort-
konnte, als schleppte sie Mühlsteine an den zarten Füssen nach,
und zur Krönung getragen werden musste. Medea, sie freilich
fühlt ihren Hochschwung durch den Juwelen-Stiefel nicht beirrt,
und setzt ihn amazoniscli auf Jason's Nacken. Vielleicht auch
24*
372 r)^s römische Drama.
empfindet sie die Schwere weniger, weil die wenigsten Steine acht,
und die Perlen — römische Perlen sind. Das Prachtstück schil-
dert die Gefahren und Wagnisse, die sie für Jason bestanden;
dann fährt sie fort:
Bei demer Kinder Wohl, bei ihrer Euh,
Bei den Ungeheuern, die ich dir zwingen half ....
Beschwör' ich, o erbarme meiner dich.
Gieb, Glücklicher, mir mein vorig Glück zurück!
— — — — — Dil- folgt' ich
In fremde Lande, verliess mein eigen Reich,
Um dich entsagte ich dem Vaterland,
Dem Vater, Bruder und der Scham, das bracht' ich
Zur Morgengabe dir. Soll ich nun flieh'n,
Gieb mir zuerst mein Eigenthum heraus.
Jason. Dich tödten wollte Kreon's Grimm; erweicht
Von meinen Thränen, mildert' er den Spruch in Bann.
Medea. Für Strafe also Gnad' — Ich hielt's für Acht!
Jason. Weil du kannst, entflieh, o fliehe schnell!
Schwer trifft der Könige Zorn.
Medea. Das räthst du mir?
Kreusen bist du hold. Das Kebsweib mag
Nun zieh'n.
Jason. Medea schilt um Liebe mich?
Medea. Um Trug und Mord.
Jason. Sprich, welcher bösen That
Darfst du mich zeihen.
Medea. Aller, die ich vollbracht . . .
Jason. Zähm' du — die zornempörte Brust
Und halt dich still um deiner Kinder halb . . .
Medea. Ha! nimmer sollen die Ai-men schau'n den Tag,
Wo ihren Stamm so schnöde Frucht
Besudelt, dass die Enkel Sisyphus'
Mit Phöbus' Enkeln frech sich messen dürften.
Jason. Was soll ich thun, sag an
Medea Auf! lass uns ringen
Zusammen ; Jason sey des Kampfes Preis.
Jason. Der Leiden müde, weich ich dem Geschick.
Und du, die so viel litt, thu' du es auch.
Mede*. . . . . Ich will ja nicht, dass du
Das Schwert auf deinen Schwieger zückst, Medea
Treibt dich ja nicht, dass mit der Deinen Blut du
Medea. Die Amme. 373
Die Hand befleckst. Komm, schuldlos flieh mit mir . . .
Jason. Ich fürchte der hohen Herrscher schwere Macht.
Medea. Begehr-' du sie mir nicht.
Jason. Dass nicht Verdacht
Errege das Gespräch, lass uns es enden . . .
Sie ruft des Himmels Blitze auf sich, auf ihn herab:
Jason. Fass dich doch.
Besinne dich, sprich ruhiger! Und kann
Dir etwas aus des Schwiegers Haus der Flucht
Drangsale lindern, sprich und fordr' es kühn.
Medea
Nur dass die Kindlein mich geleiten auf
Der Flucht, nur das gestatte mii", dass ich
In ihren Schooss kann eine Thräne weinen.
Dir werden andre Kinder ja bald erblühn.
Diese Worte rühren zu Thi'änen, aber nur Dank den Punkten,
den Stellvertretern der übergangenen Verse.
Hier folgt die schon l)e zeichnete Wendung, wo Medea Jason's
väterlicher Liebe zu seinen Kindern, von denen er sich nicht tren-
nen kann, jach den Blitz des Kindennordes entreisst. Vorläufig
verschliesst sie den Blitzstrahl in ihrem Busen, denn zuvor soUen
die Kleinen die mit Zaubergift getränkten Gewände und das Braut-
geschmeide der Prinzessin Creusa ül)erbringen. Sie bespricht ihr
Vorhaben mit der Amme. Den Act schliesst ein Chorlied im
Sapphischen Versmaass, das von dem Unheil singt, welches die
Argofahrer als Strafe für ihr kühnes Unternehmen traf.
Mit einer an hmidert Versen langen Schilderung von Medea's
Giftbereitung, behufs Zaubeiiränkung der Gewände, eröffnet die
Amme den vierten Act. Die Gleichförmigkeit der Acten-Anfange
springt in die Augen. Fast jeder Act leitet sich mit einem Euri-
pideischen Prolog ein. Der Euripideische Prolog setzt seine Ba-
stard-Sprösslinge an der Schwelle jedes Seneca-Actes aus. Man
kann sich den Hexenkessel denken, den unsere Amme nun als
Monolog voll appetitlichen Zaubergeköches ausschüttet, und sich
die Ingredienzien von GeogTaphie, Astronomie und Mythologie
vorstellen, die es an bizarrer Buntheit mit dem Kramwerk auf-
nehmen, das Macbeth's drei Hexen in ihren Kessel werfen. Hie-
rauf tritt Medea als Beschwörende vor, mit einem Beschwörungs-
erguss von doppelt so viel Versen, als der Zauberbrei der Anmie
374 Das römische Drama.
brauchte. Fünf Seiten lang, die Seite zu 53 Versen. Die Be-
schwörung wirkt schon durch ihre Länge Schauder erregend, und
der Inhalt entspricht in Grausenhaftigkeit der Länge. Die Ver-
wirrung, die Medea in der Astronomie angerichtet zu haben sich
riilunt, ist unbeschreiblich. Den grossen Bären hat sie in's Meer
geworfen, der, wie sie vorhin selbst sagt, „nimmer sich in die
MeerÜuth taucht" und dessen jungfräulicher Pelz nun das erste
Seebad nehmen muss. Der ganze Thierkreis wird von Medea's
Beschwörung verrückt, und die Jahreszeiten verdreht. Der Win-
ter liegt im hitzigen Fieber und der Sommer in Schüttelfrösten.
Die Geographie und die Astronomie phantasiren in den heftigsten
Delirien, so wahnsinnig, dass man ümen die Zwangsjacke anlegen
müsste. Auf die Mj^thologie hatte sie von vorneherein das alte
Chaos mit allen Hunden der Erinnyen losgelassen. Dem Tarta-
rus steht das Ixion-Rädlein , das ihm bekanntlich im Kopfe um-
läuft, vor Schrecken mit dem Verstand stiU. Ihren ganzen Feuer-
vorrath musste die M}i;hologie an Medea abtreten, dass die
Aermste nun im Finstern friert, ärger als der arme Tom:
Im schimmernden Golde
Brennet die Flamme,
Die Prometheus
• Vom Himmel geraubt ...
Er schenkte sie mir,
Und lehrte mich
Sie künstlich bewahren.
Mulciber gab mir
Heisse Lohe, leicht
Mit Schwefel getünchet,
Auch sengenden Blitzes Gluth
Empfing ich von Phaethon,
Des Urvaters Sohne.
Auch die dem Mittelhaupte
Der Chimäre entsprüht,
Die Flamme besitz' ich,
Und die aus der Stiere
Flammendem Schlünde
Sich eilig entrafft . . .
Ungerechnet Althäa's Brandscheit nebst verschiedenen andern
Feuerwischen. „Vollbracht ist nun das todesstarke Werk." Sie
schickt die Amme nach den Kindern und bleibt an den Altar
Der Kindeiinord. 375
gelehnt stehen. Der Chor stellt über diese Stellung seine Be-
trachtungen an:
Was sinnt ohnmächtig wütheud
Sie jetzt für schwere Uuthat? . . .
Inzwischen hat der fünfte Act den vierten abgelöst. Ein ün-
glücksbote keucht mit der Schreckenspost herein: „Das Königs-
kind in Asche liegt es sammt dem Vater" . . . Der Chor ^vill
löschen gehen. „Umsonst", jammert der Bote, „Ein Wunder ist's
zu schauen, wie sell)st die Wasser die Flammen schüren." Der
meisterhafte Botenbericht des Euripides zersplittert hier in einen
hastigen Wortwechsel zwischen Chor und Boten, dessen Kürze
die Länge des Beschwörungs- Monologs ausgleichen mag. Wenn
aber mit letzterem der Körner die herrliche Erzählung bei Euri-
pides zu ersetzen, oder gar zu überbieten meinte, so beruht diess
auf einer argen Verkennung dessen, was im Drama vor die Augen
gestellt werden darf als Ursache, und was erzählt werden muss
als Wirkung. Auch darüber hätte sich der Tragiker bei der Ars
Poet, seines Vorgängers Raths erholen können und Belehrung:
* Multaque tolles
Ex ocuUs quae mux narret facundia praesens ')
Vieles entziehen
Wirst du den Blicken, was besser beredt der Erzählende vorträgt.
Jetzt ermahnt die Amme zu schleuniger Flucht; natürlich,
wie immer vergebens. „Das ßachewerk ist nur zum Theil voll-
bracht", meint Medea dagegen. „Das war nur Vorspiel meines
Grimms." „Jetzt bin ich erst Medea." „Ha der Schauerlust!"
Noch weiss aber Medea nicht recht, worüber die Schauerlust.
Den Rachestrahl des Kindermordes, den sie doch in der Sceue
mit Jason einstweilen in ihrem Busen verschlossen hatte, um ihn
gelegentlich zu schleudern, scheint sie ganz vergessen zu haben;
„Nun" — so fragt sie — „was beschliessest du mein glühend
Herz?" — „0 hätte der Verhasste Kinder erst von seiner Buhle!"
- „Ha, die deinen sind von ihm, und gleich verhasst, als hätte
sie Creusa ihm geboren" . . . Dieses schlangenartige Heranringeln
an den Kindermord, dieses wurmförmig psychologische Sich-hin-
und-hewümmen und Heranscliieben an die Gräuelthat, wie des
1) V. 83 ff.
376 ^*^** römische Drama.
Drachen an die Beute, — das streift fast schon aus Scheusslich e,
unbeschadet der psychologischen Kunst, die der Eöraer in solcher
der griechischen Tragödie noch unbekannten Malerei des Seelen-
kampfes hier an den Tag legt: „0 weh! mein Herz erdrückt der
• Graus" . . . „meine Brust erzittert" . . . „Der Kinder Blut, die
ich gebar, sollt' ich vergiessen? — Nein!" . . . „Sey ruhig, Kä-
sende! ... 0! und wofür wohl büssen sie?" — Wofür? — Ist
Jason nicht ihr Vater? — Schuld genug — Und was noch mehr,
ich Fluchbeladene bin ihre Mutter. Sie sollen sterben ... Ha!
Sind sie nicht mein?" . . . „Acli, mein sind sie und rein von aller
Schuld." Nun phantasirt sie über ihren Seelenkampf und schildert
das Hin- und Herschwanken in treffenden geistreichen Bildern.
Schade um-, dass diese selbst solchem Kampfe und solcher Kampfes-
stimmung widerstreiten. Jetzt schmilzt sie in Mutterliebe hin:
Die Eache weiche der Liebe. 0 kommt her,
Geliebte Kinder, ihr mein einziger Trost,
Kommt her, umschlingt mit euren Händchen niich!
(die Kinder gehen zii ihr)
Ja lebet, bleibt dem Vater ! . . . ^
dann wieder wie verzückt in Wahnsinn:
Hu! sieh! Wo taumelt hin die Purienschaar . . .
Ha! weh! was für ein Schatten schwebet dort
Gestaltlos, leblos, unkennbar herauf?
Mein Bruder ist's! Er fordert Rache. Ja,
Ich räche dich
Dil" Aveih' ich diese Hand
Die ja den Mordstahl einst auf dich gezückt.
So sühn' ich deinen Schatten, so räch' ich dich . . .
Die Seelenpein, von der Euripides' Medeia, unmittelbar vor der
Entsetzensthat , ihr Inneres zerrissen fühlt, äussert sich weniger
kunstreich, und nicht mit diesem dialektischen Raffinement eines
schmerzlichen Zwiespalts; um so rührender aber und erschüttern-
der wirkt sie in ilu'en einfachen ergreifenden Naturlauten. Als
höre man das ächzende Stöhnen einer mit dem Kindermorde in
Mutterwehen kreissenden Gebärerin. Neben diesem gi'ossartigen
ßedrängniss erscheint solches krampfiges Geächze, womit Seneca's
Medea sich henimquält, wir sagen nicht, wie gewöhnliche Kolik,
aber doch wie Mutterkrampf.
Der Sehlu«s von Seiieca's Medea. 377
Medea tödtet das eine Kind. Dass sie die gi-ausige That in
einer Wahnsinns-Vision begeht, wo sie ihren, um Jason's willen
von ihr ermordeten Bruder erblickt, ist ein glücklicher Zug, von
poetischer Kühnheit, ein genievoller Zug, Shakspeare's würdig, der
uns aber gleichwohl mit dem, was vorangeht, zu theuer erkauft
scheint. Der Schluss erreicht den Gipfel des tragisch Unzulässi-
gen und poetisch Verdammlichen. Das Schaudererregende schlägt
in's Grässliche um. Nach Ermordung des einen Knaben vernimmt
Medea Geräusch und flüchtet mit dem andern Kinde, das todte
hinter sich herschleifend, auf den Söller des Hauses. Dort erblickt
sie der herbeieilende Jason, und hört sie frohlocken ob ihrer That:
Jason. Bei allen Göttern!
Bei aller Irrsal, die gemeinsam wir
Erlitten, o, bei unsrem Bund, den ich
Nun treulos brach, o schone meines Sohns!
Hat jemand dich beleidigt, bin nur ich's.
Mich schlachte! trüf mein schuldbeladnes Haupt!
M e d e a. Dort, wo du auszuweichen suchst, wo es
Dir weh' thut, bohr' ich ein den Eachestalü. —
Ha geh nun. Stolzer! Stürme der Jungfrau Bett,
Und wenn sie Mutter worden, Verstösse sie.
Jason. Genügt deiner Rachgier nicht des Einen Tod?
Medea. Hätf Einer sie gestillt, so lebten Beide.
Zu wenig sind die zwei für meinen Grimm.
Ja wüsste ich, dass unter meinem Herzen
I]in Pfand von dir sich birgt, mit diesem Schwert
Zerwühlt ich meinen Leib, und riss' es aus . . .
(Sie tödtet das zweite Kind.)
Jason. Ha Tig'rin, tödte mich!
Medea. Wie forderst du von mir
Erbarniung? — Nimm hin, es ist vollbracht!
Da, Vater, habe deine Söhne dir!
Auf beflügeltem Wagen durch die Lüfte flieg' ich davon.
(Sie schleudert ihm die Leichen der Knaben zu, und fährt
in ihrem Drachenwagen davon.)
Jason. Ha, zieh' du durch des Himmels Räume fort,
lind künde laut, wohin du immer fährst,
Dass keine Götter walten dieser Welt.
Ein würdiger Abschluss solcher Gräuel. 0 Poesie des Tra-
gischen, der Sophokles-Tragödie, we abschreckend bist du unter
378 D^s römische Drama.
des Römers Hand verwildert! Dennoch muss man die bewältigende
Macht der scenischen Schauwirkung, die energie volle Wucht des
theatralischen Pathos, muss man diese gladiatorische Tragik be-
wundern. Schwung, Feuer, Pomp, drangvoll hinreissende Rede-
kraft, überschwellender Wogenschlag, Hoch- und Springfluth stür-
mischer Affecte — nur Ein zündender Himmelsstrahl, der diese
Elemente der Seneca-Tragödie in poetische Flammen setzt: und
Avie jener Wundervogel aus seinem Gewürze duftenden Feuer-
gi'ab, ersteht die griechische Tragödie wieder in verjüngter und
reicherer Herrlichkeit. „Der lohe Aetherstrahl, Genie", er wird
dereinst, wenn die Zeit gekommen, die wüste Schlackenmasse der
römischen Tragödie zu dieser goldenen Flammenwiege einer ver-
jüngten Aeschylisch-Sophokleischen Tragik fachen. Die Medee des
„gi'ossen" Corneille — so viel ist gewiss — wird dieser Wundervogel
nicht seyn, und ihr berühmt-vermttertes Moi! das die französische
Tragik noch jetzt unter ihren Reliquien als verrosteten Theater-
blitz aufbewahrt und vorzeigt, nicht der Aetherstrahl seyn, der
die Schlacken-Klumpen der Seneca-Tragödie zu jener Sonnenwiege
einer höchsten Tragik flammt.
Wie viel Seneca von den Medeen seiner römischen Vorgänger,
von der des Ennius und der so gepriesenen Medea des Ovid, sich
angeeignet, muss dahingestellt bleiben. Sicher scheint uns, dass
Seneca's Medea ihre Vorgängerinnen sämmtlich an Schauder er-
regender Furchtbarkeit und teiToristischem Bühnenpathos überboten ;
ob uns gleich auch die im Vergleich rührender und weiblicher
gehaltene Medeia des Euripides schon das Maass griechischer Tra-
gik zu überschreiten schien, me Beruhardy's, der sie „weich und
sogar sentimental" findet, Sympathien für sie schon das Maass
kritischer Besomienheit überschreiten mögen. Wie könnten wir
vollends in Welcker's Verherrlichung einstimmen, der in Medea
ein Ideal weiblicher Liebe und Hingebimg preist? ') „Ihr hen-
schender Cliarakter in der Poesie ist die unbedingteste Liebe und
Hingebung; keine Rücksicht kennend, jeder That, jeder Demü-
thigung aus Liebe fähig, innig rührend, ihre Hexenkünste nm- im
Dienste der Liebe übend." . . Das liebreiche Gemüth! Welche
Seele von Hexe und Giftmischerin! Die reine Liebe; niclits als
1) Gr. Trag. S. 33u.
. Medea als tragische Heldin. 379
Liebe und Selbstaufopferung. Auf zehn Vergiftungen kommt
kaum eine, die nicht „im Dienst der Liebe'' geschehen wäre —
unter zehn Giftmischerinuen neun mindestens lauter Engel unbe-
dingtester Liebe und Hingebung. Die gehäuften, schauderhaften
Meuchelmorde, die Medea verübt, darunter Bruderzerstttckelung,
Kinderabschlachtung - pure Liebe, unbedingteste Liebe und Hin-
gebung. Jemehr Morde, jemehr Liebespfänder und Beweise. Me-
dea übertrifft an Liebesfülle und hingebungsvoller Demuth eine
Laffarge in dem Maasse, als sie diese an gräuelvoUen Morden
überragt. Bis zu dieser Höhe kritischer Schwärmerei für die
blutigste der Zauberköchinnen, Giftmischerinnen, Bruder- und
Kinderschlächterinnen hat sich selbst der Champion der Lady
Macbeth, Ludwig Tieck, nicht emporgeschwungen. Die Macbeth
sagt blos, dass sie, eintretenden Falles, ihrem Säugling die Brust
aus den weichen Kiefern gerissen und ihm den Kopf au die Wand
geschmettert hätte. Die Medea-Schwärmerei von Seiten so ge-
lehrter Männer und Professoren ist übrigens wohl erklärlich. Schon
um der Gründlichkeit willen, womit Medea ihre liebevollen Gräuel-
thaten begeht, muss sie die wärmste Theilnahme der gelehrten
philologischen Kunstkritik gewinnen. Medea's wissenschaftliche
Leistungen in Chemie, Botanik und Toxikologie sind allein liin-
reichend, um sie in den Augen eines deutschen Professors als die
liebenswürdigste aller tragischen Heldinnen erscheinen zu lassen.
Medea's Verdienste um die Wissenschaft in Ehren, sind wir doch
der Meinung, dass die Medea-Tragik eine Verirrung, wo nicht eine
Entartung der tragischen Kunst bezeichne , wenn anders deren Auf-
gabe darin besteht, nicht ein blosses glänzendes Gemälde rasender
Leidenschaft zu entwerfen, sey es ein noch so wunderwürdiges psycho-
logisch-pathologisches Meisterstück; sondern in der Läuterung einer
Schuldverirrung besteht ; wenn anders die Aufgabe der dramatischen
Kunst nicht die ist : das Gemüth des Zuhörers aufzuregen, zu erschüt-
tern, gleichviel durch welche Mittel und zu welcliem Zwecke, es zu
verwiiTen, in Aufruhr mid Gälu'ung zu versetzen; sondern durch
die Gährung eine Geraüthsklärung zu bewirken, die alles Unedle,
Unreine in der Leidenschaft ausstosse und ausschäum(\ Eine
schaudervolle P'revlerin aber, die nach verül>teii Gräueln in ihrem
Drachenwageu triumphirend davoneilt und ilirer Schlachtopfer
spottend, ist keine tragische Heldin, ist ein Auswurf und Abschaum
3gO I^iis römische Drama.
der Hölle. Oder wo, wo existirt die Tragödie der Medea-Sühne?
Hat Eiu-ipides eine solche gedichtet? Soll etwa ihr Sohn, Medus,
der Held dieser Sühntragödie seyn, den Medea, um ein Haar,
durch Meuchelmord hingerafft hätte, und, als sie in ilim den Sohn
erkannte, ihr Vorhaben dadurch sühnte, dass sie ihn zum Meu-
chelmord aufrief? Durch die von Medea ihm eingegebene Ermor-
dung seines Grossoheims, des Perses, wurde Medus der Stifter des
Mederreichs: liegt darin die Sühne und Eeinigung eines Lebens, in
Verbrechen getaucht, wie das der Medea? Darum erscheint uns
schon die Medeja des Euripides, vom poetischen Gesichtspunkt aus.
als eine verdaramliche Tragödie; wie nun erst die des Seneca!
In der Medea-Tragödie, in Euripides' von Einigen als sein
Meisterdrama bewunderten Medeia, weht schon ein ungriechischer
Hauch, ein Hauch vom Barbarengeist. Den Fabelstoff finden wir
von diesem Geiste ganz und gar durchdrungen. Es ist der von
uns schon bezeichnete Geist der Raubfahrten, der Abenteuer-Züge
des dämonischen Zauberthums. Nächst diesem liegt aber noch
ein zweites Element des Barbarenthums in der Medea-Fabel: die
ungiiechische Auffassung des Frauenwesens, dem mit einer un-
heimlich verderbenvollen, naturdämonisclien Zaubermacht eine Hen-
schaft zuerkannt wird, von den unheilvollsten, Staat und Fami-
lien zeiTüttenden Folgen; von verwildernder, barbarisir ender
Wirkung. Nur in Einem Punkte erscheint das Problem bedeut-
sam: in dem, wir sagen nicht, vom Dichter beabsichtigten, die
Conflicte aber bewegenden Motive des Frauenrechtes, der Ob-
gewalt des Mannes gegenüber; in dem Motive des um gleichbe-
rechtigte Freiheit und die daraus folgende Gegenseitigkeit eheli-
cher Rechte und Pflichten kämpfenden Weibes. Allein dieses
Problem hatte schon Aeschylos mit vollem Kunstbewusstseyn und
ungleich tiefer, ethischer, cultm'sittlicher, in seiner Danais-Trilogie
z. B., durchgeführt und gelöst. Die allerneueste Form, in wel-
cher dieses Problem als zeitbewegende Frage, als jene berufene
„Emancipation des Weibes", die Geister aufgeregt, weit entfernt
eine höhere Lösungsstufe zu bezeichnen, erscheint uns vielmehr
als eine Umwendung nach dem Medea-Standpunkte hin: dem des
dämonischen Kampfes zwischen Mannes- und Frauenrecht. Auch
in Bezug auf diesen Austrag war dem germanischen Geiste von
seiner geschichtlichen Mission die tiefere Lösung und Läuterung
Medea und die Macht des Weibes. 3g l
des Pi'oblemes zugewiesen. Wie das abenteuernde Umherziehen
des fahrenden, des romantischen Eitterthmns , eines, in seinem
asketischen Charakter, ursprünglich germanischen Institutes, wie
dessen Abenteuerfalu'ten, ihrer Bestimmung nach, Buss- und Süh-
nefahrten bedeuten und bezweckten; wie dasselbe denn auch als
eine Läuterung, eine — warum sollten wii' das Wort umgehen':'
— als eine Katharsis jenes barbarischen Abenteuergeistes, der die
Weiber- und Schätze-Kaubfahrten beseelte, gelten darf: ebenso
war es dem Germanenthum vorbehalten, eine Läuterung, eine Ka-
tharsis an der Idee der Frauenbestimmung zu vollbringen; den
dämonischen Medea-Zauber zu brechen und, au Stelle eines fre-
velvoUen Frauen-Höllenzwanges durch feindselige Zaubergewalt,
die wahrhafte Zaubermacht des Weibes durch den Himmelszwang
holder Amnuth, hmimlischen Liebeszaubers, zu feiern „in That
und Wort, in Bild und Schall." Nicht die romanischen Trouba-
doure, nicht die proven9alischen Liebesdichter, die den Mannes-
geist einem sinnlich spiritualistischen Fraueudienste verpflichteten,
nicht diese konnten eine solche Läuterung dämonischer Frauen-
macht und unheilvollen Frauenzaubers bewirken. Den germani-
schen Minnesängern war solche vergeistigende Eeinschmelzung
und Heiligung der Liebesmacht und Leidenschaft vorzugsweise
beschiedeu; die Liebesmystik der germanischen Minnedichter, de-
ren hohe Gesangsseele auf ihre Nachfolger, die grossen ritterli-
chen „Frauenlobe" der deutschen Völkerstämme überging, auf
Shakspeare, Schiller, Goethe; am lautersten auf die ersten beiden,
da hl Goethe's Fraueiicultus sich wieder romanisch-gallische P]le-
mente eines spielerisch leichtfertigen Sinnenreizes und Genusses
mischen. Am herrlichsten und weihevollsten ruhte der heilige
Liebesapostelgeist auf unserem Schiller, der mit feuerigen Pfingst-
zungen in seinen lyrischen wie dramatischen Gedichten die Botschaft
von der einzig wahren Zaubergewalt, Macht und HeiTschaft des Wei-
bes, im Gegensatze zum dämonischen Medea- Wesen, verkündet:
Macht des Weibes, i)
Mächtig seyd ihr, ihr seyd's durch der Gegenwart ruliigen Zauber.
Was die Stille nicht wirkt, wirket die Rauschende nie.
I) W. I, 395.
382 Das römische Drama.
Kraft erAvart' ich vom Mann, des Gesetzes Würde behaupt' er;
Aber durch Anmuth allein herrschet und herrsche das Weib.
Manche zwar haben geherrscht durch des Geistes Macht und der Thaten;
Aber dann haben sie dich, höchste der Kronen, entbehrt.
Wahre Königin ist nur des Weibes weibliche Schönheit:
Wo sie sich zeige, sie herrscht, heri'schet blos, weü sie sich zeigt.
Tugend des Weibes, i)
Tugenden brauchet der Mann, er stürzt sich wagend ins Leben,
Tritt mit dem stärkeren Glück in den bedenklichen Kampf.
Eine Tugend genüget dem Weib: sie ist da, sie erscheinet
Lieblich dem Herzen, dem Aug' lieblich erscheine sie stets!
Und jenes hohe Lied der Frauenvergötterung ; jener mit allen
Zaubern der Liebeshuld durchwebte und geweihte Graziengürtel
himmlischen Frauem'eizes , in Form einer poetischen Verherrli-
chung: „die Würde der Frauen" — was bedeutet das begeisterte
Feierlied anderes, als einen heiligen Gegenzauber, eine weihevolle
Beschwörung des Medeenthums, der unreinen Medeengeister? als
eine hochherrliche Verkündung der wahren Emancipatiou des Wei-
bes, der einspruchslosen, unbedingten FrauenheiTschaft von Zau-
bers Gnaden; des Zaubers dm'ch zarte Sitte, Liebeshuld, hold-
selige Scham und Anmuth? Und die Dramen des grössten deut-
schen Tragikers sind sie nicht Evangelien dieses weiblichen
Heroismus? Nicht Apotheosen der tragisch weiblichen Frauenho-
heit? Nicht poetisch mächtige Exorcismen des Medea-Teufels?
Nicht erhabene Katharsen Medeischer Zauberkünste? Tragische
Läuterungen der dämonischen Frauengewalt zu himmlischem See-
lenzauber? Die Dramen der Nachgeborenen aus den letzten De-
cennien des Jahrhunderts, die das Thema der Frauenbestimmung
und Frauenstellung von den Franzosen wieder aufnahmen, nach-
dem diese es in Romanen und Theaterstücken bis auf das letzte
Korn ausgedroschen — o, welchen Abfall werden diese Dramen
der Epigonen aus den letzten Jahrzehnten, welchen befremdlichen
Abfall von Shakespeare-Schiller's poetisch-tragischem Frauenzau-
ber, und welchen Kobold schiessenden Rückfall in den französirten
Medeenstil werden sie uns vor Augen stellen ! Und aus welchem
Anspruchstitel werden sie das Frauenrecht herleiten und ent-
1) Das. 425.
Seneca's Trojanerinnen. 383
wickeln? Aus dem poesiefeindliclisteu: aus dem gemein ge-
schlechtlichen eines frechen Emancipations-Kitzels. Sie werden,
im etymologisch-buchstäblichsten Sinne auf diesen Rechtsanspruch
eine „Bocks"-Tragik , eine Tragödie für Böcke und Ziegen grün-
den. Sie werden Medea's goldnes Widderfell, als gemeines, nur,
täuchungshalber, mit Theater-Schaumgold frisirtes Bocksfell auf
die Tenne der Bretter legen, und, wie Gideon i), aus der abwech-
selnd wässerigen mid trockenen Beschaffenheit des Schaffells
auf der Tenne die üeberzeugung iln-es Berufes zum grossen Er-
lösungswerke schöpfen: zur Erlösung des Weibes, näher des
Eheweibes, aus dem Pflichtenjoch der Ehe zur Ehe der „freien
Liebe"; Erlösung vom Shakspeare-Schillerschen Frauenideal der
Ti-agödie zu der „unbedingten Liebeshingebung" der kolchischen
Hexe. Noch mehr: Im fernem Verlauf der Greschichte des Schau-
spiels werden wir das dramatische Fraueuideal, wie bis auf Shake-
speare, zwischen dem der Aeschylisch-Sophokleischen Tragödie
und der Euripides-Seneca-Medea; so in letzter Zeit zwischen Shak-
speare-Schiller's tragischem Erauenideal und dem Emancipations-
Ideal von George Sand und Genossen oscilliren sehen, das der
kolchischen Zauberin wie aus den Augen gesclmitten. Insofern
bildet Em-ipides' Medeia ein wichtiges üebergangsmoment in der
Geschichte der Tragödie, das noch in der kolossalen Schreckge-
stalt von Bedeutung, als welche uns die Medeia des Euiipides aus
Seneca's Hohlspiegel entgegentritt.
Die Trojanerinnen (Troades). Aus zweien von Emipides', in
Bau und Oekonomie verfehltesten und zerfahrensten Tragödien, aus
der Hekabe und den Troaden, zusammengeschweisst, konnten Sene-
ca's Trojanerinnen nicht anders als zu einem, in Bezug auf Gliede-
rung und Einheit, unfönnlichen Missgeschöpf erwachsen. Seneca's
Trojanerinnen sind auf dramatischem Gebiete, was das berühmte
trojanische Ferkel des römischen Koclikünstlers, Apicius, auf dem
Gebiete der Gastronomie war. Wie dieses in seinem Innern ein
ganzes Braten-System, ganze Geschlechter der verschiedensten
vier- und zweifüssigen Braten eingeschachtelt trug: so schliessen
die Trojanerinnen, nebst den zwei oder drei Tragödienstoffen, wel-
che des Euripides' Hekabe in ihrem Schoosse birgt, die vier oder
\) Richter c. 6, .37—40.
384 Das römische Drama.
fünf Tragödienfabeln und Katastrophen ein, womit dessen Troerin-
nen gesegnet sind. Nur nicht so kunstgerecht und nicht so con-
centrisch untergebracht, wie in der Bauchhöhle von Apicius' Ein-
schachtelungs-Ferkel finden sich die Einschlüsse in Seneca's Tro-
janerinnen verpackt. Hier scheinen sie vielmehr in Weise der
Insassen jenes kolossalen Vorbildes zu Apicius' gebratener Invo-
lutious-Theorie, durcheinandergestopft, zu hausen: jenes trojani-
schen, hölzernen Pferdes von Meister Epeus; des weltbekannten
Weihnachts-Eössleins, voll der schönsten Bescheerungen für König
Priamos, die königliche Familie und die ganze trojanische Be-
völkemng. Das Kösslein enthielt nicht blos die Dona, welche der
warnende Priester nicht geschenkt mochte : Timeo Danaos et dona
ferentes: Es barg in seinem beträchtlichen Innern die Geschenke
bringenden Danaer selber, als riesige Weihnachts-Schachtel voll
glitzernder Soldaten. Ein solches Heer von Katastrophen trägt
unsere Tragödie im Leibe. Jedoch mit einigen Aus- und Ein-
schiebseln von eigener Erfindung. Statt des tragischen Kassan-
dra-FüUsels in Euripides' Troeriimen, das der Römer aus dem
Spiele Hess, enthalten seine Trojanerinnen eine Streitscene zwi-
schen Pyrrhus, der auf Polyxena's Opferung besteht, und Aga-
memnon, der, aus Gründen der Menschlichkeit sich der Opfe-
rung widersetzt — Er, der unmenschliche Vater, der seine eigene
Tochter in einer ähnlichen Lage hatte schlachten lassen ! Zu dem
Einschiebsel der Helena-Scenen bei Euripides mit der unglück-
lichen Anklage- und Selbstveriheidigungs- Verhandlung zwischen
Hekabe und Helene, stopft der Eömer noch eine zweite, weit ab-
schmeckendere Helena-Episode in seinen vierten Act, worin He-
lena als listig schnöde Kupplerin sich einschleicht, mn Polyxena
ins griechische Lager zu locken. Schliesslich bekennt sie, von
den trojanischen Frauen durchschaut und von Andromachen tüch-
tig ausgescholten, den heimtückischen Plan. Die kläglichste,
überflüssigste Episode, die je eine Tragödie verunstaltet hat. Sie
ist so reichlich ausgestattet mit Abgesclnnacktheit, dass beide,
der Philosoph und der Tragiker in Seneca, sich brüderlich darein
th eilen können.
An Stelle des von Polydoros' Schatten gesprochenen Prologs zu
Euripides' Hekabe, und au Stelle des dialogiscli von Poseidon und
Athena abgehaltenen Prologs zu dessen Troaden, eröffnet der
Seneca's Troaden. 385
Römer seine Trojaueriiinen mit dem bei ihm stereotypen Eingangs-
Behelfe, mit einem Monologe der Hecuba, der sich in Klagen über
Troja's Fall ergeht. Der Wechselgesang zwischen Hecuba und
dem Chor der Trojaneriimen ist dem des Euripides nachgebildet.
Der Chor begeht die Todtenfeier Hektor's und Priamos'. Damit
ist der erste Act abgethan, der bei Seneca in der Regel nur als
Vorspiel verläuft. Mit Beginn des zweiten Actes verkündet Aga-
memnon's Herold, Talthybius, dem Chor die Erscheinung von Achil-
les' Schatten, welcher Polyxena, als Todtenopfer an seinem Orabe,
fordere. Das scheint der Chor ganz in der Ordnung zu finden,
da er auf die Mittheilung nichts ei'wiedert. Hier folgt die schon
erwähnte Streitscene zwischen Pyrrhus, dem Sohne des Achilleus,
und Agamenmon, wegen Polyxena's, deren Opferung der Schläch-
ter seiner Tochter mit seinen Grundsätzen und Ansichten von
Gerechtigkeit und Menschlichkeit unvei-träglich findet, welche
Grundsätze nicht ermangeln, in Gestalt der steifsten Sentenzen,
über Unbestand der Gewaltherrschaft, Eitelkeit des Herrscherprunks
und Sieger-Edelmuth daherzustelzeu. Priester Kalchas macht
dem Zwist ein Ende mit der Erklärung: das Schicksal begehre
zu Polyxena's Opferung auch noch den Astyanax als Zugabe , wi-
drigenfalls es mit dem Abseglungs-Wind zurückhalten würde, wie
einst an Aulis' Strande. Agamemnon sucht in allen Taschen
nach einer Sentenz, findet keine, und verschwindet lautlos mit Kal-
chas und P>it1ius. Wovon, meint man wohl, singt nun der troja-
nische Frauenchor? Von der Thorheit an Geistererscheinungen zu
glauben!
Leben sollte der Geist noch, da der Leib schon Staub V
Lächerlich! und beweist aus der Geographie, Astronomie und
Mythologie, was einmal todt ist, bleibt in alle Ewigkeit todt • —
Leib und Seele miteinander, mausetodt. Gegen das ins-Gras-Beis-
sen sey kein Kraut gewachsen. Wie derselbe Seneca schon in
seiner philosophischen Abhandlung: De Consolatione bewiesen, wo
es vom Tode heisst: der Tod ist Nichts; „ergel" — würde der
Todtengräber in Hamlet folgern — ist nach dem Tode nichts
nicht; genau wie Seneca'): mors nihil, quod vero ipsuni nihil
1) de consol. ad Helv. Matr. c. XVI.
U. 25
386 Das rümische Draina.
est, et omnia in niliiliini redigit etc. Der trojanische Frauenchor,
der seinen Seneca am Schnürchen hat, citiii die Stelle aus dem
Kopf:
Post mortem nihil est, ipsaque mors nihil.
Der Chor weiss ein ganzes Schock solcher Trostsprüche auswendig
und sagt sie auch her:
Die das eigene Kind würget, die Zeit, verschlinget
Und das Chaos uns mit. Und wie den Leib er tilgt:
So verschonet der Tod unsre Seel auch nicht.
Treßlicher Chorgesang aus dem Munde von trojanischen Frauen
und Mädchen, die, in den denkbar tiefsten Jammer versenkt, die
jüngste Tochter ihres hingewürgten Königstammes zum Opfertode
führen sehen! Der tänarische Schlund, der Cerberus, die ganze
Mythologie der Unterwelt, Alles erstunken und erlogen. Und gar
die Tragödienfabeln! die Fabel der „Trojanerinnen" natürlich
obenan, die auf solchem Aberwitz, wie die Erscheinung von Achil-
les' Schatten beruht! Dummes Zeug:
— ersonnen Geschwätz, Wortschwall ohn' allen Sinn
Mähr, gespenst'schem Traum furchtsamer Kinder gleich.
So schliesst der zweite Act. Wir würden dem Chor unbedingt
beipflichten, und ihn sammt der Tragödie für die Ausgeburt eines
Kopfes halten, der als Ausgeburt von Seneca's „Tod", wie dieser,
nichts als das leere Nichts ist; mid würden die ganzen Trojane-
rinnen der „Zeit" anheimgegeben, „die das eigene Kind würget
und das Chaos verschlingt und uns mit"; wenn der dritte Act
nicht wäre, namentlich die Scene zwischen Andromache und Ulys-
ses, in Bezug auf welche das von Jul. Scaliger zu Gunsten der
ganzen Tragödie abgegebene Urtheil: „priuceps romanarum Tra-
goediarum", allein und in vollem Umfange gilt. Den Act, jene
Scene insbesondere, halten wir, nach Abzug der Auswüclise, für
einen der pathetisch mächtigsten und theatralisch grossartigsten
in dem Gesammtvermächtniss der classischen Tragik. In Absicht
auf Schattirnngen des Pathos, Wechselstreit und Wandelimgen
Die Scene zwischen Andromache und Ulysses. 387
der Aftectmomente, auf kunstvolle Dialektik der aiigstbedrängten
List des Mutterherzens und der lauernden List des, trotz seines
Schergen-Amtes, gross und würdevoll gehaltenen Ulysses — nach
dem Maassstab dieser, zu einer geAvaltigen Sceueuwirkiing
sich vereinigenden Eigenschaften gemessen, möchte kaum eine in
dem griechischen Tragödienkreise sich ihr gleichstellen können.
Die Scene ist aber, neben der grossen Theaterwirkung, auch durch
die psychologische Meisterschaft merkwürdig, mit welcher die
Gemttthsbedrängnisse und Contraste durch alle L'rgänge einer
ganz eigenthümlichen, aufs schönste ausgearbeiteten und erschöpf-
ten Situation hindurchgeführt sind. Man muss sich staunend fra-
gen, woher dem Römer mit Eins eine solche psychologische Kunst,
eine so farbenreiche Seelenmalerei des Mutterschmerzes gekom-
men, eine so tief durchdachte Dialektik der Leidenschaft? Woher
in aller Welt diese Wunder eines tragischen Genies, wovon uns
bisher nur vereinzelte, mehr blendende als erleuchtende Funken
entgegensprangen? Nach Scenen von haarsträubender dramati-
scher Impotenz ein solcher Glanz! Ein ähnliches Mutteii)athos
hat, bis zu Shakspeare's Constanze in König Johann, unseres Wis-
sens, keine Tragödie aufzuweisen. Wir wollen uns nicht versün-
digen, aber die Constanze, die wir doch spielen sahen, hat uns
nicht so ergriffen und erscliüttei't , wie beim Lesen Adromache's
Mutterpein. Wir müssten den ganzen König Johann mit seiner
tiefgeschichtlichen Bedeutung, als eine Idee der Macht- und Herr-
scherpolitik, der Ulysses-Idee gleichsam, von welcher diese
Tragödie durchdrungen ist bis in das innerste Eingeweide hinein,
— wir müssten König Johann ganz und gar in die Wagschaale le-
gen um Seneca's Andromache so hoch eniiiorzusclinellen, als die
Zunge der Wage reicht. Dass aber ein solches Draufgewicht vonnö-
then, ist schon das grösste Wunder; ein Mirakel, dessen Erklärung
wir dem Leser anheinisteUen, dem wir zu diesem Zwecke die be-
züglichen Scenen, bis auf die allzuüppigen Schösslinge, vollständig
mitzutheilen, uns verpflichtet glauben.
Andromache.
0 harmgedrückte Phry<:!-criiincn ihr!
Wanuii zerrauft ihr euer HaarV Warum
Zerschlagt ihr eure Brust? Warum netzt ihr
Mit Tliränenströmen eure Wanden? — Wir sind
388 I^^s römische Drama.
So elend iiiclit, wenn wir noch weinen können. —
Euch fiel jetzt Ilium, für mich war es
Gefallen längst, gleich, als der wilde Sieger
Dem schnell hinrasselnden Wagen nach mein Lieb,
Weh'! meinen Leib nachschleifte, dass die Achse
Selbst des Peliden unter'm traur'gen Eest
Des Hektor zitternd schwer aufseufzend stöhnt. —
Für mich war Troja damals schon nicht mehr.
Von so viel Unglücksschlägen matt und starr.
Schlepp' ich mein elend Daseyn fühllos fort. —
Längst hätte ich der Griechen Bande ab-
Gestreift, war' meinem Gatten nachgefolgt:
(Die Hand auf des Astj^auax Haupt legend.)
Nur dieser fesselt mich an's Leben, hält
Die Hand zurück, dass sie den Todesstreich
Nicht führt. — Für ihn erheb' ich noch den Blick
Zum Himmel flehn'd empor, und dulde länger
Noch meine Qual. Der Knabe raubt mir der
Verzweiflung festen Muth, der keine Furcht
Mehr kennt, den letzten, einz'geu Schatz, den mir /
Das Leiden selbst gewann. — Weh'! alles Glück
Ist mii- erstorben, und den Unheilsmächten
Bin ich anheimgefallen. Ah! das ist
Des Elends höchster Gipfel, wo alle Hofinung
Ab ist und todt, in banger Furcht doch zittern müssen.
Greis. Sag' an, welch' ein Gesicht erschreckte dich?
Androm. Schon hat die Nacht, die allerquickende,
Schweigsam die Hälfte ihrer Bahn vollendet;
Schon kehrt' das funkebide Siebengestirn
Zum Aufgang sich: da übermannte mich
Der lang' entbehrte Schlaf. Ein kurzer Schlummer
Beschlich mein thränendes Aug'; wenn die
Betäubung der zerriss'nen Seele Schlaf.
Da steht plötzlich Hektor vor mir da;
Doch nicht so mannhaft, wie er kämpfend einst
Ins Lager der Ai-giver stürmte, Tod
Rings um sich her verbreitend, und den Brand
In ihre Schilfe schleudernd ; nicht wie vom
Patroklus er, der sich darein verkappt,
Die Rüstung des AchiU erkämpft. Das Feuer,
Das seinem Aug' entsprühte, war erloschen.
Gebrochen war sein Blick und thränenfeucht
Seneca's Tioaden. Anflroniache nml Ulysses. 3g9
Wie meiner ; traurig hing das Haar herab. —
Ach! dennoch war sein Anblick Wonne mir,
Da hob er an, schüttelnd das Haupt: ,, Erwache:
„Auf aus dem Schlaf, und rette deinen Söhn,
,,0 trautes Weib ! Verbirg ihn ; so nur kannst
,,Du ihn erretten. — Trockne deine Thränen. —
,,Dass Troja fiel, darüber seufzest du?
,,0 wär's schon aus! Müsst's nicht noch tiefer fallen!
,,0 eile, birg' den letzten zarten Zweig
,,Wo immer hin von unserm Königsstamme!" —
Eiskalter Schauer scheucht den Schlaf von mir,
Zitternd erwach' ich, schau' um mich herum,
Des Sohns vergess' ich Arme, spähe nur,
Wo Hektor sey? — Doch, ach! — ein Inft'ger Schemen
War er aus meinen Armen mir- entgleitet.
Als ich ihn eben zu umfassen wähnte. —
(Umarmt den Astyanax.) /
0 theures Kind! o hoffnungsvoller Sohn
Des grossen Vaters! letzte Hoffnung du
Der Phryger und des tiefgesunk'uen Hauses!
So altberühmten Stammes letzter Spross! —
Wie gleichst du deinem Vater ganz! Diess war
Sein Blick, so ging, so stand er, ganz wie du.
So streckte er die Heldcnrechte aus.
So strotzten seine Schultern, also dräute
Die krause Stirn, wenn er die reichen Locken
Um seinen nerAigen Nacken schüttelte.
0 Sohn ! zu spät wardst du geboren, um
Dem Vaterland ein Retter zu erscheinen;
Der Mutter Leid zu theilen allzu früh! —
Wird kommen der erwünschte Tag dereinst.
Wo du, des Vaterlandes Rächer, kommst.
Ein neues Pergamus zu bauen? wo
Die flücht'gen, rings zerstreuten Bürger du
Versammelst um den neu gegründeten Thron,
Den Trojern Namen, Vaterland erkämpfst? —
(Erschrocken)
Weh'! — Wagst du jetzt so Grosses noch zu hoffen? —
Ach! — Ich vergass mein furchtbares Geschick!
Ha! wir sind Sklaven. Alles raubte man.
Das nackte Leben Hess man uns allein.
0 mir! — Wo find' ich einen Ort, der sicher
Genug für meine Mutterangst? Wohin
Verberg' ich dich? Die mächt'gc Königsburg.
Die Götter selbst gegründet und geschirmt,
390 Das römische Drama.
Die hochberühmte, die aller Völker Neid
Erregt, sie liegt, em Haufe Schutt, darnieder.
Der Flamme Wuth verzehrte Alles; von
So grosser Stadt l)lielj nicht ein vi^inziges
Gemach, worein ein Kind sich birgt. — Wo ist
Ein Ort geheim genug für meinen Raub?
(Sie sieht sich um, ihr Blick fällt auf Hektors Grabmal.)
Ha! meines Gatten Grabnuxl! Selbst dem Feinde
Ist's heilig. Herrlich hat's Priam erbaut.
In seinem Schinerz mit keinen Kosten kargend.
Ja, dahin bring' ich ihn. Der Vater sey
Sein Schützer. — Kalter Schweiss durchrieselt mein
Gebein. — Weh'! weh'! In's Grab bring' ich mein Kind! —
Greis. Schon Manchem rettete sein Leben das
Allein, dass man ihn todt geglaubt.
Und sprich, was bleibt dir sonst zu hoffen übrig V
Ihn drückt der Adel seines Bluts zu Boden.
Androm. Verrath lauscht überall.
Greis. Thu' es, wenn kein
"N'erräther nah' — —
Androm. Und fragt der Feind nach ihm?
Greis. Sag' ihm: In Troja's Flammen kam er um.
Androm. Was hilft es ihn verbergen? Er entgeht
Doch der Gewalt der Feinde nicht.
Greis. Sie sind
Im ersten Taumel nur des Siegs so grausam.
Androm. Ach! kann ich ohne Zittern ihn verbergen?
Greis. Drängt dich die Noth, ergreif den Rettungsweg,
Der sich zuerst dir beut; bist du erst ausser
Gefahr, dann magst du wählen.
Andromache (zu Astyanax)
Welcher Ort,
Welch' weit entleg'nes unwirthbares Land
Gewährt dir Sicherheit?
(zum Grabmal gekehrt)
Du, Hektor, sey
Wie vor, so jetzo unser Schild. Was ich,
Dein liebend Weib, dem grimmen Feind entzieh,
Diess junge Leben, meinen höchsten Schatz,
Bewahr' es treu im Hause deiner Asche.
(Sie steht mit dem Knaben am Grabe, und spricht zu
Astyanax:)
Nun steig' hinab zur Gruft, mein Knabe! —
(Astyanax weigert sich.)
Androm. Wie?
Androiiiache und Ulysses. 391
Du fliehst zurück? Du sträubest dich der Schmach,
Dich zu verkriechen? - Ha! daran erkenn' ich
Des Vaters Geist, der feig zu flieh'n erröthet. —
Dem edlen Stolz, dem kecken Muth, den du
Ererbt, entsage nun, und füge dich
Der Zeit. — Sieh' da, die Trümmer unsres Glücks! —
Der Vater liegt im Grab; du bist verwais't.
Mein Knab', ich deine Mutter, bin nied're Magd! —
Umsonst wUlst du dem harten Schicksal trotzen.
Gib nach, o folge mir, geh' in das Haus,
Wo deines Vaters heil'ge Asche ruht.
Will dir das Schicksal wohl: ist's deine Freistatt;
Will's deinen Tod: hast du ein herrlich Grab.
Astyanax (steigt hinab in das Grabmal, der Greis wälzt den Stein
wieder vor).
Greis. Er ist hinab. Das Grab verwahrt ihn nun.
Doch, dass ihn nicht des Mutterherzens Angst
Verrathe, geh' von hinnen, entferne dich.
Androm. Die Angst ist minder quälend, wenn wir das,
Wofür wir bange beben, uns nahe wissen.
Wenn's aber gut dir dünkt, so geh' ich fort.
Greis, (hat gegen das Lager hinaus gesehen).
Nein, bleib'! Doch wahre deine Zunge wohl.
Nicht klage; denn der Kephalener-Fürst,
Der schändliche, lenkt seine Schritte her.
Androm. So öffne dich, du mütterliche Erde!
Du, mein Gemahl, zerspalt' vom tiefsten Grund,
Vom Styx herauf der Welten Bau ! Hut' wolü
Mein anvertrautes Kleinod; denn es kommt
Ulyss. Es wankt sein Schritt, sein schwarzes Herz
Spinnt meder tückiscli schändlichen Verrath! —
(Der Greis zieht sich zurück.)
Ulysses. Des harten Schicksals Bote komm' ich her.
Doch lege mir- nicht aus zur Schuld, was dir
Mein Mund verkünden wird. Der Griechen-Völker
Und aller Fürsten S})ruch schickt mich hierher ;
Denn Hcktors Kind liemmt noch die späte Fahrt
Zur IFeimath uns. Das Schicksal fordert ihn
Zu)n Oi)fer. Nimmer kann der Danacr
Furchtlos auf sichern Frieden hoffen, stets
Muss er besorgt zurücke schau'n, darf nie
Die Waffen legen aus der Hand, so lang
392 Das röniisclie Drama.
Den schwer bezwung'nen Phrygern eine Hoffnung,
Androniache, in deinem Solm noch lebt.
Andrem. Spricht euer Seher Kalchas diess durch dich?
Ulysses. Wenn auch der Seher schwieg: es sprechen laut
Des Hektor Thaten. Furchtbar ist der Sprössling
Selbst seiner Kraft; denn was so mächtigem Stamm
Entkeimte, schiesset gross mid mächtig auf. —
Es ist nicht Kleines, was die Griechen schreckt:
Ein werdender Hektor ist es. — Darum ende
Du unsre Furcht. Die einz'ge Sorge hält
Die Schüfe noch zurück, hemmt unsre Fahrt. —
Schilt mich nicht grausam, weil ich Hektor's Sohn
Von dir begehre, weil's das Schicksal heischt. —
Von Agamemnon selber fordert' ich
Orest den Sohn, galt' es des Volkes Heil.
Drum dulde du, was auch der Sieger litt.
Andrem. 0 hätt' ich dich, mein Sohn! Wärst du bei mir
Im Schooss der Mutter! Wüsst' ich, welche Macht
Dich mir entriss, in welchem Land du weilst? —
Und bohrtet eure Geschoss' ihr mir in's Herz,
Und schmiedetet ihr in Ketten diese Hände,
Und würf't ihr mich in heisse Flammenloh':
Nichts brächte zum Verrath diess Mutterherz.
0 Sohn, wo weilst du? wie ergeht es dir?
Irrst du vielleicht herum in fremdem Land?
Hat deinen zarten Leib vielleicht der Brand
Der Vaterstadt verzehrt? Hat vielleicht
Ein Grieche in unmenschlich wilder Lust
Des Siegs zum Spiel dein junges Blut verspritzt?
Liegst du, von einem wilden Thier getödtet,
Der Vögel Speise, auf des Ida Höhen?
Ulysses. Die falschen Heuchelworte spare dir;
Ulyssen zu berücken, gelingt dir schwer.
Der Mutter List besiegt' ich schon, und waren
Doch Göttinnen. Den eitelen Versuch
Gib auf. Wo ist dein Sohn?
A nd r o m. Wo Hektor ist,
Die Phryger-Kämpfer aU' und Priamus.
(Schmerzlich.)
Du suchst den Einen ; ach ! ich wein' um Alle.
Ulysses. Man zwingt dich schon, gestehst du es nicht frei.
Andrem. Gewalt verlach' ich, denn ich weiss zu sterben.
Ich will den Tod.
Ulysses. Ha! solcherlei Mundhelden
Entwaffnen gleich des nahen Todes Schrecken.
Andromaehe und Ulj'sses. 393
Androm. Willst du mit Furcht, Ulyss, Androraachen
Bezwingen ? Wisse denn, das Leben nur
Ist furchtbar mir, der Tod kommt mir erwünscht.
Ulysses. Gewalt zmngt wohl
Auch einer Mutter Herz. Ha, Thörin, willst
Verschweigen, was du doch bekennen rausst?
Androm. Auf denn! Lass Flammen lodern, zück dein Schwert,
Biet' alle Martern auf, die deine Wuth
Dich lehrt! Mit Hunger folt're mich, mit Durst,
Mit jeder Pein! Bohr' in mein Herz den Stahl;
Lass mich im dumpfen Kerker schmachten, leiden,
Was grimme Willkür nur des Siegers aussinnt:
Das starke Mutterherz zwingt keine Macht.
Ulysses. Selbst diese Liebe, die so starr uns trotzt,
Sie malmet, warnt uns Danaer, auf dass
Wir unsrer Kinder Ruh' gar wohl berathen.
Androm. Weh! Freudenbotschaft muss ich selbst dem harten
Ulyss, den Danaern, den Feinden ich.
Ob sich das Herz auch sträubet, bringen! Ach! —
Umsonst verhehlt der Hass den heissen Schmerz.
Hört es, Atriden, hört's, und jubelt auf!
(zu Ulyss es)
Du hör's, und juble, und verkünd' es ihnen: —
Des Hektor Kind — o mir! — es lebt nicht mehr.
Ulysses. Womit verbürgest du die Wahrheit uns?
Androm. Die grösste Pein, die ihr ersinnen mög't.
Komm über mich! — So möge mich das Schicksal
Bald leichten Tods von aller Qual befrein.
Ein Grab mir gönnen hier im Mutterland,
So decke Hektorn hier der Mutterboden sanft:
So wahr mein Sohn den Lebenstag nicht schaut ;
So wahr er bei den Todten haus't ; so wahr
Im Grab er bei den Abgeschied'nen ruht!
Ulysses (freudig) Des sichern Friedens frohe Botschaft bring' ich
Den Danaeru. Todt ist des Hektor Stamm,
Erfüllt des Schicksals Gebot.
(Will gehen, bleibt aber sinnend stehen, und spricht bei Seite.)
Doch halt, Ulyss!
Was thust du? Wird das Griechen-Heer dir trau'n —
Wess Worten trau'st denn du? - der Mutter. — Ob
Sie Wahrheit sprach? ob nicht sein Tod erdichtet? —
Wagt sie es ohne Zagen mit den Schrecken
Des Tods so kühn zu s]iielcn? Sclircckct sie
Das Strafgericht der (Innkcln Mächte nicht?
394 i^äs römische Drama.
Der scheuet auch die dunklen Eichter noch,
Wem Schlimmeres nicht mehr begegnen kann. —
Zwar sie beschwor's mit einem Eid — wenn falsch
Sie schwört, was kann sie Schlimm'res fürchten, als sie
Schon leidet? — Jetzt, Ulyss, raff' dich zusammen.
Biet' alle Schlauheit, alle Künste auf,
Jetzt zeige dich. — Wahrheit bleibt nicht gelieim :
Belausch' ihr Mutterherz. —
(Andre machen scharf von der Seite betrachtend.)
Sie seufzet, weint,
Sie klagt und wankt mit ängstlich schwachem Schiitt
Herum, und lauscht besorgt auf jeden Laut. —
Das ist mehr Angst als Trauer. Ha! jetzt gilt's! —
(Laut zu And ro mache.)
Bedauren würd' ich aud're Mütter, doch
Dir, Arme, wünsch' ich Glück, dass todt dein Sohn.
Sein harrte ein gar bittrer Tod. Vom Thurm,
Dem einz'gen, der aus Troja's Trümmern ragt.
Herab gestürzt, qualvoll hätt' er geendet,
Androm. Ich beb' und zitt're, sterbe noch vor Angst.
In meinen Adern starrt das Blut zu Eis.
Ulysses (b. S.) Sie bebt. — Von dieser Seite fass' ich sie.
Die Angst verräth die Mutter. Nun wohlan,
Ich weiss sie zu verdoppeln.
(Laut zu seinem Gefolge.)
Auf denn, eilt!
Auf! Des Pelasger-Namens argen Feind,
Den letzten Rest von dieser gift'gen Brut,
Den seine Mutter listig barg, schleppt her.
Wo ihr ihn findet! —
(Pause; dann als wäre der Knabe gefunden.)
Wohl, wir haben ihn !
Fort! bringt ihn her!
Androm. (sieht ängstlich zurück, um zu sehen, ob sie wirklich entdeckt
sey.)
Ulysses (schnell). Was wendest du dich denn
Zurück, und bebst? — Dein Sohn ist ja längst todt.
Androm. O dass er lebt'! Dass meine Angst um ihn
Nicht fruchtlos war'! Ich bin so sehr gewohnt
Zu zittern, dass Alles mich erschreckt, und schAvcr
Verlernt das Herz, was es so lange that.
Ulysses. Weil denn der Knab' durch frühern Tod dem Loos
Entging, als Sühnungsopfer an den Mauern
Der Troer-Stadt zu fallen, wie der Seher
Es fordert, so s])richt Kalchas : ,,Also nur
Andromache und Ulysses. 395
„Wird Sühne euch gewährt, ihr Daiiaer,
„Und Rückfahrt euern Boten, wenn in's Meer
,,Ihr Hektor's Asche streut, sein Grab zerstört,
,,Uüd es dem Boden gleich macht!'' - Nun der Knabe
Der Opferung entging durch sanftem Tod,
Muss ich des Helden heiFge Ruhestätte
Zerscheitern mit gewalt'ger Faust.
Androm. (für sich) Weh' mir!
Was thu' ich? Doppelangst zerreisst mein Herz.
Hier gilt's den Sohn, und dort des Gatten Asche;
Wer siegt im Kampf, den meine Seele kämpft? —
Euch Götter, die ihr uns verdarbt, die ihr
Den Meineid strenge rächt, und deinen Geist,
Geliebter Gatte, ruf ich auf zu Zeugen,
Dass nur den Vater ich im Sohne liebe.
Er lebe, Hektor! er, dein Ebenbild.
Ha! dann wird aus dem Grab des Vaters Asche
Hervor gerafft, in's Meer gestreut, und sein
Gebein den wilden Wogen preis gegeben! —
Eh' sterbe der Sohn! — Und könntest du ihn schau'n.
Du Mutter, wie den grausen Tod er leidet?
Wie sie hinab ihn von der Höhe stürzen? —
(Schaudernd.)
Ja, ich vermag's, ja, das ertrage ich ;
Wenn meinen Hektor nur des Siegers Faust
Heraus nicht reisset aus dem Todesschlaf". —
Du Knabe müsstest manches Leid noch tragen,
Ihm gönnt das Schicksal endlich Rast und Ruh'.
Was schwankst du noch? Entschliess' dich. — Wen willst du
Der Hand des Feinds entzieh'n ? — Ha, Undankbare !
Kannst du noch wählen? — Ruht nicht Hektor dort?
Ach nein! Hier — dort ist Hektor — überall!
(Hoffnung ergreift sie.)
Der hat noch Lebenskraft, der rächt vielleicht
Des Vaters Tod dereinst. — Warum kann ich
Nicht beide retten? — Was beginn ich? -- Ha,
(Gcfasst.)
Ich rette den, vor dem die Grajer zittern.
Ulysses. Des Sehers S])rucli vollführ' ich stracks, und zerre
Aus seiner Gruft hervor des Todten Leichnam.
Androm. Den ihr verkauft?
Ulysses. Ich geh' und reiss den Staub
Aus der Erde Schooss hervor.
Androm. (voll Angst schreiend).
396 Das römische Drama.
Ihr Götter, hört,
Hör' mich, Achill! Komm', Pyrrhus, was dein Vater
Gelobte, halte du's.
Ulj'sses. Im Augenblick
Siehst du das Grab zerscheitert auf dem Plan.
Audrom. Das war der einz'ge Frevel, Danaer,
Den ihr noch nie gewagt. Der Götter Tempel,
Der güust'gen selbst, habt ihr entweiht. Die Asche
Der Todten liess noch eure Wuth in Ruh'. —
Ich trotze dii-. Sieh'! die wehrlose Hand
Streck' ich der stahlbewehrten Faust entgegen;
Die Rache giebt mir Kraft! — Wie der Ai-giver
Geschwader kühn die Amazone schlug;
Wie die Mänade, von ihrem Gott begeistert,
Im Wahnsinn tobt, dass rings der Hain erschrickt.
Den furchtbarn Thjrsus schwingend, und sich selbst
Verwundet; in der Raserei den Schmerz
Nicht fühlt': so stürz' ich mitten unter euch,
Und falle kämpfend an des Gatten Grabe.
(Sie stellt sich vor das Grabmal.)
Ulysses (zor-nig zu den weichenden Kriegern).
Ihr weicht y das Winseln eines Weibs und ihre
Ohnmächt'ge Wuth erschrecket euch? Vollführt
Schnell mein Gebot !
(DieKJrieger gehen gegen das Grabmal; Andro mache wirft
sich ihnen entgegen).
Androm. (in höchster Angst).
Ä'Iich werft erst nieder !
Ha, mein Gemahl! aus des Avernus Schlund
Schwing' dich empor, der Weltenordnung Schranken
Durchbrich, erschüttere den Bau der Welt!
Auf, zeig' dich dem Ulyss, dein blosser Schatten
Bricht seinen kühnen Trotz! — Ha! höret ihr?
Hör't ihr die Waffen klirr 'n in seiner Hand?
Seht, ^\ie er Flammen sprühet, Danaer!
Seht ihr- den Hektor? — Oder sah ich ilin
Allein ? !
Ulysses. Bis in den Grund zertrümmert Alles.
Androm. (b. S.) Was thu' ich? — Sohn und Vater stürz' ich in's
Verderben zumal? — Vielleicht gelingt es mir,
Die Danaer mit Bitten zu erweichen.
(Sieht nach dem Grabnuile, an dessen Zerstörung des Ulys-
ses Krieger arbeiten.)
Weh' mir! des Grabes Trümmer stürzen schon
Auf den Verborg'nen ein ! — Stirb, Armer, stirb
Androinache und Ulj'ses. 397
Wo immer, nur sey nicht des Vaters Gruft
Dein Grab, dein Leichnam drücke nicht des Vaters Staub!
(.Stürzt dem Ulysses zu Füssen.)-
Zu deinen Füssen lieg' ich hier, Ulyss,
Ich, die noch Keinem bittend je genaht,
Umfasse deine Knie mit meiner Rechten,
Und fleh': Erbarm' dich meiner Mutterangst!
Hör' gütig au mein Fleh'n! Je höher dich
Der Götter Gunst erhoben, um so milder
Bezeige dich dem Tiefgefallenen. —
Was Leidenden du schenkst, bringt wieder Glück.
Kehr' glücklich an der Gattin treue Brust!
Es mög' Laertes sich verjüngen, bei
Des Wiedersehens Wonnen! Deinen Sohn
Mög'st gross und stark du wieder finden, mehr
Als du es hülfen mocht'st; und drück' ihn froh
An's Vaterherz, er übertreffe noch
An Alter den Grossvater selber, und
An klugem, vielgewandtem Geist den Vater;
0, hab' Erbarmen mit der armen Mutter,
Er ist mein einz'ger Trost in meinem Jammer!
Ulysses. Erst schaff' den Sohn herbei, dann magst du fleh'n.
Androm. (geht gegen das Grabmal)
Komme hervor
Aus deiner Freistatt,
Weinenswerther Knab',
Den die besorgte Mutter
Verbarg vor Feindes Grimm !
(Sie geht zum Grabmale, und führt ihren Sohn hervor.)
Androm. Hier, Ulysses,
Hier ist der Knabe,
Dem tausend Segel
Bang' erzittern.
(zu A s t y a n a x.)
Falte die Händchen,
Wirf zu den Füssen
Des neuen Gebieters
Flehend dich nieder !
Sträube dich nicht.
Was das Unglück gebeut,
Ist nicht Schmach dem Unglücklichen.
Dass deine Ahnen
398 Dä,s römische Drama.
Königlich thronten;
Wie der mächtige Greis
Weituiii gelierrscht,
Hoch und berühmt,
Vergiss es jetzt. —
Vergiss auch Hektorn;
Bedenk', dass du Sklav' List.
D'rum beuge die Knie;
Und hast du nicht Sinne noch
Für die Schrecken des Todes,
So achte auf mich,
Und thu', was die jammernde
Mutter dir zeigt.
(zu Ulysses.)
Schon in früherer Zeit
Sah Troja des Königssohns
Bittende Zähre.
Schon Priam als Knabe
StiEte die Zornwuth
Des erzürnten Aleiden, —
Der Held,
Dess riesiger Paust
Ungethüme gefallen.
Der Pluto's eiserne
Pforten zersprengte,
Und, wo keiner vor ihm ging,
Sich Rückweg zum Licht brach.
Ward von des kleinen.
Kindlichen Feindes
Thränen gerühret.
Und sprach;
,,Sey König ! —
,, Besteige den Thron
,, Deiner Väter,
,,Und herrsche hochherrlich!
, »Empfange das Scepter;
,,Doch führ' es gerechter
,,Und treuer als sie!" — —
So müde hat er als
Sieger gewaltet. —
Lei'net vom Hektor,
Ihr Sieger alle,
Rache üben
Am bezwungenen Feind
Oder liebt ihr
Aiidroiiiache und Ulj'sses. 399
Nur sein Gewaften?
(Mit Astyanax vor dem Ulj'sses niederkniend.)
Zu deinen Füssen,
Nicht geringer als Priani,
Liegt hier der Knabe,
Und fleht um sein Leben.
Troja's Königsthron
Gebe das Glück
Wem immer ; er fleht
Nur um das Leben.
Ulysses. Der hart bedrängten Mutter Klage rührt
Mein Herz; doch mehr die Mütter der Pelasger.
Zu ihrem Jammer nur erwuchs' dein Sohn.
Androm. Kann er aus Asch' und Schutt, worein ihr sie
Gestürzt, die Stadt zur alten Pracht erwecken V
Diess Händchen könnte Troja's Macht neu gründen ?
Wie schwach ist Troja's Hotthung doch, wenn sie
Auf solchen Stützen ruht ! Wir sind so tief gebeugt,
Dass wir niemand können furchtbar seyn. Sorgst du,
Des Vaters Geist leb' auf in ihmV — Ja wohl;
Wie ihn Achill um Troja's Mauern schleifte. —
Ihm sänke selbst der Muth, den Tapfersten
Entmannt doch endlich stäter Sturm und Drang.
Wollt ihr noch Eache? Seyd ihr deim nicht schwer
Genug gerächt? — Ha, seht! Der Knechtschaft Joch
Liegt auf des Fürstenjünglings Nacken schwer.
Lasst ihn es tragen ! dieses Sklaven-Leben
Lasst ihm ! Dem Königssohn könnt ihr's verweigern ?
Ulysses. Nicht ich; des Kalchas S]>ruch raubt dir den Sohn.
Androm. (,im höchsten Zorn).
Ha, schnöder Eänkeschmieder, rüstig und
Gewandt zu jeder Lasterthat ! Noch keinen hat
Im offnen Kampf dein Arm erlegt; doch Tücken
Und deine meuchlerischen Finten haben
Zu Haufen selbst Pelasger hingewürgt.
Des Sehers Spruch, der holien Götter Rath,
Die solchen Gräu'l verabscheu'n, wagest du
Als Vorwand deiner Mordgier vorzuschützen?
Diess schwarze Werk gebar dein schwarzes Herz. —
(Mit Hohn.)
Jetzt hast du endlich Mutli, du Held der Naclit.
Gilt's eines Knalien Tod, jetzt wagst du dicli
An Jemand oluie Helfer, ganz allein !
Ulysses (stolz"). Don Grioclien ist mein Mutli sattsam bekannt.
400 Da« römische Drama.
Und auch dein Volk empfand ihn nur zu sehr.
Ich hab' nicht Lust, mit eitelem Geschwätz
Die Zeit hier zu verlieren ; denn es will
Der Danaer die Anker lichten schon.
Androm. (bittend). Nur kurze Frist gestatte mir, dass ich
Dem Knaben noch den letzten Liebesdienst
Erweis', und, ihn zum letzten Mal umarmend,
Stille des Mutterherzens heissen Schmerz.
Ulj'sses (gerührt). 0 dürft' ich thun, was mein mitleidig Herz
Dil- gerne zugestände! — Was ich darf.
Die kurze Fristung gönn' ich wiUig dir.
Lass deinen Thränen freien Lauf, in Thränen
Erleichtert sich die gramgepresste Brust.
Androm. (umarmt den Astyanax).
0 süsses Pfand von meines Hektor's Liebe!
Du einz'ge Zierde unsres Unglückshauses!
Du letzter Spross von Troja's Heldenstamm!
Du Schrecken der Hellenen! Letzte Hoffnung
Der Mutter! — 0 ich Thörin habe dir
Des Vaters Kriegesruhm und Priam's Glück,
Wie es in schönster Blüthe stand, gewünscht.
Der Götter Zorn vernichtet all' mein Hoffen ! —
Nie wirst du in der königlichen Burg
Von Ilion mit mächt'gem Scepter Avalten ;
Noch wirst du je Gesetze geben Völkern,
Die dein tapfres Schwert sich unterwarf; nie wii'd
(heimlicher)
Dein Rächerarm der Griechen Nacken treffen. —
Des Vaters Tod bleibt sühnlos, ungerochen,
Nie schmied'st du Pyrrhus Leib an deinen Wagen. —
Die zarten Händchen schwingen nie ein Schwert;
Ach, nie wii-st du das Wild im weiten Forst,
Das scheu herum zersprengte, jagen ; nie wirst
Du Troja's grosses Sühnungsfest erschau'n;
Nie Troja's edle Jugend, froh um dich
Geschaart, in lustig-raschem Festkampf tummeln;
Nicht am Altar der vaterländ'schen Götter
Zur feierlichen Weise nach des Horns
Getön den altehrwürd'gen Opferreih'n
Rasch und gewandt im heimischen Tempel führen.
(Jammernd.)
Du stirbst! — und, ach! wie grausam ist dein Tod!
J]in Jammerschauspiel sollst du, Troja, schau'n,
Noch weinenswerther als des Hektor Tod.
Seneca's Troaden. Der dritte Act. 401
Ulysses. Lass, arme Mutter, endlich ab zu klagen;
Wühl endlos ist dein unermesslich Leid.
Androni. (zu Ulysses).
Noch einen Augenblick gönn' meinem Schmerze,
Ulyss, erlaube, dass der Mutter Hand
Die Augen vor dem Tode ihm verbinde.
(Zu Astj'anax.)
0 Sohn! in zarter Kiiidheit musst du sterben,
Doch bist du jetzt schon deiner Feinde Schrecken.
Geh' denn — die Helden Troja's harren dein,
Geh' du ein Freier zu den Freien hin !
Astyanax (wie ihm Andromache die Augen verbinden will).
0 hab' Erbarmen, Mutter!
Androm. Kind, was schmiegst
Du dich in meinen Schooss? Warum umklammerst
Die Mutter du mit deinen Händchen V Ach,
Bei mir suchst du vergebens Schutz ! Wie vor
Dem brüllenden Leu das Lamm ersehrocken sich
An seine Mutter drückt; der grimme Leu
Jedoch sie forttreibt, und den zarten Raub
Aufrafft, in seinen Zähnen malmt und fortschleppt :
So reisst aus meinem Schoosse dich der Feind. —
0 Sohn, mit Küssen deck' ich dich, und bade
In Thränen dich, zerrauf um dich mein Haar,
Hauch' meinen Schmerz in dich, dass voll von mir
Du Hektorn dort begegnest! — Melde ihm
Diess Wort, das deine Mutter jammernd spricht:
,, Bleibt Abgeschied'nen nicht Erinnerung
,,An ihre Lieben in der Oberwelt?
,,Hat denn das Feu'r, das ihren Leib versengt,
,,Auch alle Lieb' verzehrt V Duld'st du es, Hektor,
,,0 Grausamer, dass sieh Andromache,
,,Dein Weib,, hier schnödem Grajer-Joche krümmt?
,,Kam doch Achilles um Folyxena
,, Herauf; du liegst ohnmächtig kalt im Grab?" —
Nimm nochmals Lock' und Thrän' zum Leichenopfer,
So viel mir noch die Trauer Hess um den
Gemahl! — (Küsst ihn.) Die Küsse bring' dem Vater zu;
Mir lasse diess Gewand zum Trost zurück!
Das Grab, so all mein Liebstes birgt, den Rest
Des theuerstcn Gemahls hat es berührt.
Wo icli oh) Stäubchen seiner heil'gen Asche
Nur finde, küss' ich's auf!
n. 26
402 ^^^ römische Drama.
Ulj-ßses (rauh und zürnend).
Genug des Jammerns. Reisst ihn schnell von hinnen,
Der der Ai-giver Flotte Rückfahrt hemmt.
(A n d r 0 m a c h e n wird von den Kriegern des Ulysses der
Sohn weggerissen und fortgeschleppt, sie bleibt am Boden
betäubt, wenige Sklavinnen beschäftigen sich mit ihr. Ulys-
ses ab.)
In den Anmerkungen zu dieser Tragödie von A. A. Swoboda,
dessen Uebersetzung '; wir benutzen, finden wir -') einige, wie uns
dünkt, beac-htenswerthe, den Chor betreffende Zweifelfragen: „War
der Chor Zeuge von dem Zwiste Aganiemnon's mit PyiThus?
Musste er, vermöge der Theilnahme, die er eben erst dem Kö-
nigshause bewies, nicht in laute Klagen ausbrechen, und der ar-
men Königstochter das Verhängniss verkünden? Wo kam Hecuba
indessen hin? Wie kommen die Griechenfürsten? Wohin gehen
sie?" u. s. w. All' diese Fragen aber zusammengenommen fal-
len nicht so schwer in's Gewicht, wie unsere eine Frage: Wie
in aller Welt kommt Seneca zu diesem Act? „Von diesen Uebel-
ständen abgesehen," fähi*t Swoboda foi-t, „ist allerdings dieser Act
gelungen zu nennen." Allerdings? Gelungen? Der Act darf
als tiefe Studie den Meistern der Kunst empfohlen werden!
Aber schon der vierte ist wieder so elend wie der zweite.
Vermöge der Episode mit der Helena hat er sogar ein gut Theil
voraus. Als etwas Eigenes wird darin das Schweigen der
Polyxeua bemerlrt, um deren Schicksal sich dieser Act bewegt.
Helenas arglistige Bewerbung um Pol\T^ena fiir PyiThus; der
Mutter Freude darüber; ihre Ohnmacht, als Helena ihre wahre
Absicht zu erkennen giebt, Polyxena dem Opfertode entgegenzu-
führen; der Abschied der unglücklichen, aus der Ohmnacht wie-
der erAveckten Mutter — alle diese, das Gemüth einer Jungfrau
und Tochter auf's Höchste erregenden Situationsmomente gewin-
nen ihr keinen Laut ab, bis auf ein flüchtiges P'reudeaufleuchten
über die Todespost. Franz Hörn, Cebersetzer der Trojauerinnen,
erklärt das unverbrüchliche Stillschweigen der Polyxeua eben so
schlagend wie sinnreich: der Dichter „habe den geräuschvollen
Eflect verschmäht und den tiefer eindringenden, den schweigen-
den schweigender Opfer vorgezogen." Mit anderen Worten: Po-
1) L. A. Seneca's Tragöd. übers, u. s. \v. Pra«' 1825. — 2) UI. L. 94.
Der vierte und fünfte Act. 403
lyxena schweigt den lieben langen Act hindurch, weil sie nicht
redet, und weil es dem Dichter in seiner Weisheit gefallen hat,
sie schweigen zu lassen. Eine Tragödie, worin sämmtliche Per-
sonen aus solchen scliweigenden Opfern und Opfern des Schwei-
gens beständen, nnisste eine unberechenbare Wirkung hervorbrin-
gen, von einem tiefeindringenden Etfect, der die geräuschvollsten
Effecte aufs Maul schlüge. Um von dem hochtragischen Ende
der Heldin zu schweigen, die selbstredend in einer solchen Tra-
gödie sich selbst todt schweigen müsste. Mit Freuden hätte die
Literatur, hätte die Geschichte des Drama's für eine solche Tragö-
die aus Franz Horifs Feder seinen dreibändigen Commentar über
Shakspeare's Dramen hingegeben.
Aus dem Todesgang Polyxena's an der Hand des Pyrrhus
schöpft der Schlusschor dieses Actes den Trost, dass er nicht allein
leidet. Trüge doch auch der wackere Schlusschor sein Leiden,
wie Polyxena: mit schweigender Geduld! Die Epode, die den
Moment der Abfahrt besingt, ist rühmenswerth :
Aber uns, die Thränen und Harm vereinen,
Ach uns trennt, zerstreuet der Flotte Abfahrt.
Weh! die Tuba tönt, und die Segel schwellen.
Und der Schift'er, eifrigen Euderschlages,
Strebt zur See, und die Küsten fliehen.
Welch ein Jammer fasset uns, wenn die letzte
Spur vom Land gewichen, wir Meer nur schauen.
Wenn nun auch das wogende Haupt des Ida
ünsrem Blick entschwand, wir auch ihn nicht schauen :
Wii"d das Kind der Mutter und sie dem Kinde
Zeigen in der Fern mit dem Finger Troja:
,,Dort ist Ilion, wo der Rauch gen Himmel
,, Düster schwarz sich wälzt, und die grauen •Nebel.
.,Ach, unsern Troern zeigt nur der ferne Qualm die heimische Gegend!"
Das ist wahrer Schmerzeusausdruck; darin liegt tragische Stim-
mung.
Leider giebt es noch einen fünften Act. Zwar von nur fünf
Seiten, die aljer grässlich für fünf Acte sinrl. Zunächst der Be-
richt, den der Bote anHecuba und Andromache von dem löwenmuthi-
gen Sprung al)stattet, womit der kleine Astyanax sich selbst vom
Thurnie stürzte. Um aber der armen Grossmutter und Mutter
jeden Wahn zu benehmen, als sey es mit dem blossen Genick-
abstürzen abgethan, fragt der Bote die Mutter:
2ü*
404 ^^^ römische Drama.
Meinst du, class bei dem furohtbarn Sprung ein Glied
Nur ganz verblieb V . . .
Und malt ihr haarklein aus , in welchem Zustand der kleine Kör-
per nach dem Sturze dalag. Dann wendet er sich zu Polyxena's
Opferung, die, mit Pyn'hus' Stahl in der Brust, wie ein Stoiker
starb.
„Im Tode noch bleibt stark, wie vor, ihr Geist.",
Und stürzt dann, „als wollte sie, dass schwer der Boden drücke
den Achill, wie zürnend, auf das Antlitz nieder." Man denke
hierbei, wie Euripides seine Polyxena sterben lässt; an den rührend
schönen Zug, dass die zarte jungfräuliche Königstochter, vom
Stahle getroffen, auf nichts bedacht war, als in anständiger Ver-
hüllung zu fallen, und selbst im Tode die jungfi'äuliche Sittsam-
keit nicht zu verletzen. Für solche feine Seelenzüge verlieren
Dichter und Publicum jede Empfindung, die in der Arena Jahr
aus Jahr ein sterbende Fechter mit kunstgemässem Anstand ver-
bluten sehen.
Wenn wir nur eine Erklärung für das Phänomen, den drit-
ten Act dieser Trojanerinnen, finden könnten! Swoboda ver-
nmthet, die Tragödie wäre aus Resten verschiedener Tragödien
verschiedener Verfasser roh zusammengestoppelt worden. Ein un-
wissender oder gewinnsüchtig:er librarius hätte die Oentonen aus
mehrern Tragödien desselben Inhalts, deren übrige Theile verlo-
ren gegangen, zusammengeflickt; „Hess etwa einen fünften Act
dazu anfertigen, und so entstand das seltsame Mischgebilde, wie
es nun vorliegt." Die Muthmaassung ist scharfsiimig, ist annehm-
bar, — in Betreff des dritten Actes aber schickt sie uns von
Pontius zu Pilatus, Das Käthsel ist seiner Lösung um kein Haar
näher gerückt, wenn wir die Frage nun so formuliren sollen:
Wie kommt der gewinnsüchtige librarius zu diesem dritten Act?
Und konnte er nicht für seinen, aus mehreren Trojanerinnen-Tra-
gödien zusanimeiigelappten Cento den dritten Act dennoch just
aus den Troadeii des Seneca herausgegriffen ha))en? Dann käme
unsere Frage erst recht vom Regen in die Traufe, die alsdaim
gar lauten müsste: Wie käme Rom, Roms dramatische Poesie,
zu einer ganzen Tragödie, deren, bis auf diesen dritten Act,
verloren gegangene Bestandtheile demselben an Trefflichkeit und
Bedeutung doch möglicherweise konnten entsprochen haben? Las-
Seiieca's Hiiipolj'tus. 405
sen wir daher die Sache ruhen, wie sie liegt; schlagen wir uns
den gewinnsüchtigen librarius aus dem Sinn; halten wir den Se-
neca für den Verfasser der ganzen Flickarbeit nach wie vor, den
dritten Act aber für die Perle, die die blinde Henne aus dem
Müll gescharrt. Meldet doch Albertus Magnus von einer Feuer-
kröte, die im Kopf eine grosse Perle sitzen hat ; und Philostratus
d. ä. von einem indisclien Drachen mit einem Karfunkel in der
Schädelhöhle. Warum sollte es keinen römischen Tragiker haben
geben können, dem unter der dura mater ein solcher dritter Act
blitzte?
Hippolytus. Die Steigerung des überwiegend heroisch-
leidsamen Pathos der hellenischen Tragik zum historisch-prakti-
schen Angriffe- oder Widerstandspathos hat sich uns als das Ei-
genthümliche der römischen Tragödie ermittelt; worin die Ge-
schichte des Drama's ein Fortbildungsmoment, in Bezug auf die
moderne Tragödie, erblicken darf. Diesen Charalrter der tragi-
schen Leidenschaft haben wir bisher an zwei Frauen, und in sei-
ner eben bezeichneten zwiefachen Form, sich erproben sehen: das
aggressive Actionspathos in dem dämonischen Mannweib, Medea ;
und als weh volles Keactionspathos, in der mächtigsten Wider-
stands-Leidenschaft, der wesentlich heroisch -weiblichen Leiden-
schaft: in dem Mutterschmerz der Andromache.
Welche Gestalt mag nun jenes römisch thateifrige, mehr
nach aussen hin kampffertige, streitbare, als in das Seeleninnerste
des Verzweiflungsschmerzes und Jammers zurückschlagende Pa-
thos, mag jenes athletische Pathos als diejenige Leidenschaft
annehmen, deren Heroismus sich als unbedingte, wie die Kerze
in den Luftmantel, in unbegrenzte Selinsucht und Hingebung sich
hüllende Selbstverzohrung offenbart? Welchen Charalrter wird
jenes herausfordernde Patlios in der weil)lich verschämtesten aller
Leidenschaften, in der Liebesleidenschaft, zur Schau stellen?
Wie der Grieche selbst das befleclrte, verbrecherische Liebes-
pathos auffasst, das zeigte uns Euripides' Hippolytos-Tragödie in
der Phädra bewundernsAvürdig. Der Grieche schildert die sünd-
hafte Liebesleidenschaft als unheilbare, von einer zürnenden Gott-
heit verhängte Scelenkraiikh(Mt, ein tödtliches Siechtlium des Ge-
müths, das die davon Bctruffenen, wie ein von der Hand der
Gottheit ihrem Herzen eingedrücktes Brandmal verheimlichen,
406 ^^^ römische Drama.
verhehlen, vor sich selbst verbergen möchte. Euripides' Phädra
geht in dem Kampf von Liebe und Scham zu Grunde; sie stirbt
unglücklicher als schuldig, Avie ein Tugeudopfer; ja, sie sü'bt vor
Scham. Die hässliche Anklage des Hippolyt ist Eingebung der
Amme und hat diese auf ihrer Seele. Auch den Anstoss zur
Aeusserung der Leidenschaft sahen wir von der Amme ausgehen.
Sie ist das thätige, dramatische Ferment des Trauerspiels. Die
dramatische Initiative, die Intrigue, widerspricht der Schamselig-
keit der Liebe, ihrer Verhülltheit in sich selbst, und es zeugt nur
für den wahren Dichter, dass Euripides diesen Charakter so-
gar der fi'evelvollen Liebe bewahrt. Seine Phädra verbietet der
Amme dem Hippolyt ihre Leidenschaft zu entdecken. Die Amme
handelt für ihi'en Kopf, und bringt dadurch eben auch Handlung
in das Drama. Wie denn für die griechische Tragik überhaupt im
gottverhäng-ten Leiden das heroisch-edlere Motiv lag, der eigent-
lich Handelnde ihr als der unedlere Factor im Drama erschien,
wesshalb sie diesen, nach tragischer Rangordnung, zweiten und
dritten Spielpersonen zumes.
Der Römer nimmt den Deuteragonisten und Tritagonisteu
in den Leidenshelden, in den Protagonisten, mit auf, und einver-
leibt sie ihm gleichsam. Daher finden wir auch in der Regel
erstere bei ihm, in Absicht ihres dramatischen Schwergewichts,
entwerthet nicht selten bis zur gänzlichen üeberflüssigkeit, wie
hier z. B. die Amme. In Seneca's Hippolyt kehrt sich das Ver-
hältniss zwischen Phädra und der Amme um. Bei ilim ergreift
Phädra die dramatische Initiative gleich in dem ersten, unverhole-
nen Bekenntniss ihrer alle Schranken, jede Rücksicht niederwer-
fenden Leidenschaft: „Was du mir sagst" — spricht sie zur
Amme — „ist Alles gut und wahr; ich weiss es, liebe Amme,
doch mich treibt die Leidenschaft; ich muss der Liebe fol-
gen." Die Amme ist aber nicht blos das fünfte Rad am Wagen,
sie ist auch noch der nachschleppende Hemschuh der Handlung
und über die Gebühr langweilig mit ihrem ewigen und doch
fruchtlosen Warnen, Abrathen und Ermahnen. Im Widerspiel
zu Euripides' Phädra, schöpft Seneca die thatverwogenste Kühn-
heit aus ihrer verbrecherischen Leidenschaft. Sie liebt, wie Me-
dea in ähnlicher Lage lieben würde, mit der sie, nebenbei gesagt,
durch ihre Mutter, Pasiphae . Schwester von Medea's Vater, Aee-
Seneca's Hi))]iolytus. - 407
tes, Geschwisterkind wav. Sie verweilt mit faniilienstolzera Selbst-
gefühl bei den unnatürlichen VeriiTungen ihrer Mutter, erkennt
in ihnen ein Stammesgeschick, das sie fi'eiwillig übernimmt. Sie
hängt mit frevelliaft lüsterner Seele dem Gedanken nach: Theseus
möchte nicht wiederkehren, und dass sie den Hippol3i;u8 doch be-
sitzen könnte. Die Steigerung ihrer Leidenschaft bis zum offenen
Bekenntuiss, bis zur Raserei einer Liebeserklärung ist, bei dieser
Phädra, eine kunstgeforderte Nothwendigkeit , ist dramatisch und
psychologisch geboten, um dieser Erklärung willen den römi-
schen Tragiker tadeln, das verräth ein schwaches Verständniss
dramatischer Frevelgluth und der Liebesleidenschaft eines solchen
Weibes. Die Rüge scheint uns völlig unkritisch und verkehrt,
und durch Verkennung des Unterschiedes der beiden Frauencha-
raktere, der Phädra des Euripides und dieser Phädra, verschuldet.
So fehlerhaft, anstössig und unpoetisch eine Liebeserklärung bei
ersterer wäre; so leuchtet und glänzt das heroisch-dämonische
Wesen von Seneca's Phädra in dieser Scene zu dramatisch heiT-
licher Flammensäule auf, mit dem blendenden Schein poetisch-
kühner Schönheit. In dieser Scene enthüllt, offenbart sich Phä-
dra's Charakter in voller Stamm es- Glorie. Ohne diese Scene
würde Seneca's Hippolytus zum Caput mortuum von dem des
Euripides herabsinken; durch die Liebeserklärung und die aus
ihr entspringende Katastrophe, die, mit Rücksicht auf Phädra, an
gi-ossaiiiger Bühnenwirkung sich über die Katastrophe bei Euri-
pides hoch emporschwingt, wird Seneca's Hippolyt-Tragödie der
des Griechen ebenbürtig. Hiezu kommt noch, dass der römische
Dichter auf diese Scene seinen Anspruch, eine neue, die moderne
Liebestragik, geschaffen zu haben, gründen darf. Sie ist so
meisterhaft und kunstvoll in den Schattirungen der Affecte durch-
geführt, dass wir die Scene als eine der merkmirdigsten und
theatralisch bedeutsamsten, die, nach den Griechen, die Bühne
bereichert, mittheilen müssen. Die Amme ist mit ihrem Kuppel-
versuch bei Hippolytus gescheitert. Phädra eilt aus dem Palaste
herbei und fällt ohnmächtig zu Boden. Hippolyt und die Amme
eilen auf sie zu, um sie emporzurichten:
Amme. Erhebe dich, gieb einen Laut von dir!
Sieh', Tochter, sieh', dein scheuer Hippolyt,
Er hält in seinen Armen dich umlasst.
408 'Das römische Drama.
Phädra. Wer weckt zu diesem Leben mich voll Qual?
Zu dieser Gluth, die all' mein Herz verzehrt?
Wie wohl war mir, als mich der Tod umfasste!
Amme. Warum ist dir das schöne Leben so
Verhasst? freut es dich nicht, zu ihm erwacht zu sej'n?
Phädra. Nun fasse Muth ! Vollführ' es selbst, was du
Der Dienerin gebotst. Sprich ohne Scheu.
Nicht soll die Stimme beben. Wer mit Bangigkeit
Die Bitte vorträgt, zeigt, dass man ihm das,
Um was er bittet, kühn abschlagen dürfe.
Ha, mein Vergeh'n ist alt, die Reue kommt
Zu spät, ich mach' es nie mehr gut.
Ich liebe. Ach, imd meine Lieb' ist Sünde!
W^enn ich, was, ohne dass ich's woUt', begann.
Vollführe, so gelingt's vielleicht, die Schuld
Im Schein der Mutterliebe zu verbergen.
Manch' Laster hat geadelt der Erfolg.
Wohlan! ermuth'ge dich, mein Herz, kühn führ' es aus!
(Zu Hippolyt.)
Zu kurzer Zwiesprach' neig' dein Ohr mir zu,
Bitt' ich; entferne dein Gefolg' von hier.
Hippolj't. Wir sind allein, kein Horcher ist uns nah'.
Phädra. Der Mund versagt den Dienst, die Sprache stockt.
Es treibt mich an, zu sagen, was ich fühle ;
Und wieder hält mich höh're Macht zurück.
Ich rufe, Götter, euch zu Zeugen auf,
Dass, was ich nmi beginne,
(Sie stockt.)
Hippolj't. Was ist es, wornach dich so sehr verlangt,
Und was du doch nicht auszusprechen wagst?
Phädra. Leicht findet Worte ein geringes Leid,
Doch grosser Schmerz macht uns verstummen.
Hippolyt. Vertraue, Mutter, deinen Kummer mir!
Phädra. Der Muttername ist ein hehres Wort,
Ein heiliges, mein Herz verdient ihn nicht,
Gering're Namen heischet mein Gefülü.
0 nenn' mich Schwester, nenn' mich deine Magd,
Ja. Hippolyt, lass deine Magd mich seyn! —
Ich will mit Freuden jeden Magddienst thun.
Ich zaud're nicht, durch hohen Schnee, wenn du
Gebeutst, auf Pindus eis'gem Joch zu waten;
In's Feuer spring' ich gern und mitten in
Der Feinde Schaar, und biete meine Brust
Mit Freuden ihren blanken Schwertern dar.
Empfange du das Scepter, das mir ward
Phäflra's Tjiebeserklärung. 409
Vertraut, mich nimm als deine Sklavin an,
Dir ziemt's zu herrschen, zu gehorchen mir.
Ein Weib ist viel zu schwach, um ein
So grosses Eeich, als dieses, zu beherrschen.
Du blühst in frischer Jugendkraft,
Lenk' du mit deines Vaters Fürstensinn
Der Bürger Herzen; nimm in deinen Schooss
Mich Flehende, beschütze deine Magd,
Erbarme du der waisen Wittwe dich!
Hippolj't. 0 Götter, wehrt es ab, dass sich
Diess Schreckenswort erfülle! Hoffe noch!
Bald kehrt der Vater wohlerhalten heim.
Phädra. 0 von dem Styx, der, was er einmal fasst.
Nie mehr herausgiebt, führet keine Bahn
Zur Oberwelt! Wer einmal sie verliess,
0 den entlässt der strenge Schattenfürst
Zum Leben nimmer mehr zurück. — Und wie.
Den Frauenräuber, der zu schänden kam
Sein Bette, den entliess er? Ha, so ist
Der finst're Pluto selbst der Minne hold !
Hippolyt. Ihn führt der Götter Huld gewäss zurück.
Doch bis die Hohen unsern Wunsch erfüllt.
Will ich, wie's Pflicht und Liebe mir gebeut.
Die theuren Brüder schützen treu und dich.
Und dass du nicht verwais't dich glaubst, will ich
Des Vaters Stelle liebend dir ersetzen.
Phädra. Willst du? Ach gerne hofft der Liebende!
Täuscht mich die Hoffnung nicht? — Ist's auch genug.
Was er versprach, für meines Herzens Wünsche?
Mit Bitten stürm' ich auf ihn ein. - Erbarme
Dich mein, des Herzens stillen Wunsch erhöre!
Ich sprach' ihn gerne aus, doch scheu' ich mich.
Hippolyt. Was ist es für ein Leid, das dich bedrückt?
Phädra. Ein Leid, das kein sticrmütterliches Herz
Noch jemals traf. Du wirst es glauben kaum.
Hippolyt. Du sprichst halblaute, räthselhafte Worte,
Sprich's offen aus.
P h ä d r a. Rasende Liebeswuth
Verzehrt den Busen mir, ein wildes Feuer
Durchwühlt mein Innerstes, verzehrt das Mark ;
Es rinnt durch aUe Adern schleichend fort,
Und greift mit Hast um sich, wie wemi der Brand
In hohe Sparren schnell und prasselnd lallt.
Hippolyt. Für Theseus glüht so heftig deine Minne?
410 Däs römische Drama.
Phädra. So ist es, Hippolyt. Ich liebe Theseus,
Ja die Gestalt, in der er eiiist erschien,
Ein Jüngling noch, als seine zarten Wangen
Des Bartes Erstlinge umsprosseten.
Wie er das wirre Schreckenshaus betrat
Des missgebor 'nen Königssohns von Kreta;
Wie durch die mannichfach verschlungenen
LTgäng' er sich am leitenden Faden wand,
Wie blüht' er damals! Um sein reich Gelock
Schlang sich des Diademes Zier, es blühte
Die zarte Wang' in frischem Jugendroth.
Die Arme strotzeten von Lebenski-aft.
Im Antlitz glich er deiner Phöbe, glich
Dem Phöbus, meinem hehren Stammgott, ganz.
Was sag' ich? Er glich dir. Ja so war er,
Ganz so, als er der Feindin Herz mit Lieb'
Erfüllt. So trug er stolz sein Haupt. Doch schöner,
Verklärter strahlt der holde Jugendreiz
An dir. In dir verdoppelt sich der Vater,
Und doch erhöht ein Zug von ernster Schwermuth.
Der Mutter abgeerbt, die Schöne noch.
In deinem Antlitz zeigen sich gepaart
Die Hulden Griechenlands und scyth'scher Ernst.
Wärst du gen Ka'eta's Strand mit deinem Vater
Gekommen, dir nur hätte wohl die SchAvester
Den Rettungsfaden dargebracht. Dich, Schwester,
Die du verklärt nun stralüst im Sternenreih'n,
Dich ruf ich an in meines Herzens Kampf,
Entscheide du, du hast ja auch geliebt.
Zwei Schwestern hat Ein Stamm mit heisser Miun"
Erfüllt, der Vater dich, und mich der Sohn.
(Sie fällt vor Hippolyt auf die Knie.)
Ha sieh'! Ein Königskind liegt dir zu Füssen,
Rein war ich, schuldlos, ohne Makel stets ;
Dir ist Gewalt gegeben über mich,
Nur dir allein. Um deinetwillen sinke
Ich in den Staiib, nicht scheu' ich mich, dich an-
zuflehen. Enden soll mein Leiden dieser Tag,
Wo nicht, so endet er meiu Leben denn.
Ich liebe, u erhör' die Liebende!
Hippolyt. Ha! AUgewalt'ger Göttervater du!
Hörst du den Gräu'l V Du siehst und duldest ihn?
Ha! aller Weiber Schändlichste, Verruchteste!
Du überbietest deine Mutter selbst,
Die jenes Ungethüm gebar, an Gräueln.
Die Katastrophe. 411
Phädra. Ha, meines Hauses Schicksal werd' ich nun
Gewahr; stets treibt es uns mit heisser Gier
Nach dem Verbotenen zu jagen. Doch
Ich bin nicht meiner mächtig mehr. Dir nach
Geh' ich durch Feuerloh', durch Meeressturm,
Durch reissende Ströme, über Felsen willig.
Wohin du gehst, ich, Rasende, geh' mit.
Sieh', Stolzer, mich auf's neue dir zu Füssen!
Hippolyt. Ha fort! — Berühre diesen reinen Leib
Mit deinen buhlerischen Händen nicht.
Nun, was ist das? Sie stürzt mir in die Arme?
Heraus, mein Schwert, die Frevlerin zu strafen,
Wie sie's verdient! — Ich fasse dich beim Haar,
Und opfere dein schändlich Haupt hier am
Altar. 0 Göttin, der ich mich geweiht,
Du mächt'ge Bogenspannerin, dir fiel
Nie eine gröss're Sünderin als diese.
Phädra. Diess ist mein einz'ger Wunsch, o Hippolyt.
Erfülle ihn. du heuest mich vom Wahnsinn,
Das ist mehr, als ich jemals wünschen mocht'.
Gerettet ist die Ehre meines Namens, und
Ich sterb' in deiner Hand, mein Hippolyt!
Hippolyt. Fort, fort, von mir! Ja lebe immerhin, —
Nichts, selbst den Tod nicht sollst du von mir haben,
Und fort von meiner Hüfte soll diess Schwert,
Das, gegen dich gezückt, geschändet ist.
Der Tanais nicht mit seinen Fluthen allen.
Noch der Mäotis, sammt des Pontus Wogen,
Wäscht diese Schmach von mir. Der Ocean
Mit seinem unermess'nen Wogenreich,
Vermag mich nicht von solchem Gräul zu säubern. ')
Ha fort von hier, hinaus zum dunklen Wald !
Willkommen Hain! Willkommen du, o Wild! (Geht ab.")
Die Scene wäre schon desshalb zu preisen, weil sie eine
Peripetie herbeiführt, in Vergleich mit welcher die des Euripides
dürftig und kahl erscheint. Die Amme stürzt liervor, schlägt Lärm :
Herbei, herbei! Komm ganz Athen herbei!
Zu Hülfe eUt! . . .
Der freche Buhler übt Gewalt, herbei
Er drohet uns den Tod . . .
1) Kann wohl des grossen Meergotts Ocean
Diess Blut von mehicr Hand rein waschen? . . .
Mach. IL Sc. L
412 ^^^ römische Drama.
. . . Seht! er entflieht
Und liess sein Schwert in fiüclit'ger Hast zurück . . .
Freilich hat die Amme, wie eine Scenen-Decoration , sich plötz-
lich in eine andere verwandelt. Sie fällt schon durch Ueber-
nahme des Kuppelgeschäftes bei Hippolyt aus ihrer Abrathungs-,
Warnungs- und Abhaltungsrolle. Das Motiv, dass sie aus Be-
sorgniss um Phädra: diese möchte sich, wie sie gedroht, ein
Leids anthun, schlägt ihrem ehrbaren Eifer für das Wohl ihres Pfleg-
lings in' s . Gesicht. Dieser Vorwand erscheint als durchaus nich-
tig, und dem Euripides in verkehrter Weise entlehnt, da Seneca's
Phädra keiner solchen Schreckdrohung bedarf und schon diese
ein psychologischer Fehler war. Aber die dadurch erzielten Vor-
theile, die glänzende Peripetie, die theatralisch prächtige Kata-
strophe wiegt, vom Gesichtspunkt der Bühnenwirkung beurtheilt,
jene Fehler auf.
Theseus kommt aus der Unterwelt zurück. Ein Selbstgespräch
voll kräftiger Pinselstriche führt ihn zweckmässig ein. Die Amme
empfäng-t ihn mit der Botschaft von Phädra's Eutschluss, sich
den Tod zu geben. Den Grund verschweige sie und wolle das
Geheimniss mit in's Grab nehmen. Theseus lässt sich das Palast-
thor öffnen. Man erblickt Phädra mit Hippolyt's Schwert in der
Hand auf einem Kuhebette liegen. Sie verlangt den Tod, spricht
von erlittener Schmach, nennt aber den Ehrenkränker nicht.
Theseus erkennt das Schwert am elfenbeinernen Griffe als das
seines Sohnes, und ruft Poseidon auf, die Schmach seines Hauses
am Sohn zu rächen in einer um die Hälfte mindestens zu langen
und von Kodomontaden strotzenden Kede. Den vierten Act füllt
der Botenbericht von Hippolji^'s Tod. Die Erzählung steht an
poetische]- Schönheit und malerischer Stärke tief unter der des
Euripides. Den fünften Act kündigt Klaggeschrei aus der Burg
an, Phädra stürzt wie rasend herbei mit Hippolyt's Schwert in der
Hand, wirft dem Theseus seine Grausamkeit vor, jammert um
Hippolyt und bekennt ihre Schuld:
Sieh, Phädra that
Sich ihrer Schuld mit ihrem Leben ab . . .
Geliebter Schatten, blick' auf meine Sühne!
Die Locken weih' ich dir von meinem Haupt . . .
0 Tod, du einzig Labsal Liebender
Die Katastrophe. 413
0 Tod, 0 einziger Eetter du von Sclnnach!
Ich fleh zu dir, thu' deinen Schooss mir auf!
(zu Theseus)
Den keuschen Jüngling liat Verrath verderbt,
Der Buhlerin Verrath hat ihn gemordet . . .
0 mors — coufugimus ad te, pande placatos sinus . . .
Das erinuert an Coustanzen's:
,,Tod . . . des Elends Buhle, o komm' zu mir!"
Misery's love, o come to nie! ')
Phädra ersticht sich mit dem Schwert. Theseus' Verzweif-
lung, eine verzweiflungsvolle Schularbeit, starrt von mythologi-
schem Plunder und erlässt uns keine Höllenstrafe, unter denen
dieser Ausbruch der Verzweiflung eine ehrenvolle Stelle behauptet.
0 Thränen stUlet endlich euren Lauf,
Auf dass der Vater seines Sohnes Glieder
Zusammenlese und den Leib ergänze.
Und nun wird auch das Zusammenlesen ausgemalt mit gladiatori-
scher Inbrunst. Er beflehlt eine würdige Bestattung für Hippolyt:
Leichenflammen für den Köuigssohn; „Die aber," auf Phädra's
Leiche deutend —
Die aber grabet in den Boden ein, und schwer
Last' auf dem Haupt der Sünderin die Erde!
Ein gräulicher Schluss, wie fast sämmtliclie Ausgänge dieser
Tragödien, die ein rohes Gemische von Fecliter-Tragik , pedanti-
schen Ueberladungen und den glänzendsten, der neueren Bühne
voranleuchtenden dramatischen Effecten. Selbst Hippol3't, wenn
aucli lange nicht so edel gehalten, von so priesterlicher Jünglings-
weihe, wie des Muripides' Mysterien-Zögling, ist nicht ohne eine
gewisse rauhe Jäger- Aumuth und maiiidiaft keusche Einfalt,
die das deutsche Geinüth wie verwandt anweht. Sein morgen-
frischer Jagdaufruf an's Gefolge, der das Stück eröffnet, klingt
fast wie ein Jägerlied, das aus dcsutsclicn Wäldern schallt.
Welche erquickende Scln'lderung von -lagdlcben und Wälderlust
in der Scene mit der Amme:
Hier zwitschern Vöglein lieblich sanfte Lieder
Hier rauschen von des Windes Säuseln leise
Bewegt die Zweige alter, stäiiim'ger Buchen . . .
I) K. .]„hi.. IIJ. Sc. 4.
414 Das römische Drama.
. . . heic aves querulae fremuut,
Ramique ventis lene percussi tremunt,
Veteresque fagi . . .
Und ruft er nicht, der mannhaft schlichte Jüngling, nach Phä-
dra's Erklärung, sich mit Abscheu von ihr wendend: 0 sylvae!
0 ferae:
Ha fort von hier, limaus zum draikleii Wald!
Willkommen. Hain! Willkommen du. o Wild!
Ein Heil- imd Stärkungsbad gegen das üppige Rom auch für den
herrlichsten der Wolfsjäger, den Jäger des Tetitoburger Waldes.
Der aus Hippolyt's Jagdgefolge bestehende Chor gehört zu
den bessern in diesen Tragödien. Den ersten Act beschliesst
er mit einem eben nicht waidlichen, aber preislichen Gesang von
der Allgewalt des Liebesgottes, dessen Göttlichkeit die freigeisti-
sche Amme für eine lächerliche Erfindung der Mythologie, ihrer
Herrin gegenüber, erklärt hatte. Schicklicher und einem Jäger-
Chor gemässer klingt das Schlusslied zum zweiten Act, der die
männliche Schönheit des jungen Helden Hippolyt feiert. Da-
gegen lautet der Schlussgesang des dritten Actes, der die Götter
anklagt, dass , unbekümmert um das Schicksal der Menschen,
sie diese der Willkür des blinden Zufalls preisgeben, so Ammen-
freigeisterisch, als sänge ihn ein Chor von lauter solchen Ammen.
Mit einem den vierten Act schliessenden Trauergesang beklagt
der Jägerchor seines Herrn schaudervoUeu Tod.
Thyestes. Ein Stoff, wie geschaffen für die Seneca-Tragödie ;
eine Fabel, ganz nach ihrem Herzen. Wovon die Scene ihr Antlitz
mit Ekel und Schauder abwendet, danach muss die gräuelschwangere
Tragik eins Eömers das unbezwingliche Gelüst einer Schwangern
eben tragen. Und vollends eine tragische Schüssel! Welchen
Leckerbissen für die Tragödie der römischen Kaiserzeit, deren
höchste Geistesthat und Erfindsamkeit sich in der berühmten
Schüssel des Vitellius erschöpfte, und deren Idee vom Tragischen
folglich auch ihren Höhepunkt in der Tragödie einer Schauder-
mahlzeit, eines Gräuelgerichts, erschöpfen musste. Von den Grie-
chen ist uns kein Drama dieses Inlialts erhalten geblieben. Wie
der grösste Schönheitskünstler, wie Sophokles in seinem Atreus,
seinem Thyestes in Sikyon, seinem zweiten Thyestes, diesen Stoff
mag behandelt, mit welcher kunstvollen AVeisheit die Honigbiene
Seneca's Thyestes. 415
der griechisclien Tragik selbst aus solchem Ekelgrausen schmerzens-
trunkene Süssigkeit mag gesogen und ein goldenes Kunstgewirk
daraus gebildet haben: das lässt sich aus dem blossen Fabel-
inlialt und den Argumenten I)ei Hygin nicht errathen. Bei
Homer und Hesiod findet sich noch keine Andeutung, keine Spur
von dieser Gräuelmythe. Erst das kyklische Epos, Alkmäonis,
mochte, mit dem goldnen Lamm des Atreus '), auch das Kinder-
mahl auftischen. Eben so wenig lässt sich ermitteln, wie viel
in Seneca's Thyestes von Sophokles' Pelopiden-Tragödien aus frü-
heren römischen Bearbeitungen und Nachbildungen derselben, die
sämmtlich verschwunden sind, wie viel aus den Pelopiden des
Attius, aus dem Atreus des Pomponius Secundus, aus dem
Thyestes des Varius Rufus, mag einverleibt worden seyn, um von
der ältesten Bearbeitung, dem Thyestes des L. Andronicus, zu
schweigen. Wir müssen daher schon die Vorzüge, ja die grossen
Schönheiten, die in diesem von allen allein erhaltenen Thyestes
uns übeiTaschen, dem angeblichen Verfasser, unserem Seneca,
gutschreiben. Zu den Vorzügen rechnen wir eine gewisse Maass-
haltung, die, in Anbetracht des kannibalischen Stoffes und mit
Bezug auf diesen Dichter, trotz allen Ausschweifungen, denen
er sich auch hier überlässt, höchlich anzuerkennen und zu prei-
sen ist.
Wir haben schon des Fragmentes von Lessing "-) über Seneca's
Tragödien gedacht, und wollen uns auch an die Bemerkungen
halten, die er in seinen vom Thyestes gegebenen Inhalt im Aus-
zug einflicht:
Thyest hatte mit Hülfe der von ihm verführten Gattin sei-
nes Bruders, Atreus, den goldenen Widder entwendet, mit dessen
Besitz das Schicksal des Reiches verknüpft war, und sich durch
die Flucht der Rache des Atreus entzogen. Atreus aber wusste
ihn durch eine verstellte Versöhnung nach Argos zurückzulocken,
und es so einzurichten, dass Thyestes' eigene Söhne ihm, auf
Grund dieser Versöhnung, zur Rückkehr riethen. Thyestes ging
mit den Söhnen in die Falle. Atreus empfing ihn mit geheuchel-
ter Bruderliebe, ermordete die Kinder am Altar, und bereitete
1) Schol. Eurin. Or. 988. p. 452. Matth. Heyne zu Apollod. \k 257.
- 2) Bd. IV. S. 207 ff. Lachni.
416 I^äs römische Drama.
ein Mahl für den Vater, „über welches", wie Lessing sich aus-
drücld;, „die Welt nicht aufhören wird, sich zu entsetzen."
Um das Grässlichste nicht als die That eines Menschen-
gemüthes darzustellen, nahm der römische Dichter, gegen seine
sonstige Neigung, die Katastrophen aus leidenschaftlicher Ver-
ruchtheit und Entschlossenheit abzuleiten, einen Prolog zu Hülfe,
worin der Pelopiden AhiilieiT, Tantalus auftritt, den die Megära
aus dem Tartarus auf die Oberwelt versetzt hatte, um sein
Geschlecht zu unnatürlichen Freveln und Verbrechen aufzusta-
cheln. Ein Aeschylischer Gedanke, von ungemeiner Grösse und
Kühnheit:
Aiü", schreite füi'der, fluchenswerther Geist,
Empöre dein verruchtes Herz zur Wuth! . . .
ruft dem Tantalus seine Treiberin, Megära, zu. Die Furie
entwirft ihm eine so gTausige Schilderung der bevorstehenden
Freveltliaten , die sie mit der Prophezei! lung des Schaudermahles
beschliesst, dass Tantalus' Schatten, entsetzt, zurück in die Be-
hausung des Schreckens eilen wiU, Hals über Kopf: „Fort zu dem
Pfuhl der Qual!" . . . Was sollen wir erst sagen? Die Furie
hält den Fluchtversuch für einen schlechten Spass, und zwingt
ihn, ihren Auftrag zu erfüllen:
Erst muss dein Fluch dein eignes Haus empören.
Mord bring' hinnen und heisse Sclüachtenwuth ! . . .
Tantalus. Nein, nimmermehr! Qual zu erdulden wohl
Bin ich verdammt, doch zu verbreiten nicht.
Wie gift'ger Qualm aus der gehorst'nen Erd'
Aufsteigt, wie Pest, die Tod den Völkern bringt,
Ward ich hierher geschleppt. Soll ich, der Ahn,
Zu grauser Unthat selbst den Enkel reizen? . . .
Was hältst
Du die furchtbare Geissei mir vor 's Auge,
Was drcäust du .mit der Schlangen scheusslichem
Gewinde mir so wild? . . .
Weh! Weh! lass ab! ach ich gehorche schon!
Gejagt von der Schlangengeissel der Furie stürzt Tantalus
hinein in den Palast der Enkel, „wo er überall Käserei und
Blutdurst verbreitet," bemerkt Lessing und fügt hinzu: „Man
muss sich ein])ilden, dass dieses sogleich geschieht, sobald er
über die Schwelle getreten. Der Palast emphndet es, dass er
Seneca's Tliyestes und Lessing's Erläuterung. 417
von einem unseligen Geiste berührt wird, und zittert. Die Furie
ruft ihm zu, dass es genug sey, und befiehh ihm, in die unter-
irdischen Höhlen zu seinen Martern zurückzukehren, weil die
Erde ihn nicht länger tragen wolle, imd die ganze Natur sich
über seine Gegenwart entsetze. Sie beschreibt dieses Entsetzen
in einem Dutzend schönen Versen, die sie hier hätte ersparen
können, und maclit dem Chore Platz." Der aus Argivischen
Greisen bestehende Chor fleht zu den Schutzgöttern aller Städte
in Achaia um gnädige Abwendung aller Verbrechen von den
Nachkommen des Tantalus, eriimerud an dessen den Göttern
vorgesetztes blutiges Mahl. Die Pelopiden-Sage wurzelt noch
ganz und gar in der mythischen Meuschenfresserzeit der Helleneu.
Der zweite Aufzug besteht aus einer Scene zwischen Atreus
und einem Sklaven, dem Vertrauten seines schrecklichen Vor-
habens, wozu sich Atreus mit Macht spornt:
Sklave. Schreckt dich der Ruf, des Volkes Abscheu nicht?
Atreus. Das ist der Herrscherwürde schönster Vorzug,
Dass dulden seines Herren Thun das Volk,
Ja selbst lobpreisen uiuss.
Sklave. ... Wer wahre Liebe sucht
Und wahres Lob, der strebe mehr
Nach Huldigung der Herzen, als der Zungen.
Atreus
Was sie nicht wollen, müssen sie raii" wollen.
Sklave. Der Herrscher wolle immer nur das Rechte,
Und Eines Sinnes sind mit ihm dann Alle.
Atreus. Wer nur das Rechte wollen darf, der ist
Scheinkönig nur, sein Ansehn blos erborgt.
Sklave. Wo Recht und Redlichkeit und Treue weicht,
Und frommer Sitten lieiKge Scheu verschwand,
Da wankt der Thron, da steht er nimmer fest.
Atreus. Gerechtigkeit und Treu und Redlichkeit
Sind Tugenden, die wohl dem Bürger ziemen.
Der Herrscher iriag nach seiner Willkür schalten . . .
Neronischer Fürstenspiegel, Despotenmoral und Glaubens-
artikel; das Dogma aller Machtfragen-HeiTSchaft, d;is jeder von
Megären begleitete Ahn seinen Fnkelii in die Seele bläst.
Glaubt doch Atreus (hm Bruder am sicliersten in die Schlinge zu
locken, wenn er ihm die Hofthung auf eine solche gemeinsame
Herrschaft durch seine, Atreus', Sölmc, durch Agamemnon und
II. ■-^~
418 Das römische Drama.
Menelaus, in's Herz flössen lässt. Den Vorstellungen des ver-
trauten Dieners: dass er doch seine jugendlichen Söhne nicht in
so böse Lehren einweihen möchte, begegnet Atreus mit der Be-
merkung : V
Du sagst, dass sie zu Bösewichtern werden?
Dazu sind sie erzeugt . . .
Nero's Lehrer hat die Studien zu seinem Principe, wie Macchia-
vell, au der hohen Fürstenschule selbst gemacht. Doch will
Atreus den Söhnen den Zweck der Herbeilockuug des Oheims
vorsichtshalber verschweigen, üeber diese Scene enthält sich
Lessing jeder Bemerkung. Vom Chor aber meint er, derselbe
bringe eine Menge Sittensprüche über den falschen Ehrgeiz au,
und dass er „mehr spitzig als gründlich bestimme, worin das
wahre KönigTcich bestehe." Um so gründlicher lehii es die Ge-
schichte, die ein Dutzend — was sag' ich? — ein Schock Nero's
oder blödsinnige Claudiuse verbraucht, um einen halben Trajau
zu Wege zu bringen mit Hängen und Würgen.
Den dritten Aufzug erötfnet Thyestes, in Begleitung seiner
drei Söhne, mit einer Begrüssung seiner Vaterstadt: „Nun wd
ganz Argos," spricht er, „mk entgegenkommen" . . .
Doch Atreus kommt — Zurück! zurück
Li meinen Bann . . .
Ha, zu des Waldes Thiereu fleuch zurück!
Pleistheues, der älteste der Knaben, frag-t verwundert: „Was
treibt dich, Vater, aus dem Vaterhaus?" . . .
Thyestes . . . . Weiss ich's doch selber nicht
Ich sehe nichts, davor ich zagen sollte.
Doch ist mii" bang ....
Pleisthenes. Bezwinge dieses Grauen . . .
Bedenke, welche Güter du hier findest,
Dein harrt der Thron . , .
Thyestes. 0 glaube mir, es ist nur falscher Schein,
Was an der Grossen Herrlichkeit wiv preisen . . .
„Hier," sagt Lessing, „verirrt sich Thyest in eine poetische
Beschreibung der ausschweifenden Pracht und Ueppigkeit der
Grossen. Sie ist schön, und passt sehr wohl auf die damaligen
Zeiten der Römer, aber auch desswegen verliert sie in dem Munde
des Thyest sehr vieles von ihrer Schönheit" . . . Damit will Les-
Die Zeitbeziehung im Thyestes. 4)9
sing andeuten, dass Beziehungen auf die Gegenwart in einer Tra-
gödie nicht Sentenzenhaft und tendenziös an Mann zu bringen
sind; sondern aus der Situation von selbst, und unl)ewusst der
handelnden Personen, einleuchten müssen. Ohne solche Beziehung
und Anwendung aber auf die Gegenwart und ihre Zustände ist
dem Zuschauer jedes Drama — Hecuba. An diese Kunstmaxime
hielt sich kein deutscher Dramatiker unverbrüchlicher, als Les-
sing. Das bezeug-t Emilia Galotti, bezeugt sein Nathan. Aber
auch die Art, wie er die Kunstmaxime der „Absicht", der päda-
gogischen Tendenz des Drama's, anwandte, bleibt für uns ein ewi-
ges Muster und Studium : nicht auf's Butterbrod der Theaterphrase
gegeben; nicht AVinke mit dem Zaunpfahl der Seneca-Declamation
und der Leitartikel; nicht dass der Dichter als Parteiredner durch den
hohlen Si^egel-Kahmen der Tagesfrage den eigenen Kopf vorstecke
und den Zeighuger in deren Wunden lege; sondern dass er den, wenn
auch in einen alterthümlicheu Barockrahmen der Vergangenheit ge-
lassten Zeitspiegel selbst vorhalte, dessen klares, ungefärbtes Glas auf
die Bilder-Spiegelung der Zeitideen geschliffen ist von welt-
historischer, und dadurch nur poetisch-pliilosophischer Tendenz. —
Der älteste Knabe, Pleisthenes, spricht seinem Vater zu.
Auch sey es, meint er, nunmehr zu spät, zurückzuweichen:
,,Geli' denn, Vater, festen Schritts voran."
Sie nähern sich langsam der Burg, woher Atreus kommt, im
Selbstgespräch begriffen :
In meine Schlingen ist das Wild gefangen,
Ich sah ihn hier sammt der verhassten Brut
In meinem Netze . , . .
Kaum fass' ich mich, kaum lialt' ich mich zurück,
Dass icli nicht laut vor grimmer Freude jauchze ....
Lauter, noch immer für sich, doch dass es Thyestes höre:
Sieh nur, wie um das abgehärmte Antlitz
Ihm das verwoiT'ne Haar so düster hängt.
Wie ungeordnet starrt sein Bart!
Wohlan
Hier soll er Schutz und treue Pflege linden.
Geht dem Thyestes entgegen; laut zu ihm:
Sey mir willkommen hier, geliebter Bruder!
0 komm in meine Arme — — ■ —
420 Das römische Drama.
— — — — — — Aller Hass
Sey ab und todt, geendet ist der Zwist.
Des Blutes und der Liebe heilige Baude
Umsclüiugen uns, hier soll nur Leben walten . . .
Thj-estes. Wie kaim ich mich entschuldigen vor dir,
Der mir so liebevoll entgegen kommt . . .
Zum schwärzesten Verbrecher machet mich
Die Güte, die du heute mir erzeigst . . .
Mit Thränen kann ich mich allein vor dir
Vertheidigen. Sieh mich zu deinen Füsseu.
Lass diese Häude deine Knie umfassen . . .
Vergieb mir, aller Zorn sej' ab und todt!
Wenn noch eine Funke Hass im Herzen glimmt,
So lösch' ihn aus. Als Pfänder meiner Treue
Nimm, Guter, die unschuldigen Kinder an.
Atreus. Nein Bruder, nicht zu meinen Füssen liege,
0 komm, Geliebter, komm in meinen Arm!
Und ihr, des schwachen Alters Stützen, kommt,
Kommt, edle Jünglinge, an meinen Hals ....
Er bietet ihm den Mitbesitz des Reiches an:
pjin Reich besitzen ist des Zufalls Gabe,
Doch es verschenken, das ist gross und edel.
Thj^estes widerstrebt: „Das Haupt von langem Leid gebeugt, er-
trägt nicht mehr der Königskrone Last". Atreus dringt darauf:
Wenn du denn
Dein Theil ausschlägst, entsag ich meinem auch.
Th3'est giebt nach, dem Bruder zu Liebe. Atreus führt ihn und
die Knaben in den Palast, wo Thyestes sich mit dem Diademe
sclmiücken soll, indessen er selbst den Göttern Dankopfer dar-
bringen gehe, •wie er gelobt. Der Chor preist die brüderliche
Liebe des Atreus und macht dabei, wie Lessing sagt, „Schil-
derungen über Schilderungen, welche keinen andern Fehler ha-
ben, als dass sie die Aufmerksamkeit des Zuschauers zerstreuen."
Die Scene zwischen den Brüdern giebt er ohne Bemerkung wie-
der; ein Beweis, dass er dagegen, wie gegen die Fürstenmoral in
obiger Scene mit dem Diener, nichts einzuwenden fand. Uns er-
scheint sie mit Meisterhand gezeicIuK^ und ausgeführt. Kehexe
solcher Heuchellist und l)lutgierigen Heimtücke erschrecken uns
auch bei Sliaksyteare; in einer seiner ersten Tragödien nament-
Ausmalung des Schauorlicheu. 421
lieh, im Tituö Andronicus, der den Seiieca uoeh iiieht überwun-
den, ja worin Seneca die Sbakspearesche Bluttaufe empfan-
gen hat.
Dem Diehter des Thyestes, falls er mit dem der Medea
identisch ist, muss man es zum Verdienste anrechnen, dass er
der Horazischen Vorschrift:
Auch nicht Menschongeweid koch' offen der schändliche Atreus;
Aut Imniana palani coquat exta ncfarius Atreus i),
hesser nachkam, als der Warnung in dem Vers vorher: Nee
pueros coram populo u. s. w. Im Thyestes lässt er den Atreus
seine Scheusslichkeiten im Zwischenräume des dritten und vier-
ten Actes begehen, und letzteren blos mit der Schilderung der
Gräuelthat füllen, die aber alles Mögliche thut, um den Hörer in
einen Zuschauer zu verwandeln und ihn für den entzogenen An-
blii;k schadlos zu halten. Dieser Botenbericht wetteifert zum
Ueberfluss auch noch in detaillirter Ausmalung des unlieimlichen
Gespenstei*waldes, wo die Abschlachtung vor sich ging; dann in
der sorgfältigsten Feinmalerei der Schauderküche, ausgeführt wie
mit dem liebkosenden Pinsel eines niederländischen Küchen-
stücks. — Die Schilderung des Boten wetteifert aufs glücklichste
mit der grässlicheu Widerlichkeit des Gräuelgeköches selber; so
dass man glauben muss, die, gleich nach der Erzählung, sich ver-
dunkelnde Sonne wende ihr Gesicht aus Abscheu vor dieser Schil-
derung weg, und der Botenbericht allein habe die angedeutete
Bühnenverfinsterung auf dem Gewissen. In keiner andern dieser
Tragödien tritt die Klippe, woran das grosse theatralisch-drama-
tische Talent ihres Verfassers scheitert, und in ein falsches Pathos
mit b('täul)endem Getöse zerschellt, so offen zu Tage, wie in der
Schilderungssucht dieses Actes. Nicht Schwulst, wie schon be-
merkt, selbst nicht Verstiegenheit des Ausdrucks, nicht „geblähtes
Denken" und Empfinden verschulden diese Fehlwirkung; sondern
der sturmwindartige Uebersprung des Pathos vom tragischen
Schmerzensausdruck zum Pathos ausmalender Beschreibung; von
tieferregter, durch Charakter und Situation bedingter Gemütlisbe-
drängniss zu äusserlichem Schilderungsporap ; von erschütternden
1) A. P. 186.
422 Das römische Drama.
Seelenschauern zu einer Blutmalerei in schauerlichen Bildern.
Aehnlich wie jene Heldenspieler, noch im vorigen JaMiundert,
beim Erstechen den Theaterdolch in eine mit Ochsenblut gefüllte
Schweinsblatter stiessen, die sie untenn Wamse trugen: lässt
Seneca seine rhetorische in der beredten Brust versteckte und
mit ochsenblutigen Bildern gefüllte Blase auslaufen und über die
schönsten tragischen Stellen sprudeln. Oder auch wie dieselben
Heldenspieler Seife in's Maul nahmen, um wuthschnaubendes
Schäumen natürlich darzustellen; so schlägt Reneca mit quirlen-
der Zunge declamatorischen Schaum, um ähnliche Wirkungen zu
erzielen, und nebenbei noch den Mund-Seifenschaum in allen Far-
ben des Regenbogens spielen zu lassen.
„Nunmehr", meint auch Lessing, „wäre es ohne Zweifel bil-
lig, dass der Erzähler" (der Nuncius) „sogleich zur Sache käme.
und diese geschwind in wenigen kurzen und affectvollen Worten
entdeckte, ehe er sich mit Beschreibung kleiner Umstände, die
vielleicht ganz und gar uuuöthig sind, beschäftig-te. Allein was
glaubt man wohl, dass er vorher thut? Er beschreibt in melu*
als vierzig Zeilen vor allen Dingen den heiligen Hain ... Er
sagt uns, aus was für Bäumen dieser Wald bestehe ... Er
meldet, dass es darin umgehe, und malt fast jede Art von Er-
scheinungen, die den Tag sowohl als die Nacht darin schrecklich
machten . . . Ich begreife nicht, was der Dichter hierbei muss
gedacht haben; noch viel weniger begreife ich, wie sich die Zu-
schauer eine solche Verzögerung konnten gefallen lassen" . . .
Und kommt der Nuncius endlich zur Schilderung der Schlächterei
selber, so wünscht man, seine Ortsbeschreibung hätte sich aus
dem Schreckenswalde nicht wieder herausgefunden" . . . „Nunmehr" - -
föhrt Lessing fort — „folgt eine sehr grässliche Beschreibung,
die aber so ekel ist, dass ich meine Leser damit verschonen will.
Man sieht darin, wie Atreus die todten Körper in Stücke gehackt ;
wie er einen Theil derselben an die Spiesse gesteckt, und den
andern in den Kessel geworfen, um jenen zu braten und diesen
zu kochen; wie das Feuer diesen grausamen Dienst verweigert,
und wie traurig der fette Rauch davon in die Höhe gestiegen.
Der Erzähler fügt endlich hinzu, dass Thyest in der Trunkenheit
wirklich von diesen abscheulichen Gerichten gegessen; dass ihm
oft die Bissen in dem Munde stecken geblieben; dass sich die
Der Chor im Thyestes. 423
Sonne, obgleich zu spät, darüber zurückgezogen" . . . Der Er-
zähler entfernt sich. Der Chor „enthält lauter Bewunderang und
Entsetzen über das Zurückfliehen der Sonne. Sie wissen gar nicht,
welcher Ursache sie dasselbe zuschreiben sollen, und vermuthen
nichts Geringeres, als dass die Riesen einen neuen Sturm auf den
Himmel raüssten gewagt haben, oder dass gar der Untergang der
AVeit nahe sey. Hieraus also, dass sie nicht wissen, dass die
Sonne aus Abscheu über die Verbrechen des Atreus zurückgeflohen
(wovon oben der Bote doch gesprochen), ist es klar, dass sie bei
der vorhergehenden UnteiTedung nicht können gegenwärtig ge-
wesen seyn. Da aber doch allerdings der Chor eine unterredende
Person dabei ist, so niuss man entweder einen doppelten Chor
annehmen, oder, wie ich gethan habe, ihn theilen. Es ist er-
staunlich, dass die Kunstrichter solcher Schwierigkeiten durchaus
nicht mit einem Worte gedenken, und Alles gethan zu haben
glauben, wenn sie hier ein Wörtchen und da einen Umstand, mit
Auskramung aller ihrer Gelehrsamkeit, erklären. — Vielleicht
könnte man auch sagen, dass der einzige Koryphäus nur mit dem
Erzähler gesprochen und dass ausser ihm der ganze Chor abge-
gangen sey" . . . Wir möchten überhaupt annehmen, dass der
römische Chor überall nur während der Dauer des Gesanges auf
der Bühne bleibt, und dann abgeht, bis wieder ein Chorgesang,
in der Regel als Actschluss, erfolgt, und dass, in allen andern
Scenen, wo der Chor mit einer spielenden Person sich unterredet,
der Koryphäus allein das Gespräch mit derselben führt. Wir
lassen unsern grossen Gewährsmann fortfahren. Seine reine,
schlichte Prosa vermag allein das Grausenvolle der letzten
Entwicklung zu massigen und zu dämpfen, und gleichsam
lauteres silberklares Wasser in Seneca's ßlutwein zu mischen:
„Von dem Chore selbst (dem Schlussgesang zum vierten Acte)
will ich nicht viel sagen, weil er fast aus nichts als aus poeti-
schen Blümchen bestehet, die der befürchtete Untergang der Welt,
wie man leicht vermuthen kann, reichlich genug darbietet. Unter
andern geht der Dichter den ganzen Thierkreis durch, und be-
dauert gleichsam ein jedes Zeichen, das nunmehr herabstürzen
und in das alte Chaos zurückfallen würde. Zum Schlüsse kömmt
er wieder auf einige moralische Sprüche."
424 ^^^ römische Drama.
Fünfter Aufzug. „Die grausame Mahlzeit ist vorbei.
Atreus kann seine ruchlose Freude länger nicht massigen, son-
dern kömmt heraus, sich seinen abscheulichen Frohlockungen zu
überlassen . . . Aber doch ist er noch nicht zufi'ieden; er will
dem Thyest, zum Schlüsse der Mahlzeit, auch noch das Blut sei-
ner Kinder zu trinken ' geben. Er befiehlt daher seinen Dienern
die Thore des Palastes zu eröffnen, und man sieht in der Ent-
fernung den Thyest am Tische liegen. Atreus hatte bei Zermetz-
lung der Kinder ihre Köpfe zurückgelegt, um sie dem Vater, bei
Eröffnung seines Unglücks, zu zeigen. Er freuet sich schon im
Voraus über die Entfärbung des Gesichts, mit welchem sie Thyest
erblicken -würde." Lessing übersetzt die betreöende Stelle in
Prosa. Wir halten uns auch hier an die metrische von Swoboda.
Atreus (mit einem Blick auf den sichtbar gewordenen Thyestes).
Den offnen Saal erhellen viele Fackeln,
Er selber ruht auf Gold und Purpurkissen,
Die Linke stützt das weinberauschte Haupt . . .
— — — — — Er hat mit Grauen sich gesättigt,
Und schlürft den Wein aus grossen Silberbechern.
Ha, trink nur zu, den' besten Trank halt ich
Dil- noch bereitet. Der Erwürgten Blut
Ich misch' es du' in alten dunkeln Wein
Hätt' er mein Blut doch aucli mit Lust getrunken!
Horch! jetzo stimmt er Freudenlieder an
Und Jubelsang. Der Wein hat ihn betäubt.
Thyestes nämlich, der im Innern des Palastes, mittelst des En-
cyclems sichtbar geworden. Atreus im Vordergrunde lauschend.
Wer kann läugnen, dass dieser, in unserem, nicht im antiken,
selbst" nicht im griechisch antiken Sinn, schaudervolle Moment,
von ungeheuerster Wirkung sein mochte:
Thyestes. 0 Herz von langen
Leiden schon abgestumpft.
Lege nun ab
Die grämliche Sorge ....
Gross ist's und edel,
Wenn dich das Unglück
Vom Throne gestürzt.
Wenn dich zalülos
Leiden bedrängen,
Tragische Stiiiiniung des Thyestes. 425
Ungebeugten Nackens
Die Bürde zu tragen . . .
(geht in den Vordergrund)
Doch verscheuche die düst'ren
Nebel des Trübsinns . . .
Verbann' aus der Brust
Den gewohnten Gram . . .
Ach das ist
Unglücklichen eigen,
Dass sie selber im Glück sich
Nicht getraun zu freu'n . . .
Was rüttelt ich auf?
Was wehret er da
Den festlichen Tag
Freudig zu feiern V
Bange Ahnungen
Erpressen mii- Thränen,
Und ich weiss nicht, warum? . . .
Die frische Rose
Welkt auf dem Haupte.
Das Haar, von duftigen
Salben triefend.
Starret vom plötzlichen
Schrecken empor.
Und Thränen strömen,
Ob ich mich auch sträube
Die Wangen herab;
Seufzer mischen sich
In die Töne der Freude . . .
Es ahnet der Geist
Ein nahendes Unglück . . .
Vertraue dem Bruder,
Vertrau' dich ihm ganz! . . .
Ach ich Armer!
Ich will ja nicht weinen
Doch unablässlich
Bebet von dunklen
Schauern mein Innres.
Plötzlich entstürzen
Thränen den Augen,
Und ich weiss nicht, warum? —
Ist es schon Trauer?
Ist es Ahnung?
Oder hat zu grosse
Freude aucli Tliränon ?
426 . 1^3'' römische Drama.
Einen Tragiker, der diese Situation so fühlen, und als reinen
Empfindungsausdruck zur Sprache bringen konnte, den soUten un-
sere gelehrten Kunstrichter und Literarhistoriker nicht so ohne
Weiteres mit Haut und Haaren verwerfen; sollten in seinen Tra-
gödien doch nicht durchweg „geblähte Denkart", „gehaltleeren
Schwulst", „L'ebermaass von Seichtigkeit und Ungeschmack"' i) fin-
den. Zu den hervorgehobenen Eigenschaften, die diesen Tragiker
als Maler der Leidenschaft auszeichnen, tritt hier ein neuer Zug.
Aus der mitgetheilten Scene weht uns eine Situatiousstimmung
an, ein eigenthümlicher Schmerzensausdruck, eine der giiechischen
Tragödie, wie uns scheint, noch nicht erschlossene Empfindniss
von ahnungsvollem Weh mitten in der Freude, von unbesieg-
barer Herzensangst inmitten weicher, schmelzender Regungen; ein
Thränenstocken und Starren wie angeschauert von geisterhaftem
Schrecken. Diese tiefe, unergründliche Seelenbeklemmniss , diese
Kompilationen des Gemüths, diese Mystik des Innern Verzagens
und Erhängens, diesen Schüttelfrost der Phantasie, abwechselnd
mit Fiebergluth hat Shakspeare zum tragischen Gewissen ver-
geistert, wovon bei den Griechen kaum ein Hauch zu spüren;
wohl aber in diesem Thyestes ein Vorgefühl, eine Witterung zit-
tert. Sein von Verbrechen, Prüfungen, Leid- und Fluchgeschicken
bis zur Weichheit erschüttertes Gemüth könnte an die Stimmung
einiger von Shakspeare's tragischen Opfern mahnen. Eine Fiber
von Seneca's Thyestes schwingt sogar in seinem Macbeth; nur
dass dieser freilich der Atreus seines eigenen Baukets ist, der
aber zum Thvestes sich entsetzt.
Nun redet Atreus den Bruder an:
Lass uns, geliebter Bruder, dieseu Festtag
Mit froher Eintracht feiern
Thyest
Zum höchsten Gipfel stiege meine Wonne,
Dürft' ich des Glücks mich mit den Meinen freu'n.
Atreus. Sey ruhig, denke dir, dass sie hier sind,
Als ob du sie in deinen Armen hieltest.
Hier sind und bleiben sie, kein Gliedchen soll
Von deinen Kindern dir verloren sreh'n.
') Bernhardy a. a. 0. S. 183.
Thyestes und Atreus. 427
Ihr Angesicht, wonach du dich so sehnst.
Sollst du sogleich auch schau'n . . .
(Giebt einem Sklaven einen Wink, dieser geht ab, ein Andrer
bringt einen Becher)
Nimm vorerst den Becher,
Gefüllt mit Wein, ein Erbstück unsres Hauses.
Thyestes. Ich nehm' die Gabe an aus Bruderhand.
(giesst etwas auf den Bodeu ab).
Ström hin, o Wein, den Göttern unsres Hauses
Zu Ehren, Euch, ihr Hohen, trink ich zu.
(WiU trinken, und hält, von Schauern ergriffen inne.)
Doch was ist das? die Hand wül nicht gehorchen . . .
Wie an die Lippen ich den Becher setze.
So flieht der Wein; vergebens will der Mund
Ausschlürfen ihn, er träuft zur Erde nieder.
Ha, sieh der Boden bebt . . .
— matt brennt und trübe mir die Flamme
Nacht hüllet sich in Nacht, die Sterne flieh'n.
Was hier auch drohen mag, ach nur den Bruder.
Nur möge meine Kinder es verschonen!
Auf diess unwürd'ge Haupt entlade sich
Des Sturmes Grimm! Nun gieb mir meine Kinder.
Atreus. Ich bringe sie, nichts trennt sie mehr von dir.
(geht ab).
Thyestes (allein)
Was bebt mein Herz? Ich fühle eine Last.
Die mit Gewalt die Brust zersprengen will . . .
Koramt, Kinder! euer Vater ruft.
Seh' ich euch nui-, so schwindet aller Kummer.
Hör' ich sie nicht? Wo scholl die Stimme?
(Atreus tritt wieder auf, ihm folgt ein Sklave mit einer ver-
deckten Schüssel.)
Atreus. Nun breite deine Vaterarme aus!
Hier hast du sie. Erkennst du deine Söhne?
(er hebt das Tuch voit der Schüssel, worauf die Häupter von
Thyestes' Söhnen liegen)
Thyestes. Ha! Ich erkenne den Bruder!
Lessing bemerkt: „Das: Ich erkeune den Bruder: ist
ohnf Zweifel ein Meister/.ug, der Alles auf einmal denken lässt,
was Thyest hier kann empfunden haben.'' Jede Scene dieses
Actes, bis zu diesem Meisterzuge, ist reich au solchen Zügen;
mehr als das: sie sind mit dem Merkmal dos tragischen Genius
428 Das römische Drama.
bezeichnet. Als Spanier, nicht als Körner hat Seneca diese Sce-
uen gedichtet, wenn sie von ihm herrühren. Was noch folgt,
konnte wieder füglich der Römer Seneca geschrieben haben. Nocli
kennt Thyestes nicht das Grässlichste. Er jammert nach den
Leichen seiner Kinder : „0 gieb nur die Leichen mir heraus" . . .
Dass er sie bestatten kömie:
Der Vater fleht um seine Kinder, nicht
Sie zu besitzen, ach! sie zu verlieren.
Nun vernimmt er aus dem Munde des Bruders das Entsetzliche ;
Du selbst verzehrtest sie im grausen Mahl . . .
lieber die Schlussverhandlung zwischen den Brüdern wollen wir
das Tuch der Schüssel werfen. Katzenjammer ist kein tragischer
Jammer, und wo das emetische Pathos zu wirken beginnt, hört
die Tragödie auf.
Theilen wir, statt dessen, noch Lessing's Ansicht über die
Charaktere mit: „Sie sind ohne Zweifel so vollkommen aus-
gedrückt, dass man wegen keines einzigen in Ungewissheit blei-
ben kann. Die Abstechung f Abstich), in welche übrigens der
Dichter die beiden Brüder gesetzt hat, ist unvergleicblich. In
dem Atreus sieht man einen Unmenschen, der auf nichts als
Kache denkt, und in Thyest eins von den reclitschaffenon Herzen,
die sich durch den geringsten Anschein von Güte hintergehen
lassen Was für zärtliche und edle Gedanken äussert er,
der sich auf eimual blos desswegen für schuldig erkennt, weil
sein Bmder sich jetzt so gütig gegen ihn erzeige. Und was für
eine besorg-te Liebe für diesen ruchlosen Bruder verräth die ein-
zige Wendung, da er eben sein Unglück erfahren soll, welches
durch die ganze Natur ein schreckliches Entsetzen verbreitet und
noch sagt: „Was hier auch drohen mag, ach nur den Bruder,
nur möge meine Kinder es verschonen."
Lessing nimmt den Charakter des Thyestes, wie er im Rah-
men der Tiagödie sich zeigt, ohne Rückblick auf dessen .Vergan-
genheit, Verbrechen und Schuldbewusstseyn. Ihm war es hier blos
um den psycliologisdi-dramatischen Contrast zu tlmn, der den
Charakter der bei<leii Hrüder so wirksam scbattirt und abhebt.
Zur Würdigung des tragischen Charakters dagegen, seiner Lei-
densstimmung und Gemüths-Unseligkeit scheint uns jene düstere
Der rasende Hercules. 429
Folie, die das Schuld- und Schicksalsbewusstseyu im weichge-
stimmteu, versölinuugsniildeii Charakter des Thyestes bildet, vom
grössteu Belange. Dieses Scliiddgefülil des Thyestes dämpft zu-
gleich das Absclieuwüi'dige in Atreus' Kache. Man mttsste sogar
den Dichter dafür in Anspmch nehmen, dass er jenes Pelopiden-
geschick und Schuld! )ewusstseyn im Thyestes nicht stärker be-
tonte, wenn die Uebergangsstellung der römischen Tragödie zwi-
schen der Schicksalsidee der Griechen und der Gewissenstragik
des von der christliclien Bussstimmung angeregten und von Shak-
speare abgeschlossenen Sühnespiels, wenn diese Zwischeustellung
des römischen Tragikers nicht eben sein Geschick wäre, das ihm
der Entwicklungsgang des Drama's auferlegte.
Mit derselben Ausführlichkeit, wie den Thyestes, hat Lessing
den Rasenden Hercules des Seneca behandelt. Was uns be-
trifft, wir glauben, im Zwecke unserer Aufgabe, die Stufe, die der
römische Tragiker in der Geschichte des Drama's einnimmt, kennt-
lich bezeichnet, und die Bedeutung desselben an seinen vorzüg-
lichsten Tragödien genugsam gewürdigt zu haben. Die übrigen
sechs, die uns als die schwächern erscheinen und zudem nichts Ei-
genthümliches darbieten, werden sich mit der Inhaltsangal)e nebst
Auszugs-Belegen ablinden lassen. Doch möchten wir beim Ra-
senden Hercules Lessing's Bemerkungen dem Leser nicht vorent-
halten. Wir geben den Inhalt, wie wir ihn bei Lessing linden.
* „Der rasende Hercules.
Hercules hatte sich mit der Megara, der Tochter des Creons,
Königs von Theben, vermählt. Seine Thaten und besonders seine
Reise in die Hölle nöthigten ihn, lange Zeit von seinem Reiche
und seiner Familie abwesend zu seyn. Während seiner Abwe-
senheit empörte sich ein gewisser Lycus, Hess den Creon mit sei-
nen Söhnen ermorden und bemächtigte sich des thebanischen
Scepters. l'm seinen Thron zu belestigen, hielt er es für gut,
sich mit der zurückgelassenen Gemahlin des Hercules zu verl)in-
den. Doch indem er am lieftigsten darauf dringt, kömmt Her-
cules aus der Hölle zurück, und tödtet den tyrannischen Lycus
mit allen seinen Anhängern. Juno, die unversöhnliche Feindin
des Hercules, wird durch das beständige (ilück dieses H(!l(ltMi er-
bittert, und stüiv.t, iiin diiivli iiilHc der l'uricii in eine sclD-crklicIii'
430 Das römische Drama.
Raserei, dereu traurige Folgen der eigentliche Stoff dieses Trauer-
spiels sind. Ausser dem Chore kommen nicht mehr als sechs Perso-
nen darin vor: Juno, Megara, Lycus, Amphitryo, Hercules, Theseus."
Die Fabel, wie man sieht, stimmt im Ganzen mit der von
Emipides' gleichnamiger Tragödie, die dem Köm er vorlag, über-
ein. Ein paar formelle Verbesserungen in der Oekonomie des
Stückes hat der römische Dichter, unseres Bedünkens, mit Preis-
gabe gTOSser poetischer Vorzüge erkauft. Juno, als Prolog, giebt
vorweg das Motiv der Heimsuchung des Hercules mit Wahnsinn
und der Vertilgmig seines Hauses an, durch sie, die Göttin selbst.
Dadurch wird der Fehler des Euripides: das Auseinanderfallen
der Tragödie in zwei verschiedene Handlungen vermieden. Allein
diese prologirende Juno, die ihren Hass gegen Hercules fünf Sei-
ten lang austobt, vermag uns in keiner Weise für die wunder-
bare Scene bei Em'ipides schadlos zu halten, wo Lyssa, die per-
sonificii'te Wuth mit Iris, auf Befehl der Juno, herniederschwebt,
mn den heimgekehrten Helden in Wahnsinn zu stürzen. Die in
Rachewuth selbst rasende Juno des Römers und die personificirte
Göttin der Raserei, die, beim Griechen, ein erbarmendes Beden-
ken zu Gunsten ihres Opfers einlegt — welcher himmelweite Ab-
stand in den Auffassungen, mit Rücksicht auf poetisches Pathos
und tragische Rülu'uug!
Die zweite Verändernug des römischen Umarbeiters: Die
Bewerbung um Megara's Hand von Seiten des Lycus und dereu
todesmuthige Abweisung des T3Tannen erhebt die Gattin des
Hercules von einer blos leidenden Unglücksheldin, die sie bei Eu-
ripides ist, zu einer thatentflanmiten, vom Löwengeist ihres Gat-
ten beseelten Heroine. Ob aber dm-ch dieses theatralisch und
dramatisch schwungvollere, willensstarke Pathos der Charakter
an tragischem Interesse gewinnt, möchten wir bezweifeln. Auch
die vom Römer zur Schau gestellte, bei Euripides blos erzählte
Wahnsinnsthat seines rasenden Hercules kann wieder nur als ein
arger Verstoss gegen die Regel seines Mitbürgers, Horatius, gelten:
Was jedoch besser
Hinter der Bühne geschieht, das bring nicht zum Vorschein . . .
Nee tarnen intus
Digna geri promes in scenani . . . ^)
1) A. P. V. 182 f.
Seiieca und Euripides. 431
Die riiluTiredig'e, den Himmel nicht blos stünnende, sondern auch
ausplündernde und ihn seiner sänimtlichen Sternbilder berau-
bende Tobsucht des Hercules, mag als astronomischer Walmsinn
eine merkwürdige Species der Geistesstörung bilden, wird aber
schwerlich das tiefe Mitleid aufwiegen, das Euripides', auf den
Trümmern seiner Wahnsinnsuntliat starr vor sich hinbrütender
Leidensheld einflösst, schamvernichtet, gestürzt in namenlosen
Verödungs- Graus. Der greise Amphitryo, Euripides' helden-
müthiger Vertreter der Heldcnfamilie , erscheint beim Römer
anfangs zum Schatten und schliesslich zu einem alten Fa-
seler verloddei-t. Theseus endlich, den der Grieche als Dens
ex machina, aber auch so gross und edel wie einen Gott ein-
führt: wie störend, müssig, ja wie lästig und langweilig ist
er dem Römer nicht dadurch gerathen, dass er gleich bei
Hercules' Ankunft als dessen Begleiter auftritt, den schreckli-
chen Verwüstungen des Unglücklichen zusieht und ihn gewäh-
ren lässt!
An bedeutsamen scenischen Momenten, imponirenden Situa-
tionen, trefflichen Theaterstreichen und ergreifenden Schauwirkun-
gen fehlt es auch dieser Tragödie nicht. Dass sie von Kraft-
und Prachtstellen strotzt, versteht sich von selbst. Juno's Prolog
ist ein ganzer Marstall solcher declamatorischer Paradepferde.
Unter andern tummelt sie folgenden Prachtgaul:
Jetzt zeig ich dir (Hercules)
Des Todes Schrecken erst. Ich stürze dich
Hinab zur tiefsten Nacht, weit unter der
Verdammten Qualensitz hinab. Ich führe
Der Zwietracht Göttin dort, wo widerhallt
Die Felsenkluft von gellendem Gezänk
Herauf, und reisse Alles, was im Abgrund
Des Hades sich noch bergen mag, hervor.
Herauf, du schwarzer Frevel, und die VVutli,
Die unnatürlich leckt ihr eignes Blut!
Du Wahnsinn und Verzweiflung, die du wider
Dich selber wüthest, alle kommt herbei,
Ihr soUt die Diener meiner Rache seyn! . . ,
Eine völlige Lossagung vom Styl des giiechischen Redepathos;
in Colorit, Ton und Emphase nahezu modern.
432 D^^ römische Drama.
Mau höre, wie, unmittelbar uacli dem Prolog, der Chor von
Thebauern das Erwacheu des Tages begrüsst:
Strophe. Nur hier und da noch
Blicken erbleichend —
Am Himmel die Sterne.
Die weichende Nacht
Euft zusammen
Die zerstreuten Lichtlein.
Der Morgenstern treibt
Die flimmernde Heerde
Beim dämmernden Tag
Nieder vom Himmel.
Das helle Gestirn
Am eisigen Pol,
Die arkadische Bärin,
Das Siebengestirn
Mit gewendeter Deichsel
Rufet dem Morgen.
Aus bräunlicher Fluth
Steigt Titan empor
Und blickt auf Oeta's
Ragenden Gipfel.
Es erröthen die Büsche
Im Strahle des Morgens . . .
Gegenstrophe. Die Mühen erwacheu,
Und wecken die Sorgen,
Und öffnen das Haus.
Der Hirte lässt
Sich die Heerde verlaufen,
Und weiden das Gras
Schimmernd von Thaue.
Frei auf der Trift
Hüpfet der Farre,
Dem das Hörnchen noch nicht
Die Stii-ne geritzt . . .
Zwitschernd am Aste
Singet der Vogel . . .
Und grüsset freudig
Mit flatternden Schwingen
Den jungen Tag.
Und ringsum jubelt
Der Vögel Schwärm
Vielstimmigen Gruss,
Verkündend den Tag . . .
Der rasende Hercules. Megara. 433
Verkündet dieses ..Morgenlied niclit aucli das Anbrechen der sen-
timentalen, naturanjauchzenden LjTik? Scheint dieser Chorgesang
nicht wie ihre erste Frühlingslerche? Schon dämmert Seneca's
Chorgesang in die Hymnenpoesie der ersten christlichen Lyriker,
eines Prudentius, Sedulius, hinüber. Mehr als einmal beschlich
lins beim Lesen dieser Tragödien der Argwohn, ob nicht wirklich
ein solcher christlicher Lateinischer Sänger, oder gar eine noch
spätere Mönchspoesie hier die Hand im Spiele hatte.
Dem Gewaltherrscher Lycus ei-wiedeii Megara auf seine
Werbung :
Die Hand, die meines Vaters Blut bespritzt,
Die noch vom Morde meines Bruders raucht,
Die sollt' ich fassen? — — — — —
Lycus. Macht dich dein Mann so trotzig, der im Abgrund
Der Hölle haust?
Megara. Er stieg hinab zur Hölle,
Dass er verklärt den Himmel dann erklimme.
Lycus. Die uuermessne Last des Erdballs liegt auf ihm —
Megara. Ihm, der den Himmel trug, ist keine Last zu schwer.
Lycus (zornig). Ich zwinge dich (cogere).
Megara. Nur jene magst du zwingen,
Wer nicht zu sterben weiss,
(cogi qui potest, nescit mori.)
Lycus. Kann ich dir fürstlichere Gabe bieten
Als meine Hand?
Megara. Ja deinen, oder meinen Tod.
Lycus. So stirb denn. Rasende!
Megara. Willkommen mir Tod!
Er führet mich dem theuren Gatten zu . . .
(conjugi occurram meo.)
Sind das nicht Präludien zu den todesfreudigen Autworten christ-
licher Märtyrinnen bei Calderon, die Peter Corneille, gen. der
Grosse, in seinem Polyeucte nacligealimt? So gar befremdlich
wäre es just nicht, dass Calderon's Landsmann, Seneca aus Cor-
duba, die ersten Laute zu einem Auto anschlug. Dergleichen
ekstatischen Todesmuth, wie hier die Megara an den Tag legt,
wird man in den Stichomythien der Griechen, in den Entgegnungen
der Antigonen, Elektren, und selbst der Heldenjungfrauen des
Euripides, vergebens suchen.
IL 2!j
434 - ü^s römische Drama.
Hercules, iu' Jammerbetäubuug , umringt von den Leichen
seiner Gattin und Kinder, bricht in folgende Klagerufe aus:
Doch wohiii soll ich
Entflieh 'n, wo soll ich, Armer, mich verbergen?
In welche Erdsclilucht soll ich mich vergraben?
Wenn der Mäotis
Die kalten Wellen gösse über mich,
Ja wüschen mich die Fluthen alle,
Sie wüschen nicht diess Blut von meiner Hand!
Arctoum licet
Maeotis in me gelida transfundat mare
Et tota Tethj's per meas currat manus :
Haerebit altum facinus ... (v. 1325 ff. ed. Both.)
,,Kann wohl des gi-ossen Meergotts Ocean
Diess Blut von meiner Hand rein waschen?" i)
Aehnlich haben wir schon Hippohii rufen hören am Schluss der
Scene mit Phädra:
Der Ocean
Mit seinem unermess'nen Wogenreich
Vermag mich nicht von solchem Gräul zu säubern.
Ganz unzweifelhaft steht Seneca dem Shakspeare und Calderon
näher, als dem Emipides.
Aus Lessing's Beurtheilung des rasenden Hercules, die er
seinen Auszügen l)eifügt, entheben wir Folgendes: „Hat man den
Zorn der Juno, die Drohungen des Lycus, den edlen Stolz dex
Megara, den kühnen üebermuth des Hercules, das Unglück einer
blinden Raserei, die Verzweiflung eines Reuenden, die Bitten eines
Vaters gefühlt: so kann der Dichter gewiss seyn, dass man ihm
seine Fehler willig vergeben wird. Und was sind es denn end-
lich auch für Fehler?" . . . Der Passus ist oben schon mitgetheilt
worden. Dann geht Lessing auf eine kurze Vergleichung dieser
Tragödie mit Ruripides' rasendem Herakles über: „Dass sich der
Römer dasselbe zum Muster vorgestellet habe, ist nicht zu läug-
nen. Allein er hat nicht als ein Sklave, sondern als ein Kopf,
welcher selbst denkt, nachgeahmt, und verschiedene Fehler, welche
1) Macbeth. II, 1.
Lessing über Seneca's rasenden Hercules. 435
in dem Vorbilde sind, glücklich verbessert. Ich kann mich hier
in keinen weitläufigen Auszug des griechischen Stücks einlassen;
so viel aber muss ich anmerken, dass Euripides offenbar die Hand-
lung verdoppelt hat." Es folgt ein üeberblick des Inhalts von
Euripides' Herakles Mainomenos, dann fährt Lessing fort: „Nun
sehe man, wie geschickt der römische Dichter durch eine kleine
Veränderung ein zusammenhängendes Stück daraus gemacht hat,
in welchem die Neubegierde keinen solchen gefährKchen Ruhe-
punkt findet, sondern bis an's Ende in einem Feuer erhalten
wird" . . . „Einen andern Kunstgiiff des lateinischen Dichters
habe ich bereits angemerkt; die Art nämlich, wie er die Grau-
samkeiten des Hercules zeigt und auch nicht zeigt. Euripides
lässt sie blos erzählen. Wie \iel besser lässt der Römer blos den
Tod des Lycus erzählen und spai-t seine Theaterspiele auf den
Tod derjenigen, für die er uns vornehmlich einnehmen will." In
diesem Punkte weicht unser Urtheil von dem des grossen Mannes
ab, und muss der Ansicht des J. Heinsius Recht geben, welcher
meint: ') In furente autem Hercule, cum sequi Em'ipidem posset,
periciüosam nobis niliiv dedit. Bei Seueca schläg-t Hercules der
Megara und einem Söhnlein auf der Bühne das Gehirn aus: Me-
garae enim et filiolo, fügi Heinsius hinzu, in scena cerebrum eli-
dit Hercules. Lessing schliesst seine Bemerkungen mit den Wor-
ten: „Dieses aber, was ich jetzt gesagt habe, muss man nicht so
auslegen, als ob ich dem Euripides auch in andern Stücken eben
so wenig, als in diesen mechanischen Eiinrichtangeu den Vor-
zug zugestehen wollte. Er hat eigenthümliclie Schönlieiten, welche
Seneca, oder wer sonst sein Nachahmer ist, selten gekannt zu
haben scheint. Der Aftect drückt sich bei ihm allezeit in der
Sprache der Natur aus; er übertreibt nichts, und weiss nicht, was
es heisst, den Mangel der Empfindung mit Witz ersetzen. Aber
glücklich sind die, welche ihn noch so ersetzen können! Sie ent-
gehen doch wenigstens der Gefahr, platt , ekel und wässericht zu
werden." Die nach-Lessing'sche Kritik aus der romantischen
Schule kann nicht genug Fi's und Pfui's über Seneca's Tragödien
ausgiessen, dem ihr Geist und Wesen doch weit wahlverwandter
1) A. a. 0.
28'
436 Das römische Drama.
ist, als dem Genie der Griechen. Das Haupt der romantischen
Kritik, A. W. Schlegel'), findet Seneca's Trauerspiele „so von
aller theatralischen Einsicht entblösst, dass ich glaube, sie waren
nie dazu bestimmt, aus den Schulen der Ehetoren auf die Bühne
hervorzutreten." Der Nachdichter des Jon konnte immer noch
Theaterwirkung von Seneca lernen.
Hercules am Oeta. Der Inhalt stimmt mit dem derTra-
chinierinnen des Sophokles überein. Doch hat Delrio's Vermu-
thung') vieles für sich, dass der Verfasser des Hercules Oetaeus
sich an ein Vorbild von Euripides gehalten. Am wahrscheinlich-
sten dünkt uns, dass hier eine rohe Verarbeitung der Trachinie-
rinnen des Sophokles und einer verlorenen Tragödie desselben
Fabelstoffes von Em^pides vorliegt; beide in ein ungeheuerliches
Polterspiel von „tobender Ehetorik" und herculischer Prahlerei
zusammengewettert und von einer Apotheose des verbrannten,
näher hirnverbrannten Hercules, gekrönt. In der ersten Hälfte
überraset Dejanira die Medea an Mordlust aus Eifersuchtswuth.
Alle möglichen Todesarten scheinen ihr zu gelinde für Hercules.
„Mit diesem Herzen, das Eache schnaubt, bin ich zmii Grässlich-
sten gemacht" — so stürzt sie auf die Bühne. Und in der zwei-
ten Hälfte sehen wir dieselbe Dejanira zur schreckhaft liebevollen,
rathlos ängstlichen, nichts als Zärtlichkeit und Besorgniss um den
Gatten athmenden Dejanira des Sophokles umgewandelt, die sich
vor dem Wollbüschel entsetzt, an dessen Zerfliesseu sie die Wir-
kung des Zaubergiftes wahrnimmt, womit sie das dem Hercules
zugeschickte Opfergewand gefärbt. Und bring-t sich dann auch
wie Sophokles' Dejanira, aus Verzweiflungsgram darüber, um.
Die Scene des ersten Actes spielt noch auf Euböa, auf den
Brandstätten von OechaKa, der eingeäscherten Eesidenz des Kö-
nigs Eurytus, den Hercules sammt Söhnen und Unterthanen er-
schlagen, weil er dem mit Dejanira vermählten Abenteurer seine
Tochter Jole nicht zur Gattin hatte geben wollen. Jole befindet
sich als Gefangene unter den Oechalisclien Jungft-aueu, die den
Chor bilden. Hercules eröffnet das Stück mit einem Gebet an
den Göttervater, das aber diesen in's Gebet nimmt, und dem
1) Vorles. n, 26. — 2) A. a. 0
Seneca's Hercules am Oeta. 437
Donnerer mit Weltuntergang droht, wenn er nun nicht endlich
einmal Ernst macht und ihn, den Vollbringer solcher Thaten,
deren letzte und glorwürdigste die eben bewerkstelligte Ausrot-
tung von Jole's, seiner schönen Kebsin, ganzer Familie war, in
den Sternenhimmel aufnimmt. Die Berge, welche die hun4ert-
armigen Himmelsstürmer übereinander wälzten, reichen nicht an
die gethürraten Worte dieses hundertmäuligen Grossmauls. Er
prahlt Jupiter's Donner zu Boden. Er überbramarbast die Thra-
sonen der Komödie : Lasst ihn nur einmal im Himmel seyn, dann
wird er Vater Jupitern bedonnerwettern, dass ihm Hören und Sehen
vergeht: „Mich lass für deine Götter fechten, Zeus, dann mögen
immer deine Donner ruhn ! " Nachdem er so den Olymp, statt, wie
sein A^ater, mit den Augenbrauen, mit einer fünf Seiten langen
Zunge erschüttert, entsendet er seinen Kampfgefährten, Lichas,
als Herold seiner Siege. Der Jungfrauen - Chor schliesst den Act
mit einem Klaggesang über den Untergang ihrer Vaterstadt, wozu
Jole die Epode singt, ihr Geschick verwünschend, dass sie nicht
„mehr der Brüste hat, sie jammernd zu schlagen."
Der zweite Act versetzt uns nach Trachys, vor. das Haus des
Hercules. Die erste, die sich zeigt, ist die unausweichliche Milch-
mutter, die Amme. Sie schildert Dejanira's Eifersuchtsqualen
über Jole's Ankunft mit Farben, die nur der Farbentopf einer
Seneca-Amme liefern kann:
Das ganze Haus ist ihrem Zorn zu eng.
Jetzt stürmt sie vor, jetzt schwankt sie hin und her,
Jetzt steht sie still. Die Wange glüht vor Zorn,
Aus tiefster Brust stürmt es mit Macht hervor.
Jetzt tobt sie, drauf ergiesst sie sich in Thränen.
Schnell wechselt sie die Farben, schnell die Miene ;
In mancherlei Gestalten rast ihr Grimm;
Jetzt klagt, jetzt betet, drauf dann seufzet sie.
Wer erkennt hierin die Dejanira des Sophokles? Desto mehr
muss man eine den Griechen unbekannte Alfectmalerei darin er-
kennen, die aus zweiter Hand wechselnde Gemüthzustände und
Wandelungen schildert, welche die Griechen dm*ch feine und
kunstreiche Schattirungen im Kedepathos der leidenden Person
selber ausdrückten. Dejanira stürmt hervor, wie um die AVette
mit Hercules' Zungenschlägen, die den Jupiter aus dem Himmel
438 Das römische Drama.
niederdonnern, ihren Racheschwall der Juno in's Antlitz schleu-
dernd :
Ha. keine Kache g'nüge dir, o Herz!
Ersinne grause, undenkbare Martern,
Unsägliche ! der Juno zeige du,
Was Hass vermag. Sie weiss sich nicht zu rächen.
Die plötzlichen, schroffen Uebergänge der Leidenschaftsstimmungen
von Zorn und Wuth in Rührung und Wehmuth, wovon sich die
giiechische Tragik auch nichts träumen Hess, und die, zweck-
mässig in's Spiel gesetzt, wie bei Medea, Andromache z. B., von
gi'osser theatralisch-mimischer Wirkung seyn können, erscheinen
hier zur Caricatur verzeni. Vergebens bemüht sich die Amme,
ihrem Amte getreu, die Ammenmilch abrathender Besänftigung
in Dejanira's gährendes Drachengift zu träufeln: Dejanira wüthet
sich in ihre Rache immer tiefer hinein. Die Amme beschwört
sie Vernunft anzunehmen: Das sey nun einmal so seine Passion,
des Hercules nämlich: „er liebt gefangene Mädchen" . . . Die
Amme schüttet nur Oel in's Feuer; Dejanira kennt sich nicht
mehr vor Rachewuth. Nun ist der Moment da, wo Seneca's
Ammen ihre naturgemässe Entpuppung aus der ehrbaren Abra-
thungs-Larve in den Schmetterling gaukelnder Kuppelei vorneh-
men. Dejanira's Pflegemutter stellt ihrer Herrin ihren ganzen
ZaubervoiTath zur Verfügung, um den Hercules durch magische
Gaukeleien wieder in ihre Arme zurück zu führen, und giebt sich
bei dieser Gelegenheit zum erstenmal als Zauberhexe erster Klasse
zu erkennen:
Im Wiater machte ich die Bäume grünen,
Den Blitz hab' ich ia seinem Lauf gehemmt,
Das Meer hab' ich bei Windesstül' empört. . . .
Ja, die Thore
Der Unterwelt hab' ich gesprengt, die Schatten
Zwang ich zu reden, und der Höllenhund
Er winselte vor mir ....
Den Hercules zu zwingen, sey Kinderspiel dagegen. Dejanira be-
zweifelt diess, und rückt nun mit ihrem Zaubermittel hervor, dem
bekannten Philtrum, das ihr der sterbende Centaur Nessus in
einigen Tropfen seines Blutes vermacht. Die Amme holt das
Seneca und Sophocles. 439
Kästchen mit Zaubersalbe und Gewand. Dejanira, die inzwischen
ein ki'äftiges Gebet an Gott Amor gerichtet, befiehlt der zurück-
gekehrten Amme ihr das Kleid zu beizen. Das bestrichene Ge-
wand wird dem Lichas für Hercules übergeben. Der Chor —
Kaledonische Frauen, Dejanira's ehemalige Gespielinnen — be-
weint, auf Dejanira's dringende Bitten, ihr Geschick, verwünscht
nebenbei die Qualen der HeiTSchsucht und üeppigkeit, die ihn
gar nichts angehen, und preist das Glück der goldenen Mittel-
mässigkeit aus heiler Haut.
Im dritten Act schildert Dejanira ihr Entsetzen über das
Nessusblut, das, wie bei Sophokles, zufällig vom Sonnenstrahl ge-
troffen, aufschäumte und zischte. Schon ist auch Hjdlus da, mit
dem Berichte von der Wirkung des Zaubergiftes an seinem Vater
Hercules. Dejanira verfällt in eine sehr lange Rede nebst wie-
derholten Wahnsinnsverzückungen, abwechselnd mit heftigen Weh-
rauths-Ki'ämpfen. Die Kaledonischen Weiber erinnern an das
nahe Ende des Hercules und der langen Eeden, in Anbetracht
der Vergänglichkeit aller Dinge. Ein dröhnender Fall jedoch,
der ihr banges Ohr getroffen, und worin sie Hercules' Stimme
erkennen, belehrt sie eines Bessern und verkündet ihnen, dass der
langen Schauderreden dickes Ende naht, welches in Gestalt des
vierten Actes zum Vorschein kommt, mit dem geschundenen
Hercules sammt Gefolge, darunter Philoctetes, im Schlepptau. Um
den Unterschied zwischen römischem und griechischem Heroismus
und dessen tragischer Aeusserung vollkommen zu begreifen, braucht
man nur die entsprechende Scene in Sophokles' Trachinierinnen
mit dieser zu vergleichen. Der Vergleich ergiebt Folgendes: Bei
Sophokles glaubt man das Brüllen eines veiivundeten Löwen zu
vernehmen; hier das Ohr zeiTeissende Schmerzensgeschrei , das
weithin die Luft durchgellt bei Schweinesclilachten; dort die
Klagelaute eines qualzerrissenen Halbgottes ; hier das Wuthgeheul
eines Wahnsinnigen in der Zwangsjacke, der sich einbildet, Her-
cules zu seyn und demgemäss rast und zetert. Einzelne lichte
Momente von minder kettentollen Wuthausbrüchen ersticken in
dem wüsten Gepolter, wie Funken in quabnenden Rauch wirbeln.
Die Situation in der Scene zwischen Hercules und seiner
Mutter Alcmene, dem Euripides vielleicht nachgebildet, wie er-
schütternd, wie herzzeiTeissend müsste sie nicht wirken, wenn sie
440 Das römische Drama.
nicht, von diesem Uebermaass, dieser Unnatur, diesen monströsen
üeberladungen erdriickt, stöhnte gleichsam, wie verschüttet unter
einem eingestürzten Bergschacht, oder wie der Büffel in den üm-
schnürungen einer Boa keucht und brüllt und ächzt:
Hercules. Mir ist es, Mutter, als ob mir die H}'dra
Und tausend Ungeheu'r zumal mit ihr
Im Innem wütheten. So brennt nicht
Die Gluth, die dort Sicania's Wolken leckt,
So Lemnos nicht, so nicht der heisse Pol . . .
0 mater, Hydram, et mUle cum Lerna feras
Errare mediis credo visceribus meis.
Quae tanta nubes flamma Sicanias bibit?
Quae Lemnos ardens? quae plaga ignü'eri poli?
Häufungen auf Häufungen; ein Klimax über den andern, die
himmelschreiendsten Prahlereien, Pochen und Poltern und kein
Ende:
Und lag der Pindus,
Der Hämus, und der Athos selbst auf mir . . .
Und Mimas auch, den Jovis' Blitze spalten ;
Und stürzte, Mutter, selbst die Welt auf mich,
Und wenn die Achse sich von Phöbus Wagen
Entzündete zu meinem Leichenfeuer:
Nie würde ein unmännlich feiger Schrei
Herakles' Mannheit schänden . . .
Und schreit immer toller, und kommt aus der Schreiwuth nicht
heraus. Plötzlich springt er rasend auf:
Wo ist die Pest? (Dejanira)
Reicht mir den Bogen ! — doch mein Arm ist stark
^ Auch unbewehrt. Komm' an ! komm' an !
Sinkt zusammen. Das hielten auch ein Dutzend kretensischer
Stiere niclit aus. Er fällt in tiefen Ermattungsschlummer; er-
wacht in Verzuckungs- Visionen und glaubt sich im Himmel:
Was klingen an mein Ohr für Himmelstöne . . .
Ich seh' des reinen Aethers Strahlenburg . . .
Inzwischen hat Hyllus den Tod seiner Mutter Dejanira gemeldet
und den wahren Sachverhalt erzählt. Hercules beruhigt sich mit
den schönen, kurzen Worten: „Sie hat gebüsst, es ist vorbei!"
Seneca's Thebais. 441
(Habet, peractum est.; — Er sieht ein altes Orakel erfüllt, er-
sucht den Philoctet, ihm den Holzstoss zu bereiten, heisst sei-
nem Sohne, sich mit Jolen vermählen und tröstet seine Mutter
durch die Erinnerung an seinen Kuhm und seine Unsterblichkeit.
Im Schlussgesang des Actes bittet der Chor den Sonnengott,
des Helden Tod der ganzen Welt zu verkünden, weissagt seine
Vergötterung mit der Flehbitte an Zeus: keine Ungeheuer und
Tyrannen mehr niederzusenden, da der Held von himien gehe,
der gegen sie die Welt geschützt. Die Tragödie ist zu Ende,
aber nicht für den Dichter. Er setzt noch einen fünften Act als
Pelion auf den Ossa, worin Philoctet der Amme Bericht ab-
stattet von den Bäumen, Holzarten, Stämmen und Scheiten, die
zum Holzstoss für Hercules' Verbrennung geschichtet wurden,
nebst den verschiedenen Aexten, Keilen und Beilen, die dabei
mitgewirkt ; die Verbrennung ungerechnet, deren Schilderung drei
Seiten einnimmt. Dann kommt erst noch Alcmene mit dem
Aschenkrug, wozu sie andere drei Seiten braucht. Darauf be-
ginnt sie, mit dem Chor einen Todtengesang anzustimmen, der
sobald nicht aufhört. Nachdem diess geschehen, ist das Stück
noch lange nicht aus, dauert vielmehr noch drei Seiten, die Her-
cules' Erscheinung am Himmel und sein Schlussbericht in An-
spruch nehmen. Nun erst besingt der Chor den „erlauchten
Scheusaltödter" (domitor magne ferarum), und feiert ihn als künf-
tigen Blitzschleuderer, der mit dem Donner besser Bescheid weiss,
als sein Vater Jupiter:
Fortius ipso genitore tuo
Fiilmina mittes.
Mächtiger als selbst dein Erzeuger wirst
Blitze du schleudern.
Das wusste Hercules längst, und hat auch das ganze Stück hin-
durch hinreichend darauf gepocht.
Thebais. Oder Phoenissae, wie sie in der „Handschrift
der Mediceer" heisst, welche Gronovius, wegen der Trefflichkeit
ihres Textes, die „goldene" nannte. Möchte doch die Handschrift
weniger golden seyn, und die Tragödie dafür, ihrer Vortrefflichkeit
halber, das Epitheton verdienen. So aber ist sie die Schlacke
aus den edlen Erzen der Fabelstofte abgeschäumt und zusam-
mengebacken, woraus Aeschylos und Sopiiokles unsterbliche Kunst-
442 Das römische Drama.
werke gebildet: jeuer die Sieben gegen Theben; Sophokles den
Oedipus auf Kolonos und Emipides seine Phönissen, eine Tragödie,
welche, wie sehr sie Stückwerk seyn, und jenem aus allerlei Me-
tallen gegossenen Köuigs-Standbilde in Goethe's Märchen gleichen
mag, immerhin ein Gusswerk bleibt, das einen König bedeutet.
Von des Römers Thebais dagegen, die aus der Hand ihres Schöpfers
bereits als Stümmelwerk hervorgegangen, liegt blos der unförm-
liche Emupf da, ein Mischklumpen von Aeschylos' Sieben und
von Euripides' Phönissen, und daneben der abgebrochene Kopf,
die carikii*te Maske von Sophokles' Oedipus auf Kolonos. Der
Schluss, die thönernen Füsse zu dem Götzen -lOumpwerk, ist
ganz in Staub zerfallen ; von den thönernen Füssen ist keine Spur
zurückgeblieben.
Der erste Act besteht aus dem Bruchstück, einer ersten Scene,
welche ihrer Länge nach für den vollen Act gelten kann. Sie
ist eine Nachahmung der ersten Scene des Oedipus auf Kolonos
mit deren erstem Vers:
„0 du des blinden Vaters Führerin",
sie sogar beginnt. Nur schweift hier der blinde Oedipus mit sei-
ner Tochter Antigone in den Wäldern bei Theben umher, die er
mit den wildesten Ausbrüchen seiner gegen sich selbst rasenden
Zornwuth, als mit eben so \^elen reissenden Wölfen bevölkert.
Von seinem wilden Geheul hallt der Forst des Kithäron "^\ieder.
Der geblendete Königsgi'eis verflucht sich, seine Söhne, Vater
und Mutter, den Kithäron, die Sphinx, die er herbeiruft, ihn zu
zeiTeissen, und schilt und flucht seine Tochter Antigone, „des
Müden einzige Stütze," von sich weg:
Nennst du das Kiudeslieb, des Vaters Leiche
Grablos umher zu zerren? . . .
Die fromme, treue Tochter klammert sich nur fester an den To-
benden :
Nein, keine Macht reisst in eine Hand von dir,
0 Vater, nichts trennt mich von deiner Seite.
Die schönsten Züge kindlicher Sel])staufopferung und zärtlichster
Liebespflege, die Sopholdes' Antigone mit allen Reizen rührender
Thebais. Oedipus. Antigone. 443
Holdseligkeit wie mit einem himmlischen Lichtscheiue umfliessen
und die grause Tragik, die von Oedipus ausgeht, lieblich mildern,
— neben diesem fortwährend Flüche schnaubenden Oedipus er-
scheinen selbst die rührendsten Züge, die herzbewegendsten Laute
von der grellen Missfarbe seines verwilderten Pathos befleckt.
Ihren iimigsten Zuspruch weist er scheltend zurück und, die Fäuste
in die Augenhöhlen bohrend, ruft er:
Jetzt lass deine Hand in dem Gehirn wühlen . . .
Bis zur Verzerrung sehen wir die Affectbetonungen entstellt und
in lauter Dissonanzen zerrissen; alle Gemüthsbewegungen von
dieser lärmenden Eintönigkeit eines zwölf Seiten füllenden Tira-
densturms übertobt. Wie die Umwohner jener Syrten von den
Nilkatarakten, so müssen Furcht und Mitleid stocktaub werden
von dem rastlosen Zeter- Getöse solchen Fluchgeheuls und Jam-
merwüthens ; so stocktaub, dass sie, mit dem besten Willen, selbst
diese Polterwuth nicht mehr vernehmen. Contraste, Motive, See-
lenzustände erstarren wie betäubt und stehen still gleichsam, wie
Mühlräder, von jähen Wasserfluthen überstürzt und begTaben un-
ter dem brausenden Geräusch. Antigone's herzinniges Liebkosen,
besänftigendes Schmeicheln, Beschwichtigen des rauh unbändigen
Vatergrimmes, — muss diese bezaubernde Annmth holdseliger
Kindlichkeit nicht auch zuletzt sich überbieten, sich überschreien
gleichsam, um nm- zu Worte zu kommen? Zu Trostgrüuden sich
überspannen, die eher aus den Schriften der Stoiker, aus Seneca's
Abhandlung de consolatione, geschöpft scheinen, als aus dem Her-
zen eines Mädchens, einer Tochter, die ihren Gram wegiächelt,
um mit keiner Thräne das Augenlicht zu trüben, das für ihren
unglückliclien Vater sehen, und liell l)leiben muss und klar? Man
möchte selber fluchen, wie Oedipus, über diese lästerliche Tragik,
die das Heiligste, was ein Menschenherz bewegt und erschüttert,
um es zu lichten und zu läutern: den Schmerz, entmenscht, an-
statt ihn zu vergöttlichen ; ihn zum Folterkrampf verrenkt, anstatt
ihn reinzuschmelzen in seinem eigenen Feuer von aller irdischen
Qual, und den Verzweiflungsjanmier selbst durch den Rhythmus
seiner Khigergüsse und den melodischen Sti'om seiner Schmerz-
gewalt von allen trüberdigen Missgofühlen zu reinigen und zu
befreien. Uebermenscldich, gottverhängt, und (hu um eben göttlich
444 Das römische Drama.
und me von Gottes Feuerhauch durchloht, muss der tragische
Schmerz erscheinen, nicht unmenschlich, nicht bis zu thierischer
Wuth verwildert.
Zuletzt wird es dem gi-eisen Polterer selbst zu viel. Gegen
den Schluss hin fällt er aus der Tobsuchts-Kolle und wird die
Geduld und Nachgiebigkeit selbst und zerschmilzt in die liebe-
seligste Geographie:
Nichts fällt inii* schwer, nichts ist mir unerträglich
Wenn du es Avillst. Gebeut nur und Oedip
Durchschwimmt auf dein Geheiss des Aegeus Sund;
Die Flammen, so die Erd' aus Aetua's Schlund
In Strömen wirft, ich sauge sie dir auf.
Und nun mit einer weichen Cadeuz in die Mythologie hinüber-
schwärmend :
Ich werfe mich dem Drachen vor, der grimmig
Ob des Herakles Eaub im Forste zischt —
verhaucht er seine lammfromme Folgsamkeit in ein Tremolo aus
der Naturgeschichte:
Ich biete meine Brust den Raben dar
Auf dein Geheiss, und ist's dein Wunsch, hab' ich
Auch Muth zu leben!
Hiermit bricht der Act ab, aber nur imi als Splitter im Fleische
des zweiten Actes fortzuschwären. Oedipus, von einem Thebaner
zum Friedensstifter zwischen seinen Söhnen aufgefordert, stürmt
nun gegen diese los, mit Flüchen, so die Mauerbrecher aller Sie-
ben gegen Theben zu Boden schmettern: „Wähnst du," schnaubt
er Antigoue zu, die des Boten Ansinnen unterstützt:
Wähnst du denn einen Greis vor dir zu sehn,
Der Mässigung und Ruh imd Frieden liebt V . . .
Dass du mich Frieden zu vermittehi rufst?
Zorn schwellt diess Herz, es schnaubt vor Wuth . . .
Des Bürgerkrieges Graus genügt mir nicht —
Der Fluch bricht mitten entzwei. Das eine Stück verschluckt
Oedipus, das andre bleibt dem Act im Halse stecken, so dass
der Act selbst daran zum Fragment erstickt.
Der dritte Act besteht aus drei kleinen Sceneii. Die erste,
Thebais. Jocaste und ihre Söhne. 445
zwischen Jocaste und Antigene, füllt Jocaste allein mit der Glück-
preisiing ihrer Vorgängerin, der Mutterkönigin und „blutigen Mä-
nade", Agave, indem diese doch wenigstens das Haupt ihres Soh-
nes auf den Thyrsus gespiesst einhertragen dmfte. In der zwei-
ten Scene erlässt der Thebanische Thürwächter, von der Warte
herab, eine Aufforderung an Jocaste, sich zwischen die kämpfen-
den feindlichen Brüder zu weifen. Sie stürzt davon. Der Thür-
mer beschreibt Antigonen die Eile, mit welcher die Königin zum
Thor hinaus in's Lager gelangt sey, und wie sie nun die beiden
Heere trennt. Antigene, die den Thrnm bestiegen, sieht noch
mehr: sie zeigt dem Thürmer aus solcher Entfernung die Thrä-
uen, die der Mutter die Wangen netzen. Das Weitere verschweigt
der Act. Von Oedipus verlautet keine Silbe. Im vierten Act
wird seiner nur erwähnt. Dieser Act zeigt die Mutter im Lager
zwischen Polynices und Eteocles, von den kampfbereiten Kriegern
umringt. Die Scene, die das vor Augen stellt, was bei Emipides
der Bote berichtet, ist reich an dramatischen Schönheiten und
wirkungsvollen Bühnenmomenten; in Ton, Haltung und Pathos
wesentlich von dem Vorhergehenden verschieden, so dass man
einen andern Verfasser vermuthen darf:
Jocaste (zwischen den Söhnen).
Auf mich kehrt eure Waffen her, auf nnch
Die Flammen eures Grimms, auf mich allein ! . .
Freund und Feind
Durchbohre diesen Leib, der Brüder dem
Gemahl gebar! — '
0 reicht die Hände eurer Mutter, reicht
Mir sie, weil sie noch rein von Bruderblut.
Ein Wahn trieb euch 7ai dem heiUosen Kampf,
Das böse Schicksal trägt des Bösen Schuld
Dies ist der erste Schritt zur Sünde, den
Ihr jetzo wissend thut ....
Die Mutter wirft sich zwischen euch, drum endet
Den wilden Streit; wo nicht, so tödtet mich.
Die euren grausen Mordkampf hemmt! Wem soll
Die aufgedrängte Mutter Ijittend nah'n?
Wen soll icli Arme denn zuerst umfah'n?
(zu Polynices)
Umarme mich zuerst, mein Sohn, der du
So vieles Ungemach ertrugst, nun oullich
446 ^^s römische Drama.
Nach langer Tremiung deine Mutter siehst.
Komm' näher, in die Scheide steck' dein Schwert,
Das Bruderblut vergiessen wollte. Stoss'
Den Speer, der schon in deiner Hand bereit
Zum Wurfe ki-eiste, in den Boden. Ach,
Der Schild verwehrt, dass ich das Mutterherz
An deinen Busen schmiege, wirf ilm weg!
(Sie entwaönet den Polynices nach und nach.)
Befrei' die Stirne von der eh'rnen Last,
Leg ab den krieg'risch droh'nden Helm vom Haupt,
Lass in das Antlitz dir die Mutter schau'n !
Wo siehst du hin ? was späh'st mit scheuem Bück
Du nach dem Bruder? — Ich umschlinge dich.
Ich halte schützend dich umfasst. Er kann
Nur durch mein Herz den Weg zu deinem finden . . .
Das kommt vom Herzen und dring-t zum Herzen. Zu diesen ein-
fachen, schmucklosen Lauten wahrer Mutterempfindung darf sich
der trefflichste Dichter aus Shakspeare's , oder Schiller's Schule
bekennen; hätte sich Schiller selbst wohl bekennen mögen, der,
wie Shakspeare, von Seneca manches gelernt und benutzt hat, und
dem auch, bei der Scene zwischen seiner Isabella und ihren feind-
lichen Söhnen, diese in Situation und Pathos venvandte mütter-
liche Friedensvermittelung in der Thebais des Kömers vorschwe-
ben mochte.
Eteocles bleibt verstockt. Jocaste giebt dem Polynices das
Uuselige der Thebanischen Herrschaft zu bedenken. Der Bruder
sey schon hart genug dadurch bestraft, dass er herrscht:
Das Seepter Thebens trug
Noch keiner ungestraft ....
Eteocles. Sey's. Ich acht' es wünschenswerth,
Zu fallen gleich den königlichen Ahnen,
(zu Polynices)
Dich aber zähle ich zu den Verbannten.
Polynices. So herrsche denn, von deinem Volk gehasst.
Eteocles. Wer dieses scheut, der soll nicht herrschen wollen.
So hat der AUerschaffer es gefügt,
Hass und Gewalt sind untrennbar vereint.
Jocaste. Dem guten König ziemt's den Hass zu sühnen.
Eteocles. Der Untcrthanen Liebe ist oft nur
Dem HeiTScher hinderlich. Und unbeschränkter
Seneca's Agamemnon. 447
Darf er die Macht an den Empörten üben.
Nach Liebe geizen nur kraftlose Fürsten.
Verachtung der öffentlichen Meinung, der Volkssjanpathien
— das Schiboletli starker "Regierungen — man sieht, es hat seine
Ahnen. Nicht blos Dramatiker, auch Staatsmänner, Minister und
Könige, haben ihren Seneca studiii. Das oderint dum metuant
ist und bleibt die Staatskuiist in nuce für jede starke Regierung.
Polynices. Verhasste Herrschaft währet nimmer lang.
Eteocles (höhnisch).
Die Kunst zu herrschen lerne ich von Herrschern,
Du magst uns lehren, was Verbannten ziemt . . .
Polynices. Nun denn, so geh' ich für mein Herrscherrecht
Das Vaterland, der Ahnen hohe Burg,
Und selbst die Gattin dem Verderben preis.
Eteocles. Das Scepter wird zu theuer nie erkauft —
Hier bricht die Tragödie an der Wurzel ab, aus welcher aber
die Scepter der starken Eegierungen lustig foiisprossen und fort-
grünen; wie von einer Wurzel nicht anders zu erwarten, die so
fleissig aus ihrem unversieglichen Jungbrunnen begossen wird:
aus dem eisenhaltigen Lebensborn von Blut und Eisen.
Agamemnon verdient einige Beachtung wegen der völligen
Umwandelung, welche der Charakter der Klytämnestra durch den
Römer erfahren, dessen Agamemnon, in Fabel und Scenenfolge,
eine Nacliahmung der gleichnamigen Tragödie des Aeschylos ist.
Der Römer hat nämlich das titanische Weib, die entschlossenste,
unhemmbarste aller Blutherrinnen, den Rachedämon (Alastor) des
Pelopiden-Hauses , wie sich Klytämnestra bei Aeschylos selber
nennt, in eine reu müthige Sünderin umgestaltet oder richtiger,
verunstaltet. Allein gerade diese Umkehrung, diese Caricatur
antik kolossaler, bis zur Erliabenheit furchtbarer Verl)rechergrösse
einer Königin-Gattin und Mutter ins Schwächliche, Bangmütliige
nimmt unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Gerade diese Ver-
weinerlichung von Aeschylos' Klytämnestra zu einer Vorläuferiu
von Kotzebue's Eulalia Mainau, unbeschadet derselben Frevelhaf-
tigkeit und VoUfülirung derselben Missethaten, die Aeschylos' Kl} -
tämnestra zu einer so schreckenvollen Grossartigkeit erheben und
sie zur poetisch mächtigsten Verbrecherin der gesammten Tragik
448 I^^s römische Drama.
weihen — gerade diese tragische Misere scheint uns das einzig
Merkwürdige in dem Agamemnon des Römers. Diese klägliche
Travestie des Römers muss ebenso erwägenswürdig in Bezug auf
Umschwmig und Umstimmung erscheinen, welche zeither in dem
Begriffe von tragischem Pathos, von dem Wechselverhalten zwi-
schen Schuldcharakter und Schuldbewusstsejai, eingetreten ; als ein
solcher klaffende Bruch durch die Entartung allen Kunstgefühls,
aller tragischen Technik, allen Verständnisses von Charakterein-
lieit und psychologisch-dramatischer Haltung übeiTaschen und er-
schrecken muss. Die Klytämnestra des Römers ist, unseres Er-
achtens, die einzige Verbrechergestalt in der alten Ti'agödie, deren
Pathos das Schuldgewissen selber seyn soll; mit deren reuevoller
Schulderkenntniss es der Dichter auf unsere Theilnahme, unsere
Rührung, unser tragisches Mitleid abgesehen. Andererseits ist
der Abstich gegen die Behandlung des veiivandten Pathos in der
Medea wieder so auffallig, und wird das Gewissens-Motiv, das
wir im Thyestes noch wie gebunden und in blossen Ahnungen
befangen fanden, in der Klytämnestra so stark, so vorherrschend
betont, dass, wenn bei ii'gend einer von diesen Tragödien, bei
dem Agamemnon der Verdacht einer weit spätem Abfassung oder
Fälschung gerechtfertig-t erscheint. Wir glauben in demselben
noch deutlichere Spuren von den Empfindungs- und Anschauungs-
weisen, die in der christlich-römischen Poesie des vierten Jahr-
hunderts üiren Ausdruck fanden, zu bemerken, als einige Chorpar-
tien in andern diesen Tragödien uns zu verrathen schienen.
Wie in Thyestes der Schatten des Tantalus, so tritt hier der
Schatten des Thyestes als Prolog auf, Betrachtungen anstel-
lend über die von ihm verübten Gräuel und den Aegisthus
zui' Rache aufrufend, seinen mit der eigenen Tochter, Pelopia,
erzeugten Sohn, Sohn und Enkel zugleich. Aus diesem erbauli-
chen Prolog und dem von Argi vi sehen Frauen gesungenen,
die Wandelbarkeit der Herrschaft und Herrscher ei-wägenden Chor-
liede besteht der erste Act. Den zweiten beginnt Klytämne-
stra mit einem Selbstgespräch, das ihren zwischen frevelhaften
Ansclilägen und Gewissonszweifelii schwankenden Gemüthszustand
schildert. Die unumgängliche Amme steht schon auf der Lauer,
um ihr Warnungs- beziehendlich ihr Kuppelgeschäft anzutreten;
unter allen Umständen aber ihrer Aufgabe nachzukommen: sich
Seneca's Agamemnon. 449
SO rasch wie möglich ihres ganzen Vorrathes an guten Leh-
ren zu erledigen, um das schaudervolle Verbrechen, wovon' sie
eifrigst abgerathen, selbst in die Hand zu nehmen, oder doch
wenigstens hülfreiche Hand dabei zu leisten. Clytämnestra schüttet
ihr Herz vor der Amme aus, ein Potpourri der verschiedenartig-
sten Leidenschaften, bunt durcheinander:
Ha, Feuer zehrt in Mark und Herzen mir.
Mich stachelt Eifersucht und Furcht zugleich,
Haas pocht in meinem Busen und es drückt
Den Geist unwürd'ge Liehesgluth ins Joch,
Die sich nicht zähmen lässt. Und zu den Flammen,
Die all' mein Herz durchglüh'n. gesellt sich
Noch des Gewissens Sturm ') und, wiewohl matt,
Kämpft noch die fast erloschne Scham empor.
Jenem Aeolus-Sclilauch des Ulysses entstürzten nicht mehr sich ge-
genseitig bekämpfender und einander in den Haaren liegender Winde,
als aus Clytämnestra's der Amme geöfthetem Herzen Gemüths-
stüraie hervorbrechen. In dieser Kathlosigteit hält sie es für das
Beste, „ihr Schiff" den Wogen zu überlassen und sich dem Zufall
heimzugeben." Nichts desto weniger besteht sie, dem Aegisthus
gegenüber, der sich inzwischen eingestellt, um sie an ihre gemein-
schaftliche Rache zu erinnern, auf ihrem unerschütterlichen Ent-
schluss, künftig einen tugendhaften Lebenswandel zu führen: „Ehe-
liche Treue fttln-t mich zu meiner Pflicht zurück" . . . „Zur Tugend
kehrt man im Zwiespalt zmück." Die Amme segnet ihr Vorha-
ben: „Wer seine Schuld bereut, ist fast entsühnt." Aegisthus
erinnei-t sie an Agamemnon'« Liebschaften, stachelt ilu'e Eifersucht.
Vergebens. Clytämnestra pocht auf ihre Scham: „In meiner
Brust erwacht die vorige Scham." Gieb dir keine Mühe, von
jetzt ab gürtet Scham den keuschen Leib. Aegisthus wird aus-
fallend und listig. Clytämnestra's tugendhafte Entrüstung kennt
nun keine Schranken mehr. Sie fühlt sich in der ganzen Würde
einer zu ihrer Pflicht zurückgekehrten Gattin, Mutter und Königin,
der die Scham in die Krone steigt. Glühend vor Zorn und em-
pörtem Reumuth weist sie ihrem abgedankten Buhlen die Thür:
1) Mentis obsessac facos v. 1.'<G.
II. 29
450 ^*^^ rüuiisclie Drama.
Des fremden Bettes Freuden
Zu stehlen hast vom Vater du gelernt,
Und dich in unerlaubtem Lustgenuss
Allein als Mann erprobt. — Auf, hebe dich
Von hinnen! geh aus meinen Augen, foi-t!
Und mit dir zieh des Hauses Schmach hinaus.
Dem Mann, dem König offen steht das Haus.
Aegisth lässt die Ohren hängen und will sich empfehlen.
Da besinnt sich Clytämuestra, dass unter andern Leidenschaften,
die sie mit ihrem Herzen vor der Amme ausgeschüttet, auch „un-
würdige Liebesgluth" sich befindet, und stellt sich stracks mit
dieser dem Aegisthus in den Weg: Sey kein Narr!
Meinst du, des Tj'udars Tochter sey so grausam
Und üess es zu? Mit dir vereint hab' ich
Gesündigt, drum ist's Pflicht, dem Schuldgenossen
Die Treu' nicht zu verletzen. Komm mit mir,
Lass die gefahrvoll zweifelhafte Lage
Gemeinsam uns bedenken und berathen.
Edles, gewissenhaftes Weib! Wie schön dämpft sie die dämoni-
sche Grösse von Aeschylos' Klytämnestra zu dem allgemein mensch-
lichen Maasse einer gewöhnlichen Ehebrecherin ab, die in ihrem
Ehebette sich mit Gewissensbissen abfindet, wie mit gewissen
Bissen anderer Bettgenossen. Keiner vernünftigen Ehebrecherin
fällt es ein, desswegen lit ä part zu machen.
Das Haupt bekränzt und mit Lorbeerzweigen in den Händen
stimmen die argolischen Chor-Jungfrauen ihren Friedenshynmus
an, worin Apollo der Schutzgott des Hausaltars, Juno die Schir-
merin der ehelichen Treue und Pallas, die jungfräuliche, geprie-
sen werden.
Der dritte Act führt den Eurybates als Boten und An-
melder Agamemnon's herbei, der an sechs Seiten und über zwei-
hundert Verse braucht, um den Seesturm zu ])eschreiben, der die
griechischen Schiffe auf der Heimfalirt theils zerstreute, theils
versenkte. Doch möchte diese weitläufige Schilderung leicht das
Beste in der Tragödie seyn. Die ScliiUlerung des Sturms darf
man meisterhaft nennen. Sie übertrifft die des Virgil im zweiten
Buch der Aeneis weitaus an Kraft und Kühnheit. Der Glanz-
punkt in dem Gemälde ist der Untergang des Ajax Oileus:
Seneca's Agamemnon. Zweiter ('hör. 451
Ajax allein, von all dem Unheil nicht
Geheuget, ringt umher. Als er die Segel
Alit straffem Tau zusammenraffen will,
Da trifft, herabgeschleudert, ihn der Strahl . . .
— ■ — Der schmettert durch und durch
Den Ajax und das Schiff, und reisset ihn
Zusammt des Schiffes Hälfte mit sich fort.
Auch dieses schreckt ihn nicht, ringsum versinkt
Eagt er, ein schroffer Felsen, aus der Fluth
Empor, und theilt mit starkem Arm die Wellen,
Strebt mit mannhafter Brust dem Wogensturm
Entgegen, zieht das Schiff an sich, und sieht
HeUleuchtend in der finstern See, dass sie
Im Widerschein von ihm weithin erglänzt.
Endlich fasst er ein Eiff, brüllt wüthend auf:
,, Besiegt hab' ich das Feuer und die See
Dem Kriegesgott mit seinen Schrecken allen.
Ich wich ihm nicht; den Hector und den Mars
Bestand ich kühn im Kampf ....
Und jetzt sollt' ich vor der erborgten Waffe,
Von schwacher Hand (von Pallas) auf mich herabgeschossen,
Vor dir erzittern? — Ha, und schleuderte
Er (Jupiter) seinen Donner selbst, ich bebte nicht!"
Und immer lästert noch der Easende,
Da hebt Neptun sein Haupt aus tiefer See,
Und schlägt mit seinem Dreizack an den Fels,
Dass er zusammstürzt, und ihn mit begräbt.
Da liegt er nun, von Feuer, Erd' und Meer,
Der jetzt noch kühn getrotzt, zumal besiegt.
Möglich auch, dass der Körner eine giiechische Vorlage be-
nutzt aus einer verlorenen Ajax Oileus-Tragödie, dergleichen von
den drei grossen Tragikern der Griechen vorhanden waren.
Nun tritt ein zweiter Chor auf: gefangene Trojane-
rinnen, Cassandra an ihrer Spitze, der Troja's Fall mit stoi-
scher Todesverachtung besingt.
Den vierten Act nimmt Cassandra's Wahnsinns-Prophezeihung
in Beschlag, eine unglückliche Nachahmung der ähnlichen Scen^m
im Agamemnon des Aeschylos. Der Römer hat nur die Metliode
abgeselien. Der Wahnsinn selbst, als poetische Begeisterungs-
Verzückung, ist ihm zu einer sich wie veiTückt geberdenden Rhe-
torik erstarrt.
2if
452 ^^^ röiuisehe Drama.
Den Act beschliesst der Argivische Jungferiichor wieder,
aber im Sinne der wahnsinnigen Cassandra, indem er, ausser
allem Zusammenhange mit einer Agamemnon-Tragödie, die Tha-
ten des Hercules besingt. Zwischen diesem aberwitzigen argoli-
schen und dem, im Wechselgesang mit Cassandra, um die Wette
geistesabwesenden Trojanischen Fraueuchor stimmt Agamemnon
ein Dankgebet an für seine glückliche Heimkehr an Jupiter und
Juno, und begiebt sich au der Seite Clytämnestra's in den Palast,
nachdem er einem Theil seines Gefolges die Beaufsichtigung bei-
der verrückten Frauen-Chöre, Cassandra natürlich mit eingeschlos-
sen, übertragen:
Sie möchten sonst in der Begeisterungswuth,
So ihrer selbst nicht mächtig, Unheil stiften
(Ne quid impotens peccet furor).
Das Unheil bleibt nicht aus. Im fünften Act vergisst Cas-
sandra, dass es der fünfte ist, und ras't stramm und munter fort,
als war' es noch immer der vierte. Plötzlich, auf der Höhe des
Paroxysmus, schnappt sie über in die Vision von Agaraemnon's
im Innern des Palastes eben vor sich gehender Ermordung. Die
Vision trägt aber durchaus nicht, wie bei Aeschylos, den Charak-
ter prophetischen Wahnsinns, sondern des nüchtern verstän-
digsten Botenberichtes, der Zug für Zug den Vorgang in aller
Ausführlichkeit erzählt. Hierauf stürzt p]lectra aus dem Hause,
mit dem kleinen Orestes auf der Flucht. Wie gerufen, kommt
ihr Strophius, König von Phocis und sein Sohn Pylades auf
halbem Wege entgegen, nehmen den kleinen Orest in Empfang
und eilen mit ilmi ab. Electra kniet neben Cassandra am Altar
nieder. In diesem Unsal von tragisch-dramatischer Wüstheit ein
Silberblick, dessen wohlthuende Wirkung der rohe Schluss, eine
gemeine Zankscene zwischen Aegisthus, Clytämnestra und Electra,
wieder schmählich zerstört. Electra lässt Clytämnestra von Knech-
ten zmn letzten fernsten Winkel ihres lleichs fortschleppen:
Dort werfet sie in einer Höhle finstre Nacht!
Cassandra wird von Trabanten vom Altare weggerissen und un-
ter Flüchen und Verwünsclumgen abgeführt:
Clytänin. Stirh, Rasende!
Cassandra (im Abgehen).
Auch ilir sollt rasen einst!
Seneca's Oodipiis. 453
Ein solches Ende einer Tragödie zeigt, dass es mit der Tragödie
überhaupt am Ende ist.
Unserem Dichter schien jedocli dieser Beweis nicht zwingend
genug. Er vermaass sich mit König Oedipus zu sagen: „Von
Grund aus bring ich's an das Licht", die Wahrheit nämlich, dass
es mit der griechischen Tragödie völlig aus ist; dass er, ein zwei-
ter Oedipus, seinen Vater, den Sophokles, erschlagen, mit seiner
Mutter, der griechischen Tragödie, in einer blutschänderischen
Gräuelehe gelebt und demgemässe Kinder mit ihr gezeugt. Un-
ser Römer wollte den unverwerflichsten Beweis dieser Wahrheit
liefern und schrieb den
Oedipus. Wir haben die Kunst des grössten Meisters,
des Sophokles, nicht unversehrt aus dem Ringkampfe mit
Verwickelung und Entwickelung in seinem „König Oedipus"
heiTorgeheu sehen. Welche Knotenschürzung und Lösung Hess
sich nun gar von einem Tragiker erwarten, dessen grösste
Schwäche, nächst der völligen Baarheit an poetischer Em-
pfindung und Idealität, gerade die Technik ist und der, was
Kmistverstaud und Composition betrifft, selbst neben Euripides
als ein Barbar erscheint? Wie hat er die unübertreffliche, mit
vollem Recht von den Kunstrichtern aller Zeiten bewunderte Ex-
position in Sophokles' K. Oedipus, wie hat er sie zu einem
stumpfen Eingangs- Dialoge zwischen Oedipus und Jocaste urage-
stümpert, um nicht zu sagen, verhunzt. Mit welchem ausgesuch-
ten Ungeschick ist er gerade auf die Sandbänke, Klippen und
Scheeren mit vollen Segeln aufgefahren, durch welche der kun-
digste aller Piloten, der die Tiefen und Untiefen, die Strudel und
Wirbel der tragischen Fabel-Intriguen,. wie kein Anderer, kennt,
sein Falu'zeug nicht ohne Leck hatte hindurchschmiegen können.
Die Scheerenklippe vor allem: dass Oedipus nichts merkt und
nichts vermuthet, trotz den handgreiflichsten in's Auge springen-
den Andeutungen und Fingerzeigen. Mit welcher auserlesenen
Ueberraschungskunst fallt der Römer gleich in der ersten Scene,
wo Creon, aus Delphi zurückgekehrt, den Orakelbescheid dem
Oedipus meldet, mit der Thür hinaus, indem er den Creon schon
jetzt seinem Scliwager Oedipus das Hauptlicht aufstecken lässt,
das in diesem, bei Sophokles, zuerst die Schreckensahnung weckt,
er sey der Mörder des Lajus. Wir meinen jenes Begegniss auf
454 '^'^'^ römisrlu' Drama
dem Dreiweg in Phocis, welchen unser Creon, auf die Frage des
Königs: „Wo ist der Ort?'' demselben genau beschreibt. ') Oedi-
pus, da gerade Tiresias eintritt, steckt Creon's Wink mit dem
Zaunpfahl rasch ein, den Seherfürsten ganz unbefangen mit der
Anfrage begrüssend: „Du gottgeweihtes Haupt, deut uns, und
sag', wen trifft sein Strafgericht?" Der Schlauerian, denkt Je-
der, der Duckmäuser! Hat eben den Wink mit dem Zaunpfahl
in den Geren seines Kleides geschoben, und thut, als wüsste er
von nichts. Der Pfiffikus weiss recht gut, wie der Hase läuft,
und foppt nur die Leute, und sprengt seinen Schwager nach
Delphi; incommodirt den blinden Seherfürsten und lässt ihn mit
seiner Tochter, der Wahrsagerin und Eingeweideschaueriu, Manto,
kommen und nöthigt ihn, auf der Bühne, coram populo zwei
Ochsen zu schlachten, in deren verschlungenen Gredärmen, Lun-
gen, Herz und Leber, Manto vor Aller Augen herumwühlen
muss, um den Mörder des Lajus zu entdecken, derweil sich König
Oedipus, der längst Alles weiss, heimlich die Haut volllacht und
die gute Wahrsagerin Manto in den Eingeweideu des Opferstiers
und der jungfräulichen Sterke kramen und wirthschaften lässt,
so viel sie Lust hat. Ihre ganze Kunst, ihre ganze Splanchnolo-
gie wird an den Eingeweiden dieses Ochsen und dieser Kuh zu
Schanden. Sie findet Alles in verkehrter Lage, verschoben und
verdreht. Der Ochs hat das Herz nicht an der rechten Stelle,
und in der jungfräulichen Färse, „der kein Stier jemals genaht",
findet sie „eine Kälberfiaicht an einem Ort, wo sie es nie geschaut" :
Verworren ist die Ordnung überall,
Nichts steht an seinem Platz, verrückt ist Alles . . .
Genau so wie in unserer Oedipus-Tragödie ; ihr leibhaftes Eben-
bild. Tiresias schlägt die Hände über den Kopf zusammen. Ihn
schaudert um so mehr, je weniger er weiss, warum? Die An-
zeichen sind grauenhaft, aber was sie eigentlich bedeuten, das
geht über seinen Horizont:
Der Vogel nicht, der leichten Fittiges
Durchsegelt das Gewölb der hohen Himmel,
Nicht Fibern in der Opferthierc Leib
Vermöchten mir den Namen anzudeuten.
n V. 27t; If. ed. Bothe.
Seneca's und Sophokles' Oedipus. 455
König Oedipus reibt sich vor Vergnügen die Hände, aber heim-
lich. Er hat es längst heraus, Dank Creon's Wink mit dem Zaun-
pfahl in seines Kleides Geren. Bei Sophokles sieht der blinde
Seher Alles im Geiste, nur Oedipus ist stockblind bei sehenden
Augen. Der Römer dreht den Spiess um. Bei ihm muss Jeder
schwören, dass Oedipus der Einzige sey, der von Allem unterrich-
tet ist.
Um den Namen von Lajus' Mörder herauszubringen, „muss
er es auf andern Wegen versuchen." Dem Lajus selber muss er
zu Leibe gehen.
Ihn selber muss ich aus der ew'gen Nacht
Behausung rufen. Aus dem Erebus
Muss er herauf, den Mörder anzuklagen . . .
Oedipus freut sich schon im Voraus auf die Erscheinung des
Lajus, der ihm das erzählen soll, was er besser weiss. Noch mehr
aber freut sich Oedipus auf die Schilderungen und Beschreibun-
gen, die, bei Gelegenheit der Todtenbeschwöruug, sich aus dem
Erebus zu entwickele und in unübersehbaren Massen und Schaaren
hervorzubrechen, nicht werden umliin können. Zu seinem Ver-
di'usse- erklärt es Tiresias gegen die Hofetiquette, dass „des Rei-
ches Oberhaupt die Schatten schaue". Oedipus überträgt nun
dem Creon das Geschäft und zieht sich in den Palast zurück.
Tiresias fordert den Chor auf, „Bacchus' Lobgesang anzustimmen,
dieweil er des Abgrunds Pforten stürmt". Die Dithyi'ambe hat
ihre Verdienste, und dürfte wohl gar das Beste seyn, was die
römische Lyrik hervorgebracht. Nur die Todtenbeschwörung
möchte, als römischer Höllenbreughel, ihr die Palme streitig ma-
chen, wenn gleich nicht zum Ruhme der Tragödie, deren drama-
tische Blossen zu verhüllen das ganze Schattem-eich nicht dicke
Finsterniss genug vorräthig hat, wie sehr auch Creon , als Augen-
zeuge, das Gegentheil zu beweisen, sich in seinem dem Oedipus
darüber abgestatteten Berichte befleissigt.
Ein Prachtstück zur Probe:
Der Boden thut sich plötzlich auf, es klafft
, Ein ungeheurer Schlund hinab, und ich
Gewahr' darin die mächtigen Schattenfürsten
Inmitten bleicher körperlicher Schemen.
Ich sah die starren Seen, die ew'ge Nacht,
456 Das römische Drama.
Und in den Adern stockte mir das Blut.
Erst bricht die wuthentbrannte Rotte, alle
Die Drachenbrut hervor, all' das Gezücht,
Das aus der Schlangcnzähne Saat entspross . . .
Die Pest auch, die Ogyges Volk verschlingt,
Mit heisser Gier, kommt schreckhaft anzuschau'n . . .
Die blinde Wuth, das Grausen kommt an's Licht;
— — — — — — — — Der Jammer,
Der sich das Haar ausruft; die Ki'ankheit, die
Mit Müh' ihr mattes Haupt aufrecht erhält;
Das Alter, das sich selbst zur Last; die Angst —
Dies Alles stellt sich meinem Auge dar . . .
Wie luft'ge Nebel fliegen Geister nun
Umher, und athmen frei des Himmels heit're Luft.
So viel Laub streift der Herbst nicht ab vom Eryx ') !
So viel Wellen zeiget nicht
Das Meer Joniens, wenn Wind' es kräuseln ;
Nicht fliegen durch den herbstlich rauhen Himmel
So vieler Kraniche Geschwader, wenn
Sie vor des eis'gen Strymons starrem Frost
Und Norderschnee zum lauen Nilus zieh'n :
Als Haufen bannt herzu der Seher Ruf « . .
Die emporschwebenden Geister werden nun namhaft gemacht.
So manche Pinselstriche hat der grosse Florentiner aus diesem
Geister-Nachtstück für seinen Inferno benutzt. AlF die Schatten
ziehen dem des Lajus voran:
Nun endlich hebet er auf öftern Ruf
Sein schambedecktes Haiipt, und stellt sich weit
Weg von dem andern Trupp, und birget sich —
Der Priester bannt ihn, häuft Beschwörungsweisen,
Bis Lajus das vermummte Angesicht
Enthüllt. — Mich schaudert, nun ich's melden soll.
Da steht es blutbespritzt am Leib, graunvoll
Zu schaun, das Haar bedeckt mit scheusslichem
Moder, und spricht aus zornerglüh'udem Mund:
0 du des Cadmus unnatürlich Haus,
Das stets im Blute der Verwandten schwelgt ! . . .
In Theben ist die schlimmste Missethat
Die treue Liebe einer frommen Mutter. —
0 Vaterland ! dich stürzt nicht Götterzorn ;
Ruchlose Missethat ist dein Verderben!
1) Berg in Sicilien.
Creuii und Lajus. Eine Haiiili^-Studie. 457
Des Austers ') toclesschwang'res Wehen nicht,
Der Erde Dürre nicht, die brennend lechzt
Nach lang entbehrtem Regen, tödtet dich:
Der König thut's, der blutbefleckte, der
Zum Preis für wilden Mord das Scepter trägt!
Der sündhaft seines Vaters Eh'bett schändet . . .
Dich, dich, der du in blut'ger Mörderhand
Das Scepter hältst, wül ich, dein Vater selbst.
Der ungerächt im Grabe liegt, verfolgen! . . .
Ausrotten wül ich das blutschänd'rische
Geschlecht, dein ganzes Haus zermalmen
Durch unnatürlich grimmen Bruderkrieg. —
Ach! treibt aus euren Marken ihn hinaus,
Den König treibt in Landsverweisung fort! . . .
Mühsal, Verderben, Jammer, Pest und Tod
Sind sein Gefolge, würdig solches Herrn:
Sie ziehn mit ihm hinaus ....
Fürwahr keine unwürdige Studie zu Hamlet's Scene mit sei-
nes Vaters Geist auf der TeiTasse. Wenn Lajus' Erscheinung nur
so gut motivirt wäre, wie die des alten Hamlet! Auf das rich-
tige Motiviren, die Zauberformel der dramatischen Composition,
darauf verstand sich eben der Kömer nicht, und seine ganze
Schule nicht. Ueber diesen Geisterzwang gebot kein tragischer
Geisterbanner so unumschränkt, so zaubermäclitig — das rechte
Wort, zur rechten Stunde, am rechten Ort und auf die rechte
Weise gesprochen — keiner, seit Aeschylos, wie der grosse Hexen-
meister aus Stratford am Avon. Besass der Römer niu- einen
Hauch davon, er liätte, nach diesem Berichte, nicht jenes Ver-
dächtigungsmotiv angebracht, das Sophokles gleich anfangs zu
Hülfe nimmt, um ein neues und kunstvolles Streiflicht auf die
Verblendung des Oedipus zu werfen, der sich bis zur Anklage
des Creon und bis zu dem Vorwurfe einer im Einverständuiss
mit dem Priester gegen ihn gezettelten Verschwörung hinreissen
lässt. Er hätte nicht, nun erst hinterdrein, nach allen diesen
Zwischenfällen, in der ersten Scene des vierten Actes, den Oedi-
pus, wie zufällig, sich des Zusammentreftens auf dem Drei weg
erinnern lassen, worüber ihm Creon bereits am Anfange des zwei-
ten Actes die nöthige Auskunft ertheilt hatte.
1) Südwind.
458 D^s römische Drama.
Kaum hat sich Oedipus auf den Dreiweg besonnen, fliegt
ihm die Katastrophe, wie ein Steinhagel, an den Kopf und schlägt
ihm blutige Löcher; kommt der Bote auch schon aus Korinth;
stellt sich der bewusste Hirt ein, — Schlag auf Schlag, wie bei
Sophokles. Nur läuft Oedipus bei diesem nicht mit einem sol-
chen Tiradenschwall in den Palast, um sich die Augen auszu-
stechen ; nur dass Sophokles nicht noch zuletzt, nach dem Boten-
bericht, der die Selbstblendung meldet, die Jocaste mit dem Oedi-
pus zusammenbringt, damit diese über dessen Gemahl-Sohnschaft
noch nachträglich die selbstverständlichsten Lamentationen an-
stimme, und sich darauf mit dem ihm entrissenen Schwerte todt-
steche.
Diese letzte tragoedia crepidata unseres Kömers soll, dem
Qu. Sept. Florens zufolge, mit der Thebais eine Trilogie gebildet
haben. Nichts fehlte dem Oedipus aus der Thebais zum vollen
Anspruchsrechte auf den Posten des dreiköpfigen Cerberus, falls
die Stelle vacant würde, als eine solche trilogische Dreigestalt.
Es müsste ihn denn als ungeeignet für die Stelle der gänzliche
Mangel jenes Sinnes für Maass, Amphionische Kunst und Har-
monie erscheinen lassen, den der römische Dichter am Cerberus
in der Ode an Mercur ^) preist, dessen lieblichem Lautenspiel
selbst das dreiköpfige Ungethüm wedelnd lauschte:
„Selbst des Orcus scheusslicher Hüter wich den
Schmeichelnden Lauten,
Ob sein Haupt schon furiengleich von hundert
Schlangen war umzischet, und wilder Geister,
Gift'ger Pesthauch grässlich eutfloss dem dreige-
Ztingelten Rachen.
Von allen hier aufgezählten Qualitäten legte unser thebaischer
Oedipus befriedigende Proben ab, bis auf den empfänglichen Sinn
und das musikalische Gefühl für Antigone's liebkosende Besänfti-
gung, süss und lieblich wie die Lautenklänge, womit ihr Urahn,
Amphion, Steine und Blöcke herbeilockte, dass sie zu Thebens
Mauern sich rhythmisch ordneten und fügten.
Die letzte, dem Seneca zugeschriebene Tragödie, Octavia,
hat vor seinen Crepidaten die Mei-kwürdigkeit voraus, dass sie die
einzige erhaltene tragoedia practexta ist, eine solche nämlich, in
1) Hör. Od. 111, II. V. 17 ff.
OctaAia. 459
welcher römische Personen aus der römischen Geschichte auf-
treten. Ein besonderes Interesse mag die Octavia auch durch
das Personenverzeichniss erhalten, das unter seinen Figuren den
Kaiser Nero anfuhrt, die ßuhlerin Poppaea Sabina, mit wel-
cher sich Nero vermählt, und um derentwillen er seine tugend-
hafte Gemahlin Octavia, Tochter des Kaisers Claudius und der
Messalina, verstösst und später ermorden liess. Ferner kommt
Seneca selbst im Stücke vor. Auch erscheint Agrippina's
Schatten, der Mutter Nero's, die er von seinem Flottenadmiral
und Leibheuker Anicetus, hatte ermorden lassen, demselben, wel-
cher auch das Haupt der von ihm auf der Insel Pandataria grau-
sam ermordeten Octa\1a der Poppaea überbrachte. Doch schliesst
unsere Tragödie blos mit Octavia's Verstossung. Ausserdem ist
das Trauerspiel mit zwei Ammen versehen. An Rath und That
kann es ihm daher nicht fehlen. Dass Seneca darin auftritt,
möchte schon an sich ein Grund seyn, ihn nicht für den Dichter
des Stückes zu halten; davon abgesehen, dass darin auf Ereig-
nisse angespielt wird, Nero's Ende z. B., die sich erst nach Se-
neca s Tode zutrugen. Die Octavia wird denn auch, wie schon
erwähnt, von fast sämmtlichen Kunstrichterii, nach Vorgang des
Justus Lipsius, in eine spätere Zeit, in die des Trajan, gesetzt.
Einer zweifelhaften Stelle bei Priscian zufolge ') soll auch C. Cil-
nius Maecenas, des Augustus berühmter Staatsminister und Stamm-
vater des Mäcenenthums, eine Octavia geschrieben haben. Was
für eine Octavia, ob überhaupt eine Octavia, und ob nicht bei
Priscian, statt „in Octavia", „in Octavo" zu lesen, und mehr der-
gleichen Quisquilien, mögen die Fachgelehrten unter einander
ausmachen. 2) G. J. Vossius '■*) hat sich den Geschichtschreiber L.
Ann. Florus (2. Jalirh.; zum Dichter unserer Octavia ausgesucht
auf gut Glück. Eine praetexta, deren Held Nero selbst war, die
Tragödie Domitius Nero^) von Curiatius Maternus, hat schon
oben Ei-wähnung gefunden. Von demselben C. Maternus wird
noch eine andere Trag, praetexta, sein Cato. in Tacitus' angezo-
gener Schrift hochgepriesen. ^)
1) X, c. 8. 47. 1). 'J02if. Putsch. — 2) Vo-1- Ni^ukirch. De fab. tog.
Rom. p. OOff. — :\) Ct. Vossius. 4) Tacit. de Oratt. 1. c. 3. 11. ■>) Das.
c. 2. 3. 9.
460 ^^^ römische Drama.
Unsere Tragödie leitet Octavia mit einer Klage ein, die sie
in ihrem Brautgemache über ihr und ihres Hauses Missgeschick
hält. Das eiserne Inveutarium der römischen Tragödie, die Amme,
hat sich schon eingefunden und entrollt, in einem Wechselgespräch
mit ihrem Pflegekind, die Kette von Gräueln, die über die kai-
serliche Familie die Nemesis verhängt. Neio's Portrait zeichnet
Octavia nach dem Leben. Die schrecklichen Himmelszeichen,
Meteore und Kometen habe er, der Wütherich, auf dem Ge-
wissen :
Ha sieh'! des Wütherichs Hauch verpestet selbst
Des Himmels reine Luft; denn neue Schrecken
Verkünden die Gestii'ne allen Völkern,
Die der fluchwürdige Tj'raun beherrscht.
So wild war Tjijhon nicht, der frech den Zeus
Gehöhnt . . .
Der ist ein scheusslicheres Ungethüni,
Er ist der Götter und der Menschen Feind;
Aus ihren Tempeln die Unsterblichen,
Aus ihrer Heimath treibt er Bürger fort.
Dem Bruder hat das Leben er geraubt.
In seiner Mutter Blut die Hand getaucht;
Und schauet noch das Licht des Tages? Lebt noch?
Sein Athem darf noch diese Welt verpesten?
Erhabner Göttervater, ha! warum
Wirft deine Rechte, die das Weltall lenkt,
Dein Glutgeschoss an dieses Sünders Haupt
Machtlos vorbei? . . .
Die Amme ist mit Allem einverstanden, vergisst jedoch ihr Be-
schwichtigungsgeschäft keineswegs und warnt und rathet und er-
mahnt, was nur eine Amme warnen und ermahnen kann, bis der
Chor eintritt, worauf sich beide zurückziehen. Das Geschlecht
des Cliors bleibt zweifelhaft. Er preist die Tugenden der alten
Römer, vergleicht sie mit den Schandthaten Nero's und rühmt die
Sittenreinlieit der Kaiserin Octavia, die er der Rhea Sylvia und
Lucretia an die Seite setzt.
Mit ähnlichen Betrachtungen fühlt Seneca in einem Selbst-
gespräch den zweiten Act ein, neben den zwei Ammen, die dritte,
als welche er sicli auch, in der näclisten Scene mit seinem Zög-
ling Nero, durch die dargereichte von der Milch der Philosophie
strotzende Brust legitimirt, aus welcher der Philosophen-Säugling
Octavia. Drei Amnieu. 461
aber nur Draclieiiblut schlürft, vermischt mit Blut und Eisen.
Nero selbst wird gut exponirt. Er kommt, mit dem Präfecten iu
Gespräch begriflfeu, aus dem Palaste:
Nero. Vollziehe den Befehl, lass Plautus schnell
Und Sulla tödten und ihr Haupt mir bringen —
Sein erstes Wort! Der beste Dramatiker konnte seinen Nero
nicht trefflicher einführen. Der Präfect entfernt sich, den Befehl
zu vollziehen. Seneca schreitet vor:
Seneca. Nicht zieuit's, so rasch Verwandte zu verdammen.
Nero. Leicht mag gerecht sein, wer nichts hat zu fürchten.
Seneca. Die beste Schutzwehr gegen Furcht ist Milde.
Nero. Den Feind vertilgen ist des Herrschers Euhm.
Seneca. Der Bürger Leben schützen ist dem Vater
Des Vaterlandes ein noch schön'rer Euhm.
Nero. Nur Knaben mögen schwache Greise lenken.
Seneca. Des Jugendalters Feuergeist bedarf
Noch mehr wohl des erfahrnen Mannes Rath.
Nero. Doch ich bin alt genug, mir selbst zu rathen.
Seneca. Stets mög' dein Thuu den Göttern Wohlgefallen.
Nero. Ein Thor war' ich, wenn ich die Götter scheute;
Ich selber kann ja Götter mir verschaffen.
Seneca. Drum scheue sie, weil du so mächtig bist . . .
Nero. Nur Memmen wissen nicht, wie viel sie dürfen.
Seneca. Was recht ist thun, nicht was man darf, bringt Ruhm.
Nero. Mit Füssen tritt der Pöbel bald den Mann,
Der schwach im Staube kriecht.
Seneca. Den Stolzen aber
Wirft in den Staub des Volks gereizter Grimm.
Nero. Den Fürsten schützt die Macht.
Seneca. Mehr noch die Treue.
Nero. Der Kaiser sej' gefürchtet.
Seneca. Und geliebt.
Nero. Sie sollen vor mir zittern,
Seneca. Doch was man
Erzwinget, bringt dem Zwinglierrn stets Gefahr.
Nero. Gehorchen sollen sie.
Seneca. Gebeut, was Recht ist!
Nero. Mein Wille ist Gesetz.
Seneca. Wenn ihn das Volk genehmigt.
Nero. Die blanken Schwerter werden sie schon zwintjen . . .
462 Das römische Drama.
Wackere Amme! „Wenn ihn das Volk genehmigt". Auf dieses
„Wenn" steifen sich eben die Nero's mit ihren Tigellinen, Anice-
ten und Präfecten. Wenn das Wenn des Volkes kein Aber hätte ;
gute Amme! dann gab' es keine Nero's und brauchte es keiner
Seneca's weder in der Antichambre noch in der Chambre; keiner
Seneca-Amme, weder im Vorsaal noch in der Kammer, mit strotzen-
den Kode- und Milch-Säcken; letztere von der Milch des nervus
rerum strotzend. Am Wenn liegt Alles, gute, weise Amme!
Sonst würde auch Nero, im Hinblick auf besagte Säcke, nicht sei-
ner Nähr-, Lehr-, aber nicht Wehr-Amme v. 583 zu tiberlegen geben:
Exprimere jus est, ferre quod nequeunt preces:
Zu deutsch:
Auspresst man Säcke, die nicht willig spenden! —
Mit Eisenhandschuhen aus! dass die Wenn und Aber in der
Kehle stecken bleiben, denn:
Nero. Da ist die Herrschaft schlecht bestellet, wo
Des Pöbels Wille lenkt des Fürsten Thun.
Seneca. Doch kann das Volk vom Fürsten keinen Wunsch
Erlangen, ist sein Unmuth wohl gerecht . . .
Nero. Den Fürsten zwingen woll'n, ist Hochverrath.
Seneca. Drum geh' er selber nach.
Nero. Dass ihn besiegt
Vom Pöbeltrotze schildere der Ruf? . . .
Nicht nachgeben - das ist die Erbweisheit der Neronen, Tigel-
linen und Präfecten. Zu diesem Acte fehlt der Chor, der auch,
nach einer solchen, durch alle Zeiten sich fortschlingenden gehei-
men Cabinets-Scene von welthistorischer Bedeutung, mit seinem
Wenn und Aber übel angezogen käme.
Der dritte Act lässt Agrippina's Schatten die Charontische
Stiege emporsteigen mit Brautfackeln ftir Nero und Poppaea in
beiden Händen. Sie prophezeiht Nero's baldiges Ende in einem
für die kurze Frist, die sie ihm schenkt, viel zu langen Mono-
loge, der nur, als lebensverlängerndes Mittel, dem Wtitherich sein
qualis artifex pereo stundet und hinhält. Ein desto rascliores
Ende macht Octavia sammt Chor dem Act selber, unmittelbar
nachdem der Schatten der Kaiserin-Muttei- verschwunden, deren
flucliwürdigstes Verbrechen war, der Welt einen solchen Sohn
Octavia. Poppaea Sabiiia. 46;^
gescheukt zu haben. Octavia tröstet den Chor und heisst ihn
hemmen der Tliräuen Lauf.
Dass euer Mitleid,
Die Liebe zu iiiii-,
Nicht reize des Herrschers
Furchtbaren Zorn . . .
Der allein gelassene Chor lässt sich aber nicht irre machen, und
beweint ihr Leid und erhebt laute Klage über das stumpfe „Wenn"
des Volkes, worauf sich Seneca vorhin bezogen:
Wo ist des Römer- Volks
Dereinstige Kraft?
Herrliche Helden
Hat oft sie gebeugt;
Aufrecht hielt sie
Die Rechte der Vaterstadt,
Der nimmer besiegten ;
Würdigen Bürgern
Gab sie die stolzen
Machtgebäude ;
Schaltete über Frieden und Krieg;
Zähmte den Uebermuth
Unbändiger Völker,
Schlug in Fesseln
- Mächtige Könige —
Nicht alle! Und die Kaiser gar, die Hess sie schalten und wal-
ten, „die dereinstige Kraft des Römervolkes", die sie vor Allen
an die Kette hätte legen sollen.
Verstört durch einen Schreckenstramii in der Brautnacht,
stürzt Poppaea Sabina aus ihrem Brautgemach, Amme IL hin-
terher. Poppaea's Amme sucht das aufgeregte Gemüth ihres Pfleg-
lings durch eine günstige Auslegung des Traums zu beruhigen.
Poppaea's frommes Herz kann aber Trost nur im Tempel bei den
Göttern finden, denen sie reiche Opfer zu weihen dahineilt. Ein
Bote bringt dem Chor die Schreckensnachricht von einem Volks-
aufruhr. Das Wenn liat Nero's Willen nicht als Gesetz geneh-
migt; es hat sich empört und kämpft wofür? für seine Rechte?
Nicht doch: für die elielichen Rechte seiner Kaiserin. Weiter
bringt das Wenn es nicht in der kaiserlich römischen Praetexta.
464 Das römische Drama.
Auch sein Vertreter nicht, der Chor, der in der römischen Tra-
gödie ans jener grossen Clottesstinime, dem Volksgewissen, das der
griechische Chor vorstellte, zum geheimen Cabinets-Chor verhotzelt
ist, um späterhin ganz und gar zum geheimen Cabinets-Rath, dem
Vertrauten der französischen Tragödie, einzuschwinden, der bekannt-
lich nichts ist als der Schatten an des Helden Achilles-Ferse. Im
Sinne einer solchen Umwandelung nimmt denn auch unser Chor
die Meldung des Boten auf, und singt kleinlaut: „Thörichtes Volk!"
„Vergeblicher Kampf— wogegen? „Gegen die Pfeile Cupido's!"
Gegen die Spiesse und Schwerter der Prätorianer, meint er im
Stillen, traut es sich aber nicht über die Lippen zu bringen, und
besingt die Allmacht von Amors Pfeilen, die allein im Stande,
selbst einem Nero die Spitze zu bieten. Der Chor singt zugleich
das Wiegenlied der französisch-classischen Tragödie, deren höchste
Tragik in die Spitze von Amors Liebespfeil ausläuft. Die römi-
sche Praetexta ist die Ahnmutter der Palast- und Cabinetstra-
gödie, wo die Volksstünme sich in die von Diderot's Bijoux in-
discrets umsetzt.
Kaum hat der Chor mit seinem Cupido-Liedchen den vierten
Act beendet, meldet schon der fünfte durch den Mund des Prä-
fecten dem Nero die Niederschlagung des zur Vertheidigung von
Octavia's ehelichem Lager entbrannten Volks-Strassenkampfes. Der
Kaiser aber schnaubt wie ein wüthender Tiger nach Octavia's,
seiner Halbschwester und Gattin, „verfluchtem Haupt."
Caedem sororis poscit et dirum caput,
wenn der Präfect seinen Kopf behalten wül. Nero geht in den
Palast, der Präfect nach dem Kopf. Schon schleppen die Prätoria-
ner die Kaiserin Octavia herbei, um sie auf dem Todesschifte der
Agrippina nach der Verbannungsinsel Pandataria ') zu Schäften, dem
Guienne für römisclie Kaiserinnen, mit Ausnalmie der Köpfe jedoch,
die von der Verbannung ausgeschlossen waren und die der Präfect
der Leibwache den Kaisern zurück nach Rom brachte. Der Chor
giebt der Octavia folgenden Geleitssegen auf den Weg:
^ . Linde Lüfte,
Säuselnde Zephyre . . .
1") An der Küste von Latiuni, jetzt Lsola Vandotina.
Die Metra des Seneca. 465
Tragt sie, — wir flehen,
Zum Tempel der drei-
Gestaltigen Göttin ! (Hekate = Diana)
Mensclüicher ist
Der Strand von Aulis
Und Tauris, das Land
Roher Barbaren,
Als unser Rom.
Dort wird der Fremdling
Der Göttin geopfert;
Rom schwelgt im
Blute der Römer!
Damit schliesst die letzte der römischen Tragödien und die ein-
zige auf die Nachwelt gekommene Tragoedia praetexta, vom Pur-
pursaume der römischen Toga so genannt, den auch diese prae-
texta im Saume ihres Schlussverses »zur Schau trägt.
Ein Wort noch über die Metra des Tragikers Seneca,
die Max Hoche in einer schon citirten, verdienstlichen Schrift
behandelt. Hoche analysirt die Versformen in den Tragödien des
Seneca nach den drei Giiippen: jambische und trochäische Verse
(ysvog dinläoior); daktylische und anapästische {ysvngl'oni'); die
aus beiden gemischten fdie logaödischen Verse). Um ein Bei-
spiel zu geben, wie kundig der Verfasser den metrischen Inten-
tionen des Tragikers nachspürt, die von frühern Philologen nicht
genugsam berücksichtigt worden, wollen wir Einiges aus der Schrift
mittheilen. S. 10: „Ausser dem jambischen Trimeter fSenarius}
finden sich nur wenige Formen jambischer Verse (akatalektische
und katalektische Dimeter z. 13.) Agam. v. 75S — 765. Medea v.
852—67. S. 11: „In der Medea v. 772—87 sind je zwei jam-
bische Verse zu der Strophe verbunden, welche auch Horatius in
den Epoden I— X angewandt hat. Hier geht die wuthentbrannte
Medea in der Scene, wo sie die Götter der Unterwelt beschwört,
und die verderblichen Geschenke bereitet, von Trochäen, worin die
Beschwörung stattgefunden hat, zu Jamben über, in welchen sie
die Wirlcung der Bescliwörung, daini zu der jambischen Strophe,
in welcher sie die verhängnissvollen Geschenke selbst beschreibt,
und das Gift, welches sie enthalten; zuletzt schliesst sie mit einem
längern anapästischen Systeme dieses Canticum."
II. 30
466 Das römische Drama.
S. 13: „Sehr gern und fast immer hat Seneca im Dialog,
wenn kurze und schnelle Wechselreden geführt werden, den Per-
sonenwechsel in die Cäsur verlegt, sowohl nach der Thesis des
dritten, als des vierten Fusses." Etwas Aehnliches werden wir
bei den Spaniern und Franzosen finden.
S. 17: „Schon auf den ersten Anblick der Zahlen" (Schema
S. 14— 16j „zeigt sich, dass der Dichter vorzugsweise gern die
dreisilbigen Füsse angewandt hat." . . . „Ein Vers, welcher sechs
Jamben enthielte, findet sich bei Seneca nicht, viehnehr sind
au den ungleichen Stellen die Spondeen häufiger als die Jamben.
S. 18: „Am häufigsten sind die Verse so gebaut, dass an den un-
geraden Stellen der Spondeus, an den geraden der Jambus steht."
(Der Vorschrift gepiäss: Spondaeos stabiles in jura paterna recepit
Commodus et patiens, non ut de sede secunda Cederet aut
quarta socialiter ') . . . „Nahm (der Jambus) spondeische, fest-
auftretende Füss' er in's Erbreich, Gütig verträglichen Simis ; nur
nicht vom zweiten und vierten Platze zu weichen bereit, aus Ge-
fölligkeit.") S. 20: „An den ungleichen Stellen (des Trimeter oder
Senarius) hat Seneca alle drei Füsse, den Tribrachys, Daktylus
und Anapäst zugelassen."
In Betreff der chorischen Versmaasse bemerkt Hoche (S.
36): „Der bei weitem grössere Theil der Chorlieder in den Tra-
gödien Seneca's besteht aus Anapästen, nur sehr vereinzelt finden
sich Daktylen, öfter logaödische Verse, namentlich Asklepiadeen,
Glykoneen und der Sapphicus minor . . . Gemischte Chorlieder
finden sich nur in zwei Stücken, dem Oedipus und Agamem-
non." S. 38: „Die einzigen Formen (daktylischer Versmaasse),
welche Seneca angewandt hat, sind der Tetrameter und der Hexa-
meter, der erstere akatalektisch, der letztere katalektisch." S. 44:
„Aus dieser Uebersicht (Schema S. 44) ergiebt sich zugleich, wie
bei weitem überwiegend der Gebrauch beider Freilieiten (Hiatus
und Syllaba anceps am Schluss und in der Mitte der Periode) in
der Octavia ist, verglichen mit ihrem Vorkonnnen in den an-
dern Stücken, wenn auch freilich in der Octavia, deren Chorlieder
1) Hör. A. P. V. 256 ff.
T)ie Meti-;i als Kriterium der Tra.uiklieu. 467
einzig uiul allein aus Anapästen bestehen, die Zahl der anapästi-
scheu Dimeter grösser ist, als in den übrigen Tragödien."
Aus diesen Verschiedenheiten der Versformen glaubt Hoche
in Bezug auf die Octavia folgern zu können, dass selbe spätem
Ursprungs. S. J : „Denn nicht nur dass die Kritik eine sichere
Handhabe an der festen Norm des Versbaus findet, dass früher
gebillig-te Lesarten oder gemachte Conjecturen sich nun als un-
haltbar nach den Gesetzen der Metrik ergeben, nein, auch über
Aechtheit oder Unächtheit, über das Alter und die Reihenfolge der
einzelnen Stücke erhalten wir oft schon durch die bei der Zu-
sammensetzung der Verse befolgten Gresetze bestimmten Aufschluss,
wie denn die gewöhnlich auch dem Seneca zugeschriebene Octavia
sich scholl durch die Form der Verse als später und von einem
andern Verfasser geschrieben herausstellt."
Auf eine solche, mit Hülfe dieses metrischen Kriteriums, die
Aechtheit oder Unächtheit und die Reihenfolge der Seneca'schen
Tragödien ermittelnde Untersuchung hatte die Schrift Hoffnungen
in uns angeregi, die leider unerfüllt geblieben. In Beziehung
auf dieses , wie uns scheint wichtigste Resultat seiner immerhin
verdienstvollen und dankenswerthen Abhandlung vertröstet uns
HeiT Hoche, nachdem er noch des gründlichsten und ausführlich-
sten die dritte metrische Gruppe : die logaödischen Verse und die
Chorlieder, erörtert, am Schlüsse seiner Schrift auf eine spätere
Mittheilung. S. 87: „Trotz der äussern Verworrenheit ergiebt
sich also doch, dass Seneca nicht ohne Gefülil für die Gesetze der
Metrik bei der Bildung der Chorlieder zu Werke ging, in den
frühern Stücken strenger, in den si)ätern lässiger, ganz wie im
Bau des Trimeter. Ja das strophische Gesetz ist einmal in dei'
Medea streng durchgeführt; im ersten Chorliede des Oedipus ist
die Gesetzmässigkeit der Bildung nicht zu verkennen, und nur
in den drei übrigen (Jhorliedern scheinen die Spuren einer von
dem Dichter befolgten Regel sich nicht zu zeigen. Ob nun solche
auch in diesen Versgruppen aufzufinden sey und auf welche Weise,
darüber wage ich bis jetzt noch nicht zu entscheiden, behalte mir
vielmehr diese Frage, so wie die Ergebnisse der mitgetheilten
metrischen ResultLite für die Kritik der Tragödien und für die
Bestimmung des Dichters der einzelnen Stücke sowie ihrer zeit-
lichen Aufeinandeifolge für eine spätere Mittheilung vor."
4yg Das röiuisohe Diaiua.
Bis jetzt sind, für uns wenigstens, dieser Vorbehalt und diese
spätere Mittheilung calendae graecae und der Messias der Juden
geblieben. Im Hinblick auf den letztern, geben wir daher auch
die Hoffnung nicht auf, dass die vorbehaltene Frage keine offene
bleiben, und dass der späteren Mittheil ung ein Tag der Erfüllung
erscheinen wird.
Die römische Komödie.
Wie bei der Tragödie unterscheidet man bei der Komödie
der Kömer zwei Hauptformen: Comoedia pal li ata, wo Fabel
Personen und Costüm von der griechischen Komödie entlehnt
sind; Comoedia togata, welche römische Sitten darstellte und
worin Eömer im römischen Bürgerkleide auftraten. Der Comoe-
dia palliata entspricht, für die Tragödie, die crepidata, der Comoe-
dia togata die Trag, praetexta. Die Com. togata zertiel wieder
in die eigentliche togata: das feinere römische Lustspiel, worin
die Hauptfiguren Personen aus den gebildeten Ständen der Rö-
mer vorstellten. Eine Unterart der togata bildete die Com. ta-
bernaria, die Leben und Sitten der niedern Stände schilderte,
sich um die Angelegenheiten und Familieuereignisse der sogen,
„kleinen Leute'', Handwerker u. dgi. bewegte, und in deren Häus-
lichkeit (tabernae) spielte, i) In der tabernaria, bemerkt der Gram-
matiker Diomedes"^), wurden Leute niedrigen Standes in ihren
vier Pfählen eingeführt. Die Komödien hiessen Tabernarien, weil
die Wohnungen solcher Leute früher mit Schindeln gedeckt waren
(quae quod olim tabulis tegerentur, coramuniter tabernaria
vocabanturj. Aehnlich erklärt Isidor^) die Benennung: Taber-
nae olim vocabantur aediculae plebeiorum parvae et simplices, in
vicis asseribus et tabulis clausae.
Eine Mittelgattung zwischen der Com. tog. und tabern. erfand
C. Melissus, Freigelassener des Maecenas und Oberaufseher der
Bibliothek in der Halle der Octavia (porticus Octaviae). Melissus
1) J. H. Neukirch, de fabula togata Rom. Lips. 1833. p. 38 f. — 2)
ni, p. 487. Putsch Rhab. Manr., de arte grammat. Opp. T. 1 p. 47 ed.
Colon. - 3) Origg. XV. 2
470 ^^^ römische Komödie.
nannte seine mittlere Komödie Com. trabe ata, von der trabea,
einer eigenen Art toga, dem Festgewande der Consnln. Augnru,
insbesondere des Ritterstandes (equites), das die Ritter bei
feierlichen Aufzügen tragen; z. B. bei der solennen, jährlich am
15. Juli abgehaltenen Processiou, wo die gesammte Ritterschaft
zu Pferde nach dem Capitolium hinaufzog; oder bei Gelegenlieit
jener alle fünf Jahre veranstalteten Musterschau, wobei die Ritter-
schaft vor dem Censor vorübemtt (transvectio). ^) Da sich keine
Spur von einer solchen trabeata erhalten, hatten die Ausleger ein
weites Feld zu den verschiedensten, einander widersprechenden
Vermuthuugen. Cuperas, in seinem Commentar zu Sueton's de
illustr. Gramm. XXI. hält die trabeatae für Tragödien, trotzdem
Sueton au derselben Stelle den C. Melissus als Dichter von Possen
und Mimen erwähnt flibellos ineptiarum, qiü nunc Jocorum
inscribuntur, componere instituit, quibus et mimos diversi operis
postea addidit. Fecit et novum genus togatarum, inscripsitque
trabeatas. Ger. Jos. Vossius mll in der Trabeata ein den
Prätextaten, den römischen Tragödien, verwandtes Drama erkennen.
Uns scheint Neukirch das Richtige zu treffen, der die Trabeata
den Komödien beizählt mit Berafung auf Ovid's Dj^stichon^):
Musaque, Turrani, tragicis innixa cothuniis.
Et tna cum socco Musa, Melisse, le^-is.
„Turran's Muse sowohl, hinschreitend auf tragischem Hochschuh,
Als auch die deine, MeUss', leicht auf dem Soccus bewegt.
Die Trabeata wäre demnach eine Ritter -Komödie, eine
Komödie des Mitelstandes, welche, wie der Ritterstand die
Mitte hält zwischen dem Patriciat und Gemeinvolke, eine Zwi-
schenstellung einnähme, zwischen der Senatoren-Komödie (Com.
togata), die unserem feinen Lustspiel entspricht, und der taber-
naria, dem Plebejer- oder niedrigen Lustspiel. Von diesen drei
Formen hat man wieder dieAtellana zu unterscheiden, mit den
stehenden oskischen Masken , die wir schon kennen; und die Mi-
men und die Planipedaria, die Flachfüssige, ohne Soccus ge-
spielte Volksposse, auf die vnx zurückkommen werden.
1) Suet. Oct. 33. Diou. Halic. Antiquität. Rom. VI, 13. Tacit. Ann.
III, 2. — 2) Ep. ex Pont. IV, 16. 30.
Die sieben Arten von römischen Komödien. 47 J
Der griechisch-römischen, von Plaiitus und Terenz vertretenen
Komödie (Com. palliata) schliesst sich die Ehintonica an, von
welcher schon gesprochen worden , nach Rhinton aus Tarent so
benannt, dem Erfinder der Hilarotragödie oder Tragikomö-
die, einer Travestie, worin Götter und mythische Könige in Ge-
meinschaft mit Dienern, Sklaven u. dgi. vorkamen. Plautus' Am-
phitruo, wie uns bereits bekannt, ist eine Nachbildung von Rhiu-
ton's gleichnamiger Komödie. Aehnliche Rhiutonische Komödien
haben auch die zwei vornehmsten römischen Atellanendichter, L,
Pomponius und Novius geschrieben, i) üebrigens ist diese trave-
stirende Komödie weit älter als Rhinton, und lässt sich bis auf
Epicharmos zurückführen.
Dies wären nun die 7 Arten von Komödien, welche der Ar-
chäolog Jo. Laur. Lydus (6. Jahrh. n. Chr.) aufzählt-): 'H zw-
fitodia Tef.ii'6TC(i elq etztci, elg n akkiccxav, Toydrav, dreX-
IdvTjV, TaßsQvaQ iav, '^Pivd^iovL/.r^v , nXavineöaQLav
■/ ai (-1 i^ii X r'j V.
Die Eintheilung der Komödien nach ihrer innern Beschaf-
fenlieit, wiefern nämlich die Charakterzeichnung oder die Ver-
wickelung der Intrigue übei-wiegt: in ruhig verlaufende Cha-
rakterstücke (Statariae;, in Intriguenstücke (motoriae; und
eine dritte aus beiden gemischte Abart (mixtae) — diese Unter-
scheidung ist eine allgemeine für die Komödie aller Zeiten und
Völker, und die insofern auch der römischen Komödie zukommt.
Als Aufführungszeit der scenischen Vorstellungen giebt
Donatus^) folgende römische Festspiele an: 1) die Megalenses,
die Megalensischen Spiele. Sie fielen in den April und waren
zur Feier des 549 d. St. in Rom eingeführten Cultus der grossen
Idäischen Mutter eingesetzt worden (Mater Magna Idaea, Cybele).
Bühnenspiele kamen aber zu den Megalensischen Festspielen
erst zehn Jahre nach deren Einführung, 559, hinzu. ^)
2) L. Funebres, Leichenfestspiele. An solchen wurden
zwar auch Bühnenstücke aufgeführt, wie z. B. die Adelphi und
die Hecyra des Terenz; weil die Funebres aber nur zufällig ver-
1) Munck a. a. 0. p. 85 ff. — 2) de Magistratt. reip. Rom. I, 40. -
3) de Com. p. LVIII tF. West. - 4) Ritschi, Parergon Plautüi. et Teren-
tian. I. Dissert. IV. p. 294.
472 , Die romische Komödie.
anlasste, keine regelmässigen Festspiele waren, streicht sie ßitschl
aus der Liste des Donat.
3) Liidi p leb ei, im November geleiert, zur Erinnerung an
den ersten Auszug der Plebs auf den heiligen Berg.
4) L. Apolliuares, die in den Juni fielen.
Von Donat abweichend, bestimmt Grysar^), als regelmäs-
sige scenische Feste: Die Ludi plebei, Megalenses, Ko-
ma ni ^magni auch maximi genannt; im September gefeiert) und
Fl oral es (April,; sämmtliche Feste, nach Grysar, der Oberauf-
sicht und Anordnung der -curulischen Aedilen überwiesen. Den
genannten zählt Grysar die ludi Apollin. bei, als regelmässige,
dem städtischen Prätor obliegende Festspiele, an welchen Theater-
stücke aufgeführt wm'den. Ritschi '^) beschränkt Grysar's Angaben
dahin, dass für die curulisclien Aedilen als Festspielordner und
Veranstalter mit Sicherheit nm- die Ludi Megal. und die L. Ro-
mani (magni und maximi) übrig blieben. Die andern, insbeson-
dere die L. plebei, fielen den plebeischen Aedilen, die Apolliuares
dem praetor urbanus zu , wie Spanheim bewiesen. ^) Auch die
Floralia, deren Veranstaltung anfangs den plebeischen Aedilen
zustand, und die sie erst später mit den curulischen Aedilen
th eilten, will Ritschi-*) aus der Zahl der regelmässigen Fest-
zeiteu für scenische Spiele ausgesondert, überhaupt für die erste
Hälfte des 6. Jahr, d, St. die L. plebei und Romaui als die bei-
den einzigen regelmässigen Theaterfeste angesehen wissen. ^)
Die Dauer der Feste stieg mit der Zeit von drei auf vier bis
fünf Tage, welche Verlängerung bei Livius durch instaurare be-
zeichnet wird. '^) Für die römischen Spiele (L. Romani magni et
max.) ist seit 387 d. St. eine viertägige Dauer anzunehmen. Im
Jahre 539 d. St. wurden an diesem Feste zum erstenmale vier-
tägige scenische Spiele von den curulischen Aedilen veran-
staltet.''; Die erste Aufluhrung des L. Andronicus fand um 513
statt. Ausser seinen Auftülirungen fällt auch der grösste Theil
1) Ueb. d. Zustand der röm. Büline im Zeitalter d. Cicero. Allgemeine
Schulzeit. is;}2. S. 342 flF. — 2) a. a. 0. p. 289. — 3) De praest. et usu
numismat. antiquor. p. 121 if. 140 ff. Lond. ij. Amst. 1706—17. fol. — 4)
Schubert, de Aedil. p. ISöf. - 5) a. a. 0. j). 27t). - 6) Das. Excurs. III.
p. 31:j. Liv. XXIV, 43.
Didaskalische Schriften. 473
der Naevianischen und ein kleiner Theil der Plautinischen Pro-
ductionen vor 539.
Ausser gewöhnliche jGelegenheitsfeste, an welchen auch
Bühnenspiele stattfanden, waren, nächst den Funebres, die L.
Votivi. 1) Ein solches Spielfest war z. B. jenes für die Gesund-
heit des erkrankten Augustus angelobte, welches durch Mimen-
spiele gefeiert wurde, worin die Mimentänzerinnen Lucceia und
Galeria Copiola wieder auftraten. Ferner die Ludi Honorarii,
von höhern Beamten zu Ehren ihres Amtsaustrittes veranstaltet. -)
Eine ähnliche Veranlassung hatten die Spectacula privata. 3) Zu
den ausserordentlichen Theaterspielen gehörten auch die von trium-
phirenden Feldherren gegebenen Ludi Scenici, dergleichen der
Praetor Anicius z. B. nach Unterwerfung Illyriens (586 d. St.)
gab ; Muramius nach Korinths Zerstöiimg. ^ )
Die didaskalischen Schriften der altern römischen Chro-
nologie theilen das Schicksal der griechischen Didaskalien : sie sind
sämmtlich aus unserem Horizont verschwunden, und nur aus An-
führungen der spätem Grammatiker bekannt. Varro's de Poetis,
nach dem Vorbilde von Aristoteles' Didaskalien verfasst, erwähnt
Cicero. ^) Desselben Varro Schriften de Scenicis originibus und
de actionibus Scenicis findet man bei Censorinus, Sosipater, Pris-
cianus und Servius angefülirt. Auf Attius' Bücher Didascalicon
berufen sich Gellius, Nonius, Priscianus, Charisius. Gellius nennt ^)
des Volcatius Sedigitus Werk de Poetis. Von Sueton existirte
eine dramaturgische Schrift de Poetis und eine de ludis et spe-
ctaculis. '') Der Lexikograph Photius ^) bezieht sich auf eine Ge-
schichte des Drama's von Rufius Ephesius. Aus Boulenger ■') und
Thes. antiqq. des Gronov. '") lässt sich die Liste dieser verlorenen
dramaturgischen Schriften noch vei-mehren. Man ist daher nur auf
zerstreute und unzulängliche didaskalische Notizen über die Auf-
fühmngszeit und Weise der Stücke, namentlich der Lustspiele von
Plautus und Terenz, beschränkt. Hierüber spricht Ritschi aus-
führlich N. IV der Parerga „Die Plautinisclien Didaskalien.'' Die
1) Plin. Vn, 49. — 2) Cic. divin. VU, 1. — 3) Suet. Nero 21. — 4)
Athen. XIV, 61.5 A. Tacit. Ann. XIV. 21. — ö) Brut. 1.5. Acad. I. 3.
- 6j XV, 24. — 7) Isid. Origg. VIU, 7. Suid. v. Toäyxvno;. Diom. 111.
p. 489. — 8) Cod. CLXI. — 9) de theatro I, c. 5. -- 10) T. IX. ]>. 1S3 ff.
474 ^^^ röiiiiscbe Komödie.
Reiliefolge im Verzeichniss der Didaskalieii giebt Ritschi, für Plau-
tinische und Tereuzianische Stücke, S. 267 an: 1) Dichter und
Titel des lateinischen Stücks. 2) Dichter und Titel des griechi-
schen Originals. 3) Festspiel der Aufführung. 4) Die Geber und
Besorger des Festspiels. 5) Hauptschauspieler und zugleich Di-
rector der Truppe. 6) Compouist (Modulator des Gesangstückes).
7) Musik-Gattung (bei Donatus z. B, für die Hecyra: modulatus
est eam Flaccus Claudius tibiis paribus u. s. w.). 8) Nummer
des Stückes in der Reihe der Werke. 9) Consuln des Jahrs. Un-
ter diesen Punkten scheint uns Nr. 5. der anziehendste für den
Leser. Wir theilen aus Ritsclü ') und aus Grysar ^) das Erforder-
liche mit.
Zugleich Hauptschauspieler (actores primarum) und Directoren
der Truppe ^duces gregis) waren beispielsweise Ambivius Tur-
pio und Attilius Praenestinus. Der Schauspielunternehmer
hatte eine Abschätzung des vom Dichter dem Aedil angebotenen
Stückes zu machen, dabei aber auch zugleich eine Gewährleistung
für -das Bülmenstück zu übernehmen. Den auf den Vorschlag des
Theaterunternehmers gezalüten Preis hatte dieser dem Käufer zu
erstatten, wemi das Stück durchfiel. Der Director war also zu-
gleich der eigentliche Unternehmer, der ausserdem für seine Lei-
stungen und die seiner TYuppe (gTex) mit dem Festgeber (Aedil)
Contract abschloss. 3) In Gegenwart des Aedilen wurde, nach
dem durch diesen geschehenen Kauf des Stückes, die Probe Vor-
stellung gehalten.^) Dem Dichter war also sein Honorar jeden-
falls gesichert. Den Betrag der Kaufsumme musste der Dux
greg-is (Schauspieldirector), der für den Erfolg des Stückes auf-
zukommen hatte, als Bürgschaftssumme (Caution) beim Aedil nie-
derlegen. Ein Stück, das nicht zu Ende gespielt werden konnte
und das der Dichter zurückzog, konnte dieser von andern Fest-
gebern (Aedilen), bei wiederholter Anbietung, sich noch einmal
bezahlen lassen. Dies war z. B. bei der ersten Aufführung der
Hecyra der Fall. Gelegentlich der zweiten Aufführung dieses
Stücks erinnert der Prolog^): Nun ist diess Lustspiel neu durch-
1 ) Excurs. VI. p. 327 ff. - 2) a. a. 0. S. 330 tf. — 3) Prol. Heaut.
48. Prol. II. Hecyr. 41. — 4) Prol. Eunuch, v. 2U ff. — 5) Prol. 1. Hecyr.
V. 5 ff.
Hauptschauspieler und Schauspieldirector. 475
aus, und der es schrieb verweigerte die Wiederauffiihrung, um
es abermals verkaufen zu können (Nunc haec plane est pro nova:
et is qui scripsit haue, ob eam rem noluit iterum referre, ut iterum
posset vendere;. Als merkwürdiges Beispiel einer abermaligen
Honorarzahluug an den Dichter wird von Douat die, bei Wieder-
holung des Eunuchus, dem Dichter ^Terenz) dafür bezahlte ausser-
gewöhnliche Summe von 8000 Sestertien (etwa 200 Thalerj an-
geführt. Dieses Lustspiel hatte einen so gi-ossen Erfolg gehabt,
dass es zum zweitenmal verkauft und als eine neue Komödie
gespielt wurde (acta est tanto successu ac plausu atque suffragio,
ut rm'sus esset vendita et ageretur iterum pro nova). Diesen Fall
betrachtet Ritschi als Ausnahme und meint, dass in der Regel
die Stücke, nach einer ersten erfolgreichen Aufführung, dem Un-
ternehmer als Eigenthum verblieben, welcher dann aber auch den
Schaden misslungener Aufführungen zu tragen hatte. Für ge-
wöhnlich war also der Dichter mit der einmaligen vom Unter-
nehmer an ihn bezahlten Summe ein für allemal abgefunden. In
dem zweiten Prolog zur Hecyi'a spricht Ambivius Turpio nicht
als Schauspieler von sich und seiner Wirksamkeit, sondern offen-
bar als Schauspieldirector: „Er ist es, der durchgefallene neue
Stücke (novas exactas, von exigere, auszischen der Stücke) doch
noch zu Ehren gebracht. Er war es, der namentlich die mit
Ungunst aufgenommenen Komödien des Caecilius (Caecili novas),
ohne sich abschrecken zu lassen, immer wieder von neuem auf
die Bühne brachte, damit nicht der Dichter aus Verdruss sich
ganz zurückzöge und dem Theater verloren ginge, und er sey es,
der es endlich auch durchgesetzt, jenen (Caecilius) zu einem Lieb-
ling des Volkes zu machen (poetam restitui in locum), und er
auch, der jetzt die Hecyra wieder dem Publicum vorführe. Letz-
tere Komödie hatte jedoch abermals Unglück, und wiederum aus
Anlass äusserer Stömng. i) Nur der erste Act konnte zu Ende
gespielt werden. Damit verlor sie den Anspruch, bei einer dritten
Wiederaufführung für eine nova zu gelten. In dem zweiten Pro-
log (v. 29) hiess es noch: vetere in nova cöepi uti cousuetudine.
Aber von Hecyra HI sagt der Prolog ganz einfach: Hecyram ad
vos refero. '^)
i) Prol. II, :i(iff. — 2) Prol. 21.
476 I^i*' römische Komödie.
Ueber den Director und Schauspieler Ambivms giebt Ritschi
folgendes der Beherzigung jetziger Theaterdirectoren empfehlens-
werthes ürtheil ab ^) : „Vom Ambivius bezeugt aber diess einen
grossartigen Sinn, dass er, statt Stücke zu wiederholen, deren Glück
schon gemacht war, eine Ehre darein setzte, guter Dichter nicht
anerkannte Werke zur Anerkennung zu bringen."
Das Canticum, jenes zur Flöte vorgetragene und vom
Schauspieler durch Tanzgeberde ausgedrückte Gesangstück, wovon
oben schon gehandelt worden, ist, mit Eücksicht auf die Komödie,
durch die Zeugnisse der alten Grammatiker gegen den Zweifel
und Widerspruch sicher gestellt, welche neuere Kritiker gegen
das Canticum in der Tragödie geltend machten. Allein selbst in
Seneca's Tragödien treten die Gantica deutlich hervor. Im Thye-
stes z. ß. V, 2. Hippolyt. I, 1. Medea IV, 2. Octavia I, 1. u. Sc.
3. u. a. m. Diese Cantica können sogar einen Beweis mehr da-
für abgeben, dass auch die Tragödien des Seneca für die Dar-
stellung gedichtet waren. Nacli Grysar-) wären die Cantica in
der Tragödie noch häufiger angewendet worden, als in der Ko-
mödie. Er beruft sich auf die pressi et flebiles modi der
Cantica, bei Cicero ^\ und carmina modis lugubra ^) ; Bezeichnun-
gen, die nm- vom Canticum einer Tragödie gelten können. An
einer andern Stelle '") weist Cicero recht deutlich auf ein in der
Ti-agödie Antiopa des Pacuvius gesungenes Canticum hin. Wenn
Grysar hierbei von Seneca's Tragödien absieht, so geschieht diess,
weil auch er diesen Tragödien den DarsteUungszweck abspricht.
Stellt doch Grysar, unbeii-rt durch Seneca's Chöre, die Behauptung
auf: die römische Tragödie kenne eben so wenig einen Chor wie
die römisclie Komödie. Das Gegentheil hat Lange in seinen.
zehn Jahre vor Grysar's Abhandlung erschienenen Vindiciae dar-
gethan. '')
Das Canticum in der Komödie war immer ein Solostück, und
trat eine zweite Person hinzu, so blieb dieselbe für den das Can-
ticum tanzenden Schauspieler verborgen und stumm; oder konnte
doch nur ihr Selbstgespräch „für sich", als ein a parte, halten. ')
1) p. .3.3(i. — 2) a. a. O 319. — 3) Tusoul. 1. 35. — 4) Das. III, 19.
— .S) Acad. VII, 2. — 6) p. 22. Not. 31. Vgl. A. B. Wolif, de canticis Rom.
Fab. 1825. i>. 12. n. 17. — !■ Diom. de poem. gener. HI. p. 4S9. Putsch.
Cantica. Recitation. 477
Die Cantica liatteu ihren besondern Compouisten, der die Melo-
dien (modi) dazu setzte, und dessen Namen der Titel des Stückes
neben denen des Dichters und Schauspielers trug, i) Die Melodie
wechselte mehrmals in demselben Canticum, was durch die An-
fangsbuchstaben M. M. C. (mutantm- modi cantici) über dem Sce-
nen-Titel angedeutet war, oder durch Zahlen I, ü, III. in dem
Gesangstexte selbst, an der Stelle, wo der Melodieuwechsel ein-
trat, bezeichnet stand. 2) Schwieriger zu erklären ist die Initial-
bezeichnimg D. M. (diverbiuni mutatur), als Bemerkung, dass an
gewissen Stellen auch im diverbiuni, im gesprochenen Dialoge,
eine solche Veränderung anzubringen sey. Wahrscheinlich sollte
die Anweisung D. M. einen Wechsel im Tempo der Kecitation
bedeuten, das der Schauspieler, je nach dem Pathos der betref-
fenden Stelle, in seinem Kedevortrag zu ändern hatte. ^) Denn auch
der Komödien-Dialog, die gesprochene Kecitation, unterschied sich
von der Gesprächsweise in der gewöhnlichen Unterhaltung, von
unserem Lustspiel-Dialoge folglich, durch eine erhöhete scenische
Färbung und einen eigenthümlichen Tonfall. „Die komischen
Schauspieler", bemerkt Quinctilian ^) , „sprechen keinesweges um-
so hin, wie wir etwa ein Gespräch zu führen pflegen (ut nos vulgo
loquimur), was einem kunstgemässen Vortrage widersprechen und
dem Dargestellten den Charakter der Nachahmung rauben
würde (quo vitio periret imitatio): die Komödieuspieler erheben
vielmehr selbst diese gewöhnliche Sprechweise in einen höhern
Ton, und verleihen ihr einen gewissen scenischen Schmuck" (de-
core quodam scenico exornant). Den Unterschied der Kecitation
in der Tragödie und der Komödie drückt Apulejus '■) so aus : Co-
moedus semiociiiatur, Tragoedus vociferatur: „Der Komiker con-
versirt, der Tragiker declamirt." Ks versteht sich von selbst, dass
auch die im jambischen Senar vorgetragenen Soliloquien dem di-
verbium (der gesprochenen Kecitation) und nicht dem Canticum
beizuzählen sind.
Den in der Melodie (modi) der Cantica eintretenden Wechsel,
1) Donat. de trag, et com. p. III. G. Voss. Poet. c. 4. Du Bos, Reti.
crit. etc. III. p. 135 ff. — 2) Herrn, de Cant. in Roman. faLul. scenico
p. VII. - 3) Wolff a. a. U. p. 7. — 4) Inst. Or. XI, 3, 73. - 5) Flo-
rid III.
478 ^^^ römische Komödie.
sowohl in Bezug auf Modulationen, Zeitmaasse und Tacte, als
Höbe und Tiefe des Tons, regelte die Flöte (tibia), wovon Do-
natus in den Anmerkungen zum Tereuz häufig spricht. Er nennt
drei Arten von Flöten, die beim Vortrag der Bühnenspiele in Ge-
brauch waren: Tibia dextra oder Phrygia; Tib. sinistra, auch
Tyria oder SeiTana genamit; und das Flötenspiel, wo beide, die
rechte und linke Flöte zumal wirkten. Man hat sich diese Flö-
ten gepaart zu denken, wie die Abbildungen bei Bartholinus z.
B. ') zeigen. Dextra hiess die Flöte, die mit der rechten Hand
auf der rechten Seite des Mundes; sinistra die mit der linken
Hand und auf der linken Mundseite gespielt wurde.-) Die dextra
hatte drei oder mehr; die sinistra wenigstens vier Löcher. 3) Die
dextra war eine männliche Pfeife mit tiefem Tone, wozu die si-
nistra, die weibliche, den Discant gab.^) Männliche und weibliche
Flöten unterschied schon Herodot'^): acXol avÖQt'^ioi und yvvai-
■Kt'j'ioi. Die dem Mundstück nähern und grossem Löcher gaben
den höhern Ton, die entferntem und kleinern den tiefem Ton
an.''j Beim Monodion (Solo) blies nur eine, beim Synodion (En-
semble) bliesen beide Pfeifen zugleich. ') Mit gleichen Flöten
(Paribus tibiis) blasen, hiess mit zwei rechten oder zwei linken
blasen, solchen nämlich, deren Löcherzahl gleich war. Impari-
bus tibiis: mit einer rechten und einer linken, deren Löcher-
zahl ungleich war.^) Die Pfeifen waren von gleicher Länge
(aequales). Die Tj^rhener hatten auch Flötenpaare von ungleicher
Länge (inaequales). Der Flötenspieler (tibicen) hatte beim Blasen
unter dem rechten Fuss ein balg artiges Instrument, genannt
Scabillum, Inojiodioi' Jt^/Äof;»', womit er den Tact schlug.') Auch
wurde wahrscheinlich damit Ende und Anfang des Actes ange-
zeigt: Scabilla concrepant, aulaeum tollitur. ' ") „Der Tact-Schämel
erschallt, der Vorhang geht in die Höhe" (das Stück ist zu Ende).
Zweifelliaft bleibt es, ob dieses Instrument (scabillum, Fuss-Guck-
guck , Tact-Schämel), wie Baumgarteu-Crus. zu Sueton'^) be-
1) De tibiis veter. et ear. usii Eom. 1077 II, 10. Böttig. Annal. III.
S. 192. — 2) Fest. s. v. — 3) Fest. v. impares. — 4) Apul. Flor. n. 3. p.
588. _ 5) I, 47. _ 6) Macrob. Soinn. Scip. II, 4. p. 134. — 7) Dioni.
III, 489. — 8) Hardouin zu Plin. XVI, 36. 06. — 9) Schol. Aeschin. in
Timarch. c. 52. — 10» Cic. ad Cool. 27. - in Oalig. 54.
Tibia. Scabilluui. Masken. • 479
merkt, auch von dem Einlielfer, monitor (vnoßolEÜg) benutzt
wm'de, welcher hinter der Scene dem Gedächtniss der Schauspie-
ler durch Angabe der Khythmen und Versmaasse zu Hülfe kam. ')
Eben so ungemss ist, ob der Tibicen mit der Flöte dem Schau-
spieler im diverbium Ton und Tempo angab. Grysar hält den
Tactschläger für eine vom Flötenspieler verschiedene Person. Ihm
zufolge hat der Tactangeber, mit einem Fussdruck aufs Scabil-
lum, dem Flötenspieler den Tact bezeichnet.-} üeber Eecitatiou
nach N 0 1 e n z e i c h e n bei Griechen und Kömern spricht aus-
führlich du Bos.3)
Dieselbe Sorgfalt und kunstreiche Behandlung, welche die
Schauspieler dem mündlichen Vortrage (pronunciatio) widmeten,
bewiesen sie in Ausbildung der Geberdensprache fgestus). Haupt-
belege dafür geben Quinct, •*), Cicero % Gellius. ") Das Geberden-
spiel in der Komödie nennt Quinct. rasch bewegt (celer, citatus);
besonders lebhaft und beredt nemit er die Hand- und Finger-
Gesticulatioueu , manus tremula, argaita etc.'j S. 88 vergleicht
Quinct. die tragische mit der oratorischeu Gesticulation , in Be-
zug auf Würde und Gemessenheit. Den Anstand der Bewegungen
hebt Cicero am Schauspieler besonders hervor: Histrio quod de-
ceat, quaerit.^)
Der Masken in der Komödie hatte sich, laut Donat-^), zu-
erst'bedient Cincius Faliscus (statt Cincius et Faliscusj i"); in der
Tragödie Minutius Prothonius (statt Minuc. et Proth.j. Diome-
des, wie schon angegeben, nennt den Koscius Gallus als ersten
Spieler mit der Maske. Du Bos schreibt Rosius Gallus, und
scheint diesen für einen von dem berühmten Koscius verschiede-
nen Komödienspieler zu halten. ^ ^) Früher haben sich die Komö-
dien- und Tragödienspieler einer KopfI:)edeckung (galerus) be-
dient, die durch Farbe und Form Alter und Geschlecht kenntlich
machte ' ^): Antea galeris, non personis utebantur. In der Einleitung
zu den Adelphi des Terenz führt Üonat u. a. den Ambivius u. L.
1) Plut. polit. praec. p. 497 ed. Bos. — 2) Vgl. Pauly, Real-Ency-
klop. etc. VI, 2. S. 1775 flP. — 3) Refl. crit. etc. lU. Sect. 6— 10. - 4) XI,
3, 66—72. — 5) de Orat. 59. — 6) I, 5. — 7) XI, 92. u. 123. — S) Orat.
22. — 9) de Com. et trag. p. IX. ~ lU) Wolff p. 23. ~ 11) A. a. 0. p.
183. - 12) Diom. a. a. 0.
480 Die römische Komödie.
Tui-pio als Hauptspieler an und bemerkt, dass sie mit ihren Trap-
pen scliou damals maskiii; spielten (jam tmn personati agebant;
595 d. St., mithin etwa 20 Jahre vor Roscius' Geburt, die um
625 d. St. fällt. Zu Cicero's Zeiten mochten die Schauspieler
in der Komödie und Tragödie abwechselnd mit und ohne Maske
aufgetreten seyn. Wie hätte er sonst von dem leidenschaftlichen
Gesichtsausdrucke des grössten tragischen Schauspielers der Eö-
raer , des Aesopus , sprechen können ? ') (In Aesopo tantus ardor
vultuum). Und dann wieder 2) „Als mir aus der Maske die
Augen des Schauspielers entgegenleuchteten" (Quum ex persona
mihi ardere oculi histriouis viderentur). Vielleicht lässt sich jene
von Scaliger missverstandene schon oben berührte Stelle desFestus 3)
quod caeteris histrionibus pati uecesse est, dass nämlich die Ko-
mödien- und Tragödienspieler, auf Verlangen des Publicmns, die
Maske ablegen mussten, auf dieses abwechselnde Spielen mit
und ohne Maske beziehen, was bei den Atellanenspielern eben
nicht der Fall war, welche, vermöge ihres Masken- Vorrechtes, stets
mit der Gesichtslarve spielten.
Farbe und Form des Costüms in der Komödie war, dem
Donat zufolge, nach Alter und Stand verschieden. Greise tru-
gen sich weiss. Die Tracht der Jünglinge war bunt. Sklaven
hatten ein kurzes, knappes Mäntelchen. Parasiten erschienen
in einem um den Leib gewickelten Mantel (intortis paUiis). Vor-
nehme zeichnete die Purpurfarbe aus. Braunroth war die Farbe
der Armen; die (Jhlamys der Soldaten dunkelroth; der Anzug der
Mädchenhändler (leno) mehrfarbig. Die ßuhldirnen gingen schwarz.
Die C 0 m 0 e d i a p a 1 1 i a t a , worunter, erwähntermaasseu, die
iu's Kömische umgebildete neue Komödie des Menander, Phile-
mon, Diphilos u. s. w. verstanden wird, ist für uns einzig und
allein durch Plautus und Terentius vertreten; denn von Caecilius
Statins, dem grössten Dichter der Com. palliata, der Ansicht rö-
mischer Kunstrichter zufolge, sind nur Brachstücke vorhanden.
Marcus Accius Plautus.
Ueber sein Leben können wir uns kurz fassen, da selbst
die Gelehrten darüber blutwenig wissen und, was man weiss,
1) ad. div. 1, 37. — 2; de Orat. 11, 4ü. — 3) p. 13y.
M. A. Plautus. Sein Leben und sein Name. 4g 1
Lessing bereits in seiner allbekannten „Abhandlung von dem
Leben und den Werken des Marcus Accius Plautus 1 750 " ^)
niitgetheilt hat. Niclit einen Zug, nicht die kleinste Notiz
veiToochte, ein halbes Jahrb. nach Lessing, unser gelehrter
Prof. Georg Gustav Samuel Köpke seinem „Leben des Plautus" -)
hinzuzufügen. Man müsste denn die tröstliche Versicherung
(S. Xlll.; für einen solchen Beitrag ansehen wollen: „Hätte der
treufleissige Epitomator Aulus Gellius; gewusst, dass seine Nach-
richten über die Lebensverhältnisse des Plautus '■; die einzigen
seyn würden, welche auf uns kommen sollten, so Avürde er uns
unstreitig mehr gemeldet haben." Oder man müsste den gelehr-
ten Stossseufzer (S. XV) für voll nehmen: „Wie sehr ist es zu
bedauern, dass die drei Stücke, welche er (Plautus) des Nachts
in der Mühle gedichtet hat, nicht auf uns gekommen sind ! " Und
die von Gelehrsamkeit strotzenden, das ganze Plautus -Material
beherrschenden und erschöpfenden Untersuchungen Ritschl's haben
sie, hundert Jahre nach Lessing's Abhandlung, eine einzige Nach-
richt mehr über Plautus' Lebensverhältnisse ans Licht fördern
können? Nicht nur das Leben, selbst der ohnehin schon schwan-
kende Name des Plautus schwebt in der gi'össten Gefahr zu
nichte geforscht zu werden. Eine der gründlichsten Abhand-
lungen, die über vierzig lateinisch gesckriebene Seiten beträgt:
De Plauti Poeta nominibus, zerklittert die Namen des Lustspiel-
dichters so faserklein, dass dieser schliesslich seinem Schöpfer,
dem gelehrten Verfasser des Parergon, danken kann, Avenn er von
dem Namen Marcus Accius Plautus Asinius, oder M. Attius oder
gar Maccius Plautus, den M. Attius Plautus mit heiler Haut da-
vonträgt. Von einem Codex wird der Vorname M. Accius zum
Maccus veranstaltet, was an die Groteskfigur der Atellanen erin-
nern könnte; vom Grammatiker Festus der Zuname Plautus zum
Plotus, Plattfuss, breitgetreten, nach der umbrischen Mund-
art, welclie Plotus, Breitfuss (ii'UccrQ), für Plautus ausspricht, weil
sicli die Umbrier durch platte Füsse unterschieden, dergleichen
natürlich auch unser zu Sarsina in Umbrien geborener Lustspiel-
1) Bd. III. S. 1—27. Lachm. — 2) Vor der Uebers. von neun Plautin.
Lustspielen. — 3) HI, c. 3.
n. 31
4^2 ^^^^ römisclie Komödie.
dichter mit auf die Welt gebracht hatte, so dass er gleichsam
schon dmxh die Gebmi zum Atellauischeu Planipes (Flachfuss)
gezeichnet worden. Das böseste Lotterspöttlein aber hing dem
Namen des Plautus der gelehrte Meursius an, der den in drei
Handschriften gefundenen Beinamen zu M. A. Plautus: Asinius,
zum A s i n u s machte, weil das angeblich der Spitzname aller de-
rer gewesen, welche, wie Plautus eine Zeit lang, als Müllerknechte
Handmühlen drehten und daher Asini, Mülleresel, hiessen. Les-
sing bemerkt dabei: „Dass ilm (Plautus) gewiss niemand, als der
niedrigste Pöbel, oder seine ärgsten Feinde, damit werden belegt
haben." Wann aber Plautus zu Sarsina in Umbrien geboren wor-
den, von Plautus' Gebui-tsjahr, wusste Mem'sius nichts zu melden;
weiss auch Kitschi nichts Näheres, trotz der 32 Seiten, die er
De aetate Plauti, mit Ausbeutung aller möglichen Quellen und
Codices, vollgeschrieben. Auch über Plautus' Todesjahr würden
wir völlig im Dunkeln geblieben seyn ohne die Stelle in Cicero's
Brutus (c. 15), laut welcher Plautus 570 d. St., folglich 184 vor
Christ, gestorben sey. Der heil. Hieronymus giebt, im Chronikon
des Euseb., als das Todesjahr des Plautus J45 Olymp. (1U6 vor
Chr.) an. Von den Eltern des Plautus weiss man gerade so viel
wie von seinem Geburtsjahr. Er soll von Sklaven abstammen,
und selbst Sldave gewesen seyn. Mit seinen Komödien hatte er, .
wie Gellius berichtet, so viel erworben, dass er einen Handel an-
fangen konnte.'; Er verlor wieder Alles und musste sich aus
Noth zu einem Bäcker vemiiethen: „Die Kunst geht nach Brod",
und dreht zu diesem Zweck Handmühlen. Während seines Aufent-
haltes in der Mühle dichtete er drei Lustspiele. Den Saturio,
den Addictus und noch eine andere Komödie, auf die sich Gel-
lius nicht besinnen kann. Aber auch von den ersten beiden sind
blos die Namen übrig geblieben, bis auf einen Vers aus dem Ad-
dictus, den ein Ausleger von VirgiFs Georg, anführt, und ver-
schiedene Stelleu aus dem Satui'io, die Festus aufbewahrt hat.
Plautus durfte sich, trotz Handmühle, des Umgangs mit Naevins
und Ennius rühmen. An den Umstand, dass er Zeitgenosse von
Cato d. Aelt. war, knüpft Lessing die Bemerkung: „Rom hatte
1) Amphitr. prol. v. 72.
Plaiitus. YaiToiiianae Fabulae. 4g3
also damals 7ai einer Zeit zwei der grössten Geister, die aber,
ihrer Gemütlisbescliaffenheit nach, einander sehr ungleich waren.
Wer war ernsthafter als Cato? Wer war scherzhafter als
Plautus?''
Bei den Plattfüssen, womit Festus, bei dem Asinus, womit
Meursius den gTössten komischen Dichter der Römer bedachte,
lassen es die andern Ausleger nicht bewenden. Diesen zu Folge
sollte, wie Lessiug sich ausdrückt, den Plautus „die Natur recht
dazu ausgekünstelt haben, seine ernsthaften Mitbürger zum La-
chen zu bringen." „Ein schwärzliches Gesicht, rothes Haar,
ein hervon'agender Bauch, ein grosser Kopf, ein Paar scharfe
Augen, — diese Stücke stelle man auf ein Paar übermässig
grosse Beine mit dicken Waden, so möchten wir migefähr das
Bild unseres Komödienschreibers haben", fügt Lessing hinzu.
Das Bild nämlich, wie es Plautus selbst von seinem Pseudolus ^j
zeichnet, unter dessen Gestalt der Dichter, in den Augen seiner
Ausleger, sich nur selbst konnte geschildert haben. Auf welches
Merkmal hin? Auf Grund des magnis pedibus, das unter dem
Kennzeichen in jener Stelle vorkommt. „Grosse Füsse — ruft
Lessing — „Aber Plautus soll ja nicht grosse, sondern platte
Füsse gehabt haben. Die Herren Kunstrichter sind überhaupt
sehr scharfsichtig", und mochte dabei im Stillen, gelegentlich der
platten Füsse, auch an platte Köpfe denken.
Die hundertdreissig Komödien, die zu Gellius' Zeiten
unter Plautus' Namen gingen, hatte schon der alte römische Anti-
quar und Grammatiker Varro auf ein und zwanzig herabge-
setzt, und die übrigen einem andern römischen Komödiendichter
mit Namen Plautius in Rechnung gestellt. Die 21 von VaiTO
als acht Plautinische bezeichneten und erlialtenen Komödien heissen
daher auch Varro ni au ae fabulae. Von diesen handelt Ritschl's
Dissert. HL: „Die Fabulae VaiTonianae des Plautus", auf 170 Seiten
auf die wir nur verweisen können. Theilen wir dafür Einiges
von den Ansichten mit, welche alte und neue Kunstrichter über
Plautus, als komischen Dichter, zum Besten gaben. Das älteste
Zeugniss ist das von Varro selbst-): In den Argumenten fFabel-
durchführung; gebührt, nach Varro, dem Caecilius die Palme, in
n IV, 7. V. 120 f. — 2) Bei Non. v. Poscere.
31*
4g4 I^ie römische Komödie.
der Sitten- imd Charakterschilderung und im Dialoge (in sermo-
nibus) dem Plautus. Cicero bemerkt •): „Es giebt eine doppelte
Art zu scherzen, die eine eines freien Mannes unwürdig, muth-
willig, lasterhaft, schmutzig; die andere gesittet, fein, geistreich,
witzig, von welcher letztern Art nicht nur unser Plautus und
die alte Komödie der Attiker, sondern auch die Bücher der So-
kratischen Philosophen angefüllt sind." Dagegen sticht das Urtheil
des Horaz merklich ab -) :
At proavi nostri Plautinos et numeros et
Laudavere sales, inniium patienter utrumque.
Ne dicam stulte mirati . . .
unsere Väter jedoch, sie priesen die Ehythmeu des Plautus,
Priesen sein Salz auch; beides zu duldsam, um nicht zu sagen,
Thöricht bewundernd . . .
Einen andern Ausspruch des Varro: „Die Musen würden Plau-
, tinisches Latein sprechen, wenn sie Kömisch reden wollten," führt
Quinctil. an 3); meint aber trotzdem, dass es mit der römischen
Komödie am meisten hinke: In comoedia maxime claudicamus.
Die erste Stelle, was Latinität und geschmackvollen Ausdruck
betrifft, weist Gellius^) dem Plautus an: Plautus homo linguae
atque elegantiae in verbis latinae princeps. Als Beweis allgemeiner
Bewunderung führt Macrob.^') den Umstand an, dass nach Plau-
tus' Tode alle an Witz und Komik reichen Komödien, deren
Verfasser unbekannt waren, dem Plautus zugeschrieben wurden.
Der h. Hieron} mus ergötzte sich an Plautus, „wenn er in vielen
Nachtwachen aus Keue über seine begangenen Sünden herzliclie
und bussfertige Thränen vergossen hatte". '^) Sid. Apollinaris rühmt
am Plautus vor Allem den Genius, das Genie ') und die Amnuth
des Plautiniöchen Scherzes : '^)
Grajos Sales lepore transit.
Bei Gellius '■') entwirft Volcatius Sedigitus nachstehende Rang-
folge der zehn vorzüglichsten röijiischen Komödiendichter:
1) de Oif. 1, 29. — 2) Ad Pis. v. 270tt'. — 3) X, 1. - 4) \'II, 18. —
5) Sat. n, 1. — 6) de cast. Vii-gin. ad Eustach. 47. — 7) Paneg. ad An-
thcm. Aug. p. 29. — 8) Carm. XXIll. -- 9) XV, 24.
Rangfolge der römischen Koinödiendichter. 435
Caecilio pabiiain Statio do Comico . . .
Plaut US secundus facile exsuperat.
Dein Naevius, qui servet, pretio in tertio est.
Si erit quod quarto deti;r, dabitur Licinio.
Post insequi Licinium facio Atilium.
In sexto consequetur hos Terentius.
Turpilius septimuni, Trabea octavum obtinet.
Nono loco esse facile facio Luscium.
Decimum addo antiquitatis causa Ennium.
Die Palme reich' ich dem Caecilius Statius.
Als Zweiter ragt wohl Plautus hoch hervor.
Der dritte Preis gebührt dem Naevius.
Den vierten geb' ich dem Li ein ins.
Dann folgt nach meinem Sinn Atilius.
Terentius nimmt die sechste Stelle ein.
Die siebente Turpil, die achte Trabea.
Als neunter schliesse Luscius sich an.
Als Zehnten nenn' ich Alters halber Ennius.
Aehnlich mustert Horatius ') die vier berühmtesten Komiker :
Ganz dem Menandros schätzen sie gleich des Afranius Lustspiel,
Plautus eüe zum Ziel der Entwicklung, wie Epicharmus,
Wie Caecilius würdig, so sei Terentius kunstreich.
Dicitur Afrani toga convenisse Meuandro,
Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi,
Vincere Caecilius gravitate, Terentius arte.
Vor allen andern ürtheilen neuerer Kunstrichter über Plau-
tus würden wir unzweifelhaft eines von Lessing obenan zu
stellen haben, wäre leider nicht auch diese Abhandlung ein Ent-
wurf geblieben, welcher, ausser der Lebensskizze des Plautus,
nur eine Erörterung über die Gefangenen (Captivi) enthält.
Unter den schätzenswerthen Vorbemerkungen, von Pi'of. Köpke,
zu seiner vorzüglichen üebersetzung , scheint uns N. il.: „Dich-
terischer Charakter des Plautus", eben nicht das Erlesenste
und Gehaltvollste. Hier schwingt sich das ästhetische ür-
theil auf den Flügeln allgemeiner Lobpreisung bis zu der Wol-
kenhöhe empor, wo die Gedanken den Wolken in's Handwerk
1) Ep. II, 1. V. 57flF.
486 I^i^ römische Kuinödic.
greifen, und bestimmte Gestalten anzunehmen sclieinen, in denen
gleichwohl Hamlet undPolonius bald ein Kameel, bald ein Wie-
sel, bald wieder einen Walfisch erkennen würden, aber einen ohne
Propheten im Leibe. S. XVII, z. B.:
„Es ist nicht blos der tiefe psychologische Blick, welcher
ihn rPlautus) als Menschenkenner und poetischen Darsteller mensch-
licher Charaktere auszeichnet; nicht blos die Kraft des Geistes,
durch welche es ihm gelang die zahllosen Formen des bürgerli-
chen Lebens in sich aufzunehmen und lebendig wiederzugeben;
sondern es ist gewiss noch etwas Eigenes, was ihn als dramati-
schen Dichter unterscheidet. Es ist die eigenthümliche Neigung
seines Genius, den Dingen und Charakteren und Situationen des
Lebens, auch den trübsten und schmerzlichsten, überall die ko-
mische Seite abzugewinnen, und wie Shakspeare, in welchem
die Natur seine komische Kraft wiederholt zu haben scheint, mit
einem gewissen humoristischen Stoicismus und mit einer kecken
üeberlegenheit selbst der Leiden der menschlichen Natur und der
bürgerlichen Verhältnisse zu spotten." Heisst das nicht, seinen
Plautus im eigentlichsten Sinne bis zu den Wolken erheben?
Schade nur, dass bei dieser Gelegenheit jeder bestimmte Zug zu
Plautus' „dichterischem Charakter" in Dunst zerfliesst. Dafür
lassen sich aber an diesen Perioden Studien zu Howard's sämmt-
lichen Wolkenbildungen machen: Stratus, Cumulus, Cirnis, wir
sehen sie schweben; vor allen jene hehre Wolkenform, „Nimbus"
genannt:
„Die Rede geht herab, denn sie beschreibt;
Der Geist will aufwärts, wo er ewig bleibt."
Suchen wir nach festeren Anhaltspunkten für die Charakteri-
stik der Plautinischen Komödie, ohne desshalb ins Weite zu
schweifen, denn das Gute liegt so nah. Wir finden es fiisch in
dem, so viel uns bekannt, neuesten Urtheile, das nicht minder
durch die Autorität, der es entstammt, als durch eigenen Gehalt
sich empfiehlt. Der berühmte Verfasser der Römischen Geschichte
zeichnet die Eigenthümlichkeiten und Verschiedenheiten der beiden
römischen Komödiendichter mit wenigen kräftigen Federstrichen ') :
1) Th. Moninisen K. G. U. B. 4. c. 13. S. il2ff.
Plautus uiul Terenz. 4g7
„Plaut US schürzt und löst den Knoten leichtfertig und
lose; Terenz trägt überall, nicht selten auf Kosten der Span-
nung, der Wahrscheinlichkeit Rechnung. Plautus malt seine
Charaktere mit breitem Pinsel ... Terenz behandelt die psy-
chologische Entwicklung mit einer sorgfältigen Miniaturmalerei.
In den Motiven, wie in der Sprache steht Plautus in der Kneipe,
Terenz im guten bürgerlichen Haushalt. Bei Plautus herrscht
Opposition in der Kneipe gegen das Haus. Die Terenzischen
Komödien ruhen auf einer sittlichen AufFassmig der Frauenuatur
und namentlich des ehelichen Lebens . . . Bei Plautus prellen
mid foppen die Söhne die Väter. Terenz hat pädagogische
Zwecke. Im „Selbstpeiniger" wird der verlorene Sohn durch vä-
terliche Weisheit gebessert. In den „Brüdern" geht die Pointe
darauf hinaus, zwischen der allzuliberalen Onkel- und der allzu-
rigorösen Vatererziehung die rechte Mitte zu hnden. Plautus
liebt den raschen, lärmigen Dialog, die lebhafteste Mimik der
Schauspieler. Terenz beschränld; sich auf ruhiges Gespräch und
gab seinen Schauspielern Masken. Plautus' Sprache fliesst über
von bm'lesken Wortwitzen ... Terenz' Sprache ist elegant;
er hat feine Pointen, zierliche, epigrammatische Wendmi-
gen" . . .
Die Betrachtung der einzelneu Komödien wird uns die fein
abgewogene Parallele würdigen lassen. In einige Verlegenheit
bringt uns die „Kneipen-Sprache" des Plautus, die mit Varro's
und Cicero's Bewunderung der Plautinischen Sprache sich so gar
nicht reimen Avill. Werfen wir inzwischen einen Blick auf die
metrische Beschaffenheit dieser Sprache, und lernen wir aus den
Winken, die der kundige üebersetzer darüber ertheilt, wenigstens
die feine Kunst und das tiefe Verständuiss des Handwerks schätzen,
womit der plebeische Plautus seinen Dialog einigermaassen zu
veredeln strebte.
Zunächst wird man wohl unsern Volksdichter als den Schöpfer
des komischen Senar betrachten dürfen, des jambischen sechs-
füssigen Verses der Komödie. Derselbe unterscheidet sich von
dem griechischen Trimeter dadurch, dass dieser nach Dipodieen,
d. h. je zwei Füssen zu drei Paaren, oder drei doppelten Vers-
füssen gemessen wird, während der jambische Senar der Römer
nach einzelnen Versfüssen, Monopodieen, zählt, deren sechs zu
488 Die römische Komödie.
einem solchen Verse gehören; daher der Vers auch Senar heisst.
Vom tragischen Senar unterscheidet sich der komische Sechsfuss
des Plautus durch häufigere Einmiscliung anderer Versfüsse, na-
mentlich von Tribrachen (^ ^ ^) und Anapästen {>-> ^ -), und auch
darin, dass der jambische Senar bei Plautus und Terenz sowohl
in geraden als ungeraden Füssen, also auch an der zweiten und
vierten Stelle, für welche die Regel den Jambus vorschreibt';,
statt desselben, auch Spondeen und Tribrachen anwendet, den ein-
zigen sechsten Fuss ausgenommen, der nur den Jambus oder
Pyrrhichius (-^ ^) gestattet. Diese grössere Mannigfaltigkeit und
Freiheit der Versform liegt in dem raschern Gang des Komödien-
dialogs begTündet. Plautus bediente sich dieser Freiheit um so
lieber, da ihm, wie Köpke bemerkt, „besonders daran lag, die
Umgangssprache der edleren römischen Familien auf die
Bühne zu bringen." Die Bemerkung setzt uns in flagranten Wi-
derspruch mit der Sprache der Kneipen und Bauerschenken ; doch
scheint sie uns keine Stimme aus den Wolken, wie die Schil-
derung des Charakters der Plautinischen Komödie.
Der Einschnitt (Cäsur) ist meist regelrecht nach der ersten
Sylbe des dritten Fusses, oder auch nach der ersten Hälfte des
vierten Fusses. Doch findet man auch sogenannte Alexandri-
ner, wo sich der Senar in zwei gleiche Hälften theilt, z. B. im
Trinummus (v, 55):
Vivit I victu I i-aque est | . Bene her 1 cle nun ] cias.
Des Senars bedienten sich Plautus und Terenz besonders in
den Prologen der Stücke, und in den ersten Scenen der Expo-
sition, wo der Inhalt zwischen zwei Sprechenden ruhig entwickelt
wird. Der Senar tritt in der Regel wieder ein, wo der Dialog ruhig
wird. Auch achtfüssige jambische Verse, Octonare finden sich
') Spondaeos stabiles in jura paterna recepit
Commodus et patiens, non ut de sede secunda
Cederet aut quarta. socialiter.
Nahm spoiidcische, f'estauftretende Püss' er (der Jambus) auf in's Erbreich
Gütig verträglichen Sinns, nur nicht vom zweiten und vierten
Platze zu gehn gar sehr aus Gefälligkeit ...
Hör. A. P. V. 25fi ff.
Der koniisrhe Senar. 489
beiPlautus: volle facatalectici) z. B. in den „Kriegsgefangenen"
rm. 3. V. 1 flf.) :
Nunc il I lud est | quom me \ fuis | se nimi 1 o ma | velim . . .
„Jetzt ist I der Au | genblick, j wo lie | ber todt | ich als | am Le | ben
war" . . .
Um eine Sylbe verkürzte Octonare (catalectici) , wie in dem
„Hausgespenst" (Mostellaria) I. 3. v. I — 90:
Jam pri | dem e ca | stör fri | gida ! non la i vi magis | luben | ter . . .
„Seit lan i ge, wahr ] lieh, hab' | ich auch i so gern | nicht kalt | geba
det" . . .
Selbst hyperkatalektische, mit einer Sylbe überschla-
gende Senare braucht Plautus (Cistellaria I. v. 23 fj:
Sua I rum nos i opum | volunt | esse in | digen | tes . . .
„Stets sol I len wir | nur ih | res Schutz | es se)ni | bedürf j tig"' . . .
Von den trochäischen Sylbenmaassen finden sich acht-
füssige (Octonarii) am gewöhnlichsten: volle, in leidenschaft-
lichen Scenen benutzt, in denen sich Furcht und Freude, Angst
und Verwirrung, Hoffnung und Verzweiflung aussprechen. Es
giebt aber trochäische Octonare, in denen man nur Spondeen,
Tribrachen und Daktylen findet. Tribrachen und Daktylen sind
besonders wegen ihrer lebhaften Bewegung für den vollen Oc-
tonar beliebt:
Opta I ti ci I ves, popu | lares | inco | lae, acco | lae, adve | uae onmes.
Verkürzte Octonare (catalectici) werden fast eben so häufig
von Plautus gebraucht wie die Senare. Sie fangen gewöhnlich
schon im zweiten Aufzuge an und gehen oft bis au's fJude des
Stücks. Ihr Gesetz ist, in zwei Hälften zu zerfallen, deren erstere
aus vier Trochäen besteht, und die zweite kleinere aus dreien und
der überschlagenden Sylbe. In den geraden Füssen (2. 3. 6.
Stelle) sind Spondeen und Tribrachen zur Abwechselung beliebt:
Quanta | pernis | pestis \ veniet! | Quanta , labes 1 lari | do !
Quanta | laniis | lassi | tudo! | Quanta | porci | nari | is!
„Ha, wie | sollen die | Schinken | schwinden! | Wie soll 1 schmecken | mir
der I Speck!
Ha, wie | sollen die | Schlächter | schwitzen! | Wie der | Schweine | käufer |
Schaar!"
490 Die römische Komödie.
Bacchien (v^ - -) finden sich häufig in Plautinischen Stücken,
gewöhnlich vierfiissig (tetrametri). Statt des Bacchius nicht sel-
ten der Molossus ( ):
<y — —
Nam multum j loquaces merito omnes | habemur
„Mit Recht glaubt | man allsammt | die Weibsleu | te schwatzhaft."
Auch das Bakcheische Sylbenmaass scheint am meisten für lei-
denschaftliche Stimmungen gebraucht zu se}^. Köpke bemerkt
dabei (XXXIII.J: „Eben daher gehen dergleichen Stellen selten
über zehn Verse hinaus, in denen sich alsdann eine bestimmte
Empfindung des Unwillens oder der Lust monologisch ausspricht,
und welche alsdann enden, wann ein neu hinzu Kommender den
Ausbmch der Empfindung hemmt, oder wenn die Gedankenreihe
geschlossen ist."
Als gewöhnlichen Begleiter Bakcheischer Verse treten in Plau-
tus' Stücken auch kretische Verse meist vieifüssig auf. Ihr
Gang oder Schema ist: -w-i-w-i-w-i_v^_
Nam doli | non doli | sunt nisi a j stu colas.
,,Kein Betrug | ist Betrug [ wenn du nicht \ schlau ihn pflegst."
„Sieht man", belehii; uns Prof. Köpke, „die Stellen, in denen
er (der kretische Vers) vorheiTScht, in ihrem ganzen Zusammen-
hange, so, scheint es, hat ihn Plautus besonders bei Einwür-
fen gebraucht, welche entweder von einem Andern entgegnet wer-
den, oder welche der Sprechende sich selbst macht, indem sie
als Zweifel oder Bedeuklichkeiteu sich mitten in der Reflexion
aufdrängen." Neben einer so feinfühligen Spiegelung der Afi'ect-
wechsel in den metrischen Tönen und üebergängen muss selbst
der Rhythnuis im metrischen Wandelspiel der Spanischen Man-
tel- und Degen-Komödie, der einzigen, nebst Moüere's Amphi-
tryou etwa, die in diesem Punkte eine Aehnlichkeit mit der Kunst
der Plautinischen darbieten möchte, zu kurz fallen. Kein Wun-
der, dass bei solchem Reichthum der feinsten metrischen Schat-
tirungen Monitor und Scabillum die Hände und Füsse voll zu
thun hatten. Ein desto grösseres Wunder aber, dass der fein-
sinnige Horaz kein Ohr für diese Rhythmik und keine Zunge für
das Salz dieser Komödie hatte. Dass der geschmackvolle Kmist-
richter und Lehrer der Beredsamkeit, Quinctilianus, die Comoedia
Der Saturnische Vers. 491
palliata auf den Triineter beschränken und ihr alle übrigen Syl-
benmaasse untersagen wollte, wofür ihm aber auch ßentley ') den
Kopf gehörig zurecht setzte. Das gi'össte Wunder jedoch bleibt
die Sprache des Plautus, die „noch in der Kneipe" bis über die
Ohren stecken soll. Will denn kein Bentley erscheinen, der sie
an den Ohren packte und weder herauszöge?
Selbst den feieriiohen Oden-Versfuss, den Choriambus (- ^ ^ -j,
den Horaz dem Erfinder desselben, dem Asklepiades, entlehnte,
setzt Plautus in Bewegung und versteht ihn zur Bezeichnung ge-
Avisser Gemüthsbewegungen aufs wirksamste zu benutzen. Wie
der durchgebläute CongTio (Aiüul. III. 1) in trochäischen vollen
Octonarien sein Prügellied klagt; so schilt Plautus' Menächmus
seine Frau in vierfüssigen Choriamben, von so correcter Beschaf-
fenheit, wie sie regelrechter selbst Horaz dem Asklepiades nicht
abborgen konnte.
In dieser Fülle von Versformen wiU Carl Hermann Weise
auch noch den Saturnischen oder altitalischen Vers in
aUen denkbaren Variationen entdeckt haben. 2) Es ist derselbe
Vers, vor dem wir den Horaz, der ihn als homdus beschreibt, sich
haben segnen und schütteln sehen vor Abscheu. Den Charakter
des Saturnischen Verses giebt Niebuhr dahin an 3), dass derselbe
aus einer feststehenden Zahl dreisylbiger Füsse bestehe. „Meisten-
theils sind es vier, seyen es nun Bacchieu oder Kretiker, ab-
wechselnd mit Spondeen. Bisweilen herrscheu die Kretiker, bis-
weilen die Bacchien vor; rein gehalten haben sie eine sehr schöne
Bewegung, gewöhnlich aber sind sie sehi* untermischt, so dass es
schwer ist sie zu erkennen."
Das Grrundschema nach Weise ist: ^.!.^_1_\1^_^1_\.
Es ist trochäisch; der vorgesetzte Auftact macht die erste Hälfte
aber jambisch. Nicht weniger als 70 „vollkommen saturnische
Verse" vermisst sich Weise im Plautus aufzuzeigen, und belegt
auch seine Funde mit hinlänglichen Beispielen, Proben, Noten,
Zahlen und allen denkbaren Füssen. *) Niebuhr bemerkt noch
über den Saturnius: „Er ist vielgestaltig und ganz unabhängig
1) Schediasma de metris Terentian. — 2) Der Saturn. Vers im Plaut.
Quedl. u. Leipz. 1839. — 3) Vortr. üb. Rom. Gesch. S. 91. — 4) a. a. 0.
S. 28.
492 ^i«? römische Komödie.
von gi-iechischer Metrik" . . . „Das griechische Metrum ist auf
Musik und Zeitmaass gebaut, bei den Kömern wurde wirklich g e-
zählt" (numerus), „die Sylben wenig oder gar nicht gemessen;
eine bestimmte Anzahl Tactc musste gegeben werden" . . . „Plau-
tus und Terenz brauchten in ihren jambischen und trochäischen
Versen auch um* den Tact, nicht das Zeitmaass".
S. 52 eiTeicht Weise's Abhandlung ihren Höhepunkt. „Wir
gehen nun", ruft er begeistert, „zu der Stelle in der Aulularia
(III. 2. 1—32) über, die man bisher als sotadi seh betrachtete, die
aber, meiner festen Ueberzeugung nach, als eine der meisterhaf-
testen Compositionen im saturnischen Versmaas se und als
eine der gewaltigsten und eifectreichsten Passagen in der ge-
sammten dramatischen Poesie überhaupt anerkannt werden muss".
Wie fern es mit dem Satmiiischen Funde seine volle Kichtigkeit
hat, mögen die Metriker prüfen. Was uns betrifft, so gehen auch
wir nun zu „den gewaltigsten und effectreichsten Passagen" der
Plautinischen Komödie selbst über, jedoch mit der vom Kaum-
maasse gebotenen Beschränkung, von den 21 Komödien, nächst
den Belegstellen, um* die Inhaltsanzeige zu geben.
Der Goldtopf (Aulularia). Von Aulula (diminut. von 011a,
Topf) so benannt: „Topfkomödie". Goldtopf heisst sie, weil es
sich darin um einen Topf voll Goldstücke handelt, den der alte Geiz-
hals, Euclio,. von Vater und Grossvater geerbt, die den geheimen
Hausschatz dem Schutze des Hausgottes (Larj anvertraut, und
desshalb den Goldtopf an des Gottes Altar, dem Hausherde, ver-
graben hatten. Zweckmässig spriclit denn auch der L a r den Pro-
log. Dort am Hausherde findet der alte Geizhals den Schatz
und in ilmi eine Hölle von Kümmernissen, Aengsten, peinigen-
dem Misstrauen und ewiger Unruhe: der Topf möchte entdeckt
und gestohlen werden, in diesem p]leud der verdienten Strafe
des hässlichsten Lasters eines Haus- und Familienvaters liegt die
Moral der Komödie; — in der witzigen Behandlung des Con-
trastes von Besitz der Mittel zu einer sorgenlosen Häuslichkeit,
und den gerade durch diesen Besitz sich selbst bereiteten lächer-
lichen Besorgnissen, Aengsten und Qualen liegt die Komik des
Charakters, seines Affectes und der daraus entspringenden Situatio-
nen. Eine immer etwas herbe Komik ft-eilich, da aus einer mo-
ralisch so widrigen Hässlichkeit, wi(^ solcher Geiz doch ist, selbst
Plautus. Der Goldtopf (Aulularia). 493
der grösste Meister nicht jene volle reine Heiterkeit zu entwickeln
vermag, welche das Lustspiel im Zwecke seiner komischen Ka-
tharsis heding-t. Der Geizhals mit seinen Nöthen bildet nur den
Aufzug mi Gewebe der dramatischen Fabel. Einschlag und Kette
liefert eine Familienepisode, die zu dem lächerlich garstigen Cha-
rakter des Geizigen ein Skandal fügt. Seine einzige Tochter,
Phaedria, hatte sich nämlich, während der Vater seinen heimlichen
Schatz in Sicherheit zu bringen sich abgeäugstigt, bei einem
nächtlichen Feste der Ceres den ihrigen rauben lassen; den edel-
sten aller Brautschätze: die Unschuld. Yater und Tochter ringen
beide heimlich in Schmerzen und Nöthen: Er mit dem Gold-
topf; sie mit einer bevorstehenden Grossvaterbescheerung. Das
Komische des Contrastes wird uns wiederum durch das Au-
stössige einer von Seiten des Verführers, Lyconides, und noch
dazu im trunkenen Zustande verübten Entehrung verleidet. Zu
gleicher Zeit hält ein alter Junggeselle. Megadorus, des Geizigen
Nachbar, um die Hand der Phaedria an, von deren Zustand nie-
mand weiss, als die Haussklavin, Staphyla, und der abwesende
Liebliaber Lyconides, Sohn von Megador's Schwester, Eunomia.
Euclio ist froh, die Tochter ohne Mitgift an Mann zu bringen^
und doppelt froh, nachdem er sich überzeugt, dass Nachbar Me-
gador nichts von seinem Goldtopf wittert. Der Hochzeitschmaus
wird zur Stelle bescliickt; aber, wehe, in der Küche des Euclio,
von gedungenen Köchen, Dieben von Profession; auf dem Koch-
herde, wo der Topf aller Töpfe, der Goldtopf unter der Erde
schwitzt; ein offenes Geheimniss für Nasen von Köchen, die ex
professo den Braten riechen. Schnell fort mit dem Topf ! Schnell
in den Tempel der Göttin „Treue" (Fides) die, als Schirmerin
der Treue, anvertiaute Goldtöpfe in ihre heilige Obhut nehmen
muss! Zitternd sieht er sich im Tempel der Treue von einem
Sklaven belauscht. Im Nu ist der Alte verschwunden, und ver-
gräbt den Topf in einem abgelegenen Hain des Gottes Sylvan in
der Vorstadt. Aber Lar, Fides und Sylvan haben sich mit dem
Galgenstrick, dem Sklaven, gegen den Goldtopf verschworen.
Schon hockt der verwünschte Sklave, der Strobilus, auf einem der
dunkelsten Bäume dieses dem Gotte Sylvan geweihten Haines;
sieht, vom Geizhals unbemerkt, ihn den Topf vergraben und be'-
mächtigt sich dos Schatzes, sol)al(l jener sich entfernt. Strol)ilus
494 ^^^^ röiins.;]ie Komödie.
ist des Lyconides Sklave, der inzwischen sich eingestellt, in der
redlichen Ahsicht, seine Verirrung wieder gut zu machen und sich
mit Phaedria zu vermählen. Sein Sklave Strobilus möchte am
liebsten den Fund behalten, mn sich mit einem Theil des Geldes
die Freiheit von seinem Herrn zu erkaufen. Das angebotene
Lösegeld entdeckt dem Lyconides, welcher bereits, in der Gipfel-
Scene der Komödie, vom Geizhals selbst den Raub des Topfes
erfahren, den Finder desselben in seinem Sklaven. Er verspricht
dem Diener die Freiheit, erhält von diesem den Goldtopf, den er
nun seinem baldigen Schwiegervater, dem inzwischen Grossvater
gewordenen Euclio, zustellt. Leider ist diess nur aus dem ver-
stümmelten Schluss des Stückes zu errathen, das mitten in den
Drohungen abbricht, womit Lyconides seinen Diener zur Heraus-
gabe des Raubes zwingt. Diese Scene hat Joh. Meursius nach
seinem Codex ergänzt. Den fehlenden Schluss zur Komödie dich-
tete ein italienischer Scholastiker, Professor zu Bologna unter
Kaiser Friedrich HL hinzu. Namens Codrus ürceus. Der Name
erinnert an den horazischen Vers in der Ars P. (20)
Amphora coepit
Institui, rotaute rota cur urceus exit?
Fingst einen Krug zu
Drehen doch an, warum kommt denn auf einmal ein Krüglein zum Vorschein ?
Der von diesem Urceus angefügte Schluss besteht aus etwa 150
Versen, worin die Angabe des alten Akrostichon-Argumentes dia-
logisch ausgeführt wird, das vom alten Grammatiker Priscianus
herrührt und mit dem Verse schliesst: ab eo donatus auro, uxore
et filio: „Lyconides erhält vom Schwiegervater Schatz und Frau
und Sohn zumal."
Die Komödie, deren griechisches Vorl)ild unbekannt geblie-
ben, spielt in Athen. Colorit, Sitten, Charaktere, Styl und Ko-
mik sind jedoch, wie in allen Komödien des Plautus, durchaus
römiscli. Diese Umschmelzung in's Römische ist ein Hauptver-
dienst des Plautus und unterscheidet ihn wesentlich von dem
gräcisirenden Terentius der seine Comoedia palliata dem Ge-
schmacke der damaligen vornehmen, mit griechischer ßikluug
Ijrunkenden Römer gemäss, buchstäblich nahm, und sie in Ton
und lieliandlung nicht attisch genug ausglätten konnte.
Plautus. Aulularia. Der Koch Congrio. 495
Nun aber jene Stelle, die, dem Entdecker von 70 Saturni-
schen Versen im Plautus zufolge, „als eine der gewaltigsten und
effectreiclisten Passagen in der gesammten dramatischen Poesie
überhaupt anerkannt werden muss", Act III. Sc. II. Wir geben
sie in Köpke's Uebersetzung (II, 7):
Der Koch Congrio kommt in der ersten Scene des III. Actes
aus Euclio's Hause vom Geizigen hinausgeprügelt, auf die Strasse
gestürzt, Hülfe rufend; aber nicht im Saturnischen, sondern in
trochäischen Versmaassen fOctonaren) und durchgedrescht ausser
Maasseu :
Lieben Bürger, Landesleute, Nachbarn, Bürger und ihr Freunde,
Macht mir Platz, um zu entrinnen, lasset mir die Strassen offen!
Heut gerieth ich in ein Tollhaus, um bei Rasenden zu kochen.
Mich und meine Schüler haben sie arg mit Knüppeln zugerichtet.
AUes thut niir weh am Leibe, so hat der Alte mich zerprügelt.
iSiemals hat man mir im Leben Holz zu geben so verstanden.
Alle jagt' er; mich und diese schlug er mit Knüppeln aus dem Hause.
Doch 0 weh! Ich geh zu Grunde; nochmals kommt er, ist schon nahe.
Und verfolgt mich; doch nun weiss ich, was zu thun. Er wies mir's selber.
(Euclio kommt aus dem Hause gelaufen. Congrio.)
Euclio. Zurück! Wo läufst du hin? halt! halt!
Congrio. Was schreist du Gimpel?
Euclio. Ich will dich schon verklagen vor Gericht.
Congrio. Wesswegen?
Euclio. Weil du ein Messer hast. »
Congrio. Das muss ein Koch.
Euclio. Du drohst mii-?
Congrio. Nur daran that ich schlecht, ich sollte dich durchstossen.
Euclio. Ich kenne keinen grössern Schurken auf der Erde,
Und keinem möcht' ich lieber anthun alles Böse . . .
Was hattest du olm' mein Geheiss bei mir zu treiben,
Diewcil ich fort war? Sag mir das!
Congrio. Das sollst du hören.
Wir wollten kochen für die Hochzeit.
Euclio. Was, zum Henker,
Trifft's dich, ob roh ich ess', ob gar ? Bist du mein Vormund ?
Congrio. Ich frage, wülst du uns das Essen kochen lassen?
Euclio. Ich frage, bleibt mein Eigen im eignen Hause sicher?
Congrio. Lass mich nur das, was ich gebracht, mir sicher nehmen.
Dann soll das deine mich nicht kümmern.
Euclio. (mit Spott.) Ja, das weiss ich.
496 l^iö römische Komödie.
Cüngriu. Was giebts? Wesswegen hinderst du uns hier zu kochen?
Was thaten wir? Was thaten wii- zu deinem Aerger?
Euclio. Du fragst noch, Schurke? Habt ihr mii- nicht alle Winkel
Vom ganzen Haus' und alle Stuben aufgerissen?
War das hier dein Geschäft? Wärst du am Herd gewesen,
So war' dein Kopf noch ganz. Dir ist ganz recht geschehen,
Damit du meine Meinung ja vernehmen könnest:
Wenn du der Thür hier näher trittst, ohn' dass ichs heisse,
So mach' ich dich noch heute zum elendsten Menschen.
Weisst du jetzt meinen Sinn? (Congrio will gehen.) Wo willst
du hin ? Komm wieder !
Congrio. ,,Ich schwör' es der Laverna'), giebst du meine Töpfe
Mir nicht zui'ück, so kriegst du heute noch ein Ständchen."
Die Scene ist lebhaft, hitzig, komisch , wenn man will , aber
das Wunder, das Weise, der Satm-nier, darin entdeckt „eine der
gewaltigsten" u. s. f., konnte nur Einer darin finden, mit dem, in
der Freude seines Herzens über das halbe Schock Satm'nier —
wenn es Saturniei- sind ! - - sein Heureka durchging. Weit eher
käme Herrn Weise's Hyperbel der Scene zu, wo der verzweifelnde
Euclio, über den Verlust seines Topfes schier von Sinnen, mit dem
jungen Lyconides zusammentrifft, und dieser die Verzweiflung des
Alten dessen unverhofften Grossvaterfreuden beimisst. Das Qui-
proquo veranlasst eine der trefflichsten Komödien-Scenen, wo das
Komische aus gegenseitigem Missverstäudniss entspringt. (IV,
10. In der Üebersetzung V. 3.)
Euclio. Ich bin verloren. Es ist aus! Wo lauf ich hin und wohin
nicht ?
Halt ihn! Wen denn? Wen? Ich weiss es nicht, und sehe
nichts, bin blind, und
Kann's nicht fassen, wo ich bin, und wer ich bin und wo ich
hüi wül.
Euch beschwör' ich, zu Euch fleh' ich, kommt mir doch zu
Hülfe! zeiget
Mir den Menschen, der'n gestohlen!
(Er fasst einen aus den Zuschauern mit scharfem Blick).
Du, was sagst du ? Dir vertrau' ich ; denn du hast ein ehr-
lich Ansehn.
Nun, ihr lacht? Ich kenn' euch alle, weiss, dass viele Diebe
hier sind,
l) Göttin der Diebe.
Plautus. Goldtopf (Aulularia). Schatz und Tochter. 497
Die durch - KUeiduiig' sich verhergen, dort, wie ehrlich, sitzen.
Niemand hat's von diesen. Aus ist's; Sage doch, wer hat's?
Du weisst nicht?
Acli ich Armer, ganz Verlorner! Ganz zu Grund bin ich ge-
richtet.
So viel Seufzer und Betrübniss hat mir dieser Tag gebracht,
Hunger und Armuth. Ach der Unglückseligste bin ich auf
der Erde!
Was soU ich nun noch leben, da ich so \äel Geld verloren,
Das ich stets mit Sorgfalt hegte? Ach ich hab mich selbst
betrogen
Um Heiterkeit und Lebenslust. Jetzt freun sich Andre dessen,
Älir zum Unglück , mir zum Schaden. Ach ich kann's nicht
länger tragen.
(Lj'conides ist ans dem Hause getreten für sich sprechend.)
Euclio. He, M'er spricht hier?
Lyconides. Ich bin's.
Euclio. Ach ich bin ein unglücksel'ger Mann,
Da mir so viel Herzleid widerfahren.
Lyconides. Fass doch guten Muth!
Euclio. Sprich, wie ist das möglich?
Lyconides. Weil die That, die dein Gemüth betrübt,
Ich gethan und eingesehn.
Euclio. Ei, was hör' ich da von dir?
Lyconides. Was die Wahrheit ist.
Euclio. Was hab' ich Böses denn um dich verdient,
Dass du mich und meine Kinder ins Verderben hast gestürzt ?
Lyconides. Wohl ein Gott hat mich getrieben; der hat mich dazu ver-
lockt.
Euclio. Wie das?
Lyconides. Ich gesteh' den Fehltritt, weiss es, dass ich schuldig bin;
Desshalb kam ich dich zu bitten, dass du gütig mir verziehst.
Euclio. Warum wagst du zu berühren das, Avas dir nicht angehört.
Lyconides. Was verlangst du? Was geschehn ist, wird nicht ungeschehn
gemacht.
WoUten's doch die Götter, denn sonst, weiss ich, war' es
nicht geschehn.
Euclio. Nun so woUen's auch die Götter, dass du mir im Blocke
stirbst.
Lyconides. Ach, du weisst nicht . . .
Euclio (heftig). Warum hast du frech berührt, was mir gehört?
Lyconides. Wein und Liebe haben mich bethöret.
Euclio. Du verwegner Mensch,
Wagst du noch mit solcher Rede, Unverschämter, mii- zu
nahn? ....
n. 32
498 üi<? vömische Komödie.
Lycouides. Darum kam ich dich zu bitten, meinen Fehltritt zu ver-
zeilm
Euclio. Bringst du um- nicht wieder —
Lyconides. Was denn?
Euclio. Was du mir gestohlen hast.
Schlepp' ich dich sogleich zum Prätor, und verklage dich.
Lyconides. Ich gestohlen? Wie? Was ist das?
Euclio. Jenen Topf mit Gold verlang' ich. den du. wie du eingestehst,
Fort mii" nahmst.
Lyconides. Das sagt' ich nicht, noch that ich's je.
Euclio. Du läuguest das?
Lyconides. Ja, das läugn' ich. Niemals hab' ich weder Topf noch Gold
gesehn ....
Euclio. Kannst du schwören, dass du jenes Gold nicht nahmst?
Lyconides. Ich schwör' es dir.
Euclio. Auch nicht weisst, M-er es gestolüen?
Lyconides. Auch das schwör' ich.
Euclio. Hörst du es,
Wer es fortnahm, willst du's sagen?
Lyconides. . Ja! ....
Euclio. Und betrügst du mich?
Lyconides. Dann mache Gott aus mir, was ihm gefällt.
Euclio. Dies genügt mir-. Sprich nun, was du vriUst ! . . .
Der junge Mann rückt nun mit seinem Anliegen hervor. Kün-
digt ihm zuerst, im Namen seines Oheims, Megador, dessen Ver-
lobung mit Euclio's Tochter Phaedria auf. Dieser schmäht und
flucht. Lyconides fasst sich ein Herz und spricht:
Hab' ich gegen dich und deine Tochter üljereilt gefehlt.
So verzeih, und gicb sie mir zur Frau, wie das Gesetz befiehlt.
Ich gesteh', dass ich an deiner Tochter mich versündiget.
An der Ceres Nachtfest, weinberauscht und voll von Jugend-
drang.
Euclio. Ach, was muss ich. Armer, von dir hören? (Er weint.)
Lyconides. Warum weinst du denn?
Macht' ich dich doch an der Tochter Hochzeit schon zum
Grosspapa.
Eben kam sie nieder ....
Geh' heim imd forsche drum, ob's nicht ist, wie ich gesagt.
Euclio. Ach, ich bin des Todes. So folgt mir Ungemach auf Unge-
mach ....
Das Merkwürdige in dieser Scene ist, dass ihr hellster Licht-
punkt aus dem Innern des Geizigen auf sie fällt; dass man näm-
lich in der Brust des Alten noch eine andere, eine edlere Saite
Plautus. Anliilaria. Moliere's Geiziger. 499
als die mit Golddraht überspouiiene, schwingen hört. Durch seine
Verzweiflung über den Verlust des Schatzes tönt das Herzleid des
Familienvaters ob der an seiner Haus- und Familienehre erfah-
renen Kränkung. Fast fühlt mau sich umgestimmt zu seinen
Gunsten, und wünscht ihm den Wiederbesitz seines Goldtopfes.
Gleichzeitig erscheint uns auch der Jüngling durch seine Keue
und seinen Eifer, das Vergehen wieder gut zu machen, in einem
gefälligem Lichte. Das Alles hat der Dichter zu erreichen ge-
wusst, ohne der komischen Wirkung Abbrucli zu thun. Fünvahr
die drei Gottheiten, der Hausgott Lar, die Familien-Göttin Fides
und der scherzhafte Flurgott Sylvan, sie haben jede ihr Theil zu
dieser Meister-Scene beigesteuert; durch Ehrenrettung des Fami-
lienherdes, der Liebestreue, und der Feldgott Sylvan, — pater
Sylvane, tutor finium i) — durch den grössten Hausschatz der
Komödie: kostbares Lachen. Wie sehr steht der Geizige des
Moliere gegen den des Plautus, schon um dieser einen Scene
willen, zurück. Der französische Komiker wollte den Geizigen
hassenswerth darstellen, das Laster des Geizes brandmarken: das
ist ihm treflFlich gelungen, aber um welchen Preis? Um den der
komischen Wirkung, die das Motiv an sich ausschliesst, die aber
der Römer durch einige menschlich edlere, ja rührende Züge, selbst
in der Hauptfigur, zu retten wusste. Lächerlich hat Moliere sei-
nen Geizigen wohl gemacht, aber auf Kosten eines heitern La-
chens. Lächerlich und widei-wärtig zugleich : beides dadurch, dass
er den Geizhals noch verliebt schildert, als förmlichen Liebes-
gecken. Die Fehler der Plautinischen Aulularia verschuldet das
Charaktermotiv, und die von der Menander-Komödie auf die rö-
misclie übertragene Unsitte einer Nothehe in Folge eines Conats.
Die Vorzüge und Scliönheiten des Lustspiels dagegen kommen
dem komischen Genie des Plautus in Kechnung, dem w sie zu-
schreiben müssen, da jeder Vergleich mit dem verschwundenen
griechischen Vorbilde wegfällt, und die Komödie so durchaus rö-
misches Gepräge trägt.
Hat sich denn nun aber auch gleich an dieser ersten von
uns in Betracht genommenen Komödif; des Plautus jenes Kenn-
zeichen bewährt, welches unser berühmter Historiker als eines der
1) Vater Sylvamis, der Marken Schinner. Hör. Epod. 2. v. 21.
32*
500 Die römische Komödie.
Unterscheidungsmerkmale der Plautiuischen Komödie, im Vergleich
zu der des Terentius, hervorhebt? „Bei Plautus heiTscht Opposi-
tion der Kneipe gegen das Haus." — Oder sahen wir nicht viel-
mehr eine Ehrenrettung und Wiederherstellung des Haus- und
Farailienwesens gleich in dieser ersten Komödie des Plautus er-
strebt und erreicht? Doch wir haben noch zwanzig vor uns. Und
an diesen kann immer noch jenes Unterscheidungsmerkmal sich
erproben. Wir wenden uns zum
Kästchen (Cistellaria). Den Titel führt das Stück von der
Cistella, dem Kistchen, worin abermals ein Kind gewaltthätiger
Liebe, Namens Silenium, mit Spielzeug und Erkeunungsstücken
(crepundia, viaiyvia, yvwQLOfiata) von ihrer Mutter, Phanostrata,
einem jungen freigebornen Mädchen aus Sicj^on, und auch sie
wieder ein Festopfer unfreiwilliger Liebe, war ausgesetzt worden.
Der Vater, ein junger Kaufmann aus Lemnus, Namens Demipho,
hatte sich bald, nach Abmachung seines Geschäftes in Sicyon, in
Lemnus mit einem Bürgemiädchen verheirathet. Seine Frau be-
schenkte ihn mit einer legitimen Tochter, that ihm aber, wie Plau-
tus sagt, den Gefallen, vor ihm zu sterben. In Sicyon war das
ausgesetzte Töchterlein, die Silenium, von einer Kupplerin aufge-
nommen und einer Freundin, Melaenis, zugebracht worden, um mit
dem Findling, als einem untergeschobenen Kinde ihrer erlogenen
Schwangerschaft, den getäuschten Liebhaber zu schröpfen und ihm
reichere Geschenke abzupressen. Treffliche Lustspielmotive, er-
bauliche Geschicke! Und welche mütterliclie Bildungsschule für
das arme Silenium ! Doch das war einmal Zeitsitte, und der Ko-
miker — nun was der Komiker? — ist eben auch ein Kind der
Zeit. — Ihr Dichter vor Allem! ihr Sittenlehrer, Sittenläuterer ;
ihr Seelenarzt, und seine Heil- und Besserungsmittel: Seelenlust,
scherzhaftes Spiel voll lachender Weisheit. Solcli ein Komiker
ist Aristophanes, ist auch Plautus, ilnn verwandt durch sittlichen
Enist und Gesinnung, die gewaltigen Adlerschwingen des Genies,
des tragischen wie komischen Genies. Von solcher Dichterstim-
mung ist auch diese Komödie, die Cistellaria beseelt. Denn diess
nur lag, unserem Gefühle nach, in der menschenfreundlichen Ab-
sicht des Dichters: der Sitte der Zeit den mahnenden Spiegel
vorzuhalten; dasLoos eines solchen unglücklichen Gescliöpfes und
unscJjuldigen Opfers jugendlichen, von der allgemeinen Frivolität
Plautus. Das Kästchen (CisteUaria). Die moralische Sti*enge. 501
genährten Leichtsinns einer Familienordnimg au's Herz /.u legen,
welche im Maasse der Gesetzlichkeit, auf die sie sich bemft und
steift, in sittlich-jnenschlicher Beziehung, zerrüttet und fühllos
erscheint. Da tritt der Dichter für die Verstosseneu der Gesell-
schaft ein, und versieht- an' ihnen gleichsam Vaterstelle, und lässt
seinen guten Hausgenius und Familiengeist, den pro\ädentiellen
Zufall, wie Prospero seinen Luftgeist, Ariel, die Fäden der Lust-
spielgeschicke so gemüthlich neckiscli und ergötzlich mischen,
dass die Sünden der Väter und Mütter, der Institutionen und Ge-
setze, niclit den unschuldigen Kindern heimkommen. Hiebei er-
giebt sich nur der Uebelstand, dass die scherzhafte Laune der
Zufallsspiele dem Leichtsinn des Zuschauers das Wort redet, der
nur allzu geneigt ist, diesem dienstbaren Geiste der Komödie die
Schlichtung und Ausgleichung der unverantwortlichsten Thorhei-
ten anzusiimen und sich der Dazwischenlmnft und Vermittelung
desselben, eintretenden Falles, zu getrösten. Die Kunst und das
Genie des komischen Dichters eiiveist sich daher bei derlei Mo-
tiven und Litriguen- Inhalt in der Strenge, womit seine tief
menschliche, liebevolle Absicht durch die scheinbar leichtfertigen
Formen seiner Witzesspiele hindurchscheint, ohne deren Ergötz-
lichkeit zu gefährden. Und hierin scheint uns auch das Genie
des Plautus besonders zu glänzen; in dem Ernste der Hinausfüh-
nmg nämlich seiner aus jugendlichem Selbstvergessen entsprin-
genden Verwickelungen zu einer vollen befriedigenden Geschickes-
sühne; bei einer Fülle ächten komischen Witzes und komischer
Situationen, die über jene ethischen Gruudabsichten leicht hiu-
spielen, wie das scherzhafte Wellenki'äusebi eines goldführenden
Stromes über den Gehalt in seinen Tiefen, und ki-aft dieser Ge-
diegenheit eines tiefen ernsten Zweckes, kraft solchen Grundge-
haltes seiner Komik, möchten Avir auch in Plautus den schöpferi-
schen Umbildner und Veredler der Menander- oder Diphilus-
Komödie erkennen. Auch die Lustspiele des Terenz werden wir
auf dieses Kriterium hin zu prüfen, und das Verhalten der beiden
römischen Dichter zur Comoedia paUiata, in Beziehung auf diesen
Cardinalpunkt, zu Avürdigen haben.
Was ist nun aus unserem Silenium bei der Melaenis gewor-
den? Sie wird von der vermeintlichen Mutter mit grosser Sorg-
falt und Liebe für ihr Gewerb erzogen. Silenium verabscheut
gQ2 Die römische Komödie.
diese Bestimmung. Der Schutzgeist imnitten der Verderbniss,
eine ächte wahre Liebe, hält über sie, ihr Herz und ihre Tugend,
seinen Demantschild : die Liebe zuAlcesimarchus, einem jungen
Sicyonier von guter Familie, der sich ihr in Treue verpflichtet
und die Ehe geschworen. Nun fügt es sich, dass dem Alcesi-
marchns von seinem Vater die Tochter des Lemniers Demipho,
von dessen verstorbener Frau, zur Braut ersehen ward. Alcesi-
marchus will aber eher sterben, als von seiner Silenium lassen,
die inzwischen von ihrer wirklichen Mutter, der Phanostrata, wieder
aufgefunden worden. Melaenis, da sie die Hoffnung aufgeben muss,
das tugendhafte Mädchen für ihre Zwecke zu gewinnen, spielt die
Edelmütliige, und fühi-t Silenimn zugleich mit dem Kästchen und
den darin aufbewahrten Kindersachen den Eltern zu. Denn auch
der verwittwete Demipho hatte sich in Sicyon mit seiner recht-
mässigen Tochter eingestellt, in der Absicht, die verführte Geliebte
aufzufinden und sie wieder zu Ehren zu bringen. Die Sklavin,
die das Kästchen trägt, lässt dasselbe vor Schrecken über Alce-
simarchus fallen, der sich seiner Geliebten bemächtigt, nachdem
er mit gezücktem Dolche sich zu tödten gedroht, wenn sie ihm
entrissen würde. Er hat das Mädchen ergriffen und träg"t sie auf
den Armen in sein Haus. Das Kästchen, das die Sklavin faUen
Hess, findet der Sklave Lampadio, der treue Diener der Phano-
strata. Diese erkennt das Kästchen wieder. Bei Alcesimarchus
treffen die Eltern seiner Braut, Demipho und Phanostrata, zu-
sammen, wo nun Alle, aufs glücklichste vereinigt, ihre Herzens-
wünsche erfüllt und befriedigt sehen.
Zu den Eigenthümlichkeiteu dieser Komödie gehört, dass der
Hülfsgott (Auxilium) den Prolog erst in der dritten Scene
spricht, nachdem die Kupplerin das Nähere über Silenium's Ver-
gangenheit, so weit sie selbst dabei im Spiele war, mitgetheilt.
Der Hülfsgott giebt nun die nöthigen Aufschlüsse über die Ge-
burt des Mädchens und die Verhältnisse, in denen sie gegenwärtig
lebt. Die erste Scene ist ungemein anziehend und merkwürdig
durch die Art, wie Silenium ihr Herz gegen ihre Gespielin, Gym-
nasium, eine Hetäre, erschliesst:
Gymnasium. — Aber wie, Silenium?
Wie warst du während dieser Eede? Niemals schien mir
trüber
Plautus. Cistellaria. Süenium. 503
Dein Ansehen. Warum flieht dich so die Heitei'keit? das
sag' mir!
Auch bist du nicht geschmückt, wie sonst. Seh' Einer wie
sie seufzet
Aus dieser Brust! Auch bist du bleich . . .
S i 1 e n i u m. Ach es quält mich — mir ist übel, mir ist weh !
Ich bin krank am Herzen, krank an Augen , krank an Trau-
rigkeit ;
SoU ich's sagen? Meine Thorheit reisst in Jammer mich
dahin.
Gymnasium. Wo die Thorheit dir entsprungen, lass sie da begraben
sejni !
Silenium. Und das heisstV
Gymnasium. Verbirg sie üi die Winkel deiner tiefen Brust!
Die allein, kein andrer Zeuge, wiss' um deine Albernheit.
Silenium. Doch ich hab' ein Herz!
Gymnasium. Wie, du? Woher ein Herz, das sage mir!
Was nach Männerspruch ich weder habe, noch ein ander
Weib.
Silenium. Hab' ich eins, so schmerzt es; hab' ich keüis, so ist der
Schmerz doch hier.
(zeigt aufs Herz.)
Gymnasium! Ha, die liebt!
Silenium. Ist schon der Anfang in der Liebe stets so herb?
Gymnasium. Freilich wohl; an Gall' und Honig fruchtbar ist der Lie-
besgott
Süsses giebt er uns zum Vorschmack, Bittres dann zur
Sättigung.
Silenium. So gestaltet ist die Krankheit, die mich quält, Gymnasium. .. .
Den zweiten Act eröffnet Alcesimtirclms mit seinen Liebes-
qualen, die er der Melaenis, der Pttegemutter von Silenium,
schildert:
Ganz gewiss ward die Tortur auf Erden von der Lieb' erfunden . . .
Ich werde geworfen , geängstigt , getrieben , gestachelt , gedreht auf dem
Rade der Liebe . . .
Ich bin nicht, wo ich bin; und wo ich ijicht bin, da ist mein Gemüth.
So stehn mir die Gedanken. Was ich will, das will ich bald nicht
mehr . . .
Kein Unglück fehlt mir ganz Verlornen , ausser noch zuletzt der Tod . . .
Die Weigerung der Melaenis, seine Vermählung mit Silenium
zu gestatten, steigert seine Leidenschaft bis zur Gedankenver-
wirrunij:
504 I^i^ römische Komörlie.
. . . Weib, nun höre, dass du meine Meinung kennst.
Alle Götter, . . . ruf ich an.
Dass ich lebend der Silenium keinen Kuss mehr' geben will,
Wenn ich dich und deine Tochter und mich selbst nicht tödten wiU.
Morgen dann mit Tagesanbruch nicht euch beide niederstreck' . .
Wenn du sie mir nicht zurückschickst. Ich bin fertig. Lebe wohl!
(stürzt ab.~)
Der dritte Act besteht in der einzigen schon erwähnten
Scene, wo Alcesimarch die Geliebte auf seinen Armen in's Haus
trägt. Der vierte enthält die ganze Entwickelung, und dem fünf-
ten bleiben nur acht Verse zum Beschluss, worin der Diener Lam-
padio dem eben nach Hause eilenden Demipho die ft-ohe Botschaft
von der gefimdenen Tochter bestätigt. Die Komödie eilt unauf-
haltsam der Entwickelung entgegen, mit den Herzen der beiden
Liebenden um die Wette, die einander eutgegenfliegen. Das „pro-
perare" in Horazens Kennzeichnung des Plautinischen Komödien-
ganges springt hier in die Augen :
Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi —
Das Hausgespenst (Mostellariaj : von mostellum, kleines
Monstrum, oder Kobold, womit der Knecht Tranio, das Urbild
eines ausgepichten Hallunken und Schelmes von Bedienten, seinen
von Handelsgeschäften unversehens zurückgekehrten alten Herrn,
Theuropides, vom Betreten des Hauses zurücksclu-eckt, indem er
ihm weissmacht, dass es darin spuke, und der Geist eines von dem
vorigen Besitzer ermordeten Kaufmanns umgehe. Während der
Abwesenheit des Alten war sein Sohn, Philolaches, ein bis
dahin gesitteter Jüngling, in schlechte Gesellschaft gerathen, und
hatte einen wüsten Lebenswandel begonnen, worin Tranio ihm
mit Rath und That beistand. Philolaches unterhält ein Mädchen
Philo mathium, das er für eine dem Wechsler und Wucherer
Misargyrides ^Geldhasser) entliehene Summe von 40 Minen (900
Thlr. etwa) vom Mädchenhändler freigekauft. In Gemeinschaft
mit einem andern jungen Manne, Callidamate s , und dessen Lieb-
chen, Delphi um, feiert Philolaches Orgien in dem ehrbaren Hause
seines Vaters. Bei einem solchen Gelage bringt Tranio, vom Ha-
fen heimkehrend, dem jungen Herrn die Nachricht von des Vaters
plötzlicher Ankunft, den er so eben habe landen sehen (H, 1. 17 ff.):
Plautus. Das Hansgespenst (Mostellaria). 505
Tranio. Ach Philolaches!
Philolaches. Was giebt es? ^
Tranio. Ich und du . . .
Philolaches. Was ich und dn?
Tranio. Sind verloren.
Philolaches. Wie?
Tranio. Dein Vater kam.
Philolaches. Was hör' ich?
Tranio. Es ist aus.
Hörst du, dass dein Vater ankam? -
Philolaches. Sprich, wo ist er?
Tranio. Er ist da . . .
Philolaches. Und du selber sahst ihn?
Tranio. Ja, sagt ich! . . .
Philolaches. Unter geh' ich, wenn du wahr sprichst.
Tranio. Was woU hülf es, log' ich dir?
Philolaches. Sprich, was räthst du mir?
Tranio. Es werde Alles eiligst fortgeschafft!
Doch wer schläft dort?
Philolaches. Callidam ist's.
Tranio. Weck' ihn, liebe Delphiuin!
D e 1 p h i u ni ( ihn aufrüttelnd) .
Callidam auf! CaUidam!
Callidam. (sich halb ermunternd).
Ich wache. Gebt mir meinen Trunk!
Delphin m. Wach! Phüolaches' Vater ist gekommen!
Callidam. (taumelnd und schlaftrunken).
Mag's ihm Wohlergehen! ...
Philolaches. Was beginn' ich? Kommt der Vater,
findet er mich trunken hier,
Voll das Haus von Gästen und Weibern.
Tranio hat sich inzwischen schon sein Plänchen ausgedacht.
Er lässt Alle sich zurückziehen in's Innere des Hauses und sich
dort mäuschenstill verhalten. Der Alte pocht an die Hausthür.
Tranio, der schon aufgepasst, kommt hervor und, zurückschau-
dernd bei dem Anblick des Alten:
Tranio. Wie? hast du dieses Haus berührt?
Theuropides. Wie sollt" ich nicht? . . .
Tranio. Berührt? Und du?
Theuropides. Berührt und angeklopft.
Tranio. 0 weh!
Theuropides. Was ist?
506 Di^ römische Komödie.
T r a 11 i 0. Entsetzlich !
Tl^europides. Nun, wie so?
Trauio. Man kann es nicht
Aussprechen, welche Gräuelthat du hast gethan.
Theuropides. Wie?
Tranio. Eile, sag' ich, fiiehe fort von diesem Haus . . .
Theuropides. . . . Sprich doch aus, ich bitte dich!
Tranio. Schon sieben Monat sind es, dass in dieses Haus
Kein Mensch, seit wir's verlassen, nur den Fuss
gesetzt.
Theuropides. Sprich doch, warum denn?
Tranio (ängstlich) .
Sieh dich um, ob Einer ist,
Der unsre Eed' wahrnehmen kann.
Theuropides. Ganz sicher ist's.
Tranio. Sieh noch einmal dich um!
Theuropides. 's ist keiner, sprich doch nur!
Tranio. Es ist ein Mord geschehen. . . .
Nun erzählt er den füi-cliterlichen Vorfall und das Umgehen
des Ermordeten, der ihm, dem Tranio, Nachts erschienen und um
ermahnt, auszuwandern aus diesem Hause, denn „voll Greuels ist
die Wohnung und das Haus verrucht." Während er spricht, ent-
steht drinnen ein Geräusch. Beide erschrecken, aber aus ver-
schiedenen Gründen :
Theuropides (starr vor Angst, hei Seite).
Ich habe keinen Tropfen Blut,
Die Todten rufen mich lebend ah zur Unterwelt.
Tranio (für sich). Ich bin verloren! die verdarben mir das Spiel:
Wie furcht' ich, dass er mich ertappt auf klarem Trug! . . .
Theuropides. Was thun?
Tranio. 0 fleuch, sieh nicht zurück, verhülle dich!
Der Alte befiehlt seine Seele dem Hercules, entflieht, und
spornstreichs zu dem Manne ^ der ihm das verruchte Haus ver-
kauft, worin er den gräulichen Mord begangen. Der dritte Act
führt Tranio's eigentliclies Hausgespenst daher, den Wucherer
Misargyiides (Silberfeind) und gleichzeitig den alten Theuropides,
der \m dem Mörder des spukenden GastlVeundes mittlerweile Er-
kundigungen eingezogen — zwei Donnerschläge auf einmal für
Tranio, die nur sein gaunerisches Lttgengenie befruchten, dass die
Lügen, wie die Pilze nach einem Gewitter, emporschiessen. Das
Plautus. Mostellaria. Die Schürzung des Knotens. 507
Ableugnen des Mörders, das, meint Tranio, habe die Beweiskraft
eines Corpus delicti. Den Wucherer nimmt er bei Seite, um ihm
den Mund zu stopfen. Der aber hält sich die Ohren zu und
schi'eit einmal über das andere: „Die Zinsen her!" so dass der
Alte, der das Wort erschnappt, näher tritt und fragt; was das
für Zinsen sind? Unser Tranio besinnt sich nicht lange und giebt
Auskunft über die Zinsen klar und wahr: Das wären Zinsen für
das Geld, das der junge Herr von dem braven Manne da, dem
Wucherer, sich geborgt hat zu dem Ankaufe des meuen Hauses,
naclidem er aus dem alten von dem „Gespenst" vertrieben wor-
den. Der Alte, hocherfreut über des Sohnes ersten abgeschlosse-
nen Handel: „Ein Haus? Tranio. Ja. Theuropides (für sichj.
Brav Philolaches! Er artet nach dem Vater, denn schon macht
er Kaufgeschäfte." Der Alte übernimmt die Zahlung für den Sohn.
Der Wucherer geht vergnügt von danneu. Das angekaufte Haus
ist das des Simo, des Nachbars Haus. Them-opides will es so-
gleich in Augenschein nehmen. Tranio erhält die Erlaubniss
dazu von Nachbar Simo, dem er vorredet, dass sein Herr ein
Frauengemach in seinem Hause wolle anbringen lassen, nach dem
Muster von dem inSimo's Hause. Dem Theuropides lügt er vor:
Der Simo gräme sich wegen des Verkaufs und da gebiete die
Menschlichkeit, von dieser Kaufangelegenheit, wähi'end der Be-
sichtigung, zu schweigen.
Der Lügenknoten ist geschürzt und, für Verlegenheitslügen
aus dem StegTeif, und in Betracht von Theuropides' Charakter,
als eines ehrlichen, gutmütliigen Hausvaters von altrömischer,
abergläubischer Gespensteifurcht, lustspielwüvdig geschürzt; keines-
weges „leichtsinnig und lose." Leichtsinnig und lose geschiu-zt
sind eben mir solche Lustspielknoten, die ohne liücksicht auf die
aus Charakteren und Umständen fliessende Wahrsclieinlichkeit
geknüpft erscheinen. Den Alten mit dem AVucherer zusammen-
bringen, und über Beider Köpfe dieselbe Lügenschlinge werfen
mit frech versclimitzter Hand; ja noch den Dritten, den alten Simo
mit hineinverflechten: das dürfte wohl als ein Meisterstück von
Lustspielknoten gepriesen werden; in einer Komödie zumal, die
leicht und luftig sich aufbaut und abspielt, in Saus und Braus
gleichsam, wie die tolle Wirthschaft der jungen Wüstlinge drin;
in einer Spuk-Komödie aus dem Stegreif, wo Alt und Jung von
508' I^i*^ römische Komödie.
dem Irrwisch, Tranio, gefoppt und genarrt wird: die Jungen in
den Sumpf der Liederlichkeit gelockt; die Alten im Kreise an
der ihrer Leichtgläubigkeit angedrehten Nase hernragefühi-t wer-
den, und gelegentlich den Jungen und Alten in der Cavea ein
Licht aufgesteckt wird: wo sie die Schäden ihres Familienwesens
zu suchen haben.
Der Zusammensturz des Lügenbaus erfolgt freilich so rasch
und augenblicklich wie der eines Kartenhauses. Das aber liegt
in der Natur aller noch so fein abgekarteten Lügenkünste, aller
noch so planvoll und abgefeimt geschürzten Lügenknoten: ob von
Tranio's, als Haus-SkMven, geknüpft oder für Haus und Hof in
Cabinetten; ob von Tranio's liinter den Stühlen ihrer zechenden
Herreu, oder von Fürstenknechten an grünen Tischen im „hohen
Hause", mn ihre Herrschaften mit Haus-Gespenstern zu täuschen.
So zerstiebt denn auch im Nu unseres Tranio Knoten von dem
Hauche eines andern Sklaven, der seinen jungen Herrn, Calli-
damates, aus der Zechgesellschaft abholen kommt. Theuropi-
des, noch aussen weilend, stürzt herbei, um den der Hausthür
sich nähernden Diener zu warnen. Dieser schenkt ihm zur Stelle
den reinsten Wein ein, dass dem Alten Sehen und Hören vergeht.
Flugs eilt er hinüber zu Nachbar Simo, von wegen dem Haus-
verkauf. Nun erföhrt er Alles; nun ist Alles klar. Simo leiht
dem Gefoppten Sklaven und Ketten, um an dem Schurken Tranio
ein fürchterliches Beispiel zu statuireu. Tranio kommt dazu,
springt im Husch auf einen Altar. Der Alte, da er ihn der hei-
ligen Stätte nicht entreissen darf, will ihn aushungern, Feuer um
den Altar legen lassen. Nun erscheint Callidamates, als Für-
sprecher von Philolaches dem Vater zugesandt. Beide Jünglinge,
von Hause aus gutgeartet, hahen sich ermannt und mit dem
Rausche ihr wüstes Treiben abgeschüttelt. Callidamates erbietet
sich gegen Theuropides, die Schulden seines Freundes Philolaches
beim Wucherer zu tilgen. Nicht so leicht erlangt er für den
Stifter aller Schlechtigkeiten, den Tranio, Verzeihung. Endlich giebt
der gutmüthige Alte den Bitten des Callidamates nach und erlässt
dem Frevler die Züchtigung. Tranio verharrt in seinem Charalrter
bis zuletzt. Dem zögernden Theuropides ruft er vom Altare zu:
Was bedenkst du? Werd' ich Hiori^cn niclit was Neues schon begehn?
Dann ja kannst du Ijcides wacker, dicss und jenes züchtigen.
Plautus. Mostellaria. Der sittliche Kern. 509
Der glimpfliche Ausgang ist vollkommen lustspielgerecht.
Denn der Komödiendichter soll wohl hinter den Spiegel, den er
den Thorheiten vorhält, die Ruthe als Fingerzeig stecken, aber
nicht die Geisselung vollziehen. Die liöchste Moral, die er lehren
kann, ist Menschhchkeit, unbeschadet seiner sittlich idealen Strenge,
die in den lebhaften Farben treuer Charakterschilderung lächer-
licher Blossen und komischwitziger Bedrängnisse, worein sein kunst-
reiches Genie die Verirrungeu verstiickt, sich genugsam oifenbart.
Diese glänzenden Züge sind die feurigen Ruthen, womit der Ko-
mödiendichter züchtigt; womit auch Plautus in der Mostellaria
den strengen Ernst seiner auf Läuterung des Familienwesens hin-
zielenden Kunstabsichten und seiner praktisclien , durch die vis
comica rückhaltsloser Sittenschilderung eingeschärften
Belehrungen kundgiebt. Die moralische Tendenz beruht eben in
der Meisterschaft der Haltung und Durchführung des Zweckge-
daukens, in der Thatsächlichkeit ihrer Bewährung, in der kuust-
geregelten p]nergie einer schonungslos ergötzlichen Blosslegung
der inneren Familienschäden. Auch fehlt es an deutlichei^ Win-
ken solcher Tendenz keinesweges. An Stelle eines Prologs, des-
sen eine Komödie nicht bedarf, die, ohne vorgeschichtliche Aben-
teuer, innerhalb ihres dramatischen voraussetzungslosen Verlaufes
sich selbst erklärt, tritt eine erste Scene zwischen den beiden
Knechten, Grumio, einem ehrlichen, treuen Haussklaven vom
Lande und dem abgefeimten, städtischen Tranio, der seinen
Mitknecht übermüthig verhöhnt. Die musterhafte Eingangsscene
prologirt gleichsam die Moral der Fabel, giebt den ethischen
Grundton des Stückes an, und ist nebenbei die vortrefflichste Ex-
position (V. l^tf.j:
Gruniio. Du aber, städtischer Laffe —
Du wirfst das Land niii- vor, du Schuft?
Jetzt, da's noch geht, und dir's belieht, bring' durch und zech.'
Verdii'b den besten Jüngling, unsres Herren Sohn.
Sauft ganze Tag' und Nächte, zecht nach griechischer Art,
Kauft euch zur Wullust Mädchen — macht sie frey und nährt
Schmarotzer ; schmaust, lebt herrlicOi und in Freuden fort !
War das der Auftrag deines ITcrren, als er ging? . . .
Das also hältst du i'ür die PHicht des treuen Knechts,
Dass er zu Grunde richtet Geld und Sohn des Herrn? . . .
Tranio. Was, Henker, geht mein Thun und Treiben dich wold an?
510 Die römische Komödie.
Wenn flu doch mir für deine Ochsen Sorge trägst!
Ich will nun einmal zechen, liehe Mädchen ziehn . . .
Grumio
Nicht jeder kann nach Balsam riechen, so wie du,
Noch obenan zu Tische liegen, so wie du,
Noch leben, so nach deiner Art, von Leckereien.
Behalt du deine Tauben, Fische, Vögel mir!
Lass mir nur, meinem Stand gemäss, ein Lauchgericht!
Du lebst beglückt, ich elend; nun, ich leid es gern ...
Tranio
Mir ziemt zu lieben, dir es, Ochsenhirt zu seyn.
]\Iir ziemt es, flott zu leben, wie dir, jämmerlich! . . .
Lässt sich ein Gegensatz absichtliclier betonen, dgr sittliche
Gredauke des Stückes sich tendentiöser zuschärfen, gleich von
Anfang herein, als in dieser Gegenüberstellung des Stadt- und
Landsklaven? Aber eine Tendenz kunstgemäss an den Personen
und im Charakter der Komödie veranschaulicht — von einer sol-
chen in der Gestaltung und Darstellung aufgehenden sittlichen
Tendauz muss jedes wahre Kunstwerk erfüllt und beseelt seyn.
Unsere Komödie lässt es hiebei nicht bewenden. Sie legt den
Knger noch augenfälliger in die Wunden: in dem Monologe des
Philolaches z. B. I, 2.), die Intention des Komikers offen darle-
gend in den Vorwürfen, womit der verführte Jüngling sich selbst
das Gewissen schärft:
Kummer füllt meinen Sinn, wenn mir einfällt, was ich
Früher war ....
Meine Sparsamkeit und Strenge war ein Muster Anderen.
AUe wackern Menschen nahmen gern das Beispiel von mir an.
Jetzt, da ich zu nichts geworden, ward ich das durch eigne Schuld.
Und der frechste hartgesottenste aller Bedienten -Schelme, der
Tranio, verübt er denn seine Streiche ganz so guten Muthes, so
keckgelaunt ? wie ihn etwa die vermeintgeniale, in Wahrheit aber
windige Manier eines modernen Lustspieldichters gezeichnet
hätte; Eines aus der Schule jener Kunstsophisten A^om reinen durch
keine moralische Litention behelligten Kunstgeuuss. Wie Shak-
speare's Schurken, so ist auch Plautus" Tranio sich seiner Nichts-
nutzigkeit bewusst, die ihn in's Gewissen schlägt (III, l. 13 ff.):
Nichts ist doch schlimmer als ein bös Gewissen ist,
Wie ich es habe ....
Plaixtus. Mostellaria. Tranio. 511
Nihil est miserius, quam aninius lioininis conscius,
Sicut nie habet . . .
Welches belehrende Licht wrft Plautus auf die Gauner und ihre
Düpes, der kleinen und grossen Politik, wenn er den Tranio, der
die beiden Alten an Einem Nasenring festhält, in einem Selbst-
gespräch sagen lässt:
Man sagt, dass Alexander und Agatliokles
Viel Grosses thaten, doch was sind sie gegen mich,
Der ich allein die allergrössten Thaten thu'V
Der eine trägt den Sattel hier, der andre dort.
So hätt' ich mir ein neu Gewerbe zugelegt.
Denn Maulthier treib er satteln sich die Esel nur;
Ich lasse mir die Menschen selbst gesattelt stehn.
Sie tragen gut. Was man auch auflegt, 'tragen sie.
Ganz ähnlich arguraentirt der Kitter Sir John Falstaft' über den
Friedensrichter Robert Schaal, den er wie Siegelwachs so lange
zwischen den Fingern drehen will, bis er weich geworden.
Der fünfte Act ist voll von dergleichen iutentionellen Winken,
die den Komödien-Sack schlagen, und den Esel im Parterre mei-
nen. So z. B. (Sc. 2. V. IT ff.):
Theuropides. Dass du meinen Sohn verderbt hast, das behaupt' icti.
Tranio. Höre nun!
Ich gesteh, dass er gefehlt hat, sich ein Mädchen frei gekauft,
Als du fort warst, Geld auf Zins geborgt und dieses durchgebracht.
That er da, was nicht auchBursche aus den besten Häu-
sern t h u n V
Theuropides zu dem i'ür Tranio bittenden Callidamates:
AUcs Andre trag ich leichter, als die Art. mit welcher er
Mich gefoppt hat.
Tranio. Nun das hab' ich gutgemacht; drob freu' ich mich.
Wer schon graues Haar hat, sollte endlich klug geworden seyn.
Aul' Callidamates' Versicherung von Philolaches' aufrichtiger Reue
sagt Theuropides:
Schämt er sich, dass er's getlian hat, halt' ich ihn bestraft genug . . .
Tranio Was wird nun aus mir?
Theuropides. Hängend lass' ich dich, du Unflath, geissein!
Tranio. Auch wenn ich mi ch seh ä m 'V
512 r)ie röiiiibche Komödie.
Welcher freche Zug von naiver Komik, der zugleich ein ironi-
scher Schlangenstich !
Die Komödie der Alten ist und bleibt für alle Zeiten eine
Schule der guten Sitte, der Lebeusldugheit , der Faniilienmoral.
Den Leitfaden, den uns die Parallele des berühmten Histoiikers
an die Hand gab, wir sehen ihn, zu unserem Befremden, nun
abennals auch in dieser zweiten Komödie, und bei Feststellung
eines wesentlichen Charakterzuges, uns entschlüpfen. Wir finden
auch hier wieder bestätigt, dass Plautus dem Unterhaltungslust-
spiel der „feinern und guten Gesellschaft", der Menander-Komödie
jenen ethischen Gehalt gab, jenen „pädagogischen Zweck" ein-
pflanzte, den Mommsen als eigenthümliches Merkmal und als be-
sonderu Vorzug, im Vergleiche mit Plautus, für die Komödie des
Terenz in Ansprach nimmt. Wie muss uns nicht erst die Ansicht
eines um den Plautus so verdienten Schulmannes und Pädagogen,
wie Prof. Köpke, an unserem Ergebniss irre machen, die (S. 232)
sich dahin ausspricht: „Dass das alte Lustspiel oder das wahre
überhaupt, von den sogenannten moralischen Beweggründen frei
und losgebunden, nur die Kraft walten lässt und daher, wie das
Leben selbst, dem Verstände und der Consequenz über
die Ohnmacht und Beschränktheit den Sieg verleiht."
Den Schurken also , der den ehrlichen aber einfältigen Mann an
Verstand und Consequenz, oder, in's Schurkische übersetzt, an
Gaunerverstand und Unverschämtheit übertrifft, und der den be-
schränkten braven Mann mit Lug und Trug umspinnt, je fester
desto rühmlicher — ein solcher kraft- und listbegabter Schurke
wäre, wie im Leben, so im „wahren Lustspiele", der Mann nach
dem Herzen des Dichters und der Schulästhetik. Was soll aus
der Pädagogie und ihrem Nachwüchse werden, wenn der Bakel
des Orbilius sich auf die Kunststücke von Circe's Stecken legt?
Lnmerhin. Mag der Pädagog es mit seinem Schulgewissen aus-
machen, wenn er, im Leben, wie im Lustspiel, dem Verstand
und der Consequenz der Tranio's das Wort redet, und sich der
Erfolge freut, die sie über die Ohnmacht und Beschränktheit ihrer
Opfer davontrugen. Unser Leitstern in der Geschichte des Dra-
ma's ist die entgegengesetzte Ueberzeugung. Ueberall, wo jene
grandsätzliche Verwerfung der „sogenannten moralischen Beweg-
gründe" Princip und Stimmung der Dramatiker bildet, ist die
Plautus. DieSGefangenen. 513
Ohnmacht auf Seiten des Dichters; erscheint die innere Kraft
seiner Kunst und poetischen Leistungsföhigkeit gebrochen; bringt
der Dramatiker Lust- und Trauerspiele hervor, die, bei aller mög-
lichen Bravour der Technik und äussern Form, innerlich todt,
faul im Marke und grund verwerflich sind. Die Alten waren die
grossen Künstler und Dichter, weil sie die strengsten und grössten
Moralisten und Pädagogen waren. „Wo ich aufhöre sittlich zu
se}Ti, habe ich keine Gewalt mehr." Dieses gi'osse Wort von
Goethe ^) muss vor Allen der dramatische Dichter seinem Herzen
und seinen Couceptionen einprägen.
Die Gefangenen (Captivij. Von dieser Komödie sagt Les-
sing, der sie übersetzt hat, in seiner Abhandlung über Plautus ') :
„Es ist gewiss, dass es das vortrefflichste Stück ist, welches jemals
auf den Schauplatz gekommen ist." In der Kritik über die Gefange-
nen '0 wiederholt er : „Dieses Stück ist das schönste, welches jemals
auf das Theater gekommen", und begTÜudet auch sein üi-theil:
„Ich nenne", fähi-t Lessing fort, „das schönste Lustspiel nicht
dasjenige, welches am wahrscheinlichsten und regelmässigsten ist ;
nicht das, welches die sinnreichsten Gedanken, die aiiigsten Ein-
fälle, die angenehmsten Scherze, die künstlichsten Verwickelungen
und die natürlichsten Auflösungen hat: sondern das schönste Lust-
spiel nenne ich dasjenige, welches seiner Absicht am nächsten
kommt, zumal wenn es die angeführten Schönheiten grösstentheils
auch besitzt. Was ist aber die Absicht der Komödie?
Die Sitten der Zuschauer zu bilden und zu bessern.
Die Mittel, die sie dazu anwendet, sind, dass sie das Laster ver-
hasst, und die Tugend liebenswürdig darstellt. Weil aber diese
allzuverderbt sind, als dass diese Mittel bei ihnen ansclilagen
sollten, so hat sie noch ein kräftigeres, wenn sie nämlich das La-
ster allzeit unglücklich und die Tugend am Ende glücklich seyn
lässt. . . . Wahr ist es, die meisten komisclien Dichter haben
gemeiniglich nur das erste Mittel angewendet; allein daher kommt
es auch, dass ihre Stücke mehr ergötzen, als fruchten. Plautus
sah es ein; er bestrebte sich also, in den Gefangenen ein Stück
zu liefern, uti boni meliores fiant (damit die Guten besser wer-
den) ... Es ist ihm als einem Meister geglückt, und so, dass
1) W. m, 228. — 2) S. 16. — 3) S. 77-139.
n. 33
514 Die römische Komödie.
ihn niemand übertroffen hat. Wenn man überzeug-t seyn will,
wie liebenswürdig die Tugend geschildert sey, so darf mau auch
nur den dritten Auftritt des zweiten Aufzugs lesen. Jeder , wer
eine empfindliche Seele besitzt, wird mit demHegio sagen: „Was
für grossnlüthige Seelen! Sie pressen mir Thränen aus." Noch
schöner aber ist der fünfte Antritt des dritten Aufzuges. Wer
die Tugend und das göttliche Vergnügen, welches sie über die
Seele ergiesst, kennt und empfunden hat, würde gewiss niemand
anders als Tj^ndarus seyn wollen" ... In den Gefangenen,
heisst es weiter, habe Plautus „den nach ihm folgenden Dichtern
das erste Beispiel gegeben, wie das Lustspiel durch erhabene Ge-
sinnungen zu veredeln sey."
Das sind die Herzensergiessungen freilich keines kunstlieben-
den Klosterbruders, aber des grössten deutschen Dramaturgen und
eines der grössten dramatischen Dichter, die für die Bühne ge-
schrieben. Die neuere Aesthetik der Kunstsophisten, dieAesthe-
tiker der Selbstzwecks- d. h. der Genusszwecks-Kmist, des blossen
Geschmackskitzels und weibischer Geisteswollust — die Kinäden
mid Eunuchen der Kunstästhetik, diese lächeln über Lessing's alt-
väterische Kunstmoral, über Lessing's tugendbeschränkte Kunst-
principien und sittenbessernde Dramatik und betrachten sie als
abgethan und verschollen. Wer aber die Theorien nach ihren
Früchten beurtheilt , für wen jegliche wahrhafte Kmistschöpfung
aus der Absicht, die Sitten der Beschauer zu bilden und zu bes-
sern; aus der Absicht, das Sittliche, das in der Kunst mit dem
Göttliclien identisch, zu veredeln, zu stärken und zu erhöhen; aus
der begeisterten Absicht hervorgegangen: im Wege der Geschmacks-
bildung durch das Kunstschöue den Sinn für das Sittlichschöne
zu wecken und zu kräftigen; die Volksseele zu läutern, hölier zu
stimmen, für Kecht, AVahrheit und Freiheit zu entflammen —
wem dieser Kunstzweck als der einzig wahre und würdige ein-
leuchtet: der wird sich auch zu den Kunstansichten des Ver-
fassers von Laokoon, von der lunnb. Dramaturgie und des Dich-
ters einer Mina von Barnhelm, p]milia Galotti, eines Nathan be-
kennen; nicht zu Theorien von aljstracten oder frivolen Schul-
köpfen, die mit all' ihrer mehr Rauch als Liclit verbreiten-
den Kunstphilosophie keine Scene in den genannten unsterbliclien
Dramen zu schreiben, ja, bei so völliger Verkehrung von Lessing's
Die Gefangenen. 515
innerstem Kunstprincip, -und bei so dünkelhafter Ueberhebung über
dasselbe, keine Scene in jenen Dramen nach ihrem dramatischen
Kunstwerthe zu fassen, geschweige kunstkritisch ihr gerecht zu
werden vemiöchten. Und was sind diese Schulkö])fe als Dra-
maturgen, als Kritiker, als Schriftsteller, als Forscher und Kämpfer
für Wahrheit und Freiheit, was sind sie als Männer und Charak-
tere neben Lessing? Welches ihrer dramaturgischen oder kunst-
kritischen Werke darf sich an epochemachender reformatorischer
Bedeutung, welches an fruchtender Meisterschaft, lichter Dar-
stellung und Schreil)art mit einem von Lessing's kritischen Haupt-
werken messen? Wir werden daher unverbrüchlich und unbe-
irrbar an ästhetischen Grundsätzen festhalten, die nicht blos
von Lessing's dramatischen Schöpfungen, die von den Meisterwer-
ken der Bühne aller Zeiten und Völker ihre Bestätigmig und Be-
glaubigung empfangen.
Verweisend auf Lessing's Kritik der Gefangenen, dürfen
wir uns mit der Angabe des Inhalts und Auszügen aus den von
Lessing hervorgehobenen zwei Scenen begnügen.
In dem Kriege zwischen Aetolien und Elis geräth Philopo-
lemus, Sohn des Aetoliers Hegio, in Gefangenschaft, und wird
an einen Arzt in Elis als Sklave verkauft. Hegio's jüngerer Sohn,
Paegnius, war ihm als vierjähriger Knabe von seinem Sklaven,
Stalagmus, gestohlen und in Elis an einen dortigen Einwolmer
verkauft worden, der ihm den Namen Tyndarus giebt und ihn
seinem gleichaltrigen Sohn, Philocrates, zum Gespielen schenkt.
Derselbe Krieg hatte aber auch den Philocrates aus Elis, nebst
seinem Sklaven Tyndarus, in die Gefangenscliaft der Aetolier
gebracht. Unter andern gefangen genommenen Eliern hatte Hegio
auch den Philocrates und Tyndarus in der Absiclit gekauft, um
die Auswechselung seines Solmes Philopolenms gegen die einge-
kauften Elier zu bewirken. Philocrates, der die Gelegenheit nach
Elis zurückzukehren mit Begierde ergreift, hatte die Kolle mit
Tyndarus getausclit, und diesen für seinen Herrn, sich für den
Sklaven ausgegeben, in der richtigen Voraussetzung, dass Hegio
den venneintlichen Herrn als Pfand zmiickbelialten und den Knecht
nach Elis schicken werde, um das Austauschuugsgeschäft zu be-
treiben. Kaum ist Philocrates altgereist, wird dem Hegio von
einem Elischen Gefangenen, Aristophonte s, die Täuschung
33*
516 Uiß römische Komödie.
entdeckt. Hegio, darüber entrüstet, lässt den Tyndarus in Ketten
legen, und in den Steinbrüchen arbeiten. Bald darauf kehrt
Philocrates, zur höchsten Vei'wunderung des Hegio, mit dem aus-
gewechselten Philopolemus zurück, welcher zugleich den in Elis
wiedergefundenen Sklaveii, Stalagmus, gefesselt mitbringt. Philo-
crates fordert seinen Tyndarus zurück. Hegio lässt denselben
aus den Steinbrüchen herbeiholen. Unterdessen wird Stalagmus
über seinen Kinden-aub verhört und es ergiebt sich, dass der von
ihm gestohlene jüngere Sohn des Hegio, Paegnius, der so hart
behandelte Tyndarus ist. Die Erkennung von Vater und Sohn gehört
zu den erschütterndsten Rührungen der Bühne. Eine Nebenfigur,
der Parasit, Ergasilus, Hausfreund des Hegio, mag wohl der lie-
benswürdigste und jovialste aller Parasiten der alten Komödie seyn.
Als eine Besonderheit wird an diesem Stücke bemerkt, dass
kein Frauenzimmer darin vorkommt, ferner wird dem Lustspiel
Verletzung der Einheit der Zeit Schuld gegeben: Aetolien und
Elis liegen 10 bis 12 Meilen auseinander, die Philocrates an ei-
nem Tage zweimal zurücklegt. Scenen- Verwandlungen will Me-
tastasio in der Mostellaria nicht weniger als fünf gefunden ha-
ben *) : ein himmelschreiender Verstoss gegen die französische
Schablone! An derlei Quisquilien ist kein Wort weiter zu verlieren.
Die von Lessing gerühmte Scene (II, 2) spielt zwischen
Hegio, Tyndarus und Philocrates, der als vorgeblicher Sklave des
Tyndarus nach Elis gehen soll, um wegen der Auswechselung
von Hegio's Sohn, Philopolemus, gegen seinen vermeinten Herrn,
den Tyndarus, zu unterhandeln:
Philocrates (zu Tyndarus). "Willst du deinem Vater sonst
Noch was melden lassen?
Tyndarus. Dass gesund ich bin; und sag' ihm dreist,
Dass die Eintracht niemals unter uns gestört war, Tyndarus,
Dass du niemals was verschuldet, noch ich dir zuwider war,
Dass du , selbst in grossen Nöthen , deinem Herrn gehorsam
warst,
Und du immer treu von mir befunden bist, in Wort und That,
In Gefahr und Unglück . . .
Philocrates. Was du sagst, das tliat ich, und es freut mich, dass du's
anerkennst,
1) Extr. de Poet. C. V. Vgl. Signorelli, Stör, de' teatri etc. IL, p. 79.
Not. 1.
Die Gefangenen. Der Rollentausch. 517
Ob ich gleich dir's schuldig war; denn wenn ich jetzt, Philo-
crates.
Das erzählen woUte, was du stets uiir Gutes hast gethau,
Vor der Nacht würd' ich nicht enden ; denn wenn du mein Sklave
wärst,
Hättest du wohl nie mir treuer folgen können!
Hegio (für sich).
0 fürwahr,
Das ist edler Menschen Denkart ! Thränen pressen sie mir aus I
Man kann seh'n, dass sie sich herzüch lieben! Wie hat doch
der Knecht
Seinen Herni gelobt . . .
Das punctum saliens liegt im Rolleutausch der beiden Gefan-
genen, in Folge dessen der Vater seinen unerkannten Sohn als
Geissei zurückbehält. Mit grosser Kunst und Feinheit ist die
Trennung der beiden Gefangenen zu einer der schönsten Situatio-
nen benutzt. Des Tyndarus gefülilvolle Anerkennung von Philo-
crates' Treue und Hingebung für ihn empfindet der Zuschauer in
die Seele des Tyndarus, dem dieses Verdienst zukommt, und der
die Genugthuung geniesst, dem Abschiede von seinem HeiTu, un-
ter dem Schein einer riihrenden Täuschung, durch die Ver-
sicherung seiner Liebestreue, den innigsten und doch nur von
ihnen allein verstandenen Ausdruck zu geben. Die Stellung des
Vaters zu dieser Scene erhöht in wunderbarer Weise die Rührung,
die sich aber von der sentimentalen der weinerlichen Komödie
dadurch unterscheidet, dass, in Folge der woUthuenden Missver-
ständnisse und Täuschungen, die Lustspiel -Stimmung erhal-
ten bleibt, die in der Comedie larmoyante ganz und gar in be-
trübsame Weinerlichkeit zei-fliesst.
Zum Abschied richtet Tyndarus an Phüocrates noch die herz-
bewegenden Worte (Sc. 3. v. 81 ff.):
Nimm für immer mich zum Freund, und (auf Hegio zeigend) finde den
Gefundenen.
Darum fass' ich dich bei deiner Rechten, um dich anzuflehn,
Dass du mir nie ungetreuer sej^st, als jemals dir ich war.
Handle du für mich, du bist mein Herr, mein Schutz, mein Vater jetzt.
Dir einpfehl' ich all mein Glück und Hoffen . . .
Mit dieser Scene schliesst der zweite Act. Der dritte setzt,
gleich im Beginn, der Rührung, die jener als Schlussstimmung
im Zuschauer zurückliess, durch den Parasiten, Rrgasilus, den
5^8 Die römische Komödie.
heitern Lichtton der Komödie wieder auf; wie der Parasit denn
auch das Stück eröffnet, und demselben, vorweg in der ersten
Scene, den Lustspielton aufdrückt. So wird diese scheinbar epi-
sodische Figm' zu einer kunstabsichtlichen Person, welche gleich-
sam die Rechte der Komödie, dem Rührenden gegenüber, wahr-
nimmt. Verwahrt sich doch gleich der Prolog gegen solche Ab-
sicht, der Komödien-Stimmung etwas zu vergeben (v. 6 1 f.) :
Nam hoc paene iniquum est Comico choragio,
Conari de subito nos agere Tragoediam.
Leider verbietet der Raum, die -witzigen Monologe dieses er-
götzlichen und mit feiner Hand gezeichneten Schmarotzer-Haus-
freundes mitzutheilen. Als Ersatz mag ein Auszug aus der von
Lessing gepriesenen fünften Scene des dritten Actes folgen. Die
Situation ist die, wo Hegio, durch den Kriegsgefangenen, Aristo-
phontes, von der ihm gespielten Täuschung vernommen und, im
grössten Zorne darüber, dass er im Tyndarus, statt des HeiTn,
dessen Sklaven als Unterpfand zurückbehalten, diesen in Fesseln
legen lässt:
Hegio (zu seinen Knechten).
Legt diesem Schurken auf der Stelle Ketten an !
Tyndarus. Warum denn das? Was hab' ich denn gethan?
Hegio. Dn fragst? . . .
Ihr müsst die Hände fester ihm zusammeuziehn!
Tyndarus. Ich folg', und lassest du sie abthun ganz und gar!
Doch — warum zürnst du mir-?
Hegio. WeU mich und meine Plane, so viel an dir war.
Durch Bubenstücke, Hinterlist und Lug und Trug
ZeiTissen, nach Vermögen du zerstückelt hast . . ,
Tyndarus. Ich gestehe, dass diess
Sich Alles so begeben, als du sagst, und dass
Durch mein Bemühn, durch meine List er dir entkam . . .
Hegio. Das hast du dir- zu deiner grössten Qual gethan.
Tyndarus. Sterb' ich nur nicht um Uebclthat, so acht' ich's nicht.
Komm' ich hier um, und kehrt er nicht, wie er's versprach,
So wii'd im Tode diese That mir Ruhm verleilin,
Dass meinen Herrn aus Kriegsgefangenschaft und
Zu Vaterland und Aeltern frey ich heimgebracht.
Und dass ich's vorzog, lieber meinen eignen Kopf
In Gefahr zu geben, als im Unglück ihn zu sehn.
Hegio. So mag man dich denn rühmen in der Unterwelt.
Tyndarus. Wer durch die Tugend umkommt, kann nicht uutergehn!..
Die Gefangenen. Vater und Sühn. 519
Der Angeber Aristophontes, der gegenwärtig, merkt mm, wel-
ches Unheil er angerichtet, und bereut in einem a parte, was er
gethan. Auch dieser Zug bezeugt das feine Kunstgetühl des Ko-
mikers, der die herrliche Scene dui'ch kein unedles Motiv be-
flecken liess.
Hegiü (7Ai T^'ndarus).
Hab' ich nicht jedes Lügenwort dir untersagtV
Tyndarus. Dem taugte nicht die Wahrheit, dem ich dienlich war.
Ihm half die Lüge.
Hegio. Dich verdirbt sie.
Tyndarus. Das ist gut.
So freu' ich mich, gerettet jetzt den Herrn zu sehn,
Dem mich zum Wächter zugesellt mein alter Herr.
Doch hältst du raeiue Tliat für schlecht?
Hegio. Für schändlich gar.
Tyndarus. Ich, der ich Iderin anders denke, nemi' sie gut!
Bedenk', wenn einer deiner Sklaven deinem Sohn
Diess thäte, wie du dankbar wohl ilim würdest seyn?
Gäbst du die Freiheit wohl dem Sklaven, oder nicht?
Und wäre wohl der Sklav dir liel) ? Antworte mir !
Hegio. Kanu seyn!
Tyndarus. Und warum zürnest du denu mir so sehr?
Hegio. Weil du weit treuer jenem Alten warst, als mir . . .
Schwerlich möchte es ein zweites Lustspiel geben, wo aus Miss-
verstäudniss und Täuschung, mit so unvergleichlicher Kunst-
wirkung, eine ähnliche Situation entspränge, wie hier zwischen
Vater und Sohn.
Der immer mehr erzürnte Alte betielilt den Tyndarus in die
Steinbrüche abzuführen:
Aristophont. Bei Göttern und bei Menschen fleh' ich, Hegio,
Dass er nicht ganz verloren geht.
Hegio. Da sorg' ich schon.
Bei Nacht soll er in Ketten liegen und bewacht;
Bei Tage gräbt er unter der Erde Steine aus . . .
Führt ihn fort!
Tyndarus. Das Eine bitt' ich, kehrt Philocrates zurück,
Dass du erlaubest, ihn zu sprechen und zu sehn.
Hegio (in höcLster Wuth zu den Sklaven).
Ich würg' euch, schafft ihr nicht sogleich den Menschen fort!
(Hegio stösst den Tyndarus fort, während ihn die Sklaven
ziehen.)
Tyndarus. Gcstossen und gezogen heisst dooh wühl (.iewail . . .
520 ^i^ römische Komöcüe.
Die Sceue schliesst den Act. Den vierten leitet der Parasit
Ergasüus wieder ein. Er ist es, der dem Hegio die erste Nach-
richt von seines Sohnes, Philopolemns, Anlmnft bringt, welcher im
Hafen eben nur mit Philocrates und dem Sklaven Stalagmus, ein-
getroffen, dem Käuber.von Hegio's jüngerem Sohne Paegnius (Tyn-
darus). Hegio, vor Freuden ausser sich, erfüllt auch des Parasi-
ten höchsten Seelenwuusch:
Hegio. Fordre, lange, nun nach Lust; zum Küchenmeister mach' ich
dich.
Eilt ab, seinem Sohne Philopolemns in die Arme:
Ergasilus (allein)
Jener geht, ich habe Vollmacht über seine Küche nun!
Grosser Gott, wie will ich gleich die Köpfe von den Rümpfen
hau'n !
Ha, wie sollen die Schinken schmecken ! Wie soll schmecken mil-
der Speck!
Ha, wie sollen die Wammen flammen! Wie die Seiten gleiten
mir!
Ha, wie sollen die Schlächter schwitzen! Wie der Schweine-
käufer Schaar!
Denn was sonst zum Schmaus gehöret, herzuzählen ist zu lang.
Jetzo geh' ich in ein Staatsamt; und dem Speck halt' ich Ge-
richt,
Und den Schinken, die dort hängen, unerhört soll Hülfe nahn.
Der fünfte Act bringt nun die Erkennung. Tyndarus er-
scheint, aus den Steinbrüchen herbeigeholt, noch mit Ketten be-
lastet, vor dem „unglücklich beglückten Vater", vor Philocrates
und dem Sklaven Stalagmus. Eine Schlussscene , die durch Si-
tuation und beglückungsvolle Auflösung ihres gleichen sucht.
Und noch immer keine Spur von „Opposition der Kneipe ge-
gen das Haus", die bei Plautus vorwalten soll! Das Umgekehrte
haben wir vielmehr bis jetzt bei ihm heiTschen und von ihm er-
streben sehen. In den vier besprochenen Komödien erscheint
Plautus gleichsam selber als der Hausgott, der wohlthätige,
segenreiche Lar, den er im „Kästchen" (cistellaria) den Prolog
sprechen lässt, indem er überall für das Heil, die Wohlordnung
und die Sittenzucht des Familieuwesens, des „Hauses", eintritt,
gegen das Wüste, Zucht- und Sittenlose des haus- und familien-
losen Abenteuerns, dessen Waiider/.elt und fahrende Herberge das
Plautus. Der Bramarbas (Miles gloriosus). 521
Wiiihshaus, die Schenke, oder „Kneipe", und das Fremdenhaus
ist, das unstäte liederliche Daheim der Landstürzer und Strolche,
ümgekehi-t, wie gesagt: Eine Opposition des gesitteten Haus-
und Familienlebens gegen die Komödie der Kneipe und der
Abenteuer haben wir bisheran, in den ersten vier Komödien des
Plautus, als Grundabsicht herrschend gefunden, zu welcher sich
auch der grosse Komiker im Prolog der Gefangenen offen be-
kennt (v. 57 f.):
Hier giebt es keinen eidvergessnen Kuppelwirth,
Nicht lust'ge Dirne, keine Eisenfresser hier . . .
Hie neque perjurus leno est, nee meretrix mala,
Neque miles gloriosus . . .
Doch dieser! des Plautus Bramarbas, der Miles gloriosus,
der — • fürchten wir — möchte die Charakteristik des berühmten
Geschichtsschi'eibers und Kunstrichters bewähren. Ein Komö-
dienheld, wie geschaffen, um die Ansicht des vollwichtigen Ken-
ners römischen Geistes und Wesens dm'chzufechten, die Ansicht:
dass Plautus, in den Motiven wie in der Sprache, „in der Kneipe
steht", und dass bei Plautus, im Gegensatz zu Terentius, eine Op-
position der Schenke gegen das Haus herrscht. Im Miles glorio-
sus, wenn irgendwo, wird dieser Wesensunterschied der beiden
römischen Komiker seine gloriose Bestätigung finden.
Betrachten wir die Fabel. Die Figur des prahlsüchtigen Sol-
daten fTlu'asou), dessen geschichtliches Urbild in dem Soldaten-
obersten (^svayog) der Diadochen-Könige zu suchen, ist uns schon
aus der neuern attischen Komödie bekannt.
Auf seiner Werbewanderuiig kommt Held Mauer stürm
fPyrgopolinices) auch nach Athen. Von hier gelingt es ihm, dm-ch
reichliche Geschenke an die Mutter, die Tochter, Philocoma-
sium, die Geliebte eines jungen Atheners, Namens Pleusides,
während der Abwesenheit des letztern, zu entführen. Des Pleu-
sides Diener, Palaestrio, der seinem Herrn die Nachricht von
der Entfülu'ung der Geliebten zu bintei-bringen, auf dem Wege
nach Naupactus ist, wo Pleusides sich zur Zeit aufhält, Palaestrio
geräth unter die Seeräuber und durch diese in den Dienst des
Bramarbas nach Ephesus. Hier findet Palaestrio die Pliilocoma-
sium, meldet es, im Einverständniss mit ihr, seinem Herrn, der
jetzt in Athen, und fordert ihn zur Befreiung der Geliebten aus
522 I^ic römische Komödie.
den Klauen des Bramarbas auf, der ihr zuwider ist. Pleusides
reist sogleich nach Ephesus, und kehrt bei seinem dortigen Gast-
freunde, Periplectomenes, ein, welcher zufällig ein Wand-
nachbar des Bramarbas ist. Eine Oeflhung durch die Wand bre-
chen, Philocomasium in die Arme des Geliebten fliegen, dem
AVächter, den der eifersüchtige Bramarbas angestellt, und der in
Pleusides' Annen das Mädchen erblickt, weissmachen, dass er nicht
Philocomasium, sondern ihre, zum Verwechsebi ähnliche Zwillings-
schwester mit Augen sähe — das Alles war rascher erfolgt, als
Mauersturm je eine Mauer erstürmt. Und nun die ergötzlichen
Auftritte, die aus dieser Doppelschau sich ergeben. Die lustige
Dupirung des Eisenfressers, den Palaestrio in das Netz der eige-
nen Eitelkeit und Lüsternheit verstrickt, indem er ihm eimedet,
dass alle Frauen und Mädchen in Ephesus in ihn verliebt sind;
unter diesen am tollsten die junge reiche Gattin des alten Peri-
plectomenes, die seinetwegen ihrem Manne davonlaufen und sich
mit ihm verbinden will. Diese junge reiche Gattin von bezau-
bernder Schönheit ist eine verschmitzte Buhlerin, die sich zu der
Rolle versteht. Das einzige Hinderniss ist Philocomasium. Aber
Mauersturm kennt kein Hinderniss. Seine Begierde nach dem
Besitz der schönen jungen reichen, leidenschaftlich in ihn ver-
liebten unbekannten kann den Augenl)lick dieser Vereinigung und
die Entfernung der Philocomasium nicht erwarten. Sie soll schleu-
nigst mit dem Schiffe, das ihre Zwillingsschwester hergebracht,
absegeln. Mag sie die Geschenke alle behalten, nur fort! Seine
ganze Habe, wenn sie wül, nur schleunigst fort! Schon ist Pleu-
sides, als Steuermann verkleidet, zur Stelle, um Philocomasium
abzuholen, die vor Betrübniss über die Trennung von ihrem Bra-
marbas trostlos ist. Mauersturm kann sie nur beklagen, — ge-
schieden aber muss seyn. Als letzte Gnade erbittet sie sich den
Palaestrio zum Geschenk. Er giebt ihn ihr mit Freuden. Pa-
laestrio ist in Verzweiflung, einen solchen Herrn "zu verlassen. End-
lich sind sie fort. Bramarbas auf den Flügeln der Liebe in das
Haus des Periplectomenes, um die neue Geliebte zum ersten Mal
an sein mauerstürmisches Herz zu pressen. Mit nicht geringerer
Inbrunst erwartet ihn Periplectomenes, nebst einem halben Dutzend
Knechten, die vor Sehnsucht brennen, ihn in ihre Arme zu
schliessen, darunter Koch Coric mit einem haarscharf geschliffe-
Der Bramarbas unter dem Küchenmesser. 523
nen Küchenmesser, um den Mauerbrecher für alle Zeiten vom
Ehebrecher zu curiren (Act. V. Sc. 1.):
Periplectoinenes (zu seinen Knechten).
Schleppt ihn fort ; wenn er nicht folget , hebt ihn hoch und
reisst ihn fort!
Lasst ihn zwischen Erd' und Himmel schweben, reisst in Stücken
ihn!
Mauersturm. Periplectomenes, dich beschwör' ich!
Periplect. Ganz umsonst beschwörst du mich.
Untersuch' auch, ob dein Messer tüchtig scharf ist, Corio!
Coric. Längst schon wünscht es diesem Buhler aufzuschneiden seinen
Wanst.
Mauer stürm (in höchster Angst).
Es ist aus.
Corio. Noch nicht; doch baldigst. Fall ich jetzt den Men-
schen an?
Periplect. Nein, vorher kriegt er noch Prügel.
Corio. Tüchtig, wie es sich versteht!
Mauersturm. Weh ich bin schon ganz zerprügelt, habe Mitleid!
Corio (zu Periplect.). Schneid' ich bald?
Periplect. Immer zu! . . .
Mauersturm. Dich beschwör' ich, eh er schneidet, höre meine
Worte doch!
Periplect. Schwöre, dass du keinem Menschen um den Vorfall Böses thust.
Mauerstmin schwört bei Mars und Dianen und allen Heiligen.
Corio. Prügebi wir ihn jetzt noch einmal, und dann dächt' ich, könnt
er gehn.
Mauersturm. Dafür soll dich Gott belohnen, dass du mir zum Tröste
sprichst.
Corio. Gut, so gieb uns hundert Thaler! . . .
Mauersturm. Ich geb's ....
Mauersturm kann noch von Glück sagen, dass man hier den
Esel schlägt und den Sack meint. Zuletzt muss er doch noch die
Hefen des bittcrn Kelches bis auf die Neige austrinken. Sein
Knecht meldet ihm die Abreise der Philocomasium mit ihrem
Liebhaber als Steuermann. Nun erst steht in seiner ganzen Grösse
der gehörnte Esel vor ihm da, den man aus ihm gemacht hat:
Weh mir Tropf!
Man betrog mich . . .
Doch mir ist ganz recht geschehn.
524 Di^ römische Komödie.
Ging' es andern Buhlern auch so, gab' es ihrer weniger . . .
(Si sie aliis moechis fiat, minus hie moechorum siet.)
Schliesst mit einem solchen Merks und Denkzettel ein Ko-
miker, in dessen Komödien die Schenke Opposition gegen das
Haus macht? Oder nimmt nicht auch diese Komödie, deren Held
ein heimathloser Prahlhold, Freibeuter und fahrender Ehebrecher,
nimmt nicht auch diese Komödie des eisenfresserischen Strolchen-
thums Rache an dem abenteuernden Vagabunden, der das Fami-
lienleben zu einer Herberge poltert, und die Familienehre als sein
Nachtlager ])etrachtet, das er am Morgen wie eine Streuschtttte ver-
lässt, um fürbass umher zu sterzen? Noch mehr. Plautus' Oppo-
sition gegen das haus- und familienfeindliche Lotterwesen tritt
in keiner seiner Komödien vielleicht so offen zu Tage, me in dem
Miles gloriosus, dem er sogar die Schlussmoral des Stückes in
den Mund legt. Den prahlsüchtigen Landstreicher selbst lässt
er, nach empfangener Züchtigung, den Stab über alle diejenigen
brechen, die, wie er, die wüste Herumtreiber- Wirthschaft in ein
geordnetes Familienleben tragen und gegen ein gesittet umfrie-
detes Hauswesen mit der Öeerstrassen-Schenke Sturm laufen.
Wenn irgend ein Lustspiel des Plautus die Komödie der Oppo-
sition des Hauses gegen die Kneipe ist, so ist diess sein Miles
gloriosus.
Der Braut seh atz, Trinummus. Act IV. Sc. 2. erklärt der
Sycophanta, bei seinem ersten Auftreten: dass er den heutigen
Tag Trinummus nennen wolle, denn für drei Nummen (drei
Denare) oder drei Drachmen (ein rheinischer Gulden ungefähr)
habe er sich auf heute zu Schelmenpossen verdungen:
Huic ego diei nomen Trinummo faciam : nam ego operam meam
Tribus nuinmis hodie locavi ad artcs nugatorias.
Im Prolog, den die Schwelg er ei (Luxuria) und die Dürf-
tigkeit (Inopia) dialogisch sprechen, nennt Erstere die griechi-
sche Quelle des Plautus (v. 19 Phile mo scripsit, Plautus vortit
barbare: „Pbilemon schrieb's und Plautus setzt es in Latein").
Der ehrlicbe Zeitgenosse des Ennius und des alt. Scipio schreibt
noch „in's Barbarische", statt in's Lateinische". Aus dem 0/;-
oavQog (kis Philemon hat sicli ein Bruchstück von 1% Versen
Plautus. Der Brautschatz. 525
bei Athen. ^) erhalten. Bekanntlich hat Lessing den Trinummus
des Plautus, unter dem Titel „der Schatz"-), in Einen frisch
und lebendig dialogisirten Act zusammengezogen und für die
deutsche Bühne bearbeitet. In der gedachten Abhandlung über
Plautus sagt Lessing vom Trinummus: „Nächst den Gefange-
neu des Plautus ist dieses sein vortrefflichstes Stück.
Lesbonicus, Sohn des Athenischen Bürgers Charmides,
der in Handelsgeschäften nach Asien gereist ist, hat sich, während
der Entfernung seines Vaters, einer lockern Lebensweise ergeben.
Nachdem er Alles durchgebracht, benutzt er die Abwesenheit sei-
nes ihm vom Vater gesetzten Vormundes Callicles, welcher auf
einige Tage auf sein Landgut gereist ist, um auch das väterliche
Haus zum Verkauf auszubieten. Als Callicles zurückkommt, ist
die Feilbietung durch Anschlag schon erfolgt, die Verhindemng
des Verkaufs daher, nach dem Gesetze, nicht mehr möglich. Um
das Haus nicht in fremde Hände gelangen zu lassen, entschliesst
sich der Vormund, es selbst von dem Sohne zu kaufen; um so
mehr, als ihm dessen Vater, sein abwesender Freund, Charmides,
vor der Abreise vertraut hatte, dass in dem Hause ein zur Mit-
gift für die Tochter bestimmter Schatz vergTaben liege, den er,
Callicles, eintretenden Falles, zu dem Zwecke verwenden möchte.
In wenigen Wochen hat Lesbonicus das für's Haus erhaltene Geld
verprasst. Den redlichen Callicles trifft noch dazu der Verdacht:
er habe die Ausschweifungen des jungen Mannes zu seinem Vor-
theile benutzt. Wie Philolaches in der Mostellaria, ist der sitt-
lich und wirtlischaftlich henmtergekommene Jüngling Lesbonicus
von Gemüthsart gut, und mehr durch andere Wüstlinge, die seine
Gutmütliigkeit missbrauchten, als durch Hang mid Neigung in
eine solche Lebensweise hineingerathen. Dem Lesbonicus ist ein
tugendhafter Jüngling, Lysiteles, gegenüber gestellt, der ihm
als treuer Freund zugethan bleibt. Lysiteles bewirbt sich um die
Schwester des Lesbonicus. Sein Vater Philto, anfangs gegen die
Partie, weil das Mädchen ohne Mitgift, giebt schliesslich seine
Einwilligung. Der Alte wirbt sogar selbst für den Sohn mn die
Schwester bei ihrem Bruder Lesbonicus. Dieser, zu stolz gesinnt,
1) IX. p. 385. D. Vgl. Meineke, Menandr. et Phileiii. Reli(|. \>. 367. —
2) Bd. I. Ladim.
526 I^i^ römische Komödie.
und auch aus brüderlichem Zartgefühl, geht auf die Bewerbung
nur unter der Bedingung ein, wenn der Alte ein kleines Land-
gut, das Lesbonicus noch besitzt, als Mitgift der Schwester an-
nimmt. Das Landgut wird von Vater und Sohn ausgeschlagen;
Lesbonicus jedoch dazu bewogen, dass er die Verlobung zusagt.
Er selbst ist entschlossen, als Söldling in den Krieg zu ziehen.
Der Vormund Callicles, von der Verlobung benachrichtigt, wünscht
der Tochter seines abwesenden Freundes, Charmides, eine Aus-
steuer von dem verborgenen Schatze mitzugeben, ohne dass Les-
bonicus etwas von demselben erfahre. Zu dem Zwecke stiftet er,
auf den Kath eines ihm befreundeten Greises, Megaronides,
dem er das Geheimniss von dem Schatze mitgetheilt, einen Sy-
cophanten an, sich für einen Boten auszugeben, der von Char-
mides Briefe aus Asien mit einer Summe Geldes, zur Ausstattung
für die Tochter, überbringe. Das Geld nimmt Callicles natürlich
vom Schatze. Der Sycophant ist eben der für drei nummi sich
dazu vermiethet. Kaum hat er die Bestellung ausgerichtet, trifft
er mit dem alten Charmides zusammen, den er nicht kennt und
der so eben aus Asien angelangt ist. Der Zungendrescher er-
mangelt nicht, dem Alten seine Lügen auszukramen, was eine un-
gemein lustig und trefflich erfundene Scene einleitet. Das Be-
gegniss schliesst damit, dass sich der Alte zu erkennen giebt
(FV. 2;: „Hast du das Geld von ihm (dem Charmides in Asien)
selbst bekommen?" fragt Charmides.
Sycophant. Aus der Hand iii meüie Hand.
Charmides. Und wie sieht er aus?
Sycophant. Um anderthalb Fiiss grösser als du bist.
Charmides
Kennst du ihiiV
Sycophant. Du fragst sehr albern; täglich ess' ich fast bei ihm.
Charmides. Und wie heisst er?
Sycophant. Ganz, so wie ein braver Kerl zu heisseu pflegt.
Charmides. Lass doch hören!
S y c o p h a n t (sich besinnend).
Wie er heisst? Heisst? Wie er heisst?
(b. S.) 0 weh mir Tropf!
Charmides. Nun was giebt es?
Sycophant. Unvorsichtig hab' ich den Namen verschluckt. . .
Der Brautscliatz. Der Sycophant. 527
L. so fangt der Name an.
Der Alte fragt ihm alle mögliche L's ab; endlich:
War's Chares? — Charidemus? CharniidcsV
Sycophant. Ja so war's, hol' ilm der Henker!
Der Alte tadelt den Fluch.
Sycophant. Was versteckt sich der Schlingel zwischen Lipp' und Zähne
mir?
Charniides. Schimpfe nicht auf ferne Freunde!
Sycophant. Was verkroch sich auch der Lump . . .
Charmides. Doch wo ist erV
Sycophant. Ich verliess ihn beim Rhadamant auf Attika (im Text
Cecropia).
Charmides fragt ihn nach den Ländern, die er bereist. Man
kann sich denken, was für Geographie der Sj^cophant entwickelt.
Endlich die Frage:
Hast du das Geld hier, das C-harmides dir gab?
Sycophant. Und zwar Philippsstück', gezählt auf seinem Tisch mit
eig'ner Hand,
Tausend Stück
Charmides. Bursche, gieh mir nur das Gold her!
Sycophant. Welches Gold, was meinst du denn?
Charmides. Das ich dir gegeben habe.
Sycophant. Mir gegeben?
Charmides. Ja so ist's.
Sycophant. Wer denn bist du?
Charmides. Der dir jene tausend Stück gab, Charmides.
Sycophant. Weder bist du das, noch wirst du's heut seyn, was das
Gold betrifft,
Gell, du Sclielm, mit Schelmereien will ein Schelm den an-
dern fahu.
Charmides. Ich l)in (üiarmides.
Sycophant. Vergebens bist du's, denn ich bringe nichts . . .
Sowie du dich charmidirt liast, so entcharmidire dich.
(Ut charmidatus es, rursum recharmida).
Der Sycophant steigert seine Frecldieit bis zum Drohen mit
Schlägen, „nach meinem Willen auf der Polizei Geheiss" (v. 148)
vapulabis nieo arl)itratu et novorum Aedilium.
Meine Müh' ist mir bezahlt schon, du magst sterben und vergehen.
Wer du sonst bist oder nicht bist, gilt mir keinen Pfifterling ....
Dass die Götter gleich zur Ankunft dich verderben, Charmides!
Damit empfiehlt er sich. Das inzwischen Vorgefallene erfährt
528 I^i^ römische Komödie.
Charmides von seinem Kueclit Stasinius. Der Alte glaubt sich
von Callicles betrogen. In einer sehr wirksamen Scene zwischen
ihm und Callicles erzählt ihm dieser mit der Freudigkeit eines
guten Ge^\ässens den wahren Sachverhalt. Charmides ist voll-
kommen beruhigt und zufrieden gestellt. Lysiteles holt sich die
Einwilligung des Schwiegervaters mit einer ansehnlichen Mitgift
für die Braut. Dem Lesbonicus envii-kt Callicles Verzeihung.
Beim Erscheinen des reumüthigen Sohnes erwähnt der edle Vater
des Geschehenen nicht. Statt einer Strafpredigt, erhält er vom
Vater die Tochter des Callicles zur Frau. Man darf die Komödie
als das vollendete Muster eines edlen, gemüthvoUen Familienlust-
spiels rühmen.
Die Zwillingsbrüder fMenaechmi). Nächst dem „Geld-
topf , ist diese die allgemein bekannteste Komödie des Plautus.
Die Fabel stimmt, in den Grundzügen, mit der von Shakspeare's
„Komödie der Irmngeu" übereiu. Von zwei Zwillingspaaren, einem
Herren- und Diener-Zwilling, wissen Plautus' Menächmen fi-eilich
nichts. Aber auch Shakspeare's Zwillinge nichts von den leicht-
fertigen Streichen des sicilischen Zwillings bei Plautus, wo der
Eine neben der Ehefrau ein Mädchen unterhält, das er mit einem
seiner Frau entwendeten Mantel beschenkt; und der Andere, von
diesem ^Mädchen mit seinem Bruder verwechselt und bei ilu" auf-
genommen, sie um Mantel und goldene Spange betrügt. Das
Stück spielt in Epidamnus oder Dyrrachium (Durazzo). Hier findet
endlich der sicilische Zwilling, nach sechsjährigem Aufsuchen, den
als Kind schon vermissten Bruder, auf dessen Spur ihn die Ver-
wechselungen mit demselben führen. Die Identität bekundet der
Diener, der sie erkennt. Die Komödie der Irrungen wird uns
auf die Menächmen zmiickführen, mid Gelegenheit zu einer nähern
Erwägung derselben bieten.
Der Schiffbruch. (Kudens: das Schiffsseil). Der Mäd-
chenhändler Labrax, der sein Wesen in CjTcne (Nordafrika j
treibt, hat eines seiner Mädchen, Namens Palaestra, an einen
jungen Cyrener, Pleusidippus, für 30 Minen (675 Thlr.) ver-
kauft. Kaum liat er das Aufgeld erhalten, reist der Gauner mit
ihr und seinem ganzen Mädchenmarkt sammt Habseligkeit nach
Sicilien ab, wo er für sein Geschäft einen günstigem Boden sich
versfiricht. l>iild nach der Al)fahrt entstellt ein fürcbtorlicher
Plautus. Das Schiffsseil (Rudens). 529
Sturm, der ihn mit seinem Gastfi'eund und Helfershelfer, dem
Schmarotzer Charmides aus Sicilieu, scliiffbrüchig an's Gestade
zurückwirft. Die Palaestra war beim Sehiffhruch mit einer Freun-
din, Ampelisca, in den an's Schilf gebundeneu Kahn gesprungen
und hatte sich mit ihr an die Küste Afrika's glücklich gerettet,
wo die beiden Mädchen bei der Venuspriesterin, Ptolemocratia,
ein Obdach finden. Beim Wasserholen erblickt Ampelisca die
beiden alten Schufte am Gestade sitzen, sich gegenseitig schmä-
hend und scheltend und einander den Verlust ihrer Habe und
ihr Verderben Schuld gebend. Ampelisca stürzt sogleich in den
Tempel zurück, um mit ihrer Freundin Palaestra am Altare der
Göttin gegen den abscheulichen Seelenverkäufer Schutz zu suchen.
Nicht lange, so hat sich auch schon der Seewolf (Labrax, einge-
stellt, um seine beiden jungen Sklavinnen mit Gewalt herauszu-
holen. Zu ihrem Glücke lebt in der Nähe ein aus seinem Vater-
lande verbannter Athenischer Bürger, Namens Daemones, auf
seinem kleinen Landgut, nicht weit von Syrene. Daemones ver-
nimmt den Lärm und den Hülferuf des Trachalio, den sein
Herr, Pleusidippus, nach dem Tempel geschickt hatte. Daemones
entsendet seine Sklaven, welche den Kuppler, Labrax, aus dem
Tempel schleppen. Indessen war Trachalio zu seinem Herrn ge-
eilt, um ihn herbeizurufen. Pleusidippus erscheint und bemäch-
tigt sich der Person des Kupplers, um ihn vor Gericht zu stellen.
Die beiden Mädchen bleiben einstweilen im Hause des Daemones.
Mittlerweile hat Gripus, ein Fischerknecht des Daemones, den
Mantelsack mit den Kostbarkeiten des Kupplers aufgefischt.
Trachalio, der ihn beim Funde betroffen, verlangt sein Theil und
wünscht das Kästchen mit dem Kinderspielzeug der Palaestra we-
nigstens zu erlialten, welches ihm zur Entdeckung ihrer Eltern
verhelfen könnte. Da Gripus sich auch hierzu nicht verstehen
will, soll Daemones darüber entscheiden. Dieser erkennt sogleich
an Kästchen und Spielzeug die Palaestra für seine als dreijähriges
Kind ihm geraubte Tochter. Den Mantelsack nimmt er einst-
weilen für dessen Besitzer in Verwahrsam. Nun kehrt Labrax,
dem inzwischen vor Gericht, auf die Klage des Pleusidippus, die
Palaestra abgesprochen worden, nach dem Tempel zurück, um die
Ampelisca wenigstens als sein Eigenthum zurück zu erhalten. Der
Kuppler erfährt durcli Gripus, dass soin Mantelsack gefunden sey,
U. M
530 '^i^ röiiiische Komödie.
und verspricht ihm 1 2ü() Tlialer (ein grosses Talent), wenn er ihm
zur Wiedererlangung seines ßänzeJs verhilft. Daemones verabfolgt
ihm den Mantelsack nur gegen Auszahlung der 1200 Thaler. Die
Hälfte soll er als Kaufpreis für die Ampelisca wieder erhalten.
Für die andere Hälfte will er dem Gripus. als dem Finder, die
Freiheit geben. Labrax muss in den sauern Apfel beissen. Pa-
laestra wird als Freigehorene die Gattin des Pleusidippus. Die
freigekaufte Ampelisca wird dem Freigelassenen Trachalio zu
Theil. So endet die bunt bewegte, mit meisterhaften Scenen reich
ausgestattete Komödie. Eine solche Capitalscene bildet das Zank-
gespräch der beiden alten Bösewichter, deren gegenseitige Ver-
wünschungen ihr Uebelbehagen noch ergötzlicher würzt (H, 6.):
Labrax. 0 weh! Es wird mir übel. Halt mir doch den Kopf!
Charmides. Ich ^rünsche, dass du clü- die Lung' ausspeien magst.
Labrax. 0 weh! Palaestra, Ampelisca, wo seyd ihr jetzt?
Charmides. Vermuthlich füttert schon ihr Leib die Fisch' im Meer . ..
Labrax. Geh' fort von mir ins allergrösstc Ungemach!
Charmides. Thu' du's, das war auch mein Gedanke ebenfalls . . .
Labrax. 0 Binse, Binse, dein Geschick beneid' ich dir,
Weü du den Euhm der Trockenheit dir stets bewahrt . . .
Fürwahr Neptun, du bist ein kalter Bademann . . .
Hielt er nur einen Laden je für warmen Punsch.
Allein nur kaltes Salzgesöife bietet er.
Charmides. Wie überglücklich doch die Eisenschmiede .sind,
Die bei den Kohlen sitzen; immer sind sie warm.
Labrax. 0 hätt' ich die Natur doch einer Ente jetzt.
Die trocken ist, sobald sie aus dem Wasser kommt.
So mancher Pinselstrich wirft seine Sclilagschatten hinüber
in Shakspeare's „Sturm."
Die Erkennungsscene ist eine der schönsten der römischen
Komödie IV, 4. ^3 ff".;:
Daemones. Reiche den Mantelsack mir, Gripus! . . .
Gripus. Nimm ihn hin!
Daemones. Hört, Palaestra, Ampelisca, beide, was ich sagen will!
Ist diess hier das Ränzel, wo dein Kästchen drin seyn sollte V
Palaestra. Ja.
Gri])us. Acli, ich Aermster, bin verloren. Eh' sie ihn nur angesehn,
Sagt sie schon, er sey's.
Das Schiffsseil. Die Erkemumgsscene. 531
Palaestra. Ich will dir Alles klar zu wissen thun.
Hier in diesem Mantelsacke muss ein Binseukästchen seyn.
Was da drin ist, will ich einzeln alles nennen und du sollst
Gar nichts zeigen. Sag' ich Lügen, hab ich es umsonst ge-
sagt.
AHes, was sich sonst drin findet, das soll sämmtlich euer seyn,
Doch ist's mehr, so bitt' ich, dass man mir das meine giebt.
Daemones. So sey's!
Klares Eecht nach meiner Meinung!
Grripus. Doch nach meiner klarer Trug! . . .
Daemones. Ist es diessV
Palaestra. Ja, das ist's! 0 meine Aeltern, hier halt' ich euch eingehegt.
Hier verberg' ich Glück und Hoffnung, wieder zu finden euch
dereinst.
Gripus. Nun dann müssen alle Götter dir erzürnt seyn, wer du seyst,
Da du deine Aeltern in so engen Kaum zusammenpferchst.
Daemones. Hieher, Gripus! Deine Sach' ist's! Du dort, Mädchen, steh'
von fern.
Sag' uns Alles , was darin ist , und wie's aussieht, nenn' es
uns
Palaestra. Spielzeug ist darin.
Daemones. Das seh' ich.
Gripus. Ich verlor die erste Schlacht . . .
Daemones. Wie sieht es aus? Antworte nach der Reih'.
Palaestra. Erst ein kleiner goldner Degen mit n'er Aufschrift.
Daemones. Sage dann.
Welche Aufschrift hat der Degen V
Palaestra. Vatername steht darauf.
Dann von der andern Seit' ein Beilchen steht der Mutter
Namen.
Daemones. Wart!
Was steht als Vatername auf dem Degen?
Palaestra. Daemones.
Daemones (entzückt).
Grosse Götter, wo steht meine Hoffnung?
Gripus. Wo die meinige? . . .
Daemones. Sprich, wie heisst der Mutter Name, welcher auf dem Beil-
chen steht?
Palaestra. Daedalis.
Daemones. Die Götter retten mich.
Gripus. Doch mich vernichten sie.
Daemones. Ganz gewiss ist's meine Tochter, Gripus!
Gripus. Sey sie's meinethalb!
(zu Trachalio)
AUe Henker mögen dich holen, dass du lieut mir zugesehen.
532 I^ic römische Komödie.
Palaestra. Dann 'ne kleine silberne Sichel und zwei Händchen fest ver-
schränkt.
Und ein Schweinchen.
Gripus. Geh' zum Henker sammt den Fackeln und dem Schweüi !
Palaestra. Dann ein Goldherz, das mein Vater zum Geburtstag mir ge-
schenkt.
Daemones. Ja sie ist's, ich halte mich nicht länger, eh' ich dich um-
armt.
Tochter sey gegrüsst ; dein Vater bin ich, welcher dich erzeugt.
Ich bin Daemones, und im Haus' ist deine Mutter Daedalis.
Palaestra. Heil dir unverhoffter Vater!
Daemones. Und auch du, wie lieb ich dich!. .
Den Prolog lässt Plautus vom Arcturus sprechen, dem als
Grott personificirten Sterne im Bootes (am Schwanz des Bären),
von dem man glaubte, dass er, besonders bei seinem Untergange
im Herbst, gTosse Stürme bringe.
Die Zeit der Aufführung fiel nach Ritschi nicht vor 559
d. St., zehn Jahre vor Plautus' Tod.
D e r K a r t h a g e r (Poenulus). Auch diese Komödie dreht sich
um Raub und Verkauf von Kindern, und deren schliessliche Er-
kennung und Anerkennung als Freigeborene. Im Poenulus gilt
es gar die Entführung eines Knaben und zweier Mädchen aus
Karthago. Knabe und Mädchen sind Geschwisterkinder. Jener,
Agorastocles, unser Poenulus, wurde nach Kalydon, in Aeto-
lieu," an einen alten reichen kinderlosen Herrn verkauft, der ihn,
bei seinem Tode, an Kindesstatt annahm, und zum Erben seiner
Güter einsetzte. Der Vater des Knaben war bald nach dem Ver-
schwinden seines siebenjährigen Söhnleins vor Harm gestorben.
Die beiden Cousinen des Agorastocles, ihrem Vater, im Alter von
5 und 4 Jahren, zugleich mit ihrer Amme, geraubt, hatte der
Räuber an einen Mädchenwii-th , Lycus (Wolf), aus Anachorium
(Acarnanien) verhandelt — „den ärgsten Schuft von Allen, so die
Erde trägt", rühmt ihm der Prolog nacli. Der Mädchenhändler
siedelt nach Kalydon über und wohnt liier in einem Hause mit
Agorastocles. Dieser verliebt sich in die ältere der beiden Schwe-
stern, Adelpliasium: „docli weiss er nicht, dass sie mit ihm
Geschwisterkind'', deutet der Prolog an (v. 97 ff.j:
Noch berührt er je sie ; also quält der Kuppler ihn . . .
Noch l'reit' er sie, noch wollte jener sie lassen ziehn.
Weil er verliebt ihn merket, l'ührt er ihn ins Netz.
Plaiitus. Der Karthager (Poenulns). 533
Die jüngere, Anterastilis, will ein Hauptmann Authemoni-
des zur Beischläferin sich kaufen. Zum Glücke der Mädchen
trifft ihr Vater, Hanno, der seit Jahren sie aufsucht, in Kaly-
don ein, bevor sie Unwürdiges erdulden müssen. Der leidenschaft-
lich verliebte Agorastocles, durch die Habsucht des Kupplers
Lycus aufs Aeusserste gequält, hat diesen unterdessen in einen
doppelten Process verwickelt, mit Hülfe eines seiner Sklaven, wel-
cher, als fremder Soldat verkleidet, mit einer angeblichen Kriegs-
beute von 300 Philippstücken, verabredetermaassen, sich bei dem
Kuppler eingestellt und, für die genannte Summe, bei demselben
Aufnahme und Herberge gefunden hatte. Daraufhin \vurde Lycus
von Agorastocles vor Gericht des doppelten Verbrechens ange-
klagt: einen entlaufenen Sklaven verhehlt, und den Diebstahl mit
ihm begangen zu haben. Bei dieser Verhandlung kommt auch
die Herkunft der beiden Mädchen an den Tag, die iln- zu rechter
Zeit eingetroffener Vater, Hanno, durch ihre Wärterin Gidde-
neme, als seine ihm geraubten Kinder erkennt. Zu gleicher Zeit
findet er in Agorastocles seinen Neffen wieder, dem er mit Freu-
den seine ältere Tochter Adelphasium vermählt.
Den Hanno lässt Plautus Punisch sprechen und es von Ago-
rastocles treuem Diener Milphio verdolmetschen, dem aber der
gelehrte Dr. Bellermann in drei Programmen '; die beschämendste
ünkenntniss und die gröbsten Schnitzer gegen die punische Gram-
matik nachgewiesen. Zm- Zeit des zweiten punischen Krieges,
wo Plautus lebte und im römischen Theater die Bellermann's
dicht gesät sasseu, die des Karthagischen mächtig waren und es
so geläufig sprechen mochten, wie der gelehrte Berliner Punier,
Dr. Bellermann, musste der fünfte Act durch das geradebrechte
Karthagisch ungemein belustigend wirken. Heutzutage ist dieser
Hochgenuss einem einzigen Sterblichen beschieden, dem Dr. Bel-
lermann. Dagegen versteht die Liebesscene zwschen Agorastocles
und Adelphasium noch heutigen Tages Jederaiann, die, wer weiss?
vielleicht für die Bellermann wieder puuisch klingen mag. Adel-
phasium mit ihrer Schwester treten auf. Agorastocles und sein
1) Versuch einer Erklär, der punischen Stellen im Poenulus des Plaut.
Drei Programme von T. .1. Bcllermann. Berl. 1808.
534 Die römische Komödie.
Diener Milphio, die das Stück eröffnet, befinden sich auf der
Bühne (I, 2):
Milphio. Sieh da, willst du nicht
Dein Mädchen sehn V
Agorastocles. Das lohne dii- der grosse Gott,
Da du diess angenehme Schauspiel mir gebracht . . .
Die Schwestern verhandehi ihre Angelegenheiten über Putz u.
dgl. für sich, ohne jene zu bemerken.
Agorastocles. Wie schön ist der Tag heut, wie hold und voll Anmuth,
So würdig der Liebesgöttin, die heut ihr Fest hält!
Milphio. Bedankst du dich wohl, dass ich jetzt dich herausrief?
Du fühlst, billig ist's, mir ein Fass alten Weins
Zu schenken. Befiehl, dass man's hergiebt ! Du schweigst
noch ?
Fiel die Zung' ihm aus? Zum Henker, warum stehst du
so versteinert?
Agorastocles. So lass mich verliebt seyn. Verstör' mich nicht,
schweige! —
Milphio. Gut! Ich schweige ....
Antera stilis. (zu Adelph.)
Lass uns gehen!
Adelph. Ach ich bitte, warum eUst du so?
Anter astilis. Du fragst?
Weil der Herr auf uns am Tempel wartet!
Adelph. Lass ihn warten! Bleib! . , .
Oder, meint sie zur Schwester, willst du dort Verkehr mit Bäder-
liebchen, Sklavenschätzchen pflegen? üeber die „Sklavenschätz-
chen" erbost sich Milphio bei Seite:
,, Solch ein Wort spricht so ein Ding
Nicht mit einem Glas voll Nebel kauf ich ihr sechs
Nächte ab."
Agorastocles. 0 ihr grossen ewigen Götter, was ist schöner unter euch?
Was besitzt ihr , dass ich glaube , ihr seyd glücklicher,
als ich selbst.
Der ich so viel Schönes sehe? Venus ist nicht Venus
mehr.
Diese Venus wUl ich ehren, dass sie mich holdselig Uebt . .
Milphio. — Die du niemals angerührt?
Agorastocles. Auch die Götter lieb' imd ehr' ich, und doch rührt' ich
sie nicht an . . .
Der Karthager. Eiue Liebesscene. 535
Kann Eomeo zarter schwärmen? Ein Calderon'scher Liebesritter
verzückungsvoller anbeten? Und ohne dass die munteren Farben
des Lustspieltons von der Liebesbegeisterung- in der leisesten
Schattirung versehrt würden!
Agorastocles. Höre, willst du etwas Kluges und Gescheites thun?
Milphio. 0 ja!
Agorastocles. Kannst du mir auch folgen?
Milphio. Freilich.
Agorastocles. Geh' nach Haus' und häng' dich auf!
Milphio. Weshalb das?
Agorastocles. WeU du doch niemals mehr so süsse Worte hörst.
Wesshalb wolltest du länger leben ? Folge mir und häng'
dich auf!
Milphio. Wenn du nur mit mir zusammen zur Eosine ') werden
willst.
Agorastocles. Doch ich liebe diese.
Milphio. Doch ich Speis' und Trank.
Jene komische Kehrseite des Gracioso in der spanischen Komödie,
die das naiv sinnliche Volksempfinden, dem geistig schwärmeri-
schen üeberschwang und Hochflug der Ritterstimmung gegenüber,
festhält, und dessen komischen Gegensatz, nach Seiten der AVelt-
betrachtung und Lebensauftassuug, Cervantes in dem Dualismus
zwischen dem Junker von La Mancha mid seinem Knappen bis
zur Pliilosophie dieses bewussten Contrastes vertiefte — wir finden
diese sinnreiclie Parodie schon in der Komödienstellung der Plau-
tinischen Sklaven zu ihren jungen Herren angedeutet, und viel-
leicht in keiner andern Scene mit so viel anmuthigem Witze zur
Wirkung gebracht, wie in dieser. Wie artig und zierlich sind
die Apaiie's der beiden Gruppen des Liebenden mit seinem Die-
ner, und der Geliebten mit der Schwester und Magd, behandelt!
Adelphasium. Noch eins!
Anterast. . Und was?
Adelphasium. Sieh' mal, sind die Augen klar nun? Vorher hatt' ich
was darin.
Anterast. Nein, es sitzt noch in der Mitten Etwas.
Adelphasium. Nimm doch deine Hand:
1) Uva passa , weil die Weintrauben , um zu Eosinen zu vertrocknen,
aufgehängt werden. Pensilis uva. Hör. Sat. II, 2. v. 121.
536 I^i^ römische Komödie.
Agorastocles (unwillig vor sich hin).
Dass du gar mit schmutzigen Händen ihr die Augen
reiben darfst !
Illotis manibus, „mit ungewaschenen Händen", klingt feiner. Es
Hesse sich vielleicht übersetzen: „dass mit ungeweihten Händen
du die x4.ugen reiben darfst!"
(Die Mädchen sprechen für sich).
Agorastocles. Jlilphio!
Milphio (für sich). Auch du armer Müphio! — (laut) Nun, was
steht cUr zu Befehl?
Agorastocles. Ich beschwöre dich, wie Süsses spricht sie?
Milphio. Lauter Waifeln nur,
Sesam, Mohn und Honigkuchen, Nüsse, Rosinen und Man- *
dÄkern.
Agorastocles (nähert sich den Mädchen zaghaft und schüchtern, und
begrüsst sie, zu Adelphasium) :
Wohin eUst du?
Adelphasium. Ich? zum Tempel.
Agorastocles. Was zu suchen?
Adelphasium. Venus' Huld.
Agorastocles. Zürnt sie dir? Sie ist dii- gnädig. Ich verbürge mich
für sie.
(Adelphasium behandelt ihn spröde).
Agorastocles. Nimm doch deinen Sclileier auf !
Adelphasium. Ich bin rein, drum bitt' ich, fass mich ja nicht au, Ago-
rastocles ! . . .
Agorastocles. Wie? Dich könnt' ich fahren lassen? Milphio, sage!
Milphio (für sich). Ach verdammt!
(laut) Was beliebt dir?
Agorastocles. Wesshalb zürnt die?
Milphio. Wesshalb diese auf dich zürnt?
Was soll mich das wohl bekümmern? — Das ist deine
Kümmerniss.
Agorastocles. Wahrlich, Kerl, du bist verloren, machst du sie mir nicht
so still.
Als die See ist, wenn das Meerhuhn seine Jungen führt
hinaus.
Milphio. Was kann ich denn? —
Agorastocles. Bitte, schmachte, kose. —
Milphio. Gut, das wiU ich thun.
Aber dass du nicht den Sprecher hinterher mit Fäusten
schlägst.
.\delphasium (im Fortgehen zu Agorastocles, der sie aufhalten will):
Der Karthager. Eine Liebesscene. 537
Lass mich, bist ein böser Mann. —
Viel versprichst du, doch von Allem hältst du nicht das
Mindeste.
Du beschworst, mich frei zu kaufen , einmal nicht , nein
hundertmal.
Weil ich deiner harre, schafft' ich nirgends andre
Hülfe mir.
und von dir kommt nichts zu Tage; also dien' ich nach
wie vor.
Komm, 0 Schwester! (zu Agorast.) Du verlass mich!
Agorastocles. Weh! was machst du, Milphio?
Milphio (sich der Adelphasium nähernd).
Mein Vergnügen, mein Entzücken; du mein Leben, meine
> Lust,
Du mein Aeuglein. du mein Lippchen, meine Wohlfahrt,
du mein Kuss,
Du mein Honig, du mein Herzchen , meine Mich , mein
weisser Schwan !
Agorastocles. Das muss ich ihn sagen hören V Lieber geh' ich in
den Tod,
Als dass ich ihn nicht gleich mit vieren schle]3pen lasse
zum Henkerknecht.
Adelphasium (zu Müphio).
Port mit dir, du Zungendrescher!
Milphio. Ich will gehn. Doch weisst du wie?
Lass dich erbitten , lass am Ohr dich fassen , lass dich
küssen dann.
Denn ich werd' ihn weinen machen, wenn ich dich nicht
besänftige.
Und dass er mich dann zerprügelt, söhn' ich dich nicht
aus mit ihm.
Das befürcht' ich , denn ich kenne dieses Murrkopfs
böse Art.
Desshalb bitt ich. mein Entzücken, lass dich doch von
ihm erfiehn!
Agorastocles. Nicht sechs Dreyer will ich werth seyn , schlag ich je-
nem Hundekerl
Nicht die Augen aus und Zähne. (Er prügelt auf ihn los.)
Hier ist eins für deine Lust.
Hier der Honig, hier das Herzchen, hier das Lippchen,
hier der Kuss!
Milphio. Herr, du versündigst dich, den Sprecher prügelst du.
Agorastocles (giebt ihm noch einige Schläge).
Nimm dicss dazu.
Noch das Aeuglein, und das Lipiidien und di(> Zung!
538 ^i^ römische Komödie.
Milphio. Wami hörst du auf?
Agorastocles. Hiess ich so dich jene anflehn?
Milphio. Wie denn sollt' ich flelm?
Agorastocles. Du fragst?
Also solltest du sagen, Schurke : Dessen Lust hier fleh'
ich an,
Dessen Honig, dessen Herzchen, dessen Lippchen, Zung'
und Kuss,
Dessen Wohlfahrt, dessen Anmuth. dessen süsse Lieb-
lichkeit,
Dessen Müchbrust , dessen zuckersüsser Schmant , du
Galgenstrick,
Dessen Leben, dessen Liebe, dessen Inbrunst, Galgenstrick;
Alles was du dein genannt hast , musstest du benennen
nieiü !
Milphio. Nun so seyst du dann beschworen, dessen Lust und mein
Verdruss,
Dessen wohlbebriistete Freundin, meüie schwerentrüstete.
Dessen Auge, meine Blindheit, dessen Honig, meine GaU',
Dass du ihm nicht länger zürnest, oder wenn dirs nicht
möglich ist
Adelphasium (ihn unterbrechend).
Nimm den Strick dich aufzuhängen sammt dem Herrn
und eurem Haus! . . .
Anterastilis (zu Adelphasiiim).
Gieb ihm nur was Guts zur Antwort, dass er uns nicht
länger Mer
Lästig werde, denn er hält uns nur von unsrem Gang
zurück.
Adelphasium (folgt der Schwester, mehr noch ihrem Herzen imd sagt
zu Agorastocles):
Diessmal ^vill ich dii-'s noch schenken, Agorastocles!
Ich bin nicht mehr böse.
Agorastocles. Nicht?
Adelphasium. Nein.
Agorastocles. Ist es wahr, gieb
mir 'nen Kuss!
(Da ergo, ut credam, suavium, klingt inniger und lieb-
licher. Vielleicht: ,,Dass ich's glaub', o einen Kuss!")
Adelphasium. Ja, sobald ich von dern Opfer hier bin.
Agorastocles. Gut, so spute dich!
Adeli)hasion. Komm, o Schwester!
Agorastocles. Aber hi')rst du, grüss in meinem Namen auch
Göttin Venus!
Adelphasium. Soll geschehn.
Plautus. Epidicus. 539
Agorastocles. Und noch Eins!
Adelphasium Was giebt es noch?
Agorastocles. Fass dein Opfer mit kurzen Worten ! hörst du, sieh mich
auch freundlich an! (entzückt)
Ja sie that es. Eben diess auch wird an dir die Venus
thun. (Die beiden Mädchen ab.)
ßespexit. Idem pol Venerem credo facturani tibi —
Schliesst mit vollerem Tonfall und gefiihlterem Nachruf. Vielleicht:
,,Ja sie that es! Sey dir Venus hold, Geüebte, wie du mir!"
Wir erinnern uns keiner Liebes-Scene in der ganzen Komödien-
Literatur, die so reich au Tönen wäre, an Schlaglichtern und
Schattirungen, wie diese; so voll Komik, drolligem Ernst, anmu-
thigem Sprödsinn und liebesinniger Süsse. Nur Einer möchte
eine Fülle solcher Scenen gedichtet, und er allein den musikali-
schen Reiz der Situation als höchsten Kmistzauber ausgesprochen
haben: Mozart.
Epidicus. Der Name des Haussklaven von Stratippo-
cles, einem jungen Athener, der diesem seinem Diener, Epidicus,
zm- Zeit des thessalischen Krieges den Auftrag gegeben, ein Mäd-
chen, das er liebt, von einem Kuppler zu erkaufen und dieselbe,
während seiner Abwesenheit beim Heere , an einem sichern Orte
unterzubringen. Das Kaufgeld schwindelt Epidicus dem Peri-
phanes, Vater des Stratippocles , durch das Vorgeben ab: das
Mädchen sey dessen von den Feinden entführte Tochter, die als
solche denn auch in das Haus des Alten aufgenommen wird.
Mittlerweile verliebt sich Stratippocles in eine andere; ein junges
Mädchen, das sich unter den Gefangenen bei Theben findet, zu
deren Loskaufung er das Geld bei einem dortigen Wucherer auf-
nimmt. Um sich bezahlt zu machen, begleitet der Wuclierer den
Schuldner mit dem Mädchen nach Athen. Auch diese Schuld-
summe weiss Epidicus den Periphanes abzulisten, indem er dem
Alten, der gerade eine anständige Verheiratliung des Solmes im
Sinne hat, weissmacht: dieser wolle eine Harfenspielerin vom
Kuppler kaufen und zur Frau nehmen. Cm dem zuvorzukom-
men, giebt Epidicus dem Alten den ßatlj, einen Vorkauf zu ma-
chen, wobei noch zu gewinnen stände, dn (>i)i reicher Offizier
diese Harfenspielerin liebe. Der Diener erhält das Geld und
540 I^iß röiuische Komödie.
führt dem Alten eine Harfenspielerin als die Geliebte des Sohnes
zu. Der doppelte Betrug kommt bald an den Tag. Philippa,
eine frühere Geliebte des alten Periphanes, von der er jene ent-
führte Tochter hatte, erkennt diese natürlich nicht in der von
Epidicus eingeschwärzten Hetäre, der ersten GeUebteu des Stra-
tippocles. Ebensowenig erkennt der Offizier die Harfenspielerin
für sein Mädchen. Epidicus kann sich auf zwei Peitschen und
zwei Galgen gefasst machen. Aber je mehr Galgenstrick, je
mehr Glück. In dem aus Theben mitgebrachten Mädchen er-
kennt er, der doppelt gedrehte Galgenstrick, der Epidicus, erkennt
er zuerst die verlorene Tochter, Telestis, wofür der Wicht vom
Alten noch obendrein Freiheit und Versorgung erpresst. Der aus
einem Liebhaber in einen Halbbruder umgewandelte Stratippo-
cles muss froh seyn, dass ihm Epidicus das erste Liebchen in
Sicherheit gebracht.
Diese durch Intrigue, witzigen Dialog und Charakteristik sich
auszeichnende Komödie stellen wir, in Bezug auf Innern Gehalt,
den vorher besprochenen nach. Fabel und Motive stempeln sie
zu einer Localkomödie. Von allen Plautinischen Komödien scheint
uns diese am entschiedensten die griechische Farbe des Philemon-
Menander-Lustspiels, und am wenigsten die der römischen Sitten
zu tragen. Der Epidicus ist kein Lustspiel für alle Zeiten, wie
Captivi, Triuummus, Eudens, selbst die Aulularia und der Miles
gloriosus. Der Epidicus hat keinen andern Zweck, als zu unter-
halten; in den Augen der Selbstzwecks -Aesthetik fi-eilich sein
höchster Werth.
P s e u d 0 1 u s. Auch dieses Stück führt den Namen vom Haus-
sklaven und Vertrauten des jungen Calidorus, dessen Vater
Simo, einen wohlhabenden Athenischen Bürger, unser Pseudolus
um eine Summe Geldes zu prellen vorhat, womit er die Phoeni-
cium, das Liebchen seines jungen Herrn, vom Mädchenliändler
Ballio loskaufen will, bevor sie ein macedonischer Offizier ent-
führt. Der alte Simo hat aber von Pseudolus' Absicht Wind be-
kommen und nimmt den Kneclit in's Verliör. Dieser, weit ent-
fernt, sich einschüchtern zu lassen, sagt dem Alten auf den Kopf
zu: er, Simo, werde ihm freiwillig das Geld dazu geben, um das
er aber, Pseudolus, den Kuppler so gewiss zu prellen gedenke,
wie um das Mädchen. Dem Alten erscheint das eitel Aufschnei-
Plautus. Pseudolus. 541
derei und er ist launig genug, dem Pseudolus das Kaufgeld für
das Mädchen zuzusagen, wenn ihm der beabsichtigte Doppelbetrug
gelingt. Pseudolus denkt: Caesar und Glück! und verlässt sich
auf die Gelegenheit, die Mutter der Schelme und Diebe, grosser
wie kleiner. Die führt ihm auch schon in dem Harpax, dem
einfältigen Trossknecht oder Zeltburschen (caculaj des macedoni-
schen Offiziers, das taugliche Subject zu. Pseudolus giebt sich
für des Ballio, des Mädchenhändlers, Hausvog-t, S\tus, aus, und
erhält vom Harpax den Brief, worin die Marke liegt, gegen deren
Empfang der Mädchenhändler das Mädchen ausliefern soll. Pseu-
dolus, im Besitz von Brief und Marke, empfiehlt dem Harpax die
nächste Schenke, wo er sich einstweilen erfrischen kann mid auf
weitere Nachricht warten. Hai-pax wäre untergebracht. Aber
schon steht sein Doppelgänger, Pseudolus, als Harpax vor dem
Mädchenwirth mit Brief und Marke, auf deren Vorzeige Ballio
das Mädchen für den macedonischen Offizier ohne Umstände aus-
liefert, und sogar voller Freude dariiber, dass er dem befürchteten
Betrug entgangen, vor welchem ihn der Alte Simo, um völlig
sicher zu seyn, gewarnt hatte. Vor Freuden macht sich der
Kuppler anheischig, an den zweifelnden Simo, mit dem er gleich
darauf zusammenkommt, zwanzig Minen zu verlieren und das
Mädchen obendrein, wenn sich die Sache anders verhält. Unter-
dessen sitzt der wirkliche Harpax immer noch in der Kneipe, und
wartet auf Ballio's Hausvogt, den S}tus, der ihm das Liebchen
seines Macedoniers, die Phoenicium, zuführen soll. ^Endlich eine
Komödie des Plautus, wo die KJieipe mitspielt. Ob sie aber
Opposition dem Haus macht, ist noch die Frage. Statt dass die
Kneipe Opposition gegen das Haus macht, macht vorläufig der
Hausvogt Opposition gegen die Kneipe und kommt nicht. In der
Zwischenzeit hat sich Hai-pax so weit erfrischt, dass er selbst den
Ballio aufsuchen kann, der ihn aber, zu seiner nicht geringen
Ueberraschuiig, für den falschen Harpax hält, und für einen von
Pseudolus angestifteten Betrüger. Bald genug entdeckt der Mäd-
chenwirth die grauenvolle Täuschung und merkt zu seinem
Entsetzen, dass er den Wiiih gemacht ohne die Rechnung.
Das vom Offizier empfangene Geld muss er diesem wieder heraus-
geben: zwanzig Minen, den üblichen Mädchenpreis. Andere zwan-
zig Minen hat er, als verlorene Wettsumrae, an den alten Simo
542 Die römische Komödie.
ZU zahlen. Der dreifache Mädchenpreis, das Mädchen mit gerech-
net, ein Verlust von circa 2000 Thlr. in Einem Strich, und da
soll Ballio iiicht gebrochen an Leib und Seele davon wanken und
jammern :
Den Geburtstag will ich machen nun zu meinem Sterbetag.
und nicht der alte Simo sich in's Fäustchen lachen, um es dann
vergnügt zu öffnen und daraus die dem Pseudolus versprochne
vom Kuppler selbst bezahlte Loskaufsumme für das Liebchen sei-
nes Sohnes in die Hand des biedern Erzgauners gleiten lassen,
mit den Worten (IV. Sc. 8. v. 5 ff.):
Ist er doch ein sehr gescheidter, kluger und durchtriebener Wicht.
Ueber den trojan'schen Dolus und Ulyss geht Pseudolus.
„Dolmn" für Dolonem ; jener troische Kundschafter Dolon i),
den ein feinerer Spürer und Schlaukopf, Ulysses, bekanntlich er-
schlug. Pseudolus ist durchtrieben für beide, was sein Name
(Pseudos und Dolos, Lug und Trug) treffend bezeichnet. Aber
kein Dolon und Ulysses hat seine gelungene List mit einem so
gründlichen Doppelrausch gefeiert wie Pseudolus. Taumelnd wankt
er daher, um seinen Lohn zu empfangen (v. L):
Was ist dasV Wie kommt das? So steht doch, ilire Füsse.
Der Wein hat den mächt'gen Fehler, er schlägt uns
Zuerst in die Füsse, ein listiger Fechter
(luctator dolosu'st)
Ich gehe nun recht tüchtig begossen nach Hause ." . .
Ist das eine Opposition gegen das Haus,, oder nicht vielmehr die
schönste Eintracht zwischen Kneipe und Haus?
Die Moral des Stücks ist locker; die Laune, scherzhafte Lust
und meisterhafte Charakteristik unvergleichlich. Der Prolog kün-
det es auch getreulich an:
Ubi lepos, joci, risus, vinum, ebrietas decent:
Gratiae, decor, hUaritas atque delectatio.
Wo muntrer Scherz und Lachen, Wein und Rausch sich ziemt:
Da waltet Anmuth, heitre Lust und Fröhlichkeit . . .
1) n. X.
Plautus. Truculentus. 543
Gellius nennt die Komödie festivissima, „die ergötzlichste." Fried-
rich Tauhmann, einer der gelehrtesten Herausgeber und Erklärer
des Plautus, bewundert den Pseudolus über alles. Ein anderer
berühmter Commentator aus dem 1 7. Jahrb., Camerarius, preist das
Argument als reichhaltig und wunderwürdig (argmuentum est va-
rium et mirificum). Joh. Douza nennt dieses Lustspiel „das Auge
der Plautinischen Fabeln:" Ocellus fabularum Plauti. Soll doch
Plautus selbst, wie Cicero im Cato versichert, an dem Pseudolus
und Truculentus sich mehr, als an seinen andern Stücken erfreut
haben: quam gaudebat — Truculento Plautus, quam Pseudolo!
Lassen wir denn gleich den Lihalt des
Truculentus folgen: „der rohe Hitzkopf." So übersetzt das
Wort Fr. W. Rost, dessen Verdeutschung der von Köpke unübersetzt
gebliebenen Komödien des Plautus wir benutzen. Truculentus ist
der rauhe, unwirsche St rat i lax, Diener des Strabax, eines der An-
beter, die in den Fesseln der verschmitzten und habsüchtigen Buhle-
rin, Phronesium, schmachten. Der Erste derselben, Dinarchus,
ein junger Mann aus Athen, erfährt, dass er an Stratophanes,
einem Soldaten aus Babylon, dem windigsten Maulmacher der
drei Welttheile, einen Nebenbuhler erhalten. Phronesium hatte
diesen Stratophanes, der wieder in seine Heimath gereist war, mit
der Vorspiegelung zurückgelockt, dass sie von ihm schwanger sey.
Der Narr eilt flugs herbei, aufgeblasen von stolzer Vaterfreude
ob eines Kindes, das, als sein Sprössling, nicht anders denn ein
Weltwunder seyn kann. Kaum angelangt, fragt er die Asta-
phium, Phronesium's Magd TH. Sc. 6):
Ist Phrunesiuni Mutter? sprich!
Astaph. Einen köstlichen Jungen hat sie.
S t r a 1 0 p li a n . Aehnlich mir ?
Astaph. Das fragst du noch?
Gleich nach dem er geboren war, da rief er schon nach Schwert
und Schüd.
Str atoj) lian. Das beweist, er ist von mir.
Die Eifersucht auf Dinarebus, von dem Phronesium in seiner
Gegenwart neue Geschenke erliält, geht zwar mit den Vaterfreu-
den des Babyloniers zu verschiedenen Malen durch, aber nur um
mit reichern Gesclienkeii wieder umzukehren. Bei der nächsten sol-
chen Tour findet er einen dritten Nebenbuhler in zärtlichem tete-
544 ^^^ römische Komödie.
ä-tete mit der Mutter seines iiutergeschobeuen Sprösslings: den
jungen Strabax, den Sohn eines Landgutbesitzers bei Athen, und
HeiTu unseres Truculentus. Der Babyloiiier geräth zum zweiten
Mal ausser sich (V. 1):
Stratophaiies (für sich). Leiden soll ich, dass sie unter meinen Augen
Andre herzt?
Wirklich lieber will ich todt seyn. (zu Phronesium) Weg
von dem da mit der Hand.
Oder du und er soll sterben durch das Schwert in meiner
Hand.
Phrones. Wenn du willst geliebt seyn, spare das Gewäsch, Strato-
phanes.
Eisen nicht , nur Gold kann's hindern , dass mich der nicht
weiter liebt . . .
Stratophan es. Alle haben bei ihr Zutritt; weg von ihr mit deiner
Hand!
Strabax. Nun so sollst du tüchtig ausgedroschen werden grosser Held . . .
Zuletzt geht das Wortgefecht in einen Wettstreit mit Ge-
schenken über, den Phronesium, als Schiedsrichteriu, natürlich
ungesclilichtet lässt, zu welchem Zwecke sie beide Nebenbuhler
an Einem NaiTenseil festhält. Mit diesem Triumphzug schliesst
die Komödie. Den dritten, Diuarchus, befreit aus den Schlingen
der Buhlerin das untergeschobene Kind, das sich als das seinige
ausweist, von der Tochter eines Mitbürgers aus Athen, der sie
ihm zm- Frau giebt.
„Welche Freude hatte Plautus nicht an seinem Truculentus ! "
Nur um dieses Zeugnis« des Cicero — sonst müssteu wir die
Vaterfreuden des Plautus in Eine Klasse mit denen seines Baby-
loniers setzen. Der lebenswahren Charalvteristik nach, besonders
in Schilderung der Hetären-Häuslichkeit der Buhlerin und ihrer
Zofe, des prahlerischen Gecken, der in der Sammlung Plautini-
scher Thrasonen als Narr hervorglänzt, eine Art Fähudrich Pistol
als eingebildeter Vater — kurz, was leichte, gefällige, bei aller
Manniglaltigkeit bunter Misclmng einfache Knüpfung und Ent-
wickelung des Fabelgewebes betrifft: darl' die Freude des Plautus
an seinem Truculentus für berechtigt und wohl begründet gelten.
In Bezug auf komischen Kerngchalt aber, auf Kunstwürdigkeit,
und in BetracJit der durcliweg schlechten, anrüchigen Gesellschaft,
Trueuleiitus. Stratilax. 545
worin die Sklaven noch die ehrenwerthesten, wahre Biedermänner
sind: scheint es mit der inneru Beschaffenheit dieser Komödie
schier so misslich bestellt, wie mit der äussern des Textes;
möchte der specitische Kunstwerth der Komödie für eben so cor-
mmpirt gehalten werden dürfen, wie ihr Text, welchen Turnebius
für so verderbt erklärt, dass ihn, wie er sich ausdrückt, kaum ein
Aesculap mit seinem Vater zu heilen vermöchte.
Ruhm dir, Stratilax! Wackerer Grobian, treugrimmiger Haus-
hund, bärbeissiger Truculentus! Einziger Hort und Verfechter der
Komödien-Ehre, der sittlichen Entrüstung, der biederben Unge-
schlachtheit, der rauhehrlichen Bauerneinfalt in diesem städtisch
verpesteten Lustdirnen-Lustspiel! Voll Eiferzorns gegen die Un-
zuchtswirthschaft der Phronesien, der Astaphien, bist du ein länd-
licher Flur- und Feldgott, aber als Lar und Hüter der Hauswürdo
und Sitte. Vergleichbar jenem Klotz, jenem truncus ficulnus, den
der Meister, unschlüssig, ob er eine Bank mit vier Prügelbeinen
schaffe, „lieber zum Gott erkor", maluit esse Deum. '; Als Gott
nun stehst du, dem diebisch liederlichen Volk der Phronesien und
Astaphien ,.ein mächtiger Schreck", maxima fonuido. Denn zu-
rück weist sie die Rechte „nebst dem gerötheten Pfahl", — die-
ser aber in der Rechten als sitteneifriger Knüppel, „der Ahndung
droht den Frevlern." Und gleich wie jener mit beweglichem
Schilfrohr bekränzte Gott-Pfahl das Furienpaar, die zwei verruch-
ten Hexen, die in finstrer Nacht ihr namenloses Werk trieben,
die Canidia und Sagana, mit einem eben so namenlosen, jeder
Bezeiclnamg spottenden Schret^kensknall entsetzte, „gleich stark,
wie die Blas' aufkracht, die zerplatzende", dass es schallte, wie
wenn ein feigener Stotz aufreisst und berste n<l klafft: also schreckst
auch du, pfahlbewehrter Hauswart und Itliyphallus der Familien-
zucht, die kupplerische Magd der Buhlerin von deiner Hausthür
fort mit scheltendem Gepolter (H, 2):
— Wenn du niclit gleich dich fortpackst und geschwind sagst, was du
willst,
Tret' ich dich mit Füssen, Weibsstück, wie die San die Jungen tritt.
Göttlicher Sauhirt, Truculentus! „Das ist ächte Dorfart", h'^liut
die Zofe.
1) Hör. Sat. I, H.
u. -yo
546 r)i"? römische Komödie.
Stratilax. 0 du hcässliches, schmutziges Affenthier (clurinum pecus)
Wirfst uiir's Dorf vor? Ja, da triifst du den, der sich daraus
was macht.
Komm hierher, versuch' es nur, du aufgeputzt Gerippe du . . .
Astaphium. Rühre mich nicht an!
Stratilax. Dich anrühren? Bei der Hacke, lieber lass'
Ich mit einem stöss'gen Ochsen mich zusammenspannen. und
Will mit ihm die ganze Nacht so auf der Streu zubringen, als
Dass ich hundei-t freie Nachtgelage haben möchte bei dir . . .
,, Schandgelichter seyd ihr" —
Warum denn? fragt schnippisch-frech die Magd. „Mehr weiss
ich, als du denken magst." — Nuu, was weisst du?
Stratilax. . . . Wie unser junger Hen-. Strabax, zu Grunde geht
Dort bei euch , und wie ihr ihn in Schaden und in Aufwand
stürzt . . .
. . . . zu vergeuden hat er nicht
Sein Vermögen aufgesammelt; nein, zu strenger Sparsamkeit.
Quam gaude1)at Truculento Plautus - - ruft Cicero. Ja, Plautus
hatte seine Freude an dem Truculentus; aber au der Figur, dem
Charakter, der Lustspielpersou Truculentus, nicht an der Komödie
Truculentus, die er nach ihm, dem eigentlichen Helden derselben,
benannte, dem Helden seiner Dichter-Intention, den er schuf, um
mit ihm zu scherzen, dem Schoossbären seiner Komödien- Absicht,
der Favoritfigur seines kunststrengen Dichterherzens, seiner in
Mark .und Kern grundsittlichen Komik, die allein die grossen
Komödiendichter beseelt, ihr Baccheus oestrus, ihr Bacchischer
Begeisterungs-Stachel ist. Eine Absichtsfigur ist der Stratilax,
dessen rauhe, naturwüchsige, widerborstige Bauernderbheit er der
städtischen Hetären- Verderbuiss entgegensetzte. Des Dichters
Busengedanken, als Truculentus verkörpert, ist dieser Stratilax;
der mürrisch zottige Elu'eidiold-Sklave; des Dichter-Müllerknech-
tes Leibsklave; der zur komischen Schreckfigur hervorgeschnellte
Truculentus aus des Dichters eigner Brust, und nebenbei der Ael-
tervater von Lustspiel-Charakteren, wie Lessing's Just, wie Mo-
liere's Misantlirope , und von tragischen Elias -Keissbären, wie
Shakspeare's Kent.
In der zweiten Scene des dritten Actes scheint Stratilax
plötzlich wie umgewandelt. Wirklich? scheint er so? Nun, die
ümwandelung möchte eben auch nur eine scheinbare seyn:
Plaiitus. Slichus. 547
Str atilax. Ich bin iiiclit mehr so wüthig, Astaphiuni, als ich war.
Auch bin icli nicht so grob mehi* . . .
Ganz neue Sitten hab' ich, die alten sind vorbei.
Jetzt Ivann ich lieben, wär's auch eine Bulüerin.
Hör' an ; seitdem ich öfter komme in die Stadt,
Bin ich ein Witzbold . . .
Astaph. Komm mit hinein, du meine Wonne . . .
Str atilax. . . . Ich warte hier noch auf Strabax.
Astaph. . . . Der ist hier bei uns, Strabax
So eben kam er.
Stratilax. Und ging zur Mutter nicht zuvor? —
(auffahrend) 0 der Nichtswürdige!
Astaph. Fängt das Alte wieder an?
Stratilax. Ich will nichts sagen. —
Sieht das nach einer Umwandlung aus? Und wenn es eine
wäre! Wenn selbst der Truculentus sich als mitergriffen von
der städtischen Ansteckung bekennen sollte: so läge in dieser
Umwandlung erst recht die bitterste Ironie gegen die Zeitver-
derbniss und ilir Abliild, diese Komödien-Gattung. Schmeckt der
Abgang des Stratilax Hand in Hand mit Astaphium nicht ganz
nach solcher Ironie?
— In das Wirthshaus werd' ich eingeführt,
Wo für mein Geld man mich sehr schlecht bedienen wird.
— in tabernam ducor devorsoriam,
Ubi male accipiar mea quidem mihi pecunia.
Welcher sarkastische Protest zugleich gegen die bewusste Oppo-
sition, die bei Plautus das Wirthshaus dem Hause machen soll.
Mag die Fabel, die ganze Komödie, der Menander-Komödie ent-
lehnt seyn, wie ihr denn eine solche auch unzweifelhaft zum
Gmnde lag: der Truculentus selbst ist Plautinisch, ist des Plau-
tus ureignes Geschöpf. Die Stimme der Komödie ist Menander's
Stimme, die rauhhaarigen Hände des Truculentus aber sind Plau-
tus' Hände.
Der Stic hu s bildet zum Tmculentus insofern das Gegen-
stück, als hier die eheliche Treue zu Ehren und zu ihrem Rechte
gelaugt; während der Haussklave, Stichus, der dem Stücke den
Namen giebt, dasselbe mit einem gemeinschaftlichen Bedienten-
schmause und einem gemeinschaftlichen Liebchen beschliesst, zur
35*
548 ^'^'^ röiiiisclie Komödie.
Feier der Wiederkehr ihrer Herren. Diese hatten ihre Frauen,
zwei Scliwestern, verlassen, nachdem sie das Vermögen dersell)en
durchgebracht. Antipho, der Vater der beiden verlassenen
Frauen, bietet Alles auf, um sie zu einer zweiten Ehe mit wohl-
habenden Männern zu bestimmen. Sie aber, als ehrsame, treue
Gattinnen, die ihre Männer aus Liebe geheirathet und, nun wo
sie verarmt sind und ihr Glück in der Ferne suchen, ilmeu um so
getreuer anhangen zu müssen, sich verpflichtet glauben, sie wider-
streben dem Ansinnen ihres Vaters und harren aus, in Sehnsucht
erwartend die Kückkehr ihrer Gatten. Ihre Zuversicht hat sie
nicht getäuscht. Die Männer kehren bereichert wieder, und da-
her auch dem Schwiegervater hochwillkommen. Was die Titel-
person, den Stichus betrifft, so ist der Ankunftsschmaus der ein-
zige Beitrag, womit sich derselbe bei der Handlung des Stückes
betheiligt.
Die Moral ist lobenswerth, die Lage der beiden Frauen und
ihr Verhalten herzgewinnend; die Fabel schwach, die Komik —
und das ist das Bedenklichste — dünn und dürftig: ein noch
grösserer Uebelstand als der umgekehrte Fall. Das komische Salz
ist immer ein Präservativ, eine Würze gegen die moralische Fäul-
niss der Komödie, die es wenigstens eine Zeit lang hinhält. Zu-
letzt freilich befördert es dieselbe, wie Salztleiscli den Scliarl)Ock.
Gute Moral und gute Komik vermischt, bleibt stets die gesun-
deste Kost zur See und zu Lande. Ein komisches Genie jedoch
von so kräftiger Naturkomik, wie Plautus, Moliere, Mozart, solche
grosse Aesculape der Komik machen Wundercm'en. Eine todt-
kranke Fabel von der schwindsüchtigsten Moral bringen sie durch
heilsame und zugleich wohltluiende Erschütterungen ihrer vis co-
mica auf die Beine, und bewirken in beiden, in Fabel und Moral,
eine so gründliche Nervenumstimmung, dass diese ihre Krücken
wegwerfen und ilir Lotterbett aufnehmen und mit ihm davongehen,
stramm und fest in den Knöcheln, wie die jungen Götter. Solcher
vis comica wohnt die Wunderkraft jenes frischen Windhauches
inue, womit der Engel den See Bethesda erregt. Und sähe Fa-
bel, Moral und Komödie so aus, wie jene runzeligen Hexen auf
Lucas Kranacli's Bild, das diesen Teich vorstellt: sie kämen
doch. Dank dem lieblichen Engelwehen, aus dem Jungbrunnen
heraus als sechzehnjährige Aphroditen. Aber das Eugelwehen ist
Pltiutus. CasiiKi. 549
Bedingung. Von dem lieblichen Schauer des lüninilischen Boten
muss man die vis comica erregt rülileii: von jenem erzitternden
Meereskräuseln, das Aescliylos yl'kaajiu^ Meeresläclieln, nennt:
71OVTU01' TB yj:f.ichiov ^AvrjQi^fiov ytXaof.ia'^): „Du im Wel-
lenspiel der See Unzähliges Lachen". So hört auch Catullus
im Murmelplätschern des Meers lenes cachimd -j, „leises Kichern".
Eine vis comica von diesem erfrischenden Verjüngungsschauer
spürt man z. B. auch durch die
Casina wehen, und ihre verfängliche Fabel frisch und ge-
sund schei'zen. Die Casina ist eine Nachbildung der Komödie
Klerumenoi, „die Loosenden", von Diphilos. Casina, ein aus-
gesetzt gewesenes Mädchen, wird in dem Hause des alten St alino
von dessen Frau, Cleostrata, mit mütterlicher Sorgfalt erzo-
gen. Herangewachsen, facht sie heftige Liebesbegi^rde in Vater
und Sohn zugleich, die ))eide auf dasselbe Auskunftsmittel zur
Befriedigung ihrer Leidenschaft gerathen. Der verliebte Greis
stiftet nämlich seinen Pächter, Olympio; der Sohn den ihm er-
gebenen Haussklaven, Chalinus, an, um das Mädchen anzuhal-
ten, wodurcli Beide, Vater und Sohn, am gewissesten zu ihrem
Ziele zu gelangen lioften, in<lem jeder in der Ergebenheit seines
Knechtes die Bürgschaft eines verschwiegenen Besitzes der jun-
gen Frau sich zu sichern meint. Schon aber spinnt die alte
Cleostrata an der Gegenintrigue. Sie entfernt den Sohn, um desto
Avirksamer die Bewerbung seines Dieners, Clialinus, zu betreiben.
Beide Freier kommen überein, um die Braut zu looseu. Das
Loos begünstigt den Pächter, den Knecht und Mitgatten (com-
maritus; des alten Stalino. Dieser reibt sich schon vergnügt die
Hände, aber auch seine Alte, die Cleostrata, die den Chalinus,
den Diener ihres Sohns, sicli als Casina verkleiden und in das
Haus des Päcliters führen lässt. Der muntere Alte husch im
Trabe nach, und liinüber in das verschwiegene Häuschen der Neu-
vermählten, wo ihn die zärtliclistcn Liebkosungen von den Fäusten
und Hacken seiner Casina empfangen. Welche Brautnacht für
Mann und Mitmann! Denn Beide, Pächter und Pacht-Herr, der
Knecht Olympio und sein Herr, der alte Stalino, werden nach-
einander im Finstern von der vermeinten Casina so epithalamisch
1) Prom. viuct. v. 00. — 2] 64. 27.3.
550 I^iß römische Komödie.
durchgebläut und dann hinausgejagt, dass sie aussehen, wie der
verstümmelte Text, der die Brautnacht schiklert ; so voller Lücken
und so besät mit Beulen und blauen Flecken, wie der Text mit
Sternchen. „Mein Treu" -- ruft in zwei Schlussversen Chalinus-
Casina: — „Mir ist himmelschreiendes Unrecht widerfahren".
Zwei hab' ich, zwei Bräutigame, und keiner von ihnen hat einen
Begrifl" davon, was man einer Neuvennählten schuldig ist: Neuter
fecit quod novae nuptae solet. Und die wirkliche Casina? Und
der Sohn Euthynicus? Sie kommen Beide nicht im Stücke vor.
Doch was wird aus ihnen? Auch das erfahren mr nicht aus der
Komödie. Nachdem Alles zu Ende, theilt der Epilog (gi'ex, ca-
terva) den Zuschauern mit, dass die Casina die freigeborene Toch-
ter eines Athenischen Bürgers und Nachbars von Stalino ist, und
dass sie sich mit dessen Sohn Euthynicus vermählte. Wer nicht
lauten Beifall klatsche, der halte Brautnacht wie Stalino und
Olympio :
Verum qui non maiiibus clare, quaiitum poterit, plauserit,
Ei pro scorto supponetur hircus unctns nautea.
Die Casina hat im 16. und 17. Jahrh. eine Unzahl von Nach-
ahmungen hervorgerafen, worunter die berühmteste ist die Clizia
des grossen Niccolö Macchiavelli.
Der Esels verkauf (Asinaria). Die austössigste von Plau-
tus' Komödien. Ein bejahrter Hausvater, Namens Demaenetus,
verleitet seinen Sklaven, das seiner Frau für den Verkauf eines
Esels eingegangene Geld zu veruntreuen, und es seinem Solme
für dessen Liebchen zu bringen, mit dem Beding, dass der Sohn
ihm, dem alten Krückenstösser , seinem Vater, das Mädchen auf
eine Nacht überlasse. Der Sohn geht auf die Bedingung ein.
Am Schlüsse sehen wir ein munteres Soupe, selbdritt zwischen
Vater, Sohn und Hetäre. Die davon benachrichtigte Ehefrau,
Artemona, überrascht die Partie, und schafft ihren angetrunke-
nen Alten, unter schmähenden Vorwürfen, vom Gelage der Buh-
lerin nach Hause. Tui-pe senilis amor, und nun gar eine solche!
Vielleicht hat aber der Komiker dieses Hässliche den alten Vä-
tern unter seinen Zuschauern vorhalten wollen. Sey's um das
Hässliche, aber das moralisch Ekelhafte darf der Komiker, selbst
in bester Absicht so nicht schildern wollen. Niemand ist es
Plautus. Asinaiia. 55 1
noch, so viel wir wissen, eingefallen, Hogarth's gestochene Meister-
dramen, auf die Bühne 7a\ l)ringen. Wunderwerke eines bis 7Aim
Tragischen witzigen Grabstichels oder Pinsels, würden diese Spi-
talbilder der Seele und der Zeitverderbniss auf der Bühne nur
Schauder und Abscheu erregen. Im „EselsverkauP' ist etwas von
jenem fressenden Aetzgifte des Hogarth'schen Griffels; um so ätzen-
der, als die Satyi'e von der Komik völlig absorbirt scheint, wäh-
rend das Umgekehrte die Hogarth'schen Schilderungen kennzeich-
net, die das moralische Correctiv in der Schärfe der satyrischen
Intention zur Schau tragen. Einen Demaenetus zu zeichnen, hätte
selbst Hogarth's Stift nicht gewagt. Der verkaufte Esel muss sich,
noch in seinem neuen Stall, in die Seele des grauen Sünders,
seines frühern Hemi, schämen, der von dem ehrlichen Gelde, das
sein Weib für ihn gelöst, einen so schändlichen Gebrauch ge-
macht! Und grämen muss er sich, und dem Komiker grollen,
der seinen guten Namen an den Pranger gestellt und die Komö-
die nach ihm benannt. Der eine Trost wenigstens ist ihm ge-
blieben, dass er einer Familie nicht mehr angehört, deren Haupt
das Sj^mbol alles Ehrwürdigen, das gTaue Haar, entweihte und
mit Schmach bedeckte ; das graue Haar, seine Leibfarbe, das Erbe
seiner Ahnen, die Ehrenfarbe seines uralten Familienwappens,
prangend auf dem Adelsdiplom, seiner Eselshaut, womit er auf die
Welt gekommen. „Eine unsägliche Schmach und verruchte Schand-
that wird in dieser Komödie dargestellt": Ingens turpitudo et
nefarium flagitium hac fabula exponitur, eifert schaudernd auch
der grosse Gelehrte, Camerarius, über die bodenlose Sündhaftigkeit
dieser Eselskomödie, die er für nicht weniger, als ein Strafge-
richt Gottes hält: Atque haec est horribilis ira Dei (argum.
Asin.)
Das komische Genie verläugnet sich trotzdem auch in ihr
nicht. Sie ist voll guter Spässe, treffender Witze und gesunder
Komik. Unübertrefflich ist die Schilderung der Magd und Buh-
lerin. Die Zerwürfniss-Scene zwischen Argyrippus, dem Sohne
des Demaenetus, und der Buhlerin Philenium wäre in einer
decenteren Komödie ein Prachtjuwel, ein Brillant vom reinsten
Plautinischen Wasser; hier ist sie einer in der Pfütze. So werth-
voll der Brillant ist, scheuen wir uns doch, ihn herauszufischen.
Lasst uns zur Ehre des genievollen Meisters der Comoedia pal-
552 ^^^ röinische Komödie.
liata, zur Ehre unseres Plautus, glauben, dass die verwerfliche
Fabel auf Rechnung des Deniophilos, wie ihn der Prolog nennt,
oder des Diphilos komme, dessen Komödie Onagos, der Eseltrei-
ber, oder Eselhändler, Plautus in der Asinaria nachgebildet ; dass
aber jene vorzügliche Sceue, der glänzende Witz, die naiven ko-
mischen Züge, die heitere erfrischende Laune, kurz der goldene
Naseming im Eüssel der Demophilos-Komödie aus dem Schmuck-
kästchen des Plautus stamme.
Die Zwei Bacchideu. Ewig und immer dasselbe Thema,
aber siimreich verändert, mit neuen Motiven. Die Bacchiden sol-
len aus dem Euautides des Phileraon entstanden seyn. Das La-
tinisiren der gTiecliischen Fabeln verstand Plautus so gründlich,
wie Autol3kos, der Sohn Mercm's, des Gott-Diebes und des Got-
tes der Diebe, die Farbe der gestohlenen Kühe so zu verändern
wusste, dass der beraubte Besitzer sein eigenes Vieh nicht mehr
erkennen konnte.
In dieser Komödie wirken fast sämmtliche Figuren als Grup-
penpaare. Zwei Zwillingsschwesteru, die Bacchiden; zwei Lieb-
haber-Jünglinge, Mnesilochus und Pistoclerus; zwei be-
thörte Vätergreise, Nicobulus, Vater des Mnesilochus, und
Philoxenus, Vater des Pistoclerus; zwei Sklaven, Lydus, ein
sitteneifriger Pädagog, der über die Liebschaft seines Zöglings,
Mnesilochus, Zeter ruft und jammert, und der Sklave Chrysalus,
der übliche Helfershelfer, Gelegenlieitsmacher, Väter-Preller, kurz,
der Leib-Intrig-uen-Sklave, der die Liebschaften seines jungen
Herrn in Scene setzt und in dramatischen Schwung bringt. Hier
lässt er alle Künste und Listen spielen, um dem alten Nicobulus
das Geld aus der Tasche zu locken, das Mnesilochus für den Los-
kauf der einen Bacchis unmiigänglich braucht.
IV. Sc. 9 fasst Chrysalus seine Lebensphilosophie in den
goldenen Spruch:
Ein kluger Kerl muss alle Farben spielen können;
Mit Braven brav, mit Schlechten schlecht, je nach Befund.
Eine der anschlägigsten, an Nothbehelfen erfindungsreichsten Be-
dientenschelme, dieser Chrysalus. Der Ulysses unter den Haus-
sklaven, mit dem er sich, in der angegebenen Scene, selbst ver-
gleicht. In neuerer Zeit möchte ihm nur Talleyrand gleichkom-
Plautus. Bjicchides. 553
meu an unergründlicher Verlogenheit und freier über alle Gewis-
sensfragen schwebender Ironie. Chrysalus ist ein unerschöpflicher
Trug- und Lügenborn; die hohe Schule der Politik und Diplo-
matie; das Url)ild eines Höflings nebenbei, der Seel' und Selig-
keit an die Befriedigung der Gelüste seines Herrn setzt, ohne
anderen Vortheil und Genuss für sich selbst, als den, dass er an
Erreichung dieses Zweckes Kopf und Kragen wagt. Ein weisser
Kabe also unter den Höflingen, die umgekehrt die Laster und bö-
sen Neigungen ihres Herrn ausbeuten, um ihre Lust zu büssen:
galt' es auch nur der Befriedigung eines heimtückischen Raclie-
kitzels, wie z. B. bei Marinelli. Kuppler nennt ihn die unglück-
liche Claudia in übertreibender Mutter- Verzweiflung. Wie über-
schätzt sie ihn! Marinelli ist ein Kuppler, ja, aber zweiten Ran-
ges, ein solcher nämlich, der an der Lustbefriedigung seines Herrn
einen Kuppelpelz verdienen, sein specielles Mütlichen dabei kühlen
will. Der Kuppler ersten Grades ist der römische Haussklave,
der spätere Valet des französischen Lustspiels ; die uneigennützige,
sich selbst aufopfernde äme damnee seines Herrn; die treue
Knechtsseele, als anschlägiger Kuppler, Geldabschwindler und mit
allen Hunden gehetzter Gauner, aber Alles in usum Delphini. Die
Bedeutung der -römischen Komödien-Sklaven ist von unermessli-
cher Tragweite, sowohl in Beziehung auf die Weltgeschichte, wie
auf die Geschichte des Drama's. Welches Gelichter gab dem
kaiserlichen Rom den Gnadenstoss? üie Palastsklaven, ein Ti-
gellinus, Narcissus, die kaiserlichen Palastsklaven und Freigelas-
senen, deren Geschichte die römische Kaisergeschiehte bildet, und
die Tacitus mit acherontischen Gluthfarben eingeätzt in Klio's
eherne Tafebi; jeder Griftelstrich ein unvergängliches Brandmal.
Jenen furcht))aren SklavenaulVuhr in Sicilien (103 — 33 v. Cln-.)
konnte die Republik Rom unterdrücken. Aber, Avie ein unter-
drückter Aussclilag eben, warf sich der Sklaven- Aussatz von der
Oberfläche des Gemeinwesens auf die Innern Lebensorganc des
römischen Gewaltstaates und richtete dasell)st jene schauderhaf-
ten, jene kaiserlich schauderhaften VerAvüstungen an, deren tödt-
liche Krise in dem letzten kaiserlichen Purpur-Ski iiven autlirach,
den die Geschichte wie zum Hohn Romulus-Augustulus
nennt, als ob sie, in dem lächerlichen Namensträger der ))(>iden
Dynastien-Gründer und Machtstifter eines von Hause aus Sklaven-
554 Di^ römische Komödie.
HeiTschafts-Staates, den Ursprung und Ausgang dieses Staates
zu Einer Spottgeburt sarkastisch habe verknüpfen wollen. Der
letzte Anführer jenes sicilischen Sklavenaufstandes, Satyrn s'j,
lebt immer meder auf, und spukt gleichsam als Rachegespenst
mit der klirrenden Sklavenkette, und geht so lange um in der Weltge-
schichte, bis das gTÖsste an der Menschheit begangene Verbrechen,
die Sklaven-Blutschuld, in jeglicher Form, gebüsst und gesühnt ist.
Wie im Vorgefühle solcher Zukunfts-Mission der Hausskla-
ven, scheinen die beiden römischen Palliadendichter diese provi-
dentiellen Scliicksalsiiguren zum Mittelpunkt, zur Seele iln'er Ko-
mödien gemacht zu haben; ohne jedoch zu ahnen, welche Schlange
sie im Busen ihrer Palliaten pflegen und gi'ossziehen. Oder ahn-
ten sie's, und wollten eine Sklaven-Schule in ihren Komödien
eröffnen? Ach, wie schwer, wie bitter wurde diese patriotische Ab-
sicht getäuscht! Sie brüteten im dem Gehren ihrer Palliaten ein
Sklavengezücht aus, das alle Laster der Haussklaven, nur in's Ko-
lossale entwickelt, besass, ohne deren Hingebung, Hundetreue und
Selbstaufopferung. Sie heckten eine Sklavenbrut aus, die jene
kleinen Familien-Ränke alsbald in's Grosse trieb, aufs Weltge-
schichtliche Übertrag; eine Sklavenbrut, die mit furchtbarer Schnel-
ligkeit zu Staaten regierenden Haus- und Hof- Sklaven erwuchs;
die zu Palastwürdnern , Ministerialen, in Byzanz und an kai-
serlichen und königlichen Höfen der Folgezeit; die zu Reichs-
und Landpflegern, zu den höchsten Staatsbeamten, den mächtig-
sten Regierungs-Vei-waltern gedieh, bis auf die neuere und neueste
Zeit herab; als oberste Rechtssprecher und Staatenlenker sitzend
auf Schoppen- und Richterstühlen, in Tribunalen, an Minister-
tischen. Und aus welcher Ansteckungsquelle schöpften die römi-
schen Palliatendichter dieses zunächst Haus und Familien, dann
Staaten durchwühlende, das Todesgeschick der Völker, Throne und
Reiche entscheidende und ihre rasche Zersetzung bewirkende Skla-
vengift, um es in die Adern ihrer Komödien zu flössen, von wo es
in die Eingeweide, des römischen Staates, Senats und Volkes ein-
drang? Bekanntlich holte es sich die römische Komödie von der
Menander-Komödie. Und woher diese? Aus der Zeitgeschichte,
wie jeder weiss; von den Diadochen, den Nachkönigen Alexander
1 ) Diod. Sic. IV. Exe. Phot. L. XXX\^. p. 60. ed. Dind.
Die Baochideu. Der Komödien-Sklave. 555
des Gr., die das Sklavenpestgift aus Asien einschleppten; an den
asiatischen Despotenhöfen davon angesteckt, es den griechischen,
durch Sittenverderhniss dafür empfänglich gestimmten Staaten
mittheilten — lioc fönte derivata clades. Die asiatische Eu-
nuchen-Sklaven -Regierungswirthscliaft, sie schwärt durch alle
Jahrhunderte fort. An ihr eitern die Eingeweide der Staaten;
siechen Völker und Dynastieen hin. An die Heilung dieses Krehs-
geschAvürs, dessen Verzweigungskanäle sich mit dem Markschwamm
der Sklavenfrage selber verflechten, setzt die Geschichte ihre ganze
Therapeutik, ihr sanat ignis quod non sanat ferrum. Und wie die
Geschichte, so fanden wir das ächte Drama für denselben Heil-
zweck wirken; mit seinem sanat ignis, seiner idealen Feuer-
cur, am Befreiungswerke der Menschheit arbeiten; an der Befreiung
vom Siechthum jeglicher Frohn- und Sklavenherrschaft; an der
Befreiung des Gemüthes, an der Reinigung der Seele vor Allem;
aber mit dem praktischen Augenmerk: Geist, Gemüth und Cha-
rakter als heroische Rüstzeuge dem grossen Heilzweck der Ge-
schichte zuzubilden : gegen das Unft'eie, des Menschen Unwürdige,
immerdar und mit aller poetischen Macht und Angriffskühnheit los-
zudringen; des üebels Sitz und Wurzel im Staatswesen selber,
in den Gewalthabern, in den Institutionen und deren Vertretern,
als dem Nachwüchse jener orientalischen Eunuchen-Sklavenherr-
schaft, aufzuzeigen. Diess und nichts anderes ist Aufgabe, Ziel
und Berufswerk der grossen Tragik und Komik, was sich uns
denn auch an den Meisterschöpfungen der Bühne durchweg offen-
baren wird, deren eine eben die Emilia Galotti ist; ein Trauer-
spiel, das in so enger, knapper, bürgerlicher Form sich zu bewe-
gen scheint, und doch eine Perspective von der weittragendsten
historischen Tiefe eröffnet, mit einem Höflings-Sklaven als Mit-
telpunkt, der den Kopf der Sclilange gleichsam bildet, die das römi-
sche Palliaten-Lustspiel gepflegt und gehegt und auf den man, nach
Lessing's Vorgang, immer wieder den mit Kothurn und Soccus be-
wehrten Fuss stellen muss, bis man ihn, den zählebigen, zertreten.
Wie naiv, wie gemüthlich naiv erscheint noch, im Vergleiche,
der Haussklave in der römischen Palliata. Bei Plaufcus liebens-
würdig geistreich, der glänzende Prototyp aller Harlekine, Truf-
faldino's, Maskarillen, und eines Gracioso, wie Penn in Moretos
Donna Diana. Ein unversieglicher Spmdelquell von Geist, Witz,
556 Die löniisclie Koiiioflit'.
Erfindung, und Schelniengenie. Und unter Plautus' Intriguen-
Sklaven ragt Chrysalus um Kopfes Länge hervor. Nachdem sein
Herr, der junge Mnesilochus, in Verzweiflung über die vermeint-
liche Untreue seiner Bacchis, und den eingebildeten Verrath sei-
nes Freundes, Pistoclerus, der die Zwilliugsschwester, Bacchis II.
liebt — nachdem Mnesilochus in dieser chimärischen Verzweif-
lung seinem Vater all das schöne Geld zurückgegeben, um wel-
ches Chrysalus den Alten so glücklich geprellt, heckt Chrysalus
sofort ein neues Plänchen aus. Er dictirt dem vom Freunde,
von I'istoclerus, nun eines Bessern belehrten Mnesilochus, in des-
sen Gegenwart, einen Brief an den Vater, worin dieser vor Chry-
salus gewarnt wird (IV. Sc. 4), mit dem Beifügen, der Vater
möchte ihn. den Chrysalus, nicht züchtigen, sondern nur binden
und festhalten lassen. Das Motiv hat Schiller, mit der erforder-
lichen Modification natürlich, für seinen Fiesco benutzt und auf
den Mohren angewendet. Mehr dictirt Chrysalus nicht ; das Wei-
tere ist sein Geheimniss. Pistoclerus ruft, ganz staiT vor Stau-
nen über den abgefeimten Spitzbuben: 0 imperatorem prohum!
und l)egiebt sich mit dem Freunde auf den ilmen vom Impera-
tor-Galgenstrick angewiesenen Posten; zum Bankett nämlich
selbviert mit den Zwillings-Maitressen. Chrysalus spornstreichs
mit dem gesiegelten Billet zum Alten hin. Lesen, Stricke holen
und den Ueberbringer binden lassen, besorgt der Alte, eh' man
sich umsieht. Peinliches Verhör, das lustig peinlichste, das sich
anstellen lässt. Der gefesselte Sklave, frei, wie nur irgend ein
loser Vogel, und der Alte, der Hampelmami au seinem Schnür-
chen. Der Sohn — so vertheidigt sich Chrysalus — hätte ihn
nur stumm und wehrlos machen wollen, mn ungehindert von dem
durch ihn, Cbrysalus, gewarnten Vater in's Verderben zu rennen.
Was für Verderben, fragt der erschrockene Alte. Blick auf! ruft
der Gebundene. Siehst du dort, im Nachbarhause, das Zechge-
lage? - Freilich, versetzt der Alte, den Pistoclerus und die
Bacchis, schrägüber - Nicht doch — dort, auf jenem andern
Lager hingestreckt beim Schmause — „Weh mir Armen" —
schrickt der Alte zusammen „Ich bin des Todes!" — Er hat
den Soim erblickt an der Seite der andern Bacchis — Und kein
Wort weiter aus Chrysalus herauszubringen. Da kommt ein Drit-
ter heran mit rollendem Wutliblit'k. Der Alte schaudert. Ein
Bacchiiles. Cliysalus. 557
Soldat isfs mit fürchterlichem Pallasch. Jeder Blick, womit der
Fürchterliche das Gelage bestreicht, Mord mid Todtschlag. Jedes
Wort ein nach Blut lechzender Fluch, der kein Erbarmen kennt:
Himmel und Hölle, sein Weib! An ilirer Seite Mnesilochus,
des Nicobulus Sohn! wüthet der Tiger, brüllend vor Eifersucht.
Zitternd fragt der Alte den (Jhrysalus: Wer der Entsetzliche
sey? „Ihr Mann" — erwiedert der Gebundene kalt — Im Nu
aber auch schon niclit gebunden, damit er den to))enden Soldaten
nur sehnell besänftige, der mit dem Fleisch des p]hebi'echers die
Raben zur Stelle füttern will. Die Raben — oder zweihundert
Philippstücke, knirscht er, schäumend wie ein Eber, den Chry-
salus an - vers])rich! murmelt der geängstigte Alte. Versprich
nur! Er soll das Geld haben. Chrysalus verhandelt abseits mit
dem Menschenfresser und zeigt ihm die Zähne. Der Wütherich
klemmt den Pallasch kleinlaut zwischen die Beine und zieht ab.
Nun tritt Chrysalus an den Alten heran, mid beschwört ihn, dass
er ihm gestatten möchte, hinüberzugehen in jenes schlechte Haus,
und dem Sohn den Kopf tüchtig zu waschen, der seinem guten
Vater so viel Verdruss und Kummer macht. Er soll's von mir
zu hören kriegen! Der Alte bittet ihn darum (Imo oro ut fa-
cias). Wälirend Nicobulus den ersten Brief des Sohnes noch ein-
mal überlesen, hat Chrysalus ein zweites Bill et fertig, das er drü-
ben geschmiedet, bei der lustigen Gesellschaft, und nun dem Va-
ter, frisch aus der Präge, zustellt. Dieser liest es laut. Es ist
ein weh- und domüthiger Brief; ein reuevolles Schuldbekennt-
niss, nebst der kindlich frommen Bitte: ihm docli noch weitere
zweihundert l'hili](pstücke zu senden, die — nicht eins! unter-
bricht Clirysalus nicht p]in Philippstück! Lass mich zu Ende
lesen! begütigt schmunzelnd (U-r Vater, und liest weiter: Mit
einem Eide, heisst es im Brief, habe er sich gegen das Frauen-
zimmer verpflichtet, ihr diese Summe vor Abend, ehe sie sich
trennen, eiiizuliändigen. Der gütige Vater werde ihn niclit mein-
eidig werden lassen, und sich gewiss beeilen, ihn von der Ver-
führerin mit der Summe für immer loszukaufen. „Was meinst
du, ClnysalusV" (Jhrysalus spielt den Sc.hwierigcMi, den Bedenk-
lichen, (h'ii Zauderer. Der Alt(\ IVuh, um diesen l*reis (k'u Sohn
wieder zu gewinnen, geht und liolt, die zweilnuitlert Goldstücke.
Gelt ein vierter A<'t und Sehhiss, woran nocli die V^iter künltiger
558 Die römische Komödie.
Komödieiigeschlechter werden zu kauen haben! Von allen Kno-
tenscbürzungen der Schelnien-Komödie ist diese die witzigste,
komischste, durch Charaktere und Situationen meisterlichste.
Mit dem fünften Act kommen die Nachweheu des geprellten
Alten, dem die letzte Scene des \iei'ten Actes vierhundert Phi-
lippstücke gekostet, was sie unter Brüdern werth ist. Er bejam-
mert, nun er Alles weiss, weniger das Gold, als seine Thorheit,
dass er sich eine solche doppelte Nase von dem Erzschuft. dem
Chrysalus, habe drehen lassen. Hinzu tritt noch der zweite Un-
glücksvater, Nachbar Philoxenus, dem Nicobulus die Hetären-
Wirthschaft drüben zeigt. Philoxenus, der keine Ahnung davon
hat, glaubt, der Schlag trifft ihn, wie er seinen Sohn drüben auf
Einem Tafelbette mit Bacchis II. lagern sieht. Im Sturmsclmtt
gehen die beiden Vätergreise auf die Hausthür der Zwillings-He-
tären los. um die Söhne herauszuschaffen, und mit Hacken und
Beilen drohend, wenn die Dirnen nicht öffnen. Die Mädchen er-
scheinen. Das Greisenpaar und das Hetärenpaar. Anfangs als
gesonderte Duo-Gruppen mit komisch reizenden Apartes. Welcher
fünfte Actschluss! Im Style von Cosi fan tutte, oder sonst eines
solchen Meister-Singspiels von Favart oder Sedaine. Die Alten,
erst als strammväterliche Grimmbärte ihre Würde wahrend; die
Mädchen kichernd und spottend. Die Alten steife unbiegsame
Sturmböcke, auf Herausgabe ihrer zwei Lämmer pochend (Nostros
agnos conclusos istic ajunt esse duos): schäkern die Mädchen
und macben sich lustig über die zwei alten geschorenen Schaaf-
böcke. Bacchis II. schwört Edepol, dass der Eine heute zweimal
geschoren worden. Der zweimal Geschorene vermisst sich, mit
seinem Gefährten selbander, als ein Paar der stössigsten Mauer-
widder auf die Zwillingshetären Sturm zu laufen, wenn sie die
.,zwei Lämmer" nicht ausliefern: arietes truces nos erimus, jam
intus incursabimus. Die Scbwestern winken einander an, und
lassen es auf die Widder ankommen; jede auf den ihrigen. „Was
flüstern die Grasaffen?" fragt Nicobulus den Gevatter. Gevatter
Pbiloxenus tuschelt und zwinkert mit den Augen: Was meinst
du? Wie denksf*du? Was? hem? Wie? Nicht übel — die da,
das Frauenzimmerclien - dort die . . . Alter Ehekräppel! brüm-
melt Gevatter Nicobuhis, schämst dich nicht? In deinen Jahi-en!
— „Ei was! das Herz ist jung, der Pfeil sitzt, ich spür's" —
Bacchides. Das Banquet. 559
Denk au deine Gicht, runzeliger Stockfisch ! Pfui! — „Pfui soviel
du willst. Die Hexen sind niedlich, und die Jungens gescheidter
als wir. Si aniant, sapienter faciunt. Die beiden Bacchiden lassen
ihre Künste spielen; locken und winken. Nicohulus, felsenfest,
unnahbar, weist sie barsch zuiiick. Philoxenus nennt ihn einen
Unmenschen. Bacchis I. geht ihm um den Bart. Sie bittet so
artig, so flehentlich neckisch. Er brummt sie an und droht, ihr
Eins zu versetzen. Immerhin! fpatiar). Es soll sie nicht schmer-
zen, wenn er sie auch schlägt; sie fürchte nichts — aber ich!
meint Nicobulus — die Schmeichelkatze! Gevatter Philoxenus
pfeift indess auf einem andern Ton mit Bacchis 11. Nicht sie,
er bittet und fleht; indess Bacchis I. den Vater ihres Liebsten
mit Ambrosia und Nectar, mit Wein und Liebe kirrt. Sie
will sich an seine Seite lagern, anschmiegen, ihn liebkosen. Dem
Alten ki'ibbelt es so wunderlich über die Haut — weg ist er, hin
ist er! Caput prurit perii! Halb zog sie ihn, halb sank er hin.
Drinnen sitzen sie nun die beiden- Väter zwisclien Söhnen und
Liebchen und poculiren.
Doch unser Chrysalus? Schlüpft natürlich bei solcliem Con-
vivium durch. Und sollte er etwa nicht? Er der Beste fürwahr
in der Sippschaft, dessen Schelmengenie seine Haut zu Markte
trug, damit es Andern wohl sei in der ihrigen. Der Dichter thut
ein Uebriges, wenn er ihn aus Schicklichkeit verborgen hält. In
Wahrheit gehört er in die Gesellschaft, als ihr Tüpfelchen aufs
I. und als das der Komödie. Von rechtswegen müsste er bei
solchem Göttermahl das Schenkeiianit versehen.
Der Prolog zu den Bacchiden, den Silenus spricht, soib
so wie der Anfang der ersten Scene, den Dichter der Laura-So-
nette, Francesco Petrarca, zum Verfasser liaben.
Die Lehre, die der Schauspieldirector als Epilog, im Namen
der ganzen Gesellschaft fgrex, catervaj dem Publicum mit auf
den Weg giebt, lautet:
Die Greise, wären sie von jung auf nicht verderbt,
Begingen solche Schmach nicht heut mit weissem Haar.
Und wir auch spielten's euch nicht vor, wenn nicht gar oft
Wir Väter so mit Söhnen hätten zechen sehen.
Tanquam in speculo! der Dicliter aber darf seine Hände in lii-
schuld waschen und sagen: salvavi aiiimam ineam.
560 ^i^ römische Komödie.
Der Kaufmann (Mercator). Der alte Dem ipbo, ein Athe-
niensisclier Bürger, schickt seinen leichtsinnigen Sohn, Charinus,
nach Rhodiis, mn ihn durch Geschäftsreisen den Ausschweifungen
der Hauptstadt zu entziehen; zugleich aber auch in der Absicht,
damit der Sohn dm'ch kaufmännische Unternehmungen dem durch
seine Schuld zerrütteten Wohlstande der Familie wieder aufhelfe.
Nach zweijährigem Aufenthalt in Khodus und nach giückhch be-
endeten Geschäften kehrt Charinus in die Heimath zurück. Unter
der schweren Waarenladung auf seinem Schiffe befindet sich eine
leichte Waare, die Hetäre Pasicompsa, die mit der schweren Gü-
terfracht in kürzester Zeit aufräumt. „Euch" — singt Schiller —
,,Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann; Güter zu suchen
Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an."
Vater Demipho, welcher das im Hafen von Piraeus gelandete
Schiff' besucht, fühlt, beim Anl)lick der Pasicompsa, seine welken
Adern plötzlich von jugendlichem Feuer durchwallt, und sein vä-
terliches Herz von der Begierde entbrannt, einen so gefährlichen
Gegenstand, bevor es zu spät ist, seinem Sohne zu entreissen. Als
alle Versuche an dessen Eigensinn scheitern, lässt er, kraft seiner
väterlichen Gewalt, das Mädchen als Sklavin feilbieten, und durch
seinen Altersgenossen,Freund und Nachbar, Lysimachus heimlich
für sich erwerben, in dessen Hause sie einstweilen verborgen ge-
halten wird. Schon will Charinus, aus Verzweiflung über das Ver-
schwinden der Geliebten, sein Vaterland verlassen, als sein Freund
Eutycluis ihm die Nachricht bringt, dass sich das Mädchen im
Hause seines Vaters Lysimachus befinde. Dem alten Mädcheu-
behler wäre aber inzwischen sein Freundschaftsdienst schier übel
bekommen. Seine Frau Dorippa, die, bei ihrer Kückkehr vom
Lande, die Schöne in ilu'em Hause fand, hält sie für die Buhle-
rin des Mämies, und wer weiss was geschehen wäre, wenn der
Sohn Eutycbus, durch Mittheilung des Gelieimnisses, nicht die
Mutter beschwichtigt und Frieden zwischen den Eltern gestiftet
hätte. Die letzte Scene hält über den alten Sünder Demipho
Gericht und Eutycbus, der wackere Jüngling, spricht das ürtheil:
der Jüngling, als Sacbfülirer der guten Sitte über das sittenlose
Alter Cv. 4.;:
Kutychus. Menschen, ilie von guter Flerlvunft. aber schlechter Denk-
art sind
Plautus. Der Perser. 561
Schänden sich und machen durch die Denkart ihre Her-
kunft schlecht.
Demipho. Der hat Recht.
Lysimachus (zu Demipho).
Dir gut das, sage ich.
Eutychus. Um so mehr wird's richtig seyn.
Andern Jahren kommen, wie anderer Jahrzeit, andere
Triebe zu.
Denn wenn das erlaubt ist, dass man noch im Greisen-
alter buhlt,
Was soll aus dem Staate werden? . . .
Nam si istuc jus est, senecta aetate scortari senes,
Ubi loci res summa nostra est publica? . . .
Ist der Fingerzeig nicht deutlicli genug? Der zerknirschte
Demipho bittet um Eutychus' Verraittelung bei seinem Sohn.
„Lasst's genug seyn, gebt mir lieber Geisseihiebe." Der Sohn
mag das Mädchen behalten. Er, für seine Person, wolle hinführo
ein gesitteter vernünftiger alter Mann seyn, und Buhlschafteu
meiden, so gut er kann. Der von Chariuus gesprochene Prolog
giebt au, dass der Mercator die lateinische Bearbeitung des Em-
poros (Kaufmann) von Philemon sey.
Der Perser (Persa). Als Perser vermummt ist der Sklave
Sagaristio bereit, dem Kuppler, Dordalus, eine Summe Gfeldest
wieder abzuschwindeln, die er von seinem HeiTu erhalten, um in
Eretria Vieh einzukaufen; für die er aber, statt dessen, eine Dirne,
Lemniselene. vom Kuppler erhandelt hatte, die Liebste seines
Freundes und Genossen, des Sklaven Toxilus, welcher, in Ab-
wesenheit seines Herrn, Timarchides, bei dem er Hauswart, mit
dem losgekauften Schätzchen seinen Geburtstag zu feiern sich
vorgesetzt. Sagaristio soll nun, als Perser verkleidet, dem Dir-
nenhändler Dordalus, um ihm das Geld wieder abzugaunern, eine
Kriegsgefangene zum Verkauf anbieten, in Vollmacht und Auf-
trag des Timarchides, der sich Geschäfte halber in Persien auf-
halte, und von dem er einen Briei' an dessen Hauswart Toxilus
vorzeigt, worin dieser aufgefordert wird, dem Perser allen mög-
liclien Vorschub zu leisten. Die Kriegsgefangene nuiss der Haus-
Schmarotzer, Saturio, in seiner Tochter stellen, oder er ist
die längste Zeit Haus-Schmarotzer gewesen, und wird ohne Gnade
und Barmherzigkeit ausgehungert ''T, :).):
U. ;t(i
562 Die römische Komödie.
Toxilus. Wie nun? Was giebt's? Erkläre was du Willens bist.
Saturio. Ich bitte, verkaufe mich sogar, wenn dir's gefällt.
Nur aber gesättigt . . .
Der gewinnsüchtige Kuppler geht richtig in die Falle, und kauft
auf Zureden des Toxilus das Mädchen. Als Schmarotzers-Toch-
ter ist die vermeinte Kriegsgefangene aber eine Freigeborene, und
der Kauf ungültig. Der Kuppler muss die zurückgeforderte Toch-
ter iln-em Vater wiedergeben und das für sie bezahlte Geld im
Stich lassen. So gelangt Sagaristio wieder zu seinem Darlehen,
Toxilus feiert seinen Geburtstag mit dem freigeschwindelten Lieb-
chen bei einem fröhlichen Gelage, wozu sich auch der Kuppler
ungebeten einstellt. Er wird aufs gastfremidschaftlichste aufge-
nommen und mit einer in aller Eile und eigens für ihn zuberei-
teten Prügelsuppe tractirt:
Lebt wohl, ihr Zuschauer ! der Kuppler ist mausetodt, klatscht Beifall uns.
Mit diesem Vers schliesst Toxilus die Komödie, die einzige des
Plautus, wo die Liebschafts-Intrigue von der Hefe des Hauswe-
sens ausschliesslich bestritten wh'd, auf Kosten der beiden ver-
ächtlichsten und stereot}rpen Sündenböcke der Palliata: auf Kosten
des Kupplers und des Schmarotzers. Vielleicht wollte aber Plau-
tus auch einmal den blossen Khyperographen oder Schmutzmaler
spielen, um das Sprichwort zu iUustriren: „Wie der Herr so der
Diener", und in dem „Perser" den Kern des ganzen Genre's bloss-
legen. Aus Persien fanden wir die Sagaristio's und Toxilus stam-
men : der „Perser" ist daher auch der bezeichnendste, der stamm-
bürtige Titel der Diadochen-Komödie, welche gerade, als reine,
ausschliessliche Sklaven - Dirnen - Schmarotzer - Kuppler - Komödie,
hier in ihrer primitiven Form, in ihrer Grundgestalt, erscheint.
Ourculio, zu deutsch Kornwurm, der Name des Schma-
rotzers im Stücke. Kornwm-m erhält von Phaedromus, einem
jungen Manne in Epidaurus, der seine Geliebte, Planesium,
vom Mädchenliändler, Cappadox, loszukaufen wünscht, den Auf-
trag, das dazu nöthige Geld von einem Freunde in Carlen für ihn
zu borgen. Der Freund entschuldigt sich mit eigener Dürftigkeit.
Zufällig trittt Curculio mit einem Soldaten Therapontigonus,
zusammen, der sich bei ihm nach einem Wechsler in Epidaurus
erkundigt, dem er, Therapontigonus, aulgetragen, dem Vorzeiger
Plautus. Aniphitruo. 563
einer auf den Wechsler ausgestellten Anweisung auf eine bei dem-
selben niedergelegte Summe, sich vom Kuppler Cappadox ein Mäd-
chen ausliefern zu lassen, das er. der Soldat, dem Cappadox ab-
gekauft. Diese Mittheilung fasst Curculio in's Ohr, versichert
dem Soldaten, Beide, den Wechsler und den Kuppler, genauer zu
kennen; nimmt des Soldaten Einladung zu Tische dankbar an.
lockt ihm den Namen des Mädchens ab, das keine andere als
seines Herrn Geliebte, Planesium ist, entwendet dem Soldaten den
Siegelring, hintergeht den Wechsler bei seiner Rückkehr mit einer
falschen durch den Siegelring beglaubigten Anweisung und nimmt.
nach geleisteter Auszahlung des Geldes durch den Wechsler an
den Cappadox, von letzterem das Mädchen, die Planesiam, in Em-
pfang. Aber schon ist auch der Soldat in Epidaurus angelangt,
und findet sich um Geld und Mädchen geprellt; entdeckt aber
auch gleich den Betrüger mit seinem Ringe — und siehe da:
aus diesem Ringe des Soldaten und einem Ringe, den das Mäd-
chen besitzt, g^ht hervor, dass Planesium eine Freigeborene und
der Soldat ihr Bruder ist. Der Kuppler muss das erhaltene Geld,
im Betrage von 3(1 Minen, dem Soldaten zurückzahlen, und Korn-
wurm versäumt nicht, als Zeichen seiner unwandelbaren Freund-
schaft, bei dem, zur Feier von Planesium's Vermählung mit dem
jungen Epidaurier veranstalteten Hochzeitsschmause seinem Na-
men Ehre zu machen, und zu schroten, was nur ein Curculio, als
Brautwerber, hei solcher Gelegenheit schroten kann. Abermals
ein treulicher Kuppler-Spiegel, woraus aber Niemand mehr zu
lernen und für sein ehrliches Handwerk zu profitiren, in der Lage
ist, als der gefoppte, aber auch an dem ihm, zu seiner Witzigung,
unablässig vorgehaltenen Spiegelbilde seiner leichtgläubigen Thor-
heit sich bildende und schulende Kuppler.
Ihren Triimtiph, ihre Apotheose, feiert die Kuppler-Komödie im
Aniphitruo, wo das Geschäft von dem Cappadox der Unsterb-
lichen, von Gott Mercurius betrieben wird, als olympisches Pri-
vatvergnügen, als himmlischer Jux und Götterspass; wo das ge-
meine, mühselige, von aller Bescliränktheit irdischer Wechsel-
geschicke heimgesuchte Handwerk zur vollendeten Kunst, zur
Kunstseligkeit verschönt und verklärt wird, ganz im Geiste und
nach dem Herzen der selbstzwecklichen Kunstphilosophie und
Aesthetik: von keiner boriiirt prosaischen Sittlichkeitstendenz ge-
rn*
564 ^^^ römische Komödie.
trübt: vou keiner Tendenz überhaupt, als der höchsten, göttlichen
Tendenz des reinen Kuppelthmns und der daraus von selbst ent-
springenden Genussseligkeit und absoluten Wohlgemuthheit. Auf
der Höhe dieser Kunststimmung verschwinden alle Maassstäbe
der engherzigen gemeinen Moral; der Ehebruch wii'd zur himm-
lischen Gnade und jugendlich, vou allen Erdenmaleu frei, in der
Vollendung Strahlen schwebt liier der Kuppelpelz. Im Amphitruo
empfängt der olympische Cappadox, Namens all' seiner in den
andern Komödien so schmählich verhöhnten und misshandelten
Genossen, seinen Himmelslohu, seine himmlische Genugthuung,
seineu Gewerbe- Verklärungs-Schein. Daher hat auch der grösste
Komiker der Franzosen, des neuclassischen Lustspiels überhaupt,
hat Moliere, in seiner bewundernsweiiben Nachahmung dieser
Komödie, im Amphitryon, durch die Götterfabel das galante Ju-
piterthum des Oeil de Boeuf durcliscliimmern lassen, mit allem
Zauber der feinsten Komik und leichtfertigen Ironie. Den ironi-
schen Duft, als einen immer noch tendenziösen, von tagesge-
schichtlichen Beziehungen angetrübten Hauch, streifte die hoch-
romantische Komödie in Heinrich v. Kleist's Umdeutschung dieses
Stoffes so gründlich ab, dass Adam Müller vor Kleist's mystisch-
hyperromantischem Amphitryo fronunselig niederknieen , und in
dem heidnischen Götterschwank eiue „Ueberschattung des heiligen
Geistes" inbrünstig anbeten durfte. Wir werden ihn in dieser
Andachtsübung wohl noch seiner Zeit Itetreffen.
Von dem Allen hat sich der ursprüngliche Schöpfer des Am-
phitryon, der mehrgedachte Possendichter Rhiuthon, nichts träu-
men lassen, dessen Hilarotragödie, als Tragikomödie Amphitryon,
Plautus allem Anschein nach, zu seinem Amphitruo benutzt hat. Die
Komödie ist so oft besprochen, und namentlich durch Lessing's
Erörterungen in der Dramaturgie so allgemein bekannt, dass wir
es l)ei einem Inhaltsauszuge aus (knn von Mercurius gesprochenen
Prolog dürfen lierulicn lassen:
Die Stadt heisst Theben. Dort in jenem Hause wohnt
Am]ihitruo, der aus Argos wie sein Vater stammt.
Alcmene, des Electrus Tochter, ist sein Weih.
Amiihitruo nun befeldigt jetzo die Armee,
Denn Tlieljcn ist im Kriege mit den Telehoern.
Noch ehe er von liier zum Heere abging, ward
Aphitruü und Jupiter. 565
Alcmeue, seine Gattin, schwanger. — Ich denke doch,
Ihi* werdet es schon wissen, wie mein Vater ist
Er hat nun in Alcmenen sich verliebt . . .
Jetzt ist Alcmene doppelt schwanger, dass ihr es
Genau wisst, von dem Manne imd von Jupiter.
Mein Vater liegt jetzt neben ihr im Hause drin.
Aus diesem Grunde ist verlängert diese Nacht,
So lang er seine Lust an der Geüebten hat.
Doch hat er sich verstellt, als wär's Amphitruo.
Verwundert euch nicht über meinen Anzug, dass
Ich hergekommen bin gestaltet wie ein Knecht.
Ich habe angenommen des Sklaven Sosia
Gestalt, der zur Armee ging mit Ampliitruo.
Heut kommt Amphitruo von dem Heer zurück hieher
Nebst jenem Sklaven, dessen Bild ich an mir trag'.
Dass ihr uns beide leichter unterscheiden könnt.
So hab' ich diese Federn immer auf dem Hut;
Mein Vater aber wird von Golde eine Wulst
Am Hute tragen -
Die letzten Worte in Betreff des Unterscheidungszeichens
lassen keinen Zweifel darüber, dass Plautus' Schauspieler ohne
Gesichtsmaske auftraten. Die Sceuenführung , die aus der zwie-
fachen Doppelgängerschaft entspringende Verwickelung, die er-
götzlichen Situationen, die diese unfreiwillige Selbstverdoppeluug
des Amphitruo und Sosia's zur Folge hat, bekundet die grösste
Meisterschaft der Komik, und stempelt die Komödie zu einem
Werke der reifsten Kuustübung. Auf dem Gipfel der Verwirrung
und verblüfften Ratlüosigkeit, erfährt Amphitruo von der Magd
Bromia das Schreckenswundei', das drinnen im Hause sich ereig-
net: wie nämlich der Säugling, Hercules, das fürchterliche Schlan-
genpaar in der Wiege erwürgte (V, L):
Dein Kind wäre das andere.
Amphitr. In der That, es darf mich nicht gereun
Dass ich etwas Gutes theile zur Hälfte mit dem Jupiter . . .
Doch was ist dasV Wie heftig donnert esV Götter ich bitte,
steht mir bei !
Jupiter erscheint in seiner wahren Gestalt und verkündet
5ßß Die römische Komöclie.
ihm die Gnade seiner Heimsuchung und die Heniichkeit, die sei-
nem Sprössling Hercules bevorsteht:
Versöhne dich wieder mit Alcinene deiner Frau.
Sie hat es nicht verdient, dass du's zur Last ihr legst.
Sie that's von mir gezwungen. Gen Himmel steig' ich nun.
Amphitruo ist ganz hornselig und ruft:
Nun, Zuschauer, um Jupiters Willen klatscht lauten BeifaU zu.
Vor Moliere hat Kotrou in seinem Lustspiel Les deux Sosies
Plautus' Amphitruo zum Vorbilde genommen; Kotrou's Nachah-
mung Dryden in dem Lustspiel The two Sosias bearbeitet und,
lange vor Rotrou, Dryden und Moliere, der grösste epische Dich-
ter der Portugiesen, Luis Camoens, eine Komödie Amphitryon
nach Plautus geschrieben.
Zu bemerken ist noch, dass fast der ganze vierte Act in
Plautus' Amphitruo untergeschoben und eingeschaltet ist.
„Zu diesen zwanzig Komödien sagt Lessing am Schlüsse
seiner Abhandlung von dem Leben des Plautus, „fügen Pareus
und einige andere Ausgaben noch die ein und zwanzigste Komödie
unter dem Titel Querulus. Dieses Stück hat Peter Daniel zu
Paris 1564 zum erstenmale herausgegeben ... Ob nmi zwar
auch einige Manuscripte dieses Stück dem Plautus zueignen, so haben
doch die Kunstrichter erwiesen, dass es weit neuer, und ungefähr
zu den Zeiten des Theodosius des jüngeren geschrieben sey."
lieber andere, dem Plautus beigelegte Stücke und die nur
vermuthungsweise bestimmbare Aufiiihrungszeit seiner vorhande-
nen Komödien verweisen wir auf Ritschrs mehr erwähnten
Aufsatz. 1)
Die von Georg Fabricius gesammelten, von Peter Daniel ver-
besserten und vermehrten Fragmente des Plautus hat Jac. He-
llas den von ilim zu Paris herausgegebenen Commentarien des
Lambiims hinzugefügt. Diese Fragmente stehen auch in der Aus-
gabe des Plautus von Frid. Gronov.^) Es sind Bruchstücke oft
nur von Einer Zeile, aus 39 verlorenen Komödien; eine Handvoll
aus dem Kehricht aufgelesener Federn, woraus man den Vogel
nicht erkennt.
i) Parerg. 111. Die Fabulae Varrun. des Plautus.— 2) II, p. 475— 486.
Terentius' Lebensverhältnisse. 567
Publius Terentius Afer.
Das Wenige, was man von seineu Lebensverhältnissen
weiss, hat der Grammatiker Aelius Donatus (4. Jahrh. n.
Chr.) aus Suetou's Schrift de dar. Orat. et Poetis, wovon nur
Bruchstücke sich erhalten haben, entlehnt. Afer, der Afri-
kaner, heisst unser Komiker von seiner Gebmisstadt, Carthago.
Das Geburtsjahr ist nicht bekannt. Er kam jung nach Eom,
wo er als Sklave in dem Hause eines Senators, Terentius Lu-
canus, lebte, der ihm, aus Rücksicht auf seine ausgezeichneten
Fähigkeiten, die Freiheit schenkte, und dessen Vornamen dann
auch der Freigelassene trug. Nach Andern soll Quintus Teren-
tius Culleo, welchen Publ. Scipio aus Cai-thagischer Gefangen-^
Schaft befreit hatte ';, und der späterhin (559 d. St.) Gesandter
in Carthago war, unsern jungen Afrikaner nach Rom mitgebracht
haben. Den Vornamen Publius, statt Quintus, meint man, hatte
unser Komiker von seinem spätem Gönner, dem Publius Scipio,
angenommen, unter diesen auf keinerlei Thatsachen beruhenden
Angaben scheint diess nur gewiss, dass er, begünstigter als sein
Vorgänger, der Mühlendreher Plautus, sein Brod auf angenehmere
Weise, an den Tischen der Grossen und Vornehmen, zu erwerben
wusste, und deren feingebildeten Umgang noch dabei als Zubrod
genoss. In solcher Gesellschaft, voraus in der eines P. Scipio und
L. Laelius, die damals an der Spitze von Roms giiechisch gebil-
detem Adel standen, fand der junge Schöngeist alle, seinem Ge-
schmack und seinen Anlagen gemässen Elemente, um sich zum
römischen Menauder, wenn auch nur zu einem „halben", wie ihn
Julius Caesar nannte (dimidiate Menanderj , auszubilden. Sueton
führt darauf bezügliche Verse eines gewissen Porcius an, die die-
ses Verhältniss des Komikers zur römischen vornehmen Welt be-
stichein; gewiss nur aus Missgunst und literarischem Neide:
Dum lasciviaiu nobilimn et fucosas laudes petit ...
Dum ad Furiam se coenitare et Laclium pulchrum putat etc.*)
Und was half ihm, fügt Porcius satyi'isch hinzu, was half dem
eleganten Salon -Komiker die feine, vornehme Gesellschaft und
1) Liv: XXX, 43. — 2i Donat. Vita P. Tcront. p. IX,
568 Die römische Komödie.
ihre noch feinere Küche? Ipsiis sublatis rebus ad summam in-
opiam reclactus est: „Nachdem er alle seine Habseligkeiten ver-
loren, gerieth er in die äusserste Dürftigkeit" in der ihn seine
vornehmen Gönner umkommen Hessen. Terentius starb in Ar-
kadien; in einem elenden arkadischen Doife, wohin er sich aus
einem Seesturm gerettet, der ihn seiner ganzen Habe beraubt hatte,
worunter sich die Abschriften sämmtlicher Komödien des Menan-
der befanden, deren Aufsammlung und Bearbeitung ihn zu der
üeberfahrt nach Griechenland bewogen. Einer Notiz des P.
Cosconius oder Cosentius, wie er bei Sueton heisst, zufolge,
soll Terenz in dem Seesturme umgekommen und mit 108 über-
setzten Stücken des Menander zu Grunde gegangen seyn, im Al-
ter von 35 Jahren (595 d. St., 159 v. Chr.). Da konnte ihm denn
freilich weder Scipio, noch Laelius, noch Furius helfen, wie jener
Porcius unedel und lieblos spottet (Nihil Publius Scipio profuit,
nihil ei Laelius, nihil Furiusj. Desto mein' sollen ihm die hohen
Gönner bei den Komödien geholfen haben, meinten wiederum
Seine Missgönner und Neider, namentlich ein älterer Atellanen-
dichter, Lucius Lanuvianus, oder Luscius Lavinius, gegen dessen
Verleumdungen sich Terenz im Prolog zu den Adelphi verwahit,
aber mit der feinen Wendung eines dankbaren Schützlings, der
die böse Nachsage halb und halb dahinnimmt, um ihr den An-
strich einer verbindlichen Artigkeit gegen seine Gönner zu geben:
Er rechne sich, sagt er, den Vorwurf zum gTössten Lobe, da eine
solche Mithülfe nur das Wohlgefallen jener edlen Geister an sei-
nen Bestrebungen bezeugen würde. Die scliwache Abwehr mag
den Wiedereinführer der Atellanen, den Redner Q. Memmius, zu
der von Sueton mitgetheilten Aeusserung veranlasst haben: Pu-
blius Scipio hätte nur den Terentius vorgeschoben, um von ihm
selbst verfasste Komödien unter dessen Namen auf die Bühne zu
bringen.
Es muss in der That dahingestellt bleiben, wie viel wir in
dem „halben Menander" von Terentius selbst von seinem Geiste,
seiner Erfindung, seiner Kunst besitzen. Selbstgeständlich hielt
er sich genau an seine Vorbilder, er vertheidigt sich sogar, im
Prolog zu den Adelphi, gegen den Vorwurf eines an Plautus be-
gangenen Plagiats mit der Versicherung, dass er, in Betreff der
beschuldigten Scenc, seiner Vorlage, der Komödie des Diphilus,
Terentius und Plautus. 569
wörtlich gefolgt sey: verbum de verbo expressum tulit. Teren-
tius ist in diesem Punkte der Widerpart zu Plautus, indem er
geflissentlich das Römische in Sitten und Charakteren zu gi'äci-
siren sich bestrebt, wogegen Plautus die entlehnten Stoffe völlig
umgestaltet und in Saft und Blut seines Volkes verwandelt hat.
Die Fabeln von Terentius' sechs Lustspielen drehen sich um
ähnliche Motive, wie die Komödien des Plautus, nur einförmiger
und mit gleichartigen in den Grundzügen übereinstimmenden
Charaktertypen, so dass man in jeder Komödie nahezu dieselben
Figuren, nur in veränderten Situationen zu. finden glaubt, sogar
in ähnlicher Gegenüberstellung und zu analogen Wechsehvirkungen
gnippirt: Ein Paar Väter-Brüder, ein Paar Söhne und deren Lieb-
chen, wovon die eine, zuletzt in der Kegel als Verwandte und
Freigeborene erkannt, den Einen heirathet, die andere, einem
Mädchenhändler durch List oder Gewalt entführt, dem Vetter als
Maitresse verbleibt, mit stillschweigender Zustimmung des Vaters,
oder gar im väterlichen Hause als Mitglied der Familie Aufnahme
findet. Auch der zettelnde Diener führt die Intriguen in jeder
Komödie in ähnlicher Weise, mit grösserer Feinheit und Gewandt-
heit in der Form seiner Listen und Ansclüäge, als Keichthum
an Witz und Erfindung, üeberhaupt möclite in Absicht auf die
wesentlichsten Eigenschaften der Komödie der „halbirte Menander"
auch nur ein verdünnter Plautus scheinen: in Absicht auf Füh-
rung der Fabel, überraschende Incideuzen, Mannigfaltigkeit der
Charaktere, Kühnheit des Situationswitzes, geistreiche Wendungen,
Naturell, volksthttmliches Colorit und imiere Lebenswahrlieit. Li
Ansehung namentlich aller dramatischen Momente; vollends
aber was die Seele des Lustspiels anlangt: die komische Be-
wegung; jene alles Lächerliche und Thörichte in's hellste Licht
strahlende, in ihrem eigenen Feuer sich läuternde und mit der
blitzhaft muntern Lebendigkeit des Salamanders darin scherzende
Gemüthslust.
Mangel an Erfindung ist die Hauptschwäche des Terentius,
vielleicht entspringt aber auch aus diesem Mangel seine Kunst.
Wie die Noth für die Mutter dei- Künste gilt, so könnte die Er-
findungsschwäche bei Terentius die Mutter seiner Kunst seyn,
und ihr Vater der feine Geschmack. Die geringe Erfindungs-
gabe nöthigt ihn zu dem Auskuiiftsmittel der Zusainmenlh'chtung
570 Die römische Komödie.
zweier Tabelstoffe aus zwei verschiedenen griechischen Komödien
zu Einer Komödie (Contaminatio). Ein bedenklicher Kunstbehelf,
dem nur das Genie, die Fülle poetischer Schöpferkraft ungeahnte
Quellen höchster Kunstwirkungen zu entlocken vennag; -svie Shak-
speare aus verschiedenen Erzählungen einen doppelten ja dreifa-
fachen Eabelstoff, letztern im Kaufmann von Venedig z. B., zu
dem wundervollsten Drama mit erstaunlicher Kunst ineinander-
flicht; in der Weise etwa, wie ein gi'osser Harmoniker zwei The-
mata dm-cheinanderschlingt und sie zu vollkommener Harmonie
verschmelzt. Für Dichter von unergiebiger Phantasie l)ei sinn-
reicher Combination, feiner Beobachtungsgabe, betriebsamer Ver-
ständigkeit, geläutertem Geschmack und glücklichem Nachahmungs-
talente bleibt das Auskunftsmittel immer nm- ein Nothbehelf, um
die Mannigfaltigkeit der Triebfedern und Contraste, die sie aus
dem Innern einer begrenzten Handlung zu entwickeln nicht ver-
mögen, durch geschickte Verschränkuug ungleichartiger Begebnisse
künstlich und äusserlich zu ersetzen. Wie Zwitter und Bastard
ist solche Contaminatio mit Unfruchtl)arkeit behaftet. Gesellt
sich zu einer schwächlichen Erfindungsgabe, im Verein mit den
bezeichneten Vorzügen, eine geringhaltige vis comica, eine dünne
komische Ader, bei einer empfindsamen, zart und edel fühlenden
Seele : dann wird ein solcher Komödiendichter, wie er den Maugel
an Ei-findungsgeist durch materiellen Inhalt heterogener Fabel-
stoffe auszufüllen strebt, ähnlich ftlr den Mangel an achtem Lust-
spielhumor, an Gemüthskomik, ein Surrogat in edlen, würdi-
gen Triebfedern, in der empfindsamen Stimmung, in Cliarakteren
von wackerer Gesinnung suchen; er wird, im GefüJile seiner Ar-
muth au komischem Genie und ergötzlich schöpferischer Gemüths-
kraft, ein Anlehen bei der empfindsamen Seele eröffnen und die
Beweggründe adeln, anstatt das Lächerliche aus ihnen, wie einen
lebendigen Springquell, zu schlagen. Das gemütlüiche Natm-ell
seiner Figuren muss für die Unergiebigkeit seiner Gemüthskomik
auflfommen, und eine gediegene Eühruug die herzliche Lachlust
mit dem sanften Lächeln eines schönen Charakters abfinden. Das
ist bei Terentius, wie bei keinem andern Lustspieldichter, der Fall.
Ein Schimmer seiner edlen Menschlichkeit, seiner feineu Em-
pfindsamkeit, fällt auf alle seine Komödieufigm-en, bis auf die
niedrigsten herab. Schmarotzer, Haussklaven, Hebammen, selbst
Terentius als Cliarakterzeichner und Sittenmaler. 571
die Kuppler erscheinen edelgesinnt und mit der Anstandsschminke
des Schönmenschlichen bemalt; anstatt dass vielmehr das Niedrige,
Gemeine, moralisch Hässliche an ihnen in der Beleuchtung komischer
Verwickelungen, in dem vollen Glänze ihrer Lächerlichkeit strahlen
und dadurch poetisch veredelt erscheinen sollte. Wie in der Tra-
gödie alle Hülfsquellen des Geistes und Herzens den Mangel au
tragischer Kraft nicht ersetzen, und ohne diese keine Tragödie zu
Stande kommt: so giebt es in der Komödie kein Surrogat für
die komische Kraft; vermögen alle andern Gaben und Talente für
den Abgang der vis comica keinen Ersatz zu bieten; eben so
wenig, wie eine reich besetzte Tafel einen schwachen ]\Iagen er-
quicken; wie alle Schätze und Güter der Welt einen Todtkranken
beleben und erfreuen können.
Terenz gilt in der Regel, mit Plautus verglichen, für den
edlern Charakterzeichner und Sittenmaler. Sollte Terentius darum
der vorzüglichere Sittenmaler seyn, weil er der Schönmaler ver-
derbter Sitten ist, und seine feine Schminke das Siech thum des
Familienlebens und der gesellschaftlichen Zustände zu blühender
Gesundheit lügt? Da lob' ich mir die rauheren Pinselbürsten des
Plautus, der, wie seine Schauspieler, ohne Maske spielte, der Zeit-
sitte mit seinem Borstenpinsel die Schminke von den Wangen
streicht und bürstet, dass schon die kräftige Reibung wolilthätig
und heilsam wirkt, und in der schlaffen welken Haut eine natür-
liche Wärme-Köthe und Spannkraft anregt, die ihr jedenfalls besser
bekommt, als die Schminke ; um von dem dabei sich entwickelnden,
und frei werdenden elektrisclien Lachstoff" zu scliweigen, wodurch,
in Folge solcher Hauterregung, von innen heraus eine heilsame
ümstimmung und Belebung des ganzen Organismus bewirkt wird.
Alle Schönheiten des Terenz, sagt Madame Dacier in der
Preface zu ihrer Uebersetzung seiner Lustspiele, „befriedigen zu-
gleich den Geist und das Herz." Ob aber Sklaven, die in den
Mitteln, behufs Täuschung der Väter zum Verderben der Söhne,
den Ränke zettelnden Sklaven des I'lautus gleichen, sich vor die-
sen durch edlere Triebfedern, durch anständigere Motive,
ihrer Schelmenstreiche auszeichnen dürfen, die unsere Missbilliguug
der ins Spiel gesetzten Mittel bestechen, captiviren, vertuschen —ob
eine solche Motivirung verweiflicher Anstiftungen charaktergemäss,
natur- und lebenswahr, ob sie, mit einem Worte, würdig ist, „un-
572 Die römische Komödie.
seru Geist und unser Herz zugleich zu befriedigen": das hat die
classisch gelehrte Dame und ausgezeichnete Kunstrichterin zu
priifen unterlassen. „In seinen sechs Komödien", heisst es weiter,
„ist kein Zug zu finden, der die Grenze des Austands überschritte."
Wie aber, wenn Fabel, Intrigue, Ausgang, kurz der ganze Ge-
halt und Inhalt der Komödie dem Anstand ins GJesicht schlägt? Die
Komödie an und für sich anständig unanständig ist? — wie dann?
Eine andere Anständigkeit beseelt auch die Terentianische Komö-
die nicht, die immerhin eine lateinische Menander-Komödie seyn
mag ; die auch als „halbe" Menander-Komödie, was anständige Unan-
ständigkeit betrifft, für voll zu nehmen. Bei Plautus erfährt diese,
wie gesagt, eine Läuterung durch das Fegefeuer der Komik. Es
ist ein grosser Unterschied, ob ein Lustspieldichter das moralisch
Unzulässige und Verwerfliche dem Gelächter preis giebt, oder ob er
dafür Sympathien erweckt durch Verfälschung mittelst rührender,
gewinnender Motiven. Den „pädagogischen Zweck" erstrebt Te-
renz nur mit grösserer Absichtlichkeit, als Plautus, aber nicht
mit demselben Erfolge. „Man darf behaupten", sagt Mad. Dacier,
„dass die ganze Latinität ftoute la latinite) nichts aufzuweisen
habe, was sich mit dem Adel, der geschmackvollen Einfachheit,
mit der Anmuth und der feingebildeten Zierlichkeit seines Dia-
loges vergleichen lasse." Vollkommen wahr, und in dem Um-
fange wahr, dass man diese trefflichen Eigenschaften, diese Blu-
men eines feinen Musterdialoges, selbst in der Sprechweise seiner
Schmarotzer, Haussklaven und Kuppler empfindet; so ohne Aus-
nalmie wahr, dass die Lebens- und Naturwahrheit dieser Art von
Figuren mit dem Adel, der Anmuth, der feingebildeten Zierlich-
keit der Dialoges in den schroffsten Widerspruch geräth und das
feine Colorit, der edle farbenreine Schmelz die Cliarakterwahrlieit
jener Figuren in Frage stellt. Aus der Maske dieser Schmarotzer,
Sklaven, Kuppler glaubt man Personen aus Roms oder Athens
vornehmer, feiner Gesellschaft sprechen zu hören. Giebt man dem
Terenz diesen unausgieichbaren Widerspruch preis, wird man ihn
unstreitig an die Spitze aller Lustspieldichter seiner Gattung zu
stellen haben; jener Lustspieldichter nämlich, die mehr durch
Grazie des Ausdrucks, durch edle einnehmende Haltung der Cha-
raktere, durch feine behagliche Sittenschilderung, aber auch nur
innerhalb dieses auserlesenen Kreises einer vornehmern und pa-
Terentius. Andria. 573
tricisch gefärbten Bürgerwelt, als durch Komik, als durch Dar-
stellung ächter Volks- und Lebensfigureu, als durch kunstvoll
getreue Scliiklerung der Zeitsitte, kurz als durch Eigenschaften
glänzen, die allein ein Lustspiel zum Lustspiel machen. Plautus
ist dem Terenz nicht blos, wie Mad. Dacier treffend bemerkt, in
Absicht auf Lebhaftigkeit der Action, mannigfaltige und kunst-
reiche Schürzung des Intriguenknotens, mit einem Worte, in allem
überlegen, was den Dramatiker und komischen Volksdichter aus-
macht: Plautus steht, unseres Erachtens, auch als Sittenmaler
und Charakterzeichner, selbst als Künstler in Styl und Dialog
hoch über Terenz, denn Plautus giebt ein vollkommen naturge-
treues, lebenswahres, durch keine Schaumalerei übertünchtes, son-
dern einzig und allein durch die Poesie seines Genre's, durch den
Geist der Komik verschöntes Sittengemälde von Roms bürgerli-
chem Mittelstand und Familienwesen. In Terenzens Familien-
Komödien athmet mehr attisches, als römisches Hauswesen; oder
doch mehr attisch gräcisirtes Patricier-Bürgerthum, als das ächte,
ursprünglich römische Hauswesen und Familienleben.
Nach unparteiischer Würdigung möchte dem Terentius die
Mittelstellung zwischen den beiden extremen Urtheilen zukommen :
dem des Komödiendichters Afranius, wonach Niemand dem Teren-
tius gleich zu stellen: Terentio non similem esse quempiam;
und dem geringschätzigen [Jrtheil des Julius Scaltger: „Hie no-
stra miseria magnus factus est: Tei'enz habe seine ganze Grösse
unserer Armseligkeit zu danken."
Mögen nun die sechs Komödien selbst vortreten und für ihn
und gegen ihn zeugen:
Andria, oder „das Mädchen aus Andres." Zum ersten Male
an den M egalcnsischen Spielen, unter den Curulischen
Aedilen M. Fulvius und M. Glabrio, von der Truppe des
Lucius Ambivius Turpio und Lucius Attilius Praeue-
stinus aufgeführt. Die Melodien dazu c.omiwnirte Flaccus Clau-
dius, für gleiclie, rechte und linke Flöten i'Tibiis parib., dextr.
et sinistr.). Die Didaskalia fügt hinzu: die Komödie „ist ganz
griechisch (et est tota graeca;, und kam zur Darstellung unter
dem Consulat des M. Marcel Ins und (J. Sulpitius ;5S7 d.
St., 164 vor Chr.j
Mit dieser l'>rstlingskomödie, so erzählt Sueton, suchte der
574 Die römische Komödie.
jugendliche Verfasser, nachdem er sie dem Aedil verkauft, den
altberühmten Komödiendichter, Caecilius, auf, um von dem grossen
Komiker ein vertrauliches Urtheil über sein Stück zu empfangen.
Cäcilius Avar gerade bei Tische. Er liess den jungen Mann ein-
treten und, ärmlich gekleidet wie er war, auf einem niedrigen
Bänkchen, neben seinem Tisch-Sopha, Platz nehmen. Kaum hatte
der junge Dichter die ersten Verse seiner Komödie vorgetragen,
wies ihm auch schon der freudig übeiTaschte Caecilius einen
Tischplatz an seiner Seite an. Als Tereutius nach Tische weiter
las, steigerte sich die Theilnahme des alten Dichters von Scene
zu Scene. Er hörte bis zu Ende mit der grössten Aufmerksam-
keit zu, und sprach am Schlüsse dem hochbeglückten Erstlings-
dichter seine volle Befriedigung aus.
Die Andria gehört in, der That zu Terentius' besten Komö-
dien, und zeigt in Eorm und Füluimg eine Glätte und zierliche
Gewandtheit, die seine gerühmtesteu Lustspiele, „der Selbstquä-
ler", „Eunuchus" und „die Brüder" (Adelphi) kaum überbieten.
Dem Stücke geht, wie üblich, ein Prolog vorauf, der sich
aber, wie alle Prologe des Terentius, von denen des Plautus darin
unterscheidet, dass er das Publicum nicht über den allgemeinen
Inhalt der Komödie, sondern über die literarischen Streitigkeiten
des Dichters mit seinen Gegnern i^terrichtet. Seine Prologe
gleichen hierin» den modernen Vorreden zu Theaterstücken. Frei-
lich musste Terentius sich erst seine Stellung und die gute Stim-
mung des Publicums. gegenüber den böswilligen Ausstreuungen
seiner Feinde, erobern. Mit dieser Entschuldigung tritt er denn
auch in seiner ersten Komödie, in der Andria vor die Zuschauer :
„Auf Prologe", sagt er, „muss ich meine Mühe wenden, nicht um
den Inhalt meiner Stücke anzugeben (Non qui argumentum nar-
ret), sondern um der Sclmaähung eines alten, schlecht gesinnten
Dichters (Lucius Lanuvianus oder Luscius Lavinius) zu begegnen."
Andererseits mochte sich Terentius einei" Inlialtsaudeutung im
Prologe vielleicht auch aus Gründen der Kunsttechnik über-
hoben glauben, in der Ueberzeugung, dass die Komödie selbst die
nöthigen Aufschlüsse zu geben habe. Seine Kunsttechnik durfte
diess um so sicherer voraussetzen, da seine Compositionsweise auch
in dieser Hinsiclit dem griechischen Vorbilde sich getreu an-
schmiegt, wo die Erzählung vor der eigentlichen Handlung vor-
Terentius. Andria. Die Pabel-Intrigxie. 575
waltet, indem die thatsächlicheu Begebnisse hinter der Scene vor-
gehen, und meist nm* deren Wirkungen und Folgen sich auf der
Bühne in den Situationen reflectiren. Bei Plautus, wo die dra-
matische Bewegung, die arbeitende Fabel, in vollem Gang ist
(das „properare"), kommt die Erzählung kaum zu Worte. Danach
wäre auch hier die scheinbar grössere Kunst des Terentius im
Gnmde nur eine dramatische Schwäche; jedenfalls nur das Ver-
dienst einer den griechischen. Vorbildern getreulichst nachlebenden
Komödienforra.
In Betreff der Andria lässt Terentius seinen Prolog nur den
Vorwmf ablehnen, dass er durch Benutzung zweier Komödien von
Menander, der Andria und Perinthia, ein gefälschtes und bunt-
scheckiges Werk zu Stande gebracht (contaminari non decere fa-
bulas). Aus dem Lustspiel selbst mag erhellen, ob der Dichter
den Von\Tirf entkräftet und beseitigt hat.
Gang und Inhalt des Stückes sind in Kürze wie folgt: Gly-
cerium, die vermeintliche Schwester einer aus der Insel Andros
nach Athen übergesiedelten, und vor Kurzem verstorbenen He-
täre, ist von Pamphilus, dem Sohne des Bürgers Simo zu Athen,
schwanger. Der Alte, der nur von einem Liebschaftsverhältniss
seines Sohnes mit Glycerium, nicht aber von dem Zustande des
Mädchens unterrichtet ist, wiU ihn mit der Tochter seines alten
Freundes und Nachbars. Chremes, verheii'athen, die ein anderer
Jüngling, Charinus, liebt. Die komische, von Davus, dem
Hausdiener des Simo, gefädelte Intrigue dreht sich um allerlei
Nothlisten, die Vermählung seines jungen Herrn mit des Nach-
bars Tochter hinzuhalten, kurz, um das ziemlich kahle, an komi-
schen Verwickelungen wenig ergiebige Notlmiittel: Kommt Zeit
kommt Rath. Der Notlibehelf wird gleich vorweg in die grösste
Verlegenheit durch die Nötlien der Glycerimn gesetzt, für welche
ihre Dienerin schon die Hebamme besorgt. Nachdem Davus die
erste Kunde von der beabsichtigten Vermählung des Pamphilus
durch dessen Vater, den alten Simo, erhalten, spricht er seine
Verlegenheit in einem Monologe aus (I, 3.), wobei wir zugleich
den Ausgang und Tnlialt des Stückes erfahren. Vorläung nur
als ersonnene, von Paiiipliilus und seinem Liebchen ausgedachte
[ntrigue; dass nämlich Glycerium ein freigeborenes Bürgermäd-
chen aus Athen sev. «leren Vater, ein alter Ihmdelsmann, mit der
576 Die römische Komödie.
Kleinen bei der Insel Audros Schiffbruch gelitten. Der Vater
sey umgekommen, das älternlose Töchtercheu aber gerettet und
in dem Hause jener Hetäre als deren Schwester erzogen worden,
welche, wie schon gemeldet, aus Andros nach Athen übergesie-
delt war. Das erzählt nun Davus, als ausgehecktes Märchen,
woran er nicht glaube, das aber der Verlauf und Ausgang der
Komödie als reine Wahrheit ausweist. Davus spricht also ge-
mssermaassen den Monolog als Prolog, zwar als ungläubiger Pro-
log, dem aber das Publicum doch glaubt. Ob eine solche, statt
des Prologs von einer Spielperson dem Publicum unter den Fuss
gegebenen Andeutung über den Inhalt der Komödie ein Kunst-
behelf oder Nothbehelf ist, bleibt mindestens zweifelhaft, von der
ünwahrscheinlichkeit abgesehen, dass eine von den Betheiligten
ausspintisirte Intrigue (et fingunt quandem inter se nunc falla-
ciam), als die wirkliche des Stückes verläuft. Der erste Act
schliesst mit der Scene zwischen der Dienerin Mysis, die auf
dem Wege nach einer Hebamme ist, und Pamphilus in der Klemme
zwischen einer im Anzug begriffenen, ihn beglückenden Vater-
schaft und der ihm drohenden, verhassten, noch heute stattfinden-
den Hochzeit,
Der zweite Act führt den andern Jüngling, den Charinus,
der die dem Pamphilus zugedachte Braut liebt, mit seinem Die-
ner, Birria, herbei. Beide rathlos. Pamphilus kommt hinzu:
„dir nah' ich mich", redet Charinus den Freund an, „um Hoff-
nung, Rettung, Hülfe, Rath bei dir zu suchen." Worauf Pam-
philus: „Ich weiss mir selbst nicht ßath." Er weiss von Chari-
nus' Herzleid nichts, und als er danach fragt, lässt Terentius den
Jüngling seinen Diener Birria leise bitten: Er sey zu blöde, um
es dem Pamphilus zu gestehen, „Sag du's ihm, Birria; ich bitte
dich!" Ein anmuthiger Zug; aber so verschämt mädchenhaft und
zartsinnig lässt Tereuz mitunter auch Jünglinge sprechen, die ein
regelrechtes Liebesverhältniss mit Hetären haben. Pamphilus
giesst dem feinen Jüngling Balsam in's Gemüth mit den Wor-
ten: „Weit melir wünsch' ich der Heiratli zu entgehen, als du
sie nur begehren magst." Des Charinus Bitte, die Heirath um
einige Tage aufzuschie))en, macht der athemlos mit einer guten
Nachricht her1)eieilende Davus überffüssig: Chremes venveigert
die Tochter, wegen Pamphilus' Verhältniss mit Glycerium. Beide
Terentius. Andria. 577
Jünglinge hinimelfi-oh darüber. Nun aber Davus' Rath und Notb-
behelf, als er mit Pampliilus allein blieb? Panipbilus soll schein-
bar in die Heirath mit Chremes' Tochter willigen, damit der Vater
keine Schritte gegen Glycerium thue. Zeit gewonnen, Alles ge-
wonnen. „Indessen trifft vielleicht sich etwas Günstiges." Ein
Plautinischer Servus würde seinen Collegen Davus mit seinem
„Indessen" und „Vielleicht" auslachen. Das Nächste, was sich
indessen trifft, ist die von Charinus' Diener, dem Birria, zufällig
behorchte, von Pamphilus seinem Vater zugesicherte Bereitwillig-
keit zu der Vermählung mit Chremes' Tochter. Ein Donnerschlag,
den Birria auch sofort seinem jungen Henii überbringt. Ein so
wohlfeiles Missverständniss, behufs der Knotenschürzung, würde,
im Vorbeigehen gesagt, ein heutiges Lustspiel ablehnen müssen,
üeberhaupt spielen Behorchungen eine Hauptrolle in den Komö-
dien des Terenz, als stehender Behelf, um die Handlung vorwärts
zu bringen, und neue Incidenzen von Verwickelungen und Miss-
verständnissen anzuknüpfen. Dafür ist aber der Dialog von mu-
sterhafter Lebendigkeit und einer Bewegtheit, die der Handlung
immer um eine Nasenlänge voraus ist. Die Figuren sind treff-
lich gezeichnet und bis auf die berührte Unverträglichkeit von
gemüthlichem Biedersinn bei Ränke spinnenden Sklaven, die
Charaktere naturgetreu, und durchaus komödienhaft in Ton und
Gebahren. Der alte Simo z. B., der es an Schlauheit mit dem
ihn täuschenden Davus aufnimmt, ist eine Eigur aus dem Leben.
Der dritte Act whnmelt von Behorchuugeu. Simo behorcht
die Magd und Hebamme der Glycerium und erfährt dabei von
seiner unverhofften Grossvaterfreude. Aber der Alte legt sich auf
die schlaue Seite, und hält die Kindesnöthen für Verstellung; er-
funden, um Chremes, den er herumzuholen auf bestem Wege ist,
abzuschrecken. Sein lauschendes Ohr trifft ein Kindesnöthenschrei.
Glycerium stösst ihn aus, die im Hause, hinter der Scene, den
stehenden Nothruf der ehrbaren Bürgermädchen und Freigebornen
der römischen Komödie in solchen Lagen hören lässt: „0 Juno
Lucina, hilf mir, oh, rette mich!" Der Alte vernimmt das, und
meint, der Schlaukopf: „Ei. so geschwind? Das ist doch spass-
haft! So bald sie hörte, dass ich vor der Thüre sey, beeilt sie
sich. 0 Davus, hier hast du in der Zeit dich verrechnet!" Da-
vus, der den Alten belauscht, begreift nicht gleich. „Fürwahr",
n. • 37
578 ^^^ römische Komödie.
sagt er für sich, „diessmal betrügt er selbst sich, ich nicht ihn",
und benutzt diese Selbsttäuschung des Alten, indem er ihn darin
bestärkt: die Hebamme habe der verstellten Wöchnerin ein Knäb-
lein untergeschoben. Simo möchte nur rasch tue Hochzeitsange-
legenheit betreiben, bevor man ihm das Kind vor die Thür legt.
Der Lügner baut auf das fait accompli, das nicht wegzuläugnen,
und die Heirath doch hintertreiben muss. Etwas Wesentliches
gewinnt er mit dem neuen Trug freilich nicht; im günstigsten
Falle: die Galgenfrist aufgeschobener Prügel. In der nächsten
Scene wird Chremes von Simo wirklich hermngeholt, mit der Ver-
sicherung, die Liebenden hätten sich entzweit, was er, Simo, von
Davus selber wisse, der dazu kommt, und es bestätigt. Simo be-
lobt den Knecht imd nimmt seine schlechte Meinung von ihm
zurück, da sich Davus so gut bewährt; es &ey „ein braver Kerl."
Dass der geriebene Alte sich selbst so hinter's Licht führen hilft,
ist vortrefflich, mid würde noch wirksamer seyn, wenn Davus
einen stetigen Plan verfolgte, und nicht so aus der Hand in den
Mund löge. Auch der jetzt erfolgte Rückschlag auf Davus,
nachdem er die von Chremes erlangte Zustnnmung zur Hochzeit
erfahren, würde noch drastischer treffen, wenn sein Lügengebäude
nicht so gelegentlich vom Zaun gestoppelt erschiene. Nun ist
Davus' rathlose Verlegenheit auf dem Gipfel: „Ich habe diess
Gewirr herbeigeführt. 0 welche Schlaulieit! hätt' ich mich ruhig
imr verhalten, so wäre dieses Unglück nicht geschehen." Eine
brave Selbstkatechisirung zu Nutz und Frommen der Sklavenge-
nossenschaft; allein ungeschicktes Intriguiren verdirbt die Komö-
die, und bessert doch den Sklaven nicht. Da führt der Dämon
noch den Pamphilus daher: Davus ist des Todes. Er sieht sich
nach einem Orte um, „von dem herab er sich den Hals abstürzen
könnte." So ganz hat er, ohne Abstm-z, den Kopf verloren, dass
er das fait accompli vergisst, das doch das wirksamste Ab-
schreckungsmittel für Cln-emes ist. Obgleicl) Davus durch die
Stegreif-Lüge vom untergeschobenen Kinde dem Mittel die Spitze
abgebrochen, so kann es doch noch die Partie rückgängig machen,
da es den Verdaclit bei Chremes immer bestehen lässt, das
Kind könne von Pamphilus seyn. Trotzdem tinden wir Davus
die beiden, durch die bevorstehende Hochzeit des Pamphilus mit
der Geliebten des Charinus um die Wette verzweifelnden Jung-
Anclria. Behorclmn^'S-Iiitrigue. 579
linge, noch im Beginn des vierten Actes, mit Ungewissen Ver-
tröstmigen auf einen neuen Plan hinhalten, der ihm nur bis jetzt
noch nicht einfallen will. „Als Sklav bin ich vei-pflichtet, Pam-
philus, mit Hand und Fuss, Tag und Nacht, für dich zu ster-
ben, selbst Gefahr des Lebens nicht zu scheuen, wenn ich dir
nur nützen kann." Edler Sklav! Rathloser Verlegenheits- statt
Gelegenheitsmacher, aber wacker. Er geht für seinen Herrn ins
Feuer, wüsste der Brave nur wie? Oder wollte das Feuer doch
wenigstens ihm auf lialbem Wege entgegen kommen. Ein Diener
des Plautus hätte das Feuer erfunden, und wäre schon durch
dasselbe gegangen, ohne dass sein Lügenmaul überliefe, wess sein
biederes Herz voll ist. Endlich, nach einer ziemlich überflüssigen
Scene zwischen ihm, den verzweifelnden Jünglingen und der von
Pamphilus getrösteten Magd der Wöchnerin, hat Davus den Plan
beim Zipfel. Er holt das neuge])orene Kind heraus, mn es vor
Sirao's Thür von der Magd hinlegen zu lassen. Was soll's mit
dem für untergeschoben von Davus selbst ausgegebenen Kinde
vor Simo's Hausthür? Der Plan ist blind geboren, und hat nicht
Hand noch Fuss. Ein Glück, dass ein besserer Planmacher den]
Anschlag des wackern Davus unter die Arme greift: Gott Zufall,
der den alten Chremes herbeiführt. „Nun muss ich", ruft Davus,
..meinen frühern Plan verwerfen", und thut, als kam' er von einer
andern Seite, da eben Chremes das Kind vor Simo's Hausthür
erblickt. Davus stellt sich, als sah' er den Alten nicht, fährt
auf die erschrockene Magd los und ängstet ihr, in einem komiscli
peinlichen Verhör, den Namen von des Kindes Vater ab, wo die
Aparte's von Seiten des verblüfften Chremes nicht felüen, der nun
das corpus delicti vor sich sieht, und die Unmöglichkeit der Ver-
bindung des Pamphilus mit seiner Tochter. Davus torquirt die
Magd mit der Unterscliiebung des Kindes, bis zur eidliclien Be-
theuerung der vor Sclireek und Staunen Erstarrten: dass Pamphilus
der Vater ist. Jetzt kann Davus den Chremes erst bemerken;
dieser weiss genug und eilt hinein zu Simo, um ihm den Handel
aufzusagen. Die geschilderte Scene wäre musterliaft und von
wii'kungsvoller Komik ohne die Zerfahrenheit in Davus' Anschlä-
gen, und wenn es nicht am Ende doch nur eine Stegreif-Situation
wäre, die auf das zufällige Erscheinen des Chremes und dessen
heimliches Behorchen berecliiK't und angeh'gt ist.
580 Die römische Komödie.
Zum Glück für Davus' Rücken, auf dem sonst der Knoten
müsste zerhauen werden, kommt Gastfreund Crito aus Andros
zur rechten Zeit dazwischen, der die nöthigeu Aufschlüsse über
Glycerium's Herkunft giebt, von welcher wir bereits durch den
prologischem Monolog (I, 3.) unterrichtet sind, bis auf den Um-
stand, dass Glycerium's Vater, jener alte Handelsmann, der im
Schiffbruch vor Andros mngekommen, des Chremes Bruder war,
Glycerimn mithin die Nichte, und das Neugeborene der Gross-
ueffe. Die Nichte kann nun, unbeschadet der Wöchnerin, sich
in Ehren mit Pamphilus vermählen, Chariuus die Geliebte zur
Frau erhalten, und Pamphilus für den, auf Simo's Befehl, in Fes-
seln gelegten Davus Verzeihung erbitten.
Ziehen wir die Simime der Vorzüge und Mängel dieser ersten
Komödie des Terentius, so erhalten wir: eine Verwickelung von
fraglichem Werthe; eine Entwickeluug, die in Betracht ihrer Aus-
kunftsfigur, des improvisirten Knotenlösers, Crito, welcher, wie zu
diesem Zwecke, unversehens hergereist kommt, entschieden ver-
fehlt genannt werden muss; ein paar gute, schlagfertige Scenen
von komischer Wirkung, deren volle Schlagkraft jedoch dm"ch die
haltlose Motivirmig und die Planlosigkeit des intriguirenden Die-
ners wesentlich beeinträchtigt wird; einen vorzüglichen Dialog;
die Figur des Sinio, mit Meisterhand gezeichnet. Wie viel von
allem dem auf Rechnung des ganzen oder des halben Menander
kommt, steht dahin. Weniger zweifelhaft möchte der Fehlversuch
scheinen: den halben Menander zum ganzen, durch die Verflech-
tung eines zweiten Menandrischen Stückes mit der Andria-Fabel,
zu vervollständigen. Denn der Charinus mit seiner Liebestrübsal
erscheint als völlig episodisch, wo nicht überflüssig. So ganz
unrecht hätte also des Terentius' Widersacher aus Gewerbsneid,
der Luscius Lavinius, mit seinem Tadel der contaminatio doch
nicht. Man muss auch von seinem Feinde guten Rath annehmen.
„Lehrt mich der Fremid, was ich kann, lehrt mich der Feind,
was ich soll." Dieser Spruch war zu Terentius' Zeit zwar noch
nicht bekannt; könnte aber dreist einen P^hrenplatz unter den
goldenen Sprüchen einnehmen, womit die Komödien des Teren-
tius so reich ausgestattet und geschmückt sind.
Die Seh wiegermutter ^Hecyra). Es kommen zwei Schme-
germüttcr in dieser Komödie vor; doch ist vorzugsweise die
Terentius. Hecyra. 581
Schwiegermutter der Frau, die Mutter des Mannes gemeint, was
e/.vQcc im Griechischen auch bedeutet. Vom Missgeschicke die-
ser dem Apollodorus nacligebikleten Komödie war schon oben die
Eede. Sie fiel zweimal durch. Das erste Mal an den Megalen-
sischen Spielen, unter der Theaterleitung der Curulisclien Aedileii
Cn. Corn. Dolabella und Sext. Jul. Caesar, und dem Consulat des
Cn. Octavius und T. Manlius 5S8 d. St. Die Musik zu den Cant.
hatte wieder Flaccus componirt und für die gleiche Doppelflöte
(tibiis par.) gesetzt. Das Stück koimte nicht zu Ende gespielt
werden, wie der Prolog zur zweiten Auffühi'ung - ein erster ist
nicht vorhanden — schonend gegen Stück und Publicum be-
merkt: „p]s konnte nicht gesehen und beurtheilt werden, so hatte
seinen Sinn das Volk in staunender Bewunderung einem Tänzer
zugewandt" fita populus studio stupidus in funambulo animum
occuparat).
Die zweite Aufführung fand in demselben Jahre an den
Leichenspielen 'ludis funebribus) des Paulus Aemilius statt, mit
keinem günstigeren Erfolge, worüber der treffliche Schauspiel-
Director, Lucius Ambivius Turpio, im dritten Prologe klagt: „Ich
fing nun an, bei diesem neuen Stücke meine altgewohnte Weise
anzuwenden, dass ich's noch einmal versuchte. Ich gab's von
neuem. Im ersten Act erwarb ich Beifall, als sich inzwischen
das Gerücht verbreitete, dass ein Gladiatorspiel gegeben werden
würde. Das Volk stürmt hin, man lärmt, mein schreit', man
schlägt. Inzwischen könnt' ich meine Stelle nicht behaupten" . . .
L. Ambivius Turpio, die Perle aller Schauspieldirectoren , liess
sich nicht abschrecken und brachte sie zum dritten Mal 589
d. St. auf die Bühne. Placuit, meldet die Didaskalie: „sie
gefiel".
Sehen auch wir nun, ob wir dem placuit zustimmen können.
Uns zieht kein Seiltänzer, kein Fechter noch Faustkämpfer ab.
Wir sind in der Lage, dem Stücke eine unbefangene Prüfung an-
gedeihen zu lassen.
Pamphilus hat dem Wunsche seines Vaters Lach es, sich
mit Philumena, der Tochter seines Nachbars, Phidippus, zu
vermählen, nachgegeben, mit schwerem, von leidenschaftlicher
Liebe für seine Maitresse, die Buhlerin ßacchis, erfülltem Her-
5g2 ^^^ römische Komödie.
zen. Seine junge Frau lebt in dem Hause seiner Eltern, nicht
anders als ein jungfräuliches Mädchen in dem Hause ihrer Eltern
lebt: sie blieb unberührt vom Manne, der seine Besuche bei der
Bacchis fortsetzt. Diese begegnet ihm aber unfreundlich und
trotzig. Sein Herz wendet sich desshalb von der Maitresse ab, zu
Gunsten seiner Frau, die ihre Schmach und Kränkung still und
entsagungsvoll erträgt. So erzählt sein Diener, Parmeno, der
Philotis, einer Freundin und Genossin der Bacchis (I, 2): „die
Frau war so, wie man bei edlem Herzen seyn muss, keusch, be-
scheiden, trug von ihrem Manne jegliche Beleidigung und alles
Um-echt, und verdeckte jede Schmach. Von Mitleid mit der Gat-
tin theils durchdrungen, theils durch die Ungerechtigkeit der
Bacchis getrieben, wandte sich sein Herz albnälich von der Bacchis
ab. Er trug die Liebe nun auf seine Gattin ü))er, da er bei ihr
ein Herz dem seinen gleich fand" . . . Nur die Liebe nicht, die
er für die Baccliis fühlte, und überwunden zu haben glaubte:
Philumena bleibt nach wie vor das jungfräuliche Mädchen in dem
Hause ihrer Schwiegereltern, das sie ])ei iliren Eltern gewesen.
Wie erklärt der Dichter diese auffällige Ersclieinung? Sein Par-
meno motivirt es mit einer plötzlichen Abreise des Pamphilus,
der unverzüglich nach Imbrus eilen musste, mn eine Erbschaft
zu beheben. „Ganz wider Willen trieb der Vater nun den Pam-
phUus, den liebenden, dahin". Die nun geliebte Frau bleibt bei
seiner Mutter, Sostrata; der Vater hat sich aufs Land zurück-
gezogen. Jetzt bricht zwischen den beiden in der Stadt allein ge-
bliebenen Frauen, der Schwiegertochter und der Schwieger-
mutter (flecyra;, Unfrieden, Hass und Feindschaft aus, ohneAn-
lass, ohne Grund. Inzwischen beginnt die junge Frau — fährt
Parmeno in seinem Berichte fort — „aufs bitterste die Sostrata
zu hassen, und doch niemals Zank, keine Beschwerde". Die
Schwiegertochter läuft der Schwiegermutter davon, die ihr nichts
zu Leide, vielmelu- alles zu Liebe thut, und zu ihren Eltern zu-
rück - Niemand weiss warum. Die Schwiegermutter verlangt
wiederholt und aufs liebreichste die Entlaufene von den Eltern
zurück: sie kommt nicht. Die Schwiegermutter geht nun selbst
hinüber, um die Schwiegertochter zurückzuholen; sie wird nicht
vorgelassen: Philumena, heisst es, sey krank. Diese erzählte
Exposition füllt den ersten Act, der dadurch zu einem von aller-
Hecyra. Wunderliche PJhe- Krankheit. 583
lei Querfragen unterbrochenen Prologe wü'd, welche eine Philotis,
eine eigens hiefür erfundene Buhlerin, dazwischenwiift, die in dem
Stücke weiter nicht vorkommt, mit Handlung, Verlauf, Intrigue.
nicht das Mindeste 7a\ schaffen hat und. nach Erledigung ilirer
Zwischenfragen, aus der Komödie verschwindet. Ein solcher Ex-
positions-Act mit einer solchen Fragezeichen -Figur wäre heut-
zutage sehr fraglich, selbst wenn letztere eine ehrbare Person
wäre.
Hören wir, was der zweite Act bringt. Zunächst eine erste
Scene zwischen dem mittlerweile vom Land zurückgekehrten Laches
und seiner Frau Sostrata, die allein, und zwar in ihrer Qualität
als Schwiegermutter, das ganze Unwesen im Hause verschuldet
haben muss. „So hassen die Schwiegermütter allzusammen ihre
Schwiegertöchter", schilt der Alte. Die arme unschuldige Frau,
ein wahres Ideal von Schwiegennutter, mag dagegen einwenden,
was sie will. Die Scene konnte unserem Schiller bei der ersten
seines ersten Actes von Kabale und Liel)e, zwischen Geiger Miller
und Ehefrau, vorgeschwebt haben. Der Laches hat in seiner zu-
fahrenden Barschheit ein Korn vom Stadtmusicus Miller, nur so
grob ist er nicht, sondern Terentianisch unwirsch, glimpflich rauh,
fein gi'ob, anständig grob, manierlich grob, mit attisch-patricischem
Geschmack und zierlicher Würde. Seine Widerborstigkeit ist die
eines Seidenhasen; nicht wie Schiller's deutscher Musikant, der
sein Violoncell an dem Hirnkasten seiner Frau, der „alten
Heulh" — entzweischlagen will. Mit demselben gelinden Unge-
stüm fordert Laches von Philumena's Vater, Phidippus, der in-
zwischen eingetreten, die angeblich kranke Schnui' zurück. Phi-
dippus, als Schwäher die Contraftgur zu Laches, schützt sein „von
Natur weiches Herz" vor, das „den Seinigen nicht zuwider seyn
kann", die nun einmal, Mutter wie Tochter, auf ihrem Sinn be-
ständen, dass nämlich Philumena ihre Krankheit bei der Mutter
pflegen soll, nicht bei der Schwiegermutter. Was, um aller
Schwiegermütter willen, was für Krankheit mag das nur sejii?
fragt der Leser. Der nach weltliche Leser, denn der Zuschauer
der Hec}Ta sitzt längst beim Seiltänzer, an dessen Verwickelun-
gen und Entwickeluugen der Glieder er mit gaffendem Staunen
studio stupidus; sich ergötzt, und dessen Künste ihm kunst-
gerechter erscheinen, als diese vorkannte Schwiegermutter und
584 L*ie römische Komödie.
diese ki-anke Schwiegertochter, über deren Verkannt- und Krank-
seyn der erste und nun auch der zweite Act noch immer in der
Schwebe lässt.
Im dritten ist der Erbe in partibus, unser Pamphilus, wie-
der heimgekehi-t, natürlich ohne Erbschaft. „Nun sag'," fragt ihn
beim Willkonmi sein Vater Laches, „was hat uns unser Vetter hin-
terlassen?" — Uns, meint der Sohn, so viel wie nichts, aber sich
hat der Vetter „den Euhm hinterlassen: Er lebte gut so
lang er lebte": Vixit dum \ixit bene. Diesen Euhm und die-
sen goldenen Spruch hat uns der Vetter vermacht. Zum Geier
mit den goldenen Sprüchen, denkt der Alte, wenn kein anderes
Gold dahinter ist, als Komödiengold, das eben nur gieisst, wie
das Gold der Komödien-Sprüche und schönen Sentenzen, hinter
denen keine Komödie ist. Das denkt der Alte, drückt es aber
milder, urbauer aus: „Hast du denn gar nichts mitgebracht als
diesen Spruch allein?" Tum tu igitur nihil attulisti huc plus
una sententia? (III, 5j. Und der Komödie — so fragen wir —
was hat Pamphilus der Komödie mitgebracht? Welche Auf-
schlüsse, oder welche neue Verwickelung? Eine betrübsame Figur
hat er mitgebracht, eine gar nicht lustspielmässige Figm-; für die
weinerlichste Kühr-Komödie noch viel zu larmoyante Figur. Der
Zvdst zwischen der theuern Gattin und seiner verehrten Mutter,
die Entfernung des geliebten und unberührten Weibes, die ge-
heimnissvolle Krankheit — „0 weh mir Armen!" — wimmert er
— „Ist jemand auf der Welt gleich mir unglücklich? . , . Wenn
ich es so gefunden habe, was bleibt mir in Zukunft weiter noch
als Elend?" . . . Umsonst erschöpft sich Parmeno, sein Diener,
in Trostzusprüchen. Parmeno ist keiner von den Plautinischen
Väterprellern und Tntriguenschelmen, die so lästerlich komische
Verwickelungen anzettehi, so verrucht ergötzliche Lustspielknoten
schürzen aus gedrehten Väternasen. Parmeno ist nicht der Haus-
sklave, wie er ist, und durch Gewerbe und Entwürdigung seyn
muss, als welchen ihn die Plautinische Komödie ihrem Publicum
zur Erkenntniss bringt, und gleichsam in den Sehpunkt seiner Be-
herzigung rückt, beleuchtet vom hellsten klarsten Licht. Par-
meno ist der Haussklave, wie er sein müsste, wenn er kein Haus-
sklave wäre ; rein von allen Fehlern, die ein Lustspiel ergötzlich
machen, folglich Tugenden des Lustspiels sind. Parmeno ist frei
• Hecyra. Monolog des Paiupliilus. 585
von solchen Lastern, bis auf ein paar kleine Fehlerchen, die aber
nicht im mindesten lächerlich sind, wie z. B. eine ganz müssige
für's Lustspiel gleichgültige und daher lästige Geschwätzigkeit;
ein klein bischen Neugierde von beträchtlicher Langweiligkeit;
etwas weniges Faulheit, aber keine von der lästigen Sorte, son-
dern von der unbescholtensten breitträschigsten Bethulichkeit,
ohne Spur von Komik. Dieser ungesalzene Bedientenhäring passt
zu einem jungen Herrn, der salzlose Thränen scheffelweis ver-
giesst, man weiss nicht, ob wegen der abgedanlden Maitresse,
oder um die entlaufene kranke Frau, oder um den Vetter, der
einen goldenen Spruch als ganze Erbschaft hinterlassen, oder ob
der Jammer seinem Strohwittwerthume gilt, von thränennassem
Stroh. Glücklicherweise wird die lamentable Scene (III, 1) von
einem dankenswerthen Geräusch im Hause der Schwiegermutte]"
wohlthuend unterbrochen. Pamphilus, horchend: „Ich bin
verloren." — Farmen. „Wie so?" — Pamphil. „Ich bin ver-
nichtet." — Farm. „Warum?" — Famph. „Gewiss verbergen
sie ein grosses Unglück mir." — Farmen. „Sie sagten, deine
Gattin leide an Beängstigung" (pavitare, nescio quid dixerunt). —
Famph. „0 weh, wesswegen hast du mir das nicht gesagt?" —
Farmen, (ungemein treftend;: „Weil ich nicht Alles auf einmal
erzählen konnte." Famphil. „Was ist's für eine Krankheit?" —
Farm. „Ich weiss es nicht." — Famphil. „Wie? hat denn
niemand einen Arzt geholt?" Farmen. „Ich weiss es nicht." —
Famphilus will es aber durchaus wissen, stürzt in's Haus und
bald weder zurück auf die Strasse, mit einem langen, unheil-
schwangern Monolog, der mit einer verblüüendeii, in den Hebam-
men-Annalen ehelicher Entbindungsanstalten, unerhörten Krank-
heitsgeschichte niederkommt (III, 3): „Als ich sie sah" (die
kranke Fhilumena) ,,rief ich: 0 Schändlichkeit! und stürzte wei-
nend, von der schrecklichen unglaublichen Begebenheit zermalmt,
sogleich heraus. Die Mutter (der Fhilumena) eilt mir nach. Da
ich schon aui" der Schwelle stand, warf sicli die Arme wimmernd
mir zu Füssen" - hier kommt ein goldner Spruch, über den wir
hinwegeilen „drauf begann sie so mit mir zu sprechen: 0
bester Pamphilus, du siehst den Grund, wesswegen sie von dir
gegangen ist. Das Mädchen ist ohnlängst (vor neun Monaten näm-
lich) von einem unbekannten , schlechten Mann missliraucht. Zu
586 Die römische Komödie.
uns nahm sie nun ihre Zuflucht, um vor dir und Andern ihre
Niederkunft geheim zuhalten." Sie beschwört ihn, seine Schwie-
germutter, beschwört ihn auf der Schwelle der Wochenstube, be-
schwört ihn ZAvischen Thür und Angel — die Schande zu ver-
schweigen. Pamphüus kann dazu nur weinen: „Wenn ich an
ihre Bitten denke, kann ich Armer mich der Thränen nicht er-
wehren." — „Seitdem", lässt Pamphilus' Monolog Philumena's
Mutter fortfahren — „Seitdem sie sich dir nahte" (d. h. mit
ihm verheirathet ist) „geht es in den siebenten Mond" ... Er
möchte, um der Schande willen, die Vaterschaft des Siebenrao-
natkindes auf sich nehmen: „Du hast davon nicht den gering-
sten Schaden, und verdeckst das Unrecht, welches jener Armen
schmählich widerfuhr" . . . Pamphilus thut Alles, was man will,
und fängt wieder an zu weinen: „Ich weine, wenn ich denke,
was fortan mein Leben seyn wird" . . . Zur Vaterschaft will er
sich vor der Welt bekennen; er hat es mit Thränen versprochen,
und was er mit Thränen verspricht, hält Pamphilus, — aber —
der Anstand vor Allem ! — „die Wiederheimführung seiner Frau,
das wäre gänzlich unanständig" de reducenda, id vero neutiquam
honestum esse arbitror; . . .
Darüber geräth er in Conflict mit seinem Vater Laches. Der
Alte, hocherfreut über den Siebenmonatsenkel, besteht auf der
Wiederheimführung der Schwiegertochter nun um so ungestümer.
Pamphilus benutzt das Zei'würfniss seiner Mutter mit seiner Frau
als Vorwand gegen die Rückkehr, Er liebe seine Frau, er sehne
sich nach ihr unbeschreiblich, aber die Mutter gehe vor. Weder
ist dieses Missverständniss von Seiten des Vaters komisch, noch
kann es in Bezug auf den Sohn, in solcher Lage, rührend wir-
ken; am wenigsten kommt es der Mutter zu Gute, die in den
Augen ihres Mannes jetzt vollends als ein Drache von Schwie-
germutter erscheinen muss. Philumena's Mutter Myrrhina ist
wieder darüber miglücklich, dass ihr Mann Phidippus den Kna-
ben behalten will, „dessen Vater wir nicht kennen." Denn ihre
Tochter, sagt sie in einem Selbstgespräch, konnte, als sie um ihre
Unschuld kam, im Dunkeln, auf der Strasse, die Gestalt des Thä-
ters nicht erkennen. „Beim Scheiden hat er mit Gewalt dem
Mädchen ihren King, den sie am Finger trug, entrissen." Ein
Ring ~ Gott sey Lob und Dank - der Ring bringt das fatale
Hecyra. Sonderbares Ehe-Trübsal. 587
Rührspiel wieder in's Liistspiel-Geleis. Um welchen Preis, wer-
den wir gleich sehen.
Der alte Laches verliert die Geduld und sagt dem Sohne
geradezu ^IV, 4.): „Jetzt hast du wiederum dein Herz an diese
Buhlerin gehängt (die Bacchis), und dieser dienend, thust du un-
recht deiner Frau" . . . „Das hat auch deine Frau gemerkt, denn
welchen andern Grund hätte sie gehabt, um von dir wegzuge-
hen?" Pamphilus weist den Verdacht zurück; den wahren Grund
könne er nicht angeben, und läuft davon. Der Vater hält an sei-
nem Argwohn fest, und lässt die Baccliis rufen, um diese in's
Gebet zu nehmen und ihr scharf wegen des Sohnes zuzusetzen.
Sie erscheint. Der Alte lernt in ihr eine ehrenhafte Buhlerin
hoch schätzen, die ihren Charakter, unbeschadet des Gewerbes,
„rein bewahrt" (V, i): Ne nomen mihi quaestus obstet apud te,
nam mores facile tutor. Sie schwört, dass sie Pamphilus, seitdem
er verheirathet , fern gehalten, begiebt sich, die brave H— , auf
den Wunsch des Laches, liineiu zu der Gattin und Schwieger-
mutter ihres ehemaligen Geliebten, um vor den Frauen den Schwur
zu erneuen, und verpflichtet sich gegen Ladies, bevor sie in's Haus
geht, Alles aufzubieten, um Pamphilus mit seiner Frau auszu-
söhnen und deren Wiederkehr zu bewirken. Eine curiose Ent-
wickelungs-Situation : Hier die Tochter aus einem guten Atheni-
schen Bürgerhause; drinnen als Wöchnerin in P'olge eines sol-
chen, im Dunklen auf der Strasse erlebten Abenteuers; dort eine
rechtschaffene Bulildirne, die der Frau und Schwiegermutter, im
stolzen ßewusstseyn iln-es edlen Cliarakters, entgegentritt, um als
Vermittlerin Familienglück und Frieden weder herzustellen, und
die Gattin ihrem vormaligen Geliebten, dermalen — • um einen ge-
linden, Terentianischen Ausdruck zu wählen - weinerlichen Pinsel,
und um keinen Plautinisch derben Kernnamen zu brauchen, näm-
lich: Waschlappen. Fürwahr, jedes andere Publicum, als das rö-
mische, wir Alle, die wir heutzutage leben, wir liätten uns auch bei
der dritten Vorstellung der Hecyra nach einem Seiltänzer umge-
sehen. Gott Mahadö sieht mit lächelnder Freude „durch tiefes Ver-
derben ein menschliches Herz. Hs freut sich die Gottheit der reui-
gen Sünder; Unsterbliche he])en verlorene Kinder mit feurigen Ar-
men zum Himmel empor" — mit feurigen Armen, um sie von den
Fehlen und Sünden eines Lasterlebens zu läutern und rein zu
588 ^^'^ römische Komödie.
glüheu. Der Göttliche, der Heilige, Er mochte von der bussfer-
tigen Sünderin sagen, sie habe das bessere Theil erwählt; ihr sey
viel vergeben, denn sie habe viel geliebt, und ihre sündige Liebe
durch eine himmlische gesühnt. Aber in einem Lustspiel, vor
Tausenden von Vätern, Müttern, Jünglingen und Töchtern eine
Lustdirue, in der Fülle ihres Schandlebens, in der üeppigkeit und
VoUblüthe ihres Gewerbes, von dem greisen Vater einer Familie,
deren Hausfrieden doch auch sie hatte verworren helfen, als Wie-
derherstellerin der Familienehre, des häuslichen und ehelichen
Glückes, berufen lassen: das will uns — sit venia verbo — eben
so abgeschmackt, wie unsittlich scheinen. Welches Brekekeke
hätte Aristophanes von seinen Fröschen einer solchen Komödie
anstimmen lassen, wenn er sie erlebt! Welches Koax-koax ihrem
Dichter anstimmen lassen, dem Apollodorus oder dem Terentius
Afer, dem ganzen oder halben Menander! Wie hätte Aristopha-
nes alle Lachschreckeu eines komischen Tartarus und Acheron,
alle persiflirenden Furien-Schlangen und Furiengeisseln hellauf-
lachender Erinnyen gegen diese ganze Komödien-Gattung erst auf-
geboten, wenn er solche Heerschaaren infernalischer Spottfrösche
gegen den Euripides in's Treffen fülirte, der nicht den zehnten
Theil der Frevel und Versündigungen an der tragischen Muse auf
sein Kunstgewissen lud, nicht den zehnten Theil der Sünden, die
sich die mittlere und neue Komödie gegen die Muse der Komik
hat zu Schulden kommen lassen, und in dessen Ti-agödie Aristo-
phanes' prophetischer Geist vielleicht nur die Ahnmutter dieser
Komödien hat geissein wollen!
Ehren Phidippus, des Pamphilus Schwiegervater, der bringt
gar die Hetären-Moral in pädagogische Grundsätze, die er seiner
Frau Myrrhina an's Herz legt. IV, 1 , spricht er von Pamphi-
lus' Liebschaft mit der Bacchis. „Um seine Liebschaft", sagt
Pamphilus Schwiegervater zu seiner Alten, „hab ich schon eh'r,
als du, gewusst. Doch liab' ich der Jugend niemals diess als
Fehler angerechnet, weil es allen angeboren ist" . . , „Könnte er
sich (Pamphilus) von der, mit welchei- er so viele Jahre umge-
gangen ist. so plötzlich losreissen ^von der Bacchis); dann würde
ich ihn für keinen Menschen halten, nicht für einen treuen Gat-
ten meiner Tochter" . . . Hetären - Umgang, meint- der alte
Schacher, ist für wohlgezogeiK? Jünglinge die beste Gattenschule;
Hecyra. Die Hetäre als Wiederherstellerin der Faniilienelire. 5g9
das Bordell die Propädeutik für gesittete Eheniäuner und junge
Familienväter. Keine bessere Vorbildung zu häuslicher Zucht und
Ehrbarkeit lässt sich denken als Unzucht und Prostitution. Die
Pädagogik, traun, ist der Vätergreise würdig, die als Jünglinge
eine solche Hetären-Schule durchgemacht. Welche Väter sind
nun walii'er, sittengerechter und sittenheilsamer gezeichnet: Die
des Plautus, die das Sprichwort: Jung gewohnt, alt gethan, zu
Ehren bringen; oder die des Terentius, die sich und ihrem Pu-
blicum weissmacheu woUen: Alter schütze am besten vor Thor-
heit, und die gTauen Haare wären das unfehlbare Mittel, den
Esel abzuhalten, dass er auf's Eis tanzen gehe? Und welche Ko-
mödie „beruht auf einer sittlicheren Auffassung des ehelichen Le-
bens": die des Terentius, für welche sie der berühmte Historiker
vorzugsweise in Anspruch nimmt; eine Komödie, die das Bordell
geradezu in's Familienleben sel])st verpflanzt, was aus den ande-
ren Komödien des Terentius noch deutlicher erhellen wird — oder
die Auffassung des Plautus, dessen Komödie die Hetärenwirth-
schaft aus dem Haus- und Familienwesen herausschwing-t , wie
der Worfler Spreu von Weizen sondert?
Doch der Haussegen, die Hetäre, Bacchis, wie stiftet sie denn
dieses Familienheil? P'rieden, Glück und Eintracht, wie stellt sie
das Alles in der zerrütteten Häuslichkeit dreier Familien wieder
her? Und die Hausehre, die gute Sitte, eheliche Treue und Liebe,
diese höchsten Familiengüter, wodurch führt die Bulilerin sie wie-
der ein bei den jungen, durch ein so ärgerliches Zerwürfniss ein-
ander entfremdeten Gatten? Kraft welcher Weihe geht von den
Händen der Buhlerin eine solche Heiligung der Ehe aus? Sie
strahlt dem Ehepcar aus dem King an ihrem Finger entgegen.
Am Finger der Bacchis glänzt jener Ring, welcher der Philu-
mena mit Ehre und Unschuld, und von keinem andern natürlich
als Pamphilus, entrissen worden. Bacchis selbst giebt uns über
die freudige durch sie lierbeigefiihi'te Entdeckung in einem Mo-
nologe den befriedigendsten Aulschluss (V, 3.j: „Der Uing hier
war der Anlass, alle diese Dinge zu entdecken. Denn ich erin-
nere mich, wie Pamphilus vor ungefähr zehn Monden gegen Nacbt
hin ausser Atliem zu mir in das Haus gestürzt kam, allein, voll
Weins, mit diesem Ringe. Mein Pamphilus, sagt' icli zu ihm,
ich bitte dich, warum so ausser dir? Wolier hast du den L'ino-?. ..
590 ^^^ römische Komödie.
Da gesteht mir der Mensch, er habe auf der Strasse einem un-
bekannten Mädchen Gewalt angethan und ihr den Eing, indem
sie sich zur Wehr setzte, abgestreift. Die Myrrhina, die Mutter
der Philumeua, bemerkte gleich, dass icli ihn an dem Finger
habe ... Da machten wir denn die Entdeckung, dass an Phi-
lumena von ihm Gewalt geübt, und dieses Kind davon die Frucht
sey. „Ich freue mich" — versichert das kreuzbrave Mädchen der
Freude, die Bacchis, ilu'em Publicum — „Ich freue mich, dass
ihm (Pamphilus) durch mich so viele Freude zu Theil wird, ob-
gleich wohl andere Buhlerinnen so nicht denken ; denn zu unserem
Nutzen ist es nicht, wenn ein Liebhaber seiner Ehe froh wird" . . .
Mit andern Worten: Im wirklichen Leben giel)t es keine solche
Bacchis. Meine Standesschwestern werden mich auslachen, mich
und meinen Dichter dazu, und ihm wohl gar den Lorbeerkranz
abreissen, den ihm die gute Gesellschaft und die Besten der
Schule zuerkannt, ob der lebenswahren Sittenschilderung, der
musterhaften Moral und der „sittlichen Auffassung des ehelichen
Lebens" — herab mit ihm — Haltet ein ! ihr thöricliten. unüber-
legten, undankbaren Schwestern in Priapo et pulchra Laverna^
unserer holden Göttin, der schönen Laverna, zu welcher der „feine
Mann" beim Dichter^) betet: „Holdselige Laverna, leihe mir
Täuschung." — Bei dieser Göttin, haltet ein! Trüge unser Dich-
ter den Kranz nicht schon, den wohlverdienten, unbestrittenen Lor-
beerkranz, der fortgrünen wird auf seinem Haupte durch alle
künftigen Geschlechter: müsstet ihr ihm einen winden und auf-
setzen, dm'chflochten von den köstlichsten Blumen und Reisern,
worauf wir, nach durch schwärmten Orgien, geruht mit unsern
Jünglingen. Und müsstet seine mit solchem LorbeervoUkranz ge-
schmückte Herme aufstellen zur Verehrung in euerem geheimsten
Lustgemache, und ihr häutige Opfer spenden unter andächtigen
Dank- und Segengebeten, für das nicht genug zu preisende Hoch-
verdienst, das sich der halbe Menander um die römische demi
monde erworben, durch die feine, menschlichschöne Moral, die
seine Lustspiele lehren, und, an den liebenswürdigsten Musterbil-
dern unseres Gewerbes mit der zierlichsten Kunst verbeispielt.
1) Hur E\). 1, 16. V üti r.
Hecyra. Hetären-Oultus. 591
seineu Zuliöreni und Zuhörerinnen einschärft, zur Erbauung von
Senat und römischem Volk, und zum Heil und Segen des Staa-
tes und der Familien; die menschlichschöne Moral: dass ein Mäd-
chen eine feile, liederliche Dirne seyu kann, und doch dabei tu-
gendhaft; das ehrloseste Lasterleben führen, Jünglinge an Leib
und Seele zu Grund richten, Schmach und Schande über acht-
bare Bürgerfamilien und Zerrüttung in ihr Hauswesen bringen, —
dabei aber doch das edelste Herz besitzen kann, das uns zu dem
Hochberufe weiht und ermächtigt: in denselben Familien, die wii'
geschändet und zerrüttet, als rettende Genien zu erscheinen und
Sitte, Tugend, beglückende Eintracht im ehelichen Leben wieder-
herzustellen, als dessen eigentUche Schirmerinnen und Schutzgöt-
tinnen unser edelgesinnter, in der vornehmen Welt ausgebildeter
und für das Humane, das Schönmenschliche, feingestimmter Dich-
ter, uns, die Hetären, feiert. Auch sehe ich im Geiste die Zeit
herannahen mit mächtigen Schritten, wo die für's erste auf der
Bühne hen-schenden Grossmächte der Comoedia palliata: die Skla-
ven und Hetären, zu weltgeschichtlichen Mächten sich erheben und,
als solche, sich behaupten werden; wo der Sklav und die Hetäre
das Scepter der wirklichen Herrschaft ergreifen ; der Sklav und die
Hetäre, der Servus und die Meretrix, die Buben und H— , zu-
nächst in Rom, von Pui-perstühlen und Thronen herab die Ge-
schicke der Völker und Staaten entscheiden werden. Darum, ge-
liebte Bulilschwesteru, segnet das Andenken der halben und der
ganzen Menander, die in ihren Komödien die ersten Keime un-
serer grossen Zukunft ausgestreut, und die Begriffe, den Ge-
schmack und die Gesinnungeji ihrer Zeitgenossen für unsere und
unserer treuen Verbündeten, der Schelme und Buben, Lakeyen
und Schranzen, dereinstige Weltherrschaft empfänglich gestimmt,
die Sklaven-Hetären-Komödie zur Vorschule der künftigen Ju-
genderziehung eingeweiht, und ihren schönsten Dichterberuf in
der Aufgabe erkannt haben: das Kuitplergewerbe zur feinsten Ko-
mödienkunst auszubihlen, und in unserem Dienste und zu unse-
rem Nutz und Frommen zu treiben und zu pflegen!
Damit aber die Bacchis nicht ganz aus der Rolle ihres ]\Ie-
tiers falle, folgt nocii eine Scene hinterher zwischen ihr und Pam-
philus, die, freilich gegen die Absicht, ganz dazu angethan, die
Vermutlmnof zu bv?<i:ünstigen. : die schlaue HuIiIimmu Inilie den
592 I^ie römische Komödie.
Liebesdienst nur als Hamen und Angel in das Herz ihres frü-
hern Geliebten werfen wollen, das ihr in letzter Zeit abspenstig
geworden schien. Die schliessliche Zusammenkunft zwischen ihr
und Pamphilus, sagen wir, könnte eine solche Vermuthung, gegen
des Dichters Wollen und Wissen, aufkommen lassen ; wesshalb wir
die Scene für schädlich und verfehlt halten müssen. Pamphilus
tiiesst über von den bedenklichsten Dankgefühlen, die nur verra-
then, welchen Stein im Brette die frühere Maitresse bei ihm
hat, die sich mn sein häusliches Glück ein so grosses Verdienst
erworben: „Noch immer hast du deine alte Liebenswürdigkeit
bewahrt, so dass dein Umgang, deine Reden, deine Nähe überall,
wo du nur hinkommst, Freude macht." Das Freudemachen ist
ja ihr Geschäft und unser Pamphilus ganz der Ehemann dazu,
den zärtlichen Gatten mit dem dankbaren Liebhaber zu verbinden,
und unsere Bacchis ganz die Hetäre für das fumet eines solchen
doppelt gebeizten Ehehasen — Nicht doch, nicht doch! Wie,
wenn ein ganz anderes, ein psychologisch tieferes Motiv der
Komödie zu Grunde läge? Wie, wenn der Dichter diese geheim-
nissvolle, unbewusste Herzenssjaiipathie zwischen dem noch unent-
deckten Ehrenräuber und seiner durch ihn, ohne dass er und sie es
ahnen, zur Mutter entehrten Frau — wenn der Dichter diesen gegen-
seitigen Zug und unbewussten Liebesdrang zu einander zwischen
dem .Schänder und seinem Opfer zum Angelpunkte und sittlichen
Grundgedanken der Komödie hätte machen wollen? Diese dunkle
magnetische Sympathie zweier, gerade durch eine Schandthat und
so nur sühnbare Schandthat untrennbar gefesselter, und Kraft
dieser Untrennbarkeit zu innig heiliger Gattenliebe sich läutern-
der Herzen — wie, wenn diess des Dichters Problem und innerste
Kunstabsicht gewesen wäre? — Ein sinnreich, ungemein sinnreich
ausgetifteltes Komödien-Motiv. Nur Schade, dass eine solche
Seelenmystik und magnetische Wahlverwandtschaft, in Folge eines
nächtlichen Strassen-Ehrenraubes, einem alten Dichter als Komö-
dien-Motiv unterschieben, vom Gesichtspunkt der classischen
Komödie und Psychologie baarer Unsimi wäre. Selbst als In-
tention eines Komödiendichters aus der romantischen Schule,
einer Novalis -Arnim -Brentano -Komödie, wäre das Motiv un-
brauchbar und bis zur Abgeschmacktlieit undramatisch; im
glücklichsten Falle nui- als Novellen- Motiv verwendbar, in
Terentius. Der Selbstquäler. 593
einer Novelle. Avie etwa „die Marquise 0***" von Heinrich von
Kleist.
Indessen hätte trotz alledem ein geschiclderer Meister als Apol-
lodorus aus den Elementen der Hec}Ta eine bessere Komödie ge-
stalten können ; hätte auch Plautus aus demselben Stoffe, wenn er
ihn überhaupt gewählt, ein wirkliches Lustspiel herausgearbeitet:
ergötzlich, belustigend, voll Heiterkeit und Komik. Die beiden
Väter namentlich, die schwächsten und schattenhaftesten des Te-
renz, hätte Plautus ganz gewiss mit lebendig drastischem, gemüth-
lich drolligem Zügen ausgestattet. Das begossene Huhu, den
Pamphilus, ohnstreitig zu einem seiner kecken, witzig muntern, von
Sitten lockern, aber von Herzen gesunden und kernhaften jungen
Wüstlinge gescherzt und umgelacht. Vor Allem hätte er den
Parmeno nicht als einen solchen hölzernen Sklaven-Fussblock der
Komödie nachschleifen lassen. Beseelt hätt' er ihn zu dem an-
schlägigsteu und listenreichsten Beutelschröpfer, der die alten
Gäuche wie das Zipperlein heimsucht, das sie an ihre Jugendsün-
den mahnt.
Der Selbstquäler (Heautontimorumenos) ist einer Ko-
mödie des Menander nachgebildet und wurde au den Megalensi-
schen Spielen, unter den curulischen Aedilen Corn. Lentulus und
L. Val. Flaccus, von der Truppe des Ambivius Turpio aufgeführt.
Die Musik componirte Flaccus, Sohn des Claudius, erst für un-
gleiche Flöten (tibiis impar.), dann für zwei rechtseitige (deinde
duabus dextris). Die dritte Vorstellung fand statt unter den Con-
suln M. Juventius und Tit. Sempronius (163 v. Chr.).
Die Bühne stellt eine ländliche Gegend bei Athen vor. An
der Strasse nach Athen liegen die Landgüter der beiden Väter,
des Menedemus und Chremes, mit ihren Häusern. So ziem-
lich die stehende Decoration der römischen Komödie; die ganze
Oertlichkeit , zusammengepackt wie in der Kinderscliachtel. Im
Prolog tritt der Theaterunternehmer und Spieler der ersten Bollen,
Ambivius Turpio, hervor, wieder als Anwalt der literarischen Feh-
den des Dichters mit dessen stehendem Gegner, Luscius Lavinius:
Zum Anwalt nicht Prolog erkor der Dichter mich :
Oratorem voluit esse me, non proloi^uui
Der Vorwurf der Contaminatio, Verschmelzung zweier Komödien
n. 3b
504 Die römische Komödie.
in Eine kommt abermals zur Sprache. Die Verzmefachung der
Personen, die in Menander's Komödie nur einfach sind, wird zu-
gegeben; dieser Brauch aber als ein üblicher gerechtfertigt. Der
Sprecher empfiehlt seine Komödie, als eine statarische, eine
Charakter-Komödie nämlich von ruhigem Gange, dem gütigen
Gehör des Publicimis: Date potestatem mihi statariam agere ut
liceat per silentium. Die statarische Komödie wird hier im Ge-
gensatze zur motorischen, zu der bewegten Intriguen-Komödie
(Plautinischen) betont. Beide Benennungen sind von den griechi-
schen, den BewegTings- oder Stülstands-Charakter der Chöre beim
Vortrage ihrer Lieder (ozäGif-ia oder 7iaQodi/M (.itlru bezeichnenden
Kunstwörtern übertragen worden auf den mehr oder weniger leb-
haften Entwickelungsgang der Comoedia palliata selbst. In un-
serem Prolog sieht die Gegenüberstellung der beiden Komödien-
arten ganz nach einem spöttischen Seitenblick auf die motorische
Lebhaftigkeit der Plautinischen Komödie aus, auf das properare,
womit Horaz den Gang derselben kennzeichnet: „Vergönnt mir",
sagt der Prolog, „dass ich ein Stück, das ruhig seinen Gang
geht, ohne Störung jetzt aufführen darf, damit ich doch nicht stets
geflissentlich mit mächtigem Geschrei und grosser Anstrengung
euch Leute vorzuführen habe, als da sind: ein Sklave im vollen
Lauf, ein Greis im Zorn, ein hungriger Schmarotzer, ein habsüch-
tiger Kuppler" (Ne semper servus currens, iratus senex, edax pa-
rasitus, sycophanta autem impudens, avarus leno, assidue agendi
sint — clamore summo cmn clamore maxumo). Das eriuneii au
die Fabel von der Schnecke und dem Schmetterling, über dessen
ewige Beweglichkeit und flatterndes Umgaukeln der Blumen die
Schnecke spottet, dieweil sie von Blume zu Blume, von einem
Strauch zum andern langsam und unmerklich, aber mit würdiger
Gemessenheit und statarischer Gemächlichkeit dahinkriecht.
Den Styl rühmt der Sprecher, und mit vollem Fug, als rein
und tadellos: In hac est pura oratio. Mad. Dacier bemerkt hier-
über^): Ce n'est pas sans raison que Terence loue le Style de
cette piece, il n'y a rien au monde de plus pur, ni de mieux ecrit ;
ce grand Poete, voyant qu'elle etait denuee d'action, c'est ef-
force de reparer cela par la vivacite et par la purete du style.
n II. 1). 15. V. 4ü. not.
Der Selbstquäler. Der Prolog. 595
„Dieser grosse Dichter glaubte den Mangel an Handlung durch
Lebhaftigkeit und Reinheit des sprachlichen Ausdrucks ersetzen
zu müssen." In obiger Fabel — das wurde zu erwälnien ver-
gessen — mutzt die Schnecke dem geflügelten Irrlicht der Blumen,
dem Falter, auch sein leichtes, buntes, nur wie angehauchtes
Sommerkleidchen auf, eine närrische Hanswurstjacke, im Vergleich
zu ihrer so einfach kunstvoll um einen festen geraden Spindel-
Stiel gewundenen, statarisch glatten Wickelschale. Geht nicht
gar der Neidhammel, Luscius Lavinius in seiner Herabsetzung
des vorzüglichen, durch reine Form, Sauberkeit des Styls, feine
und edle Zeichnung musterwürdigen, wenn auch nicht gerade
„grossen Dichters", so weit, dass er ihn des Dilettantismus
beschuldigt? fProl. 23 fr.): „Jener alte, missgünstige Dichter (La-
vinius) sagt, dass unser Dichter sich so plötzlich mit der Dicht-
kunst abgegeben habe, seiner Freunde Geistesgaben, nicht dem
eigenen Talent vertrauend":
— iiialevolus vetus Poeta dictitat,
Repente ad Studium hmic se applicasse musicum,
Amicüm ingenio fretum, haud natura sua.
Gewiss konnte nur Verkleinerungssucht einem veralteten, verbis-
senen Neidhart eine solche aus Handwerks-Missgunst entspmngene
Verdächtigung eingeben. Indessen wird doch eine unbefangene
Prüfung, nach zweitausend Jahren, ohne für böswillig und par-
teiisch zu gelten, die Kunstmeisterschaft dieses schönen, liebens-
würdigen, aber nicht allzureichen Talentes, auf die genannten
Vorzüge beschränken, und das Amicüm ingenio fretum, haud na-
tura sua, nicht mit dem scheelsüchtigen Ankläger auf des Dich-
ters vornehme römische Freunde, wolil aber, bei aller Aner-
kennung und Hochstellung, cum gTano salis, auf dessen griechi-
sche Freunde in Apolline, auf die gründlich benutzten und, eiu-
gestandenermaassen, nicht selten wörtlich übersetzten Dichter der
neuen attischen Komödie, mit einigem Ke<ihte, beziehen dürfen.
Die statarische Fabel verläuft gemächlich von dem Ausgange
an: von der Trostlosigkeit des Selbstpeinigers, des alten Mene-
demus, über des Solmes, durch ihn veranlasste Iilntfernung. Im
den harten Vorwürfen auszuweichen, womit der scheltende Vater
seinen Sohn Clinia, wegen dessen Liebesverhältniss mit einer
:ts*
596 I^ie römische Komöclie.
Biihlerin unablässig bestürmte, hatte der junge Mann seine Hei-
matli verlassen, um Kriegsdienste im Heei'e des Perserkönigs zu
nehmen. Darüber grämt sich nun der Alte ; sein verödeter Haus-
stand wird ihm unerträglich , er verkauft Haus und Habe in der
Stadt und begiebt sich aufs Land und bebaut hier sein Feld
eigenliändig, als auferlegte Busse, sich selbst peinigend in Sehn-
sucht nach seinem abwesenden Sohn. Das erzählt er bei der
Feldarbeit seinem Nachbar Chremes, auf dessen theilnahmvoUe
Befi-aguug um den Grund seines Kummers.
Die Sehnsucht des Vaters nach dem Sohn ist aber nicht
stärker, als die des Sohnes nach seiner Geliebten. Sie wirkt bei
diesem so heftig, dass wir ihn, in der zweiten Scene bereits, heim-
lich wieder angelangt finden, und sich vorläufig bei Clitipho,
dem Sohue des Chremes, verborgen haltend. Chremes erfährt es
durch seinen Sohn Clitipho, verschweigt diesem aber die Gemüths-
lage des Menedemus, damit Clinia nicht die Stimmung des Vaters
zu Gunsten seiner Leidenschaft und auf Kosten des Vaters aus-
beute. Er nimmt daher gegen Clitipho die vermeintliche Härte
von Clinia's Vater in Schutz, mit einem beiläufigen pädagogischen
Wink für seinen eigenen Sohn, den Clitipho: „Ein jeder recht-
schaffener Vater", giebt Chremes dem Sohn zu hören, ..wii'd sei-
nen Sohn vor liederlichen Dirnen hüten, wird ihn nicht bei Zech-
gelagen schwärmen lassen wollen, mxä ihn kurz halten" . . . Der
väterliche Fingerzeig, auf mögliche künftige Fälle gerichtet, findet
den Clitipho bereits in der Lage, die sein Vater als eine noch
eventuelle betrachtet. Clitipho, nicht Clinia. liebt jene Buhlerin,
die Menedemus und auch Chremes für Clinia's Geliebte halten,
welcher aber nicht diese, nicht die Hetäre Bacchis, sondern
ein junges, aus Attica geraubtes Mädchen, Antiphila, leiden-
schaftlich liebt, das die Bacchis von der alten verstorbenen Pfle-
gerin des Mädchens, für ein Anlehen von tausend Draclnueu, als
üntei'pfand erhalten, und in ihrem Hause für ihr Gewerbe auf-
erzieht. Die dünne Intrigue dreht sich nun um diesen Glauben
des Chremes, dem sein Sklave, Syrus, Geld für Clitipho ablocken
will, das die üppige verschwenderische Bacchis mit ungestüm
verlangt, und unverzüglich envartet, wenn sie nicht zu ihrem
Offizier, der sie reichlich beschenlvt, nach Korinth zurückkehren
soll. Syrus' Plan geht nun dahin, den Alten in dem Glauben zu
Der Selbstquäler. Die Intrigue. 597
bestärken, die Bacchis sey des Clinia Geliebte. Als solche lässt
er sie im Hanse des Chremes bei Clitipho's Mutter Wohnung
nehmen mit ihrem ganzen ansehnlichen Gefolge von ,,zehn Mäg-
den", worunter auch Autiphila. Clinia muss sich stellen, als liebe
er die Bacchis. Mittlerweile hat Menedemus zu seiner unaus-
sprechlichen Freude von Cln-emes die Heimkehr seines Sohnes.
Clinia, erfahren, bereit alle Wünsche des Sohnes zu befiiedigen,
wenn er ihn nur wieder besitze. Der pädagogische Chremes hält
es aber für gerathen, dem überwallenden Vatergefühl des alten
Freundes in die Zügel zu fallen, damit er nicht mit dessen Ver-
stände und Beutel dm-chgehe, und erzählt ihm von dem flotten
Leben der Bacchis, und wie hoch sie's in seinem Hause hergehen
lässt. Menedemus hört nichts, und will nichts hören, ihn verlangt
nur nach dem Anblick seines Sohnes: „Er möge thun, was ihm
gut dünkt. Er liebe, zeche, prasse. Ich habe fest besclilossen,
es zu leiden, wenn er nm- bei mir bleibt." Chremes legt ihm
die väterliche Würde an's Herz, und, als Pädagog, das Erziehuugs-
heil des Sohnes. Es komme hier darauf an, wie man das Geld
dem jungen Menschen mit der mindesten Gefahr zuüiessen lasse.
damit sich der Sohn nicht übernehme, die Güte des Vaters miss-
brauche, und dieser „der Schlechtigkeit Thür und Thor öffne-
HI, t). Was räth ihm nun der alte, pfiffige Pädagog? „Gieb
ihm durch einen Dritten; lass dm'ch seines Sklaven Kniffe lie-
ber dich betrügen." Schon wären sie dabei; er merke was: des
Clinia Sklave, Dromo, und sein, des Chremes Hallunke, der
Syrus, betrieben's schon heimlich. Menedemus kann das Geprellt-
werden nicht erwarten: „Trag' Sorge", dringi er, „dass sie den
Betrug bald an mir vollbringen." Chremes ist denn auch hin-
terher, und giebt seinem Diener, Syrus, das Schröpfen schlau unter
den Fuss, und schilt den Dromo einen Tropf, dass er nicht längst
seinem jungen Herrn Geld für dessen Liebeshandel vom alten
Menedemus zu verschaffen gewusst. „Du musst ihm helfen",
muntert er seinen Diener auf, „um des jungen Menschen willen."
Syrus. „Das kann ich leicht, wenn du befiehlst" . . . „Doch
höre, denk' auch ja hieran zurück, wenn's, wie der Weltlauf ist.
sich einstens treffen sollte, dass dein Sohn selbst etwas Aehnli-
ches sich unterfinge", Chremes denkt: hoho! Ein Pädagog, wie
ich! „Der Fall wird nicht vorkommen" . . . Syrus hat sein
598 ^^^ römische Komödie.
Planchen schon bei der Hand. Er theilt es dem Chremes mit:
Die Bacchis will dem Clinia die schöne Antiphila für die tausend
Drachmen, die sie ihr gekostet, überlassen. Diese tausend Drach-
men soll Menedemus hergeben, dem er, Syrus, weissmachen will,
die Antiphila sey aus Carien geraubt, reich und vornehm; reich-
lichen Gewinn werde es ihm bringen, wenn er sie loskauft. Wa-
rum Chremes von diesem Plan nichts wissen will, bleibt unauf-
geklärt. Dazmschen kommt Chremes' Frau, Sostrata, mit der
Freudenpost: die Antiphila sey ihr verlorenes Kind; sie habe sie
an einem Ring erkannt. Nun ist Syi'us' Anschlag in's Wasser
gefallen. Clinia wird um Antiphila offen werben. Die Liebschaft
des Clitipho mit der Bacchis kommt an den Tag — dem Syrus
fängt an die Haut zu jucken. Das Geld lässt er aber doch nicht
los; ein neuer Plan ist fertig: „Ich hole dich, entlaufenes Geld,
doch wieder ein." Die Lüge lässt ihn im Stich, so muss die
Wahrheit zum Gelde verhelfen. In der Noth sind aUe Mittel
gerecht, selbst die Wahrheit. Der feinste Diplomatenkniff be-
kanntlich; das letzte Mittel der Syi'use von der Diplomatie, ihr
Acheronta movebo. Clinia, der wonneberauschte Clinia soU seinem
Vater Menedemus die ganze Wahrheit gestehen, dass er Anti-
phila, nun die Tochter des Chremes, liebe, die Bacchis aber Cli-
tipho's Geliebte ist. Letzteres, meint Clinia verwundert, müsste
sein Vater Menedemus natürlich dann dem Chremes verschwei-
gen. Syrus. „Im Gegentheil." — Clinia. „Bist du von Sin-
nen?" — Syrus. „Gerade diesem Plan geh' ich den Ehrenpreis.
Viel bilde ich mir ein, dass solche Kraft in meinem Geiste wohnt,
so grosse List mii* zu Gebote steht, um Beide durch aufrichtiges
Gestehen der Wahrheit so zu täuschen, dass, wenn euer Alter
auch dem unsrigen erzählt, die Bacchis sey des Clitipho Geliebte,
er es doch nicht glaubt." Wenn aber — wirft Clinia richtig ein
— Chremes bei dem Glauben bleiben soll, dass er, Clinia, die
Bacchis liebt, dann giebt ihm Chremes die wiedergefundene Toch-
ter, Antiphila, nun und nimmeraiehr. Syrus meint dagegen: es
handele sich nur um diesen einen Tag, „bis er das Geld für die
Bacchis erwischt" (dum argentum arripio). Bis dahin soll er die
Bacchis, wenn er von hinnen geht, mit sich in sein Vaterhaus
hinüber nehmen; „denn lässt er sie in Chremes Hause, so merkt
es der Alte auf der Stelle, dass sie Clitipho's Geliebte ist."
Der Selbstquäler. Chremes und Syrus. 599
Cliüia hat nun die Bacchis mit ihrem ganzen Haushalt hin-
über gebracht zu seinem Vater. Syrus setzt dem Chremes die
Schraube an (IV, 1): „Clinia hat seinem Vater aufgebunden, dass
die Bacchis des Clitipho Geliebte sey; er habe sie nur desshalb
mit zu ihm gebracht, dami^ du ja nichts merken mögest." Chre-
mes. „0 schön!" —Syrus. „Meinst du?" — Chremes. „Vor-
trefflich, sag' ich dir." — Syrus. „Nun so leidlich. — Doch höre
weiter! — Er habe, sagt er ferner, deine Tochter schon gesehen.
Auf den ersten Blick sey er von ihrer Schönheit hingerissen wor-
den. Diese wünsche er sich zur Gattin" ... Chremes. „Wess-
halb denn das?" ... Syrus. „Wesshalb? Zur Hochzeit braucht
er Geld, um Goldgeschmeide , Putz — verstehst du mich?" —
Chremes. — „Ihi- anzuschaffen?" — Syrus. „Getroffen!" —
Chremes verwirft den Vorschlag, um keinen Preis wird er seine
Tochter, auch zum Scheine nicht, mit einem solchen Menschen
verloben, wie der Clinia, der mit einer Buhlerin eine Liebschaft
unterhält. So geht auch dieser Anschlag in die Brüche, aber
nicht ganz aus Ckremes' Schuld. Hat es Clinia dem Syrus nicht
vorhergesagt? Fahre hin denn, sagi Syrus auch zu diesem Plan.
Dann muss ich etwas Anderes ersinnen" . . . Wie steht es, fühlt
Syms dem Alten auf den Zahn, mit der Loskaufsumme von tau-
send Drachmen, die Bacchis für Antiphila erhält? Chremes.
„Ich will ihr sogleich die Summe bringen." — Syrus. „Nein,
lass es lieber deinen Sohn thun." — Chremes. „Warum?" —
Syrus. „Weil man auf ihn Verdacht geworfen hat, als habe er
sich mit Bacchis eingelassen." — Chremes. „Wie denn?" -
Syrus. „Bringt er das Geld ihr selbst, so wird's dadurch nur
wahrcheinlicher, und um so leichter kann ich meinen Zweck er-
reichen." Vom Menedemus nämlich für Clinia Geld zu schaffen.
Chremes holt das Geld und händigt es selbst dem Sohne ein.
Dieser eilt damit zur Bacchis. Konnte Syi'us nicht gleich auf
diesem einfachen Wege das Geld dem Sohne in die Hand spie-
len, ohne erst allerlei künstlich verschränkte Fehlversuche zu ma-
chen? Erfindsamkeit in Anschlägen besteht nicht darin, dass man
auf allerlei Auswege verfällt, deren jeder in eine Sackgasse führt;
sondern in der Zweckmässigkeit und Erfolgssicherheit oder doch
Wahrscheinlichkeit eines gut ausgedachten, einschlagenden Pla-
nes, und in der geschickten Benutzung jeglichen, selbst un-
600 I^i^ römische Komödie.
günstigen Umstandes zur Förderung des Anschlags. Wendungen,
Umknüpfungen des Intriguenplanes, Abreissen der Fäden, andere
anspinnen, mag im Lustspiel gestattet seyn, wenn äussere Zufälle
Striche durch die Rechnung machen, die einen neuen Aufzug der
Gedanken, oder einen andern Einschlag bedingen, wie, um ein
modernes Lustspiel zu nennen, Bolingbroke im „Glas Wasser"
durch solche Zufälle veranlasst wird, andere Saiten aufzuziehen;
neue Pfeifen in seinen Dudelsack zu stecken. Fehlerhaft aber
ist jede Planänderung im Lustspiel, die der Anzettler selbst, we-
gen Uuhaltbarkeit des Planes, vornehmen muss, womit er nur seiner
Erfiudsamkeit ein Armuthszeugniss ausstellt. Ein Fehlversuch ist
eine Fehlgeburt, und Windeier von Anschlägen kein Beweis für
die Fruchtbarkeit der Erfindungsgabe.
Die nun folgende Scene zwischen Meuedemus und Chremes
ist formell vortrefflich und auf komische Wirkung angelegt. Chre-
mes giebt dem Menedemus zu verstehen: die Werbung um seine
Tochter für Clinia sey eine abgekartete Finte, um ihm, der be-
wussten Verabredung gemäss, Geld für den Sohn abzulocken.
Allein die beabsichtigte Wirkung ist einmal nur einseitig, da
Menedemus mit Vergnügen das Geld hergiebt. Menedemus trägt
daher für sein Theil nichts zu dem Komischen der Situation bei.
Dann ist das Komische aber auch von Seiten des Chremes nicht
volllöthig, wegen der gekünstelten und doch nicht stichhaltigen
Listen, die obendrein sämmtlich auf der geschraubten Spitze einer
zu dem Zwecke gedrehten Finte schweben : auf jener Verabredung
nämlich, sich gutwillig betrügen zu lassen; um von dem Wider-
sprache zu schweigen, zwischen der freudigen Zustimmung des
Chremes zu Cliuia's Verlobung mit seiner Tochter, dem Menede-
mus gegenüber, und der Entrüstung, womit Chremes eben nur
das von Syrus an ihn gestellte Ansinnen einer Scheinverlobung
zurückwies. In Bezug auf Menedemus, der jedem auf ihn ge-
münzten Anzapfungsversuche seelenvergnügt und mit offenen Ar-
men entgegeneilt, erscheint die Intrigue jedenfalls zwecklos. Von
allen Lustspielintriguen aber die verfehlteste ist die überflüssige,
und je feiner angelegt, desto verfehlter. Die komische Intri-
guenfigur ist mithin nur Chremes. Freuen wir uns, wenn er
wenigstens zum vollen Rechte seiner Komik kommt. Chremes
ft-eut sich königlich über Menedemus' gutwillige Täuschung, und
Der Selbstquäler. Meneclemus und Chreraes. 60 1
lacht sich die Haut voll über den Erfolg seiner Einwilligung zur
Verlobung mit dem vermeintlichen Bräutigam seiner Tochter An-
tiphila. Hat wohl tüchtig herausgerückt, der Alte, für Hochzeit-
geschenke, Putz, Geschmeide, und was noch alles der Dromo, a-uf
Anstiften des Sj^'us, zu Brautgeschenken ihm abluchste? Nicht
einen Denar! sagt Menedemus. Und Syrus? fi'ägt Chremes. Der
SjM'US, versetzt Menedemus (V, 1.) „hat auch deinen Clitipho so
trefflich abgerichtet, dass man gar nicht wittern kann, die Bac-
cliis sey des Clinia Geliebte." — Chremes. „Was sagst du?" -
Mened. „Vom Küssen, vom Umarmen sag' ich nichts. Das ist
nur Kleinigkeit." — Chremes. „Wie? treibt er die Verstellung
noch weiter?" — Mened. „Und wie!" — Chremes. „Nun?" —
Mened. „So höre denn!" — Kurz, ein Beweis in flagranti.
Chremes. „Und sah denn Clinia das mit an?" — Mened. „Ja
wohl, so gut wie ich." — Chremes. „Dann ist die Bacchis die
Geliebte meines Sohnes, Menedemus — Ich bin des Todes!" Jetzt
zieht Menedemus den klugen Pädagogen auf. Chremes kennt
sich nicht vor Zorn. Er jiündigt dem «6ohn an, dass er sein
ganzes Vermögen seiner Tochter, Antiphila, der Frau des Clinia,
übergebe. Bei ihr würde Clitipho nun künftig Nahmng, Klei-
dung, Obdach finden. So sey es besser, als dass seine Erbschaft
in der Bacchis Hände fällt. Clitipho ist vernichtet, Syrus ver-
blüfft. Aber als Intriganten, dem der Zwirnsfaden ausgeht, so
oft er ihn einfädeln wiU, überkommt ihn ein plötzlicher Einfall,
der den Knoten lösen muss, und wenn dieser bersten sollte. „Ich
hab's!" ruft er dem zerschmetterten Clitipho zu. „Ich glaube
nicht, dass du der Sohn deiner Eltern bist." Clitipho, in Ver-
zweiflung über diese Nachricht, stürzt zu den ihm abgesprochenen
Eltern hin, um nähern Aufschluss zu erhalten, worauf uns Syrus
über das Motiv seines vom Zaun gebrochenen Einfalles, behufs
Lösung des Knotens, belelirt: „Der Einfall kam zu rechter Zeit.
Je schwächer jetzt des jungen Menschen Hofthung ist, desto leich-
ter wird er mit dem Vater Frieden schliessen, wie ihn dieser vor-
schreibt. Vielleicht geht er noch gar auf eine Heirath ein." —
Richtig! Syrus' Einfall, den man weniger envartet hat, als des
Himmels Einfall, lacht zuletzt, — aber alle seine eigenen müssigen
Pläne aus. Clitipho wirft sich, um Verzeihung bittend, zu des
Vaters Füssen: die Mutter und Menedemus unterstützen seine
602 -Di^ römische Komödie.
Guadenbitte. „Befiehl nui*, Vater! Alles will ich thun." —
Chremes. „Heiratheu sollst du!" Nach einigem Zögern ist er
auch dazu bereit. Seine letzte Bitte : Verzeihung für Syrus, wird
gewährt und — plaudite!
Der IntrigTie nach also, den Anschlägen, Zetteleien und Pfif-
fen des S)T."us nach, wäre diese Komödie, in unserem Sinne,
statarisch ; denn sie fleckt nicht, ilire Intrigue bringt sie nicht von
der Stelle. Zur Intrigue gehört Einer, der täuscht oder foppt,
und Einer der gefoppt wird. Syrus kommt aus den Anstalten
zum Betrug und aus den Fehlschlägen nicht heraus. Die An-
stalten trifft er auf Betrieb und Instigation des Chremes; die
Fehlsclüäge betreibt er auf eigene Hand. Es kommt hier durch
die Intrigue selbst zu keinem wahren Lustspielknoten, und den
Scheinknoten zerhaut sie mit einem Luftstreich. Ueber sein Miss-
geschick, wenn nicht Ungeschick, keinen Knoten schürzen zu
können, will Syrus mit einem aus der Luft gegriffenen Schlussein-
fall, mit einem Coup de tete, täuschen. Diese Täuschung gelingt
ihm am wenigsten. Ufid wo ist dei; Betrogene , der Gefoppte?
Menedemus, wissen wir, ist es nicht, und soll es, abgeredetermaassen
auch beileibe nicht seyn. Er wird gleich von vornherein durch
Chremes schussfest gegen die Intrigue, gegen das Gefopptwerdeu,
gegen das Lächerliche folglich und Komische, gemacht, und da-
mit ausser den Bereich der Komödie gestellt. Aber auch Chre-
mes ist der Betrogene nicht, wenigstens in Folge der Zettelungen
des Syrus nicht. Denn das Geld, die zehn Minen, hätte die Bac-
chis als Loskauf-Summe vom Alten jedenfalls bekommen. Dass
er ihr das Geld durch seinen Sohn zustellen lässt, ist auch nur
ein angehäkeltes Motiv von episodischer Nebenwirkung und Schein-
koraik, da es zum Hauptschlage nichts beiträgt. Ja sogar der
Hauptzweck der Komödie, worauf es dem Dichter wesentlich an-
kommt: dass sich Chremes selbst in die Falle hineinintrigiiirt,
wird nicht vollständig erreicht, weil das Betreffen des Clitipho in
flagranti, was dem Alten plötzlich die Augen öfthet, ausser aller
Beziehung zu den Anstalten seiner Selbsttäuschung steht. Dieses
Schlussereigniss ist ein Stegreif-Tableau , vom Zufall arrangirt
mitten in der Katastrophe. Ebensowenig kann es für einen Rück-
schlag und Selbstschuss in Absicht auf Syrus' Anstiftungen gel-
ten; denn eine solche zu einem Selbstschuss sich verwickelnde
Der Selbstquäler. Die Charaktere. 603
und vereitelnde Komödien-Intrigue setzt Gegenminen voraus. —
Wo sind diese Gegenminen? Jenes in flagranti wirkt als blosse
Zufalls-Ueberraschung, wie wenn Jemand beim Hemdewechseln
betroffen wird. Auch könnte der Vorfall sich eben so gut im
Hause des Chremes ereignen, wo wirklich etwas Aehnliches,
das Vorspiel dazu, sich ereignet hat (III, 3). Hier nämlich be-
trifft Chremes seinen Sohn Clitipho bei einer Umarmung der Bac-
chis. Der Alte hält diess für eine gegen Cliuia vom Freunde be-
gangene Ti'eulosigkeit die er scharf tadelt; was übrigens einem
Nichtsehenwollen, der Intrigue zu Gefallen, ähnlich sieht, und
daher ebenfalls die rechte Wirkung verfehlt.
Die dramatische Bewegung im Selbstpeiniger, das innere
Leben, ist also nur scheinbar, und mit der Stumpflieit der ge-
schäftigen Motive wird nothwendigerweise auch das Komische
der Situationen stumpf und matt. Die Charaktere müssten
es denn nun seyn, die durch Gegensatz, Lebendigkeit, Eigenart
und natürlichen Humor belustigend Avirken; und wenn das nicht,
durch Consequenz und Haltung befriedigen. Der Selbstpeiniger
hört schon nach der ersten Scene auf, Selbstpeiniger zu seyn. Die
Ankunft des Sohnes wirft ihn sogleich aus seiner Cliarakter-Rolle.
Der statarische Selbstpeiniger schlägt plötzlich in einen stationä-
ren Jubelvater um, den kein Plautinischer Intriguenschelm düpi-
ren, lächerlich, komödienhaft machen könnte, geschweige ein Syrus.
Und die Gegenfigur zum Selbstpeiuiger, zu Vater Menedemus: der
Selbsttäuscher, Vater Chremes, vermag er durch seine zugewiesene
Rolle ein Lustspiel-gemässes Interesse zu erregen? Wir fanden
schon, dass er es nicht vermag; dass durcli ihn kein ordentlicher
komödienwürdiger Selbstbetrug zu Stande kommt. Syrus endlich
- denn die andern Figuren kommen nicht in Betracht — Syi'us
steht eingeklemmt da zwischen Rinde und Borke; zwischen der
Unfähigkeit, Andere zu foppen, und der Fähigkeit, sich selbst zu
betrügen, und hilft sich mit dem bekannten Einfall des übersatten
Faulthiers in Raff's Naturgeschichte aus der Klemme. Syrus hat
weit mehr* von einem Hofmeister in tausend Aengsten, aus treuer
Anhänglichkeit für seinen Zögling, als von einem Ränke spinnen-
den Komödiensklaven. Wie denn auch wirklich die Komödien
des Terenz Ehrenrettungen seiner fi-üheren Standesgenossen, der
Haussklaven, scheinen könnten, die der Lustigmachor, der Plautus,
604 I^i^ röiuisclie Komödie.
durch seine witzigen, an Pfiffen und Listen unerschöpflichen, von
Geist, Jovialität und Komik spradelnden Sklaven in den Geruch
von ausgepichten, mit allen Laugen der lachenmachenden Komö-
die gewascheneu Schelmen gebracht hat; mit allen Laugen der
leidigen, motorischen Komödie ; so motorisch und so wenig stata-
risch, dass man aus der komischen Bewegung und aus dem La-
chen gar nicht herauskommt, und das einzige Statarische diese
stehende Belustigung ist. Was endlich die Moral des Selhst-
peinigers betrifft und ihre Pointe -- wenn dieselbe darin liegen
soU, dass gezeigt mrd: wie nichtig Täuschungen in sich selber
sind, wie überflüssig folglich, und dass der gerade, wahre Weg
der kürzeste und beste ; wenn der Dichter seinen frühern Standes-
genossen diese Lehre an' s Herz legen wollte: so könnte die ganze
römische Sklavenzunft dagegen aufstehen und ihrem einstigen Col-
legen zu bedenken geben: Wenn das Intriguii'en in sich selber
nichtig und überflüssig ist: so ist diess um so gewisser eine Ko-
mödie, die mit dieser Nichtigkeit und Ueberfiüssigkeit gleich be-
ginnt; die uns diese Vergeblichkeit nicht an einer gutdurchge-
fiihi'ten und gelungenen Intrigue, dergleichen wir in der Regel
zetteln, nachweist und aufzeigt; sondern in einer Intrigue, die
von vornherein und von Haus aus nichtig und überflüssig ist.
Deine Moral, Herr Bruder, mag sich nm* dein „Selbstpeiniger"
selber merken.
Dagegen zeichnet sich unsere Komödie vdeder durch eigeu-
thümliche Vorzüge aus. Unter diesen sticht auch hier die Be-
handlung des Dialogs, die Gesprächsführung, hervor. Er bleibt
für alle Zeiten eine Musterstudie durch die formell komische
Bewegung, Zierlichkeit, Eleganz und den feinsten Geschmack
einer gelind vornehmen Heiterkeit, die so wolüthuend, natürlich
und anmuthig in fast jeder Scene waltet. Erregen diese Figuren,
diese Situationen gerade keine innige Seelenlust, wenn man schon
auf jenes womievolle, enthusiastische Lustspiel-Lachen verzichten
soll; — so behaupten sich doch diese stattlichen Grossbürger, in-
mitten der glimpflichen Lächerlichkeiten, wozu sie Anlass geben
möchten, immerhin als biedere, würdige Lustspiel- Väter und re-
spectable Komödien-Greise. Ja sie erheben sich zuweilen zu
einem Gemüthsadel von dem gediegensten Korn, bis zu ächt-
menschlicher Weisheit und Milde. Sie vertreten auch den Söhnen
Der Selbstquäler. Das Humane. 605
gegenüber die väterliche Autorität mit dem würdevulleu Nach-
dmck heilsamer Strenge. Wie unser Chreraes z. B. (v. 4.) dem
Clitipho gegenüber, in einer kurzen, kräftigen, eindringlichen Straf-
scene, welche dem Horaz jenen Vers eingeben mochte '):
Iratusque Chrenies tuuiido delitigat ore
.,ChreiHes tobt in der Hitze des Zorns aus schwellendem Munde.'"
Aus seinem Munde ertönt auch l, l 25.) jener weltberühmte
Vers:
Homo sum, nihil hiimani a nie alieuum puto.
Ich bin ein Mensch, und nichts, was menschlich, ist mh' fremd.
Ein Vers, dem, wie der h. Augustinus berichtet, das römische
Theater-Publicum , so oft er gesprochen wurde, zujauchzte; das-
selbe Publicum, das die Gladiatoren mit seinen Zurufen zu gegen-
seitiger Zermetzelung anfeuerte. Der Terentianische Spruch bliebe
immer noch bejauchzenswürdig, sollte das humanum auch nicht
ganz dem Sinn entsprechen, den wir mit dem „Allgemeinmensch-
lichen" verbinden, und nur die Bedeutung haben, die ihm Cicero 2)
beilegt, wonach es das theilnehmende Mitgefühl bezeichnen würde,
ähnlich wie Virgil's:
Non ignara mali miseris succurrere disco.
Leider müssen wir aus dem Munde desselben Chremes, des Hu-
manisten und Pädagogen, Gesinnungen vernehmen, die zu jenem
goldensten von Terentius' Sprüchen einen grellen Missklang bil-
den. In der Scene (III, 5.), wo Sostrata ihrem Manne, Chre-
mes, die Nachricht von der wiedergefundenen Tochter bringt, lässt
derselbe Aeusserungen fallen, die das Homo sum in Frage stellen.
Die Kunde nimmt er mit dem unmenschlichen Vorwurf entgegen:
„Wenn's dein Wille war, wie ich gebot zu thun; so hättest du
das Kind umbringen lassen müssen, nicht in Worten seinen Tod
mir heucheln" . . . Mad. Dacier bemerkt zu dieser Aeusserung:
Je ne lis jamais ce passage sans horreur: „Ich lese diese Stelle
niemals ohne Schauder." Wer empfände ihn nicht mit ihr?
Die treftliche Fniu macht aber die „usages" dafür verantwortlich ;
wir den Dicliter. „Du liättest diese Aeusserung umbringen müssen",
1) Ad Pis. 94. 2) de off. I, 36.
606 I^i^ römische Komödie.
intereniptam opportuit, rufen wir ihm zu, und, fandest du sie
im Menander, sie in der griechisclien Wiege ersticken müssen.
Der Eunuch (Eunuchus). Aufgeführt an den Megalenseu,
unter den curul. Aedilen L. Postumius Albinus und L. Corn. Me-
nela, und den Consuln M. Valerius und C. Fannius Strabo (592
d. St., 159 V. Chr.). Fünf Jahre nach der ersten Vorstellung der
Audria. In Scene gesetzt von L. Ambiv. Turpio und L. Attilius
aus Praeneste. Die Cautica componirte Flaccus, Sohn des Clau-
dius, für die ungleiche Doppelflöte, die recht- und linkseitige
(tibiis dextra et sinistra^; wie Donat zu dieser Komödie bemerkt:
wegen ihres aus scherzhaft ernsten Bestandtheilen gemischten Cha-
rakters (ob jocularia multa permixta gravitatej. Sie wurde zwei-
mal gespielt. „An einem Tage zweimal" (bis die acta}, was auf
einer falschen Abschrift beruhen mag, da „die" in einigen Manu-
scripten fehlt.
Im Eunuch hat Terentius wieder zAvei Stücke des Menander,
dessen Evvovyoc und Köla'S. (Schmeichler), contaminirt oder ver-
flochten, und wird auch dafür wieder von seinem stehenden Geg-
ner, der stereotypen Maske seiner Prologe gleichsam, dem Lusc.
Lavinius, angegrifl'en, „dem fertigen Uebersetzer und sclilechten
Dichter", wie ihn der Prolog bezeichnet. Die Thatsache jener
Verschmelzung von Menauder's zwei genannten Stücken stellt der
Prolog keineswegs in Abrede (30 if.): „In diesem Stücke kommt
ein Schmeichler und prahlender Soldat vor. Der Dichter läugnet
nicht, dass er diese Figuren aus dem Griechischen in sein Stück,
den Eunuchen, übertragen". Den Vorwurf aber seines Geg-
ners, dass er ein Plagiat an Naevius und Plautus begangen,
als sey der Eunuchus das alte Stück von Naevius und von Plau-
tus, der Schmeichler, die Kolle des Parasiten und prahleri-
schen Soldaten daher entlehnt — das weist der Prolog, im Namen
des Dichters, aufs entschiedenste zurück: „doch gänzlich läugnet
er es ab, schon früherhin ge-^iisst zu haben, dass die Stücke
im Lateinischen vorhanden waren" (sed eas fabulas factas
Latinas, scisse sese, id vero pernegat). Eine allerdings auftal-
lige Behauptung, die wir indessen auf guten Glauben annehmen
müssen, da sich Terentius damit vor seinem Publicum rechtferti-
gen durfte. Von dem grossen Erfolge des Stückes und dem
Tereiitius. Der Eunuch, 607
aussei'gewölmliclieu Honorar, das der Dichter dafür erhielt, haben
wir schon berichtet.
Der Inhalt ist im Wesentlichen folgender: Die aus Rhodus
nach Athen übergesiedelte Buhlerin, Thais, erhält von Thraso.
einem prahlerischen Offizier, der sie unterhält, ein junges Mäd-
chen zum Geschenk, welches, als freigeborenes Kind edler Eltern
aus Attica, war geraubt, nach Rhodus entführt und der Mutter
der Thais von einer Freundin, die das Kind gekauft hatte, ge-
schenkt worden. Nach dem Tode von Thais' Mutter wurde das
Mädchen von deren Erben zum Kaufe ausgeboten und von dem
Thraso für die Thais erworben. Doch will er das Mädchen, Na-
mens Pamphila, der Geliebten nur unter der Bedingung las-
sen, wenn sie den Phaedria, einen jungen Athener, den sie in-
zwischen hatte kennen lernen, und mit dem sie ein zärtliches
Verhältniss angeknüpft, verabschiedet. Thais, von dem uneigen-
nützigen, edlen Antrieb bestimmt: das Mädchen ihren attischen
Eltern, sobald diese ermittelt, zurückzustellen, ^vünscht lebhaft in
den Besitz des ihr theuern Kindes zu gelangen, das im Hause
ihrer Mutter, als ihre Schwester, war erzogen worden. Sie ent-
fernt daher den Phaedria, obgleich sie ihm zugethan, und der
Jüngling sie leidenschaftlich liebt. In seinem Liebesgram zieht
sich Phaedria auf einige Tage in ländliche Einsamkeit zurück,
nachdem er zuvor, um dem Offizier an Freigebigkeit nicht nach-
zustehen, seinem Diener, Parmeno, den Auftrag gegeben, der
Thais einen für theueres Geld gekauften Eunuchen, als Zeichen
seiner unveränderten Zärtliclikeit, zuzuführen. Das Mädchen, die
Pamphila, wird nun vom Schmarotzer des Thraso, von Gnatho,
der Thais zugeführt. Im Piraeus, von wo der Schmarotzer die
Pamphila abholte, hatte des Phaedria jüngerer Bruder, Ohaerea,
der dort auf Wache war, das wunderschöne Mädchen erblickt und
sich zur Stelle in sie verliebt, so unwiderstehlich, dass er seinen
Posten im Stiche lässt, um dem Mädchen nach der Stadt zu fol-
gen. Hier verliert er sie, von einem lästigen Bekannten aufge-
halten, aus den Augen, trifft dann mit Parmeno, dem Diener sei-
nes altern Bruders, vor dem Hause der Tliais zusammen, in Ver-
zweiflung übe)' sein Missgeschick. Die Verschwundene hatte Par-
meno so eben in das Haus der Buhlerin führen sehen und theilt
diess dem Chaerea mit. Dieser, lichterloh, beschwört den Par-
ßQg Die römische Komödie.
meiio. ein Mittel zu ersinnen, wie er des Mädchens habhaft wer-
den möchte, da er die Tliais nicht kenne, und daher keinen Zu-
tritt in iln- Haus habe. Wie beneidet er den glücklichen Eu-
nuchen, von dem ihm Parmeno eben erzählt hat, um dieses Vor-
recht, mit dem geliebten Mädchen bald unter demselben Dache
weilen zu dürfen. Kaum hat Chaerea diesen Sehnsuchtsseufzer
ausgestossen, hat auch schon Parmeno einen Anschlag beim Zipfel.
Und kaum lässt Parmeno, mehr in Scherz als Ernst, das erste
Wort von einer Einschwärzung des Chaerea als Eunuchus, au
dessen Stelle, fallen, fühlt auch schon der sechzehnjährige Junge
sich Mamis genug für die Rolle; Parmeno, dem der Spass doch
Bedenken erregt, mag sich sperren, wie er will. „Ich befehl's" !
ruft Chaerea, „ich zwinge dich, gebiet' es dir . . . Nie werd' ich
läugnen, dass ich es angestiftet -- Folge mir!"
Zwischen dem zweiten und dritten Act ist der sechzehn-
jälu'ige Unband als Eunuch im Hause der Thais installirt. Er
müsste der seyn, der er niclit ist, um den Zwischenact nicht so
zu benutzen, dass nicht schon der dritte an die Katastrophe den-
ken müsste; zumal ein Bruder des Mädchens, ein junger Land-
mann, den Thais entdeckt und zu sich hinbeschieden, in ihrer
Wohumig, während sie mit dem Thraso ausser dem Hause dinirt,
sich eingestellt hat, bald nachdem der sechzehnjährige Ersatz-
mann des Eunuchen sein Wächter-Amt bei der Pamphila ange-
treten. Des Pseudo-Eunuchen erste Dienstleistung war die: von
dem eingeschlummerten Mädchen die Fliegen abzuwehren mit
einem Fliegenwedel. Wie erschraken Thais' Mägde, die unten
inzwischen ein Bad genommen, als sie wieder herauflvamen in die
obere Stube, und das Mädclien erblicken, auch sich badend, al)er
in Thränen; neben iln- den Wedel, aber keinen Eunuchen, der
mit der letzten Fliege davongeflogen. Eine schöne Menander-
Komödie, denken die Zofen. Wenn nun der Bruder, den sie zur
Thais in's Gasthaus geschiclft, wo diese mit dem Thraso zusam-
menspeist - - wenn des Mädchens Bruder, der Landmann, mit der
Herrin zurückkehrt, und Beide die Schwester, er die leibliche, sie
die angenommene, so vor sich sehen! Sie fi-euen sich schon auf
den vierten Act, nach einem solchen dritten. Und was wird
Phaedria in diesem vierten Act zu seinem entsprungenen Eu-
nuchen sagen, wenn er vom Lande, nach den zwei Tagen Frist
Der Eunuch. Phaedria. Dorus. Pythias. 609
zurückkommt, um welche ihn die Thais, im Interesse des Mäd-
chens, gebeten? Denn der Pamphila zu Liebe lässt sie sich die
Gesellschaft des unausstehlichen Thraso gefallen, den sie nun von
des Mädchens mittlerweile entdecktem Bruder, gleich nach auf-
gehobener Tafel, will fortjagen lassen, um sich wieder mit ihrem
geliebten Phaedria vereinigen zu können. Die Augen, die Phae-
dria bei der ersten Kunde von dem Verschwinden seines Eu-
nuchen machen wird, und von dessen Fahrten, bevor er das Weite
gesucht, wenn ihm auch hiervon die Mägde der Thais ausführ-
lichen Bericht abstatten! Dorus — wer hätte das von ihm ge-
dacht! — Dorus, sein runzeliger, verschrumpfter Eunuch, der kei-
ner Fliege etwas zu Leide thun kann, und solche Streiche! Wie
wird Phaedria vollends Augen, Ohren, Nase und Mund aufsperren
vor verblüfftem Erstaunen, wemi er drinnen, in seiner Wohnung,
das unbegreifliche Naturspiel, den Dorus, nihig, gemächlich und
ehrbar, wie es einem Eunuchen zukommt, wird sitzen sehen, und
in ganz andern Kleidern, als dem bunten, hübschen Castraten-
Anzug, womit er seinen Hämling, zu Ehren der Geliebten, her-
ausgeputzt hatte!
Wer beschreibt Phaedria's Augenaufsperren nun gar, als er
den hervorgezerrten, und mit den elirenrührigsten Ausrufungszei-
chen begrüssten Dorus, in Gegenwart von Thais' Magd, der Py-
thias, dem strengsten Untersuchungsverhör unterwirft, und diese
erst gar nicht begreift, was es mit dem alten Stinkwiesel auf sicli
hat, und dann erklärt: dieses alte Weib gliche ihrem Eunuchen
so, wie ein als Eunuch verkleideter Hammel einein jungen, kräf-
tigen Burschen von sechzehn Jahren, „mit schönem, ohiiem Ge-
sichte", gleicht, i^hidlich, als der Hammel, in seiner Angst, Ge-
ständnisse zu blöken beginnt, und Phaedria in seinem Jüngern
Bruder, Chaerea, den rechten Mann liinter dem unrechten Eu-
nuchen erkennt: da fängt auch er an hell zu sehen; er und die
Pythonissin, die Seherin Pythias. Wer beschreibt nun aber auch
die Kippenstösse und Fusstritte, womit Phaedria den richtigen Eu-
nuchen, als einen Lügenbeutel, in's Haus zurückbefördert! Und
wer die Scene im fünften Act zwischen Thais, der Magd Pythias
und Chaerea, - CliaereaV Ja, Chaerea, der sich eiligst wieder
auf seinem Posten eingefunden! -- nicht auf dem Wachtposten
in Piraeus, bewabre! auf seinem Wächter-Posten bei Panijthila,
II. ;j'j
ßlQ Die römische Komödie.
uin. falls sie wieder eingeschlafen, die Fliegen zu verjagen. Die
Scene zu beschreiben, ist unmöglich ; abschreiben geht schon eher
(V. 2.):
Thais. . . . Ei, Dorus, wackerer Mann, willkomraeii! Sag' mir, bist
du davon gelaufen V
Cliaerea. Ja. Herrin.
Thais. Kannst du selbst das billigen V
Chaerea. Nein.
Thais. Glaubst du, es werde ohne Strafe dir so hingehn?
Chaerea. Diess einzige Versehen übersieh; verseh ich dann mich wieder,
dann magst du mich tödten.
Thais. Warst du vor meiner Strenge etwa bange?
Chaerea. Nein . . .
Thais. Was hattest du begangen?
Chaerea. Oh, ijichts Erhebliches.
Pythias. Wie, Unverschämter! nichts Erhebliches, ein junges Mädchen —
eine Bürgerin? —
Chaerea. Ich hielt sie für eine Mitsklavin.
Pythias. Für eine Mitsklavin? Kaum halt' ich an mich, dass ich üim
nicht in die Haare fahre. Das Ungeheuer kommt noch, seinen
Hohn mit uns zu treiben! . . .
Thais. ... Du hast nicht deiner würdig gehandelt, Chaerea. Denn
war ich solchen Schimpfes werth. so war es deiner dennoch un-
würdig, mir ihn anzuthun. Fürwahr jetzt weiss ich mir des
Mädchens wegen keinen Rath . . .
Chaerea. Nun bitt' ich dich, dass du mir Helferin in dieser Angelegen-
heit seyn wollest; deinem Schutze übergebe, überlasse ich mich.
Dich wähl' ich zur Vertheidigerin . . . Dich fleh' ich an. Ich
will des Todes seyn, wenn ich sie nicht zur Gattin nehme.
Thais. Doch wenn dein Vater --
Chaerea. Ich weiss gewiss, der giebt es zu, wenn sie eine Bürgerin von
hier ist.
Thais. Dann warte nur ein wenig, wenu's dir- so beliebt. Des Mäd-
chens Bruder wird gleich wieder hier seyn . . . Beim Wieder-
erkennen soUst du selbst zugegen seyn . . .
Pythias. Was fängst du an, ich bitte dich!
Th ais. Wie so?
Pythias. Du fragst? Nach solchem Vorfall denkst du diesen in dein Haus
wieder aufzunehmen?
Thai s. Warum nicht ? . . .
Pythias. Du scheinst mir .seine Dreistigkeit nocli nicht genug durchschaut
zu haben.
Chaerea. Ich thu' nichts Arges. Pythias,
Pvthias. Dir traue ich iiidit eher, als bis nichts begangen ist.
Der Eunuch. Thais. (JH
Chaerea. Nun, P^thias, so suUst du mich hüten.
Pythias. Dir möcht' ich wahrlich weder was zu hüten geben, noch dich
selber hüten. Bleib mir weg damit. .^■■
Thais. Da kommt der Bruder ja gerade recht.
Chaerea. 0 weh! Ich bitte dich, lass uns hineingehen, Thais. Ich majf
nicht, dass er auf der Strasse mich in dieser Kleidung sieht.
Thais. Wesswegen nicht V Schämst du dich etwa?
Chaerea. Das ist's gerade.
Pythias (lachend). Das ist's gerade! Wie jüngferlich ! —
Wie meisterlich dialogisii-t! Die Figuren wie anmuthig und
natürlich in's Spiel gesetzt, aber für welche Situation, für welche
Fabel! Wie müd und lieblich das Frechste versüsst; wie ver-
söhnlich skandalös, wie einschmeichlerisch obscön, wie liebens-wür-
dig schandvoll, wie naiv unzüchtig! Von aussen hui, von innen
pfui. Introrsum tui'pem speciosum pelle decora. Von aussen so
gefällig, glatt und manierlicli; von innen so ekelhaft unsittlich,
so liederlich schmutzig! Quidquid come loquens ac omnia dulcia
dicens: „Was er spricht, klingt Alles so lieblich, so hold und rei-
zend", sagt Cicero von Terenz in dem ihm zugeschriebenen Ge-
dichte, „die Blumenau" (Limon). Ja wohl; Alles aufs zierlichste
und reizendste vertuscht und verwischt; mit scherzhafter Heiter-
keit der zarteste Duft und Hauch der Sittsamkeit: die Scham-
röthe, bis auf die leiseste Spur weggelächelt. Das süsseste Gift;
die geschmeidigsten Nattern unter den unschuldigsten Rosen. Aber
das zuckersüsse Gift und die Nattern unter den pädagogischen
Blumen, sie rulien gleichwohl, unserem berühmten Gewährsmann
zufolge, auf einer sittlichen Auflassung des Lebens, auf den rein-
sten pädagogischen Zwecken. Ist die Thais nicht wieder die
schönste der Seelen? Die uneigennützigste, bis an die Haar-
spitzen, man weiss nicht, ol) mehr in edelmütliige Ausschweifung
oder in ausschweifenden Edelinuth getauchte Buhlorin? Ist sie
nicht die veredelte, die vervollkommnete Bacchis aus der Hecyra,
vervollkommnet und emporgeläutert bis zu einem Ideal, einem
Engel der Prostitution? Menander mochte begreiflicherweise die
ganze Frauenwelt sub specie aeterni seiner vergötterten Glycera
betrachten; Sittsamkeit, Scham, Unschuld, Seelenreinheit des Wei-
bes, als geschändete Sklavinnen an die Bettstollen des goldenen
Freudenlagers seiner Glycera anketten; mochte das Theater des
Freudengottes Dionysos zum Freudeidiause einer Freudengöttin
39*
612 Die römische Komödie.
weihen: aber der halbirte Meiiander? — Der Menander-Eunuchus
im bunten, schmucken Seidenkleide? — Der, so viel man weiss,
in keiner Gl3'Cera Circe-Fesseln scliniachtete ? — ^
Thais, ob sie gleich das Weib vorstellt, wie es seyn soll,
wird doch von ilirer Magd, der Pythias — die kostbarste Figur
in dieser Komödie — audax Pythias ^), an lusthäuslicher Ehrbar-
keit und Würde übertroffen. Sie, die Pythias, ist die Berufene,
die Auserwälüte, die allein für des Hauses Ehre in die Schran-
ken tritt; ja die, aus Gründen der öftentlichen-Häuser-Sittlich-
keit, die Nothzucht auf die einfache, anständige Unzucht er-
mässiget wissen möchte. Sie ist es denn auch, die treffliche Py-
thias, die sich zur Nemesis dieser Komödie berufen fühlt, als
welche sie an ihrem Geschäftsfi-eunde und Gewerbsgenossen, dem
Haussklaven Parmeno, der das Handwerk in Misscredit bringt,
eine verdiente Lustspiel-Rache nimmt.
Sie sieht ihn daher kommen f V, 3) : „da schreitet ja der
wackere Mann, der Parmeno heran. Wie er doch so gemüthlicli
schlendert! Ich hofte, dass ich jetzt auf meine Weise ihn ge-
hörig quälen kann. Erst gehe ich hinein, um von dem Wieder-
erkennen mich zu überzeugen. Gleich bin ich wieder hier, und
setze meinen Schurken dann in Angst (ab)". Parmeno schlendert
wirklich daher, ganz erfüllt und wie berauscht von demBewusst-
seyu seiner Verdienste um Chaerea und dessen Familie: „Hat er
die Sache listig angefasst, o Götter, welches grosse und verdiente
Lob gebührt dem Panneno dann". Doch hiervon — fährt er
fort — ganz abgesehen, darf ich noch auf ein anderes Verdienst
stolz sejm, „und diess gerade ist's, wofür die Palme, wie ich
glaube, mir gebührt — dass ich herausgefunden, wie ein junger
Mensch die Sitten und die Sinnesart der feilen Dirnen kennen
lernen kann . . . Denn sind sie ausser ihrem Hause, nichts er-
scheint dann reinlicher, anständiger und feiner . . . Den Schmutz
in ilu'em Hause, die IJnsauberkeit in ihrem Aeussern" — will
sagen, in ihrem Innern -- „alles diess zu kennen ist das Heil
für junge Leute". "Wie doch der Kuppler-Sklave, Parmeno, so
tief in seines Dichters Seele liest! Wie er doch so ganz aus die-
ser Seele spricht; und welcher getreue Dolmetsch er von des
J) Hör, A. P. V. 38.
Der Eiiniu-li. raniieno und Pythias. 613
Dichters pätlaoogischcr Komödien -Tendenz ist: dass man sech-
zehnjährige Jüngiinge im Sumpfe der Liederlichkeit, wie Achilles
im St}Tc, stählen und abhärten muss gegen die Regungen eines
wüsten, liederlichen Lebenswandels. Mit andern Worten, dass
man die Söhne rechtschaffener Eltern erst in schlechten Häusern
von Grund aus verderben, von habsüchtigen Dirnen erst an Seele
und Köii»er aussaugen und ausmergeln lassen muss, bis sie die
Fähigkeit zur Liederlichkeit verschlemmt und vergeudet haben,
und als moralische Eunuchen, Eunuchen an Leib und Seele, nach
ihrem häuslichen Heerde zurückwanken, um fürderhin als gesit-
tete, enthaltsame Ehemänner und Familienväter zu leben. Dass
dieses die Quintessenz von Parmeno's Worten, und seine Moral
im Wesentlichen die der Komödie selber ist, wird die Entwicke-
lung noch deutlicher und überzeugender vor Augen stellen.
Die Zofe ist wieder zur Stelle und hat Parmeno's Selbstge-
spräch belauscht:
Pythias. „Nun warte, Bösewicht, für das, was du gespro-
chen und gethan will ich Eache nehmen . . . (laut): 0 Göt-
ter, welclie gi'ässliclie Begebenheit — der arme, junge Mensch!
0 der verruchte Pamieno, der ihn hierher gebracht hat! Par-
meno (für sich). Was giebt's? Pythias. Er dauert mich. Ich
lief nur aus dem Hause weg, um nicht mit anzusehen, welches
fürchterliche Beispiel sie an ihm aufstellen wollen. Parmeno in
der grössten Seelenangst: Was giebt's denn, Pythias? — Pythias.
Was es giebt? . . . Der Unglückselige hat an ihr Gewalt geübt —
Sobald ihr heftiger Bruder diesen Vorfall hörte — Parmeno.
Was that er da? - Pythias. Hat er sogleich ihn jämmerlich
geknebelt. Parmeno. Geknebelt?" , . . Das sey aber nur, be-
merkt Pythias, das Vorspiel zu dem Grässlichen, was der Bruder
jetzt mit dem Pseudo-Eunuchen vor hat; nicht mehr und nicht
weniger nämlich, als das Pseudo auszumerzen -- Parmeno ist
einer Ohnmacht nahe. Der Schlag hätte ihn gerührt, wenn er nicht
den leibhaften Schlag daherwandeln sälie, in Gestalt des alten
Lach es, des Vaters von Phaedria und Chaerea, der eben vom Land
in die Stadt kommt, keine Ahnung hat von dem, was vorgefal-
len, und was noch im Werke ist. Pythias, die Schelmin, freut
sich wie ein Stint und entschlüpft. Die Scene nun, die Situation
zwischen Laches und Parmeno ist unübertrefflich, wie denn dieses
ßl4 Di^ römische Komödie.
Lustspiel überhaupt von den bisher besprochenen das abgerundet
vollendeteste ist in Form und Führung, voll ächter Komik und
Komödien-Laune, und doch nur ein Sodomsapfel in Kern, Fabel,
und Ausgang. Das Treffliche: ein Ring- Juwel, worin ein Gift-
tropfen eingeschlossen; und die Komik die verwerflichste, ja die
wohlfeilste, wozu eben kein sonderliches Genie gehört: die Komik
des schmutzigen Skandals.
Der alte ehrliche Zusammenhalter und Sparer wird da schöne
Sachen zu hören kriegen, Parmeno fühlt das Messer, das er Cliae-
rea's Bruder über das Pseudo schwingen sieht, an der Kehle
sitzen, und weiss keine andere Eettung, als dem Alten Alles, Alles
zu sagen (V, 5): Zuerst vom Eunuchen, den der ältere Sohn,
Phaedria, gekauft. Dem Alten läuft es kalt über den Rücken —
Gekauft? „Für Wen? 0 weh! Wie theuer?" — Parmeno. „Um
zwanzig Minen" - Lach es. „Aus ist's mit mir" . . . Geduld,
alter Wackelkopf! Das dicke Ende kommt erst. Parmeno.
„Dazu liebt Chaerea eine Saitenspielerin". — Lach es. „Wie?
Was? . . . Weiss der auch schon, was feile Dirnen sind?" Par-
meno. „0 HeiT, sieh mich darauf nicht an! Auf meinen An-
trieb hat er's nicht gethan". La che s. „Hör' auf von dir zu spre-
chen. Wenn ich am Leben bleibe, Taugenichts — Jedoch, er-
zähle mir erst". — Parmeno. „Er ist statt des Eunuchen zu
der Thais hingebracht". Der Alte erstarrt. Parmeno. „Sie ha-
ben ihn nachher als Ehebrecher festgehalten und geknebelt".
Lach es. „Mir schaudert". Mit kläglich zitternder Stimme : „Ist
noch — Ist noch ein Unglück übrig?" . . . Mehr weiss Parmeno
nicht vor der Hand. Der Alte schnell hinein in's Haus der Thais,
um das Unglück, das noch übrig ist, zu verhüten, den Stamm-
halter zu retten. Pythias stürzt lachend auf die Scene über Par-
meno's dumme Leichtgläubigkeit, der verklotzt dasteht. Par-
meno. „Was sagst du. Schändliche? Hast du gelogen? Lachst
du noch?" Pythias. „Gewaltig". - Parmeno. „Ich werd' es
dir vergelten". — Pythias. „Ich glaub' es gern. Jedoch viel-
leicht verschiebst du noch, was du jetzt drohst. Du hängst bald
in der Luft, weil du den unerfaln-nen, jungen Mann erst zu Aus-
schweifungen verführst und ihn dann beim Vater angiebst. Beide
stellen an dir ein Beispiel auf. — Parmeno. „Ich bin ver-
nichtet". — Pythias. „Das ist der Lohn für dein Geschick.
Der Eunuch. Die Schluss-Moral. 6I5
Empfehle mich (ab)", unvergleichlich. Der Dichter ist auf dem
Punkte, das grösste Kunststück zu machen, ein wahres Hexen-
meisterstück. Er ist auf bestem Wege, die strengste Kritik der
spätesten Jahrhunderte, durch eine geschickte Volte, eine glück-
liche Schlusswendung, mit der abscheulichen Komik seines Fa-
belmotivs auszusöhnen. Wie grundverderbt aber diese Komödien-
Grattuug in ihrer Wm-zel ist, wii'd durch die Schlusswendung eben
offenbar. Der meisterlichste Wurf endet damit, dass er die Ko-
mödie selbst über den Haufen wirft. Der Schluss ist, im Maasse
seiner formellen Vortreftlichkeit, sowohl vom Gesichtspunkt der
komischen Kunst, die, wie jede wahre Kunst, im Kern decent
und sittlich ist, wie vom Gesichtspunkt des Bühnen-Schicklichen
und Erlaubten, gleich verdammlich.
Ausser sich vor Freuden, kommt Chaerea herbei gestürzt:
seine Pamphila ist als Bürgerin anerkannt; sein Vater hat in die
Verlobung mit ihr gewilligt. Der Freudenrausch des Bräutigams
versöhnt uns mit dem Eunuchen-Chaerea, nicht aber mit dem „Eu-
nuchen" des Dichters, dem nicht alle Mittel gerecht sejm dürfen
für seinen Zweck; der seinen jungen Leuten im Theater nicht,
mit allen Verführungskünsten eines gauklerischen Lustspiels, die
Lehre in die empfänglichen Gemüther schmeicheln darf: dass aus
einem Faublas im Handmndrehen ein musterhafter Ehemann wird
und schlechte Häuser die beste Vor])ereitungs- und üebungs-
schule guter Sitten seyen. Auch darf ein Komödien-Schluss keine
blosse Vertuschung der Aergernisse seyn, die sie augerichtet,
wie das hier der Fall ist, wo eine glückliche Ehe auf so faulem
Grunde gestiftet vdrd; ja in dieser ganzen Komödien-Gattung
überhaupt der Fall ist, deren Moral ihr Ebenbild in jener Natur-
Schürze der Hottentottinnen ündet, die erst recht einer Schürze
bedürfte.
Ist etwa Chaerea's jubelseliger Dankerguss gegen Parmeno
nicht ein neues, das. anstössigste Aergerniss? {V, 8): „0 mein
Parmeno", schwärmt Chaerea — „0 du Erfinder, du Stifter, du
Vollbringer meines ganzen Glückes (0 Parmeno mi, o mearum
voluptatum omnium Inventor, inceptor, perfector), weisst du, welche
Freuden mir geworden sind?" . . . Also wer Wind gesäet, erntet
Freudenstürme; der den Wip])galgeii verdient, wird von Dem auf
Händen getragen, den nur ein Zufall dem Abgrund entrissen, an
ßl(i Die römische Kmiiödie.
den ihn der Stifter und Erfüller aller seiner Wonnen hinge-
lockt. Damit sind aber Parmeno's Verdienste noch nicht er-
schöpft. „Ausserdem freue ich mich noch" — jauchzt der glück-
liche Bräutigam einer, durch die bestialischste aller Liebesbewer-
bungen, in einem öffentlichen Hause gewonnenen Braut — „Freue
ich mich noch, dass mein Bruder Phaedria nun im Genüsse sei-
ner Liebe gänzlich ungestöii; bleibt. Jetzt ist's ein Haus (una
est domusj". Das Haus der Hetäre nämlich und sein Vater-
haus. „Die Thais hat sich meinem Vater werth gemacht. Sie
hat sich unserem Schutze, unserer Obhut ül)ergeben". Beide Fa-
milien machen künftig nur Eine Familie aus. Beide? Drei Fa-
milien nur Eine Musterfamilie: Vater und Mutter; der ältere
Sohn mit seiner Maitresse, der Thais, und Chaerea, mit seinem
geliebten Weibchen, das er unter solchen Auspicieu zu seiner Gat-
tin weihte. Alle Unterschiede des Standes und Anstandes sind
ausgeglichen; Sitte und Liederlichkeit schliessen einen Schwester-
bund; Nothzucht und Unzucht vermisclien sich zur reinsten Fa-
milienzucht auf der Unterlage, worauf bekanntlich die Terentiani-
sche Komödie ruht: auf der sittlichen Auffassung nämlich „der
Frauennatur und namentlich des sittlichen Lebens". Hier, im
Eunuchus und in dessen herrlichem Komödienschluss erscheint des
unedlen, niedrigen, rohen, mit Sprache und Sitten noch in der
Kneipe stehenden Plautus verrufene Opposition dieser Kneipe ge-
gen das Haus siegi'eich überwunden; hier, in diesem erhebenden
Versöhnungs- und Familienfeste von Bordell und Haus, von Pro-
stitution und ehrbarem Familienleben. Das una est domus
ist das aufgesetzte Licht, das Tüpfelchen auf's J der Menander-
Komödie, und ihres Busengedankens: Doulopornokratie, Sklaven-
Hetärenherrschaft; Doulagogie und Hctäresirung der Familie und der
Gesellschaft. Mit voller Ueberzeugung und wohlüberlegter Ab-
sicht drücken wir dieser Komödie in ihrer gewinnendsten und
moralisirend gleissnerischsten Form, als Terentianischer Komödie,
das Brandmal auf die Stirne; weil die Komödie des Terenz, nicht
die des Plautus, als die Stammwurzel der schmutzigen Skandal-
Komödie durch alle Zeiten fortwuchert. Wir werden sie ihre üp-
pigsten Schösslingo in Epochen treiben sehen, welche, der Zeit-
epoche verwandt, die der Menandcr-Komödie den Ursprung gab,
die Doulopornokratie, in Staat und Gesellschaft, immer wieder von
Ein Faiiiilieiibund. 617
neuem aufrichten, herstellen, restauriren. So wird uns diese Ko-
mödie, in frechster Gestalt, als englisches Lustspiel des XVII.
Jahrh. nach Shakspeare, entgegentreten, zur Zeit der Stuarte; in
vollster Blütlie nach der Restauration Carl's II. Wir werden sie
im französischen Lustspiel herrschen sehen, durchhin, mit seltnen
Ausnahmen, und in wachsender Schamlosigkeit bis zu der Came-
lien-Komödie herab, die wiederum mit der Doulopornokratie in
Staat und Gesellschaft zusammenfällt, und deren Dichter, — dra-
matische H -wirthe ilires Publicums, — in dem Leno der römi-
schen Komödie ihren Ahnherrn erkennen und verehren.
Doch unser Eunuchus? Noch sind wir nicht am Ende; noch
ist der Komödie nicht die Krone aufgesetzt; die letzte Scene vol-
lendet erst das schöne Ganze. Thraso und sein Leibschraarotzer
Gnatho müssen, der Contaminatio gemäss — das Wort bedeu-
tet, ausser „Vermischung" auch noch „Befleckung" — müssen den
Eunuchus zu seiner höchsten Spitze emporgipfeln; die Contami-
natio muss ihm den Rest geben. Thraso und Gnatho hatten sich
unbemerkt herbeigeschlichen, und Chaerea's Jubel-Ausbruch mit
angehört, den Thraso als seinen Ausbruch der Verzweifelung be-
trachten zu können, nicht ohne Grund glauben darf. Um den
Ausbruch voUeuds dazu zu machen, eilt noch Phaedria herbei.
Thraso fleht abseits den Sclmiarotzer um Vermittelung an, „dass
er doch einigen Antheil an der Thais habe" . . . und verspricht
ihm: „Was du begehrst, soll dir gewährt seyn". Gnatho be-
dingt sich freie Tafel aus, für ewige Zeiten. Thraso sagt es mit
Freuden zu. Gnatho begiebt sich an's Geschäft, zieht die beiden
Brüder in's Gespräch, häkelt sich an Phaedria fest, heisst den
Thraso auf die Seite treten und beginnt, gegen Phaedria gewen-
det: „Zuerst wünsche ich gar sehr, ihr möclitet Beide glauben,
dass Alles, was ich in der Sache thue, ich ganz besonders mei-
netwegen thue. Doch wenn auch euch dasselbe nützlich ist, so
wäre es Thorheit, wenn ihr es nicht thätet". Phaedria. „Was
ist es denn?" — Gnatho. „Ich meine, dass ihr den Offlzier da
als Nebenbuhler wohl dulden könntet". - Phaedria. „Dulden?"
Gnatho, „Bedenke nur. Du, Phaedria, lebst gern vergnügt mit
ihr, gern recht vergnügt. Was du ihr giebst, ist wenig, und die
Thais braucht viel. Um deiner Liebe nun in allen Stücken ohne
eigene Kosten zu genügen, ist wohl keiner mehr geeignet oder
618 Die römische Koiuödie.
besser, als der Offizier. Er hat zu geben, und giebt reichlicher.
Er ist ein Tropf, ein Dummkopf, ein Faullenzer, und schnarchet
Tag und Nacht." — Phaedria (zu Chaerea). „Was thmi wir?"
— Gnatho. „Dazukommt noch, was mir weit über Alles geht:
Kein Mensch bewirthet besser oder köstlicher." Chaerea — ge-
wiss hat der wackere Chaerea dem unverschämten Tellerlecker
mindestens ein Dutzend Fusstritte in den Wanst, als ersten Schüs-
selgang, verabreicht, und beide elende Schufte mit dem Komö-
dien-Pantoffel zur Thür hinausgeklopft. Meint' Ihr? unser Ex-
Eunuch wäre nicht der würdige Held seiner Komödie, der er ist,,
wenn er auf die Insinuation des Gnatho : „Kein Mensch bewirthet
besser als Thraso", seinem Bruder anders riethe, als er rathet:
„Den Menschen kann man allerdings gebrauchen." — Gnatho.
„Ihr thut wohl daran. Das Eine bitte ich noch, dass ihr in
eueren Kreis mich aufnehmet." — Phaedria. „Wir nehmen's
an." — Chaerea. „Und zwar recht gern." — Gnatho. „Dafür
geb' ich auch jenen preis, ihn zu beschmausen, zu verhöhnen."
— Chaerea. „Das gefällt mir." — Phaedria. „Er hat's ver-
dient." , . Gnatho lässt nun den Thraso näher treten. Dieser
fragt ihn leise: „Wie steht's mit uns, ich bitte dich? Gnatho.
„Wie's steht? Sie kannten dich nur nicht. Als ich denselben
deine Sinnesart geschildert hatte, und dich ihnen nach Verdienst
und Thaten lobte, hab' ich's ausgewirkt . . ."
So ist auch dieser Bund glücklich geschlossen; der Drei-
Familienbund um einen vierten vermehii., und zu erfreulichster
Eintracht verbrüdert. Die herrlichste Prahler-Schmarotzer-Hetä-
ren- und Gaunerwiithschaft, die jemals Ein gemeinsames, gemüth-
lich bürgerliches Familienband umschlungen. Ein solcher Komö-
dienschluss verlohnt schon eine Contamination , das Zusammen-
schlagen zweier verschiedener, ob noch so heterogener Fabelstoffe,
wie der Eunuchos und Kolax von Menander, zu Einer Komödie;
mag auch der Held derselben, der Cliaerea, der doch ohnehin genug
auf seiner Kappe hat, noch unwürdiger, noch widerwärtiger er-
scheinen. Zu Gunsten eines solchen Schlusses darf sich die ge-
rühmte, und gerade um diese Verflechtung zweier Fabeln, ge-
rühmte „Kunst" des Terentius unbedenklich hinwegsetzen.
Phormio. Wie bei den Fabeln, kehi-t auch bei den Didas-
kalien in den Grundzügon dasselbe Schema wieder. Die Personen
Terentius. Phorinio. 619
der Aedilen und Consuln wechseln; im Uebrigen stimmen die
Aufltuhrungstabellen nahezu tiberein. Director, Coraponist bleiben
dieselben. Die begleitende Doppelfiöte ist hier die ungleiche.
Statt der Megalensen sind die römischen Spiele angegeben (Ludi
Romani). Als Theater-Intendanten fungiren die curulischen Aedi-
len, L. Postumius All)inus und Corn. Merula. Die Aufführung
fand statt unter dem Consulat des C. Tannius und M. Valerius
Messala (592 d. St., 1 59 v. Chr.). Die griechische Grundlage des
Stückes bildet der Epidikazomenos (Kläger) der Apollodoros,
oder, wie Donat will, dessen Epidikazomene, mit Beziehung auf
das Streitobject, das Mädchen, um welches geklagt wird. Der
Phormio wurde viermal in demselben Jahre gespielt. Andern
zufolge soll acta quarto bedeuten: der Phormio sey als die vierte
von Terentius' Komödien gespielt worden, was aber durch die
vorhergegangene Darstellung des „Eunuchus" an den Kybele-
Spielen fMegalensen) widerlegt wird, welchem die vierte Stelle in
der Reihefolge von Terenz' Komödien zukommt.
Gleichermaassen bewegt sich der Prolog um denselben Span,
den der Dichter mit seinem stehenden Ankläger, dem langweiligen
Lusc. Lavinius, schlichtet. Den eigentlichen Prolog vertritt auch
hier der erste Act, der über den Vorgang Aufschluss giebt, und
aus der einzigen Scene besteht, worin der Sklave Geta seinen
Mitsklaven Davus, und mit ihm das Publicum über die in's Spiel
gesetzte Intrigue orientirt: Geta's Haussohn, Antipho, hat sich,
während der Abv^esenheit seines Vaters, Demipho, eines Atheni-
schen Bürgers, der nach Sicilien in Geschäftsangelegenheiten ge-
reist war, in die Thränen eines ehrsamen, aber armen ßürger-
mädchens verliebt, die sie bei dem Leichenbegängnisse ihrer Mut-
ter weinte, und die ihr reizendes Gesicht noch schöner macliten.
als es von Natur schon war. Schon am folgenden Tage bestürmt
er die alte Aufseherin oder Amme des Mädchens um Zulass zu
der schönen Weinerin. Die Alte bedeutet ihn: „Das Mädchen
sey eine attische Bürgerin, unl)escliolten, von guten Eltern." Zu-
lass? — Nur mit dem Ring am Finger. „Wenn er sie nach dem
Gesetz zur Frau nehmen wolle, so stehe ihm der Zulass fi-ei,
sonst nicht." Die Weigerung setzt sein jugendliches, sclion von
den reizenden Thränen brennendes Herz in volle Flammen. Die
Rückkelir des Vaters abwarten, und bis dahin die geliebte Pha-
520 I*^*^ römische Komödie.
niiim uicht sehen, hiesse, so lange nicht athmeu. Cnd wird sein
Vater Demipho die Verbindung mit der armen Waise zugeben,
deren einzige Aussteuer himmlische Thränen? Für solche Be-
drängnisse hat aber Gott Amor vorgesorgt; und -svie für die Blu-
men als Liebes- mid Heirathsvennittler gewisse Insecten, also hat
er auch, zu Nutz und Frommen junger, verliebter Komödien-Her-
zen, Sklaven mid Schmarotzer geschaffen. In unserer Komödie
heisst das Schraarotzer-Insect Phormio, durch dessen Vermitte-
lung Antipho in den Besitz seiner Phanimn gelangt, und zwar
auf gesetzlichem Wege, im Process-Wege nämlich, den er, der
Schmarotzer Phonnio, als vorgeblicher Freund von des Mädchens
verstorbenem Vater, gegen Antipho, im Einverständniss mit die-
sem, besclu-eiten will, auf Grund eines vorgeschobenen Gesetzes,
laut welchem ein elternloses Mädchen iliren nächsten Verwandten
ehelichen soll. Als solchen giebt Phormio den Antipho aus.
Dieser erhebt vor Gericht natürlich keinen Einwand. Der Schma-
rotzer gewinnt den Process ; Antipho heirathet das Mädchen. Der
Alte wird, nach der Rückkehr, Lärm schlagen, den Schmarotzer
belangen — mag er! Antipho hat sein Schäfchen im Treugen,
und kann dazu lachen, und seine Phanium die süssesten Thränen
dazu beisteuern. Nun muss doch aber jede Komödie des Terenz,
aus Gründen der Contaminatio , einen doppelten Liebeskern, wie
eine Vielliebchen-lMandel, in sich schliessen; einen doppelten Fa-
belknoten folglich, dessen ZmUinge auch ganz so, wie die Kerne
in der Mandel, flach nebeneinander liegen ; nicht ineinander concen-
trisch eingesenkt und unzertrennlich verwoben, wie bei Shakspeare
z. B. Die Gruppe zur zweiten Intrigue stellt die Familie eines
zweiten Vaters, Obrem es, welcher, ein Bruder von Demipho,
sich gleichfalls auf Reisen befindet, nach der Insel Lemnus, und
in ganz eigenen und besondern Geschäften, dergleichen keiner
von den Vätern in den vier schon besprochenen Komödien zu er-
ledigen hatte. Vater Chremes ist nämlich eine Vielliebchen-
Mandel mit doppeltem Kern auf eigene Hand, eine bigamische
Mandel, eine Mandel mit zwei Frauen: einer armen und einer
reichen. Die arme lebt auf Lemnus, die reiche, seine rechtmässige
Frau, Nausistrata, mit ihm in Athen. Von der reichen hat er
einen Sohn, Phaedria; von der armen eine Tochter. Für seine
Familie in Athen heisst er Chremes; für die Familie in Lemnus
Phonuio. Ein Doppelvater. 621
Stilpho. Beide Frauen uiitl Familien wissen von einander nichts.
Chremes hat sich nun als Stilpho nach Leninus begeben, um von
dort sein heimliches Töchterchen abzuholen, das er seinem Bru-
der, Demipho, für dessen Sohn, Antipho, als Gattin zugesagt. Mitt-
lerweile aber ist dieses Töchterchen bereits mit ihrer Mutter in
Athen angelangt; die arme Mutter gestorben; und sind auch jene
reizenden Thränen geflossen, die ihr den zugedachten Gatten ge-
wannen, natürlich ohne dass die Neuvermählten von ihrer Ge-
schwisterkindschaft, und dass sie für einander bestimmt von ihren
Vätern, die leiseste Ahnung haben. Man kann sich die Ueber-
raschung der zwei Väter und Brüder bei ilu'er Rückkehr denken,
die beide von der angeblichen Verwandten nichts wissen, in wel-
cher Chremes-Stilpho auch die Tocliter zu vermuthen, weit ent-
fernt ist, die ihm fürs erste unsichtbar bleibt. Demipho will dem
Schmarotzer einen Process an den Hals, und die Schwiegertochter
zur Thür hinaus werfen. Der Schmarotzer Phormio erbietet sich
zu einem gütlichen Abkonnnen, und erklärt sich bereit, die Schei-
dung der eingesclmiuggelten Schwiegertochter zu bewirken, und
sie selbst zu heiratlien, wenn man ihm die Mitgift ersetzt, die
ihm seine vorgel »liehe Braut zuln-ingt. Von solchem Firsatze will
der alte Demipho nichts wissen, vollends als ihm sein Sklave,
Geta, der, mit dem Schmarotzer im Einverständniss, die Prellerei
einleitet, den Vollbetrag der von Phormio geforderten Summe
specificirt, im Ganzen dreissig Minen. Der alte Demipho ist im
BegTiff'e aus der Haut zu fahren', wird aber von Chremes-Stilpho
daran verhindert, der ilm Ix^gütigt, aus einer sehr erklärlichen
Scheu vor Erörterungen mit einem neuen Schwiegersohn, von
wegen desStilplio; noch mein* aber aus Angst vor seiner reichen
Frau, Nausistrata, olme deren Einkünfte er ein Bettler wäre. Er
bewegt dalier seimni Bruder Demipho, der in seine Verhältnisse
halb und lialb eingeweiht ist, auf den Vorsclilag des Schmarotzers
einzugehen, mit dem Erbieten, die dreissig Minen von dem Gelde
neliinen zu wollen, das er als Ertrag der Ländereien mitgebracht,
die seine Frau auf Lemnus Ijesitzt. Gleich darauf begegnet dem
Chremes die Amme seiner Tochter, von der er die Sacldage ei-
fährt. Bei der ersten Mittheilung, dass Phanium mit Antipho
vermählt ist, fragt Chremes betroffen (JV, 6.): „Wie? hat denn
der zwei Frauen?" Eine vom Dichter psychologisch tief gegrif-
622 Die römische Komödie.
feiie Frage; eine recht eigentliche Gfewissensfrage im Munde des
überraschten Bigamisten. Jetzt natürlich ist Chremes eben so
beeifert, den Handel mit Phormio rückgängig zu machen, als er
ihn vor dieser Nachricht angelegentlich betrieben. Eiligst sucht
er den Bruder auf, den er beauftragt hatte, seine Frau, Nausi-
strata, zu bereden, dass sie die fi'emde, dem Antiplio aufge-
zwungene Frau zur Treimung von ihm bewege, und tindet nun
auch schon den Demipho mit der Nausistrata darüber verhandeln,
zu seiner nicht geringen Bestürzung, besonders als er von Demi-
pho hört, dass Phormio bereits das Geld erhalten. Auf Demi-
pho's Frage, wie die Sache steht, erwidert Chremes: Antipho's
Frau wolle von Trennung nichts hören fv. 3.): „Warum nicht?"
— Chremes. „Weil Beide sich so lieb haben." — Demipho.
„Was geht das uns an?" — Chremes. „Viel. Ausserdem habe
ich erfahren, dass sie wirklich unsere Verwandte ist." — Demi-
pho. „Was, bist du rasend?" — Nausitrata legt ein Wort für
die „Verwandte" ein. Die Scene ist wieder meisterhaft vorberei-
tet, angelegt und durchgeführt; die Missverständnisse im ächten
Styl der Intriguen-Komödie, und durch die Situation, so weit es
die hässliohe Stellung des Chremes zu seiner Frau zulässt, ko-
misch. „Nun wohl!" fragt Demipho: „Wie aber, was soll aus
jener Tochter unseres Freundes werden?" (Er meint des Chre-
mes Tochter.) Chremes. „Für die ist gesorgt." — Demipho.
„Wir geben sie also auf?" — Chremes. „Warum nicht?" —
Demipho. „Und Jene soll bleiben?" — Chremes. „Ja." —
Demipho. „Dann kannst du nach Hause gehen, Nausistrata."
— Nausistrata. „Ich glaube auch, dass es weit angemessener
für uns Alle ist, wenn sie im Hause bleibt, als wie du es im
Sinne hattest. Sie schien mir doch, als ich sie besuchte, ein sehr
wohlerzogenes Frauenzimmer zu seyn (ab)." — Demipho. „Was
ist es denn?" — Chremes. „Ist die Thür schon zu?" — De-
mipho. „Ja." — Chremes. „0 Jupiter, die Götter sind uns
gnädig. Ich habe meine Tochter mit deinem Sohne verheiratiiet
gefunden." — Demipho. „Was? Wie wäre das möglich?" —
Chremes. „Der Ort ist hier nicht sicher genug, um es dir zu
erzählen." Demipho. „Nun so komm' mit hinein." — Chre-
mes. „Dass aber unsere Söhne ja nichts davon erfahren, hörst
du? (Beide ab)."
Phonnio. Der Process. 623
Was hat nun Pliorniio mit den dreissig Minen angestellt?
Der Hausschmarotzer hat sie redlich und unverzüglich dem Sohne
des Chremes, dem Phaedria, eingehändigt. Wozu? Ei, zu Nutz
und Frommen des zweiten Intriguenknotens , als stehende Los-
kaufsumme. Für Wen? Die Frage! Für Phaedria's Hetäreu-
Schätzchen; irgend eine, nicht einmal genannte Citherspielerin,
die er vom Mädchenwirth mit den vom Schmarotzer, im Ein-
verständniss mit dem Haussklaven Geta, dem Alten abgelockten
dieissig Minen nun freigekauft, vermuthlich, um mit seinem
Vetter, Antipho, im Elternhause gemeinschaftliche Familie zu
bilden, mit Phormio, als permanentem Tischgast. Terenzens Con-
taminatio erweist sich wiederum als eine Contaminatio der Me-
nander-Komödie seihst. Contaminatio in der Bedeutung von „Be-
fleckung"; insofern sie nämlich das Amiichige der neuattischen
Komödie noch steigert und an dem Skandal raftinirt. Denn einer
Palliate ohne Hetärenintrigue fehlt der Hochduft, der muffelnde
Wildgeruch, das Aroma für die Nasen der feiiien römischen, der
feinen Gesellschaft überhaupt, die selbst in solchem Aroma-Sta-
dium sich befindet.
Bevor aber Phormio den permanenten Tischgast durchsetzt,
hat er noch einen harten Straus mit beiden Väter-Brüdern zu
bestellen, die ihre dreissig Minen zurück verlangen fv. 7.): De-
mipho. „Gieb uns das Geld lieraus." — Phormio. „Nein, gieb
mir die Frau heraus." - Demipho. „Fort vor Gericht!" —
Phormio. „Hört ihr nicht bald auf, mich zu ärgern?" — De-
mipho. „Was willst du denn anfangen?" — Phormio. „Ich?
— Ihr meint vielleicht, dass ich nur Schutzredner für unbemit-
telte Mädchen bin. Ich pflege es auch für bemittelte zu seyn."
— Chremes. „Was geht das uns an?" — Phormio. „Gar
nichts. — Ich kenne hier aber eine Frau, deren Mann noch eine
zweite Frau" — Chremes. „Ha!" - Phormio. — „in Lem-
nus hatte." — Chremes. „Ich bin vernichtet." — Phormio
— „von welcher er eine Tochter hat, die er heimlich erziehen
lässt." — Chremes. „Ich sinke in die Erde . . . Woher es der
Schuft nur erfahren haben mag?" fragt er leise wimmernd den
Bruder, dem es ein Käthsel ist, wie jenem ein unbegreifliches
Wunder. Als ob es vor Hausschmarotzern, die mit Sklaven und
Ammen auf du und du stellen, Geheimnisse gäbe; und mit Söh-
624 ßi^ röniisclio Komödie.
uen, denen sie Liebchen von Kupplern mit dem Gelde loskaufen,
das sie den Vätern abgejagt. Der Dichter nennt auch gar nicht
die Quelle, woher Phormio um das Geheimniss wisse. Einem
Phormio erzählen das die Sperlinge auf dem Dache. Iii der
Scene vorher (V, 6) wo Geta das von ihm an der Thüre von An-
tiphila's Wohnung, wo sich gerade Chremes befand, erhorchte Ge-
heimniss dem Antipho und Phormio mittheilt, in dieser Scene
sagt schon Phormio: „Wahrhaftig, auch ich habe von der Ge-
schichte gehört" (atque hercle ego quoque illam inaudivi fabulam).
Mit Demipho hat aber der Schmarotzer nicht so leichtes
Spiel wie mit Chremes: „Wie?" ruft Demipho, „und solcher
Mensch soll uns so viel Geld abnehmen, und uns noch so offen-
bar verhöhnen? Auf, rüste dich mit Mannesmuth und Geistes-
Gegenwart!" feuert er den Bruder an. Jetzt kann es der Nau-
sistrata doch nicht mehr verborgen l)leiben . . . Verklagen wollen
wir den Schuft." — Phormio. „Verklagen?" (auf das Haus des
Chremes zeigend): „Dort, wenn's euch beliebt." Und nimmt eine
Wendung gegen das Haus. Chremes und Demipho lialten ihn
fest. Phormio schreit aus Leibeskräften: „Nausistrata , komm'
heraus!" Sie kommt: die Katastrophe in leibhafter Gestalt.
Nun sitzt unser Chremes-Stilpho in der Patsche. Die Situation
hat er vollauf verdient. Wär's nicht um die Lustspiel-Stimmung,
müsste man den glimpflichen Ausgang, in Bezug auf ihn, für
viel zu gelinde, ja für anstössig halten. Auf Fürbitte des Demi-
pho erhält der Doppelgatte, die Contaminatio in Gestalt eines
Bigamisten, Verzeihung von der gutmüthigen Nausistrata. Giebt
man dem Lustspiel die günstige Wendung drein; so wirkt dafür
das Verhalten des Schmiirotzors um so widriger, der den alten
Mann, Angesichts seiner Frau, in der ganzen Blosse seines, für
eine Komödie nichts weniger als spasshaften V^ergehens, an den
Pranger stellt. Zuletzt, als er die Verwendung der dreissig
Minen angiebt, zum Loskauf einer Dirne für den Sohn, findet der
Schmarotzer eine eifi'ige Vertreterin in der Mutter gegen den
Vater, der über diese neue Nichtswürdigkeit des Parasiten auffahrt
(v. S.j: Nausistrata. „Scheint dir das so schändlicli?" fragt
sie den Mann, „wenn dein Sulni, der junge Mensch, ein Lieb-
chen hat, und du zwei Frauen." Eine bittere, aber gesunde,
eine Plnuiinischc l'ilh'; vielleicht die einzige der Art bei Terenz.
Phormio. Das Puljlicuiu. 625
Demiplio. „Er wird tlmii, was du willst." Nausistrata. „Nun
so höre meinen Beschluss. Icli verzeilie nichts, verspreche nichts,
erwiedere nichts, bis mein Sohn hier ist. Seiner Entscheidung
überlass' ich Alles. Was er l)estimmt, will icli thun." — Phor-
mio. „Du bist eine kluge Frau, Nausistrata." — Nausistrata.
„Bist du zufrieden?" — Phormio. „Oh, so ist's schön und hen-
lich und mehr, als ich hoft'te." — Nausistrata. „Aber wie
heissest du?" — Phormio. „Ich? — Phormio, ein treuer
Freund euerer Familie und hauptsächlich deines Sohnes,
Phaedria." — Nausistr. „Verlass dicli darauf, Pliormio, ferner-
hin will ich dir zu Grefallen Alles thun und sagen, was ich kann,
und was du willst." — Phormio. „Du bist sehr gütig." —
Nausistr. „Du hast es verdient . . ."
Schwerlich möchte ihr ein Publicum der Neuzeit beii)tlicliten,
noch auch in den Beifall einstimmen, den der Chor der Schau-
spieler in der stehenden Schlusszeile von seinem Publicum erbat,
und auch, in Betracht der vorzüglichen, bis auf Haupt- und Kern-
punkt, meisterwürdigen Komödie, mit Recht erhielt. Selbst das
Pariser Publicum der Loretten- Komödie würde einen Komö-
dien-Vater, in der Lage des Chremes, von der Bülme zischen,
und einen Schmarotzer von Phormio's Verdiensten um Chremes'
Familie mit faulen Aepfeln bewerfen. Auch die von der Mutter
in Aussicht gestellte üel^eiiragung des Schiedsrichterurtheils über
den Vater an den Solm, möchte das Pariser Publicum der Lo-
retten-Komödie schwerlich goutiren. Nur der Geschmack einer
einzigen Separatistengemeinde der holien Kritik würde vielleicht
aus dieser Komödiengattung den höhern haut-goüt herausdüfteln
und herausschnüfteln: die hohe Kritik der Nachzügler unserer
ironisch-ro)iiantiscl)eii Scliule. Sie alhnn kCninten in dem schliess-
liclien Ko]n<idien-Triumph des Schmarotzer- Hetärenthums den
'riiiunph ihres ironischen Kunstprincips geniessen, das die höchste
Kunst))efriedigung und den feinsten geistigen Wollustkitzel darein
setzt: wider den Staeliel des gesunden Menschenverstandes und sitt-
liclieii Empfindens zu locken. Für uns Andere, die ihren Kunstge-
schmack nocli nicht bis zu dieser mephitiscli-spiritual istischen
Schwelgerei in laitrescirender Geistigkeit verl'eiiiert ha])eii, stellt es
nicht nur fest, dass besagte Aesthetik der iionie. in Bezug auf ge-
sundes und riclitiges Kunstvorständniss. Iiei dem Pariser IMililienm
II. 1"
626 Die römische Komödie.
der Loretteii-Komödie in die Schule gehen kann: wir hegen so-
gar die Ueberzeugung, dass, möclite auch das moderne Lustspiel,
in Hinsicht des fonnellen Kunstwerthes und selbst des feinen
Sinnes für Situations-Komik, hinter dem des Menander und Teren-
tius zurückgeblieben seyn, was wir keineswegs zugeben: so ist
doch das Theater-Publicum fortgeschritten; so hat doch das Pu-
blicum der Gegenwart, was dramatisches Schicklichkeitsgefühl
betrifft, verglichen mit dem Publicum des Menander und Teren-
tius, einen Riesenfortschritt gethan.
Die Brüder (Adelphij wurde an den Leichenspielen (ludis
funebribus) aufgeführt, welche zu Ehren des L. Aemilius Paulus
stattfanden, des Besiegers von Perseus, König von Macedonien,
daher Macedonicus genannt Tgest. 59;i v. St., 158 v. Chr.). Die
Spiele wurden, wie üblich, von den Söhnen des Verstorbenen, in
diesem Falle also von Fabius Maximus und Publ. Corn. Scipio
veranstaltet, die beide sich nach ihren Adoptivvätern nannten:
Ersterer nach Qu. Fabius Maximus, seinem Pflegevater; der zweite
nach dem Sohne des ersten Scipio, genannt der Afrikaner. Beide
Söhne stehen daher auch, in der Didascalia zu dieser Komödie,
an Stelle der Aedilen verzeichnet. Gespielt wurden die Adelphi
von den Truppen des L. Ambivius und L. Turpio, soll heissen,
Ambivius Turpio und L. Attilius Praenestinus. Die Didascalia
giebt an: L. Attilius Praenest. und Minut. Protimus als Schau-
spieldirectoren. Die Arien setzte wieder Flaccus, Sohn des Clau-
dius, für die lydische Doppelflöte, wie Donat angiebt, d. h.
für die Doppelflöte, bei welcher beide Flöten rechtseitige waren;
die Löcher nämlich an der rechten Seite hatten, und einen tiefen,
feierlichen Ton, den Durton, angaben, dem Cliarakter der Leichen-
spiele entsprechend. In der Didascalia heisst es dagegen: Tibiis
Serranis oder Sarranis; mit Begleitung der SaiTanischen oder Sy-
rischen Doppelflöte. fTyrus nannten die Phönicier Sar, daher
„Sarranisch.") Bei dieser Doppelflöte waren beide Rohre link-
seitig gebohrt und gaben einen hellen, fröhlichen Klang. Die
Angabe der Didascalia bezieht sich auf die zweite Vorstellung
der Adelphi, wo jene feierliche Veranlassung fortfiel, und daher
die serranische Flöte am Orte war. Donat bemerkt: Modulata
est autem tibiis dextris, i. e. Lydiis, ob seriam gravitatem, qua
lere in omnibus comediis utitur hie [»oeta. Saepe tarnen, muta-
Terentius. Adelphi. 627
tis per Sceuam modis, caiitica mutavit, quod significat titulus
Scenae, habeiis subjectas personis literas M. M, C. fMutatis mo-
dis Cantici): „Terentius, sagt er, wende meist die tibiae dextrae,
mit dem ernsten tiefen Tone, an; doch ändere er, nach Umstän-
den, auch die Arien oder Melodien, was die Anfangsbuchstaben
M. M. C. unter dem Scenentitel andeuten, und in diesem Falle,
wie sich von selbst versteht, auch den Flöten- und Toncharakter."
Die Didascalia führt noch an, dass die griechische Komödie, wel-
cher die Adelphi nac]igel)ildet worden, von Menander sey, und
dass die Adelphi unter den Consuln M. Juventius und. M. Sem-
pronius zum drittenmal gespielt wurden.
Dass der Prolog abermals die unvermeidliche RechtfertigTing
des Dichters gegen die Angriffe seines Leibfeindes vor das Publi-
cum bringt, versteht sich von selbst. Donat scheint aus diesen
Prologen des Terentius seine vier Ai-ten von Prologen entwickelt
zu haben. Er theilt nämlich die Komödien-Prologe'): in den
„empfehlenden" Prolog {öcotaciKÖg, comraendatitius), welcher
das Stück oder den Dichter der Gunst des Publicums ompfielilt;
den „beziehendliclien" («rayo^</.oc, relativus), der auf den
Gegiier Bezug nimmt. Dieser ersten Prologen - Gattung steht,
nach Doimt, eine zweite gegenüber: der „Inhaltangebende"
{in()0&ir/.ög, argumentativus) und der „gemischte Prolog"
(liiiy.Tog), der die drei Arten in sich vereinigt. Offenl)ar theilten
sich Terentius und Plautus in die l)eiden Prologe n-Paare: dem
Terentius fällt das erste Paar, dem Plautus das zweite zu. Der
Prolog zu den Adelphi beginnt mit einem gelinden, anaphorischen
Ablehnen der Beschuldigung seiner Neider und Feinde: als habe
Terentius ein Plagiat an der verloren gegangenen Komödie des
Plautus: „die Zusammensterbenden" (Synapotlinescontcs) begangen.
Nun befinde sich aber in diesem, einer griechischen gleichnamigen
Komödie von Diphilos nachgol)il(leteii TAistspiele des Plautus die
Scene gleich im Anfang gar nicht, wo ein Athenischer Jüngling
einem Kuppler eine Buhlerin entreisst, die er dagegen, Terentius,
in seinen dem Menander entlehnten Adelplii getreulich angebracht
„und wörtlich übersetzt" (eum hie locum sumpsit sibi In Adel-
phos, verbum de verbo expressit v. 10 ff.). Hier geht der Prolog
1) Prolegg. ad Terent.
4il*
628
Die römische Komödie.
aus dem Anzügliclien in das Bezügliche oder Bezieheiidliclie ü])er,
und stellt dem geneigten Urtheil des Publicums anlieim, ob eine
aus zwei verschiedenen griechischen Komödien contaminiiie Pal-
liata von Kechtswegen als ein „Diebstahl" an Plautus aufgemutzt
werden darf, der doch jene Scene ganz und gar fortliess. (Fur-
tumne factum existimetis, an locum lieprehensum qui praeteritus
negligentia'st): „öder ob nur eine Stelle (Scene) wieder aufge-
nommen sey (und zwar wörtlich), über welche Plautus aus Nicht-
achtung hinwegging." Nun greift der „bezügliche" Prolog wieder
in den „anzüglichen" zurück, indem er auf die schon erwähnte
Unterstellung gewisser Bösgesinnten hinzielt; dass er sich näm-
lich, ausser den griechischen Federn, auch noch mit den lateini-
schen seiner hohen Gönner schmücke (des Scipio, Laelius und
i!!an nlo . Ctel
Bern ei
Mieio.
tS'i/jfitj'
Dromo . Cie-Pij}ho. Ae^fchinUS-
Furius Publius); benutzt aber, wie schon erwähnt, zugleich mit
seltener Feinheit die erste Prologenform, die „systatische" oder
Adelphi. Erziehungsresultate. 629
Empfehliingsfonn, um nach beiden Seiten, gegen die hohen Gönner
und gegen das Publicum hin, mit einem zierlich urbanen, ge-
schmackvollen Complimente zu schliessen, und sich der Geneigt-
heit beider HeiTschaften, seiner vornehmen, hochadeligen Be-
schützer und des verehrungswürdigen Publicums, zu empfehlen.
Die Komödienfabel nimmt folgenden Verlauf:
Von zwei Brüdern ist der eine Landraann und Familienvater,
Namens Demea; der andere, Micio, lebt als alter' Junggeselle
in der Stadt. Der ehelose Micio adoptirt Demea's altern Sohn,
Aeschinus; den zweiten, Ctesipho, erzieht Demea selbst auf
dem Lande. Micio lässt seinem Adoptivsöhne, Aeschinus, seinen
Erziehungs-Principien gemäss, alle mögliche Freiheit, auf die ein
Jüngling von guter Familie Anspruch machen darf. Aeschinus
lebt denn auch ganz nach den pädagogischen Grundsätzen seines
Adoptivvaters. Er übt Gewalt an einem unschuldigen Bürger-
mädchen und schwängert sie. Nachdem er die praktische Vor-
züglichkeit von seines Pflegvaters Erziehungsmethode so glänzend
bewälu't, liefert er gleich darauf den zweiten Beweis von der viel-
seitigen Anwendbarkeit der pflegeväterlicheu Pädagogik durch
eine zweite Gewaltthat, indem er eine Harfenspielerin ihrem Kup-
pelwirth und Bordellvater, dem, bei dieser Gelegenheit noch jäm-
merlich durchgeprägelten Leno, Sannio, entreisst und entführt.
Als Bruder Demea seines Sohnes Aeschinus praktische Nutz-
anwendung der pädagogischen Leitung seines Bruders Micio, die
gewaltsame Entführung der Harfenspielerin, erfährt, sucht er die-
sen in der Stadt auf, und überschüttet den Pädagogen und die
Methode mit Holm und Spott (I, 2.j. Micio vertheidigt seine Theorie
mit Festigkeit und Nachdi'uck, und, vom Standpunkt einer milden,
Vertrauen einflössenden, liebevollen Jünglingserzieliung gewürdigt,
auch wohl nüt einleuchtenden, belierzigenswertlieu Gründen. Bru-
der Demea aber, der sich zu der entgegengesetzten, einer strengen,
die Söhne knapphaltenden Erziehungsmetliode bekennt, erweist
die praktische Vorzüglichkeit derselben an dem Beispiel seines
wohlgerathenen ländlich begnügsamen und haushälterisch erzoge-
nen zweiten Sohnes, Ctcsiphon, den er als Muster von einem ge-
sitteten Jüngling dessen älterem Bruder, Aeschinus, gegenüber-
stellt, bei welchem die Erziehung von Bruder Micio solclie Früchte
getragen. Doch sey dieser nunmehr Adoptivvater, und er, der
630
Die römische Komödie.
wirkliche Vater, müsse mit schwerem Herzen sich darein fügen.
Nun wird der Zuschauer in die wahre Sachlage eingeweiht.
Aeschinus hat die Harfenspielerin dem Mädchenwirth nicht als
sein Liebchen und nicht für sich, sondern als seines Jüngern Bru-
ders Ctesipho Liebchen, zu dessen unsäglicher Freude, entführt.
Da wird denn Demea der komische Sündenbock, und seine Be-
schämung ist so gTüudlicli, und bewältigt ihn dergestalt, dass er,
halb im Ernst, halb im Scherz, hall) ironisch, im Grunde aber
doch aus dem Cojicept geworfen, zu des Bruders Methode schwört,
ja sie noch zu überbieten, sich beeifert, indem er der Zustimmung
desselben zu der Vermählung des Aeschinus mit der inzAvischen
Adelphi. Ungelöstes Problem. 631
eines Knäbleiiis genesenen Pampliila ein Paroli biegt und sich
auch mit Ctesipho's Harfenspielerin einverstanden erklärt. Demea
geht noch weiter. In der FüUe seines, zu Micio's liebreichen
Grundsätzen bekehrten Herzens, bestimmt er diesen, er mag wollen
oder nicht, einer Verwandten der Pamphila ein ansehnliches Grund-
stück zu schenken; hiernächst die alte Mutter der Pamphila zu
heirathen und schliesslich dem Anstifter all' der Streiche und
Helfershelfer bei Verführung und Mädchenraub, dem Syrus, des
Micio Sklaven, und gleich hinterher auch der Frau des Sklaven,
die Freiheit zu schenken, die dem neugeborenen Enkelchen ja
zuerst die Brust gereicht. Nun könne Bruder Micio, da er ein-
mal im Zuge sey, noch ein Uebriges thuu, und dem wackern
Syrus einen kleinen Geldvorschuss auf die Hand geben, damit
sich der brave Bm'sche als Freigelassener mit seinem Weibe an-
ständig etablii'e.
Nach Abzug des Unzulässigen und Verwerflichen, das die
Komödie mit allen übrigen gemein hat, scheint sie uns das Mei-
sterstück des Tereuz; sowohl in Absicht auf Gang und Führung,
Lebhaftigkeit der Handlung und vorzügliche Charakteristik, als
in Bezug auf wohlthueude Mischung von gemüthlichem Ernst und
scherzhafter Ironie. „Die Exposition, sagt Donat, ist ungestüm,
die VerAvickelung stürmisch, die Auflösung gelinde." (Protasis
est turbulenta, Epitasis clamosa, catastrophe lenis). Liebreiche
Seelenmilde, weise Menschenfreundlichkeit bildet den gediegenen
Kern, und kommt durch einen Charakter zur Geltung, den
schönsten vielleicht unter allen gemüth vollen Vätern der edlern,
scherzhaft belehrenden Komödie. Nicht olme Bezug auf das Adop-
tivverhältniss zu den Pflegevätern der beiden bedeutenden Män-
ner, die diese Leiclienfeier begingen, scheint uns die Komödie
der „Brüder" gewählt. Micio ist der ehrwürdig köstlichste Lust-
spielvater oder Lustspiel-Pttegvater; die vollausgereifte Frucht
gleichsam von Terentius' Erziehmigs-Komödien und Väter-Schulen,
die fast durchweg den milden, nacbsicbtigen Vater dem strengen
und herben entgegenstellen. Das Problem selbst blieb ungelöst
oder doch in der Schwebe. Die an Aeschinus erläuterten Erzie-
hungs-Resultate sprechen sogar eher gegen die Methode des Micio,
als zu Gunsten derselben. Denn Aeschinus ist es, der die ganze
Verwirrung anrichtet, und zu dem eigenen Frevel noch den fügt,
(532 Die vöniisclie Komödie.
dass er seinem jungem Bruder starke Hand leiht zu einer Unge-
bühr, die dieser aus Scheu vor dem strengen Vater selbst zu
begehen kaum gewagt hätte. Tolle Jugendstreiche verunehren
nur dann einen Jüngling nicht, wenn ein herzhaft edles Motiv
sie veranlasst; der jugendliche Muthwille und üebermuth nur als
das üeberschäumen einer edlen Gesinnung sich kundgiebt. Und
nur solche tolle Streiche sind lustspielwürdig. Zwei an Mädchen
verübte Gewaltacte, wovon der eine ein brutaler ünschuldsraub,
der zweite immer ein gesetzwidriger Eigenthumsraub ist, der noch
obenein den altern Bruder zum Kuppler des Jüngern macht,
derlei Fahrten möchten schwerlich in die Kategorie der gemüth-
lichen Jugendtolllieiten gehören und als Belege für die Empfeh-
lenswttrdigkeit eines Erziehungsprincipes dienen. Auch lässt sich
das Problem in dieser Allgemeinheit nicht an den Erfolgen ver-
beispielen. Die Berechtigung beider Methoden hängt von den
Charakter der Zöglinge ab, an welchen sie sich bewähren sollen.
Bei dem Einen kann ein Uebermaass von nachgiebiger Milde, bei
dem Andern wieder unzeitige Strenge verderblich wirken. Die
Weisheit der Erziehung besteht in einer zweckmässigen und, je
nach dem Charakter, abgewogenen Mischung beider Methoden;
vor Allem in dem Festhalten an der unwandelbaren Maxime : den
Principien der Ehrenhaftigkeit nichts zu vergeben; mag auch in
praxi die Methode des Micio ein Wörtchen mitsprechen. Schän-
dung und Mädchenraub haben zu keiner Zeit für verträglich mit
diesen Principien und mit der Ehrenliaftigkeit eines edlen Jüng-
lingsgemüthes gegolten. Das beweist selbst die Hetären-Komödie
durch die VerwiiTung, die solche Streiche in der Häuslichkeit
ihrer Bürgerfamilien anrichten; ein Familien- Aergerniss, das sie
aber, diese Komödie, leichtfertig lockern Gewissens, nur durch
einen glücklichen Zufall mehr vertuschen als beseitigen lässt. Die
Terentianische Komödie geht in diesem Punkte vielleicht noch
über die neuattische hinaus, insofern ihre Lösung sich bei einer
Abtindung mit den anstössigsten Verirrungen beruhigt, ja diese
durcli die schliessliche Vermittelung des Lasters selber gewisser-
maassen sanctionirt. Micio ist nicht blos mild in der Praxis ; er
geht auch von laxen Erzielumgsgrundsätzen aus. Seinem Bruder
Demea predigt er die Lehre: Mit Mädclien unzüchtigen Umgang
pflegen, zeclien, Thiiren eiiibrecben u. <lgl. sey bei jungen Leuten
Adelphi. Aeschiims und Micio. 633
nichts Sträfliches fl, 2. v. 22 ff.): Non est flagitium, mihi crede,
adolescentiüum Scortavi neque potare; non est neque foresEffrin-
gere . . . Das Wahre und Schöne in diesem Charakter, und der
Reingewinn von Micio's Erziehungsweisheit bleibt das liebreiche
Wesen: die väteidiche Liebesfülle, als pädagogisches Mittel, das
aber oft in Form strafender Strenge sich am segenreichsten be-
kundet. Micio's und des Dichters Errthum ist der, dass sie von
dieser Form gänzlich absehen und liebreiche Milde als ausschliess-
liche, unter allen Umständen heilsame und zweckmässige Erzie-
hungsnorm aufstellen. Doch scheint der Dichter ein Bewusstseyn
von der bedingten Grültigkeit dieser pädagogischen Mildseligkeit
in der Ironie zu verrathen, womit er den Demea sich am Schlüsse
zu derselben bekennen und sie überbieten lässt. Da aber dieser
sarkastische Humor des Demea ihm selber nicht zum Bewusst-
seyn, noch irgendwie dem Ausgang der Komödie zu gute kommt:
bleibt der wunderliche Tick so viel wie ganz aus dem Spiele, er
hat höchstens den Werth eines geistreichen Streiflichtes, das nur
ein IiTlicht mehr ist, dem die tiftelude Aesthetik nachlaufen mag,
das aber dem Publicum kein Licht aufsteckt. Selbst die herr-
liche Scene zwischen Micio und Aeschinus (IV, 5.), die von diesem
mahnenden Berichtigungsbedürfniss inspirirt scheint, ändert an
der Hauptsache nichts, und stellt die Komödie nicht fest in ihren
Knöcheln, ut recto stet fabula talo.
Aeschinus ist auf der Scene; in der peinlichsten Lage, weil
Pamphila, die übrigens gar nicht erscheint, den Verdacht hegt,
er habe die Harfenspielerin für sich entführt. Aeschinus hat an
ihre Thür geklopft. Micio kommt aus dem Hause, wo er mit
einem Verwandten der Pamphila die Angelegenheit eben geordnet:
Aeschinus (für sich). Fürwahr, mein Vater ist's, o weh!
Micio (ihn erblickend). Aeschinus!
Aeschinus (für sich). Was hat der hier zu thunV
Micio. Hast du an diese Thür geklopft? (für sich). Ich niuss
ihn ein wenig necken . . . (laut). Du giebst mir keine
Antwort V
Aeschinus. Ich — ich habe nicht, so viel ich weiss, an jene Thür —
Micio. Nun ja. Es wundert mich auch, was du wohl hier zu su-
chen hättest, (für sich). Er wird roth; die. Sache steht
noch gut.
534 ^^6 römische Komödie.
Aeschinus. Aber Vater — sag mir doch, ich bitte dich, was du hier
suchtest . . .
Micio. Ich eben nichts. Ein Freund hat mich vom Forum mit
hierher genommen, als seinen Anwalt.
Aeschinus. Wie das?
Micio. Ich will's dir sagen. Es wohnen einige arme Frauenzimmer
hier. Vermuthlich, oder sicherlich vielmehr kennst du sie
nicht; denn erst vor kurzer Zeit sind sie hier eingezogen.
Aeschinus. Was weiter?
Micio. Ein junges Mädchen ist's mit ihrer Mutter.
Aeschinus. Erzähle doch.
Micio. Des Mädchens Vater ist gestorben. Mein Freund ist ihr
der nächste von Geburt. Sie ist durch das Gesetz gehalten ,
ihn zu ehelichen.
Aeschinus. Ha!
Micio. Was ist?
Aeschinus. Nichts, gar nichts. Fahr' nur fort.
Micio. Der ist nun gekommen, sie abzuholen, denn er wohnt in
Müet . . .
Aeschinus (für sich). Mir ist nicht wohl zu Muthe. (laut). Und sie?
Was sagen sie?
Micio. Was meinst du wohl? — Nichts eben. Die Mutter wandte
vor, es sey ein Knabe da von einem andern Mann, ich weiss
nicht welchem, denn sie nennt ihn nicht. Der gehe vor . . .
Aeschinus. Wie? Scheint diess, bei so bewandten Sachen, dir nicht
recht und billig?
Micio. Nein.
Aeschinus. Nein, lieber Vater? — Wird er sie denn mit sich nehmen?
Micio. Wie soUt' er nicht?
Aeschinus. Da habt ilir hart und mitleidslos und, wenn ich es noch
offner sagen soll, ehrlos gehandelt.
Micio. Wie so?
Aeschinus. Du fragst? Wie mag dem Armen wohl zu Muthe seyn, der
früher mit ihr Umgang pflog, dem Unglückseligen, der viel-
leicht sie jetzt noch sterblich liebt . . . Die That ist un-
gebührlich, Vater . . .
Micio. 0 lächerlich! Ich sollte gegen Den Partei ergreifen, welcher
mich als seinen Anwalt angenommen? — Was geht das
Mädchen uns denn an? Was haben wir mit denen da zu
schaffen, Aeschinus? Komm, lass uns gehn! — Was ist's?
Was weinest du?
Aeschinus. 0 bester Vater, höre mich!
Micio. Ich habe Alles schon gehört, und weiss es, Aeschinus. Ich
liebe dich , und um so mclir liegt Alles mir am Herzen,
was du tliust.
Caecilius Statius. 635
Aeschinus. 0 möchtest du, mein bester Vater, mich dein h'belang so
deiner Liebe würdig finden , wie micli meine That gereut,
und ich mich vor dir schäme!
Micio. Das glaub ich gern. Ich kenne deinen edlen Sinn. Doch
furcht' ich , dass du gar zu sehr leichtsinnig bist. In wel-
chem Staate wähnst du denn zu seyn? Zum Fall gebracht
hast du ein Mädchen, welches zu berühren das Gesetz ver-
bot. Schon dieses Erste war ein grosser Fehler, ein sehr
grosser. Doch ist's noch etwas Menschliches ; auch andere
haben es gethan , und gute Menschen! Aber sag', als das
begangen war , hast du alsdann nach Rath im mindesten
dich umgesehen , und bedacht , was werden soUte , wie es
werden sollte V . . . Preis gabst du dich selbst, jene Arme,
und das Kind, so viel an dir lag . . . Ich wünsche nicht,
dass du in andern Dingen eben so sorglos bist. Indess sey
guten Muths; deine Gattin soll sie werden.
Aeschinus. Ha!
Micio. Sey guten Muthes, sag' ich dir . . . Geh' jetzt nach Haus'
und bete zu den Göttern, dass du sie zur Gattin nehmen
könnest. Geh !
Aeschinus. Sogleich zur Gattin ?
Micio. Sogleich.
Aeschinus. 0 Vater! Wenn ich dich nicht mehr, als meine eig'nen
Augen liebe, mögen mich die Götter allzusammen hassen.
Micio. Wie? mehr als jene, liebst du mich?
Aeschinus. Ganz eben so.
Micio. Sehr gütig! ...
Väter von solcher himmlischen Herzeiiso-üte findet man nur
in Romanen wieder, in englischen Romanen vorzugsweise. Tom
Jones' Pflegevater z. B. ist ein ähnlicher Charakter. Dem Micio
muss man freilich, der Komödie zu Liebe, einen Jüngling, wie
Aeschinus, vergeben, der bei solchen Streichen ein so kindlich
edles Herz und so viel sittliches Schamgefühl besitzt.
Von C. Caecilius Statius, dem ältesten hochberühmten
Dichter der Com. palliata, sind, ausser ein paar dürftigen Notizen
über ihn, nur kümmerliche Verskrümel aus 40—5(1 Komödien
nebst deren Titel auf die Nachwelt gekommen. Den Notizenbe-
stand bildet das sclion angeführte Lob des Cicero •;: Caecilius
fortasse summus poeta comicus. Ferner Cicero's minder schraei-
1) De opt. gen. orat. I, 2.
636 ^^^'^ römische Komödie.
clielhafte Bemerkung über das Latein des gTössten komischen
Dichters : malus auctör latinitatis i), und Gellius' Meinung -), dass
Alles in Allem die Stücke des Menander doch ungleich vorzügli-
cher wären, als die des gi'össten komischen Poeten. Hiezu die
biographische Ueberlieferung, dass Caecilius aus dem Lande der
Insubrer in Oberitalien stamme, wie seine Kunstgenosseu Plautus
und Terentius, Sklave gewesen und 586 d. St. gestorben sey.
Seine Fragmente und die dazu gehörigen Titel finden sich
in der Sammlung von Bothe'^) uiid in Leonh. Spengel's Ausgabe
von ] 829. ^) Hier prangen sie in alphal)etischer Ordnung : Bröck-
chen, nicht grösser als die in einem Mineralkästchen, nur dass
sich an letzteren die Steinart ganz gut erkennen, aus den Grus-
und Sandkörnchen in Bothe-Spengel's Schublädchen dagegen sich
im geringsten nicht die Beschaffenheit der Stücke errathen lässt,
als deren verwitterte Bruchstückchen sie zurückgeblieben. Aus
den Titeln schloss Meineke % dass die meisten von Caecilius'
Komödien den gleichnamigen des Menander nachgebildet waren:
Andria, Androgynus, Epiclerus, Hynniis, Hypoboli-
maeus, Imbrii, Nauclerus, Plocium, Poluraeni, Syna-
ristosae, Synephebi, Titthe. Die andern Buchstaben des
Titel-ABC suche, wer will, bei Bothe und Spengel. 0 der Un-
sterblichkeit des grössten komischen Poeten, von dessen Werken
nichts übrig bleibt als das ABC. Für den Mann mit der Sand-
uhr und Hippe sind das eben die lustigsten Komödien. Auch
ist er der Einzige, der immer zuletzt lacht und desshalb aus dem
Zähnefletschen gar nicht herauskommt, der spassige ABC-Schütz.
Die Comoedia togata (römische Nationalkomödie).
Das Allgemeine darüber hat oben bereits Erwähnung ge-
funden. Es erübrigt nur noch, die Dichter derselben zu nennen.
Als Erfinder der Comoedia togata wird von Donatus'') Li-
vius Andronicus angegeben. (Comoediam et tragoediam toga-
tam primo Livius Andronicus reperit.) Da indessen diese Be-
hauptung vereinzelt dasteht, auch die Fragmente des Liv. An-
1) ad Att. VII, 3. Brut. 74. — 2) N. A. II, 23. — 3) Poett. Sceiiici
Latt. Vol. VI. Fras'iH. Com. p. 128 ü'. — 4) Caii Caecilii Comic. ]»oet. de-
perditar. Fabular. FraH'mcnta. Moiiach. — 5) Praef. ad Meii. Fragm. p.
XXXV. — (i) De (Jomocd. a. a. (>.
Die Coraoedia togata. 637
dron. keine Spur weder von einer Tragoedia praetexta, noch von
einer Com. togata verratlien, mag die Stelle bei Donat ge-
fälscht oder untergeschoben seyn. '; Des Liv. Andronic. nächster
Nachfolger Cn. Naevius könnte für den Erfinder der Comoedia
togata gelten, wenn sein Romulus, den Lange 2) für eine solche
erklärt, niclit sclion von Regel und dann auch von Neukirch als
eine Praetexta wäre nacligewiesen worden. Doch nimmt Neu-
kirch an 3), dass Naevius auch togatae tabernariae geschrieben,
was sein Clastidium beweisen soll, nach einem Städtchen in
Gallien so genannt, worin folglich auch nur römische Sitten vor-
kommen konnten. Die Erbitterang des Naevius gegen die römi-
schen Optimaten, meint Neukirch, möchte ihn überhaujit zur Be-
handlung von römischen Fabelstoflfen bestimmt haben.
Als Dichter von Togaten, Tragödien mid Komödien, führt
der Scholiasta Cruquii^) an: Den Aelius Lamia, Antonius
Kufus, Cn. Melissus, Afranius, Pomponius. Lange ^j be-
zweifelt, dass einer von diesen Genannten eine praetexta geschrie-
ben, und liält sie sämmtlich für Dichter von Togaten-Komö dien
oder Atellanen, worin ihm Neukirch ])eistimmt. Von Afranius
sagt Horaz '') :
Dicitur Afrani toga convenisse Menaiidro. —
Danach wäre Afranius der Menander der römischen Com. togat. ;
wie Terentius, den Afranius l)ewunderte und nachahmte, der lialbe
Menander der römischen Palliata war.
Als Vertreter der Tabernaria, der Localkomödie, oder der
Comoedia togata des Khänbürgerthums werden angefülirt:
Qu in ct. Titini US, Die Zeit, wann er lebte, lässt sich nicht
genau bestimmen. M. Ter. Varro ") ist der älteste Schriftsteller,
der ihn erwälmt. Er le])te wahrscheinlicli in dem Zeitraum zwi-
schen Caecilius und Terentius. Von Titinius *) haben sich 14 Ko-
mödientitel erhalten. Varro rühmt ihn als Sittenmaler. Nächst
Terentius liabe Titinius am vorzüglidisten die */^ry (Sitten) ge-
schildert. Seine Stücke spielen gTösstentlicils in Landstädten des
1) Neuk. de lab. tog. p. (12. 2) Vind. trag. R. p. N. :i) a. a.
0. t)6. — 4) ad Hürat. Ep. ad Pis. v. 288. — 5) a. a. 0. p. 11.-6) Ep.
IT, 1. V. 57. -- 7) Cham. II, p. 215 ed. Putsch. — 8) Vgl. Neuk. a. a. 0.
p. 97 rt'.
538 ^^^ römische Komödie.
südliclien Latiums, in Setiae, Fereiitinum, Velitrae, und bewegen
sich im kleinbürgerliclien Leben: z. B. Die Walker (Fullones).
Der Jurist (Jurisperita;. Die Harfenistin von Pherenti-
num (Pherentinas). Die Zwillingsschwester (Gemina). Die
Stiefmutter (Privigna). Aus diesen Komödien finden sich bei
den Lexikographen und Grammatikern einzelne Verse und Worte
angeführt.
T. Quinctius Atta. Atta bedeutet, nachFestus: „Klump-
fuss", woher, ihm zufolge, dieser Tabei'narien-Dichter den Namen
bekommen hätte. (Quod Cognomen Quinctio poetae adhaesit.)
Sein Todesjahr setzt Hieronymus ') Olymp. 1 75, 3 = ü. C. 676
:= V. Chr. 78. Euanthius nennt ihn 2) einen grossen Komiker.
Horaz wirft ihn im Stillen unter das alte Eisen:
Zweifelt' ich nur, ob Atta's Stück noch jetzt es verdiene,
Ueber die Bühne zu wandeln, so schrieen fast sämmtUche Väter u. s. w.
Rectum necne crocum floresque perambulet Attae ^)
Fabula, si dubitem, clament etc.
Von ilim sind Bruchstücke aus II Komödien vorhanden:
Aedilicia. Aquae caldae (Warme Bäder). Couciliatrix
(Die Vermittlerin). Gratulatio (Der Glückwunsch). Lucu-
bratio (Nächtliche Vorbereitung zur Hochzeitfeier, wie man aus
den Bruchstücken vermuthet). Matertera (Die Stiefmutter).
Megalensia (Das Megalensien- oder Cybele - Fest;. Socrus
(Die Schwiegermutter; vielleicht im Stoffe älinlich der Hecyra
des Terenz). Supplicatio (Das Bittgesuch). Tiro proficis-
cens (Der in Krieg ziehende Kekrut).
L. Afranius. Den Vornamen L. (Lucius) giebt ihm Ci-
cero. ^) Die Lebenszeit sclieint Vell. Paterc. •') fast gleichzeitig
zu setzen mit Caecilius und Terentius (suppari aetate nituerunt).
An einer andern Stelle"^) clara etiam per idem aevi spatium (zur
Zeit des Scipio Aeinilian., Laelius, L. Crassus etc.) fuere ingenia,
in togatis Alranii etc. „In demselben Zeitraum glänzten Afra-
nius in Togaten" u. s. w. Hiernach möchte Afi-anius 13() v. Chr.
geboren seyn. Geburtsort l)lieb unbekannt. Neukirch nimmt Rom
1) in Chron. Eus. -- 2) Comnicnt. de fabul. — 3) Ep. 11, 1. v. 79. —
4) Brut. 45. — 5) I, 17, 1. - 0) IJ, '.), 3.
Der Mimus. 639
an als Vaterstadt. ') Dass Afranius Localstücke (Taberiiarieu) ge-
schrieben, sagt Diomedes ausdrücklich 2) , Togatas tabernarias
in scenam diictaverant praecipue duo, Afranius et Quinctius fTi-
tinius). Unter den Titeln seiner Stücke findet sich auch Thais,
woraus Einige leichthin folgern wollen, dass Afranius auch Pal-
liaten geschrieben. Afranius' Lustspiele ^vurden noch zu Nero's
Zeiten gespielt, ^j Apulejus ^) nennt den Afranius einen „elegan-
ten Schriftsteller". Quinctilian ^j rühmt von ihm: „Afranius
zeichne sich in den Togaten aus; leider beflecke er seine Fal)eln
mit hässlichen Knaben-Liebschaften" (Togatis excellit Afranius,
utinamque non inqui nässet argumenta puerorum foedis amoribus).
Auf die vitiosa libido in den Lustspielen des Afranius zielt auch
ein Epigramm von Ausonius "; : Quam toga facundi scaenis agita-
vit Afrani. Davon mindestens hat sich die Palliata reingehalten.
Ueber vierzig Titel von Afranius' Togaten werden aufgezählt.
Man findet sie bei Neukirch ') mit allen aus Nonnius , Charisius
und sonstigen Grammatikern zusammengetragenen Bruchstück Ver-
sen und zerstreuten vereinzelten Worten alphabetisch aufgeführt.
In diesem Titelverzeichniss konnnt sogar ein Komödientitel vor
unter dem Namen: Titulus, mit der Belegstelle aus Gellius:^)
Sicut Afranius dixit in togata, cui Titulus nomen est. Eine
andere von Afranius' Togaten führt den Namen ihrer Gattung:
Togata, von Q. Ter. VaiTO angeführt^;, gelegentlich eines Wor-
tes (Puticulij, das sich in dieser, „Togata" betitelten, Togata des
Afranius finde.
Mimus.
Kr stannnt ursprünglich aus Sicilien, wie schon, gelegent-
lich der Mimen {!.ii/.ioij des Sophron, bemerkt worden. Der
römische Mimus scheint aus der Abart des siivelischen Mi-
mus hervorgegangen, die Plutarch yiaiyvia nennt "^): schmutzige
Possen, welche, wie er hinzuiügt, wegen ihrer Obscönität, von
Knaben iiiclit gespielt werden durften. In seiner niedi-igsten Form
beschränkte sich der römische Mimus auf Nachahmung von 1'hier-
1) a. a. (). lüO fi. -- 2) III. p. 4sS, Putscli. — 3) Suet. Ner. 11. —
4) Apolüg. 420. - :>) Orat. X, 1, lüO. G) Ep. LXXI. — 7) p. 176—279.
— «,) X, 11. - 9) L. L. V. 12. p 42. ed. Spengel. - 10) Sympos. VII,
8, 4. p. 712.
640 Die römische Komödie.
lauten '), dann ging er zu gesticulirender Nachahmung, gemeiner
Unanständigkeit und Zoten über, mit grellem Geberdeuspiel, Ge-
sichtsverdrehungen und Grimassen, woher die Veranstalter solcher
Zerrmienen Sanniones hiessen. Sanna bedeutet eben „verzerr-
tes Gesicht", es distortum , wie Pseudocornutus zu Persius '-) das
Wort erklärt, übereinstimmend mit Cicero 3): Quid porro tam
ridiculum quam Sannio est? qui ore, vultu, imitandis moribus,
voce, denique corpore ridetur ipso. „Giebt es etwas Lächerliche-
res als den Sannio? Der mit Mund, Gesicht, nachspottender Ge-
berde, mit der Stimme, ja mit dem ganzen Körper lacht". Viel-
leicht lässt sich der Name Sannio auf den Komiker und Lach-
spieler Sannyrion {^avvvQi'ov) zurückführen, einen Nebenbuhler
des Aristophanes, der diesen Saimyrion im Gerytades verspottet
hatte, wofür ihn Sannyrion in seinem Stücke „Das Lachspiel"
{rähog) 4) wieder aufzog. ■'•) Welcker nimmt auch wirklich den
Sannyrion für den Charakternamen des Narren.'')
Anfangs waren die Mimiker nichts als solclie Possenreisser
oder Sanniones. ') Ihre Fertigkeit im Gesiclitersclmeiden und Ge-
berdenspiel wurde bald zur Aushülfe für den sprechenden Schau-
spieler in der Komödie benutzt, den sie mit der Gesticulation
unterstützten. Der Schauspieler sprach und sie schnitten die Ge-
sichter dazu. Eine ähnliche Trennung und Theilung in den Vor-
trag, wie uns beim Canticum schon begegnete, wo der Schauspie-
ler den Gesang durch stumme Tanzgeberde ausdrückte. Oder der
Sannio trat in den Zwischenacten allein auf, um in der Orcliestra
seine Possen-Mimik dem Publicum zum Besten zu geben. ^) Die
allerniedrigste Nachahmung durch Gesticulation war also das ur-
sprüngliche Handwerk des Mimus, und der C'harakter des vorge-
stellten Mimus. Das Wort bezeichnet nämlich Beides: den Spie-
ler und die Darstellung. Diese Faxenmaclier, sag-t Euantliius ■'),
werden Mimi genannt, wegen der beständigen Nachahmung ge-
meiner Gegenstände und niedriger Personen fMimos dictos a diu-
turna imitatione vilium rermn et levium personarumj.
n Suet. Vitell. Jl. Anson. Epigr. LXXV. Anthol. Lat. IV, 20. ed. Burm.
Diom. 11, 4S7. Phaedr. Fub. V, 5. - 2) Sat. I. v. 72. — 3) Orat. II. c.
5. — 4) Fr. p. Slli. 5) Schol. Plat. ]». 331. Bek. — 6) Schulz. 1js30 U.
p. 419. — 7) Ziegler de Mimis Rümaii. Comment. Gott. 17!>S. \>. 8. —
8) Fest. V. ürchestra. — !i) Tract. de Trag, ft Com.
Planipedia. Archiiuiiaus. 641
Der lateinische Name für die Mimenspiele war Planipedia;
für die Spieler Planipedes. „Planipedes wm-den sie genannt,
weil die Darsteller planis pedibus, d. h. barfuss fnudis pedi-
bus) die Bühne betraten". Darunter ist aber nicht „bloss- oder
nacktfüssig" zu verstehen, sondern, wie Diomedes ') hinzubemerkt,
ohne den Kothurn der tragischen Schauspieler und ohne den Soc-
cus der Komiker (Non ut tragici actores cum cothurnis, neque
ut scenici [Komödienspieler] cum soccis). Der Mime hatte bloss
eine leichte Sohle unter den Fuss gebunden, wesshalb die Mimen
auch excalceati (Schuhlose; Messen. Uebereinstimmend mitEuan-
thius erklärt Donatus'-^): Planipedia dicta (nämlich die römi-
schen Mimenspiele) ol) humilitatem argumenti ejus ac vilitatem
actorum: „Planipedia wurden diese Spiele genannt, wegen der
Niedrigkeit des dargestellten Gegenstandes und der Verächtlich-
keit der Spieler". Wobei Donatus von der Etymologie des Wor-
tes absieht. Den Mimus, als Vortrag, erkläit Diomedes ebenfalls
durch motus sine reverentia: „ein anstand swidriges Geberdenspiel,
oder eine muthwillige Nachahnmng schmutziger Handlungen" (vel
factorum turpium cum lascivia imitatio).
Bis etwa um die Zeit des Dictators Sulla, der ein leiden-
schaftlicher Liebhaber und Gönner dieser Zotenposse und ihrer
Spieler war, gab es nur Steg reif vor Stellungen dieser Gat-
tung; ungeschriebene Mimen. Aber auch die spätem schrift-
lich abgefassten, die niedergeschriebenen Mimen, von de-
nen Gellius^) und Macrobius^; sprechen, scheinen nur Skizzen
gewesen zu seyn, die aus einem Prolog und einigen Hauptanga-
ben oder Anweisungen bestehen mochten, um die Aufeinander-
folge der einzelnen Situationen für den Hauptacteur (Archimi-
mus) ^) zu bestimmen. Seincsn Haupttheilen nach wurde der Mi-
mus demgemäss von einem solchen Hauptspieler oder Archimimen
dargestellt, mit untergeordneten Mimen, die ihn nur hie
und da mit einigen Andeutungen unterstützten und sein Einzel-
gespräch, womit er al» und zu sein Gel)erdenspiel erläuterte, durch
kurze eingestreute Bemerkungen oder Antworten, zum Dialoge
(diverbium) belebten. An solclie mimisclie Nebenrollen
(partes secundas; denkt Horaz ''j :
1) lU. p. 487. - 2) de Com. p. VIII. - .i) XVII, 14. 4) Sat. 11,
7. ~ 5) Suet. VitcU. 19. — (j) Ep. I, 18. v. 13 f.
n. 41
542 Die römische Komödie.
,, Hallt so Jegliches Avieder und hascht die entfallenden Wörter,
Dass nachbetend du glaubest den Knaben die Worte des strengen
Schulherrn, oder den Minien behandelnd die untere Eolle".
(. . . vel partes mimum ti'actare secundas.)
Petronius spricht gar ^j von einer ganzen Gesellschaft Mimen
(grex Mimorunij, die eine Vorstellung mit vertheilteu Rollen ga-
ben, wo der Eine den Vater, der Andere den Sohn u. s. w. agirte.
Bei Cicero "^) finden sich noch aus einem solchen Zwiegespräch ein
paar zwischen zwei Mimen gewechselte Worte.
Im Mimus traten Männer und Frauen auf, beide in Haupt-
rollen. Der ganze Mimus wurde von der Flöte begleitet 3), und
ohne Maske gespielt, mit glattgeschorenem Kopf. ^, Das Co-
stüm war ein bunter Harlekinsrock Centunculus, darüber ein
kurzes Mäntelchen, ricinium, wovon die Mbnen auch ricinati
oder recimati hiessen. ^)
Die geschriebenen Mimen unterschieden sich, was den In-
halt ihrer Vorstellungen betriflt, nicht wesentlich von der impro-
visirten Mimenposse. Ovid nennt die Mimen überhaupt, geschrie-
bene oder ungeschriebene: imitantes turpia: „Nachahmer des
schmutzig Ungesitteten".**) W^ie z. B. seine Ars amandi, die,
nach dieser Erklärung, ein Mimus wäre in elegischer Form. Ob-
scoena jocantes 'j : „die durch Obscönitäten zu unterhalten such-
ten", wie z. B. sein remedium amoris. — Das gewöhnliche Thema
dieser Spiele war Ehebruch. ") Das Thema ist auch das stehende
des fi-anzösischeu Lustspiels, das sich aus dem von der Terentia-
nischen Komödie in die Familie gastfreundlicli aufgenommenen
und eingebürgerten Hetärenthum hervorgebildet und ein Zwitter-
spiel vorstellt von Mimus und Terentianischem Raffinement. Ne-
ben dem Ehebruch war Diebstahl das Lieblingsthema des Mi-
mus, wie im Cophinus z. B., einem Mimus des Laberius. Um
Kinderraub und Diebstahl dreht sich überhaupt, Avie wir sahen,
<las ganze Lustspiel der feinen griechischen und römischen Ge-
sellschaft, die Menander- und Palliaten- Komödie. Der Mädchen-
wirth oder Mädchendieb und Hetären-Züchter oder Unzüchter,
1) C. 80. — 2) de Orat. 11, 67. — 3) GeU. I, 11. — 4) Mart. II, 72.
— 5) Fest. s. V. — 6i Trist. II. v. 513. - 7) Da.s. 11, 447. — S) Das.
II, 497.
Die Mimen. Cicero. Caesar. Seneca. 643
der Leno {nQocc/ioyÖQ^ ^iuotqohÖq, vinovoßna/.og) ist doiin aueh
Axe und Zapfen dieser Komödie; in ilim vereinigen sich beide
Factoren dersell)en zu vollkonmienster Contaminatiu: Diebstahl
und Prostitution; freilich aucli die Factoren der Welt, die jene
nacharistophanische Komödie bedeutet bis auf den heutigen Tag.
Mit seltenen Ausnahmen blieb das Lustspiel, bis auf die neuesten
Zeiten herab, der rüniisclie Minius in Menandrischer Form. Haben
wir doch den wohlerzogenen Bürgerjüngling Aeschinus, in Teren-
tius' gediegenstem und feinstem Lustspiel, in den Adelphi, jene
beiden Functionen dem Leno, Sannio, abnehmen, sie ihm entreissen
sehen, und dessen Kolle durchführen, als Hetärenräuber und ge-
waltthätiger Leno seines Jüngern Bruders.
Cicero macht sich die bittersten Vorwürfe, dass er Mimen
angesehen ';, und zwar die besten noch und edelsten der Gattung,
die Mimen des Laberius und Publius Syrus: „Ich bin schon so
abgehärtet", schreibt er, „dass ich bei Gelegenheit der Festspiele
unseres Cäsar, gelassenen Muthes, einen T. Plancus mir ansehen
und die mimischen Poeme des Laberius und Publius (83^118) an-
hören konnte". Equidem sie jam obdurui, ut ludis Caesaris nostri
aequissimo animo viderem T. Plancum, audirem Laberii et Publii
poemata. „Unser Caesar" theilte mit unserem Sulla die leiden-
schaftliche Liebhaberei für die Mimen und vererbte sie auf seine
Nachfolger. Die Lie])hal)(U'ei erklärt sich ganz natürlich aus der
Seelenverwandtschaft. „Unser Caesar", in seinem Gmndwesen auf-
gefasst, ist der Mimus /.ar' eBoxi']v; der grosse Mimus, der die
genannten zwei Hauptqualitäten der Helden- Possenreisser in der
grossen Weltposse, zur höchsten Potenz ausgebildet, in sich dar-
stellt; der Archiniimus, neben dem seine Nachfolger, durch alle
Zeiten bis auf den heutigen Tag, die partes secundas tractiren.
Den grossen Minius, unsern Caesar, werden wir sogleich als den
eilrigsten Gönner und Befrirdcivr der Mimen vor uns sehen.
Von den Spässen der Minu-n sagt Seneca, der Philosoiih die-
ser Sorte, und als solcher ein grosser Bewunderer der DcMÜisprüclie
und Sentenzen in den Mimen des Laberius und Syrus: „die Sprech-
weise der Mimen ist für die obersten Sitzreihen (die Gallerie; be-
rechnet'^): verlia ad summam caveam spectantia. Aber, fügt der
1) ad div. XII, 18. — 2) Tmuki. anim. II.
644 ^^^ römische Komödie.
Philosoph hinzu, in dem Koth befinden sich die kostbarsten Per-
len, Ki'aftsprüehe, die an Stärke und Gehalt die schwungvollsten
Sentenzen des Kothurns überflügeln, wobei er an seinen Kothurn
denken mochte.
Unbeschadet ihrer Verrufenheit hatten die Mimen Zutritt in
die Gesellschaften der vornehmsten Kömer, die in der Regel auch
die sittenlosesten waren. ') Des Sulla, des feinen Wüstlings und
Schwelgers beständiger Umgang, tägliche Gesellschaft waren Mi-
men; sein Busenfreund war der Archimimus Sorix. "^) Sulla lud
sie ein zu seinen schwelgerischen Gelagen, schenkte ihnen grosse
Ackerstücke vom Gemeindeland^), überhäufte sie mit Reichthü-
mern, Gold und Edelsteinen, Der Triumvir Antonius ging in
seiner Leidenschaft für die Mimenspieler wo möglich noch weiter.
Mimen mussten ihn auf allen seinen Reisen begleiten. Sein
Haus und seine Villen wimmelten von Mimen. ^) Unter den Tän-
zern waren Hippias und Sergius seine Lieblinge. Als Antonius
einst bei der Hochzeit des Hippias die Nacht durchgeschwelgt
hatte, und er am Morgen in der Volksversammlung sprechen
musste , erschien er auf der Rednerbühne ekelhaft betrunken. ■' )
Noch ärgerlicher war sein Verhältniss zu der Mimentäuzerin
Cytheris. An ihrer Seite durchzog er, in oftener Sänfte, ganz
Italien in öffentlichen Geschäften. '^) Selbst Cicero befand sich
bei einem lustigen Abendschmause, Cicero, der pater patriae, wie
einer von Plautus' Komödienvätern bei dem Hetärengelage ihrer
Söhne. Den lustigen Abendschmaus, dem der pater patriae bei-
wohnte, gab Volumnius Eutrapelus dieser Tänzerin, der Cytheris,
zu Ehren: „Unterhalb von Eutrapelus", schreibt Cicero'), „hatte
Cytheris ihren Platz am Tische. Wie? hör' ich dich rufen: ein
Cicero bei einem solchen Gastmahl ! Beim Hercules, ich hatte sie
doi-t nicht vermuthet". (Ist wolil nur eine rednerische Figur.)
„Uebrigens glaubte aucli jener Sokratiker, Aristippus, nicht er-
rötheu zu dürfen, als ihm der Umgang mit der Lais vorgerückt
1) Athen. VI, 261 C. Cic. Attic. X, I(», Pliii. H. N. VIII, 21. Plut.
Süll. 2, 36. — 2) Plut. Snll. 36. — 3) Athen. VI, 261 C. - 4) Cic. Phü.
II, 27. Plut. Anton. 21. Vgl. Grysar, Allg. Schulz, etc. p. 357 ff. — 5) Plut.
Ant. 9. Cic. Phil, II, 25. 6) Cic. Attic. X, U). Phü. II, 22. 24. 25. —
7) ad div. IX, 26.
Mimen-Tänzeriimen. 645
ATOrde". Aber Aristippus, trefflicher pater patriae, wetterte niclit
gegen eleu Oatilina, Verres, Clodius, imd den liederlichen Gla-
diator-Feldhemi und Miinen-Gönner, den M. Antonius. rSed tarnen
Aiistippuö quideni ille Socraticus non erubuit quum esset ob-
jectum habere eura Laida.)
Zu den berülinitesten Mimen-Tänzerinnen, zur Zeit des Ci-
cero, gehörten die Origo , die Lycoris und Arbuscula. Der
Origo gedenkt auch Horaz '):
. . . ,,Wie weiland Marsaeus, Origo 's Buhle, derselbe,
Der sein väterlich Er)}' und Haus verschenkt an die Mimen" , . .
Ut quondani Marsaeus, amatur Originis ille,
Qui ]iatriuni niiniae donat fundunique larumque . . .
Von einem Auftreten der Arbuscula spricht Cicero. -) Er schreibt:
„Die Arbuscula hat sehr gefallen". (Arbuscula valde placuit;.
Wie sollte sie nicht i* Schon das Costttm war danach angethan.
Diese Tänzerinnen erschienen gewöhnlich in der blossen Subu-
cula, einem kurzen, dünnen Uutergewand. Balletfi'eunden zur
Auskunft diene die archäologische Notiz, dass beregtes ünterge-
wand von so zweifelhafter Gewandlichkeit war, dass Val. Max. 3)
ohne der Wahrheit das Geringste zu vergeben, schreiben durfte:
Nudae saltabant. Kurz eine Subucula, in Vergleich mit welcher
unser Ballet-Tricot oder Maillot eine Eisen-Rüstung ist, von Kopf
bis Fuss, unnahbar wie die, in welcher man die Männerfeindin
Libussa im Zeughaus zu Prag sitzen sieht lioch zu Ross. Welche
Fortschritte in solider Sittlichkeit und sittlicher ündurchdring-
lichkeit hat die römische Sul)ucula nicht gemacht, wenn man sie
in ihrer jüngsten Avatare oder Fleischwerdung betraclitet, als jene
neapolitanische weltberühmte grüne Ballethose nämlich, unter den
letzten Bourbonen, deren Herrschaft sie nur leider, trotz Dichtig-
keit und gi'üner Solidität, nicht zu stützen vermochte!
Wir müssen noch von den zwei vorzüglichsten, schon ge-
nannten Mimen -Dichtern Laberius und Publius Syrus
sprechen :
Decimus Laberius, römischer Ritter, wurde 645 d. St.
1) Sat. I, 2, 55 f. — 2) ad Att. IV, 15. — 3) X, 11.
646 ^^'^ röiuisclie Kumödie.
geb., me ans seinem von Macrob. ') aufbewahrten Prolog erhellt,
worin Laberius mit schwerem Herzen dem Publicum klagt, dass
er 705 d. St. im 60. Jahre seines Lebens, auf Befehl des Julius
Caesar, die Bühne zu betreten, genöthigt worden. Laberius schrieb
Mimen zu seinem Privatvergnügen und Hess sie von Schauspie-
lern des Faches aufführen. Nach dem Vorbilde des Atellanen-
dichters Pomponius geisselte er die öffentlichen und geheimen
Sünden der guten Gesellschaft. -) Ziegler erklärt den erhaltenen
Prolog für würdigt), den treffliciisten Schriftstücken der Römer
zugezählt zu werden.
„Er ist so schön", schreibt Wieland ^), „und so geschickt, uns
einen Begrift' von dem Geiste und der Manier dieses einst be-
rühmten Mimen-Dichters zu geben, dass ich nicht umhin kann,
ihn hier, jiebst dem Originale, so gut als es mir gelingen wollte,
übersetzt mitzutheilen :
Die Noth, ein Strom, den viele durch Entgegenschwimmen
Zu überwinden schon versuchten, wenige
Vermochten, wohin hat sie beinahe noch
In meine]i letzten Augenblicken mich gebracht V
Mich, den nicht Ehrgeiz, noch Gewinnsucht, keine
Gewalt, kein Ansehn, keine Furcht, in meiner Jugend
Aus meinem Stande heben konnte, seht
Wie leicht der grosse Mann durch gnädige,
Zu sanften Bitten herzgewinnend sich
Herunterlassende Beredungen
Mich alten Mann aus meiner Stelle rückte!
Doch ihm, dem selbst die Götter nichts versagen konnten,
Wie hätt' ich blosser Mensch ihm etwas abzuschlagen.
Mich wohl erkühnen dürfen? So gescliah es denn.
Dass nun, nach zweimal dreissig ohne Tadel
Verlebten Jahren, ich, der meinen Herd
Als röjnischer Ritter eben itzt verliess.
Nach Hp,us als Mimus wiederkehren werde.
Um diesen einzigen Tag also hab' ich
Zu lang gelebt! 0 du im Bösen wie im Guten
Unmässige Fortuna, wenn es ja
Dein Wille vfnr, des Ruhmes Blume, ilen
Die Musen mir erwariicu, al)/.ul<uicken.
I) Sat. 11 , 7, -^ 2) Senec. ("oiitrov. lll, J8. - 3) a. a. 0. S. 49. -
■n Hör. Satyren 1. 8. 2i)2. 2. Aufl.
LabiieuK und (^aesar. 647
Waruiu nicht lieber damals, da ich noch
In frischen Jahren grünte, noch die Kräfte hatte
Dem Volk und einem solchen Mann genug zu thun?
0! warum beugtest du nicht lieber damals mich.
Da ich noch biegsam war, um meine Zweige
Zu schneiden V Jetzt, wozu so tief herab mich di-ücken?
Was bring' ich auf den Schauplatz? etwa Schönheit, Anstand.
Muthvülle Kraft des Geistes, Reiz der Stimme?
Ach! wie dem Baum der Epheu durch Umarmen
Das Leben raubt, so hat das Alter langsam mich
Umschlingend ausgesogen, und gleich einem Grabe
Behielt ich von mir selbst nichts als den Namen.
Necessitas, cujus cursus transversi impetura
voluerunt multi etfugere, pauci potuerunt,
quo nie detrusit paene extremis seusibus?
Quem nulla ambitio. nulla unquam largitio,
nuUus timor, vis nulla, nulla auctoritas
movere potuit in juventa de statu,
ecce in senecta ut facile labefecit loco
viri excellentis mente demente edita
submissa placide blandiloquens oratio!
Etenim ipsi Dil negare cui niliil potuerunt
hominem me denegare quis posset pati?
Ergo his trecenis annis actis sine nota
Eques Romanus Lare egressus meo
domum revertar Mimus. Nimirum hoc die
uno plus vixi, quam mihi vivendum fuit.
Fortuna, immoderata in bono aeque atque in malo,
si tibi erat libitum litterarum laudibus
florens cacumen nostrac famae frangere.
cur, cum vigebam mcmbris praeviiidantibus,
satisfacere populo et tali cum poteram viro,
non flexibilem mc concurvasti ut carperes?
Nunc me quo dejicis? Quid ad scenam aftero?
Decorem formae, an dignitatem corporis.
Animi virtutem, an vocis jocundae sonum?
Ut hedera serpens vires arboreas necat,
ita me vetustas araplexu annorum enecat.
Sepulcri similis nil nisi nomen retinco.
Tn Folge von Lahcrius' Auftreten als Mimus wollten ihn seine
Standesgenossen, die Hitter, nicht unter sich im Theater Platz
nehmen" lassen, ob ihn gleich Julius Caesar, durch Wiederver-
leihung des goldenen Kinges. auch in die AViirdcn und Ehren
648 ^^^c röiuisclio Komödie.
eines ßitters wieder eingesetzt zu haben meinte. Als bei dieser
Gelegenheit der tiefgeki'änkte Laberiiis, um einen Platz verlegen,
an Cicero vorbei kam, bedauerte dieser, ihm keinen Platz anbie-
ten zu können, weil er seilest zu eng sitze. Worauf ihm Labe-
rius, mit einer Anspielung auf die zweideutige Parteistellung des
Cicero zwischen Pompejus und Caesar, versetzte: „Ich wundere
mich, dass du zu eng sitzest, der du auf zwei Stühlen zu sitzen
gewohnt bist". Laberius starb zu Puteoli, zehn Jahre nach der
Ermordung Caesar's, wie Eusebius in seiner Chronik berichtet.
Publius Syrus, von seinem Geburtslande, Syrien, Syrus
genannt, des Laberius jüngerer Zeitgenosse, Sklave seines Stan-
des, gab noch, als Vorstand eines Tlieaters, mimische Vorstellun-
gen zu Rom, als Laberius starb. Sein Talent erwarb ihm die
Freilassung. Er hatte sich als Mimendichter und Spieler bereits
einen grossen Ruf in ganz Italien erworben, als ihn Caesar für
seine Festspiele nach Rom berief. Hier forderte Publius seine
Mitbewerber und Kunstgenossen zum Wettstreit auf und siegte
über Alle, worunter auch Laberius sich befand. Letzteren be-
schenkte Caesar mit einem goldnen Ring und einer ansehnlichen
Geldsumme ^500,000 Sest. = 12,500 Rthlr.j. Dem Sieger aber,
dem Publius Syrus, erkannte er die Palme zu. Bei dieser Veran-
lassung soll Pul)lius von dem weichenden Laberius mit den Wor-
ten Abschied genommen haben:
„Den als Dichter du bekämpftest, stärk' ihn als Zuschauer nun",
Quicum contendisti scriptor, hunc spectator subleva. ')
Von seinen fernem Geschicken weiss man so wenig wie von
seinem Todesjahr. Viele der ihm zugeschriebenen Denk- und
Sittensprüche finden sich in allen lateinischen Fibeln, seitdem die
Sententiae Publii Syri et L. Annaei Senecae von J. Gruterus ge-
sammelt und herausgegeben worden. Die neueste uns bekannte
Ausgabe derselben ist die von Tafel. -) Die Verbindung der Sit-
tenspriiche des Syrus mit den Sentenzen aus Seneca's Sclmften
mag dieser wohl selbst durch seine überschwengliche, bereits an-
geführte Lobpreisung der Denksprüche dieser Mimen veranlasst
1) Macrob. .Sat. II, 7. - 2) Lond. u. 'riibinj?. 1S41. 8.
Pnblius Sj'rus. Miinus: Virj^o. 649
haben. ( . . . intcr niulta alia cothuvuo non tantiim sipario
fortiora diceret). Aehiiliches wiederholt er an einem andern
Orte 1) , mit Berufung auf den Ausspruch des Cassius Severas :
„Es komme Vieles bei Publius vor, was besser ausgedrückt sey,
als Alles, Avas bei griechischen oder römischen Tragikern und Ko-
mikern der Art sich finden liesse". (Quae apud eum melius dicta
essent, quam apud quemquani Comicum Tragicumque aut roma-
num aut graecum.) Ein merkwürdiger Rücklauf der römischen
Zotenposse in den sicilischen Mimos des Sophron, die Lieblings-
studie des Piaton. Indessen mochten die Mimen des Publius im-
merhin treffliche Sprüche enthalten, ohne einen Anspruch auf
besondern dramatischen Werth erheben zu können. Den Mi-
men des Laberius wenigstens gestellt Horaz -j diesen Anspruch
nicht zu:
. . . Nain sie
Et Laberi mimos ut piilchra poemata inirer.
Mochte doch selbst die Mehrzahl der 852 noch vorhandenen Denk-
sprüche des Publius S3'rus dem heutigen Leser bereits zu Ge-
meinplätzen von schuUäutiger Fibelweisheit verklungen seyn.
Ausser diesen Sprüchen hat sich von den Mimen-Dramen des
Publius Syrus nichts erhalten. Selbst die sonst so zählebigen gar
nicht umzubringenden Titel sind unwiederbringlicii verloren. Da-
gegen zählt Ziegler -^ XLIII Titel mit den dazu gehörenden halb-
und vollzeiligen , meist jambisch-senarischen Versfragmenten auf,
als Reliquien von Laberius' Mimen-Stücken. Der letzte dieser Reli-
quien-Titel lautet : V i r g o „Die Jungfrau". Hierzu bemerkt Z i e g 1 e r
Note z.: Virgo praeguans, mit dem Beifügen: „Das gewöhnliche,
der Ausgelassenheit der Mimenspiele würdigste und entsprechendste
Sujet" (Argumentum Mimorum lasciviae acconnnodatissimum). Um
derlei Jungfrauen drehten sicli auch die Atellanen. Denselben
Titel führte eine Atellane des Novius, aber vollausgeschrie-
ben mit der Contradictio in adjecto an der Seite: Virgo praeguans.
Priscianus citirt*) eine Redensart aus besagter Atellane des No-
vius: in ,„Virgine praegnante". Dasselbe Hauptmotiv fonden wir
1) Controv. .'}, 18. — 2) Sat. I, 10. v. 5. — 3) a. a. 0. 53 ff. - 4)
p. 74.
550 I-^i^ rönnsohe Komödie.
als durchgängiges in der Comoedia palliata. Es wird sich ferner
zeigen, dass die virgo praegnans das stehende Thema des mittel-
alterlichen Drama's war, zuweilen in der schmutzig mimisch-atel-
lanischsten Form. Das Motiv taucht immer weder auf, bis in
die neue und neueste Zeit herein. Es beherrscht die wüste Tra-
gödie der Nachfolger Shakspeare's und die liederliche englische Ko-
mödie derselben Nachfolger im XVll. Jahrh. Im XVIII. nahm
das Thema empfindsamere Formen an: schlich es sich in das
deutsche Rührspiel und die bürgerliche Tragödie ein; ängstigte
es die Gemüther in den übergenialischen Caricaturen der Sturm-
und Drang-Stücke, in Wagner's „Kindesmörderin" z. H., und er-
schien plötzlich in den vierziger Jahren des laufenden Jahrhun-
derts, wie ein wieclerkehrender Schweifstern, als Hebbel's „Maria
Magdelene"'; bis jetzt, unseres Wissens, der letzte und jüngste
deutsche Mrnius, in Form eines bürgerlichen Trauerspiels. Das
einzige, in innerster Seele, von Herzen dichterische, und von Genie
strahlende, die ganze Gattung poetisch verklärende Kunstwerk,
die Transfiguration derselben gleichsam, die Virgo praegnans als
Sternbild im dramatischen Zodiacus, werden wir in dem wunder-
barsten Mimus, in Goethe's Faust, aufleuchten sehen. Gretchens
Himmelfahi-t sühnt und purificirt das Genre der Mimus-Atellane,
und hat für das profane Drama eine ähnliche Bedeutung, wie die
m3^stisch -dogmatischen Mimen und Atellanen, die zu poetischer
Kunstform geläuterten Mysterien - V o 1 k s s p i e 1 e : die Autos sacra-
mentales des Calderon, für das religiöse Drama, das eine himm-
lische Liebschaft durch Engels-Vermittelung , Heimsuchung und
Prosagogie, das eine göttliche Buhlschaft zum Thema hat, mit
dem gebüssten Hetärenthum als Beatitication , und mit der virgo
praegnans durch unbefleckte Empfängniss und weltheiligende
Geistesüberschwebung.
Ausser Laberius und Publius werden noch als Mimographen
genannt:
Pliilistio. Ein Grieche, geb. zu Magnesia Ol. 196. Er
blühte, nach Eusebius, in der letzten Lebenszeit des Kaisers Au-
gustus und schriel) seine Mimen in Rom. Sein Mimus cpiXnyeXcov
^Lachfreundj erfüllte das Tlieater mit Lustgelächter. Seine Mi-
men werden noch im 3., 4., 5. Jahrh. mit grossen Lobsprüchen er-
wähnt, wo Laberius und Syrus schon vergessen waren.
Anderweitige Mimographen . 651
Catullus, unter Tiberius und Nero. Juven. gedenkt seiner
in einem Vers ^):
. . . clamiisuni ageres ut ]i h a s in a Catulli
. . . verdingst du an Bühnen die Stimme
0 Damasipp, um Catull's diimjifdröhnendes Phasraa zu geben.
Ein Mimus veraiuthlich nach der gleichnamigen Komödie von
Menander.
Latin US. Ein Mime, der zur Zeit des Domitianus lebte.
Martial"-) nennt ihn die Zierde der Scene und lobt seine Sitten-
reinheit.
Lentulus. Ebenfalls unter Üomitian. Von ihm führt Ter-
tullian 3) den Mimus Catinenses au. Juven. erklärt ihn fiir einen
Galgenstrick an der eben oitirten Stelle:
„Le.ntulus gab, der gewandte, mit Schick des Laureolus Rolle.
Werth im Ernste des Kreuzes, wie mir dünkt.
Laureoluni velox etiam bene Lentulus egit.
Judice nie dignus vera cruce . .
Laureolus wird nämlich im Stücke gekreuzigt.
Phaedrus. Martial*) nennt ihn improbus:
An aeinulatur iraprobi jocow Phaedri
Wetteifert es mit den Schwänken des boshaften Phaedrus?
Sonst weiss man nichts über ihn. Swabe. in seinem Leben des
Fabeldichters Phaedrus, hält beide für dieselbe Person. '")
Virginius Roraanus. Zeitgenosse des Plinius Secundus,
der seinen rechtschaffenen Wandel, seine Geistesbildung, und die
Mannigfaltigkeit seiner Werke rühmt. '•) p]r hat Mimijamben ver-
fasst, „sinnreich, zierlich und in seiner Art mit Redekunst."
Scripserat Mimijambos argute, venuste, atque in hoc genere elo-
quentissimus.
Luc. Crassitius. Sueton erwähnt ihn ') als Einen, der den
Mimographen aushalf. Miraogi-aphos adjuvisse.
Marc. Marullus. Von ihm weiss man aus Jul. Capitol.
n Sat. Vni. V. 185. — 2) IX. ep. 21. I, IV. - .3) de Pall. IV. —
4) III, 20. — 5) Vor sein. Ausg. S. 10. — (i) L. VI. eji. 21. 7) de il-
lustr. gram. c. 18.
652 r^Jt^ römische Komödie.
dass er unter dem Kaiser Antoninus Philos. lebte. Servius gedenkt
seiner als eines Mimeudichters. ') Das ist Alles, Avas Gramma-
tiker und Archäologen über den Marullus zu berichten wissen.
Selbst Ziegler weiss nicht mehr.
Der Pantoniimus.
{navtöf.iL(.iog oQxrjoig). Wie Mimus, bezeichnet das Wort
Pantomimus zugleich den Spieler und das Spiel, die Pan-
tomime. Auch liegi schon in dem Worte der Unterschied
vom Minms, bezüglich der Vortragsweise. Beim Mimus kommt
die Rede dem Geberdenspiel zu Hülfe und erläutert das-
selbe , oder wechselt doch mit ihm. Im Pantomimus ist das
Geberdenspiel ausschliessliches Bezeichnungsmittel; waltet allein
die Geberdensprache, wie in der modernen (italienischen) Panto-
mime, von welcher sich der römische Pantomimus Avieder durch
den die geberdliche Ausdrucksbezeichnung l)egleitenden Tanz
unterscheidet. Durch diesen Verein von Tanz und Geberdenspiel
kommt der Pantomimus unserem Ballet näher, von dem er jedoch
in anderer Beziehung wieder abweicht. Einmal durch die Dar-
stellungsform, indem beim Pantomimus der Tanz nur die Bedeu-
tung einer unterstützenden, begleitenden Bezeichnung hat, das
Geberdenspiel dagegen das Wesentliche ausmacht; insbesondere
das Spiel der Arme und Hände, der Finger vorzugsweise, der
zehn stumm beredsamen Zungen des Pantominuis: loquacissimae
manus, linguosi digiti, silentium clamosum-), „redseligste Hände,
zungenfertigste Finger, lautschallendes Schweigen." Im Ballet,
wie jeder weiss, haben die Füsse die Hände voll zu thun, und
letztere scdieinen auf die stumme Geberde angewiesen: dass sie
die Füsse nicht zu Worte kommen lassen. Im Ballet ist der
dramatische Ausdruck, zugleich mit der dramatischen Kunst, auf
Kothurn und Soccus heruntergekommen; ist beiden gleichsam die
recitirend beflügelte Zunge und das leidenschaftliche Herz in die
Schuhe gefallen , und von Dionysos' Tragödien-Bock nichts als
die Sprünge übrig geblieben. Im Pantomimus herrscht die dra-
matische Seele noch in der obern Kör]»erliälfte, und begeistert ihn
bis in die Fingerspitzen. Die untere Hälfte übernimmt, so zu
1) Eclog. VII, 26. Aen. VII, 499. - 2) Cassiod. V. L. 4. p. 51.
Der Pantominuis. 653
sagen, die Rolle des Tibiceii und Taetscdilägers, der dem drama-
tischen Arm- und Finger- Vortrag die Khythmen angiebt.
Ausserdem unterscheidet sich der Pantomimus von Ballet
und Pantomime wesentlich dadurch, dass in dem Pantomimus
eine einzige Person alle Rollen eines Stückes darstellt; ob-
gleich es auch Nebenfiguren ') gab , die jedoch, wie im Mimus,
nur auf untergeordnete Aushülte-Leistuugen und Statistendienste
angewiesen waren. Die italienische Pantomime ist eine gesticu-
lirte Tabernaria oder Atellane; das französische Ballet, seinem
ursprünglichen Stoff und Inhalte nach, eine getanzte mythologische
Fabel. In dieser Beziehung gleicht das Ballet, seiner frühern
Gestalt nacli, dem Pantomimus, dessen Fabelstoff" stets aus der
Mythologie und Heroenmythe genommen war. Der Pantomimus-
Spieler tanzte ganze Tragödien."'^) Pylades z. B. den Agamemnon;
Mnester die Trachinierinnen des Sophokles und die Tragödien des
Euripitles ^), nach einem für den Einzeltäuzer eigens componirteu
und in griechischer Sprache verfassten Text^), da diese Tänzer
in der Regel Griechen waren. Diverbien und Chöre blieben na-
türlich von diesem Texte ausgeschlossen. Die Situationen wurden
blos durch mimische Monologe dargestellt, welche die Römer
auch in der Pantomime Cantica nannten, da sie von der Flöte
begleitet waren. So heisst es bei Macrob. ■''): quum canticum sal-
taret Hylas: „Als Hylas das Canticum tanzte." Dessgleichen Sue-
ton ^) : desaltato cantico.
Das Geschiclitliche des Pantominms lässt sich in wenige No-
tizen zusammenfassen. Den Keim desselben durften wir erkennen
in jener ersten, durch Livius Andronicus bewirkten Trennung des
Canticums in den Gesangs vertrag und den ilm, mittelst Geberden-
spiels, ausdrückenden Tanz, beide durch besondere Schauspieler
ausgeführt. Dem Grammatiker Diomedes zufolge') trat mit der
Zeit eine gänzliche Scheidung der rein mimisclien Darstellung
von der recitirenden ein, aus dem Grunde, wie er meint, weil der
Mime seine Kunst als eine selbständige zur Geltung bringen
wollte: ut — nolentibus cedere mimis in artificio suo caeteris,
1) Vgi.Lessinj^-Abliiiudl. v. .1. l'iiMtoi.iiine .1. .Uten, 15.1. X.I, 8. 1 1 IV. u. Gry-
sar, üb. d. Puntoiuimeii d. Röiii., Rhein. Mus. f. Philol. Ib33. 2. Jahrg.
1. Heft. S. 3()"S(i. 2) Suet. Calig. 57. - li) Arnob. adv. g. -1. — 4)
Lucian. de salt. c. 84. — 5) II, 7. — 6) Calig. 14. 7) p. 4b9.
654 I^i^ römische Komödie.
separatio fieret reliquonim. Die pantomimische Fingersprache
hiitte indessen schon Telestes, der berülinite Tänzer des Aeschylos,
zu grösster Vollkommenheit ausgebildet: Telestes, bemerkt Athe-
uaeos '}, drückte den gesprochenen Vortrag der Schauspieler durch
Tanz- und „Händebewegung so vollkommen aus, dass man die
ganze Handlung aus seinem Tanz- und Geberdenspiel klar und deut-
lich erkannte" {axuiog raig xegoi rä Atyöf.i£ra deiy.noi oaig —
toote SV T<[) 0(JX€iod-ai cpavEQu noirjOai za 7iQäy/iiaTa öt oQyj'.oeioo).
In Rom gab es schon um die Zeit des zweiten punischen
Krieges Tanzschulen, „die sogar von deu angesehensten Män-
nern und edelsten Matronen besucht wurden" -), und immer leb-
haften Zuspruch fanden, trotz Cicero's Nemo saltat sobrius: „Nie-
mand tanzt im nüchternen Zustand." Wir haben ihn selbst bei
einem Zechgelage, wenn nicht tanzen, so doch den heimlichen
Aristipp spielen sehen bei der Mimus-Tänzerin , Cytheris. Als
Schöpfer des röinischen Pantomimus sind aber dessen berühmteste
Vertreter zu betrachten: Pylades und Bathyllus, die Beide
zur Zeit des Augustus blühten. Pylades war vorzugsweise Tra-
gödien-Pantomime; Bathyllus Darsteller des Weichlichen, Uep-
pigen, Wollüstigen; bewundert und vergöttert von der römischen
beau monde, von den Damen insbesondere, als Tänzer mytholo-
gischer Liebschaften, Leda's z. B. mit ihrem Schwan. Bathyllus
spielte Schwan und Leda zugleich. Seine Schule lebt fort in un-
serem Ballet. Lnsere Tanzschwäninnen tanzen die reizendsten
Arabesken von Schwan und Leda, wie jeder Opernguker weiss.
Mit Pylades ist es eine andere Sache. Sein tragischer
Tanz, seine grossartige 'J'anzmalerei scheint ganz erloschen. Ein-
zelne Spuren und Funken davon mögen sich in dem Geberden-
spiel der grossen Schauspieler des modernen Drama's erhalten
haben. Einer Angabe des Grammatikers Aristonikos gemäss 'j,
sollen Pylades und Bathyllus den Pantomimus aus den drei uns
schon ))ekannten Tanzarten des hellenischen Drama's, aus der Em-
meleia, Sikinnis und dem Kordax, zusammengesetzt, und durch
diese Verbindung die italische Tauzart {ituU'/.ij o(JxrjOtg) er-
funden haben. Nach Suidas-*) hätte Pylades auch eine Schrift
1) p. 21 F. — 2) Grys. a. a. 0. S. .H3. — 3) Atlien. I, 20 E. — 4)
V. Hv).(xdtig.
Pylades und Batliyllus. 655
Über die von ihm erluiideiie italische Tanzart verfasst. Die Wir-
kung des Pantomimus niuss eine überschwengliche, für uns kaum
begreifliche gewesen seyn, wenn man der Schrift des Lucian über
den Tanz glauben darf, die das einzige historische üocument und
die Hauptquelle für diese Materie geblieben. Sie bildet die Grund-
lage von Grysar's sehr schätzenswerther Abhandlung über die
römisclien Pantomimen. Lucian entwirft eine enthusiastische Schil-
derung von der Wirkung der Pantomime '): „Sie rühre, entzücke
und belehre. Das Spiel enthülle mit einer solchen Wahr-
heit und Tiefe das menschliche Innere, dass mau mit dem
grössten Behagen sich selbst darin finde und die Aufgabe des
Delphischen Gottes (erkenne dich selbst) gelöst zu liaben glaube."
Unzweifelliaft schliesst sich unsere schauspielerische Mimik, für
die Geschichte des Drama's, an die Pantomime des Pylades. l]s
möchte wohl gar die moderne, im Vergleich zu der antiken Tra-
gik, tiefere Innerlichkeit und reichere Gedanken- und Gefühls-
malerei im dramatischen Ausdruck durch diese Pantomimen, sfe-
schichtlich genommen, vorbereitet und angeregt worden seyn. Ja
Shakspeare's erstaunliche Seelenmalerei, sein psychologischer Styl,
seine unbegreifliche und fast übermenschliche Oftenbarungstragik.
in welcher zuerst jene Delphische Mahnung der Selbsterkenntniss
sich erfüllte; Shakspeare's Enthüllung des menschlichen Innern
bis in seine letzten Tiefen, wo man den Gedanken keimen sieht
und gleichsam das Gras tragischer Entschlüsse wachsen hört: sie
scheint eine pantomimische Kunst, wie die des Pylades, voraus-
setzen zu müssen.
Dabei spielte der Pantomime in einer Gesichtsmaske, die
der Mimus nicht vornahm. Das Minen spiel blieb also in der
Pantomime ausgeschlossen, ein für die neuere Schauspielkunst so
wichtiges, ja ihr vornehmstes Bezeichnungs- und Ausdrnckszeichen.
Aber, wie ein Vers in der lat. Anthologie-) vom Pantomimus
rühmt:
Tot liiiguae (ßiut inoiubra viro! miralnlis ars est.
So viel Zungen wie Glieder ! Fiirwalir ciiie eistaiiidiclie Kmist itjt's.
1) a. a. O. ]). 7i) ff. Vgl. Grys. a. a. ü. - 2) I. p. (j22.
ß56 ^^^ römische Kuinüdie.
An der Maske, welche die Pantomimen trugen, waren die Lippen
geschlossen, 'j Ore clauso manibus loquitur: „geschlossenen Mun-
des , spricht er mit den Händen" , sagt Cassiodor. ^) Nur die
Augen hatten freies Spiel. Apulejus konnte daher sagen 3):
saltare solis oculis: „mit den blossen Augen tanzen."
Pylades stammte aus Cilicien in Kleinasien, aus dem Flecken
der Mistharner. Den Charakter seines Tanzes bezeichnet Athen. '')
als „erhaben, pathetisch und vielgestaltig" [oyxcodrjg, nai) 11x17.1]
yial 7Toh'r()onng, so lesen wir statt nokv/.nrcoQ). Plutarch nennt
den Vortrag „vielgesichtig" {nolvjTQnoionoQ). Im scherzhaften
Tanz dagegen war Pylades mittelmässig; umgekehrt ßathyllus. ^)
Pylades' Meisterstück war der Bakchos in Euripides' Bakchae.
Pylades stiftete eine Tänzer schule'), deren glücklichen Fortbe-
stand Ammianus'') andeutet. Sein bedeutendster Schüler war
Hylas. Als derselbe einmal den Agamemnon mit gestreckten
Attitüden tanzte, rief ihm sein Lehrer Pylades aus der Cavea zu :
„du machst ihn lang aber nicht gross" {ov (.Lay.Qov ov f.ityav
noLilg). Pylades tanzte dasselbe Canticum zur Stelle, aber den
Agamemnon in nachdenkender Stellung. Bei einer andern
Gelegenheit, als Hylas den geblendeten Oedipus darstellte, und
dabei mit sicheren, festen Schritten auftrat, bedeutete ihn Pyla-
des: „du siehst ja!" (ov ßUjitig).^) Er trat öfter im Wettkampf
mit seinem Schüler Hylas auf. Dass solche pantomimische
Agonen stattfanden, geht aus verschiedenen Stelleu und Ueber-
lieferungen hervor. Tacitus erwähnt ausdrücklich ^) , mit Bezug
auf Pylades und Bathyllus, eines Wettkampfs: ex certamine
histrionum. Ferner bei Suet. : Ludis productis in commissione
p a n 1 0 m i m i s. „Als pantomimische Spiele im W e 1 1 k a m p f auf-
geführt wurden." Commissio bedeutet nämlich „Wettkampf."
Auch finden sich Krönungen und Siege der Pantomimen an-
gegeben '"j; folglicli musste auch ein Wettstreit stattgefunden
haben. Dem widerspricht zwar Lucian ' 'j, wenn er sagt: die Ago-
notheten Hessen die Pantomimen desswegen nicht wettkämpfen,
1) Luc. c. (50. — 2) I, 20. — 3) Mt'taiii. X. ]). 235 Oudon. — 4) I.
]). 20 E. — 5) Seiiec. epitoin. III. praef. — 6) Miicrob. II, 7. - 7) XIV,
(5, 19. — 8) Macrol). das. - !») Amial. I, 54. — lOi Insoriptt. lat. b. Orelli
u. 2(127. 11. 2()28. - 11) a. a. 0. c. 32.
BathyUus. 657
weil die Kunst ihnen zu gross und ehnvürdig für den Wettkampf
erschien (ftsiCov v.al osuvoTsgnv to ngäy/iia, tj wore elg s^tza-
oiv xahiod^ai). Vielleicht war diess aber gerade zu seiner Zeit
der Fall. Grysar sagt: In Wettkämpfen traten die Pantomimen
nur in Neapel auf, ohne, so viel uns erinnerlich, eine Quelle
anzugeben. Pylades genoss, während seiner Lebzeit, einer hohen
Achtung und Bewunderung. Was der grösste römische Tragöde,
Aesopus, für die Tragödie war, das war Pylades für die tragische
Tanzpantoni ime. Er steht in seiner Kunst einsam da. Nach sei-
nem Tode setzte ihm eine Gesellschaft von Pantomimen (grex)
ein Denkmal, dessen Inschrift noch erhalten ist. i)
Bathyllus, aus Alexandrien gebürtig, war Freigelassener
des Maecenas, und vielleicht dessen Lustknabe, sagt Grysar, ohne
Angabe der Quelle. Doch ist das „Vielleicht" nicht ohne, wenn
man Beider Geistesart, Charakter und ihr gegenseitiges Verhält-
niss eiiväg-t. Aus Tacitus weiss man, dass Augustus, weit ent-
fernt, die Pantomimen erfunden zu haben, wie Suidas von ihm
einfältiger Weise beliauptet, die Pantomimen nur dem Maecenas
zu Gefallen duldete, effuso in amorem Bathylli '^) „welcher für den
Bathyllus eine leidenschaftliche Liebe hatte" oder Vorliebe für
dessen Tanzweise, deren Wirkung JuvenaP) so schildert:
Wenn der zarte Bathj-ll anmuthige Tänze der Leda
Anhebt: ha! wie geberdet sich Tuccia, und wie in Wollust
Appula bebt . . .
Weit stärker und drastischer lautet der Vers des römischen Sa-
tyrikers, fast unübersetzbar:
ChironuiiioH Ledaiii iiiolli saltante Bathyllo
Tuccia vosicae non imperat, Appula gannit.
Maecenas, Tuccia und Appuln waren aber keineswegs die einzigen
Enthusiasten in Rom für den Bathyllischen Leda-Tanz. Bei den
Römern und Römerinnen, Volk und Senat, Adel und Plebejern
herrschte überliaupt eine ausscli weifende Leidenscliaft für die
Pantomime. Ging ein beliebter Tänzer über die Strasse, so hatte er
ein Ehrengefolge der angesehensten Männer zur Begleitung neben
1) Gruter, 1024. 5. — 2) Anna). I, 5-1. -- 3) VI. v. GU ff.
II. 42
658 Die römische Komödie.
und hiuter sich. Seneca nennt desshalb die adeligen Jünglinge
Roms (juvenes nobilissimos die Leibsklaven der Pantomimen
Cmaneipia pantomimoram).
Auch dem Bath^^llus fehlte es an Denkmalen nach dem Tode
nicht. i\Ian hat mehrere solcher Monumente in dem Columba-
rium der Livia gefunden. Darunter Graburnen. Bildsäulen, die
ihn vorstellten, mit Inschriften. ')
Vornehme Römer und Römerinnen liielten sich sogar Panto-
mimen zu ihrem Privatgenuss. Plinius d. j. nennt eine alte
vornehme Dame Quadratilla -) , die von ihrem Haustänzer sich
Pantomimen vorspielen liess. Von den Schoosstänzem der römi-
schen Kaiserinnen zwitscherten die Sperlinge auf allen Dächern
Roms: Von denen der Kaiserin Domitia z. B. ^) mid der Gemah-
lin Autonin's des Philosophen*), um nur ein Paar von diesen
kaiserlichen Leda's zu nennen.
Doch theilten die Kaiser nicht immer und nicht alle den En-
thusiasmus der Kaiserimien für die Pantomimentänzer. Schon
Augustus, dessen Scepter den pantomimischen Tanz, in Rom, zu-
erst als vollendete Kunst ins Leben rief und dessen Thron, wie
den des olympischen Zeus die Hören, der getanzte Sophokles und
Euripides, und Zeus selber als getanzter Leda-Schwan. umschwebte
— ^ schon Augustus duldete mehr, wie gesagt, die tragischen und
mythologischen Tänzer, als dass er sie begünstigt hätte. Sey es,
weil er das plaudite für sich aufsparen wollte, mid ein Allein-
herrscher keinen andern Götzen neben sicli vertragen kann; sey
es aus Gründen der Sittenpolizei, die er bekanntlich gegen seine
eigene Tochter in aller Strenge walten liess, und sogar gegen
Ovid's harmlose Distichen, blos weil Hexameter und Pentanieter
das Leda-Jupiter-Tanzspiel mit poetischen Füssen darin tanzen.
Eines schönen Tages liess Kaiser Augustus den besten Schüler
des Pylades, den Agamemnontänzer Hylas, auf den Antrag des
Prätors, in der Vorhalle seines Palastes so stramm und steif über
die Bank hinlegen, wie derselbe den König der Könige getanzt
hatte, und eines Stabführers Stecken, der das richtige Mecklen-
burgische Maass hatte, auf des gefeierten Hylas Allererhabensten
1) Ficcoroni de larv. scen. p. S. — 2^ Kp. VH, 24. -- li) D. Cass.
LX\^1, :J. — 4) Capitol. Anton. 23.
Die Kaiser und die Paiitumiinen. 659
einen Aganieinnon-Tanz austulin^n. der „lang" und „gross", f.ia-
y.Qoc und iiäyctg 7.ugleie]i war, und den ihm selbst Pylades nicht
nacligetanzt liätte. Jagte Kaiser Augustus docli selbst diesen,
den Pylades, aus Italien, i) Freilich nur, um ihn alsbald wieder
zurückzurufen. Ein Pylades konnte Eom eher entbehren, als Rom
einen Pylades, und im Nothfall ein Pylades einen Augustus er-
setzen, aber kein Augustus einen Pylades. Etwas Aehnliches galj
ihm auch der zurückgekehrte Tänzer zu verstehen-), und der
Kaiser musste nach des Tänzers Pfeife tanzen. Augustus' Nach-
folger wechselten diesen Tanz mit den Pantomimen, so dass bald
der Kaiser bald der Pantomime tanzte, oder Einer um den An-
dern dazu blies. Tiberius, wie schon gesagt, verbot den Senato-
ren die Häuser der Pantomimen zu besuchen, ^j Da blieb den
Pantomimen nichts übrig, als die Häuser der Senatoren zu be-
suchen, jedoch, um kein Aergerniss zu geben, wenn die Senato-
ren abwesend, und nur die Senatorinnen zu Hause waren. Kaiser
Caligula, das „Stiefelclien", legte seine Vorliebe für den Tanzschuh
des Pantomimen Mnester so unverhohlen an den Tag, dass er
ihn, den Mnester nämlicli, öffentlich im Theater küsste, und jeden
Zuscliauer auf der Stelle geissein liess, -wenn er, während Mnester
tanzte, nur die geringste Störung veranlasste. ^) Nero trieb den
Pantomimen-Cultus bis zum Fanatismus, bis zur wüthendsten
Proselytenmacherci. Er ZAvang die vorneiimsten Römer, Panto-
mimen zu tanzen, und er selbst tanzte sie ilmen vor. „Da sah
das Volk <lie Nachkommen der grössten Helden, die Furier, For-
cier, Fabier, Valerier, heruntergesuiiken zum infamen Gewerbe der
Tänzer." ■') Hätte Pyhides oder Mnester Annalen verfasst, würden
sie dieser Beklagniss eine andere Wendung gegeben und geschrie-
ben haben: „Da sah das Volk die Kunst der Pylades, Batliyllus
und Mnester heruntergesunken zum infamen Gewerbe solcher Kai-
ser." Kein Alter war vor Nero's TanzwutJi sicher; Alles musste
heran, bis auf die neunzigjährige Aelia Gate IIa, die er als Sal-
tatrix aufzutreten zwang: ein Anblick, grauseliger als irgend wel-
cher in Holbein's Todtentanz. Und wie zum Hohn musste das
zusammengeschrumpfte Tanzmütteichm noch an den von Nero
1) Suet. Oct. 45. - 2) D. Cass. l.IV. 17 :}) Tacit. Ann. 1. 27. —
4) Suet. (Jalig. 55. — 5) ü. Cass. LI, 17. 'I'ac. An. XIV. 14.
660 Die römische Komödie.
gestifteten Jugend -Spieleu, au den ludis juvenalibus, ihr altes
Geriiipe klappern lassen ! Nero's LeiLtänzer aber war Paris, Frei-
gelassener der altern Domitia, der Tante des Nero; nebenbei sein
Vertrauter^), Busenfreund und Hausminister; lauter Eigenschaf-
ten und Hofämter, die den Auserwählten des hohen Beschützers
von Kunst und Künstlern ans Leben gingen. Auf dem höchsten
Gipfel der kaiserlichen Gnaden und Freundschaft, zu dem sich
Paris emporgetanzt, musste er einen salto mortale ausführen und
den Kopf über die Klinge springen lassen. Nicht als Kaiser je-
doch, sondern als Nebenbuhler in der Kunst, aus Kunsteifersucht
und Wetteifer um den Beifall und die Gunst des Publicums, liess
Nero den Paris um einen Kopf kürzer machen. Niemals hat sich
ein Herrscher aufrichtiger und eifriger um die Zuneigung und
den Beifall seines Volkes beworben, als Nero. Ein noch grösserer
Abgott, als dieser ältere Paris von Nero gewesen, war der jün-
gere Tänzer, Paris, von der Kaiserin Domitia, Gemahlin des
Kaisers Domitianus, der bekanntlich Fliegen für sein Leben gern
spiesste, als wären es Menschen, und Menschen todtschlug, wie
die Fliegen. Eines schönen Morgens spiesste Kaiser Domitian
den Jüngern Paris mit seinem Dolche , auf der Strasse ; '-) aber
nicht aus Kunsteifersucht, wie Nero den Aelteren hatte springen
lassen, sondern aus reiner Eifersucht, wegen der Abgötterei, die
seine Gemahlin Domitia mit dem Tänzer trieb, die muntere Fliege.
Paris, der jüngere, tanzte aber auch darnach. Er war nicht allein
ihre Wonne, er war auch „die Wonne der Stadt", m"bis deliciae,
wie ihn enthusiastisch Martial nennt ^j, und „Zierde des römischen
Theaters," Romani decus theatri. Aber Wonne und Zierde ver-
fing nicht. Der Stachel des kaiserlichen Spiessers traf die Zierde
des römischen Theaters mit Wonne, und die Wonne der Stadt
und seiner Gemahlin mit der Zierde seines Spiess er- Zinkens.
Und weil der Zinken einmal im Stechen begriffen war, stach er
gleich auch den Schüler des Paris nieder, blos weil der Schüler
dem Lehrer ähnlich sah.
Trajan machte kurzen Process, und verbot die Pantomimen
ganz und gar. Desto üppiger blüliten sie unter Kaiser Antoninus
1) Tacit. XlJl, l',t. 22. 27. - 2) Öuet. Dum. 3. Dio Cass. LXVII, 3.
3) Ep. XI, 11.
Die Kaiserin Tlieoclura. (561
dem Pliilosoplien (Marc Aurel;, der als Stoiker au den paiitomi-
mischeu Entzückungen seiner Gemahlin, der Kaiserin Faustina,
seine stoische Geduld und Gelassenheit üben, und die erspriess-
lichsten Abhäi-tungsstudien, bis zur Verhornung seiner kaiserlich
stoischen Denkerstirne, daran machen konnte. Unter Constantinus
und Galerius wurden, wegen einer bevorstehenden Hungersnoth,
alle Redner, Dichter, Lelirer der freien Künste, Gelehrte, Philo-
sophen, kurz alles was schreiben und lesen konnte, aus der Stadt
gejagt; aber 30(l() Tänzer und Tänzerinnen mit eben so vielen
Chorsängern hielt man für die Hungersnoth zurück. •) Der fromme
Kaiser Theodosius (394 n. Chr.; widmete der Pantomime die zärt-
lichste Sorgfalt, vielleicht dem Rlietor und Heiden Libanius zum
Possen, der die Pantomimen verketzerte und eine bekannte Ab-
handlung gegen dieselben geschrieben. Die Vorliebe des recht-
gläubigen Kaisers, Theodosius des „Grossen", \am aber der Schau-
spielkunst nicht zu gute, die sein Codex in den Schauspielern
verfehmt, wo diese mit allerlei anderem Gesindel, Histrionen,
Kupplern und öffentlichen Dirnen, als ehrlos gebrandmarkt wer-
den, als personae inhonestae. -) Unter der Regierung des Kai-
sers Justinianus (527 — 565) sass die gekrönte Pantomime neben
ihm auf dem Thron, in der Kaiserin Theodora, einer berüchtig-
ten Pantomimentänzerin, die der Gründer des berühmten Codex
und des nocli heutigen Tags Schiden und Staaten beherrschenden
Römischen Rechts aus der Cloaca maxima der schandvollsten
Liederlichkeit, in welche die Pantomime versunken war, zur Kai-
serin und unbeschränkten Herrscherin des mächtigsten Reiches
erhob. Zitternd lag Senat und Volk zu ihren Füssen, in erster-
bender Ehrfurcht ilire Schuhsohle küssend; das Weltherrn- Volk,
das Triumphirvolk, das einst den Fuss auf die Nacken gekrönter
Häupter, in Staub gebeugter Könige, setzte, und das nun mit an-
dächtiger Inbrunst die Schuhsohle einer gekrönten Motze leckte,
die es mit Füssen trat; dasselbe Volk, dem sie früher die öbscön-
sten Tänze liüllenlos hatte vortanzen müssen, wie in des Proco-
pius „Anecdota" zu lesen. In Theodora, der liederlichen Kaise-
rin-Pantomime, entfaltete sich Roms Btthnenschande zur vollen
Blume, prangend in üppiger Purpurkrone. Sie sass neben Justinia-
1) Ammian. XIV, 6, li). — 2) L. XV. tit. 52. Cod. Theod.
6(52 LMe römisclic Komödie.
niis auf dem Kaiserthron, als die schliessliche Erfülluiicf jenes
Wiinderzeicliens: als die eingclieischte Sage von der Muttersau
mit den dreissig Jungen, deren Simipflager dem Aeneas die Grün-
dungsstellc für das künftige Könierreicli anwies. Die Erhöhung
einer Schanddirne, des Auswurfs ihres Gewerbes und ihrer Kunst,
zu seiner Kaiserin verhinderte indessen Diren Gemahl, den Kaiser
Justinianus, keinesweges, den Schauspielerstand in seinem Codex
mit demselben Brandmal zu belegen, den ihm Kaiser Theodosius
in seinem Gesetzbuch aufgedrückt. Auch in dem Cod. Justinian.
wird der Schauspielerstand als eine inhonesta professio geächtet,
und der Name „Schauspieler" für einen Schimpf erklärt, 'j
Kaiserin Tlieodora ragt als Mittelgipfel und Hochpunkt her-
vor aus der Reihe der berühmtesten Pantomimentänzerinuen vor
und nach ilir, unter denen eine Helladia glänzte, die den Hek-
tor tanzte, und von dem Dichter Leontius in 7 Epigrammen als
Hektor-Tänzerin gefeiert ward. "-) Das 5. Jahrhundert verhen-
lichte die Pantomimentänzerin Rhodoclea; und noch im '.». Jahrh.
strahlte die Anthusa. Sie alle, das Hochentzücken, die Won-
nen ihrer Zeit, deliciae geueris humani, mit grösserem Recht, als
Titus der Gütige. Und mächtiger, als es die grössten Köpfe je
vermocht, erschütterten ihr Zeitalter ihre dunes crispatae, ihre
coxendices fluctuantes ^j, jenes zauberische, wallende, schwinmieude
Hüftenspiel, das die spanischen Tänzerinnen, die Mädchen von
Gades (Cadix) schon damals auszeichnete, und das auch unsere
Generation, die glückliche, an der wunderbarsten aller Hüftleriu-
nen, an den cluues crispatae und coxendices fluctuantes des jüng-
sten Mädchens von Gades, an der Senora Pepita de Oliva, bis
zur Extase, bis zur Frenesie, bewunderte und bestaunte, mit em-
porgereckten Köpfen, durch gezogene Sehrohre:
— — ut Gadisana canoro
Incipiat prurire choro, plausiique })robatae
Ad teiTam tremula descendimt clune puellae. ^)
Die Pantomime feiei-te aber nicht blos in Rom Triumphe;
unter ihrem Zauber lag ganz Italien; sie beherrschte die ganze
1) Cod. Justin. Nov. 51 pracf. — 2) Antliol. IV. p. 74. Jacobs. — 3)
Arnob. adv. gent. IV. c. 35. — 4) Orell. Inscriptt. n. 2627. Grut. inscriptt.
3.30. n. 3.
Die Paiitomiiuen in den Provinzen. ß63
Halbinsel mit ihrem Circc-Stab, von dem höchsten Alpenscheitel
bis zu des Apennin meerunihiipfter Sohle. Campanien vor allem,
das einstige Gebiet der Circe mit der Luststadt Neapel, wo ausser
dem ewig gTünen Lorbeer die grünen Ballethosen spriessen. unter
den italischen Städten that sich besonders auch Praeneste hervor
in Pflege der Pantomime. Praencste's Bürger verewigten den
Sieg ihres Pantomimen M. Aurelius ügilius dm*ch Denkmal und
Inschrift. 0 Ausserhalb Italiens wetteiferten im Pantomimen-
Cultus vornehmlich die Grossstädte Antiocliia, Byzanz, Carthago-),
dessen Tänzer und Tänzerinnen dem delendum esse des Cato
mit Händen und Füssen die lachendsten Schnippchen schlugen,
und dem alten Karthagofresser eine der hohnneckendsteu, verrufen-
sten Spottgeberden der Pantomime in's Grab hinunterstachen und
mit Hand- und Fussfingern zeigten: die Feige; oder gar den
Mittelfinger vorstreckten, ein Spottzeichen von pyramidaler Unan-
ständigkeit, das in der Pantomimensprache axiiialiteiv hiess, auf
lateinisch: digitum infamem porrigere, das non plus ultra
frecher Verhöhnung.
Noch ist zu bemerken, dass die Pantomimen nicht in der
Orcliestra, sondern auf dem Pulpitum getanzt wurden. Hinter
dem Tänzer war der Chor aufgestellt. Das Auftreten des Pan-
tomimus und den Gegenstand seines Stückes verkündete jedesmal
ein Herold.-^) So wie der Pantomime die Bühne betrat, begann
der Chor eine Art von Vorspiel mit allerlei Instrumenten, Flö-
ten, Rohrpfeife (Syi'inxj und Cymbel (yJjißalov): assistunt con-
soni chori diversis organis eruditi. ^) Auch diese Neuerung wird
in der Chronik des Euseb. dem Pylades zugeschrieben: yrgiöto^
Tag acQiyyag xat lov xoQnv havuli hiaöeiv ejinitjot. Nach dem
Vorspiel begTüsste der Pantomime das Publicum. Das hiess:
adorare, manu veuerari. '•) Selbst Nero befolgte die Sitte, wenn
er als Citharoede auftrat. Als Saltator trug er das Pracht-
gewand eines Tragöden. '^) Sonst war das Gewand des Pantomi-
men von Seide, iad^rjg ^rj()ixr,. ')
Atellanen, Mimen und Pantomimen, gegen diese Brutöfen
1) August, de düctr. christ. II, 38. — 2) Juv. X, 25. Pars. 11, 33. —
3) August, a. a. 0. — 4) Cassiod. V, 50. IV, 51. — 5) Tacit. Ann. XVI,
4. — 6) J]utr. Vn, 14. Giys. a. a. 0. — 7) Luc. c. 63.
664 Die römische Komödie.
aller Schanden und Laster war vorzugsweise der heilige Zorneifer
der ersten Kirchenväter gerichtet. Tertullian, Presbyter zu Kar-
thago, Clemens Alexandrinus , Presbyter der Kirche zu Alexan-
dria, C}T)riau, Bischof von Karthago i), die im 2. und xinfang des
3. Jahrh. lebten, hatten bei ihrer Verdammung des heidnischen
Theaters vornehmlich die bezeichneten drei Formen seiner Entar-
tung im Auge. Schon vor C}i)rian schrieb Marc. Minucius Felix
in seiner Apologie des Christenthums, Octavius"'^), einem Dialoge
zwischen einem Heiden und Christen: „der Mime lehrt den Ehe-
bruch oder stellt ihn vor, der entnervte Histrio ahmt die (un-
keusche) Liebe nach und flösst sie dem Zuschauer ein und entehrt
die Götter, indem er sie Verbrechen begehen lässt" u. s. w.
Caec. Lactantius ("st. 330) dehnt die Verwerfung auch auf die
Komödie aus: „Die Lustspiele", sagt er, „handeln von dem
Fall keuscher Jungfrauen oder von den Liebesangelegenheiten
öffentlicher Dirnen, und je zierlicher die Dichter solcher unzüch-
tigen Komödien zu reden wissen, desto leichter beschwatzen sie
durch die Eleganz ihrer Sentenzen . . . Was soll ich endlich
von den Mimen sagen, welche den Ehebruch lehren, indem sie
ihn darstellen." '^) Der h. Chrysostomus ist. 407) eifert gegen das
berüchtigte Schauspiel Majuma, („Wasser" auf Syrisch), worin
Mädchen nackt badeten. *) Das Stück war schon zur Zeit Con-
stantin's d. Gr. aufgekommen, und wurde bis zu den Zeiten des
Arcadius achtmal verboten und wieder erlaubt. Die Ansicht des
h. Augustinus von den entarteten Schauspielen der Römer wurde
schon berührt.
Der fromme Eifer gegen die Schauspiele erstreckte sich na-
türlich auch auf die Schauspieler, die bereits Cyprian^) aus der
Gemeinschaft der Christen ausschloss. Das Concil zu Elvira (Gra-
nada) (305 u. Chr.) enthält die Bestimmung:**) „Wenn Panto-
mimen Christen werden wollen, müssen sie zuvor ihr Gewerbe
aufgeben. Die Apostolischen Constitutionen'^) verordnen: Schauspie-
ler, Theaterunternehmer, Gladiatoren, Wagenlenker, Flötenbläser,
1) de opera et eleemosynis Oper. ed. Baluz. fol. — 2) e. 37. —
3) Lact. Op. Bipont. 1756. p. 4) Homil. contr. lud. et theatr. T.
Vll. 273 if. ed. Muntf. — 5) Epp. 1, 10. - 6) Concil. Illib. Cau. 62. —
7) VIII, 32.
Die Pantoiniiiieii und clie Kü-chenväter. 665
Tänzer u. s. w. von der Kirche fem zu halten, so lange sie ihr
Gewerbe treiben. Die Ausschliessung von der kirchlichen Ge-
meinschaft dehnen die Apostolischen Constit. sogar auf die The-
atromanen aus: ^■eaTQOf.iaviu £t ng TiQÖG/ieitaL t] navaaod-o)
rj anoßaleod^at. „Wer dem Theaterbesuch leideuschaftKch nach-
hängt und nicht davon lassen kann, soll ausgestossen werden".
Das vierte Karthagische Concil ? ;}!J9 n. Chi'.j excommunicirte die-
jenigen, Avelche an Sonn- und Festtagen, mit Vernachlässigung
des Gottesdienstes, in's Theater gingen, i) Schon damals segnete
die Kirche keine Ehe zwischen Christen mid Histrionen ein, sie
reichte keinem sterbenden Histrionen das Sacrament. ^)
Neben dem Abscheu gegen die Unzüchtigkeit der damaligen
Schauspiele, mochte die Feindseligkeit der Kirche gegen dasselbe
auch in der Verspottung ihren Grund haben, welche das verfolgte
Christenthum auf der Bühne erfuhr. So wurde die Taufe an dem
Schauspieler Genesius parodistisch vollzogen. Genesius, der
darüber tiefsinnig geworden, entsagte von Stund an seinem Ge-
werbe, bekehrte sich imd starb zu Rom in der Diokletianischen
Verfolgung r28()) den christlichen Märtyrertod. Genesius wiu'de
desshalb nachmals als Schutzpatron der Schauspieler ver-
ehrt und sein Gedächtnisstag am 25. August feierlich begangen.
Aehnliches berichtet die Legende von der h. Pelagia Mima,
die vor ihrer Bekehrung Margaretha hiess, das Christenthum ver-
achtete und lächerlich machte, und eiimial zum Spott im grössten
Putz in die Kirche ging. Hier aber wurde sie von der Predigt
des h. Nonnus so ergTiflfen, dass die Mimenspielerin zerknirscht
nach Hause ging, Busse tliat, allen Flitterstaat abwarf, ihr Ge-
werbe aufgab, sich taufen Hess, den Namen Pelagia annalim, und
von da an in einer Höhle bei Jerusalem als Einsiedlerin lel>to.
Sie wurde dafür die Schutzpatronin der Schauspielerin-
n e n und ihr Gedächtnisstag am 8. Octob. gefeiert. ^)
Fürwahr dem SchauspielerweseJi tluit ein Schutzpatron und
eine Scliutzpatronin Noth. Die Kirelie sellist, deren erste Väter
und Lehrer über das heidnische Drama ihrer Zeit ein verdientes
Anathem sprachen, musste es unter ihre Flügel nehmen. Wie
1) IV, c. 88. — 2) Vgl. Alt: Theater u, Kirclie. p. 310 fV. 3) Alt;
a. a. 0.
66(5 Die röiiiischc Komödie.
zum Heil der Welt, so sollte der (jottessolm auch zum Heil ihres
Abbildes, der Bühnenwelt, erscheinen ; sollte auch dem Drama im
Heiland ein reinerer, ein Avaiu'liaCt göttlicher Dionysos erstanden
seyn: der Gott himmlischen Seelenweines, heiligen Kelches, hei-
liger Trunkenheit. Wir stehen au der Schwelle des geistlichen
Drama's, der cliristlichen Mysterien und Passionsspiele. Bald wird
sich zeigen, ob das daraus hervorgegangene weltliche Drama auch
wirklicli in dem Weine des Herrn das Blut seines himmlischen
Erlösers genossen.
Jahrlumderte werden über die europäische Völkergeschichte
hinfliegen, bevor wieder ein Dämmerstrahl dramatischen Lebens
in die Geschichte des Drama's fällt. Anderthalbjalntausende wer-
den an neuen Völker- und Staatenbildungen in unserem Welt-
theil, dem Medeakessel verjüngender Umkochung alter Böcke,
brauen, bevor der dramatische „Bock" aus dem Zauberkessel als
verjüngter hervortreten wird. Ja erst nach tausendjährigem
Kampfe der Kirche mit der Pantomime wird das geistliche Drama
sein Hosianna anstimmen, zur Feier eines Scheiusieges über einen
Todtfeind, der nicht umzubringen; der mittlerweile, wie die Schlange
in's Paradies, unter das Brusttuch einer frommen Klosterjung-
fi-au, der fürstlichen Nonne Hroswita von Gandersheim, wird ge-
schlüpft seyn, um alsbald aus dem keuschen Busenlatz der Bran-
denburgischen Klosterschwester, in der Maske maiijTologischer
Heiligkeit, doch wieder als Tereutianisches Spiel zmn Vorschein
zu kommen. Letzteres wird in ihren sechs Passions-Komödien
sein Raffinement -Gelüste büssen, wie man eben ein Gelüste
büsst: indem es den Conat auf die ekstatische Spitze treibt, und
dem Motiv durch den himmlischen Kitzel heiliger Märtyi-erbraust
eine geistliche Weihe giebt.
Allein, wie die Weltgeschichte, steht auch die Geschichte des
Drama's nicht still. Während das Drama in Europa erloschen
scheint, oder docli bis auf die schmutzige Hefe herunterge-
schlämmt, seine ursprüngliche Komödienmaske : sehen wir im
Orient, fast gleichzeitig, ein Drama im herrlichsten Blüthenglanze
prangen, von einem hinmilischen Dufte, einer Seeleninnigkeit,
einer Reinheit, ja Heiligkeit der Motive, einem sittlichen Zartge-
fühl vor Allem, das die classische Tragödie niu- auf dem Gipfel
ihrer Vollendung, das europäische, moderne Drama nur ausnahms-
Das Drauiii im Orient. 657
weise und auf in seiiieu liöclisten Offeiibaruiigt'ii athmet. Wir
sprechen von dem Indischen Drama, einem Phönix, an dem
das grösste Wunder: (hiss er alle Kig-ensclial'ten der Ursprungs-
Herrhchivi'it des aralnschen Wandervogels zur Schau trägt; alle
Verjüngungsmerkrnale einer Gewürze hauchenden Plammenwiege,
einer Auferstehung aus dem Feuerdüftenest, strahlend schön, wie
ein unschätzbarer Schrein hervorgeht aus don Feuer des Gold-
schmieds — und dennoch ein Phönix, der aus keiner Ahnen- Asche
gehoreji, ein aschenloser Phönix, der keine Entstehungswiege haben,
dessen Ursprung unentdeckbar soll geblieben seyn. Ein Vogel
Phönix, der aus der Hirnschale eines Einsiedlers plötzlich aufge-
flogen wäre. Treten wir an dieses geschichtslose Kunstwunder
heran.
Namen- und Sachregister zum ersten und
zweiten Bande:
Drama der (iriecheu uud Römer.
Abdera. Euripid. Aiidroinede in, 1, 512.
Abgesengten, die, Komödie des Kra-
tinos II, 54.
AbsiclitdesDrama'snacliLessingl, 85.
Accius, L., siehe Attius.
Achäermahl, das, Tragödie des So-
phokles 1, 399.
Achäerversaiuiulimg, die, Tragödie des
Sophokles I, 396. 397.
Achäos von Eretria, Tragödiendichter
I, 512. 515.
Acharner, die, des Aristophanes 11.
82 f. 92 If.
Achilleis, Trilogie des Aeschylos 1, 3ü3.
Achilles, Tragödie des Liv. Andro-
nicus U, 331. Drama des Ennius
n, 337. Tragödie des Attius II, 341.
Tragödie desKaiser Augustus II, 348.
Achüleus, Tragödie dos Kleophon II,
251; des Diogenes II, 251. AchiUeus'
Liebhaber, Satyrspiel des Sopho-
klesl, 4U3. Achilleus Thersitestödter,
Tragödie des ("liäremon II, 251.
Actives Element der röm. Tragiklic
II, 302 f. 300.
Actores priniarum = Hauptschauäpie-
1er II, 473.
Addictus, Lustspiel des Plautus II, 482.
Adelphi, Atcllane des Pomponius II,
329. Komödie des Terenz 11, 626 ff.
Admetos, Komödie des Phormis 11,
22. Komödie des Aristomenes II,
64. 188.
Adonis, Komödie des Piaton U, 75.
Komödie des Nikophron II, 188.
Komödie des Antiphanes II, 214.
Tragödie Dionysios' d. ä. 11, 249.
Aedüen, Veranstalter scenischer Dar-
stellungen n, 472. 473.
AedUicia, Komödie des Atta 11, 638.
Aeditumnus, AteUane des Pomponius
II, 329.
Aegeus, Tragödie des Euripides I,
447. 510.
Aegisthus, Tragödie des Liv. Andro-
nicus n, 331. Tragödie des Attius
n, 341.
Aegyptier. die, Drama des Phrynichos
I, 134. Tragödie des Aesclij'los I,
211. 3(13. Komödie des Anti])ha-
nes U, 215.
Aegyptios, Komödie des Kallias II, 64.
Aegyptische Geheimweihen, ihr Ver-
hältniss zur Katharsis I, 24 ff. —
Festumzüge als Keim der griech.
Komödie II, 1 f.
Aeneadae oder Decius, Tragödie des
Attius II, 342.
Aeneas, Tragödie des Pomponius Se-
cundus II, 347.
Register.
669
Aeolisch-ionischer Satyrchor I, 112.
Aeolos, Tragödie desAeschylosI, 3ü4.
Tragödie des Euripides I, 447. 511.
n, 206. Komödie des Antiphanes
n, 214.
Aeolosikon , Komödie des Aristopha-
ues II, S9. 206.
Aeschylos I, lS4if. ; mit Herodot und
Pindar parallelisirt I, 184 f. Seine
Tragik I, 1S6 ff. Lebensumstände
I, 196 ff Grabschrift I, 202. Seine
Tragödien I, 202 ff. 211 ff. 221 ff.
236 ff. 251 ff. 254 ff. 260 ff. 277 ff.
294 ff. Verlorene Tragödien I, 301 ff.
In Aristophanes' Fröschen I, 422 ff.
Aeschylos aus Alexandria. Tragödien-
dichter II, 262.
Aeschines als Schauspieler II, 254.
Aesopos, Komödie des Alexis II, 216.
Aesopus, Schauspieler II, 480.
Aethiopier, die, Tragödie des Soiiho-
kles I, 398.
Aethiopis , Trüogie des Aeschylos I,
303.—, die, des Arktinos, Quelle für
Sophokles' Aethioi)ier I, 398.
Aetnäerinnen , die , des Aeschylos I,
199. 304.
Al'ranius, Lustspicldichter II, 4S5.
637. 638 f.
Agamemnon, Tragödie des Aeschylos
I, 254. 260 ff. Tragödie des Jon
I, 514. Tragödie des (Ehetors Mar-
cus?) Seneca II, 352. 447 ff. — sup-
positus , Atellane des P(iin])onius
II, 329.
Agamemnonidae, Tragödie des Attius
II, 341.
Agatharclios, Deconitionsuialer I, 149.
Agathon, Tragödiendichter I, 517 ff.
II, 185 ff
Agitatoria, Komödie d.Naevius 11, 333.
Agonen, tragische, I, 122. ])antomi-
mische II, 65(>. Vergl. Wettkämpfe.
Agorakritos in den Rittern des Aristo-
phanes II, iito ff
Agricola, Atellane des Pomponius II,
329; des Novius II, 329. Komödie
des Naevius 11, 333.
Agroikos, Komödie des Antiphanes
n, 215.
Aiantides , nachalexandr. tragischer
Dichter II, 258. 262.
Ajas der Telamonide, Trüogie des
Aeschylos I, 303. 363. Tragödie
des Sophokles I, 357 ff. 397. Tra-
gödie d. Theodektes II, 252 f. — der
rasende, Tragödie des Astydamas
I, 513. — derLokrer, Tragödie des
Aeschylos I, 304. Tragödie des So-
phokles I, 398. Ajax, Tragödie
des Liv. Andronicus II, 331. Drama
des Ennius II, 337. Tragödie des
Kaiser Augustus II, 348.
Aüinos, chorischer Trauergesang I,
105. 107,
Akestrien, Mimos des Sophron II, 27.
Akrisios oder Danae, Tragödie des
Sophokles I, 401.
Aktäon, Drama des Phrynichos I, 134.
Tragödie des Kleophon II, 251.
Alcestis, Tragödie des Attius II, 341.
Sielie Alkestis.
Alcumaeo, Drama des Ennius II, 337.
Tragödie des Attius II, 341. Siehe
Alkmäon.
Aleones, Atellane d. Pomponius 11, 329.
Aletes, Tragödie des Sophokles I, 399.
Aleuaden, die, Tragödie des Sopho-
kles I, 402.
Alexander d. Gr. u. seine Zeit II, 224 ff.
Alexander, Drama des Ennius II, 337.
Siehe Alexandros.
Alexandra, Tragödie des Lykophron
U, 259 ff.
Alexandros, Tragödie des Sophokles
I, 396. Tragödie des Euripides I,
429. 447. 507. Siehe A]e.vander.
Ale.vandros (Aetolos) , naclialexandr.
Dichter von Kinäden u. Tragödien
II, 30. 258. 261.
670
Register.
Alexis, Dichter der niittl. att. Koinö-
ilie U, 211. 213. 21(if.
Alkäos, Komödiendichter II, TS f. Ibh.
Alkestis, Drama des Phryiüchos I,
134. Satyrspiel d.Euripides I, 44Sft'.
Alkestor, Tragödiendichter II, 254.
Alkibiades und der Feldzug nach Si-
cilien in den Vögeln des Ai-isto-
phanes verspottet II, 15.5 if. 175 f.
Alkimenes, Komödiendichter II, 62.
Alkinoos, Komödie desPhormisII, 23.
Alkmäon, Tragödie des So])hokles I,
4ÜÜ. Tragödie des Astydamas I,
513; des Agathon I, 5lSi; des Theo-
dektes II, 253. — (iuKorinth), Tra-
gödie des Euripides I, 448. 485.
492. — (inPsophis), Tragödie d.Eu-
ripides I, 447. 448. Siehe Alcumaeo.
Alkman aus Sparta, Dreitheilung des
dorischen (Ihores durch ihn I, lOi).
Alkraene, Tragödie des Aeschylos I.
304. Trag()die des Euripides I, 447.
509. Tragödie Dionysios" d. ä.,
n, 249.
Alkj'oues, Komödie desPhormisII, 23.
Allegorische Personen als Sprecher
des Prologs in der neuen att. Ko-
mödie n, 237 f.
Allerlei, vervollkommneter mimischer
Tanzgesang zu Rom II, 315. 317.
Vgl. Satura.
Alope, Drama des (Ihörüos I, 127.
Tragödie des Euripides I, 447. 510.
Al])hesiböa, Tragödie des (!häremon
II. 251. Tragödie des AttiusII, 341.
Amazonen, Komödie des Deinolochos
II, 23.
Aiiibivius Tur])io, Schauspieldirector
II, 473. 475. 581.
Ameipsias, Komödiendichtcr II, 73.
74, 7Ü. 152.
Ameisen, die, Komödie des Kantharos
11, 79.
Ameisenmenschen, die, Komödie des
Pherekrates II, 58.
Ammen, die, des Dionysos, Tragödie
des Aeschylos I. 301. — Ihre Rolle
in Seneca's Tragödien II, 3(i7. 309.
373. 375. 400 f. 437.43S.448.4GO.402.
Am]ihiaraos, Satyrspiel des Sophokles
I, 403. Komödie des Aristophanes
II, 204. Tragödie des Kleophon
II, 251.
Am[)hikty(jnen, die, Komödie des Te-
leklaides II, 59.
Amphis, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II. 213.
Amiihitruo. Trag, des Attius IL 342.
Komödie des Plautus II, 471. 563 ff.
Amphitryon, Tragödie d. Sophokles
I, 402. Posse von Rhinthon II, 29.
564. Komödie des Archippos II,
7(). Tragödie des Aeschylos aus
Alexandria II, 262.
Amykos, Satyrspiel des Sophokles I,
403. Komödie des Epicharnios II, 20.
Amymone, Satyrspiel zur Danais-Tri-
logie des Aescliylos I, 212. 221.
305.
Anagnostiker II, 251.
Anagyros, Komödie des Aristophanes
II, 205.
Anapästos, Parabase im engern Sinn
II, 45.
Anapiesmata, Versenkungen, im grie-
cliischen Theater I, 149.
Anaxandrides, Dichter der mittl. att.
Komödie II, 213. 217.
Auaxilas, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 209. 213. 217.
Anaxi]ii)0s . Dicliter der neuen att.
Kojiiödie II, 230.
Andria, Komödie d. Tereuz II, 573 ff. ;
des Caecilius II, 636.
Androgynus, Komödie des Caecilius
II, 63(i.
Andronuiclie, Tragödie des Euripides
1 , 430. 465 ff. 507. Tragödie des
Anliplioii II, 250. Atellane des N<i-
vius II, 329. Tragödie des Naevius
Register.
671
n, 333. Andromacha Acchiiialotis,
Drama des Enniiis II, 337.
Andromeda, Tragödie des Sophokles
I, 401. Tragödie des Enripides I,
447. 460. 511. Tragödie des Liv.
Androiiicus II, 331. Drama des En-
nius II, 337. Tragödie des Attius
U. 342.
Andronicus, Livius, erste Auttuhrung
eines Drama's durch ihn zu Rom
II , 315. 318. Seine Tragödien II,
331 f. Erfinder der comoedia togata
n, 6.36 f.
Andronikos. Schauspieler 11, 254.
Ankylion, Komödie des Alexis II, 216.
Anstands-Komödie bei Aristoteles II,
S. 220.
Antäos, Komödied. AntiphanesII, 214.
Antenoridae , Tragödie des Attius
n, 342.
Antepirrhema, Theil der Parabase II,
44. 46.
Antheas aus Lindos, Posseiidichtei'
II, 51.
Anthesterien , Fest der, Theaterzeit
I, 137.
Anthippos, Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Anthusa, Pantominientänzerinll, 662.
Antidotos, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie U, 213.
Antigone in Aeschylos' Siel)en gegen
Tlieben I, 232 f." Tragödie des So-
phokles I, 233. 352 f. 382 ff. Tra-
gödie des Euripidcs I, 447. 5071.
Tragödie des Attius II, 342.
Antilais, Komödie des Kcphisodoros
II, 80. Komödie des Epücrates U.
209. 217.
Antiope, Tragödie des Euripides I,
447.478. II, 338. Tragödie des Pa-
cuvius II, 338.
Antiplianes, Dicliler der iniltleren att.
Komödie II, 20S. 211, 212. 213.
214 ff.
Antiphon, Tragödiendichtcr II, 2491.
Antisthcnes. Chorlehrer I, 171.
Antistrophe , als Tlieil der Parabase
n, 44. 46.
Antistrophische Form des Chorge-
sangs I, 199.
Antonius (Triumvir) Freund von Mi-
menspielen n, (»44.
Aparte's, von Euripides zuerst häu-
figer angewendet I, 475.
ApeUes v. Askalon, Schauspieler II, 266.
Aphareus, Tragödiendichtcr II, 250.
252.
Aphodos des C'hors I, 1()5.
Aphrodisias in Karlen, Schauspieler-
gescUschaft daselbst II, 266.
Aphroditen's Geburt, Komödie des
Polyzelos ll, 80.
ApoUiuares (ludi) , röm. Theaterzeit
II, 472.
ApoUinaris von Alexandria, VI. bibl.
Tragödien u. Komödien U, 263.
A])ollo - und Dionysoscult in seiner
Beziehung zum Drama I, 50 ff'. Apol-
lo's Sieg über den Python drama-
tisch gefeiert I, 56.
Apollodoros, Decorationsmaler I, 149.
Apollodoros v.Gela, Dichter der neuen
att. Komödie II, 230.
Apollodoros v. Karystos, Dichter der
neuen att. Komödie 11, 230. 248.
619.
Apostolische (Constitutionen , gegen
Theater und Schausjiieler II. 664.
Aquaecaldae, Komödie des Atta II, 638.
Ai-aber ermangeln der dramat. Dicht-
kunst I, 91.
Araros, Dicliter der mittl. alt. Ko-
mödie U, 213.
Aratos, Sohn des Aristophanes II,
89. 206.
Arbuscula, Mimentänzerin II, 645.
Archelaos, Schauspieler I, 512.
Arclielaos, Tragödie des Euripides I,
447, 448. 509.
672 Register.
Archestrata, Komödie des Antiphanes neu Stücke II, 204 ff. Sein Urtheil
n, 214. über Euripides I, 412. 420 ff. Sein
Archestratos v. Gela, drain. Paro- Urtheil über Kratiiios II, .51 f. Sein
dieudichter 11, 30. Verhältniss zu Eupolis II, 66 f.
Archias, Schauspieler II, 2.54. Aristophanische Komiklie 11. 31. 41 ff.
Archidikos , Dichter der mittl. att. Aristophon , Dichter der mittl. att.
Komödie II, 213. Komödie II, 20S. 217.
Archiloche , die , Komödie des Ki-a- Aristoteles , seine Katharsis 1 , 12 fi'.
tinos II, 43. 53. Komödie des Alexis Ueber Euripides I, 297. 413f. Geg-
II, 216. ner der altattischen Komödie 11,
Archilochos von Faros, Dichter dithy- 8. 90 ; Lobredner der mittl. und
rambischer Lieder I, 110. Erfinder neuern II, 220.
des jambischen Trimeter I, 118. Armorum Judicium, Tragödie des Pa-
Archimimus II, 641. cuvius II, 338. Tragödie des Attius
Archippos, Komödiendichter II, 76 f. II, 342. Trag, des Pomponius Se-
Ares' Geburt, Komödie des Polyzelos cundus II, 347. Vgl. Waffenrechts-
n, 80. . streit.
Ai'giver, die, Tragödie des Aeschylos Armuth , die neue att. Komödie als
I, 303. Anwalt derselben II, 241.
Argo, Tragödie des Aeschylos 1,301. Artabazes, König von Armenien, als
Ariolus, Komödie des Naevius II, 333. Verf. griech. Tragödien II, 263.
Arion aus Methymna führt den tra- Aruspex, Atellane des Pomponius 11
gisehen Chor ein I, 52. 109ff. 329.
Aristarchos von Tegea, Tragödiendich- Arvalische Brüder und ihre Gesänge
ter I, 515. 11, 277.
Aristias, Sohn des Pratinas, Satyr- Arzt, der, Kom. d. Antiphanes 11, 215.
spiel - Dichter I, 126. Verf. einer Asiatische Völker ohne dramatische
Tetralogie I, 175. II, 250. Poesie I, 91.
Aristodemos , Schauspieler II, 254. Asinaria, Komödie des Plautus U,
255. 550 ff.
Aristokritos, Schauspieler II, 255. Asinius. AteUane des Novius II, 329.
Aristomenes, Komödiendichter II, 64 f. Askolien an den ländlichen Dionysien
188. I, 135.
Aristomenes, Schauspieler II, 266. Asotoi, Komödie d. Antiphanes II, 215.
Ariston , Sohn des Sophokles I, 312. Astyanax, Tragödie des Attius II, 342.
Aristonymos, Komödiendichter II, 76. Astydamas, Tragödiendichter I, 513.
Aristophanes II, 81 ff. Sein Leben II, Atalanta, Tragödie des Aeschylos I,
82^ff. Von Kleon verklagt U, 83. 304. Komödie des KalUas II, 64.
Auftreten in seinen eigenen Komö- Tragödie des Kritias II, 250. Drama
dien 11, 85. Von Kleon misshan- des Pacuvius II, 338. Tragödie des
delt II, 87. Urtheilc üljer ihn II, .1. Grachus II, 346.
!)() f. Seine noch erhaltenen Ko- Atalantai, Kom. d. Pliormis II, 23.
niödien II, 92 ff. 105 ff. 112 ff. Atellanen, oskische Possen, II, 315.
132 ff. 143 ff. 152 ff. ]s2ff. 185ff. 3 1 (;. .•{20. 470. Als Nachspiele zu Tra-
1b8ff. 190 IV. 198 if. Seine verlöre- gcHlien II, 321. Keine Satyrspiele
Register.
673
322 ff. Obscönititt derselben II, 32« f.;
von Tiberius verboten II, 330.
Athanias, Tragödie des Aeschj'los I,
302. Satyrspiel desXenokles I, 429.
Drama des Enuius II, 337. — u. Ino,
Tragödie des Sophokles I, 40 t.
Athena's Geburt, Komödie des Her-
mippos II, 61.
Athenodoros, Schauspieler II, 255.
Attilius, M., Tragödien- und Komö-
dieudichter U, 344. 485.
Attilius Praenestinus , Schauspieldi-
rector 11, 473.
Attius, L., Tragödiendichter II, 30Ü.
341 ff.
Atreus, Tragödie des Attius II, 342.
Tragödie des Pomponius Secundus
II, 347. Tragödie des Mamercus
Aemil. Scaurus II, 350. — oder M,y-
kenäer , Tragödie des Sophokles
I, 401.
Atta, T. Quinct. , Komödiendichter
II, 63b.
AttaUsten. Schausi)iele|gesellschaft II,
266.
Auge, Tragödie des Euripides I, 447.
510.
Augeas, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie U, 213.
Augustus, Kaiser, als Tragödiendich-
ter II, 34«, Von ihm erbautes Thea-
ter zu Rom II, 313.
Aulaeum des röm. Theaters II, 312.
Aulularia, Komödie des Plautus II,
492 ff.
Ausreisserinnen, die, Komödie des
Kratinos il, 55.
Auszug aus Aegypten, Drama des
Ezechiel II, 262 f.
Autokabdalen, dorische Stegreil'spie-
1er 11. 5.
Autokrutes, Komödiendichter II, SO.
Autolykos, Satyrspiel des Euripi-
des I, 447. Komödie des Eupolis
n, 70 f.
n.
Axionikos, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie U, 212. 213.
Babylonier, die, des Aristophanes II,
S2f. 92. 204.
Bacchae, Tragödie des Attius II, 342.
Vgl. Bakchae u. Bakchen.
Bacchides , Komödie des Plautus II,
552 ff.
Badestube, die , oder die Nachtfeier,
Komödie des Pherekrates II, 57.
Bäckerweiber, die, Komödie desHer-
mippos II, 61.
Bakchä , Tragödie des Aeschylos I,
3ltlf. ; des Euripides I, 448. 485.
492 ff.
Bakchen, die, Tragödie des Xenokles
I, 429. Komödie des Epicharmos
n , 20. Komödie des Lysippos
II, 63. Tragödie des Kleophon 11.
251.
Bakchis, Posse des Sopatros II, 29.
Bakchos, siehe Dionysos.
Bakis' Weihgesänge I, 23.
Baibus, von ihm erbautt'S Theater zu
Rom II, 313.
Barbitisten, die, Komödie des Magnes
II, 11.
Basilisten , Sdiauspielergesellschatt
II, 266.
Bassariden . Tragödie des Aeschylos
I, 301.
Bathyllus, Pantomimentänzer II, 654.
657.
Baten, Dichter der neuen att. Komö-
die II, 230.
Bauer, der, Komödie des Ei)ichannos
II, 21.
Bedeckung des Theaters von Catulus
eingeführt II, 311.
Belleroi)hontcs, Tragödie des Euri])i-
des I, 447. 511; des Astydamas 1,
513; des Theodcktes II, 253.
Bergleute, die, Komödie des Phere-
krates II, 58.
43
674
Register.
Bernays über Aristoteles' Katharsis
I, 2Uff.
Bernhard}' über Aeschylos' Perser I.
208 f.; über Euripides I, 431 f.
Bettler, die, Komödie des Chioiiides
II, 9.
Bewegung, dramatische, I, (i.
Biedermänner, die. Komödie des
Strattis II. 77.
Bildsäulen im Dionj'sostheater zu
Athen I, 153. 155.
Bläsos, Possendichter U, 29. 3U.
Blitzmaschine des griech. Theaters
I, 149.
Blume , die , Tragödie des Agathon
I, 518.
Blumenfest, Dionysisches, Theaterzeit
I, 137.
Bock (Tragos) I, 55. 111.
Bote, der, Mimos des Sophron II, 27.
Botrylion, Komödie des Anaxilas II,
217.
Bousiris, Tragödie des Euripides I, 447.
Komödie des Epicharmos II, 2U.
Komödie des Ki-atinos II , 55 .
Brautjungfer, die, Mimos des Sophron
n, 27
Brouteion, Theatermasehine I, 149.
Brüder, die, Komödie des Alexis II.
216.
Brutus, Tragödie des Attius II. 3ü6.
342 ff.
Bubulcus Cerdo, Atellane des Novius
n, 329.
Buchstabendrama des KaUias II. 63.
Bucco. oskische (^haraktermaske II,
324.
Bucco aduptatus, Atellane des Pom-
ponius 11, 324. 329.
Buccula, Atellane des Novius II,
329 ; Komödie des Naevius II, 333.
Bücherwürmer, die, Posse des S<>-
patros II, 29.
Bühne, Gesänge von der, I, 170.
172; des Thespis I, 117; bauliche
Einrichtung der griechischen I,
145 ff.
Bühnenapparat, der. Komödie des
Piaton n. 75.
Buhler, die, Komödie des Ameipsias
n, 76.
Bundesstädte, die, Komödie des Eu-
polis II, 69.
Buss - und Sühnopferidee im Drama
I, 7.
Butalion . Komödie des Antiphanes
II, 215.
Caecilius Statins, C, Komödiendich-
ter II, 475. 4S5. 574. 635 f.
Caesar, C. Jul., als Tragödiendichter
II, 348. Freund und Beförderer der
Mimenspiele II, 643. 64fr. 648.
Calderon siehe Faeton.
( antica in Seneca's Tragödien und
in der röm. Komödie II, 476 f.;
im Pantoniimus gleichbedeutend
mit Monolog II. 653.
Captivi, Lusl^piel des Plautus II,
485. 513 ff.
Carbouaria , Komödie des Naevius
II, 333.
Casina, Komödie des Plautus II, 549 f.
Cassius aus Parma, Tragödiendichter
II, 349.
Casuistik in der neuen att. Komö-
die II, 238 f.
Catella, Aelia, 90jährige Matrone, von
Nero zum Tanzen gezwungen II, 659.
Catienus, Schauspieler II. 339.
Catinenses, Mimus des Lentulus II,
651.
Cato, Tragödie des (!uriat. Älatornus
II, 306. 459.
('atuUus. Mimograi»h II, 651.
C'avea I. 141; des röm. Theaters II,
308.
('entunculus. zum (!ostüni der Mi-
menspieler gehörig II, 642.
Chäremon, Tragödiendicbter II, 251;
Eegister.
675
sein Verhältuiss xu. Euripides' Iplii-
genia in Aulis I, 486 ff.
Charakter, dramatischer, I, 65. 84.
Charakter-Drama, der Philoktet des
Sophokles das einzige Ch.-Dr. der
attischen Tragödie I, 370.
Charaktere in Euripides' Tragödien
1, 432 f.
Charaktermasken der inittl. att. Ko-
mödie n, 209 ff ; der neuen II,
220 f.; oskische II, 323 f.
Charakterstücke des Epicharmos II,
21. 22; bei den Körnern II, 471.
Charonische Stiege im Theater I, 145.
Cheirouen, die, Komödie des Kratinos
n, 54.
Chinesisches Drama I, 91 ff.
Chionides, erster attischer Komödien-
dichter II, 7. 9.
Choen, zweiter Tag der Anthesterien
I, 137.
Choephoren, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 254. 277 ff. ; verglichen mit
der Elektra des Sophokles und des
Euripides I, 27b ff.
('hörilos, , .König im Satyrspiel", I,
122 f. 127.
Chor, der tragische, wurzelt im Apollo-
u. Dionysos-Dienst I, 52; von Arien
eingeführt I, 52; tragische Chöre
des Epigenes I, 111 ; ihr Name bei
HeroiVot I, 1 1 1 f. Seine Bedeutsam-
keit bei Aescliylos I, 217 ff. 224.
2301'.; sein (Jharakter bei Sopho-
kles I, 324 f.; bei Euripides I, 325.
440 ff. ; bei Epicharmi^s II, 17. Ver-
kümmert in der mittl. att. Komö-
die II, 213; in der röm. Tragödie
II, 306 f.; in den röm. Pantomi-
men 11, 6()3. Aufwand für den tra-
gisclien 1, 164. Stärke desselben
I, 164. Aufstellung im Viereck I,
165; in Reihen oder in Gliedern I,
165 f.'; in der alten Komödie II, 6.
43. 47 f. Aufwand dafür II, 48.
Chor und Choregie I, 161 ff.
Choregos, der, I, 163; sein Sieges-
preis I, 164.
Chorführer, der, I, 165.
Cliorgesang I, 166 ff.
Chorlehrer I, 171.
('horlieder der Komödie II, 49.
Chormeister, der, I, 164.
Chorpoesie der Cliinesen I, 95 f., der
Griechen I. 103 ff.
Chortragödie I, 111.
Chresphontes. Drama des Ennius II,
337.
('hristus, der leidende (Christos Pa-
schon) , griechisches Passionsspiel
II, 264.
Chryses, Tragödie desPacuvius II, 339.
Chrysippos, Tragödie des Euripides
I, 447. 508. Tragödie des Diogenes
II, 251. Chrysippus, Tragödie des
Attius II, 342.
( Jhytren , dritter Tag der Antheste-
rien I, 138.
Cicero über die Mimenspiele 11, 643.
644.
(Üncius (et) Faliscus bedient sich zu-
erst einer Maske in der Komödie
II, 479.
Cistellaria, Komödie des Plautus II,
500 ff.
Classisches Drama 1. lo2.
Clastidium, Tragödie (Komödie?) des
Naevius II, 333.
Claudius, Kaiser, Verf. griecli. Ko-
mödien II, 263.
Clytämnestra , Tragödie des Attius
II, 341. Vgl. Klytämnestra.
Colax, Atellane des Novius 11, 329.
('(»iiiiiiunismus, verspottet in Aristu-
})lianes' I<>kklesiazusen 11, 199 f.
(!()moodia palliata 11. 469 ff. ; toguta
11, 636 ff. Vergl. Komödie.
( 'onciliatrix, Komödie dos Atta II, 638.
ri)Ti{|Misitores des riHn. Theaters II,
;!I2.
43*
676
Register.
Contaminatio, Verflechtimg mehrerer
Fabelstoife zu einem Stücke , bei
Terenz II, 570. .575.
Cophiniis, Jlimus des Laberius II, 642.
Costüm, komisches II, 50; im röm.
Lustspiel II, 480.
Crassitius, Luc, Mimograph II, 651.
Crepidatae (fabulae) II, 305. 330.
Cuneil, 142; des röm. Theaters II, 308.
Curculio, Zomödie des Plautus II,
562 f.
Curio , Scribonius , sein Theater zu
Rom II, 309.
Cytheris, Mimentänzerin II, 644.
Dacier, Madame, über Terenz II,
571 ff.
Dädalos, Satyrspiel (?) des Sophokles
I, 403. Komödie des Aristophanes
II, 205.
Damoxenos, Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Danae, Tragödie des Aeschylos I,
303. Tragödie des Emipides I.
447, 508. Tragödie des Liv. An-
dronicus II, 331; des Naevius II,
333. Siehe auch Akrisios.
Danaiden, die, Drama des Phrynichos
I, 134. Tragödie des Aeschylos I.
212. 220f. 303. Komödie desAristo-
phanes II, 205.
Danais, TrUogie des Aeschylos I,
211. 303.
Dante's Göttliche Komödie I, 36 f.
Decius, Tragödie des Attius II, 306.
342.
Decorationsmalerei im griech Thea-
ter I, 149.
Decuma fuUonis, Atellane des Pom-
ponius II, 329.
Deikelisten II, 5.
Deinolochos, Komödiendichter II, 23.
Deiphobus, Trag, des Attius II, 342.
Domen, die, Komödie des Eupolis
n, 71 f.
Demetrios , Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Demetrios. Komödie des Alexis II, 217.
Demokopos (MyriUa), Architekt des
Theaters zu Syrakus II. 22.
Demokratie, ihr Eiufluss auf die
Entwickelung des Drama's I, 127 ff.
Demophüos, Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Designatores des röm. Theaters II, 312.
Deuteragonistes, zweiter Schauspieler
I, 159.
Deuterostatae oder Dexiostatae des
Chors I, 166.
Dexamenos, Tragödie des Kleophon
II, 251.
Dexion, Heroenname des Sophokles
I, 311.
Dialog , von Thespis geschaffen I,
117. — der mittl. att. Komödie II,
213. Vgl. Diverbium.
Diaskeuasen der griech. Dramen bei
wiederholter Aufführung I, 182.
Diaulion im trag. Chorgesang I, 170.
Diazomata im griech. Theater I, 142.
Dichter , die tragischen , oder die
Freigelassenen, Komödie des Phry-
nichos II, 74. — , die, oder die La-
konen. Komödie des Piaton II 75. — ,
der, Komödie des Diokles 11, 79.
Didaskalien, tragische, I, 177. 182.
Didaskalische Schritten der Römer
II, 473 f.
Diener, der, Charaktermaske II, 9.
Dienstunfähigen, die, oder Weibünge,
Komödie de^ Eupolis II, 69.
Dikäogenes . Tragödiendichter II,
249.
Diktys, Tragödie des Euripides I,
436. 447. 453.
Dilogien, tragische, I. 177.
Diodoros, Dichter der neuen att.
Komödie II. 230.
Diogenes, Tragödiendichter II, 251
254.
Register.
677
Diokles v. Phlius . Koniödiendichter
n, 79.
Diomedes, Tragödie des L. Attius II,
342.
Dionyseii . Komödie des Epicharmos
IL 2U.
Dionysieii , ländliche, Theaterzeit I.
135; grosse oder städtische I, 13Sf.
Dioiiysios. Dichter der neuen att. Ko-
mödie II, 230.
Dionysios d. ä. von Syrakus als Tra-
gödiendichter II, 249 f. 254.
Dionysios , Komödie des Eubulos 11,
212.
Dionysos, drauiat. Darstellung seines
Leidens und Sterbens 1 , 48. Ver-
einigung seines ('ultus mit dem des
ApoUo l,')i). Theater des — zu Athen
I, 139. 150if. Dionysos-Zagreus I,
43. 48. 53 f.
Dionysos, Komödie des Magnes II,
II. Komödie des Aristomenes II,
64. Dionysos , der kleine , Satyr-
spiel des Sophokles I, 403. Dio-
nysos' Gehurt, Komödie des Poly-
zelos 11, ^0.
Dionysosdienst, der, sein Ursprung
aus dem ägypt. Osiriscult I, 40.
Dionysische Geheimweihen I, 47 ff.
Dio])eithes von Lokroi, mimetischer
Charakter seiner ('horlyrik I, IKi.
Dio])hantos, Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Di])hilos, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 211.
Diphilos, Dichter der neuen att. Ko-
mödie II, 230. 247 f. 459. 552.
Dithyrambischer Tropos I, HO.
Dithyrambus , Bakchischer Ohorge-
sang I, 103; strophische, antistro-
})hische und epodische Form des-
selben I, 109; mimetischer Cha-
rakter desselben I, 116.
Diverbium (Dialog) und sein Vortrag
im röra. Schauspiel II, 477.
Doloper. die. Tragödie des Sophokles
I, 397.
Donnermaschine des griech. Theaters
L 149.
Dorische Tonart des Chorgesangs I.
171.
Drama. Wesen und Erfordernisse des-
selben L ''ff-; Ursprung aus ägyp-
tischen und hellenischen Geheim-
lehren 1, 7. 24 ff. ; religiöses der
Aegypter I, 30; Name I, 60; der
(nünesen I, 91 ff. ; der Inder I, 96 f. :
der Mexikaner I, 97 ; der Peruaner
I, 98 f.; Eintheilung desselben 1,
100 ff'.; historisches I. lOOL; psy-
chologisches I, 101 f.: classisches
1, 102; romantisches I, 102; das
griechische I, 103 ff. ; das griechi-
sche zur Zeit Alexand. d. Gr. II,
248 ff. ; nach Alexander d. Gr. II,
256 ff. Das römische II , 268 ff. :
sein Ursprung II, 314 ft'.; histori-
sches bei den Römern 11, 305 f.
Drama, das grosse, Tragödie des Jon
1, 514.
Dramatische Bewegung I, 6 ; Grund-
attecte: Furcht und Mitleid I, 6.
13 ff.; Handlung I, 10 f.; Katharsis
1, 12 ff.
Dramen, die, Komödie des Aristo-
phanes II, 205.
Drehmaschinen statt der Coulissen
im griech. Theater I, 148.
Dromo, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Droysen über Aristophanes' Vögel IL
176tt'.; über die Wolken des Aristo-
phanes II, 121 f. 125. 129.
Dulorestes, Tragödie des Pacunus IL
338. 339.
Duo Dosseni, Atellane des Novius IL
329.
Dux gregis ~ Schauspieldirector IL
473.
67S
Kesfister.
Ecliippus, Dichter der inittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Edonen (Edonier), Tragödie d. Aeschy-
los I, 301.
Effecthascherei des Euripides I, 427 f.
Ehebrecher, die, Komödie des Auti-
phanes II, 215.
Eingänge zum Theater I, li'.i; zur
Orchestra I, 145.
Einüeit des Ortes im Drama I, 2i)5f.;
der Zeit I, 296. U, 516; der Hand-
lung I, 296; von Euripides ver-
nachlässigt I, 425 f.
Eintrittsgeld bei den griech. Thea-
tervorstellungen I, ISlf.
Einzeldrama im Gegensatz zu den
Didaskalien I, 177. Neuerung des
Sophokles I, 315. .321.
Ekklesiazuscn , die , Komödie des
Aristophanes II, 89. 198 flf.
Ekkyklema, griech. Theatermaschine
I, 148.
Ekphantides, Komödiendichter II, 11.
Electra. Tragödie des M. Atüius IL
344. Vgl. Elektra.
Elegisches Moment des Drama's I,
106 ff.
Elegos, der, I, 106 f.
Elektra in Aeschylos' Choephoren I.
279 ff.; in Sophokles' Elektra I,
2S0ff.; in Euripides' Elektra I, 2S0.
282. — Tragödie des Sophokles I,
278. 280 ff. 374 ff. 399. Tragödie
des Euripides I, 278. 280 ff. 475.
477. 507. Vgl. Electra.
Eleusiuier, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 303.
Eleusinische Mysterien I, 45 ff.
EniiliaGalotti von Lessing u. Aeschy-
los' Dajiais 1, 2 19 f.
Enipedokles, seine Sühn - und Buss-
gesänge I, 19 f.
Endymion, Komödie desAlkäosIl, 79.
Enkyklema, griech. Theatermaschine
L 118.
Ennius, Q. , Tragödien- und Komö-
diendichter II, 288. 3.33 ff. 485.
Seine Dramen U, 337. Nachahmer
des Euripides I, 415. Sein Achüles
Aristarchi I, 515.
Epei'os, Tragödie des Euripides I, 507.
Epeisodion der griech. Tragödie 1.
166; der Komödie II, 49.
Ephialtes. Komödie des Phrynichos
IL 73.
Epicharmos von Kos, Komödiendicli-
ter II, 7. llff. ; Lebensumstände
II, 121'.; seine Verspottung der
Volksgötter II, 13 f. Charakter u.
Gruppirung seiner Komödien II,
17 ff. Begründer des eigentUchon
Lustspiels und derLocalpossell, 22.
Epiclerus, Komödie des CaecUius 11,
636.
ICpidaurier , die, Komödie des Anti-
phanes II, 215.
Epidicus, Komödie des Plautus IL
539 f.
Epidikazonienos , Komödie des Apol-
lodoros aus Karystos II, 248.
619.
Epigenes von Sikyon , seine tragi-
schen Chöre I, 111.
Epigenes, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Epigonee, angebl. TrUogie des Aeschy-
los I, 235. 303.
Epigonen, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 303; des Sophokles I, 400.
Tragödie des Attius IL 342.
Epikrates, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 208. 214. 217.
Epikur, sein Einfluss auf Menander
IL 231.
Epilykos, Komödiendichter IL 80.
Ejjimeleten. Choraufseher I. 164.
Eiiinikios, Komödie des Epicharmos
iL 20.
Epinikos, Dichter der neuen att. Ko-
mödie II, 230.
Reüister.
679
EpirrliL'uui. Tlieil der l'arabasc IJ,
44. 45.
Episcenien des Scauvus II. 309.
Episches Moinent de.s Draiiia's I, lub.
Epüdisohe Form des ('horgesangs 1,
109.
Epodos der Komödie II, 4'J.
Equus Trojanus, Tragödie des Liv.
Andronicus II. Xi]; des Naevius
II, 33.'}.
Ei-btochter, die , Komödie des Alexis
n, 211. Komödie des Menander
U, 237.
Erde und See, Komödie des Epichar«
mos II, 21.
Erechtheus, Tragödie des Euripides
I, 447. Drama des Ennius II, 337.
Erigone, Tochter des Ikarios I, 118;
Schaukelfest in Athen ilrr zu Ehren
I, 118. Tragödie des PhrjTiichos
I, 119. Tragödie, des Sophokles I,
399; des Philokles I, .513. Tragö-
die des Kleophon II, 251. Tragö-
die des Attius II, 341.
Erinausimacha , Tragödie des Attius
II, 342.
Eriphos, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Eriphyle , Tragödie des Sophokles I.
4(10. Tragödie des Attius II, 342.
Eris, Satyrspiel {?) des So])hokles I,
403.
Esel, der Schlauchtragende, Komödie
des Leukon II, 77.
Esels Schatten , des , Komödie des
Archippos U, 76.
Etruskiscber Einfluss in Rom II, 274.
Etrarische Tänzer in Rom II. .315.
316.
Euantides, Komödie des Philemon II.
552.
Eubulides, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Eubulos, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 212. 214.
Eubulotlieombrotos, Posse des Sopa-
tros IL 29.
Eudüxos, Dichter der neuen att. Ko-
mödie II, 230.
Euetes, attischer""Kouiiker IL 9.
Eumeniden, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 2.54. 257 ff. 294 ff. Drama des
Ennius 11, 337.
Euniden, die. Komödie des Kratinos
n, 54.
Eunuchus. Komödie des Terenz nach
Menander II, 475. 006 ff.
Eupliorion, Sohn des Aeschylos, dram.
Dichter I, 354. 436.
Euphron, Dichter der neuen att. Ko-
mödie n, 230.
Eupolideisches Versmaass II, 45.
p]upolis, Komödiendichtern. 65 ff.
143; sein Verhältniss zu Aiisto-
phanes 11, 66 f.
Euripides I, 403 ff. Lebensumstände
I, 4(t4 ff. Verschiedene Urtheile
über ihn I, 412 ff. Mit .-Ukibiades
zusammengestellt I, 412L Sein An-
sehen bei den Römern I, 415. Ver-
spottet von Aristophaues I, 420 ff'.
460. IL !»6. lS5f. 204; desgl. von
den Dichtern der mittl. att. Ko-
mödie II, 212. Seine Verspottung
des Aeschylos I, 282. Der tra-
gischste unter den Dichtern nach
Aristoteles I, 297. Sein religiöser
Skepticismus 1 , 474. 477. 4S2 f.
Grosser Aufwand bei Aufführung
seiner Stücke I, 497 f. Seine Te-
tralogien I, 176. Seine Tragödien
I, 280 ff. 4.34 ff. 441 ff. 44S ff. 453.
454 ff. 458 ff. 460 ff". 4()3 ff. 465 L
466 ff. 468 ff. 471 ff. 475 ff. 478 ff.
485 ff. 492 ff. 500 ff. 502 ff. Verlo-
rene Dramen I, 447.
Euripides der Jüngere I, 448. 485.
Europe, Tragödie des Aeschylos I.
304. Komödie des Piaton II, 75.
Eurysaces, Trag, des Attius IL 342.
680
Eegister.
Eurystheus, Satyrspiel des Euripides
I, 447.
Eurytiden, die, Tragödie des Jon I,
514.
Euthj-kles, Komödiendichter II, b(».
Euxenides, attischer Komiker II, 9.
Evangelos, Dichter der neuen att.
KomödiB II, 23ü.
Exodia , Nachspiele auf dem röm.
Theater II, 316. 32üf.
Exodos der griech. Tragödie I, 166.
Ezechiel, draraat. Dichter II, 262.
FabelqueUen des Aeschylos I, 301 ff. ;
des Sophokles I, 395 ff. ; des Eu-
ripides I, 507 ff.
Fabiüae Varronianae des Plautus II,
4S3.
Faeton, El Hijo del Sol, von Calderon
I, 510 f.
FaUeroni, noch vorhandenes röin.
Theater daselbst II, 313.
Fassöffnung an den Anthesterien I,
137.
Fescenninische Lieder II, 278.
Fest, das , und die Inseln , Komödie
des Epicharmos II, 20.
Festtänzer, die, Komödie des I]pi-
charmos II, 20.
Festumzug, ägyptischer, als Keim der
griech. Komödie II, 1 f.
Fische, die, Komödie des Archippos
II, 76.
Fischer, der, Mimos des Sophron
II, 27.
Fischhändler, der, seine Rolle in der
mittl. att. Komödie II, 211.
Fischweib, das, Komödie des Anti-
phanes II, 215.
Flaccus, Sohn des Claudius, Kompo-
nist II, 573. 581. 593. 626.
Flitterstaat, der , Komödie des Phe-
rekrates II, 58.
Flöte als Begleiterin des ditliyraml).
Vortrags I, 114. Arten und Ge-
brauch derselben auf der röm.
Bühne II, 478; beim röm. Mimus
II, 642.
Florales (ludi), röm. Theaterzeit II,
472.
Florus, L. Ann., Verf. der Tragödie
Octavia (?) II. 459.
Flugmaschine des griech. Theaters
I, 149.
Frauen im griech. Theater I, 183,
II, 151 f.; als Mitspielende im röm.
Mimus n, 642. — die, welche die
Theaterplätze vorwegnehmen , Ko-
mödie des Aristophanes II, 204 f.
Prauenchi')re in der griech. Tragödie
I, 167.
Frauenemancipation in Aristophanes'
Ekklesiazusen II, 199 f.
Frauenmasken, von Phrynichos er-
funden I, 127.
Fresser, die, Komödie des Ameipsias
II, 76.
Freunde, die, Komödie des Eupolis
II, 66.
Freundeliebhaber, der, Komödie des
Philonides II, 62.
Friede, der, des Aristophanes I, 514.
II, 69. 86. 143 ff.
Frösche , die , Komödie des Magnes
II, 11. Komödie des Kallias II,
64. Komödie des Aristophanes I,
420 f. 422 ff. 517 f. n, 190 ff".
FuUones, AteUane des Novius II,
329. Komödie des Titinius II, 63S.
Funambuli II, 254.
Funebres (ludi), röm. Theaterzeit II,
471.
Furcht u. Mitleid, dramatische Grund-
attecte I, 6. 13 ff.
Fusius, Schauspieler II, 339.
Galerus, Kopfbedeckung der röm.
Schauspieler II, 479.
Galli Transalpini, AteUane des Pom-
ponius II, 329.
Register.
681
Ganymedes , Komödie des Alkäos
II, 79.
Gaubewohner, die, Komödie des Her-
mippos II. 61.
Gaukler, die, Komödie des Aristome-
iies II, 64.
Gefesselten, die, Komödie des Krates
II, 56. Komödie des Kallias IT.
63.
Geheimweihen, ägyjjtische u. phry.f,n-
sche, ihr Verhältniss zur Katharsis
I, 24 ff.; hellenische I, 38 ff.; Eleu-
sinische I, 45ff. ; Dionysische I,
47 ff.
Gemina, Komödie des Titinius II,
63S.
Gemini, Atellane des Novius II, 329.
Genesius, Schutz])atron der Schau-
spieler II, 665.
Gephyristen II, 3.
Gerechtigkeitsschänder , die , Komö-
die des Eupolis II, 67.
Germanicus, Caesar, als Verf. gricch.
Komödien II, 263.
Gerytades, Komödie des Aristopha-
nes II, 205. 640.
Gesänge von der Bühne I, 170. 172.
Gesandten, die, Komödie des Leukon
II, 77. 133.
Geschorene, die, Komödie des Me-
nander II. 237.
Gesetze, die, Komödie des Kratinos
II, .55.
Gesticulation der röm. Scliaus]neler
II, 479.
Giganten, die, Komödie Kratinos' d.
Jung. II, 217.
Gigantomachie , Parodie des Hege-
mon II, 65.
Glaukos, Tragödie des Euripides 1,
447. — Pontios , Tragödie des
Aeschylos I, 202. 24(». 304.
Glykera, Geliebte Menander's II,
232 f.
Goethe, siehe Iphigenia in Tauris.
Götter, die, Komödie des Hermippos
II, 61.
Göttertravestien des Epicharmos II,
13 ff.
Göttliche Komödie, Dante's, I, 36 f.
Gorgonen, die. Komödie des Aristo-
phanes II, 204.
Grabesspenderinnen, die, siehe Choe-
phoren.
Grachus , Junius , Tragödiendichter
II, 346 f.
Grammatische Tragödie, die, des
KalUas II, 63.
Gratulatio, Komödie des Atta IL 638.
Gregor v. Nazianz, Verf. des Dra-
ma's Christos Paschon (?) II, 264.
Greife , die , Komödie des Piaton
II, 75.
Greisinnen, die, Komödie des Phere-
krates II, 57.
Grex = Schauspielertruppe 11, 473.
Griechisches Drama I, 103 ff.
Grossprahler, der, Komödie des Epi-
charmos 11, 20.
Gruppe, 0. T. (in s. ,,Ariadne") ge-
gen Euripides I, 419. 485; über
Euripides' Iphigenia in Aulis I,
486 ff. ; über Euripides' Rhesos I, 501.
Gürtel, der, Satyrspiel (?) des Sopho-
kles I, 403.
Gymnopädien, Fest der, zu Sparta
I, 104.
Gypsmaske I, 54.
Halbchöre, zwei feindliche, in den
Acharnern des Aristojdianes 11, 97.
Handlung, dramatische, im Gegen-
satz zur ei)ischen I, 10 f.; ihr Be-
griff L 84; l)ei Aeschylos I, 208 f.
225ff. 24()ff.; bei Sophokles 1. 324 f.
374 f.
Härtung, .T. A. . iihm- Euri])ides und
seine Tragik 1. 4121'.
Heautontimoroumenos, Komödie des
Terenz II, 593 ff.
682
Register.
Hebeinaschiaie des griechischcu Thea-
ters I, 149.
Hebe's Hochzeit, Koiiiödie des Epi-
charmos II. 17.
Hebräer. Mangel der drauiat. Poesie
bei ihnen I, 88 ff.
Hector, Tragiidie des Naevius II, ;33.'i.
Vgl. Helvtor.
Hectoris Lustra, Drama des Ennius
II, 337.
Hecuba, Drama des Ennius II, 3.37;
Tragödie des Attius II. 342. Vgl.
Hekabe.
Hecyra, Komödie des Terenz II, 473.
.580 ff.
Hefeninaskc II, 2.
Hegel über tragische Schuld I, 3SS ft'.
Sein Begriff des Komischen 11, 37.
Hegemon von Thasos, dram. Paro-
diendichter II, 30. 6.5.
Hegesippos, Dichter der neuen att.
Komödie II, 23ü.
Hektor's Lösung, Tragödie Dionysios'
d. ä., II, 249. Vgl. Hector.
Hekabe, Tragödie des Euripides I,
428. 475 ff. 507. Vgl. Hecuba.
Helena, Tragödie des Euripides I,
428. 4ü()ff. 507. II, 331. Tragödie
des Diogenes 11, 251; des Theo-
dektes II, 253. Tragödie des Liv.
Andronicus II, 331. Helen a's Ent-
führung, Komödie des Alexis II.
217. — Freier, Komödie des Alexis
II, 217. — Hochzeit, Satyrspiel [?)
des Soi)hokles I, 403. — Zurück-
forderung, Tragödie des Sophokles
1, 390. 397.
Heliaden, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 304.
Helios, der frierende, Komödie des
Aristonymos 11. 70.
Helladia, Pantomimentänzerin 11, 002.
Hellcnes, Tragödie des Attius II,
342.
Hellenische Mysterien I, 38 ff.
Heloten, die, Komödie des Eupolis
II, 67.
Hemichoria (Halbchorgesänge) der
griech. Tragödie I, 170.
Hemikyklion, Theatermaschine I, 149.
Heniochos , Dichter der mittl. att.
Komödie II. 214.
Herakleiden, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 304. Tragödie des Euripides
I, 468 ff.
Herakleitos (oder Herakleides), Dich-
ter der mittl. att. Komödie II, 214.
Herakles, Posse des Rhinthon 11, 29.
Tragödie des Diogenes II, 251. —
der rasende, Tragödie des Euripi-
des I, 441 ff. 4"7ö. — der heirathende,
Komödie des Archippos II, 76. — ■
der verbrannte, Tragödie des Spin-
tharos II, 253.
Hercules, der rasende, Tragödie des
(Rhetors Marcus ?) Seneca II , 352.
353. 429 ff". — am Oeta, dem Seneca
von Einigen abgesprochene Tragö-
die II, 353. 436 ff.
Herder über röm. Eroberungssucht
II, 290ff. ; über das röm. Drama
II, 296.
Hermann, G. , über die Chöre bei
Aeschylos I, 226 f.
Hermione, Tragödie des Sophokles
I, 3!)9. Tragödie des Liv. Andro-
nicus II, 331. Tragödie des Pacu-
vius II, 339.
Hermi])pos, Komödiendichter II, 60 f.
Herodes d. alt. zieht griech. Spiel-
leute nach Jerusalem II, 267.
Heroen, die, Komödie des Chionides
II, 9. Komödie des Krates II, 56.
Komödie des Aristophanes II, 204.
Heroen-Rlutsühne I, 19 f.
Hesiode, die, Komödie des Teleklei-
des II, 43. 59.
Hesiona, Trag, des Nae-vius U, 333.
Hetaera, Atellane d. Novius II, 329.
Hetären, ihre Rollen in der mittl. u.
Register.
683
neuen att. Komödie II, 2()'Jf. 232;
bei Terenz II, 589 ff.
Hüaroden , eine Art Mimenspicler
11, 25.
Hilarotragödien der Tarentiner IL
28; bei den Römern II, 471.
Hi])]>archos , Dichter der neuen att.
Komödie II, 2'M).
Hip]iias, Mimentän'/er II, ()4-4.
Hip})olytos (der Verhülltet, Tragödie
des Euripides I, 447. - ■ (der Ge-
krönte), Tragödie des Euripides I,
448, 454 ff. — Posse des Rhinthon
11, 29. Hi])i)olytiis , Tragödie eines
älteren Tragikers (?) Seneca II, 352.
405 ff.
Hippen, Philoso])h. von Kratinos ver-
spottet II, 55.
Hii)]»os, Komödie des Phormis II, 23.
Hirten, die , Tragödie des Sophokles
I, 396. 397.
Historisches Drama I, lüof. ; bei
den Römern II, 305 f. - Lusts])iol
II, 21S.
Histriones II, 315.
Hoclizeit, die heUige. Komödie des
.\lkäos U, 79.
Hoffnung u. Reichthum, Komödie des
Epicharmos II, 21.
Holkaden. die, Komödie des Aristo-
phanes II, 204.
Hol/.träger, die, Komödie des Aristo-
menes II. (14. 105.
Homeros der Jung. , nachalexandr.
trag. Dichter II, 258. 259.
Homeros oder die Asketen, Komödie
des Metagenes II, 77.
Honorar röm. Theaterdichter II, 473i'.
Honorarii (ludi), Tlioaterauffiilirnngcn
dabei II, 473.
Horaz , II, 280 ff". ; über das röm.
Theater II, 310; über die Atellane
II, 322 f.
Hören, die, Komödie des Kratinos 11,
55. Komödie d. Aristdidiaiics II, 20().
Horos, der ägyi)tische, identisch mit
ApoUo I, 24.
Hospitalia, Seitenthüren im Hinter-
grunde des röm. Theaters II, 312.
Hülfstrup])en, die, Komödie des Ari-
stomenes II, ()4.
Humanität, ihre Grundsätze vertre-
ten in der neuen att. Komödie II,
242.
Humor I, 42. Vgl. II, Slitt'.
Hyakinthien zu Sparta mit C'liorge-
sang gefeiert I, 105.
Hylas , Pantomimenspieler 11 , 653.
656. 658 f.
Hymnis, Komödie des Caecilius II.
()36.
Hy^ierbolos , Komödie des Piaton
II, 75.
Hypoboleus, der. sein Platz im Thea-
ter I, 144.
Hy])obolimäoi, Komödie des Menan-
der II, 244.
Hypobolimäos, Komödie des Alexis
11, 217. Komödie des Caecilius II,
636.
Hypokritcs, Schaus])ieler I, 120. 158.
Hyporchem (Tanz - Gesang) . Grund-
form des Drama's I, 76. 104. 107;
bei den Römern II, 3161". 318.
Hy|ioskeni()n im griech. Tlieater I,
147.
Hypsii)yle, Tragödie des Aeschylos
I, 301. Tragödie des Euripides I.
447. 478.
Jacobs, über Seneca's Tragödien II,
355 f.
Jakchos I, 48.
Jalcmos, ein rhorisclier Klaggesang
I, 105.
Janiljo II, 2.
Jambischer Triinctcr 1. 118.
Jamliisten 11, 3 5.
Jason, Scbaus|iicb'r II. 26.(. 266.
JasoiK'ia, TiLldgie des Aeschylos I. 301.
684
Eegister.
Idäer oder die Abgesengten , Komö-
die des Kratiiiüs II, 54.
Jerusalem . theatral. Vorstellungen
daselbst II, 266 f.
Ikarios . tragischer Charakter der
Mythe von Ik. I, IIS; mythischer
Begründer der dram. Mimik I, 119;
in der ältesten attischen Tragödie
I, 119.
Ikarisches Lustspiel II, 6.
Ilias, die kleine, des Lesches. Quelle
Sophokleischer Dramen I. 397 ; Eu-
ripideischer I, 5(17.
Ilierinnen, Tragödie des Aeschylos
I, 303.
niona, Tragödie des Pacmäus II, 339.
Hions Zerstörung, Trüogie des Aeschy-
los I, 303. Tragödie des Agathon
I, 518f. Komödie des Phormis II.
23. Tragödie des Kleophou II,
251. Epos, Quelle Sophokleischer
Dramen I, 398; Euripideischer I.
507.
Imbrii. Komödie des Caecilius U, 636.
Immoralität der neuen att. Komödie
II, 238 f.
Inachos, Satj'rspiel (?) des Sophokles
I, 403.
Indisches Drama I, 96 f.
Ino, Tragödie des Euripides 1 , 447.
508.
Intrigue in der Tragödie I, 237. Von
Sophokles eingeführt I, 317 f.; ihre
Bedeutung in der Komödie II, 38 ;
in Aristo])hanes' Lysistrate II, 188.
Intriguenstücke bei den Römern II.
471.
Jo im gefesselten Prometheus des
Aeschylos I, 243 ff. Komödie des
Piaton II, 75. Tragödie des Chä-
remon II, 251.
Jobates, Posse des Rhinthon 11, 29.
Jolaos, Tragödie des Sophokles I, 402.
Jon, Tragödiendichter I, 448: 512.
513 f.
Jon, Tragödie des Euripides I, 471 ff.
Jonische Philosophie, ihr Einfluss auf
die Ent\vickelung des Drama's I.
60 ff.
Jophon. Sohn des Sophokles, Tragö-
diendichter I, 313. 448.
Iphigenia, Trüogie des Aeschylos I,
303. Tragödie des Naevius II, 333.
Iphigenia in Aulis , Tragödie des
Aeschylos I, 303; des Sophokles
I. 396. 397. Tragödie des Euripi-
des I, 433. 448. 485 ff. 507. Tra-
giulie des Chäremon I. 486 ff. II,
251. Posse des Rhinthon 11, 29.
Drama des Ennius II . 337. Iphi-
genia in Tauris , Tragödie des
Euripides I, 428. 478 ff. II. 338.—
von Goethe verglichen mit der Eu-
ripideischen I, 483 f. — Posse des
Rhinthon II , 29. Tragödie des
Polyeidos II, 253.
Ironie, tragische, des Sophokles I.
318 f.
Isthmiasten, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 302.
Isthmiaznsen , Mimos des Sophi-on
II, 27.
Ithyphallen II, 3f.
Jünglinge, die, Drama des Thespis
I, 121. Tragödie des Aeschylos I,
301. 304.
Junius, AteUane des Memmius II.
330.
Juno, Tragödie des Liv. Andronicus
II, 331.
Jurisperita. Komödie des Titinius
II, 638.
Justinian, Kaiser, verbietet diedramat.
Aufführungen in Konstantinopel II,
26(1; erklärt die Schauspieler für
ehrlos 11. 662.
Ixion, Tragödie des Aeschylos I, 304 ;
des Sophokles 1 , 402 ; des Euripi-
des I, 447.
Register.
685
Kabiren, die, Tragödie des AeschyloB
I, 301.
Kabirische Passionsspiele I, 44.
Kalliades, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
KaUias, Komödien dichter II, tliU'.
KaUikrates , r)ichter der mittl. att.
Komödie, II. 214.
KaUimachos als dramat. Dichter II, 258.
KaUipides, Schauspieler I, 161. 307.
KaUipides, Posse des Strattis II, 78.
Kallipos, Dichter der neuen att. Ko-
mödie II, 23U.
KaUisto , Satyrspiel des Aeschylos I,
3U5. Komödie des Alkäos II, 79.
KaUistratos, Schauspieler des Aristo-
phanes II, 82. 92. 182. 2ü4.
Kamikier oder Minos, Tragödie des
Sophokles I, 402.
Kanimerjungfer , die, Komödie des
Antiphanes II, 215.
Kampfpreise bei den dramat. Wett-
kämpfen I, 182.
Karnpfricliter bei den dramat. Wett-
kämpfen I, 180 f.
Kampfspiele des Peleus, Drama des
Thespis I, 121.
Kantharos, Komödiendichter II, 79.
Karer, die^ Tragödie des Aeschylos
I, 304.
Karkinos, Tragödiendichter I, 510.
Kassandra in Aeschylus' Agamemnon
I, 209 tf.
Katharsis, dramatische, des Aristo-
teles I, 1211'.; hieratische I, 18ff. ;
der Götter 1, 24; in den ägypti-
schen und phrygischen Gehcini-
wcihcn 1, 24 ff.; etliische 1, 04;
mufiikalische des Pythagoras I, 09;
neiiplatoiiisclie i, 81 f.; bei Sopho-
kles 1, 31.> ff. 35] f. .{(io. .-{(iiiff. ;
die komische II, 391.
Kaufmann, der, Komödie des Diphilos
II, 211. Komiidio des Philemoii II,
247. 501. Vgl. Mercator.
Kehricht, der, Komödie des Platou
n, 75.
Kelterfest, das, Theaterzeit I, 136.
Kentauros, der, Tragödie des Chäre-
mon I, 487. II, 251.
Kepheus. Komödie des Phormis II, 23.
Kephisodoros, Komödiendichter U, 8U.
Kephisophon, Schauspieler des Euri-
pides I, 161. 410.
Keren, die, Drama des Aristias I,
120.
Kerkides im griech. Theater I, 142.
Kerkopen, die, Komödie des Hermip-
pos II, 61.
Kerkyon , Satyrspiel des Aeschylos
I, 305.
Kerykes, Satyrspiel des Aeschylos I,
305.
Kette, die, Komödie des Menander
Li, 230 f. 242.
Kilissa, Amme des Orestes in Aeschy-
lus' Choephoren I, 288 f.
Kin.äden II, 30.
Kinesias , Dithyrambendichter, von
Aristophanes verspottet II, 171. 205.
Kinesias, Komödie des Piaton II, 75.
Kii-chenväter eifern gegen Theater u.
Schauspieler 11, 604.
Kii-koi, Satyrspiel desAeschylos I, 305.
Kleandros, Schauspieler des Aeschy-
los I, 101.
Kleobuliiie, Komödie des Alexis II,
216.
Kleobulinen, die , Komödie des Kra-
tinos II, 54. 2J3.
Kleomenes, König von Sparta, Typus
des tragischen Helden I, 62 f.
Kleon, der Gerber, von Aristophanes
verspottet II, 82 ff. 105 ff.
Klcophanes, Komödie des Epikrates
II, 209.
Kleu|ihon, Tragi'idieiidicliter II, 250 f.
2.)l.
Kleitphdii, Kiiiii.Hlic des Piatun II, 75.
190.
686 Eegister.
Klideinides , Schauspieler des Sopho- Koplioi , Satj'rspiel des Sophokles I,
klos 1, lül. 403.
Klytämuestra in Aeschj^los' Agamein- Koraliskos , Komödie des Epilykos
11011 I, 21)0 ff. Siehe Clytäiiinestra. 11, 80.
Knabeuliebhaber , der , Komödie des Korbylos, Dichter der neuen att. Ko-
Antiphanes II, 215. niödie II, 230.
Knochenaufleser, die, Tragödie des Kordax, der, Tanz in der alten Ko-
Aeschylos I> 304. mödie 1, 124. II. 42.
Koch, der, Charaktermaske II, 9. In Korianno , Komödie des Pherekrates
der mittl. att. Komödie 11^ 21U. II, 57.
König Oedipus, Tragödie des Sopho- Kothurn, der, I, 156.
kies 1, 328 ff. Kothurne, die, Komödie des Philoni-
Kokalos, Komödie des Aristophanes des 11, 62.
II, 89. 206. Kottabosspieler , die, Komödie des
Kolchierinnen, die, Tragödie des So- Ameipsias II, 76.
phokles I, 401. Krapetalen, die, Komödie des Phere-
Kojnmasten, die, Komödie des Phry- krates II, 57.
nichos II, 74; des Ameipsias II, Kraspeditae des Chors I, 166.
73. 74. 76. 152. — oder Hephästos, Krates, Komödiendichter II, 7. 56.
Komödie des Epicharmos II, 18. Kratinos, Komödiendichter II, 43.
Kommation, Theil der Parabase 51 ff'. 64. Leben II, 52. Seine Ko-
II, 45. mödien II, 53 ff. 213.
Kommos, der, threnetischer Wechsel- Kratinos d. Jung., Dichter der mittl.
gesang I, 105. 170. att. Komödie 11, 214. 217.
Komische, das, sein Wesen II, 34 ff., Krautlesei innen , die, Komödie des
Hegel's Ansicht darüber 11, 37. Phrynichos II, 74.
Komodotragoedia , Komödie des AI- Kresphontes, Tragödie des Euripides
käos II, 79. I, 447. 509.
Komödie, ihr Ursprung II, 1. Name Kressai, Tragödie des Euripides 1,
II, 2. Verhältniss zur Tragödie II, 447.
19. 33 ff. Bestandtheile derselben Kreteis , Tragödie des Euripides 1,
II, 42 ff.; altattische II, 31 ; im Ge- 447.
gensatz zur neuattischen II, 40 f.; Kreterinnen, die, Tragödie des Aescliy-
Aristophanische II, 31. 41 ff. 81 ff'.; los I, 304. Tragödie des Emipides
mittlere attische II, 206 ff.; neue I, 448. II, 204.
att. II, 21811'.; ri>mische II, 469 ff. ; Kreusa, Tragödie des Sophokles I,
('om. palliata, togata, tabernaria 472.
II, 469; trabeata II, 470; stataria, Krisis, Satyrspiel des Sophokles I, 403.
motoria, mixta II, 471. 594. Ihr Kritias, Tragödiendicliter 11, 2oO.
Zweck nach A. W. von Schlegel Kriton , Dichter der neuen att. Ko-
II, 221 r. mödie 11, 230.
Komos, liakchischer Festiimziig II, 2. Kroiios, Komödie des Phrynichos
Konistra im griecli. Theater 1, 113. II, 71.
Konnos, Komödie des Phryniclios II, Kinistpliilosophie, ihr Kiulluss aul' die
73; des Ameipsias 11, 73. 76. 112. dramatische Kunst 1, 37.
Eegister. 6^7
Kyklische Chöre I, 1U9. llu. — Ge- Lanuviauus (oder Lavinius), L., Atel-
dichte, Dramenstoffe des Sophokles lanendichter II, 568. 574. 59J-. 595.
daraus I. 397. Laokoon, Trag, des Sophokles I, 39S.
Kyklopes, Komödie des Kallias II, 64. Lar fainüiaris, Atelluiie des Pompo-
Kjklops, draniat. DithjTanibos des nius II, 329.
Philoxeiios I, 115. Satyrdraraa des Lasos aus Heriiiione verpHanzt den
Aristias I, 126. Satyrspiel des Eu- Dithyrambus des Ariou nach Attika
ripides I, 50211'. Komödie des Epi- I, 114, 116.
charmos II, 2o. Latiiuis, Mimograph II, 651.
Kyknos, Tragödie des Aeschylos I, Laurostatae des Chors I, 166.
304. Lavinius siehe Lanuviauus.
Kyprier, die, Tragödie des Dikäoge- Lebedos, Sitz. der Schauspielercorpo-
nes II, 249. ration II, 266.
Kyprisches Gedicht, von Sophokles Leda, Tragödie Diouysios' d. ä. II,
daraus entnommene Dramenstoffe 249.
1,396. Fabelquelle des Euripides Leichentestspiele, röm. Theaterzeit II,
I, 507. 471.
Kythen , die, Komödie des Antipha- Leidens- und Leidenschafts - Pathos
lies II, 215. in der Tragödie I, 433 f.
Leninier, die, Tragödie des Aeschy-
Laberius, Decimus, Verf. von Mi- los I, 3U4.
men II, 642. (J45ff. Lemnierinnen, die, Komödie des Ari-
Lachspiel, das, Komödie des Saiiny- stophanes II, 205.
rion II, 79. 640. Lenäen, Fest der, Theaterzeit I, 13ö.
Lächerliche, das, worin es besteht Lentulus, Mimograph II, 651.
II, 34 ff. Leonidas, Komödie des Antiplianes
Laertes, Tragödie des Jon I, 514. II, 214.
Läuterung , dramatische , siehe Ka- Lesches siehe Ilias, die kleine.
tharsis. Lessing über die Absicht des Dra-
Laios, Tragödie der Thebais-Trilogie ma's I, 85; über Euripides I, 41G;
des AeschyL)s I, 235. 303. Komödie über Seneca's Tragödien 11, 355;
des Kleophon U, 75. über Seneca's Thyestes II, 415 ff. ;
Lakonen, die, oder die Dichter, Ko- über den rasenden Hercules II,
mödie des Platon II, 75; des Ni- 429 ff. ; über l'huitus' Gefangene
kochares II, ISS. II. 5J3f.
Lakonerinnen, die, Tragödie des So- Leukadia, Komödie des Menamlcr II,
phokles I, .397. 241.
Lamia, Aelius, Tragödien- u. Komö- Leukippos, Tragödie des Kle(i|ib(.n
dieivlichter II, 637. II, 251.
Lamia, TragiWlie des Kuripidos I, Leukon, KdiuiHliendicblrr II. 77. 113.
447. Komödie des Krates IL 56. läcinius, Liistsi)ieldicli1er II, 4S5.
Landmann, der, Komödie des Mf- Liebe, die, ilire Rolle in der neuen
nander II, 237. att. Komödie 11, 243.
Lange, A. G. , über das röm. Drama Liebesgött(;r, die. Komii.lir des Mvr-
U, 296 f. tilos 11, 61.
688
Register.
Liebesintrigue in der Komödie , voll-
ständig ausgebildet von Anaxan-
drides II, 217.
Liebling , der , Mimos des Sophron
II, 27.
Liederlichen, die, Komödie des Anti-
phanes II, 215.
Likj'mnios, Tragödie des Euripides
I," 447. 509.
Linos, ein chorischer Klaggesaug I,
1U5.
Linsengericht, das, Posse des Sopa-
tros II, 29.
Linus, seia Bericht üb. den Ursprung
des röni. Draina's II, 314 if.
Localstücke des Epicharmos II, 20.
Löwe, der, Satyrspiel des Aeschjlos
I, 305.
Logeion der griechischen Bühne I, 147.
Logos und Loginas, Komödie des
Epicharmos II, 21.
Lokrische Chorlyrik 1, Hb.
Loosenden, die , Komödie des Diphi-
los II, 549.
Lucubratio, Komödie des Atta II, ti38.
Ludiones = Histriones II, 317. 319.
Lüfte, die, Komödie des Metagenes
II, 77.
Lug-Truglosen, die, Komödie des Te-
lekleides II, 59.
Luscius, Komödiendichter II, 485.
Lustspiel, ikarisches, II, (i.
Lycoris, Mimentänzerin II, 645.
Lycurgus , Tragödie des Naevius II,
332. 333. Siehe Lykurgos.
Lyder, die, Komödie des Magnes
'll, II.
Lydische Tonart des ( üiorgesangs I,
171.
Lykaon, Tragödie desXeudklesL 429.
Lyko))hron, nachalexandr. trag. Dich-
ter 11, 25S. 259 ff.
Lykurgea , Tetralogie des Aeschylos
I, 301.
Lykurgos, sein Gesetz über Aul-
tuhrung der Dramen des Aeschy-
los, Sophokles u. Euripides II, 253.
Lykurgos , Drama des Aeschylos I,
301. Siehe Lycurgus.
Lynkeus, Dichter der neuen att. Ko-
mödie II, 230.
Lynkeus , Tragödie des Theodektes
n, 252.
Lyrische Tragödie I, 109.
Lysippos, Komödiendichter II, 63.
Lysis, Kinädendichter II, 30.
Lysistrate, Komödie des Aristopha-
nes II, 1*52 ff.
Lytierses, Satyrspiel des Sositheos
II, 2.59.
Macci, Atellane des Novius II, 329.
— gemini, AteUane des Pompo-
nius II, 324. 320. 329.
Maccus, oskische Charaktermaske II,
323. 324. Atellane des Pomponius
II, 329. — - Caupo, AteUane des No-
vius II, 329. — Exul, Atellane des
Novius II, 329. — mües, Atellane des
Pomponius II, 324. 329. — Se-
quester, Atellane des Pomponius
II, 329. — virgo, Atellane des Pom-
ponius II, 329.
Machon , nachalexandr. Komödien-
dichter II, 25S.
Maecenas, angebl. Verf. einer Tragö-
die Octavia II, 459.
Mädchen von Delos , Komödie des
Kratinos II, 55. — von Dodona,
Komödie des Antiphanes II, 215.
— ■ das geschlagene, Komödie des
Menander 11, 237. — von Knidos,
Posse des Sopatros II, 29. — von
Korinth, Komödie des Antiphanes
11, 215. — von Lemnos, Komödie
des Antiphanes II, 215. — von Me-
gara, Komödie des Epicharmos
11, 21.
Mäson, Komiker 11, >> f . Erlinder der
komischen Maske 11, 49.
Register.
6S9
Magiies, Verf. von Spottgedichten
II, ü; von Komödien II, üif.
Magoden, eine Art Mimenspieler II, 25.
Majuma (Wasser), Schauspiel II, WA.
Makron, Theil der Parabase II, 45.
Mandrobulos, Tragödie des Kleophon
II, 250.
Manducus, oskische Charaktermaske
II, 324.
Marikas , Komödie des Eupolis II,
6C. 70.
Marionette, älteste, II, 2.
Markthallen, die, Komödie des Alexis
II, 211.
Marsyas , Erfinder der auletischen
Trauern! elodien I, 114 f.
Marsyas, AteUane des Pomponius II,
329.
Marullus, Mimograph II, 05 1.
Maschinen des griech. Theaters I,
148 ff.
Masken, ihr Gebrauch in der röm.
Komödie II, 479. Siehe Spiel-
maske.
Mattenträger, die, Komödie des Her-
mippos 11, Ol.
Maternus, Curiatus, Tragödiendichter
II, 300. 459.
Matertera, Komödie des Atta II, 03S.
Matron, dram. Parodiendichter II, 30.
Mausolos , Tragödie des Theodektes
II, 252.
Medcia, Tragödie des Euripides I,
434 f. 43Sf. 453. 508. II, 361 f. Tra-
gödie des Neophron I, 430. 515;
des Melanthios I, 517. Komödie
des Deinolochos II, 23; des Anti-
phanes II, 214. Tragödie des Di-
käogenes 11, 249; des Antiphon II,
250; des Diogenes II, 251. Medea,
Tragödie des Ovid II, 345; des (Philo-
sophen V) Seneca II, 352. 300 ff.; des
Attius II , 342. — (Atheniensis),
Drama des Ennius II, 337. — exul,
Drama des Ennius II, 337.
II.
Medicus, AteUane des Pomjionius
II, 329.
Medus, Tragödie des Pacuvius II,
339 f.
Meer-Glaukos , Tragödie des Aeschy-
los I, 202. 210.
Megalensia, Komödie des Atta II, 638.
Megalensische Spiele, röm. Theater-
zeit II, 471.
Megalopolis, Theater daselbst II, 255.
Megarische Komödie II, Of.
Melampus führt den Bakchischen
Tanz ein 1 , 23 f. ; vergeistigt den
Dionysosdienst I, 40.
Melanippe , Tragödie des Euripides
I, 447. 511. Melanippa, Drama des
Ennius II, 337.
Melanippides aus Melos , Dithyram-
bendichter I, 115.
Melanthios, Tragödiendichter I, 517.
Meleagros, Tragödie des Aeschylos
I, 304; des Sophokles I, 402; des
Euripides I, 447. Posse des Rhin-
thon II , 29. Posse des Skiras II,
31. Komödie des Antiphanes II,
214. Tragödie des Antiphon II,
250. Meleager, Tragödie des At-
tius II, 342.
Meletos, Tragikliendichter I, 517. ]L
205.
Melissa, Komödie d. Antiphanes II, 2 1 4.
Melissus, C, Erfinder der Com. tra-
beata II, 409.
Melistus, Cnejus, Tragödien- und Ko-
mödiendichter II, 037.
Memmius, Atellanen-Dichter II, 330.
508.
Memnon , Tragödie des Aeschylos
I, 303.
Menaechmi, Komödie des riautus
II, 528.
Menandros, nächst Pliilemon, Gründer
der neuen att.Kom. II,207. Lebens-
umstände II, 230 ff. ; Komödien II,
234 ff. 275; sein Styl 11, 245 ff.
44
690
Resrister.
Menedemos, Satyrspiel des Lylioijlnoii
II, 259.
Meuelaos, Komödie des Piaton U, 75.
Menschenzerreisser , der, Posse des
Strattis IL 78.
Mercator, Komödie des Plautus II.
247. 5bU f. Siehe Kaufmann.
Merope. Tragödie des Agathon I, 5 IS.
Mesotribas , Posse des Bläsos II, 30.
Metagenes, Komödiendichter II, 77.
Metra in Seneca's Tragödien II, 4ö5.
Mexikanisches Tanzdrama I, 97.
Miles gloriosus, Komödie des Plau-
tus II, 521 ff.
Milesier, die, Komödie des Alexis
II, 217.
Milet , I^innahme von , Drama des
Phrynichos I, 133.
Mimen, Inhalt derselben II, 23. M.
des Sophron II, 23. 26. Vorbild
der Platonischen Dialoge II, 24.
Eintheüung ders. II, 26. Beliebt-
heit bei Alexander's d. Gr. Nach-
folgern II, 26. Von den Römern
gepflegt II, 26; römische II, 47U.
639 ff. ; ungeschriebene Mimen II.
641.
Mimetisch-dramatisclie Darstellung d.
Leidens und Sterbens des Dionysos
1 , 48. Minietischer Charakter des
attischen DithjTambos I, 116.
Mimi = Schauspieler II, 255.
Mimische Tanzspiele I, 47. Mimisch-
orchestisches Moment des Drama's
I, 108. Mimischer Tanzgesang zu
Rom II, 315. 317.
Mimogra]jhen II, 23 ff.; römisclie IL
645 ff.
Minos siehe Kamikicr.
Minutius (et) Prothonius bedient sich
zuerst (?) einer Maske in der Tra-
gödie 11, 479.
Mixolydische Tonart des Chorgesangs
I, 171 ff.
Mixtae (conioediae) 11, 471.
Mnesüochos , Euripides' Schwiegerva-
ter, in Aristophanes' Lysistrate II,
185 ff.
Mnesimachos, Dichter der mittl. att.
Komödie II, 214. 218.
Mnester, Pantomimenspieler II , 653.
659.
Mommsen, Th. , röm. Geschichte II,
272; über Plautus und Terenz IL
487.
Monate , die , Komödie des Epichar-
mos IL 20.
Monitor, Souft'leur, II, 479.
Monodien der Tragödie I, 170; der
Komödie II, 49.
Moral, die , in der neuen att. Komö-
die IL 221 ff.
Morsimos, Tragödiendichter L 513.
Mortis et vitae Judicium , Atellane
des Novius II, 329.
Morychos, Tragödiendichter I, 516.
Mostellaria, Komödie des Plautus 11,
504 ff.
Motiräung der Katastrophe in So-
phokles' Tragödien I, 326 f.; bei
Euripides I, 427,
Motoriae (conioediae) 11, 471.
Müssigen , die , Komödie des Kallias
IL 64.
Mumniius, L. , führt in Rom griech.
Schauspiele ein II, 266. 307.
Musen, die, Komödie des Epicharmos
II, 17. Komödie des Phrynichos
11. 72 f. 190. — Geburt der, Ko-
mödie des Pulyzelos II, 80.
Musik, ihre Beziehung zum Drama
1, 74 ff.; ethische Wirkung dersel-
ben I, 75 f.; ägyptische I, 77.
Mykenäer siehe Atreus.
Myllos, attischer Komiker II, 9.
Myniskos, Schaus])ieler des Aeschylos
L 161.
Myrilla siehe Demokopos.
Myrmidonen. Tragödie des Aeschylos
1, 303. Tragödie des Attius 11, 341.
Resister.
691
Myrtilos, Kümödiendichter II, 61 f.
Myser, die, Tragödie des Aeschylos
I, 304. — oder Tele})lios. Tratfödie
des Sophokles I, 402.
Mysten, die, Posse des Sopatros II,
29. Komödie des Phrynichos II, 74.
Mysterien , ägyptische u. phrys^ische.
ihr Verhältniss zur Katharsis I,
24 if.; heUenische I, 38 ft".; Eleusi-
nische I, 45ff. ; Dionj'sische I. 47 ff.
Vgl. Geheiniweihen.
Mystos, Verf. von Spottgedicliten II, (i.
Nachbarn, die. Komödie des Krates
II, 56.
Nachspiele auf dem röm. Theater, II,
316. 320 f.
Nacht, die lange, Komödie des Pia-
ton II, 7.).
Nachtigallen, die, Kominlie des Kan-
tharos II, 79.
Nänien II, 276.
Naevius, Cn., Tragödien- und Komö-
diendichter II, 332 f. 485. 637.
Naive, das, als Grundbedingung des
Komischen II, 36.
Nauclerus , Komödie des (!aocilius
II, 636.
Nauplios (der Feueran/ünderi, Tragö-
die des Sophokles 1. 399; des Phi-
lokles I, 513.
Nausikaa, Tragödie des Sophokles I.
399.
Nebenbuhlerin, die, Komödie des An-
tiphanes II, 215.
Nemea, Tragödie des Aeschylos I,
303. Drama des p]nnius II, 337.
Nemesis, Komödie des Kratinos II.
54 f.
Neophron aus Sikyon, Tragödieiidicli-
ter I, 436. 515.
Neoptolemos, Schausjjieler II, 255.
256. 266.
Neoptolenius , Tragödie tles Attius
* II, 342.
Neottis , Komödie des Anaxilas II,
201); des Antijdianes II, 214.
Nereiden , Tragödie des Aeschylos
I, 303.
Nero, Kaiser, leidenschaftlicher Spie-
ler des Euripides 1 , 415; als Tra-
gödiendichter II, 350.
Nero, Tragödie des Maternus II, 306.
459.
Netzmacher, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 302.
Neumonde, die, Komödie des Eupolis
II, 68.
Neuplatonische Katharsis I, 81 f.
Niebuhr, röm. Geschichte II, 270 ff.
2^5 ff. 289 f.
Nikochares, Komödiendichter II, 79.
188.
Nikolaos, Dichter der neuen att. Ko-
mödie II , 230.
Nikolaos von Damaskus , Tragödien-
dichter II, 263.
Nikomachos, Tragödiendichter I, 546.
Nikomachos, Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Nikophron , Komödiendichter II , 79.
188.
Nikostratos, Schauspieler I, 161.
Nikostratos , Dichter der mittl. att.
Komödie 11, 214. 217.
Niobe, Tragödie des Aescliylos I, 303;
des Soi»hokles I, 400.
Niobea, TrilDgie des Aeschylos I,
302 f.
Niptra. Tragödie desPacuvius II, 340.
Nomischer Tro])Os I, 1 10.
Nosten, die, Quelle Sophokleischer
Dramen I, 390; Euripideischer Dr.
I. 507.
Notenzeichen, nmsikal., bei Grieciien
u. Römern II, 479.
Novius, C!n., Atellanen -Dirbter U,
324. 329 f.
Nujitiae, Atellane Aca Fompoiiiiis II,
329.
44 *
692
Register.
Kyctegresia, Tragödie des Attius II,
342.
Üctavia, Tragödie des Seneca(?) II,
306. 330. 352. 45Sif.; Tragödie des
Maecenas (V) II , 459 ; des Florus (V)
II, 459.
Odyssea, Trilogie des Aescliylos I, 3o4.
Odyssee, die, Quelle Sophokleischer
Draiiieiistoffe I, 399 f.
üdysseii, die, Komödie des Kratinos
II, 54.
Odysseus, der abgewaschene, Komö-
die des Alexis II, 217. — , der ra-
sende, Tragödie des Sophokles I,
396. — , der schiffbrüchige, Komö-
die des Epicharmos II, 2ü — , der
stachelgetroftene, Trag, des Aeschy-
los I, 304. — vom Eochenstachel
getödtet, Tragödie des Sophokles
I, 400. II, 340. — der Ueberläu-
fer, Komödie des Epicharmos II,
20. — , der webende, Komödie des
Alexis II, 217. Odysseus' Tod, Tri-
logie des Aeschylos I, 304.
Oedipodee, angebl. Trüogie des Aeschy-
los I, 235. 303; Trilogie des Mele-
tos I, 517.
Oedipus, Tragödie der Thebais-Tri-
logie des Aeschylos I, 235. — (auf
Kolonos), Tragödie des Sophokles
I, 168. 313. 317. 327. 352. 390ff.
— (König), Tragödie des Sophokles
I , 328 ff. — , Tragödie des Xeno-
kles I, 429; des p]uripides I, 447.
507; des Pliilokles I, 513; des
Achäos I, 515. Tragödie des Dio-
genes II, 251; des Theodektes II,
253. Tragödie des C. Jul. Caesar
II, 348. Tragödie des (Rhetors
Marcus?) Seneca II, 352. 453 ff.
Oeneus, Tragödie des Euripides I,
447; des Philokles I, 513; desChä-
remon II, 251.
Oenomaos, Tragödie des Sophokles
I, 401; des Euripides I, 447. 508;
des Attius II, 342.
Oenonas von Lokroi, mimetischer
Charakter seiner Chorlyrik I, 116.
Olympos, Flötenspieler I, 115.
Olynthier, die, Komödie des Alexis
il, 2J7.
Omphale, Tragödie des Jon I, 514.
Ouagos, Komödie des Diphilos II, 552.
Opferliebhaber, der, Komödie des Me-
tagenes II, 77.
Ophelio, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Opprobria rustica II, 32(1.
Orchesten II, 5.
Orchestra im griech. Theater I, 143;
im röm. Theater II, 308.
Oreithyia, Tragödie des Aeschylos I,
304.
Orest- Autokleides, Komödie des Ti-
mokles II, 2l!5.
Oresteia, Trilogie des Aeschylos I,
254 ff. 304.
Orestes , Tragödie des Euripides I,
463 ff. 507. Tragödie des Theodek-
tes 11, 252. Posse des Rhinthon II,
29. Posse des Sopatros II, 29.
Origo, Mimentänzerin II, 645.
Orpheus. Aegyptischer Urspi-ung sei-
ner Geheindehren I, 39 f.; läutert
den Dionysosdienst von phrygisch-
orgiastischen Beimischungen I, 44.
49.
Orplieus, Drama des Aristias I. 126.
Osiris identisch init Dionysos 1 , 24.
Sein Cult Grundlage des Dionysos-
dienstes I, 40.
Oskische S])iele in Rom II, 316. 320;
siehe Atellanen.
Ovid als tragischer Dichter II, 345 f.
Pacuvius, M., Tragödiendichter II,
306. 338 ff.
Päan, Ap(dlini.sclier (!horgesang 1,
103; bei Homer I, 103.
Reiristcr.
693
Päderastie in Atranins' Komödien II,
6:J9.
Palästra, Komödie des Alkäos II, 7'J.
Palamedes, Tragödie des Aescliylos
1,-304; des Sophokles I, 396. :WT ;
des Eurii^ides I, 429. 447. 507.
Palliatae (comoediae) II, 409.
Pandionis, Tetraloi^äe des Pliilokles I,
354 f. 513.
Pandora, Satj'rspiel (?) des So})hokles
I. 403.
Panopten, die, Komödie des Kratinos
II, 55.
Pantomimen, röraisclie IL 319. 652ff. ;
von Trajan verboten II, 6tiO.
Pappus praeteritus, Atellane desPom-
ponius und Novius II, ;!29.
Parabase der alten Komödie II, 421'.;
ihr Ursprung und Bau II, 44 f.
Parasit, schon bei Epicharmos aus-
gebildeter Charakter II, 21. Inder
mittleren att. Komödie II, 210.
Paraskenien im griechischen Theater
I, 146.
Paris, der alt. u. jung., Pantoniimen-
tänzer II, 660.
Parodie der Mythe in den Komödien
des Epicharmos II, 17. 21; des
Phormis II, 53; des Deinolochos
II, 23.
Parodoi in der ürchestra des gricch.
Theaters I, 145.
Parodos des Chors I, 165. 167 f.
Pasiphae, Komödie des Alk.äos II,
79. ISS.
Passionsspiel I, 7; kabirisches I, 44;
ältestes christliches II, 264.
Paullus Aemilius, Tragödie des Pa-
cuvius II, :J06, 341.
Pegasos aus Eleutherä führt diePlial-
lo])horien in Attika ein II, 4.
Peirithoos, Tragödie des Euripides I,
447.510. Tragödie d. Kritias II, 250.
Pelagia, Scliutzpatronin der Schau-
spielerinneu II, 665.
Pelarger, Komödie des Aristophanes
II, 205.
Peleus, Tragödie des Aeschylos I,
301. Tragödie des Euripides I,
447. 507.
Peliaden, die , Tragödie des Euripi-
des I, 410. 447. 508. Tragödie des
Gracchus II, 346.
Pelopidae, Tragödie des Attius II,
342.
Penelope , Tragödie des Aeschylos I,
304; des Pliilokles I, 513.
PenthesUea, Tragödie des Aeschylos
I, .303.
Pentheus, Drama des Thespis I, 119.
121. Tragödie des Aeschylos I,
301 f. Tragödie des Pacuvius II,
341.
Periaktoi der griecli. Bühne I, 148.
Periboea, Trag, des Pacuvius II, 341.
Perikles, von den Komikern verspot-
tet II, 53 f. 59. 60.
Peripetie, kunstvolle, in Sophokles'
Tragödien I, 323; bei Euripides I,
431. 479 481.
Perrhäberinnen , die , Tragödie des
Aeschylos I, 304.
Persa, Komödie des Plantus II, 561 f.
Perseis, Trilogie des Aeschylos I, 303.
Perser, die, des Aeschylos I, 200.
202 tf. Komödie des Chionides II,
9. Komödie des Epicharmos II, 20.
Perseus, Komödie des Phormis II, 23.
Persidae, Tragödie des Attius II,
342.
Peruanisches Drama I, 98 f.
Petala, Komödie des Pherekrates
II, 58.
Petauristae II, 255.
Phädra, Tragödie des Sophokles I,
402. Tragödie des Agathen I, 518.
Racine's verglichen mit Euripides'
Hijjpolytos I, 456 tr.
Pliädros, Komödie des Alexis II, 216.
Phaedrus, Mimograph II, 651.
694
Reerister.
Phaeton (Klymene), Tragödie des ¥a\-
ripides I. 447. 510.
Phallische Lieder II, 4.
Phallos-Cult II. 3 f.
Phaon . Komödie des Piaton II. 7.5.
Komödie des Aiitiphanes II, 214.
Phasma , Komödie des Menander 11.
2351". 242. Mimus des CatuUus II.
651.
Phereki'ates , Komödiendichter II.
57 ff.
Pherentinas, Komödie des Titinius
II, 63S.
Philemou, Komödiendicbter II, 524 f.
Philemon, Dichter der neuen att. Ko-
mödie n. 230. 232. 233. 241. 245f.
247. .524. 552. 561.
Philetäros, Dichter der mittl. att.
Komödie II, 214.
Philetäros , Komödie des Philonides
n. 62.
Phüeuripides, Komödie des Axionikos
II, 212.
Philinna, Komödie des Hegemonll. 65.
Philippides , Dichter der neuen att.
Komödie 11, 230. 248.
Philijipides , Schauspieler des Sopho-
kles I, 161.
Phüip])os , Dichter der mittl. att.
Komödie II, 214.
Philiskos, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie n, 214. 218.
Philiskos , nachalexandr. Tragödien-
dichter II, 25S. 261.
Philistion. Lustspieldichter II, 30.
Mimograph II. 650.
Philokles, Tragödiendichter I, 344.
3.54 t. 513. II, 254.
Philoktetes, Tragödie des Aeschylos
I, 304; des Sophokles I, 369 ff. 397;
des Euripides I, 436. 447.453.507;
des Philokles I, 513. Komödie des
Epicharmos II, 20. Komödie des Aii-
tijihanes II, 214. Tragödie des An-
tiphon II , 250 ; des Theodektcs
U. 253. Philocteta. Tragödie des
Attius II, 342.
Philonides, Schauspieler und Komö-
diendichter n, 62 f. 132 f. 204. 217.
Philosoph, der seenische, Beiname
des Euripides I, 410.
Philosophia, AteUane des Poniponins
II, 329.
Philosophie , ionische u. pythago-
räische, ihr Einfluss auf die Ent-
wickelung des Drama's I. 60 ff.
66 IV.
Phüostephanos , Dichter der neuen
att. Komödie 11, 230.
Phüostratos d. alt., Tragödien- u.
Komödiendichter 11. 263.
Phüotis , Komödie des Antiphanes
IL 214.
Pliüoxenos aus Kj-thera, Dithyram-
bendichter I, 115.
PhüyUios. Komödiendichter IL 79.
Phineus. Tragödie des Aeschylos I,
202. 209 f. Tragödie des Sophokles
I, 401.
Phinidae, Tragödie des Attius 11, 342.
Phlyaken . Stegreif-Possenreisser IL
5! 28.
Phönikides . Dichter der neuen att.
Komödie 11, 230.
Phönissen, die, des Phrynichos, 1,132.
Tragödie der Thebais-Trilogie des
Aesch3dos nach Welcker I, 234 f.
303 ; des Euripides I, 234. 426. 476.
478. 507. n, 206. Komödie des
Aristophanes IL 206. AteUane des
Novius II, 330. Tragödie des Seneca
II, 442 ff".
Phönix , Tragödie des Sophokles I,
397. Tragödie des Euripides I, 447 ;
des Jon I, 514. Drama des Ennius
n, 337.
Phorkiden , Tragödie des Aeschylos
I, 303.
Phormio, Komödie de.> Tcrenz, 11,
248. 618 ff.
Roüister.
695
Phoriuis oder Plionnos , Kumüdicn-
dichter II, 7. Lebensunistäiide II,
22. Theaterprunk durch ihn ein-
gefühi-t n, 22. Titel seiner Stücke
n, 22 f.
Phratores, Koinödie des Leukon II,
«9. 77. 143.
Phrixos , Tragödie des Sophokles I,
401; des Euripides I, 447. 5US;
des Achäos I, 515.
Phryger, die, Tragödie des Aeschy-
los I, 303. 304.
Phrygische Geheimweihen , ihr Ver-
hältuiss zur Katharsis I, 24. Ton-
art des Chorgesangs I, 171.
Phrynichos, Schüler des Thespis I,
119. 127; seine Dramen 1, 132 tt".:
Verf. von Tetralogien I, 175.
Phrynichos aus Athen , Komödien-
cUchter 11, 72 ff. 190.
Phthiotides , Tragödie des Aeschylos
I, 304.
Physiologos , Posse des Sopatros
II, 29.
Pictores , Atellanc des Pomponius
U, 329.
Pindaros, seine Dithyranibcnl, 109. 1 1 5.
Piscatores , Atellanc des Pomponius
n, 329.
Pithon, Komödie des Epicharmos
II, 20.
Planijiedaria (comoedia) U, 470.
Plauipedes, Darsteller von IVIimen
n, Ü41.
Planijtedia so viel wie Mimenspiele
II, 041.
Platou, seine Gedanken über Tragödie
und Komödie I, 79. 80. II, 89.
Verspottet in der mittl. att. Ko-
mödie II, 217.
Piaton, Komödiendichter, II, 75 f. 19(i.
Piaton , Komödie des Aristojihon
II, 217.
Plautus , Marc. Accius , Komödien-
dichter 11, 31. 247. 320. 471. 4S(I il'.
Name und Lebensumstände II, 4SI.
Urtheile über um U, 483 ff. Vers-
maass seiner Lustspiele II. 487 ff.;
seine Komödien IL 492 ff. 500 ff.
504 ff. 521 ff. 524 ff. 528 ff. 532 ff.
539 f. 540 ff. 543 ff. 547 ff". 549 f.
550 ff. 552 ff. 500 f. 561 f. 562 f.
563 ff. 566. ()27.
Plebei (ludi), röm. Theaterzeit II, 472.
Pleisthenes , Tragödie des Euripides
I, 447. 508.
Pleuronierinnen, die. Drama des Phry-
nichos I, 134.
Plocium, Komödie des CaeciHus II,
636.
Plutarch , sein Urtheil über Aristo-
phanes II, 91 ; über die Sprache
der neuen att. Komödie U, 245.
Plutoi, Komödie des Ki-atinos II, 55.
Plutos , Komödie des Archippos II,
76. Komödie des Aristophanes IL
S9. 1S8 ff.
Pnigos, Theil der Parabase 11, 45.
Poastria, Komödie des Magnes II, 11.
Podium des röm. Theaters II, 30S
Poenulus, Komödie des Plautus II,
532 ff.-
Poesie, die, Komödie des Ajitiphanes
n, 212.
Politik in der Tragödie I, 355. 467 f.
Pollio, Asinius, Tragödiendichter II,
345 ; Vrf. von Lesetragödien II, 355.
Polos, Schausjdeler 1, 161. IL 254.
256.
Pülumeui , Koinödie des (Jaecilius
II, 636.
Polydektes , Tragödie des Aeschylos
I, 303.
Polyeidos, Tragödiendichter IL 253.
Polyeidos, Tragödie des Euripides I,
447. Komödie des Aristophanes
II, 205.
Poly])liradmon, Sohn des Phrynichos,
Verf. von Tetralogien L 175.
l'oly .\c)ia, Tragödie d. Sophokles 1, 398.
698
Kesister.
Polyzelos. Koraödiendichter II, Sü.
Poinpejus Magii., Erbauer des ersten
steinernen Theaters zu Eom IL
307. 310.
Poinponius. von Bononia, Atellaueu-
Dichter II, 324. 326. 328 f.
Pomponius Secundus, Tragödiendicli-
ter II, 347.
Pomponius, Tragödien- und Komö-
diendiehter II, 637.
Porcaria, Posse des Pomponius II,
326.
Pornoboskos, Komödie des Posidip-
pos II, 24S.
Porticus am röm. Theater II, 312.
Posidippos , Dichter der neuen att.
Komödie II, 230. 248.
Potamier, die, Komödie des Strattis
II, 79.
Potheinos, Puppenspieler I, 49S.
Praecinctio I, 142; des röm. Theaters
II, 3üS.
Praeco des röm. Theaters II, 313.
Praestigiatores II, 255.
Praetextae (fabulae) II, 306. 330.
Praetor urbanus, Veranstalter sceni-
scher Darstellungen II, 472.
Pratinas von Phlius, Satjrspiel-Dioh-
ter I, 123; siegt über Aeschylos
I, 123 ; Verfasser von Tetralogien (V)
I, 125. 175.
Preise bei den dramat. Wettkämpfen
I, 182.
Preisrichter bei den dramat. Wett-
kämpfen I, ISO f.
Priamos , Tragödie des Philokles
I, 513.
Priester, die, Drauui desThespisI, 121.
Priesterinnen, die, Tragödie des Ae-
schylos I, 303.
Privata (spectacula) II, 473.
Privigna, Komödie des Titinius II,
638.
Proagon, Komödie des Aristophanes
II, 133. 204.
Proaulion im trag. Chorgesang L 170.
ProbevorsteUungen auf der röm. Bühne
II, 473.
Prokerygma, Theil der Parabase II,
45.
Prolog von Thespis erfunden I, 117;
in der griech. Tragödie I, 166;
von Aesch_ylos in den Eumeniden
angewendet I, 295; bei Euripides
I, 416; der Komödie II, 49. 237 f.
Arten desselben 11, 627.
Promrthee, Trilogie des Aeschylos
I, 236.
Prometheus (der gefesselte), von Ae-
schylos I, 186 ff. 236 ff. II, 172 f.
— (Feuerlanger\ Tragödie der Pro-
metheus-Trilogie des Aeschylos I,
190. 236. — (Feueranzünder), Sa-
tyrspiel zu Aeschjdos' Perser -Tri-
logie I, 209. 211. — (der gelöste),
Tragödie derPromethee des Aeschy-
los I, 236. 251 ff. - (der befreite),
Tragödie des Attius nach Aeschy-
los I, 251 f. II, 341. — Mimos des
Sophron II, 27.
Propompoi, Tragödie des Aesch)dos
I, 303.
Proskenion im griech. Theater I, 146.
Prospaltier, die, Komödie des Eupo-
lis II, 69.
Prostibulum , Atellane des Pompo-
nius II, 329.
Protagonistes , erster Schauspieler I,
159; zugleich Schauspieldirector
II, 255.
Protesüaos , Tragödie des Euripides
I, 447. 507.
Proteus , Satyrspiel zur Oresteia des
Aeschylos I, 254. 304.
Prytanen, die, Komödie des Teleklei-
des II, .59.
Pseudo-Herakles, Komödie des Pherc-
krates II, 59.
Pscudolus, Komödie des Plautus II,
540 ff.
Ro^äster. 697
Psychagogen, die, Tragödie des Ae- Rhadamanthys , Tragödie des Euri-
schylos I, .304. pides I, 447.
Psychasten, die, Komödie des Strat- Rhesos , Tragödie des Euripides 1,
tis II, 78. 500 ff.
Psychostasie , die, Tragödie des Ae- Rhetorisches Element der Tragödie
schylos I, 'My.i. II, 2.52. Bei Seneca II, -iöö.
Publius Syrus , Mimeiulichter II, Rhinon , Komödie des Archippos II,
648 ff. 76. 84.
Pulpitura des röm. Theaters II, 308. Rhinthon, Dichter tragischer Fargen
Pupins. Verf. von Rührstücken II, 349. II, 28. 471. .564.
Puppenfabrikant, der, Komödie des Rhinthonicae (comoediae) II, 471.
Antiphanes II, 215. Rhodoclea, Pantomimentänzerm II,
Puppenspiele in Athen I, 498. 662.
Putzmacherin, die, Komödie des An- Ricinati = Miraenspieler II, 642.
tiphanes II. 215. Ricinium , zum Costüm der Mimen-
Pylades , PantomimendarsteUer II, spieler gehörig II, 642.
653. 654. 656. 659. Rinderhii-ten, die, Komödie des Kra-
Pyläa, Komödie des Kratinos II, 55. tinos U, 55.
Pyrrha u. Prometheus, Komödie des Ritter, die, des Aristophanes II, 66.
Epicharmos II, 18. 84 f. 105 ff.
Pyrrhiche, Waffentanz des dithyramb. Römer und Hellenen II, 268 f. Rom.
Chors I, 124. 134. Kunst II, 273 f.; altröm. Lyrik II.
Pythagoras , Einfluss seiner Philo- 279 f.; altr. Epen II, 285 ff.
Sophie auf die Entwicklung des Rom , Einführung griech. theatral.
Drama's I, 68 ff.; seine niusika- Vorstellungen daselbst II, 26b.
lische Katharsis I, 69. Romani (ludi), röm. Theaterzeit II,
Pythagorist, der, Komödie des Ari- 472.
stophon II, 208. Romantisches Drama I, 102.
Pythagorizusa , Komödie des Alexis Romulus . Tragödie (Komödie?) des
II, 216. Naevius II, .332. 637.
Roscius Gallus , Schauspieler , ge-
Querulus, Komödie des Plautus (V) braucht zuerst ausnahmsweise bei
II, 566. den Römern die Gesichtsmaske II,
327. 479.
Racine siehe Phadra. Rudens , Komödie des Plautus II,
Räthselspiele, Lustspiolart der mittl. 528 ff.
att. Komödie II. 213. Rührstücke, römische, des Pui>ius
Räubereien , Komödie des Epichar- II, 349,
mos II, 20. Rührungs-Tragik I, 351. 427 f.
Recensionen, neue, bereits aufgefiihr- Rufus, Antdiiius, Tragödien- und Ko-
ter Dramen I, 182. niiHliendichter II, 637.
Recitationen aus Tra,gödien II, 265 f. Rundchöre I, 109. 1 10.
Regel, G., über das röm. Drama II, 296.
Rettungslosen, die, KoniiWlic des Eu- Säulenhalle als Umschliessung des
thykles II, 8o. Theaters 1, 112.
698
Register.
Salaiuiuerimien , die, Tragödie des
Aescliylos I, 303. 363.
Salische Priester und Gesänge II,
277.
Samier , die , Komödie des Krates
II, 56.
Sannion, Chorlehrer I, 171.
Sanniones, Possenreisser 11, 640. —
Atellane des Novius II, 330.
Sannyrion , Koniödiendichter II, 79.
205. 640.
Sappho , Komödie des Amei])sias 11,
76. Komödie des Antiphanes II,
212. 214.
Satira, Atellane desPomponius 11, 32'J.
Saturae. in Rom aufgeführt II, 315.
317. 319.
Saturio, Lustspiel des Plautus 11,482.
Saturuischer Vers II, 279.
Saturnus, Posse des Bläsos II, 31.
Satyrchor, äolisch-ionischer I, 112 f.;
in Versen I, 114. Rundtanz dessel-
ben I, 124.
Satyrn , die , Komödie des Ekphan-
tidesll^ll. Komödie des Kratinos
II, 64. 105. Komödie des Phryni-
chos II, 74.
Satyros, Schauspieler II, 254.
Satyrspiel I, 122 ff.; ohne Begleitung
von Tragödien I, 125.
Sau, die, Komödie des Kephisodoros
II, 80.
Scabillum (Tactschämel) II, 478.
Scaurus , Mamercus AemiUus , Tra-
gödiendichter n, 350.
Scaurus, Aemil., sein Theater zu Rom
II, 309.
Scena des röm. Theaters II, 30S f.
Siehe Skene.
Scenenwechsel in Aeschylos' Eunie-
niden I, 295 f.; in Sophokles' Ajas
I, 361; in der Komödie II, 50 f.
Scenici (ludi) II, 473.
Schätze, die, Komödie des Kratinos
II, 55.
Schafmeister, der, Komödie des An-
tiphanes II, 215.
SchaUgefässe im Theater I. 143.
Schatz, der, Komödie des Philenion
II, 247. 524 f. Vrgl. Thesauros.
Schaukelfest in Athen I, 118.
Schauspieldireetor hei den Römern
n, 473.
Schauspieler von Thespis eingeführt
I, 117; Name I, 120; zwei des
Phrjarichos I, 133; drei des Sopho-
kles I, 158.323. — des Aeschylos,
Sophokles und Eui'ipides I, 161.
— als Stand II, 255, — römische
II, 473. — für ehrlos erklärt im
Cod.Theod. 11,661 ; im Cod. Justin.
11, 662.
Schauspieler-Privilegien II. 266.
Schauspielkunst 11, 254.
Schauspielwesen der nachalexandrni.
Zeit n, 264 f.
Schelmenhasser , der , Komödie des
Antiphanes II, 211.
Schicksal , das , seine Rolle in den
Dramen des Euripides I, 435. 466.
Schicksalsgöttinnen, die, Komödie des
Hermippos 11, 60.
Schicksalsidee des Aeschylos I, 187.
194 f.
SchiUer, sein Urtheil über Euripides'
Iphigenia in Aulis I, 189.
Schlauchspringen an den ländlichen
Dionysien I, 135.
Schlegel, A. W., Gegner des Euripides
I, 417. 456 f. 483. Seine Umarbeitung
des Jon von Euripides 1, 473. Ueber
Moral des Lustspiels 11, 221 f.
Schleuder, die, Komödie des Aniei-
psias II, 76.
Schmähungen, die, Komödie des Ly-
sippos 11, 63.
Schmarotzer, die, Komödie des Eupo-
lis II, 69. 143.
Schmeichler, der, Komödie des Me-
nander II, 606.
Eegister.
699
Schnitter, die, Satyrspiel des Euriiii-
des I, 436. 447. 453.
Schömann, G. F., über die Pronie-
thens-Idee bei Aeschylos I, 192.
Schiitzinnen , die , Tragödie des Ae-
schylos I, 303.
Schuld, tragische, I, 326. 367 tf. 3S6 ff.
393 f.
Schiilphilosophie von Euripides in
die Tragödie eingeführt I. 40.ö f.
455 f. 477.
Schutzflehenden , die , des Aeschylos
1,211. 213ff. 303. Tragödie des Eu-
ripides I, 433. 466 ff.
Schwebemaschine des griech. Thea-
ters I, 148.
Schwestern, die buhlenden, Komödie
des Alkäos II, 79.
Schwiegermutter, die, Mimos des So-
])hron II, 27. Lustsp. d. Terenz
II, 5S().
Schwimmerinnen, die, Komödie des
Alkinienes II, 62.
Seemann, der, Mimos d. Soi)hron 11,27.
Seiltänzer II, 255.
Selbstverschuldung als draniat. Mo-
ment I, 16. 63.
Selbstzweck der Kunst I, 418 1". II,
96. 198.
Semele (oder die Waffenträger), Tra-
gödie des Aeschylos l,30l. —Tra-
gödie des Diogenes II, 251. - die
blitzgetroffene, Tragödie des Spin-
tharos II, 253.
Senar, Versmaass der röni. Tragödie
II, 306. — der komische II, 487 f.
Seneca, L. Annaeus , Tragödiendich-
ter I, 415. II, 306. 330. 351 ff.
Streit über s. Person II, 352 ft'.
Verschiedene UrtheUe über s. Dra-
men II, 354 ff. Seine Tragödien
II, 360 ff". 3S3 ff. 405 ff. 414 ff.
429 ff. 436 ff. 442 ff. 447 ff. 453 ff.
458 ff. Seneca (der Philos.) über die
Mimenspiele II, 643 f.
Sentimentalität der neuen att. Ko-
mödie II, 244.
Sergius, Mimentänzer II. 644.
Seriphier, die, Kom. d. Kratinos II, 55.
Sieben gegen Theben, die, Tragödie
des Aeschylos I, 1031. 221 tf. 303.
426. — die, vor Theben, Komödie
des Alexis II, 217.
Siebengestim, tragisches, II, 258.
Siege, die, Komödie des Piaton, II, 75.
Sikinnis, Tanz des Satyrchors 1, 124.
Sikyonier, Erfinder der Tragödie nach
Themistius I, 112.
Sillen II, 30.
Simonides aus Keos, seine Dithyram-
ben I, 109. 115.
Simos, Kinädendichter 11, 30.
Simplos , Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Siparium, kleiner Vorhang im röm.
Theater II, 312.
Sirenen, Komödie des Epicharmos II,
20. Komödie des Nikophron II, 79.
Sisyphos, Tragödie des Sophokles
I, 402. Satyrspiel des Euripides
I, 429. 447. Tragödie des Kritias
II, 250. — Steinwälzer, Tragödie
des Aeschylos I, 304. — Ausi-eisser,
Satyrspiel des Aeschylos I, 305.
Situationen fehlen in der Aristoi)ha-
nischen Komödie U, 103 f.
Sitzstufen im Tlieater 1, 142; im röm.
II, 307 ; getrennte für Volk und
Senat II, 307.
Skeiron, Satj'rspiel des Euripides I,
447. Komödie des I]picharmos 11,20.
Sklaven als Träger der Intrigue in der
neuen att. Komödie II, 242 ; in der
röm. Komödie II, 552 ff.
Sklavenscliuhneister, der, Komödie
des Pherekrates II, 57.
Sklaverei , Ansicht von derselben in
der neuen att. Komödie II, 241.
Skene, die, im griech. Theater I, 145 f.
Siehe Scena.
700
Register.
Skeneugebäude , das griecliische , I,
145 ff.
SkenenAvand, die, im griech. Theater
I, 145 f.; bewegliche I, 148 f.
Skiras, Possendichter II, 29. 3ü.
Skyriai, Tragödie des Euripides I,
447. 507.
SkjTieriunen , die , Tragödie des So-
phokles I, .396.
Socrus, Komödie des Atta II, 638.
Sokrates , seine Verspottung durch
Aristophanes II, 117 f. 174.
Soldat, der, Komödie des Alexis
II, 216.
Soldaten, die, Komödie des Hermip-
pos II, 61.
Solon, sein Urtheil über das Theater
des Thespis I, 119.
Sonderling, der, Komödie des Phry-
nichos II, 73. 152.
Sopatros , Verfasser von Mimen in
rhythmischer Prosa II, 23. 24.
Lebensumstände II, 25. Possen-
dichter II, 29.
Sophilos, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Sophisten, die, Kom. des Piaton II, 75.
Sophokles I, 305 ff. ; tritt zuerst mit
Einzeldramen auf I, 174. 177. 315.
321; seine Tragik I, 305 ff. Lebens-
umstände I, 308 ff. Sein Sieg über
Aeschylos I, 309. Verhältniss zu
Euripides I, 314. Tod I, 307 ft". 315.
Verglichen mit Aeschylos und Euri-
pides I, 320. Seine Tragödien 1, 280 ff.
328 ff". 352 f. 357 ff". 364 ff. 369 ff, 374 ff.
382 ff". 390 ff'. Verloren gegangene
Dramen 1, 395 ff. Der Rhesos des
Euripides ihm zugeschrieben 1,501.
Sophokles der Jung. 1, 312.
Sophokles aus Athen , nachalexandr.
Tragödiendichter \l, 258.
Sorix, Archimimus II, 644.
Sosipatros, Dichter der neuen att.
Komödie II, 230.
Sosiphanes, nachalexandr. Tragödien-
dichter II, 253. 258. 261 f.
Sositheos , nachalexandr. Tragödien-
dichter II, 258. 259.
Sotades v. Maronea, Kinädendichter
II, 30.
Sotades, Dichter der mittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Spectacula privata bei den Römern
II, 473.
Sphinx, Satyrspiel zur Thebais-Tri-
logie des Aeschylos I, 235. 303.
Spielmaske, ilir Ursprung I, 54 ; die
drei Sp. des Thespis I, 121 ; des
Chörüos I, 127; Frauenmasken I,
127. Verschiedene Arten I, 157 f.;
komische II, 49.; bei den Römern
II, 327.; in den Mimen nicht ge-
braucht II, 642; wohl aber in den
Pantomimen II, 655.
Spintharos, Tragödiendichter II, 253.
Sponsa Pappi, Atellane des Pompo-
nius II, 329.
Sprechbühne des griech. Theaters
I, 147.
Sprichwörter, Lustspielart der mittl.
att. Komödie II, 213.
Spruchweisheit der neuen att. Ko-
mödie II, 234 f. 240 f.; der röm.
Mimen II, 643 f. 648 f.
Ständemasken der mittl. att. Komödie
II, 209 ff.
Starren, die, Komödie des Teleklei-
des II, 60.
Stasima der griech. Tragödie I, 168 ff".
Statariae (comoediae) II, 471.
Stephanos, Dichter der mittl. att.
Komödie II, 214.
Stesichoros , seine heroisch - mythi-
schen (Hiöre 1, 108.
Sthenelos, Tragödiendichter I, 517.
II, 254.
Sthenoboia , Tragödie des Euripides
I, 447.
Stichus, Komödie d.Plautus II, 547 ff'.
Realster.
701
Strabo, Jul. Caesar, Tragödiendichter
II, 34S.
Strack , über das Dionysostheater in
Athen I, läU i^.
Strato , Dichter der niittl. att. Ko-
mödie II, 214.
Strattis, Komödiendichter II, 78.
Strophe , als Theil der Parabase II,
44. 45.
Stroplüsclie Form der ('höre, durch
Arion eingeführt I, 109.
Stumpfsinnige Menschen s. Kophoi.
Sturnibedrängten , die . Komödie des
Kratinos II, 68.
Styl der alt- und neuattischen Ko-
mödie II, 244 ft".
Subucula, Gewand der Mimentänze-
rinnen II, 645.
Sühnidee im Drama I, 7. Vrgl. Ka-
tharsis.
Süvern über Aristophanes' Vögel II,
175.
Sulla , Liebhaber von Mimen II,
642. 644.
Supplicatio, Komödie des Atta 11,638.
Susanna, Tragödie des Nikolaos von
Damaskus II, 263.
Susarion aus Tripodiskos in Megaris,
Dichter komischer Chöre II, 6.
Syleus, Satyrspiel des Euripides 1, 447.
Synapothnescontes, Komödie des Di-
philos und Plautns II, 627.
Synaristosae, Komödie des (Jaecilius
II, 636.
Synei)hebi , Komödie des (Jaecilius
II, 636.
Synodos =Scliaus]>i('k'rtriip]ie 11,255.
266.
Syrakus, Theater zu, II, 22.
Syrakusanerinuen , die, des Tlieokrit
11, 27.
Syrus siehe Tublius.
Tabernariae (comoediue) 11 . 461).
637 f.
Tagenisten, die, Komödie des Aristo-
phanes II, 205.
Tantalos, Tragödie des Phrynichos
I, 134.
Tanz, seine Beziehung zum Drama
I, 75 f. Arten I, 124.
Tanzart, italische II, 654.
Tanzdrama der Mexikaner I, 97.
Tanzgesang, mimischer, in Rom II,
315. 317.
Tanzschulen, römische II, 654. 656.
Tanzspiele, mimische, I, 47.
Tarentiner, die Hilarotragödie bei
denselben II, 28.
Tarentiner, die, Komödie des Alexis
II, 216.
Taucher, die, Komödie des Eupolis
II, 65. 71.
Taurier, die, Komödie des Antipha-
nes II, 215.
Taxiarchen, die, Komödie des Eupo-
lis II, 67.
Technitai = Schauspieler II, 255.
Telamo, Drama des Eunius II, 337 f.
Teleklcides, Komödiendichter II, 43.
59 f.
Telephos , Tragödie des Aeschylos
I, 304. Tragödie des Euripides I,
447. 448. 507; des Agathon I, 51s.
Komödie des Deinolochos II , 23.
Posse des Rhinthon 11, 21). Tra-
gödie des Kleophon II, 251. Tele-
})hus, Drama des Ennius II, 337.
des Attius II, 342. Siehe Myser.
Telmossier, die, Komödie des Aristo-
phanes II, 2)16.
Temeniden , die, Tragiklie (b's Euri-
pides I, 447. 509.
Temeu(^s , Tragiklie des Eurii)ides
I, 447.
Tercntius Afer, Ptiblius, KomiHlien-
dichter U , 248. 485 ; verglichen
mit Plautus II, 487. Lebensum-
stände II. 5)17 f. Charakter seiner
Stücke II, 5)is ir. Seine Lnsispiele
702 Reifister.
II, 573 fF. 580 ff. 593 ff. 60« ff. Tliebaide, dem Seneca von Manchen
(JlS ff. 020 ff". abgesprochene Tragödie II. 353.
Tereus , Tragödie des Sophokles I. Thebais, Trilogie des Aeschylos I,
402; des Philokles I, 5J3. Komödie 234 f. 303. Tragödie des Attius
des Kantharos II, 79. Tragödie des 11,342. Tragödie des Seneca II, 442.
Liv. Andronicus II. 331 ; des Attius Theodektes, Tragödiendicliter II, 252 f .
II, 342. Theodora , Gemaliün Kaisers Justi-
Terpandros aus Lesbos I, 107. nianus , Pantomimentänzerin II,
Tessera, röm.Theaterbillet 11,312. 313. 001 f.
Tetralogien, älteste, I, 125. 126; dra- Theodoros, Schauspieler I, 161. II,
mat., I. 173 ff. Zeit der Aufführung 254. 250. 266.
I, 179. Theodosius d, Gr. erklärt die Schau-
Teukros , Tragödie des Sophokles I, spieler für ehrlos II, 601.
362. 399; des Jon I, 514. Teucer, Theognetos , Dichter der neuen att.
Tragödie des Pacuvius II, 341. Komödie II, 230.
Thais, Komödie des Afranius II, 639. Theognis, Tragödiendichter I, 516.
Thalamopoioi , Tragödie des Aeschy- II, 254.
los I, 303. Theokrit als Nachahmer des Sophron
Thaletas aus Kreta führt das Hyp- II, 27.
orchem in Sparta ein I, 104. Theologeion, Theatermaschine I, 148.
Tham.yris , Tragödie des Sophokles Theophilos , Dichter der mittl. att.
I, 402. Komödie II, 214.
Theater des Thespis I, 117; des Dio- Theophilos, Dichter der neuen att.
nysos in Athen 1, 139. 150 ff.; zu Komödie II, 230.
Sj'rakus II, 22.; angesehenste zur Theophrastos , sein Einfluss auf Me-
Zeit Alexand. d. Gr. II. 255. nander U, 231.
Theaterbeamte, römische II, 312 f. Theopompos, Komödiendichter II, 80.
Theaterbillets , griechische, I, 142; Theoren oder die Isthmiasten, Tra-
römische II, 312. gödie des Aeschylos I, 302.
Theatercostüm I, 127; tragisches Theorikon , Eintrittsgeld bei den
I, 155 f. griech. Theatervorstellungen 1, 181 f.
Theatergebäude, Einrichtung des grie- Theoris , Hetäre, Geliebte des So-
chischen I, 139 ff".; römisches II, phokles I, 312 f.
306 ff.; das erste steinerne zu Rom Thesauros , Komödie des Menander
II, 307; prachtvolles des Aem. 11, 235. Vgl. Schatz.
Scaurus II, 309 ; bewegliches des Theseus , Tragödie des Eui-ipides 1,
Scribon. Curio II, 309; bedecktes 447. 510. Komödie des Aiistony-
.seit (;atulus II, 311; des Marcellus mos II, 70.
II, 313; des Augustus II. 313. Thesmo]ihoriazusen , Komödie des
Theatermaschinen I. 14S 1f. Aristo}duines 1, 400. 518. II, 185 ff".;
Theaterprunk bei den Römern 11, die zweiten II, 188.
308 ff. Tlicsjjis aus Ikaria stellt den Chor
Theaterzeiten, griechische 1, 134 ff. im Viereck aut 1, 110; erfindet
römische II, 471 ff. den Dialog 1, 117; führt den
Theaterzettel, röm. 11, 313. Schauspieler ein I, 117; seine
Register.
703
Bühne I. 117; seine Dramen I,
121; sein Chor I, 121.
Thessalos, Schauspieler U, 255.
Thestylis des Theokrit II, 27.
Thiasos =- Schauspielergesellschaft II,
255.
Thiere, die. Komödie des Krates
II, 56.
Thrakerinnen, die. Tragödie des Ae-
schylos I, 303. 3B3. Komödie des
Kratinos II, 53 f.
Threnodie, Chor-Trauergesang I. 104.
Thronsessel im Dionysostheater zu
Athen I, 151 ff.
Thüren in der Skenenwand I, 146.
Thunfischfänger, der, Mimos des So-
phron II, 27.
Thurioperser, die, Komödie des Me-
tagenes II, 77.
Thyestes in Sikyon, Tragödie des So-
phokles 1,401. Thyestes, Tragödie
des Agathon I, 518. Thyestes, Tra-
gödie des Kleophon II, 251; des
(Jhäremon 11, 251 ; des Diogenes II,
251. Drama des Ennius II, 337 ; des
Varius Rufus 11,346; des Grachus
II, 346. Tragödie des (Rhetors Mar-
cus?) Seneca II, 352 ff. 414 ff.
Thymele im Theater 1, 117. 144.
Thymelikoi in Jerusalem II, 267.
Tibia dextra, sini.-itra. pares. imjiares
II, 478.
Timokles , Dichter der mittl. att.
Komödie II, 214. 218.
Timon v. Phlius, SiUendichter II, 30.
Timon, Komödie des Antii)hanes II.
214.
Timotheos aus Milct, DitliynimlK'ii-
dicliter I, 115.
Timotheos von Zakyntlios . Scliau-
spieler, I, 363.
Timotheos, Dichter der miltl. att.
Komödie II, 214.
Tiro proficisceus , Komödie iles Atta
II, 638.
Tischgenossen, die, Tragödie des So-
pliokles I, 399.
Titakides, Komödie desMagnes II, 11.
Titanen , die , Komödie Kratinos' d.
Jung. II, 217.
Titanopane , die , Komödie des Myr-
tilos n, 61.
Titinius, Quinct., Komödiendichter
n, 637 f.
Titius Septimius, C, Tragödiendich-
ter II, 349.
Titthe, Komödie des(!aecilius II, 636.
Titulus, Komödie des Afranius II, 639.
Tlepolenios, Scliauspieler des Sopho-
kles I, 161.
Todtenbuch, ägj^tisches I, 28 ff.; ein
religiöses Drama I, 30.
Töpfe, die, Komödie des Epicharmos
n, 21.
Togata, Komödie des Afranius II,
639.
Togatae (comoediae) II, 469. 636 ff.
Tolynos, Erfinder der komischen Mas-
ken II, 49.
Tonarten der Chorgesänge I, 171 ff.
Trabea, Komödiendichter II, 485.
Trabeatae (comoediae) II, 470.
Trachinierinneu , Tragödie des So-
phokles I, 364 ff. II, 436. 439.
Tragikotatos, Beiname des Euripides
bei Aristoteles I, 413. 432.
Tragischer Chor I, lil. — Tr()])0s
I, HO.
Tragödie, lyrische I, 109. 111. Name
I, 111. Gliederung der griechi-
sclicn 1. 166. Ihr Verliältniss zur
Komödie II, 19. 33 ff. Römische,
II, 29() ff'. Fortsclirittsmoment der-
selben der griecli. gegenüber II,
.300 ff'. Geschichte derselben II.
330 ff.; griechisdi - rinuisclii- 11,
.•{31 ff.
Tragos I, 55. 111.
Trilogie, erste, I, 56. Aeschylische I,
173 f. Princip derselben I, 175 f.
704 Register.
Triiiieter, jambischer I, 118. Ueberarbeitungen von Dramen I, 182.
Trinummus , Komödie des Plautus Ueberläufer, die, Komödie des Phe-
II, 247. 524 ff. rekrates II, 57.
Triphaies, Komödie des Aristophanes Ugilius, M. Aur., Pantomime II, 663.
n, 205. Umgänge im griech. Theater I, 142.
Triptolemos, Tragödie des Sophokles Umzüge , festliche in Aegypten , als
I, 3Ü9. Keime der griech. Komödie II, 1 f.
Tritagonistes, dritter Schauspieler I, Unterbühne im griech. Theater I,
159. Von Sophokles eingeführt I, 147.
212. 323 f. Untergeschobenen, die, Komödie des
Troer, Komödie des Epicharmos Menander II, 244.
II, 20.
Troerinnen (die gefangenen) , Tra- Valckenaer, L. C, über Euripides I,
gödie des Sophokles I, 398. Tra- 415 f.
gödie des Euripides I, 428. 429. Varius Eufus, L., Tragödiendichter
458 ff. 507. Tragödie des (Philo- II. 346.
sophen?) Seneca II, 352. 3b3 ff. Varroniauae fabulae des Plautus
TroUos, Tragödie des Sophokles I, II, 483.
396. 397. Vaterländische Tragödien stoffe bei
Trommler, die, Komödie des Auto- den Römern II, 305 f.
krates II, 80. Velarium I, 143.
Trophoi, Tragödie des Aeschylos I, Vergessliche, die, oder Thalatta, Ko-
3U2 f. mödie des Pherekrates II, 57.
Tropos, Singweise , verschiedene Ar- Verres aegrotus , AteUane des Pom-
ten desselben I, 110. ponius II, 329.
Trostlose, der, Komödie des Piaton Versenkungen im griech. Theater
n, 75. I, 149. ^
Truculentus , Komödie des Plautus Versmaasse des Plautus II, 487 ff.
II, 543 ff. Vertriebene, der vom Hause, Ko-
Tiullanisches Concil, verbietet Mimen mödie des Philemon II, 241.
und Tänze II, 260. Viereckige Aufstellung des Chores
Tuchwalker, der, Komödie des Anti- (durch Thespis) I, 110. 165.
plianes II, 215. , Vindemiatores , AteUane des Novius
Turpilius , Komödiendichter II, 485. II, 330.
Turpio Ambi\äus, Schauspieldirector Virginius Romanus, Mimograpli II,
II, 473. 475. 651.
Turranius , Tragödiemlichter II, Virgo , Minms des Laberius II, 649.
34b J'. — praegnans, AteUane des No\aus
Tydeus, Tragödie des Theodektes II, 330. 649.
II, 252. Vischer, Prof., Beschreibung des
Tympanist, der, Tragödie des Soidio- Dionysos -Theaters in Athen I,
"kies I, 401. 150 ff".
Tyrannis, dir, Kuiiiödie des Phore- Vögel, die, Komödie des Magnes
krates II, 58. H , H; des Aristoidianes I, 132.
II, 152 ff.
Register.
7ü5
Vogelsteller, der, Komödie des Niko-
stratos II, 217.
Volkschor I, 113.
Vorbühne im griech. Theater I, 14(5.
Vorhang im griech. Theater I, 14(3;
im römischen II, 312.
Vortragsweise röm. Schauspieler II,
477.
Votivi (ludi), Tlieateranffiihruugen
dabei IL 473.
Wächter , die , Tragödie des Jon
I, 514.
Waftengericht vgl. Armornm jndi-
cinm.
Watfenrechtsstreit, der, Tragödie des
Aeschylos I, 303. 363.
Wagen, der, Komödie des Philonides
II, 62.
Wandernde Schausjjielertruppen II,
266.
Wasserkanäle in der Orchestra des
griech. Theaters I, 145.
Wasserträger , Tragödie des Sopho-
kles I, 400.
WeinHasche, die, Komödie des Kra-
tinos II, 43. 52. 112.
Welcker über das Satyrspiel I, 122 ff.;
über Aeschylos' Prometheus I,
192 ff.
Wespen , die , Komödie des Magnes
II, 11. 84. 88. Komödie des Aristo-
phanes I, 516 f. II, 132 ff.
Wettkämpfe, Chorgcsang dabei 1, 104 ;
tragische I, 122: ausserhalb Attika
II, 255. 265 ; pantomimische II, 65(>.
Vgl. Agonen.
Wilden, die, Komödie des Pherekra-
tes II, 57.
Wolken, die, des Aristophanes II.
83. 112 ff.
Wollüstling, der, Komödie desTheo-
pompos II, 80.
Wucherer, der, Komödie des Niko-
stratos II, 217.
Wurst , die , Komödie des Epichar-
mos II, 20.
Xanthias, Dienerrolle in Aristojjlia-
nes' Frösclien II. 192 ff'.
Xantrien, Tragödie des Aeschylos I,
301 f. 499.
Xenarehos , Dichter der mittl. att.
Komödie II, 214.
Xenokles , Tragödiendichter I, 429.
516. II, 254.
Xenokritos , Gründer des lokrischen
Styles I, 116.
Zecher, die, des Aristophanes II, 62.
92. 204.
Zeitalter, das goldene, Komödie des
Eupolis II, 68.
Zeitgeschmack , seine Berücksichti-
gung in der Tragödie I, 406 i'.
Zeltbedeckung des Theaters I, 143.
Zerstörung Ilions. die, Tragödie des
Aeschylos I, 303.
Zeus, der misshandelte, Komödie des
Piaton II, 75. Im gefesselten Pro-
metheus des Aeschylos I, 186 ff.
191 ff. 240.
Ziegen, die, Komödie des Eupolis
II, 68 f.
Ziegenbock (Tragos) I, 55. 111.
Zopyros, der angebrannte, Komödie
des Strattis II, 78.
Zorn, der, Komödie des Menander
II, 232.
Zufall, der. in der Tragödie I. 477.
Seine Rolle in der neuen att. Ko-
mödie II, 243 f.
Zugänge zu den Theatersitzen I,
142.
Zuschauerraum am giiech. Theater
I, 141.
II.
45
Druckfehler.
st. iliologisohen 1. dialogischen.
' Holbein 1. Holberg.
Dialektiker 1. Di da ktik er.
- das 1. der.
' die 1. den.
- Planeten 1. Platanen.
= Manier 1. Manie.
- und S. 681'' Z. 6 v. o. Gorgonen 1. Georgen.
'- Uebungsdrama 1. U e b e r g a n g s d r a in a.
- Welt r. Unterwelt.
= dadirt 1. datirt.
..nicht" fällt fort.
= KaiactQ 1. KccTattn.
st. Marcus 1. L. Jun.
- Scene 1. Sonne,
hinneu 1. hinein.
== ich 1. d ich.
- er 1. nii;-.
^ FaU 1. Schall.
5 Blutherrinuen 1. Blutheroinen.
G. Vossius 1. Poet. c. XII.
st. den 1. dem.
' Caesar u. Glück 1. C a es a r n. sei n G 1 ii c k
'- nach ..selbst" ein Konuna.
- Schaumalerei 1. Seh önmaliMei.
' lästigen 1. lustigen.
n. nach „Terentius" einzuschalten: über der-
gleichen,
st. vergeben 1. vorgeben,
in der Uel)erschrift. statt: T^nbrieus 1. LalnM-ius.
24
Z.
2
V. 0.
Ti
-
13
• 0.
44
'
2
^ 0.
.50
1
' 0.
5U
'
2
- 0.
.51
2
u.
134
'.
9
^ 0.
204
:=
8
' u.
210
3
^ u.
247
<
19
^ u.
2ö:}
10
' u.
304
=
1
= u.
350
20
' u.
344
'.
17
' 0.
414
13
'- u.
416
^-
16
- u.
425
<
12
0.
425
*
13
^- 0.
4.39
^-
18
'- 0.
447
*
12
' u.
4.59
Auraerk
;. 3) st.
5.39
Z.
7
V. u.
541
<
3
- 0.
568
'.
6
« u.
573
'-
12
- 0.
585
'■
5
^ 0.
01^
,•{
n.
«35
i
s
^ u.
»547:
in
der
Uebei
f
PN
i7?q
KSM
1865
V.2
C.l
ROBA